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Raum in Bewegung

2018
978-3-7720-5645-1
A. Francke Verlag 
Thomas Poser

Die spezifische Strukturlogik des Mythos erlaubt es, komplexe Sachverhalte in eine narrative Gestalt zu bringen, die andernfalls als bloß selbstwidersprüchlich und inkonsistent erscheinen müssten. Mythisches Erzählen im Modus literarischer Rede erweist sich so als veritables Instrument kultureller Selbstbeobachtung. Das Buch verfolgt dies mit Blick auf die räumlichen Strukturen der untersuchten Texte. Im Mittelpunkt stehen Schlüsselepisoden zweier Artusromane, des >Erec< Hartmanns von Aue und des >Lanzelet< Ulrichs von Zatzikhoven, flankiert von zusätzlichen Vergleichstexten aus dem weiteren Umfeld höfischer Literatur. Die These lautet, dass >Raum< nicht allein von der Bewegung der Figuren >im Raum< abhängt, sondern seinerseits als veränderlich und >beweglich< zu denken ist. Räumliche Strukturen werden durch die literarische Arbeit mit mythischen Erzähllogiken dynamisiert und die ihnen zugrundeliegenden Ordnungsvorstellungen so in je neuen literarischen Versuchsanordnungen auf ihre Tragfähigkeit hin befragt.

Die spezifische Strukturlogik des Mythos erlaubt es, komplexe Sachverhalte in eine narrative Gestalt zu bringen, die andernfalls als bloß selbstwidersprüchlich und inkonsistent erscheinen müssten. Mythisches Erzählen im Modus literarischer Rede erweist sich so als veritables Instrument kultureller Selbstbeobachtung. Das Buch verfolgt dies mit Blick auf die räumlichen Strukturen der untersuchten Texte. Im Mittelpunkt stehen Schlüsselepisoden zweier Artusromane, des ›Erec‹ Hartmanns von Aue und des ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven, flankiert von zusätzlichen Vergleichstexten aus dem weiteren Umfeld höfischer Literatur. Die These lautet, dass ›Raum‹ nicht allein von der Bewegung der Figuren ›im Raum‹ abhängt, sondern seinerseits als veränderlich und ›beweglich‹ zu denken ist. Räumliche Strukturen werden durch die literarische Arbeit mit mythischen Erzähllogiken dynamisiert und die ihnen zugrundeliegenden Ordnungsvorstellungen so in je neuen literarischen Versuchsanordnungen auf ihre Tragfähigkeit hin befragt. ISBN 978-3-7720-8645-8 Poser Raum in Bewegung BIBL. GERM. 70 Thomas Poser Raum in Bewegung Mythische Logik und räumliche Ordnung im ›Erec‹ und im ›Lanzelet‹ Bibliotheca Germanica HANDBÜCHER, TEXTE UND MONOGRAPHIEN AUS DEM GEBIETE DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE HERAUSGEGEBEN VON UDO FRIEDRICH, BURKHARD HASEBRINK UND SUSANNE KÖBELE 70 Thomas Poser Raum in Bewegung Mythische Logik und räumliche Ordnung im ›Erec‹ und im ›Lanzelet‹ Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT . Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Frühjahrssemester 2016 auf Antrag der Promotionskommission Prof. Dr. Susanne Köbele (hauptverantwortliche Betreuungsperson) und Prof. Dr. Jan-Dirk Müller als Dissertation angenommen. © 2018 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG · Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de Satz: pagina GmbH, Tübingen Printed in Germany ISSN 0067-7477 ISBN 978-3-7720-8645-8 5 Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.1 Zur Einführung: Vom heuristischen Wert einer mythostheoretisch gewendeten Narratologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.2 Präsenz des Mythos? Zum Stand der aktuellen mediävistischen Mythosforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 1.3 Mythos und mittelalterliche Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.3.1 Arbeit am Mythos - Arbeit mit dem Mythos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.3.2 Ansätze zu einer funktionalen Unterscheidung von Mythos und Literatur 24 1.3.3 Formale Aspekte des Mythischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1.3.4 Mythisches Erzählen als Medium kultureller Selbstbeobachtung . . . . . . . . . . 35 1.4 Raum in Bewegung: Überlegungen zum Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1.4.1 ›Raum‹ und ›Diskurs‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1.4.2 Zur Textauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1.5 Räumliche Ordnung und mythische Logik in der Heldenepik: Das Beispiel ›Nibelungenlied‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1.6 Das Gegenbeispiel: Narrative Ambivalenz im ›Herzog Ernst B‹ . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2.1 …und was eht schœner vreuden bar (Er 9595): Der Verlust der vreude als Problem der ›Erec‹-Interpretationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2.1.1 Zum Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2.1.2 Aspekte der Semantik von mhd. vreude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2.2 Raumsemantische Analyse der Joie-de-la-curt -Episode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.2.1 Der Weg nach Brandigan und die Wegscheide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.2.2 Die Burg Brandigan: Scheinbare Idealität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2.2.3 Der Baumgarten: Die Ambivalenz des Zwischenraumes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2.2.4 Der Baumgarten in der makrostrukturellen Raumordnung der erzählten Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2.2.5 Raum und Figur: Mabonagrin als ›mythische‹ Mittlerinstanz . . . . . . . . . . . . 104 2.2.6 Die Baumgarten-Minne und die Krise höfischer Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2.2.7 Zur metonymisch-paradigmatischen Struktur des ›Erec‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 3.1 Zu Forschungslage und Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 3.1.1 Der ›Lanzelet‹ als Gegenstand der Mythosforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 3.1.2 Zum Verhältnis von ›Lanzelet‹ und ›Erec‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3.1.3 Der ›Lanzelet‹ und das Raumparadigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 6 Inhaltsverzeichnis 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3.2.1 Vor der Aventiure: Schadil le Mort und die narrative Anknüpfung an die Jugendgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3.2.2 Das Kloster zer Jæmerlichen Urbor : Rezeptionsleitendes ›Schwellensignal‹ und Heterotop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3.2.3 Die differentielle Ordnung des Schönen Waldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 3.2.4 Dodone und die Utopie immerwährender vröude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 3.2.5 Das Zentrum Dodones: Die Kemenate und das Vallis Iblê . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3.2.6 Die Flucht des Paares: Dodone und die wunderlich stat als Raum und Gegenraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 3.2.7 Die mythische Verbindung von Raum und Gegenraum im Minnezelt . . . . 178 3.2.8 Das Minnezelt als Zeichen und - Handlungsraum? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 4 Resümee und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 4.1 Zusammenfassung: Die Beweglichkeit des Raumes und die Dialektik von Entmythisierung und Remythisierung in der Poetik des Artusromans . . . . . . . . . 199 4.2 ›Der Tod des Königs Artus‹ und das Ende arthurischen Erzählens? . . . . . . . . . . . 202 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Primärtexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Forschungsliteratur und Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Vorbemerkung Die vorliegende Arbeit wurde im Frühjahrssemester 2016 von der philosophischen Fakultät der Universität Zürich als Dissertationsschrift angenommen. Für die Drucklegung wurde sie geringfügig überarbeitet.* Kaum möglich wären die folgenden Überlegungen ohne die Hilfe einer ganzen Reihe von Unterstützerinnen und Unterstützern, denen ich im Folgenden meinen aufrichtigen Dank aussprechen möchte. An erster Stelle zu nennen ist Jan-Dirk Müller, der mich von Anfang an begleitet hat und der bis zuletzt, in zahlreichen Details wie in großen Grundsatzfragen, in die Entstehung meiner Arbeit involviert geblieben ist. Die Zeit und die Mühen, die er auch nach meinem Wechsel nach Zürich in mein Projekt gesteckt hat, gehen deutlich über das von einem Zweitgutachter zu Erwartende hinaus. Ebenso viel Dank gilt Susanne Köbele, dafür, dass sie mich so bereitwillig in Zürich aufgenommen hat und dass sie mich immer wieder neu dazu veranlasst hat, meinen Standpunkt zu überdenken und meinen Blickwinkel zu weiten. Ihre intensive Betreuung hat die Arbeit entscheidend vorangebracht. Eine dritte Danksagung muss notwendig viel zu spät kommen, denn sie kann ihren Empfänger leider nicht mehr erreichen: Armin Schulz, der als Zweitgutachter meiner Magisterarbeit wichtige Impulse auch für meine spätere Forschung gegeben hat, ist kurz nach Abschluss meines Studiums verstorben. Wer das vorliegende Buch liest, wird schnell sehen, wie viel es ihm schuldet. Dank gebührt auch den Herausgebern der Reihe ›Bibliotheca Germanica‹ für die Aufnahme der Schrift in ihr Programm: Neben Susanne Köbele sind das Burkhard Hasebrink und Udo Friedrich. Tillmann Bub, stellvertretend für das ganze Team des Verlags Narr Francke Attempto, danke ich für die zügige und reibungslose Realisierung meines Buchprojektes, ebenso Birgit Bucher (Staatsbibliothek Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung) und Helga Tichy (Bayerische Staatsbibliothek München, Abteilung Handschriften und Alte Drucke) für die freundlichen Abbildungsgenehmigungen. Ermöglicht wurde die Drucklegung durch einen großzügigen Zuschuss des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT - auch dafür den Verantwortlichen einen herzlichen Dank. Weiterhin möchte ich meinen Büronachbarn aus der Münchner Zeit danken, allen voran meiner Projektkollegin Verena Linseis für die unzähligen anregenden Gespräche und die vielen Erinnerungen abseits des reinen fachbezogenen Diskurses. Claudio Notz aus Zürich danke ich, dass er mir vom ersten Tag an geholfen hat, mich in der neuen Umgebung zurechtzufinden und bald auch heimisch zu fühlen. Lena Oetjens und Eva Locher danke ich im Besonderen für die Ausrichtung des schönsten aller Disputations-Apéros. Nicht vergessen seien aber auch alle anderen Kolleginnen und Kollegen aus München wie aus Zürich, deren Freundschaft und Expertise ich in den vergangenen Jahren unter keinen Umständen hätte missen wollen. * Neuere Publikationen seit 2017 konnten nur in Ausnahmefällen berücksichtigt werden. Nicht mehr eingearbeitet werden konnten insbesondere die von Andreas Hammer, Victor Millet und Timo Reuvekamp besorgte ›Ereck‹-Neuausgabe, die die Beschäftigung mit Hartmanns Text auf eine neue Basis stellen dürfte, sowie die Dissertation von Pia Selmayr, die sich unter anderem ausführlich Ulrichs von Zatzikhoven ›Lanzelet‹ widmet. Pia danke ich allerdings für den regen mündlichen Austausch über unseren gemeinsamen Gegenstand. 8 Vorbemerkung Der größte Dank aber gehört meinem engeren privaten und familiären Umfeld: meinen Freunden außerhalb des universitären Betriebes, die mich immer wieder daran erinnern, dass die akademische Welt nicht das Leben ist. Noch einmal danke ich Eva für ihre Geduld und dafür, dass sie mir in den letzten Jahren in sämtlichen Belangen die erste und wichtigste Ansprechpartnerin war. Und schließlich gilt mein Dank meiner Familie, meiner Mutter Reinhilde und meinem Bruder Florian, auf deren vorbehaltlose Unterstützung ich in allen Lebenslagen zählen durfte. Ihnen allen sei der Ertrag der letzten Jahre in Form dieses Buches zugeeignet. Zürich, im November 2017 Thomas Poser 1.1 Zur Einführung: Vom heuristischen Wert einer mythostheoretisch gewendeten Narratologie 9 1 Einleitung »Die Literatur nimmt immer das Leben voraus. Sie ahmt es nicht nach, sondern sie modelt es im Gegenteil nach ihren Zwecken.« (Oscar Wilde) 1.1 Zur Einführung: Vom heuristischen Wert einer mythostheoretisch gewendeten Narratologie Ralf S imon führt in seiner Untersuchung zur ›strukturalistischen Poetik‹ des Artusromans Brandigan, den Austragungsort der letzten und wohl prominentesten Aventiure in Hartmanns von Aue ›Erec‹, als Beispiel für den Typus der ›verzauberten Burg‹ an, der in seiner Modellierung zusammen mit zwei weiteren Aventiurekreisen - dem Bereich des ritterlichen Zweikampfs und dem Bereich der rohen Gewalt in der Auseinandersetzung mit ›anderweltlichen‹ Kräften wie Riesen und Drachen - als oppositioneller Gegenraum der Sphäre der höfisch-arthurischen Welt entgegenstehe. 1 Auch Andreas R amin geht in seiner Studie zum Verhältnis von ›Symbolischer Raumorientierung und kultureller Identität‹ von einem grundsätzlich opositionellen Aufbau der erzählten Welt im Artusroman aus, doch bezeichnenderweise dient ihm Brandigan nun als Musterfall, um die Darstellung der Burg nicht als Teil der Aventiurewelt, sondern genau umgekehrt als Element des höfischen Lebensraums zu veranschaulichen. 2 Beide Positionen könnten gegensätzlicher nicht sein, und beide können doch auch jeweils gewichtige Argumente für sich geltend machen. Dieser widersprüchliche Befund dürfte nicht so sehr den beiden genannten Autoren persönlich anzurechnen sein, sondern scheint mir vielmehr symptomatisch für eine allgemeine Tendenz, die die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Text - trotz vorhandener Alternativen 3 - bis heute prägt. Schon früh hat die Hartmann-Philologie versucht, die spezifische Poetik des ›Erec‹ - in der Folge sogar der Gattung des Artusromans insgesamt - über zweistellige Beschreibungsmuster zu erschließen 4 , wie sie später dann 1 S imon , Einführung, S. 28. 2 R amin , Symbolische Raumorientierung, S. 41 f. 3 Zu nennen sind hier vor allem die Arbeiten von Armin S chulz , die sich um die Überwindung zweistelliger Schematismen bemühen und gerade die Frage nach »höfische[n] Komponenten« im »Nichthöfischen« (ders., Ambivalenzen, S. 9) und umgekehrt ins Zentrum stellen. Der Wirkradius eines solchen Ansatzes wird sich erst noch abzeichnen müssen. Immerhin kommen auch jüngst erschienene, theoretisch avancierte Studien wie etwa die Habilitationsschrift von Silvan W agneR , welche sich unter anderem der narrativen Raumkonstruktion im ›Erec‹ Hartmanns von Aue widmet, offenbar ohne jeden Verweis auf die entsprechenden Arbeiten von S chulz aus. Stattdessen beruft sich W agneR , was die ›Gesamtdeutung‹ des Textes betrifft, mehrfach auf die ›klassischen‹ ›Erec‹-Interpretationen im Anschluss an Hugo K uhn , Erec (vgl. W agneR , Erzählen, S. 218 f. passim). 4 Erste Ansätze gibt es beispielsweise schon bei S cheunemann , Artushof: Er unterscheidet den durch vreude gekennzeichneten Bereich des Hofes von der vreude -fernen Daseinsstufe des Abenteuers und strukturiert die erzählte Welt des ›Erec‹ anhand dieser Unterscheidung. Wegweisend wurde später 10 1 Einleitung in den methodologischen Bemühungen des Strukturalismus theoretisch reflektiert und als erzählanalytisches Handwerkszeug allgemeiner Art festgeschrieben worden sind. So ist etwa für Jurij l otman bekanntermaßen das wichtigste Merkmal der topologischen Ordnung eines jeden sujethaltigen Textes die - im Prinzip unüberschreitbare 5 - Grenze, die »den Raum in zwei disjunkte Teilräume« 6 unterteilt, welchen auch zwei disjunkte semantische Felder zugeordnet werden können. »Die Art, wie ein Text durch eine solche Grenze aufgeteilt wird«, sei, so l otman , »eines seiner wesentlichen Charakteristika.« Ein ›Ereignis‹ im narratologischen Sinn trete entsprechend immer dann ein, wenn eine Figur gegen jede Wahrscheinlichkeit eben doch »über die Grenze eines semantischen Feldes« 7 hinweg versetzt wird. Am deutlichsten hat vermutlich Ralf S imon in seiner bereits erwähnten Arbeit an dieses strukturalistische Modell angeschlossen, wenn er mit aller Ausschließlichkeit für den Artusroman konstatiert: »Es gibt nur zwei Räume, den Artushof und das Außerhalb, und der Ritter ist der, der in beiden Räumen agiert. Die Handlung beginnt mit der Überschreitung der Grenzen und steht still, wenn die Überschreitung wieder rückgängig gemacht wurde.« 8 Ungeachtet dessen, dass schon der verabsolutierende Gestus dieser Formulierung zu Vorsicht mahnen sollte (»nur zwei Räume« [meine Hervorhebung]; vgl. hierzu Kapitel 2.2.4), hat sich dieses Verständnis der impliziten Poetik des Artusromans inzwischen doch mehrheitlich durchgesetzt. Jedenfalls kann Rainer W aRning , wenn er das Strukturschema des Artusromans als geradezu »exemplarische Einlösung sujethaften Erzählens« 9 bezeichnet (um in Abgrenzung dazu das Phänomen ›paradigmatischen‹ Erzählens im ›Tristan‹ Gottfrieds von Strassburg zu profilieren), dies offenbar in dem Bewusstsein tun, nichts anderes als die gängige opinio communis der Forschung zu referieren. Und wenn Andreas m ahleR in seinem Artikel zum Stichwort ›Topologie‹, ähnlich wie schon W aRning , die Erzähltheorie l otman s mit dem von Hugo K uhn entwickelten arthurischen ›Doppelwegschema‹ in Verbindung bringt, dann gewinnt dies zuletzt sogar den Status quasi-verbindlichen Handbuchwissens. 10 Der l otman sche Ansatz hat sich als äußerst flexibles und produktives Analyseinstrument erwiesen, und entsprechend groß ist sein forschungsgeschichtlicher Erfolg. Das Beispiel der Joie de la curt , der Schlussaventiure des ›Erec‹, zeigt allerdings, dass es bisweilen schwierig ist zu entscheiden, welcher Seite der vom Modell her vorgesehenen Unterscheidung eine Entität der erzählten Welt denn nun eigentlich zuzuschlagen sei. Der Austragungsort dieses finalen Abenteuers Erecs jedenfalls ist widersprüchlich semantisiert und changiert so beständig zwischen den Polen der höfischen Sphäre einerseits und ihres gegenhöfischen Widerparts andererseits. Damit erweist sich dieser Weltausschnitt aber - pointiert formuliert - als nicht mit sich selbst identische räumliche Einheit innerhalb der grundlegenden topologischen Struktur des Textes: weder ganz höfisch noch genuin unhöfisch, sondern padann vor allem aber das Schema des ›doppelten Kursus‹ bzw. des ›Doppelweges‹, wie es erstmals K uhn , Erec, vorgestellt hat. 5 Vgl. l otman , Struktur, S. 327: »Wichtig ist […]: die Grenze, die den Raum teilt, muß unüberwindlich sein und die innere Struktur der beiden Teile verschieden.« 6 l otman , Struktur, S. 327 (dort auch das folgende Zitat). 7 l otman , Struktur, S. 332. 8 S imon , Einführung, S. 22 f. 9 W aRning , Norm und Transgression, S. 184. 10 m ahleR , Topologie, S. 25. 1.1 Zur Einführung: Vom heuristischen Wert einer mythostheoretisch gewendeten Narratologie 11 radoxerweise beides zugleich. 11 Das Modell sujethaften Erzählens in Anlehnung an l otman stößt hier mithin an seine Grenzen. Nun hat seit einigen Jahren eine analytische Kategorie Hochkonjunktur, die jenseits von identitätslogischen Binarismen argumentiert und die auf diesem Weg dazu beitragen soll, die historisch fremd gewordene Faktur vormoderner (Erzähl-)Texte besser als bisher zu erhellen. Gemeint ist die Kategorie des Mythischen, die, wie Peter F uSS in Anlehnung an Ernst c aSSiReR 12 formuliert, die »Dichotomie des Entweder-Oder zugunsten der nichtidentitätslogischen Struktur der chimärischen Logik des Sowohl-Als auch, das ein Weder-Noch ist[,] liquidiert« 13 . Von hier aus fällt es nicht schwer, die raumsemantische Ambivalenz der Joie de la curt damit zu erklären, dass der vorliegende Bereich der erzählten Welt gerade nicht identitätslogisch, sondern eben mythisch verfasst ist: Was ansonsten als kontradiktorischer Gegensatz gelten muss, erscheint hier nun also in mythischer Ungeschiedenheit konfundiert. 14 Der Clou aber - und dies blieb bisher, soweit ich sehe, unbeachtet - liegt darin, dass der Text das Spiel mit der mythischen Logik des Sowohl-als-auch sogar so weit treibt, dass er selbst die grundlegendste Differenz, die für den Mythos geradezu konstitutiv ist, am Ende nahezu auslöscht: die Differenz nämlich zwischen einem mythischen und dem ihn umgebenden gewöhnlichen Bereich des »Alltäglichen« 15 . Denn sei es auch, dass der Mythos, »was immer er berührt, gleichsam in eine unterschiedslose Einheit« 16 zusammenballt, so kennt er eben doch eine ganz elementare Unterscheidung, die ihm als solche sozusagen unhintergehbar bleibt - die Unterscheidung nämlich »zweier B e zirke des Seins: eines gewöhnlichen, allgemein-zugänglichen und eines anderen, der, als heiliger Bezirk, aus seiner Umgebung herausgehoben, von ihr abgetrennt, gegen sie umhegt und beschützt erscheint« 17 . Reflexe auf diese mythische Vorstellung von räumlicher Ordnung finden sich auch in der Joie-de-la-curt -Episode, namentlich bei der Beschreibung der Grenze, die den Baumgarten von Brandigan umgibt. Doch während diese Grenze zunächst in immer neuen Anläufen überdeutlich markiert wird, relativiert sich die scheinbare Exklusivität dieser Raumeinheit im weiteren Verlauf der Erzählung mehr und mehr, so dass die durch die Grenze angezeigte Unterscheidung am Ende intrikaterweise gleichermaßen bestätigt wie radikal in Frage gestellt wird. 18 Für Armin S chulz , der meinem Verständnis der räumlichen Konfiguration des ›Erec‹- Schlusses wohl am nächsten kommt, 19 bleiben die beschriebenen Ambivalenzen auf den klar umhegten Bereich des mythischen Raumes beschränkt. S chulz spricht deshalb (in Anlehnung an den Titel des Bandes, in dessen Rahmen sein Beitrag erschienen ist) auch von einem ›Unort‹ - und betont damit überdeutlich die Abgesondertheit dieses Bereiches gegenüber dem gewöhnlichen Raumkontinuum der erzählten Welt. Demgegenüber bleibt 11 Zur ausführlichen Analyse der Episode vgl. Kapitel 2. 12 Vgl. grundsätzlich c aSSiReR , Philosophie. 13 F uSS , Groteske, S. 430. 14 Vgl. S chulz , Das Goldene Vlies, S. 296, der feststellt, dass Weltausschnitte wie die Joie de la curt »auf irritierende Weise sowohl am Nichthöfischen als auch am Höfischen« teilhaben, ja dass insgesamt »in ihnen kategoriale Gegensätze [zusammenfallen], so dass sie in ihrer strukturellen Ambivalenz durchaus als mythisch beschrieben werden können«. 15 c aSSiReR , Philosophie, S. 128. 16 c aSSiReR , Philosophie, S. 81. 17 c aSSiReR , Philosophie, S. 106 (Hervorhebung im Original). 18 Vgl Kapitel 2.2.3. 19 Vgl. S chulz , Das Goldene Vlies, v. a. S. 296 f. 12 1 Einleitung weitgehend unbeleuchtet, dass nicht nur innerhalb dieses partikularen Raumsegmentes Entdifferenzierungsphänomene zu beobachten sind, sondern dass vielmehr die Differenz von gewöhnlichem Raum und (quasi-)mythischem Sonderraum ihrerseits derartigen Struktureffekten unterliegt - was von Ernst c aSSiReR s Phänomenologie des mythischen Denkens, auf die auch S chulz sich explizit beruft, 20 so gerade nicht vorgesehen ist. Hartmanns Roman geht also in der Anwendung der nicht-identitätslogischen Struktur des Sowohl-als-auch noch über mythische Erzählungen im Sinne c aSSiReR s hinaus, oder anders gesagt: Der Text arbeitet mit dem Mythos gegen den Mythos. Er funktioniert offenkundig anders als dieser und sagt etwas genuin anderes aus, doch tut er dies gleichwohl - und hierauf kommt es an - auf Grundlage der spezifischen Strukturmerkmale, die schon im mythischen Substrat seines Stoffes angelegt sind. 1.2 Präsenz des Mythos? Zum Stand der aktuellen mediävistischen Mythosforschung Das von Gerhard P lumPe bereits Mitte der 1970er Jahren konstatierte »Interesse am Mythos« 21 in den Geisteswisenschaften ist ungebrochen, ja, es scheint, vom Standpunkt der gegenwärtigen Diskussion aus besehen, zum Beginn des 21. Jahrhunderts hin gerade erst seine eigentliche Blüte zu erleben. 22 Für die germanistische Mediävistik war es vor allem der von Udo F RiedRich und Bruno Q uaSt herausgegebene Band ›Präsenz des Mythos. Konfigurationen einer Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit‹ 23 , der die Debatte 2004 erneut und umso nachhaltiger entfachte. Das erklärte Ziel des Bandes war es, den »Blick auf das Mittelalter als eine monolithisch christliche und damit antimythische Kultur«, wie er sich im mediävistischen Diskurs bis dato verfestigt hatte, dahingehend zurechtzurücken, dass man »die Geschichte der mittelalterlichen Literatur stärker als bisher nicht zuletzt als eine Geschichte der Arbeit am Mythischen« 24 zu beschreiben versuchte. Damit einher ging eine grundlegende und in der Folge äußerst produktive Umakzentuierung des Mythos-Begriffes: Während insbesondere die ältere Forschung, sofern sie interessiert war an ›mythischen‹ Spuren in den Literaturen des Mittelalters, damit in erster Linie auf bestimmte Motivtraditionen im Sinne der sog. ›niederen Mythologie‹ 25 abhob - gekennzeichnet etwa durch ein spezifisches Figureninventar mit Zwergen, Riesen, Feen, (Halb-)Göttern und anderen (Misch-)Wesen 26 -, so richtete sich der Fokus nun auf die großen philosophischen und anthropologischen Theorieentwürfe des 20. Jahrhunderts: Ausgehend von den Arbeiten 20 Vgl. S chulz , Das Goldene Vlies, S. 296, Fn. 12. 21 Vgl. P lumPe , Interesse. 22 Einen konzisen Überblick über den Stand der Forschung bis zum Ende des letzten Jahrhunderts geben B aRneR [u. a.], Mythentheorie, sowie a SSmann / a SSmann , Mythos. 23 Vgl. F RiedRich / Q uaSt , Präsenz. 24 F RiedRich / Q uaSt , Mythosforschung, S. XXXVII. 25 Vgl. S imeK , Götter und Kulte, S. 87-98. 26 Für die Heldendichtung kann etwa h euSleR , Geschichtliches und Mythisches, genannt werden, für die (französisch und deutsche) Artusepik beispielhaft die Arbeiten Roger Sherman l oomiS ’ (Celtic Myth; Arthurian Tradition; vgl. auch W eBSteR / l oomiS , Lanzelet). 1.2 Präsenz des Mythos? Zum Stand der aktuellen mediävistischen Mythosforschung 13 etwa Ernst c aSSiReR s 27 , Claude l évi -S tRauSS ’ 28 , Hans B lumenBeRg s 29 oder auch Jan a SSmann s 30 versuchte man nun, Mythisches nicht mehr - oder nicht mehr nur - anhand inhaltlicher Kriterien zu bestimmen, sondern auch und vor allem über strukturelle und funktionale Merkmale greifbar zu machen. Mythos als Struktur oder, wie schon im Titel des Bandes programmatisch vorgegeben war, Mythos als ›Denkform‹ hießen mithin die neuen Leitbegriffe, »Raum und Zeit, Identität und Kausalität, Lebenswelt und Kosmos« 31 nur die wichtigsten ihrer epistemologischen Kategorien. Die Stoßrichtung des Bandes hat in der Folge eine ganze Reihe von Detailuntersuchungen, Sammelbänden und umfassenderen Monographien angeregt, die mit diesem auf die formale Seite der sprachlichen Äußerung zielenden Verständnis von ›Mythos‹ ein Instrumentarium erkannte, um sich der spezifischen Verfasstheit vormodernen Erzählens, seiner historischen ›Alterität‹ 32 , aber auch den dahinter vermuteten mentalitätsgeschichtlichen Dispositionen anzunähern. Wenn es zutrifft, dass der Mythos-Begriff gerade aus seiner definitorischen Unschärfe heraus das ihm eigene Faszinationspotential gewinnt, 33 dann verwundert es aber kaum, dass insbesondere die recht spezifische Begriffsverwendung, auf die die Beiträger sich zu verständigen suchten, bisweilen auch auf Zurückhaltung, wenn nicht Ablehnung gestoßen ist. 34 Das Wirkpotential des Bandes hat diese Kritik, die ihm ein grundlegend anderes Mythos-Verständnis entgegensetzte, freilich weniger berührt als solche Ansätze, die die durch ihn angestoßene Diskussion gleichsam von innen heraus, durch die Aufdeckung ihrer unreflektierten epistemischen und diskursgeschichtlichen Prämissen nämlich, hinterfragten. 35 So nimmt etwa Florian K Ragl explizit Bezug auf den Mythosbegriff des F RiedRich / Q uaSt - Bandes und stellt dabei vor allem - und nicht unbegründet - den vorschnellen Kurzschluss von Denk- und Erzählformen in Frage, den er in der gegenwärtigen Debatte beobachtet: »Würde […] in der Tat - wie es die kulturwissenschaftliche Forschung will - im mittelalterlichen Erzählen eine kognitive Struktur sichtbar, die wir Heutigen als akausal wahrnehmen, die aber vor vielleicht 800 Jahren gewissermaßen das argumentative comme il faut war? In einer Sozietät, die sich - schnell hingesagt - noch schwer tat mit komplexen logischen Denkfolgen? Weil das 27 Vgl. c aSSiReR , Philosophie. 28 Vgl. l évi -S tRauSS , Denken; Mythos; Struktur. 29 Vgl. B lumenBeRg , Arbeit. 30 Vgl. a SSmann , Gedächtnis; a SSmann / a SSmann , Mythos. 31 K iening , Arbeit, S. 36. 32 Auf den Zusammenhang der aktuellen Mythosdebatte und dem hermeneutischen Konzept der ›Alterität‹ macht g eBeRt , Wissensordnungen, S. 91 f., aufmerksam. 33 Vgl. P lumPe , Interesse, S. 236. 34 So legt Alfred e BenBaueR in seiner Besprechung des Bandes mit aller Entschiedenheit (und diametral gegen die Konzeption des Bandes) fest, dass nur dann »›eigentlich‹« von Mythen zu sprechen sei, wenn es sich um »heidnische Göttererzählungen« handle; ausgehend von diesem enggefassten Mythosbegriff (der als solcher freilich erst gegen Ende seiner Ausführungen überhaupt expliziert wird) befragt er die einzelnen Beiträge konsequent dahingehend, ob das, wovon hier jeweils die Rede ist, »wirklich mythisch« zu nennen sei (vgl. e BenBaueR , [Rez.] Präsenz, hier S. 312). Auf e BenBaueR s Einwände gegen das Mythosverständnis des Buches hat in der Folge Jan-Dirk m ülleR , seinerzeit selbst Beiträger darin, noch einmal in der dem Andenken e BenBaueR s gewidmeten Gedenkschrift kritisch repliziert; vgl. m ülleR , Mythos. 35 Ich greife im Folgenden zwei Aufsätze heraus, die sich in grundsätzlicher Weise mit den Thesen des Bandes auseinandersetzen und die deshalb als repräsentativ gelten können für eine womöglich viel größere Gruppe von Arbeiten, die sich dem Ansatz des F RiedRich / Q uaSt -Bandes gegenüber kritisch verhalten. 14 1 Einleitung mythische Denken eben nicht nur das mittelalterliche Erzählen, sondern auch die Kognition der mittelalterlichen Menschen betrifft? « 36 In einem doppelten Durchgang durch den ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven versucht K Ragl sodann zu zeigen, dass »Mythisches und Logisches« als dichotomes Begriffspaar weder diachron verschiedene ›Denkformen‹, noch »Qualitäten von Narrativen« oder gar »Essenzen einer Erzählung« bezeichnen, sondern vielmehr »Wahrnehmungsstrategien, mit denen ein und derselbe Text gelesen werden« (S. 31) könne (und zwar prinzipiell jeder moderne wie mittelalterliche Text gleichermaßen, ungeachtet aller Historisierungsversuche - K Ragl spricht deshalb auch von einer »Simultaneität von Mythos und Logos«[S. 30]). »Mythos - das wäre« demnach »ein Erzählblick, der radikal auf das Handlungsgerüst fokussiert, ohne auf dessen motivationale Verknüpfung im Sinne rational-kausallogischer Operationen Acht zu haben. In dem Moment, wo alle feingliedrigen Motivationsgelenke einer Handlung ausgeblendet sind, muss das rohe Handlungsgerüst sich selbst tragen. Gerade dieses ›So-ist-es‹, das Aktion neben Aktion stellt, sie hintereinander reiht, macht den mythischen Lektüretypus aus. […] Logos hingegen, das wäre ein rationaler Lektüretypus, wie er […] vor allem in Erzählerreflexionen und Figurenreden manifest ist. Hier ist der Blick nicht auf das Grobkörnige des Handlungsgerüsts, sondern auf die Details der motivationalen Struktur eingeschärft: auf die Verknüpfungen feiner Handlungsfäden« (S. 29). Die Grenzen dieser radikalen Umdeutung von ›Mythizität‹ von einer Beschreibungskategorie für Textmerkmale hin zu einer Beschreibungskategorie für Rezeptionsweisen werden freilich schnell deutlich, wenn man die Metapher konsequent zu Ende denkt, die K Ragl selbst heranzieht, um seine Sichtweise zu veranschaulichen. Er vergleicht den Text nämlich mit einem digitalen Bild, das sich »aus einer bestimmten Anzahl von Bildpunkten, Pixeln« (S. 35) zusammensetzt und bei dem es vom jeweiligen Betrachter, bzw. der jeweiligen Betrachtungsweise, abhänge, ob es nun schärfer oder grobkörniger erscheine. Dass sich jedes hochauflösende Bild mit nur wenigen Beobachtungseinstellungen, etwa durch das Herabsetzen der Bildschirmauflösung am Endgerät, in ein unschärferes Bild überführen lässt (ähnlich, wie auch jede kausallogisch schlüssig motivierte Erzählung ›mythisch‹ gelesen werden kann, wenn man eben nur auf »das rohe Handlungsgerüst« fokussiert), ist dabei ebenso einsichtig wie der Umstand, dass dies in umgekehrter Richtung gerade nicht möglich ist: Wenn die Bilddatei von vorneherein eine zu geringe Datenmenge aufweist, ist es ungleich schwieriger, sie auf dem Bildschirm scharf erscheinen zu lassen, dann jedenfalls, wenn das fehlende Datenmaterial nicht - im Sinne digitaler Bildrekonstruktion - erst nachträglich ergänzt werden soll. Zurückübertragen auf den Bereich historischer Erzählformen ist es aber doch gerade dieser letzte Fall, bei dem die Mythostheorie im Ausgang von Ernst c aSSiReR als narratologische Heuristik ihren eigentlichen Mehrwert gewinnt. Gerade wenn die Motivationsstruktur eines Textes zu wenig Daten für eine kausallogisch stringente Lesart bietet, erlaubt es eine mythostheoretisch gewendete Lektüre eben doch, ein konsistentes Textmodell zu entwickeln, ohne sich einerseits also vorgreiflich auf abqualifizierende Werturteile einlassen oder andererseits etwas in den Text ›hineinlesen‹ zu müssen, was dort nicht steht. 37 36 Vgl. K Ragl , Land-Liebe (dort auch die folgenden Zitate), S. 3-8, hier S. 7. 37 h aFeRland / S chulz , Metonymisches Erzählen, S. 23-25, zeigen dies beispielsweise für die 3. Aventiure des ›Nibelungenliedes‹, in der in auffälliger Weise der »Registerwechsel Sivrits vom höfischen Regis- 1.2 Präsenz des Mythos? Zum Stand der aktuellen mediävistischen Mythosforschung 15 Dabei ist K Ragl zweifellos zuzustimmen, dass die Frage nach der ›Mythizität‹ eines Textes nicht zuletzt auch eine Frage nach dessen Pragmatik ist, danach also, ob er als ›mythisch‹ gelesen wird / wurde (bzw. werden kann) oder eben nicht. 38 Doch was Andreas K aBlitz über Fiktionalität (gleichermaßen eine textpragmatische Kategorie! ) bemerkt, dass nämlich das, was eigentlich Rezipientendisposition ist, sich zu einer Text-›Eigenschaft‹ verdichten kann, wenn es zutrifft, »dass [ein Text] keine andere Form der Rezeption zulässt als eben diejenige eines fiktionalen Textes« 39 , gilt in ähnlicher Weise auch für das Problem der Mythizität. Auch K Ragl gesteht immerhin ein, dass es »Texte geben [dürfte], die das eine oder das andere« - mythische Wirkung oder logisches Verstehen - »erleichtern« 40 , und allein in diesem Sinne, als Stimulus einer bestimmten - kulturell und historisch bedingten - Rezeptionshaltung (und nicht etwa ›essenzialistisch‹), ist es zu verstehen, wenn im Folgenden von ›mythischem Erzählen‹ die Rede ist: Mythizität als Texteigenschaft, »die zunächst in nichts anderem besteht als im [ich möchte ergänzen: weitgehenden] Ausschluss anderweitiger Möglichkeiten der Rezeption« 41 . Man wird K Ragl beipflichten wollen, dass Texte niemandem verbieten können, »grob zu lesen / hören oder genau nachzudenken« 42 . Doch rechtfertigt dies keineswegs, kausallogische Motivationstrukturen dort hineinzuprojizieren, wo diese offenkundig - wie so oft in älteren Erzähltexten - fehlen. Dem deutenden Zugriff des Interpreten sind eben doch, sofern sein Vorgehen als methodisch kontrolliert gelten soll, durch die ›lineare Manifestation des Textes‹ Grenzen gesetzt (um eine begriffliche Anleihe bei der Rezeptionssemiotik Umberto e co s zu nehmen). 43 Hier hat sich aber gezeigt, dass eine historische Narratologie, die sich an den Beschreibungskategorien der Mythosforschung orientiert, durchaus neue gangbare Wege eröffnen kann. Kritischer noch als K Ragl hat sich zuletzt Bent g eBeRt positioniert. 44 Da er sich besonders einlässlich mit dem gegenwärtigen Stand der Debatte auseinandersetzt, verdienen auch seine Überlegungen im Folgenden eine ausführlichere Würdigung. Anhand dreier Fallbeispiele versucht g eBeRt aufzuzeigen, wie in der aktuellen Diskussion einerseits eine »Pluralisierung von Begriffsverwendungen« (S. 57) zu beobachten sei, die den Mythosbegriff zu einem fast ubiquitären Schlagwort gerinnen lasse, andererseits sich aber »einige seiner Verwendungsweisen normativ verfestigen« (S. 21), ohne dass dabei deren methodische und terminologische Voraussetzungen - ihr diskursgeschichtlicher ›Ballast‹, wenn man so möchte - hinreichend reflektiert würden. Dadurch komme es, so g eBeRt , zu »Kontrollprobleme[n]« (S. 57), die ihrerseits »Verzerrungen von Objekten und Beobachtungssituationen« mit sich führten. In dem Bemühen, diese »unkontrollierten Paradoxien« der gegenwärtigen Mythosforschung offenzulegen, liegt die erklärte Absicht seiner Analyse ter zum aggressiven Heros […] durch nichts kausal motivert [werde], durch üb erha upt nichts« (ebd., S. 24; Hervorhebung im Original). Die Episode lässt sich, wie h aFeRland und S chulz gleichwohl als ›kohärenter‹ Text lesen, wenn man Textkohärenz eben nicht allein an kaussallogischen Verknüpfungen festmacht, sondern auch kontiguitäre Formen der Relationierung einzelner Erzähleinheiten berücksichtigt, wie sie nicht zuletzt auch mythisches Erzählen kennzeichnen (vgl. ebd., S. 12, Fn. 28). 38 Vgl. hierzu auch Kapitel 3.1.1. 39 K aBlitz , Literatur, S. 20 f. 40 K Ragl , land-Liebe, S 33. 41 K aBlitz , Literatur, S. 21. 42 K Ragl , Land-Liebe, S. 32. 43 Vgl. grundsätzlich e co , Grenzen. 44 g eBeRt , Beobachtungsparadoxien (dort auch die folgenden Zitate, sofern keine anderen Quellen angegeben sind). 16 1 Einleitung (S. 24). Die Untersuchungen, auf die er sich bezieht (von denen zwei bezeichnenderweise von Beiträgern des F RiedRich / Q uaSt -Bandes stammen) 45 , werden dazu ›gegen den Strich‹ gelesen, um so verborgene Schichten aufzudecken, die der Intention ihres jeweiligen Autors zuwiderlaufen und so die Konsistenz der Argumentation womöglich grundsätzlich in Frage stellen. Nun hat die konstruktivistische Wissenschaftstheorie gezeigt, dass jede Theoriebildung - wie überhaupt jeder Erkenntnisgewinn - eine vorgängige Konstruktionsleistung bedingt. 46 Es scheint generell nicht allzu schwierig, dasjenige, was zunächst ›konstruiert‹ wurde, in einem zweiten Schritt auch wieder zu ›dekonstruieren‹: Selbst das augenscheinlich stabilste Theoriegebäude lässt sich mit nur wenigen Handgriffen demontieren. g eBeRt s Argumentation erzielt aber dadurch ein ausgesprochen hohes Reflexionsniveau, dass er im Zuge seiner ›Dekonstruktionsarbeit‹ das notwendige konstruktivistische Moment einer jeden Theoriebildung nicht etwa ausblendet, sondern in sein Kalkül miteinbezieht. So ist er sich durchaus bewusst, dass Beobachtung ohne ›blinde Flecken‹, ohne Paradoxien überhaupt nicht möglich ist, ja, dass diese vielmehr sogar »zu den Normalbedingungen für jedes Beobachten« (S. 32) gehören. Indem er bei seinem dekonstruktivistischen Vorgehen den konstruktivistischen Aspekt einer jeden theoriebasierten Forschung mitreflektiert, gewinnen seine Ausführungen eine argumentative Kraft, die sie selbst bis zu einem gewissen Grad gegenüber kritischen Einwänden immunisiert. Selbstverständlich verlangt auch eine solchermaßen konstruktivistisch gewendete Methodologie, die den emphatischen Wahrheitsbegriff zugunsten des Konzepts der ›Viabilität‹ verabschiedet hat, 47 zumindest ein konsistentes und in sich widerspruchsfreies Theoriegebäude, auch und gerade wenn sie die Möglichkeit eines unmittelbaren objektiven Zugriffs auf Wirklichkeit in Frage stellt. Vor diesem Hintergrund erscheint g eBeRt s Vorwurf der ›Unschärfe‹ durchaus als gewichtig - wenn er denn tatsächlich zutrifft. Seine Ausführungen scheinen mir in dieser Hinsicht zumindest teilweise korrekturbedürftig. Das betrifft zum einen den Vorwurf, dass die mediävistische Mythosforschung die Kategorien ›Raum‹ und ›Zeit‹ als »essentiell für ›mythisches‹ Denken« (S. 34) ansehen würde, wo c aSSiReR ihnen doch alleine deshalb so großen Gewicht beimesse, weil sie schon in Immanuel K ant s Transzendetalphilosophie (auf die sich c aSSiReR als Neukantianter wesentlich bezieht) als »Grundbegriffe der Erkenntnis« 48 vorgegeben seien. Indem die Literurwissenschaft, die nun ihrerseits c aSSiReR rezipiert, dessen Schwerpunktsetzungen übernehme, ohne deren »philosophiegeschichtlichen Voraussetzungen‹ offenzulegen, würde sie diese »als kontingente Theorieoptionen« (S. 33) festschreiben, andere Optionen dagegen vorschnell 45 S. 26-36 bezieht g eBeRt sich vornehmlich auf m ülleR , Mythos, S. 36-37, auf Q uaSt , Vom Kult zur Kunst; das dritte Beispiel (S. 48-56), die an das Varianzmodell Hans B lumenBeRg s anschließende Studie von Lena B ehmenBuRg , Philomela, steht allenfalls mittelbar mit dem Band im Zusammenhang. 46 Vgl. etwa J ahRauS , Literaturtheorie, S. 60. 47 Der Umstand, dass jede Beobachtung die Konstruktion ihres eigenen Gegenstandes miteinschließt, bedeutet zugleich, dass dieses epistemologische Modell »insofern nicht mehr mit Wahrheit kompatibel ist, als Wahrheit [als] die Übereinstimmung - im Sinne der Korrespondenztheorie - von Welt, Wirklichkeit und den Aussagen darüber aufgefasst wird« ( J ahRauS , Literaturtheorie, S. 60). Der Nutzwert einer Theorie bemisst sich demnach nicht mehr an ihrer ›objektiven‹ Richtigkeit, sondern daran, ob »die daraus resultierenden Modelle gangbar, tragfähig, durchsetzbar, erfolgversprechend, also im Fachjargon: viabel sind« (ebd.). Dass aber gerade die neueren Strömungen der mediävistischen Mythosforschung in dieser Hinsicht Beachtliches geleistet haben, das zu betonen kommt auch Gebert nicht umhin (vgl. etwa S. 57). 48 c aSSiReR , Philosophie, S. XI. 1.2 Präsenz des Mythos? Zum Stand der aktuellen mediävistischen Mythosforschung 17 ausschließen. Hier verkehrt g eBeRt aber die Perspektive: Die gegenwärtige mediävistische Mythosforschung hat die Kategorien Raum und Zeit nicht unreflektiert von c aSSiReR übernommen, sie gehören vielmehr schon längstens zum grundlegenden Handwerkszeug der Erzähltextforschung (die knappe Skizze der l otman schen Erzähltheorie zu Beginn meiner Ausführungen dürfte das bereits in aller Kürze verdeutlicht haben) - länger jedenfalls, als dass man c aSSiReR für sich entdeckt hat. Umgekehrt ist es gerade der Umstand, dass c aSSiReR ihnen so viel Raum gibt - aus welchen Gründen auch immer -, der seine Überlegungen überhaupt erst für die Narratologie interessant und anschlussfähig macht. Dass es daneben gewiss noch andere Theorieoptionen gibt - und wer würde das bestreiten -, mindert ihren heuristischen Wert in diesem Zusammenhang nicht im Geringsten. Die zweite kritische Nachfrage betrifft g eBeRt s Versuch, unterschiedliche Formen der mythostheoretischen Modellbildung herauszupräparieren und gegeneinander auszuspielen, die ihm zufolge das gegenwärtige Feld der Forschung bestimmen. So unterscheidet er »formorientierte[ ] Analysekonzept[e]« (S. 26-36, hier S. 26) von sog. ›Rationalitätsmodellen‹ (S. 36-47) einerseits, die »Mythos im Begriffsrahmen von polaren Ordnungskategorien (S. 38) nach dem Schema ›Mythos‹/ ›Logos‹ verorten, und sog. ›Varianzmodellen‹ im Anschluss an Hans B lumenBeRg andererseits (S. 48-56). Wenn er aber zu dem Schluss kommt, dass diese Modelle »ihrem Theoriebau nach inkompatibel [seien,] zumindest aber andere Stoßrichtungen verfolgen« (S. 35), dann beansprucht er die Systematik doch sehr. So wirft er etwa Jan-Dirk m ülleR Kontrollprobleme vor, wenn er das formale Mythosmodell mit »Konzepten des irrationalen Mythos, von denen sich c aSSiReR s Bemühen um Mythos als Denkform gerade programmatisch absetzte« (S. 36), in Verbindung bringt. 49 Dabei blendet g eBeRt allerdings aus, dass auch c aSSiReR seine Begriffe fast durchweg an ›polaren Ordnungskategorien‹ festmacht, indem er z. B. »die Zeitbetrachtung des Mythos« von einem »geschichtliche[n] Zeitbewußtsein« 50 unterscheidet oder das Prinzip der Konkreszenz 51 in Abgrenzung zum »wissenschaftlichen Denken« bzw. zur »wissenschaftlichen Erkenntnis« 52 zu profilieren sucht. Dies wird allein schon in c aSSiReR s Vorliebe für syntaktische Konstruktionen mit adversativer Subjunktion sichtbar, mittels derer er die unterschiedlichen Formen des Weltzugangs kontrastiv gegenüberstellt: »Während das begriffliche Kausalurteil das Geschehen in konstante Elemente zerlegt […], genügt dem mythischen Vorstellen […] das Bild des einfachen Ablaufs des Geschehens selbst« 53 ; »Während die begrifflich-kausale Auffassung in ihrer Darstellung der Lebensvorgänge das Gesamtgeschehen im Organismus in einzeln charakteristische Tätigkeiten und Leistungen auseinanderlegt, gelangt die mythische Ansicht zu keiner derartigen Sonderung in Elementarprozesse« 54 usw. Damit erscheint auch bei c aSSiReR der Mythos nicht »als ausdrücklich ›unvernünftiger‹, irrationaler Diskurstyp, wohl aber im Kontrast zur Ordnung eines beobachteten Diskurses« (S. 39), wie dies für die Rationalitätsmodelle des Mythos charakteristisch sei. Bezeichnender- 49 Vgl. m ülleR , Mythos, S. 348 (Hervorhebung von mir): »Während er hier und anderwärts offensichtlich rationale und konsistente Motivationen herstellt, führt Gottfried auf dem Höhepunkt seine Geschichte zu einem Punkt, wo normale Rationalität scheitert.« 50 c aSSiReR , Philosophie, S. 130-136. 51 Vgl. hierzu Kapitel 1.3.3. 52 c aSSiReR , Philosophie, S. 80 f. 53 c aSSiReR , Philosophie S. 62. 54 c aSSiReR , Philosophie, S. 68. 18 1 Einleitung weise kommt auch g eBeRt nicht umhin, explizit auf »Cassirers Differenz von ›mythischem‹ und ›rationalem‹ Denken« (S. 32) hinzuweisen und damit eine Nähe von Rationalitäts- und formalen Modellen zu suggerieren, die ihm doch nur wenig später als inkompatibel gelten. Möglicherweise ist es g eBeRt s eigener Differenzierungs- und Systematisierungswille, der ihm hier nun seinerseits Kontrollprobleme bereitet. Jedenfalls scheint mir der Vorwurf des methodischen Eklektizismus, den er mehrfach an die von ihm besprochenen Untersuchungen heranträgt (vgl. etwa S. 35 f., 46, 51 f.), vor diesem Hintergrund nicht gerechtfertigt. Der dritte Kritikpunkt betrifft gleichfalls g eBeRt s Skepsis gegenüber der operativen Verfahrensweise der Rationalitätsmodelle und ist in seiner Art vermutlich der grundsätzlichste. Wenn g eBeRt moniert, dass durch die Unterscheidung »von irrationalem Mythos und rationaler Vernunft« der einen Seite dieser Unterscheidung, derjenigen der Rationalität nämlich, »normative[r] Status« (S. 24) zugeschrieben würde, dann stellt er sich damit in die lange und ehrbare Tradition der Teleologiekritik, die sich insbesondere gegen Verlaufsmodelle des Musters ›Vom Mythos zum Logos‹ richtet, wie sie in der Philosophiegeschichte des 19. Jahrhunderts entwickelt und populär gemacht wurden. 55 Dabei verdeckt aber eine allzu vorsichtige Haltung gegenüber solchen Verlaufsmodellen nicht nur leicht, dass nicht jede Entwicklung auch notwendig eine teleologische ist; 56 es entsteht zudem bisweilen der Eindruck, dass die offen zur Schau gestellte Alarmbereitschaft 57 nicht zuletzt über latente Teleologien innerhalb des eigenen Standpunktes hinwegtäuschen soll. Denn selbstverständlich rangiert auch ein - durch und durch ›rationaler‹ - Vorstoß wie derjenige g e - BeRt s - auch und gerade in dem Bemühen zu differenzieren, zu systematisieren, verborgene Widersprüche, Paradoxien, ›Kontrollprobleme‹ offenzulegen und überhaupt ›Ordnung‹ zu schaffen - auf einer und eben nur einer Seite der Unterscheidung Mythos / Logos bzw. Mythos/ ratio (wenn man diese Unterscheidung einmal probehalber für ›gesetzt‹ ansehen möchte). Mit einem solchen Vorgehen aber begibt man sich auf ein schwieriges Feld: Entweder läuft man Gefahr, sofern man Ernst macht mit dem Anspruch, jede normative Zuschreibung zu vermeiden, damit auch die eigene Position dem Vorwurf epistemologischer Beliebigkeit preiszugeben, oder aber man setzt sich selbst dem Teleologieverdacht aus. Der bewährte Ausweg in solchen Fällen scheint darin zu liegen, dass man die Unterscheidung von ›Mythos‹ und ›Logos‹ generell in Frage stellt oder den Mythos selbst kurzerhand, wie einst Hans B lumenBeRg , zu einem »Stück hochkarätiger Arbeit des Logos« 58 erklärt. 55 Vgl. n eStle , Vom Mythos zum Logos. 56 Vgl. e iBl , Animal Poeta, S. 369 (Hervorhebung im Original): »Dass eine Entwicklung eine Richtung hat, bedeutet nicht, dass sie auch ein Ziel hat.« 57 Damit soll nicht gesagt sein, dass der Teleologievorwurf im Falle n eStle s unbegründet sei, doch halte ich es für überstürzt, n eStle s Modell mit der gegenwärtigen Mythosdebatte kurzzuschließen, wie g e - BeRt dies S. 24 tut. Das Reflexions- und Komplexitätsniveau - auch und gerade was das Teleologieproblem betrifft - liegt in letzterem Fall doch deutlich höher, und man tut den Autoren des F Ried - Rich / Q uaSt -Bandes Unrecht, beides in eins zu setzen. 58 B lumenBeRg , Arbeit, S. 18. Skeptisch gegenüber Ansätzen, die Mythos und Vernunft in eins zu setzen trachten, äußert sich auch J amme , Grenzen, S. 141 (Hervorhebung im Original): »Bei der Unterstellung, der Mythos sei Rationalität, wird der Mythos einseitig von seinem Ende her betrachtet: ein n e uz eitlich er Begriff von Rationalität wird auf den Mythos ohne Bedenken appliziert […].« Bedenkenswert sind denn auch J amme s eigene Betrachtungen, die weder auf eine Nivellierung von Mythos und logos / ratio zielen, noch den Mythos für schlechthin unvernünftig erklären, sondern stattdessen ausgehend »von einer Beschreibung des Mythos […] zu einer neuen Bestimmung von Rationalität resp. zu einer Unterscheidung verschiedener ›Rationalitäten« (ebd., S. 19), d. h. also zu einer Pluralisierung des Rationalitätsbegriffs gelangen. 1.2 Präsenz des Mythos? Zum Stand der aktuellen mediävistischen Mythosforschung 19 Ob man dem folgen möchte, hängt nicht allein vom je eigenen Mythosverständnis ab, sondern zunächst auch und vor allem davon, was mit ›Logos‹ gemeint sein soll. Wenn der Begriff im allgemeinsten Sinne auf das grundlegende geistige Vermögen des Menschen, seine kognitive Grundausstattung, wenn man so möchte, abzielt, dann sind ›Mythos‹ und ›Logos‹ mit Sicherheit keine Gegenbegriffe (und nicht einmal die radikalsten Vertreter des ›Verlaufsmodells‹ würden das wohl in dieser Form behaupten wollen). Die kognitive Disposition in archaischen, vorliterarischen Kulturen, die man in aller Regel als Träger des Mythos identifiziert, unterscheidet sich nicht grundlegend von derjenigen in moderneren, schrift- und technologiegestützen Kulturformationen. 59 Wenn dennoch zwischen diesen und jenen Unterschiede in den jeweiligen Denkstrukturen zu beobachten sind, dann dürfte das weniger mit veränderten Verstandesvermögen zu tun haben als mit veränderten Umweltbedingungen, auf die die kognitiven Prozesse jeweils entsprechend reagieren (wobei mit ›Umwelt‹ hier auch die selbstgestaltete Nahumwelt des Menschen, seine Kultur also, mitgemeint ist). 60 Sofern man logos bzw. ratio allerdings nicht in diesem Sinne versteht, als allgemeine kognitive Disposition des Menschen, sondern vielmehr als eine historischspezifische Disziplinierung derselben, die vor allem mit der Ideengeschichte des abendländischen Kulturraums in Verbindung zu bringen wäre, dann gibt es m. E. auch keinen Anlass, die Unterscheidung von ›Mythos‹ und ›Logos‹ fallenzulassen, ja, dann spricht auch nichts dagegen, mit Udo F RiedRich und Bruno Q uaSt ›Mythos‹ als »das Andere der Vernunft« 61 zu konzeptualisieren, von dem man sich in der europäischen Geistesgeschichte immer wieder auch programmatisch abzugrenzen versuchte. Statt also den Zugang der ›Rationalitätsmodelle‹ generell zu verabschieden, scheint es mir zielführender, im Anschluss an die Beiträge des F RiedRich / Q uaSt -Bandes von einem Modell auszugehen, das 1.) nicht bestrebt ist, »den notwendig fremdartigen Charakter des Mythos zum Verschwinden« 62 zu bringen, sondern den Unterschied von ›Mythos‹ und ›Logos‹ als solchen anerkennt; das 2.) diese Dichotomie freilich nicht als kontradiktorischen, sondern als graduellen Gegensatz begreift, in dem Sinne, dass immer auch Mythisches im Logischen und Logisches im Mythischen präsent sein kann; 63 und das 3.) den Umstand, dass 59 Dies im Gegensatz zur Sichtweise kolonialistischer Theorien, denen gemäß »die mythisch denkenden schriftlosen Völker, offenbar wegen ihrer biologisch, gehirnphysiologisch begründeten Minderwertigkeit, auf einer Vorstufe der Morderne stehengeblieben« und daher wie Kinder »auf Führung durch die ›erwachsenen‹, rational denkenden Europäer angewiesen« seien (h oRn , Mythisches Denken, S. 37). Derartige Anschauungen dürfen heute als überwunden gelten und sollten auch nicht leichtfertig auf historisch frühere Gesellschaftsformen angewendet werden. 60 So zwingt etwa, wie Christopher R. h allPiKe , Grundlagen, S. 487 f. aufzeigt, allein das Vorhandensein von Messgeräten zu einer stärkeren Differenzierung zwischen Subjektivität und Objektivität, etwa wenn es gilt, einen subjektiven Zeiteindruck mit einer objektiv gemessenen Uhrzeit abzugleichen usw.; für weitere Beispiele dieser Art vgl. ebd., S. 57, 162, 328 passim. 61 F RiedRich / Q uaSt , mythosforschung, S. X. 62 J amme , Grenzen, S. 119. 63 Vgl. etwa h oRn , Mythisches Denken S. 18. Schon Lucien l évy -B Ruhl , Denken, S. 84, merkt an, dass nicht nur in den Mentalitätsstrukturen archaischer Kulturen »das Logische« und das - wie er es nennt - »Prälogische [zu den Implikationen dieses umstrittenen Begriffes vgl. Kapitel 1.3.3] nicht übereinander geschichtet und gleichzeitig getrennt voneinander wie das Öl und das Wasser in einem Gefäß« seien, sondern gleichsam nur in Form unauflöslicher Amalgamierungen vorzufinden sei; ganz Ähnliches gelte vielmehr auch noch für moderne kulturelle Formationen, wenn auch mit graduellen Unterschieden: »Selbst in unserer Gesellschaft sind die Vorstellungen und die Vorstellungsverbindungen, die durch das Gesetz der Partizipation beherrscht werden [zum Begriff vgl. ebenfalls Kapitel 1.3.3], noch lange nicht verschwunden. Sie bestehen mehr minder unabhängig, mehr minder 20 1 Einleitung man in der heutigen abendländischen Gesellschaft kaum öffentlich einen Analogiezauber praktizieren kann, ohne mindestens die irritierten Blicke der Passanten zu provozieren, als Ergebnis eines historischen Prozesses und nicht etwa als entelechische Notwendigkeit auffasst (›Mythos‹ als Vorstufe, ›Logos‹ als deren Telos). Damit ließe sich mindestens ein Teil der von g eBeRt angesprochenen Unschärfen wenn nicht beseitigen, so doch zumindest methodisch in den Griff bekommen. Denn tatsächlich sind diese Unschärfen weniger konzeptionellen Schwächen im Theoriedesign geschuldet, als dass sie ihren Ursprung auf der Objektebene selbst haben, auf der Objektebene freilich - und wie könnte es anders sein -, wie sie qua Theoriedesign als solche allererst (mit-)konstituiert wird. Denn wenn die Unterscheidung ›Mythos‹/ ›Logos‹ einmal eingeführt ist, gilt es stets, die eine Seite der Unterscheidung von der anderen aus zu beobachten, oder anders gesagt: wissenschaftlich-rational zu erfassen, was qua Definition selbst gerade nicht wissenschaftlich-rational funktioniert. Das muss notwendig Paradoxien und Unschärfen produzieren, doch sind diese dann gewissermaßen von der theoretischen Konzeption her vorgesehen. Das Problem ist dann aber kein konzeptionelles, sondern ein rein forschungspragmatisches, und als solchem sollte man ihm auch begegnen: indem man sich beispielsweise nur auf bestimmte Teilaspekte des komplexen Sachverhaltes ›Mythos‹ bezieht, ohne damit ausschließen zu wollen, dass daneben noch eine Vielzahl anderer, teils auch gegenläufiger Zugänge denkbar sind, die aber den Erkenntniswert der eigenen Perspektive nicht im Geringsten schmälern. 64 Unter diesen Vorzeichen halte ich es durchaus für gerechtfertigt, an dem einmal eingeschlagenen Weg grundsätzlich festzuhalten. 65 Das schließt freilich Kurskorrekturen und Akzentverschiebungen dort, wo sie mir angebracht scheinen, nicht aus. Vor allem betrifft dies die starke Orientierung des gegenwärtigen Diskurses an der Varianz- oder Rezeptionstheorie des Mythos, wie sie von Hans B lumenBeRg entwickelt wurde. Ulrich h oFFmann weist zu Recht darauf hin, dass es vor allem »die pragmatische Dimension des Mythos angegriffen, aber doch unausrottbar Seite an Seite mit denjenigen, welche den logischen Gesetzen gehorchen. Die Vernunft im eigentlichen Sinne trachtet nach einer logischen Einheit und verkündet deren Notwendigkeit. Aber unsere geistige Betätigung ist in der Tat zugleich rational und irrational. Das Prälogische […] besteh[t] hier neben dem Logischen« (ebd., S. 346). Damit treffen sich l évy -B Ruhl s Überlegungen aber bemerkenswerterweise mit solchen, wie sie, aus anderer Richtung kommend, in jüngerer Zeit von der philosophischen Mythosforschung vorgebracht wurden. So bemerkt etwa Christoph J amme , Grenzen, S. 61 (Hervorhebung von mir), ganz ähnlich: »Der Prozeß der Ablösung des rationalen Denkens von mythischen Ideen und Begriffen vollzog sich im Laufe von Jahrhunderten und führte nicht zu einer vollständigen Trennung beider Welten.« 64 So werden etwa analytische Leitunterscheidungen, die in anderen mythostheoretisch geleiteten Untersuchungen zentral sind - beispielsweise ›mythische Bedeutsamkeit‹ vs. ›kulturelle Bedeutung‹ (vgl. h oFFmann , Arbeit) oder ›implizite‹ vs. ›explizite Rationalität‹ (vgl. h ammeR , Tradierung) - in der vorliegenden Studie allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen. 65 Dies gilt umso mehr, als g eBeRt s eigener Gegenentwurf, den er im Anschluss an den Aufsatz in Form seiner Dissertationsschrift vorgelegt hat, die von ihm angesprochenen Probleme im Grunde weniger löst als großzügig umschifft. Ihm geht es nämlich gerade nicht, wie den von ihm kritisierten Beiträgen, darum, moderne Mythostheorien als narratologisches und kulturwissenschaftliches Analyseinstrumentarium zu erproben, sondern vielmehr darum, »den historischen Mythosdiskurs des Mittelalters zu beobachten, der von aktuellen Theorieprojekten weitgehend verdeckt« werde (g eBeRt , Wissensform, S. 79). Zu den Leistungen und Grenzen eines solchen Paradigmenwechsel vgl. ausführlich m ül leR , [Rez.] Wissensform, zu g eBeRt s Mythosbegriff v. a. S. 306-308. 1.3 Mythos und mittelalterliche Literatur 21 [sei], die notwendig für seine Bestimmung [sei] und ihm erst seinen ›Sitz im Leben‹« 66 zuweise. Doch gerade in diesem Belang, der Frage nach der Einbettung in je spezifische Kommunikations- und Funktionszusammenhänge, birgt B lumenBeRg s Ansatz - auf den auch h oFFmann sich in weiten Teilen beruft - die Gefahr, wichtige Differenzierungen zu überdecken, wenn der Mythos als »immer schon in Rezeption übergegangen« 67 begriffen wird. Hier lohnt es sich, noch einmal mit einigen grundlegenderen Überlegungen zum Verhältnis von mythischem und literarischem Erzählen anzusetzen. 1.3 Mythos und mittelalterliche Literatur 1.3.1 Arbeit am Mythos - Arbeit mit dem Mythos* Das erklärte Anliegen des F RiedRich / Q uaSt -Bandes war es, wie erwähnt, die Literaturgeschichte des Mittelalters unter dem Aspekt einer ›Arbeit am Mythischen‹ neu zu perspektivieren. Doch auch davor und danach hat man Hans B lumenBeRg s griffige Formel von der ›Arbeit am Mythos‹ 68 , die auch F RiedRich und Q uaSt hier offenkundig anzitieren, immer wieder herangezogen, um die mittelalterliche Rezeption mythischer Erzählstoffe und -formen terminologisch auf den Punkt zu bringen. Kaum problematisiert wurden dabei aber die Implikationen, die sich aus seiner Konzeption für das Programm einer kulturwissenschaftlich orientierten Literaturwissenschaft ergeben, deren Anliegen vornehmlich darin besteht, Literatur als spezifisches Zeichensystem mit eigenen Regeln, eigenen pragmatischen und funktionalen Zusammenhängen im Kontext eines umfassenderen kulturellen Zeichengebrauchs zu beschreiben. 69 Zweifel an der Reichweite seiner philosophisch-anthropologischen Überlegungen im Rahmen dieses Programmes ergeben sich schon daraus, dass zwar auch B lumenBeRg s Interesse ein kulturgeschichtliches ist, er dabei aber immer den großen diachronen Bogen von der Vormoderne zur Moderne im Blick hat und kaum an der synchronen Analyse literarischer Textzeugnisse vor dem Hintergrund ihres jeweiligen kulturellen Kontextes interessiert ist. Das Problem verschärft sich, wenn man bedenkt, dass B lumenBeRg zwar sowohl Mythos als auch Literatur funktional bestimmt, dabei allerdings nicht klar zwischen diesen beiden Redeformen differenziert, insofern er nämlich die ›Arbeit am Mythos‹, d. h. die ästhetische 66 h oFFman , Arbeit, S. 13. Mit h oFFmann s Buch setzte ich mich andernorts eingehend auseinander (vgl. P oSeR , Arbeit), so dass ich an dieser Stelle auf ein ausführliches Referat verzichte und nur dort, wo es angebracht ist, punktuell darauf Bezug nehme. 67 B lumenBeRg , Arbeit, S. 299. 68 Vgl. grundsätzlich B lumenBeRg , Arbeit. 69 Vgl. m ülleR , Überlegungen, S. 8: »Eine kulturwissenschaftlich orientierte Literaturwissenschaft thematisiert sprachliche Verfahren als distinkte Mittel einer Strukturierung historischer Erfahrung. Wenn sie die schlichte Dichotomie ›Fiktion‹ - ›Realität‹ (oder auch ›Ideal‹ und ›Wirklichkeit‹ o. ä.) aufgegeben hat, muss weiterhin zwischen unterschiedlichen Texttypen und Gattungen (z. B. Vertrag, Chronik, Zeitungslied, Roman) mit je unterschiedlichen Wahrheits- und Geltungsansprüchen unterschieden werden. Auch dürfen die je besonderen Leistungen sprachlicher und außersprachlicher Zeichen nicht nivelliert werden, ihre unter schiedliche Glaubwürdigkeit, ihr Zusammenhang untereinander und der Grad ihrer Ausdifferenzierung.« h oFFmann , Arbeit, S. 69-72, bringt dieses Programm explizit mit seinem Vorhaben einer Relektüre der Artusromane Hartmanns von Aue im Anschluss an Hans B lumen - BeRg und Ernst c aSSiReR in Verbindung. * Die folgenden Überlegungen nehmen Gedanken wieder auf, die ich bereits in P oSeR , Arbeit, v. a. S. 121-123, entwickelt habe. 22 1 Einleitung Mythosrezeption, funktional aus der ihr vorgängigen ›Arbeit des Mythos‹ ableitet: Bestand die kulturelle Leistung des Mythos darin, den ›Absolutismus der Wirklichkeit‹ durch die Überführung von »numinose[r] Unbestimmtheit« in »nominale Bestimmtheit« 70 zu bannen, so findet in B lumenBeRg s Konzeption die ästhetische Rezeption des Mythos ihren Sinn offenkundig gerade darin, nun ihrerseits den Mythos immer weiter zu depotenzieren, nachdem der Schritt von einem dominant mythischen hin zu einem dominant wissenschaftlich geprägten Weltbild erst einmal vollzogen ist: »Die Arbeit des Mythos muß man schon im Rücken haben, um der Arbeit am Mythos nachzugehen […]. Gegenbegriff der Arbeit des Mythos könnte sein, was ich den Absolutismus der Wirklichkeit genannt habe; Grenzbegriff der Arbeit am Mythos wäre, diesen zu Ende zu bringen, die äußerste Verformung zu wagen, die die genuine Figur gerade noch oder fast nicht mehr erkennen läßt. Für die Theorie der Rezeption wäre dies die Fiktion eines letzten Mythos, der die Form ausschöpft und erschöpft.« 71 Damit reduziert B lumenBeRg den Mythos aber zu einem kulturgeschichtlichen Atavismus, seine Bearbeitung, insbesondere in Form der literarischen oder allgemeiner künstlerischen Mythosrezeption dagegen zu einem beständigen, aber letzlich vergeblichen Sich-Abarbeiten am unliebsamen und doch unüberwindlichen Gegenstand: Die immer neuen und immer nur vorläufigen Versuche, den Mythos ›ans Ende zu bringen‹, vermögen diesen zwar nie völlig zu verabschieden, doch rücken sie ihn zumindest mehr und mehr auf Distanz. Der Frage nach der spezifischen Leistung literarischen Erzählens, nach dem Mehrwert der überkommenen Stoffe in einem kulturellen Kontext, in dem ihr ursprünglicher ›Sitz im Leben‹ längst schon historisch fremd geworden ist, dürfte man mit einer solchen Perspektivierung aber kaum näherkommen. Für das genannte Forschungsprogramm erscheint deshalb ein Perspektivenwechsel, der Blumenbergs Überlegungen ins Positive wendet, dringend angeraten. Weniger ist danach zu fragen, in welchen »ästhetischen Kraftakten des Zuendebringens« 72 die Mythosrezeption immer wieder aufs Neue dazu ansetzt, »die äußerste Verformung zu wagen, die die genuine Figur gerade noch oder fast nicht mehr erkennen läßt«, sondern vielmehr danach, welches Sinnbildungspotential es ist, das der Mythos - und offenbar nur der Mythos - auch und gerade dann bereitstellt, wenn er sich vom Anspruch eines verbindlichen Wahrheitsdiskurses schon weitgehend gelöst hat, und wie dieses Potential in den jeweiligen kulturellen Konfigurationen tatsächlich auch aktualisiert wird. In dieser Perspektive erscheint - um im Bildfeld zu bleiben - der Mythos weniger als das Werkstück, das es zu bearbeiten gilt, sondern vielmehr als das Werkzeug, mit dem sich offenbar ganz vorzüglich etwas anderes - bestimmte kulturell relevante Sachverhalte etwa - in spezifischer Weise, im Modus literarischer Rede nämlich, bearbeiten lässt: Arbeit mit dem Mythos also, wenn man so möchte, statt Arbeit am Mythos. 73 70 B lumenBeRg , Arbeit, S. 32. 71 B lumenBeRg , Arbeit, S. 295. 72 B lumenBeRg , Arbeit, S. 685. 73 Dass das vorfindliche Material zu diesem Zweck freilich selbst zunächst in bestimmter Weise ›zugerichtet‹ werden muss, zeigt, dass eine solche Perspektive die Vorstellung einer ›Arbeit am Mythos‹ nicht grundsätzlich ausschließt, sondern eben nur anders akzentuiert. In diesem Sinne erweist sich auch die literarische Mythosrezeption, nicht alleine die ihr vorgängige mündliche Tradition, als bricolage , als ›Bastelei‹ also, als die Claude l évi -S tRauSS (Denken, S. 29-48, hier S. 29) das mythische Denken beschrieben hat: »Heutzutage ist der Bastler jener Mensch, der mit seinen Händen werkelt und dabei Mittel verwendet, die im Vergleich zu denen des Fachmanns abwegig sind. Die Eigenart 1.3 Mythos und mittelalterliche Literatur 23 Für Hans B lumenBeRg sind Mythen »Geschichten von hochgradiger Beständigkeit ihres narrativen Kerns und ebenso ausgeprägter Variationsfähigkeit« 74 . Das klingt auffällig nach der strukturalen Ethnologie eines Claude l évi -S tRauSS , der, statt »nach einer authentischen oder ursprünglichen Version« des Mythos zu suchen, vorschlägt, »jeden Mythos durch die Gesamtheit seiner Fassungen zu definieren« 75 . In gewisser Weise projiziert B lumenBeRg s ›Arbeit am Mythos die strukturale Methode Claude l évi -S tRauSS ’ damit auf die diachrone Achse der Mythenrezeption, und Blumenberg macht selbst explizit auf die Nähe zu l évi - S tRauSS aufmerksam, um sich sogleich von ihm zu distanzieren: »Die ideale Gleichzeitigkeit des Ethnologen erscheint […] als bloße Verlegenheit um temporale Parameter. Sein Zeitbegriff ist von der Struktur der Überlagerung gekennzeichnet, und die Zugehörigkeit aller Varianten zu einem Mythos erweist sich von daher gar nicht als Forderung, sondern als rationalisiertes Sichabfinden mit einer nur faktischen Mangellage. Die Unerreichbarkeit temporaler Tiefenschärfe wird, in einer der nicht seltenen professionellen Umwertungen, zum Triumph der Erkenntnisleistung.« 76 Das Problem haben beide Ansätze gemeinsam. »Zwar sind Mythen dokumentiert erst seit der Epoche der Schrifterfindung, in der sie offenbar längst vorhanden waren; möglich aber waren sie bereits mit der Entstehung der Sprache; dazwischen liegen die ›Ursprünge‹ im Feld des nicht Wißbaren« 77 , wie Christoph J amme festhält. Sämtliche früheren Ausprägungen des Mythos bleiben dem Zugriff des Forschers entzogen, sofern sie nicht in irgendeiner Form, z. B. schriftlich, fixiert wurden: Alles, was vor der schriftgestützen oder zumindest bildlichen Tradierung des Mythos liegt, ist für l évi -S tRauSS wie für B lumenBeRg gleichermaßen unwiederbringlich verloren. B lumenBeRg reagiert darauf, indem er die Frage nach vorliterarischen Konfigurationen des Mythos radikal aus seinem Blickfeld ausblendet: »Auch wenn ich für literarisch faßbare Zusammenhänge zwischen dem Mythos und seiner Rezeption unterscheide, will ich doch nicht der Annahme Raum lassen, es sei ›Mythos‹ die primäre archaische Formation, im Verhältnis zu der alles Spätere ›Rezeption‹ heißen darf. Auch die frühesten uns erreichbaren Mythologeme sind schon Produkte der Arbeit am Mythos.« 78 Stellt aber diese Antwort auf die genannte methodische Crux etwas anderes dar als eine der von ihm bei l évi -S tRauSS monierten ›professionellen Umdeutungen‹? Läuft ein solcher Zuschnitt nicht Gefahr, wichtige Unterschiede heterogener diskursiver Praktiken von vorne herein einzuebnen? l évi -S tRauSS freilich wurde auch von anderer Seite mit der Frage konfrontiert, warum er sich nicht mit den tradierten Mythen und Mythologemen seines eigenen Kulturkreises des mythischen Denkens besteht nun aber darin, sich mit Hilfe von Mitteln auszudrücken, deren Zusammensetzung merkwürdig ist und die, obwohl vielumfassend, begrenzt bleiben; dennoch muß es sich ihrer bedienen, an welches Problem es auch immer herangeht, denn es hat nichts anderes zur Hand. Es erscheint somit als eine Art intelektuelle Bastelei, was die Beziehungen, die man zwischen mythischem Denken und Bastelei beobachten kann, verständlich macht.« 74 B lumenBeRg , Arbeit. S. 40. 75 l évi -S tRauSS , Struktur, S. 33 f. 76 B lumenBeRg , Arbeit, S. 299-301, hier S. 301. 77 J amme , Grenzen, S. 177. J amme selbst versucht die Kluft zwischen der Entstehung der Mythen und ihrer schriftlichen Tradierung dadurch zu verringern, dass er auch vorliterarische Bildzeugnisse (Höhlenmalerei) in seine Betrachtungen miteinbezieht (vgl. ebd., v. a. S. 175-188). 78 B lumenBeRg , Arbeit am Mythos, S. 133. 24 1 Einleitung beschäftigt und damit zugleich sein Erkenntnisinteresse in die diachrone Dimension verlängert habe. Gegen den Versuch von Edmund l each , das Alte Testament mittels der strukturalen Methode zu analysieren, 79 wendet l évi -S tRauSS mit einigem Recht ein: »Was mich betrifft, ich würde sehr zögern, etwas Derartiges zu unternehmen. Zunächst, weil das ›Alte Testament‹, das sicherlich mythologische Stoffe benützt, diese für einen anderen Zweck verwendet als den, der ursprünglich ihrer war. Ohne jeden Zweifel wurden sie von den Verfassern durch eine Interpretation entstellt; damit wurden jene Mythen einer intellektuellen Operation unterworfen.« 80 Es gebe also durchaus, so das Argument, einen prinzipiellen Unterschied zwischen dem Mythos in seiner ursprünglichen Form und Funktion und dem, was spätere Bearbeitungen daraus machen. Damit trifft l évi -S tRauSS sich mit der Position Christoph J amme s, der unter anderen Vorzeichen - J amme kann bereits auf B lumenBeRg (und dessen Kritik an l évi -S tRauSS ) reagieren -, aber doch in eine ähnliche Richtung zielend die »Signifikanz der Umdeutung der schriftlich fixierten Mythen gegenüber den ursprünglich oral tradierten« 81 betont und dabei gerade die »methodische Beschränkung auf die Wirkung, Rezeption des Mythos« in neuren philosophischen Mythostheorien (insbesondere derjenigen B lumenBeRg s) anmahnt, »weil dessen Anfänge nicht faßbar seien« 82 : »Die Gefahr bei der Konzentration auf die s chriftlich e Fixierung des Mythos« bestehe, so J amme , »in der Herauslösung des Mythos aus dem ihn konstituierenden sozialen und kulturellen Umfeld. Mythen einzelner Gesellschaften können sinnvoll nur kontextu ell interpretiert werden.« 83 Eine kategoriale Unterscheidung zwischen originären Mythen einerseits und ihrer schriftliterarischen Rezeption andererseits muss dabei - und hierin ist B lumenBeRg grundsätzlich beizupflichten - stets nur hypothetisches Konstrukt bleiben, zumal es im Spannungsfeld zwischen ›Mythos‹ und ›Literatur‹ allenfalls weiche Übergänge statt klar definierter Grenzziehungen gibt und die Ursprünge einer jeden mythischen Tradition selbst gleichsam im Dunkel mythischer Vorzeit liegen. Dennoch scheint es erforderlich, analytisch zunächst auseinanderzuhalten, was sich in historis ch er Perspektive als untrennbar konfundiert erweist, sofern man sich für die historische Spezifik bestimmter Konfigurationen mythischen Erzählens interessiert und Mythos und Mythosrezeption nicht von vorne herein in einem gleichförmigen Kontinuum aufzulösen bereit ist. 1.3.2 Ansätze zu einer funktionalen Unterscheidung von Mythos und Literatur Zu einer Minimaldefinition des ›Mythos‹ vordringen zu wollen scheint vermessen in Anbetracht des Umstands, dass selbst die Autoren eines einschlägigen Lexikonartikels sich einer eindeutigen Bestimmung verweigern und stattdessen nicht weniger als sieben heterogene Mythos-Begriffe präsentieren, 84 ja, dass zuletzt sogar »die Kontingenz von Syste- 79 Vgl. l each , Lévi-Strauss. 80 l évi -S tRauSS , Mythos, S. 76. 81 J amme , Grenzen, S. VIII. 82 J amme , Grenzen, S. 137. 83 J amme , Grenzen, S. VII f. (Hervorhebungen im Original). 84 a SSmann / a SSmann , Mythos, S. 179-181. Diese sieben Mythos-Begriffe wären im Einzelnen: »M1 (polemischer Begriff)«, »M2 (historisch-kritischer Begriff)«, »M3 (funktionalistischer Begriff)«, »M4 (Alltags-Mythos)«, »M5 (narrativer Begriff)«, »M6 (literarische Mythen)«, »M7 (Ideologie, ›Große Erzählungen‹)«. 1.3 Mythos und mittelalterliche Literatur 25 matisierbarkeit selbst zum Wesen ›d e s Mythos‹« 85 erklärt worden ist. Dennoch zeichnet sich bei einer Vielzahl aktueller, einschlägiger wie auch weniger bekannter Theorien des Mythos ein gemeinsamer Nenner ab: Gleichviel, ob man, wie Ernst c aSSiReR , den Mythos als ›symbolische Form‹ versteht, die dazu diene, »die passive Welt der bloßen Eindrücke, in denen der Geist zunächst befangen scheint, zu einer Welt des reinen geistigen Ausdrucks umzubilden« 86 ; ob man, wie B lumenBeRg , dem Mythos die Funktion zuschreibt, den ›Absolutismus der Wirklichkeit‹ zu bannen, oder ob man, gerade umgekehrt, wie, Max h oRKheimeR und Theodor a doRno , den Mythos nicht als Mittel der Distanzierung, sondern vielmehr der Aneignung von Welt begreift 87 ; ob man Mythos als »fundierende, legitimierende oder weltmodellierende Erzählung« 88 oder eher als »mündliche[n] Kommentar einer Kulthandlung« fasst, welcher von Ereignissen erzählt, die »an bestimmten Kontenpunkten der menschlichen Existenz« 89 ansetzen, oder ob man im Mythos das »Anliegen einer denkenen Weltaneignung« erkennt, welche auf eine Form der »Chaosbewältigung« ziele, »durch die das Denken Stand gewinnt und die Wirklichkeit erschließbar, beherrschbar« 90 mache: Alle diese Modellierungen sehen im Mythos eine mögliche Antwort auf das anthropologische Grundbedürfnis, ›Ordnung zu schaffen‹ und einer als kontigent und unstrukturiert empfundenen Wirklichkeit Struktur und Gestalt abzugewinnen und auf diese Weise »überhaupt erst in eine eine intelligible F orm« 91 zu bringen. Mythos, das wäre demnach - wie man mit Jan a SSmann resümierend sagen könnte - »eine Geschichte, die man sich erzählt, um sich über sich selbst und die Welt zu orientieren. Eine Wahrheit höherer Ordnung, die nicht einfach nur stimmt, sondern darüber hinaus auch noch normative Ansprüche stellt und formative Kraft besitzt« 92 . Wenn es darum gehen soll, Mythos und Literatur in funktionaler Hinsicht zu systematisieren, dann scheint der Posten der Literatur in diesem Fall allerdings in die genau entgegengesetzte Richtung zu verweisen. Erst jüngst hat Albrecht K oSchoRKe darauf hingewiesen, dass es zu kurz greifen würde, eine allgemeine Theorie des Erzählens auf »Bestimmungen des Mythos« zurückzuführen, die »sich um einige wenige Schlüsselkategorien [gruppieren]: Bezwingung von Angst, Sinnstiftung, Orientierung« 93 . So wichtig der Aspekt der Kontingenzbewältigung auch sei, er erschöpfe doch, so K oSchoRKe , »nicht die Vielzahl der möglichen Fälle. Denn […] das Erzählen [kann] ebensogut in den Dienst des Ab b a u s von Sinnbezügen gestellt werden, etwa durch die Demontage von hegemonialen Sinnzwängen. Als eine in hohem Maß formlose Tätigkeit kann es entsprechend gerade die Qualität der Formlosigkeit - sei es durch Deformation, sei es durch Auf lö s ung verfestigter Sinnformen - im Prozess der kulturellen Semiosis ausspielen. In einer Vielzahl von Erzählungen wird Kontingenz keineswegs gebannt, sondern geradezu heraufbeschworen.« 94 85 g eBeRt , Beobachtungsparadoxien, S. 41 (Hervorhebung von g eBeRt , der sich seinerseits auf F Ried - Rich / Q uaSt , Mythosforschung, bezieht). 86 c aSSiReR , Die Sprache, S. 12. 87 Vgl. h oRKheimeR / a doRno , Dialektik. 88 a SSmann / a SSmann , Mythos, S. 180; vgl. dort auch die Literaturhinweise zu weiteren Arbeiten, die einen entsprechenden Mythosbegriff vertreten. 89 J amme , Grenzen, S. 21. 90 a ngehRn , überwindung, S. 11. 91 K oSchoRKe , Wahrheit, S. 11 (Hervorhebung im Original). 92 a SSmann , Gedächtnis, S. 76. 93 K oSchoRKe , Wahrheit, S. 10. 94 K oSchoRKe , Wahrheit, S. 11 (Hervorhebungen im Original). 26 1 Einleitung Karl e iBl definiert ›Poetizität‹ als den Konvergenzpunkt, an dem »die unterschiedlichen Grade des Anteils von Nichtwelt-bannender und Nichtwelt-thematisierender Funktion« literarischer Rede übereinkommen, wobei mit ›Nichtwelt‹ »die Welt jenseits der kulturellen Bestimmungsleistungen« 95 gemeint ist. »Als Zeichenmaterie, die auf Nichtwelt referiert,« eigneten sich besonders, so e iBl , »die ungelösten Probleme der Welt. Jedes ungelöste Problem impliziert als Signifikat: Es gibt noch anderes, das wir nicht kennen oder nicht beherrschen. Insofern verweist jedes Problem auf alle anderen, eignet sich als symbolisch generalisierte Codierung von Unlösbarkeit oder Unbestimmtheit. Poesie, soweit sie Simultanthematisierung [von Welt und Nichtwelt] ist […], erhält damit eine zweifache Referenz. Sie bezieht sich auf ungelöste Probleme der jeweiligen Welt, und im semantischen Medium der ungelösten Probleme bezieht sie sich zugleich auf das unreduzierte Ganze.« Bedingung der Möglichkeit einer solchen doppelten Referenz sei, dass Poesie »sich den ›Wahrheits‹-Ansprüchen anderer Problemlösungsinstanzen entziehen, […] sich der Reduktion der Komplexität von Welt durch andere Instanzen verweigern und eine eigene ›Wahrheit‹ konstituieren« und so »gerade die Thematisierung der Kosten solcher Reduktion von Komplexität zu ihrer eigentlichen Domäne machen« 96 könne. Gerade die Suspension von anderweitig geltenden Referenzzwängen ermögliche es also, »ungelöste Probleme als ungelöste überhaupt zu thematisieren« 97 , was dort etwa, wo »Dichtung mit Mythos und Kult verwoben« ist und die »Unterscheidung von eigentlicher und uneigentlicher Rede« 98 insofern noch keine Gültigkeit besitzt, nur mit Einschränkungen der Fall sei. Anders als beim Mythos, liegt die Leistung poetischen Erzählens also weniger in dessen weltmodellierender Kraft als darin, dass es die jeweils herrschenden Weltmodelle ihrerseits zum Gegenstand der Reflexion werden lässt und dabei, insoweit Literatur unter den Bedingungen fiktionalen Erzählens operiert, auch und gerade deren blinde Flecken aufzeigen kann. Literatur als poetische Rede erlaube in diesem Sinne, wie Jan-Dirk m ülleR feststellt, »Beobachtung zweiter Ordnung« 99 , die gleichwohl »alltägliche Erfahrungs- und Wirklichkeitsmodelle nicht einfach« abbilde, sondern »ihre Alternativen durchspielen, sie aporetisch zuspitzen, emphatisch bestätigen«, ihre »konkurrierenden Muster [gegeneinanderführen], kritisieren oder subvertieren [könne] - und was der Möglichkeiten mehr sind« 100 . Auch hier gilt es wieder heuristisch zu trennen, was historisch, mindestens für die Periode vor der sog. ›Sattelzeit‹ im 18. Jahrhundert, allenfalls als unüberschaubares Geflecht von verschiedenen, teils konkurrierenden Funktionszusammenhängen und pragmatischen Einbindungen erscheinen muss. Für e iBl ist es Epochensignatur des Sturm und Drang, »daß Poesie nun ausdifferenziert wird als selbständiges Organon der Reflexion ungelöster Probleme« 101 . Doch wenn man von den vielfältigen Formen der heteronomen Inanspruchnahme abstrahiert (herrschaftliche Repräsentation, weltliche und geistliche Didaxe, religiöse Erbauung usw.), dann lässt sich schon für die Vormoderne zeigen, wie die Möglichkeiten 95 e iBl , Enstehung, S. 31 (dort auch das folgende Zitat). 96 e iBl , Entstehung, S. 33. 97 e iBl , Entstehung, S. 32. 98 e iBl , Entstehung, S. 35. 99 m ülleR , Ordnungen, S. 63. 100 m ülleR , Ordnungen, S. 46. 101 e iBl , Entstehung, S. 126. 1.3 Mythos und mittelalterliche Literatur 27 literarischen Erzählens genutzt werden, um Kontingenz nicht etwa abzubauen oder zu überspielen, sondern geradezu auszustellen, und dies nicht allein in den großen Romanentwürfen eines Gottfried von Straßburg oder Wolfram von Eschenbach. Beate K ellneR etwa arbeitet am Beispiel des ›Heinrich von Kempten‹ Konrads von Würzburg heraus, dass dessen »spezifisch literarische Kodierungsform« 102 - im Gegensatz zu den historiographischen Quellen derselben Stofftradition (und entgegen der Selbstaussage des Erzählers im Epilog; vgl. HvK 744-753) - eben nicht auf eine eindeutige Sinnzuweisung zielt, sondern gerade darauf, die Ambivalenz von Gewalthandeln im Spannungsfeld von Herrschaftssicherung und -gefährdung zu inszenieren. Und selbst eine Erzählung, die so offenkundig auf die Affirmation einer bestehenden Ordnung (genauer: des hierarchischen Verhältnisses der Geschlechter) abstellt wie Sibotes ›Frauenzucht‹, unternimmt dies auf dem Umweg der Kontingenzexposition in Bezug auf den herrschenden Diskurs: Jan-Dirk m ülleR weist nach, dass der Text die »auf Galen zurückgehende Vorstellung« aufnimmt, »dass die männlichen und die weiblichen Genitalien im Prinzip gleich gebaut sind, die weiblichen nur innerhalb des Körpers, die männlichen außerhalb liegen, wobei ihre Gestalt die genaue Umkehrung derjenigen des anderen Geschlechtes ist. Mit Lage und Funktion der Geschlechtsteile ist eine Bewertung verknüpft: Die männliche Organisation des Körpers ist vollkommener, weil funktionstüchtiger. Die angemessene Ausbildung der Geschlechtsteile ist die des Mannes. Bei der Frau wird diese Ausbildung durch die mindere Qualität des Samens oder sonstige widrige Umstände bei der Zeugung behindert. Die Frau ist insofern ein misslungener Mann.« 103 Allerdings reproduziert der Text diese Theorie nicht unmittelbar, sondern entblößt auch fiktionsintern die Vorstellung einer Analogie männlicher und weiblicher Organe als (in diesem Fall: männliche) Erfindung: Alle Beteiligten, ob fiktionsintern oder -extern (das - vermutlich überwiegend männliche - Publikum), sind sich des Inszenierungscharakters der Operation zur Behebung einer vermeintlichen »männlichen Missbildung am weiblichen Körper« 104 (des sog. zornbrâten ; Fr 668) bewusst - alle, außer der betroffenen Frau selbst, die sich aus Angst vor weiteren Maßnahmen dazu bereiterklärt, sich ihrem Mann gegenüber auch ohne chirurgischen Eingriff gehorsam zu zeigen. Der Geltungsanspruch des medizinischen Diskurses wird im narrativen Arrangement des Maere suspendiert, um vor diesem Hintergrund die Naivität der Frau umso deutlicher hervortreten zu lassen und so die Vorherrschaft des - aus Sicht des Textes: von ›Natur‹ aus verständigeren - Mannes umso nachdrücklicher zu legitimieren. Auch wenn Kontingenzexposition hier in den Dienst genommen wird, um eine als solche unhinterfragte soziale Ordnung auf einer anderen Ebene zu bestätigen, ist es eben doch das Moment der Kontingenzexposition, das die ›poetische‹ Beschaffenheit des Textes ausmacht und ihn so gegenüber anderen Redeformen 102 K ellneR , Kodierung, S. 100. K ellneR kann zeigen, dass die historiographischen Texte »nach deren jeweiligen Interessen und Gebrauchsfunktionen« die Ereignisse entweder »als Exempla für kaiserliches o d er ritterliches Verhalten respektive Fehlverhalten« inszenieren und ihnen dadurch »stets eine gewissermaßen einsinnige Auslegung« zukommen lassen (ebd.; Hervorhebung im Original). Demgegenüber gehe Konrads Maere keineswegs »in einem Antagonismus von höfischer Ordnung und verkehrter Welt auf, welche ex negativo didaktisch auf das Richtige wiese. Höfische Ordnung und Gewalt erweisen sich vielmehr als intrikater, unlösbarer Zusammenhang: Zwar können die Grundfesten des Reiches durch jene erschüttert werden, doch erscheint sie andererseits als unverzichtbar, um Kaiser und Reich zu erhalten« (ebd., S. 101). 103 m ülleR , Zähmung, S. 57 f. 104 m ülleR , zähmung, S. 58. 28 1 Einleitung auszeichnet, die ähnlich, doch mit anderen Mitteln auf das Festschreiben sozialer Normen zielen. Kontingenzexposition kann in diesem Sinne als Minimalbedingung von ›Poetizität‹ gelten, ohne dass deshalb der einzelne Text in diesem Aspekt auch aufgehen müsste oder gar von ›Poesie‹ im Sinne e iBl s, d. h. als einem voll ausdifferenzierten gesellschaftlichen Funktionssystem, die Rede sein könnte. Sowohl für e iBl als auch für K ellneR und m ülleR ist es der Umstand, dass Literatur »mehr als andere Redeordnungen, z. B. die historiographische, von einer direkten Wirklichkeitsreferenz entlastet ist« 105 , der sie zum Reflexionsmedium kultureller Ordnungsvorstellungen disponiert. Auch hier wiederum ist freilich allenfalls mit graduellen Unterschieden zu rechnen: »Der Spielraum fiktionalen Erzählens kann verschieden weit ausgedehnt sein, die Rückversicherungen in einer als ›historisch‹ verstandenen Vergangenheit verschieden zahlreich, der Rahmen der Wiedererzählung unterschiedlich eng. Fiktionalität ist skalierbar.« 106 Was Walter h aug als ›Entdeckung der Fiktionalität‹ beschreibt, darf nicht als einmaliger epochemachender Moment verstanden werden, sondern als Prozess; 107 oft genug wird ein Fiktionalitätsbewusstsein in den Texten dabei - wenn überhaupt - nur implizit greifbar. 108 Fiktionalität im Mittelalter - so ließen sich die Ergebnisse der aktuellen Diskussion verkürzt wiedergeben - funktioniert offenkundig anders und unter anderen pragmatischen Voraussetzungen, als es in der Moderne der Fall ist. Gleichwohl sind offenbar schon im Mittelalter die Freiräume literarischen Fingierens ausgeprägt genug, dass Literatur zum Experimentierraum wird, der die geltenden Ordnungsvorstellungen »›spielend‹ zu verändern: zu überhöhen, karikieren, subvertieren, verkehren und dergleichen« 109 mehr gestattet. Die höfische Epik ist insofern - mit Jan-Dirk m ülleR gesprochen - »Reflexionsmedium der mittelalterlichen Adelsgesellschaft, das Aporien herrschender Kulturmuster aufzeigt und Lösungen antizipiert, die erst viel später diskursiv angegangen, geschweige bewältigt werden« 110 . In diesem Sinne ließe sich das - freilich unter den Bedingungen des modernen Literatursystems geäußerte - Diktum Oscar Wildes, dass Literatur das Leben nicht nachahme, 105 K ellneR , Kodierung, S. 78; vgl. ähnlich auch m ülleR , Zähmung, S. 50, der Fiktionalität als »›Sprechen unter Möglichkeitsbedingungen‹« definiert. 106 m ülleR , Spiele, S. 295. 107 Vgl. grundsätzlich h aug , Literaturtheorie. Die durch h aug angestossene Debatte zur Fiktionalität vormoderner Literatur ist inzwischen unüberschaubar. Einen instruktiven Überblick zum gegenwärtigen Stand bieten allerdings g lauch , Fiktionalität, sowie P eteRS / W aRning , Fiktion; zu Titeln, die vor 2004 erschienen sind, vgl. auch m ülleR , Spiele, v. a. S. 281, Fn. 2. 108 Der Freiraum des Fingierens wird nicht autonom gesetzt, sondern der Erzählung dadurch abgerungen, dass die Handlung in einen Raum ausgelagert ist, der sich einer empirischen Überprüfung prinzipiell entzieht, sei es durch geographische Distanz (vgl. etwa zum Orient als Handlungsraum im ›Herzog Ernst B‹ und im ›Straßburger Alexander‹ Markus S tocK , Kombinationssinn, S. 291-300) oder dadurch, dass es keinerlei objektivierbaren Wege gibt (wichtige Handlungsorte können oft nur erreicht werden, indem sich die Protagonisten auf dem Weg verirren oder sich willentlich dem Zufall überlassen). Während der moderne Roman selbst das phantastischste Geschehen im unmittelbaren Hier und Jetzt der textexternen Kommunikationssituation verorten kann (vgl. etwa den Bahnsteig 9 ¾ in J. K. Rowlings Harry-Potter-Romanen), scheint unter dem »Druck, dem Erzählten die Autorität des Wahren, Geschehenen und Glaubhaften zu geben« (ebd., S. 294), diese Möglichkeit im Mittelalter deutlich begrenzter. Gleichwohl lässt allein der Aufwand, den die Texte betreiben, um die für die eigenen Sinnsetzungen notwendige »Lizenz zur freien Ausgestaltung« (ebd.) zu gewinnen, implizit auf ein recht ausgeprägtes Bewusstsein dafür schließen, dass ein Abgleich des erzählten Geschehens mit einer als faktisch verstandenen außerliterarischen Wirklichkeit mindestens prekär wäre. 109 m ülleR , Spiele, S. 301. 110 m ülleR , Ordnungen, S. 61. 1.3 Mythos und mittelalterliche Literatur 29 sondern ihm immer schon vorausgreife und dabei nach ihren eigenen Absichten forme (vgl. KuL, S. 30) - Beate K ellneR spricht vom »utopische[n] Potential« 111 von Literatur -, mutatis mutandis auch auf die mittelalterliche Dichtung beziehen. Gleichzeitig ist damit aber ein entscheidender Unterschied gegenüber genuin mythischen Erzählungen benannt, die aufgrund ihrer »lebenspraktischen Eingebundenheit« 112 , ihrer »Ernsthaftigkeit« 113 und »inhaltlichen Verbindlichkeit« 114 diese Möglichkeit nicht oder nicht in diesem Maß bieten. Mythische und poetische Rede sind also im Hinblick auf ihre kontextabhängigen Funktionalisierungen und - eng damit verbunden - ihren jeweiligen Geltungsanspruch 115 auch für die Situation vormoderner literarischer Praxis prinzipiell auseinanderzuhalten. 1.3.3 Formale Aspekte des Mythischen Mythos und Literatur hinsichtlich ihrer jeweiligen Funktion zu differenzieren, scheint zu einer Minimalbestimmung des Mythos zwar zwingend erforderlich, aber keineswegs hinreichend. Denn vom Mythos ebenfalls zu unterscheiden sind andere kulturelle Praktiken und Redeordnungen, die sich - allen voran Religion und Wissenschaft - gleichfalls nicht als fiktional verstehen und in ihrer weltmodellierenden Funktion dem Mythos insofern äquivalent sind. Wenn man Mythos mit Christoph J amme als eine »bestimmte[ ] Perzeptionsweise von Wirklichkeit, die zugleich Ausdrucksweise ist« 116 , begreift, dann liegt das entscheidende Moment darin, wie der Mythos die einzelnen Elemente seiner Modellierung von Wirklichkeit zueinander in Beziehung setzt. 117 Hier ist an die vor allem durch den F Rie dRich / Q uaSt -Band erneut angeregten Überlegungen zu formalen Aspekten des Mythischen anzuschließen. Forschungsgeschichtlich gleichermaßen einflussreich wie umstritten war das Bestreben des Ethnologen und Philosophen Lucien l évy -B Ruhl , sich von der Einstellung der frühen Ethnologie (vor allem vertreten durch Edward t yloR und James F RazeR ) zu lösen, die »Geistestätigkeit« autochthoner Völker »auf eine niedrigere Stufe der unseren zurückführen zu wollen« 118 . Als Gegenvorschlag zu diesem Entwicklungsmodell unterbreitete l évy -B Ruhl das Konzept des ›prälogischen‹ Denkens, das die Denktraditionen schriftloser Kulturen nicht mehr allein in Bezug zu ›moderner‹ Rationalität als deren implizite Ziel- und Vollendungsform, sondern gerade in ihrer Fremdartigkeit und Eigengesetzlichkeit zu beschreiben versuchte. Zentral für diese Denktraditionen sei das von l evy -B Ruhl so bezeichnete »›G e s etz d er P artizip ation«. Die Besonderheit dieser Vorstellung einer universellen ›Anteilnahme‹ der Entitäten, »die in einer Kollektivvorstellung verknüpft sind«, liegt darin, dass in ihr »die Gegenstände, Wesen, Erscheinungen auf eine uns unverständliche 111 K ellneR , Kodierung, S. 78. 112 a SSmann / a SSmann , Mythos, S. 180. 113 a SSmann / a SSmann , Mythos, S. 187. 114 a SSmann / a SSmann , Mythos, S. 188. 115 Vgl. h ammeR , Tradierung, S. 49, der den »jeweils unterschiedlichen Umgang mit der Wirklichkeit« als »einen Hauptunterschied zwischen mythischer und literarischer Erzählung« hervorhebt, wenngleich, wie h ammeR betont, »solch ein Unterschied niemals vollständig historisch greibar gemacht« werden könne, sondern allenfalls »situativ« zu bestimmen sei. 116 J amme , Grenzen, S. 24. 117 Vgl. g lauch , Evidenz, S. 107: »Nicht die Fragen - nach Ursprüngen oder nach dem Transzendenten - bestimmen die Eigenart des Mythos, sondern eine spezifische Art des Antwortens.« 118 l évy -B Ruhl , Denken, S. 57 (dort auch das folgende Zitat; Hervorhebungen im Original). 30 1 Einleitung Weise sie selbst und zugleich etwas anderes als sie selbst sein können« 119 . Mithin habe, so l évy -B Ruhl , der für das europäische Denken so zentrale Satz vom Widerspruch in dieser Mentalität keine oder doch nur eine nachrangige Bedeutung: »Für diese geistige Beschaffenheit führt der Gegensatz zwischen dem einen und dem vielen, demselben und dem anderen nicht notwendig dazu, eine dieser Bestimmungen zu verneinen, wenn man die andere bejaht, und umgekehrt. Der Gegensatz hat nur ein sekundäres Interesse. Manchmal wird er bemerkt, manchmal auch nicht.« l évy -B Ruhl betont, dass sich diese ›geistige Beschaffenheit‹ »nicht in willkürlichen Widersprüchen [gefalle] - dadurch würde sie für uns einfach absurd werden -, aber sie denkt auch nicht daran, sie zu vermeiden. Sie ist in diesem Punkte meistens indifferent« 120 . Logisches und ›Prälogisches‹ schließen sich dabei nicht aus, sondern »durchdringen einander gegenseitig, und das Ergebnis ist ein Gemisch, dessen Elemente wir mit großem Unbehagen ununterschieden lassen müssen. Da in unserem Denken das logische Bedürfnis alles, was ihm offenbar entgegengesetzt ist, ausschließt, ohne sich auf einen Kompromiß zu verstehen, können wir uns nicht in eine Denkweise hineinfinden, in der das Logische und Prälogische zusammen bestehen und sich gleichzeitig in den geistigen Operationen fühlbar machen.« 121 Insofern das partizipatives Denken im Sinne l évy -B Ruhl s auch gegenläufige Tendenzen zulässt, 122 die in wissenschaftlich-rationaler Sicht einander zu widersprechen scheinen, kann eine selbstreflexive Tendenz dieser Mentalitätsstruktur festgestellt werden, die ihre charakteristische Widerspruchstoleranz auf die eigenen logischen Verknüpfungsregeln ausweitet: Nicht nur die Entitäten, auf die es sich bezieht, auch das logische System partizipativen Denkens selbst ist in diesem Sinne in nicht-identitätlogischer Weise es selbst und doch etwas anderes, nämlich - um den Sprachgebrauch l évy -B Ruhl s vorerst beizubehalten -, ›logisch‹ und ›prälogisch‹ zugleich. An l évy -B Ruhl anschließend, 123 doch stärker als dieser »die Errungenschaften des mythischen Denkens« hervorhebend, »das nicht logische Erklärungssätze, sondern symbolischen Sinn« 124 konstruiere, hat Ernst c aSSiReR dazu angesetzt, den Mythos als ›Denkform‹ 119 l évy -B Ruhl , Denken, S. 58 (dort auch das folgende Zitat). 120 l évy -B Ruhl , Denken, S. 59. Prägnant fasst auch h oRn , Mythisches Denken, S. 49, die Eigenarten ›partizipativen‹ Denkens zusammen: »Partizipation bedeutet, dass kein Unterschied gemacht wird zwischen an sich unterschiedenen, unbezogenen Sachen […], etwa zwischen Bild und Gegenstand, Teil und Ganzem, Individuum und Totem usw.; sie bedeutet, dass jede Dualität aufgehoben ist […]; sie bedeutet Einssein und doch nicht Einssein.« 121 l évy -B Ruhl , Denken, S. 84. 122 Hier lässt sich offenbar eine Art ›Bereichsspezifik‹ festellen; so sieht l évy -B Ruhl , Denken, S. 84, den »Einfluß des Gesetzes des Widerspruches vorerst in allen geistigen Operationen, die ohne diesen unmöglich wären (Zählen, Begründen etc.)«; und auch h oRn , Mythisches Denken, S. 54, bemerkt, im Anschluss an l évy -B Ruhl , dass das Denken schriftloser Gesellschaften »vollauf realistsch und rational« sei, »wenn es um Nahrung, um wilde Tiere, um Feinde [gehe], wenn eine Handlung biologisch Relevantes« betreffe. 123 Vgl. c aSSiReR , Philosophie, S. 60 passim. 124 a SSmann / a SSmann , Mythos, S. 190 f. Dass freilich auch der Mythos »allgemeine Kate gorie von ›Ursache‹ und ›Wirkung‹« kenne und entsprechend »›explikativen‹ Charakter« habe, betont, c aSSiReR , Philosophie, S. 57 (Hervorhebung im Original), wenn auch die Art und Weise, wie er beide Größen zueinander in Beziehung setzt, sich grundlegend von derjenigen wissenschaftlicher Rationalität unterscheide: So bleibe die isolierende Abstraktion der wissenschaftlichen Erkenntnis, »durch welche aus einem Gesamtkomplex ein bestimmtes Einzelmoment als ›Bedingung‹ erfaßt und herausgehoben 1.3 Mythos und mittelalterliche Literatur 31 zu beschreiben. Charakteristisch hierfür sei, so c aSSiReR , das »Gesetz der Konkreszenz oder Koinzidenz der Relationsglieder im mythischen Denken«, das sich »durch alle seine Kategorien hindurch verfolgen« 125 lasse: »Wenn die wissenschaftliche Erkenntnis die Elemente dadurch zu verknüpfen vermag, daß sie sie, in ein und demselben kritischen Grundakt, gegeneinander sondert, so ballt der Mythos, was immer er berührt, gleichsam in eine unterschiedslose Einheit zusammen. Die Beziehungen, die er setzt, sind so geartet, daß durch sie die Glieder, die in sie eingehen, nicht nur ein wechselseitiges ideelles Verhältnis eingehen, sondern daß sie geradezu miteinander identisch, daß sie ein und dasselbe Ding werden. Was sich nur immer im mythischen Sinne miteinander ›berührt‹ - mag diese Berührung als räumliches oder zeitliches Beieinander als als irgendeine noch so / entfernte Ähnlichkeit oder als Zugehörigkeit zu derselben ›Klasse‹ oder ›Gattung verstanden werden - das hat im Grunde aufgehört, ein Vielartiges oder Vielfältiges zu sein: es hat eine substantielle Einheit des Wesens gewonnen.« 126 Was immer der Mythos beobachtet - sei es Raum und Zeit, Ursache und Wirkung, Zeichen und Bedeutung usw. -, er beobachtet es mithin gerade nicht als etwas von etwas anderem Unterschiedenes. In diesem Sinne operiert der Mythos nicht identitätslogisch, sondern ist durch Strukturen der Entdifferenzierung des an sich Geschiedenen gekennzeichnet. Die konzeptionelle Nähe zu l évy -B Ruhl ist unverkennbar. 127 Gleichwohl war es die Begrifflichkeit Ernst c aSSiReR , die sich auf lange Sicht forschungsgeschichtlich durchsetzen hat können. Denn obwohl l évy -B Ruhl von vorne herein klarzustellen bemüht war, dass die Bezeichnung ›prälogisch‹ nur »in Ermangelung eines besseren Namens« gewählt sei, dass die damit beschriebene »geistige Beschaffenheit« weder »antilogis ch« noch als »alogis ch« zu nennen und dass damit auch kein kulturhistorisches oder gar biologisches Stadium der Menschheitsgeschichte gemeint sei, »welches der Erscheinung des Denkens in der Zeit« 128 vorausgehe, reproduziert seine Terminologie eben doch jene Vorstellung einer Verlaufsgeschichte kognitiver Dispositionen - Peter F uSS spricht von der »phylogentische[n] Marginalisierung« 129 des mythischen Denkens -, von der sich l évy -B Ruhl gerade abzugrenzen versuchte. Aus diesem Grund soll im Folgenden auf den Begriff verzichtet werden, zumal l évy -B Ruhl seinerseits als Reaktion auf die vorgebrachte Kritik »das inkriminierte Wort nach 1918« 130 nicht mehr verwendet hat. Stattdessen werde ich von ›Partizipation‹ sprechen, wo der Aspekt der Kontiguität in der mythischen Logik im Vordergrund steht - die von l évy -B Ruhl beschriebenen partizipativen Phänomene manifestieren sich vor allem als Teil-Ganzes-Relationen oder auch als tatsächliche räumliche Nähe -, bzw. von mythischer wird, […] der Denkweise des Mythos fremd. Jede Gleichzeitigkeit, jede räumliche Begleitung und Berührung schließt hier schon an und sich eine reale kausale ›Folge‹ in sich« (ebd. S. 59). 125 c aSSiReR , Philosophie, S. 82. 126 c aSSiReR , Philosophie, S. 81 (Hervorhebung im Original). 127 B idney , Anthropology, S. 526, geht sogar soweit, beide Positionen in eins zu setzen: »c aSSiReR himself has employed the term ›mythical thought‹ instead of the term ›prelogical mentality‹; but the meaning of the two terms is practically identical«. 128 l évy -B Ruhl , Denken, S. 59 (Hervorhebungen im Original). Entsprechende Hinweise finden sich also schon in der ersten Ausgabe seiner ›Fonctions mentales dans les sociétés inférieures‹ von 1910 (auf der auch die 2. Auflage der deutschen Übersetzung von 1926 beruht), und nicht erst - wie oft zu lesen - in späteren Auflagen oder gar erst in l évy -B Ruhl s posthum erschienenen Notizbüchern (frz. ›carnets‹; vgl. etwa a SSmann / a SSmann , mythos, S. 190, Fn. 93). 129 F uSS , Groteske, S. 431. 130 h oRn , Mythisches Denken, S. 54. 32 1 Einleitung ›Konkreszenz‹, wo es - damit verbunden - um das paradoxale In-eins-Setzen von zugleich Geschiedenem gehen soll. Entscheidend ist, dass es sich beim mythischen Denken - wie Jan und Aleida a SSmann festhalten (und damit den Beobachtungen l évy -B Ruhl s zu neuem Recht verhelfen) - um ein »Denken« handelt, »das den Satz vom Widerspruch nicht kennt« und das die Welt deshalb »nicht als eine Konstellation fixierter Werte« auffasst, »sondern als ein beständiges Oszillieren zwischen gegensätzlichen Polen« 131 . Damit sind die Elemente zu einer heuristischen Minimalbestimmung des Mythos benannt: Der Mythos ist eine der mündlichen Tradition 132 seiner Trägerschaft entstammende ›Erzählung‹ - so bekanntermaßen schon die Grundbedeutung des Begriffes 133 - mit ursprünglich weltmodellierender und orientierungsstiftender Funktion; sein Geltungsanspruch unterscheidet ihn von poetischen Erzählweisen, seine spezifischen Strukturmerkmale von anderen, in ihrer Verbindlichkeit dem Mythos aber vergleichbare Formen des Weltzugangs wie Wissenschaft oder Religion. 134 Eine solche Minimaldefinition 135 mag reduktionistisch 131 a SSmann / a SSmann , Mythos, S. 194. Dadurch, »daß im mythischen Denken die polaren Gegensätze einander näherliegen als die Nachbarglieder«, erhält der Mythos auch die ihm eigene semantische Ambivalenz: »Die latente Präsenz des Gegenpols gibt den mythischen Prägungen ihre überdeterminierte Tiefendimension« (ebd.). 132 Dass mythische Traditionen dabei aber nicht an Oralität gebunden sind, zeigt das Beispiel Indiens, das deutlich macht, »daß der typisch orale Existenzmodus des Mythos auch in schriftlicher Überlieferung aufrechterhalten werden kann« (a SSmann / a SSmann , Mythos, S. 189). Insofern kann es als spezifisch europäischer Sonderweg angesehen werden, dass die abendländische Kultur mit dem Eindringen der Schriftlichkeit »reflexives Verhältnis zum Mythos entwickelt« (ebd., S. 179) hat. 133 Vgl. u nzeitig , Erzählen, S. 165. 134 Freilich kennt auch die christliche Tradition Glaubenssätze, deren Strukturmerkmale phänomenologisch mythischem Denken ähneln (und sich vermutlich auch genetisch aus diesem ableiten lassen) wie etwa die jungfräuliche Geburt Christi oder die Vorstellung der Realpräsenz in der Eucharistie, die als Konkreszenz von Signifikat und Signifikant im Sinne Ernst c aSSiReR s beschrieben werden kann (vgl. in diese Richtung zielend g umBRecht , Präsenz-Spuren, S. 15; zu mythischen Strukturen in der christlichen Religion vgl. auch allgemein h üBneR , Wahrheit, v. a. S. 359-387). Der entscheidende Unterschied im christlichen Diskurs liegt in der Kategorie des ›Mysteriums‹, das die Differenz von partizipativer und ›rationaler‹ Logik immer schon mitreflektiert: So kann etwa Maria - in ihrer Argumentationsweise durchaus dem Satz vom Widerspruch verpflichtet (vgl. Lk 1,34) - die ihr durch den Engel des Herrn verkündete Jungferngeburt nicht ›rational‹ begreifen, sondern allenfalls als unhinterfragte - ja schlechthin unhinterfragbare - Wahrheit höherer Ordnung, als ›Geheimnis‹ des Glaubens eben, vertrauensvoll annehmen: Dixit autem Maria ecce ancilla Domini fiat mihi secundum verbum tuum (Lk 1,38). Die dem gläubigen Christen abverlangte Haltung - das lehrt die biblische Erzählung von der Verkündigung an Maria - zielt eben nicht auf ›Verstehen‹, sondern auf die hingebungsvolle Annahme des Nicht-Verstehbaren. Die darin implizierte Trennung zwischen dem Intelligiblen und dem Nicht-Intelligiblen, Wunderbaren ist dem Mythos aber fremd, denn für ihn »ist alles Wunder, d. h. gar nichts ist es. Daher ist alles glaublich und nichts unmöglich oder absurd« (l évy -B Ruhl , Denken S. 338). Entsprechend betont auch Kurt h üBneR die für den christlichen Glauben - nicht aber für den Mythos - konstitutive Bedeutung des ›Wunders‹: »Darauf bezieht es sich ja vor allem, wenn man ihn einen Glauben nennt, während der mythisch denkende Mensch zu einem Glauben nicht aufgefordert werden brauchte; der Mythos war für ihn ja nur eine Weise tagtäglicher Erfahrung« (h üBneR , Wahrheit, S. 382). 135 Sie trifft sich in gewisser Hinsicht mit Christian K iening s Vorschlag, »Mythos als phänomenologisch gestützte analytische Kategorie zu fassen« (ders., Arbeit, S. 36). K iening unterscheidet allerdings neben formalen und pragmatischen auch »inhaltliche Aspekte mythischen oder mythisierenden Erzählens«, wobei ›inhaltlich‹ ihm zufolge heißen kann: »Die Erzählung - d. h. ein Text mit narrativer Struktur - betrifft das Verhältnis des Menschen zu übermenschlichen Mächten, sie bezieht sich auf Ursprünge, Übergänge und Gründungsmomente, die mit dem Zeitenabstand nicht an Präsenz verloren haben, vielleicht aber mit Bedeutung angereichert worden sind« (ebd., S. 37). Hier gilt es allerdings zu beachten, dass die von K iening angesprochenen ›inhaltlichen‹ Aspekte des Mythos tatsäch- 1.3 Mythos und mittelalterliche Literatur 33 erscheinen, doch lassen sich daraus m. E. eine ganze Reihe der von a SSmann / a SSmann aufgefächerten Dimensionen des Mythos ableiten: so etwa aus der Verwurzelung in der mündlichen Tradition der Aspekt der ›Landläufigkeit‹, der für den ›Alltags-Mythos‹ - im Sinne von »mentalitätsspezifische[n] Leitbilder[n], die kollektives Handeln und Erleben prägen« 136 (= M 4 in der Systematik von a SSmann / a SSmann ) 137 - ebenso bedeutsam ist wie der Geltungsanspruch des Mythos, oder aus dessen formalen Distanz zu wissenschaftlicher Rationalität der seit der griechischen Archaik geläufige polemische Mythos-Begriff (= M 1). Wenn auch der wissenschaftliche Diskurs seinen Aussagen andere logische Verknüpfungsregeln zugrundelegt als der Mythos, so können dessen spezifische Strukturmerkmale gleichwohl an anderem Ort - in der Dichtung nämlich, die sich ihrerseits durch ihren fiktionalen Charakter von wissenschaftlichen Äußerungsformen unterscheiden lässt - davon völlig unberührt persistieren. Das gilt nicht nur für literarische Narrative, welche auf den Stoffen und Motiven ursprünglich oraler mythischer Traditionen beruhen (= M 6), sondern auch für sprachliche Phänomene, deren faktische Distanz zu den Gesetzmäßigkeiten ›rationaler‹ Logik oft gar nicht bewusst reflektiert werden. So hat Susanne K öBele etwa Metaphern, die gemeinhin als plane Ersetzungstropen im Sinne der aristotelischen Rhetorik verstanden werden, im Spannungsfeld von »analogisierender und identifizierender Rede« zu beschreiben versucht; demnach trete »[m]it einem Schlag […] das eine oder andere in den Blick, wird die Differenz - die ›kategoriale Distanz - zugleich aufrechterhalten und überspielt« 138 . Dieses Oszillieren zwischen ›Unterscheiden‹ und ›In-Eins-Setzen‹ rückt die Logik metaphorischen Sprechens in die Nähe des Mythos, wie auch Peter F uSS bemerkt: »Metaphern […] gehorchen der Logik des Sowohl-Als auch, wenn sie ein Signifikat durch den Signifikanten eines anderen Signifikats (mit-)bezeichnen. Dies ist ein Indiz für die genealogische lich durchweg relationale Kategorien und damit Strukturphänomene bezeichnen: ›Übermenschlich‹ sind »übermenschliche Mächte« eben nur - auch K iening spricht es an - in ihrem Verhältnis zum Menschen, und von »Ursprünge[n], Übergänge[n] und Gründungsmomente[n]« lässt sich nur dann sinnvoll sprechen, wenn man einen späteren Zustand zu einem früheren in Beziehung setzt usw. Form und Inhalt sind strukturell aneinander gekoppelt (s. u.), und so scheint jede Analyse, die dezidiert nach der Mythizität eines Textes fragt, am Ende auf Stukturphänomene zurückgeworfen (g lauch , Evidenz, S. 107, spricht deshalb auch vom ›formalen‹ Aspekt des Mythischen als dessen »Leitaspekt«). In diesem Sinne haben Erzählstrukturen zwar keinen logischen oder gar ontologischen - Stichwort ›Strukturrealismus - Vorrang gegenüber erzählten Inhalten, wohl aber, wenn man so möchte, einen epistemischen. Das bedeutet, ›Mythisches Erzählen‹ wird sich kaum je in solcher Weise über inhaltliche Kriterien fassen lassen, wie man etwa ›arthurisches Erzählen‹ als ›Erzählen von König Artus‹ definieren könnte. Daraus ergibt sich aber auch, dass der Mythosbegriff nicht ausschließlich auf ›Götter‹-Erzählungen oder auf solche Erzählungen zu beschränken ist, die von Jenseitigem oder (für den außenstehenden Beobachter) Wunderbarem berichten, sondern beispielsweise auch den Bereich der heroischen Tradition miteinschließt. 136 a SSmann / a SSmann , Mythos, S. 180. 137 Vgl. Kapitel 1, Fn. 84. 138 K öBele , Umbesetzungen, S. 214. Gewiss handelt es sich bei Metaphern nicht um ein exklusiv literarisches Phänomen; allenfalls kann von metaphorischer Rede im literarischen Kontext - wie bei allen Aspekten literarischer Rede - als einer spezifischen (Ent-)Disziplinierung der Alltagssprache gesprochen werden. Doch gerade hier scheint die »irreduzible Vieldeutigkeit« der Metapher (so K öBele , Mythos und Metapher, S. 244, mit Bezug auf die religiösen Allusionen in Gottfrieds ›Tristan‹) zentral zu werden, die in der Alltagssprache eher im Hintergrund steht: Wer alltagssprachlich auf metaphorische Rede zurückgreift, möchte in aller Regel keine Bedeutungsüberschüsse produzieren, sondern zumeist eben doch - ganz im Sinne der aristotelischen Rhetorik - seinen Gegenstand möglichst ›anschaulich‹ zur Darstellung bringen. 34 1 Einleitung Relation zwischen Mythos und Literatur. Literatur ist eine postarchaische Manifestation mythischen Denkens.« 139 Wenn aber der (›eigentlich‹ uneigentliche) sprachliche Ausdruck und seine ›eigentliche‹ Bedeutung in diesem Sinne jederzeit ineinander umschlagen können, dann bedeutet das auch, dass zwischen Ausdruck und Inhalt nicht mehr eindeutig unterschieden werden kann, oder anders gesagt, »dass Form- und Inhaltsseite […] einerseits analytisch getrennt werden müssen, andererseits nicht unabhängig voneinander besprochen werden können. Was ein Text sagt, ist immer, wie er es sagt.« 140 Die nahe Verwandtschaft von Mythos und Metapher lässt vermuten, dass mythosartige Strukturphänomene nicht ausschließlich auf solche Bereiche beschränkt sind, in denen dem Erzählen tatsächlich auch eine entsprechende mythische Stoffgrundlage unterlegt ist. Gleichwohl scheint es mit einer gewissen Inzidenz überall dort, wo mythische Strukturphänomene zu beobachten sind, auch eine entsprechende ›inhaltliche‹ Rückbindung an mythische Erzähltraditionen zu geben, etwa in Form bestimmter Figuren oder Motivkomplexe, die ihren Ursprung in den ›Mythologien‹ 141 unterschiedlichster Kulturkreise haben können. Dabei gilt freilich, dass diese Traditionen ihrerseits nur aufgrund bestimmter formaler oder struktureller Aspekte überhaupt als ›mythische‹ erkenn- und beschreibbar sind 142 : Form und Inhalt sind strukturell aneinander gekoppelt und bedingen sich gegenseitig. Da insofern das Mythische nichts ist, »was gefunden werden könnte, nichts Substantielles, auf Stoffgeschichtliches beschränktes«, sondern vielmehr eine »poetologische und inhaltliche Fragen aufeinanderbeziehende Kategorie« 143 , sollte - um den Begriff nicht zu sehr auszudehnen und damit sein analytisches Potential preiszugeben - von mythischem Erzählen nur dann die Rede sein, wenn beides gegeben ist: eine auf der Ebene der Erzählstrukturen zu beobachtende Nähe zum mythischen Denken einerseits wie eine Anbindung an mythische Stofftraditionen andererseits. 144 In diesem Sinne kann auch von ›mythischem Erzählen‹ in der mittelalter- 139 F uSS , Groteske, S. 431; zum Zusammenhang von Mythos und Metapher vgl. grundsätzlich auch h oRn , Mythisches Denken, sowie B lumenBeRg , Paradigmen, v. a. S. 111-116. Für B lumenBeRg sind, wie in der Metapher auch, »im Mythos […] Fragen lebendig, die sich theoretischer Beantwortung entziehen, ohne durch diese Einsicht verzichtbar zu werden. Der Unterschied zwischen Mythos und ›absoluter Metapher‹ wäre hier nur ein genetischer: der Mythos trägt die Sanktion seiner uralt-unbegründbaren Herkunft, seiner göttlichen oder inspirativen Verbürgtheit, während die Metapher durchaus als Fiktion auftreten darf und sich nur dadurch auszuweisen hat, daß sie eine Möglichkeit des Verstehens ablesbar macht« (ebd., S. 112). 140 K öBele , Mythos und Metapher, S. 244 f. 141 Mit ›Mythologie‹ ist hier »die Gesamtheit mythischer Vorstellungen« (J amme , Grenzen, S. 24) einer bestimmten Gemeinschaft oder Kultur gemeint. 142 So kann etwa Ulrich h oFFmann , Arbeit, S. 34-41, die Mythizität der Matière de Bretagne mittels der B lumenBeRg schen Kategorien ›ikonische Konstanz‹, ›Wiederholbarkeit‹, ›Inkonsistenz‹, ›Elastizität‹ ›Zeitlichkeit‹ und ›Umständlichkeit‹ plausibel machen; vgl. hierzu und zur Form-Inhalt-Problematik allgemein auch P oSeR , Arbeit, S. 127-131. 143 K öBele , Mythos und Metapher, S. 244. 144 Auf die Notwendigkeit, Form und Inhalt stets zusammenzudenken, weist auch h oFFmann , Arbeit, S. 17 f., hin. Gerade diese Doppelperspektivierung macht aber den Mehrwert des Mythos-Begriffes aus, weil er 1.) plausibel werden lässt, wie überhaupt die beschriebenen Strukturphänomene in die Texte ›hineingekommen‹ sein sollen, und 2.) damit auch eine schärfere Abgrenzung gegenüber anderen Erzählformen erlaubt, die phänomenologisch ähnlich erscheinen mögen, aber unter völlig anderen geistes- und literaturgeschichtlichen Bedingungen funktionieren. So kann Nina o Rt , Semiotik, etwa zeigen, dass auch bestimmte Texte der literarischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts sich mit zweiwertigen logischen Modellen nur unzureichend beschreiben lassen (vgl. ihre Lektüre von Franz Kafkas 1.3 Mythos und mittelalterliche Literatur 35 lichen Epik gesprochen werden, ohne dass es sich dabei auch um Mythen gemäß der oben vorgeschlagenen Definition handeln müsste. 1.3.4 Mythisches Erzählen als Medium kultureller Selbstbeobachtung Literarisches Erzählen kann also in formaler Hinsicht Merkmale genuiner Mythen aufweisen und insofern ›mythosanalog‹ 145 oder ›mythomorph‹ 146 strukturiert sein, während es sich hinsichtlich seiner Funktion und Pragmatik von diesen abhebt. Anders, als es die Tendenz der gegenwärtigen mediävistischen Mythosforschung vermuten ließe, sind diese mythomorphen Strukturen aber keineswegs auf narrative Motivationsstrukturern beschränkt, 147 sondern betreffen potentiell sämtliche Ebenen der Erzählung, nicht zuletzt also auch die semantische Struktur der Instanzen, Figuren und Objekte der erzählten Welt. Die mythischen Strukturmuster bleiben dabei als solche erhalten, wie sie aber semantisch besetzt werden, hängt von dem jeweiligen Kontext ab, innerhalb dessen sie aktualisiert werden. 148 Das erlaubt nun spezifischere Überlegungen dazu, worin eigentlich die Faszinationskraft mythischer Stoffe und Traditionen in einem kulturellen Kontext bestanden haben könnte, der sich selbst doch als dezidiert ›nach-mythisch‹ und christlich-aufgeklärt verstand. Wenn im oben dargelegten Sinne die Funktion literarischen Erzählens darin liegt, die jeweils herrschenden kulturellen Ordnungsvorstellungen in einem von anderweitig geltenden Referenzzwängen entlasteten Raum zur Reflexion zu bringen, dann gewinnt die nicht-zweiwertige Logik des Mythos überall dort an Signifikanz, wo die entsprechenden kulturellen ›Das Urteil‹ auf der Basis der Polykontexturalitätstheorie Gotthard g üntheR s, ebd., S. 365-375). Um hier historisch zu differenzieren und nicht sämtliche Formen mehrstelliger Erzähllogiken schlechthin in eins zu setzen, scheint mir - trotz einiger diesbezüglich geäußerter Bedenken (vgl. etwa g eBeRt , Beobachtungsparadoxien, S. 23: »Unklar ist mehr denn je, ob mediävistische Analysen die Vokabel ›Mythos‹ wirklich benötigen«; vgl. schärfer auch K Ragl , Land-Liebe, S. 35: »wozu braucht es das Gerede vom Mythos […] überhaupt? «) - der Begriff des ›Mythos‹ für die historische Narratologie nach wie vor unverzichtbar. 145 Vgl. hierzu grundsätzlich l ugoWSKi , Form, der den Begriff des ›mythischen Analogons‹ als formales Entsprechungsverhältnis von literarischen und genuin mythischen Erzählweisen in den Diskurs eingeführt hat. 146 Vgl. m ülleR , Verabschiedung, S. 200: »Mythomorph soll hier heißen, was den Strukturen und Verläufen ›echter‹ Mythen entspricht.« Die Ausdrücke ›mythosanalog‹ und ›mythomorph‹ finden, so weit ich sehe, in der einschlägigen Literatur mehr oder weniger austauschbar Verwendung. Demgegenüber werde ich vorzugsweise dann den Begriff ›mythomorph‹ wählen, wenn es um Struktureigenschaften von Entitäten der erzählten Welt geht (z. B. semantische Ambivalenzen), den Begriff ›mythosanalog‹ dagegen dann, wenn Aspekte des Erzählens selbst im Vordergrund stehen (z. B. Kreisschlüssigkeit, finale Motiviertheit der Erzählung). Es versteht sich, dass eine solche terminologische Unterscheidung immer nur heuristischen Charakter haben kann, zumal Form- und Inhaltssache der Erzählung allenfalls analytisch, nie aber essentiell auseinandergehalten werden können (vgl. hierzu Kapitel 1.3.3). 147 h oFFmann , Arbeit, S. 76-78, etwa schließt das Konzept der Konkreszenz unmittelbar mit dem mythischen Kausalbegriff kurz mit dem Ergebnis, dass anderweitige für das Verständnis des Textes aufschlussreiche mythische Strukturphänomene als solche nicht erkannt werden. Zur Analyse der eigentümlichen semantischen Ambivalenz des zwergenhaften Königs Guivreiz in Hartmanns von Aue ›Erec‹ beispielsweise bemüht h oFFmann nicht naheliegende mythostheoretische Konzepte wie eben das der Konkreszenz, sondern operiert stattdessen mit dem identitätslogischen Begriff der ›Hybridisierung‹ (vgl. ebd., S. 148 f., sowie kritisch dazu P oSeR , Arbeit, S. 129 f.). In ähnlicher Weise reduziert auch K Ragl , Land-Liebe, die Frage nach der Mythizität mittelalterlicher Texte weitgehend auf das Problem kausallogischer Verknüpfungen von Handlungseinheiten (vgl. hierzu Kapitel 1.2). 148 Vgl. h ammeR , Tradierung, S. 12. 36 1 Einleitung Sachverhalte sich einer widerspruchsfreien (Selbst-)Beschreibung auf der Basis zweiwertiger rationaler Modelle entziehen. Die literarische Imagination vermag dabei auch dasjenige zu integrieren, was der symbolischen Ordnung der jeweiligen kulturellen Formation tendenziell entgegensteht, was sie aus ihren Sinnentwürfen ansonsten auszugrenzen bemüht ist, um nicht ihres eigenen Geltungsanspruchs verlustig zu gehen. Die Sinnsetzungen und Normen der symbolischen Ordnung können in der literarischen Imagination, verstanden als »textuelle[r] Welt zweiter Ordnung« 149 , nicht nur - wie es die Theorie sujethaltigen Erzählens nach l otman vorsieht -, spielend übertreten, sondern probehalber sogar gänzlich aufgelöst und durch neue, eigengesetzliche Sinnbezüge substituiert werden. 150 Hier wird die nicht-zweiwertige und widerspruchstolerante Logik des Mythos zentral: Denn wenn die primäre weltmodellierende Funktion des Mythos verlorengeht, wird sein Sinnbildungspotential frei, um das in der symbolischen Ordnung noch Unbewältigte und vielleicht Unbewältigbare zwar nicht ›rational‹ aufzuarbeiten, aber doch immerhin in eine narrative Gestalt zu bringen und insofern zumindest kommunikativ handhabbar zu machen. Eine solche Sichtweise klammert gewissermaßen die von Florian K Ragl aufgeworfene Frage ein, ob in den alteritären Erzählweisen vormoderner Texte auch alteritäre Denkweisen greifbar werden. 151 Denn sie bestreitet nicht grundsätzlich einen Zusammenhang zwischen Kognition und Narration - es gibt keine Erzählung, die nicht zuvor von irgendjemandem ›erdacht‹ worden wäre -, doch geht sie gleichsam von der ›bereichsspezifischen‹ Gültigkeit bestimmter Denkmuster aus. Aus diesem Grund werde ich im Folgenden den implikationsreichen Begriff des ›mythischen Denkens‹ so weit als möglich vermeiden und stattdessen den neutraleren Ausdruck der ›mythischen Strukturlogik‹ wählen. Denn damit ist zwar ebenfalls auf das den beobachtbaren Erzählstrukturen vorausgehende abstrakte System logischer Verknüpfungen abgehoben, doch eben nur insoweit - und nur insoweit soll es hier interessieren -, als dieses auch aus den konkreten, uns vorliegenden Erzählungen zu rekonstruieren ist. Die heikle Frage, ob und inwieweit die beschriebenen Denkmuster im Mittelalter daneben auch in anderen Lebensbereichen eine Rolle spielten, scheint mir in diesem Zusammenhang vernachlässigbar. Was aber sind nun die für die höfische Kultur um 1200 relevanten Sachverhalte, die in der literarischen Imagination thematisch werden und die in der spezifischen Strukturlogik des Mythos die ihnen adäquate Reflexionsform finden? Ansetzen lässt sich hier bereits auf der begrifflichen Ebene. Denn schon der Versuch, zu bestimmen, was eigentlich ›höfisch‹ bedeutet, scheint mit nicht wenigen Schwierigkeiten verbunden. 149 K ellneR , Kodierung, S. 78. 150 Die Rezentrierung des in der symbolischen Ordnung Marginalisierten sowie deren virtuelle Liquidierung rücken die ästhetische Mythosrezeption funktional in die Nähe des Grotesken, dem das Mythische schon aufgrund einer gewissen ›Strukturanalogie‹ nahestehe, wie Peter F uSS , Groteske, S. 427-446, argumentiert (wobei für F uSS das Groteske keine neuzeitliche ›Erfindung‹, sondern vielmehr ein überzeitliches Strukturphänomen mit kulturellem Leistungswert, eben als ›Medium des kulturellen Wandels‹ - so der Untertitel seiner Arbeit -, darstellt). Gleichwohl lassen sich mittelalterliche Erzählungen nicht als ›Grotesken‹ im eigentlichen Sinn bezeichnen, da selbst die riskantesten ihrer literarischen Entwürfe in aller Regel auf eine Harmonisierung mit der geltenden sozialen und kulturellen Ordnung abzielen ( Jan-Dirk m ülleR prägt hierfür den Begriff des ›höfischen Kompromisses‹, vgl. ders., Kompromisse, S. 1 f., passim). In diesem Sinn kann also allenfalls von ›grotesken‹ Zügen in der mittelalterlichen Epik gesprochen werden. 151 Vgl. Kapitel 1.2. 1.3 Mythos und mittelalterliche Literatur 37 Es ist bezeichnend, dass der Terminus ›höfisch‹ in der kulturwissenschaftlichen Forschung zwar allerorts begegnet, doch kaum je expliziert wird. Das Problem liegt nicht allein in der doppelten Referenz des Begriffes, der einerseits den soziokulturellen Kontext bezeichnet, aus dem die entsprechenden Texte hervorgegangen und in welchem sie rezipiert worden sind, andererseits aber eine semantische Größe, die innerhalb der textuellen Weltentwürfe noch einmal vorkommt: Das ließe sich immerhin mit der systemtheoretischen Denkfigur des re-entry , des Wiedereintritts der Unterscheidung in das Unterschiedene, als dessen Medium die Literatur fungiert, theoretisch fassen. 152 Schwieriger noch ist der Umstand, dass sich die einzelnen Konfigurationen dessen, was man als ›höfisch‹ bezeichnet hat und was die Texte auch expressis verbis ›höfisch‹ nennen, als äußerst heterogene Phänomene präsentieren. 153 Das sei im Folgenden kurz erläutert. Höfische Kultur ist gekennzeichnet durch Exklusivität, und zwar in ihrer materiellen wie in ihrer ideellen Dimension. Affektkontrolle und ritterliches Ethos zielen ebenso darauf, die moralische und kulturelle Überlegenheit der feudalen Oberschicht zu demonstrieren, wie repräsentative Prachtentfaltung und die Verfeinerung von Sprache und Umgangsformen. Das Höfische konstituiert sich selbst durch die Setzung einer Differenz, indem es alles, was störend wirkt am idealen Entwurf, auszuschließen sucht und dabei, im Akt des Ausschließens, seinen eigenen Gegenpol konstruiert. Erst vor der Folie seiner Negation, von der es sich abhebt und gegenüber der es seine Geltung stets aufs Neue zu behaupten hat, gewinnt das Höfische Kontur. 154 Gleichzeitig aber schließen die Selbstentwürfe höfischer Kultur ihre (vermeintlichen) Negativkorrelate in paradoxer Weise immer wieder in sich ein. Einerseits weiß sich die höfische Kultur einem christlichen Gesellschaftsideal verpflichtet, das Gewalt allenfalls als Mittel der Friedenssicherung duldet, andererseits hat sie die Wertvorstellungen der feudalen Kriegergesellschaft, aus der sie erwachsen ist, nie völlig aufgegeben. Einerseits propagiert sie in ihren utopischen Weltmodellen die Vorstellung einer »Balance aller Kräfte« 155 , andererseits wird in ihr ein schier unbändiges Verlangen nach allem Superlativischen und Exorbitanten erkennbar, das jeder Kompromissbildung trotzt (stehts geht es um den ›Besten‹ und die ›Schönste‹). Vor diesem Hintergrund scheint es fast so, als ob die Verlegenheit der kulturwissenschaftlichen Mediävistik um eine eindeutige Begriffsbestimmung auf die Verlegenheit der ›höfischen‹ Kultur selbst verweist, die in immer neuen Anläufen dazu ansetzt, ja, dazu ansetzen muss, sich ihrer eigenen Identität zu vergewissern. Die Frage, was eigentlich das ›Höfische‹ ausmacht, treibt insofern nicht erst die moderne Forschung um, sondern offenbar auch schon die mittelalterlichen Autoren. 152 Vgl. l uhmann , Dekonstruktion, S. 277. 153 So kennt das ›Höfische‹ bezeichnenderweise weder auf der Gegenstandsebene noch auf der Ebene des wissenschaftlichen Meta-Diskurses nur einen einzigen systematischen Gegenbegriff, sondern derer viele. Je nachdem, welcher Gegenbegriff im konkreten Fall fokussiert wird, erscheint dasjenige, was gerade noch selbst Gegenbegriff war, nun als das eigentliche Distinktionsmerkmal, das das Höfische von seinem - nun wieder anders besetzten - gegenhöfischen Widerpart abhebt. So sind es einmal die Minne bzw. der ›Eros‹, die als das ›Andere‹ des Höfischen gedacht werden (vgl. etwa h aug , Lesen, S. 306), dann aber wiederum das Christlich-Religiöse, und die »Zeichen der Minne« dienen nun zugleich auch als Zeichen des Höfischen (vgl. B ulang , Alischanz II, hier S. 105), während das Christlich- Religiöse seinerseits geradezu zum Signum des Höfischen wird, sobald man das Nicht-Höfische als Nicht-Christliches modelliert (vgl. S chulz , Gegenwelt) usw. Statt eindeutiger Definitionen finden wir allenthalben nur ›gleitende‹ Dichotomisierungen. 154 Vgl. W enzel , Ze hove , S. 277; Q uaSt , Repräsentation, S. 113. 155 h aug , Lesen, S. 304. 38 1 Einleitung Sie markiert gewissermaßen das Grundproblem, an der sich die ›höfische‹ Dichtung stets aufs Neue abarbeitet. Das Höfische erscheint in diesem Sinne in der kulturellen Selbstbeobachtung der Zeit um 1200 als nicht mit sich selbst identische Größe. Von hier aus erklärt sich die strukturelle Affinität von Mythischem und Höfischem. Während die meisten Studien zur Mythizität mittelalterlicher Literatur Mythisches und Höfisches eher als dichotomes Begriffspaar behandeln 156 (und damit den vielfältigen Gegenbegriffen des Höfischen noch einen weiteren hinzufügen), scheint es mir gerade auf diese strukturelle Nähe anzukommen. Es wird also danach zu fragen sein, wie die Texte jeweils ›mit dem Mythos arbeiten‹, um eben dieses - hier nur in aller Knappheit skizzierte - Problem immer wieder neu zu entfalten. 1.4 Raum in Bewegung: Überlegungen zum Vorgehen 1.4.1 ›Raum‹ und ›Diskurs‹ Zu diesem Zweck ist es unerlässlich, narratologische und kultursemiotische Perspektivierungen miteinander zu verbinden. Einerseits geht es um die Analyse der in den Texten beobachtbare Strukturmuster, andererseits sind diese narrativen Muster immer wieder auch auf den kulturellen Sinnhorizont ihrer Zeit zu beziehen, auf die Wissensordnungen und Diskurse, in die sie eingebettet sind und mit denen sie interagieren. Denn nur, indem man den historischen und kulturellen Rahmen mitberücksichtigt, innerhalb dessen sich das pragmatische Dreieck zwischen Autor, Text und Rezipient aufspannt, lassen sich die Sinnpotentiale eines Textes auch nur annähernd rekonstruieren. 157 Das macht einige Bemerkungen zum Diskurs-Begriff erforderlich, der doch in der gegenwärtigen Diskussion so inflationär in Gebrauch ist, dass er jede Aussagekraft zu verlieren droht. Mir kommt es auf einen bestimmten Aspekt des Begriffes an, der einerseits dessen große Flexibilität und vielfältige Anwendbarkeit (und insofern vielleicht auch seine Beliebigkeit) ausmacht, andererseits aber auch bei einem methodischen Problem Rat verspricht, mit dem sich jede kulturwissenschaftlich orientierte Literaturwissenschaft auseinandersetzen muss: dass nämlich als Bezugshorizont der Texte zwar stets (auch) deren kultureller Kontext anzusetzen ist, dass dieser Kontext selbst jedoch nur aus - oft ebenfalls literarischen - textuellen Zeugnissen überhaupt erschließbar ist. Insofern läuft jede Text-Kontext- Modellierung Gefahr, zirkelschlüssig zu werden. 158 So stellt Jan-Dirk m ülleR an den Anfang seiner Studien zum Verhältnis von gesellschaftlichem ›Imaginären‹ und literarischer Imagination die Frage, »wie es […] kommt, daß bestimmte Motive, Themen, Erzählmuster nur eine Zeit lang literarisch produktiv sind und dann weitgehend aus dem Spektrum der Literatur (oft auch allgemeiner aus der öffentlichen Diskussion) verschwinden« 159 . m ülleR s eigene Antwort, die er im Folgenden entwickelt: Auch das einem Erzählmuster zugrun- 156 Vgl. etwa F RiedRich / Q uaSt , Mythosforschung, S. XXXIV; h ammeR , Tradierung, S. 19 passim; h oFFmann , Arbeit, S. 115 passim (vgl. hierzu auch P oSeR , Arbeit, S. 129 f.). 157 Vgl. etwa e co , Grenzen, S. 32, 48, 148 f. 158 Auch h aSeBRinK , [Rez.] Kompromisse, S. 146, spricht das Problem an: »[D]ie Frage, wie interpretatorisch erschlossene ›Erzählkerne‹ zugleich für allgemeine kulturelle Phänomene paradigmatisch sein können, lässt sich meines Erachtens mit Rückgriff auf fiktionale Literatur allein nicht lösen.« 159 m ülleR , Ordnungen, S. 44 f. Das von m ülleR in diesem Beitrag skizzierte Vorschungsvorhaben hat er später dann in Form von m ülleR , Kompromisse, eingelöst. 1.4 Raum in Bewegung: Überlegungen zum Vorgehen 39 deliegende kulturelle Muster verliert irgendwann seine Signifikanz, so dass das narrative Muster ins Triviale abgleitet und zuletzt gänzlich aus dem imaginären Haushalt der Kultur verschwindet. So überzeugend die These ist, methodisch kontrolliert absichern lässt sie sich nur schwer. Denn mit gleichem Recht könnten kritische Stimmen dagegenhalten, bestimmte Erzählmuster geraten möglicherweise nur deshalb ›außer Mode‹, weil an einem bestimmten Punkt schlicht alle Variationsmöglichkeiten desselben Musters durchgespielt sind und sein narratives Potential sich damit erschöpft. Den von m ülleR postulierten Zusammenhang von Kultur- und Erzählmuster bräuchte man dazu gar nicht erst zu unterstellen. Obwohl m ülleR betont, dass sein Ansatz nicht an ›traditionelle‹ Gattungsgrenzen gebunden ist, diskutiert er, »der Vergleichbarkeit der Ergebnisse zuliebe«, in seinen Untersuchungen eben doch »hauptsächlich (nicht ausschließlich! ) Beispiele aus dem ›höfischen‹ Roman‹« 160 , um diese gelegentlich mit ähnlich gelagerten Fällen aus Legende und Heldenepik (aber eben immer: aus erzählender Literatur) zu konfrontieren. Hier geht der Diskursbegriff noch deutlich weiter, steht er doch ›quer‹ zu jeder literarischen Taxonomie. So wie einzelne Gattungen die »Themen und Probleme verschiedener Diskurse aufgreifen und verknüpfen«, aber auch «die Rederregeln, die für unterschiedliche Diskurse charakteristisch sind, aufnehmen, miteinander kombinieren und gegeneinander ausspielen können«, so kann sich vice versa auch ein und derselbe »Diskurs verschiedener Gattungen bedienen« 161 , so dass sich einzelne Diskursstränge oft durch die unterschiedlichsten Gattungen und Textsorten hindurch verfolgen lassen. So abgenutzt der Diskursbegriff scheint, er bietet doch den Vorzug, dass er auch ungleichartige Texte in einen übergreifenden Zusammenhang zu stellen erlaubt. Und gerade dann, wenn bestimmte ›Themen und Probleme‹ innerhab eines gemeinsamen kulturellen Rahmens über die Grenzen unterschiedlichster Textsorten hinweg rekurrieren, wird es unwahrscheinlich, dass diese allein von literarischer Signifikanz sind und ansonsten in keinem Verhältnis zu symbolischen Ordnung der jeweiligen kulturellen Formation stehen (jedenfalls scheint mir die Beweislast dann bei den Kritikern zu liegen, die einen solchen Zusammenhang bestreiten). Zwar werden auch bei mir ›höfische‹ Erzähltexte im Zentrum stehen, doch werde ich aus diesem Grund immer wieder auch andere - lyrische und narrative, geistliche und weltliche, literarische und diskursive - Texte heranziehen, um vor ihrem Hintergrund bestimmte Sinnbildungsmuster des jeweils im Fokus stehenden Textes herausarbeiten zu können. In diesem Sinn ist es zu verstehen, wenn im Folgenden von ›Diskursen‹ die Rede ist. Ansetzen könnte ein solcher Zugriff im Prinzip auf allen Ebenen der Erzählung, doch scheint sich die Kategorie des Raumes in besonderem Maße dazu anzubieten, und zwar nicht allein deshalb, weil ihr auch die unterschiedlichen mythostheoretischen Konzeptionen ein besonderes Gewicht beimessen. 162 Entscheidender ist noch, dass in einem allgemeineren Sinne »zu jedem kulturellen Selbstversicherungsprozeß […] die sinnstiftende Organisation 160 m ülleR , Kompromisse, S. 36. 161 n ünning , Metafiktion, S. 79 f. n ünning schließt dabei einerseits an den Diskursbegriff Michel F oucault s und andererseits an die Definition Michael t itzmann s, der damit »ein S yste m d e s D e nke n s und Argum e ntiere n s , das von einer Textmenge abstrahiert ist« (ders., Grundbegriffe, S. 51), meint, welches durch drei Merkmale charakterisiert sei: »erstens durch einen R e d e g e g e n stand , zweitens durch R e gularitäte n d er R e d e, drittens druch interdiskursive R elation e n zu anderen Diskursen« (ders., Literaturgeschichte, S. 406; Hervorhebungen jeweils im Original). 162 Dass die Texte dabei in ihrer räumlichen Organisation dennoch anders verfahren, als es etwa die Mythostheorie Ernst c aSSiReR s vorsieht, habe ich eingangs, Kapitel 1.1, bereits angedeutet. 40 1 Einleitung der räumlichen Umwelt« 163 gehört, wie der spatial turn in den Geistes- und Kulturwissenschaften nachdrücklich gezeig hat. ›Raum‹ lässt sich dabei mit Alexander D. a lexandRov als »die Gesamtheit homogener Objekte (Erscheinungen, Zustände, Funktionen, Figuren, Werte von Variablen u. dgl.)« beschreiben, »zwischen denen Relationen bestehen, die den gewöhnlichen räumlichen Relationen gleichen. (Ununterbrochenheit, Abstand u. dg.). Wenn man eine gegebene Gesamtheit von Objekten als Raum betrachtet, abstrahiert man dabei von allen Eigenschaften dieser Objekte mit Ausnahme derjenigen, die durch die gedachten raumähnlichen Relationen definiert sind.« 164 Eine so gewendete Konzeption von ›Raum‹ ermöglicht Jurij l otman zufolge die »Darstellung von Begriffen, die an sich nicht räumlicher Natur sind, in räumlichen Modellen« 165 . l otman selbst liefert sogleich eine ganze Reihe von Beispielen: »Bereits auf der Ebene der supratextuellen, rein ideologischen Modellbildungen erweist sich die Sprache räumlicher Relationen als eines der grundlegenden Mittel zur Deutung der Wirklichkeit. Die Begriffe ›hoch - niedrig‹, ›rechts - links‹, ›nah - fern‹, ›offen - geschlossen‹, ›abgegrenzt - nicht abgegrenzt‹, ›diskret - unterbrochen‹ erweisen sich als Material zum Aufbau von Kulturmodellen mit keineswegs räumlichen Inhalt und erhalten die Bedeutung: ›wertvoll - wertlos‹, ›gut - schlecht‹, ›eigen - fremd‹, ›zugänglich - unzugänglich‹, ›sterblich - unsterblich‹ u. dgl. Die allerallgemeinsten sozialen, religiösen, politischen, ethischen Modelle der Welt, mit deren Hilfe der Mensch auf verschiedenen Etappen seiner Geistesgeschichte den Sinn des ihn umgebenden Lebens deutet, stets mit räumlichen Charakteristiken ausgestattet Vorstellungen von ›hohen, erhabenen = erhobenen‹ und ›niederen, erniedrigenden‹ Gedanken, Beschäftigungen, Berufen; die Identifikation des ›Nahen‹ mit dem Verständlichen, Eigenen, Vertrauten, und des ›Fernen‹ mit dem Unverständlichen, Fremden - alls das fügt sich zusammen zu Weltmodellen, die deutlich mit räumlichen Merkmalen ausgestattet sind.« Dieses abstrakte Verständnis von ›Raum‹, das topologische Ordnung mit kulturellen Axiologien verknüpft, korreliert mit Andreas R amin s Unterscheidung eines »real existierenden Raum[es] von einem kognitiven Raum«, der sich »aus einem symbolischen Text zusammensetzt, der der Identitätsbildung, der Identitätssicherung und der Abgrenzung gegenüber anderen dient« 166 . Der ›kognitive Raum‹ im Sinne R amin s ist eine mentale, teils individuelle und bloß subjektive, teils überindividuelle und intersubjektive (doch niemals völlig objektive) Repräsentation des ›realen‹ (= physischen) Raumes, welche sich mit bestimmten kulturell und historisch variablen Wert- und Ordnungsvorstellungen verbindet. Medium dieser so verstandenen ›symbolischen Raumorientierung‹ ist die Literatur. Die symbolische Ordnung einer Kultur manifestiert und konkretisiert sich demnach in der literarischen Imagination nicht zuletzt als räumliche Ordnung, so dass sich R amin zufolge aus den literarischen Konfigurationen des Raumes auch die jeweils dahinterstehenden »gesellschaftliche[n] Leitorientierungen« 167 ablesen lassen. Als Beispiel eines solchen »Modell[s] räumlicher und kultureller Ordnung« nennt er die »identitätsstiftende Unterscheidung in höfischen Eigen- und wilden (Natur-)Fremdraum« im Hochmittelalter: »Der höfischen 163 R amin , Symbolische Raumorientierung, S. 1. 164 Zitiert nach l otman , Struktur, S. 312, mit Fn. 4. 165 l otman , Struktur, S. 313 (dort auch das folgende Zitat). 166 R amin , Symbolische Raumorientierung, S. 1. 167 R amin , Symbolische Raumorientierung, S. 4. 1.4 Raum in Bewegung: Überlegungen zum Vorgehen 41 Burg als räumlichem und kulturellem Zentrum« stehe demnach »der um die höfische Kulturlandschaft gelegene Raum des Waldes gegenüber« 168 . Der literarische Raum steht zwar in Relation zum ›realen‹ Raum, genauer: kann Elemente des ›realen‹ Raumes in sich aufnehmen (hier etwa ›Burg‹ und ›Wald‹ als empirisch erfahrbare Größen der außerliterarischen Wirklichkeit), doch sind diese dann immer schon kulturell überformt und gedeutet (die Burg als ›höfischer‹ ›Eigen-‹, der Wald als ›wilder‹ ›Fremd-‹Raum usw.). In diesem Sinne sind literarische Räume immer auch ›Wissensräume‹ 169 , und die räumliche Ordnung eines Textes gibt nicht nur das Setting für die Handlung ab, sondern wird selbst als textartig strukturiertes ›Symbolsystem‹ lesbar. 170 Auf diese Interrelation von textuell verfassten, sich als räumliche Ordnung manifestierenden Symbolsystemen und übergeordneten kulturellen Symbolsystemen, die jeweils im Begriff des ›Diskurses‹ miteinander verschränkt sind, kommt es mir an. Dabei ist freilich der Raumbegriff im Anschluss an l otman und R amin in zwei Punkten zu modifizieren, die sich im Grunde schon aus dem ergeben, was im Vorangegangen bereits gesagt wurde: Erstens ist davon auszugehen, dass weder für die Beschreibung der narrativen Strukturmuster noch der in ihnen sich artikulierenden symbolischen Ordnungen zweiwertige Modelle, wie sowohl l otman als auch R amin sie verwenden, hinreichen. Zwar gehe auch ich davon aus, dass binäre Leitunterscheidungen nach dem Muster ›höfisch‹ - ›unhöfisch‹ grundlegend sind für die Organisation narrativer Texte, doch hat das Beispiel Brandigan (das im Folgenden noch genauer zu besprechen sein wird) bereits angedeutet, dass es offenbar räumliche Einheiten gibt, die sich einer solchen Dichotomisierung entziehen, die vielmehr in einem nicht-identitätslogischen - ›mythischen‹ - Sinne an beiden Seiten der Unterscheidung zugleich partizipieren: an ›Raum‹ und ›Gegenraum‹ oder - konkreter gesprochen - am ›Höfischen‹ wie am ›Nicht-‹, ›Un-‹ und ›Außerhöfischen‹ 171 . An diesen 168 R amin , Symbolische Raumorientierung, S. 3 f.; vgl. zu dieser Leitdifferenz ›höfischer‹ Raumorientierung auch W enzel , Ze hove , S 279, der aufzeigt, wie Thomasins von Zerklære Doppelformel » ze hove - ze holze die höfische Sphäre und die nichthöfische Welt zusammen[fasst], um sie gleichzeitig mit aller Entschiedenheit auseinanderzuhalten. Ze hov e steht als Abbreviatur für die vorbildliche, die erstrebenswerte Welt, die korrespondiert mit der Bestimmung des Adels, wie sie von Gott entworfen wurde, ze holze für den Bereich des Negativen, Kreatürlichen, um dessen Ausgrenzung und Überwindung der Adel sich bemühen muß, wenn er seinen Vorrang bestätigt wissen will. Das holz , wie Thomasin es hier versteht, ist dementsprechend auch nicht bloße Wildnis, sondern unhöfische, resp. bäuerlich belebte Wildnis.« 169 Vgl. etwa W olF , Räume des Wissens. ›Wissen‹ meint in diesem Zusammenhang keine Größe, »an der die Gültigkeit von Aussagen oder Urteilen zu messen wäre«; als ›Wissen‹, wird vielmehr - im Einklang mit der Diskurstheorie Michel F oucault s - das verstanden, »was sich in einer regelmäßigen diskursiven Praxis herausgebildet hat: ein (historisierbares) Korpus von ›Aussagen‹, die einem bewährten (aber nicht zwangsläufig wissenschaftlichen) Verfahren der Wahrheitsproduktion unterstehen […]. ›Wissen‹ ist dann als eine elementare Ressource zur Produktion von Kulturen und Gesellschaften zu begreifen, die von habituellen Gewissheiten bis zu institutionellen Wissenschaften, von in Praktiken sedimentierten Fähigkeiten bis zu streng begründeten, formalisierten oder selbstreflexiven Kenntnissen reicht. Derartige Kenntnisse können nicht nur vielfältige Wirklichkeitsbezüge implizieren und ebenso gut realistisch wie auch hypothetisch oder fiktiv formuliert sein« (ebd., S. 115 f.). 170 Vgl. R amin , Symbolische Raumorientierung, S. 1 f. 171 Die Begriffe ›nicht-‹, ›un-‹ und ›außerhöfisch‹ werde ich im Folgenden weitgehend synonym verwenden, doch akzentuieren sie jeweils unterschiedliche Aspekte desselben Sachverhalts: Das ›Nicht- Höfische‹ bezeichnet rein formal das Negativkorrelat des Höfischen (ohne jede Aussage darüber, wie dieses Negativkorrelat semantisch zu füllen sei), vom ›Unhöfischen‹ soll die Rede sein, wenn sich damit auch eine bestimmte Axiologie verbindet (so wie etwa ›unmenschlich‹ eine andere Wertung impliziert als das neutralere ›nicht-menschlich‹), vom ›Außerhöfischen‹ dagegen immer dann, wenn 42 1 Einleitung Punkten hat die Untersuchung anzusetzen, da hier das Potential literarischen Erzählens als Reflexionsmedium der ›ungelösten Probleme‹ einer kulturellen Formation besonders virulent wird. Die Vorgaben des ›klassischen‹ Strukturalismus sind demnach um solche aus den formalen Konzeptionen des Mythischen zu ergänzen. Der zweite Punkt betrifft das Verhältnis von literarischem Raum und außerliterarischer Wirklichkeit; insofern damit die symbolische Ordnung des jeweiligen kulturellen Kontexts mitgemeint ist, greifen die Punkte eins und zwei ineinander. R amin zufolge ›reagieren‹ symbolische Raumordnungen immer auf vorgängige kulturelle Prozesse (etwa auf den Zerfall der Sowjetunion in Osteuropa) 172 , wie auch der kognitive Raum stets als nachträgliches ›Abbild‹ des realen Raumes gedacht ist. 173 Doch wie auch der Diskurs nichts ist, was den Texten logisch vorausginge, sondern sich immer erst in den Texten und als Texte realisiert, so ist auch mit einer steten Wechselwirkung zwischen literarischer und kultureller symbolischer Ordnung zu rechnen. 174 Textuelle Weltmodellierungen ahmen die außerliterarische Realität nicht bloß nach, sondern können - ganz im Sinne Oscar Wildes - diese auch antizipieren, indem sie »aus Elementen der bekannten Welt eine Alternative zu dem dem, was als ›wirklich‹ gilt, entwerfen« 175 . Für die Frage nach literarischen Raumimaginationen bedeutet das, dass auch hier nicht mit einer vorgefundenen und statischen Raumordnung zu rechnen ist, sondern dass die Texte die Spielräume literarischen Fingierens möglicherweise gerade dazu nutzen, räumlich-kulturelle Konstellationen allererst zu entwerfen oder auch zu verwerfen, im Modus des ›Als-ob‹ topographische und ideelle Grenzen nicht nur zu übertreten, sondern die Grenzen selbst zu verschieben oder gar auszulöschen und durch völlig neue, eigengesetzliche Grenzziehungen zu substituieren. Gerade hier können aber auch die oben beschriebenen mythischen Strukturlogiken zum Tragen kommen, indem beispielsweise zunächst als gegensätzlich eingeführte Raumsemantiken konkreszierend aneinandergerückt werden, was dann mit der Entdifferenzierung der zuvor gesetzten räumlichen Ordnung einhergeht. Das setzt eine viel dynamischere Vorstellung von narrativem Raum voraus, als es die Theorie sujethaften Erzählens im Sinne l otman s vorsieht. 176 Nicht die Zuordnung von Figuren zu einzelnen, in spezifischer Weise semantisierten Teilräumen steht zur Disposition, diese Unterscheidung zugleich eine räumliche Vorstellung evoziert resp. sich in den Texten als narrative Ordnung des Raumes manifestiert. 172 R amin , Symbolische Raumorientierung, S 2 f. 173 Vgl. R amin , Symbolische Raumorientierung, S. 13: »Räumliches Orientieren als Vorgang der kognitiven Kartographie, wie es hier dargestellt worden ist, bildet den realen Raum als kognitiven Raum ab.« 174 So zeigt etwa Peter F uSS für die groteske Literatur, wie die »virtuelle Anamorphose symbolisch kultureller Ordnungsstrukturen […] die Möglichkeit ihrer realen Transformation« eröffne und so «die Kulturformation in Gang« setze (ders., Groteske, S. 14 f.); insofern sei das Groteske »Medium des historischen Wandels und des Epochenwechsels« (ebd., S. 12). 175 m ülleR , Kompromisse, S, 38. 176 Für ein solches dynamisches Verständnis von Raum plädiert auch Julia R ichteR , Spiegelungen, S. 36, die bemerkt, dass nicht nur bestimmte Figuren »sich im Textraum frei bewegen können«, sondern auch Orte. Als Beispiele aus Wolframs ›Parzival‹, der im Mittelpunkt ihrer Untersuchung steht, nennt R ichteR den mobilen Artushof sowie die Gralsburg, die ebenfalls nicht »statisch fixiert zu sein« scheint, »zumal sie nur der finden kann, der nicht nach ihr sucht«. Schastel marveile schließlich bewege sich »zwar nicht im Raum, aber dafür bewegen sich die Dinge innerhalb des Schlosses: Zentral für die Erlösung der Schlossbewohner« sei entsprechend auch, »dass Gawan die âventiure des Lit marveile, eines im Raum wild umherfahrenden Bettes« bestehe (ebd., S. 37). 1.4 Raum in Bewegung: Überlegungen zum Vorgehen 43 sondern vielmehr das geordnete Verhältnis dieser Teilräume selbst. 177 Nicht so sehr auf die Bewegung der Figuren im Raum ist zu achten 178 , als vielmehr auf die Bewegung des Raumes als solchem. Wenn man daran gleichwohl das polare Schema von Ordnungsstörung und -restitution anlegen möchte, dann wäre die Ordnungsstörung nicht mehr als Transgression einer normativen Grenze zu modellieren, sondern als deren Auflösung, die Restitution der Ordnung nicht mehr als Rückkehr der zentralen Figur in den Ursprungsraum, sondern als Wiedereinsetzen der Grenze. Die auf Dauer gestellte Etablierung einer identitätskonstituierenden Grenzziehung zum ›Anderen‹ bedeutet zugleich die Bannung des mythischentdifferenzierenden Potentials, das jedoch in der ambivalenten Struktur des Höfischen selbst schon angelegt ist. Dabei handelt es sich um eine kulturstiftende Leistung, die in den literarischen Imaginationen um 1200 allerdings nicht vorausgesetzt wird, sondern erst erbracht werden muss. Ob und wie das in den einzelnen Texten jeweils geschieht, ist Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. 1.4.2 Zur Textauswahl Im Zentrum stehen zwei höfische Erzähltexte, genauer: zwei Artusromane, von denen einer mindestens, der ›Erec‹ Hartmanns zu Aue (vgl. Kapitel 2), ohne Zweifel zu den meistbeachteten Texten des deutschsprachigen Mittelalterts überhaupt gehört. Für das hier skizzierte Vorhaben bietet er sich - trotz aller bisherigen Verdienste, die die Forschung um den Text schon erbracht hat - vor allem deshalb an, weil er zugleich den Beginn der deutschen Artustradition markiert. »Literarische Texte stehen« immer, wie Jan-Dirk m ülleR bemerkt, »in einem doppelten Bezug, einmal auf die literarische Gattung, der sie angehören, zum anderen auf die Alltagswelt, in der sie wirken sollen« 179 . Für die hier avisierte Frage nach 177 Auch die Erzähltheorie l otman s kennt die Vorstellung eines »Einbruch[s] des äußeren Raumes, bei dem die Grenze des inneren zerstört wird« (ders., Metasprache, S. 359); l otman fasst dies mit dem Begriff »nichtsujethafte Kollision« (Übersetzung nach W aRning , Norm und Transgression, S. 184). Umso erstaunlicher ist es, dass sich die Rezeption l otman s - insbesondere in Bezug auf den Artusroman - fast ausschließlich auf den Aspekt der Grenzüberschreitung, auf Formen sujethaften Erzählens also fokussiert. 178 Auf diesen Aspekt kommt es etwa S tocK , Kombinationssinn, besonders an: »Die Bewegung des Protagonisten kann als zentrales Steuerungselement bei der Strukturierung der epischen Texte begriffen werden. Daher wird dem durch Bewegung geschaffenen Raum, seiner Semantisierung und seinem Bezug zu thematischen Schwerpunkten der Protagonistenromane in der vorliegenden Untersuchung große Bedeutung zugemessen. Relevant scheint in den behandelten Texten zum großen Teil nur der Raum zu sein, der den Protagonisten umgibt. Das wäre nun nicht unbedingt ein Spezifikum der hier untersuchten Texte, sondern ist wohl allgemein für epische Texte zu vermerken« (ebd., S. 30). Allerdings gibt es immer wieder auch Raumbeschreibungen, die nicht an die Perspektive des Protagonisten (sondern an diejenige anderer Figuren oder auch an die auktoriale Perspektive des Erzählers) gekoppelt sind und die deshalb nicht weniger zentral für den Bedeutungsaufbau des Textes sind (S tocK , ebd., Fn. 109, weist ebenfalls darauf hin). Aus diesem Grund ist bei der Analyse also immer auch auf die jeweilige Fokalisierung zu achten. Auch g laSeR , Held, betont den Zusammenhang von Figuren- und Raumkonzeption, und zwar schon im Titel ihrer Arbeit: »Der Held und sein Raum. Die Konstruktion der erzählten Welt im mittelhochdeutschen Artusroman des 12. und 13. Jahrhunderts.« Zwar wird es auch mir auf das Verhältnis von Raum und Figur ankommen, doch muss es sich dabei 1.) nicht auch unbedingt um den Protagonisten handeln, und 2.) muss sich dieses Verhältnis nicht notwendig über die Kategorie der Figurenbewegung bestimmen lassen (vgl. etwa Kapitel 2.2.5). 179 m ülleR , Kompromisse, S. 35. Da freilich auch Hartmanns ›Erec‹ nicht am Nullpunkt der schriftliterarischen Artustradition steht, werde ich dort, wo es sich anbietet, immer wieder auch dessen franzözische Vorlage zum Vergleich heranziehen. 44 1 Einleitung historischen Text-Kontext-Beziehungen ist es daher naheliegend, tendenziell ›frühe‹ Texte zu behandeln, denn umso weiter sich die »literarische Reihe in […] Distanz zu den zeitgenössischen kulturellen Vorgaben« begibt, umso mehr tritt der Kontextbezug gegenüber dem Gattungsbezug, das Durchspielen von »in einer historischen Kultur gegebenen Problemvorgaben« 180 gegenüber der Variation von Gattungsmustern in den Hintergrund. Darüber hinaus stellt das Modell auch Antworten zu noch weitgehend ungelösten Problemen der ›Erec‹-Forschung in Aussicht, wie etwa die in der Forschung eher stiefmütterlich behandelte Frage nach den Gründen der Freudlosigkeit am Hofe Königs Ivreins (vgl. hierzu Kapitel 2.1). Der zweite Text hat erst in den letzten Jahren zunehmend Beachtung gefunden, seit er durch Florian K Ragl s Edition (La, La 1 ) auch für ein breiteres Publikum erschlossen worden ist: Gemeint ist Ulrichs von Zatzikhoven ›Lanzelet‹ (vgl. Kapitel 3). Gattungsgeschichtlich befindet sich der Text »in einem merkwürdigen Zustand des ›Dazwischen‹« 181 - als »›verfrühte[r]‹ Spätling« 182 hat man ihn bezeichnet. Auffällig ist vor allem die motivische Nähe zum Artusroman Chrétien-Hartmannscher Prägung - auch und gerade, was den Bestand an Motiven mythischer Provenienz betrifft - bei gleichzeitig unverkennbarer konzeptioneller Distanz (beides scheint mir eher für eine Frühdatierung zu sprechen). Wenn man die beiden Texte aufeinander bezogen hat, dann vor allem unter dem Aspekt textgenetischer Abhängigkeitsverhältnisse. 183 Dagegen fehlen solche Untersuchungen weitgehend, die versuchen, die - zweifellos vorhandenen - intertextuellen Verweisstrukturen für die Textinterpretation fruchtbar zu machen. Hier lohnt es sich anzusetzen und das Augenmerk vor allem darauf zu richten, wie die Texte jeweils ›mit dem Mythos‹ arbeiten, um dasselbe historische Bezugsproblem - die Vereinbarkeit von Minne und höfischer Ordnung - doch jeweils unterschiedlich zu narrativieren. Angestrebt sind keine neuen Gesamtinterpretationen der beiden Texte. Vielmehr soll der Fokus auf zwei einzelnen Episoden liegen, bei denen nicht nur die angesprochenen intertextuellen Relationen besonders deutlich herovortreten, sondern die auch jeweils auf ihre Weise zentral sind für die Handlungs- und Sinnkonstitution ihres Textes: die Joie-dela-curt -Episode des ›Erec‹ einerseits, die ›Dodone‹-Episode des ›Lanzelet‹ andererseits. Die Entscheidung, sich solchermaßen zu beschränken, ermöglicht, den Ansatz bis auf die Ebene des Wortlauts und bis in einzelne Formulierungen hinein zu verfolgen, statt mit bloßen Handlungsabstraktionen zu operieren. Damit soll eine Gegenposition eingenommen werden insbesondere zur älteren Artusforschung, die im Anschluss an Hugo K uhn s wegweisendem ›Erec‹-Aufsatz 184 eben vor allem an den großen, handlungsübergreifenden Sinnzusammenhängen der Texte interessiert war. Gleichwohl werde auch ich versuchen, 180 m ülleR , Kompromisse, S. 37. m ülleR führt ebd., Fn. 103, das »Phantasma gefährlicher Brautwerbung« als Beispiel an: Dessen »spätmittelalterlichen Transformationen sind an der Problemhaltigkeit, die es für die frühmittelalterliche Gesellschaft hatte, offenbar nicht mehr interessiert und verändern deshalb seine tragenden Elemente«. Zwar stammt das Beispiel nicht aus dem engeren Umfeld der Artustradition, doch ließen sich auch hier Analoges zeiges; vgl. etwa das Komplexitätsgefälle zwischen dem Motiv des Identitätsverlustes des Helden im ›Iwein‹ und dessen Variation in Wirnts von Grafenberg ›Wigalois‹, auf das m ülleR an anderer Stelle aufmerksam macht (vgl. ebd., S. 238). 181 S chulz , Der neue Held, S. 423. 182 S chmidt , Frauenritter, S. 2. 183 Zu Fragen der Datierung und zur zeitlichen Relationierung der beiden Texte vgl. Kapitel 3.1.2. 184 Vgl. K uhn , Erec; zur Kritik der von K uhn angestoßenen, einseitigen Fokussierung auf das sog. arthurische ›Doppelwegschema‹ vgl. grundsätzlich S chmid , Doppelweg. 1.4 Raum in Bewegung: Überlegungen zum Vorgehen 45 die Detailbeobachtungen im Anschluss an die jeweiligen Analysen zu kontextualisieren, um so einen Ausblick zu geben, wie eine Gesamtdeutung von dieser Warte aus zumindest aussehen könnte (vgl. Kapitel 2.2.7 resp. 3.2.8). Der enge Vergleich von ›Erec‹ und ›Lanzelet‹ verspricht dabei, »die Besonderheit des einzelnen Werkes« ebenso hervortreten zu lassen wie dessen »kollektive[ ], nicht-individuellen Anteile« 185 , um so eine größere Einsicht sowohl in die Faktur der einzelnen Texte, aber auch in die Funktionsweise der Gattung ›Artusroman‹ als solche zu gewinnen. Der letzte Abschnitt des Buches wird die Ergebnisse bündeln (vgl. Kapitel 4.1), um den Blick dann mit dem ›Prosalancelot‹ zuletzt doch auch auf die spätere Artustradition zu richten und so die Fragestellung in die diachrone Perspektive zu öffnen (vgl. Kapitel 4.2). Der Text steht dabei in zweifacher Relation zu den beiden vorherigen Beispielen: Einerseits beruht er auf demselben Stoff wie Ulrichs ›Lanzelet‹, wenn auch in völlig eigenständiger Bearbeitung (eine textgenetische Verbindung zu Ulrichs Text bzw. zu dessen - verlorener - Vorlage ist nicht auszumachen; beide Texte repräsentieren unabhängige Traditionen der Lancelot-Sage); andererseits kann, wo Hartmanns ›Erec‹ den Anfang der deutschen Artusliteratur vertritt, der ›Prosalancelot‹ - genauer: dessen letzter Teil, ›Der Tod des Königs Artus‹ - symbolisch für deren Ende stehen, wird doch von nicht weniger als dem Untergang der gesamten arthurischen Welt berichtet. Freilich kann eine solche nur ausblickshafte Darstellung der Komplexität des Werkes nicht gerecht werden - hier heißt es, pragmatisch zu verfahren: Ich werde mich alleine auf den Schluss des Textes, den titelgebenden Tod König Artus’ und den anschließenden moniage der überlebenden Artusritter konzentrieren und versuchen, die Textbeobachtungen konsequent auf die Ergebnisse der vorangegangenen Studien zu beziehen. Die Frage lautet dann, wie der Text, der sich als »Endzeit-Summe arthurischen Erzählens« 186 versteht, dieses Ende gerade in Hinblick auf den skizzierten Zusammenhang von mythischer Strukturlogik, räumlicher Ordnung und höfischer Identität inszeniert. Zunächst folgen aber noch zwei weitere kurze Textanalysen, die zusammen mit den Überlegungen zum ›Prosalancelot‹ eine Art Rahmen um die beiden Großkapitel zu ›Erec‹ und ›Lanzelet‹ bilden. Sie dienen vor allem der methodischen Kontrolle und beziehen sich jeweils auf Texte, die nicht in das engere Umfeld der Artusdichtung gehören. Das erste Beispiel, das ›Nibelungenlied‹, soll den Ansatz für die Heldenepik erproben und veranschaulichen, dass der postulierte Zusammenhang von mythosanalogen Erzählweisen und kultureller Selbstreflexion nicht allein Sache der Artusdichtung ist (vgl. Kapitel 1.5). Die Beobachtungen werden auf die zahlreichen schon erbrachten Erkenntnisse der Forschung zurückgreifen können und versuchen, diese auf die skizzierte Fragestellung hin zu perspektivieren. Wenn sie dabei auch einen eigenen Beitrag zum Verständnis des Epos leisten, dann insofern sie einen Punkt aufzeigen, an dem vielleicht neue Überlegungen zum Verhältnis von Helden- und Artusepik ansetzen könnten. 187 Denn es scheint mir nach wie vor weitgehend ungeklärt, wie ein und dasselbe Publikum so gegensätzliche Texte wie den ›Erec‹ und das ‹Nibelungenlied‹ gleichermaßen goutieren konnte 188 - allenfalls als 185 m ülleR , Überlegungen, S. 8. 186 u nzeitig -h eRzog , Wirkungsäquivalenz, S. 149. 187 Der Vergleich macht es notwendig auf Ergebnisse vorzugreifen, die erst die spätere Argumentation entfalten wird; ich versuche dies durch entsprechende Querverweise transparent zu machen. 188 Dafür spricht etwa die Anspielung auf Rûmoldes rât in Wolframs von Eschenbach ›Parzival‹ (vgl. Pa 420,26-421,10), die - zusammen mit anderen intertextuellen Verweisen in Richtung der Artusromane 46 1 Einleitung »Kontrastmodell« 189 hat man diesen auf jenen zu beziehen vermocht. Hier eröffnet der vorliegende Ansatz eine neue Perspektive, stellt er doch immerhin so etwas wie den ›kleinsten gemeinsamen Nenner‹ beider Texte in Aussicht. Wo das Beispiel des ›Nibelungenliedes‹ dazu dienen soll, den Blick zu weiten, wähle ich den ›Herzog Ernst B‹, um gewissermaßen gegenzusteuern und zu zeigen, dass nicht alle Formen narrativer Ambivalenz auch als ›mythisch‹ zu bezeichnen sind (vgl. Kapitel 1.6). Wenn auch die Welt des ›Herzog Ernst B‹, mit ihren Erdrandvölkern und Mischwesen, für den modernen Leser nicht weniger phantastisch anmutet als die Welt des Artusromans, so kann doch plausibel gemacht werden, dass die narrative Sinnkonstitution hier genuin anderen Regeln folgt: ›Ambivalenz‹ entsteht hier nicht so sehr durch mythische Entdifferenzierung als vielmehr durch axiologische Pluralisierung. Die Kontrastfolie des ›Herzog Ernst B‹ verspricht, dem Konzept des ›mythischen‹ Erzählens mehr Prägnanz zu verleihen und so zu verhindern, dass der Begriff beliebig wird. Zwei auf den ersten Blick naheliegende Textbeispiele werde ich zwar immer wieder vergleichend heranziehen, ihnen aber bewusst keine eigenen Kapitel widmen: Hartmanns ›Iwein‹ und Wolframs von Eschenbach ›Parzival‹. Denn anders als bei den ausgewählten Beispielen, steht in beiden Texten nicht so sehr das Verhältnis von höfischer Sphäre und außerhöfischer Aventiurewelt als deren strukturellem Gegenteil im Vordergrund denn vielmehr die Verdoppelung des jeweiligen handlongslogischen und / oder ideellen Zentrums der erzählten Welt: Artushof und Laudinereich im ›Iwein‹, Artushof und Gralsbereich im ›Parzival‹. 190 Zwar können die einzelnen Raumsegmente auch hier deutlich mythisches Gepräge tragen, doch Entdifferenzierungseffekte, die die Makrostruktur der erzählten Welt als Ganzes beträfen, bleiben aus. 191 Entsprechend weniger wird hier die basale Leitunterscheidung ›höfisch‹/ ›unhöfisch‹ verhandelt, als dass sich das Geschehen aus den aporetischen Ansprüchen entwickelt, mit denen die divergierenden Machtzentren jeweils dem Helden begegnen. 192 In dieser Hinsicht bearbeiten ›Parzival‹ und ›Iwein‹ die um 1200 Hartmanns von Aue - deutlich macht, dass der Text ein Publikum vorsieht, welches sowohl mit der Nibelungenwie auch mit der Artustradition vertraut ist. 189 S chulze , Nibelungen, S. 127. 190 Dass Laudinereich und Gralsbereich in ihrem jeweiligen Text analoge »strukturelle[ ] Stellen« besetzen, hat ausführlich bereits R uh , Höfische Epik / 2, S. 87-90 und 136-139 (hier S. 89), dargelegt. 191 Zwar werden auch am Ende des ›Iwein‹ »die zwei Handlungszentren einander angeglichen« (h ammeR , Tradierung, S. 267), doch kommen mythische Strukturphänomene hierbei gerade nicht mehr zum Tragen: Die »Integration der Laudinewelt in den Artusbereich« ist überhaupt, wie Andreas h ammeR zeigt, nur »unter Preisgabe ihrer mythischen Charakteristika« möglich (ebd., S. 278). Die Entsprechung im ›Erec‹ wäre demnach auch weniger die Konkreszenz von Raum und Gegenraum im Baumgarten von Brandigan (vgl. hierzu Kapitel 2.2.3), als vielmehr dessen entmythisierende Reintegration in die höfische Welt in Folge des Sieges über Mabonagrin (vgl. Kapitel 2.2.4). 192 Auf die »differierenden Anforderungen«, die im ›Iwein‹ »an den Helden herangetragen werden«, macht h ammeR , Tradierung, S. 267, aufmerksam: »Iwein muß die Ansprüche der Artuswelt erfüllen (formuliert von Gawein in [Iw] 2770 ff.), als Quellenhüter aber zugleich die Laudines und ihres Landes, woran er zunächst scheitert.« Im ›Parzival‹ folgt die ›Krise‹ des Helden, das Frageversäumnis auf Munsalvæsche, bekanntlich daraus, dass der Held unreflektiert-naiv die Verhaltensregeln der höfisch-ritterlichen Welt auf die Gralssphäre zu übertragen sucht. Diese erscheint dabei aber keineswegs als ›unhöfisch‹, sondern stimmt, wie B umKe , Wolfram von Eschenbach, S. 182, festhält, »in der materiellen Prachtentfaltung und im Kodex der Umgangsformen« grundsätzlich durchaus mit dem Artushof »überein. Hier wie dort ist die nichtadlige Gesellschaft fast völlig ausgeblendet.« Möchte man Artuswelt und Gralswelt gleichwohl als Raum und Gegenraum einander gegenüberstellen, dann wäre letzterer mithin weniger als ›außerhöfisch‹, denn passender wohl als ›anders-höfisch‹ zu be- 1.5 Räumliche Ordnung und mythische Logik in der Heldenepik: Das Beispiel ›Nibelungenlied‹ 47 so virulente Frage nach höfischer Identität - bzw. nach der Identität des Höfischen - in je noch einmal anderer Weise. 193 1.5 Räumliche Ordnung und mythische Logik in der Heldenepik: Das Beispiel ›Nibelungenlied‹ Siegfried, der Held des ›Nibelungenliedes‹, ist eine mehrschichtige Figur, die in einem mythischen Sinn an polaren Gegensätzen partizipiert. Motivgeschichtlich handelt es sich um den Drachentöter 194 , der sich - der kontiguitären Logik des Mythos gemäß - durch das Bad im Blut des Ungeheuers (bzw. durch das Trinken des Blutes in der nordischen Tradition) dessen Kräfte aneignet. Das ›Nibelungenlied‹ reduziert diesen sagengeschichtlichen Hintergrund bekanntlich auf das Nötigste: Qua retrospektivem Figurenbericht aus dem Munde Hagens erfährt der Rezipient in nur einer einzigen Strophe von den Umständen: Noch weiz ich an im mêre, daz mir ist bekannt: Einen lintrachen, den sluoc des heldes hant. Er badet sich in dem bluote. Sîn hût wart hurnîn. Des snîdet in kein wâfen. Daz ist dicke worden schîn. (Nl 98) Was allerdings im Text ständig präsent bleibt, ist die strukturelle Ambivalenz, die den mythischen Heros kennzeichnet, wobei die beiden Sphären, zwischen denen der Held changiert, vor dem Hintergrund der um 1200 relevanten kulturellen Semantiken umbesetzt werden: Nicht so sehr das Menschliche und das Ungeheuerlich-Animalische markieren die beiden Pole, sondern das Höfische und das Heroische. Im ›Nibelungenlied‹ werden diesen beiden Bereichen unterschiedliche räumliche Segmente der erzählten Welt zugeordnet: Auf der einen Seite steht die bekannte höfisch-feudale Welt, die durch die beiden Höfe Xanten oder Worms repräsentiert wird, auf der anderen Seite - und räumlich durch das Meer deutlich davon getrennt - die Sagenwelt mit dem Nibelungenland und dem Herrschaftsgebiet Brünhilds auf Isenstein. 195 Siegfried hat an beiden Bereichen teil, und er kann sich deshalb mehr oder weniger frei zwischen den Sphären bewegen. Die Krise im ›Nibelungenlied‹ wurde als Einbruch des Heroischen in die höfische Welt beschrieben, als »Kataklysmus«, der mit dem »Zusammenbruch einer ganzen kulturellen Ordnung« 196 einhergehe. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass dieser Einbruch sich gerade nicht gewaltsam vollzieht, auch wenn diese Möglichkeit bei Siegfrieds schreiben, wobei der wichtigste Unterschied zwischen beiden Machtbezirken laut B umKe darin liege, »daß die Gralgesellschaft unmittelbar von Gott gelenkt« werde (ebd.). 193 Zum Forschungsstand den ›Iwein‹ betreffend, insbesondere zu Aspekten mythischen Erzählens, kann an dieser Stelle auf die einschlägigen Arbeiten von h ammeR (Tradierung) und h oFFmann (Arbeit) verwiesen werden. Eine Untersuchung zum ›Parzival‹, die zwar nur en passant auf den Mythos-Begriff zu sprechen kommt, in ihrer Gesamtanlage wie in zahlreichen Einzelbeobachtungen aber durchaus an die hier vorgebrachten Überlegungen anschlussfähig ist, hat jüngst Julia R ichteR (Spiegelungen) vorgelegt. 194 Zum mythischen Hintergrund dieses Motivs vgl. h einzle , Nibelungenlied, S. 23 f. 195 Vgl. m ülleR , Spielregeln, S. 303-309. 196 W aRning , Norm und Transgression, S. 184 f., der seinerseits Fn. 22 auf m ülleR , Spielregeln verweist. 48 1 Einleitung Ankunft vor Worms als ›abgewiesene Alternative‹ zumindest präsentgehalten wird. 197 Bezeichnenderweise sind es aber auch nicht Siegfrieds Qualitäten als höfischer Minnediener, die ihm in Worms die Türen öffnen, denn nichts anderes als seine heroische Stärke ist es, die ihn für den Wormser Hof attraktiv macht: Er wird gebraucht, um die Bedrohung durch die Sachsen und Dänen abzuwenden (4. Âventiure), aber auch, um König Gunther bei der gefährlichen Werbung um Brünhild beizustehen - entsprechend wird Siegfrieds Vermählung mit Kriemhild eidlich an die Bedingung geknüpft, dass zuvor diu schœne Brünhilt her in ditze lant komme (vgl. Nl 324-333, hier 332,2). Doch nicht nur in der Auseinandersetzung mit feindlichen Mächten bzw. beim Werbungsbetrug auf Isenstein, auch innerhalb der Grenzen der höfischen Welt - im Rahmen des ritterlichen Agons - erweist sich Siegfried als überlegen: Sich vlizzen kurzwîle die kunege und ouch ir man, sô was er ie der beste. man dâ began, des enkund im gevolgen niemen, sô michel was sîn kraft, sô si den stein wurfen oder schuzzen den schaft. (Nl 128) Siegfried ist der Beste nicht nur nach Maßgabe der heroischen Welt außerhalb, sondern auch nach Maßgabe der höfischen Welt, und nur deshalb kommt er als Werber um Kriemhild überhaupt in Frage. Schon dadurch relativiert sich die strikte Trennung beider Sphären. Die Auflösung der Grenze zwischen den Geltungsbereichen von Höfischem und Heroischem wird auch durch den doppelten Werbungsbetrug an Brünhild vorangetrieben: Paradoxerweise bestätigt auch derjenige die objektive Geltung einer Ordnung, der ihr verdeckt zuwiderhandelt. 198 Im Werbungsbetrug lässt sich Gunther auf das heroische Modell der Herrschaftssicherung ein, welches Herrschaft an die körperliche Überlegenheit des Herrschenden bindet, und sei es auch nur zum Schein: Die Ordnung der heroischen Welt wird dadurch nichts desto weniger in ihrer objektiven Geltung bestätigt. Bleibt dies zunächst räumlich auf den Machtbereich Brünhilds, also auf die außerhöfische Gegenwelt, beschränkt (7. Aventiure), so wiederholt sich diese Bestätigung im zweiten Betrug in der (zweiten) Brautnacht, diesmal also im Schlafgemach des burgundischen Herrschers und 197 Bekanntlich bricht Siegfried mit der Absicht von Xanten auf, Kriemhild zur Frau zu gewinnen (vgl. Nl 46,4-47,4), um daraufhin vor den Toren von Worms unmissverständlich gewaltbereit die Landesherrschaft von König Gunther einzufordern (vgl. Nl 107 f.). Die Konfrontation bleibt (zunächst) folgenlos: Die Auseinandersetzung wird wieder in die Bahnen höfischer Kommunikation gelenkt, die folgenden Aventiuren berichten sodann die Integration Siegfrieds in den Personenverband des Wormser Hofes. - Vgl. zum Begriff der ›abgewiesenen Alternative‹ als Erzählprinzip im ›Nibelungenlied‹ S tRohSchnei deR , Einfache Regeln. 198 Vgl. W eBeR , Kategorien, S. 443 (Hervorhebungen im Original): »Das Entscheidende für die empirische ›Geltung‹ einer zweckrational gesatzten Ordnung ist […] nicht: daß die einzelnen Handelnden ihr eigenes Handeln kontinuierlich dem von ihnen subjektiv gedeuteten Sinngehalt entsprechend orientieren«, denn »eine ›Orientierung‹ des Handelns an einer gesatzten Ordnung [kann] auch darin bestehen, daß deren subjektiv erfaßtem Sinn von einem Vergesellschafteten bewußt entgegengehandelt wird. Auch indem jemand bewußt und absichtsvoll dem von ihm subjektiv erfaßten Sinn der Ordnung eines Kartenspiels entgegen, also ›falsch‹ spielt, bleibt er dennoch als Mitspieler vergesellschaftet, im Gegensatz zu jemandem, der sich dem Weiterspielen entzieht.« Anders als der Spielverderber oder -verweigerer hat der Falschspieler deshalb auch - sollte sein Betrugsversuch entdeckt werden - mit der Sanktionierung seines Verhaltens gemäß den Regeln eben jener Ordnung zu rechnen, gegen die er zuvor verstoßen hat. Aus diesem Grund wird durch den zweifachen Betrug an Brünhild auch Gunthers eigener Herrschaftsanspruch prekär, woraus sich schließlich der zentrale Konflikt entspinnt, der am Ende in die Katastrophe führen wird. 1.5 Räumliche Ordnung und mythische Logik in der Heldenepik: Das Beispiel ›Nibelungenlied‹ 49 damit im Zentrum der höfischen Welt (Nl 658-680). Die Grenzziehung zur heroischen Gegenwelt wird damit abermals fragwürdig. Otfrid e hRiSmann betont, dass »[n]icht nur im Nibelungenlied«, sondern »auch in der historischen Wirklichkeit […] das Höfische und das Barbarische [i. e. das Heroische] Erscheinungsformen ein er Kultur« 199 seien: »Der die spätantike Zivilisation rezipierende germanische Adel Westeuropas (der auch zu den Trägern des Nibelungenmythos gehört) hatte gegenüber dem mediterranen Lebensmodell eine eigene Kultur entwickelt, die das Barbarische nie ganz aufgab. Hinzu kommt, dass dieses in keiner Kultur fehlt und durch Zivilisationsideologien (wie z. B. die ritterlich-höfische) allenfalls verdrängt werden kann […]. Was uns heute als idiosynkratisch und unvereinbar erscheinen mag, war es für die Zeitgenossen nicht.« e hRiSmann schließt daraus, dass »die unterschiedlichen Verhaltensformen nicht (zwingend) als Zeichen kontrastierender, gar ungleichzeitiger Kulturen gelesen werden können«, dass mithin das Epos »nicht aus der Spannung oder Schichtung zweier Kulturen heraus« zu verstehen sei. Wenn auch der Text in diesem Sinne »nicht zwei Kulturen gegeneinander« ausspielt, so sind es doch gegenläufige Tendenzen innerhalb ein- und derselben Kultur, aus denen sich der zentrale Konflikt entspinnt. Auf der Textoberfläche werden diese inkongruenten Aspekte zunächst unterschiedlichen Teilräumen zugeordnet. Mit der Ankunft Siegfrieds am Burgunderhof zeigt sich aber, dass das Heroische nicht nur im außerhöfischen Gegenraum, sondern auch in der höfischen Welt selbst statthat, und so schlägt der zuvor eingeführte Gegensatz von Höfischem und Heroischem allmählich in Identität um. 200 Das heroische Gewaltpotential, dass sich insbesondere im zweiten Teil des Epos entfaltet, ist mithin nicht eigentlich etwas, das »›von außen kommt‹« 201 und von Siegfried allererst in die »geordnete höfische Welt« 202 hineingetragen würde. Was die Präsenz des mythischen Heros am Hofe vielmehr bewirkt, ist die mythomorphe Struktur des Höfischen selbst aufzudecken: Das Höfische, dass sich im ›Nibelungenlied‹ zunächst vor allem in Abgrenzung zum Heroischen definierte, erscheint nun in paradoxer Weise als nicht mit sich selbst identisch. Indem der Unterschied zwischen Höfischem und Heroischem solchermaßen nivelliert wird, beginnt die höfische Ordnung von innen heraus sich zu zersetzen. Um diesen Prozess zu stoppen, wird im Mordkomplott gegen Siegfried versucht, sich des nur scheinbar fremden, ›mythischen‹ Elements gewaltsam zu entledigen. Bezeichnenderweise geschieht dies in einem Raumsegment, das deutlich macht, dass die Krise des Höfischen zugleich als Krise der räumlichen Ordnung vorgestellt wird. Ähnlich wie der Baumgarten von Brandigan ist der nibelungische Jagdwald durch eine deutliche Grenze von seiner Umgebung abgesetzt: Der Wald liegt, vom Wormser Hof aus gesehen, jenseits des Rheines (Nl 915,3, 924,1). Im ›Erec‹ wird zwar angedeutet, dass die Grenze nur in eine Richtung passierbar sei - niemand ist bisher aus dem Garten zurückgekommen -, doch erweist sich die erneute Passage nach Erecs Sieg über Mabonagrin als völlig unproblematisch, 199 e hRiSmann , O., Nibelungenlied, S. 10 (Hervorhebung im Original; dort auch die folgenden Zitate). 200 Angedeutet wird dies bereits mit der nie hinterfragten Anwesenheit des ›Heros‹ Hagen am Burgunderhof (vgl. die ›heroische‹ Charakterisierung Hagens durch König Siegmund, Nl 52,1 f.); vollends vollzogen ist dieser Prozess schließlich, als die Burgunden beim Zug ins Etzelreich selbst immer häufiger als ›Nibelungen‹ bezeichnet werden; vgl. hierzu m ülleR , Spielregeln, S. 338-343. 201 m ülleR , Spielregeln, S. 342. 202 S chulz , Kohärenz, S. 350. 50 1 Einleitung genauer: Die Grenze scheint zu verschwinden. 203 Für Siegfried wird die Überquerung des Rheines aber tatsächlich zu einem Weg ohne Wiederkehr, wodurch die Ermordung des Helden mit dem Burgundenuntergang im zweiten Teil des Epos korreliert wird, dem ebenfalls eine aufwendig inszenierte Flussüberquerung - in diesem Fall der Donau - vorausgeht. 204 Die symbolische und topographische Grenze des Flusses dient vor allem als handlungslogische Markierung. Raumsemantisch bleibt der Wald nach wie vor auf die makrostrukturelle Ordnung der der erzählten Welt bezogen, wenn auch in paradoxer Weise: Er ist Wildnis, doch schon gezähmte Wildnis, die durch die Einrichtung von herbergen (Nl 944,3 passim) Hochständen (Nl 926,2), Feuerstellen (Nl 940,2) und sogar einer voll ausgestatteten Küche (Nl 940,4, 956) kulturell überformt und der höfischen Welt angenähert ist. Er ist Austragungsort einer höfischen Jagdpraxis, aber auch Ort der heroischen Bewährung, denn nur der Heros ist dazu in der Lage, die wilden Tiere, die den Wald besiedeln - und die weit über das gewöhnliche Inventar eines höfisch-adligen Jagdreviers hinausgehen - zu überwältigen: Der Erzähler erwähnt neben Wildschweinen, Wisenten und Auerochsen auch einen ungefüegen leuwen (Nl 932,4) und einen grimmen schelch (Nl 934,2) - ein rätselhaftes Tier, das Christoph F aSBendeR mit dem »um 1200 längst ausgestorbenen ›Bockshirsch‹ (und damit [als] Alteritätssignal)« 205 identifiziert. Damit schließt die Darstellung des Waldes einerseits motivisch an mythisch-heroische Traditionen an, wie sie andererseits in ihrer ambivalenten Semantisierung auch strukturell von solchen Erzähllogiken geprägt ist, die auch für den Mythos kennzeichnend sind. In Siegfrieds Kampf mit einem ausgewachsenen Bären schließlich wird noch einmal inszeniert, was auf der Textoberfläche als Einbruch des Heroischen in die Höfische Welt erscheint: durch sînen hôhen muot (Nl 947,3) - ›aufgrund seiner höfischen Hochstimmung‹ oder doch eher: ›in heroischem Übermut‹ - treibt Siegfried das unbändige Tier in das Lager, wo dieses die Knechte aufschreckt und die Küche verwüstet (Nl 956). Erst ein gezielter Schwerthieb Siegfrieds setzt der Störung der höfischen Ordnung ein Ende (Nl 959,3). Damit verweist die Bärenepisode in feiner Ironie auf Siegfrieds eigenes Schicksal: Wie Siegfried den Bären niederstreckt, den er zuvor eigenhändig entfesselt hat, so wird er wenig später selbst von den Burgunden ermordet: Der Jäger wird zum Jagdvieh. Mit dem Mord an Siegfried eröffnet sich eine weitere Parallele zu Brandigan und dem dortigen Baumgarten: die Engführung von Lustorttopik und roher Gewalt. 206 Ausgestattet mit schattenspendenden Bäumen (Nl 969,1), einer kühlen, klaren Quelle (Nl 976,1) und floraler Pracht (Nl 985,1), trägt der Jagdwald die klassischen Merkmale des locus amoenus, doch werden diese gewaltsam konterkariert: Das Grün der Wiese ist mit dem Blut des Erschlagenen getränkt: Di bluomen allenthalben von bluote wurden naz (Nl 995,1). Da das entdifferenzierende Potential in der höfischen Ordnung selbst bereits angelegt ist, die das Heroische und Exorbitante in paradoxer Weise zugleich fürchtet und feiert, lässt sich die Ordnungsstörung durch den Mord allerdings nicht beseitigen. Entsprechend setzt 203 Vgl. hierzu Kapitel 2.2.4. 204 Zum Konzept der ›korrelativen Sinnstiftung‹ als zentrales Organisationsprinzip des narrativen Bedeutungsaufbaus vgl. S tocK , Kombinationssinn, S. 17-33, zu der Bedeutung von Flüssen als Grenzmarkierungen im ›Nibelungenlied‹ vgl. l ocheR / P oSeR , Fluss, Quelle, Brunnen, mit weiterführenden Literaturhinweisen. 205 F aSBendeR , Siegfrieds Wald-Tod, S. 20. 206 Vgl. hierzu Kapitel 2.2.3. 1.5 Räumliche Ordnung und mythische Logik in der Heldenepik: Das Beispiel ›Nibelungenlied‹ 51 sich auch die »mythische Entdifferenzierung« 207 der räumlichen Ordnung im zweiten Teil des Epos ungehindert fort. Während auf der motivischen Ebene Elemente der mythischen Tradition noch weiter zurückgedrängt werden - magische Requisiten wie Siegfrieds Tarnmantel spielen kaum mehr eine Rolle, der Hort der Nibelungen wird schließlich im Rhein versenkt (vgl. Nl 1134,3; von beidem, Hort und Tarnmantel, erfährt man wiederum zuerst in Hagens Binnenerzählung, vgl. Nl 86,3 und 95,3) -, greifen mythische Strukturmuster mehr und mehr durch, was mit Jan-Dirk m ülleR als ›Wuchern der nibelungischen Welt‹ 208 beschrieben werden kann: »Der abgekapselte Raum der Sage, abgekapselt sogar durch die Strategie des Erzählers von ihm durch den Mund einer seiner Figuren berichten zu lassen, hat sich [zuletzt] über die bekannte Welt der Königreiche und Gefolgschaftsverbände gelegt und sie vernichtet.« 209 Im ›Nibelungenlied‹ wie im ›Erec‹ wird jeweils das, was durch seine Unbändigkeit die höfische Ordnung mit ihrer Forderung nach mâze grundlegend in Frage stellt - dort die Bedingungslosigkeit der Minne 210 , hier die Exorbitanz des Heros - in ein räumliches Außerhalb ausgelagert. Die - »nicht individualpsychologisch, sondern kultursoziologisch verstandene - Rückkehr des Verdrängten« 211 in Gestalt des Helden am Wormser Hof aber macht deutlich, dass dieses ›Andere‹ des Höfischen tatsächlich in der höfischen Welt selbst seinen Ort hat. Die Rezentrierung des (vermeintlich) Ausgeschlossenen bewirkt die Liquidierung der symbolischen Ordnung, die auf der Grundlage mythischer Strukturlogiken entfaltet wird, welche schon dem stofflichen Substrat des Textes eingeschrieben sind. Während aber die widerspruchstolerante Logik des Mythos ordnungssetzende und ordnungszersetzende, differenzierende und entdifferenzierende Aspekte in sich vereinen kann, zeichnet sich in der literarischen Mythosrezeption um 1200 ein Spannungsverhältnis ab, das die gegensätzlichen Logiken offenbar nicht mehr unvermittelt nebeneinander bestehen lassen kann. Die Gattungsvorgaben des ›Nibelungenliedes‹ erlauben es, die Implikationen, die sich daraus ergeben, bis zum Ende hin durchzuspielen. Es wird zu zeigen sein, dass der Artusroman sich an strukturell ähnlichen Konstellationen abarbeitet, doch dabei ein spezifisches, ›dynamisches‹ Erzählmodell entwickelt, das weder die Liquidation der symbolischen Ordnung bis in die Katastrophe hinein verfolgt noch die Ambivalenzen des Höfischen je völlig aufzulösen vermag, sondern das vielmehr aus dessen prinzipieller Ambivalenz immer neue Abenteuer zu generieren erlaubt. 207 m ülleR , Nibelungenlied, S. 166. 208 Vgl. m ülleR , Spielregeln, S. 338: »Das Nibelungenland beginnt gerade in dem Augenblick, in dem es aus dem Horizont der Geschichte verschwindet, zu wuchern. Nachdem die jenseitige Welt zuerst eingemeindet wurde, fängt sie an, die bekannte zu verwandeln. Sie verleibt sich die höfische Welt ein, die anfangs ihr Kontrapost gewesen war. Nibelunge ist nicht mehr mit einem bestimmten Raum verbunden, sondern meint eine bestimmte Gruppe von Menschen und deren Form der Existenz. […] Aus der sagenhaften ›Fremde‹ wurde anfangs politische ›Nachbarschaft‹ von Reichen […], dann sogar ein Rechtstitel. Mit der unrechtmäßigen Aneignung dieses Rechtstitels scheint auch der Personenverband der Nibelunge sich den Siegern zu assoziieren; doch es geht noch weiter; bei der Fahrt zu Etzel wird aus Nähe Identität.« 209 m ülleR , Spielregeln, S. 342 f. 210 Vgl. hierzu Kapitel 2.2.6. 211 F uSS , Groteske, S. 61. 52 1 Einleitung 1.6 Das Gegenbeispiel: Narrative Ambivalenz im ›Herzog Ernst B‹ Der ›Herzog Ernst B‹ wurde hinsichtlich seiner Erzählstruktur mehrfach mit dem Artusroman in Verbindung gebracht. 212 Insbesondere die räumliche Organisation des Textes bietet Ansatzpunkte für einen möglichen Vergleich mit der arthurischen Epik, denn hier wie dort wird dem Bereich des ›Eigenen‹ - hier das rîche unter Kaiser Otto, dort die höfische Welt mit dem Artushof als Zentrum - ein Bereich des ›Anderen‹ als Reflexionsraum gegenübergestellt - im ›Herzog Ernst B‹ der fabulöse Orient, im Artusroman die gegenhöfische Aventiurewelt -, in welchem die im Ausgangsraum entstandenen Konflikte ›kompensatorisch‹ ausgetragen werden müssen. 213 Insbesondere mit seinen Tiermenschen und Fabelwesen wirkt der Orient des ›Herzog Ernst B‹ dabei geradezu wie ein Musterbeispiel eines ›mythischen‹ Raumes im hier beschriebenen Sinne, in dem die basalen ordnungskonstituierenden Unterscheidungen der ›gewöhnlichen‹ Welt aufgehoben scheinen. Hier haben die Beobachtungen einzuhaken. 214 Als Ernst und seine Gefährten in der verlassenen Stadt Grippîa anlangen, bemerken sie zunächst eines: die außerordentliche Pracht dieses geheimnissvollen Ortes. Er ist allenthalben mit Gold, Silber, Edelsteinen und kostbaren Stoffen ausgestattet, aber auch mit technischen Finessen wie einem ausgeklügelten Bewässerungssystem, das nicht nur das prächtige Bad mit Wasser versorgt, sondern zugleich als eine Art städtische Selbstreinigungsanlage fungiert (vgl. HE 2645-2698). So wirkt die fremde Stadt wie eine überhöhte Version des Eigenen und Vertrauten - höfische Kultur in Vollendung, wenn man so möchte: sist aller bürge ein krône, / die man in der werlde hât gesehen ( HE 2790 f.), wie der Erzähler kommentiert. Nachdem Ernst und sein Begleiter Wetzel sich in aller Ruhe an den ›höfischen‹ Vorzügen der verlassenen Stadt gütlich getan haben, sich am reichlich gedeckten Tisch satt gegessen ( HE 2450 f.), gebadet ( HE 2746) und in der nahegelegenen Kemenate geruht haben ( HE 2754-2757), kommen die Bewohner der Stadt schließlich von ihrem Raubzug aus Indien zurück, nur knapp, bevor Ernst und Wetzel zu ihren Schiffen zurückkehren können. Der Anblick, der sich den beiden aus ihrem behelfsmäßigen Versteck bietet, nimmt sich jedoch überraschend anders aus, als es der hohe zivilisatorische Standard der Stadt im Vorfeld hätte vermuten lassen: Nicht etwa höfische Ritter sind deren Bewohner, sondern groteske Mischwesen mit menschlichen Körpern und Kranichköpfen: 212 Als obsolet dürfen vor allem solche Versuche gelten, die die Erzählstruktur des ›Herzog Ernst B‹ unmittelbar aus der - für sich genommen schon umstrittenen - arthurischen ›Doppelwegstruktur‹ ableiten wollten (vgl. etwa K ühnel , Struktur, sowie kritisch dazu B ehR , Herzog Ernst). Differenzierter ist hier der Ansatz von S tocK , Kombinationssinn, der das Doppelwegschema und die Bauformen vor- und frühhöfischer Erzähltexte nicht genetisch aufeinander zu beziehen versucht, sondern beide als eigenständige, aber gewissermaßen ›verschwisterte‹ Ausformungen eines allgemeineren Prinzips narrativer Zweiteiligkeit versteht. 213 Vgl. für den ›Herzog Ernst B‹ S tocK , Kombinationssinn, S. 149-228, für den Artusroman S chulz , Ambivalenzen. Beide Ansätze scheinen mir deutliche Berührungspunkte zu haben, die in ihrer Reichweite allerdings erst noch genauer auszuloten wären. 214 Die folgenden Überlegungen decken sich zum Teil mit g oeRlitz , Kreuzzug und Heidenkampf, v. a. S. 76-84, der es aber vor allem um die Konstruktion von »Fremdheit über den Gegensatz Christen - Heiden« (ebd. S. 71) in den Herzog-Ernst-Dichtungen geht. Mir kommt es demgegenüber eher auf die Pluralität der Paradigmen von Fremdwahrnehmung mit ihren jeweils unterschiedlichen Axiologien an. 1.6 Das Gegenbeispiel: Narrative Ambivalenz im ›Herzog Ernst B‹ 53 Dô sie ein wîle heten gestân, die vil ellenthaften man, und allenthalben sâhen, dô wurdens in allen gâhen vor dem burctor gewar einer seltsænen schar von mannen und von wîben. die wâren an ir lîben, sie wæren junc oder alt, schœne und wol gestalt an füezen und an henden und in allen enden schœne liute und hêrlich, wan hals und houbet was gelîch als den kranichen getân. […] rîche phelle und samît, sumlîche von timît, dar nâch als ieclîch wolde, von sîden und von golde was gezieret ir gewant. an ir lîbe nieman vant zer werlt deheiner slahte kranc, wan daz in die helse wâren lanc, ritterlîch übr al den lîp. ( HE 2845-2875) Der Versuch, eine auf der Indienfahrt entführte Prinzessin aus dem Griff der Monstren zu befreien, scheitert katastrophal, noch bevor er überhaupt ernsthaft angegangen werden kann: Als Ernst und Wetzel entdeckt und für Verbündete des Mädchens gehalten werden, strecken die Kranichmenschen die Hilflose a limine mit ihren Schnäbeln nieder ( HE 3410-3429). Noch im Sterben erweist sich das Mädchen als vorbildliche Christin, wenn sie um Gottes Beistand für den Helden und seine Heimreise bittet: ›got ruoche dir daz glücke geben daz du wol wider komest ze lande.‹ dô neic sie dem wîgande. zehant dô sie daz wort verlie, diu sêle ir ûz dem munde gie. ( HE 3573-3576) Indem die junge Adlige mit ihrem letzten Atemzug noch den Namen Gottes in den Mund nimmt, gewinnt sie die Züge einer christlichen Märtyrerin. Ihr vorzeitiger Tod bewegt Ernst zu einem Urteil, das die anfänglich noch offen gelassene Frage beantwortet, ob die Bewohner der Stadt heiden sîn od cristen ( HE 2273), denn nun stellt er mit aller Entschiedenheit fest: diz sind ungetoufte liute ( HE 3752). Die Frage nach dem Taufstatus der Grippîaner bringt ein neues Paradigma der Fremdwahrnehmung ins Spiel, dass die anfängliche Bewunderung für ihre überlegene Kultur nun durch eine andere, aber ebenso eindeutige Axiologie ersetzt: Die Stadtbewohner rü- 54 1 Einleitung cken immer mehr in die Sphäre des Animalischen und Untermenschlichen und können so erbarmungslos niedergemetzelt werden wie später die Heiden aus Babylon. Bezeichnenderweise werden die Grippîâner, wie die Babylonier auch (vgl. 5581), sogar ausdrücklich mit Schlachtvieh in Verbindung gebracht: wir slahens als daz vihe nider. dâ sint sie ungewarnet wider. wir trenkens mit ir bluotes flôz: si habent niht wan ir geschôz: waz schadet daz unsern ringen? ( HE 3295-3299) Indem die Kranichmenschen nun konsequent als Nicht-Christen, ja Nicht-Menschen stilisiert werden, erscheinen sie fortan auch hinsichtlich ihrer materiellen Kultur als inferior: Mit ihren Pfeilen vermögen sie die Schilde und Rüstungen von Ernsts Männern kaum zu durchbrechen (vgl. HE 3660, 3298 f.), während ihre dünnen Hälse wie gemacht scheinen für die scharfen Klingen der Ritter: ir helse smal unde lanc ir […] swert vil wênic miten. ir wart von sô vil versniten daz es grôz wunder was. ( HE 3628-3631) Den Europäern bleibt gleichwohl nur der Rückzug: Die Grippîaner behalten die Oberhand alleidurch ihre schiere zahlenmäßige Überlegenheit und durch die Zuhilfenahme von Reittieren - wiederum ein Hinweis auf ihre Nähe zum Animalischen -, die gerade nicht im Sinne der höfischen Streit- und Turnierpraxis geführt werden: Dank ihrer Wendigkeit können die bogenschießenden Reiter der begrenzten Reichweite der Schwertkämpfer geschickt ausweichen und zugleich selbst aus der Distanz angreifen: ûf dem wîten gevilde wâren sie al umbevangen. sie mohten ir niht erlangen leider mit den swerten. die heiden sie dô werten dâ von sie wâren überladen. sie mohten in niht geschaden. sie wolden ir niht enbîten. ûf den snellen ravîten kâmens in selden sô nâhen daz si in diu ros mohten vâhen. daz muote harte sêre den herzogen hêres und was im vaste unwerde daz sie in ûf der erde niht strîtes staten wolden ( HE 3807-3811) Den Text durchzieht ein Diskurs, der die die ritterlich-höfische Sachkultur, speziell ihre Rüstungs- und Waffentechnik zum Gegenstand hat. Dank deren prinzipieller Überlegenheit vermag sich eine handvoll Ritter gegen ein ganzes Heer von Heiden zu beweisen: Die 1.6 Das Gegenbeispiel: Narrative Ambivalenz im ›Herzog Ernst B‹ 55 Flucht gelingt - wenn auch verlustreich (vgl. HE 3822 f.) - trotz der enormen Überzahl und der ›unritterlichen‹ ( unwerde , HE 3809) Kriegstaktik ihrer Gegner. Der Gegensatz zwischen der ritterlichen Kriegskultur des Herzogs und seines Gefolges auf der einen Seite und der unhöfischen, ja primitiven Kampftechnik ihrer jeweiligen Gegner auf der anderen wird im Fortgang der Handlung immer wieder thematisch, so auch im Kampf gegen die Riesen von Kanaan. Hier nun erweist sich die ritterliche Kampfweise endgültig als die feinere, elegantere und schließlich auch überlegene: Im Schutz eines Waldes haben die groben Eisenstangen der Riesen keine Chance gegen die leichten Klingenwaffen der Ritter (vgl. HE 5208-5235). 215 Verschränkt ist dieser Diskurs mit einem zweiten Diskurs der Fremdwahrnehmung, dessen Leitdifferenz aber beständig wechselt. Bei der Ankunft in der Stadt Grippîa wird zwar die Frage nach der Konfession ihrer Bewohner angesprochen, doch dominiert die Bewunderung für die höfischen Aspekte der fremden Stadt. Als die Kranichmenschen selbst in Erscheinung treten, rückt die religiöse Differenz in den Vordergrund: Die Tiermenschen erscheinen dann bemerkenswerterweise auch kulturell auf einer niedrigeren Stufe als die abendländischen Ritter. Später dann, im Land der Arimaspen, wird die erzählte Welt wieder konsequent entlang der Unterscheidung ›höfisch‹/ ›unhöfisch‹ entworfen: Trotz sprachlicher und - im Wortsinn ›augenfälliger‹ - körperlicher Divergenzen - die Bewohner des Landes sind Zyklopen (vgl. HE 4518-4521) - erkennt der Graf von Arimaspi an den gebæren der Ritter, daz sie edele liute wæren ( HE 4553 f.); der König des Landes vermag sogar aufgrund der Art und Weise, wie Ernst ein eigens herbeigebrachtes kastilisches Pferd 216 besteigt und reitet, zu urteilen, dass er der tiurste ( HE 4607) der fremden Gefolgschaft sei. Die Religionsfrage kommt dagegen durch die gesamte Episode hindurch nicht mit einem Wort zur Sprache, während doch der anschließende Feldzug gegen das Heer von Babylon wieder explizit als Heidenkampf, als hervart […] ûf die heidenschaft ( HE 5524 f.), geschildert wird. 217 Es wäre insofern verfehlt, im ›Herzog Ernst B‹ ein frühes Beispiel von Toleranz gegenüber nichtchristlichen Völkern und Kulturen sehen zu wollen 218 : Das bisweilen durchaus positive Orientbild des Textes wird überhaupt nur dadurch möglich, dass die so heikle Frage nach der Religionszugehörigkeit in den entsprechenden Passagen radikal ausgeklammert bleibt. Aufs Ganze gesehen erscheint damit zwar auch der Orient im ›Herzog Ernst B‹ als ambivalent semantisierter Raum, doch kommt diese Ambivalenz nicht - wie im Falle der Joie 215 Der Sieg der ritterlichen Kampfweise gegenüber derjenigen von Riesen ist ein gängiger Topos höfischer Epik, der in ähnlicher Weise auch in der Cadoc-Episode des ›Erec‹ begegnet: der kolbe was sô swære, / alsô dicke und er sluoc, / daz er sô sêre nider truoc, / daz er in sô kurzer stunde / [in niht erziehen kunde: ] / ê er in ze slage vol erreit, / Êrecken hete sîn snelheit / an in und wider von im getragen. / alsô hete er in geslagen / wol vierstunt zuo dem beine: / ez enhoup in nie sô kleine, / er enslüege’z im ze jungest abe. / dô begunde der ungevüege knabe / sîgen ûf diu knie (Er 5546-5554). Vgl. hierzu auch Kapitel 2, Fn. 217. 216 ›Kastilisch‹ bezeichnet zwar eigentlich die geographische Herkunft des Pferdes, doch dürfte wohl im mhd. Terminus castellân (HE 4603) immer auch die Bedeutung ›höfisch‹ mitschwingen (vgl. mlat. castellanus ›zur Burg gehörig‹). 217 Ein differenzierterer Umgang mit den Fremden ist dann allenfalls in dem Augenblick möglich, »in dem das feindliche Heer nicht mehr in seiner Masse wahrgenommen wird, sondern der einzelne Gegner aus ihm heraustritt«; dann »dominiert nicht mehr die pejorative, den ›Andern‹ aus dem Bereich der vertrauten, christlichen Gemeinschaft ausschließende Zuschreibung ›heidnisch‹, sondern andere, beidseitig verwendbare Attribuierungen kommen ins Spiel wie rytterlich oder menlich « (g oeRlitz , Kreuzzug und Heidenkampf, S. 82). 218 So etwa Albrecht c laSSen , Monster, S. 30, der den mittelalterlichen Text mit »moderne[n] Formen von Multikulturalismus und Toleranz« in Verbindung bringen will. 56 1 Einleitung de la curt oder des nibelungischen Jagdwaldes - durch die ›mythische Entdifferenzierung‹ einer die Erzählung grundlegend organisierenden Leitdifferenz (etwa ›höfisch‹/ ›unhöfisch‹ oder ›höfisch‹/ ›heroisch‹) zustande, sondern vielmehr durch deren Vervielfältigung und beständigen Wechsel. In dem Moment, in dem der axiologische Code ›switcht‹ - etwa von ›höfisch‹/ ›unhöfisch‹ zu ›christlich‹/ ›heidnisch‹ -, kommt es tatsächlich zu Struktureffekten, die phänomenologisch mythischen Konkreszenzphänomenen gleichen: Als die Grippîaner als Figuren in den Text eingeführt werden, erscheinen sie als ambivalente Zwischenwesen, die - wie Siegfried im ›Nibelungenlied‹ - an kategorialen Gegensätzen partizipieren. Davor aber und danach sind die Axiologien jeweils völlig eindeutig: Solange sie noch nicht in persona in Erscheinung getreten sind, gelten sie - ähnlich den Arimaspen - als Vertreter einer kulturell gleichrangigen oder sogar höherstehenden (jedenfalls: vergleichbaren) Zivilisation, über deren Religionszugehörigkeit man allerdings nichts weiß; danach aber sind sie - wie die babylonischen Krieger auch - aus Sicht des Textes nicht viel mehr als ›heidnisches Schlachtvieh‹. 219 219 Der Befund stützt die These eines irreduziblen Zusammenhangs von mythischen Strukturmustern einerseits und mythischen ›Inhalten‹ andererseits; denn anders als die bereits genannten Beispiele entstammt das Motiv der Erdrandvölker nicht einer ursprünglich oralen, ›mythischen‹ Tradition, die erst im 12. Jahrhundert verschriftlicht wurde, sondern fußt auf einer ihrerseits schon Jahrhunderte alten schriftlich-gelehrten Tradition. Es stellt sich die Frage, ob die Mischgestaltigkeit der Wunder des Orients überhaupt mit mythischem Denken in Verbindung zu bringen ist. Denn auch für logisch zweiwertige Weltmodellierungen gilt, dass sie sich auf das, was jenseits ihres eigenen Horizontes liegt, auf alles Fremde und Unvertraute gar nicht anders beziehen können, als dadurch, dass sie an sich Bekanntes und Vertrautes verfremdend rekombinieren. Karl e iBl , Entstehung, S. 27, prägt hierfür - in Anlehnung an die Systemtheorie Niklas l uhmann s - den Begriff der ›Simultanthematisierung‹ von Welt und Nichtwelt »durch die verfremdende Wiederholung von Weltelementen. […] Da andere als Weltelemente nicht zur Verfügung stehen - das ist eine Tautologie -, kann nur im Medium von Weltelementen auf Nichtwelt referiert werden«. Kaum willkürlich wählt e iBl zur Veranschaulichung des Prinzips für die Umschlaggestaltung seines Buches die Darstellungen der ›Völker in den Ländern des Großkhans‹ aus der Schedelschen Weltchronik. Das spricht dafür, dass die Schilderung der Erdrandvölker - wie im Übrigen moderne Figurationen des Außerirdischen auch - eher ein ›Randphänomen‹ logisch zweiwertigen Denkens sind und insofern gar nicht in den Kontext des Mythos gehören, der demgegenüber einen genuin eigenen Zugang zu ›Welt‹ darstellt: Für das mythische Bewusstsein begegnen Konkreszenzphänomene eben nicht allein in einer fernen, mehr oder weniger unzugänglichen terra incognita , sondern auch, z. B. als Totemismus oder in den unterschiedlichsten magischen Praktiken, im alltäglichen Hier und Jetzt. 2.1 Der Verlust der ›vreude‹ als Problem der ›Erec‹-Interpretationen 57 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue 2.1 …und was eht schœner vreuden bar (Er 9595): Der Verlust der vreude als Problem der ›Erec‹-Interpretationen 2.1.1 Zum Stand der Forschung Hartmanns von Aue ›Erec‹ steht nicht nur als (vermutlich) erster deutschsprachiger Artusroman nach französischem Vorbild am Anfang einer überaus produktiven literarischen Tradition; er enthält zudem mit der Joie de la curt eine Episode, die wie kaum eine andere von mythischen Erzähltraditionen keltischen Ursprungs - und zwar sowohl in inhaltlicher wie auch in formaler Hinsicht - geprägt ist 1 und deren räumliche Inszenierung schon deshalb als prototypisch für das hier vorgestellte Verständnis von mythischen Räumen gelten darf. An der literaturgeschichtlichen Stellung des Textes dürfte trotz seiner fast unikalen - und späten - Überlieferung 2 kaum ein Zweifel bestehen: Die zahlreichen intertextuellen Bezugnahmen bei Hartmanns Zeitgenossen wie auch bei den nachfolgenden Dichtergenerationen sprechen in diesem Belang eine eindeutige Sprache. Seinem literarhistorischen Rang entsprechend stellt sich auch die Forschungsgeschichte zum ›Erec‹ dar, wenngleich 1 Vgl. hierzu zuletzt h oFFmann , Arbeit, S. 186-227. 2 Der Text ist annähernd vollständig nur in der Leithandschrift A, dem sog. ›Ambraser Heldenbuch‹ (Wien, ÖNB, Cod. vindob. ser. nova 2663), erhalten, das zwischen 1504 und 1515 / 16 im Auftrag Kaiser Maximilians von Hans Ried als »Schatzkammer für Werke, die 300 Jahre und mehr nach ihrem Entstehen in Gefahr waren, für immer verlorenzugehen«, angefertigt wurde (S cholz , Kommentar, S. 596). Daneben gibt es eine Reihe fragmentarischer Textzeugen, die teilweise erst in den letzten Jahren veröffentlicht wurden und deren entstehungs- und überlieferungsgeschichtliche Einordnung - auch bedingt durch ihren oft nur geringen Umfang - noch nicht abschließend erfolgt ist (vgl. S cholz , Kommentar, S. 595-600, sowie h oFFmann , Arbeit, S. 97; dort auch weiterführende Literatur). Aus diesem Grund muss Rieds Abschrift nach wie vor als Basis einer jeden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Hartmanns Text dienen. Der vorliegenden Untersuchung ist die Textgestalt der kritischen Edition durch Manfred Günter S cholz zugrundegelegt (Er); stärker noch als seine Vorgänger bemüht sich S cholz um Handschriftennähe und löst sich weitgehend von dem - ohnehin utopischen - Anspruch, aus dem überlieferten Bestand eine vermeintlich autornahe ›Urgestalt‹ des ›Erec‹ zu rekonstruieren (zu den Editionsgrundsätzen der Ausgabe vgl. S cholz , Kommentar, S. 600-602). Die Entscheidung für S cholz ’ Ausgabe bedeutet nicht, dass ich jede der in der Editionsgeschichte des Textes vorgenommenen und durch S cholz revidierten Konjekturen pauschal ablehne; einige der umstrittenen Eingriffe sind nach dem Erscheinen von Er auch tatsächlich wieder ins Spiel gebracht worden, so etwa die Konjektur der hövesche got statt des überlieferten - und in seiner Referenz unklaren - der hövesche (vgl. m eRtenS , Kommentar, S. 668 [zu Er / Mertens 5517], sowie Kapitel 2, Fn. 188). Doch angesichts der Verlockung, dasjenige für ein authentisches Dichterwort zu nehmen, was nichts anderes ist als die - obschon begründete - Vermutung des Herausgebers, halte ich es für sinnvoll, in Zweifelsfällen dem jeweiligen Interpreten selbst die Entscheidung zu überlassen. Ob nun S cholz ’ Lesart der genannten Stelle, der das Attribut hövesch in ironischer Weise auf den Helden beziehen will, gegenüber der seit Er / Haupt verbreiteten Konjektur der hövesche got vorzuziehen ist, bleibt auch nach Abwägen sämtlicher Argumente kaum eindeutig zu klären; ausschlaggebend ist, dass die in der Hs. bezeugte Textgestalt grundsätzliche b eid e Lesarten zulässt, während die Konjektur den Interpretationsspielraum signifikant einengt. Wie sehr eine solche Festlegung die Rezeption steuern kann, selbst dann, wenn sie korrekterweise als editorischer Eingriff markiert ist, belegt die Zusammenschau der Äußerungen zu besagter Stelle bei S cholz , Der hövesche got. 58 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue die akademische Beschäftigung mit Hartmanns Roman zu Beginn des letzten Jahrhunderts zunächst eher schleppend in Gang gekommen ist. Den doch eher zögerlichen Anfängen der Hartmann-Philologie steht heute eine kaum mehr zu überblickende Forschungslandschaft gegenüber. Gleichwohl hat auch die intensive Rezeption in den einschlägigen Fachkreisen nicht alle Fragen beantworten können, die dieses überaus vielschichtige Erstlingswerk eines Autors aufwirft, der bei seinen Zeitgenossen doch gerade für seinen luziden Darstellungsstil geschätzt wurde. 3 Seit Hugo K uhn s vielbeachtetem ›Erec‹-Aufsatz von 1948 4 hat man in der Schlussaventiure des Romans einerseits einen Reflex auf den individuellen Erfahrungsweg des Helden erkannt wie andererseits eine Auseinandersetzung mit den Grundlagen der vreude als Kernkonzept höfischer Geselligkeit. Demnach gehe es in der Episode - und letztlich auch in dem Roman als Ganzem - um die Frage der Intergration von Individuum und Gesellschaft, darum also, wie die Ansprüche des Einzelnen mit denen des Hofes zur Deckung gebracht werden können. Dieser aufs äußerste verknappten Essenz der gängigen ›Erec‹-Interpretationen dürfte grosso modo nichts entgegenzusetzen sein. Sie sollte allerdings den Blick nicht dafür verstellen, dass beim gegenwärtigen Stand der Forschung wesentliche Aspekte der Deutung nach wie vor im Dunkeln liegen. Konkret auf die Joie de la curt bezogen, betrifft das zum einen eine Feststellung, die zum ersten Mal in aller Radikalität von Walter h aug formuliert wurde, dass nämlich die aporetische Struktur des Konfliktes die handlungstechnische Auflösung im Zweikampf als bloße Scheinlösung entlarve 5 und dass mithin ein symbolisches oder gar allegorisches Verständnis der Joie de la curt »das subversive Potential der Szene« 6 zu verkennen neige - eine Beobachtung, deren weitreichende Implikationen in der gegenwärtigen Diskussion noch keineswegs ausgelotet sind. Zum anderen betrifft es eine Frage, die so grundlegend für die Interpretation der Episode scheint, dass man darüber Gefahr läuft, zu vergessen, dass ihre Beantwortung keineswegs trivial ist: warum nämlich überhaupt der Zustand der vreude am Hofe vom (Fehl-)Verhalten eines einzelnen Paares abhängen sollte. In Hugo K uhn s Ansatz scheint die Antwort eindeutig: Die Episode sei allegorisch zu verstehen, in ihr spiegle sich »des Paares eigener Weg […]: Zerstörung und Wiedergewinn der Minne und damit der höfischen Freude« 7 . Der Baumgarten stehe dabei, so K uhn , in seiner »wunderbare[n] Freudennatur« für die höfische Freude selbst: »allen offen und doch nur auf besondere Weise zugänglich«. Durch die falsche, d. h. die »sich in genießendem Besitz« abschließende Minne, die das »allegorische Liebespaar darin« verkörpere, habe nun jedoch auch der Wundergarten die höfische Freude verloren. Erst nachdem Erec, inzwischen durch seine Aventiure-Fahrt geläutert, den Ritter Mabonagrin, der mit seiner vriundinne den Freudegarten okkupiert hatte, in einem allegorischen »Kampf um die rechte Minneform« besiegen konnte, vermag die Freude im Garten und bei der Gesellschaft von Brandigan von Neuem zu erblühen. So einleuchtend diese Deutung ist, sie steht und fällt doch damit, ob man das Verständnis von ›erzählter Allegorie‹, das K uhn hier entwickelt, teilt oder nicht. K uhn s Allegorie- These wurde nicht erst seit h aug kritisch diskutiert: So erkennt etwa Christoph c oRmeau 3 Vgl. die vielzitierte Erwähnung in Gottfrieds ›Literaturexkurs‹ Tr 4628-4630: wie lûter und wie reine / sîniu cristallînen wortelîn / beidiu sint und iemer müezen sîn! 4 K uhn , Erec. 5 h aug , Erec, S. 221. 6 h aug , Ästhetik, S. 180. 7 Vgl. K uhn , Erec, S. 144 f. (dort auch die folgenden Zitate), hier S. 145. 2.1 Der Verlust der ›vreude‹ als Problem der ›Erec‹-Interpretationen 59 in der Joie de la curt allenfalls eine »komprimierte Vergegenwärtigung synchroner und diachroner Bedeutungssetzung« 8 , die Episode sei also »nicht allegorisch […] in dem Sinn, daß sie auf Orientierungsmuster außerhalb des Romans verwiese, in ihr konzentrieren sich vielmehr die Bezüge auf den ganzen Verlauf« 9 . Und sogar ihr Urheber selbst hat bekanntlich rückblickend mehr oder weniger deutlich Abstand von der These genommen, die er dreißig Jahre zuvor aufgestellt hatte. 10 Wie K uhn , so sieht auch Dieter W elz eine Verbindung zwischen der Joie de la curt einerseits und der verligen -Szene in Karnant andererseits, insofern nämlich hier wie dort je ein Figurenpaar vorgeführt werde, das sich dem ›Lustprinzip‹ verpflichtet habe und eben dadurch zum Affront gegen die am ›Leistungsprinzip‹ orientierte höfische Gesellschaft werde. W elz betont aber, dass die Situation jeweils »aus der Sicht der beleidigten Institution geschildert« 11 werde und dass es von dieser Perspektive zu abstrahieren gelte, da andernfalls »die Relativität und Funktionalität« der im Roman vertretenen Auffassung verfehlt würde. Wenn der Roman die »dem Glücksstreben des Einzelnen auferlegten Beschränkungen […] als durchaus rational, allgemein anerkannt und universell verbindlich« erscheinen lasse, dann bringe er, so W elz , »ein Argument der höfischen Gesellschaft vor, das als solches erkannt werden muß. Andernfalls läuft die Interpretation Gefahr, zur Paraphrase zu geraten.« Diesen Sprung auf die Metaebene habe aber K uhn nicht vollzogen, so dass seine Analyse letztlich nur die Position des »in der begrenzten Perspektive ritterlichhöfischen Denkens befangenen Frager[s]« Erec und seines »die Begrenzung sichernden Erzähler[s]« reproduziere. Auf K uhn s - im Grunde die Meinung der höfischen Gesellschaft artikulierende - Äußerung: »Man muß aus dem Freudegarten heraus« 12 , repliziert W elz bewusst provokant: »Warum eigentlich? « 13 Während der Hof und seine Vertreter - unter ihnen Erec, der Erzähler, aber auch Mabonagrin, der ja seine Niederlage als ›Erlösung‹ feiert (vgl. Er 9583-9586) - es zu begrüßen scheinen, dass mit der Befreiung Mabonagrins von seinem mörderischen Band auch das persönliche Liebesglück des Paares gewaltsam aufgebrochen wird, möchte W elz den eigentlichen Aggressor in der höfischen Gesellschaft selbst sehen, »die es den Abtrünnigen nicht verzeiht, daß sie ihrer nicht achten«. W elz ’ Darstellung mag überspitzt sein, doch legt sie den Finger auf einen Punkt, der noch immer einer Klärung harrt: warum nämlich die Gesellschaft auf die Missachtung, die ihr von Seiten des selbstgenügsamen Paares entgegenschlägt, nicht ihrerseits mit Missachtung reagiert, oder anders gesagt: warum sie offenbar in diesem Fall nicht in der Lage ist, das Vergehen der beiden auch entsprechend - etwa mit deren sozialer Exklusion - zu 8 c oRmeau , Bedeutungssetzung, S. 200. 9 c oRmeau / S töRmeR , Hartmann von Aue, S. 189; vgl. ähnlich auch Marianne W ünSch , Allegorie, S. 516, die in der Episode ein »verkürztes Modell der Sinnstruktur« erkennt. Norbert S ieveRding , Kampf, S. 68, Fn. 1, hält den Allegorie-Begriff durchaus für angemessen, solange er »in einem umgangssprachlichen Sinn verwendet« würde. 10 Vgl. K uhn , Allegorie, S. 206: »Es hat mich zeitlebens gewundert, daß nicht nur mein 1948 veröffentlichtes Strukturschema von Hartmanns ›Erec‹ fast unbesehen akzeptiert (und bis in Verfremdungen verwendet) wurde, sondern damit auch der Schlußpunkt der Joie de la court als allegorische Zusammenfassung des Erzählten. Ich selbst war mir sowohl der Richtigkeit wie vor allem der historischen und systematischen Bedeutung oder Geltung dieses Schemas nie so sicher, und bei meinen andauernden Skrupeln spielte gerade der behauptete Übergang der Erzählung in eine ebenso erzählte - und nicht gedeutete! - Allegorie, als eine Art Schlüssel für die Struktur, die größte Rolle.« 11 W elz , Glück, S. 12 f. (dort auch die folgenden Zitate), hier S. 12. 12 K uhn , Erec, S. 145. 13 W elz , Glück, S. 22 (dort auch das folgende Zitat), Fn. 68. 60 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue sanktionieren. Es leuchtet unmittelbar ein, warum Mabonagrin, aus Sicht des Textes, auf die Gesellschaft angewiesen ist, um an den rechten Freuden höfischen Daseins teilhaben zu können: wan bî den liuten ist sô guot (Er 9438), wie es Erecs Kontrahent nach dem Kampf selbst formuliert. Doch warum sollte umgekehrt die Gesellschaft auch auf Mabonagrin angewiesen sein, zumal zu erwarten wäre, dass der Ritter mit seinem devianten Verhalten auch seine Hofwürdigkeit eigenhändig verspielt hat? Auch Walter h aug nimmt die Minne des Baumgartenpaares in ihrer Eigenwertigkeit ernst und radikalisiert die Position W elz ’ sogar noch dahingehend, dass er in der Beziehung Mabonagrins und seiner Freundin »eine körperliche und geistige Gemeinschaft« sieht, »die durch die absolute Übereinstimmung in allem Wollen und Tun vollkommen« 14 sei. Erst in der Begegnung mit Mabonagrin erkenne Erec demnach, »was Liebe sein kann, ja, was sie idealiter sein muß« 15 . Damit verabschiedet h aug die Auffassung früherer Interpretationen, die in der Joie de la curt den Kampf der richtigen, höfischen Minne gegen die defizitäre Minne des Baumgartenpaares sehen wollten. Zwar stehe die »absolute Forderung des Eros« in Spannung zur höfischen Ordnung, doch beziehe der Text keineswegs eindeutig Stellung für die höfische Alternative. Seine eigentliche Leistung bestehe vielmehr gerade darin, »die Aporien im Verhältnis zwischen der Utopie [einer höfisch-idealen Gesellschaft] und der absoluten Forderung des Eros wie im Verhältnis zwischen der Utopie und der Widersprüchlichkeit menschlichen Tuns« 16 vor Augen zu führen. So wenig wie W elz bietet indessen auch h aug eine Antwort auf die Frage, warum die Selbstisolation des Paares auch den Verlust der vreude für den gesamten Hof bedeutet. h aug weist an anderer Stelle darauf hin, dass Mabonagrin dadurch, dass er seine Kampfkraft - eine für sich genommen durchaus ritterliche Tugend - »in den Dienst der gesellschaftsfeindlichen Liebe« stelle, »in viel höherem Maße Leid bewirkt, als dies bei Erecs gesellschaftlichem Desinteresse denkbar war« 17 . Zumindest implizit scheint h aug also davon auszugehen, dass es das von Mabonagrin verursachte personale Leid ist, das die vreude auf Brandigan verunmöglicht. Mit dieser Sichtweise würde h aug keineswegs alleine stehen: Auch Barbara t hoRan sieht als Gründe dafür, dass es »keine festesfreude« mehr am Hofe des Königs Ivreins gibt, einerseits den Umstand, dass »sich ein junges paar von der gesellschaft zurückgezogen hat«, andererseits aber, dass »dort achtzig witwen in tiefer trauer leben« 18 . Dabei bemerkt t hoRan zu Recht, dass die Trauer der Damen auch dann noch besteht, als die allgemeine Hochstimmung auf Brandigan längst wiederhergestellt ist, ja, dass sie sogar umso mehr Anlass zur Klage haben, »da ihnen nun der anblick des befreiten ritters Mâbonagrîn zugemutet wird, der ihre männer erschlagen hat. Die freude ist an den hof zurückgekehrt, aber sie sind von dieser freude ausgenommen.« 19 Hartmanns Text macht das vom Baumgartenritter verursachte Leid nach dem Sieg Erecs nicht einfach vergessen, er ruft es im Motiv der achtzig Witwen - bekanntlich eine Zutat der deutschen Bearbeitung 20 - sogar noch einmal nachdrücklich ins Bewusstsein. Doch die allgemeine Hochstimmung bleibt nun davon völlig unberührt, so dass es sich verbietet, beides, die 14 h aug , Lesen, S. 317. 15 h aug , Lesen, S. 318 (dort auch das folgende Zitat). 16 h aug , Lesen, S. 59. 17 h aug , Erec, S. 220. 18 t hoRan , man , S. 263. 19 t hoRan , man , S. 264. 20 Vgl. o hly , Struktur, S. 140. 2.1 Der Verlust der ›vreude‹ als Problem der ›Erec‹-Interpretationen 61 Freudlosigkeit auf Brandigan einerseits und die Befindlichkeit der Witwen andererseits, kausallogisch kurzzuschließen. Der Grund für die Freudlosigkeit auf Brandigan ist also woanders zu suchen. Es bietet sich an, sich dem Problem über die Begriffs- und Diskursgeschichte von mhd. vreude anzunähern, denn auch wenn es dazu nötig ist, den Blick vorerst von Hartmanns Text wegzulenken, verspricht dies doch, den historischen Bezugshorizont, vor dem dieser rangiert, umso deutlicher hervortreten zu lassen. 2.1.2 Aspekte der Semantik von mhd. vreude Vreude ist das »Kernstück höfischer Lebenslehre« 21 . Der Begriff geht auf eine im 8. Jahrhundert zuerst im süddeutschen Sprachraum auftretende Neubildung zur Adjektivform frao (Stamm: fraw- ) zurück (ahd. frawida, frewida ), die die bis zu diesem Zeitpunkt gängigen synonymen Begriffe (ahd. blidida, gaman, mendi u. a.) allmählich verdrängte. Der Begriff steht in einer Reihe weiterer neugebildeter Abstrakta des »Gefühls- und Geistesleben[s]«, die von der christlichen Mission eingesetzt wurden, »um spezifisch christliches Gedankengut auszudrücken«, wobei die bedeutungsäquivalenten Begriffe, die die althochdeutsche Sprache bereits zur Verfügung stellte, sich zu diesem Zweck vermutlich als »zu sehr mit heidnischem Klang beladen« 22 erwiesen haben. Eine umfangreiche Untersuchung zum vreude -Begriff in der mhd. Literatur hat unter problemgeschichtlicher Perspektive Karl K oRn vorgelegt. Grundsätzlich lässt sich K oRn zufolge eine semantische Verschiebung von einem jenseitsorientierten vreude -Begriff hin zu vreude als einem weltlichen Wertbegriff konstatieren. Der ursprüngliche vreude -Begriff der geistlichen Dichtung meint ›Freude in Gott‹. Diese Auffassung von vreude geht einher mit einer dezidierten Abwertung der irdischen Freude: »Im diesseitigen Leben gibt es nichts Freudiges […] außer der Hoffnung auf die dereinstige Auferstehung […] und auf die ewige Glückseligkeit« 23 . Konsequenterweise privilegiert es die geistliche Dichtung, »an die Stelle wirklichen Freudefühlens die Erwartung auf einen zukünftigen Dauerzustand der Freude zu setzen, der hinsichtlich seiner Erlebnisqualität unbekannt ist und nur negativ bestimmbar bleibt« 24 : durch gotes minne / 21 m ülleR , Lachen, S. 12. 22 e RomS , Vreude , S. 22, Fn. 48. 23 K oRn , Studien, S. 2. 24 K oRn , Studien, S. 125. Das schließt freilich ›Umbesetzungen‹ zwischen religiösem und Liebesdiskurs keineswegs aus - und zwar nicht erst mit dem Aufkommen der volkssprachigen Laienkultur in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts, wie etwa das Beispiel von Carmen Buranum 77 belegt, das erotisches Erleben durchweg in der Sprache religiösen Erlebens codiert: erotisches Glück als religiöse Offenbarung, die den Heiden ( gentibus , CB 77 II,4) verborgen bleiben muss; die Freuden der Liebe als paradisi gaudia (CB 77 XXX,3) usw. Im Hintergrund dürfte auch hier, wie so oft im Falle mittelalterlicher Liebesdichtung, das Hohe Lied Salomons gestanden haben, das von Anfang an erotisches und religiöses Sprechen als füreinander durchlässig erscheinen lässt. Gleichwohl geht das Carmen deutlich über das qua Tradition Verbürgte hinaus, wenn es im literarischen Spiel Konnotation und Denotation, Literalsinn und ›übertragene‹ Rede beständig ineinander umschlagen lässt (was metaphorisiert was? die sakralen Motive den profanen Gegenstand oder umgekehrt die Liebessprache einen womöglich dahinter verborgenen geistlichen Sinn usw.? ). Vgl. zu diesem Lied ausführlich, insbesondere zu möglichen parodistischen Aspekten, c aRdelle de h aRtmann , Parodie, S. 28-40; zum Begriff der ›Umbesetzung‹ vgl. grundlegend K öBele , Umbesetzungen. 62 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue [verkiesen] wertliche wunne ( JG 193 f.), lauten die entsprechenden Stichworte etwa in Frau Avas ›Jüngstem Gericht‹. 25 Der Gegenbegriff zu vreude ist trûren . Wie die vreude , so ist auch das trûren zunächst in erster Linie religiös motiviert: trûren ist angemessen nur als emotionale Reaktion auf die erbsündige Verfasstheit des Menschen. Alles trûren aus weltlichen Beweggründen ist demnach selbst sündhaft. Das wird bereits in der frühmhd. ›Kaiserchronik‹ deutlich: Allez wainen ist verboten von dem almehtigen gote, wan die sunde aine: die zeher die sint raine (Kch 2689-2692) Ähnlich argumentiert gut ein Jahrhundert später der Erzähler in Ulrichs von Liechtenstein ›Frauendienst‹: Truren daz ist niemen guot / wan dem, der ez umb sünde tuot (Uv LF r 1690,1 f.). Doch trûren wird nicht allein in geistlicher, sondern auch in weltlicher Hinsicht negativ sanktioniert: Es ist »von gesellschaftlich anerkannten Umgangsformen ( êren ) ausgeschlossen« 26 : swer anders truret, daz ist enwiht, / truren daz birt eren niht (Uv LF r 1690,3 f.). Neben der Form der »g e mäßigte n g eistlich e n Tra urigkeit« 27 erscheint trûren aber auch als »Ausdruck gottferner Verzweiflung an der Möglichkeit von Erlösung« 28 . In diesem Sinne bedeutet trûren : »im Zustand der Gottverlassenheit und des Gnadenmangels leben« 29 . Diese Haltung kennzeichnet auch bei Ulrich noch »durchaus traditionskonform den Todsünder« 30 . Im geistlichen Diskurs, beispielsweise im Kontext legendarischen Erzählens, verweisen Formeln wie trûren stœren o. ä. noch im 13. Jahrhundert dementsprechend auf »Heilsaffirmation« qua Abweisung des »Negativzustand[s] drohenden Heilsverlusts« 31 : mit sîner miete lône brâht er si von latîne ze tiuscher worte schîne dar umbe daz diu liute vernæmen dran ze diute daz er kann trûren stören (Pan 2144-2149), wie etwa Konrad von Würzburg sich im ›Pantaleon‹ über seinen Gönner, Johannes von Arguel, äußert. In der Minnesangtradition dagegen will auf wieder »eigene Weise […] der glücklose Sänger im […] Modus des trûren stœren je neu vreude mêren «: trûren stœren / kumt uns lobebæren (Neid SL 29, III ,3 f.). Bei Walther von der Vogelweide ist es die umworbene Dame selbst, die mit ihrer Gunsterweisung das trûren des Sängers zu wenden vermag: Diu mîn iemer hâ gewalt, / diu mac mir wol trûren wenden / unde senden fröide manicvalt (L 109,5-7). Die Semantik von trûren ist hier also wesentlich abhängig von den 25 Zum genaueren Verhältnis der beiden semantisch beinahe deckungsgleichen Terme wunne und vreude in der mhd. Literatur vor Hartmann vgl. e RomS , Vreude , S. 23 und 30 f. 26 m ülleR , Lachen, S. 14. 27 S uchomSKi , Delectatio , S. 14 (Hervorhebung im Original). 28 m ülleR , Lachen, S. 14. 29 K oRn , Studien, S. 4. 30 m ülleR , Lachen, S. 14. 31 K öBele , Illusion, S. 374 (dort auch das folgende Zitat). 2.1 Der Verlust der ›vreude‹ als Problem der ›Erec‹-Interpretationen 63 unterschiedlichen Gegenbegriffen, die in der Negation immer auch - sei es implizit, sei es explizit - mitaufgerufen sind. Ausschlaggebend für die Semantik von trûren bleibt mithin das jeweils zugrundeliegende Verständnis von vreude als dessen konzeptionellem Gegenpol. Begriffsgeschichtlich einschneidend ist die »Ablösung der religiös bestimmten Literatur der frühmittelhochdeutschen Periode, deren vreude -Begriff erst für das Jenseits volle Erfüllung verhieß« 32 . Mit ihr »ändert sich die Auffassung von vreude grundlegend. Sie wird Ideal des Diesseits.« Zunächst markiert vreude allerdings vorrangig das individuelle Empfinden: Sie ist »das Bewußtwerden der neugewonnenen seelischen Differenzierungen und Reizempfindlichkeit« 33 , dass sich mit dem Aufkommen der frühhöfischen Laienkultur einstellt. Zu diesem Zeitpunkt ist vreude noch nicht »zum gesellschaftlichen Imperativ« 34 erhoben, sondern meint »mehr gelebt[e] als prinzipiell zur Daseinsform erhoben[e] Gesamtstimmung« 35 . Entsprechend begegnen mhd. vrô und dessen Derivate vor allem im Zusammenhang mit spontanen Gefühlsäußerungen, etwa wenn König Philipp, der Vater Alexander des Großen, von der Zähmung des unbändigen Rosses Bucival erfährt: Der künec der spranc ûf sân, / und zehenzich sînes gesindes / er frowete sich sînis kindes (StrAl 382-384), oder wenn die entmutigten Soldaten in Alexanders Heer durch dessen Worte zu neuer Gefolgschaft bewogen werden: zehant si ûf sprungen,/ frôlîchen si sungen (StrAl 4180 f.). »Freude bedeutet [hier] eine welt- und schicksalbejahende kraftbewußte Gefühlshaltung, die das charakteristische Merkmal des ritterlichen Menschen ist.« 36 Mit der Herausbildung einer genuin adligen Laienkultur beginnt auch der vreude -Begriff sich auszudifferenzieren. In der Minnelyrik steht vreude meist im Zusammenhang mit einer (etwa im Hohen Sang) erhofften 37 oder (etwa im Tagelied) tatsächlich realisierten Liebesbegegnung. Insofern vreude hier vor allem mit erotischem Glück gleichgesetzt wird, steht sie in Spannung zur höfischen Öffentlichkeit und vollzieht sich in der Regel unterhalb deren Wahrnehmungsschwelle, als heimliche oder tougen minne ( MF 3,12). 38 Im scharfen Gegensatz dazu ist der vreude -Begriff der zeitgleich entstehenden höfischen Romane fast notwendig an höfische Öffentlichkeit gebunden, begegnet vreude hier doch vornehmlich im Kontext höfischer Geselligkeitspraktiken. Paradgimatisch hierfür kann der ›Eneasroman‹ Heinrichs von Veldeke stehen, der - so K oRn - wie kein Text vor ihm »eine klare Trennungslinie zwischen dem individuellen Gefühlsleben des Einzelnen und dem standesgebundenen Kollektivfühlen der ritterlichen Gesellschaft insgesamt« 39 ziehe. 32 e RomS , Vreude , S. 12 (dort auch das folgende Zitat). 33 K oRn , Studien, S. 15. 34 e hRiSmann o. [u. a.], Ehre und Mut, S. 247. 35 K oRn , Studien, S. 15. 36 K oRn , Studien, S. 126. 37 Vgl. etwa MF 124,12-15 (Heinrich von Morungen): ein sælden rîchez ende, / wirt mir daz von dir, / sô siht man an mir / vröide âne widerstreit. 38 In Walthers ›Lindenlied‹ L 39,11 ist das mögliche Öffentlichwerden des Liebesgeschehens ausdrücklich mit Scham assoziiert: Daz er bî mir læge / wessez iemen, / nun welle got, sô schamt ich mich (L 40,10-12). Gleichzeitig aber gibt die Erinnerung an das Treffen Anlass zur Freude, und zwar nicht allein für die beiden am Stelldichein unmittelbar Beteiligten, sondern offenbar für jeden, der die Spuren des Liebesspiels am Wegesrand sehen und verstehen kann: des wirt noch gelachet / inneclîche, / kumt iemen an daz selbe pfat , / Bî den rôsen er wol mac, / tandaradei, / merken, wâ mirz houbet lac (L 40,4-6). Zur paradoxalen Aussagestruktur des Minnesangs generell, der im Vortrag evident macht, was den Augen und Ohren der höfischen Öffentlichkeit an sich verborgen bleiben muss, vgl. auch Kapitel 3.2.6. 39 K oRn , Studien, S. 20 (dort auch das folgende Zitat). 64 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue Höfische vreude als Festfreude meint nun nicht mehr die emotionale Befindlichkeit des Einzelnen, »ist überhaupt nicht eine Summe, sondern ist die Freude einer Gruppenperson, ist die Freude Aller als einer Einheit.« Der Kollektivkörper ›Hof‹ definiert sich über die spezifisch höfische ›Haltung‹ der vreude. Die gesellschaftliche Forderung nach kollektiver vreude reiche nun so weit, »daß die Persönlichkeit als Einzelwesen mit ihrem privaten Leid im Banne der allgemeinen Festhochstimmung einfach ausgelöscht wird, daß es da nur noch Standesgemeinschaft gibt. […] [N]ichts darf den Märchenzauber der festlichen Wonne im geringsten stören.« 40 Ähnlich beschreibt Jan-Dirk m ülleR , mit Bezug auf den ›Frauendienst‹ Ulrichs von Liechtenstein, vreude als »Ausdruck adeligen Selbstwertgefühls« 41 . Dieses Selbstwertgefühl sei, so m ülleR , »weniger an vorgegebene oder zugeschriebene Qualitäten (Geburt, Besitz, Macht) gebunden als von bestimmten Interaktionsformen abhängig, zu denen der edel jung verpflichtet ist. […] Freude ist zugleich Bedingung und Ergebnis sozialer Anerkennung, setzt insofern Gelingen höfischer Gemeinschaft voraus. Dies meint eine Form des Umgangs miteinander, […] die subjektive Stimmungen zurückstellt, sich an den Erwartungen des anderen orientiert (Reflexivität), in Gruß und Gespräch dem anderen sein Selbstgefühl bestätigt und es ihm durch die höfische Selbstdarstellung der eigenen Person - in kostbaren Kleidern, edlen Gebärden, Schmuck - zurückspiegelt.« Entscheidend ist, dass vreude ständisch exklusiv codiert ist. In dieser Hinsicht erscheint vreude weniger als emotionale Disposition denn als »Verhaltensnorm« 42 , die den Umgang der in den Inklusionsbereich der höfischen Gesellschaft einbezogenen Individuen untereinander regelt: sit vro, minnet ho: / so mügt ir lop gewinnen (Uv LF r 38 II , 4 f.). Das setzt Distanz »zu momentanen Affekten, Interessen, Machtpositionen« voraus und sichert, indem »im Inneren ernsthafte Auseinandersetzungen« ausgeschlossen werden, »die Solidarität des Standes (u. a. auch seine Abgrenzung nach ›unten‹) auch angesichts fortbestehender Machtkonkurrenzen« 43 . Vreude hat, wer zum Hof gehört, wie umgekehrt zum Hof nur gehören kann, wer vrô ist. Die Diskrepanz zwischen ›Freude‹ als kontingentem, individualpsychologischem Affekt und vreude als Ausdruck gelungener höfischer Vergesellschaftung tritt besonders deutlich in Heinrichs von Neustadt ›Apollonius von Tyrland‹ hervor, wenn der Erzähler über einen ritterlichen Turnierteilnehmer bemerkt: Der werde und der mere / Was ain wittewere. / Im stunt sein müt in freuden ho (ApT 17640-17643). Eine »gewisse, allerdings unfreiwillige Komik« 44 mag der Stelle innewohnen, dies aber nur für den modernen Leser, der die hier beschriebenen begriffsgeschichtlichen Unterscheidungen gerade nicht berücksichtigt. Einem solchermaßen gewendeten Begriff von vreude eignet eine inhärente Zeitlichkeit insofern, als er an das höfische Fest als temporale Einheit gebunden ist. Dem Krönungsfest von Dodone in Ulrichs von Zatzikhoven ›Lanzelet‹ wird die exzeptionell lange Dauer 45 von über drei Monaten zugesprochen (vgl. La 9252). Das Ende der Feierlichkeiten kommt abrupt: Ein Bote erscheint und teilt König Artus mit, dass er zu Hause nicht mehr abkömm- 40 K oRn , Studien, S. 21. 41 m ülleR , Lachen, S. 12 (dort auch das folgende Zitat). 42 m ülleR , Lachen, S. 13 (dort auch das folgende Zitat). 43 m ülleR , Lachen, S. 21. 44 B iRKhan , Anmerkungen, S. 363. 45 Rosemarie m aRQuaRdt , Das höfische Fest, S. 248, zufolge liegt die durchschnittliche Länge des Hoffestes in der mittelhochdeutschen Literatur bei vier Wochen. 2.1 Der Verlust der ›vreude‹ als Problem der ›Erec‹-Interpretationen 65 lich sei: er en moht niht langer bîten, / wan im von heim ein bote kam, / der im seit, des ich niht vernam (La 9274-9276). Der Inhalt der Botennachricht wird nicht genannt, und zwar explizit nicht ( des ich niht vernam ): Offenbar kommt es nicht darauf an, warum Artus gehen muss, worin also der konkrete Anlass seiner Abreise liegt, sondern allein darauf, d a s s das Fest zwangsläufig ein Ende findet. Dementsprechend müssen auch die Damen auf Dodone einsehen (oder vielmehr: sich damit abfinden - wenen , La 9277), dass nach der Zeit freudiger Hochstimmung in Anwesenheit des Artusgefolges nun notwendig wieder Trauer und Wehmut (als Abwesenheit von vreude ) in ihre Herzen einziehen: Dô begunden sich di vrouwen wenen, / daz trûren und muotsenen / an daz herze muose gân (L 9277-9279). 46 Höfische Festfreude hat ihre eigene Zeit, zum Guten wie zum Schlechten. 47 Vreude in diesem Sinne meint also keinen überzeitlichen, geschweige universalanthropologischen Sachverhalt, sondern vielmehr ein spezifisches historisches Konzept, dass ohne den Hintergrund der feudalen Adelskultur des ausgehenden 12. Jahrhunderts kaum zu begreifen wäre. Als solches setzt vreude Unterscheidbarkeit notwendig voraus, und zwar sowohl soziale (höfisch-adelig vs. unhöfisch, ›bäuerisch‹), räumliche (der Hof als Ort der vreude vs. die unzivilisierte, hofferne Wildnis) und zeitliche Unterscheidbarkeit (das höfische Fest als Zeit der vreude vs. die Zeit des trûrens ). Sind diese Bedingungen nicht mehr gegeben, verliert auch vreude ihre Differenzqualität, ja, hört überhaupt auf, vreude zu sein. Es liegt nahe, hier einen Zusammenhang zu den bereits angedeuteten mythomorphen Entdifferenzierungsphänomenen zu sehen, die für die Joie-de-la-curt- Episode doch so prägend sind. Um diesen Zusammenhang zu erhellen, wird die Analyse bei der räumlichen Organisation des Textes ansetzen, aber immer wieder auch die dem Raum »verschwisterten Elemente[ ]« der Erzählung »wie Zeit, Erzählerperspektive, Figur und Handlungsfolge« 48 in den Blick nehmen. Nach diesem ersten Durchgang, der ein besonderes Augenmerk auf die mythosanalogen und nicht-differentiellen Strukturmerkmale des Textes legen wird, ist sodann das Deutungsangebot in Betracht zu ziehen, welches Hartmann selbst in Form des metadiegetischen Berichtes Mabonagrins seinen Rezipienten unterbreitet. Auf diese Weise soll gezeigt werden, wie der Text dergestalt am zeitgenössischen Minnediskurs mitarbeitet, dass er unter Verwendung mythischer Motive und Strukturlogiken (›Arbeit mit dem Mythos‹) einen Fall konstruiert, bei dem die Minne die binäre Unterscheidung von ›Höfischem‹ und ›Unhöfischem‹ zuletzt kollabieren lässt. Während bisherige ›Erec‹- Interpretationen die Biographie Mabonagrins zumeist in ihrem Bezug zu Erecs eigenem Lebensweg - insbesondere zu dessen Krise auf Karnant - gesehen haben, geht es mir vor allem darum, die Joie de la curt als höfisch-kollektive ›Identitätskrise‹ zu beschreiben, als Krise, die sich nicht zuletzt in der Desintegration der räumlichen und sozialen Strukturen der erzählten Welt niederschlägt. Das Ende der vreude auf Brandigan wäre dann als Ausdruck eben dieser krisenhaften Erfahrung zu verstehen. 46 Bei diesem trûren und muotsenen handelt es sich gewiss nicht um die gleiche existenzielle Not, der sich die achtzig Witwen in Hartmanns ›Erec‹ ausgesetzt sehen, doch sind die Parallelen dennoch bemerkenswert. In beiden Fällen nämlich scheint vreude wesentlich von der Präsenz König Artus’ und seiner Hofgesellschaft abzuhängen: So wie im ›Erec‹ erst der König (und die Aussicht auf soziale Reintegration am Artushof; vgl. hierzu Kapitel 2.2.5) die Witwen zur Überwindung ihrer Trauer bewegen kann (vgl. Er 9953-9962), so gibt im ›Lanzelet‹ umgekehrt die Abreise der Artusgesellschaft den Damen allererst Anlass zur Klage. Beide Szenen ähneln sich insofern und sind doch verschieden. 47 Die Temporalität von vreude ist auch ansonsten im ›Lanzelet‹ thematisch; vgl. hierzu ausführlich Kapitel 3.2.4. 48 m eyeR , h., Raumgestaltung, S. 231. 66 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue 2.2 Raumsemantische Analyse der Joie-de-la-curt-Episode 2.2.1 Der Weg nach Brandigan und die Wegscheide Die Episode setzt ein nach dem zweiten Duell Erecs mit dem zwergenhaften König Guivreiz und der darauffolgenden 14-tägigen Einkehr auf dessen Wasserschloss Penefrec. Unter der Führung des Hausherrn selbst brechen Erec und Enite auf, um im Anschluss an die gemeinsame Aventiurefahrt die Rückfahrt in das Land König Artus’ anzutreten: si gedâhten rîten dâ zehant / ze Britanje in daz lant / zem künege Artûse (Er 7798-7800.). Die Reise wird erschwert durch den Umstand, dass man den genauen Aufenthaltsort des Königs nicht kennt: ûf welhem sînem hûse / si in benamen vunden / daz enwesten si zuo den stunden (Er 7801-7803). Angesichts der erschwerten medialen Bedingungen des Mittelalters, unter denen Fernkommunikation allein mit großem Zeitaufwand und unter Zuhilfenahme von Botendiensten möglich war, mag diese Ungewissheit wenig verwundern. Sie irritiert dennoch: Später, als man - nun von Brandigan aus - erneut in Richtung Artushof aufbricht, stellt sich die Frage nach dessen derzeitiger Lokalisierung bemerkenswerterweise nicht noch einmal. Dort heißt es lapidar, Erec habe die achtzig Witwen ze hûse / dem künige Artûse (Er 9874 f.) gebracht, ohne dass man erfahren würde, wie der Held nun doch Kenntnis von dessen Bleibe erlangen konnte. Retrospektiv gewinnt auch die vermeintlich triviale Bemerkung über den ungewissen Standort des Königs so einen tieferen Sinn: Nach bestandenem Abenteuer erfolgt der Weg des Helden zurück ins Zentrum der Artuswelt für gewöhnlich zielgerichtet und ohne weitere Verzögerung, weshalb in der Regel auch nicht viel davon zu erzählen ist. Anders dagegen die Fahrt ins Abenteuer hinein: Sie sucht zwar ebenfalls ein bestimmtes Ziel, ein ideelles nämlich, nicht aber notwendig auch ein räumlich konkretes. Aus diesem Grund gehört es zu den Konstituenden des Aventiuremodells, dass der Protagonist sich eher der Führung fremder Mächte überlässt als dass er selbstbestimmt über die eingeschlagene Richtung entscheidet. Der Weg selbst wird zum Subjekt der Handlung: Er wird »als aktiv führend erlebt, und der Ritter überläßt sich im eher, als daß er ihn benützt« 49 . Aventiure (von lat. adventura ), das meint nichts anderes, als die gesuchte Konfrontation mit den Unwägbarkeiten einer ungewissen Zukunft, die gleichwohl nicht in einem modernen Sinne ›kontingent‹ zu nennen ist: »Für das Denken des Mittelalters liegt […] der Zufall (das contingens oder der casus ) in der Nachbarschaft des Schicksals ( fatum ), der Vorsehung ( providentia ) und des Glücks ( fortuna ).« 50 Der Entschluss zur Aventiure muss bewusst gefasst werden, die Begegnung mit der durch fremde Mächte bestimmten Zukunft »freundlich zugelassen und herausgefordert« 51 werden, doch der Ver- 49 t RachSleR , Weg, S. 112. Vgl. hierzu etwa die mit »fast programmatisch zu nennender Prägnanz« (ebd.) vorgebrachte Mitteilung über den Aufbruch Erecs vom Artushof nach der Zwischeneinkehr: nû reit der ritter Êrec, / als in bewîste der wec, / er enweste selbe, war: / sîn muot stuont niuwan dar, / dâ er âventiure vunde (Er 5288-5292), sowie die weiteren Belege für ähnliche Wendungen bei t RachSleR , Weg, S. 293 f.; vgl. auch F eiStneR , Bewußtlosigkeit, S. 245 f. 50 S töRmeR -c aySa , Grundstrukturen, S. 154. Kritisch dazu äußert sich R eichlin , Kontingenzkonzeptionen, S. 38 f., die gegen S töRmeR -c aySa einwendet, dass die spezifische Verschränkung von Zufall und Notwendigkeit im Artusroman »weniger die Folge eines providenten Weltverständnisses als die eines spezifischen narratologischen Modells« sei. Was das Aventiure-Modell zum Ausdruck bringt - und darauf alleine kommt es mir an -, ist, dass zumindest in der erzählten Welt des Textes »eine Annäherung oder ein Erreichen des Zieles […] nicht alleine in der Macht des [Helden] oder einer anderen weltichen Macht steht« (h aRmS , Studien, S. 258). 51 S töRmeR -c aySa , Grundstrukturen, S. 163. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 67 lauf des Aventiureweges selbst entzieht sich dann seinem Wesen nach der Verfügung durch den Protagonisten. nâch âventiure wâne (Er 3111) bricht Erec von Karnant auf, d. h. die Herausforderung suchend, doch ohne zu wissen, in welcher Form und vor allem wo er ihr begegnen wird. nâch wâne / doch der gewisheit âne (Er 7808 f.), reitet man schließlich auch von Penefrec los, diesmal aber, weil man das eigentliche Ziel dieses vermeintlich letzten Wegstückes - Karidôl oder doch vielleicht Tintajôl ? (Er 7806 f.) - nicht vor Augen hat. Wenn der Protagonist nun erneut, wie schon beim Aufbruch aus Karnant, auf den Zufall zurückgeworfen ist (während die tatsächliche Rückreise am Ende des Romans dann doch ohne jedes Moment der Ungewissheit vonstattengeht), dann ist damit vor allem eines erzählerisch angezeigt: Erecs selbstgewählter Bewährungsweg, den er nach dem verligen in Karnant angetreten hat, kann noch nicht zu einem Ende gekommen sein. Diese bewusst-reflektierende Inszenierung des Zufalls als Konstituens der Aventiure wird im Folgenden noch weiter zugespitzt: Nicht nur der Aufenthaltsort des Königs innerhalb seines Reiches ist unbekannt, auch die Frage, wie dieses Reich selbst überhaupt zu erreichen sei, wird mit einem Mal verunklart. Gegen Mittag (Er 7810) gelangt man an eine Wegscheide (Er 7813), was im Lichte des bereits Erzählten ungewöhnlich ist: »Im bisherigen Verlauf des Romans wurde die Wahl eines bestimmten Weges nie thematisiert, nun aber stehen Erec und Guivreiz vor der ungewohnten Entscheidung, welche Richtung sie einschlagen sollen.« 52 Obwohl man gerade einmal einen halben Tag unterwegs ist, sich also eigentlich noch in unmittelbarer Nähe zu Guivreiz’ eigenem Herrschaftsgebiet befinden müsste, 53 ist offenkundig nicht einmal dieser selbst mit dem richtigen Weg vertraut: welh wec ze Britanje in daz lant / gienge, daz was in unerkant (Er 7814 f.). Die Gruppe wählt kurzerhand die pragmatischere der beiden Möglichkeiten: Man entscheidet sich für die baz gebûwen (Er 7817) Straße. Nach einer Wegstrecke von nur gut fünf Meilen (Er 7819) erlangt Guivreiz die Orientierung dann allerdings jäh wieder: Der Anblick einer Burg, michel und wolgetan (Er 7821), die sich vor ihnen auftut, stürzt ihn sogleich in tiefes Unbehagen ( ungemach , Er 7823). Er, der sich zuvor noch als ebenso unvertraut mit der Umgebung erwiesen hat wie seine Gefährten, weiß nur wenig später (Er 8009-8026) überraschend doch Auskunft darüber zu geben, was es mit der Burg und der Aventiure auf sich hat, die es dort zu bestehen gilt. Die Episode ist damit schon zu Beginn von einer merkwürdigen semantischen Unbestimmtheit gekennzeichnet: Der Raumausschnitt, in dem man sich bewegt, scheint in eigentümlicher Weise vertrautes und untvertrautes Gebiet zugleich zu sein. Hartmanns Ausgestaltung der Szene ist allein schon insofern bemerkenswert, als sie in verschiedenen Punkten von deren französischer Vorlage abweicht. Bei Chrétien ist weder von der Ungewissheit darüber, auf welchem seiner Königssitze sich Artus derzeit befindet (das Ziel ist zunächst auch gar nicht der Artushof, sondern Erecs eigenes Land; vgl. EeE 5219), noch von einer Weggabelung die Rede. Stattdessen heißt es, man sei den ganzen Tag bis zur Vesper le droit chemnin (EeE 5320), auf geradem Wege also, geritten, bis man schließlich devant les bretesches / d’un chastel fort et rich et bel (EeE 5322 f.) anlangt. »Der Held trifft auf die joie de la cort wie auf alle andern Aventüren: umstandslos von der Hand des Dichters geführt.« 54 52 g laSeR , Held, S. 229. 53 Vgl. h aug , erec, S. 205. 54 h aug , Erec, S. 205. 68 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue Anders allerdings in der deutschen Adaptation: Hier ist der Weg zur Joie de la curt in ein komplexes Spiel mit topologischen Kategorien, mit der Unterscheidung ›vertraut‹ - ›unvertraut‹, mit Zufall und Providenz eingebunden. Paradoxerweise findet Erec sein abschließendes Abenteuer bei Hartmann nur deshalb, weil man sich für die - vom eigentlich vorgesehenen Ziel her gesehen - genau ›falsche‹ Richtung entschieden hat, für diejenige nämlich, die vom Artusreich geradewegs fortführt: Britanje daz lant / des endes verre hin lît (Er 7907 f.). Diese Erkenntnis stellt sich freilich erst ein, nachdem man schon längst von der rehten strâze (Er 7816), der zum Artushof nämlich, abgekommen ist. Insofern ist fraglich, ob Erec auf dem Weg dorthin tatsächlich nun »nicht mehr Objekt« ist, welches sich völlig passiv der Führung durch den Weg selbst überantwortet, sondern erstmals, so Edith F eiStneR , eigenverantwortlich handelndes Subjekt: »Erec schlägt den Weg nach Brandigan ein […], obwohl - anders bei Chrétien - der ortskundige Guivreiz beteuert, man habe an der Wegscheide statt der rehten strâze die ›falsche‹ Richtung gewählt […]. Er beharrt […], ohne dabei das Ziel aus den Augen zu verlieren, auf s ein e m Weg, der als Begegnung mit s ein er Geschichte für die anderen tatsächlich nicht der richtige Weg zum Artushof ist«. 55 Zuvor, an der Gabelung, verlässt allerdings auch den vermeintlich ›ortskundigen‹ Guivreiz der Orientierungssinn, so dass die Wahl des Weges, die den Helden schließlich zur Joie de la curt führen wird, notwendig ins Ungewisse hinein getroffen wird. Erec ist in dieser Situation nicht weniger ratlos als seine Begleiter. »An der wegescheide fällt zwar eine wichtige Entscheidung, aber Erec trifft sie nicht, oder doch erst nachträglich, nachdem sie schon gefallen ist.« 56 Dass er tatsächlich an der einmal eingeschlagenen Richtung festhält, auch nachdem sein Führer sich schließlich doch erinnert, zeigt an, dass er die Notwendigkeit, sein eigenes Geschick in die Hände des Schicksals zu legen, als wesentlichen Bestandteil seiner Aventiurefahrt anerkennt. Nur in diesem Sinne kann der Weg nach Brandigan als Erecs höchsteigener Weg bezeichnet werden, ein Weg, der ihm allein zwar zugedacht ist, dessen Verlauf sich ihm aber auch nur dann offenbart, wenn er sich bereitwillig auf die Fügung des Schicksals einlässt. Aventiure ist Autonomie in der Heteronomie; mit dieser Einsicht steht Erec vor seinem letzten Abenteuer im Grunde allerdings auf derselben Erkenntnisstufe wie zu Beginn des ersten Cursus, als er in vollem Bewusstsein den Entschluss fasst, nach âventiure wâne auszuziehen und sich den Beschwernissen der hoffernen Aventiurewelt auszusetzen. Wenn Erec sich an der Wegscheide abermals dem Zufall überantwortet sieht und er die Entscheidung des Zufalls dann retrospektiv auch als die einzig für ihn richtige einschätzt, 57 ist er dabei grundsätzlich nicht mehr oder weniger Subjekt der Handlung als auf seiner bisherigen Wegstrecke auch. Eine Entwicklung des Helden von einem Zustand der ›Bewusstlosigkeit‹ hin zu einem Zustand des ›Bewusstseins‹ 58 lässt sich aus dieser Konstellation m. E. jedenfalls nicht ableiten. 55 F eiStneR , Bewußtlosigkeit, S. 248 (Hervorhebungen im Original). Ob die Joie de la curt wirklich als spiegelbildliche Begegnung mit Erecs eigener Geschichte aufzufassen ist, wird noch zu diskutieren sein. 56 g laSeR , Held, S. 216. 57 Zu dieser Einschätzung gelangt Erec erst deutlich später, als er nämlich bereits in Brandigan angekommen und von dem dortigen Hausherrn Ivreins umfassend über die Hintergründe der Aventiure informiert worden ist. Dann, und erst dann kann Erec konstatieren: ich weste wol, der selbe wec / gienge in der werlde eteswâ, / rehte enweste ich aber wâ, / wan daz ich in suochende reit / in grôzer ungewisheit, / unz daz ich in nû vunden hân (Er 8521-8526). 58 So die These von F eiStneR , Bewußtlosigkeit. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 69 Wenn es also nicht um einen Erkenntnisprozess des Helden geht, dann bleibt nach wie vor die Frage im Raum, welche Funktion der Wegscheide als Motiv zukommt, das es an dieser Strukturstelle eben nur bei Hartmann, nicht aber in seiner Vorlage gibt. Walter h aug weist in diesem Zusammenhang auf die poetologische Dimension der Passage hin, die das dem Aventiuremodell generell eingeschriebene Zufallsmoment in ostentativer Weise noch einmal ins Bewusstsein ruft: »Das Motiv der zufällig falschen Entscheidung an der Weggabelung, die die Aufmerksamkeit auf sich zieht, weil sie nicht recht plausibel erscheint, verweist auf die besondere Logik der Handlungsführung in diesem Romantyp, die sich in der Art und Weise zeigt, wie mit dem Zufall umgegangen wird. Das Zufällige auf der Erzählebene ist nicht ein sinnlos Zufälliges, sondern es steht im Dienst der Konstruktion, der der Dichter die Vorgänge unterworfen hat und die den Sinn trägt. In Hartmann Änderung steckt zumindest ansatzweise eine poetologische Reflexion.« 59 Darüber hinaus, so hat es den Anschein, ist in der signifikanten Konstellation bei Hartmann aber auch die Absicht zu erkennen, den Weg zu Erecs letztem Abenteuer symbolisch anzureichern. Ernst t RachSleR vermutet dahinter das bivium -Motiv der christlichen Tradition: »die baz gebûwen strâze , die Richtung nach links. Dem geistlich geschulten, mit christlichen Zweiweg-Vorstellungen vertrauten Autor (Gregorius! ) ist schwerlich zuzumuten, daß er aufs Geratewohl derartige bedeutungsbeladene Bestimmungen in einen ohnehin schon bedeutungsträchtigen Kontext einfügt.« 60 In der christlichen Tradition geht die Bildlichkeit von den zwei Wegen auf Matthäus zurück (in der antik-heidnischen lässt sie sich sogar bis Hesiod zurückverfolgen 61 ): Intrate per augustam portam quia lata porta et spatiosa via quae ducit ad perditionem et multi sunt qui intrant per eam quam augusta porta et arta via quae ducit ad vitam et pauci sunt qui inveniunt eam (Mt 7,13 f.) Deutlicher noch als im ›Erec‹ knüpft Hartmann in seinem ›Gregorius‹ an die Motivik dieser Bibelstelle an, wenn es im Prolog heißt: daz dâ bî nemen war älliu sündigiu diet die der tiuvel verriet ûf den wec der helle, ob ir deheiner welle diu gotes kint mêren und selbe wider kêren ûf der sælden strâze, daz er den zwîvel lâze der manegen versenket. (Gr 56-65) 59 h aug , Erec, S. 205. 60 t RachSleR , Weg, S. 213. Eine bedeutungskundliche Untersuchung des bivium -Motivs in der mittelalterlichen Literatur bietet h aRmS , Studien, allerdings mit nur sporadischen Hinweisen auf den ›Erec‹ (vgl. z. B. ebd., S. 78, Fn. 98, und S. 233, Fn. 28). 61 t RachSleR , Weg, S. 210. 70 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue Das Motiv wird wiederaufgegriffen, als der Abt den zum Aufbruch entschlossenen Gregorius zu überreden sucht, sich doch für das Leben im Kloster zu entscheiden. Gott habe Gregorius, so die Argumentation des Abtes, vil vrîe wal gegeben (Gr 1439) zwischen einem Leben in schanden oder êren (Gr 1442), zwischen genesen oder sterben (Gr 1448). 62 Hier zeigt sich freilich, dass sich »die Begriffe und Bilder des Prologs« nicht notwendig auch »konsequent auf die Handlung« 63 applizieren lassen, wie es überhaupt fragwürdig ist, ob und inwieweit Prolog und Handlung eine Einheit im Sinne moderner Kohärenzerwartungen darstellen. t RachSleR weist darauf hin, »daß der Abt, vom bivium her gesehen, zum falschen Weg rät, wenn er den Jüngling mit dem Argument des bequemen Lebens [er wünscht sich ausdrücklich, Gregorius möge durch guot gemach im Kloster bleiben, Gr 1657] bei sich zurückzuhalten versucht«. Doch räumt t RachSleR auch ein, dass das angenehme Leben, das der Abt dabei vor Augen hat, das gottgefällige und deshalb von der Mühsal der Buße entbundene - und eben in diesem Sinne ›bequeme‹ - Leben der Unschuld sein könnte. Wie immer man die Worte des Abtes auffassen und wie stark oder schwach man auch den Bezug zur genannten Prologstelle ansetzen mag, so wird man doch kaum abstreiten können, dass die spezifisch christliche Vorstellung von den zwei Wegen als Bedeutungshorizont des Textes im ›Gregorius‹ zumindest mitaufgerufen ist. Fraglich bleibt freilich, ob man der Verwendung des Motivs im Prolog des Legendenromans deshalb auch schon programmatischen Charakter zurschreiben kann und inwieweit es angemessen ist, »vom ›Gregorius‹-Prolog aus« schließlich sogar »die Struktur aller epischen Werke Hartmanns« 64 verstehen zu wollen; denn: »[D]er Artusroman ist keine versifizierte Moraltheologie«, und dies wird umso deutlicher, wenn man bedenkt, dass sich »[n]icht einmal der ›Gregorius‹ selbst […] ohne weiteres vom Prolog her interpretieren lässt«. Umso mehr hat dies für die entsprechende ›Erec‹-Passage zu gelten. Selbst wenn hier ebenfalls eine Allusion auf die biblische bivium -Motivik gegeben ist, so muss doch eine entscheidende Abweichung gegenüber der christlichen Tradition ins Auge fallen. Erec und Guivreiz wählen nicht den beschwerlicheren und unbequemeren Weg, der im christlichen Verständnis der Weg ins Heil wäre, sondern die baz gebûwen Straße. In der Bildlichkeit des Gleichnisses bei Matthäus ist dies aber gerade der Weg ins Verderben. Auch Joachim S chRödeR bemerkt: »Wenn man hier das ›Zwei-Wege-Schema‹ und seine heilsgeschichtliche Auslegung zugrunde legen würde, müßte die baz gebuwen straze der gemeinliche wec , der bequeme, letztlich ins Unheil führende Weg sein. Diesen Sinn kann die Stelle aber auf keinen Fall haben, denn das folgende Abenteuer auf Brandigan ist das Abenteuer, das den Höhepunkt von Erecs Bewährungsproben bildet […].« 65 Hendricus S PaRnaay übersieht denn auch bezeichnenderweise die Umkehrung der Wegsymbolik bei Hartmann und »liest in den Text hinein, was nach dem üblichen Schema zu 62 Vgl. zu dieser Passage auch h aRmS , Studien, S. 35-49. 63 t RachSleR , Weg, S. 212 f. (dort auch das folgende Zitat). 64 t RachSleR , Weg. S. 245 f. (dort auch die folgenden Zitate). Trachsler bezieht sich vor allem auf o hly , Struktur. 65 S chRödeR , Darstellung, S. 171. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 71 erwarten wäre« 66 : »Sie wählen natürlich die schlechte, wenig berittene Straße und kommen so nach Brandigan.« 67 Hartmann variiert das Schema allerdings nicht nur in Hinblick auf die Beschaffenheit der Straße, sondern auch hinsichtlich ihrer Richtung. Zwar fehlen in Mt 7,13 f. eindeutige Richtungsangaben, doch wird der beschwerliche, aber ins Heil führende Weg in der Regel mit der rechten, der Weg ins Unheil dagegen mit der linken Seite assoziiert. Manfred l uRKeR sieht die »Bedeutung der beiden Steiten im Zusammenhang mit der Erfahrung der rechten (geschickteren, ›richtigen‹) und der linken (schwächeren, ›linkischen‹) Hand, aber auch mit der Orientierung im Raum. Bei ritueller Zuwendung nach Süden ist die Licht und Leben verheißende Seite des Sonnenaufgangs zur Linken, die dann die Gute ist (Etrusker, Rom vor dem griech[ischen] Kultureinfluss, China). Bei der meist üblichen Orientierung nach Osten liegt der Weg der Sonne vom Betrachter aus auf der rechten Seite: das Heil kommt von rechts.« 68 Für die höfische Epik dürfte wiederum vor allem die Adaptation dieser kulturgeschichtlich wesentlich älteren Richtungssymbolik im Matthäus-Evangelium ausschlaggebend gewesen sei: In Mt 25,32 f. heißt es, dass der Herr beim Jüngsten Gericht wie ein Hirte die Schafe, also die Gemeinschaft der Erlösten, zu seiner Rechten, die Böcke aber, d. h. die Verdammten, zu seiner Linken versammeln wird: et congregabuntur ante eum omnes gentes et separabit eos ab invicem sicut pastor segregat oves ab hedis et statuet oves quidem a dextris suis hedos autem a sinistris . Diese Zuordnung wird zu Hartmanns Zeit bereits gängigerweise auf das Zwei-Wege-Schema übertragen. 69 Wenn es bei Hartmann heißt, die rehten strâze si vermiten (Er 7816), dann ist damit zunächst nichts anderes als »die richtige Straße zum Artushof« 70 gemeint, ohne dass auch schon die genannte Richtungssymbolik oder überhaupt nur ein eindeutiger Richtungssinn gegeben wäre. Erst als Guivreiz feststellt, er habe die Gruppe zuo der winstern hant (Er 7906) geführt, ist die Zuordnung klar: Die unbefahrene Straße wäre nicht nur die tatsächlich richtige (zum Artushof) gewesen, sie ist auch diejenige, die an der Wegscheide nach rechts abgeht. Nun erst eigentlich kommt der intertextuelle Bezug zum Matthäus-Evangelium zum Tragen. Man darf davon ausgehen, dass es dem zeitgenössischen Rezipienten durchaus aufgefallen ist, wenn sich die Gruppe schließlich für den vom christlichen Bildgebrauch her gesehen genau falschen Weg, und zwar sowohl hinsichtlich seiner Beschaffenheit als auch hinsichtlich seiner Richtung, entscheidet. Wer mit dem biblischen Prätext vertraut ist, wird in dieser markierten Abweichung vor allem ein erzählerisches Signal erkennen: Drohendes Unheil steht bevor. Doch damit ist das Spiel mit dem biblischen Zwei-Wege-Schema noch keineswegs zu Ende. Denn während die ›Erec‹-Passage zwar mit der gängigen Richtungssymbolik bricht, 66 t RachSleR , Weg, S. 214, Fn. 102. 67 S PaRnaay , Hartmann, S. 99. 68 l uRKeR , Rechts und Links, S. 607. Möglicherweise ist die dichotome Gegenüberstellung der beiden Richtungsindizes auch mit dualistischen Vorstellungen in Verbindung zu bringen, wie sie in den mythischen Traditionen unterschiedlichster Herkunft begegnen. In der spezifisch christlichen Ausformung dieser Symbolik ist freilich jeder potentiell mythische Sinn weitestgehend allegorischen Deutungsmustern unterworfen, die dann wiederum dem wesentlich freieren und spielerischeren Zugriff durch literarische Verfahrensweisen offen stehen. 69 Vgl. t RachSleR , Weg, S. 214 f., mit Beispielen in Fn. 103. 70 S chRödeR , Darstellung, S. 171. 72 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue erweist sich intrikaterweise Hartmanns Ausgestaltung des bivium -Motivs, die in der linearen Abfolge der Narration ebenfalls auf die Irritation der Publikumserwartung zielt, ex post dann doch als durchaus traditionskonform. Der Weg, den die Gruppe gewählt hat, stellt sich als der nur scheinbar leichtere heraus: Tatsächlich führt er in ein Abenteuer hinein, das für den Helden mit der Bedrohung für Leib und Leben einhergeht und also ungleich größere Mühen mit sich bringt als der zwar schlechter ausgebaute, dafür aber direkte rechte Weg zum Artushof. Und schließlich offenbart sich dieser Weg zwar nicht in einem spirituellen oder tropologischen Sinn, wohl aber in Bezug auf die erstrebenswerte höfisch-ritterliche Lebensform als der einzig ›richtige‹: Erst die Joie de la curt »führt Erec auf den Gipfel seines Ansehens und macht ihn würdig für die Übernahme des Königtums« 71 . Es zeigt sich, »daß die gängige christliche Auffassung vom richtigen und falschen Weg für den Artusritter nicht ohne weiteres verbindlich ist«, doch bleibt gleichwohl auch sein Weg stets auf das biblische Schema bezogen; die Bedeutung des bivium -Motivs bei Hartmann erschließt sich gerade »im Spannungsfeld zwischen Analogie und Gegensatz« 72 zur christlichen Tradition. Dem Weg nach Brandigan, der in seiner spezifischen Ausgestaltung bei Hartmann in sinnfälliger Weise sowohl gegenüber der französischen Vorlage als auch gegenüber den biblischen Prätexten abweicht, die in der Passage aufgerufen sind, kommen also ganz unterschiedliche Funktionen zu. Bereits mit der Frage nach dem Aufenthaltsort von König Artus, mehr noch aber durch das Einführen des bivium -Motivs gewinnt die narrative Inszenierung im Vergleich zu Chrétiens Darstellung an Komplexität. Aus handlungslogischer Sicht sind beide Neuerungen höchst unwahrscheinlich: Erstere spielt bemerkenswerterweise keine Rolle mehr, als man am Ende des Romans schließlich doch zum Artushof aufbricht; und die Frage nach dem richtigen Weg ins Artusreich scheint in Anbetracht dessen, dass die fragwürdige Wegscheide mehr oder weniger unmittelbar in Nachbarschaft zu Guivreiz eigenem Herrschaftsgebiet liegt, ebenfalls wenig plausibel. Durch diese unwahrscheinliche Konstruktion exponiert Hartmanns Text geradezu den Zufall als wesentliches Bestimmungselement des Aventiuremodells. Während auf der Handlungsebene die vemeintlich falsche Wahl an der Wegscheide dem Helden Anlass gibt, seinen in Karnant gefassten Entschluss zur Aventiure noch einmal zu bestätigen, sind in der gesamten Konstellation, wie Walter h aug zu Recht bemerkt, auf der Metaebene Ansätze einer poetologischen Reflexion zu erkennen. Die Bezugnahme auf das christliche bivium -Schema leistet aber noch mehr als metapoetische Selbstreflexion. Insofern das Motiv bei Hartmann gegen die Tradition steht, wirkt es spannungssteigernd 73 und damit rezeptionslenkend: Wer mit dem christlichen Schema 71 S chRödeR , Darstellung, S. 171. Die Identifikation des Weges zur Joie de la curt mit dem ›richtigen‹ Weg des christlichen bivium -Schemas schließt freilich nicht ein, dass der andere Weg, derjenige zum Artushof nämlich, mutatis mutandis mit dem im Matthäusevangelium erwähnten Weg ins Verderben gleichzusetzen sei. Auch t RachSleR , Weg, S. 216 f. stellt fest: »Die Analogie bzw. Antithese zur geistlichen Wegwahl ›stimmt‹ nur für die positive Wegrichtung; es wäre absurd, die Straße, die nach Britanje an den Artushof führt, irgendwie mit der spatiosa via, quae ducit ad perditionem in Verbindung zu bringen.« 72 t RachSleR , Weg, S. 216. Vgl. ähnlich auch Quast, spil , S. 510: »Der falsche Weg als richtiger Weg zum Ziel demonstriert deutlich, dass der Roman eine Art Kontrafaktur des biblischen Wegebildes inszeniert. Die Vorlage, das ›heilige Vorbild‹, bleibt indes kopräsent.« 73 g laSeR , Held, S. 53, betont ebenfalls die Spannung erzeugende Verwendung des Motivs bei Hartmann: »Indem Hartmann eine eindeutige Symbolik verweigert, steigert er die Spannung - eine erzähltechnisch durchaus geschickte Maßnahme.« 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 73 vertraut ist, muss in der - vom biblischen Vorbild her gesehen - falschen Wegwahl der Gruppe ein Zeichen für drohendes Unheil erkennen. Erst retrospektiv erweist sich der Weg nach Brandigan dann doch als der einzig für den Helden richtige. An die Stelle der Kontrastwirkung tritt nun die Parallelisierung von christlichem und ritterlichem Weg, die letzteren semantisch anreichert, ohne ihn aber notwendig mit ersterem schlichtweg in eins zu setzen. Der Weg des Aventiureritters wird nicht mit dem christlichen Weg ins Heil identifiziert, doch wird er, so könnte man mit Rainer W aRning sagen, 74 durch ›konnotative Ausbeutung‹ der christlichen Symbolik in seiner Wertigkeit diesem angenähert. Das sich in der Pragmatik zwischen Text und Rezipient vollziehende Spiel mit einem als bekannt vorauszusetzenden Prätext, der sich, zunächst gezielt verfremdet, ex post dann doch als durchaus konform mit dem rezipientenseitigen Vorwissen erweist, wiederholt sich in gewisser Hinsicht noch einmal auf der Figuren- und Handlungsebene. Denn auch aus der Figurenperspektive erscheint anfangs als ›fremd‹, was eigentlich vertraut sein müsste (Guivreiz kennt die Gegend um Brandigan), um sich dann aber, als eine Umkehr schon fast ausgeschlossen scheint, tatsächlich als wohlbekannt (und gefürchtet) herauszustellen. Damit ist eine weitere Funktion des Weges in Hartmanns Ausgestaltung der Szene angesprochen: die Reflexion des ungewissen Status Brandigans innerhalb der räumlichen Ordnung der erzählten Welt. Wenn Brandigan auch nicht vollständig der höfischen Welt zuzurechnen ist, wie sie im Text durch den Artushof, aber beispielsweise auch durch Penefrec repräsentiert wird, so ist es ihr doch immerhin in topographischer Hinsicht benachbart - man befindet sich keinen Tagesritt vom Herrschaftszentrum Guivreiz’ entfernt, als man vor der Joie de la curt anlangt. Andererseits wird Brandigan in größtmöglicher Distanz zum Artusreich geschildert: Britanje daz lant / des endes verre hin lît (Er 7907 f.). Ohne dass das Motiv der Wegscheide per se schon motivgeschichtlich als mythisch einzustufen wäre (wenn es auch ursprünglich auf mythischen Traditionen fußen mag, ist es in diesem Fall doch ohne Zweifel buchreligiös vermittelt), so scheint mir seine spezifische Ausgestaltung bei Hartmann der räumlichen Logik des Mythos dennoch nahe zu stehen, sind doch »Nähe und Distanz […] im Rahmen mythischer Weltvorstellungen nicht als reale topographische Markierungen zu verstehen, sondern als Ausdruck einer symbolischen Ordnung« 75 . Die Nähe zu Guivreiz’ Reich, die handlungslogisch eher stört, da sie dessen Unsicherheit hinsichtlich des rechten Weges als schlecht motiviert erscheinen lässt, deutet an, dass Brandigan der vertrauten höfischen Welt nicht völlig fremd sein kann, ja, dass dieser Weltausschnitt sogar im Sinne einer metonymischen Logik der Kontiguität an ihr partizipiert oder ihr doch zumindest analog veranlagt ist. Die ausdrücklich hervorgehobene Distanz zum Artusreich sowie Guivreiz’ vorübergehende Verblendung hingegen zeigen an, dass Brandigan gleichwohl auch der hoffernen Aventiurewelt zugehört, einem Bereich der erzählten Welt, der der höfischen Sphäre radikal entgegensteht und über dessen innere Strukturen die Artuswelt nicht recht viel mehr weiß, als dass es dort zahllose Abenteuer von unbekanntem Ausmaß und mit ungewissem Ausgang zu bestreiten gibt. Brandigan ist beiden makrostrukturellen Teilbereichen dieser Erzählwelt gleichermaßen assoziiert. 74 Vgl. W aRning , Lyrisches Ich, v. a. S. 144-156; S chulz , Erzähltheorie, S. 31, bringt das W aRning sche Konzept definitorisch auf den Punkt: »›Konnotative Ausbeutung‹ bedeutet, daß vor allem religiöse Bedeutungsbereiche, die hinsichtlich ihres symbolischen Werts hoch besetzt sind, eingespielt werden, um andere Bedeutungsbereiche mit positivem Wert aufzuladen, etwa wenn die vrouwe (›Dame‹, ›Herrin‹) des Minnesangs analog zur Jungfrau Maria stilisiert wird«. 75 S chulz , Der neue Held, S. 421. 74 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue Das wirft die Frage auf, wo genau eigentlich die Grenze zwischen der höfischen Welt und ihrem außerhöfischen Gegenpart verläuft. Das Verwirrspiel mit dem ›richtigen‹ Weg, das Hartmann anhand des bekannten bivium -Motivs in höchst eigenständiger Weise entfaltet, kündet bereits an, worum sich auch die Joie de la curt selbst drehen wird: um das Problem der Grenzziehung zwischen dem Höfischen und dem Nicht-Höfischen, das in der literarischen Imagination eben auch in einem ganz räumlich-konkreten Sinne durchgespielt wird. Der Umgang des Textes mit dem bivium -Motiv ist dabei ein spezifisch literarischer: Ein geläufiges Element aus dem gegebenen kulturellen Wissensvorrat wird aufgerufen und zugleich im freien fiktionalen Spiel variiert und sinnfällig verfremdet. Das Motiv selbst ist über die christliche Tradition vermittelt, d. h. es lässt sich allenfalls indirekt auf mythische Erzähltraditionen zurückführen. Gleichwohl bereitet seine spezifische Verwendung bei Hartmann vor, was später dann die literarische Arbeit mit genuin mythischen Erzählelementen noch weiter vorantreiben wird: die Ambiguisierung der räumlichen Ordnung und der weiteren daran geknüpften Instanzen der erzählten Welt. 76 2.2.2 Die Burg Brandigan: Scheinbare Idealität Als Guivreiz der Burg gewahr wird, die die Gruppe am Ende des vermeintlich unbekannten Weges erwartet, stürzt ihn der Anblick in tiefes Unbehagen: daz wart im vil ungemach und begunde in vaste beswæren, daz si dar komen wæren. (Er 7823-7825) Den Grund hierfür erfährt man allerdings zunächst nicht - der Erzähler »weigert sich sogar explizit, an dieser Stelle nähere Informationen zur Burg zu geben« 77 . In einer der für Hartmann charakteristischen Dialogszenen zwischen dem Erzähler und seinem fingierten Publikum 78 weist er das Drängen eines allzu neugierigen Zuhörers zurück und fordert zugleich die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über den Stoff und seine Vermittlung im discours der Erzählung ein: Er kenne wohl den Anlass für Guivreiz’ eigentümliche Reaktion, doch sei es noch nicht an der Zeit, davon zu handeln: »nû sage, von wiu? « daz weiz ich wol und sage’z, sô ich’z sagen sol. des enist noch niht zît. wie bîtelôs ir sît! (Er 7826-7829) Statt also die im fingierten Dialog antizipierte Neugierde des Rezipienten zu befriedigen, kündet der Erzähler im Folgenden die Beschreibung der rätselhaften Burg an und lenkt damit, wie schon in der markierten Variation des bivium -Motivs, die Aufmerksamkeit gezielt auf die Besonderheiten des räumlichen Arrangements der Episode: 76 Vgl. hierzu auch S chmid , Lechts und rinks, die im spezifischen Umgang der höfischen Epik mit dem Zwei-Wege-Schema, welcher ihr zufolge auf »ein Anderes jenseits der binären Opposition von Heil und Verderben« verweise, die »Zeichen der dem Artusroman eigenen Arbeit am Mythos« erkennt (hier S. 131). 77 g laSeR , Held, S. 53. 78 Vgl. m ecKe , Zwischenrede. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 75 wer solde sîn mære vür sagen? ich enwil iuch niht verdagen, wie diu burc geschaffen wære: daz vernement an dem mære. (Er 7830-7833) Die anschließende descriptio orientiert sich zunächst zwar an »der Perspektive der noch weit entfernten Figuren« 79 , doch reiht sie nicht willkürlich einzelne Beobachtungsaspekte aneinander, sondern scheint einem vorgegebenen Beschreibungsmuster zu folgen: Gezielt lässt der Erzähler den Blick »langsam von unten nach oben gleiten« 80 , so dass die Beschreibung bei dem Felsplateau, auf dem die Burg errichtet ist, ansetzt, um sich schließlich über die Burgmauer, die Wohngebäude und die Zinnen bis zu den Türmen vorzuarbeiten. Das Fundament, dem die Burg aufruht, daz burcstal (Er 7834), ist ein zwölf Hufen breiter (Er 7837), sineweller (Er 7838), also kreisrunder Stein, der so eben ist, als wäre er gedrechselt ( ebene, sam er wære gedrân ; Er 7839). 81 Dieser Felsen ist so hoch, dass er ûf von der erde / entwahsen wol den mangen (Er 7843 f.) ist - die Burg befindet sich außerhalb der Reichweite von Steinschleudern und Belagerungsmaschinen. Andrea g laSeR meint hierin »eine leise Anspielung auf die Entrücktheit dieser Burg, die mit gewöhnlicher Kriegsmaschinerie nicht mehr zu erreichen ist« 82 , zu erkennen. Tatsächlich ließe sich dieses Detail aber auch gegenläufig interpretieren: die hohe Lage der Burg nicht als Qualität, die Brandigan gewissermaßen aus der gewöhnlichen Welt ›herausragen‹ lässt, sondern die sie, im Gegenteil, an ihre ganz bodenständige Bestimmung als Schutz- und Wehranlage zurückbindet. Nicht die ›Entrücktheit‹ der Burg steht im Vordergrund, sondern ihre Zweckdienlichkeit, und ihren - im Grunde äußerst profanen - Zweck, nämlich Schutz vor feindlichen Übergriffen zu gewährleisten, erfüllt sie eben in besonderem Maße. Brandigan ist in diesem Sinne gegenüber anderen Burgen hervorgehoben, ohne jedoch sich wesensmäßig schon dadurch von ihnen zu unterscheiden: 83 eine Festungsanlage ganz so, wie man sie sich nur wünschen kann. Deshalb kann der Erzähler auch über das Felsplateau, auf dem sich die Anlage befindet, aussagen, dass es ganz nâch des wunsches werde (Er 7841) geschaffen sei. Die Funktionalität des Wehrbaus wird auch in weiteren Details der Burgbeschreibung bestätigt, wenngleich die Schutzfunktion der Festung stets auch mit ihrer Funktion als repräsentatives Herrschaftszentrum verschränkt ist. So wird etwa auf den ritterlîche[n] aneblic (Er 7847) hingewiesen, welchen das Hauptgebäude ( hûs , Er 7848), das sich innerhalb einer burcmûre hôch und dic (Er 7846) befindet, dem heranreitenden Gast bietet. Über den Zinnen der Festungsmauer (vgl. Er 7849) ragen nicht weniger als dreißig Türme hervor (Er 7863). Auch ihre Beschaffenheit wird im Folgenden eingehender geschildert. Statt mit Mörtel ( sandic phlaster , Er 7852) sind die großen Steinquader, aus denen die Türme zusammengesetzt sind (vgl. Er 7850), gebunden vaster / mit îsen und mit blîe (Er 7853 f.). Dieses 79 g laSeR , Held. S. 53. 80 g laSeR , Held. S. 55. 81 Möglicherweise ist hier eine mythische Ungeschiedenheit von Kultur und Natur angedeutet, »wenn sich die fundierende Natur« des Felsplateaus »als wie von Künstlerhand gemacht präsentiert«, wie es Armin S chulz , Der neue Held, S. 429, über die Feeninsel in Ulrichs von Zatzikhoven ›Lanzelet‹ konstatiert. Der Herrschaftssitz der Meerfee wird bei Ulrich in deutlicher Analogie zu Brandigan geschildert: der berc was ein kristalle / sinewel als ein balle, / dar ûf stuont die burc vast (La 209-211). 82 g laSeR , Held, S. 54. 83 Schon Heinrich l ichtenBeRg , Architekturdarstellungen, S. 78, bemerkt Hartmanns »Anschluß an mittelalterliche Wirklichkeit, die er freilich idealisiert«. 76 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue Detail, welches so bei Chrétien fehlt, 84 verdankt sich nicht allein »genuin rhetorischen Gestaltungsinteressen, die auf eine Steigerung und Überbietung der Mauerfestigkeit abzielen« 85 , sondern findet seine Entsprechung auch in den »alltagsweltlichen Realitäten um 1200« 86 , wie Jürgen S chulz -g RoBeRt aufzeigt: Bleivergossene Eisenklammern gehören zu den archäologisch verifizierbar bautechnischen Innovationen der Zeit. 87 Ob Hartmann tatsächlich selbst über die entsprechenden architektonischen Kenntnisse verfügte oder ob sein Wissen nicht vielmehr »literarisch über die ›Kaiserchronik‹ oder Lamprechts ›Alexander‹ vermittelt ist, bleibt unklar« 88 . Jedenfalls verweist die besondere Verfugungstechnik »ebenso wie der hohe Felsen auf die Festigkeit und Uneinnehmbarkeit der Burg« 89 . Hartmanns Schilderung akzentuiert also insgesamt die Funktionalität der Festungsanlage, und zwar in einer Weise, die durchaus anschlussfähig an die lebenspraktische Erfahrungswelt seiner ursprünglichen Rezeptionsgemeinschaft ist. In dieser Perspektive ist es denn auch eher nebensächlich, woher der Autor selbst die entsprechenden Sachkenntnisse bezogen haben könnte. Der Blick des Erzählers, der einem vertikalen Beschreibungsmuster ›von unten nach oben‹ folgt, rastet sodann auf der höchsten Ebene der mehrschichtig gegliederten Burganlage ein: den Türmen und ihren prunkvollen Aufsätzen. Diese sind jeweils zu Dreiergruppen arrangiert ( ie drîe unde drîe / nâhen zesamene gesat , Er 7855 f.). 90 Auf ihren Spitzen befinden sich goldgeschmückte Knäufe ( mit goldes knophen rot , Er 7866), der iegelîcher verre bôt in daz lant sînen glast. daz bewîste den gast, dem dar ze varne geschach, daz er den schîn verre sach 84 Dort heißt es an entsprechender Stelle schlicht, die Burg sei clos tot an tor de mur novel (EeE 5324), was die Beschaffenheit dieser ›neuen (oder doch eher ›neuartigen‹? ) Mauer‹ ( mur novel ) im Unklaren belässt. 85 S chulz -g RoBeRt , quâdrestein , S. 280. 86 S chulz -g RoBeRt , quâdrestein , S. 292. 87 Tatsächlich konnte eine solche Bautechnik bereits für den Parthenon in Athen nachgewiesen werden (vgl. S chulz -g RoBeRt , quâdrestein , S. 287), doch scheint im deutschen Mittelalter die einfache Bauweise mit Mörtel vorgeherrscht zu haben. Die ältesten archäologischen Belege für die Quaderverbindungstechnik mit bleivergossenen Eisenklammern sind in Deutschland auf die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts zu datieren (vgl. ebd., S. 292). 88 S cholz , Kommentar, S. 935 (zu Er 7849-7856). 89 g laSeR , Held, S. 54. g laSeR bezeichnet die Erwähnung der Verfugung als »visuelle[s] Detail, das innerhalb der perspektivischen Schilderung eventuell eine Ausnahme bildet (es ist fraglich, ob die weit entfernten Figuren die Fugen der Türme erkennen können)« (ebd.). Doch nicht alleine die räumliche Distanz der Figuren, auch die geschilderte Bauweise selbst macht es höchst unwahrscheinlich, dass der Erzählerbericht an dieser Stelle noch immer der Figurenperspektive folgt, sind doch bei dieser Verfugungstechnik die verwendeten Materialien »im fertiggestellten Mauerwerk nicht mehr sichtbar« (S chulz -g RoBeRt , quâdrestein , S. 289). Damit dürfte außer Frage stehen, dass die Auskunft über die Verfugung der Steinquader allein dem Wissen der auktorialen Erzählerfigur entspringt (die sich selbst freilich wiederum auf ihre Quelle beruft: als uns der âventiure zal , Er 7835), während die Figuren selbst hiervon keine Kenntnis haben. 90 Dies ist die plausibelste, wenn auch nicht die einzige Möglichkeit, die Verse zu verstehen. Das Partizip gesat könnte sich ebenso - wie S chulz -g RoBeRt , quâdrestein , S. 281, anmerkt - auf die Metallklammern, mit denen die steinernen Blöcke aneinandergefügt sind, wie auch auf die Quader selbst beziehen, wobei allerdings zumindest letztere Lesart - »jeweils drei Quader durch eine Eisen- und eine Blei- Klammer […] verbunden« - doch eher »technisch unwahrscheinlich[ ]« (ebd., Fn. 18) sei. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 77 und er des hûses ûf der vart des tages niht verirret wart. (Er 7867-7863) Andrea g laSeR stellt fest, dass die Verse »die visuelle Anziehungskraft dieser Burg [betonen], deren goldenen Knöpfe weit in das Land hinausstrahlen (das raumschaffende Adverb verre kommt in dieser kurzen Passage gleich zweimal vor! )«, und erkennt darin eine Analogie zu der gut ausgebauten Straße vor Brandigan, der dieselbe Funktion zukomme: »Der Glanz dieser Knäufe ( glast , schîn ) ist […] kein Selbstzweck; er soll vorbeiziehenden Rittern eine Orientierungshilfe sein und ihnen den Weg zur Burg weisen - sie gleichsam zur Burg locken, ebenso wie die baz gebûwen strâze « 91 . Bereits Heinrich l ichtenBeRg hat in seiner Untersuchung zu den ›Architekturdarstellungen in der mittelhochdeutschen Dichtung‹ aufgezeigt, dass Hartmanns Text vor allem die Funktionalität der Burg Brandigan unterstreicht: »Nirgends verliert [das Bild] sich ins Dekorative, sondern betont den Zwe ckb a u. Selbst die Goldknäufe, mit denen die Türme gezieret sind […], leuchten ins Land hinaus, um dem anreitenden Fremden Wegweiser zu sein.« 92 Bemerkenswert ist vor allem Hartmanns verhältnismäßig ›realistischer‹ Darstellungsstil: Es handelt sich nicht etwa um eine selbstleuchtende Vorrichtung, wie sie in der literarischen Imagination der Zeit durchaus denkbar wäre, 93 sondern um die bloße Reflexion von Sonnenlicht: Die Glanzwirkung der Knäufe bleibt offenbar auf die sonnenhelle Zeit vor der Dämmerung beschränkt, denn sie leuchten, wie der Text ausführt, damit ein heranreitender Fremder des tages - bei Tage also - nicht verirret wart (Er 7873). 94 Die Turmaufsätze haben mithin, so lässt sich festhalten, »sowohl ein nüchtern-zweckhaftes als auch ein wirklich möglich e s Leuchten. Bei aller Id e alisierung des Bildes ist auch dieser Zug der L e b e n s näh e als wesentlich zu betonen.« 95 Zweckhaft scheint auch die Lage der Burg an einem Sturzbach, der als natürliche geographische Gegebenheit die Schutzfunktion des künstlich angelegten Mauerwerks zusätzlich unterstützt. Bei Hartmann heißt es über die topographische Lage Brandigans: ein wazzer drunder hin vlôz, des val gap michelen dôz, wan ez durch ein gevelle lief. (Er 7874-7876) Während in der bisherigen Schilderung der Burg vor allem deren visuelles Erscheinungsbild dominierte, »kommt nun mit dem lauten Rauschen des Sturzbaches auch eine starke akustische Wahrnehmung ins Spiel« 96 . In Chrétiens - gegenüber Hartmanns ausladender descriptio stark gerafft wirkender - Darstellung tritt das akustische Moment schon deutlich früher in den Vordergrund: Unmittelbar, nachdem die Gruppe der fremden Festung gewahr wird, macht der Erzähler auf den klanglichen Eindruck des Gewässers aufmerksam, der an ein Unwetter denken lässt: 91 g laSeR , Held, S. 54. 92 l ichtenBeRg , Architekturdarstellungen, S. 79 (Hervorhebung im Original). 93 Vgl. etwa die mit selbstleuchtenden Steinen ausgestattete Adlerattrappe auf dem Feenzelt im ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven, Kapitel 3.2.7. 94 Vgl. dagegen wiederum den wundertätigen Aufsatz des Feenzeltes im ›Lanzelet‹, der auch bei Nacht so hell strahlt, als ez wære ein sunnen schîn (La 4786). 95 l ichtenBeRg , Architekturdarstellungen, S. 80 (Hervorhebungen im Original). 96 g laSeR , Held, S. 55. 78 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue et par desoz a la reonde coroit une eve si parfonde, roide et bruianz come tanpeste. (EeE 5325-5327). Die darauffolgende Burgbeschreibung ist bei Chrétien in eine Figurenrede inseriert: Guivret selbst erstattet kundig Bericht über die Beschaffenheit der Anlage. Wie später Hartmanns Erzähler, so betont auch Guivret vor allem die Wehrhaftigkeit Brandigants, die hier sogar die Möglichkeiten zu einer lückenlosen Selbstversorgung im Falle einer Belagerungssituation miteinschließt 97 : Brandiganz a non li chastiax, qui tant est boens et tant est biax que roi n’anpereor ne dote. […] car plus dure de quinze lies l’isle ou li chastiax est assis; car tot croist dedanz le propris quanqu’a riche castel covient; et fruiz et blez et vins i vient, ne bois ne riviere n’i faut; de nule part ne crient asaut, ne riens nel porroit afamer. (EeE 5341-5355) Die den Heranreitenden vorfindliche Gestalt verdanke Brandigant König Evrains höchstselbst: Li rois Evrains le fist fermer (EeE 5356). Doch habe er die Befestigung nicht für den Verteidigungsfall ausgebaut, sonder allein zu repräsentativen Zwecken - die Burg würde dadurch stattlicher. Für den Schutz der Insassen sei das die Anlage umgebende Gewässer völlig hinreichend, alle weiteren militärischen Vorrichtungen wie Mauern und Türme seien, so deutet es Erecs Begleiter an, genau genommen funktional redundant: mes fermer ne le fist il mie por ce qu’il dotast nules genz, mes li chastiax an est plus genz; que s’il n’i avoit mur ne tor, mes que l’eve qui cort an tor tant forz et tant seürs seroit que nul home ne doteroit. (EeE 5360-5366) In Chrétiens Darstellung geht der Sturzbach in seiner Bestimmung als Teil einer schier uneinnehmbaren (vgl. EeE 5344-5347, 5354, 5357-5359) und autarken (vgl. EeE 5355) Verteidigungsanlage auf. Es steht im Kontext einer Reihe anderer, teils natürlicher (vgl. die Insel, auf der sich die Burg befindet, EeE 5349), teils menschengemachter Elemente (die Autarkie der Anlage setzt beispielsweise Agrarkultur voraus), die in ihrer Gesamtheit die Funktionalität des Wehrbaus gewährleisten. Durch die Einbindung in dieses Arrangement geht das bedrohliche Potential des augenscheinlich unzähmbaren Gewässers (vgl. den metereologischen Vergleich EeE 5327) zwar nicht verloren, doch wird es gezielt instrumentalisiert und damit eben doch ›gebändigt‹: Die Naturgewalt ist nichts, wovor man sich 97 Bei Hartmann fehlt ein entsprechender Hinweis. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 79 zu fürchten bräuchte, sondern verspricht im Gegenteil - zumindest für die Insassen der Burg - Schutz und Geborgenheit. 98 Anders dagegen verhält es sich bei Hartmann: Sobald der Erzähler auf das Gewässer zu sprechen kommt, gewinnt die descriptio an negativen Konnotationen, die sich nicht mehr mit den repräsentativen und militärischen Funktionen der Anlage verrechnen lassen. Angekündigt wird dieser Sachverhalt bereits mit einem markierten Wechsel der Erzählperspektive, wie ihn Andrea g laSeR bemerkt: »Während [der Erzähler] bei der Beschreibung der Burg selbst die erzählerische ›Kamera‹ nach vorne richtete und langsam von unten nach oben gleiten ließ, richtet sich nun der Fokus in die entgegengesetzte Richtung, nämlich von oben nach ganz unten« 99 : daz selbe tal was alsô tief, swer ûf die zinnen sitzen gie und er ze tal diu ougen lie, den dûhte daz gevelle, sam er sæhe in die helle: der swindel in ze tal zôch, sô daz er wider in vlôch. ( Er 7877-7883) Ab hier nun erfolgt die Schilderung endgültig 100 nicht mehr aus der Sicht der Heranreitenden. Stattdessen wählt Hartmann »mittels einer imaginären Figur auf den Zinnen der Burg eine völlig neue Perspektive, die auf Grund ihrer Abruptheit und ihrer senkrechten Richtung verstört.« 101 g laSeR betont die Anziehungskraft der Burg, die in zwei Richtungen wirksam werde, nämlich in die Horizontale und in die Vertikale. 102 Es muss irritieren, dass die bedrohliche Sogwirkung des Tobels nicht etwa aus Sicht eines Ankömmlings, eines 98 Zugleich erhält der Austragungsort der Joie de la cort - und zwar der gesamte Komplex, nicht allein der Garten selbst - bei Chrétien quasi-sakrale Züge, denn Inseln - Chrétien bezeichnet das Gebiet, auf dem die Burg Brandigant steht, explizit als isle (EeE 5349) - sind - neben anderen, häufig von Nebel oder Dunst verhüllten Bezirken - »bevorzugte Kultorte aller Religionen« (h öhleR , Kampf, S. 385). Auch Ernst c aSSiReR macht auf das Charakteristikum von Bezirken der Heiligkeit aufmerksam, durch eine markierte Schwelle von der gewöhnlichen Welt abgehoben zu sein: »Jeder mythische / bedeutsame Inhalt, jedes aus der Sphäre des Gleichgültigen und Alltäglichen herausgehobene Lebensverhältnis bildet gleichsam einen eigenen Ring des Daseins, ein umhegtes und umfriedetes Seinsgebiet, das sich durch feste Schranken gegen seine Umgebung abscheidet und das in dieser Abscheidung erst zu einer eigenen, individuell-religiösen Gestalt gelangt« (c aSSiReR , Philosophie, S. 128). 99 g laSeR , Held, S. 55. 100 Wie oben, Kapitel 2, Fn. 89, erwähnt, können schon die bautechnischen Details über die Verfugung der Steinquader nicht mehr dem Kenntnisstand der Figuren entsprechen. 101 g laSeR , Held, S. 55. 102 Vgl. g laSeR , Held, S. 55 f.: »Die Knäufe zogen durch ihren Glanz, also durch ihre visuelle Attraktivität, den Vorbeireitenden in ihren Bann, während die Tiefe den Betrachter paradoxerweise gerade durch ihren visuell abstoßenden Charakter ansaugt. […] Die ›positive‹ Anziehung der Knäufe kontrastiert so zur ›negativen‹ Anziehung der Schlucht - und damit zeigt sich bereits die für Brandigan so typische Ambivalenz, die auch in der Baumgartenszene eine wichtige Rolle spielen wird.« Auch die Tatsache, dass der eigentlich ortskundige Guivreiz an der Wegscheide den richtigen Weg zum Artushof verkennt, erklärt Glaser mit der ›magischen‹ Sogwirkung der Burg: »Fast scheint es, als hätte Guivreiz an der Wegkreuzung gar keine bewusste Entscheidung getroffen, sondern sei dort auf unerklärliche, unwiderstehliche Weise von der noch unsichtbaren Burg angezogen worden. Erecs ablehnende Reaktion auf Guivreiz’ Ansinnen, kehrtzumachen, impliziert ebenfalls eine deutliche Anziehungskraft der Burg. Allerdings ist Erecs Verlangen, zur Burg zu reiten, in der visuellen Attraktivität dieses Bauwerks begründet« (Ebd., S. 58). 80 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue potentiellen Feindes vielleicht, geschildert wird, sondern aus Sicht einer Person, die sich auf der Burg befindet und für die - wie es bei Chrétien ja auch tatsächlich der Fall ist - der Sturzbach eigentlich Schutz und Sicherheit vor feindlichen Übergriffen gewähren sollte. Doch anstatt mögliche Bedrohungen von außen abzuschirmen, wird die Schlucht nun selbst zur Gefahrenquelle (eine leise Andeutung vielleicht, dass auch die Krise auf Brandigan nicht - wie zu sehen sein wird - auf einer Anfechtung von außen beruht, sondern Fragen zur inneren Konsistenz des höfischen Weltentwurfs betrifft): Der Blick hinab erzeugt einen Vertigo-Effekt, der den Betrachter in die Tiefe zu ziehen droht, so dass als Option nurmehr - so suggeriert es der konsekutive Satzanschluss in Er 7883, der die Reaktion des imaginären Betrachters als die einzig denkbare erscheinen lässt - die Flucht zurück ins Innere der Burganlage bleibt (vgl. Er 7882 f.). Der Sturzbach gewinnt dadurch gegenüber Hartmanns Vorlage deutlich an semantischer Unbestimmtheit, die durch den Vergleich mit den Untiefen der Hölle zusätzlich forciert wird. Die Verwendung des stark aufgeladenen und eindeutig negativ besetzten Begriffes helle (Er 7881) macht die Einschätzung Christoph c oRmeau s und Wilhelm S töRmeR s kaum haltbar, dass die Burg Brandigan »durch die einzige ausführliche topographische Beschreibung ohn e je d e n n e g ative n Akz e nt vorgestellt« 103 würde. Bisher allerdings hat die descriptio Brandigan tatsächlich als ein zwar hypertrophes (vgl. die dreißig Türme), doch bis in Details hinein auch realistisches (vgl. die Verfugungstechnik der Bauelemente sowie die Turmaufsätze, die Licht reflektieren, aber nicht emittieren) Idealbild einer mittelalterlichen Burganlage vor den Augen des Rezipienten entstehen lassen. Zwar erwähnt der Erzähler auch den visuellen Eindruck der Burg, der durchaus dem ästhetischen Maßstab höfischer Repräsentationskultur genügt ( ritterlîche aneblic , Er 7847), doch ist vor allem die Funktionalität der Anlage, ihre unerreichte Wehrhaftigkeit, die diese Idealität begründet. Umso ironischer mutet es an, wenn nun genau jenes Element, das bei Chrétien noch die wichtigste Rolle (wenn nicht die alleinige - Guivret zufolge seien ja alle weiteren Vorrichtungen verzichtbar) im Wehraufbau der Burg spielte, bei Hartmann nun zu dem neuralgischen Punkt wird, an dem die Idealität Brandigans ins Bedrohliche kippt. Die narrative Inszenierung dessen, was g laSeR als ›negative Anziehung‹ der Schlucht beschreibt, ist dabei an einen Wechsel der Erzählperspektive gekoppelt, d. h. sie wird in Nullfokalisierung 104 dargeboten: Die bei der Ankunft vor Brandigan tatsächlich beteiligten Figuren (bei dem Beobachter auf den Zinnen handelt es sich ja auch fiktionsimmanent nur um ein hypothetisches Konstrukt) wissen nichts von der beunruhigenden Sogwirkung des Tobels. Für sie bleibt Brandigan zunächst das ungetrübt ideale Wunschbild einer Burg, als das es zuvor auch dem Rezipienten - bis zur nachgerade dämonisierenden Schilderung des Sturzbaches - erschienen ist. Doch auch auf der Ebene der erzählten Handlung, nun also durchgängig der Figurenperspektive folgend, wiederholt sich im Weiteren insgesamt zweimal ein solches Umschlagen von scheinbarer Idealität ins Unheilvolle, wie es die von aktorialer zu auktorialer Perspektive wechselnde Schilderung der Burganlage bereits motivisch vorwegnimmt. Als die Gruppe sich der unterhalb der Burg gelegenen Stadt nähert, ist das Erste, was der Held dort zur Kenntnis nimmt, die augenscheinlich ausgelassene Stimmung allenthalben: 103 c oRmeau / S töRmeR , Hartmann von Aue, S. 189 (Hervorhebung von mir). 104 Gemeint ist eine Erzählsituation, in der der Erzähler »mehr weiß als die Figur, oder genauer, [in der] er mehr s a gt, als irgendeinde der Figuren weiß« (g enette , Die Erzählung, S. 120 f.; Hervorhebung im Original). 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 81 die stat, die er drunder sach stân, dâ was inne vreuden vil, tanzen und aller slahte spil, daz jungen liuten wol gezam. (Er 8061-8064) vreude wird als der erstrebenswerte Idealzustand einer Gesellschaft junger Menschen ausgewiesen, als d er angestammte Seinsmodus der Jugend schlechthin (Er 8064). Und die Lage in der Stadt scheint diesem Ideal auch durchaus nahezukommen, so lange zumindest, bis die versammelte Menge die schöne Enite erblickt (Er 8065-8075). Denn anders als der Held - und anders auch als der Leser zu diesem Zeitpunkt 105 - weiß man nur zu gut um die Gefahren der Joie de la curt , und man ahnt nichts Gutes, ja, mehr noch: man lässt jede Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang fahren (Er 8065), sobald das junge Ritterpaar in Erscheinung tritt. Als würde nun ein Schalter umgelegt, schlägt die allgemeine Festfreude in Erwartung des (vermeintlich) bevorstehenden Leides mit einem Mal in tiefste Trauer um: sâ zuo den stunden si alle begunden, wîp und man beide, von nâhe gândem leide ir vreude entwîchen und vil jæmerlîchen klagen daz wünneclîche wîp und daz verliesen sînen lîp solde ein alsô vrumer man, wan dâ zwîvelten si niht an. (Er 8076-8085) Eine ähnliche erzählerische Kehrtwende begegnet nur wenig später ein weiteres Mal. Einmal auf der Burg angekommen, setzt der Burgherr König Ivreins die anwesenden Damen, deren Gefährten ja zu ihrem Unglück bereits an der Aventiure gescheitert sind, über das wagemutige Ansinnen des Neuankömmlings ins Bild. Ihre Reaktion ist nicht weniger unvermittelt als diejenige der Stadtbevölkerung zuvor. Auf der Ebende des discours wird dieses abermalige ›Umkippen‹ von scheinbarer Idealität in ihr genaues Gegenteil durch den Hinweis auf das schlagartige Erbleichen der Damen eindrücklich vermittelt: daz bluot ir hiufeln entweich: dô wurden nase und wengel bleich. daz machete in der ougen regen. (Er 8318-8320) In rhetorisch eigenwilliger Manier stilisiert der Erzähler den spontanen Wechsel der Gesichtsfarbe zu einem mutwilligen Akt der Täuschung ( verlougen ) um: daz man si ê hete gesehen wünneclîche vreudenvar, des verlougenten si gar. (Er 8315-8317) 105 Guivreiz belässt es Er 7822-8027 bei relativ vagen Andeutungen; immerhin erfährt man Er 8024 f., dass der Baumgartenritter bisher noch jeden Herausforderer erschlagen habe. Das volle Ausmaß des von ihm verursachten Leides offenbart sich dem Helden - und mit ihm dem Rezipienten - jedoch erst später, und zwar in Anbetracht der 80 hinterbliebenen Witwen auf Brandigan. 82 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue Ernst S cheunemann hat in diesem abrupten Stimmungswandel noch einen tatsächlichen Wechsel der emotionalen Disposition der Damen erkennen wollen. 106 Demgegenüber vermutet Manfred Günther S cholz - wohl treffender -, dass damit das Problem einer »Inkongruenz von Innen und Außen (vgl. v. 8252: baz dan si wâren gemuot )« 107 veranschaulicht sei, die anlässlich des Vorhabens des jungen Helden nicht länger überspielt werden könne. Der Bildlogik der verlougen -Metaphorik gemäß wäre der vorangegangene Zustand der vreude dasjenige, worüber der nunmehrige Gestus des trûrens absichtsvoll, wenn auch wenig überzeugend hinwegzutäuschen trachte: ›Sie verleugneten ganz und gar, was doch nur wenig zuvor für jeden mit eigenen Augen zu sehen war, dass sie sich nämlich im Habitus der Freude befunden hatten‹. Doch ist es nicht die durch die Augenzeugenschaft vieler verbürgte Evidenz ( daz man si ê hete gesehen , Er 8315), die die gegenwärtige Reaktion der Damen Lügen strafte, sondern umgekehrt die Heftigkeit der Körperzeichen, die den vormaligen Zustand als nur vordergründig entlarvt. Die mit bitterer Ironie vorgebrachte Äußerung des Erzählers bestätigt, worauf schon die Ankunftsszene in der Stadt hindeutete, dass es sich nämlich bei der Hochstimmung auf Brandigan um nichts als bloße »Scheinvreude « handelt. Zweimal findet Erec die Bewohner Brandigans im Erscheinungsbild höfisch-idealer vreude vor, und zweimal erweist sich dieser Eindruck als falsch, sobald sich der Fokus der Erzählung auf die örtliche Aventiure sowie das Ansinnen des Helden richtet. Antizipiert wird diese Kippbewegung schon in der Beschreibung Brandigans, die die bei Chrétien noch ungebrochene Idealität der Burg ins Nicht-Geheuere abgleiten lässt: Was in Hartmanns Vorlage noch vollständig darauf angelegt ist, Bedrohungen von außen abzuwenden, gewinnt nun, vermittelt durch den Wechsel der Erzählperspektive, seinerseits bedrohliche, wenn nicht gar dämonische Züge. Die Befindlichkeit der Bewohner von Burg und Stadt spiegelt sich in deren ambivalentener Topographie wider, diese steht metonymisch für jene ein. Was als allgemeines Bestimmungsmerkmal der Relation von erzähltem Raum und Figureninventar gelten darf, dass nämlich »Figur und Raum […] symbolisch aufeinander bezogen und beziehbar« sind, »weil sie im Text in einer synchronen Zuordnung existieren« 108 , intensiviert sich bei Hartmann in solcher Weise, dass beide Größen in mythomorpher Ungeschiedenheit aneinanderrücken: Die Gemütslage der Bewohner hat in einer identitätslogisch nicht fassbaren Weise an der Beschaffenheit des Raumes Teil und umgekehrt. Nach dem Blick von den Zinnen hinab in den Tobel des Sturzbaches geht die Perspektive der descriptio von der Detailansicht in die Totale über. Als weitere Bestandteile des gesamten Ensembles nennt der Erzähler die unterhalb der Burg gelegene Stadt sowie den Baumgarten, in dem später auch der Zweikampf gegen Mabonagrin stattfinden wird: an der anderen sîten, dâ man zuo mohte rîten, dâ stuont ein stat vil rîche, bezimbert rîchlîche, 106 Vgl. S cheunemann , Artushof, S. 101: »[…] Hartmann selbst hat sich hier der für seine Zeit wohl unentrinnbaren Gedankenverbindung ›Schönheit und Freude‹ nicht entziehen können, denn als nun der Hausherr den Damen von Erecs Vorhaben erzählt, da stellt es sich heraus, d aß Hartmann sie sich trotz ihrer Tra u er bis zu die s e m Zeitpunkt im Zu stand d er Fre ud e g e d a cht h at« (Hervorhebung von mir). 107 S cholz , Kommentar, S. 945 (zu Er 8311-8319; dort auch das folgende Zitat). 108 F aSBendeR , Siegfrieds Wald-Tod, S. 13. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 83 diu einhalp an daz wazzer gie. anderhalp daz undervie ein boumgarte schœne und wît, daz weder vor noch sît dehein schœner wart gesehen: des hôrte ich im den meister jehen. (Er 7884-7893) Damit sind nun zwar sämtliche Elemente der räumlichen Einheit von Brandigan benannt, doch bleibt ihre konkrete Anordnung weitgehend unklar: » an der anderen sîten meint wohl die der Schlucht gegenüber liegende Seite; wie in diesem Kontext einhalp und anderhalp zu verstehen sind, geht aus dem Text nicht hervor.« 109 So ergibt sich insgesamt eine »diskontinuierliche[ ] Raumvorstellung«, bei der der Erzähler die einzelnen Teile der Anlage zwar »benennt oder auch beschreibt, ohne sie aber in ein zusammenhängendes Gesamtbild - oder abstrakter ausgedrückt: in ein (eben nicht existierendes) räumliches Koordinatensystem einzuordnen.« Sinnfällig verdichtet sich in der Gesamtschau noch einmal der ambivalente Charakter der Topographie, wenn »die Burg auf der einen Seite an eine gefährliche tiefe Schlucht angrenzt, auf der anderen Seite aber offenbar über einen problemlosen Zugang verfügt ( dâ man zuo mohte rîten [Er 7885])«. Der eigentliche Schauplatz der Aventiure, der Baumgarten, findet zwar bei dieser überblickshaften Darstellung ebenfalls Erwähnung, doch verbleibt dies im Rahmen topischer Beschreibungsmuster: Die Bedeutung, die diesem Raumausschnitt im weiteren Handlungsverlauf noch zukommen wird, lässt sich jedenfalls - trotz des superlativischen Gestus der Beschreibungssprache - zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschätzen. 110 2.2.3 Der Baumgarten: Die Ambivalenz des Zwischenraumes Nachdem Guivreiz die Burg erkannt hat, wird er sich des Fehlers bei der Wahl des Weges bewusst und drängt den Helden zur Umkehr (Er 7899-7942). Erec allerdings insistiert darauf mehr zu erfahren aus Angst vor der Schande, eine vermeintliche Gefahr zu fliehen, ohne zu wissen, welche Bewandtnis es damit hat (Er 7983-7996). 111 Nun erst lässt Guivreiz sich dazu bewegen, erste Informationen zu den Hintergründen der Joie de la curt preiszugeben. Demnach habe sich ein einzelner Ritter, ein Neffe des Königs (von seiner amîe ist hier noch keine Rede), seit Längerem im unterhalb der Burg gelegenen Baumgarten verschanzt, welchen es nun im ritterlichen Zweikampf zu besiegen gelte (Er 8008-8022). Bisher jedoch seien sämtliche Herausforderer an dieser Aufgabe gescheitert: 109 g laSeR , held, S. 56 (dort auch die folgenden Zitate). 110 Vgl. g laSeR , Held, S. 56 f. Bei Chrétien wird der Garten zu diesem frühen Punkt im Handlungsverlauf noch gar nicht erwähnt. Erst als Erec von Evrains Palast aufbricht, um die Aventiure zu bestreiten, heißt es, der König führe ihn an un vergier qui estoit pres (EeE 5681), zu einem nahe gelegenen Obstgarten also. 111 Bei Chrétien bleiben Held und Publikum im Vorfeld völlig in Unkenntnis über die genaueren Umstände der avanture . Hartmann und Chrétien erzeugen somit auf unterschiedliche Weise Spannung: Hartmann setzt »an die Stelle der dem Helden vorenthaltenen Erklärung ein Dialogmodell zwischen Guivreiz und Erec, in dem es letzterem gelingt, die entscheidenden Informationen aus dem Freund herauszuholen, ohne ihm dabei auch nur einen Schritt entgegenkommen zu müssen. [Bei Chrétien ist Guivret nur dann dazu bereit, Auskunft über die avanture zu geben, wenn Erec verspricht, davon abzulassen.] So entsteht eine Spannung ganz anderer Art, eine Spannung nicht aus offener Erwartung, sondern aus der Dramatik der verbalen Auseinandersetzung« (h aug , Erec, S. 206). 84 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue swaz im der ritter noch widerreit, die si wolden bejagen, die hât er alle erslagen: im enmohte niht wider sîn. (Er 8023-8026) Mehr lässt Guivreiz seinen Gefährten nicht wissen. Den Hinweis auf das enorme destruktive Potential des Baumgartenritters blendet der Held geflissentlich aus: Ihm reicht die Erkenntnis, dass die Burg nicht vol / gewürmes und wilder tiere sei, diu uns alsô schiere / âne wer den lîp næmen, / sô wir dar kæmen (Er 8037-8041), um den Entschluss zur Aventiure zu fassen. Erst nachdem Erec den Burgherren König Ivreins davon überzeugen konnte, dass er nicht aufgrund seiner Abenteuerlust mehr darüber hören möchte, sondern um später wahrheitsgemäß Bericht erstatten zu können (vgl. Er 8446-8457), erteilt dieser eingehendere Auskunft. Hier erst erfährt Erec auch mehr über den Schauplatz der Aventiure, den Baumgarten am Fuße der Stadt: er [i.e. Ivreins] sagete, der boumgarte, der wære gevestent harte und wie er wære umbegeben. dar in dorfte niemen streben, dem ze ihte mære lîp und êre wære. (Er 8468-8473) Das erste Charakteristikum des Baumgartens, das Ivreins nennt, ist dessen Umfriedung: Er sei gevestent harte (Er 8469), so heißt es - doch welcher Art diese Befestigung ist, darüber bleibt zumindest der Rezipient bis auf Weiteres im Unklaren. Denn Ivreins Beschreibung des Gartens wird vorerst nicht als zitierte Rede, sondern nur in Form eines raffenden Gesprächsberichts wiedergegeben, d. h. in einem narrativen Modus mit relativ hohem Grad an Mittelbarkeit, der zwar »den sprachlichen Akt erwähnt« 112 , aber allenfalls Andeutungen über dessen Inhalt macht ( er sagete, […] wie er wære umbegeben , Er 8468-8470); der genaue Wortlaut der Figurenrede bleibt ausgespart. Der Leser / Zuhörer wird diese Leerstelle füllen, indem er zunächst eine gewöhnliche Umfriedung wie eine Mauer oder eine Hecke unterstellt. Später erst zeigt sich, dass die durch den raffenden Darstellungsstil evozierte Publikumserwartung am Ende ins Leere laufen wird. Im Folgenden geht der Text über zur direkten Figurenrede. Ivreins berichtet weiter über den Garten: ich sage iu, swelh ritter guot her kumt ûf den selben muot, [nämlich âventiure zu suchen] der suoche wan die porte: bî dem êrsten worte sô vindet er si offen stân. (Er 8482-8486) In diesen Worten klingt erstmals die anderweltliche Natur des Baumgartens an: Nicht durch mechanische Einwirkung, sondern allein - so legt es die Formulierung nahe - durch das Aussprechen einer bestimmten Formel lasse sich das Tor öffnen. So problemlos der 112 m aRtinez / S cheFFel , Einführung, S. 51. Vgl. auch das Schema ebd., S. 62. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 85 Zugang zum Garten auch scheint, so schnell und unvermittelt verschließe sich die Pforte auch wieder, nachdem man sie einmal passiert hat: er mac drin rîten oder gân: die andern belîbent hie vor. sô besliuzet sich daz tor: diu rede muoz sich scheiden danne under in beiden, wan swaz ir dewederm geschiht, sine hânt eht scheidæres niht. (Er 8487-8493) Ivreins Darstellung zufolge kann der Garten nur einzeln betreten werden: Wer Zutritt erlangen möchte, muss sein Gefolge am Eingang zurücklassen ( die andern belîbent hie vor , Er 8488). Dass sich das Tor dann offenbar ohne jedes weitere Zutun auch selbsttätig wieder schließt, zwingt den Herausforderer endgültig in die Vereinzelung. Damit gewinnt die Anlage des Gartens Züge einer gefährlichen Falle: »Der Ritter kann nach dem Betreten den Baumgarten nicht mehr verlassen, es gibt kein Entrinnen mehr: Er muss den schweren Kampf mit seinem Kontrahenten im Baumgarten allein und ohne jede Hilfe ausfechten.« 113 Andrea g laSeR stellt fest, dass der Baumgarten als Handlungsraum vor allem über seine Begrenzung 114 an Kontur gewinnt: »Über die räumliche Struktur des Inneren des Baumgartens verliert Ivreins kein Wort, sie wird auch im weiteren Verlauf der Handlung nur sehr schemenhaft dargestellt.« Bemerkenswert ist nun, dass diese Begrenzung - »das wichtigste räumliche Merkmal des Baumgartens« - bisher »in keiner Weise visualisiert [wurde] - und damit zeigt sich ein deutlicher Gegensatz zu Hartmanns Beschreibung der Burg Brandigan, die durch die Vielzahl der optischen Aspekte stark visuell geprägt war«. Damit bleibt die Schilderung der Umfriedung eigentümlich unbestimmt: »Einerseits wird die Begrenzung des Baumgartens immer wieder betont, andererseits weiß der Rezipient nicht, wie er sich diese Begrenzung vorzustellen hat. Einziges visuelles Merkmal dieser Begrenzung ist bislang die Pforte, aber diese steht gleichsam im Leeren, da sie nicht in eine irgendwie geartete visuelle Begrenzungsstruktur […] eingeordnet wird.« Die Informationen über den Baumgarten werden schubweise preisgegeben. Ivreins bricht die Schilderung an dieser Stelle ab, um sich stattdessen einem weiteren und - wie sich zeigen wird - wiederum vergeblichen Versuch zu widmen, den Helden von seinem Unterfangen abzubringen: Er berichtet ihm von drei tapferen Rittern, sô man si beste erkande / in deheinem lande (Er 8500 f.), die jedoch allesamt dem Baumgartenritter zum Opfer gefallen 113 g laSeR , Held, S. 60 (dort auch die folgenden Zitate). 114 W agneR , Erzählen, sieht darin einen Hinweis, dass der Garten als ›virtueller‹ Raum zu deuten sei, wobei er ›Virtualität‹ als Phänomen begreift, bei dem die raumkonstituierende Kommunikation »weder [wie beim ›imaginären‹ Raum] auf einen Einzigen beschränkt [sei], noch [wie beim ›normalen‹ Raum] die gesamte Bezugsgesellschaft umfasse«, sondern vielmehr »von einem bestimmten Personenkreis ausgeführt« werde (ebd., S. 41); Ivreins Schweigen über das Innere des Baumgartens sei nun »so zu verstehen, dass er von der raumschaffenden Kommunikation dieses Minneraumes ausgeschlossen ist, wie er ja auch vom Besuch des Raumes ausgeschlossen ist, und folglich in seiner Erklärung gegenüber Erec die räumlichen Elemente des Minneraumes Garten auch nicht weiterkommunizieren kann« (ebd., S. 224 f.). W agneR s Ausführungen heben vor allem auf den Aspekt der »radikale[n] Exklusivität« (ebd., S. 226) dieser Raumeinheit ab und drohen dabei zu übersehen, dass sich der Zugang zum Garten später als keineswegs so exklusiv erweisen wird, wie es die Vermittlung Ivreins zunächst erwarten ließe (s. u.). 86 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue seien. 115 Erst als Erec am nächsten Tag den Weg zur Aventiure antritt, wird die descriptio des Gartens - nun durch den Erzähler - wieder aufgenommen. Er schließt dabei an bereits Bekanntes an, indem er nochmals auf die Lage des Gartens unterhalb der Burg verweist: nû wâren die gazzen in der stat und diu dach gar besat von den liuten, die des biten, wenne er kæme geriten. enmitten reit Êrec nider jenen burcwec, der in zem boumgarten truoc. (Er 8680-8686) Erec muss auf seinem Weg die Stadt durchreiten, die damit als Übergangsraum zwischen Burg und Baumgarten fungiert. Die Annäherung an den eigentlichen Ort der Aventiure erfolgt also in drei Schritten: Burg - Stadt - Baumgarten. 116 Bevor der Held den Garten allerdings tatsächlich betritt, bietet der Erzähler unter Berufung auf seine Quelle ( ob uns daz buoch niht liuget , Er 8698) nun endlich die erste ausführliche Beschreibung des Wunderortes. Wiederum ist die Umfriedung des Gartens das Erste, wovon er berichtet. Nachdem aber bisher die einzig greifbare Information über den Garten war, dass er gevestent harte (Er 8469) sei, müssen die folgenden Ausführungen des Erzählers erstaunen: ich sage iu, daz dar umbe weder mûre noch grabe engie, noch in dehein zûn umbevie, weder wazzer noch hac noch iht, daz man begrîfen mac. (Er 8703-8707) War bisher von einer gewöhnlichen Umfriedung auszugehen, brüskiert der Erzähler diese rezeptionsseitige Erwartung nun mit aller Entschiedenheit. Dem negativen Merkmalskatalog nicht unähnlich, mit dem die Erscheinung des lebende[n] marterære (Gr 3378) in Hartmanns ›Gregorius‹ geschildert wird, 117 vermeidet er allerdings jede positive Aussage über die Grenze und zählt stattdessen auf, »was sie alles nicht ist: Sie besteht weder aus einer Mauer, einem Graben oder einem Zaun (von Menschen geschaffene Begrenzungen), noch aus Wasser oder einer Hecke (natürliche Begrenzungen). […] Die Begrenzung besteht aus nichts Greifbarem, hat also nicht-materiellen - und damit auch nicht-visuellen - Charakter.« 118 Statt nun allerdings Hinweise zu geben, wie der Leser / Zuhörer sich diese wun- 115 Bemerkenswert ist, dass man zwar die Namen dreier seiner Opfer, nicht aber des Baumgartenritters selbst erfährt: Der Name Mabonagrin fällt erst nach dem Zweikampf mit Erec - auch dies ein Beispiel für Hartmanns eigenwillige Technik der Informationspreisgabe; vgl. hierzu g laSeR , Held, S. 60. 116 Vgl. l ieB , Wiederholung, S. 316. 117 Vgl. Gr 3379-3402: ein harte schœne man / dem vil lützel iender an / hunger oder vrost schein / oder armuot dehein, / von zierlîchem geræte / an lîbe und an der wæte, / daz niemen deheine / von edelem gesteine, / vin sîden und von golde / bezzer haben solde, / wol ze wunsche gesniten, / der mit lachenden siten, / mit gelphen ougen gienge / und liebe vriunt emphienge, / mit goltvarwen hâre, / daz iuch in zewâre / ze sehenne luste harte, / mit wol geschornem barte, / in allen wîs alsô getân, / als er ze tanze solde gân, / mit so gelîmter beinwât, / sô si zer werlde beste stât, / den envunden si niender dâ: / er mohte wol wesen anderswâ. 118 g laSeR , Held, S. 61. W ieSingeR , Burg, S. 226, konstatiert, dass Hartmann dem Rezipienten »durch die negative Nennung aller für eine Umfriedung charakteristischen Einzelheiten […] das Bild eines wirklichen Gartens vor Augen« stelle und eben dadurch den »unwirklich-wunderbaren Zug« dieser Begrenzung sogleich wieder zurücknehme. Insgesamt hebt W ieSingeR Hartmanns Tendenz hervor, »jede 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 87 dersame, mit nichts vergleichbare Umfriedung vorzustellen habe, wechselt der Erzähler erneut den Fokus und wendet sich wiederum dem Zugang zum Garten zu: Obwohl eine eben ban (Er 8708) um die gesamte Anlage herumführe - g laSeR schließt deshalb auf eine »irgendwie kreisförmige Struktur der Grenze« 119 -, sei der Zutritt nur von einer einzigen Seite möglich, und zwar über ein engez phat (Er 8713), das an einer vil verholnen stat (Er 8712) in den Garten hineinführe. Die Perspektive wechselt im Folgenden zu einem Mann, »dem es gelungen ist, durch den verborgenen Eingang in den Garten zu gelangen« 120 : swer ouch zuo dem selben zil von geschihte in kam, der vant dâ, swes in gezam von wünneclîcher ahte, boume maneger slahte, die einhalp obez bâren und andersît wâren mit wünneclîcher blüete: ouch vreute im daz gemüete der vogele süezer dôz. ouch enstuont dâ diu erde niht blôz gegen einer hande breit, diu enwære mit buomen bespreit, die missevar wâren und süezen smac bâren. (Er 8715-8729) Mit Obstbäumen, Vogelgesang und Blumen, die nicht eine Handbreit auf dem Boden des Gartens unbedeckt lassen (Er 8725 f.), sind die - neben einem erfrischenden Fließgewässer - wichtigsten Elemente des klassischen Lustortes benannt, wie er etwa von Ernst Robert c uRtiuS beschrieben worden ist: »Sein Minimum an Ausstattung besteht aus einem Baum (oder mehreren Bäumen), einer Wiese und einem Quell oder Bach. Hinzutreten können Vogelsang und Blumen. Die reichste Ausführung fügt noch Windhauch hinzu.« 121 Die Art und Weise, wie der Text diese Beschreibungsmerkmale präsentiert, ist die des ›Aggregatraumes‹, der die einzelnen Elemente unverbunden nebeneinander stellt, statt sie in systematischer Weise zueinander in Beziehung zu setzen: eine ähnlich diskontinuierliche Raumvorstellung, wie sie schon die descriptio der Burg Brandigan kennezeichnete. 122 Doch während dort sich die einzelnen Bestandteile der Schilderung durchaus auch mit der phantastische Übertreibung« zu vermeiden (ebd.); doch dass gerade die früchtetragenden Obstbäume Wirklichkeitsnähe suggerieren sollen, überrascht: Zwar berichten etwa die ›Basler Jahrbücher‹ für den 15. August 1276, »dass mehrere Bäume zugleich Früchte und Blüten getragen hätten« (K Ragl , Stellenkommentar, S. 1165 [zu La 3940-3947]), doch dürften derartige Phänomene - sofern Berichte wie dieser nicht ohnehin nur entsprechenden literarischen Vorprägungen geschuldet sind - auch für den mittelalterlichen Menschen kaum zur alltäglichen Erfahrungswelt gehört haben. 119 g laSeR , Held, S. 62. 120 W ieSingeR , Burg, S. 226. 121 c uRtiuS , Europäische Literatur, S. 202. 122 Die Unterscheidung von ›Aggregatsraum‹ und ›Systemraum‹ geht zurück auf P anoFSKy , Perspektive. Auf die historische Argumentation P anoFSKy s, der den diskontinuierlichen Aggregatraum der Antike, den kontinuierlichen Systemraum dagegen der Moderne als kunstgeschichtliche Epochensignatur zuordnet, wird hier verzichtet; mir geht es alleine um die systematische Gegenüberstellung. Vgl. mit Bezug auf die Hartmann-Stelle auch g laSeR , Held, S. 62: »Die räumliche Anordnung dieser Elemente 88 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue außerliterarischen Erfahrungswelt der Rezipienten deckten, geht die hier gebotene Beschreibung des Gartens völlig in ihrem Bezug auf die literarische Tradition auf. Weniger als bei Brandigan geht es darum, ein realistisches Bild zu zeichnen, als darum, den erzählten Raum durch den konventionalisierten Motivgebrauch mit weiterer, topisch vorgeprägter Bedeutung anzureichern. In der höfischen Literatur fungiert der locus amoenus traditionell als Raum der selbstgenügsamen Zweisamkeit und der glücklichen Liebeserfüllung. Die Umgebung der Minnegrotte in Gottfrieds ›Tristan‹ vereint sämtliche der von c uRtiuS genannten Komponenten: da vloz ein fonteine, ein frischer küeler brunne, durchluter als die sunne. da stuonden ouch dri linden obe, die schirmeten den brunnen vor regene und vor sunnen. liehte bluomen, grüene gras, […] diu criegeten vil fuoze in ein. […] ouch vand man da ze siner zit daz schœne vogelgedœne. […] da was schate unde sunne, der luft und die winde senfte unde linde. (Tr 16737-16760) 123 Auch in Walthers von der Vogelweide ›Lindenlied‹ L 39,11 findet die Begegnung der Liebendem in einem Raum statt, der die gängigen Merkmale des Lustortes trägt: Bäume, Blumen, Gras, Vogelgesang (vgl. L 39,11-19). Der Schauplatz des Geschehens steht in räumlicher Distanz zur Sphäre des Hofes, doch ist er ebenfalls unterschieden vom unwirtlichen und gefahrbesetzten Raum der wilde . In diese literarische Reihe gehört auch die Beschreibung des Baumgartens von Brandigan. Damit ist bereits qua Traditionsbezug das zentrale Thema der Joie de la curt angeschlagen: das spannungsreiche Verhältnis von Minne und Gesellschaft, das sich schon in raumsemantischer Hinsicht einer Einordnung in zweistellige Oppositionsverhältnisse widersetzt. Vermittels der spezifischen szenischen Ausgestaltung schreibt sich die Episode in einen literarischen Diskurs ein, der in räumlicher Konkretisierung die Frage nach dem systematischen ›Ort‹ der Minne im höfischen Weltentwurf thematisiert. 124 wird allerdings der Fantasie des Rezipienten überlassen; über Ausdehnung und Aufteilung des Baumgartens hof nichts«; vgl. hierzu auch Kapitel 2.2.2. 123 Vgl. auch das heimliche Stelldichein Tristans und Isoldes in Markes Garten, da boum unde brunnen was (Tr 14682). 124 In eine ähnliche Richtung zielt auch m eyeR , M., Schwierigkeiten; allerdings scheint es mir zu einseitig, wenn m eyeR zu dem Schluss kommt, dass die Minne im arthurischen Roman schlechthin ›ortlos‹ sei (so etwa ebd., S. 155 f.), dass dieser ihr, »anders als der Ehe, keinen systematischen Stellenwert« zuschreibe und deshalb zwar »mit der Liebe [weil der Roman ansonsten langweilig würde], aber sehr selten über die Liebe« erzähle (ebd., S. 169). Demgegenüber scheint mir die Frage nach der Systemstelle der Minne im höfischen Weltentwurf gerade eines der Bezugsprobleme zu sein, an dem sich 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 89 Eine Besonderheit, die den Baumgarten im ›Erec‹ von den genannten weiteren Beispielen der locus-amoenus -Topik abhebt, sind die Bäume, die Blüten und Frucht zugleich tragen. Schriftliterarisch ist das Motiv erstmals in Avitus̕ Bibelepos ›De spiritalis historiae gestis‹ belegt, findet sich jedoch später vielfach in Schilderungen des Paradieses. 125 Auffällig ist, dass sich in dem Motiv Spuren mythischer Zeitanschauung bewahren. Denn die Ungeschiedenheit der Zeitstufen, die im Zugleich von Blüte (Frühling) und Frucht (Herbst) sinnfällig wird, ist charakteristisches Merkmal des Mythos, beeinflusst das Prinzip der Konkreszenz doch nicht zuletzt auch das mythische Zeitbewusstsein. Die geschichtliche Zeitkonzeption gründet sich, so Ernst c aSSiReR , »auf eine feste ›Chronologie‹, auf eine strenge Unterscheidung des Früher und Später und auf die Innehaltung einer fest bestimmten, eindeutigen Ordnung in der Abfolge der einzelnen Zeitmomente. Eine derartige Scheidung der einzelnen Zeitstufen und eine Aufnahme derselben in ein einziges festgefügtes System, in dem jedem Geschehen ein e und nur eine Stelle zukommt, ist dem Mythos fremd. Wie es zum Wesen der mythischen Denkform überhaupt gehört, daß sie überall, wo sie eine B e zie hung setzt, die Glieder dieser Beziehung ineinanderfließen und ineinander übergehen läßt, so waltet diese Regel der ›Konkreszenz‹, des Zusammenwachsens der Beziehungsglieder, auch in der Art des mythischen Zeitbewußtseins. Auch hier hält die Scheidung der Zeit in scharf gesonderte Stufen, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gewissermaßen nicht stand; sondern immer wieder unterliegt das Bewußtsein der Tendenz und der Lockung, die Unterschiede zu nivellieren, ja sie zuletzt in reine Identität umschlagen zu lassen.« 126 Wie es im mythischen Zeitbewusstsein keine unterscheidbaren Zeitstufen, kein ›früher‹, ›jetzt‹ und ›später‹ gibt, so kennt der Baumgarten keine periodisch sich abwechselnden Jahreszeiten, sondern nur ein e Zeit, die allerdings nicht als eine spezifische Jahreszeit identifizierbar (und damit eindeutig gegenüber anderen Jahreszeiten abgegrenzbar) wäre, sondern die die Merkmale unterschiedlicher Zeiteinheiten in sich vereint: Die Differenz zwischen Blüte- und Erntezeit, zwischen Frühling und Herbst ist aufgehoben. Der Baumgarten erscheint als ein im mythischen Sinne zeitenthobener Ort. Im Folgenden wechselt die Perspektive erneut: Anhand eines imaginativ vorgestellten leidbeladenen Menschen, der den Baumgarten betritt, wird die heilsbringende Wirkung vor Augen geführt, die von den genannten Bäumen ausgeht: swer mit herzeleide wære bevangen, kæme er dar in gegangen, er müeste ir dâ vergezzen. (Er 8735-8738) Von dem Obst, so heißt es, könne man essen, so viel man wolle, doch sei es nicht möglich, etwas davon mit aus dem Baumgarten herauszunehmen (vgl. Er 8739-8744). Ulrich h oFF mann sieht darin eine mythische Logik der Partizipation am Werk, die die Differenz von Teil und Ganzem nivelliert, eine identitätslogisch nicht fassbare Ungeschiedenheit von mindestens die frühen Vertreter der Gattung abarbeiten, ohne freilich je eindeutige Antworten auf diese Frage anbieten zu können. 125 Vgl. S cholz , Kommentar, S. 954 (zu Er 8715-8744). 126 c aSSiReR , Philosophie, S. 136 f. (Hervorhebungen im Original). 90 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue Garten und Obst. 127 Der wundersame Mechanismus jedenfalls, der auch den Zugang zum Baumgarten steuert, scheint in beide Richtungen wirksam: Auch das Verlassen des Gartens zeigt sich in der Darstellung des Erzählers als an bestimmte Regeln gebunden. Mit einer Hinwendung an sein imaginäres Publikum - hœret ir iht gerne sagen, / wâ mite der boumgarte / beslozzen wære sô harte? (Er 8745-8747) - stellt der Erzähler in Aussicht, zum Ende seiner descriptio hin dann doch die im discours immer wieder eingespielte und sofort wieder beiseite geschobene Beschreibung der geheimnisvollen Umfriedung nachzureichen. Der Garten sei, so erfährt man, mit list (Er 8749), mit Zauberkunst also, umhüllt, doch sei dieses arkane Wissen heute weitgehend in Vergessenheit geraten: ich weiz wol, daz unmanec man den list ze disen zîten kan, dâ mite diz was getân. (Er 8748-8750) Damit macht der Erzähler schon auf motivisch-inhaltlicher Ebene auf die mythische Beschaffenheit der Umfriedung aufmerksam, um zugleich das Hier und Jetzt der äußeren Erzählsituation von jener archaisch-fremden Sphäre abzusetzen, der dieser Bestandteil der erzählten Welt entstammt. Womöglich sind darin Ansätze zu einer literarischen Reflexion über den Status des Mythischen im höfischen Erzählen zu erkennen: Das mythische Weltbild ist zur Zeit der Abfassung des Romans bereits historisch fremd geworden, allenfalls in ironischer Inszenierung lassen sich seine Spuren im Roman explizit thematisieren. Implizit bleibt die Strukturlogik des Mythos aber gleichwohl überall dort präsent, wo die oft paradoxalen, rational nur schwer durchdringbaren Erscheinungsformen des Höfischen eben doch im Rückgriff auf mythische Erwähltraditionen figuriert werden. Hinsichtlich der Art der Grenze wird der Erzähler daraufhin nun etwas konkreter: man sach ein wolken drumbe gân, / dâ niemen durch mochte komen (Er 8748-8752). Eine letztgültige Erklärung der rätselhaften Umfriedung bleibt der Erzähler allerdings nach wie vor schuldig: Er »macht die Zauberkunst zum Thema, ohne im Folgenden ihren Inhalt zu erklären - und damit entpuppt sich die versprochene Auflösung des Rätsels als strategische Finte« 128 . Auffällig ist hier wiederum Hartmanns Abweichung gegenüber seiner Vorlage - dort ist es keine Wolke, sondern eine unsichtbare Mauer aus Luft, die den Garten umgibt: El vergier n’avoit an viron mur ne paliz, se de l’air non; mes de l’air est totes parz par nigromance clos li jarz, si que riens antrer n’i pooit, se par un seul leu n’i antroit, ne que s’il fust toz clos de fer. (EeE 5689-5695) 127 h oFFmann , Arbeit, S. 199: »Während die mythische Raumordnung vom profanen einen heiligen Ort abgrenzt, gilt für ihn wie für alle darin enthaltenen Teile gemäß der mythischen Konkreszenz das von Cassirer [in Anlehnung an Lévy-Bruhl] so bezeichnete Gesetz der Partizipation beziehungsweise des Ganzen« (vgl. hierzu c aSSiReR , Philosophie, S. 131). h oFFmann weist darauf hin, dass Chrétien zumindest Ansätze zu einer rationalen Erklärung für die Ortsgebundenheit des Obstes biete, während Hartmanns Text »mit der Verweigerung jeglicher Begründung gerade das Mythische des Baumgartens entsprechend« (ebd.) unterstreiche. 128 g laSeR , Held, S. 63. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 91 Mehr erfährt der Rezipient bei Chrétien nicht über das Wesen der geheimnisvollen Umfriedung. Bei Hartmann dagegen wird diese über weite Strecken hinweg immer wieder Thema, zuletzt sogar »unter Einbeziehung des Publikums« und mit einem »Sprung in die Erzählgegenwart« 129 . Die Erzählzeit, die Hartmann der Begrenzung des Baumgartens widmet, ist also ungleich länger als bei Chrétien; ihre Beschreibung fällt zwar ausführlicher aus, doch keineswegs aufschlussreicher. Indem Hartmanns Text einerseits die Neugier des Publikums stimuliert, andererseits jedoch eine abschließende Erklärung für den Ursprung der magischen Umfriedung schuldig bleibt, akzentuiert er noch entschiedener die eigentümliche Unbestimmtheit, die den Baumgarten kennzeichnet. 130 Dem entspricht auch, dass aus Chrétiens Mauer aus Luft in der deutschen Bearbeitung eine Wolke wird: »Erstmals wird die Begrenzung des Baumgartens visualisiert«, doch gibt »diese visuelle Veranschaulichung mittels einer ›Wolke‹ […] neue Rätsel auf: Die Wolken am Himmel sind zwar sichtbar, wirken aber durch ihre weite Entfernung von der Erde entrückt, geheimnisvoll und vor allem nicht greif b ar. […] Die Beschreibung der Grenze als ›Wolke‹ belässt die Grenze gerade im Unklaren. Zu dieser Unklarheit trägt auch das für eine Wolke so typische Oszillieren zwischen Materiellem und Immateriellem bei.« 131 Zwar wird die Abgegrenztheit des vorliegenden Raumsegments immer wieder betont, wodurch alleine schon der Baumgarten als mythischer Raum gekennzeichnet ist, 132 doch wird sie zugleich durch die sonderbare Beschaffenheit der Grenze immer wieder relativiert: Die Umfriedung des Baumgartens ist bei Hartmann nicht trennscharf, sondern ›wolkig‹, amorph, durchlässig. 133 Es deutet sich an, dass das Prinzip der Konkreszenz, das das Innere des Baumgartens in struktureller Hinsicht bestimmt (vgl. die wundersamen Bäume, die außerhalb der gewöhnlichen Zeitordnung stehen), ebenso sehr dessen Umfriedung betrifft: 129 S cholz , Kommentar, S. 955 (zu Er 8745-8753). 130 Dass der Text eine Antwort auf die Frage nach der Herkunft der Umfriedung ausspart, entspricht einem Gestus des Mythos, der ›Wirklichkeit‹ weniger diskursiv begründet als vielmehr eigenmächtig setzt, indem er die Narration in eine »Ausschließlichkeit gegen jede konkurrierende Realität« (B lumen - BeRg , Arbeit, S. 80) erhebt. Aus diesem Grund gehört es zum Wesen des Mythos, dass er keine Antworten gibt, sondern dass er das Fragen selbst unterbindet, »bevor die Frage akut wird und damit sie nicht akut wird« (ebd., S. 219): »Mythen antworten nicht auf Fragen, sie machen unbefragbar« (ebd., S. 142). Gerade hierin liegt aber auch im Falle der genannten ›Erec‹-Passage ein - womöglich spezifisch literarischer - Bruch mit der Logik des Mythos, insofern der Text zwar keine letzten Antworten bietet, aber das Fragen gleichwohl provoziert, zuletzt sogar in direkter Publikumsadresse (vgl. Er 8745-8747). Womöglich ist in diesem Umgang mit der mythischen Logik des Stoffes eine Autorsignatur Hartmanns zu erkennen, lässt sich doch Ähnliches auch für den ›Iwein‹ aufzeigen: Die Klage der Anwohner über die strategische Verwundbarkeit des Brunnenreiches (Iw 7812-7820) wirft die Frage nach dessen geschichtlichen Hintergründen auf (vgl. Iw 7814: von erste ), womit sich die bis anhin mythisch-unhinterfragte Zuordnung von Reich und Brunnen ihrer kritischen Reflexion öffnet (vgl. zu der Stelle P oSeR , Arbeit, S. 133-135). Die Beantwortung dieser Frage bleibt Hartmann freilich auch in diesem Fall schuldig. 131 g laSeR , Held. S. 63 (Hervorhebung im Original). 132 So weist Ernst t RachSleR auf den mythischen Ursprung der Raumschwelle hin: »[D]ie Wolkenwand markiert die Grenze zwischen profaner und jenseitiger Welt« (t RachSleR , Weg, S. 186 f., hier S. 187). Andrea g laSeR notiert, dass »[g]erade beim Übergang einer Figur in die Andere Welt […] der Einfluss des mythischen Substrats der Artusromane besonders deutlich« wird, »denn auch in der keltischen Mythologie wurde der Eintritt in die andere Welt stets besonders gekennzeichnet« (g laSeR , Held, S. 50). Zur (kulturenübergreifenden) Besonderheit mythischer bzw. sakraler Raumeinheiten, durch eine sinnfällige Grenze von der gewöhnlichen Welt abgesondert zu sein, vgl. auch Kapitel 1.1. 133 Vgl. h oFFmann , Arbeit, S. 197: »Mit der Wolke ist die Grenze zwar markiert, doch ebenso diffus.« 92 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue Die Grenze des Baumgartens ist zugleich durchlässig und undurchlässig, materiell und immateriell oder - noch zugespitzter formuliert - sie ›ist‹ und ›ist‹ doch nicht. Die paradoxe Beschaffenheit der Begrenzung wird auch im Folgenden deutlich, wenn sich der Erzähler wieder dem Lauf der Handlung zuwendet. Der Burgherr Ivreins führt die Gruppe um Erec zu dem verholnen tor (Er 8758), von dem andeutungsweise schon zuvor die Rede war (vgl. Er 8484, 8712). Was der Erzähler nun aber berichtet, überrascht: hie beleip daz volc allez vor âne vrouwen Ênîten. ouch muoste mite rîten Guivreiz der herre: ir menige wart niht merre niuwan dise viere. (Er 8759-8764) Zuvor hieß es, man könne den Baumgarten nur einzeln betreten (vgl. Er 8487 ff.), nun aber sind Erec und seine Begleiter zu viert (wenngleich dem gemeinen volc der Zutritt durch das verholne tor tatsächlich verwehrt bleibt). Zwar bedarf die Gruppe der Führung durch einen Eingeweihten - nû reit der wirt selbe vor in / gegen dem boumgarten hin, / daz er in bewîste an die stat (Er 8754-8756) -, doch ist der Zugang zum Garten keineswegs so exklusiv, wie es aus der Rede Ivreins am Vorabend hervorging. Auch ist weder von einem Codewort die Rede, das benötigt würde, um das geheime Tor zu öffnen, noch davon, dass dieses sich nach dem Betreten des Gartens wie eine Falle selbsttätig schlösse. 134 Wieder zeigt sich: Der Baumgarten ist in sich widersprüchlich. Er ist offen und verschlossen zugleich. 135 Auch der folgende Erzählabschnitt unterstreicht die widersprüchliche Beschaffenheit des Baumgartens: Zuvor hatte der Erzähler dem Rezipienten einen Einblick in das paradiesische Innere des Gartens gegeben, das, wie es hieß, alles Leid vergessen mache (vgl. Er 8735-8738); was die Gruppe um Erec nun aber beim Betreten des Baumgartens zu Gesicht bekommt, sieht vollkommen anders aus: nû kâmen si vil schiere, daz si daz begunden ane sehen, des si von schulden muosten jehen, ez wære ein setlsæne dinc. hie was gestalt ein wîter rinc 134 Dieses Irritationsmoment notiert auch F RitSch -R öSSleR , Finis amoris , S. 71 f., und bemerkt dazu: »Hartmann umkreist förmlich den Zugang zum Park, in Hin- und Rückgriffen, in Wiederholungen. Dabei geht die Logik, sofern Joie-de-la-curt eine geographische Logik überhaupt besitzen kann, verloren« (hier S. 72). Dabei lässt sich der räumlichen Ordnung der Episode durchaus eine eigene Logik unterlegen, wenn auch eine für uns fremdartige, widerspruchstolerante und nicht-zweiwertige, sondern eben ›mythische‹ Logik des Sowohl-als-auch. 135 Obgleich bereits Hugo K uhn , Erec, S. 135, darauf aufmerksam gemacht hat, dass der Garten in paradoxer Weise zugleich »ringsum offen und doch geheimnisvoll verschlossen« sei, wurde dieser Aspekt in der neueren Forschung insgesamt zu wenig beachtet. Stattdessen hat man immer wieder - auch und gerade in mythostheoretischer Perspektivierung - zu einseitig auf die (vermeintliche) Abgeschlossenheit des Baumgartens abgehoben; vgl. zuletzt Q uaSt , Mythos und Norm, S. 68: »Eine Schwelle trennt den abgezirkelten Baumgarten vom höfischen Umfeld, eine Schwelle, die nur mittels eines Geheimwissens überschritten werden kann.« Von diesem ›Geheimwissen‹ ist aber an jenem Punkt der Handlung, an dem der Protagonist tatsächlich diesen Raumausschnitt betritt, auffälligerweise keine Rede mehr. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 93 von eichînen stecken. […] ir iegelîch was sus bedaht, ein mannes houbet drûf gestaht, wan einer, der was lære. (Er 8765-8774) Der Burgherr erläutert nun, dass es sich bei den Köpfen auf den Stangen 136 um die Häupter jener Männer handele, die von dem Ritter im Baumgarten erschlagen worden seien; der letzte noch freie Eichenpfahl sei, so Ivreins, für Erecs eigenen Kopf bestimmt (vgl. Er 8787-8792). Für den unwahrscheinlichen Fall, dass ein Herausforderer siegreich aus dem Zweikampf hervorgehen sollte, sei ein Horn daran befestigt: Wer auch immer es schaffe, den Baumgartenritter zu besiegen, der solde blâsen diz horn, dar zuo ist es erkorn, drîstunt vil lûte, dâ mite er daz bedûte, daz er gesiget hæte. (Er 8798-8802) Aus Sicht des Baumgartenpaares bedeuten die aufgespießten Köpfe zunächst die Marginalisierung der tödlichen Auswirkung der Gewalt: Als sichtbare Zeichen für den Preis des ritterlichen Kampfeswillens werden sie aus dem paradiesgleichen Inneren des Gartens in dessen Randbezirk ausgelagert. Für alle anderen fungiert er dort zugleich als unmissverständliches Warnsignal, und zwar sowohl extraals auch intradiegetisch: Für den Rezipienten dürfte spätestens jetzt klar sein, dass Erec seiner größten Herausforderung gegenübersteht, welche durch den Umstand, dass nurmehr ein einzelner Pfahl noch unbesetzt ist, zudem eine stark finale Ausrichtung erhält. Doch auch auf der Figurenebene verfehlt dieses Zeichen seine Wirkung nicht: Der Anblick des Pfahlkreises stürzt Enite in so tiefes Leid, dass ihr die Sinne schwinden: diu kraft ir zuo der varwe entweich, / und wart tôtvar und bleich / und viel vor leide in unmaht (Er 8824-8826). Die ambivalente Topographie der Burg Brandigan - »die goldglänzenden Türme stehen über höllischen Abgründen« 137 -, die mit dem zweimaligen Umkippen von scheinbarer Freude in tatsächliches Leid korrelierte, 136 Gertrud h öhleR , Kampf, S. 395, erkennt in dem Motiv einen »Nachfolger der Kultplätze keltischer Menschenopfer«. Auf die spezifische Funktionalisierung des Motivs in Hartmanns Text, welche auch in strukturlogischer Hinsicht an mythische Erzählweisen anschließt, macht h oFFmann , Arbeit, S. 202, aufmerksam: »Was hier im Ring mit Eichenpfählen förmlich zu sehen ist, sind die immer wiederkehrenden Kämpfe im Baumgarten. Die Kreisform vergegenwärtigt auf synchroner Ebene gleichsam den Kreislauf des Geschehens in einer nicht näher bestimmten, doch rhythmischen Wiederholung.« Mythische Inhalte und Strukturen gehen auch hier wieder in eins. 137 t RachSleR , Weg, S. 205. 94 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue findet hier ein weiteres Mal ihre Entsprechung 138 : Scheinbare Idealität schlägt unvermittelt ins Bedrohliche um. »Dieser locus amoenus ist zum Bezirk des Todes pervertiert.« 139 Die ambivalente Semantisierung des Baumgartens macht aber eine allegorische Lesart im Sinne Hugo K uhnS 140 unwahrscheinlich: Nimmt man an, dass die Motivik der Joie-dela-curt -Episode tatsächlich auf die allegorische Konkretisierung höfischer vreude ziele, so wäre davon auszugehen, dass der Verlust der vreude durch das Verblassen eben dieser Motive ausgedrückt würde, etwa durch Bäume, die zwar einst Blüten und Frucht getragen haben, die nun allerdings kahl stehen. 141 Ein solcher Bildgebrauch ist der höfischen Literatur durchaus bekannt: Der Natureingang des Minnesangs setzt die Jahreszeit mit der gegenwärtige Situation des Sänger-Ichs in Beziehung, und zwar solchermaßen, dass dem Frühling / Sommer samt den typischen Requisiten wie Blumen, laubtragenden Bäumen, Vogelgesang usw. konventionell vreude , dem schmucklosen Winter dagegen trûren oder leit , d. h. also die Abwesenheit von vreude , zugeordnet ist. 142 Hartmanns Text verzichtet aber in augenfälliger Weise auf einen derartigen topischen Bildgebrauch. 143 Ihm geht es offensichtlich nicht um eine zeitliche Relationierung von vreude und leit (›vorher herrschte im Baumgarten bzw. auf Brandigan vreude , nun aber ist dort nur noch leit zu finden‹), 138 Erzähltechnisch bemerkenswert ist die chiastische Struktur, mit der diese doppelten Kippfigur (Beschreibung des Burgkomplexes und Beschreibung des Baumgartens) auf der Ebene des discours dargeboten wird: Beim ersten Mal schildert der Erzähler zunächst aus Sicht der Heranreitenden die scheinbar ungetrübte Idealität der Burg Brandigan (mit Gérard g enette , Die Erzählung, S. 118-124, würde man von ›interner Fokalisierung‹ sprechen), um dann dem Leser / Zuhörer exklusiv Informationen über deren tatsächliche Beschaffenheit zu geben (›Nullfokalisierung‹: der Rezipient erfährt mehr als die Figuren). Im zweiten Fall folgt erst ein Bericht über das Innere des Baumgartens in Nullfokalisierung, wobei sich das idealisierte Bild, das der Erzähler dem Rezipienten vor Augen stellt, als trügerisch erweist, sobald die Erzählung wieder zur Figurenperspektive, zur internen Fokalisierung also, übergeht: (1.) scheinbare Idealität (2.) tatsächliche Bedrohung Burg Brandigan interne Fokalisierung Nullfokalisierung (der erste Eindruck von Brandigan: (Auskunft des Erzählers über die ein ritterlicher aneblic , Er 7847) Sogwirkung des Burggrabens) Baumgarten Nullfokalisierung interne Fokalisierung (Beschreibung des Inneren des (Schilderung des Innenraums aus der Baumgartens: der Baumgarten als Figurenperspektive: die Köpfe auf den locus amoenus ) Pfählen) 139 t RachSleR , Weg, S. 187. Auch Rudolf v oSS nimmt die »Ambiguität des Baumgartenbereichs« zur Kenntnis, »die […] im Widerspiel von Lustorttopik und Todesmotivik zustandekommt« (v oSS , Artusepik, S. 120). 140 K uhn , Erec. S. 135-39. 141 Vgl. etwa Neid WL 3, I, 4: manger grüenen linden stênt ir tolden grîs. 142 Vgl. etwa Neidharts Winterlied 36, welches den (Liebes-)Schmerz des Sängers ( kumberpîne ) mit dem Zustand der durch den Winter bedrängten Natur ( betwungen ) in Verbindung bringt: Owê, winder, waz dû bringest / trüeber tage und wie duz allez twingest, / daz den sumer mit vreuden was! / dû hâst vogele vil betwungen, / dâ der walt was aller von besungen, / dar zuo bluomen unde gras. / ich verklage ez allez wol, / wollte mich diu vrouwe mîne / scheiden von sô manegem kumberpîne, / den ich von ir gwalte dol (Neid WL 36, I). Zum Variationsspielraum dieser schematischen Zurodnung vor allem in der späteren Minnesang- und Sangspruchtradition vgl. K öBele , Frauenlobs Lieder, S. 47-116, z. B. S. 50 und 56 f. Zur Semantisierung der Jahreszeiten in der höfischen Dichtung vgl. auch Kapitel 3.2.3. 143 Tatsächlich wird die Bildtradition des winterlichen Natureingangs, wie man ihn aus der mhd. Lyrik kennt, in der Joie-de-la-curt -Episode allenfalls an einer Stelle flüchtig anzitiert, und zwar bei der Schilderung des Zweikampfs: Dort heißt es, dass die beiden Ritter im Gefecht alles Gras auf dem Kampfplatz zertreten, so dass dâ niht grüeners was / dan umbe mitte winterzît (Er 9165 f.). 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 95 sondern um das gleichzeitige Neben- und Ineinander von Gegensätzen: Der Baumgarten ist Lustort und Todesbezirk in einem. Eine solche Engführung kategorialer Gegensätzen ist aber gerade typisch für die Strukturlogik des Mythos. 144 Der Befund ist freilich zu relativieren, wenn man bedenkt, dass Erecs Annäherung an die Aventiure mit dem Betreten des Baumgartens noch keineswegs an ein Ende gekommen ist. Von dem Ort mit den Eichenpfählen aus muss Erec nämlich alleine weiter in das Innere des Baumgartens vordringen (vgl. Er 8874-8900), nachdem ihm Ivreins zuvor noch vür die stecken […] mit der hant (Er 8881 f.) die Richtung gewiesen hat. Die Isolierung des Helden verläuft also stufenweise 145 - doch auch hier ist weder von einem Zauberwort, noch von einer Tür die Rede, die sich nach Betreten selbsttätig wieder schlösse und die so dem Helden jede Fluchtmöglichkeit versperrte. Stattdessen wird nun die Motivik des locus amoenus wieder aufgegriffen, die dem Rezipienten bereits von der Schilderung des Baumgartens her bekannt ist und die nun, in unmittelbarem Anschluss an die Beschreibung des Pfahlkreises, noch einmal die Semantisierung dieses Raumausschnitts in ihrer ganzen Ambiguität vor Augen führt: hie reit der künec Êrec eine den grasigen wec […] durch bluomen und durch vogelsanc in jene boumgarten vort. (Er 8896-8900) Mit diesem letzten Wegabschnitt ist Erec endgültig im Zentrum der Aventiure angelangt. Ludger l ieB leitet aus dieser schrittweisen Hinführung ein weiteres dreigliedriges Raumschema ab, welches an die Stelle erste Dreiergruppe Burg - Stadt - Baumgarten trete: »1. ein Raum außerhalb des Baumgartens, in dem das ›Volk‹ zurückbleiben muß (Auße nra um - zu diesem Raum gehören in dieser Perspektive nun auch die Stadt und die Burg); 2. ein Vorhof, in dem sich ein Pfahlring befindet und in dem Ivreins und Erec noch je eine Rede halten (Zwis ch e nra um - v. 8754-8895); 3. ein schöner Ort inmitten des Baumgartens, in dem Erec zuerst der Freundin Mabonagrins und dann Mabonagrin selbst begegnet (Inn e nra um - v. 8896-9070).« 146 Zwar ist diese Einteilung formal gesehen zutreffend; doch darf die Unterscheidung eines ›Zwischenraums‹, in welchem die Begleiter Erecs zurückbleiben müssen, von einem ›Innenraum‹, dessen Betreten alleine dem Helden vorbehalten bleibt (und der dann, im Gegensatz zum ›Zwischenraum‹, mit paradiesähnlichen Attributen behaftet ist), nicht zu der Annahme verleiten, dass die Ambivalenz des Baumgartens dahingehend aufgelöst würde, dass sich sein Inneres in zwei unterschiedlich besetzte, doch räumlich klar voneinander getrennte Bezirke aufteilen ließe. 147 Nach dem Kampf im Zentrum des Lustorts - doch noch bevor Erec den erlösenden Hornstoß absetzt, der die vollständige Reintegration des Gartens 144 Vgl. etwa l évi -S tRauSS , Struktur, S. 40, der feststellt, »daß das mythische Denken ausgeht von der Bewußtmachung bestimmter Gegensätze und hinführt zu ihrer allmählichen Ausgleichung«. 145 Zur »unhinterfragt erzwungene[n] Vereinzelung des Helden« bei seiner »schrittweisen Annäherung« an die Aventiure, vgl. h oFmann , Arbeit, S. 203 f. 146 l ieB , Wiederholung, S. 317 (Hervorhebungen im Original; ich danke Ludger l ieB sehr herzlich für die Bereitstellung des noch unveröffentlichten Manuskriptes). Vgl. ähnlich auch h öhleR , Kampf, S. 179 f. 147 Vgl. dagegen h oFFmann , Arbeit, S. 203: »Im Inneren des Baumgartens wird […] deutlich, dass hier zwei voneinander abgetrennte Bereichte vorliegen, denen Leid und Schrecken auf der einen, Schönheit und Vergessen auf der anderen Seite zuzuordnen sind.« 96 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue in den Bereich höfischer Öffentlichkeit einleitet (vgl. Er 9624 f.)! 148 - macht Mabonagrin Erec mit einem deiktischen Gestus auf die abgeschlagenen Köpfe aufmerksam: sehet eht ir diu houbet? / diu hân ich elliu abe geslagen (Er 9573 f.). Die Schädel müssen also beiderseits der durch den Pfahlkreis angezeigten Grenze sichtbar sein, so dass Vorhof und innerster Bezirk zu einem einzigen kontinuierlichen Schau- und Zeigeraum verschmelzen. Nicht nur, dass das eigentliche Gefecht im Innersten des Gartens - und eben nicht auf dem als Ort des Todes und des Leides markierten Vorhof - stattfindet: Die visuelle Präsenz der Erschlagenen holt zudem die tödliche Auswirkung der Gewalt, die zunächst im Pfahlkreis symbolisch an den Rand des paradiesgleichen Gartens gedrängt worden ist, in dessen Zentrum zurück. 149 Die Ambivalenz des Baumgartens setzt sich bis in sein Innerstes hinein fort. Das Zentrum des Baumgartens bildet ein prächtiges Zelt ( eine pavelûne […] rîch unde wol getân , Er 8902 f.), die Behausung Mabonagrins und seiner Freundin. Auch dabei handelt es sich um eine Zutat Hartmanns: Bei Chrétien findet Erec die pucele auf einem silbernen Bett ( un lit d’argent ) mit goldumsäumten Bettzeug ( covert d’un drap brosdé a or ), das im Schatten einer Sykomore steht ( desoz l’onbre d’un siquamor , EeE 5828-5837). Auch Gertrud h öhleR notiert diese Abweichung gegenüber Hartmanns Vorlage: »Das Zelt ist, anders als der Baum, gemachtes und nicht erschaffenes Inventar des Lustortes. Es gehört nicht zum Kanon der Ausstattung, die den lieblichen Ort ausmacht und charakterisiert«; als »transportable und nicht auf Dauer, sondern auf Aufbruch hin konzipierte Behausung« deute das Zelt »auf den vorläufigen und nicht schauplatzgemäßen Charakter des Aufenthaltes« hin: »Im ›Erec‹ […] ist die ›mitgebrachte‹ Unterkunft schon Zeichen eines Aufenthaltes, den der Ort nicht abdeckt. Das Zelt in Hartmanns ›Erec‹ ist von den Usurpatoren des Gartens in den Ort hineingebracht worden.« 150 Dieses Zelt sei, so berichtet der Erzähler, gemâl en allen vlîz (Er 8907): dâ stuonden entworfen an beide wîp unde man und die vogele, sam si vlügen, doch si die liute dar an trügen (Er 8908-8911) Die Darstellungen auf dem Zelt wirken lebensecht, doch handelt es sich dabei, wie der Rezipient sogleich erfährt, um nichts als einen illusorischen Effekt, um eine optische Täuschung (Er 8911). »Indem der Erzähler die Bewegung der Vögel so explizit negiert, verweist er implizit auf die Statik, die das Innere des Baumgartens beherrscht und die sich auch in der festgefahrenen Beziehung zwischen Mabonagrin und seiner Freundin manifestiert.« 151 Das Baumgartenpaar befindet sich in einer »Welt von preziöser Starre, in der nur noch Bilder von Menschen einen Gemeinschaftsbezug vorgaukeln, in der die Vögel nur noch so aussehen, als könnten sie fliegen« 152 . Im Hintergrund dürfte hier, wie öfter bei Hartmann (vgl. die berühmte Sattelbeschreibung Er 7426-7766), das poetische Prinzip des ut pictura poiesis 148 Vgl. Kapitel 2.2.4. 149 In ähnlicher Weise, wenn auch in akustischer, nicht visueller Hinsicht, wird, wie Andrea g laSeR (Held, S. 64) feststellt, die zuvor heraufbeschworene Trennung zwischen dem Inneren des Baumgartens und der Außenwelt durch das Hornsignal überbrückt: »Der Schall dient in diesem Fall als akustisches Mittel, die starke Begrenzung des Baumgartens zu überwinden; er stellt eine auditive Verbindung zwischen dem Inneren und dem Äußeren des Baumgartens her.« 150 h öhleR , Kampf, S. 404 f. 151 g laSeR , Held, S. 66 f. 152 B Rall , Imaginationen, S. 146. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 97 stehen, des topischen Wettstreits zwischen Malerei und Dichtung in Hinblick auf die künstlerische Nachahmung belebter Natur also. Damit ist die Motivik des Zeltes selbst zwar nicht mythischer Provenienz, doch arbeitet sie, ähnlich wie das bivium -Schema zu Beginn der Joie de la curt (vgl. Kapitel 2.2.1), mit den genuin mythischen Merkmalen des Baumgartens insofern zusammen, als auch sie zur spezifischen Entdifferenzierungsästhetik der Episode beiträgt. Da aber die Unterscheidung zwischen menschlichem Artefakt und belebter Natur nur auf den ersten Blick überspielt wird ( sam si vlügen , Er 8910), es jedoch gerade keine tatsächliche Bewegung der dargestellten Figuren in der Zeit gibt (die Vergleichspartikel sam sowie der nachfolgende Hinweis des Erzählers stellen dies klar), wird zugleich die mit den wundersamen Obstbäumen bereits eingeführte eigengesetzliche Zeitsemantik wiederaufgenommen, wobei diese temporale Eigenlogik, die den Baumgarten aus dem gewöhnlichen Lauf der Zeit herausnimmt, hier nun deutlich negative Konnotationen gewinnt. Nach dem bildlichen Schmuck des Zeltes widmet sich der Erzähler dem Knauf, der auf der Spitze des Zeltes angebracht ist, um sodann den Blick auf die Zeltschnüre zu richten: daz der knoph wesen solde, daz was ein wol geworht ar, von golde durchslagen gar. si was gespannen über daz gras. […] dise zeltsnüere wâren sîdîn garwe und niht von einer varwe, rôt, grüene, wîz, gel, brûn, geworht sinewel. (Er 8915-8925) Während die wundersame Begrenzung des Baumgartens - obgleich mehrfach angesprochen - hinsichtlich ihrer visuellen Erscheinung letztlich relativ unbestimmt bleibt, fällt bei der Beschreibung der pavelûne die Häufung visueller Details ins Auge, wie sie ähnlich auch schon bei der Beschreibung der Burg Brandigan zu bemerken war. Auffällig ist die Parallelisierung der Blickführung bei den descriptiones von Burg und Zelt: »Einer verallgemeinernden Aussage (Pracht, Schönheit) folgt eine detailliertere Beschreibung, bei welcher der Blick langsam nach oben wandert bis zum höchsten Punkt, um dann abrupt nach unten zu gleiten.« 153 Der höchste Punkt wird jeweils durch einen goldenen Knauf markiert, wobei dieser im Falle des Zeltes als Adlerskulptur gefertigt ist (vgl. Er 8915-8917), woraus sich möglicherweise weitere Bedeutungsaspekte ableiten lassen. 154 Die strukturellen Analogien von Burg und Zelt beschränken sich allerdings nicht allein darauf, wie die entsprechenden Informationen auf der discours -Ebene jeweils präsentiert werden, sondern betreffen auch die räumliche Ordnung der erzählten Welt, die sich in diesem Fall als Spiegelverhältnis von Mikro- und Makrostruktur beschreiben lässt: 153 g laSeR , held, S. 67. g laSeR weist auf die Nähe zum topischen Aufbau von Schönheitskatalogen hin (ebd.): »Dieses Beschreiben von oben nach unten ist auch typisch für die Schilderung von Personen im höfischen Roman, die häufig mit dem Haar bzw. dem Gesicht beginnt und dann abwärts wandert. Vgl. zum Beispiel die Beschreibung von Koralus im ›Erec‹ (V. 270 ff.) oder von Jeschute im ›Parzival‹ (V. 130,3 ff.).« 154 Vgl. g laSeR , Held, S. 67. Gertrud h öhleR , Kampf, interpretiert das ›Feldzeichen‹, als welches sie dieses Motiv erkennt, als »Adler der Anmaßung« (S. 407) und »Attribut der Superbia « (S. 409). 98 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue »Das Zelt bildet den Mittelpunkt des Baumgartens, so wie die Burg den Mittelpunkt Brandigans bildet. Das Zelt kann so auch als ›Burg im Kleinen‹, der Baumgarten als ›Brandigan im Kleinen‹ betrachtet werden. Fast scheint es, als ob das Zelt die Burg spiegeln würde - und diese Spiegelung beinhaltet eine Verbindung zwischen dem Inneren und dem Äußeren des Baumgartens, durch die die vom Erzähler so sorgsam betonte Grenze im Grunde negiert wird.« 155 Diese Eigenheit der räumlichen Organisation Brandigans und des Baumgartens schließt aber wiederum an mythische Raumvorstellungen an: »Das Innere steht nicht neben dem Äußeren, das Äußere neben dem Inneren, als je ein eigener abgesonderter Bezirk, sondern beide reflektieren sich ineinander und erschließen erst in dieser wechselseitigen Spiegelung ihren eigenen Gehalt.« 156 Es lässt sich also zeigen, wie Hartmanns Text mit mythischen Motiven und Strukturlogiken arbeitet, um eine spezifische Raumsemantik der ›Entdifferenzierung‹ zu erzeugen. Diese betrifft jedoch nicht alleine das Innere des Baumgartens, das durch die mythische Ungeschiedenheit der Zeitstufen, aber auch von kategorialen Gegensätzen wie ›Freude‹ und ›Leid‹ gekennzeichnet ist, sondern auch und vor allem dessen rätselhafte Umfriedung. Mythische Raumvorstellungen werden nicht so sehr fruchtbar gemacht - wie es mythostheoretische Analysen der Episode bisher vor allem dargestellt haben -, um die Abgesondertheit dieses Raumsegments von der ›gewöhnlichen‹ Welt zur Anschauung zu bringen, sondern im Gegenteil, um die zunächst mit einigem rhetorischen Aufwand heraufbeschworene Grenzziehung im weiteren Verlauf der Handlung Schritt für Schritt zu dekonstruieren. Während anfangs die Rede davon ist, dass der Baumgarten nur einzeln zugänglich sei, betritt man ihn dann schließlich doch als Gruppe; das zuvor erwähnte arkane Geheimwissen spielt offenbar beim tatsächlichen Eintritt keine Rolle mehr - der ›kundige‹ Burgherr Ivreins gerät zum schlichten ›Wegweiser‹; als eine Art Zauberwolke erweist sich die geheimnisvolle Umfriedung als in paradoxer Weise zugleich materiell und immateriell; die gemeinsame Sichtachse überspielt die zuvor aufgerufene räumliche Trennung von ›Vorhof‹ und ›Innenraum‹; und schließlich wird in der Strukturanalogie von Burg und Zelt die kategoriale Geschiedenheit dieser beiden Teilräume derart in Frage gestellt, dass - setzt man eine mythische Logik der Partizipation an, wie sie h oFFmann auch für das Verhältnis von Obst und Garten konstatiert - zuletzt sogar von deren Wesensidentität gesprochen werden kann. 2.2.4 Der Baumgarten in der makrostrukturellen Raumordnung der erzählten Welt Welche Bedeutung hat nun aber dieser Befund vor dem Hintergrund der makrostrukturellen räumlichen Organisation des Textes? Um sich dieser Frage zu nähern, sei noch einmal die Raumstruktur des Artusromans in Erinnerung gerufen, wie sie von Ralf S imon - in Anlehnung an Jurij l otman s Konzept der ›Sujetentfaltung‹ 157 - beschrieben worden ist. Demnach gebe es im Artusroman »nur zwei Räume, den Artushof und das Außerhalb, und der Ritter 155 g laSeR , Held, S. 68. 156 c aSSiReR , Philosophie, S. 123. 157 Vgl. S imon , Einführung, S. 22-43, hier S. 22 (Hervorhebungen im Original): »Die Entfaltung ein e s S ujets kommt […] dadurch zustande, daß es eine Figur gibt (den Handlungsträger), die die unverletzbaren Grenzen [der Handlungsmilieus der erzählten Welt] gegen alle Wahrscheinlichkeit doch üb er- 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 99 ist der, der in beiden Räumen agiert. Die Handlung beginnt mit der Überschreitung der Grenzen und steht still, wenn die Überschreitung wieder rückgängig gemacht wurde.« 158 Das gegenhöfische Außerhalb ließe sich, so S imon , weiterhin in drei distinkte Aventiurekreise unterteilen: einen Bereich des ritterlichen Zweikampfes, einen der rohen Gewalt im Kampf gegen markiert unhöfische Kontrahenten und schließlich einen Bereich verwunschener Gegenwelten, zu denen auch Brandigan mit dem Baumgarten zu rechnen sei. »Die Aventiurewelt des Artusritters« bestehe demnach »aus seinen S tand e s g e no s s e n, ihrem arch ais ch e n G e g e nteil (Riesen, Drachen) und ihrem strukturelle n G e g e nteil (verzauberte Burgen)«; durch diese drei Aventiurekreise würde, so S imon , »die gesamte Welt des Ritters außerhalb des Artushofes« 159 erfasst. Indem S imon der dreigeteilten Aventiurewelt jedoch allein den Artushof als positiven Wert entgegensetzt, bleiben andere Bereiche der höfischen Welt in seinem Modell unberücksichtigt, so etwa Guivreiz’ Wasserschloss Penefrec oder Erecs eigener Herrschaftsraum. Aus diesem Grund scheint es sinnvoll, das von S imon vorgestellte Modell dahingehend zu modifizieren, dass der Gegenpol der hoffernen Aventiurewelt nicht allein durch den Artushof, sondern im Sinne einer metonymisch-synekdochischen Relation von Teilaspekt und Gesamtheit 160 durch eine ganze Reihe unterschiedlicher, kleinerer wie größerer Höfe repräsentiert wird: den Artushof, Karnant, Penefrec, aber auch durch Brandigan als dem Herrschaftssitz des Königs Ivreins usw. Diese einzelnen Höfe können ihrer sozialen Struktur und Wertigkeit nach stark differieren 161 - der Artushof hat freilich nach wie vor als das unangefochtene ideelle Zentrum der höfischen Welt zu gelten 162 -, wie auch die höfische s chreite n kann und damit auch die Grenzen innerhalb des semantischen Textraumes - jedes Milieu hat seine Semantik - verletzt.« Erstmals vorgestellt wird das Modell bei l otman , Struktur, S. 329-340. 158 S imon , Einführung, S. 22. 159 Vgl. S imon , Einführung, S. 24-31, hier S. 29 (Hervorhebungen im Original). 160 h aFeRland / S chulz , Metonymisches Erzählen, S. 5 f. 161 R uh , Höfische Epik / 1, S. 127, konstatiert, dass in der verligen -Szene das Urteil der Gesellschaft von Brandigan stellvertretend für dasjenige des Artushofes stehe. S cholz , Kommentar, S. 740 (zu Er 2984-2988), widerspricht dem mit dem Hinweis, dass Hartmann »hier wie sonst […] zwischen Karnant und der Artuswelt mit Bedacht getrennt« habe. Das von Harald h aFeRland und armin S chulz vorgeschlagene Konzept des ›metonymischen Erzählen‹ schafft möglicherweise einen Ausgleich zwischen diesen Positionen, indem es einerseits genügend Flexibilität bietet, um bestehende Differenzen wahrzunehmen und als solche gelten zu lassen, wie es andererseits erlaubt, diese (und weitere) Entitäten der erzählten Welt gleichwohl in eine paradigmatische Reihung zu bringen. Karnant und Artushof sind sicherlich nicht schlechthin ›austauschbar‹, doch stehen sie allemal in einem Äquivalenzverhältnis zueinander. Schon für den russischen Strukturalismus, an den h aFeRland und S chulz in vielerlei Hinsicht anschließen, bedeutet Äquivalenz - verstanden als eine »Relation nicht vollständiger Gleichheit« - »keine tote Einförmigkeit, und eben deshalb schließt sie auch Unähnlichkeit mit ein. Ähnliche Ebenen organisieren die unähnlichen, indem sie in ihnen die Relation der Ähnlichkeit herstellen. Gleichzeitig leisten die unähnlichen Ebenen die entgegengesetzte Arbeit, indem sie Verschiedenheit im Ähnlichen aufdecken« (l otman , Struktur, S. 125; vgl. hierzu auch Kapitel 2.2.7). Einen vergleichbaren Ansatz (doch offenbar weitgehend unabhägig von h aFeRland und S chulz ) verfolgt auch Julia R ichteR , Spiegelungen, mit ihrem - ebenfalls ältere strukturalistische Arbeiten aufgreifenden - Modell paradigmatischen Erzählens (vgl. ebd., S. 1-40). So kann R ichteR für den ›Parzival‹ nachweisen, dass in der gesamten Bandbreite »dargestellter Räume […] von der exotischen Welt des Orients bis zu anderweltlichen Sphären des Dämonischen« letztlich sämtliche Räume, trotz der sinnfälligen Unterschiede in der Darstellung, »als Varianten voneinander« erscheinen, »in denen die in den paradigmatischen Strukturen transportierten Semantiken immer wieder entfaltet und verhandelt werden« (ebd., S., 52). 162 Die höfische Sphäre ist also insofern segmentär und hierarchisch zugleich strukturiert: segmentär in Bezug auf das Verhältnis der zahlreichen ›kleineren‹ Höfe zueinandern, hierarchisch in Bezug auf ihr Verhältnis zum Artushof. Da aber jeder einzelne dieser verschiedenartigen Höfe pars pro toto für 100 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue Sphäre als die durch sie repräsentierte Gesamtheit »konzeptuell« mehr oder weniger »unscharf oder diffus« 163 bleibt: Die höfische Welt bildet keine in sich homogene und scharf umrissene Größe, und die Intention des Textes ist es womöglich gerade, ihre Form und Kontur in je neuen Anläufen annäherungsweise auszuloten. Dabei bleibt die von S imon beschriebene makrostrukturelle Zweiteiligkeit der erzählten Welt, bei der es sich um nichts anderes als die Projektion der Unterscheidung ›höfisch‹ - ›unhöfisch‹ auf den topographischen Raum handelt, zunächst grundsätzlich gewahrt: die Aventiurewelt als das Negativkorrelat des Hofes, als »das bloße chaotische Gegenteil zum Höfischen« 164 . Der Baumgarten von Brandigan, den S imon noch ohne Bedenken dem außerhöfischen Gegenraum zuschlägt, 165 scheint sich nun aber einer so eindeutigen Zuordnung zu versperren. Tatsächlich setzt diese Raumeinheit - so könnte man sagen - genau an der Grenze zwischen den beiden makrostrukturellen Teilräumen der erzählten Welt an, wobei sie in paradoxer Weise an beiden Seiten der durch diese Grenze angezeigten Unterscheidung gleichermaßen partizipiert: Der Baumgarten »ist Teil des Hofs und doch abgeschlossen, nicht mehr nur Außenraum, noch nicht ganz Innenraum und entsprechend widersprüchlich konnotiert« 166 . Damit aber markiert der Baumgarten nicht nur eine Grenze, sondern stellt diese Grenze im selben Augenblick auch wieder in Frage: Indem sich der Garten, der nur scheinbar gegenüber seiner Umwelt durch seine magische Umfriedung abgeschlossen ist, parasitär an die Peripherie der höfischen Welt anlagert und von dort aus als ambivalenter Zwischenraum an beiden Bereichen diesseits und jenseits der Grenze zugleich teilhat, werden Hof und Außerhalb füreinander durchlässig. Die Grenzziehung verwischt, die höfische Welt ist nicht länger trennscharf von ihrer eigenen Negation abzugrenzen. Die Funktion des Baumgartens als Zwischenraum zeichnet sich bereits in seiner topographischen Lage ab: Er liegt unterhalb der Burg, irgendwo zwischen Stadt und Umland. Dass er dem Hof und seinem Außerhalb gleichermaßen zuzurechnen ist, wird noch einmal in der monologischen Rede deutlich, die Mabonagrin nach seiner Niederlage gegen Erec hält: sît daz in mîn abe gie, sô enwart eht hie nie deheiner slahte spil erhaben (Er 9596-9598) Die Formulierung abe gie (Er 9596) suggeriert auch in einem räumlich konkreten Sinne Distanz zum Hof; zugleich wird aber der Baumgarten als der Ort ausgewiesen, an dem für gewöhnlich das höfische Treiben ( spil , Er 9568) stattfindet. Er befindet sich außerhalb der Burg Brandigan und gehört doch der höfischen Welt zu. »Hof und boumgarte sind räumlich getrennt, aber eng aufeinander bezogen«; aus diesem Grund erscheint der Garten auch als »Raum schöner Natur, doch höfisch möbliert durch einen prächtigen Pavillon« 167 . Dazu passt grundsätzlich auch die Kennzeichnung des Gartens als Lustort - wenn auch Hartdie Gesamtheit einsteht, bedeutet ein Angriff auf den Einzelnen immer zugleich auch stellvertretend einen Angriff auf die höfische Welt als Ganzes. Insofern geht es in der Joie de la curt nicht nur um die Krise der höfischen vreude auf Brandigan, sondern um die Krise der höfischen vreude schlechthin. 163 h aFeRland / S chulz , Metonymisches Erzählen, S. 14. 164 S imon , Einführung, S. 23. 165 Vgl. S imon , Einführung, S. 28. 166 m ülleR , Kompromisse, S. 298. 167 m ülleR , Kompromisse, S. 299. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 101 manns Schilderung mit der pavelûne über den klassischen Motivbestand hinausgeht -, ist doch der locus amoenus schon »traditionell ein Übergangsbereich zwischen Natur und Kultur […], entweder der naturnächste Raum der Kultur oder der kulturnächste der Natur« 168 . Wenn es zutrifft, dass sich »Höfische Kultur […] von ihren Rändern her, durch Grenzziehung zum Nicht-Höfischen« 169 definiert und die räumliche Zweiteilung des Artusromans eine Projektion dieser Grenzziehung auf die Raumstruktur der erzählten Welt darstellt, dann wird schon mit Blick auf das Setting der Joie de la curt deutlich, dass es hier nicht allein um die Krise eines einzelnen fehlgegangenen Paares gehen kann, auch nicht um die spiegelbildliche Reflexion der zuvor erzählten Krise des Helden und seiner Partnerin: Nicht weniger als die Identität der gesamten höfischen Welt, metonymisch repräsentiert durch den Hof von Brandigan, steht auf dem Spiel. Was zuvor in der räumlichen Ordnung der Erzählwelt strikt auseinander gehalten wurde, rückt in der Joie de la curt nun in mythischer Ungeschiedenheit aneinander. Die Form der höfischen Welt, die durch Abgrenzung zu ihrem eigenen Gegenteil allererst Kontur gewinnt, beginnt sich aufzulösen. Um diese Krise abzuwenden, muss Eindeutigkeit hergestellt werden. Das wird mit dem Sieg Erecs über Mabonagrin erreicht: Der mythische Raum des Baumgartens wird ›entzaubert‹, seine »Schwelle scheint nicht mehr zu existieren bzw. ihre Funktion verloren zu haben« 170 . Nachdem das wartende Volk vor dem Baumgarten das dreimalige Hornsignal vernommen hat - Zeichen für den Sieg des Helden -, wart âne tâle / wider dem alten site getân (Er 9643 f.): Gemeint ist die alte Gewohnheit, »an die Unmöglichkeit eines Sieges gegen Mabonagrin zu glauben oder den Baumgarten zu betreten« 171 . Die Menge strömt nun, wiederum unter der Führung Ivreins, doch ansonsten völlig frei, in den Garten: nû îlten si alle mit vroelîchem schalle, dâ si die herren sâhen an. (Er 9652-9654) »Der Baumgarten, vorher ein Ort von Privatheit und des Eingesperrtseins, wird zum öffentlichen Raum.« 172 Die ›Entzauberung‹ oder auch ›Entmythisierung‹ des Baumgartens bedeutet nichts anderes als seine Vereindeutigung: Der Wunderort wird durch den Hof vereinnahmt und verliert dadurch seine ambivalente Zwischenstellung. Er ist wieder Teil der höfischen Welt und nur der höfischen Welt. Durch die Spezifik der räumlichen Ordnung und ihrer Veränderung im Handlungsverlauf ergeben sich einige auffällige Kontrastmomente gegenüber der Karnant-Episode, als deren struktureller Gegenpart im zweiten Romanteil die Joie de la curt seit Hugo K uhn immer wieder gesehen wurde. 173 Die verligen -Szene figuriert eine persönliche Krise, die mit der 168 S chulz , wald , S. 546. 169 Q uaSt , Repräsentation, S. 113. 170 g laSeR , Held, S. 68. Das wird auch beim Verlassen des Baumgartens deutlich: nû vuoren wîp unde man / ûz dem boumgarten dan (Er 9744 f.). »Geradezu lapidar handelt der Erzähler nun in zwei Versen eine Handlung ab (das Überschreiten der Schwelle), die bislang so bedeutsam schien. Kein Vergleich zu Erecs Betreten des Baumgartens, das so stark mit semantischen Vernscherungen aufgeladen war« (ebd., S. 69). 171 l ieB , Wiederholung, S. 334. 172 g laSeR , Held, S. 68. 173 Noch W agneR , Erzählen, S. 218 f., sieht »die frappante Ähnlichkeit zwischen dem Paar im Garten und Erec und Enite in Karnant« als Schlüssel zum Verständnis der Joie de la curt und richtet seine gesamte Interpretation der Episode (vgl. ebd., S. 218-239) an diesem konstatierten Entsprechungsverhältnis 102 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue sozialen Exklusion des fehlgegangenen Ritters geahndet wird, indem man dessen Hof fortan allgemein meidet: die vor der vreude phlâgen, die verdrôz vil sêre dâ unde rûmten im’z sâ (Er 2977-2979) 174 Der Auszug Erecs aus Karnant stellt im Grunde nichts anderes dar als den räumlichen Vollzug einer vorgängigen sozialen Exklusion. Damit ist eine Grenzüberschreitung in doppeltem Sinne gegeben: Dem Übertreten einer ideellen normativen Grenze im verligen entspricht auf der Ebene der räumlichen Organisation des Textes der Ausritt in den kreftigen walt (Er 3114). Durch seinen Fehltritt und den damit verbundenen Ehrverlust aus der Gemeinschaft des Hofes ausgeschlossen, muss Erec auch in räumlich-konkreter Hinsicht die höfische Welt - und sei es auch nur vorübergehend - hinter sich zurücklassen. Bei Erecs Verfehlung handelt es sich nicht um eine Form der Überschreitung, die die Grenzziehung an sich grundsätzlich in Frage stellen würde, sondern die - im Sinne des von Michel F oucault beschriebenen Prinzips des Transgressiven - diese Grenze im Akt des Übertretens allererst sichtbar macht und ihre prinzipielle Gültigkeit damit sogar nachhaltig bestätigt. 175 Anders verhält es sich bei der Joie de la curt , wie ein erster Durchgang durch die Episode bereits andeutete, bei dem die Fokussierung auf das Figureninventar so weit als möglich in den Hintergrund gestellt und stattdessen versucht wurde, die räumliche Ordnung und ihre spezifischen Dynamiken als eigenwertige Größen in den Blick zu nehmen. Es konnte gezeigt werden, wie die zunächst etablierte dichotome Raumordnung von Hof (Raum) und Außerhalb (Gegenraum) dadurch dynamisiert wird, dass sich in Form des Baumgartens eine dritte Kategorie von Raum in den Schwellenbereich zwischen den beiden makrostrukturellen Teilräumen anlagert, wobei dieser dritte Raum einer partizipativen Logik des Sowohl-als-auch gehorcht und dadurch die vormals getrennten Teilbereiche in mythischer Ungeschiedenheit aneinanderrückt. Aus Sicht der höfischen Welt kommt dieser Sachverhalt dem Verlust der identitätskonstituierenden Grenzziehung zum Nicht-Höfischen gleich; die Krise kann alleine dadurch überwunden werden, dass sich die räumliche Ordnung noch einmal ändert und - indem durch das Eingreifen des Helden aus. Damit vernachlässigt er allerdings auch die Differenzen zwischen den beiden Szenen, die in der Forschung durchaus schon erkannt und benannt worden sind (vgl. den Überblick bei S cholz , Kommentar, S. 975-977 [zu Er 9508-9527]). 174 Wenn es kurz darauf heißt, Erecs Hof wart aller vreude bar (Er 2989), scheint darin zwar die spätere Tristesse auf Brandigan bereits anzuklingen (vgl. Er 9595: und was eht schœner vreuden bar ), doch zielen beide Stellen auf Unterschiedliches: In der Joie-de-la-curt -Episode bezieht sich die Aussage auf die Verfasstheit der ortsansässigen Hofgesellschaft, während in der früheren Stelle ›Hof‹ eher als konkrete Raumeinheit zu denken ist, die sich gerade durch das Fehlen von Gesellschaft auszeichnet: Karnant steht verwaist - nur die engste Hausgenossenschaft ( die in ane wunden , Er 2994) ist noch zugegen -, weil Erecs Standesgenossen seine Nähe meiden: in [i. e. den Hof] endorften ûz fremden landen / durch vreude niemen suochen (Er 2991 f.). Über den Zustand der Hofgesellschaft an sich lässt der Text ansonsten wenig verlauten: Es geht um die Desintegration des Individuums, nicht der Gesellschaft. Stärker als in der Joie de la curt treten hier also die sozialen und die räumlichen Bedeutungsaspekte des Begriffes hof auseinander. 175 F oucault , Vorrede, S. 325: »Die Grenze und die Überschreitung verdanken einander die Dichte ihres Seins: Eine Grenze, die absolut nicht überquert werden könnte, wäre inexistent; umgekehrt wäre eine Überschreitung, die nur eine scheinbare oder schattenhafte Grenze durchbrechen würde, nichtig. Doch existiert die Grenze überhaupt ohne die Geste, die sie stolz durchquert und leugnet? « 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 103 semantische Eindeutigkeit wiederhergestellt wird - der Baumgarten in die höfische Welt reintegriert wird. In der strukturalen Erzählanalyse spricht man von einem ›Ereignis‹, »wenn wenn eine Entität der dargestellten Welt die Grenze zwischen zwei semantischen Räumen überschreitet, die beiden semantischen Räume dabei aber erhalten bleiben; d. h. wenn innerhalb einer konstanten Weltordnung, nämlich den im dargestellten Zeitraum invarianten semantischen Räumen, sich nur der Zustand der grenzüberschreitenden Entität - der Figur - verändert, nicht aber der Weltordnung.« 176 Eben dies ist in Karnant der Fall: Durch das verligen ändert sich der Zustand des Helden und seiner Stellung in der Welt, doch der Zustand der erzählten Welt als solche bleibt davon weitgehend unberührt (oder wird doch zumindest nicht weiter thematisiert). Bei der Joie de la curt wäre demgegenüber eher von einem ›Metaereignis‹ zu sprechen, d. h. von einem Ereignis, bei dem »die dargestellte Weltordnung in der Zeit selbst transformiert wird, d. h. das System der semantischen Räume des Textes nach dem Ereignis nicht mehr dasselbe wie vor dem Ereignis ist. Ein Metaereignis ist also ein revolutionäres Ereignis: nicht nur der Zustand der Entität, sondern der der Welt ändert sich.« Mit dem Konzept der Sujetentfaltung, das Ralf S imon seiner Analyse zugrundelegt, wird man diesem Sachverhalt nur bedingt gerecht; ebenso wenig ist daran festzuhalten, dass sich das Schema des Artusromans als » exemplarische Einlösung sujethaften Erzählens« dahingehend vom Erzählprinzip des ›Nibelungenliedes‹ abgrenzen lasse, dass es bei diesem nicht um die Überschreitung einer ordnungsstiftenden Grenzziehung gehe, sondern um deren »Verschwinden, den Einbruch des Außenraums in den Innenraum, den Kataklysmus, den Zusammenbruch einer ganzen kulturellen Ordnung« 177 . Denn auch die Joie de la curt kennt die Idee einer »nichtsujethafte[n] Kollision«, einer Auflösung der Grenze zwischen Raum und Gegenraum und, damit verbunden, der völligen Zersetzung der erzählten Welt - und sei es auch nur als drohendes Szenario am Horizont der Erzählung, das am Ende dann doch - anders als im ›Nibelungenlied‹ - durch den Helden noch abgewendet werden kann. Jedenfalls ist der Sinnstruktur des Textes mit einer einseitigen Fokussierung auf die Bewegung des Helden im Raum nicht beizukommen: Sinn entfaltet sich auch und gerade in der beständigen Umstrukturierung der räumlichen Ordnung selbst. Wenn es aber zutrifft, dass literarische Räume Konkretisierungen von abstrakteren ideellen Ordnungsvorstellungen darstellen oder - anders herum gesagt - dass diese Ordnungsvorstellungen in der literarischen Imagination auch räumlich codiert erscheinen, dann ist danach zu fragen, welche Form der Störung in der dem Text zugrundeliegenden Wissensordnung es sein kann, die auf der Ebene der räumlichen Organisation des Textes ein solches ›revolutionäres Ereignis‹ auszulösen und damit die Struktur der erzählten Welt als solche so grundlegend zu verändern vermag. An diesem Punkt ist dann das Figureninventar des Textes wieder verstärkt in den Blick zu nehmen und der Fokus auf das spezifische Verhältnis von Raum und Figur zu lenken, und zwar in doppelter Hinsicht: Zum einen ist im Folgenden das Baumgartenpaar und seine Geschichte, die Erec nach dem 176 t itzmann , Aspekte, S. 3081 (dort auch das folgende Zitat). 177 W aRning , Norm und Transgression, S. 184 f. 104 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue Kampf von Mabonagrin erfährt, genauer zu beleuchten, zum anderen ist noch einmal neu die Frage nach dem Verhältnis der Joie de la curt zu Erecs eigenem Lebensweg zu stellen, wurde doch die Schlussaventiure immer wieder vor allem als »Begegnung« des Helden »mit sich selbst« 178 , als Erecs »Entdeckung seiner eigenen Geschichte« 179 gelesen. Im Anschluss an die Analyse der räumlichen Struktur der Joie de la curt und dem hier skizzierten Vergleich mit der Brandigan-Szene zeichnet sich ab, dass dieses in der Forschung vorherrschende Bild korrektur- oder doch zumindest präzisierungsbedürftig ist. 2.2.5 Raum und Figur: Mabonagrin als ›mythische‹ Mittlerinstanz Die erste Erwähnung findet Mabonagrin in der Rede Guivreiz’ vor der Burg Brandigan, in welcher Erec erste Auskünfte über das bevorstehende Abenteuer erhält. Über den - an diesem Punkt noch nicht namentlich vorgestellten - Ritter weiß Guivreiz zu berichten: der wirt ist sîn œheim. als noch an im schein, só enlebet sîn gelîche niender in dem rîche von sterke unde ouch von manheit. (Er 8018-8022) Guivreiz hebt also vor allem zwei Aspekte hervor: Mabonagrins enge verwandtschaftliche Bindung an den Hof und sein Geschick im Kampf, das ihm einen außergewöhnlichen Leumund im gesamten Reich eingebracht habe. Diese ersten Informationen über Mabonagrin charakterisieren ihn als Ritter, der durch seine herausragende Kampfkraft - im Kontext der feudalen Kriegergesellschaft eine hochprämierte Adelsqualität 180 - zu beachtlichem Ansehen gekommen sei. Erec zeigt sich erleichtert über die Tatsache, es mit einem Mitglied der höfischen Gesellschaft zu tun zu haben - einem einzelnen zumal, so dass er keine numerische Unterlegenheit zu fürchten brauche -, nachdem er zunächst mit bedeutend furchteinflößenderen Vertretern der außerhöfischen Gegenwelt gerechnet habe: und ist ez niuwan ein man, an dem si [i.e. die Aventiure] zu gewinne stât, des möhte werden guot rât. […] ich wânde, daz hûs wære vol gewürmes und wilder tiere (Er 8031-8038) Irritieren muss indessen der Hinweis Guivreiz’, dass der Ritter bisher alle Herausforderer nicht nur bezwungen, sondern auch erschlagen habe: swer im noch ritter widerreit, / die si wolden bejagen, / die hât er alle erslagen (Er 8023-8025). Während Mabonagrin zunächst als exemplarischer Vertreter der ritterlichen Welt in den Text eingeführt worden ist, dem von sterke unde ouch von manheit (Er 8022) eine herausgehobene Stellung in der symbolischen Ordnung des höfischen Agon zukomme, so wird dieses Bild eines mustergültigen Ritters mit dem Hinweis auf die wiederholte Gegnertötung sogleich radikal in Frage gestellt, denn: 178 h aug , Handlungsschematik, S. 148. 179 F eiStneR , Bewußtlosigkeit, S. 248. 180 Vgl. F RiedRich , Die ›symbolische Ordnung‹. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 105 »Zu dem Idealbild des höfischen Ritters […] gehört die Erwartung, daß die Ausübung von Gewalt, die mit dem militärischen Beruf untrennbar verbunden ist, durch Barmherzigkeit gemäßigt wird.« 181 Diese sozial prämierte Form der Verhaltensregulierung wird im Laufe des Textes mehrfach in actu vorgeführt, und zwar am Beispiel des Helden selbst: »In jedem der vier großen Zweikämpfe, die Erec im Laufe des Werkes austrägt, wird das Leben des besiegten Kontrahenten geschont: Iders, Guivreiz (im ersten Guivreizkampf), Erec (im zweiten Guivreizkampf) und Mabonagrin verdanken ihr Leben dieser Verhaltensregel. In jedem Fall (außer dem zweiten Guivreizkampf, der als Kampf zwischen Freunden ein Sonderfall darstellt) bietet der Besiegte sicherheit . In jedem Fall entwickelt sich aber auch die Endphase des Kampfes weit über das hinaus, was für die Erreichung eines nicht-tödlichen Ausgangs erforderlich ist, und es ergeben sich Beispiele menschlicher Interaktion, in denen weitere Aspekte des höfisch-ritterlichen Idealsbildes herausgestellt und vor allem durch das Verhalten Erecs veranschaulicht werden.« Das ritterliche Kräftemessen, wie es die Vertreter der Artusgesellschaft praktizieren, sieht keineswegs notwendig die Tötung des unterlegenen Gegners vor: »Es geht im höfischen Zweikampf neben den persönlichen Zwecken des Helden auch um den Erweis der Überlegenheit des Artusrittertums überhaupt. Diesem ist mit dem Tode des Besiegten weniger gedient als mit einem überwundenen Gegner, der von der Überlegenheit des Artusritters, die meist zugleich eine geistig moralische ist, beredtes Zeugnis ablegen kann und in vielen Fällen die Artusgesellschaft um seine eigene Person erweitert.« 182 Wo die Gegnertötung im höfischen Roman dennoch stattfindet, wird sie fast ausnahmslos problematisiert. Sie erscheint als Ausdruck der moralischen Defizienz oder der tumpheit , wie etwa in Wolframs von Eschenbach ›Parzival‹: Bei der zweiten Begegnung mit Ither tötet der Held den roter Ritter mit einem Wurfspeer, um sich auf diese Weise seiner Rüstung zu bemächtigen: Parzivâl der knappe guot stuont al zornic ûf dem plân. sîn gabylôt begreif er sân. dâ der helm unt diu barbier sich locheten ob dem härsnier, durchz ouge in sneit dez gabylôt, und durch den nac, sô daz er tôt viel, der valscheit widersatz. (Pa 155,4-11) »Der schmachvolle Tod König Ithers von der Hand eines Toren spricht der Idee des Rittertums Hohn.« 183 Später wird Trevrizent Parzival die Tötung Ithers als dessen zweite große Sünde anrechnen: du treist zwuo grôze sünde: / Îthern du hâst erslagen, / du solt ouch dîne muoter klagen (Pa 499,20-22). 184 Die vorschnelle und unreflektierte Gewalttat, die auf 181 J oneS , Schutzwaffen, S. 74 (dort auch das folgende Zitat). 182 d éSilleS -B uSch , don , S. 202. 183 B umKe , Wolfram von Eschenbach, S. 59. 184 Diese Sünde wiegt umso schwerer, als Parzival in Ither seinen eigenen Verwandten erschlagen hat (wovon der Held selbst allerdings zu diesem Zeitpunkt nichts wissen kann - erst Trevrizent wird ihn darauf aufmerksam machen; vgl. Pa 499,13 f.). Im Falle des ›Erec‹ wird über eine Verwandtschaft Mabonagrins mit seinen Opfern nichts gesagt, doch kann ein solches Verhältnis, zumal wenn an man 106 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue einem falsch verstandenen Begriff von Ehrgewinn beruht - Parzivals Absicht ist es, Ritter am Artushof zu werden, wofür er den Gewinn der Rüstung als notwendige Voraussetzung ansieht -, ist deutlich negativ konnotiert. Das Schonungsgebot erstreckt sich freilich in aller Regel nur auf Vertreter der höfischen Welt; Bewohner der außerhöfischen Gegenwelt sind davon, ebenso wie Heiden, 185 weitgehend ausgenommen. 186 So bedarf es offenbar keiner Rechtfertigung, wenn Erec in der Cadoc-Episode (Er 5288-5709) einen der beiden Riesen mit einem Speerstoß durchs Auge tötet, ganz ähnlich wie Parzival den Ither: Daz ros nam er mit den sporn, an si truoc in der zorn. daz huop si dannoch kleine, wan daz der eine von unwirde versûmte sich; unz daz im ein sperstich engegen in sîn houbet kam, der im ein ouge benam. der stich ergie mit selher kraft, daz im wol ellenlanc der schaft ûz gienc vor den ougen. swie kleine er’z wolde erougen, er stach in zuo der erde tôt, als ez der hövesche gebôt. (Er 5504-5517) Mit dem zweiten Riesen verfährt Erec nicht anders als Mabonagrin mit seinen Gegnern, indem er ihm kurzerhand den Kopf abschlägt, was den Erzähler in diesem Fall allerdings zu einem biblischen Vergleich anregt: der Dâvîde gap die kraft, daz er wart sigehaft an dem risen Gôlîâ: der half ouch im des siges dâ, daz er in mit gewalte volle gevalte und im daz houbet abe sluoc (Er 5562-5569) 187 die verwandtschaftliche Nähe des Baumgartenritters zu König Ivreins denkt, ebensowenig völlig ausgeschlossen werden. 185 Vgl. etwa, mit Bezug auf die Herzog-Ernst-Tradition, g oeRlitz , Kreuzzug und Heidenkampf. 186 Vgl. g Rundmann , Studien, S. 82, vgl. ähnlich auch h uBeR , Ritterideologie, der »den prinzipiell geburtsständisch exklusiven Charakter des Schonungszeremoniells« (S. 64) betont: »Schonung kommt […] nur innerhalb der Standesgemeinschaft in Frage. Nichtständische Gegner, im ›Erec‹ die Riesen und Raubritter wie die moralisch heruntergekommenen adligen Kontrahenten, verdienen keine Schonung, sie werden ohne Hemmungen getötet« (S. 65). 187 Der Vergleich mit David und Goliath (vgl. 1 Sam 17) lässt an die Morolt-Episode in Gottfrieds ›Tristan‹ denken, die auf denselben biblischen Prätext hin lesbar ist. Allerdings ist, wie jüngst m ülleR , Gotteskrieger, herausgearbeitet hat, dem Text Gottfrieds nicht von vorne herein »ein typologischer Sinn eingezeichnet« (S. 43), sondern kommt erst durch die eigenmächtige Selbststilisierung Tristans als Gotteskrieger (Tr 6216-6218 und 6239-6241) zustande, die sich der Erzähler erst nachträglich aneignet und damit implizit bestätigt. Zwar scheine damit, so m ülleR , auch für Gottfrieds Erzähler 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 107 Sofern es um einen unhhöfischen oder unchristlichen Kontrahenten geht, ist die Gegnertötung also ausdrücklich durch den Willen Gottes legitimiert, als dessen Vollzugsinstanz der Held fungiert. 188 Wenn es sich aber um einen ritterlichen Gegner handelt, erscheint ein solches Verhaltensmuster als entschieden unhöfisch, wenn nicht sündhaft, und wird entsprechend negativ sanktioniert. 189 Die erbarmungslose Tötung des unterlegenen Gegners kennzeichnet den außerhöfischen Unhold. Indem Guivreiz einerseits auf Mabonagrins Renommee im Reich anspielt, das er in Bezug auf seine Kampfkraft und Tapferkeit erringen konnte, andererseits bemerkt, dass er bisher noch keinen seiner - ritterlichen - Kontrahenten verschont habe, wird der Baumgartenritter von vornherein als ambivalente Figur in den Text eingeführt, die sich einer eindeutigen moralischen Bewertung zu entziehen scheint. Das volle Ausmaß des von Mabonagrin verursachten Unheils bleibt freilich in Guivreiz’ knappen Bericht noch sehr im Ungefähren, und so zeigt sich Erec dementsprechend auch wenig beeindruckt von dessen Warnung. Deutlicher wird die Sachlage erst, als die Gruppe auf der Brug Brandigan den achtzig Witwen der Opfer Mabonagrins begegnet. Nachdem Guivreiz den Helden über die Biographie der trauernden Damen informiert hat (Er 8324-8333), bewegt zwar der vrouwen smerze / Êrecke sô gar sîn herze (Er 8334 f.), dass er bei Gott darum bittet, Enite vor demselben Schicksal zu verschonen (Er 8351-8355). Als er jedoch nur wenig später die Gelegenheit hat, den Burgherren selbst über die Joie de la curt zu befragen, scheint der Eindruck, den die Damen bei ihm hinterlassen haben, bereits verblasst: Erec habe gehört, daz hie ein âventiure bî / mit starkem gewinne sî / von einem guoten knehte (Er 8384-8386). Aus der Sicht des Helden zumindest ist Mabonagrin kein Unhold, der die hinterbliebenen Ehefrauen der erschlagenen Ritter in tiefes Unglück gestürzt habe, sondern - im Gegenteil - ein guoter kneht , ein vorbildlicher Ritter, an und mit dem es sich »die religiöse und rechtliche Ordnung außer Frage zu stehen und dem Gewirr kontingenter säkularer Verkettungen [innerhalb der erzählten Welt] prinzipiell überlegen. Aber sie ist nichts Vorgegebenes, sondern etwas erst Herzustellendes. Die sakrale Ordnung ist nicht Ausgangspunkt […]: Sie ist Tristans (und des Erzählers) Werk« (S. 60). Demgegenüber dürfte der ›Erec‹ den einfacheren Fall bieten, wird hier doch die typologische Deutung nicht zuerst einer Figur in den Mund gelegt und erst sekundär durch die auktoriale Erzählinstanz adaptiert, sondern erscheint von Anfang an als von individuellen Figurenperspektiven unabhängig gegeben. Gleichwohl handelt es sich auch beim ›Erec‹ zuallererst um einen höfischen, nicht um einen religiös-gelehrten Text, so dass sich die Frage nach der »Verbindlichkeit« der Darstellung Erecs als »Heilsbringer und Gotteskämpfer« (K öBele / Q uaSt , Perspektiven, S. 17) in dieser literarischen ›Postfiguration‹ stellt. Sei es auch, dass der höfische Roman ein spezifisches »Heilsinteresse« kennt, so zielt dieses doch letzthin auf eine »Verdiesseitigung von Heil«, wie Q uaSt , spil , S. 521, deutlich macht (dort auch das folgende Zitat); insofern scheint es angebracht, von Erec - in begrifflicher Anlehnung an Max W eBeR , Wirtschaft, S. 423, der sich auf die Ethik des Protestantismus bezieht - als einem »›innerweltlichen Virtuosen‹ avant la lettre « zu sprechen. Zum Status der biblischen und heilsgeschichtlichen Allusionen im ›Erec‹ vgl. jetzt allgemein K öBele / Q uaSt , Säkularisierung, und dort im Speziellen (neben den bereits genannten) die Beiträge von c hinca (Horizont) und h auSmann (Autorisierung). 188 In diese Richtung scheint mir auch die umstrittene Formulierung als ez der hövesche gebôt (Er 5517) zu zielen, die seit Er / Haupt in der Regel zu als ez der hövesche got gebôt konjiziert wird. Dagegen stellt sich entschieden S cholz , Der hövesche got , sowie ders., Stellenkommentar, S. 825 (zu Er 5517), mit dem Hinweis, dass gebieten »auch die Bedeutung ›belieben‹ haben« könne »und der hövesche […] dann nicht Gott, sondern Erec« sei. Dem wiederum entgegnet m eRtenS , Anhang, S. 668, dass diese Bedeutung »zumeist in Anreden in der Höflichkeitsform ( als ir gebietet )« belegt sei und »eine vergleichbare Formulierung« in der dritten Person ( als er gebôt ) ansonsten ohne Beispiel sei; vgl. zu der Problematik auch Kapitel 2, Fn. 2. 189 So tadelt der Erzähler Erec auch scharf bei der ersten Begegnung mit Guivreiz, als er diesen beinahe erschlagen hätte: Êrec fil de roi Lac / hâte nâch missetân, / wan er wolde in erslagen hân (Er 4439-4441). 108 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue für ihn zu messen gelte. Ivreins reagiert bestürzt, als Erec die Frage nach der Aventiure stellt, seien es doch vert und hiure / unde nû wol zwelf jâr[…] michel schade dâ von geschehen (Er 8415-8418), und er bittet den Gast, nicht mehr davon zu sprechen. Erec kann Ivreins mit dem vorgeschobenen Argument zum Weiterreden bewegen, dass er später wahrheitsgemäß über die Aventiure möchte Auskunft geben können, um sich so dem Vorwurf der Lüge zu verwehren (Er 8446-8457). Nicht die Aussicht auf Ehrgewinn, sondern die Angst vor einem möglichen Ehrverlust also seien Anlass, dass Erec mehr erfahren möchte - und dieser Appell an das Ehrverständnis des Burgeherren zeigt Wirkung: nû wânde der wirt, er meinte’z sô (Er 8457). Ivreins erzählt dem Gast von drei hervorragenden Rittern, Venegus, Opinaus und Libaut, die allesamt von Mabonagrin ums Leben gebracht worden seien (Er 8499-8511). Mit diesen drei stellvertretend genannten Figuren, deren Namen »aus chansons de geste geläufig« 190 sind, erhalten die Opfer Mabonagrins eine eigene Geschichte und Identität und sind damit nicht länger nur eine anonyme Masse. Wiederum wird der unhöfische Charakterzug Mabonagrins akzentuiert, der sich in der vorsätzlichen Tötung ritterlicher Gegner äußert. Und wiederum zeigt sich Erec von den Ausführungen seines Gegenübers wenig beeindruckt: ich hân von iu ê vernomen, daz dirre herre ist vollekomen an degenlîcher manheit. des ist sîn êre vil breit und ze ganzem lobe erkant über elliu disiu lant, wan er hât wunder getân. (Er 8540-8546) Die Warnungen sowohl Guivreiz’als auch Ivreins missachtend, sind es abermals nur die positiven Qualitäten Mabonagrins, die Erec in seiner Darstellung hervorhebt: seine manheit und das gesellschaftliche Ansehen, dass er aufgrund seiner Rittertüchtigkeit über ellie disiu lant erwerben konnte. In den Augen des Helden erscheint Mabonagrin als ehrbarer Gegner, den zu bezwingen einem Zuwachs an eigener Ehre gleichkomme: ob mir got der êren gan, / daz ich gesige an disem man, / sô wirde ich êren rîche (Er 8560-8562). Diese Schlussfolgerung bleibt zwar an die Figurenperspektive gebunden, doch gibt es im Text keine übergeordnete Instanz (den Erzähler), die als Korrektiv des möglicherweise nur standpunktabhängigen Urteils des Helden fungieren würde. Die Darstellung Mabonagrins im Text bleibt damit ambivalent. Ehre und Ehrgewinn sind Schlüsselkategorien des feudalen Gesellschaftsmodells. Das öffentliche Ansehen ist Grundlage der Integration in den Kommunikationszusammenhang des Hofes. »Ehre, Ehrbarkeit, ein guter Leumund, das bedeutet die Inklusion, Verminderung dieser Merkmale die Möglichkeit, […] in die Zone des Übergangs und in den Exklusionsbereich [abzudriften]. Nichts wurde so sehr gefürchtet wie die infamia facti , entsprechend war jede Gelegenheit, die Schande des Anderen auszurufen, identisch mit der Stabilisierung der eigenen Adresse.« 191 Mit dem verligen verspielt Erec seinen Leumund und damit auch - zumindest vorübergehend - seinen kommunikativen Ort in der höfischen Welt: Die Standesgenossen meiden seinen Hof. Wenn aber ein vergleichsweise folgenloser Fehltritt - 190 S cholz , Kommentar, S. 946 (zu Er 8495-8508). 191 F uchS , Identität, S. 283. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 109 ein Fehltritt zwar, der die gesellschaftlichen Verpflichtungen des Hausherrn missachtet, der aber ansonsten niemanden an Leib und Leben bedroht -, wenn ein solcher Fehltritt schon den Ehrverlust und die zeitweilige Exklusion des Individuums bewirkt, um wieviel schwerer müssten dann die Taten Mabonagrins wiegen, die doch so vielen ehrbaren Gegnern den Kopf gekostet haben? Ehre ist Bedingung für soziale Inklusion wie andersherum die Zugehörigkeit zum Hof immer schon Voraussetzung für Ehrgewinn ist: Ein Gegner, der nicht schon a priori der höfischen Sphäre zugehört, ein Räuber oder Riese etwa, kann noch so viel Geschick im Kampf beweisen und würde dennoch - so sehr auch Kampfkraft eine gesellschaftlich prämierte Adelsqualität ist - kein Ansehen dadurch gewinnen. Wie ist es aber zu verstehen, dass Mabonagrin, obschon als mordgieriger Wüstling geschildert, für Erec nach wie vor als herre (Er 8541), als vornehmer Herr, adressierbar bleibt und dass dieser es nicht nur vermeidet, »die Schande des Anderen auszurufen« - Gelegenheit dazu gäbe es genug -, sondern stattdessen den landläufigen Ruf seines Kontrahenten sogar zum Maßstab für den eigenen sozialen Status erhebt? Manfred K oliWeR sieht hierin »den den Bruch mit dem Ehrbegriff des Artushofes« 192 vollzogen. Dagegen spricht, dass Erecs Einschätzung weder von Ivreins noch von Guivreiz in irgendeiner Weise korrigiert wird: Zwar äußert der Burgherr mehrfach Sorge um Erecs Leben, weil er Mabonagrin für den überlegenen Kämpfer ansieht (vgl. etwa Er 8518 f., 8577 f.), doch rückt er mit keinem Wort das Bild zurecht, das der Protagonist sich von dem Baumgartenritter macht. Auch der Erzähler hält sich nicht nur auffallend mit wertenden Kommentaren zurück, 193 sondern nimmt Erecs Rede an späterer Stelle sogar explizit wieder auf, wenn er ihn nach erfolgreichem Kampf als wunderære (Er 10045) tituliert und seine Fama rühmt: ez was eht sô umbe in gewant, daz wîten über elliu lant was sîn wesen und sîn schîn. sprechet ir, wie das mohte sîn? waz von diu, schein der lîp nû dâ, sô was sîn lop anderswâ, alsô was sîn diu werlt vol: man sprach eht niemen dô sô wol. (Er 10046-10053) Damit scheint mir weder der Anschluss an spezifische Semantiken legendarischen Erzählens gesucht, 194 noch auf einen »einmaligen und transzendierenden Akt« 195 verwiesen, der Erec aus dem Kreislauf perpetuierender Wiederholungshandlungen heraushebe, sondern zunächst nichts anderes ausgedrückt, als dass der Held nach der Aventiure genau das erreicht hat, was er zuvor als sein persönliches Ziel formuliert hatte: Mabonagrin in Bezug auf dessen Taten ( wunder , Er 8546) und dessen Ansehen ( ze ganzen lobe erkant / über 192 K oliWeR , Untersuchungen, S. 90. 193 Das verwundert umso mehr, als der Erzähler zuvor offen Kritik äußerte, als Erec seinerseits den unterlegenen Guivreiz zu töten drohte (vgl. Kapitel 2, Fn. 189). Wieso schweigt er sich hier nun aus, wo doch Erec in dasselbe fragwürdige Muster zurückzufallen scheint, wenn er sein Handeln an den Gewalttaten Mabonagrins ausrichtet? Reicht erzählerische Ökonomie als Argument oder handelt es sich hier nicht doch um eine markierte Abweichung zwischen beiden Szenen? 194 Vgl. so etwa g Reen , Irony, S. 196, Fn. 2; m ecKe , Zwischenrede, S. 96; Q uaSt , spil , S. 519. 195 l ieB , Doppelter Kursus, S. 202. 110 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue elliu disiu lant , Er 8544 f.) ebenbürtig zu sein. Erec setzt sich die ritterliche Leistung seines Kontrahenten zum Maßstab, und der Erzähler gibt ihm darin, vom Ende her gesehen, auch Recht. 196 Das alles legt ein anderes Verständnis der Lobrede Erecs auf den Baumgartenritter nahe: Das Problem liegt nicht beim Helden und seinem fehlgeleiteten Urteilsvermögen, sondern darin, dass Mabonagrin offenbar trotz seiner Taten nach wie vor in den Kommunikationszusammenhang des Hofes integriert ist und dort sogar, offenbar gerade wegen seiner Taten, eine gewisse Geltung genießt. Mabonagrin erscheint in paradoxer Weise als höfischer Ritter und außerhöfischer Unhold zugleich. 197 Die Erbarmungslosigkeit Mabonagrins offenbart sich im vollen Umfang jedoch erst, als Erec und seine Begleiter den Vorhof des Baumgartens betreten, wo sich ihnen der Pfahlkreis mit den Köpfen der erschlagenen Ritter präsentiert (vgl. Er 8765-8774). Nicht nur, dass Mabonagrin qua Gegnertötung der höfischen Verhaltensnorm widerspricht, er verwehrt seinen Opfern zudem ein angemessenes Begräbnis und verstößt damit aufs Schärfste auch gegen jede christliche Ordnungsvorstellung. In diesem Sinne mag es gerechtfertigt sein, in Mabonagrin den »Repräsentant[en] eines Rittertums ohne Gott« zu sehen, wenngleich er - nach verlorenem Kampf jedoch erst - die »christliche Rückbindung [seines] Rittertums« 198 durch die mehrfache Nennung Gottes durchaus beweist (vgl. Er 9351, 9357, 9454 f., 9582 und 9587). Auch hierin zeigt sich Mabonagrin als ambivalente Figur, eigentümlich changierend zwischen »fromme[m] Ritter« 199 und gottlosem Wüstling: ir’n sprechet niht: ob got wil (Er 9047), wirft Erec seinem Kontrahenten vor. Der Pfahlkreis verdeutlicht, dass Analogien zwischen dem in selbstgenügsamer Zweisamkeit versunkenen Helden in Karnant und Mabonagrin nur bedingt tragen, denn »[d]er untätigkeit, des verligens macht sich [Letzterer] nicht schuldig; davon zeugen«, so Barbara t hoRan , »die achtzig aufgespiessten häupter auf den eichenpfählen.« 200 Auch Peter W aPneWSKi stellt fest, dass hier » minne und Rittertum […] - anders als in Karnant - in 196 Das relativiert die von K öBele / Q uaSt , Perspektiven, S. 17, aufgeworfene Frage nach der heilsrelevanten ›Verbindlichkeit‹ der Hartmannschen Formulierung: »Handelt es sich um übertragene Rede? Wirkt Erecs Heilssouveränität wie ein göttliches Wunder, wunder-analog, oder erzählt Hartmann tatsächlich (proprie) ein Wunder, in dem Geschehen und Beweiskraft dasselbe sind? « (Hervorhebung im Original.) Setzt man für das Lexem wunderære nicht von vorne herein einen religiösen Bezugshorizont an und sieht darin eher, wie es der Wortlaut nahelegt, einen textinternen Rückverweis auf die frühere Äußerung Erecs über Mabonagrin, dann verweist es allenfalls in den Bereich des Legendarischen, wenn das Erreichen dieses seines persönlichen Zieles zum göttlichen Akt der Gnade stilisiert wird (vgl. Er 10085-10088). Über die Heilsqualität seiner Taten ist damit so wenig ausgesagt wie im Falle der wunder Mabonagrins, von denen Erec seinerseits zuvor gesprochen hatte. 197 Vgl. als Kontrastfolie die Aussage über den Sklavenhalter Godonas im ›Melerantz‹ des Pleier: Auch dieser hett […] hoch würdekayt und [s]in lob wär lanch unnd brayt - im Konjunktiv! -, wenn er denn nicht so mürdig wäre (Mel 4484-4486). Hier schließt sich logisch offenbar aus, was bei Mabonagrin gerade der Fall ist. 198 t helen , Dichtergebet, S. 658. 199 W aPneWSKi , Hartmann, S. 52. 200 t hoRan , man , S. 265. Zu bemerken ist, dass die genaue Ziffer der Opfer weder bei Chrétien noch bei Hartmann explizit genannt wird, doch lässt sie sich aus der Anzahl der trauernden Witwen auf Brandigan erschließen. h oFFmann , Arbeit, S. 202, Fn. 439 (mit S cholz , Kommentar, S. 956 f. [zu Er 8786-8792]), gibt jedoch zu bedenken, »dass nicht alle Ritter verheiratet gewesen sein müssen und somit durchaus mehr Kämpfe stattgefunden haben können«. Einen Hinweis auf die richtige Größenordnung dürfte die Schar der Witwen aber allemal geben. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 111 fruchtbarer Spannung zueinander« 201 stehen. Allerdings ist Mabonagrins Waffentat entschieden anders motiviert als die des idealen höfischen Ritters, und sie gehorcht nicht den Spielregeln der höfischen Gesellschaft. 202 So ist der Pfahlkreis eben nicht nur, wie bei t hoRan und W aPneWSKi herauszuhören, Zeichen für die Rittertüchtigkeit Mabonagrins, sondern eben auch und vor allem dafür, dass der Baumgartentritter in mindestens achtzig Fällen gewaltsam mit den Konventionen des Hofes gebrochen hat. Mit seinem unhöfischem Verhalten korrespondieren Mabonagrins Auftreten und Erscheinung. Der erste sinnliche Eindruck, den man von dem Ritter erhält, ist seine kräftige und zornige Stimme, die klingt sam ein horn dôz, / wan im was der drozze grôz (Er 8994 f.), und die damit »die Regel des Wohllauts am Lustort« 203 durchbricht. Es folgt eine ausführliche Beschreibung: des boumgarten herre was lanc unde grôz, vil nâch risen genôz. der underwant sich grôz drô. sîn ros was grôz unde hô, starc rôt, zundervar. der varwe was sîn schilt gar: sîn wâpenroc alsam was, er selbe rôt, als ich ez las, gewâfent nâch sînem muote: ich wæne, sîn herze bluote, swenne er niht ze vehtenne vant: sô mordic was sîn hant. (Er 9011-9023) Die Forschung hat vielfach auf die fomore -haften Züge Mabonagrins aufmerksam gemacht, auf die Rückbindung der Figur an menschenfeindliche Riesengestalten in keltischen Erzählungen. 204 Bei Chrétien und Hartmann ist dieser sagengeschichtliche Hintergrund freilich weitgehend verblasst. Denn »[u]m einen Riesen, wie häufig zu lesen ist […], handelt es sich bei Mabonagrin nicht.« 205 Auch Hulda H. B RacheS bemerkt, dass Mabonagrin »zum Ritter vermenschlicht wurde«, doch habe er sich die »ungeheure Größe« und die »blutrote Waf- 201 W aPneWSKi , Hartmann, S. 52. 202 Mabonagrin kämpft weder aus christlicher Nächstenliebe, wie es das Ideal des miles christianus vorsieht, noch um seiner persönlichen Ehren willen, sondern um die gesellschaftswidrige Zweisamkeit des Paares gegen Eindringlinge zu verteidigen. Indem Mabonagrin sich selbst mit seiner Freundin im Baumgarten verschließt, verfehlt er einen »integrierende[n] Teil des Abenteuers« (t RachSleR , Weg, S. 146), nämlich das ›Auf-dem-Weg-sein‹ des Helden. Gert K aiSeR stellt dazu bündig fest: »[D]er Kampf allein macht noch keine âventiure « (K aiSeR , Textauslegung, S. 122). 203 h öhleR , Kampf, S. 404. Wie l ecouteux , monstres, S. 34, bemerkt, ist »une voix tonitruante« in der mhd. Literatur häufig Merkmal des Riesen: »Remarquons […] qu’en privant le géant d’un langage articulé ou en rapprochant celui-ci du cri des animaux, les auteurs soulignent qu’il est un monstre«. 204 Vgl. etwa W elz , Glück, S, 20; B RacheS , Jenseitsmotive, S. 160. Der Name der Figur verweist allerdings auf eine andere mythische Tradition, lässt sich ›Mabonagrin‹ doch aus »zwei keltische[n] Apollo- Namen ( Maponos und Grannos )« ableiten (B iRKhan , Einführung, S. 55). Unter dem Namen ›Mabos‹ begegnet die Figur häufiger in der keltischen Mythologie; vgl. hierzu h oFFmann , Arbeit, S. 194 f., mit weiterführenden Literaturhinweisen. 205 S cholz , Kommentar, S. 962 (zu Er 9011-9013). 112 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue fenrüstung« 206 als Merkmale seiner mythischen Herkunft bewahrt. Die Farbe Rot als Bedeutungsträger hat Hartmann gegenüber seiner Vorlage stärker akzentuiert. Bei Chrétien heißt es über Maboagrin diesbezüglich nur, er sei armé d’unes armes vermoilles (EeE 5849); bei Hartmann dagegen ist »[n]icht nur seine Rüstung, sondern überhaupt alles an ihm« rot: Pferd, Schild, Waffenrock, Rüstung und im übertragenen Sinne »sogar sein muot « 207 . Dass diese Farbwahl semantisch stark markiert ist, ist ebenso offensichtlich, wie es andererseits müßig ist, ihren Code auf eine eindeutige Verweisstruktur hin entschlüsseln zu wollen, zumal »die bewußt ausgebildete Farbsymbolik in Deutschland erst im Spätmittelalter wirksam wurde« 208 . Doch dürfte außer Frage stehen, dass die Farbgebung deutlich negativ konnotiert ist, ob dies nun - wie öfters erwogen - bis in den Bereich des Teuflischen oder Dämonischen hineinreicht oder nicht. 209 Auf das zeitgenössische Kontextwissen braucht an dieser Stelle gar nicht erst verwiesen werden: Der Erzähler selbst stiftet über die isotope Reihe ›Farbe von Rüstung und Pferd‹ (Er 9015-9020) - ›Farbe des Blutes‹ (Er 9021) - ›Mordgier des Ritter‹ (Er 9023) einen engen Nexus zwischen der äußeren Erscheinung Mabonagrins und seiner inneren, menschenfeindlichen Gesinnung. Auch die außergewöhnliche Größe des Baumgartenritters stellt mehr dar als eine dramaturgische Zutat zur Spannungssteigerung, die das Gefecht der beiden Rittern als Widerstreit ungleicher Mächte ausweist: Sie zeugt zudem davon, dass Mabonagrin in gewisser Hinsicht teilhat an der hoffernen Aventiurewelt, die ansonsten vor allem durch genuin unhöfische Gestalten belebt wird. Unterstrichen wird diese Eindruck dadurch, dass »[d]er grosse rote Ritter […] während [des] Kampfes nie ritter genannt [wird] - höchstens noch 206 B RacheS , Jenseitsmotive, S. 160. 207 t ax , Studien, S. 282. t ax versteht den Vers gewâfent nâch sînem muote (Er 9020) offenbar sehr nahe am Wortlaut des Originals im Sinne von: ›gerüstet, wie es seiner Gesinnung entspach‹. Als feststehendes Idiom wäre die Wendung nâch sînem muote jedoch im Nhd. vielleicht besser (wenn auch freier) mit ›wie es ihm gefiel / beliebte‹ widerzugeben (vgl. BMZ, Bd. 2, S. 252). Das macht allerdings fraglich, inwieweit die Farbe Rot tatsächlich als Prädikat auf den muot zu beziehen ist - Er / Cramer übersetzt den Vers entsprechend auch mit ›in einer roten Rüstung nach seinem Geschmack‹, während Susanne h eld das Problem völlig umgeht: ›er selbst trug, wie ich gelesen habe, / eine rote Rüstung‹ (zu Er 9019 f.). 208 von n ayhauSS -c oRmonS -h oluB , Bedeutung, S. 121, Fn. 2. 209 Vgl. etwa P aStouReau , Blue, S. 59. B RacheS , Jenseitsmotive, S. 160, zufolge gilt Rot »in der archaischen Welt vielfach als die Farbe des Todes«. t ax , Studien, S. 282, sieht darin - ähnlich wie t helen , Dichtergebet, S. 658 - »Sinnbild der Leidenschaft und der Gewalttätigkeit« und merkt Fn. 26 an, »daß die Teufelsgestalt im mittelalterlichen Osterspiel in roter Kleidung« aufgetreten sei. Zuletzt hat Bruno Q uaSt , Monochrome Ritter, S. 170 f., in Betracht gezogen, dass nicht »der Farbwert […] die entscheidende Rolle« spiele, »sondern der Umstand der Einfarbigkeit selbst, die Monochromie als solche«, die »Indikator einer wie auch immer gearteten Ordnungsstörung« sei. Als Beleg weist Q uaSt (ebd., S. 173-176) auf die farbliche Kontrastwirkung Mabonagrins einerseits zu dem in höfischem Prunk geschilderten Palas von Brandigan ( gel, grüene, brûn, rôt, / swarz, wîz, weitîn / dirre misselîche schîn / sô g’ebent und sô geliutert was, / daz er glaste sam ein glas / geworht mit schœnen witzen , Er 8215-8220), andererseits zu der farbenfrohen Inszenierung des Baumgartens vor der Okkupation durch das Paar hin ( daz gevilde hie geverwet was / rôt, wîz, gel und als ein gras / von ir sîdînen wât, / sô si diu werlt beste hât , Er 10028-10031). Grundsätzlich stellt freilich auch Q uaSt eine Sinndimension des Farbwertes an sich nicht in Abrede, erkennt er doch in Rot die »Farbe der Liebe, einer allerdings exklusiven, totalisierenden und mörderischen Minne« (Q uaSt , Monochrome Ritter, S. 175 f.). Damit schließt Q uaSt im Grunde an gängige farbsymbolische Deutungsmuster an, wenngleich es ihm vor allem auf den »totalisierenden Gestus« (ebd., S. 175) dieser Farbwahl ankommt, die auf den »devianten Sozialhabitus einer exklusiven Minne« (ebd., S. 176) hindeute. - Zur Problematik der Farbsemantik in mittelalterlichen Texten vgl. grundlegend S chauSten , Fall, sowie S chauSten , Farben. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 113 vâlant [Er 9270] oder der vil michel vâlant [Er 9197]« 210 . Als vâlant werden aber im gesamten Text ansonsten nur die beiden Riesen der vorangegangenen Cadoc-Episode bezeichnet (vgl. Er 5556, 5648). Ursula K uttneR zufolge sei es »ausgeschlossen«, beim Kampf Erecs gegen Mabonagrin »David und Goliath nicht vor Augen zu haben« 211 . Im Falle der Cadoc- Episode wird dieser Vergleich sogar explizit gezogen: Derjenige habe auch Erec im Kampf beigestanden, der, so der Erzähler, Dâvîde gap die kraft, / daz er wart sigehaft / an dem risen Gôlîa (Er 5562-5564). In beiden Fällen macht der Erzähler auf die Erbarmungslosigkeit der Gegner Erecs aufmerksam: Die beiden Riesen malträtieren den Ritter Cadoc âne barmen (Er 5408), und auch von Mabonagrin heißt es, er enkunde sich erbarmen (Er 9198). Die Unerbittlichkeit des Baumgartenritters widerspricht nicht nur schon für sich genommen dem ritterlichen Schonungsgebot, sie stiftet auch intratextuell eine weitere Verbindung zu den Riesen, die in deutlicher Opposition zur höfischen Welt und ihrem spezifischen Normensystem gezeichnet sind. Sei es auch, dass im Falle der Joie de la curt mit dem Begriff vâlant »eher auf die Körpergröße Mabonagrins abgehoben [sei] als auf dämonische Züge« 212 , so steht doch außer Frage, dass die beiden Cadoc-Riesen und Mabonagrin sowohl hinsichtlich der konkreten Wortwahl des Erzählers als auch motivisch eng aufeinander bezogen sind. Mabonagrin erscheint »zwar nicht als Riese oder Teufel, doch als Riese und Teufel stilisiert in einem mythischen Raum, dem Schauplatz des finalen Kampfes« 213 . Ähnlich unhöfisch markiert ist die Ausdrucksweise Mabonagrins. Während sich dessen Freundin immerhin noch dafür entschuldigt, dass sie Erec nicht angemessen ( wol , Er 8974) empfangen könne, da ihm hier unabdinglich schade und laster (Er 8978) zuteilwerden müsse, grüßt ihn Mabonagrin ohne jede Rücksicht auf die höfische Etikette ein teil vaste, / gelîch einem übelen man (Er 9025 f.). Der Herr des Baumgartens schimpft Erec einen valschære , einen Betrüger, als er ihn bei seiner vrouwen erblickt (Er 9027 f.), und diskrediert ihn als tumbe[n] gouch (Er 9044), nachdem dieser seine Kampfbereitschaft geäußert hat. Während er seinen Kontrahenten anfangs noch formgerecht ihrzt, wechselt Mabonagrin in der dem Kampf vorausgehenden Reizrede zum »bewußt beleidigende[n] Duzen« 214 (vgl. Er 9042, 9044, 9046, 9048 und ein letztes Mal - nach einer längeren von Erec gesprochenen Passage - 9067), um erst nach dem Sieg Erecs zum ir zurückzukehren (vgl. Er 9319 passim). 215 Anders als der Kampf gegen die Riesen, »ein Kampf jenseits der (ritterlichen) Institutionen, in dem Erec sich auf ganz und gar nicht ritterliche Weise beweisen mußte (Auge ausstechen, Bein abhacken)« (vgl. Er 5501-5569), ist das Gefecht mit Mabonagrin dann allerdings durchaus »von ›institutioneller‹ Regelhaftigkeit gekennzeichnet« 216 . Das zeigt sich bereits an Mabonagrins Waffenwahl: Der Baumgartenritter kämpft nicht, wie für Riesen üblich, mit einer schweren Hiebwaffe, »die nicht so viel Übung und militärische Kunst verlangt wie ein Schwert, Speer etc. […], für deren Beherrschung lediglich körperliche Stärke notwendig ist« 217 , sondern mit den üblichen Waffen des Ritters, derer sich auch Erec 210 K uttneR , Erzählen, S. 216. Vgl. ähnlich auch K RaSS , Mitleidfähigkeit, S. 298. 211 K uttneR , Erzählen, S. 216. 212 S cholz , Kommentar, S. 968 (zu Er 9270). 213 h oFFmann , Arbeit, S. 208. 214 S cheunemann , Artushof, S. 89. 215 Der Wechsel zwischen den Anredeformen ist eine Neuerung bei Hartmann; Chrétiens Maboagrin verwendet durchgehend die Honorativform. 216 l ieB , Wiederholung, S. 318. 217 R öhRich , Riesen, Sp. 673. R öhRich zufolge ist der Kampf zwischen Held und Riese »also auch ein Kampf zwischen der menschlichen, ritterlichen Kampfkultur und der wilden, barbarischen Kraft der 114 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue bedient: schilt (Er 9077), sper (Er 9098) und swert (Er 9135). Auch der Ablauf des Gefechtes selbst gehorcht dann dem gängigen Schema des ritterlichen Zweikampfs 218 : Auf das Lanzenstechen (Er 9070-9128) und den Schwertkampf (Er 9129-9269) folgt - nachdem beide Schwerter zerborsten sind (Er 9217, 9261 f.) - der unbewaffnete Zweikampf (Er 9270-9315), aus dem schließlich Erec als Sieger hervorgeht. Die Darstellung Mabonagrins changiert so beständig zwischen der eines höfischen Ritters und der eines außerhöfischen Unholds: Trotz seiner Erbarmungslosigkeit, die im Widerspruch steht sowohl zur christlichen wie auch zu höfischen Verhaltensnorm, sieht Erec in ihm einen ehrbaren Kontrahenten und wird in dieser Hinsicht auch von keiner Seite korrigiert. Mabonagrins Äußeres, seine riesenhafte Gestalt, seine feuerrote Rüstung, aber auch seine durchdringende Stimme lassen eher an die Riesen der Cadoc-Episode denken als an ein vorbildliches Mitglied der Hofgesellschaft. Andererseits ist der Baumgartenritter durch seine ritterliche Bewaffnung und durch den schemagerechten Ablauf des nachfolgenden Gefechtes deutlich von den unkultivierten Riesen der hoffernen Aventiurewelt abgesetzt. Wenn es zutrifft, dass sich die Diegese des Artusromans entlang der »im Prinzip stabile[n] Grenze zwischen höfischer und unhöfischer Welt« 219 aufspannt und dass sich den beiden durch diese Grenze markierten Teilräumen idealtypisch je ein spezifisches Figureninventar zuordnen lässt, dann kann gesagt werden, dass Mabonagrin in widersprüchlicher Weise an beiden Seiten diesseits und jenseits der Grenze zugleich partizipiert. Seine Stellung entspricht damit der ›Zwischenstellung‹ des Baumgartens im Grenzbereich von höfischer Welt und außerhöfischem Gegenraum. Mabonagrin fungiert als Mittler zwischen diesen beiden Sphären. Solche Mittler-Figuren kennt auch der Mythos: »Mythische Heroen sind als Mittler zwischen kategorialen Gegensätzen vorzustellen, die oft beiden Kategorien zugleich zugeordnet werden können; von daher rührt auch ihre Mischgestaltigkeit (etwa als Halbgötter oder als Mensch-Tier-Hybridwesen), ihre unkontrollierte Gewalttätigkeit, die die üblichen Regeln selbst kriegerischer Konfliktbewältigung sprengt, ihre tricksterhafte moralische Ambivalenz, die sie an Gutem wie an Bösem gleichermaßen teilhaben läßt.« 220 Mythische Inhalte und mythomorphen Strukturen bedingen sich wechselseitig. Mabonagrin schließt nicht allein in motivischer Hinsicht an mythische Erzähltraditionen keltischer Provenienz an, sondern ist auch in Bezug auf seine semantischen Strukturmerkmale von der nicht-differentiellen Logik des Mythos geprägt. Allerdings werden die mythomorphen Struktureigenschaften der Figur in diesem Fall in spezifischer Weise umbesetzt, und zwar mit Bezug auf den kulturellen Kontext, innerhalb dessen der Text geschrieben und rezipiert R[iese]n« (ebd.). Die beiden Cadoc-Riesen beispielsweise sind ausgestattet mit zwêne kolben swære, / grôze unde lange (Er 5387 f.), deren Stangen mit îsen beslagen (Er 5390) sind; dazu führen sie zwô geiselruoten / mit vingergrôzen strangen (Er 5395 f.), mit denen sie ihren Gefangenen malträtieren. Vgl. hierzu auch Kapitel 1, Fn. 215. 218 Vgl. S imon , Einführung, S. 27: »Beschreibung (Kleidung, Waffen, Pferd, Haltung) - langer Anritt - Lanzenstechen (auf die Nägel oder auf die Helmschnur) - Splittern der Lanzen - a.Gegner vom Pferd gestochen oder Schwertkampf zu Pferde - b.Pferde auf den Hinterbeinen - c.beide Ritter gefallen - d.keine Lanzen mehr - Schwertkampf zu Fuß - Ringkampf - Sieg.« l ieB , Wiederholung, S. 343, vermutet, dass in der Dreiteiligkeit des Gefechts gegen Mabonagrin »eine Vollkommenheit oder Endgültigkeit dieses Kampfes« zum Ausdruck komme. 219 W aRning , Norm und Transgression, S. 184. Auf dieses »im Prinzip« kommt es an, weil diese Grenze eben doch immer wieder - von beiden der durch sie gesetztem Unterscheidung aus - in Frage gestellt wird; vgl. hierzu S chulz , Erzähltheorie, S. 243, sowie grundlegend S chulz , Ambivalenzen. 220 S chulz , wald , S. 516 ; vgl. hierzu grundsätzlich auch l évi -S tRauSS , Struktur, v. a. S. 40. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 115 worden ist: Nicht die Unterscheidung von Mensch und Tier oder - im abstraktesten Sinne - von Gut und Böse, sondern die identitätsstiftende Unterscheidung von Höfischem und Unhöfischem wird in Mabonagrin zugleich aufgerufen und radikal in Frage gestellt. Die Arbeit des Textes an und mit dem Mythos erlaubt es, die tradierten Erzählelemente zur Reflexionsform für die historisch virulente Frage nach der Identität der höfischen Welt, nach der Grenzziehung zu ihrem eigenen Widerpart werden zu lassen, vor dem sie sich abhebt und gegen den sich sich behaupten muss. Damit wiederholt sich in der Figur des Baumgartenritters noch einmal, was bereits für die räumliche Ordnung der Joie de la curt festgestellt werden konnte. Insofern wird aber auch deutlich, dass Konkreszenzphänomene nicht nur die semantischen Strukturen der einzelnen Instanzen der erzählten Welt betreffen, sondern auch das Verhältnis dieser Instanzen zueinander: Mehr noch als im Falle Brandigans, wo eine metonymische Relation von Burg bzw. Stadt und Bewohnern zu beobachten war, scheinen im Falle des Baumgartens Raum und Figur eine sympathetische Einheit zu bilden. Das gilt in gewisser Hinsicht sogar noch über den Sieg des Helden hinaus: Wie der Baumgarten mit einem Male seine mythischen Qualitäten einbüßt und schließlich vollends in die höfische Welt integriert wird, so scheint auch der Baumgartenritter nach seiner Niederlage wie selbstverständlich auf ›Normalmaß‹ reduziert: »No further mention is made of his giant’s stature, his mighty voice, nor of his great strength.« 221 Die ›Entzauberung‹ des Baumgartens und die ›Entzauberung‹ Mabonagrins gehen Hand in Hand, so als würde die mythomorphe Bindung von Ritter und Garten noch in der Verabschiedung sämtlicher mythischer Aspekte der Joie de la curt ein letztes Mal bestätigt. 222 Endgültig wiederhergestellt ist die Ordnung allerdings erst, als die Häupter der Opfer Mabonagrins von den Stangen genommen und der Priesterschaft überantwortet worden sind, auf dass man si begrüebe nâch êren (Er 9746-9752, hier 9752). Damit erst ist die Ambivalenz des Baumgartens vollständig behoben, und die vreude auf Brandigan kann von neuem erblühen: hie begunde sich êrste mêren / diu vreude ûf Brandigân (Er 9753 f.). Von hier aus allererst wird verständlich, wie die Menge Mabonagrin nach dem Kampf mit ebenso offenen Armen empfangen kann wie dessen Bezwinger: hie wurden dise zwêne man, Êrec und Mâbonagrîn, von aller dirre menegîn schône gesaluieret und der tac gezieret mit vrôem wîcsange. (Er 9655-9660) Die Reaktion des Volkes bestätigt abermals, dass Erec mit der Einschätzung nicht grundsätzlich falsch gelegen haben kann, in Mabonagrin einen ehrbaren Kontrahenten, d. h. ein nicht nur hinsichtlich seiner Kampfkraft, sondern auch in seinem gesellschaftlichen Ansehen mindestens gleichgestelltes Gegenüber gefunden zu haben; vollends verstehbar wird diese Reaktion aber erst, wenn man in Rechnung stellt, dass es eben nicht die Mordtaten des Baumgartenritters sind, die die allgemeine Freudlosigkeit auf Brandigan zu ver- 221 F iSheR , Studies, S. 97. 222 Auch h oFFmann , Arbeit, S. 218 f., weist darauf hin, dass auch in dem Moment, als »die mythische Ordnung des Baumgartens insgesamt in ihrer Auflösung erscheint«, das mythische Gesetz der Partizipation von Teil (Mabonagrin) und Ganzem (Garten) wirksam bleibt und so die Niederlage des Baumgartenritters an »die Auflösung von dessen Herrschaftsreich« bindet. 116 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue antworten hatten, sondern der anhaltende Zustand der Unbestimmtheit, des ambivalenten ›Sowohl-als-auch‹, das die Unterscheidung von Höfischem und Unhöfischem radikal zu nivellieren drohte. Die Aventiure zielt mithin gerade nicht darauf, den Baumgartenritter für seine Gewaltbereitschaft zur Rechenschaft zu ziehen, sondern vielmehr darauf, seinen Status zu vereindeutigen. Denn nur wenn die Grenzziehung gegenüber der außerhöfischen Gegenwelt stabil ist, kann das höfisch-exklusive Dasein der vreude bestehen. 223 Mit dem Sieg Erecs sind die Taten Mabonagrins freilich nicht ungeschehen gemacht, und das Leid der 80 Witwen ist damit noch nicht vergolten: Sie trauern auch nach der Rückkehr Erecs aus dem Baumgarten, jetzt aber bleibt die inzwischen wiederhergestellte vreude auf Brandigan davon unberührt. 224 Hofgesellschaft und Witwen, die zuvor in einmütiger Freudlosigkeit vereinten waren, wirken nunmehr merkwürdig dissoziiert: beide trûren unde klagen, daz was ir ambet alle tage. rehte alsam der hase en jage schiuhet sîne weide, sô vluhen si das von leide, daz si dar inder kæmen, dâ si vreude vernæmen. (Er 9805-9811) Nach der Restitution der vreude auf Brandigan passen die trauernden Damen offenbar nicht länger ins Bild (weshalb man auch Abstand davon nehmen sollte, einen Kausalnexus zwischen ihrem Schicksal und der allgemeinen Freudlosigkeit am Hofe zu suchen). Aus diesem Grund werden sie schließlich an den Artushof überführt (vgl. Er 9873-9875). 225 Dort ist es nicht alleine die Überredungskunst des Königs, sondern offenbar auch die Aussicht darauf - so deutet es das symbolträchtige öffentliche Ablegen der Trauerkleidung zumindest an 226 -, in dem veränderten Umfeld durch Wiederheirat soziale Reintegration zu erfahren, die bei den Damen einen rapiden Stimmungswechsel bewirkt: si wurden überwunden, diu vil riuwigen wîp, daz si ir muot und ir lîp ze vreuden verkêrten 223 Mabonagrin selbst führt das Niederliegen der Joie de la curt darauf zurück, dass er dem Hofe lebende was begraben (Er 8599). Damit ist nichts anderes zum Ausdruck gebracht als die bereits beschriebene ambivalente Zwischenstellung des Baumgartenritters: Zwar ist Mabonagrin für den Hof noch nicht ›gestorben‹, doch ist es so, als hätte man ihn schon längst zu Grabe getragen, da er seine Kampfkraft nicht in den Dienst der Gemeinschaft stellt. Diese - hier freilich nur metaphorisch zu verstehende - Zwischenposition zwischen Leben und Tod eröffnet einen weitern Anknüpfungspunkt an den Mythos, lässt doch der Mythos »auch die Grenzen zwischen Lebenden und Toten fallen, wie eben alle Differenzierungen aufgelöst sind« (h ammeR , Tradierung, S. 39). 224 Vgl. ähnlich auch W agneR , Erzählen, S. 236. 225 König Ivreins bekundet zwar, dass er die Damen gerne nâch sînen êren bei sich behalten würden, doch nur, so si wolden vreude walten (Er 9845 f.), d. h. vreude ist explizit Bedingung für die Zugehörigkeit zum Hof. 226 Ab dem Spätmittelalter jedenfalls signalisiert der Wechsel der Trauerbekleidung, wie K RuSe , Witwen, S. 169, aufzeigt, »das Ende der vorgeschriebenen Trauerzeit, nach der eine weitere Eheschließung möglich war«. Wenn auch der vestimentäre Code der Witwenkleidung im hohen Mittelalter noch nich derart verfestigt war, so scheint mir dieser Aspekt bei dem sinnfällig inszenierten Ablegen der unvrœlîchen wât (vgl. Er 8230 f.) im ›Erec‹ doch zumindest anzuklingen. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 117 und den künec dar an êrten, daz er in die wât nam, diu in ze vreuden niht gezam, und kleite si mit selher wât, sô si ze vreuden beste stât, von siden und von golde. (Er 9953-9962) Von hier aus wird die Joie de la curt , wie grosso modo der gesamte Roman, als Reflexion über die Bedingungen der Integration von Individuum und Gesellschaft verstehbar, die zugleich eine Reflexion über die Bedingung der Möglichkeit höfischer vreude ist. Gleichzeitig wird in dieser Perspektivierung aber auch noch einmal der entscheidende Unterschied zwischen der verligen -Szene und der Baumgartenszene sichtbar, dem insbesondere ältere Darstellungen zu wenig Beachtung schenkten, welche beide Episoden eher als spiegelbildliches Entsprechungspaar zu begreifen suchten. In der stratifikatorischen Gesellschaft des Mittelalters ist es die jeweilige soziale Schicht, die qua Inklusion und Exklusion über die positive wie negative Sanktionierung individuellen Handelns entscheidet. Der Hofgesellschaft ergibt sich dadurch die Möglichkeit, allfällige Ordnungsstörungen durch den aktiven Ausschluss des störenden Elementes selbstregulativ zu beheben, und genau das wird in Karnant vor Augen geführt: Im Mittelpunkt stehen der Fehltritt eines Einzelnen, seine soziale Exklusion (man meidet seine Gesellschaft) und die darauffolgende sukzessive Reintegration. Der narrative Fokus richtet sich auf das Individuum, der soziale Gruppenkörper des Hofes bleibt - nachdem der vorübergehende Ausschluss des fehlbaren Ritters aus dem sozialen Kontext des Hofes erst einmal vollzogen ist - von den weiteren Geschehnissen weitgehend unberührt. Anders dagegen in Brandigan: Hier ist durch das individuelle Handeln eines Einzelnen die Ordnung am Hofe dauerhaft gestört, und doch wird dieser Einzelne nie vollständig aus dem Kommunikationszusammenhang des Hofes entlassen. Stattdessen rutscht er, auch raumsymbolisch signifikant, in eine eigentümliche Zwischenposition, in der er einerseits seine soziale Adresse behält, wie er andererseits in paradoxer Weise an der außerhöfischen Gegenwelt partizipiert, und zwar in einem Ausmaß, das für die Figur des Helden selbst im Moment der größten räumlichen und sozialen Distanz zum Hof völlig undenkbar wäre. Präsentiert werden nicht das Fehlverhalten und die anschließende Rehabilitation des Einzelnen qua ritterlicher Bewährung, sondern vielmehr die drastischen Folgen für den Hof, wenn die homöostatischen Mechanismen, die über Inklusion und Exklusion des Individuums entscheiden und so die Integrität des höfischen Gruppenkörpers als ganzen gewährleisten sollten, für einmal nicht greifen. Nicht die Krise des Baumgartenritters ist das eigentliche Thema der Joie de la curt , sondern die Krise der höfischen Welt an sich, die nunmehr als - auch raumsemantisch codierte - Krise der Unterscheidbarkeit 227 von sozialer Inklusion und Exklusion reformuliert werden kann. Der Text entwirft dieses Szenario auf der Grundlage des mythischen Substrats des Stoffes, zumal es die nicht-zweiwertige und widerspruchstolerante Logik des Mythos offenbar 227 Die Formulierung ist in Anlehnung an S tRohSchneideR , Inzest-Heiligkeit, gewählt, der den im doppelten Inzest gründenden »Kollaps des Kultur, Gesellschaft, Herrschaft organisierenden Verwandschaftssystems« in Hartmanns ›Gregorius‹ als »›Krise der Unterschiede‹« (ebd., S. 118) beschreibt. Zwar geht es im vorliegenden Fall weniger um einen genealogischen Diskurs, doch kann auch die »soziokulturelle Welt« des ›Erec‹ als Gesamt der »Begründung, Strukturierung und Verstetigung von Gemeinschaft«, mithin als »Differenzierung« und »Ordnung der […] Unterschiede« (ebd., S. 107 f.) aufgefasst werden. 118 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue erlaubt, dem intrikaten, teils paradoxen Verhältnis von Höfischem und Unhöfischem, von sozialer Inklusion und Exklusion narrative Gestalt zu verleihen. Zugleich legt sich über die Erzählung aber ein zweites Raster, greifbar im Konzept der höfischen vreude , welches ganz auf Distinktion und Exklusivität, d. h. also auf Unterscheidbarkeit abstellt und von dessen Warte aus die beschriebenen Konkreszenzphänomene nur als krisenhaft wahrgenommen werden können. 228 In der Analyse zeigt sich die gleichzeitige Nähe und Distanz des Artusromans zu genuin mythischen Formen der Weltbewältigung. Die Mythisierung des Höfischen und die Tendenz zur Entmythisierung, d. h. das Bestreben, differentielle Ordnung zu schaffen und Eindeutigkeit herzustellen, sind unauflöslich miteinander verschränkt. 229 Das Ineinander von Nähe und Distanz im Verhältnis von Höfischem und Mythischem im ›Erec‹ wird nach dem Zweikampf mit Mabonagrin noch in anderer Hinsicht deutlich. Für Hans B lumenBeRg besteht das Wesen des Mythos nicht darin, Antworten zu geben, sondern vielmehr darin, das Fragen selbst zu unterbinden, »bevor die Frage akut wird und damit sie nicht akut wird« 230 : »Mythen antworten nicht auf Fragen, sie machen unbefragbar.« 231 Entsprechend wird etwa, wie Ulrich h oFFmann bemerkt, die Frage nach dem Ursprung des Baumgartens und insbesondere seiner anderweltlichen Attribute an keinem Punkt der Erzählungen auch nur im Ansatz geklärt. 232 Anders dagegen verhält es sich mit Mabonagrin: Obgleich die Figur ebenso wie der Garten selbst sowohl in motivischer wie auch in struk- 228 Entscheidend ist nicht die Überblendung zweier unterschiedlicher epistemischer Logiken an sich, denn ein solches Neben- und Ineinander von sowohl differenzierenden und entdifferenzierenden Aspekten ist bereits im Mythos selbst angelegt (vgl. F uSS , Groteske, S. 433, der auf die »geringe[ ] funktionale Ausdifferenzierung archaischer Kulturformationen« hinweist, »die im Mythos apollinische und dionysische Tendenzen vereinigen«). Konzeptualisiert man mythische Konkreszenz als Aufhebung kategorialer Unterschiede, dann schließt das ein, dass diese Unterschiede als solche paradoxerweise weiterhin erkennbar bleiben, denn anders wäre der Mythos als nicht-zweiwertiges logisches System gar nicht beobachtbar (wenn man etwa die Platonischen andrógynoi oder den Hermaphroditos als mythische Zwischenwesen, als ›Drittes‹ zwischen den Geschlechtern ›Mann‹ und ›Frau‹ beschreibt, dann setzt dies die beiden Kategorien ›männlichen‹ und ›weiblich‹ als Referenzgrößen weiterhin voraus). Ausschlaggebend ist, dass diese unterschiedlichen Logiken im Mythos nicht hierarchisiert werden (ich habe das in Kapitel 1.3.3 als reflexive Anwendung mythischer Widerspruchstoleranz auf die mythische Logik selbst beschrieben), weshalb eine solche Krisenerfahrung ausbleibt, wie sie im ›Erec‹ gerade gegeben ist. 229 Auf die Dynamiken von Mythisierungs- und gegenläufigen Entmythisierungsprozessen in der der literarischen Mythosrezeption des Artusromans macht nachdrücklich h oFFmann , Arbeit, aufmerksam. Ob aber diese Dynamiken generelles Merkmal der ›Arbeit am Mythos‹ sind oder nicht doch eher ein Spezifikum der höfischen Literatur, bedingt durch den Umstand, dass auch außerliterarisch gültige (höfische oder christliche) Ordnungsvorstellungen auf fiktionale Weltentwürfe einwirken und die freie literarische Imagination bändigen können, habe ich andernorts diskutiert (vgl. P oSeR , Arbeit, S. 123 f.). 230 B lumenBeRg , Arbeit, S. 219. 231 B lumenBeRg , Arbeit, S. 142. 232 Vgl. h oFFmann , Arbeit, S. 211. Zur ›Geschichtslosigkeit‹ des mythischen Zeitbewusstseins vgl. c aSSiReR , Philosophie, S. 130 f. (Hervorhebung im Original): »Die Vergangenheit selbst hat kein ›Warum‹ mehr: sie ist das Warum der Dinge. Das eben unterscheidet die Zeitbetrachtung des Mythos von der der Geschichte, daß für sie eine a b s olute Vergangenheit besteht, die als solche einer weitergehenden Erklärung weder fähig noch bedürftig ist. Wenn die Geschichte das Sein in die stetige Reihe des Werdens auflöst, innerhalb dessen es keinen ausgezeichneten Punkt gibt, in dem vielmehr jeder Punkt auf einen weiter zurückliegenden hinweist, so daß der Regreß in die Vergangenheit zu einem regressus in infinitum wird - so vollzieht der Mythos zwar den Schritt zwischen Sein und Gewordensein, zwischen Gegenwart und Vergangenheit, aber er ruht in der letzteren, sobald sie einmal erreicht ist, als einem in sich Beharrenden und Fraglosen aus.« Den Verzicht auf einen historischen Regress, vor allem im Falle von Schöpfungsmythen, notiert ähnlich auch B lumenBeRg , Arbeit, S. 143 (Hervorhebung im Original): 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 119 turell-semantischer Hinsicht von mythischem Erzähen geprägt sind und dabei mit der ihr zugeordneten Raumeinheit in sympathetischer Relation zu stehen scheint, handelt es sich hier nicht wie dort um eine quasi-geschichtslose Größe, deren Präsenz in der Realität des Textes unhinterfragt, ja, gleichsam unhinterfragbar vorausgesetzt würde. Obwohl sich Mabonagrin auf der Metaebene als Figur mythomorphen Zuschnitts beschreiben lässt, handelt es sich auf der Handlungsebene zunächst um nichts Weiteres als einen gewöhnlichen Ritter - einen Ritter freilich mit einer eigenen Geschichte, die Held und Rezipient im Anschluss an das Gefecht auch erfahren. 233 Sie offenbart schließlich, dass die beschriebene semantische Ambivalenz des Baumgartenritters und seines Raumkorrelats nicht eigentlich Ursache der Krise auf Brandigan ist, sondern ihrerseits Symptom. Die eigentliche Krise ist tiefer zu suchen. Sie verweist gewissermaßen auf einen basale Paradoxie in der Konstruktion des Höfischen selbst. Um die spezifische Arbeit des Textes an und vor allem mit dem Mythos nachzuverfolgen, die eben auch eine Arbeit an den historischen Ordnungsvorstellungen der Zeit ist, wird im Folgenden Mabonagrins autobiographische (Binnen-) Erzählung näher zu beleuchten sein. 2.2.6 Die Baumgarten-Minne und die Krise höfischer Ordnung Nach seiner Niederlage und nachdem er seinem Kontrahenten sicherheit gewährt hat (vgl. Er 9378, 9386), erstattet Mabonagrin Bericht, wie er und seine Freundin allererst in den Baumgarten gekommen sind: Noch in jungem Alter habe er auf einer Reise in ein fremdes Land ein Mädchen, wol einlif jâr alt (Er 9467), in der Obhut von dessen Mutter getroffen, das sô edel und sô wünneclîch (Er 9474) gewesen sei, dass es beim ersten Anblick Mabonagrins herze an sich (Er 9475) genommen habe. Nach erfolgreicher Werbung habe sich das Mädchen von ihm entführen lassen, und so seien sie zusammen in Mabonagrins Heimat zurückgekehrt, wo der angehende Ritter schließlich im Baumgarten von Brandigan die Schwertleite empfangen habe (Er 9478-9486). Bei Tische habe sie ihn an die Mühen gemahnt, die sie um seinetwillen auf sich genommen habe, und sich als Dank dafür einen freien Wunsch erbeten, den Mabonagrin ihr auch freigiebig zugebilligt habe, da ihn eht diu liebe twanc (Er 9498). Zudem sei er ohnehin nicht imstande, ihr einen Wunsch abzuschlagen: doch wære si gewert, swes si hæte gegert, swaz ich bringen möhte, und mir ze tuonne töhte, und tuon noch, swes si gert ze mir. (Er 9502-9506) Erst nach seiner Zusage sei Mabonagrin der Inhalt der Bitte eröffnet worden: In der Auffassung, im Baumgarten daz ander paradîse (Er 9542) 234 gefunden zu haben, bittet sie Mabona- »[D]ie Welt ist aller Erklärung bedürftig, aber was ihren Ursprung erklärt, kommt aus weiter Ferne daher und erträgt keine Fragen nach s ein e m Ursprung.« 233 Damit wird die Geschichtslosikeit des Mythos, welcher Hans B lumenBeRg zufolge »keine Chronologie, nur Sequenzen« kenne (Arbeit, S. 142), in denen »keine der Geschichten Spuren in der nächsten« hinterlasse (ebd., S. 148), endgültig durchbrochen, denn Mabonagrins eigene Geschichte prägt gewiss auch die Biographie des Romanhelden nachhaltig. 234 Auf die heilsgeschichtlichen Implikationen dieser Formulierung macht S chnydeR , Künstliche Paradiese, aufmerksam. Demnach komme es »[a]uf der der Szenerie unterlegten Folie des Sündenfalles und des paradiesischen Zustands von Adam und Eva […] zu einer narrativen Perversionsfigur, über die das hier 120 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue grin darum, solange mit ihr an diesem wunderbaren Ort zu verweilen, bis dieser im Kampf Mann gegen Mann besiegt würde (Er 9550-9561). Zwar stellt sie damit eine Bedingung in Aussicht, unter der die beiden den Garten eines Tages auch wieder verlassen würden, doch habe sie diese Klausel nur deshalb überhaupt zugelassen, weil sie an deren Erfüllbarkeit ohnehin nicht geglaubt habe (Er 9564-9567). Walter h aug erkennt in Mabonagrins Geschichte das in der arthurischen Literatur häufig anzutreffende rash-boon -Motiv (afz. don ), das Motiv des Blankoversprechens also, »das insbesondere gegenüber König Artus eingesetzt wird. […] Dieser provozierende Appell an den Großmut des Königs wird dann aber bekanntlich schamlos ausgenützt - der Bittsteller verlangt die Königin -, so daß ein arthurischer Held einspringen und über einen Aventürenweg die Katastrophe beheben muß.« Im Erec jedoch würde »das Tückische dieser Taktik dadurch völlig unterlaufen, daß Mabonagrin ohnehin bereit [sei], seiner vriundinne jeden Wunsch zu erfüllen.« 235 Es ist also davon auszugehen, dass dem Motiv in diesem Fall weniger eine kausallogisch motivierende denn eine symbolische Signalfunktion zukommt. Eine eingehende Untersuchung zum don -Motiv in der mhd. Literatur hat Margrit d éSil leS -B uSch vorgelegt. Sie zeigt auf, dass das Motiv traditionell darauf abhebt, Leistungsfähigkeit und Grenzen des höfischen Wertesystems auszuloten, indem es dessen immanenten Wertantinomien ausstellt und aporetisch zuspitzt. »Der unangenehme Inhalt« des don verweise dabei »mit aller Deutlichkeit auf die Gefährdung, der die Artusgesellschaft durch ihre Prinzipien ausgesetzt ist, durch ihre ethisch-sozialen Spielregeln ( don-costume, stillschweigende Voraussetzung höfischer Gesinnung, Absolutsetzung der höfischer Werte usw.).« 236 Entsprechend sei die äußere Handlung des Artusromans oftmals »Reflex jener inneren Kräfte, die die höfische Welt zusammenhalten und oftmals auch durcheinanderschütteln. Die Dialektik jener Werte selbst bringt es mit sich, daß das Gleichgewicht der Werte untereinander stets problematisch ist. In ständiger Anstrengung muß es immer wieder von neuem hergestellt werden, damit jene anscheinend so unproblematische Situation eintreten kann, die Freude und Fest genannt ist.« 237 Das don -Motiv ziele nun darauf, diese Wertantinomien innerhalb der höfisch-ritterlichen Ordnung ins Bewusstsein zu heben und prozesshaft - »durch die aventiuren einzelner auserwählter Ritter« 238 - deren schrittweisen Ausgleich herbeizuführen; insofern könne das Motiv als ›Motor der Handlung‹ angesehen werden. Im Falle des ›Erec‹ ist, wie Walter h aug zu Recht bemerkt, das Motiv im Grunde redundant, da Mabonagrin nach eigenem Bekunden den Wünschen seiner amîe auch ohne beschriebene ›zweite Paradies‹ als verkehrtes Paradies erkennbar« (ebd., S. 66 f.) werde (das erotische Begehren zwingt die Protoplasten zur Flucht aus dem Garten, das Baumgartenpaar dagegen treibt es geradewegs in diesen zweiten Garten - und damit in die gesellschaftliche Isolation - hinein). Zum Baumgarten von Brandigan als »Kontrafaktur des biblischen Paradieses« vgl. auch Q uaSt , Mythos und Norm (hier S. 68); allgemein zum Status biblischer Allusionen im ›Erec‹ vgl. Kapitel 2, Fn. 187. 235 h aug , Erec, S. 212 f. 236 d éSilleS -B uSch , don , S. 19-65, hier S. 42. 237 d éSilleS -B uSch , don , S. 45. 238 d éSilleS -B uSch , don , S. 45. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 121 dieses Versprechen jederzeit nachkommen würde. 239 Die handlungsauslösende Funktion tritt damit hinter die narrative Signalwirkung zurück, welche auf die dem höfischen Ordnungsmodell eingeschriebenen Wertantinomien verweist, die in der Geschichte des Baumgartenpaares schließlich sinnfällig werden. Die ältere Forschung hat versucht, das Gefecht im Garten als Kampf der rechten Minneform, vertreten durch Erec und Enite, gegen ein als defizitär verstandenes Modell von Minne zu deuten, wie es durch Mabonagrin und seine amîe repräsentiert würde. 240 Erst in jüngerer Zeit hat die Brandigan-Minne eine zunehmende Aufwertung erfahren. Grund dafür ist vor allem, dass man inzwischen das Moment der Reziprozität in der Beziehung des Baumgartenpaares erkannt hat, das im Hinblick auf die höfische Minnelehre durchaus allgemeingültige Exemplarität beanspruchen kann. 241 Mabonagrin erfüllt nicht etwa blind den Willen seiner amîe , sondern beide stimmten vielmehr, wie der Baumgartenritter dem Helden gegenüber versichert, in ihrem Wollen vollkommen überein: swaz si wil, daz wil ouch ich, und swaz ich wil, des wert si mich. wie möhte diu geselleschaft hân deheine lieber kraft under manne und wîbe? die niuwan mit dem lîbe schînent gesellen guot, und dâ sich scheidet sô ir muot, daz daz eine lützel oder vil gert, des daz ander niht wil, daz diu ungevuoge geschiht, des enist under uns zwein niht. (Er 9508-9519) Walter h aug spricht von einer »kleine[n] Philosophie der Liebe«, die Mabonagrin hier entwickelt, »indem er die Vollkommenheit der erotischen Beziehung daran mißt, daß die Partner in allem restlos übereinstimmen, körperlich, seelisch, geistig. Der Wunsch des einen ist immer auch der Wunsch des andern: darin findet seiner Meinung nach die Liebe 239 h aug , Erec, S. 213, macht auf die subtilen, aber weitreichenden Unterschiede zur Chrétienschen Vorlage aufmerksam: Während Maboagrins Verhalten gegenüber seine amie alleine auf der Auffassung beruht, »daß ein Liebender seiner Freundin jeden Wunsch zu erfüllen habe«, wird bei Hartmann »aus dieser einseitigen Verpflichtung ein wechselseitiges Verhalten, ja eine Übereinstimmung allen Wollens und Wünschens als Kennzeichen wahrer Liebe«. Maboagrin empfindet den Aufenthalt im Obstgarten denn auch - anders als Hartmanns Mabonagrin - ausdrücklich als Gefangenschaft (vgl. EeE 6045 ff.) - »[a]ber die Liebesdoktrin, der er folgt verlangt von ihm, daß er keinerlei Mißfallen gegenüber den Wünschen seiner Geliebten äußert und daß er alles daran setzt, diesen Zustand zu erhalten. Und sie läßt sich offenbar täuschen, denn sie sieht dieses Leben im Baumgarten getragen von beiderseitigem Wunsch und Willen. Und diese Dissonanz wird auffälligerweise niemals aufgeklärt.« (h aug , Erec, S. 217.) h aug kommt zu dem Schluss, »daß die Argumentation bei Chrétien merkwürdig starr bleib[e] und ihre Problematik nicht zur Reflexion komm[e]« (ebd.). 240 Vgl. K uhn , Erec. S. 144; vgl. ähnlich auch F eiStneR , Bewußtlosigkeit, S. 249. 241 Norbert S ieveRding , Kampf, S. 69 f., vermutet deshalb auch, dass es »durchaus Hartmanns Auffassung [sei], wenn Mabonagrin es als Kern einer guten Ehepartnerschaft bezeichnet, daß keiner gegen des anderen Willen oder Wünsche handelt«. Auch Q uaSt , wandelunge , S. 174, stellt fest, dass »[d]as Eheverständnis, wie es der Roman im Handlungsprozeß entwickelt, […] in seinem Gegenseitigkeitsethos dem Kern des von Mabonagrin postulierten Minneethos« entspreche, konstatiert allerdings einen »Widerstreit von formuliertem Anspruch und gegenteiligem Lebensvollzug«. 122 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue ihre höchste Erfüllung.« 242 Damit entspricht die Brandigan-Minne allerdings in mehrfacher Hinsicht auch den Idealvorstellungen des zeitgenössischen Minnediskurses: Sie gründet einerseits auf dem Dienstgedanken 243 wie sie andererseits von einem Verhältnis der Wechselseitigkeit 244 geprägt ist; in ihr erscheinen Kernkategorien der höfischen Tugendlehre wie triuwe (vgl. Er 9451, 9461) oder stæte 245 in geradezu mustergültiger Weise verwirklicht. Eine solche ethische Rückbindung ist der Liebe des Herrscherpaares auf Karnant dagegen weitgehend fremd. Denn mehr als alles andere zielte das verligen eben doch auf die Erfüllung körperlichen Begehrens: Êrec wente sînen lîp grôzes gemaches durch sîn wîp. die minnete er sô sêre, daz er aller êre durch si einen verphlac, unz daz er scih sô gar verlac, daz niemen dehein ahte ûf in gehaben mahte. (Er 2966-2973) Die Joie de la curt ist korrelativ auf die Biographie des Helden bezogen, doch nicht so sehr »als Interpretation und verkürztes Modell von [dessen] Handlungsweg« 246 denn vielmehr als Kontrastfolie: Im Baumgarten von Brandigan ist längst realisiert, was Erec und Enite auf der Aventiure-Fahrt erst mühsam erlernen müssen. Das Intrikate aber liegt darin, dass die Minne des Baumgartenpaares trotz - oder gerade wegen - dieser Idealität die höfische Ordnung in einer Weise zu irritieren vermag, dass die semantischen Grenzen der erzählten Welt nicht nur (wie im verligen ) übertreten, sondern schlechthin ausgelöscht werden, was sich auf der Textoberfläche schließlich als Verwirrung der räumlichen Ordnung manifestiert. Die Liebesbeziehung des Baumgartenpaares ist in sich selbst widersprüchlich. Ihre Idealität wird jedoch auch dadurch nicht grundsätzlich in Frage gestellt, dass Mabonagrin an 242 h aug , Erec, S. 213. 243 Vgl. S chnell , Unterwerfung, der in seiner Analyse versucht, insbesondere die »Unterwerfungs- und Dienst-Thematik« des poetischen Minnediskurses »an die mittelalterliche Diskussion über die Dialektik von Herrschaft und Unterwerfung anzubinden« (hier S. 108). 244 Vgl. S chnell , Unterwerfung, S. 113: »Der Liebe des Mannes muß die freiwillig geschenkte Liebe der Frau antworten, soll es eine exemplarische Liebesbeziehung im Sinne der minnetheoretischen Überlegungen des höfischen Liebesdiskurses - mit seinem Prinzip der Freiwilligkeit - sein. […] Freiwilligkeit und Gegenseitigkeit erlauben erst das postulierte Glück.« Zum Aspekt der Reziprozität in mittelalterlichen Konzeptionen von Liebe vgl. auch h aFeRland , Höfische Interaktion, S. 179-191; h aFeRland bezieht sich vor allem auf Andreas Capellanus, der einen Vergleich anstellt zwischen der geschlechtlichen Liebe einerseits und der traditionellen Herrschertugend der Freigebigkeit andererseits: »Die Freigebigkeit […] zeichnet das Verhalten der Liebenden aus […]. Sie entspringt dem freien Willen der Liebenden. […] Die Freigebigkeit ist es, die den freien Willen der Liebenden durchscheinen läßt und hervorruft, und nur über sie erreicht auch der Liebhaber, was er sich am Ende erhofft und wünscht: Die Liebe und unmittelbarer noch die Hingabe seiner Erwählten« (hier S. 179 f.). 245 Das Wort fällt in Er 9497: des lobete ich ir stæte . Es wird an dieser Stelle gemeinhin adverbial aufgefasst (vgl. die Übersetzung von Susanne h eld : ›Das versprach ich ihr hoch und heilig‹; die Übersetzung bei Er / Cramer lässt es unberücksichtigt: ›Das versprach ich ihr‹); doch ließe sich der Satzanschluss des nicht auch konsekutiv statt relativisch und das Lexem stæte entsprechend als direktes Objekt verstehen (›Daher gelobte ich ihr stæte / Beständigkeit‹)? 246 W ünSch , Allegorie, S. 516; vgl. ähnlich auch W agneR , Erzählen, S. 235, für den in der Joie de la curt »in einem distinkten Raum der Erzählung die gesamte Erzählung repräsentiert und enggeführt« (S. 235). 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 123 anderer Stelle expressis verbis bekundet, er habe sich diese Lebensform von deheinem vrîen muote erkorn (Er 9446), und sich der Baumgartenritter zuletzt auch entsprechend erleichtert zeigt, durch die Erlösungstat des Helden von disem bande (Er 9585) befreit worden zu sein. 247 Am treffendsten hat das Problem Rudolf v oSS benannt: »Im Unterschied zu Erecs Versagen […] resultiert die Insuffizienz im gegebenen Fall […] nicht aus unvermittelt einsetzender Erkenntnistrübung, sondern paradoxerweise aus der rigoros durchgehaltenen ethischen Maxime der triuwe […], die Mabonagrin an ein gegebenes Wort bindet.« 248 Sein Einverständnis reiche, »da die durch die Minne gestiftete absolute Willenseinheit sich gerade auch in der Akzeptation des nicht Genehmen bewährt, bis in den problematischen Bereich, in dem die Willensrichtungen differieren (9502 ff.). Mabonagrin befindet sich damit in der aporetischen Lage, willentlich gegen seinen eigenen Willensimpuls handeln zu müssen.« 249 Mabonagrin geriert sich als vollendeter Frauendiener, und gerade deshalb wird er zum Mörder. Er verstößt gegen die Regeln der höfischen Welt, weil er ihre Regeln bis zum Äußersten verwirklicht. Mit zweiwertigen identitätslogischen Modellen ist dem nicht mehr beizukommen - und daher kann auch die binäre Unterscheidung von Inklusion und Exklusion hier nicht mehr greifen. Am ehesten entspricht dieser Konstellation eine widerspruchstolerante, andersrationale Logik, wie sie eben dem mythischen Substrat des arthurischen Stoffes eingeschrieben ist. 2.2.7 Zur metonymisch-paradigmatischen Struktur des ›Erec‹ Was die Joie de la curt verhandelt, ist weniger das Versagen eines einzelnen Paares denn das Versagen des sie umgebenden Werte- und Normengefüges, das eine solche Situation allererst ermöglicht und provoziert hat. Am Ende sind es nicht nur bestimmte Figuren oder einzelne Raumsegmente, sondern vor allem - eine Abstraktionsebene höher - das höfische Konzept der Minne selbst, das sich im Text in mythischen oder doch zumindest mythomorphen Konfigurationen zeigt: die Minne, die einerseits im Zentrum jeder höfischen Ordnung steht - höfische Kultur ist Minnekultur -, die andererseits aber diese Ordnung auch immer schon sprengt. Denn »[z]u den Mächten der Gegenwelt, die die Idealität des Hofes in Frage stellen, gehören […] nicht nur die Brutalität von Räubern und Riesen, die Begehrlichkeit von Verführern, das Untermenschliche, das Tierische und der Tod, sondern dazu gehört auch der Eros als Macht, die in ihrem Anspruch an das Du absolut ist.« 250 247 Man hat versucht (vgl. etwa S chulze , amîs unde man , S. 42), diesen Widerspruch dadurch aufzulösen, »daß man Mabonagrins Worte einem Vorher und einem Nachher zuweist«, doch findet sich dafür, wie Manfred Günter S cholz zu Recht bemerkt, »im Text keine Stütze. Denn die vorliegende Passage ist im Präsens gehalten, das Einverständnis mit seiner Freundin besteht für Mabonagrin also auch jetzt noch«(S cholz , Kommentar, S. 975 f. [zu Er 9508-9527]). Entsprechend scheint für S cholz die »Freude über die Erlösung von dem bande […] eher auf den jetzt beendeten Zwang zum Töten abzuzielen« (ebd., S. 978 [zu Er 9583-9589]). 248 v oSS , Artusepik, S. 119. 249 v oSS , Artusepik, S. 120. 250 h aug , Lesen, S. 306. 124 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue Die ordnungsstörende Macht des Eros deutet sich schon ganz zu Beginn des Romans an, als Enite zum ersten Mal vor die versammelte Mannschaft der Tafelrunde tritt 251 : dô diu maget in gie, von ir schoene erschrâken, die ze tavelrunde sâzen, sô daz si ir selber vergâzen, und kapheten die maget an. (Er 1736-1740) Die Schönheit der Frau, Triebstachel männlichen Begehrens und Katalysator der Minne, 252 lässt selbst die tüchtigsten Ritter (vgl. Er 1735: von ganzen tugenden ûz erwelt ) die Beherrschung verlieren, und sei es auch nur für den Bruchteil eines Augenblickes: Die selbstvergessenen Artusritter starren Enite unverhohlen ( kapheten , Er 1740) an, wo es die höfische Etikette doch gebieten würde, ihre Blicke allenfalls gezogenlîche auf die Erscheinung der Dame zu richten (vgl. etwa WG 402). »Der Dichter führt uns mittels dieser auffallenden, in der Literatur wohl einmaligen Szene dramatisch vor Augen, was ihm die weibliche schœne bedeutet. Er zeigt die schœne einen kurzen Augenblick von ihrer beunruhigenden, gefährlichen Seite.« 253 Die Schönheit der Frau sei es denn auch, so Kathryn S mitS , die in Karnant schließlich zum verligen des Herrscherpaares führe: »Erecs Mangel an Einsicht in das Problematische, Gefährdende der weiblichen schœne führt dazu, daß er sich den Reizen dieser Frau hingibt, ohne sie richtig zu verstehen. Er vernachlässigt seine gesellschaftlichen Pflichten, und es kommt zur Krise.« 254 Gleichzeitig aber ist Enites Schönheit auch genuines Adelsmerkmal, das ihre vornehme Abstammung bei der Begegnung mit Erec durch die fadenscheinige Hülle ihrer salwe[n] wât (Er 336) hindurch aufscheinen lässt und das das Mädchen so nicht nur als zugehörig zur höfischen Welt markiert, sondern ihr dort sogar als Zeichen höchster physischer wie ethischer Vollkommenheit einen - auch im Literalsinn - herausgehobenen Platz zuweist: Nachdem ihr Anblick gerade noch die gesamte Artusritterschaft aus dem Konzept zu werfen drohte, nimmt der König Enite persönlich in Empfang und führt sie an jenen Sitz der - an sich hierarchiefreien - Tafelrunde, der mit mehr Ehren nicht behaftet sein könnte, denjenigen nämlich zu seiner eigenen Seite: dâ enwas dehein man, er’n begunde ir vür die schœnsten jehen, die er hæte gesehen. der künec gegen ir gie: bî der hant er si vie, vrouwen Enîten, 251 Vgl. zum Folgenden auch P oSeR , Arbeit, v. a. S. 130, Fn. 15. 252 Vgl. etwa Tr 17593-17598: Minne diu warf ir vlammen an, / Minne envlammete den man / mit der schoene ir lîbes. / diu schoene des wîbes / diu spuon im sîne sinne / z’ir lîbe und z’ir minne. Auch im Falle Erecs sind es die schœne und die güete der Frau - Susanne h eld übersetzt diesen vielschichtigen Begriff bezeichnenderweise mit ›Anmut‹, also mit einem Ausdruck, der ebenfalls vornehmlich auf Äußeres zielt -, die es bewirken, daz Êreckes gemüete / vil herzenlîche nâch ir ranc ( Er 1844-1846). 253 S mitS , Schönheit, S. 10. 254 S mitS , Schönheit, S. 15. Allerdings dürfe, so S mitS , die »verderbliche Macht der Frauenschönheit (d. h. des ›Weib-Seins‹)« nicht als persönliche Schuld missverstanden werden; so bleibe schon in der Tradition vor Hartmann die Frau, »auch wo sie die Gier der Männer entfacht, schuldlos« (ebd., S. 11). 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 125 und sazte si an sîn sîten unde anderhalp sîn die tugenthaftten künegîn. (Er 1741-1749) Ob die Schönheit der Frau nun eine Macht ist, deren destruktives Potential von außen in die Sphäre des Hofes hineingetragen wird, oder ob sie nicht vielmehr schon immer in deren Mittelpunkt ihren angestammten Ort hat, ja, ob Schönheit nicht eigentlich die Adelsqualität schlechthin und gerade deshalb gesellschaftlich prämiert ist (vgl. die Auszeichnung Enites durch den Kuss des Königs, Er 1784-1796) - das lässt sich angesichts des Textbefundes kaum widerspruchslos entscheiden. Die Szene führt eindrücklich die Faszination der höfischen Kultur für alles Superlativische und Exorbitante, jedes gewöhnliche Maß Überschreitende vor Augen, das aus Sicht des Textes nicht nur begrüßt, sondern geradezu gefordert und gefeiert wird. 255 Gleichzeitig konfligiert diese Faszination mit der Utopie einer »Balance aller Kräfte« 256 , wie sie doch im arthurischen Fest realisiert sein sollte und wie sie in Form der tabula rotunda auch räumlich objektiviert in Szene gesetzt wird. 257 Um diese gegenläufigen Tendenzen narrativ zu fassen, bedient sich der Text mythischer Erzählelemente - nicht nur Mabonagrin (oder auch die Helden der heroischen Tradition, allen voran Siegfried 258 ), auch Frauenfiguren wie Enite lassen sich motivgeschichtlich auf mythische Traditionen zurückführen 259 -, weil es deren spezifische Strukturlogik erlaubt, auch Ungleichartiges und sogar Gegensätzliches im Sinne mythischer Konkreszenz zusammenzuspannen. Das Motiv der Schönheit der Frau und ihrer Wirkung auf die männlichen Figuren rekurriert im weiteren Handlungsverlauf mehrfach. Auf der Aventiure-Fahrt wird »[d]ie Gier der fremden Männer«, die Erec und Enite bedrängen, »ausnahmslos durch den Anblick von Enitens schœne ausgelöst« 260 . Über den bei Hartmann namenlosen Burggrafen des ersten Grafenabenteuers heißt es - wie zuvor fast wörtlich schon von Erec (vgl. Er 2924) -, dass er biderbe unde guot (Er 3688) gewesen sei, bis diu kreftige Minne / […] benam im rehte sinne (Er 3692 f.). Die Minne wird zum Prüfstein höfischer Selbstdisziplinierung: nû enhât aber niemen selhe kraft, und ergrîfet in ir meisterschaft, er enmüeze ir entwîchen. 255 Zu Hartmanns Verfahren der »ausarbeitende[n] Erweiterung der Vorlage« in dieser Szene, vgl. W oRStBRocK , dilatatio materiae , S. 5-9, hier S. 9. W oRStBRocK macht vor allem auf den Aspekt der quasiepiphanischen Offenbarung der Schönheit Enites aufmerksam, die bereits bei ihrem ersten Auftritt in der Armen Herberge angedeutet, hier nun aber erst vollkommen entfaltet werde. 256 h aug , lesen, S. 304. 257 Diese Spannung ist schon im Zweifel Gauvains bezüglich der Absicht des Königs formuliert, die costume der Hirschjagd sowie den daran geknüpften Schönheitspreis wiederaufleben zu lassen, was sich aufgrund der fragmentarischen Überlieferung des ›Erec‹ freilich allein aus der Chrétienschen Vorlage ergibt (vgl. EeE 41-58). 258 Vgl. Kapitel 1.5. 259 Vgl. etwa m eRtenS , Artusroman, S. 27 f.: »Vermutlich war die Schönste ursprünglich eine anderweltliche Frau, wie wir sie in den auf keltischen Traditionen zurückgehenden Lais der Marie de France immer wieder antreffen. Andreas Capellanus erzählt jedenfalls in seinen ›Drei Büchern über die Liebe‹ eine solche Sperper-Geschichte [wie sie auch der Frauenerwerb im ›Erec‹ kennt] von einem britannischen (bretonischen? ) Ritter, der am Artushof diesen Preis gewinnt, nachdem ihm eine Fee ihre Gunst geschenkt hat (Buch 2, Kap. 8).« 260 S mitS , Schönheit, S. 17. 126 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue swer aber ir gewislîchen ze rehte kunde gephlegen, den enlieze si niht under wegen, im enwære der lôn von ir bereit, daz in sîn arbeit niht dorfte riuwen, huote er sîner triuwen baz, dan der grâve tæte. (Er 3706-3716) Auch Oringles, Gegenspieler des Helden im zweiten Grafenabenteuer, sei - so heißt es - von Enites Schönheit so ergriffen, dass er die Bestattung des totgeglaubten Erecs gar nicht erst abzuwarten gedenke, bevor er Enite selbst zur Frau nehmen wolle: dem wirte dô von ir geschach, dô er ir schœne rehte ersach, daz er sô lange stunde, erbeiten niene kunde, unz ir man würde begraben, si ewürde der naht erhaben ze vrouwen sînem lande. (Er 6324-6330) Und schließlich sei es auch im Falle Mabonagrins laut dessen eigener Aussage nichts anderes als die schöne Erscheinung seiner amîe gewesen, die in ihm die Minne allererst entfacht habe: ouch ensach ich grœzer wünne nie an kindes lîbe von manne noch von wîbe, als mir mîn sin dô verjach. und si mîn ouge ersach sô edel und sô wünneclich, dô nam si mîn herze an sich (Er 9469-9476) Das Kompositionsprinzip des ›Erec‹ wäre vor diesem Hintergrund weniger als ›Symbolstruktur‹ zu beschreiben, bei der der »Sinn dessen, was sich in den einzelnen Stationen ereignet, […] durch seinen Stellenwert im Schema bestimmt« wird, d. h. bei der »die Stationen […] symbolisch auf ihre strukturelle Position bezogen sind«, sondern eher, wie so oft in mittelalterlicher Erzählungen, als Durchspielen »bestimmter[r] thematische[r] Basiskonfigurationen« 261 . Das Modell eines solchen Erzählprinzips wurde von Harald h aFeRland und Armin S chulz -- in Anschluss an Rainer W aRning 262 und an ältere Überlegungen aus dem Umfeld des Strukturalsismus (Roman J aKoBSon ) 263 - unter dem Stichwort ›paradigmatischmetonymisches Erzählen‹ vorgestellt: »Paradigmatisch-metonymisch erzählen bedeutet […] zunächst, aspekthaft charakterisiernd im Sinne einer durchgehenden Zuordnung von Teilaspekten auf Gesamtheiten hin zu erzählen. Es 261 S chulz , Kohärenz, S. 342; vgl. auch S chulz , Erzähltheorie, S. 326. 262 Vgl. W aRning , Norm und Transgression. 263 Vgl. J aKoBSon , zwei Seiten. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 127 bedarf dieser Betonung eines aspekthaften Charakterisierens, denn es soll(te) vermieden werden, jegliches episodische oder serielle bzw. serialisierte Erzählen gleich schon als paradigmatischmetonymisch auszuweisen. Paradgimatisch-metonymisches Erzählen würde dagegen aspekthaft erzählte Episoden oder Erzählzüge, die im Rezipienten eine Gesamtheit evozieren sollen, hintereinander schalten - dies gegebenenfalls noch im Sinne einer variierenden Reihung oder variierten Charakterisierung.« 264 264 h aFeRland / S chulz , Metonymisches Erzählen, S. 11. Vgl. kritisch hierzu neuerdings m ülleR , Probleme, der vor allem die übermäßige Ausweitung des klassisch rhetorischen Metonymie-Begriffs moniert. Wenn m ülleR zuletzt aber »die bloße Addition und Kombination scheinbar unverbundener [- und auf dieses ›scheinbar‹ kommt es an! -], jedoch thematisch verknüpfter Elemente« (ebd., S. 38) als eigentliches Signum vormodernen Erzählens benennt, dann ist damit doch nichts anderes beschrieben als das, worauf auch h aFeRland und S chulz abheben. m ülleR s Skepsis zielt also offenbar in erster Linie auf die gewählte Bezeichnung und weniger auf den damit umrissenen Sachverhalt. Angesichts des heuristischen Werts des Konzepts, das es erlaubt, auch die festgefahrene Diskussion um die ›rechte‹ Gliederung des ›Erec‹ neu in Bewegung zu bringen (vgl. Kapitel 2, Fn. 265 und 267), halte ich es allerdings für gerechtfertigt, an dem von h aFeRland und S chulz einmal eingeführten Begriff festzuhalten (auch um den Preis, ihn gegen die Tradition zu verwenden) - so lange zumindest, bis ein ähnlich prägnanter, aber weniger terminologisch vorbelasteter Gegenvorschlag unterbreitet wird (ob der Begriff allerdings nicht besser von dem kognitionspsychologischen Ballast zu befreien wäre, den ihm vor allem die [Vor-]Arbeiten h aFeRland s aufbürden [vgl. die Auflistung bei m ülleR , ebd., S. 19, Fn. 1], um ihn umso mehr als narratologisches Konzept fruchtbar zu machen, bleibe dahingestellt). Auch das von Susanne R eichlin , Zeitlichkeit, vorgestellte Konzept des ›seriellen Erzählens‹ scheint mir in diesem Zusammenhang nur wenig Mehrwert zu bieten, und zwar aus dreierlei Gründen: 1.) auf den Begriff bezogen: der Terminus ›Serialität‹ ist im literaturwissenschaftlichen Diskurs bereits mehrfach besetzt (vgl. den Forschungsüberblick bei S chaFFeRt , Amadisroman, S. 9-74) und damit nicht weniger missverständlich als derjenige des metonymisch-paradigmatischen Erzählens, von dem er sich abzugrenzen sucht; 2.) auf den konkreten vorliegenden Fall bezogen: das Referenzproblem, die Frage nämlich nach der zeitlichen Relationierung der einzelnen Erzähleinheiten auf der histoire -Ebene (vgl. R eichlin , Zeitlichkeit, S. 168 f.), stellt sich für den ›Erec‹ nicht in gleicher Weise wie für das ›Rolandslied‹, auf das sich R eichlin s Studie bezieht; an der Linearität der Ereignisse im Handlungsverlauf des ›Erec‹ dürften kaum ernsthaft Zweifel bestehen; und 3.) auf die Sache bezogen: Den Vorwurf R eichlin s an h aFeRland / S chulz , dass sie nämlich die übergeordneten ›Ganzheiten‹ als »logisch vorgängig« denken würden, so dass narrative »Sinnstiftung als zeitlos-statische Partiziation an einem übergreifende Sinnzusammenhang verstanden« und damit die »zeitliche Sukzessivität« der Erzählung missachtet würde (R eichlin , Zeitlichkeit, S. 177), halte ich für unbegründet. Nicht nur machen h aFeRland / S chulz , Metonymisches Erzählen, S. 22, deutlich, wie Wiederholungsmuster im zeitlichen Ablauf der Erzählung das Paradigma als solches allererst konstituieren (»Man könnte also sagen, dass erst die Rekurrenz das Thema paradigmatisiert«), sie zeigen auch die Dynamiken auf, denen eine solche Sinnkonstitution im Fortgang der Narration unterliegen kann (eben dies besagt ja das von Clemens l ugoWSKi entlehnte Kozept der ›thematischen Überfremdung‹, vgl. ebd., S. 12), etwa wenn Siegfried in der 3. Aventiure des ›Nibelungenliedes‹ im Zeichen höfischer Werbung von Worms aufbricht, das Thema dann aber unvermittelt - und zwar qua thematischer Rekurrenz im prozessualen Fortschreiten der Handlung wie auch des Erzählvorgangs selbst - zum »Konzept des Besten (und damit auch des Herrschers) als körperlich überlegener Heros« (ebd., S. 24; vgl. grundlegend hierzu auch S chulz , Kohärenz) wechselt. Von einem »einzigen textübergreifenden […] Paradigma[ ]« (R eichlin , Zeitlichkeit, S. 181), geschweige denn von einer »tendenziell zeitlose[n] Ordnung« (ebd. S, 182) kann hier doch gerade keine Rede sein (weshalb es auch zu den von R eichlin beschriebenen Simultaneitätseffekten durch das Aufbrechen der »linear sich entwickelnde[n] erzählte[n] Zeit« [ebd.] kommt; vgl. etwa das Problem der ›doppelten‹ Jugendgeschichte Siegfrieds, auf das S chulz , Kohärenz, S. 349, aufmerksam macht). Auch h aFeRland / S chulz gehen also grundsätzlich von »einem prozessualen Textmodell« aus, bei dem »durch Wiederholungen zwar durchaus Themen oder Sinnhorizonte prozessiert [werden], doch nicht als zeitlose (und der Erzählung logisch vorgeordnete) Sinnganzheiten, sondern als im Erzählverlauf entstehende und sich verändernde« (R eichlin , Zeitlichkeit, S. 204); immerhin stellt es auch für Armin S chulz offenbar den markierten Sonderfall dar, wenn die »narrativen Paradigmen« einer Erzählung »nicht mutieren, 128 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue Das Konzept paradgimatisch-metonymischen Erzählens scheint mir einen Ausweg zu eröffnen aus der in der ›Erec‹-Forschung bis in jüngste Zeit geführte, aber kaum ersprießliche Debatte darüber, welche Episoden im Sinngefüge des Textes denn nun eigentlich wie miteinander korrespondieren. 265 Denn eine Modellbildung im Anschluss an h aFeR land / S chulz würde sich von der Vorstellung eines spiegelbildlichen Entsprechungsverhältnisses einzelner Episoden 266 lösen und dadurch zwar nach wie vor die Möglichkeit bieten, die distinkten Erzähleineinheiten in Relation zu setzen, doch nicht mehr so - wie noch in früheren Ansätzen -, dass bestehende Unterschiede fast zwangsläufig eingebenet, andere Äquivalenzbeziehungen dagegen ausgeblendet werden müssen, damit das Schema ›stimmt‹. 267 Das Verbindende der einzelnen Erzähleinheiten wäre demnach weniger auf der Ebene der syntagmatischen Entfaltung des Sujets im linearen Verlauf der Erzählung zu suchen als vielmehr in ihrem gemeinsamen Bezug auf ein übergeordnetes Thema, das freilich qua Rekurrenz auf der syntagmatischen Achse allererst als Paradigma erkennbar wird, »indem« nämlich »die Episoden durch Ähnlichkeiten als Facetten derselben Gesamtsondern mehr oder weniger die gleichen bleiben«, wie er es für die Rückkehrabenteuer der ›Tristan‹- Fortsetzer konstatiert (S chulz , Kohärenz, S. 358 f.; Hervorhebung von mir). 265 Vgl. etwa die Diskussion, ob die Joie de la curt nun der verligen -Szene oder nicht doch eher der Sperberkampf-Episode vom Beginn des Romans antwortet, die S cholz , Kommentar, S, 976 f. (zu Er 342-344), dokumentiert. Einen völlig neuen Vorschlag zur Strukturierung zumindest des zweiten Teils des ›Erec‹ (der Aventiure-Fahrt) unterbreitet l ieB , Doppelter Kursus; vgl. hierzu Kapitel 2, Fn. 267. 266 W aPneWSKi , Hartmann, S. 46, nennt es das »Kunstprinzip der Wiederholung, Parallele, Analogie, am besten wohl: der Doppelung«. 267 l ieB , Doppelter Kursus, S. 195, etwa merkt an, dass Hugo K uhn nur dadurch zu seiner Gliederung des ›Erec‹ komme, dass er wichtige Textdaten wie etwa »die ausführlich erzählten Konfrontationen mit Keie und Gawein« bei der ›Zwischeneinkehr‹ am Artushof oder die beiden Verweilperioden am Hofe Guivrez’ in seinem Schema außen vor lasse. Das methodische Problem, das l ieB aufzeigt, reproduziert er in seinem Gegenentwurf freilich eher, als dass er es löst: Die Cadoc-Episode und die Joie de la curt lassen sich allenfalls dann unter dem Aspekt aufeinander beziehen, dass Erec in beiden Fällen nicht mehr eigennützig, sondern zum Wohle anderer kämpfe (vgl. ebd., S. 196 f. und 201 f.), wenn man unterschlägt, dass die Motivation zur Joie de la curt zunächst ganz und gar nicht altruistisch ist: In der Passage Er 8540-8575 begegnet das Leitwort êre gleich sechsmal (Er 8543, 8549, 8556, 8560, 8562, 8568), einmal in der Bedeutung ›Erz‹, fünfmal jedoch im Sinne von nhd. ›Ehre‹. Anders als in der Cadoc- Episode, ist es in Brandigan also vor allem die Aussicht auf soziale Anerkennung, die Erec antreibt. Zwar wird bereits Er 8334 f., wenn es um das Leid der achtzig Witwen geht, auf die Mitleidsfähigkeit des Helden verwiesen ( nû bewegete der vrouwen smerze / Êrecke sô gar sîn herze ), doch kaum im Sinne einer konkreten Handlungsmotivation. Handlungsbegründend wird die compassio Erecs erst, als die anhaltende Trauer der Damen ihn dazu bewegt, sie an den Artushof zu überführen (vgl. die Häufung des Verbs erbarmen und seiner Derivate im Abschnitt Er 9784-9804, die hier êre als Leitbegriff ablösen). Strukturierungsversuche wie diejenigen von K uhn und l ieB zeugen von mehr oder weniger plausiblen, letzlich aber immer subjektiven Selektionsvorgängen, die stets auch Raum für Widerspruch lassen. Hier scheint mir das Modell paradigmatisch-metonymischen Erzählens weiterzuführen. Denn es ermöglicht - indem es an die Stelle zweistelliger Entsprechungsverhältnisse (Stichwort ›dopp elter ‹ Kursus) drei(- und mehr-)stellige Relationen setzt (vgl. die schematische Darstellung bei h aFeR land / S chulz , Metonymisches Erzählen, S. 18) - auch solche Textmerkmale zu integrieren, die einer stringenten Zuordnung einzelner Episoden eher entgegenstehen. Denn ausgehend vom strukturalistischen Äquivalenzprinzip, das eben immer auch Unähnlichkeit im Ähnlichen miteinschließt (vgl. etwa S chulz , Kohärenz, S. 343, sowie S chulz , Erzähltheorie, S. 323, und l otman , Struktur, S. 125), geht das Konzept von einer ›offeneren‹ Beziehung der einzelnen Episoden untereinander aus und strebt gerade keinen Strukturrigorismus an: Entscheidend ist jeweils der Bezug zur gemeinsamen übergeordneten ›Gesamtheit‹; die verschiedenen Teilaspekte können dabei in Einzelheiten stark differieren. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 129 heit erscheinen müssen« 268 . Im vorliegenden Fall könnte eine solche thematische Basiskonfiguration, d. h. die abstrakte und als solche konzeptuell relativ diffuse ›Gesamtheit‹, die in der Episodenreihe in eine Abfolge konkreter Teilaspekte aufgefächert wird, beispielsweise als Frage nach dem schwierigen Verhältnis von Minne und höfischer Ordnung benannt werden. 269 Bei den gaffenden Artusrittern, dem fehlgegangenen Helden der verligen -Szene, aber auch bei den beiden Grafen wird jeweils der - aus Sicht der Institution ›Hof‹ - eindeutige Fall durchgespielt, dass einzelne Individuen in je unterschiedlichem Maß den Anfechtungen der Minne erliegen, dadurch mit der höfische Norm brechen und am Ende entsprechend sanktioniert werden: von der wohl folgenlosen Unbeherrschtheit der Tafelrunder, die in dem Moment wohl auch wieder vergessen ist, in dem die Ritter ihre Contenance wiederfinden, über die zeitweilige soziale Exklusion Erecs infolge des verligens bis hin zur dauerhaften Totalexklusion qua Tötung im Falle der beiden begehrlichen Grafen. 270 Im Falle Mabonagrins ist die Lage komplexer. Auch bei seiner amîe ist der anderweltliche Ursprung der Figur noch - wenn auch nur blass - zu erkennen: Mabonagrin begegnet ihr in einem nicht näher benannten Jenseitsraum (vgl. Er 9464: von hinnen in ein ander lant ) 271 , bevor er sie in die vertraute höfische Welt von Brandigan überführt. Das ordnungsstörende Potential der Minne, welches das Mädchen mit sich bringt und welches raumsemantisch in ihrer Herkunft von ›außen‹ angezeigt ist, wird retrospektiv erst durch die Aufdeckung ihrer Verwandschaftsverhältnisse aufgefangen: Nach dem Sieg Erecs erfahren Enite und das Mädchen in einer Art genealogischer Anagnorisis, dass daz si genifteln wæren nâ (Er 9717; vgl. auch Er 9738): Beide haben einen gemeinsamen Onkel und sind zudem in dersel- 268 h aFeRland / S chulz , Metonymisches Erzählen, S. 22. Ein vergleichbares Textmodell entwickelt für Wolframs ›Parzival‹ R ichteR , Spiegelungen. Auch ihr geht es darum, das spezifische Verhältnis von »Ähnlichkeiten und Unterschiede[n]« (ebd., S. 88) im gemeinsamen Bezug einzelner Erzähleinheiten zu übergeordneten thematischen Paradigmen in den Blick zu nehmen. R ichteR arbeitet heraus, wie unter der Perspektive paradigmatischen Erzählens nicht nur einzelne Raumsegmente (vgl. hierzu auch Kapitel 2, Fn. 161), sondern auch Figuren und sogar ganze Handlungsstränge als »Varianten voneinander zu kennzeichnen« sind (ebd.). Als die dominante thematische Konfiguration identifiziert R ichteR die »Koppelung von Minne und Gewalt« (ebd., S. 152): So werde der Sachverhalt, dass »Liebe in ihrer höfischen Form auch immer das Moment des Todes beinhaltet, dass Minne und Gewalt in der kulturellen Semantik des Frauendienstes in einer Gedankenfigur zusammengeschlossen sind«, im ›Parzival‹ »in Form eines Paradigmas« auserzählt, »das sich in den variierenden Geschichten der Minnepaare konstituiert und sich wie ein Netz über den gesamten Roman« lege (ebd., S. 165). Ähnliches ließe sich - cum grano salis , versteht sich - auch für Hartmanns Text zeigen, wenngleich die Erzählwelt des ›Erec‹ mit Sicherheit nicht in dem Maße von Vervielfältigungsphänomenen geprägt ist (Vervielfältigung von Räumen, Figuren, Handlungsmustern, Verwandschaftsbeziehungen usw.), wie R ichteR es für den ›Parzival‹ gerade einsichtig macht (vgl. ebd., S. 52 passim). 269 Damit soll nicht grundsätzlich ausgeschlossen sein, dass ein Text auch mehrere thematische Basiskonfigurationen dieser Art synchron übereinanderblenden kann. 270 Genau genommen ist im Falle des ersten, namenlosen Burggrafen allein von dessen Verwundungen die Rede: dâ von der ungetriuwe man / sînes valsches lôn gewan, / einen stich ze sîner sîten, / der in ze manegen zîten / sît her niht verswar, / wan er was underm schilte bar. / dar zuo im abe der arm brach (Er 4208-4214). Es wäre allerdings zu erwägen, ob in den Versen Er 4210-4212 nicht, wie so oft im Mhd., eine Litotes, eine rhetorische Figur der Untertreibung also, vorliegt: ›eine Stichwunde in der Seite, die noch lange nicht - will heißen: nie mehr - verheilen sollte‹ (Paraphrase in Anlehnung an die Übersetzung von Susanne h eld ). Bei den Gefolgsleuten des Grafen ist die Sachlage eindeutiger: sehse er ir ze tôde sluoc (Er 4224), ebenso im Falle des Oringles: des êrsten rûsches er sluoc / den wirt selbe dritten / under den saz er enmitten (Er 6621-6623). 271 Bei Chrétien ist hiervon nicht die Rede: Hartmanns Vorlage erwähnt lediglich, dass Maboagrin und seine Freundin sich schon seit ihrer Kindheit ( des enfance ; EeE 6003) geliebt hätten. Die genauen Umstände ihrer ersten Begegnung bleiben im Dunkeln. 130 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue ben Stadt - Lute - geboren (vgl. Er 9718-9724), womit der unbestimmte Herkunftsraum des Mädchens nunmehr einen Namen erhält. In dem Moment, in dem Mabonagrin und der Baumgarten jeweils ihre mythischen Qualitäten verlieren, wird auch jene Figur, die - nicht im Sinne personaler Schuld, sondern als Repräsentantin eines abstrakten Prinzips ›Minne‹ - die Auflösung der räumlichen und sozialen Ordnung der erzählten Welt allererst angestossen hat, qua Genealogie vollständig in die sozialen Strukturen der höfischen Welt integriert. Ihre anderweltliche Natur deutet sich dann allenfalls noch darin an, dass sie sich ihren Geburtsort - kaum zufällig - mit der zweiten ›Feen‹-Gestalt des Textes, Enite, teilt. Doch das bedrohliche Potential der Minne sollte schon vor der Erlösungstat des Helden alleine dadurch bewältigt sein, dass Mabonagrin die Anfechtung des Eros - anders als die beiden Grafen, anders aber auch als Erec - in das gesellschaftlich akzeptierte und sogar prämierte Modell des Frauendienstes umlenkt, welches männliches Begehren als freiwillige Subordination des Mannes unter die symbolische Herrschaft der Frau sublimiert 272 und dem Ritter gleichzeitig die Möglichkeit bietet, sich in immer neuen Zweikämpfen als ›Bester‹ zu beweisen. Das Ergebnis freilich bleibt hier wie dort dasselbe: die Verabsolutierung der Minne vor dem Hintergrund eines Weltentwurfs, der auf das utopische Ideal einer Balance aller Kräfte abstellt und aus diesem Grund nichts Absolutes dulden kann. Der Fall Mabonagrins treibt dies sogar so weit, dass ritterliches Kräftemessen zuletzt in reine, selbstzweckhafte Gewalt umschlägt, die mit keiner höfischen oder christlichen Norm mehr verrechenbar ist. Die Joie de la curt fügt damit den anderen Episoden der paradigmatischen Reihe einen genuin neuen Aspekt hinzu: Sie führt vor Augen, wie höfisches und unhöfisches Verhalten in ihrem Resultat ununterscheidbar werden 273 , wie der ritterliche Frauendienst - konsequent zu Ende gedacht - die Kategorien ›höfisch‹ und ›unhöfisch‹ in eins fallen lässt und somit jene Basisdifferenz auslöscht, die doch den Aufbau der gesamten epischen Welt organisiert. 274 Hartmanns Text schließt damit an einen Diskurs an, der in der Zeit um 1200 über die Grenzen der Gattung ›Artusroman‹ hinaus geführt wird und dessen Gegenstand im Widerstreit von minne und mâze - der »normative[n] Grundlage jeder anderen Tugend« 275 und damit Inbegriff der höfischen Ordnung - zu sehen ist. Exemplarisch kann auf die beiden Strophen L 46,32 und 47,5 aus dem Œuvre Walthers von der Vogelweide verwiesen werden, die prägnant wie kaum ein anderer Text von der Unvereinbarkeit dieser beiden Wertbegriffe künden (zitiert nach Fassung A): Obwohl sich das Sänger-Ich an den Weisungen der Hohen Minne ausrichtet, die reizet und machet / daz der muot nâch hôher wirde ûf swinget (L 47,8 f.), zögert die mâze , die doch die Garantin aller werdekeit (L 46,32) - und zwar ze hove und an der strâze (L 46,36), will heißen: überall - sein sollte, ihn vor weiterem 272 Vgl. S chnell , Unterwerfung. 273 In dieser Hinsicht scheint es mir verfehlt, zwischen ›angemessenen‹ und ›unangemessenen‹ Formen des Umgangs mit der Schönheit der Frau zu unterscheiden, wie S chanze , Schatten und Nebel, S. 205, dies vorschlägt. Die paradigmatische Reihe des ›Erec‹ macht deutlich: Angesichts der Forderungen des Eros läuft schlechthin jede Handlungsoption, die das höfische Verhaltensrepertoir zu bieten hat, am Ende Gefahr, in normenwidriges Fehlverhalten umzuschlagen. 274 Vgl. hierzu auch K iening , Körper, S. 62, mit Bezug auf Gottfrieds ›Tristan‹-Roman, in welchem die Protagonisten »den Naturzustand fern des Hofes nicht als Problem des Überlebens, sondern als Höhepunkt von ›Kultur‹« erfahren: »Der absolute Anspruch der Liebe läßt die Kategorien des Höfischen und des Nicht-Höfischen instabil werden.« Dass auch dieses Leben ›fern des Hofes‹ umfassend von mythischen Strukturen gekennzeichnet ist, hat eingehend m ülleR , Mythos, herausgearbeitet. 275 e hRiSmann o. [u. a.], Ehre und Mut, S. 130. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 131 minnebedingtem Leid zu bewahren (vgl. L 47,15). Denn wenn die herzeliebe (L 47,12) ins Spiel kommt - womit nichts anderes gemeint sein dürfte als »die Verkörperung der gegenseitigen Zuneigung […], also […] das, was der Dichter des hohen Minnesangs immer vergeblich erfleht« 276 (und was die Brandigan-Minne im Gegensatz dazu gerade auszeichnet) -, dann hat die mâze offenbar nichts mehr auszurichten. »Jede Art der [auf reziprokem emotionalem Engagement gründenden] Liebesbindung liegt faktisch außerhalb des Bereiches der Mâze . Minne und Mâze schließen sich gegenseitig aus.« 277 Das zuvor proklamierte ebene werben (L 46,38) als die dem Ideal der mâze angemessene Form des Werbens erweist sich so, wie auch der Sänger am Ende erkennen muss, 278 als »contradictio in adiecto« 279 . Wenn einmal doch, wie in Frauenlobs Streitgespräch zwischen ›Minne und Welt‹, das Zusammen von minne und mâze nicht nur emphatisch behauptet, sondern dies zudem der personifizierten Minne selbst in den Mund gelegt wird - Ich Minne minne maze, maze minnet mich ( GA IV ,11,1) -, dann provoziert dies umgehend Widerspruch: Was sei mit Gahmuret, so die Replik der Welt, der eben doch schone und eben warp ( GA IV ,12,3 f.) - ein Anklang an die genannte Walther-Stelle? - und der sich ie liez in fuge sehen ( GA IV ,12,8) und gleichwohl in der Minne den Tod fand: was das maze und bescheidenheit? sprich nu! (GA IV ,12,10) Angesichts dieses beißenden, im Kern aber offenbar auch treffenden Zynismus bleibt der Minne nichts, als »unter der Hand die Ebene der Verhaltensethik ( maze, fuge )« zu verlassen und »stattdessen ontologisch« 280 zu argumentieren: Schuld sei nicht sie, sondern die Welt selbst in ihrer grundsätzlichen Vergänglichkeit, der eben auch Gahmuret mit seiner liebe und lust (hier offenbar in bewusster terminologischer Abgrenzung zu minne ) anheimgefallen seien ( GA IV ,13, hier 12). Damit wird der Disput aber in eine denkbar allgemeine Richtung abgebogen, so dass das Argument hinsichtlich der spezifischen Relation von minne und mâze im Grunde jede Aussagekraft verliert. Das Spannungsverhältnis bleibt als solches unaufgelöst. Es verwundert kaum, wenn Frauenlob den minne mâze -Diskurs an eine Figur aus jenem arthurischen Erzählkosmos rückbindet, der die komplexe Verzahnung von Minne und Gewalt in immer neuen Aspekten ausleuchtet. 281 Zwar wird der Begriff im vorliegenden Fall, in der Joie de la curt , nicht explizit genannt, doch lässt sich mâze - bzw. deren Negation - unschwer auch als Leitkonzept bei der Beschreibung Mabonagrins ausmachen. Jeder Aspekt der Figur scheint den Geboten der mâze zu widersprechen, ist ins Übermäßige gesteigert: Seine Stimme ist zu laut, seine Gestalt zu groß, seine Farbwahl zu einseitig, seine Mordgier schier grenzenlos. Im Baumgartenritter erscheint die Unvereinbarkeit von Minne und mâze geradezu personifiziert. Dieses abstrakte Spannungsverhältnis bleibt als solches freilich auch nach dem Sieg Erecs erhalten, denn die Rückführung Mabonagrins in die höfische Ordnung, die mit seiner Reduktion auf »menschliche[ ], sprich: gesellschafts- 276 S chWeiKle , Minne und Mâze , S. 504. 277 S chWeiKle , Minne und Mâze , S. 513. 278 Auf die Verlaufsform des Textes als ›Lernprozess‹ macht nachdrücklich S cholz , WdV, S. 97-101, aufmerksam (gegen R uh , werdekeit , S. 193, für den das Verwundern des Ichs über das Zögern der Mâze »gespielt« ist). 279 R uh , werdekeit , S. 193. 280 K öBele , Minne und Welt, S. 242. 281 Vgl. R ichteR , Spiegelungen, S. 152-165. In diesem Zusammenhang scheint es mir auch unerheblich, ob Frauenlob die Figur des Gahmuret unmittelbar aus Wolframs ›Parzival‹ oder - wie K öBele , Minne und Welt, S. 241, Fn. 58, (mit Karl S tacKmann ) vermutet - aus dessen Fortsetzung im ›Jüngeren Titurel‹ Albrechts von Scharfenberg kennt. 132 2 Der ›Erec‹ Hartmanns von Aue konforme[ ] Dimensionen« 282 einhergeht, ist nur um den Preis möglich, dass die ideale Liebesgemeinschaft des Baumgartenpaares aufgebrochen wird: »Der locus amoenus wird zerstampft - und mit ihm die Idylle eines persönlichen Liebesglücks, die er beherbergt hat.« 283 Walter h aug wertet es deshalb, »wenn das Problem der absoluten Liebe handlungstechnisch durch einen Zweikampf gelöst wird«, auch als Hinweis, »daß eine so äußerliche Erledigung einer wirklichen Lösung spottet« 284 . Hartmanns Roman, Walthers Strophen und Frauenlobs fingierter Dialog kommen jeweils auf das gleiche Ergebnis. Was diese diskursiv entwickeln, stellt jener narrativ vor Augen. Die hier vorgeschlagene Lesart des Textes, die zum einen die Dimension des Raumes als eigenwertige Größe stark zu machen versucht und zum anderen die einzelnen Episoden als eo ipso nicht hierarchisierbare Teilaspekte einer abstrakteren Gesamtheit betrachtet, argumentiert grundsätzlich weder - wie der größere Teil der ›Erec‹-Interpretationen - auf eine lineare Geschehensabfolge hin noch protagonistenzentriert. Wenn die einzelnen Erzähleinheiten weniger kausallogisch verknüpft sind, sondern jeweils aspekthaft das ihnen gemeinsame Grundthema repräsentieren, müsste zu erwarten sein, dass sie untereinander austauschbar und nicht auf eine bestimmte Abfolge festgelegt sind. Um der Gefahr perspektivischer Verzerrung zu entgehen, ist gleichwohl danach zu fragen, warum der Spezialfall der Joie de la curt gerade am Ende der hier rekonstruierten paradigmatischen Reihe steht, wenn er denn nicht als »Summe der Erfahrungen der vorangegangenen Episoden« 285 gelten kann, sondern einen genuin neuen Aspekt in den Text einbringt. Die Frage alleine suggeriert, dass der Text offenbar doch so etwas wie eine erzähllogische Gerichtetheit kennt. Es bedarf offensichtlich eines solchen Falles, in der die unterschiedlichen Tendenzen des höfischen Weltentwurfs, die zwar jeweils für sich genommen wertbesetzt sind - Walthers Ich spricht von wirde (L 47,9) resp. werdecheit (L 46,32) -, die gleichwohl kaum je in Kopräsenz zu denken sind, in solcher Weise gegeneinander ausgespielt werden, dass der homöostatische Mechanismus von Inklusion und Exklusion zuletzt versagen muss. Denn wenn die Institution des Hofes eine Ordnungsstörung nicht mehr selbstregulativ beheben kann, wenn es stattdessen das Eingreifen eines Dritten braucht, um die normativen - d. h. auch: räumlichen - Grenzen der erzählten Welt neu einzusetzen, dann wird die Heilskompetenz des Helden dadurch nur umso stärker zur Geltung gebracht, so dass er am Ende als der ideale Ritter erscheint, als der er im Roman gezeigt werden soll. Damit wird aber deutlich, dass der Text zwei unterschiedliche Erzähllogiken übereinanderkopiert: eine, die auf die Individuation des Helden und dessen Vervollkommnung als höfischer Ritter zielt, und eine, aus deren Sicht »das scheinbar gute Ende weniger ein Schluss […] denn die Vermeidung eines Schlusses« 286 ist. Denn wenn der Roman zuletzt noch einmal nachdrücklich die prinzipielle Unvereinbarkeit von Minne und mâze vor Augen stellt, mündet er im Grunde wieder in dieselbe Situation ein, die schon bei Enites erstem Auftritt am Artushof gegeben war. Wenn der Held die erzählte Welt am Ende gleichsam transzendiert, dann bleibt diese als solche doch unverändert zurück, so dass »das Erzählen [von hier aus] un- 282 W elz , Glück, S. 21. 283 W elz , Glück, S. 22. Vgl. ähnlich pointiert m eyeR , m., S chWieRigKeiten , S. 158: » Joie de la curt , Hofesfreude, ist dann, wenn die Minne nicht ist.« 284 h aug , Erec, S. 221. 285 von B oRRieS / von B oRRieS , Literaturgeschichte, S. 79. 286 S töRmeR -c aySa , Grundstrukturen, S. 175. 2.2 Raumsemantische Analyse der ›Joie-de-la-curt‹-Episode 133 gestört weitergehen kann, wobei es weniger ins Gewicht fällt«, wenn der Brennpunkt dann nicht mehr auf demselben Held liegt, sondern »auf einem anderen daneben« 287 . Damit wird die Nähe metonymisch-paradigmatischen Erzählens zur Strukturlogik des Mythos deutlich. 288 Denn eine derartige zyklische Struktur, bei der »das Ende wie der Anfang und der Anfang wie das Ende ist« 289 , ist auch für das mythische Denken kennzeichnend, wie es von Ernst c aSSiReR beschrieben worden ist. Obwohl die mythischen Strukturen und Konkreszenzphänomene, die die Joie de la curt sowohl in raumzeitlicher Hinsicht wie auch bezüglich ihres Figureninventars prägten, nach Erecs Erlösungstat zugunsten einer neu eingesetzen differentiellen Ordnung überwunden scheinen, wird dieser Entmythisierungsprozess auf einer anderen Ebene des Textes durch gegenläufige Remythisierungseffekte unterlaufen. Der Text vermag offenbar die Ambivalenz der Minne nie vollständig aufzulösen, sondern allenfalls dadurch bewältigbar zu machen, dass er die mythomorphen Strukturen von der Ebene der erzählten Welt auf die Ebene des Erzählens selbst umlenkt, indem er Ausgangs- und Zielpunkt der Handlung am Ende in eins fallen lässt. 290 So wie auch Walthers Ich am Ende die Aporie von minne und mâze als solche bestehen lassen muss und sie allenfalls in immer neuen Liedern immer neu ›besingen‹ kann, so entwickelt auch der Artusroman ein spezifisches Erzählmodell, dass es erlaubt, die paradigmatische Reihe - wenn auch mit je neuem Helden - im Prinzip ad infinitum fortzusetzen, so dass sich die Arbeit am Mythos, die hier genauer als Arbeit mit dem Mythos und am Höfischen zu fassen wäre, als potentiell unabschließbarer Prozess erweist. Dies soll im Folgenden am Beispiel eines weiteren Textes veranschaulicht werden, den insbesondere die ältere Forschung vorgreiflich als bloßen Epigonen der Hartmannschen ›Klassiker‹ eingestuft hat, nämlich des ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven. Statt sich auf die Frage nach den intertextuellen Abhängigkeitsverhältnissen zu versteifen, sollen die beiden Romane als zwei literarhistorisch zwar nahestehende, aber doch eigenständige Entwürfe betrachtet werden, die sich auf Basis ihres mythischen Substrates auf je eigene Weise am selben historischen Bezugsproblem abarbeiten: dem zweifelhaften Status der Minne, die offenbar weder verlustfrei mit der höfischen Ordnung in Einklang gebracht, noch je vollständig aus dieser - auch raumsymbolisch - ausgegrenzt werden kann. Der enge Vergleich verspricht zu zeigen, wie der ›Lanzelet‹ zunächst einen anderen Weg als der ›Erec‹ einschlägt, indem er an die Stelle der Desintegration der zuvor eingeführten differentiellen Ordnung die optimistischere Vision einer mythischen Verbindung der Gegensätze in der Minne setzt, zum Schluss hin aber gleichwohl in einer ähnlichen zirkulären Erzählform einmündet, in der Ausgangs- und Endsituation letzthin ununterscheidbar sind. 287 S töRmeR -c aySa , Grundstrukturen, S. 176. Vgl. ähnlich auch S chulz , Erzähltheorie, S. 271: »Austauschbar sind die Helden des Artusromans, und im Blick auf ihre Funktion, die Welt so zu bewahren, wie sie sein soll, in der Unterscheidung zwischen dem Höfischen und dem Nicht-Höfischen, sind sie eigentlich alle zusammen nur ein Held in einem sich zyklisch immergleich gestaltenden Kosmos. Andererseits sind sie durch ihren je eigenen Weg, dem je eigene Abenteuer zugeordnet sind, und durch ihre Statusveränderung vom jungen unerfahrenen Ritter zum verheirateten Landesherrscher, Teile einer Welt, die auf ein Ziel hin ausgerichtet ist. […] In diesem Sinne ist die Struktur des Artusromans zyklisch und teleologisch zugleich.« 288 Auf die Nähe von metonymisch-paradigmatischem und mythischem Erzählen weisen h aFeRland / S chulz , Metonymisches Erzählen, S. 12, v. a. Fn. 28, hin. 289 S chelling , Einleitung, S. 182; vgl. hierzu c aSSiReR , Philosophie, S. 129-145, v. a. S. 131. 290 Vgl. ähnlich, mit Bezug auf den ›Parzival‹ Wolframs von Eschenbach, auch S töRmeR -c aySa , Grundstrukturen, S. 175. 3.1 Zu Forschungslage und Vorgehen 135 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven* 3.1 Zu Forschungslage und Vorgehen 3.1.1 Der ›Lanzelet‹ als Gegenstand der Mythosforschung Der Versuch, den ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven auf eine mythische Erzähltradition zurückzuführen, ist beinahe so alt wie die Forschungsgeschichte des Textes selbst. 1 Gustav e hRiSmann widmete sich dem Text bereits 1905, um, ausgehend von diesem Beispiel, darzulegen, wie in den höfischen Romanen verschiedene Motive und Episoden kompiliert würden, deren Ursprünge mehrheitlich in der keltischen Mythologie zu suchen seien. Dass e hRiSmann s Ausführungen dabei ausgerechnet bei Ulrich ansetzen, verdankt sich einer Einschätzung, die auch das Urteil der nachfolgenden Forschergenerationen prägen sollte, dass nämlich in Ulrichs Roman ›»der rohstoff am wenigsten künstlerisch verarbeitet« sei, dass also der ›Lanzelet‹ zwar nicht an die ethischen und ästhetischen Maßstäbe seiner Zeit heranreichen könne, dafür aber der ursprüngliche Motivbestand hier umso klarer und unverfälschter hervortrete: »hier stehen die episoden noch deutlich isoliert nebeneinander, hier herrscht noch die freude vor an den bunten bildern und noch ist die materie nicht an einer einheitlichen idee umgebildet« 2 . e hRiSmann s Arbeit beläuft sich im Wesentlichen auf eine Zusammenstellung derjenigen Episoden, die seiner Einschätzung nach deutlich »im märchentone gehalten« 3 und damit aus keltischen Traditionen ableitbar seien. Mit dieser Stoßrichtung ebnete e hRiSmann den Weg für eine ganze Reihe von Arbeiten, die seinem Vorgehen entweder mehr oder weniger treu verpflichtet blieben 4 - wobei seine noch weitgehend spekulative Argumentation z. T. durch konkrete Vergleichsstellen in insularen Quellen untermauert werden konnte 5 - oder 1 Einen fundierten Überblick über die gesamte Forschungsgeschichte bis 2006 bietet K Ragl , Forschungsbericht, S. 897-1057; vgl. auch W enneRhold , Artusromane, sowie l oRenz , Raumstrukturen, S. 7-25. 2 e hRiSmann , g., Märchen, S. 15. Vgl. hierzu z. B. die Einschätzungen von Ó R iain -R aedel , Untersuchungen, S. 7 passim, und F uncKe , Morgain, S. 16-22, die in ähnlicher Weise den Wert des ›Lanzelet‹ für die Forschung vor allem in seiner motivgeschichtlichen Urtümlichkeit sehen. 3 e hRiSmann , g., Märchen, S. 27. Mit ›Märchen‹ ist hier nicht der spezifische durch Fiktionalität gekennzeichnete Gattungsbegriff der Neuzeit aufgerufen. Vielmehr bezieht sich e hRiSmann auf jene Erzählungen der irischen Volkssage, die hinsichtlich ihrer gemeinschafts- und ordnungsstiftenden Funktion durchaus Verbindlichkeit beanspruchen und die darin dem Mythos sehr nahe stehen. Für die höfischen Dichter allerdings sei, so e hRiSmann , diese Verbindlichkeit weitestgehend verblasst: »Für sie waren es nur mehr freie phantasiegebilde, poetische motive, lediglich literarische formeln« (e hRiSmann , G., Märchen, S. 14, Fn. 1; Hervorhebung im Original). 4 Beispielhaft genannt seien B RacheS , Jenseitsmotive, und h aaSch , Das Wunderbare. - Einen vollständigen Überblick über die Forschungen zum ›Lanzelet‹ in motivgeschichtlicher Perspektive gibt K Ragl , Forschungsbericht, S. 938-955. 5 Hier ist vor allem auf den an Materialdichte unüberbotenen Kommentar in W eBSteR / l oomiS , Lanzelet, S. 155-232, zu verweisen. * Zitiert wird der normalisierte Text nach der Leithandschrift W (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2698, um 1320/ 30, alemannischer Raum). Wo die zweite vollständig erhaltene Handschrift P (Heidelberg, Universtitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 371, datiert 1. Februar 1420, niederalemannisch/ elsässisch) bedeutungsrelevante Varianten bietet, werden diese ggf. im Haupttext bzw. in den Fußnoten diskutiert. Zur Überlieferungslage vgl. auch Kapitel 3, Fn. 13. 136 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven aber diesen strikt stoff- und motivgeschichtlich orientierten Zugang zu erweitern suchten, indem nun auch Parallelen strukturellen Art in die Betrachtung einbezogen wurden. 6 Hier wie dort war man weniger darum bemüht, das Sinngefüge des Textes in seiner historischen Situation zu erhellen, als ihn vielmehr auf eine vorgängige - und damals schon fremdartigen - keltische Erzähltradition hin transparent zu machen. Dass man dabei mehr als einmal über das Ziel hinausgeschossen ist, ist hinlänglich bekannt. Keltische Quellen wurden auch dort mit Nachdruck behauptet, wo mit gleicher, wenn nicht größerer Plausibilität Bezüge hergestellt werden konnten, die zwar ebenfalls auf mythische Ursprünge, aber doch in andere Kulturkreise verweisen. So hat man etwa für die zentrale Dodone-Episode, in der Lanzelet seine (Haupt-)Frau Iblis erwirbt, mehrfach einen Zusammenhang einerseits mit dem sizilianischen Toponym ›Hybla‹ (abgeleitet von der antiken Göttin gleichen Namens), andererseits mit dem Zeuskult im griechischen Dodona (das bereits in Carm. Bur. 119,4 mit Hybla in Verbindung gebracht wird) vermerkt, 7 die beide schließlich in Ulrichs Text »in welcher Weise immer zu einem merkwürdigen Geflecht verwoben wurden« 8 . l oomiS allerdings sieht in der Verknüpfung mit der antiken Mythologie nur einen Firnis. Der eigentliche motivgeschichtliche Hintergrund sei tatsächlich im walisischen Snowdonia (walisisch Caer Seint) zu suchen. 9 »Tertium comparationis ist für l oomiS die Tatsache, dass sowohl in einer walisischen Tradition als auch im ›Lanzelet‹ ein Traum der Auslöser für Liebe ist […]. Im Vergleich zu den […] antiken Parallelen kann l oomiS ’ bemüht ausladende Beweisführung jedoch kaum überzeugen und erweckt den Eindruck, als würde er seine Herkunftshypothese des Lanzelet-Stoffes aus der Gegend um Caer Seint um jeden Preis festigen und gegen andere Optionen verteidigen wollen« 10 . Entsprechend wurden auf der Seite der strukturanalytischen Forschung auch solche Strukturmuster und Erzählschemata als genuin keltisch ausgegeben, die sich bei genauerer Betrachtung als reichlich unspezifisch und allgemein erwiesen haben. 11 Offenbar war man darum bemüht, den Nachweis der ›Keltizität‹ der ›Lanzelet‹-Erzählung gegen alle Widerstände durchzusetzen. Man mag darin den Versuch erkennen, Ulrichs Text aus dem forschungsgeschichtlichen Dilemma hinauszumanövrieren, in dem er sich bis weit in die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts hinein befand: Der ›Lanzelet‹ galt als minderwertiger Text, man sah in ihm »the work of an uninspired translator of an uninspired original«, sprach ihm eine »crude composition and archaic diction« 12 zu. Gleichzeitig aber konnte man die zeitgenössische Bedeutung des Textes kaum in Abrede stellen, die zwar nicht in einer breiten Überlieferungslage 13 , wohl aber in einer ganzen Reihe historischer Rezeptionszeugnisse gut dokumentiert ist. 14 Man kam also nicht umhin, sich dem unge- 6 Vgl. etwa W achSleR , The Celtic Concept; Ó R iain -R aedel , Untersuchungen. 7 S ingeR , Bemerkungen, S. 430-432; vgl auch S chmid , Mutterrecht. 8 K Ragl , Forschungsbericht, S. 1093. 9 W eBSteR / l oomiS , Lanzelet, S. 196-198. 10 K Ragl , Forschungsbericht, S. 1093. 11 Vgl. dazu die Kritik in K Ragl , Forschungsbericht, S. 945-951. 12 S PaRnaay , Hartmann, S. 436-439. 13 Der Text ist in zwei vollständigen (W, P) und vier fragmentarischen (B, S, G K , G) Handschriften überliefert. Zur Überlieferung vgl. ausführlich K Ragl , Einleitung; dort auch die Aufschlüsselung sämtlicher Handschriftensiglen. 14 Die mittelalterliche Rezeption ist ausführlich in K Ragl , Forschungsbericht, S. 1062-1069, nachgezeichnet. - Neben der Nennung einiger Figuren- und Ortsnamen aus dem ›Lanzelet‹ in anderen höfischen Texten und der Erwähnung Ulrichs von Zatzikhoven in zeitgenössischen Literaturkatalogen (zweimal alleine bei Rudolf von Ems: WvO 2193-2195, Al 3199-3204), spricht vor allem das Zitat der Ein- 3.1 Zu Forschungslage und Vorgehen 137 liebten Gegenstand zu stellen. So bemühte man sich offenkundig darum, den Text dadurch zu nobilitieren, dass man ihn so weit wie möglich an jenen Kulturkreis heranrückte, in welchem man die Wiege der arthurischen Tradition selbst erkannte. Wenn man schon an der künstlerischen Qualität des Romans zweifelte, so wollte man ihn doch zumindest als besonders ursprungsnah und authentisch ausweisen können. Florian K Ragl hat zuletzt den Sinn einer solchen Vorgehensweise entschieden in Frage gestellt: »Bei all dem sollte jedoch nicht übersehen werden - was häufig übersehen wurde -, dass alle diese Arbeiten streng genommen nicht das Geringste zur Erklärung oder zum besseren Verständnis des Textes beitragen. Nur weil der ›Lanzelet‹ beispielsweise Elemente tradiert, die ursprünglich aus der keltischen Mythologie stammen konnten, ist der ›Lanzelet‹ noch lange kein mythischer Text. Die diachron sichtbaren Zusammenhänge spielten um 1200 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht die geringste Rolle.« 15 Diese Feststellung lässt freilich offen, was es überhaupt sei, dass einen Text zu einem ›mythischen Text‹ macht. Wenn K Ragl bemerkt, dass eine (mögliche) Verankerung in keltischen Traditionen hierzu nicht hinreiche, um im nächsten Satz das fehlende Bewusstsein der Zeitgenossen um die diachronen Zusammenhänge zu betonen, dann erweckt dies den Eindruck, als setze er gerade dieses Bewusstsein als konstitutiv für die Mythizität der Texte an. Steht aber ein solches Wissen um historische Zusammenhänge nicht gerade im Widerspruch zu der durch Unmittelbarkeit geprägten Weltsicht des Mythos, wie sie beispielsweise von Ernst c aSSiReR herausgearbeitet wurde? Bleibt die Erkenntnis, dass erst - im Sinne der Rezeptionstheorie des Mythos - die Einbindung einer Erzählung in bestimmte Traditionszusammenhänge diese zu einer mythischen Erzählung mache, 16 nicht alleine dem außenstehenden Beobachter vorbehalten? Setzt ein kritisch-analytischer Mythosbegriff nicht eine Distanz gegenüber seinem Gegenstand voraus, wie man sie für dessen ursprüngliche Rezeptionsgemeinschaft, soweit sie für uns überhaupt rekonstruierbar ist, gerade nicht in Anschlag bringen kann? Und wenn das zeitgenössische Publikum des ›Lanzelet‹ nun doch um die historische Dimension der Stoffe gewusst hätte - würde das nicht im Umkehrschluss bedeuten, dass eine ›mythische‹ Form der Rezeption dadurch zumindest erheblich erschwert würde? Für ein ›mythisches‹ Verständnis des ›Lanzelet‹ benötigt man weder die Einsicht in die textgenetischen und motivgeschichtlichen Zusammenhänge noch einen reflektierten Mythosbegriff (ebenso wenig, wie es beispielsweise einer avancierten Metapherntheorie bedarf, um Metaphern ›intuitiv‹ verstehen zu können). Die Rezeptionshaltung der ursprünglichen Rezeptionsgemeinschaft jener mythischen Erzählungen, auf welchen die mittelalterlichen Artusliteratur aufruht, ebenso wie wohl noch die Rezeptionshaltung des zeitgenössischen Publikums Ulrichs rangieren auf einer völlig anderen Ebene als der moderne Mythosbegriff im Sinne einer literaturwissenschaftlichen Beschreibungskategorie. 17 gangsverse des ›Lanzelet‹ in der Autorenminiatur Alrams von Gresten in der Großen Heidelberger Liederhandschrift für die beachtliche historische Präsenz des Textes (311 r Cod. Pal. germ. 848 der Universitätsbibliothek Heidelberg). Die ältere Forschung allerdings hat dieses bemerkenswerte Rezeptionszeugnis nicht zur Kenntnis genommen: Erst S aloWSKy , Hinweis, machte 1975 darauf aufmerksam. 15 K Ragl , Forschungsbericht, S. 954. 16 Vgl. grundsätzlich, B lumenBeRg , Arbeit, sowie, speziell in mediävistischer Perspektive, h oFFmann , Arbeit, S. 23-46 (dort bezogen auf die Mythizität der Matière de Bretagne). 17 Es bietet sich an, diese Ebenen mittels der von Umberto e co eingeführten Unterscheidung von semantischer und kritischer Interpretation auseinanderzuhalten: »Die semantische oder semiosische Inter- 138 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven Deshalb empfiehlt es sich auch nicht, ein mögliches Bewusstsein um die Mythizität des Textes auf Seiten des historischen Publikums zum Kriterium eines literaturwissenschaftlichen Zugriffs zu erheben, welcher sich speziell für die Mythizität der hochmittelalterlichen Texte interessiert. Gleichwohl - und hierin ist K Ragl uneingeschränkt zuzustimmen - ist allein mit der Aufdeckung des diachronen Beziehungsgeflechts für das Verständnis des Textes wenig gewonnen. Die Forschung darf hierbei nicht stehenbleiben, sondern muss danach fragen, wie die Texte die tradierten Mythologeme für den eigenen Bedeutungsaufbau fruchtbar machen, wie sie also nicht nur ›am‹, sondern auch ›mit dem Mythos‹ arbeiten. Diese Problem stellt sich umso mehr, als die Mythologeme, wie K Ragl ebenfalls zu Recht betont, im deutschsprachigen Raum des 12. Jahrhunderts schon längst historisch fremd geworden sind, wenn sie es denn nicht schon immer waren. Gerade weil sich der kulturelle und pragmatische Kontext der Mythologeme in ihrer hochmittelalterlichen Rezeption radikal gewandelt hat, stellt sich die Frage, welche Interessen die höfische Adelskultur an diesen fremden Erzählformen und -stoffen entwickeln konnte - eine Frage, die keineswegs trivial ist, sofern man die Antwort nicht im reinen Unterhaltungswert und einer allgemeinen Lust am Exotischen suchen möchte. Um aber den forschungsgeschichtlichen Wert der motiv- und stoffgeschichtlichen Zugänge entsprechend zu würdigen (und sie gegenüber K Ragl s Kritik in Schutz zu nehmen), sei daran erinnert, dass sich diese Frage freilich erst dann sinnvoll formulieren lässt, wenn die mythischen Erzählelemente überhaupt als solche erkannt und beschrieben worden sind. 18 Einen Forschungsbeitrag zur Mythizität des ›Lanzelet‹, dem es erstmals dezidiert »nicht um die Provenienz mythischer Motive und Inhalte« geht, »sondern um ihre Strukturen und Funktionen«, lieferte erst Armin S chulz mit deutlichem zeitlichen Abstand zu den älteren motivgeschichtlichen Arbeiten. 19 S chulz s Ansatz besteht darin, »die mythischen Residuen im arthurischen Roman vor allem als Kristallisationspunkte einer Selbstvergewisserung der eigenen höfischen Kultur zu verstehen«. ›Mythisch‹ sind für S chulz , dem Tenor der neueren mediävistischen Mythosforschung folgend, vor allem solche Konstellationen, die der von c aSSiReR beschriebenen Strukturlogik der Konkreszenz entsprechen. Derartige Strukturmerkmale finden sich S chulz zufolge in einer Reihe von Weltausschnitten, denen allen gemein ist, dass sie in besonderer Weise von »der gewöhnlichen Welt abgesondert sind« (S. 421), doch sind diese Sonderräume noch einmal dahingehend zu differenzieren, dass es hier spezifisch männlich und spezifisch weiblich dominierte Bezirke gebe. Für die männliche Sphäre erkennt S chulz (mit m c l elland ) 20 eine gewisse Nähe zu dem um 1200 ebenfalls noch präsenten heldenepischen Register (S. 424). In der paradigmatischen Reihe der ersten Romanhälfte, in der es um die Durchsetzung des Exogamieprinzips unter gewaltsamer Beseitigung der dominanten Vätergeneration - Galagandreiz, Linier und Iweret - pretation ist Resultat des Prozesses, durch den der Adressat, angesichts der linearen Manifestation des Textes, diesen mit Sinn erfüllt. Die kritische oder semiotische Interpretation hingegen ist diejenige, mittels derer man zu erklären versucht, aufgrund welcher Strukturmerkmale der Text diese (oder andere) semantische Interpretationen hervorbringen kann« (e co , Grenzen, S. 43). Die Rezeptionshaltung der ursprünglichen Trägerschaft des Mythos, wohl auch noch des Publikums seiner hochmittelalterlichen Bearbeitungen dürfte demnach jener Form der Rezeption nähergestanden haben, die e co als ›semantisch‹ bezeichnet, während der moderne Mythosbegriff auf Strukturmerkmale zielt. 18 Eine theoretisch fundierte Aufarbeitung der Mythizität des Artusstoffes, die bisher meist eher spontan-assoziativ behauptet als kritisch reflektiert wurde, bietet neuerdings h oFFmann , Arbeit. 19 S chulz , Der neue Held, S. 420 f. (dort auch die folgenden Zitate). 20 Vgl. m c l elland , Narrative style, S. 105-110. 3.1 Zu Forschungslage und Vorgehen 139 gehe, werde zugleich durchgespielt, wie durch das Eindringen des Helden die verstockten Vater-Tochter-Beziehungen aufgebrochen und so die mythisch-ambivalenten Sonderräume der gewöhnlichen höfischen Welt eingemeindet werden: »Die Tötung der heroischen Vaterinstanz zerstört den kulturfeindlichen Nexus zwischen ihnen und ihren Töchtern; diese können dann mitsamt ihrer ererbten Territorien in die höfische Welt, deren Repräsentant der Held ist, eingegliedert werden.« (S. 428) Lanzelet erscheine so als Kulturbringer, der durch die gewaltsame (Re-)Integration der ehemals mythisch-patriarchal geprägten Weltausschnitte in die höfische Welt Eindeutigkeit herstelle: »Gerade weil die mythischen Weltausschnitte nicht eindeutig gut oder böse, zivilisiert oder naturhaft, höfisch oder nichthöfisch, sondern ambivalent sind, kann in ihnen der Held als derjenige vorgeführt werden, der mit brachialer Gewalt die kulturkonstitutive Grenzziehung innerhalb des zuvor Indifferenten vornimmt und somit Kultur schafft.« (S. 431) Die erste Romanhälfte inszeniere demnach einen Kulturationsprozess, bei dem die Verabschiedung des Mythos, d. h. die gewaltsame Aufhebung mythischer Ambivalenz zugunsten höfischer Eindeutigkeit, zugleich die Ablösung des archaisch-heroischen Kulturmusters durch das moderne höfische bedeute: »Die paradigmatische Variation des gleichen Grundmusters zeigt, worauf es […] ankommt - auf die Durchsetzung des durch Minne verbrämten Exogamieprinzips und auf die Etablierung eines nicht mehr heldenepisch geprägten Männlichkeitsideals, das von Kultiviertheit und Affektkontrolle geprägt ist, ohne dabei den Anspruch auf exorbitante, nötigenfalls regellose Kampfkraft aufzugeben.« (Ebd.) 21 Es stellt sich dabei die Frage, worin eigentlich das heroische Register sich äußert, wenn nicht in »exorbitante[r], nötigenfalls regellose[r] Kampfkraft«. Immerhin scheint die Überwindung der dominanten Vätergeneration ein Verhaltensmuster einzufordern, das augenscheinlich mit allem bricht, was man etwa von den Artusromanen Hartmanns von Aue her als Eckpfeiler höfisch-ritterlicher Ethik zu kennen glaubte: Iweret, der gerte dô eines vrides an den jungen. dem degen unbetwungen was niht swacher suone kunt. […] hi wart Iweret geslagen, 21 Daneben gebe es, so S chulz , auch »[u]ngefährdete Residuen des Mythischen« wie das Feenreich und das Königreich Pluris, die im Gegensatz zu den mythisch-patriarchalen Weltbereichen allerdings weiblich besetzt seien. Auch diese weiblich dominierte Sphäre sei ambivalent, insofern sie einerseits den ritterlichen Tatendrang allererst ermögliche (es ist der Auftrag der Meerfee, der Lanzelet dazu veranlasst, gegen Iweret anzutreten, und erst durch Iblis erfährt er von der Drachenkuss-Aventiure) wie sie andererseits auf diesen auch restriktiv wirke (eindrücklich vorgeführt in der Schadil-li-mort -Episode, vgl. ebd. S. 435). Die Konfrontation mit und Emanzipation von dieser Sphäre ziele demnach nicht, wie noch die paradigmatische Väter-Reihe, auf die Annektierung des Mythischen durch das Höfische, sondern vielmehr, so S chulz , auf eine »vom Programm höfischer Kultur her codiert[e]« rite de passage des Helden (ebd., S. 436). 140 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven daz er undankes nider kam. der vremde es guote war nam und liez in nie wider ûf komen, ê er im hæt benomen beidiu lîp und êre. nuo, waz welt ir mêre, wan daz er im daz houpt abe sluoc? (La 4542-4557) Lanzelets Vorgehen wird - anders etwa als die Tötung Askalons in Hartmanns ›Iwein‹ 22 - weder durch den Erzähler, noch durch eine der Figuren (durch Iwerets Tochter zumal! ) in irgendeiner Weise verurteilt, im Gegenteil: Als Erfüllung sämtlicher publikumsseitiger Erwartungen will der Erzähler es verstanden wissen (La 4556 f.), eine mögliche Gegnerschonung wird als swache[ ] suone (La 4545) abqualifiziert. 23 Tatsächlich entspricht dieses Vorgehen auch dem wohlwollenden Rat der Ziehmutter Lanzelets, instruiert diese den jungen Ritter doch, seine Waffe im Gefecht mit nîde (La 369) zu führen, um desto verhehrenderen Schaden an der Rüstung seines Gegners zu verursachen. S chulz zufolge ist der sprichwörtliche zorn (La 63 passim) des Helden das »heroische[ ] Merkmal schlechthin« 24 . Die semantische Nähe von zorn und nît dürfte jedoch kaum zu übersehen sein: » nît ist ebenso wie der zorn die Umsetzung der zornigen Erregung in kriegerisches Engagement, die Kanalisierung der Unbeherrschtheit in Kampfeskraft.« 25 Wenn aber der vorbildlichkrisenlose Ritter, als der Lanzelet doch offenbar gelten soll, dazu angehalten ist, sich im Kampf von eben jenen destruktiven Affekten leiten zu lassen, die S chulz zufolge gerade für den Heros kennezeichnend sind, dann wird fraglich, ob und wie überhaupt sinnvoll zwischen heroischen und höfisch-ritterlichen Mustern unterschieden werden kann. Das legt es nahe, das Problem des Mythischen anders anzugehen, als S chulz dies vorschlägt: Weniger ist von einer narrativen Verlauf vom ›Heroisch-Archaischen‹ hin zum ›Höfisch-Modernen‹ auszugehen, also vielmehr von einer Kopräsenz nicht nur verschiedenartiger, sondern auch widersprüchlicher Verhaltensdispositionen im ›Hier-und-Jetzt‹ des Höfischen. Gerade diese Ambivalenz begründet die strukturelle Affinität von Mythischem und Höfischen. Es ist also weniger danach zu fragen, wie die literarische Imagination den Zustand mythischer Archaik zugunsten höfischer Moderne überwindet, sondern vielmehr danach, wie sie mit dieser Ambivalenz umgeht, die doch dem höfischen Weltentwurf selbst 22 Vgl. etwa Iw 2274-2277: ir habt den künec Ascalôn, / ir vil lieben man, erslagen: wer solt iu des genâde sagen? / ir habt vil grôze schulde. 23 Die Selbstverständlichkeit, mit der der Erzähler die rhetorische Frage La 4556 f. an seine - imaginäre - Rezipientenschaft richtet, gibt zu denken, was seitens des empirischen Publikums Ulrichs tatsächlich als das Erwartbarere gelten darf: das christlich geprägte ritterliche Schonungsgebot oder doch eher die rigorose, dem feudalen Kreigerethos verpflichtete Vorgehensweise, wie Lanzelet sie an dieser Stelle an den Tag legt? Der Widerspruch zwischen beiden Positionen ließe sich allenfalls dadurch auflösen, dass man die Äußerung des Erzählers als ironisch wertet. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass für diese Lesart im Grunde nicht sehr viel mehr spricht als eben die beobachtete Diskrepanz gegenüber den Konzeptionen Hartmanns oder auch Wolframs, und es stellt sich die Frage, ob und inwieweit sich der ›Lanzelet‹ von den sog. ›Klassikern‹ her verstehen lässt. Textintern jedenfalls fehlt, soweit ich sehe, an dieser Stelle jedwedes Ironiesignal. 24 Vgl. S chulz , Der neue Held, S. 424. 25 Vgl. g RuBmülleR , Historische Semantik, v. a. S. 60-63, hier S. 61. Als Unterscheidungsmerkmal zwischen nît und zorn benennt g RuBmülleR für die weltlich-heroische Tradition (für den geistlichen Kontext gelte anderes) allenfalls die stärkere Tendenz zur formelhaften Verfestigung im Falle von nît (ebd.). 3.1 Zu Forschungslage und Vorgehen 141 (und nicht etwa nur dessen archaischem Widerpart, von dem er sich abzugrenzen sucht) stets eingeschrieben ist. 26 3.1.2 Zum Verhältnis von ›Lanzelet‹ und ›Erec‹ Die motivische Nähe zwischen ›Lanzelet‹ und ›Erec‹ wurde, wie die keltischen Bezüge auch, schon früh und kontrovers diskutiert. Dabei war wiederum weniger das Bestreben leitend, intertextuelle Verweise für die Textinterpretation fruchtbar zu machen, als die Frage nach der kanonischen Hierarchisierung der frühen deutschen Artusromane: Für die eine Partei ging es um den Nachweis des Epigonentums Urichs, das jedoch schon im Vorfeld mehr oder weniger als gesichert galt - entsprechend fragwürdig fiel dann auch das methodische Vorgehen dieser Untersuchungen aus. 27 Auf der anderen Seite sah man die Verhältnisse genau umgekehrt: Ulrich als den Gebenden, Hartmann als den Nehmenden 28 - doch auch hier konnten die letzten Zweifel nicht aus dem Weg geräumt werden. 29 Intertextualität wurde nicht als eine spezifisch literarische, die Grenzen des Einzeltextes überschreitende Sinnstiftungsstrategie verstanden, sondern als Kriterium für die literarische Wertung herangezogen: Der frühere Text galt als der bessere weil originellere. Die Partei, die sich gegen die Vorstellung von Ulrich als Epigonen Hartmanns stellte, vertrat also letztlich dieselbe Intention wie die Forschung zur keltischen Motivik im ›Lanzelet‹: Wiederum sollte Ulrichs Text dadurch aufgewertet werden, dass man ihn zu einem möglichst ›ursprünglichen‹ Artusroman stilisierte. Erst in den 1970er Jahren kam es allmählich zu einem Paradigmenwechsel: Nun galt das Interesse nicht mehr allein an den Abhängigkeitsverhältnissen des Romans zu anderen literarischen und vorliterarischen Prätexten, sondern vor allem der »Analyse gegenstandsinterner Relationen« 30 . Der ›Lanzelet‹ stellt aber nicht nur - wie die strukturalistische Forschung nach und nach, dafür aber umso deutlicher zeigen konnte - ein dichtes Gefüge intratextueller Sinnverweisungszusammenhänge dar, sondern steht in einem ebenso dichten Netz intertextueller Bezüge. Wer hier wen zitiert - Ulrich Hartmann, Hartmann Ulrich oder beide eine möglicherweise gemeinsame dritte Quelle -, wird sich kaum endgültig entscheiden lassen. 31 Fest steht aber, dass beide Texte in erheblichem Maße aus demselben 26 Dies betrifft freilich nicht nur das kriegerische Gewalthandeln, sondern in ähnlicher Weise auch das Problem der Minne, wie das Beispiel des ›Erec‹ bereits gezeigt hat. 27 S chilling , de usu dicendi; n eumaieR , Lanzelet. 28 g Ruhn , Erek. 29 Vgl. die Kritik an g Ruhn in z WieRzina , Studien, sowie den daran anschließenden Disput zwischen J el lineK , Erec und Lanzelet, und z WieRzina , Brief. Zusammenfassend zur Datierungs- und Prioritätsfrage vgl. K Ragl , Forschungsbericht, S. 901-907; zum Verhältnis ›Erec‹ - ›Lanzelet‹ ebd., S. 1055-1057. 30 P éRennec , Lanzelet, S. 133. 31 Dass man gemeinhin dennoch dem ›Erec‹ den zeitlichen Primat zuspricht, »ergibt sich vor allem aus der heute üblichen Chronologie der höfischen Epik, die den ›Erec‹ wesentlich vor 1194 setzt« (K Ragl , Forschungsbericht, S. 903), während die Anspielung auf die Gefangenschaft und Befreiung Richards Löwenherz in der Quellenberufung Ulrichs (vgl. La 9322-9341) den Terminus post quem für den ›Lanzelet‹ »allerfrühestens auf das ausgehende 1193« festlegen (K Ragl , Forschungsbericht, S. 902). - Für eine entschieden spätere Datierung - womit die Frage nach den Abhängigkeitsverhältnissen wohl endgültig vom Tisch wäre - hat sich zuletzt Peter a ndeRSen , Die Lancelot-Sage, ausgesprochen. Sein stichhaltigstes Argument dürfte Ulrichs Erwähnung in zwei Dichterkatalogen bei Rudolf von Ems sein (um 1235), die allem Anschein nach »nicht hierarchisch, sondern chronologisch« (S. 451) organisiert sind und die den ›Lanzelet‹-Dichter im Umfeld von Bligger von Steinach und Wirnt von Grafenberg einordnen. Wenn auch dieser Beleg einiges Gewicht hat, so ist dem Rest von a ndeRSen s Ausführungen 142 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven Motivfundus schöpfen - ganz gleichgültig, wie die Wege der Beeinflussung im Einzelnen nun tatsächlich gelaufen sein mögen. Doch nicht nur im Hinblick auf den gemeinsamen Motivbestand, auch zeitlich und räumlich (beide gehören in den alemannischen Raum, das historische Herzogtum Schwaben) gibt es enge Verbindungen. ›Erec‹ und ›Lanzelet‹ bewegen sich also vor einem gemeinsamen Sinnhorizont und wurden, wenn nicht von demselben, 32 so doch zumindest von einem sehr ähnlichen Publikum aufgenommen. Dies alleine reicht aus, um die beiden Romane in einer vergleichenden Analyse aufeinander zu beziehen, ohne sich dabei in die müßige Frage nach textgenetischen Abhängigkeitsverhältnissen versteigen zu müssen. Indem nachgezeichnet wird, wie die beiden Texte dieselben Erzählelemente inhaltlicher und struktureller Art in teils ähnlicher, teils aber auch diverdoch eher zu misstrauen. Seine Überlegungen folgen der Annahme, dass für die uns überlieferten Texte keine früheren Versionen als die uns tatsächlich erhaltenen zu veranschlagen seien, und zwar offenbar schon deshalb, weil es eben keine schriftlichen Zeugnisse älterer Vorstufen gibt. a ndeRSen sieht sich als Vertreter einer neuen ›rationalen‹ - und das mag in diesem Fall wohl heißen: ökonomischeren - Philologie (als würden andere philologische Schulen nicht auch ›rational‹ vorgehen), geht es ihm doch explizit um den Nachweis, »dass man immer ohne postulierte Vorstufen und ohne Mündlichkeit klarkommen kann« (S. 457). Weniger Postulate, mehr Gewicht auf das, was uns de facto vorliegt - so ehrbar dieser Vorsatz klingt, er hat allein den Haken, dass ihm die Selbstaussagen zahlreicher mittelalterlicher Erzähler entgegenstehen, die sich allesamt auf Quellen berufen, die entweder von vornherein nur mündlich tradiert wurden oder deren schriftliche Gestalt uns schlicht verloren gegangen ist. Zwar ist es der Erzählinstanz eines - mehr oder weniger - fiktionalen Textes durchaus zuzutrauen, dass sie auch in Bezug auf die Quellenfrage im Modus fiktionaler Rede spricht (so vermutlich im Falle von Wolframs von Eschenbach ›Kyot‹-Exkursen), doch wird dieses vermeintlich schlanke und ökonomische Modell in der Masse mit einem Mal äußerst voraussetzungsreich: Nicht nur Wolfram, auch Chrétien de Troyes, Wirnt von Grafenberg, der Dichter der Nibelungenliedes und schließlich auch Ulrich von Zatzikhoven - sie alle hätten, wenn es nach a ndeRSen geht, ›geflunkert‹, was die von ihnen verwendeten Stoffvorlagen betrifft. Der ›Lanzelet‹ wäre demnach nicht die Bearbeitung einer Stofftradition, die Ulrich um 1293 durch eine der Geiseln Richards I. kennenlernte, sondern vielmehr eine Huldigung an den jungen Stauferkaiser Friedrich II. auf der Grundlage des deutlich späteren französischen ›Lancelot propre‹ (B RandSma / K naPP , Lancelotromane, S. 394, datieren ihn »auf ca. 1215-1225«; die Kaiserkrönung Friedrichs II. fand am 22. November 1220 statt, der in a ndeRSen s Modell damit als terminus post quem für die Enstehung des ›Lanzelet‹ gelten muss). Eine Frage, die sich bei diesem Konstrukt geradezu aufdrängt, kann freilich auch a ndeRSen mit seinem ›rationalen‹ Modell nicht beantworten und überantwortet sie stattdessen zukünftigen Interpreten: »Was bedeutet der Hinweis auf die Gefangennahme des englischen Königs, wenn alles eine Quellenfiktion ist? « (S. 464). - Eine Lesart von Urlichs ›Lanzelet‹, die diesen weder auf den ›Lancelot propre‹ als dessen unmittelbare Vorlage, noch auf das in La 9341 erwähnte welsche buoch von Lanzelete bezieht, sondern darin eine »bewusste Auseinandersetzung« mit der durch Chrétiens ›Karrenritter‹ repräsentierten Stofftradition sieht, schlägt neuerdings B aRton , Lanzelet, vor (hier S. 158). Demnach würde der ›Lanzelet‹ die ältere Version des Stoffes und insebsondere den darin enthaltenen Konflikt des Helden mit König Artus als »Schattengeschichte« (ebd., S. 164 passim) zwar immer wieder »an-, aber nicht auserzähl[en]« (ebd., S. 169 passim). 32 So wurde für beide Autoren etwa eine gemeinsame Gönnerschaft durch Berthold V. von Zähringen in Betracht gezogen; vgl. B äRmann , ulrich von Zatzikhoven, der allerdings ›Zatzikoven‹ gegen die vorherrschende Meinung nicht im thurgauischen Zezikon (heute ein Ortsteil von Affeltrangen im Bezirk Weinfelden), sondern in Zezingen im heutigen Markgräflerland im südlichen Baden-Württemberg sieht. Als Hauptargument gegen diese Hypothese, die ansonsten nicht mehr oder weniger plausibel sei als die Communis Opinio, führt K Ragl , Forschungsbericht, S. 901, an, dass sie »keine zeitgenössische Urkunde auf ihrer Seite« habe: Ein Ůlrich von Cecichon ist in Zezingen erst später, zwischen 1278 und 1280, bezeugt (B äRmann s Hypothese zufolge könnte es sich um einen Nachkommen des ›Lanzelet‹-Autors handeln), während für den Thurgau ein capellanus Uolricus de Cecinchovin, plebanus Loumeissae (Leutpriester im heutigen Lommis) bereits in einer auf den 29. 03. 1214 datierten Urkunde erwähnt wird. - Zur Forschungslage zur Autorschaft des ›Lanzelet‹ vgl. K Ragl , Forschungsbericht, S. 897-907. 3.1 Zu Forschungslage und Vorgehen 143 gierender Weise in ihre jeweiligen Sinnsysteme integrieren, lassen sich die Spezifika des Einzeltextes wie auch der Gattung - verstanden als ein offenes Ensemble von Texten mit gemeinsamer ›Familienähnlichkeit‹ - umso deutlicher als solche herausarbeiten. 3.1.3 Der ›Lanzelet‹ und das Raumparadigma Das Gros der Untersuchungen zum ›Lanzelet‹ hat sich bisher vor allem auf die Figur des Helden konzentriert und dabei immer wieder auf das Fehlen eines Moments personalen Versagens hingewiesen, wie man es vor allem aus den Romanen Chrétiens, Hartmanns und Wolframs kannte. Das Diktum vom ›krisenlosen Helden‹ ist inzwischen fast schon zu einem Gemeinplatz der ›Lanzelet‹-Forschung geworden. 33 Demgegenüber soll die hier angestrebte, intertextuell vergleichende Lektüre nicht protagonistenorientiert vorgehen, sondern wiederum das Problem des narrativen Raums in den Mittelpunkt stellen. Der Raumstruktur des ›Lanzelet‹ hat sich zuletzt ausführlich Kai Tino l oRenz in einer einschlägigen Monographie gewidmet. 34 Im Gegensatz zu früheren Arbeiten zur Kategorie des Raumes in mittelalterlichen Erzähltexten, wie etwa der Studie Andrea g laSeR s 35 , die zwar »gleichgestaltete Raumtypen in unterschiedlichen Romanen« aufzeige, dabei »aber kein zusammenhängendes Bild der Konstruktionsarten [des Raumes] innerhalb eines Werkes« 36 gebe, ist es l oRenz ’ erklärtes Ziel, »den gesamten innerhalb eines Romans eröffneten Raum […] auf seine grundlegenden Strukturmuster hin zu untersuchen« (S. 49). Ähnlich wie g laSeR entwirft l oRenz ein Raster unterschiedlicher Raumtypen, mittels dessen er Ulrichs Text vollständig auf seine unterschiedlichen Raumvorstellungen hin aufzuschließen sucht. Namentlich unterscheidet l oRenz drei Raumtypen: »1. Räume, die vornehmlich durch die Bewegung des Helden gekennzeichnet sind, werden mit dem Begriff Transiträume erfasst. 2. Räume, die den Übertritt des Helden von einer Raumart in eine andere verhandeln, sind Schwellenräume. 3. Innerhalb des poetischen Raumes fixierte Räume mit einer spezifischen figurenräumlichen Konstellation werden als Gesellschaftsräume bezeichnet.« (S. 58) An dieser Typologie des poetischen Raumes orientiert sich denn auch die Gliederung seiner Arbeit, indem die einzelnen Raumsegmente der erzählten Welt nacheinander den genannten Rubriken zugeordnet werden. So gelingt es ihm zwar, die räumliche Konstruktion und Organisation der Erzählung mehr oder weniger vollständig zu erfassen. 37 Insofern 33 Vgl. den programmatischen Titel des ›Lanzelet‹-Kapitels in m eRtenS , Artusroman, S. 88-100. 34 l oRenz , Raumstrukturen. Die räumliche Ordnung des Textes spielt freilich schon bei S chulz , Held, eine gewichtige Rolle, doch geht es ihm eher um die globalen Makrostrukturen der erzählten Welt. Der Blick in die erzählerischen Details scheint hier lohnend, insbesondere wenn es um das Verhältnis des ›Lanzelet‹ zu dem als Vergleichstext gewählten ›Erec‹ Hartmanns von Aue geht. Darüber hinaus bleibt auch das Verhältnis von räumlicher und zeitlicher Ordnung der Dodone-Episode noch genauer zu beleuchten, die bei S chulz bisweilen argumentativ kurzgeschlossen werden (vgl. etwa S. 429). 35 g laSeR , Held. 36 l oRenz , Raumstrukturen, S. 50 (dort auch die folgenden Zitate). 37 Es fällt auf, dass gerade die für die Frage nach der Raumdarstellung und -wahrnehmung im Mittelalter so interessante ›Wunderreihe‹ (so die Terminologie l oRenz ’) - man denke etwa an den ›Wilden Ballen‹ mit seiner eigentümlichen perspektivischen Verkehrung (La 8100-8134) - nur in einem relativ knappen Exkurs abgehandelt wird (l oRenz , Raumstrukturen, S. 284-291). Offenbar sperren sich diese topographischen ›Sonderfälle‹ gegen eine reibungslose Einordnung in das von l oRenz entwickelte Schema aus Transit-, Schwellen- und Gesellschaftsraum. Hier hätte möglicherweise die systematisch 144 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven aber der Gang der Untersuchung an der von ihm entwickelten Systematik ausgerichtet ist und nicht etwa am Handlungsverlauf, ergibt sich bisweilen ein sehr fragmentarischer Eindruck der räumlichen Strukturen des Romans. So wird etwa die zentrale ›Dodone‹-Episode nicht als eine zusammenhängende narrative Einheit analysiert, sondern die Bestandteile ihres Raumarrangements den jeweiligen Aspekten der einzelnen Raumtypen behandelt, und zwar an ganz unterschiedlichen Stellen der Untersuchung: S. 138-141 widmet sich dem Kloster zer Jæmerlîchen Urbor als Schwellenraum, den Lanzelet vor seiner Ankunft bei Dodone passieren muss; als »per se dislokaler« (S. 181) Schwellenraum wird später auch das Minnezelt behandelt, das Lanzelet und Iblis nach der gemeinsamen Flucht aus Iwerets Herrschaftsgebiet von der Botin der Meerfee geschenkt bekommen (S. 181-191); Dodone als Gesellschaftsraum »vor dem Konflikt« wird S. 225-233 thematisiert, während S. 250-255 Dodone unter dem Aspekt der »figurenräumlichen Veränderung« betrachtet. Die einzelnen Raumaspekte werden also isoliert voneinander in den Blick genommen, so dass ein »zusammenhängendes Bild« des poetischen Raumes, wie l oRenz es eigentlich anstrebt, für die Episode 38 gerade nicht entsteht. Im Gegensatz hierzu soll im Folgenden ein anderer Ansatz gewählt werden. Weder geht es darum, die Frage, »in welchen phänotypischen Varianten Raum [in Ulrichs Roman] ausgeprägt« (S. 5) sei, abschließend zu erörtern; noch ist die Untersuchung, wie etwa die Arbeiten von l oRenz und g laSeR , vornehmlich daran interessiert, »Raumvorstellungen in ihrem Eigenwert« 39 zu erfassen. Vielmehr geht es um den Problemkomplex, inwieweit der Text an den virulenten Diskursen seiner Zeit partizipiert und wie sich dies in der räumlichen Organisation der Erzählung niederschlägt, welche Ordnungsvorstellungen darin sichtbar werden und wie diese Ordnungsvorstellungen wiederum durch die Einführung nicht-differentiell konstituierter, ›mythischer‹ Raumsegmente problematisiert oder zumindest dynamisiert werden. Insofern die Frage nach dem narrativen Raum der Frage nach der Funktionalisierung des Raumes untergeordnet ist, fällt die Untersuchung möglicherweise hinter den Anspruch zurück, Raum als basale Kategorie der Erzählung ›in ihrem Eigenwert‹ zu würdigen. Doch verspricht gerade ein solches Vorgehen, indem es die räumliche Ordnung auf den thematischen Problemhorizont des Textes bezieht, deren Analyse umso mehr für die Textinterpretation fruchtbar zu machen. 40 Die Beobachtungen sind mithin in spezifischer Weise perspektiviert und damit notwendig selektiv. Statt also, wie l oRenz , zu versuchen, die Raumkonzeption des ›Lanzelet‹ in ihrer Gesamtheit zu beschreiben, wird sich die Untersuchung mit der bereits erwähnten ähnlich angelegte, aber differenziertere, weil mit mehr Gliederungsebenen arbeitende Typologie von g laSeR , Held, präzisere Beschreibungsmöglichkeiten eröffnet, zumal in g laSeR s Schema auch ›exotische‹ Raumtypen wie ›aktive Räume‹ berücksichtigt sind (vgl. g laSeR , Held, S. 19-21). 38 Ähnliches ließe sich auch für andere Erzählabschnitte des Romans zeigen. 39 So g laSeR , Held, S. 18, über die Intention ihrer Arbeit. 40 Ein solcher Blick, der die räumliche Struktur in ihrem Zusammenspiel mit den im Text erkennbaren Diskurszusammenhängen erfassen möchte, erfordert einen relativ lockeren Umgang mit dem Raumparadigma, der es erlaubt, ›Raum‹ als Beobachtungskategorie bedarfsweise und punktuell auch aus dem Fokus zu nehmen, um im Gegenzug die Diskurszusammenhänge, mit denen die räumliche Ordnung interagiert, umso schärfer profilieren zu können. Ein Beispiel: Gerade weil der Minnediskurs des ›Lanzelet‹ auch über die Semantik des Raumes ausgetragen wird, scheint es für die Fragen dieses Diskurses höchst signifikant, wenn die räumliche Dimension des Minnezeltes im weiteren Verlauf der Handlung auffällig in den Hintergrund tritt (vgl. Kapitel 3.2.8). Eine zu starke Einengung auf das Raumparadigma würde diese Zusammenhänge eher verdunkeln, weil das Minnezelt in diesem Fall schlicht durch das Beobachtungsraster fallen würde, sobald es seine Raumqualität einbüßt. 3.1 Zu Forschungslage und Vorgehen 145 ›Dodone‹-Episode auf ein besonders markantes Beispiel beschränken, welches dann aber nicht anhand einer vorgegebenen Typisierung seziert, sondern im Zusammenhang des narrativen Verlaufs untersucht werden soll. Denn nur so ist es möglich, sowohl die Logik der Bewegung der Figuren innerhalb des Raumes als auch etwaige Dynamiken der räumlichen Ordnung selbst, um die es mir gerade gehen soll, in ihrem narrativen Zusammenhang sichtbar zu machen. Das Beispiel wird gewählt, weil es sich hier um eine, sowohl in Bezug auf ihren Umfang als auch ihre Position im Strukturschema, 41 zentrale Episode des Textes handelt, in der entscheidende Handlungsstränge und thematische Einheiten zusammengeführt werden. Darüber hinaus fällt die hohe Frequenz an Berührungspunkten mit dem ›Erec‹ besonders in dieser Episode ins Auge, die mit Entsprechungen bis in den exakten Wortlaut hinein 42 eine vergleichende Lektüre umso mehr empfiehlt. Ebenfalls zum Zwecke der besseren Vergleichbarkeit werde ich, insbesondere in der zweiten Hälfte der Untersuchung, einen Schwerpunkt auf den Minnediskurs des Texts legen, um die Frage nach den historisch relevanten Themenkomplexen zu diskutieren, welche über die Semantik des Raumes narrativ verhandelt werden. Damit soll keineswegs impliziert sein, dass sich der ›Lanzelet‹ vollständig auf eine Interpretation als ›Minneroman‹ reduzieren ließe; dem widerspricht allein schon der prävalente Herrschaftsdiskurs, der sich im dreifachen Frauenerwerb (und dem damit einhergehenden dreifachen Vatermord) entfaltet und der zum Ende des Romans, durch die thematische Anbindung an die Elternvorgeschichte, noch einmal in den Vordergrund rückt. Das meiner Lektüre zugrundeliegende Verständnis von Literatur geht davon aus, dass literarische Texte - anders z. B. als manche diskursive ›Gebrauchstexte‹ - grundsätzlich multifunktional und polythematisch strukturiert sind. Damit nimmt sie eine etwas andere Position ein als zwei der vielleicht wichtigsten monographischen Arbeiten der letzten Jahre, die sich mit Ulrichs Roman beschäftigen. Ulrike z ellmann , zum einen, schlägt eine Lesart des Romans als » ABC -Buch des Adligen« vor, in welchem »Fiktionalität und Didaxe in der Form der Vita verschwistert zur biographisch organisierten Herrenlehre« 43 erscheinen. Zwar wird man kaum abstreiten können, dass adlige Wissensbestände in erheblichem Maße in den Text einfließen und dort strukturbildend wirken. Doch unterschätzt die rigorose Einengung auf die Gebrauchsfunktion als ›Fibel‹ im situativen Rahmen adliger Laienbildung die spezifisch literarische Qualität, die nur andeutungsweise mit dem Begriff ›Kontingenzexposition‹ umrissen werden kann und die eben nicht restlos in der Reproduktion und didaktischen Aufbereitung 41 Die Episode erstreckt sich - je nach Einteilung - von ca. La 3826-4965 bei insgesamt 9445 (W) bzw. 9449 (P) Versen und markiert damit recht genau die Mitte des Romans. - Zu den Versuchen, den Plot des Romans sinnvoll zu strukturieren vgl. K Ragl , Forschungsbericht, S. 962-974. 42 So kennt etwa das mhd. Lexem zundervar (La 4413; Er 9016) »doch eben nur diese beiden alten litter[arischen] belege« (g Ruhn , Erek und Lanzelet, S. 279). 43 z ellmann , Lanzelet, S. 76 f. Die Reduktion auf die didaktische Funktion des Textes geht einher mit der Einengung des Themenspektrums, das nach z ellmannS Ermessen in Ulrichs Roman literarisch produktiv wird. So zweifelt sie etwa an, dass in der ›Dodone‹-Episode »das Thema der ordnungsgefährdenden Minne angeschlagen« sei, und sieht allein das »Thema des generativen Verhaltens, das Ordnung sichern soll« (S. 246), entfaltet. Wenn man berücksichtigt, dass mit ›Ordnung‹ hier genau besehen zwei ganz unterschiedliche Phänomene angesprochen sind - einmal ein Ordnungsprinzip, das man als ›systematisch‹ bezeichnen könnte und das sich auf der Achse der Synchronie anhand der Unterscheidung ›höfisch‹ / ›unhöfisch‹ konstituiert, und einmal eine diachrones Ordnungsprinzipz, das sich über Genealogie definiert -, dann stellt sich die Frage, warum eigentlich beide Problemkomplexe nicht innerhalb ein und derselben Episode zugleich thematisiert werden sollten. 146 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven bestehender Wissensordnungen aufgeht. 44 Nicola m c l elland , auf der anderen Seite, wendet sich dezidiert gegen z ellmann s Auffassung und betont demgegenüber »the apparent desire [des Erzählers] to entertain rather than edify« 45 . Es dürfte kaum in Frage stehen, dass Ulrichs Roman - zumindest: auch - unterhalten will. Doch schließt das keineswegs aus, dass der Text dabei zugleich, wie spielerisch auch immer, historisch relevante Themenkomplexe und Problemkonstellationen verarbeitet. Gerade eine Lektüre, die das Augenmerk nicht, wie üblich, auf den Protagonisten lenkt, sondern auf den in der Semantik des Raumes sich manifestierenden Ordnungsdiskurs, vermag, bei aller Krisenlosigkeit des Helden, ein nicht unerhebliches ›Problembewusstsein‹ zum Vorschein zu bringen. 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 3.2.1 Vor der Aventiure: Schadil le Mort und die narrative Anknüpfung an die Jugendgeschichte Die Ausgangssituation ist folgende: Lanzelet sitzt, zusammen mit gut einhundert weiteren Rittern, auf der Burg Schadil le Mort gefangen. Der wirt der Burg ist Mabuz, der leibliche Sohn jener Meerfee 46 , welche sich auch des Helden als Ziehmutter angenommen hatte. Weil der Meerfee prophezeit wurde, dass ihr Sohn für immer ein zaghafter Schwächling bleiben würde, hat sie in seiner Burg einen Umkehrzauber installiert, durch dessen Einfluss auch der tapferste Held zum ängstlichen Feigling wird, so dass er zwangsläufig dem blœden Burgherren im Zweikampf unterliegen muss. Dieser Zaubermechanismus schützt die Burg nicht nur vor feindlichen Übergriffen, sondern wirkt zugleich als »Tapferkeitsprobe a contrario « 47 : Gerade dadurch, dass Lanzelet - mehr noch als seine Mitgefangenen, die ebenfalls den Auswirkungen des Zaubers unterliegen - in einen »vorkulturellen, unmännlichen Zustand« 48 verfällt - selbst die höfischen Tischsitten sind ihm völlig entfremdet -, erweist er sich der verkehrten Logik der Zauberburg zufolge als der beste Ritter und qualifiziert sich damit für eine Aufgabe, die der Burgherr selbst nicht in Angriff zu nehmen wagte. Ein Teil seiner Ländereien werden nämlich von Iweret besetzt, dem Herrn des angrenzenden ›Schönen Waldes‹ Behforet und der dazugehörigen Burg Dodone. Dem schädlichen Einfluss des Zaubers entrückt - der sich sträubende Held muss über den Burggraben hinweg bis vor das Tor der Burg getragen werden -, erklärt sich Lanzelet bereit, gegen die brandschatzenden 44 Auch Walter h aug , Eros und Fortuna, S. 65, betont, dass die - etwa durch Thomas von Zerklære historisch bezeugte - Möglichkeit einer didaktischen Lesart des Artusromans andere, Kontingenz exponierende Lesarten nicht ausschließe. Vielmehr sei »mit verschiedenen Rezeptionsebenen« zu rechnen, »und es sollte dies nicht den Blick für das höchstmögliche Verständnisniveau verstellen, das von den Dichtern vorgegeben ist«. 45 m c l elland , Narrative style, S. 61. 46 Im ›Lanzelet‹ bleibt die Figur namenlos; in anderen Bearbeitungen des Stoffes wird sie dagegen als Ninienne, Ninniane, Nimiane, Viviane oder ähnlich bezeichnet. Allgemein ist die Gestalt in der europäischen Artustradition (so etwa auch im ›Prosalancelot‹) als ›Frau vom See‹ oder ›Dame vom See‹ bekannt, was ihre mythische Verbundenheit mit der Sphäre des Wassers unterstreicht (vgl. S imeK , Artus-Lexikon, S. 119, sowie Kapitel 3.2.7). Es handelt sich dabei um eines jener ›ikonisch konstanten‹ Erzählelemente, welche (in diachroner Perspektive) die Mythizität der matière de bretagne wesentlich bestimmen; vgl. hierzu allgemein h oFFmann , Arbeit, S. 23-46. 47 P éRennec , Lanzelet, S. 131. 48 S chulz , Held, S. 435. 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 147 Schergen Iwerets ins Felde zu ziehen, nachdem er Mabuz’ Versprechen erhalten hat, dass dieser für die Frist eines Jahres seine Gefangenen unangetastet lassen werde (zuvor pflegte er es an diesen zu vergelten, wenn im iht leides wart getân ; La 3561). Gegen die nur leicht bewaffneten Schergen hat der unterdessen völlig wiederhergestellte Held leichtes Spiel - sie sind schnell in die Flucht geschlagen, und die Brandschatzungen sind damit vergolten (La 3676-3825). Damit ist die eigentliche Auseinandersetzung mit Iweret in der Aventiure von Dodone vorbereitet. 49 Das Vorspiel auf Schadil li Mort deutet bereits die zentrale Stellung an, die die folgende Episode in der Biographie des Helden und damit auch im Handlungsverlauf des Romans einnehmen wird: Nicht nur findet Lanzelet in Iblis, der Tochter Iwerets, seine dritte und endgültige Frau (seine letzte hat Reißaus genommen, nachdem sie die Auswirkungen des Umkehrzaubers gesehen - und fehlinterpretiert - hat; sie wird daraufhin kurzerhand vom Erzähler »aus der Geschichte« 50 geworfen ), nicht nur gewinnt er, indem er den besten ritter, der ie wart (La 329) bezwingt, endgültig die Artuswürdigkeit - auch für die handlungsmotivierende Suche nach seiner eigenen Identität ist die Aventiure entscheidend. Denn die Meerfee hat, schon als Lanzelet im Alter von fünfzehn Jahren auf der Suche nach Ritterschaft aus dem Feenreich ausgezogen ist, die Offenbarung seines Namens und seiner Herkunft an die Bedingung geknüpft, dass er Rache übe für das, was Iweret ihr angetan habe (La 334 f.). Worum es sich dabei handelt, bleibt freilich zu diesem Zeitpunkt noch im Dunkeln. In der Mabuz-Episode schließlich werden die Zusammenhänge aufgedeckt. Zunächst erscheint es - durchaus dem gängigen Aventiure-Schema entsprechend 51 - als bloßer Zufall, dass Lanzelet die Burg des Mabuz und in der Folge das Herrschaftsgebiet Iwerets erreicht, denn der Held war eigentlich auf dem Weg zu einem ganz anderen Ziel: nach Pluris, um dort eine unrechtmäßige Schmähung durch einen Zwerg zu tilgen, die ihm nach seiner Abreise aus dem Feenreich zuteil wurde (La 426-441). Von der Rückbindung an den Auftrag der Meerfee her gesehen, zeigt sich allerdings, dass es mehr ist als Zufall, der den Gang der Ereignisse bestimmt, nämlich schicksalhafte Fügung, die zudem in das Kalkül der Meerfee insofern berechnend einbezogen ist, als diese niemals einen anderen Vollstrecker ihrer Rachepläne auch nur in Erwägung gezogen hat als ihren Ziehsohn (La 3590-3595). 52 49 Dass Iweret dabei als wichtigster Konkurrent des Helden diejenige Funktionsstelle einnimmt, die in der Lancelottradition ansonsten König Artus zukommt, arbeitet B aRton , Lanzelet, heraus. Demnach sei Iweret »eine Art Strohmann […], gegen den Lanzelet anrennen kann, so dass Artus nicht beschädigt wird« (ebd., S. 170 f.). Insofern Iwerets Tochter Iblis, die mit ihrem Vater »in einem inzestuös anmutenden Verhältnis lebt, so als wäre sie zugleich seine Ehefrau« (ebd. S. 171; vgl. hierzu auch Kapitel 3.2.5), entsprechend als Ginovers »Strohfrau« (ebd.) fungiere, werde auch hier wiederum, wie B aRton es für den ›Lanzelet‹ generell annimmt, das für den Stoff so zentrale Dreiecksverhätlnis Lancelot-Artus-Ginover »sozusagen als Schattengeschichte« (ebd., S. 167) miterzählt. 50 K Ragl , Veni, vidi, basiavi, S. 540. 51 Vgl. etwa h aug , Eros und Fortuna, S. 63. 52 Almut m ünch hat die narrative Funktion der Meerfee »als Bindeglied zwischen Erzählzeiten und Figureneinheiten« beschrieben, in deren »Einflussbereich […] Lebensschicksale und alle wesentlichen Handlungsstränge« zusammenlaufen (vgl. m ünch , Nebenfiguren, S. 120-122, hier S. 121). Indem die Meerfee, deren Motivation durchaus »nicht vollständig uneigennützig« sei (ebd.), als handlungsregulierende Instanz im Hintergrund stets präsent bleibt und an entscheidenden Punkten, vor allem vermittels ihrer Botin (vgl. Kapitel 3.2.7), auch aktiv in das Geschehen eingreift, wird der Ereigniskette eine ausgeprägte finale Motivierung unterlegt. Schon dadurch rückt die Erzähllogik des ›Lanzelet‹ deutlich in die Nähe des Mythos, findet doch Matias m aRtinez und Michael S cheFFel zufolge »[d]ie Handlung final motivierter Texte« stets »vor dem mythischen Sinnhorizont einer Welt statt, die von 148 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven 3.2.2 Das Kloster zer Jæmerlichen Urbor: Rezeptionsleitendes ›Schwellensignal‹ und Heterotop Doch nicht allein durch die Anknüpfung an den Beginn des Romans, sondern auch durch das spezifische Arrangement des Raumes ist die Relevanz der Episode für den Handlungsverlauf angezeigt. Andrea g laSeR zufolge werden handlungslogisch bedeutsame Episoden oft dadurch gekennzeichnet, dass ihnen semantisch markierte ›Schwellenräume‹ vorangeschaltet sind. 53 Ein solcher Schwellenraum findet sich auch in der ›Dodone‹-Episode. Denn bevor Lanzelet nach der Vertreibung der Brandschatzer in den engeren Bereich Iwerets vordringen kann, muss er zunächst ein kleines Kloster passieren: Nuo reit unser ritter dan vnd kom für einen zellen tor. Zer Jæmerlichen Urbor, sô nant man daz klôsterlîn. dâ muost er über naht sîn. Der meister über di münche was, daz was ein witzic abbas. (La 3826-3832) Mit der Figur des Abtes ist eine Instanz eingeführt, die eine ähnliche narrative Funktion erfüllt wie der wilde Mann in Hartmanns ›Iwein‹ 54 , aber auch wie König Ivreins im ›Erec‹: die Vergabe von Informationen, die insofern in zwei Richtungen zielt, als sie fiktionsintern den Helden auf die bevorstehende Aufgabe vorbereitet und vor drohenden Gefahren warnt und textextern die Rezeption des Lesers / Zuhörers steuert, indem sie Spannung erzeugt und noch einmal die handlungslogische Relevanz der nachfolgenden Aventiure unterstreicht. 55 Vom Abt erfährt Lanzelet - und mit ihm der Leser - nicht nur, dass er sich tatsächlich mit Betreten des Klosters bereits im Herrschaftsgebiet Iwerets befindet (La 3872 f.). Er wird zudem über die genauen Bedingungen der Aventiure - Iweret bietet die Hand seiner Tochter demjenigen als Einsatz, der ihn durch eine ritualisierte Symbolhandlung zum Zweikampf auf Leben und Tod herausfordert -, aber auch über die Hintergründe des Klosters und seines unheilvollen Namens in Kenntnis gesetzt: Hier werden all diejenigen Ritter beeiner numinosen Instanz beherrscht wird. Der Handlungsverlauf ist hier von Beginn an festgelegt, selbst scheinbare Zufälle enthüllen sich als Fügung göttlicher Allmacht« (m aRtinez / S cheFFel , Einführung, S. 111). Zur Mythizität der Figur in motivgeschichtlicher Hinsicht vgl. Kapitel 3, Fn. 46 und 175. 53 g laSeR , held, S. 49-52. Die semantische ›Markiertheit‹ des Schwellenraums ist nicht notwendig mit semantischer Eindeutigkeit gleichzusetzen; die ›Hinweisfunktion‹ des Schwellenraums kann sich, im Gegenteil, gerade auch in »gezielt gesetzten semantischen Verunsicherungen« äußeren, wie g laSeR anhand der Beschreibung Brandigans und der Umfriedung des angrenzenden Baumgartens veranschaulicht (ebd., S. 53-68, hier S. 57); vgl. auch das in Anlehnung an g laSeR entwickelte Konzept des ›Schwellenraums‹ bei l oRenz , Raumstrukturen, S. 63-69. 54 Vgl. h oFeR , Lanzelet, S. 12, 14; l oRenz , Raumstrukturen, S. 139. Vgl. dagegen Ó R iain -R aedel , Untersuchungen, S. 180, die Abt und Kloster eher mit dem »gastfreundliche[n] Wirt und seine[r] Burg« im ›Iwein‹ in Verbindung bringt. 55 Für gewöhnlich tauchen solche ›Schwellenhüter‹ mit Ratgeberfunktion‹ (vgl. l oRenz , Raumstrukturen, S. 138-141) nur im Zusammenhang zentraler ›Schlüsselepisoden‹ auf, und auch der Abt des Klosters zer Jæmerlichen Urbor bildet hierin keine Ausnahme. Denn zum ersten Mal im Text bestreitet der Held in Dodone eine Aventiure, die, dank der kundigen Auskunft des Abtes, »gleichsam wie ein offenes Buch vor ihm liegt: Weder in Moreiz noch in Limors konnte er erahnen, was ihn erwartete, erst in Behforet wird Lanzelet eindringlich bewusst gemacht, worauf er sich einlässt« (K Ragl , Stellenkommentar, S. 1164 [zu La 3871-3919]). 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 149 stattet, die die Aventiure gewagt haben und daran gescheitert sind, so dass sie von Iweret erschlagen wurden (La 3843 f.). Darin ist eine deutliche Parallele zu dem Pfahlkreis in Mabonagrins Baumgarten erkennbar, 56 dessen Bedeutung in Hartmanns Text ebenfalls durch die Figur des ›Schwellenhüters‹ 57 - in diesem Fall durch Ivreins - offen gelegt wird 58 . Hier wie dort signifiziert die Zurschaustellung der Opfer nicht allein die handlungslogische Relevanz der Aventiure, sondern weist diese auch als exzeptionell gefährlich aus: Jeder, der sich bisher daran versucht hat, musste dafür sein Leben einbüßen. Während im ›Erec‹ auf immerhin 80 erschlagene Ritter geschlossen werden kann, ist die Zahl der Opfer im Falle Iwerets offenbar so hoch, dass der Abt gar nicht im Stande ist, sich daran zu erinnern (La 3850-3855). Mehr noch als die ostentative Ausstellung roher Gewalt, wie sie der ›Erec‹ an entsprechender Stelle betreibt, ist es im ›Lanzelet‹ allerdings die Betonung des klösterlichen Reichtums (La 3849), die die unmittelbare Gefahr für Leib und Leben noch einmal subtil vor Augen führt - speist sich der Wohlstand der Mönche doch aus nichts anderem als aus den gewaltsam erbeuteten Erträgen der ritterschaft , die Iweret um seiner Seele willen der Abtei gestiftet hat (La 3841 f., 3845-3848). Gerade weil Iweret in seinen Kämpfen bisher so erfolgreich war, brauchten die Mönche sich um ihr leibliches Wohl nie zu fürchten, und gerade weil es den Mönchen gut geht, wissen Protagonist und Rezipient, dass den Helden ein in der Tat respekteinflößender Gegner erwartet. Die handlungslogische Relevanz der Episode ist also doppelt markiert: Einerseits schon durch die räumliche Organisation der Erzählung selbst, die den Zugang zur Aventiure über eine deutlich markierte Raumschwelle reguliert - ein Kloster, das zwar schon zum Herrschaftssbereich des Aventiureherren gehört, aber doch deutlich vom eigentlichen Ort des Geschehens abgesetzt ist -, andererseits durch die Figur des Schwellenhüters, der dem Helden wie dem Rezipienten gegenüber die Hintergründe der Aventiure expliziert und auf das hohe Risiko hinweist, das die Aventiure birgt. Schwellenraum und Schwellenhüter korrespondieren hinsichtlich ihrer rezeptionsleitenden Hinweisfunktion und bilden dadurch eine fest gefügte figurenräumliche Einheit, 59 die die narrative Signalwirkung des Schwellenraumes noch einmal potenziert. Die Funktion des Klosters als Schwellenraum erschöpft sich allerdings nicht in seiner rezeptionslenkenden Signalwirkung, denn auch hier wieder ist die Raumsemantik an einen spezifischen Ordnungsdiskurs gekoppelt. Hinsichtlich seiner narrativen Hinweisfunktion korreliert das Klosters zer Jæmerlichen Urbor mit dem Pfahlkreis der Joie-de-la-curt -Episode, doch divergieren beide Texte dahingehend, dass sie über die Semantik des Raumes jeweils andersgeartete Ordnungsdiskurse ausbilden. Für den ›Erec‹ konnte gezeigt werden, wie der Pfahlkreis einerseits die Grenze zwischen dem äußeren und dem inneren Bezirk des Baumgartens markiert, andererseits aber diese Grenze zugleich wieder relativiert, indem die 56 Diese Analogie wurde zuerst, soweit ich sehe, von l oomiS , Arthurian Tradition, S. 234, erkannt; vgl. aber auch: S chmid , Mutterrecht, S. 250: »Ein Wall von toten Rittern trennt in beiden Romanen das Drinnen vom Draußen«; z ellmann , Lanzelet, S. 230: »Der Übergang in den väterlichen Lustort ist markiert von Opfern wie der Baumgarten des Mabonagrin«; m ünch , Nebenfiguren, S. 242: »In Mâbonagrîns Park stehen mit Totenköpfen gespickte Stangen, Iwerets Reich grenzt unmittelbar an den Totenacker des Klosters zer Jaemerlichen urbor .« - All diese Untersuchungen unterschätzen - bei allen offenkundigen Gemeinsamkeiten - die sinnstiftenden Unterschiede zwischen den beiden Szenen. 57 Begriff nach l oRenz , Raumstrukturen, S. 120. 58 Vgl. Kapitel 2.2.3. 59 l oRenz , Raumstrukturen, S. 138. 150 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven Häupter der Erschlagenen als beiderseits der Grenze sichtbar beschrieben werden, so dass sich Innen und Außen zu einem einzigen deiktischen Schau- und Zeigeraum vereinen. Die Zeichenfunktion der Schädel, die auf die tödlichen Folgen der ritterlichen Gewalt verweist, bleibt auch im Inneren des Baumgartens bestehen. Durch die visuelle Präsenz der Opfer wird der Tod, der zunächst im Pfahlkreis symbolisch an den Rand des Lustortes gedrängt wurde, in dessen Zentrum zurückgeholt. So erscheint der Baumgarten als eine räumliche Einheit, die den ritterlicher Minnedienst aufs engste mit roher Gewalt verbindet - Gewalt zudem, die als dezidiert unchristlich und damit auch unhöfisch charakterisiert ist, insofern sie den Opfern den angemessenen Bestattungsritus verweigert. 60 Hiervon unterscheidet sich das Kloster zer Jæmerlichen Urbor in mehrfacher Hinsicht. Der eindeutig christlich besetzte Raum des Klosters bietet den Opfern den Ort der letzten Ruhe, statt ihnen diese, wie der Pfahlkreis der Joie de la curt , vorzuenthalten. 61 Zwar schreckt Iweret ebenso wenig davor zurück, seine Gegner gewaltsam ums Leben zu bringen wie Mabonagrin, doch sorgt er sich zumindest um sein eigenes Seelenwohl ebenso wie um das der Getöteten, wenn er mit der Mönchsgemeinschaft eine Instanz einsetzt, die sich qua Profession mit gebet und vaterliche[m] segen (La 3919 f.) eben darum bemüht. Nur auf den ersten Blick irritiert dabei, dass die ethischen Implikationen zu keiner Zeit reflektiert werden, wenn der Wohlstand des Klosters sich ausgerechnet aus den Hinterlassenschaften der Erschlagenen speist: Dem kriegerisch-feudalen Ethos des Textes (das ein durchaus anderes ist als das des ›Erec‹) ist eine solche Logik völlig adäquat. 62 Das Kloster bewirkt aber nicht nur, dass die Figur des Aventiureherren aufgewertet und seine moralische Ambivalenz, im Vergleich zu Mabonagrin, abgemildert wird: Sie schafft auch Ordnung, in dem sie die Aktion - die Tötung der Gegner - und ihr Ergebnis - den Tod - räumlich von einander trennt: er hât vert und hiure manigem man den tôt getân, di wir hie bestatet hân, zer linden, dâ daz mort geschiht. (La 3910-3913) Die Rede des Abtes rückt durch den Gebrauch der Präpositionen den Ort des Gefechtes dâ in Distanz zu der Begräbnisstätte, die zugleich auch der Ort der gegenwärtigen Gesprächssituation - hie - ist. Es bleibt der Imagination des Rezipienten überlassen zu entscheiden, ob diese Begräbnisstätte eher als offener Friedhof 63 gedacht ist, oder ob die Gräber der Erschlagenen sich innerhalb der Mauern des Klosters, z. B. im Kreuzgang, befinden. Nir- 60 Vgl. Kapitel 2.2.5. 61 Eine bemerkenswerte Synthese beider Modelle bietet der ›Prosalancelot‹: Die Ritter, die an der Aventiure der Dolorosen Garde gescheitert sind, erhalten zwar durchaus ein Grab auf dem eigens dafür vorgesehenen Friedhof, doch werden ihre abgetrennten Köpfe gleichwohl öffentlich zur Schau gestellt: Uff eim teil zinnen steckten heubt mit helmen also als sie den rittern weren abgeschlagen die die abentur da hetten gesucht. Gegen dem heubt stunt ye ein grab, da der ritter inne lag des das heubt was (Pr I 452,7-10). 62 Auch Lanzelet zögert nicht, den um einen Gnade flehenden Iweret (La 4542 f.) bei erster Gelegenheit zur Strecke zu bringen (La 4550-4558). Als Dank für seine Unerbittlichkeit erhält er zu guter Letzt sogar die frisch verwaiste Tochter des Erschlagenen zur Frau, und zwar ohne dass dieser Sachverhalt in irgendeiner Weise, sei es moralisch, sei es rechtlich, problematisiert würde; vgl. hierzu auch Kapitel 3.1.1. 63 m ünch , Nebenfiguren, S. 242, spricht etwa von einem »Gottesacker«. 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 151 gendwo jedenfalls ist davon die Rede, dass die Grabstätten - wie der Pfahlkreis der Joie de la curt - vom inneren Bezirk der Aveniure aus sichtbar wären, auch wenn sich der Kampfplatz, trotz der markierten räumlichen Trennung, gleichsam in ›Fußnähe‹ des Klosters befindet: dar ist volle ein halbiu mîle niht (La 3914). Wenn Lanzelet das Kloster verlässt, gerät dieses samt den darin enthaltenen Gräbern aus dem Fokus der Erzählung - solange, bis der Held schließlich nach bestandener Herausforderung dem Abt erneut begegnet. Denn dieser kann sich offenbar gar nicht schnell genug daran machen, die sichtbaren Spuren des Kampfes zu beseitigen: Unmittelbar nach dem Gefecht ist er ausgefahren, um - je nach Handschrift - den (so in P) bzw. die Toten zu bergen (La 4627) 64 und in das Kloster zu überführen, um so die Ordnung von Dodone sicherzustellen, die die Gewalthandlung und ihr tödliches Ergebnis räumlich voneinander trennt. Der Kampf wird zwar im Zentrum von Iwerets Reich entschieden, doch für die Folge des Kampfes, den Tod, ist dort kein Platz - im Gegensatz zu Mabonagrins Garten, wo der grausame Preis der Aventiure für jedermann weithin sichtbar ist, und zwar diesseits und jenseits der Grenze. Das Kloster bildet dagegen einen relativ abgeschlossenen Raum mit ausgeprägtem heterotopem Charakter, in welchem dasjenige aus dem Inneren des Herrschaftsgebietes ausgelagert ist, was die Idealität von Dodone stören könnte. Anders als der Baumgarten von Joie de la curt , erscheint das Gebiet Iwerets zunächst also keineswegs als Raum, der kategoriale Gegensätze - innen und außen, Gewalt und Minne, Höfisches und Unhöfisches, Tod und Leben - in einem mythischen Sinne kollabieren lässt. Zwar ist auch der Raum in und um die Burg Dodone gewaltbesetzt, doch die Auswirkungen dieser Gewalt sind nur innerhalb der Mauern des Klosters spürbar und sichtbar. Im Gegensatz zu Brandigan 65 , gibt es in Iwerets Reich mithin jenseits des Klosters, wo gewissermaßen professionell getrauert wird, auch keinerlei trûricheit (La 3987). Deshalb kann der Herrscher, ungeachtet der Gewalthandlungen, die er Tag für Tag vollzieht, und ihrer tödlichen Konsequenzen, seine höfische Hochstimmung ganz ungeniert zur Schau stellen: der ist / ein rîche fürste wol gemuot (La 3872 f.). 3.2.3 Die differentielle Ordnung des Schönen Waldes Der innere Bezirk von Dodone, soweit er uns narrativ vermittelt ist, lässt sich noch einmal in drei Teilbereiche untergliedern: der Herrschaftszentrum von Dodone mit der gleichnamigen Burg, der ›Schöne Wald‹ Behforet mit dem Kampfplatz und das unterhalb der Burg gelegene wunderbare Tal Vallis Iblê. Die Schilderung des Raumes wird dabei auf unterschiedliche Erzählinstanzen aufgeteilt: Erste Details über das ›Setting‹ der Aventiure erfahren Held und Publikum bereits beim Aufenthalt Lanzelets am Kloster, die später durch die Ausführungen des Erzählers ergänzt werden. Dabei ist im Einzelnen nicht immer eindeutig zu entscheiden, welche Informationen mit der unmittelbaren Wahrnehmung des Helden kongruieren und welche exklusiv dem Rezipienten vorbehalten bleiben, so dass - 64 Der Schreiber von Hs. W entwirft gegenüber Hs. P das pessimistischere Bild: Er lässt den Abt offenbar damit rechnen, dass keiner der beiden Kontrahenten den Kampf überlebt habe. Man könnte darin allerdings auch eine erzählerische Aufwertung des Helden sehen: Der Abt bezweifelt zwar auch hier die Möglichkeit, dass Lanzelet siegreich über Iweret sei (vgl. La 4634-4636), doch traut er dem Helden immerhin so viel zu, dass er seinen Gegenspieler mit in den Tod gerissen habe. 65 Vgl. die Schar der achtzig trauernden Witwen. 152 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven ähnlich wie bei der Schilderung Brandigans im ›Erec‹ - mit einem Wissensvorsprung des Publikums gegenüber dem Protagonisten zu rechnen wäre. Wer immer die Tochter des Aventiureherren erringen möchte - so erfährt Lanzelet von dem witzic abbât -, der muoz in [i. e. Iweret] mit nîtspil in dem Schœnen Walde bestân under einer linden wolgetân. […] diu linden ist grüene durch daz jâr. (La 3886-3898) 66 Mit dem Hinweis, dass die Linde das ganze Jahr über Laub trage, ist ein erstes Spezifikum über die Beschaffenheit des Reiches Iwerets gegeben: Die Abfolge der Jahreszeiten ist hier offenbar unterbrochen zugunsten eines einheitlichen Dauerzustandes, der Dodone aus der zeitlichen Ordnung der gewöhnlichen Welt heraushebt. Dieser Dauerzustand ist allerdings kein beliebiger, sondern in bestimmter Weise semantisiert: Das Grün des Lindenlaubes ist Signum des Frühjahrs bzw. Sommers, also der Jahreszeit, die traditionell wie keine andere als Zeit des höfischen Festes und der vreude konnotiert ist. 67 In der volksprachigen Literatur des Mittelalters, die »bekanntlich nicht vier, sondern meist nur zwei oder drei Jahreszeiten« kennt, steht ihr in der Regel der Winter als Zeit des trûren gegenüber. 68 Im 66 Im Folgenden schildert der Abt das Ritual, mit dem der Herausforderer den Aventiureherren zu alarmieren hat: An einem kunstreichen Brunnen bei der Linde ist ein êrin zûber (La 3989) installiert - später ist von einem glockelîn die Rede (La 3905) -, welcher dreimal mit einem Hammer angeschlagen werden muss, damit Iweret erscheint. Es wurde oft auf die Ähnlichkeit zu der Brunnenaventiure in Chrétiens ›Yvain‹ bzw. in Hartmanns ›Iwein‹ hingewiesen, aber auch zur Dunostre-Episode im ›Huon de Bordeaux‹ (erste Hälfte 13. Jahrhundert; vgl. zusammenfassend K Ragl , Stellenkommentar, S. 1160-1164 [zu La 3871-3919]). Da die Parallelen zum Iwein allerdings relativ blass sind (während Hartmanns Text das Schlagen der Glocke nicht kennt, fehlt umgekehrt im ›Lanzelet‹ das Motiv des Wassergießens - das Brunnenmotiv ist reduziert zum »schmückende[n] Beiwerk« [K Ragl , Stellenkommentar, S. 1160]) und überdies der ›Iwein‹ nach vorherrschender Meinung mehr oder weniger zeitgleich mit oder sogar nach dem ›Lanzelet‹ entstanden sein dürfte (für den ›Huon‹ kann Letzteres wohl als gesichert gelten), ist weniger von einer unmittelbaren intertextuellen Abhängigkeit als von der Benutzung derselben oder zumindest ähnlicher Quellen auszugehen. Die ältere Forschung hat auch hier nach Bezügen zur keltischen Mythologie gesucht (vgl. z. B. e hRiSmann , G., Märchen, S. 24; auch W eBSteR / l oomiS , Lanzelet, gehen von keltischen Ursprüngen der Dodone-Episode aus; vgl. hierzu Kapitel 3.1.1). Erst Charles Bertram l eWiS , Mythology, hat einen Zusammenhang zum antiken Zeuskult im griechischen Dodona plausibel machen können, »wo ein ähnliches Herausforderungsschema die Sukzession im Priesteramt regulierte« (K Ragl , Stellenkommentar / La, S. 585 [zu La 3871-3919]; zur Kritik an l eWiS ’ methodischem Vorgehen vgl. K Ragl , Stellenkommentar, S. 1162 f., der l eWiS ’ Thesen alles in allem aber dennoch wohlgesonnen gegenübersteht). Die Frage, wie das Motiv in Ulrichs Text gelangen konnte, wird sich kaum beantworten lassen, zumal seine unmittelbare Vorlage uns nicht erhalten ist. Sie erscheint allerdings auch vernachlässigbar angesichts der Tatsache, dass der kultische Hintergrund des Motivs (l eWiS interpretierte das Ritual im Zusammenhang eines sympathetisch-magischen Regenkultes) dem mittelalterlichen Publikum ohnehin kaum präsent gewesen sein dürfte. Zu bedenken ist aber, dass mit der Aufnahme mythischer Motive, ganz gleich ob irisch-keltischer oder, wie in diesem Fall, doch eher antiker Provenienz, auch die nicht-differentielle Strukturlogik des Mythos, um die es hier gehen soll, allererst Eingang in den Text gefunden haben dürfte. Wenn auch der ursprüngliche Sinn dieses und andere Mythologeme, die im ›Lanzelet‹ verarbeitet werden, zu Ulrichs Zeit mit Sicherheit verloren gegangen ist, so beeinflusst ihre Verwendung doch Struktureigenschaften des Textes, die für die Interpretation, wie ich zu zeigen versuche, durchaus von Bedeutung sind. 67 Vgl. S töRmeR -c aySa , Grundstrukturen, S. 110-115. 68 Vgl. m ülleR , Jahreszeitenrhythmus, hier S. 130. 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 153 Wald von Dodone ist dieses temporale Oppositionsverhältnis von Sommer und Winter allerdings umgeleitet auf ein räumliches: Indem der Abt auf das Fehlen des Winters bzw. seiner Auswirkungen in der belebten Natur des Schönen Waldes hinweist, unterstreicht er einmal mehr den Kontrast zwischen der monastisch institutionalisierten Trauerkultur des Klosters und der ihr entgegengesetzten, durch die permanente Abwesenheit der Trauer gekennzeichneten Welt von Dodone. Die Zeitordnung von Dodone, wie sie in der Schilderung des Abtes erscheint, kann insofern bereits als mythisch charakterisiert werden, als sie die Linearität des Zeitverlaufs, die Temporalität entlang der binären Unterscheidung von ›vorher‹ und ›nachher‹ unidirektional organisiert, gegenüber einem nicht-zweiwertigen Zustand des ›Immer-schon‹ und ›Immer-so‹ zurücktreten lässt, in welchem diese Unterscheidung im Sinne mythischer Konkreszenz aufgehoben ist. Stellt man allerdings die historisch spezifische Semantisierung des Jahreszeitenwechsels in der mhd. Literatur in Rechnung, dann lässt sich feststellen, dass der Zeitsemantik von Dodone die für den Mythos kennzeichnende Ambivalenz fehlt, geht doch die Aufhebung des linearen Zeitverlaufs gerade nicht mit der Entdifferenzierung zwischen sommerlicher vreude und winterlichem trûren einher: Der Wald von Dodone ist nur mit Sommer und also auch mit höfischer vreude assoziiert, nicht aber mit hoffernem 69 trûren . Insofern die Raum-Zeit-Zuordnung eindeutig ist - immergrüne Linden und immerwährenden Sommer gibt es eben nur im Schönen Wald, nicht jedoch im vorgelagerten Kloster -, trägt die mythische Zeitordnung von Dodone zur Etablierung einer Raumordnung bei, die selbst allerdings nicht mythisch, sondern differentiell konstituiert ist: Kategoriale Unterschiede werden nicht aufgelöst, sondern bestätigt - trûren gibt es nur im Kloster, im Schönen Wald dagegen herrscht vreude . Indem Lanzelet die Warnung des Abtes, den Platz unter der Linde zu meiden (La 3915) - ähnlich wie Erec die Warnungen Guivreiz’ und Ivreins’ - entschlossen ignoriert, reitet er nach seinem eintägigen Aufenthalt im Kloster zer Jæmerlîchen Urbor in Begleitung eines Boten weiter in das Reich Iwerets hinein (3938 f.). Der Erzähler fährt nun mit der Beschreibung Behforets fort, mit der der Abt zuvor begonnen hatte. Durch die Feststellung, er könne sich nicht erinnern, ob er schon etwas zur Beschaffenheit des Waldes geäußert habe - tatsächlich hat er die entsprechenden Informationen ja seiner Figur in den Mund gelegt -, schließt er einerseits an das bereits Gesagte an und betont andererseits zugleich den Wechsel der Erzählinstanz, indem er sich selbst nun bewusst als Subjekt der Rede inszeniert ( ich enweiz, ob ich iu zalde, / wi des waldes site was , La 3910 f.). Die nachfolgende descriptio des Schönen Waldes bestätigt, was der Abt bereits über die Linde am Kampfplatz erzählt hat, und verallgemeinert ihre Besonderheit zu einem Merkmal, das den gesamten Raum um die Burg Dodone herum kennzeichne. Denn nicht nur die Linde, auch der übrige Wald was grüene als ein gras beidiu winter und sumer. dâ stunt manic boum sô frumer, der aldaz jâr obez truoc, zîtig und guot genuoc, und anderhalp doch bluote. (La 3942-3947) 69 Wer trûret , der wird aus der Gemeinschaft des Hofes ausgeschlossen, solange zumindest, bis sich die Gelegenheit zur sozialen Reintegration bietet, was dann wiederum die Überwindung des trûrens bewirken kann; vgl. das Schicksal der achtzig Witwen im ›Erec‹ (vgl. Kapitel 2.2.5). 154 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven Das Motiv des immergrünen Waldes wird ergänzt um das bekannte Motiv der Bäume, die Blüte und Frucht zugleich tragen. Mit diesem Motiv, dessen Wurzeln - wie bereits geschildert 70 - vermutlich in keltischen Jenseitsdarstellungen zu finden sind, wird die Aufhebung der linearen Zeitordnung zugunsten einer mythischen Konzeption von Zeit fortgeführt, wie sie im Immergrün der Bäume bereits angelegt ist: Die gewöhnlich zeitlich getrennten - und das heißt auch: sich gegenseitig ausschließenden - Zustände von Blüte und Frucht rücken in Form mythischer Ungeschiedenheit aneinander (dies freilich wiederum unter striktem Ausschluss der mit trûren belasteten winterlichen Jahreszeit). Der gewöhnliche Wandel der Zeit ist stillgestellt. Auch meteorologische Gegebenheiten haben keinen Einfluss auf diesen Zustand ewigen Sommers, der im Wald ebenso herrscht wie in der Heidelandschaft, welche sich talförmig (La 3971) unterhalb der Burg erstreckt: sô stuont diu heide für sich an als rehte wol getân, ân wandel an ir stæte. swi daz weter tæte, sô was der wert und der walt allez sumerlîch gestalt. (La 3977-3982) Mit dem Motiv der Zeitenthobenheit des Schönen Waldes verbindet sich eine doppelte, nämlich sowohl intraals auch intertextuelle Verweisfunktion. Denn zum einen wird ein Bezug hergestellt zum Reich der Meerfee, das zu Beginn des Romans geschildert wird und das der Erzähler ebenfalls als ›zeitlos‹ darstellt, insofern auch hier die Jahreszeitenfolge durch einen Zustand des andauernden Frühlings ersetzt ist: ir lant was über allez jâr / alse mitten meien gebluot (La 204 f.). Auf die enge handlungslogische Verknüpfung von Jugendgeschichte und Dodone-Episode wurde bereits hingewiesen; sie wird hier nun durch die Parallele in der Schilderung des Raumes ein weiteres Mal unterstrichen, »was die ansonsten kontrastive Bindung von Meerfee und Iweret (als ihr Antipode)« 71 stärkt. Darüber hinaus etabliert die Verwendung des Motivs aber auch eine bedeutungsstiftende Relation, die über die Grenzen des Einzeltextes hinausreicht. Denn der kundige Rezipient wird das Motiv mit der entsprechenden Stelle in Hartmanns ›Erec‹ 72 in Verbindung bringen, und zwar unabhängig davon, ob man - die zeitliche Priorität des ›Erec‹ vorausgesetzt - von einer Übernahme aus Hartmanns Text bei Ulrich ausgeht oder umgekehrt davon, dass eine intertextuelle Verweisstruktur erst ex post durch eine Bezugnahme Hartmanns auf den ›Lanzelet‹ zustande gekommen sei. 73 In jedem Fall wirkt die beinahe wörtliche Übereinstimmung sinnstiftend und sollte den Blick für textübergreifende Rekurrenzen schärfen, und dies nicht alleine im Falle von reinen Ähnlichkeitsbeziehungen, sondern auch dort, wo der intertextuelle Bezug kontrastive Effekte erzielt: Gerade in der Verschränkung von 70 Vgl. Kapitel 2.2.3. 71 K Ragl , Stellenkommentar, S. 1165 (zu La 3940-3947). K Ragl verweist auf die unveröffentlichte Magisterarbeit c oRazolla , Überlegungen. Zum handlungslogischen Zusammenhang zwischen der Jugendgeschichte einerseits und der Dodone-Episode andererseits vgl. Kapitel 3.2.1. 72 Vgl. Kapitel 2.2.3. 73 Dabei spielt es grundsätzlich auch keine Rolle, in welcher Reihenfolge die beiden Texte rezipiert werden, wenn man davon ausgeht, dass Textverstehen grundsätzlich ohnehin nicht linear verläuft, sondern - im Sinne des hermeneutischen Zirkels - als kreis- oder spiralförmiger Prozess. Zum Problem der Chronologie von ›Erec‹ und ›Lanzelet‹ vgl. Kapitel 3.1.2. 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 155 Äquivalenz und Opposition, von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit konstituiert sich der Bedeutungsaufbau der Texte. 74 Ein solches Ineinander von Ähnlichkeit und Differenz im Verhältnis zu Hartmanns Text kennzeichnet die nachfolgende Beschreibung des Schönen Waldes. Eine besondere Auszeichnung erfährt dieser durch seine exquisite Artenvielfalt: Lewen, bern und wilt, swin, und swaz man jagen wil, des was dâ mêr danne vil ze rehter tagalte. vil dicke man dâ valte manigen grôzen helfant. (La 3992-3997) Die unterschiedlichen Tiergattungen werden nicht um ihrer selbst willen in Behforet gehalten, sondern dienen einem explizit genannten Zweck: ze rehter tagalte (La 3995), d. h. zum höfisch-exklusiven Zeitvertreib in Form der Jagd. Die Beutetiere sind dabei offenbar in so großer Zahl vorhanden, dass sogar exotisches Großwild wie Elefanten in regelmäßigen, zeitnahen Abständen ( vil dicke ) erlegt werden kann (La 3996 f.). Möglicherweise ist mit dem Hinweis auf die vielfältige und teils fremdartige Fauna 75 des Waldes ein weiterer intertextueller Bezugsrahmen eröffnet, der sich in diesem Fall allerdings nicht in Richtung des Hartmannschen Artusromans erstreckt: Auch der Jagdwald des ›Nibelungenliedes‹ wird u. a. mit Wildschweinen, Bären und sogar einem Löwen von einer ganz ähnlichen Reihe wilder Tiere belebt. Freilich ist hier der Allusionshorizont, sofern vorhanden, verhältnismäßig blass. Wenn es tatsächlich zutrifft, dass hier schlagwortartig das heroische Register eingespielt wird, so doch höchstens als Kontrastfolie, vor der die Schilderung des Schönen Waldes als höfis ch er Raum erst eigentlich Kontur gewinnt. Der Wald des ›Nibelungenliedes‹, wenngleich im gewissen Umfang ebenfalls höfisch überformt, behält stets auch sein Gepräge als unkultivierter Raum der wilde , der der höfischen Welt entgegensteht und sich ihrer Kontrolle letztlich entzieht. 76 Sprachlich schlägt sich dies im extensiven Gebrauch von Adjektivattributen nieder, die mit dem semantischen Feld der wilde assoziiert sind: Das Wildschwein, obwohl offenbar noch ein Jungtier ( halp‹swuol ›, Nl 932,3) wird als vil 74 Dies gilt gleichermaßen für interwie intratextuelle Sinnzusammenhänge. Auch im Falle der durch die Raumschilderung erzeugten intratextuellen Bezugsstruktur von Feenreich und Dodone greifen Ähnlichkeit und Differenz ineinander, denn einerseits werden beide Reiche, wie beschrieben, als mythisch oder zumindest mythisch konnotiert dargestellt und stehen insofern in einem Verhältnis der Äquivalenz; andererseits stehen sie aber als miteinander verfeindete Reiche auch in einer oppositionellen Relation (K Ragl spricht von ›Antipoden‹; s. o. und Kapitel 3, Fn. 71). 75 l oRenz , Raumstrukturen, S. 227 f., sieht in den Löwen und Elefanten »märchenhafte[ ] Elemente«, die, zusammen mit dem Fehlen des Hirsches »als Insignium der höfischen Jagd« eine »klare Differenz zu den zeremoniellen Jagden in nicht magisch konnotierten Räumen der arthurischen Welt« markieren. Abgesehen von der Frage, ob ›exotisch‹ wirklich so ohne Weiteres mit ›märchenhaft‹ gleichzusetzen ist, scheint mir hier eine andere Logik ausschlaggebend zu sein, als l oRenz sie in der Beschreibung der Fauna Behforets sieht: Wenn man bedenkt, dass höfische Jagd auf soziale Exklusivität zielt (vgl. etwa B umKe , Höfische Kultur, S. 242: »Das rigorose Jagdrecht verschloß Wälder und Gewässer praktisch für alle, die keine Herrschaftsrechte ausübten«), dann dürfte durch die Exotik der Tiere auch auf ein besonders hohes Maß an Exklusivität abgehoben sein - und damit auch auf ein besonders hohes Maß an Höfischheit! Der Jagdwald von Dodone steht nur insofern im Kontrast zu den ›gewöhnlichen‹ Jagdwäldern des Artusromans, als er sie in dieser Hinsicht übertrifft. 76 Vgl. Kapitel 1.5. 156 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven stark charakterisiert, der Bär sei ein tier vil griuwelich (Nl 943,3), der Löwe ungefüege[ ] (Nl 932,4), was nichts anderes bedeutet, als dass er sich der ›rechten‹, also höfischen, Ordnung widersetzt. In der Beschreibung der Tiere des Schönen Waldes fehlen Charaktersierungen dieser Art völlig. Stattdessen werden diese in geradezu vollendeter Weise als domestiziert dargestellt, was wiederum über die Ordnung des Raumes narrativ vermittelt ist: Des waldes art was sô gewant: in schiet77 ein wazzer wol getân; und muosten einhalp gân diu tier; daz was ir urganc. anderhalp was vogelsanc und gefügel allerhande, die man noch ie bekande, swaz êt hât gevidere. (La 3998-4005) Während mythische Räume durch Entdifferenzierung gekennzeichnet sind, wird der Schöne Wald geradezu in einem Höchstmaß an Differenziertheit vorgeführt. So konstituiert sich die hier entworfene Raumordnung in zwei mittels eines Gewässers klar voneinander abgesetzten Teilbereichen, denen jeweils unterschiedliche Klassen von Tieren zugeordnet sind: Hier die landbewohnenden Tiere (La 4000 f.), dort alle Arten von Vögeln (La 4002-4005). 78 Auch der Fluss, der die beiden Teilräume voneinander scheidet, ist belebt: daz wazzer brâht ouch genuht / von allerhande vischen (La 4008). Wie bei dem Hinweis auf die Kurzweil der höfischen Jagdpraxis, wird auch hier der funktional-pragmatische Sinn dieser Einrichtung sogleich mitgenannt: Die Fische können bei Bedarf dem König vorgesetzt werden (La 4010 f.), und zwar mit êren (La 4011), d. h. zum Zwecke der höfisch-feudalen Selbstbestätigung. Unklar bleibt, ob mit dieser Formulierung auf eine besondere Art der Darreichung angespielt ist oder aber auf die Qualität der Fische selbst, die ›eines Königs würdig‹ sei. Doch kommt es hierauf nicht an: Entscheidend ist, dass der Schöne Wald in einer Weise dargestellt wird, die ihn bis ins Detail hinein als in die symbolische Ordnung der höfischen Welt integriert zeigt. Auch die Tiere sind dieser Ordnung vollständig unterworfen: Weder in die eine, noch in die andere Richtung könne, so heißt es, irgendeines der Tiere aus seiner zuht gelangen (La 4006 f.). Eine tentative neuhochdeutsche Übersetzung mit ›Gehege‹ 79 dürfte zwar das Gemeinte treffen, vermag aber kaum die ideologischen Konnota- 77 Raumlogisch etwas irreführend scheint mir die Übersetzung bei K Ragl : ›Ihn umgab ein schönes Gewässer‹. Dass im Folgenden von zwei distinkten Teilräumen die Rede ist, spricht eher dafür, dass das Gewässer mitten durch den Wald hindurchführt, statt ihn zu ›umgeben‹. 78 Ob diese räumliche Trennung auch als Trennung eines »Jagdwald[es]« einerseits von einem ihm entgegenstehenden »Naturraum« andererseits zu interpretieren sei, der seinerseits offenbar nicht der höfischen Jagd diene (so l oRenz , Raumstrukturen, S. 228), bleibe dahingestellt. Ebenso könnte die begriffliche Gegenüberstellung von vogelsanc (Metonymie! ) und gefügel auf den Versuch einer terminologischen Unterscheidung von Singvögeln und jagdbarem Geflügel hindeuten, was bedeuten würde, dass beide Teilbereiche des Waldes gleichermaßen zur Jagd gedacht wären. Immerhin: »Rebhühner, Trappen und Fasane waren [im höfischen Mittelalter] als Jagdbeute sehr geschätzt« (B umKe , Höfische Kultur, S. 243). (Problematisch ist freilich auch schon die Bezeichnung des Vogelgartens als ›Naturraum‹, wenn man den überaus artifiziellen Charakter der gesamten Anlage in Rechnung stellt.) 79 Vgl. K Ragl s Übersetzung der Verse: ›Weder hinnoch herüber / kam eines von beiden aus ihrem Gehege‹. 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 157 tionen dieses höfischen Signalwortes widerzugeben. 80 Die hochgradig differentiell geprägte Raumordnung des Schönen Waldes als ›Tierpark‹ mit strikter Artentrennung rückt diesen nicht nur in Distanz zu mythischen Raumkonzeptionen, sondern auch zu zeitgenössischen Imaginationen des irdischen Paradieses. Der Zustand vor dem Sündenfall wird hier als harmonisches Nebeneinander der Geschöpfe im Paradiesgarten imaginiert, als sündenfreie Koexistenz von Vögeln, Fischen und Säugetieren, von Raubtieren und Pflanzenfressern, die sich in bildlichen Darstellungen als räumliche Ungeschiedenheit konkretisiert. 81 Zwar ist der Garten durch eine unüberwindbare Einfriedung 82 vom restlichen Erdkreis abgeschnitten, doch wird er als topographische Einheit in sich nicht noch einmal solcherart differenziert. Der Wald von Dodone steht in scharfem Kontrast hierzu. Wenn der Erzähler den Wald nun, trotz der sinnfälligen Differenz zu gängigen Paradiesvorstellungen, mit dem heilsgeschichtlich aufgeladenen Prädikat vollekomen (La 4013) belegt, dann kann in diesem Fall mithin gerade nicht auf die soteriologische Dimension des Begriffes abgehoben sein. Angesprochen ist vielmehr eine radikal innerweltliche Form der ›Vollkommenheit‹ - sofern diese überhaupt möglich ist -, die jedweder religiöser Implikationen entbehrt. vollekomen heißt in diesem Kontext nichts anderes, als dass sich im hochgradig artifiziell angelegten Wald von Dodone höfis ch e Ordnung in Vollendung realisiert, nämlich als geordnetes Verhältnis der Unterschiede. Aus diesem Grund allererst kann der Wald mit dem Wertbegriff schœn attribuiert werden (vgl. La 3988 f.), welcher ihm eine ästhetische Qualität zuspricht, die der traditionellen Semantisierung dieses Raumtypus als ›unhöfischer‹ Gegenraum par excellence geradewegs entgegensteht. Man hat auf die motivische Nähe der Schilderung des Schönen Waldes, vor allem in Bezug auf den fischreichen Wasserlauf, zur Beschreibung der Wasserburg Penefrec im ›Erec‹ hingewiesen: ez stuont enmitten in einem sê: der gap im genuoc und dannoch mê der aller besten vische die ie ze küneges tische dehein man gebrâhte, swelher hande man gedâhte. (Er 7124-7128) 83 80 Zur vielschichtigen Semantik dieses Leitbegriffes, die sich zwischen ›höfische Etikette‹, ›Selbstbeherrschung‹, ›erzieherisches Geformtsein‹, ›gesittetes Verhalten‹, ›Anstand‹, ›Bildung‹, ›höfische Umgangsformen‹ u. ä. bewegt, siehe e hRiSmann O. [u. a.], Ehre und Mut, S. 249-253. Eine mögliche Bedeutung ›Tiergehege‹ ist, soweit ich sehe, in den gängigen Wörterbüchern nicht berücksichtigt. 81 Vgl. das reichhaltige Anschauungsmaterial in von B loh , Historienbibeln, v. a. Abb. 1, 9, 19, 22, 41 f., 47, 52, 59, 96, 107, 114. Die trophischen Beziehungen zwischen den Lebewesen sind ausgeschaltet, wenn Carnivoren wie etwa Löwen in friedfertiger Weise neben ihren angestammten Beutetieren verweilen. Sogar die notgedrungene räumliche Trennung von land- und wasserbewohnenden Tieren wird bisweilen überbrückt, wenn die Darstellungen Fische, ohne den geringsten Hinweis auf ihren aquatischen Lebensraum, zwischen Landlebewesen wie Affen, Hirschen, Eseln u. a. zeigen; vgl. Abb. 1 (= von B loh , Historienbibeln, Abb. 114) und 3 (= von B loh , Historienbibeln, Abb. 9). (Zu mythischen Merkmalen des irdischen Paradieses in der literarischen Tradition [v. a. ›Brandan‹-Legende] vgl. auch Kapitel 3, Fn. 172.) 82 Geradezu topisch ist etwa die Darstellung des Paradiesgartens als burgenähnlich ummauerter hortus conclusus (vgl. Abb. 2 und 3 [= von B loh , Historienbibeln, Abb. 8 und 9]). 83 Vgl. S chilling , De usu dicendi, S. 10 f.; n eumaieR , Lanzelet, S. 21; g Ruhn , Erek, S. 28,3, P éRennec , Lanzelet, S. 28, Fn. 3. 158 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven Doch auch das zugehörige Jagdrevier, welches ebenfalls nach Tierarten differenziert ist, erinnert an Behforet: dar zuo was dâ daz beste jaget, dâ von uns ie wart gesaget. ez hete der künec umbe den sê wol zwô mîle oder mê des waldes in gevangen und mit mûre umbegangen: […] mit mûre was der selbe kreiz, als ich ie ze sagen weiz; gelîche endriu gescheiden. daz ein teil von den beiden hâte rôtwildes genuoc: swarzwilt daz ander teil truoc. in dem dritten teile dâ bî, […] dâ wâren inne besunder niuwan kleinie kunder, vühse, hasen und diu gelîche. (Er 7130-7148) Guivreiz’ Burg fungiert in Hartmanns Text als Kontrapunkt zum Schauplatz der darauffolgenden Schlussaventiure. Bei seinem ersten Auftritt erscheint Guivreiz zwar aufgrund seiner ungewöhnlichen, wenn nicht defizitären Physiognomie als ambivalente Figur mit durchaus mythischem Gepräge 84 , doch stellt sich der kleinwüchsige, aber tapfere Ritter im Weiteren als »höfisch denkende[r] König« 85 heraus. Seine Burg ist räumlich-materielles Zeichen dieser vorbildlichen Gesinnung, die sich nicht zuletzt in seiner herrscherlichen Freigebigkeit äußert. Demgemäß wird Penefrec als ritterliche Festung charakterisiert, die alles bietet, was man nur zu wünschen vermag: von aller guoten sache / sô was das selbe hûs vol (Er 7121 f.), bereitet ze vollem gemache (Er 7120). Im Gegensatz zu dieser ungebrochenen höfisch-ritterlichen Idealität, die Erec Gelegenheit zu einer letzten Einkehr vor der Joie de la curt bietet, offenbart sich die Idealität von Brandigan schließlich als nur augenscheinliche. Höfisches und Unhöfisches sind hier, wie die Analyse gezeigt hat, in einem mythischen Sinne miteinander konfundiert. 86 Sowohl in Dodone als auch in Penefrec manifestiert sich höfische Ordnung als differentielle Ordnung des narrativen Raumes, die selbst den Wald als traditionell gegenhöfischen, unzivilisierten Raum so umfassend prägt, dass er nunmehr als vollständig der höfischen Welt eingegliedert erscheint. Ulrichs Text zieht dabei allerdings in ein einzelnes Segment der erzählten Welt zusammen, was bei Hartmann auf zwei unterschiedliche, miteinander kontrastierende Teilräume verteilt ist: Der Wald von Dodone bündelt Motive aus der Schil- 84 Vgl. m eRtenS , Artusroman, S. 34, der in Chrétiens Guivret eine »mythische Figur der Volkssage« erkennt, die »sich dann jedoch als vollendet höfisch« erweise. Zu den mythischen Zügen und der semantischen Ambivalenz der Guivreiz-Figur vgl. neuerdings auch h oFFmann , Arbeit, S. 147-153, sowie, kritisch zu den dort verwendeten Beschreibungskategorien, P oSeR , Arbeit, S. 129 f., dort v. a. Fn. 14. 85 h aRmS , Kampf, S. 122. 86 Vgl. Kapitel 2.2.2. 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 159 derung Penefrecs mit solchen, die in der Joie-de-la-curt- Episode begegnen. Wer mit beiden Texten vertraut ist, mag darin ein Signal sehen, auf das feine Spiel von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit zu achten, welches den Bedeutungsaufbau der Texte konstituiert (jedenfalls sollte man vermeiden, vorschnell von motivischen Gemeinsamkeiten auf das schlichte Epigonentum Ulrichs zu schließen). Für die Dodone-Episode lässt sich diesbezüglich festhalten, dass es gegenüber dem ›Erec‹ zu einer eigentümlichen Diskrepanz zwischen der Raum- und der Zeitstruktur der erzählten Welt kommt: Während die zeitliche Ordnung durch mythische Entdifferenzierung gekennzeichnet ist - die Jahreszeitenfolge ist, wie in der Joie de la curt auch, aufgehoben -, bleibt die räumliche Ordnung - anders als dort, doch in Analogie zur Schilderung Penefrecs - einer strikt differentiellen Logik verpflichtet. 87 3.2.4 Dodone und die Utopie immerwährender vröude Die Beschreibungen der Burg Dodone bestätigt, um die Ergebnisse des folgenden Abschnitts vorwegzunehmen, weitgehend diejenigen der vorangegangenen, und zwar sowohl hinsichtlich der spezifischen Zeitsemantik, die dieser Raumeinheit eingeschrieben ist, als auch in Bezug auf das Verhältnis der Episode zum Hartmannschen Vergleichstext. 88 Die Außenansicht von Dodone erinnert zunächst nämlich wiederum an den ›Erec‹, genauer: an die descriptio der Burg und Stadt Brandigan. 89 Bei Ulrich liest sich die entsprechende Passage wie folgt: diu rîche burc Dôdône, […] an si was michel vlîz geleit. wan der berc was niht ze smal, 87 Wenn man die Strukturlogik des Mythos als nicht-differentielle Logik des ›Sowohl-als-auch‹ versteht, dann wäre zu erwägen, inwieweit sich diese Diskrepanz von Raum und Zeit als Phänomen einer mythischen Logik ›höherer Ordnung‹ beschreiben ließe. Demnach würde der Text in einer einzigen narrativen Einheit sich gegenseitig widersprechende logische Modi in einer Weise zusammenspannen, die selbst als ›mythisch‹ zu bezeichnen wäre. Gegen die Vorstellung einer solchen mythischen ›Meta-Logik‹ ist allerdings einzuwenden, dass die beiden logischen Modi eben mit ›Raum‹ und ›Zeit‹ jeweils unterschiedlichen analytischen Ebenen der Erzählung zuzuordnen sind, die gerade aufgrund der beschriebenen Diskrepanz auch voneinander unterscheidbar bleiben. Insofern kann von einer Entdifferenzierung von mythischer und differentieller Logik nicht die Rede sein, weil dies zuallererst eine mythische Konfundierung von Raum und Zeit voraussetzen würde, wie sie in diesem Fall gerade nicht gegeben ist. Der Mythos demgegenüber tendiert tatsächlich dazu, diese Kategorien im Sinne mythischer Konkreszenz so zu überblenden, dass räumliche und zeitliche Parameter schließlich in eins fallen: »Räumliche Unterscheidungsmerkmale können vielfach nicht von zeitlichen getrennt werden, sie konvergieren z. T. miteinander. […] Ein mythischer Raum evoziert vielfach auch ein mythisches Zeitkonzept, umgekehrt greifen dort, wo mythische Zeitkonzeptionen wirksam werden ebenfalls mythische Raumvorstellungen« (h ammeR , Tradierung, S. 40). Dass die in Behforet gerade nicht der Fall ist, dass es vielmehr, anders auch als in der Joie de la curt , zu einem Bruch zwischen den Ordnungen des Raumes und der Zeit kommt, spricht m. E. für den in dieser Hinsicht höheren Grad an Komplexität gegenüber den genannten Parallelen bei Hartmann. Auf die eigentümliche Zeitkonzeption der Dodone-Episode hat die Forschung bereits mehrfach hingewiesen (dezidiert in mythostheoretischer Perspektivierung etwa S chulz , Held, S. 429); doch fand dabei die Spannung, die sich daraus zur strikt differentiellen Ordnung des Raumes ergibt, erstaunlicherweise bisher keine Beachtung. 88 Ich weiche bei der Analyse im Folgenden von der Reihenfolge ab, in der die erzählten Ereignisse sowie die eng mit ihnen verzahnten deskriptiven Passagen im discours des Textes präsentiert werden, um systematische Zusammenhänge deutlicher herausarbeiten zu können. 89 Vgl. Kapitel 2.2.2. 160 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven sie lac hôhe ob dem tal, erbûwen wol mit sinnen. beidiu ûzen und innen schein siu betalle hêrlich. niden was der esterich von marmel gemaht. diu mûre was der selben slaht. geschâzavelt genôte, beidiu wîz und rôte, wârn di steine gezieret. diu mûre was gemuosieret harte wol von golde. (La 4096-4111) Mit Brandigan teilt Dodone vor allem die topographische Positionierung hôhe ob dem tal (La 4100; vgl. Er 7843, 7874-7883). Im ›Erec‹ erfüllt diese exponierte Lage eine doppelte Funktion: einerseits den weithin sichtbaren Ausweis der Burg als Herrschaftszentrum des Landes (vgl. Er 7869-7873), andererseits eine weniger repräsentative denn ›zweckrationale‹ militärische Schutzfunktion (vgl. Er 7844). Im ›Lanzelet‹ tritt diese völlig in den Hintergrund. Ein Hinweis auf die strategische Bedeutung der Berglage fehlt vollständig. Während in Brandigan auf die Festigkeit des Mauerwerks aufmerksam gemacht wird, das mit Eisen und Blei statt mit einfachem Mörtel verfugt sei (La 7851-7854), so stehen in der Beschreibung Dodones andere Aspekte im Vordergrund: die Kostbarkeit des verwendeten Materials ( marmel , La 4105; von golde , La 4111) sowie seine kunstvolle Verarbeitung: Die roten und weißen Marmorblöcke sind schachbrettartig angeordnet ( geschâzavelt , La 4107), die gesamte Mauer ist von kostbaren Mosaikstrukturen überzogen ( gemuosieret , La 4110). Die descriptio folgt in beiden Fällen demselben topischen Beschreibungsmuster: angefangen bei der geographischen Formation, der die Burg jeweils aufruht, über die Beschreibung des Mauerwerks bis hin zur Ornamentik, die die gesamte Anlage jeweils ziert - goldene Turmaufsätze dort (Er 7866 f.), eine aufwändige, ebenfalls goldverbrämte Mosaikstruktur hier. Beide Burgen sind architektonisches Zeichen höfischer Vollkommenheit, die sich freilich in Brandigan gerade im Ineinander von militärisch-strategischer Zweckgebundenheit und höfischem Glanz ( glast , Er 7868) manifestiert. In Dodone dagegen verschwindet die Schutzfunktion gänzlich hinter dem Aspekt der Repräsentation, 90 was die Burg jedoch umso deutlicher als Idealbild eines höfisch-ritterlichen Herrschaftssitzes hervortreten lässt. Aufbauend auf den Beobachtungen Andrea g laSeRS , 91 konnte für Brandigan gezeigt werden, wie die in der Architektur der Anlage sichtbare Idealität durch den Wechsel der Beobachterperspektive gebrochen wird: Sobald der Blick der Erzählers nicht mehr dem der heranreitenden Gäste folgt, sondern dem eines imaginären Insassen, verliert der schluchtenartige Burggraben seine Sicherheit spendende Funktion und wird vielmehr selbst zu einer Bedrohung für die Bewohner - ein schwindelerregender Abgrund, der Assoziationen zur Hölle erweckt (Er 7878-7883). Das Tal von Dodone im Kontrast ist völlig frei von jeglichen Konnotation, die auch nur ansatzweise in Richtung des Bedrohlichen oder gar Dämonischen verweisen würden. Es gibt keinerlei raumsemantischen Merkmale, die die Idealität 90 Vgl. auch Ó R iain -R adel , Untersuchungen, S. 181: »Die hyperbolische Schilderung beschränkt sich auf die Pracht der Burg, von ihrer Wehrhaftigkeit sagt Ulrich nichts.« 91 Vgl. g laSeR , Held, S. 55 f. 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 161 des Ortes im Mindesten beeinträchtigten. Im Falle Brandigans konnte ein metonymisches Verhältnis zwischen der Topographie des Ortes einerseits und der Befindlichkeit seiner Bewohner andererseits konstatiert werden: Wie die Idealität der Burganlage mit einem Mal ins Bedrohliche ›kippt‹, so schlägt auch die augenscheinliche Freude der burgære bei der Begegnung mit Erec in zwei aufeinanderfolgenden Szenen schlagartig in trûren um. 92 In der Darstellung Dodones gibt es Vergleichbares nicht. Doch auch hier sind Burg und Burgbewohner in eine Art metonymisches Verweisverhältnis eingebunden. Deshalb kann der Erzähler festhalten, so als wolle er das in der descriptio Gesagte noch einmal zusammenfassend bündeln: Dôdône stuont ze wunsche wol, wan der wirt het genuoc, swaz wazzer oder lant truoc und swes sîn lîp gedâhte. di burc er vollebrâhte, daz ir nihtes enbrast. siu was guot und vast, besatzt mit burgæren. ich hôrt sagen, ir wæren sehzic und lützel mêr. si wârn rîch und hêr und heten vröude under in: der tac was dâ schiere hin. (La 4172-4184) Wie zuvor mit Bezug auf den Jagdwald von Behforet, so weist der Erzähler auch hier wiederum - in strikter Parallelführung von Beschaffenheit und Ausstattung der Burg mit der dortigen Stimmungslage - auf die Kurzweil hin, die in Dodone herrsche (La 4184). Erstaunlich ist nun aber, dass diese Vergnüglichkeit nicht etwa an bestimmte zeitlich fixierte Anlässe wie Feste gebunden ist, welche im Kontrast stehen sowohl zur Alltagssituation, aus der sie jeweils herausgehoben sind, als auch zur Zeit der arebeit und der Aventiure, die der Artusroman als temporalen Gegenpol zur höfischen hochgezît kennt. Stattdessen erweckt die Wortwahl den Eindruck, es handle sich bei diesem Zustand der vröude (La 4183) und der Kurzweil geradezu um den alltäglichen Normalfall auf Dodone. Damit korreliert die Schilderung aufs Engste mit der Schilderung des Schönen Waldes, die, vermittels des mythischen Motivs immergrüner Bäume und im Ausschluss des trauerbeladenen Winters aus dieser Raumeinheit (die ihrerseits, wie dargelegt, als räumlich e Ordnung nicht mythisch, sondern differentiell geprägt ist), ebenfalls das Bild eines Ortes immerwährender höfischer vröude (La 3986) entwirft. Ein Moment des ›Umkippens‹ oder ›brüchig Werdens‹ dieser Freude, wie sie in Brandigan zu beobachten ist, lässt sich nicht feststellen. Es dürfte bis hierher deutlich geworden sein, dass sich die Texte Hartmanns und Ulrichs auch dann, wenn man die Frage nach den genauen Abhängigkeitsverhältnissen einklammert, in einer Weise aufeinander beziehen lassen, die sinnbildend ist. Die bisherigen Befunde dieser vergleichenden Lektüre können wie folgt zusammengefasst werden: In der Joie de la curt wird die nicht-differentielle Strukturlogik des Mythos fruchtbar gemacht, um das Problem einer Minnebeziehung zu thematisieren, die sich dem binären Mechanismus 92 Vgl. Kapitel 2.2.2. 162 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven von Inklusion und Exklusion entzieht. Räumlich schlägt sich dies in einer Topographie nieder, welche das ebenfalls binär-differentiell angelegte Schema von Raum und Gegenraum im Sinne eines mythischen Sowohl-als-auch aufhebt. Die räumliche Ordnung der Episode korreliert dabei mit ihrer zeitlichen: Temporale Linearität ist ersetzt durch einen Zustand mythischer Zeitenthobenheit. Damit sind aber die differentiellen Bedingungen höfischer Freude nicht länger gegeben, setzt vreude doch räumliche und soziale Exklusivität ebenso voraus wie ihr, als Konstituens des höfischen Festes, auch zeitliche Parameter eingeschrieben sind. Die Folge ist der Verlust der vreude auf Brandigan. Die Dodone-Episode nun verwendet ein Set ganz ähnlicher Motive und Beschreibungstopoi, um damit aber zu einem völlig anderen Aussagegehalt zu gelangen. Iwerets Reich ist ebenso wie der Baumgarten von Brandigan von einer markierten Raumschwelle umgeben; doch anders als dort, dient er in diesem Fall nicht dazu, die schrecklichen Auswirkungen der Gewalt auch im Zentrum der Aventiure präsent zu halten, sondern sie vielmehr radikal aus diesem auszugrenzen. Der innere Bereich von Dodone erscheint in ungebrochen höfischem Glanz: Die descriptio der Burg erinnert in ihrem Aufbau an die Beschreibung Brandigans, doch fehlt jedes Anzeichen raumsemantischer Ambivalenz, wie sie dort gerade kennzeichnend ist. Im Jagdwald von Dodone realisiert sich höfische Ordnung als hochgradig differentielle Ordnung des Raumes. Damit rückt die Beschreibung Behforets in die Nähe der Schilderung Penefrecs in Hartmanns ›Erec‹, wobei ein anderes motivisches Detail zugleich wiederum einen starken Bezug zur Joie de curt herstellt: Der Wald von Dodone unterliegt wie Mabonagrins Baumgarten mythischer Zeitenthobenheit. Für Dodone ist mithin eine Diskrepanz zwischen räumlicher und zeitlicher Ordnung zu konstatieren, die der ›Erec‹ in dieser Form nicht kennt. Es fällt ins Auge, dass das Stillstellen des gewöhnlichen Zeitenwandels dabei nicht wie in der Joie de la curt mit dem Verlust der höfischen Freude einhergeht. Zwar ist auch in Dodone die sequentielle Abfolge von vreude und arebeit aufgehoben, doch nicht zugunsten eines in seiner eigenen Statik befangenen Zustands des Freudlos-Immergleichen, wie der ›Erec‹ ihn an entsprechender Stelle figuriert. Vielmehr wird die spezifische, nicht-differentielle Semantik mythischer Zeitkonzeptionen fruchtbar gemacht, um den Alltag selbst dem ansonsten nur exzeptionellen Status des höfischen Festes anzugleichen. Die Gesellschaft von Dodone ist vollständig autark. Der tierreiche Jagdwald und die gut gefüllten Kornkammern der Burg sichern nicht nur die Grundversorgung der Bürger (La 4173-4177), sondern garantieren Tag für Tag einen Lebensstil, wie er ansonsten nur im höfischen Fest gepflegt wird. Angezeigt wird dies durch den extensiven Gebrauch des Vokabulars höfischer Festkultur: Es herrscht Kurzweile ( tagalte , La 3995; vgl. auch La 4184), das Essen wird mit êren dargereicht (La 4011; vgl. auch 4166), insgesamt befindet sich Dodone im Zustand der vröude (La 4183). 93 Dodone und der Schöne Wald, welcher ebenfalls durch die Abwesenheit von trûricheit (La 3987) und der damit assoziierten temporalen Ordnungseinheit, dem Winter, gekennzeichnet ist, schließen sich so hinsichtlich ihrer Zeitsemantik zu einem einheitlichen Merkmalsbündel zusammen. Auf Dodone ist höfische Hochgestimmtheit alltägliche Gegebenheit. Fest und Alltagssituation sind damit ebenso wenig unterscheidbar, 93 Angesichts dieses Befundes scheint mit die These Ulrike z ellmannS , Lanzelet, S. 236 f., unhaltbar, dass »in besonderer Weise Dodone« die burc als spezifischen Rechtsort in Differenz zum »Kulturzentrum hof « inszeniere (ebd., S. 237). Iwerets Burg ist nicht weniger von den Merkmalen höfischer Kultur geprägt als der Artushof. 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 163 wie auch die Abfolge klar differenzierter Jahreszeiten im Schönen Wald durch einen Zustand ewigen Sommers ersetzt ist. Die zeitliche Dimension höfischer vröude bedingt, dass selbst das ausladendste höfische Fest für gewöhnlich irgendwann ein Ende findet. 94 Rosemarie m aRQuaRdt benennt als das am längsten andauernde Fest innerhalb der literarischen Welt des Artusromans die Krönungsfeier Erecs in Karnant mit einer Dauer von insgesamt sechs Wochen (vgl. Er 10079). 95 Hier ist von einem textinternen Überbietungstopos auszugehen, vermag die hochzît (Er 10056) von Karnant doch sogar die Feierlichkeiten anlässlich der bestandenen Joie de la curt in Brandigan in den Schatten zu stellen, welche mit vier Wochen (Er 9770-9773) dem nach m aRQuaRdt »am häufigsten genannte[n] Termin« entsprechen. 96 Gegenüber derart zeitlich fixierten Festakten kennt zwar der spätere Artusroman, wie Günter S choPF herausstellt, 97 durchaus auch das Phantasma eines ›ewigen Festes‹, also eines Zustands, »der alles Negative ausschließt und auf ewige Dauer drängt« (S. 34). 98 »In der klassischen Zeit« sei jedoch, so S choPF , »solch eine Entproblematisierung nicht möglich. Der höfische Sinn realisiert sich nicht in einem Dauerzustand, sondern nur im Sonderstatus des Festes, in das die Handlung immer wieder einmündet, um aber auch wieder der Idealität verlustig zu gehen« (S. 35). Insofern nimmt - eine Frühdatierung des ›Lanzelet‹ vorausgesetzt - Ulrichs kühner Entwurf einer selbstgenügsamen Gesellschaft, die nichts als vröude zu kennen scheint, durchaus eine Sonderstellung ein. In Dodone ist in einem mythischen Sinne auf Dauer gestellt, was in der Artuswelt ansonsten notwendig temporalen Bedingungen gehorcht. Bemerkenswert ist dies nicht nur, weil Iwerets Reich damit das utopische Potential des Artushofes (als dem eigentlichen Zentrum höfischer vreude ) weit hinter sich zu lassen scheint: Hier ist Normalzustand, was dort nur zeitlich begrenzte Ausnahme sein kann. Bemerkenswert ist dies vor allem auch deshalb, weil Dodone - anders als Brandigan, anders aber auch als die Burg zum Schlimmen Abenteuer oder beinahe jedes weitere Beispiel, dass die zeitgenössische höfische Epik zum Vergleich bereitstellt - nicht im Geringsten den Anschein der Erlösungsbedürftigkeit erweckt, als der Held in dieses Raumsegment eindringt. 3.2.5 Das Zentrum Dodones: Die Kemenate und das Vallis Iblê Dass allerdings auch dieser Ort scheinbar ungebrochener Idealität in gewisser Hinsicht defizitär ist, zeigt spätestens ein Blick in das Innere der Burg. Im narrativen discours des Textes folgt dieser auktorial vermittelte Innenblick - der Held selbst erfährt nichts von den geschilderten Gegebenheiten - unmittelbar auf die descriptio der Burg, also noch vor der resümierenden Darstellung V. 4172-4183 ( Dôdône stuont zu wunsche wol, […] der tac was 94 Zur Temporalität von Fest und Festfreude vgl. auch Kapitel 2.1.2. 95 Vgl. m aRQuaRdt , Das höfische Fest, S. 248. Von der Krönungsfeier in Dodone wird im ›Lanzelet‹ allerdings berichtet, dass König Artus dort mit seinem Gefolge drî mânôde und mêr (La 9253) verbracht habe - was auch eine entsprechende Dauer des gesamten Festaktes vermuten lässt. Jedenfalls ist das Fest auch hier zeitlich begrenzt, und diese Zeitgebundenheit ist im Text eigens markiert; vgl. hierzu auch Kapitel 2.1.2. 96 m aRQuaRdt , Das höfische Fest, S. 248; vgl. die Belegstellen ebd., Fn. 639. 97 S choPF , Fest und Geschenk, S. 32-46 (dort auch die folgenden Zitate). 98 Als Beispiel nennt S choPF , Fest und Geschenk, S. 33, die Gesellschaft von Clûse im ›Daniel von dem Blühenden Tal‹ des Strickers - dâ ist alle tage hôchzît (Da 639) -, macht dabei aber ebd., Fn. 162, auch auf Ähnlichkeiten zum Reich der Meerfee und dem Schönen Wald in Ulrichs ›Lanzelet‹ aufmerksam. 164 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven dâ schiere hin ). Der Erzähler schließt an die Beschreibung der Außenansicht an, in dem er die Perspektive nun auf und in das Schlafgemach des Burgherrn lenkt: dâ der wirt sîn solde und dâ sîn wonunge was, daz was ein rîche palas, michel und mære. man seit uns, daz er wære mit maniger schônheit geladen. Dar inne stuont ein slâfgaden, des mûren wâren ônichelîn. der esterich, der muose sîn lûter von kristallen und von edelen korallen. dâ wâren striche an gemaht von jaspidê maniger slaht. dâ was grôze rîcheit schîn. di siule wârn silberîn. dâ enmitten lâgen steine: saffîre vil reine; smâragden und rubîne, topâzjen und sardîne, grânât und ametisten, di wârn alle mit listen nâch ein ander an geleit. […] daz himelze was durchslagen von golde und von gesteine wol, … … der ich ein teil nennen sol: Dâ lac kalzedôn und berillus, ônix und krisolîtus, jâchant und karfunkel; dâ von wart niemer dunkel in der kemenâten. (La 4112-4145) Unmittelbar ins Auge sticht die an Kostbarkeit kaum zu überbietende Ausstattung der Kemenate. Freilich sind solche katalogartigen Aufzählungen von Edelsteinen und anderer Pretiosen in den Ekphrasen der höfischen Epik nichts Ungewöhnliches. 99 Was allerdings die Schilderung der Kemenate von Dodone von ähnlichen Beispielen unterscheidet, ist, dass eine allegorische Sinnebene der - ansonsten symbolisch stark aufgeladenen 100 - Steine in diesem Fall keine oder nur eine untergeordnete Rolle zu spielen scheint. 101 Gegenüber 99 Vgl. die Belege bei z ellmann , Lanzelet, S. 236, Fn. 26. 100 Vgl. zur Edelsteinallegorese grundlegend m eieR , Gemma spiritalis, sowie, mit konkretem Bezug auf die mhd. Dichtung, e ngelen , Edelsteine. 101 Vgl. K Ragl , Stellenkommentar, S. 1172 (zu La 4119 ff.): »Die Aufzählung der verschiedenen Edelsteine scheint in den meisten Fällen nur der hyperbolischen Betonung der Pracht zu dienen, eine Semantik 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 165 einem möglichen geistlichen Sinn tritt die ins Hyperbolische gesteigerte Prachtentfaltung, die bereits in der vorangegangenen Schilderung der Burg angelegt ist, deutlich in den Vordergrund. Dementsprechend zielen die Kommentare des Erzählers auch weniger auf eine spirituelle Bedeutungsebene als vielmehr auf die ganz irdische Kunstfertigkeit, mit der die Steine der höfischen Ordnung an- und eingepasst sind: Explizit weist er auf die ›Gemachtheit‹ der Ornamentik hin (La 4123), lobt das fachmännische Geschick ( mit listen , La 4132), mit der die Steine aneinandergefügt sind (La 4133), und bedient sich auch ansonsten einer handwerklichen Terminologie ( durchslagen , La 4136). Obgleich Edelsteine auch Gegenstand des allegorisch-naturkundlichen Diskurses der Zeit sind, ist es nicht ihr durch Gott eingesetzter und durch den geistreichen Exegeten entschlüsselbare allegorische Sinn, der die spezifische raumsemantische Bedeutung der Kemenate konstituiert, sondern vor allem ihre menschengemachte Künstlichkeit. 102 Höfische Ordnung entfaltet sich im abgeschlossenen und wiederum hochgradig artifiziellen Innenraum des Schlafgemachs im dichotomen Kontrast zum unkultivierten und vorzivilisatorischen Zustand des Außerhalb. Bereits der Schöne Wald erwies sich als nur scheinbar naturhafter Außenraum, der sich bei genauerem Hinsehen als durch und durch kulturell überformt offenbarte. In der sinnfälligen Prävalenz harter und anorganischer Baumaterialien erhebt das Schlafgemach Iwerets die Manifestation höfischer Ordnung, die sich in Behforet als differentielle Ordnung des Raumes zeigte, nun in die Potenz: Das Zentrum von Iwerets Machtbereich steht in maximaler Distanz zu jeder Form der belebten und von menschlichem Zutun unbeeinflussten Natur. In diesen Raum größtmöglicher Naturferne hat Iweret nun die Bettstatt errichtet, die ihm und seiner Tochter als Lager dient: daz spanbette, dâ ûf lac der wirt und sîn kint reine, daz was von helfenbeine und von rôtem golde. di steine, die er wolde, di wâren dar an geleit. ein golter was dar ûf gespreit von samît grüen als ein gras. die betwât vil linde was, der pfulwe und ouch daz küssîn, diu zieche guot sîdîn. wîz und reine, niuwe und kleine kann den Steinen - mit Ausnahme des Karfunkels - hier nicht zugeschrieben werden« (mit Verweis auf Ó R iain -R aedel , Untersuchungen, S 181); dennoch sehe, wie K Ragl festhält, z ellmann , Lanzelet, S. 237, »die ›Lanzelet‹-Passagen […] in der Tradition christlicher Hermeneutik (Himmlisches Jerusalem) und als Tradierung eines Bestandteils gelehrten Wissens. An Belegen für eine solche Deutung« sei, wie K Ragl fortfährt, »der Text jedoch arm«. Andererseits macht auch K Ragl , Stellenkommentar, S. 1173 (zu La 4124), auf biblische Allusionen der Passage aufmerksam: »Der Jaspis verleiht dem Schlafgemach Iwerets etwas Paradiesisches, da er zu den Edelsteinen der Himmelsstadt [Apc 21,19] gehört und in der mittelalterlichen Literatur fast ausschließlich in diesem oder einem ähnlichen Zusammenhang gebraucht wird« (mit Verweis auf e ngelen , Edelsteine, S. 322 f.). Zur Semantisierung des Karfunkels s. u. 102 Auch Ulrike z ellmann , Lanzelet, S. 239, sieht in der Kemenate ein »Ausdrucksschema […] der artifiziellen Schönheit«. 166 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven was daz lîlachen. mit gewerlichen sachen minnet her Iweret sîn tohter, wan siu dicke tet, des er gelahen mohte. (La 4148-4165) Die Darstellung des Nachtlagers relativiert den artifiziellen Eindruck des Schlafgemachs, um ihn zugleich zu bestätigen. Die Steppdecke ( golter , La 4154), die über das Bett gebreitet ist, weckt Assoziationen an Gras ( als ein gras , La 4155), 103 ähnlich dem Marmorboden in Gottfrieds Minnegrotte: unden was der esterîch […] von grüenem marmel alse gras (Tr 16713-16715). Doch während diesem im weiteren Verlauf noch andere Merkmale zugesprochen werden, die ansonsten nur Gras eignen - der Boden wächst auf wundersame Weise beständig nach, so sehr man ihn auch mit triten zebert (Tr 17119) -, so dass in diesem Beschreibungselement »die Grenze […] zwischen dem Organischen und dem Unorganischen, zwischen Kunst und Kultur, zwischen dem Dauerhaften und dem Flüchtigen verwischt« 104 , ist die Decke eben nur grün wie Gras. Anders als im ›Tristan‹, impliziert der Vergleich bei Ulrich wiederum gerade die Künstlichkeit der Ausstattung, die Natur allenfalls nachahmt. 105 In der Forschung wurden vor allem die sexuellen Konnotationen der Passage kontrovers diskutiert: Iweret teilt sich nicht nur das Bett mit seiner Tochter, sondern minnet sie dort auch, wie es der Erzähler formuliert, mit gewerlichen sachen (La 4162 f.). Schon Samuel S in geR hat dies als Verklausulierung eines »blutschänderische[n] Verhältnis[ses]« 106 gewertet. Noch Elisabeth S chmid sieht »die innige Vater-Tochter-Beziehung unmißverständlich mit erotischen Anspielungen versehen«, so dass sie ebenfalls von einem »inzestuösen Verhältnis« ausgeht. 107 Ulrike z ellmann dagegen bemerkt: »Die erotische Nähe zwischen Vater und Tochter, die einem so kunstvoll angeordneten Ambiente eingeschrieben ist, bleibt ohne Makel.« 108 Auch Kai Tino l oRenz zweifelt an, »dass es [in Dodone] um realen physischen Minnevollzug geht. Sehr viel wahrscheinlicher ist eine spielerische, kindliche Minne, wie sie bereits bei Lanzelets Kindheit im Meerfeenreich thematisiert wurde.« 109 Festzuhalten ist, dass der Text ohne Zweifel mit sexuellen Allusionen operiert, so sehr er auch jede eindeutige Aussage verweigert. Dieser Anspielungsstil begegnet schon vor der Schilderung der Kemenate, als Iblis in einer auch raumsemantisch bedeutsamen Szene in die Handlung des Textes eingeführt wird. So weiß der Erzähler von Iwerets Tochter zu berichten: 103 Diese Assoziationen an belebte Natur werden auch durch das Homonym linde (La 4156) verstärkt, welches in diesem Fall zwar als Adjektivattribut die weiche Beschaffenheit der Bettwäsche umschreibt, jedoch auch den Lindenbaum in Erinnerung ruft, von dem nur wenig zuvor die Rede war (La 3898). Zugleich wird mit der Erwähnung von linde und gras die Liebesszene La 4664 ff. präfiguriert, die tatsächlich auf einer Unterlage aus Gras und unter einem Lindenbaum stattfinden wird (vgl. Kapitel 3.2.6). 104 m ülleR , Mythos, S. 346. 105 Zu beachten ist freilich, dass samît , gemeint ist wohl »eine Art Seidenbrokat« (K Ragl , Stellenkommentar, S. 1110 [zu La 886]) als Austattungselement bei Ulrich geradezu inflationär genannt wird und dabei stets als ›grün‹ beschrieben wird (vgl. die Belegstellen ebd.); man darf das Detail also interpretatorisch wohl nicht allzu schwer belasten. 106 S ingeR , Lanzelet, S. 152. 107 S chmid , Mutterrecht, S. 249. 108 z ellmann , Lanzelet, S. 239. 109 l oRenz , Raumstrukturen, S. 229. 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 167 Siu het gespiln hundert, […] di muosen tegelîchen gân mit der vrouwen in daz tal und brâchen bluomen über al und mahten schapellîn dâ mite. (La 4067-4075) Nicht ohne Grund wurde auf motivische Parallelen zur zeitgenössischen Minnesangtradition hingewiesen, in der das Motiv des Blumenbrechens als »fast habitualisierte Metapher[ ] für das Erleben von Lust oder für Defloration« 110 steht. In dieser Funktion tritt es etwa in Walthers von der Vogelweide berühmten ›Lindenlied‹ L 39,11 111 in Erscheinung: ›Under der linden an der heide, dâ unser zweier bette was, dâ mugent ir vinden schône beide gebrochen blumen unde gras. Vor dem, walde in einem tal, tandaradei, schône sanc diu nahtegal. (L 39,11-19) Bî den rôsen er wol mac, […] merken, wâ mirz houbet lac.[…]‹ (L 40,7-9) Man hat die Verse im Rahmen der kunstvollen und paradoxal konstruierten Rhetorik der »verschwiegenen Mitteilsamkeit« 112 oder des »Enthüllen[s] im Verhüllen« 113 analysiert, welche das Lied insgesamt kennzeichne. 114 Statt den Sexualakt, der den eigentlichen Gegenstand des Liedes darstellt, unmittelbar zur Anschauung zu bringen, verweist das weibliche Sprecher-Ich deiktisch auf die im imaginären Zeigeraum des Textes sichtbaren Spuren des Geschehens: die Abdrücke, die das Paar im Liebesspiel auf seiner improvisierten Bettstatt hinterlassen hat. Gemeinsam haben das ›Lindenlied‹ und die ›Lanzelet‹-Stelle nicht nur das topographische Setting: eine Heidelandschaft (La 3977; L 39,12) in einem blumenreichen Tal (La 4074; L 39,16), welches sich in unmittelbarer Nähe eines Waldes befindet (La 3981; L 39,17). Gemeinsam ist ihnen vor allem auch, so hat es den Anschein, ihr rhetorischer Stil, der vermittels der Motivik des Blumenbrechens konkrete Aussagen durch dezente Anspielungen ersetzt. Doch ist bei all dem ein gravierender Unterschied im Zeichengebrauch der beiden Textbeispiele festzustellen: In der Diegese des ›Lindenliedes‹ stehen Signifikant - die als gebrochene Blumen sichtbaren Abdrücke - und Signifikat - der Liebesakt - in einem 110 K Ragl , Stellenkommentar, S. 1170 (zu La 4080-4082). 111 Zu weiteren Belegen für den Topos des Blumenbrechens in der mhd. Lyrik vgl. z ellmann , Lanzelet, S. 233, Fn. 17, sowie l oRenz , Raumstrukturen, S. 228, Fn. 133. 112 B RunneR [u. a.], WdV, S. 106. 113 S ieveRt , WdV, S. 135. 114 m ülleR , Gebrauchszusammenhang (v. a. S. 297-302), untersucht diese rhetorische Strategie vor dem Hintergrund der »pragmatischen Redeordnungen und Normgefügen« (S. 300), auf die das Lied sich beziehe und deren Setzungen es qua poetischer Rede zugleich unterlaufe und bestätige. 168 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven faktischen, physikalischen Verhältnis zueinander. Ersteres kann qua metonymischer oder kontiguitärer Relation auf Letzteres verweisen, so dass, zeichentheoretisch gesprochen, eine ›indexikalische‹ Zeichenfunktion vorliegt. 115 Im Falle des ›Lanzelet‹ gibt es ein solches Verhältnis nicht: Selbst wenn man die Passage »uneigentlich ad malam partem […] als klassische Entjungferungsmetapher« 116 liest, stehen Blumenbrechen und Tabubruch in der erzählten Welt in keinerlei reeller Beziehung zueinander. Ausgeschlossen wird dies alleine schon durch die räumlichen Gegebenheiten: Ort der sexuellen Penetration ist, so sie denn fiktionsimmanent tatsächlich gegeben ist, die Kemenate, während das Sammeln der Blumen im unterhalb der Burg gelegenen Tal (La 3971, 4100) stattfindet. Ein faktischkausaler Zusammenhang zwischen Signifikant und Signifikat wie im ›Lindenlied‹ ist also nicht auszumachen. Dass das Motiv dennoch erotische Konnotationen entfalten kann, lässt sich damit begründen, dass es sich eben um eine ›klassische‹ Metapher handelt, d. h. dass die Zuordnung Liebesakt - Blumenbrechen bereits durch andere literarische Beispiele vorgeprägt ist. In diesem Fall handelt es sich also nicht um eine ›indexikalische‹, sondern um eine ›symbolische‹ Zeichenfunktion, bei der die Korrelation von Signifikant und Signifikat allein aufgrund kultureller Konvention möglich ist. 117 Dieser Unterschied wird für die Interpretation der ›Lanzelet‹-Passage dann bedeutsam, wenn man die Erklärung bedenkt, die der Text als Motivation für Iblis’ alltägliches (La 4072) Ritual bietet. Das Tal würde nämlich deshalb hiut und immer mê (La 4085) nach Iwerets Tochter Vallis Iblê (La 4086) genannt, wan siu dar an gerne was, als dicke als siu dâ bluomen las, sô sich senet ir muot, als ez den vrouwen lîht tuot. (La 4087-4090) Die Dodone-Episode wurde immer wieder, und nicht ohne Grund, auf den Herrschaftsdiskurs hin gedeutet, der den Text durchzieht: Der Held müsse demnach die »endogame Stagnation« 118 des Hauses Iwerets überwinden, um so die auf dem Exogamieprinzip beruhenden Bedingungen dynastischer Herrschaftskontinuität wieder herzustellen. 119 Mit 115 Zu den drei Zeichenklassen ›Ikon‹, ›Index‹ und ›Symbol‹ vgl. grundlegend P eiRce , Phänomen, S. 64-66. 116 S chulz , Der neue Held, S. 430. 117 Diese qua Konvention etablierte Zuordnung wird gewiss auch im Falle des ›Lindenlieds‹ semantisch aktiv, so dass genau genommen von einer doppelten, nämlich sowohl indexikalischen als auch symbolischen Zeichenfunktion zu sprechen ist. Für den Unterschied in der semiotischen Struktur der ›Lanzelet‹-Passage zum ›Lindenlied‹, auf den es mir ankommt, spielt diese doppelte Codierung allerdings keine Rolle: Es kommt nicht darauf an, dass das Blumenbrechen im Falle des ›Lindenlieds‹ a uch symbolisch gelesen werden kann, sondern darauf, dass es im Falle des ›Lanzelet‹ in jedem Fall nicht indexikalisch (als Zeichen für den Inzest) zu verstehen ist. 118 S chmid , Mutterrecht, S. 253. 119 Vgl. S chmid , Mutterrecht, S. 243: »Der Vatermord ist im Medium der literarischen Symbolisierung der ökonomische Ausdruck des Umstandes, daß ein junger Mann nur seinerseits Vater werden kann, wenn sein eigener Vater von der Bühne abtritt oder wenn der Vater einer Erbin ihm seine Tochter abtritt. Die als Liebschaft verdächtigte Vater-Tochter-Beziehung läßt den Vater als Rivalen des jugendlichen Helden in Erscheinung treten und verweist - als Extremfall endogamer Verstocktheit - auf den Widerstand, den der exogam orientierte Held überwinden muß.« In eine ähnliche Richtung, doch mit zusätzlichem Akzent auf der Zeitsemantik der Episode (siehe hierzu unten), zielt auch S chulz , Der neue Held, S. 430: »Die zeithenthobene Statik dieser zugleich perfekten und perversen Welt kann […] nur aufgehoben werden, indem das geschlossene System von einem Eindringling durch die Beseitigung der Vaterinstanz aufgebrochen und der höfischen Welt eingegliedert wird, indem durch exogame 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 169 dem Motiv der sene (La 4089), des sehnsuchtsvollen Liebesbegehrens, bringt der Erzähler nun allerdings einen minnetheoretischen Begriff ins Spiel, dessen emotiver Gehalt kaum restlos mit der ›zweckrationalistischen‹ Logik dynastischer Prokreation verrechenbar ist. Zu prominenter Position gelangt dieser Begriff in Gottfrieds von Straßburg ›Tristan‹-Prolog, der es unternimmt, »in sprachlicher Wiederholung und Verdichtung des Leitworts sene und seiner Derivate ein Konzept zu disponieren, das die Erzählung einlösen soll« 120 . Doch auch Gottfrieds programmatischer Begriffsgebrauch ist freilich nicht ohne Vorbild. Er kann einerseits aufbauen auf die volkssprachige Minnesangtradition, in der senen an die Stelle eines »zentrale[n] Leitwort[s]« 121 rückt. Er kann aber ebenso an »die Liebeslehren der lateinischen Gelehrtenkultur« 122 anschließen, die das Konzept als desiderium im Rahmen der theoretischen Reflexion der Gottesliebe verhandelt und es beispielsweise als positiv besetzten Gegenbegriff zu appetitus , dem auf Äußeres gerichteten Verlangen, konzeptualisiert. 123 Weltlicher und geistlicher Gebrauch des Sehnsuchtsbegriffes stehen sich dabei so nahe, dass sich die Aussagen »von der weltlichen in die geistliche Sphäre und auch wieder zurück versetzen [lassen], ohne daß ein Bedeutungswandel und ein metaphorischer bzw. allegorischer Sprung der Aussage nötig wäre« 124 . In dieses dichte diskursive Netz schreibt sich nun auch Ulrichs Text ein. Die Dodone-Episode verhandelt nicht nur Fragen der dynastischen Herrschaftssicherung, sondern partizipiert auch am Liebesdiskurs der Zeit, der wiederum, wie sich zeigen lässt, als räumlich organisierter Ordnungsdiskurs inszeniert wird. Eine räumliche Dimension ist dem Begriff der sene bzw. des desiderium immer schon inhärent, handelt es sich doch um ein emotionales Erleben, das im Zusammenhang mit der Erfahrung der - auch räumlich konkret gedachten - Distanz zum Gegenstand des Begehrens steht. 125 Demnach sei, so Christoph h uBeR , Sehnsucht eine zweigesichtige Gefühlsregung, »in der sich das Bewusstsein der Ferne und der Wunsch nach Nähe wechselweise steigern, nicht auflösen« 126 . Dass der Erzähler des ›Lanzelet‹ nun diese spezifische Affektkomplexion als Stimulus für das stark habitualisierte Verhaltensmuster benennt, welches Iblis Tag für Tag repetiert, macht es äußerst unwahrscheinlich, dass mit dem Blumenbrechen ein inzestuöses Vater-Tochter-Verhältnis angedeutet sei. 127 Zwar erscheint der Gegenstand, auf den sich das Begehren richtet, an dieser Stelle völlig unspezifisch, zumal der Paarbildung die Voraussetzungen für Zeitlichkeit geschaffen werden, für die im Mittelalter so wichtige Genealogie.« 120 h uBeR , Sehnsucht, S. 340. 121 h uBeR , Sehnsucht, S. 343, Fn. 13; dort auch zahlreiche Belegstellen. 122 Vgl. h uBeR , Sehnsucht, S. 349-352, hier S. 349. 123 So etwa bei Hugo von St. Victor : Alter est amor mundi cupiditas: alter est amor Dei, charitas. Medium quippe est cor hominis unde fons amoris erumpit, et cum appetitum ad exteriora ducitur, cupiditas dicitur; cum vero desiderium suum ad interioria dirigit, charitas nominatur (PL 176,15). 124 h uBeR , Sehnsucht, S. 350. 125 So fasst es beispielsweise Bernhard von Clairveaux: Cum praesto est quod amatur, viget amor; languet, cum abest. Quod non est aliud, quam taedium impatientis desiderii, quo necesse est affici mentem vehementer amantis abesnte quem amat, dum totus in expectatione, quantamlibet festinationem reputat tarditatem (PL 183,1026 B). 126 h uBeR , Sehnsucht, S. 350. 127 So etwa S chulz , Der neue Held, S. 430, für den sich - das Blumenbrechen als Metapher des Sexualaktes verstanden - »der Eindruck schwer abweisen« lasse, »dass hier der Dauerinzest des Vaters mit seiner Tochter figuriert wird«. Doch selbstverständlich lässt sich das Motiv auch als Sexualmetapher lesen, ohne dass diese deshalb notwendig auf das Vater-Tochter-Verhältnis zu beziehen sei. 170 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven Erzähler darum bemüht ist, die Sehnsucht als stereotype weibliche Verhaltensdisposition zu pauschalisieren: als ez den vrouwen lîht tuot (La 4090). 128 Das semantische Potential des Motivs wird von einer solchen Banalisierung freilich nicht berührt: Wie vage und unbestimmt die habituelle Liebessehnsucht der Iblis auch bleibt, 129 klar ist, dass sie sich auf etwas bezieht, dass in Dodone keinen Ort hat, auf einen Mangel, der durch ein entsprechend symbolisch besetztes ›Ersatzhandeln‹ zumindest vorübergehend kompensiert werden muss. 130 Damit wird deutlich, dass die semiotische Struktur des Blumenbrechens in diesem Fall eine vollkommen andere ist als etwa im ›Lindenlied‹: Das Motiv verweist nicht wie bei Walther qua indexikalischer Funktion auf etwas, das zwar stattgefunden hat, worüber aber nicht gesprochen werden darf. Vielmehr fungiert das symbolische Handeln als Substitut für etwas, das gerade nicht stattgefunden hat und wofür es nun aufgrund seiner symbolischen Funktion eintreten kann, d. h. eben deshalb, weil es qua kultureller Konvention - etwa durch die entsprechende Vorprägung im zeitgenössischen Minnesang - bereits mit dem nämlichen Sachverhalt korreliert ist, für den es eintreten soll. Daraus ergeben sich auch Schlussfolgerungen für die Beurteilung der in der Forschung so umstrittenen Kemenaten-Szene. Weniger geht es um einen Tabubruch, um eine Vater- Tochter-Mesalliance, die die genealogische Ordnung in ihren Grundfesten bedrohe und die gerade deshalb durch das Eingreifen des Helden korrigiert werden müsse. 131 Entscheidend ist dasjenige, was durch die enge Vater-Tochter-Bindung aus der Welt von Dodone herausgedrängt wird, wobei dieser - auch räumlich konkretisierte - Akt der Exklusion die geltende Ordnung nicht etwa in Frage stellt, sondern allererst begründet und verdauert. 132 Es zeigt sich, dass nicht nur der Tod als Konsequenz des ritterlichen Zweikampfes in einen abgekapselten Sonderraum in der Peripherie des Reiches ausgelagert werden muss, damit die ungetrübte vröude in dessen Zentrum bestehen kann. Auch die Minne findet hier keinen Raum, und zwar die Minne nicht nur als Disposition der gelungenen dynastischen Prokreation, sondern auch und vor allem in ihrer emotiven Qualität, die im höfischen Liebesdiskurs immer wieder auch als potentielle Gefährdung der rechten Ordnung diskutiert wird. 133 128 Eine Verbindung des Sehnsuchtsmotivs zu dem prophetischen Traum, in welchem Iblis ihren zukünftigen Geliebten und Ehemann zum ersten Mal erblickt (La 4215 ff.), dürfte auf der Hand liegen. Gleichwohl ist zu beachten, dass es sich bei Iblis’ sene nach Aussage des Erzählers um einen immer wiederkehrenden ›Gewohnheitszustand‹ handelt, bei dem Traumgesicht aber um ein einmaliges Ereignis, das Iblis nur in der Nacht vor Lanzelets tatsächlicher Ankunft widerfährt (La 4215-4219). 129 Man könnte vielleicht sagen, dass sich die sene an diesem Punkt der Handlung nicht auf ein konkretes geliebtes Gegenüber, also diesem Fall auf Lanzelet, bezieht, sondern dass vielmehr die Liebe selbst zum Objekt des Begehrens wird - Iblis sehnt sich nach der Minne. 130 In diese Richtung scheint mir auch, wenngleich in der Ausschließlichkeit der Formulierung stark überzogen, die Interpretation Ulrike z ellmann s, Lanzelet, S. 233, zu zielen: »Diese beharrliche Sehnsucht fragt nach einer anderen Erfüllung, die der Schöne Wald ihr nicht schenken kann. […] Das tägliche bluomen brechen ist ein dezentes Spiel mit der unbewußten, aber gewünschten Defloration.« Vgl. ähnlich, jedoch mit anderen Prämissen, S chmid , Mutterrecht, S. 253. 131 Vgl. so etwa S chmid , Mutterrecht, S. 253 f. 132 Ohne die sexuellen Konnotationen von La 4162-4165 grundsätzlich in Abrede zu stellen, ließe sich vielleicht sagen, dass das Raffinement der Stelle gerade in ihrem beständigen Oszillieren zwischen unterschiedlichen Ebenen von ›eigentlicher‹ und ›uneigentlicher‹ Rede liegt: Zielt die periphrastische Formulierung des Textes auf einen dahinter liegenden, ›eigentlich‹ gemeinten Tabubruch, oder verweist dieser - zwar nie explizit benannte, aber doch alludierte Vater-Tochter-Inzest selbst wiederum metaphorisch auf etwas noch einmal anderes, Abstrakteres: das Fehlen der Minne im Sinne einer ›funktionierenden‹ (heteronormativen) Paarbeziehung auf Dodone? 133 Vgl. Kapitel 2.2.6. 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 171 Ermöglicht wird dieser radikale Ausschluss der Minne durch die Ausweitung der väterlichen Kontrollinstanz - der personifizierten huote , wenn man so möchte - bis in den intimsten Lebensbereich der Tochter hinein. Auch das kleinste Detail der Raumschilderung der Kemenate fügt sich in die huote -Thematik. Es mag nicht verwundern, dass bisher niemand Anstoß genommen hat an der offensichtlichen Dysfunktionalität einer immerwährenden Lichtquelle (vgl. La 4145) in einem Raum, der doch dezidiert als Schlafgemach ( slâfgaden , La 4118) ausgewiesen ist: Eine solche praktisch-lebensweltliche Argumentation würde den fiktionalen Charakter der Erzählung doch entschieden verfehlen. Gleichwohl irritiert es, dass auch die symbolische Funktion des selbstleuchtenden Karfunkels an dieser Stelle bislang kaum beachtet worden ist. 134 Die wundersame Leuchtkraft des Edelsteins stellt Sichtbarkeit her in einem Raum, der traditionell gerade durch den Entzug von Sichtbarkeit gekennzeichnet ist. 135 Der Schein des Karfunkels, der offenbar nicht einmal nachts - oder besonders dann nicht - nachlässt, rückt ›ins rechte Licht‹, was dem überfürsorglichen Blick des Vaters ansonsten verborgen bliebe. 136 Die Kemenate ist damit weniger als Raum einer unrechtmäßigen Verbindung von Vater und Tochter semantisiert denn als Raum, der durch die bedingungslose Prädominanz der Vaterinstanz die Exklusion der Minne als ordnungsstörende Kraft aus dem Zentrum der Macht forciert: mit gewerlichen sachen / minnet her Iweret / sîn tohter (La 4161-4164) - der mit ›liebevoller Sorgfalt‹ durchgesetzte väterliche Verfügungsanspruch duldet nichts und niemanden neben sich. Was für die Gesellschaft von Dodone Garantie immerwährender vröude ist, führt für die Tochter freilich zu einer Erfahrung des Mangels und der leidvollen sene , die auf Kompensation drängt. Nicht zufällig sucht Iblis diese in einem Raumsegment, das in aller Deutlichkeit vom naturfernen Innenraum der Kemenate abgesetzt ist: dem unterhalb der Burg gelegenen Tal (La 4100), welches zwar immer noch in unmittelbarer Nähe des Herrschaftszentrums steht, mehr jedoch als jeder andere Teilbereich Dodones als naturhafter Außenraum markiert ist: Vor sîner bürge lac ein tal, kein krût was sô smal noch sô lanc noch sô breit, 134 W eBSteR / l oomiS , Lanzelet, S, 203, etwa notieren lapidar: »The belief that the carbuncle shed light was common in Middle Ages and became a literary convention.« Lediglich l oRenz , Raumstrukturen, S. 232, merkt an, dass »die Tatsache, dass es im Schlafgemach niemer dunkel wird, […] motivisch gegen den Inzest« weise. 135 Vgl. W enzel , Ze hove , S. 290: » Heinlîche (stf.) ist primär der Raum der Nichtöffentlichkeit; das kann eine Kammer sein oder sonst ein verschlossener Raum […], eine intime Handlung, die verborgen bleibt […] oder ein verborgenes Wissen, das ein mögliches Konstituens darstellt für eine exklusive Gemeinschaft zwischen zwei oder mehreren Menschen, für Liebe, Ehe oder Konspiration. […] Dem Raum der Öffentlichkeit zugeordnet ist [sic] die rechtsgarantierende und kontrollierende Zeugenschaft des Hofes und dementsprechend auch das Licht, die Möglichkeit des Hörens und Sehens. Dem Raum der Heimlichkeit fehlt diese Zeugenschaft, er ist häufig gekennzeichnet durch die Ausblendung des Lichts, durch die bergende Nacht, den verhüllenden Schatten oder gar durch einen Tarnmantel, […] der die spähenden Augen der merkaere fernhält«. 136 Für z ellmann , Lanzelet, S. 239, beansprucht dagegen gerade die »artifizielle[ ] Schönheit« des Raumes »den Schutz vor dem unbotmäßigen Blick«. Wenn diese traditionelle Funktion der Kemenate (vgl. Kapitel 3, Fn. 135) hier eine Rolle spielt, dann doch allenfalls in ihrer Brechung. 172 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven daz kein edel bluomen treit, daz enwære dâ in solcher art, sô ez ie aller schœnest wart. (La 3971-3976) 137 Gleichwohl befindet sich Iblis immer noch im Machtbereich des Vaters, und die Abhilfe, die sie dort finden kann, trägt zwangsläufig das Signum des nur Supplementären und Unvollkommenen. Ausgedrückt wird dies durch ein weiteres bemerkenswertes Detail: Das Blumenpflücken, das symbolisch für die verwehrte Liebeserfüllung einsteht, kann diese nie ersetzen, sondern allenfalls präfigurieren. Iblis’ jungfräulicher Status bleibt davon gänzlich unberührt, was sich in einer Schleifenbewegung, die als mythische Entdifferenzierung von Bezeichnendem und Bezeichnetem zu charakterisieren ist, 138 wiederum auf den Zustand des Bezeichnenden, der zu pflückenden Blumen, auswirkt: Sobald die Mädchen eine der Blumen abgebrochen hätten, so versichert uns der Erzähler mit einer fingierten Quellenberufung, dann wachse diese - dem Gottfriedschen Marmorboden nicht unähnlich (s. o.) - unvermittelt wieder nach: ob uns di meister niht enlugen, sô si ein bluomen ûz zugen, sô stuont ein ander zehant dort, dâ man den erren vant. (La 4079-4082) Insofern die lineare Zeitenfolge durch eine zyklische Bewegung ersetzt ist, in der Ausgangs- und Endsituation in eins fallen, schließt der Erzähler erneut an die mythischen Strukturen an, die die zeitliche Ordnung von Dodone auch ansonsten bestimmen. Allerdings sind diese hier nun in entschieden anderer Weise semantisiert: Während für die Bewohner von Dodone ein geradezu utopischer Zustand immerwährender vröude suggeriert wird, erweckt die unabschließbare Kreisbewegung, die dem jungfräulichen Vergnügen eingeschrieben ist, den Eindruck des immer nur Vorläufigen, der beständigen Repetition und schließlich der Stagnation. 139 3.2.6 Die Flucht des Paares: Dodone und die wunderlich stat als Raum und Gegenraum Es ist dem Erzähler also deshalb überhaupt möglich, in seinem Resümee der Schilderung Dodones den Eindruck ungebrochener Idealität zu erwecken, die doch in so deutlichem Kontrast zur Situation auf Brandigan steht, weil das Element, das dort die Ordnung stört und die vröude verunmöglicht, hier gerade fehlt: die Minne, die die identitäts- und ordnungsstiftende Grenzziehung zwischen dem Höfischen und dem Unhöfischen in mythischer Ungeschiedenheit negiert. Allerdings hinterlässt diese Absenz auch eine Leerstelle, 137 Zu den Analogien dieser Raumschilderung zum topischen Raumarrangement des Minnesangs, insbesondere zu Walthers ›Lindenlied‹, s. o. 138 Eine solche mythische Ungeschiedenheit von Bezeichnendem und Bezeichnetem scheint auch S chulz , Der neue Held, S. 430, anzunehmen. Da S chulz aber von einer grundsätzlich anderen Semantisierung des Blumenpflückens ausgeht, nämlich als Metapher des Vater-Tochter-Inzests (vgl. Kapitel 3, Fn. 127), gelangt er entsprechend zu anderen Schlussfolgerungen, v. a. die Unbeflecktheit der Iweret-Tochter betreffend. 139 Vgl. S chulz , Der neue Held, S. 430; S chmid , Mutterrecht, S. 253. 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 173 die sich in der beständigen Repetition des symbolischen Ersatzhandelns des Blumenpflückens niederschlägt. Damit erscheint auch Dodone als höchst ambivalent semantisierter Raum, doch nicht im Sinne mythischer Entdifferenzierung. 140 Ausschlaggebend ist stattdessen die perspektivische Differenz, die sich zwischen Iblis’ Wahrnehmung einerseits und der Wahrnehmung der Burggesellschaft andererseits ergibt. In diese - je nach Perspektive - vollkommene wie defizitäre Welt dringt der Held nun mit Waffengewalt ein. Gegen die väterliche Instanz, die die Ordnung von Dodone eingesetzt hat und nun ihrerseits mit Waffengewalt verteidigt, geht Lanzelet mit einer Radikalität und Kompromisslosigkeit vor, die im höfischen Roman ohne Parallelen ist. Für die ohnehin emotional mitgenommene Tochter des Hauses bedeutet die Ankunft des Helden auch den Einbruch der Minne mit all ihrer emotional-affektiven Gewalt in den geschützten Bereich der väterlichen Herrschaft. Wiederum scheinen die Blumen des Vallis Iblê Abhilfe gegen das minnebedingte Leid in Aussicht zu stellen (La 4393-4395), 141 doch wird diese Möglichkeit sogleich in einer Figur der revocatio zurückgewiesen: wê, warum sprich ich daz? Zu sehr sieht sich Iblis in den Stricken der Minne befangen, als dass sich eine reflektiert-rationale Handlungsoption ( wîsheit , La 4399), wie sie das symbolische Ersatzhandeln in diesem Fall darstellen würde, gegen die süeze tumpheit (La 4400) des Minneerlebens noch behaupten könnte; selbst wenn Iblis hier und jetzt bei ihren Blumen sein könnte, sie würde es gar nicht wollen (La 4397), nun - so darf man wohl ergänzen -, da das eigentliche Ziel ihres Begehrens ihr doch leibhaftig vor Augen steht. Der Einfluss der Minne entscheidet das Dilemma zwischen der Liebe zum Vater und der Liebe zu dem fremden Ritter zugunsten des Letzteren (La 4372-4406), doch versagen Iblis angesichts einer solchen aporetischen Zuspitzung am Ende die Sinne (La 4560-4562). Der Anblick des Helden, der den um Gnade Flehenden schließlich erbarmungslos enthauptet, bleibt ihr erspart (La 4542-4557). Als sie wieder zu sich kommt, ist der Ausgang des Gefechts bereits mit aller Eindeutigkeit entschieden, und überraschend eindeutig fällt nun auch Iblis’ Haltung hierzu aus: Zwar vergisst sie nicht, den Getöteten zu beweinen, wie es sich für eine trauernde Frau gehöre (La 4595 f,), doch ist der Umstand, dass es der Mörder ihres Vaters ist, dem ihre Liebe gilt, angesichts der schieren Übermacht der Minne rasch vergessen (La 4597-4561). Trost widerfährt Iblis ausgerechnet von jener Instanz, die noch vor dem Kampf, sowohl in einer Prolepse des Erzählers (La 4050-4052) wie auch im Monolog der Figur selbst, zur Verursacherin größten Leids stilisiert wurde. Wiederum erscheint die Minne als ambivalente Macht von mythomorphem Zuschnitt, die kategoriale Gegensätze - Liebesleid und Liebestrost - in sich zu vereinen weiß. Erstaunlicher Weise impliziert der Sieg Lanzelets nun nicht, dass auch die von seinem unterlegenen Gegner eingesetzte Ordnung damit überwunden wäre. Tatsächlich wird diese Ordnung, sofern sie auch eine Ordnung des narrativen Raumes ist, im Folgenden sogar als überindividuell gültige, d. h. nicht an die kontingente Person des Herrschers gebundene, bestätigt. Denn das erste, was Lanzelet und Iblis nach dem Zweikampf unternehmen, ist Abstand zu nehmen und aus dem Zentrum von Iwerets Herrschaftsbereich herauszureiten, bevor sie sich wol eine welsche mîle (La 4662) entfernt - also in realistischer, doch deutlich 140 Vgl. anders dagegen S chulz , Der neue Held, S. 430. 141 Hs. P setzt hier anstelle der schœne[n] bluomen die edel bŏme Behforets, allerdings ist der Bezug dunkel: Zwar spielen die wundersamen Bäume für den Bedeutungsaufbau des Textes durchaus eine Rolle, doch warum sollten sie ausgerechnet als Arznei gegen Minneleid fungieren (auch P kennt die Episode vom Blumenbrechen im Vallis Iblê)? 174 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven markierter Distanz 142 - zum gemeinsamen Stelldichein niederlassen. Als handlungslogische Motivation für dieses Vorgehen wird die Furcht des Paares vor der Vergeltung der Männer Iwerets genannt: nuo hœrent, wi diu vrouwe tet: Siu bat den helt, daz er niht bite und er von der linden rite, wan siu vorht ir vater man. (La 4610-4613) Nur wenig später entpuppt sich diese Befürchtung freilich als gänzlich unbegründet: Iblis lässt ihren Untertanen über den Abt, dem sie auf dem Weg aus Dodone begegnet (vgl. La 4624 f.), mitteilen, dass diese das Land in ihrer Abwesenheit nâch êren (La 4641) verwalten mögen und dass sie selbst dorthin zurückzukehren gedenke, wann immer es ihr ›passend‹ erscheine (La 4638-4643). Bei den Gefolgsleuten stößt diese Nachricht auf uneingeschränktes Wohlwollen: diu botschaft was genæme / allen ir holden (La 4644 f.). Nicht nur bleiben die hypothetischen Rachepläne der Mannschaft ohne Konsequenzen - streng genommen erfahren wir nicht einmal von dem Versuch, die Verfolgung aufzunehmen -, selbst die reine Möglichkeit eines gewaltbereiten Spannungsverhältnisses scheint mit einem Mal völlig aus der Welt. Die handlungslogische Motivation für den rapiden Aufbruch erweist sich damit als nur oberflächlich. Ihr zugrunde liegt eine tiefere, eine strukturlogische Motivation, die den Ort der glücklichen Liebeserfüllung auch nach Iwerets Tod in deutliche Distanz zum naturfernen Zentrum der höfischen Ordnung von Dodone rückt. Mit der Flucht des Liebespaares mündet die Episode also nicht etwa, wie nach Iblis’ Warnung zu erwarten wäre, in einen fehderechtlichen Diskurs, der die Legitimität der außergerichtlichen Vergeltungspraxis und ihre Folgen angesichts des Totschlags am Landesherren thematisierte, sondern bewegt sich nach wie vor im Rahmen des bereits eingeführten Minnediskurses. Zwar wurde die Minne in ihrer Funktion als Verursacherin und Trösterin von Leid wenig zuvor als durchaus ambivalente Instanz vorgestellt, doch ist die symbolische Ordnung, die dieser Instanz nun einen entsprechenden Raumabschnitt innerhalb der erzählten Welt zuordnet, völlig eindeutig: Die Minne kann nur außerhalb der Gesellschaft und der ihr entsprechenden räumlichen Ordnungseinheit, in diesem Fall der Burg Dodone, stattfinden. 143 Wurde das Zentrum von Dodone zunächst in größtmöglicher Distanz zum naturnahen Außerhalb geschildert, so muss sich das Paar nun seinerseits in größtmögliche Distanz zu diesem Zentrum begeben - in weit größeren Abstand jedenfalls als das doch nahegelegene Vallis Iblê -, um sich dem Minnebegehren hingeben zu können. 144 142 Zur Erinnerung: Die Entfernung vom Kloster zum inneren Bezirk von Dodone beträgt nur etwa halb so viel: dar ist volle ein halbiu mîle niht (La 3914). 143 Diese raumsymbolische Eindeutigkeit kennt die Joie-de-la-curt- Episode nicht, denn das Baumgartenpaar bleibt trotz allem der Gesellschaft von Brandigan verbunden. Anders als Lanzelet und Iblis, steht es nicht eigentlich außerhalb der Gesellschaft, sondern genau an der Schnittstelle zwischen Hof und Gegenwelt, so dass es eben diese Unterscheidung zum Verschwinden bringt; vgl. hierzu Kapitel 2.2. 144 Auch K aiSeR , Liebe, sieht in der Iblis-Lanzelet-Beziehung das Thema der »ordnungsgefährdenden Liebe […] angeschlagen« (S. 83) und sieht den Ausritt des Paares einem strukturlogischen Prinzip geschuldet, das die Lanzelet-Iblis-Liaison in Opposition zum höfischen Zentrum und seinem Wertesystem rückt (S. 96 spricht K aiSeR von den »zentrifugalen Kräften der Liebe, die von der societas des Hofes fortstreben und diesen solchermaßen in Frage stellen«). Insgesamt hebt K aiSeR allerdings zu sehr auf die Schuld-Problematik ab (v. a. S. 83), die doch allenfalls nur eine untergeordnete Rolle spielt: 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 175 Das Burginnere und der Ort der Liebeserfüllung sind also als Raum und Gegenraum deutlich voneinander abgegrenzt und zugleich korrelativ aufeinander bezogen. Während dort anorganische Materialität die Beschaffenheit des Inventars bestimmt, trägt die Lichtung ( breide , La 4663), auf der sich das Paar nun niederlässt, - deutlicher sogar als das Vallis Iblê - die Merkmale des amönen Lustortes. Auch hier gibt es eine grüene linde[ ] (La 4665), als Unterlage dient dem liebeswilligen Paar ein Bett aus gras (La 4667), die Szenerie ist belebt von einer Schar - womöglich singender - Vögel (La 4756 f.). 145 Mit den rekurrierenden Signalwörtern linde und gras ist nicht nur das topische Beschreibungsinventar des locus amoenus aufgerufen, sondern auch dasjenige der Kemenatenszene, 146 doch nur, um die Künstlichkeit der dortigen Ausstattung nun in tatsächliche belebte Natur zu überführen. Dem dortigen Katalog erlesener Edelsteine (La 4112-4145) steht hier kontrastiv die katalogartige - und äußerst phantasievolle - Auflistung der verschiedenen Farbnuancen gegenüber, mit denen die zahlreichen Blumen die Umgebung zieren: 147 Diu heide was von bluomen gar rôt, wîz, weitvar, brûn, grüen und gel, swarz, mervar, wolkenhel, tûsenvêch, trûbeblâ, stahelbleich, îsengrâ, purpurbrûn, sîtval. (La 4749-4755) Danach, wie der Rezipient sich schwarze oder wolkenhelle (La 4752), stahlbleiche oder eisengraue Blüten (La 4754) wohl vorzustellen habe, ist nicht eigentlich zu fragen: Es geht um den unmittelbaren Eindruck schier überbordender Vielfalt, den die asyndetische Aufzählung evoziert und der jede ähnliche Raumschilderung im Vergleich blass erscheinen Der Erzähler heißt das Verhalten Lanzelets explizit gut (vgl. La 4545, 4556 f.), und auch Iblis scheint angesichts des Todes ihres Vaters nicht allzu sehr von Gewissensbissen geplagt. 145 Der (Sing-)Vogel als topisches Requisit des locus amoenus (vgl. c uRtiuS , Europäische Literatur, S. 202) gelangt im ›Lindenlied‹ zu prominenter Stellung (vgl. L 39,19: schône sanc diu nahtegal , L 40,16: Und ein kleines vogellîn , sowie den Refrain tandaradei [L 39,18; 39,28; 40,8; 40,18], der gemeinhin als Onomatopoetikon des Vogelsangs interpretiert wird). - B ächtold , Lanzelet, S. 42, und B ehaghel , Lanzelet, konjizieren für die ›Lanzelet‹-Stelle jeweils ir süezen hal für das in den Handschriften bezeugte ir süezen zal (La 4756); h anninK , Vorstudien, S. 6, schlägt gal vor, so dass auch hier der akustische Aspekt gegeben wäre. Als Konjektur wäre weiterhin schal denkbar, dass mit seinem stimmlosen postalveolaren Frikativlaut der überlieferten stimmlosen alveolaren Affrikate lautlich möglicherweise sogar näher stünde als die von B ächtold , B ehaghel und h anninK vorgebrachten Optionen. Dabei ist freilich zu bedenken, dass die handschriftlich verbürgte Textgestalt eine durchaus sinnvolle Lesart bietet, so dass ein textkritischer Eingriff an dieser Stelle grundsätzlich nicht notwendig ist (weshalb K Ragl in seiner Edition auch darauf verzichtet und die bislang vorgeschlagenen Konjekturen lediglich im forschungsgeschichtlichen Lesartenapparat II verzeichnet). Für eine Konjektur spricht allerdings die überaus häufige Koinzidenz des Adjektivattributs süeze mit akustischen Phänomenen, wie sie die umfangreiche Belegsammlung bei a RmKnecht , Geschichte, S. 54-65, eindrücklich vor Augen führt. 146 Vgl. Kapitel 3.2.5; zugleich wird auch hier die Schilderung des Kampfplatzes aufgerufen, was das dichte intratextuelle Verweisgeflecht zusätzlich verstärkt. 147 Im discours werden die Blumen genau genommen erst nach dem eigentlichen Liebesgeschehen erwähnt, doch stehen sie als konstitutive Elemente des locus amoenus in einem sehr engen Zusammenhang mit diesem. K aiSeR , Liebe, S. 83, kann deshalb sagen, dass ihre Schilderung später erzählerisch »nachgeholt« werde. 176 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven lässt. 148 Die die Vorstellungskraft übersteigende Vielfarbigkeit der Blumen signalisiert den sinnlichen Reichtum des Raumsegments, der zwar strukturell mit dem eher pekuniären Reichtum der Kemenate korreliert, aber doch in spezifisch anderer Weise semantisiert ist. Als wäre die sprachliche Realisierung dieser Ortsbeschreibung für sich genommen nicht schon sinnfällig genug, orientiert zusätzlich ein Erzählerkommentar die Aufmerksamkeit des Publikums dezidiert auf die Ausgestaltung der Kulisse - und rückt so mit beispielloser Eindringlichkeit das enorme Gewicht ins Bewusstsein, das der Dimension des Raumes im Bedeutungsaufbau des Textes zukommt: ez was ein wunderlich stat, dâ si wârn gesezzen; des muge wir niht vergezzen (La 4746-4748) 149 In diese wunderlich stat nun wird die Liebesvereinigung des Paares verlegt. Die Schilderung des Geschehens schließt dabei qua semantischer Isotopie an die bereits bekannte Motivik der sene , des sehnsuchtsvollen Begehrens an, als dessen Erfüllung der Erzähler die Begegnung der Liebenden nun inszeniert: swes ê von in gegert was, des wart dô begunnen, doch wirs niht enkunnen gesagen noch gezellen. (La 4668-4671) Auch Gottfried von Straßburg stilisiert die erste Liebesbegegnung Isoldes mit Tristan als zil / gemeines willen (Tr 12362 f.), das alleine imstande sei, das erotische Verlangen der Liebenden ( gelange , Tr 12364; vgl. auch Tr 12363) zu sänftigen. Bei Ulrich tritt hierzu noch ein weiteres Element, das ebenfalls - wie die topischen Requisiten des Schauplatzes auch - aus dem Bereich des Minnesangs bekannt ist: das Moment der Verschwiegenheit. Demgemäß ist es der Sprecherinstanz entweder nicht gestattet oder nicht möglich ( enkunnen , La 4670) - sei es aufgrund der eigenen Unzulänglichkeit, sei es aufgrund einer Qualität der ›Unsagbarkeit‹, die dem Gegenstand selbst eingeschrieben ist -, dasjenige adäquat in Worte zu fassen, wovon eigentlich die Rede ist. Im höfischen Minnediskurs erscheint der Verschwiegenheitstopos ubiquitär, und dies nicht zufällig: »Schweigen ist Konstituens von Liebesdichtung, die, da sie zwei Menschen aus ihrer Umwelt herausgelöst und in einer intimen Beziehung vereint sieht, eine große Affinität zur Heimlichkeits- 148 Eine ähnliche Aufzählung begegnet - jedoch mit deutlichem zeitlichem Abstand und in völlig anderem Kontext - im ›Ackermann‹ des Johannes von Tepl: vnser senngse get für sich: weyß, swarcz, rot, prawnnm grün, bla, gra, gelb, vnd allerley glancz plumen vnd graß hewt sie für sich nyder, jrs glanczes, jrer krafft, jr tugent nichts geachtet (Ack 16,6-16,9). Auch hier will das Asyndeton kein realistisches Bild einer Blumenwiese entstehen lassen, sondern ist in erster Linie Ausdruck von Totalität: Alles und jeder ist dem Tode ausgeliefert, und zwar unbhängig von äußerer Erscheinung, sozialem Standes und ethischer Gesinnung. 149 P liest in La 4746 wunnecliche statt wunderlich und schließt damit stärker als Hs. W, die vor allem auf die Unvorstellbarkeit und Beispiellosigkeit der Farbenvielfalt abzielt, an das gängige Begriffsinventar der Lustorttopik an; vgl. etwa T 17350-17354: und kâmen hin gegangen / […] / ûf die gebluote ouwe / und ûf daz wunneclîche tal . 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 177 motivik und - durch ihre Darstellung von tiefen und an die Grenzen sprachlicher Gestaltbarkeit reichenden Gefühlen - zu Schweigemotiven und -darstellungen aufweist.« 150 In den Texten begegnet der Verschwiegenheitstopos als ›beredtes Schweigen‹, d. h. als Redefigur, die vorgibt, nichts zu sagen, obwohl sie eben doch eine Aussage trifft. Walthers ›Lindenlied‹ L 39,11 baut das Motiv, wie bereits erwähnt, zu einer rhetorischen Strategie aus, die das gesamte Lied durchzieht. Besonders deutlich tritt der Aspekt der Verschwiegenheit als konstitutives Element der Minnesituation in der letzten Strophe hervor: ›[…] Daz er bî mir læge, wessez iemen, nun welle got, sô schamt ich mich: wes er mit mir pflæge, niemer niemen bevinde daz, wan er und ich, Und ein kleinez vogellîn, tandaradei, daz mac wol getriuwe sîn.‹ (L 40,10-18) Die verhüllend-enthüllende Rhetorik des Liedes kulminiert in der unüberbrückbaren Diskrepanz zwischen textinterner und textexterner Kommunikationssituation: Das - in diesem Fall weibliche - interne Sprecher-Ich beschwört das Stillschweigen aller am Liebesgeschehen Beteiligten - also auch das des getriuwen vogellîns , das das Paar dabei beobachtet hat -, während das - vermutlich männliche - externe Sänger-Ich eben dieses Geschehen in der Vortragssituation publik macht. »Die Verschwiegenheit des Liebesaktes und der öffentliche Vortrag, der diese Verschwiegenheit thematisiert, schließen sich aus.« 151 In Ulrichs Text tritt demgegenüber derselbe Sachverhalt in deutlich weniger komplexer Form in Erscheinung, nämlich als bloße Redefigur, als praeteritio . Die inhärent paradoxale Struktur des Phänomens, die auch in Oxymora wie ›beredtes Schweigen‹, ›verschwiegene Mitteilsamkeit‹ oder ›Enthüllen im Verhüllen‹ zum Ausdruck kommt, wird dabei in den schlichten Selbstwiderspruch des Erzählers abgebogen und auf diese Weise ironisierend 152 gebrochen: Das, wovon er eben noch behauptet, er könne es weder gesagen noch gezellen (La 4671), benennt er im Folgenden dann doch ganz explizit, wenn auch in äußerster Lakonie und ohne jede weitere Ausführung: si wurden gesellen, / als in diu minne geriet (La 4672 f.). Damit ist der locus amoenus im naturhaften Raum vor Dodone mit aller Deutlichkeit als Schauplatz des faktischen Minnevollzugs gekennzeichnet und damit von dem ›minnefreien‹ Raum der Kemenate ebenso wie von dem Ort des nur symbolischen Ersatzhandelns im 150 W allmann , Schweigen, S. 3. Zum Schweigemotiv in der höfischen Epik - und dort nicht allein auf das Minneschweigen bezogen - siehe grundsätzlich S chnydeR , Topographie. 151 K lein , Amoene Orte, S. 79. Vgl. hierzu auch m ülleR , Gebrauchszusammenhang, S. 297 f.: Das Lied »spricht ›öffentlich‹ davon, dass etwas nicht-öffentlich, der intimen Kommunikation der Liebenden vorbehalten sein soll. Das Lied spricht zu Anwesenden […], doch spricht es von etwas Abwesenden, das abwesend bleiben muss […].« 152 Zwar lässt sich auch die Walther-Strophe in dem Sinne als ›ironisch‹ lesen, »daß sie das Gegenteil von dem sagt und tut, was sie vorgibt, nämlich: nichts zu sagen« (K öBele , ironie, S. 295). Doch handelt es sich dabei um »eine komplexe, spannungsvolle Ironie, die aus dem Gegensatz Ernst oder Spiel ebenso herauszunehmen wäre wie aus dem Gegensatz ›gesagt‹ - ›gemeint‹. Das Vögelchen (der Sänger? ) hat nichts gesagt - oder doch? « (ebd.). Die ›Lanzelet‹-Stelle bietet im Vergleich dazu den deutlich planeren Fall eines ironischen Ersetzungstropus. 178 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven Vallis Iblê unterschieden. Die Dodone-Episode bleibt also bis zu diesem Punkt immer noch einer streng differentiell geprägten Raumordnung verpflichtet. Die beiden Relationsglieder dieser Raumordnung - die - in sich freilich noch einmal differenzierte - Welt von Dodone einerseits und das naturhafte Außerhalb andererseits - erweisen sich dabei als jeweils zugleich perfekt wie defizitär: Die Burg Dodone und der ihr beigeordnete Schöne Wald figurieren einen Zustand ewiger vröude , der die Festkultur des Artushofes in den Schatten stellt, doch um den Preis des radikalen Ausschlusses der Minne aus diesem Raumsegment. Der amöne Lustort vor den Grenzen des Reiches ermöglicht zwar die glückliche Liebeserfüllung, ist dabei aber als entschieden hoffern markiert. Doch auch diese über strikte Gegensätze aufgebaute Raumordnung ist nicht statisch fixiert. Sie gerät an diesem Punkt der Handlung in Bewegung, und zwar dadurch, dass die Meerfee als diejenige Instanz, die im Hintergrund immer wieder über die Geschicke des Helden bestimmt, 153 einmal mehr in das Geschehen eingreift. 3.2.7 Die mythische Verbindung von Raum und Gegenraum im Minnezelt Noch während das Paar im Liebesspiel begriffen ist, nähert sich dem Lustort ein schœne maget (La 4676), die der Held als eine der Jungfrauen aus dem Reich der Meerfee erkennt und begrüßt (La 4674-4686). Das Mädchen teilt dem Helden alsbald den Grund ihres Erscheinens mit: Nach dem Sieg über Iweret sei die Bedingung, die ihre Herrin an die Offenlegung der bis zu diesem Zeitpunkt geheimen Identität des Helden geknüpft hatte, 154 erfüllt, so dass Lanzelet nunmehr über seinen wahren Namen und seine Herkunft in Kenntnis gesetzt werden dürfe (La 4700-4705). Nachdem die Botin die Abstammung des Helden geoffenbart hat, überreicht sie ihm als wortzeichen ihrer Aufrichtigkeit (La 4732 f.) ebenso wie als Ausweis seiner geradezu sprichwörtlichen sælde (La 4736 f.) 155 einen Schrein mit einem kostbaren Zelt darin. 156 Auf Geheiß der Botin (La 4745) wird das Zelt an eben jenem 153 Vgl. hierzu Kapitel 3, Fn. 52. 154 Vgl. Kapitel 3.2.1. Auf welche Weise Lanzelets Ziehmutter von der Niederlage Iwerets erfahren hat, wird nicht erwähnt, was den Eindruck der Meerfee als einer numinosen Macht verstärkt, die autonom über das erzählte Geschehen verfügt und dadurch die mythosanaloge finale Motivierung der Narration wesentlich bestimmt (vgl. auch die Verse La 4718 f., die die divinatorischen Fähigkeiten der Fee - allerdings bezogen auf den späteren Werdegang des Helden - thematisieren). Mehrdeutig ist in diesem Zusammenhang auch die Aussage der Botin La 4690 f.: ›ob ichs erwünschet hæte […] so fünd ich niht baz.‹ Worauf ist dieses niht baz zu beziehen? Darauf, dass die Botin die beiden ohne größere Schwierigkeiten ausfindig machen konnte, obwohl sie ihren genauen Standpunkt eigentlich nicht kannte? Dann wären die Verse als autoreflexiver Hinweis auf die Unwahrscheinlichkeit des Erzählten und damit als eine zumindest implizite - und vielleicht ironisierende - Auseinandersetzung mit der Finalität der Erzählung (und mithin als Fiktionssignal? ) zu lesen. Oder ist damit eher die spezifische ›Situation‹ (so auch der Wortlaut in K Ragl s Übersetzung der Verse) angesprochen, in der das Mädchen das Paar vorfindet? Auch in diesem Fall hätten die Verse einen ironischen Unterton, der allerdings in eine andere Richtung zielte: Nur wenig zuvor wurde angedeutet, dass Lanzelet und Iblis sich noch inmitten des Liebesspiels befunden hatten, als die Botin in Erscheinung trat (La 4674 f.); vgl. hierzu auch l oRenz , Raumstrukturen, S. 182. 155 Die sælde des Helden als rekurrenten Motivkomplex untersucht ausführlich m c l elland , Narrative style, S. 200-233. An dieser Stelle könnte der Hinweis, dass Lanzelet von rehte sælic sei, wiederum eine Anspielung auf die Unwahrscheinlichkeit der Begegnung des Paares mit der Botin sein und also autoreflexiv auf die finale Motiviertheit der Erzählstruktur verweisen. 156 Die Kommunikation zwischen Lanzelet / Lancelot und seiner Ziehmutter vermittels Botinnen, die ihn zudem mit wunderbaren Gegenständen versorgen, gehört offenbar zum motivischen Kernbestand des Stoffes und verfestigt so die ikonische Konstanz vor allem der Feenfigur. Denn auch auf der Dolorosen 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 179 semantisch stark besetzten Ort aufgeschlagen, an dem sich kurz zuvor noch das Minnegeschehen abgespielt hat: dâ enmitten satzte sîn gezelt / Lanzelet der milde (La 4758). Der discours des Textes bietet nun eine ausführliche Ekphrasis des wunderbaren Geschenkes, angefangen bei der Qualität des Stoffes, die selbst die Würde der großen Herrscher der Antike übersteigen würde (La 4760-4766), über die Benennung und Schilderung einzelner Ausstattungselemente. Zunächst geht der Blick des Erzählers in das Innere des Zeltes: Swelch man ie sô sælic wart, daz er drîn getet eine vart; der was imer mê gesunt und erschein im an der selben stunt sîn vriunt, der im aller holdest was. daz ober teil was ein spiegelglas, ûzân und innen eben klâr. alsô grôz sô ein hâr gewunnez nimer einen krac weder durch wurf noch durch slac. (La 4767-4776) Im oberen Teil des Zeltes befindet sich also ein eigentümlicher Zaubermechanismus, der bereits die mythische Qualität des Zeltes andeutet: Wer in den dort angebrachten, unverwüstlichen (La 4774-4776) - gleichsam ewig neuen - Spiegel blickt, nimmt nicht etwa seine eigene Reflexion wahr, sondern das Abbild des Menschen, der im aller holdest (La 4771) sei. Dementsprechend sehen Lanzelet und Iblis, als sie das Zelt betreten, in dem Glas denn auch nichts als das Bild des jeweils anderen: Lanzelet und vrouwe Iblis: di giengen dar în, des sît gewis, und sâhen in das spiegelglas. daz under in niht valsches was, des muosen si von schulden jehen. wan er kunde niht ersehen wan der vrouwen bilde. Iblis diu milde, ich weiz, ir rehte alsam geschach, daz si ir selben niht ensach niht wan ir gesellen. für wâr lât iu zellen, wær er über tûsent mîle gesîn, si ensæhe doch niht wan sînen schîn. (La 4913-4926) Der Spiegel offenbart die wesenhafte Identität der Liebenden, die als mythische Ungeschiedenheit zu beschreiben ist. In der Diskrepanz von Urbild und Abbild wird dabei die iden- Garde im ›Prosalancelot‹ wird das »gesamte Geschehen […] von den Botinnen der Frau vom See begleitet« (S teinhoFF , Kommentar / Pr II, S. 872; vgl. etwa die Erkennungsszenen Pr I 436,21-25 und I 478,37-480,5), wobei Lancelot auf diesem Weg auch in den Besitz dreier magischer Schilde gelangt, die - ähnlich wie Power-ups im modernen Videospiel - bei Bedarf die Kampfkraft des Helden potenzieren (vgl. Pr I 436,34-438,8). 180 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven titätslogische Unterscheidung von Identität und Differenz zugleich bestätigt und negiert: Iblis sieht sich selbst zusammen mit ihrem Liebhaber vor dem Spiegel stehen und erkennt darin doch nur diesen (La 4921 f.) - ein höchst intrikates Spiel mit den Kategorien Identität und Differenz, das sich über mehrere Beobachtungsebenen erstreckt. 157 Die mythische ›Einerleiheit‹ 158 des Liebespaares vermag sogar - anders als das Blumenpflücken im Vallis Iblê - die Differenz von Nähe und Distanz zu überbrücken: Im eigenen Abbild ist der Geliebte qua mythischer Wesensidentität unmittelbar präsent, selbst wenn er sich physisch mehr als tausend Meilen entfernt befinden sollte (La 4924-4926). 159 Der Erzähler deutet die Wirkweise des Spiegels, den ›richtigen‹ Partner auch im Falle dessen physischer Abwesenheit anzuzeigen, als Tugendprobe, als Zeichen, daz under in niht valsches was (La 4916). Damit stellt er auch das Zelt in den Kontext des Minnediskurses des Textes, doch betont dabei einen Aspekt, der bislang nur eine untergeordnete Rolle zu spielen schien. Ging es in der Verbindung Lanzelet - Iblis bisher vor allem, wie bei den vorangegangenen Minneabenteuern des Helden auch, um den körperlichen Vollzug der Minne, der zwar die größtmögliche räumliche Nähe der Liebenden voraussetzt, selbst aber in der symbolischen Raumordnung des Textes als dezidiert hoffern markiert wurde, rückt im Zauber des Spiegels nun die triuwe der Liebenden in den Blick, die sich gerade in der - hier freilich nur hypothetisch erwogenen - räumlichen Ferne zu bewähren hat - um diese Ferne zugleich, wie dargelegt, qua mythischer Konkreszenz zu überspielen. Mit der triuwe , die im Text ex negativo als Abwesenheit von Verstellung und Unaufrichtigkeit erscheint, ist ein wertbesetztes Schlüsselkonzept des Minnediskurses aufgerufen, das die Minnethematik in den Bereich der ritterlichen Tugendlehre und damit in das Zentrum des höfischen Weltentwurfes zurückführt. 160 Das schlägt sich auch in der raumsemantischen Codierung des Minnezeltes nieder. Denn es fällt ins Auge, dass in der weiteren descriptio des Zeltes, die nach dem kurzen Blick auf den Zaubermechanismus im Inneren bei seiner äußeren Beschaffenheit fortfährt, Beschreibungselemente rekurrieren, die der Rezipient bereits von der herrscherlichen Kemenate als dem Zentrum der höfischen Ordnung von Dodone her kennt: 157 Vgl. z ellmann , Lanzelet, S. 248: »Es ist das untrügliche Signum der Einheit, das narzisstische Lust ächtet, in welchem Ich und Du verschmelzen, jedoch nicht differenzlos werden, da der andere als anderer erkannt wird.« 158 Vgl. c aSSiReR , Philosophie, S. 81 (Hervorhebungen im Original): »Wenn die wissenschaftliche Erkenntnis nach einem Zusammen s chluß deutlich gesonderter Elemente sucht, so läßt die mythische Anschauung das, was sie verknüpft, zuletzt zusammenfalle n. An die Stelle der Einheit der Verknüpfung - als synthetischer Einheit, also als Einheit des Vers chie d e n e n -, tritt hier die dingliche Einerleiheit, die Koinzidenz.« 159 Jan-Dirk m ülleR , Der Blick in den anderen, S. 16, bemerkt, dass damit noch eine weitere kategoriale Unterscheidung eingeebnet wird, nämlich die »[z]wischen diversen Typen des Nicht-Sichtbaren«. Demnach offenbare der Spiegel einmal »Unsichtbares, weil Inneres - es gibt keinen valsch -; das andere Mal Unsichtbares, weil weit Entferntes - im Spiegel sind räumliche Beschränkungen des Sehsinns aufgehoben. […] Fernglas und Mikroskop stehen gewissermaßen auf einer Stufe mit psychischer Introspektion. Das zeigt, dass auf der Ebende der Visualität Körperliches und Unkörperliches zusammenkommen.« Möglicherweise ließe sich auch diese Beobachtung mit der geschilderten mythischkonkreszenten Wirkweise des Spiegels zusammenbringen. 160 Vgl. die Beispiele bei e hRiSmann o. [u. a.], Ehre und Mut, S. 211-216, die belegen, »daß die triuwe zu den höchsten Tugenden zählte und die Identität des ethisch definierten Menschen stiftete« (hier S. 212). Zum Begriff vgl. jetzt auch l ePSiuS / R eichlin , fides / triuwe. 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 181 sus was ez oben gemaht. ein guldîn knopf hât ez bedaht, der was lobebære. von golde ein ar vil mære was dar ûf gemezzen. an dem was niht vergezzen, swaz ze meisterlîchen dingen touc; âne daz eine, daz er niht vlouc, sô stuont er, als er lebete, vogelîche er swebete. Sîn gezierde was niht kleine. zwên karvunkel reine wâren im für ougen gemaht. dâ von gesach man durch di naht, als ez wære ein sunnen schîn. […] sîn zunge was ein ammetistôn, ein stein hitze rîche. er brinnet êwiclîche, wan der êrst wirt enbrant. der liuhtet ouch in daz lant und behebet sîn perze baz danne ein michel kerze. (La 4777-4804) Auf der Spitze des Zeltdachs ist das Wappentier Lanzelets 161 angebracht: ein goldener Adler, der so verblüffend lebensecht wirkt, dass alleine seine fehlende Flugfähigkeit ihn als Artefakt entlarvt (La 4779 f.). Sinnstiftend wirkt die variierende und überbietende Wiederaufnahme des Motivs selbstleuchtender Steine, das weiter oben im Zusammenhang mit der huote -Thematik der Kemenatenszene gedeutet wurde: An die Stelle des Karfunkels, der als ewiges Licht im Innenraum des Schlafgemachs symbolisch Sichtbarkeit herstellt und den Vollzug der Minne in diesem Raum dadurch verunmöglicht, treten hier gleich zwei Steine derselben Art, die nun jedoch keinen Innenraum mehr ausleuchten, sondern als Intarsien die Augen des Tieres vorstellen und hell wie der Sonnenschein in die Nacht hineinleuchten (La 4783-4786). Hinzu kommt der ebenfalls wundertätige Amethyst (in P: abeston ), aus welchem die Zunge der Figur gefertigt ist und der, einmal entzündet, ewig brennt (La 4798-4804) - mythische Zeitenthobenheit. Das Motiv der leuchtkräftigen Wundersteine stellt einen deutlichen Bezug zur Kemenatenszene her, doch ohne wie dort dieses partikulare Raumsegment als Ort der Minne symbolisch in Frage zu stellen. Durch das Verlagern der Lichtquellen auf die Spitze des Zeltdachs geht ihre huote -Funktion verloren, während die visuelle Außenwirkung des Zeltes umso mehr gewinnt: Weithin sichtbar erstrahlt es in höfischem Glanz (La 4802). 162 Was in der Raumsymbolik der Kemenate noch unvereinbar schien - die auf Intimität angelegte Minnebeziehung einerseits wie die auf öffentliche 161 Vgl. La 372 passim. 162 Glänzende oder selbstleuchtende Aufsätze sind topische Requisiten höfischer Burgbeschreibungen; vgl. etwa die ebenfalls weithin in daz lant (Er 7868) scheinenden Knäufe der Türme Brandigans (vgl. hierzu Kapitel 2.2.2). 182 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven Wahrnehmbarkeit drängende höfische Ordnung andererseits -, geht in der spezifischen Ausstattung des Minnezeltes nun offenbar ohne Weiteres zusammen. 163 Ein weiterer dichotomer Gegensatz, den die räumliche Ordnung der Episode bisher weitgehend auseinandergehalten hatte, wird in der hyperrealistischen Machart der Figur (La 4779-4781) ebenso überblendet wie in dem Mechanismus, der ihrem Inneren integriert ist - menschengemachte Künstlichkeit und belebte Natur: ouch was im der munt sîn gemaht, daz er ginte hô, sô man ein keten zô. er was innân aller hol und sanc prîslîchen wol einen wunderlichen tôn. (La 4792-4797) Wenn man einen Kettenzug betätigt, lässt der Automat einen wunderlîchen ton (La 4797) vernehmen, der einerseits mit dem - zumindest angedeuteten - akustischen Element der Lustorttopik (La 4756 f.) 164 korrespondiert und andererseits durch begriffliche Anleihen - » dôn, tôn bezeichnet […] die metrisch-musikalische Struktureinheit einer Lied- oder Spruchstrophe« 165 - und durch das ästhetische Werturteil prîslichen wol (La 4796) an die höfische Minnesangpraxis anschließt. Naturklang und höfische Kunstübung werden harmonisiert. 166 Dem entspricht auch die weitere Beschreibung des Zeltes. Nach der Schilderung der Zeltspitze wandert der Blick des Erzählers weiter nach unten: Ditz was der pavelûne huot. niderhalp was siu harte guot, mit berlen gezieret. diu winde was gefieret. siu was hôhe und wît. ein teil was ein samît. rehte grüen als ein gras. (La 4805-4811) Die Zeltplane teilt sich also, wie der Rezipient erfährt, insgesamt in vier Abschnitte, die offenbar den vier Seiten des Zeltes entsprechen (La 4808); 167 die eine Seite besteht, ganz ähn- 163 Die für die höfische Kultur in vielerlei Hinsicht konstitutive Spannung zwischen Öffentlichkeit / Sichtbarkeit einerseits und Privatheit / Heimlichkeit andererseits wurde in der kulturwissenschaftlich orientierten Mediävistik schon früh und breit diskutiert; vgl. etwa die Arbeiten Horst W enzel s (grundlegend: W enzel , Ze hove ) sowie m ülleR , Kompromisse, S. 272-361 (dort auch Hinweise zur älteren Forschung). Im ›Lanzelet‹ wird diese Kernparadoxie höfischer Welt wiederum unter Verwendung mythischer Erzählelemente und Strukturlogiken narrativ entfaltet. 164 Vgl. hierzu die überlieferungskritischen Überlegungen in Kapitel 3, Fn. 145. 165 K Ragl , Stellenkommentar, S. 1192 (zu La 4797). 166 Eine solche Überblendung von Kunst- und Naturschönem beobachtet m ülleR , Gebrauchszusammenhang, S. 294-297, auch für das ›Lindenlied‹, insbesondere in der Verwendung des ästhetischen Wertbegriffs schône , das »auf den natürlichen Gesang der Vögel wie auf die Künstlichkeit des Minnesangs anwendbar« (S. 294) sei. 167 Die Farbsymbolik der unterschiedlich gestalteten Zeltwände verweist möglicherweise, wie die Adlerfigur auf der Spitze des Zeltes auch, auf das Thema der Identitätsfindung des Helden, die gleichsam mit der Überreichung des Feenzeltes an ihr Ende kommt (s. o.). Denn bemerkenswerterweise entsprechen drei der vier Seiten des Zeltes farblich den verschiedenen Habitus, die der noch inkognito agierende Held an den drei Turniertagen zu Djofle wählt: grün (vgl. La 2872 und 4811), weiß (La 3081 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 183 lich wie der Bettüberwurf in der Kemenate (La 4154 f.), aus grün gefärbtem Seidenbrokat (La 4810 f.). Während der Stoff dort mit der restlichen, großteils anorganischen Ausstattung des Raumes kontrastiert, die die ›Gemachtheit‹ auch dieses Raumaccessoires wieder ins Bewusstsein rückt, findet das Material hier seine Entsprechung in dem Gras des Bodens, auf dem das Zelt errichtet wurde (La 4667). Die Grenze zwischen artifiziellem Gegenstand und Naturraum, in den dieser sich einfügt, verwischt. Die Schilderung ist nicht mehr auf die Kontrastierung von menschengemachter Künstlichkeit und belebter Natur angelegt, sondern auf deren Harmonisierung. 168 Das setzt sich in der Gestaltung der zweiten Zeltwand fort: Auf einem Untergrund aus kostbarem braunem Seidenstoff - ein rîcher tribulât, / brûn, sô man uns gesaget hât (La 4816 f.) - sind rote Bildnisse angebracht: gelîch vogellînen und wilde, / meisterlîch wol geworht (La 4820 f.). Das Prädikat wilde verweist in den Bereich des Außerhöfischen und Kulturfernen, 169 während die Apposition in La 4821 wiederum die Kunstfertigkeit des Artifex hervorhebt, der den Stoff so meisterlîch gewoben habe. Kategoriale Gegensätze stehen in mythischer Ungeschiedenheit auf engstem Raum beieinander. Die dritte Zeltwand dagegen zielt auf farbliche Kontrastwirkung: von rôtem barragrâne was diu dritte sîte. siu lûhte harte wîte in dem grüenen klê. (La 4828-4831) Nur auf den ersten Blick wird das Zelt durch diesen Effekt raumsemantisch aus seiner Umgebung herausgehoben. Denn an die Stelle des bisher so bestimmenden Gegensatzes von belebter Natur und ›naturferner‹ Kunstfertigkeit tritt nun eine andere Unterscheidung - ein chromatischer Komplementärkontrast, der jedoch das Zelt umso mehr in das Farbenspiel der es umgebenden Natur (vgl. La 4749-4755) einbezieht. Auch die sinnfällige Farbqualität des Zeltes zielt damit weniger auf die Bestätigung der zuvor geschilderten differentiellen Ordnung denn auf die Integration von Gegensätzen. Naturschönes und Kunstschönes fallen wiederum in eins. 170 und 4838) und rot (La 3270 und 4828). Dem steht freilich entgegen, dass das Zelt noch eine vierte Seite aufweist, dessen Farbe - braun (La 4818) -, soweit ich sehe, in keinem Zusammenhang mit der Identitätsproblematik steht. Die farbliche Beschaffenheit des Zeltes spielt diesen Themenkomplex also offenbar an, ohne aber völlig darin aufzugehen. Für den Hinweis auf diesen Zusammenhang danke ich Mireille S chnydeR . 168 Allerdings ist hier wiederum interpretatorische Behutsamkeit angeraten, da grüener samît bei Ulrich geradezu ubiquitäres Beschreibungselement ist; vgl. Kapitel 3, Fn. 105. 169 K Ragl übersetzt wilde vielleicht etwas schwach als ›wundersam‹. 170 Auch für Q uaSt , Monochrome Ritter, S. 174, ist die Farbenvielfalt der höfischen Sachkultur nicht - wie sonst - Ausweis ständischer Hierarchie, sondern wird zum Signum ›mythomorpher‹ Entdifferenzierung, sobald die Texte »den Blick auf die Grenzziehung zwischen Kultur und Natur« richten. Generell ist Polychromie ›höfisch‹ konnotiert, während Einfarbigkeit in aller Regel eine »wie auch immer geartete Ordnungsstörung« anzeigt (ebd., S. 171; vgl. hierzu auch Kapitel 2.2.5). In der höfischen Kleidermode waren Komplementärkontraste wie der hier beschriebene vor allem im sog. mi-parti -Schnitt keine Seltenheit; vgl. etwa die Darstellung Flories in Wirnts von Grafenberg ›Wigalois‹: si truoc einen roc wîten, / von zwein samîten / gesniten vil gelîche, / eben unde rîche; / der eine was grüene alsam ein gras, / der ander rôter varwe was (Wi 746-751). Als Beispiel für eine Zeltplane im mi-parti -Stil kann das Zelt des Protagonisten in Heinrichs von Veldeke ›Eneasroman‹ genannt werden (vgl. En 9226 f.). Zur vestimentären Codierung der höfischen Ordnung im Mittelalter vgl. allgemein B umKe , Höfische 184 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven Im Zusammenhang mit der Schilderung der dritten Zeltseite macht der Erzähler auf die Heilswirkung des Zeltes aufmerksam: im kunde nimer werden wê, dem daz in teile was getân, daz er drîn mohte gân; er hât an sælden grôzen prîs. ez was ein irdisch paradîs, des muoz man jehen zwâre. (La 4832-4837) Wer dort in das Zelt hineingeht, vergisst all sein Leid. Damit ist wiederum die Schilderung des Behforet aufgerufen, 171 denn dort wird eine ganz ähnliche Wirkkraft den Früchten der wundersamen Obstbäume zugeschrieben: kein wunde was sô grôz, der daz obez dran bant, siu heilet zehant, unz oht der lîp di sêle truoc. (La 3958-3961) Wie die heiltätige Wirkung des Zeltes dieses einerseits mit dem Schönen Wald in Verbindung bringt, so ist es auf der anderen Seite durch den Vergleich mit dem irdischen Paradies zugleich deutlich davon abgesetzt. Der Erzähler charakterisierte die Ordnung von Behforet zwar als vollekomen (La 4013), doch zielte dieser Begriff, wie gezeigt wurde, auf eine rein innerweltlich gedachte Form der Vollkommenheit, die sich vor allem als vollkommene (räumliche) Ordnung der Unterschiede manifestierte. Im Minnezelt nun wird diese differentielle Ordnung in der mythischen Konkreszenz der Gegensätze aufgehoben. 172 Am rätselhaftesten erscheint in der Beschreibung des Zeltes allerdings die vierte Zeltwand: von wîzen visches hâre was das vierd ende mit wilder wîbe hende geworht mit guoter ruoche. (La 4838-4841) Florian K Ragl vermutet hinter dem geheimnisvollen ›weißen Fischhaar‹, aus dem diese Seite des Zeltes gefertigt sei, »Fischhaut oder einen anderen aus maritimem oder aqua- Kultur, S. 172-175, sowie - speziell zum Aspekt der Vielfarbigkeit in der adligen Kleiderwahl - ebd., S. 181-183. 171 Vielleicht ist diese Wirkung des Zeltes aber auch eine ›Erbmerkmal‹, das auf seine Herkunft aus dem Feenreich zurückzuführen ist, denn auch dort heißt es ganz ähnlich: swer dâ wonet einen tac, / daz er niemer riuwe pflac / und immer vrœlîche warp / biz an di stunt, daz er irstarp (La 237-240). 172 h ammeR , St. Brandan, weist anhand der ›Brandan‹-Legende nach, dass christliche Konzeptionen des irdischen Paradieses und keltische ›Anderswelt‹-Vorstellungen nicht nur über einen gemeinsamen Motivbestand verfügen, sondern dass beide auch hinsichtlich »räumlicher und zeitlicher Merkmale […] bestimmten Konzeptionen des mythischen Denkens« (S. 153) entsprechen. h ammeR macht so darauf aufmerksam, »wie intensiv die wechselseitige Beeinflussungen christlicher, keltischer (und auch antiker) Traditionen sind, die auf die Imagination des ander paradîses einwirken« (ebd.). Mit dem Hinweis auf das irdische Paradies schließt der Erzähler des ›Lanzelet‹ also nicht allein an christliche Vorstellungen an, sondern auch an genuin mythische, da beide in der literarischen Tradition schon früh miteinander konfundiert sind. (Zum irdischen Paradies in den bildlichen Darstellungen der mhd. Handschriften vgl. auch Kapitel 3, Fn. 81 und 82.) 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 185 tischem Material hergestellten Stoff. Möglich wäre Robbenfell, im wahrsten Sinn des Wortes ›näher‹ liegen die begehrten Biber- und Fischotterpelze« 173 . Wenngleich ein solcher ›sachgeschichtlicher‹ Ansatz durchaus einen Zugang zu der schwer verständlichen Stelle eröffnen kann, so dürfte er dennoch am Entscheidenden vorbeigehen: Das Material der vierten Zeltwand steht in einem semantisch-isotopischen Zusammenhang mit dem Reich der Meerfee, dem das Zelt fiktionsintern ja auch tatsächlich entstammt. Wie die wundersamen ›behaarten‹ Fische, von denen in der Beschreibung des Zeltes die Rede ist, ist auch die Meerfee mit dem Wasser assoziiert, nicht nur, weil sie das aquatische Element schon in ihren Figurenbezeichnungen trägt ( merfeine , La 180 passim; merminne , La 193 passim). Ihr Land ist rundherum von Meer umgeben (La 214), und sie übt Befehlsgewalt aus über - ansonsten nicht näher bestimmte - merwunder (La 278), Geschöpfe also, die eben diesem Meer entstiegen sind (vgl. La 292). Dem Wasser als einem höchst ambivalenten Element - einerseits »lebens- und heilspendende materia prima«, andererseits »angstbesetzte unbeherrschbare Naturgewalt, die tödlich wirken kann« 174 - kommt in zahlreichen (Ursprungs-) Mythen und anderen traditionellen Erzählungen eine zentrale Bedeutung zu. Da »[n]ach animistischem Weltverständnis […] die materielle Welt«, mithin also auch das Wasser, »als beseelt gedacht« ist, begegnet auch die Vorstellung von Geistern und überirdischen Wesen, die die Gewässer in Menschen-, Tier- oder Pflanzengestalt bewohnen, als ein »altes und universales Phänomen«, das »bis in die Gegenwart verbreitet ist«. 175 An diese mythischen Vorstellungen schließen im ›Lanzelet‹ sowohl das Reich der Meerfee und ihrer merwunder wie auch das rätselhafte Fischhaar des Minnezeltes an. Beide Motivkomplexe bilden eine semantische Isotopie aus und wirken somit kohärenzstiftend. Verstärkt wird die mythische Dimension des Zeltes durch den Hinweis, dass das Fischhaar zwar mit guoter ruoche (La 4841) gewebt sei, jedoch nicht etwa durch die Hand eines höfisch gebildeten Artifex, sondern von wilder wîbe hende (La 4840), d. h. »von außerhalb der Zivilisation, in der Regel im Wald lebende[n] Geschöpfe[n]«, die, »oft nackt und mit behaarten Körpern« dargestellt, in der zeitgenössischen Kunst und Literatur als »Gegenentwurf zur ›realen‹ Welt« 176 in 173 K Ragl , Stellenkommentar, S. 1192 f. (zu La 3839 [recte: 3838] -3840); vgl. ebd. die Aufstellung mehr oder weniger überzeugender literarischer Parallelstellen. 174 l undt , Wassergeister, Sp. 519. 175 l undt , Wassergeister, Sp. 519; vgl. die zahlreichen Zeugnisse ebd., Sp. 520-524. Die Artustradition kennt, neben der Frau vom See, vor allem die Fee Morgan als weiteres prominentes Beispiel eines solchen überirdischen Wasserwesens. Die Verbindung zum Meer ist schon im Eigennamen der Figur angezeigt: Morgane, »wohl aus * mori-gena ›Meer-geborene‹« (S imeK , Artus-Lexikon, S. 251). Wie die Frau vom See ist auch Morgane die Herrin einer Insel, nämlich des mythischen Reiches Avalon, »aus dem wunderbare Gegenstände der Artussage stammen, wohin der schwerkranke Artus schließlich entrückt wurde und das in der Literatur Züge eines Feenreichs bzw. einer Anderswelt aufweist« (ebd., S. 30). (Aufgrund dieser motivischen Gemeinsamkeiten geht l oomiS , Celtic Myth, S. 193, auch von einer ursprünglichen Identität der beiden Figuren aus; vgl. allgemein zu dieser Gestalt auch F uncKe , Morgain.) Dass nicht nur die (vor allem weiblichen) Figuren der keltischen Mythologie häufig mit dem Wasser in Verbindung stehen, sondern dass entsprechend auch die Topographie der keltischen Jenseitsvorstellungen meist von Gewässern wie dem Meer, Seen oder Quellen geprägt ist, zeigt h ammeR , Tradierung, S. 61-66, auf. Die motivische Nähe des Meerfeenreichs des ›Lanzelet‹ zur keltischen Mythologie notiert u. a. l oRenz , Raumstrukturen, S. 165 (vgl. hierzu auch die in Kapitel 3.1.1 angeführte motivgeschichtlichen Forschungsliteratur). 176 K Ragl , Stellenkommentar, S. 1194 (zu La 3839 [recte: 3838] -3840). Vgl. auch die zweite Zeltseite, die in ähnlicher Weise als zugleich wilde und meisterlîch beschrieben wird (La 4820 f.; s. o.). Dass es sich bei den Wilden Leute in diesem Fall um Frauen handelt, unterstreicht zusätzlich die motivische Bindung an das Reich der Meerfee, das ebenfalls nur von Frauen und Mädchen bevölkert ist. 186 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven Erscheinung treten. Das Zelt ist also einerseits höfisch konnotiertes Raumrequisit, wie es andererseits auch der Sphäre des Unhöfischen und Unzivilisierten zugehört, die gewöhnlich in räumlicher Distanz zur höfischen Welt gedacht ist. Die semantische Struktur des Zeltes hebt diesen Widerspruch in der Engführung basaler kultur- und ordnungsstiftender Gegensätze auf. Dem entspricht auf inhaltlicher Ebene die Anbindung an mythische Erzähltraditionen im Motiv des geheimnisvollen Meeresgeschöpfs, aus dessen Haut die vierte Zeltseite gefertigt ist. Mythische Erzählinhalte und mythomorphe Strukturmerkmale bedingen sich wechselseitig und sind in diesem Sinne strukturell aneinander gekoppelt. Das Motiv der merwunder begegnet in der Ekphrasis des Zeltes später noch ein weiteres Mal, nämlich als Gestaltungselement der kostbaren Leiste, die die Zeltschnüre bedeckt (La 4880) und die das motivische Inventar der anderen Zeltbestandteile noch einmal in sich bündelt: Dâ was geworht von golde, als ein wîse meister wolde, seltsæniue wunder, vische, merwunder, tier, gefügel und man. ditz was allez dran, mit spæhen listen erhaben, hol und innân ergraben. sô der wint kom drîn gevlogen, sô begund ez allesampt brogen, als ez wolte an di vart. iegelichez sanc nâch sîner art und hulfen dem arn, der ob in schrê. (La 4883-4895) Die Forschung ist bisher vor allem auf den symbolischen Gehalt dieser Schilderung eingegangen, die vor dem Hintergrund der kosmologischen und allegorisch-naturkundlichen Diskurse der Zeit zu sehen sei. 177 Demgegenüber schenkte man bisher kaum dem Umstand Beachtung, dass diese eigentümliche Konstruktion auch im textimmanenten Signifikationssystem der Zeltbeschreibung eine zentrale Stelle einnimmt: Hier kommen die unterschiedlichen Elemente der vorangegangenen Schilderungen noch einmal zusammen und werden in sinnfälliger Weise verdichtet. Die die Natur nachahmende Ornamentik der zweiten Zeltseite wiederholt sich ebenso wie das Motiv eigentümlicher Meerwesen (hier freilich nur im Abbild), welches schon das vierte Segment maßgeblich bestimmte (La 4885-4889). In die Leiste integriert ist ein Mechanismus, der bei Luftzug (La 4891) nicht nur die Figuren in Bewegung versetzt und so den Eindruck von Intentionalität erweckt ( als ez wollte an die vart , La 4893), 178 sondern auch Töne hervorbringt, die dem natürlichen Klang der abge- 177 h uBeR , Aufnahme, S. 364, interpretiert das Wunderzelt als »ein Bild des Kosmos als Raum des Lebendigen« und erkennt darin Anklänge an den ›Planctus des Alanus ab Insulis. Auch z ellmann , Lanzelet, S. 249, stellt fest, dass dem Paar mit dem Zelt »nichts weniger als ein Universum in die Hände gelegt« sei. K Ragl , Stellenkommentar, S. 1189 (zu La 4760-4911), bemerkt dazu kritisch, dass der »Ansatz zu einer solchen Deutung [ ] im Text zwar angelegt« sei, doch sei »die Ausführung« jedoch »zu knapp und unspezifisch«, »als dass hier weitergehende Schlüsse gezogen werden könnten«. 178 Vgl. den Hinweis auf das trügerisch lebensechte Erscheinungsbild der Adlerfigur, La 4785. 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 187 bildeten Entitäten nachempfunden sind ( nâch sîner art , La 4894) - auf die Entsprechung zum Automaten auf der Spitze des Zeltes macht der Erzähler selbst aufmerksam (La 4895). Keine verdichtende Repetition bereits bekannter Motive, sondern einen originär neuen Aspekt des Zeltes eröffnet der Hinweis auf seine außerordentliche Leichtigkeit: von dem gezelt sag ich niht mê wan einer natûre, der ez wielt: swenne manz zesamene vielt, sô wart es sô gefüege, daz ez lîhte trüege ein juncvrouwe in ir handen. […] swenne ez wart ûf gezogen, sô enswârt ez an nihte. (La 4896-4907) Damit ist eine Dimension des Zeltes aufgerufen, die nicht unmittelbar im Zusammenhang seiner symbolisch-zeichenhaften Qualität steht, sondern »äußerst realweltlichen Ansprüchen genügt« 179 : seine zweckorientierte Funktion als »mobiler Innenraum«, der »beinahe überall und schneller als eine feste Behausung errichtet und wieder abgebrochen werden« 180 kann und dennoch ausreichenden Schutz vor widrigen Umwelteinflüssen bietet: daz gezelt stuont unervorht / von aller slaht wetere (La 4822 f.). In dieser Perspektive erscheint das Zelt nicht als symbolträchtiges Artefakt, dessen Beschaffenheit mythische ›Anderswelten‹ assoziiert, sondern steht völlig im Kontext höfischer Sachkultur - wenngleich freilich die literarische Fiktion den tatsächlichen Stand der Technik um 1200 deutlich überhöht 181 . Dabei nimmt das Zelt nicht nur in Bezug auf das realgeschichtlich seinerzeit Mögliche, sondern auch in Bezug auf die zeitgenössischen literarischen Imaginationen eine Sonderstellung ein. Denn es »gehört zur typischen Zeltbeschreibung der französischen und deutschen höfischen Epik, daß man erfährt, welche Kraft benötigt wird, um ein Zelt zu bewegen« 182 . Das Feenzelt im ›Lanzelet‹ weicht hiervorn erkennbar ab, und gerade diese »markierte Abweichung« hat man als Hinweis auf den »Wundercharakter« 183 des Zeltes gewertet. Ob es sich nun um ein mythisch-magisches Wunderding (vgl. auch den Zauberspiegel und das auf die ›Anderswelt‹ des Meerfeenreichs verweisende Fischhaar) oder doch eher um ein technisches Glanzstück mit deutlich »mechanisch-physikalische[m] Charakter« 184 handelt (wofür auch die in die Zeltstruktur eingebauten Automaten sprächen), dürfte kaum endgültig zu entscheiden sein. Wie in einem Vexierbild gehen Magie und Mechanik in der 179 l oRenz , Raumstrukturen, S. 186. 180 l oRenz , Raumstrukturen, S. 181. 181 Vgl. l oRenz , Raumstruktur, S, 186: »Eine solche wetterfeste Außenbeschichtung […] konnte nach zeitgenössischem Stand der Technik nur durch ein extrem hohes Materialgewicht erkauft werden. Auch das Gestänge wird als äußerst massiv beschrieben: diu grœze mohte wol sîn / als zweier spangen enge. / zweit sperschefte was diu lenge [La 4868-4870], dazu kommen Heringe aus Gold und verzierte Zeltschnüre aus Seide. Obwohl all dies zwar durchaus im Bereich des handwerklich Möglichen war, wäre die Konsequenz eine extrem eingeschränkte beziehungsweise mühsame Transportabilität eines solchen Zeltes gewesen.« 182 S tocK , Das Zelt als Zeichen, S. 78. 183 S tocK , Das Zelt als Zeichen, S. 78. 184 l oRenz , Raumstrukturen, S. 186. 188 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven descriptio des Zeltes ineinander über, so dass jeder Versuch einer eindeutigen identitätslogischen Bestimmung des Zeltes notwendig zu kurz greift. 185 Der Hinweis auf die Transportabilität des Zeltes erfolgt nicht zufällig, kommt diese Eigenschaft doch immer wieder in den narrativen Imaginationen der höfischen Epik zum Tragen. Nicht nur das spezifisch semantisierte Wunderzelt des ›Lanzelet‹, sondern Zelte allgemein »haben als transportabler und schnell installierbarer Innenraum das Potential, gegebene räumliche Strukturen zu befragen oder auch zu bereichern.« 186 Es gehört zu den Kernthesen dieser Untersuchung, dass die räumliche Ordnung des höfischen Romans nicht, wie es die ältere strukturalistische Forschung wollte, statisch zu denken ist und sich der Sinn der Erzählung allein in der Bewegung des Helden innerhalb dieser fest gefügten Raumordnung erschließt. Vielmehr lässt sich der Raum selbst als beweglich und veränderlich beschreiben, und gerade über diese Dynamik des narrativen Raumes werden, wie zu zeigen ist, zentrale Fragen des höfischen Ordnungsdiskurses verhandelt. Als »per se dislokaler Gegenstand« 187 , dem auch Raumeigenschaften zugeschrieben werden können, ist das Zelt für dieses Spiel mit den ordnungskonstituierenden Strukturen des Raumes geradezu prädestiniert. In dieser Funktion begegnet es in der Dodone-Episode des ›Lanzelet‹, ganz ähnlich jedoch auch, wie zu sehen war, 188 in Hartmanns von Aue ›Erec‹. Die Berührungspunkte mit dem ›Erec‹ auch in der Beschreibung des Zeltes hat die ältere Forschung mehrfach aufgezeigt: 189 Auf der Spitze des Zeltes Mabonagrins ebenso wie auf der des Minnezeltes im ›Lanzelet‹ ist eine lebensecht wirkende goldene Adlerattrappe angebracht (Er 8915-8917; La 4778-4781); an verschiedenen Stellen sind Abbildungen von Tieren und Menschen eingearbeitet, die ebenfalls die Illusion belebter Natur erwecken (Er 8908-8912; La 4819-4821, 4883-4888); beide Zelte werden mit dem irdischen Paradies in Verbindung gebracht (wobei sich im Falle des ›Erec‹ der Vergleich auf das gesamte Raumensemble des Baumgarten bezieht, dessen Teil freilich auch die pavelûne ist; vgl. Er 9542; La 4836). Auch diese Parallelen wurden überwiegend für Fragestellungen zu den Abhängigkeitsverhältnissen der beiden Texte herangezogen; kaum beachtet wurde wiederum die sinnstiftende Verschränkung von Ähnlichkeit und Differenz in der jeweiligen Verwendung des Motivs. In der Joie de la curt erweist sich Minne als identitätslogisch nicht fassbare Macht, die die ordnungskonstituierende Unterscheidung zwischen dem Höfischen und dem Nicht-Hö- 185 Von hier aus lässt sich möglicherweise auch ein weiteres Rätsel der Zeltbeschreibung auflösen; von den smaragdenen Zeltstangen (La 4862-4870) heißt es nämlich, dass ihre ohnehin schon stattliche Länge (vgl. Kapitel 3, Fn. 181) sogar noch zunehmen könne, swi man wolde (La 4871). Wie ist dies zu verstehen? Handelt es sich hier um einen weiteren Zaubermechanismus oder doch eher um die literarische Antizipation einer Art Teleskoprohr oder einer ähnlichen technischen Vorrichtung? Oder fallen auch hier wieder Zauber und Technik in mythischer Ungeschiedenheit in eins? e ngelen , Edelsteine, S. 93, führt - was vom Wortlaut des Textes her allerdings nicht zwingend ist - die Fähigkeit der Stangen, ihre Größe zu ändern, auf eine Eigenschaft ihres Materials, des Smaragdes, zurück, die allerdings »[o]hne Parallele in der Steinkunde« sei. 186 S tocK , Das Zelt als Zeichen, S. 69. 187 l oRenz , Raumstrukturen, S. 181. 188 Vgl. Kapitel 2.2.3. 189 Vgl. S chilling , De usu dicendi, S. 10; n eumaieR , Lanzelet, S. 20; g Ruhn , Erek, S. 280. Nicht ohne Plausibilität, wurde auch die Abhängigkeit beider Texte von Heinrichs von Veldeke ›Eneasroman‹ (vgl. En 9224 f.) ebenso wie eine Beeinflussung durch den ›Roman d’Alexandre‹ (vgl. K Ragl , Stellenkommentar, S. 1188 f. [zu La 4760-4911]) erwogen. Für die hier vorgeschlagene Lesart der Dodone-Episode scheinen mir diese Zusammenhänge allerdings weniger ausschlaggebend zu sein. 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 189 fischen in Frage stellt und so die differentielle Ordnung aufzulösen droht, deren Intaktheit gewöhnlich durch den gesellschaftlichen Zustand der vreude indiziert ist. Raumsymbolisch äußert sich dies darin, dass der Minne ein Raumsegment zugeordnet wird, das in paradoxer Weise an Raum und Gegenraum zugleich partizipiert und damit die Grenze zwischen beiden zum Verschwinden bringt. Im Mittelpunkt dieses Raumsegments steht das Zelt des Baumgartenpaares, das seinerseits an der Auflösung der differentiellen Ordnung mitwirkt, indem es die entgegengesetzten Bereiche von artifizieller Kultur und belebter Natur einander angleicht. Aus Sicht der höfischen Gesellschaft von Brandigan erscheint dieser Zustand als Störung, die durch das Eingreifen des Helden korrigiert werden muss, so dass mythische Ambivalenz wiederum in differentielle Eindeutigkeit überführt wird. 190 Das Motivinventar der Dodone-Szene ist, wie gezeigt, weitgehend identisch, doch ist die Erzähllogik, die der dynamischen Ordnung des Raumes hier zugrunde liegt, eine andere. Als Lanzelet in Iwerets Reich ankommt, findet er dieses nicht im Zustand einer - aus Sicht der ansässigen Bevölkerung - gestörten Ordnung vor, die es zu beheben gelte, sondern, im Gegenteil, als einen Ort von geradezu utopischer Qualität - ein Ort, an dem dauerhaft vröude herrscht. Zwar trägt auch dieses Raumsegment mythische Züge, doch nur hinsichtlich seiner Zeitsemantik, während die räumliche Ordnung dieses Weltausschnitts eine strikt differentielle bleibt. Erkauft wird die vollkommene Ordnung Dodones durch den radikalen Ausschluss der Minne, und noch nach bestandener Aventiure müssen Lanzelet und Iblis räumliche Distanz zum Zentrum dieser Ordnung gewinnen, damit sie sich ihrer Liebe hingeben können. Eine der Brandigan-Episode des ›Erec‹ vergleichbare Störung der Ordnung gibt es nicht, doch erscheinen auch hier die höfische Ordnung einerseits und die deutlich als hoffern markierte Minne andererseits als völlig unvereinbar. An diesem Punkt kommt die Meerfee ins Spiel, die als mythische Instanz par excellence - motivisch-inhaltlich schließt sie an die mythischen Erzähltraditionen der matière de bretagne an, wie sie in handlungslogischer Hinsicht die mythosanaloge Finalität der Narration verbürgt - dazu imstande ist, diese Widersprüche durch ihre Gabe aufzulösen. Mit dem Zelt der Meerfee wird inmitten des idealen, aber hoffernen Lustortes ein portables Raumsegment installiert, welches die die Erzählordnung zuvor bestimmenden Gegensätze nun einander annähert: Die kostbaren Materialien des Zeltes und deren kunstvolle Verarbeitung bringen es mit der gesteigerten Artifizialität der Kemenate in Verbindung, während seine Ausstattung andererseits auch perfekt mit dem Naturraum des locus amoenus harmoniert, in welchem es sich befindet. Es verbindet Intimität mit öffentlicher Sichtbarkeit, wie es auch an der Sphäre des Höfischen und dem ihr entgegengesetzten Bereich der wilde gleichermaßen partizipiert. Zwar bleiben die einzelnen Beschreibungselemente - so etwa die vier je verschieden gestalteten Zeltwände - als distinkte Einheiten unterscheidbar; doch gewinnt das Zelt als Ganzes ebenso eine ambivalente Struktur, wie auch die einzelnen Elemente in sich noch einmal widersprüchlich semantisiert sind: Sie sind ›schön‹ im Sinne der höfischen Ästhetik und wilde zugleich (vgl. etwa La 4820 f.). Vollends entzieht sich das Zelt in seiner Charaktersierung als gleichermaßen mythisch-magisch wie mechanischphysikalisch geprägtes Wunderding einer eindeutigen identitätslogischen Bestimmung. Damit gehorcht das Zelt einer »chimärischen Logik des Sowohl-Als auch« 191 , wie sie auch 190 Vgl. Kapitel 2.2.4. 191 F uSS , Groteske, S. 430. 190 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven für den Mythos kennzeichnend ist, und tatsächlich schließt es auch auf motivisch-inhaltlicher Ebene an mythische Erzählelemente an (vgl. die Verbindung zum Meerfeenreich). Das Beschreibungsinventar entspricht in vielem demjenigen der pavelûne in Hartmanns ›Erec‹, doch steht das Zelt hier in einem anderen Kontext und ist narrativ anders funktionalisiert. Nicht die Liquidation einer bestehenden Ordnung ist in der Semantik dieses Raumelements angezeigt, sondern eher die mythische Verbindung zweier für sich genommen perfekter, sich jedoch gegenseitig ausschließender - und damit auch defizitärer - Zustände. Unter Verwendung eines ähnlichen Motivbestandes und ähnlicher nicht-differentieller Strukturlogiken entwirft, so könnte man sagen, Ulrichs Roman das prospektiv optimistische Gegenbild zu Hartmanns Joie de la curt . 3.2.8 Das Minnezelt als Zeichen und - Handlungsraum? Doch dieser Entwurf bleibt letztlich eine bloße Hypothese. Eine Harmonisierung von Minne und höfischer Ordnung wird zwar in der Semantik des Feenzeltes angedeutet, findet im Text aber faktisch nicht statt - und kann es auch gar nicht tun. Das Problem liegt auf der Metaebene: Zwar hebt das Zelt die Gegensätze innerhalb der erzählten Ordnung in einem mythischen Zustand des Sowohl-als-auch auf, doch der Widerspruch dieser nicht-differentiellen Logik zur differentiellen Logik der - freilich nach wie vor gültigen - höfischen Ordnung bleibt als solcher bestehen. Er wird beim Eintritt in das Minnezelt in Form von »Störparolen« 192 , die dem Gatter des Zelteingangs eingeschrieben sind, mit aller Deutlichkeit aufgerufen: diu tür was ein guldîn gater. Dâ stuonden buochstaben an, der ich gemerken nienâ kan, wan einer sprach dâ vor: ›quid non audet âmor? ‹ - daz spricht: ›was getar diu minne niht bestân? ‹ der ander sprach, daz ist mîn wân: ›minne ist ein werender unsin.‹ sît ich ze ellende worden bin, sô stuont dar nâch geschriben: ›minne hât mâze vertriben; sine mugent samit niht bestân.‹ (La 4848-4859) Die antiken Quellen dieser Sentenzen sind bekannt, 193 doch herrscht über ihre Funktion im Kontext der ›Lanzelet‹-Stelle keineswegs Einigkeit. Auffällig jedenfalls ist, dass sie nun nicht, wie nach der glücklichen Liaison von Lanzelet und Iblis zu erwarten wäre, »die Ordnungsmacht der Liebe« ausrufen, sondern vielmehr »das glatte Gegenteil« 194 behaupten: Mit aller Entschiedenheit wird die prinzipielle Unvereinbarkeit der Minne mit der höfischen Ordnung konstatiert. Mâze (La 4858) ist die Garantin dieser Ordnung, deren Inbegriff die vuoge ist: das geordnete Verhältnis der Unterschiede. Mâze impliziert deshalb 192 z ellmann , Lanzelet, S. 249. 193 Es handelt sich um Zitate von Ovid, Publilius Syrus und Vergil; vgl. K Ragl , Stellenkommentar, S. 1194 (zu La 4849-4859). 194 z ellmann , Lanzelet, S. 249. 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 191 Unterscheidbarkeit: Unterscheidbarkeit von Höfischem und Unhöfischem, von qualitativen und quantitativen Abweichungen gegenüber der höfischen Norm (›zu viel‹ und ›zu wenig‹) wie überhaupt die Unterscheidbarkeit von ethisch bzw. sozial richtigem und falschem Verhalten. Die Minne dagegen, auch und gerade in ihrer mythischen Überformung, kennt eine solche differentielle Logik nicht (weshalb sie aus deren Perspektive auch als irrational erscheinen muss: ein werender unsin , La 4855). Deshalb gibt es auch keine differentiell konstituierte Ordnung, der sich die Minne fügen würde, nichts, was ihrem Absolutheitsanspruch Grenzen zu setzen vermag: ›was getar diu minne niht bestân? ‹ (La 4853). 195 Auch in der mythischen Logik des Minnezeltes bleiben Minne und mâze letztlich unversöhnlich, weil sie ihrerseits jeweils inkompatible logische Systeme repräsentieren: ›minne hât mâze vertriben; / sine mugent samit niht bestân.‹ (La 4858 f.). Mit der Zitation der antiken Leitsprüche stellt sich der Text in dasselbe Diskursfeld, in welchen auch Walthers › Aller werdekeit ein füegerinne ‹ (L 46,32 resp. 45,37) und Frauenlobs Minne-Welt-Dialog gehören und dessen Problemzusammenhang auch im ›Erec‹, wie zu sehen war, paradigmenbildend wirkt. 196 Markus S tocK hat darauf aufmerksam gemacht, dass überall dort, wo Zelte »eine hervorragende Rolle im epischen Geschehen« 197 spielen, in der Regel auch eine Verschränkung von einerseits dinglich-zeichenhaften wie andererseits handlungslogischen Sinnbildungspotentialen zu beobachten ist. Demnach würde »[e]ine analytische Trennung von Ekphrasis […] und narrativer und raumsemantischer Funktion […] zu verfälschenden Ergebnissen führen. Das liegt an einem wichtigen Charakteristikum dieser Zelte, die nicht nur […] Handlungsraum, sondern immer auch Zeichen sein können, elaborierte Zeichen, die in sich selbst und nicht nur in ihrer raumsemantischen Funktion Bedeutung erzeugen können.« (Ebd.) S tocK verdeutlicht dies, unter anderem, am Beispiel von Isenharts Zelt in Wolframs ›Parzival‹: »Aus dem Zelt heraus […] ziehen sich Linien weit in den Roman hinein, die Vor- und Hauptgeschichte verbinden. All diese Linien […] haben mit Tod und Sterben zu tun, für die das Zelt Zeichen und für deren Personal (das todbringende wie das sterbende) es Handlungsraum ist. Diese Verbindung von Zeichen und Handlungsraum stellt die Grundlage für die spezifische Sinnkonstitution im zweiten Buch des ›Parzival‹ dar.« (S. 83) Eine solche doppelte Dimension des Zeltes als ›Zelt und Handlungsraum‹ ist auch im Geschenk der Meerfee angelegt: Nach Aussage der Botin ist das Zelt zugleich Zeichen ihrer eigenen Aufrichtigkeit wie Zeichen der sælde Lanzelets (La 4732-4737); als Minnezelt ist es zudem Symbol der aufrichtigen Liebe zwischen Lanzelet und Iblis - dinglich objektiviert im Zauberspiegel in seinem Inneren -, wie es als beweglicher Innenraum auch dazu disponiert 195 Dass nicht stattdessen der geläufigere Omnia-vincit-amor- Topos bemüht wird, verleiht der Stelle einen zusätzlichen moralisierenden Unterton, der der Minne nicht nur Maßlosigkeit, sondern, so scheint es, auch Überheblichkeit vorwirft: Es gibt nichts, was die Minne nicht ›in Angriff zu nehmen‹ wagte (so die Übersetzung bei K Ragl ) - doch wird sie darin auch erfolgreich sein? Eine ähnliche Tendenz verfolgt wohl auch die Bemerkung des Erzählers bei der Vorstellung der Iblis, dass niemand der Wirkmacht der Minne Einhalt gebieten könne als Gott alleine, der allie dinc wol mac gezamen (La 4057; vgl. zur Stelle auch Kapitel 3, Fn. 214). Der Gewalt der Minne sind fast keine Grenzen gesetzt - d. h. aber eben nur fast, und am Ende ist das Hierarchiegefälle dann doch eindeutig. 196 Vgl. Kapitel 2.2.7. 197 S tocK , Das Zelt als Zeichen, S. 69 (dort auch die folgenden Zitate). 192 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven ist, zum Ort des körperlichen Vollzugs dieser Liebe, zum konkreten Handlungsraum also, zu werden. Diese doppelte Funktionalisierung des Zeltes wäre umso naheliegender, als sie seiner mythischen Struktur entspräche: Bezeichnendes und Bezeichnetes nähern sich aneinander an, wenn das Zelt als Vollzugsort der Liebe dasjenige allererst mitkonstituiert, worauf es zugleich dingsymbolisch verweist. Indes: Der Text macht von diesem narrativen Potential keinen Gebrauch. Nachdem Lanzelet das Zelt ausführlich in Augenschein genommen hat, überreicht er der Botin einen Zauberring, der bewirkt, dass niemand seinem Träger einen Wunsch abschlagen könne (La 4953-4955), und schickt sie, mit den besten Grüßen an die Meerfee (auch von Iblis), zurück in ihre Heimat (La 4930-4956). Sodann macht Lanzelet sich auf den Weg, um Wâlwein zu suchen, wan er im baz guotes günde / danne deheim sîm mâge (La 4962 f.). Damit ist der narrative Übergang zur nächsten größeren Handlungseinheit vollzogen. Weder im unmittelbaren Anschluss an das Stelldichein auf der wunderlichen stat , noch an irgendeiner späteren Stelle der Erzählung wird das Zelt dem Zweck zugeführt, für den es doch so offenkundig bestimmt zu sein scheint - wie überhaupt von einem physischen Vollzug der Minne zwischen Lanzelet und Iblis nach der Dodone-Episode (explizit) keine Rede mehr ist. Das verwundert umso mehr, als der Text - die strukturalistischen Bemühungen um Ulrichs Roman haben es eindrücklich gezeigt - keineswegs aus einer willkürlichen Addition isolierter Episoden besteht und es in dem sorgfältig durchkonzipierten Handlungsgefüge 198 durchaus Strukturstellen gibt, die eine solche erneute körperliche Vereinigung erwarten ließen. Als Lanzelet heimlich vom Artushof auszieht, um die Zwergenbeleidigung zu rächen, die ihm zu Beginn des Romans widerfahren ist (La 403-465), kommt es schließlich zur Zwangsverehelichung mit der Herrin des Zwerges, der (namentlich nicht genannten) Dame von Pluris: dô muose aber briuten / der wîpsælig Lanzelet (La 5528 f.), wie der Erzähler das Geschehen lakonisch kommentiert. Trotz der folgenden Minnehaft, die Lanzelet wîlent trûric, wîlent frô (La 5645) stimmt, 199 bleibt er Iblis zumindest im Gedanken treu: und swaz er tæt ze guote / sône kom ûz sînem muote / vrouwe Iblis ze keiner stunt (La 5671-5673). Zur gleichen Zeit erscheint am Artushof wiederum die Botin der Meerfee und bringt der versammelten Gesellschaft einen wundertätigen Mantel vor, den die anwesenden Damen der Reihe nach anprobieren sollen (La 5746-6201). Je nachdem, wie gut oder schlecht der Mantel sitzt, sind Rückschlüsse auf die Tugendhaftigkeit der Trägerin möglich. Selbst die Königin scheitert (gleich als Erste in der Reihe) an dieser Probe: Genover leit den mantel an, dâ von siu schame gewan, wan ir daz selbe gewant ob den enkelin erwant, alsô daz er ir niht tohte. (La 5857-5861) Auch die anderen Damen vermag das Zauberding nicht recht einzukleiden: Entweder ist es zu lang (La 5908-5910; 6081-6084) oder zu kurz (La 6062-6064) oder, obschon von vorne besehen passend, auf der Rückseite in grotesker Weise gerumpfen ûf an den gürtel hô (so bei der vriundin Keies , La 5951). Keine der Damen ist imstande den Mantel zu tragen, ohne 198 Vgl. zusammenfassend K Ragl , Veni, vidi, basiavi, S. 536-545. 199 Der Erzähler merkt ironisch an, er wisse nicht, ob die Umstände dem Helden nicht doch ganz angenehm seien, wan diu künegîn was ein schœne maget (La 5531). 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 193 dass der eine oder andere Makel Zweifel an ihrer Sittlichkeit erlauben würde. Alleine als Iblis ihn anlegt, ist man sich einig: ez wære mit der wârheit daz baz stênde kleit, daz ie dehein vrouwe getruoc (La 6133-6135) - weshalb es ihr schließlich auch als Geschenk ( gâbe , La 6193) überlassen wird. Seit René P éRennec s wegweisender Studie von 1979 200 herrscht mehr oder weniger Konsens darüber, dass Mantelprobe und Pluris-Episode als narrative Einheit zu betrachten sind, als ›Bestätigungsabenteuer‹, das der ›seriellen Monogamie‹ der ersten Romanhälfte nun die auf Endgültigkeit angelegte Lanzelet-Iblis-Beziehung entgegensetzen soll: »Iblis geht ihrem Lanzelet trotz seiner Minnehaft nicht aus dem Sinn, er sehnt sich nach ihr […]; Iblis beweist zeitgleich in der Mantelprobe am Artushof die Perfektion ihrer Liebe zu Lanzelet, wenn sie die einzige ist, der der Mantel exakt passt, und ihr schließlich der Mantel auch geschenkt wird.« 201 Die Mantelprobe steht allerdings nicht nur in einem engen erzähllogischen Konnex zur Gefangenschaft des Helden auf Pluris, sondern auch zum Motiv des Minnezeltes: Schon dort erwies sich die uneingeschränkt ideale Liebe des Paares beim Blick in den Spiegel, und schon dort handelte es sich um eine Gabe der Meerfee. In Mantelprobe wie Minnehaft erfüllt sich nun, was die Spiegelprobe bereits antizipierte: die Treue der Liebenden auch in der räumlichen Trennung. 202 Die Meerfee ist es auch, die schließlich die Überwindung dieser räumlichen Trennung ermöglicht, denn erst durch die Auskunft ihrer Botin erfährt der Artushof überhaupt von Lanzelets Aufenthaltsort (La 6159-6161). Ihrem Hinweis folgend, gelingt es einer Schar von Artusrittern mithilfe einer List, den Helden nach einem Jahr Gefangenschaft aus der Gewalt der Herrin von Pluris zu befreien (La 6264-6571). Doch während man nun, da die Aufrichtigkeit der Liebenden im dichten Netz korrelativer Sinnbezüge zweimal erfolgreich auf die Probe gestellt wurde, auch eine Wiedervereinigung des Paares im Zeichen der Minne erwarten würde, weiß der Text etwas anderes zu berichten. Die Gruppe verirrt sich auf dem Rückweg von Pluris, muss auf einer fremden Burg Zuflucht nehmen (La 6566-6574). Der Burgherr, Gilimâr mit Namen (La 6597), erweist sich als vollendeter Höfling: wîse, biderb und guot / hübsch und wol gemuot / an allen dingen vollekomen (La 6577-6579). Doch nicht nur in der höfischen Etikette ist der wirt bewandert und seinen Gästen gegenüber freigebig und zuvorkommend (La 6587-6589, 6595), auch körperlich zeichnet er sich aus: er was sô snel, daz ist wâr, / daz ûf zwein füezen nie / dehein man sneller gie (La 6599-6601). Als Herr- 200 Vgl. P éRennec , Artusroman. 201 K Ragl , Veni, vidi, basiavi, S. 541. K Ragl notiert allerdings, »dass dem Mann hier größere Freiheiten konzediert werden, Lanzelet sehnt sich bezeichnenderweise zunächst auch nicht nach Iblis, sondern nach dem Artushof [La. 5572 f.]; cum grano salis« laufe dies aber, so K Ragl , »doch auf dasselbe hinaus« (ebd.). 202 Auch die ekphrastische Beschreibung des Mantels weist deutliche Parallelen zu derjenigen des Zeltes auf: für wâr sî iu daz geseit, / daz alle diu varwe dran erschein, / die eht menschen dhein / ie ersach oder erkande. / an disem fremeden gewande / was gworht allerslahte / mit wîbes handen ahte: / tier, vogel, merwunder. / swaz ûf der erde oder drunder / und zwischen himel und erde ist erkant, / daz eht mit namen ist genant, / daz stuont dran, als lebte. / sô ez iezuo hie swebte, sô ruct iz aber fürbaz. / ein zouberlist geschuof daz / von nigromanzîe (La 5816-5831). Zelt und Mantel sind motivisch erkennbar aufeinander bezogen. 194 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven scher über eine Mark weiß er sein Land erfolgreich gegen Feinde zu verteidigen, wie es sich für den vorbildlichen Landesherren gehört (La 6601 f.). Kurzum: Der Erzähler unternimmt alles, um den wirt als rundherum makellosen Hofmann und Herrscher zu inszenieren - makellos mit einer Ausnahme: Gilimâr spricht kein Wort, so als könne er gar nicht sprechen (La 6584 f.). Kommunikation erfolgt, wenn überhaupt, nonverbal, vermittels Handzeichen und Gesten: mit sînen gebærden er swuor, / daz er den helden mære / sînes dienstes willic wære (La 6636-6638; vgl. auch La 6586-6589). Die Szene irritiert. Sie scheint schlecht motiviert - allein der Zufall führt die Gruppe zu Gilimâr - und bleibt auch für den weiteren Handlungsverlauf ohne Bedeutung. Offenbar fühlt der Erzähler selbst sich zu einer apologetischen Erklärung veranlasst, als er dazu ansetzt, noch mehr von Gilimârs Stummheit und ihren Gründen kundzutun: Ich enweiz, wi iu daz behaget, daz ich sô kurz hân gesaget von dem hübschen swîgære. vernement irz niht für swære, sô wære von im ze sagene guot. ir wizzent wol, wi minne tuot, swâ si den liuten an gesiget, daz si deheiner mâze pfliget, wan siu aller vröude nimt den zol. daz schein an diesem ritter wol. (La 6639-6648) Im Folgenden erfährt der Rezipient, wie Gilimâr zu dem hübschen swîgære (La 6641) wurde, als der er im Text in Erscheinung tritt. Auf welche Weise die Helden Kenntnis darüber gewinnen, bleibt angesichts der erschwerten Kommunikationssituation unklar; jedenfalls wird angedeutet, dass auch Lanzelet wisse, daz er [i. e. Gilimâr] durch ein vrouwen swige (La 6606). Gilimâr sei nämlich, so heißt es, ein Schweigegebot auferlegt worden, als er prahlerisch seinen Minnedienst publik gemacht habe - bis schließlich der Minnedame selbst davon zu Ohren gekommen sei (La 6649-6663). 203 Der Erzähler nimmt diese Binnenerzählung zum Anlass für eine moralisierende Unterweisung des Publikums: ditz mær merke, hübschiu diet, wan es im sît wol gelônet wart. ez ist der rehten minne art, daz getriuwen liuten wol geschiht und er sich es lange rüemet niht, der mit valsch dient oder dienst nimet, wan ez weiz got niht enzimet. des selben Lanzelet verjach, dô er Gilimâres triuwe sach. (La 6664-6672) Die Episode hat der Forschung Kopfzerbrechen bereitet: Wie nur wenige andere Erzähleinheiten neben ihr fällt sie durch das »engmaschige Netz« 204 , das die dichte »Problem-Lö- 203 Das Erzählschema der ›gestörten Mahrtenehe‹ bringt ein solches Redeverbot oft als magisches Tabu mit anderweltlichen oder übernatürlichen Frauengestalten in Verbindung, was auf einen möglichen mythischen Ursprung des Motivs schließen lässt; vgl. hierzu e hRiSmann G., Märchen. 204 K Ragl , Veni, vidi, basiavi, S. 544. 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 195 sung-Struktur« 205 des Textes ausbildet. Florian K Ragl weist - in einer Fußnote jedoch nur - darauf hin, dass sie »eventuell mit dem Minnediskurs des Textes zusammen[zu]sehen« 206 sei. Das ist zweifelsohne richtig: Allein der Hinweis auf die Unverträglichkeit von Minne und mâze (La 6646) macht den Zusammenhang mit jenem Problemfeld kenntlich, das schon in den Parolen auf dem Zeltgatter aufgerufen war (vgl. La 4858). 207 Minne und mâze schließen sich aus; das bedeutet auch, dass es einem Sprechen, das sich den Regeln der höfischen Ordnung - mithin auch dem Gebot der mâze - verpflichtet weiß, untersagt bleiben muss, Minne explizit zu thematisieren. Damit erschließt sich aber eine deutlich selbstreflexive Dimension der Gilimâr-Episode: Hatte der Erzähler zuvor seine Aussage, er könne weder gesagen noch gezellen (La 4671), was auf der wunderlichen stat geschehen sei, in ironischer Brechung selbst Lügen gestraft, macht er nun mit dem höfischen Schweigegebot ernst. An einer Stelle, die, nachdem sich die gegenseitige triuwe auch in der räumlichen Trennung bewährt hat, nun eine endgültige Bestätigung der Iblis-Lanzelet-Bindung im abermaligen Vollzug des Liebesaktes erwarten ließe, bleibt diese aus - der Erzähler schweigt. Die strukturelle Leerstelle, die sich daraus ergibt, füllt er mit einer metapoetischen Binnenerzählung von einem Mann, der nichts anderes tut: anlässlich der Minne schweigen, nachdem er zuvor schon einmal mit den Regeln höfischen Sprechens gebrochen hat. Auch der Erzähler hat die Weisungen des Minnezeltes nunmehr verinnerlicht 208 und versteht sie gewitzt umzusetzen, indem er sie als Exempel vom hübschen swigære Gilimâr zugleich an sein eigenes Publikum vermittelt. 209 Auch im Anschluss an die Gilimâr-Episode kommt es nicht zur Wiedervereinigung von Lanzelet und Iblis: Noch auf dem Rückweg begegnet die Gruppe einem Knappen vom Artushof (La 6706-6713), der sie über den Raub der König durch Valerin in Kenntnis setzt (La 6740-6743). Ohne weitere Einkehr reitet man zum Verworrenen Tann, wo die Belagerung der Burg Valerins durch das Artusheer bereits begonnen hat (La 6776-6793). Die Gilimâr- Episode schließt unvermittelt an das nachfolgende Abenteuer an. Auch das Minnezelt findet weder bei der Mantelprobe noch in der Gilimâr-Episode explizit Erwähnung (obgleich es motivisch und thematisch auf beide Episoden bezogen bleibt). 205 K Ragl , Veni, vidi, basiavi, S. 543. 206 K Ragl , Veni, vidi, basiavi, S. 544, Fn. 28. 207 Vgl. auch K Ragl , Stellenkommentar, S. 1231 (zu La 6646). 208 Bei der Beschreibung des Gatters gibt der Erzähler vor, dass er die dort eingravierten Zeichen gemerken nienâ (La 4850) könne - um sie sodann völlig einwandfrei zu rezitieren. Das ist mehr als ein Bescheidenheitstopos: Zwar vermag er den Wortlaut exakt wiedergeben, doch die Bedeutung bleibt ihm fremd. Das ändert sich erst mit der Gilimâr-Episode: Nun kann der Erzähler seinerseits, d. h. ohne jeden Rückgriff auf antike Autoritäten, die Unverträglichkeit von Minne und mâze konstatieren. 209 Was sich ihm nur allmählich in einem schrittweisen Erkenntnisprozess erschließt, braucht der Held nicht erst zu lernen. Qua vornehmer Abstammung kennt schon der Heranwachsende die richtigen Verhaltensformen im Umgang mit Frauen und weiß - im Gegensatz zu Gilimâr und dem Erzähler - instinktiv, wann ihm die mâze zu schweigen gebietet: ern [i. e. Lanzelet] wolt nie gerechen / deheinen wîplichen zorn, / wan er von adel was geborn. / ze mâze muos er swîgen (La 258-261). Mag dies auch die - inzwischen zum Gemeinplatz der ›Lanzelet‹-Forschung geronnene - ›Krisenlosigkeit‹ des Helden nur ein weiteres Mal bestätigen, so ist damit noch nicht gesagt, dass es überhaupt keine Dynamiken in den Figurenkonzeptionen des Textes gäbe, allenfalls, dass sie nicht dort zu finden sind, wo man sie am ehesten vermutete. Damit wäre - eine Spätdatierung des Textes vorausgesetzt - dasjenige, was man immer wieder als Verfallserscheinung einer sich selbst überlebenden Gattung betrachtet hat, genauso gut ad bonam partem als gezielte Abweichung von der Tradition und damit als erzählerische Innovation zu werten. Sei es, dass der Held in seiner Konzeption über die Länge des Romans hinweg statisch-makellos bleibt: Der Erzähler tut es nicht. 196 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven Das ändert sich erst wieder mit dem Ende des Romans: Bei den Feierlichkeiten anlässlich der Krönung von Lanzelet und Iblis sticht Lanzelets Zelt unverkennbar gegenüber den anderen Lagerstätten hervor, die die angereisten Gäste vor dem Turnierplatz errichtet haben: So möchte man erste kiessen Lantzeletes pauillinen: Wis, grüne, rot, brun, So herlich u̇ber die andern, Also ein brinnender zunder Fȗr ein erloschen kol. (La 9074-9079) 210 Von einer Nutzung der pauilline als Minnezelt ist nicht die Rede; entsprechend verweist ihre Zeichenqualität in diesem Fall auch nicht in den Bereich des höfischen Liebesdiskurses, sondern ordnet sich ganz dem Zwecke herrschaftlicher Repräsentation im Rahmen der feudaladligen Festkultur unter. Danach wird von dem Zelt nur noch ein letztes Mal berichtet, und dies nicht zufällig im Zusammenhang mit dem Mantel, den Iblis von der Botin der Meerfee erhalten hat: Bei der Abreise der Artusgesellschaft von Dodone werden beide Gegenstände zur willkommenen Gelegenheit für die Gastgeber, um noch einmal ihre tadellose milte 211 zu demonstrieren: dô bôt im her Lanzelet michel êre und allez guot. das was sîn site und ouch sîn muot, daz er nimer des vergaz, er erbüt den liuten etswaz, dâ bî er in bescheinde sîne tugent und daz er meinde mit triuwen got und ouch di welt. Genoveren wart daz guot gezelt. dô wolt Iblis, diu künigîn, hern Keins vriundîn ir mantel gerne hân gegeben, wan daz siu vorhte daz ûf streben, als ir ê wol hânt vernomen. (La 9256-9269) Im Mittelpunkt steht auch hier die Zeichenfunktion des Zeltes, die jedoch wiederum nicht auf Lanzelets und Iblis’ Minnebindung verweist, sondern nunmehr auf die Befähigung des Paares zur gemeinsamen Landesherrschaft. Zum Ausdruck kommt dies in einer - narrativ überdeutlich markierten (vgl. La 9256-9263) - Freigebigkeit, die fast grenzenlos scheint: Indem Lanzelet und Iblis sogar die kostbaren und unikalen Gegenstände, die sie ihrerseits von Lanzelets Ziehmutter zum Geschenk erhalten haben, nun bereitwillig an die Standesgenossen weitergeben, machen sie im öffentlichen Akt der Übergabe anschaubar, dass sie die auf Reziprozität gründenden Prinzipien höfischer Vergesellschaftung nun in vollendeter Weise verkörpern. Zum Ende des Romans hin steht die Zeichenqualität des Zeltes ganz im 210 Die Passage ist nur in P bezeugt; W hat hier eine längere Überlieferungslücke. 211 Zu Lanzelets und Iblis’ milte vgl. auch La 9216 und 9396. 3.2 Raumsemantische Analyse der ›Dodone‹-Episode 197 Dienste des textimmanten Herrschaftsdiskurses. Zu diesem Zwecke braucht das Zelt dann auch in seiner Raumqualität gar nicht mehr erst entfaltet werden. 212 Trennungsschmerz scheint die Übergabe der Pretiosen Iblis nicht zu bereiten, doch sorgt sie sich, der Mantel könne, von der Keie-Dame angelegt, abermals so beschämende Blicke zulassen, wie er es zuvor schon einmal getan hat (La 9268 f.; vgl. 5951). Bei der Mantelprobe dienten die Verfehlungen der anderen Damen noch als Folie für Iblis’ sittliche Vollkommenheit; hier nun muss die magische Wirkung des Mantels für eine schlichte Pointe herhalten. Mit dem Wechsel der Zeichenfunktion von der Signifikation vollkommener Liebe zur Signifikation vollkommener Herrschaft geht auch die Degradierung der mythisch-anderweltlichen Beschaffenheit der beiden Gegenstände einher. Die Liebe von Lanzelet und Iblis spielt zum Schluss des Romans hin eine Rolle nur insoweit, wie die Liebesthematik an die Herrschaftsthematik anschlussfähig ist - etwa wenn von den Früchten dieser Liebe, den Kindern des Paares, die Rede ist: vier an der Zahl, so dass bei der späteren Verteilung der vier Königreiche Lanzelets - sein eigenes Erbland plus drei weitere Ländereien, die er Iweret abgenommen hat - Erbstreitigkeiten von vorne herein ausgeschlossen sind (La 9373-9385): daz füeget sich sælichlîche (La 9379), wie der Erzähler diese narrative Wendung - vielleicht nicht ohne ironische Untertöne - kommentiert. Das Ende des Textes stellt völlig auf Fragen der rechten Herrschaft und der Sicherung der Herrschaftskontinuität in der dynastischen Abfolge ab. Für den emotiven Gehalt der Minne bleibt dabei kein Platz. Allerdings: Gänzlich gelingt es dem Erzähler dann doch nicht, von der Minne und ihrer affektiven Wirkung zu schweigen. Auch wenn sich nach zahlreichen Abenteuern schließlich alles in Wohlgefallen auflöst, so bleibt die Festfreude am Ende doch nicht völlig ungetrübt: dô enwas dehein künne ze leides ungewinne, ez enwære danne diu minne, diu dâ tet, daz siu dicke tuot: siu twinget manigem den muot, swi vrœlich sîn gebærde sîn, daz doch sîn herze duldet pîn. (La 9244-9250) Von der allgemeinen Hochstimmung ausgenommen sind jene, denen die Minne den muot twinget , wie sie es doch so oft tue (La 9247 f.). 213 Das Minnezelt hat raumsymbolisch die Ver- 212 Auch l oRenz , Raumstrukturen, S. 286, notiert, dass das Zelt nach der Übergabe an Ginover nicht mehr aufgebaut wird, begründet dies allerdings mit der Rücksicht auf deren Ansehen, das schon mit der Mantelprobe ins Zwielicht geraten sei und sich nun auch noch der Spiegelprobe stellen müsste. 213 Der Widerspruch zwischen dem eigenen minneinduzierten Leid einerseits und der allgemein geforderten Haltung der vreude andererseits wird in der zeitgenössischen Minnelyrik immer wieder thematisiert, so etwa MF 185,27-34: Sold aber ich mit sorgen iemer leben / swenne ander liute waeren vrô? […] si sagent mit alle, trûren stê mir jaemerlîchen an. / Sît si jehent, wie wol mir vreude zeme / sô will ich tuon, sô ich beste mac ; vgl. ähnlich, mit deutlichem Akzent auf dem Auseinandertreten von Schein und Sein in der Performanz des Sanges auch MF 170,38 f.: nu waene ich, iemen groezer ungelücke hât, / und man mich doch sô vrô dar under siht (beide Beispiele Reinmar). Oft verbindet sich damit der scheinbar paradoxe Gedanke, dass es gerade dieses leidbelastete Singen ist, das, zumindest für die anderen Kommunikationsteilnehmer, Anlass zu vreude gibt (vgl. etwa Walther von der Vogelweide, L 64,27-30: ez tuot in den ougen wol, daz man si siht, / und daz man ir vil tugende giht, / daz tuot wol in den ôren. / sô wol ir des und wê mir, wê! ) - ein argumentativer Schritt, den die genannte Stelle bei Ulrich freilich 198 3 Der ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven bindung von höfischer Ordnung und Minne vorweggenommen, jedoch ohne faktische Konsequenzen: Auch das Zelt vermochte nicht den Widerspruch zwischen der differentiellen Logik der höfischen Ordnung und der nicht-differentiellen, mythomorphe Logik der Minne aufzulösen, der es in seiner ambivalenten semantischen Struktur auch selbst nahesteht. Doch so wenig die Minne je vollständig in die höfische Ordnung zu integrieren ist (weshalb auch die minnebezogene Zeichenfunktion des Zeltes ohne Weiteres durch eine andere ersetzt werden kann), so wenig ist sie völlig aus ihr auszuschließen - und so wenig lässt sie sich mithin im Modus höfischer Rede völlig verschweigen. Sie bleibt als Thema präsent, und sei es, wie zuvor schon auf Dodone, 214 nur als Mangel, der mit einer emotionalen Erfahrung des Leides ( pîn , La 9250) einhergeht und der mit der allgemeinen Haltung der vröude allein um den Preis einer - für die mittelalterliche Kultur der Sichtbarkeit doch so prekären 215 - Diskrepanz von Innerem und Äußerem (La 9249 f.) in Einklang zu bringen ist. Am Ende des Romans erscheinen Lanzelet und Iblis als das ideale Herrscherpaar, das keinen Makel kennt. In dieser Quasi-Apotheose transzendieren sie die höfische Ordnung, um die darin angelegten Konfliktpotentiale zwar hinter sich, doch auch als solche bestehen zu lassen. Das schon in der Dodone-Episode verhandelte Problem der Minne bleibt ungelöst: Sie widerspricht den Regeln höfischer Ordnung, doch bleibt sie als Thema ›im Raum‹ präsent, d. h. innerhalb der sozialen wie räumlich konkret gedachten Grenzen der höfischen Welt. Auch das Minnezelt vermag diese Aporie nicht zu beheben, weil die widerspruchstolerante Logik seiner semantischen Struktur nicht selbstreflexiv auf den Widerspruch zur differentiellen Logik der höfischen Ordnung auszuweiten ist: Der Geltungsanspruch dieser Ordnung, die als geordnetes Verhältnis der Unterschiede zu beschreiben ist und die mithin kein mythisches Sowohl-als-auch erduldet, steht bis zuletzt außer Frage. Gleichwohl vermag die Erzähllogik des Textes diesen Widerspruch dadurch ›handhabbar‹ zu machen, dass sie die mythischen Struktureigenschaften der Objekte der erzählten Welt auf die Strukturen des Erzählens selbst umleitet: Auch der ›Lanzelet‹ mündet in einer kreisförmigen Erzählbewegung in eine Situation, in der »neue Verwicklungen jederzeit möglich sind« 216 . Angezeigt wird dies, indem der Erzähler - und sei es nur augenblickhaft - die Perspektive weg lenkt von seinem apotheotisch verklärten Herrscherpaar und hin zu der (namentlich nicht näher bestimmten) Gruppe derjenigen, die weiterhin an der Minne leiden und die sich deshalb der allgemeinen Forderung nach vröude nicht fügen. Auch die Erzählstruktur des ›Lanzelet‹ ist damit »zyklisch und teleologisch zugleich« 217 . so nicht vollzieht: Ihr geht es nicht um eine komplexe Dialektik von Freude und Leid, sondern allein um die Gegenüberstellungen derjenigen, die an der höfischen vreude teilhaben, und derjenigen, die aufgrund ihrer minnebedingten Leiderfahrung davon ausgenommen sind oder doch nur zum Schein ›dazugehören‹. 214 Es ist bezeichnend, dass auch Iblis mit einem Hinweis auf die Kraft der Minne in den Text eingeführt wird, die alleine durch die Allmacht Gottes abgefangen werden könne: so stæt wârn ir sinne, / wan daz si sît diu minne / brâht an solchiu mære, / der si doch gern enbære. / dô enhalf s wîsheit noch ir list, / wan nieman alsô kündic ist, / der sich der minne müge erwern, / in welle dann got der vor ernern, / der alliu dinc wol mac gezamen (La 4049-4057). Allenfalls der Hinweis auf Gott fehlt bei der späteren Passage, ansonsten dürften die Parallelitäten im Wortlaut ohrenfällig sein. 215 Vgl. S chulz , Erzähltheorie, S. 76-78. 216 S töRmeR -c aySa , Grundstrukturen, S. 175. 217 S chulz , Erzähltheorie, S. 272. 4.1 Zusammenfassung 199 4 Resümee und Ausblick 4.1 Zusammenfassung: Die Beweglichkeit des Raumes und die Dialektik von Entmythisierung und Remythisierung in der Poetik des Artusromans Höfische Kultur spannt sich auf zwischen zwei Achsen, einer vertikalen, die auf die Prävalenz allen Superlativischen und Exorbitanten, auf Agonalität und Hierarchisierung zielt, und einer horizontalen, deren Leitbegriffe mit mâze und Harmonisierung, Reziprozität und Virtualisierung 1 zu benennen wären. Aufgrund ihrer gelockerten Wirklichkeitsreferenz ist Literatur der Ort, an dem die Spannungen, die sich aus dieser Konstellation ergeben, probehalber ausagiert werden können. Hier gewinnt die Frage nach der literarischen Mythosrezeption im Mittelalter an Signifikanz, erlaubt doch die nicht-zweiwertige Strukturlogik des Mythos auch komplexe Sachverhalte in eine narrative Gestalt zu bringen, die ansonsten als bloß selbstwidersprüchlich und inkonsistent erscheinen müssten. Mythisches Erzählen im Modus literarischer Rede erweist sich so als veritables Instrument kultureller Selbstbeobachtung, das es gestattet, auch gegenläufige Tendenzen im kulturellen Selbst- und Weltentwurf in den Blick zu nehmen. Im ›Nibelungenlied‹ wird - ganz ähnlich wie in den beiden untersuchten Artusromanen auch - das, was in seinem Absolutheitsanspruch der höfischen Ordnung scheinbar entgegensteht, zunächst in ein räumliches Außerhalb ausgelagert. Die Anwesenheit Siegfrieds am Wormser Hof lässt dann aber immer mehr hervortreten, dass das heroische Prinzip, das er verkörpert, nicht nur im sagenhaften Nibelungenland oder auf Isenstein, sondern auch in der höfischen Welt selbst statthat. Der Versuch, sich des störenden Elements gewaltsam zu entledigen, muss zwangsläufig scheitern: Statt der durch die Rezentrierung des Ausgeschlossenen angestoßenen mythischen Entdifferenzierung von Raum und Gegenraum Einhalt zu gebieten, wird das destruktive Potential des Heroischen, das im Höfischen selbst jedoch schon angelegt ist, immer mehr freigesetzt, bis zuletzt die gesamte räumliche und soziale Ordnung der erzählten Welt zersetzt ist. Der Artusroman verhandelt eine strukturell durchaus vergleichbare Problemlage, entwickelt aber völlig eigene narrative Strategien, um damit umzugehen. Im ›Erec‹ ist es nicht das Heroische, das den - auch räumlich konkret imaginierten - Widerpart zum Höfischen markiert, sondern die Minne. In Brandigan trifft der Protagonist auf einen Hof im Zustand allgemeiner Freudlosigkeit. Auffällig ambivalent präsentiert sich das topographische Setting der Episode: Die Umgebung ist merkwürdig vertraut und unvertraut zugleich, höfische Pracht wird mit höllischen Abgründen kontrastiert, Lustorttopik mit roher Gewalt, räumliche Abgeschlossenheit und Offenheit fallen in eins. Nach dem Sieg über Mabonagrin erfährt Erec, wie sein Kontrahent in die eigentümliche Position des ›Zwischen‹ geraten konnte, die den Baumgarten von Brandigan auszeichnet: Als vollendeter Frauendiener 1 Der Begriff ist gewählt in Anlehnung an m ülleR , Spielregeln, S. 412, wo er die »symbolische (und nicht faktische)« Suspension von sozialen Rangunterschieden bezeichnet. 200 4 Resümee und Ausblick und überlegener Kämpfer gilt Mabonagrin einerseits als der ›beste Ritter‹, andererseits zwingt ihn das Versprechen, das er seiner - aus einem zunächst völlig unbestimmten ›Jenseits‹ kommenden - amîe gegeben hat, dazu, immer wieder neu gewaltsam mit den höfischen Konventionen zu brechen. Sowohl das Mädchen als auch Mabonagrin lassen sich motivgeschichtlich auf keltisches Erzählgut zurückführen, wie auch die ihnen zugeordnete Raumeinheit, der Baumgarten, mit Merkmalen ausgestattet ist, die mythischen Traditionen entlehnt sind (die magische Umfriedung; Bäume, die Blüte und Frucht zugleich tragen). Unter Verwendung mythischer Erzählelemente und -strukturen entwirft der Text ein Szenario, bei dem die Minne die Unterscheidung von Höfischem und Unhöfischen und damit auch die Unterscheidung von sozialer / räumlicher Inklusion und Exklusion kollabieren lässt. Nicht die Trauer der Hinterbliebenen - sie trauern auch dann noch, als die höfische Hochstimmung auf Brandigan längst zurückgekehrt ist -, sondern dieser mythomorphe Zustand der Ungeschiedenheit ist es, der das Ausbleiben der vreude auf Brandigan bedingt, ist doch der Zustand der vreude als genuines Signum höfischer Exklusivität notwendig an die Unterscheidbarkeit von Höfischem und Unhöfischem gebunden. Während das ›Nibelungenlied‹ die mythische Entdifferenzierung der sozialen und räumlichen Ordnung bis in die Katastrophe hinein entfaltet, gelingt Erec durch den Sieg über Mabonagrin bei gleichzeitiger Schonung seines Gegners, der Auflösung der Ordnung ein Ende zu setzen und Eindeutigkeit - zumindest vorläufig - wiederherzustellen. Das Problem der Minne, die einerseits im Zentrum des höfischen Weltentwurfs steht, andererseits in ihrem Unbedingtheitsanspruch jede höfische Ordnung immer schon sprengt, bleibt als solches aber bestehen. Es bildet den Ausgangspunkt, von dem aus weitere arthurische Abenteuer mit je neuem Helden sich entspinnen können. Mit Brandigan teilt sich die Burg Dodone in Ulrichs von Zatzikhoven ›Lanzelet‹ eine ganze Reihe motivischer Merkmale. Doch anders als Erec findet der Protagonist hier keinen Ort der Trostlosigkeit vor, sondern im Gegenteil ein Raumsegment, in dem die höfische Festfreude in geradezu utopischer Weise verdauert scheint. Der Preis dafür ist der radikale Ausschluss des störenden Elements aus diesem Weltausschnitt, indem der Hausherr Iweret seine väterliche Verfügungsgewalt bis in das Schlafgemach seiner Tochter hinein ausdehnt und so der Minne buchstäblich keinen Raum lässt. Die Unvereinbarkeit von Minne und höfischer Ordnung wird sogar dann noch bestätigt, als Lanzelet die Herrschaft Iwerets mit Waffengewalt beendet und dessen Tochter Iblis solchermaßen zur Frau gewonnen hat: Zum faktischen Liebesvollzug muss sich das Paar in einen zwar idyllischen, doch deutlich als hoffern markierten Außenraum begeben - deutlicher jedenfalls als der Baumgarten von Brandigan, der offenbar in unmittelbarer Nähe von Burg und Stadt zu suchen ist. Die strikt differenzielle räumliche Ordnung des Textes kommt an dem Punkt in Bewegung, als eine Botin der Ziehmutter Lanzelets das Liebespaar mit einem Geschenk ihrer Herrin aufsucht: ein Zelt, das nicht nur per se als mobiles Raumsegment zwischen Raum und Gegenraum zu vermitteln vermag, sondern das zudem - ähnlich wie der Baumgarten von Brandigan - sowohl in motivischer (es entstammt dem mythisch geprägten Reich der Ziehmutter, die eine Meerfee ist) als auch in struktureller Hinsicht an Mythisches anschließt: Während die Kemenate von Dodone und der amöne Lustort ›außerhalb‹ zuvor nur kontrastiv aufeinander bezogen waren, scheint das Zelt, das Merkmale beider Raumeinheiten in sich vereint, an den durch sie jeweils repräsentierten Teilbereichen der erzählten Welt gleichermaßen zu partizipieren. Während im Falle Brandigans mythische Entdifferenzierung die Auflösung einer vorgängig etablierten differentiellen Ordnung bedeutete, stellt das mythische Po- 4.1 Zusammenfassung 201 tential des Minnezeltes in Aussicht, aus der Verbindung der für sich genommen jeweils idealen und doch defizitären Teilräume eine neue, nicht mehr differentielle, sondern eben mythische Ordnung entstehen zu lassen. Doch bleibt dieses Potential bloße Verheißung: Nicht nur, dass das Zelt im weiteren Verlauf nie ausdrücklich seiner doch so offenkundigen Funktion als Minnezelt zugeführt wird, überhaupt kommt das Thema Minne im zweiten Romanteil kaum mehr zur Sprache. Die Spannung von höfischer Ordnung und Minne löst sich nicht in einem mythischen Sowohl-als-auch auf, sondern wird dadurch angegangen, dass man das Problem - so wie der hübsche swîgære Gilimâr - ›totschweigt‹. Das Zelt wird zuletzt weiterverschenkt, ist Ausweis der unbedingten milte des Herrschepaares: Seine Zeichenfunktion verschiebt sich, von der Signifikation vollkommener Liebe zur Signifikation vollkommener Herrschaft. Die Raumqualität des Zeltes spielt dann ebenso wenig noch eine Rolle wie seine mythischen Merkmale. Doch weil die Minne eben nicht nur das ›Andere‹, sondern immer auch Teil des Höfischen ist, geht die Strategie nur bedingt auf: Als alles sich in allgemeiner Festfreude aufzulösen scheint, kommt der Erzähler doch wieder auf diejenigen zu sprechen, die aufgrund ihres Liebesleides von dieser Hochstimmung ausgenommen sind. In der Diskrepanz von äußerem Schein und innerem Sein tritt die Spannung von Minne und höfischer Ordnung erneut zu Tage. Damit ist wiederum der Anschlusspunkt aufgezeigt, an dem weitere Abenteuer unter einem wieder anderen Helden ansetzen könnten. Insofern das Höfische gegensätzliche Tendenzen in sich vereint, ist es in seiner Struktur dem Mythischen ›wahlverwandt‹. Gleichwohl versteht höfische Ordnung sich als differentielle Ordnung, die kein Sowohl-als-auch duldet. Beim Problem höfischer Identitätskonstitution konfligieren unterschiedliche Logiken, die sich offenbar nicht in einer mythischen Logik höherer Ordnung verrechnen lassen. Die untersuchten Texte zeigen sich darum bemüht, diese Spannung aufzulösen und Eindeutigkeit herzustellen. 2 Dies gelingt aber - wenn überhaupt - immer nur vorläufig. Der Artusroman scheint dieses Problem dadurch zu bewältigen, dass er unterschiedliche Zeitsemantiken übereinanderblendet: eine auf die Biographie des jeweiligen Helden fokussierende, lineare einerseits und eine auf die ihn umgebende Welt fokussierende andererseits, die den Endpunkt der Handlung in einer der Ausgangslage durchaus vergleichbaren Situation münden lässt und insofern mythosanalog-zyklisch strukturiert ist. Die in den Texten beobachtbaren Entmythisierungsphänomene bedingen in diesem Sinne Remythisierungseffekte auf anderen Ebenen der Erzählung: Die mythomorphen Strukturen der erzählten Welt können nie vollständig aufgelöst, sondern allenfalls von der Ebene des Erzählten auf die Ebene des Erzählens transponiert werden. 2 Das ist nicht im Zusammenhang eines anthropologisch-allgemeinen, als teleologisch aufzufassenden Prozesses der ›Arbeit am Mythos‹ zu sehen, sondern repräsentiert eine spezifische historische Konstellation. Es ist durchaus denkbar, dass in einem kulturellen Kontext, in dem Literatur sich mehr noch als im Mittelalter von lebenspraktischen Einbindungen ablöst, der Gehalt an Mythischem in literarischen Erzählungen sogar noch zustatt abnimmt; vgl. hierzu auch P oSeR , Arbeit, S. 123 f. 202 4 Resümee und Ausblick 4.2 ›Der Tod des Königs Artus‹ und das Ende arthurischen Erzählens? Arthurisches Erzählen erweist sich in diesem Sinne als potentiell unabschließbar. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und wie es einem Text gelingen kann, der sich selbst gerade an den Endpunkt arthurischen Erzählens stellt, die Gattungstradition unter ihren eigenen Vorgaben eben doch zu einem Abschluss zu bringen. Ein solcher Versuch liegt uns in Form des ›Prosalancelot‹ vor, einem monumentalen Textzyklus, der, wohl aus geistlicher Sicht 3 , doch im »höfischen Medium des Romans […] von der Verurteilung und vom Ende der höfischen Welt erzählt« 4 . Am Ausgangspunkt der Handlung steht auch hier wiederum der Konflikt von Minne und höfischer Ordnung, genauer: die ehebrecherische Minne zwischen dem ›besten Ritter‹ Lancelot und der Königin Ginover, die in die »fundamentale Paradoxie« hineinführt, »daß die idealen Repräsentanten höfischer Verhaltensformen zugleich gegen gesellschaftliche Regeln verstoßen und die höfische Gesellschaft von ihrem Kern her zu zersprengen drohen« 5 . Dabei ist die Lancelot-Ginover-Beziehung freilich nur der »Auslöser einer viel weiter reichenden Katastrophe, in der die politischen und sozialen Antagonismen des Hofs ins Zentrum rücken« 6 . Während das Artusheer Lancelot, der zuvor in einer Befreiungsaktion für Ginover Gawans Lieblingsbruder Gaheries unabsichtlich getötet hat, in einem Rachefeldzug bis nach Frankreich verfolgt, kann Artus’ außerehelicher Sohn Mordred dessen Herrschaftsgebiet in Logres usurpieren. Auf dem Schlachtfeld von Salabiers (Salisbury) kommt es zur finalen Konfrontation zwischen Vater und Sohn, bei der zunächst die Heere der beiden Parteien aufgerieben werden, bis schließlich sich die Kontrahenten im Zweikampf persönlich gegenübertreten und einander tödlich verwunden. Nach dem Gefecht lässt sich der todwunde König am Meeresufer nieder (vgl. Pr V 1002,15-17) und instruiert Giflet, den letzten verbliebenen Ritter aus seinem Gefolge, das Schwert Escalibort in einen nahegelegenen See zu werfen, da er es nach seinem Tod in niemandens Hand als in der des ›besten Ritters‹ Lancelot wissen möchte (vgl. Pr V 1002,24-29): »Geent an den berg, da sollent ir finden einen see, und als ir den hant funden, so werffent diß schwert darinn, wann ich will nit das es in disßem riche belib, das die boßwichter die in dißem land blibent ein als gut schwert haben sollten als diß ist! « (Pr 1002,30-34). Auffällig ist, dass der König offenbar mit der Gegend vertraut ist, ohne dass das auch nur im 3 Der Text wurde vor allem mit zisterziensischem Gedankengut in Verbindung gebracht; vgl. zusammenfassend S teinhoFF , Kommentar / Pr V, S. 1045 f. Kritisch äußerst sich hierzu h aug , Konzept, der vor allem anzweifelt, dass die radikal auf Vereinzelung zielende Konzeption von ›Heil‹, die der Text entwirft, an die Programmatik nur irgendeiner monastischen Gemeinschaft anschlussfähig sei (vgl. ebd., S. 262). 4 l öSeR , Artuswelt, S. 26. Für die französische Vorlage wird ein Entstehungszeitraum von 1210-1230 angesetzt, also nicht ganz ein halbes Jahrhundert nach Chrétiens Schaffensphase; die deutsche Bearbeitung, die im Gegensatz zur Chrétien-Rezeption eines Hartmanns oder Wolframs nicht als freies Wiedererzählen, sondern als möglichst wortgetreue Übertragung angelegt ist, setzt relativ zeitnah in den folgenden Jahrzehnten ein und geht etappenweise voran; der letzte Teil des Zyklus, der ›Tod des Königs Artus‹, der im Folgenden im Mittelpunkt steht, dürfte auf den Zeitraum um 1300 (vgl. ebd., S. 13), »spätestens um die Mitte des 14. Jahrhunderts« (S teinhoFF , Kommentar / Pr V, S. 1053) zu datieren sein. Damit wäre zwischen dem Einsetzen der deutschsprachigen Artustradition mit dem ›Erec‹ und der Rezeption des ›Tod des Königs Artus‹ ein Abstand von gut einem bis eineinhalb Jahrhunderten zu veranschlagen. 5 K lingeR , Subjekt-Reflexion, S. 135. 6 m ülleR , Kompromisse, S. 475. 4.2 ›Der Tod des Königs Artus‹ und das Ende arthurischen Erzählens? 203 Ansatz erklärt würde; auffällig ist auch, dass Artus nicht unmittelbar deiktisch auf den See verweist, sondern Giflet stattdessen auf einen nahegelegenen Berg aufmerksam macht, der ihm offenbar als Wegmarke dienen soll. Handlungslogisch bedeutsam wird der Berg erst später - wenn es sich denn um denselben Berg handelt 7 -, als Giflet von dessen Warte aus beobachten kann, wie Morgane, die Schwester des Königs, den Sterbenden auf einem Schiff entrückt (vgl. Pr 1006,27-38). Warum aber wird der Berg dann schon deutlich vorher in den Text eingeführt, an einer Stelle, wo er erzähllogisch eigentlich entbehrlich wäre? Und wie kommt es, das Artus mit dem Gestus der Selbstverständlichkeit von ›dem‹ Berg spricht, so als würde dieses topographische Merkmal als bekannt vorausgesetzt, wo doch im unmittelbaren Vorfeld weder in der Figuren-, noch in der Erzählerrede von einem Berg je die Rede war? Es scheint, als sei nicht die handlungslogische, sondern die symbolische Dimension des Berges und insbesondere der räumlichen Konfiguration von Berg und See entscheidend. Tatsächlich begegnet das Motiv schon gleich zu Beginn des gesamten Zyklus: Als Lancelots Vater Ban aus der belagerten Stadt Trebe flieht, stößt er auf eben diese Konfiguration aus Berg und See : So ferre reyt der konig und sin gesellschaft das er kam off einen lac, der stund an dem ingange von dem lande an eim hohen reyn, daroff man all das lant mocht beschauwen (Pr I 23, 14-17). Derselbe See ist es auch, in den der junge Lancelot nur wenig später vor den Augen seiner Mutter von der Dame vom See entführt wird: die jungfrauw sprach ein wort nicht; und da sie sah das die frauwe zu ir kam, da stund sie off mit dem kinde und ging off den lac und saczte ir fuß zusamen und sprang mit dem kinde hininn (Pr I 46,8-11). 8 Zwar wird nirgends explizit gemacht, dass es sich um dieselben Orte wie im ›Tod des Königs Artus‹ handelt - »die Situierung des sterbenden Artus am Meeresufer macht eine geographische Identität eher unwahrscheinlich« 9 -, doch stehen sie in einem semantischen Zusammenhang, der Lancelots Jugendgeschichte und das Ende der Artuswelt korrelativ aufeinander bezieht. 10 Das Erzählen erhält so den Anschein von Kreisschlüssigkeit. Dass der Text zu diesem Zweck auf ›Berg‹ und ›See‹ als räumliche Requisiten zurückgreift, dürfte kaum zufällig sein: In der keltischen Mythologie sind diese topographisch signifikanten Raumelemente bevorzugte Zugangspunkte zur ›Anderswelt‹. 11 Enstprechend ›mythisch‹ ist auch das weitere Geschehen im ›Tod des Königs Artus‹ geprägt. Dreimal schickt Artus Giflet zum See und fordert ihn auf, das Schwert hineinzuwerfen, zweimal zaudert dieser und versucht, den König mit einer List zu täuschen; erst beim dritten Mal 7 Die Verwendung des bestimmten Artikel - das er kam an den Berg (Pr 1006,29) - legt dies nahe; S tein hoFF scheint jedoch Zweifel an der Identität der beiden in Pr 1002,30 und 1006,29 erwähnten Berge zu hegen und übersetzt ensprechend mit unbestimmten Artikel: ›bis er zu einem Berg kam‹. 8 Die räumliche Inszenierung der Episode analysiert eingehend R uBeRg , Raum und Zeit, S. 18-26. R uBeRg macht dabei vor allem auf den »Wechsel von Aufwärts- und Abwärtsbewegungen« in der Raumregie der Szene aufmerksam, wobei es »kein Zufall« sei, »daß am Schluß die Abwärtsbewegung dominiert, sind doch auch die Hoffnungen der Königin vom Gipfel des Berges auf den Grund des Sees gesunken« (ebd., S. 25). Möglicherweise kommt eine solche topologische Semantik auch bei der Übergabe des Schwertes Escalibort am Schluss des ›Tod des Königs Artus‹ zum Tragen. 9 W agneR , Erzählen, S. 336. 10 Für W agneR , Erzählen, S. 336, handelt es sich ›virtuell‹ um dieselben Raumeinheiten. 11 Vgl. h ammeR , Tradierung, S. 62: »Es können zum einen natürliche Hügel oder Berge (bzw. deren Höhlen) sein, daneben aber auch die noch von der vorkeltischen Bevölkerung Irlands errichteten Hügelgräber. […] Genausogut kann sich der Eingang [zur Anderswelt] auch unterhalb von Seen oder Quellen befinden, wobei es hier schon schwierig ist, den bloßen Zugang vom eigentlichen Anderswelt-Ort zu trennen.« 204 4 Resümee und Ausblick kommt er seinem Wunsch nach (vgl Pr V 1002,30-1006,8). Dass der sterbende Artus den andern Ritter vorschickt, weil er selbst zu schwach ist, darf zwar unterstellt werden, doch bleibt der Text eine so eindeutige kausallogische Erklärung schuldig. 12 Damit wird die Szene aber transparent für eine andere Lesart: Giflet muss alleine zum See gehen, weil der Zugang zur Anderswelt nur »auserwählten Menschen offen« 13 ist, weil es stets ›Mediatoren‹ braucht, die zwischen dem Bereich des Mythischen und dem Bereich des Profanen vermitteln. Freilich begegnet diese mythische Vorstellung hier allenfalls in literarischer Brechung: Zwar ist es Giflet, der als solche Mittlerfigur vorgestellt wird, als der eigentlich ›Kundige‹, der die Eigengesetzlichkeiten des ›anderen‹ Raumes kennt - ja, dem offenbar sogar die Gabe der Hellsicht zuteil ist 14 - erweist sich zuletzt aber Artus selbst: Als der Ritter vom See zurückkommt, durchschaut der König dessen Täuschungsversuche, da Giflet von keinen besonderen Vorkommnissen bei dem Versuch, das Schwert zu versenken, zu berichten weiß. Artus aber ist sich sicher: sunder groß wunder mag es nit verlorn werden (Pr V 1004,27 f.). Und tatsächlich: Als Giflet es dann doch in den See wirft, erscheint aus dem Wasser eine einzelne Hand, empfängt das Schwert und beginnt, es wol dry werb wiedder berg schúten (Pr V 1004,37-1006,1), bevor es endgültig in den Wogen verschwindet. Dreimal muss Giflet ansetzen, das Schwert zu versenken, dreimal antwortet eine scheinbar körperlose Hand mit einer Bewegung wiedder berg - das Geschehen und sein topographisches Setting sind schon auf der Textoberfläche qua Wortlaut eng miteinander verklammert -, als der Ritter seine Aufgabe tatsächlich zu Ende bringt. Die Drei ist Symbol der »Vollkommenheit, Vollständigkeit und Einheit« 15 , »the dynamic equilibrium of the action of unity upon duality« 16 , und zwar nicht alleine in der christlichen Tradition, sondern in transkultureller Verbreitung. 17 Über die Provenienz des Schwertes wird im ›Prosalancelot‹ - anders als bei Geoffrey von Monmouth, der dessen Herkunft von der Insel Avalon erwähnt (vgl. KA usT, S. 26) - nichts gesagt; dass es am Ende des Zyklus »an seinen Ursprung zurückgegeben« 18 wird, lässt sich allenfalls aus der eigentümlichen Vertrautheit des Königs mit den Örtlichkeiten und den quasi-rituellen Vorgängen am See erschließen. Kennzeichnend für den ›Prosalancelot‹ ist, wie Uwe R uBeRg herausgearbeitet hat, »die allgemeine Tendenz […], Mythisches und Märchenhaftes rational aufzulösen« 19 . So wird zwar Lancelots Ziehmutter, wie in Ulrichs von Zatzikhoven ›Lanzelet‹ auch, als ›Fee‹ 12 Immerhin ist Artus später in der Lage, sich ohne fremde Hilfe auf das Schiff seiner Schwester zu begeben (vgl. Pr V 1006,37 f.) - weshalb nimmt er sich dann nicht auch persönlich des Vorhabens an, sich seines Schwertes zu entledigen, nachdem er merkt, dass Giflet zögert? Derartige kausallogische Fragestellungen scheinen den Sinn des Textes offenbar grundlegend zu verfehlen. 13 h ammeR , Tradierung, S. 64. 14 So kündigt Artus Giflet dessen baldigen Tod an (vgl. Pr V 1004,1), der dann auch tatsächlich nur wenige Tage später eintritt (vgl. Pr V 1010,8 f.). Traditionell wird in der Artusdichtung die Gabe, über Zukünftiges Bescheid zu wissen, dem Zauberer Merlin zugeschrieben, so etwa auch Pr II 66,1-4. 15 K necht , Drei, S. 79; K necht erklärt den »in zahlreichen Kulturen anzutreffende[n] überwelt[ichen] Charakter der D[rei]« damit, dass der Mensch »die D[rei] an seinem eigenen Körper nicht vorfindet und sie daher sublimiert«. Mit der »magisch-mythischen Wunderkraft der Zahl« beschäftigt sich auch c aSSiReR , Philosophie, S. 169-182 (hier S. 174), mit der Dreizahl v. a. S. 181 f. 16 Vgl. de v RieS , Dictionary, S. 463 ; vgl. ähnlich auch c aSSiReR , Philosophie, S. 175 : »Das Problem der Einheit, die aus sich heraustritt, die zu einem ›Anderen‹ und Zweiten wird, um sich schließlich in einer dritten Natur wieder mit sich zusammenzuschließen - dieses Problem gehört zu dem eigentlichen geistigen Gemeinbesitz der Menschheit.« 17 Vgl. die zahlreichen Belege bei de v RieS , Dictionary, S. 463 f. 18 S teinhoFF , Kommentar / Pr V, S. 1225 [zu Pr V 1002,16-1006,8]. 19 R uBeRg , Raum und Zeit, S. 20. 4.2 ›Der Tod des Königs Artus‹ und das Ende arthurischen Erzählens? 205 bezeichnet (vgl. Pr I 60,2), doch stellt der Erzähler sogleich klar, dass damit kein übernatürliches Wesen gemeint sei, sondern dass zur damaligen Zeit vielmehr alle die frauwen fein geheißen waren, die da kunden zaubern und gauckeln und die Kenntnis hatten von der hystorien von Brytanien und krafft von den worten und von den steynen und von den krútern (Pr I 60,3-7). Wo die Meerfee des ›Lanzelet‹ tatsächlich über ein Reich herrscht, das mit deutlich anderweltlichen Merkmalen ausgestattet ist, 20 handelt es sich beim ›Feenreich‹ im ›Prosalancelot‹ entsprechend um nichts als ein - wenn auch finessenreiches - Trugbild: Und der lac da die jungfrauw inn sprang mit dem kinde enwas nit anders dann gauckelig. […] An derselben stat da man wonde das der lac stunde, hett die jungfrauw manig schön huß stan, und alle die welt hett wol geschworn, es wer ein mere groß und tieff […]. Der jungfrauw wonung was so bedecket mit dem lac, wann es alle die welt ducht, es were ein tieff mere, das nymand so listig was der keyn huß da mocht finden dann Merlin alleyn. (Pr I 64,9-19) Vor der Folie dieser Rationalisierungstendenz sticht - ohne die Werkeinheit des Zyklus zu sehr zu belasten - doch umso mehr ins Auge, dass der Erzähler bei der Versenkung Escaliborts jede ›rationale‹ Erklärung des Geschehens vermissen lässt. Statt Antworten zu geben, gewinnt das Erzählte »seine Legitimation aus der schlichten Formel des mythischen ›so ist es‹« 21 . Mehr noch als zuvor, adaptiert der ›Prosalancelot‹ zu seinem Ende hin den erzählerischen Gestus des Mythos, um ihn im gleichen Zug allerdings auch aus dem Text zu verabschieden. Die raumsemantische Rückbindung des Erzählschlusses an die Jugendgeschichte des Helden ebenso wie die - zumindest angedeutete - Rückgabe Escaliborts an seinen mythischen Ursprung lassen auch im ›Prosalancelot‹ das Erzählen kreisschlüssig werden, doch nicht mehr - wie im ›Erec‹ oder im ›Lanzelet‹ - in dem Sinne, dass die Narration am Schluss im Grunde wieder umstandslos von Neuem einsetzen könnte. Die Versenkung des Schwertes ist - wie die Entrückung des Grals am Ende der Gral-Queste auch (vgl. Pr V 538,28-34) 22 - endgültig, was nicht zuletzt die Rekurrenz der mythischbedeutsamen Dreizahl signalisiert. Offenbar lässt sich - so wäre zu folgern - vom Ende der Artuswelt nur unter massiertem Einsatz mythischer Erzählelemente berichten. 23 Mit diesem letzten ›großen Knall‹ verschwinden diese Elemente dann aber auch definitiv aus dem Text. 20 Vgl. Kapitel 3.2.3. 21 K Ragl , Land-Liebe, S. 4. 22 Die Entrückung des Grals und das Versenken des Schwertes sind motivisch aufeinander bezogen, doch nicht ausschließlich in Analogie zueinander (wie etwa u nzeitig , Erzählen, S. 179, suggeriert), sondern auch kontrastiv, was sich vor allem in der Raumregie zeigt: »Am Schluß der ›Queste‹ wird der Gral in den Himmel geholt, das Artusschwert aber in die Tiefe« (m eRtenS , Artusroman, S. 174 f.). Damit schließt der Gral stärker an legendarische Semantiken an - in der Legende kommt alles Gute zumeist von oben -, während Escalibort deutlich in den Bereich des Niederen, Vorchristlichen und eben Mythischen gehört (zur mythischen Dimension des Wassers vgl. Kapitel 3.2.7) - möglicherweise ein Hinweis auf die tendenziöse Haltung des vermutlich geistlichen Autors. 23 Vgl. dagegen u nzeitig , Erzählen, S. 179, für die die Rückgabe des Schwertes eindeutig »nicht mehr mythisch, sondern symbolisch zu lesen« ist. Unklar bleibt dabei jedoch, welchen Symbolbegriff u nzeitig hier zugrundelegt, konzeptualisiert doch beispielsweise die Mythostheorie Ernst c aSSiReR s ›Mythos‹ und ›Symbol‹ gerade nicht gegenbegrifflich. Ob die Rückgabe von »Artus’ Insignien von Herrschaft und Macht« (ebd.) das Ende der Königsherrschaft ›nur‹ repräsentiert, oder ob nicht vielmehr im Akt des Versenkens Zeichen und Bezeichnetes ununterscheidbar in eins fallen, das lässt sich hier m. E. kaum zweifelsfrei entscheiden. 206 4 Resümee und Ausblick Die Dreizahl begegnet zwar im weiteren Verlauf noch einmal, allerdings scheint sich nun ihre Semantisierung unter der Hand von einem eher mythisch geprägten hin zu einem genuin christlichen Bezugshorizont verschoben zu haben. So wie die Jünger am dritten Tag nach der Kreuzigung das leere Grab Christi finden (vgl. etwa Joh 20,1-10), so findet Giflet [d]es dritten tages (Pr V 1008,21) nach dem Verschwinden des Königs dessen Grab in einer nahen Kapelle, doch ist dieses nun gerade nicht leer, wie er sich von einem ansässigen Einsiedler versichern lässt: Da kam Giflet zustůnd zu im fragt yn: »Herre, umbe got, ist diß schrifft [i. e. die Grabinschrift] ware? « »Lieber herre, ja sie! « »Und wer bracht konig Artus herre? « »Ich weiß, frauwen! « Da gedacht Giflet woll das es die frauwen weren gewest die yn hinweg furten in dem Schiff. (Pr V 1008,36-1010,3) Die Darstellung rückt Artus in die Nähe einer Postfiguration Christi 24 , um ihn zugleich von diesem abzusetzen: eine Strategie legendarischen Erzählens, das die im Verhältnis zum Göttlich-Absoluten immer nur unvollkommene Heiligkeit der Protagonisten dadurch zur Anschauung bringt, dass es in der Christus-Ähnlichkeit stets auch die Differenz aufscheinen lässt. 25 Zugleich ist mit diesem ›Legenden‹-Schluss eine eindeutige Antwort auf die Frage nach dem Verbleib des Königs nach dessen Entrückung gegeben, die in der älteren Tradition noch offen geblieben war: Während Wace immerhin noch andeutet, dass der verwundete König auf Avalon seiner Rückkehr harren mag (vgl. KA usT, S. 161), ist diese Möglichkeit im ›Prosalancelot‹ mit dem Auffinden des Grabes kategorisch ausgeschlossen. Gegen die ältere Tradition, die noch Reste mythischer Zeitvorstellungen bewahrt - mit Mircea e liade ließe sich von der »zyklischen Wiederkehr des Vorhergewesenen« 26 sprechen -, setzt der Schluss des ›Prosalancelot‹ ein deutlich heilsgeschichtlich geprägtes, lineares Verständnis von Zeit: »Das Ende des Königs ist unwiderruflich, und es ist christlich« 27 , wie Hans-Hugo S teinhoFF festhält. Mit dem Verschwinden von Gral und Schwert ist die erzählte Welt eine andere geworden. Der vereinzelte Lancelot irrt am Ende ziel- und orientierungslos durch den Wald: Und Lanczelot fůr in dem gewiltniß herre und dare und stalt den grösten jamer von der welt […]. Und in dem ruwen und in dem betrúbniß so reyt er alle die nacht also als er kam mit abentúr herre und dar, wann er reyt keyn recht straß nit. (Pr V 1020,4-10) Die Formulierung er reyt keyn recht straß nit (Pr V 1020,10) wirkt wie ein unmittelbarer Rückbezug auf den Beginn der arthurischen Tradition, genauer: auf den Anfang der Joie-dela-curt -Episode in Hartmanns ›Erec‹, denn auch dort setzt - wie zu sehen war 28 - das Ge- 24 Möglicherweise ist es bereits eine Allusion auf Christus, wenn Artus die letzte Nacht vor seinem Tod wie dieser auf dem Ölberg (vgl. Mt 26,36-46) wachend und betend verbringt; vgl. Pr V 1000,14-23. 25 Bekannt ist etwa das in den Petrusakten überlieferte Martyrium des Apostels Petrus, der wie Christus am Kreuz, doch anders als dieser kopfüber gestorben sein soll. Das Muster begegnet auch in den für die Gattung der Legende so typischen Wundererzählungen: So lässt etwa der Abt Macharius in der sog. ›Regensburger Schottenlegende‹ - im Zwiespalt zwischen seinem asketischen Lebenswandel einerseits und dem Gehorsam der geistlichen Obrigkeit gegenüber andererseits - nicht Wasser zu Wein (vgl. Joh 2,1-12), sondern umgekehrt den Wein, den der Bischof von Würzburg ihm kredenzen lässt, zu Wasser werden; vgl. KGsH 9473-9482. 26 e liade , Kosmos und Geschichte, S. 101. 27 S teinhoFF , Kommentar / Pr V, S .1226 [zu Pr V 1006,33-1010,3]. 28 Vgl. Kapitel 2.2.1. 4.2 ›Der Tod des Königs Artus‹ und das Ende arthurischen Erzählens? 207 schehen damit ein, dass die Protagonisten die rehten strâze (Er 7816) nicht finden können. 29 Das Aventiure-Modell, das der ›Erec‹ entwickelt, sieht die Bereitschaft des Helden vor, sich willentlich dem Zufälligen und Unwägbaren zu stellen, und gerade diese Bereitschaft ist es, die Erec am Ende seinem letzten großen Abenteuer zuführt. Lancelots Irrfahrt dagegen bleibt bis zuletzt ziellos, auf ritterliche Bewährungsproben stößt er nirgends mehr. 30 Wenn der Erzähler noch einmal den Begriff abentúr aufruft (Pr V 1020,9), dann entbehrt der Ausdruck zuletzt jeder ideologischen Konnotation: ein bloßes, sinnentleertes Zerrbild ritterlichen Daseins. 31 Auch als Lancelot am nächsten Morgen endlich aus dem Wald herausfindet, führt ihn sein Weg nicht etwa zu einer verwunschenen Burg oder Ähnlichem, sondern vielmehr zu einem berg, der was groß und vol ydeler velße, da manich fremde cluse inne stunt und verre von allen luten (Pr V 1020,11-13). Dort nimmt Lancelot das entsagungsvolle Leben eines Einsiedlers an, dort wird ihm schließlich, nach vier Jahren strengster Bußübungen mit beten und mit fasten und mit frů off stan und mit wachen (Pr V 1024,21 f.), ein gnadenhafter Tod gewährt. 32 Diesem Berg nun fehlt jedes mythische Gepräge, vielmehr ist der Schauplatz der letzten Jahre im Leben des Helden eindeutig als Ort der Weltflucht und Askese markiert. Mythische Konkreszenzphänomene und Entdifferenzierungseffekte, wie sie für den ›Erec‹ und den ›Lanzelet‹ gezeigt werden konnten, bleiben aus. An dem Punkt, an dem das Erzählen von König Artus und seiner Tafelrunde zu einem Ende kommt, wird auch die räumliche Ordnung der erzählten Welt ›arretiert‹: Es gibt nur noch den unwirtlichen, gesellschaftsfernen Raum des moniage hier und den Wald dort, der aber leer ist. Damit scheint zuletzt zwar jede mythische Ambivalenz aus der Welt geschafft und die differentielle Ordnung des Raumes endgültig wiederhergestellt, doch haben auch das Höfische und die Minne in dieser ›eindeutigen‹ Welt bezeichnenderweise keinen Platz mehr. Selbst in deren Negation bestätigt der ›Prosalancelot‹ so noch einmal den intrikaten Zusammenhang von Mythos, Minne und höfischer Ordnung. Freilich ist das Ende arthurischen Erzählens im ›Prosalancelot‹ keineswegs so definitiv, wie der Text selbst es gern möchte, 33 denn tatsächlich lässt sich die lebendige mittelalterliche Artustradition mit Ulrich Fuetrers ›Buch der Abenteuer‹ noch bis ins späte 15. Jahrhundert hinein verfolgen. 34 Wie aber die Gattung auch nach dem imaginären Untergang 29 Dieser Zusammenhang lässt sich freilich allenfalls für die deutsche Tradition herstellen, denn in Hartmanns Vorlage fehlt, wie erwähnt, das Motiv der Wegscheide vor Brandigan; vgl. hierzu Kapitel 2.2.1. 30 Dies nicht nur im Kontrast zum ›Erec‹, sondern auch zum Beginn des ›Prosalancelot‹, wo der Wald als Handlungsraum mehr Aventiuren bereit hält, als der Erzähler in seinem Bericht unterzubringen imstande ist: Als Segremors, Ywan und Hestor gemeinsam in ein groß walt (Pr I 1062,6) kommen, schickt Gott auf das Bitten Segremors hin (vgl. Pr I 1062,14 f.) jedem der drei Ritter eine eigene Bewährungsprobe, von denen im Folgenden aber nur diejenige Hestors auserzählt wird; die Geschicke der anderen beiden Ritter bleiben dagegen allein der Imagination des Lesers überlassen. Zur Funktion des Waldes im ›Prosalancelot‹ vgl. auch R uBeRg , Raum und Zeit, S. 57-62. 31 Zum Ausbleiben der Aventiuren nach der Entrückung des Grals und dem damit verbundenen Sinnverlust der arthurischen Welt vgl. u nzeitig -h eRzog , Jungfrauen und Einsiedler, S. 150-159. 32 Zum Motiv des moniage als Erzählschluss in der mhd. Epik vgl. B ieSteRFeldt , Moniage, zum ›Prosalancelot‹ v. a. S. 109-147. 33 Vgl. u nzeitig -h eRzog , Jungfrauen und Einsiedler, S. 174 f.: »Der ›Prosalancelot‹ […] erzählt die vollständige Geschichte der Artuswelt und damit den letzten arthurischen Aventiureroman. […] Die poetologische Aussage des ›Prosalancelot‹ ist die Absage an die Gattung des arthurischen Aventiureromans.« 34 Vgl. m eRtenS , Artusroman, S. 301-340. 208 4 Resümee und Ausblick der arthurischen Welt, von dem uns der ›Prosalancelot‹ berichtet, unbeschadet weitergehen kann, dies zu erhellen wäre nun die Aufgabe einer anderen, stärker auf das Diachrone fokussierenden Untersuchung. Sie könnte ihren Ausgangspunkt durchaus in Hans B lumenBeRg s Theorie des Mythos als Rezeptionsphänomen finden, denn bekanntlich beschließt auch B lumenBeRg seine Überlegungen zur ›Arbeit am Mythos‹ mit der hier doch so treffenden, bewusst offenen Frage: »Wie aber, wenn doch noch etwas zu sagen wäre? « 35 35 B lumenBeRg , Arbeit am Mythos, S. 689. Primärtexte 209 Literaturverzeichnis Primärtexte Bibelstellen werden unter Verwendung der gängigen Abkürzungen (Loccumer Richtlinien) zitiert nach: Biblia Sacra iuxta Vulgatam versionem, hg. v. Robert Weber, Bonifatius Fischer, Roger Gryson. 5., verbesserte Auflage, besorgt v. Roger Gryson, Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 2007. Ack Johannes von Tepl: Der Ackermann. Frühneuhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Durchgesehene und verbesserte Ausgabe, hg., übersetzt und kommentiert v. Christian Kiening, Stuttgart: Reclam 2002 ( RUB 18075). Al Rudolf von Ems: Alexander. Ein höfischer Versroman des 13. Jahrhunderts, hg. v. 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Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch, nach dem Text von Ludwig Ettmüller ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort v. Dieter Kartschoke, Stuttgart: Reclam 1986 ( RUB 8303 [10]). Er Hartmann von Aue: Erec, hg. v. Manfred Günter Scholz, übersetzt v. Susanne Held, Frankfurt / Main: Deutscher Klassiker Verlag 2007 (Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch 20 [entspricht Bibliothek des Mittelalters 5]). Er / Cramer Hartmann von Aue: Erec. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung, hg. v. Thomas Cramer, Frankfurt / Main: Fischer 1998 (Fischer-Taschenbuch 6017). Er / Haupt Hartmann von Aue: Erec. Eine Erzählung, hg. v. Moriz Haupt, Leipzig: Hirzel 2 1871. Er / Mertens Hartmann von Aue: Erec. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch, hg., übersetzt und kommentiert v. Volker Mertens, Stuttgart: Reclam 2008 ( RUB 18530). 210 Literaturverzeichnis Fr Sibote: Frauenzucht. Kritischer Text und Untersuchungen, hg. v. 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Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Mittelhochdeutscher Text nach der Ausgabe von Edward Schröder, übersetzt, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen v. Heinz Rölleke, Stuttgart: Reclam 1993 ( RUB 2855), S. 6-49. Iw Hartmann von Aue : Iwein. Text und Übersetzung. 4., überarbeitete Auflage, Text der 7. Auflage v. G. F. Benecke, K. Lachmann und L. Wolff, Übersetzung und Nachwort v. Thomas Cramer, Berlin, New York: De Gruyter 2001. JG Frau Ava: Das Jüngste Gericht, in: Frühmittelhochdeutsche Literatur. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch, Auswahl, Übersetzung und Kommentar v. Gisela Vollmann-Profe, Stuttgart: Reclam ( RUB 9438), S. 35-57. KA usT König Artus und seine Tafelrunde. Europäische Dichtung des Mittelalters, in Zusammenarbeit mit Wolf-Dieter Lange neuhochdeutsch hg. v. Karl Langosch, Stuttgart: Reclam 1980 ( RUB 9945). Kch Die Kaiserchronik eines Regensburger Geistlichen, hg. v. Edward Schröder, Hannover: Hahn 1892 (Monumenta Germaniae historica - Deutsche Chroniken I,1). KG sH Karl der Große und die schottischen Heiligen. Nach der Handschrift Harley 3971 der Britischen Biblithek London, hg. v. Frank Shaw, Berlin: Akademie-Verlag 1981 (Deutsche Texte des Mittelalters 71). KuL Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben, übersetzt v. Hedwig Lachmann und Gustav Landauer, Leipzig: Insel 1907. L Walther von der Vogelweide: Leich, Lieder, Sangsprüche. 15., veränderte und um Fassungseditionen erweiterte Auflage der Ausgabe Karl Lachmanns, aufgrund der 14., v. Christoph Cormeau bearbeiteten Ausgabe neu hg., mit Erschließungshilfen und textkritischen Kommentaren versehen v. Thomas Bein, Berlin, Boston: De Gruyter 2013. La Ulrich von Zatzikhoven: Lanzelet. Text - Übersetzung - Kommentar. Studienausgabe. 2., revidierte Auflage, hg. v. Florian Kragl, Berlin: De Gruyter 2013. La 1 Ulrich von Zatzikhoven: Lanzelet, hg. v. Florian Kragl, Bd. 1: Text und Übersetzung, Bd. 2: Forschungsbericht und Kommentar, Berlin, New York: De Gruyter 2006. Primärtexte 211 Mel ›Melerantz von Frankreich‹ - Der ›Meleranz‹ des Pleier. Nach der Karlsruher Handschrift. Edition - Untersuchungen - Stellenkommentar, hg. v. Markus Steffen, Berlin: Erich Schmidt 2011 (Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit). MF Des Minnesangs Frühling. 38., erneut revidierte Auflage mit einem neuen Anhang, unter Benutzung der Ausgaben v. Karl Lachmann und Moriz Haupt, Friedrich Vogt und Carl von Kraus bearbeitet v. Hugo Moser und Helmut Tervooren, Stuttgart: Hirzel 1988 Neid Die Lieder Neidharts, hg. v. Edmund Wießner, fortgeführt v. Hanns Fischer. 5., verbesserte Auflage, hg. v. Paul Sappler, mit einem Melodienanhang v. Helmut Lomnitzer, Tübingen: Niemeyer 1999 ( ATB 44). Nl Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch, nach der Handschrift B hg. v. Ursula Schulze, ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert v. Siegfried Grosse, Stuttgart: Reclam 2011 (Reclam Bibliothek). Pa Wolfram von Eschenbach: Parzival: Studienausgabe. 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Forschungsliteratur und Hilfsmittel 235 Abbildungen Abb. 1: Bayerische Staatsbibliothek München, Cgm 8345, fol. 1 v , mittleres Register 236 Abbildungen Abb. 2: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Ms. germ. fol. 565, fol. 7 r Abbildungen 237 Abb. 3: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Ms. germ. fol. 565, fol. 8 r Die spezifische Strukturlogik des Mythos erlaubt es, komplexe Sachverhalte in eine narrative Gestalt zu bringen, die andernfalls als bloß selbstwidersprüchlich und inkonsistent erscheinen müssten. Mythisches Erzählen im Modus literarischer Rede erweist sich so als veritables Instrument kultureller Selbstbeobachtung. Das Buch verfolgt dies mit Blick auf die räumlichen Strukturen der untersuchten Texte. Im Mittelpunkt stehen Schlüsselepisoden zweier Artusromane, des ›Erec‹ Hartmanns von Aue und des ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven, flankiert von zusätzlichen Vergleichstexten aus dem weiteren Umfeld höfischer Literatur. Die These lautet, dass ›Raum‹ nicht allein von der Bewegung der Figuren ›im Raum‹ abhängt, sondern seinerseits als veränderlich und ›beweglich‹ zu denken ist. Räumliche Strukturen werden durch die literarische Arbeit mit mythischen Erzähllogiken dynamisiert und die ihnen zugrundeliegenden Ordnungsvorstellungen so in je neuen literarischen Versuchsanordnungen auf ihre Tragfähigkeit hin befragt. ISBN 978-3-7720-8645-8 Poser Raum in Bewegung BIBL. GERM. 70 Thomas Poser Raum in Bewegung Mythische Logik und räumliche Ordnung im ›Erec‹ und im ›Lanzelet‹