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Zeichen und Geist

2018
978-3-7720-5663-5
A. Francke Verlag 
Stefan Eckhard

Die Habilitationsschrift profiliert am Beispiel des Markusevangeliums das neutestamentliche Offenbarungsverständnis, das untrennbar mit dem Begriff des Geistes Gottes verbunden ist, anhand der Zeichentheorie des US-amerikanischen Naturwissenschaftlers und Philosophen Charles Sanders Peirce (1839-1914). Nach Peirce lässt sich der Zeichenprozess, der ein Erkenntnisprozess ist, als triadische Struktur der Kategorien von "Objekt" ("Ding"), "Zeichen" und "Interpretant" ("Bedeutung") beschreiben. Dieses semiotisch-triadische Kommunikations- und Erkenntnisgeschehen korreliert nun mit und konvergiert im christlichen Offenbarungsgeschehen, das sich in den Taten und Worten des mit dem Geist Gottes begabten und daher in Vollmacht handelnden Gottessohnes Jesus realisiert. Der Geist zeigt sich aus dieser semiotisch-triadischen Perspektive als dynamisch-relationaler und daher offenbarend-schöpferisch zu bestimmender Aspekt.

ISBN 978-3-7720-8663-2 www.francke.de Die Habilitationsschrift profiliert am Beispiel des Markusevangeliums das neutestamentliche Offenbarungsverständnis, das untrennbar mit dem Begriff des Geistes Gottes verbunden ist, anhand der Zeichentheorie des US-amerikanischen Naturwissenschaftlers und Philosophen Charles Sanders Peirce (1839-1914). Nach Peirce lässt sich der Zeichenprozess, der ein Erkenntnisprozess ist, als triadische Struktur der Kategorien von „Objekt“ („Ding“), „Zeichen“ und „Interpretant“ („Bedeutung“) beschreiben. Dieses semiotisch-triadische Kommunikations- und Erkenntnisgeschehen korreliert nun mit und konvergiert im christlichen Offenbarungsgeschehen, das sich in den Taten und Worten des mit dem Geist Gottes begabten und daher in Vollmacht handelnden Gottessohnes Jesus realisiert. Der Geist zeigt sich aus dieser semiotisch-triadischen Perspektive als dynamisch-relationaler und daher offenbarend-schöpferisch zu bestimmender Aspekt. 27 Herausgegeben von Eve-Marie Becker, Jens Herzer, Friedrich W. Horn, Oda Wischmeyer und Hanna Zapp Zeichen und Geist Stefan Eckhard 27 Zeichen und Geist Eine semiotisch-exegetische Untersuchung zum Geistbegriff im Markusevangelium Stefan Eckhard 27 Zeichen und Geist Stefan Eckhard Zeichen und Geist Eine semiotisch-exegetische Untersuchung zum Geistbegriff im Markusevangelium Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb. dnb.de abrufbar. © 2018 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72 070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de ISSN 1865-2666 ISBN 978-3-7720-5663-5 5 Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1. Zeichen und Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2. Erscheinung und Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.1. Phänomenologie und Semiotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.2. Kategorien und Konkretisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2.3. Kategorienlehre und Zeichenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2.4. Wahrheit und Finalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3. Darstellung und Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3.1. Semiotik und Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3.1.1. Zeichen und Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3.1.2. Dynamik und Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3.1.3. Offenbarung und Geist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3.2. Theologie und Semiotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3.2.1. Geist und Vollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4. Erscheinung und Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 4.1. Zeichen und Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 4.2. Zeichen und Geist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 4.3. Geist und Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 5. Taufe und Versuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 5.1. Text und Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 5.2. Taufe und Geist (vgl. Mk 1,9-11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 5.3. Versuchung und Geist (vgl. Mk 1,12-13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 5.4. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 6. Macht und Vollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 6.1. Jesus und die Schriftgelehrten (vgl. Mk 3,22-30) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 6.1.1. Text und Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 6.1.2. Geist und Ungeist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 6.1.3. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 6 Inhaltsverzeichnis 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1-20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 6.2.1. Text und Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 6.2.2. Vollmacht und Bekenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 6.2.3. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 7. Glaube und Bekenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 7.1. Text und Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 7.2. Jesus und die Tochter des Jaïrus (vgl. Mk 5,21-24. 35-43) . . . . . . . . . 176 7.3. Jesus und die kranke Frau (vgl. Mk 5,25-34) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 7.4. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 8. Offenbarung und Verkündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 8.1. Jesu Tod und Auferweckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 8.1.1. Jesu Tod (vgl. Mk 15,33-39) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 8.1.2. Jesu Auferweckung (vgl. Mk 16,1-8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 8.2. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 9. Geist und Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 9.1. Botschaft und Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 9.2. Erkenntnis und Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 9.3. Offenbarung und Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 9.4. Erkenntnis und Bekenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 1. Quellen und Allgemeine Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 2. Kommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 3. Monographien, Aufsätze und Artikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 7 Vorwort Die vorliegende Studie wurde im Sommersemester 2017 vom Fachbereichsrat der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Habilitationsschrift angenommen. Für den Druck wurde sie an nur wenigen Stellen geringfügig verändert. Herzlich bedanken möchte ich mich bei meinen drei Gutachtern, die die Entstehung der Arbeit über die Jahre hinweg fachkundig begleitet haben - bei dem Erstgutachter, Herrn Prof. Dr. Wilfried Eisele (Tübingen), dem Zweitgutachter, Herrn Prof. Dr. Dr. habil. Klaus Müller (Münster), und bei Herrn Prof. Dr. Rainer Schwindt (Koblenz), der sich bereit erklärt hat, das Drittgutachten zu übernehmen. Dem Herausgeberkreis der Reihe „Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie“ - namentlich Frau Prof. Dr. Eve-Marie Becker - danke ich für die Aufnahme meiner Habilitationsschrift in diese wissenschaftliche Reihe. Für die Publikation danke ich der Narr-Francke-Attempto-Verlagsgruppe und insbesondere Frau Dr. Valeska Lembke und Frau Vanessa Weihgold. Tübingen, im April 2018 Stefan Eckhard 9 1. Zeichen und Erkenntnis Der Name der Rose - Das ist der deutsche Titel eines der wohl berühmtesten Historienromane der jüngeren europäischen Gegenwartsliteratur. Verfasst von einem damals noch unbekannten Autor - dem Professor für Semiotik an der Universität Bologna, Umberto Eco (05. 01. 1932-19. 02. 2016), - und 1980 erstmalig im italienischen Original veröffentlicht ( Il nome della rosa ), zeichnet der Roman eine vielgestaltige und bildgewaltige Kulturgeschichte des Mittelalters. Sie ist ge kleidet - oder besser gesagt: ver kleidet - in die Rahmenhandlung einer Detektiv- und Kriminalgeschichte - einer Geschichte um die Aufklärung einer rätselhaften Mordserie in einem Benediktinerkloster im Apennin. Der Roman spielt während einer Woche des Jahres 1327; ein Pro- und ein Epilog des Erzählers ergänzen die Handlung. Dass es aber in diesem Roman nur vorder gründig um die besagte Kriminalgeschichte geht, sondern es sich hinter- und unter gründig um ein kulturhistorisches Panorama der mittelalterlichen Welt handelt, erschließt sich erst bei aufmerksamer Lektüre. Die geschlossen wirkende Erzählstruktur, die bewusst entsprechend der biblischen Schöpfungserzählung (vgl. Gen 1,1-2,4a) den Zeitraum von sieben Tagen umfasst und zusätzlich durch den Tagesablauf der monastischen Tagzeitenliturgie bestimmt wird, löst sich unter der Hand nämlich in eine Vielzahl an Erzählfragmenten auf. Die Beschreibungen über die weltliche und geistliche Machtpolitik des Mittelalters, die Erläuterungen zu den Entwicklungen der Profan- und der Kirchengeschichte, die Betrachtungen der philosophischen und der theologischen Strömungen, die Schilderungen des Alltags der mittelalterlichen Welt und nicht zuletzt die Darstellungen des vielfach gebrochen wirkenden Denkens, Sprechens und Handelns der Romanfiguren fügen sich wie die Glassteinchen in einem Kaleidoskop zu einem bunt schillernden, aber zugleich durchaus verwirrenden Ganzen zusammen. Eco zitiert und paraphrasiert historische, philosophische, theologische und literarische Quellen, er erfindet und erweitert dabei Figuren, Motive, Themen und Stoffe, und er mischt fremde Gedanken unter eigene und eigene unter fremde. Der gesamte Roman ist also ein einziges großes Rätsel, das dem Leser vom Autor aufgegeben wird, so wie sich den beiden Protagonisten des Romans - den Benediktinermönchen Adson aus dem Stift Melk und William von Baskerville - die Suche nach dem Mörder ihrer Mitbrüder als Rätselspiel erweist. Der Roman war ein weltweiter Erfolg, er wurde in viele Sprachen übersetzt und ist in zahlreichen Auflagen erschienen. Er löste die bis heute anhaltende Welle der Historienromane aus 10 1. Zeichen und Erkenntnis und machte Eco mit einem Schlag berühmt. Zugleich markiert dieses Werk den Anfang von Ecos zweiter Karriere als Schriftsteller einer großen Reihe an ähnlichen historischen Romanen, die er in der Folgezeit publizierte. Der Name der Rose ist ein buchstäblich „spektakulärer“ Roman. Man kann sich als Leser in ihm mit dem sprichwörtlichen „geistigen Auge“ „umblicken“ und vieles „sehen“. Wenn man sich - um in der Sprache der Kriminalistik zu bleiben - „auf die Spur“ nach den verschiedenen, im Buch verarbeiteten Quellen begibt, wird man so manches entdecken und erfahren können. 1 Wer das tatsächlich tut, wird einiges finden, anderes zu seiner Überraschung aber auch nicht. Das sind dann die vom Autor selbst erdachten Quellen - also schlicht Fälschungen. Dazu zählt ausgerechnet das für die Handlung entscheidendste Dokument - nämlich die angebliche zweite poetologische Schrift des Aristoteles über die Komödie und damit über das Lachen. 2 Doch auch diese Fälschungen machen nichts, denn schließlich handelt es sich trotz des vorgespiegelten Scheins an Authentizität immer noch um eine fiktive Welt, und der Leser, der sich auf Ecos spielerisch-rätselhafte Erzählweise bewusst einlässt, wird sich daran auch nicht groß stören. Der Reiz des Romans liegt ja gerade in diesem Spiel wechselseitiger sprachlicher Verweisungen und rätselhafter inhaltlicher Verwicklungen. Aber nicht nur ein mit der mittelalterlichen Kultur vertrauter Leser fühlt sich durch diesen Roman angesprochen, auch ein weniger kenntnisreicher, aber dafür umso neugierigerer Leser findet Gefallen an dem Stoff. Selbst wenn man die text externen Verweise nicht nachvollziehen kann, bereitet es doch schon große Freude, die text internen Bezüge zu verfolgen. Ecos Montage- oder Collagetechnik verwebt nämlich die Erzählelemente in ein Netz von Bedeutungsbeziehungen, die sich wechselseitig konstituieren und gegenseitig interpretieren. Diese komplexe Inter textualität 3 - die text externen Bezüge - und die dazugehörige Intra textualität - die text internen Bezüge - bilden das wesentliche Strukturprinzip des Romans. Es findet sein erzählerisches Abbild in der 1 Eine kurze Auflistung wesentlicher im Roman zitierter mittelalterlicher Autoren und ihrer Werke findet sich bei F uhrmann 1988, 13 f. - Ausführliche Angaben zur komplexen Verweisungsstruktur gibt S tauder 1988, 78-142. 2 Die Romanhandlung gipfelt darin, dass die zwei Hauptpersonen William von Baskerville und Adson von Melk diese Quelle in der Bibliothek der Benediktinerabtei auffinden (vgl. e co 1998, 609-614. 619-628). - Die Tatsache, dass es sich um eine „bloß“ (vgl. hierzu den lateinischen Schlusssatz! ) fiktive Handschrift handelt, stellt die Pointe des Romans dar! Denn es zeigt sich darin gerade das nach Umberto Ecos Auskunft wesentliche Charakteristikum des Postmodernismus bzw. der postmodernen Ästhetik: die ironische Brechung. - Vgl. dazu die Ausführungen im folgenden Fließtext mit den entsprechenden Anmerkungen. 3 Vgl. dazu zur Einführung S tauder 1988, 78-142. - Die Stilfigur der „Intertextualität“ (und der „Intratextualität“) verwendet Eco nicht nur im erwähnten Debütroman, sondern setzt sie konsequent auch in seinen Folgeromanen ein. 1. Zeichen und Erkenntnis 11 als Labyrinth aufgebauten Klosterbibliothek mit ihren zahlreichen Kammern, Räumen, Gängen und Treppen. Ist die Form des Romans schon ein Rätsel, so ist es der Inhalt noch viel mehr. Das zeigt sich erstmalig beim Romantitel Der Name der Rose und schließlich beim letzten Satz des Romans, der aus zwei Sätzen besteht und lateinisch verfasst ist: „Stat rosa pristina nomine, nomine nuda tenemus.“ 4 Der Titel bildet sozusagen den ersten Satz des Romans und stellt die Rätselfrage, während der Abschlusssatz die Lösung gibt - auch wenn er in der damaligen Wissenschaftssprache Latein steht, die für viele Leser wiederum geheimnisvoll wirkt. In beiden Sätzen ist von einer „Rose“ die Rede. Diese „Rose“ sucht der Leser im gesamten Roman aber vergebens. Was soll das Ganze also? Welche „Rose“ ist gemeint, und was hat es mit dem Begriff „Name“ auf sich? Genau wie die Hintergründe der Mordfälle erst gegen Ende des Romans - im vorletzten und im letzten Kapitel - aufgedeckt werden, so muss sich auch der Leser in großer Geduld üben, wenn er das Rätsel um den „Namen“ der „Rose“ gelüftet haben will. Er muss bis zur letzten Zeile des mehrere hundert Seiten langen Werkes warten, bis es Eco doch noch gefällt, seinen Erzähler und Romanhelden Adson von Melk Licht ins Dunkel bringen zu lassen - vergleichbar dem Schein der Lampen, mit denen sich William und Adson am Schluss des Romans bei Nacht den Weg durch das Labyrinth der Bibliothek bahnen und das Rätsel der Mordserie lösen. Wie er im Prolog und im Epilog schreibt, blickt Adson als alter Mann auf sein Leben zurück und erinnert sich der geheimnisvollen Morde in besagter Benediktinerabtei. Er selbst hat seinen Mentor William von Baskerville bei der Aufklärung dieser Verbrechen unterstützt. Die beiden finden während ihrer Ermittlungen zahlreiche und widersprüchliche Hinweise zu Motiven und Tätern, die schließlich - mehr zufällig als beabsichtigt - zur Klärung der Mordfälle beitragen. Dass die Bedeutung der Indizien beiden Mönchen leider nicht immer - zumindest sofort - einsichtig wird, muss selbst der mit hohem detektivischen Spürsinn begabte William von Baskerville - der Sherlock Holmes in Ecos Roman 5 - eingestehen. 6 So gibt es 4 Vgl. e co 1998, 655 [Kursivdruck im Original]. - Selbst dieser Satz ist ein wörtliches Zitat! Allerdings verwendet Eco es in einem anderen Kontext: vgl. e co 2012a, [9-14] 9. 5 Der Nachname Williams ist natürlich dem bekannten Sherlock-Holmes-Fall Der Hund der Baskervilles entlehnt. Adson nimmt demzufolge die Rolle des Dr. Henry Watson ein: Wie dieser ist er Begleiter, Berater und Chronist der ermittelnden Hauptperson im Roman. Hier wie dort gibt es ein gewisses Lehrer-Schüler-Verhältnis, das durch eine Beziehung der Über- und Unterordnung gekennzeichnet ist, bei dem der brilliante Ermittler seinem Gehilfen Belehrungen über die logisch-kriminalistische Deduktion erteilt. - Vgl. ebenso F uhrmann 1988, [1-20] 2 f. 6 Vgl. e co 1998, 643 f. - Ecos Bezeichnung der Kriminalgeschichte als „ Konjektur -Geschichte im Reinzustand“ - vgl. e co 2012h, [63-66] 63 [Kursivdruck im Original] - begründet die Wahl dieses literarischen Genres für die Rahmenhandlung eines postmodernen Ro- 12 1. Zeichen und Erkenntnis aber für den Leser immer wieder überraschende und spannende Wendungen in der Geschichte. 7 Was bedeutet die Bezeichnung „Name der Rose“ nun? Die Kriminal- oder Detektivgeschichte ist buchstäblich das „Tatindiz“, das die „Spur“ zum „Beweis“ legt. Der lateinische Schlusssatz liefert dann das entscheidende „Beweismittel“, das zur „Aufklärung“ des „Falles“ führt. Der „Name“ ist des Rätsels Lösung! Ist der Leser an das Ende des Romans gelangt, dann muss er keine Mühe mehr aufwenden, „kriminalistisch zu kombinieren“, denn die „Indizien“ sprechen für sich. Der erste Teilsatz - „Stat rosa pristina nomine“ - spielt auf den in der Philosophie und Theologie der Hochscholastik bedeutsamen sogenannten „Universalienstreit“ an und dabei besonders auf den „Nominalismus“ in seiner gemäßigten Ausprägung des „Konzeptualismus“, den William von Ockham vertrat. 8 Seine Spiegelfigur im Roman - „nomen est omen“ - ist William von Baskerville. Die reale wie die fiktive Person tragen denselben Vornamen, sie haben dieselbe Nationalität und vor allem teilen sie die gleiche philosophische Erkenntnistheorie. Der in dem Satz „Stat rosa pristina nomine“ angesprochene „Name“ - das „nomen“ - bedeutet nichts anderes als „Zeichen“. Was „zeichnet“ ein solches „Zeichen“ aber nun „aus“? Ein Zeichen ist ein stellvertretend für einen Gegenstand stehender Bedeutungsträger. Hier ist es das intellektuelllogisch gebildete Sprach- und Wortzeichen „Rose“ - ein Abstraktum - für die empirisch-sensuell erfasste Pflanze - ein Konkretum. So vermittelt der „Name“ „Rose“ eine buchstäblich „ sinn volle“ gedankliche Vorstellung und kann sie selbst dann noch bewahren, wenn das von ihm benannte Objekt gar nicht mehr vorhanden ist, wenn also - wie es im Zitat weiter heißt - die zarte und empfindliche, wirkliche Rose „von einst“ (vgl. „pristina“) längst verblüht und verwelkt ist. Es entsteht beim Sprecher wie beim Hörer des Sprach- und Wortzeichens „Rose“ somit ein bleibender gedanklicher Eindruck. Der „Name“ „Rose“ hat eben eine Bedeutung, und er hat damit zugleich Bedeutung. Zeichen bilden also Bedeutungen aus, und sie bilden folglich Erkenntnis. William von Baskerville als Alter Ego Williams von Ockham beschreibt diesen Begriffsbildungsprozess mit der Metapher der „Leiter“, 9 die der Mensch zum Erkenntnisaufstieg unbedingt benötige. Sein Schüler Adson hingegen radikalisiert diese epistemologische Position, wie der zweite Teilsatz des Schlusssatzes belegt: „Nomine nuda tenemus.“ Diemans. Es geht darin eben um Möglichkeiten, Annahmen und manchmal auch Zufälle - das heißt um das Spiel mit Zeichen und ihren (möglichen) Bedeutungen . 7 Vgl. e co 1998, 615. 644 f. 8 Vgl. zum Nominalismus h oFFmann 1984, Spp. 874-884; vgl. zum Konzeptualismus h übe ner 1976, Spp. 1086-1091. 9 Vgl . e co 1998, 645. 1. Zeichen und Erkenntnis 13 ser Satz verweist auf einen tiefen Erkenntnisskeptizismus, ja eher schon einen grundsätzlichen Erkenntnispessimismus. Bezeichnungen sind für Adson im doppelten Wortsinn „bloße“ Zeichen. Sie sind nichts anderes als „bloße“ - also „nackte“ („nuda“) - „Namen“ und daher auch nur „bloß“ „Namen“. Sie sind dann „gleich bedeutend“ und somit auch „gleichbedeutend“. Dadurch verlieren sich die Zeichen im „sprachlichen Irgendwo“ des „logischen Nirgendwo“ wie ein Suchender in einem Labyrinth. So verirren sich auch Adson und William - im übertragenen Sinne - erst beinahe im „Labyrinth“ der Mordgeschichte und danach - im wörtlichen Sinne - fast noch im Labyrinth der Abteibibliothek. Die mit den Zeichen bezeichneten Bedeutungen haben dann eben keine eindeutige Bedeutung mehr. Die Bedeutung wird arbiträr. Daher spielt die „Rose“ außer im Titel wie am Schluss des Romans überhaupt keine Rolle, so dass der Leser während der Lektüre zu Spekulationen verleitet wird - und diese Wirkung ist vom Autor genau so beabsichtigt. 10 Eco lässt seinen Adson damit aus der Zeit herausfallen. Er ist kein Mensch des Mittelalters mehr, sondern ein Vertreter des philosophischen Postmodernismus unserer Tage. Für ihn gilt das postmoderne Postulat des Wahrheitspluralismus und - in seiner Konsequenz - des Wahrheitsrelativismus. Die Dominanz einer einzigen Wahrheit oder gar eines einzigen Wahrheitssystems hat danach endgültig ausgedient. Was die Wahrheit anbelangt, so kann es jetzt nur noch um Heterogenität anstelle von Homogenität, um Multiperspektivität anstatt Monoperspektivität und um Alterität statt Uniformität gehen. 11 Dieses postmodernistische Axiom von der notwendigen Auflösung der Hegemonie einer einzigen Wahrheit schlägt sich deutlich auch in der Handlung des Romans nieder. Galt in der mittelalterlichen Welt die Kirche als alleinige Hüterin von Glaube und Wissen, so lässt Eco sie im Roman an diesem Selbstanspruch scheitern, indem er diesen in der Figur des Inquisitors Bernard Gui ad absurdum führt. Wer Zwang und Gewalt zum „Schutz“ der Wahrheit anwendet, der begeht ersichtlich Unrecht, und der befindet sich daher im Unrecht. Wahrheit braucht schließlich keine Gewalt, denn sie setzt sich aus eigener Kraft durch. 12 Wer so redet wie Adson, nimmt gravierende Konsequenzen in Kauf. Der Wahrheitszweifel muss, wenn man ihn denn in aller Strenge bedenkt und anwendet, in den Gotteszweifel führen. Wenn sich schon über die Welt nichts mehr Endgültiges aussagen lässt, dann erst recht nicht über Gott. Gott ist nur 10 Vgl. e co 2012a, [9-14] 11: Hier stellt Eco einige mögliche Lesarten für das Lexem „Rose“ zusammen. 11 Vgl. zu den Kennzeichen des Postmodernismus beispielsweise m eier 1989, Spp. 1141-1145; W elSch 1996, 30-50; W elSch 2008, 79-85. 263-275. 12 Hinter diesem erzählerischen Einfall steckt natürlich auch ein gehöriges Maß an Feindseligkeit des - ironisch gesprochen - „gläubigen“ Atheisten Eco gegenüber der Kirche! 14 1. Zeichen und Erkenntnis noch eine denkerische Möglichkeit, eine mögliche Realität, vergleichbar der möglichen Realität eines fiktionalen Textes wie dem Roman - eben „bloß“ ein „Name“. 13 Auch die Gottesvorstellung wird so untergraben. Der Gotteszweifel führt zum Glaubenszweifel und dann auch zum Lebenszweifel. Zweifel wird zur Verzweiflung, denn „Sinn“ wird buchstäblich zum „Irr-Sinn“, weil jede „Wahrheit“ wegen des ständigen Verdikts des Irrtums nur eine vermeintliche Wahrheit sein kann. So wird die Sinnsuche zwangsläufig zu einer Sinnsuche ad infinitum - also zur ständig irrenden und darüber irrewerdenden Sinnsuche. Das bedeutet für den Menschen nicht nur „ein Ende mit Schrecken“, sondern sogar wirklich „ein Schrecken ohne Ende“ - sozusagen die wahre „Hölle auf Erden“! Dass der Figur des Adson von Melk diese fatalen Zusammenhänge völlig klar sind, beweist ein Zitat aus dem Epilog des Romans. Darin ist Adson die Verzweiflung darüber deutlich anzumerken: 14 „Und ausgelöscht sein werden die Unterschiede, ich werde eingehen in den einfältigen Grund, in die stille Wüste, in jenes Innerste, da niemand heimisch ist. Ich werde eintauchen in die wüste und öde Gottheit, darinnen ist weder Werk noch Bild […].“ 15 Ein Verlöschen im Nichts - das ist das düstere Schicksal, das Adson nach seinem Tod für sich erwartet. Postmodernismus bedeutet eben zwangsläufig Agnostizismus, wenn nicht sogar Atheismus. Dass ausgerechnet ein Mönch, der zudem noch am Ende seines Lebens steht, zu dieser resignativ-pessimistischen Erkenntnis kommt, ist bittere Ironie! Und Ironie - das Lachen - ist dann auch nach den von Eco seiner Figur William von Baskerville in den Mund gelegten Worten die scharfe Waffe, gegen die Wahrheit der fanatischen „Wahrheitspropheten“ 16 wirksam anzukämpfen. Das freimütige Lachen soll den heiligen Ernst der Wahrheit besiegen. Das Lachen wird zum Verlachen des Wahrheitsoptimismus der philosophischen Tradition. 17 Ironie bilde - so Eco in seiner Nachschrift zur „Name der 13 Vgl. dazu Adsons Bemerkung: „Aber wie kann ein notwendiges Wesen existieren, das ganz aus Möglichkeiten besteht? Was ist dann der Unterschied zwischen Gott und dem ursprünglichen Chaos? Zu behaupten, daß [sic! ] Gott absolut allmächtig ist und seinen eigenen Entscheidungen gegenüber absolut frei, heißt das nicht zu beweisen, daß [sic! ] Gott nicht existiert? “ (vgl. ebd. 645). - Angespielt - wenn auch postmodern umgedeutet - ist hier auf die sogenannte „nominalistische Allmachtsthese“ - vgl. dazu b eckmann 2009, [Spp. 894-896] Sp. 895. 14 Vgl. e co 1998, 654. 15 Vgl . ebd. 654 f. 16 Vgl. ebd. 643. 17 Vgl. ebd. 643 [Kursivdruck im Original]: „Vielleicht gibt es am Ende nur eins zu tun, wenn man die Menschen liebt: sie über die Wahrheit zum Lachen bringen, die Wahrheit zum Lachen bringen , denn die einzige Wahrheit heißt: lernen, sich von der krankhaften Leidenschaft für die Wahrheit zu befreien.“ - William - der Vertreter des Nominalismus bzw. des Konzeptualismus - redet an dieser Stelle zum ersten Mal dezidiert der postmodernen Wahrheitsskepsis das Wort. Das kann kein Zufall sein. Diese Bemerkung ist ein bewusst 1. Zeichen und Erkenntnis 15 Rose“ - die Ästhetik des Postmodernismus. 18 Postmoderner Stil ist also Gegenrede zur Rede. Der Name der Rose ist damit ein postmoderner Roman. 19 So verbindet Eco die äußere Heterogenität - die Kompilation von Texten - mit der inneren Heterogenität - der Ironie. Die erzählte Welt des Romans ent wickelt sich durch die minutiöse Stoffrecherche, durch die Auswahl geeigneter Quellen 20 und die gelungene Komposition der Zitate und Allusionen, durch die Sprachgestaltung 21 und den allwissenden Ich-Erzähler 22 , durch die Kernhandlung der Detektiv- und Kriminalgeschichte 23 sowie nicht zuletzt durch die Anfügung der Deutungen gesetztes Textsignal für den Leser - verstärkt noch durch das kursiv gedruckte Syntagma „die Wahrheit zum Lachen bringen“ (ein zweiter „Hauptsatz“ neben dem schon behandelten lateinischen Schlusssatz; er ist allerdings nicht für die Romanfigur und den Erzähler Adson von Melk gedacht, sondern eben als prägnant formulierte Lehre für die Leserschaft: Der Roman verweist damit aus der fiktiven Welt in die reale Welt, aus dem Mittelalter in die Gegenwart hinein): Der Leser soll auf die philosophische Haltung des Autors aufmerksam werden und sich diese - sozusagen als postmoderner Zeitgenosse Ecos - als einzig sinnvoll verbliebene Weltdeutung und Weltanschauung möglichst zu eigen machen. - Vgl. zur Deutung dieser Passage auch F uhrmann 1988, 18-20 (vgl. seine originelle Kapitelüberschrift: „Mit dem Lachen meint es Eco ernst“! - vgl. ebd. 18). 18 Vgl. e co 2012j, 76-82 [Kursivdruck im Original]: „Ich glaube indessen, daß [sic! ] ‚postmodern‘ keine zeitlich begrenzbare Strömung ist, sondern eine Geisteshaltung oder, genauer gesagt, eine Vorgehensweise, ein Kunstwollen *. Man könnte geradezu sagen, daß [sic! ] jede Epoche ihre eigene Postmoderne hat, so wie man gesagt hat, jede Epoche habe ihren eigenen Manierismus (und vielleicht, ich frage es mich, ist postmodern überhaupt der moderne Name für Manierismus als metahistorische Kategorie)“ (77). „[…] Die postmoderne Antwort auf die Moderne besteht in der Einsicht und Anerkennung, daß [sic! ] die Vergangenheit, nachdem sie nun einmal nicht zerstört werden kann, da ihre Zerstörung zum Schweigen führt, auf neue Weise ins Auge gefaßt [sic! ] werden muß [sic! ]: mit Ironie, ohne Unschuld“ (78). „[…] Ironie, metasprachliches Spiel, Maskerade hoch zwei. Weshalb es dann - wenn beim Modernen, wer das Spiel nicht verstand, es nur ablehnen konnte - beim Postmodernen auch möglich ist, das Spiel nicht zu verstehen und die Sache ernst zu nehmen. Das ist ja das Schöne (und die Gefahr) an der Ironie: Immer gibt es jemanden, der das ironisch Gesagte ernst nimmt“ (79). 19 Ein aktuelles Beispiel für eine literarische Rezeption semiotischer Strömungen ist der vor Kurzem auf Deutsch erschienene Roman Die siebte Sprachfunktion des Franzosen Laurent Binet (im französischen Original: La septième fonction du langage ): vgl. b inet 2016. - Binets Roman lässt sich auch als postmodern-ironisches Zitat von Ecos Der Name der Rose verstehen, denn es geht auch hier um ein kriminalistisches wie semiotisches Verwirrspiel - und Eco selbst tritt sogar als handlungsrelevante Figur auf! 20 Vgl. e co 2012b, 21-24. 21 Vgl. e co 2012f, 44-46; e co 2012g, 49-52; e co 2012i, 69-75. 22 Vgl. e co 2012c, 27 f.; e co 2012e, 38-43. 23 Vgl. e co 2012b, [21-24] 21 [Kursivdruck im Original]: „Ich habe einen Roman geschrieben, weil ich Lust dazu hatte. Ich halte das für einen hinreichenden Grund, sich ans Erzählen zu machen. Der Mensch ist von Natur aus ein animal fabulator . Begonnen habe ich im März 1978, getrieben von einer vagen Idee: Ich hatte den Drang, einen Mönch zu 16 1. Zeichen und Erkenntnis des Autors, die sich in den Reden seiner Romanhelden verbergen. Gleichzeitig ver wickelt diese kompositorische wie konzeptionelle Struktur den Leser in das Geheimnis um den Sinn des Romans. Es entsteht dadurch zudem ohne Zweifel etwas Neues. Auch wenn der Autor die Originalität leugnet, 24 so gehört auch diese Äußerung zum bewusst-provokanten, postmodernen Rätselspiel um die Relativität und daher Arbitrarität von Bedeutungen und Sinn. Man sagt einfach das genaue Gegenteil von dem, was man sagen will, das heißt man ist im wahrsten Sinne des Wortes „ironisch“. Ecos Bemerkung in der Nachschrift , das Schreiben gleiche einem Schöpfungsakt, mit dem man einen zweiten Kosmos erschaffe, 25 bestätigt den Eindruck des Originellen und widerspricht in eklatanter Weise der vorher geäußerten These des Autors. Diese entlarvt sich somit als postmoderne „Verpuppung“ 26 und damit als ironische Brechung. An den Roman und an die erwähnten Deutungen - oder besser: an die An deutungen - seines Autors können und sollen sich die Interpretationen der Leser anschließen. Die Welt des Romans verknüpft sich mit der Welt des Schriftstellers und der seiner Leser, und die Fiktionalität verbindet sich mit der Faktizität. Damit vermehrt sich die Diversität und die Komplexität, und zwar ad infinitum, denn jede Interpretation gibt immer wieder neu den Anstoß für eine weitere Interpretation. So will der Roman strenggenommen auch zu keinem literarischen Genre ganz genau passen; die gewählte Bezeichnung „Historienroman“ ist nur eine Verlegenheitslösung, da sie dem Inhalt noch am nächsten zu kommen scheint. Der Name der Rose ist weder ein reiner Historienroman noch ein wirklicher Detektiv- oder Kriminalroman, keine reine Kulturgeschichte und auch keine echte Philosophiegeschichte, sondern von allem etwas. Dieser multiperspektivische Roman ist zugleich ein semiotischer Roman des (ehemaligen) Semiotik-Professors Eco, denn die Semiotik ist Epistemologie und damit auch Fundament des philosophischen Postmodernismus. Eco verknüpft in seinem lateinischen Schlusssatz, der die Essenz seines Romans 27 darstellt, vergiften. Ich glaube, Romane entstehen aus solchen Ideen-Keimen, der Rest ist Fruchtfleisch, das man nach und nach ansetzt.“ 24 Vgl. F uhrmann 1988, [1-20] 13. 25 Vgl. e co 2012d, [31-37] 31: „Wer erzählen will, muß [sic! ] zunächst eine Welt erschaffen, eine möglichst reich ausstaffierte bis hin zu den letzten Details.“ 26 Vgl. e co 2012c, [27 f.] 28. 27 Ein berühmtes Vorbild für Ecos erzählerische Methode des Zusammenfassens der Haupterkenntnis in einem Satz wäre in Thomas Manns Der Zauberberg zu finden. Dort lässt der Erzähler seinen Protagonisten Hans Castorp während eines Ausflugs im schweizerischen Hochgebirge in einen Schneesturm geraten, der ihn in höchste Lebensgefahr bringt. Die Kälte löst bei Hans einen Tagtraum aus, der ihn zu folgender Erkenntnis führt: „Der Mensch soll um der Güte und Liebe willen dem Tode keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken“ (vgl. m ann 1967, 523). - Genau die in diesem „Hauptsatz“ erwähnten Themen „Liebe“ (Clawdia Chauchat) - ergänzt um Freundschaft (Ludovico Settembri- 1. Zeichen und Erkenntnis 17 die philosophischen Strömungen des Nominalismus und des Postmodernismus und somit - wie an den Figuren Adson und William deutlich zu sehen ist - die Zeitebenen von Vergangenheit und Gegenwart. Der Postmodernismus erscheint daher als Erbe der mittelalterlichen Denkrichtung. Nun ist es aber ein weiter Weg vom Mittelalter bis zur Neuzeit, und die philosophisch-theologischen Deutungsmuster wandeln sich nicht von heute auf morgen. Sie sind nicht mit einem einfachen „geistigen Sprung“ vom semiotisch-erkenntnistheoretischen Nominalismus zum semiotisch-erkenntnistheoretischen Nihilismus zu überwinden, wie das dem Mönch Adson von Melk in der fiktiven Welt des Romans möglich ist. Um zur radikalen epistemologischen Position Adson von Melks - Ecos Alter Ego - zu gelangen, benötigt es daher einer geistesgeschichtlich-philosophiegeschichtlichen Vermittlung. Im Gegensatz zu den mehr oder weniger explizit vor- und dargestellten Theorien der mittelalterlichen Semiotik des Konzeptualismus („William von Baskerville“ - William von Ockham) und der postmodernen Semiotik des Relativismus („Adson von Melk“ - Umberto Eco), tritt diese vermittelnde Instanz nur implizit auf. Gemeint ist die Semiotik des US -amerikanischen Chemikers, Mathematikers und Philosophen Charles Sanders („Santiago“) Peirce (1839-1914), der als Gründervater der modernen Semiotik gilt. Auf ihn beruft sich daher auch Eco. Die Grundvorstellung, dass der gesamte menschliche Erkenntnisprozess ein über den Gebrauch von Zeichen aller Art erfolgender Bedeutungsbildungsprozess ist, verbindet die doch so unterschiedlichen Konzepte Ockhams, Peirces und Ecos miteinander. Mit anderen Worten gesagt: Menschliche Erkenntnis besteht aus Zeichen, und sie geschieht in Zeichen. Menschliches Denken ist notwendig an Zeichen gebunden. Dazu heißt es bei Peirce apodiktisch: „All thought being performed by means of signs, […]“. 28 An anderer Stelle wird er noch etwas präziser, dort heißt es: „[…] and the life of thought and science is the life inherent in symbols.“ 29 Zeichen bilden die Welt ab, und sie bilden auf diese Weise Erkenntnis der Welt. Erkenntnis geschieht in einer ausschließlich durch Zeichen vermittelten Beziehung - also in Relationalität. Als Darstellungsmittel für einen Gegenstand kann ein Zeichen alles sein - etwa ein Gegenstand, eine Handlung, eine Geste, ein Bild, ein Wort, eine Regel. Letztlich ist ein Zeichen aber bereits jeder Gedanke, wie ni) - und „Tod“ ( Joachim Ziemßen, Leo Naphta, Pieter Peeperkorn, Erster Weltkrieg) und den darin wirkenden gegensätzlichen Kräften des Apollinisch-Konstruktiven (Kosmos) und des Dionysisch-Destruktiven (Chaos) behandelt der Roman (die Antithese „Kosmos vs. Chaos“ bietet im Übrigen wieder eine Parallele zu Ecos Der Name der Rose …). 28 Vgl. CP 1.191. 29 Vgl. CP 2.220. - Mit dem Lexem „symbols“ ist in diesem Kontext das Zeichen gemeint (vgl. zur Semantik etwa W alther 1989, 69). - Vgl. auch h ardWick / c ook 1977, 32: „[…] all our thought & knowledge is by signs“ [Brief von Peirce an Victoria Lady Welby vom 12. 10. 1904]. 18 1. Zeichen und Erkenntnis das obige Zitat darlegt. Peirce definiert diese Sinnerschließung im Einzelnen als triadischen Zeichenprozess - er nennt es „Semiose“ oder „Zeichenprozess“ bzw. „Zeichenwirkung“ („semeiosis“) 30 -, und zwar genauer als untrennbares Beziehungsgefüge von „Objekt“, „Zeichen“ und „Interpretant“. Das „Zeichen“ - in Ecos Roman der „Name“ oder das „nomen“ - wird zum Grundbegriff der semiotischen Zeichenlehre, die nach Peirce zugleich Erkenntnislehre ist. Die genannte Universalität des Zeichens bedingt die damit verknüpfte Universalität der Bedeutung. Aufgrund der Universalität der Zeichenstruktur ist der Zeichenprozess nur als infiniter Regress vorstellbar. Wenn alles zum Zeichen werden kann, dann wird auch alles zum Zeichen. Daher kann man sich den Anfang der Semiose nicht denken, denn jedes Zeichen, das etwas bezeichnet, löst eine Bedeutung aus, die wiederum zum Zeichen für etwas anderes werden kann und wird, und so fort. So entsteht ein stetig wachsendes Netz an Bedeutungen. Den Aspekt der Netzstruktur von Zeichenprozessen teilt auch Eco. Der beschriebene Bedeutungsbildungsprozess zeigt sich auf der individuellen wie auf der kollektiven Ebene. Das heißt, dass jeder Mensch einerseits eigenständig Bedeutungen generiert, er aber andererseits als gesellschaftliches Wesen zugleich in Verbindung mit anderen Menschen steht, die ebenfalls Bedeutungen produzieren. Sowohl die Einzelperson wie die Personengruppe übernehmen somit wechselseitig Zeichen und Bedeutungen. Der philosophisch-semiotische Postmodernismus, wie ihn Eco literarisch verarbeitet und darbietet, radikalisiert jedoch das Zeichensystem Peirce’scher Prägung. Uneindeutigkeit statt Eindeutigkeit wird zum bestimmenden Grundzug der postmodernen Auffassung über die Welt. Dabei löst der literarische Postmodernismus aus dem triadischen Zeichensystem das Zeichen heraus. Es wird zur „bloßen“ „Maske“, die ohne bestimmbare und somit bestimmte Bedeutung 31 30 Vgl. zum Beispiel CP 5.473. 31 Vgl. zur unendlichen Verweisungsstruktur e co 1987, 105 [Kursivdruck im Original]: „Gerade der Reichtum dieser Kategorie [des Interpretanten - S. E.] macht sie fruchtbar, denn er zeigt uns, wie Signifikation (und Kommunikation) mittels kontinuierlicher Verschiebungen, die von einem Zeichen auf ein anderes Zeichen oder eine Kette von Zeichen zurückverweisen, kulturelle Einheiten in asymptotischer Form umschreiben, ohne sie jemals direkt zu berühren, obwohl sie sie vermittels anderer Einheiten zugänglich macht. So zwingt einen eine kulturelle Einheit nie, sie durch etwas anderes zu ersetzen, das keine semiotische Entität ist, und sie braucht nie durch eine platonische, psychische oder gegenständliche Entität erklärt zu werden. Semiose erklärt sich durch sich selbst ; diese kontinuierliche Zirkularität ist die normale Bedingung der Signifikation, und sie erlaubt es der Kommunikation sogar, Zeichen zu verwenden, um auf Dinge hinzuweisen.“ - Es öffnet sich ein „semantische[s] Feld als die Struktur, die Zeichen miteinander verbindet und zueinander korreliert“ (vgl. ebd. 103) im Gegensatz zum hypothetischen, teleologisch-korrelierend gedachten Beziehungsgeflecht, von dem noch Peirce ausgegangen ist: „[…] and proceeding in the same way, we shall, or we should, ultimately reach a Sign of 1. Zeichen und Erkenntnis 19 eben nur noch der „Maskerade“ - der „Verpuppung“ 32 - dient. Das Aufbrechen der klassisch-semiotischen Zeichenstruktur der Moderne in der Postmoderne geschieht in der Stilfigur der ironischen Brechung. Zugleich wird das Zeichen im Postmodernismus zum einzig verbleibenden, allgemeingültigen Begriff, es wird zum Selbstzweck. Daher entfaltet Eco in seinem Roman ein Verwirrspiel von Zeichen und Bedeutungen. Es gibt viele Zeichen und viele Bedeutungen, die jedoch kein festes Bedeutungssystem mehr ausbilden. In der Rahmenhandlung der Kriminalgeschichte wird dieser Zusammenhang manifest. Die „Indizien“ oder „Spuren“ lassen sich nicht mehr einem einzigen Täter zuordnen - im Gegensatz etwa zu den berühmten Fällen des Sherlock Holmes. Wie sich am Ende des Romans nämlich herausstellt, sind dem Haupttäter - dem Bibliothekar Jorge von Burgos - die Fäden seines perfiden Mordplans aus den Händen geglitten, so dass auch die Ermittler lange im Dunkeln tappen müssen. Die Wege zur Wahrheit zeigen sich daher oft als Irrwege. Alles ist ein Zeichen, aber alles wirkt äquivok. Nichts ist so, wie es scheint; nichts ist mehr klar erkennbar. Für die postmoderne Position wird der Sinn fraglich. Namen sind in der Tat „Schall und Rauch“; es sind eben „bloß(e)“ „Namen“, wie es im Roman lapidar heißt. Diese ins Extrem gewendete postmoderne Deutung des Zeichenprozesses würde Peirce aufs Schärfste ablehnen. 33 Seine Zeichenlehre ist dezidiert eine Erkenntnislehre. Den Zeichen entsprechen Gegenstände in der Wirklichkeit, auf die mit den Zeichen hingewiesen und die mit den zugehörigen Bedeutungen eindeutig bestimmt werden. Sie sind das, was die Zeichen von ihnen darstellen (Korrespondenztheorie). Es gibt also eine univoke Relation zwischen Zeichen und Objekten, keine äquivoke wie in der postmodernistischen Variante der Semiotik. Mit Zeichen kann man deswegen wahre Aussagen treffen. Folglich gibt es auch einen Erkenntnisfortschritt, so dass sich der Erkenntnisprozess linear-teleologisch gestaltet. Semiotik ist Logik, ist Erkenntnis. Dass mit Zeichen Erkenntnis entsteht - Sinn erzeugt wird -, steht für Peirce also außer Frage. Dieser Zusammenhang ist für ihn grundlegend, nicht grundstürzend wie im Postmodernismus. Eco in seinem Roman und Peirce vertreten in diesem entscheidenden Punkt grundverschiedene Positionen. 34 Zeichen als formale Kaitself, containing its own explanation and those of all its significant parts; and according to this explanation each such part has some other part as its Object“ (vgl. CP 2.230). 32 Vgl. e co 2012c, [27 f.] 28. 33 Vgl. P aPe 2004, 118: „Peirce ist in seiner Semiotik Realist und setzt seine objektiv-idealistische Konzeption von Wirklichkeit um, indem er für jedes Zeichen die Orientierung an einem (zeichenexternen) Objekt fordert. Das Objekt hat deshalb sowohl eine teleologische Funktion im Zeichen als auch die ontologische Funktion, jenes unabhängige Element zu präsentieren, das allein den Zusammenhang der Zeichen bedeutsam macht.“ 34 Eco hat die in seinem Roman Der Name der Rose literarisch verarbeitete postmoderne, semiotisch-poststrukturalistische Konzeption für seine eigene philosophisch-semioti- 20 1. Zeichen und Erkenntnis tegorie und Zeichen als Bedeutungsstruktur bilden jedoch die beiden Aspekte, in denen die Positionen von Peirce und Eco konvergieren. Das Zeichen ist als hermeneutischer Grundbegriff anzusehen. sche Position jedoch abgeschwächt, da er kein völlig freies Spiel der Bedeutungen gelten lässt, sondern das Prinzip der Falsifikation einführt, nach dem nicht jede Interpretation zutreffend und somit zulässig sein kann (vgl. e co 2015, 35-51 [vor allem 43-51]): Zwar werde die Welt vom Menschen selbstverständlich nur durch Deutungen erkannt (vgl. ebd. 44. 50), diesen seien aber deutliche Grenzen gesetzt: „Denn es gibt Interpretationen, die das Objekt der Interpretation einfach nicht zulässt“ (vgl. ebd. 45). Diese Grenzen der Interpretation seien zwar ontologisch nicht erfassbar, sie könnten aber in ihrer Wirkung als „ Gesten der Zurückweisung “ (vgl. ebd. 49) [Kursivdruck im Original] erfahren werden. Es handele sich dabei „um eine Verneinung, die sich einem ab und an aufdrängt“ (vgl. ebd. 49). Dieser sogenannte „‚Negative[] Realismus‘“ (vgl. ebd. 45) kann also behaupten: „Es gibt einen harten Kern des Seins dergestalt, dass einiges, was man davon und darüber aussagt, weder für gut befunden werden kann noch darf “ (vgl. ebd. 45) [Kursivdruck im Original]. Das Prinzip lautet also: „ Jede Interpretationshypothese muss jederzeit erneut überprüfbar sein […] (vgl. ebd. 45) [Kursivdruck im Original]. Eco bezieht sich in seinem Beitrag immer wieder implizit und explizit auf Peirces kategoriale Semiotik und vor allem auf deren Prinzipien der Korrespondenz, Fallibilität, Kontinuität und Finalität, so dass er sein eigenes Prinzip der Falsifikation, das mit Karl Raimund Poppers Konzept übereinstimmt (vgl. ebd. 49), auch mit Peirces triadischem Zeichenbegriff in Verbindung bringen kann: „Jede Interpretation wird demnach von einem dynamischen Objekt angetrieben, das man stets nur durch eine Reihe unmittelbarer Objekte erkennt. […] Im Fortgang dieses Prozesses produziert man jedoch Gebräuche und Verhaltensformen, die einen dazu bewegen, auf das dynamische Objekt einzuwirken, von dem der Prozess der Semiose seinen Ausgang genommen hat, und das Ding an sich, das ebenso Ausgangspunkt dieses Prozesses gewesen ist, dergestalt zu verändern, dass der Prozess der Semiose aufs Neue angeregt wird. Diese Gebräuche können schließlich mehr oder minder erfolgreich sein. Sind sie es jedoch überhaupt nicht, dann bringt uns das Prinzip der Falsifikation zu der Einschätzung, dass einige unserer Interpretationen nicht angemessen waren“ (vgl. ebd. 50). Die Konsequenz des Falsifikationsprinzips ist, dass man zwar nicht sagen kann, wie ein Ding beschaffen ist, wohl aber, wie es nicht beschaffen ist: „Die bescheidene Form eines Negativen Realismus garantiert in naher Zukunft weder den Besitz der Wahrheit noch das Wissen darum, was tatsächlich der Fall ist. Aber sie ermutigt dazu, nach dem Ausschau zu halten, was offensichtlich ist. Und der Trost, in Anbetracht eines andernfalls ewig Unfassbaren, besteht darin, sich jederzeit - auch jetzt - sagen zu können, dass die getroffenen Annahmen nicht der Fall waren “ (vgl. ebd. 51) [Kursivdruck im Original]. 2.1. Phänomenologie und Semiotik 21 2. Erscheinung und Zeichen 2.1. Phänomenologie und Semiotik Die sogenannte „Kategorienlehre“ ist ein Kernstück in Peirces Philosophie, 1 denn sie bildet die normative Grundlage seines semiotischen Entwurfs. Peirce hat seine kategoriale Semiotik in jungen Jahren entwickelt und in dem Vortrag On a New List of Categories von 1867 (zu Deutsch: Über eine neue Kategorientafel , kurz: New List ) 2 erstmalig vorgestellt. Auch wenn der späte Peirce einige Modifikationen an seinem Zeichenmodell vorgenommen hat, so tastet er doch dessen Grundstruktur nicht an 3 (vgl. markant der Syllabus of Certain Topics of Logic - deutsch: Zusammenstellung einiger Themen der Logik , abgekürzt: Syllabus [1903]). Peirces semiotisches Konzept lässt sich - resümierend gesehen - einerseits sowohl als einfach und damit einsichtig wie andererseits als umfassend und daher allgemeingültig charakterisieren. Seiner Zeichentheorie gelingt es, Konkretes und Abstraktes, Wahrnehmen und Erkennen, Empirie und Logik 4 auf überraschende wie zugleich überzeugende Weise miteinander zu verbinden und somit eine auf formalen Gesetzmäßigkeiten gegründete Erkenntnislehre, die das Zeichen zum Fundamentalbegriff menschlicher Denk- und Erkenntnisfähigkeit macht, zu entwickeln. 5 Die Vielheit der Wahrnehmungen wird darin zur Einheit des Denkens geführt. Deswegen gilt Peirce zu Recht als Begründer der modernen Semiotik. Seit der Rezeption seiner Schriften konnte sich die Semiotik auch als normative Grundlagenwissenschaft im wissenschaftlichen Fächerkanon etablieren. Die „Zeichenlehre“ oder „ Semiotik“ 6 (von altgr. σῆμα 1 Vgl. zu dieser Einschätzung auch k laWitter 1984, 120; S PinkS 1991, 17. 2 Vgl. CP 1.545-567. - Eine deutsche Übersetzung bietet P aPe 2000a, 147-159. 3 Vgl. G reenlee 1973, 23; a Pel 1975, 203; b altzer 1994, 16; o ehler 1995b, [77-93] 78 f. - Die Kontinuität des Peirce’schen Denkens im Hinblick auf die Kategorienthematik lässt sich allein schon an der Tatsache ablesen, dass Peirce die nummerische Terminologie, die die Kategorien nach Rangfolge ordnet, bis in sein Spätwerk hinein beibehält. 4 Vgl. S avan 1952, [185-194] 193 f.; S tearnS 1952, [195-208] 195. 196. 208; S PinkS 1991, 18; P aPe 1996, [164-170] 165; P aPe 2004, 118. 5 Das heißt, die ursprünglich divergenten abendländischen philosophischen Strömungen von Materialismus und Idealismus, von Empirismus und Rationalismus werden in einem neuen, übergreifenden Denksystem zusammengeführt: vgl. dazu ausführlich o ehler 1993, 60-75; ebenso o ehler 1995b, [77-93] 80; o ehler 1995c, [94-101] 94. 6 Vgl. zur Definition und zur Geschichte der Semiotik die knappen, einführenden Bemerkungen von b urkhardt 2000, [116-134] 116 f. - Vgl. ebenfalls den philosophiegeschichtlichen Abriss bei o ehler 1995b, [77-93] 77; vgl. b rent 1998, 348. 22 2. Erscheinung und Zeichen und σημεῖον - „Zeichen“; daher: σημειωτική - „Lehre vom Zeichen“ bzw. „Zeichenlehre“) beschreibt den Zusammenhang zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem - also zwischen dem Zeichen und dem Ding. Das nichtsprachliche wie das sprachliche Zeichen und seine jeweilige Funktion bzw. seine jeweiligen Funktionen bilden somit den Untersuchungsgegenstand dieser Geisteswissenschaft. Die Entwicklung der Semiotik als Wissenschaftszweig lässt sich bis in den antiken Stoizismus zurückverfolgen; dort wird die Semiotik bereits als Erkenntnislehre definiert. Ein Neueinsatz ist dann in der Moderne mit John Locke zu verzeichnen, der für diese philosophische Disziplin den Terminus „Semiotik“ (vgl. σημειωτική) wiederbelebt und Zeichen in ihrer Stellvertreterfunktion analysiert, so dass die Semiotik zur Grundlagenwissenschaft für kommunikative Zusammenhänge wird. Diese Erkenntnis macht sich Peirce zunutze und entwirft in seiner späten Lebensphase eine Wissenschaftsklassifikation, 7 in der er zum einen die Semiotik 8 in ihr wissenschaftstheoretisches Verhältnis zur Mathematik, zur Philosophie und zur Phänomenologie setzt und zum zweiten gegenüber den anderen Einzelwissenschaften - den Natur- und Geisteswissenschaften - abgrenzt. 9 Für die Strukturierung der genannten Wissenschaftsmatrix gilt folgender Grundsatz: Allgemeine und deswegen übergeordnete Disziplinen bestimmen weniger allgemeine und daher untergeordnete Fächer, so dass zwischen den Wissenschaften Abhängigkeitsverhältnisse entstehen. 10 Die somit entstehende Hierarchisierung verweist auf die beiden Leitprinzipien, die Peirce von seinem Lehrmeister Immanuel Kant übernimmt. Peirces philosophische Konzeption ist zum einen architektonisch angelegt - allgemeine Wissenschaften bestimmen besondere Wissenschaften - und zum zweiten epistemologisch gegliedert - allgemeine Begriffe beschreiben besondere Begriffe. 11 Dadurch erhält das weitgespannte Peirce‘ sche Denken - formal gesehen - ein zentrierendes Moment, das seinem Gesamtwerk Systemqualität verleiht. 12 Diese Sichtweise erneuert - ganz im Gegensatz zur modernen und erst recht postmodernen Auffassung - den alten holistischen Wissenschaftsanspruch der Philosophie. 7 Vgl. CP 1.180-202. 8 Im englischen Original lautet der terminus technicus „[…] [science of] semeiotic “: vgl. CP 8.343 [Kursivdruck im Original]. 9 Vgl. zur Wissenschaftsklassifikation eingehend auch d eledalle 1990, 47 f. 10 Für ein erleichtertes Verständnis lässt sich die Wissenschaftssystematik grafisch in einem Strukturbaum darstellen: vgl. dazu zum Beispiel P aPe 2000a, [7-83] 71. 11 Vgl. P aPe 1996, [164-170] 165; d e W aal 2001, 7. 12 Vgl. P aPe 1998, [2016-2040] 2019. 2.1. Phänomenologie und Semiotik 23 Nach der Wissenschaftsklassifikation 13 gehört die „Phänomenologie“ , die Peirce auch „Phaneroskopie“ oder „ Ideoskopie“ (abgeleitet von ἰδέα - „Beschaffenheit“, „Vorstellung“; σκοπέω - „prüfen“, „untersuchen“) nennt, neben der „Normativen Wissenschaft“ und der „Metaphysik“ zur „Philosophie“. Ihr vorgeordnet ist die „Mathematik“; ihr nachgeordnet sind die verschiedenen besonderen Wissenschaften („Idioskopie“ - von ἴδιος - „einzeln“). Die „Normativen Wissenschaften“ wiederum setzen sich aus „Ästhetik“, „Ethik“ und „Logik“ zusammen, wobei sich die Logik 14 in die Wissensbereiche „Spekulative Grammatik“, „Kritik“ sowie „Methodeutik“ aufspaltet. Die Semiotik erscheint hier mit dem aus der philosophischen Tradition entlehnten Begriff „Spekulative Grammatik“ („grammatica speculativa“, „speculative grammar“ 15 ) als Logik im engeren Sinn. 16 Daneben kennt Peirce auch einen weiter gefassten Sinn von „Semiotik“, wenn er Semiotik mit Logik insgesamt identifiziert. 17 Ob man nun das engere oder das weitere Verständnis des Semiotikbegriffs heranzieht - der entscheidende Zusammenhang wird in beiden Fällen deutlich: Die Semiotik ist für Peirce eine formal-logische Wissenschaft. Sie ist Erkenntnistheorie. Dass sie zudem unter der Rubrik „Normative Wissenschaft“ geführt wird, zeigt ihre grundlegende Ausrichtung für die Begründung der übrigen Einzelwissenschaften auf. In der wissenschaftstheoretischen Systematik von Peirce verbindet sich also die Phänomenologie mit dem semiotisch-logischen Ansatz. Dass die „Reine Mathematik“ der Phänomenologie dabei noch vorausgeht, weist darauf hin, dass mathematische Formen die phänomenologische und damit die semiotische Wissenschaft bestimmen. 18 Die Mathematik sieht Peirce im Sinne der 13 Die zitierte Wissenschaftssystematik stammt aus dem Jahr 1903 und ist dem Syllabus vorangestellt. 14 Logik definiert Peirce folgendermaßen: „Logic ist the theory of self-controlled, or deliberate, thought; […]“: vgl. CP 1.191. 15 Vgl. CP 1.191: „[…] Speculative Grammar, or the general theory of the nature and meanings of signs, whether they be icons, indices, or symbols; […].“ 16 Vgl. o ehler 1995f, [164-171] 164 f.; P aPe 1998, [2016-2040] 2019. 17 Vgl. P aPe 1998, [2016-2040] 2020. - Vgl. dazu CP 1.191: „All thought being performed by means of signs, logic may be regarded as the science of the general laws of signs.“ - Ähnlich äußert sich Peirce auch in dem Brief an Welby vom 14. 12. 1908, wenn er darin schreibt: „So that, for the present, the man who makes researches into the reference of symbols to their objects will be forced to make original studies into all branches of the general theory of signs; and so I should certainly give the logic-book that I am writing the title ’Logic, considered as Semeiotic,‘ […]“: vgl. h ardWick / c ook 1977, 80 (das im Zitat erwähnte Buch hat Peirce aber nie vollendet). 18 Für die Logik gilt daher: „It also depends upon phenomenology and upon mathematics“ (vgl. CP 1.191). - Vgl. dazu prägnant a nderSon 1995, 38: „In effect, phenomenology explores the initial possibility of doing philosophy, and it does so by drawing on the tools provided by mathematics: observation and generalization.“ - Zu den mathematischen Implikationen und Strukturen im Einzelnen t urSman 1987, 13-24. 25-45. 24 2. Erscheinung und Zeichen Allgemeingültigkeit als oberste Wissenschaft an, die die logischen Voraussetzungen bereitstellt und die logischen Zusammenhänge prüft. 19 Die Phänomenologie oder Phaneroskopie bzw. Ideoskopie 20 erschließt also in mathematischer Weise die vor dem menschlichen Geist unwillkürlich erscheinenden, aber von ihm noch nicht analysierten Objekte der Erfahrung - die unteilbaren Bestandteile des „Phaneron“ 21 (die „Phanera“) (φανερός - „vor aller Augen Sichtbares“, „Offenbares“, „Offenkundiges“) -, um sie in Objekte des Denkens zu übertragen. 22 Empirie und Logik verknüpfen sich miteinander. 23 Diese logische Abstraktion erfolgt nach einem doppelten Schlussverfahren: auf der einen Seite durch die „phänomenologische Abstraktion“ - die empirische Ein grenzung („vorstellen“ - „dissoziieren“ -, „abgrenzen“ - „präzisieren“ - und „darstellen“ - „diskriminieren“) 24 - sowie auf der anderen Seite mittels der „hypostatischen Abstraktion“ - der logischen Ab grenzung über die Kategorien der „Erstheit“ („firstness“), „Zweitheit“ („secondness“) und „Drittheit“ („thirdness“). 25 Mit dem letztgenannten relationenlogischen Schritt erreicht man in vergleichender Verallgemeinerung abstrakte Begriffe - Universalien -, mit denen man die Erfahrung intellektuell erschließen kann. 26 Peirce ist studierter Chemiker. Er kommt daher auf den Gedanken, die vorgenannten drei Kategorien, die die universalen intellektuellen Begriffe repräsentieren, mit dem Modell der „Valenz“ - also der „Wertigkeit“ - von chemischen Elementen zu vergleichen, 27 die sich in der mo- 19 Vgl. CP 1.184: „Mathematics studies what is and what is not logically possible, without making itself responsible for its actual existence.“ - Im Unterschied dazu beschäftigt sich die Phänomenologie nach Peirce mit dem Wahrnehmen und Erkennen von Einzeldingen der wirklichen Welt: „Phenomenology ascertains and studies the kinds of elements universally present in the phenomenon; meaning by the phenomenon , whatever is present at any time to the mind in any way“: vgl. CP 1.186 [Kursivdruck im Original]. - Vgl. zur Stellung der Mathematik in Peirces Philosophie auch e iSele 1979, 237-244. 20 Seinen Neologismus „Ideoskopie“ als Synonym für „Phänomenologie“ erklärt Peirce in seinem Brief an Welby vom 12. 10. 1904: „ Ideoscopy consists in describing and classifying the ideas that belong to ordinary experience or that naturally arise in connection with ordinary life, without regard to their being valid or invalid or to their psychology. […]“: vgl. h ardWick / c ook 1977, 24 [Kursivdruck im Original]. 21 Vgl. zu den Eigenschaften des „Phaneron“ S tearnS 1952, [195-208] 197 f.; k laWitter 1984, 124 f. 22 Vgl. zu den Grundzügen von Peirces „Phänomenologie“ bzw. „Phaneroskopie“ zusammenfassend a Pel 1975, 206 f. („intuitiv“, „abstrakt“, „universal“). 23 Zugleich deutet sich in dem Begriff die logische Struktur der Phaneroskopie an. - Vgl. d eledalle 2000a, 9. 24 Vgl. auch d eledalle 2000b, [31-43] 34 f. 25 Vgl. zum Schlussverfahren P aPe 2000b, [7-79] 28-35. 26 Die Logik geht in der triadischen Kategorientafel vollständig auf: vgl. v on k emPSki 1952, 49. 50. 27 Vgl. die knappe Darstellung bei P aPe 2000b, [7-79] 34 f. - t urSman 1987, 25-45 behandelt den Zusammenhang detailliert. Er erwähnt dabei, dass Peirce als Nebenbegriff für 2.1. Phänomenologie und Semiotik 25 lekularen Struktur abbildet. 28 Chemische Elemente haben die Eigenschaft, mit bestimmten anderen Elementen Verbindungen einzugehen, um einen Zustand der chemischen „Sättigung“ herzustellen, die strukturelle Festigkeit verleiht. Wann diese Sättigung erreicht wird, kann in Form von maximaler Valenz notiert werden. Überträgt man diese Anleihe aus der Chemie auf die Phänomenologie oder Phaneroskopie, die logisch funktioniert, so kann man nun die maximale Wertigkeit eines unzerlegbaren Bestandteils des Phaneron - eines abgrenzbaren Sinneseindrucks oder Phänomens - festlegen und sie in Zahlenwerten darstellen: Phänomenologie nach Peirce heißt, einen abgrenzbaren Gegenstand der wahrnehmbaren Umwelt begrifflich-rational zu erfassen. 29 Dieser Erkenntnisvorgang bedingt, dass dem empirischen Objekt eine Bedeutung zuzuweisen ist, die der menschliche Geist schon bereithält oder noch entwickeln muss. Deshalb liegt eine solche Bedeutung ursprünglich „außerhalb“ des Erfahrungsgegenstandes; es handelt sich um eine „externe Bedeutung“. 30 Folglich geschieht das Erzeugen von Begriffen durch das In-Verbindung-Bringen eines Objektes der Erfahrung mit einer solchen externen Bedeutung. Der menschliche Denkprozess ist demnach nichts anderes als die bewusste Begriffsbildung im Sinne der Bedeutungszuschreibung - ein aktiver Vorgang. Denken bedeutet also, das Mannigfaltige der Sinneseindrücke zu einer sinnvollen Einheit zu bringen. 31 Es ist dann in der Tat eine formal-mathematische Beschreibung der Kategorien „Phaneroskopie“ das Wort „Phanerochemie“ - „phanerochemistry“ - prägt, um die Verbindung seines Denkens zur Chemie kenntlich zu machen (vgl. ebd. 26 und öfter). Die drei Universalien erscheinen dann als „phanerochemical elements“ (vgl. etwa ebd. 32), die chemische Elemente repräsentieren und sich zu „phanerochemical compounds“ (vgl. beispielsweise ebd. 32) zusammenschließen können - analog den Molekülen in der Chemie. - Vgl. auch die Darstellung bei d eledalle 2000b, [31-43] 31-35. 28 Die Prämisse für die originelle Überlegung, Naturwissenschaft und menschliches Erkenntnisvermögen zusammenzufügen, ist selbstverständlich, dass die Gesetzmäßigkeiten menschlichen Denkens mit den Gesetzen der Natur korrespondieren, weil der Mensch auch Teil der Natur ist. 29 Vgl. zur Charakterisierung der Phänomenologie bzw. Phaneroskopie zu Recht etwa auch k laWitter 1984, 125: „Demgemäß fällt der Phänomenologie die bedeutsam-fundierende Aufgabe einer ‚prima philosophia‘ aller positiven Wissenschaften, selbst nicht mehr auf einer anderen, ‚höheren‘ positiven, gründend, zu, […].“ - Die Phänomenologie bezieht ihre formale Struktur natürlich von der ihr übergeordneten Mathematik, aber eben nicht als positiver, sondern „als konditional-hypothetischer Wissenschaft“ (vgl. ebd. 126). 30 Vgl. zur Hypothese der „externen Bedeutung“ P aPe 2000b, [7-79] 25 f. 32 - vgl. vor allem ebd. 26: „Die Beschreibung der Bedeutung eines Gegenstandes ist stets die Beschreibung einer externen Struktur, in welcher diesem Gegenstand diese Bedeutung zukommt.“ 31 So definiert Peirce die Begriffsbildung und damit das Denken schon in der New List : vgl. CP 1.545: „This paper is based upon the theory already established, that the function of conceptions is to reduce the manifold of sensuous impressions to unity and that the validity of a conception consists in the impossibility of reducing the content of consciousness to unity without the introduction of it.“ 26 2. Erscheinung und Zeichen möglich, die sich in einer ausschließlich dreistelligen Beziehungsstruktur manifestiert. Diese „Valenzen“ oder „Dimensionen“ eines Erfahrungsobjektes sind als „Erstheit“ , „Zweitheit“ und „Drittheit“ anzugeben. 32 Da diese Dimensionen die höchstmögliche logische Verbindungsstruktur ausweisen, bilden sie zugleich die allgemeingültigen Begriffe - die „Kategorien“ . Zusammenfassend gesagt: „Die Kategorien sind also als Begriffe immer schon Begriffe von abstrakten Gegenständen, und zwar der einzigen abstrakten Gegenstände, die wir benötigen, um alle Gegenstände möglicher Erfahrung zu konstituieren.“ 33 Durch die beiden logischen Schlussverfahren der phänomenologischen sowie der hypostatischen Abstraktion kommt man also von subjektiv-partikularen Wahrnehmungen zu objektiv-universalen Anschauungen. 34 Weiterhin verdeutlicht das chemische Modell der Valenz, auf das sich Peirce in seiner logischen Argumentation bezieht und das auf mathematischen Zusammenhängen basiert, 35 zwei wesentliche, miteinander verwobene Momente in seiner „ Kategorienlehre“ , die für sie prägend sind - zum einen die Triade, zum zweiten die Relationalität . 2.2. Kategorien und Konkretisierungen Die drei erwähnten, relationenlogisch definierten Kategorien der Erstheit , Zweitheit und Drittheit finden sich nach Peirce sowohl in der Natur als auch im menschlichen Geist. Es sind logische Strukturen - Universalbegriffe . Folglich müssen sie zugleich als Kategorien des Seins aufgefasst werden. 36 In seiner prägnanten und vielzitierten Definition der Kategorien lässt Peirce daran auch keinen Zweifel aufkommen: Firstness is the mode of being of that which is such as it is, positively and without reference to anything else. Secondness is the mode of being of that which is such as it is, 32 Diese drei universalen Kategorien, auf die Peirce auch seine Zeichentheorie aufbaut, werden im Folgenden noch näher beschrieben. 33 Vgl. P aPe 2000b, [7-79] 32. - Vgl. auch k laWitter 1984, 126. 34 Eine ausführliche und anschauliche Darstellung des phänomenologischen Erkenntnisprozesses gibt P aPe 1989, 403-479. 35 An dieser Stelle wird noch einmal die Hierarchisierung und damit die logische Vernetzung der Wissenschaften in Peirces Wissenschaftsmatrix anschaulich. Die Chemie fällt als spezielle Wissenschaft unter die „Physical Sciences“ (vgl. CP 1.187), und zwar genauer unter die „Classificatory Sciences“ (vgl. CP 1.188; CP 1.194) - also unter die beschreibenden Wissenschaften -, und folgt daher als untergeordnete Disziplin der Phänomenologie nach. Da es hier aber um mathematische Grundsätze geht, von denen die Chemie wie die Phänomenologie abhängen, kann die Chemie für die Erhellung phänomenologischer Zusammenhänge herangezogen werden. 36 Vgl. o ehler 1993, 59; P aPe 2000a, [7-83] 24 f.; P aPe 2000c, [7-72] 9 und Anm. 2. 2.2. Kategorien und Konkretisierungen 27 with respect to a second but regardless of any third. Thirdness is the mode of being of that which is such as it is, in bringing a second and third into relation to each other. 37 Erstheit lässt sich demnach monadisch, Zweitheit dyadisch und Drittheit triadisch bestimmen. Durch die beiden Formulierungen „mode of being“ („Seinsweise“) und „of that which is such as it is“ („dessen, was ist, so wie es ist“) betont Peirce dezidiert den ontologischen Status der Kategorien. 38 Darüber hinaus unterstreichen die im Singular stehenden Bezeichnungen „firstness“ , „secondness“ und „thirdness“ diesen Gedanken. Die nummerischen Beschreibungen der Verstandesbegriffe bringen ihre notwendige Unbestimmtheit und somit ihre Universalität zum Ausdruck. Sie eignen sich für die Darstellung aller phänomenologischen Erkenntnisprozesse, da sie eine angemessene Balance zwischen Offenheit und Begrenzung herstellen. Diesen Aspekt der Allgemeingültigkeit verdeutlicht Peirce im besagten Brief. Hier erwähnt er zunächst seine bahnbrechende Entdeckung der Triade als Grundstruktur der Phänomenologie, zu der sich der damals noch junge Mann nach jahrelanger, reiflicher Überlegung durchringen konnte, und bezieht sich anschließend auf seine frühe Darstellung - die erwähnte New List von 1867 -, in der er sich erstmals vor Fachpublikum 39 eingehend zu seinem Kategorienkonzept äußerte. 40 Dann stellt er kurz und bündig fest: „The ideas of Firstness, Secondness, and Thirdness are simple enough. Giving to being the broadest possible sense to include ideas as well as things, and ideas that we fancy we have just as much as ideas as we do have, […].“ 41 Peirce rechtfertigt zudem die Wahl dieser Zahlbegriffe für die Bestimmung der Universalien, die der Phänomenologie zwar auf den ersten Blick einen abstrakt-operationalen Charakter verleiht, die aber gerade dadurch am besten dafür geeignet ist, den Erkenntnisvorgang in logischer Form darzustellen. Die Terminologie ist sachlich angemessen und überprüfbar, geht sie doch auf Peirces jahrelange Beschäftigung nach logischer Systematisierung zurück, wie er verdeutlicht. 42 Zudem macht er klar, dass er eine psychologische Deutung als subjektiv und damit aus seiner Sicht als fehlerbehaftet strikt ablehnt. Ihm 37 Vgl. h ardWick / c ook 1977, 24 [Brief von Peirce an Welby vom 12. 10. 1904]. 38 Vgl. zur ontologischen Struktur der Kategorien G reenlee 1973, 34 f. 39 Peirce hielt den Vortrag am 14. 05. 1867 an der „American Academy of Arts and Sciences“. 40 Vgl. h ardWick / c ook 1977, 24. 41 Vgl. ebd. 24. 42 Vgl. ebd. 24: „In pursuing this study I was long ago (1867) led, after only three or four years‘ study, to throw all ideas into the three classes of Firstness, of Secondness, and of Thirdness. […] This sort of notion is as distasteful to me as to anybody; and for years, I endeavored to pooh-pooh and refute it; but it long ago conquered me completely. Disagreeable as it is to attribute such meaning to numbers, & to a triad above all, it is as true as it is disagreeable.“ 28 2. Erscheinung und Zeichen liegt an logisch-objektiv, exakt hergeleiteten und somit nachprüfbaren Ergebnissen („However, I abstain from psychology which has nothing to do with ideoscopy“). 43 In seiner frühen Auseinandersetzung mit der elementaren Bestimmung des Seins in der New List von 1867 ist der ontologische Aspekt akzentuiert. Die Universalbegriffe erhalten hier den Namen „Kategorien“ („categories“) 44 und werden als vermittelnde „Akzidentien“ („accidents“) 45 zwischen „Substanz („substance“) 46 und „Sein“ („Being“) 47 (oder „Es“ - „it“) 48 angeordnet. Zwar weichen die gewählten Bezeichnungen von den späteren phänomenologisch orientierten Begriffen der „Erstheit“, „Zweitheit“, „Drittheit“ ab - sie heißen hier noch „Qualität“ („Quality“) 49 , „Relation“ („Relation“) 50 und „Darstellung“ („Representation“) 51 -, sie beschreiben aber denselben erkenntnistheoretischen Zusammenhang. Außerdem fällt bereits der Begriff „Interpretant“ („interpretant“) 52 bzw. „ein Drittes“ („a third“) 53 . Peirces frühes Kategoriensystem führt von der „Mannigfaltigkeit der Substanz“ („manifold of the substance“) 54 zur Einheit des Seins. 55 Gleichzeitig ist die phänomenologische Perspektive in den Ausführungen der New List bereits deutlich vorgeprägt. 56 Mit dem klassischen philosophischen Begriff der „Substanz“ verweist Peirce auf das „Phaneron“ bzw. den Objektcharakter des Seins. Wenn er als Kennzeichen der Substanz 57 die Gegenwärtigkeit („the present“) 58 herausstellt und diese näher als bloßes „Erfassen überhaupt von dem in der Aufmerksamkeit Enthaltenen“ 59 („the general recognition of what is contained in attention“) 60 ohne analytisch-intellektuelle Bestimmung definiert, dann ist darin deutlich auf den späteren Begriff „Phaneron“ angespielt. Dessen Bestandteile müssen konkretisiert und abstrahiert 43 Vgl. ebd. 25. - Vgl. auch b uczynSka -G areWicz 1981, [35-43] 37 f. („idea of the objective mind“); F iSch 1981, [13-34] 25. 44 Vgl. CP 1.555. 45 Vgl. ebd. 46 Vgl. ebd. 47 Vgl. ebd. 48 Vgl. CP 1.547. 49 Vgl. CP 1.555. 50 Vgl. ebd. 51 Vgl. ebd. 52 Vgl. CP 1.556. 53 Vgl. ebd. 54 Vgl. CP 1.554. 55 Vgl. ebd. 56 Vgl. zur Argumentation in der New List ausführlich o ehler 1995e, 115-122. 57 Vgl. CP 1.547. 58 Vgl. ebd. 59 So lautet die Übersetzung von P aPe 2000a, [147-159] 147 zur Stelle. 60 Vgl. CP 1.547. 2.2. Kategorien und Konkretisierungen 29 werden (im Sinne der New List als Proposition). Eine vollständige, wahre Aussage ist mit der Kopula „ist“ („Sein“! ) gegeben, die die Verbindung zwischen Subjekt und Prädikat vornimmt. 61 Hier wird der Interpretantencharakter greifbar: Subjekt und Prädikat werden durch eine deutende Bezeichnung in ein Verhältnis gebracht, „verbunden“ („Kopula“). Die Termini „Substanz“ und „Sein“ können später wegfallen, weil die Triade beide Entitäten vollständig enthält. Die Kategorien sind somit ontologische Begriffe ; die Ontologie ist damit im frühen Peirce’schen Denken angelegt. Die vorgenannten Definitionen der drei Kategorien zeigen, dass es sich um Verstandesbegriffe handelt, die universal wie exklusiv menschliches Wahrnehmen und Deuten erfassen sollen. Der phänomenologische Erkenntnisvorgang, wie ihn Peirce versteht, ist also durch eine triadische Struktur gekennzeichnet. Den Anstoß für seine Lehre von den Kategorien empfängt Peirce aus der Kategorientafel Kants. Schon als Jugendlicher beginnt er mit der Lektüre der Kritik der reinen Vernunft und kann daraus bald Teile aus dem Kopf zitieren. Peirce setzt sich intensiv mit den Thesen Kants auseinander; Kant wird zu seinem philosophischen Leitstern. 62 Peirce ist zwar Kantianer, er ist aber ein kritischer Kantschüler. So erkennt er, dass sich Kants zwölfteilige Kategorientafel stark vereinfachen lässt, da die einzelnen Grundformen in einer Beziehung der Über- und Unterordnung zueinander stehen. Es ist deshalb möglich, ein nur dreigliedriges Kategoriensystem zu entwerfen, das nach Peirces Auffassung ausreichend ist, die gesamte menschliche Verstandestätigkeit im Sinne der Begriffs- und Bedeutungskonstitution abzubilden. 63 Peirce entdeckt diesen Zusammenhang nach eigener Auskunft im Kern bereits als knapp Zwanzigjähriger, 64 und er verteidigt die Ausschließlichkeit der Triade 65 noch in seinem späteren Leben. Die resümierende Begründung dafür erscheint einfach wie einleuchtend: „The point is that triads evidently cannot be so reduced since the very relation of a whole to 61 Vgl. CP 1.548. 62 Vgl. zur prägenden Beeinflussung Peirces durch Kant zum Beispiel h ookWay 1985, 146 f.; o ehler 1993, 10. 41-52; d e W aal 2001, 2. 7-10. 63 Vgl. d e W aal 2001, 8-10. - Eine gute schematische Darstellung bietet P aPe 2000a, [7-83] 19. 64 Vgl. o ehler 1993, 45 f. 65 Ein Reflex darauf findet sich beispielsweise im Brief von Peirce an Welby vom 02. 12. 1904: vgl. h ardWick / c ook 1977, 43 (als knappe Erwiderung auf den Brief Welbys an ihn vom 20. 11. 1904, in dem sie von Bertrand Russells Einwand berichtet, ob denn die Dreigliedrigkeit der Peirce’schen Kategorientafel wirklich abschließend zu sehen sei, oder ob etwa auch eine „fourthness“ - „Viertheit“ - möglich sei: vgl. h ardWick / c ook 1977, 39). Peirce verweist im angeführten Schreiben implizit auf seine frühere Beweisführung zu dieser Frage (in den Collected Papers zum Beispiel ist sie in CP 1.363-368 abgedruckt). - Peirces logische Operationen zu diesem Punkt zeichnet P aPe 2000b, [7-79] 35-42 anschaulich nach. 30 2. Erscheinung und Zeichen two parts is a triadic relation.“ 66 Was genau er unter der Terminologie von „firstness“, „secondness“ sowie „thirdness“ versteht, erklärt Peirce ausführlich und anschaulich in dem schon angesprochenen längeren Schreiben an Victoria Lady Welby vom 12. 10. 1904. 67 Peirce kommt, nachdem er die Definitionen der Universalbegriffe vorausgeschickt hat, auf die drei Arten von Kategorien der Reihe nach näher zu sprechen. 68 „Firstness“ deutet er als „qualities of feeling“ bzw. „appearances“ 69 oder noch präziser als „simple positive possibility of appearance“. 70 Es geht also um die reine Möglichkeit der Verwirklichung einer Eigenschaft. Sie ist noch nicht begrifflich erfasst („The unanalyzed total impression […]“). 71 Erstheit stellt die abstrakteste Größe im Kategoriensystem dar und lässt sich daher nur schwer vorstellen. 72 Peirce selbst untersucht sie im erwähnten Schreiben in Verbindung mit der Zweitheit, um ihre Bedeutung zu erläutern. Gegenüber der bloßen Möglichkeit, aus der der Aspekt der Erstheit besteht, umschreibt der Begriff „secondness“ die tatsächliche Ausprägung der Erstheit oder der Qualität. Sie wird bestimmt als die Erfahrung der „Anstrengung“ („the experience of effort“) 73 oder als die Erfahrung des Widerstandes („the experience of resistence“) 74 sowie als „gewaltsame Handlung“ („brute action“), 75 die nicht zweckgerichtet ist („prescinded from the idea of a purpose“). 76 Zweitheit ist Erfahrbarkeit, Wahrnehmbarkeit. Sie ist Wirklichkeit : „Note that I speak of the experience , not of the feeling , of effort.“ 77 Um das Verhältnis zwischen den Abstrakta der Erst- und Zweitheit zu klären, gibt Peirce das aufschlussreiche Beispiel einer Fesselballonfahrt über einer stillen Landschaft bei Nacht, 78 bei der die Ruhe durch die schrille Signalpfeife einer Dampflokomotive jäh unterbrochen wird. Sowohl die vorherige Stille wie der scharfe Ton der Dampfpfeife seien dabei Ausprägungen der Erstheit, während der Moment, in dem der Laut die Ruhe 66 Vgl. h ardWick / c ook 1977, 43. 67 Vgl. h ardWick / c ook 1977, 22-36. 68 Vgl. zu den phänomenologischen Kategorien etwa auch die Ausführungen von r oSenSohn 1974, 80-101 und b altzer 1994, 97-105. 69 Vgl. h ardWick / c ook 1977, 24. 70 Vgl. ebd. 25. 71 Vgl. ebd. 25. - Eine weitere Beschreibung liefert Peirce am Ende des Abschnitts über die Erstheit: „The idea of the present instant, which, whether it exists or not, is naturally thought as a point of time in which no thought can take place or any detail be separated, is an idea of Firstness“: vgl. ebd. 25. 72 Vgl. r oSenSohn 1974, 80 f.; k laWitter 1984, 128 f. 73 Vgl. h ardWick / c ook 1977, 25. 74 Vgl. ebd. 26. 75 Vgl. ebd. 26. 76 Vgl. ebd. 25. 77 Vgl. ebd. 26 [Kursivdruck im Original]. 78 Vgl. das Beispiel ebd. 26. 2.2. Kategorien und Konkretisierungen 31 zerstört, für die beobachtende Person im Korb des Ballons ihr Erleben in zwei Teile trennt - in Ruhe und in Lärm. Der Beobachter („an ego“ - „ein Ich“) 79 empfände die Widerständigkeit der anderen, neuen Situation („a non-ego“ - „ein Nicht-Ich“), 80 und diese Erfahrung sei nichts anderes als Zweitheit. Wie bei der Erstheit als reiner Einfachheit handele es sich hier um das Wahrnehmen einer reinen Widerständigkeit ohne Bezug zu einer mentalen Beurteilung, wie es die Definition der Zweitheit ausdrückt („regardless of any third“). 81 Nach Peirce ist es die schlichte „Erfahrung“ des „Erleidens“ („experience“, „suffer“) 82 dieser Widerständigkeit, die sich aus dem Aufeinandertreffen des „ego“ mit dem „nonego“ ergebe. 83 Mit der Drittheit schließlich wird eine Verbindung zwischen Erst- und Zweitheit erzeugt, die eine Deutung vornimmt. Synonyme für die Drittheit oder das Dritte sind „Gesetz“ („law“) 84 und „Vernunft“ („reason“). 85 Auch hierzu fügt Peirce ein gutes Beispiel 86 an - diesmal aus dem Rechtswesen: Das Ablegen des Gegenstandes „B“ durch die Person „A“ und das Aufnehmen von „B“ durch die Person „C“ könne nur dann als Eigentumsübergang durch Schenkung verstanden werden, wenn der Vorgang so gedeutet werde, wie es im Gesetzestext zur Schenkung festgesetzt sei. „Thirdness“ bedeutet als „mediation“ - „Vermittlung“ 87 - die geistige Tätigkeit der Begriffs- und Bedeutungszuschreibung (Begrifflichkeit) . Sinnenhaft Erfahrbares wird somit zu sinnhaft Gedeutetem . Um mit den Worten der New List zu sprechen: „Sinn-loses“ - „Vielfältiges“ oder „Mannigfaltiges“ - wird „Sinn-volles“ - „Vereinheitlichtes“. Aus Konkretem wird also Abstraktes, Konkretes wird sprichwörtlich „auf den Begriff gebracht“. Einer Wahrnehmung, die sich auf die Qualität - die Erstheit - bezieht, wird Bedeutung zugewiesen (vgl. die Hypothese der Externalität der Bedeutung): „Brute action is secondness, any mentality involves thirdness.“ 88 Die geschilderte Triade oder triadische Struktur 89 bildet - wie gesehen - eine stabile Form. Das Beziehungsgeflecht ist formal-logisch begründet und gestaltet. Die Komplementarität der drei Kategorien manifestiert sich in der 79 Vgl. ebd. 26. 80 Vgl. ebd. 26. 81 Vgl. ebd. 24. 82 Vgl. ebd. 26. 83 Vgl. ebd. 26. 84 Vgl. ebd. 26. 29. 85 Vgl. ebd. 26. 86 Vgl. ebd. 29 f. 87 Vgl. ebd. 31 (dies gilt in Bezug auf das Zeichen. Gleiches ist selbstverständlich für die phänomenologische Deutung anzunehmen, die man als Zeichenprozess darstellen kann). 88 Vgl. ebd. 29. 89 Peirce besteht zu Recht darauf, dass der Aspekt der Drittheit nicht zurückgedrängt oder gar auf ihn verzichtet wird, denn nur mit ihm lässt sich die Beziehung zwischen Erstheit und Zweitheit erschließen: vgl. zum Beispiel ebd. 28 f. 32 2. Erscheinung und Zeichen Terminologie, denn sie legt eine Reihenfolge fest: Mit der Erstheit beginnt der Erkenntnisprozess. Erstheit wird durch Zweitheit repräsentiert, denn Zweitheit macht das Objekt als solches kenntlich. Zugleich bildet Zweitheit die Voraussetzung für das deutende, dritte Element. Erstheit und Zweitheit bedürfen der Drittheit für die Bedeutungskonstitution. 90 So ist also der phänomenologisch interpretierte Erkenntnisvorgang relationenlogisch strukturiert. Diese Relationalität ist die Folge der Bestimmung der drei Kategorien als wissensvermittelnde Entitäten: Erkenntnis heißt, etwas in Beziehung zu setzen. Damit erfassen die drei erwähnten Definitionen in komprimierter Form die wesentlichen Momente des Peirce’ schen Denkens im Hinblick auf sein Kategorienmodell - ontologische Bestimmung, phänomenologisch-logische - also triadische - Gestalt und relationale Ausprägung. 91 2.3. Kategorienlehre und Zeichenlehre Die triadische, phänomenologische Erkenntnisstruktur von Erst-, Zweit- und Drittheit lässt sich ebenso als triadische, semiotische Erkenntnisstruktur interpretieren. Wenn man so will, ist es eine „Übersetzung“ in eine andere „Sprache“. 92 Es ist eine andere Darstellungsform. Der Zeichenbegriff wird zum Fundamentalbegriff in Peirces Philosophie. Menschliches Denken kann auch zeichenförmig beschrieben werden. Daher ist der zeichengebundene Erkenntnisprozess analog dem phänomenologischen Erkenntnisprozess zu behandeln. Deshalb geht die Peirce’sche Argumentation im besagten Brief an Welby vom 12. 10. 1904 auch nahtlos in die Analyse des Zeichenbegriffs über: „In its genuine form, Thirdness is the triadic relation existing between a sign, its object, and the interpreting thought, itself a sign, considered as constituting the mode of being a sign. A sign mediates between the interpretant sign and its object.“ 93 Das Dritte besitzt eine zweifache Funktion: Es ist einerseits „Interpretant“ - also „Deutung“ oder „Bedeutung“ - und andererseits zugleich selbst wieder ein Zeichen („A sign is a sort of Third“). 94 Das oben erwähnte Zitat nennt die drei Größen, die einander zugeordnet sind („mediates“) - das Zeichen sowie das dargestellte Objekt und 90 Vgl. pointiert k laWitter 1984, 131: „O h n e ‚Thirdness‘ sind wir nicht imstande, uns der Erstheit über die Zweitheit zu nähern; genaugenommen erkennen wir ‚lediglich‘ D r i t t h e i t e n d e r E r s t h e i t.“ - Vgl. zur Funktion der Drittheit im Kategoriensystem auch a nderSon 1995, 40 sowie b rent 1998, 335. 91 Vgl. so zu Recht auch b altzer 1994, 16 und S chreibmayr 2004, 17. 92 So zutreffend auch G reenlee 1973, 134; b altzer 1994, 11. 93 Vgl. h ardWick / c ook 1977, 31 [Kursivdruck im Original]. 94 Vgl. ebd. 31. 2.3. Kategorienlehre und Zeichenlehre 33 der Interpretant , der die geistige Größe manifestiert, die Sinn stiftet. Dabei muss beachtet werden, dass sich zwar die deutende Zuschreibung im menschlichen Geist vollzieht, Peirce aber primär nicht das Erkenntnissubjekt im Blick hat, sondern die Erkenntnis an sich. Eco spitzt diesen Zusammenhang treffend zu, wenn er schreibt: „Der Interpretant ist nicht der Interpret.“ 95 Das Zeichen verkörpert das reine Erste . Zeichen sind Stellvertreter für reale oder mentale Objekte. Ihrer Natur nach sind sie Darstellungen, die zwischen Objekt und Bedeutung vermitteln. Zeichen stehen für etwas - nämlich für das jeweilige Objekt. Es geht darum, eine bedeutungsgenerierende Verbindung zwischen Objekt und Zeichen zu erhalten. 96 Dass die Relationalität für die Begriffsbildung essentiell ist, kann man an folgendem Zitat ablesen: „It appears to me that the essential function of a sign is to render inefficient relations efficient, - not to set them into action, but to establish a habit or general rule whereby they will act on occasion.“ 97 Funktional gesehen kann man ein Zeichen als logische Gesetzmäßigkeit folglich so definieren , dass es eine Bedeutungsgenerierung leisten kann, was nach Peirce ausschließlich in der triadischen Struktur gelingt. Diesen Vorgang der Bedeutungsbildung bezeichnet er als „semeiosis“ - „Semiose“. 98 Die zweite markante und berühmteste Zeichendefinition aus Peirces Theorie findet sich im Syllabus : „A Sign , or Representamen , is a First which stands in such a genuine triadic relation to a Second, called its Object , as to be capable of determining a Third, called its Interpretant , to assume the same triadic relation to its Object in which it stands itself to the same Object.“ 99 Diese Definition ist prägnant wie evident zugleich: Peirce greift an der Stelle die Synonyma von „Erstheit“, „Zweitheit“ und „Drittheit“ auf, die die Komponenten des Zeichenereignisses - der Semiose - bilden, - nämlich „das Erste“ , „das Zweite“ und „das Dritte“ . Das beweist noch einmal, dass die phänomenologische Betrachtung mit der zeichentheoretischen Untersuchung identifiziert werden kann. Es handelt sich um eine Übertragung von einem logischen zu einem anderen logischen Bereich. Da Peirce allerdings mit dem Zeichen beginnt, vertauscht er in dieser Definition die erste mit der zweiten Position. Er wechselt die Perspektive und entfaltet das triadische Zeichenkonzept vom darstellenden Aspekt her. 100 Die ursprüngliche erkenntnistheoretisch-logische Reihenfolge bleibt dennoch erhalten: Begriffs- 95 Vgl. e co 1987, 101. - Vgl. ergänzend S chreibmayr 2004, 162. 96 Vgl. etwa auch S chreibmayr 2004, 163 f. 97 Vgl. h ardWick / c ook 1977, 31. 98 Vgl. a nderSon 1995, 46: „If we consider this relationship as dynamic or living, we arrive at what Peirce meant by ‚semeiosis‘.“ - Vgl. ebenso d eledalle 2000a, 37: Semiose sei daher als „sign-action“ zu umschreiben. 99 Vgl. CP 2.274 [Kursivdruck im Original]. 100 Vgl. d eledalle 1979, 65-69. 34 2. Erscheinung und Zeichen bildung nimmt vom Objekt ihren Ausgang und führt über das Zeichen zu seiner ihm zugeordneten Bedeutung. Dem „Zeichen“ weist Peirce nun den parallelen Begriff „Representamen“ („Repräsentamen“) zu, der die stellvertretende oder darstellende Funktion des Zeichens ins Wort bringt und betont. Gemeint ist damit der Zeichenkörper, das Zeichen an sich. 101 Um die Darstellungsfunktion des Zeichens zu komplettieren, ist der Interpretant - also die „Deutung“ oder die „Bedeutung“ - zwingend erforderlich. 102 Der Interpretant ist eine geistige Größe: „A Sign is a Representamen with a mental Interpretant.“ 103 Wesentlich ist der in der Definition zum Ausdruck kommende Aspekt der Selbstreferentialität des Zeichens , den Peirce mehrfach anspricht („A Sign , […], to assume the same triadic relation to its Object in which it stands itself to the same Object“). 104 „Selbstreferentialität“ heißt, dass ein Zeichen nur dann als Zeichen verwendet werden kann, wenn es eine weitere dreistellige Struktur impliziert, die ein Zeichen in seiner Zeichenfunktion - die Stellvertretung für ein unabhängiges Objekt - markiert. Ein Zeichen benötigt also immer ein anderes, interpretierendes Zeichen, das seine formale Qualität beschreibt. Zeichen müssen „darstellend darstellen“. 105 Ferner ist der Zeichenprozess niemals abschließbar. 106 Das gilt grundsätzlich. Der Sachverhalt ist folgender: Ein Interpretant benötigt ein weiteres interpretierendes Zeichen, das die substantielle Qualität - die Bedeutung - des Objektes noch weiter bestimmt und so fort, um sich dem theoretischen Ziel der vollständigen Erkenntnis des externen Objektes 101 Vgl. d eledalle 2000a, 37 („sign-object“). - Allerdings gebraucht Peirce die Bezeichnungen „sign“ und „representamen“ auch synonym bzw. verzichtet sogar später weitgehend auf den Begriff „representamen“: vgl. h ardWick / c ook 1977, [189-194] 193 [Briefentwurf von Peirce an Welby vom Juli 1905] und S chreibmayr 2004, 163. - Es empfiehlt sich daher, beim allgemeinen Terminus „sign“ - „Zeichen“ - zu bleiben. 102 Vgl. b ernStein 1964, [165-189] 172 [Kursivdruck im Original]: „To know something is to know it as something and this presupposes the ability to use other concepts and judgements, i.e. signs.“ - Vgl. ebenso o ehler 1993, 132: „Es gibt überhaupt keine bedeutungslosen Objekte. Alle unsere Objekte sind Objekte von Zeichen, und ein Zeichen ohne Bedeutung gibt es nicht -, das wäre ein Widerspruch. Gerade dieser Sachverhalt kommt in der triadischen Struktur des Zeichenbegriffs evident zur Darstellung.“ 103 Vgl. CP 2.274 [Kursivdruck im Original]. 104 Vgl. CP 2.274 [Kursivdruck im Original]. - Später heißt es im selben Text in der Mitte des Abschnitts: „[…] but besides that, it [the Third - S. E.] must have a second triadic relation in which the Representamen, or rather the relation thereof to its Object, shall be its own (the Third’s) Object, and must be capable of determining a Third to this relation“: vgl. CP 2.274. 105 So die Übersetzung von P aPe 2000a, [147-159] 158 für die Formulierung „[…] representing it to represent its object“ aus der New List . - Allerdings nimmt Peirce auch an, dass es Fälle gibt, in denen Interpretanten keine Zeichenqualität besitzen: vgl. dazu P harieS 1985, 18. 106 Vgl. o ehler 1993, 130. 2.3. Kategorienlehre und Zeichenlehre 35 immer mehr zu nähern. Auf diese Weise entsteht ein unendliches Netz von Zeichen - ein prinzipiell unabschließbares Zeichenkontinuum ( Kontinuitätsaspekt ). Grundlegend für die Semiose ist also der infinite Regress von Zeichen. Alles ist mit allem verknüpft. Alles ist ein Zeichen ( Totalität bzw. Universalität des Zeichens ). 107 Auf das Zeichen lassen sich alle Objekte zurückführen, und mit dem Zeichen lassen sich solche Objekte deuten. Das Zeichen wird bei Peirce zum Fundamentalbegriff. 108 In der Realität wird dieser prinzipiell unabschließbare Prozess selbstverständlich abgekürzt, um den Begriffsbildungsprozess für die Kommunikationssituation praktikabel zu halten. Sobald von einem Sprecher nämlich eine hinreichende Bedeutung gefunden ist, beendet er die Suche nach einer weiteren Bedeutung. „Hinreichende Bedeutung“ heißt dabei, dass das zu beschreibende Objekt in seinen wesentlichen Eigenschaften bestimmt ist. Darüber hinaus betont Peirce erneut, dass die Triade sich nicht in eine Dyade auflösen lässt: „The triadic relation is genuine , that is its three members are bound together by it in a way that does not consist in any complexus of dyadic relations.“ 109 Die drei Universalbegriffe des Zeichens bestimmt Peirce einige Jahre später genauer. Wie diese Differenzierungen aussehen, darüber geben die Briefe von Peirce an Welby vom 12. 10. 1904, vom 23. 12. 1908 und vom 14. 03. 1909 sowie Peirces Briefentwurf vom 09. 03. 1906 Auskunft. Das Objekt gliedert sich danach zweifach in das „dynamische Objekt“ („ Dynamoid Object“ 110 oder „Mediate Object“ 111 oder auch „dynamical object“ 112 ) und das „unmittelbare Objekt“ („ Immediate Object“). 113 Mit dem „dynamischen“ bzw. „mittelbaren Objekt“ ist das „object itself “ 114 gemeint, während das „unmittelbare Objekt“ der Zeichen- 107 Vgl. zu diesem Zusammenhang die Einschätzung von b altzer 1994, 164: „Ein Erkenntnisobjekt entzieht sich der genauen Fixierung und Betrachtung aus sich heraus, weil es erstens immer aus anderen Sachverhalten erschlossen ist und daher mit diesen in einem geregelten Zusammenhang steht und weil es zweitens als Grenzwert des Schlußprozesses [sic! ] jeder Einzelerkenntnis innerhalb einer unendlichen Folge vorausliegt. […] Das Objekt ist ausschließlich als Knotenpunkt von Relationen bestimmt und insoweit erkennbar.“ - Zustimmend auch b uczynSka -G areWicz 1981, [35-43] 36. 108 Vgl. zur Rekursivität und Kontinuität S chreibmayr 2004, 167-173; vgl. zum Aspekt des Kontinuums oder der Kontinuität auch e veraert -d eSmedt 1990, 40-43; a ndermatt 2007, 158-162. 109 Vgl. CP 2.274 [Kursivdruck im Original]. 110 Vgl. h ardWick / c ook 1977, [73-86] 83 [Brief von Peirce an Welby vom 23. 12. 1908] [Kursivdruck im Original]. 111 Vgl. ebd. 83. 112 Vgl. h ardWick / c ook 1977, [195-201] 196. 197 [Entwurf eines Briefes von Peirce an Welby vom 09. 03. 1906]. 113 Vgl. h ardWick / c ook 1977, [73-86] 83 [Kursivdruck im Original]. 114 Vgl. h ardWick / c ook 1977, [22-36] 32 [Brief von Peirce an Welby vom 12. 10. 1904]. 36 2. Erscheinung und Zeichen gestalt entspricht („Its object as it is represented“). 115 Die erste Ausprägung des Objektes - das „dynamische Objekt“ oder das „mittelbare Objekt“ - ist zeichenextern, das zweite - das „unmittelbare Objekt“ - zeichenintern. 116 Das Verhältnis zwischen beiden Momenten bestimmt sich dadurch, dass das Zeichen durch eine „Andeutung“ („hint“), 117 die das unmittelbare Objekt darstellt, das mittelbare Objekt zum Ausdruck bringt („The Sign must indicate it [the dynamical object - S. E.] by a hint; and this hint, or its substance, is the Immediate Object“). 118 Das heißt, das unmittelbare Objekt wird funktional (zeichenintern), nicht ontologisch aufgefasst. Hingegen kommt dem dynamischen oder mittelbaren Objekt ontologische Qualität zu („object itself “). Diese ist auch der Grund dafür, dass Wahrnehmungen des externen Gegenstandes entstehen und sich der Zeichen- und Bedeutungsbildungsvorgang („perception“) 119 anschließt. 120 Das Attribut „dynamisch“ weist gerade auf die Eigenschaft des mittelbaren Objektes hin, einen zeichengebundenen Erkenntnisprozess zu initiieren: „It [the dynamical object - S. E.] means something forced upon the mind in perception, but including more than perception reveals.“ 121 Das dynamische Objekt zeigt eine erkenntnisbildende Kraft, die zwingenden Charakter hat („forced upon the mind“, „reveals“! ). Es will sich sozusagen „selbst mitteilen“. 122 Nach Peirces Ansicht gibt es kein dynamisches Objekt, das sich nicht intellektuell erfassen ließe, sonst wäre es nicht real. 123 Dieser Ansicht liegt folgender Zusammenhang zugrunde: Dem intellektuellen Gegenstand im menschlichen Geist als Form der Erkenntnis entspricht immer ein Gegenstand in der Außenwelt ( Korrespondenztheorie ). Wahre Erkenntnis ist damit möglich. Die phänomenologische Bestimmung des Übergangs von der Erfahrung zur Erkenntnis - von der Em- 115 Vgl. ebd. 32. 116 Vgl. h ardWick / c ook 1977, [73-86] 83. 117 Vgl. ebd. 83. 118 Vgl. ebd. 83 [Kursivdruck im Original]. 119 Vgl. h ardWick / c ook 1977, [195-201] 197. 120 Vgl. auch P aPe 1989, 315. 317. 121 Vgl. h ardWick / c ook 1977, [195-201] 197. 122 Vgl. o ehler 1995a, [58-76] 73 f.; o ehler 1995c, [94-101] 98. 123 Dazu b uczynSka -G areWicz 1981, [35-43] 39: „Peirce wrotes that the immediate object is possible without a real object but never the real object without an immediate object. […] Real objects are self-subsistent. […] The epistemic point is simply that every real object is approachable by cognition; […]. An object always determines a sign; the sign never determines the object.“ - Vgl. auch G reenlee 1973, 36; a ndermatt 2007, 66 f. - Ein reales, unabhängiges Objekt ist daher zweifach zu charakterisieren: Es handelt sich bei ihm zwar einerseits um eine ontologische Entität, es ist andererseits aber zugleich an den Zeichenprozess gebunden, um erst als Objekt der Semiose - als Korrelat zum Relatum des Zeichens - erfasst werden zu können: vgl. b uczynSka -G areWicz 1981, [35-43] 38; vgl. auch P harieS 1985, 15. - Ein nominalistisches Verständnis ist Peirce also fremd; er lehnt es kategorisch ab: vgl. b uczynSka -G areWicz 1981, [35-43] 38; F orSter 2011, 1-12. 157-175. 2.3. Kategorienlehre und Zeichenlehre 37 pirie zur Logik - bei Peirce ist dafür der eindeutige Beweis. Im Deutschen lässt sich dieser Zusammenhang mit dem Begriffspaar „Wirklichkeit“ und „Wahrnehmung“ eindrucksvoll veranschaulichen: Ein Objekt ist wirklich, weil es wirkt; weil es wahrgenommen wird, ist es damit auch wahr. Das Objekt beeinflusst den Zeichenwie den Interpretantenaspekt. Das belegt auch das nachstehende Zitat aus einem Entwurf für ein Schreiben von Peirce an Welby 124 deutlich. Das Wortfeld „to determine“ ist für diese Darstellung charakteristisch: „I define a Sign as anything which on the one hand so determines an idea in a person’s mind, that this latter determination, which I term the Interpretant of the sign, is thereby mediately determined by that Object.“ 125 Hier zeigt sich noch einmal die Relevanz des Aspektes der Relationalität - vor allen Dingen die enge Verbindung zwischen Objekt und Zeichen, die auch in der Begrifflichkeit „mittelbares Objekt“ - „unmittelbares Objekt“ aufscheint 126 ,- sowie die herausgehobene Position des Objektes im Zeichenprozess. Es stellt das die Bedeutungsgenerierung auslösende Moment dar. Peirce bekräftigt in der angeführten Textstelle die Erkenntnisfunktion der Semiose. Dabei lässt sich das mittelbare Objekt nicht vollständig in einem einzelnen Zeichenprozess erschließen, sondern nur in der im jeweiligen Zeichen repräsentierten Hinsicht. 127 Demgegenüber schreibt Peirce dem „Zeichen an sich“ („sign itself “) 128 eine seinshafte Gegebenheit zu. 129 Es handelt sich um den vielfältig mental erfassbaren Zeichenkörper. Die Beschreibung von „mittelbar“ - also „außen“ - und „unmittelbar“ - „innen“ - stellt die Verknüpfung zwischen Erfahren - Empirie - und Erkennen - Logik - her, die für die phänomenologische Analyse in Peirces Spätphilosophie kennzeichnend ist, wie sich gezeigt hat. Die Grenzen zwischen dynamischem bzw. realem oder mittelbarem Objekt einerseits und Zeichen in seiner Funktion als unmittelbares Objekt andererseits verwischen somit. Objekt- und Zeichenaspekt konvergieren im unmittelbaren Objekt. So ist das unmittelbare Objekt im Grunde nichts anderes als das Zeichen an sich, das das mittelbare Objekt in bestimmter Art verkörpert. Die relationale Struktur des Peirce’schen Zeichenbegriffs wird durch die 124 Vgl. CP 8.342-379 [Briefentwurf von Peirce an Welby, mit unsicherer Datierung: vom 24., 25. oder 28. 12. 1908? ]. 125 Vgl. CP 8.343 [Kursivdruck im Original]. 126 So auch wenig später in CP 8.343. 127 Ein vollkommenes Erfassen des unabhängigen Objektes ist nach Peirce hypothetisch durch seine Vorstellung der unbegrenzten Forschergemeinschaft auf lange Sicht hin tatsächlich möglich - ein dezidierter Erkenntnisoptimismus! Diese Einschätzung hat mit dem dynamischen Aspekt zu tun, der nach Offenlegung drängt, so dass der Zeichenprozess linear-teleologisch strukturiert begriffen wird. - Siehe dazu die Bemerkungen im anschließenden Unterkapitel „2.4. Wahrheit und Finalität“! 128 Vgl. h ardWick / c ook 1977, [73-86] 83. 84. 129 Vgl. b uczynSka -G areWicz 1981, [35-43] 36 f. 38 2. Erscheinung und Zeichen Konkretisierungen des Objektbezugs vertieft reflektiert und akzentuiert. Reine Logik als Relationenlogik wird in dieser neuen, differenzierten Terminologie transparent. Der „Interpretant“ vervollständigt die Triade und überführt mittelbares und unmittelbares Objekt - Ding und Zeichen - in eine Sinneinheit. Dem Bedeutungsaspekt ordnet Peirce drei Ausprägungen zu: „[…] its interpretant as represented or meant to be understood, its interpretant as it is produced, and its interpretant in itself.“ 130 Soweit die Definition von 1904. Fünf Jahre später greift Peirce in der Korrespondenz mit Welby die Typen des Interpretanten noch einmal auf und benennt sie jetzt als „Immediate Interpretant“ 131 , „Dynamical Interpretant“ 132 sowie „Final Interpretant“. 133 Wie man erkennen kann, sind alle drei Interpretanten dem Objekt-, dem Zeichen- und dem Interpretantenaspekt zugeordnet, da jede Kategorie von einem deutenden Begriff abhängt. Dies lässt sich aus der folgenden Aussage herauslesen: „The Immediate Interpretant is an abstraction, consisting in a Possibility. The Dynamical Interpretant is a single actual event. The Final Interpretant is that toward which the actual tends.“ 134 Möglichkeit - „possibility“ - betrifft das Erste - den Objektbezug -, die Formulierung „a single actual event“ verweist auf die spezifische Realisierung - auf das Zweite, den Zeichencharakter -, und die Tatsache der Ausrichtung des Interpretanten („toward which the actual tends“) zeigt das Dritte an. So beschreibt der „unmittelbare Interpretant“ die Deutungsbedürftigkeit - „Interpretability“ 135 , also die jeweilige Bedeutung - eines Zeichens, während der „dynamische Interpretant“ die zugeordnete Reaktion des Interpreten auf den unmittelbaren Interpretanten („actual event“) umfasst: „My Dynamical Interpretant is that which is experienced in each act of Interpretation and is different in each from that of any other; […].“ 136 Angesprochen ist der Erfahrungskontext („experienced“) - das Moment des Zweiten (vgl. die entsprechende Definition bei Peirce! ). Der Begriff „finaler Interpretant“ schließlich bezieht sich einerseits auf das Finden einer angemessenen Bedeutung („toward which the actual tends“), andererseits auf die hypothetisch-futurische vollständige Erschließung eines Objekts, wie das Zitat zeigt: „[…] is the one Interpretative result to which every Interpreter is destined to come if the Sign is sufficiently considered“. 137 Für die aufgezählten Formen des Interpretanten führt Peirce ebenfalls noch Nebenbegriffe ein: So 130 Vgl. h ardWick / c ook 1977, [22-36] 32. 131 Vgl. h ardWick / c ook 1977, [108-119] 111 [Brief von Peirce an Welby vom 14. 03. 1909]. 132 Vgl. ebd. 111. 133 Vgl. ebd. 111. 134 Vgl. ebd. 111. 135 Vgl. ebd. 111. 136 Vgl. ebd. 111. 137 Vgl. ebd. 111. 2.3. Kategorienlehre und Zeichenlehre 39 wird der „unmittelbare Interpretant“ auch „emotionaler Interpretant“ („emotional Interpretant“) genannt, und der „dynamische Interpretant“ kann als „energetischer Interpretant“ („energetic Interpretant“) bezeichnet werden. 138 Anstelle des Syntagmas „finaler Interpretant“ gebraucht Peirce den Begriff „logischer Interpretant“ („logical Interpretant“) oder „normaler Interpretant“ („normal Interpretant“). 139 Damit wird das Kategoriensystem im Zeichenmodell dreifach geordnet: monadisch (Zeichen - unmittelbares Objekt), dyadisch (Objekt - mittelbares und unmittelbares Objekt) sowie triadisch (Interpretant - unmittelbarer, dynamischer und finaler Interpretant). In seiner späten Konzeption der Semiotik integriert Peirce als Ergänzung noch den dialogischen Charakter der Kommunikationstheorie in sein semiotisches Modell 140 , das heißt, er betrachtet das Verhältnis zwischen „Sender“ („utterer“ 141 - „Sprecher“, von „to utter“ - „sagen“, „sprechen“, „äußern“) und „Empfänger“ („interpreter“ - „Hörer“ [als sinngemäße Übersetzung] - vgl. wörtlich „listener“). 142 Hatte Peirce sich vorher eher auf den abstrakten, kognitiven Prozess der Bedeutungsgenerierung bezogen, der von der Person weitgehend absieht, so widmet er sich nun stärker dem konkreten, sozialen Prozess der Bedeutungskonstitution. Peirce führt hier eine zweite Ebene der konkreten Bedeutung im Unterschied zur abstrakten Bedeutung der Semiose ein. 143 Es soll daher hier vorgeschlagen werden, zwischen zwei systematischen Ebenen zu differenzieren: Zum einen ist die semiotische Ebene zu betrachten, wie das in den vorangegangenen Abschnitten geschehen ist, zum anderen gibt es eine kommunikationstheoretische Ebene , die die Kommunikationsteilnehmer berücksichtigt. Beiden Ebenen gemeinsam ist ihr triadischer Aufbau, die den Konnex zwischen beiden herausstellt. Es finden sich die Kategorien „Objekt“, „Zeichen“, „Interpretant“ wieder. Peirce interpretiert auch die zweite Ebene semiotisch: Die Dialogizität wirkt sich auf die Bedeutungskonstitution in der Semiose aus, so dass auf der Seite des Interpretanten aus kommunikationstheoretischer Perspektive neue funktionale Bestimmungen notwendig werden. Die Interpretantenebene lässt sich dann mit den Termini „Intentional Interpretant“ 144 , „Effectual Inter- 138 Vgl. etwa CP 5.475. 139 Vgl. beispielsweise CP 5.476. - Vgl. die Übersicht bei P aPe 1989, 400. 140 Vgl. die ausführlichen Erläuterungen zu dieser Thematik bei P aPe 1989, 313-342; eine Kurzfassung hierzu findet sich bei P aPe 1983, [7-36] 25-31. 141 Vgl. h ardWick / c ook 1977, [195-201] 196. 142 Vgl. ebd. 196. 143 Vgl. b uczynSka -G areWicz 1981, [35-43] 40-42 (vgl. ihre einleuchtende Abgrenzung von „meaning in abstracto“ und „meaning in concreto“ bzw. „nature of meaning“ vs. „nature of mental acts“. - Die Trennung basiert auf der für Peirce fundamentalen Abgrenzung zwischen Logik und Psychologie). 144 Vgl. h ardWick / c ook 1977, [195-201] 196. 40 2. Erscheinung und Zeichen pretant“ 145 und „Communicational Interpretant“ oder abgekürzt „Cominterpretant“ 146 beschreiben. Die beiden ersten Interpretantenformen verweisen jeweils auf den Sprecher („Intentional Interpretant“: „[…] a determination of the mind of the utterer“) 147 und den Hörer („Effectual Interpretant“: „[…] a determination of the mind of the interpreter“), die letzte Form des Interpretanten drückt das dem Sprecher und Hörer gemeinsame Zeichen- und Bedeutungsrepertoire aus: „[…] which is a determination of that mind into which the minds of utterer and interpreter have to be fused in order that any communication should take place. This mind may be called the commens.“ 148 Wesentlich ist also die Erkenntnis des wechselseitigen oder reziproken Wissens über die Verwendungsweise einer spezifischen Bedeutung. 149 Hier spielt der Aspekt „Kontext“ hinein, der auf der gemeinsamen Erfahrung von Sprecher und Hörer als Teilnehmer derselben Sprachgemeinschaft gründet. Diesen mit den drei neuen Interpretanten erschlossenen Zusammenhang erfasst Peirce mit dem in seinen späten Schriften nachweisbaren Begriff „common consciousness“ 150 - „gemeinsames Bedeutungswissen“. Hinzu tritt jedoch noch die „collateral experience“ 151 (oder „collateral observation“) - „ergänzende“ oder „begleitende Erfahrung“. Während sich „common consciousness“ auf Sender und Empfänger gleichermaßen bezieht, hat „collateral experience“ die Position des Adressaten im Blick. 152 Der Begriff erfasst die Analyse der Äußerungssituation, nicht des Wissensbestandes hinsichtlich von Zeichenbedeutungen. 153 Man kann die „begleitende Erfahrung“ 145 Vgl. ebd. 196. 146 Vgl. ebd. 196. 147 Vgl. ebd. 196. 148 Vgl. ebd. 196 f. 149 Vgl. P aPe 1989, 319 f. [Kursivdruck im Original]: „Kein singulärer Term kann ab ovo aufgrund einer ihm in sich zukommenden semantischen Eigenschaft so verwendet werden, daß [sic! ] er ein singuläres Objekt bezeichnet. Zu seiner Verwendung im Satz bedarf es der Erfüllung mannigfacher Voraussetzungen, die mit der Bedeutung des Zeichens, seiner Stellung im Zeichensystem, den Wahrnehmungen im Gebrauchskontext, dem Wissen darum, was man sinnvollerweise in einer Situation sagen kann und was nicht usw., nur exemplarisch angedeutet werden können. […] Die Kenntnis der Tatsachen und anderen objektiven Bedingungen in der Verwendungssituation reicht also allein nicht aus. Vielmehr muß [sic! ] die Erfahrungsperspektive auch das tatsächlich vorhandene Wissen umfassen, von dem der Autor weiß, daß [sic! ] es die möglichen Interpreten haben und von dem die Interpreten wissen, daß [sic! ] es der Autor hat und von dem beide Seiten wissen, daß [sic! ] die anderen wissen, daß [sic! ] sie es haben.“ 150 Vgl. ebd. 319. 151 Vgl. h ardWick / c ook 1977, [73-86] 83: „Its [the sign`s - S. E.] Interpretant is all that the Sign conveys: acquaintance with its Object must be gained by collateral experience.“ 152 Vgl. P aPe 1989, 333. 153 Vgl. ebd. 333-336. 2.4. Wahrheit und Finalität 41 daher zutreffend als „Gebrauchskontext“ 154 bezeichnen, in dem also Objekt, Zeichen und Verhalten des Sprechers im Äußerungsakt untersucht werden, um eine Bedeutung zu generieren. Wissenskontext und Gebrauchskontext sind zu unterscheiden; beide zusammen bilden den Kontext . Resümierend lässt sich mit Helmut Pape zutreffend sagen: Der für das Zeichen relevante Teil des Gebrauchskontextes eines Objekts ist der durch gemeinsame Erfahrung und begleitende Beobachtungen erfaßte [sic! ] Kontext, den die Interpretation eines Zeichens voraussetzt und in Beziehung auf den die Bestimmung eines Interpretanten, z. B. die Darstellung einer Eigenschaft des Objekts, überhaupt erst möglich wird. 155 2.4. Wahrheit und Finalität Das dynamische oder reale bzw. wirkliche oder mittelbare Objekt existiert unabhängig vom Denkvorgang. Es besitzt ontologischen Status und wirkt in logischer Form auf die zeichengebundene Erkenntnisbildung ein. Folglich ist das Zeichen dem Objekt logisch untergeordnet. Der Interpretantenaspekt - das Bedeutungsmoment - bezieht sich auch auf die Frage nach dem Wahrheitskonzept der Peirce’schen Zeichentheorie. Peirce geht grundsätzlich davon aus, dass man mit den zeichenförmig ermittelten Begriffen wahre Aussagen erzielen kann. Seine relationenlogisch strukturierte Zeichenlehre ist Epistemologie. Sie ist - wie schon erwähnt - teleologisch aufzufassen. Im triadischen Zeichenmodell von Peirce werden Objekt, Zeichen und Bedeutung vereinigt. Sie bringen in ihrer Gesamtheit eine „Darstellungsperspektive“ 156 als Ergebnis der Semiose zur Geltung. Es muss aber auch gesagt werden: Innovative Bedeutungsbildungen, die sich vom Kontext lösen, aber notwendigerweise in gewisser semantischer Abhängigkeit dazu stehen müssen, um dechiffrierbar zu bleiben, bilden das überschießende Potential des unmittelbaren Interpretanten. 157 Sie führen zum Begriffs- und Bedeutungsfortschritt, das heißt zum Zuwachs an Erkenntnis und Wissen. Der Peirce‘ sche Zeichenbegriff ist linear-teleologisch orientiert. 158 Hypothetisch anzunehmen ist dann zusätzlich ein finaler Interpretant, der ein Objekt im Ganzen erschließt. Diesem Gedanken zugrunde liegt der „Grenzwert“ als mathematische 154 Vgl. ebd. 338. 155 Vgl. ebd. 337 [Kursivdruck im Original]. 156 Vgl. ebd. 341. 157 Vgl. ebd. 342. 158 Vgl. ebd. 353. 42 2. Erscheinung und Zeichen Deutung der theoretisch beschreibbaren Unendlichkeit. Negativ formuliert heißt das, dass Nichterkennbares auch nicht existent ist. 159 Die Leistung des vollständigen Erfassens eines unabhängigen Gegenstandes schreibt Peirce der unbegrenzten Forschergemeinschaft zu. 160 Zwar ist jedes menschliche Erkenntnisurteil der Fehlbarkeit ( Fallibilität ) unterworfen, wovon Peirce selbstverständlich auch ausgeht, es findet jedoch in der Ausrichtung auf das Telos endgültiger Wahrheitserkenntnis , die in der Eigenschaft des Objektes liegt, sich selbst mitzuteilen, eine korrigierende und leitende Größe. Die These der Finalität - sozusagen die Annahme der „unendlichen Endlichkeit der Erkenntnis“ - scheint dem Punkt der Rekursivität oder Kontinuität - also der „endlichen Unendlichkeit 161 der Erkenntnis“ - zu widersprechen. Dies ist jedoch nur auf den ersten Blick so. Die Peirce’ sche Philosophie steht unter folgender Prämisse: Wissenschaftliches Denken und damit menschliches Denken müssen zweckgebunden interpretiert werden, wenn die Erkenntnis eines unabhängigen, realen Objektes prinzipiell möglich sein soll. Für Peirce ist es - wie gesehen - eine unannehmbare Vorstellung, dass es einen Gegenstand geben könnte, der nicht erkennbar sein soll. Hingegen erfasst der Vorgang der Bedeutungserschließung im Zeichen die „Bedeutung“ des Objektes - und das heißt nichts anderes als seine Wesenseigenschaft -, die im Zeichenprozess buchstäblich intellektuell „nach-vollzogen“ (die nachträgliche Bedeutungszuschreibung) wird. Mit der Vorgabe prinzipieller Erkennbarkeit des Objektes - der Korrespondenztheorie - steht und fällt die Erkenntnislehre, wie sie Peirce versteht, nämlich als nicht-metaphysische, semiotisch-logische Konzeption . Der Gedanke des infiniten Regresses bildet daher die Voraussetzung für das Ergebnis - den Zielpunkt - der Finalursachen oder der Finalität. Die Rekursivität leistet die sukzessive Annäherung an den unabhängigen Gegenstand in der Wirklichkeit. Sie setzt die Evolution des Denkens frei. Das Konzept des unendlichen Zeichenereignisses benötigt daher zusätzlich eine Richtung, damit diese kognitive Näherung an das Objekt gelingen kann. Wissen und Sinn werden dadurch erzeugt. Die Aspekte „Rekursivität“ bzw. „Kontinuität“ einerseits und „Finalität“ andererseits stehen somit in Komplementarität zueinander. Das eine ohne das andere wäre im Gegenteil gerade ein Widerspruch bei Peirce. Auf diese Finalität richte sich - so Peirce - das wissenschaftliche Streben des Menschen. Vorausgesetzt wird dabei, dass Wissenschaft zum einen zweckgebunden interpretiert 159 Vgl. o ehler 1995a, [58-76] 69. 160 Vgl. F iSch 1981, [13-34] 28; vgl. zu den notwendigen Bedingungen, die für die Forschergemeinschaft gelten müssen P harieS 1985, 244 (dazu zählen die Momente „Methodik“, „Kooperation“, „Wahrheitsbindung“ und „Unbegrenztheit“). 161 „Endlich“ deshalb, weil aus sprachökonomischen Gründen der unendliche Begriffsbildungsprozess zu einem bestimmten Zeitpunkt, an dem eine hinreichende Klarheit des Gegenstands erzielt ist, abgebrochen werden muss. 2.4. Wahrheit und Finalität 43 wird, und zum anderen das zweckgerichtete menschliche Denken mit diesem letzten Zweck übereinstimmt. Diese Prämissen wiederum gründen sich in der Annahme prinzipieller Erkennbarkeit von Gegenständen. Konkret gesagt heißt das, dass zwischen Forschungsgegenstand und Forschungserkenntnis ein Verhältnis der Komplementarität im Sinne der Korrespondenz besteht. Der Zweck von wissenschaftlicher Betätigung besteht im zukünftigen Erwerb von (Wahrheits-) Erkenntnis. Auf diese Weise könne - so Peirce - auch eine „letzte Meinung“ („final opinion“) 162 erzielt werden 163 , die ein Objekt im Ganzen beschreibt . Die Rationalität des erkennenden Subjektes und die Realität des zu erkennenden Objektes konvergieren in diesem utopisch gedachten Punkt. Wissenschaft als teleologisch bestimmte - das heißt methodisch geleitete - Form des Erkenntnisgewinns läuft auf dieses futurisch-utopische Ereignis zu. 164 Dieser Erkenntnisfortschritt geschieht in der steten Bewegung der Näherung an diesen durch den letzten Zweck der vollkommenen Objektbestimmung geregelten Punkt ( Approximationstheorie ). In der „letzten Meinung“ wird dieses „End-Ziel“ (vgl. τέλος) der Herstellung eines verbindlichen Konsenses erreicht ( Konsensustheorie ). Man kann also sagen, dass Korrespondenz- und Konsensustheorie im Finalitätsaspekt als mathematisch-theoretischem Grenzwert in eins fallen. Die Korrespondenztheorie bildet die Voraussetzung der Approximationsvorstellung, die in der Konsensustheorie - der Vorstellung von der „final opinion“ - gipfelt. 165 162 Vgl. auch h ardWick / c ook 1977, [108-119] 111: „[…] the one Interpretative result […]“ (Unterstreichung S. E.). 163 Vgl. zur Thematik der Finalursachen und des Gedankens der utopischen Forschergemeinschaft die prägnante Darstellung von P aPe 1989, 352-356 - besonders aber ebd. 355: „Wissenschaft und Realität sind durch den handelnden Menschen miteinander verbunden. Diese Verbindung ist nur durch eine Lebensform möglich, die schon immer in ihren Entwürfen auf eine offene Zukunft zielt. Ein nur durch seine Finalursachen identifizierter Objektbereich erschließt sich nur in der Zukunft, da es erst für künftige Handlungen möglich ist, sich an Zwecken zu orientieren, die mit den Finalursachen der Objekte übereinstimmen. Die letzte Meinung und die unbegrenzte Forschergemeinschaft sind Grenzbegriffe einer Konzeption von Wissenschaft als Lernen an der Erfahrung für eine zukünftig mögliche Lebensform.“ 164 Vgl. zum Gedanken der unendlichen Forschergemeinschaft o ehler 1995a, [58-76] 69; o ehler 1995d, [101-114] 103. - Der utopische Konsens der Forschung wird durch die Gemeinschaft der Wissenschaftler erzeugt, die den individuellen mit dem kollektiven Geist verschmelzen lässt. Peirce führt seine grundlegende und ihn lebenslang prägende Vorstellung, mittels der Logik - also der Semiotik - die Vielheit der Erscheinungen zur Einheit des Begriffs zu bringen, konsequent zu Ende. Diese letzte Forschergemeinschaft denkt er sich nicht nur als Verbindung von Mensch und Mensch, sondern auch als Verbindung zwischen Mensch und Gott. Peirces philosophische Vorstellungen sind religiös grundiert. 165 Vgl. P aPe 2000a, [7-83] 15. - Vgl. ausführlich zur Thematik F orSter 2011, 157-175. 44 2. Erscheinung und Zeichen Ausgangs- und Endpunkt der Semiose ist das dem menschlichen Denken im Allgemeinen und dem wissenschaftlichen Forschen im Besonderen vorausgehende reale Objekt. Somit schließt sich der triadisch-semiotische Erkenntnisweg: Er führt vom Objekt weg und zugleich zum Objekt hin. Dargestellt wird das im semiotischen Prozess, der die Erkenntnissuche und den Erkenntnisgewinn formal-logisch in der in einer Relation stehenden Kategorientrias von Objekt, Zeichen (Repräsentamen) und Interpretant abbildet („semiotisches Dreieck“). Epistemologie ist Logik, und Logik wiederum ist Semiotik. 166 166 Vgl. o ehler 1993, 69: Er beschreibt Peirces Philosophie pointiert als „semiotische Epistemologie“. - Vgl. auch d eledalle 2000a, 20. - Vgl. P aPe 2000a, [7-83] 15 f.: „Peirce‘ [sic! ] Metaphysik und Erkenntnistheorie setzt seine Semiotik voraus, und eine ‚Meinung‘ oder ‚Interpretation‘ wird in seinem Zeichenbegriff zentral durch dasjenige bestimmt, worauf das Zeichen eine Beziehung herstellt, das unabhängige Objekt.“ 3.1. Semiotik und Theologie 45 3. Darstellung und Offenbarung 3.1. Semiotik und Theologie 3.1.1. Zeichen und Offenbarung Religiöse Rede - das Sprechen über Gott - ist stets symbolische Rede, Rede im übertragenen Sinn. 1 Symbole sollen die Paradoxie auflösen, mit dem Begrenzten der menschlichen Sprache das Unbegrenzte des göttlichen Seins vorstellbar zu machen . Es ist das Unaussprechliche, das ausgesprochen wird. Das kann nur in „Symbolen“ geschehen, 2 die aus der menschlichen Erfahrungswelt entnommen werden und in einer Beziehung zu einer Wesenseigenschaft Gottes stehen. Irdische und himmlische Welt berühren sich in der Verwendung dieser Symbole. Etymologisch gesehen fügen sich im „Symbol“ buchstäblich beide Welten zu einer Sinnwelt zusammen (συμβάλλειν - wörtlich: „zusammenwerfen“). 3 Der Begriff „Symbol“ kann zudem in dem allgemeineren Begriff des „Zeichens“ aufgehen (verbunden mit dem Begriff συμβάλλεσθαι). 4 Zeichen sind - wie die 1 Vgl. hierzu prägnant auch t heiSSen 2014, 325-363. 365-385. 2 Vgl. zur Notwendigkeit symbolischen Sprechens im religiösen Kontext vor allem b rändle 2001, [487-491] 487 f.; vgl. auch den Überblick bei G erlitz 2001, [481-487] 481. 3 Vgl. etwa S teimer 2009, Sp. 1154. 4 Vgl. zum Symbolbzw. Zeichenbegriff allgemein m eier -o eSer 1998, Spp. 710-723; m ei er -o eSer 2004, Spp. 1155-1171. - Vgl. zum Bedeutungsspektrum des Symbolbegriffs die gründliche, gräzistische Arbeit von Walter Müri: vgl. m üri 1976, 1-44: Es sind zwei Bedeutungsstränge zu unterscheiden (vgl. m üri 1976, [1-44] 1-17. 17-34). Die erste Bedeutungsnuance geht auf die antike Freundschaftsethik zurück, nach der ein Gegenstand - zum Beispiel ein Ring - von Freunden zerbrochen wird und als Erkennungszeichen bei einem nochmaligen Treffen dient, wenn zu diesem Zeitpunkt die Teile wieder zusammengesetzt werden (συμβάλλειν). Entscheidend bei dieser „symbolischen“ Handlung ist aber nicht die Tatsache des Zusammenfügens, sondern die sinnstiftende Zuschreibung , die die Zeichenbenutzer festlegen: vgl. m üri 1976, [1-44] 14 (vgl. ebenso den Kommentar von W ahl 1994, 45). Dieser Aspekt wird so in der Forschungsliteratur häufig nicht ganz klar herausgearbeitet. Das heißt dann im Einzelnen: Der zerteilte und erneut zu einem Ganzen zusammengesetzte Gegenstand „repräsentiert“ die geistige Verbindung der (Gast-) Freundschaft - das Freundschafts band (! ). Der symbolische Vorgang wird erst durch diese Konvention zu einem im wahrsten Sinne des Wortes „bedeutsamen“ Akt aufgewertet. Das wesentliche Kennzeichen besteht also im „repräsentierenden“, „darstellenden“ Moment. - Nach der zweiten Bedeutungsnuance sind die Begriffe „Symbol“ und „Zeichen“ austauschbar. „Zeichen“ - und damit „Symbole“ - sind Elemente, die reale Objekte repräsentieren. Das erkennende Subjekt schreibt dem Objekt eine Bedeutung zu (συμβάλλεσθαι). Hier wird der Aspekt der „Darstellung“ deutlich - das typisch „Zei- 46 3. Darstellung und Offenbarung semiotische Konzeption von Peirce veranschaulicht - stellvertretende und bedeutungstragende Größen, die auf einen Gegenstand der Wirklichkeit verweisen und ihn inhaltlich eingrenzen. Religiöse Symbole sind Zeichen. Die Bibel bietet eine Fülle von sprachlichen Zeichen - von Metaphern und Vergleichen -, um Wesen und Handeln Gottes ins Wort zu bringen. 5 Mit ihrer Hilfe sprechen Menschen in erinnerten Geschichten über Gott und wenden sich im Gebet und Lobpreis an ihn. Die menschliche Seite bildet aber nur die Antwort auf den göttlichen Ruf, denn nach dem biblischen Gottesbild zeigt sich Gott als ein sprechender und somit zugleich ansprechbarer Gott. 6 Die biblischen Geschichten über den Gott JHWH und sein Volk konstituieren die Geschichte Israels: JHWH erwählt sein Volk, führt, richtet und rettet es. Er spricht sein Volk an. Der Weg Israels durch die Zeiten ist der Weg Gottes mit Israel. Den Wesenskern Gottes bilden sein Schöpfersein und sein Schöpferhandeln. Es ist Gottes Wunsch, schöpferisch zu wirken, um sich dadurch selbst mitzuteilen. Die Erwählung Israels als Gottesvolk ist als ein solch schöpferischer Akt zu verstehen. Diese Schöpferkraft wird in der Berufung des Gottessohnes neu wirksam, der „sich selbst entäußerte“ (vgl. Phil 2,7) - das heißt die himmlische Welt verlässt, um in die irdische einzugehen, so dass dadurch beide Sphären miteinander verbunden werden. Sprechendes Zeugnis für das Schöpfersein Gottes ist der Gottesname „ JHWH “. Seine Deutung wird bekanntermaßen in Ex 3,14a berichtet. Auch hier ist es chenhafte“, das auch im allgemeinen Verständnis bis heute geläufig ist. - Dass beide semantischen Verwendungsweisen bereits von Anfang an vorhanden sind und dabei nebeneinander gebraucht werden (vgl. m üri 1976, [1-44] 1), zeigt an, dass es eine Gemeinsamkeit gibt, die eine solche Verbindung ermöglicht. Im ersten Fall handelt es sich um die spezifische, substantielle Bedeutung - die (Gast-) Freundschaft -, im zweiten Fall um die generelle, funktionale Bedeutung - die Stellvertreterfunktion des Zeichens. Dieser Aspekt der „Darstellung“ - der „Repräsentation“ - ist das beiden Deutungsvarianten Gemeinsame. Die Funktionalität des Zeichens ist also die grundlegende Bestimmung. - Implizit ist hier zugleich der Zusammenhang von Objekt, Zeichen und Bedeutung erkennbar, den Peirce in seiner triadisch-relationenlogischen Semiotik explizit gemacht hat. 5 Vgl. zu den Zeichen in beiden Testamenten der Bibel die gute Überblicksdarstellung von l inde 2013, 256-262 (für das AT). 262-275 (für das NT). 6 Vgl. S ödinG 2009, [Spp. 1156-1158] 1157: „Von S.en [Symbolen - S. E.] ist biblisch-theologisch weder im myth. [mythischen - S. E.] Sinn als Manifestation, Wiederholung u. Erneuerung eines weltbegründenden Göttergeschehens zu sprechen, das sie repräsentieren, noch im tiefenpsychol. Sinn als Ausdr. [Ausdruck - S. E.] des individuellen od. kollektiven & Unbewußten [sic! ] (C. G. & Jung), sondern als ‚Zeichen‘, die Gott in seiner Schöpfung u. der v. ihm beherrschten Gesch. [Geschichte - S. E.] gesetzt hat, um sich den v. ihm angesprochenen Menschen als Schöpfer u. Vollender, als Richter u. Retter in Erfahrung zu bringen. […] S.e entsprechen dem Offenbarungshandeln Gottes. Weil er & Schöpfung, & Geschichte u. & Erlösung in ein inneres Verhältnis setzt, vermag er sich in Raum u. Zeit nicht nur durch sein Wort, sondern auch durch die Phänomene dieser Welt als er selbst mitzuteilen.“ 3.1. Semiotik und Theologie 47 Gott selbst, der für Mose im brennenden Dornbusch sichtbar wird und sich ihm anschließend mit seinem Namen hörbar zu erkennen gibt. JHWH macht sich mit den beiden wichtigsten Sinnen des Menschen sinnenhaft wahrnehmbar und damit sinnhaft erfahrbar . „Ich bin der ‚Ich-bin-da‘“ bzw. besser die futurische Form: „Ich werde sein, der ich sein werde“ 7 (vgl. Ex 3,14a) lautet die paradoxe Formulierung des Gottesnamens, die Gott dem Mose gegenüber ausspricht. Die Bezeichnung referiert auf die hebräische Wurzel היה / „hjh“ („sein“, „werden“, „sich erweisen“). 8 Gott offenbart sich damit einerseits als der Da-Seiende - der Urgrund des Lebens und des Lebendigen - sowie als der Mit-Seiende für sein erwähltes Volk, was auch zukünftiges Heilshandeln umfasst, und andererseits zugleich als der Anders-Seiende , der sich dem menschlichen Begreifen und Denken entzieht. 9 Es bleibt in diesem Offenbarungsgeschehen bei einem gleichzeitigen Ineinander von Offenbaren und Verhüllen, von Immanenz und Transzendenz. Gottes „Gottsein“ besteht in seinem geheimnisvollen Sein. Gott teilt sich mit und verbirgt sich gleichzeitig, da nur er allein sich selbst kennt. 10 Der Begriff des Lebendigen verweist auf die Schöpfermacht Gottes, denn „Schöpfen“ heißt: „etwas ins Leben rufen“. In diesem Schöpfersein Gottes manifestiert sich ein dynamischer, evolutiver Aspekt: Gott begründet immer neu das Sein der Welt - das Leben -, weil er selbst der Inbegriff des Seins ist. 11 „Ins Leben rufen“ bedeutet aber zugleich, sich mitzuteilen. Die schöpferische Fähigkeit steht allein JHWH zu. Sein Name reflektiert seinen Wesenskern. Darin gibt er sich den Menschen zu erkennen. Er teilt sich selbst den Menschen in Zeichen mit. Die biblischen Geschichten sind Offenbarungsgeschichte. 12 Treffend formuliert Gesche Linde diesen Zusammenhang: „Zeichen sind darum nicht so sehr Erkenntnishilfe als vielmehr Teil einer dynamischen Realität, in der der Mensch eingebettet ist: Sie bilden gewissermaßen diejenigen Koordinaten, an denen die Welt für Gott durchlässig wird oder Gott die Welt für sich durchlässig macht.“ 13 7 Vgl. S chmidt 1988, 177. 8 Vgl. r oSe 1987, [438-441] 440; F iScher 2009, Sp. 1358. 9 Vgl. zu den vier Auslegungsvarianten des Tetragramms S chmidt 1988, 175-177 (Verhüllung, Sein, Ewigkeit, Dasein); vgl. auch F iScher 2009, Sp. 1358. 10 Vgl. S chmidt 1988, 177: „Der Text bleibt wohl mit Absicht vage - wenn auch nicht inhaltsleer - und damit nach verschiedenen Richtungen hin auslegbar, so daß [sic! ] sich innerhalb einer gewissen Spannweite unterschiedliche Deutungs- oder gar Übersetzungsmöglichkeiten nicht gegenseitig auszuschließen brauchen. Die Unmöglichkeit, die Intention exakt wiederzugeben, entspricht dem Text selbst.“ 11 Vgl. r oSe 1987, [438-441] 440 f. 12 Vgl. zu Recht l inde 2013, 254: „Der Mensch erschließt sich also nicht autonom durch Zeichen eine vorfindbare, wenngleich jenseitige, statisch fixierte Wirklichkeit, sondern Gott offenbart sich dem Menschen und handelt am Menschen im Medium der Zeichen.“ 13 Vgl. ebd. 254 f. 48 3. Darstellung und Offenbarung Für den biblischen Gebrauch von Zeichen gilt nun allgemein, dass sich die Ebene der formal-sensuellen Erfahrung von Zeichen mit der Ebene der materialkognitiven Erkenntnis durch Zeichen verbindet. 14 Im Einzelnen bestimmen drei Merkmale das Verhältnis beider Funktionsebenen: 15 Erstens kommen Zeichen in den biblischen Texten immer dann vor, wenn göttliches Handeln dem Menschen als einsichtig vermittelt werden soll. Dann kann man sogar so weit gehen, die repräsentative wie die hermeneutische Funktion von Zeichen als austauschbare Größen zu sehen. Zweitens machen Zeichen offenbarungstheologische Zusammenhänge im wörtlichen und dann im übertragenen Sinne „begreiflich“. Die Bibel wählt optische wie akustische Zeichen als Zeichenkörper. Sinnlich zugängliche Zeichen haben den Vorteil, dass sie universell wirken und zudem kommunikativ zu vermitteln sind. Somit lassen sich Zeichen drittens auch tradieren , da in ihnen überzeitlich gültige, unmittelbare Gotteserfahrungen präsent sind. Diese Aussagen über Gott stellen aber erinnerte Zeichen des Kollektivs der Glaubenden dar und erschließen sich für das Individuum im Tradierungsprozess daher nur mittelbar . Zeichen in der Bibel sind also speziell zu fassen; sie sind als „Offenbarungszeichen“ 16 zu werten: Sie erschließen Gottes Sein und Tun. Den biblischen Kontext zeichnen zwei Momente aus, die die göttliche und die menschliche Perspektive widerspiegeln. 17 Zum ersten handelt es sich um eine Vielzahl an zeichenhaften Elementen , die für den einen Gott stehen, so dass im Gottesbild die lebendige Schöpferkraft wie die unergründliche Tiefe JHWH s anschaulich wird - Gott lässt sich nicht vollständig erfassen -, und zum zweiten unterliegt die verwendete Bildsprache - wie bereits angedeutet - selbst wieder einem Tradierungsprozess , der den Anspruch an die nachfolgenden Generationen erhebt, den in den Sprachzeichen aufbewahrten Gotteserfahrungen Glauben zu schenken, auch wenn sie ihnen nicht selbst widerfahren sind. Somit ist religiöses Sprechen essentiell von Zeichenvermittlung abhängig. Daher kann auch das Zeichen zu Recht als Fundamentalbegriff der Theologie gelten. Es bietet sich für die Beschäftigung mit biblischen Texten grundsätzlich an, den Zeichenbegriff auch ins Zentrum einer exegetischen Untersuchung zu stellen. Ein semiotischer Zugang kann als neue Hermeneutik dienen, um den Blick zu schärfen, das schöpferische Offenbarungsgeschehen neu zu betrachten. Dabei ist die semiotische Konzeption von Charles Sanders („Santiago“) Peirce im Besonderen dafür geeignet. Die Erschließungsfunktion der Peirce’ schen Semiotik korrespondiert nämlich in wesentlichen Aspekten mit der Offenbarungsvorstellung des jüdisch- 14 Vgl. ebd. 266. 15 Vgl. dazu ebd. 265 f. 16 Vgl. ebd. 255 [Kursivdruck - S. E.]. 17 Vgl. ebd. 255. 3.1. Semiotik und Theologie 49 christlichen Gottesbildes. 18 Der erwähnte dynamische Aspekt des Schöpfungs- und Offenbarungshandelns Gottes kann man gewinnbringend mit der Zeichenlehre in Verbindung bringen. Das Thema des dynamischen Momentes ist von zwei Seiten näher einzugrenzen - von Seiten Gottes und von Seiten des Menschen. 19 Aus göttlicher Perspektive lässt sich sagen: Wenn man die semiotische Deutung als universale Erkenntnislehre akzeptiert, dann kann man Offenbarung als Prozess der Begriffs- und Bedeutungsbildung definieren. Folglich kann das Offenbarend- Schöpferische Gottes zeichentheoretisch in der triadischen Struktur angemessen abgebildet werden. 20 Das offenbarende und schöpferische Handeln Gottes kommt darin in elementarer Weise zur Sprache. Konkret heißt das: Gott setzt also ein Offenbarungszeichen und gibt ihm eine Bedeutung bei, die ein Erschließen Gottes möglich macht. 21 Die triadische, dynamisch-relationale Deutung des Offenbarungshandelns Gottes in der Semiotik findet ihre Analogie und Begründung zuletzt auch in der trinitarischen Vorstellung Gottes. Aus menschlicher Perspektive besteht folgender Zusammenhang: Im dreistelligen Zeichenereignis - der Semiose - als Erkenntnisvorgang drückt sich das Bestreben des Menschen aus, seinerseits die göttliche Sphäre in menschlich nachvollziehbarer Weise zu erfassen. Dies geschieht im Erkennen des Offenbarungszeichens als „Darstellungsmittel“. Gott wird dadurch dezidiert als „Objekt“ der Erkenntnis des Menschen 18 Das Gottesbild hat selbstverständlich Folgen für das Menschenbild. Hinsichtlich des Offenbarungsaspektes heißt das, dass die von Gott verwendeten Offenbarungszeichen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit entsprechen. Das ist die logische Prämisse. Wahre Aussagen über Sein und Handeln Gottes sind daher prinzipiell möglich ( Korrespondenztheorie - vgl. das dazugehörige Verständnis Peirces! ). 19 Vgl. zum Begründungszusammenhang im Einzelnen auch d euSer 2000, [108-116] 114 f. 20 Dazu r aPoSa 1989, 144: „After all, the divine mind was for him [Peirce - S. E.] a vast continuum within which all other realities are embedded as its determinations or singularities, sub-continua of a lower dimensionality. Its cosmic thoughts are the laws of nature and they comprise the proper object of scientific inquiry. No experience is adequate to the determination of these laws, but they can be instinctively gleaned by human minds whose habits of thought and feeling have been gradually formed under their influence.“ 21 r aPoSa 1989, 144 [Kursivdruck im Original] bezeichnet die Verbindung zwischen Theologie und Semiotik pointiert als „theosemiotic“ - auf Deutsch: „Theosemiotik“ - und notiert zur Erläuterung: „The musing intellect is gently drawn to the truth about nature by the beauty of God’s purposes, themselves embodied in natural facts. Such facts are to be perceived, barring any blindness to their real character, as the representation of those divine intentions. This is the essence of a theosemiotic . The universe is God’s great poem, a living inferential metaboly of symbols. Fragments of its meaning are accessible to the human intellect, most especially to a genuine community of inquirers devoted to discovering that meaning and governed by the principles of a valid scientific method. […] So Peirce’s theory of inquiry supplies the rubric for what is, in essence, a complex theological method. That method commences with an act of interpretation, a reading of the signs that are presented in human experience, proceeds with the exploration and clarification of that interpretation, and then with its utilization as a rule for living, a habit of action.“ 50 3. Darstellung und Offenbarung bestimmt. Das Zeichen verweist zum einen auf den Gegenstand und löst zum anderen ein Netz von Interpretationen aus, die sich gegenseitig bestätigen oder ablehnen, ergänzen und verändern können. Die Theologie nimmt also die philosophische Fundamentalwissenschaft Semiotik auf; Theologie wird dadurch als „Theosemiotik“ definiert, um die gelungene Wortprägung von Michael L. Raposa zu verwenden. 22 Die relational interpretierte Dynamik JHWH s in seiner Offenbarungs- und damit Schöpfungstätigkeit korrespondiert so mit der relational strukturierten Dynamik des Erschließungsprozesses im semiotischen Konzept von Peirce. 23 In der folgenden Darstellung soll der semiotisch-exegetische Ansatz der vorliegenden Studie vertiefend ausgeführt werden. 3.1.2. Dynamik und Offenbarung Das offenbarende und schöpferische Wirken Gottes kann also semiotisch neu interpretiert werden. Das dynamisch-relationale Moment der Zeichentheorie von Peirce bildet das entscheidende tertium comparationis für einen solchen hermeneutischen Ansatz. Er lässt eine Beschäftigung mit der Peirce’ schen Semiotik im Rahmen einer bibelwissenschaftlichen Analyse und Interpretation sinnvoll erscheinen und neue Ergebnisse im Hinblick auf eine Akzentuierung der Offenbarungswie der Schöpfungstheologie erwarten. Auf diesen Punkt ist im Folgenden näher einzugehen. Drei wesentliche Aspekte gehören zum Aspekt der „Dynamik“, die alle dem biblischen Offenbarungsverständnis zugeordnet werden können: Das semiotische Konzept von Peirce ist ontologisch ausgerichtet , triadisch - also dynamisch (in phänomenologisch-semiotischer Ausprägung) - bestimmt und relationenlogisch geordnet . Erstens: Peirce bestimmt seine Triade als ontische Gegebenheit. Das hat insbesondere für das externe, reale Objekt zu gelten, das den Fixpunkt der semiotischen Epistemologie bildet. Ziel ist die Erschließung des wahren Seins dieses Gegenstandes. Auf es allein ist das Interesse gerichtet. Zweitens: Peirce entfaltet seine Erkenntnislehre in einer triadischen Struktur kategorialer Aspekte. Sie stellen den Erkenntnisvorgang in umfassender Weise dar. Übertragen auf den offenbarungstheologischen Zusammenhang bedeutet das: Die triadische Struktur reflektiert das Offenbarungsgeschehen zwischen Gott und Mensch, wobei Gott zum Objekt der Erkenntnis wird. Das Offenbarungszeichen, das sich auf Gott bezieht, wird mit einer deutenden Aussage verknüpft. Es geht um die Dynamik der Selbsterschließung. Bemerkenswert an Peirces 22 Vgl. ebd. 144; vgl. ebenso d euSer 2000, [108-116] 114. 23 Denselben Zusammenhang sieht beispielsweise auch r aPoSa 1989, 144. 154. Er gebraucht dafür den Begriff des „Kontinuums“ bzw. der „Kontinuität“. 3.1. Semiotik und Theologie 51 Theorie ist die Tatsache, dass sie dem Objekt eine dynamisch-evolutive Qualität zuschreibt. Das Objekt übt einen Zwang zur Selbstmitteilung aus. Daher initiiert es den Begriffs- und Bedeutungsbildungsprozess. Die Aussagen von Peirce sind in dieser Hinsicht frappierend eindeutig, wie in der voraufgegangenen Analyse und Interpretation der Kernstellen aus seinem Werk aufgezeigt werden konnte. Erinnert sei nur an folgenden markanten Satz: „[The dynamical object - S. E.] means something forced upon the mind in perception, but including more than perception reveals.“ 24 Die Aussage ist deutlich: Das dynamische Objekt wird zeichenhaft erfasst, und zwar im unmittelbaren Objekt. Darin geht das dynamische Objekt nicht ganz auf, so dass die Zeichen- und Bedeutungsgenerierung fortgesetzt werden muss, um genauere Erkenntnis zu erhalten. Auch in dieser voranschreitenden Erkenntnisbedürftigkeit mit dem Ziel der „letzten Meinung“ („final opinion“) zeigt sich eine Analogie zum ambivalenten biblischen Offenbarungsbegriff des gleichzeitigen Offenlegens und Verbergens sowie der teleologisch-eschatologischen Struktur. „ Offenbarung“ und „Telos“ sind die zwei entscheidenden Punkte. Im obenstehenden Zitat fällt sogar noch expressis verbis der Begriff „Offenbarung“ („reveals“! - vgl. „revelation“). Drittens: Die Relationalität verbindet die drei Universalbegriffe zu einer festen Struktur und sorgt somit für Einheit. Es handelt sich um einen Erkenntnisprozess und daher aus theologischer Perspektive um einen Offenbarungsvorgang , der das Objekt erfahrbar werden lässt. Das Moment der Dynamik - die (Selbst-) Erschließungsfunktion, die als Ruf Gottes im Erkenntnisprozess transparent wird, - und das Moment der Relationalität - die geistige Verbindung und Vereinheitlichung, die der Mensch im Bedeutungsbildungsprozess als Antwort vornehmen muss, - führen zu Gott zurück und lassen Aussagen zu seiner Wesenheit zu. Das ist das ontologische Moment. Aufgrund der erwähnten Relationalität der drei Komponenten verbinden sich alle diese Teile zu einem untrennbaren erkenntnistheoretischen bzw. offenbarungswie schöpfungstheologischen Ganzen. 3.1.3. Offenbarung und Geist Das Offenbarungsgeschehen zwischen Gott und Mensch ist daher dem Kommunikationsgeschehen zwischen Mensch und Mensch analog zu begreifen. Gott wirkt in und mit seinem Geist. Der Geist ist die Kraft, die sich dem Menschen mitteilt. Der kommunikativ-hermeneutische Akt der Offenbarung vollzieht sich in der Wirkung des Gottesgeistes, der sich - in elementarisierender Betrachtung - dem Menschen 24 Vgl. h ardWick / c ook 1977, [195-201] 197 [Briefentwurf von Peirce an Welby vom 06. 03. 1906]. 52 3. Darstellung und Offenbarung im Zeichen mitteilt. Der Geist ist Gabe Gottes - Ruf - und Aufgabe - Antwort - des Menschen. Die dialogische Struktur - die Dialogizität - kommt in diesem Zusammenhang zum Ausdruck. Die Rede vom Geist Gottes trifft den Kern des christlichen Offenbarungsverständnisses. In ihm zeigt sich Gott als lebendiger, wirkmächtiger und menschenzugewandter Gott. Der Geist Gottes hat also hermeneutische Funktion. Er trifft den menschlichen Geist und erschließt das göttliche Sein als der menschlichen Vernunft einsichtig. Offenbarung geschieht im Geist, und der Geist erscheint im Zeichen. Damit verbindet sich die göttliche Welt mit der menschlichen Welt. Das verbindende Moment findet seine Entsprechung im Peirce’schen Schlüsselbegriff „mediation“ - „Vermittlung“ - zwischen den einzelnen Kategorien. Ferner zeigt sich der Aspekt der Verbundenheit in Peirces Verständnis der Relationalität, die die semiotische Triade als dynamische Struktur auszeichnet. Das Thema „Geist“ reflektiert das dynamisch-relationale Moment der Peirce‘ schen Semiotik, das heißt, Dynamik („Erschließung“) und Relation („Verbindung“) gehören zusammen. 3.2. Theologie und Semiotik 3.2.1. Geist und Vollmacht Die semiotischen Aspekte lassen sich also mit theologischen Momenten im Hinblick auf die Geistthematik in Verbindung bringen, so dass sich eine Anwendung auf eine Evangelienschrift anbietet. Dabei zeigt das älteste der vier kanonischen Evangelien ein elementares und profiliertes Verständnis der Wirkmacht des Gottesgeistes. Somit erscheint dieses Evangelium in besonderer Weise dafür geeignet, eine Interpretation anhand der semiotischen Hermeneutik zu erproben. Das Markusevangelium zeichnet sich dadurch aus, dass es die Geistaussagen als Zeichen der Vollmacht Jesu interpretiert. Diese Verbindung ist wesentlich für die Deutung des markinischen Geistbegriffs. Die programmatische Schlüsselszene für die Darstellung des Vollmachtsbegriffs ist Mk 1,21-28. 25 Die Szene schildert im prägnanten - typisch markinischen - Stil das erste Auftreten Jesu. Die Handlung spielt an einem Sabbat in der Synagoge von Kafarnaum (vgl. V. 21). Mit Mk 1,21-28 liegt ein „narratives Diptychon“ vor, denn diese Szene bietet einen zweifachen Blick auf Jesus. 26 Dieser tritt zum einen als Lehrer auf (vgl. Mk 1,21-22) und setzt sich damit gleich zu Beginn des Evangeliums der Gefahr des Widerspruchs und des Widerstands der Schriftgelehrten aus. Es deutet sich bereits hier die den weiteren Lebensweg Jesu und damit den 25 Vgl. zu dieser Perikope auch P eSch 1968, 241-276. 26 Vgl. P eSch 1968, [241-276] 269-271; vgl. ebenso S choltiSSek 1991, [56-74] 59. 66 f. 3.2. Theologie und Semiotik 53 folgenden Handlungsverlauf des Evangeliums zutiefst prägende Auseinandersetzung zwischen Jesus und der religiösen Elite bzw. den religiösen Gruppen Israels an, die in Passion und Tod Jesu gipfelt. Diese an die Personen gebundene Beobachtung lässt sich auch topografisch bestätigen: Galiläa - die religiöse Peripherie - ist der Ort der Wirksamkeit Jesu, Jerusalem - das jüdische Kultzentrum, mit dem die Schriftgelehrten (vgl. Mk 3,22) sowie die weiteren religiösen Autoritäten verbunden sind (vgl. Mk 14-15), - wird der Ort des Leidens und Sterbens Jesu sein. Wie bereits in der voraufgegangenen Taufszene beim Herabsteigen des Geistes (vgl. Mk 1,10), verschränken sich daher Erde (Galiläa) und Himmel ( Jerusalem, Tempel) markant auch in dieser Szene. Darüber hinaus zeigt sich der Mann aus Nazaret zugleich als machtvoller Exorzist, der die Herrschaft der Dämonen bricht (vgl. Mk 1,23-28, im Kern die Verse 23-26). Das in Jesu Predigt verkündigte Gottesreich - die βασιλεία τοῦ θεοῦ - führt nicht nur zu einer geistigen, sondern auch zu einer körperlichen Befreiung. Damit ist das Leben in all seinen Dimensionen - also nach jüdischer Vorstellung als leibseelische Einheit - durch das Evangelium angesprochen. Ein doppelter Kontrast ist in der behandelten Szene festzustellen: Jesu Vollmachtsanspruch in seiner Lehre steht der Lehrbefugnis der Schriftgelehrten gegenüber; seine in seinen Taten sich manifestierende Vollmacht widersetzt sich dem Machtanspruch der Dämonen. 27 Die Dämonen kann Jesus offenkundig überwinden - er kann diese satanischen Kräfte binden (vgl. auch Mk 3,27) -, während umgekehrt die religiösen Autoritäten des Judentums, als deren Stellvertreter die Schriftgelehrten in der vorliegenden Perikope fungieren, Jesus zu Fall bringen werden: Er wird für seine vollmächtige Botschaft in den Tod gehen (vgl. die drei Leidensankündigungen Mk 8,31-33; 9,30-32; 10,32-34). Die widerstreitenden Vollmachtsbzw. Machtansprüche spiegeln sich in der Demut Jesu und dem Hochmut seiner Kontrahenten wider. 28 Dass aber mit dem Leiden und Sterben Jesu die Botschaft von der Königsherrschaft Gottes gleichwohl nicht hinfällig ist, weiß der Leser des Markusevangeliums, wenn er die Lektüre beendet hat. Anfang und Ende des Evangeliums verweisen aufeinander und deuten sich in der Relecture. 29 Jesus von Nazaret verkündet und vollzieht die befreiende 27 Vgl. auch y ounG -h eon l ee 1986, 100 f. und b roer 1992b, [Spp. 23-29] Sp. 25 f. 28 Darauf macht y ounG -h eon l ee 1986, 241 zu Recht aufmerksam: „In diesem Kontext erweist sich die Haltung der jüdischen Autorität als eine verständnislose, verblendete und verstockte. […] Ihre Autorität ist durch anmaßende Überheblichkeit gekennzeichnet. Demgegenüber ist Jesu Haltung trotz seines hohen Anspruchs, in ἐξουσία zu handeln, eine demütige. Sie steht also der anmaßenden Haltung, mit der die jüdische Autorität ihre Macht ausübt, gegenüber.“ 29 Vgl. zutreffend S choltiSSek 1992, 290, der den Vollmachtsaspekt christologisch entfaltet und ihn dabei als nichttitularen, christologischen Aspekt bestimmt: „Die genuin markinische Zusammenschau der Jesusüberlieferung mit dem urchristlichen Kerygma von Tod 54 3. Darstellung und Offenbarung Botschaft vom angebrochenen Gottesreich, sie wird in den Worten und Taten des vollmächtigen Mannes buchstäblich anschaulich. 30 Die Szene Mk 1,21-28 soll dem Leser verdeutlichen, dass Jesus tatsächlich der Sohn Gottes ist; er ist sozusagen genauso Herr über die Schriftgelehrten wie er unzweifelhaft Herr über die Dämonen ist. In die Wahrheit über Jesu Identität werden, nachdem der Leser bereits im Prolog Mk 1,1-13 31 darüber in Kenntnis gesetzt ist, nun auch die Erzählfiguren und Auferstehung Jesu ermöglicht eine Integration titularer und nichttitularer christologischer Aussagen. Diese vollzieht sich als wechselseitige Interpretation traditioneller Hoheitstitel durch die Jesusüberlieferung und der Jesustradition durch die titulare Christologie. Dem Evangelisten gelingt dieses Vorgehen insbesondere dadurch, daß [sic! ] er Jesusüberlieferung und Auferweckungskerygma narrativ vermittelt, d. h. indem er in seinem Evangelium einen erzählerischen Spannungsbogen aufrichtet, der von Beginn an auf die Passion zuläuft, von Tod und Auferstehung her aber erneut auf das messianische Wirken Jesu zurücklenkt (vgl. 14,28; 16,7).“ - Vgl. auch S choltiSSek 1992, 292 f. 30 Vgl. auch P eSch 1968, [241-276] 271 f. 275; k ertelGe 1973, [205-212] 210. 212; y ounG -h eon l ee 1986, 97; S choltiSSek 1991, [56-74] 73. 31 Die Frage der Abgrenzung des sogenannten Markusprologs (vgl. zur früheren Diskussion etwa k eck 1966, 352-370; G ibbS 1973, 154-188 und m ahnke 1978, 47-50; einen aktualisierten und knappen Forschungsüberblick gibt a Pel 2013, 13-17) entzündet sich an der Beurteilung des Anfangs und des Endes dieses Sinnabschnittes. Neben der Einschätzung des ersten Verses des Markusevangeliums ist daher strittig, ob Mk 1,14 f. als Abschluss noch zum einleitenden Teil hinzugerechnet werden soll oder nicht. Das liegt - wie a Pel 2013, 13 f. zu Recht anmerkt - an der rückwie vorblickenden Ausrichtung dieses knappen Textabschnittes, der die Funktion einer Überleitung hat. Vieles spricht für die Annahme der Einheitlichkeit - die Erwähnung der Gefangenschaft des Täufers, die den Teil abschließt, die Rückkehr Jesu nach Galiläa oder kompositorisch-thematisch gesehen die rückbezügliche Stichwortverknüpfung „Evangelium“ als Inklusion zwischen Mk 1,14. 15 einerseits und Mk 1,1 andererseits (vgl. a Pel 2013, 13 Anm. 7. 8) -, so dass Jesus und sein Evangelium - sozusagen Botschafter und Botschaft - verbunden sind. - Darüber hinaus könnte man eine Verbindungslinie zwischen der Botschaft des Täufers (vgl. Mk 1,7-8) und der Botschaft Jesu (vgl. Mk 1,14-15) nach dem heilsgeschichtlichen Schema „Verheißung“ - „Erfüllung“ sowie aufgrund des Motivs der Überbietung ziehen: Während Johannes Jesus ankündigt, verkündigt Jesus Gott. - Es lässt sich aber auch anders argumentieren: Das Leitmotiv in Mk 1,1-13 stellt die Messianität dar, die an die Vollmacht gebunden ist. Sie wiederum ist Ausweis der Gottessohnschaft Jesu, wie Mk 1,1 für den Leser erschließt. An der Verleihung der Vollmacht erweist sich also der endzeitliche Bote Gottes. Dass es Johannes der Täufer nicht ist, weiß der Leser seit dem ersten Vers. Der Vollmachtsaspekt kommt nun im Prolog zweifach direkt zum Ausdruck: Der Täufer selbst betont seine Vorläuferschaft (vgl. Mk 1,3. 7 f.), und die Himmelsstimme (vgl. Mk 1,2. 11) verweist auf die Sohnschaft - das heißt die Vollmacht - Jesu. Wenn die Bevollmächtigung Jesu aber offenkundig mit dem Geistempfang in der Taufszene geschieht und in der Versuchungsepisode beglaubigt wird, wie im Fließtext später noch gezeigt werden wird, dann kann man den Prolog auch schon mit V. 13 enden lassen. Die Tauf- und Versuchungsszene ist die Schlüsselstelle des Markusprologs, denn sie bildet die Legitimationserzählung für das gesamte Wirken Jesu. - Aus sprachlicher Perspektive lässt sich noch anfügen, dass der Evangelist in Mk 1,1-13 den für ihn charakteristischen 3.2. Theologie und Semiotik 55 eingeweiht. Die beiden wesentlichen Aussagen über die Vollmacht und somit die Messianität Jesu kommen in den Reaktionen der Zuhörer (vgl. VV . 21. 22) und Zuschauer (vgl. VV . 23-28) der geschilderten Ereignisse zum Ausdruck. Sie sind Ohren- und Augenzeugen der wundersamen Begebenheit, die sich in der Synagoge abspielt. In beiden Fällen berichtet der Evangelist von der tiefen Erschütterung - dem Erstaunen und dem Erschrecken (vgl. Mk 1,22a: ἐξεπλήσσοντο, vgl. Mk 1,27a: ἐθαμβήθησαν) - der Umstehenden, und in beiden Fällen benutzt er den Begriff „Lehre“ (διδαχή - vgl. Mk 1,22b. 27c) und verbindet ihn mit dem Begriff „Vollmacht“ (ἐξουσία). 32 Das Stichwort „Lehre“ verweist zurück auf das „Evangelium Gottes“ (τὸ εὐαγγέλιον τοῦ θεοῦ - vgl. Mk 1,14), dessen Wortlaut Mk 1,15 referiert, und der Begriff „Vollmacht“ fällt an dieser Stelle zum ersten Mal - durch die doppelte Nennung aber in prononcierter Form. Was jedoch „Vollmacht“ im Rahmen des Markusevangeliums bedeutet, definiert der Verfasser durch die Komposition, die zwei Aspekte umfasst: Erstens: Der Evangelist stellt zunächst das Wirken des Geistes anschaulich dar. In seiner Taufe im Jordan durch Johannes teilt sich Jesus der Geist Gottes mit. Das Zerreißen des Himmelsfirmamentes demonstriert dabei die kraftvolle Gegenwart des Geistes, die dadurch auf die Allmacht Gottes verweist. Der Geist „steigt wie eine Taube herab“ (ὡς περιστεράν καταβαίνων - vgl. Mk 1,10) und dringt „in“ (εἰς! - vgl. Mk 1,10) Jesus ein - auch das ein Zeichen für die drängende und daher machtvolle Wirksamkeit des Geistes (vgl. zur Auslegung der Stelle weiter unten im Fließtext)! Diese göttliche Kraft verspürt Jesus - und mit ihm der Leser - dann erneut in der unmittelbar an die Taufperikope anschließenden Versuchungsepisode buchstäblich am eigenen Leib, worauf der Begriff ἐκβάλλω parataktischen Stil verwendet, der in Mk 1,14 nicht mehr vorliegt (vgl. m oloney 2002, 28 [Kursivdruck im Original]: „Typical Markan links exists across vv. 1-13. After the ἀρχή of v. 1 follow ἐγένετο [v. 4], καί [v. 6], καί [v. 7], καὶ ἐγένετο [v. 9], καὶ εὐθύς [v. 10], καί [v. 11], καὶ εὐθύς [v. 12], and καί [v. 13].“). - Dennoch ist die Beobachtung natürlich richtig, dass Mk 1,14 f. auf die voranstehenden Verse bezogen ist (dahingehend schränkt auch m oloney 2002, 28 sein Resümee ein: „However much 1: 14-15 restate in narrative form what was said in v. 1 - and I am not denying that this is the case […] - these programmatic words of Jesus serve to introduce the narrative proper of the Gospel. The same literary feature is found in 3: 7-12 and 6: 6b. Thus 1: 1-13 [and not 1: 1-15] is to be taken as the prologue to the Gospel of Mark […].“). - Sowohl lexikalische wie semantische Aspekte sprechen somit für die Annahme, dass der Markusprolog nur die Textstelle Mk 1,1-13 umfasst. - Wie immer man sich aber in dieser literarkritischen Streitfrage auch positionieren mag, es wäre sicherlich genauso verfehlt, nun eine scharfe Trennung von Mk 1,14-15 vom vorausgehenden Abschnitt vorzunehmen. Daher erscheint es meines Erachtens von der Sache her angemessener zu sein, von einem „kleinen Markusprolog“ , der von Mk 1,1-13 reicht, und einem „großen Markusprolog“ , der mit den Versen Mk 1,1-15 gegeben ist, zu sprechen. - Vgl. dagegen b ecker 2006, 108 f.; b ecker 2017, 295-308. 32 Vgl. P eSch 1968, [241-276] 242. 269 f. 56 3. Darstellung und Offenbarung (vgl. Mk 1,12 - wörtlich: „hinauswerfen“! ) hinweist. Die schöpferische Allmacht (δύναμις) 33 Gottes und die endzeitliche Vollmacht (ἐξουσία) 34 Gottes werden zur eschatologisch-messianischen Vollmacht (ἐξουσία) Jesu, 35 die eine Überbietung prophetisch-charismatischer Bevollmächtigung bedeutet: 36 Johannes der Täufer war der letzte Prophet - der „Elija redivivus“ -, Jesus hingegen ist der neue Messias. Zweitens: Das Evangelium schildert danach die Folge bzw. die Folgen des Geistes: Jesus besteht die Prüfung in der Wüste und erweist sich somit unzweifelhaft als der, den die Himmelsstimme zuvor zweifach angekündigt hat (vgl. Mk 1,2. 11). Die Heilsbotschaft des Sohnes Gottes bringt die Sendung Jesu, die mit dem endzeitlichen geistbegabten Messias verbunden ist, ins Wort (vgl. Mk 1,14-15). Die vier ersten Jünger, die Jesus daraufhin beruft (vgl. Mk 1,16-20), werden zu seinen von ihm mit Vollmacht ausgestatteten Nachfolgern. Sie bilden die „Menschenfischer“ der neuen Heilsgemeinschaft, die zur Gruppe der „Zwölf “ anwächst und dadurch ganz Israel zeichenhaft erfasst. Schließlich dehnt sich die Heilzusage auch auf die Heiden aus (vgl. Mk 7,24-30: die Beispielerzählung über die Syrophönizierin). In dieser neuen Gemeinschaft vollzieht sich die Gottesherrschaft (vgl. auch die markanten Jüngerbelehrungen Mk 9,35-37: Urvertrauen in die Botschaft; 10,43-45: Dienst für die Botschaft). Auf die geschilderte Berufung der beiden Brüderpaare folgt sofort die kurze Erzählung über Jesu erstes Wirken in Kafarnaum. Für Markus ist es also evident, dass Geistbesitz Vollmachtsbesitz bedeutet. 37 Die Verleihung der Vollmacht ist jedoch an die Geistbegabung in der Taufe Jesu 33 Vgl. y ounG -h eon l ee 1986, 96; b etz 2014a, [1180-1184] 1181. 34 Vgl. y ounG -h eon l ee 1986, 96; b etz 2014b, [1184-1188] 1186. 35 Vgl. y ounG -h eon l ee 1986, 96 f.; b etz 2014b, [1184-1188] 1186. 1187; b roer 1992b, [Spp. 23-29] Sp. 25. 36 Vgl. y ounG -h eon l ee 1986, 100. 37 Gegen b etz 2014b, [1184-1188] 1186: „ἐξουσία wird nicht auf die Gabe des Geistes zurückgeführt […]“. - Diese Feststellung ist nicht einsichtig. Was kann denn messianische Vollmacht, die allein in Gott gründet und von Gott verliehen wird, anderes sein als ein geistig vermitteltes und wirkendes Prinzip? - Im Einzelnen ist zur Frage der durch den göttlichen Geist vollzogenen Vollmacht zu sagen: Zum einen belegt die geschilderte Szenenfolge der Erzählung über die Geistverleihung in der Taufe (vgl. Mk 1,9-11) und über die erstmalige Lehr- und Wundertätigkeit Jesu in Kafarnaum (vgl. Mk 1,21-28) gerade den narrativ wie auch theologisch einzig sinnvollen Konnex von „Geist“ und „Vollmacht“. Die Taufe Jesu stellt die Initiation für sein messianisches Wirken dar. Zum zweiten begründet sich die in Mk 1,8c erwähnte Eigenschaft Jesu, Geisttäufer zu sein, allein aus der Taufepisode, denn das messianische Handeln der Geisttäuferschaft wird in Mk 1,8c zunächst nur angedeutet, um im Verlauf des Evangeliums schließlich ausführlich zur Sprache zu kommen . Jesu gesamtes Heilshandeln in Wort und Tat versteht sich jeweils als geistiger Taufakt. Das wird beispielsweise anschaulich in der Berufung der Zwölf, denen Jesus die Vollmacht zur Dämonenaustreibung verleiht (vgl. Mk 1,13-19 [15]) - und auch die Vollmacht zur Verkündigung, wie sich aus dieser Delegation der Vollmacht für die 3.2. Theologie und Semiotik 57 im Jordan gebunden (vgl. Mk 1,9-11). Sie markiert den narrativen wie theologischen „Anfang“ - die ἀρχή (vgl. Mk 1,1) - für die irdische Wirksamkeit des Mannes aus Nazaret (vgl. Mk 1,9) im Sinne einer Prämisse bzw. Legitimation. Jesus wird mit dem Geist Gottes erfüllt (εἰς αὐτόν - vgl. Mk 1,10). Er ist daher nun imstande, „das Evangelium Gottes“ (τὸ εὐαγγέλιον τοῦ θεοῦ - vgl. Mk 1,14) über „die Königsherrschaft Gottes“ (ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ - vgl. Mk 1,15a) als bevollmächtigter Bote Gottes (vgl. κηρύσσων - Mk 1,14) zu verbreiten. Die Botschaft und ihr Bote werden durch die Vermittlung des Geistes verbunden. Das heißt, dass sich in Jesu Lebensweg zeichenhaft die göttliche Königsherrschaft verwirklicht: So lässt sich das „Evangelium von Jesus Christus“ (τοῦ εὐαγγελίου Ἰησοῦ Χριστοῦ - vgl. Mk 1,1) mit dem „Evangelium Gottes“ (vgl. Mk 1,14: τὸ εὐαγγέλιον τοῦ θεοῦ; vgl. Mk 1,15: τῷ εὐαγγελῳ) gleichsetzen. 38 Gottes Allmacht kommt in Jesu Vollmacht zum Ausdruck. Jesu Vollmacht partizipiert an der Allmacht JHWHs. 39 Jesus handelt demnach als bevollmächtigter Stellvertreter Gottes. 40 Daher besteht eine innige Verbindung zwischen Gott-Vater und Sohn Gottes, so dass die Verwendung der familiär-intimen Bezeichnung „Sohn“ im christologischen Titel „Sohn Gottes“ im ersten Satz des Markusevangeliums legitim erscheint. 41 Dieser Jesus von Nazaret ist also wahrhaftig der erwartete Messias, den die einleitenden zwanzig Verse des Evangeliums - stilistisch herausgehoben durch eine Klimax - als den „Herrn“ (vgl. Mk 1,3: κυρίου), den „Stärkeren“ (ὁ ἰσχυρότερός - vgl. Mk 1,7), den „Geisttäufer“ (αὐτὸς δὲ βαπτίσει ὑμᾶς ἐν πνεύματι ἁγιῳ - vgl. Mk 1,8b) und „(meinen geliebten) Sohn“ (vgl. Mk 1,11b: ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός) vorstellen. Das aus menschlicher Sicht Ungreifbar-Unbegreifliche der angebrochenen Gottesherrschaft wird in den vollmächtigen Worten und Taten Jesu greifbar und begreifbar, zugleich aber auch angreifbar, wie die doch verbreitete Ablehnung gegen Jesu Auftreten belegt (vgl. beispielhaft Mk 3,21-22). 42 Der im Markus- Exorzismen erschließen lässt (vgl. Mk 1,14). - Die Geisttaufe Jesu bietet also die Voraussetzung - die Legitimation - für die Geisttaufe durch Jesus. 38 Vgl. ebenfalls y ounG -h eon l ee 1986, 104. 106. 39 Vgl. S choltiSSek 1992, 286; ebenso S choltiSSek 1997, [261-263] 261. 262; b roer 1992b, [Spp. 23-29] Sp. 25 f. - Prägnant formuliert y ounG -h eon l ee 1986, 98 zum Zusammenhang der Delegation göttlicher Allbzw. Vollmacht an Jesus: „Das Wort ἐξουσία ist auf die Beauftragung bezogen und bedeutet damit Vollmacht, Autorität, Befugnis […].“ 40 Vgl. zutreffend y ounG -h eon l ee 1986, 101 f. und 103 (Erläuterung des Stellvertretungsaspektes am Beispiel der jesuanischen Sündenvergebungspraxis). 41 Vgl. zum christologischen Titel „Sohn Gottes“ im Markusevangelium v ielhauer 1965, [199-214] 202-214; b reytenbach 1991, [169-184] 173-175. 42 Vgl. dazu ebenfalls P eSch 1968, [241-276] 270 f. 275 f.: „Mk hat, blickt man über 3,6 (‚wie sie ihn vernichten können‘) hinaus […] auf das Ende seines Berichts, nicht gezögert, schon mit der Erzählung von Jesu erstem Auftritt in der Synagoge zu Kapharnaum das ‚Skandalum‘ vorzuführen, das zum erregten Staunen der einen, zum Todesbeschluß [sic! ] der anderen (vgl. auch 11,17f) führt, die Gläubigen aber zur Nachfolge in Leiden und 58 3. Darstellung und Offenbarung evangelium erscheinende Vollmachtsaspekt ist daher meines Erachtens nicht nur christologisch, 43 sondern auch pneumatologisch zu deuten: Das Handeln Jesu in Vollmacht beruht auf der Wirkung des Geistes Gottes. Zusammenfassend lässt sich also sagen: Der Vollmachtsbegriff stellt ein Synonym für den Geistbegriff dar. Diese Vollmacht manifestiert sich in Zeichen, und zwar - wie Mk 1,21-28 eindrücklich zeigt - in Wort- und Tatzeichen. Der Vollmachtsbegriff bleibt daher wie der Geistbegriff nicht schwebend-unbestimmt. Der Text Mk 1,21-28 ist daher als Zwischenstück zu begreifen, das die in Mk 1,14-15 proklamierte Königsherrschaft Gottes mit erzählerischen Mitteln zum Ausdruck bringt. 44 Dabei weist die Tatsache, dass der Beginn des Wirkens Jesu in der Synagoge von Kafarnaum stattfindet, auf die tiefe Verbundenheit zwischen JHWH und Jesus und damit auf die Verbindung zwischen Gottes Allmacht und Jesu Vollmacht hin. Es handelt sich bei Mk 1,21-28 evident um eine Szene der Offenbarung göttlicher Schöpfermacht; die Schriftauslegung und die Dämonenaustreibung sind Zeichen der Vollmacht Jesu und damit zugleich Zeichen der Allmacht Gottes, die sich nun in seiner beginnenden Königsherrschaft Bahn bricht. Die programmatische Stelle hat einen sowohl abschließenden wie eröffnenden Charakter, denn sie deutet einerseits Jesus von Nazaret als geistbegabten, bevollmächtigten Sohn Gottes (vgl. Mk 1,1. 11) - somit als den von Israel erhofften Messias - und leitet andererseits zugleich über in die Erzählung über das Wirken Jesu. Herrlichkeit geleiten soll: Jesu ‚neue Lehre aus Macht‘“ (275 f.). - Vgl. auch S choltiSSek 1991, [56-74] 67. 43 Vgl. zu diesem Punkt pointiert S choltiSSek 1992, 293 [Kursivdruck im Original]: „Zusammenfassend läßt [sic! ] sich die ἐξουσία Jesu im Sinne des Markusevangeliums als Ausdruck und Gestalt der messianischen Sendung des Gottessohnes zur Verkündigung und Vermittlung der nahen Gottesherrschaft bestimmen. Jesu ἐξουσία-Wirken bringt die Kräfte der kommenden Gottesherrschaft zur Geltung und Entfaltung.“ 44 Vgl. zu Recht auch S choltiSSek 1992, 82. 4.1. Zeichen und Wirklichkeit 59 4. Erscheinung und Offenbarung 4.1. Zeichen und Wirklichkeit Das Offenbarungsgeschehen ist also ein Ereignis, das der Geist Gottes be wirkt, und durch das der göttliche Geist auf den menschlichen Geist ein wirkt. Der Geist bildet die verbindende und vereinende Entität. Damit entspricht der theologische Geistbegriff, der sich offenbarend-schöpferisch zeigt, dem dynamisch-relational strukturierten, semiotischen Zeichenbegriff. Daher erscheint es auch als legitim, die Geistthematik anhand der von Peirce entwickelten kategorial-semiotischen Hermeneutik zu analysieren und zu interpretieren. Peirces Semiotik hat bislang in der Theologie im Allgemeinen und in der Exegese im Besonderen noch wenig Resonanz gefunden. Von systematischer und religionsphilosophischer Seite ist im deutschsprachigen Raum Hermann Deuser 1 zu nennen. In exegetischer Hinsicht hat Stefan Alkier die semiotischen Grundzüge Peirces für die bibelwissenschaftliche Arbeit fruchtbar gemacht. Genannt sei an dieser Stelle zunächst seine Monographie von 2009 zum Verständnis der Auferweckung, 2 in der er einen Abschnitt der semiotischen Deutung der Auferweckungszeichen im Peirce’schen Sinne widmet 3 und dabei „Phänomene der Erstheit“ („Zweifel, Furcht, Tränen, Freude und brennende Herzen“) 4 , „Phänomene der Zweitheit“ („Kreuz, Grab und Visionen“) 5 sowie „Phänomene der Drittheit“ („Die große Erzählung der Schrift[en] als epistemologischer Rahmen der Rede von der Auferweckung“) 6 ausmacht. Speziell zum Thema „Geist“ hat Alkier einen Aufsatz veröffentlicht, der Geist als Erfahrung der δύναμις mit dem „dynamischen Objekt“ in Peirces Zeichentheorie verknüpft: 7 Ich möchte nun vorschlagen, die Kraft ( dynamis ) des dynamischen Objekts als Geist zu interpretieren. Es ist die unverfügbare Kraft, die notwendig ist, überhaupt einen Zeichenprozess, eine Semiose, in Gang zu bringen. Das unmittelbare Objekt ist dann der Aspekt des dynamischen Objekts, der in der jeweils konkreten Semiose durch den Akt der Interpretation bestimmt wird. Geist ist dann zeichentheoretisch abstrakt 1 Vgl. d euSer 2009; d euSer 2010, 78-85. 2 Vgl. a lkier 2009. 3 Vgl. ebd. 206-240. 4 Vgl. ebd. 213-218. 5 Vgl. ebd. 218-222. 6 Vgl. ebd. 223-228. 7 Vgl. a lkier 2010, [86-94] 90 f. 60 4. Erscheinung und Offenbarung bestimmt als die unverfügbare Wirkkraft, die das Zeichen überhaupt erst motiviert und seine konkreten Interpretationen als solche überhaupt erst ermöglicht. Im Akt der jeweiligen Interpretation wird diese Wirkkraft dann jeweils konkret bestimmt und damit interpretierend erschlossen. 8 Alkier rückt also das „Objekt“ ins Zentrum seiner Überlegungen. Diese These verdeutlicht er in der Folge anhand markanter neutestamentlicher Beispiele. Dabei setzt er seinen Schwerpunkt auf die paulinische Theologie - auf die Deutung des Evangeliums und des Glaubens als Kraft Gottes (vgl. Röm 1,16), 9 auf das Wort vom Kreuz 10 sowie auf die Abendmahlsüberlieferung. 11 Theologisch gesprochen bedeutet das: Der Geist Gottes lässt sich im Sinne Peirces als vorausliegende, unverfügbare und kreative Größe interpretieren, die auf den Menschen wirkt, indem sie ihn verwandelnd berührt und somit für die göttliche Heilsbotschaft der Auferstehung von den Toten öffnet. 12 Alkier resümiert: „Der Glaube versteht sich dann nicht als autonome Entscheidung eines souveränen Subjekts, sondern als Ergriffensein vom Geist Gottes, als Geschenk, als gelungene Kommunikation zwischen Gott und Mensch.“ 13 Es entstehe daher - so Alkier - ein vertieftes Verständnis des Bibeltextes als Vordringen in die Tiefenstruktur des Textes - „Sinn in der zweiten Potenz“ -, nicht ein bloßes Begreifen der grammatischsemantischen Oberflächenstruktur des Textes - „Sinn in der ersten Potenz“. 14 Angestoßen von diesen Anregungen möchte die vorliegende Untersuchung die Geistthematik semiotisch-exegetisch neu bedenken und thematisch erweitern. 15 Während Deuser in seinem Beitrag das relationale Moment akzentuiert, 16 hebt Alkier in derselben Publikation auf den dynamischen Aspekt ab. 17 In der hier vorgelegten Arbeit sollen beide Momente zusammengeführt und als „dynamisch-relationaler Sinnzusammenhang“ bzw. „dynamisch-relationales Sinngefüge“ oder „dynamisch-relationales Deutungsmuster“ verstanden werden. Den Grund für diese Annahme bot die Untersuchung der Peirce’schen Kernthesen, vor allem aus seinem Spätwerk, die zeigen konnte, dass sich die beiden Elemente der Dyna- 8 Vgl. ebd. 90 f. [Kursivdruck im Original]. 9 Vgl. ebd. 91 f. 10 Vgl. ebd. 92. 11 Vgl. ebd. 92 f. 12 Vgl. ebd. 87. 89. 93. 13 Vgl. ebd. 91. 14 Vgl. ebd. 86 f. 15 Ole Davidsen kombiniert in seinem semiotisch-strukturalistischen Entwurf das Modell der narrativern Aktanten mit der Theorie der Handlungsrollen, um die markinische Christologie zu bestimmen: vgl. d avidSen 1993. - Vgl. zur Bewertung dieses Ansatzes r üGGemeier 2017, 194. 16 Vgl. d euSer 2010, [78-85] 84 f. 17 Vgl. a lkier 2010, [86-94] 90-93. 4.1. Zeichen und Wirklichkeit 61 mik und der Relationalität komplementär zueinander verhalten. Relationalität ist Ausdruck - sozusagen „Zeichen“ - der Dynamik, die auf Erkenntnis gerichtet ist. Der Erkenntnisprozess repräsentiert eine Einheit, die man nicht zerteilen kann. Dies gilt auch für die Anwendung des semiotischen Komplexes auf den theologischen Kontext des Offenbarungsprozesses. Grundlage der Arbeit soll die Auslegung des Markusevangeliums im Hinblick auf die darin vorfindlichen Geistaussagen sein. Es sind dabei zwei Aspekte zu beachten - die göttliche und die menschliche Ebene: Erstens: Im Hinblick auf die göttliche Seite schildert das Markusevangelium die Geschichte Jesu (vgl. Mk 1,1) als Beginn der evolutiv-dynamisch verstandenen Königsherrschaft Gottes - der βασιλεία τοῦ θεοῦ. 18 Die Verleihung des göttlichen Geistes an Jesus von Nazaret in der Taufe im Jordan (vgl. Mk 1,9-11) setzt dafür den schöpferischen Anfang (ἀρχή - vgl. Mk 1,1). 19 Das ist - im jesuanischen Gleichniswort gesprochen - das kleine Senfkorn, das zur großen Staude heranwächst (vgl. Mk 4,30-32). So zeigt sich der irdische Jesus seit seiner Taufe (vgl. Mk 1,9-11) als Geistträger und damit als „Christus“ und „Sohn Gottes“ (vgl. Mk 1,1. 11). Es ist die bewusste theologische Entscheidung des Markus, die Vermittlung des Geistes mit dem Gedanken der Königsherrschaft Gottes im ambiguen Terminus „Anfang“ - als Zeichen des Beginns des Evangeliums und als theologische Spitzenaussage zugleich 20 - bereits im ersten Vers seines Evangeliums zu verknüpfen. Im Geist verbindet sich Gott mit dem Menschen Jesus, und dieser begegnet seinen Mitmenschen. Das Offenbarungsereignis gestaltet sich als beständige Interaktion zwischen Gott und Mensch durch den geistbegabten Mittler Jesus Christus. Geist Gottes und die Person Jesu verbinden sich in ihrer Vermittlungsfunktion. Der Geistbegriff ist untrennbar mit dem Vollmachtsbegriff verbunden. Als Geistträger repräsentiert Jesus daher in seiner Person die Vollmacht - die ἐξουσία - Gottes. So zieht Jesus in Galiläa umher, lehrt, heilt und treibt im Geist Gottes Dämonen aus. Er handelt stellvertretend für Gott - wirkt also im Namen Gottes. Die Worte und Taten Jesu sind vollmächtige Zeichen der Präsenz Gottes. Zeichen als äußeres Moment und Vollmacht bzw. Geistbesitz als inneres Moment werden miteinander verbunden. Machtvolle Zeichen sind der untrügliche Ausweis göttlichen Auserwähltseins oder widergöttlicher Bevollmächtigung. In den im Geist Gottes vorgenommenen Offenbarungszeichen Jesu wird Gott anschaulich. Zweitens: Es ist aber auch auf die menschliche Seite zu achten. Zeichen sind deutungsbedürftig, wie bereits oben angeführt. Dass es gerade auch auf die 18 Vgl. zum markinischen Gottesbegriff zusammenfassend G uttenberGer 2004, 333-345. - Vgl. zur Funktion des Begriffs ἀρχή ausführlich b ecker 2006, 102-111; b ecker 2017, [295-308] 302-308. 19 Vgl. e rnSt 1981, 32 f. 20 Vgl. zu Recht auch P okorný 1978, [115-132] 125-127. 62 4. Erscheinung und Offenbarung menschliche Ebene ankommt, das manifestiert sich im beständigen Verweis des Evangeliums auf die sozusagen „geistgemäße“ Interpretation der vielfältigen Zeichenhandlungen Jesu. Die Zeichen provozieren den Glauben oder Unglauben der Zeitgenossen Jesu. Die markinische Schilderung vergegenwärtigt diesen Zusammenhang markant ex negativo durch die Stimmen der Gegner Jesu: Der Selbstanspruch Christi auf Vollmacht in seinen Zeichenhandlungen erntet kräftigen Widerspruch bei Schriftgelehrten und Pharisäern (vgl. Mk 3,22-30; 8,11-13). Die Zeichen Jesu sind Offenbarungszeichen Gottes. Seine heilsame Macht wird im wahrsten Sinne des Wortes „begreiflich“. Der Geist - so kann man zusammenfassend formulieren - ist ein „wirkendes Zeichen“. Zeichen ist „Wirk-lichkeit“. Die Anwendung von Peirces semiotischer Konzeption auf das Markusevangelium soll eine vertiefte Reflexion im Hinblick auf den offenbarungs- und schöpfungstheologischen wie den soteriologisch-christologischen Zusammenhang leisten. Dabei ist auf zwei Aspekte Wert zu legen: Zum einen ist der formale Aspekt zu betrachten: Durch den triadischen Zeichenbegriff lässt sich die Erzählgattung „Evangelium“ in ihrem Offenbarungscharakter auf der Mikro-, Mesowie vor allem Makroebene profilieren. Aus hermeneutischem Fokus kann der geschilderte semiotische Ansatz von Peirce das mit dem epiphanen Charakter des Markusevangeliums verbundene Schweigegebot als zyklische Struktur bekräftigen und vertiefen. Das Markusevangelium kann dann in seinem Verweisungscharakter der Relecture bestätigt werden. 21 Zum zweiten erfolgt die Deutung unter dem materialen Aspekt: Das Zeichenmodell von Peirce expliziert den theologischen Kernbegriff der „Vollmacht“, so dass die Jesusgeschichte noch deutlicher als Heilsgeschichte und damit als „Geistgeschichte“ begriffen werden kann. 4.2. Zeichen und Geist Der Geist erschließt sich - als Ruf Gottes -, und er muss erschlossen werden - als menschliche Antwort. Offenbarung ist Kommunikation, die zeichenhaft begegnet und Deutung einfordert. Die Jesusgeschichte ist Heilsgeschichte, und sie wiederum ist „Geistgeschichte“. Der Geist stellt das Verbindend-Vereinende dar; er 21 Im mündlichen und schriftlichen Tradierungsprozess biblischer Texte lässt sich „Deuten“ zudem als „Erinnern“ auffassen, wie es etwa das Konzept des „kollektiven Gedächtnisses“ profiliert - vgl. hierzu h übenthal 2014 (vgl. zusammenfassend zur Konzeption ebd. 150-155; vgl. zur soteriologisch-christologischen Deutung des Markusevangeliums prägnant ebd. 446-452). - Darüber hinaus könnte man als additives Erklärungsmodell für die Bildung einer kollektiven kulturellen Identität auch die aus der kognitiven Religionswissenschaft entlehnte Theorie der „Kontraintuitivität“ heranziehen: vgl. t heiSSen 2017, 7-30; c zacheSz / t heiSSen 2017, 31-65. 4.2. Zeichen und Geist 63 ist dynamisch-relational zu bestimmen. Der Geistbegriff umfasst damit die Elemente „Wesen“, „Erscheinung“ und „Wirkung“, die in einer Beziehung zueinander stehen. Sie spiegeln die Trias von „Objekt“ oder „Ding“, „Repräsentamen“ oder „Zeichen“ und „Deutung“ bzw. „Bedeutung“ wider, die sich bei Peirce findet. Entsprechend der drei semiotischen Kategorien lassen sich die drei genannten Strukturmerkmale mit dem Vollmachtsaspekt, der den Geistbegriff strukturiert, verbinden: „Vollmacht verleihen“ stellt den „Wesensaspekt“ des Geistes dar - den Dingaspekt -, „Vollmacht ausüben“ bezieht sich auf den „Erscheinungsaspekt“ - also das Zeichenmoment - und „Vollmacht annehmen“ auf den „Wirkungsaspekt“ - die Deutung oder Bedeutung - des Geistes. So kann eine triadische Matrix erstellt werden, die sich als Ebenenmodell präsentiert - die Mikro-, die Mesosowie die Makroebene. Die Mikroebene bezieht sich auf das einzelne Sprachzeichen , die Mesoebene auf die Perikope und die Makroebene nimmt das Evangelium als Ganzes in den Fokus. Jede dieser Ebenen ist in sich wiederum triadisch gegliedert. Offenbarungszeichen sind also Geistzeichen, und diese sind zugleich Vollmachtszeichen. Das gesamte Markusevangelium lässt sich daher unter dem expliziten oder impliziten Leitmotiv des „Geistes“ (πνεῦμα) bzw. der „Vollmacht“ (ἐξουσία) - verbunden oder verstärkt durch den Begriff „Vertrauen“ bzw. „Glaube“ (πίστις) - in drei Abschnitte teilen, die mit den Peirce’schen semiotischen Kategorien von „Ding“, „Zeichen“ und „Bedeutung“ korrespondieren. Auf der Makroebene weist das Markusevangelium also eine klare triadische, narrative Struktur auf . Dem Dingaspekt entspricht die Bevollmächtigung Jesu im Taufakt, dem Zeichenmoment die Szenen, in denen Jesus als Lehrer und Wundertäter auftritt, und der Bedeutungsaspekt beschäftigt sich mit den Berichten über Tod und Auferstehung Jesu. Auffällig ist, dass der Dingwie der Bedeutungsaspekt die göttliche Ebene - die göttliche Intervention - repräsentieren (Geistsendung Jesu, Auferstehung Jesu), während die übrigen Szenen, die das irdische Wirken des Mannes aus Nazaret schildern, auf die menschliche Ebene verweisen - die Reaktionen der Menschen auf die Wort- und Tatzeichen Jesu. Hier ist das Zeichenmoment, das die Vollmacht Jesu umschreibt - in Peirces Diktion die „Darstellung“ („representation“) -, angesprochen. Wie man der Aufstellung der Episoden entnehmen kann, bilden die Kategorien von „Ding“ (vgl. Mk 1,9-13) und „Bedeutung“ (vgl. Mk 15,33-39; 16,1-8) einen engbegrenzten Rahmen, der Gesichtspunkt „Zeichen“ entfaltet sich hingegen in einer ausführlichen erzählerischen Darstellung. Zur genauen Bearbeitung sollen aus dem Markusevangelium paradigmatische Szenen ausgewählt werden, die nachstehend aufgezählt und knapp kommentiert werden: 64 4. Erscheinung und Offenbarung 1. Makroebene: „Vollmacht verleihen“ (Dingaspekt und Wesensaspekt): Meoebene MK 1,9-11; 1,12f. (vgl. Tabelle 1 unten): Begonnen werden soll mit den beiden Perikopen über die Taufe und Versuchung Jesu, die in einem inneren Zusammenhang stehen und ein kompositorisch-theologisches „Diptychon“ ergeben (vgl. Mk 1,9-13), das die Aussage verstärkt. Die wesentlichen Strukturelemente werden den Aspekten „Ding“ („Taufe Jesu im Jordan“ - „Gang Jesu in die Wüste“), „Zeichen“ („Herabkunft der Taube / des Geistes“ - „Versuchung Jesu durch den Satan“), „Bedeutung“ („Stimme Gottes [Verheißung]“ - „eschatologische Szene [Erfüllung: Tierfrieden, Engelsdienst“) zugeordnet. Entsprechend ist mit den übrigen Perikopen zu verfahren. 2. Makroebene: „Vollmacht ausüben“ (Zeichenaspekt und Erscheinungsaspekt: ) Auf dieser Ebene sollen paradigmatisch für die unterschiedlichen Zeichenformen Jesu jeweils ein Streitgespräch, ein Exorzismus, eine Wunderheilung sowie die Totenauferweckung der Tochter des Jaïrus besprochen werden. Auch diese Szenen lassen sich, wenn sie nicht schon ohnehin - wie im Fall von Mk 5,21-43 - als Doppelperikope konzipiert sind, als Diptychon darstellen. Mesoebene 1: Mk 3,22-30; 5, 1-20 (vgl. Tabelle 2 unten) : Dem Dingaspekt zuzuweisen sind folgende Komponenten: „Bestreiten der Vollmacht Jesu durch die Schriftgelehrten“: „widergöttliche Macht“ - „Bezeugen der Vollmacht Jesu durch die Dämonen“: „göttliche Macht“. Hinsichtlich des Zeichenaspektes gilt: Die Gleichnisrede Jesu steht den Zeichen der Besessenheit - den „Zeichen des Unheils“ - und den Zeichen des Exorzismus - den „Zeichen des Heils“ - entgegen. Den Bedeutungsaspekt repräsentiert das Element „Erweis der Vollmacht. Mesoebene 2: MK 5,21-43 (vgl. Tabelle 3 unten): Die Doppelperikope gliedert sich in semiotischer Hinsicht wie folgt: Dem Dingaspekt entsprechen zum einen die Strukturmerkmale des Herantretens des Jaïrus an Jesus mit der Bitte um Heilung der todkranken Tochter sowie der durch die Boten überbrachte Tod des Mädchens und zum anderen die Beschreibung der Krankheit der Frau, das heimliche Herantreten der Frau an Jesus sowie das Verhalten der Frau nach der Entdeckung der Wunderheilung. Der Zeichenaspekt kommt in einer Reihe von Kennzeichen zum Ausdruck: „Berührung des toten Kindes durch Jesus“ - „Berührung des Gewandes Jesu durch die kranke Frau“, „Erweckung der Tochter des Synagogenvorstehers durch Jesus“ - „Heilung der Frau durch Jesus“. Hinsichtlich des Bedeutungsaspektes stehen die Elemente „Appell zum Glauben“, „Reaktion Jesu“, „Unverständnis des Hausstandes“, „Rückkehr des 4.2. Zeichen und Geist 65 Mädchens ins Leben“, „Schrecken der Zeugen“ und „Schweigegebot Jesu“ parallel zur „Überlegung der Frau“, zur „Reaktion Jesu“, zum „Unverständnis der Jünger“, zum „Lob des Glaubens der Frau durch Jesus“ und zum „Wegschicken der Frau“. 3. Makroebene: „Vollmacht annehmen“ (Bedeutungsaspekt und Wirkungsaspekt): Mesoebene: MK 15,33-39; 16,1-8 (vgl. Tabelle 4 unten): In diesen Perikopen, die ein Diptychon bilden, sind zu untersuchen: Der Dingaspekt wird einerseits durch das Element „Finsternis“ (mit den additiven Momenten „Verlassenheitsruf Jesu“ sowie „Spötter unter dem Kreuz“) und andererseits durch das Motiv der „Sonne“ repräsentiert. Der Zeichenaspekt findet sich zum einen in den Aspekten „Jesu Aushauchen des Geistes“ und „Zerreißen des Tempelvorhanges“ und zum anderen in den Komponenten „weggerollter Stein“ sowie „sitzender Engel / leeres Grab“ wieder. Das „kurze Deutewort des Hauptmanns“ und das „lange Deutewort des Engels“ sowie die „Reaktion der Frauen“ bilden das Bedeutungsmoment. Die erwähnten Szenen sind nach diesem formalen triadischen Analyseraster zu analysieren und zu interpretieren. Neben dem semiotischen Moment finden sich - wie dargestellt - im Konzept des späten Peirce die Gesichtspunkte des „Wissenskontextes“ („common consciousness“) und des „Gebrauchskontextes“ („collateral experience“ / „collateral observation“) als Ergänzung zum Bedeutungsaspekt - dem Interpretantenbezug. Diese kommunikationstheoretischen Elemente reflektieren das Verhältnis zwischen Sender und Empfänger einer Botschaft - also auch zwischen Autor und Leser eines Textes - und bilden damit die dyadische Struktur des Kommunikationsprozesses ab. Das Thema „Kontext“ soll in der vorliegenden Untersuchung aber nicht behandelt werden, da es meines Erachtens im komplexeren semiotischen Modell bereits vollumfänglich erfasst ist, so dass keine neuen Ergebnisse zustande kämen und die Darstellung dadurch redundant wäre. Mesoebene: Mk 1,9-11 Mesoebene: Mk 1,12 f. Ding: Taufe Jesu im Jordan (vgl. V. 9) Ding: Gang Jesu in die Wüste (vgl. V. 12) Zeichen: Herabkunft der Taube / des Geistes (vgl. V. 10) Zeichen: Versuchung Jesu durch den Satan (vgl. V. 13a) Bedeutung: Stimme Gottes (Verheißung) (vgl. V. 11) Bedeutung: eschatologische Szene (Erfüllung: Tierfrieden, Engelsdienst - vgl. V. 13b. c) Tabelle 1: 1. Makroebene („Vollmacht verleihen“): Dingaspekt / Wesensaspekt (des Geistes): Mk 1,9-13 (Doppelperikope / Diptychon) 66 4. Erscheinung und Offenbarung Mesoebene: Mk 3,22-30 Mesoebene: Mk 5,1-20 Ding: Bestreiten der Vollmacht Jesu (Wundertätigkeit: Exorzismus) durch die Schriftgelehrten (vgl. V. 22): widergöttliche Macht Ding: Bezeugen der Vollmacht Jesu (Wundertätigkeit: Exorzismus) durch die Dämonen (vgl. VV . 6-7. 10): göttliche Macht Zeichen: Gleichnisrede Jesu (vgl. VV . 23-27) Zeichen: Zeichen des Unheils (vgl. VV . 2-5), Zeichen des Heils (vgl. VV . 8-9. 11-13) Bedeutung: Erweis der Vollmacht (vgl. VV . 28-30) (Heiliger Geist - vgl. V. 29a) Bedeutung: Erweis der Vollmacht (Flucht, Schrecken, Furcht - vgl. VV . 14-17, Verkündigung - vgl. VV . 18-20 - und Erstaunen - vgl. V. 20) Tabelle 2: 2. Makroebene („Vollmacht ausüben“): Zeichenaspekt / Erscheinungsaspekt (des Geistes): Mk 3,22-30; 5,1-20 (Diptychon) Mesoebene: Mk 5,21-24a. 35-43 Mesoebene: Mk 5,24b-34 Ding: Herantreten des Jaïrus an Jesus und Bitte um Heilung der todkranken Tochter (vgl. V. 22 f.), Tod des Mädchens (vgl. V. 35) Ding: Krankheitsbeschreibung (vgl. V. 25 f.) und Herantreten der Frau an Jesus (vgl. V. 27a), Verhalten der Frau nach Entdeckung der Wunderheilung (vgl. V. 33) Zeichen: Berührung des toten Kindes durch Jesus (vgl. V. 41), Erweckung der Tochter des Synagogenvorstehers durch Jesus (vgl. V. 41) Zeichen: Berührung des Gewandes Jesu durch die kranke Frau (vgl. V. 27b), Heilung der Frau durch Jesus (vgl. V. 29) Bedeutung: Appell zum Glauben (vgl. V. 36), Reaktion Jesu (vgl. VV . 39. 40b), Unverständnis des Hausstandes (vgl. V. 40a), Rückkehr des Mädchens ins Leben (vgl. V. 42a. b), Schrecken der Zeugen (vgl. V. 42c), Schweigegebot Jesu (vgl. V. 43a) Bedeutung: Überlegung der Frau (vgl. V. 28), Reaktion Jesu (vgl. VV . 30. 32), Unverständnis der Jünger (vgl. V. 31b. c), Lob des Glaubens der Frau durch Jesus und Wegschicken der Frau (vgl. V. 34) Tabelle 3: 2. Makroebene („Vollmacht ausüben“): Zeichenaspekt / Erscheinungsaspekt (des Geistes): Mk 5,21-43 (Doppelperikope / Diptychon) 4.3. Geist und Zeichen 67 Mesoebene: Mk 15,33-39 Mesoebene: Mk 16,1-8 Ding: Finsternis (vgl. V. 33), Verlassenheitsruf Jesu (vgl. V. 34), Spötter unter dem Kreuz (vgl. V. 35 f.) Ding: Sonne (vgl. VV . 1-2) Zeichen: Jesu Aushauchen des Geistes (vgl. V. 37), Zerreißen des Tempelvorhanges (vgl. V. 38) Zeichen: weggerollter Stein (vgl. VV . 3-4), sitzender Engel / leeres Grab (vgl. V. 5) Bedeutung: Deutewort des Hauptmanns (kurzes Deutewort) (vgl. V. 39) Bedeutung: Deutewort des Engels (Deuteengel) (langes Deutewort) (vgl. V. 6 f.), Reaktion der Frauen (vgl. V. 8) Tabelle 4: 3. Makroebene („Vollmacht annehmen“): Bedeutungsaspekt / Wirkungsaspekt (des Geistes): Mk 15,33-39; 16,1-8 (Doppelperikope / Diptychon) 4.3. Geist und Zeichen Der Ding-, der Zeichen- und der Bedeutungsaspekt finden sich somit in der Struktur des Gesamttextes wieder, der die Freudenbotschaft der kommenden Königsherrschaft Gottes deutet. Dieses neue Heilsangebot muss aber von zwei Seiten betrachtet werden - von göttlicher wie von menschlicher Ebene. Es gilt also die Zuordnung von Offenbarung und Bekenntnis : Gott offenbart sich in Jesu Leben; diese Offenbarung muss jedoch auch vom Menschen im Bekenntnis angenommen werden. Das Offenbarungsgeschehen ist also ein notwendig dyadisch strukturiertes Kommunikationsereignis zwischen Offenbarungsträger (Gott, Geist Gottes, Jesus: Sender) und Offenbarungsempfänger (Mensch: Empfänger). Die theologischen Aspekte von „Vollmacht“ - also „Geist“ - und „Offenbarung“ - also „Zeichen“ - können miteinander verknüpft werden: Vollmacht muss sich in der irdischen Erfahrungswelt manifestieren; Vollmacht zeigt sich daher im Zeichen . Die δυνάμεις Jesu und seine διδαχή repräsentieren die vollmächtigen Zeichen der βασιλεία τοῦ θεοῦ. Deswegen sind sie Offenbarungszeichen für die neue Heilswirklichkeit, die Gott in seinem Sohn eröffnet hat. Sie stehen für die neue Schöpfungswirklichkeit. Mit der durch den Vollmachtsbzw. Geistaspekt geprägten triadischen Matrix, die die semiotischen Kategorien repräsentiert, ist daher zugleich das Moment von „Offenbarung und Bekenntnis“ gegeben. Im Rahmen einer Erzählung wird dieser Aspekt durch die Figuren verwirklicht, die - im Zusammenhang mit dem Offenbarungscharakter eines Evangeliums - die unterschiedlichen Rollen des Offenbarungsträgers und Offenbarungsempfängers annehmen. Die Personen 68 4. Erscheinung und Offenbarung einer Erzählung sind Handlungsträger. Deswegen erscheint es zweckmäßig, die nach dem Moment „Geist“ bzw. „Vollmacht“ gegliederten Szenen und Perikopen mit den passiven wie aktiven Figuren der Erzählhandlung des Markusevangeliums in Verbindung zu bringen. 22 Dieses Vorgehen stellt neben der Profilierung des Geist- und Vollmachtsbegriffs zudem ein sinnvolles Gliederungsprinzip dar, das dem Episodenstil 23 des Markusevangeliums entgegenkommt, der sich gegen Systematisierungsentwürfe sperrt. 24 Für die Personen eines Erzähltextes gelten zwei Momente: Zum einen sind die Personen einer Erzählung - wie gerade erläutert - im Hinblick auf den Text Handlungsträger, zum anderen stellen sie im Hinblick auf den Leser Identitätsträger dar. Was den Aspekt „Handlungsträger“ betrifft, so kann man sagen: Die in der jeweiligen Erzähleinheit auftretenden Charaktere tun etwas selbst oder erdulden etwas durch andere - treiben also die Handlung in aktiver oder passiver Weise voran. Das Markusevangelium schildert ein - im metaphorischen Sinne gesprochen - „kosmisches Drama“. Darin verbinden sich Himmel und Erde unter dem Aspekt der Offenbarung miteinander. Die Handlung geht vom Himmel aus (vgl. Mk 1,1-13), entwickelt sich auf der Erde zum Höhepunkt der Verurteilung und der Hinrichtung Jesu und führt am Ende zurück in den Himmel, indem durch das erneute Eingreifen Gottes in der Auferweckung Jesu die in Mk 1,1. 11b proklamierte Gottessohnschaft des Nazareners ihre Bestätigung findet (vgl. Mk 15,33-39; 16,1-8). Diese kompositorische, zirkuläre Struktur „Himmel - Erde - Himmel“ korrespondiert mit der Bewegung der Relecture. Wie sich aus dem Aufriss der Szenen ergibt, spielt sich das Drama um die Vollmacht - und damit um den Geistbesitz - Jesu auf der Erde ab. Es geht um Zustimmung oder Ablehnung, Bekenntnis oder Verleugnung auf das Angebot der Offenbarung der Königsherrschaft Gottes in Jesu vollmächtigem Wirken in Wort und Tat. Handlungsträger - die Figuren - und die durch sie erzeugte Handlung - die erzählte Begebenheit - „spielen“ daher im wahrsten Sinne des Wortes „die entscheidende Rolle“ in den Offenbarungsszenen des Markusevangeliums. Markus bietet seinem Leser ein großes Tableau an Personen. Dabei lassen sich aktive und passive Personen unterscheiden. Unter die aktiven Figuren sind zu zählen: Gott, Geist, Jesus von Nazaret, Johannes der Täufer, Satan, Engel, Verwandte Jesu, Jünger 22 Vgl. zur Figurenanalyse ausführlich auch r üGGemeier 2017, 49-77. 23 Vgl. d ormeyer 2005, 153-166 (zur Forschungsgeschichte); vgl. auch den knappen Verweis bei l entzen -d eiS 1998, VI. 24 In der Forschung werden zahlreiche Gliederungsvorschläge diskutiert; übliche Gliederungsprinzipien sind „Raum“, „Zeit“ und „Handlung“ sowie Kombinationen aus diesen Gesichtspunkten. - Genannt werden können beispielsweise unter den Kommentaren neueren Datums für den Aspekt „Raum“ v an i erSel 1993, l entzen -d eiS 1998, e bner 2012 („Orte / Weg“), für „Zeit“ S chenke 2005, für „Handlung“ G nilka 2010 I, II und l imbeck 2014. Für eine Kombination steht etwa e rnSt 1981 („Orte / Weg“, „Worte und Wunder Jesu“). 4.3. Geist und Zeichen 69 Jesu (vor allem Simon Petrus), Volk, Herrscher (Herodes, Pilatus), Schriftgelehrte, Pharisäer, Hohepriester (Hoher Rat), fremder Wundertäter, römischer Hauptmann. Alle anderen Personen - Menschen und Dämonen - verhalten sich passiv, denn an ihnen erweist Jesus als Offenbarungsträger in den Wunderheilungen, Totenerweckungen und Dämonenaustreibungen seine göttliche Vollmacht. Dennoch bestätigen gerade sie explizit durch Furcht (Dämonen) und Vertrauen bzw. Glauben (Geheilte) den Vollmachtsanspruch Jesu und enthüllen - „offenbaren“ - somit seine wahre Identität. Die positiven oder negativen Reaktionen der Erzählfiguren, die die potentiellen Offenbarungsempfänger sind, belegen somit die Vollmacht Jesu. „Freund“ und „Feind“ trennen sich an dieser Frage. Jesus führt in die Entscheidung - in die „Scheidung der Geister“. 25 Hinsichtlich des Momentes „Identitätsträger“ gilt Folgendes: Die Figuren eines Textes sprechen nicht nur mit- und übereinander, sondern wenden sich durch ihre Gestaltung über den Text hinaus an den Leser. 26 Fiktive Figuren bieten reale Identifikationsmöglichkeiten für den tatsächlichen Leser. Daher gibt es eine Leserlenkung (eine „Erzählstrategie“ bzw. einen „impliziten Leser“), 27 die der Intention des Autors bzw. des Erzählers entspricht. Im Falle des Markusevangeliums soll neben den Figuren des Textes auch der Leser oder Hörer des Textes zur Stellungnahme über die Frage der Vollmacht Jesu - sprich der Gottessohnschaft oder Messianität Jesu - herausgefordert werden. 28 Der Rezipient selbst wird daher implizit aufgefordert, das Bekenntnis zu Jesus als dem „Christus“ abzugeben. Dies wird ihm einerseits durch die Komposition in der erwähnten zyklischen Struktur von „Himmel - Erde - Himmel“ erleichtert und geschieht andererseits durch das Verhalten der Figuren. Die Figurenperspektive verknüpft sich so mit der Leserperspektive. Handlung (und damit Figuren) und Deutung werden verbunden. Die Schrift erzählt gedeutetes Geschehen. Somit bedient sich das Markusevangelium einer evident persuasiven Strategie . Es handelt sich sozusagen um eine „doppelte Offenbarung“, die auf die fiktiven Figuren wie auf die realen Leser gleichermaßen zielt. Auf die narrativen Eigenheiten des Markusevangeliums wird auch die vorliegende Studie eingehen und die aus Peirces Semiotik entnommenen hermeneutisch-semiotischen Aspekte („Ding“ und „Dynamik“, „Zeichen“ und „Relationalität“, „Be- 25 Vgl. dazu resümierend auch y ounG -h eon l ee 1986, 105 und 106. 26 Vgl. zur Erzähltheorie die kompakte Darstellung bei F ritzen 2008, 88-105. 27 Vgl. ebd. 96 f. 28 Vgl. zu den wesentlichen Prinzipien der Leserlenkung im Markusevangelium ebd. 97-99: Dazu zählen hauptsächlich die direkte Adressierung (Anrede des Lesers, Erläuterungen des Erzählers) und die indirekte Adressierung des Rezipienten durch Komposition (wechselseitige Deutung zusammengestellter Szenen, Summarien und deutende Leidensankündigungen) und Allusion (Referenz an das Alte Testament) sowie die Verwendung von Stilmitteln - etwa der Ironie, der Paradoxie, der Hyperbolie und der Metaphorik. 70 4. Erscheinung und Offenbarung deutung“ und „Ontologie“) mit theologischen Deutungen in Verbindung bringen, denn die triadische Struktur der semiotischen Konzeption von Peirce muss man inhaltlich auswerten. Die von Peirce beschriebenen semiotischen Kategorien des „Ersten“ - des „Objektes“-, „des „Zweiten“ - des „Zeichens“ - und des „Dritten“ - des „Interpretanten“ - beruhen nämlich selbst auf einem bedeutungsgebenden Erkenntnisvorgang. Sie sind seine Ergebnisse: Peirces semiotische Kategorien stellen nämlich Abstraktionen dar, in denen sich die erkenntnisbildenden Funktionen der „Dynamik“ (des „Dynamischen“), der „Relationalität“ (des „Relationalen“) sowie der „Ontologie“ (des „Ontologischen“) widerspiegeln. Diese den semiotischen Kategorien inhärenten, funktionalen Aspekte kann man abweichend von der durch Peirce festgelegten Terminologie als „semiotische Funktionen“ bezeichnen. Bei der Adaption des Peirce‘ schen hermeneutisch-semiotischen Konzeptes auf den theologischen Sinnzusammenhang müssen ebenso die den semiotischen Funktionen und damit auch den semiotischen Kategorien korrespondierenden „theologischen Interpretationen“ gefunden und erläutert werden: Die Bestimmung dieser theologischen Begriffe parallel zum semiotischen, triadischen Erkenntnisprozess erfolgt durch die Analyse der göttlichen Offenbarungsereignisse, die eine der Kommunikationssituation unter Menschen vergleichbare Offenbarungssituation zwischen Gott und Mensch darstellen, wie bereits festgestellt wurde. Die göttliche Offenbarungssituation korrespondiert mit der menschlichen Kommunikationssituation. Die Kommunikation zwischen Menschen wird aber - wie an früherer Stelle erwähnt wurde - vom semiotischen Modell ebenso erfasst: Ein semiotischer Bedeutungsbildungsprozess braucht nämlich nicht auf das Verhältnis zwischen dem Menschen als erkennendem Subjekt und dem Ding - dem zu erkennenden Objekt - als unmittelbarem Erschließungsprozess beschränkt bleiben, sondern kann auch durch einen Kommunikationsprozess ersetzt sein. In diesem Fall läuft der Bedeutungsbildungsprozess mittelbar - eben durch einen Sprecher vermittelt - ab. Ein Mensch als erkennendes Subjekt präsentiert einem anderen Menschen als erkennendem Subjekt ein in einem Sprachzeichen repräsentiertes Ding als zu erkennendes Objekt. Dieses vom Sprecher (oder Sender) im Zeichen gegebene Objekt muss vom Hörer (oder Empfänger) entschlüsselt werden. Auf diese Weise kann auch die Offenbarung Gottes im beschriebenen Offenbarungsgeschehen als ein Kommunikationsgeschehen verstanden, untersucht und gedeutet werden. Als den semiotischen Funktionen und Kategorien analoge „theologische Interpretationen“ eignen sich meines Erachtens Dichotomien bzw. Begriffspaare oder binäre Formulierungen am besten, da sie den jeweiligen semiotisch-triadisch strukturierten, theologischen Zusammenhang des Offenbarungsgeschehens vollumfänglich erfassen können. Sie fungieren als Vergleichspunkte. Die Bestimmung dieser Begriffe erfolgt durch die Beantwortung der Leitfrage : „Was bedeuten der semiotische Ding-, der Zeichen- und der Bedeu- 4.3. Geist und Zeichen 71 tungsaspekt im Rahmen des Markusevangeliums in theologischer Hinsicht - das heißt im Hinblick auf das christliche Evangelium von der Auferstehung? “ Auf diese grundsätzliche Frage lässt sich antworten: Jesus von Nazaret - der Messias- Christos - ist der Protagonist der markinischen Erzählung, der als Geistträger zum Offenbarungsträger Gottes wird. Der Offenbarungsprozess erscheint also zweifach vermittelt - zum einen durch Gott und zum zweiten durch Jesus; in beiden Fällen jedoch agieren beide Offenbarungsträger im Geist. Es erfolgt also eine pneumatologische Legitimierung der jesuanischen Sendung. Dass Jesus Offenbarungsträger ist, lässt sich bereits aus dem ersten Vers des Evangeliums unzweifelhaft ablesen (vgl. Mk 1,1). Das ist evident. Der im Evangelium des Markus erzählte Jesus tritt - wie dargestellt wurde - im Text mit den Menschen seiner Zeit - den Erzählfiguren - und über den Text hinaus mit den Menschen aller Zeiten - den Hörern und Lesern - in Kontakt. Jesus ist - wie jede Erzählfigur - Handlungs- und (zumindest potentieller) Identitätsträger, wie schon gezeigt werden konnte. Man könnte auch sagen: Es geht um die Person Jesu und um die Personen der jeweiligen Zeit, um die einmalige Geschichte über Jesus von Nazaret und um die bleibende Geschichte über Jesus Christus - das heißt um menschliche und göttliche Geschichte oder um Weltgeschichte und Heilsgeschichte . Narratives und Theologisches verbinden sich. So ergibt sich daraus die folgende, dem semiotischen, kategorial-triadischen Konzept von Peirce korrespondierende Terminologie: „Tod und Leben“, „Verheißung und Erfüllung“, „Vollmacht und Glaube“. Diese Momente verweisen jeweils auf den Ding- oder Wesensaspekt, den Zeichenbzw. Erscheinungsaspekt und den Bedeutungs- oder Wirkungsaspekt: „ Tod und Leben“ entsprechen dem Ding- oder Wesensaspekt, „Verheißung und Erfüllung“ dem Zeichen- oder Erscheinungsaspekt und „Vollmacht und Glaube“ dem Bedeutungsbzw. Wirkungsmoment. Die aufgezählten Begriffspaare lassen sich wiederum den geläufigen Motiven „Verwandlung“ und „Umkehr“ („Scheidung der Geister“) zuweisen. Im Einzelnen stehen hinter der Definition der Dichotomien folgende Überlegungen: Das Ding umfasst die Substanz, die ausgesagt werden will und soll. Die Substanz drängt auf Selbstmitteilung. Es ist daher ersichtlich, dass dem semiotischen Dingaspekt aus theologischer Perspektive die grundlegende, Gott offenbarende Botschaft der Erneuerung des Lebens in der Überwindung des Todes und in der Zueignung des ewigen Lebens entspricht. Diese Botschaft ist zugleich die „gute Nachricht“ - das „Evangelium“ - von der Aufrichtung der Königsherrschaft Gottes und stellt ihrerseits Gott als Inbegriff des Lebendigen und als Schöpfer des Lebendigen, wie es in seinem Namen zum Ausdruck kommt, dar. Der Zeichenaspekt reflektiert das verbindende Element - das In-Verbindung-Treten des Substanzhaften mit der Welt. Dies muss in der Form einer Äußerung - einer „Darstellung“ („representation“) - geschehen, die in theologischer Hinsicht angemessen in das Deutungsmuster 72 4. Erscheinung und Offenbarung von „Verheißung und Erfüllung“ gefasst werden kann: Es geht hierbei um heilsgeschichtliche, in Worten und Taten zeichenhaft erkennbare Ankündigungen und ihre ebenso in Worten und Taten zeichenhaft vermittelte Einlösungen. Das Moment der Bedeutung schließlich umschreibt die entscheidende Komponente des semiotischen Erschließungsprozesses - die Bedeutungsbildung. Das Bezeichnete und das Bezeichnende werden aufeinander bezogen, das heißt das bezeichnete Ding wird dem Verstand zur Anschauung gebracht. Die Aspekte der „Deutung“ und „Bedeutung“ fließen ineinander: Was ge deutet ist, ist zugleich be deutend. Theologisch gesehen muss die Selbstentäußerung Gottes, die sein Sohn überbringt, zu den Menschen als erkennende Subjekte gelangen, um den semiotischen Prozess abzuschließen. Damit sind die Begriffe „Vollmacht“ des Boten Jesus sowie „Glaube“ des bzw. der Menschen gegeben: Ob die Menschen Jesus Glauben schenken, hängt davon ab, ob sie die in den Wort- und Tatzeichen Christi sich darstellende Vollmacht, die die messianische Identität Jesu - des Sohnes Gottes - bezeichnet, als solche erkennen. Da die jesuanische Vollmacht der göttlichen Allmacht (oder Vollmacht) entspringt, trifft damit auch der Glaube oder Unglaube der Mitmenschen Jesu - und der Leser oder Hörer des Evangeliums - Gott selbst in seiner Machtfülle. Die theologische Zuordnung von „Vollmacht“ und „Glaube“ bezieht sich somit mittelbar auf das offenbarende Handeln Gottes. In den drei Dichotomien „Tod und Leben“, „Verheißung und Erfüllung“ sowie „Vollmacht und Glaube“ dokumentiert sich also die Offenbarung des lebendigen und lebensspendenden Gottes. Die den drei semiotischen Kategorien wie Funktionen zugeordneten drei theologischen Dichotomien, die im Kern offenbarungstheologisch-schöpfungstheologisch orientiert und pneumatologisch-soteriologisch strukturiert sind, deuten die Jesusgeschichte als Heilsgeschichte, indem sie auf das irdische Schicksal des Jesus von Nazaret ausgerichtet sind. Das heißt, sie beziehen sich auf Person und Lehre Jesu - auf den Messias sowie seine Ankündigung des Gottesreiches und auf die Auferstehung Jesu, die den Menschen seiner Zeit und aller Zeiten das ewige Leben schenkt. Im endzeitlichen Gottesboten und zugleich in seiner damit untrennbar verbundenen Botschaft konvergieren die drei theologischen Begriffspaare, die die Bedeutung Jesu in semiotischer Perspektive er mitteln und ver mitteln. Daher stellt die methodische Fokussierung auf die Aktion Jesu und die Reaktion seiner Zeitgenossen - also auf die Figuren der Erzählung - eine sinnvolle Strukturierung des episodenhaft gestalteten Markusevangeliums dar. 4.3. Geist und Zeichen 73 5. Taufe und Versuchung Der Anspruch Jesu, im Namen Gottes zu handeln, bildet den theologischen Kern des gesamten Markusevangeliums: Es geht um die Frage nach der wahren Identität des Mannes aus Nazaret. 1 Pointiert kommt dieses zentrale Thema der Vollmacht Jesu schon recht früh im Evangelium in Mk 6,3a. b in der verwunderten Reaktion der Nazarener über das souveräne Auftreten Jesu zum Ausdruck: οὐχ οὗτός ἐστιν ὁ τέκτων, ὁ υἱὸς τῆς Μαρίας καὶ ἀδελφὸς Ἰακώβου καὶ Ἰωσῆτος καὶ Ἰούδα καὶ Σίμωνος; - „Ist dieser nicht der Zimmermann - der Sohn der Maria und der Bruder des Jakobus und des Joses und des Juda und des Simon? “ Die Menschen aus dem näheren Umfeld Jesu meinen, diesen Mann zu kennen - aber sie kennen ihn anscheinend doch nicht. Die Aufzählung der zahlreichen Fragen der Nachbarn Jesu (vgl. Mk 6,2c-3c) belegt ihr Erstaunen: Der ihnen doch so vertraute Mann redet jetzt charismatisch wie ein Prophet (σοφία - vgl. Mk 6,2d)! Wie kann das bloß sein? Den nach ihrem Empfinden offenkundigen Widerspruch können sich die Nazarener nicht erklären und lehnen daher Jesus mit seiner Botschaft entschieden ab (vgl. καὶ ἐσκανδαλίζοντο ἐν αὐτῷ - vgl. Mk 6,3d). Nicht nur für die Nachbarn und Bekannten Jesu, sondern auch für die Rezipienten des Markusevangeliums stellt sich so die grundsätzliche Frage: Wer ist denn überhaupt „dieser“ (οὗτός - vgl. Mk 6,3a) vermeintlich gewöhnliche Zimmermann aus Nazaret? Markus gibt darauf in der Tauf- und Versuchungsszene Mk 1,9-13 eine eindeutige Antwort. Hier wird nüchtern berichtet, dass „Jesus von Nazaret“ (Ἰησσῦς ἀπὸ Ναζαρέτ - vgl. Mk 1,9) zu Johannes dem Täufer kommt, um sich von ihm im Jordan taufen zu lassen. Die Einführung der Person Jesu mit dem schlichten Abstammungshinweis verdeutlicht die noch gewöhnliche Existenz Jesu, die sich durch die nun folgende Gabe des göttlichen Geistes grundlegend wandeln wird. Die alttestamentliche, feierlich-hoheitliche Formulierung καὶ ἐγένετο ἐν ἐκείναις ταῖς ἡμέραις („Und es ereignete sich in jenen Tagen …“) gleich zu Beginn des Verses weist auf diesen Kontrast hin. 1 So zu Recht etwa auch G rundmann 1977, 40; y ounG -h eon l ee 1986, 99. 101. 102. 106. 239; v an i erSel 1993, 90. 74 5. Taufe und Versuchung 5.1. Text und Kontext Die Geschichte Jesu als offenbarungstheologisch-schöpfungstheologisch geprägte Erzählung über den Sohn Gottes (vgl. Mk 1,1) wird in der Tauf- und Versuchungsepisode mit der Geschichte des wirkenden Geistes parallelisiert. Somit begründet die pneumatologische Bestimmung das apokalyptisch-eschatologische wie soteriologisch-christologische Deutungskonzept. Die Perikope präsentiert sich im Hinblick auf die Geistthematik in ihrer narrativen Struktur als Diptychon, das mit der Erzählung von Taufe - vgl. Mk 1,9-11 - und Versuchung - vgl. Mk 1,12-13 - die Begabung Jesu mit dem Geist und seine Bewährung im Geist schildert. 2 In beiden Szenen ist also Jesus der Protagonist, dessen Erwählung zum Sohn Gottes in einer bildgewaltigen und symbolträchtigen (das heißt apokalyptisch-eschatologischen) 3 Darstellung ausgeführt wird (vgl. den folgenden Haupttext). Das den beiden Geschichten gemeinsame Moment des Geistes 4 begründet in der Forschungsliteratur die These von der Einheitlichkeit beider Erzählstücke. Entweder lag die Zusammenfügung bereits ursprünglich vor, oder sie wurde spätestens durch Markus hergestellt. 5 Der Verweis auf den Aspekt des Geistes ist in der Tat das ausschlaggebende Argument: Die Geistthematik stellt gerade die Pointe des Textstückes dar, so dass meines Erachtens von einer schon vormarkinischen Einheitlichkeit der vermeintlich eigenständigen Szenen auszugehen ist. 6 Dafür spricht in formaler Hinsicht auch die sprachliche Gestaltung durch die Wiederholung der markanten Wendung καὶ εὐθύς 7 jeweils am Anfang von Mk 1,10 und Mk 1,12, die sich auf die Erscheinung (Taufszene) bzw. die Wirkung (Versuchungsszene) des Geistes bezieht. 8 Ferner sind die Tauf- und die Versuchungsgeschichte mit je einer Schilderung sowie einer Deutung der Si- 2 Vgl. zur literarkritischen Frage der Einheitlichkeit auch den guten Forschungsüberblick bei a Pel 2013, 54-57. 3 Vgl. P eSch 1980, 88 f. 4 Zur Geistthematik pointiert und treffend etwa k ertelGe 1994, 20 (zur Stelle Mk 1,12 f.): „Es ist derselbe Geist, der bei der Taufe auf Jesus herabkommt, der ihn jetzt in die Wüste hinaustreibt.“ - Vgl. auch m ahnke 1978, 40; m arcuS 2000, 137; h aSitSchka 2002, [71-79] 73; e bner 2012, 21. 5 S chmithalS 1986, 82. 89 hält demgegenüber beide Textstücke für inhaltlich geschlossen und plädiert daher fürihre originäre Selbstständigkeit. 6 So auch P eSch 1980, 88; k inGSbury 1983, 69; k lauck 1997, 73; a Pel 2013, 54. 57. 59. - Vgl. G ibSon 1994, [3-34] 7 f.; er zeigt weitere interessante Parallelen und Auffälligkeiten auf. - Vorsichtiger äußern sich dagegen etwa k ertelGe 1994, 20 und d SchulniGG 2007, 65, während k amPlinG 1992, 47 die Fragestellung bewusst offenlässt. 7 Vgl. auch m oloney 2002, 28. 8 Vgl. zum Ganzen ausführlich P eSch 1980, 88 f.; vgl. ebenfalls d SchulniGG 2007, 65. 5.1. Text und Kontext 75 tuation parallel aufgebaut. 9 Diese Beobachtung lässt sich auch in semiotischer Hinsicht bestätigen, denn die Erzählweise repräsentiert gerade frappierend die triadische Systematik des Ding-, Zeichen- und Bedeutungsaspektes (siehe unten). Ergänzend können als Argumente für die Einheitlichkeit einerseits der mehrmalige Gebrauch des Personalpronomens αὐτός (in Mk 1,10. 12. 13), das auf Jesus rekurriert, dessen Name aber allein im V. 9 vorkommt, sowie andererseits der ebenfalls logisch aufeinander folgende Wechsel des Schauplatzes der Handlung vom Jordan (vgl. Mk 1,9) in die Wüste (vgl. Mk 1,12. 13) angeführt werden. 10 Zudem spiegeln sich in beiden Szenen die haggadische Gestaltung und die christologische Deutung wider. 11 Aufgrund der festen Struktur dieses Traditionsstückes ist die redaktionelle Arbeit des Evangelisten wohl gering zu veranschlagen. 12 Die somit insgesamt inhaltlich abgeschlossen wirkende Perikope lässt eine vom voraufgehenden Text gesonderte Überlieferung 13 vermuten. Darauf verweisen zum einen die schon genannte feierliche Eröffnungsformel und zum zweiten die nochmalige Erwähnung der Tauftätigkeit des Johannes. 14 So ergibt sich eine mit der semiotischen Matrix zu entwickelnde triadische Struktur des Textabschnittes Mk 1,9-13. Jeder Vers repräsentiert dabei jeweils eine der für die Peirce’sche Ausprägung der Semiotik charakteristischen Kategorien von „Ding“, „Zeichen“ und „Bedeutung“. Eine Ausnahme findet sich nur im V. 13, in dem der Zeichen- und der Bedeutungsaspekt zusammengefasst sind, wie der nachstehende Aufriss veranschaulichen wird: Der Vers 9 leitet die Taufszene, der Historizität nicht abzusprechen ist, 15 ein. Der Erzähler blickt darin auf die Darstellung der Tauftätigkeit durch Johannes im Jordan zurück, von der in der vorausgegangenen Episode gleich dreimal die Rede ist - nämlich in Mk 9 Vgl. P eSch 1980, 89; ebenso e rnSt 1981, 38. 10 Vgl. P eSch 1980, 88. 11 Vgl. P eSch 1980, 88 f. 12 Vgl. beispielsweise G nilka 2010 I, 49; vgl. auch v ielhauer 1965, [199-214] 205f; S chmithalS 1986, 82. 89; G uelich 1989, 30. 13 Dagegen G rundmann 1977, 40, der wegen des im Markusevangeliums nur angerissenen Momentes der Geisttäuferschaft Jesu einen übergreifenden Erzählbogen aus den beiden Taufszenen Mk 1,2-8 und Mk 1,9-11 annimmt. 14 Vgl. G nilka 2010 I, 49; a Pel 2013, 53. - Auf die durch den semitischen Ausdruck erzeugte Zäsur macht ebenfalls l entzen -d eiS 1998, 9 aufmerksam. 15 Die Frage nach der historischen Verortung ist hermeneutisch betrachtet sogar sekundär. Selbst wenn man die Erzählung über die Einsetzung Jesu zum Sohn Gottes als nachösterliche Prägung einstuft, wofür man durchaus gute Gründe anführen kann (vgl. dazu etwa l entzen -d eiS 1998, 11), dann bleibt das Verständnis des Textes dennoch unverändert. Entscheidend ist vielmehr allein die Erzähllogik. Danach gilt das Interesse des Verfassers in Mk 1,1 der Ankündigung des endzeitlichen Gottesboten, die in der Einlösung der Verheißungsbotschaft in Mk 1,11 gipfelt. Das Erzählgefälle orientiert sich also am theologischen Deutungsschema „Verheißung und Erfüllung“, das die Pointe des Textstückes Mk 1,1-11 bildet. 76 5. Taufe und Versuchung 1,4. 5. 8. Im V. 8 verknüpft sich die Wasserhandlung mit der Geisttaufe und weist voraus auf den schon in Mk 1,7b angekündigten „Stärkeren“. „Jesus von Nazaret in Galiläa“ als dieser „Stärkere“ wird nun im V. 9 eingeführt 16 ; er unterzieht sich wie alle anderen zu Johannes geströmten Menschen der Taufe, indem er in den Fluss steigt und dort von Johannes untergetaucht wird. Der Taufakt repräsentiert in semiotischer Hinsicht den Dingaspekt. Im V. 10 berichtet der Erzähler von der Vision, die Jesus in dem Moment widerfährt, als er den Jordan verlässt: Er sieht den Himmel geöffnet und den Geist Gottes daraus hervorkommen, der sich nun „wie eine Taube“ auf ihm niederlässt und in ihn eindringt. Aus der markinischen Formulierung - der Analogie ὡς περιστεράν - geht klar hervor, dass die dargestellte Begebenheit symbolisch zu verstehen ist. Sie ist ein Zeichen für Gottes Gegenwart. Somit lässt sich in dieser göttlichen Intervention, die Initiationscharakter hat, der Zeichenaspekt der semiotischen Triade wiedererkennen. Dieses visionäre Ereignis deutet die „Stimme aus dem Himmel“ im Vers 11: Zur Vision tritt nun noch eine Audition. Es ist die Stimme Gottes, die Jesus mit der soeben geschehenen Geistverleihung zum „geliebten Sohn“ annimmt. Jesus wird zum „Sohn Gottes“ proklamiert und als solcher adoptiert. Darin kommt die Verheißung Gottes auf den Anbruch seiner Königsherrschaft zum Ausdruck, der mit der Sendung des Menschensohnes zur Erfüllung gelangt. Diese Aussage spiegelt das Bedeutungsmoment in der semiotischen Hermeneutik wider. Damit endet die Taufszene - der erste Teil der Doppelperikope. Die in den VV. 9-11 geschilderte bildhafte Vermittlung des göttlichen Geistes stellt die Voraussetzung für die nun folgende Versuchungsperikope dar: Der Heilige Geist „treibt“ Jesus vom Jordan jetzt „hinein in die Wüste“ (vgl. V. 12). Es geht um eine Aussage über das Wesen des Geistes: Er ist eine vorwärtsdrängende Kraft, ist δύναμις. Damit ist - semiotisch gesehen - der Dingaspekt angesprochen. Nach diesem Ortswechsel beschreibt der Erzähler im Vers 13 die sich anschließende Handlung. Jesus hält sich „vierzig Tage“ in der Einöde auf, während er vom „Satan“ „versucht“ wird; zugleich lebt er inmitten „wilder Tiere“ und empfängt den Dienst der Engel. Die Darstellung der Versuchung hat wohl einen historischen Kern, 17 zeigt aber zugleich eine bewusste Gestaltung. Die Prüfung durch den Widersacher Gottes ist analog der Geistbegabung im Vers 10 gehalten. Auch der V. 13 handelt vom zeichenhaften Moment: Wie Jesus der Geist in der Gestalt einer Taube begegnet, so wird der nun mit göttlicher Kraft Ausgestattete von der widergöttlichen Macht in Gestalt des Teufels in Versuchung geführt (vgl. V. 13a). Der Tierfrieden und der Engelsdienst (vgl. V. 13b. c) dagegen belegen, dass Jesus die Bewährungsprobe bestanden hat. Diese beiden Motive 16 Vgl. auch l ührmann 1987, 36; G uttenberGer 2017, 35. 17 Vgl. auch a Pel 2013, 123-127. 5.1. Text und Kontext 77 stellen die Interpretamente der Versuchungsszene dar, präsentieren sie doch den Bedeutungsaspekt in einer protologisch-eschatologisch geprägten Szene und markieren somit bereits am Anfang des Evangeliums die Erfüllung der mit der Geisttaufe Jesu angestoßenen messianischen Hoffnung. Aus semiotischem Fokus betrachtet, enthält also der Vers 13 den Zeichenwie den Bedeutungsaspekt (vgl. Tabelle 1 am Ende des Kapitels). Die Perikope fügt sich sinnvoll in den Kontext des Anfangs des Markusevangeliums ein. Die Stelle im Evangelium, an der die Szene jetzt steht, lässt sich nämlich gut begründen: Die Doppelperikope Mk 1,9-13 repräsentiert eine Legitimationserzählung für den Vollmachtsanspruch Jesu. Seine Identität als endzeitlicher, mit dem Geist Gottes ausgerüsteter Übermittler der Königsherrschaft Gottes wird darin anschaulich. Man könnte die Taufwie die Versuchungsepisode, die eine Sinneinheit bilden, in einer gemeinsamen Textgattung zusammenfassen und diese sachlich angemessen als eine „Berufungsgeschichte sui generis“ bezeichnen. Der Zusatz „sui generis“ erscheint nötig, da die Vollmacht Jesu zwar einerseits auf das Erwählungshandeln Gottes zurückgeführt wird, 18 aber andererseits das für die Prophetenbeauftragung konstitutive, göttliche Sendungswort fehlt. 19 Die in Mk 1,9-13 geschilderte Handlung von Taufe und Versuchung ist gedeutetes Geschehen: Die neue Existenz Jesu bleibt den ihn umgebenden Menschen allerdings verborgen; selbst der Täufer, der dem Ereignis buchstäblich noch am nächsten steht, ist bloße „Staffage“. Es gibt keine Augen- und Ohrenzeugen für die Vision und Audition Jesu in der Taufszene (vgl. Mk 1,10: εἶδεν; vgl. Mk 1,11: ἐγένετο: Der Konnex mit dem vorausgehenden Lexem εἶδεν zeigt deutlich, dass Jesus der ausschließliche Empfänger der Vision ist), und beim Wüstenaufenthalt ist es evident, dass Jesus allein ist, als der Satan an ihn herantritt und die wilden Tiere und die Engel bei ihm sind. Geteilt wird die Offenlegung der Gottessohnschaft Jesu ausschließlich mit dem Leser des Buches; für die Menschen in der Szene bleibt Jesu messianische Identität weiterhin zweifelhaft. Sie kann nur - wie der weitere Weg Jesu zeigen wird - im Glauben, im Bekenntnis erfasst wer- 18 Vgl. die prägenden Texte alttestamentlicher Prophetenberufungen Jes 6; Jer 1; Ez 1-3. 19 Gegen die Einordnung der Taufperikope als Berufungs- oder Erwählungserzählung sprechen sich dezidiert etwa e rnSt 1981, 40 und aktuell S tolle 2015, 42 f. aus. - Positiv urteilen hingegen m ahnke 1978, 42-44; S chmithalS 1986, 83; G nilka 2010 I, 53. - Zum kreativen Umgang des Markusevangeliums mit den Textgattungen: vgl. a Pel 2013, 107; allerdings bezieht er seine Anmerkungen ausschließlich auf die Taufepisode: „So bleibt die Taufszene nur schwer mit vorhandenen literarischen Gattungen erschöpfend zu fassen und dürfte als eine situationsangemessene Neuschöpfung unter Anlehnung an tradierte Erzählformen am besten zu verstehen sein. Eine Einengung auf vorhandene Formen läuft Gefahr, vom Verfasser intendierte Aussagen zu verstellen.“ - Diesem Urteil ist nichts hinzuzufügen! 78 5. Taufe und Versuchung den. Das Moment des sogenannten „Messiasgeheimnisses“ scheint damit gleich mit dem ersten Auftreten Jesu im Evangelium auf. Enthüllung und Verhüllung sind also die Aspekte, die das Wesen Jesu als den „Christos“ oder „Christus“ (den „Gesalbten“, den „Messias“) auszeichnen, und die mit Gottes unergründlichem Sein, das durch die Verbundenheit von Immanenz und Transzendenz charakterisiert ist, korrespondieren. Hierin kommt das wahre Wesen Jesu als Sohn Gottes zum Ausdruck. Wie JHWH ist auch Jesus Christus geheimnisvoll. Ganz offenbar wird seine wahre Identität jedoch erst in Kreuz (vgl. Mk 15,33-47) und Auferstehung (vgl. Mk 16,1-8). Allerdings ist diese Offenbarung auch dort zunächst nur auf einen kleinen Kreis Eingeweihter beschränkt - nämlich auf die Frauen und vor allem auf die Jünger. Anfang und Ende des Evangeliums verbinden sich auf diese Weise. Die kurze Tauf- und Versuchungsszene Mk 1,9-13 gehört deswegen zu den eindrucksvollsten Beispielen für das im Markusevangelium häufig verwendete Stilmittel der Intratextualität , das die hermeneutische Beziehung zwischen den Einzeltexten und dem Gesamttext stiftet und so die markinische „Relecture“ begründet. Die Episode Mk 1,9-13 weist damit voraus auf das letzte Kapitel der Schrift. Sie geht aber gleichermaßen zurück auf den eröffnenden Vers des ersten Kapitels, der mit dem Begriff „Evangelium“ einerseits und der christologischen Titulatur „Sohn Gottes“ 20 andererseits die Botschaft Gottes mit dem Botschafter Gottes verbindet und dadurch Jesu „wahres Ich“ deutet: Der dort von der Stimme des Erzählers benannte „Gottessohn“ (vgl. υἱός θεοῦ) wird in Mk 1,11 von der Himmelsstimme als „geliebter Sohn“ (ὁ υἱός […] ὁ ἀγαπητός) bezeichnet. Sprachlich unterstreicht der die Taufszene rahmende feierlich-hoheitliche Terminus ἐγένετο in Mk 1,9 und Mk 1,11 die göttliche, geistgewirkte Bevollmächtigung und damit die rechtmäßige Vollmacht Jesu. Darüber hinaus nimmt das Motiv des „Evangeliums“ das Summarium der Gottesreichspredigt Jesu in Mk 1,14-15 vorweg. Die Szene Mk 1,2-8 bezieht die Personen und ihre Handlung auf die unmittelbar folgende Tauf- und Versuchungserzählung: Zum einen wird Johannes der Täufer (vgl. Mk 1,4. 6. 9) mit Jesus von Nazaret (vgl. Mk 1,9) verbunden , die vergangene (vgl. den Aorist ἐβάπτισα - vgl. Mk 1,8a) Taufe „mit Wasser“ (ὕδατι - vgl. Mk 1,8a; vgl. das Heraussteigen Jesu aus dem Wasser in Mk 1,10) durch Johannes und die zukünftige (vgl. die Futurform βαπτίσει - vgl. Mk 1,8b; ὀπίσω μου - vgl. Mk 1,7b) Taufe „mit dem Heiligen Geist“ (ἐν πνεύματι ἁγιῳ - vgl. Mk 20 Man hat davon auszugehen, dass die Christustitulatur „Sohn Gottes“ - υἱός θεοῦ - zum originären Textbestand gehört. - Vgl. zu dieser textkritischen Frage zutreffend G nilka 2010 I, 43: „Die Streichung von υἱοῦ θεοῦ in manchen Textzeugen erklärt sich aus der ungewöhnlichen Charakterisierung des Evangeliums. Gerade dies spricht für ihre Ursprünglichkeit […].“ 5.1. Text und Kontext 79 1,8b; vgl. die Herabkunft des Geistes in Mk 1,10) durch Jesus werden einander gegenübergestellt. Zum zweiten ist es hier in Mk 1,2-8 die Himmelsstimme, die den Täufer zum letzten „Boten“ (ἄγγελος - vgl. Mk 1,2b) 21 in der Zeit - im alten 21 Der Begriff ἄγγελος als Bezeichnung für die heilsgeschichtliche Funktion des Johannes ist in Beziehung zum christologischen Titel υἱός θεοῦ aus Mk 1,1, der für Jesus verwendet wird, zu setzen. Die Aussage ist damit klar: Jesus ist mehr als der Täufer. Die eschatologisch-soteriologische Relevanz Jesu überbietet diejenige des Johannes, wie dieser selbst in seiner Umkehrbotschaft verdeutlicht (vgl. Mk 1,7 f.). Zwar nimmt die Täuferepisode einerseits eine vorgegebene Formulierung auf (eine Zitatkombination aus dem Vers Mal 3,1 und der Stelle Ex 23,20, in der das Wort ἄγγελος erwähnt wird) und verwendet andererseits für die Predigt des Johannes genauso wie für die Verkündigung Jesu das Partizip Präsens κηρύσσων (vgl. Mk 1,4: Johannes; vgl. Mk 1,14: Jesus), doch repräsentiert ἄγγελος im Gegensatz zu κῆρυξ (vgl. c oenen 2014, [1755-1761] 1757 f.) die geläufige altwie neutestamentliche Bezeichnung für den irdischen wie hauptsächlich himmlischen Boten (vgl. b roer 1992a, [Spp. 32-37] Sp. 32 f.; S eebaSS 2014, [332-333] 332; b ietenhard 2014, [333-335] 334). Zudem bleibt die Verwendung des Verbs κηρύσσω und seiner Derivate im Neuen Testament unspezifisch, was insbesondere für das Markusevangelium gilt (vgl. c oenen 2014, [1755-1761] 1758 f. 1760; dahingehend ist auch m erk 1992, [Spp. 711-720] Sp. 715 zu verstehen). So wird man bei der Beurteilung des Verhältnisses zwischen dem Täufer und dem Messias dann sagen können, dass mit κηρύσσω zwar die Gleich artigkeit der Botschaft im Sinn einer endzeitlichen Sendung - der Ruf in die Umkehr und die Sündenvergebung (Stichwort μετάνοια: vgl. Mk 1,4: Johannes - vgl. Mk 1,15: Jesus; ἄφσις ἁμαρτιῶν: vgl. Mk 1,4: Johannes - πιστεύω: vgl. Mk 1,15b: Glaube als Voraussetzung für die Sündenvergebung, die Jesus wirkt - vgl. Mk 2,5! ) - markiert, aber gleichzeitig dadurch keine Aussage über die Gleich rangigkeit der Boten getroffen wird. Dass die Predigt des Johannes zudem nur indirekt wiedergegeben wird, während der Leser oder Hörer das „Evangelium Gottes“ (τὸ εὐαγγέλιον τοῦ θεοῦ - vgl. Mk 1,14) direkt aus dem Mund Jesu erfährt, zeigt die unterschiedliche Wertung des Markusevangeliums. Es gibt also eine eindeutige, qualitative Differenz im eschatologisch-soteriologischen Verständnis beider Boten, das nicht nur in der erzählerischen Gestalt (in der Ankündigung durch die Himmelsstimme - vgl. Mk 1,2b-3 - und durch Johannes den Täufer selbst - vgl. Mk 1,7b-8), sondern gerade auch im Lexem ἄγγελος zur Sprache kommt. - Auf den damit angezeigten niederen Rang des Täufers im Vergleich zu Jesus verweist nicht nur die Szene Mk 1,2-8, sondern die Einleitungsperikope Mk 1,1-15 insgesamt. Liest man nämlich Mk 1,2-8 im Verbund mit Mk 1,12-13, dann kann man im Dienst der Engel, der in der Versorgung des Messias besteht (vgl. Mk 1,13c; zur Begründung dieser Lesart für den Begriff διακονέω: siehe unten im Fließtext), eine Anspielung auf den Dienst des Täufers, der Jesus den Weg bahnt (vgl. Mk 1,2c), vermuten. Auf jeden Fall handelt es sich bei der Hilfe der Engel wie beim Dienst des Täufers um eine untergeordnete (begrenzte, auf den Messias bezogene Vollmacht) und unterstützende (auf Jesus ausgerichtete Vorbereitung) Tätigkeit, wenngleich das Handeln des Täufers bildlich gesprochen als „geistige Ausrüstung“ Jesu zu verstehen ist, während der Dienst der Engel seine „leibliche Versorgung“ sicherstellt. - Das Subordinationsverhältnis Johannes vs. Jesus wird deutlich herausgestellt, um mit dieser Kontrastierung die Messianität Jesu direkt zu Beginn des Markusevangeliums dezidiert zu akzentuieren. - Auf die mit Hilfe der sprachlichen Parallelisierung (ἄγγελος-Begriff) erzeugte funktionale Identifizierung Johannes des Täufers mit den Engeln macht auch b oSeniuS 2014, 81 im Zusammenhang mit der Bestimmung des überirdischen Wohnortes Gottes als himmlischer Thronsaal aufmerksam: 80 5. Taufe und Versuchung Äon - und damit zum Vorläufer des κύριος - des „Herrn“ - bestimmt, während dort in Mk 1,9-11 durch die gleiche himmlische Stimme Jesus zum „Sohn Gottes“ in der Endzeit - im neuen Äon - ausgerufen wird. Die Perikopen Mk 1,2-8 und Mk 1,9-13 zeigen somit den Aufbau einer Klimax: In ihrer Aussage stehen sie im Verhältnis von Verheißung (Johannes der Täufer, Bote / Prophet, Wassertaufe) und Erfüllung (Jesus von Nazaret, Herr / Messias, Geisttaufe) , von menschlichprophetischem Handeln und göttlich-messianischem Tun (vgl. Mk 1,7b: „der stärker ist als ich“ - ὁ ἰσχυρότερός μου; vgl. Mk 1,7c: οὗ οὐκ εἰμὶ ἱκανὸς κύψας λῦσαι τὸν ἱμάντα τῶν ὑποδημάτων αὐτοῦ). Die Abschnitte Mk 1,1 - der Titel des Markusevangeliums -, Mk 1,2-8 - die „Täuferperikope“ - und Mk 1,14-15 - die „Predigtperikope“ - bilden somit den erzählerischen Rahmen für die Stelle Mk 1,9-13. Alle genannten Textstücke repräsentieren die größere Erzähleinheit Mk 1,1-15 22 - den „großen Markusprolog“ -, der die ἀρχή der Geschichte Jesu in ihrem dargestellten zweifachen Bedeutungsspektrum schildert. So enthält dieser semantisch komplexe Textabschnitt die Stichwortverbindung: „Gott“, „Sohn Gottes“, „Bote“, „Verkündigung“, „Johannes der Täufer“, „Jesus von Nazaret“, „Geist Gottes“, „Evangelium Gottes“ und „Königsherrschaft Gottes“, die die offenbarungs- und schöpfungstheologischen sowie pneumatologisch-christologischen Aussagen des gesamten Markusevangeliums in nuce anklingen lässt. 5.2. Taufe und Geist (vgl. Mk 1,9 - 11) Markus schildert die Tauf- und Versuchungsszene in knappen Worten. Er ist ein Meister der Andeutungen und Anspielungen: Die Komposition und Redaktion des ihm vorliegenden Materials zur Jesusgeschichte zeigen seinen Stil, der sozusagen durch die „Brillianz der Prägnanz“ geprägt ist. 23 Lässt sich Lukas als „Kunstmaler“ begreifen, so ist Markus der „Zeichner“, der mit wenigen „Stri- „Dass zu einem solchen Thronsaal nach traditioneller Vorstellung Engel gehören, ist zum einen durch Verweise auf alttestamentliche Parallelen belegt worden, […] zum anderen wird Johannes der Täufer in der Funktion eines Elija redivivus [Kursivdruck im Original] als ἄγγελος, der von Gott zur Wegbereitung Jesu auf die horizontale Handlungsebene geschickt wird (ἀποστέλλω τὸν ἄγγελόν μου, Mk 1,2), in die Handlung eingeführt. Insofern überrascht es nicht, wenn noch in anderen Episoden des Markusevangeliums Engel in die Handlung eingreifen. Wie im Folgenden gezeigt wird, lassen sich deren Aktionen als modifizierte Form des göttlichen Eingreifens in die Evangelienhandlung verstehen, wenn man unter einem ἄγγελος keine autonome Erzählfigur, sondern einen von Gott beauftragten Akteur versteht.“ - Hier muss man allerdings einwenden, dass selbstverständlich auch ein solcher Bote ein Handlungsträger ist, da er schließlich als Stellvertreter Gottes auftritt! 22 Vgl. so zu Recht auch a Pel 2013,17 f. 23 Vgl. zu Recht auch l ohmeyer 1967, 20. 5.2. Taufe und Geist (vgl. Mk 1,9 - 11) 81 chen“ seiner Erzählung eine Tiefenstruktur verleiht, die erschlossen werden muss. Die An deutungen in der Tauf- und Versuchungsszene reizen zu Ausdeutungen, die die Gefahr mit sich bringen, ins Spekulative abzugleiten. Daher erfordern die markinischen Episoden eine genaue Lektüre und die strenge Beachtung des Kontextes: Die erwähnte Parallelisierung der Figuren Johannes und Jesus und die aufgezeigten vielfältigen theologischen Bezüge des „großen Markusprologs“ Mk 1,1-15 vermitteln einen Eindruck von diesem - im Vergleich zu den übrigen Synoptikern und dem Johannesevangelium lakonisch wirkenden, aber dadurch ausgesprochen anspielungsreichen - typisch markinischen Duktus. 24 Aufgrund der Verweisungsstruktur des Markusevangeliums eignet sich die semiotische Deutung in besonderer Weise, da sie den Blick gezielt auf den Zeichenaspekt und seine Bedeutung richtet. V. 9 Der Vers 9 besteht aus einer Parataxe, die sich in zwei Aussagereihen gliedert, die die zeitliche Abfolge der Geschehnisse in geraffter Form wiedergeben: Καὶ ἐγένετο ἐν ἐκείναις ταῖς ἡμέραις ἦλθεν Ἰησσῦς ἀπὸ Ναζαρέτ τῆς Γαλιλαίας καὶ ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην ὑπὸ Ἰωάννου („Und es ereignete sich in jenen Tagen, dass Jesus von Nazaret aus Galiläa herankam, und er ließ sich im Jordan von Johannes taufen“). Der erste Hauptsatz führt die Figur des Jesus von Nazaret im Evangelium ein, der zweite berichtet von der Taufe dieser Person durch Johannes. Ganz unspektakulär tritt der Sohn Gottes - der Protagonist des gesamten Evangeliums 25 - auf: Dramaturgisch gesehen erscheint Jesus wie ein „deus ex machina“ auf „der Bühne“ der Erzählung. Dieses „Kommen aus dem Nichts“ ist ein gewolltes Stilmittel: Der Leser oder Hörer des Evangeliums weiß bereits seit dem Titel um die Identität Jesu als Sohn Gottes und damit um Jesus als geheimnisvollen Repräsentanten des transzendenten und zugleich immanenten Gottes . Dieses geheimnisvolle Erscheinen Jesu lässt darüber hinaus an den göttlichen Schöpfungsakt , der wiederum auf die absolute Souveränität JHWHs verweist, denken. Auch wenn Jesus hier als Handelnder dargestellt ist, so geht sein Eintreffen auf Gottes Willen zurück, der sich - wie im Folgenden ausgeführt werden wird - im göttlichen Geist mitteilt . Die vermeintlich schlichte Äußerung über das urplötzliche Auftauchen des Menschen Jesus von Nazaret bringt somit den Gedanken der eschatologischen Neuschöpfung ins Spiel, die im Gotteswort „Siehe, ich mache alles neu! “ (vgl. Offb 21,5b) markant ausgedrückt ist. 26 24 Vgl. zum Stil des Markus allgemein etwa h errmann 2009, 135 f. 25 Vgl. hierzu zusammenfassend auch G uttenberGer 2017, 35 f. (zu V. 9). 26 Vgl. die markanten Aussagen zum endzeitlichen Panorama in Jes 43,19; 65,17-66,24. 82 5. Taufe und Versuchung Durch Kontrastaussagen porträtiert Markus nun seine Jesusfigur: So erzählt der V. 9 in sachlich-nüchternem Ton von Jesus als dem unbedeutenden Mann aus dem galiläischen Nazaret (Ἰησσῦς ἀπὸ Ναζαρέτ), der zu Johannes an den Jordan geht, um sich von ihm taufen zu lassen. 27 Er schließt sich damit der Vielzahl an Menschen aus „dem ganzen judäischen Land“ (πᾶσα ἡ Ἰουδαία χώρα - vgl. Mk 1,5a) „und alle[n] Jerusalemer[n]“ (καὶ οἱ Ἱεροσολυμῖται πάντες - vgl. Mk 1,5a) an. Der Verweis auf den Herkunftsort Jesu macht den Mann aus Nazaret für die Zuhörer und Leser des Evangeliums als historische Figur 28 greifbar, so dass gleich zu Anfang der Erzählung die Identität zwischen irdischem und auferwecktem Jesus verdeutlicht wird. 29 Der Vers stellt die Herkunft des Messias aus Galiläa der Herkunft der übrigen Menschen aus Judäa und Jerusalem gegenüber, 30 ebenso Jesus als Einzelperson der Masse der Menschen, wodurch sich die Aufmerksamkeit des Lesers auf diese Gestalt - den einzigen und wahren Sohn Gottes - richtet. Mit diesen beiden Aussagen am Anfang seiner Erzählung lenkt Markus zudem den Blick auf das Ende des Evangeliums: Jesus von Nazaret - der Christus - wird in Galiläa seine Wirksamkeit entfalten (vgl. Mk 1,14: εἰς τὴν Γαλιλαίαν), aber einen gewaltsamen Tod in Judäa - und zwar in Jerusalem - finden. 31 Dort wird er allein sterben müssen, so wie er schon jetzt allein die Szene betritt. 32 Der Erzähler entwirft in diesem Einleitungsvers bereits bei der ersten Erwähnung des Mannes aus Nazaret ein ambivalentes Bild, das Jesu weiteres Leben bestimmen wird: So wird Jesus Zustimmung und Ablehnung erfahren; sein Tun und Reden werden Begeisterung und Verwunderung, gleichzeitig aber auch Unverständnis bis hin zu Feindseligkeit auslösen. An Jesus von Nazaret scheiden sich die Geister. Die im Vers 9 durch die zweifache Verwendung der Formen von πᾶς erzeugte Hyperbel deutet die ungeteilte Zustimmung der Menschen zur apokalyptisch-eschatologischen Umkehrbotschaft des Täufers an, die - wie der Leser oder Hörer weiß - doch nur die vorläufige Botschaft für die Predigt des wahren Boten Gottes ist. Auch wenn diese Bemerkung überzogen klingt - 27 Vgl. auch b oSeniuS 2014, 111-114: Sie macht den interessanten und überzeugenden Vorschlag, mit der geografischen Bezeichnung „Judäa“ sei ein Verweis auf die traditionelle Wirkungsstätte der alttestamentlichen Propheten gesetzt, in deren Reihe Johannes als letzter Prophet gestellt wird (vgl. ebd. 113). 28 Vgl. l ohmeyer 1967, 20; G rundmann 1977, 40; e rnSt 1981, 38; zustimmend auch k amPlinG 1992, 50. 55. 29 Vgl. k inGSbury 1983, 60 f.; k amPlinG 1992, 50. 30 So zu Recht auch G uelich 1989, 31; G undry 2000, 47. 31 Vgl. zur Motivik „Galiläa vs. Judäa / Jerusalem“ ebenso k lauck 1997, 89 f.; S tolle 2015, 46. 32 Allerdings wird Jesus als Auferstandener wieder nach Galiläa zurückkehren (vgl. Mk 16,7), um dort an seine irdische Wirksamkeit anzuknüpfen und sie in überbietender Weise weiterzuführen. 5.2. Taufe und Geist (vgl. Mk 1,9 - 11) 83 besonders die Formulierung οἱ Ἱεροσολυμῖται πάντες -, so soll die Intention des Markus dadurch deutlich hervortreten: Johannes wird als prophetische Figur ausgewiesen. Er ist der letzte Prophet vor der Ankunft des Messias, und er erfährt mit seiner Lehre einen bemerkenswerten Zuspruch. Hingegen wird die Botschaft des Gottessohnes auf schärfsten Widerspruch stoßen und seinen Überbringer zu einem grausamen und schändlichen Tod führen. Bereits an dieser Stelle liegt somit eine unterschwellige Anspielung auf die Passion Jesu vor. 33 Dass Jesus selbst die Umkehrbotschaft des Täufers hört, geht aus der Darstellung in Mk 1,9 expressis verbis nicht hervor. Jesus musste aber die Lehre des Johannes zu Ohren gekommen sein, sonst hätte er sich nicht entschlossen, den weiten und anstrengenden Weg aus Galiläa auf sich zu nehmen, 34 um den charismatisch predigenden und asketisch lebenden (vgl. Mk 1,6) Mann aufzusuchen (vgl. Mk 1,9: ἦλθεν) und von diesem die Umkehrtaufe zu empfangen. Ob sich Jesus darüber hinaus auch der sich um die Täufergestalt bildenden Jüngergemeinschaft anschloss, lässt sich aus der markinischen Darstellung so nicht belegen. Wie schon mehrfach angesprochen, grenzt der Erzähler Jesus vielmehr bewusst von Johannes ab. Das gilt auch für diese Stelle: Das Syntagma καὶ εὐθύς („und sofort“) in Mk 1,12 signalisiert die unmittelbare zeitliche Nähe zwischen der Spende der Taufe durch Johannes am Jordan und dem Weggang Jesu an einen einsamen Ort in der Wüste, wo seine Versuchung durch den Teufel stattfindet. Daher liegt die Vermutung nahe, dass Jesus dem Täufer nicht gefolgt ist. In diesem Sinne ist Jesu Taufe durch Johannes zu verstehen: Letzterem ist zwar unter den Menschen ein gewaltiger Erfolg beschieden, diese Zustimmung ist jedoch in Abhängigkeit vom Wirken des „Stärkeren“ (vgl. Mk 1,7b) zu sehen. Der Täufer will das jüdische Volk durch die Verkündigung der Ankunft des Messias - „des Stärkeren“ - sowie durch die diese Umkehrbotschaft begleitenden Bußtaufe um sich scharen, um die Menschen für das „Evangelium Gottes“ (vgl. Mk 1,14: τὸ εὐαγγέλιον τοῦ θεοῦ) vorzubereiten. Damit ist seine heilsgeschichtliche Mission 33 Zwar erleidet auch Johannes der Täufer durch die Hand des Herodes einen gewaltsamen Tod - vgl. Mk 6,17-29 -, aber dieser Tod geht nach der markinischen Darstellung lediglich auf eine persönlich motivierte Intrige der Herodias zurück - vgl. Mk 6,18-21 -, besitzt daher weder eine große weltgeschichtliche noch eine weitergehende heilsgeschichtliche Bedeutsamkeit. Folglich schildert das Markusevangelium das Schicksal des Täufers auch nur in der gebotenen Kürze - nämlich innerhalb eines einzigen Kapitels. Demgegenüber sind die Ereignisse um Strafprozess, Hinrichtung, Tod und Auferstehung Jesu in mehreren Kapiteln szenisch ausgeführt und theologisch ausgedeutet (vgl. Mk 14,1-16,8). Im Hinblick auf die unterschiedliche theologische Relevanz beider Akteure lohnt sich zudem der Vergleich zwischen dem Vers Mk 6,29 und dem Schlusskapitel Mk 16,1-8: Die Geschichte um Johannes den Täufer endet im Grab, wohingegen die Geschichte Jesu im Grab einen neuen Anfang findet! 34 Vgl. auch k laiber 2015, 26. 84 5. Taufe und Versuchung abgeschlossen, 35 so dass die Wirksamkeit des Sohnes Gottes daran anknüpfen kann: 36 Der Weg Jesu ist geebnet (vgl. Mk 1,2c. 3b. c)! 37 Mit der Schilderung der Taufe durch den Bußprediger Johannes ist somit ausgesagt, dass Jesus das Wirken des Täufers zwar als heilsgeschichtlich notwendiges, aber lediglich vorläufiges Geschehen anerkennt, und er daher diese eschatologische Sammlungsbewegung jetzt selbst in überbietender Form zu Ende führen muss. 38 Er ordnet sich also dezidiert nicht der prophetischen Autorität seines Taufspenders unter. Eine weitere Motivation für Jesus, die Taufe durch Johannes zu empfangen, besteht in der Annahme des eschatologischen Dienstes der Solidarisierung mit seinem Volk: Es geht um den Gedanken der Erneuerung ganz Israels in diesem Bußritus, der die hyperbolische Bemerkung über den Missionserfolg des Täufers erklärt. Da der Sohn-Gottes-Titel im traditionell-jüdischen Sprachgebrauch für das Volk Israel stehen kann - vgl. Ex 4,22, Hos 11,1 - sowie für den König verwendet wurde - vgl. Ps 2,7; 2 Sam 7,12-14; Sir 4,10; Weish 2,13-18 - und deswegen auch auf den endzeitlichen Messiaskönig übertragbar ist - vgl. Qflor 10-14 -, kann sich Jesus zu Recht auch als Stellvertreter Israels verstehen. 39 Das Markusevangelium unterstreicht somit Jesu herausragende heilsgeschichtliche Bedeutung in zweifacher Weise, indem er ihn von der Menge seiner Zeitgenossen im Allgemeinen und von Johannes dem Täufer im Besonderen absetzt. Die Beiläufigkeit von Jesu Auftreten belegt seine gewöhnliche irdische Existenz. Sie wandelt sich nun in seiner Taufe. Ein erstes Indiz für die Gottessohnschaft Jesu gibt der hoheitsvolle Hebraismus: „und es ereignete sich in jenen Tagen“ (καὶ ἐγένετο ἐν ἐκείναις ταῖς ἡμέραις) am Versanfang, der einen prophetisch-eschatologischen Klang hat (vgl. Jer 31,33; Joël 3,1; Sach 8,23) 40 hat, und sich auf die zweifache Ankündigung durch die Stimme Gottes (vgl. Mk 35 So ist es kein Wunder, dass das Interesse der Erzählung an Johannes mit Mk 1,9 abrupt endet. - Von seinem weiteren Schicksal erfährt der Leser oder Hörer des Evangeliums nur noch sporadisch in der Notiz Mk 1,14, der kurzen Episode Mk 6,14-16 sowie - wie zuvor gesehehen - in der knapp ausgestalteten Szene Mk 6,17-29. Im ersten Fall handelt es sich lediglich um eine Erwähnung im Nebensatz, im zweiten um eine resümierende Darstellung im Zusammenhang mit Jesus (! ) und im dritten Fall um eine rückblickende, geraffte Schilderung (vgl. Mk 6,17), so dass durch die Kürze der Texte bereits in formaler Hinsicht erneut die heilsgeschichtliche Hierarchie zwischen Johannes und Jesus eindeutig markiert ist. Darüber hinaus wird die theologische Aussage dieser Szenen klar: Auf Johannes kommt es nicht (mehr) an. 36 Vgl. zum Thema der Parallelisierung und Abgrenzung zwischen Johannes dem Täufer und Jesus von Nazaret k lauck 1997, 21-27 (25 f.) - Vgl. auch c ollinS 2007, 147 f. (zu V. 9). 37 Als alttestamentliche Referenzstelle für die vorbereitende Sendung des Täufers ist Jes 43,19b einschlägig. 38 Vgl. G rundmann 1977, 41; l entzen -d eiS 1998, 11; S chenke 2005, 53. 39 Vgl. dazu l imbeck 2014, 261 f. 40 Vgl. m arcuS 2000, 163; k laiber 2015, 25 f.; G uttenberGer 2017, 36. 5.2. Taufe und Geist (vgl. Mk 1,9 - 11) 85 1,2b-3) sowie die Stimme des Rufers in der Wüste (vgl. Mk 1,3a) - Johannes (vgl. Mk 1,7b-8) - bezieht. Das Syntagma ist somit Zeichen für die einmalige eschatologische Würde Jesu. 41 Die Wendung nimmt also den vorhergehenden Leitgedanken der Messianität auf und bereitet auf die folgende Szene vor: Jesus wird nun mit diesem Sohn Gottes - mit dem Messias - im Taufgeschehen identifiziert. Der in Mk 1,9 mit der Konjunktion καί eingeleitete passivisch formulierte Hauptsatz ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην ὑπὸ Ἰωάννου schildert das Taufgeschehen kurz und bündig. Genannt werden die Taufhandlung (ἐβαπτίσθη), der Spender (ὑπὸ Ἰωάννου) und der Empfänger (ἐβαπτίσθη in Verbindung mit dem dazugehörigen Subjekt Ἰησσῦς ἀπὸ Ναζαρέτ) der Taufe sowie der Ort des Ereignisses (εἰς τὸν Ἰορδάνην). Der im Vers 9 als Taufstätte genannte Fluss stellt eine bewusste Andeutung auf das Exodus-Geschehen dar. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch den später im Vers 13 folgenden Hinweis auf die vierzigtägige Dauer des Wüstenaufenthaltes Jesu (τεσσεάκοντα ἡμέρα): 42 Die Überquerung des Jordan als Beginn der Landnahme Israels markiert die Einlösung des göttlichen Heilsversprechens (vgl. Jos 1,1). Übertragen auf den Zusammenhang der markinischen Taufszene steht der „Jordan“ dann als Metapher für die endgültige, endzeitliche Erfüllung des Heils Gottes - sozusagen für die Durchsetzung des eschatologischen Gottesreiches als spirituellem und daher unverlierbarem Land Israels. Aus semiotischer Perspektive ist mit dem Vorgang der Taufe im Jordan auf der Mesoebene - also hinsichtlich der Dimension der Perikope - der Dingaspekt angesprochen. Dieses Moment verbindet sich auf der semiotischen Mikroebene - das heißt der Ebene des einzelnen Zeichens - zweifach: nämlich mit dem Begriff ἐβαπτίσθη und dem Syntagma εἰς τὸν Ἰορδάνην. Sie sind die beiden fundamentalen bzw. elementaren Sprachzeichen - die „Schlüsselbegriffe“ -, die narrativ gesehen die Taufhandlung und semiotisch betrachtet den erwähnten Dingaspekt konstituieren. Die Verbform im Passiv ἐβαπτίσθη lässt sich semiotisch deuten als Ausdruck für die ambivalente Verbindung von Verhüllung und Enthüllung : Hiermit wird - theologisch formuliert - das göttliche Sein als Ineinander von Transzendenz und Immanenz bestimmt. Beide Momente vergegenwärtigen die Allmacht (bzw. Vollmacht) Gottes. Diese Allmacht folgt aus dem göttlichen Wesen, das als das „Leben an sich“ zu erfassen ist und im Gottesnamen „ JHWH “ zu erkennen ist. Die Allmacht Gottes gegenüber seinen Geschöpfen zeigt sich in seinem Schöpfer- 41 Vgl. m oloney 2002, 35 f.; k laiber 2015, 25 f. 42 Vgl. zu den biblischen, epiphanen Motiven bzw. Topoi von „Jordan“, „Wüste“ und „Berg“ resümierend G uttenberGer 2004, 85-90. 86 5. Taufe und Versuchung handeln, das in Offenbarungszeichen geschieht. Diese wiederum vermitteln dem menschlichen Subjekt die Erfahrung von göttlicher Transzendenz und Immanenz. Im Folgenden sollen die Momente der „Transzendenz und Immanenz“ in Mk 1,9 genauer analysiert werden: Zum einen geht es um den Aspekt der Transzendenz. Der menschliche Taufspender ist zwar Johannes, wie aus der Wendung ὑπὸ Ἰωάννου (genitivus auctoris) hervorgeht, doch der wirklich Taufende ist Gott, was sich aus der erfolgten Bekundung des göttlichen Willens in der Erwählung des Gottessohnes sowie in der Bestimmung der heilsgeschichtlichen Funktion des Täufers als letztem Boten Gottes ergibt und mit der Aussage der Verse 10 und 11 bestätigt wird. Gott wirkt somit - wie Bastiaan Martinus Franciscus van Iersel mit der Theatermetapher sowohl anschaulich als auch treffend bemerkt - „hinter den Kulissen“. 43 Dass die wahre Urheberschaft für den Taufakt an dieser Stelle ausdrücklich noch nicht geklärt wird, zählt zur markinischen Erzählstrategie, verweist das Verschweigen doch auf die göttliche Eigenschaft der Transzendenz, die der Mensch als Unerkennbarkeit und Unauslotbarkeit göttlichen Seins erfährt. Zugleich wird mit Hilfe des Passivs ἐβαπτίσθη, das sich auf den Empfänger der Taufe - Jesus - bezieht, bereits auf den Zeichenaspekt im V. 10 und den Bedeutungsaspekt im V. 11 vorverwiesen. Die Verwendung des Lexems ἐβαπτίσθη paraphrasiert die Tatsache, dass Gottes Wesen auf Jesu Person übertragen wird und damit ein verwandeltes, neues, irdisches Sein stiftet. 44 Daher gilt auch für den Gottessohn die Wesenseigenschaft der grundsätzlichen Verborgenheit Gottes, die dadurch das markinische Messiasgeheimnis konstituiert. Der Aspekt der Übertragung des geheimnisvollen Seins Gottes auf den Kyrios lässt sich noch genauer bestimmen: Jesus wird in der Taufhandlung zum ersten Mal durch die Verbform als passive Figur gekennzeichnet. Diese Beobachtung kann man in der Weise interpretieren, dass der Evangelist hiermit die völlige Unterordnung Jesu unter die Allmacht Gottes herausstellen will. Die in den Anfangsversen Mk 1,1-13 45 entwickelte enge Personenkonstellation „Gott“ (göttliche Stimme, 43 Vgl. v an i erSel 1993, 82. - Vgl. ebenso k lauck 1997, 13-18. 112 f. 115 (die Bühnenmetapher findet sich natürlich bereits im Buchtitel: „Vorspiel im Himmel“ durch die Anspielung auf Johann Wolfgang von Goethes Faust -Drama! ). 44 Die Präexistenz Jesu, die in Mk 1,1 mitschwingt, bleibt von dem Taufvorgang natürlich unberührt. Daher markiert die Taufe Jesu sozusagen den „irdischen Anfang“ der Gottessohnschaft Jesu. 45 In der Beziehung der handelnden Personen im „kleinen Markusprolog“ lässt sich somit ein doppeltes Subordinationsverhältnis feststellen: So wie der Täufer sich der Vollmacht Jesu beugt, so begegnet der Sohn Gottes dem Vater, denn die Vollmacht Jesu speist sich aus Gottes Allmacht. Im weiteren Verlauf des Evangeliums tritt Jesus dann jedoch „vollmächtig“ als aktive Erzählfigur auf, die im Namen Gottes - als sein Stellvertreter - zur Durchsetzung des Reiches Gottes handelt. Die expliziten christologischen Titel „Sohn 5.2. Taufe und Geist (vgl. Mk 1,9 - 11) 87 göttlicher Geist) - „Johannes der Täufer“ - „Jesus“ muss also theologisch - im Sinne des semiotischen Bedeutungsaspektes - ausgewertet werden. Zum zweiten deutet sich in der Passivform ἐβαπτίσθη der Aspekt der Immanenz Gottes an, in dem zum Ausdruck kommt, wie sich der Wille Gottes zur Heraufführung der göttlichen Königsherrschaft geschichtlich konkretisiert. Mit der Taufhandlung, die Johannes am Kyrios vollzieht, bricht die himmlische Welt in die irdische Welt ein und verändert sie grundlegend, was die nachstehenden beiden Verse mit der Erwähnung des Geistaspektes präzisieren werden. Die Initiation Jesu geschieht als Intervention Gottes. Wenn man diese Beobachtung mit Peirces Zeichenkonzept verbindet, so lässt sich die semiotische Funktion des „Dynamischen“ deutlich erkennen . Genauer gesagt geht es semiotisch gesehen um die selbsterschließende Kraft des Dingaspektes, die zur Erkenntnis durch das sinnerfassende Subjekt drängt, theologisch betrachtet um die Offenbarung des Willens Gottes, die der Offenlegung seines Selbst dient. Das semiotische Moment der Dynamik und das theologische Motiv der Epiphanie korrelieren. Somit ist die Taufe Jesu als Selbsterschließung Gottes aufzufassen. Substantiell gesehen geht es dabei um die Darlegung der Allmacht bzw. Vollmacht Gottes, die sich in seiner Transzendenz wie Immanenz mitteilt, und die Jesus im Taufakt als Vollmacht übereignet wird, um so an Gottes Allmacht zu partizipieren . Vollmacht kann also als das bestimmende Prinzip des göttlichen bzw. messianischen Geheimnisses gelten, das im Zeichen der göttlichen Transzendenz und Immanenz dargestellt ist. Somit sind die Abstrakta „Allmacht und Vollmacht“ einerseits und „Transzendenz und Immanenz“ andererseits als Synonyme austauschbar. Beide Aspekte gründen im Schöpfersein JHWH s. Das offenbarungs- und schöpfungstheologische Moment steht also im Hintergrund dieser Aussage. In stilistischer Hinsicht kommt die Wesenheit Gottes in der Taufszene neben der Verwendung der passivischen Verbform auch in der Wendung „im Jordan“ zum Ausdruck: Die irdische Materie des Wassers wird zum Zeichen für die Inkarnation der neuen, vollmächtigen Existenz Jesu. Erde - die Schöpfung - und Himmel - der Schöpfer - begegnen sich. Dies wird im Folgenden mit dem Geistaspekt verknüpft, so dass die einmalige heilsgeschichtliche Stellung der jesuanischen Vollmacht sichtbar wird. Handelt es sich bei der Johannestaufe um eine „Wassertaufe“ in Verbindung mit dem eschatologischen Befreiungsritus der Sündenvergebung, so ist die von Jesus an seinen Mitmenschen in Wort- und Tatzeichen vollzogene „Geisttaufe“ eine über die Zeichenhandlung Gottes“ sowie „Kyrios“ umschreiben diese herausgehobene Stellung Jesu. Dennoch lässt die markinische Darstellung keinen Zweifel darüber aufkommen, dass die jesuanische Vollmacht stets an die Allmacht Gottes geknüpft bleibt: So zeigt sich beispielsweise die Abhängigkeit Jesu von seinem himmlischen Vater markant in der Schilderung von Tod und Auferweckung Jesu (vgl. Mk 15,33-41; 16,1-8). 88 5. Taufe und Versuchung hinausreichende, im wahrsten Sinne des Wortes „substantielle“ - also grundlegende - endzeitlich-geistige Reinigung von der Last der Sünden. Bemerkenswert ist, dass im Verhältnis der Wassertaufe des Johannes zur Geisttaufe des Jesus von Nazaret die Bedeutsamkeit von Materiellem und Immateriellem umgekehrt wird: Die Stofflichkeit des Wassers ist für die Täuflinge zwar mit ihren menschlichen Sinnen wahrnehmbar, ist aber dem nichtstofflichen und daher nicht sinnlich erfahrbaren Geist in seiner eschatologisch-soteriologischen Relevanz nachgeordnet. Substanz und Relevanz konterkarieren. Damit ergibt sich die Paradoxie, dass das Substanzlose im wörtlichen Sinne das Substanzhafte im übertragenen Sinne darstellt. Das endzeitliche Handeln Jesu in Vollmacht ist ein schöpferisches - genauer gesagt: ein neuschöpferisches - Tun, das auf Gott als den Urgrund des Lebens verweist: Die Erlösung von den Sünden bedeutet die Auflösung erstarrten - das heißt toten - Lebens und die Ermöglichung eines neuen Daseins. Der Dingaspekt reflektiert damit die theologische Dichotomie von „Tod und Leben“ und verweist so auf das göttliche Wesen. Die gewirkten Zeichen Jesu sind Offenbarungszeichen Gottes. Der semiotische Zeichenbegriff eignet sich somit auch für die theologische Interpretation, die auf der einen Seite die offenbarungstheologische und auf der anderen Seite die schöpfungstheologische - also auch soteriologisch-christologische - Komponente des Evangeliums herausstellen kann. Wenn Jesus also diese Befähigung zur Neuschöpfung in seinen Worten und Taten buchstäblich „zeichenhaft“ vermittelt, dann drückt sich darin göttliches Schöpferhandeln aus, was im Markusevangelium mit dem Begriff der „Königsherrschaft Gottes“ gemeint ist, der somit synonym gebraucht wird. Genau wie Gott wird Jesus zum Stifter von neuem, verwandelten Leben, so wie er selbst im Taufgeschehen diese Verwandlung durchgemacht hat. Die von den Zeitgenossen Jesu aufgeworfene Kernfrage nach der Legitimität seiner Vollmacht scheint bereits an dieser Stelle auf. Jesus erhält mit der Taufhandlung eine andere, alle menschlichen Befugnisse übersteigende Qualität, die jedoch von den Adressaten seiner Lehre angenommen werden muss. In semiotischer Hinsicht verbindet sich mit dieser Feststellung die grundsätzliche Deutungsbedürftigkeit des Dingaspektes. Das Jesus vermittelte Sein des Geistes Gottes wird im folgenden Vers mit einem Offenbarungszeichen - semiotisch gesprochen: einer „Darstellung“ („representation“) - begreiflich gemacht. V. 10 Wie im Vers zuvor wird auch hier die erzählte Handlung mit καί angefügt und zudem die zeitliche Nähe zur vorausgegangenen Schilderung der Taufe durch Johannes mit dem Adverb εὐθύς dargestellt. Zugleich markiert Markus damit eine Umdeutung des irdischen Geschehens durch das nun erfolgende himm- 5.2. Taufe und Geist (vgl. Mk 1,9 - 11) 89 lische Ereignis der Geistmitteilung. Diese Neubewertung drückt sich in der Verwendung der drei Partizipien ἀναβαίνων, σχιζομένους und καταβαῖνον aus, die die Gleichzeitigkeit des berichteten Vorgangs betonen und dadurch die schnelle Abfolge des Ereignisses - das εὐθύς verstärkend - ins Wort fassen. Die im V. 9 knapp geschilderte Wassertaufe wird im V. 10 um eine sich daran anschließende Geisttaufe erweitert, die eindeutig nicht mehr Johannes, sondern Gott selbst vollzieht. Es ist evident, dass es sich um eine göttliche Intervention handelt. 46 In dieser Hinsicht sind die beiden Syntagmen „im Jordan“ (vgl. Mk 1,9: εἰς τὸν Ἰορδάνην) und „wie eine Taube“ (vgl. Mk 1,10: ὡς περιστεράν) zwar aufeinander bezogen, da sie mit dem Geschehen der Johannestaufe mehr oder weniger stark in Verbindung stehen, der Ausdruck „wie eine Taube“ verweist aber auf die überbietende Taufhandlung Gottes. Mit der vorbereitenden Taufe für den Messias gelangt die Mission des Täufers an ihr Ende. Die Sichtbarkeit der Wassertaufe kontrastiert mit der Unsichtbarkeit der Geisttaufe. Das Unsichtbare ist dabei das Entscheidende. In dieser (vermeintlichen) Paradoxie drückt sich das geheimnisvolle Wesen des Göttlichen aus, das ab dem Augenblick der Geisttaufe auch dem irdischen Jesus zu eigen ist. Die Aussage ist offensichtlich: Gottes Allmacht verleiht Jesus die Vollmacht, die für die Verkündigung der Königsherrschaft Gottes nötig ist. Bei dieser Geisttaufe handelt es sich um eine Vision Jesu (vgl. εἶδεν), die außer ihm nur dem Leser und Hörer des Evangeliums bekannt wird. 47 „Und sofort, als er aus dem Wasser stieg, sah er den Himmel sich spalten [wörtlich: sah er die gespaltenen Himmel] und den Geist wie eine Taube auf ihn herabsteigen.“ - καὶ εὐθὺς ἀναβαίνων ἐκ τοῦ ὕδατος εἶδεν σχιζομένους τοὺς οὐρανοὺς καὶ τὸ πνεῦμα ὡς περιστερὰν καταβαῖνον εἰς αὐτόν· Die Spendung des Geistes, die in deutlich apokalyptischer Manier erfolgt, 48 geschieht in dem Moment, in dem der Neugetaufte aus dem Wasser des Jordan steigt (ἀναβαίνων). Sie besteht zum einen im Öffnen des Himmels und zum anderen im Herabsteigen des Geistes, für das Markus die Gestalt sowie den Flug eines Vogels - einer Taube - als Vergleich gebraucht. 49 Markant ist die Schilderung der gegenläufigen Bewegung des Hinaufsteigens (ἀναβαίνων) aus dem Fluss und des Herabkommens (καταβαῖνον) des Geistes, womit einerseits die schnelle zeitliche Reihenfolge der Ereignisse ausgedrückt und andererseits 46 Vgl. unter anderem k inGSbury 1983, 60. 66; m oloney 2002, 39; a Pel 2013, 60. 47 Vgl. zur Einweihung und der sich daraus ergebenden Sympathielenkung des Lesers als markinische Erzählstrategie k lauck 1997, 44-46. 113-115; a Pel 2013, 15 f. 48 Vgl. P eSch 1970a, [108-144] 124 f.; S chmithalS 1986, 83 f.; m ell 1996, [161-178] 164. 166-170; m arcuS 2000, 159; G nilka 2010 I, 52; h errmann 2009, 155 f. 49 Vgl. dazu auch G uttenberGer 2017, 36. 90 5. Taufe und Versuchung die Wassertaufe durch Johannes deutlich von der Geisttaufe durch Gott abgehoben wird. 50 Die Himmelsöffnung repräsentiert das die Herabkunft des Geistes begleitende Zeichen. 51 Die markinische Beschreibung des aufgerissenen Himmels 52 - σχιζομένους τοὺς οὐρανούς - verdeutlicht das machtvolle, fast schon als gewaltsam zu bezeichnende Eingreifen Gottes zur Durchsetzung seines Willens in einem Offenbarungszeichen, 53 das die Unbedingtheit und Verbindlichkeit des göttlichen Ratschlusses dokumentiert: Der Himmel zerreißt wie ein Stück Stoff. Der Gebrauch von σχίζω zur Bezeichnung dieses eschatologischen Vorgangs ist ungewöhnlich; üblich ist die Verwendung des Verbs ἀνοίγω. 54 Dadurch akzentuiert der Evangelist die machtvolle Intervention JHWH s, die die Initiation Jesu und die Initiation der Gottesherrschaft gleichermaßen ausdrückt. So ist es kein Wunder, dass sich derselbe Ausdruck auch in der Todesszene Jesu findet - beim Entzweireißen des Vorhangs im Jerusalemer Tempel (vgl. Mk 15,38: ἐσχίσθη εἰς δύο). Wie dort das Allerheiligste durch den Vorhang den Blicken der Menschen entzogen ist, so bedeckt hier das Firmament die Erde; 55 wie dort der Blick auf das Allerheiligste durch Gottes Tun freigegeben wird, so zeigt sich hier die irdische Verwandlung Jesu zum Sohn Gottes in der von Gott veranlassten Sendung des Geistes. Die terminologische Nähe beider Szenen bedingt auch ihre gemeinsame theologische Semantik: Das göttliche Sein öffnet sich für das irdische Sein 56 (verstärkt durch das Motiv der Zerteilung des Himmels). 57 Die beiden Dimensionen von Überzeitlichkeit und Zeitlichkeit begegnen sich und erfüllen damit die eschatologische Hoffnung des Anbruchs der Gottesherrschaft, die von kosmischen Zeichen begleitet ist. Mögliche apokalyptisch-messianische Vorbilder dazu sind in Jes 11,2; 42,1; 61,1 f.; 63,19 und in Ez 1,1 zu finden. 58 Der apokalyptisch-eschatologische Vorgang wird im Zeichen des Herabsinkens des Geistes „wie eine Taube“ im buchstäblichen Sinn „vor Augen geführt“. Es ist ein Offenbarungszeichen für das göttliche Pneuma, das auf der Mesoebe- 50 Vgl. P eSch 1980, 90; e rnSt 1981, 39; G uelich 1989, 31; S chenke 2005, 53 f.; G nilka 2010 I, 51; S tolle 2015, 45. 51 Vgl. e rnSt 1981, 39. 52 Traditionsgeschichtlich betrachtet ist mit dem Begriff σχίζω auf Jes 63,19b angespielt. - Vgl. dazu G nilka 2010 I, 52; a Pel 2013, 61 f. (mit weiteren Nachweisen); b oSeniuS 2014, 68-71. 53 Das betonen auch l ohmeyer 1967, 21; G rundmann 1977, 41; P eSch 1980, 90; r uckStuhl 1983, [193-220] 196. 198; e ckey 2008, 75; G uttenberGer 2017, 36. 54 Vgl. c ollinS 2007, 148 und 148 Anm. 79 und 80; b oSeniuS 2014, 70. 55 Vgl. auch k lauck 1997, 91 f. 56 Vgl. ebenso k laiber 2015, 26; S tolle 2015, 41. 57 Vgl. l ohmeyer 1967, 21; l entzen -d eiS 1970, 106; m arcuS 1992, 58; k lauck 1997, 91; m oloney 2002, 36. - Dagegen aber e rnSt 1981, 39. 58 Vgl. a Pel 2013, 62 f. 64; k laiber 2015, 26. 5.2. Taufe und Geist (vgl. Mk 1,9 - 11) 91 ne - auf der Ebene der Perikope - den im Vers 9 geschilderten Dingaspekt zur Anschauung bringt. Dort ging es um die Vorstellung von Gott als dem Urgrund des Lebens. Dieser Zusammenhang ist aus menschlicher Perspektive im Zueinander von Nähe und Ferne Gottes zu erfahren. Das Dingmoment wird nun im Zeichenaspekt im wahrsten Sinne des Wortes „einsichtig“. Die Wahl der Analogie der Taube für das Herabkommen des Geistes verdeutlicht den Sinnzusammenhang des geheimnisvollen göttlichen Wesens. Das Symbol der Taube ist nach der dieser Studie zugrundeliegenden Systematik auf der Mikroebene als Zeichen nach dem Ding-, dem Zeichen- und dem Bedeutungsaspekt zu untersuchen. Mittels der Vergleichspartikel ὡς lässt der Erzähler den unanschaulichen Vorgang der Geistverleihung im Sinne der Ähnlichkeit dennoch für den Empfänger der Taufe - Jesus - wie für den Empfänger der Erzählung - den Leser - anschaulich werden. Es ist eine ambivalente Aussage: Das Zeichen „Taube“ soll den Gegenstand der semiotischen Vermittlung vergegenwärtigen. Gott soll dabei als Urheber des Lebens bestimmt werden. Das Sein Gottes nimmt aber die Gestalt des Geistes an, und dieser Geist muss Jesus in einem offenbarenden Zeichen mitgeteilt werden. Das geschieht im Zeichen der „Taube“: 59 Die Taube nutzt das Medium Luft, ist zudem Opfergabe im jüdischen Kultus und eignet sich damit für den Vergleich mit der himmlischen Sphäre. Zugleich verkörpert der Vogel mit seiner Fähigkeit zum Fliegen das flüchtige sowie schwebende Sein des Geistes Gottes. 60 Darüber hinaus sind - traditionsgeschichtlich gesehen - als bekannte und wesentliche biblische Anknüpfungspunkte zum einen die Urgeschichte, die das Schöpferhandeln Gottes mit der Gegenwart und dem Wirken des Geistes verbindet (vgl. Gen 1,2), und zum anderen die Sintfluterzählung, bei der die Taube mit dem Ölbaumzweig zur Verkünderin des Endes der großen Flut und somit zur Trägerin der Hoffnung 59 Sehr kritisch - und meiner Meinung nach zu kasuistisch - beurteilt dagegen l entzen d eiS 1970, 170-183 die Metapher „Taube“. 60 Die Analogie soll eine offene Deutung ermöglichen, die die beiden Interpretationsvarianten der „Gestalt“ wie der „Flugfähigkeit“ dieses Vogels gleichermaßen erfasst. Eine Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Lesart würde meines Erachtens der Aussageabsicht nicht gerecht werden, denn es geht um die Darstellung der nur schwer ins Wort zu fassenden paradoxen Einheit der Transzendenz und Immanenz Gottes: vgl. zur Diskussion auch G uelich 1989, 32 f. (mit Belegen). - Die Gestalt sowie die Eigenschaft des Fliegens sind zur Plausibilisierung der Vision jedoch nötig. Die Parallelität der Struktur der Taufwie der Versuchungsszene durch die jeweilige Begegnung Jesu mit pneumatischen Entitäten - dem Heiligen Geist Gottes und dem Geist des Satans - erzwingen die Annahme einer Gestalthaftigkeit dieser beiden Erscheinungen. Trotzdem bleibt die göttliche Transzendenz durch das Stilmittel des Vergleichs, der den Gedanken der Materialität konterkariert, gewahrt. Markus erzielt mit dieser einfachen, aber effizienten Stilfigur die notwendige Balance zwischen Anschaulichkeit und Unanschaulichkeit Gottes: vgl. dazu zutreffend P eSch 1970a, [108-144] 126 f. 92 5. Taufe und Versuchung für neubeginnendes Leben wird (vgl. Gen 8,8-12), zu nennen. 61 Gott erscheint in beiden Fällen dezidiert als Spender von Leben. 62 Genau diese Bedeutung, die mit den erwähnten anderen Momenten von „Transzendenz und Immanenz“ sowie „Allmacht und Vollmacht“ näher bestimmt wird, soll auch hier transparent werden. Die Tatsache, dass Markus für die Übertragung des Geistes auf Jesus die sprachliche Form einer Analogie wählt, ist dem Geschehen adäquat und rezipiert das jüdisch-christliche Gottesbild: Gott bleibt der Unbegreifliche, den der Mensch selbst in den von Gott gewährten Offenbarungszeichen nicht erschöpfend zu erschließen vermag. 63 Eindrucksvoll und bemerkenswert ist die Schilderung der Geistübermittlung. Es wird berichtet, dass Gottes Geist in Jesus eindringt (εἰς αὐτόν). 64 Das nach dem Sprachzeichen der „Taube“ als „schwebend“ vorzustellende Pneuma Gottes wirkt sich physisch aus. 65 Diese Erkenntnis lässt sich auch mit dem semiotischen Verständnis reinterpretieren und reformulieren: Angesprochen ist dadurch nämlich die untrennbare Verbundenheit des Dingaspektes mit dem Zeichenmoment, indem der zu erfassende Sinngegenstand durch ein geeignetes Zeichen zu einer kognitiv zu erschließenden Sinneinheit gebracht wird. Die für das Zeichen so typische semiotische Funktion des „Relationalen“ - also des „Verbindenden“ - wird in diesem Sinngebungsprozess gleichermaßen empirisch greifbar wie kognitiv begreifbar. Für die Analyse des Sprachzeichens „in ihn“ auf der Mikroebene im Ding-, Zeichen- und Bedeutungsaspekt heißt das: Das Immaterielle ist im Materiellen anwesend, der Geist inkarniert sich in der Person Jesu. Er ergreift von Jesu gesamter leibseelischer Verfasstheit Besitz. 61 Vgl. etwa l ohmeyer 1967, 21 f.; G rundmann 1977, 42; S chmithalS 1986, 84; m arcuS 2000, 159 f.; d SchulniGG 2007, 76; G nilka 2010 I, 52. 62 Ulrich Mells gut belegte und nachvollziehbare Deutung der Taube als jüdisches Weisheitssymbol - vgl. m ell 1996, [161-178] 173-177 - lässt Jesus ebenfalls als Schöpfer erscheinen und fügt sich in die im Fließtext favorisierte Interpretation ein. - Gleiches gilt für die Auslegung Eugen Ruckstuhls (vgl. r uckStuhl 1983, [193-220] 213-215), nach der die Taube unter Hinweis auf kulturhistorische Erkenntnisse als Zeichen des zwischen Gott und Jesus bestehenden Liebesverhältnisses gedeutet ist, das zugleich Jesu Verhältnis gegenüber seinen Zeitgenossen präge. - Man könnte daher meines Erachtens auch formulieren: Das eschatologisch-soteriologische, stellvertretende Handeln des Messias lässt sich nach Ruckstuhls Deutung als lebensspendendes Schöpferhandeln begreifen. 63 Das Transzendenzmotiv akzentuiert zu Recht auch G uttenberGer 2004, 90. 64 Die Präposition εἰς kann zwar auch synonym für ἐπί eingesetzt werden, doch sollte wegen des Kontextes die erste Möglichkeit gewählt werden: Die Geistthematik strukturiert die Gesamtaussage des Textstückes Mk 1,9-13, so dass das Moment des Dynamischen unbedingt in Rechnung zu stellen ist. - Die gegenteilige Position vertreten zum Beispiel m arcuS 1992, 49 f. (vgl. ebenso auch m arcuS 2000, 160); S chenke 2005, 54; G nilka 2010 I, 52. 65 Vgl. auch k laiber 2015, 27. 5.2. Taufe und Geist (vgl. Mk 1,9 - 11) 93 Die βασιλεία τοῦ θεοῦ, die sich im Laufe der Erzählung in den Worten und Taten Jesu - in seiner Eigenschaft als vollmächtiger „Geisttäufer“ - manifestieren wird, repräsentiert einen Totalitätsanspruch. Damit lässt sich eine Verbindung zur Aussage über den zerteilten Himmel ziehen: So wie dort geht es auch hier um den Ausweis göttlicher Allmacht. Zudem macht der Verweis auf das Eindringen des Geistes in Jesus klar, dass die Geistbegabung auch von Dauer ist. Jesus von Nazaret wird mit dieser Handlung zum Sohn Gottes bestellt, der den quantitativ wie qualitativ gesehen nur mit begrenzter Vollmacht ausgestatteten Johannes den Täufer als wahren endzeitlichen Gottesboten ablöst. 66 Hier scheint die der semiotischen Funktion des Relationalen entsprechende theologische Deutung der Dichotomie von „Verheißung und Erfüllung“ auf: Dass Jesus von Nazaret der Sohn Gottes ist, erfuhr der Leser schon in Mk 1,1; hier nun findet die Sache ihre verbindliche theologische Erläuterung. Die kraftvolle Formulierung über das Verschmelzen des Geistes mit Jesus ist parallel zur Wendung über das Zerreißen des Himmels zu verstehen. Das Strebend-Machtvolle des Dingaspektes - das Sein Gottes in Gestalt seines Geistes - wird mit einem Zeichen, das diese Eigenschaft zum Ausdruck bringt, dargestellt. Verbunden ist die Aussage der machtvollen Wirksamkeit des göttlichen Geistes in Jesus mit der Bemerkung im V. 12 über das Hinaustreiben Jesu in die Wüste, das durch den Gottesgeist veranlasst ist (τὸ πνεῦμα […] ἐκβάλλει - vgl. Mk 1,12). Auf der Mesoebene des semiotischen Konzeptes stellt V. 10 im Hinblick auf die Geistthematik das Zeichenmoment dar. Es geht hier um die aus diesem Modell abgeleitete semiotische Funktion des Relationalen: Der Dingaspekt wird mit einem Zeichen, das theologisch gesehen als Offenbarungszeichen zu gelten hat, vorgestellt, um sich selbst zur Anschauung zu bringen. Durch die Verwendung eines Zeichens wird der Bedeutungsbildungsprozess angeregt, der auf das intellektuelle Erfassen des Objektes der Erkenntnis gerichtet ist. Dass Jesus und der Leser dieselbe Wahrnehmung der Taufe mit dem Geist Gottes teilen, soll den Leser einerseits in die privilegierte Position versetzen, über das soeben erzählte Geschehen im Gegensatz zu den übrigen Personen der Szene aufgeklärt zu sein, ihn aber andererseits gleichfalls unmissverständlich zur Stellungnahme zu diesem Ereignis auffordern. Dem von Gott zum Messias eingesetzten Nazarener ist unbedingt Glauben zu schenken, denn ihm ist die göttliche Vollmacht verliehen, die in seiner Ausrüstung mit dem Geist Gottes, der sich „wie eine Taube“ auf ihm niederlässt und ihn durchdringt, besteht. Somit handelt Jesus auf Erden als bevollmächtigter Stellvertreter Gottes. Der Besitz der göttlichen Vollmacht bedeutet den Besitz des Geistes Gottes. Gottes Sein überträgt sich in der Gestalt des Geistes und dieser wieder im Zeichen der Taube auf Jesus und verwandelt dessen irdisches 66 Vgl. ebenfalls S chWeizer 1978, 17. 94 5. Taufe und Versuchung Leben. 67 So wie Gott der Lebensspender ist, so ist es von nun an auch sein Sohn: Das heißt, Gott wirkt in Jesus, und Gott wirkt durch Jesus. V. 11 Hier nun erfolgt die Deutung der Geistverleihung durch die himmlische Stimme („vox interpretans“), 68 die niemand anderem als Gott selbst gehört. Bezüglich der semiotischen Systematik der Perikope - der Mesoebene - geht es um den Bedeutungsaspekt: das den semiotisch-triadischen Erschließungsprozess beendende Moment. Es wird in die semiotische Funktion des Ontologischen bzw. Seienden gefasst. Die Deutung bezieht sich auf das Wesen und verweist damit zugleich zurück auf die Dingebene: „Und es ertönte [wörtlich: ereignete sich] eine Stimme aus dem Himmel [wörtlich: aus den Himmeln]: ‚Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.‘“ - καὶ φωνὴ ἐγένετο ἐκ τῶν οὐρανῶν· σὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός, ἐν σοὶ εὐδόκησα. Wie in den zwei vorangehenden Versen beginnt der Vers 11 erneut mit καί, was die schnelle Aufeinanderfolge der Ereignisse anzeigt. Auffällig ist die Wiederaufnahme der Verbform ἐγένετο, die bereits im Vers 9 eingesetzt wurde. Damit markiert Markus den inhaltlichen Konnex zwischen beiden Versen: In beiden Fällen handelt es sich nämlich um die Akzentuierung hoheitlicher, göttlicher Würde, die sich offenbart. Das finite Verb ἐγένετο bezeichnet eine eintretende Handlung - aus göttlicher Perspektive betrachtet und in theologischer Diktion gesprochen also eine Offenbarung . Es wird dem Hörer oder Leser dadurch einerseits unmissverständlich mitgeteilt, dass Gott im Folgenden das Wort an Jesus (und an den Hörer bzw. den Leser des Evangeliums) richtet und andererseits Jesus am Sein Gottes teilhat, denn mit dem Stilmittel der Redundanz wird Gottes Wesen mit Jesu Wesen in Verbindung gebracht. Somit erklärt Vers 11 die erhaben wirkende Fügung καὶ ἐγένετο ἐν ἐκείναις ταῖς ἡμέραις im Vers 9. Vom Vers 11 rückblickend gesehen, kann man darüber hinaus bereits die mit ἐγένετο eingeleitete Formulierung als göttlich veranlasstes Geschehen interpretieren, so dass der offenbarende Charakter der gesamten Tauf- und Versuchungsszene noch stärker in den Vordergrund tritt: Gott ist Spender des Lebens und Spender der Taufe Jesu, die dessen irdisches Leben verwandelt. Die „Stimme“ (φωνή) „aus dem Himmel“ (ἐκ τῶν οὐρανῶν) erläutert die soeben erfolgte Geistsendung: Das Sprachzeichen φωνή […] ἐκ τῶν οὐρανῶν ist nun 67 So etwa richtig gesehen von G uelich 1989, 35. 40 und G nilka 2010 I, 52. - Das Faktum der Umwandlung verkennt k amPlinG 1992, 54, wenn er meint: „Die Herabkunft des Geistes bewirkt nicht, daß [sic! ] Jesus zwar zum Messias wird, sondern sie demonstriert, daß [sic! ] dieser als der Sohn Gottes zugleich der Messias ist […], daß [sic! ] sich in ihm auch diese Hoffnung Israels erfüllt. […]“ 68 Vgl. beispielsweise P eSch 1970 [108-144] 128 und m arcuS 1992, 49. 5.2. Taufe und Geist (vgl. Mk 1,9 - 11) 95 nach dem Ding-, Zeichen- und Bedeutungsaspekt zu untersuchen: Der Ausfall des Artikels vor dem Substantiv lässt den Urheber zunächst rätselhaft erscheinen, aber gleichzeitig legt ihn die Bemerkung „aus dem Himmel“ offen. Es ist natürlich die Stimme Gottes! 69 Auch hier wird das Ineinander von Transzendenz und Immanenz, die mit Gottes Wesen gegeben ist und im Hinblick auf Jesus im Motiv des Messiasgeheimnisses aufgegriffen wird, zum Ausdruck gebracht. Diese Aussage wird noch dadurch intensiviert, dass wie zuvor die Vision auch jetzt die Audition exklusiv an Jesus und an den Leser ergeht. 70 In den Worten Gottes artikuliert sich sein Wille; die göttliche Autorität - seine von nichts und niemandem abhängige Souveränität - kommt hierin zur Geltung. Die getroffene Aussage ist zweigliedrig: Zum einen bestimmt sie, dass Jesus von Nazaret von nun an Sohn Gottes ist (σὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός), zum zweiten weist sie dessen zukünftiges Handeln als vollmächtig aus (ἐν σοὶ εὐδόκησα). Vor den Augen des Lesers bzw. vor den Ohren des Hörers erfolgt die Promulgation zur Adoption 71 Jesu als irdischem Stellvertreter Gottes, die damit den mit Ps 2,7 gegebenen altorientalischen Inthronisationsritus aufnimmt und zur Klärung der Identität Jesu nutzt. 72 69 An das apokalyptische Phänomen der „Bat-Qol“ als bloßes Echo der Stimme Gottes ist hier nicht gedacht, sondern es handelt sich dezidiert um Gott selbst, der sich an Jesus wendet: vgl. zu Recht G uelich 1989, 33; G nilka 2010 I, 52 f. 70 Vgl. auch S tolle 2015, 41. 71 So auch S chWeizer 1978, 17. - Dagegen votieren etwa l ohmeyer 1967, 23 und v öGtle 1985, [70-108] 88. - k inGSbury 1983, 67 lässt diese Frage offen. 72 Vgl. zur Übertragung des Inthronisationsformulars mit den drei Elementen „Adoption“ (zum Gottkönig), „Präsentation“ (vor dem Pantheon) sowie „Inthronisation“ (zum König) auf die theologische Aussage v ielhauer 1965, [199-214] 206. 212 f. - Es ist daher richtig, in der Taufe Jesu die Adoption, in seiner Verklärung die Präsentation und in der Kreuzigungsszene die eigentliche Inthronisation zu sehen (vgl. ebd. 213), doch geht Philipp Vielhauer meines Erachtens zu weit, Jesus in der Taufperikope die Gottessohnschaft „im Vollsinn“ (vgl. ebd. 213) noch abzusprechen, weil diese erst mit der Kreuzigung gegeben sein solle. Vielhauer spielt hierbei die Relevanz der Adoption im Inthronisationszeremoniell zu stark herunter, stellt doch die Vergöttlichung - die Apotheose - des Königs die entscheidende Grundlage für die beiden folgenden Vorgänge der Vorstellung des neuen Gottes im Pantheon sowie der Ergreifung der irdischen Macht durch das Besteigen des Thrones dar. - Für die Anwendung dieses Zusammenhangs auf die Erzählung der Jesusgeschichte bedeutet das, dass Jesus daher ab der Taufe in seinem irdischen Wirken als Sohn Gottes zu bezeichnen ist. Er handelt uneingeschränkt im Namen Gottes mit seinen Worten und Taten - also „in Vollmacht“ - und „präsentiert“ sich als der, der er von Anfang an ist (vgl. Mk 1,1), bevor er dann in Kreuzigung und Auferstehung unverkennbar zum Messias aufsteigt. - Eine solche Deutung entspricht zudem der Komposition des Markusevangeliums: Die Tauf- und Versuchungsszene stellt nämlich die theologische Legitimation für die Verkündigung Jesu dar, die nun ausführlich in der nachfolgenden Handlung zur Sprache kommt. 96 5. Taufe und Versuchung Daneben wird Jes 42,1 73 (Gottesknechtsthematik) zitiert sowie auf Gen 22,1-13 74 (Opferung Isaaks) angespielt. Alle drei genannten Stellen kombiniert Markus in freier Weise und demonstriert mit dieser bewusst vorgenommenen Rezeption und Redaktion seinen erzählerischen Gestaltungswillen. Im Einzelnen beschreibt diese Deuteformel den folgenden Zusammenhang: Jesus erhält - angezeigt durch die Verwendung der Familienmetapher „Sohn“ (ὁ υἱός) und zuvor vielleicht schon durch das auffällig vorangestellte Personalpronomen „du“ 75 - die engste Beziehung zu Gott. Das geschieht in absichtsvoller Abgrenzung zum Vorläufer Johannes dem Täufer, der erneut - aber diesmal implizit - durch die göttliche Stimme (vgl. zuvor Mk 1,2) als der Rangniedere gekennzeichnet wird. Jesus ist als Sohn Gottes selbstverständlich mehr als Johannes als Prophet Gottes. 76 Der Gottessohn partizipiert dadurch am göttlichen Wesen, das sich im Spannungsverhältnis von Transzendenz und Immanenz zeigt. 77 Diese besondere Nähe oder - nach menschlichem Verständnis - diese familiäre Innigkeit 78 zwischen Gott-Vater und Sohn Gottes unterstreichen zusätzlich das Demonstrativpronomen μου sowie das Verbaladjektiv ὁ ἀγαπητός. Dem Sohn kommt deshalb die Bezeichnung „geliebt“ zu, weil er der einzige Sohn Gottes ist und so auch in den Augen des himmlischen Vaters als besonders wertvoll erscheinen muss (vgl. die Anspielung auf das Vater-Sohn-Verhältnis in der alttestamentlichen Abraham-Isaak-Geschichte aus Gen 22,2. 15. 16! ). 79 Ferner liegt auf Jesus das „Wohlgefallen“ (εὐδόκησα) Gottes, und das heißt, dass Jesus von Gott zum Sohn erwählt wird und als Sohn in der geistgewirkten und geistwirkenden Vollmacht des Vaters handelt. 80 Die vollkommene göttliche Enthüllung der Identität Jesu findet jedoch markant erst in der Sterbe- und Auferstehungsszene Mk 15,33-47; 16,1-8 - also am Ende des Evangeliums - statt: zum einen im „Ecce-homo“-Bekenntnis des römischen Hauptmannes (vgl. Mk 15,39b) und zum anderen in den Worten des 73 Vgl. zur Beurteilung der Rezeption von Ps 2,7 und Jes 42,1 im Einzelnen sehr ausführlich a Pel 2013, 71-84 (mit weiteren Nachweisen). 74 Vgl. dazu kurz und bündig e bner 2012, 21. 75 Vgl. G undry 2000, 49; S chenke 2005, 54; e bner 2012, 21. - Die Position des vertraulichen „Du“ am Satzanfang verdeutlicht Josef Ernst zufolge - vgl. e rnSt 1981, 41 - noch einmal die heilsgeschichtliche Differenz zwischen Täufer und Messias. 76 Vgl. zur Bestimmung der Identität Jesu ebenso a Pel 2013, 101-104; l imbeck 2014, 260-262 (zur Begrifflichkeit „Sohn Gottes“). 77 Vgl. auch b reytenbach 1991, [169-184] 184. 78 Das Liebesmotiv machen r uckStuhl 1983, [193-220] 205. 208 f. 210-215; G undry 2000, 49 und - in jüngerer Zeit - a Pel 2013, 167-169 geltend. 79 Vgl. l entzen -d eiS 1998, 10 f., der neben Gen 22, 2. 12. 16 auch noch die Stellen Ri 11,34; Am 8,10; Sach 12,10 sowie Jer 6,26 heranzieht. - Vgl. auch G rundmann 1977, 42 f.; r uck - Stuhl 1983, [193-220] 204 f.; G undry 2000, 49. 80 Vgl. G rundmann 1977, 42; S chmithalS 1986, 85; e ckey 2008, 76; k laiber 2015, 28. 5.3. Versuchung und Geist (vgl. Mk 1,12 - 13) 97 Engels in der Grabhöhle (vgl. Mk 16,6b -e). Die Taufszene Mk 1,9-11 gibt daher bereits am Anfang des Markusevangeliums den Blick frei auf das offenbarende Handeln Gottes in Jesus von Nazaret, der sich erst am Schluss der Erzählung unzweifelhaft als der „Christus“ - als der „Messias“ - erweisen wird. Jesus - so die Aussageabsicht aus Mk 1,9-11 - führt durch die Vermittlung des Heiligen Geistes in Vollmacht als Offenbarungsträger auf Erden die Allmacht Gottes aus. Er ist dort der Verkünder der Königsherrschaft Gottes, und das heißt: Wie Gott ist Jesus Schöpfer von Leben, was in seinen „Machttaten“ (δυνάμεις) der Wunder und Exorzismen sowie der Totenauferweckung in besonderer, zeichenhafter Weise anschaulich wird. Die Geistthematik ist damit ein wichtiger „hermeneutischer Schlüssel“ des Markusevangeliums, der die offenbarungstheologische wie die schöpfungstheologische - also auch die soteriologisch-christologische - Erzählabsicht verdeutlicht. Von göttlicher Seite aus betrachtet besitzt Jesus also die geistbegabte Vollmacht Gottes, die dann auf menschlicher Seite die Annahme im Glauben verlangt. Der im semiotischen Fokus mit Vers 11 gegebene Bedeutungsaspekt bringt das damit verknüpfte theologische Begriffspaar „Vollmacht und Glaube“ deutlich zur Sprache. Der in Mk 1,9-11 dargestellte und gedeutete Akt der Geistsendung wird ergänzt durch die sich anschließende Schilderung des Geistbesitzes, der in der Versuchungsgeschichte betont wird. 81 5.3. Versuchung und Geist (vgl. Mk 1,12 - 13) V. 12 Wie in jedem Vers der gesamten Doppelperikope Mk 1,9-12, fügt auch der Vers 12 die jetzt einsetzende Handlung mit der gleichordnenden Konjunktion καί an. Zudem nimmt die Kombination aus dem Lexem καί und dem daran angeschlossenen Adverb εὐθύς auf Vers 10 Bezug, in dem mit der gleichen Formulierung die Erzählung über die Verleihung des Geistes eingeleitet wurde. Damit markiert das Syntagma καὶ εὐθύς das überraschende, neue Handeln Gottes an Jesus, das sich mit der Geistthematik verbindet; der Offenbarungscharakter der Szene tritt deutlich zu Tage. Der Fokus der Erzählung liegt somit auf dem Geistmoment: „Und sofort trieb [wörtlich: warf] der Geist ihn hinaus in die Wüste.“ - Καὶ εὐθὺς τὸ πνεῦμα αὐτὸν ἐκβάλλει εἰς τὴν ἔρημον. 81 Vgl. auch k inGSbury 1983, 69. 98 5. Taufe und Versuchung Auch diese Situationsbeschreibung wirkt schmucklos 82 und bietet darüber hinaus im Hinblick auf den Handlungsort eine Doppelung, denn die Wirkungsstätte Johannes des Täufers befindet sich in der Wüste am Ufer des Jordan, wovon schon in Mk 1,4 die Rede war, und worauf dann später auch der Vers Mk 1,9 Bezug nehmen wird. Aus der Tatsache der nochmaligen Erwähnung des Ortes ist in der exegetischen Forschung oft die getrennte Überlieferung der Stücke über die Taufe und über die Versuchung Jesu abgeleitet worden. Diese Folgerung ist allerdings nicht zwingend geboten. Zwei Lesarten sind hier möglich - das Verständnis im wörtlichen und im übertragenen Sinne: Entweder ist mit dieser Situationsangabe gemeint, dass Jesus weiter in die judäische Wüste wandert, 83 oder der Erzähler will mit dieser Wiederholung auf die in dem Nomen „Wüste“ mitschwingende theologische Semantik hinweisen. 84 Beide Auslegungsmöglichkeiten widersprechen sich bei näherer Betrachtung jedoch nicht, sondern ergänzen sich. Man sollte daher beide Deutungen gelten lassen. 85 An dieser Stelle wird der Geistbesitz Jesu akzentuiert, der zum Fundament seiner nun folgenden Wirksamkeit in Rede und Handeln wird. Trennte man die zwei Szenen über Taufe und Versuchung voneinander, dann fiele das gemeinsame und somit verbindende Thema τὸ πνεῦμα, das in Mk 1,10 und Mk 1,12 zudem explizit angesprochen ist, weg. Trotzdem liegt in der Schilderung von Mk 1,12 selbstverständlich ein erzählerischer Neuansatz vor, da Jesus - wie die göttliche Verheißung in Mk 1,2b. c. 3 darlegt - nun Johannes - seinen Vorläufer - verlässt, um sich auf „den Weg“ (vgl. ἡ ὁδός) zu machen, seine Rolle als Messias nun zu erfüllen. Nachdem der Geist in Gestalt einer Taube von Jesus Besitz ergriffen hat, treibt er ihn jetzt in die Wüste. Der Besitz des Geistes bedeutet also Besitz der Vollmacht , was in der Verbform ἐκβάλλει zur Sprache kommt. Gleichzeitig ist damit nach dem semiotischen Konzept der Dingaspekt gegeben. Da es sich um eine Doppelperikope handelt, korrespondiert die Aussage im Vers 12 mit der aus Vers 9. Das Prädikat ἐκβάλλει im V. 12, das zu den Verben der Bewegung zählt, spiegelt - ähnlich der Bemerkung über den „aufgerissenen Himmel“ im V. 10 - das 82 Vgl. zur Deutung der Einzelzüge der Versuchungsgeschichte eingehend G ibSon 1994, 3-34. 83 Vgl. a Pel 2013, 124 f.: Denkbar ist entweder, dass sich Jesus nur wenig von der Johannesgruppe am Jordanufer entfernt, oder dass er tatsächlich den gefährlichen Gang tiefer in die Wüste Juda wagt. - Beide Deutungen dieses Auslegungsdetails sind gut vertretbar; die Entscheidung darüber erübrigt sich daher. 84 Vgl. b oSeniuS 2014, 83 f. 85 So auch P eSch 1980, 94 und a Pel 2013, 124 f. 5.3. Versuchung und Geist (vgl. Mk 1,12 - 13) 99 Kraftvolle und Zwingende des göttlichen Geistes wider. 86 Das heißt aber nicht, dass Jesus vom Geist Gottes überwältigt und zu einem willenlosen Befehlsempfänger herabgewürdigt wird, sondern ganz im Gegenteil: Jesus erhält durch die Gabe des Heiligen Geistes die Fähigkeit, dem Willen Gottes aus freien Stücken zuzustimmen und dadurch mit ihm übereinzustimmen. Jesus bekennt sich in seiner Taufe zu Gott. 87 In diesem metaphorischen Sinne ist der mit dem Begriff ἐκβάλλω gegebene, vordergründig missverständlich wirkende Eindruck des „Gewaltsamen“ oder „Zwingenden“ meines Erachtens auch angemessen erklärt. 88 Zugleich verweist die im Verb ἐκβάλλω zum Ausdruck kommende Bewegung auf das Lebendige, das Seiende: Was sich bewegt, das lebt. Das gilt für das Geschöpf wie analog für den Schöpfer. Gottes Schöpferkraft kommt hier zum Ausdruck. Wenn Markus an dieser Stelle also das Verb ἐκβάλλειν in Bezug auf den Geistbegriff gebraucht, dann drückt er damit die innige Verbindung zwischen Gott und seiner Schöpfung durch die Gestalt Jesu aus. Jesus wird in personam zum Heilsmittler. Der in der Taufszene geschilderte Gedanke der Durchdringung der irdischen mit der überirdischen Welt im Geist Gottes wird somit hier im Vers 12 noch einmal implizit aufgegriffen. Daher charakterisiert der Begriff ἐκβάλλειν das Wesen des Geistes deutlich als das Vorwärtsdrängende - das Dynamische - und damit als das Lebendige, das sich im semiotischen Kontext auf die Funktion des Dynamischen, die mit dem Dingaspekt verbunden ist, bezie- 86 Für diese Akzentuierung des Dynamischen sprechen sich deutlich ebenfalls G rundmann 1977, 46; e rnSt 1981, 45; G uelich 1989, 38; b eSt 1990, 4; k ertelGe 1994, 20; l entzen -d eiS 1998, 11; m arcuS 2000, 167; m oloney 2002, 37 f. sowie e bner 2012, 21 aus. 87 Die freiwillige und absichtliche Zustimmung zur im Geist wirkenden Autorität Gottes wird Jesus - wie das Markusevangelium in der Folge aufzeigen wird - als stellvertretend für Gott Handelnder - als Messias - immer wieder von seinen Zeitgenossen durch seine Worte und Taten herausfordern und einfordern : Er wird seine Mitmenschen in die Entscheidung für oder gegen Gott rufen. - An dieser Stelle zeigt sich im Übrigen einmal mehr, dass das Moment des Bekenntnisses ein Leitmotiv markinischer Theologie darstellt. 88 Insofern ist auch die Diskussion müßig, ob ἐκβάλλω im Deutschen besser mit der Übersetzung „hinaustreiben“ (wörtlich sogar: „hinauswerfen“) oder mit der Bedeutung „hinausführen“ erfasst wird - einmal ganz abgesehen von der Frage, ob die Variante „hinausführen“ auch wirklich weniger „gewaltsam“ klingt, wie das manche Ausleger einfach so behaupten (vgl. das Meinungsspektrum zu dieser Auslegungsfrage bei a Pel 2013, 115-118). Viel entscheidender ist es anzuerkennen, dass es dem Verfasser des Markusevangeliums in Anlehnung an die jüdische Vorstellung der eschatologischen Geistsendung an dieser Stelle wohl darauf ankommt, den Geist Gottes als Zeichen göttlicher Machtvollkommenheit herauszuheben. Eine Übersetzung ins Deutsche hat dann dieses mit der Geistthematik verbundene Moment des Dynamischen zu berücksichtigen, was aber bei den beiden Deutungsmöglichkeiten von „„hinaustreiben“ und „hinausführen“ unzweifelhaft der Fall ist. 100 5. Taufe und Versuchung hen lässt. 89 Interessant ist an dieser Stelle der Wechsel des Subjektes im Satz: Die Referenzgröße ist nicht Jesus, sondern „der Geist“ (τὸ πνεῦμα), 90 der als aktive Macht in und an Jesus wirkt. Der Sohn Gottes erscheint hier als passive Person, die vom Geist Gottes geleitet wird. Im Unterschied zur passivischen Form ἐβαπτίσθη aus V. 9, hinter der sich in Verbindung mit V. 10 Gott als wirklicher Taufspender verbirgt (passivum divinum), ist im V. 12 die Rede vom Heiligen Geist als offenkundig wirkendem Handlungsträger: Gott ist kraftvolles - eben dynamisches - und somit lebensspendendes Sein . Aber auch hier tritt Gott in gewisser Weise hinter seinem Geist zurück, so dass die Verschränkung von Transzendenz und Immanenz versinnbildlicht wird. Die in der Wirkmacht des Geistes spürbare Allmacht Gottes wird dann folglich zur Vollmacht Christi. Sieht man die Verse 9 und 12 gemeinsam, dann kann man den mit den passivischen wie aktivischen Verbformen beschriebenen geheimnisvollen Zusammenhang von Transzendenz, der stärker im V. 9 ausgedrückt ist, und Immanenz, der im V. 12 im Vordergrund steht, nachvollziehen, was erneut für die Einheitlichkeit des Textes spricht. Das finite Verb ἐκβάλλει lässt den Leser und Hörer des Evangeliums folglich die machtvolle Wirksamkeit des Geistes nachvollziehen. 91 Dass derselbe Ausdruck im Rahmen der Dämonenaustreibungen Jesu fällt, von denen im Verlauf der Erzählung die Rede sein wird (zum Beispiel in den Summarien Mk 1,34. 39), wird sicherlich auch kein Zufall sein. Dadurch ist nämlich eine doppelte Aussage getroffen: Zum einen vermittelt sich in der markanten Wortwahl die unbedingte Wirkkraft des göttlichen Geistes, die die Souveränität Gottes aufscheinen lässt und Gott als Herrn der Schöpfung und damit als Herrn der Geschichte ausweist. Zum anderen drückt sich darin ebenso die Ambiguität der Beurteilung des Geistwirkens aus - die von den Menschen zu beantwortende Frage nach göttlicher oder widergöttlicher Bevollmächtigung Jesu. Äußerlich mag zwar der Eindruck entstehen, dass das Verhalten Jesu auf „Besessenheit“ schließen lässt; Jesu wahre Berufung liegt aber in seiner Bestellung zum Sohn Gottes aufgrund der Gabe des Geistes. Jesus ist sozusagen von dem reinen Geist Gottes und nicht von dem unreinen Geist Satans (vgl. Mk 3,22) „besessen“. Er ist keine passive Erzählfigur wie die unter dem Einfluss von Dämonen und der Wirkung von Krankheiten Stehenden, sondern er nimmt im Gegenteil wie Gott eine aktive Rolle ein, indem er sich den Geplagten und Kranken zuwendet, um sie zu heilen - und das heißt, ihnen den Eintritt der Königsherrschaft Gottes zu 89 m ahnke 1978, 39 f. arbeitet das dynamische Element sehr klar und zutreffend heraus und verweist dabei auf alttestamentliche und außerbiblisch-jüdische Bezüge. 90 Die Anfügung des Artikels beim Pneuma-Begriff ist im neutestamentlichen Koine-Griechisch ungewöhnlich. 91 Vgl. dazu beispielsweise prägnant S chWeizer 1978, 18; S tolle 2015, 43 f. 5.3. Versuchung und Geist (vgl. Mk 1,12 - 13) 101 vermitteln. Er ist daher Offenbarungsträger wie Gott selbst; er handelt in Vollmacht Gottes, weil er mit dessen Geist ausgerüstet ist. Neben dem Handlungsträger - der aktiven „Figur“ des Heiligen Geistes - und der Handlung - dem Hinaustreiben Jesu - ist der im Vers 12 erwähnte Handlungsort bemerkenswert: Der Evangelist erzählt, dass Jesus in die Wüste (εἰς τὴν ἔρημον) geleitet wird. Wie schon zuvor in der Taufperikope wird der Ort noch einmal herausgehoben. Es ist davon auszugehen, dass Jesus sich von der Gruppe der Menschen um Johannes, die sich am Jordanufer in der Wüste aufhalten, absondert. Er sucht jetzt bewusst die Einsamkeit. Genauer gesagt: Gott in seiner wirkenden Gestalt als Geist - analog der Taubengestalt in der Taufszene - bewirkt, dass Jesus sich von den übrigen Menschen entfernt, um alleine zu sein. Die „Wüste“ oder „Einöde“ ist eine in der Bibel geläufige und widersprüchliche Stätte: So gilt sie einerseits als ein Ort des Todes (insbesondere als Wohnort des Teufels bzw. der Dämonen) 92 und andererseits als ein Ort des Lebens, wenn man die Begegnung des Menschen mit Gott als dem Urquell des Lebens 93 darunter fasst. Jedenfalls bedeutet der Wüstenaufenthalt eines Menschen, dass dieser auf sich selbst zurückgeworfen ist. 94 Die Wüste ist in jedem Fall ein Ort der Herausforderung für das Leben. 95 Es geht bei dem Rückzug Jesu in die Wüste also um eine buchstäblich „existentielle“ Handlung. Frappierend ist in der Tauf- und Versuchungsszene der jeweils doppelte Gebrauch der Substantive „Geist“ und „Wüste“, die miteinander kombiniert werden (vgl. VV . 10. 12. 13a): Das Sprachzeichen des Geistes ist mit Gott identifiziert und dieser wiederum mit Jesus, während die Wüste als Ort der Herausforderung mit dem Teufel in Verbindung steht (vgl. die „Prüfung“! ). Hier deutet sich die Vorstellung vom Kampf zwischen der Herrschaft Gottes, die im Himmel lokalisiert ist und von dort auf die Erde einwirkt, und der Herrschaft Satans, die auf der Erde besteht, an. Somit wird das Leben, das in Gott liegt, dem Tod, der in der Gestalt des Satans verkörpert ist, entgegengestellt. Aus zeichentheoretischer Perspektive kann man dann sagen: Die Versuchungsszene veranschaulicht die binäre Formulierung von „Tod und Leben“ als theologische Interpretation der semiotischen Kategorie des Dingmomentes sowie der semiotischen Funktion des Dynamischen. Ein Blick auf den Kontext eröffnet eine erweiterte Perspektive auf den Gang in die Wüste. Das Motiv des Kommens und Gehens, das sich an die Metapher des Weges anschließt, ist dabei zu beachten. Das Gehen in die Einöde ist auf 92 Vgl. u. a. l ohmeyer 1967, 27. 93 Vgl. G ibSon 1994, [3-34] 15. 94 Vgl. ähnlich S tolle 2015, 43. 95 Vgl. zur ambivalenten Semantik des Begriffs „Wüste“ m ahnke 1978, 34-37; S chmithalS 1986, 91; G uelich 1989, 38; k lauck 1997, 56; l entzen -d eiS 1998, 11; v an h enten 1999, [349-366] 352; m oloney 2002, 38; G nilka 2010 I, 57. 102 5. Taufe und Versuchung der einen Seite verbunden mit dem überraschenden Kommen Jesu aus Galiläa in die Wüste an den Jordan (vgl. Mk 1,9) - der Ankunft Jesu -, auf der anderen Seite mit der Auferstehung Jesu - dem Weggang Jesu und der Ankündigung des Vorausgehens des Auferweckten nach Galiläa durch den Deuteengel (vgl. Mk 16,1-8). Mittels dieses Motivs sowie des Verweises auf den Handlungsort „Galiläa“ (vgl. Mk 16,7a) verknüpfen sich Anfang und Ende des Evangeliums miteinander; das Moment der Relecture wird greifbar: Die Wirksamkeit des himmlischen Jesus Christus setzt die einstige Tätigkeit des irdischen Jesus von Nazaret fort. V. 13 „Und er war in der Wüste für vierzig Tage, während er in Versuchung geführt wurde vom Satan; und er war unter den wilden Tieren, und die Engel dienten ihm währenddessen.“ - καὶ ἦν ἐν τῇ ἐρήμῳ τεσσεράκοντα ἡμέρας πειραζόμενος ὑπὸ τοῦ σατανᾶ, καὶ ἦν μετὰ τῶν θηρίων, καὶ οἱ ἄγγελοι διηκόνουν αὐτῷ. Der Vers 13 unterteilt sich in zwei Sinnhälften, wobei der letzte Teil nochmals in zwei kurze Aussageabschnitte zerfällt: Der Halbvers 13a rekurriert auf den Gang Jesu in die Wüste und auf das Aufeinandertreffen zwischen Jesus und dem Satan; in den Versteilen 13b und c ist die Rede vom Tierfrieden (vgl. V. 13b) sowie vom Engelsdienst (vgl. V. 13c). 96 Dabei repräsentiert in semiotischer Betrachtungsweise der Halbvers 13a den Aspekt des Zeichens, während man die Beschreibung des Aufenthaltes Jesu bei den wilden Tieren sowie der Hilfeleistung der Engel für Jesus der semiotischen Kategorie der Bedeutung zuweisen kann. V. 13a Das Nomen „Wüste“ wird erneut angeführt, um die Aussage zu akzentuieren. Die Aufrichtung der Königsherrschaft Gottes bedeutet die Entmachtung des Bösen. Der Text konterkariert das Böse in Gestalt des Teufels (vgl. Mk 1,13a) mit dem Guten in Gestalt des Geistes. Dieser Geist ist aber auf Jesus übergegangen (vgl. Mk 1,10). Man erkennt hier deutlich die parallele Struktur der Taufwie der Versuchungsszene, womit sich die Aussage wechselseitig unterstützt und verstärkt. Da also Person und Sendung Jesu durch die Gabe des Geistes vereint sind, ist der Aufenthalt Jesu in der Wüste, der in der Begegnung mit dem Satan besteht, ebenfalls eine Begegnung des Messias mit sich selbst. Die Zeitspanne des Bleibens in der Wüste wird mit „vierzig Tagen“ (τεσσεράκοντα ἡμέρας) angegeben. Diese Zahl ist eine Symbolzahl; 97 sie spielt 96 Manche Ausleger gehen von einer vierfachen Gliederung aus: vgl. dazu den Forschungsüberblick bei a Pel 2013, 118-123 (Apel selbst nimmt eine Zweiteilung an - vgl. ebd. 119. 123). 97 Vgl. auch a Pel 2013, 125-127 (mit zahlreichen biblischen Belegstellen). 5.3. Versuchung und Geist (vgl. Mk 1,12 - 13) 103 unverkennbar auf wesentliche Ereignisse der jüdischen Heilsgeschichte an. Zu denken ist vor allem an das Exodusgeschehen mit dem vierzigjährigen Marsch durch die Wüste (vgl. beispielhaft Dtn 2,7; 8,2. 4; 29,4; Am 2,10), aber auch an das vierzigtägige Fasten des Mose auf dem Gottesberg Horeb (vgl. Ex 24,18; 34,28; Dtn 9,9. 11. 18; 10,10) sowie an den vierzigtägigen Aufenthalt des Propheten und Thaumaturgen Elija in der Wüste (vgl. 1 Kön 19,8). Während dieser Dauer von vierzig Tagen wird Jesus vom Teufel versucht (πειραζόμενος ὑπὸ τοῦ σατανᾶ): 98 Aus semiotischer Betrachtung stellt diese Aussage das Zeichenmoment dar. Wie schon im V. 10 im Bericht über die Geistsendung, so zeigt die Erzählung im Halbvers 13a durch die Verwendung des Partizips Präsens Passiv πειραζόμενος Jesus als Figur, die mit einem Ereignis konfrontiert wird. Während Jesus also eine passive Person bleibt, weist die Präpositionalkonstruktion ὑπὸ τοῦ σατανᾶ den Teufel als handelnde Person aus. Entsprechend dem im Vers 10 geschilderten Handeln Gottes in seinem Geist erscheint an dieser Stelle der Widersacher Gottes als Kraft, der Jesus schutzlos ausgesetzt ist. Was jedoch genau der Inhalt dieser Prüfung ist, erfährt man nicht - im Gegensatz zur synoptischen Parallelüberlieferung, die Einzelheiten kennt (vgl. Mt 4,1-11 [3-10]; Lk 4,1-13 [3-12]). Ebenso bleibt die Reaktion Jesu im Dunkeln: Ob er die Prüfungen besteht, geht aus dem Halbvers 13a nicht hervor; das lässt sich nur anhand des folgenden Halbverses 13b. c erschließen. Dieser Halbvers vermittelt die Deutung der Versuchungsgeschichte - repräsentiert also den semiotischen Aspekt der „Bedeutung“. Die Allmacht Gottes, die in Jesu Vollmacht repräsentiert ist, steht der Macht des Teufels gegenüber. Es geht um die Auseinandersetzung mit der anklägerischwiderstreitenden - satanischen - Kraft, die Jesus von seinem Weg des Heils abbringen will. 99 Wie der weitere Gang der Handlung zeigen wird, bedeutet dieser Weg des Heils zugleich aber den Weg des Leids 100 - daher auch die dunkle Andeutung an das Erste Gottesknechtslied des Deuterojesaja (vgl. Jes 42,1) im voraufgegangenen Vers 11. Mit der Versuchungsszene ist somit die Passion Jesu am Anfang des Evangeliums präsent; dennoch ist auch hier bereits klar, dass der Sohn Gottes in der Auferweckung über das Böse und den Tod triumphieren 98 Dafür spricht das durativ gebrauchte ἦν, von dem das Partizip πειραζόμενος abhängig ist: vgl. G undry 2000, 54. - Die Auslegung, Jesus habe sich einer beständigen vierzigtägigen Prüfung durch den Versucher unterziehen müssen, favorisieren auch m ahnke 1978, 33; b eSt 1990, 6; S chenke 2005, 55 sowie G nilka 2010 I, 57. 99 Vgl. zur Gestalt des Teufels und zum Sinn des Versuchungsmotivs ausführlich G ibSon 1994, [3-34] 11-14. - Vgl. ebenfalls k lauck 1997, 92-94; h errmann 2009, 114-116. 161 f.; a Pel 2013, 143. 100 Vgl. e ckey 2008, 82. 104 5. Taufe und Versuchung wird (siehe unten zu V. 13b. c! ). 101 Jesus muss sich als der von der Himmelsstimme Proklamierte erweisen. Als Sohn Gottes ist er Offenbarungsträger wie Gott selbst. Das Moment von „Verheißung und Erfüllung“, das als theologische Komponente mit dem Zeichenaspekt gegeben ist, manifestiert sich in diesem Zusammenhang. Die einigende sowie drängende Kraft des Geistes, die die Königsherrschaft Gottes verwirklicht, auf die hin der Täufer seine vorbereitende Sammlung des jüdischen Volkes ausgerichtet hatte und die Jesus zugeeignet wurde, soll somit zerstört werden. Darin besteht die „Erprobung“ (vgl. ὁ πειρασμός) Jesu, der sich als damit als „Christus“ erweist. V. 13b. c Der Halbvers gliedert sich - wie erwähnt - in zwei weitere Aussagereihen: Es geht erstens um das Beieinandersein Jesu mit den wilden Tieren - vgl. Mk 1,13b - und zweitens um den Dienst der Engel, den diese für Jesus versehen (vgl. Mk 1,13c). Im typisch markinischen Stil werden diese beiden Szenen nur angerissen. Der im V. 13b angesprochene Tierfrieden (καὶ ἦν μετὰ τῶν θηρίων) bezieht sich auf die prophetisch-eschatologische Erwartung des versöhnten Miteinanders zwischen den Geschöpfen. 102 Damit wird der Gedanke der geheilten Schöpfung zur Geltung gebracht - insbesondere die Gemeinschaft von wilden, gefährlichen Tieren mit dem Menschen (vgl. die biblischen Verweise Jes 11,68; 43,20; 65,25; vgl. die außerbiblischen Belege syrBar 73,6; TestNaph 8,4). 103 Es geht demnach in Mk 1,13b um Neuschöpfung - also um die Gewährung wiederhergestellten, neuen Lebens, das dem Zustand des Verhältnisses zwischen den Geschöpfen im Paradies entspricht. 104 Protologie und Eschatologie verbinden 101 Vgl. zum Passionsgedanken auch P eSch 1980, 97; G uelich 1989, 33-35; k ertelGe 1994, 19-21; G ibSon 1994, [3-34] 33; h aSitSchka 2002, [71-79] 78; e bner 2012, 21; l imbeck 2014, 261 f. - S chenke 2005, 56 bringt die Bedeutung der Versuchungsepisode auf den Punkt, wenn er schreibt: „Der Weg ans Kreuz ist also nicht ein Werk Satans, sondern der Kyrios- Weg zum Sieg. Satan will ihn verhindern! “ 102 Die gegenteilige Ansicht, dass die wilden Tiere die den Menschen bedrohende satanische Macht repräsentierten, kann nicht überzeugen. Der dafür hauptsächlich vorgebrachte Referenztext spricht von einem Fliehen der Tiere - vgl. TestNaph 8,4 -, wovon in Mk 1,13 offenkundig nicht die Rede sein kann: vgl. b eSt 1990, 8; G ibSon 1994, [3-34] 21-23; h errmann 2009, 162-164. 103 Vgl. hinsichtlich des Aspektes „Tierfrieden“ m ahnke 1978, 20. 27; k lauck 1997, 57 f. 104 a Pel 2013, 177-199 verwirft das von vielen Exegeten im Rahmen der Interpretation der Versuchungsperikope vertretene Deutungsmuster von der „Paradiesvorstellung“ und der damit verbundenen „Adam-Christus-Typologie“ (ähnlich vor ihm bereits v an h enten 1999, [349-366] 353-356 und h errmann 2009, 165 f.). Diese These sei - so Matthias Apel - nämlich inkonsistent, weil sie typologische und antitypologische Elemente in unzulässiger Weise mische. Für die Annahme eines solchen Erklärungsmodells lägen 5.3. Versuchung und Geist (vgl. Mk 1,12 - 13) 105 sich im Sinne der Zuordnung von „Verheißung und Erfüllung“. Die Chronologie der Ereignisse von Paradies- und Versuchungsmotiv in der Urgeschichte wird umgekehrt und kündigt dadurch die neue Heilszeit an: Während die Genesis mit der Schöpfung Gottes - dem Paradies - beginnt, und die Paradiesszene im Sündenfall endet, geht hier in Mk 1,13 der Niedergang der satanischen Herrschaft der Wiederkehr des Paradieses voraus. darüber hinaus - einmal abgesehen vom paulinischen Kontext - keine aussagekräftigen Referenztexte vor. Für Apel besteht daher der Schwerpunkt des Erzählstückes Mk 1,9-13 in der Versuchungsgeschichte. Jesus - so fasst Apel seine Position zusammen - erweise sich darin deutlich als der im Spannungsverhältnis von „Erniedrigung und Erhöhung“ stehende Gottessohn und Messias (vgl. a Pel 2013, 166-171: Demut Jesu). - Was das erste Argument angeht, so stimmt der disparate Eindruck der typologischen Deutung. Dennoch sollte man zur Verteidigung des Erklärungsansatzes in Erwägung ziehen, dass es theologisch durchaus sinnvoll ist, die Paradiesmotivik herauszustellen. Ausschlaggebend ist meines Erachtens der Schöpfungsaspekt, der einerseits allein Gott zukommt und andererseits Jesus im Taufakt als Offenbarung zuerkannt wird und somit die Messianität Jesu legitimiert. Unter dieser offenbarungswie schöpfungstheologischen Perspektive lassen sich die beiden heilsgeschichtlichen Figuren Adam und Jesus verknüpfen: Der irdische Jesus erscheint als der in der Endzeit im göttlichen Pneuma neugeschaffener Mensch, der den Adam - den „Erdling“, der in der Vorzeit ebenso mit Gottes Geist begabt wird (vgl. Gen 2,7), - übertrifft, indem er anstelle Gottes nun selbst zum Schöpfer wird. Die Worte und Taten Jesu sind als geistgewirkte, schöpferische Zeichen zu charakterisieren. Da die göttliche Schöpfung ursprünglich gut ist, ist sie selbstverständlich in soteriologischer Hinsicht zu deuten. Indem Jesus als geistbegabter Messias auftritt, verbinden sich somit offenbarungs- und schöpfungstheologische, eschatologische wie christologisch-soteriologische Aspekte miteinander, die durch das pneumatologische Moment bedingt sind. - Dem zweiten Argument - der angeblich rein paulinischen Provenienz der „Adam-Christus-Typologie“ - kann man entgegenhalten, dass dieses Deutungskonzept zwar bei Paulus in der Tat eindeutig nachzuweisen ist, man aber auch die schriftstellerische Qualität des Markus berücksichtigen sollte. Der Evangelist geht - wie gesehen - mit Traditionsgut frei um und beherrscht zudem das Spiel mit Deutungen und Andeutungen, was auch Apel zugibt (vgl. hinsichtlich der Bestimmung der Textsorte für die Taufperikope a Pel 2013, 107). Markus muss sich dabei immer auf den Verständnishorizont seiner damaligen (! ) Hörer und Leser, der aus heutiger Perspektive nicht mehr zu rekonstruieren ist, beziehen. Man kann sich daher sehr wohl vorstellen, dass der Evangelist dabei gezielt auf den Paradiesgedanken, der biblisch wie außerbiblisch zu finden und zudem auch breit bezeugt ist (vgl. dazu a Pel 2013, 186-196), abhebt und ihn an einer so prominenten Stelle wie der Eröffnung seiner Schrift profilieren möchte. - Für die Paradiesvorstellung und die Adam- Christus-Typologie votiert eine große Zahl an Autoren bzw. Kommentatoren: vgl. P eSch 1970a, [108-144] 131-133; P okorný 1974, [115-127] 120-122; m ahnke 1978, 28 f. 37 f. 44 f. (mit detailreichen Erläuterungen); S chWeizer 1978, 18 f.; P eSch 1980, 95 f.; e rnSt 1981, 46; S chmithalS 1986, 92; G uelich 1989, 38. 40; k ertelGe 1994, 21; m ell 1996, [161-178] 176 f.; k lauck 1997, 59 f.; m arcuS 2000, 168 f.; m oloney 2002, 39; h aSitSchka 2002, [71-79] 74; d SchulniGG 2007, 69; G nilka 2010 I, 58; e bner 2012, 21; l imbeck 2014, 262 f. - Vorsichtiger beurteilt aber etwa S chenke 2005, 56 die Sache. Kritisch äußert sich auch k laiber 2015, 30 f. (Porträtierung Jesu in seinem Menschsein). 106 5. Taufe und Versuchung In dieser markanten Szene wird somit Heilsgeschichte transparent, die - wie das Taufgeschehen Jesu zeigt - pneumatologisch fundiert ist. Markus entfaltet in der Tauf- und Versuchungsperikope wie in seiner gesamten Schrift 105 leitmotivartig das im dynamischen Moment des Geistes aufscheinende theologische Motiv der Schöpfung bzw. genauer der Neuschöpfung - das Erscheinen Jesu aus dem Nichts sowie die Verleihung des Geistes als Ausdruck neugeschaffenen Seins in der Taufepisode sowie die darin begründete, in der Versuchungsgeschichte im Paradiesmotiv und im Verlauf des Evangeliums geschilderte beginnende Wandlung der Welt durch den endzeitlichen Gottessohn Jesus. Da sich diese neue Paradiesszene in der Wüste abspielt, ist der außergewöhnliche, abgeschiedene und lebensfeindliche Ort zugleich sprechendes Zeichen für das „verlorene Paradies“, das jetzt durch den Kyrios Jesus wiederhergestellt wird. Deshalb kann die Versuchung auch nicht in einem „Paradiesgarten“ stattfinden, wie in der Forschung manchmal gegen diese Deutung eingewandt wird. 106 Neben dem friedlichen Miteinander von Mensch und Tier spricht Markus die Hilfestellung durch die Engel an (καὶ οἱ ἄγγελοι διηκόνουν αὐτῷ): 107 Unter diesem Dienst, der mit dem Partizip διηκόνουν angesprochen ist, hat man sich die materielle Versorgung des Messias vorzustellen. Zwar umfasst das Verb διακονέω ein weites Bedeutungsspektrum der Sorge um eine Person (das Bedienen mit Speisen, also das traditionell-christliche Verständnis, 108 sowie den Schutz von Leib und Leben bzw. die Verehrung des Menschen), 109 doch kann man die Semantik der Versuchungsszene aufgrund der thematisch-kompositionellen Parallelität zur vorausgegangenen Täuferperikope (vgl. Mk 1,4-8) auf das grundlegende Verständnis des Tischdienstes eingrenzen. 110 Die Hilfeleistung der Engel belegt die messianische Würde Jesu, denn im Gegensatz zu Johannes dem Täufer, der sich seine Nahrung in der Wüste - Heuschrecken und wilden Honig (vgl. Mk 1,6) - selbst suchen muss, wird Jesus von den himmlischen Wesen während der vierzigtägigen Dauer seines Wüstenaufenthaltes 111 gespeist. Wel- 105 Vgl. als markantes Beispiel die doppelte Semantik des Begriffs „Anfang“ in Mk 1,1, die soteriologisch-schöpfungstheologisch auszudeuten ist und ihre Parallele im Lexem „Genesis“ aus Gen 1,1 hat. 106 Daher ist der Hinweis auf die vierzigtägige Dauer der Prüfung - vgl. dazu a Pel 2013, 188 - auch kein triftiges Gegenargument. 107 Vgl. zur Stelle a Pel 2013, 151-155. 108 Vgl. P eSch 1970a, [108-144] 132 f.; G rundmann 1977, 47; m ahnke 1978, 29-31; P eSch 1980, 96; e rnSt 1981, 46; G uelich 1989, 39; k lauck 1997, 59; G undry 2000, 55; m oloney 2002, 39; h errmann 2009, 164 f. 109 Vgl. S chmithalS 1986, 92 f.; b eSt 1990, 9 f.; G ibSon 1994, [3-34] 22. 31; l entzen -d eiS 1998, 11 (mit dem Hinweis auf Ps 91,10-13). 110 Man braucht deshalb auch weder auf das Motiv der Restitution des Paradieses aus Mk 1,13 noch auf die Allusion 1 Kön 19,5-8 zu verweisen, um den Begriff zu klären. 111 Vgl. etwa S chWeizer 1978, 18. 5.3. Versuchung und Geist (vgl. Mk 1,12 - 13) 107 che Art von Nahrung hierbei gemeint ist, wird nicht gesagt. Vielleicht schwebt Markus eine himmlische Speise vor, die aufgrund ihrer göttlichen Herkunft die Messianität Jesu unterstreichen soll. Möglicherweise liegt auch eine Allusion auf die Manna-Speisung der Exoduszeit vor (vgl. Ex 16,35), um die Verbindung JHWH s zu seinem Volk Israel anzuzeigen und um zu betonen, dass diese Gemeinschaft jetzt in der Endzeit von Gott erneuert wird. Die Konstruktion καὶ οἱ ἄγγελοι διηκόνουν αὐτῷ, die im Deutschen temporal aufgelöst werden sollte, ist für die Deutung der Szene aufschlussreich: In der Gleichzeitigkeit des Handlungsablaufs zwischen dem Beieinandersein der Wildtiere mit Jesus und dem Dienst der Engel kommt nämlich die Verbindung zwischen Himmel und Erde, die als Leitmotiv die gesamte Tauf- und Versuchungsperikope durchzieht, noch einmal unmissverständlich zur Sprache. Damit ist eine Gesamtperspektive eröffnet, die den Offenbarungscharakter der Episode versinnbildlicht: Die Tiere wie die Engel - die nichtmenschliche und die übermenschliche Schöpfung - erkennen Jesu messianische Vollmacht an. 112 Dieses nur angedeutete endzeitliche Hoffnungsbild 113 ist dem Leser oder Hörer des Evangeliums vertraut. Daher deutet Markus die Identität Jesu zusätzlich mit Hilfe dieser eschatologischen Szenerie. So lässt sich aus der Schilderung auch schlussfolgern, dass Jesus der Versuchung des Teufels widerstanden hat. 114 Er ist daher unzweifelhaft der erwartete Messias. Der Geist Gottes erweist somit die Vollmacht Jesu. Bevor Jesus also als eschatologisch-messianischer Heilsbote seine Wirksamkeit in Israel entfalten kann, muss er sich dem Satan stellen. Von vornherein ist damit ausgesagt, dass die Macht des Bösen ein für alle Mal gebrochen ist, so dass die Vollmacht Jesu bekräftigt wird. 115 Auch die Dämonen als die dem Teufel untergebene Schar haben - wie die weitere Erzählhandlung zeigen wird - Jesus nichts entgegenzusetzen und müssen sich deswegen auch seiner Vollmacht, die Zeichen der Allmacht Gottes ist, beugen. Daher sind die Zeugnisse der bösen Geister im Angesicht des Heiligen Geistes als Urkraft Gottes klar: Es ist nicht verwunderlich, dass sie Jesus durchgängig als ihren Meister anerkennen 116 - im deutlichen Gegensatz zu manchen Menschen, die Jesus auf seinem Weg begegnen werden. Da sich Jesus im Geist bewährt, wird die anfänglich noch offene Bedeutung der Versuchung in der Wüste positiv bestimmt: Jesus ist durch den 112 Anders c ollinS 2007, 151-153 (mit traditions- und religionsgeschichtlichen Parallelen). 113 Vgl. die zutreffende,resümierende Beurteilung von e rnSt 1981, 46: „Insgesamt bestimmen die helleren Töne die Versuchungsperikope des Mk.“ 114 Vgl. ebenso m ahnke 1978, 33. 115 Vgl. die einschlägigen biblischen und traditionsgeschichtlichen Parallelen Mt 15,41; Röm 16,20; 1 QS 4,18-23; AssMos 10,1; Jub 23,29: vgl. dazu P okorný 1974, [115-127] 119 Anm. 3. 116 Vgl. auch P eSch 1980, 98 f. 108 5. Taufe und Versuchung Geist Gottes gereinigt und kann nun selbst als Geistspender - als Geisttäufer - schöpferisch wirksam werden, so dass die Menschen die angebrochene Gottesherrschaft als tiefgreifende Reinigung an Leib und Seele erfahren. 117 5.4. Resümee Markus hat die Person des Jesus von Nazaret in diesem kurzen Erzählstück über Taufe und Versuchung durch die Rezeption der traditions- und heilsgeschichtlichen Metaphern von „Jordan“ und „Wüste“ porträtiert und legitimiert: 118 So wird Jesus in der Taufszene mit dem göttlichen - also dem „Heiligen“ - Geist begabt und besitzt somit die Vollmacht, im Namen des Vater-Gottes zu handeln. Er ist zum Stellvertreter Gottes berufen. Gottes endzeitliches Heil in Gestalt - semiotisch gesprochen: im „Zeichen“ - der Taube nimmt in Christus Jesus - seinem Sohn - menschliche Gestalt an. 119 In der Versuchungsepisode zeigt sich diese Vollmacht in der Überwindung des Bösen in ebenso anschaulicher wie eindrucksvoller Weise. Jesus wird darin zwar als durchaus anfechtbarer und daher wirklicher Mensch gekennzeichnet, 120 er meistert aber diese Bewährungsprobe souverän und bestätigt somit seine Einsetzung zum geistbegabten Sohn Gottes. 121 Dem berechtigten Anspruch Jesu auf göttliche Vollmacht korrespondiert zugleich sein Anspruch auf unbedingtes Vertrauen in diese Vollmacht - anders formuliert: auf „Glaube“. Die Tiere und die Engel sowie der entmachtete Satan und später auch dessen Dämonengefolge unterwerfen sich bedingungslos der jesuanischen Vollmacht, 122 wie die Doppelperikope unmissverständlich ausführt. Was jetzt noch aussteht, ist die Anerkennung Jesu durch die Menschen, zu denen er von Gott gesandt ist. Auch der Hörer oder Leser des Evangeliums fühlt sich gleichermaßen zur Stellungnahme gegenüber diesem Jesus aus Nazaret aufgerufen. 123 Der theologische Aspekt des Zusammenwirkens von „Vollmacht und 117 Vgl. zur Intention des gesamten Textabschnitts Mk 1,1-13 ebenso G uttenberGer 2017, 37. 118 Vgl. P eSch 1970a, [108-144] 130 f. 133 f. 119 Vgl. l ohmeyer 1964, 20; m ahnke 1978, 190-193; P okorný 1978, [115-132] 121; k inGSbury 1983, 68. 70; v öGtle 1985, [70-108] 108; d ormeyer 1987, [452-468] 454 f.; k amPlinG 1992, 58 f.; k lauck 1997, 89. 113; G undry 2000, 47. 59 f.; k laiber 2015, 28. 31. 120 Pointiert herausgearbeitet wird der Gesichtspunkt der Menschlichkeit Jesu durch k laiber 2015, 29-31. 121 Vgl. G ibSon 1994, [3-34] 14. 18. 33; m ell 1996, [161-178] 172 f.; k lauck 1997, 57; h aSitSch ka 2002, [71-79] 73 f.; h errmann 2009, 162. 122 Vgl. auch G undry 2000, 59. 123 Dieses deutliche katechetische Interesse wird richtig gesehen von k amPlinG 1992, 59 f. - Vgl. auch P okorný 1978, [115-132] 127-129; k inGSbury 1983, 70. 5.4. Resümee 109 Glaube“, der im Rahmen des semiotischen Schemas dem Moment der Bedeutung zugeordnet ist, kommt hier deutlich zum Ausdruck. Betrachtet man die beiden Momente der „Vollmacht“ wie des „Glaubens“ eingehender, dann zeigt sich eine zweiseitige Struktur. Die im Heiligen Geist verliehene Vollmacht rekurriert auf das Innenverhältnis zwischen Vater-Gott und seinem Sohn, während die Komponente des Glaubens das Außenverhältnis zwischen Jesus Christus und den Menschen bestimmt. Systematisch betrachtet geht es also um den im Aspekt der geistvermittelten Vollmacht aufscheinenden Zusammenhang von „Offenbarung“ - der göttlichen Seite - und „Bekenntnis“ - der menschlichen Seite. Der Glaubensfrage, die in der Zustimmung oder Ablehnung der messianischen Identität Jesu besteht, korrespondieren in semiotischer Betrachtungsweise die Deutung und damit die Bedeutung, die die von Jesus Angesprochenen seiner Person und Botschaft zumessen. Die in der göttlichen Vollmacht bestehende Identität Jesu bildet das zentrale Thema des behandelten Textabschnittes. Die markant an den Anfang des Evangeliums platzierte Tauf- und Versuchungsperikope bietet eine für das Verständnis des Gesamttextes programmatische Aussage: Hier verschmelzen nämlich offenbarungstheologisch-schöpfungstheologische, soteriologisch-christologische und apokalyptisch-eschatologische Gesichtspunkte unter dem Aspekt der Pneumatologie miteinander. Das narrative Diptychon Mk 1,9-13 stellt die Weitergabe des göttlichen Geistes an Jesus von Nazaret dar. Es geht somit um die Verleihung von Vollmacht. Der erste Textkomplex repräsentiert den der Makroebene des Evangeliums zuzuweisenden „Wesensaspekt“ des Geistes („Vollmacht verleihen“), der dem Dingaspekt in der triadischen, semiotischen Matrix Peirces entspricht. Aus semiotischer Perspektive beurteilt, entfaltet die an die Tauf- und Versuchungsszene anschließende Handlung des Evangeliums die irdische Tätigkeit Jesu als geistbegabte Wirksamkeit in wirkmächtigen Zeichen, die einerseits aus Wortzeichen (die Verkündigung des Heils) sowie andererseits aus Tatzeichen (die heilsamen Taten der Exorzismen, der Krankenheilungen und der Totenauferweckung) bestehen. Dieses den größten Anteil des gesamten Evangeliums einnehmende Textkorpus thematisiert das Moment „Vollmacht ausüben“, das den „Erscheinungsaspekt des Geistes“ geltend macht. Dieser wiederum stellt den Zeichenaspekt im dreigliedrigen semiotischen Modell dar. 110 5. Taufe und Versuchung Mesoebene: Mk 1,9-11 Mesoebene: Mk 1,12 f. Ding: Taufe Jesu im Jordan (vgl. V. 9) Ding: Gang Jesu in die Wüste (vgl. V. 12) Zeichen: Herabkunft der Taube / des Geistes (vgl. V. 10) Zeichen: Versuchung Jesu durch den Satan (vgl. V. 13a) Bedeutung: Stimme Gottes (Verheißung - vgl. V. 11) Bedeutung: eschatologische Szene (Erfüllung: Tierfrieden, Engelsdienst - vgl. V. 13b. c) Tabelle 1 6.1. Jesus und die Schriftgelehrten (vgl. Mk 3,22 - 30) 111 6. Macht und Vollmacht 6.1. Jesus und die Schriftgelehrten (vgl. Mk 3,22 - 30) Es ist evident, dass besonders die eindrücklichen Zeichen der jesuanischen Machttaten Anstoß erregen müssen. Jesu messianische Identität bewirkt unter seinen Zeitgenossen nicht nur Staunen, wie sein erster Auftritt in Kafarnaum (vgl. Mk 1,21-28 [22. 27 f.]) beweist, sondern auch Zweifel. Schnell kristallisieren sich Anhänger und zugleich Gegner heraus, wobei nach der markinischen Darstellung das einfache Volk dem Wirken Jesu anfänglich aufgeschlossen gegenübersteht, während die Vertreter der religiös und politisch einflussreichen Kreise des Landes die Lehre und das Handeln des Mannes aus Nazaret bis auf wenige Ausnahmen kategorisch zurückweisen. Die Botschaft Jesu führt zur Scheidung der Geister: 1 Die grundsätzliche Frage, die sich seine Zeitgenossen stellen, lautet: Aus welcher Machtfülle handelt dieser Jesus von Nazaret? Geht seine Wunderkraft auf göttlichen oder vielmehr auf satanischen Einfluss zurück? 2 6.1.1. Text und Kontext Die Konfrontation Jesu mit den religiös-politischen Autoritäten des Judentums, die der Evangelist in der erwähnten Episode Mk 1,21-28 erstmalig skizziert, setzt sich bei der Frage nach der Vollmacht Jesu zur Sündenvergebung fort (vgl. Mk 2,6-10) und verschärft sich noch einmal in der Szene über die Berechtigung der Reinheitsvorschriften (vgl. Mk 2,16 f.). In den beiden Episoden über das Ährenraufen der Jünger (vgl. Mk 2,24-28) und über die Heilung des an der Hand verkrüppelten Mannes durch Jesus (vgl. Mk 3,2. 4) gipfelt der Konflikt in der Frage nach dem richtigen Verhalten am Sabbat, so dass die provokative Haltung Jesu in den informellen Tötungsbeschluss seiner Gegner mündet: „Und nachdem die Pharisäer hinausgegangen waren, hielten sie mit den Leuten des Herodes sofort Rat, auf welche Weise sie ihn [ Jesus - S. E.] umbringen können“ (vgl. Mk 3,6). Man sucht also von religiöser Seite den Schulterschluss mit der politischen Führung des Landes. Damit ist an so früher Stelle der Erzählung der Weg Jesu in Leiden und Tod bereits vorgezeichnet. Zunächst aber finden 1 Vgl. auch P eSch 1980, 209. 220; G uelich 1989, 176. 2 Vgl. ebenso G undry 2000, 170. 112 6. Macht und Vollmacht sich aufgrund des Aufsehens, den Jesu Wirksamkeit in Galiläa unter den Einwohnern verursacht (vgl. Mk 3,7-12), 3 einige Angehörige der Familie Jesu in Kafarnaum ein, um ihren Verwandten zurückzuholen (vgl. Mk 3,21). Ihnen ist sein Verhalten unerklärlich. 4 Sie halten Jesus daher sogar für geistesgestört (ἔλεγον γὰρ ὅτι ἐξέστη - vgl. Mk 3,21b). Die Perikope Mk 3,22-30 über das Streitgespräch zwischen Jesus und den Jerusalemer Schriftgelehrten fügt sich in diesen Zusammenhang ein, da die das gesamte irdische Wirken Jesu durchziehende Frage nach der Legitimation seines Redens und Tuns hier erneut zum Thema wird. Der nähere Kontext umfasst somit die Schilderung des Widerstandes gegen Jesus, der einerseits auf inoffizieller Ebene - durch seine Familie (vgl. VV . 20-21) - und andererseits auf offizieller Ebene - durch Repräsentanten der religiös wie politisch einflussreichen Schicht des Volkes Israel (vgl. VV . 22-30) - erfolgt. Die ablehnende Einstellung beider Gruppen wird damit in zwei aufeinander bezogene Szenen aufgespalten. Dass der Darstellung des Widerspruchs durch die Schriftgelehrten ein etwas breiterer Raum gewidmet und das Geschehen überdies in die Episode mit den Verwandten Jesu (vgl. Mk 3,20 f. 31-35) eingefügt ist, zeigt die Relevanz des Streitgespräches für den Verlauf des Evangeliums auf: Die Konfrontation mit den religiös wie politisch mächtigen Kräften im Judentum wird das Schicksal Jesu bestimmen. In den abschließenden Versen 31-35 wird die Frage nach der wahren Verwandtschaft Jesu - leiblich oder geistig - zugespitzt. Zum Erzählkomplex Mk 3,20-35 werden in der exegetischen Forschung im Wesentlichen zwei Entstehungshypothesen genannt: 5 Entweder man geht von einem einheitlichen Traditionsstrang aus, der mit den Versen 20-30 gegeben ist, und nimmt weiter an, dass die Verse 31-35 eine vormarkinische Ergänzung darstellen, oder man stuft nur die Episode um die Sippe Jesu - also die Verse 20-21 sowie 31-35 - als traditionell ein und bewertet die Verse 22-30 als spätere Einfügung. 6 Was die erste Deutung anbelangt, so ließe sich dafür der im Vergleich zur Anschuldigung der Familienmitglieder schärfere Vorwurf des Teufelsbündnisses durch die Schriftgelehrten ins Feld führen. Die Szene über Jesu wirkliche Familie wäre dann eine Kontrastszene, in der die „alte Familie durch Abstammung“ von der „neuen Familie durch Berufung“ unterschieden 3 Unterbrochen wird dieser Handlungsstrang nur durch das Erzählstück über die Berufung der zwölf Jünger (vgl. Mk 3,13-19). 4 Vgl. etwa auch G nilka 2010 I, 148. 5 Vgl. zum Thema e rnSt 1981, 116 f. 6 Dafür votiert auch S chmithalS 1986, 211. 220-222, der die Textpassage Mk 3,20-21. 31-35 als Grundschrift einstuft, die mit den Versen 22-30 eine markinische Interpolation erfährt. 6.1. Jesus und die Schriftgelehrten (vgl. Mk 3,22 - 30) 113 wäre. 7 Nach dem zweiten Erklärungsmodell ist der Erzählfluss durch den Einschub der Verse 22-30 unterbrochen. Dieser „Schachtel“- oder „Sandwichstil“ erscheint aber für das Markusevangelium nicht ungewöhnlich (vgl. neben Mk 3,20-35 auch Mk 5,21-43; 6,6-30; 11,12-25; 14,1-11; 14,53-72; 15,6-32). 8 Zudem ist der Abschnitt Mk 3,31-35 so gestaltet, dass er als selbstständige Einheit im Vergleich zu Mk 3,20-21 zu verstehen ist, denn er erweckt sogar den Eindruck, als ob er von einem anderen Besuch der Verwandten Jesu handelt, um damit eine neue Pointe - die der wahren geistigen Verwandtschaft Jesu - zu setzen. Dann hätte Markus eine gezielte sprachliche wie inhaltliche Trennung der Erzähleinheit Mk 3,31-35 von den ehemals mit ihm verbundenen Versen 20 und 21 vorgenommen. 9 Diese zweite Variante ist zu favorisieren. 10 Durch die Verschmelzung der beiden Szenen, die zudem in einer Klimax angeordnet sind, 11 wird die Position der Gegenseite dargestellt und die Frage nach der Legitimation Jesu in umgekehrter Weise umso schärfer profiliert. 12 Für die literarkritische Einschätzung ist also die Erkenntnis entscheidend, dass sich das Erzählstück Mk 3,22-30 unzweifelhaft einem Wachstumsprozess 13 verdankt, der den Aspekt der Vollmacht zur Geltung bringt. 14 Die gestaltete Episode Mk 3,22-30 gliedert sich im semiotischen Fokus daher in folgender Weise: Mit Vers 22 beginnt die Szene; hier wird die Problematik des jesuanischen Vollmachtsanspruches verhandelt und damit die Grundsatzfrage nach der Identität Jesu gestellt . 15 Es geht also um den Dingaspekt . Die Verse 23-27 bringen die Antwort Jesu in Form einer Gleichnisrede: Diese verweist auf den Sinnzusammenhang von „ Wunderzeichen“, „Geist“ sowie „Vollmacht“ und reflektiert damit den Vorwurf des angeblichen Teufelspaktes. 16 Das Gleichnis aus Vers 27 wirkt in sich abgeschlossen, ist deswegen sehr wahrscheinlich eigenständig überliefert gewesen und erst durch die Hand des Markus mit dem 7 Vgl. e rnSt 1981, 116; vgl. daneben auch G nilka 2010 I, 153. 8 Vgl. etwa e ckey 1998, 125; d SchulniGG 2007, 121 (mit weiteren Nachweisen). 9 Vgl. e rnSt 1981, 116. 10 Eine gute und genaue Gliederung des gesamten Abschnittes Mk 3,20-35 schlägt zum Beispiel d SchulniGG 2007, 121-123 vor. 11 Vgl. beispielsweise auch P eSch 1980, 210. 12 Vgl. auch l ohmeyer 1967, 78; P eSch 1980, 209. 13 Vgl. k ertelGe 1994, 42 f. 14 So zu Recht auch e rnSt 1981, 117: „Mk hat unterschiedliche Traditionsstücke aneinandergefügt; das Verbindende ist die Absicht, Jesu (und der Kirche) Vollmacht, die sich im Exorzismus sinnfällig konkretisiert, gegen böswillige Angriffe zu verteidigen.“ - Vgl. auch G nilka 2010 I, 147. 15 So auch F ink 2000, 78, die von einer indirekten Bezugnahme auf das Thema der Identität Jesu spricht. 16 Vgl. S chenke 2005, 120. 114 6. Macht und Vollmacht übrigen Text verbunden worden. 17 Die rhetorische Frage aus Vers 23b sowie die gleichnishaften Beispiele mit der Schlussfolgerung in den Versen 24-26 verknüpfen sich mit dem Gleichnis im Vers 27 in sprachlicher Hinsicht durch das Verb δύναμαι („können“) 18 und in inhaltlicher Hinsicht durch das Leitmotiv der „Herrschaft“ bzw. „Macht“ oder „Vollmacht“ . In dieser komplexen Entgegnung Jesu spiegelt sich deutlich das Zeichenmoment wider. Den Abschluss bilden die Verse 28-30, in denen Jesus das Thema „Geist“ vertieft und auf die Anschuldigung der Besessenheit reagiert, 19 wobei der Vers 30 die Anklage der Gegner Jesu aus dem Vers 22 noch einmal thematisiert und sich mit diesem Vers zu einem gedanklichen Rahmen um die gesamte Textstelle fügt. 20 Es handelt sich um die Klärung des Vollmachtsanspruches Jesu - semiotisch gesprochen um den Bedeutungsaspekt (vgl. Tabelle 2 am Ende des Kapitels). Nach der markanten Stelle Mk 3,6 stilisiert der Evangelist in der vorliegenden Perikope die religiös-politischen Vertreter des Judentums ein weiteres Mal als Hauptgegner Jesu, die dessen göttliche Bevollmächtigung vehement bestreiten und damit seine messianische Sendung leugnen. 6.1.2. Geist und Ungeist V. 22 Ebenso wie den Verwandten Jesu ist auch den Schriftgelehrten aus Jerusalem zu Ohren gekommen, was Jesus tut und welche Reaktion er erfährt. 21 Daher fühlen sich die Schriftgelehrten auch dort herausgefordert, eine Abordnung von ihnen aus der Hauptstadt in die Provinz zu schicken, 22 um die Situation selbst in Augenschein zu nehmen und um den Unruhestifter zur Rede zu stellen (Καὶ οἱ γραμματεῖς οἱ ἀπὸ Ἱεροσολύμων καταβάντες ἔλεγον […]: „Und die Schriftgelehrten, die von Jerusalem herabgekommen waren, sagten: […] - vgl. Mk 3,22). Aufgrund des großen Zulaufs und Zuspruchs fürchtet man wohl einen massiven Verlust an Einfluss im Volk (vgl. auch die gleiche Reaktion der religiösen Führungsschicht in Mk 11,18 auf die höchst provokante Tempelreinigungsszene Mk 11,15-19). Die institutionelle Macht der Pharisäer und der Schriftgelehrten steht damit der charismatischen Macht Jesu gegenüber: Jesu Macht ist aber Vollmacht, sie übertrifft die Lehrautorität der Schriftgelehrten. Jesus predigt eben wie einer, der aus göttlicher Weisung redet, und nicht bloß wie die Schriftge- 17 Vgl. zum Beispiel G rundmann 1977, 108; e rnSt 1981, 119; G nilka 2010 I, 150. 18 Vgl. d SchulniGG 2007, 122. 19 Vgl. S chenke 2005, 120. 121. 20 Vgl. ebenfalls e ckey 1998, 127. 21 Vgl. auch k ertelGe 1994, 43; e bner 2012, 45. 22 Vgl. ebenfalls G rundmann 1977, 109; v an i erSel 1993, 96; l imbeck 2014, 286. 6.1. Jesus und die Schriftgelehrten (vgl. Mk 3,22 - 30) 115 lehrten (vgl. Mk 1,22b)! 23 Die Tatsache, dass sich nun sogar Schriftgelehrte aus Jerusalem, denen wohl ein höherer Einfluss als den galiläischen Schriftgelehrten zukommt, 24 mit Jesus beschäftigen und sich in die Provinz bemühen, verlagert den Konflikt von der lokalen auf die regionale Ebene - rückt ihn von der Peripherie Galiläa ins Zentrum Jerusalem. 25 Damit gibt Markus zugleich einen erneuten, versteckten Hinweis auf die spätere Passion Jesu, in der die Streitfrage um seine Messianität kulminiert (vgl. explizit schon Mk 11,27-33 [28b. c]). 26 Die Frage nach der Macht bzw. Vollmacht Jesu - der ἐξουσία - stellt sich für Jesu Kritiker also schon ganz zu Anfang seines öffentlichen Wirkens, und sie wird von den Jerusalemer Schriftgelehrten klar negativ beantwortet: Βεελζεβοὺλ ἔχει καὶ ὅτι ἐν τῷ ἄρχοντι τῶν δαιμονίων ἐκβάλλει τὰ δαιμόνια. - „‚Beelzebul hat er; und mit dem Anführer der Dämonen treibt er die Dämonen aus! ‘“ Die Gegner Jesu formulieren hiermit einen zweigliedrigen Vorwurf, der durch die syntaktische Anfangsstellung des Lexems „Beelzebul“ sowie des Syntagmas „mit dem Anführer der Dämonen“ verstärkt wird: 27 Die Schriftgelehrten bezichtigen den Wanderprediger und Wundertäter aus Nazaret mit der Äußerung „Beelzebul hat er“ nicht nur des Paktes mit dem Satan, sondern halten ihm außerdem vor, sich aufgrund dieses Bündnisses auch dessen Macht zu bedienen („[…]; und mit dem Anführer der Dämonen treibt er die Dämonen aus! “). 28 Nach dieser Ansicht geht das herausragende Wunderwirken Jesu auf satanisch-dämonischen Ursprung zurück. Jesus betreibt demzufolge mit seinen aufsehenerregenden Exorzismen lediglich schwarzen Zauber. 29 Das Vorgehen der Schriftgelehrten gleicht damit dem Handeln der Sippe Jesu: Hier wie dort geht es um die Diskreditierung des Verhaltens Jesu, wobei die Schriftgelehrten das Urteil der Geisteskrankheit durch den expliziten Vorwurf des Teufelsbundes sogar noch verschärfen. 23 Vgl. auch v an i erSel 1993, 97. 24 Vgl. ebd. 98. 25 Ähnlich u lonSka 1995, 43. 26 Vgl. auch l ohmeyer 1967, 77; G undry 2000, 172; S chenke 2005, 119; e ckey 2008, 158; G nilka 2010 I, 148. 27 Vgl. G undry 2000, 172. 28 So auch k ertelGe 1994, 43; S chenke 2005, 120; c ollinS 2007, 228; k laiber 2015, 84; G utten berGer 2017, 89. 29 Vgl. P eSch 1980, 213; S chenke 2005, 120; d SchulniGG 2007, 124; G nilka 2010 I, 149. 116 6. Macht und Vollmacht Der Name „Beelzebul“ 30 heißt entweder „Gott des Mistes“ 31 oder „Gott des Hauses“ bzw. „Gott der Wohnungen“ 32 und ist als Tarnname für den Teufel zu verstehen, worauf die selbstverständlich erscheinende, ausdrückliche Gleichsetzung Beelzebuls mit Satan 33 in der Rede Jesu in den Versen 23. 26. 27 hinweist. Die erste Interpretationsvariante ist ein aramäischer Spottname der ursprünglich kanaanitischen obersten Nationalgottheit Ba’ al, 34 besitzt im Kontext der Perikope aber geringere Plausibilität, während die zweite wegen des im Vers 25 und vor allem im Vers 27 genannten gemeinsamen Motivs „Haus“ eine angemessene Deutung darstellt. 35 Der aus paganer Zeit stammende Hochgott wird zum Gegenspieler des israelitischen Gottes JHWH abgewertet und erscheint somit als oberster Dämon in einer Hierarchie bösartiger Geistwesen. 36 Die Formulierung ἐν τῷ ἄρχοντι τῶν δαιμονίων aus Mk 3,22 belegt die Vorstellung einer gegliederten Gesellschaft des Bösen im Rahmen des Neuen Testaments. Für die antike Weltdeutung ist der Dämonenglaube konstitutiv; daher konnte auch das Frühjudentum Krankheiten und Gebrechen mit dem Einfluss schädlicher Geister erklären. Da die Dämonen häufig den paganen Göttern entsprachen, 37 wie das prominente Beispiel des „Beelzebul“ zeigt, steht damit das polytheistische Weltbild im Hintergrund der dämonologischen Ordnung. Der Vielgötterglaube bedeutet nach jüdischer Anschauung zugleich kultische Unreinheit, so dass sich das für die Dämonen nachzuweisende Synonym „unreiner Geist“ bzw. „unreine Geister“ erklärt, das im V. 30 angesprochen ist (πνεῦμα ἀκάθαρτον - „unreiner Geist“; vgl. etwa auch Mk 5,2). Die Macht Jesu über die Dämonen deuten die Schriftgelehrten aus Jerusalem also mit der geläufigen antiken Vorstellung der Macht des Teufels über die sub- 30 Alternative Belege sind „Beezebul“ und „Beelzebub“. Auszugehen ist aber von der Form „Beelzebul“: vgl. G nilka 2010 I, 149 Anm. 27. - Möglicherweise gibt es noch eine Anspielung auf den „Gott der Fliegen“ - „Ba' al-Sebub“ („Beelzebub“ - vgl. 2 Kön 1,2-16): vgl. dazu S chmithalS 1986, 222; k ertelGe 1994, 43; l entzen -d eiS 1998, 74; d SchulniGG 2007, 124; e ckey 2008, 159. - Vgl. zum „Beelzebul“-Namen allgemein e rnSt 1981, 118; l ührmann 1987, 75; c ollinS 2007, 228 und G nilka 2010 I, 149. - Vgl. die traditionsgeschichtlichen Parallelen bei c ollinS 2007, 230-231. 31 Die Bedeutung „Mist“ spielt auf die Fruchtbarkeit an, die man mit Ba‘ al verband. Zudem kann die Wurzel זבל als Paraphrase für den menschlichen Zeugungsakt („beiwohnen“) dienen: vgl. zu diesem Zusammenhang u lonSka 1995, 38 f. 32 Vgl. l ohmeyer 1967, 78 Anm. 1; P eSch 1980, 213; G undry 2000, 174 f. 33 Vgl. zu den religions- und religionsgeschichtlichen Hintergründen der Satansgestalt G rundmann 1977, 109 f. 34 Vgl. d SchulniGG 2007, 124; e ckey 2008, 159: Es ist die Bezeichnung für „Ba‘ al-Zebul“ - „Ba‘ al, der Erhabene“. 35 So auch l ohmeyer 1967, 78 Anm. 1; G rundmann 1977, 109. - Dagegen e rnSt 1981, 118. 36 Vgl. ebenfalls u lonSka 1995, 35. 39; G nilka 2010 I, 149. 37 Vgl. u lonSka 1995, 35. 6.1. Jesus und die Schriftgelehrten (vgl. Mk 3,22 - 30) 117 alternen Geister. Deshalb bietet der Vorwurf der Schriftgelehrten eine ungeheure Anschuldigung, die entsprechend der zweifach formulierten Kritik eine Aussage bzw. eine Ursache als Prinzip - „Beelzebul hat er“ - mit einer Auswirkung oder Wirkung als Konsequenz - „und mit dem Anführer der Dämonen treibt er die Dämonen aus“ - verbindet. Die Aussage spiegelt das Verhältnis zwischen Gott und Teufel wider; die Auswirkung beschreibt die Begegnung zwischen Jesus und dem Menschen. Damit sind zwei Aspekte gemeint: Wenn Beelzebul-Satan erstens als mächtigster aller bösen Geister und daher als Widerpart JHWH s verstanden wird, wird Jesus als vermeintlicher Diener des Bösen zum Hauptfeind Gottes erklärt, weil er an der zerstörerischen Macht Satans partizipiert. Der „Sohn Gottes“ wäre nach dieser Einschätzung in Wahrheit sozusagen „Sohn Satans“. Jesus stünde dann zweitens auch nicht unter dem Einfluss des reinen, guten, göttlichen und damit „Heiligen“ (vgl. Mk 3,29a) Geistes, sondern seine Wunderkraft käme durch die unreine, schlechte, widergöttliche und zerstörerische Macht des Teufels. Jesu Wundertaten, die doch Offenbarungszeichen sind, wären somit für die bei ihm hilfesuchenden Menschen nur vorgetäuschte heilsame Erfahrungen, die nicht befreien, sondern neu binden. Der sich selbst als Heilsbringer bezeichnende Wanderprediger wäre ein Lügner und Verderber der Menschen wie der Lügengeist Satan selbst. Aufgrund der Einheit von Botschaft und Botschafter steht und fällt mit der Beantwortung der Frage nach der Legitimation die gesamte Verkündigung Jesu. Wird sie - wie hier durch die Schriftgelehrten geschehen - negativ bestimmt, dann ist das die denkbar schärfste Kritik, die auf soziale und religiöse Ächtung abzielt. 38 Dieser Aspekt wird noch deutlicher bei einer eingehenderen grammatischen Analyse: Die präsentischen Verbformen ἔχει sowie ἐκβάλλει drücken die Dauerhaftigkeit eines Sachverhaltes aus. Beide Prädikate beziehen sich auf den Geistbesitz, der die Ermächtigung für die Wundertätigkeit Jesu darstellt. Das Lexem ἔχει (von ἔχω - „haben“, „besitzen“) bildet aber eindeutig die Sinnmitte des Verses wie auch der gesamten Perikope, weil es den geistgewirkten Vollmachtsaspekt betont: Der Geist besitz geht der Geist wirkung voraus. Der Evangelist verdeutlicht diesen theologischen Schwerpunkt, indem er zum einen in den Versen 22 und 30b jeweils die Verbform ἔχει verwendet, um der Beelzebulszene einen sprachlichen Rahmen zu verschaffen, und indem er zum anderen die beiden genannten Verse syntaktisch parallel gestaltet (Βεελζεβοὺλ ἔχει - vgl. V. 22, πνεῦμα ἀκάθαρτον ἔχει - vgl. V. 30b). „Beelzebul zu haben“ bedeutet, vollkommen unter dieser Macht zu stehen und sich somit von dieser auch uneingeschränkt leiten zu lassen. 38 Vgl. auch G rundmann 1977, 109; c ollinS 2007, 228 f.; e bner 2012, 45. 118 6. Macht und Vollmacht Von welchem Geist ist Jesus demnach erfüllt? Besitzt er den Geist Satans, wie die Gegner Jesu behaupten, oder den Geist Gottes, wie Jesus und seine Anhänger vorgeben? Es geht also um geistig gewirkte Herrschaft. Der Leser des Evangeliums weiß es seit der Überschrift Mk 1,1 besser als die Figuren der Erzählung: Jesus von Nazaret ist selbstverständlich Träger des Geistes Gottes, und seine Wundermacht offenbart die Macht Gottes, die nun als endzeitliche Königsmacht hereinbricht. 39 Angesichts der Versuchungsszene Mk 1,12 f., die implizit mit der Überwindung des Bösen endete, muss dem Leser der Vorwurf der Kritiker, Jesus stünde mit dem Satan im Bunde, besonders absurd vorkommen. Die Versuchungswie die vorliegende Beelzebulperikope stehen in einem engen Sinnzusammenhang, denn das gemeinsame Thema ist die brisante Frage nach der „Vollmacht“, die über das Moment des „Geistes“ mit „Gott“ oder „Satan“ verbunden ist. Aber erst der Vers 29 wird die Geistthematik expressis verbis aufgreifen; sie klingt an dieser Stelle jedoch bereits an: Der Geist wird deutlich als das bestimmende und wirkende Prinzip ausgelegt. Die Tatsache, dass der Besitz einer unkörperlichen Kraft den menschlichen Träger in seinem Wesen ausmacht, erweist - wie das im Zusammenhang mit Mk 1,21-28 gezeigt werden konnte - noch einmal die für das Markusevangelium typische Verschränkung der Aspekte „Geist“ und „Vollmacht“, die semantisch identische Begriffe darstellen. Der geistig vermittelte Vollmachtsaspekt, der sich im Wunderwirken Jesu zu erkennen gibt, bildet somit die Sinnmitte von Mk 3,22. Der beschriebene Zusammenhang entspricht der zeichentheoretischen Kategorie des Dingaspektes, bedeutet er doch die Darstellung der Wesenheit eines gedachten oder wirklichen Gegenstandes, der sich selbst mitteilen will. Diese semiotische Funktion des Dynamischen ist mit dem Offenbarungsvorgang der Vollmacht Jesu in den sinnlich wahrnehmbaren Wunderzeichen gegeben. Gott erschließt sich darin durch seinen Sohn in seiner lebensstiftenden, schöpferischen Kraft, die das Leben neu gestaltet. Sie führt vom Nichtseienden zum Seienden, von der Krankheit zur Gesundheit, vom Unheil zum Heil. Die im Begriffspaar „Tod und Leben“ gegebene theologische Interpretation der semiotischen Funktion des Dynamischen veranschaulicht diesen Vorgang. Aus dem Mund der Schriftgelehrten erscheint das mit dem Dingmoment verbundene Motiv des Dynamischen lediglich in negativer Ausprägung: Jesus wird ja gerade von seinen Gegnern vorgehalten, den falschen Geist - den Ungeist - und somit die falsche Vollmacht - die Macht des Teufels - zu besitzen! Die dichotomische Formulierung „Tod und Leben“, die mit dem Dingaspekt verknüpft ist, kommt hier in gegenteiliger Weise zum Ausdruck. Jesus wäre dann Diener des Todes, nicht des Lebens, und seine Machttaten dienten zur Selbsterschließung Satans, nicht Gottes. 39 Vgl. ebenso v an i erSel 1993, 98. 6.1. Jesus und die Schriftgelehrten (vgl. Mk 3,22 - 30) 119 Die markinische Darstellung bringt die massiv vorgetragene Anklage der Kontrahenten Jesu bereits am Anfang der Perikope. Auf dieses prinzipielle Bestreiten seiner Legitimation muss Jesus nun antworten. Er muss sich verteidigen. V. 23a Er ruft daher die Schriftgelehrten zu sich: Кαὶ προσκαλεσάμενος αὐτοὺς („Und nachdem er sie herbeigerufen hatte, […]“ - V. 23a). Der Evangelist verwendet wie schon zuvor in der Perikope über die Einsetzung der zwölf Apostel (vgl. Mk 3,13a: προσκαλεῖται) eine Form des Verbs προσκαλέω. Das Partizip im Aorist προσκαλεσάμενος verdeutlicht somit den autoritativen Charakter des Rufens: Jesus ist in Wahrheit der Herr des Geschehens, weil er der Kyrios ist (vgl. Mk 1,3b). 40 Markus lenkt so die Aufmerksamkeit seiner Leser gezielt auf die Pointe der Vollmacht. Jesu Antwort erfolgt - wie das für ihn üblich ist (vgl. Mk 4,11 f.) - „in Gleichnissen“ (ἐν παραβολαῖς ἔλεγεν αὐτοῖς - „sprach er in Gleichnissen zu ihnen“ - vgl. V. 23a). 41 Die Gleichnisrede umfasst die Verse 23b-27, wobei V. 23b eine prägnante These vorbringt, die in den folgenden Versen plausibilisiert wird: Der V. 24 präsentiert das Beispiel des Königreiches, der V. 25 spricht die Hausgemeinschaft an und im V. 26 wird aus beiden Situationen die Schlussfolgerung gezogen. Das ausführlichere Beispiel im Vers 27 ergänzt die Aussage und rundet sie ab, indem in verhüllender, allegorischer Rede die Wundertätigkeit Jesu dargestellt wird. Damit nimmt das Logion Jesu Bezug auf die Ausgangssituation, die zum Vorwurf des Teufelspaktes geführt hat. Im Unterschied zu den Gleichnissen, die Jesus zu seinen Jüngern spricht (vgl. das Gleichniskapitel Mk 4,1-34; vgl. insbesondere Mk 4,10-11b. 13-20. 22. 26b. 30b. 34b), löst er das Rätselwort hier nicht auf. Dies entspricht jedoch dem markinischen Verständnis des Messiasgeheimnisses, wonach die Worte Jesu vor der feindlich gesinnten Welt bis zur endgültigen Offenbarung Gottes in der Auferweckung seines Sohnes verborgen zu halten sind (vgl. Mk 4,11b-12. 34). 42 Da die vorangestellte These aus V. 23b aber eindeutig ist, erschließt sich der Sinn der Gleichnisse von selbst. 40 Vgl. ebenso l ohmeyer 1967, 77; G rundmann 1977, 109. 41 Vgl. dazu etwa G nilka 2010 I, 149. 42 Vgl. etwa auch S chmithalS 1986, 226; e ckey 2008, 160. - Die in Jerusalem vor der gesamten jüdischen religiösen Elite - vgl. Mk 11,27 (Hohepriester, Schriftgelehrte, Älteste) - gehaltene Parabel von den bösen Weinbergspächtern - vgl. Mk 12,1-11 -, die als unmittelbare Leidensankündigung fungiert und einen Nachtrag der Gleichnisrede Mk 4 darstellt, endet ebenfalls ohne eine Auflösung von Seiten Jesu. Die heftige Reaktion seiner Zuhörer und die narrative Erläuterung in Mk 12,12 zeigen jedoch, dass die Gegner den Inhalt sehr wohl verstanden haben. Sie nehmen den Anspruch Jesu, der „geliebte Sohn“ Gottes zu sein (vgl. Mk 12,6a: υἱὸν ἀγαπητόν - vgl. dazu den nahezu identischen Wortlaut der gött- 120 6. Macht und Vollmacht Die Textstelle Mk 3,22-30 greift das Handeln Jesu als Einheit von belehrender Gleichnisrede und heilendem Wunderwirken auf und bestätigt so die in Mk 1,22a. 27c. d im übergeordneten Begriff der διδαχή („Lehre“) grundgelegte Definition des Wirkens Jesu als untrennbare Verbindung von Wort und Tat. Anders ausgedrückt könnte man sagen: Jesus wirkt Wort- und Tatzeichen. V. 23b Mit einer ebenso pointierten wie plausiblen Hypothese entgegnet der markinische Jesus der prägnanten Anklage seiner Gegner. Das ausschlaggebende Argument lautet: „Wie kann der Satan den Satan austreiben? “ (πῶς δύναται σατανᾶς σατανᾶν ἐκβάλλειν;). Bei dieser Aussage sind zwei Gesichtspunkte zu beachten: Zum einen bezieht sich die Infinitivkonstruktion δύναται […] ἐκβάλλειν auf das Wunderwirken des Exorzismus (vgl. V. 22: ἐκβάλλει τὰ δαιμόνια). Jesus antwortet also direkt auf den Vorwurf. Zum zweiten greift die Wendung σατανᾶς σατανᾶν ἐκβάλλειν die gegnerische Annahme der Dämonenhierarchie auf (vgl. V. 22: καὶ ὅτι ἐν τῷ ἄρχοντι τῶν δαιμονίων ἐκβάλλει τὰ δαιμόνια) und führt sie mit dieser Aussage ad absurdum: Sofern die Dämonen nämlich unter der Herrschaft des Satans stehen, ist ihre Wirkung gleichzusetzen mit dem Wirken ihres Herrn. Der Teufel müsste sich nach dieser Ansicht selbst bekämpfen, was logisch unmöglich ist. 43 Die knappe Frage Jesu entpuppt sich so als rhetorische Frage, denn die Widersinnigkeit der von den Gegnern aufgebrachten Auffassung ist evident. Mit dem Stilmittel der rhetorischen Frage pariert Jesus die verbale Offensive seiner Kontrahenten und drängt diese im Gegenzug in die Defensive. Die Rollen in der Diskussion werden durch Jesus vertauscht, was von Neuem seine Machtposition aufdeckt: Er besitzt den Geist Gottes und kann demgemäß souverän agieren und reagieren. Die in der rhetorischen Frage enthaltene Aussage präzisiert Jesus in einer Folge von drei Gleichnissen (vgl. VV . 24. 25. 27). 44 Die beiden ersten Gleichnisse in den Versen 24 und 25 sind lexikalisch, syntaktisch wie semantisch identisch lichen, deutenden Himmelsstimme in Mk 1,11b: ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός! ) wahr, lehnen diesen aber bewusst kategorisch ab. So setzt sich die Verstockung gegenüber dem Messias Jesus, die Markus in Mk 4,12 mit dem wörtlichen Jesaja-Zitat (vgl. Jes 6,9) ausdrückt, fort. Die religiöse Autorität bleibt „außen vor“ (vgl. Mk 4,11c: τοῖς ἔξω) - im Gegensatz zu den Jüngern (vgl. Mk 4,11b. 34b). 43 Dazu pointiert k ertelGe 1994, 43 [Kursivdruck im Original]: „Die Widerspruchsnatur, die dem Satan (= Widersacher) eigen ist, wäre dann ja gegen ihn selbst gerichtet. Satan wäre seine eigene Verneinung. Satan ist aber die Verneinung Gottes , seiner Herrschaft und seines Reiches.“ - Vgl. auch S chenke 2005, 120; k laiber 2015, 84. 44 Vgl. auch l ohmeyer 1967, 77; d SchulniGG 2007, 121 (Gegenfrage - vgl. V. 23b - und Begründung[en] - vgl. VV. 24-26). 6.1. Jesus und die Schriftgelehrten (vgl. Mk 3,22 - 30) 121 bzw. nahezu identisch. So können beide Verse in der folgenden Analyse und Interpretation als Einheit betrachtet und behandelt werden. VV. 24. 25 Syntaktisch gesehen bestehen die Verse 24 und 25 aus je einem Konditionalsatz mit Protasis und Apodosis: Der konditionale Nebensatz wird mit der Konjunktion ἐάν („wenn“) eingeleitet, der jeweils noch die Konjunktion καί („und“) vorausgeschickt ist. Im Hauptsatz - der Apodosis - erscheint eine Negation (Negationspartikel οὐ): Der gesamte Satz folgt also dem typischen Aufbau eines Konditionalsatzes in negativer Form: „wenn […], dann […] nicht“. In lexikalischer Hinsicht gibt es bis auf den Austausch der Bezugsgrößen „Königreich“ (ἡ βασιλεία - vgl. V. 24) und „Haushalt“ (ἡ οἰκία - vgl. V. 25) einerseits und der Veränderung des Prädikats δύναται (vgl. V. 24) in δυνήσεται (vgl. V. 25) keinen Unterschied. Thematisch geht es in den zwei Versen jeweils um eine Gesellschaftsform - um das Königreich (ἡ βασιλεία) im V. 24 sowie um den Hausstand (ἡ οἰκία) im V. 25. Die gleiche Sprachgestalt beider Verse unterstreicht die inhaltliche Gleichheit der Aussage. Durch das sprachliche Bild wird die Sache somit überzeugend dargelegt. „Und wenn ein Königreich in sich selbst gespalten ist, dann kann jenes Königreich nicht bestehen“ (καὶ ἐὰν βασιλεία ἐφ' ἑαυτὴν μερισθῇ, οὐ δύναται σταθῆναι ἡ βασιλεία ἐκείνη·). Jesus erläutert seine als rhetorische Frage formulierte Hypothese aus dem Vers 22b mit Hilfe eines gleichnishaften Beispiels aus der Staatsbzw. Gesellschaftslehre: Der Blick des Evangelisten geht auf die Verfassungsform der Monarchie und verdeutlicht mit der Wendung ἐφ' ἑαυτὴν μερισθῇ das Faktum, dass ein solches Reich in seinem Inneren erschüttert ist, wenn sich dessen Bewohner gegeneinander erheben. Politische Unruhen oder gar ein Bürgerkrieg zersplittern zuerst die Ordnung eines Landes und zerstören sie schließlich, sofern keine friedliche Lösung erzielt werden kann. Als thematische Parallele lassen sich aus dem Buch Daniel die beiden Perikopen über den Untergang der Königreiche (vgl. Dan 2; 11) anführen. 45 Was V. 24 im Großen behandelt hat, wird nun im Kleinen thematisiert: 46 Die Hausgemeinschaft ist die kleinstmögliche gesellschaftliche Struktur, deren Bestand aber genauso durch die Zwietracht ihrer Mitglieder bedroht ist, wie es bei der staatlichen Gemeinschaft der Fall ist. 47 Die Spaltung der Gesellschaft (ἐφ' ἑαυτὴν μερισθῇ) führt schließlich zur Vernichtung der Gesellschaftsordnung (οὐ δύναται σταθῆναι - vgl. V. 24 - bzw. οὐ δυνήσεται […] σταθῆναι - vgl. V. 25). 45 Vgl. l ohmeyer 1967, 79; G rundmann 1977, 110; G nilka 2010 I, 150. 46 Vgl. etwa l entzen -d eiS 1998, 75. 47 So zum Beispiel auch G rundmann 1977, 110; d SchulniGG 2007, 125; S tolle 2015, 97. 122 6. Macht und Vollmacht V. 26 Hier geschieht nun die Übertragung der beiden Gleichnisse auf die These in Form der Schlussfolgerung. Die Sachebene ergänzt die in den Versen 24 und 25 vorausgeschickte Bildebene. Sprachlich zusammengehalten werden die Verse 24 bis 26 durch die Verwendung der Verbform „bestehen“. 48 Bemerkenswert ist, dass Markus an dieser Stelle die lexikalische, syntaktische und semantische Gleichartigkeit der beiden vorausgehenden Verse imitiert und variiert: Die konditionale Satzfügung, die nun mit καὶ εἰ („und wenn“) eingeleitet ist, wird um einen Adversativsatz erweitert. Die Prädikate ἀνέστη und ἐμερίσθη erinnern an die politisch-soziale wie persönlich-familiäre Situation in den voranstehenden Gleichnissen und verdeutlichen die Folge für die satanische Herrschaft, die im angefügten, mit ἀλλά beginnenden Satz zur Sprache kommt. Dort heißt es im Hinblick auf den Teufel unmissverständlich: ἀλλὰ τέλος ἔχει - in wörtlicher Übersetzung: „[…], sondern es hat ein Ende“. Eine alternative Übersetzung dazu wäre: „[…], sondern er hat ein Ende.“ 49 Es geht aber eher um die Sache - das heißt um die Herrschaft des Satans - und nicht so sehr um die Person des Satans, weshalb meines Erachtens die erste Variante angemessener ist. Die erläuternde Begründung lautet dann insgesamt: „Und wenn der Satan sich gegen sich selbst erhob und in sich gespalten war, dann kann er nicht bestehen, sondern es hat ein Ende“ (καὶ εἰ ὁ σατανᾶς ἀνέστη ἐφ' ἑαυτὸν καὶ ἐμερίσθη, οὐ δύναται στῆναι ἀλλὰ τέλος ἔχει). Die Präsensform ἔχει dokumentiert die Faktizität der Aussage. Folgt man der Meinung der Gegner Jesu, so kann man daraus nur schlussfolgern, dass sich der Satan selbst schwächt. Das heißt: Wie die Aoriste ἀνέστη und ἐμερίσθη belegen, wäre die Herrschaft Satans gebrochen; demgegenüber müsste die Herrschaft Gottes mit der Herabkunft des Messias - Jesus - angebrochen sein (vgl. ἔχει), was die Kritiker Jesu jedoch entschieden zurückweisen. 50 Damit wird der Herrschaftswechsel auch sprachlich durch das Nacheinander der Zeitstufen von Vergangenheit und Gegenwart gekennzeichnet. 51 Jesus rekurriert einerseits auf die von ihm ausgerichtete Botschaft von der beginnenden Königsherrschaft Gottes (vgl. Mk 1,14 f.) 52 und entlarvt andererseits den Einwand der Schriftgelehrten als offenkundig paradox und daher als unberechtigt. Es handelt sich bei der Kritik der jesuanischen Gegner vielmehr um eine bloß böswillige, verleumderische Unterstellung. Die gegnerische Anschuldigung ist somit wirkungslos, und die 48 Vgl. l ohmeyer 1967, 79. 49 Vgl. l imbeck 2014, 289. 50 Vgl. l entzen -d eiS 1998, 75; l imbeck 2014, 289. 51 Vgl. ebenso l imbeck 2012, 289. 52 So zu Recht auch G rundmann 1977, 110; l entzen -d eiS 1998, 76; S tolle 2015, 97. 6.1. Jesus und die Schriftgelehrten (vgl. Mk 3,22 - 30) 123 Schriftgelehrten werden dadurch im Gegenzug als verstockt charakterisiert. 53 Der Gedankengang ist abgeschlossen und könnte an dieser Stelle enden. V. 27 Jedoch lässt es der markinische Jesus mit dieser eindeutigen Feststellung nicht bewenden. Vielmehr intensiviert er seine Aussage durch ein weiteres Gleichniswort, das das Motiv der Herrschaft und des Kampfes um Vorherrschaft aufnimmt. Das Gleichnis wählt einen Bildspender, der Aufmerksamkeit erregt: Es handelt sich um das Gewaltverbrechen des Raubes, das aus der Sicht des Täters geschildert wird. Mit dem Lexem ἀλλά, das in diesem Zusammenhang als bestätigende Partikel zu verstehen ist, beginnt die Aussage: „Gewiss kann keiner in das Haus eines Starken gelangen, um dessen Hausrat zu rauben, wenn er nicht zuerst den Starken fesselt; dann erst kann er dessen Haus ausrauben“ - ἀλλ' οὐ δύναται οὐδεὶς εἰς τὴν οἰκίαν τοῦ ἰσχυροῦ εἰσελθὼν τὰ σκεύη αὐτοῦ διαρπάσα, ἐὰν μὴ πρῶτον τὸν ἰσχυρὸν δήσῃ, καὶ τότε τὴν οἰκίαν αὐτοῦ διαρπσάσει. Die drastische und damit provokante Handlung bekräftigt die beiden vorangegangenen Gleichnisse und verweist auf die Ausgangsthese: „Wie kann der Satan den Satan austreiben? “ (vgl. V. 23b). Die dargestellte Szene, die vermutlich vor allem durch Jes 49,24 f. sowie durch Jes 53,12 beeinflusst ist, 54 lässt sich allegorisch deuten: Die Pointe des Gleichnisses liegt im Eindringen des Räubers (οὐδεὶς - vgl. V. 27a) in das Haus des sogenannten „Starken“ (vgl. V. 27a: τοῦ ἰσχυροῦ εἰσελθών) und in dessen Fesselung (vgl. V. 27b: τὸν ἰσχυρὸν δήσῃ). Dieser „Starke“ - also der Hauseigentümer - ist zweimal erwähnt. Der weitere Kontext des Markusevangeliums bietet einen deutlichen hermeneutischen Hinweis für die eigentümliche Wortwahl. Zu erinnern ist an die Täuferszene Mk 1,4-8, in der Johannes vom „Stärkeren“ (vgl. Mk 1,7b: ὁ ἰσχυρότερός) spricht, 55 der nach ihm kommen und mit Geist statt nur mit Wasser taufen werde. Dieser „Stärkere“ ist Jesus, der in der unmittelbar nachfolgenden Taufperikope Mk 1,9-11 vom Geist Gottes erfüllt und damit zum Messias bestellt wird. Ist Jesus also als der „Stärkere“ bezeichnet, dann kann es sich bei dem geheimnisvollen „Starken“ nur um den Satan handeln, den Jesus bereits in der Versuchungs- 53 Vgl. S chenke 2005, 119. 121. 54 Vgl. zur Traditionsgeschichte etwa G rundmann 1977, 111 (zugleich liege ein Anklang an das Schicksal des Gottesknechtes, der zum Archetyp Jesu wird, vor. - Dagegen aber G nil ka 2010 I, 150 f. und 151 Anm. 38); S chWeizer 1978, 42 (er führt Jes 49,24 f.; Jes 53,12 LXX sowie Ps Sal 5,3 und EvThom 98 als Parallelstellen bzw. Inspirationsquellen an); P eSch 1980, 215 f. (mit weiteren Belegstellen); l entzen -d eiS 1998, 75; d SchulniGG 2007, 125; e ckey 2008, 160; G nilka 2010 I, 151 f.; S tolle 2015, 97. 55 Vgl. auch m oloney 2002, 82; c ollinS 2007, 233. 124 6. Macht und Vollmacht szene (vgl. Mk 1,12-13) überwunden hat. 56 Es ist evident, dass der Stärkere den Starken bezwingt. Darüber hinaus verweist der Name „Beelzebul“ - „Herr des Hauses“ -, der als Deckname für den Satan fungiert, auf den im Gleichnisvers 27 dargelegten Inhalt. Die Szenen Mk 1,13 und Mk 3,27 behandeln also denselben Zusammenhang und interpretieren sich gegenseitig. Sie sind als komplementäre Sinnabschnitte zu lesen. Das erwähnte Thema „Herrschaft“, das auf die Vollmacht Jesu im Geist Gottes Bezug nimmt, klingt in beiden Stellen vernehmbar an. Der sogenannte „kleine Markusprolog“ Mk 1,1-13 ist in Mk 3,27 daher als hermeneutischer Hintergrund präsent. 57 Der im Gleichnis minutiös geschilderte Raubzug - das Eindringen eines Räubers in ein fremdes Wohnhaus, das Sich-Bemächtigen und Fesseln des Hauseigentümers sowie das Ausrauben und Verlassen des Gebäudes - zeigt auf der Sachebene die Entmachtung des Teufels. Ausgehend vom Begriff des „Starken“, kann die Handlung des Gleichnisses im Vers 27 nun leicht dechiffriert werden: Jesus ist auf der Bildebene der Räuber, der sich Zugang zum Haus des Starken - des Satans - verschafft, diesen dort gewaltsam niederringt und fesselt, um sich den Hausrat anzueignen. Ein Dieb oder Räuber nimmt mit, was von Wert ist, und von Wert ist auf der Sachebene des Gleichnisses der Mensch, der unter die Macht des Teufels versklavt ist. 58 Dem auf der Bildebene des Gleichnisses erwähnten „Hausrat“ korrespondiert auf der Sachebene die Menschheit, der Jesus Erlösung bringt. 59 Der Vorgang des Fesselns (δέω - „binden“, „fesseln“) des Hausherrn in Mk 3,27b verdeutlicht in metaphorischer Art und Weise den in 56 Vgl. ebenso S chenke 2005, 121. 57 So auch richtig gesehen von m oloney 2002, 83. 58 Wenn man - wie u lonSka 1995, 43 meint - unter das Raubgut auch die Ehefrau des Hausherrn, die nach antiker Rechtsordnung im Eigentum des Mannes stand, subsummiert, dann wird die Beziehung zwischen Bild- und Sachhälfte verstärkt: Es geht dann auf der Sachebene eindeutig um Menschen. 59 So auch etwa G rundmann 1977, 111 (er verweist zusätzlich auf die Anspielung an die Auferstehung); P eSch 1980, 215; l entzen -d eiS 1998, 75 f.; G nilka 2010 I, 151; l imbeck 2014, 289 f.; k laiber 2015, 84 f. 87. - Eine andere Auslegung für die Metapher des „Hausrates“ bietet e bner 2012, 45 an: Er geht davon aus, dass es sich dabei um die dem Teufel untergebenen Dämonen handelt, die dem „Hausherrn“ - dem Satan - durch Jesus „weggenommen werden“. Damit sei das exorzistische Wirken Jesu ins Wort gebracht. - Diese Deutung, die auf die Ursache der jesuanischen Dämonenbzw. Teufelsaustreibung abstellt, ist möglich; vorzuziehen ist aber der Bezug auf die vom Teufel gebundenen Menschen, so dass die Wirkung in den Mittelpunkt gerückt wird: Es handelt sich weniger um die Herrschaft des Teufels über die bösen Geister als um die Herrschaft Satans über die Menschen. Der thematische Schwerpunkt verschiebt sich dadurch: Wesentlich erscheint die menschliche Erfahrung der „befreienden“ Heilung, die die Ankunft des endzeitlichen Gottesreiches anzeigt und zum Bekenntnis gegenüber Jesus als dem messianischen Gottessohn verleitet. 6.1. Jesus und die Schriftgelehrten (vgl. Mk 3,22 - 30) 125 der Versuchungsgeschichte Mk 1,12 f. geschilderten Sieg Jesu über den Satan 60 , von dem dort jedoch nur implizit die Rede war (vgl. Mk 1,13): Wer gefesselt ist, ist wehrlos und muss sich gezwungenermaßen dem Willen des anderen - eben des Stärkeren -, der ihm die Fesseln angelegt hat, fügen. Der Hausherr wird vom Räuber außer Gefecht gesetzt, wobei es auf den zeitlichen Ablauf zwischen dem Einbruch in das Haus, dem Überwältigen des Eigentümers und dem Entwenden der Sachwerte ankommt. Diesen chronologischen Aspekt unterstreicht die adverbiale Aussage καὶ τότε („dann erst“) im nachklappenden Satz Vers 27c: „Dann erst kann er dessen Haus ausrauben“ (καὶ τότε τὴν οἰκίαν αὐτοῦ διαρπσάσει). Der das Gleichnis abschließende Satz verdeutlicht das Erzählgefälle, das die Hauptaussage an das Ende rückt: Das ist das für Gleichnisse typische „Achtergewicht“. Auf den Aspekt der Entmachtung des Hausherrn - das heißt des Satans - kommt es an. 61 Die Tatsache, dass zudem zweimal vom Fesseln des Eigentümers gesprochen wird, verstärkt die Intention des Gleichnisses. Mit dem „Haus“ ist hier - im Gegensatz zu Vers 25 - primär das Gebäude gemeint, da das Gleichnis von der Straftat des Einbruchs und des Raubes erzählt. Sekundär schwingt aber zugleich die Bedeutung der Herrschaft über diesen von Mauern umgebenen Raum durch den Eigentümer mit. Das heißt also auf der Sachebene, dass die Herrschaft des Teufels durch das „Binden“ des Satans beendet wird, wie es Vers 26b prägnant formuliert (vgl. […] ἀλλὰ τέλος ἔχει - „[…] sondern es / er hat ein Ende“). Markus stellt hier eine Kontrastaussage auf: Jesus „bindet“ den vormals „freien“ Satan und „befreit“ im Gegenzug die in dessen Machtbereich stehenden, „gebundenen“ Menschen. 62 Dass es sich um einen machtvollen Herrschaftswechsel handelt, der keinen Widerspruch duldet, zeigt sich deutlich an der Gewaltsamkeit der Szene. Sie wirkt zwar im ersten Augenblick anstößig, bietet aber bei genauerem Hinsehen ein ansprechendes Bild für den darzustellenden Sachverhalt: Jesus besitzt den sich als machtvoll zeigenden Geist Gottes (vgl. nur Mk 1,11! ), so dass der endzeitliche Geistträger dadurch zugleich die Vollmacht hat, das angekündigte Reich Gottes auch durchzusetzen. Er handelt so souverän wie Gott selbst. Er ist Gottes Sohn und Messiaskönig. Der V. 27 verdeutlicht in metaphorischer Sprache die frühjüdische, apokalyptisch-eschatologische Vorstellung vom Kampf des Guten gegen das Böse - und das heißt den Wechsel vom alten, bösen Äon zum neuen, 60 Vgl. ebenfalls c ollinS 2007, 234. 61 Vgl. auch G uttenberGer 2017, 90. - Anders dagegen l ührmann 1987, 76. 62 Vgl. auch P eSch 1980, 215 und 215 Anm. 18 (δέω vs. λύω); u lonSka 1995, 43; m arcuS 2000, 274. - Vgl. zur Auslegung des Verses 27 auch die sprachlich genaue Analyse von G undry 2000, 174 (er macht zudem auf den interessanten Gegensatz zwischen der sich in diesem Gleichnis erweisenden Stärke Jesu und seiner Schwäche in der späteren Kreuzigungsszene aufmerksam: vgl. ebd. 174 f.). 126 6. Macht und Vollmacht guten Äon. 63 Die hier plastisch geschilderte gewaltsame Auseinandersetzung zwischen Jesus und dem Satan ist nicht nur auf den Herrn des Bösen gerichtet, sondern impliziert auch den Kampf Jesu gegen die satanische Macht in Gestalt der Dämonen, wie er in den Exorzismen stattfindet. Jesus steht daher nicht - wie seine Kritiker irrtümlich meinen - auf der Seite des Dämonenfürsten, sondern ganz im Gegenteil auf der Seite Gottes! Nur das - so lautet die Intention des Gleichnisverses Mk 3,27 - ist das einzig richtige Verständnis von Jesu Person und Botschaft. Über die Thematik „Herrschaft“ - und damit des einzelnen „Herrschers“ - sind die drei Gleichnisse Mk 3,24 („Königreich“, das heißt die Machtsphäre des Monarchen). 25 („Haus“ als „Hausgemeinschaft“ unter dem Einfluss des „pater familias“). 27 („Haus“ als kleines, umgrenztes Gebiet, also als Einflusssphäre des Hauseigentümers, des „pater familias“) miteinander verschränkt. „Herrschaft“ bedeutet „Macht“ und im Kontext der jesuanischen Verkündigung „Vollmacht“. Wie sich ein weiteres Mal zeigt, repräsentiert die brisante Frage nach der Vollmacht Jesu den Kern des Streitgespräches. Die Herrschaft Satans wird abgelöst durch die Herrschaft Gottes, die mit Jesu Wirksamkeit einsetzt. 64 Das letzte Gleichnis ist damit nicht überflüssig, sondern rekurriert auf die erzählte Wirklichkeit im Markusevangelium: Es geht um das Wunderwirken Jesu. Die vollzogenen Exorzismen sind Offenbarungszeichen. Sie erschließen die Botschaft Gottes für den, der es (richtig! ) sehen will. Damit erfassen die Offenbarungszeichen und das damit verbundene Moment der Vollmacht den semiotischen Sinnzusammenhang der „Darstellung“ von „Verheißung und Erfüllung“. Der Zeichencharakter der Wundertaten bzw. der Vollmacht, der auf den Geistbesitz Jesu abzielt, tritt deutlich hervor. Die Eigenschaft des Zeichens, wie Peirce es begreift, ist die stellvertretende Bezeichnung des Gegenstandes, wodurch eine kognitive Beziehung zwischen Objekt und Rezipient erzeugt wird. So findet sich ein zweifaches Zeichen, das auf Jesus als den Offenbarungsträger und den Menschen als den Offenbarungsempfänger bezogen ist. Es ergeben sich zwei Relationen, die reziprok zueinander stehen: Zum einen geht es auf Seiten Jesu um die Verbindung „Wunder“, „Vollmacht“, „Geist“, zum zweiten auf Seiten des Menschen um die Verbindung „Gott“, „Jesus“, „Mensch“. Die mit dem Zeichenbegriff gegebene binäre theologische Formulierung „Verheißung und Erfüllung“ repräsentiert als theologische Interpretation die beschriebene semiotische Funktion des Relationalen. Durch den Geist stiftet diese theologische Deutung eine Verbindung zwischen Gott und dem Menschen, die in den Reden und den Werken Jesu zu erfahren ist. Das heißt, beide Ebenen sind über den Geistbegriff miteinander verknüpft. Zugleich sind diese offenbarenden Zeichen - für den, der es erkennen kann, - Ausweis 63 Vgl. S chmithalS 1986, 222 f.; k ollmann 2011, 71. 72. 64 Vgl. prägnant beispielhaft auch S chWeizer 1978, 42; u lonSka 1995, 39; S tolle 2015, 97. 6.1. Jesus und die Schriftgelehrten (vgl. Mk 3,22 - 30) 127 der Vollmacht Jesu. Offenbarungszeichen sind Vollmachtszeichen. Vollmacht zeigt sich in den Wunderzeichen, und Vollmacht wird in diesen Wunderzeichen in besonders eindrücklicher Weise ausgeübt. Hier kommt das Moment „Vollmacht ausüben“ zur Geltung. Die markanten Taten Jesu sind Zeichen, die der Herrschaft Gottes zum Sieg über die Gegenkräfte verhelfen: Jesus ist der „Stärkere“, der den „Starken“ machtvoll in die Schranken weist. Er teilt das Heil zu, tritt als Retter oder als „Heiland“ (ἡ σωτήρ) auf. Die unbegrenzte Macht Gottes über die himmlische wie irdische Welt - seine Allmacht - steht der begrenzten Macht Satans über die irdische Welt gegenüber und überwindet sie. Der damit herbeigeführte radikale Herrschaftswechsel ist mit der Verheißung der Aufrichtung der Königsherrschaft Gottes in der Endzeit verknüpft. Diese Machtausübung, die das göttliche Schöpferhandeln anzeigt, erscheint in Jesu Vollmacht repräsentiert. Die Verheißung des endzeitlichen Gottesreiches erfüllt sich in Jesu vollmächtigem Sein und daher vollmächtigem Wirken. Diese Vollmacht Jesu gründet aber im Geist Gottes. So steht die pneumatologische Deutung im Hintergrund des Gleichnisverses 27. Es lässt sich eine Verbindung zwischen den Zeichen Jesu, der Vollmacht Jesu sowie dem Geist Gottes herstellen, so dass sich eine zweifache Verweisungsstruktur ergibt: Die Machttaten Jesu richten sich auf seine Bevollmächtigung, die aber wiederum auf den Besitz des göttlichen Geistes verweist. Die Zeichen repräsentieren die Vollmacht, die Vollmacht repräsentiert den Geist. So ergibt sich eine Erkenntnisstruktur, die vom Konkreten - dem Wunderzeichen - bis zum Abstrakten - dem Geist Gottes, der Jesu Vollmacht konstituiert, 65 - reicht. Auf diesen Aspekt der Vollmacht kommt es in der Beelzebulperikope an: Die Frage nach der ἐξουσία Jesu ist die Frage nach dem πνεῦμα Jesu. VV. 28 - 30 VV. 28. 29 In den Versen 28 und 29 wird der Anspruch Jesu auf göttliche Vollmacht explizit mit dem Besitz des Heiligen Geistes (τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον - vgl. V. 29a) in Verbindung gebracht und die Frage nach der Legitimation damit umfassend und abschließend behandelt. Die Aussage erstreckt sich über beide Verse, so dass diese zwei Verse als thematische Einheit anzusehen sind. Es handelt sich um den religiösen Zusammenhang der Sündenvergebung (ἀφεθήσεται […] τὰ ἀμαρτήματα καὶ αἱ βλασφημίαι - vgl. V. 28), der analog einem Rechtssatz formuliert ist. Er beschreibt im Vers 28 den Regelfall und im Vers 29 den Ausnahmefall. 66 65 Wie die Untersuchung zeigen konnte, bedeutet aber der „Besitz des Geistes Gottes“ zugleich den „Besitz der Vollmacht Gottes“. Die Begriffe „Geist“ und „Vollmacht“ bezeichnen so denselben Sachverhalt, sind also semantisch betrachtet identisch. 66 Vgl. P eSch 1980, 211. 216-218; d SchulniGG 2007, 122. 125; e ckey 2008, 161. 128 6. Macht und Vollmacht Der Vers 28 setzt mit dem autoritativen Ausspruch: „Amen, ich sage euch“ (Ἀμὴν λέγω ὑμῖν) ein. Das „Amen“-Wort stellt eine Bekräftigung des Gesagten dar; in der Regel folgt es deshalb einer Äußerung. Dass diese Formel hier jedoch voransteht, ist typisch für die jesuanische Rede. 67 Die Lehrworte Jesu gegenüber seiner Zuhörerschaft - den Jüngern, Umstehenden oder Gegnern - erhalten durch diesen charakteristischen Zusatz eine besondere Tiefe und Schärfe. Zudem verdeutlicht sich durch die Formel: „Amen, ich sage euch“ der messianische Vollmachtsanspruch Jesu. Das angeschlossene ὅτι, das als ὅτι recitativum zu gelten hat - aufzufassen als Doppelpunkt -, leitet die religiös-juristische Vorschrift ein: Im Vers 28 wird den Menschen die umfassende Vergebungsbereitschaft Gottes zugesagt. Sie gilt für alle (πάντα) Verfehlungen und Verleumdungen gegen Gott, die die Menschen (τοῖς υἱοῖς τῶν ἀνθρώπων - „Menschensöhne“) begehen: „Alle Sünden und Gotteslästerungen werden den Menschen vergeben werden, so viel sie auch lästern sollten“ (πάντα ἀφεθήσεται τοῖς υἱοῖς τῶν ἀνθρώπων τὰ ἁμαρτήματα καὶ αἱ βλασφημίαι ὅσα ἐὰν βλασφημήσωσιν·). Die Verfehlungen richten sich entweder gegen Menschen (τὰ ἀμαρτήματα) oder - als Steigerung - gegen Gott selbst (αἱ βλασφημίαι). Gott, der sich hinter der passivischen Verbform ἀφεθήσεται verbirgt (passivum divinum), gewährt absolute Vergebung. Mit dem vorangestellten πᾶς wird diese grenzenlose Barmherzigkeit auch sprachlich untermauert. Das ist in der Tat eine gewaltige Aussage! Diese Vergebung praktiziert auf Erden aber Jesus von Nazaret (vgl. Mk 2,1-12), den man als Sohn Gottes anerkennen muss! 68 Allerdings wird von diesem Regelsatz eine gravierende Einschränkung gemacht, die Vers 29 thematisiert. Dort heißt es nämlich: „Wer aber gegen den Heiligen Geist lästert, erhält keine Vergebung in Ewigkeit, sondern er ist einer ewigen Sünde schuldig“ (ὃς δ' ἂν βλασφημήσῃ εἰς τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον, οὐκ ἔχει ἄφεσιν εἰς τὸν αἰῶνα, ἀλλ' ἔνοχός ἐστιν αἰωνίου ἁμαρτήματος). Mittels der einleitenden adversativen Partikel δέ ist der Ausnahmetatbestand zu Vers 28 formuliert. Das zweifach verwendete Nomen αἰών verstärkt die Ausschließlichkeit der Aussage. 69 Auf dieser Ausnahme liegt der inhaltliche Schwerpunkt des Abschnittes Mk 3,28-30. 70 Der Vers 29 bietet somit eine ebenso drastische Feststellung, wie sie im vorausgegangenen Vers geäußert wurde: Die übergroße Vergebungsbereitschaft Gottes kontrastiert mit der 67 Vgl. zum Beispiel P eSch 1980, 216; G uelich 1989, 177 f. (mit Nachweisen) - Dagegen beispielsweise S chmithalS 1986, 224 f., der die Formel als geläufiges, prophetisch-apokalyptisches Stilmittel versteht, das Jesus übernommen habe. 68 Vgl. zum Ganzen auch P eSch 1980, 216-218. 69 Vgl. auch d SchulniGG 2007, 125. 70 Vgl. G uelich 1989, 179. 6.1. Jesus und die Schriftgelehrten (vgl. Mk 3,22 - 30) 129 ebenso scharfen Verwerfung durch Gott im Fall der Verleugnung des „Heiligen Geistes“. 71 Der „Heilige Geist“ - τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον (vgl. V. 29a) - bezeichnet den Geist Gottes, denn nur Gott allein kommt Heiligkeit zu. Ebenso ist die „Ewigkeit“ ein göttliches Attribut. Der Bezug auf Gott wird somit zweifach deutlich. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Jesus im Zusammenhang mit seiner in Frage gestellten Vollmacht auf diesen göttlichen, „Heiligen“ Geist verweist. Damit stellt die Aussage implizit den Bezug zwischen dem Wirken Jesu und dem Willen Gottes her, denn Jesu Geist entspricht Gottes Geist. 72 Die Intention ist klar: Wer Jesus zurückweist, lehnt Gott ab; wer Jesu Geist in Zweifel zieht, versündigt sich gegen den Geist Gottes. Wenn dem so ist, dann muss man Jesu Weisung genauso folgen wie man es von Gott her gewohnt ist. Gottes und Jesu Handeln werden also an dieser Stelle explizit in eins gesetzt. 73 Die Gottessohnschaft Jesu scheint hier als Thema auf. 74 Aus der semiotischen Perspektive ist es daher evident, dass hier auf den Wirkungsaspekt - auf die semiotische Kategorie des Bedeutungsaspektes bzw. auf die semiotische Funktion der Ontologie - abgezielt wird. Dieser Zusammenhang kommt in der dichotomischen Formulierung „Vollmacht und Glaube“ prägnant zum Ausdruck und findet sich in der Beelzebulszene als einheitliche theologische Aussage wieder: Die Vollmacht Jesu geht auf die Begabung mit dem göttlichen Pneuma zurück, das das Sein Jesu bestimmt. Aus der Anerkenntnis dieser notwendigen Deutung ergibt sich das Erfordernis des Glaubens an den bevollmächtigten Gottessohn. V. 30 Die Frage nach der Herkunft des Geistbesitzes Jesu wird im Vers 30 behandelt, der auf den Eingangsvers 22 rekurriert, so dass beide Verse die gesamte Perikope rahmen: „Denn sie sagten: Einen unreinen Geist hat er! “ (ὅτι ἔλεγον· πνεῦμα ἀκάθαρτον ἔχει). Die Rahmung lässt sich auch semiotisch auswerten: Damit wird nämlich auf den mit dem Vers 22 gegebenen Dingaspekt verwiesen, der nun im Vers 30 - im Rückgriff auf die Interpretation der Verse 28 und 29 - in einer nochmaligen, zusammenfassenden Deutung dargestellt wird. Insbesondere muss die Aussage von Vers 30 mit der Äußerung des voraufgehenden Verses 29 gelesen werden, so dass sich eine Antithese ergibt: Der Ungeist Satans steht dem Geist Gottes gegenüber. Somit kehrt sich der ungeheure Vorwurf der Schriftgelehrten gegenüber Jesus um, indem es 71 Vgl. etwa auch G undry 2000, 176 f.; G nilka 2010 I, 151. 72 So richtig gesehen von u lonSka 1995, 35. 44. 73 Vgl. auch G rundmann 1977, 112; S chmithalS 1986, 225; k ertelGe 1994, 44; G undry 2000, 176; S chenke 2005, 121; d SchulniGG 2007, 125; e ckey 2008, 161; G nilka 2010 I, 151 f.; e bner 2012, 46; k laiber 2015, 85. 87; S tolle 2015, 98. 74 Vgl. ebenfalls P eSch 1980, 220. 130 6. Macht und Vollmacht nun der Angegriffene ist, der seinen Kritikern zur Last legt, wider den Heiligen Geist zu urteilen und zu handeln, weil sie Jesu göttliche Vollmacht missachten. Daher steht nicht Jesus auf Seiten des Satans, sondern es sind strenggenommen die Schriftgelehrten! 75 Der Sinnzusammenhang von „Vollmacht und Glaube“ kommt hier abschließend und zugespitzt zur Sprache. 6.1.3. Resümee In der Beelzebulperikope Mk 3,22-30 sind vor allen Dingen die Schlussverse besonders aussagekräftig: So machen die Verse 28 bis 30 die Geistthematik mit autoritativer Wucht und Schärfe geltend. Jesu Vollmacht gründet nach dieser Äußerung eindeutig in Gottes Allmacht. Die Übertragung wie die Ausübung dieser Vollmacht geschieht im Geist Gottes. Jesus spricht diesen Zusammenhang implizit an (vgl. V. 29). Er deutet seine Vollmacht als Ausdruck der Gabe des göttlichen Geistes. Damit verschränkt die Stelle Mk 3,22-30 die Motive „Geist Jesu“ und „Geist Gottes“ einerseits mit „Vollmacht Jesu“ und „Allmacht Gottes“ andererseits. Der Vollmachtsaspekt wiederum fordert zur Entscheidung für oder gegen Jesu Person und Botschaft heraus. Diese Aussage über das Wesen Jesu - in der semiotischen Funktion des Ontologischen - bildet den inhaltlichen Kern des Textes: Jesus ist der Träger des Geistes Gottes und damit der Sohn Gottes, und als solcher ist er berechtigt, im Namen seines Vaters zu handeln. Markus zieht eine Verbindungslinie zwischen den Themen „Wunder“, „Vollmacht“ und „Geist“. Die zeichentheoretische Betrachtungsweise kann das für die vorliegende Perikope wesentliche Moment der Vollmacht, das in den Zeichen der Wunder und im Zeichen des Geistes besteht, erläutern. Der Ursprung der messianischen Vollmacht Jesu liegt daher im „Geist“, so dass die vorliegende Beelzebulszene Mk 3,22-30 mit der Taufperikope Mk 1,9-11 wie mit der Versuchungsszene Mk 1,12-13 eine thematische Einheit formen. Aus semiotischem Fokus kann auf der Ebene der Perikope - der Mesoebene - in den Versen Mk 3,28-30 der Bedeutungsaspekt gesehen werden. Die Frage nach Jesu geistiger Legitimation für seinen messianischen Dienst leitet über zur Frage nach Annahme oder Ablehnung durch seine Zeitgenossen. Die Aktion Jesu einerseits - seine Bevollmächtigung sowie seine Reden und Taten in Vollmacht - und die Reaktion seiner Landsleute auf sein Auftreten andererseits stehen also in einem Sinnzusammenhang. Es geht nicht allein um die Deutung von Jesu Person und Botschaft, sondern zugleich um die Deutung von Jesu Person und Botschaft durch seine Zuhörer. 75 So zu Recht auch v an i erSel 1993, 99; c ollinS 2007, 234 f.; e bner 2012, 46. 6.1. Jesus und die Schriftgelehrten (vgl. Mk 3,22 - 30) 131 „Vollmacht“ und „Glaube“ sind also die beiden entscheidenden Größen: Welche Deutung ergibt sich aus der Vollmacht Jesu für die Adressaten seiner Botschaft, und welche Bedeutung schreiben sie dieser Vollmacht Jesu zu? Das durch Jesus vollzogene Offenbarungsereignis ist ein dyadisches Kommunikationsgeschehen, das auf der Interpretation der Rezipienten beruht und deswegen in der menschlichen Freiheit gründet. So wird ersichtlich, dass die Deutungen über Jesu Person und Werk unterschiedlich ausfallen müssen. Seine Vollmacht muss deswegen unter seinen Zeitgenossen zwangsläufig umstritten bleiben: Wer ihn wie die Schriftgelehrten von satanischer Macht beeinflusst sieht, muss ihn ablehnen, wer ihm hingegen vertraut - also „glaubt“ -, nimmt ihn an. Durch die auch semiotisch zu begründende menschliche Willensfreiheit gibt sich Gott in Jesus durch seinen Geist in die Hände der Menschen. Die Menschen wiederum können sich in Freiheit zu ihm bekennen oder ihn ablehnen. Der Wille Gottes und der Wille des Menschen stehen in Beziehung zueinander. Vollmacht bedeutet daher auch in gewisser Weise Ohnmacht . Das zeigt die Dramatik des Offenbarungsvorganges, der ebenso gelingen wie scheitern kann. In diesem Sinne sind auch die Verse 28-30 als eindringlich werbender Appell für das Bekenntnis zur Botschaft Jesu, die doch die Botschaft Gottes ist, zu begreifen. Als Adressaten gemeint sind nicht nur die Erzählfiguren, sondern auch die Hörer und Leser, für die Markus sein Evangelium schreibt. Unabhängig von der Zustimmung durch die Menschen bleibt Jesus selbstverständlich Gottes Sohn, wie die Auferstehung demonstrieren wird (vgl. Mk 16,1-8). Damit spiegeln sich in den umstrittenen Wundern und dem angefochtenen Vollmachtsanspruch, die das Messiasgeheimnis auszeichnen, auf der Bedeutungsebene die Aspekte von Offenbarung und Verborgenheit, von Enthüllung und Verhüllung 76 sowie von göttlicher Immanenz und Transzendenz wider, die bereits in Mk 1,9-13 programmatisch entfaltet wurden. Sie sind Zeichen für das Sein Jesu und das Sein Gottes. Die gesamte Perikope lässt sich - semiotisch betrachtet - auf der Makroebene dem Zeichen- oder Erscheinungsaspekt zuordnen, der mit dem Stichwort „Vollmacht ausüben“ verknüpft ist: Es sind Zeichen Jesu, die der Mensch für sich erschließen muss. Die Selbst-Deutung Jesu trifft auf die Fremd-Deutung der Menschen. Dass dies - wie die Szene zeigt - ein offener Bedeutungsbildungsprozess ist, manifestiert die prinzipielle Interpretationsbedürftigkeit von Zeichen. Zeichen können daher auch ambivalent sein. Das gilt selbstverständlich analog für die Offenbarungszeichen Jesu, die positiv wie negativ auszulegen sind. 76 So zu Recht ebenfalls G rundmann 1977, 110 f., für den das Messiasgeheimnis in der Metapher des „Räubers“ in Mk 3,27 ausgedrückt ist: So wie im Gleichnis der Räuber beim Einbrechen in das Haus des Opfers heimlich zu Werke geht, so vollzieht sich die Sendung Jesu gleichfalls in geheimnisvoll-verborgener Weise. 132 6. Macht und Vollmacht Da die Zeichen dadurch anfechtbar wirken, ist auch Jesus selbst angreifbar. 77 Im Hinblick auf die Vollmachts- und Wunderthematik kann man aus semiotischem Fokus insgesamt sagen: Die Vollmacht Jesu soll als Zeichen des Geistes und damit als Zeichen Gottes gedeutet werden. Die Wunderzeichen Jesu sollen gleichermaßen als Zeichen des Geistes und als Zeichen Gottes erkannt werden. Alle diese Zeichen richten sich daher auf den Geist Gottes - das heißt auf das Wesen Gottes -, der bzw. das sich als zweiseitiges Offenbarungsgeschehen in Jesu Vollmachtsanspruch und Vollmachtszeichen präsentiert. Die pneumatologisch-soteriologische wie offenbarungs- und schöpfungstheologische Dimension ist so mit dem kerygmatischen Element verbunden. Zusammenfassend betrachtet sind aus semiotischer Perspektive zwei Aspekte wesentlich: Zum einen geht es um die Offenbarung Jesu - die Vollmacht Jesu - und zum anderen um das Bekenntnis des Menschen - den Glauben des Menschen. Wie die Analyse ergab, findet eine doppelte Deutung statt - aus der Sicht Jesu und aus der Sicht der Menschen. Jesu Sein wird bestimmt; es geht hier um die semiotische Funktion des Ontologischen, die zur semiotischen Kategorie des Bedeutungsaspektes gehört. 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1 - 20) Stein des Anstoßes für die von den Jerusalemer Schriftgelehrten aufgeworfene Frage nach der Vollmacht Jesu ist das exorzistische Handeln des Mannes aus Nazaret, für das paradigmatisch die ausführlich gehaltene und farbig gestaltete Erzählung 78 Mk 5,1-20 steht. Die darin entfaltete Szene spielt auf heidnischem Gebiet in der Dekapolis - konkret in Gerasa - und handelt von einem Mann, der unter dem Einfluss eines mächtigen Dämonenheeres leidet. 6.2.1. Text und Kontext Die neutestamentlichen Geschichten über Dämonenaustreibungen können als Ausprägungen der Erzählungen über Wunderheilungen („Heilungsgeschichten“ oder „Therapiegeschichten“), die Jesus wirkte, angesehen werden. 79 Sie folgen einem bestimmten, aber nicht fest umgrenzten und daher im Einzelfall wechselnden Repertoire an Kennzeichen, die sich auch in außerbiblischen Zeug- 77 In diese Richtung argumentieren auch S chmithalS 1986, 222 und l imbeck 2014, 291. 78 Die sprachliche Gestalt würdigen ausdrücklich etwa l ohmeyer 1967, 94 sowie d SchulniGG 2007, 152. 79 Vgl. zur Typologie der Exorzismuserzählungen im Allgemeinen t heiSSen 1998, 94 f.; vgl. ebenso W ohlerS 1999, 201 f. 232. 236 f. 241; l ohSe 2015, 22. 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1 - 20) 133 nissen finden. Gerd Theißen 80 hat das Erzählmodell federführend entwickelt. Aus diesem Schema kann man folgende wesentliche, für Exorzismuserzählungen gattungstypische Topoi ableiten: das Aufeinandertreffen des Besessenen mit dem Exorzisten, der Abwehrversuch des Besessenen, die Beschwörung mit dem Namenszauber, 81 der Ausfahrbefehl - die Apopompe - (und eventuell der Einfahrbefehl - die Epipompe), das Ausfahren des Dämons sowie die Reaktion der Zeugen. 82 Auch der Exorzismus bei dem Mann aus Gerasa weist diese Merkmale eindeutig auf, wie die nachstehende Analyse noch erbringen wird. Ferner verwendet die Stelle die politische Terminologie aus dem Zeremoniell der Epiphanie bzw. des Adventus eines Herrschers oder seines Stellvertreters (vgl. VV . 2. 5. 6. 7. 10. 12: Empfang, Huldigung, Bitte und Gewähr der Bitte, Ausrufung). 83 Diese Begriffe deuten - theologisch gesehen - die epiphane Grundierung der Szene an. Diesen Aspekt kann die semiotische Deutung nun vertiefen und verstärken. Über diese Grundzüge exorzistischer Erzählungen hinaus stellt sich die Frage der Genese des vorliegenden Erzählstückes, die unklar bleibt und zu verschiedenen Hypothesen Anlass bietet. Eine Überformung der ursprünglichen Geschichte kann jedenfalls als sicher angenommen werden. 84 Plausibel erscheint der von Josef Ernst vorgetragene Vorschlag, der einen Wachstumsprozess in drei Schichten annimmt: 85 Den Kern der Erzählung bildet die Schilderung der Begegebenheit um die Begegnung des besessenen Mannes aus Gerasa mit Jesus von Nazaret sowie der Dämonenaustreibung mit der damit erwiesenen Gottessohnschaft des Exorzisten (vgl. die Verse 2b. 6-11. 14). In der zweiten Phase tritt die Szene mit der Schweineherde hinzu; eventuell erfolgt noch eine Ausgestaltung der Phänomene der Besesseneheit des Mannes. Beide Motive dienen dazu, das pagane Kolorit in grotesker, ironisch-karikierender Weise darzustellen. Abgeschlossen wird die Erzählung durch die Zufügung der Verse 1 und 2a sowie 18-20, die die missionstheologische Intention zur Geltung bringen. Diese komplexe formale Struktur lässt zugleich eine Vielfalt an Interpretationsmöglichkeiten zu. Systematisch gesehen ergeben sich drei grundlegende 80 Vgl. zur Textgattung im Einzelnen t heiSSen 1998, 94-98. - Vgl. knapp auch t runk 1994, 23 f.; vgl. ebenfalls l ohSe 2015, 22 f. 81 Vgl. zu den Einzelheiten b öcher 1972, 88 f. 82 Vgl. dazu P eSch 1980, 284. - Zur Topik der Exorzismusgeschichten hat t runk 1994, 426 f. eine umfangreiche Liste zusammengestellt. 83 Vgl. e bner 2013, [266-277] 273. 84 Vgl. zu Recht e bner 2012, 58; l ohSe 2015, 80. 85 Vgl. dazu e rnSt 1981, 154. - Ganz ähnlich - nur mit Abweichungen in Details - auch G nilka 2010 I, 200-203; e bner 2012, 58 f. - Eine detailgenaue redaktionsgeschichtliche Analyse bietet beispielsweise die Arbeit von S chenke 1974, 173-195. 134 6. Macht und Vollmacht Deutungsrichtungen, 86 die in der neutestamentlichen Forschungsliteratur jedoch zu Recht meist kombiniert werden: Dazu zählen die harmatiologisch-psychologische, 87 die missionstheologisch-messianische 88 und die politisch-sozialhistorische 89 Auslegung. Alle diese Ansätze spiegeln richtige und entscheidende Aussagen der Exorzismusgeschichte wider und müssen daher bei der Auslegung berücksichtigt werden. Aber die Geschichte um den dämonischen Mann aus Gerasa lässt sich ebenfalls gewinnbringend aus semiotischer Perspektive betrachten, die zudem den Vorteil bietet, die genannten Interpretationsvorschläge als Konkretisierungen sinnvoll zu kombinieren und zu integrieren. Eine besondere Verstehensschwierigkeit für die Exegese der Textstelle hinsichtlich der Frage nach der Genese der Perikope bietet die Ortsangabe in Mk 5,1, 90 da weder die genannte Stadt „Gerasa“ noch das ihr zugehörige Umland an den See Gennesaret grenzen. Das gilt hingegen für Gadara oder Gergesa, wie manche Handschrift bzw. mancher Kommentator liest. Der Blick auf das gesamte Erzählstück zeigt, dass der Skopus auf der Betonung des Heilswirkens Jesu im Heidenland der Dekapolis liegt, was allein durch die Erwähnung der Schweineherde unmissverständlich zum Ausdruck kommt. 91 Daher kann man auch bei der ursprünglichen Lesart „Gerasa“ bleiben, zumal diese Stadt zu den größten und einflussreichsten Städten der Dekapolis zählt. 92 Nach markinischem Verständnis soll in der Gegend dieser bedeutenden Stadt ein soteriologisch-christologisches Exempel über den Gottessohn Jesus von Nazaret statuiert werden. So kann man in berechtigter Weise davon ausgehen, dass erst der Evangelist die vorliegende Szene mit der vorausgehenden Begebenheit des Seewandels Jesu absichtsvoll zusammengefügt hat, um die heidenchristlichen Gemeinden mit dem palästinischen Judenchristentum zu verknüpfen, damit die Verbundenheit zum Ursprungsland jesuanischer Verkündigung (eben das galiläische Land um den See Gennesaret) hervortritt. 93 Markus betont dadurch sowohl die Heilskon- 86 Eine ähnliche Kategorisierung schlägt auch e bner 2013, [266-277] 274 f. vor. 87 So etwa profiliert von S chmithalS 1986, 267-275. 88 Diesen Schwerpunkt vertreten etwa S ahlin 1964, [159-172] 169; v an der l ooS 1965, 235 f. 397; l ohmeyer 1967, 99; k ertelGe 1970, 109 f.; G rundmann 1977, 146 f.; e rnSt 1981, 158; S chenke 2005, 144; e ckey 2008, 198. 89 Vgl. pointiert bei t heiSSen 1998, 252-256 und k linGhardt 2007, 28-48; dieser Schwerpunkt wird auch von e bner 2012, 58 f. deutlich herausgestellt. 90 Vgl. zum Beispiel die Darstellung des Problems bei l ohmeyer 1967, 93 f.; G rundmann 1977, 141f; ausführlich bei G uelich 1989, 275-277; vgl. auch d SchulniGG 2007, 154. 91 Vgl. ebenso k ertelGe 1994, 55; e ckey 2008, 193. 92 So zu Recht auch e rnSt 1981, 154; vgl. auch S chmidt 2010, 232. - m arcuS 2000, 342 denkt darüber hinaus noch an ein Wortspiel mit dem hebräischen Verbum גרש („vertreiben“, „austreiben“). 93 So auch k ertelGe 1970, 109 f. 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1 - 20) 135 tinuität wie die Heilsuniversalität. 94 Vorösterliche Tradition und nachösterliche Reflexion verschränken sich. 95 Die Austreibungserzählung ist in den größeren Kontext von Wundergeschichten - den markinischen „Wunderzyklus“ Mk 4,35-6,56 - eingebettet, der als Ringkomposition gefasst ist. Diese Passage mit Wundererzählungen verbindet das Wirken Jesu mit dem Motiv des Sees Gennesaret (von Jesu Stillung des Seesturmes Mk 4,35-41 bis zu Jesu Wandel auf dem See in Mk 6,45-52; es folgt als Abschluss ein Summarium über die Heilungswunder Jesu am Seeufer - vgl. Mk 6,53-56). 96 Dieser Beobachtung entspricht die Aussageabsicht des Textes Mk 5,1-20, die Dämonen im See zu vernichten, denn ein See oder ein Meer gelten nach geläufiger antiker Vorstellung als dämonische Chaosmächte (Flut, Wellen, Sturm), so dass eine deutliche inhaltliche Anbindung an Mk 4,35-41 vorliegt. 97 Aus dem vorhin skizzierten semiotischen Ansatz für die Gerasaperikope ergibt sich folgende Gliederung: Nach dem Einleitungsvers (vgl. V. 1) erfassen die Verse 2-5 die Zeichen der Besessenheit des Mannes, die semiotisch gesehen dem Zeichen- oder Erscheinungsaspekt in negativer Ausprägung entsprechen („Zeichen des Unheils“) . Die Verse 6-7 sowie 10 repräsentieren den Dingbzw. Wesensaspekt , in dem die Vollmachtsfrage aufscheint, während in den Versen 8-9. 11-13 die Exorzismushandlung geschildert wird. Hier kommt in positiver Weise das Zeichenmoment („Zeichen des Heils“) zum Ausdruck. Die Passagen Mk 5,2-5 und 8. 9. 11-13 lassen sich jedoch als einheitlicher Zeichenaspekt, der alle Umstände des Exorzismus beschreibt (negative vs. positive Einzelzeichen: „Zeichen des Unheils“ vs. „Zeichen des Heils“), begreifen. Es ist zugleich aber evident, dass die „Zeichen des Heils“, die im Ausfahr- und Einfahrbefehl Jesu realisiert sind, im Vordergrund stehen, um die Vollmacht des Messias zu akzentuieren. Sie machen die „Unheilszeichen“ zunichte und lassen deren Bedeutung in den Hintergrund treten. Die Perikope schließt mit dem Bedeutungs- oder Wirkungsaspekt ab, der die negativen wie positiven Reaktionen der Beteiligten zur Sprache bringt (vgl. VV . 14-20). 94 Den Aspekt der „Heilsuniversalität“ akzentuiert ebenso k ertelGe 1994, 56 f. - Für diese Bewertung spricht zudem folgende Beobachtung: Der in Mk 5,1-20 geschilderte Exorzismus im paganen Gebiet stellt die Parallele zum Exorzismus in Galiläa aus Mk 1,21-28 dar (diesen Gesichtspunkt macht ebenso m arcuS 2000, 349 geltend). 95 Vgl. zur Thematik der „Heidenmission“ zutreffend G uelich 1989, 288 f. 96 Vgl. zur Struktur im Einzelnen e bner 2012, 54 f. 97 Vgl. P eSch 1980, 291; S chenke 2005, 135. 136 6. Macht und Vollmacht 6.2.2. Vollmacht und Bekenntnis V. 1 Die Szene beginnt mit einer Schilderung der äußeren Umstände der Handlung: Jesus und seine Jünger (Καὶ ἦλθον) setzen mit dem Boot über den See Gennesaret an das gegenüberliegende Ufer (τὸ πέραν τῆς θαλάσσης), das nach Auskunft des Markus an das Umland von Gerasa grenzt (εἰς τὴν χώραν τῶν Γερασηνῶν), über („Und sie kamen an das Ufer des Sees in das Gebiet der Gerasener“). Die Ortsangabe schließt an die vorherige Szene des Seewandels Jesu aus Mk 4,35-41 an. Dort finden sich im einleitenden Vers Mk 4,35 auch die Hinweise auf die Zeit (ἐν ἐκείνῃ τῇ ἡμέρᾳ ὀψίας γενομένης - „an jenem Tag, als es Abend geworden war“ - vgl. Mk 4,35a) wie auf das Vorhaben Jesu (διέλθωμεν εἰς τὸ πέραν - „‚Lasst uns zum [anderen] Ufer hinüberfahren! ‘“ - vgl. Mk 4,35b), das nun mit der Bemerkung der Überfahrt in Mk 5,1 verwirklicht ist. In sprachlicher Hinsicht sorgt Markus für die Verknüpfung der beiden Erzähleinheiten vom Seewandel und von der Heilung des besessenen Geraseners, indem er die Szene Mk 5,1-20 mit der Konjunktion καί („und“) beginnen lässt. Der gewählte Schauplatz illustriert die Aussageabsicht: Wichtig ist es dem Verfasser herauszustellen, dass Jesus ein Heilungswunder unter den Heiden gewirkt hat (missionstheologisch-messianische Erzählabsicht), die in den Augen gläubiger Juden als kultisch unrein galten. 98 VV. 2 - 5 V. 2 Der Blick des Erzählers verengt sich auf Jesus, denn von ihm allein wird berichtet, wie er aus dem Boot steigt („Und während er aus dem Boot stieg“ - καὶ ἐξελθόντος αὐτοῦ ἐκ τοῦ πλοίου). 99 Dabei verdeutlicht das einleitende καί die Schnelligkeit des Ereignisablaufs. 100 Dies wird noch durch das Zeitadverb εὐθύς („sofort“) - das markinische Vorzugswort -, mit dem die folgende Begebenheit an das soeben geschilderte Verlassen des Bootes angefügt ist, verstärkt: „[…] lief ihm sofort aus den Grabhöhlen ein Mann mit einem unreinen Geist entgegen“ - εὐθύς ὑπήντησεν αὐτῷ ἐκ τῶν μνημείων ἄνθρωπος ἐν πνεύματι ἀκαθάρτῳ. Gleichzeitig mit der Ankunft Jesu beginnt somit die Erzählhandlung des Exorzismus: Die Ereignisse folgen Schlag auf Schlag; der erzählerische Effekt des 98 Vgl. ebenso P eSch 1980, 285: unreines Land, unreine Gräber, unreine Geister, unreine Schweine. 99 Vgl. zum Stil des Erzählstückes ebenfalls l ohmeyer 1967, 94. 100 Die erzählerischen Mittel des Zeitraffers wie der Zeitdehnung werden in der gesamten Perikope geschickt eingesetzt, um die Intention zu akzentuieren. Das wird sich im Verlauf der Auslegung noch deutlich zeigen. - Vgl. auch l ohmeyer 1967, 94; S chenke 2005, 140. 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1 - 20) 137 Zeitraffers fesselt die Aufmerksamkeit des Lesers und Hörers. Die Verben der Bewegung, die die beiden ersten Verse der Perikope prägen („ankommen“ - vgl. V. 1, „aussteigen“ - vgl. V. 2, „entgegenlaufen“ - vgl. V. 2), spielen hierbei die entscheidende Rolle, denn sie drücken die dramatische Zuspitzung der Szene aus, die die geradezu intime Begegnung zwischen Jesus und dem kranken Mann schildert. Auf dieses Aufeinandertreffen (ὑπήντησεν αὐτῷ) läuft das Erzählgefälle hinaus (vgl. ebenso die politische Semantik der Epiphanie bzw. des Adventus! ). 101 Daraus erklärt sich, dass die Aufmerksamkeit des Lesers oder Hörers von den Jüngern auf Jesus gelenkt wird. Von dem auf Jesus zustürzenden Mann wird erzählt, dass er unter dem Einfluss eines unreinen Geistes (ἐν πνεύματι ἀκαθάρτῳ) steht: Er ist also nach dem damaligen dämonistischen Weltbild ein „Besessener“. VV. 3 - 5 Sehr eingehend schildern nun die folgenden Verse 3-5 das Krankheitsbild der „Besessenheit“, wobei die Verse 3 und 5 durch die jeweils gleiche Ortsangabe - die Grabhöhlen (vgl. V. 3a: ἐν τοῖς μνήμασιν; vgl. V. 5: ἐν τοῖς μνήμασιν) - den Abschnitt rahmen. Der doppelte Verweis auf den Aufenthalt der besessenen Person (ὃς τὴν κατοίκησιν εἶχεν ἐν τοῖς μνήμασιν - „[…], der Wohnung hatte bei den Grabhöhlen“ - vgl. V. 3a) nimmt zudem Rekurs auf die Wendung ἐκ τῶν μνημείων aus Vers 2 und lässt darauf schließen, dass es sich um einen unreinen Geist handeln muss, der Besitz von dem Mann ergriffen hat: 102 Nach damaliger Vorstellung sind dämonische Wesen an unzugänglichen und für Menschen gefährlichen Stätten (wie etwa der Wüste, dem Meer oder dem Berg) bzw. an unheimlichen Orten wie Gräbern anzutreffen, wobei man hier von ruhelos umherstreifenden Geistern der Verstorbenen ausgeht, die sich der Lebenden bemächtigen können. 103 Krankheiten konnten nach antiker Ansicht von bösen Geistwesen verursacht sein, die den Patienten anfallen und dessen Verhalten als ein „Außer-sich-Sein“ erscheinen lassen. 104 Ein solcher Fall liegt bei dem besessenen Gerasener vor: Er ist nicht mehr Herr seiner selbst, sondern untersteht der Herrschaft einer dämonischen Macht. 101 Vgl. auch G rundmann 1977, 142; P eSch 1980, 285; G uelich 1989, 277; G undry 2000, 248. 102 Vgl. zum Motiv „Reinheit“ oder „Unreinheit“ etwa G rundmann 1977, 142. - Vgl. ebenfalls a nnen 1976, 109 und d SchulniGG 2007, 154: Explizit nennt die Perikope die unreinen Gräber, die unreinen Geister sowie die unreinen Schweine und markiert dadurch das pagane Umfeld. 103 Vgl. zu den dämonologischen Topoi von „Berg“ und „(Grab-) Höhle“ b öcher 1972, 30 f. 32. - Vgl. zur Phänomenologie des Dämonenglaubens allgemein auch t runk 1994, 7 f. 104 Vgl. l ohSe 2015, 75. 78. 138 6. Macht und Vollmacht Markus betont also die Besessenheit, deren Zeichen - nach moderner medizinischer Auffassung: deren krankheitsbedingte Symptome - gravierend sind, wie es die Halbverse 3b-4a auf drastische Art und Weise veranschaulichen. Dort heißt es von dem Mann, er gebärde sich so wild, dass es unmöglich sei, ihn selbst mit Ketten und Fesseln an Händen und Füßen ruhigzustellen, da er über so viel Körperkraft verfügt, dass er seine Fesseln einfach zerstört (καὶ οὐδὲ ἁλύσει οὐκέτι οὐδεὶς ἐδύνατο αὐτὸν δῆσαι [vgl. V. 3b] διὰ τὸ αὐτὸν πολλάκις πέδαις καὶ ἁλύσεσιν δεδέσθαι καὶ διεσπάσθαι ὑπ' αὐτοῦ τὰς ἁλύσεις καὶ τὰς πέδας συντετρῖϕθαι [vgl. V. 4a] - „[…], und auch mit einer Kette konnte ihn keiner mehr binden [vgl. V. 3b], deshalb, weil er oft mit Fußfesseln und mit Ketten gebunden worden war, und von ihm die Ketten zerrissen und die Fußfesseln zerrieben worden waren“ [vgl. V 4a]). Die Kraft des dämonischen Mannes scheint also übermenschlich zu sein. 105 Als literarische Vorlage für diese besonders farbige Ausmalung der Szene wird darüber hinaus wohl die bildhafte Darstellung des Heidentums in Jes 65,1-5 gedient haben. 106 Der Tatsache der inneren Bindung durch den Dämon korrespondiert der Versuch der äußeren Bindung in der Fesselung des Kranken durch die ihm zu Hilfe eilenden Menschen. Die Vergeblichkeit dieser Bemühungen unterstreicht die Schwere der Erkrankung und damit die Hoffnungslosigkeit der Lage, so dass das resignierte Urteil: καί οὐδεὶς ἴσχυεν αὐτὸν δαμάσαι (vgl. V. 4b: „[…] und niemand war stark genug, ihn zu bändigen“) gerechtfertigt ist. 107 Der Mann verhält sich damit sozialschädlich, und er ist demzufolge auch sozial isoliert. 108 Die mit erzählerischen Mitteln eindrucksvoll geschilderte Stärke des unreinen Geistes, der selbst der größten Gegenwehr trotzt, kontrastiert deswegen mit der Schwäche der Menschen, ihm Einhalt gebieten zu wollen. Die zerstörerische und daher teuflische - „diabolische“ - Macht (im wörtlichen Sinne des altgriechischen Begriffs für den Teufel - „Diabolos“: „durcheinanderwerfen“, „zerstreuen“, „zerschmeißen“, „zerstören“) des Dämons kommt sehr deutlich zum Vorschein. Es geht an dieser Stelle erneut um die Machtfülle des Bösen. Die Frage nach der Macht des Teufels und der Macht bzw. der Vollmacht des Jesus von Nazaret leuchtet hier auf und wird in der weiteren Darstellung auch deutlich zur Sprache kommen. 109 Die Aggression des Kranken nach außen findet nämlich ihr Pendant in seiner Aggression nach innen, die Vers 5 thematisiert: Der Mann schreit (κράζων - 105 Vgl. etwa auch e rnSt 1981, 155; G undry 2000, 248 f. 106 Vgl. S ahlin 1964, [159-172] 160 f.; P eSch 1980, 286; e rnSt 1981, 155; G uelich 1989, 278; e ckey 2008, 193; e bner 2012, 59; e bner 2013, [266-277] 272; l imbeck 2014, 302 f. 107 Hier liegt ein Anklang an Mk 3,27 vor: vgl. richtig m arcuS 2000, 343. 350. 108 Vgl. G rundmann 1977, 142 (zu V. 4). 143 (zu V. 5); G löckner 1983, 82. 109 Vgl. zu diesem Punkt auch die gute überblicksartige Darstellung bei a nnen 1976, 107 f. 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1 - 20) 139 „schreiend“) und verletzt sich selbst mit Steinen (καὶ κατακόπτων ἑαυτὸν λίθοις - „und sich selbst mit Steinen niederhauend“). Das semantische Feld von κατακόπτω umfasst einerseits die Begriffe „niederhauen“, „erschlagen“ bzw. andererseits „zerschlagen“, „zertrümmern“ und verdeutlicht somit die tödliche Gewalt der mit diesem Ausdruck bezeichneten Handlung. Auf den besessenen Mann aus Gerasa bezogen heißt das, dass er nicht mehr Herr seiner Sinne ist, wenn er sich dermaßen selbstzerstörerisch verhält. In seinem Handeln macht er nicht einmal vor sich selbst Halt, es gibt für ihn keine Grenze und keine Hemmung mehr. Er ist rasend vor Wut und daher in der Tat „außer sich“. In diesem selbstschädigenden Verhalten manifestiert sich besonders eindrücklich die schwer greifbare Macht des Dämons, so dass eine eindeutige Zuweisung der Verantwortung für die Handlungen entweder an den Mann oder an den bösen Geist unmöglich wird. 110 Mit dem Urteil des „Außer-sich-Seins“ wurde auch Jesus von seinen Verwandten explizit (vgl. Mk 3,21b) und von den Schriftgelehrten aus Jerusalem implizit (vgl. Mk 3,22) belegt, weil man ihm vorwarf, mit Satan - dem Fürsten der Dämonen - im Bunde zu stehen. Die später in der Gerasaperikope im Vers 15 gegebene Auskunft, nach der der Mann wieder ordentlich bekleidet neben Jesus sitzt, lässt sich zusätzlich dahingehend auslegen, dass der Besessene in seinem Wahn seine Kleidung zerreißt und bzw. oder sich ihrer entledigt. 111 Dadurch wird sein (auto-) aggressives wie zugleich sein asoziales Verhalten bekräftigt (Gewalttätigkeit, Schamlosigkeit). Die doppelte und damit verstärkte Zeitangabe καὶ διὰ παντὸς νυκτὸς καὶ ἡμέρας (vgl. V. 5; wörtlich: „und alle Nächte und Tage hindurch“; übertragen: „und Tag und Nacht“) sowie das Partizip κράζων vergegenwärtigen die Dauerhaftigkeit des Krankheitszustandes des Besessenen und bestätigen die verzweifelte Lage des Mannes. Die Erwähnung der Gräber (ἐν τοῖς μνήμασιν - „in den Grabstätten“ - vgl. V. 5) und der Berge - καὶ ἐν τοῖς ὄρεσιν („und auf den Bergen“ - vgl. V. 5) -, wo sich der Mann ständig aufhält (ἦν - „war er“ - vgl. V. 5), bekräftigt die bereits genannte antike Vorstellung vom Wohnort des Dämonischen an Grabstätten und in unwirtlichen Gegenden wie dem Gebirge. 112 Damit ist die Vorstellung des dämonischen Mannes abgeschlossen. Der Leser oder Hörer des Textes muss sich unwillkürlich die Frage stellen: Gibt es für diesen beklagenswerten Menschen überhaupt noch Hoffnung auf Heilung, wo doch alle bisherigen Hilfeleistungen fehlgeschlagen sind? Die plastische Schilderung der Lebensumstände dieses Mannes kann mit Recht als verdichtete Anthropologie für die im wahrsten Sinne des Wortes „unheile“ und 110 Vgl. b öcher 1972, 78. 111 So beispielsweise auch G rundmann 1977, 146; S chmithalS 1986, 266; G undry 2000, 253. 112 Vgl. b öcher 1972, 30 f.; G undry 2000, 249. 140 6. Macht und Vollmacht damit unerlöste Existenz des Menschen aufgefasst werden, die theologisch mit dem Begriff der „Sünde“ gegeben ist und aus der sich der Mensch nicht selbst befreien kann. 113 In diesem besonderen Fall des Geraseners schimmert der allgemein-menschliche Zustand typologisch durch. „Erlösung“ von dieser „sündhaften Bindung“ bringt dann das mit Jesus begonnene neue Schöpfungswerk der Königsherrschaft Gottes , 114 die sich besonders eindrucksvoll in den Wunderzeichen - beispielsweise in den Dämonenaustreibungen - zeigt. Aus heutiger psychologisch-medizinischer Sicht wird es sich bei der in solch drastischen Worten dargestellten Störung sehr wahrscheinlich um eine massive psychische Erkrankung handeln. 115 Von welcher Krankheit man genau auszugehen hat, lässt sich mit letzter Gewissheit jedoch nicht sagen. Das bleibt reine Spekulation. Auf den Versuch einer völligen Aufklärung des Krankheitsbildes kann man grundsätzlich aber verzichten, da es darauf gar nicht ankommt: Die Exorzismusgeschichte stellt nämlich eine Mischung von rational-empirischen (Krankheitssymptome einer psychischen Störung) mit fiktiv-symbolischen (dämonische Kraft, Vollmachtszeichen Jesu) Elementen dar, wobei die theologische Aussage des Evangelisten im Zentrum steht. Man sollte deshalb die Geschichte nicht zu sehr rationalisieren wollen, um diese theologisch-symbolische Erzählabsicht nicht zu verdunkeln. Deshalb belässt es die vorliegende Auslegung auch bei einer Betrachtung, die für das antike dämonistische Weltbild offen ist. VV. 6. 7 V. 6 Dieser als „wilder Mann“ Geschilderte tritt nun Jesus gegenüber, als dieser gerade das Boot verlässt. Der Vers 6 ist eine die Aussage aus Vers 2 präzisierende Wiederaufnahme. 116 Aber im Gegensatz zu dort, wo die Darstellung auf den Vers 113 Vgl. ausführlich zu dieser Thematik und der damit verbundenen psychologisch-hamartiologischen Auslegung S chmithalS 1986, 267-275. - Vgl. ebenso k ertelGe 1970, 109. 114 Vgl. S chmithalS 1986, 276. 115 Vgl. beispielsweise G rundmann 1977, 143.: „manisch-depressive[s] Irresein“; k ollmann , 2011, 74: „selbstzerstörerische Persönlichkeitsstörung“. - Vgl. zum neurotischen bzw. psychotischen Krankheitsbild, das durch das dämonologische Weltbild erfasst wird, allgemein auch ebd., 70. 73 sowie t runk 1994, 13-16. - Vgl. zu diesem Komplex zusammenfassend und zutreffend k ollmann 2011, 69: „Dämonische Besessenheit, wie sie bei den Exorzismen Jesu vorausgesetzt ist, stellt ein kulturspezifisches Grenzphänomen dar. Es dient in einem dämonengläubigen Milieu der Erklärung psychopathologischer Erscheinungen und verhilft den Betroffenen zu einer Form, ihre Nöte zu artikulieren und ihrer Identität Ausdruck zu verleihen.“ - Vgl. zur Thematik ausführlich auch t runk 1994, 8-10. 16-18 (psychologisches Moment: psychologische Erklärungs- und Entlastungsfunktion, Parapsychologie: Erklärung des Unerklärlichen). 18-21 (kulturanthropologische und religionswissenschaftliche Momente). 116 Vgl. ebenso G uelich 1989, 278; G undry 2000, 249. 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1 - 20) 141 1 bezogen ist und sich der Fokus deswegen auf Jesus richtet, nimmt Vers 6 nun die Perspektive des Besessenen ein. Es findet also ein Perspektivwechsel statt. Mit dieser zweifachen Schilderung der Umstände markiert der Evangelist die Relevanz der Aussage. Hier im Vers 6 wird mit erneutem καί die schnell ablaufende Handlungsfolge verdeutlicht, intensiviert durch den Gebrauch des nachgestellten Partizips Präsens ἰδών, das temporal aufzulösen ist: „Und als er Jesus von Weitem sah, lief er hin und fiel vor ihm nieder“ (Καὶ ἰδὼν τὸν Ἰησοῦν ἀπὸ μακρόθεν ἔδραμεν καὶ προσεκύνησεν αὐτῷ - vgl. V. 6). Man hat, da die Verse 2 und 6 aufeinander bezogen sind, in dieser Situationsbeschreibung an das typisch markinische Lexem „sofort“ - εὐθύς - zu denken, das man hier im Geist ergänzen kann, um sich den erzählerischen Effekt des Zeitraffers zu veranschaulichen. Beachtenswert an der Darstellung des Aufeinandertreffens zwischen dem dämonischen Mann und Jesus ist der Kniefall des Kranken, der als Geste der Unterwürfigkeit zu werten ist. Der Mann macht sich klein und „beugt sich“ wortwörtlich der Übermacht Jesu. Die Proskynese zeigt das Verhalten des Untertanen gegenüber seinem Herrscher (vgl. die Epiphanie, den Adventus) bzw. des Besiegten gegenüber dem Sieger 117 und des Gläubigen gegenüber Gott, 118 der auf diese Form der Ehrerbietung Anspruch hat. Es zeigt sich in diesem Zeichen der Verehrung durch den kranken Mann die Anerkennung Jesu als des Höhergestellten. 119 Der Mann selbst bzw. der Dämon in ihm erkennt in Jesus seinen Herrn. 120 Somit gestaltet der Erzähler das Verhalten des Besessenen als christologisches Bekenntnis, das zugleich die nachösterliche Situation erfasst. Der Kranke unterwirft sich der Vollmacht Jesu und bekennt - christologisch gesprochen - den „Kyrios“ (vgl. markant etwa Mk 1,3b). Das mit dem Vollmachtsmotiv gegebene Thema „Herrschaft“ - also die Königsherrschaft Gottes (vgl. Mk 1,15) und seine Schöpfermacht - klingt deutlich an. 117 Vgl. e rnSt 1981, 155. 118 Vgl. G löckner 1983, 83; F ink 2000, 86. 119 Vgl. ebenso l ohmeyer 1967, 94 f.; G rundmann 1977, 143; F ink 2000, 86 f.; S chenke 2005, 141; c ollinS 2007, 267; d SchulniGG 2007, 155; e ckey 2008, 194; G nilka 2010 I, 204; k laiber 2015, 106; G uttenberGer 2017, 120. - Wenn Joachim Gnilka wegen dieser dem Exorzismus vorausgehenden Unterwerfungsgeste keinen Kampf zwischen Jesus und dem Dämon annehmen möchte, dann hat er mit dieser Ansicht nur bedingt Recht: Die Dämonen beherrschen schließlich den Mann auf die geschilderte schreckliche Art und Weise doch noch immer, so dass der Befehl zum Verlassen des Mannes und die Ausfahrt der Geister im Folgenden unbedingt erzählt werden muss (vgl. VV. 7-13)! Dabei manifestiert sich im Dialog zwischen Jesus und dem Dämon (vgl. VV. 7-12) der Widerstand der dämonischen Macht, der erst noch überwunden werden muss. Diese Gegenwehr des Dämons ist zwar nur schwach ausgeprägt, aber sie ist vorhanden! 120 Das ist Topos in allen Wunderheilungserzählungen der Evangelien: vgl. zum Thema pointiert etwa l ohSe 2015, 24. 28 f. 34. 123. 134. 142 6. Macht und Vollmacht V. 7a Dem körperlich vollzogenen Christusbekenntnis entspricht das gesprochene Bekenntnis, das der folgende Vers 7 formuliert (λέγει - „sagte [historisches Präsens: sagt] er“). Dort wird noch einmal das Schreien des Mannes, das ein wesentliches Kennzeichen seiner Besessenheit darstellt, aufgenommen (vgl. V. 7a: κράξας; vgl. V. 5: κράζων; zugleich ist dieses „Schreien“ oder „Rufen“ natürlich der Terminus für den Adventus, beschreibt er doch die Akklamation): Der Begriff vereint bezeichnenderweise die beiden widersprüchlichen Bedeutungen „Kriegsschrei“ und „Gebetsschrei“. 121 Beide Bedeutungsnuancen, die entweder Verachtung oder Verehrung ausdrücken, lassen sich im Verhalten des dämonischen Mannes gegenüber dem Gottessohn nachweisen. Der Erzähler veranschaulicht mit der starken Lautäußerung die zwiespältige Existenz des Mannes. Der vom Dämon gepeinigte Mann fühlt sich zwischen seinem eigenen Geist und dem fremden Geist hin- und hergerissen, so dass er keine innere Ruhe finden kann. Damit wird diese geheimnisvoll-unheimliche Kraft als Inbegriff des „Dämonischen“ gekennzeichnet. Dem bösen Geist kann man - wie die vorangegangene Erzählung zeigt - mit menschlichen Mitteln nicht beikommen. Die Äußerung des Besessenen ist unüberhörbar, wie das pleonastisch zu verstehende Syntagma καὶ κράξας φωνῇ μεγάλῃ („und mit lauter Stimme schreiend“) vergegenwärtigt: Der Hinweis auf die „laute Stimme“ (φωνῇ μεγάλῃ) verstärkt das folgende Bekenntnis zu Jesus. V. 7b. c Der gesamte Vers 7b -e teilt sich in zwei Absätze auf: Im V. 7b -c wird das Bekenntnis zu Jesus abgegeben, der V. 7d -e formuliert ein auf dieses Bekenntnis bezogenes Anliegen. Mit diesem Vers 7 beginnt zugleich eine lange, bis Vers 13 reichende Wechselrede zwischen dem Mann bzw. dem Dämon einerseits und Jesus andererseits. Zunächst ist das Bekenntnis zu Jesus zu betrachten (vgl. V. 7b. c): Der von dem Dämon geplagte Kranke richtet das Wort jetzt an Jesus: τί ἐμοὶ καὶ σοί͵ Ἰησοῦ υἱὲ τοῦ θεοῦ τοῦ ὑψίστου; (in wörtlicher Übersetzung: „Was mir und dir, Jesus, Sohn des höchsten Gottes? “, oder in freien Worten: „Was willst du von mir, Jesus, Sohn des höchsten Gottes? “). Da das Wissen um Jesu Identität zu diesem frühen Zeitpunkt des messianischen Wirkens des Sohnes Gottes noch nicht ins heidenchristliche Gebiet vorgedrungen sein kann, zudem die Frage nach dem wahren Wesen Jesu höchst umstritten ist, ferner das Gottessohnbekenntnis erstmalig in Gegenwart von Menschen geschieht und nach antiker Anschauung das Dämonische über ein 121 Vgl. G löckner 1983, 83 (mit zahlreichen biblischen Nachweisen). 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1 - 20) 143 Geheimwissen 122 verfügt, hat man an dieser Stelle davon auszugehen, dass Markus die christologische Aussage eindeutig dem Dämon zuschreiben will. Im Unterschied zum im Vers 6 beschriebenen ehrerweisenden Niederfallen, das das Herrschaftsgefälle zwischen dem Mann und Jesus verdeutlicht, wird jedoch hier im Vers 7 nicht auf den Kyriostitel Bezug genommen, sondern die Gottessohnschaft Jesu artikuliert. Es wird daher diejenige christologische Titulatur verwendet, auf die Markus wohl besonderen Wert legt. 123 Die in die Frage gekleidete Bekenntnisformel im V. 7b. c lässt sich in zwei Sinnhälften aufteilen, die zusammen jedoch eine Sinneinheit ergeben - nämlich das Bekenntnis zur wahren Identität Jesu: Die Frage im V. 7b stellt die negative Ausprägung des Bekenntnisses dar, die Christusbezeichnung im Halbvers 7c wendet die Aussage dagegen ins Positive. So repräsentiert die Frage des unreinen Geistes eine Abwehrgeste (Abwehrformel), die als Angriff auf Jesu Autorität formuliert ist. Die Frage verleiht der großen Furcht des Dämons Ausdruck, in seinem Gegenüber seinen Meister gefunden zu haben. Der Mann erblickt Jesus (vgl. V. 6: Καὶ ἰδὼν […]) bereits aus der Ferne (vgl. V. 6: ἀπὸ μακρόθεν) und wird sich seiner Lage bewusst: Mit dem Partizipium ἰδών ist nicht nur das bloße physiologische Erfassen - also das Sehen oder Wahrnehmen - gemeint, sondern auch das intellektuelle Erfassen - das Erkennen. Obwohl der Dämon also sofort (vgl. V. 2: εὐθύς) weiß, dass er sich Jesu Macht zu beugen hat, nimmt er dennoch den Kampf mit dem Exorzisten auf. 124 Er verfährt getreu dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung! Die aggressiv artikulierte Frage des Dämons entpuppt sich somit als bloß rhetorische Frage und lässt darüber hinaus die Ironie des Erzählers transparent werden. Der ironische Zug wird im Verlauf der Perikope noch häufiger und dann stärker zu erkennen sein. Der Dämon plustert sich jetzt auf, wohl in der irrigen Annahme, seinen Widersacher damit beeindrucken zu können. Der unreine Geist selbst - und auch der Leser respektive Hörer der Szene - weiß es natürlich besser! Der Vokativ Ἰησοῦ υἱὲ τοῦ θεοῦ τοῦ ὑψίστου (vgl. V. 7c) bietet eine explizit christologische Charakterisierung, indem Jesus als Gottessohn benannt wird: Der Ausdruck τοῦ θεοῦ τοῦ ὑψίστου ist eine der paganen, hellenistisch-römischen Umwelt des Frühjudentums entlehnte ehrfurchtsvolle Bezeichnung für den jüdischen Gott (vgl. etwa Gen 14,18-20; Num 24,16; Jes 14,14). 125 Im 122 Vgl. c ollinS 2007, 268; d SchulniGG 2007, 155; S chenke 2005, 141. 123 Darauf lässt allein schon die Tatsache schließen, dass der Begriff „Sohn Gottes“ bereits an einer so herausgehobenen Stelle wie dem ersten Satz des Markusprologs (vgl. Mk 1,1) fällt. 124 Vgl. auch e rnSt 1981, 156. 125 Vgl. l ohmeyer 1967, 95 und 95 Anm. 2 (mit weiteren Belegstellen); S chenke 1974, 188; G rundmann 1977, 143; k ertelGe 1994, 55; m arcuS 2000, 343 f. (mit dem zusätzlichen Hin- 144 6. Macht und Vollmacht polytheistischen Weltbild muss JHWH folgerichtig als oberste Gottheit im Götterhimmel gelten. Ferner ist diese spezifische Bezeichnung der eindeutige Beleg für die Lokalisierung der Szene im heidnischen Gebiet. Zugleich bietet die Ausrufung Jesu zum „Sohn des höchsten Gottes“ eine christologische Prädikation, die an die bereits erwähnte Titulatur aus Mk 1,1 erinnert und auf die feststellende Aussage des Simon Petrus in Mk 8,29d (σὺ εἶ ὁ χριστός - „Du bist der Christus! “) - das Messiasbekenntnis - sowie auf die nahezu gleichlautende, fragende Äußerung des Hohepriesters im Synhedrialprozess gegen Jesus in Mk 14,61c (σὺ εἶ ὁ χριστὸς ὁ υἱὸς τοῦ εὐλογητοῦ; - „Du bist der Christus, der Sohn des Hochgelobten? ! “) verweist. Der Verfasser des Markusevangeliums legt dem heidnischen Mann bzw. dem ihn beherrschenden Krankheitsdämon also das messianische Bekenntnis zu Jesus von Nazaret in den Mund. 126 Es findet - ebenso wie im genannten Fall des Hohepriesters - ein unfreiwilliges Bekenntnis statt, das Jesu Wesen und Sendung in einer deutenden Formel zutreffend erfasst. Jesus wird schließlich die Vermutung des Hohepriesters mit ἐγώ εἰμι (vgl. Mk 14,62b) - verstärkt durch das vorangestellte Personalpronomen, das immer eine Betonung ausdrückt, - bestätigen und so sein damit verknüpftes Todesschicksal annehmen: „Ich bin es! “. Obwohl er den Gottessohntitel ausspricht und damit die wahre Identität Jesu verrät, gelingt es dem Dämon natürlich nicht, Jesus gefügig zu machen, wie das der kundige antike Hörer und Leser beim Namenszauber sonst erwartet (vgl. dazu die Ausführungen im Fließtext weiter unten). Wohl aber wird Jesus den Dämon selbst (vgl. V. 9) zur Nennung seines Namens bringen und ihn anschließend vernichten. 127 Die Aussage dieses Textabschnittes ist damit klar: Die durch den göttlichen Geist gestiftete Macht Jesu ist der Macht des bösen Geistes überlegen! Der Zuspruch der Gottessohnschaft durch den unreinen Geist drückt daher die Gewissheit der göttlichen Vollmacht Jesu aus. Dieser Vollmacht muss sich der Dämon zwangsläufig beugen. 128 V. 7d. e Die beiden Halbverse 7d -e beziehen sich auf dieses messianische Bekenntnis und leiten daraus eine Folge ab: Der Ton der Aussage des Dämons ändert sich; aus der offensiven Haltung im Vers 7b -c wird nun die eindringlich vorgebrachweis auf das göttliche Heilshandeln für Israel, das in Gottes Allmacht gegründet ist - vgl. etwa Dtn 32,8; Dan 4,17: vgl. ebd. 343, mit weiteren Belegstellen); S chenke 2005, 141; d SchulniGG 2007, 155; e ckey 2008, 195; e bner 2012, 60. 126 Vgl. etwa auch P eSch 1980, 287; G löckner 1983, 82. 83 f.; G uelich 1989, 279; G undry 2000, 250. 127 Vgl. m oloney 2002, 103. 128 Vgl. ebenfalls e bner 2012, 60. 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1 - 20) 145 te Bitte an Jesus, ihn doch zu verschonen („Ich beschwöre dich bei Gott, dass du mich nicht quälst! “: ὁρκίζω σε τὸν θεόν͵ μή με βασανίσῃς̣) (Beschwörungsformel). Der den Mann peinigende Geist befürchtet, nun selbst gequält zu werden, so dass er vom machtvollen Täter zum ohnmächtigen Opfer wird. Er hat Angst, von Jesus aus seinem Wirt vertrieben - also seiner Macht beraubt (vgl. Mk 3,27! ) - und danach unschädlich gemacht zu werden. 129 Möglicherweise klingt in der verzweifelten Beschwörung des Dämons auch das eschatologische Motiv der endgültigen Vernichtung der widergöttlichen Mächte im Endgericht Gottes an. 130 An dieser Stelle findet sich eine doppelte Ironie: Auf der einen Seite fleht der sich zuvor als übermächtig zeigende Dämon um Gnade, auf der anderen Seite wählt er zum Beistand gegenüber Jesus ausgerechnet JHWH - den Widersacher des Bösen -, den der Dämon zudem gerade erst als himmlischen Vater Jesu erkannt hat. 131 Der böse Geist gibt damit seine Unterlegenheit öffentlich preis (vgl. das Schreien mit lauter Stimme im V. 7a). Der scheinbar Übermächtige ist in Wahrheit ohnmächtig; 132 er geht daher verbal in die Defensive. Im Grunde zeigt das gesamte Verhalten des dämonischen Mannes - seine demütige Unterwerfung und seine huldvolle Anerkennung - paradigmatisch das gottgemäße und damit echte Dienstverständnis Jesu, wie es in der Passion - markant im Gebetskampf der Getsemaniszene Mk 14,32-42 133 - endgültig aufscheinen wird, sowie - davon abgeleitet - typologisch das gottgemäße und damit rechte Dienstverständnis des Jüngers. Es ist - so paradox das angesichts der bildgewaltigen Schilderung der dämonischen Machtfülle klingen mag - eine vorgezogene imitatio Christi. Der Verfasser des Evangeliums zielt mit dieser im- 129 Vgl. ebenso S chmithalS 1986, 276; S chenke 2005, 142. 130 Vgl. l ohmeyer 1967, 95. 131 Vgl. zur Ironie in der Stelle zum Beispiel auch l ohmeyer 1967, 96; P eSch 1980, 287; G uelich 1989, 279; G undry 2000, 250; G nilka 2010 I, 204 f. 132 So zu Recht auch l ohmeyer 1967, 95; vgl. auch S chenke 1974, 188. 133 Es gibt dort nämlich eine überraschende Parallele zur Gerasaperikope: Jesus fällt in der Getsemaniszene ebenfalls zu Boden (vgl. Mk 14,35) und ficht mit den widerstreitenden Stimmen in seinem Kopf einen inneren Kampf aus (nicht wie der Mann in Mk 5,1-20 einen inneren wie äußeren Konflikt). Er muss sich sozusagen mit seinem eigenen „Dämon“ auseinandersetzen und ihn besiegen (vgl. Mk 14,34b. c. 35. 36. 39. 41. 42). So bejaht Jesus am Ende dieses Gebetskampfes sein Todesgeschick und bekennt mit der gottvertrauenden Entscheidung die Allmacht seines himmlischen Vaters (vgl. Mk 14,36b. 39), die in der Hoffnung auf die lebensschaffende - also schöpferische - Macht Gottes in der Auferstehung gründet (vgl. Mk 14,36b -e). Jesus, der Dämonenaustreiber, wendet die Vollmacht der exorzistischen Tat am Ende seines irdischen Lebens also gegen sich selbst an und erweist sich gerade in der Zeit größter eigener Bedrängnis und Anfechtung als Sohn Gottes. Markus antizipiert in der Getsemaniperikope damit die Auferweckungsszene im Kapitel 16. 146 6. Macht und Vollmacht pliziten Botschaft auf seine Leser und Hörer ab, denen er die angemessene christliche Nachfolge vermitteln möchte. Das Thema der Christusnachfolge werden die Verse 18-20 ausführlich behandeln; deshalb fügen sie sich auch bruchlos in die gesamte Szenerie ein. Die Sinneinheit Mk 5,6-7 soll noch einmal genauer betrachtet werden, da sie die Schlüsselstelle des Erzählstückes über den Gerasener Besessenen repräsentiert. Besonders ausschlaggebend ist Mk 5,7b -e: In der darin formulierten christologisch geprägten rhetorischen Frage, die daher strenggenommen eine Feststellung ist, geht es nämlich - zugespitzt gesagt - um das Verhältnis von „Erkenntnis und Bekenntnis“, das das Leitmotiv der Gesamtperikope bildet. Zugleich sind aber immer auch Bezüge zu den vorhergehenden Versen herzustellen. Wenn man nun die besagte Passage Mk 5,6-7 noch einmal aus semiotischer Perspektive analysiert , dann ist deutlich der Ding- oder Wesensaspekt angesprochen. Der Erzähler entwirft in Mk 5,1-20 eine paradoxe Szene: Das wahre Wesen Jesu offenbart sich ausgerechnet in der Rede einer sich gegen Gott auflehnenden Macht! Der Lügengeist sagt die Wahrheit! Trägt man die Einzelzüge im Hinblick auf den semiotischen Fokus nun erneut zusammen, dann sind äußere und innere Kriterien zu berücksichtigen, die den formalen und materialen Aspekt repräsentieren. So ergibt sich folgendes Bild: Erstens: Man sollte zunächst die äußeren Gegebenheiten beachten, mit denen der formale Aspekt geltend gemacht wird. Das Zulaufen des dämonischen Mannes auf und das Hinwerfen des Besessenen vor Jesus ist ein „sprechendes Zeichen“ , denn die markinische Darstellung verfolgt die Erzählabsicht, ihrer Leser- und Hörerschaft die Vollmacht Jesu in gedeuteten Sprachbildern begreiflich zu machen. Indem die vorliegende Szene die Huldigung Jesu durch den Besessenen aus Gerasa im Zeitraffer gestaltet, wird diese Intention betont. Hierin wird das für die Semiotik im Hinblick auf den Dingaspekt wesentliche Moment des Dynamischen fassbar: Die Offenlegung der wirklichen Identität Jesu geschieht tatsächlich in einer vorwärtsstrebenden Bewegung , die durch die im Vers 6 und zuvor im Vers 2 genannten Verben der Bewegung vermittelt wird . Das heißt, dass sich die Messianität des Jesus von Nazaret gegen alle Widerstände durchsetzt - selbst gegenüber den teuflischen Mächten wie hier gegenüber einem als übermächtig geschilderten widergöttlichen Feind. In diesem Zusammenhang ist auch die „laute Stimme“ (φωνῇ μεγάλῃ - vgl. V. 7a) des Kranken, mit dem sich das Dämonische in dem Mann Bahn bricht und sich an Jesus richtet, um diesen zurückzuweisen, zu nennen. Die Stimme des Mannes ist in Verbindung mit der göttlichen Stimme aus der Taufperikope zu sehen, so dass sich eine thematische Parallelität ergibt. Dort verkündete die Stimme Gottes die Gottessohnschaft Jesu (vgl. Mk 1,11). Aus diesem Querverweis auf den weiteren Kontext des Evangeliums lässt sich folgern, dass es sich bei der Äußerung des Besessenen ebenso um ein Bekenntnis 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1 - 20) 147 handeln muss. 134 Die Semantik „Gebetsschrei“ unterstützt diese Deutung. Das Schreien, das zweifach akzentuiert ist (vgl. Mk 5,5. 7a), zeigt den machtvollen Offenbarungsvorgang , der mit der Ehrenbezeigung des Dämons beginnt. Körperäußerung und Lautäußerung werden miteinander verbunden. Die schrille Lautäußerung bedeutet eine unwillkürliche Handlung, so dass die dämonisch wirkende Kraft, obgleich sie doch den Geist des Mannes beherrscht, selbst wie gezwungen scheint, das folgende Bekenntnis zu Jesus auszusprechen. Von Jesu Anblick (vgl. das Sehen „von Weitem“ in Mk 5,6! ) geht also eine geheimnisvolle, unwiderstehliche Macht - die göttliche Vollmacht - aus, der sich alles unterordnen muss. 135 Diese Vollmacht wirkt auf geistiger Ebene; sie ist auch nur pneumatisch denkbar. Bevor er den Gerasener Mann dann auch tatsächlich verlassen muss, wird der Dämon in seiner Aufmerksamkeit bereits „gefesselt“, denn der in Jesus wirkende göttliche, gute Geist trifft auf einen unreinen, bösen Geist und überwindet ihn. 136 Der wahre Herr - der „Kyrios“ - ist eben Jesus von Nazaret! Durch die Reaktion des dämonischen Mannes wird die in Mk 5,1. 2 im wörtlichen Sinne zu verstehende Ankunft Jesu zu einer im übertragenen Sinne zu wertenden „Ankunft“ umgestaltet (vgl. Mk 1,9; vgl. zusätzlich die politische Signatur des „Adventus“! ): Es zeigt sich der Offenbarungscharakter der Szene. Gottes transzendente Macht wird immanant - teilt sich also in der Welt der Welt mit. Zweitens: Entscheidend ist selbstverständlich die vom Dämon getätigte christologische Aussage - der materiale Aspekt . Die Rede von Mk 5,7b -e stellt ein für alle Mal klar, um wen es sich bei dem Gegenüber des Besessenen handelt. Kam bereits in der Gestik des Mannes das dynamische Element sinnen fällig zum Ausdruck, wird es jetzt in Worten sinn fällig bekräftigt und vertieft: Jesus ist der „Sohn des höchsten Gottes“, was dem Gottessohnbekenntnis JHWH s sowie dem Messiasbekenntnis des Petrus und des Hohepriesters - wenngleich im letzten Fall natürlich in negativer Form - entspricht. Im Gegensatz zu den menschlichen Gegnern Jesu schätzt im Erzählstück Mk 5,1-20 dieser nicht- und übermenschliche Kontrahent das Wesen Jesu sofort zutreffend ein. Die Erkenntnis der Vollmacht Jesu führt zum Bekenntnis der Gottessohnschaft Jesu. Die Themen „Vollmacht“ und „Bekenntnis“ werden somit hier verhandelt. Die Offenbarung Jesu ist zugleich eine Offenbarung Gottes, was logisch erscheint, 134 Zwar war die Himmelsstimme in Mk 1,11a allein für Jesus und den Leser bzw. Hörer des Evangeliums zu vernehmen, doch bleibt auch in Mk 5,7 das Bekenntnis nur wenigen Zeugen vorbehalten - den Jüngern (vgl. Mk 5,1: ἦλθον) - und ist daher in seinem Wirkungskreis - jedenfalls in diesem frühen Stadium der Exorzismusgeschichte (vgl. dagegen Mk 5,18-20) - begrenzt. Damit kann das Messiasgeheimnis gewahrt werden. 135 In diese Richtung argumentiert ebenso G rundmann 1977, 144. 136 Vgl. auch v an i erSel 1993, 104. 148 6. Macht und Vollmacht denn die Vollmacht Jesu erwächst aus der Allmacht Gottes. Im Bekenntnis des Dämons wird im Unterschied zu Mk 1,11 der umgekehrte Weg gewählt: War es dort so, dass der Sohn Gottes durch Gott selbst legitimiert wird, so ist es jetzt Jesus, der auf Gott verweist. In der Größe der Vollmacht Jesu spiegelt sich die Größe der Allmacht JHWHs wider. Die Familienmetapher von „Vater“ und „Sohn“ macht diesen Zusammenhang deutlich: Gottessohnschaft ist daher Stellvertretung Gottes. Offenbarungsgeschehen ist damit Heilsgeschehen, wie es der Exorzismus beispielhaft veranschaulicht. In der Offenbarung Gottes wird seine Herrschaft als heilsame Zuwendung zum Menschen dargestellt. Es geht hier um die Leben (neu) ermöglichende Kraft JHWH s, die in seinem Namen ausgedrückt ist. Diesen Anspruch hat auch der Gottessohn Jesus mit seinem Wirken. Dem Namen Gottes steht der noch namenlose Geist des Gerasener Mannes gegenüber, der deutlich als Schadensgeist gekennzeichnet ist. In diesem Sinnzusammenhang erschließt sich die der semiotischen Funktion des Dynamischen zugeordnete theologische Dichotomie von „Tod und Leben“: Der destruktiven Macht des Dämonischen - hier in der Szene und sonstwo im gesamten Markusevangelium - kontrastiert die konstruktive Macht Gottes und seines Sohnes. Der plastisch geschilderte Einfluss des unreinen, vermeintlich übermächtigen Geistes (sein Name ist „Legion“, wie man aus Mk 5,9d. e erfahren wird) lässt ex negativo die Schöpferkraft Gottes umso stärker hervortreten. Dieses Heilsgeschehen, das die Reich-Gottes-Botschaft Jesu vermittelt, ist linear-dynamisch zu verstehen, setzt es sich doch langsam, aber stetig und unaufhaltsam durch - gleichsam dem Wachstum des unscheinbar kleinen Senfkornes zur großen, unübersehbaren Senfstaude (vgl. Mk 4,30-32). Dadurch hält paradoxerweise gerade das Bekenntnis des Dämons die eschatologische Hoffnung der endgültigen Auflösung des Bösen bereit. Im Zuspruch dieser endzeitlichen Hoffnung verfolgt Markus hinsichtlich seiner Leser und Zuhörer eine katechetische Absicht: Äußert sich im Kleinen in den Dämonenaustreibungen und Heilungswundern Jesu schon jetzt die sich allmählich verstärkende Herrschaft Gottes, so wird sie sich im Großen gewiss auch am Ende aller Tage vollziehen. Aufgrund der personalen Verbundenheit zwischen Gott-Vater und Sohn Jesus besteht eine theologische Verschränkung: Die Durchsetzung der Identität Jesu wird mit der Durchsetzung des Königreiches Gottes parallelisiert. Auf diese Weise verknüpfen sich Person und Botschaft Jesu christologisch-soteriologisch wie theo-logisch-eschatologisch. Nicht nur der Vorgang der Offenbarung der Gottesherrschaft in Jesu Worten und Werken 137 ist somit dynamisch strukturiert, sondern Gleiches gilt auch vom Gegenstand der Offenbarung - der Botschaft Jesu über Gottes allmächtige Herrschaft. Beides führt 137 Vgl. zum Zusammenhang der Worte und Werke Gottes zu den Worten und Taten Jesu prägnant auch m uSSner 1967, 11-22. 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1 - 20) 149 Markus in der Handlungsweise des dämonischen Mannes eindrucksvoll vor: in der respektvoll-demütigen Unterwerfungsgeste - sozusagen der Entäußerung - wie in der respektvoll-hoheitlichen Rede - der Äußerung. Darin wird Jesu Identität an erkannt, er kannt und be kannt. Sie findet ihren zeichenhaften Ausdruck in der im Folgenden erzählten Dämonenaustreibung. VV. 8. 9 Der Exorzismus ist eine widersprüchliche Erscheinung, vereint die Dämonenaustreibung doch zum einen die Konfrontation des Exorzisten mit dem Schadensgeist und zum anderen die Kooperation des Exorzisten mit dem vom Dämon Besessenen: Es findet eine Therapie statt. In der antiken Vorstellungswelt bedeutet die Heilung vom dämonischen Einfluss die „Entfesselung“ dieser Kraft, die den Kranken zuvor „gefesselt“ oder „gebunden“ hat. Somit stellt die Dämonenaustreibung eine aggressive Handlung dar. Von dieser konflikthaften Begegnung zwischen Jesus einerseits und dem Mann bzw. dem Dämonischen andererseits war bereits anschaulich in den vorangegangenen Versen die Rede; hier im Vers 8 wird nun der Ausfahrbefehl - die Apopompe - Jesu nachgetragen, wie es die Feststellung ἔλεγεν γὰρ αὐτῷ· („Denn er hatte zu ihm gesagt: […]“ - vgl. Mk 5,8a) belegt. So lautet der Befehl Jesu, mit dem er den Dämon austreibt, kurz und bündig: ἔξελθε τὸ πνεῦμα τὸ ἀκάθαρτον ἐκ τοῦ ἀνθρώπου („Gehe, unreiner Geist, aus dem Mann hinaus! “ - vgl. Mk 5,8b). Überraschend ist, dass hier die Apopompe der Frage nach dem Namen des Schadensgeistes (vgl. V. 9) vorausgeht, denn üblicherweise erhält der Exorzist erst durch die Namensnennung die Verfügungsgewalt über den Dämon, da sich nach dem dämonistischen Weltbild im Namen des bösen Geistes auch sein Wesen verbirgt. 138 Dass es in diesem Fall gerade umgekehrt ist, soll die überlegene Macht Jesu - eben seine göttliche Vollmacht - demonstrieren: 139 Es ist für Jesus schlicht nicht mehr nötig, sich nach der Identität seines Gegners zu erkundigen, da seit der Entmachtung des Teufels, von der in der Versuchungsgeschichte erzählt wurde, die unter der satanischen Herrschaft stehenden Geistwesen der jesuanischen 138 Vgl. etwa auch k ollmann 2011, 74. 139 So richtig gesehen auch von l ohmeyer 1967, 95 f. und S chenke 2005, 142: Der Namenszauber spielt deswegen keine Rolle. - G löckner 1983, 84 interpretiert die Dämonenaustreibung demgegenüber als schweren Kampf, den Jesus nur gewinnen kann, weil er dem Dämon die Bitte um das Weiterleben in der Schweineherde gewähren muss. - Ähnlich sieht G undry 2000, 251 die Szene: Der Exorzismus Jesu sei zunächst gescheitert, weil sich der Ausfahrbefehl nur auf einen Dämon statt auf eine Vielzahl an Dämonen bezogen habe. - Beide Deutungen gehen an der Aussageabsicht des Textstückes vorbei, die Vollmacht Jesu - und im Gegenzug die Ohnmacht des Schadensgeistes - zu profilieren. Die sprachlichen Signale dazu sind eindeutig. 150 6. Macht und Vollmacht Machtfülle nichts entgegenzusetzen haben. 140 Zudem ist bereits die knappe sprachliche Gestalt der Apopompe als deutliches Zeichen für Jesu Vollmacht zu werten. 141 Der Messias hat also leichtes Spiel. Die Auseinandersetzung zwischen Jesus und dem Dämon setzt sich nun im Vers 9 mit der Frage nach dem Namen und daher nach der Identität des bösen Geistes fort: „Und er fragte ihn: ‚Was (ist) dein Name? ‘ Und er sagte [historisches Präsens: sagt] ihm: ‚Legion (ist) mein Name, weil wir viele sind‘“ (καὶ ἐπηρώτα αὐτόν· τί ὄνομά σοι; καὶ λέγει αὐτῷ· λεγιὼν ὄνομά μοι͵ ὅτι πολλοί ἐσμεν). Die Frage und die Antwort sind sowohl in der Konstruktion der Redeeinleitung - wie gewöhnlich bei Markus mit der Konjunktion „und“ (καί) beginnend als Kennzeichen der schnellen Reihung von Ereignissen - als auch in der Struktur der wörtlichen Rede (Verwendung des Stilmittels der Ellipse; zusätzlich folgt bei der Antwort des Dämons noch ein Kausalsatz, der das Subjekt des Satzes näher bestimmt) (nahezu) parallel strukturiert. Ließ es der Textabschnitt Mk 5,1-8 noch offen, wer Jesus entgegentritt und mit ihm spricht (der Mann selbst oder der Dämon), 142 so richtet sich nun der Fokus eindeutig auf den Dämon, der in der sich nun entspinnenden Wechselrede zum Antagonisten Jesu bestimmt wird. Der Kampf zwischen Jesus und dem Dämon entbrennt um die Machtfrage. Wer von ihnen wird sich nun als der Stärkere (vgl. Mk 1,7b) erweisen? 143 Das praesens historicum λέγει im Einleitungssatz vor den Worten des unreinen Geistes verleiht der Szene durch die damit ausgedrückte Gegenwärtigkeit noch eine besondere Lebendigkeit: Der Leser oder Hörer des Satzes fühlt sich selbst in die Szene versetzt. Das Lexem „Legion“, mit dem sich der Dämon selbst benennt und das im Satz betont voransteht, liefert die Begründung für die Macht bzw. Übermacht seiner Wirksamkeit: 144 Der lateinische Begriff bezeichnet das größte Heereskontingent der Armee des Imperium Romanum und ist als Lehnwort auch in altgriechische Texten eingegangen. 145 Die Legion galt als besonders schlagkräftig und war daher bei ihren Gegnern gefürchtet. Mit seiner Armee setzte Rom seine Hegemonie in der damals bekannten Welt durch und festigte sie. Kriegerisch geführte Widerstände der vom Römischen Reich beherrschten Völker wurden von den römischen Legionen gewaltsam niedergeworfen. Insofern ist der Name 140 Das betont zu Recht auch e bner 2013, [266-277] 273 f. 141 Vgl. G nilka 2010 I, 205. 142 In dieser Unbestimmtheit zeigt sich die Unangreifbarkeit der dämonischen Kraft, die seine Machtfülle demonstriert und daher die Nutzlosigkeit menschlichen Eingreifens vor Augen führt. 143 Vgl. ebenso m oloney 2002, 102. 144 Vgl. auch k ertelGe 1994, 56; e bner 2013, [266-277] 268; k laiber 2015, 107. 145 Vgl. zum Thema ausführlich k linGhardt 2007, 28-48. 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1 - 20) 151 für den Dämon geschickt gewählt, löst er doch bei den Lesern und Hörern die Konnotation des brutalen, martialischen Vorgehens, für den der Heeresverband der Legion berühmt und berüchtigt war, aus. Besonders judenchristliche Leser werden sich - abhängig vom Zeitpunkt der Entstehung des Evangeliums 146 bzw. vom Zeitpunkt der Lektüre - an den noch laufenden oder schon abgeschlossenen Jüdischen Krieg erinnern. In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass am Sieg der Römer über die aufständischen Juden im Jüdischen Krieg eine bekannte, in Palästina stationierte Legion beteiligt war - die „Legio Decima [X] Fretensis“ -, als deren Legionszeichen unter anderem der Eber überliefert ist: Das im Vers 13 berichtete Einfahren der Geister in die Schweineherde verarbeitet somit zugleich die kriegerische Auseinandersetzung zwischen den jüdischen Aufrührern und den römischen Besatzern, denen man mit der groteskironischen bis sarkastischen Austreibungsgeschichte Mk 5,1-20 den Tod an den Hals wünschte. Dass die nach der siegreichen Seeschlacht bei Naulochoi mit „Fretensis“ benannte Legion hier in der Dämonengeschichte symbolisch im See Gennesaret „untergeht“, verstärkt die Ironie zum Sarkasmus. 147 Aber auch nichtjüdisches, heidenchristliches Publikum verbindet mit dem Terminus „Legion“ natürlich die große und gefürchtete Kampfkraft der römischen Armee. So selten, wie in der Erfahrung antiker Menschen Aufstände oder Feldzüge gegen die Legionen des Imperium Romanum erfolgreich waren, so wenig konnten auch die dem Gerasener Mann zu Hilfe Eilenden etwas gegen das böse Geisterheer ausrichten. Sie sind sogar glückloser, da nämlich der Kranke die Fesseln an Händen und Füßen zerstört. So spielt mit dem Bildspender „Legion“ auch die politisch-sozialgeschichtliche Situation der römischen Besatzungszeit im dama- 146 Gefolgt wird hier der traditionellen Datierung des Markusevangeliums, nach der es sich um die älteste Evangelienschrift handelt, die um 70 n. Chr. verfasst wurde (vgl. Mk 13,1-2. 14 und dann auch Mk 5,1-20 [Stichwort: „Legion“: Hinweis auf die „Legio X Fretensis“ mit dem Legionssymbol „Eber“ auf den Feldzeichen - vgl. den unmittelbar anschließenden Fließtext. - Die von dem vermutlich heidenchristlichen Markus in sein Evangelium aufgenommene politisch-sozialhistorische Spur wäre dann als Reflex der Heilskontinuität mit Israel und dem Judenchristentum und auch als Reminiszenz an das eigene Leid der Christenverfolgung zu werten]). Abgesehen von den Rückzugsgefechten mit dem dramatischen Schlusspunkt Masada im April 74 war der jüdische Aufstand bereits mit der Eroberung Jerusalems und der Zerstörung des Zweiten Tempels in sich zusammengefallen. Damit blickt das Markusevangelium aller Wahrscheinlichkeit nach auf die wesentlichen Ereignisse des Jüdischen Krieges zurück. 147 Vgl. zum Ganzen etwa auch S chmidt 2010, 235; k linGhardt 2007, 28-48; e bner 2013, [266-277] 270-272; G uttenberGer 2017, 122. - Diese realen historischen Anklänge stehen sicherlichim Hintergrund der vorliegenden Exorzismusgeschichte; sie sind daher auch zu beachten, aber trotzdem in ihrer hermeneutischen Relevanz nicht überzubewerten im Sinne eines dominierenden Interpretationsmusters: so auch c ollinS 2007, 270. 152 6. Macht und Vollmacht ligen Palästina in die Austreibungsgeschichte hinein. 148 Die Vorstellung, dass ein Mensch - wie im vorliegenden Fall der Gerasener Mann - von einer Vielzahl an Geistern beherrscht wird, ist im Altertum nicht außergewöhnlich. Seinen Namen „Legion“ spricht der Dämon in würdevollem Ton aus. Im Vers 9 wechselt also der unreine Geist von der Defensive wieder in die Offensive: Zuvor im Vers 7d. e hatte er in Jesus noch seinen Meister gesehen, nun will der böse Geist ihn mit der in seinem Namen zum Ausdruck kommenden Machtfülle beeindrucken. Jesus soll über die tatsächliche Unterlegenheit des Dämons getäuscht werden, zumal der Schadensgeist ironischerweise seine Macht gerade dadurch verliert, indem er seinen Namen von sich aus verrät („Rumpelstilzchenmotiv“ 149 ). V. 10 Im Vers 10 hingegen geht der Dämon sogleich wieder in die Defensive und ersucht Jesus (καὶ παρεκάλει αὐτὸν πολλά - „Und er bat [historisches Präsens: bittet] ihn sehr […]“) - bekräftigt durch das Adverb πολλά - um ein Zugeständnis (Konzessionsbitte). 150 Dieses Hin und Her zwischen Bitte und Drohung wirkt lächerlich und durchkreuzt dadurch den für sich selbst eingeforderten Machtanspruch des bösen Geistes. Der Dämon möchte auf jeden Fall in der Gegend bleiben, aus der er stammt (ἵνα μὴ αὐτὰ ἀποστείλῃ ἔξω τῆς χώρας - „[…], damit er sie nicht aus dem Land vertrieb“). Implizit und pointiert bestätigt der Dämon die Vollmacht und damit - in der Kategorie der „Herrschaft“ gedacht - die Übermacht Jesu, wie das bereits ausführlich in seiner an den Exorzisten Jesus gerichteten Rede von vorhin (vgl. Vers 7b -e) unmissverständlich zum Ausdruck kam. Es handelt sich um einen Verweis auf diese Stelle, deren Aussage dadurch intensiviert wird. Im Vers 10 nun lässt sich erneut das der semiotischen Hermeneutik zugeordnete dynamische Momentum der Geistbegabung und Geistwirkung, das die Ursache der Vollmacht Jesu darstellt, erkennen: Jesus hat die Macht, das Dämonische zu vernichten und handelt dabei schöpferisch wie Gott selbst. Die dem semiotischen Dingaspekt zugehörige theologische Interpretation „Tod und Leben“, die die Vollmacht Jesu bestimmt, zeigt sich somit deutlich in dieser knappen Bitte des Dämons um Verschonung seiner Existenz. VV. 11 - 13 Der Blick des Erzählers wendet sich jetzt von den beiden Protagonisten ab und richtet sich auf die Umgebung: Er erkennt eine große Schweineherde, die am Berg weidet (vgl. V. 11: Ἦν δὲ ἐκεῖ πρὸς τῷ ὄρει ἀγέλη χοίρων μεγάλη 148 Vgl. dazu etwa e rnSt 1981, 156; k ollmann 2011, 70. 74 f. 149 Vgl. auch l ührmann 1987, 100. 150 Die Motivkette von Proskynese, Konzessionsbitte und Erlaubnis ist ägyptischen Ursprungs: vgl. beispielsweise P eSch 1980, 289. 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1 - 20) 153 βοσκομένη·- „Es war aber dort an dem Berg eine große, grasende Schweineherde“), so dass das Dämonenheer Jesus darum bittet, in die Schweine einfahren zu dürfen (vgl. V. 12, erneut mit einer Form von παρακαλέω, diesmal im Aorist und zudem im Plural: καὶ παρεκάλεσαν αὐτὸν λέγοντες· πέμψον ἡμᾶς εἰς τοὺς χοίρους͵ ἵνα εἰς αὐτοὺς εἰσέλθωμεν - „Und sie baten ihn, indem sie sagten: ‚Schicke uns in die Schweine, damit wir in sie einfahren! ‘“). Die Tatsache, dass die Rede des Dämons nun in den Plural wechselt, um die Bitte an den Exorzisten zu stellen, deckt jetzt am Schluss die wahre Schwäche des bösen Geistes auf: Obwohl die vielen Geisterwesen gegen den einen Exorzisten stehen, ist die Dämonenlegion außerstande, Jesus wirksam Widerstand zu leisten und ihn zu kontrollieren, wie sie es bei dem Kranken doch so erfolgreich getan hat. Bemerkenswert ist die Verknüpfung der Bitte des Dämons mit dem Einfahrbefehl Jesu. 151 Die Bitte um Barmherzigkeit - die Konzessionsbitte - ist natürlich das untrügliche Zeichen der Unterlegenheit des Dämonenheeres. 152 Ironie schwingt an dieser Stelle deutlich mit. Darüber hinaus verstärkt sich der ironische Klang noch, da die Bitte der bösen Geister nicht nur darauf gerichtet ist, dass die Dämonen hier in der Wüste bleiben können, sondern der Wunsch der Schadensgeister darin besteht, die Erlaubnis zu erhalten, sich gerade einer Schweineherde bemächtigen zu dürfen. Das wirkt bizarr. Aus der Sicht der Dämonenlegion ist dieser Wunsch trotzdem logisch nachzuvollziehen, denn der Dämon wählt mit dem Schwein ein Lebewesen, das nach jüdischem Verständnis wie er selbst 153 als kultisch unrein und daher als verachtenswert gilt (vgl. markant Lev 11,7; Dtn 14,8; Jes 65,4; Lk 15,15 f.). 154 Bemerkenswert ist der in relevanten Erzählphasen der Austreibungsgeschichte erscheinende Begriff des „unreinen Geistes“ - die den Exorzismus rahmenden Syntagmen ἐν πνεύματι ἀκαθάρτῳ und τὰ πνεύματα τὰ ἀκάθαρτα aus Mk 5,2. 13 sowie die entsprechende Bezeichnung in der Apopompe (τὸ πνεῦμα τὸ ἀκάθαρτον), die ziemlich genau in der Mitte des Exorzismus platziert ist - nämlich in Mk 5,8b. In dem insgesamt ironisch-grotesken Duktus dieser Stelle manifestiert sich die traditionell-jüdische, prophetische Götzenpolemik, die nun unter christlicher Perspektive fortgesetzt wird: Die heidnischen Götter, die sich oft hinter den Dämonen verbergen, erscheinen als verlachenswerte, machtlose und damit als nichtswürdige Geschöpfe, die sich der Macht des wahren Gottes JHWH , der von seinem Sohn offenbart wird, beugen müssen. Indem sich der Dämon durch 151 Vgl. P eSch 1972, 38. 152 Vgl. auch a nnen 1976, 108. 153 Im antiken Judentum wurden die depotenzierten Gottheiten der paganen Umwelt häufig zu den Dämonen gezählt. Aus jüdischer Sicht galten diese Götzen natürlich als kultisch unrein. 154 Vgl. e ckey 2008, 196. 154 6. Macht und Vollmacht die Gegenwart Jesu zudem dazu gedrängt sieht, seinen Namen zu verraten, und er damit seine Herrschaft über das Opfer aufgibt, manifestiert sich die wahre Macht Jesu über das Böse. Die Szene reflektiert auch die nachösterliche Situation der Heidenmission. Der Anfrage des Dämons entspricht die Erlaubnis Jesu gegenüber dem unreinen Geist, in die Schweineherde einzufahren: „Und er erlaubte es ihnen“ (καὶ ἐπέτρεψεν αὐτοῖς - vgl. V. 13a). Damit ist die Vollmacht Jesu endgültig erwiesen 155 und die Szene beinahe abgeschlossen. Was nach der traditionellen Darstellung einer Dämonenaustreibung jetzt noch fehlt, ist zum einen das Ausfahren des Geisterheeres aus dem Mann - die Apopompe - sowie das Einfahren der unreinen Geister in die Schweine - die Epipompe - und zum anderen die Wirkung der Dämonen auf die Tiere. Mit der Schilderung der Auswirkung des Dämons auf den neuen, tierischen Wirt ist nämlich der Beweis erbracht, dass der Exorzismus erfolgreich abgeschlossen ist: 156 Die Schweine werden panisch, geraten in Galopp, stürzen den Abhang des Berges hinab und ertrinken in den Fluten des Sees Gennesaret (vgl. V. 13b -e: καὶ ἐξελθόντα τὰ πνεύματα τὰ ἀκάθαρτα εἰσῆλθον εἰς τοὺς χοίρους, καὶ ὥρμησεν ἡ ἀγέλη κατὰ τοῦ κρημνοῦ εἰς τὴν θάλασσαν, ὡς δισχίλιοι͵ καὶ ἐπνίγοντο ἐν τῇ θάλασσῃ - „Und nachdem die unreinen Geister [aus ihm] hinausgefahren waren, fuhren sie in die Schweine hinein; und die Herde lief den Abhang herab in den See - ungefähr zweitausend -, und sie ertranken im See“). Die Handlung der Dämonenaustreibung läuft durch die dreifache Verknüpfung mit καί rasch ab und verdeutlicht zudem das panische Verhalten der Schweine: Man sieht, dass der Verfasser des Evangeliums an dieser Stelle erneut die Erzähltechnik des Zeitraffers geschickt für seine Zwecke nutzen kann. Dadurch, dass der Erzähler auf das Durcheinanderlaufen und Wegrennen der Schweine verweist (vgl. das gegenteilige Motiv des Hinlaufens des Mannes zu Jesus am Anfang der Erzählung in Mk 5,2. 6 als Kontrast! ), kann die im wahrsten Sinne des Wortes „wahnsinnige“ und „zerstörerische“ Macht der Dämonenlegion noch einmal unmittelbar erfahren werden, 157 bevor die Dämonen mit dem Sturz über den Bergabhang im wahrsten Sinne des Wortes „zu Fall“ kommen und dorthin gelangen, „wo sie eigentlich hingehören: in den Abgrund der Tiefe.“ 158 Die nachgeschobene Bemerkung über die Anzahl der Schweine („ungefähr zweitausend“) 159 und über ihr Verenden im See belegt die Vernichtung aller 155 Diesen Aspekt betonen auch a nnen 1976, 108 und G uelich 1989, 282. 156 Vgl. etwa G rundmann 1977, 145; k ertelGe 1994, 56; k ollmann 2011, 75. 157 Vgl. etwa auch P eSch 1972, 39. 158 Vgl. k laiber 2015, 108. - Vgl. auch S tolle 2015, 123. 159 Die Zahl der Schweine (zweitausend) scheint nicht auf die übliche Größe der römischen Legion zu passen (etwa 6000 Mann: Fußsoldaten, Reiterstaffel, Hilfstruppen). Allerdings gibt es bei den Angaben über die Mannstärke einer Legion inklusive der Versorgungs- 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1 - 20) 155 Dämonen und damit den Erfolg des Exorzismus. 160 Die hohe Zahl der geopferten Schweine kontrastiert mit der Heilung des einen Mannes: „Die Rettung des Menschen ist jedes Opfer wert.“ 161 Der von den Dämonen ursprünglich erbetene Ausweg ist damit in Wirklichkeit der Weg in den Tod! Jesus hat die Hinterlist der Geisterlegion, in der Schweineherde weiterleben zu können, erkannt und hat seinerseits die unreinen Geister buchstäblich in die Irre geführt. 162 Damit geht Jesus siegreich aus der Auseinandersetzung hervor. 163 Wenn man die politisch-sozialhistorische Deutungsrichtung mit heranzieht, dann kann man das unterschiedliche Herrschaftsverständnis zwischen den römischen Besatzern, die wie die Dämonenlegion in der Geschichte das Land nicht verlassen wollen, und Jesus, der dem gequälten Mann und dem besetzten Land Befreiung bringt, herausstellen: 164 Die Herrschaft Jesu ist eben „nicht von dieser Welt“! Der politische Sinnzusammenhang des Adventus mit den Motiven von Bitte und Erlaubnis unterstreichen diese Deutung. Die Epipompe von Dämonen in Tiere oder in Wasser sind geläufige Motive von Exorzismuserzählungen: 165 Die Begründung dafür ist, dass die dämonischen Kräfte erst dann endgültig unschädlich gemacht sind, wenn sie entweder in Tiere eingefahren und bzw. oder an für Menschen schwer zugängliche Orte wie eben ein See oder ein Meer verbannt sind. Im vorliegenden Fall können die bösen Geister ihre zerstörerische Macht nur noch an den von ihnen besessenen Schweinen ausleben, und sie gehen gemeinsam mit ihren neuen Wirten im See von Gennesaret zugrunde. einheiten große Schwankungen: Zahlenwerte von 4000-6000 Soldaten (Fuß- und Reitertruppen) sind nicht ungewöhnlich. - Es kommt an dieser Stelle der Exorzismusgeschichte auch nicht auf eine mehr oder weniger realistische Größe an. Entscheidend ist bloß die Erwähnung einer hohen Zahl, mit der betont werden kann, dass sich Jesus ganz allein einer Vielzahl an Gegnern stellt und sie besiegen kann. Mit diesem anschaulichen Vergleich soll die Vollmacht Jesu mit der Ohnmacht des bösen Geisterheeres kontrastiert und folglich die wahre Machtfülle Jesu akzentuiert werden . 160 Vgl. G rundmann 1977, 145. - Vgl. auch l entzen -d eiS 1998, 117; G undry 2000, 252 f.; S chenke 2005, 142 f. und G nilka 2010 I, 206. 161 Vgl. G rundmann 1977, 145. 162 Vgl. auch S chmithalS 1986, 277 (der bei dieser Thematik auf Rudolf Bultmanns berühmte Auslegung der Perikope verweist - nämlich der Deutung der Dämonen als „betrogene Betrüger“). 163 Vgl. ebenso e rnSt 1981, 156 f. 164 Vgl. dazu prägnant S chmidt 2010, 235 f. (mit Verweis auf andere Autoren): „Indem Jesus der an ihn herangetragenen Bitte entspricht, verhält er sich anders als die Legionen einer Besatzungsmacht; er ist kein neuer Aggressor, der an die Stelle der besiegten Herrscher tritt. Als Sieger über einen Feind, dem alle anderen unterlagen (Mk 5,3-4), räumt er, im Gegensatz zu den römischen Legionen und den Dämonen, die vor Ort verharren wollen, das ‚eroberte‘ Land und verschafft der Region Freiheit (Mk 5,10. 12. 17-18). […]“ 165 Vgl. etwa P eSch 1980, 290 f.; d SchulniGG 2007, 156. 156 6. Macht und Vollmacht Im Faktum, dass Jesus sogar gegen die Übermacht eines ganzen Dämonenheeres mit Leichtigkeit bestehen kann, manifestiert sich die Machtfülle Jesu. Sie übersteigt die Macht der bösen Geisterlegion, so wie sie schon die Macht des Satans in Mk 1,12 f. übertraf. Damit erscheint Jesus unzweifelhaft als der von Johannes dem Täufer angekündigte „Stärkere“ (vgl. Mk 1,7b). 166 Die scheinbar so gewaltige Kraft des bösen Geistes entlarvt sich im Angesicht der übergroßen Macht Jesu als Schwäche. Der Protagonist des Markusevangeliums - Jesus - erweist sich in der Auseinandersetzung mit den antagonistischen Kräften in der Tat als der Messias-Christus. 167 Die Geisteraustreibung ist beredtes Zeichen seines wahren, vollmächtigen Seins. 168 In Mk 5,3-5 schildert der Erzähler in breiter Form die Zeichen der Besessenheit, unter denen der Mann aus Gerasa leidet: So muss er eine von den Lebenden isolierte Existenz unter Toten führen (er ist - pointiert formuliert - „ein lebender Toter“), 169 und er zeigt ein aggressives, in der Tat „wahnsinniges“ Verhalten gegen andere (Ausschlagen nach Personen und Zerreißen der Fesseln) und sogar gegen sich selbst (Schlagen, Schreien, Zerfetzen der Kleidung). Die Erzähl-intention der gesamten Exorzismusperikope erschließt sich nur durch den Vergleich zwischen diesen unheilvollen Zeichen der Dämonen und den heilvollen Zeichen, mit denen Jesus von Nazaret handelt: Die Zeichen der Besessenheit bestehen in Worten und Handlungen des Mannes, während Jesus lediglich Wortzeichen (vgl. den Passus Mk 5,8. 9. 11-13) abgibt. Großen Widerstand erfährt Jesus während des Exorzismus nicht, denn die Dämonenarmee muss sich geschlagen geben, noch bevor sie sich groß wehren kann und will. Daher erfolgt die Austreibung der Dämonen durch den (nachgetragenen) Ausfahrbefehl Mk 5,8b sowie durch die gegenüber den Dämonen ausgesprochene Erlaubnis aus Mk 5,13a, mit der die Epipompe in die Schweineherde erfolgt. Diese Zeichen lassen - wie es auch die apotropäischen Worte des Dämons in Mk 5,7b -e beabsichtigen - die Allmacht Gottes greifbar werden. Das Unheil der jetzigen Welt wird abgelöst durch das Heil der kommenden Welt. Es ist auffällig, dass Jesus der Exorzismus ohne große Mühe von der Hand geht. Der Erzählung ist somit ein deutlich triumphalistischer Zug nicht abzusprechen. 170 Die- 166 Auf diesen Kontext macht zu Recht auch S chenke 2005, 136 aufmerksam. - Vgl. ebenso c ollinS 2007, 272. 167 Vgl. gleichfalls t runk 1994, 38. 168 So resümierend auch G rundmann 1977, 14; ebenso G uelich 1989, 288. 169 Vgl. ebenfalls k ertelGe 1970, 106; P eSch 1980, 286; F ink 2000, 94; S tolle 2015, 121. 170 Bezieht man den erwähnten antiimperialistischen Ton (vgl. e bner 2012, 59) mit in die Überlegungen ein, dann erscheint Jesus in der Tat als (überirdischer) „Gegenkaiser“, der den römischen Imperator symbolisch in der Vernichtung der „kaiserlichen Schweinelegion“ vom Thron stößt (vgl. den Sturz der Schweine in Mk 5,13! ) - analog der Entmachtung der überirdischen Macht des Teufels in Mk 1,13. Die politische Implikation wird aber erst in der Pilatus-Szene Mk 15,2-15 so richtig anschaulich, wobei der römische Statthalter 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1 - 20) 157 ser leichte Sieg über den Dämon „Legion“ ist natürlich der schlagende Beweis für Jesu vollmächtige Existenz: Wer diese weder erkennt noch sie zugleich anerkennt wie zuvor die Verwandten Jesu und - noch bedeutsamer - die Jerusalemer Schriftgelehrten, der verkennt nicht nur Jesus, der verkennt Gott und versündigt sich - wie es markant in Mk 3,29 heißt - am Heiligen Geist, der Jesu Vollmacht gewährt und bewährt. Nach semiotischem Verständnis bringen Zeichen den Ding- oder Wesensaspekt zur Anschauung. Im Fall der Episode um den besessenen Gerasener ermöglichen in negativer Hinsicht - abgesehen vom christologischen Bekenntnis Mk 5,7b -e - die erwähnten dämonischen Wort- und Tatzeichen („Zeichen des Unheils“) sowie in positiver Hinsicht die jesuanischen Wortzeichen („Zeichen des Heils“) eine Aussage über die Wesenheit Gottes. In theologischen Kategorien gesehen handelt es sich bei dieser Dämonenaustreibung um einen Offenbarungsvorgang. Die dämonischen Zeichen bilden selbstverständlich die Ursache für die soteriologischen Zeichen Jesu und vereinen sich im Exorzismus , der dadurch zu einem Makrozeichen wird. So ergibt sich eine doppelt vernetzte semiotisch-theologische Verweisungsstruktur: Diese Relationalität besteht zum einen zwischen dem Wesen Gottes und dem Sein, das im Gottessohn Jesus dargestellt („repräsentiert“) ist (sich also intern im Verhältnis zwischen Gott und Jesus zeigt), sowie zum anderen zwischen dem offenbarenden Gott (über die Mittlergestalt Jesus) und dem erkennenden Menschen (das heißt extern auf das Verhältnis Gott [ Jesus] und Mensch bezogen). Diese Gedanken sollen im Folgenden noch etwas ausgeführt werden: Erstens: Sowohl der Ruf an die Geister zum Ausfahren aus dem Mann wie das Gestatten des Einfahrens der Dämonen in die Tierherde repräsentieren autoritative Sprachzeichen Jesu. Es handelt sich um geistige Machtzeichen, die keinen Widerspruch dulden und folglich die Gottessohnschaft Jesu deutlich aufscheinen lassen. Sie stellen eine Verbindung zwischen dem Wesen Jesu und dem Sein Gottes her, denn die Vollmacht des Sohnes speist sich vollkommen aus der Allmacht des Vaters. Der Einwie der Ausfahrbefehl Jesu „imitieren“ sozusagen die Schöpfungsworte Gottes am Anfang der Welt für das jetzt beginnende Ende der Welt. Sie „repräsentieren“ also das Schöpferhandeln JHWH s und sind durch diese stellvertretende Funktion als Zeichen anzusehen. Diese Wortzeichen Jesu erschließen das Wesen Gottes in seinem Schöpfersein. Das Schöpferhandeln Gottes wird zum Schöpferhandeln des Gottessohnes, Schöpfung wird zur Neuschöpfung. Für das Verständnis des Innenverhältnisses zwischen Gott und Jesus bildet die Tauf- und Versuchungsszene den hermeneutischen Horizont. Dieses epiphane Ereignis wird buchstäblich theo-logisch verankert und ist somit im Exorzismus über das Königtum Jesu natürlich missversteht, weil Jesus keine irdisch-zeitliche , sondern eine himmlisch-endzeitliche Herrschaft im Sinn hat (vgl. markant Mk 10,42-45). 158 6. Macht und Vollmacht die Mittlerfigur Christi für den Menschen abstrakt zu erfassen. Der Exorzismus schildert im Kern also eine Theophanie. Man kann daher prägnant formulieren: Gott offenbart Jesus. Zweitens: Wenn Jesus - und durch ihn Gott - auf diese Art und Weise handelt, dann muss der Mensch die Chance auf das Heil ergreifen. Er erkennt die Macht Gottes, die Jesus ihm zeichenhaft mitteilt. Das Wesen Gottes verbindet sich mit dem Wesen des Menschen; die semiotische Funktion des Relationalen strukturiert analog auch das Außenverhältnis des Offenbarungsgeschehens. Die Wort- und Tatzeichen des Gottessohnes und Menschen Jesus treffen den heilsbedürftigen Menschen in seinem Innersten und führen zur Reinigung und Erlösung. Sie „konstituieren“ das Heil; damit „repräsentieren“ sie göttliches Schöpferhandeln bzw. göttliches Heil. Sie sind deswegen Stellvertreter für das Heil und ebenso als Zeichen zu werten. Weil Jesus der Sohn Gottes ist, kann er als Stellvertreter Gottes wie dieser selbst schöpferisch tätig werden. Diese vollmächtigen Zeichen Jesu machen klar, dass der göttlichen, schöpferischen Verheißung des ewigen Lebens auch dessen Einlösung korrespondiert . Im Kontext der teleologisch-linear und dynamisch-evolutiv zu verstehenden Königsherrschaft Gottes stellt der Exorzismus ein Verheißungszeichen par excellence dar, da sich in ihm bereits die in der Endzeit gegebene volle Herrschaft Gottes als Beseitigung allen Leids ankündigt. Am Ende der Welt wird diese Verheißung als Erfüllungszeichen eintreten. Es vermittelt sich dadurch eschatologische Hoffnung. Jesus deckt daher schon jetzt die lebensspendende und -ermöglichende Kraft JHWH s - dessen schöpferisches Handeln - auf. Semiotisch gesehen lässt sich dieser Zusammenhang mit der theologischen Dichotomie von „Verheißung und Erfüllung“ , die mit dem Zeichenmoment verbunden ist, zutreffend beschreiben. Im starken Zeichen des Exorzismus kommt der Mensch in seinem Geist mit dem Geist Jesu in Kontakt: Die die Dämonenaustreibung ausmachenden vollmächtigen Wortzeichen Jesu befreien den Gerasener Mann von seiner Krankheit und schaffen damit neues Leben. So entsteht in dem geschilderten Exorzismus eine menschlich vermittelte, göttliche Begegnung, die Heil schaffen kann, wo die Menschen bei dem Kranken angesichts der diabolischen, übermenschlichen Kraft des Dämons versagt haben und versagen mussten. Jesus tritt mit seiner überlegenen, messianischen Macht auf den Plan und trägt einen glänzenden Erfolg über den Dämon davon, denn der besessene Mann ist von nun an ganz und gar und für immer geheilt (vgl. Mk 5,13. 15. 18-20). 171 Das göttliche, epiphane Geschehen wird christologisch erläutert und vom Menschen konkret erfahrbar. Das exorzistische Tun Jesu ist Christophanie. So kann man resümierend sagen: Jesus offenbart Gott. 171 Auf den Schöpfungsaspekt verweist richtigerweise auch G rundmann 1977, 146. 147. 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1 - 20) 159 VV. 14 - 20 Der Exorzismus ist zwar erfolgreich durchgeführt worden, aber die Erzählhandlung ist damit immer noch nicht abgeschlossen: Es fehlt noch die dem Zeichenaspekt inhärente Deutung durch den Menschen, da Zeichen stets ambivalent sind, wie schon angemerkt wurde. Es geht in theologischer Hinsicht um Annahme oder Ablehnung des in Jesus inkarnierten Sein Gottes. So ist es kein Zufall, dass der Vers 14 eine Form des Verbs ἀπαγγέλλω (ἀπήγγειλαν - vgl. V. 14a) verwendet, auf die Vers 19 hinsichtlich des geheilten Mannes Bezug nimmt (vgl. dort: ἀπάγγειλον - vgl. V. 19c) und daher erst hier explizit auf die katechetischkerygmatische Komponente hinweist, 172 bevor dann im Vers 20a mit κηρύσσειν der terminus technicus für die christliche Verkündigung fällt. Damit ist sprachlich der Aufbau der Handlung umrissen: In den Versen 14-17 geht es um die Reaktion der Augenzeugen des Exorzismus und der Bewohner Gerasas, während die letzten drei Verse der Perikope - die Verse 18-20 - die Reaktion des vom Dämon Befreiten in den Blick nehmen. 173 Die auf den Exorzismus folgenden Ereignisse, die die Zeugen und Einwohner betreffen, sind schnell erzählt; Markus rafft die Darstellung auch an dieser Stelle, um sich später genauer mit dem Verhalten des genesenen Mannes befassen zu können. Auf dessen Antwort auf den an ihm geschehenen Exorzismus - auf die Verkündigung der Heilsbotschaft Jesu - kommt es dem Erzähler an; hierauf legt er seinen Schwerpunkt. VV. 14 - 17 Die Schweinehirten, die die Szenerie beobachtet haben, laufen in die Stadt Gerasa, 174 um die Bewohnern dort über den sonderbaren und erschütternden Vorfall in Kenntnis zu setzen (vgl. V. 14a: ἀπήγγειλαν): Καὶ οἱ βόσκοντες αὐτοὺς ἔφυγον καὶ ἀπήγγειλαν εἰς τὴν πόλιν καὶ εἰς τοὺς ἀγρούς· καὶ ἦλθον ἰδεῖν τί ἐστιν τὸ γεγονὸς - „Und die Hirten flüchteten und berichteten diese Dinge in der Stadt und auf dem Land; und sie [die Menschen / die Anwohner] gingen, um zu sehen, was sich ereignet hatte [wörtlich: was das Geschehene ist]“). Die Hirten „flüchteten“ (ἔφυγον - vgl. V. 14a), wie es im Text heißt: Sie fliehen also vor etwas, das ihnen große Angst bereitet. Dabei anerkennen sie offensicht- 172 So richtig gesehen von G nilka 2010 I, 206. 173 So zu Recht auch ebd. 206; e bner 2012, 60. 174 G rundmann 1977, 146 lässt die Lokalisierung offen. - Die Erzähllogik bedingt aber, dass es sich bei den hinzukommenden Stadtbewohnern um Bürger aus der Stadt Gerasa handeln muss, ansonsten wäre die geschilderte tiefgreifende Wirkung des Exorzismus nicht zu erklären: Die Gerasener kennen vorab die schier aussichtslose Lage des Mannes und können daher seiner wundersamen Genesung nur mit Fassunglosigkeit und numinoser Furcht begegnen. 160 6. Macht und Vollmacht lich die außergewöhnliche Macht, die auf göttliches Eingreifen hindeutet. In ihrer Furcht kommt zwar die Achtung vor dem im Wunder aufscheinenden Göttlichen als dem mysterium tremendum et fascinosum zur Geltung, es bleibt damit aber eine bloß äußerliche menschliche Antwort, die nicht ausreicht. Im Gegensatz dazu ist später das Verhalten des geheilten Mannes zu beurteilen: Der Mann zieht als Einziger die richtige Schlussfolgerung aus dem Heilungs- und Heilsereignis. Die Reaktion auf das panische Verhalten dieser Augen- und Ohrenzeugen des Geschehenen bleibt bei den Zuhörern nicht aus: „Und sie gingen, um zu sehen, was sich ereignet hatte [historisches Präsens: ereignet hat] (καὶ ἦλθον ἰδεῖν τί ἐστιν τὸ γεγονός - vgl. V. 14b).“ Mit der Verwendung der Konjunktion „und“ sowie mit dem Gebrauch des historischen Präsens zeigen sich auch hier die Geschwindigkeit des Handlungsablaufs und damit die Lebendigkeit der Szene. Dem schier unglaublichen, staunenswerten Bericht über die plötzliche Heilung des besessenen Mannes, den man kannte und den man fürchtete, wollen die Gerasener nun nachgehen. Sie wollen sich mit ihren eigenen Augen von der Wahrhaftigkeit der Angaben der Hirten überzeugen. Als sie am Schauplatz des Ereignisses eintreffen, sehen sie den Mann bekleidet dasitzen und vernünftig reden (Die Präsensformen der Verben sind wiederum historisches Präsens und stellen von Neuem die Lebendigkeit der Szene heraus): „Und sie kamen [wörtlich: kommen] zu Jesus, und sie sahen [wörtlich: sehen] den Besessenen bekleidet sitzend und wieder zur Vernunft gekommen, der zuvor von der Legion (besessen war), und sie fürchteten sich“ - καὶ ἔρχονται πρὸς τὸν Ἰησοῦν καὶ θεωροῦσιν τὸν δαιμονιζόμενον καθήμενον ἱματισμένον καὶ σωφρονοῦντα͵ τὸν ἐσχηκότα τὸν λεγιῶνα͵ καὶ ἐφοβήθησαν - vgl. V. 15a -b). Dem inneren, geistigen Vorgang der Rückkehr zur Vernunft korrespondiert der äußere, körperliche Vorgang des Sitzens und Ruhigseins sowie des Wiederanlegens bzw. des Tragens von Kleidung. 175 „Und diejenigen, die es gesehen hatten, erzählten ihnen, was sich bei dem Besessenen und bei den Schweinen ereignet hatte“ (καὶ διηγήσαντο αὐτοῖς οἱ ἰδοντες πῶς ἐγένετο τῷ δαιμονιζομένῳ καὶ περὶ τῶν χοίρων - vgl. V. 16). Die Berichterstatter können die Schweinehirten oder weitere zufällige Zeugen bzw. auch die Jünger Jesu sein, die dabeistehen; Genaueres bleibt im Dunkeln. 176 Im Vers 15 wird der knappe Aussagesatz καὶ ἐφοβήθησαν („Und sie fürchteten sich“ - vgl. V. 15c) angefügt. Wie zuvor die Schweinehirten ergreift nun 175 So auch F ink 2000, 91 f.; G undry 2000, 253 (Kontrastaussagen: Toben vs. Sitzen, Nacktheit vs. Bekleidetsein, Krankheit vs. Gesundheit); e ckey 2008, 197. 176 Vgl. ebenfalls G undry 2000, 254. 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1 - 20) 161 auch die herbeigeeilten Stadtbewohner die Furcht vor der sich im Exorzismus in Erscheinung getretenen Macht Gottes. 177 Sie sind genauso gebannt - „geistig gefesselt“ - wie zuvor der Dämon des Mannes (vgl. Mk 5,2. 6). Damit aber nicht genug. Die Gerasener Bürger gehen in ihrer Reaktion noch über die Furcht der Schweinehirten hinaus, da sie Jesus sogar des Landes verweisen (vgl. V. 17: καὶ ἤρξαντο παρακαλεῖν αὐτὸν ἀπελθεῖν ἀπὸ τῶν ὁρίων αὐτῶν - „Und sie begannen, ihn zu bitten [Und sie baten ihn, […]], sich aus ihrem Gebiet zu entfernen“). Die hier formulierte Bitte wird daher wie bei dem Anliegen des Dämons in den Versen 10 und 12a mit παρακαλεῖν konstruiert, wenn auch der Wunsch diametral entgegengesetzt ist - „im Land bleiben“ (der Dämon) vs. „das Land verlassen“ (die Städter). Den Gerasenern ist angst und bange, dass dieser Jesus von Nazaret, in dem sie nur den wundermächtigen Mann - den „Theios Aner“ - sehen können, nicht noch mehr Schaden an ihrem Eigentum anrichtet. 178 Die Rettung des Mannes scheint für sie hingegen eher belanglos zu sein. 179 Indem die Stadtbewohner das Heilungswunder auf Schadenszauber zurückführen, ist ihre Ablehnung gleichzusetzen mit der Haltung der Schriftgelehrten aus Jerusalem, die Jesus des Teufelspaktes bezichtigen (vgl. Mk 3,22. 30). 180 Daher wünschen sich die Gerasener Bürger Jesus außer Landes. 181 Dass sie Jesus nur „bitten“ (παρακαλέω), verdeutlicht erneut die Vollmacht Jesu. 182 Dennoch „treiben“ die Bewohner damit seltsamerweise den Dämonenaustreiber „hinaus“ und zeigen mit diesem Verhalten, dass sie die tiefere, pneumatologisch-soteriologische wie theo-logisch-christologische Bedeutung des Ereignisses, das sich somit als offenbarungs- und schöpfungstheologisches Geschehen erweist, nicht begriffen haben. 183 177 Vgl. auch c ollinS 2007, 272 f. 178 So auch b öcher 1972, 167. - G undry 2000, 253. 254 meint, dass die Angst der Gerasener Bürger vor Jesu Macht das wahre Motiv für die Bitte an Jesus sei, ihr Land zu verlassen, und nicht die Befürchtung weiteren wirtschaftlichen Verlustes. - Genau umgekehrt argumentiert G uelich 1989, 284. - Es besteht aber keine sachliche Diskrepanz zwischen beiden Motivationen, denn Jesu vollmächtiges Handeln bildet gerade die Ursache des wirtschaftlichen Schadens: Jesus wird eben als wundermächtiger Mann gesehen, der schwarzen Zauber betreibt (vgl. die Bemerkungen im nachstehenden Fließtext! ). - Im Ergebnis zustimmend m arcuS 2000, 346. 179 Vgl. ebenfalls G rundmann 1977, 146; d SchulniGG 2007, 156. 180 So zustimmend auch G uelich 1989, 289. - Eine bemerkenswerte inhaltliche Verbindung besteht auch zwischen den Bürgern und den Dämonen, worauf m arcuS 2000, 353 hinweist: unfreiwillige Faszination gegenüber Jesu Vollmacht, Furcht vor Jesu Vollmacht, Bitte um Verschonung, Bewahrung des eigenen Lebensraumes bzw. Gebietes. 181 Das bedeutet aber kein endgültiges Scheitern Jesu, wie die erfolgreiche Verkündigungstätigkeit („Und alle staunten“ - vgl. V. 20b! ) des geheilten Mannes in der Folge beweisen wird. - Daher wirkt die Deutung von G löckner 1983, 85 auch wenig überzeugend. 182 Vgl. G undry 2000, 254. 183 Vgl. auch e rnSt 1981, 157 (zu den VV. 15. 17); k ertelGe 1994, 56; m oloney 2002, 105. 162 6. Macht und Vollmacht VV. 18 - 20 Wie am Anfang der Geschichte richtet sich der Blick des Erzählers nun auch an deren Ende auf Jesus und den Mann. 184 Die Schilderung der Geschehnisse um den geheilten Besessenen erfolgt mit dem Stilmittel der Zeitdehnung. Der Leser- und Hörerschaft des Markusevangeliums soll die Reaktion des Mannes als idealtypisches Verhalten der Nachfolge zur Nachahmung empfohlen werden: Es geht um das Bezeugen und Weitertragen der Gottesreichsbotschaft Jesu. 185 Der Evangelist reflektiert an dieser Stelle programmatisch die christliche Nachfolge. Die positive Haltung zu Jesus wird prominent und pointiert an den Schluss der Austreibungserzählung gesetzt. Die Szene kommt nun zum Abschluss, indem erzählt wird, wie Jesus in das am Strand wartende Boot mit den Jüngern einsteigt (vgl. V. 18): Καὶ ἐμβαίνοντος αὐτοῦ εἰς τὸ πλοῖον („Und als er in das Boot einstieg […]“). Die Parallelität zu den Versen 2 und 6 in Verbindung mit Vers 7, der sich auf Vers 6 bezieht, ist nicht zu verkennen und sicherlich beabsichtigt. Darin zeigt sich, dass die Offenbarungsszene beendet ist. Aber nicht nur das Besteigen des Bootes ist in den genannten Versen gleich, auch die Worte des Mannes sind aufschlussreich, wenn man den Vers 7 heranzieht: παρεκάλει αὐτὸν ὁ δαιμονισθεὶς ἵνα μετ΄αὐτοῦ ᾖ („[…], bat [historisches Präsens: bittet] ihn der ehemals Besessene, dass er bei ihm bleiben dürfe [wörtlich: mit ihm sei“]). Zwar wird die Rede des Besessenen im Vers 7 in direkter und im Vers 18 in indirekter Form wiedergegeben, doch tritt in beiden Fällen die Intention deutlich zu Tage. Die zirkuläre Struktur des Ding- und Bedeutungsaspektes verdeutlicht die Aussage: Es geht um die Darstellung der Wesenheit Jesu, die im Vers 7 als Aussage (als Dingaspekt) und im Vers 18 als Deutung (als Bedeutungsaspekt) erscheint. Der Ablehnung - als „negative Bestätigung“ - im Vers 7 korrespondiert die Annahme der Vollmacht Jesu im Vers 18. Jesus lehnt die Bitte des Mannes zwar ab, sich ihm als Jünger anzuschließen (καὶ οὐκ ἀφῆκεν αὐτόν […]: „Und er gestattete es ihm nicht, […]“ - vgl. V. 19a), er weist ihn aber an, nach Hause zu gehen und dort zu verkündigen (ἀλλὰ λέγει αὐτῷ· ὕπαγε εἰς τὸν οἶκόν σου πρὸς τοὺς σοὺς καὶ ἀπάγγειλον αὐτοῖς, […] - „[…], sondern er sagte [historisches Präsens: sagt; Funktion der Verlebendigung der Szene] zu ihm: ‚Kehre zurück in dein Haus zu deinen Verwandten [wörtlich: bei die Deinigen] und verkündige ihnen, […]‘“ - vgl. V. 19b. c), „was der Herr an dir getan hat und wie er sich deiner erbarmte‘“ (vgl. V. 19c: ὅσα ὁ κύριός σοι πεποίηκεν καὶ ἠλέησέν σε). 184 Vgl. l ohmeyer 1967, 98. 185 Vgl. auch S chWeizer 1978, 59. 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1 - 20) 163 Auch diese Äußerung bringt also - die Epipompe aus Vers 13a ist hier unbedingt mitzudenken! - eine befehlshafte Aussage. Sie ist Ausdruck für die Vollmacht Jesu, der sich der Geheilte unterordnet, wie es sich im Folgevers 20 zeigt. Die Verbform von ποιέω (πεποίηκεν - vgl. V. 19c) drückt die Schöpfermacht Gottes aus, die mit den Begriffen der „Allmacht“ sowie der „Königsherrschaft“ Gottes verbunden ist. Der Geheilte versteht den jesuanischen Befehl der Verkündigung in seinem Haus 186 als Auftrag, die Botschaft Jesu in der gesamten Dekapolis zu verbreiten und setzt sich damit über die ausdrückliche Anweisung Jesu hinweg (vgl. V. 20a: καὶ ἀπῆλθεν καὶ ἤρξατο κηρύσσειν ἐν τῇ Δεκαπόλει ὅσα ποίησεν αὐτῷ ὁ Ἰησοῦς͵ […] - „Und er ging weg und begann in der Dekapolis zu verkündigen, was Jesus an ihm getan hatte; […]“). Das Schweigegebot hinsichtlich des Messias gilt für ihn nicht. Jedoch hatte Jesus es zuvor schon selbst dadurch aufgehoben, indem er dem geheilten Mann den Verkündigungsauftrag an dessen Hausgemeinschaft erteilte. Zudem zeigt der Handlungsablauf des gesamten Evangeliums, dass Jesu Aufenthalt im heidnischen Gebiet sowieso nur als kurzer Besuch geplant war. 187 Im Zusammenhang seiner Verkündigungstätigkeit identifiziert der Mann den Begriff „Kyrios“ aus dem vorangehenden Vers 19c mit Jesus, dem Christus. Man kann diese Beobachtung so deuten, dass damit die grundlegende Verhältnisbestimmung zwischen Gott und Jesus, die die beschriebene zweifache Offen- 186 Für diese Lesart sprechen sich ebenfalls etwa G löckner 1983, 92; m oloney 2002, 105; S chenke 2005, 143; d SchulniGG 2007, 156 f.; e ckey 2008, 198 und l imbeck 2014, 303 aus. - Dagegen G undry 2000, 255 und auch G nilka 2010 I, 206: Gnilka verneint die Verkündigungstätigkeit des geheilten Mannes gegenüber den Familienmitgliedern. - Dieser Ansicht steht aber die auffällige sprachliche Parallelität der Wendungen ὅσα ὁ κύριός σοι πεποίηκεν καὶ ἠλέησέν σε (vgl. V. 19c) und ὅσα ποίησεν αὐτῷ ὁ Ἰησοῦς (vgl. V. 20a) entgegen. Außerdem bedeutet die Erwähnung der göttlichen Schöpfermacht, dass damit der Gegenstand der Verkündigung bezeichnet ist. Das Verb κηρύσσειν ist zudem semantisch eindeutig bestimmt (vgl. Mk 1,7a. 14; 3,14; 6,12). Daraus folgt notwendigerweise, dass das korrespondierende Prädikat ἀπάγγειλον aus V. 19c in gleicher Weise verstanden werden muss, was auch Gnilka zugesteht (vgl. ebd. 206). 187 Vgl. S chenke 2005, 144; vgl. auch G nilka 2010 I, 206. - Plausibel erscheint neben dieser materialen auch die alternative, formale, redaktionsgeschichtliche Erklärung, die den Verstoß gegen das Schweigegebot als Reflex der nachösterlichen Perspektive interpretiert (vgl. dazu m arcuS 2000, 354). - Jesus wird später noch einmal in die Dekapolis zurückkehren - vgl. Mk 7,31-37. Sein Ruf hat sich dort wohl durch die Predigt des geheilten Mannes so verbreitet, dass man sofort auf ihn zukommt, ihn um die Heilung eines Taubstummen bittet und nach dem erfolgreichen Wunder diese Botschaft der Schöpfermacht Gottes in Jesus (vgl. die Rede vom „guten Tun“ in Mk 7,37b, die an die schöpfungstheologische Formel der Priesterschrift „Es war gut“ erinnern soll) anerkennt und trotz des Verbots weiterträgt (vgl. zum Thema auch e bner 2013, [266-277] 26. - Hier legt Jesus also wieder Wert auf das Messiasgeheimnis). 164 6. Macht und Vollmacht barung „Gott und Jesus“ einerseits sowie „Gott ( Jesus) und Mensch“ andererseits ausmacht, am Schluss noch einmal an prominenter Stelle ausdrücklich zur Geltung gebracht werden soll. Die schöpferische bzw. neuschöpferische Kraft Gottes wird auf Jesu Wirken übertragen; die Allmacht Gottes nimmt in Jesu Vollmacht Gestalt an. Daher wird der terminus technicus des göttlichen Schöpferhandelns - ποιέω (vgl. ποίησεν - V. 20a) - folgerichtig auch auf Jesus angewendet. Zwar wird dem Geheilten die Zugehörigkeit zum engen Jüngerkreis der ständigen Begleiter Jesu verweigert (vgl. ἵνα μετ΄αὐτοῦ ᾖ! ), 188 doch wird er dennoch zum Jünger im weiteren Sinne , denn er tut mit der Verkündigung genau das, was - mit Ausnahme des Wunderwirkens - die Zwölf auszeichnet (vgl. Mk 3,14 f.). 189 In dieser Hinsicht ist es durchaus angebracht, ihn zugespitzt als „zweiten Johannes den Täufer“ für die Heiden zu bezeichnen (vgl. Mk 1,2-3). 190 Die Rückkehr des gesunden Mannes in sein Haus bedeutet zugleich die Wiedereingliederung in die Gesellschaft und damit nicht nur die Wiedergewinnung des psychisch-physischen, sondern auch des sozial-politischen Lebens. 191 Die „Grabhöhle“ als frühere Aufenthaltsstätte des kranken Mannes kontrastiert mit seinem ursprünglichen und jetzt wiedererhaltenen Wohnort - seinem „Haus“. 192 Seine Isolation ist beendet. Mit dieser Lebenszusage 193 ist die göttliche Schöpfermacht angedeutet. So lässt sich eine thematische Verbindungslinie zwischen der Beelzebulszene (Beelzebul-Name „Ba‘ al des Hauses“ - vgl. Mk 3,22, „Haus“ - vgl. Mk 3,25, „Haus des Starken“ - vgl. Mk 3,27), die über die Identifikation des Beelzebul mit Satan in Mk 3,22 mit der Versuchungsepisode verknüpft ist, und der hier vorliegenden Exorzismuserzählung (vgl. „Haus des Mannes“ - vgl. Mk 5,19c) herstellen: 194 „Haus“ bedeutet „Herrschaft“, so dass hier eine Anspielung auf die göttliche Allmacht, die in der Königsherrschaft Gottes besteht, vorliegt, und damit zugleich die Verbindung zur jesuanischen Vollmacht, die mit der Gottessohnschaft Jesu gegeben ist, deutlich wird. Die Erzählung endet mit der Feststellung καὶ πάντες ἐθαύμαζον (vgl. V. 20b): „Und alle wunderten sich.“ 188 Vgl. ebenso a nnen 1976, 64; F ink 2000, 92; G uelich 1989, 284 f. 189 Vgl. zum Beispiel G nilka 2010 I, 207. 208. 190 So mit Recht e bner 2013, [266-277] 267 f. 191 Vgl. ebenfalls G nilka 2010 I, 206. 192 Vgl. F ink 2000, 93. 193 Vgl. ähnlich auch F ink 2000, 94. 194 Auf die Beelzebulszene verweist auch e bner 2013, [266-277] 274, der das Motiv der „Bindung des Bösen“ geltend macht, was natürlich dem thematischen Komplex des „Hauses“ zuzuordnen ist. - Das „Haus“-Motiv ist in der Gerasaperikope meines Erachtens allerdings etwas stärker als das Moment „Bindung“ ausgeprägt. In der Sache besteht aber kein Unterschied, geht es doch beide Male um das zentrale Motiv „Herrschaft“. 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1 - 20) 165 Die Zuhörer staunen über die wundersame Erfahrung des Göttlichen, die der Mann erlebt hat. Im Gegensatz zur Furcht der Gerasener Bürger und der Schweinehirten kommt hierin die Erkenntnis über das wahre göttliche Sein Jesu zum Ausdruck: Staunen bedeutet ein tiefes Berührtwerden von einem Ereignis, dem man sich nicht entziehen kann. 195 Jesus „entfesselt“ in geistiger Hinsicht den Besessenen und „fesselt“ seine Zuhörer („fasziniert sie“) - gemeint sind hier gleichfalls die Leser und Zuhörer außerhalb der Erzählung. Das Staunen ist der erste Schritt zur Verkündigung, die der Mann leistet . Die ihm zuteilgewordene Heilung ist Sinnbild - Zeichen - des Heils der Endzeit, mit der Gott nun in Gestalt des mit seinem Geist begabten Jesus Christus in der Welt auftritt und sie nach seinem Willen verwandelt. Mit Erschrecken, Erstaunen und Verkündigen reagieren die beteiligten Menschen auf den von Jesus bewirkten Exorzismus. So entfaltet sich ein breites Spektrum menschlicher Reaktion von Passivität - dem Schrecken - über Interesse - dem Staunen - bis hin zur Aktivität - dem Verkündigen. Der Schrecken ist ein negatives Ergriffensein, das zur Abwendung von der jesuanischen Gottesreichsbotschaft führt; das Staunen hingegen bedeutet ein positives Ergriffensein, das den notwendigen Erkenntnisgewinn zum Ausdruck bringt und zur Grundlage der Verkündigung wird. Der Evangelist kontrastiert das Verhalten der Gerasener und der Schweinehirten mit dem Verhalten des von der Dämonenlegion geheilten Mannes: Auf der einen Seite gibt es die undifferenzierte und damit negative Reaktion, für die die Hirten und die Stadtbewohner stehen. Sie sehen zwar, aber sie sehen auch nicht; sie an erkennen zwar die göttliche Macht, aber sie können sie nicht er kennen. 196 Das ist - theologisch gesprochen - nichts anderes als Verstockung. Auf der anderen Seite wird das Verhalten des geheilten Mannes dargestellt. Es besteht in Erkenntnis und Anerkenntnis, so dass hier eine differenzierte und somit positive Reaktion vorliegt, die im Bekenntnis - der Verkündigung - gipfelt. 197 Die Reaktion des Mannes auf seine Heilung ist also angemessen. Er ist nicht verängstigt wie die Städter und die Schweinehirten, die die Heilsrelevanz des wunderbaren Geschehens dadurch nicht nachvollziehen können, sondern er bekundet Dankbarkeit für seine Genesung, indem er daraus die Verpflichtung glaubwürdiger Zeugenschaft ableitet. Wenn er schon nicht direkter Begleiter - also Jünger - des Kyrios werden kann, dann nimmt er wenigstens die Verkündigungsaufgabe wahr. Mit diesem Verhalten kann er die „Tat des Herrn“ und das „Erbarmen“ Gottes angemessen würdigen. Nachfolge gelingt auch in dieser indirekten Form 198 - diesen Punkt zu verdeutlichen ist dem Evangelisten ein deutliches Anliegen. Somit greift die Er- 195 So positiv gedeutet auch von G löckner 1983, 93 und l ohSe 2015, 17. 196 Vgl. auch G löckner 1983, 85. 197 Vgl. gleichfalls G nilka 2010 I, 202. 198 Vgl. etwa ebenso S chWeizer 1978, 59; e ckey 2008, 198; k laiber 2015, 108. 166 6. Macht und Vollmacht zählabsicht die nachösterliche Situation auf: Einerseits wird die planmäßige Heidenmission mit einem autoritativen Herrenwort verbunden, andererseits geht es prinzipiell um die Frage der richtigen Nachfolge, da in der Frühzeit des Christentums sesshafte (Hausgemeinde - vgl. in Mk 5,19c die Erwähnung des οἶκος! ) und nichtsesshafte (das von der Jüngerschaft abgeleitete Wandercharismatikertum - vgl. Mk 5,20: κηρύσσειν ἐν τῇ Δεκαπόλει! ) Nachfolgestrukturen hinsichtlich ihrer jeweiligen Legitimität kontrovers diskutiert wurden. Wie die lebhaften und doch so gegensätzlichen Verhaltensweisen des geheilten Mannes und der Einwohner von Gerasa sowie der Schweinehirten deutlich zeigen, kann sich in Anbetracht des vollmächtigen Redens und Handelns Jesu grundsätzlich niemand einer wie auch immer gearteten Stellungnahme entziehen. Jedoch ist es evident, dass der Hörer oder Leser dieser Perikope das Vorbild ausschließlich in der Reaktion des besessenen und später geheilten Mannes zu suchen hat: Wie die Untersuchung zeigen konnte, hat er bzw. der Dämon „Legion“, der von ihm Besitz ergriffen hatte, die geistgewirkte vollmächtige Existenz Jesu von Anfang an richtig eingeschätzt. In der unterwürfigen Körpersprache wie in der offensiv-defensiven Rede vor dem Exorzismus und in der äußerlich gezeigten (Kleidung) wie innerlich gefestigten Haltung (vernünftige statt verwirrte Rede, Bitte um Nachfolge) nach dem Exorzismus wird die Erkenntnis der Vollmacht Jesu dem Leser und Hörer bildhaft vor Augen geführt. Bei dem Mann wandelt sich - durch Jesu (und damit Gottes) Zutun (vgl. die Aufforderung Jesu an den Genesenen aus Mk 5,19c! ) - somit das Unheil in Heil, weil er Jesu Machtfülle richtigerweise als Beweis göttlicher Voll- und Allmacht sieht. Diese Er kenntnis der Vollmacht Jesu führt zum Be kenntnis der Messianität Jesu, das im Zeugnisgeben des Geheilten zum Ausdruck kommt (vgl. das Leitwort κηρύσσειν im Vers 20a). Das heißt: Vollmacht führt zum Glauben, Glauben zur Verkündigung. Im Kontrast dazu steht die Reaktion der Städter und der Schweinehirten: Bei ihnen verkehrt sich das vor ihren Augen geschehene Heil sogar in Unheil, weil sie den Erweis der göttlichen Allmacht in der jesuanischen Vollmacht fälschlicherweise als Bedrohung auffassen. Provokativ könnte man also sagen, dass die Rollen in dem Erzählstück bei näherer Betrachtung auf bemerkenswerte Weise vertauscht werden: Die Gesunden werden verrückt, der Verrückte wird gesund. 199 Die in der Exorzismuserzählung zum Ausdruck kommende Entscheidung des geheilten Gerasener Mannes deutet das gesehene Geschehen. Semiotisch gesprochen geht es um den Bedeutungs- oder Wirkungsaspekt des Zeichenprozesses. 200 Entscheidend ist die Deutung, die vorgenommen werden muss, um die „Sache Gottes“ richtig bestimmen zu können. Diese Deutung besteht in der intellek- 199 Vgl. auch S chmithalS 1986, 279. 200 Vgl. ähnlich auch l ohmeyer 1967, 98. 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1 - 20) 167 tuell-bejahenden Wahrnehmung der Vollmacht Jesu und somit in der gläubig-zustimmenden Wahrnehmung der Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Die beiden markanten Aspekte der Dichotomie „Vollmacht und Glaube“, die als theologische Interpretation die semiotische Funktion des Ontologischen in der semiotischen Kategorie des Bedeutungsbzw. Wirkungsaspektes beschreiben, sind angesprochen. 6.2.3. Resümee Die Geschichte der Dämonenaustreibung bei dem heidnischen Mann aus Gerasa ist eine bunte Erzählung mit ironischen bis grotesken Einfällen, die dem Stück einen schwankhaften, unterhaltsamen Ton geben. Dieser volkstümlich-bildhafte Charakter der Erzählung vermittelt dadurch dem Leser oder Zuhörer die Intention des Autors auf eingängige Weise. Es geht - theologisch betrachtet - um die schöpferische Wirksamkeit JHWH s, die durch den Schöpfungsmittler Jesus Christus vollzogen wird - also um die Offenbarung der Königsherrschaft Gottes in Jesu Gottessohnschaft (in semiotischer Hinsicht: im Dingaspekt), die semiotisch gesprochen als „Darstellung“ in den wirkmächtigen Zeichen der Apopompe und der Epipompe verwirklicht wird. Die im Evangelium geschilderten Machttaten Jesu , die ihre Wirkung bei Freund und Feind nicht verfehlen und für die die Dämonenaustreibungen pars pro toto stehen, sind Offenbarungszeichen . Deshalb muss auch die vorliegende Exorzismusgeschichte offenbarungstheologisch ausgewertet werden. Die diesen Offenbarungszeichen zugeschriebene „ Bedeutung“ bringt den zeichentheoretischen Prozess nach dem soeben geschilderten Aufweis des Dingwie Zeichenaspektes auf der Mesoebene der Perikope zum Abschluss. In den unterschiedlichen Reaktionen der Stadtbewohner (sowie sekundär der Schweinehirten) und des Gerasener Mannes findet sich der deutende Aspekt der Exorzismusszene, der in der Erzählung in ökonomischer Terminologie transparent wird. So kontrastiert der von den Gerasener Bürgern beklagte „kurzfristige ökonomische Verlust“ - der Verlust der Schweineherde - mit dem „langfristigen heilsökonomischen Gewinn“ - der Heilung des Besessenen. Dabei ist es evident, dass nur die Deutung des Mannes die im Gottessohnbegriff implizierte Vorstellung der Gottesherrschaft richtig erfasst. Der Mann aus Gerasa wird aufgrund dieser Deutung selbst noch einmal zum Zeichen - zum Typos - für den christus- und gottgläubigen Menschen schlechthin. Systematisch gesehen veranschaulicht sich dadurch der infinite Regress, der dem semiotischen Erkenntnisprozess immer mitgegeben ist: Eine Deutung wird wieder zum Zeichen, das wiederum eine weitere, neue Deutung nach sich zieht. Das theologische Motiv der Gottessohnschaft sowie die exorzistischen Wortzeichen Jesu und die Deutung des geheilten Mannes vereinigen sich - theologisch gesprochen - zu einem einzigen Offenbarungsgeschehen, 168 6. Macht und Vollmacht dem aus semiotischer Perspektive der Erkenntnisvorgang aus Ding, Zeichen und Bedeutung entspricht. Die Heilung des Mannes ist somit Zeichen für das beginnende und sich vollendende Heil. Heilung und Heil 201 durch den Heiland Jesus erfährt der Mensch unmittelbar an Leib und Seele. Die heilsame Selbstmitteilung Gottes findet einen körperlichen Ausdruck; mit anderen Worten: Das Evangelium inkarniert sich. Das galt nicht nur für Jesus in der Taufepisode, sondern das gilt auch - wie das jetzige Erzählstück anhand des Schicksals des Besessenen eindrucksvoll belegt - für jeden Menschen, der sich von diesem Messias-Christus in allen Dimensionen seiner Person ergreifen lässt. Die göttliche, transzendente Macht wird immanent und dadurch transparent. Mehr noch als in der Tauf- und Versuchungsszene scheint in dieser Perikope das Moment der göttlichen Immanenz auf. Hier liegt der erzählerische Schwerpunkt. Die Zeichenfunktion wird somit deutlich: Es geht um die „Darstellung“ der Gottesherrschaft, die das schöpferische Wirken Gottes beschreibt. Es handelt sich also um die Vermittlung des Zeichen- oder Erscheinungsaspektes, die man auf der Makroebene des Gesamttextes „Evangelium“ beobachten kann. Die vorliegende Textstelle thematisiert das Moment der Herrschaft, wie es sprachlich auch im erwähnten politisch-sozialhistorischen Deutungsmuster, das mit den Begriffen „Legion“ und „Adventus“ bzw. „Epiphanie“ und deren Wortfeld assoziiert wird, gegeben ist. Der geschilderte Exorzismus trägt somit eindeutig epiphanen Charakter. 202 Die Erzählung definiert dabei das Verhältnis zwischen „Gott und Jesus“ sowie das Verhältnis zwischen „Gott bzw. Jesus einerseits und dem Menschen andererseits“. Beide Beziehungsebenen sind durch das Moment des Geistes miteinander verschränkt: So wie Jesu Innerstes selbst vollkommen durch den göttlichen Geist bestimmt ist, so erfasst dieser Geist durch Jesu Taten die gesamte Person des um Heil suchenden Menschen. Die Zueignung des Geistes von Gott an Jesus wird durch den Sohn Gottes an den Menschen weitergegeben und bricht sich Bahn. Es wird eine tiefgreifende Verwandlung verursacht, die dem Menschen eine neue Orientierung - das Heil - verschafft. 201 Vgl. zu dem Zusammenhang von Körper und Geist bzw. Seele prägnant auch v on b ende mann 2007, [105-129] 124. 127-129. 202 Für die epiphane Struktur der Perikope votiert auch a nnen 1976, 107. - Eine andere Ansicht vertritt S chenke 1974, 194 f., der das Offenbarungsmoment zugunsten des Verkündigungsaspektes zurückdrängt. - Bei dieser Gewichtung sind Ursache (Christusoffenbarung) und Wirkung (Christusverkündigung) vertauscht; Schenke schränkt seine Sicht auch gleich wieder ein (vgl. ebd. 195). - Nach S chille 1967, 35 f. zeichnet sich prinzipiell jede Wundererzählung durch ihren epiphanen Charakter aus, und zwar als Christophanie („immanente Epiphanie des Gottesmannes“ - vgl. ebd. 36). - Vorsichtiger, aber grundsätzlich zustimmend, äußert sich m uSSner 1967, 54-57 zur Frage der Epiphanie bzw. Christophanie. 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1 - 20) 169 Zeichen sollen immer etwas vermitteln; sie sind Stellvertreter eines intellektuell zu erschließenden Objektes: Die Wundertaten Jesu wie etwa die Exorzismen sind deswegen Makrozeichen, die die hereinbrechende Königsherrschaft Gottes zeigen. 203 Sie bestimmen diese neue Schöpfung in dynamischer Weise. 204 Dieser Sinnzusammenhang lässt sich mit der semiotischen Funktion des Dynamischen, der im Dingaspekt gegeben ist, erfassen . Zum einen drückt er sich quantitativ aus ( Quantität / quantitatives Moment ), indem die Herrschaft Gottes in ihrer „zeitlichen Erstreckung“ vom „Ersten zum Letzten“ bestimmt wird, wie sie im Rahmen der Exorzismuserzählung in der Ankunft Jesu und dem Hinlaufen des dämonischen Mannes zur Beschreibung des In-Gang-Setzens der Gottesherrschaft verbildlicht ist. Der Exorzismus schafft ein sprechendes Zeichen des heilsgeschichtlichen Anfangs der heilsamen Königsherrschaft Gottes in der Zeit, dem man sich nicht entziehen kann und der sich trotz aller Widerstände weiter verstärken wird, bis diese Herrschaft ihre volle Gestalt erreicht hat. 205 Zum anderen umfasst das Moment des Dynamischen im Begriff des Gottesreiches eine qualitative Aussage ( Qualität / qualitatives Moment ) der „sachlichen Erstreckung“ vom „Kleinsten zum Größten“ , mit der die lebendigmachende Kraft JHWH s umschrieben ist. 206 Der Gedanke der Königsherrschaft Gottes beschreibt den Sinnzusammenhang des Übergangs vom Tod ins Leben bzw. ins Leben zurück. Die der semiotischen Kategorie des Dinges und der semiotischen Funktion des Dynamischen zugeordnete theologische Interpretation der binären Formulierung „Tod und Leben“ wird hier anschaulich. Der semiotischen Ebene des Zeichenaspektes mit der semiotischen Funktion des Relationalen entspricht die theologische Dichotomie „Verheißung und Erfüllung“, die Beginn und Abschluss der Heilszeit bezeichnet. In der Geschichte um den besessenen Gerasener kommt dieser Gesichtspunkt in der exorzistischen Handlung Jesu als Zeichen des eschatologischen Anfangs zum Ausdruck. 207 Die im Exorzismus verwandten Wortzeichen Jesu verweisen auf die Allmacht Gottes, die Vollmacht Jesu und die Wirkmacht des Geistes, und sie 203 Vgl. zu diesem zentralen Gedanken etwa auch m uSSner 1967, 46-48; l ohSe 2015, 20. 30. 114. 204 Vgl. den Zusammenhang auch bei m uSSner 1967, 48-53. 205 Vgl. zu diesem Aspekt der „Durchsetzung der Königsherrschaft Gottes“ auch m arcuS 2000, 354: „The story [Mk 5,1-20 - S. E.] as a whole, then, illustrates the Gospel’s theology of the cross, as experienced within the Markan community: the advent of God’s eschatological healing power provokes a vicious counterattack, but even this counterattack ultimately serves God’s cause by providing an arena for his grace to manifest itself in the midst of persecutions (cf. 10: 30).“ 206 Vgl. zum Begriff der „Königsherrschaft Gottes“ pointiert auch v an i erSel 1993, 89 f. 207 Vgl. auch m uSSner 1967, 21. 170 6. Macht und Vollmacht bieten damit buchstäblich eine „Wesens-Aussage“. 208 Diese Wesensbestimmung gilt einerseits für Jesus als den unmittelbar Agierenden und andererseits für Gott als den mittelbaren, dabei aber wirklichen Urheber der Heilstaten: In der von Jesus bewirkten Bannung der unreinen Geister zeigt sich seine Macht über das zerstörerische Böse und damit seine von Gott verliehene Vollmacht, die ihn seit der Taufe (vgl. Mk 1,9-11) erfüllt und begleitet. Neben diesem Anklang an die Taufszene verweist die genannte Perikope über die Heilung des besessenen Geraseners zudem auf die Versuchungsepisode, in der der Teufel gestürzt wurde (vgl. Mk 1,12-13). Beide Schlüsselszenen vom Anfang des Evangeliums sind also als hermeneutischer Hintergrund auch in dieser markanten Geschichte über eine Dämonenaustreibung präsent, denn sie bilden ihre theologische Legitimation. Wenn die Macht des Satans schon bezwungen ist, dann gilt das erst recht für die Macht der vom Teufel abhängigen Schadensgeister. Auf diese Weise begründet sich die Macht Jesu über das Dämonische, das ihm auf seinem irdischen Weg immer wieder begegnen wird . 209 Jesus ist der durch das im Taufakt (vgl. Mk 1,10) verliehene Pneuma an Gottes Allmacht partizipierende und im Geist vollmächtig auftretende Lebensspender wie Gott selbst. 210 Dass der Exorzismus sowie seine Wirkung eine rein geistige Erfahrung darstellen, bestimmt die Vollmacht Jesu erneut als pneumatische Entität. Bei der theologischen Deutung „Vollmacht und Glaube“ sind natürlich immer beide Momente gegeben, da das eine die Voraussetzung des anderen ist. Dennoch liegt der Schwerpunkt dieser Perikope auf dem Aspekt der „Vollmacht“ Jesu , die die Allmacht Gottes - also die göttliche Königsherrschaft - transparent werden lässt und die der besessene Mann bekennt: Theophanie geschieht als Christophanie, Christophanie als Theophanie. Es geht um die Vernichtung der satanischen Herrschaft und im Gegenzug um die Aufrichtung der göttlichen Herrschaft, das heißt, es handelt sich um die Frage von Herrschaft und Vorherrschaft, von Macht 208 Vgl. auch P eSch 1980, 294 [Kursivdruck im Original], der den Offenbarungscharakter der Perikope gelungen herausstellt: „Im Zusammenhang der aretologischen Komposition des Markus ist die Gerasenererzählung eine neue Offenbarung der Vollmacht (1,27) Jesu. […] Der Einbruch des Heils in die Heillosigkeit bringt die Welt allerorten in die eigentliche Unterscheidung zwischen Tod und Leben, während die Unterscheidung zwischen Juden und Heiden sich als vorläufig erweist.“ - Vgl. zum Zeichencharakter des Wunders bzw. des Exorzismus sowie zur theologischen Deutung der jesuanischen Machttaten t runk 1994, 38 f. 209 Vgl. prägnant k ollmann 2011, 72. - Interessant ist die Parallelität zwischen Mk 5,1-20 und Ex 14,1-15,22 LXX, die m arcuS 2000, 348 f. 352 erwähnt (die Anspielung zeigte bereits c ave 1964 / 1965, [93-97] 97 auf): Mit prophetisch-charismatischen Persönlichkeiten setzt Gott sein Heilswirken um. Jesus erscheint somit als zweiter Mose. 210 Vgl. ähnlich G nilka 2010 I, 208: „Christologisch entspricht die Tradition dem Evangelium im Gottes-Sohn-Prädikat, das den Ausblick auf die anderen Gottessohn-Stellen, vorab 15,39, eröffnet.“ 6.2. Jesus und die Dämonen (vgl. Mk 5,1 - 20) 171 und Allmacht (Vollmacht) . In der nun direkt an die behandelte Austreibungserzählung angeschlossenen Doppelperikope Mk 5,21-43 wird hingegen das Glaubensmoment profiliert. 211 Mesoebene: Mk 3,22-30 Mesoebene: Mk 5,1-20 Ding: Bestreiten der Vollmacht Jesu (Wundertätigkeit: Exorzismus) durch die Schriftgelehrten (vgl. V. 22): widergöttliche Macht Ding: Bezeugen der Vollmacht Jesu (Wundertätigkeit: Exorzismus) durch die Dämonen (vgl. VV . 6-7. 10): göttliche Macht Zeichen: Gleichnisrede Jesu (vgl. VV . 23-27) Zeichen: Zeichen des Unheils (vgl. VV . 2-5), Zeichen des Heils (vgl. VV . 8-9. 11-13) Bedeutung: Erweis der Vollmacht (vgl. VV . 28-30) (Heiliger Geist - vgl. V. 29a) Bedeutung: Erweis der Vollmacht (Flucht, Schrecken, Furcht - vgl. VV . 14-17, Verkündigung - vgl. VV . 18-20 - und Erstaunen - vgl. V. 20) Tabelle 2 211 Vgl. auch l entzen -d eiS 1998, 120; l imbeck 2014, 303. 7.1. Text und Kontext 173 7. Glaube und Bekenntnis Wer glaubt, der vertraut. „Glauben“ bedeutet: „Vertrauen in eine Person“ oder „Vertrauen in eine Sache“ zu haben. Zwei Aspekte sind mit dem vertrauensvollen Verhalten verbunden: Zum einen gelingt Vertrauen ausschließlich unter der Voraussetzung der Wahrheit. Nur Wahrhaftigkeit führt auch zur Glaubwürdigkeit. Vertrauen bedeutet zum zweiten zugleich Demut. Man verschreibt sich einer Sache oder gibt sich in die Hand eines Menschen. Man steht „treu“ zu dieser Sache oder Person, „traut“ oder „glaubt“ ihr. Die beiden Bedeutungsnuancen „vertrauen“ und „glauben“ kommen im Altgriechischen in der Wortfamilie „πιστεύω“ zur Sprache, die auch im neutestamentlichen Kontext gebräuchlich ist. Die Grundbedeutung ist mit „vertrauen“ gegeben; der Begriff „glauben“ wird dann zum terminus technicus christlicher Existenz aufgewertet. 7.1. Text und Kontext Die jetzt zu behandelnde, breit ausgeführte Geschichte über die Wiederbelebung der verstorbenen Tochter des Synagogenvorstehers Jaïrus sowie über die Heilung der blutenden Frau weist zur unmittelbar vorausgehenden Gerasaszene eine frappierende parallele Struktur auf, die im Folgenden konkret analysiert und interpretiert werden muss. Diese besondere erzählerische Gestalt begründet die Zusammenstellung der Episode über den besessenen Heiden einerseits und der Doppelperikope über die Totenerweckung und das Therapiewunder andererseits zu einer thematischen Einheit, wobei die Auferweckungserzählung als Gipfel- und Schlusspunkt des gesamten Kapitels fünf zu qualifizieren ist. 1 Wie häufig in der historisch-kritischen Bibelexegese, kann die Überlieferungsgeschichte auch im Fall der Doppelperikope über die Erweckung der Tochter des Synagogenvorstehers und über die Heilung der blutflüssigen Frau nicht restlos aufgeklärt werden; man ist auf Plausibilitätserwägungen angewiesen. Aufgrund der angedeuteten vielfachen inhaltlichen Verweise muss schon die grundsätzliche Frage offenbleiben, ob es sich um zwei ursprünglich eigenständige Erzählstücke oder aber um nur eine einzige Geschichte handelt. Sollte Letzteres der Fall sein, kann man sich weiterhin fragen, inwieweit die Zusammenfügung der Heilungsmit der Totenerweckungserzählung vormarkinischer 1 Zustimmend etwa e rnSt 1981, 160. - Vgl. dazu die Überlegungen im folgenden Fließtext. 174 7. Glaube und Bekenntnis Herkunft ist oder auf Markus selbst zurückgeht. 2 Darüber hinaus ist strittig, was genau im Einzelnen schon in der Quelle vorlag und was später durch die vormarkinische und markinische Redaktion eingefügt wurde. 3 Auf jeden Fall bemerkenswert erscheint die offenkundige Profilierung des Glaubensaspektes in den beiden Erzählstücken, was Markus vielleicht schon der vormarkinischen Fassung des überlieferten Erzählgutes entnehmen und für seine Bearbeitung des Stoffes nutzen konnte. 4 Die sprachliche Gestaltung markiert die Grenze zwischen den beiden Erzählsträngen: Während in der Jaïrusgeschichte die finiten Präsensformen (vor allem historisches Präsens) dominieren, sind es in der Blutflüssigenerzählung die Partizipien im Aorist (mit einigen Ausnahmen). 5 Die Erzählung über die Auferweckung der Tochter des Jaïrus durch Jesus hat ihre traditionsgeschichtlichen Wurzeln in den Totenerweckungserzählungen der Wunderpropheten Elija und Elischa (zu Elija: vgl. 1 Kön 17,17-24; zu Elischa: vgl. 2 Kön 4,18-37). 6 Die Totenerweckungsgeschichte als „Heilungsgeschichte 2 Vgl. dazu l ohmeyer 1967, 100 f. 109; k ertelGe 1970, 110-112; k och 1975, 65-68; G rund mann 1977, 147 f.; P eSch 1980, 295 f. (knapp). 312-314 (ausführlich); G uelich 1989, 292 f.; G undry 2000, 268; m oloney 2002, 107. 108. - Vgl. auch S chenke 2005, 145-148 (vor allem ebd. 146. 148 zur Hypothese der ursprüglichen Selbstständigkeit der Erzählungen über die Wunderheilung an der blutflüssigen Frau und über die Auferweckung der Tochter des Jaïrus: Das Motiv der andrängenden Menschenmenge, die verhindere, dass Jesus das todkranke Mädchen rechtzeitig heilen kann, stelle einen „Erzählfehler“ [vgl. ebd. 148] dar, damit Markus beide Geschichten miteinander verbinden könne). - Vgl. ebenso d SchulniGG 2007, 161 f.; k ahl 2013, [278-293] 285; l ohSe 2015, 96. 3 Vgl. zu dieser Thematik das insgesamt ausgewogene Urteil von e rnSt 1981, 160. - Für die traditions- und redaktionskritischen Details vgl. beispielhaft das ausführliche Entstehungsmodell von S chenke 1974, 196-206; vgl. zur Entstehungsgeschichte des Textes auch die Darstellung von G nilka 2010 i, 209-213. 4 Vgl. e rnSt 1981, 160. - Vgl. zum die Doppelperikope dominierenden und strukturierenden Glaubensaspekt allgemein auch l ohmeyer 1967, 103; k ertelGe 1970, 112. 117; P eSch 1980, 299; S chmithalS 1986, 296-298; G uelich 1989, 304; v an i erSel 1993, 147; k ertelGe 1994, 57; m oloney 2002, 106. 108 f.; S chenke 2005, 147. 151. 152 f.; e ckey 2008, 209 f. 210 f. und G nilka 2010 I, 212 f. 221. 5 Vgl. G uelich 1989, 292; m arcuS 2000, 364; G uttenberGer 2017, 127. 6 So expressis verbis vor allem P eSch 1980, 298. 307. 308. 309. 310; G uelich 1989, 303; e ckey 2008, 201 f. (mit vergleichender Betrachtung der alttestamentlichen Texte untereinander sowie Erwägungen zum Verhältnis dieser Stellen zur markinischen Doppelperikope); G nilka 2010 I, 212. 219; l ohSe 2015, 93 f. in Verbindung mit 12-14. - Skeptisch äußert sich e rnSt 1981, 165, der für eine eigenständige Gestaltung der Auferweckungsszene plädiert („Die Erweckung selbst ist frei von den massiven, am Körperlichen klebenden Manipulationen der immer schon als Modell herangezogenen Elija-Elischa-Tradition“). - Das ist ein etwas zu enges Verständnis über den Prozess der Aneignung eines literarischen Musters, denn es liegt in der Natur der Sache, dass sich bei der Bezugnahme auf eine Vorlage Abweichungen ergeben müssen! 7.1. Text und Kontext 175 sui generis“ weist die für die Wunderheilungserzählungen geltenden Topoi auf, die entsprechend dem Sujet abgewandelt werden. 7 Betrachtet man jetzt die Doppelperikope aus dem dieser Studie zugrundeliegenden semiotischen Blickwinkel, so ergibt sich folgende Einteilung: Nach dem Einleitungsvers 21 repräsentiert die Bitte des Synagogenvorstehers den Dingaspekt (vgl. VV . 22-23), während in den Versen 24 sowie 35-38 eine Überleitung, die dem Wechsel des Schauplatzes dient, vorliegt. In dieser Passage sind die Verse 35 und 36 auffällig: Die Szene mit den Überbringern der Todesnachricht - vgl. V. 35 - ist gleichfalls dem Dingaspekt zuzurechnen. Jesus ermuntert Jaïrus im V. 36 zum Glauben ; 8 hiermit spricht der Erzähler das Bedeutungsmoment an. Der Vers 41 schildert die Umstände des Wunders - die Berührung des verstorbenen Mädchens durch Jesus und das Erweckungswort Jesu . Diese Erzählelemente sind also evident Zeichen und gehören daher zum Zeichenaspekt des semiotischen Kategoriensystems. Abgeschlossen wird das Textstück mit der Deutung der Totenerweckung bei dem Mädchen durch die verschiedenen Handlungsträger ( Bedeutungsaspekt : vgl. VV. 39. 40a. b. 42a. b. c. 43). Die in die Erweckungserzählung eingeflochtene Handlung der Heilung der blutflüssigen Frau setzt unmittelbar mit der Schilderung des Dingmomentes ein (vgl. VV . 25-27a): Berichtet wird von dem schier hoffnungslosen Krankheitsbild (vgl. V. 25 f.), 9 so dass die Frau den Entschluss fasst, sich Jesus anzuvertrauen - wenn auch zunächst nur im Verborgenen (vgl. V. 27a). Die spätere Offenlegung des heimlichen Vorgehens der Kranken (vgl. V. 33) bezieht sich ebenso auf diesen Dingaspekt. In der Wiedergabe der Gedanken der kranken Frau - vgl. V. 28 - manifestiert sich der Bedeutungsaspekt . Das Vorhaben der Heilung setzt die Frau in aller Heimlichkeit um (vgl. V. 27b), und die Heilung selbst geschieht sehr schnell (vgl. V. 29). Beide Verse erfassen den Zeichenaspekt . Im Gegensatz zur lakonischen Beschreibung der Verse 27b und 29 wird der Bedeutungsaspekt in den Versen 30-32. 34 breit entfaltet: Ebenso wie in der Rahmengeschichte stellen die Reaktionen der jeweiligen Erzählfiguren (Jesus, Jünger, Frau) die Deutungen des Wundergeschehens dar. Die entscheidende Rolle spielt auch hier der Glaube der Frau , der im Schlussvers 34 zur Sprache kommt (vgl. Tabelle 3 am Ende des Kapitels). Insgesamt gesehen legen beide Erzählstücke den thematischen Schwerpunkt auf das Glaubensmoment. 10 7 Vgl. zur Topik der Wundererzählungen P eSch 1980, 297 f.; vgl. zusätzlich G uelich 1989, 291 f. 8 Vgl. ebenso l entzen -d eiS 1998, 121. 9 Vgl. auch k ahl 2013, [278-293] 279 f.: Die beiden ineinander verwobenen Geschichten erzählen von einer durch Jesu Zutun auf wundersame Weise behobenen Mangelsituation, die als existenzbedrohend erfahren wird. 10 Vgl. ebd. 282. 284. - Vgl. l ohmeyer 1967, 104 (Blutflüssigenerzählung). 108 (Erweckungsgeschichte). 176 7. Glaube und Bekenntnis 7.2. Jesus und die Tochter des Jaïrus (vgl. Mk 5,21 - 24. 35 - 43) V. 21 Καὶ διαπεράσαντος τοῦ Ἰησοῦ [ἐν τῷ πλοίῳ] πάλιν εἰς τὸ πέραν συνήχθη ὄχλος πολὺς ἐπ' αὐτόν͵ καὶ ἦν παρὰ τὴν θάλασσαν: „Und als Jesus (im Boot) wiederum an das Ufer herübergefahren war, versammelte sich eine große Volksmenge bei ihm; und er war am See.“ Wieder ist Jesus mit dem Boot unterwegs 11 und setzt ans andere, westliche - galiläische - Ufer des Gewässers über. Mit dieser Aussage knüpft der Erzähler an die soeben geschilderte Episode um den besessenen Mann an: Jesus kehrt von seinem kurzen Aufenthalt in der Dekapolis zurück. Die nun folgende Geschichte ist parallel zur vorherigen Austreibungserzählung zu sehen, denn erneut wird von einer Überfahrt berichtet, und der Fokus richtet sich wieder ausschließlich auf Jesus, so dass auch jetzt die Jünger keine Rolle spielen. 12 Der Erzähler unterstreicht damit Jesu Funktion als Protagonist dieser Szenerie wie des gesamten Evangeliums. Im Unterschied zur vorherigen Konstellation mit dem kranken Mann aus Gerasa sind jetzt jedoch viele Zeugen (vgl. ὄχλος πολύς - vgl. V. 21a) anwesend, die zusammenströmen, als Jesus mit dem Boot eintrifft. 13 Markus legt offenbar Wert auf die Betonung des besonderen Zuspruchs, den Jesus zu diesem Zeitpunkt seines Wirkens beim einfachen jüdischen Volk noch genießt - ganz im Gegensatz zu den politischen wie geistlichen Anführern des Judentums, mit denen sich Jesus vorher (in Mk 3,22-30) auseinandergesetzt hat und mit denen er heftig aneinandergeraten ist. Die Menschen umdrängen Jesus; sie suchen seine Nähe, wie der Ausdruck ἐπ' αὐτόν (vgl. V. 21a) deutlich signalisiert. Das heißt, dass sich der Ruf Jesu, eine charismatische Persönlichkeit - ein redegewandter und wundermächtiger Mann - zu sein, gefestigt und verbreitet hat. 14 Hier zeigt sich eine Anspielung auf die zahlreichen Summarien über Jesu Wirken, wovon beispielsweise bereits im ersten Kapitel markant berichtet wird (vgl. Mk 1,28. 32-34. 35-39. 45): Der Erzählzug der andrängenden Menschenmenge ist ein markinischer Topos. 15 11 Vgl. zum „Bootsmotiv“ G uelich 1989, 293. 294; k ertelGe 1994, 57; m arcuS 2000, 364. 12 Sie werden an dieser Stelle sogar überhaupt nicht erwähnt, während sie in der Gerasaszene wenigstens noch beiläufig zu Beginn der Episode genannt werden (vgl. die Pluralform ἦλθον in Mk 5,1). - Vgl. dazu ebenso G undry 2000, 267. 13 Vgl. auch G nilka 2010 I, 213 f. 14 So ebenfalls zum Beispiel G undry 2000, 267 (zu Vers 21). 268 (zu Vers 24); e ckey 2008, 207 (zu V. 27; Gleiches gilt aber selbstverständlich bereits für V. 21! ). 15 Vgl. zum Beispiel auch e ckey 2008, 205 (er führt entsprechende Belegstellen aus den vorausgegangenen Episoden an: vgl. Mk 1,32 f.; 1,45-2,2; 2,13; 3,7-10; 4,1). 7.2. Jesus und die Tochter des Jaïrus (vgl. Mk 5,21 - 24. 35 - 43) 177 Jesus steht am Ufer des Sees, dicht am Wasser (καὶ ἦν παρὰ τὴν θάλασσαν - vgl. V. 21b). Auch dieser knappe Hinweis verdeutlicht den Andrang, den Jesu Erscheinen verursacht, denn der wundermächtige Mann findet kaum Platz, um aus dem Boot auszusteigen, geschweige denn, sich frei zu bewegen. Mit der Darstellung des Schauplatzes sowie der Haupt- und der Nebenfiguren und mit der Erwähnung der Ankunft Jesu ist das Szenario für die folgende Episode gestaltet. Die Einleitung ist - ebenfalls wie in der Gerasageschichte (vgl. dort Mk 5,1) - lediglich in einem Vers abgehandelt. Der Zeitraffer, wie er sich im doppelten Gebrauch der Konjunktion καί manifestiert, bündelt das Interesse des Lesers und Hörers des Evangeliums auf die nachstehende Geschichte. Nichts soll vom wirklichen Ziel der Erzählung ablenken, so dass Markus kurz und bündig formulieren muss. VV.22 - 24 VV. 22. 23 Καὶ ἔρχεται εἷς τῶν ἀρχισυναγώγων͵ ὀνόματι Ἰάїρος͵ καὶ ἰδὼν αὐτὸν πίπτει πρὸς τοὺς πόδας αὐτοῦ - „Und es kam [historisches Präsens: kommt] einer der Synagogenvorsteher mit Namen Jaïrus, und als er ihn sah [wörtlich: sieht], fiel [historisches Präsens: fällt] er zu seinen Füßen“). 16 Auch der Inhalt dieser beiden Verse erinnert stark an die Gerasaperikope: Jesus betritt die Szene, ein Mann geht auf ihn zu, wirft sich vor seinen Füßen 17 auf den Boden und bittet ihn eindringlich um Hilfe. Hatte aber zuvor der Besessene seinen Widersacher Jesus massiv körperlich bedrängt, indem er auf diesen zugestürzt war - hatte er diesen damit geradezu angefallen (das Motiv des „wilden Mannes“ - vgl. Mk 5,6) -, und hatte der kranke Mann dabei in apotropäischer Absicht gehandelt (vgl. Mk 5,7b -e), so nähert sich der Synagogenvorsteher nun in gemessenem Schritt (ἔρχεται - vgl. V. 22). Dadurch signalisiert die Handlung, dass ein sowohl physisch wie psychisch gesunder Mensch auf 16 e ckey 2008, 201 vermutet hinsichtlich der Verwendung der Tempora eine stilistische Angleichung der Auferweckungsgeschichte an die Heilungsgeschichte im Zuge der redaktionellen Kompilation beider Stücke. - In der Tat kann bei der Komposition der Aspekt der stilistischen Harmonisierung eine Rolle gespielt haben. Entscheidender scheint meiner Meinung nach aber der Effekt zu sein, der durch den Einsatz des praesens historicum erzielt wird: Es geht schlichtweg um die Verlebendigung der Szene (vgl. dazu die Bemerkungen im Fließtext). Das beweist auch ein Blick auf so manche andere Episode des Markusevangeliums. Das Präsens als Erzählzeit baut nämlich eine emotionale Nähe des Rezipienten gegenüber dem Text auf und erleichtert ihm dadurch die mögliche Identifikation mit den Figuren sowie die Imitation von empfehlenswertem Verhalten der Charaktere (die katechetische Absicht des Evangelisten ist evident, das bringt die Textgattung „Evangelium“ mit sich). 17 So auch G uelich 1989, 295. 178 7. Glaube und Bekenntnis Jesus zutritt. Jedoch plagt den Synagogenvorsteher die große Sorge um das Leben seiner auf den Tod erkrankten Tochter. Das langsame Gehen zeigt die Anerkenntnis der Hoheit Jesu durch den Synagogenvorsteher in positiver Weise an, so wie sie der dämonische Mann mit seinem aggressiv-abweisenden bis ambivalenten Verhalten in (zumeist) negativer Weise zum Ausdruck brachte. Dem ehrerbietenden Nahen des Synagogenvorstehers entspricht natürlich sein Kniefall: Schon diese demütige Körpersprache des Mannes ist als christologisches Bekenntnis einzustufen. 18 Er macht sich klein und nimmt die duldendempfangende Rolle ein. Die huldigende Geste zeichnet Markus wiederum mit wenigen Strichen, die typisch markinische Konjunktion „und“ versprachlicht den Zeitraffer, und die Verwendung des praesens historicum verlebendigt die Szene. 19 Ferner wird nach der politisch-sozialhistorischen Deutung, die bereits im Rahmen der vorausgegangenen Dämonenaustreibungserzählung thematisiert wurde, das Abhängigkeitsverhältnis des Untertanen gegenüber seinem Herrscher deutlich gekennzeichnet. Man erfährt im Gegensatz zur vorhergehenden Exorzismusgeschichte (vgl. Mk 5,9c -e) zudem im Vers 22 sogleich den Namen des Vorstehers: Er heißt Jaïrus 20 (vgl. V. 22b) und richtet eine flehentliche Bitte an Jesus (καὶ παρακαλεῖ 18 Vgl. auch l ohmeyer 1967, 105; G rundmann 1977, 150; k ertelGe 1994, 57; G undry 2000, 267; m oloney 2002, 106; d SchulniGG 2007, 162. 19 Vgl. zur Funktion des historischen Präsens auch P eSch 1980, 300; G undry 2000, 267. 20 Ist das ein „sprechender“ Eigenname? Im Hebräischen bedeutet „Jaïr“ (die Geschichte erwähnt nur die gräzisierte Form „Jaïros“) „Gott möge erstrahlen“, „Gott möge erleuchten“ oder „Gott möge erwecken“ (vgl. die Belege für den Namen beispielsweise in Num 32,41; Dtn 3,14; Ri 10,3-5; 1 Chr 20,5; Est 2,5: vgl. zum Ganzen prägnant etwa G rund mann 1977, 150 sowie d SchulniGG 2007, 162 und 162 Anm. 134). In der zuletzt genannten Deutung spiegelt sich die Aussageabsicht der Erzählung ersichtlich wider - sowohl als deutlicher Hinweis auf die in naher Zukunft bevorstehende Auferweckung der Tochter des Synagogenvorstehers durch Jesus als auch als dahinterstehender Verweis auf die später erfolgende Auferweckung Jesu durch JHWH (vgl. dazu die Anmerkungen im Fließtext). - Ablehnend dagegen l ohmeyer 1967, 104 Anm. 1; G undry 2000, 267; e ckey 2008, 203 (er verneint die Namenssymbolik mit der Feststellung, dass Markus für sein griechischsprechendes Publikum bei aramäischen oder hebräischen Begriffen üblicherweise entsprechende griechische Übersetzungen bzw. Erklärungen biete, was an dieser Stelle aber auffallend unterbleibe); G nilka 2010 I, 211 und 211 Anm. 12. - Eine symbolische Deutung vertreten ausdrücklich auch P eSch 1970b, [252-256] 255; P eSch 1980, 299 f.; S chmithalS 1986, 284; G uelich 1989, 295; m arcuS 2000, 356; d SchulniGG 2007, 162. - G rundmann 1977, 150 dagegen lässt den Sachverhalt ganz offen. - Wenn man allerdings den mehrstufigen Traditions- und Redaktionsprozess der Erzählung mitbedenkt, so ist es gut möglich, dass der markante Name bereits in der Urfassung des Erzählstückes erschien, um den tieferen Sinn der Geschichte anklingen zu lassen. Markus hätte dann den Eigennamen übernommen, ohne ihn jedoch durch eine griechische Übersetzung zu erläutern. Ihm war womöglich weniger an dem Symbolnamen und dafür mehr an der Komposition der Doppelperikope mit der Klimax als formalem Darstellungsmittel gelegen (vgl. die Ausführungen 7.2. Jesus und die Tochter des Jaïrus (vgl. Mk 5,21 - 24. 35 - 43) 179 αὐτὸν πολλὰ λέγων ὅτι - „[…]; und er bittet ihn sehr, indem er sagt: […]“ - vgl. V. 23a): Wie in der Besessenenepisode fällt der Begriff „bitten“ (vgl. dort Mk 5,12a. 17), der aber durch das Adverb „sehr“ präzisiert wird. Dass es sich bei dem hilfesuchenden Mann um einen Vertreter der religiös und politisch einflussreichen Schicht des Judentums handelt, ist als bewusstes Gegenbeispiel zur Beelzebulszene Mk 3,22-30 zu werten: Die Fronten sind noch nicht so verhärtet, wie sie es später sein werden. Zunächst gibt es also Gegner wie Befürworter Jesu in weiten Teilen des Volkes wie auch in einigen Teilen der Elite. 21 Die von Jaïrus vorgetragene höfliche Bitte verleiht seiner Hochschätzung Jesus gegenüber Ausdruck. 22 Damit markiert die Erzählung ein Herrschaftsgefälle zwischen Jesus und Jaïrus. Das Herrschaftsmotiv, das auch schon die Besessenenepisode kennzeichnet, scheint deutlich auf. Der adverbiale Zusatz „sehr“ charakterisiert die Bitte als eindringlichen Wunsch des Hinzugekommenen und lässt den Leser und Hörer der Szene aufhorchen. Es muss sich offenbar um ein im wahrsten Sinne des Wortes „lebenswichtiges“ Anliegen handeln - ein Eindruck, der sich kurze Zeit später bewahrheiten wird. Vordergründig gesehen lässt sich die dringliche, aber freundlich und explizit formulierte Bitte des Synagogenvorstehers mit der aufdringlichen, unfreundlichen und implizit vorgetragenen Bitte des Besessenen nur schwer vergleichen. Doch beide Männer verbindet ihre verzweifelte, existentielle Notlage, die sie dazu bringt, die Initiative zu ergreifen und mit Jesus Kontakt aufzunehmen. Das dem Prädikat παρακαλεῖ angehängte Partizip Präsens λέγων lehnt sich an die bekannte alttestamentliche, feierlich klingende Redeeinleitung an. Damit verleiht der Erzähler der nun folgenden Szene eine heilsgeschichtliche Prägung. Genauer gesagt geht es um die Epiphanie göttlichen Erlösungshandelns, die jetzt - wie es Jaïrus in seiner ganzen Haltung repräsentiert - in Jesus messianisch gedeutet wird. Auch an dieser Stelle gibt es eine bewusste Verbindung der theologisch-soteriologischen mit der christologisch-soteriologischen Komponente des eschatologischen Geschehens. Dieser Eindruck verfestigt sich, wenn man sich die Bitte des Synagogenvorstehers nun genau ansieht: Sie ist als analoge Aussage zu den Äußerungen des dazu weiter unten im Haupttext), da sie dem Leser oder Zuhörer bereits auf den ersten Blick die Aussageabsicht der Vollmacht Jesu überzeugend vermittelt. Inhaltlich gesehen steht ferner nicht die Totenerweckung an sich im Mittelpunkt der Erzählung, sondern der Glaubensaspekt, um ein bloß magisches Missverständnis zu verhindern: Der Evangelist zeichnet den Jaïrus deutlich als Prototypen des fest an Jesus als den Christus Glaubenden, selbst über den Tod seines geliebten, wohl einzigen (? ) Kindes hinaus: vgl. so zu Recht auch S chmithalS 1986, 285. 21 Vgl. auch m arcuS 2000, 365; S chenke 2005, 148. 22 Vgl. ebenfalls l ohmeyer 1967, 105; l entzen -d eiS 1998, 121 f.; d SchulniGG 2007, 162. 180 7. Glaube und Bekenntnis dämonischen Mannes in Mk 5,7 sowie in Mk 5,10. 12 zu werten. Der Erzähler leitet das Anliegen des Mannes mit dem ὅτι recitativum ein, das als Doppelpunkt für die nachstehende wörtliche Rede fungiert: τὸ θυγάτριόν μου ἐσχάτως ἔχει͵ ἵνα ἐλθὼν ἐπιθῇς τᾶς χεῖρας αὐτῇ ἵνα σωθῇ καὶ ζήσῇ („Mein Töchterchen liegt in den letzten Zügen; komm, lege ihr die Hände auf, damit sie gerettet wird und lebt.“ - vgl. V. 23a). Das Adverb ἐσχάτως vergegenwärtigt die aufrüttelnde Botschaft, dass das Leben des Mädchens auf Messers Schneide steht. Die Konvergenzen der Jaïrusgeschichte zur Erzählung über den besessenen Mann sind unverkennbar: In beiden Fällen stellen Krankheiten den Grund für die aussichtslos scheinende Lage beider Männer dar - im ersten Fall eine psychische, im zweiten Fall eine physische Erkrankung -, und beide Male geht es um Leben und Tod. 23 Dass Markus eine Totenerweckungserzählung über ein kleines Mädchen 24 für sein Evangelium auswählt - somit das Eltern-Kind-Verhältnis mit seiner naturgemäß besonders engen (Liebes-) Bindung aufgreift -, und es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um das einzige Kind des Synagogenvorstehers handelt - ein Hinweis auf weitere Kinder unterbliebt -, lässt die tragische Situation für den Hörer oder Leser der Episode besonders deutlich zu Tage treten. Es ist eine dem Hörer und Leser wirklich zu Herzen gehende Geschichte! Die zwei mit ἵνα konstruierten finalen Nebensätze (vgl. V. 23b) bringen die Bitte des Mannes zur Sprache, wobei die Aneinanderreihung dieser Sätze den Sinn intensiviert. Besonders aufschlussreich ist der letzte Finalsatz, dessen Aussageabsicht mittels der semiotischen Perspektive pointiert dargestellt werden kann, denn es soll eine Wesensaussage über Gott und Jesus getroffen werden: Die Verbformen von σῴζω und ζήω sind als Schlüsselbegriffe des Verses 23 anzusehen. Beide Prädikate bezeichnen primär denselben Vorgang des „Lebens“ bzw. des „Am-Leben-Bleibens“, sekundär weisen sie jedoch mit „retten“ und „(weiter-) leben“ eine leicht verschobene Semantik auf. Die Terminologie lässt - analog zur Erzählung über die Dämonenaustreibung - zwei Deutungsrichtungen als Sinnstruktur zu, die aufeinander bezogen sind und wie auf einer vertikalen Achse angeordnet wirken: die konkrete und die abstrakte Sinnebene: Mit „retten“ und „leben“ paraphrasiert der Erzähler sowohl die medizinisch-körperliche Heilung als direkte Auswirkung (konkrete Sinnebene) als auch das religiös-seelische Heil 23 Vgl. zur Gestik und Bitte des Synagogenvorstehers summarisch ebenfalls G nilka 2010 I, 214. - Vgl. ebenso G rundmann 1977, 150, der auf die antike Vergeltungstheorie aufmerksam macht, die als Verständnishintergrund sicherlich auch eine Rolle spielt. 24 Vgl. die in der diminutiven Form τὸ θυγάτριον (verstärkt durch das Possessivpronomen μου) - vgl. V. 23a - ausgedrückte zärtliche Zuneigung des Vaters zu seiner Tochter! 7.2. Jesus und die Tochter des Jaïrus (vgl. Mk 5,21 - 24. 35 - 43) 181 als indirekte Folge (abstrakte Sinnebene). 25 Die Handlung des Erzählstückes spricht zwar nur von der körperlichen Gesundung des Mädchens, es ist aber durch den weiteren Kontext der vorausgehenden Perikopen des Evangeliums evident, dass sich dieser vollkommen außergewöhnliche Vorgang für eine tiefere Bedeutung öffnet - nämlich für die Bestimmung des Handelns Jesu als endzeitlichem Heilshandeln. 26 Dieses ist durch die Vollmacht Jesu als Sohn und Bote Gottes legitimiert. Die in der Erwartung des Synagogenvorstehers zum Ausdruck kommende bestimmte Hoffnung auf die in der irdischen Zeit erfolgende Heilung für seine Tochter erweitert sich für den Leser und Hörer der Perikope zur allgemeinen Hoffnung auf das die irdischen Zeiten überdauernde Heil für den Menschen. 27 Die individuelle Hoffnung soll somit universell interpretiert werden. Der epiphane Charakter des Stückes wird mit dieser zweiten, theologisch-abstrakten Sinnebene greifbar, die wie in der Austreibungsgeschichte Mk 5,1-20 die explizite katechetische Intention des Evangelisten offenlegt. In der flehentlichen Bitte des Mannes kommt ein christologisches Bekenntnis zum Ausdruck. Die beiden Begriffe „retten“ und „leben“ erschließen die heilsame Hinwendung Jesu zum Menschen als lebensspendende Zuwendung Gottes zu seiner Schöpfung. Allerdings sollte man noch einmal den bereits herausgearbeiteten feinen semantischen Unterschied in Betracht ziehen, so dass sich das erste Lexem („retten“, „erlösen“) auf das Handeln des Gottessohnes bezieht, während mit dem zweiten das Tun Gottes („leben“) bezeichnet ist. Die auffällige Tatsache, dass beide Ausdrücke aber zusammen angeführt werden, veranschaulicht die Erzählintention, die jesuanische mit der göttlichen Wirkungsweise zu einem gemeinsamen Heilsakt zu verbinden. Das Heilshandeln Jesu Christi zielt also auf das Schöpferhandeln Gottes ab. Jesus ist als Sohn Gottes und als Messias der Stellvertreter Gottes. Wie der Name besagt, handelt der Stellvertreter stets im Auftrag und damit „anstelle“ eines anderen: Der Erzähler gestaltet in dieser Perikope seine Jesusfigur ein weiteres Mal deutlich als Repräsentanten göttlicher Wirkmacht , der nach dem Wunsch des besorgten Vaters durch das Auflegen der Hände seine heilende Kraft auf das todkranke Kind übertragen soll. 28 Resümierend gesprochen: Geschildert wird die Offenbarung der Herrschaft Jesu wie der Herrschaft Gottes; zur Darstellung kommt also erneut die Epiphanie der Vollmacht Jesu und der Vollmacht oder Allmacht Gottes . Die doppelte semantische Verweisungsstruktur zwischen Vater-Gott und Sohn Gottes wird transparent. Theophanie und Christophanie stehen somit in einer sich wechselseitig erläuternden Beziehung - in Komplementarität - zu- 25 Zur Semantik des Begriffes „retten“ (bzw. „leben“) vgl. G uelich 1989, 296; m arcuS 2000, 356 f. 356 f.; k ahl 2013, [278-293] 289. - Vgl. auch k laiber 2015, 111. 26 Vgl. ebenso S chmithalS 1986, 285; e rnSt 1981, 161; G undry 2000, 268. 27 So auch richtig gesehen von c ollinS 2007, 279. 28 Vgl. zur Handauflegung P eSch 1980, 300 (mit weiteren Belegstellen). 182 7. Glaube und Bekenntnis einander. Diese spezifische Relationalität lässt sich als „horizontale Sinnebene“ bestimmen. Die skizzierte Deutung beschreibt die tiefgreifende und umfassend heilende Verwandlung menschlichen Seins, die in der Begegnung des Menschen mit Jesus erfolgt. Dieser Sinnzusammenhang kann mit dem dynamischen Element der semiotischen Perspektive besonders anschaulich und zutreffend aufgezeigt werden: Das lebensstiftende, schöpferische Wirken wird expressis verbis mit zwei nahezu semantisch isotopen Verben („leben“ bzw. „retten“ und „leben“ bzw. „[weiter-] leben“) definiert und durch die doppelte Verwendung dieser Termini akzentuiert. Das fünfte Kapitel ist somit als sehr gelungen zu bezeichnen, denn die Komposition weist einen Spannungsbogen auf, der eine deutliche Klimax enthält: Die heilsgeschichtliche Bedeutung des jesuanischen Handelns steigert sich von der Geschichte der Dämonenaustreibung (vgl. Mk 5,1-20) über die Erzählung um die blutflüssige Frau (vgl. Mk 5,25-34) bis zur Schilderung der Totenerweckung der Tochter des Synagogenvorstehers (vgl. Mk 5,21-24. 35-43). Die Auferweckungsgeschichte hat als Gipfel- und Endpunkt des Kapitels zu gelten und zeigt damit die thematische Einheit der drei Erzählstücke auf. 29 Der Evangelist Markus gestaltet in diesem Kapitel eine offenbarungs- und schöpfungstheologische sowie christologisch-heilsgeschichtliche Überbietungserzählung, 30 in der Jesus dezidiert als Herr des Lebens profiliert wird. Der Wunderrabbi kann nicht nur Kranke von ihren Dämonen und von ihren sonstigen Leiden befreien, sondern er kann sogar - wie die weitere Handlung der Doppelperikope zeigen wird - im wahrsten Sinne des Wortes Tote ins Leben „zurückrufen“ (vgl. Mk 5,41). Das ist eine die menschlichen Fähigkeiten absolut übertreffende Kraft, denn im Angesicht des Todes muss jegliche menschliche Hilfe versagen. Allein Gott als Schöpfer und daher als Herr über das Leben - und den Tod - vermag ein solches Wunder zu vollbringen. Wenn diese Schöpfermacht nun auch für diesen Jesus von Nazaret zu gelten hat, dann liegt der Beweis seiner Gottessohnschaft - seiner Vollmacht -, 29 Vgl. ebenso S chmithalS 1986, 284; k ertelGe 1994, 57; d SchulniGG 2007, 161; l ohSe 2015, 93. 96. 97. - v an i erSel 1993, 146 f. ist sich hingegen unsicher. 30 Verfehlt ist es daher, die Jaïrusgeschichte lediglich als eine durch das Auferweckungsmotiv ausgestaltete Wunderheilungserzählung einzustufen (das meint prononciert etwa P eSch 1980, 296. 310 f. 313, der damit zugleich das Überbietungsmotiv erklärt - vgl. ebd. 298. 306. 310. 313; vgl. dazu aus neuerer Zeit auch die Entstehungshypothese von F iSchbach 1992, 190-197). - Zum Überbietungsmotiv, das durch das Darstellungsmittel der Klimax erzeugt wird: vgl. auch k ertelGe 1970, 112 (Kontext von Mk 4,35-5,20). 113 (Klimax); S chmithalS 1986, 286; G uelich 1989, 293 f. (Kontext von Mk 4,35-5,20); m arcuS 2000, 363; G nilka 2010 I, 212. - Neben dem formalen Moment der Komposition (Überbietungsgeschichte) kann auch das materiale Moment der Konzeption (Offenbarungs- und Schöpfungsgeschichte) ins Feld geführt werden, da in der Episode von Anfang an (vgl. V. 23! ) davon die Rede ist, dass das Mädchen im Sterben liegt. - So auch richtig erkannt von e rnSt 1981, 161. 7.2. Jesus und die Tochter des Jaïrus (vgl. Mk 5,21 - 24. 35 - 43) 183 die ihm von Gott zugeeignet sein muss, nahe: Jesus ist Schöpfer wie Gott selbst. In dem Ausspruch des Jaïrus verbirgt sich somit der messianische Anspruch Jesu , der die Menschen zur Stellungnahme herausfordert: Die Messianität Jesu mag zwar für den Synagogenvorsteher außer Frage stehen, für die übrigen Zeitgenossen Jesu gilt das jedoch nicht uneingeschränkt: Ist Jesu kühner Selbstanspruch also die reine Wahrheit oder eine dreiste Lüge? Ist der Messianitätsanspruch angemessen oder anmaßend und damit gotteslästerlich? Die mit der semiotischen Kategorie des Dingaspektes oder Wesensmomentes gegebene theologische Dichotomie von „Tod und Leben“ wird so mit sprachlichen Mitteln prononciert umgesetzt. In der Bitte um Heilung bekundet sich das große Vertrauen des Jaïrus in die Vollmacht Jesu. 31 Der Text beglaubigt in der Wiederbelebung der Tochter des Synagogenvorstehers die Botschaft von der Gewähr ewigen Lebens. Die Episode ist - etwa neben der Verklärungsszene (vgl. Mk 9,2-10) und vor allem der Auferstehungsszene (vgl. Mk 16,1-8), die sie antizipiert, - ein wesentliches Erzählstück, bei dem die grundlegende Bedeutung der Königsherrschaft Gottes ausführlich zur Sprache kommt . Markus bietet zu diesem frühen Zeitpunkt des Evangeliums ein Schlaglicht auf die am Ende vollständig enthüllte Wahrheit jesuanischen Wesens und göttlichen Willens. V. 24 Lakonisch wird im Anschluss erzählt, wie Jesus die Bitte erfüllt, indem er dem besorgten Familienvater folgt (vgl. V. 24a: καὶ ἀπῆλθεν μετ' αὐτοῦ - „Und er ging mit ihm“). Eine große Gruppe von Menschen begleitet die beiden (καὶ ἠκολούθει αὐτῷ ὄχλος πολὺς καὶ συνέθλιβον αὐτόν - vgl. V. 24b: „Und es begleitete ihn eine große Menge, und sie umdrängten ihn“). 32 Markus nutzt wieder das erzählerische Mittel des Zeitraffers. Das Mitgehen Jesu ist die sprachliche Verbildlichung der Zuwendung Gottes gegenüber dem hilfs- und heilsbedürftigen Menschen. Das Erzählelement greift damit auf den zentralen Gedanken der Gottessohnschaft aus den beiden vorigen Versen zurück und leitet zum Heilungswunder über. Es folgt aber ab Vers 25 ein Einschub, der bis zum Vers 34 einschließlich reicht: Der Evangelist erzählt darin von einer Frau, die an einer chronischen Blutung leidet und sich von Jesus Heilung verspricht. Die Handlung über das sterbende Mädchen setzt sich in den Versen 35-43 fort. Durch die Unterbrechung erzeugt Markus ein retardierendes Moment und baut in seiner Erzählung gezielt Spannung auf. 33 31 So zu Recht auch e rnSt 1981, 161. 32 Vgl. ebenso G undry 2000, 268. 33 Vgl. auch e ckey 2008, 200; G undry 2000, 268. 184 7. Glaube und Bekenntnis V. 35 Genauso wie der Vers 24 bilden die Verse 35-38 eine Überleitung, die den Schauplatzwechsel thematisiert: Jesus will sich mit Jaïrus auf den Weg zu dessen Haus machen und wird dabei von einer Menschenmenge begleitet - ein Rückgriff auf die Situationsbeschreibung im Einleitungsvers Mk 5,21b. Es kommt zu einer Verzögerung des ursprünglichen Ereignisablaufes, die durch das Heilungswunder an der blutenden Frau verursacht wird. Die Handlung endet dort mit dem Hinweis Jesu auf den Glauben der Geheilten (vgl. V. 34). 34 Nach dieser Binnenerzählung wird nun die Jaïrusgeschichte fortgesetzt. Die an die genesene Frau gewandten, lobenden Worte Jesu werden unterbrochen durch die Ankunft der Boten aus dem Haus des Synagogenvorstehers, die dem Vater vom Tod seiner Tochter berichten (Ἔτι αὐτοῦ λαλοῦντος ἔρχονται ἀπὸ τοῦ ἀρχισυναγώγου λέγοντες ὅτι ἡ θυγάτηρ σου ἀπέθανεν· τί ἔτι σκύλλεις τὸν διδάσκαλον; ) („Während er noch sprach, kamen [historisches Präsens: kommen] welche vom Synagogenvorsteher [und] sagten [historisches Präsens: sagen]: ‚Deine Tochter ist gestorben. Was belästigst du den Lehrer noch? ‘“ - vgl. V. 35a. b). Die Verwendung der Präsensformen lässt das Geschehen wieder besonders eindrücklich werden. Die ehrenvolle Bezeichnung διδάσκαλος, die die Abgesandten aus dem Haus des Synagogenvorstehers verwenden, zeigt, dass die hohe Meinung über Jesus auch von der Hausgemeinschaft des Jaïrus geteilt wird. Daraus spricht die deutliche Anerkenntnis der ἐξουσία Jesu. Der Tod des Mädchens ist nun eingetreten (vgl. V. 35), und die Befürchtung des Vaters (und des Lesers bzw. Hörers) hat sich bewahrheitet. Wenn man den semiotischen Zusammenhang betrachtet, ist mit der Mitteilung der Boten - nach der Bitte des Synagogenvorstehers aus den Versen 22 und 23 - von Neuem der Dingaspekt angedeutet: Expressis verbis zeigt sich in der Handlung nämlich die binäre Formulierung „Tod und Leben“, die als korrespondierende theologische Interpretation zur semiotischen Funktion des Dynamischen bzw. zur semiotischen Kategorie des Dingmomentes fungiert. Die Verse 22-23 und 35 verbinden sich zu einer Sinneinheit, mit der auf die lebensstiftende und lebenserhaltende Kraft Jesu angespielt wird, aus der seine göttlich-geistige Vollmacht besteht. Es ist der dynamische Aspekt im semiotischen Konzept gemeint. V. 36 Bezeichnenderweise steht nach dieser niederschmetternden Nachricht nun nicht der Vater des verstorbenen Kindes mit seiner Bestürzung und Trauer im Zentrum der Betrachtung, wie man es erwartet, sondern der Erzähler wendet sich gleich Jesus zu. Er allein nimmt den aktiven Part im weiteren Gang der 34 Vgl. ebenso G uttenberGer 2017, 129. 7.2. Jesus und die Tochter des Jaïrus (vgl. Mk 5,21 - 24. 35 - 43) 185 Erzählung ein. Dieses Faktum verdeutlicht einmal mehr die markinische Konzeption, sich auf die Darstellung des Gottessohnes - auf die Schilderung der Erscheinung des Messias - zu konzentrieren. Jesus Christus ist neben Gott selbst der wichtigste Protagonist des Evangeliums, da er anstelle Gottes für diesen auf- und eintritt: ὁ δὲ Ἰησοῦς παρακούσας τὸν λόγον λαλούμενον λέγει τῷ ἀρχισυναγώγῳ· μὴ φοβοῦ͵ μόνον πίστευε („Jesus aber, der die vorgebrachte Rede angehört 35 hatte, sagte [historisches Präsens: sagt] zum Synagogenvorsteher: ‚Fürchte dich nicht, glaube nur! ‘“): Gegen alle Widerstände setzt sich Jesus und mit ihm der Zuspruch von Heilung und Heil durch: 36 „In der letzten Ausweglosigkeit zeigt sich die Wirkkraft des Glaubens.“ 37 Die Adversativpartikel „aber“ (δέ - vgl. V. 36a) bringt den Einwand Jesu bereits in der Redeeinleitung markant zur Geltung. 38 Hier setzt der Verfasser des Evangeliums einen überraschenden Wendepunkt in der Geschichte. Wie bei der kranken Frau spricht Jesus den Glauben des Mannes an. 39 Ist es im Zusammenhang mit der Wundertat an der blutflüssigen Frau so, dass die Hoffnung auf Genesung den Glauben an die Vollmacht des Wundertäters implizit voraussetzt (vgl. Mk 5,27 f. 33), so dass Jesus diesen Glauben explizit macht, indem er ihn öf- 35 Möglich ist auch die Übersetzung mit „überhören“. Dann wäre für den Leser und Hörer schon an dieser Stelle klar, was Jesus über die Sache denkt: Für ihn hat sich die Situation des Mädchens keinesfalls verändert, denn das Kind ist aus seiner Sicht nur scheinbar tot, wie man es einige Zeit später auch explizit erfahren wird (vgl. V. 39). - Man kann aber das Partizip παρακούσας genauso gut als „anhören“ übersetzen, um die Botenszene in ihrer retardierenden Funktion zu betonen und um damit den Kontrast zur folgenden Jesusrede herauszustellen, so dass sich die Spannung in der Erzählung erhöht. - Vgl. dazu auch P eSch 1980, 306 f.; e rnSt 1981, 164; G undry 2000, 272; m arcuS 2000, 362 (er entscheidet sich für die Variante „überhören“); e ckey 2008, 210. 36 Zu den das retardierende Moment der Totenerweckungsgeschichte konstituierenden Elementen gehören vor allem die um Genesung suchende kranke Frau, die Boten mit der Todesnachricht sowie die Trauergemeinde im Haus des Jaïrus: vgl. dazu auch l ohmeyer 1967, 101. 105; G rundmann 1977, 148. 150; S chmithalS 1986, 284 f.; G uelich 1989, 293. 300. 302; G nilka 2010 I, 216; k ahl 2013, [278-293] 281. - Vgl. zur Zeitstruktur der Doppelperikope ebenso S chenke 2005, 145 f. 37 Vgl. l entzen -d eiS 1998, 126. - Ähnlich interpretiert auch S chmithalS 1986, 286 die Szene. 38 Die Adversativpartikel unterbricht den bei Markus sonst üblichen mit καί angefügten Strom der Handlung. Das gilt sowohl für die Jaïruswie für die Blutflüssigengeschichte: vgl. zur Stilistik zutreffend auch P eSch 1980, 304; G undry 2000, 271. 272; d SchulniGG 2007, 163. 165. 39 Vgl. zum Glaubensapekt ebenso e bner 2012, 62 f. - Prägnant umreißt l entzen -d eiS 1998, 121 den Sinnzusammenhang von „Glaube“ und „Rettung“: „In V. 36 wird der Glaube erneut hervorgehoben. Auf diese Weise wird die Botschaft entfaltet, daß [sic! ] Jesus sich um die sorgt, die sich voll Vertrauen öffnen und dem Glauben Raum geben. Dann kann er Befreier aus Krankheit und Tod sein.“ 186 7. Glaube und Bekenntnis fentlich herausstellt (vgl. Mk 5,34), 40 so geschieht dieser Handlungsverlauf auch hier. Das Vertrauen des Jaïrus in die göttliche Wesenheit Jesu bestärkt dieser mit der knappen, aber umso gehaltvolleren feierlichen Wendung: μὴ φοβοῦ͵ μόνον πίστευε - „Fürchte dich nicht, glaube nur! “ Das ist eine positive, bestärkende Äußerung, 41 die auf den Glauben bezogen ist, den Jaïrus mit seiner Gestik und seiner eindringlichen Bitte bereits deutlich unter Beweis gestellt hat. 42 In dieser Aussage kommt der semiotische Bedeutungsaspekt zum Vorschein: Das prägnante Logion Jesu repräsentiert die Schlüsselaussage des Textstückes. Der Ausspruch lässt sich in zwei imperativische Sätze aufteilen, die zwei aufeinander bezogene Sinneinheiten ergeben - zum einen die Aufforderung: „Fürchte dich nicht! “ und zum anderen den Hinweis: „Glaube nur! “. Der Appell an den Mann zur „Furchtlosigkeit“ bestimmt das bevorstehende Ereignis der Totenauferweckung als numinoses Geschehen und verdeutlicht damit seine epiphane Qualität . Wer sich den Schrecken der Gerasener Bürger und der Schweinehirten angesichts der großartigen Bannung der Dämonen in die Schweineherde in Erinnerung ruft (vgl. Mk 5,14-17), kann die Bemerkung Jesu verstehen. Jesus will verhindern, dass der Vater von der Trauer über den Tod seiner kleinen Tochter übermannt wird, so dass dadurch das anfänglich in Jesus gesetzte feste Vertrauen erschüttert wird („Fürchte dich nicht! “). Damit verwoben ist aber die Ermunterung zum Glauben: Beständigkeit im Glauben in äußerster Not ist das Gebot der Stunde. Der Synagogenvorsteher soll - metaphorisch gesprochen - nicht „blind vor Trauer werden“, sondern er soll weiterhin „klar sehen können“. Blinde Furcht vor dem Göttlichen wie das zitierte Gegenbeispiel aus der Gerasaperikope soll den Mann ebenso nicht ergreifen, vielmehr soll er die lebensspendende Macht Jesu erkennen - deswegen: „Glaube nur! “ 43 Zudem kann das Vorbild der ausschließlich auf Jesu Vollmacht vertrauenden, blutflüssigen Frau den Glauben des Jaïrus bestärken. 44 Diese den Glauben ausmachende Erkenntnis liegt in der Erfahrung der Allmacht Gottes. Der Inbegriff göttlicher Allmacht besteht in seiner alle menschliche Macht übersteigenden Fähigkeit, etwas ins Leben zu rufen und somit auch Totes wieder lebendig werden zu lassen. Diese Kraft ist auf Jesus übergegangen und erweist sich 40 So richtig gesehen auch von l entzen -d eiS 1998, 122 und von S chenke 2005, 150. 41 Vgl. ebenfalls P eSch 1980, 307; k ertelGe 1994, 57. 59; m arcuS 2000, 362; c ollinS 2007, 284 f.; k laiber 2015, 113. 42 So urteilt zu Recht auch S chenke 2005, 151. 43 Vgl. zur Glaubensthematik ebenfalls l entzen -d eiS 1998, 126. 127 f.: Er spricht von einer durch Jesus unterstützten Glaubensprobe des Jaïrus (126. 128). - So sehen es übereinstimmend auch P eSch 1980, 307; e rnSt 1981, 164; G undry 2000, 273; m arcuS 2000, 370; k ollmann 2004, [121-141] 130; d SchulniGG 2007, 164 und G uttenberGer 2017, 129. 44 Vgl. G rundmann 1977, 152; S chWeizer 1978, 61; e rnSt 1981, 164; G undry 2000, 272 f. 7.2. Jesus und die Tochter des Jaïrus (vgl. Mk 5,21 - 24. 35 - 43) 187 nun in der folgenden Wundertat. 45 Hierbei artikuliert der Evangelist die menschliche Hoffnung auf ein Leben über den Tod hinaus, denn in einer Situation, in der keine Rettung möglich ist, verspricht Jesus, der für Gott handelt, dennoch rettend einzugreifen. Das philosophisch-semiotische Bedeutungsmoment findet sich in der ihm zugeordneten theologischen Interpretation der Dichotomie von „Vollmacht und Glaube“ unverkennbar wieder. Damit wird ein ontologisches Urteil über die Göttlichkeit des Gottessohnes gefällt: Der Aspekt der Vollmacht, wie er im Aufruf zur Furchtlosigkeit implizit besteht, verbindet sich mit dem Aspekt des Glaubens, den die Jesusfigur explizit benennt. Die knappen Worte Jesu in dieser Szene finden ihr Pendant in den ebenso kurzen Worten des Deuteengels in der Grabgeschichte Mk 16,6b: μὴ ἐκθαμβεῖσθε („Erschreckt euch nicht! “). Dass Jesus die Rolle des Agierenden übernimmt und zum Glauben auffordert, veranschaulicht seinen außergewöhnlichen und hohen Anspruch auf Vollmacht. Die Aufforderung, keine Angst zu haben, erweist Jesus als den Christus. Die Szene stellt eine Christophanie dar. 46 Die Transzendenz Gottes wird mit seiner Immanenz in der Gestalt Jesu vereint. Man kann hier erneut den offenbarungstheologischen wie schöpfungstheologischen Zusammenhang geltend machen. Eine philosophisch-semiotisch orientierte Analyse und Interpretation kann diese Thematik besonders anschaulich und somit einsichtig herausarbeiten. Die Bestätigung der ἐξουσία Jesu geschieht in der vertrauensvollen - also gläubigen - Annahme durch den Menschen. Indem der Erzähler seine Jesusgestalt den Glaubensaspekt an dieser Stelle ein zweites Mal - 45 Vgl. dazu auch S chenke 2005, 148 (Kommentar zur Passage Mk 5,21-24). - Vgl. ebenso k ertelGe 1994, 59. 46 Den Offenbarungscharakter der Aufforderung „Glaube nur! “ verneinen P eSch 1980, 307 und e rnSt 1981, 164. - G uelich 1989, 300 f. in Verbindung mit 304 weist ein epiphanes Verständnis der Szene ebenfalls zurück, vor allem mit dem Argument der theologischen Differenz zwischen der Wiederbelebung des Kindes einerseits und der Auferweckung Jesu sowie der damit verbundenen Auferweckungshoffnung der Christen andererseits. - Der Gegensatz wirkt jedoch zu konstruiert. Es stimmt zwar, dass dem Mädchen nur das irdische Leben wiedergegeben wurde, und sie deshalb erneut sterben wird. Dennoch kann der Evangelist die Erfahrung der Lebensmacht Gottes in der Darstellung einer Totenerweckung besonders wirkungsvoll veranschaulichen. Somit erscheint die Erweckung der Tochter des Jaïrus als das vorläufige und andeutende, aber unverkennbare Zeichen ( „Verheißungszeichen“ ) für das dieses Wunder übersteigende, endgültige und ausdeutende Zeichen („Erfüllungszeichen“) der Auferweckung Jesu am Ostertag, an das sich die Auferweckungshoffnung der Christen knüpft. - Vgl. dazu auch die Ausführungen weiter unten im Fließtext. - Abgesehen von diesem materialen Aspekt sollte noch der formale Aspekt beachtet werden: Es ist schon auffällig, dass Markus sowohl für die Darstellung der Totenerweckung der Tochter des Jaïrus wie für die Schilderung der Auferweckung Jesu das gleiche Vokabular verwendet! - Vgl. zur Kritik an dem Einwand gegen den epiphanen Charakter der Szene auch m arcuS 2000, 372 f. - Dagegen betont G nilka 2010 I, 217 die epiphane Dimension der Episode. Ähnlich urteilen auch l ohmeyer 1967, 105 f.; G rundmann 1977, 152 und e ckey 2008, 211 (mit entsprechenden neutestamentlichen Quellenverweisen). 188 7. Glaube und Bekenntnis nach dem narrativen Einschub der Blutflüssigenszene (vgl. V. 34) - vorbringen lässt, betont er die Bedeutsamkeit dieses Themas für die gesamte Schrift. Das einzig angemessene Verhalten gegenüber der in der Episode eröffneten Göttlichkeit Jesu besteht im Glauben, den auch der Leser oder Hörer des Evangeliums teilen soll. VV. 37. 38 καὶ οὐκ ἀφῆκεν οὐδένα μετ' αὐτοῦ συνακολουθῆσαι εἰ μὴ τὸν Πέτρον καὶ Ἰάκωβον καὶ Ἰωάννην τὸν ἀδελφὸν Ἰακώβου (vgl. V. 37). καὶ ἔρχονται εἰς τὸν οἶκον τοῦ ἀρχισυναγώγου (vgl. V. 38a), καὶ θεωρεῖ θόρυβον καὶ κλαίοντας καὶ ἀλαλάζοντας πολλά͵ […] (vgl. V. 38b). - „Und er ließ niemanden ihn begleiten außer Petrus und Jakobus und Johannes, den Bruder des Jakobus, und sie gelangten [historisches Präsens: gelangen] zum Haus des Synagogenvorstehers; und er sah [praesens historicum: sieht] das Getümmel und Weinen und lautes Schreien.“ Jesus begibt sich nun mit Petrus, Jakobus und Johannes zum Wohnhaus des Jaїrus und trifft dort auf die Trauergemeinde: Die Tatsache, dass Jesus die ihm besonders vertrauten, namentlich genannten Jünger um sich schart (vgl. Mk 1,16-20; 3,16 f.; 9,2; 14,33) - als Abgrenzung zu den verständnislos murrenden, namenlos bleibenden übrigen Jünger von vorhin -, deutet den Stellenwert des folgenden Geschehens an. 47 Der Erzähler nimmt den Leser und Hörer in die Szene hinein und zeigt die große Bestürzung der Hausgemeinschaft über den Tod des Mädchens. Man hält bereits die im altorientalischen Raum übliche öffentlich-rituelle Totenklage mit Klageweibern und Flötenspielern. Damit verdeutlicht der Erzähler nochmals, dass nach menschlichem Ermessen der Zeitpunkt vertan ist, dem sterbenden Kind noch helfen zu können. Bereits in den niedergeschlagenen Worten der Boten (vgl. V. 35a. b) wurde diese unumstößliche Tatsache ersichtlich, und sie wird im verständnislosen Gelächter der Trauergemeinde (vgl. V. 40a) auf Jesu überraschende Bemerkung (vgl. V. 39b. c) noch einmal deutlich werden. Gerade in der Gegenüberstellung der aussichtslos scheinenden Situation des Mädchens einerseits mit dem im bestärkenden Ausruf: „Fürchte dich nicht, glaube nur! “ angedeuteten Eingreifen Jesu andererseits erfährt der Glaubensaspekt eine besondere Profilierung: Vertraut Jaїrus zu Recht auf den geheimnisvollen Wundertäter Jesus? Kann Jesus auch in diesem Fall noch helfen? An dieser Extremsituation soll die Vollmacht des Gottessohnes erneut bewiesen werden, diesmal jedoch mit der denkbar größten Resonanz bei den Zeugen des Wunders (vgl. V. 42c). 47 Vgl. so zu Recht auch e rnSt 1981, 164; l entzen -d eiS 1998, 126 f.; m arcuS 2000, 370 f.; d SchulniGG 2007, 164; e ckey 2008, 211 (zu V. 37); G nilka 2010 I, 217; ähnlich l imbeck 2014, 304. - Vgl. P eSch 1980, 307. 314 (Sicherung der Apostolizität der Überlieferung durch die Auswahl der drei Jünger. - Vgl. ähnlich F iSchbach 1992, 194. 197). 7.2. Jesus und die Tochter des Jaïrus (vgl. Mk 5,21 - 24. 35 - 43) 189 VV. 39. 40 Die Ermutigung, die er zuvor dem trauernden Vater gegeben hat, spricht Jesus jetzt den Angehörigen des Haushaltes des Synagogenvorstehers zu, als er das Haus betritt: καὶ εἰσελθὼν λέγει αὐτοῖς· τί θορυβεῖσθε καὶ κλαίετε; τὸ παιδίον οὐκ ἀπέθανεν ἀλλὰ καθεύδει (vgl. V. 39a -c). „Und nachdem er eingetreten war, sprach [historisches Präsens: spricht] er zu ihnen: ‚Warum jammert und weint ihr? Das Kindchen ist nicht gestorben, sondern es schläft.‘“ Die Aussage kann indirekt verstanden werden als euphemistische Bezeichnung für den Tod („Schlaf des Todes“), in diesem Fall weist der Kontext aber auf das direkte Verständnis der Worte („Schlaf der Nacht“). 48 Jesu Zuspruch für Jaїrus und der gemeinsame Gang zu dessen Haus wären ansonsten widersinnige Handlungen. Auch die Trauernden im Haus des Synagogenvorstehers nehmen die Aussage in dieser Weise wahr. Deswegen erntet Jesus auch scharfen Widerspruch (vgl. V. 40a: καὶ κατεγέλων αὐτοῦ - „Und sie lachten ihn aus“): 49 Die Menschen sehen, was Jesus im Sinn hat, können es aber nicht verstehen, da sie Jesu Vorhaben von vorneherein für undurchführbar und daher für aussichtslos halten. Es ist in der Tat ein „ungläubiges“ Lachen. 50 Wie zahlreiche andere Menschen vor und nach ihnen, vertrauen auch sie der im Vers 39 implizit ausgedrückten Vollmacht Jesu nicht und reihen sich somit in die Gruppe der jesuanischen Gegner ein. Anders ausgedrückt: Sie schenken Jesu Vollmacht keinen Glauben. Semiotisch gesehen wird in dieser Interaktion zwischen Jesus (vgl. V. 39) und den Leuten im Haus des Jaїrus (vgl. V. 40a) also deutlich der Bedeutungsaspekt thematisiert, der in der theologischen Interpretation „Vollmacht und Glaube“ repräsentiert ist. Die folgende Reaktion Jesu steht mit diesem spöttisch-ablehnenden Verhalten in unmittelbarem Zusammenhang: Jesus verweist nämlich alle des Raumes, außer den Eltern des toten Mädchens wie den namentlich benannten drei Jüngern: αὐτὸς δὲ ἐκβαλὼν πάντας παραλαμβάνει τὸν πατέρα τοῦ παιδίου καὶ τὴν μητέρα καὶ τοὺς μετ' αὐτοῦ καὶ εἰσπορεύεται ὅπου ἦν τὸ παιδίον (vgl. V. 40b). - „Er aber, nachdem er alle hinausgewiesen [wörtlich: hinausgeworfen] hatte, nahm [historisches Präsens: 48 Vgl. dazu auch G nilka 2010 I, 217; l ohSe 2015, 96 f. - Vgl. zum antiken Verständnis des Verhältnisses von Schlaf und Tod zum Beispiel Hom. Il. XIV 231. - Vgl. hierzu resümierend auch G uttenberGer 2017, 131 f. 49 Die Trauergemeinde hält den Tod des Mädchens sehr wohl für real, ansonsten wären allein schon die für die offizielle altorientalische Totenklage zuständigen Klageweiber und Flötenspieler (vgl. V. 38b) nicht nötig! Aus diesem Grund ist die Deutung Lohmeyers - vgl. l ohmeyer 1967, 108 - nicht nachzuvollziehen, die Tochter des Jaïrus sei bloß scheintot, wie das alle Anwesenden - also auch Jesus - erkennen könnten, die deshalb in Jesu Entgegnung lediglich ein Trostwort sähen. - Lohmeyers Interpretation folgt k ahl 2013, [278-293] 282. 50 So richtig auch l ohmeyer 1967, 107; e rnSt 1981, 164; e ckey 2008, 211 f.; G nilka 2010 I, 217. 190 7. Glaube und Bekenntnis nimmt] den Vater des Kindes und die Mutter sowie die, die bei ihm [waren] und ging [historisches Präsens: geht] hinein, wo das Kind war.“ Die markinische Darstellung verwendet eine Klimax, die mit der Erzählperspektive verbunden ist und von der indirekten zur direkten Konfrontation mit dem verstorbenen Mädchen verläuft. Jesus nähert sich dem toten Kind buchstäblich „Schritt für Schritt“: Der Erzähler berichtet von der mündlichen Übermittlung durch die Boten (vgl. V. 35a. b), danach von der Trauer der Hausbewohner und der Dazugekommenen (vgl. V. 38b), vom Eintritt Jesu in das Haus (vgl. V. 39a) und schließlich von der unmittelbaren Begegnung Jesu mit dem verstorbenen Kind im Beisein der Eltern und der Jünger (vgl. V. 40b). 51 Dadurch wird die Handlung zugespitzt, so dass sich der Leser oder Hörer die Szene bildlich vorstellen kann. Bezeichnend ist hier die Wortwahl, denn Markus verwendet den terminus technicus für die Austreibung der Dämonen (ἐκβάλλω; vgl. V. 40b: ἐκβαλὼν) - ein hartes Wort! Jesus „wirft“ die Klagenden - das „ungläubige Volk“ - aus dem Haus „hinaus“ und verhält sich damit wie der Hausherr, der von seinem Hausrecht gegenüber ungebetenen oder unhöflichen Gästen Gebrauch macht. Diese kraftvolle Geste unterstreicht die jesuanische Vollmacht in beeindruckender Weise. 52 Die Reaktion Jesu den trauernden und verzweifelten Mitgliedern der Hausgemeinschaft gegenüber ist also als radikal und als drastisch zu qualifizieren. Jesus behandelt die skeptischen Menschen im Umfeld des Synagogenvorstehers wie die Dämonen in den Austreibungserzählungen: Sie sind wie diese seine Gegner und müssen deshalb vom Ort des Geschehens entfernt werden. 53 Sie bleiben außen vor, und ihr Verständnis der Vorgänge bleibt dementsprechend genauso äußerlich. 54 Aus semiotischem Fokus kommt in der von Jesus vollzogenen, drastischen Handlung der Ausweisung der Zweifler der semiotische Zusammenhang „Vollmacht und Glaube“, der das Bedeutungs- und Wirkungsmoment prägt, noch einmal pointiert zum Ausdruck. V. 41 Nachdem er die Kritiker also des Hauses verwiesen hat, tritt Jesus an das Bett des toten Mädchens, fasst es an und spricht zu ihm. Die Situation lässt sich semiotisch betrachtet evident als Zeichenhandlung begreifen. Das Wunder, dessen Schilderung an die vorherige Darstellung wiederum durch ein καί angeschlossen wird, kombiniert ein Tatmit einem Wortzeichen. Beide Zeichen werden gleich- 51 Vgl. ähnlich ebenso l ohmeyer 1967, 104. 52 Vgl. ebd. 107. 53 So zu Recht auch e bner 2012, 63. - Vgl. ebenfalls m arcuS 2000, 371 f.; S chenke 2005, 151; e ckey 2008, 212. 54 Vgl. ebenso S chenke 2005, 151. 152 f. 7.2. Jesus und die Tochter des Jaïrus (vgl. Mk 5,21 - 24. 35 - 43) 191 zeitig ausgeführt (καὶ κρατήσας τῆς χειρὸς τοῦ παιδίου λέγει αὐτῇ· - „[…]; und indem er die Hand des Kindes ergriffen hat, sagte [historisches Präsens: sagt] er zu ihr: […]“ - vgl. V. 41a). Die Verknüpfung beider Handlungsformen wird sprachlich durch die Verwendung des Partizips markiert (κρατήσας), das modal aufzulösen ist. Die Bedeutung der Partizipform κρατήσας drückt zugleich die Stärke der Berührung aus und vermittelt den Beobachtern der Szene - den anwesenden Erzählfiguren wie dem Leser bzw. Hörer - einen körperlich spürbaren Eindruck von der Wundertat. Es ist nicht bloß ein entschlossenes und festes Nehmen der Hand, sondern es ist darüber hinaus auch ein unmissverständliches Signal für ein machtvoll-göttliches Handeln (vgl. das Bedeutungsspektrum von κρατέω: „stark sein“, mächtig sein“; „ergreifen“, „festhalten“), denn es geht schließlich darum, die Macht des Todes zu brechen. An dieser Stelle ist auch an die das Schicksal wendende „Hand Gottes“ (vgl. Ex 3,20; 7,5; Ps 37,44; 44,4; Lk 1,66; Apg 11,21) zu denken. 55 Das „Ergreifen“ im wörtlichen Sinne kann im übertragenen Sinne als ein „Eingreifen“ interpretiert werden. Wie im Falle der unter chronischen Blutungen leidenden Frau akzentuiert der Erzähler auch hier die wunderbare Handlung als eine Übertragung der lebensspendenden Kraft von Jesus auf den zu heilenden Menschen. 56 Das zeigt, dass die Verfügungsgewalt des Messias über die zerstörerischen Kräfte als pneumatisches Geschehen abläuft. Die Vollmacht Jesu wird erneut mit dem Geist Gottes in Verbindung gebracht; sie hat schöpferische Kraft. Dieses spirituell-physische Geschehen begleiten machtvolle Worte des Thaumaturgen: ταλιθα κουμ͵ ὅ ἐστιν μεθερμηνευόμενον· τὸ κοράσιον͵ σοὶ λέγω͵ ἔγειρε (vgl. V. 41b -f). Mit dem aramäischen Syntagma ταλιθα κουμ vermittelt der Erzähler die Ursprünglichkeit der Rede Jesu und gibt dieser zugleich einen für griechische Ohren fremdartigen Klang, 57 der das Geheimnisvolle des sich gerade vollziehenden Prozesses verdeutlichen soll (ῥῆσις βαρβαρική). Die Worte sind der Zauberformel bei einer Krankenheilung sowie dem Ausfahrbefehl bei einer Dämonenaustreibung altorientalischer Thaumaturgen vergleichbar, aber selbstverständlich nicht gleichzusetzen, da Jesu Worte vom göttlichen Geist eingegeben und daher 55 Vgl. G nilka 2010 I, 218. 56 Vgl. zustimmend S chenke 2005, 152: „Durch Jesu Berührung und Wort strömt diese Lebenskraft in die Gestorbene ein.“ - Vgl. zum Beispiel auch G rundmann 1977, 154; d Schul niGG 2007, 160. 165. - Die entscheidende inhaltliche Divergenz zwischen den beiden miteinander verwobenen Erzählstücken besteht in der Schilderung der Wunderhandlung selbst. Wird Jesus in der Erzählung über die blutflüssige Frau passiv, die Frau im Gegenzug dazu aktiv dargestellt (vgl. Mk 5,27-30), so bleibt Jaïrus als Fürsprecher seiner sterbenden bzw. verstorbenen Tochter passiv, während Jesus bei der Totenauferweckung die aktive Rolle übernimmt (vgl. Mk 5,36-41). 57 Vgl. etwa k ertelGe 1994, 60. 192 7. Glaube und Bekenntnis vollmächtige Worte sui generis sind, die keine magische Manipulation darstellen. Es sind Machtworte des einzigen „göttlichen Sohnes“ statt Zauberworte eines beliebigen „göttlichen Mannes“. Erneut schimmert in diesem Ausspruch Jesu die Frage nach seiner Bevollmächtigung durch: Gründet seine Vollmacht auf satanischem oder göttlichem Ursprung? Markus übersetzt den aramäischen Ausdruck in einem angehängten Relativsatz ins Griechische und schiebt dabei eine Erläuterung (σοὶ λέγω) ein: ὅ ἐστιν μεθερμηνευόμενον· τὸ κοράσιον͵ σοὶ λέγω͵ ἔγειρε - „[…], was in der Übersetzung heißt: ‚Kleines Mädchen, dir sage ich: Wache auf! “. Die Übersetzung des Aramaismus erfolgt deshalb, um einerseits der (griechischen) Zuhörer- und Leserschaft die gewaltige Macht Jesu über Krankheit und Tod begreiflich zu machen und um andererseits einem eventuellen magischen Missverständnis der Wundertat vorzubeugen. Die Aussageabsicht des Markus tritt damit klar zu Tage: Da Jesus von Gott durch dessen Geist legitimiert wurde, ist er eindeutig mehr als die gewöhnlichen Thaumaturgen seiner Zeit 58 und überragt daher selbstverständlich auch die Propheten Israels der Vergangenheit wie der Gegenwart ( Johannes der Täufer als letzter Prophet). 59 Er ist wirklich der angekündigte „Stärkere“. 60 Der von Jesus gebrauchte einleitende Satz: „Dir sage ich“ klingt feierlich und unterstreicht die im nachfolgenden Erweckungsbefehl zum Ausdruck kommende göttliche Erhabenheit des Thaumaturgen. 61 Mit dem Diminutiv τὸ κοράσιον greift Jesus die affektive Sprache des Vaters des verstorbenen Kindes auf und verdeutlicht dadurch - genauso wie bei der geheilten Frau (vgl. V. 34b: 58 Dagegen l ohmeyer 1967, 104: „[…] er [Jesus - S. E.] unterscheidet sich wohl dem Grade, aber nicht der Art nach von anderen Thaumaturgen jener Zeit.“ - Auch k ollmann 1996, 230 f. bestreitet den messianischen Zusammenhang. - Die Ausgestaltung der Szene, die den Glaubensaspekt profiliert, lässt aber nur eine Deutung zu: Jesus ist der Gottessohn und damit eindeutig mehr als die antik-orientalischen Wundermänner! 59 Jesu Überlegenheit ist insbesondere gegenüber den beiden Wunderpropheten Elija und Elischa zu sehen. Im Unterschied zu diesen heilt Jesus nämlich direkt mit einem machtvollen Wort - „Talitha kum“ (vgl. Mk 5,41b) -, nicht indirekt mit einem an Gott gerichteten fürbittenden Gebet wie Elija - vgl. 1 Kön 17,20-22 - und Elischa - vgl. 2 Kön 4,33 (vgl. auch F iSchbach 1992, 191 f.; k ollmann 2004, [121-141] 125 und 126 [Elija]. 128 [Elischa]). - Vgl. zum Überbietungsmotiv zusammenfassend auch k ertelGe 1970, 117 f.; S chenke 1974, 210. 215; k ollmann 2004, [121-141] 141. 60 Vgl. zum magiekritischen Verständnis des Ausspruchs „Talitha kum“ v an der l ooS 1965, 571; G rundmann 1977, 154; P eSch 1980, 309 f.; e rnSt 1981, 165; G uelich 1989, 302; G undry 2000, 274 f.; d SchnulniGG 2007, 165; G nilka 2010 I, 218; k ahl 2013, [278-293] 285. 61 Vgl. e rnSt 1981, 165: „Die hoheitliche Einleitungsformel ‚dir sage ich‘ hebt auf die einzigartige Würde Jesu als Bezwinger des Todes und Herr des Lebens ab.“ - Vgl. auch l ohmeyer 1967, 107; S chmithalS 1986, 287 f.; d SchulniGG 2007, 165. 7.2. Jesus und die Tochter des Jaïrus (vgl. Mk 5,21 - 24. 35 - 43) 193 θυγάτηρ) - seine Zuneigung und Zuwendung. 62 Der Imperativ ἔγειρε bezieht sich auf die Aussage Jesu aus dem Vers 39b. c, dass das Mädchen nicht tot sei, sondern lediglich schlafe. Die beiden Bedeutungsnuancen sind mit dem Verb ἐγείρω verbunden und hier mitzubedenken, so dass sich eine ambivalente und somit bemerkenswerte Semantik von „ auf wecken“ (aus dem Schlaf der Nacht) und „ er wecken“ (aus dem „Schlaf “ des Todes) ergibt. 63 Erst an der jetzigen Stelle klärt sich die zitierte seltsame Feststellung Jesu aus Vers 39 auf: Hatte Jesus dort vom „Schlafen“ gesprochen, so spielt er bewusst mit den beiden Bedeutungsvarianten des „Schlafens“. Nichts spricht dagegen, dass das Kind in der Tat verstorben und nicht bloß scheintot ist (Bewusstlosigkeit oder gar komatöser Zustand) 64 - die zahlreichen Zeugen für das Ereignis stimmen in ihrer Beobachtung und Auskunft überein (vgl. Mk 5,35. 38-40). Für Jesus ist dieser „Schlaf des Todes“ jedoch nur von vorübergehender Dauer, da er das Mädchen zu neuem Leben „erwecken“ kann. 65 Jesus nimmt dezidiert die Perspektive wie die Position Gottes als Herr über das Leben ein. 66 Insofern entspricht dieser Todesschlaf dem nächtlichen Schlaf des lebenden Menschen und ist aus diesem Fokus dann in der Tat lediglich ein „Scheintod“. Allerdings ist die Macht des Todes noch nicht endgültig beseitigt, denn Jesus selbst muss durch Gott noch auferweckt werden. Die Tochter des Synagogenvorstehers wird daher ins irdische Dasein zurückgebracht und wird später noch einmal sterben müssen. 67 Somit erhält die vorliegende Szene den Charakter einer Antizipation: Die Auferweckung des Mädchens deutet die Auferstehung Jesu an, in der das Markusevangelium kulminiert (vgl. Mk 16,1-8). Beide Ereignisse sind als Zeichen Gottes zu werten. In semiotischer Hinsicht repräsentieren sie den Zeichen- oder Erscheinungsaspekt. Die Episode um die Totenerweckung der Tochter des Jaïrus schärft das 62 Das beschriebene Näheverhältnis Jesu zu dem Mädchen drückt sich im Wechsel der Begrifflichkeit von τὸ παιδίον (vgl. VV. 39c. 40b. 41a) zu τὸ κοράσιον (vgl. V. 41d) aus: so zu Recht auch G undry 2000, 274. 63 Selbstverständlich gilt der gleiche Zusammenhang auch im Fall der anderen möglichen Übersetzung für ἐγείρω - nämlich „aufstehen“: Im Deutschen lässt sich daraus dann das Wortspiel „auf stehen vs. auf erstehen “ bilden: vgl. k laiber 2015, 114. 64 So richtig auch k ertelGe 1970, 116; P eSch 1980, 308; e rnSt 1981, 164 f.; S chmithalS 1986, 287; G uelich 1989, 301 f.; k ertelGe 1994, 60; l entzen -d eiS 1998, 127; G undry 2000, 274 f.; S chenke 2005, 151; d SchulniGG 2007, 161. 165; e ckey 2008, 212. - Dagegen etwa v an der l ooS 1965, 569 f. 65 Zustimmend k ertelGe 1970, 116; Schweizer 1978, 62; e rnSt 1981, 165; k ertelGe 1994, 60; l entzen -d eiS 1998, 127 (zu den Versen 37-40 und 42 f.); G undry 2000, 273 f.; m arcuS 2000, 371 f.; S chenke 2005, 151; e ckey 2008, 212; k laiber 2015, 113. 66 So zu Recht schon l ohmeyer 1967, 106 f. 108; k ertelGe 1970, 116; G rundmann 1977, 153 (zu Vers 39); P eSch 1980, 308 f.; vgl. aus neuerer Zeit ebenso markant etwa k ollmann 2004, [121-141] 132; d SchulniGG 2007, 160. 165 und k ahl 2013, [278-293] 288. 67 Vgl. ebenso l entzen -d eiS 1998, 127. 194 7. Glaube und Bekenntnis Verständnis der von Jesus verkündeten Reich-Gottes-Botschaft. 68 Damit verweist die genannte Perikope auf das bedeutungsvolle Ende des gesamten Evangeliums. Man kann daher eine Verhältnisbestimmung zwischen dem vorliegenden Erzählstück und der Grabgeschichte aufzeigen ,69 die sich mittels der theologischen Interpretation „Verheißung und Erfüllung“, die dem Zeichenmoment zugeordnet ist, umschreiben lässt: Es wird nämlich eine Bezugnahme hergestellt zwischen Anfang und Ende der Heilsgeschichte, so dass die Erzählung über die Totenerweckung als Verheißungszeichen zu gelten hat. 70 Sie weist auf die Erfüllung und das heißt auf den Dingcharakter (die Königsherrschaft Gottes) hin, dem zugleich eine Bedeutung zugemessen wird. Hier wird das mit dem Zeichenbegriff erfasste Element des Relationalen deutlich. Im weiteren Kontext des Evangeliums lässt sich eine Verbindungslinie der Totenerweckung des Mädchens zur Beelzebulszene (vgl. Mk 3,22-30) und dem darin enthaltenen Gleichnis von der Überwindung des Starken ziehen: Der Sieg über den Teufel dort ist der Sieg über die satanische Kraft des Todes hier. Jesus dringt in das Haus des „Starken“ - des Satans - ein, ringt ihn nieder und bemächtigt sich seiner Habe (vgl. Mk 3,27). Das heißt übertragen auf die vorliegende Auferweckungsgeschichte: Jesus geht in das Haus des Synagogenvorstehers, in dem das tote Kind liegt, und führt es ins Leben zurück - entreißt das Opfer der Vernichtung durch die teuflische Macht. 71 Als vorausdeutendes Zeichen erschließt die Auferweckung der Tochter des Jaïrus somit die endzeitliche Zuwendung Gottes in Jesu Auferstehung als Zuspruch des schöpferischen Handelns JHWH s. 72 Die Erweckungsgeschichte Mk 5,21-24. 35-43 erschließt den Beginn des offenbarungstheologisch-soteriologischen - also schöpfungstheologischen - Endzeitgeschehens. Das schier unbegreifliche Ereignis zeigt sich vor aller Augen und Ohren - zunächst vor Jaïrus, vor seiner Ehefrau und vor den engsten Jüngern Jesu (vgl. V. 40b), später vor den Dazugekommenen aus dem Hausstand des Synagogenvorstehers bzw. vor den Außenstehenden (vgl. V. 42c). 73 Sie verbürgen als Zeugen die Wahrheit und somit buchstäblich 68 Vgl. zum Beispiel auch P eSch 1980, 314; S chenke 2005, 148. 69 So auch l entzen -d eiS 1998, 127. 128. 70 Vgl. zum vorausdeutenden Zeichencharakter („Verheißungszeichen“) der Erweckungsgeschichte um die Tochter des Jaïrus beispielhaft auch e rnSt 1981, 166 f.; G undry 2000, 275; m arcuS 2000, 372 f. 71 Vgl. e bner 2012, 63; vgl. auch S chenke 2005, 148. 72 Vgl. zur Erweckung des Mädchens treffend S chenke 2005, 152: „Nicht magische Praktik wird hier erzählt, sondern ein souveräner göttlicher Akt der Neuschöpfung.“ 73 Hier sind meines Erachtens alle Zeugen - auch die zuerst ausgeschlossenen - gemeint, da sich die Wundertat vor dem Haushalt des Synagogenvorstehers erzähllogisch betrachtet wohl schlecht verbergen lässt (vgl. auch S chenke 2005, 152). Zudem ist im Hinblick auf die Reaktion der Umstehenden die Parallele zur Gerasaperikope zu beachten 7.2. Jesus und die Tochter des Jaïrus (vgl. Mk 5,21 - 24. 35 - 43) 195 die „Glaubwürdigkeit“ des Vorgefallenen, von dessen Wirkung im Anschluss erzählt wird. VV. 42. 43 „Und sofort richtete sich das Kindchen auf und ging umher; es war aber zwölf Jahre alt. Und sie entsetzten sich (sofort) in großem Maße [wörtlich: in großem Entsetzen] (vgl. V. 42). Und er befahl ihnen eindringlich, dass dies niemand wissen solle, und er sagte, man solle ihr zu essen geben (vgl. V. 43)“ (καὶ εὐθὺς ἀνέστη τὸ κοράσιον καὶ περιεπάτει· ἦν γὰρ ἐτῶν δώδεκα. καὶ ἐξέστησαν [εὐθὺς] ἐκστάσει μεγάλῃ [V. 42]. καὶ διεστείλατο αὐτοῖς πολλὰ ἵνα μηδεὶς γνοῖ τοῦτο͵ καὶ εἶπεν δοθῆναι αὐτῇ φαγεῖν [V. 43]). Der Bedeutungs- oder Wirkungsaspekt, den man aus semiotischer Perspektive geltend machen kann, wird hier sehr deutlich. Einerseits richtet sich das Interesse der Darstellung auf die Reaktion des Mädchens, andererseits auf die Reaktion der Mitglieder des Hauses: Dass das Kind, dessen Alter von zwölf Jahren man erst am Schluss erfährt, wieder lebendig geworden ist, zeigt sich an den Körperbewegungen, die es macht (erstes Demonstrationsmotiv): 74 Es steht auf und geht umher (vgl. V. 42a). In den Körper ist wieder Leben gekommen; Bewegung bedeutet Leben. Die Wirkung der beschriebenen Wunderhandlung Jesu setzt „sofort“ (εὐθύς - vgl. V. 42a) ein, analog der Heilung der blutflüssigen Frau (vgl. V. 29: (vgl. Mk 5,14-17), mit der eine kompositorische Einheit vorliegt. Ferner müssen, um die Intention des Erweises der Gottessohnschaft Jesu zu prononcieren, gerade die Skeptiker ihren Irrtum zumindest oberflächlich einsehen, auch wenn ihnen die tiefere theologische Dimension natürlich entgeht: Aufgrund der überwältigenden Reaktion der Gegner Jesu tritt seine Vollmacht umso deutlicher hervor: vgl. auch S chenke 2005, 152 f. - Gegen e bner 2012, 63 und l imbeck 2014, 304. 74 Das Lebensalter von zwölf Jahren wird hier einfach auch deshalb genannt, weil daraus hervorgeht, dass es sich bei dem „Kindchen“ (τὸ κοράσιον - vgl. V. 42a) nicht um ein Kleinkind, sondern um ein Mädchen handelt, das nach antikem Verständnis kurz vor seiner Volljährigkeit und somit Ehefähigkeit steht. Diese Tatsache zeigt die ganze Dramatik des vorzeitigen Todes der Tochter des Synagogenvorstehers auf: Ihr steht noch ein ganzes (Erwachsenen-) Leben bevor! Durch das Eingreifen Jesu kann das Mädchen nun weiterleben. - Die Altersangabe soll nicht nur das soeben angesprochene Missverständnis unter den Lesern und Hörern der Perikope vermeiden, sondern sie stellt ein bewusst gesetztes Textsignal des Evangelisten dar: Entscheidend für die Deutung der Szene bleibt nämlich die kompositorische (Leidenszeit der Frau und Lebensalter des Mädchens) wie symbolische (Heil für die Frau und das Kind sowie Heil für Israel) Funktion der Zahl. - Aber noch ein zusätzlicher Sinn lässt sich an dieser Stelle ausmachen: Als Erwachsene hat das Mädchen nämlich die Möglichkeit, selbst Leben zu schenken. Markus kann daher mit der vorliegenden Erweckungsgeschichte auf zweifache Weise - explizit ( Jesus) und implizit (Mädchen) - auf die Macht des Lebens (Lebensmotiv) verweisen, um so die Heilsbotschaft Jesu zu vergegenwärtigen: vgl. ebenso l entzen -d eiS 1998, 127; k ollmann 2004, [121-141] 130; S chenke 2005, 152; e ckey 2008, 213; G nilka 2010 I, 218. - Vgl. auch P eSch 1980, 310; d SchulniGG 2007, 165; k ahl 2013, [278-293] 282. 196 7. Glaube und Bekenntnis ebenfalls εὐθύς! ). Der nachgeschobene Hinweis Jesu auf das Essen bekräftigt die Rückkehr ins Leben (vgl. V. 43b) (zweites Demonstrationsmotiv). 75 Zugleich ist das Essen Symbol der wiedergewonnenen Verbundenheit des Mädchens mit seinen Eltern wie mit der ganzen Hausgemeinschaft. 76 Die Konvergenzen zur Dämonenaustreibung an dem Mann aus Gerasa (vgl. Mk 5,1-20) - vgl. Mk 5,15 - sind offenkundig: Geht es dort um den „sozialen Tod“, so ist es hier der „physische Tod“, der überwunden wird. In der Wunderheilung an der Frau, die durch ihre Genesung wieder rein wird und in die Gesellschaft zurückfinden kann (vgl. V. 29), zeigt sich eine weitere Parallele zur Gerasaperikope im Hinblick auf die Überwindung des „sozialen Todes“. Der inhaltlich steigernde Aufbau des fünften Kapitels wird erkennbar und findet jetzt seinen erzählerischen Höhe- und Schlusspunkt. Untermauert wird diese Tatsache durch die Anordnung der Erweckungsgeschichte als Rahmenhandlung für die Erzählung über die Blutflüssige. 77 Die Reaktion der anderen Zeugen wird in doppelter und damit intensivierender Art und Weise beschrieben: Die Furcht vor dem mittelbar miterlebten numinosen Vorgang beherrscht die Szene (vgl. καὶ ἐξέστησαν [εὐθὺς] ἐκστάσει μεγάλῃ - vgl. V. 42c). Gemeint sind aufgrund der offenen Formulierung ἐξέστησαν wohl die im Haus Anwesenden, ausgenommen der kleine Kreis um Jesus im Obergemach. Diese Reaktion ist vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet auch nicht verwunderlich, war man doch Zeuge eines undenkbaren und damit ungeheuerlichen Ereignisses - eines heimlich vollzogenen und daher auch unheimlich wirkenden Geschehens. Auf die Parallelität in der Darstellung der Reaktion der umstehenden Menschen bei dieser Episode zur Schilderung des Verhaltens der Zeugen in der Gerasaperikope (Schweinehirten, Gerasener Stadtbürger: vgl. Mk 5,14-17) wurde an anderer Stelle schon hingewiesen. Dass Jaïrus und seine Frau sowie die Jünger nicht zu dieser Gruppe zählen, geht zum einen aus der Bemerkung über den Glauben des Jaïrus (vgl. V. 36) und zum zweiten aus 75 Vgl. ebenso P eSch 1980, 311; e rnSt 1981, 166; S chmithalS 1986, 288; k ertelGe 1994, 60; l entzen -d eiS 1998, 127; m arcuS 2000, 364; S chenke 2005, 152; d SchulniGG 2007, 166; e ckey 2008, 213; k ahl 2013, [278-293] 282; k laiber 2015, 114. 76 Vgl. dazu ebenfalls e bner 2012, 63. - Der Aspekt der kultischen Reinheit bzw. Unreinheit ist hier noch weniger offensichtlich als in der Blutflüssigengeschichte: Ob Jesus im Anschluss an die Totenerweckung die nötigen Reinheitsvorschriften einhält, erfährt man nicht, denn die Handlung bricht einfach ab. Jesu ansonsten souveräner Umgang mit den Torageboten (vgl. etwa markant Mk 2,23-28) lässt zwar Gegenteiliges vermuten, man sollte dennoch vorsichtig mit Unterstellungen sein (so aber k ahl 2013, [278-293] 286) und zusätzlich in Rechnung stellen, dass die Reinheitsfrage deshalb ausgelassen ist, weil sie an der markinischen Erzählabsicht erkennbar vorbeigeht. 77 Vgl. v an i erSel 1993, 146: „Sandwich-Methode“ (abgeleitet von der englischen Terminologie: vgl. etwa G uelich 1989, 296. 304; G undry 2000, 268; m arcuS 2000, 364; m oloney 2002, 107; G uttenberGer 2017, 127). 7.2. Jesus und die Tochter des Jaïrus (vgl. Mk 5,21 - 24. 35 - 43) 197 der im Vers 40b geschilderten Bevorzugung der dort Genannten hervor, deren Verhalten mit dem oberflächlich bleibenden - eben „ungläubigen“ - Staunen und Schaudern der zufälligen Zeugen im Haus des Synagogenvorstehers kontrastiert. Jaïrus, seine Ehefrau und die erwähnten Jünger erfahren am eigenen Leib den epiphanen Charakter des Wunders und können es richtig ein- und wertschätzen. 78 Insofern wird die theologische Intention im unterschiedlichen Verhalten der Figuren versinnbildlicht. Zudem erzeugt Markus durch die Klimax, die in der epiphanen Scheu der blutflüssigen Frau und der Glaubensprobe des Jaïrus besteht, eine deutliche erzählerische Spannung (vgl. dazu die Darstellungen an entsprechender Stelle im Fließtext). Am Ende der Doppelperikope „enthüllt“ sich sprichwörtlich die Gesamtaussage: Es geht um die Wiedergewinnung des Lebens - um einen neuen Anfang, um eine neue Schöpfung. So wie die Tochter des Jaïrus ins Leben zurückgeholt wird, so wird dies mit Jesus als dem Ersten der Entschlafenen (vgl. 1 Kor 15,20) geschehen, und diese darin gegründete und damit begründete, im wahrsten Sinne des Wortes „glaubhafte“, endzeitliche Hoffnung wird dann für jeden Menschen, der an den auferstandenen Kyrios glaubt, gelten. Der Tod wird durch das Leben besiegt. 79 Die Dichotomie „Tod und Leben“, die als theologische Interpretation für das Bedeutungsmoment heranzuziehen ist, findet hier ihre Bestätigung. Dadurch erfolgt eine ontologische Aussage: Jesus präsentiert sich als der Christus - als Heiland oder Schöpfungsmittler -, dessen Identität sich aber erst am Ostertag vollkommen enthüllen wird - und wie auch in der jetzigen Perikope zunächst nur für die Eingeweihten (vgl. Mk 16,1 f. 7 f.). Daher kann es auch nicht verwundern, wenn Jesus den staunenden Zeugen der Totenerweckung ins Gewissen redet und sie dazu auffordert, es zu unterlassen, die Nachricht über diese Wundertat zu verbreiten (vgl. V. 43a). Semiotisch gesehen kommt hier in den Worten Jesu der Bedeutungsaspekt, der mit der theologischen Interpretation „Vollmacht und Glaube“ gegeben ist, pointiert zum Abschluss: Das in Vollmacht gewirkte Wunder ist an den Glauben gebunden, der als ausschließlich individuell-intimes Geschehen bestimmt 78 Vgl. zum Epiphaniegedanken in dieser Auferweckungserzählung auch l ohmeyer 1967, 107 f.; S chmithalS 1986, 286 [Kursivdruck im Original] (abzulesen an der kurzen Bemerkung: „eine deutliche messianische Demonstration“); S chenke 2005, 151 f.; e ckey 2008, 213. - Vgl. allgemein zur epiphanen Struktur der Doppelperikope k ertelGe 1994, 57. 79 Vgl. ebenso S chenke 1974, 210. 211. - Vgl. dazu auch k ollmann 2004, [121-141] 141; k oll mann 2011, 91. 96 f. - Man sollte in der Gestaltung dieser Doppelperikope jedoch keinen Gegensatz zwischen christo logischen und theo logischen Aspekten sehen und daraus schlussfolgern, die Aussage über Jesus trete hinter der über Gott zurück, wie es e rnSt 1981, 167 vermutet. Das erscheint als ein etwas zu spitzfindig klingendes Urteil, das die auf den Gottessohn Jesus wie auf Gott gleichermaßen bezogene Darstellung von „Vollmacht und Glaube“ zu wenig berücksichtigt. 198 7. Glaube und Bekenntnis wird, das nicht jedem zugänglich ist. 80 Denjenigen - den Außenstehenden -, die Jesus zuvor noch ausgelacht haben, erschließt sich der Sinn der Heilstat ohnehin nicht, und dem Kreis der Bevorzugten - den wahren Zeugen ( Jaïrus, dessen Ehefrau und den drei namentlich genannten Jüngern) - muss der tiefere Sinn des Vorgefallenen trotz ihres festen Glaubens bis zur endgültigen Offenbarung der Messianität Jesu in der Auferstehung immer noch verborgen bleiben. 81 Das Messiasgeheimnis bleibt somit gewahrt. 7.3. Jesus und die kranke Frau (vgl. Mk 5,25 - 34) VV. 25 - 27a Καὶ γυνὴ οὖσα ἐν ῥύσει αἵματος δώδεκα ἔτη - „Und da war eine Frau mit Blutfluss, [den sie] seit zwölf Jahren [hatte]“ (vgl. V. 25). 82 καὶ πολλὰ παθοῦσα ὑπὸ πολλῶν ἰατρῶν καὶ δαπανήσασα τὰ παρ' αὐτῆς πάντα καὶ μηδὲν ὠφεληθεῖσα ἀλλὰ μᾶλλον εἰς τὸ χεῖρον ἐλθοῦσα (vgl. V. 26) - „Und sie hatte viel von vielen Ärzten erlitten und hatte all ihr Vermögen aufgewendet, und es hatte nichts genützt, sondern es war noch viel schlimmer geworden“. Aus der Mitte der Jesus auf dem Weg zum Haus des Jaïrus begleitenden Menge (vgl. V. 24) tritt eine namenlos bleibende Frau hervor, von der der Erzähler zu berichten weiß, dass sie seit Jahren unter nicht stillbaren schweren 80 Dadurch konstituiert sich eine neue „familia Dei“: vgl. e bner 2012, 63. 81 Vgl. auch l ohmeyer 1967, 108 f.; k ertelGe 1970, 117 f.; S chenke 1974, 214; e rnSt 1981, 165; S chmithalS 1986, 287; k ertelGe 1994, 60 (zum Passus der Verse 38-43 sowie zu Vers 43a); m arcuS 2000, 373; m oloney 2002, 111; S chenke 2005, 151. 152-153; d SchulniGG 2007, 165 f.; e ckey 2008, 213; G nilka 2010 I, 218. 221; k laiber 2015, 114; l ohSe 2015, 97; S tolle 2015, 131. - G undry 2000, 276 f. meint, das Schweigegebot diene dazu, Jesus einen Vorsprung vor der ihn bedrängenden und ihn womöglich anfeindenden Masse zu gewähren. - Dieses Argument überzeugt nicht recht, da die Intention der Doppelperikope eindeutig allein in der christologischen Dimension liegt, nach der sich die vollkommene Enthüllung der wahren Identität Jesu erst im Ostergeschehen ereignet. 82 Die Bezeichnung „Blutfluss“ ist verhüllend. Gemeint sein könnte eine krankhafte Veränderung der weiblichen Monatsblutung oder eine unstillbare Blutung der Gebärmutter: vgl. zum Beispiel v an der l ooS 1965, 509 f.; P eSch 1980, 301; m arcuS 2000, 357 f.; c ollinS 2007, 280; e ckey 2008, 205 f.; vgl. auch G uttenberGer 2017, 130 f. 133. - Wahrscheinlich schwingt darüber hinaus die mit dem Begriff „Blut“ gegebene Symbolik - die altorientalische Vorstellung des Blutes als „Lebenssaft“ (vgl. Lev 17,11) - mit, auch wenn Markus es an der Stelle versäumt, sie expressis verbis zu nennen, da es sich um einen allgemeinverständlichen Topos handelt. Die beständige Blutung wäre dann gleichzusetzten mit einer dauerhaften Schwächung und damit Beeinträchtigung des Lebens der Frau, womit ihre lebensbedrohliche Situation dem Leser oder Zuhörer der Szene noch stärker vor Augen treten muss (vgl. zum Thema e ckey 2008, 205 f.; k ahl 2013, [278-293] 288). - Gegen dieses symbolische Verständnis spricht sich e rnSt 1981, 161 aus. 7.3. Jesus und die kranke Frau (vgl. Mk 5,25 - 34) 199 Blutungen leidet. Ihre Not ist sehr groß, da kein Arzt sie bislang zu heilen vermochte. Ihr Gesundheitszustand ist, da offensichtlich keine Chance auf Heilung besteht, durchaus als lebensbedrohlich zu bezeichnen. 83 Nicht nur dieses Motiv entspricht der Ausgangssituation der Jaïrusgeschichte (und ebenso der des besessenen Mannes aus Gerasa), es lassen sich auch weitere thematische Konvergenzen oder zumindest Analogien zur Rahmenerzählung der Totenerweckung aufzeigen. 84 Die Ausführungen, die dort gemacht wurden, lassen sich an dieser Stelle gleichfalls einbringen, so dass die Behandlung des jetzigen Textstückes in groberen Strichen erfolgen kann: Es handelt sich in beiden Erzählungen um eine weibliche Person (Frau - Mädchen), deren Name jeweils nicht angegeben wird, 85 die Zahl zwölf 86 taucht auf (Lebensalter des Kindes - Dauer der Krankheit bei der Frau), und es gibt in beiden Fällen den dringenden Wunsch nach Heilung - für das todkranke Mädchen trägt ihn der Vater vor, während die Frau die Gegenwart Jesu selbst aufsuchen kann. 87 Darüber hinaus fallen beide Bittende 83 Vgl. zusammenfassend auch e rnSt 1981, 161; vgl. ebenfalls G uelich 1989, 297 (mit dem richtigen Hinweis auf die Gerasaperikope); l entzen -d eiS 1998, 120; G undry 2000, 268 f.; m arcuS 2000, 366; S chenke 2005, 148f; k laiber 2015, 111 f. 84 Vgl. zur parallelen Motivik insgesamt k ertelGe 1970, 112; e rnSt 1981, 160 (gestützt auf die vorgenannte Untersuchung von Karl Kertelge); v an i erSel 1993, 146 f.; S chenke 2005, 146 f.; d SchulniGG 2007, 161 f.; G nilka 2010 I, 212. 85 Die Namenlosigkeit der beiden weiblichen Figuren belegt, dass die Perikope auf eine typische Situation des historischen Jesus zurückgeht, und sie lässt gleichfalls Raum für die Identifikation des Lesers oder Hörers mit den in der Erzählung auftretenden Personen. 86 Die in Mk 5,21-43 genannte Zahl „zwölf “ lässt sich als bewusste Anspielung auf das Zwölf-Stämme-Volk Israel verstehen, so wie die Verkörperung Israels in nuce mit den zwölf Jüngern Jesu gegeben ist. Die Erwähnung dieses bestimmten Zahlwertes kann nicht zufällig sein, sonst hätte man auch eine beliebige andere, niedrigere Zahl als Lebensalter des Mädchens und als Zeitangabe für die Krankheit der Frau wählen können. Zudem ist die doppelte Nennung der Zwölfzahl auffällig. Das bedeutet: Die Heilungsbedürftigkeit des Mädchens und der Frau im Kleinen verweist auf die Heils bedürftigkeit Israels im Großen. Die Verknüpfung zwischen „Heilung“ als konkretem Moment und „Heil“ als abstraktem Moment - die „vertikale Sinnebene“ - wird in der symbolischen Zahl noch einmal zur Anschauung gebracht. Die Heilungsgeschichte verwandelt sich zur Heilsgeschichte. - Ablehnend hinsichtlich einer symbolischen Deutung der Zahl zwölf (sowie des Blutflusses) äußert sich etwa e rnSt 1981, 161; ebenso skeptisch ist m arcuS 2000, 363. 364 (Erwähnung der Zahl zwölf in beiden Geschichten der Doppelperikope als zufällige Übereinstimmung). 87 e ckey 2008, 201 erwähnt noch die nach seiner Meinung gemeinsamen Merkmale „Berührung“ und „Heimlichkeit“. - Diese beiden Motive sollte man aber differenziert beurteilen. Bei der Heilung der Blutflüssigen gibt es nur die Berührung des Gewandes, und die Szene zeigt Jesus als passive Figur, während bei der Auferweckung der Tochter des Jaïrus Jesus den aktiven Part einnimmt und ein Wortmit einem Tatzeichen kombiniert, wobei das Wort: „Kleines Mädchen, dir sage ich: Wache auf! “ im Vordergrund steht, weil es den Vorfall unmissverständlich deutet („Auferweckung“! ) (so ist es bereits bei l ohmeyer 1967, 101 korrekt dargestellt). Was das Momentum der Heimlichkeit betrifft, so stimmt Wil- 200 7. Glaube und Bekenntnis vor Jesus auf die Knie (vgl. VV . 22c. 33c) und bekunden so ihren Glauben (vgl. VV . 34. 36). 88 Aber im Unterschied zum Synagogenvorsteher wagt die Kranke es nicht, sich zu Anfang der Geschichte direkt und verbal an Jesus mit der Bitte um Heilung zu wenden und ihren Glauben zu zeigen. Bei ihr ist es nur ein Gedanke, und sie setzt ihn in eine heimliche Handlung um. Sie hat - zunächst jedenfalls - Angst, sich Jesus öffentlich zu offenbaren. Jesus reagiert wie bei der Tochter des Jaïrus auf einfühlsame Art (vgl. die jeweilige Anrede: θυγάτηρ - vgl. V. 34b; τὸ κοράσιον - vgl. V. 41d). „Sie hatte von Jesus gehört, […]“ (vgl. V. 27a: ἀκούσασα περὶ τοῦ Ἰησοῦ, […]). Bereits zu Anfang beschreibt der Erzähler also, dass die Frau die Wundermacht Jesu vom Hörensagen kennt und auf die Vollmacht Jesu vertraut. 89 Der gesamte Absatz kann auch semiotisch ausgewertet werden: In der Krankheitsbeschreibung (vgl. VV . 25. 26) wie im vertrauensvollen Hinwenden der Frau an Jesus (vgl. V. 27a) dokumentiert sich der Dingaspekt. Das heißt, dass auf das dynamische Element abzuheben ist, das die Dichotomie „Tod und Leben“ in theologischer Hinsicht paraphrasiert. Die parallele Handlung in den beiden Heilungsgeschichten der Totenerweckung und des Heilungswunders vermittelt und verstärkt diese Aussageabsicht: Die Frau vertraut darauf, dass Jesus sie mit seiner Wundermacht wieder gesund machen und damit ihren durch die Krankheit erzeugten „sozialen Tod“ (Ausgeschlossensein durch kultische Unreinheit: vgl. Lev 15,19-30) aufheben fried Eckeys Beobachtung natürlich für den Vorgang des Wunders an sich. Es handelt sich einerseits um das heimliche Nähern der Frau und um das vorsichtige Berühren von Jesu Kleidung durch die Frau, andererseits um das Zurückziehen Jesu mit Jaïrus, dessen Ehefrau und den Jüngern Simon Petrus, Jakobus und Johannes in das Obergemach, in dem das verstorbene Mädchen liegt, an dem Jesus dann das Erweckungswunder durchführt. Dennoch bringt nur der Synagogenvorsteher von Anfang an seine Bitte in aller Offenheit (vgl. den bewussten Verweis des Erzählers auf die Menschenmenge in den VV. 21. 24) vor. - Eine weitere bemerkenswerte Parallele zwischen der Frau und dem Mädchen zeigt m oloney 2002, 111 auf, indem er auf die Menstruation (Motiv „Blut“) hinweist ( bestehende und krankhaft veränderte Blutung bei der erwachsenen Frau vs. bevorstehende Regelblutung bei dem Mädchen, das zur Frau heranreifen wird; dieser gemeinsame Aspekt ist wiederum verbunden mit dem Leitmotiv „Leben“). 88 Vgl. ebenso k ertelGe 1994, 57. 89 Vgl. auch l ohmeyer 1967, 102; e rnSt 1981, 161 f. - Zusätzlich kann das religiös-soziale Motiv der kultischen Unreinheit mit der sie bedingenden sozialen Ausgrenzung den heimlichen Plan der Frau erklären: vgl. l entzen -d eiS 1998, 122: „Die Frau mußte [sic! ] Zurückweisung durch die Gesellschaft ertragen und verhält sich wie jemand, der an ständige, vorsichtige Zurückhaltung gewöhnt ist [zu den Versen 24-26]. […] Die Frau wagt es aber nicht, als Unreine Jesus offen um Hilfe zu bitten“ [zu den Versen 27 und 28]. - Vgl. zusammenfassend auch ebd. 123. - In diese Richtung interpretieren auch S chenke 2005, 149. 150 und G nilka 2010 I, 215 die Stelle. 7.3. Jesus und die kranke Frau (vgl. Mk 5,25 - 34) 201 kann. 90 Sie bekäme dann neues Leben zugesprochen: Jesus erscheint somit als gottgleicher Lebensstifter. 91 V. 27b Mit V. 27b hingegen wird der Zeichenaspekt aufgegriffen: […], ἐλθοῦσα ἐν τῷ ὄχλῳ ὄπισθεν ἥψατο τοῦ ἱματίου αὐτοῦ („[…], näherte sich in der Menge von hinten, berührte sein Obergewand“): Das vorsichtige und damit heimliche Erfassen des Gewandes ist Ausdruck der mit der binären Formulierung „Verheißung und Erfüllung“ beschriebenen Hoffnung der Frau auf Genesung. Die Kranke ergreift die Initiative, um im wahrsten Sinne des Wortes „in Kontakt“ mit der heilenden Kraft - der Vollmacht - Jesu zu gelangen. Das kurze Berühren der Kleidung Jesu ist sozusagen das Offenbarungszeichen der Hoffnung auf Heilung. In der im Vers 29 angeschlossenen Heilung wird dieses Zeichen- oder Erscheinungsmoment näher entfaltet. V. 28 Die Begründung für das Handeln der Frau schiebt Markus im Vers 28 gleich nach: „[…]; denn sie sagte (sich): ‚Wenn ich auch nur sein Gewand berühre, werde ich gerettet werden‘“ (ἔλεγεν γὰρ ὅτι ἐὰν ἅψωμαι κἂν τῶν ἱματίων αὐτοῦ σωθήσομαι). Der Entschluss der Frau, Jesus zu berühren, beruht auf der antiken Vorstellung, dass den Wundertäter eine heilsame Macht erfüllt. 92 Dieser Zusammenhang wird im nachstehenden Vers 30 noch thematisiert werden. Die Motivation der Frau fällt ins Auge. Auf sie legt der Erzähler besonderen Wert, da das Vorhaben der Frau eine nicht geäußerte Überlegung ist, die trotzdem wörtlich - sprachlich markiert durch das ὅτι recitativum - im Vers 28 wiedergegeben wird. Schon die Bitte des Synagogenvorstehers wurde mit redeeinleitendem ὅτι recitativum als Zitat gebracht. In beiden Fällen arbeitet der Verfasser des Evangeliums bewusst mit dem erzählerischen Mittel der Zeitdehnung, um seinen Leser und Hörer auf die Gesamtintention der Wunderheilungserzählung zu stoßen. Damit ist der philosophisch-semiotische Bedeutungs- und Wirkungsaspekt 90 Vgl. bestätigend l ohmeyer 1967, 101; P eSch 1980, 301; e rnSt 1981, 161; m oloney 2002, 107; S chenke 2005, 146 f. 149; d SchulniGG 2007, 159 f.; e ckey 2008, 205. - Vgl. etwas ausführlicher zur Thematik der Reinheit bzw. Unreinheit k ahl 2013, [278-293] 285-287 (mit weiteren Belegstellen). 91 Die Deutung, Jesus werde zum zweiten Mose stilisiert, weil nach rabbinischer Überlieferung in mosaischer Zeit Krankheiten (wie etwa der Blutfluss) solange ausblieben, wie das Volk Israel dem Willen seines Gottes JHWH treu blieb, ist dagegen zu weitgehend: vgl. dazu zu Recht auch G nilka 2010 I, 215 und 215 Anm. 27 (mit Verweis auf LevR 18,4 [118a]). 92 Vgl. beispielhaft S chenke 2005, 149; G nilka 2010 I, 215; G uttenberGer 2017, 133. 202 7. Glaube und Bekenntnis angesprochen. Er präsentiert mit der theologischen Dichotomie „Vollmacht und Glaube“ eine ontologische Bestimmung des Sinnzusammenhangs: Die Verbform von „retten“ (σωθήσομαι) rekurriert auf den gleichlautenden Begriff in der Äußerung des Jaïrus (vgl. V. 23b: σωθῇ). 93 So wie dort ist auch hier die doppelte Semantik von „Heilung“ (konkretes Verständnis: Jesus als irdischer Wunderheiler oder Arzt 94 - in Opposition zur Vielzahl der erfolglosen Ärzte, die die Frau bislang konsultierte) und „Heil“ (abstraktes Verständnis: Jesus als himmlischer Heiland oder Retter) zu bedenken. Abweichend von der Jaïrusperikope kann man die zweifache Bedeutung nicht an zwei Lexemen ablesen, sondern sie wird in einem Begriff vereint, zumal dieser die beiden Bedeutungen „retten“ und „leben“ umfasst. Zudem verweist die Komposition der Totenerweckungs- und der Heilungsgeschichte auf diese Interpretation der „vertikalen Sinnebene“ aus „Heil und Heilung“. 95 Es liegt auch hier ein christologisches Bekenntnis vor, ein epiphanes Geschehen ( Christophanie ) 96 - vergleichbar der explizit an Jesus gerichteten Bitte um Heilung des Synagogenvorstehers in der Rahmenerzählung. Jesus erscheint damit als der einmalige, verheißene Heiland und Sohn Gottes. Seine Heilsmittlerschaft erschließt wie in der Auferweckungserzählung Gottes Sein als unbedingte, alle Hindernisse überwindende, lebensstiftende Macht, die in einer Heilungsgeschichte eindrucksvoll zur Geltung kommen kann. Göttliche Transzendenz wird immanent. 97 Mit der Heilsmittlerschaft Jesu ist natürlich seine Vollmacht bezeichnet. Jesus verweist auf den Schöpfergott, womit die „horizontale Sinnebene“ des Offenbarungsprozesses zur Sprache kommt. Wiederum wird die epiphane Erzählabsicht deutlich. Aber nicht nur der Vollmachtsaspekt scheint im erwähnten Schlüsselbegriff „retten“ auf, sondern auch das Moment des Glaubens. Diese Lesart findet ihre Bestätigung, wenn man das Prädikat ἔλεγεν, das eine Feststellung formuliert, mit in Betracht zieht. Die Frau entschließt sich also, das über diesen Jesus von Nazaret Berichtete für zutreffend zu halten und all ihre Hoffnung auf Genesung in diese wundertätige Person zu setzen. Diese Haltung ist ein vertrauensvoller Akt - oder in theologischer Terminologie: „Glaube“. 98 Expressis verbis wird der Glaube wenig 93 Vgl. auch S chmithalS 1986, 284. 94 Vgl. etwa e ckey 2008, 207. 95 Zustimmend ebenso G undry 2000, 269. 96 Diesen Gesichtspunkt akzentuiert auch e rnSt 1981, 162. 97 Vgl. in diesem Zusammenhang die treffende Beschreibung Walter Grundmanns über Jesu ambivalentes Sein in Fremdheit (Göttlichkeit, das heißt Ferne / Transzendenz) und Vertrautheit (Menschlichkeit, also Nähe / Immanenz), was für die gesamte Doppelperikope zu gelten habe (vgl. G rundmann 1977, 154). 98 Vgl. zum Glaubensaspekt in der vorliegenden Wundergeschichte ebenfalls e rnSt 1981, 161 f. (zu Vers 27). 162 (zu den Versen 30 und 31). 163 (zu Vers 34) und 167 (Zusammenfassung): Entscheidend für die Wunderheilung ist nicht die Berührung, sondern der Glaube 7.3. Jesus und die kranke Frau (vgl. Mk 5,25 - 34) 203 später von Jesus selbst hervorgehoben (vgl. V. 34). Beide Verse sind daher als Sinneinheit zu begreifen. V. 29 καὶ εὐθὺς ἐξηράνθη ἡ πηγὴ τοῦ αἵματος αὐτῆς καὶ ἔγνω τῷ σώματι ὅτι ἴαται ἀπὸ τῆς μάστιγος. - „Und sofort versiegte die Quelle ihres Blutes und sie spürte am Körper, dass sie von [ihrem] Leiden [wörtlich: Plage] geheilt war.“ Die Genesung der Frau geschieht innerhalb eines Augenblicks. Insofern muss die Aussage dieses Verses mit dem Vorgang des Berührens aus dem vorangehenden Vers in Verbindung gebracht werden. Damit bietet die Darstellung dieses Kontaktwunders einen deutlichen Gegensatz zu der langwierigen, kostspieligen, ergebnislosen und sich sogar noch verschlimmernden Leidensgeschichte der Frau. Das Zeitadverb „sofort“ (εὐθύς - vgl. V. 29) zeigt an, dass sich auch hier die Aussage mit jener aus der Totenerweckungsgeschichte deckt (vgl. dort V. 42a): Sorgte dort der Tod des Kindes für eine dramatische Zuspitzung der Lage, so ist es in dem vorliegenden Erzählstück der sich trotz aller medizinischen Bemühungen verschärfende gesundheitliche Zustand der Frau. Die in Jesus gesetzte Hoffnung bestätigt sich in unerhörter Weise; 99 die Frau wird von ihrem furchtbaren, satanisch-dämonischen 100 Leiden - wörtlich heißt es sogar drastisch: „Plage“ (μάστιξ - wörtlich: Geißel [Folterinstrument]; abgeleiteter Sinn: „Plage“, „Pein“! ) 101 - erlöst. Die Verzweiflung verwandelt sich in große Erleichterung. Die Wunderheilung ist mit der beschriebenen Blutstillung, die in würdevollen Worten geschildert wird (ἐξηράνθη ἡ πηγὴ τοῦ αἵματος αὐτῆς), 102 abgeschlossen. Die Frau ist geheilt (ἰάομαι). Dass an dieser Stelle der medizinische Ausdruck ἰάομαι Verwendung findet, ist kein Zufall, denn Jesu Heilungswunder wird in Kontrast zu den vergeblichen Heilungsbemühungen ihrer Ärzte gesetzt. Zudem steht Jesus als einzelne Person der Vielzahl an Medizinern geder Frau! - Es kann aber - gerade in Kombination mit der die Aussageabsicht verstärkenden Jaïrusgeschichte - in der Blutflüssigenerzählung nicht nur von einem tastenden, mit magischen Vorstellungen durchsetzten Glauben, sondern von einem gefestigten Glauben der Hilfesuchenden gesprochen werden, ansonsten wird die Pointe der gesamten Doppelperikope nicht einsichtig (vgl. dazu auch S chenke 2005, 149 f.; d SchulniGG 2007, 160. 163). - Vgl. zur gegenteiligen Position v an der l ooS 1965, 514; k ertelGe 1970, 115; G rundmann 1977, 151 f.; P eSch 1980, 302 f.; e rnSt 1981, 163; k ertelGe 1994, 58 f.; k ahl 2013, [278-293] 290. 99 Vgl. etwa auch G undry 2000, 269 f. 100 Vgl. G rundmann 1977, 151. - An das Deutungsmuster der göttlichen Strafe (vertreten etwa von k ahl 2013, [278-293] 287) ist hier aber erkennbar nicht gedacht; dagegen spricht schon der nähere Kontext der Gerasaepisode mit der dämonologischen Begründung der Krankheit des Mannes. 101 Vgl. ebenso etwa m arcuS 2000, 359; G nilka 2010 I, 215. 102 Vgl. l ohmeyer 1967, 102. 204 7. Glaube und Bekenntnis genüber, womit sein herausragendes Wirken untermauert ist. 103 Dies ist erneut als christologisch-soteriologische Aussage zu werten. In der Wirkung dieses Wunders kommt der Zeichen- und Erscheinungsaspekt im semiotischen Verständnis zum Ausdruck: Die Frau berührt Jesus und wird umgehend gesund (καὶ εὐθὺς ἐξηράνθη ἡ πηγὴ τοῦ αἵματος αὐτῆς). Der plötzliche Prozess der Genesung ist für die Frau deutlich körperlich wahrnehmbar (vgl. die Wendung καὶ ἔγνω τῷ σώματι ὅτι ἴαται ἀπὸ τῆς μάστιγος). Für die Kranke hat sich damit ihr sehnlichster Wunsch erfüllt. Der Erzähler stellt die Vorläufigkeit des Geschehens heraus, indem er betont, dass die Frau das Gewand des Gottessohnes nur im Verborgenen und darüber hinaus lediglich kurz ergreift, um geheilt zu werden. Es ist eine flüchtige und heimliche und damit mittelbare Begegnung, die unmittelbar zur Heilung führt. Das so gestaltete Aufeinandertreffen zwischen Jesus und der Frau ist theologisch auszudeuten: Der vollendete Heilungsprozess ist ein unvollendeter Offenbarungsprozess. Die Messianität Jesu ist zwar fassbar, aber noch nicht gänzlich erfassbar. Man erhält einen Eindruck von dem noch Kommenden. Die Heilung deutet als Verheißungszeichen auf das mit Jesus begonnene endzeitliche göttliche Heilswerk, das in den Ausdruck „Königsherrschaft Gottes“ gefasst ist. Die Herrschaft Jesu über die krankmachenden, zerstörerischen Kräfte wird anschaulich. Die Doppelperikope Mk 5,21-43 muss in Analogie zur Grabgeschichte Mk 16,1-8 und zur darin erzählten Auferstehung Jesu gesetzt werden: Wie bei der Geschichte um die ins Leben zurückgeholte Tochter des Jaïrus ist auch die Wundererzählung über die blutende Frau das Verheißungszeichen für das Erfüllungszeichen der Auferweckung Jesu. Das mit dem Zeichenbegriff gegebene verbindende Verhältnis - das Relationale - von „Verheißung und Erfüllung“ tritt klar hervor. VV. 30 - 32 Die durch das heimliche Vorgehen der Frau bewirkte Wunderheilung bleibt jedoch nicht unbemerkt. Der Erzähler beschreibt die Folgen dieses Heilungswunders ausführlich: „Und sofort bemerkte Jesus bei sich, dass eine Kraft von ihm ausgeströmt war; er drehte sich in der Menge um [und] fragte: ‚Wer hat meine Kleider berührt? ‘“ (καὶ εὐθὺς ὁ Ἰησοῦς ἐπιγνοὺς ἐν ἑαυτῷ τὴν ἐξ αὐτοῦ δύναμιν ἐξελθοῦσαν ἐπιστραφεὶς ἐν τῷ ὄχλῳ ἔλεγεν· τίς μου ἥψατο τῶν ἱματίων; - V. 30). Wie schon bei der Beschreibung der Heilung, wird mit dem Syntagma καὶ εὐθύς erneut der rasche Handlungsverlauf verdeutlicht. Jetzt kommt ebenso die Reaktion Jesu zur Sprache, was zeigt, dass sie im gleichen Moment wie die Heilung stattfindet. Sowohl die Geheilte wie der Heilende spüren den Vorgang. 103 Vgl. auch G uttenberGer 2017, 134. 7.3. Jesus und die kranke Frau (vgl. Mk 5,25 - 34) 205 Dass in dem Gedränge die Kraftübertragung nur auf die Frau geschieht, zeigt die notwendige Verbindung zwischen Heilungsbedürftigkeit, Heilungswunsch und Heilung auf: Der Glaube ermöglicht das Wunder. 104 Wie in den Dämonenaustreibungsgeschichten und Wundererzählungen üblich, wird auch diese heimliche Begegnung zu einer offenen Begegnung zwischen Jesus und der hilfesuchenden Person. Die Tatsache, dass Jesus die Heilung nicht entgeht, 105 verweist auf die mit dem Heilungswunder verbundene und es bewirkende Kraft 106 (δύναμις - vgl. V. 30), auf die Markus ausdrücklich hinweist. Dabei bezeichnet „Kraft“ den „Geist“ - gemeint ist natürlich der „Geist Gottes“. Hier wird dezidiert auf das Wirkprinzip der jesuanischen Vollmacht eingegangen, das zwar im Hintergrund steht, aber den entscheidenden Part spielt: 107 Die Kraft strömt unwillkürlich aus Jesus hinaus, sonst müsste er sich nicht nach der Ursache der Kraftübertragung erkundigen. 108 Im Vergleich zur Tauf- und Versuchungsperikope Mk 1,9-13 wird hier erneut auf das Machtvolle des göttlichen Geistes abgehoben, dem sich auch der Gottessohn nicht zu entziehen vermag . Der Geist Gottes ist ein in die Welt eintretendes und in der Welt wirkendes Seiendes, das vom Menschen stets nur im Zeichen der Veränderung mit den Sinnen wahrzunehmen ist, und das somit ausschließlich in der rück- 104 Vgl. zu Recht v an der l ooS 1965, 516. 517. 105 S chenke 2005, 146 merkt an, dass der Erzähler seine Jesusfigur durch die umständliche Suche nach der ihn berührenden Frau das verzögerte Eintreffen am Haus des Jaïrus absichtlich herbeiführen lasse, damit er in der späteren Totenerweckungsgeschichte das vorausschauende, überlegene, übernatürliche Wissen Jesu und dessen Herrschaft über Leben und Tod demonstrieren könne. Dadurch trete Jesu Göttlichkeit und damit seine Vollmacht beim Leser und Hörer der Szene umso beeindruckender zu Tage. - Ein solcher erzählstrategischer Zug ist Markus wegen seines offenkundigen Gestaltungswillens durchaus zuzutrauen; das Argument lässt sich daher gut hören. - Vgl. auch G undry 2000, 270, der das überlegene Wissen Jesu treffend herausstreicht. 106 Vgl. etwa P eSch 1980, 302. 303; G uelich 1989, 298; t heiSSen 1998, 100 f.; d SchulniGG 2007, 163; k ahl 2013, [278-293] 281 f. 107 In der markinischen Darstellung zeigt sich, dass in Jesus die göttlich-geistige Schöpfermacht als Inbegriff des göttlichen Wesens am Werk ist. Was hat man sich unter dieser geheimnisvollen „Kraft“ genauer vorzustellen? Die Beschreibungen können selbstverständlich nur Andeutungen sein; einige Kommentatoren wagen es dennoch, zu diesem pneumatologischen Zusammenhang Stellung zu beziehen: vgl. zum Beispiel v an der l ooS 1965, 513: „‚essence of power‘“ bzw. „essence“; l ohmeyer 1967, 102: „die ausgehende Kraft, die so sehr sie an Körperlichem haftet und körperlich sich mitteilt, doch nichts Körperliches ist[…]“ und 102 Anm. 6: „Art von Fluidum, das von einem Menschen ‚ausgeht‘ und sich allem mitteilt“; e ckey 2008, 208: „Leben rettendes und erneuerndes Fluidum“; G nilka 2010 I, 215: „gottgegebene geistige Dynamis, die sich wie ein Fluidum dem anderen mitteilt“. 108 Vgl. ebenfalls G undry 2000, 270 [Kursivdruck im Original] („‚The power‘ is the miracle, an act of power going out from Jesus“); k ahl 2013, [278-293] 283. 284. 206 7. Glaube und Bekenntnis schauenden Betrachtung mit dem Verstand erkannt werden kann - ein „wirkendes Wirkprinzip“. Geist und Vollmacht erscheinen erneut als Synonyme. 109 καὶ ἔλεγον αὐτῷ οἱ μαθτηταὶ αὐτοῦ· βλέπεις τὸν ὄχλον συνθλίβοντά σε καὶ λέγεις· τίς μου ἥψατο; - „Und zu ihm sagten seine Jünger: ‚Du siehst die Menge dich umringen, und du fragst [dann noch]: Wer hat mich berührt? ‘“ (V. 31). Die Jünger reagieren gereizt und abweisend gegenüber der Frage ihres Meisters, die auf sie unsinnig wirkt. Sie verstehen Jesus nicht, weil sie die Wunderheilung schlicht nicht wahrgenommen haben. Für sie scheint mit der andrängenden Menschenmenge (vgl. VV . 24b. 31b) doch alles geklärt zu sein. Aber der Schein trügt! Selbst ihnen als ständigen Begleitern und engsten Vertrauten Jesu bleibt also der wunderbare Vorgang verborgen. Damit übernehmen die Jünger den Part der verständnislosen - begriffsstutzigen, verstockten - Hausgemeinschaft in der Jaïruserzählung (vgl. V. 40a). Die Jünger bieten zum Glauben der Frau, von dem bereits zuvor im Vers 28 die Rede war, einen thematischen Kontrapunkt. 110 Der zeichentheoretische Bedeutungsaspekt, der sich in der theologischen Interpretation „Vollmacht und Glaube“ ausdrücken lässt, wird negativ bestimmt. Die Deutung der Lage durch die Jünger geht völlig fehl, weil sie die Frage Jesu einfach nicht begreifen (können). Der Fokus der Erzählung richtet sich nun auf die beiden Hauptfiguren der Geschichte - Jesus und die Frau: „Und er sah umher, um die zu sehen, die das getan hatte.“ - καὶ περιεβλέπετο ἰδεῖν τὴν τοῦτο ποιήσασαν (vgl. V. 32). Das forschende Umherblicken Jesu verdeutlicht das übernatürlich-überlegene Wissen des Gottessohnes, der die göttliche Kraft von sich ausgehen fühlt und nun die Ursache für diese Kraftübertragung sucht. 111 V. 33 ἡ δὲ γυνὴ φοβηθεῖσα καὶ τρέμουσα͵ εἰδυῖα ὃ γέγονεν αὐτῇ͵ ἦλθεν καὶ προσέπεσεν αὐτῷ καὶ εἶπεν αὐτῷ πᾶσαν τὴν ἀλήθειαν. - „Die Frau aber fürchtete sich und zitterte; sie wusste, was mit ihr geschehen war; sie kam an und warf sich vor ihm nieder und sagte ihm die ganze Wahrheit.“ Mit dem Aufdecken 112 des heimlichen Vorgehens hat die Frau nicht gerechnet. Daher empfindet sie große Angst, weil sie Ehrfurcht vor Jesus hat (darin gründet ihr Glaube) 113 und nicht weiß, wie Jesus ihr eigenmächtiges Vorgehen beurteilen 109 Vgl. auch l ührmann 1987, 104. 110 So auch k ertelGe 1994, 58. 111 Profiliert etwa von G undry 2000, 270; m arcuS 2000, 368 f.; angedeutet bei l ohmeyer 1967, 102 und P eSch 1980, 303. - Das heißt also: Jesus weiß, dass ihn jemand berührt haben muss, aber nicht, um wen es sich handelt (vgl. auch v an der l ooS 1965, 514). 112 Vgl. dazu pointiert l ohmeyer 1967, 103 und 103 Anm. 1; vgl. ebenso G undry 2000, 269. 113 So zu Recht auch G uelich 1989, 298; vgl. ebenso m arcuS 2000, 359 f. 7.3. Jesus und die kranke Frau (vgl. Mk 5,25 - 34) 207 wird. 114 Diese Furcht, der Kniefall der Frau und die Aufklärung der Situation durch die Geheilte entsprechen dem Niederknien und dem Bitten des Synagogenvorstehers (vgl. V. 22 f.) und fungieren als nachgetragene Bitte (vgl. dieVerse 25-26. 27a! ), die den epiphanen Charakter der Szene zur Darstellung bringt (im politisch-sozialhistorischen Kontext: Bitte als Ausdruck des Beherrschten an den Herrscher). 115 Semiotisch gesehen leuchtet hier zugleich noch einmal kurz der Dingaspekt mit der damit verbundenen Dichotomie „Tod und Leben“ auf: In diesem Verhalten der Frau dokumentiert sich ihr tiefes Vertrauen in die in Jesu Wirksamkeit zum Ausdruck kommende Schöpfermacht Gottes. V. 34 „Er aber sagte zu ihr: ‚Tochter, dein Glaube hat dich gerettet! Gehe hin in Frieden, und du seist geheilt von deinem Leiden [wörtlich: von deiner Plage]! ‘“ - ὁ δὲ εἶπεν αὐτῇ· θυγάτηρ͵ ἡ πίστις σου σέσωκέν σε· ὕπαγε εἰς εἰρήνην καὶ ἴσθι ὑγιὴς ἀπὸ τῆς μάστιγός σου. Jesus redet die Frau in vertrauensvoll-familiärem, sanften Ton mit „Tochter“ an, womit sie zum „Kind Gottes“ gegenüber dem Vater-Gott, den Jesus repräsentiert, ernannt wird (vgl. V. 34b; vgl. die Parallele zur Tochter des Jaïrus: Vater- Kind-Verhältnis! ). 116 Jesus zeigt seine Hinwendung und Zuneigung zu ihr 117 und 114 Es ist schon sehr auffällig, dass die Frage der kultischen Unreinheit der Frau und der durch ihre spontane Berührung verursachten kultischen Verunreinigung Jesu (vgl. dazu etwa k ahl 2013, [278-293] 286-288) in den Hintergrund der Schilderung zurücktritt, da dieser Sachverhalt - abgesehen möglicherweise von der Frau selbst (vgl. ihre eventuell als Schuldbewusstsein deutbare Furcht) - nicht explizit durch die Erzählfiguren (vgl. die große Menschenmenge, die die Frau und Jesus umringt! ) problematisiert wird (zustimmend G undry 2000, 269. 271)! Das kann als Beleg für die primär heidenchristliche Adressatenschaft des Markusevangeliums aufgefasst werden. Die Handlung interessiert sich ausschließlich für das Faktum der Heilung der Frau, weshalb von ihrer Krankheit besonders ausführlich wie eindringlich erzählt wird. Dem Evangelisten ist es ein großes Anliegen, Jesus auch an dieser Stelle als endzeitlichen Menschen- und Gottessohn zu präsentieren, zu dessen messianischer Sendung ein Bekenntnis von Seiten der Menschen unabdingbar erscheint. - Weitergehende Motive der Scham bei der Frau (mögliches Missverständnis der Ansteckung mit Krankheit oder des Liebeszaubers - damit rechnet P eSch 1980, 304) sind deswegen auch nicht zu vermuten. - Die Gegenposition vertreten insbesondere m arcuS 2000, 357 f. 364 f. 367 f. sowie m oloney 2002, 109-111: Sie stellen die Bedeutung des kultischen Motivs (Verunreinigung Jesu durch Krankheit [Frau] und Tod [Mädchen]) für das Verständnis der Doppelperikope heraus (Unterlaufen des Reinheitstabus durch Jesus und die Frau). - G uelich 1989, 293. 296 weist zudem auf die thematische Querverbindung des Reinheitsaspektes in Mk 5,1-20 und 5,21-43 hin. 115 Richtig gesehen auch von S chenke 2005, 150; e ckey 2008, 209 und G nilka 2010 I, 216. 116 Vgl. d SchulniGG 2007, 164; k ahl 2013, [278-293] 283 f. 288; G uttenberGer 2017, 133. 117 Vgl. auch P eSch 1980, 304 f.; k ertelGe 1994, 59; m arcuS 2000, 360. 208 7. Glaube und Bekenntnis „beruft“ sie damit im wahrsten Sinne des Wortes in seine neue Sammlungsbewegung der „familia Dei“. 118 Mit würdevollen Worten hebt er dann den Glauben der Frau lobend hervor und streicht diesen als einzigen Grund für die Heilung heraus (ἡ πίστις σου σέσωκέν σε - vgl. V. 34c). 119 Bezeichnenderweise wird in diesem Zusammenhang die Perfektform des Verbs „retten“ gebraucht und damit ein deutlicher Bezug auf den geheimen Wunsch der Frau nach Erlösung von ihrem Leiden (vgl. V. 28) hergestellt. 120 Die Frau ist durch die Stillung des Blutflusses physisch wie auch psychisch geheilt und sozial rehabilitiert. 121 Diese erzählerische Gestaltung vergegenwärtigt, dass der Vorgang der wunderbaren Heilung durch Jesus stets den Menschen in seiner gesamten Existenz betrifft und verwandelt. 122 Der Friedensgruß, der sich auf den umfassenden, von Gottes Allmacht und Heilszuspruch getragenen Friedensbegriff des „Schalom“ bezieht, bringt diesen Zusammenhang noch einmal in einer feierlichen, abschließenden Wendung zur Sprache. 123 Die ganze Passage Mk 5,30-32. 34 ist als Bedeutungs- und Wirkungsmoment anzusehen. Hinzu kommt der zuvor behandelte Vers 28. In beiden Stellen schildert der Erzähler die verschiedenen Reaktionen der unterschiedlichen Personen (Frau, Jesus, Jünger). In diesen Deutungen wird eine ontologische Aussage getroffen, die sich mit dem Begriffspaar „Vollmacht und Glaube“ bestimmen lässt. Der theologische Schwerpunkt dieses Passus liegt jedoch auf dem letzten Vers, der den Glaubensaspekt betont. Das Glaubensmoment weist auf die geistige Dimension hin, die als Pendant zur geistig vermittelten Vollmacht zu betrachten ist: Der im göttlichen Geist ergehende Anspruch auf Vollmacht wird auch nur durch den im mensch- 118 Vgl. m arcuS 2000, 360. 369 (darüber hinaus interpretiert Joël Marcus die Blutflüssigenepisode als narrativen Reflex der urchristlichen Bekehrungs- und Tauferfahrung in der markinischen Gemeinde - vgl. ebd. 367. 369); vgl. auch e ckey 2008, 209; k laiber 2015, 112. 119 Vgl. gleichfalls l ohmeyer 1967, 103; P eSch 1980, 305; G uelich 1989, 299; k ertelGe 1994, 57. 58 f.; G undry 2000, 271; e ckey 2008, 209 f.; G nilka 2010 I, 216; k laiber 2015, 112 f.; S tolle 2015, 129. 130. 120 Vgl. zum Ganzen auch l entzen -d eiS 1998, 122 f. (zu den Versen 30-34); vgl. ähnlich G un dry 2000, 271 (durch die Perfektform erzeugte Verbindung zwischen Vers 29 und Vers 34); vgl. auch m arcuS 2000, 368. 121 Vgl. auch l entzen -d eiS 1998, 123. - Vgl. dazu die zutreffende Aussage von k ahl 2013, [278-293] 288 [Kursivdruck im Original]: „Und tatsächlich verunreinigt nicht sie [die Frau - S. E.] Jesus, sondern sie wird von der ihm innewohnenden Gotteskraft geheilt und damit gereinigt. Die Jesus durchdringende Reinheit ist ansteckender als jedwede Unreinheit“ . - Vgl. auch m arcuS 2000, 367. 122 So zu Recht profiliert auch von S chWeizer 1978, 61. 123 Vgl. auch S chWeizer 1978, 61; P eSch 1980, 305; G uelich 1989, 299 f.; m arcuS 2000, 361; k ahl 2013, [278-293] 289 f. (Schalom-Vorstellung verbunden mit dem Begriff „retten“). - Selbstverständlich ist der jüdische auch der (ur-) christliche, liturgische Friedensgruß! 7.4. Resümee 209 lichen Geist ergriffenen Glauben angemessen erfasst. Das heißt: Glaube bedeutet das Vertrauen in die Gültigkeit der jesuanischen Vollmacht, die sich gerade in seiner Wundertätigkeit zeigt. Vollmacht ohne Glaube bleibt wirkungslos, erzeugt nur Unverständnis, wie es ausgerechnet die eigenen Jünger Jesu als Negativbeispiel vormachen, und wie es die direkt anschließende Nazaretperikope Mk 6,1-6 (insbesondere Mk 6,5 f.) erweist. Auf diese Verbindung von „Vollmacht“ und „Glaube“ legt Markus größten Wert. Sie ist buchstäblich von „existentieller“ Bedeutung. 124 7.4. Resümee Die Doppelperikope von der Auferweckung der toten Tochter des Synagogenvorstehers Jaïrus und von dem Heilungswunder an der blutenden Frau ist strukturell wie thematisch parallel gestaltet und weist durch diese besondere Verbindung von Komposition und Konzeption auf die Intention der gesamten Perikope Mk 5,21-43: Sie lässt sich philosophisch-semiotisch gesehen auf der Makroebene der Zeichentheorie dem Zeichen- oder Erscheinungsaspekt zuweisen. Damit ist ausgesagt, dass die wundersamen Begebenheiten der Taten Jesu eine Verheißung auf Erfüllung auch im semiotischen Sinne „darstellen“.Zeichen vermitteln aber stets zwischen dem Aussageobjekt - dem Ding - und der Bedeutung. Sie sind Zeichen für das Heil, und sie sind Zeichen für die Vollmacht Jesu. Jesu Herrschaft ist Gottes Herrschaft. Das heißt aber nichts anderes, als dass diese Vollmacht eine geistige Entität repräsentiert, wie sie im Begriff der „Kraft“ als Synonym für den „Geist“ Gottes ausgedrückt ist. Diese geheimniswie machtvolle Wirkkraft führt das Wunder aus. In beiden Therapieerzählungen wird die Vorläufigkeit oder Unabgeschlossenheit betont (die Tochter wird wieder sterben müssen, und die Heilung der Frau geschieht in aller Heimlichkeit). 125 Die Lehre Jesu erschöpft sich eben nicht im Staunen über die den Gottessohn bestimmende überwältigende Kraft oder Vollmacht Gottes - das wäre in der Tat ein „ungläubiges Staunen“. Vielmehr 124 Vgl. ebenso S chenke 1974, 213 f. - Die Verbindung der Aspekte von „Vollmacht“ und „Glaube“ greift Ludger Schenke in seinem Markuskommentar wieder auf - vgl. S chenke 2005, 150 -, indem er die beiden Momente „Wort Jesu“ und „Glaube an Jesus“ als bleibende christliche Erfahrungen herausstellt. Das „Wort Jesu“ ist selbstverständlich „Wort Gottes“ über die Königsherrschaft Gottes und bezeichnet damit die „Vollmacht Jesu“. - „Vollmacht“ („power“) und „Glaube“ („faith“) machen auch für G uelich 1989, 304 f. die theologischen Schwerpunkte der Doppelperikope aus. 125 Bei der Gerasaperikope fehlt den Zeugen - bis auf den Geheilten selbst - das Verständnis für den Sinn des Exorzismus. 210 7. Glaube und Bekenntnis weisen die Wundertaten über sich hinaus auf Gottes Allmacht und auf seinen Schöpferwillen. Sie sind Zeichen für das Ganz Andere, stellen Begrenztes für das Unbegrenzte dar. Wie die bedrückende Ausgangslage jeder der hilfesuchenden Personen - des Mädchens, der Frau, zuvor aber auch des besessenen Mannes - belegt, kann diese Jesus erfüllende Vollmacht nur im grenzenlosen Vertrauen - im Glauben - angemessen er griffen und be griffen werden. Die Tatsache, dass in dieser Doppelperikope die Thematik „Glaube“ jeweils zweifach (vgl. VV . 28. 30-32. 34: Frau; vgl. VV . 36. 40. 42-43: Synagogenvorsteher) und dann negativ (vgl. V. 31b. c: Jünger; V. 40a: Hausbewohner) wie positiv (vgl. VV . 28. 34: Frau; vgl. VV . 36. 40b: Jaïrus [implizit]) erwähnt wird, unterstreicht die Relevanz der Aussage. Die machtvollen Zeichen Jesu in großer Not bilden wiederum die Grundlage für die Deutung. So verweist der Zeichenaspekt notwendig auf den Bedeutungsaspekt von „Vollmacht und Glaube“, wobei das Glaubensmoment vernehmbar akzentuiert wird. 126 Mesoebene: Mk 5,21-24a. 35-43 Mesoebene: Mk 5,24b-34 Ding: Herantreten des Jaïrus an Jesus und Bitte um Heilung der todkranken Tochter (vgl. V. 22 f.), Tod des Mädchens (vgl. V. 35) Ding: Krankheitsbeschreibung (vgl. V. 25 f.) und Herantreten der Frau an Jesus (vgl. V. 27a), Verhalten der Frau nach Entdeckung der Wunderheilung (vgl. V. 33) Zeichen: Berührung des toten Kindes durch Jesus (vgl. V. 41), Erweckung der Tochter des Synagogenvorstehers durch Jesus (vgl. V. 41) Zeichen: Berührung des Gewandes Jesu durch die kranke Frau (vgl. V. 27b), Heilung der Frau durch Jesus (vgl. V. 29) Bedeutung: Appell zum Glauben (vgl. V. 36), Reaktion Jesu (vgl. VV . 39. 40b), Unverständnis des Hausstandes (vgl. V. 40a), Rückkehr des Mädchens ins Leben (vgl. V. 42a. b), Schrecken der Zeugen (vgl. V. 42c), Schweigegebot Jesu (vgl. V. 43a) Bedeutung: Überlegung der Frau (vgl. V. 28), Reaktion Jesu (vgl. VV . 30. 32), Unverständnis der Jünger (vgl. V. 31b. c), Lob des Glaubens der Frau durch Jesus und Wegschicken der Frau (vgl. V. 34) Tabelle 3 126 Den Sinnzusammenhang zwischen den als „Verheißungszeichen“ zu charakterisierenden Wundererzählungen und dem Glauben arbeitet zutreffend auch S chenke 1974, 415 f. heraus. 7.4. Resümee 211 8. Offenbarung und Verkündigung Die vielfältigen Zeichen Jesu sind - wie mehrfach erörtert wurde - deutungsbedürftig. Innerhalb der Episoden mit den Reden und Wundern Jesu stellen Zustimmung oder Ablehnung der Betroffenen und Zeugen die Bedeutungen dieser Zeichenhandlungen dar. Ob das unterschiedliche Verhalten der Personen in der jeweiligen Erzählszene - semiotisch-strukturell gesehen: auf der Mesoebene - dem messianischen Anspruch Jesu angemessen ist, erschließt sich vollgültig jedoch erst am Ende des Evangeliums. Die Ursache der Identität Jesu besteht in der durch Gott zugeteilten Vollmacht, die in der Gabe und Wirkung seines Geistes erscheint. Sie zeigt sich zuerst und markant in der Berufungsperikope Mk 1,9-13, die das Verständnis des gesamten Evangeliums prägt und damit eine Schlüsselszene darstellt („Vollmacht verleihen“: Dingbzw. Wesensaspekt). Die auf die Textstelle Mk 1,9-13 folgende Handlung des Evangeliums erzählt ausführlich von den Wort- und Tatzeichen Jesu, mit denen seine Vollmacht dargestellt und einsichtig wird („Vollmacht ausüben“: Zeichen- oder Erscheinungsaspekt). Die bei diesen Zeichenhandlungen Anwesenden sehen sich dabei immer wieder neu direkt oder indirekt zur Entscheidung für oder gegen Jesus aufgerufen, um von zufälligenTatzeugen zu wirklichenGlaubenszeugen zu werden. Die vielfältigen Zeichen, die Jesus wirkt, verweisen auf die beiden Schlusskapitel des Evangeliums über den Tod und über die Auferstehung Jesu, die philosophisch-semiotisch betrachtet die Bedeutungsebene darstellen. Das Axiom über die Gottessohnschaft des Jesus von Nazaret aus Mk 1,1 findet hier seine letztgültige Bestätigung. Diesen Bedeutungs- und Wirkungsaspekt beschreibt der Sinnzusammenhang „Vollmacht annehmen“ , der sich auf das Bekennen und darüber hinaus auf das Zeugnisgeben der Personen der Erzählung sowie der Leser des Evangeliums bezieht: Offenbarung soll so zu Glauben, und Glauben zur Verkündigung führen. 212 8. Offenbarung und Verkündigung 8.1. Jesu Tod und Auferweckung 8.1.1. Jesu Tod (vgl. Mk 15,33 - 39) 8.1.1.1. Text und Kontext Die Erzählung über Sterben und Tod Jesu im engeren Sinne (vgl. Mk 15,33-39) erscheint stark markinisch überarbeitet zu sein. Der Erzählkomplex Mk 15,20b- 47 bildet den weiteren Kontext und schildert die Umstände der Kreuzigung (vgl. die Verse 20b-27), der Verhöhnung (vgl. die VV . 29-32), des Sterbens und des Todes Jesu (vgl. die VV. 33-41) sowie der Grablegung (vgl. die Verse 42-47). 1 Die Überlieferungslage wirkt jedoch sehr verworren; die Ermittlung der jeweiligen vormarkinischen und markinischen Schichten der Passionserzählung erweist sich in der exegetischen Literatur deswegen als hoch umstritten. 2 Den Kern der Erzählung Mk 15,33-39 bildet jedoch unzweifelhaft die mit dem Ps 22 verbundene Vorstellung über den leidenden Gerechten. 3 Die Darstellung des Todes Jesu mischt historische Fakten sowie narrative Elemente mit alttestamentlichen Schriftzitaten und apokalyptisch-eschatologischen Motiven. 4 Zu favorisieren ist daher Joachim Gnilkas These, wonach Markus aus apokalyptischem Material gebildetes und mit Schriftbezügen durchsetztes (vgl. Ps 22 in Mk 15,34b; Ps 69,22 in Mk 15,36a) Traditionsgut für seine Zwecke überarbeitet hat. 5 Für die Passage Mk 15,33-39 macht sich die redaktionelle Tätigkeit des 1 Vgl. dazu auch S chenke 2005, 339-341. 347. - e rnSt 1981, 463 und G nilka 2010 II, 314 trennen die Begräbnisszene Mk 15,42-47 von der vorausgehenden Erzählung über Kreuzigung, Sterben und Tod Jesu als selbstständige Erzähleinheit ab. - Diesem Vorschlag steht jedoch die Erzähllogik entgegen, denn das abschließende, in Mk 16,1-8 geschilderte Osterereignis erfordert zwingend, dass man beide Handlungen miteinander verbindet. Mit anderen Worten: Die Passion endet im Grab , damit die Auferweckung auch im Grab beginnen kann! - Die abschließende Notiz über die namentlich genannten und die Grablegung beobachtenden Frauen (vgl. Mk 15,47) bestätigt diese Einschätzung. Der Vers 47 dient dann als Überleitung: Maria von Magdala, die weitere Maria - die Mutter des Jakobus des Kleinen und des Joses - sowie Salome (vgl. Mk 15,47 in Verbindung mit Mk 15,40) erscheinen in der Auferstehungsperikope ausdrücklich nochmals in der Liste der Osterzeuginnen. Die Mutter des Jakobus und des Joses wird in Mk 16,1 allerdings nur in Verbindung mit ihrem ältesten Sohn ausgewiesen im Gegensatz zu Mk 15,47, wo nur ihr jüngster Sohn genannt ist. Die Frauen am Grab verbürgen als Erstzeuginnen Tod und Auferweckung Jesu. - Ferner zeigt sich die ursprüngliche Zusammengehörigkeit der Passionserzählung markant auch am Wechsel der Schauplätze ( Jerusalem - im Palast des Pontius Pilatus: vgl. Mk 15,1-20a -, Golgotha: vgl. Mk 15,20b-45 [22a. b], Höhlengrab: vgl. Mk 15,46-47): vgl. dazu S chenke 2005, 340. 2 Vgl. auch G rundmann 1977, 430. 3 Vgl. ebd. 430. 4 Vgl. d SchulniGG 2007, 399. - Vgl. ebenso S tieWe / v ouGa 2011, 44. 5 Vgl. G nilka 2010 II, 311. - Vgl. zu den Details ausführlich ebd. 310-314 (mit weiteren Nachweisen); vgl. ebenso e rnSt 1981, 463-465. 8.1. Jesu Tod und Auferweckung 213 Evangelisten bei den festen Zeitangaben, die die Passage gliedern (vgl. Mk 15,33. 34), sowie bei dem den Todeskampf und den Tod Jesu begleitenden kosmischen Zeichen der Finsternis (vgl. Mk 15,33) bemerkbar. 6 Das Motiv der Dunkelheit ist zudem eine Anspielung auf die prophetische Tradition (vgl. vor allem Am 8,9), die das eschatologische Richterhandeln Gottes zur Sprache bringt. 7 Die erwähnte Zeitstruktur ist einerseits historisch-kerygmatischer (hinsichtlich der Sterbestunde Jesu - vgl. Mk 15,33. 34a) und andererseits liturgisch-redaktioneller Natur (die Ergänzung des vollständigen Stundenschemas). 8 Auch sie reflektiert apokalyptisch-eschatologisches Denken. 9 Nach dem semiotischen Zugang lässt sich die Perikope über den Tod Jesu in folgender Weise gliedern: Den Ding- oder Wesensaspekt repräsentieren die Verse 33 bis 36, in denen von einer hereinbrechenden Dunkelheit über das Land (vgl. V. 33) einerseits sowie über den verzweifelten Ruf Jesu und die höhnische Reaktion der Dabeistehenden andererseits die Rede ist (vgl. VV. 34-36). Im Aushauchen des Geistes (vgl. V. 37) und im Zerreißen des Tempelvorhangs (vgl. V. 38), der den Zugang zum Heiligtum verbirgt, werden entscheidende offenbarungstheologisch auszuwertende Zeichen (Zeichen- und Erscheinungsaspekt) gesetzt. Die Szene endet mit einem Wort des römischen Zenturio , der ein Bekenntnis zu Jesus abgibt. Es ist ein Deutewort, das auf der Mesoebene des Erzählstückes den Bedeutungsbzw. Wirkungsaspekt zur Geltung bringt (vgl. Tabelle 4 am Ende des Kapitels). 8.1.1.2. Sterben und Tod Jesu V. 33 Die Szene beginnt mit einer Zeitangabe sowie mit einer Schilderung des Schauplatzes. Beides wird - wie bei Markus üblich - mit der Konjunktion καί eingeleitet: 10 Καὶ γενομένης ὥρας ἕκτης σκότος ἐγένετο ἐφʹ ὅλην τὴν γῆν ἕως ὥρας 6 Vgl. e rnSt 1981, 463-465 (464). 7 Vgl. S chWeizer 1978, 193. 194; S ommer 1993, 202. 205 und 205 Anm. 766 (mit einer Aufzählung einschlägiger alttestamentlicher Stellen: vgl. Jes 5,30; 47,5; Jer 23,12; Ez 32,8; Joël 2,2; Am 5,18. 20; 8,9; Zeph 1,15); k ertelGe 1994, 158 (zu Mk 15,33-41 und speziell zu Mk 15,33); l entzen -d eiS 1998, 348; c ollinS 2007, 751; G nilka 2010 II, 321; e ckey 2008, 502 f.; m arcuS 2009. 1054. 1062 f.; h ahn 2014, [1307-1310] 1308; h ackenberG 1992, [Spp. 610-612] Sp. 612; l imbeck 2014, 410; G uttenberGer 2017, 352. 355. - Zurückhaltender argumentiert e rnSt 1981, 471; ganz ablehnend - allerdings ohne triftige Begründung - äußert sich P eSch 1984, 493 f. 8 Vgl. dazu e rnSt 1981, 464 f. 471; P eSch 1984, 493; k ertelGe 1994, 158 (zu Mk 15,33-41); S ödinG 1996, 89; G nilka 2010 II, 312; W yPadlo 2011, [179-208] 189 f. 9 Vgl. d ormeyer 1974, 213 f.; F ritzen 2008, 334 und 334 Anm. 62. 10 Im Vergleich zu den übrigen Passagen des Markusevangeliums springt die stark gehäufte Verwendung der Konjunktion καί in der Passionserzählung ins Auge. Der Verfasser verdeutlicht dadurch die besondere Dynamik der Stelle und hebt damit ihre Relevanz im Gesamttext hervor: vgl. dazu z Wick 1989, 574. 214 8. Offenbarung und Verkündigung ἐνάτης. - „Und als die sechste Stunde gekommen war, kam eine Finsternis über das ganze Land 11 bis zur neunten Stunde.“ Die Verdunkelung des Himmels ist einerseits ein reales und andererseits gleichermaßen ein symbolisches Ereignis, das zum Inventar apokalyptischen Denkens gehört (vgl. die markante Stelle Mk 13,24-27 [24]) und daher auch einen deutlichen epiphan-numinosen Charakter besitzt. Das Substantiv σκότος lässt sich als kosmisches Phänomen (als Sonnenfinsternis) 12 oder auch als meteorologisches Phänomen (als Unwetter oder als „plötzlich aufkommender Sandsturm; Schirokko-Dunst u. ä.“? ) 13 deuten. 14 Zu bevorzugen ist wohl die zweite Lesart der Verdunkelung des Himmels durch auffallend tiefhängende, schwarze und besonders bedrohlich wirkende Unwetterwolken. 15 Entscheidender als diese Suche nach einer rationalen Erklärung erscheint aber die in der exegetischen Literatur zu Recht betonte, zeichenhafte - also übertragene - Bedeutung der Verfinsterung des Himmels zu sein, die in Am 8,9 ihr apokalyptisch-endzeitliches Vorbild hat. 16 Dunkelheit muss für den Menschen des Altertums ein Zeichen von Bedrohung gewesen sein 17 - ein unheimlicher Vorgang einer als übermächtig empfundenen Natur. Das gilt erst recht für eine am helllichten Tag plötzlich erscheinende, über eine besonders lange Dauer von drei Stunden anhaltende sowie wohl ungewöhnlich große Dunkelheit. Eine solche Verfinsterung am Tag hat nach antiker Weltsicht als Zeichen einer Schicksalswende zu gelten. 18 Die 11 Inwiefern hier an ein lokal begrenztes oder aber ein global auftretendes kosmisches Phänomen gedacht ist, trägt meines Erachtens zur Sache nur wenig bei. Die Frage kann also ruhig offenbleiben. Wichtiger erscheint hingegen die Deutung des Symbols der „Finsternis“ an sich. - Vgl. zum Thema ebenso F ritzen 2008, 336 Anm. 67, der sich jedoch für das zweite Verständnis (globales Phänomen) ausspricht. 12 Vgl. b auer 1988, [Spp. 1513-1514] Sp. 1513; h ackenberG 1992, [Spp. 610-612] Spp. 611 f. 13 Vgl. e rnSt 1981, 471. 14 Darüber hinaus liegt es nahe, im Erwähnen der „Finsternis“ eine Anspielung auf die Verklärungsperikope Mk 9,2-10 zu sehen (vgl. Mk 15,33: σκότος ἐγένετο ἐφʹ ὅλην τὴν γῆν - vgl. Mk 9,7a: ἐγένετο νεφέλη ἐπισκιάζουσα αὐτοῖς). 15 Gegen die Vermutung einer Sonnenfinsternis spricht aus astronomischer Perspektive die dreistündige Dauer der Erscheinung sowie die Konstellation der Planeten am Passahfest (Vollmond). Über diesen naturwissenschaftlichen Zusammenhang hatte man auch schon in der Antike Kenntnis: vgl. zur Begründung etwa P eSch 1984, 493. 501; m arcuS 2009, 1054; k laiber 2015, 305; S tolle 2015, 373. 16 Vgl. zur symbolischen Bestimmung des Erzählelementes der „Finsternis“ beispielhaft auch S chreiber 1967, 33-39; k laiber 2015, 305. 17 Der Begriff σκότος erscheint in wörtlicher wie in übertragener Bedeutung - und das kulturübergreifend: vgl. zum Bedeutungsspektrum vor allem b auer 1988, [Spp. 1513-1514] Sp. 1513; h ahn 2014, [1307-1310] 1307 (griechische Vorstellungswelt). 1308 (AT und Judentum). 1308-1310 (NT und Christentum); h ackenberG 1992, [Spp. 610-612] Sp. 610. - Vgl. auch b urchard 1983, 6 Anm. 18. 18 Vgl. zur Deutung des apokalyptischen Motivs ebenfalls pointiert d ormeyer 1974, 199; G nilka 2010 II, 321; S tolle 2015, 373. 8.1. Jesu Tod und Auferweckung 215 Tatsache, dass die Verdunkelung des Himmels den Zeitraum zwischen Kreuzigung (vgl. Mk 15,20b-32) und Tod Jesu (vgl. Mk 15,34-39) einnimmt, ist auffällig und somit deutungsbedürftig. Sie zeigt eine theologische Aussage an, die Urs Sommer mit zutreffenden Worten folgendermaßen umschreibt: „Die Finsternis des Gerichts ist also nicht das Ende, sondern sie geht zu Ende. So wie Gott das Gericht schickt, so nimmt er es wieder zurück.“ 19 Daraus lässt sich schlussfolgern, dass sich für den aufmerksamen Hörer oder Leser in diesem apokalyptischen Erzählelement die von Gott in seiner Souveränität verfügte Heilswende bereits andeutet. 20 Die Frage nach dem „Wozu“ oder „Wofür“ des Leidens und Todes Jesu (finaler Sinn), die später im Verzweiflungsruf Jesu (vgl. V. 34) kulminiert, stellt Markus in impliziter Form somit bereits ganz zu Anfang der Szene. 21 Die „Finsternis“, die ausdrücklich auch im übertragenen Sinne als psychologisch begreifbare „Düsternis“ („Todesdunkel“ oder „Todesschatten“) zu verstehen ist, 22 verbildlicht das Sterben Jesu nach der antik-römischen Zeitrechnung im Zeitraum von der sechsten bis zur neunten Stunde - also von zwölf Uhr mittags bis drei Uhr nachmittags. Die Mittagszeit markiert den Beginn des letzten Weges Jesu und leitet damit den Höhepunkt der gesamten Jesuserzählung ein. 23 Darüber hinaus kann die Darstellung als Parallele zur Taufperikope Mk 1,9-11 aufgefasst werden - wenn auch in entgegengesetzter Weise: Öffnete 19 Vgl. S ommer 1993, 205. - Vgl. auch e ckey 2008, 503. 20 Vgl. auch S ommer 1993, 206. 208. 209. - Vgl. ebenso S chreiber 1986, 154-159. 192 f. (Weltgericht und Neue Welt, Jesus als paradoxe Figur - als leidender Mensch und als richtender Menschensohn; Johannes Schreiber setzt jedoch den Verzweiflungsruf aus V. 34 mit dem Todesschrei aus V. 37 gleich: vgl. beispielsweise ebd. 121-131). - Insgesamt gesehen betont Schreiber den Gerichtsaspekt aber doch deutlich. Diese Sichtweise scheint er später jedoch zu relativieren: vgl. S chreiber 1997, 360 f. 362 (Ambivalenz des Sonnensymbols in Mk 16,2). - Vgl. ebenso G undry 2000, 325 f. - Vgl. zur Ambivalenz des Motivs der Finsternis zutreffend auch W yPadlo 2011, [179-208] 190-195. 21 Vgl. ebenfalls S ommer 1993, 209: „Vielleicht liegt hier für den Leser der Passionsgeschichte auch eine Antwort auf die Warum-Frage. Diese ist bereits als nach vorn gerichtet, als Frage nach dem Ziel beschrieben worden. Dann könnte die Antwort etwa so sein, dass die Gottverlassenheit Jesu zur Folge hat, dass künftig der schuldige Mensch nicht mehr aus der Gegenwart Gottes verstossen [sic! ] wird.“ 22 Vgl. b auer 1988, [Spp. 1513-1514] Sp. 1513; e rnSt 1981, 471; e ckey 2008, 502 f. - Zudem ist in der antiken paganen wie jüdischen Literatur die Dunkelheit ein Topos, der im Zusammenhang mit dem Tod einer berühmten Persönlichkeit eingesetzt wird: vgl. dazu beispielhaft schon l ohmeyer 1967, 345 und 345 Anm. 2 (mit weiteren Nachweisen) und in neuerer Zeit etwa e ckey 2008, 503 (mit zahlreichen religions- und traditionsgeschichtlichen Textbelegen). 23 Vgl. k ertelGe 1994, 158 (zu Mk 15,33-41); l entzen -d eiS 1998, 358; S chenke 2005, 344; F ritzen 2008, 334. - Vgl. zum gekonnten Einsatz des Erzählmomentes der Dehnung und Raffung im Markusevangelium auch den anschaulichen Überblick bei S tieWe / v ouGa 2011, 43 f. 216 8. Offenbarung und Verkündigung sich dort der Himmel, damit der Geist Gottes „wie eine Taube“ (vgl. Mk 1,10) auf Jesus hinabsteigen konnte, so verschließt sich der Himmel nun. Waren die Geistsendung und die Stimme Gottes damals nur für den Gottessohn wahrzunehmen (vgl. Mk 1,10 f.), so ist die hereinbrechende Dunkelheit jetzt für alle sichtbar, ebenso wie der verzweifelte Schrei Jesu im Folgevers 34 von allen beim Kreuz Anwesenden zu hören ist und bei ihnen Verwunderung und Häme auslöst (vgl. die Verse 35 und 36). Die in der Taufe Jesu noch ver hüllten göttlichen Zeichen von Vision und Audition werden jetzt ent hüllt. Sie sind objektiv zu erkennen wie subjektiv zu erfassen. Somit tritt die offenbarungstheologische Prägung des Stückes zu Tage. 24 Die in der Finsternis angedeutete göttliche Sphäre und die durch die letzten Worte Jesu verdeutlichte irdische Sphäre verbinden sich an dieser Stelle der Erzählung wie in der Taufszene zu Beginn des Evangeliums. 25 Der dort formulierte Ding- oder Wesensaspekt der Bevollmächtigung Jesu in der Sendung des Geistes Gottes findet seine Erläuterung im Bedeutungs- und Wirkungsmoment der Todesszene. Aber noch bleibt die Deutung des himmlischen Zeichens der Finsternis vage. 26 Weitere Zeichen werden folgen müssen, die die mit der Dunkelheit angezeigte Intervention Gottes begreiflich werden lassen. V. 34 Der Vers knüpft - erneut angefügt mit einem καί - an die vorherige Zeitangabe („neunte Stunde“) an und gibt einen Ruf Jesu in höchster Not - in Todesangst - wieder: καὶ τῇ ἐνάτῃ ὥρᾳ ἐβόησεν ὁ Ἰησοῦς φωνῇ μεγάλῃ·· ελωι ελωι λεμα σαβαχθανι; ὅ ἐστιν μεθερμηνευόμενον· ὅ θεός μου ὅ θεός μου, εἰς τί ἐγκατέλιπές με; - „Und in der neunten Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme: ‚Eloї, Eloї, lema sabachtani? ‘, das heißt in der Übersetzung: ‚Mein Gott, mein Gott, wozu 27 hast du mich verlassen? ‘“. 28 24 In diese Richtung gehen auch die Überlegungen von G nilka 2010 II, 321 (zum Motiv der Finsternis). 25 Insofern lässt sich auch die Anhöhe Golgotha mit dem Verklärungsberg Mk 9,2a als Ort der Begegnung mit Gott und damit als Ort der Offenbarung Gottes in Beziehung bringen: In der heillosen Stätte des Todes liegt bereits die Hoffnung auf die durch Gott bewirkte heilsame Wende begründet, um Tod in Leben zu verwandeln. Die die gesamte Schlusssequenz leitmotivartig bestimmende Ambivalenz der Machtlosigkeit Jesu und der Machtfülle Gottes wird anschaulich. 26 Auf die Ambiguität des Motivs der Finsternis geht F ritzen 2008, 336-341 ausführlich ein. 27 Der Fragesatz ist final und nicht kausal aufzulösen (εἰς τί - wörtlich etwa: „zu was? “): vgl. zu Recht zum Beispiel b urchard 1983, 8; b arth 1992, 130 f.; e ckey 2008, 504. 508; W yPadlo 2011, [179-208] 192-194. - P eSch 1984, 495 f. und S ödinG 1996, 99 Anm. 55 etwa möchten beim kausalen Verständnis („warum“) bleiben. - Vgl. die Ausführungen dazu weiter unten im Haupttext. 28 Ob hier tatsächlich eine mögliche Rückübersetzung des hebräisch abgefassten Psalms 22 ins Aramäische - der Muttersprache Jesu - durch die markinische Redaktion erfolgte - 8.1. Jesu Tod und Auferweckung 217 Es sind dies die letzten Worte Jesu, die der Evangelist überliefert. Danach versagen dem Gekreuzigten die Kräfte, bis er schließlich mit einem letzten lauten Schrei stirbt (vgl. V. 37). Der doppelte Verweis auf die Lautstärke des Schreis (ἐβόησεν […] φωνῇ μεγάλῃ: Pleonasmus) betont die große Einsamkeit und tiefe Verzweiflung Jesu. Auf dem Höhepunkt des Evangeliums scheint es so zu sein, als ob sich Gott von seinem Sohn abgewendet hätte. 29 Zur (tatsächlichen) Verlassenheit Jesu durch die Menschen - durch die Jünger - kommt nun noch die (vermeintliche) Verlassenheit durch Gott. 30 Auch hier kann man eine Verbindungslinie zu den Wundererzählungen ziehen, die im semiotischen Schema der Makroebene den Zeichen- oder Erscheinungsaspekt repräsentieren: In den Therapiegeschichten befinden sich die Betroffenen in einer sozial wie medizinisch bedrohlichen Lage; sie sind sprichwörtlich Notleidende und wenden sich glaubend an Jesus, der helfend eingreift und die Not beseitigt. Er übernimmt damit den aktiven Part, ist der Akteur der Szene, der den Leidenden - den wortwörtlich „Passiven“ - hilft. In der jetzigen Szene aber verändert sich die Situation fundamental, denn nun wird Jesus selbst zum Hilfsbedürftigen, der auf ein Eingreifen Gottes vertraut. 31 vgl. b arth 1992, 129 f. -, ist hier nicht von Belang. - Vgl. zur Kritik auch l innemann 1970, 149; P eSch 1984, 495. 501. 29 Vgl. l ohmeyer 1967, 345 f.; S chlier 1974, 80 f.; G rundmann 1977, 434 f.; S chWeizer 1978, 194; S ommer 1993, 206 f.; e vanS 2001, 507. 512; S chenke 2005, 344 f. - Die theologisch-christologische Relevanz des Verlassenheitsmotivs, die mit dem Zitat von Ps 22 zum Ausdruck kommt, prononciert zu Recht S anGer c amPbell 2006, [99-117] 99-101. 113-116. 116-117. 30 Das Motiv der absoluten Gott- oder Todesverlassenheit akzentuiert auch S ommer 1993, 206-209 (zu V. 34). 209-210 (zu V. 35). 210-211 (zu V. 36). 211-212 (zu V. 37). 231 (zu Mk 16,6). - Dagegen etwa b urchard 1983, 8-11: Der aramäisch gesprochene Psalmvers 22,2 sei als Machtwort (vgl. ebd. 8) und Leidensankündigung (vgl. ebd. 9) zu verstehen und nicht als Ausdruck der Verlorenheit oder Gottferne. Jesus sei damit stets Herr der Lage gewesen („[…], weil Jesus auch in dieser Situation seine Vollmacht behält und anwendet. Er hätte das Ziel seines Sterbens [und dieses selbst] nicht nur herbeigebetet, sondern herbeigeführt[…]“ - vgl. ebd. 8 f.). Entsprechend müsse das im Vers 37 geschilderte Aushauchen wie ein triumphaler Akt gewertet werden (vgl. ebd. 10). - Es ist in dem Todesschrei Jesu jedoch die Ambivalenz von Unheil und Heil zu beachten (vgl. hierzu die jeweiligen Anmerkungen im Fließtext). 31 Vgl. zum Aspekt der Passivität Jesu in der Passionsgeschichte prägnant auch h errmann 2009, 339 f. - Ein interessantes Detail ergibt sich noch im Hinblick auf den verzweifelten Schrei Jesu, wenn man seine sprachliche Umsetzung mit der entsprechenden Beschreibung des Rufes des dämonischen Mannes aus Gerasa (vgl. Mk 5,1-20) vergleicht. In beiden Fällen erscheint eine zweifache, pleonastisch wirkende Formulierung (eine Kombination aus Verb - „laut rufen“ - und dem gleichlautenden Dativobjekt - „mit lauter Stimme“), die die Aussage verschärft, so dass es sich jeweils um eine Anrufung Gottes handelt, die entweder mittelbar (über den Messias Jesus) oder unmittelbar an JHWH gerichtet ist. Zum Ausdruck kommen darin die Emphase und damit die verzweifelte, existentielle Lage der beiden Sprecher. 218 8. Offenbarung und Verkündigung Gott ist nun der einzig Agierende; der Sohn Gottes gibt sich ganz in die Hand von Gott-Vater. Die dem Messias von JHWH verliehene Vollmacht zeigt sich am Kreuz als Ohnmacht; Jesus unterstellt sich der Allmacht des Herrn. 32 Im Sterben und Tod Jesu erscheint somit die Paradoxie von himmlisch-göttlicher Allmacht und irdisch-jesuanischer Ohnmacht. Daher sind bereits in den ersten Versen der Perikope diejenigen semiotischen Komponenten von „Ding“ und „Zeichen“ über den Tod Jesu präsent, die den Sinnzusammenhang der Gesamtaussage des Evangeliums erschließen („Bedeutung“). Die Finsternis und die letzten Worte Jesu aus dem Psalter (vgl. Psalm 22) 33 veranschaulichen den Todeskampf Jesu und lassen sich semiotisch-systematisch der Dingebene zuordnen. Im Vergleich zur erwähnten Finsternis wirken die Worte Jesu jedoch lediglich als eine additive wie intensivierende Vergegenwärtigung seines Leidens am Kreuz. Hinsichtlich der Motivik der Dunkelheit bestehen zwei gegenläufige Bedeutungsrichtungen: Neben der Paraphrase des langen, schmach- und qualvollen Todesleidens Jesu am Kreuz erfasst der Begriff „Finsternis“ die sich offenbarende Schöpfermacht JHWH s, die sich mit dem bevorstehenden Tod des 32 Vgl. im Ergebnis ähnlich e rnSt 1981, 471 f.; S ommer 1993, 208 f. (Gott schlage sich in der Gestalt des Messias Jesus auf die Seite der sündigen Menschen „und [schenkt - S. E.] durch diesen seinen Gesalbten den Sündern weiterhin seine Gegenwart“). - Vgl. zustimmend auch S tieWe / v ouGa 2011, 46. 47 f. (die Konfrontation zwischen menschlichem und göttlichem Denken, die im Kreuzestod Jesu anschaulich wird). 33 Vgl. zur Deutung des ambivalent wirkenden Psalmverses 22 die zutreffenden Anmerkungen von F ritzen 2008, 341-348. Resümierend führt er aus: „Solche Klage über die Gottverlassenheit bedeutet natürlich dennoch eine Anfrage, die nach Antwort sucht - ohne solche zielgerichtete Hoffnung auf Antwort wäre sie auch bloßes Jammern -; sie sucht die Antwort aber nicht im Sinne von Gründen oder Zielen, sondern auf der Beziehungsebene: Es ist eine Anfrage, die letztlich von der Hoffnung getragen wird, dass Gott zeigt, dass er den Beter nicht verlassen hat. Die Klage über die Gottverlassenheit klagt so die Nähe Gottes ein. […] Sinn der Interpretation der letzten Worte Jesu im Markusevangelium kann es nicht sein, die ihnen innewohnende Spannung aufzulösen. Die Auslegung hat vielmehr ausdrücklich auf diese Spannung hinzuweisen: Angesichts der sich durch Ablehnung, Feindschaft und Tod aufdrängenden Empfindung der Gottverlassenheit tut Jesus das, was allein erforderlich ist - er ruft Gott weiterhin als seinen Gott an. So baut er die Spannung auf und hält sie aus, die ihn davor bewahrt, tatsächlich von Gott verlassen zu sein“ (vgl. ebd. 348). - Vgl. ebenso S chWeizer 1978, 194; S tolz 1980, 146-148; P eSch 1984, 494 f.; S chmithalS 1986, 696-699; k ertelGe 1994, 158 f.; P elleGrini 2000, 368-370. 372 f.; S ödinG 1996, 99 f.; d ormeyer 2002, 313; c ollinS 2007, 755; d SchulniGG 2007, 399. 401; e ckey 2008, 504 f.; W yPadlo 2011, [179-208] 193 f.; k laiber 2015, 306 f.; S tolle 2015, 374; G uttenberGer 2017, 353. - Vgl. zur Relevanz der markinischen Rezeption der Gottesknechtsthematik aus Ps 22 zusammenfassend ebenfalls W eeden 1976, 115-134; c arey 2009, 167-170. 173. - Ob Jesus den gesamten Klage- und Dankpsalm 22 betet, wie das beispielsweise P eSch 1984, 494 und d SchulniGG 2007, 400 annehmen, kann dahingestellt bleiben, denn wesentlich ist das in dem zitierten Vers 2 genannte Motiv der fragend-hoffenden Anrufung Gottes in höchster Lebensbedrohung, das der Evangelist veranschaulichen will . - Vgl. auch e rnSt 1981, 471 f.; G nilka 2010 II, 321 f. 8.1. Jesu Tod und Auferweckung 219 Gottessohnes verbindet, denn das kosmische Zeichen verweist auf das geheimnishafte, heilsame Handeln Gottes. 34 Negatives wie Positives vereinen sich. Die beiden genannten Bedeutungsnuancen stehen für die theologische Interpretation „Tod und Leben“. Die paradoxe Fügung wird hier erstmalig angesprochen und im weiteren Verlauf der Perikope ausgiebig erläutert. Darin deutet sich das neuschöpferische Moment des göttlichen Wesens an, das sich so auch in der philosophisch-semiotischen Bestimmung wiederfindet: Gottes Sein lässt sich grundsätzlich als tiefgreifend dynamische Entität erfassen, die beim Menschen eine Verwandlung im Sein bewirkt und folglich auch eine Wandlung im Leben des Menschen herbeiführt. So greift das Textelement des Schreis aus Verlassenheit mit der Gegensätzlichkeit von Verzweiflung und Hoffnung den im Motiv der Finsternis erfassten Gegensatz des negativen (Tod Jesu) und positiven (Heil Gottes) Ereignisses auf. 35 VV. 35. 36 Die sich unter dem Kreuz befindlichen Menschen (καὶ τινες τῶν παρεστηκότων ἀκούσαντες ἔλεγον· - „Und einige, die dabeistanden, sagten, als sie [das] hörten, […]“ - vgl. V. 35a) missdeuten den aramäischen Ausruf Jesu: ἴδε Ἠλίαν φωνεῖ. - „Siehe, den Elija ruft er! “ (vgl. V. 35b). Der Ausspruch zeigt, dass sich hier nicht die die Hinrichtungsstätte bewachenden römischen Soldaten äußern, sondern dass es sich um Juden handeln muss, die am Kreuz Jesu vorüberkommen und dort Halt machen, denn nur sie können die Geschichten über den wundermächtigen Propheten Elija kennen. Zudem erscheint der lautliche Unterschied zwischen den entsprechenden hebräischen bzw. aramäischen Bezeichnungen zu groß zu sein, um auf ein absichtsloses Verhören hinzuweisen. 36 Damit deutet die Bemerkung auf ein vorsätzliches Missverstehen hin. 37 So setzt sich mit dieser verächtlich gemeinten 34 Ähnlich beurteilt auch S chenke 2005, 344 f. 346 das Moment der absoluten Todeseinsamkeit. In dieser sei die Erlösung durch Gottes Eingreifen bereits im Keim angelegt. Den Grund für diese Hoffnung bilde natürlich die Gottessohnschaft Jesu, auf die das Evangelium immer wieder hinweise (vgl. Mk 1,11; 3,11; 9,7; 14,61): Gott wird seinen Sohn damit nicht fallenlassen. - Möglicherweise sei zudem der Hörer oder Leser im Blick, dem die Gewissheit der Gegenwart Gottes auch in schier aussichtslosen Momenten der Bedrängnis und Not vermittelt werden solle: vgl. ebd. 345. 35 Profiliert wird diese zweifache Funktion der Verwendung des Psalmzitats zu Recht auch bei v an i erSel 1993, 232. 235-237. 36 Vgl. etwa prägnant S ommer 1993, 209 und 209 Anm. 785; e ckey 2008, 505. 37 Vgl. dazu auch d ormeyer 1974, 202 f.; e rnSt 1981, 472; P eSch 1984, 495. 496 (zu V. 35); v an i erSel 1993, 232; k ertelGe 1994, 159; P elleGrini 2000, 360 f. 365-368 (Silvia Pellegrini meint aber, es handele sich dabei um ein tatsächliches und deswegen um kein vorgespiegeltes Unverständnis der Umstehenden, da Markus hier eine Korrektur des falschen Elijabildes vornehme. - Der Kontext der gesamten Passionsgeschichte Mk 14,1-15,47, die Jesus als 220 8. Offenbarung und Verkündigung Äußerung das grundsätzliche Unverständnis gegenüber Jesus fort und erhält eine Steigerung. Durch die Tatsache, dass Jesus am Ende seines Lebens von seinen Jüngern verlassen ist, er den Beistand Gottes erfleht und er nur noch von ihm feindselig eingestellten Menschen - insbesondere aus seinem eigenen Volk - umgeben ist, will Markus die höchstmögliche Ablehnung der Person wie Botschaft Jesu in Israel herausstellen. Bildlich gesprochen (vgl. die „Finsternis“ im Vers 33! ) fällt damit ebenso ein „Schatten“ auf die Reich-Gottes-Predigt Jesu: Es steht nicht nur Jesu physische Existenz als irdischer Mensch auf dem Spiel, sondern primär seine metaphysische Existenz als göttlicher Menschensohn . Ist Jesus daher anscheinend oder doch nur scheinbar gescheitert? Das ist die große Frage, die sich erst mit der Auferstehung auflösen wird. An den Leser und Hörer appelliert der Evangelist aber schon an dieser Stelle in impliziter Form, sich vom Angesicht des Todes (wie Jaïrus bei seiner toten Tochter [vgl. Mk 5,36]) nicht verwirren zu lassen, sondern im Gegensatz zu den Skeptikern unter dem Kreuz (und denen im Haus des Jaïrus - vgl. Mk 5,35. 40) auf das messianische Wesen Jesu Christi zu vertrauen - „zu glauben“ - und sich somit auf die richtige Seite zu schlagen: Es geht um die „Scheidung der Geister“. „Elija“ wird in diesem Passus zum Leitmotiv. Die Erzählung bringt Jesus noch einmal in Verbindung mit dem berühmten alttestamentlichen Wunderpropheten, mit dessen Wirksamkeit Jesu Tun fälschlicherweise (vgl. Mk 1,2-8; 9,11-13: Johannes der Täufer ist natürlich der für die Endzeit erwartete „Elija redivivus“! ) immer wieder verglichen wurde (vgl. die summarischen Notizen dazu in Mk 6,14-16 [15a]; 8,27-30 [28b]). 38 Das Heranziehen der Gestalt des Elija als vermeintlichem Nothelfer 39 dient damit nicht allein dem offenkundigen Spott der Erzählfiguren, sondern es ist dem Evangelisten ein Anliegen, seine Zuhörer und Leser an dieser erzählerischen Zäsur erneut an die Einmaligkeit und Größe Jesu zu erinnern: Jesus ist in den Augen des Markus zweifelsohne mehr als Elija, mehr als ein Prophet. Mit diesem hohen Anspruch Jesu begann das Evangelium (vgl. Mk 1,1-13), und mit ihm endet es folgerichtig auch. 40 eine von allen Seiten spöttisch-feindseligen Widerspruch erfahrende, von seinen Jüngern verlassene und somit völlig isolierte Person zeichnet, weist meiner Meinung nach jedoch deutlich auf eine absichtliche Verspottung Jesu auch in Mk 15,35 hin); d ormeyer 2002, 313; S chenke 2005, 345; c ollinS 2007, 755; e ckey 2008, 505; G nilka 2010 II, 322 f.; e bner 2012, 164. - Unbeantwortet bleibt diese Frage bei d SchulniGG 2007, 401. - Dagegen etwa z Wick 1989, 441 f. 38 Vgl. auch S tolle 2015, 374. 39 Vgl. G rundmann 1977, 435; S chWeizer 1978, 194; e rnSt 1981, 472; P eSch 1984, 496; S ommer 1993, 209 f.; k ertelGe 1994, 159; l entzen -d eiS 1998, 348; S chenke 2005, 345; d SchulniGG 2007, 401; e ckey 2008, 505 f.; G nilka 2010 II, 322 f.; k laiber 2015, 307. 40 Vgl. auch c ollinS 2007, 755 f. 8.1. Jesu Tod und Auferweckung 221 δραμὼν δέ τις [καὶ] γεμίσας σπόγγον ὄξους περιθεὶς καλάμῳ ἐπότιζεν αὐτὸν λέγων· - „Es lief aber einer und tränkte einen Schwamm mit Essig, steckte [ihn] auf einen Stock, gab ihm zu trinken [und] sprach: […]“ - vgl. V. 36a). Aus der Menschengruppe an der Hinrichtungsstätte löst sich ein anonym bleibender Mann und bietet Jesus einen mit Weinessig getränkten Schwamm auf einem Stock an. Dieser Mann bezieht sich auf die vorherige Aussage über Elija und ergänzt: „Lasst uns sehen, ob Elija kommt, ihn abzunehmen“ (ἄφετε ἴδωμεν εἰ ἔρχεται Ἠλίας καθελεῖν αὐτόν - vgl. V. 36b). Natürlich handelt es sich um eine sarkastische Bemerkung, die verletzen soll und an die Aussage über Elija aus dem vorhergehenden Vers anschließt. 41 Daher ist es auch naheliegend, hier erneut mit einem jüdischen Sprecher zu rechnen. Wie zuvor der Verlassenheitsruf Jesu (vgl. V. 34), ist auch die in den Versen 35 und 36 geschilderte Reaktion der Spötter unter dem Kreuz als komplementäres und intensivierendes Erzählelement des Dingmomentes zu begreifen, das die semiotische Funktion des Dynamischen und die theologische Interpretation von „Tod und Leben“ veranschaulicht: Paradoxerweise scheint - wie zuvor im Symbol der Dunkelheit (vgl. V. 33) - in der Äußerung über Elija die bevorstehende Rettung Jesu auf. Die menschlichen Erwartungen werden allerdings von Gott enttäuscht werden, denn es wird weder der entrückte Elija sein, der vom Himmel herabsteigt, um Jesus 41 Die Deutung der Essiggabe und der dazugehörigen Bemerkung lassen l ohmeyer 1967, 346 und G rundmann 1977, 435 offen: Denkbar seien sowohl Spott als auch Hilfe (vgl. auch S chreiber 1986, 70 f.: Hilfe; d SchulniGG 2007, 401: Hilfe). - Man sollte das Erzählelement jedoch nicht lösgelöst vom Kontext betrachten. In Verbindung mit der vorausgehenden, breit geschilderten Verhöhnung Jesu durch seine Gegner - vgl. Mk 15,29-32 - erscheint das Handeln und Reden des namenlosen, jüdischen Mannes unter dem Kreuz sehr wohl als Ausdruck von Verachtung (vgl. so zu Recht auch m arcuS 2009, 1056. 1065). - Für diese Lesart spricht zudem, dass das Reichen des Weinessigs deutlich an die Aussage in Ps 69,22 erinnert: vgl. dazu etwa S chWeizer 1978, 193. 194; P eSch 1984, 496 f. (vorsichtige Anspielung); k ertelGe 1994, 159; d SchulniGG 2007, 399. 401; e ckey 2008, 505 f.; k laiber 2015, 307. - Dagegen l ohmeyer 1967, 346 [fehlende deutliche sprachliche und inhaltliche Signale]; P elleGrini 2000, 362-364 [aus semiotisch-textpragmatischer Perspektive: Der Hinweis auf Ps 69 sei überflüssig, weil er eine bloß „unökonomisch[e]“ „intertextuelle Referenz“ - vgl. ebd. 364 - darstelle]; S tolle 2015, 374 [Anrufung Elijas, Vagheit der Anspielung]). - Nach S ommer 1993, 202 f. ist eine Verbindung der Stelle zu Ps 69,22 nicht nur in lexikalischer, sondern auch in semantischer Hinsicht ausgeschlossen: Der Jesus angebotene Weinessig sei in antiker Zeit „ein beliebtes durstlöschendes Volksgetränk“ (vgl. ebd. 203) gewesen, so dass von einer Foltermethode gar nicht die Rede sein könne. - So sicher ist die Sache aber nicht! Der Hinweis auf den Weinessig als antik-orientalisches Erfrischungsgetränk ist zwar richtig, er taugt aber nicht als Gegenargument: Es ist doch schließlich so, dass die Folter gerade in der beabsichtigten Verlängerung des Lebens, die durch die Stärkung mit dem Essigtrank zu erwarten ist, besteht(vgl. auch d ormeyer 1974, 203; P eSch 1984, 496 f.; e ckey 2008, 505. 506)! Sommer spricht den Punkt der Lebensverlängerung sogar selbst an (vgl. ebd. 210), ohne aber daraus die richtige Konsequenz zu ziehen. - Vgl. ähnlich auch e vanS 2001, 508. 222 8. Offenbarung und Verkündigung von seinem Leiden zu erlösen, noch wird die Rettung eine Rückführung ins diesseitige Leben (wie bei der verstorbenen Tochter des Jaïrus) sein. Gott wird den Tod Jesu zwar nicht verhindern, dafür aber einen ganz anderen, überraschenden Weg der Rettung wählen. 42 JHWH wird sich dadurch umso eindrucksvoller in seiner Schöpfermacht - als Herr über Leben und Tod - offenbaren. Es ist jedoch bezeichnend, dass der Evangelist - szenisch intelligent arrangiert - nach dem Verlassenheitsruf Jesu (im Vers 34) nun im Vers 36 eine spöttisch-abschätzige Anmerkung folgen lässt, die mit dem Tod Jesu zeitlich zusammenfällt (vgl. den Vers 37: δέ): Die Zweifler an Jesu Botschaft scheinen buchstäblich „das letzte Wort“ zu behalten. Es sieht ganz so aus, als ob die negative Stimmung, die sich schon in der kosmischen Dimension durch die Finsternis ausdrückte, übermächtig geworden sei. Nach rein menschlicher Vorstellungskraft ist das Scheitern Jesu offenkundig! VV. 37. 38 „Jesus aber stieß einen lauten Schrei aus [und] hauchte den Geist aus (V. 37). Und der Tempelvorhang riss entzwei von oben bis unten (V. 38).“ - ὁ δὲ Ἰησοῦς ἀφεὶς φωνὴν μεγάλην ἐξέπνευσεν (V. 37). Καὶ τὸ καταπέτασμα τοῦ ναοῦ ἐσχίσθη εἰς δύο ἀπʹ ἄνωθεν ἕως κάτω (V. 38).“ Mit einem Schmerzensschrei stirbt Jesus. Wie zuvor im Vers 34 (ἐβόησεν […] φωνῇ μεγάλῃ) gibt es auch hier mit dem Ausdruck: ἀφεὶς φωνὴν μεγάλην eine pleonastische Fügung (vgl. V. 37), die sich wiederum mit einer ganz ähnlich lautenden Wendung in der Episode um den Gerasener Besessenen (vgl. Mk 5,7a: κράξας φωνῃ μεγάλῃ) deckt. In beiden Fällen ist die sprachliche Anspielung kein Zufall. Erneut drückt sich darin der große Schmerz Jesu in seinen letzten Lebensmomenten aus. Ferner rückt Jesus erneut (vgl. V. 34) deutlich in die Rolle einer passiven Erzählfigur, die ein heilsames Eingreifen Gottes erwartet, so wie sich in den Wundergeschichten die um Hilfe suchenden Menschen an Jesus wandten. Der Begriff „aushauchen“ (ἐξέπνευσεν), mit dem der Vers 37 zum Abschluss kommt, ist vom Evangelisten bewusst gewählt worden. 43 Die Endstellung des 42 Vgl. dazu pointiert S ommer 1993, 210; d ormeyer 2002, 313 f. - Vgl. ebenso e ckey 2008, 505, der zutreffend schreibt: „Ein wesentlicher Unterschied zu Ps 22 ist nicht zu übersehen. Der todgeweihte Psalmbeter erlebt überraschend die Wende seiner Not; er wird noch in seinem Erdenleben erhört. Jesu Weg ist unumkehrbar. Er muß [sic! ] seine Agonie zu Ende leiden. Kein Nothelfer erscheint, um ihn im letzten Augenblick zu retten.“ 43 Bei e rnSt , 1981, 472; S chenke 2005, 346 und G nilka 2010 II, 323 bleibt die Frage der Semantik des Begriffs ἐξέπνευσεν offen. - G rundmann 1977, 435 f.; k ertelGe 1994, 159; P elleGrini 2000, 371 f. und 370 Anm. 60 (mit Verweisen) sowie 371 Anm. 61-62 (mit Textbelegen); c ollinS 2007, 763; d SchulniGG 2007, 402 (mit Verweis auf Kertelge) und k laiber 2015, 307 deuten den Begriff lediglich als Paraphrase für das Sterben. - S tolle 2015, 375 hält dagegen eine pneumatologische Deutung für möglich und verweist dafür meines 8.1. Jesu Tod und Auferweckung 223 Prädikats in Mk 15,37 bekräftigt und vertieft die Aussage. Auf diesem Terminus liegt eindeutig der inhaltliche Schwerpunkt, dessen Bedeutung durch die Doppelbezeugung im Folgevers 39 (vgl. V. 39a) noch verstärkt wird. Die Perikope über das Sterben und den Tod Jesu erinnert aus philosophischsemiotischer Betrachtungsweise an den das Zeichenmoment bestimmenden Konnex des Dingaspektes mit dem Zeichenaspekt, denn im Zeichenhaften verwirklicht sich das Dinghafte. Semiotisch gesprochen wird das Ding zur Darstellung („Zeichen“) gebracht. Es geht daher um das die beiden Kategorien Verbindende - das „Relationale“. Das Zeichen des „Aushauchens“ verdeutlicht nun gerade das Beziehungsgefüge zwischen „Geist Gottes“ und „Allmacht Gottes“ einerseits und „Geist Jesu“ und „Vollmacht Jesu“ andererseits. Geist und Vollmacht werden deswegen auch in Mk 15,33-39 implizit synonym verstanden (vgl. die Ausführungen dazu gleich unten). Das heißt konkret: Der Begriff ἐξέπνευσεν stellt daher keinen Euphemismus für den Tod Jesu dar, sondern er enthält eine verborgene Bedeutungsschicht, die sich aus den im gesamten Handlungsablauf des Markusevangeliums erwähnten Einzelzeichen ergibt. Diese Bedeutungsebene lässt sich angemessen mit der den Zeichenbegriff beschreibenden theologischen Dichotomie „Verheißung und Erfüllung“ erläutern, die sich in zwei Hinsichten entfaltet: Zum einen: Der Terminus ἐξέπνευσεν rekurriert selbstverständlich zunächst erkennbar auf die Taufgeschichte (vgl. Mk 1,10), so dass die sprachliche Analogie von „ Ein hauchung“ - vgl. Mk 1,10 (in der metaphorischen Paraphrasierung des Herabsteigens des Geistes ὡς περιστεράν) - und „ Aus hauchung“ - vgl. Mk 15,36 - den Sinnzusammenhang aufdeckt. Dadurch wird die Göttlichkeit - die Gottessohnschaft oder die Messianität - Jesu zeichenhaft-sprachlich wie zeichenhaft-sinnlich vermittelt. Das Auftreten des endzeitlichen Messias versteht sich als Erfüllung der göttlichen und prophetischen Verheißung. Das Sein Gottes und das Wesen Jesu - Himmel und Erde - verschmelzen in der unsichtbaren Geistgabe, deren sichtbare Seite - semiotisch gesprochen: deren erkennbares Zeichen - in der erstaunlichen Vollmacht Jesu besteht. Die Erfahrung göttlicher Transzendenz und Immanenz kommt in der Szene über den Tod Jesu wie auch schon in der Taufepisode zum Ausdruck. Es ist daher kein Zufall, dass die für das Verständnis des Evangeliums notwendige Verknüpfung von „Geist“ und „Vollmacht“ am Schluss der Schrift noch einmal erscheint. Dieses besondere mensch- Erachtens zu Recht auf den Ausruf des römischen Hauptmannes in Mk 15,39. - Vgl. ebenso P eSch 1984, 497 f.; d oWd / S trutherS m albon 2006, 29. - S tieWe / v ouGa 2011, 46 plädieren ebenfalls für ein pneumatologisches Verständnis: „Er [Jesus - S. E.] rettet sich selbst (Mk 15,31 = Mk 8,34-38), indem er seine Seele als Geschenk Gottes empfängt und dahingibt.“ - Diese Interpretation favorisieren beispielsweise auch e ckey 2008, 506 und W yPadlo 2011, [179-208] 204. 224 8. Offenbarung und Verkündigung lich-göttliche Charisma Jesu als alles bestimmenden Sinnzusammenhang zu erschließen und ihn zu betonen, leistet die philosophisch-semiotische Kategorisierung und Terminologie des „Zeichens“ und der „Relationalität“ als Verschränkung von „Ding“ und „Zeichen“ in herausgehobener Weise. Die zum Zeichenaspekt gehörige theologische Interpretation von „Verheißung und Erfüllung“ lässt sich hier deutlich nachvollziehen. Zum zweiten: Die Ein hauchung des Pneuma Gottes in Jesus, die die Taufgeschichte prägt (vgl. Mk 1,10 f.), begreift sich als Reflex auf die in der Urgeschichte erzählte Be hauchung Adams mit dem göttlichen Geist (vgl. Gen 1,7). Sie ist das Urzeichen des Schöpfungsaktes. Somit kommt das Schöpfungsmoment zur Darstellung. Wenn das Zeichen der Behauchung mit dem göttlichen Geist nun auch zum Abschluss des Markusevangeliums ex negativo als Aus hauchung angesprochen wird, dann deutet sich darin die Vernetzung von Protologie und Eschatologie an: So wie Adam als der erste Mensch mit dem Atem Gottes die stellvertretende, irdisch-begrenzte Vollmacht über die Schöpfung erhält, so erfährt Jesus als letzter Mensch in der Geisttaufe im Jordan die himmlisch-unbegrenzte Vollmacht über die Schöpfung, die ihn zum Stellvertreter JHWH s beruft. Aus diesen beiden Aspekten der „Offenbarung“ und der „Schöpfung“ kann man schlussfolgern: Wenn Jesus in der Taufperikope mit dem göttlichen Geist begabt wird, dann verlässt dieser den Gottessohn in der Todesszene. Der göttliche Lebensgeist - der Odem -, der in der Taufe mit Jesu menschlichem Geist verschmolz, zieht sich mit dem Geist Jesu bei dessen Tod zurück. Doch der offenkundig herrschenden, vernichtenden Kraft des Todes wird zugleich die Macht des Lebens entgegengesetzt. Denn der Aspekt der „ Be hauchung“, der auch im Begriff der „ Aus hauchung“ steckt, verweist auf die stets vorhandene Hoffnung auf das neu schöpferische Handelns Gottes, das die erwähnte Verbindung von Protologie und Eschatologie herstellt. Davon wird im Kapitel 16 ausführlich die Rede sein. Offenbarung und (Neu-) Schöpfung vereinen sich somit: Dieser hermeneutische Zusammenhang erschließt sich durch die theologische Dualität von „Verheißung und Erfüllung“ sehr klar. Auf die offenbarungs- und schöpfungstheologische Einheit und Zuordnung von „Geist“ und „Vollmacht“ kommt es für die angemessene Deutung der Szene wesentlich an. Es ist das Verbindungsstiftende und damit das Sinnstiftende. Der Verfasser des Evangeliums schließt in Mk 15,37 mit dem Schlüsselbegriff ἐξέπνευσεν den komplexen Themenkreis „Geist und Vollmacht“, der das Wesen Jesu als Sohn Gottes definiert, ab. Dadurch wird das Ende des irdischen Wirkens Jesu angezeigt und darüber hinaus dargelegt, dass es sich bei der Episode über das Sterben und den Tod Jesu um eine für die Deutung des Gesamttextes zentrale Stelle handelt . Die Thematik „Geist und Vollmacht“, die offenbarungstheologisch und schöpfungstheologisch gedeutet wird, umfasst die Komponenten „Pneumatologie“, „Christologie“, „Soteriologie“ und „Eschatologie“. 8.1. Jesu Tod und Auferweckung 225 Die Taufwie die Todesperikope sind also antithetisch gehaltene Erzählszenen - sie sind positiv (die Gabe des Geistes - vgl. Mk 1,10: καὶ τὸ πνεῦμα ὡς περιστερὰν καταβαῖνον εἰς αὐτόν) und negativ (die Rückgabe des Geistes - vgl. Mk 15,37: ἐξ έπνευσεν) gestaltete Szenen und sind dadurch deutlich aufeinander bezogen. Aber nicht nur die Taufszene ist für die Thematik „Geist und Vollmacht“ relevant, sondern Markus beschreibt seine Jesusfigur durch die Handlung seines Evangeliums hindurch konsequent als Geistträger. Das ist jedenfalls für den ersichtlich, der die zahlreichen jesuanischen Wort- und Tatzeichen richtig zu deuten vermag. Die vollmächtigen Worte und die wunderbaren Handlungen Jesu repräsentieren somit Heilsworte und Heilstaten Gottes. Als additives apokalyptisches und eschatologisches Zeichen 44 ist das Entzweireißen des Tempelvorhangs zu werten, denn dieser Vorgang bildet die Wirkung auf die Ursache des Todes Jesu, der mit dem Terminus ἐξέπνευσεν angesprochen ist. Mit anderen Worten: Die „Verheißung“ der Lebensmacht Gottes gelangt in diesem „Offenbarungszeichen“ zur „Erfüllung “. Die beiden Ereignisse des Aushauchens und des Zerreißens werden über die Konjunktion καί als Ausdruck der Gleichzeitigkeit einander zugeordnet. 45 Die Passivform ἐσχίσθη (vgl. V. 38) weist auf göttliches Handeln hin. 46 Der Tempelvorhang verdeckt die Sicht auf die heilige, göttliche Sphäre. 47 Im Zerreißen des Tempelvorhangs wird zweierlei ausgedrückt: Zum einen ent hüllt sich das vorher ver hüllte Sein Gottes, zum anderen ent hüllt sich der vorher verhüllte Wesenskern Gottes jetzt auch allen Menschen. Das göttliche Heil wird universal bestimmt (vgl. auch Hebr 9,8; 10,19-20). 48 Der zutiefst epiphane Cha- 44 Vgl. zu Recht k ertelGe 1994, 158 (zu Mk 15,33-41 im Gesamten). 159 (zu Mk 15,38 im Speziellen). 45 Vgl. S chreiber 1986, 72 f. 46 Vgl. auch d SchulniGG 2007, 402. 47 Im Text ist zwar nur von einem Vorhang die Rede, obwohl der Tempel des Herodes über zwei Vorhänge verfügte, die jeweils den Zutritt zum Heiligsten (vgl. Ex 26,36-37; 40,33) - das heißt zum Tempelgebäude - sowie zum Allerheiligsten (vgl. Ex 26,31-33; 40,20-28) schützten. Markus kommt es offenkundig bei seiner Darstellung nicht darauf an, korrekte Angaben zur Tempelarchitektur zu geben, sondern er will lediglich die Abgrenzung zwischen menschlichem und göttlichem Bereich anzeigen. (Ginge man dennoch von der Annahme der beiden Vorhänge aus, dann hätte man an den von Flavius Josephus in bell. Iud. V 212-214 [im Gegensatz zum inneren Vorhang - vgl. bell. Iud. V 219] genau beschriebenen, mit Himmelsmotiven verzierten, äußeren der beiden Vorhänge, der das Heiligste von der Vorhalle trennt, zu denken, da dieser Vorhang beim Betreten des Tempelvorhofs von jedem gesehen werden kann und bereits ausreicht, den Blick der Gläubigen auf das Heilige zu versperren. - Dagegen etwa l innemann 1970, 159. 160 f.; S ommer 1993, 213; d SchulniGG 2007, 402). - Vgl. zur Diskussion der Frage zu Recht F ritzen 2008, 348-351 (351). - Vgl. ebenfalls F eldmeier 1993, 218-229. 48 Entsprechend äußern sich auch l innemann 1970, 163 (Offenbarung von „Gottes Majestät“; die Herleitung wirkt allerdings etwas zu spitzfindig - vgl. ebd. 161-163 -, denn 226 8. Offenbarung und Verkündigung rakter der Perikope über den Tod Jesu tritt zu Tage. Zugleich korreliert dieses Erzählmoment mit der Beschreibung des „geteilten Himmels“ in der Tauf- und Versuchungsperikope (vgl. Mk 1,10: σχιζομένους τοὺς οὐρανούς). 49 Somit verbinden sich auch in sprachlicher Hinsicht Anfang und Ende des ältesten Evangeliums. Im wörtlichen wie im übertragenen Sinne „erhellt“ sich die durch Sterben und Tod „verdüsterte“ Szene: Die alles einhüllende Finsternis ist gewichen, und das Aushauchen des göttlichen Geistes sowie die Zerstörung des Tempelvorhanges sind eschatologisch zu interpretierende Zeichen. 50 Im Zeichen des zerrissenen Vorhanges zeigt sich die Heilswende deutlich an. Worin sie besteht, wird sich im anschließenden Kapitel erweisen bzw. bewahrheiten. Wenn die Trennscheide des Tempelvorhanges fällt, dann ist wirklich „der Blick frei“ für alle, die im tatsächlichen wie im übertragenen Sinn „sehen“ - also erkennen - wollen. Das richtige „Sehen“ und „Hören“, zu dem der Adressat des Markusevangeliums implizit und explizit durch die gesamte Erzählung hindurch immer wieder das Ergebnis des geschilderten Vorgangs bleibt vollkommen unverändert, ganz gleich, ob man die Verbform von σχίζεσθαι nun mit „zerreißen“ oder - wie Eta Linnemann vorschlägt - mit „sich spalten“ bzw. „sich öffnen“ übersetzt); e rnSt 1981, 473; S ommer 1993, 213 f.; k ertelGe 1994, 159; l entzen -d eiS 1998, 349; d oWd / S trutherS m albon 2006, 29 f.; d SchulniGG 2007, 403; m arcuS 2009, 1057. 1067; S tieWe / v ouGa 2011, 46; l imbeck 2014, 411. - S chenke 2005, 340. 344. 346 (und mit ihm andere - vgl. dazu zusammenfassend G nilka 2010 II, 323 f. [vor allem 324 und 324 Anm. 90]) deutet das Motiv des Zerteilens des Tempelvorhanges im Zusammenhang mit den Weissagungen Jesu über die bevorstehende Zerstörung des Tempels (vgl. Mk 11,14. 17; 13,2): Der zerteilte Vorhang sei das Zeichen, dass Gott seine einzige Kultstätte verlassen habe und jetzt ausschließlich im Wirken Jesu erfahrbar sei (ganz ähnlich argumentiert auch F ritzen 2008, 353 f.: Vernichtung des Tempels als empirisch-reales Geschehen und Wiedererrichtung des Tempels als spirituell-pneumatisches Ereignis - in der Auferweckung des Jesus von Nazaret; vgl. auch S tolle 2015, 375). - Meines Erachtens verkennt Ludger Schenke hier die Bedeutung dieses Zeichens, das doch gerade ein Offenbaren des vorher Verborgenen bewirkt. Darüber hinaus spricht die unmittelbar nachfolgende Aussage des heidnischen, römischen Hauptmannes für das heilsuniversalistische Verständnis (vgl. zu weiteren Argumenten auch P eSch 1984, 499; F ritzen 2008, 350 Anm. 137). - Originell, aber dann doch etwas zu konstruiert wirkt die Lösung v an i erSelS 1993, 233 f., nach der das Aushauchen des Geistes durch Jesus als Strafwunder (in Analogie zur Szene über die Verfluchung des Feigenbaumes Mk 11,12-14. 20) am Tempel wegen der ungläubig gebliebenen Tempelautoritäten zu werten sei. Der Zenturio erfasse diesen Zusammenhang mit seinem Ausruf (vgl. ähnlich G undry 2000, 949 f.: Das Aushauchen des Geistes bewirke das Zerreißen des Tempelvorhangs). - Vgl. insgesamt zu den beiden Deutungsrichtungen „Zerstörung des Tempels“ und „Öffnung des Tempels“ resümierend d SchulniGG 2007, 402 f. sowie auch G nilka 2010 II, 323 f. (mit Schriftbelegen), der keine der beiden Varianten ausschließen möchte, sondern sie als Ergänzung sieht. 49 Vgl. zu den Übereinstimmungen zwischen Mk 1,9-11 und Mk 15,38-39 l innemann 1970, 161 f.; F eldmeier 1993, 217 f. 227-229; c ollinS 2007, 762-764; e bner 2012, 164 f. (mit Verweis auf das Dekor des Tempelvorhangs); G uttenberGer 2017, 352. 355. 50 Vgl. auch e ckey 2008, 506. 8.1. Jesu Tod und Auferweckung 227 aufgefordert wird, bilden zudem die Grundlage der angemessenen Nachfolge Jesu. Denn erst das verständige Sehen und Hören der Botschaft Jesu führt auch zu einem richtigen Verkünden. V. 39 Diesen Zeugnis- oder Verkündigungsaspekt greift der Vers 39 prägnant auf: Ἰδὼν δὲ ὁ κεντυρίων ὁ παρεστηκὼς ἐξ ἐναντίας αὐτοῦ ὅτι οὕτως ἐξέπνευσεν εἶπεν· ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν. - „Als aber der Hauptmann, der ihm [ Jesus - S. E.] gegenüberstand, sah, wie dieser seinen Geist aushauchte, sagte er: ‚Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn! ‘“ 51 Das letzte verzweifelt-bittende Wort des sterbenden Jesus in höchster Verlorenheit (vgl. V. 34b) und sein Todesschrei (vgl. V. 37) sind nicht die letzten sprachlichen Äußerungen. Die vom Schrecken des Sterbens (vgl. V. 34b) und des Todes (vgl. V. 37) bestimmten Worte bleiben nicht unbeantwortet. Der Tod „behält“ buchstäblich „nicht das letzte Wort“: Denn unter dem Kreuz befindet sich neben den vorhin zitierten Spöttern (vgl. VV . 35. 36) auch der befehlshabende Offizier des Hinrichtungskommandos (vgl. V. 39a), der den Tod Jesu aus nächster Nähe miterlebt. Zudem kennt er den in der Titulatur der Kreuzestafel ausgedrückten Anspruch Jesu und ist Zeuge der Verhöhnung des Verurteilten, bei der die Frage nach der Vollmacht Jesu erneut aufgeworfen wird. 52 Jedoch redet der Hauptmann ganz anders als die abschätzig Urteilenden zuvor. So fasst er in einem sprachlich wie sachlich verdichteten und bemerkenswerten Aussagesatz die Essenz des Markusevangeliums zusammen (vgl. V. 39b), mit der die Erzählung in der Überschrift Mk 1,1 begonnen hat, und die im Ausruf der Himmelsstimme in Mk 1,11b -c sowie in Mk 9,7c -d ersichtlich zum Ausdruck kam. 53 Demnach steht das tiefgründige Wort des Hauptmannes am Kreuz gegen das leichtfertige Wort der Verächter Jesu. Die in Mk 1,11 geschilderte (und in Mk 9,7 wiederholte) Proklamation der Gottessohnschaft Jesu wird durch die Akklamation des Hauptmannes aus Mk 15,39 ergänzt und in der Approbation des Engels in Mk 16,6 f. zum vollgültigen Abschluss gebracht. Für die Erläuterung des von dem römischen Zenturio gesprochenen Satzes eignet sich die semiotische Kategorie des Bedeutungsaspektes: Die beiden Kernbegriffe der Gesamtaussage stellen οὗτος ὁ ἄνθρωπος sowie υἱὸς θεοῦ dar. Damit schimmern auch an dieser Stelle die Aspekte von „Schöpfung“ - οὗτος ὁ 51 Damit läuft die Ereignisfolge des „Aushauchens“, „Zerreißens“ und „Bekennens“ zeitlich synchron ab: vgl. dazu z Wick 1989, 446 f. 52 Vgl. S ommer 1993, 215. 53 Vgl. ebenso auch e rnSt 1981, 474; v an i erSel 1993, 232. 237 (mit Verweis auf die göttliche Stimme in der Verklärungsszene Mk 9,7a -d); F eldmeier 1993, 217 f. 228 f.; e bner 2012, 165; k laiber 2015, 309 (Anklang an Mk 1,11 und Mk 9,7). 228 8. Offenbarung und Verkündigung ἄνθρωπος - und „Offenbarung“ - υἱὸς θεοῦ - durch. Das heißt also: Einerseits beschreibt die Feststellung des römischen Offiziers die Person Jesu als Inbegriff wahren Menschseins, andererseits bestimmt sie die Bedeutung des Schicksals Jesu als wahre Erlösungstat. Bei der Äußerung des Hauptmannes handelt es sich um ein von Markus gestaltetes christologisches Bekenntnis , 54 das eine Titulatur aus dem römischen 54 Den Bekenntnischarakter der Worte des römischen Offiziers akzentuieren besonders l ohmeyer 1967, 347 f. („Gottes Sohn heißt dem Heiden jedes ungewöhnliche menschliche Wesen, vom Philosophen bis zum Cäsar; aber es ist für Mk zugleich der Inbegriff aller göttlichen Würde und Art, die Er und nur Er trägt. Das Wort erschien im Anfang des Evangeliums, es wird aus dem Munde Gottes oder seiner dämonischen Widersacher laut, aber es erklingt als ein menschliches Bekenntnis nur bei diesem heidnischen Hauptmann unter dem Kreuz; es überbietet das Zeugnis des Petrus und bejaht, was dem Hohenpriester als Gotteslästerung erscheint. So wird der Heide zum wahren Zeugen des Todes Jesu, der einzige, von dem unter dem Kreuz nicht Spott und Hohn laut wird[…].“ - Vgl. ebd. 347) und G nilka 2010 II, 325. 327 („Seine [des Hauptmanns - S. E.] Äußerung hat als vollgültiger Ausdruck des christlichen Glaubens zu gelten“ - vgl. ebd. 325). - Vgl. ebenso zum Beispiel d ormeyer 1974, 206. 213 (ferner sei ein Anklang an das bekannte frühjüdische Motiv der Überwindung des Henkers durch sein Opfer möglich - vgl. ebd. 206 und 206 Anm. 870; vgl. auch d ormeyer 2002, 314; dagegen S chmithalS 1986, 693); S chWeizer 1978, 195. 198; S ödinG 1985, 525. 553; S chmithalS 1986, 692 f.; S chreiber 1986, 212-215; l ührmann 1987, 264. 265; z Wick 1989, 447. 448 f.; F eldmeier 1993, 228. 229; S ödinG 1996, 91 f.; G undry 2000, 951; m oloney 2002, 330. 331. 336; S tieWe / v ouGa 2011, 46. - Eine breite Auswahl an Forschungsliteratur dazu gibt k amPlinG 1993, 175 Anm. 4-14. - Gegen diese Position erhebt beispielsweise F ritzen 2008, 354-357 (vgl. vor allem ebd. 357) Einspruch, indem er das pagane Verständnis der „Gottessohnschaft“ akzentuiert und dieses im Vergleich zur christlichen Bedeutung defizitäre Verständnis als Hinweis des Markus begreift, den Hörer und Leser auf die Bedeutsamkeit des eigenen Bekenntnisses zum „Sohn Gottes“ Jesus Christus aufmerksam zu machen. - Vgl. als weitere Gegenstimmen etwa b urchard 1983, 10 f.; P eSch 1984, 500. 501; S ommer 1993, 203 f. 214-216. 217; k amPlinG 1993, 175-191 (er bewertet die Figur des heidnischen Zenturio als ambivalent - vgl. ebd. 184. -, da bei Markus kein expliziter Hinweis auf den „sich in der Nachfolge bewährenden und bezeugenden Glauben[…]“ - vgl. ebd. 183 - vorliege, so dass der Offizier nicht zum Glaubensvorbild insbesondere für Heidenchristen tauge - vgl. ebd. 181 f. Der Hauptmann unter dem Kreuz sei daher bloß ein Zeuge des Todes Jesu - vgl. ebd. 182. - Das ist meiner Meinung nach eine etwas zu starke Aussage. Wenn man den Nachfolgeaspekt so betont, wie ist dann das sehr ambivalente Verhalten der Jünger Jesu - zwischen Bekenntnis und Verleugnung - zu beurteilen? Wie steht es um die Parallelität der Deutungsworte zwischen dem Zenturio in Mk 15,39 und dem Engel in Mk 16,6 f.? ). - Vgl. ebenso e vanS 2001, 510. 512. 540. - Eine vermittelnde Position zu dieser Frage nimmt W yPadlo 2011, [179-208] 187. 201-208 ein (der heidnische Hauptmann repräsentiere „eine Gestalt des ‚Dazwischen‘“ - vgl. ebd. 187 -, die in der Mitte zwischen den Jesus vehement Ablehnenden - den jüdischen Spöttern unter dem Kreuz - und den an Jesus Glaubenden - den Frauen - stehe. Mit Hilfe dieser Erzählfigur richte sich Markus an die Rezipienten seines Evangeliums, um sie zu einer Stellungnahme über die messianische Identität Jesu herauszufordern - vgl. ebd. 208). - Vgl. ähnlich auch c ollinS 2007, 764-771; G uttenberGer 2017, 346. 349. 352. 8.1. Jesu Tod und Auferweckung 229 Kaiserkult aufgreift und sie in provokativer Absicht zu einer Würdebezeichnung für einen schmachvoll Hingerichteten umprägt. 55 Es ist also ein Zeugnisgeben und damit Verkündigen, das notwendigerweise an das „Sehen“ (Ἰδὼν - vgl. V. 39a) des Todes Jesu gebunden ist, wobei dieses „Sehen“ durch die Spitzenstellung des Partizips sowie durch die Partikel δέ herausgehoben erscheint und sowohl als Gegensatz zu der Reaktion der umstehenden Juden wie als Anfügung eines neuen Handlungsstranges fungiert. 56 Sicherlich spielt Markus damit auf die nachösterliche Situation der Heidenmission an. 57 Entscheidender ist aber die in dieser Aussage zum Ausdruck kommende theologische Schlussfolgerung, die sich aus der bisherigen Handlung des Evangeliums ergibt und sich in zwei Handlungselementen wiederfindet: Zum einen verweist der Evangelist noch einmal auf die im Zerreißen des Tempelvorhanges verwirklichte heilsuniversale Dimension, zum anderen betont er mit dem „Ecce-homo“-Bekenntnis des heidnischen Hauptmannes die heilsgeschichtliche Dimension (vgl. Ps 22,28). 58 Der „Sohn Gottes“ ist also eindeutig der „Messias Gottes“. 59 Das Ereignis des Todes Jesu wird durch eine Vorwegnahme umgewertet in das Ereignis des Weiterlebens Jesu: Das Unheil wird in Heil umgedeutet ; in der Machtlosigkeit des Todes gewinnt das Leben Macht. 60 So verweist der Evangelist bereits an dieser Stelle voraus auf die verwandelnde Kraft der Auferstehung. Die Stimmung der Trauer und Trübsal über den Tod Jesu beginnt, sich allmählich zugunsten der Stimmung der Hoffnung und Freude über die Auferweckung Jesu aufzulösen. Dass der Zenturio zur Erkenntnis kommt, im Tod das Heil zu erblicken, ist wirklich ausgesprochen bemerkenswert: Er sieht Jesus - im wörtlichen Sinn - nur ein einziges Mal an dessen Lebensende und er „sieht“ ihn - im übertragenen Sinn - dennoch sofort richtig. Die Erzählintention des Evangeliums zeigt sich an dieser Stelle bewusst provokativ, denn der Kontrast könnte nicht größer sein: Ausgerechnet ein Befehlshaber der verhassten Besatzungsmacht - ein Fremder und Heide - bekennt sich zu Jesus als dem Messias-Christus, während die übrigen beim Kreuz anwesenden Juden, die es doch besser wissen müssten, diesen verkannt haben! 61 55 Vgl. l ohmeyer 1967, 347; G rundmann 1977, 437; d SchulniGG 2007, 403; e bner 2012, 165. - Vgl. auch k laiber 2015, 308 f. und S tolle 2015, 375. 56 Vgl. zur Relevanz des Aspektes des „richtigen Sehens“ auch S ommer 1993, 215 f. 57 Vgl. ebenso l ohmeyer 1967, 347; d ormeyer 1974, 214; S chlier 1974, 82; S ödinG 1996, 92; G nilka 2010 II, 327. - Dagegen etwa S chmithalS 1986, 693. 58 Den Bekenntnischarakter des Ausspruchs profiliert auch G rundmann 1977, 436 f. - Vgl. ebenso m arcuS 2009, 1059. 1067 f.; k laiber 2015, 309. 310 (Zusammenfassung). 59 Vgl. ebenso beispielsweise k ertelGe 1994, 159. 60 Vgl. auch W eeden 1976, 120. 134. 61 Vgl. auch e rnSt 1981, 473; l entzen -d eiS 1998, 349. - Die Ausnahme dazu bildet nur Josef von Arimathäa in der Grablegungsszene Mk 15,42-47 (vgl. dazu prononciert v an i erSel 230 8. Offenbarung und Verkündigung Dieser implizite Appell an das Erkennen und Bekennen ergeht an den potentiellen Hörer und Leser: Der Erzähler hat durch die Handlung des Evangeliums einen semiotisch geprägten Erkenntnisprozess angestoßen, den er nun zum Abschluss führt. Daher gipfelt der Gesamttext in diesem bewusst gestalteten kurzen Deutewort eines Außenstehenden. Auf diese Deutung läuft das Erzählgefälle des gesamten Markusevangeliums zu. Das offenbarende wie das schöpferische Moment kommen jetzt am Schluss erneut prominent zur Geltung und entschlüsseln das Wesenhafte - das Ontologische - der Person Jesu: 62 Jesus zeigt sich am Ende des Evangeliums als der, der er schon von Anfang an war. 63 Es handelt sich - semiotisch gesehen - um den Bedeutungs- oder Wesensaspekt, auf den es Markus hier ankommt. Das im Vers 39 dargestellte Zeugnis des Menschen - des menschlichen Boten - findet seine Bestätigung im Zeugnis des Engels - des himmlischen Boten - im folgenden Kapitel (vgl. Mk 16,6-7). Damit erhält das vorläufige Bekenntnis des Hauptmannes seine Würdigung im endgültigen Bekenntnis des Deuteengels: Der Tod (ver-) wandelt sich in das Leben. 8.1.2. Jesu Auferweckung (vgl. Mk 16,1 - 8) 8.1.2.1. Text und Kontext Das Thema des Sieges über den Tod charakterisiert die Grabgeschichte Mk 16,1-8, so dass der Ton der Erzählung nun von Trauer in Freude wechselt. Daher gehören die Perikope über den Tod Jesu - vgl. Mk 15,33-39 - und die Szene am Grab Jesu wie die Hälften eines Diptychons zusammen und zeigen ihre volle Bedeutung erst am Ende der Graberzählung. 64 Ebenso sorgen die Angaben zu Zeit, Schauplatz, Personen und Handlung - die Salbungsabsicht der drei schon in Mk 15 genannten Frauen - für die Verbindung beider Perikopen. 65 Man hat im Fall von Mk 16,1-8 von einer insgesamt relativ geschlossenen Überlieferung auszugehen. Wahrscheinlich stellen lediglich die Verse 3, 7 und 8b markinische Überarbeitungen bzw. Ergänzungen dar. 66 Gattungsgeschichtlich gesehen verknüpft die Grabgeschichte primär eine Angelophanie 67 mit 1993, 244 f.). 62 Gegen eine ontologische Deutung wenden sich l entzen -d eiS 1998, 349 und G nilka 2010 II, 325. 63 So richtig gesehen auch von G nilka 2010 II, 325. 327. 64 Vgl. zustimmend ebenso e rnSt 1981, 482 f. 65 Vgl. k ertelGe 1994, 161 (zu Mk 16,1-8); vgl. ebenso m oloney 2002, 342; d SchulniGG 2007, 409 in Verbindung mit 410. 411. 66 Vgl. zum Ganzen eingehend G nilka 2010 II, 337-340. 67 Vgl. zum Angelophanieschema und zur konkreten Gestalt dieses theologisch-literarischen Musters in Mk 16,1-8 eingehend d ormeyer 1974, 229-233. 8.1. Jesu Tod und Auferweckung 231 einer Haggada 68 und rekurriert deutlich auf das älteste und bekannteste Traditionsstück zur Auferstehung, das Paulus in 1 Kor 15,3-5 wiedergibt. 69 Aus semiotischem Blickwinkel erschließt sich in dieser Sinneinheit auf der Makroebene des Evangeliums das Bedeutungs- oder Wirkungsmoment. Auf der Mesoebene der Perikope hingegen gliedert sich die Szene in folgende Teile: Die Verse 1 und 2 beziehen sich auf den Ding- oder Wesensaspekt , der mit dem Schlüsselbegriff „Sonne“ (vgl. Mk 16,2) angedeutet ist. Den Zeichen- oder Erscheinungsaspekt sprechen die Verse 3-5 an. In diesem Abschnitt unterhalten sich die Frauen, die das Grab Jesu aufsuchen, über die Schwierigkeit, den die Öffnung der Grabhöhle verschließenden Stein fortzuschaffen. Bei ihrer Ankunft an der Begräbnisstätte müssen sie aber erkennen, dass der Stein schon weggerollt ist. Darüber hinaus finden sie das Grab leer vor. Statt des Leichnams Jesu treffen sie auf einen Engel, der ihnen das rätselhafte und unheimliche Geschehen erklärt. Der Stein und der Engel - und entsprechend das leere Grab - sind die zu deutenden Zeichen. Die Szene kommt in der Passage, die die Verse 6 bis 8 bilden, und die von der Rede des Engels dominiert ist (vgl. VV . 6-7), zum Abschluss. Philosophisch-semiotisch gesehen findet sich hier der Bedeutungsbzw. Wirkungsaspekt . 8.1.2.2. Jesu Tod und Auferweckung VV. 1. 2 Καὶ διαγενομένου τοῦ σαββάτου Μαρία ἡ Μαγδαληνὴ καὶ Μαρία ἡ [τοῦ] Ἰακώβου καὶ Σαλώμη ἠγόρασαν ἀρώματα ἵνα ἐλθοῦσαι ἀλείψωσιν αὐτόν - „Und als der Sabbat vorüber war, kauften Maria aus Magdala und Maria - die [Mutter] des Jakobus - und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben.“ Eine neue Episode, die noch von der Trauer über den Tod Jesu bestimmt ist, beginnt. Nach der Beisetzung des verstorbenen Gekreuzigten (vgl. Mk 15,42-47) und nach der Sabbatruhe (vgl. Mk 16,1: τοῦ σαββάτου) machen sich - in der Erzählung wieder eingeleitet durch die für den markinischen Stil geläufige Konjunktion καί - drei frühere Begleiterinnen und Unterstützerinnen Jesu auf den Weg zu seinem Grab. Es sind Maria von Magdala, Maria - die Mutter des Jakobus (des „Kleinen“, also des Jüngeren) und des Joses (vgl. Mk 15,40) - sowie Salome. Ort, Zeit, Personen und Handlung werden somit in der für das Markus- 68 Vgl. zu den Anspielungen der Perikope auf verschiedene Textgattungen ausführlich P eSch 1984, 521-528 (Türöffnungs- oder Befreiungswunder, Epiphanie- oder Angelophaniegeschichte, Nichtauffindungs- und Entrückungserzählung): Davon ausgehend sei die markinische Graberzählung als Mischform und somit als Gattung sui generis aufzufassen. 69 Vgl. G nilka 2010 II, 339; vgl. ebenfalls d SchulniGG 2007, 410. 232 8. Offenbarung und Verkündigung evangelium üblichen, prägnanten Form genannt. Die Frauen möchten ihrem toten Herrn eine letzte Ehre erweisen, indem sie seinen Leichnam mit kostbaren, duftenden Ölen pflegen. 70 Der Leser ahnt jedoch bereits an dieser Stelle, dass dieses Unterfangen unnötig ist, denn die wahre „Salbung“ zum Messias-Christus ist bereits geschehen (vgl. die Anspielung auf Mk 14,3-9 [8]! ). 71 Man erfährt weiterhin, dass es noch sehr früh am Tag ist: καὶ λίαν πρωῒ τῇ μιᾷ τῶν σαββάτων ἔρχονται ἐπὶ τὸ μνημεῖον ἀνατείλαντος τοῦ ἡλίου (vgl. V. 2). - „Und am ersten Tag der Woche kamen sie in aller Frühe beim Aufgehen der Sonne zum Grab.“ Der Erzähler präzisiert die Zeitangabe mit einem doppelten Verweis auf den sehr frühen Zeitpunkt der Ankunft der Frauen am Grab Jesu („in aller Frühe“, „beim Aufgehen der Sonne“), so dass diese Anmerkungen herausgehoben erscheinen. Doch nicht nur die Zeitangabe (der frühe Morgen), sondern auch die Ortsangabe (das Grab Jesu) ist in diesen beiden Versen zweifach erwähnt (vgl. V. 1: ἵνα ἐλθοῦσαι ἀλείψωσιν αὐτόν; vgl. V. 2: ἔρχονται ἐπὶ τὸ μνημεῖον). 72 Auch der Ort der Szene wird somit betont. Hinter dieser doppelten Erwähnung von Zeit und Schauplatz verbirgt sich erzählerische Absicht: Der Begriff „Sonne“ ist ambivalent; er ist im wörtlichen wie im übertragenen Sinne zu verstehen. Der Sonnenaufgang, der in Verbindung mit dem Grab Jesu gebracht wird, verdeutlicht somit nicht nur als bloß narrative Information den Zeitaspekt, sondern es ist die metaphorische Bedeutung des Zeichens der Sonne zu berücksichtigen: 73 Die Sonne zeigt sich mit ihren Eigen- 70 Vgl. auch S chlier 1974, 87; G rundmann 1977, 445; S chWeizer 1978, 205; P eSch 1984, 529; k ertelGe 1994, 162 (zu V. 6); l entzen -d eiS 1998, 355; S chenke 2005, 351; k laiber 2015, 312. - Wie man sich die Salbung im Einzelnen vorzustellen hat, dafür bietet S ommer 1993, 228 f. und 229 Anm. 878 (mit Verweisen) eine plausible Lösung: „Es wird so zu verstehen sein, dass der Kopf des Leichnams gesalbt oder die wohlriechenden Öle über den eingehüllten Körper ausgegossen werden sollten, um so den Verwesungsgeruch zu neutralisieren […]“ (vgl. ebd. 228 f.). 71 Vgl. l ohmeyer 1967, 353; d ormeyer 1974, 233; vor allem P eSch 1984, 529 f. (markinische Erzählstrategie der Betonung der Auferweckungsbotschaft); v an i erSel 1993, 247 f.; G nilka 2010 II, 340 f.; e bner 2012, 168; S tolle 2015, 381. 72 Das „Grab“ ist Leitmotiv im gesamten Textstück (vgl. VV. 2. 3. 5. 8.): vgl. so zu Recht e rnSt 1981, 485. 73 e rnSt 1981, 485 will dagegen die Erwähnung des Sonnenaufgangs im Gegensatz zum Motiv des Grabes rein funktional verstanden wissen. - Skeptisch ist auch P eSch 1984, 531. - Neben dem offenkundig traditionellen, symbolischen Gehalt der „Sonne“ sowie der auffälligen Gegenüberstellung von „Finsternis“ (vgl. Mk 15,33) und „Helligkeit“ (vgl. Mk 16,2) (vgl. die Ausführungen dazu weiter unten im Fließtext) widerspricht bereits die Komposition der als „theologisches Diptychon“ zu begreifenden Sinneinheit von Mk 15,33-39 und Mk 16,1-8 einer solch ablehnenden Auffassung. Der Evangelist arbeitet mit einer deutlich wahrzunehmenden Antithetik. Der Verweis auf den frühen und nur ungefähr zu bestimmenden Tageszeitpunkt in der Grabgeschichte stellt nämlich eine 8.1. Jesu Tod und Auferweckung 233 schaften von Licht und Wärme als Lebensspender. Sie ist somit dem Göttlichen zugeordnet. In semiotischer Betrachtung lässt sich dieses sprachliche Bild noch schärfer eingrenzen, denn in ihm wird eine Wesensaussage sowohl über JHWH als auch über Jesus getroffen, da die Szene die Handlung am Grab Jesu verortet. Das Zeichen der Sonne fungiert in semiotischer Hinsicht als Dingaspekt, der zwei Aussagen in der Verwendung der Metapher „Sonne“ miteinander verknüpft: Angedeutet ist zum einen die lebensschaffende - also schöpferische - Kraft und Macht Gottes - seine All- und Vollmacht -, die eine Verwandlung bewirkt. Das Heilshandeln Gottes drückt sich im Symbol der Sonne aus, 74 mit dem in dezenter Art und Weise das göttliche Schöpferhandeln präsent ist und transparent wird, so dass Gottes geheimnisvolles Sein gewahrt bleibt. Es erfolgt eine Beschreibung der Ambivalenz von Verhüllung und Enthüllung , von Transzendenz und Immanenz . Der Evangelist stellt zum anderen die Göttlichkeit Jesu heraus, denn am toten Körper Jesu vollzieht sich das heilsame Eingreifen Gottes, das jetzt als stumme, aber machtvolle Antwort auf die laute und ohnmächtige Bitte des Sterbenden am Kreuz (vgl. Mk 15,34) zu verstehen ist. Hiermit wird die sachliche Zugehörigkeit der Sterbemit der Auferstehungsszene bekräftigt, so dass sich die gemeinsame Behandlung der Perikopen Mk 15,33-39 und Mk 16,1-8 als thematische Einheit begründet. Zugleich bezieht sich der Evangelist auf das Gottessohnmotiv aus der Überschrift Mk 1,1 und lässt es am Ende seines Werkes in seiner vollen Bedeutung hervortreten: Gott erweist die Sohnschaft Jesu in dessen Auferweckung. Der vom Erzähler geschilderte gewöhnliche Morgen wird so zum außergewöhnlichen Morgen umgedeutet, denn göttliche Überzeitlichkeit bricht in irdische Zeitlichkeit ein und wandelt sie grundlegend um: Der beliebige Tag wird zum einmaligen Oster-Tag - bildlich gesprochen eben zum Sonn-Tag . Die Momente von Transzendenz und Immanenz werden so miteinander vernetzt. Die Metapher „Sonne“ entspricht der Metapher „Finsternis“ in der Sterbe- und Todesszene (vgl. Mk 15,33), die ebenfalls durch die Ambiguität von naturalistisch-realistischer (Unwetterwolken) und metaphorisch-symbolistischer Zeitdehnung dar, die sich von der Zeitstruktur der Sterbe- und Todesperikope erkennbar abhebt. Diese ist durch das strenge Stundenschema gekennzeichnet, das eine Raffung der Zeit bewirkt. Die Gegensätzlichkeit von Raffung und Dehnung lässt die Aussageabsicht der Auferstehungsbotschaft hervortreten. Es liegt also nahe, ein metaphorisches Verständnis anzunehmen. - Vorsichtig äußern sich auch S chlier 1974, 87 f. und G nilka 2010 II, 341, der immerhin eine Allusion auf das „Licht der Auferstehung“ für möglich hält. - Vgl. zustimmend auch S ommer 1993, 229; m oloney 2002, 343; d SchulniGG 2007, 412; m arcuS 2009, 1083 f. (mit einigen Belegstellen aus dem AT); G uttenberGer 2017, 362. 74 Darauf verweisen zu Recht auch G rundmann 1977, 445; v an i erSel 1993, 243 und S chenke 2005, 351. 234 8. Offenbarung und Verkündigung Aussage (Todesdunkel, Gericht Gottes) geprägt war. 75 Jedoch kontrastiert die Dunkelheit des Todes und der Trauer gegenüber der Helligkeit der Auferstehung und der Freude; der Abend des Rüsttages, an dem Jesus verstorben ist (vgl. Mk 15,42), steht antithetisch zum Ostermorgen, an dem der Gekreuzigte auferweckt wird. Beide Perikopen erschließen sich gegenseitig und müssen im Kontext gelesen werden. Die zum Dingmoment gehörige theologische Interpretation der Dichotomie „Tod und Leben“, die sich in den Begriffen „Finsternis“ und „Sonne“ widerspiegelt, wird damit greifbar. Von der Auferstehung ist also nur indirekt - verhüllt - im Sprachbild der Sonne die Rede. Seine volle Bedeutung wird den Frauen - und mit ihnen den Lesern und Hörern des Evangeliums - erst später zugänglich werden: nämlich in der Offenbarung des Deuteengels (vgl. VV . 6-7). VV. 3 - 5 Daher bleibt die Erzählhandlung noch auf die sachliche Ebene der Darstellung beschränkt, die die Frauen auf dem Weg zur Begräbnisstätte schildert: „Und sie sagten zueinander: ‚Wer wird uns den Stein vom Eingang des Grabes wegwälzen? ‘ (vgl. V. 3: καὶ ἔλεγον πρὸς ἑαυτάς· τίς ἀποκυλίσει ἡμῖν τὸν λίθον ἐκ τῆς θύρας τοῦ μνημείου;). Und als sie hinblickten, sahen sie, dass der Stein weggewälzt war; er war nämlich sehr groß (vgl. V. 4: καὶ ἀναβλέψασαι θεωροῦσιν ὅτι ἀποκεκύλισται ὁ λίθος· ἦν γὰρ μέγας σφόδρα).“ Das Leitmotiv dieser beiden Verse stellt das „Wegwälzen“ des „Steines“ - gemeint ist ein rund behauener Stein (ein Rollstein) - dar, denn sowohl der Gegenstand wie die Handlung werden mehrfach erwähnt. Die doppelte Erwähnung des „Sehens“ (ἀναβλέψασαι θεωροῦσιν - vgl. V. 4) verstärkt die Wirklichkeit und somit Wahrhaftigkeit des Vorganges und deutet zudem die Intervention Gottes an (vgl. die Begrifflichkeit in Mk 6,41; 7,34). 76 Der Schlüsselbegriff „Stein“ wird zweimal in direkter Form (vgl. V. 3b: τὸν λίθον; vgl. 4a: ὁ λίθος) und einmal in indirekter Form (mittels einer Beschreibung: ἦν γὰρ μέγας σφόδρα - vgl. V. 4b) angesprochen. Das Fortschaffen dieses Felsens findet ebenfalls doppelt Erwähnung (ἀποκυλίσει - vgl. V. 3b; ἀποκεκύλισται - vgl. V. 4a). Hierauf liegt der inhaltliche Schwerpunkt der Verse 3 bis 5. Entsprechend des ambivalenten Symbols der Sonne ist auch das Motiv des Grabsteins auslegungsbedürftig. Die Mehrdeutigkeit wird jedoch nun langsam aufgelöst, indem die naturalistisch-realistische Darstellung der metaphorischsymbolistischen entgegengesetzt und die Aussageabsicht in zwei Versen prä- 75 Vgl. ebenso S chreiber 1997, 359-363 (Ambivalenz der Symbolik von „Finsternis“ und „Sonnenlicht“ in Mk 15 und Mk 16); m oloney 2002, 343. 76 Vgl. m arcuS 2009, 1084. 8.1. Jesu Tod und Auferweckung 235 sentiert wird. Die Frage der Frauen nach Hilfe beim Fortschaffen des Türsteines stellt die erste Deutungsvariante dar (vgl. V. 3b), das Sehen des weggerollten Felsens (vgl. V. 4a) die zweite. Diese Interpretation wird verstärkt durch den angeschlossenen Aussagesatz ἦν γὰρ μέγας σφόδρα (vgl. V. 4b), der in einer doppelten Darstellung auf die Größe des Grabsteins hinweist (vgl. μέγας σφόδρα) und die Verwunderung der Frauen ausdrückt. Der „sehr große“ - also sehr schwere - Rollstein erfordert offenbar die Körperkraft mehrerer Menschen, 77 um ihn fortbewegen zu können. Wenn dieser Türstein nun zur Seite weggeschoben ist, kann man daraus schlussfolgern, dass sich ein die menschlichen Kräfte übersteigender, im Verborgenen der Nacht geschehener, geheimnisvoller Vorgang ereignet haben muss - also ein übernatürliches Ereignis. 78 Damit findet im Zeichen des weggerollten Grabsteins eine Umdeutung 79 statt, die das offenbarende und schöpferische Wirken Gottes aufzeigt. Mit der passivischen Formulierung ἀποκεκύλισται (vgl. V. 4a) kommt dieses Geschehen deutlich zum Ausdruck. 80 Die Bemerkung über den weggewälzten Felsen qualifiziert die deskriptive Aussage aus V. 3b zu einer theologischen Aussage in V. 4a. b: 81 Der „weggewälzte“ Stein öffnet im wahrsten Sinne des Wortes den Blick auf ein in der Tat „umwälzendes“ Ereignis. 82 In der semiotischen Klassifizierung repräsentiert die mit dem Fortschaffen des Grabsteines beschriebene Tat den Zeichenaspekt, der das vorher genannte Dingmoment, das mit der Metapher der Sonne gegeben war, zum Ausdruck bringt: Der Rollstein, den man vor das Grab wälzt, ist als Zeichen des Todes aufzufassen. Dieses Zeichen des Todes wird aber im Vorgang des Wegwälzens zu einem Zeichen des Lebens umgeprägt. Die Zeit wird neu als erfüllte Endzeit ausgezeichnet. Dadurch kann die mit dem Anspruch der Gottessohnschaft verknüpfte Verheißung endzeitlicher Errettung im Erfüllungszeichen des weggerollten Verschlusssteines eingelöst werden. Das dem Zeichenmoment zugehörige theologische Begriffspaar von „Verheißung und Erfüllung“ macht auf diesen Sinnzusammenhang aufmerksam. Das Zeichen des weggewälzten Grabsteines stiftet die Beziehung zwischen Gegenstand und Zeichen und bringt dadurch den Bedeutungs- 77 Vgl. ebenso k ertelGe 1994, 162; e bner 2012, 167; k laiber 2015, 313; S tolle 2015, 380. 78 Vgl. auch d ormeyer 1974, 222. 223; S chlier 1974, 88; G rundmann 1977, 445; S chWeizer 1978, 201. 205 (zu den Versen 3 und 4); P eSch 1984, 531 f.; S ommer 1993, 225 f. 230; k ertelGe 1994, 162; e vanS 2001, 535; d SchulniGG 2007, 412. 79 Die gesamte Szene lebt von der durch das göttliche Heilshandeln verursachten konsequenten Durchbrechung der menschlichen Erwartungen, die in den Äußerungen, den Handlungsabsichten und den Handlungen der Frauen stellvertretend zum Ausdruck kommen: vgl. so zu Recht prononciert von S tandaert 2002, 76 f. 80 Vgl. S ommer 1993, 230; G nilka 2010 II, 341. 81 Vgl. zur Interpretation auch e rnSt 1981, 485 f. (zu den Versen 3 und 4). 82 Vgl. so auch G nilka 2010 II, 341. 236 8. Offenbarung und Verkündigung gehalt des Dingmomentes, das im vorliegenden Falle im besprochenen Symbol der „Auferstehungssonne“ vergegenwärtigt ist, zum Ausdruck. Das noch ambivalente Symbol „Sonne“ wird erst durch dieses Zeichen konkretisiert und damit präzisiert. Die Enthüllung dieses Heilsgeschehens wird nun im Folgevers 5 mit einem noch eindeutigeren Zeichen forciert und konkretisiert: „Und sie gingen in das Grab hinein, sahen einen jungen Mann auf der rechten Seite sitzen, der mit einem weißen Gewand bekleidet war, und sie fürchteten sich“ (Καὶ εἰσελθοῦσαι εἰς τὸ μνημεῖον εἶδον νεανίσκον καθήμενον ἐν τοῖς δεξιοῖς περιβεβλημένον στολὴν λευκήν͵ καὶ ἐξεθαμβήθησαν). Das Grab ist leer, nur ein fremder junger Mann befindet sich dort. Daraus erklärt sich die große Furcht der Frauen. Wo ist der tote Körper ihres Meisters geblieben, den sie salben wollten? Die vordergründige, schlichte, nüchterne - sozusagen „profane“ - Darstellung der Szenerie zeigt eine hintergründige, gehaltvolle - „sakrale“ - Bedeutung. 83 Der weißgekleidete junge Mann ist für das antike Verständnis deutlich als Engel gekennzeichnet. 84 Auch darin begründet sich das Erschrecken der Frauen. 85 Das weiße Gewand steht für die Heiligkeit (Allgüte) und Vollkommenheit (Allwissenheit) Gottes (vgl. im Vers 1 das mit der Metapher der Sonne gegebene strahlende Licht als thematische Parallele! ), und die Jugendlichkeit des Mannes gilt als Symbol göttlicher Schöpferkraft (Allmacht). 86 Das Erschrecken der Frauen illustriert zudem das göttliche Sein und die göttliche Gegenwart. Das Motiv des „Staunens“ oder „Fürchtens“, 87 das im V. 4 schon implizit als Attribut epiphanen Geschehens zur Sprache kam, greift der Erzähler nun explizit auf. Diese Introspektion bietet für den Hörer und Leser sowohl eine Interpretation wie eine Identifikation. 88 Das Sitzen auf der rechten Seite verdeutlicht die Bedeutsamkeit der Person wie der Botschaft. 89 83 Vgl. auch e rnSt 1981, 486. 84 Vgl. etwa m arcuS 2009, 1080 (mit Verweisstellen); G nilka 2010 II, 341 f. (mit entsprechenden Textbelegen: vgl. Tob 5,9; 2 Makk 3,26. 33; Mk 9,3; Apg 1,10; 10,30; Offb 6,11; 7,9. 13 - vgl. ebd. 342). - Darüber hinaus liegt ein Reflex auf die frühchristliche Taufliturgie vor: vgl. S tandaert 2002, 77. 85 Vgl. etwa S chlier 1974, 89 f.; k laiber 2015, 313. 86 Vgl. zu Recht auch m arcuS 2009, 1085. 87 Die Beruhigungsformel entspricht natürlich dem bekannten Ausspruch „Fürchtet euch nicht! “, der zum narrativen Repertoire von Angelophanien gehört: vgl. auch k laiber 2015, 313. 88 Vgl. M atjaž 1999, 297 f. 89 Die „rechte Seite“ steht allgemein für Glück oder Freude und deutet - in Verbindung mit der himmlischen Gestalt des Engels - auf ein göttliches Heilsereignis hin: vgl. dazu auch l ohmeyer 1967, 354 (mit dem Hinweis auf Joh 21,6); S chlier 1974, 89 f.; G rundmann 1977, 446; P eSch 1984, 532; S chmithalS 1986, 710 (vgl. Lk 1,11; Joh 21,6); k ertelGe 1994, 162; G undry 2000, 990 f.; d SchulniGG 2007, 412; k laiber 2015, 313; S tolle 2015, 380. - Darüber 8.1. Jesu Tod und Auferweckung 237 Bezieht man den Aufbau und den Aussagegehalt der vorangegangenen Perikope über das Sterben und den Tod Jesu in die Überlegungen ein, dann kann man eine Parallelität beider Textstücke hinsichtlich der Zeichenhandlungen feststellen: Es gibt jeweils zwei markante Zeichen, die sich einander chiastisch zuordnen lassen. Im Fall der Passage über den Tod Jesu sind dies das Aushauchen des Geistes (vgl. Mk 15,37) sowie das Zerreißen des Tempelvorhangs (vgl. Mk 15,38), bei der Geschichte am Grab Jesu bilden die soeben behandelten Motive des weggerollten Steins (vgl. Mk 16,3. 4) und des sitzenden Engels (vgl. Mk 16,5), mit dem das Grab Jesu als leer ausgewiesen wird, die aussagekräftigen Zeichen. Der Engel als Auferstehungszeuge korrespondiert mit dem sterbenden Jesus - der himmlische Bote mit dem irdischen Boten Gottes - und der Verschlussstein mit dem Vorhang des Tempels. Beide Szenen erweisen sich so deutlich epiphan profiliert. 90 Eine weitere erstaunliche Verbindung ergibt sich aus dem Vergleich der Grabgeschichte mit der Episode um die Taufe Jesu. In der Tauf- und Versuchungsperikope (vgl. Mk 1,9-13) kann man das erste Auftreten Jesu (vgl. Mk 1,9) mit dem szenischen Gestaltungsmittel des „deus ex machina“ beschreiben, und Ähnliches gilt auch jetzt: So wie Jesus dort urplötzlich erscheint, verschwindet er nun genauso unvermittelt und geheimnisvoll und lässt die Zeugen zunächst ratlos zurück. An seine Stelle tritt der Engel, der ein indirektes Zeugnis über die Auferweckung abgibt. Das geschieht in den Versen 6 und 7; der dazugehörige Vers 8 schildert die Reaktion der drei Frauen auf diese Offenbarung. VV. 6 - 8 Der V. 6 beginnt mit der Rede des Engels. Sie besteht im Vers 6 b-f aus knappen Parataxen, die um eine Apposition (vgl. V. 6c) ergänzt sind und eine ausführliche Erläuterung bieten, während im Vers 7 ein Auftrag an die Frauen ergeht. 91 So lautet Vers 6 mit der Redeeinleitung im Ganzen: „Er aber sagte zu ihnen: ‚Fürchtet euch nicht! Jesus, den Nazarener, den Gekreuzigten, sucht ihr; er ist auferstanden [er ist auferweckt worden], er ist nicht hier; seht den Platz, wo man ihn hingelegt hat! ‘“ - ὁ δὲ λέγει αὐταῖς· μὴ ἐκθαμβεῖσθε· Ἰησοῦν ζητεῖτε τὸν Ναζαρηνὸν τὸν ἐσταυρωμένον· ἠγέρθη, οὐκ ἔστιν ὧδε· ἴδε ὁ τόπος ὅπου ἔθηκαν αὐτόν. hinaus lässt sich das Motiv des Sitzens auf der rechten Seite mit Mk 12,35-37 (Zitat von Ps 110,1) in Verbindung bringen: vgl. dazu c ollinS 2007, 795. 90 Vgl. ebenfalls e rnSt 1981, 486. 91 Vgl. auch v an i erSel 1993, 249 f. 238 8. Offenbarung und Verkündigung Der Sprecher bezieht sich auf die epiphane Furcht der drei Frauen (vgl. V. 6b: μὴ ἐκθαμβεῖσθε), 92 die in der Tatsache des leeren Grabes begründet ist (Ἰησοῦν ζητεῖτε τὸν Ναζαρηνὸν τὸν ἐσταυρωμένον - vgl. V. 6c), und wendet sie in einer längeren Erklärung ab. Dabei bilden die beiden Sätze: „[E]r ist auferstanden, er ist nicht hier“ (ἠγέρθη, οὐκ ἔστιν ὧδε - vgl. V. 6d. e) die Kernaussage, 93 die auf das in 1 Kor 15,3-5 formulierte Urkerygma 94 rekurriert. Es folgt der Verweis auf die Stelle, an der man Jesus bestattet hatte (vgl. V. 6f: ἴδε ὁ τόπος ὅπου ἔθηκαν αὐτόν). Damit schließt sich der Kreis der Argumentation, da erneut das Motiv des leeren Grabes erwähnt wird. Aus paganer, hellenistisch-römischer Perspektive verdeutlicht dieses Erzählmoment die Entrückung in den Götterhimmel. 95 Herauszuheben ist zudem das Leitmotiv des „Sehens“ (im Imperativ ἴδε - vgl. V. 6f), das noch einmal die Zeugenschaft der Frauen am Grab verdeutlichen und die Wahrheit der Auferstehung belegen soll. Der Engel gibt somit ein göttlich verbürgtes Bekenntnis in Gestalt einer Offenbarung ab, 96 die an das prophetische Wort der Stimme des Rufers aus der Wüste (vgl. Mk 1,3), an die eschatologisch-messianische Botschaft Johannes des Täufers (vgl. Mk 1,7 f.) 97 sowie an das Offenbarungswort der Himmelsstimme in der Taufszene (vgl. Mk 1,11) wie in der Verklärungsperikope (vgl. Mk 9,7) erinnert. Es ist eine Offenbarungsbotschaft, deren Inhalt die Behauptung der Auferstehung Jesu darstellt, für deren Gewissheit die Augenzeugenschaft der Frauen (vgl. das Leitmotiv „Sehen“ in den Versen 4a [zweimal]. 5a. 6f) in Anspruch genommen wird. Indem in der zweifachen Apposition τὸν Ναζαρηνὸν τὸν ἐσταυρωμένον (vgl. V. 6c) die Identität des hingerichteten Jesus von Nazaret mit dem auferweckten Jesus Christus herausgestellt wird, 98 ist damit zugleich eine Seins- oder Wesensaussage getroffen, die sich explizit auf Jesus, darüber hinaus aber auch implizit auf Gott bezieht. Es ist zwar expressis verbis vom „Auferstehen“ (ἠγέρθη - vgl. V. 6d) Jesu (vgl. V. 6c: Ἰησοῦν ζητεῖτε τὸν Ναζαρηνὸν τὸν ἐσταυρωμένον; vgl. V. 6e: οὐκ ἔστιν ὧδε; vgl. V. 6f: ἴδε ὁ τόπος ὅπου ἔθηκαν αὐτόν) die Rede, doch 92 Vgl. S chWeizer 1978, 206; e rnSt 1981, 487. - Vgl. zur epiphanen Furcht ebenfalls l imbeck 2014, 414. 93 Vgl. ebenso e rnSt 1981, 487. 490. 94 Vgl. zum Beispiel auch l ohmeyer 1967, 354; e rnSt 1981, 484 f.; S chmithalS 1986, 712 f.; k laiber 2015, 314. 95 Vgl. e bner 2012, 168. 96 Vgl. dazu auch die sinngemäße Einschätzung von e rnSt 1981, 483: „Die Engelszene, welche die Mitte des Stücks bildet, gibt der Erzählung eine die Faktenfrage relativierende Note.“ - Den Offenbarungscharakter betonen ebenfalls P eSch 1984, 532 f.; m oloney 2002, 346 f. und S chenke 2005, 352. 97 Vgl. auch S chenke 2005, 350. 98 Vgl. so mit Recht ebenfalls l ohmeyer 1967, 358; G rundmann 1977, 446; b arth 1992, 131. 8.1. Jesu Tod und Auferweckung 239 gehört das unerhörte und Schrecken auslösende (vgl. V. 5b: καὶ ἐξεθαμβήθησαν; V. 6b: μὴ ἐκθαμβεῖσθε) Ereignis zum Schöpfungs- und somit zum Heilshandeln Gottes, wie die passivische Form ἠγέρθη (vgl. V. 6d) belegt. Daher kann man das Prädikat ἠγέρθη in der Tat auch mit „auferwecken“ übersetzen (als passivum divinum). 99 Dies gilt umso mehr, wenn man das Sonnensymbol heranzieht, dessen endgültige Bedeutung sich nun in diesem göttlichen Tun widerspiegelt. Das mehrdeutige kosmische Zeichen der Sonne wird eindeutig als epiphanes Phänomen bestimmt. Gott offenbart sich in diesem Zeichen, indem die richtige Deutung dieses Zeichens durch einen himmlischen Boten gegeben wird. Damit liegen auch hier der formale Aspekt der Offenbarung und der materiale Aspekt der Schöpfung vor. Ontologisches wird ausgesagt. 100 In semiotischer Hinsicht kann man darin den Bedeutungs- oder Wirkungsaspekt deutlich wiedererkennen. Additiv zu dieser Erläuterung des Deuteengels ist der folgende Vers 7 zu sehen, der eine Aufforderung an die Auferstehungszeuginnen stellt: ἀλλ' ὑπάγετε εἴπατε τοῖς μαθηταῖς αὐτοῦ καὶ τῷ Пέτρῳ ὅτι προάγει ὑμᾶς εἰς τὴν Γαλιλαίαν· ἐκεῖ αὐτὸν ὄψεσθε, καθὼς εἶπεν ὑμῖν. - „Aber geht [und] sagt zu seinen Jüngern und zu Petrus: ‚Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.‘“ Die Frauen sollen den Jüngern Jesu die freudige Botschaft - das heißt die „Frohe Botschaft“, die „Freudenbotschaft“ (εὐαγγέλιον - „Evangelium“) - der Auferstehung überbringen und die Erscheinung des Auferstandenen in Galiläa - dem früheren Wirkungsort des irdischen Jesus - ankündigen. Auch mit diesem Verweis auf Galiläa unterstreicht der Erzähler die Identität des gekreuzigten mit dem auferweckten Jesus. Irdische und himmlische Existenz Jesu verbinden sich zu einem heilsgeschichtlichen Kontinuum. 101 Statt der nicht mehr möglichen Salbung (vgl. V. 1) sollen die Frauen nun die Botschaft des Engels von 99 Vgl. zum Ganzen auch G undry 2000, 991 f.; d SchulniGG 2007, 413; k laiber 2015, 313 f. - Der Begriff hat eine ambivalente Semantik, die man beachten sollte. Die Grundbedeutung scheint aber in der Tat mit „auferstehen“ gegeben zu sein: vgl. zu den Argumenten prägnant h oFiuS 2002, 93-106. 100 Vgl. ebenso S chlier 1974, 91 f.; e rnSt 1981, 487. 101 So zu Recht auch l ohmeyer 1967, 355 f.; G rundmann 1977, 447 f.; e rnSt 1981, 488 f. 490; S ommer 1993, 235 (er erwähnt zusätzlich noch die mit der Ankündigung der Erscheinung des Auferstandenen vor seinen Jüngern angestoßene neue Sammlungsbewegung: vgl. ebd. 232-234 [zu V. 7]); k ertelGe 1994, 163 (auch er verweist auf den Aspekt der nachösterlichen Sammlung); l entzen -d eiS 1998, 356; e vanS 2001, 537 f.; d SchulniGG 2007, 413 (Sammlung der Jünger); G nilka 2010 II, 342 f. (möglicherweise besteht im Gang nach Galiläa eine Anspielung auf die Heidenmission); k laiber 2015, 315. 316 f. (316) (Zusammenfassung). 240 8. Offenbarung und Verkündigung der Auferstehung Jesu und seiner bevorstehenden Erscheinung zu den engsten Vertrauten Jesu weitertragen. 102 Durch die gesonderte Nennung des Simon Petrus erscheint dieser deutlich als herausragender Bekenntnis- und Überlieferungsträger der Jesusbewegung. 103 In dem vom Engel am Grab angestoßenen Übermittlungsvorgang ist zudem der Kern nachösterlicher Nachfolge gekennzeichnet, der in der Weitergabe des durch die Augen- 104 und Ohrenzeugenschaft 105 der Frauen doppelt verbürgten Bekenntnisses der Auferweckung Jesu besteht. Die drei Frauen am Grab werden zu Urzeugen 106 des Heilsgeschehens und die Jünger zu den Urempfängern der Botschaft bestimmt, die dann wiederum selbst zu Urzeugen der Auferweckung werden. 107 Das Bekenntnis repräsentiert somit das Glaubensmoment, das die beiden Komponenten der Annahme und der Weitergabe der Glaubensbotschaft umfasst. So liegt es nach diesem eindringlichen Befehl des Deuteengels nun allein in der Hand der Frauen, die engsten Begleiter Jesu aufzusuchen und sie über die neue Wirklichkeit zu unterrichten. Doch es geschieht eine überraschende Wendung in der Geschichte, die der Vers 8 beschreibt, mit dem bekanntermaßen der Gesamttext des Markusevangeliums abschließt: Καὶ ἐξελθοῦσαι ἔφυγον ἀπὸ τοῦ μνημείου, εἶχεν γὰρ αὐτὰς τρόμος καὶ ἔκστασις· καὶ οὐδενὶ οὐδὲν εἶπαν· ἐφοβοῦντο γὰρ. - „Und sie gingen aus dem Grab hinaus [und] flohen, denn Angst [wörtlich: ein Zittern] und Schrecken [wörtlich: ein Außer-Sich-Sein] hatten sie ergriffen; und sie sagten niemandem irgendetwas [davon]; denn sie fürchteten sich.“ 102 Vgl. S ommer 1993, 229 (zu V. 1). 232. 103 So auch e rnSt 1981, 483. 488; P eSch 1984, 534; S ommer 1993, 233 f.; k laiber 2015, 315. - Vgl. ebenso S tolle 2015, 382: Das Faktum, dass Simon Petrus als Letzter der Jünger genannt wird, sei zum einen der literarische Reflex auf die Verleugnung Jesu durch Petrus [vgl. Mk 14,66-72] und greife zum anderen das jesuanische Wort, dass im Reich Gottes der Erste der Letzte und der Letzte der Erste sein werde [vgl. Mk 9,35; 10,31], auf). - Ähnlich äußern sich auch G rundmann 1977, 447 (Vergebung für das Versagen Petri während des Prozesses gegen Jesus) und S chWeizer 1978, 201. 206 (Vergebung für die Verleugnung, Erstzeugenschaft). - d SchulniGG 2007, 413 bezieht die Aussage auf das Versagen aller Jünger. 104 Vgl. zur Augenzeugenschaft der Frauen: das Sehen der Gestalt des Engels - vgl. V. 5. 105 Vgl. zur Ohrenzeugenschaft der Frauen: das Hören der Botschaft des Engels - vgl. VV. 6-7. 106 Zustimmend zum Beispiel auch M atjaž 1999, 289 und 289 Anm. 1. 299 f.; S chenke 2005, 352; k laiber 2015, 309 f. (zu Mk 15,40-41). 315 (zu Mk 16,7. 8). 316 f. (317) (Zusammenfassung); S tolle 2015, 372 f. 375 f. - Die Bedeutung der Frauen am Grab für die Weitergabe der Osterbotschaft wird von e rnSt 1981, 487 f. (zu V. 7). 489 f. (zu V. 8) meines Erachtens etwas zu stark eingeschränkt (vgl. den Widerspruch ebd. 491). 107 Den Verkündigungs- oder Nachfolgeaspekt betonen richtigerweise auch e rnSt 1981, 488 (zu V. 7). 489 f. (zu V. 8); v an i erSel 1993, 250. 251; S chenke 2005, 350. 352 und d SchulniGG 2007, 413 f. 8.1. Jesu Tod und Auferweckung 241 Die Darstellung gliedert sich in zwei Sinnhälften (vgl. V. 8a. b: Καὶ ἐξελθοῦσαι ἔφυγον ἀπὸ τοῦ μνημείου, εἶχεν γὰρ αὐτὰς τρόμος καὶ ἔκστασις und V. 8c. d: καὶ οὐδενὶ οὐδὲν εἶπαν· ἐφοβοῦντο γὰρ), die zum einen in typisch markinischer Manier jeweils mit der Konjunktion καί und zum zweiten jeweils mit der kausalen Konjunktion γάρ verknüpft werden. Der Erzähler gibt eine doppelte Begründung des Verhaltens der Frauen; beide Male handelt es sich um epiphanen Schrecken (εἶχεν γὰρ αὐτὰς τρόμος καὶ ἔκστασις - vgl. V. 8b; ἐφοβοῦντο γὰρ - vgl. V. 8d). 108 Davon war auch schon bei der Wunderheilung der blutflüssigen Frau die Rede (vgl. Mk 5,33a). Die Frauen kommen dem Verkündigungsauftrag damit zunächst nicht nach. Sie stehen noch ganz unter dem gewaltigen Eindruck der neuen Schöpfungswirklichkeit, die mit der Auferweckung Jesu gegeben ist. Selbstverständlich belegt die Wirkungsgeschichte des christlichen Bekenntnisses - des „christlichen Glaubens“ - die Ausbreitung dieses „Evangeliums“. Die Auslegung dieses anstößigen Verhaltens der Frauen bereitet einige Schwierigkeiten. Was beabsichtigt der Verfasser des Markusevangeliums mit dieser erzählerischen Pointe? 109 Folgende Fragen stellen sich: Wird die Bezeugung durch die Frauen später publik, soll ihre Bedeutung im Überlieferungsprozess geschmälert werden, spielt das „Schweigegebot“ eine Rolle, soll das Zeugnis der Apostel herausgestellt werden oder wird auf den Zusammenhang zwischen Zweifel und Glaube abgehoben? 110 Das von Markus gewählte narrative Element des Verschweigens der Offenbarung verfolgt meiner Meinung nach aber eine andere gewichtige theologische Intention: Indirekt appelliert der Erzähler damit an seine Hörer- und Leserschaft, die Heilsbotschaft des ewigen Lebens anstelle der Frauen zu verbreiten. Es liegt also an jedem Einzelnen, der dem Evangelium von der Auferstehung Jesu Glauben 108 Vgl. ebenso zum Beispiel e rnSt 1981, 489 (zu Vers 8); P eSch 1984, 535 f. 109 S chWindt 2008, [56-79] 74-79 rückt das seltsame Verhalten der Frauen in den Zusammenhang mit dem Kreuzesgeschehen, das als ambivalentes Symbol für das Geheimnis des Auferstehungsglaubens fungiert. Das nachösterliche Versagen der Frauen bei der Weitergabe des Kerygmas korrespondiere mit dem vorösterlichen Unverständnis und Versagen der Jünger Jesu. Insgesamt gesehen wird nach dieser Interpretation die „helle Freude“ über die Auferweckung des gekreuzigten Herrn wieder merklich „verdunkelt“. Die Ambiguität des Osterereignisses reflektiere - so resümiert Rainer Schwindt - die grundlegende wie bleibende Glaubenserfahrung der Christen. Das gelte sowohl für die ersten Zeuginnen des geheimnisvollen Geschehens im Grab von damals wie für die Christen von heute. In dieser Hinsicht sei das Erschrecken der Frauen bei genauerer Betrachtung auch das sprechende und damit - so paradox es klingen mag - angemessene Zeichen für das anstößige Zeichen des Kreuzes - das Skandalon des Kreuzes. 110 Vgl. zu den Deutungsvarianten e rnSt 1981, 489 f.; vgl. auch G nilka 2010 II, 344 f. - l oh meyer 1967, 356 f. sieht in der Furcht der Frauen den Hinweis auf die Parusie Christi verborgen. 242 8. Offenbarung und Verkündigung schenkt, sich um die Weiterverbreitung dieser Botschaft selbst zu bemühen. 111 Die Hörer bzw. Leser sollen den Sinnzusammenhang zwischen Erkenntnis (semiotisch: Zeichen - theologisch: Schöpfung) und Bekenntnis (semiotisch: Bedeutung - theologisch: Offenbarung) erfassen und in der Verkündigung - wiederum geistgeleitet - befolgen. 8.2. Resümee Das „theologische Diptychon“ der Perikopen vom Tod - vgl. Mk 15,33-39 - und von der Auferweckung Jesu - vgl. Mk 16,1-8 - ist dem Schlussstein einer antiken Bogenkonstruktion vergleichbar, der der gesamten Architektur erst Form und Stabilität verleiht. So erscheint die in den einzelnen Perikopen - den „Bausteinen“ des Evangeliums - getroffene Aussage der Gottessohnschaft bzw. der Messianität des Jesus von Nazaret als des Jesus Christus erst durch die Schlusssequenz wirklich bekräftigt. Die beiden genannten Szenen über Sterben, Tod und Auferstehung Jesu müssen infolgedessen als einheitliche Darstellung gelesen und verstanden werden. Im semiotischen Kontext gesehen kommt es dem Erzähler auf der Makroebene des Evangeliums gerade auf diese Deutung an, und deshalb läuft das Erzählgefälle des Gesamttextes folgerichtig darauf zu. Die semiotische Betrachtung kann den Blick für genau diesen Zusammenhang entscheidend schärfen. Die behandelte Erzähleinheit bestimmt das Schöpferhandeln Gottes in Jesu Auferweckung als geistgeführtes Heilsereignis. Darauf weist die Verknüpfung der Erzählkomponenten des Aushauchens des Geistes durch Jesus am Kreuz sowie der Übermittlung des Auferweckungsgeschehnisses durch den Deuteengel im Grab hin. Beide erzählerischen 111 So auch v an i erSel 1993, 251-254. 255 f.; k ertelGe 1994, 163; l entzen -d eiS 1998, 358; S chenke 2005, 352 f.; d oWd / S trutherS m albon 2006, 30; G nilka 2010 II, 344 f. 347; e bner 2012, 169; k laiber 2015, 316 f. (Zusammenfassung). - Eine ansprechende Lösungsmöglichkeit für den offenkundig schwierigen Markusschluss bietet Maksimilijan Matjaž in seiner Studie: Er geht bei dem Motiv der Furcht von einem bewusst gesetzten Textsignal des Markus aus, das die Konfrontation mit dem revolutionär Neuen der Auferstehung und die Reflexion über dieses Ereignis vergegenwärtige. Demnach seien die drei Osterzeuginnen von der Botschaft des Engels im Grab so überwältigt gewesen, dass es ihnen vorübergehend unmöglich gewesen sei, die frohe Kunde den Jüngern sofort mitzuteilen. Sie hätten eine gewisse Zeit benötigt, diese Offenbarung der Schöpfermacht Gottes und der wahren Identität Jesu Christi zu er kennen (wahres Sehen), bevor sie es dann auch vor den Jüngern be kennen konnten (vgl. M atjaž 1999, 302-312. 318 f. 321). Darüber hinaus versteht Matjaž das seltsam widersprüchliche Verhalten der Frauen ebenfalls als bedeutungsvollen Appell an die Hörer bzw. Leser des Evangeliums, sich mit der Heilsbotschaft der Auferweckung selbst auseinanderzusetzen (vgl. ebd. 302). - Im Ergebnis steht damit auch bei dieser Auslegung der Szene der Hörer oder Leser im Mittelpunkt. 8.2. Resümee 243 Momente bilden im Verständnis des Evangelisten wesentliche Tatsachen, in denen sich der Geist Gottes auswirkt . Diese geistgeformte Wirksamkeit lässt sich mit dem Synonym „Vollmacht“ beschreiben, das die göttliche Sphäre bezeichnet. Zu ihm tritt der Gesichtspunkt des „Glaubens“, mit dem die menschliche Sphäre wieder in den Blick gerät. Das im Geist Gottes sich vollziehende Schöpfungsgeschehen als soteriologisch-christologischer Prozess zwischen Gott bzw. Jesus einerseits und dem Menschen andererseits korreliert mit dem ebenso im Geist Gottes erfolgenden Offenbarungsgeschehen als kommunikativ-hermeneutischer Prozess zwischen Gott bzw. Jesus und Mensch. Die philosophisch-semiotische Betrachtung verstärkt dieses miteinander verschränkte Sinngefüge von Schöpfung und Offenbarung, das sich in geistgewirkten Zeichen darstellt. Das Gesamtevangelium endet damit in einer prägnanten und provokanten Deutung: Zum einen zeigt der Evangelist die Auferweckung Jesu als endgültigen Beweis für die Gottessohnschaft Jesu - für seine Messianität -, zum anderen verdeutlicht Markus die sich aus diesem Heilsereignis ergebende Notwendigkeit gläubiger Nachfolge. Mesoebene: Mk 15,33-39 Mesoebene: Mk 16,1-8 Ding: Finsternis (vgl. V. 33), Verlassenheitsruf Jesu (vgl. V. 34), Spötter unter dem Kreuz (vgl. V. 35 f.) Ding: Sonne (vgl. VV . 1-2) Zeichen: Jesu Aushauchen des Geistes (vgl. V. 37), Zerreißen des Tempelvorhanges (vgl. V. 38) Zeichen: weggerollter Stein (vgl. VV .3-4), sitzender Engel / leeres Grab (vgl. V. 5) Bedeutung: Deutewort des Hauptmanns (kurzes Deutewort) (vgl. V. 39) Bedeutung: Deutewort des Engels (Deuteengel) (langes Deutewort) (vgl. V. 6 f.), Reaktion der Frauen (vgl. V. 8) Tabelle 4 9.1. Botschaft und Erkenntnis 245 9. Geist und Erkenntnis 9.1. Botschaft und Erkenntnis „[E]r ist auferstanden; er ist nicht hier“ (vgl. Mk 16,6d. e). - In diese kurzen wie schlichten Sätze fasst der Erzähler des Markusevangeliums die für die ersten Zeugen erschütternde (vgl. Mk 16,8b: τρόμος - das Zittern) und bewegende (vgl. Mk 16,8b: ἔκστασις - das Außer-Sich-Sein) Botschaft, die mit der Person und dem Wirken Jesu von Nazaret verbunden ist. Die Rede des Engels in der Grabhöhle bestimmt den Zusammenhang näher. Es ist Jesus, der Mann aus Nazaret (vgl. Mk 16,6c), der gekreuzigt wurde (vgl. Mk 16,6c), starb, begraben wurde (vgl. Mk 16,6f) und aus diesem Grab auferstand (vgl. Mk 16,6d. e). Das ist die Heilsbotschaft für das im Grab geschehene Heilsereignis, das den Selbstanspruch Jesu während seines Lebens, Sohn Gottes und Messias der Menschen zu sein, beweist: Gott wandelt Tod in Leben. Er hat sich damit des Verachteten und am Kreuz Gemarterten angenommen und das Kreuz als Symbol des Unheils in ein Symbol des Heils verwandelt. Kreuz, Grab und Tod einerseits sowie Kreuz, Grab und Leben andererseits werden einander gegenübergestellt und so miteinander verbunden. Die Worte des Deuteengels dazu erklären das Geschehene: Er legt auf die Gleichsetzung des gekreuzigten und verstorbenen mit dem auferweckten und verschwundenen Jesus Wert, wie der Ausspruch: „Jesus, den Nazarener, den Gekreuzigten, sucht ihr; er ist auferstanden, er ist nicht hier“ (Ἰησοῦν ζητεῖτε τὸν Ναζαρηνὸν τὸν ἐσταυρωμένον· ἠγέρθη, οὐκ ἔστιν ὧδε - vgl. Mk 16,6c -e) veranschaulicht. Bemerkenswert ist das von dem Himmelsboten in Mk 16,6c verwendete Syntagma Ἰησοῦν […] τὸν Ναζαρηνόν. Die Titulatur, die die geografische Herkunft Jesu aufnimmt, verdeutlicht den für das Markusevangelium wesentlichen Sinnzusammenhang der Relecture . In dieser geografischen Bezeichnung klingt nämlich die sehr ähnliche Wendung in der Taufperikope ganz zu Anfang in Mk 1,9 an - Ἰησοῦς ἀπὸ Ναζαρέτ. 1 Die Parallelität der Ausdrücke „Jesus, de[r] Nazarener“ (vgl. Mk 16,6c) und „Jesus aus Nazaret“ bzw. „Jesus von Nazaret“ ist sicher nicht zufällig. Die Syntagmen sind Textsignale, die der Rezipient zu entschlüsseln hat. Deshalb muss es sich auch bei der nahezu gleichlautenden 1 Die familiäre Herkunft wird in Mk 3,21. 31 f. (in detaillierter, narrativer Form) und in Mk 6,3 (in summarischer, narrativer Form) nachgetragen und von Jesus anschließend relativiert (vgl. Mk 3,33-35; 6,4). 246 9. Geist und Erkenntnis Herkunftsbezeichnung „Jesus, de[r] Nazarener“ in Mk 16,6c um eine bewusste Wiederaufnahme der Formulierung aus der Taufperikope handeln. Die Taufszene erzählt sowohl vom ersten Auftritt Jesu im Evangelium als auch vom geistgewirkten Empfang der Gottessohnschaft (vgl. Mk 1,10. 11). Der Erzähler verknüpft die Formulierung „Jesus von Nazaret“ als Bezeichnung der irdischen Identität Jesu mit der Beschreibung der himmlischen Identität Jesu als endzeitlichem Boten Gottes. Damit liegt in dieser Anfangsszene eine Kernstelle für das Gesamtverständnis des Evangeliums vor. Aus der ursprünglich geografischen Bezeichnung entsteht bereits dadurch ein theologisch grundierter Eigenname, der zum festen Begriff wird: „Jesus von Nazaret“. Mit dieser Begrifflichkeit bleibt die wahre Bestimmung Jesu für seine Zeitgenossen aber noch zwiespältig, wie sich aus der nur für Jesus wahrzunehmenden Geistgabe und Himmelsstimme ergibt, und wie die fragenden bis abweisenden Reaktionen auf den jesuanischen Anspruch auf göttliche Vollmacht (vgl. etwa markant Mk 1,21-28; 3,22-27) zeigen. Der Ausdruck „Jesus von Nazaret“ bedarf daher der näheren theologischen Erläuterung, die der Anfangssatz - der Titel des Evangeliums Mk 1,1 - vorgibt: Ἰησοῦ Χριστοῦ υἱοῦ θεοῦ. Das in Mk 16,6c benannte irdische Sein Jesu wird durch die prägnante Formulierung Mk 1,1 ergänzt, die sein verborgenes, wahres, göttliches Wesen beschreibt - „Jesus Christus“ und „Sohn Gottes“. Aus „Jesus von Nazaret“ wird „Jesus Christus“. Diese christologische Bestimmung aus der Überschrift Mk 1,1 wirkt im Zusammenspiel mit der gesamten Rede des Engels in Mk 16,6 wie eine Argumentation, die aus Behauptung (vgl. Mk 1,1) und Begründung (vgl. Mk 16,6) besteht: Die Stimme des Erzählers zeigt im Titel in knapper Form auf, was die Worte des Himmelsboten im letzten Kapitel eingehend darlegen. Anfang und Schluss des Evangeliums sind daher lexikalisch wie semantisch gesehen aufeinander bezogen. Die erwähnten Titulaturen „Jesus, de[r] Nazarener“, „Jesus aus Nazaret“ oder „Jesus von Nazaret“ sowie „Jesus Christus“ weisen auf das markinische Prinzip der Relecture hin. Über diesen formalen Aspekt hinaus finden sich auch weitere, materiale Aspekte, die den von Autor und Erzähler intendierten Erkenntnisgewinn beim Rezipienten anstoßen. Es handelt sich dabei um die bereits aufgezählten expliziten christologischen Titel und weiterhin um die vielfältigen jesuanischen Worte und Werke - die Gleichniserzählungen, die Belehrungen, Gespräche und Reden, die Wunderheilungen und die Dämonenaustreibungen - sowie um das die messianische Würde Jesu schützende sogenannte „Messiasgeheimnis“ , das so bezeichnend für Markus ist. Das für viele Leser und Ausleger offen wirkende Ende des authentischen Markusschlusses wird so zu einem befriedigenden Abschluss geführt. Der Leser oder Hörer wird also aufgefordert, sich nach der vollständigen Lektüre des Evangeliums den Handlungsverlauf mit dem österlichen Wissen der Formulierung „Er ist auferstanden; er ist nicht 9.2. Erkenntnis und Offenbarung 247 hier“ erneut zu vergegenwärtigen. Dadurch gelangt er zu dem an vielen Stellen des Evangeliums geforderten „richtigen Sehen“, das heißt, er bewertet die Aussage des Gesamttextes neu. Es geht darum, Jesu himmlisches Wesen mit seinem irdischen Sein rückblickend zu einem neuen Sinn zu verknüpfen. Nur dadurch erschließt sich das wirkliche Wesen Jesu von Nazaret, das in seiner Rede von der angebrochenen Königsherrschaft Gottes (vgl. Mk 1,15) zum Ausdruck gebracht und das in der Auferstehungsbotschaft verdeutlicht wird. Die Botschaft vom Gottesreich und die Bevollmächtigung zur Gottessohnschaft stehen in einer untrennbaren Beziehung zueinander. Im Leben und im Tod Jesu wird diese Verbindung offenbar. Diese Botschaft stellt die Offenbarung Gottes dar. Es ergibt sich also ein Sinnzusammenhang, der sich allerdings nicht umgehend und nicht aus sich selbst heraus erschließt. Hermeneutisch gesprochen handelt es sich um „Erkenntnis“. 9.2. Erkenntnis und Offenbarung Erkenntnis stellt sich stets als Erkenntnis prozess dar. Die narrative Struktur des markinischen Relecture-Prinzips ist dafür ein besonders treffendes Beispiel. Es geht darin um ein In-Beziehung-Setzen der erwähnten jesuanischen Titulaturen, der christologischen Titel, der Worte und Werke Jesu und des messianischen Schweigegebotes einerseits mit dem sich daraus ergebenden Vollmachtsanspruch Jesu andererseits. Mit diesen „Zeichen“ wird das „Objekt“ der Erkenntnis - also Jesus von Nazaret - durch die „Deutung“ der göttlichen Legitimation Jesu, die in seiner ἐξουσία besteht, bestimmt. Jesus erweist sich in dieser Vollmacht als der υἱός θεοῦ und als der Χριστός, wie der Titel des Markusevangeliums aussagt. Im Rückblick auf das Markusevangelium kann man daher feststellen, dass das geschilderte Relecture-Prinzip bereits eine hermeneutische Struktur vorgibt. Insofern ist dem Markusevangelium ein Erkenntnisprozess inhärent. Das ist durchaus bemerkenswert. Ein Erkenntnisprozess lässt sich somit als ein Bedeutungsbildungsprozess definieren, bei dem eine konkrete Sache oder ein abstrakter Sachverhalt über ein Zeichen einer Deutung zugeführt werden. Diese Deutung hat dann im sprichwörtlichen Sinne auch „Bedeutung“, weil sie Erkenntnis erzeugt . Es geht um Sinnstiftung als Prozess und Sinngebung als Resultat dieses Prozesses. Entscheidend für eine Deutung oder Bedeutung sind somit die erwähnten „Zeichen“. Der Begriff des „Zeichens“ ist der Fundamentalbegriff der nach ihm benannten hermeneutischen Wissenschaft - der Semiotik . Den geschilderten untrennbaren Sinnzusammenhang zwischen „Objekt“, „Zeichen“ und „Deutung“ hat für die moderne Hermeneutik Charles Sanders („Santiago“) Peirce herausgearbeitet, und er hat seine 248 9. Geist und Erkenntnis daraus erwachsene semiotische Theorie, die eine logisch-epistemologische Konzeption darstellt, über mehrere Jahrzehnte bis zum Ende seines Lebens weiter verfeinert. In seinen Grundzügen bleibt jedoch das semiotische, triadisch strukturierte Modell als - metaphorisch gesprochen - „ringförmiger“ Erschließungsvorgang zwischen den „semiotischen Kategorien“ von „Objekt“, von „Zeichen“ oder „Repräsentamen“ und von „Interpretant“ , wie Peirce den Bedeutungsaspekt nennt, erhalten. Diesen Begriffs- oder Bedeutungsbildungsprozess bezeichnet Peirce als „Semiose“ - als „semeiosis“ . Die Bedeutungskonstitution erfolgt stets auf die gleiche Art und Weise: Das Objekt „drängt“ zur Selbstmitteilung, die in einem bestimmten Zeichen ver mittelt und durch den Interpretanten, der dem jeweiligen Zeichen zugeordnet ist, er mittelt wird. Das Kern- und Verbindungsstück des Bedeutungsvorganges ist also das Zeichen, in dem das Objekt in einer bestimmten Weise zur „Darstellung“ (bei Peirce: „representation“ - „Repräsentation“, „Darstellung“) kommt. Somit ist der gesamte Erkenntnisvorgang dynamisch-evolutiv, dynamisch-relational und linear-teleologisch angelegt. Bei Peirces Zeichentheorie handelt es sich um eine epistemologisch geprägte Relationenlogik, die universelle Gültigkeit besitzt. Aus dieser semiotischen Perspektive, die das Zeichen als Fundament kognitivhermeneutischer Prozesse definiert, erscheint das gesamte Markusevangelium auch als „Makrozeichen“ für die Deutung Jesu als Gottes Sohn und als Messias. Das philosophisch-semiotische Konstrukt, das Peirce entwickelt hat, ist damit in besonderer Weise geeignet, ebenso als fundamentale Hermeneutik für die Exegese herangezogen zu werden. Das Ziel der vorliegenden Studie ist es, den grundsätzlichen offenbarungs- und schöpfungstheologischen Charakter des Evangeliums, der sich aus dem pneumatologischen Moment ergibt, aus philosophisch-semiotischer Perspektive zu analysieren und zu interpretieren. Es sind meines Erachtens - wie in der vorliegenden Untersuchung beschrieben - zwei essentielle Aspekte zu beachten, die die Anwendung semiotisch-hermeneutischer Prinzipien auf theologisch-hermeneutische Prinzipien legitimieren können. Die beiden Momente lassen sich mit Hilfe zweier repräsentativer Zitate aus Peirces zeichentheoretischen Schriften erarbeiten: Erstens: Der „dynamisch-evolutive“ oder „dynamische Aspekt“, der mit dem semiotischen Objektmoment verbunden ist, erscheint relevant. Das ergibt sich aus der nachstehenden Aussage, die dem Entwurf eines Briefes von Peirce an Lady Welby vom 06. 03. 1906 entnommen ist: „[The dynamical object - S. E.] means something forced upon the mind in perception, but including more than perception reveals.“ 2 Nach dem Peirce’schen Zeichenmodell hat das Objekt - hier „dynamisches Objekt“ genannt - das Bestreben (vgl. „means something forced 2 Vgl. h ardWick / c ook 1977, [195-201] 197. 9.2. Erkenntnis und Offenbarung 249 upon the mind“), sich dem erkennenden Subjekt - also dem Menschen - unmittelbar mitzuteilen (vgl. „reveals“ - „offenbaren“! ). Dieser semiotische Sinnzusammenhang findet seine theologische Parallele im jüdisch-christlichen Gottesbild. Das heißt im Einzelnen: Gott möchte sich beim Menschen zur Sprache bringen, theologisch gesagt: sich ihm offenbaren. Dieser Selbsterschließungsprozess Gottes geschieht aber im göttlichen Geist, der sich mit dem menschlichen Geist verbindet. Zweitens: Es ist der „dynamisch-relationale“ bzw. „relationale Aspekt“ zu beachten, der in der triadischen Semiose offenkundig wird. Ein Zitat aus Peirces Syllabus von 1903 kann diesen Zusammenhang verdeutlichen: „A Sign , or Representamen , is a First which stands in such a genuine triadic relation to a Second, called its Object , as to be capable of determining a Third, called its Interpretant , to assume the same triadic relation to its Object in which it stands itself to the same Object.“ 3 Das „Zeichen“ oder „Repräsentamen“ stellt eine Verbindung zwischen dem „Objekt“ oder - wie in der vorliegenden Studie genannt - dem „Ding“ einerseits und der „Bedeutung“ („Interpretant“ bei Peirce) anderseits her. Es geht um eine Relation (vgl. „a genuine triadic relation“; „the same triadic relation“) oder um „mediation“ - „Vermittlung“, wie es an anderer Stelle bei Peirce heißt. 4 Der semiotische Zeichenbegriff lässt sich nun mit dem theologischen Verständnis des Geistes Gottes verknüpfen: Gott wirkt im und mit dem Geist; Gott teilt sich dadurch dem Menschen mit. Die Offenbarung ereignet sich im Geist, und der Geist erscheint im Zeichen. Geistzeichen sind daher Offenbarungszeichen. Dieser Offenbarungsvorgang lässt sich in elementarisierender Betrachtungsweise also als zeichenvermittelter Kommunikationsvorgang zwischen Gott und Mensch auffassen. Es handelt sich um einen triadisch-semiotischen (Zeichenmodell: „Ding“, „Zeichen“, „Bedeutung“) und dyadisch-hermeneutischen (Kommunikationsmodell: „Sprecher“/ „Sender“, „Hörer“ / „Empfänger“) Offenbarungsprozess. In diesem dynamisch („Dynamik“: „Erschließung“) wie relational („Relation“: „Verbindung“) strukturierten, offenbarenden und schöpferischen Handeln Gottes in seinem Geist spiegelt sich der dynamisch-relationale Charakter des Peirce’schen Zeichensystems wider. Das ist das wesentliche tertium comparationis für eine semiotisch inspirierte Exegese. Deswegen lässt sich dieser semiotische Ansatz im theologischen Zusammenhang angemessen und gewinnbringend verwenden. Ist der triadische, dynamisch-relationale Zeichenbegriff der Grundbegriff der semiotischen Perspektive, so ist es der triadische, dynamisch-relationale Geistbegriff in der theologischen Interpretation. 3 Vgl. CP 2.274 [Kursivdruck im Original]. 4 Vgl. h ardWick / c ook 1977, 31. 250 9. Geist und Erkenntnis Ausgehend von dieser Überlegung kann man die Geistthematik am Beispiel des Markusevangeliums methodisch-systematisch vertiefend analysieren und reflektieren. Daher lässt sich das semiotische Konzept von Peirce meines Erachtens in formaler wie in materialer Hinsicht für den theologischen Kontext adaptieren: Zum einen ergibt sich analog zur Peirce’schen triadischen Struktur der „semiotischen Kategorien“ in formaler Hinsicht für die exegetisch-theologische Betrachtung des markinischen Geistbegriffs eine ebenfalls dreigliedrige Einteilung. Sie ist als Ebenenmodell darzustellen - als Mikro-, Meso- und Makroebene : Die Mikroebene umfasst jedes Wort, die Mesoebene bezieht sich auf die jeweilige Perikope - den Text - und die Makroebene erfasst das Evangelium - den Gesamttext. Für die Analyse und Interpretation des Markusevangeliums im Hinblick auf das Verständnis des Geistes sind insbesondere die Meso- und die Makroebene bedeutsam. Hier werden die drei semiotischen Kategorien des „Ding- oder Wesensaspektes“, des „Zeichen- oder Erscheinungsaspektes“ sowie des „Bedeutungsbzw. Wirkungsaspektes“ des Geistes besonders anschaulich. In Bezug auf Jesus von Nazaret als Offenbarungsträger repräsentieren die Begriffe die theologischen Aspekte „Vollmacht verleihen“, „Vollmacht ausüben“ und „Vollmacht annehmen“. Zum anderen sind in materialer Hinsicht den drei genannten semiotischen Kategorien noch zusätzlich drei „semiotische Funktionen“ - wie sie in dieser Studie bezeichnet werden - zuzuweisen, die sich aus der Deutung der drei semiotischen Kategorien ergeben. Diese Funktionen sind der Zeichenlehre Peirces inhärent: So gehört die „Dynamik“ bzw. das „Dynamische“ zum Dingaspekt - zum „Ersten“ in der Terminologie Peirces - und die „Relationalität“ oder das „Relationale“ zum Moment des Zeichens (zum „Zweiten“ in der Peirce’schen Klassifikation). Mit dem „Dritten“ aus Peirces Systematik - dem Bedeutungsaspekt - verbindet sich die Funktion der „Ontologie“ oder des „Ontologischen“ . Diese semiotischen Funktionen, die sich auf die semiotischen Kategorien beziehen, müssen in theologischer Hinsicht jedoch noch inhaltlich näher bestimmt werden. Dies ist logisch geboten, da auch Peirce die Grundsätze und Ausprägungen seines semiotischen Konzeptes aus einem Schlussverfahren hergeleitet und entwickelt hat. Daher lassen sich folgende, den erwähnten drei semiotischen Funktionen wie Kategorien korrespondierende „theologische Interpretationen“ bestimmen: Dem Dingaspekt ist das Begriffspaar „Tod und Leben“ zugeordnet, dem Zeichenaspekt die Dichotomie „Verheißung und Erfüllung“ und dem Bedeutungsaspekt die binäre Formulierung „Vollmacht und Glaube“. Dazu ist im Einzelnen anzumerken: Dem semiotischen Sinnzusammenhang des Zwangs zur Selbstmitteilung entspricht in der theologischen Deutung das Offenbarungsgeschehen, das im Erschließen des Wesens Gottes als Urgrund des Lebens und als Urheber des Lebendigen besteht. Dieses Faktum des Dingaspektes beschreibt die erwähnte Dichotomie „Tod und Leben“. Was das Zeichen betrifft, so bringt es das Ding in einer dem 9.3. Offenbarung und Schöpfung 251 Zeichen inhärenten spezifischen Bedeutung zur Darstellung (Zeichen als „representation“ bzw. als „Darstellung). Der Zeichenaspekt vermittelt zwischen Ding und Bedeutung, so dass man in theologischer Hinsicht vom Verhältnis zwischen „Verheißung“ und „Erfüllung“ sprechen kann. Die Worte und Werke Jesu erscheinen dann als Verheißungs- und Erfüllungszeichen der Basileia-Botschaft Gottes. In der Dichotomie von „Vollmacht und Glaube“ kommt der Bedeutungsaspekt treffend zur Sprache: Hier geht es um die Wirkung der Vollmacht Jesu in Bezug auf die Adressaten der Gottesreichsbotschaft. Diese müssen Jesu Vollmacht als Ausdruck - „Zeichen“ - der Voll- oder Allmacht Gottes erkennen und würdigen - der Vollmacht Jesu also „Bedeutung“ zumessen. Dadurch kommt der semiotisch-triadisch strukturierte, theologische Sinnzusammenhang des Offenbarungsgeschehens zum Abschluss. Theologisch betrachtet ist das Markusevangelium eine Offenbarungsschrift , die das Leben Jesu deutet. Das gilt natürlich für alle Evangelien; im Falle des Markusevangeliums ist dieser Sachverhalt wegen des anfangs genannten Relecture-Aspektes nur besonders anschaulich und daher leicht einsichtig. Semiotisch-hermeneutisch gesehen kann man die Offenbarungsschrift des Markusevangeliums dann als „Erkenntnisschrift“ einstufen. Die formal-hermeneutische Kategorie des „Erkenntnisprozesses“ ist das logische Pendant zur material-theologischen Kategorie des „Offenbarungsprozesses“, der sich aus philosophisch-semiotischer Perspektive als „dynamisch-relationaler Sinnzusammenhang“ bzw. „dynamisch-realtionales Sinngefüge“ oder „dynamisch-relationales Deutungsmuster“ darstellt. 9.3. Offenbarung und Schöpfung Das Offenbarungsereignis erfordert den „Geist“ als buchstäblich notwendiges „Mittel“ - als „Medium“ - für einen gelingenden Erkenntnisvorgang. Der Geist lässt sich daher im semiotischen Kontext mit dem Zeichen identifizieren. In der Taufe empfängt Jesus von Nazaret den Geist Gottes und partizipiert auf diese Weise am göttlichen Sein und damit an der Allmacht Gottes. Die Taufe Jesu, die ihn zum irdischen Stellvertreter JHWH s bestellt, ist sozusagen das Zeichen für den „irdischen Anfang“ der Gottessohnschaft Jesu, die im Besitz der Vollmacht (ἐξουσία) Gottes besteht. Geistbesitz bedeutet daher Vollmachtsbesitz. Die Taten und Reden Jesu- die Tat- und Wortzeichen - sind aufgrund der Gottessohnschaft nicht nur jesuanische, sondern zugleich göttliche Zeichen und daher „ Vollmachtszeichen “. Sie sind Machttaten (δυνάμεις) Jesu, die von der Allmacht (δύναμις) bzw. Vollmacht (ἐξουσία) Gottes zeugen. In diesen Vollmachtszeichen wirkt der Geist Gottes - der Heilige Geist -, so dass sie als „ Geistzeichen “ zu 252 9. Geist und Erkenntnis gelten haben, die das göttliche Sein darstellen und somit „ Offenbarungszeichen “ sind. Die im Markusevangelium erwähnten vielfältigen Reden und Wunder Jesu können somit als Geist-, Vollmachts- und Offenbarungszeichen aufgefasst werden. Die Gott zukommende Qualität der Voll- oder Allmacht beschreibt das Wesen Gottes als Ursprung des Lebens und folglich als Urheber des Lebens. Er setzt als Schöpfer eine Schöpfung als etwas Neues und Lebendiges aus dem Nichts ein. Der Gottesname JHWH beleuchtet diesen Sinnzusammenhang. Gottes Sein erschließt sich in seinem Da-Sein, Mit-Sein und Anders-Sein: Das Da-Sein referiert auf die Vorstellung Gottes als Urquell des Lebens, das Mit-Sein reflektiert die sich daraus ergebende Eigenschaft Gottes als Gegenüber seiner Schöpfung und als Verbindung des Schöpfers zu seiner Schöpfung, und das Anders-Sein zeigt die grundsätzliche Unerkennbarkeit und daher das geheimnisvolle Wesen des Schöpfergottes an. In der Schöpfung teilt sich der Schöpfer mit: Schöpfung ist damit nichts anderes als Offenbarung des Schöpfergottes in seiner Schöpfung und für seine Schöpfung. Bezeichnet der Offenbarungszusammenhang den formal-hermeneutischen Kommunikationsprozess, so beschreibt der Schöpfungszusammenhang den dazugehörigen material-hermeneutischen Erkenntnisprozess. Formal gesehen zeigt das Offenbarungsgeschehen die paradoxe Erscheinung des Gegen- und Miteinanders von „Verhüllung und Enthüllung“ auf, material betrachtet bezeichnet das Schöpfungsgeschehen die paradoxe Zuordnung von „Transzendenz und Immanenz“ - von „Ferne und Nähe“ - Gottes. Die zahlreichen Wort- und Tatzeichen Jesu - des Sohnes Gottes und des Gesalbten - verdeutlichen diese Offenbarungs- und Schöpfungsaussage des Markusevangeliums. Die Geist-, Offenbarungs-, und Vollmachtszeichen Jesu kennzeichnen damit auch das Verständnis des markinischen Geistbegriffes. Der Geist Gottes zeigt sich darin als be wirkendes und aus wirkendes Prinzip und lässt das schöpferische bzw. neuschöpferische Handeln Gottes und Jesu erfahrbar und erkennbar werden. 9.4. Erkenntnis und Bekenntnis Analysiert und interpretiert man den Offenbarungs- und Schöpfungsaspekt in der semiotischen Perspektive im Hinblick auf das Geistmoment, dann ergibt sich eine triadische Matrix: Die den semiotischen Kategorien von „Ding“, „Zeichen“ und „Bedeutung“ korrelierenden Begriffe „Kenntnis“, „Erkenntnis“ und „Bekenntnis“ erfassen den formalen Sinnzusammenhang der „Offenbarung“. Im Deutungsmuster „Offenbarung“ kann man dem „Zeichenaspekt“ das Moment der „Erkenntnis“ zuordnen, das wiederum auf die „Bedeutung“ - das „Bekenntnis“ - verweist. Das materiale Sinngefüge der „Schöpfung“ besteht aus den 9.4. Erkenntnis und Bekenntnis 253 Einzelaspekten von „Wirkung“, „Bewirkung“ und „Auswirkung“ (vgl. Abbildung 1 am Ende des Kapitels). Dieser Bedeutungsbildungsprozess führt nicht nur zur Er kenntnis der Sache oder des Sachverhaltes, sondern in der Folge auch zum Be kenntnis, das heißt zur zustimmenden Wertung. Der Evangelist stellt die Bedeutung des „richtigen Sehens“ - der richtigen Wahrnehmung und Beurteilung - in das Zentrum seiner Darstellung. Dies ist die unerlässliche Voraussetzung für die Glaubensentscheidung. Sich angemessen entscheiden zu können, bedarf - traditionell-theologisch gesprochen - der „Scheidung der Geister“ im Geist des Menschen, der vom Geist Gottes erfasst wird. Erkenntnis und Bekenntnis bedingen einander und verbinden sich miteinander: Wenn man einen Gedanken nämlich als wahr er kennt, dann be kennt man ihn auch als wahr. Erkenntnis wird in semiotischer Betrachtung im Terminus der „Darstellung“ erfasst, dem im theologischen Zusammenhang die Gesichtspunkte der „Offenbarung“ und der „Schöpfung“ zuzuordnen sind. Der „Bekenntnisaspekt“ findet sich im Moment der „Bedeutung“ wieder. Mit ihm ist in theologischer Hinsicht „Glaube und Verkündigung“ gemeint (vgl. Abbildung 2 am Ende des Kapitels). Der semiotische Erkenntnisprozess ist als Deutungsmuster des theologischen Offenbarungs- und Schöpfungsprozesses zu nutzen, der sich zum Bekenntnisprozess erweitert. Die für den semiotischen Bedeutungsaspekt stehende theologische Dichotomie „Vollmacht und Glaube“ lässt diesen Zusammenhang begreiflich werden. Wissen (Semiotik: Erkenntnis) und Glaube (Theologie: Bekenntnis) werden in einen Sinnzusammenhang gebracht. Erkenntnis definiert sich als Voraussetzung für das Bekenntnis zu Jesus als dem Sohn Gottes und als Messias, ruft zur Nachfolge auf und endet in der Weitergabe des Bekenntnisses, das heißt in der Verkündigung des christlichen Glaubens, wie sie im Evangelium als Offenbarungsschrift par excellence geleistet wird. Die theologischen Begriffe „Offenbarung“ und „Schöpfung“ können mit dem von Peirce entwickelten semiotischen Kategoriensystem erfasst und erläutert werden. So lässt sich feststellen: Das Offenbarungs- und Schöpfungsgeschehen der Theologie korreliert mit und konvergiert in dem Kommunikations- und Erkenntnisgeschehen der Semiotik. Das bedeutet im Einzelnen: Der theologische „Schöpfungsaspekt“ (bzw. die dazugehörige Schöpfungstheologie) entspricht dem „Dingaspekt“ bzw. dem „Ding“, und der „Offenbarungsaspekt“ (oder die Offenbarungstheologie) findet das Pendant im „Bedeutungsaspekt“ bzw. der „Bedeutung“. Beide Momente werden durch den Aspekt des „Geistes“ in theologischer Hinsicht und durch das Moment des „Zeichens“ in semiotischer Betrachtungsweise zusammengefügt. Das Geist- und das Zeichenmoment erweisen sich somit als notwendige Bindeglieder zwischen den beiden Kategorien von „Schöpfung“ und „Ding“ einerseits und „Offenbarung“ und „Bedeutung“ andererseits. So wird semiotische wie theologische Erkenntnis initiiert und 254 9. Geist und Erkenntnis konstituiert. Darin erweist der Geistbzw. Zeichenaspekt seinen dynamischen und relationalen Charakter (vgl. Abbildung 3 am Ende des Kapitels). Die semiotische Perspektive kann den theologischen Geistbegriff in strukturell-abstrakter Art und Weise als „dynamisch-relationalen Sinnzusammenhang“ oder „dynamisch-relationales Sinngefüge“ bzw. „dynamisch-relationales Deutungsmuster“ definieren. Die philosophisch-semiotische Struktur, die Peirce präsentiert, lässt sich im Hinblick auf die Erläuterung der Geistthematik im Markusevangelium als adäquate, alternative und komplementäre Hermeneutik verwenden. Sie ermöglicht aus folgenden Gründen eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem markinischen Geistbegriff: Erstens: Nach dem jüdisch-christlichen Gottesverständnis erweist sich JHWH als ein aus eigenem Willen sich selbst mitteilender Gott. Er zeigt sich - wie erläutert - durch seine Schöpfung und zudem in seiner Schöpfung, indem er sich an den Menschen wendet. Der theologische terminus technicus „Offenbarung“ erfasst diesen kommunikativ-hermeneutischen Zusammenhang. Das Offenbarungsgeschehen Gottes wird vom Menschen mündlich und schriftlich tradiert. Die Theologie als wissenschaftliche Beschäftigung mit diesen religiösen Traditionen analysiert und interpretiert die Offenbarungsbotschaft. Die Offenbarung JHWH s vollzieht sich - wie in der Studie erörtert wurde - im „Symbol“, das etymologisch betrachtet die göttlich-himmlische mit der irdisch-menschlichen Welt verbinden kann. Das Symbol ist ein Zeichen. Insofern ist jeder Offenbarungsakt ein zeichenvermittelter Kommunikationsprozess zwischen Gott und Mensch. Mit Hilfe des triadisch-semiotischen, linear-teleologischen und dynamisch-relationalen Konzepts von Peirce lässt sich nun das göttliche Offenbarungsgeschehen rekapitulieren, reformulieren und reinterpretieren, da es sich bei der von Peirce formulierten Zeichentheorie um eine universell gültige Epistemologie handelt. Deshalb ist es sinnvoll und angemessen, diese Theorie als Deutungsmuster auch auf den theologischen Zusammenhang anzuwenden. Somit erscheint der theologische Offenbarungsbegriff als ebenso triadisch zu entfaltende Struktur in den Aspekten „Schöpfung“, „Geist“ und „Offenbarung“, die den semiotischen Kategorien von „Ding“, „Zeichen“ und „Bedeutung“ entsprechen. Theologisch gesehen bringen sie die Aspekte „Wesen“, „Zeichen“ und „Wirkung“ zum Ausdruck, das heißt, sie erschließen den Sinnzusammenhang des „Ding- oder Wesensmomentes“, des „Zeichen- oder Erscheinungsmomentes“ sowie des „Bedeutungs- oder Wirkungsmomentes“. Wie gezeigt wurde, präsentiert sich der „Offenbarungsaspekt“ mit den Begriffen „Kenntnis“, „Erkenntnis“ sowie „Bekenntnis“. Das dazugehörige „Schöpfungsmoment“ zeigt sich in der dreiteiligen Struktur von „Wirkung“, „Bewirkung“ und „Auswirkung“. Offenbarung und Schöpfung werden zusammengehalten durch das Moment des Geistes - semiotisch betrachtet: des Zeichens. 9.4. Erkenntnis und Bekenntnis 255 Zweitens: Das Zeichen repräsentiert im semiotischen Sinngefüge Peirces den Fundamentalbegriff, der die Semiose - den Bedeutungsbildungsprozess - initiiert und konstituiert. Analog zu dieser Erkenntnis aus der Semiotik hat dann im theologischen Kontext der Geistbegriff als Grundbegriff zu gelten. Der Obertitel der vorliegenden Studie lautet: Zeichen und Geist . Er bringt zum Ausdruck, dass beide Aspekte aufeinander zu beziehen sind. Der Geist ist das Verbindungsstiftende, das Relationale - also das Zeichen. Der Geist ist zugleich dynamisch zu verstehen, da er zur Erkenntnis strebt. Die auch das Zeichen ausmachende Eigenschaft der Dynamik findet sich in der Peirce‘ schen Terminologie wieder, indem dort das Ding als „dynamisches“ oder „mittelbares Objekt“ 5 und das Zeichen als „unmittelbares Objekt“ 6 definiert wird. In der auffälligen Verwendung des Begriffes „Objekt“ für den Gegenstand wie das Zeichen der Erkenntnis drückt sich diese enge logisch-epistemologische Korrelation aus. Das Zeichen ist damit durch das dynamische Momentum des Dinges geprägt; die Kategorien der Dynamik und der Relationalität sind komplementäre Größen. Der Geistaspekt lässt sich daher adäquat mit dem Zeichenbegriff profilieren. Die vorliegende Studie konnte diesen Zusammenhang anhand der Analyse und Interpretation paradigmatischer Textstellen aus dem Markusevangelium deutlich aufzeigen. Auf die Resultate in Bezug auf das Geistmoment soll im Folgenden in der gebotenen Kürze noch einmal eingegangen werden: So gründet die Vollmacht und damit die Messianität Jesu in der Gabe und Wirkung des Geistes Gottes. Der Sohn Gottes partizipiert in dieser vom Vater-Gott verliehenen Vollmacht an der All- und Vollmacht Gottes. In den vielfältigen Tat- und Wortzeichen Jesu, von denen das Markusevangelium erzählt, manifestiert sich diese geistbewirkte und geistwirkende Vollmacht. Darin offenbart sich JHWH als lebendiger und lebensspendender Gott. Diese von Gott verfügten Geistzeichen stellen Offenbarungszeichen dar, und sie sind Vollmachtszeichen für Jesu Wirksamkeit. Zu Beginn des Markusevangeliums wird in der Taufperikope (vgl. Mk 1,9-11) von der Verleihung des göttlichen Geistes erzählt. Der Geist kommt dabei als Zeichen - nämlich „wie eine Taube“ - auf Jesus herab und dringt in ihn ein (vgl. Mk 1,10). In der unmittelbar anschließenden Versuchungsszene - vgl. Mk 1,12-13 - repräsentiert die nicht näher ausgeführte Erprobung durch den Satan den Zeichenaspekt (vgl. Mk 1,13a). Da Jesus die Versuchung besteht, wie aus Mk 1,13b -c implizit hervorgeht, wird die Wirksamkeit des göttlichen Geistes erstmalig offenbar. Somit wird auch die Rechtmäßigkeit der Vollmacht Jesu bekräftigt. Das Streit- 5 Vgl. h ardWick / c ook 1977, [73-86] 83: „ Dynamoid Object“ [Kursivdruck im Original], „Mediate Object“; vgl. h ardWick / c ook 1977, [195-201] 196. 197: „dynamical object“. - Vgl. auch CP 8.343. 6 Vgl. h ardWick / c ook 1977, [73-86] 83: „ Immediate Object“ [Kursivdruck im Original]. - Vgl. auch CP 8.343. 256 9. Geist und Erkenntnis gespräch zwischen Jesus und den Schriftgelehrten über die Vollmachtsfrage (vgl. Mk 3,22-30) bringt eine längere Gleichnisrede Jesu (vgl. Mk 3,23-27). Hier erweist sich Jesu Vollmacht in prägnanten Wortzeichen. Die Szene Mk 5,1-20 - die Dämonenaustreibung bei dem besessenen Mann aus dem heidnischen Gerasa - zeigt die Zeichen der Krankheit als „Zeichen des Unheils“ (vgl. Mk 5,2-5), denen im Exorzismus das befreiende Machtwort Jesu als „Zeichen des Heils“ entgegengesetzt wird (vgl. Mk 1,8. 9. 11-13: Aus- und Einfahrbefehl). Mit der Doppelperikope von der Erweckung der verstorbenen Tochter des Synagogenvorstehers Jaïrus und von der Wunderheilung der blutflüssigen Frau - vgl. Mk 5,21-43 - wird die heilende und lebensstiftende - die schöpferische - Kraft, die Jesus erfüllt, in der absichtlichen (bei der Totenerweckung: vgl. Mk 5,41) und unabsichtlichen (bei der kranken Frau: vgl. Mk 5,27b. 29) Berührung des Geistträgers deutlich vor Augen geführt. Die in dem erwähnten Exorzismus und in der Doppelperikope zum Ausdruck kommenden Wort- und Tatzeichen Jesu offenbaren die vollmächtige Schöpfermacht des Messias und Gottessohnes, der als Stellvertreter Gottes handelt. In der Sterbeszene (vgl. Mk 15,33-39) sowie in der Auferweckungsperikope - vgl. Mk 16,1-8 - schließlich findet die Frage nach der Vollmacht - nach der Messianität und Gottessohnschaft - Jesu in den Zeichen des Aushauchens des Geistes (vgl. Mk 15,37) und des Zerreißens des Tempelvorhanges (vgl. Mk 15,38) einerseits sowie in den Zeichen des weggerollten Steins (vgl. Mk 16,3. 4) und des sitzenden Engels bzw. des leeren Grabes (vgl. Mk 16,5) andererseits ihre end- und vollgültige Bestätigung. Das Zeichen wie der Geist stehen damit wie ein „Knoten“ im Zentrum eines sich verzweigenden „Bedeutungsnetzes“, das über das gesamte Markusevangelium „ausgespannt“ ist. Aus dem semiotisch-triadischen Deutungsmuster ergibt sich, dass der „Geist“ oder der „Geistaspekt“ (bzw. die „Geisttheologie“ oder „Pneumatologie“) und das Zeichen das zu bestimmende „Ding“ mit der im „Zeichen“ vermittelten „Bedeutung“ „vernetzen“. Im Markusevangelium ist der Geistbegriff weniger häufig explizit erwähnt; die vorliegende Studie behandelt einige repräsentative Textstellen, die bereits als Doppelperikope überliefert sind (vgl. Mk 1,9-11 und 1,12-13; Mk 5,21-24a. 35-43 sowie 5,24b-34) oder jeweils in ein „theologisches Diptychon“ gefasst werden können (vgl. Mk 3,22-30 sowie 5,1-20; 15,33-39 und 16,1-8). Doch auch in den übrigen Perikopen gehen die Reden und Handlungen Jesu selbstverständlich auf die Wirkung des Geistes Gottes - des Heiligen Geistes - zurück. Sie sind geistbewirkte und geistwirkende Vollmachtszeichen, und sie sind daher als Wort- und Tatzeichen Offenbarungszeichen. Der Einfluss des Geistes ist implizit gegeben und für den aufmerksamen Leser oder Hörer des Evangeliums durchaus erkennbar. Der Pneuma-Gedanke strukturiert, fundiert und dominiert also auch das Markusevangelium als Offenbarungsschrift in viel stärkerem Maße, als dies gemeinhin angenommen wird. Das Geistmoment 9.4. Erkenntnis und Bekenntnis 257 muss im Kontext von Offenbarung analysiert und interpretiert werden. Der Geist zeigt sich als dynamisch-relationaler und daher offenbarend-schöpferisch zu bestimmender Aspekt. Der göttliche Geist lässt sich in seiner Eigenschaft als Zeichen als „wirkendes Wirkprinzip“ beschreiben. Drittens: Der Geistbegriff prägt die Struktur des Markusevangeliums, wobei die theologischen Begrifflichkeiten „Theo-logie“ bzw. „Gotteslehre“, „Soteriologie“, „Christologie“ und „Eschatologie“ zur „Pneumatologie“ in eine Beziehung treten: Im Zentrum steht der Geistbegriff, der zwischen Offenbarung als formal-hermeneutischem und Schöpfung als material-hermeneutischem Prinzip vermittelt. Von dieser triadischen Konstellation abhängig sind nun die übrigen oben genannten theologischen Begriffe („Theo-logie“ bzw. „Gotteslehre“, „Soteriologie“, „Christologie“ und „Eschatologie“). Sie komplettieren das Gesamtkonstrukt des Offenbarungs- und Schöpfungsgeschehens als additive theologische Perspektiven: Den dynamisch-relationalen Geistbegriff kann man mit der Offenbarungsbotschaft Jesu vom Königreich Gottes identifizieren. So wie sich das Wesen Jesu in seiner Gottessohnschaft erst am Ende in Tod und Auferstehung zeigt, so zeigt sich auch das Wesen Gottes als endzeitliche göttliche Herrschaft. Dies entspricht zudem der linear-teleologischen Orientierung der semiotischen Erkenntnislehre, wie sie Peirce vorführt. Viertens: Das Markusevangelium ist ein Beispiel für die vier kanonischen Evangelien, die Offenbarungsschriften sind, da sie das Leben Jesu, seinen Tod und seine Auferweckung in soteriologisch-christologischer Intention deuten und somit die Offenbarung Gottes in seiner heilsamen Zuwendung zum Menschen in der von Jesus ausgerichteten eschatologischen Botschaft vom Königreich Gottes reflektieren. Wie erarbeitet, hat diese „ Er kenntnis der Offenbarung“ die Auswirkung des „ Be kenntnisses der Offenbarung“. Für diesen Offenbarungsprozess, der sich als Schöpfungsbzw. Neuschöpfungsprozess zeigt, spielt der Geist Gottes inhärent die entscheidende Rolle. Das philosophisch-semiotische, triadische Modell Peirces definiert und präzisiert als Deutungsmuster diese zentrale Relevanz des pneumatologischen Zusammenhanges. So erscheint der Geistbegriff in dynamisch-relationaler Ausprägung , die zur endzeitlichen Offenbarung Gottes in Jesus von Nazaret bzw. Jesus Christus führt. Heilsgeschichte ist daher auch in den weniger offensichtlichen Fällen der neutestamentlichen Offenbarungsschriften stärker als „Geistgeschichte“ zu bestimmen. Die in dieser Studie präsentierte strukturell-systematische, philosophisch-semiotische Hermeneutik kann somit das Selbstverständnis des Christentums als einer zutiefst charismatisch geprägten Glaubensgemeinschaft profilieren: Zeichen und Geist - σῆμα und πνεῦμα - verbinden sich. Offenbarung Gottes ist Schöpfung Gottes und vollzieht sich im Geist Gottes. 258 9. Geist und Erkenntnis formaler Aspekt: Offenbarung: Kenntnis (Ding), Erkenntnis (Zeichen), Bekenntnis (Bedeutung) materialer Aspekt: Schöpfung: Wirkung (Ding), Bewirkung (Zeichen), Auswirkung (Bedeutung) Abbildung 1 Erkenntnis: semiotisch = Darstellung theologisch = Offenbarung und Schöpfung Bekenntnis: semiotisch = Bedeutung theologisch = Glaube und Verkündigung Abbildung 2 Abbildung 3 2. Kommentare 259 Literaturverzeichnis 1. Quellen und Allgemeine Hilfsmittel h. b alz / G. S chneider (Hgg.), Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament; Bd. I: Ἀαρών - Ἑνώχ (Stuttgart - Berlin - Köln 2 1992) (= EWNT 2 I) h. b alz / G. S chneider (Hgg.), Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament; Bd. II : ἐξ - ὀψώνιον (Stuttgart - Berlin - Köln 2 1992) (= EWNT 2 II ) h. b alz / G. S chneider (Hgg.), Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament; Bd. III : παγιδεύω - ὠφέλιμος. 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Dieses semiotisch-triadische Kommunikations- und Erkenntnisgeschehen korreliert nun mit und konvergiert im christlichen Offenbarungsgeschehen, das sich in den Taten und Worten des mit dem Geist Gottes begabten und daher in Vollmacht handelnden Gottessohnes Jesus realisiert. Der Geist zeigt sich aus dieser semiotisch-triadischen Perspektive als dynamisch-relationaler und daher offenbarend-schöpferisch zu bestimmender Aspekt. 27 Herausgegeben von Eve-Marie Becker, Jens Herzer, Friedrich W. Horn, Oda Wischmeyer und Hanna Zapp Zeichen und Geist Stefan Eckhard 27 Zeichen und Geist Eine semiotisch-exegetische Untersuchung zum Geistbegriff im Markusevangelium Stefan Eckhard 27