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Die normative Kraft des Decorum

2019
978-3-7720-5671-0
A. Francke Verlag 
Sophia Vallbracht

Quod decet? Diese Frage stellt sich in jeder rhetorischen Situation, in der ein Orator seinem Anliegen durch eine Rede Geltung beim Rezipienten verschaffen möchte. Angemessenheit ist eine genuin rhetorische Kategorie und dennoch ist das Postulat der Angemessenheit bislang kaum Gegenstand moderner Rhetorikforschung geworden. Das Konzept der Angemessenheit stellt die rhetorische Theorie vor ein Problem, da es erstens mehrere Begriffe dafür gibt (aptum, prepon, decorum), die durch Übersetzung vom Altgriechischen ins Lateinische tradiert worden sind. Zweitens erweist sich die Angemessenheit über die Jahrhunderte hinweg als ein interdisziplinäres Thema, dessen ephemeres Wesen in der Theorie der Rhetorik nur schwer zu fassen ist. Gerade deshalb ist eine für das "digitale Heute" festgelegte Bestimmung von prepon/decorum in der Rhetorik nötig, da sich die Rhetorik in der Auseinandersetzung zwischen dem Ideal des rationalen Argumentierens und den rhetorischen Effizienzansprüchen doch bis heute behaupten muss.

Die normative Kraft des Decorum Sophia Vallbracht Die normative Kraft des Decorum Angemessenheit bei Cicero, Ambrosius und Augustinus © 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISBN 978-3-7720-8671-7 Umschlagabbildung: Oberon und Titania von Hans Joachim Madaus Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Für meine unvergessene Oma Pauline und meine Mutter Angela, zwei unglaublich mutige, starke und kluge Frauen, die mir zum Vorbild wurden. Meinen Eltern danke ich für ihr unerschütterliches Vertrauen in mich und ihre nie enden wollende Unterstützung. Für meinen Ehemann Sebastian, der mich in Liebe ermutigt, meine Träume zu verwirklichen. Ohne ihn wäre ich nicht mutig gewesen, diesen Schritt zu gehen. Meiner Familie und besonders meiner Schwester Rebecca danke ich für ihren festen Glauben an mich und ihre Unterstützung. Allen anderen, die mir auf diesem Weg geholfen haben: Prof. Dr. Mike Edwards für seinen Enthusiasmus, einer jungen Kollegin mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, Prof. Dr. Dietmar Till für seine Betreuung und Geduld als Doktorvater, Prof. Dr. Johannes Brachtendorf als Wegbegleiter, der für alle Ideen offen war und auf dessen Rat ich mich immer verlassen konnte, Dr. habil. Franz-Hubert Robling, der mich von der ersten Stunde an in diesem Vorhaben unterstützt, beraten und auch korrigiert hat, ihnen allen ein von Herzen kommendes Dankeschön. 1 9 1.1 9 1.2 18 1.3 20 1.4 33 2 50 2.1 50 2.2 57 3 63 3.0 63 3.1 70 3.2 82 3.3 92 3.4 112 3.5 124 3.6 132 4 136 4.1 136 4.2 148 4.3 158 4.4 168 4.5 177 Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intention der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quod decet? - Das Schöne und das Erhabene . . . . . . . . . . . . . . Das Prinzip der Angemessenheit in der Theorie der Rhetorik Zur Etymologie von Decorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Griechische Etymologie: πρέπον, εἰκός und ἐπιεικής . . . . . . . Römische Etymologie: decorum, aptum, proprium, accommodatus und convenit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das römische Decorum in Ciceros De Officiis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Schmuckfunktion des Decorum (ornatus) . . . . . . . . . . . . . . Die sittlich-ethische Gefasstheit des Menschen (humanitas und decorum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Pflichtbegriff (decorum und officium) . . . . . . . . . . . . . . . . . Das moralische Substrat der res publica (decorum und honestum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Innerlichkeit des Decorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum . . . . . Sittlichkeit in christlichem Kontext (decorum und verecundia) Das Schweigen (decorum und lex silentii) . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gebotsorientierung des Decorum (officium als praeceptum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christliche Zielvorstellung (decorum und vita aeterna) . . . . . . Ambrosius’ Auffassung von Rhetorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 183 5.1 183 5.2 200 5.3 210 5.4 215 6 220 6.1 220 6.2 229 6.3 246 7 252 260 288 289 Synthese: Wirkungs- und Gebotsorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der inhaltliche und biographische Konnex . . . . . . . . . . . . . . . . Wozu Rhetorik für einen Christen? (Augustinus’ De doctrina Christiana) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weisheit - Liebe - Selbsterkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Schöne und das Angemessene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Decorum - Proprium einer anti-manipulativen Rhetorik . . . . . . . . . . . . . . Drei Beispiele von Missachtung des Decorum . . . . . . . . . . . . . Die normative Kraft der Gefühle und der ethische Kohärentismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine neue Angemessenheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlussbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt 1 Joachim Knape: ‚Der rhetoriktheoretische Ort der Höflichkeit’, in: Rhetorik und Höf‐ lichkeit. Hg. v. Manfred Beetz, S. 2. 2 Vgl. Kapitel 3.0 der vorliegenden Arbeit. Eine Ausnahme stellt Max Pohlenz’ weg‐ weisendes Werk ‚τὸ πρέπον. Ein Beitrag zur Geschichte des griechischen Geistes’ (1933) dar. Leider kann die Monographie Decorum. Konzepte von Angemessenheit in der Theorie der Rhetorik von den Sophisten bis zur Renaissance von Jan Dietrich Müller (2011) aufgrund ihrer diskursiv knappen Anlage als Längsschnitt keine neuen Gesichtspunkte für die Diskussion des rhetorischen Prinzips liefern. In der vorliegenden Arbeit soll keine Begriffsgeschichte erstellt, eher die Problematik von Angemessenheit aufgeworfen und es sollen neue Zugänge gesucht werden. 1 Einleitung 1.1 Problemaufriss Hier zeigt sich die Tüchtigkeit des Redners wie die des Feldherrn im Kampf, der seine Streitkräfte teils für den Fall, daß es zum Treffen kommt, bei sich behält, teils sie zur Verteidigung auf die Kastelle oder zur Garnison in die Städte, zur Beschaffung des Nachschubs, zur Sicherung der Marschwege und schließlich auf Wasser und Land verteilt. Quintilian: Institutionis oratoriae. VII, 10, 13. In der Feldherrnmetapher beurteilt Quintilian die Fähigkeit des Orators da‐ nach, ob dieser wie ein Feldherr seine Strategie der jeweiligen Situation ent‐ sprechend und damit effektiv einsetzt, also teleologisch. Die Frage, ob Ange‐ messenheit eine genuin rhetorische Kategorie darstellt, erübrigt sich hier. 1 Erstaunlicherweise ist das Postulat der Angemessenheit aber auch in der Fol‐ gezeit kaum Gegenstand moderner Rhetorikforschung geworden. 2 Wie lässt sich dieses Phänomen erklären? Zum einen sicherlich dadurch, dass die Angemessenheit in der antiken Rhe‐ torik zwar eine sehr wichtige Stellung als zentrales Regulativ der Rede ein‐ nimmt, jedoch nirgends eine konkrete Definition gegeben wird. Das Konzept der Angemessenheit stellt die rhetorische Theorie vor ein Problem, da es erstens mehrere Begriffe dafür gibt (aptum, πρέπον, decorum), die durch Übersetzung vom Altgriechischen ins Lateinische (Cicero übersetzt πρέπον mit decorum) tradiert worden sind, und sich zweitens die Angemessenheit über die Jahrhun‐ derte hinweg als ein interdisziplinäres Thema (Poetik, Philosophie, Kunst, Li‐ 3 Platon: Politeia. 400d-e. Schon Platon sah in der Musik ein Mittel, „Zeitmaß und Wohl‐ klang vorzüglich in das Innere der Seele“ einzuprägen, „indem sie Wohlanständigkeit mit sich führ[t] und also auch wohlanständig mach[t], wenn einer richtig erzogen wird“ (401d). Sie hat also sittlichen Charakter: Das Wohlgemessene (εὔρυθμόν) bildet mit der Wohlberedtheit (εὐλογία), dem Wohlklang (εὐαρμοστία) und mit der Wohlanständig‐ keit (εὐσχημοσύνη) das Schöne durch die Kunst (401e) und macht für das Gute und Gerechte empfänglich. 4 Manfred Kienpointer: ‚Rhetorik im 21. Jahrhundert. Probleme, Positionen und Per‐ spektiven‘, in: RhetOn. Online Zeitschrift für Rhetorik und Wissenstransfer 2, 2005, unter: www.rheton.sbg.ac.at/ rheton/ 2007/ 04/ manfred-kienpointner-rhetorik-im-21jahrhundert-probleme-positionen-und-perspektiven/ ; last access: 17.10.2016. Kien‐ pointer spricht sich für eine Verwissenschaftlichung der Rhetorik aus, um in den Auseinandersetzungen zwischen dem philosophischen Ideal des rationalen Argu‐ mentierens und den rhetorischen Effizienzansprüchen zu vermitteln und eine Syn‐ these beider zu erlangen. 5 An dieser Stelle drängt sich jedoch unmittelbar die Frage auf, ob es eine präzise Defi‐ nition von Angemessenheit überhaupt geben kann. In Kapitel 6.3 dieser Arbeit wird versucht, Angemessenheit weniger inhaltlich zu definieren, sondern vielmehr wird eine Definition vorgeschlagen, die die systematischen Bedingungen bestimmt, welche in einer rhetorischen Situation gelten, womit Angemessenheit theoretisch greifbar wird. Es wird eine Definition im Sinne Aristoteles’ angestrebt, die sich bemüht, die οὐσία (Substanz) von Angemessenheit wiederzugeben. Definition wird somit als eine ein‐ heitliche Aussage aufgefasst, die ein λόγος οὐσίας ist. So wäre nach Aristoteles zu unterscheiden zwischen dem „dies“ (τόδε) als Einzelnem, das sich aus sich selbst in einer spezifischen Situation bestimmt, nämlich der Angemessenheit in einer sich je unter‐ schiedlich darstellenden Situation, und einem „was“ (τί) als Allgemeinem, nämlich dem Wesen (εἶδος) der Angemessenheit, welche durchaus fassbar ist. Aristoteles: Meta‐ physik. VII 1, 1028b3-8 und 1028a10-14. 6 Alexander Kirchner und Baldur Kirchner: Rhetorik und Glaubwürdigkeit. S. 198. teratur, Architektur und Musik 3 ) erweist. Zum anderen ist in der modernen Rhetorik eine Leerstelle entstanden, die sich daraus ergibt, dass das antike Ver‐ ständnis von Angemessenheit als πρέπον/ decorum sich nicht mehr passgenau in eine Rhetorik im 21. Jahrhundert 4 einfügen lässt. 5 Eine neue Bestimmung von Angemessenheit in der modernen Rhetoriktheorie scheint unumgänglich zu sein, ist sie doch „[a]uch für die heutige Darstellungsfähigkeit [...] das wichtigste Verständniskriterium geblieben.“ 6 Angemessenheit scheint auch der archimedische Punkt zwischen Rhetorik und praktischer Ethik zu sein, wenn man von folgenden Annahmen ausgeht: 1. Angemessenheit ist zentrales Regulativ der Rede (bei Cicero decorum ora‐ tionis) und der Rhetorik. 2. Angemessenheit stellt eine normative Erwartung an den Redner dar (decorum vitae). 10 1 Einleitung 7 Heinrich Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik. §§ 1055-1062. 8 Charles Guérin: ‚Philosophical Decorum and the Literarization of Rhetoric in Cicero’s Orator‘, in: Frédérique Woerther (Hg.): Literary and Philosophical Rhetoric in the Greek, Roman, Syriac, and Arabic Worlds. S. 126. Ähnlich auch Rudolf Agricola: De inventione dialectica. III, 2, 26. Hierzu Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit. 9 Peter L. Oesterreich nimmt die Unterscheidung von innerem und äußeren decorum vor und spricht in Bezug auf das äußere decorum von einem „orationale[m] Ordnenkönnen, das auf den leitenden Bezügen der gesellschaftlich reflektierenden Urteilskraft beruht.“ Peter L. Oesterreich: Fundamentalrhetorik. Untersuchung zu Person und Rede in der Öf‐ fentlichkeit. S. 120. 10 Ian Rutherford: Art. ‚Decorum‘, in: HWRh, Bd. 2, Sp. 423. Zu propriety siehe auch Adam Smith: Theory of Moral Sentiments. Die normative Verankerung von Angemessenheit muss so mit strategischem, auf Persuasion ausgerichtetem Handeln in einem interdisziplinären ganzheitli‐ chen Rahmen problematisiert, analysiert und möglichst in eine rhetorische Theorie überführt werden. In der antiken Rhetorik lassen sich mehrere Begriffe finden, die „Angemes‐ senheit“, bzw. die Eigenschaft „angemessen“ beschreiben, wovon noch in Ka‐ pitel 2 ausführlich die Rede sein wird. Es ist vor allem der von Cicero geprägte Neologismus „decorum“ als Übersetzung für πρέπον, der die rhetorische Ange‐ messenheit ganzheitlich in Abgrenzung zum aptum fasst. Während aptum sich auf die Sachangemessenheit (inneres aptum) und die Situationsangemessenheit (äußeres aptum) 7 einer Rede bezieht, ist das decorum ein von Cicero erweitertes Konzept, das den Redner als ethisch handelnden Akteur in seiner je eigenen Wesensart mit einbezieht. 8 In dieser Hinsicht umfasst das decorum als solches das aptum, doch nicht vice versa. Deshalb soll hier die These vertreten werden, dass das decorum die Angemessenheitsnorm in Sprache, Verhalten und Kom‐ munikation darstellt, während das aptum insofern vom decorum zu unter‐ scheiden ist, als es eine redeimmanente Kategorie der Sachangemessenheit und der Situationsangemessenheit darstellt. 9 Sodann folgen in den nächsten Jahrhunderten weitere Übersetzungen von πρέπον und decorum ins Englische als propriety, fittingness, appropriateness oder ins Französische als bienséance oder convenance, um nur die Wichtigsten zu nennen. 10 Doch jeder Übersetzung wohnt auch eine Interpretation inne, womit begriffliche und inhaltliche Veränderungen und Akzentverschiebungen im Laufe der Jahrhunderte in den jeweiligen Sprachen zwangsweise einherge‐ gangen sind. Auch im Deutschen macht sich dies bemerkbar, wenn decorum im Historischen Wörterbuch der Rhetorik als „Angemessenes“, „Schickliches“, „Kon‐ venienz“ angegeben wird oder auch als „Wohlanständigkeit“ bei Christian Tho‐ masius zu finden ist. Und selbst wenn das lateinische decorum als „Angemes‐ 11 1.1 Problemaufriss 11 Joachim Knape: Was ist Rhetorik? S. 84f. und S. 87. Vgl. hierzu auch Peter L. Oesterreich: Fundamentalrhetorik. Untersuchung zu Person und Rede in der Öffentlichkeit. 12 Ibid, S. 76. 13 An dieser Stelle sei angemerkt, dass Benehmen als demeanor bei Goffman dazu dient, in einer sozialen Interaktion ein „image of self “ (S. 12) zu kreieren, welches von den anderen in der Situation Beteiligten als kohärent und situationsangemessen aufge‐ nommen wird. In diesem Fall ist das öffentliche Gesicht „face“ oder das Image ein so‐ zialer Wert („the term face may be defined as the positive social value a person effec‐ tively claims“ in: Erving Goffman: Interaction Ritual. Essays on Face-to-Face Behaviour, Penguin 1972, S. 5, unter: http: / / hplinguistics.pbworks.com/ w/ file/ fetch/ 38289359/ Goff man,%20Erving%20'On%20Face-work'.pdf; last access: 05.05.2017), der den Mitmen‐ schen durch Sprache, Gestik, Verhalten, Kleidung etc. so präsentiert wird, dass er positiv wirkt („line“ als Verhaltensstrategie). Insofern kann hier Benehmen als Angemessenheit aufgefasst werden, als „tact“, was eine gemeinschaftliche Bindung, ein taktvolles Ent‐ gegenkommen aller Beteiligten und ein Wissen um „face-work“ (S. 13) bedeutet; „tact“ bestimmt das in einer Situation Angemessene. 14 Erving Goffman: Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. Zitiert nach Jürgen Raab: Erving Goffman. 2. Aufl., S. 85. senheit“ übersetzt wird, ist der Inhalt dieses Begriffs nicht automatisch klar und fassbar, sodass folgende Fragen offenbleiben: angemessen in Bezug worauf ? Und wo liegt die Grenze zwischen Angemessenheit und Unangemessenheit? Wie lässt sich diese Grenze rhetorisch bestimmen? Es bedarf einer Beschreibung und Einordnung von Angemessenheit in der Rhetorik, die in systematischer Theorie auf die meisten Fälle und Situationen anwendbar ist und ihren Platz sowohl in der Kasualrhetorik, wie auch in der Fundamentalrhetorik 11 einnimmt. Wenn die Initiation von Rhetorik im Moment einer Entscheidung(sfindung) (κρίσις) als rhetorischem Fall 12 ausgelöst wird, dann scheint Angemessenheit die rhetorische und ethische Absicherung von Persuasion jeglicher Art zu sein und so sollte ihr in der Theorie der modernen Rhetorik ein genuiner Raum zugestanden werden. Fasst man darüber hinaus Angemessenheit mit Erving Goffman soziologisch als Benehmen (demeanor) 13 , so wird deutlich, inwiefern Kommunikation und Benehmen als gesellschaftliche Prozesse interagieren: „Es bezeichnet ein symbolisches Handeln, mit dem durch Haltung, Kleidung und Verhalten zum Ausdruck gebracht wird, dass man als Akteur über bestimmte Eigenschaften verfügt, die der sozialen Situation ange‐ messen sind, wie etwa Sprachkompetenz, Körperbeherrschung, Ehrlichkeit oder Gelassenheit.“ 14 Die Art und Weise, wie Menschen miteinander interagieren und welche Selbstdarstellung (face/ image) sie bewusst und auch unbewusst kom‐ munizieren, interessiert die Forschung um Erving Goffman, der in der Soziologie als Disziplin mit seinem Interesse an „symbolic interaction“ ein neues Feld der Analyse eröffnet hat, deren Forschungsansätze (auch für die Rhetorik) an‐ schlussfähig sind. 12 1 Einleitung 15 Diese kunstkritische Diskussion ist bezeugt in Giovanni Baglione: Le vite de’ pittori, scultori et architetti. S. 137. 16 Valeska von Rosen: Caravaggio und die Grenzen des Darstellbaren. S. 269 und ‚Arbeiten am Image. Caravaggios Selbststilisierung in Bezug auf seine Arbeitsweise‘, in: Cara‐ vaggio. Orginale und Kopien im Spiegel der Forschung, hg. v. Jürgen Harten und Jean-Hu‐ bert Martin, S. 62. Vgl. hierzu Boris von Brauchitsch: Caravaggio. S. 84 und S. 93. 17 Hans Belting: Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst. S. 617: „Folglich soll man keine Bilder mehr mit verführerischer Schönheit (procaci venustate) malen und schmücken … Endlich werde von den Bischöfen soviel Sorgfalt und Umsicht auf diese Dinge verwendet, daß nichts außer der Ordnung … zugestanden werde und nicht Profanes oder Unehrenhaftes (inhonestum) in Erscheinung trete, denn für das Haus Gottes ist Heiligkeit angemessen“. 18 Jan Fergus: ‚The professional woman writer‘, in: Edward Copeland und Juliet McMaster (Hg.): The Cambridge companion to Jane Austen. S. 12/ 22f. und B.C. Southam: Jane Austen. The critical heritage. Bd. 1, S. 41. Analog zu den verschiedenen Begriffsprägungen von Angemessenheit in den jeweiligen Sprachen hat sich Angemessenheit im Laufe der Geschichte zu einem interdisziplinären Thema entwickelt. So taucht es zum Beispiel in der Geschichte der Kunst mit der Diskussion um Caravaggios Gemälde Madonna di Loreto (1604-06) auf, das in der Kunstkritik der Zeit als Verstoß gegen das kirchliche decorum gewertet wurde: Die Darstellung von Armut und physischer Unzu‐ länglichkeit in den schmutzigen Füßen und in der zerlumpten Bekleidung der beiden vor der Madonna knienden Pilger, wie auch die Darstellung einer bar‐ füßigen Madonna, die in lässiger Manier an einer Säule lehnt und ein schon älteres Jesuskind auf dem Arm trägt, wurde als Bruch des decorum im sakralen Bild kritisiert. 15 Viele seiner Altarbilder wurden wegen unzulänglicher Ange‐ messenheit in der Ausdruckssprache von Klerikern zurückgewiesen. 16 Die Grenzen des künstlerisch Darstellbaren und kirchlich Akzeptablen in der Al‐ tarmalerei auszuloten, machte das Problem des kirchlichen decorum aus, das eigentlich schon mit dem Dekret über die Verehrung der Heiligen im Jahre 1563 auf dem Konzil von Trient gelöst werden sollte, dessen Einhaltung jedoch den Bischöfen vor Ort oblag und somit weiterhin für Diskussionen sorgte. 17 Doch nicht nur in der bildenden Kunst, sondern auch in der Literatur wird das Ideal von Angemessenheit thematisiert, so bei Jane Austen in ihrem Roman Pride and Prejudice, wo sie in unterhaltsamer, doch gesellschaftskritischer Ma‐ nier das decorum selbst zum treibenden Thema einer Handlung macht und damit auch noch als weibliche Schriftstellerin im 18. Jahrhundert erfolgreich war. 18 Und auch in der Moralphilosophie ist Angemessenheit als propriety ein As‐ pekt, so in Adam Smiths Theory of Moral Sentiments (1759). Dieses Werk kann 13 1.1 Problemaufriss 19 Fleischacker, Samuel: ‚Adam Smith’s Moral and Political Philosophy‘, in: The Stanford Encyclopedia of Philosophy, hg. v. Edward N. Zalta, spring 2017, unter: https: / / plato. stanford.edu/ archives/ spr2017/ entries/ smith-moral-political/ ; last access 01.03.2017. 20 Adam Smith: The Theory of Moral Sentiments. I. i. I. 5. 21 Ibid, I. i. I. 10. 22 Ibid, I. i. III. 1. 23 Ibid, I. i. III. 6. 24 Ibid, II. ii. I-II. 25 Stephen J. McKenna: Adam Smith. The Rhetoric of Propriety. S. 116. aufgrund seines deskriptiven Charakters als eine „Phänomenologie der Moral“ 19 gelten, das zeigt, inwiefern propriety (Schicklichkeit/ Anstand/ Angemessenheit) aus sympathy (Anteilnahme/ Verständnis) hervorgeht. Adam Smith sieht den Menschen als soziales Wesen, das über die Fähigkeit verfügt, ein „fellow-fee‐ ling“ 20 (Zugehörigkeitsgefühl) für seine Mitmenschen zu entwickeln: Sympathy setzt ihn instand, die Gefühle (emotions), die der Andere zeigt, selbst zu entwi‐ ckeln und sich in den Anderen hineinzuversetzen. Doch sympathy wird nicht durch die dargestellten passions (Erregung) hervorgerufen, sondern durch die Situation selbst, die sie ausgelöst hat. 21 Ist nun die von einem Mitmenschen ge‐ zeigte Erregung (passions) im Einklang mit den „sympathetic emotions of the spectator“ 22 (mitschwingende Gemütsbewegung des Beobachters), dann er‐ scheinen diese passions dem Zuschauer just und proper zu sein. Teilt der Beob‐ achter eine Meinung oder ein Gefühl, das der Mitmensch vertritt oder zeigt, dann werden diese als proper eingestuft und gutgeheißen. Propriety bezeichnet nach Adam Smith die suitableness  23 (Angemessenheit) einer Emotion, eines Ge‐ fühls oder einer Reaktion im Hinblick auf den Anlass in der jeweiligen Situation. Adam Smith weitet das Konzept von propriety aus, indem er sie als Bedingung für tugendhaftes Handeln allgemein und als grundlegendes Ordnungsprinzip für eine liberale Gesellschaftsstruktur bestimmt. 24 Insofern ist Smiths Ansatz, sympathy als „rhetorical consensus between moral agents“ 25 zu fassen, der jeg‐ liche intersubjektive Kommunikation in einem persuasiven Interesse in den Blick nimmt, nah an der in dieser Arbeit vorgestellten rhetorischen Auffassung von Angemessenheit. Angemessenheit als propriety oder πρέπον/ decorum soll im Fokus stehen: Sie sprengt die restriktiven Bestimmungen als Stilqualität und bezieht die normativen Erwartungen an den Orator und die sympathy als em‐ phatisches Einfühlungsvermögen mit ein. Von Adam Smith ausgehend, stellt sich die Frage, ob Eigeninteresse (self-in‐ terest) notwendigerweise dem Altruismus als dem „Sehen des Anderen“ gegen‐ 14 1 Einleitung 26 Ähnlich auch Gloria Zúñiga y Postigo: ‚Adam Smith on Sympathy: From Self-Interest to Empathy‘, in: David F. Hardwick und Leslie Marsh (Hg.): Propriety and Prosperity. New Studies on the Philosophy of Adam Smith. S. 136. 27 Edith Stein: Zum Problem der Einfühlung. Edith Stein Gesamtausgabe, Bd. 5, S. 103ff. 28 Adam Smith: The Theory of Moral Sentiments. I, i, I, 1: „How selfish soever man may be supposed, there are evidently some principles in his nature, which interest him in the fortune of others, and render their happiness necessary to him, though he derives noth‐ ing from it except the pleasure of seeing it.“ 29 Im Deutschen Fremdwörterbuch wird „Dekorum“ als veraltend für „Anstandsregel, Schickliche“ angegeben. Deutsches Fremdwörterbuch des Instituts für Deutsche Sprache. Bd. 4, S. 186-189 und Der große Duden. Die deutsche Rechtschreibung. S. 280. 30 Siehe das „Decorum in the House“ des Parlaments von New South Wales, unter: www.parliament.nsw.gov.au/ la/ proceduralpublications/ Pages/ factsheetno13.aspx; last access: 07.10.2016. Vgl. hierzu Erving Goffman: Wir alle spielen Theater. S. 217f. überstehen muss 26 , oder ob nicht gerade im rhetorischen Prinzip des decorum diese Dichotomie durch die Fähigkeit des Redners zur sympathy (Empathie) im Rahmen des Adressatenkalküls überwunden werden muss, um persuasiv er‐ folgreich zu sein. Es stellt sich heute wohl weniger die Frage nach dem morali‐ schen Charakter eines Redners, als nach seiner sozialen Fähigkeit, den Rezi‐ pienten wahrzunehmen 27 , um auf dessen Gefasstheit dann rhetorisch einwirken zu können. 28 Die Bedeutung von Angemessenheit in seiner interdisziplinären Gefasstheit reicht folglich von „sakraler Würde“ (Caravaggio) und „elegantem Anstand“ (Austen) bis zum „sozialen Moralprinzip“ (Smith), das einerseits ephemeren Charakter hat, dessen Wesenhaftigkeit in der Theorie der Rhetorik dennoch präzise einzufangen ist und einer systematischen Eingrenzung und Ausdiffe‐ renzierung bedarf. Es fällt auf, dass der Begriff decorum in Deutschland irgendwann ver‐ schwunden ist 29 und als Angemessenheit wiedergegeben wurde, ohne dass das Prinzip an sich vergessen worden wäre. Dagegen findet der Begriff decorum im englischen Sprachraum bis heute in unterschiedlichen Kontexten, beispiels‐ weise ganz dezidiert im parlamentarischen Bereich in Großbritannien, Verwen‐ dung. 30 Die These dafür könnte sein, dass sich im Kampf zwischen König und grundbesitzendem Adel eine bestimmte soziale Struktur in England herausge‐ bildet hat, die auf dem Prinzip des gentry decorum basiert. Ihren Anfang findet sie in der Magna Charta (1215), welche dem Adel politische Freiheiten gegenüber dem König gewährt und auch mit dem Freiheitsartikel 39 ein wichtiges Grund‐ recht für alle freien Bürger einführt. Später diente diese als Fundament für die Petition of Rights, die vom Parlament an König Karl I. 1628 gerichtet wurde, für 15 1.1 Problemaufriss 31 Siehe Kap. 6.1 der vorliegenden Arbeit. 32 Heiner Mühlmann: ‚Über den humanistischen Sinn einiger Kerngedanken der Kunst‐ theorie seit Alberti‘, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, Bd. 33, Heft 2, 1970, S. 129. 33 Diese Annahme differiert von Luhmanns Systembegriff dergestalt, dass er von realen Systemen der Welt ausgeht, die offen oder geschlossen sein können: „Der System‐ begriff bezeichnet also etwas, was wirklich ein System ist, und läßt sich damit auf eine Verantwortung für Bewährung seiner Aussagen an der Wirklichkeit ein.“ Niklas Luhmann: Soziale Systeme. S. 30. Vgl. hierzu auch Fabian Steinhauer: ‚Die Rückkehr des Bilderstreites ins Recht‘, in: Kent D. Lerch (Hg.): Recht vermitteln. Strukturen, Formen und Medien der Kommunikation im Recht. S. 465. 34 Fabian Steinhauer: ‚Die Rückkehr des Bilderstreites ins Recht‘, in: Kent D. Lerch (Hg.): Recht vermitteln. Strukturen, Formen und Medien der Kommunikation im Recht. S. 461. 35 Ibid, S. 462. 36 Ibid, S. 464. 37 Ibid, S. 463-470. 38 Vergleiche Castigliones Libro del Cortegiano, Graciáns Der kluge Weltmann und Knigges Über den Umgang mit Menschen. 39 Johann Wolfgang von Goethe: ‚Aus Goethes Brieftasche. Nach Falconet und über Fal‐ conet‘, in: Kunsttheoretische Schriften und Übersetzungen. Bd. 19, S. 68. 40 Mirco Limpinsel: Angemessenheit und Unangemessenheit. Studien zu einem hermeneu‐ tischen Topos. die Bill of Rights (1689) und schließlich auch für den Rule of Law  31 und damit für den englischen Parlamentarismus. All diesen politischen Bestrebungen um Unabhängigkeit und Freiheit wohnt ein „gesellschaftlicher Sinn“ 32 von Ordnung und ständisch bedingtem Anstand inne, der je neu im politischen Raum verhandelt worden ist. Damit ließe sich auch von einer systembildenden Funktion des decorum innerhalb einer Gesellschaft sprechen 33 , wenn man das decorum als „Ordnungs‐ muster“ 34 , „Ordnungsreflex“ 35 oder „Hyperreferenz“ 36 teleologisch deutet: Es ermöglicht soziale Differenzierung über Relationierung, Polarisierung und Transmedialität. 37 Das decorum ist also als rhetorisches Prinzip auch kulturell prägend, indem es gesellschaftliche Grenzen praktisch bestimmt und reguliert. Es scheint, als ob kaum ein anderer Begriff der antiken Rhetorik derart auf einen gesellschaftli‐ chen Verhaltenskodex 38 verweist und in seiner Ausformulierung bis dato den‐ noch vage bleiben musste und kaum eine habhafte - eher eine fühlbare oder mit Goethe eine gefühlte 39 - Referenz bot. Das Problem von Diversität, Komplexität und Flüchtigkeit spiegelt sich in den verschiedenen theoretischen Zugängen zur Frage nach der Angemessenheit. Diese reichen von Angemessenheit als Bestandteil hermeneutischer Betrach‐ tungen und Theorien in der Literaturwissenschaft (Limpinsel 40 ), als Stilqualität 16 1 Einleitung 41 Kienpointer stellt Angemessenheit in einem „Stildreieck“ dar, welches die verschie‐ denen Ebenen von Sachebene/ Inhaltsebene als sachliche Adäquatheit, Beziehungs‐ ebene als publikumsbezogene Passendheit und Gesprächssituation als situationsspezi‐ fische Angebrachtheit unterscheidet. Manfred Kienpointer: ‚Dimensionen der Angemessenheit. Theoretische Fundierung und praktische Anwendung linguistischer Sprachkritik‘, in: Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur. Heft 1, S. 195. 42 Manfred Beetz: Frühmoderne Höflichkeit. Komplimentierkunst und Gesellschaftsrituale im altdeutschen Sprachraum. 43 Damit kehrt Ulla Fix die von Johann Gottfried Gottsched eingeführte Eindeutschung des lateinischstämmigen Wortes „adäquat“ als „angemessen“ wieder um. Vgl. hierzu Kap. 6.3 der vorliegenden Arbeit. 44 Ulla Fix: ‚Textmusterwissen und Kenntnis von Kommunikationsmaximen‘, in: Bernd Ulrich Biere und Rudolf Hoberg (Hg.): Bewertungskriterien in der Sprachberatung. S. 67. 45 Heike Mayer spricht von „rhetorischer Kompetenz“, die sich aus den Grundprinzipien der analytischen, ethischen, sozialen und kommunikativen Kompetenz speist. Für Mayer verlangt das Prinzip von Angemessenheit einen Instinkt für das Gebotene und den Mut des Redners zu dessen Realisierung. Heike Mayer: Rhetorische Kompetenz. S. 9 und S. 189. 46 Ulla Fix: ‚Textmusterwissen und Kenntnis von Kommunikationsmaximen‘, in: Bernd Ulrich Biere und Rudolf Hoberg (Hg.): Bewertungskriterien in der Sprachberatung. S. 72. (Kienpointer 41 ) bis zur Angemessenheit als sozialem Wert (Beetz 42 ). Einen inte‐ ressanten Zugang bietet Ulla Fix, die Angemessenheit als „Adäquatheit“ 43 wie‐ dergibt; sie versteht diesen Begriff allerdings dezidiert normativ. Die Normen siedelt sie auf vier verschiedenen Ebenen an, nämlich auf der instrumentalen Ebene (Richtigkeit, Stimmigkeit), der situativen (Empfänger, Sender, Medium, Kanal, Gegenstand, Strategie, Intention und Erwartung), der ästhetischen (Klar‐ heit, Folgerichtigkeit, Gewähltheit und Elaboriertheit) und der parasprachlichen Ebene (Kodes, kulturelle Bedingungen) 44 . Für Fix ist „Adäquatheit“ ein pragma‐ tisches Kriterium eines Textes und ein Kriterium für Redekompetenz 45 per se. Zwar gelingt es Ulla Fix, die Angemessenheit eines Textes in sprachlich-kom‐ munikativen Normen auszudifferenzieren und darauf hinzuweisen, dass „kom‐ munikative Adäquatheit“ als Kriterium je situativ neu verhandelt werden muss, doch wird der rhetorisch-ethische Aspekt des decorum nach Cicero vernachläs‐ sigt. Während für Cicero das decorum ein inhärent ethisches Kriterium ist, be‐ stimmt Fix die Adäquatheit als eine Art Brücke „zur Erkenntnis und Anerken‐ nung der sozialen und ethischen Funktion sprachlichen Handelns“ 46 . Wenn Rhetorik auf Persuasion abzielt, die durch den Orator strategisch ge‐ plant wird und auf rhetorischem Kalkül und plausiblen Schlüssen beruht, dann muss aber in der kommunikativen Interaktion der ethische Aspekt von Ange‐ messenheit eine bedeutende Rolle spielen. Angemessenheit muss mehr sein als kontextuelle Adäquatheit, doch wie in aller begrifflichen Diversität und inter‐ disziplinären Komplexität das ephemere Wesen von decorum eingefangen 17 1.1 Problemaufriss 47 Martin Heidegger: ‚Wesen der Sprache‘, in: Unterwegs zur Sprache. S. 166. 48 Franz-Hubert Robling: ‚Der ‚Boden‘ der Redekunst. Heideggers Deutung der aristote‐ lischen Rhetorik im Blickwinkel Cassirers‘, in: Heidegger über Rhetorik. Hg. v. Josef Kopperschmidt, München, 2009, S. 197-221: „Heidegger kombiniert also in seiner In‐ terpretation den ethischen und den rhetorischen καιρός-Aspekt miteinander, um das Dasein in der Zeit zu verdeutlichen.“ S. 208. 49 Joachim Knape: Was ist Rhetorik? S. 69. werden kann, soll hier als Desiderat benannt, analysiert und aufgehoben werden. 1.2 Intention der Arbeit Auch stimmt damit das gemeinste Urteil der gesunden Menschenvernunft voll‐ kommen zusammen; nämlich dass der Mensch nur als moralisches Wesen ein End‐ zweck der Schöpfung sein könne [...]. Kant: Kritik der Urteilskraft. II, §86. Die vorliegende Arbeit hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Begriff des decorum in seiner ethischen Prägung bei Cicero und Ambrosius in den gleichnamigen Schriften De officiis herauszuarbeiten. Das Augenmerk der bisherigen For‐ schung lag, wenn es das decorum betraf, meist auf seinem ästhetisch-poetischen Aspekt. Zwar ist die Rhetorik eine sprachschöpferische Kunst, die sich auch um den ästhetischen Aspekt von Sprache kümmert, doch sprachliche Schönheit ist wirkungslos, wenn sie sich nicht in den sozialen Kontext der Rede einfügt. Rhe‐ torik, Rede, Sprache und damit auch der Mensch existieren nicht in einem Va‐ kuum, sondern in einem sozialen Miteinander, das von ethischen Maximen und Normen geprägt ist. Auch im säkularisierten 21. Jahrhundert handeln, orien‐ tieren und urteilen die Menschen nach Prinzipien, die individuell festgesetzt oder ausgesucht worden sind, aber doch von der Gemeinschaft der Menschen als Konvention akzeptiert werden müssen, will das Individuum auch als soziales Wesen leben. Ansonsten würden sich diese Prinzipien ad absurdum führen, wenn sie dem Individuum nicht einen Platz in der Gemeinschaft der Menschen zuweisen würden. Die Verbindung von rhetorischen und ethischen Prinzipien geschieht im Menschen selbst. Dabei ist die Sprache nicht wegzudenken. Von daher ist es einleuchtend, wenn nach Heidegger die Sprache das Sein quasi be‐ herbergt, so dass er sagen kann: „Die Sprache ist das Haus des Seins“ 47 . Über die Sprache bekommt der Mensch ein Mittel der Reflexion an die Hand, das ihm sein Sein vor Augen führt. Heideggers Daseinsanalyse des Menschen weist auf einen ethischen Bezugsrahmen von Rhetorik 48 hin. Sein Rhetorikverständnis ist dasjenige einer rhetorischen Praxis als „Kollektivereignis“ 49 . 18 1 Einleitung 50 Martin Heidegger: Sein und Zeit. S. 161. Allerdings darf man nicht verkennen, dass die heideggerschen Termini „Sprache“ und „Rede“ im Rahmen seiner fundamentalontologischen Daseins‐ analyse (so in seiner Einleitung zu Sein und Zeit, S. 13) zu verstehen sind. Die Rede ist für ihn eine der Existenzialien, neben der Befindlichkeit und dem Ver‐ stehen, die das Dasein erschließen. Sie ist die „Artikulation der Verständlichkeit des In-der-Welt-seins“. 50 Reden heißt „aufweisendes Sehenlassen“ (Sein und Zeit, S. 32) und ist untrennbar mit dem Verstehen verbunden. Rede als Existenzial des Menschen ist bei Heidegger das ontologische Fundament der Sprache, auf dem der Einzelne seine existenziellen Entscheidungen treffen muss. Sprache ist dabei lediglich als die „Hinausgesprochenheit der Rede“ definiert. Sie ist nach dem Paragraphen 34 das weltliche Sein der Rede. Dasein ist „Sichaussprechen“ (S. 162), „redendes In-Sein“ (S. 165). In dieser vorliegenden Studie steht aber nicht so sehr Heideggers ontolo‐ gisch-anthropologische Sicht des rhetorischen Logos im Fokus, als vielmehr die Frage, inwiefern sich Rede als Performanz von Sprache ethisch und rhetorisch angemessen ausprägt. Man könnte dennoch von einem „rhetorischen Sein“ sprechen, das sich in Sprache ausdrückt, als einem Kommunikationsprozess, in dem rhetorische und ethische Kategorien wie Ethos und Glaubwürdigkeit eine Rolle spielen. Das decorum nimmt dabei den primären Rang ein, da es anderen rhetorischen Kategorien (wie beispielsweise der Stillehre) übergeordnet ist, indem es den Bezugsrahmen darstellt, der weitere ethisch fundierte Kategorien beinhaltet. In der vergleichenden Betrachtung von Ciceros und Ambrosius’ Werk De of‐ ficiis soll dieser ethisch-rhetorisch weit gesteckte Rahmen deutlich werden. Marcus Tullius Cicero und Aurelius Ambrosius, zwei Autoren, die aus ihrem unbeirrbaren Glauben an ihr Tun ihr Selbstbewusstsein beziehen und auf Grund der ethischen Abstimmung ihrer Überzeugungen mit ihrer Lebensausrichtung herausragende Persönlichkeiten der Antike beziehungsweise der Spätantike darstellen, nehmen sich eines gemeinsamen Themas an, nämlich des Themas der Angemessenheit, zum einen in seiner rhetorisch-politischen, zum anderen in seiner rhetorisch-christlichen Ausprägung. Was veranlasste Ambrosius über 400 Jahre nach Cicero, ein weiteres Offizien-Buch zu schreiben? Ist dies indirekt als Widerlegung Ciceros gedacht? Konvergieren oder differieren die beiden Konzepte? Wie sind sie auf dem Hintergrund des jeweiligen Zeitalters rhetorisch zu bewerten? Auf diese Fragen soll hier Antwort gegeben werden. Ambrosius bezog sich mit De officiis ministrorum offensichtlich bewusst auf Cicero und machte dessen decorum-Konzept für seine Arbeit fruchtbar. Beide 19 1.2 Intention der Arbeit 51 Vgl. hierzu auch Michael J. Hyde: ‚Ethics, Rhetoric, and Discourse‘, in: The Handbook of Communication Ethics. S. 39: „Rhetorical discourse and acknowledgement go hand in hand. Rhetoric is at work whenever language is being employed to open people to ideas, positions, and circumstances that, if rightly understood, stand a reasonable chance of getting people to think and act wisely. Orators are forever attempting to create these openings, for this is how they maximize the chance that the members of some audience will take an interest in what is being said. Neither persuasion nor collaborative delibe‐ ration can take place without the formation of this joint emotional interest.“ Autoren verwenden weitere Begriffe als flexible Termini, mittels derer der Ge‐ halt des decorum der jeweiligen Verfasstheit der Gesellschaft angepasst wird, in der das decorum seine Norm setzende Kraft entfalten konnte und sollte. Ambrosius nimmt die erste Umfunktionalisierung von decorum vor, indem er verecundia (als Vorbedingung des ambrosianischen decorum), lex silentii (als die verborgene Seite des ambrosianischen decorum) und das officium als praeceptum (als christlicher Gebotskatalog) dem decorum zuordnet und es so als eine Norm göttlicher Provenienz bestimmt. Aus Ciceros rhetorisch-ethischem decorum wird nun durch Ambrosius’ Pflichtenethik ein christliches decorum. Mit Au‐ gustinus (Liebesethik) findet dann eine zweite Umfunktionalisierung des cice‐ ronischen decorum statt, wenn er sein Verständnis von decorum eloquium vor‐ stellt, eine Synthese des ciceronischen und ambrosianischen decorum im christlichen Bereich. Neue Gedanken zum Begriff des decorum sind erst durch das Christentum gekommen und so in der heidnischen Antike nicht zu finden. Die vergleichende Analyse von Ciceros und Ambrosius’ decorum wird dann in einem weiteren Schritt ausgeweitet; das Angemessene wird in der Theorie der Rhetorik und als Diskursprinzip in verschiedenen Spannungsfeldern unter‐ sucht, unter Einschluss der ästhetischen, emotionalen 51 und pragmatischen Di‐ mension, wobei ihm schließlich als rhetorischem Prinzip sein Platz in einem Kommunikationsmodell zugewiesen wird. 1.3 Quod decet? - Das Schöne und das Erhabene Die Vorstellung - nicht der Begriff - von Angemessenheit in rhetorischem Rahmen evoziert auch die philosophische Gegenüberstellung vom Angemes‐ senen und Schönen oder vom Angemessenen und Erhabenen. Nicht nur Platon (Hippias Maior 291d-e), sondern auch Augustinus’ verloren gegangene Schrift (Vom Schönen und Angemessenen) oder Kant und Schiller beschäftigen sich mit dem Konzept von Angemessenheit als einem philosophischen Ideal oder einer ästhetischen Vorstellung. Das Angemessene und das Schöne können Gegenpole sein (Angemessenes als bloßer Schein des Schönen), Attribute füreinander oder 20 1 Einleitung 52 Johann Georg Sulzer: Allgemeine Theorie der schönen Künste. Bd. 1, S. 143. das Angemessene im Sinne von Aristoteles (Rhetorik 1367b12-1367b20) zeigt sich in den schönen Taten. Das Schöne wiederum übertrifft das Angemessene, indem es mehr als angemessen im positiven Sinn meint und sich vor allem auf das menschliche Verhalten bezieht. Andererseits werden hohe Anforderungen an die Angemessenheit gestellt: Vernunft und Gefühl müssen zusammenwirken, wenn etwas Schönes entstehen soll. Sulzer sieht diese Fähigkeit vor allem beim Künstler, wenn er sagt, dass: „zwar [...] Künstler von feinem Geschmake selten in den Fehler des Unangemessenen verfallen; aber das genaue Angemessene erfordert große Scharfsinnigkeit und feines Gefühl. Eben darum aber giebt es den Werken des Geschmaks eine große Schönheit.“ 52 Schönheit schließlich steht in einem Bezug zum Erhabenen, muss aber auch davon abgegrenzt werden. Unter den Begriffen des Schönen, Angemessenen und Erhabenen werden Möglichkeiten der ästhetischen Repräsentation beschrieben, die philoso‐ phisch und rhetorisch konnotiert sein können. Zunächst soll untersucht werden, welcher Bezug in der Rhetorik zwischen dem decorum und dem Er‐ habenen besteht. Das Erhabene taucht in der antiken Rhetorik als Stilart der pathetischen Rede und Gattung der Festrede (genus demonstrativum) auf und dient zum einem dem movere/ flectere sowie dem Pathos einer Rede. Erhabenheit in der Sprache kann emotional bewegend werden. Welchen Bezug hat das Erhabene dann in der Rhetorik zur Urnorm des decorum? In der antiken Rhetorik des Aristoteles, Cicero und Quintilian ist Erhabenheit in der elocutio als genus grande, genus sublime oder genus vehemens verortet. Doch obwohl diese dritte Stilart nach dem genus subtile/ genus humile und genus medium/ genus mixtum als der überzeugendste Stil bei Cicero (Orator, 97) gilt und die größte Macht der Beredsamkeit („vis omnis oratoris“, Orator, 97) dar‐ stellt, ist sie nicht ohne Beschränkung frei anwendbar. Der wahre Redner, den zu skizzieren Ciceros erklärtes Ziel ist, ist ein wortgewaltiger Redner, der alle drei Stile meisterhaft einsetzen und in einer Rede auch miteinander verbinden kann. Denn, ob ein erhabener Stil eingesetzt, wann und in welchem Maße er eingesetzt wird, ist dem πρέπον/ decorum unterstellt. Als angemessen gilt in Ci‐ ceros Orator, 70-72, was sich gemäß dem Redegegenstand (res), dem Redner (orator) und dem Publikum (auditor) ziemt. Auch für Aristoteles (Rhetorik III, 12, 1413b2ff.) ist Stil primär decorum und rechtes Maß. Lexik und Performanz werden nach dem rhetorischen Gesetz der Angemessenheit je situativ gewählt. Das decorum lässt eine erhabene Rede nicht in Überschwang und Lächerlichkeit abgleiten und sichert somit die volle Macht einer Rede, die zu Herzen spricht, 21 1.3 Quod decet? - Das Schöne und das Erhabene 53 Dietmar Till: Das doppelte Erhabene. Eine Argumentationsfigur von der Antike bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. S. 90-91. 54 Ibid, S. 89. Vgl. auch Kant hierzu: KdU B, 120 und B, 260. in sie eindringt und dort Überzeugungsarbeit leistet (De oratore II, 187). Das decorum lässt nach Auffassung des rhetorischen Dreigestirns Aristoteles, Cicero und Quintilian Erhabenheit im Stil einer Rede erst möglich und in voller Gänze wirksam werden. Doch im Altgriechischen meint ὔψος nicht nur den erhabenen Stil, sondern kann auch auf Personen bezogen sein. In Platons Politeia 487a diskutieren Glaukon und Sokrates über notwendige Eigenschaften der philosophischen Seele bei der Wahrheitssuche und sprechen dabei über die Vorbedingungen eines von Natur aus großen Mannes, der sich durch seine Eigenschaften wie Gelehrigkeit, Edelmut, Anmut, durch Wahrheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Besonnenheit hervortut. Auch Aristoteles behandelt in seiner Nikomachischen Ethik 1107b17 das Thema des tugendhaften Handelns als dasjenige, welches stets die Mitte wählt. Die Mitte ist das rechte Maß. Doch diesem widerspricht das Erhabene. Der altgriechische Terminus μεγαλοπρεπής bezeichnet einen Men‐ schen mit einer großen Seele, der sich durch edle Naturanlage in seinem Cha‐ rakter als ein großer Mann auszeichnet. Dieses altgriechische Adjektiv, das übersetzt „einem Großen angemessen“ und „erhaben“ bedeutet, wird außerdem bei Platon in Lysis 215e1 im Sinne von „großartig/ höher“ und bei Pseudo-De‐ metrios in seinem Traktat Über den Stil (περὶ ἑρμηνείας/ De elocutione), § 36 als einer von vier Stilen (χαρακτῆρες) eingeführt. Er löst sich hierbei von der klas‐ sischen Dreistillehre und führt stattdessen den einfachen (ἰσχνός), erhabenen (μεγαλοπρεπής), glatten/ eleganten (γλαφυρός) und den gewaltigen Stil (δεινός) ein. Das zentrale Werk der Antike zum Begriff des Erhabenen steuert der Theo‐ retiker Pseudo-Longinus bei. In der Schrift Vom Erhabenen in 9,2 wird Erhaben‐ heit als moralisches Vermögen und innere Kraft verstanden: „ὔψος μεγαλοφροσύνης ἀπήχημα“ (Erhabenheit sei Widerhall von Seelengröße). Till betont, dass Pseudo-Longinus die Erhabenheit als Fähigkeit des Menschen sieht. Sie speist sich aus mehreren Quellen, wobei ästhetische, ethische, personelle und rhetorisch methodische Fähigkeiten eine Verbindung eingehen. 53 Das Er‐ habene bei Pseudo-Longinus ist somit mehr als ein Stilbegriff, mehr als eine ästhetische Qualität und intendierte Wirkung, es weist auf den Menschen zu‐ rück. 54 In der Rede ist nach Pseudo-Longinus’ Schrift Vom Erhabenen (12,4) das Erhabene ein Ideal, aber auch eine rhetorische Kraft (δυναστεία καὶ βία) am richtigen Ort zur rechten Zeit (καιρός) (Vom Erhabenen 1,4). Verfügt der Redner über diese Kraft, dann kann er über sich hinauswachsen, ja fast die Seelengröße 22 1 Einleitung 55 Pseudo-Longinos: Vom Erhabenen. Griechisch - deutsch, übers. u. hg. v. Reinhardt Brandt. 1, 4. 56 Kant: Kritik der Urteilskraft. B, 115. 57 Carsten Zelle stellt eine Profilierung des Begriffes der „doppelten Ästhetik“ im deutsch‐ sprachigen Raum mit seiner Habilitation über die Ästhetikgeschichte des 18. und 20. Jahrhunderts vor, indem er das Erhabene und das Schöne als zwei Kategorien des Ästhetischen systematisch zusammenbringt. Gottes erreichen (36,1). Die pathetische Kraft des Redners macht auch vor schrecklichen Bildern (9,7) nicht halt, die eigentlich gegen das Geziemende (τὸ πρέπον) verstoßen, aber sich quasi gewaltsam entleeren, einschlagen wie ein Blitz: „Das Erhabene aber, bricht es im rechten Moment hervor, zersprengt alle Dinge wie ein Blitz und zeigt sogleich die gedrängte Gewalt des Redners.“ 55 Ist das Erhabene vielleicht die Ausnahme, die das Postulat von Angemessen‐ heit erlaubt? Und wenn ja, wie kann das sein? Und schließlich, wie wirken decorum und Erhabenes aufeinander ein? Immanuel Kant gilt nicht nur aufgrund seines kategorischen Imperativs, seiner Pflichtethik und transzendentalen Vernunftkritik als wegweisender Phi‐ losoph des 18. Jahrhunderts, sondern er analysierte in der Kritik der Urteilskraft (1790) auch die beiden Begriffe des Schönen und Erhabenen. In dieser dritten und letzten Kritik bestimmt Kant die ästhetische Urteilskraft als selbsttätiges Erkenntnisvermögen und als Denkungsart, die „entweder zum Guten schon ausgebildet, oder dieser Ausbildung vorzüglich empfänglich“ und so „mit dem moralischen Gefühl“ (KdU B, 170) verwandt ist. Schön ist das, was in der bloßen Beurteilung (also nicht vermittelst der Empfindung des Sinnes nach einem Begriffe des Verstandes) gefällt. Hieraus folgt von selbst, daß es ohne alles Interesse gefallen müsse. Erhaben ist das, was durch seinen Widerstand gegen das Interesse der Sinne unmittelbar gefällt. 56 Kant grenzt somit das Schöne deutlich vom Erhabenen ab. 57 Schönheit gefällt unmittelbar, wird wahrgenommen mittels des Verstandes und der Einbildungs‐ kraft, wird „ästhetisches Reflexionsurteil“ (Erste Fassung der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft, IX) aufgrund formaler Kriterien. Es setzt „Erkenntnisver‐ mögen“ (KdU B, LVI, LVII) voraus, ist „Gesetzmäßigkeit ohne Gesetz“ (KdU B, 70), dessen Bestimmungsgrund das Gefühl ist. Das ästhetische Urteil wird von der „Urteilskraft in ihrer Freiheit“ (KdU B, 120) getroffen, wobei zwei Gemüts‐ kräfte, nämlich Einbildungskraft als „Vermögen der Anschauung“ und Verstand als „Vermögen der Begriffe“ (KdU B, 155/ 156) zusammenwirken. Somit ist das Schöne auf der einen Seite ein Geschmacksurteil, also subjektiv (KdU B, 23 1.3 Quod decet? - Das Schöne und das Erhabene 58 Kant: Kritik der Urteilskraft. B, 78. 59 In seinen Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764) stellt Kant ergänzend dazu im ersten Abschnitt die verschiedenen Arten des Erhabenen als das Schreckhaft-Erhabene, das Edle-Erhabene und das Prächtig-Erhabene vor. Immanuel Kant: Werke. Hg. v. Wilhelm Weischedel, Bd. 1, S. 827. 60 Kant: Kritik der Urteilskraft. B, 110. 61 Michaël Foessel: ‚Analytik des Erhabenen (§§ 23-29)‘, in: Otfried Höffe (Hg.): Immanuel Kant. Kritik der Urteilskraft. S. 103. 138/ 139), auf der anderen Seite ist damit aber auch ein „Anspruch auf subjektive Allgemeinheit“ (KdU B, 19) verbunden. Das Erhabene geht darüber hinaus. Man nimmt es zwar ebenso „unmittelbar“ wahr, aber der Reiz löst offensichtlich auch einen gewissen Widerstand beim Betrachtenden aus. Dieser resultiert aus der formlosen Beschaffenheit und aus der Unbegrenztheit des Erhabenen, so dass sich die Idee des Erhabenen am meisten „in ihrem Chaos oder in ihrer wildesten regellosesten Unordnung und Verwüstung, wenn sich nur Größe und Macht blicken läßt“ 58 , zeigt. Vom „Gefühl des Erhabenen“ (KdU B, 75/ 76) ergriffen, wird der Mensch vom Objekt - bei‐ spielsweise von Naturphänomenen - nicht nur angezogen, sondern auch abge‐ stoßen. Aus diesem Grund spricht Kant von einer „indirekten“ und „negativen Lust“, wenn der Mensch vom Erhabenen als einem ästhetischen Gefühl (KdU B, 99), das im Menschen selbst wirkt, erschüttert wird (KdU B, 98). 59 Das Erhabene ist nicht im Gegenstand der Natur zu finden, „sondern nur in unserm Gemüte enthalten, sofern wir der Natur in uns, und dadurch auch der Natur (sofern sie auf uns einfließt) außer uns, überlegen zu sein uns bewußt werden können.“ 60 Kant unterteilt das Erhabene in ein mathematisch-Erhabenes und ein dyna‐ misch-Erhabenes. Mathematisch-erhaben bezeichnet eine unvergleichliche Größe (KdU B, 81: quantum), während dynamisch-erhaben „[d]ie Natur, im äs‐ thetischen Urteile als Macht, die über uns keine Gewalt hat“, (KdU B, 102/ 103) bezeichnet. Erhabenheit ist zum einen die Größe schlechthin und zum anderen eine unwiderstehliche Macht der Erscheinung (τὰ φαινόμενα), die eine Ge‐ mütsbewegung auslöst, deren Gegenstand als etwas absolut Großes gedacht wird (KdU B, 81 und B, 84). Wenn das Erhabene nach Kant eine Idee der Vernunft ist und im Menschen als ästhetisches Urteil und Gefühl wirkt, wie lässt es sich dann angemessen dar‐ stellen? Foessel merkt an, dass die reflektierende Urteilskraft die Vorstellung des Erhabenen in erster Linie auf das Subjekt zurückführt, nicht auf das Objekt, und dass es sich somit einer objektiven Darstellung entziehe. 61 Ist das Erhabene somit eine nicht darstellbare Figur der menschlichen Ein‐ bildungskraft und Vernunft? Kant gibt auf diese Fragen in seinen mannigfaltigen Definitionen des Erhabenen (KdU B, 77/ B, 94/ B, 118) Antwort. Zunächst entzieht 24 1 Einleitung 62 Dietmar Till: Das doppelte Erhabene. Eine Argumentationsfigur von der Antike bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. S. 370. 63 Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft. B, 94: Die Unendlichkeit ist die Idee, ist Denken per se. Und diese Idee der Unendlichkeit „kann nun nicht anders geschehen, als durch die Unangemessenheit selbst der größten Bestrebung unserer Einbildungskraft in der Größenschätzung eines Gegenstandes.“ sich das Erhabene dem Angemessenen aufgrund der Unangemessenheit der äs‐ thetischen „Größenschätzung“ (KdU B, 94). In seiner Kritik der Urteilskraft B, 77 definiert Kant das Erhabene als ein „übersinnliche[s] Substrat der Erschei‐ nungen“ (KdU B, 238), als transzendentalen Vernunftbegriff. Solche Ideen sind nicht angemessen darzustellen, da sie nicht objektiv vorliegen, sondern als Ver‐ nunftbegriff „indemonstrabel“ (KdU B, 241) sind. Doch gerade diese Unange‐ messenheit kann sinnlich erfasst werden, beispielsweise über Naturphänomene, durch deren Anblick im Betrachter Ideen von Erhabenheit entstehen, die eine erhabene Denkungsart im Menschen auslösen. Aufgrund dieser Rückwirkung des Erhabenen auf die jeweils individuellen Empfindungen des Menschen spricht Dietmar Till in seiner Studie über das Erhabene (2006), ausgehend vom begrifflichen Konzept des Selbstgefühls, von einem „reflexive[n] Moment des ‚Erhabenen‘“ und einem „Ich-Bezug“ bei Kant. 62 Wenn nach Kant das Erhabene übersinnlich ist und sich als Idee im Gemüte formt, so muss der Mensch mehr als nur eine tobende See anschauen, um Erhabenheit zu erleben. Der Mensch selbst wird Teil dessen, indem er durch die Anschauung von erhabenen Natur‐ phänomenen in seinem Innern aktiviert wird: Er wird von den erhabenen Phä‐ nomenen ergriffen, jedoch nicht zwangsläufig überwältigt im eigentlichen Sinne. Befindet sich ein Mensch beispielsweise am Strand eines tobenden Meeres, das, von Orkanwinden aufgepeitscht, sich bedrohlich dem Land zu‐ wendet, wird er zwar die reale Bedrohung für sein Leben spüren und sich fürchten, aber zugleich eine Idee von Unendlichkeit und von Unangemessenheit seines Denkens verspüren. 63 Deshalb betont Kant in KdU B, 119, dass „in der transzendentalen Ästhetik der Urteilskraft lediglich von reinen ästhetischen Urteilen die Rede sein müsse, folglich die Beispiele nicht von solchen schönen oder erhabenen Gegenständen der Natur hergenommen werden dürfen, die den Begriff von einem Zwecke voraussetzen; “ das Erhabene als ein ästhetisches Urteil wird durch die Unange‐ messenheit der Einbildungskraft als eine Idee der Vernunft reflexiv gebildet. Eine zweite Antwort könnte lauten, dass das Erhabene die einzige Ausnahme ist, die das Postulat von Angemessenheit erlaubt. Für Kant ist das Erhabene letztlich die Unmöglichkeit einer objektiven und positiven Repräsentation. Nach § 23 (B, 75/ 76) ist das Erhabene an einem formlosen Gegenstande zu finden, der 25 1.3 Quod decet? - Das Schöne und das Erhabene 64 Dies wird auch anhand der Unterschrift von Schillers Schrift Vom Erhabenen deutlich, die lautet: „Zur weitern Ausführung einiger Kantischen Ideen.“ 65 Ähnlich urteilt auch Rüdiger Safranski, der Kant als einen Kompass für Schiller begreift, der ihm ermöglicht, seinen künstlerischen Enthusiasmus besser zu begreifen. in seiner Unbegrenztheit und in Totalität gedacht wird. Kein Maß kann es fassen, ist es doch in der Kategorie der Quantität als Größe, Macht, Chaos gedacht und so sich selbst Maß. Die menschliche Einbildungskraft scheitert an dieser ästhe‐ tischen Größenordnung, ist den Ideen unangemessen. So resultiert die Unan‐ gemessenheit des Erhabenen aus der Unangemessenheit der sinnlichen Vor‐ stellung des Menschen selbst. Das Erhabene ist hier als Idee der Unendlichkeit zwar nicht angemessen dar‐ zustellen, doch erreicht es eine Angemessenheit auf einer höheren Ebene. Indem der Mensch sich auf die Unendlichkeit als solche besinnt und begreift, dass die Natur keine Macht über ihn hat, kann er sich in Freiheit, die Willensbestimmung im autonomen Menschen ist, von der Furcht befreien. Sein Verhalten ist nicht von der Natur festgelegt, sondern von seiner eigenen Vernunft bestimmt. Sein Endzweck ist das rechte Handeln. Sich des Erhabenen als Idee der Vernunft klarzuwerden, bedeutet, dass sein Verhalten dann ethisch-moralisch ange‐ messen sein kann. Denn Kant spricht in Bezug auf das Sittengesetz von „der Erhabenheit des Gegenstandes“ (KpV A 291), die darin besteht, dass der Mensch durch seine Intelligenz, Persönlichkeit und sein inneres moralisches Gesetz seinen eigenen Wert entfaltet (KpV A 289/ 290). Kants Sittengesetz geht ins Un‐ endliche insofern, als es nicht auf Bedingungen des Lebens begrenzt ist, sondern über meine individuelle Existenz hinausgeht. Es ist die formale Bedingung menschlicher Freiheit. Ergo könnte man schlussfolgern, dass das Sittengesetz nach Kant den Menschen erhaben werden lässt. Kants transzendentale Ästhetik und seine Pflichtethik konvergieren in diesem Punkt, wenn das Erhabene, von einer transzendentalen Idee ausgehend, zu einem ethischen Prinzip wird: „Der Gegenstand eines reinen und unbedingten intellektuellen Wohlgefallens ist das moralische Gesetz in seiner Macht, die es in uns über alle und jede vor ihm vorhergehende Triebfedern des Gemüts ausübt“ (KdU B, 120). Kants Moralphilosophie und Ästhetik des Schönen und Erhabenen finden in Friedrich Schiller einen begeisterten Anhänger, der dem kantischen Weg der „Kraft der Vernunft“ zwar folgt, doch bisweilen auch Abzweigungen nimmt. Schiller erweist sich nicht nur bezüglich der ethischen Sittenlehre (vgl. Ka‐ pitel 3.3), sondern auch bezüglich des Erhabenen bei Kant als sein Vermittler und künstlerischer Weiterdenker 64 . Kant scheint für Schiller eine Art philoso‐ phischer Anregung und literarischer Ausgangspunkt gewesen zu sein. 65 Schiller selbst schreibt in einem Brief am 3. März 1791 über Kant: „Seine Kritik der Ur‐ 26 1 Einleitung 66 Zitiert nach Rüdiger Safranski: Friedrich Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Ide‐ alismus. S. 349. 67 Vgl. Rüdiger Safranski: Friedrich Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus. S. 352. 68 Ibid, S. 370. 69 Friedrich Schiller: An einen Moralisten, in: ders.: Sämtliche Gedichte. Hg. v. Jochen Golz, S. 91. 70 Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Brief IX, S. 11. 71 Friedrich Schiller: Über das Erhabene, in: ders.: Werke und Briefe. Bd. 8, hg. v. Rolf-Peter Janz, S. 822: „Der Wille ist der Geschlechtscharakter des Menschen, und die Vernunft selbst ist nur die ewige Regel desselben.“ teilskraft, die ich mir selbst angeschafft habe, reißt mich hin durch ihren licht‐ vollen geistreichen Inhalt und hat mir das größte Verlangen beigebracht, mich nach und nach in seine Philosophie hineinzuarbeiten.“ 66 Man könnte sogar sagen, Schiller lernt bei der Lektüre Kants 67 und dessen konzeptuellen Begren‐ zungen, selbst eine eigene Kunstphilosophie zu entwickeln. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich nach Burke (A philosophical enquiry into the origin of our ideas of the Sublime and Beautiful) und Kant auch Schiller mit dem Erhabenen befasst und dieses sogar neu verortet, nämlich in der literarischen Gattung der Tragödie. Während für Kant „das moralische Gesetz in mir“, der kategorische Imperativ als der durch den Willen bezwungene Trieb, das Zentrum seiner Pflichtethik bildet, ist für Schiller der Wille des Menschen nicht dem Sollen, sondern der Kunst unterworfen, mit dem Ziel der sittlichen „Veredelung“. 68 Die Überzeu‐ gung, dass die Kunst als Mittel der Befreiung und Veredelung des Menschen dient, teilt Schiller mit seinem späteren Freund Goethe, mit dem ihn im zweiten Anlauf schließlich eine anregende Freundschaft und eine Art Arbeitsgemein‐ schaft intellektuell Gleichgesinnter verbindet. In seinem Gedicht An einen Moralisten schreibt Schiller zwar skeptisch: „Zu Göttern schaffst du Menschen nie“ 69 , doch sie zu vervollkommnen, ihren Cha‐ rakter zu veredeln, ist ein lohnenswertes Ziel, womit sich Schillers neunter Brief Über die ästhetische Erziehung des Menschen beschäftigt. Das Mittel zur sittlichen Vervollkommnung des Menschen ist die Ästhetik: „Dieses Werkzeug ist die schöne Kunst, diese Quellen öffnen sich in ihren unsterblichen Mustern.“ 70 Die Kultur als ästhetische Erziehung macht den Menschen fähig, seinen Willen zu behaupten und Freiheit zu erlangen, indem der Mensch als „das Wesen, welches will“ (Über das Erhabene, S. 822) sich moralisch bildet, denn „nur dieser, ist ganz frei“ (Über das Erhabene, S. 824). Mit Hilfe der Energie des Willens, so Schiller weiter, kann der Mensch die Natur beherrschen und sich dann von ihr unab‐ hängig machen. Zur moralischen Anlage 71 muss aber die ästhetische Kultivie‐ 27 1.3 Quod decet? - Das Schöne und das Erhabene 72 Friedrich Schiller: Schön und Erhaben, in: ders.: Sämtliche Gedichte. Hg. v. Jochen Golz, S. 282. 73 Schiller unterscheidet in seinen Vorlesungen zur Ästhetik zwischen Empfindung als einer objektiven und Gefühl als einer subjektiven Empfindung. Friedrich Schiller: Über das Erhabene, in: ders.: Werke und Briefe. Bd. 8, hg. v. Rolf-Peter Janz, S. 1054. 74 Friedrich Schiller: Über das Erhabene, in: ders.: Werke und Briefe. Bd. 8, hg. v. Rolf-Peter Janz, S. 826. rung des Gemüts hinzukommen. Diese kann durch zwei „Genien“, wie Schiller in seinem Gedicht Schön und Erhaben selbst formuliert, gelingen: durch die Schönheit und das erhabene Gefühl. Zweierlei Genien sind’s, die durch das Leben dich leiten, Wohl dir, wenn sie vereint helfend zur Seite dir gehen! Mit erheiterndem Spiel verkürzt dir der eine die Reise, Leichter an seinem Arm werden dir Schicksal und Pflicht. 72 Seine Konzeption vom Gefühl des Schönen und des Erhabenen entfaltet Schiller in zwei Aufsätzen, in Vom Erhabenen (1793) und ergänzend Über das Erhabene (1794). Während das Gefühl des Schönen ein Ausdruck der Freiheit innerhalb der Natur bedeutet, ist das Gefühl für das Erhabene Ausdruck von Freiheit au‐ ßerhalb der Natur des Menschen. In der Schönheit passen Sinnlichkeit und Ver‐ nunft zusammen, im Erhabenen hat die Sinnlichkeit keinen Einfluss auf die Vernunft. Der Geist ist frei. Dieses Gefühl des Erhabenen ist ein doppeltes, denn es ist aus zwei entgegengesetzten Empfindungen, dem „Wehsein“, das sich als ein Schauer zeigt, und dem „Frohsein“ als positives Gefühl bis hin zum Entzü‐ cken, zusammengesetzt. Diese Bandbreite an möglichen Empfindungsextremen im Gefühl 73 des Erhabenen zeigt, dass es die Haltung des Menschen zu einem Objekt ist, die entscheidend ist, dass zwei Naturen dem Menschen innewohnen, und beweist nach Schiller auch die „moralische Selbstständigkeit“ 74 . In Vom Er‐ habenen sprach Schiller noch von zwei Grundtrieben, dem Selbsterhaltungstrieb (Gefühle) und dem Vorstellungstrieb (Erkenntnis) im Menschen als Sinnen‐ wesen. An dieser Stelle führt Schiller aus, inwiefern sich der Mensch von der Natur unabhängig machen kann und er führt terminologisch die beiden Arten des Erhabenen ein: diejenige des „Theoretisch-Erhabenen“ (in Kantischer Dik‐ tion dem Mathematischerhabenen entsprechend) und die des „Praktisch-Erha‐ benen“ (dem Dynamischerhabenen entsprechend). Während das Theoretischer‐ habene die Natur als Gegenstand nutzt, um des Menschen Erkenntnis im Widerspruch zum Vorstellungstrieb zu erweitern, ist das Praktischerhabene als eine Macht in Opposition zum Erhaltungstrieb (beispielsweise in einer existen‐ ziellen Gefahr für den Menschen) zu begreifen, die den Zustand des Menschen 28 1 Einleitung 75 Friedrich Schiller: Vom Erhabenen, in: ders.: Werke und Briefe. Bd. 8, hg. v. Rolf-Peter Janz, S. 411. 76 Friedrich Schiller: Über das Erhabene, in: ders.: Werke und Briefe. Bd. 8, hg. v. Rolf-Peter Janz, S. 827. 77 Ibid, S. 832. 78 Ibid, S. 839. 79 Friedrich Schiller: Über die tragische Kunst, in: ders.: Werke und Briefe. Bd. 8, hg. v. Rolf-Peter Janz, S. 265. 80 Friedrich Schiller: Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken? , in: ders.: Werke und Briefe. Bd. 8, hg. v. Rolf-Peter Janz, S. 200. 81 Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. III, § 36, S. 251-253. 82 Ibid, III, § 38, S. 266. selbst beeinflusst. Resümierend fasst Schiller das Erhabene als dreifach zu klas‐ sifizierende Macht: als objektive physische Macht, als subjektive physische Ohnmacht und als subjektive moralische Übermacht. 75 Der menschliche Geist richtet sich nicht zwangsläufig nach den Sinneser‐ scheinungen oder den Gesetzen der Natur und gibt sich somit der physischen Macht geschlagen, sondern nach dem „selbstständige[n] Prinzipium in uns“ 76 , welches „das absolut Große in ihm selbst erblickt.“ 77 Das Erhabene, das sich „um den reinen Dämon in ihm [Menschen]“ verdient macht, ist als moralische Über‐ macht der Weg zur Würde des Menschen: „Ohne das Erhabene würde uns die Schönheit unsrer Würde vergessen machen.“ 78 Für Schiller ist die Kunst - wor‐ unter er in erster Linie die Dichtung und das Drama versteht - eine Quelle der Veredelung des inneren Menschen. In der tragischen Kunst wird mithilfe des Mitleids und der Rührung beim Anblick einer Tragödie der Zuschauer in die Lage versetzt, sein Ich zu verlassen und zum dargestellten Andern zu werden. 79 Die Bühne hat bei Schiller das Verdienst, eine Stiftung für den Menschen zu sein: Jeder Einzelne genießt die Entzückungen aller, die verstärkt und verschönert aus hundert Augen auf ihn zurück fallen, und seine Brust gibt jetzt nur Einer Empfindung Raum - es ist diese: ein Mensch zu sein. 80 Für Schiller ist also die Ästhetik als schöne Kunst das Mittel der Veredelung des Menschen, und der moralisch gebildete Mensch ist frei. Auch für Arthur Schopenhauer ist die Kunst eine Wirkkraft, die er der Wis‐ senschaft gegenüberstellt: Kunst ist der Wissenschaft überlegen, weil sie ihr Ziel nicht sucht; sie hat es immer schon gefunden. Kunst ist zum einen der wirkende Genius, sie ist zum anderen vollkommene Objektivität, reine Kontemplation 81 , die Schopenhauer auch Geistesruhe 82 nennt. Kunst hat ferner die Fähigkeit, die Erkenntnis der ewigen Ideen (Platons) (III, § 31 und 34) zu vermitteln: „Sie wie‐ derholt die durch reine Kontemplation aufgefaßten ewigen Ideen, das Wesent‐ 29 1.3 Quod decet? - Das Schöne und das Erhabene 83 Ibid, III, § 36, S. 251-252. 84 Ibid, III, § 39, S. 271-272. 85 Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. III, § 39, S. 273. liche und Bleibende aller Erscheinungen der Welt [...]. Ihr einziger Ursprung ist die Erkenntniß der Ideen; ihr einziges Ziel Mittheilung dieser Erkenntniß.“ 83 Das Objekt der Kunst ist also immer die Idee, sie ist kein Abbild einer wie auch immer gearteten Wirklichkeit. Die Kunst macht die Ideen aber mittels der Phantasie des Genius anschaulich, wobei die Phantasie „Begleiterin, ja Bedingung der Ge‐ nialität“ (III, § 36, S. 254) ist. Auch gewöhnliche Menschen haben Phantasie, sind deswegen aber nicht automatisch genial. Andererseits hat nach Schopenhauer aber jeder Mensch die Fähigkeit, das Schöne zu empfinden und zu schätzen, denn jeder ist für das Schöne und das Erhabene empfänglich, allerdings in un‐ terschiedlichem Grad (Die Welt als Wille und Vorstellung III, § 37, S. 263). So nötigt allein die Betrachtung der Natur dem Menschen „ästhetisches Wohlge‐ fallen“ ab und verwandelt ihn, denn wenn das Schöne auf ihn wirkt, wird er zum „willensfreien Subjekt des Erkennens“ erhoben. 84 Dieser Prozess des sich Erhebens über die eigene Individualität kennt aber noch eine Steigerung: Das Schöne wird dann zum Erhabenen, wenn die Be‐ trachtung der Gegenstände einen Widerwillen auslöst (wie bei Kant), wenn er sich der unermesslichen Größe der Gegenstände gegenüber als ein Nichts emp‐ findet, er in seinem Körper einen Widerstand nicht nur bemerkt, sondern diesen Widerstand überwindet, indem er sich gewaltsam von seinem Willen losreißt (III, § 39, S. 272), sodass er sich an diesen Willen nicht einmal mehr erinnert: „[B]ei dem Erhabenen ist jener Zustand des reinen Erkennens allererst ge‐ wonnen durch ein bewusstes und gewaltsames Losreißen von den als ungünstig erkannten Beziehungen desselben Objekts zum Willen“ 85 . Was versteht Schopenhauer aber unter dem Willen, dem er die Vorstellung gegenüberstellt? „Die Welt ist meine Vorstellung: “ Mit diesen apodiktischen Satz beginnt sein Werk Die Welt als Wille und Vorstellung. Die Welt ist, kurz gesagt, Objekt für das Subjekt (I, § 1, S. 31), also seine Vorstellung, alles was mit den Sinnen und dem Verstand (I, § 4, S. 41) wahrgenommen wird (für Kant „Er‐ scheinung“). Sie ist aber auch Wille. Dieser gibt ihm den „Schlüssel zu seiner eigenen Erscheinung“ (II, § 18, S. 151): „[D]er Wille ist die Erkenntniß a priori des Leibes, und der Leib die Erkenntniß a posteriori des Willens.“ (II, § 18, S. 152) Schopenhauers Begriff vom Willen ist weit gefasst und er meint nicht nur den Willen eines Menschen, sondern er spricht auch Tieren und Pflanzen einen Willen zu, indem er den Willen als „jede willkürliche Bewegung (functiones ani‐ males)“ und „Erscheinung eines Willensaktes“ und als „Wille zum Leben“ (II, § 20, S. 160-161 und § 27, S. 199 und 208) definiert. Für Schopenhauer ist der 30 1 Einleitung 86 Ibid, III, § 38, S. 265. 87 Ibid, III, § 36, S. 253/ § 38, S. 267 und IV, § 55, S. 379. 88 Ibid, III, § 45, S. 298. Wille der Wille zum Leben generell, er ist das beherrschende Lebensprinzip, die grundlos wirkende Kraft, ein dunkler zielloser Drang, der in allem Lebendigen wirkt (II, § 27, S. 199 und S. 208/ 211/ 213 und § 28, S. 220). Wille und Vorstellung stehen einander gegenüber, aber der Wille ist mächtiger, er beherrscht die Ver‐ nunft, nicht umgekehrt. Der Wille ist im Menschen ein ständiges Wollen, das nach Schopenhauer einem Mangel entspringt. 86 Da jede Erfüllung nur von kurzer Dauer ist, jagen wir rast- und ruhelos den Objekten des Wollens nach. Ruhe findet der Mensch nur, wenn er den Willen verneint. Für die Willensver‐ neinung gibt es zwei Möglichkeiten, die Askese (IV, § 66, S. 479), die von vielen Religionen praktiziert wird, oder eben die Kunst. In der Kunst vergisst der Mensch seine Individualität, um sich „als rein er‐ kennendes Subjekt, klares Weltauge“ 87 der Erkenntnis zu öffnen. Die Kunst an‐ tizipiert das Ideal oder die Idee des Schönen, wobei die Möglichkeit der „Anti‐ cipation des Schönen a priori im Künstler“, seine „Anerkennung a posteriori im Kenner“ liegt. 88 Die Welt, die sich dem depressiven und misanthropen Autor Schopenhauer zu Beginn seines schriftstellerischen Schaffens als ein Ort des Leidens darstellt, ist für ihn im zweiten Band seines Hauptwerkes (1844) zum einen also durch die Kunst und zum anderen durch die Askese (IV, § 66, S. 478ff.) und das Mitleid Möglichkeit zu einer besseren Welt. Das Leid ist durch die Kunst und mit Hilfe der ästhetischen Freude zu lindern, wenn auch nur kurzweilige Momente des „inneren Friedens“ (Die Welt als Wille und Vorstellung, III, § 52, S. 353) erreicht werden können. Mensch, Tier und die Pflanze sind im gemeinsamen Willen zum Leben vereint, und somit sind alle eins. Als Quelle moralischen Handelns und Ausweg aus dem Leiden im Leben dient das Mitleid (IV, § 67, S. 484f.), das den Egoismus des Menschen bekämpft, und auch in der Kunstbetrachtung und -er‐ fahrung kann ein Quietiv als zwar momentaner, doch innerer ästhetischer Frieden erlangt werden. Schopenhauers Gedanken gehen von seinem Vorläufer Immanuel Kant und dessen Erörterung der reflektierenden Urteilskraft und dem ästhetischen Apriori des Schönen und Erhabenen in der Kritik der Urteilskraft aus. Obwohl Schopenhauer als Schriftsteller und Philosoph erst mehr als 30 Jahre nach der Veröffentlichung seines Hauptwerkes die gebührende Aufmerksamkeit und Po‐ pularität bei einer breiten Öffentlichkeit zuteil wurde, ist sein Beitrag der Wil‐ lensmetaphysik gewichtig und verdeutlicht das Wesen des Erhabenen im in‐ 31 1.3 Quod decet? - Das Schöne und das Erhabene 89 Lew Tolstoi: Brief an A. A. Fet. Vom 30.08.1869, in: ders.: Briefe, 1. Bd, S. 375. 90 Die Unfassbarkeit ist geradezu das Kennzeichen der ungegenständlichen Kunst, wie bei‐ spielsweise bei Barnett Newman, der im Kunstmagazin art 7/ 09, S. 69 als ein „Künstler des Erhabenen“ tituliert wurde. 91 Friedrich Schiller: Über das Erhabene, in: ders.: Werke und Briefe. Bd. 8, hg. v. Rolf-Peter Janz, S. 827. neren Weltbild eines Menschen, der sich als vom subjektiven Willen und seiner Vorstellung gezeichnet erfährt. Oder um mit Leo Tolstoi zu sprechen: Sie sagen, er habe so recht und schlecht einiges über philosophische Gegenstände geschrieben. Was heißt einiges? Das ist die ganze Welt in unwahrscheinlich klarer und schöner Widerspiegelung. 89 Zusammenfassend kann man sagen, dass sich in der Antike zum einen eine positive Konnotierung von Erhabenheit zeigt und zum anderen auch eine Ver‐ bindung von decorum und Erhabenheit, die sich deutlich von dem Konzept des Erhabenen als gemischtem Gefühl bei Kant und Schiller abhebt. Was alle angeführten Beispiele eint, - so unterschiedlich in der Gestaltung sie auch sein mögen - ist die Tatsache, dass sie aufgrund einer intendierten Wir‐ kung eine Suggestion entfalten, der man sich schwer entziehen kann, dass sie im Betrachter eine bestimmte Stimmung oder bestimmte Ideen oder Assoziationen hervorrufen, andererseits aber trotzdem irgendwie unfassbar bleiben. 90 Der Be‐ trachter verspürt vielleicht sogar manchmal eine gewisse Unlust, die nach Kant daraus resultiert, dass die Einbildungskraft der „ästhetischen Größenschätzung“ unangemessen ist (KdU B, 97-B, 98/ 99). Das Erhabene ist also eng an den Rezi‐ pienten gebunden, ein Aspekt, den auch Schiller betont, wenn er sagt: Der erhabene Gegenstand ist von doppelter Art. Wir beziehen ihn entweder auf unsere Fassungskraft und erliegen bei dem Versuch, uns ein Bild oder einen Begriff von ihm zu bilden: oder wir beziehen ihn auf unsere Lebenskraft, und betrachten ihn als eine Macht, gegen welche die unsrige in Nichts verschwindet. 91 Es kann ein subjektives Gefühl mit Kant oder ein objektives Gefühl in der Kunst mit Schiller, ein sich Erheben aus der eigenen Individualität und „ewiges Welt‐ auge“ mit Schopenhauer oder eine Suggestion in der modernen Kunst darstellen. Die Wurzel des Erhabenen als jegliches Maß sprengende Größe ist eine Emotion im Betrachter beziehungsweise im Rezipienten, die sich als Furcht zeigt, die wesentlich die conditio humana des Menschen bestimmt. Deshalb sprengt das so verstandene Erhabene das Konzept des decorum. Als ästhetische Norm ver‐ standen, unterliegt es anderen Gesetzen. Die bewusste Verletzung von Ange‐ messenheitsregeln kann in der Kunst beispielsweise Raum schaffen für Kreati‐ 32 1 Einleitung 92 Christine Pries: Übergänge ohne Brücken. Kants Erhabenes zwischen Kritik und Meta‐ physik. S. 193. 93 Sophokles: Aias. 479 f. vität, kann auch einen bewussten Affront gegenüber den Erwartungen des Publikums darstellen und so als revolutionärer Akt verstanden werden. Was ist nun das Erhabene in der modernen Rhetorik? Ist es der antiken Kon‐ zeption einer Stillehre als genus grande, genus sublime und der Wirkung von Größe verhaftet? Inwiefern entwickelte sich die rhetorische Kategorie der An‐ gemessenheit im decorum als gesamtethische Norm und aptum als sachbezogene Angemessenheit weiter? Inwiefern wirkt das Erhabene auf die Rhetorik ein? Ist das Erhabene vielleicht sogar ein Übergang oder ein Paradox? 92 Spätestens seit dem 18. Jahrhundert und der Etablierung der Ästhetik als einem genuinen Wissenschaftsbereich werden zwei Aspekte deutlich: zum einen die pragmatische Anwendung nach objektiven Kriterien und zum anderen die Ästhetik als philosophische Disziplin. Rhetorik als Kunst zum Zweck der Überzeugung sieht sich im Spannungsfeld von Ästhetik, Ethik und Pragma‐ tismus. Die Verflechtung von ästhetischen, ethischen und pragmatischen Kri‐ terien in der rhetorischen Theorie scheint dem Rhetor ein Handlungskorsett aufbinden zu wollen, das droht, ihn in der rhetorischen Situation einzuengen. Zwar sind gewisse Vorgaben wie das decorum stets gültig, doch können ande‐ rerseits Abweichungen im personalen aptum eines Redners bewusst provoziert werden, um ein weiteres rhetorisches Ziel beispielsweise des attentum parare beim Rezipienten zu erwirken. Dies bedeutet, dass nicht immer alle Vorgaben seitens der Rhetorik, Ästhetik oder Ethik beachtet werden. 1.4 Das Prinzip der Angemessenheit in der Theorie der Rhetorik Ehr’ im Leben oder Ehr’ im Tod, das ziemt sich für den Edlen. 93 Das Prinzip der Angemessenheit in der rhetorischen Praxis und politischen Öf‐ fentlichkeit hat von der Antike bis ins postmoderne Zeitalter hinein seine pro‐ minente Rolle innerhalb einer rhetorischen Situation behaupten können. Zwar haben sich die Rahmenbedingungen von der politischen Rede im Senat und auf der ἀγορά hin zu multimedialen Präsentationen in großen Unternehmen auf der ganzen Welt stark verändert, doch hat in der Praxis eine Rede ohne die Beach‐ tung des decorum kaum Erfolg. Angemessenheit liegt jeglicher rhetorischen Praxis zugrunde, ihr ephemeres Wesen scheint sich allerdings der rhetorischen 33 1.4 Das Prinzip der Angemessenheit in der Theorie der Rhetorik 94 Georg Braungart: ‚Sprache und Verhalten. Zur Affektenlehre im Werk von Christian Thomasius‘, in: Friedrich Vollhardt: Christian Thomasius 1655-1728. Neue Forschungen im Kontext der Frühaufklärung. S. 366. 95 Quintus Horatius Flaccus: Epistles Book II and Epistle to the Pisones (Ars poetica). V. 307-309. C.O. Brink weist in seinem Kommentar zu Horace on Poetry darauf hin, dass „poetic virtue (ἀρετή) need not differ at all from poetic appropriateness (τὸ πρέπον)“, S. 337. Theorie zu versperren. So stellt sich nun die Frage nach der Relevanz von An‐ gemessenheit in der Theorie. In der Tradition der rhetorischen Theorie wird das decorum in der elocutio als ästhetische Größe, aber auch in der inventio, dispositio und actio als ethische Größe verortet. Doch sollte im 17. Jahrhundert der Jurist Christian Thomasius eine bedeutende Rolle spielen, indem er „die überkommene klassisch-humanistische Rhetorik in ihren zentralen Lehrstücken verab‐ schiedet.“ 94 Welche Auswirkungen dies nun auf die Kategorie des decorum hat, soll im Folgenden näher beleuchtet werden. Es wird zu zeigen sein, dass Tho‐ masius die Bedeutung des decorum gebührend hervorhebt, indem er die Wohl‐ anständigkeit als eine der drei Grundsäulen des Rechts etabliert und das decorum als eine primär ethische Komponente in der Theorie verankert. Doch zunächst ist das Angemessenheitspostulat in der Poetik zu finden. So widmet sich Horaz in seiner Ars Poetica der Aufgabe „[...], quid alat formetque poetam, quid deceat, quid non, quo virtus, quo ferat error. scribendi recte sapere est et principium et fons.“ („ich werde lehren [...], was einen Dichter fördere und bilde, was sich zieme, was nicht, wodurch Tugend und wodurch Irrtum ent‐ stehen möge. Wissen ist sowohl der Ursprung als auch die Quelle des richtigen Schreibens.) 95 Aus diesem Grunde gehört es für Horaz zum notwendigen Hand‐ werkszeug eines Dichters, die jeweiligen Unterschiede in Stil und Gattung zu kennen (Ars Poetica, V. 86), um folgerichtig die passende Verbindung von in‐ nerlich Gefühltem und äußerlich Gezeigtem zu finden, d. h. es geht um die innere Stimmigkeit von res, gestus und verba: So entsprechen beispielsweise trauernde Worte einem traurigen Gesicht (V. 105). Wie in Vers 92 bereits angekündigt, hat jedes Wort, jeder Stil, jede Geste und jeder Gegenstand seinen passenden Ort. Das decorum ist das Wissen um die je angemessene Dichtung am rechten Platz und nimmt an dieser Stelle bei Horaz das altgriechische Konzept des καιρός auf. Wie auch Aristoteles vor ihm nimmt Horaz das rhetorische Ethos in den Blick, wenn er in den Versen 112 ff., 178 und 227 die verschiedenen Charaktere von Menschen jeden Alters und ihre Unterschiede bezüglich des sozialen Status deutlich macht. Decorum bedeutet hier, dass Sprache und Ethos in einer Dich‐ tung passgenau aufeinander bezogen sind (vgl. Kapitel 2.2). Horaz versteht Dichtung als ein Gemälde (V. 361), das jedoch nicht allein durch Begabung 34 1 Einleitung 96 Ibid, V. 408-411. 97 Ibid, V. 1-5. 98 Lotte Labowsky: Die Ethik des Panaitios. Untersuchungen zur Geschichte des Decorum bei Cicero und Horaz. S. 101. Vgl. Kapitel 3.0 der vorliegenden Arbeit. 99 Manfred Fuhrmann: Die Dichtungstheorie der Antike. Aristoteles-Horaz-‚Longin‘. S. 132. Fuhrmann interpretiert die horazische Kategorie von Angemessenheit als die wichtigste. Sie sei „zur alles beherrschenden Kategorie aufgerückt: Sie reguliert nicht mehr das Verständnis von Charakter und Rollentyp, sondern das Verhältnis von Vers und Stil auf der einen sowie von poetischer Gattung, Affekt, Charaktertyp und Situ‐ ation auf der anderen Seite.“ (natura) oder allein durch Technik (ars) gelingt 96 , sondern trotz aller künstleri‐ schen Freiheit seine Stimmigkeit durch das Wissen um und die Beachtung des decorum erlangt, wie Horaz zu Beginn seiner Schrift anhand von Brüchen des Decorum vorführt: „Wollte zum Kopf eines Menschen ein Maler den Hals eines Pferdes fügen und Gliedmaßen, von überallher zusammengelesen, mit buntem Gefieder bekleiden, so daß als Fisch von häßlicher Schwärze endet das oben so reizende Weib: könntet ihr da wohl, sobald man euch zur Besichtigung zuließ, euch das Lachen verbeißen, Freunde? “ 97 Lotte Labowsky ist in ihrer Dissertation aus dem Jahre 1934 der Meinung, Horaz habe seine Ars Poetica in zwei Teile eingeteilt: Vers 1 bis 284 behandelten das ästhetische decorum, während der zweite Teil, der erst in Vers 309 beginnt und sich bis Vers 476 erstreckt, das ethische decorum zum Thema habe. 98 Zu Recht weist Labowsky an dieser Stelle außerdem auf die Beziehung zwischen beiden Arten des decorum hin, da auch Horaz das decorum als einen Anspruch an die Perfektionierung von Dichtung per se formuliert, der sowohl ethisch auf den Künstler, Poeten und Redner als Mensch, als auch ästhetisch auf das Kunst‐ werk, die Dichtung und Rede zielt. Die Mühe und zeitraubende Arbeit des rhe‐ torischen Feilens an der eigenen Dichtung („limae labor et mora“ V. 291), d. h. die poetisch verfeinerte elocutio, verleihe dem Dichter sodann Macht, Ruhm und Ehre. Das zuvor Gedichtete detailliert rhetorisch zu überprüfen, ist für Horaz gleichbedeutend mit der Beachtung des decorum. Die Einheitlichkeit, Stimmig‐ keit und Einheit eines künstlerischen Werkes wird durch das ästhetische und ethische decorum als dichterisches Telos nach Horaz gewährleistet. Mithilfe des Prinzips der Angemessenheit wird die künstlerische Zusammengehörigkeit ein‐ zelner poetischer Teile und rhetorischer Aspekte innerhalb einer Dichtung trotz aller Freiheit in der Kunst garantiert (V. 1-25). Innerhalb der Poetik des Horaz findet sich das rhetorische decorum im Rahmen einer dramatischen Inszenie‐ rung von Sprache auch als ethische Kategorie wieder, welche die stilistischen und die ethischen Implikationen einer Dichtung innerhalb einer rhetorischen Situation thematisiert. 99 35 1.4 Das Prinzip der Angemessenheit in der Theorie der Rhetorik 100 Joachim Dyck: Ticht - Kunst. Deutsche Barockpoetik und rhetorische Tradition. S. 106. 101 Volker Sinemus: Poetik und Rhetorik im frühmodernen deutschen Staat: sozialge‐ schichtliche Bedingungen des Normenwandels im 17. Jahrhundert. S. 54. 102 Sinemus führt die verschiedenen Verwendungsweisen des Begriffes von „Zierlichkeit“ und dessen Verbindungen mit decorum in konkreter und übertragener Bedeutung de‐ tailliert vor und kommt zu dem Resultat: „Damit ist ein Hinweis gegeben, daß im Begriff des „Zierlichen“ konkrete und übertragene Bedeutung gleicherweise gemeint sein, äs‐ thetische und ethische Bedeutung miteinander verschmolzen sein können, bzw. als zwei Aspekte des gleichen Phänomens „Zierlichkeit“ zu denken sind.“ Ibid, S. 77. Aristoteles (ethische Tugenden, eth.Nic. X, 8, 1178a10-13), Cicero, Quinti‐ lian und Horaz sind sich in der Notwendigkeit des decorum vitae innerhalb der Rhetorik einig und werden auch in den poetologischen Bestrebungen des 17. Jahrhunderts um deutsche „Wohlredenheit“ und Dichtung anerkannt. Dyck spricht in seiner Ticht-Kunst davon, dass „[d]ie Decorum-Lehre, die in der vorbildgebenden antiken Rhetorik und Poetik solchermaßen verankert ist, [...] in die rhetorischen und poetischen Traktate des 17. Jahrhunderts über‐ nommen [wird] und [...] eine zentrale Stellung innerhalb der Stilvorschriften [gewinnt], die der „barocke Klassizismus“ für sich als maßgebend erachtet.“ 100 Hierbei sind laut Sinemus am Beispiel des Werkes De Poesi graecorum libri octo von Abidas Praetorius jedoch zwei verschiedene Dichtungslehren zu un‐ terscheiden: diejenige des decorum materiae und diejenige des decorum ver‐ borum. Er verdeutlicht, inwiefern sich das Wesen der Angemessenheit in deutschen Poetiken ausprägt und stellt fest: „[D]er poetologische Maßstab der Angemessenheit ist keine Subkategorie der Elocutio - Lehre, [...] sondern er umfasst auch die Themen- und Gattungswahl, im rhetorischen Produktions‐ modell: die inventio und dispositio.“ 101 An dieser Stelle ist besonders Martin Opitz zu nennen, der 1624 eine Theorie des decorum in seinem Buch von der Deutschen Poeterey als eine Art von „Zier‐ lichkeit“ 102 formuliert. Opitz’ Anliegen war es, Regeln und Grundzüge einer deutschen Dichtkunst des Barock zu formulieren, die aufgrund ihrer National‐ sprache auch ein anderes Vermaß als das antike verfolge, - nun nämlich den Alexandriner als Regelvers -, welcher der deutschen Sprache angemessener sei (Buch von der Deutschen Poeterey, VII. Kapitel). Besonders im VI. Kapitel kommt Opitz auf die „Zierlichkeit“ zu sprechen, die zunächst gemeinsam mit der Ele‐ ganz, dann der Komposition oder Zusammensetzung von Worten und schließ‐ lich mit der Dignität und dem Ansehen (inneres aptum einer Rede) von Worten je einen Aspekt der Rede darstellen. „Zierlichkeit“ scheint hier (VI. Kapitel, S. 24) noch auf den ornatus im Rahmen der elegantia beschränkt und von der ethischen Kategorie des aptum und dem ihm übergeordneten decorum im Ansehen und 36 1 Einleitung 103 Ibid, S. 76 und 78: Sinemus weist zu Recht darauf hin, dass Opitz den Begriff „aptum“ zum einen mit „dem Verb ‚gebühren‘“ oder mit „gemäss“ übersetzt und zum anderen „aptum“ im 17. Jahrhundert als Synonym für „zierlich“ verwendet werden kann. 104 Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey. S. 28. 105 Volker Sinemus: Poetik und Rhetorik im frühmodernen deutschen Staat: sozialgeschicht‐ liche Bedingungen des Normenwandels im 17. Jahrhundert. S. 68. Sinemus weist auch mit Ludwig Fischer (Gebundene Rede, 1968) auf eine Umdeutung des aptum-Postulates im 17. Jahrhundert hin, welche von bloßen Stilunterschieden hin zu einer betonten Be‐ rücksichtigung von Wortklängen und der daraus resultierenden sinnlichen Verleben‐ digung, welche die Sprache nun dem Inhalt angemessen produziert und die der Dichter dementsprechend nutzen kann. der Dignität von Worten getrennt zu sein. 103 Opitz versteht unter „Zierlichkeit“ primär reine und deutliche Worte, worunter er zum einen das Hochdeutsche ohne Verwendung von Fremdwörtern fasst, und wenn dies nicht vermeidbar ist, wie bei den nomina propria, den Eigennamen, so sind doch zumindest fremd‐ ländische Namen mit deutschen Endungen zu versehen (VI, S. 25) und in eine deutsche Schreibweise zu übersetzen (VI, S. 27). In diesen Rahmen des rhetori‐ schen ornatus sind auch seine Ausführungen zum schicklichen Klang einzu‐ ordnen, der ein genaues Studium von Buchstaben und deren Klangfolge erfor‐ dert: „Weil ein buchstabe einen andern klang von sich giebet als der andere/ soll man sehen/ das man diese zum offteren gebrauche/ die sich zue der sache welche wir für uns haben am besten schicken.“ 104 Empfohlen wird eine gute Zusam‐ mensetzung von Buchstaben in einem Wort und Satz, die das inhaltlich Gesagte auch phonetisch unterstreichen und so diesem sinnlich angemessen 105 sind (Onomatopöie): So sind beispielsweise Fließlaute (Liquide) in der Beschreibung von Bächen angemessen und nützlich (VI, S. 29), während bezüglich des Pleo‐ nasmus trotz seiner affektstarken rhetorischen Funktion der Hinzufügung und der „Anastrophe“ (Inversion) dem Dichter geraten wird (VI, S. 28), davon Ab‐ stand zu nehmen, da sie den Vers „gezwungen“ machen und die Syntax in der Rede „verstellen“. Ebenso sind Epitheta dem Poeten nicht anzuraten, und be‐ sondere Betonung wird auf die korrekte deutsche Rechtschreibung und den Satzbau (VI, S. 26) insgesamt gelegt. Doch häufig ist den Regeln des poetischen Gestaltens durch eine beispielhafte Auflistung ex negativo auf die Spur zu kommen: „Newe wörter/ [...] zue erdencken/ ist Poeten nicht allein erlaubet“ (VI, S. 26); „Ich darff aber darumb nicht bald auß dem Französischen sagen: appro‐ chiren“ (VI, S. 27); „Item/ Es siehet nicht wol auß/ wenn ein Verß in lauter eyn‐ sylbigen wörtern bestehet.“ (VI, S. 29) Nach dem Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft stellt sich Opitz’ Lehre des decorum und aptum als eine Regel der Poetik, als ideales Verhältnis von „Stilhöhe, dichterischer Gattung und dem sozialen Rang der in der Dichtung 37 1.4 Das Prinzip der Angemessenheit in der Theorie der Rhetorik 106 Barbara Bauer: Art. ‚Aptum/ decorum‘, in: Weimar u. Fricke (Hg.) et al.: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 1, S. 117. 107 Volker Sinemus: Poetik und Rhetorik im frühmodernen deutschen Staat: sozialgeschicht‐ liche Bedingungen des Normenwandels im 17. Jahrhundert. S. 72. Es ist somit Opitz’ Leis‐ tung, dem situativen aptum eine Bedeutung beigemessen zu haben, indem er die Wir‐ kungsbezogenheit in dieser ständischen Gesellschaft betonte. 108 Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey. S. 30. 109 Ibid, S. 32. 110 Ludwig Fischer: Gebundene Rede. Dichtung und Rhetorik in der literarischen Theorie des Barock in Deutschland. S. 215-216. vorkommenden Personen, Gegenstände und Situationen“ 106 dar. Es ist ein har‐ monisches Abwägen von gestalterischen Figuren in Wort und Satz seitens des Dichters, der die „Zierlichkeit“ im ornatus und das Prinzip des decorum materiae und decorum verborum achte. Opitz verfolge laut Sinemus damit als erster eine „material-soziale Aptum-Lehre“ 107 . Damit verbunden sei auch die Unterschei‐ dung der ciceronischen Dreistillehre gemäß dem hierarchisch-ständischen Re‐ gelsystem. Es sei der Habitus, der den Stil einer Rede entscheide: „Denn wie ein anderer habit einem könige/ ein anderer einer priuatperson gebühret/ und ein kriegesman so/ ein Bawer anders/ ein kauffmann wieder anders hergehen soll: so muß man auch nicht von allen dingen auff einerley weise reden; sondern zue niedrigen sachen schlechte/ zue hohen ansehliche, zue mittelmässigen auch mässige und weder zue grosse noch zue gemeine worte brauchen.“ 108 Angemes‐ senheit ist in opitzscher Denkweise also Harmonie zwischen Stil und Stand be‐ ziehungsweise Habitus. Dementsprechend stehen die verba im Dienst der Sache: Wichtige Angelegenheiten müssen mit „prächtig[en] hohen worten vmbschreiben“ werden, „[d]ie mittele oder gleiche art zue reden ist/ welche zwar mit ihrer ziehr uber die niedrige steiget/ und dennoch zue der hohen an pracht und grossen worten noch nicht gelanget.“ 109 Drux schreibt zusammenfassend in seiner Dissertation (1976) über die An‐ gemessenheit als „Kardinaltugend der Stillehre aus der klassischen römischen Rhetorik“ (S. 29), dass Opitz den Begriff der Zierlichkeit als Synonym für de‐ corum verwendet und nicht das Prinzip der elegantia, „sondern [der] ‚dignitas‘ oder - materieller - ‚ornatus‘“ (S. 31) verfolgt. Die natürliche Ordnung der stän‐ dischen Gesellschaft zu wahren, ist gemäß Opitz somit auch Aufgabe der Dichter in ihren Poetiken des 17. Jahrhunderts; Sie sollen das decorum auch als sozial-ethische Kategorie in der Theorie der Poetik etablieren. 110 Anders als Horaz und Opitz vor ihm klassifiziert Christian Thomasius, der Frühaufklärer, Begründer einer Monatsschrift (die Monatsgespräche, 1688/ 1689) und Verfechter der deutschen Sprache an der Universität, das decorum nicht als eine ethische Kategorie innerhalb eines theoretischen Rahmens von Rhetorik 38 1 Einleitung 111 Dietmar Till: Transformationen der Rhetorik. S. 281 Anm. 880, Max Fleischmann: Chris‐ tian Thomasius. Leben und Lebenswerk. S. 80f. und Werner Schneiders: Recht, Moral und Liebe. Untersuchungen zur Entwicklung der Moralphilosophie und Naturrechtslehre des 17. Jahrhunderts bei Christian Thomasius. S. 83. 112 Christian Thomasius: Grundlehren des Natur- und Völkerrechts. I, 6, § 66. 113 Vgl. hierzu Klaus Luig: ‚Das Privatrecht von Christian Thomasius zwischen Absolu‐ tismus und Liberalismus‘, in: Werner Schneiders (Hg.): Christian Thomasius: 1655-1728. Interpretationen zu Werk und Wirkung. S. 152ff. 114 Ernst Bloch: Christian Thomasius. Ein deutscher Gelehrter ohne Misere. S. 28. 115 Christian Thomasius: Grundlehren des Natur- und Völkerrechts. I, 6, § 72. oder Poetik, sondern als eine von drei normativen Richtschnüren menschlichen Handelns. Als Philosophiestudent und schließlich promovierter Jurist interes‐ siert sich Thomasius für das decorum im Rahmen seiner Naturrechtslehre als eine der drei Säulen menschlich-rechten Tuns. Justum (Recht der Natur), ho‐ nestum (Ethik) und decorum (Politik) bilden eine verlässliche Trias von prakti‐ scher Lebensklugheit, Ethik und Recht. Thomasius setzte sich schon vor Kant für die Trennung von Moral und Recht 111 ein, kämpfte gegen Vorurteile jeglicher Art und verpflichtete den Menschen auf seine Verantwortung, da der Mensch die Vernunft als Richtschnur und Fähigkeit der Überprüfung und damit der Selbsterkenntnis besitzt. Auf diesem Hintergrund versteht Thomasius das Naturrecht als ein auf justum, honestum und decorum basierendes Modell, das sowohl den äußeren (justum und decorum) wie auch den inneren Frieden (honestum) fördert und bewahrt. Mithilfe dieser drei Arten von Gütern, die als Einheit 112 zusammen‐ wirken sollen, soll zur Regulierung der gesellschaftlichen Ordnung ein rechtli‐ ches, ständisch-soziales und ethisches Grundmodell geschaffen werden. 113 An‐ hand der jeweiligen Prinzipien für die „drei Ideologie-Sterne eines Bürgertums“ 114 (justum, decorum, honestum) wird deutlich, dass diese gesell‐ schaftliche Ordnung durch eine ausbalancierte Gegenseitigkeit, Rücksicht‐ nahme und Vorbildlichkeit, nicht durch die alleinige Macht des Rechtes erreicht werden kann: In § 40 wird das Prinzip des Ehrlichen als dasjenige bestimmt, „[W]as du wilt/ daß andere sich thun sollen/ das thue du dir selbsten“; in § 41 das decorum als das Anständige, „was du wilt/ daß andere dir thun sollen/ das thue du ihnen“ und in § 42 wird das Gerechte als dasjenige definiert, „was du dir nicht wilt gethan wissen/ das thue du andern auch nicht.“ Die Regeln des Gerechten halten dabei das höchste Übel (wie beispielsweise Taten, die in Krieg und Hass münden), die Regeln des Anständigen das mittlere Übel (fehlende Liebe, die noch nicht in äußersten Hass umgeschlagen ist) und die Regeln des Ehrlichen das unterste Übel (innerer Trieb) im Zaun. 115 Während bei den erst genannten notwendigen Regeln die Ursachen dafür - wie Krieg, 39 1.4 Das Prinzip der Angemessenheit in der Theorie der Rhetorik 116 Vgl. Wilhelm Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. S. 423-454 und Dietmar Till: Transformationen der Rhetorik. S. 278ff. 117 Vgl. Wilfried Barner: Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grund‐ lagen. S. 135-138 und S. 383, ebenso Volker Sinemus: Poetik und Rhetorik im frühmo‐ dernen deutschen Staat: sozialgeschichtliche Bedingungen des Normenwandels im 17. Jahr‐ hundert. S. 132ff. 118 Dietmar Till: Transformationen der Rhetorik. S. 277 und S. 283-296. Hass und fehlende Liebe - klar zu Tage treten, bleibt Thomasius’ Ausführung zu dem untersten Übel unklar. Offensichtlich steht der innere Trieb des Men‐ schen der Regel des Ehrlichen im Weg und muss deshalb zum Nutzen der Ge‐ meinschaft gebändigt werden. Der Mensch verzichtet aus Furcht vor Sanktionen auf die Befriedigung seines inneren Triebes. Soziale Kontrolle verhindert also das Ausleben zerstörerischer Triebe. Da alle drei Güter wichtige praecepta sind, aber einen unterschiedlichen Rang im Zusammenleben einnehmen, empfiehlt Thomasius in § 78 des ersten Buches seiner Grundlehren des Natur- und Völkerrechts das graduelle Lernen von der leichten zur schwersten Regel, sodass zuerst die Regeln des justum, dann dieje‐ nigen des decorum und schließlich des honestum zu erlernen sind. Zwar geben Thomasius’ Schriften Anreize für weitere Untersuchungen bei‐ spielsweise der Pedanterie 116 des Zeitalters oder der bürgerlichen Klugheit 117 , doch müssen diese Aspekte seines Schaffens außen vor gelassen werden, um den Fokus auf seine Theorie von decorum in seinen Werken zu konzentrieren, die sich in der vierten Abhandlung in seinen Kleine[n] Teutsche[n] Schriften (1701), der Einleitung zur Sittenlehre (1692), der Ausübung der Sittenlehre (1696), den Fundamenta Juris Naturae et gentium (Grundlehren des Natur- und Völker‐ rechts) (1705), sowie den Cautelae circa praecognita jurisprudentiae (1710) findet. Dabei sollen folgende Fragen als Orientierung dienen: Wie definiert Thomasius decorum? Und lässt sich in dieser Zeit der Frühaufklärung von einer Rehabili‐ tierung von Angemessenheit sprechen? Till weist auf die Tatsache hin, dass Christian Thomasius zwar die „Rhetorik der Figuren“, die in den Schulen gelehrt wird, kritisiert und selbst ein Collegium Styli (deutsche Stilübung) anbietet, aber selbst kein Rhetorik-Lehrwerk hinter‐ lassen hat. 118 Und dennoch bieten seine oben genannten Werke genügend inte‐ ressante Reflexionen über die Beredsamkeit und den Stellenwert des decorum im Besonderen. Im 13. Kapitel von De disciplina decori seines Traktats Christian Thomasius eröffnet der studirenden Jugend einen Vorschlag/ wie er einen jungen Menschen/ der sich ernstlich fürgeseßt/ Gott und der Welt dermahleins in vita civili rechtschaffen zu dienen/ und als ein honnet und galant’ homme zu leben/ binnen dreyer Jahre Frist in der Philosophie und singulis jurisprudentiae partibus zu in‐ 40 1 Einleitung 119 Ähnlich auch Dietmar Till: Transformationen der Rhetorik. S. 282f.: Analog zur Lehre der Affekte erfährt auch die Lehre des decorum bei Thomasius eine systematische Orts‐ veränderung, indem die Affektenlehre ab den 1690er Jahren laut Till in den Bereich der Moralphilosophie ausgelagert wird. 120 Ibid, S. 294: „Die „Wohlanständigkeit“ [...] ist Element einer gesellschaftlich fundierten und flexiblen „Interaktionskompetenz“. 121 Friedrich Andreas Hallbauer ist mit Johann Andreas Fabricius und Gottsched von Rainer Klassen als Teil des „rhetorische[n] Dreigestirn[s]“ (Logik und Rhetorik der frühen deutschen Aufklärung. S. 10) bezeichnet worden, das sich für die Umwandlung der „pedantischen Schulberedsamkeit“ (Hallbauer: Anweisung Zur Verbesserten Teut‐ schen Oratorie Nebst einer Vorrede von Den Mängeln Der Schul=Oratorie, a4) und „höfi‐ schen Beredsamkeit“ (Christian Weise/ Georg Braungart: Hofberedsamkeit, S. 4, 11 und 16) zu einer philosophischen Oratorie einsetzte. formiren gesonnen sey aus dem Jahre 1689 prangert er den Mangel an wissen‐ schaftlicher Forschung („in formam disciplinae vel artis“) bezüglich des decorum an und kritisiert Lambertus Velthuysens Unterscheidung von justum und de‐ corum als fehlerhaft. Die bisherige „Erudition“, d. h. Gelehrsamkeit als solides Wissen und Erziehung („solida eruditio“), lasse in Bezug auf die Erkenntnisse des decorum zu wünschen übrig, was er der „Galanterie“ des Französischen zu‐ schreibt. Er bietet jedoch an dieser Stelle keine deutsche Übersetzung an. Opitz’ Übersetzung von decorum als „Zierlichkeit“ scheint für Thomasius aufgrund der verdächtigen linguistischen Nähe zu ornatus nicht zutreffend zu sein, so dass er später in der Einleitung zur Sittenlehre II, 104 den Begriff der „Wohlanständig‐ keit“, „Manierlichkeit, Höfflichkeit“ und „Artigkeit der Sitten“ gebraucht. Die Lehre des decorum wird jeweils zu Beginn des 13. und des 14. Kapitels seines Traktats an die studierende Jugend als ein Teil der philosophia practica bezeichnet. Eine detaillierte Einordnung des decorum in das System der Rhetorik folgt nicht. 119 Das Desiderat wird jedoch formuliert: Es solle ein wahrhaftes Konzept de Decoro und in Abhängigkeit von demselben auch ein Konzept de Pudore (Kapitel 13, S. 34) erarbeitet werden. Insgesamt werden 24 verschiedene Aspekte des decorum als mögliche Forschungsfelder angeführt, die von den zu‐ erst genannten de fundamento decori, dem Unterscheid zwischen decorum und justum/ decorum und utili und dem Decorum pro bono vero & apparente über die verschiedenen Arten des decorum, von pudor als Verletzung des decorum bis hin zu den zuletzt genannten Themen des decorum im Reden und im Handeln rei‐ chen. Anhand dieser hierarchischen Reihenfolge, die das decorum im Reden weit hinten platziert, wird seine Einordnung des decorum in die philosophia practica als einer lebenswichtigen Norm im höflichen Umgang der ständischen Sozietät und nicht als eine bloß rhetorisch-ästhetische Lehre des Stiles untermauert. 120 Thomasius’ generelle Rhetorik-Kritik, in die später auch Friedrich Andreas Hallbauer (1725) 121 einstimmen sollte, hat den Zweck, eine vortreffliche „Ora‐ 41 1.4 Das Prinzip der Angemessenheit in der Theorie der Rhetorik 122 Zu Thomasius’ Rhetorik-Kritik und Affektenlehre siehe Dietmar Till: Transformationen der Rhetorik. S. 286-288 und Gunter E. Grimm: Literatur und Gelehrtentum. S. 410: Grimm spricht von einer „gegenrhetorische[n] Wende, [die] [...] sich erst im Laufe des 18. Jahr‐ hunderts herausgebildet hat“. 123 Christian Thomasius: Christian Thomasius eröffnet der studirenden Jugend einen Vorschlag. 7. 124 Vgl. hierzu Frank Grunert: Normbegründung und politische Legitimität. Zur Rechts- und Staatsphilosophie der deutschen Frühaufklärung. S. 204ff.: Der Wille dominiert den Ver‐ stand. 125 Georg Braungart: ‚Sprache und Verhalten. Zur Affektenlehre im Werk von Christian Thomasius‘, in: Friedrich Vollhardt: Christian Thomasius 1655-1728. Neue Forschungen im Kontext der Frühaufklärung. S. 365 und 374 f.: Braungart spricht diesbezüglich von einem Paradigmenwechsel „von Rhetorik und Moralistik auf Anthropologie“ und von einer „Anthropologisierung und Psychologisierung der Menschenkunde“. Vgl. Gunter E. Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland. S. 409: „Thomasius [...], also einen Verbund aus Psychologie („Erfahrungsseelenkunde“) und subjektiver Empirie anstrebt.“ 126 Christian Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre. I, 79. 127 Ibid, I, 89. torie“ auf den Weg zu bringen, die erst nach dem Studium der Philosophie, der Grammatik und der Poesie in den Schulen gelehrt werden soll. 122 Thomasius schreibt: „Ehe ich weiter gehe/ sehe ich wohl zuvor/ daß ihrer viele mir für einen defect zweiffels ohne anrechnen werden/ wenn ich die Oratorie, ehe ich ad Phi‐ losophiam practicam schreite/ so vorbey passiren solte. Aber ich bin der bestän‐ digen Meynung/ daß man besser thue/ wenn man diese Disciplin etwas weiter hinaus sparet.“ 123 Denn er will weg von der pedantischen Schulrhetorik, hin zu einer Rhetorik, die sich auf den Orator als selbst denkenden Menschen mit Ver‐ stand und freiem Willen 124 fokussiert. Der Akzent verschiebt sich auf den sprechenden Menschen und seine Affekte. 125 Für Christian Thomasius ist das decorum ein wahrhaftiges und notwendiges Gut; es ist die Bedingung, um in der vita civili sozial reüssieren zu können und notwendig geworden aufgrund der Abgrenzung der Stände und dem mensch‐ lichen Drang nach Geselligkeit. Um in dieser Gemeinschaft jeden Stand und jedem Menschen die ihm gebührende Ehrbezeugung angedeihen zu lassen, be‐ darf es des decorum. 126 Doch Thomasius geht sogar noch weiter, wenn er das decorum nicht nur als ein soziales Gut definiert, sondern es als Gut über die gewöhnlichen Klassen und so neben Gott stellt: Also siehest du/ daß wir alles bißhero einzeln erzehletes Gute unter die gewöhnlichen Classen gebracht haben/ biß auff Gott und das Decorum, die sich nach der gemeinen Be‐ schreibung nicht füglich zu einer von derselben setzen lassen. Was das Decorum betrifft/ daran hat bißhero niemand gedacht/ was es für ein Gut sey/ obgleich alle Philosophi dar‐ innen wider die Cynicos einig gewesen/ daß über die Tugend noch etwas anders sey/ das man in gemeinen Leben und Wandel als eine Richtschnur in acht nehmen müsse. 127 42 1 Einleitung 128 Christian Thomasius: Erinnerung über den dritten Theil der Grund-Lehren. III, 19. 129 Ibid, I, 127. 130 Christian Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre. II, 18. 131 Werner Schmidt: Ein vergessener Rebell. Leben und Wirken des Christian Thomasius. S. 171: „An der Amtskirche leiden immer nur die, die ihre Kirche lieben, und Christian Thoma‐ sius litt unter ihrem Zwang“. Die Bedeutung des thomasischen decorum kann nicht überschätzt werden, ist es für ihn doch „die Seele der menschlichen Gesellschaften“, die von Gott als Lehre den Menschen gegeben und wozu sie von ihm befähigt worden sind. 128 So prangert er in der Einleitung zur Sittenlehre I, 125-126 die Indifferenz der Men‐ schen gegenüber dem decorum an, die lediglich Gesundheit, Weisheit und Tu‐ gend als edle und notwendige, jedoch Freiheit, Ehre, Reichtum, Freunde und das decorum als nicht notwendige Güter ansehen. Hier ist zu unterscheiden zwi‐ schen zwei Ursachen der notwendigen Güter: 1. weil sie zum menschlichen Wesen gehören (necessaria absolutè) 2. weil die menschliche Gesellschaft ihrer bedarf, da sie selbst nicht voll‐ kommen, sondern korrupt ist (necessaria ex hypothesi status corrupti so‐ cietas civilis). Ein sozialer Aufstieg innerhalb dieses filigranen Geflechts sozialer Umstände, Ungleichheiten und intellektueller Fähigkeiten kann nur mit Hilfe des decorum gelingen, wodurch es wiederum als ein notwendiges Gut bestimmt wird. 129 Um Thomasius’ scheinbar widersprüchliche Aussagen über das decorum, zum einen als notwendiges Gut besonderer Klasse und zum anderen als bloße Zier des Menschen, - erreichbar ohne großen Aufwand, welche jedoch nichts zum Glück eines Menschen beiträgt 130 -, zu verstehen, muss auf sein Verständnis von Naturrecht eingegangen werden. Thomasius trennt die Sittlichkeit vom Recht: Während die Sittlichkeit der Ge‐ meinschaft und dem Menschen immanent ist, ist das Recht kein notwendig im‐ manenter Bestandteil von Gemeinschaft, denn es gibt auch Gemeinschaften ohne Recht, wie Diktaturen oder Sekten. Mit dieser Trennung löst Thomasius das Recht aus dem religiösen Bezugsrahmen und stellt es auf die drei Grundsäulen, die Recht und Ethik bestimmen: Justum, honestum und decorum. Dennoch wäre es falsch, ihm hierbei eine Abneigung gegen das Christentum 131 zu unterstellen, denn für Thomasius ist das Naturrecht ein von Gott gegebenes Recht, das den Men‐ schen befähigt, mittels der Vernunft das Rechte zu erkennen und das Recht in der Gemeinschaft durch Gesetze zu realisieren und zu leben. Thomasius unter‐ scheidet das Naturrecht (jus naturae) als vernünftige Ratschläge im Sinne moral‐ philosophischer Überlegungen vom positiven Recht als staatlich gesetztem Recht: 43 1.4 Das Prinzip der Angemessenheit in der Theorie der Rhetorik 132 Christian Thomasius: Grundlehren des Natur- und Völkerrechts. I, 5, 34. 133 Ähnlich auch Frank Grunert: Normbegründung und politische Legitimität. Zur Rechts- und Staatsphilosophie der deutschen Frühaufklärung. S. 225-226: Naturrecht (consilium) vs. positives Recht (imperium). 134 Christian Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre. II, 106. 135 Ibid, II, 69. 136 Ibid, II, 104. 137 Ibid, II, 108. „Hüte dich demnach/ daß du nicht meinest/ als wenn das natürliche und gege‐ bene/ das göttliche und menschliche Gesetze Arten von einerley Natur wären: Das natürliche und göttliche Gesetze gehöret mehr zu denen Rathschlägen/ als zu denen Herrschaften; das menschliche Gesetze in dem eigentlichen Verstande ge‐ nommen wird nur von der Norm der Herrschafft gesaget.“ 132 Um auch moralische Gebote neben dem im positiven Recht verankerten justum durchsetzen zu können, bedarf es eines Naturrechtsbegriffes, der auch das honestum und decorum beinhaltet. 133 Insofern könnte man justum, honestum und decorum auch als drei verschiedene Ethiken auffassen, nach denen es gilt, sein Leben in rechter Weise zu leben. Sie sind Ratschläge (consilium) und Leit‐ linien, wie der Mensch mit seinen Mitmenschen umzugehen hat und auf Grund derer er entsprechende Gegenreaktionen zu erwarten hat. Ziel und Zweck dieser drei Grundprinzipien des Rechts und der Ethik nach Thomasius ist die Glück‐ seligkeit im Leben. Doch ist diese nicht automatisch durch die Einhaltung einer dieser drei Normen zu erlangen: „Es ist aber deswegen das Decorum kein not‐ hwendig Stücke der Gemüths-Ruhe wenn es nur nicht mit Vorsaß und aus blosser Liebe zur Singularität unterlassen wird.“ 134 Glückseligkeit besteht nicht im Genuss von Gütern, sondern in der Gemütsruhe und ihrer Erhaltung im Leben. 135 Diese Ruhe muss mithilfe normierender Prinzipien und qua „gesunder Vernunft“ (Grundlehren des Natur- und Völkerrechts. I, 1, 90) erst erarbeitet werden, indem jene die Okkupation des freien Willens als „Begierde im Herzen“ (Grundlehren des Natur- und Völkerrechts. I, 1, 34) überwinden. So zeigt sich auch das Wesen des decorum erst im Tun: Es kann sich in drei‐ facher Ausprägung zeigen, tugendhaft, lasterhaft oder indifferent sein. 136 Der Mensch darf keine „offenbahre Singularität“ oder „Liebe zur bestialität“ (II, 108) aufweisen, dies bedeutet, dass er nicht egoistisch leben oder wie eine „Bestie“ schändlich handeln darf. Es ist zu unterscheiden zwischen einem Menschen, dem das decorum fehlt und demjenigen, der „indecenter vivit“. 137 Nur demje‐ nigen, der „indecenter vivit“, wird abgesprochen, je die Glückseligkeit in seinem Leben erreichen zu können. Dies bedeutet, dass ein Mensch, der das decorum erkannt hat und sich dennoch - wider die Vernunft - dazu entschlossen hat, nicht gemäß dem decorum zu leben, kein Lebensglück wird erfahren können. 44 1 Einleitung 138 Ibid, II, 1. 139 Christian Thomasius: Einleitung zur Sittenlehre. II, 125. 140 Ibid, II, 126. 141 Christian Thomasius: Grundlehren des Natur- und Völkerrechts. I, 6, 26. 142 Frank Grunert: Normbegründung und politische Legitimität. Zur Rechts- und Staats‐ philosophie der deutschen Frühaufklärung. S. 217. 143 Ähnlich ibid, S. 221. Ein Handeln wider besseres Wissen und Vermögen schließt Erlangung von Glückseligkeit im Leben für Thomasius aus. Die Sittenlehre garantiert deshalb ein Leben in Glückseligkeit. Thomasius definiert sie „als eine Lehre/ die den Menschen unterweiset/ worinnen seine wahre und höchste Glückseligkeit be‐ stehe/ wie er dieselbe erlangen/ und die Hindernissen/ so durch ihn selbst verur‐ sachet werden/ ablegen und überwinden solle.“ 138 „Glückseligkeit“ wird in seiner Einleitung zur Sittenlehre II, 4 als „das wahre Gut des Menschen“ definiert. Erst gegen Ende des zweiten Hauptstückes (II, 123-126), tituliert Von der grösten Glückseligkeit des Menschen, werden die konstitutiven Teile der Gemütsruhe als „Güter der Seele“ (Einleitung zur Sittenlehre II, 124) angeführt: Weisheit und Tu‐ gend. Die Weisheit reinigt den Verstand, so dass der Mensch die „wahre Glück‐ seeligkeit der Gemüths-Ruhe erkennet/ und dadurch den Willen disponiret“. Die Tugend wiederum erstrebt die Gemütsruhe und erhält diese durch tugendhafte Taten. Diese Teile der wahren Gemütsruhe zu erkennen und nicht Scheingüter zu erstreben oder egoistisch zu leben, ist die conditio sine qua non für das eigene Lebensglück. 139 Letztlich wird die Selbsterkenntnis als Reflexion des eigenen Tun und Lebens zum Grundstein für die Glückseligkeit und ist das höchste Gut: „Die einzige Selstberkäntnäß ist das wesentliche Stücke des höchsten Guts“ 140 . Für Thomasius ist die individuelle Glückseligkeit des einzelnen Menschen jedoch untrennbar mit derjenigen der ganzen Gemeinschaft verknüpft. 141 Das eine bedingt das andere: So sei die eigene Glückseligkeit eine Phantasie, wenn „sie mit der Unglückseligkeit der meisten verknüpffet ist.“ Die Glückseligkeit aller ist das große Ziel, dem die drei Prinzipien von justum, honestum und decorum dienen und nach welchen sich der Weise in seinem Leben orientiert (Grundlehren des Natur- und Völkerrechts. I, 6, 32). Das decorum ist daher eine besondere Klasse von „Gut“ und eine Norm für sich: Es ist nicht wie das justum als äußerlich durchsetzbare Form von Recht oder wie das honestum als inner‐ lich verankerte Form von Recht und Moral zu sehen, sondern ist nach Tho‐ masius zwischen den beiden genannten Normen dasjenige, welches die mitt‐ leren Übel beschränkt und nach Grunert „ein Faktor sozialer Produktivität“ 142 ist. Bei Thomasius nimmt das decorum beim chronologischen Erlernen dieser Trias die Mitte 143 zwischen justum und honestum ein, handelt von den mora‐ 45 1.4 Das Prinzip der Angemessenheit in der Theorie der Rhetorik 144 Ibid, S. 223: Grunert spricht von einem „sozialen surplus“, welches das decorum vom Menschen verlangt; als ein Mehr als das vom Recht Vorgeschriebene. 145 Christian Thomasius: Ausübung der Sittenlehre. X, 28. 146 Manfred Beetz: ‚Ein neuentdeckter Lehrer der Conduite. Thomasius in der Geschichte der Gesellschaftsethik‘, in: Werner Schneiders (Hg.): Christian Thomasius: 1655-1728. Interpretationen zu Werk und Wirkung. S. 205f. 147 Ibid, S. 201. 148 Christian Thomasius: Cautelae circa praecognita jurisprudentiae in usum auditorii Tho‐ masiani. XV, 11. lisch neutralen Mitteldingen (ἀδιάφορα) und analog zu Cicero schließt es das honestum, rectum und justum als Teilaspekte von Seelentugenden mit ein (vgl. Abbildung 1). Trotz einer imperativisch und positiv formulierten Charakterisierung und prominenten Stellung des decorum als Norm und Ethik, die vom Menschen eine vorbildliche Handlung und Verhaltensweise fordert 144 , gibt es letztlich keine Grundregel für das decorum im Leben, aber durch geschärftes iudicium und auf‐ merksame Beobachtung kann das situativ-ephemere decorum erlernt werden: [...] [S]o kan man auch das decorum durch unbetrügliche Grund-Regeln nicht er‐ lernen/ sondern es gehöret eine continuirliche und genaue Auffmerckung und zwar auff die geringsten Kleinigkeiten dazu/ weil das decorum alle Tage sich ändert/ und an allen Orten anders ist. [...] So kann es dann nicht fehlen/ weil ein Ehrgeiziger stets auff den Unterscheid der geringsten Dinge in dem gegenwärtigen decoro (denn das ver‐ gangene oder das studium antiquitatis hilfft ihn hierbey wenig) Achtung giebet/ er sein judicium dadurch uberaus exerciren und schärffen müsse. 145 Aufgrund von Thomasius’ Korrekturen und Ergänzungen zu den decorum-Aus‐ führungen und Unterscheidungen seiner Vorgänger, wie Pufendorf und Vel‐ thuysen, und an seinen eigenen Ausführungen zur „Wohlanständigkeit“ oder „Manierlichkeit“, wie Manfred Beetz detailliert für die Zeit zwischen den Jahren 1689 und 1710 146 nachgewiesen hat, gilt Thomasius als „Decorumsytematiker“ und „Lehrer konkreter Soziabilität und Conduite“. 147 In seinem Spätwerk Cau‐ telae circa praecognita jurisprudentiae in usum auditorii Thomasiani (1710), das sich im 15. Hauptstück dem decorum als der „Wissenschafft der Wohlanstän‐ digkeit“ widmet, findet sich auch schließlich seine Unterscheidung der zwei Arten des decorum: das decorum des natürlichen Rechtes (decorum juris na‐ turae) und das politische decorum (decorum politicum). Das decorum juris naturae ist Teil des natürlichen Rechts und geht von der grundlegenden Gleichheit aller Menschen („ex communi hominum omnium ae‐ qualitate deducitur“  148 ) aus. Aus diesem Grund ist das decorum des natürlichen 46 1 Einleitung 149 Ibid, XV, 52. 150 Ibid, XV, 11. 151 Ibid, XV, 58. 152 Gelegentlich ist bei Thomasius in diesem 15. Hauptstück vom allgemeinen oder ma‐ nierlichen decorum (decori communis) die Rede, womit jedoch das decorum politicum gemeint ist und somit wohl als Synonym dient. 153 Christian Thomasius: Cautelae circa praecognita jurisprudentiae in usum auditorii Tho‐ masiani. XV, 48. 154 Matthias Kaufmann: ‚Die Rolle des Decorum in der Ethik des Christian Thomasius‘, in: B. Sharon Byrd, Joachim Hruschka u. Jan C. Joerden (Hg.): Jahrbuch für Recht und Ethik. Bd. 8, 2000, S. 239. 155 Christian Thomasius: Cautelae circa praecognita jurisprudentiae in usum auditorii Tho‐ masiani. XV, 51. Rechts als natürliche Wohlanständigkeit mit nur wenigen Ausnahmen im Ge‐ gensatz zum politischen decorum fast immer unveränderlich. 149 So verwundert nicht, dass Thomasius das politische decorum in den Cautelae ausführlicher beschreibt und dieses auch in Bezug zum Christentum setzt. Das politische decorum wird in den Cautelae XV, 10 als Lehre „höfflicher Sitten“ und wie man sich Freunde zu machen hat, definiert. Außerdem gehören als Spezi‐ fikum zu dem politischen decorum die Mitteldinge („actiones indifferentes“ in den Cautelae XV, 20). Im Unterscheid zum decorum juris naturae setzt das poli‐ tische decorum die soziale Ungleichheit der Menschen voraus, weil es von den Standesunterscheiden („inaequalitatem hominum“) der Menschen ausgeht. 150 Daraus resultiert bei Thomasius das Desiderat von Stände-decori, denn jeder soziale Status fordert ein anderes decorum: „[T]ot esse variantis decori species, quot sunt status variantes.“ 151 Das Verhalten eines Menschen wird gemäß seines Standes und sozialen Status in den Cautelae XV, 57 bestimmt: Einem höher Ste‐ henden solle man eine anständige Hochachtung und Ehrerbietung zeigen, einem Menschen vom selben Stand solle man freundlich und höflich begegnen und mit einem Menschen von einem unteren Stande solle man leutselig und bescheiden umgehen. Wie bereits konstatiert, mangelt es einer genauen Regelbeschreibung für das jeweilige politische decorum, doch die gesunde Vernunft („recta ratio“) gilt stattdessen als Richtschnur für das decorum („decori communis regula“). 152 Diese verschiedenen decora bedingen die Veränderlichkeit des politischen de‐ corum: Je nach Völkern, Landschaften, Städten und Gesellschaften kann das decorum variieren. 153 Diese Variation resultiert zum einen aus den sozialen Rangunterscheiden, ist aber auch bedingt durch die „zeitliche und situative Konstanz“ 154 . Das Prinzip des politischen decorum zeigt sich darin, dass der Mensch seine natürlichen und zufälligen Mängel vor seinen Mitmenschen verbirgt und keinen Ekel durch sein Handeln erregt. 155 Diese Art des politischen decorum ist am 47 1.4 Das Prinzip der Angemessenheit in der Theorie der Rhetorik 156 Ibid, XV, 22 und 72. 157 Joachim Knape: Was ist Rhetorik? S. 58ff. 158 Christian Thomasius: Cautelae circa praecognita jurisprudentiae in usum auditorii Tho‐ masiani. XV, 77 und 94. 159 Ibid, XV, 94. Vgl. Lk 7,44. 160 Ibid, XV, 99. 161 Frederick M. Barnard: ‚Rightful decorum and rational Accountability. A forgotten theory of civil Life‘, in: Werner Schneiders (Hg.): Christian Thomasius 1655-1728. Inter‐ pretationen zu Werk und Wirkung. S. 187 und S. 190. besten zu erfassen und beobachten, wenn das eigene Tun durch Nachahmung („quod sit imitatio rationalis“) derjenigen Menschen des je eigenen Standes, die als vortrefflich und vorbildlich gelten, bestimmt wird, und die Regeln des justum, honestum und decorum nicht verletzt werden. 156 Interessant ist hier die pragma‐ tische Formulierung „Nachahmung von Menschen, die als vorbildlich gelten“, nicht notwendigerweise von Menschen, die vorbildlich sind. Der Anschein von Vortrefflichkeit reicht für das politische decorum allem Anschein nach für Tho‐ masius aus. Thomasius’ „Wissenschaft der Wohlanständigkeit“, die die moralische Be‐ schaffenheit des menschlichen Handelns (Cautelae XV, 9) zum Thema hat und zwischen dem wahren decorum (decorum verum) und einem Scheindecorum (decorum apparens) unterscheidet (Cautelae XV, 14), berührt sich auch mit dem Christentum. Trotz des scheinbaren „Widerstandes“ 157 gegenüber Standesun‐ terschieden und den daraus resultierenden verschiedenen decora - die zunächst scheinbar schwerlich mit dem christlichen Gesetz der Brüderlichkeit und Gleichheit zu vereinen sind - steht die Lehre vom politischen decorum nicht im Gegensatz zum Christentum: „Tantum vero abest, ut decorum politicum re‐ pugnet doctrinae Christi“ 158 . Ganz im Gegenteil: Thomasius führt Beispiele für das politische decorum an, die zu finden und aufmerksam zu studieren seien: Christus strafe den Pharisäer nur leicht, als dieser ihm nicht die Füße wäscht, was ihm eigentlich das politische decorum als wohlanständige Tat und als Ver‐ halten gemäß der Sitten der Juden gebiete. 159 Dies ist Thomasius’ Hinweis dafür, dass das Christentum dem Christen und jedem Menschen rate, nach seinem jeweiligen Stande das politische decorum zu beachten und diese Kautelen, die Thomasius in diesem 15. Hauptstücke vorgestellt hat, zu berücksichtigen. 160 In den oben besprochenen Werken von Christian Thomasius hat die Ange‐ messenheit durchaus eine besondere Relevanz für seine Theorie. Nach Frederick Barnard ist der Begriff des decorum bei Thomasius mit demjenigen der „Recht‐ mässigkeit“ und Rechenschaft eng verbunden und beschreibt eine moralische und legale Dimension menschlichen Verhaltens, ohne jedoch eine strikte mo‐ ralische Kategorie für Thomasius zu sein. 161 Das decorum in der Konzeption von 48 1 Einleitung 162 Zitiert nach Georg Braungart: Hofberedsamkeit. S. 27: Sebastian Jacob Jungendres: Kurzer Entwurf von der Wolanständigkeit, oder dem DECORO, worinnen dasselbe bestehe, und wie es vom Justo, Honesto und Pio unterschieden (1720); Christoph Heinrich Amthor: COLLEGIUM HOMILETICUM DE JURE DECORI, Oder Eine Wissenschaft, Die da lehret, wie man sich in Conversation mit allerhand Leuten manierlich und wohl = anständig aufführen soll, damit man andern kein Aergerniß gebe, auch daß andere leute keinen Anlaß nehmen, und zu verachten, oder für ungeschickt zu halten (1730); Johann Burchard (Burckhardt) Mencke: Dissertatio II De Eo, Quoad Decorum Est (1734). 163 Vgl. hierzu auch Wilhelm Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. S. 102 und 104. Christian Thomasius ist nach Barnard als ziviles Ethos für Gesellschaft und Po‐ litik zu sehen. Zwar wird bei Thomasius, wie Till und Braungart gezeigt haben, eine para‐ digmatische Umstellung des decorum und der Affektenlehre, von der Rhetorik auf die Anthropologie vorgenommen, doch zeugen seine Beschäftigung mit dem decorum und seine Forderung und Beschreibung einer „Wissenschaft der Wohl‐ anständigkeit“ von einem Desiderat für Gesellschaft und Wissenschaft im 17. Jahrhundert. So lässt sich auch eine Vielzahl zeitgenössischer Autoren nennen, die sich dem decorum als sozialem Regulativ widmen: Cumberland, Velthuysen, Pufendorf, Jungendres, Amthor oder Mencke 162 , um nur einige zu nennen. In der Neuordnung der Gelehrtenrepublik, die eine Aufwertung der Nationalsprache und deren Akzeptabilität und Angemessenheit 163 in Poetik und Rhetorik, Hofberedsamkeit, Patriziat und Beamtenaristokratie zur Folge hat, ist der Bedarf an einem Verhaltensmaßstab jenseits von Recht und Moral offen‐ sichtlich. 49 1.4 Das Prinzip der Angemessenheit in der Theorie der Rhetorik 1 Hierbei folgt die vorliegende Untersuchung in ihrer chronologischen Aufteilung weit‐ gehend Max Pohlenz: ‚Antikes Führertum. Ciceros De Officiis und das Lebensideal des Panaitios‘, in: Neue Wege zur Antike, II. Reihe, Heft 3, S. 58f. 2 H.G. Liddell und R. Scott: A Greek-English Lexicon. S. 1461. 3 Ansgar Kemmann: Art. ‚prepon‘, in: Christoph Horn und Christof Rapp (Hg.): Wörter‐ buch der antiken Philosophie. S. 368. 4 Max Pohlenz: ‚Antikes Führertum. Ciceros De Officiis und das Lebensideal des Panai‐ tios‘, in: Neue Wege zur Antike, II. Reihe, Heft 3, S. 58. 2 Zur Etymologie von Decorum 2.1 Griechische Etymologie: πρέπον, εἰκός und ἐπιεικής Obwohl das decorum heute das zentrale Konzept der Rhetorik darstellt, ist sein Begriffsumfeld nicht ohne Weiteres inhaltlich eingrenzbar oder bestimmbar. Dies ist zum einen einer langen Zeitperiode des kreativen Schaffens in Rhetorik und Philosophie von Homer bis Cicero und zum anderen der Tatsache ge‐ schuldet, dass sich im altgriechischen Sprachraum mehrere Begriffe finden, die Angemessenheit ausdrücken können. Zu nennen sind hier τὸ πρέπον, τό εἰκός und ἐπιεικής, die in diesem Kapitel in ihren Bedeutungsnuancen, Konno‐ tationen und Kontexten analysiert werden sollen. Um diese Begriffe genau fassen zu können, werden diese chronologisch in den Werken von Homer, Gor‐ gias, Platon, Isokrates über Aristoteles bis zu Dionysius von Halikarnassus untersucht. 1 Das altgriechische Wort πρέπον ist das Partizip Singular Präsens Neutrum des Verbs πρέπω („hervorragen, passen“) im Nominativ und Akkusativ, das oft mit Dativ oder Infinitiv angeschlossen wird und laut Liddell und Scott „that which is seemly, propriety“ bezeichnet. In der häufigen Verwendung des un‐ persönlichen Ausdrucks πρέπει („es schickt sich“) werden sowohl die äußeren Umstände, als auch die moralische Angemessenheit in die Bedeutung mit ein‐ bezogen. 2 Kemmann definiert πρέπον als den „Inbegriff des ethisch wie ästhe‐ tisch Ansehnlichen“, dessen visuelle Konnotation in der Übersetzung ins latei‐ nische decorum und aptum jedoch abhanden gekommen ist. 3 Inwiefern dieser aus der Kunsttheorie kommende Terminus als Prinzip Eingang in Philosophie, Ethik und Rhetorik gefunden hat, soll mit Hilfe der oben genannten Autoren im Folgenden beleuchtet werden. Homer verwendet in seiner Ilias zumeist das Verb πρέπειν, um das Offen‐ sichtliche des Trägers, wie Gesichtszüge und äußere Erscheinung 4 , aber auch 5 Gorgias: ‚Lobpreis der Helena‘. Fr. 11, in: Thomas Buchheim (Hg.): Gorgias von Leontinoi: Reden, Fragmente und Testimonien. S. 3. den gebührenden Respekt der Götter voreinander darzustellen (Ilias, I, 601-604). Doch auch die Art des gebührenden und anmutigen Sprechens des Prinzen La‐ odamas im 8. Gesang der Odyssee (VIII, 170-175) wird damit erfasst, die es dem Menschen ermöglicht, sich „θεὸν ὤς“ (wie ein Gott) zu präsentieren. Die Ver‐ wendung des Verbs πρέπειν dient nicht nur dazu, gesellschaftlich angemessene Verhaltenskodizes und eine beinahe himmlische Anmut des Sprechens von Menschen zu beschreiben, sondern kann auch das angemessen schamhafte Ver‐ halten von Göttinnen umfassen, die beispielsweise die öffentliche Entlarvung des Ehebruchs von Aphrodite und ihrem Geliebten Ares gegenüber dem Ehe‐ mann Hephaistos (VIII, 321-324) nicht bezeugen wollen. Helden und Götter sind bei Homer Vorbilder des Menschen für πρέπον-gemäßes Benehmen und Spre‐ chen im Rahmen einer sozialen Ordnung. Der griechische Rhetor und Philosoph Gorgias von Leontinoi hingegen be‐ stimmt πρέπον als ein praktisches Gesetz, das den sprachlichen Umgang mit der Realität bestimmt und in der Rhetorik als Prinzip Macht und Erfolg verspricht. Sprache - sophistisch begriffen als mächtiges Handlungsinstrument des Men‐ schen - kann jedoch nicht kunstlos verwendet, sondern muss geschliffen und treffend sein, wenn sie den Menschen zu einem erfolgreichen Bürger machen soll, der sich seiner Wirkung bewusst ist. Das πρέπον dient als rhetorisches und juristisch-praktisches Gesetz. In seinem Lobpreis auf Helena bezeichnet Gorgias eine Rede, die einer Person, Rede, Tat, Stadt oder Sache unangemessen ist, als Verfehlung, denn Lobenswertes muss mit den seinem inhärenten Wert ange‐ messenen Worten bezeichnet, ergo mit Lob geehrt werden. 5 Dieses Prinzip der Proportionalität, Gleiches mit Gleichem zu bezeichnen, gilt auch für den juris‐ tischen Umgang mit straffälligen Menschen, indem Gleiches mit Gleichem ver‐ golten wird. So ist das πρέπον ein angemessenes Gesetz, das für die Feststellung von Schuld, Unehre und Bestrafung eines barbarischen Täters herangezogen wird. Sei es als rhetorisches oder juristisches Gesetz, das πρέπον ist für Gorgias je situativ zu fassen. In seinem Epitaphios über heldenhaft gefallene Athener schreibt Gorgias: Denn diese besaßen Göttliches, was ihre Tüchtigkeit, Menschliches dagegen nur, was ihr Sterblichsein anbelangt, weil sie vielfach das der Situation Angemessene dem ei‐ gensinnigen Rechtsstandpunkt vorzogen und ebenso oft der Genauigkeit eines Ge‐ setzes die Geradheit der Rede, wobei sie dies für das göttlichste und allgemeinste Gesetz hielten; das Gebotene, wo es geboten ist, zu sagen und zu verschweigen und 51 2.1 Griechische Etymologie: πρέπον, εἰκός und ἐπιεικής 6 Gorgias: ‚Epitaphios‘. Fr. 6, in: Thomas Buchheim (Hg.): Gorgias von Leontinoi: Reden, Fragmente und Testimonien. S. 73. 7 Ibid, S. XXVII. 8 Ibid, S. XXIX. 9 Näheres in Kapitel 3.4. zu tun; zweierlei übten sie von dem, was geboten ist, besonders: Einsicht (und Stärke), die eine in der Abwägung und die andere in der Durchführung; 6 Das παρὸν ἐπιειχές des Gorgias zeigt laut Buchheim den Primat der Sprache vor den Taten, der „mehr [ist] als nur diese äußerlich aufzuweisende Verbindung mit dem allgemeinen Gesetz der Entsprechung, welches ἀρετή, d. h. ein Gelingen des Lebens gewährt.“ 7 Die Entwicklung einer Sensibilität für die gegenwärtige Situa‐ tion ist für den Rhetor unabdingbar, denn sie ist notwendig, um das jeweils An‐ gemessene finden zu können. Das Befolgen des τὸ δέον ist laut Buchheim des Redners „sprechende Antwort“ auf seine eigene Betroffenheit in der Situation. 8 Wenn auch Olympiodoros und Porphyrios Gorgias’ Lebensdaten unter‐ schiedlich wiedergeben, ist bekannt, dass Gorgias ein langes, über 100 Jahre dauerndes Leben gehabt hatte; er soll sogar den nach ihm benannten Dialog Platons noch gelesen haben (Testimonium 15a). In diesem berühmten Dialog über die Rhetorik darf auch das πρέπον als Grundprinzip jeglicher rhetorischen Schöpfung nicht fehlen. Platons teleologisch ausgerichtete Dialoge, die den Ver‐ such unternehmen, die Frage τί ἐστι meist bezüglich einer einzelnen Tugend, Kunst oder philosophischen Lehre zu beantworten und in einer Aporie enden (besonders die sokratischen Frühdialoge), bieten das bis dato größte Korpus an Definitionen für das rhetorische πρέπον. So wird im Gorgias 503e-504a das πρέπον als eine Ordnung innerhalb eines Kunst- oder Handwerkes begriffen, die alle Einzelglieder angemessen zu einem harmonischen Ganzen verbindet. Nicht nur Kunst und Handwerk, auch die Musik wird in der Politeia (399a) als Topos des πρέπον angeführt, wenn Platon davon spricht, dass Tonarten mit angemessenen Tönen und Silbenmaßen Mittel für die Erziehung eines tapferen und stoischen Wächters bieten. Ob gesungene oder gesprochene Rede, beide bedürfen einer musikalischen Untermalung, die sich im Klang der Wörter, der Tonsetzung und dem Takt der Redeintention unterordnet. Redeinhalt, Stil und Vertonung der Worte einer Rede müssen angemessen aufeinander abgestimmt sein, wollen sie sich gegenseitig in ihrer persuasiven Kraft verstärken. Diese Angemessenheit macht ein Werk schön. Deshalb wird im Hippias Maior 290d5 das πρέπον auch als Äquivalent zu καλόν (das Schöne) 9 bestimmt. In weiteren Definitionen wird das πρέπον im Politikos 284e als Mitte zwischen zwei Ex‐ tremen auf einer Messskala bezeichnet und im Phaidros 272a als sophistischer 52 2 Zur Etymologie von Decorum 10 Max Pohlenz: Antikes Führertum. Cicero De Officiis und Das Lebensideal des Panaitios. S. 59. 11 Isokrates: Gegen die Sophisten. 13. 12 Isokrates: Panathenaikos. 85. 13 Isokrates: Antidosis oder Über den Vermögenstausch. 278. 14 Franz-Hubert Robling: Redner und Rhetorik. Studie zur Begriffs- und Ideengeschichte des Rednerideals. S. 107. καιρός des richtigen Zeitpunktes für eine Rede und die zeitgemäß angemessene Anwendung emotionaler Überzeugungsgründe innerhalb einer Rede. Diese, das Wesentliche der Rhetorik bestimmende Kategorie des πρέπον, ist jedoch keine losgelöste Norm, sondern hat sich jeweils an drei Redeinstanzen auszurichten: am Redner und dessen sozialem Status (Ion 540b-c und Gorgias 485c), am Rede‐ gegenstand (Phaidros 268d) und am Rezipienten (Phaidros 272a). Diese situative Gefasstheit des πρέπον wird bei Platon als Charakteristikum ausführlich dar‐ gestellt, indem alle Definitionshinweise als je situativ entstanden und erklärt werden, jedoch wird nie eine immerwährende, von der Situation losgelöste De‐ finition vorgegeben. Die Anwendbarkeit des πρέπον auf Ästhetik, Musik, Rhe‐ torik und die gesamte Lebensweise des Menschen dargestellt zu haben, kann als Verdienst Platons gesehen werden. Diese große Bedeutungsvielfalt und Anwendung ist in dieser Art bei Isokrates - dem bedeutenden Schüler Gorgias’ - nicht zu finden, doch ist Isokrates der‐ jenige, welcher das πρέπον als Forderung in der Rhetorik 10 versteht. Gute Reden sind für Isokrates nur solche, die „die passende Gelegenheit [...] treffen und eine angemessene Darstellung und Neuheit der Gedanken [...] bieten“. 11 Es ist die angemessene Anwendung von rhetorischen Techniken und Stiltugenden, wie die des ornatus, die einer Rede ästhetische Qualität verleiht. Diese Passage zeigt, dass es Isokrates nicht um das Anwenden starrer Regeln geht, die blind einge‐ setzt werden, sondern um Originalität und ein situativ bestimmtes Maßnehmen bezüglich der Regeln des πρέπον. Im rhetorischen Idealfall ist, wenn ein Redner ausgebildet ist und über genügend Erfahrung verfügt, auch eine gewisse Flexi‐ bilität in der Umsetzung des πρέπον möglich: An einer Stelle der Rede darf das Maß überschritten werden, solange an anderer Stelle der Rede inhaltlich Wich‐ tiges überwiegt. 12 Die isokratische Auffassung von Rhetorik orientiert sich stark an der praktischen Lebenserfahrung, und das Ethos des Redners wird ein wich‐ tiger Faktor für seine Glaubwürdigkeit im rhetorischen Überzeugungsprozess: Er ist glaubwürdig, wenn er ein ehrenwerter und guter Mensch ist und als sol‐ cher auch unter den Mitbürgern gilt 13 . Robling folgert daraus, „[d]ass zur Kultur des Redners nicht nur Erziehung und Ästhetik, sondern auch die Ethik gehört“ und sich bei Isokrates „die rhetorische zur sozialen Perspektive“ erweitert. 14 53 2.1 Griechische Etymologie: πρέπον, εἰκός und ἐπιεικής 15 Ansgar Kemmann: Art. ‚prepon‘, in: Christoph Horn und Christof Rapp (Hg.): Wörter‐ buch der antiken Philosophie. S. 368. 16 Aristoteles: Nikomachische Ethik. IV, 12, 1127a2. 17 Philipp Brüllmann: Art. ‚prepon‘, in: Otfried Höffe (Hg.): Aristoteles-Lexikon. S. 492. Aristoteles wiederum entwickelt in Abgrenzung von seinem Lehrer Platon eine Auffassung von Rhetorik, die weniger philosophisch-ethisch, als vielmehr systematisch geprägt ist. Aristoteles teilt das πρέπον systematisch in zwei An‐ wendungsgebiete ein: Es hat einen praktischen und einen poietischen Aspekt. 15 In der Nikomachischen Ethik wird als Definiens zunächst der praktische Aspekt berücksichtigt, wenn er das πρέπον im Umfeld der gesellschaftlichen Selbst‐ darstellung eines Menschen zeigt, das „jedem gibt, was ihm zukommt“ 16 . Dieses πρέπον richtet sich in der Praxis nach der Person, der Sache und den Umständen (eth.Nic. IV, 4, 1122a25f). Trotz der definitorischen Dominanz des Praktischen überwiegt aber die Anwendung des πρέπον im Poietischen, in Dichtung und Rede. In diesen Sphären leuchtet das πρέπον besonders als Stilqualität, die das Erscheinungsbild einer Rede maßgeblich prägt (Rhetorik III, 1, 1403b15-18), Sachverhalte angemessen und klar darlegt (Rhetorik III, 2, 1404b1-5) und analog zu diesem Sachverhalt Ethos und Pathos vermitteln kann (Rhetorik III, 7, 1408a10-11). Erst πρέπον gibt einer Rede Überzeugungskraft, denn die dem Sachverhalt angemessene Ausdrucksweise unterstützt die Plausibilität der Bot‐ schaft und gibt der elocutio gemäß der individuellen Eigenart des Sprechenden ihre Wirkung. Es ist das rechte Maß in der Rede als öffentlicher Erscheinungs‐ form insgesamt, das den Erfolg des πρέπον ausmacht. Rhetorik ist wirkmächtig nur, wenn sie den Anderen als empfindenden Rezipienten in den Blick nimmt. Dieser ist der wahre Richter über das πρέπον, nicht der Redner, der mithilfe seines rhetorischen Kalküls eine angemessene Rede verwirklicht. Ihm obliegt es aber, sich dieses diffizilen Beziehungsverhältnisses bewusst und somit vor‐ sichtig zu sein und das vorliegende πρέπον so gut wie möglich in seiner Rede zu beachten. Aus diesem Grund spricht Aristoteles in seiner Rhetorik (III, 1, 1404a1-5) auch von Gerechtigkeit, wenn er von einer Rede fordert, „nicht zu betrüben und nicht zu schmeicheln“. In der Topik (V, 5, 135a13) setzt er in pla‐ tonischer Tradition das Schöne mit dem Angemessenen gleich. Brüllmann ver‐ tritt die These, dass Aristoteles mit πρέπον ganz allgemein das Verhalten des Tugendhaften als angemessen auffasst, ohne eine genaue inhaltliche Bestim‐ mung vorzunehmen, und dass er seine ethischen Tugenden auch dahingehend definiert habe. 17 Aristoteles’ Schüler Theophrast ist laut Diogenes Laertius (Leben und Mei‐ nungen berühmter Philosophen V, 38) von Aristoteles aufgrund seiner göttli‐ chen und treffenden Ausdrucksweise von Tyrtamos in Theophrast umbe‐ 54 2 Zur Etymologie von Decorum 18 George A. Kennedy: A new history of classical rhetoric. S. 85 und Max Pohlenz: An‐ tikes Führertum. S. 59. 19 William W. Fortenbaugh: Quellen zur Ethik Theophrasts. S. 180. 20 George A. Kennedy: A new history of classical rhetoric. S. 165. nannt worden. Damit scheint er prädestiniert für die Erweiterung der aristotelischen Stillehre in vier Stiltugenden: ἑλληνισμός (Sprachrichtigkeit), σαφήνεια (Deutlichkeit), κατασκευὴ (Gestaltung/ Redeschmuck) und πρέπον (Angemessenheit) 18 . Das Angemessenheitspostulat des Theophrast fordert den Ausschluss von Anstößigem jeglicher Art, wie beispielsweise Schwächen von Menschen im Gespräch aufzudecken, die kein Gefühl für das πρέπον ent‐ wickelt haben. In diesem Sinne zeichnet er den Charakter des gebildeten Menschen (πεπαιδευμένος) laut Fortenbaugh als denjenigen, der „ein Auge für das πρέπον hat“ 19 . Interessant für die etymologische Begriffsbestimmung des πρέπον im Alt‐ griechischen ist auch Dionysius von Halikarnassus’ Werk De compositione ver‐ borum. In diesem griechischen Literaturkritiker aus der Wende des Jahrtausends verbinden sich griechische und römische Sprachkunst. Als Grieche lebte er lange Zeit im augusteischen Rom und verfasste rhetorische Schriften über die großen Redner Athens, wie Lysias und Demosthenes, die primär für Lehrer und Schüler der Kompositionslehre und Grammatik geschrieben waren. Nach Kennedy ist sein Werk „On Literary Composition [...] the most detailed account we have of how educated Greeks reacted to the beauties of their native language.“ 20 In diesem detaillierten Bericht über die Schönheit der altgriechischen Sprache werden vier Ursachen für deren Schönheit angegeben: μέλος (Melodie), ῥυθμός (Rhythmus), μεταβολή (Vielfalt) und πρέπον (Angemessenheit) (De composi‐ tione verborum 11). Besondere Betonung legt er in De compositione verborum (12) dabei auf das πρέπον, das determiniert, dass das „setting“ dem Redegegen‐ stand angemessen und schicklich sein muss. Als wichtigstes Element einer Rede neben vornehmem Klang, herrschaftlichem Rhythmus und eindrucksvoller Vielseitigkeit ist das πρέπον ausgemacht, dessen diese drei bedürfen. Und so ist seine Definition von πρέπον als Hauptquelle literarischer Schönheit im 13. Ka‐ pitel seines Werkes ein ästhetisch-linguistischer Beitrag in Anbindung an Platon und Aristoteles. Fasst man das altgriechische Konzept der Angemessenheit als rhetorisches Phänomen und Prinzip auf, darf nach πρέπον auch εἰκός nicht fehlen, dessen Bedeutung auch logische Wahrscheinlichkeit impliziert. In der Hauptepisode der Homerischen Hymnen wird diese Bedeutungsnuance deutlich, wenn argu‐ mentiert wird, dass Hermes nicht als Räuber der Kühe des Apollon gelten kann, da er als Baby einem Räuber nicht ähnelte, er ist also wahrscheinlich nicht der 55 2.1 Griechische Etymologie: πρέπον, εἰκός und ἐπιεικής 21 David C. Hoffman: ‚Concerning Eikos. Social Expectation and Verisimilitude in Early Attic Rhetoric‘, in: Rhetorica. Bd. 26, 2008, S. 13. 22 Manfred Kraus: ‚Nothing to Do with Truth? εἰκός in Early Greek Rhetoric and Philo‐ sophy‘, in: Lucia Calboli Montefusco (Hg.): Papers on Rhetoric, Bd. 7, 2006, S. 133-134. 23 Ibid, S. 148. Täter. Bereits hier kann „Ähnlichkeit“ im Zusammenhang mit „logischer Wahr‐ scheinlichkeit“ gedeutet werden. Εἰκός ist das Partizip Neutrum der (zweiten) Perfektform von ἔοικα mit präsentischer Bedeutung für „wahrscheinlich oder ähnlich sein“ und wird auch oft in der substantivierten Form als Nomen τό εἰκός für „Wahrscheinlichkeit, Glaubwürdigkeit und Angemessenheit“ ver‐ wendet. David C. Hoffman hat als älteren Hauptsinn von εἰκός „ähnlich sein“ bestimmt, das sich in Urteilen zur Angemessenheit in „To be similar to what is socially expected“ und in Urteilen über die Wahrheit von Begebenheiten in „To be similar to what is known to be true“ und in „To seem“ wandeln kann. 21 In der Bedeutung der Angemessenheit schwingt implizit meist ein Vergleich mit: an‐ gemessen in Bezug auf etwas. Hoffman teilt in seinem Artikel diese Bezüge in Sitte (engl. custom), Recht (justice), Charakter und soziale Postition (character/ position) und Sachlage oder Umstände (circumstance) auf. Die Verbindung mit dem Vergleich ist nicht nur der Übersetzung geschuldet, sondern leitet sich auch aus dem Altgriechischen ab, das das Perfekt ἔοικα mit einer Dativ-Ergänzung vergleichend („ähnlich sein; gleichen“) und ohne Dativ, in absoluter Verwen‐ dung, normativ benutzt („angemessen sein“). 22 Manfred Kraus führt als weitere Verwendung (S. 130) diejenige Platons im Phaidros (272d-273d) an, der εἰκός nicht als Wahrheit, sondern als das der Wahrheit Ähnliche, als das Glaubwürdige (τὸ πιθανόν) und als Meinung der Masse (τὸ τῷ πλήθει δοκοῦν) definiert. Als Äquivalent dazu dient das Adjektiv ἐπιεικής („schicklich, angemessen, gezie‐ mend“), das sich entweder in attributiver Position auf ein Nomen bezieht oder wie bei Homer, in parenthetischer Verwendung ὡς ἑπιεικές („wie es sich ge‐ bührt“) mit Infinitiv oder Accusativus cum Infinitivo auftaucht. Für Kraus (S. 136) ist das εἰκός in absoluter Verwendung (ohne eine Dativergänzung) mit der Be‐ deutung von ἑπιεικές identisch und zeigt auf, dass das εἰκός dasjenige billigt, das mit dem sozial und ethisch Erforderlichen in Einklang ist. Alle diese ety‐ mologischen Erkenntnisse, Verbindungen und Bedeutungsvarianten zeigen nach Kraus ein genuin rhetorisches Konzept von εἰκός auf, das eben nicht auf der Nähe zur Wahrheit beruht, sondern auf der Nähe zur Erfahrung des Publi‐ kums, zu dessen emotionaler Empfänglichkeit und zu seinen Verhaltens‐ formen. 23 56 2 Zur Etymologie von Decorum 24 Thomas Kranidas: The fierce equation: a study of Milton’s decorum. S. 20. 2.2 Römische Etymologie: decorum, aptum, proprium, accommodatus und convenit Auf dem altgriechischen Konzept des πρέπον aufbauend, ist es besonders Cicero zu verdanken, dass er griechisches Gedankengut aus Athen nach Rom importiert und in das römische decorum-Konzept integriert hat. Während die Griechen sich mit den zeitlichen und situativen Ausprägungen des πρέπον beschäftigten, spielen im römischen decorum nicht nur rhetorische und intellektuelle, sondern auch moralische Fähigkeiten im Rahmen der societas hinein. Ciceros Übertra‐ gung des Begriffs „πρέπον“ in De officiis I, 93 und im Orator, 70 ins lateinische „decorum“ bedeutet einen inhaltlichen Anfangspunkt, von welchem sich Cicero, Horaz und Quintilian lösen werden, um je eigene Überlegungen anzustellen. Die Bedeutungsentwicklung des ciceronischen decorum-Konzeptes ist wirksam bis in die Renaissance hinein (beispielsweise bei Puttenham, Ascham, Castiglione oder Shakespeare). Analog zum altgriechischen Begriffsfeld wird auch in der lateinischen Ter‐ minologie das Angemessenheitskonzept in den einzelnen Werken von Cicero bis Quintilian anhand eines Begriffsfeldes im Rahmen des decorum eingekreist: aptum, proprium, accommodatus und convenit. Das lateinische Wort „decorum“ ist sowohl der Genitiv Plural des Nomens „decor, -is“ maskulin für „Zierde, Anmut, Schicklichkeit“, als auch der Nominativ oder Akkusativ Singular des Adjektivs „decorus, -a, -um“ für „geziemend, an‐ ständig, schicklich“ und des Nomens „decorum, -i“ Neutrum für „Anstand, Schicklichkeit“. Obwohl Cicero als die Quelle des römischen decorum-Begriffes gilt, darf doch das älteste Handbuch der Rhetorik - das zunächst im Mittelalter und in der frühen Renaissance fälschlicherweise auch Cicero zugeschrieben worden ist - die Rhetorica ad Herrenium nicht übergangen werden. Dieses vier‐ bändige Werk, welches in detailgetreuer Genauigkeit die Rhetorik als Technik der Rede darstellt, behandelt in Buch IV die systematische Stillehre in latei‐ nischer Sprache und unter der Rubrik „ornatus“ das decorum als den Teil der rhetorischen Kunst, der eine Rede schön zu machen vermag. Das decorum als Stilgröße wird in IV, 17 bestimmt als Vornehmheit im Geschmack (elegantia), als künstlerische Komposition und als ästhetische Vornehmheit (dignitas). Dieser Definition des decorum liegt immer auch eine implizite Vorstellung von Schönheit zugrunde, was Thomas Kranidas veranlasst, von einer „surface propriety“ zu sprechen. 24 57 2.2 Römische Etymologie: decorum, aptum, proprium, accommodatus und convenit 25 Charakteristisch für Cicero ist es, trotz Einführung begrifflicher Konzepte diese sprach‐ liche Festlegung nicht stringent in allen Schriften zu befolgen, sodass es zu Widersprü‐ chen (Orator, 74) und Verwirrungen seitens des Lesers kommen kann. 26 Joachim Knape: Was ist Rhetorik? S. 87. Ein „Setting“ bezeichnet nach Knape „alle[n] kommunikativen Rahmenbedingungen [...], die für rhetorisches Handeln bedeutsam sind.“ Das Verdikt über ein decorum-Konzept als bloßer ästhetischer Größe verkennt jedoch dessen komplexe Natur a priori. Es ist dabei Ciceros Verdienst, das de‐ corum als stilistisches Rhetorikprinzip zu einem rhetorisch-ethischen Konzept erweitert und entwickelt zu haben. Indem Cicero in seinem decorum-Begriff den rhetorischen und moralischen Aspekt miteinander zu verbinden versucht, ge‐ lingt es ihm auch im Kleinen, das große Schisma von Philosophie und Rhetorik, das sich durch Sokrates aufgetan hat, zu überbrücken. Während das decorum in der Rhetorikgeschichte vor allem als ästhetisches Stilideal bekannt ist, erfährt es bei Cicero nun eine neue Bestimmung: Es wird zu einer ubiquitär wirkenden ethischen Handlungsnorm des Menschen in der Gesellschaft erhoben. Da Cicero als praktizierender Politiker das wahre Ein‐ satzgebiet der Rhetorik in der Politik und der societas sieht, holt er die Rhetorik aus ihrem formalen Konzept und integriert sie in das soziale Leben der Römer. Das decorum ist als rhetorisches und soziales Prinzip bestimmt, das eine enge Verbindung mit dem Moralischen (honestum) eingeht. Wie im 3. Kapitel dieser Arbeit en détail beschrieben wird, wirkt das decorum bei Cicero auch in den verschiedenen virtutes nach, die in der römischen Vorstellung von einer funktio‐ nierenden Gesellschaft gemäß der mores maiorum ihren festen Platz haben. So kann das ciceronische decorum zum einen gleichbedeutend sein mit dem so‐ phistischen καιρός, aber auch mit honestum, iusta (off. I, 94) oder proprium (off. I, 2 und I, 113) je nach rhetorisch-sozialem Anwendungsgebiet. Trotz seiner vielfältigen Konnotationen - oder gerade deshalb - ist das ciceronische decorum der Garant für Ordnung, Maß und Harmonie im römischen Leben und wird in off. I, 31 als Teil der „fundamenta iustitiae“ bestimmt. Angesichts der definitorischen Dominanz von decorum als ethischer Hand‐ lungsnorm in Rhetorik und Gesellschaft, ist es für die begriffliche Klärung 25 von Bedeutung, dass Cicero, um über die stilistische Angemessenheit einer Rede zu sprechen, einen weiteren Begriff verwendet: das aptum. Das innere aptum be‐ zeichnet dabei die kohärente Angemessenheit der Rede selbst, während das äu‐ ßere aptum den externen Bezugsrahmen, wie die örtlichen Gegebenheiten, das anwesende Publikum und das Setting 26 der Rede umfasst. Das aptum beschreibt bei Cicero eine rein rhetorische Handlungsnorm; das decorum erweitert dieses Spektrum ins ethische Wirkungsgebiet des rhetorisch handelnden Menschen in 58 2 Zur Etymologie von Decorum 27 Siehe hierzu Charles Guérin: ‚Philosophical Decorum and the Literarization of Rhetoric in Cicero’s Orator‘, in: Frédérique Woerther (Hg.): Literary and Philosophical Rhetoric in the Greek, Roman, Syriac and Arabic Worlds. S. 119-139. 28 Cicero: De oratore. I, 132. der societas allgemein. 27 Im Orator, 70 betont er die ubiquitäre Bedeutung des decorum für das menschliche Reden und Leben, das wie die Redekunst auf der Weisheit (sapientia) basiert. Trotz aller Regeln muss der Redner das decorum erkennen, wozu ihn die Weisheit befähigt. Aufgabe des Redners ist es, sich auf die sechs phänomenologischen Variablen des decorum einzustellen: Umstände (tempus ac locus), Redegegenstand (res), Orator, Rezipienten (auditorum), Kli‐ enten und Redegegner. Doch nicht nur diese Bedingungen einer angemessenen Rede sind im rhetorischen Fallkalkül zu analysieren, sondern besonders das an‐ gemessene Verhältnis von Inhalt und sprachlichem Ausdruck wird im Orator, 72 f. als die Hauptregel des decorum aufgeführt. Diese konstitutive Wechselsei‐ tigkeit von res und verba wird qua decorum verwirklicht. So ist es nicht ver‐ wunderlich, dass sich Cicero in großen Teilen in off. (vgl. Kapitel 3.1 der vor‐ liegenden Arbeit) und de orat. (I, 144/ III, 23-25/ III, 37 und 53) dem Verhältnis von ornatus und decorum widmet. In de orat. III, 212 ist die Fähigkeit des Redners, einer Rede den angemessenen Stil zu verleihen, mit dessen Kunstfertigkeit (facere artis), Begabung (natura) und praktischen Klugheit (prudentia) un‐ trennbar verbunden. In De oratore (III, 76 und 80/ III, 91) preist Cicero die wahre Rhetorik und den wahren Redner, welcher als Krönung der Rhetorik sich wir‐ kungsvoll und angemessen auszudrücken vermag: „[D]icere caput esse artis decere“  28 . Im Brutus (292) veranschaulicht Cicero dieses Konzept am Beispiel von Sokrates, der sich stets bescheiden verhielt und wegen des Vorwurfs der Asebie verhaftet worden war. Dieser weigerte sich zu fliehen, weil er auch im Angesicht des Todes unverbrüchlich zu seinen Lebensprinzipien stand. Das ci‐ ceronische decorum umfasst ergo mehr als ein angemessenes Zeit- und Stilge‐ fühl für eine Rede, es umfasst die rhetorische Performanz gemäß des Wissens- und Bildungsstandes eines Redners und wirkt als ethische Handlungsnorm in der Kunst des Redens und allgemein im Leben. Horaz’ Ars poetica nimmt Ciceros Prägung des decorum auf und fügt dem ethischen decorum das ästhetische decorum im Wirkungsbereich der poetischen Angemessenheit hinzu. Zwar findet sich in Horaz’ berühmten Römeroden das decorum, wie auch bei Homer, als Heroenkodex für tapfere Kämpfer, die im Kampf ihr Leben für das Vaterland geben (III, 2, 11-13), doch ist es seine poetische Lehrschrift, die das decorum für dichterische Werke und für die Person des Dichters anwendbar macht. Qua phänomenologischer Zweiteilung erfährt das decorum bei Horaz ein rhetorisches Gepräge, indem gerade diese Unterschei‐ 59 2.2 Römische Etymologie: decorum, aptum, proprium, accommodatus und convenit 29 C.O. Brink: Horace on poetry. The ‚Ars poetica‘. S. 338. 30 Lotte Labowsky: Die Ethik des Panaitios: Untersuchungen zur Geschichte des Decorum bei Cicero und Horaz. S. 110. 31 Marcus Fabius Quintilianus: Institutionis Oratoriae libri XII. Ausbildung des Redners, zwölf Bücher. XI, 1, 6. dung von ästhetischem und ethischem decorum diese zwar gattungstechnisch trennt, doch inhaltlich verbindet. So harmoniert die Forderung an den Dichter, ein gelehrter Nachahmer vorbildlicher Charaktere zu sein (318), mit der Forde‐ rung, seine Dichtung an die Wahrheit anzupassen (338). Wenn Einheit, Ge‐ schlossenheit des Werkes (23) und Sinnlichkeit als Mittel der Veranschaulichung von Emotionen (180-182) gefordert werden, schließt dies ein, den Stil dem Alter und Charakter der involvierten Person (178) anzupassen. Und schließlich wird das Diktum des scibendi recte (309) als poietisches Ziel des Dichters vor Augen geführt, der sich seiner Stellung innerhalb der menschlichen Gesellschaft als Herausragender unter den Menschen bewusst sein muss und dem als rheto‐ rische Wirkungsfunktion das docere und delectare zugeordnet wird. „Recte“ um‐ fasst hier virtus und decorum und ist somit nicht auf den alleinigen stilistischen Aspekt einer Dichtung beschränkt, sondern bezieht die moralische Konnotation von τὸ ὀρθόν mit ein. 29 Selbst angesichts der Tatsache, dass ein Dichter über ingenium für die Poetik verfügt, muss sich zu diesem Kunstverstand, der sich graduell entwickelt hat, Lernen, Üben und Arbeiten gesellen (409-410), will er „richtig schreiben“. In Horaz’ holistischer Konzeption des poietisch Angemes‐ senen sieht Lotte Labowsky alle drei Bedeutungen des altgriechischen πρέπον-Konzeptes berücksichtigt und vertreten: „das πρέπον, das sich auf die dichterische ἠθοποιία und das rhetorische, das sich auf die Nuancierung des Sprachstils und die εὐκαιρία bezieht.“ 30 Nach Cicero und Horaz ist Quintilian zu nennen, der zwar in weiten Teilen Ciceros Auffassung von decorum teilt, jedoch auch einen weiteren bedeutenden Aspekt für das Verständnis des römischen decorum bereithält: decorum als sinn‐ lich erfahrbares Wissen. In der Taxonomie Quintilians ist der Begriff des decorum eng mit decor, or‐ natus, pulchrum und aptum verbunden. Es bezeichnet eine ästhetische Tugend, die ethisch wirkt. So definiert Quintilian das „apte dicere“ als die vierte Tugend der elocutio, die sich stark am Rezipienten - respektive den Richtern - zu ori‐ entieren hat. Sein decorum-Konzept ist rhetorisch und ethisch fundiert, „quid conciliando, docendo, movendo iudici conveniat“ 31 . Diese Mehrdimensionalität des decorum wirkt bereits in der inventio (XI, 1, 7) und setzt den Nutzen mit dem decorum in Verbindung, wobei das decorum den Vorsitz übernimmt und analog zu Cicero dem honestum unterliegt (XI, 1, 9). Die ubiquitäre Bedingtheit des 60 2 Zur Etymologie von Decorum 32 Ibid, XI, 1, 79. decorum zeigt sich wie bei Cicero an den beteiligten Personen, an der Zeit, dem Ort, dem Anlass (causa), allerdings auch an der Gesinnung des Redners (animus). 32 Diese erkennt man nach Quintilian in der Rede, die das unsichtbar verborgene Innere (animi secreta) und die ethische Gesittung (mores) des Red‐ ners offenbar werden lässt. Rhetorisch gesehen resultiert das Angemessene ge‐ rade aus dem harmonischen Zusammenspiel von rhetorischer Technik und ethi‐ schem Auftreten des Redners in der römischen Gesellschaft. Der im Original griechische Sinnspruch „ut vivat, quemque etiam dicere“ in Buch XI, 1, 30 wird bei Quintilian zum Leitmotiv seines decorum-Begriffes. Der römische orator perfectus wird die Ziele in seiner Rede zu erreichen versuchen, die im Einklang mit dem honestum stehen. Apte vivere und apte dicere sind zwei Seiten der sozialen Medaille des römischen Redners. Deshalb stellt Quintilian außer Fall‐ beispielen und einzelnen Hinweisen keine rhetorischen Regeln für das decorum auf, sondern führt in XI, 1, 42 angenehme und somit angemessene Eigenschaften eines guten Redners - im rhetorischen, wie auch im moralischen Sinn - an: humanitas, facilitas, moderatio und benevolentia. Neben decorum verwendet Quintilian auch noch weitere Synonyme für An‐ gemessenheit, die jeweils ihre eigenen Konnotationen einbringen. So verwendet er „convenit“ („es gebührt/ schickt sich“) neben der Bedeutung eines gezie‐ menden Redestils (XI, 1, 93) auch, um sittliches Verhalten am Beispiel von So‐ krates (XI, 1, 11) oder anhand der Schilderung eines tränenumflorten Zeugen vor Gericht (als Konjunktiv Präsens aktiv „conveniat“ in XI, 1, 84) zu bezeichnen, welches angemessen auf den Redner abgestimmt ist beziehungsweise sein muss und so dessen Rede verstärkt und glaubwürdig macht. Mit „accommodamus“ („wir passen an“), das derselben Wortfamilie entstammt wie „accommodatus“ (Partizip Perfekt zu oben genannten Verb für „schicklich/ angepasst“) bezeichnet Quintilian in XI, 1, 39 die sprachliche Abstimmung des Redners auf die We‐ sensart (mores) seines von ihm vertretenen Klienten. Wie für Cicero ist Quintilians Definition des decorum zu verstehen als ein Wissen um das rechte Maß, das nach seiner Auffassung aber nicht mit dem Verstand, sondern nur durch die Sinne erfahr- und erfassbar ist. Diese Betonung der Sinneswahrnehmung (αἴσθησις) ist genuin „quintilianisch“. Die etymologische Untersuchung von Termini innerhalb des Angemessen‐ heitskonzeptes bei Griechen und Römern hatte zum Ziel, die unterschiedlichen kulturellen und begrifflichen Prägungen des decorum aufzuzeigen. Während sich die Ethik bei den Griechen mit Platon und Aristoteles in der Ästhetik des Schönen verortet, ist sie bei den Römern eine Ethik innerhalb der societas, die 61 2.2 Römische Etymologie: decorum, aptum, proprium, accommodatus und convenit durch den gesellschaftlichen Rang und das Verhalten einer Person, d. h. durch das Ethos, welches sich aus der auctoritas und der dignitas speist, maßgeblich konstituiert wird. 62 2 Zur Etymologie von Decorum 1 Otto Hiltbrunner: ‚Die Schrift ‚De officiis ministrorum‘ des hl. Ambrosius und ihr ci‐ ceronisches Vorbild‘, in: Gymnasium. Bd. 71, 1964, S. 174. 2 Ferdinand Hasler: Über das Verhältnis der heidnischen und christlichen Ethik auf Grund einer Vergleichung des Ciceronianischen Buches ‚de officiis‘ mit dem gleichnamigen des heiligen Ambrosius. S. 28. 3 Ibid, S. 44. 4 Ibid, S. 47/ 48. 5 Dominikus Leitmeir: Apologie der christlichen Moral. Darstellung des Verhältnisses der heidnischen und christlichen Ethik, zunächst nach einer Vergleichung des ciceronianischen Buches ‚de officiis‘ und dem gleichnamigen des heiligen Ambrosius. S. 2. 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 3.0 Forschungsüberblick Die bisherige wissenschaftliche Forschung bezüglich der gleichnamigen Offi‐ zien-Bücher von Cicero und Ambrosius ist seit über einem Jahrhundert be‐ stimmt vom Primat der vergleichenden Betrachtung. Den Auftakt bilden die Studie Bittners (1849) und vor allem die beiden Preisschriften der Theologischen Fakultät der Universität München von Hasler und Leitmeir aus dem Jahr 1864. F. Hasler und D. Leitmeir untersuchen sowohl die perhorreszierte, heidnische Ethik Ciceros, als auch die christliche Ethik Ambrosius’. Wie schon der Titel Leitmeiers angibt, sind diese Studien nach Hiltbrunner lediglich „apologetische Theologie“ ohne philologisch fundierte Untersuchung der Texte. 1 Hasler sieht bei Ambrosius im Vergleich zu Cicero einen anderen geistigen Ansatzpunkt und räumt auf Grund dessen Ambrosius als Kirchenvater und Vertreter der christ‐ lichen Moral eine Vorzugsstellung ein, wohingegen Cicero abgesprochen wird, die menschliche Seele überhaupt zu kennen und Gott als Schöpfer zu er‐ kennen. 2 „Autoritative Erhabenheit“ wird lediglich dem Werk Ambrosius’ zu‐ gesprochen, denn „[n]ur die christliche Sittenlehre erfasst den ganzen Men‐ schen“. 3 Resümierend beurteilt Hasler den größten Vorzug von Ambrosius’ Schrift in der „Motivirung des Tugendstrebens durch den christlichen Glauben“ und kommt zu dem Ergebnis, dass Ciceros Werk zwar „eine Fülle von Wissen“ enthalte, aber „arm an Gedanken“ sei. 4 Ähnlich klingt auch Leitmeirs Verdikt über Ciceros Leistung, wenn er ihm jegliche Selbstständigkeit auf dem Gebiet der Philosophie abspricht: „[Er mußte] sich vielmehr in allen spekulativen Erörterungen an griechische Muster an‐ lehnen“. 5 Trotz der Tatsache, dass sich Ambrosius zweifelsohne an Ciceros 6 Ibid, S. 19. 7 Paul Ewald: Der Einfluss der stoisch-ciceronianischen Moral auf die Ethik bei Ambrosius. S. 18. 8 Ibid, S. 28. 9 Ibid, S. 32/ 64. 10 Raymond Thamin: Saint Ambroise et la morale chrétienne au IVe siècle. Étude comparée des traités Des Devoirs de Cicéron et de St. Ambroise. Paris: Masson 1895. 11 Pierre de Labriolle: ‚Le De officiis ministrorum de Saint Ambroise et le De officiis de Ci‐ céron‘, in: Revue des cours et conférences. Paris: Boivin 1908, S. 177ff. 12 Murray Barnson Emeneau: ‚Ambrose and Cicero‘, in: The Classical Weekly. Bd. 24, Nr. 7, 1930, S. 49-53. Schriftmuster anlehnte, wird jenem jedoch das Verdienst zugesprochen, „als der Erste die christliche Ethik in ihren Vorzügen und Gegensätzen gegenüber der sittlichen Anschauung des Heidenthums in helleres Licht gebracht und eine systematische Darstellung der christlichen Sittenlehre wenigstens versucht zu haben.“ 6 Auf diesem Hintergrund sei es Cicero unmöglich gewesen, ein wirklich ethisches Prinzip zu entwickeln, das nicht auf den Schöpfer Gottes als vollkom‐ menes Gesetz zurückzuführen sei. In der Ambrosiusforschung geht es nicht nur um seine Philosophie und Ethik, sondern auch um die schriftstellerische Leistung von Ambrosius, und Paul Ewald untersucht in seiner Dissertation 1881, inwiefern sich Ambrosius vom stoischen Muster Ciceros lösen konnte. Sein Urteil über Ambrosius’ schriftstel‐ lerische Leistung ist niederschmetternd. Ewald attestiert Ambrosius eine „no‐ torische Unselbstständigkeit seines wissenschaftlichen Denkens“ 7 . Zwar ver‐ suche dieser als Erster, eine konzise Darstellung der Ethik zu erarbeiten, doch sei diese nicht von innovativen Impulsen geprägt, sondern Ambrosius mache sich aufgrund der „aus seinem christlichen Bewusstsein geborenen Aeusse‐ rungen von seiner antiken Vorlage [...] abhängig.“ 8 Sogar die spezifisch christ‐ liche Bestimmtheit wird seinem Werk als Konsequenz seiner Abhängigkeit vom römisch-heidnischen Vorbild abgesprochen. 9 Nur 14 Jahre später unterstreicht dagegen Raymond Thamin 10 in einer umfang‐ reichen Untersuchung gerade den christlichen Charakter des ambrosianischen Werkes. Auch Pierre de Labriolle 11 bescheinigt Ambrosius zum einen die Über‐ nahme heidnisch-ciceronischen Vokabulars, zum anderen jedoch auch eine Loslö‐ sung von Cicero und eine Verchristlichung der philosophischen Morallehre. Die Forschung des 20. Jahrhunderts führt die Diskussionen um Ambrosius’ Selbstständigkeit und Ciceros philosophische Leistung fort. Jedoch interessieren sich nun, neben der theologischen, zunehmend auch die altphilologische und linguistische Disziplin für die Offizien von Cicero und Ambrosius. M.B. Eme‐ neaus aufgrund seiner Kürze stark verdichteter Aufsatz 12 behält den Ton der 64 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 13 Ibid, S. 50. „Stilistische Schönheiten, schmuckvolle Rhetorik und Sprachbilder spielen kaum eine Rolle in christlichen Schriften“. Wo nicht anders verzeichnet, stammen alle Übersetzungen der Zitate von der Verfasserin. 14 Ibid, S. 50. „die innere Form, die der Sprache durch die moralische und geistige Begeis‐ terung des Christentums aufgezwungen wurde“. 15 Ibid, S. 53. 16 Lotte Labowsky: Die Ethik des Panaitios. Untersuchungen zur Geschichte des Decorum bei Cicero und Horaz. Leipzig: Meiner 1934. 17 Ibid, S. 72. Kritik bezüglich Ambrosius’ Werk und Stil bei. Stilistisch schöne Wendungen suche man vergebens: „beauties of style, ornate rhetoric, figures of language have little place in Christian writings.“ 13 Jedoch ersetze die „inward form which was imposed upon language by the moral and spiritual enthusiasm of Christi‐ anity“ die äußere Form des Stils und der Rhetorik der klassischen Literatur. 14 Nicht nur der rhetorische Wert der beiden Schriften, sondern auch das decorum wird erstmals unter philologischen und literarischen Aspekten genannt. Auch Ambrosius’ Auseinandersetzung mit Ciceros decorum-Begriff wird kurz ge‐ streift. Dennoch ist Emeneaus Verdikt eindeutig: „Ambrose’s ethical work is in no way original. It suffers from too close adherence to its model.“ 15 Lotte Labowskys Dissertation 16 über die Ethik des Panaitios aus dem Jahre 1934 zeigt zum ersten Mal, dass dem decorum-Begriff nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine ethische Komponente inhärent ist. Labowsky unterzieht die Paragraphen 93 bis 149 des ersten Buches von Ciceros Offizien-Bücher einer genauen linguistisch-philologischen Untersuchung. Mit Bezug auf andere De officiis Übersetzungen von beispielsweise C. Atzert (1923) deckt sie Kürzungen und logische Brüche in Ciceros Argumentation, Unvollständigkeiten linguisti‐ scher Art und Übersetzungsfehler auf. Am Ende dieser Untersuchung entwickelt Labowsky ein Schema der ciceronischen Komposition des decorum, das drei As‐ pekte hervorhebt: die begriffliche Grundlegung des decorum, die aus dem de‐ corum entspringenden Pflichten und die Rücksicht auf das Urteil der Mitmen‐ schen 17 . Im Vergleich mit Horaz’ decorum-Begriff wird außer dem ethischen auch der poetische Aspekt des decorum als Ordnungsprinzip analysiert. Die Tatsache, dass Lotte Labowsky den Schwerpunkt ihrer Untersuchung auf das decorum legt und ihre stringente Genauigkeit der Vorgehensweise machen dieses Werk auch 85 Jahre nach seiner Veröffentlichung zum Standardwerk für jede Untersuchung des decorum bei Cicero. Rund 30 Jahre später veröffentlicht Otto Hiltbrunner seinen Aufsatz ‚Die Schrift de officiis ministrorum des hl. Ambrosius und ihr ciceronisches Vorbild‘, der das Ziel hat, den Zweck und die Absicht der ambrosischen Umwandlung der ciceronischen Schrift zu untersuchen. Zwar fokussiert auch Hiltbrunner auf die 65 3.0 Forschungsüberblick 18 Otto Hiltbrunner: ‚Die Schrift De officiis ministrorum des hl. Ambrosius und ihr cice‐ ronisches Vorbild‘, in: Gymnasium. Bd. 71, 1964, S. 185. 19 Ibid, S. 189. In dieser wissenschaftlichen Forschungstradition vergleichender Betrach‐ tung sind des Weiteren noch die Schriften von Klaus Zelzer (1977), Roland Sauer (1981), Anna Nawrocka (1988), Maria Becker (1994) und O’ssour Mur-a-nsies Bilo (1996) zu nennen. Entsprechende Angaben sind im Inhaltsverzeichnis zu finden. 20 Martin Thurmair: ‚Das decorum als zentraler Begriff in Ciceros Schrift De officiis‘, in: Studia humanitatis. Ernesto Grassi zum 70. Geburtstag. München: Fink 1973, S. 64. 21 Ibid, S. 69. 22 Ibid, S. 70. 23 Ibid, S. 73. ambrosianische Umwandlung des Vorbilds Ciceros, wie es bislang Tradition in der Forschung war, doch beleuchtet er in altphilologischer Manier besonders die ambrosische Begriffsprägung von cardo/ cardinales für die Kardinalstugenden, sowie die christliche Etymologie des Wortes officium und kommt auch kurz auf die Übernahme des ciceronischen Begriffes decorum zu sprechen, wobei er Ambrosius kritisiert, weil er „[d]en Sinn des stoischen πρέπον [...] mit seinem buchstäblich an den Haaren herbeigezogenen Beispiel völlig verfehlt“ 18 habe. Doch andererseits hieße es, Ambrosius bei aller respektvollen Treue dem Vorbild gegenüber zu verkennen, „wenn man ihm vorwirft, er habe keine selbstständige christliche Ethik verfaßt.“ 19 Doch erst Martin Thurmair widmet 1973 wieder einen Aufsatz ganz dem Thema des ciceronischen decorum-Begriffes. Darin hält er die bisherigen dia‐ chronistischen Untersuchungen zu Cicero und dessen Rekonstruktion der Pa‐ naitios-Vorlage für „metaphysische Mißverständnisse“ und Fehlinterpretati‐ onen aufgrund einer falschen Einordnung Ciceros in die Metaphysik. 20 Dadurch werde Ciceros Theorie und sein decorum-Begriff nicht im ciceronischen, d. h. funktional im politisch-rhetorischen Kontext begriffen, sondern lediglich im philosophisch-historischen Rahmen. Im Gegensatz dazu unterscheidet sich Thurmairs Arbeit in Methode und Ergebnis, wenn er den decorum-Begriff Ci‐ ceros untersucht. Anhand von Begriffspaaren wie ratio - oratio, decorum - verum/ verisimile, decorum - honestum wird versucht, das Konzept des decorum aus dem Gebiet der anthropologisch-politischen Theorie heraus zu bestimmen. So wird decorum als Letztimplikation des Handelns in der societas und als Be‐ dingung für die Verwirklichung des Menschen begriffen. 21 Thurmair definiert decorum damit als eine „Fähigkeit, die mannigfaltigen Merkmale einer Situation aufzunehmen und sie adäquat zu verarbeiten.“ 22 Da situatives Handeln immer in einem sozialen System seinen Platz hat, beschreibt das decorum auch „die Relation einer Verhaltensweise zum Gesamt anderer Verhaltensweisen“ 23 . Dies bedeutet, dass durch die Zustimmung und Akzeptanz der Mitmenschen eine 66 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 24 Ibid, S. 73. 25 Willibald Heilmann: Ethische Reflexion und römische Lebenswirklichkeit in Ciceros Schrift De officiis. S. 157. 26 Daniel Kapust: ‚Cicero on decorum and the morality of rhetoric‘, in: European Journal of Political Theory, Bd. 10 (1), S. 102, unter: http: / / ept.sagepub.com/ content/ 10/ 1/ 92; last access: 03.04.2012. Handlung als schicklich beurteilt werden kann und keine feste Größe ist. Als sozialer Faktor ist das decorum jedoch nach Thurmair „nicht inhaltlich als ethi‐ sche Leitlinie fest[zu]legen, sondern besteht wesentlich in der Art, wie Variablen einer Situation zueinander in Beziehung gesetzt werden.“ 24 Durch die gebotene Kürze ist es Thurmair leider nicht möglich, weiter in die Tiefe zu gehen, doch stellt seine Arbeit einen wichtigen Impuls dar, sich den anthropologischen, po‐ litischen und rhetorischen Implikationen des ciceronischen decorum-Begriffes zu widmen. Willibald Heilmanns literatursoziologische Untersuchung (1982) von Ciceros Schrift De officiis verlässt den Bereich des decorum und analysiert, inwiefern literarische Tradition (Panaitios Vorlage etc.) von einer bestimmten Gesell‐ schaftsschicht rezipiert wird. Seine Methode orientiert sich am Vorgehen des Literatursoziologen Lucien Goldmann. So interpretiert Heilmann beispielhafte Textstellen aus De officiis unter Heranziehung weiterer Textstellen aus den Tusculanae disputationes und aus De legibus. Auch Ciceros politisches Urteil und Verhalten nach dem Mord an Caesar wird in Beziehung gesetzt zu der in De officiis vertretenen Position und mit derjenigen der Caesarmörder kontrastiert. Als Ergebnis dieser literatursoziologischen Untersuchung lassen sich „struktu‐ relle Übereinstimmungen zwischen Werk und gesellschaftlichem Bewußtsein als eine wesentliche Komponente von De off. [anzusehen] und damit gesell‐ schaftliches Bewußtsein als eine entscheidende Bedingung dieser Schrift [zu] erkennen.“ 25 26 Jahre später widmet sich der Politikwissenschaftler Daniel Kapust in seinem Vortrag ‚Cicero on decorum and the morality of rhetoric‘ auf der Kon‐ ferenz der Midwest Political Science Association im April 2008 der rhetorischen und moralischen Theorie Ciceros in De officiis. Darin stellt er die These auf, das decorum sei ein Verbindungsglied zwischen dem Wissen von Experten und den gängigen Meinungen und Werten. Ähnlich wie auch Thurmair sei keine Regel für das decorum festzulegen, da es als Urteilsvermögen kontext- und persön‐ lichkeitsabhängig sei. Kapust unterscheidet zwischen einem rhetorischen und einem ethischen decorum. Das rhetorische decorum wird auf Flexibilität und Anpassungsfähigkeit einer Rede reduziert, während das ethische decorum als eine Art Konstante bezüglich des Geistes und der Handlungen gesehen wird. 26 67 3.0 Forschungsüberblick 27 Themen: „Der ideale Redner“ oder „die Beziehung des Redners zum Publikum“. 28 Stephen J. McKenna: Adam Smith. The Rhetoric of Propriety. S. 127. 29 Ibid, S. 132: „[T]he ability to see just how our interests are interrelated with the interests of others, which is so crucial to successful and, indeed, to virtuous rhetorical practice - is made possible for Smith through an element of rhetorical practice itself: the need to adapt discourse appropriately to an audience. This is perhaps Adam Smiths’s most significant contribution to rhetorical theory“. 30 Jan Dietrich Müller: Decorum. Konzepte von Angemessenheit in der Theorie der Rhetorik von den Sophisten bis zur Renaissance. S. 3. Die Art und Weise, wie die Gesellschaft das Handeln eines Individuums bewerte, spiele eine wichtige, da einschränkende Rolle in Ciceros Begriff des decorum. Leider gelingt es Kapust nicht, Innovatives zum ciceronischen decorum-Konzept beizutragen, vielmehr ist sein Aufsatz eine Art Zusammenstellung verschie‐ dener Standpunkte von Aristoteles über Cicero 27 bis zur modernen Forschung. Stephen J. McKennas Werk Adam Smith. The Rhetoric of Propriety (2006) ist hier insofern zu erwähnen, als es die Bedeutung von decorum als propriety in der rhetorischen Theorie und Praxis betont und erklärt, inwiefern die rhetorische Angemessenheit eine zentrale Stellung in Smiths ethischer Theorie einnimmt. Mit Aristoteles betont Smith die Notwendigkeit, die Rede dem Auditorium anzupassen 28 und nach McKenna hat er sich so um die rhetorische Theorie ver‐ dient gemacht. 29 Im Jahr 2011 erscheint schließlich die Dissertation Decorum. Konzepte von Angemessenheit in der Theorie der Rhetorik von den Sophisten bis zur Renaissance des Rhetorikers Jan Dietrich Müller, der sich wie Kapust einer chronologischen Betrachtung von Konzepten der Angemessenheit der letzten 2000 Jahre widmet. Telos dieser Arbeit ist es, das Verhältnis der rhetorischen Theorie zur Ange‐ messenheit der Rede anhand verschiedener Konzepte wie des καιρός bei den Sophisten, des πρέπον bei Aristoteles, des decorum und aptum bei Cicero und Quintilian und der convenienza und grazia bei Castiglione zu analysieren. Als Tribut an diese historische Spannbreite lässt sich eine gewisse Kürze der ein‐ zelnen Kapitel feststellen, die es dem Autor kaum erlaubt, detaillierte Textarbeit zu realisieren, obwohl dies eingangs zum Desiderat einer solchen rhetorisch-his‐ torischen Untersuchung erklärt worden ist. 30 Diese Kürze ist insofern ein ge‐ wichtiges Problem, als sie terminologische Unschärfen, chronologische Sprünge und Auslassungen von Theoretikern zur Folge hat. So fehlt bei Müller eine Ana‐ lyse aller mit dem Thema der Angemessenheit verbundenen römischen und griechischen Begriffe wie beispielsweise τό εἰκός (vgl. Kapitel 2.1 und 2.2), wo‐ durch das Bedeutungsspektrum von Angemessenheit unscharf und unvoll‐ ständig dargestellt bleibt. Auch die Begriffe decorum vitae/ persona, grazia und das griechische Ethos erfahren keine genaue Abgrenzung und Schärfung, sodass 68 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 31 Gemäß Aristoteles ist das ἦθος als Überzeugungsmittel durch das Argumentieren zu erzeugen (Rhetorik II, 13, 1390a25ff.) und es wäre falsch anzunehmen, dass das πρέπον λόγος, πάθος und ἦθος aufheben würde, ganz im Gegenteil steuert es diese in der Rede. 32 Ibid, S. 107. 33 Vgl. Wilfried Nippel: Art. ‚Politik‘, in: HWRh, Bd. 6 (2003), Sp. 1451. 34 Jan Dietrich Müller: Decorum. Konzepte von Angemessenheit in der Theorie der Rhetorik von den Sophisten bis zur Renaissance. S. 4. beispielsweise der Dynamik-Aspekt in Aristoteles’ Konzept des Ethos 31 uner‐ wähnt bleibt. Chronologisch nennt er zwar Quintilian, doch streift er diesen nur kurz als Ergänzung zu Cicero und lässt somit außer Acht, dass das elfte Buch von Institutionis oratoriae sich in Gänze dem Thema der passenden Form der Rede widmet. Ein wahres Manko ist die Tatsache, dass wichtige Theoretiker wie Dionysius von Helicarnassus, die Schrift Ad Herennium oder Ambrosius’ De officiis ministrorum keinerlei Beachtung finden. Müller untersucht Ciceros Rhetorik- und Lebenskonzeption anhand des de‐ corum orationis und des ihm korrespondierenden decorum vitae, und zeigt so die persuasive Macht und moralische Ubiquität von decorum und die Verschmel‐ zung von Rhetorik und Moral im decorum-Begriff auf. Müller versteht Ciceros Moral fälschlicherweise als „eine Moral der Sichtbarkeit, der Perzeption, eine öffentliche Moral.“ 32 Er lässt das tiefer gehende Moralverständnis Ciceros außer Acht, der moralisches Handeln auch im privaten Raum propagiert, wenn also dieses Handeln von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommenen werden kann (vgl. Kapitel 2.4). Ciceros Konzept von decorum wird hauptsächlich anhand des Werkes De oratore analysiert, die Schrift De officiis - die sich doch ausführlich mit seinem decorum-Konzept beschäftigt und in einer tiefgehenden Analyse dieses Themenkomplexes nicht übergangen werden kann - wird von Müller unverständlicherweise nur peripher beachtet. Auch das gleichnamige Werk des Ambrosius spielt in dieser Untersuchung keine Rolle, obwohl dieser Kirchen‐ vater in Rhetorik unterrichtet war 33 , eine christliche Tugendlehre verfasste und in seiner Auslegekunst und Dichtung von kirchlichen Hymnen die christliche Rezeption von Rhetorik in persona lebte und sich somit eine rhetorische Un‐ tersuchung seines nach Ciceros Muster verfassten Werks De officiis ministrorum angeboten hätte. Zwar ist Müllers Monographie die erste, die ein Rhetoriker über das Konzept von Angemessenheit 34 verfasst hat, aber aufgrund der oben dargestellten Mängel kann diese die Lücke in der Rhetorikforschung nicht schließen. Und auch Müller findet keine Antwort auf das Desiderat, was rhetorische Angemes‐ senheit in der komplexen Theorie ist und welche Definition von rhetorischer Angemessenheit heute gefunden werden kann. 69 3.0 Forschungsüberblick 35 Joachim Dyck: Ticht-Kunst. S. 76. Insgesamt tendiert die bisherige Forschung in theologischem, altphilologi‐ schem, literatursoziologischem und politikwissenschaftlichem Ansatz zu ver‐ gleichenden Betrachtungen der Offizien-Bücher von Cicero und Ambrosius. In den letzten anderthalb Jahrhunderten wurden weder Ciceros, noch Ambrosius’ Werke als selbstständige Werke gewürdigt, sondern meist in Beziehung und Vergleich zu ihren Vorbildern gesetzt. Diese beschränkte Perspektive arbeitete zwar den christlichen Charakter der philosophischen Morallehre heraus und führte auch zu einer Rekonstruktion der Panaitios-Vorlage, doch ein tieferge‐ hendes Interesse an den rhetorischen Konzepten Ciceros und Ambrosius’ in De officiis ist bislang kaum feststellbar. Nur vereinzelt klingt in Aufsätzen von Emeneau (1930), Thurmair (1973) und Kapust (2008) an, dass der Begriff des „decorum“ in umfassenderem Sinne einer Untersuchung wert wäre. Einzig das Buch von Lotte Labowsky (1934) geht dem Prinzip des decorum auf den Grund, das als ästhetisches Prinzip bei Cicero und Horaz untersucht wird. Auffallend ist jedoch, dass die Rhetoriker sich bislang kaum - außer Müller (erst 2011) - in die Diskussion um das decorum in Ciceros Schrift De officiis eingebracht haben. 3.1 Die Schmuckfunktion des Decorum (ornatus) Die Rede muß geschmückt sein, denn nur in der geschmückten und damit vollkom‐ menen sprachlichen Darstellung wird der Gehalt der Aussage erkennbar. 35 Der ornatus als virtus elocutionis, der durch die Vollkommenheit der Rede den Inhalt wahrnehmbar macht, hat als rhetorische Kategorie einen festen Platz in der elocutio und Stillehre. Während Klarheit (perspicuitas) und Sprachrichtigkeit (latinitas/ puritas) als Voraussetzungen jeder (erfolgreichen) sprachlichen Kom‐ munikation gelten (recte dicendi), ist der ornatus (bene dicendi) zur sprachlichen Verständigung nicht zwingend notwendig. Doch gerade der Schmuck der Rede bietet dem Redner die Möglichkeit, die volle rhetorische Macht seiner Worte zu entfalten. Dabei ergeben sich mehrere Fragen: Ist diese Entfaltung grenzenlos oder wird sie von einer anderen rhetorischen Kategorie begrenzt? Wie stehen die beiden rhetorischen Kategorien ornatus und decorum in Beziehung zueinander? Gibt es überhaupt eine Lehre des ornatus nach Cicero? Beschränkt Cicero den ornatus nur auf die ästhetische Ebene oder erfährt dieser auch eine Ausweitung ins Ethische? Wo liegt die Gefahr eines falsch verwendeten ornatus? Diese Fragen 70 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 36 Cicero: De Inventione. I, 1. 37 Cicero: Orator. 21. 38 Ibid, 22. 39 In der Antike hat sich die Bezeichnung aptum/ decorum und πρέπον entwickelt, wäh‐ rend in der modernen Rhetorik die Subkategorisierung von innerem und äußerem aptum/ πρέπον zur terminologischen Präzisierung hinzugefügt wurde. Vgl. hierzu Hein‐ rich Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik. §§ 1055-1062 und Gert Ueding: Grundriss der Rhetorik. S. 217. 40 Cicero: Orator. 24. sollen untersucht und das Wesen des ciceronischen Decorum in seiner Ver‐ flechtung mit dem ornatus nachgezeichnet werden. Ciceros Sicht der Rhetorik legt den Schluss nahe, dass decorum und ornatus als virtutes dicendi ineinander verflochten sind, indem zum einen das decorum die Anwendung des ornatus normiert und zum anderen der ornatus das decorum ins Ästhetische hebt. In seinen Werken Orator und De oratore zeigt Cicero be‐ sonders deutlich, inwiefern das decorum den ornatus normiert. Sein Konzept eines Orator eloquens betont den bestimmenden Aspekt, dass sapientia und oratio  36 miteinander verbunden sein müssen, will der perfekte Redner den schwierigsten Prüfstein einer Rede - zu sehen, was angemessen (deceat) ist - meistern. Das decorum wird als unantastbares Regulativ definiert, welches den gedanklichen und sprachlichen Ausdruck einer Rede bestimmt. Dabei müssen drei Faktoren beachtet werden: „[D]as hängt zum einen von der Sache ab, um die es geht, zum andern von der Person sowohl derjenigen, die reden, als auch derer, die zuhören.“ 37 Das Anwendungsgebiet des decorum sieht Cicero jedoch nicht nur im Bereich der Kommunikation, sondern auch in der Dichtung und im Leben allgemein. Er begreift das decorum damit als ein rhetorisches und so‐ ziales Instrument mit ubiquitärer Wirkungsweise. So verwundert es nicht, dass das decorum als „ein Maßstab, den wir immer an alle unsere Äußerungen und Handlungen, die kleinsten und die größten, anlegen“ 38 definiert wird. Im Ge‐ gensatz zur rhetorischen Kategorie des aptum  39 scheint das decorum eine Maß‐ einheit sui generis zu sein. Das innere aptum bezieht sich auf die Rede selbst, während das äußere aptum sich mit den äußeren Gegebenheiten einer Rede wie beispielsweise dem Publikum und dem Setting beschäftigt. Dennoch sind beide Arten des aptum eng an die Rede als solche gebunden und verbleiben damit im rhetorischen Wirkungsbereich einer Rede. Der Begriff decorum hingegen ver‐ weist auf den sozialethischen Aspekt der Beredsamkeit, indem nicht nur die Sachangemessenheit einer Rede, sondern vor allem das rhetorische Stilprinzip decorum als ethische Handlungsnorm des Menschen in den Fokus gerückt wird. Der ornatus als schmuckvolle Formulierung einer Rede ist nach Cicero eine „concinnitas“ 40 , deren Ziel Harmonie und Wohlklang der Wörter ist. Das la‐ 71 3.1 Die Schmuckfunktion des Decorum (ornatus) 41 Karl Ernst Georges: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch. 1394. 42 Cicero: De oratore. I, 49. 43 Ibid, III, 60: „[S]apienterque sentiendi et ornate dicendi scientiam re cohaerentis“. 44 Ibid, III, 37. 45 Nietzsche: Vorlesungsaufzeichnungen WS 1871/ 72-1874/ 75. S. 438. teinische Nomen concinnitas (f.) bedeutet kunstgerechte Verbindung, rheto‐ rische Kunstform oder Harmonie. Das wortverwandte Adjektiv concinnus präfiguriert schon in seiner Etymologie „durch Ebenmaß und Harmonie ge‐ fallend“ 41 eine Verbindung von Maß (decorum) und Harmonie/ Schönheit (or‐ natus/ εὐρυθμία). So lobt Cicero dementsprechend auch Demokrits Sprachta‐ lent: „[D]ie Schönheit seiner Sprache selbst ist aber als die Leistung eines Redners zu betrachten.“ 42 Schönheit ist nicht nur im ästhetischen Sinne, d. h. in Bezug auf einen gefälligen Rhythmus oder Redestil zu verstehen, sondern auch in einem übergeordneten Sinn von Ordnung und Maßhalten. Ähnlich wie die Rhetorik ohne Philosophie als Quelle und die Philosophie ohne die Rhetorik als wirkungsvolles Kommunikationsmittel nicht zur Vollkommen‐ heit nach Cicero 43 ausreichen, so ist auch der ornatus mit dem decorum in der angemessenen Sprache untrennbar verbunden. Doch wie lässt sich der perfekte ornatus einer Rede bestimmen? Als beste Art der Formulierung einer Rede definiert Cicero diejenige, die latine, plane, ornate und apte ist. 44 Es wäre jedoch ein Trugschluss zu glauben, das Verhältnis von decorum und ornatus ließe sich auf eine einfache Regel reduzieren. Es ist kein statisches, absolutes, eher ein dynamisches, situativ verankertes Verhältnis, das in der jeweiligen Redesituation unter Berücksichtigung aller redeimmanenten und externen sozialen Faktoren vom Redner selbst neu bestimmt werden muss. Das decorum als rhetorischer Maßstab bestimmt dabei den ornatus der Rede. Doch welche Wirkung hat der ornatus auf die rhetorische Basiskategorie decorum? In seiner Vorlesung schreibt Nietzsche über die Beziehung zwischen ornatus und decorum: Der Schmuck also verlangt die Übertragung des Angemessenen in eine höhere Sphäre von Schönheitsgesetzen, er ist Verklärung des Charakteristischen, einmal durch Aus‐ scheidung des minder Edlen im Charakterist., sodann Steigerung des Edlen und Schönen; der großen Züge des Charakteristischen. Er ist höhere Natur, im Gegensatz zu einer gemeinen Natürlichkeit, Nach- und Umbildung, im Gegensatz zur Nachah‐ mung und Nachäffung. 45 An die Stelle einer unlösbaren Verbindung von ornatus und decorum scheint bei Nietzsche eine Hierarchisierung zu treten, wenn der ornatus das decorum in ästhetische Gefilde erhebt und so ein Mittel der „Steigerung des Edlen und 72 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 46 Ibid: Götzen-Dämmerung. Streifzüge eines Unzeitgemässen. 19. 47 Ibid, 47. 48 Ibid, 20. 49 Nietzsche: Morgenröthe. I, 25. 50 Ibid, V, 468. 51 Ibid, V, 550. Schönen“ an sich ist. Im Schönen zeigt sich „der Mensch als Maß der Vollkom‐ menheit“ 46 , das er aber definiert und erarbeitet. Das Schöne an sich existiert nicht, es wird aktiv am Menschen erarbeitet. 47 So wird als erste Wahrheit der Ästhetik die These postuliert: „Nichts ist schön, nur der Mensch ist schön [...] nichts ist häßlich als der entartete Mensch“ 48 . Der Mensch als archimedischer Punkt von Schönheit muss sich Maximen unterwerfen, will er schön sein. Nietz‐ sche integriert in seine Ästhetikvorstellung eine moralische Dimension, wenn er eine Wechselwirkung zwischen Sitte und Schönheit oder Erkenntnis und Schönheit betont. So wird derjenige zunehmend schöner, der sich völlig der Sitte unterwirft, d. h. der sich körperlich und geistig anpasst. 49 Der Bereich des Schönen konvergiert zunächst mit dem des moralisch Guten, doch die Existenz von vielen Arten von Schönheit - auch die des schönen Bösen - wird dennoch nicht negiert. Im Gegenteil, Nietzsche betont diese Art der Vielfalt an mensch‐ licher Schönheit, die noch zu entdecken bleibe. 50 So ist nach Nietzsche nicht nur die Erkenntnis des Schönen schön, sondern auch die Erkenntnis der hässlichsten Wirklichkeiten ist schön. Die Erkenntnis des großen Ganzen der Wirklichkeit erfüllt den Menschen mit Entzücken, unabhängig davon, ob der Mensch Häss‐ liches oder Schönes erkennt. Das Erkennen an sich macht die menschliche Welt schön, indem der Erkennende die Schönheit um die Dinge und in die Dinge legt. 51 Nietzsche betont hier beide Seiten: das Schöne und moralisch Gute und das schöne Böse. Nach seinem Verständnis ist der ornatus imstande, das decorum ästhetisch zu erhöhen und ist somit gestalterisch aktiv. Indem Sprache ein Bild eines Dinges entwirft, wird ein Abbild der Wirklich‐ keit und der menschlichen Erscheinungen geschaffen, die durch den ornatus in der Rede zum Leben erweckt und dem Zuhörer vor seinem inneren Auge durch figurative Rede vorgeführt werden können. Begreift Cicero „gestaltend“, wie später Nietzsche, den ornatus als Mittel der ästhetischen Erhöhung des decorum? Die Anforderungen des ornatus machen nach Cicero eine Rede glanzvoll, wenn aptum und congruens in Bezug auf Redegegenstand, Redner und Auditorium kon‐ vergieren. Es genügt nicht, sich strikt den Regeln einer Schulrhetorik zu unter‐ werfen, sondern der Topos „vita omnia“ und vor allem die Abstimmung von or‐ natus und decorum müssen vom Redner beachtet und beherrscht werden. Auf diesen Maximen basierend sieht Cicero das Proprium der wahren Redekunst: 73 3.1 Die Schmuckfunktion des Decorum (ornatus) 52 Cicero: De oratore. III, 53-55. „Die Beredsamkeit ist nämlich eine der allerhöchsten Tu‐ genden“. 53 Vgl. Franz-Hubert Robling: Art. ‚Fucus oratorius‘, in: HWRh, Bd. III, Sp. 477-478 und Dietmar Till: Das doppelte Erhabene: Eine Argumentationsfigur von der Antike bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. S. 66 und 135 Anm. 356. 54 Cicero: De oratore. III, 199. 55 Ibid, III, 212. 56 Bernard Lamy: De l’art de parler. II, 3, 2. Vgl. auch Quintilian: Institutionis oratoriae. VIII, 3, 2. So wird das Definiens des ornatus 1688 durch Bernard Lamy präfiguriert, als er den Schmuck einer Rede als „les armes spirituelles de l’âme, qu’elle employe pour persuader ou pour dissuader“ bezeichnet. In Bezug auf die rhetorische Persuasion stelle sich der ornatus im Agon als Waffe des Redners dar, mit deren Hilfe er auf die Leidenschaften seiner Zuhörer einwirken könne. Da der Mensch von Leidenschaften getrieben sei, sei es wichtig für den Redner, diese zu kennen, um sie durch die Figuren beeinflussen zu können. So könnten die Figuren einer Rede die menschliche Seele überwinden oder lenken. Ibid, II, 3, 2. (S. 111): Es lassen sich nach Lamy zwei Funktionen der Figuren fest‐ stellen: Klarheit (perspicuitas), welche die Wahrheiten der Rede erkennen lässt, und Erre‐ gung der Aufmerksamkeit (attentum parare) des Publikums. 57 Joachim Knape und Dietmar Till: Art. ‚Ornatus‘, in: HWRh, Bd. VI, Sp. 432-440. 58 Bernard Lamy: De l’art de parler. II, 3, 4. (S. 120): Um diese natürlichen Wirkungen der Leidenschaft zu studieren, empfiehlt Lamy dem Redner, das eigene Herz zu analysieren: „Il n’y a point de meilleur livre que son propre coeur“. Demnach dürfe der hoffnungs‐ volle Redner laut Lamy nicht auf die Wirkungsweise rhetorischer Regeln des ornatus auf die menschlichen Leidenschaften zählen, sondern er müsse Ciceros Rat befolgen, nämlich die „vita omnia“ einbeziehen. Das Menschliche im Menschen scheint sich damit als Va‐ demekum für die durch den ornatus ausgelösten Wirkungen zu empfehlen. „[E]st enim eloquentia una quaedam de summis virtutibus“. 52 Im Idealfall lässt die richtige Wahl des Redestils und des ornatus eine Rede nicht fuco  53 inlitus, son‐ dern so erscheinen, dass „sanguine diffusus debet color“. 54 Auch Cicero betont - ähnlich wie Nietzsche - die ästhetische Macht des richtig angewandten ornatus für eine Rede. So liege der größte Vorzug der Beredsamkeit in der Ausgestaltung eines Themas durch den Schmuck der Rede. Durch Steigerung (amplificatio) und Hervorhebung (augendum) oder Abschwächung (abiciendum) und Verkleinerung (extenuandum/ extenuatio) würden nicht nur Leidenschaften im Publikum erregt, sondern auch Sympathien gewonnen. Diese stilistischen Kunstgriffe müssen je‐ doch angemessen sein, wollen sie ihre Wirkung entfalten. Die Aufgabe, das An‐ gemessene zu tun, hängt nach Cicero von der Kunstfertigkeit (facere artis est) und der Begabung (natura) des jeweiligen Redners ab. 55 Auch in diesem Punkt scheinen der ornatus und das decorum eine untrennbare Symbiose eingegangen zu sein. So ist der ornatus eine wichtige Voraussetzung, um jede Schönheit der Wirklichkeit abzubilden, aber auch für das Adjustierungsprinzip von Rhetorik und für die persuasive Kraft 56 einer Rede 57 im Allgemeinen 58 . 74 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 59 Vgl. Cicero: Orator. 20. 60 Friedrich Nietzsche: Vorlesungsaufzeichnungen (WS 1871/ 72-WS 1874-75). S. 434. Resümierend lässt sich feststellen, dass der ornatus als rhetorische Kategorie durch seine vielfältigen Funktionen für die Rede mannigfache Auswirkungen in der konkreten Redesituation hat (Abwechslung/ varietas, Lebendigkeit/ vivum, Kunstfertigkeit/ facere artis), mittels derer der Redner gezielt die Aufmerksam‐ keit des Publikums steuert, um dieses von seinem individuellen, subjektiven Zertum zu überzeugen. Durch die Konvergenz der einzelnen Funktionen und Wirkungen des ornatus wird einer Rede geglaubt, d. h., δόξαι werden in ένδοξαι umgewandelt. Indem der ornatus auf das ästhetische Empfinden des Audito‐ riums einwirkt, wird die Rede nicht nur kunst- und glanzvoller, sondern auch überzeugender, da sie die Emotionen der Menschen anspricht und damit deren Herz gewinnt. 59 Durch die Reziprozität der beiden Kategorien des ornatus und decorum scheinen in der Rhetorik Ästhetik und Ethik eine innere Verbindung einzu‐ gehen. Oder um es mit Nietzsche zu sagen: Das eigentliche Geheimniß der rhetorischen Kunst ist nun das weise Verhältniß beider Rücksichten, auf das Redliche und auf das Künstlerische. Überall, wo die „Natürlich‐ keit“ nackt nachgeahmt wird, fühlt sich der künstlerische Sinn der Zuhörer beleidigt, wo dagegen rein ein künstlerischer Eindruck erstrebt wird, wird leicht das moralische Zutrauen des Hörers gebrochen. Es ist ein Spiel auf der Grenze des Ästhetischen u. des Moralischen: jede Einseitigkeit vernichtet den Erfolg. Die aesthetische Bezaube‐ rung soll zu dem moralischen Zutrauen hinzukommen [...]. 60 Die Symbiose von ornatus und decorum scheint aus rhetorischer Sicht vonnöten zu sein, da das eine ohne das andere wirkungslos ist. Jede Art von Einseitigkeit wird den rhetorischen Erfolg einer Rede vernichten, denn nur gemeinsam ver‐ wirklicht, entfaltet sich erst die volle Macht der Rhetorik. Jede rhetorische Handlung ist auf den Menschen als Empfänger einer Bot‐ schaft gerichtet und wirkt damit per se in einem sozialen Raum. Dieser ist durch gewisse moralische Maximen und soziale Verhaltensweisen und Sitten geprägt, die das Bewusstsein eines jeden Mitglieds dieser Gesellschaft - oft auch unbe‐ merkt - beeinflussen. Eine Rede, die diese Prägung in der Ausgestaltung nicht beachtet, wird erfolglos sein. Sie kann nur dann wirken, wenn die Rede zum jeweiligen Setting passt und sich so einen angemessenen Platz in diesem sozialen Raum erobert. Der ornatus kann lediglich dann auf ein solch geneigtes Auditorium einwirken, wenn er das decorum beachtet. Nach Aristoteles ist dies dann gegeben, wenn „er [der sprachliche Ausdruck] auf einer rechten Mischung 75 3.1 Die Schmuckfunktion des Decorum (ornatus) 61 Aristoteles: Rhetorik. 1414a25. 62 Vgl. auch Quintilian: Institutionis oratoriae. Ausbildung des Redners. XI, 1, 91: „[C]uius rei observatio iudicio magis quodam sentiri, quam praeceptis tradi potest, quantum satis sit et quantum recipiant aures: non habet haec res mensuram et quasi pondus, quia ‹ut› in cibis [his] alia aliis magis complent.“ 63 Cicero: De oratore. III, 100. beruht: aus Herkömmlichem und Fremdem, Rhythmus und Glaubwürdigkeit, die von der Angemessenheit ausgeht.“ 61 Diese εὖ μιχθῇ wird durch das entschei‐ dende Kriterium πρέποντος definiert. Das altgriechische Adverb εὖ beschreibt nicht nur den technisch-kompetenten Bedeutungsbereich, sondern hat auch eine moralische Konnotation, wie es beispielsweise im Ausdruck „εὖ πάσχω“ (mir widerfährt Gutes) oder εὐδαίμων (einen guten Dämon habend; glücklich/ glückselig) zum Tragen kommt. Im Gegensatz zu καλός jedoch, welches ein ethisch Gutes, Schönes, Ehrenhaftes oder Edles in Bezug auf eine äußere Gestalt (Menschen und Götter) bezeichnet, ist mit „εὖ“ eher die Qualität einer Handlung, eines Wissens und Vermögens bewertet. So wird mit εὖ μιχθῇ nicht so sehr ein moralisches „gut“, sondern ein „gut“ im Sinne des richtig abgemessenen Maßes bezeichnet. Diese gute Mischung zu treffen, lässt sich durch keine Regel garantieren und muss je situativ bestimmt werden. Quintilian gibt dieses Proprium des ornatus - seine nicht in Regeln zu fassende Seinsart - durch einen Vergleich mit dem individuellen Genuss von Speisen wider: Die Beachtung dieser Regel [das rechte Maß halten] lässt sich eher gleichsam ge‐ fühlsmäßig mit dem Geschmack [iudicium] erfassen, als daß sich in Regeln fassen ließe, was hinreichend viel ist und wieviel die Ohren zu fassen vermögen; hier gibt es nicht ein festes Maß und gleichsam eine Gewichtsmenge, weil wie bei den Speisen den einen diese, den anderen jene eher sättigt. 62 Cicero weist aus diesem Grund apophantisch auf die Gefahr eines falsch ver‐ wendeten ornatus hin. Das rhetorische Telos einer Rede ist es, ohne Überdruss (satietas) zu gefallen. Dies wird nach Cicero durch varietas und decorum im ornatus einer sprachlichen Ausformulierung verhindert. 63 Ästhetischen Genuss, gestützt im Überzeugungsprozess durch das subjektive Zertum des Redners, soll das Publikum spüren, nicht Langeweile und Ekel. Wird jedoch keine gute Mi‐ schung von ornatus und decorum erreicht, so sind die rhetorischen Folgen fatal: Eine positive, da anziehende und so zu einer Art Symbiose führende Wirkung der Rede durch den ornatus ist zerstört, die Rede hat das Gegenteil von sozialer Bindung, nämlich Ablehnung von Seiten des Auditoriums, bewirkt, das redne‐ rische Zertum konnte in keinen allgemeinen Konsens münden und Persuasion 76 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 64 Ibid, II, 33. 65 Quintilian: Institutionis oratoriae. Ausbildung des Redners. XI, 1, 2. des Publikums ist nicht mehr möglich. Und der Redner hat sich als solcher selbst desavouiert, da er keinen passenden Stil für seine Rede gefunden hat, der den Redegegenstand, den Redeanlass, das Publikum und das Redeziel beachtet. In toto ist eine solche rhetorische Performanz nicht geeignet, den guten Charakter des Redners abzubilden und simultan das Ethos des Redners in den Köpfen und Herzen der Zuhörer zu verankern. Einige öffentliche Auftritte deutscher Politiker, die diese fatale rhetorische Rückwirkung auslösen, mögen zur Illustration dienen. So ist beispielsweise Heinrich Heidel (FDP) zu nennen, der 2009 bei der Aktuellen Stunde im hessi‐ schen Landtag zum Thema Milchpreis in betrunkenem Zustand seine Rede hielt und statt persuasivem Erfolg lediglich abwertende Belustigung seitens der Op‐ position erntete. Trotz der Plausibilität seiner Argumente konnte aufgrund seiner Vortragsweise keine stringente Performanz und kein tragfähiges Ethos erreicht werden. Das nicht beachtete decorum schwächte sein Ethos als Redner und seine unprononcierte Aussprache machte die Argumente seiner Rede wir‐ kungslos. So hat dieser Auftritt zwar nicht seine Karriere beendet, aber seine Rede hat ihren persuasiven Zweck nicht erfüllt, sondern ihn als nicht ernst zu nehmenden Volksvertreter exponiert. Auch die öffentlichen Auftritte anderer Politgrößen, wie des damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke oder die häufig gestammelten Stilblüten des damaligen Ministerpräsidenten von Bayern, Edmund Stoiber, sind unvergessen in das öffentliche Gedächtnis eingebrannt - langfristig offensichtlich nicht zum Schaden des Letzteren, der bis Ende 2015 eine Funktion auf europäischer Ebene (Sonderberater für bessere Rechtsetzung) hatte. Wird das Telos in einer Rede durch eine Falschanwendung des ornatus nicht erreicht, so ist die Rede nicht nur stilistisch gescheitert, sondern hat auch das decorum als sozial-ethische Handlungsnorm außer Kraft gesetzt. Werden rhe‐ torisch-ästhetische und rhetorisch-ethische Prinzipien nicht beachtet, kann die Rhetorik nicht mehr als größter Genuss für Ohr und Herz der Menschen tri‐ umphieren. 64 Sie richtet dann ihre strahlenden Waffen gegen sich selbst und so kann der ornatus eine Rede sogar „entwerten und die Kraft der Gedanken, die sie enthält, gegen sie selbst richten.“ 65 Die rhetorische Kategorie ornatus erweist sich als eine glänzende, aber bipolare Waffe des Redners im öffentlichen Auftritt, da sie sich bei Falschanwendung auch gegen das Ethos des Redners selbst richten kann. Sie beweist ihre Schönheit und Kraft gerade im agonalen Umfeld des rhe‐ 77 3.1 Die Schmuckfunktion des Decorum (ornatus) 66 Vgl. Nietzsche: Vorlesungsaufzeichnungen (WS 1871/ 72-WS 1874-75). S. 434. torischen Wortkampfes, aber sie kann auch das Ethos eines Redners und dessen Überzeugungskraft zerstören. 66 Wie lässt sich nun das Verhältnis des ciceronischen decorum und ornatus auf einer Metaebene beschreiben? Das Faktum der Untrennbarkeit von decorum und ornatus lässt sich ganz be‐ sonders ontologisch anhand von Platons Ideenlehre zeigen. Um diesen Zusam‐ menhang von ornatus und decorum auf der einen Seite und Platons Ideenlehre zu verstehen, sei zunächst dessen Konzept von Idee/ Urbild, Abbild und Nachbild skizziert, um daran anschließend die Einordung von ornatus und decorum in die jeweiligen Ebenen der Wirklichkeit von Sprache darzulegen. Platons Zwei-Welten-Theorie, in der er die unvergängliche Welt der Ideen von der Welt des Vergänglichen unterscheidet, zeigt verschiedene Stufen im menschlichen Bewusstseinsprozess, der vom ungesetzten, objektiven Urbild (εἶδος (gr. Idee)) und einem nach diesem Urbild geformten Abbild ausgeht. Diese Interpretation einer Welt des Sichtbaren und einer Welt des lediglich dem Geiste, der Vernunft (νόησις) Zugänglichen präfiguriert die verschiedenen Abstufungen menschli‐ cher Bewusstseinssetzung und Bewusstseinswerdung. Platons Begriffsbestim‐ mung dient als Prolegomenon für weitere Auseinandersetzungen mit der wirk‐ lichen und der unwirklichen Welt des Menschen. Die Frage nach dem Wesen des Urbildes und seines Abbildes, nach dem wahrhaften Sein und dem bloßen Schein betrifft auch - schon zu Platons Zeiten - die Kunst (Politeia) und die Rhetorik (Phaidros/ Gorgias). Was ist das Wesen einer Rede - Abbild, Schein oder Sein? Und welche Rolle spielen in dieser ontologischen Sicht das decorum und der ornatus? Mit Hilfe des platonischen Höhlengleichnisses in der Politeia, in dem sich Platon der Erkenntnis und Unterscheidung des wahrhaft Seienden vom bloßen Schein widmet, soll dieser Frage weiter nachgegangen werden. Ähnlich wie den in der Höhle gefesselten Menschen werden den Zuhörern einer Rede Abbilder von Lebewesen oder Ereignissen vor Augen geführt, die sie selbst nicht als Zeugen geschaut haben. In der Höhle wirft das Feuer die Schatten an die Wand, in der Rede ist es die sprachliche Nachzeichnung des Redners. Die wirklichen Dinge, Personen oder Ereignisse können in ihrer Reinheit vom Auditorium in einer Rede selbst nicht wahrgenommen, jedoch als „Urbilder“ erkannt werden. Das Sein in seiner Reinheit kann nur objektiv, ohne jegliche extrinsische Dar‐ stellungsmöglichkeit durch Andere und nur durch die menschliche Vernunft erkannt werden. Es lassen sich so drei Ebenen der Wirklichkeit von Sprache bestimmen: 78 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 67 Platons Begrifflichkeit ist nicht immer stringent, so dass er beide Begriffe als Synonyme verwendet. Vgl. Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. III, 64. 68 Vgl. Platon: Gorgias. 497e und ähnlich siehe Kommentar v. Joachim Dalfen: Platon Werke. Gorgias. Bd. VI, 3, S. 391. 1. Urbild/ Idee (εἶδος) 2. Abbild 3. durch Sprache geschaffenes Nachbild Der ersten Stufe entspricht die intelligible Welt, die nur geistig, nicht materiell erfasst wird. In diesen Bereich gehören auch die Gedanken und das Denken des Menschen allgemein. Auf dieser Stufe ist das Sein in seiner Reinheit, seiner Un‐ vergänglichkeit und Unveränderlichkeit nach Platon zu lokalisieren. Das Sein ist so jeglicher extrinsischen Darstellungsmöglichkeit und -wirklichkeit ent‐ zogen. Die Sprache als darstellendes Kommunikationsmittel hat hier keinen Platz, da das Urbild zwar jeder Sprache innewohnt, durch sie dennoch nicht darstellbar ist. Der Grund hierfür ist der Primat des Urbildes, der vor jedem Gegenstand der sichtbaren Welt existiert und als Urform fungiert. Als Vorstufe jeglicher Existenz auf Erden ist sie für den Menschen zwar erkennbar, aber nicht sprachlich mitteilbar. Denn die menschliche Seele hat nach Platon die Ideen in einem früheren Jenseits geschaut, beim Eintritt der Seele in den menschlichen Körper diese jedoch vergessen und erinnert sich nun im Diesseits wieder der Ideen (ἀνάμνησις). Das Sein des εἶδος oder der ἰδέα 67 ist in der Präexistenz aller Dinge und Begriffe und wird erst in der Form des Abbildes in den konkreten natürlichen oder künstlichen Dingen zur mitteilbaren Existenz. Die zweite Stufe umfasst die zweite Welt der sinnlichen Wahrnehmungen und des Körperlichen. Hierunter sind die verschiedenen künstlichen Dinge, wie Ge‐ genstände, und die natürlichen Dinge, wie beispielsweise die Lebewesen einer Gattung zu klassifizieren. Sie alle sind in einer Kategorie je einem Urbild un‐ terzuordnen. Dieses Verhältnis eines Urbildes zu seinen Abbildern ist das der Parusie. Der griechische Terminus ἡ παρουσία stammt vom Infinitiv πάρειμι (anwesend sein; teilnehmen an) ab und bezeichnet das Faktum der Teilhabe der Ideen in jedem Einzelding. 68 So ist ein Gegenstand schön zu nennen, wenn ihm die Idee des Schönen innewohnt. Die Idee der Schönheit oder auch eines Lebe‐ wesens ist paradigmatisch in jedem konkreten Einzelding anwesend. Jedes Ein‐ zelding strebt laut Platon danach, durch Mimesis (ἡ μίμησις = Nachahmung) und Homoiosis (ἡ ὁμοίωσις = Angleichung) der jeweiligen Idee als normativer Instanz zu entsprechen. Dieses Streben eines jeden Einzeldinges ließe sich auch auf die Ebene der Sprache übertragen. Wie die jeweiligen Abbilder die Anglei‐ chung an das Urbild erstreben, so erstrebt auch die Sprache die Angleichung an 79 3.1 Die Schmuckfunktion des Decorum (ornatus) 69 Platon: Theaitetos. 160c. das wahrhaft Geschehene, welches sie sprachlich nachzeichnet. Dieses Ord‐ nungsprinzip ist nicht reziprok, sondern einseitig, indem sich das Abbild (εἴδωλον) am Urbild und die Sprache am Geschehenen orientiert. So kann Sprache nie das Sein in seiner Reinheit darstellen, sondern nur einen nach dem Sein strebenden Schein. Dazu bedarf es des ornatus. Er ist das Instrument, das den Schein mit dem wahren Sein auf sprachlicher Ebene konvergieren lassen kann. Die dritte Stufe stellt die durch die sinnlichen Wahrnehmungen bewirkten kognitiven Vorstellungen und die Empfindungen dar. Diese durch Sprache be‐ wirkten Bilder in den Köpfen der Menschen sind von den Abbildern der zweiten Stufe zu unterscheiden. Sie sind nicht mehr sichtbar, sondern nur kognitiv oder empfindend wahrnehmbar. Da sie lediglich in den Köpfen existieren und sich von den Abbildern der wirklichen Welt unterscheiden, sind sie gewissermaßen durch Sprache geschaffene künstliche Nachbilder. Im Gegensatz zur intelligiblen Welt der Ideen sind die künstlichen Nachbilder veränderlich. Diese künstlichen Nachbilder werden im Geist des Rezipienten aufgenommen und je nach der individuellen Wahrnehmung geprägt. Diese subjektive Aufnahme des künstli‐ chen Nachbildes stellt für den jeweiligen Rezipienten dann das subjektive Scheinbild dar. Oder um es mit Platon zu sagen: „Wahr also ist mir meine Wahr‐ nehmung, denn sie ist die meines jeweiligen Seins.“ 69 In dieser dritten Stufe ist das wahre Wirkungsgebiet der Rhetorik zu finden. Wie der ornatus auf der zweiten Stufe eine Konvergenz von Sein und Schein realisieren kann, so kann das decorum auf der dritten Stufe sicherstellen, dass aus einem sprachlichen Schein, welches das reine Sein nachzubilden erstrebt, ein wahrscheinlicher Schein wird. Dieser Schein ist der wahrscheinlichste Schein, der nah am Sein zu sein ermöglicht. Das Prädikat der Wahrscheinlichkeit wird durch die rhetorische Kategorie des decorum erzielt, das die kreativen Zeichnungen des ornatus auf ein angemessenes und glaubhaftes Maß beschränkt. Idealiter macht das decorum folglich das vom ornatus erschaffene Nachbild glaubwürdig, indem das decorum das Scheinen angemessen macht. Durch die Verwendung von Sprachstilen und Formulierungen, die den Gegenständen oder Ereignissen entsprechen, die sie beschreiben, wird der sprachlichen Nachzeichnung des Abbildes Glauben ge‐ schenkt. Wie Timaios im gleichnamigen Dialog Platons darlegt, ist den Men‐ schen als finiten Wesen allein die wahrscheinliche Erzählung möglich: Wundere dich also nicht, o Sokrates, wenn wir in vielen Dingen über vieles, wie die Götter und die Entstehung des Weltalls, nicht imstande sind, durchaus und durch‐ gängig mit sich selbst übereinstimmende und genau bestimmte Aussagen aufzustellen. 80 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 70 Platon: Timaios. 29d. 71 Im Höhlengleichnis attestiert Platon den Menschen die Unfähigkeit, zwischen dem Sein und dem Schein zu unterscheiden und spricht diese Fähigkeit letztendlich nur den Phi‐ losophen zu. Die vollkommene Erkenntnis von Ideen wird lediglich Gott zugesprochen. Platon: Parmenides. 134e. 72 Platon: Timaios. 29c. 73 Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. III, § 31. 74 Nach Till leitet sich aus der „Ausrichtung auf das bloß Wahrscheinliche“ gerade die „spezifische kommunikative Stärke“ der Rhetorik im Sinne Aristoteles’ ab. Dietmar Till: ‚Text, Kommunikation und Affekt in der Tradition der Rhetorik. Zur Vorgeschichte des ‚Emotional turn‘, in: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes. 54, 2007, S. 293. Ihr müßt vielmehr zufrieden sein, wenn wir sie so wahrscheinlich wie irgendein an‐ derer geben, wohl eingedenk, daß mir, dem Aussagenden, und euch, meinen Richtern, eine menschliche Natur zuteil ward, so daß es uns geziemt, indem wir die wahr‐ scheinliche Rede über diese Gegenstände annehmen, bei unseren Untersuchungen diese Grenze nicht zu überschreiten. 70 Die Unfähigkeit, die reine Wahrheit zu kennen und in Erzählungen durch den Menschen zu verbreiten, wird hier zur conditio humana. 71 Auch Platon spricht unter dieser Bedingung der wahrscheinlichen und abbildhaften Rede nicht ihre Daseinsberechtigung ab. Das Verhältnis vom Abbild zur Rede als dessen wahr‐ scheinlichem Nachbild entspricht nach Platon dasjenige vom Sein zum Werden und von der Wahrheit zum Glauben. 72 So steht auf der einen Seite das absolute Sein, welches dem göttlichen und transzendenten Bereich (Sein/ Wahrheit) zu‐ zuordnen ist, dem relativen Sein, welches durch die menschliche Sinnessphäre bedingt ist (Werden/ Glauben), auf der anderen Seite gegenüber. Das wahre Sein ist damit außerhalb der menschlichen Lebenswirklichkeit existent, die sich le‐ diglich durch „Objekte[n] eines durch Empfindung veranlaßten Dafürhaltens (δοξα μετ’ αισθησεως αλογου)“ bestimmt. 73 Der Mensch muss sich nur dieser Abbildrelationen bewusst werden, will er zur für ihn möglichen wahren Er‐ kenntnis gelangen. Damit stellt sich die dritte Stufe als die höchste, erreichbare Stufe einer Rede dar, da das reine Sein als absolutes platonische Ideal (ἰδέα) in der menschlichen Wirklichkeit nicht sprachlich zu fassen und so auch nicht erreichbar ist. Da das ideale Sein nicht fassbar und analog eine absolute Wahrheit nicht feststellbar ist, muss sich die Rhetorik 74 im Wissen darum mit dem wahrscheinlichen Schein als Leitbild im Überzeugungssystem begnügen. 81 3.1 Die Schmuckfunktion des Decorum (ornatus) 75 Platons Bildverständnis anhand der altgriechischen Termini von εἴδωλον, εἰκών und φάντασμα festzumachen ist nicht einfach, da Platons Dialoge von einer gewissen In‐ konsistenz in der terminologischen Verwendung zeugen und es keine „Ideenlehre als systematisch entfaltetes Lehrstück gibt“. Vgl. Andreas Graeser: Platons Ideenlehre, S. 14 und 83, Bernhard Asmuth: Art. ‚Bild, Bildlichkeit‘, in: HWRh, Bd. II, Sp. 11-12 und Christian Schäfer (Hg.): Platon-Lexikon. S. 29-34. 76 Ovid: Metamorphosen. I, 76-79. Ebene I Ebene II Ebene III Urbild/ Idee (εἶδος) Abbild (εἴδωλον) 75 künstliches Nachbild Gedanken/ Denken sinnliche Wahrneh‐ mung Sprache/ Rhetorik Sein Sein als Schein (ornatus) wahrscheinlicher Schein (decorum) Tab. 1: Übersicht über die Stufen der Erkenntnis/ Wirklichkeit in Verbindung mit Sprache 3.2 Die sittlich-ethische Gefasstheit des Menschen (humanitas und decorum) Die göttliche Macht spielt in den menschlichen Dingen. Ovid: Epistulae ex Ponto. IV, 3, 49-50. Die Welt des Göttlichen stellt zwar ein nicht erreichbares platonisches Ideal der menschlichen Existenz dar, dem nachzustreben die Menschen aber dennoch von Natur aus die Macht und die Mittel haben. Als mit Protagoras und den Sophisten die Griechen sich als Menschen bewusst wurden, wurde auch deutlich, was sie als Menschen auszeichnete, nämlich ihre Denkkraft in der Form von Verstand und Vernunft. Sie zeigt sich in der Sprache, wie Cicero oft hervorhebt, und ist das Unterscheidungsmerkmal zwischen Mensch und Tier. Während diese ihren tierischen Trieben ausgeliefert sind, kann der Mensch seine Triebe und Begier‐ den durch die Vernunft steuern. Dieses rationale Instrument wird zu einer conditio sine qua non der menschlichen Sozietät. Nach Ovid kreierte der pater omnipotens den Menschen als „mundi melioris origo“ und wies ihm damit als einem heiligeren und zum Denken fähigeren Wesen eine dominierende Stellung im Kosmos zu. 76 Die menschliche Vernunft als Waffe im Kampf der Begierden sichert die moralische Überlegenheit des Menschen über das Tier und konsti‐ tuiert seine Würde als Mensch in der Sozietät. Dieser homo potens als Krönung der göttlichen Schöpfung ist in seinen Naturanlagen zur humanitas angelegt. 82 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 77 Polybios: Histories. 18, 35, 9. 78 Aulus Gellius: Attische Nächte. XIII, 17. 79 Ähnlich auch P. Josef Schneider: Untersuchungen über das Verhältnis von humanitas zu Recht und Gerechtigkeit bei Cicero. S. 15. 80 Ibid, S. 42 und S. 87. 81 Siehe hierzu Franz Beckmann: Humanitas. Ursprung und Idee. S. 21, Karl Büchner: Hu‐ manitas Romana. Studien über Werke und Wesen der Römer. S. 274 und Fritz Wehrli: ‚Vom antiken Humanitätsbegriff ‘, in: Theoria und Humanitas. Gesammelte Schriften zur an‐ tiken Gedankenwelt. S. 23. 82 Cicero: Rede gegen Verres. II, 3, 8. 83 Manfred Fuhrmann: Cicero und die römische Republik. S. 71. Gemäß diesen menschlichen Naturanlagen zu leben, diese zur besten Nutzung in der Gesellschaft zu verwenden, macht idealiter die conditio humana des Men‐ schen aus. Ciceros Begriffsprägung der humanitas benennt eine sozial-ethische Per‐ spektive menschlichen Lebens, die schon ansatzweise angelegt war im griechi‐ schen Adelsideal der καλοκἀγαθία Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. Sie zeigt sich in der Kriegführung Scipios, in seiner durch Polybios überlieferten Ritter‐ lichkeit bei der Einnahme von Carthago Nova (209 v. Chr.) und auch in den Reformbestrebungen der Gracchen 133 v. Chr. 77 Definiert als eine Mischung aus φιλανθρωπία, παιδεία 78 und urbanitas erfährt der Begriff der humanitas bei Ci‐ cero eine Ausweitung 79 in das öffentliche politische Leben in der Gesellschaft. Die humanitas wird bei Cicero zur zentralen sozialen Maxime. Cicero versteht unter humanitas die menschliche Rücksicht 80 gegenüber dem Mitmenschen, un‐ geachtet der Tatsache, ob dieser nun Römer oder Besiegter ist. 81 Gerade in den Kriegswirren scheint humanitas auch eine politische Pflicht zu sein, die sich gegen Willkür auf dem Schlachtfeld der Politik, der Justiz oder des Krieges rüstet. So prangert Cicero in seiner Rede gegen Verres dessen Mangel an Tüch‐ tigkeit, Unschuld, Sittsamkeit, Bildung, Anstand, Fleiß und urbanitas an und desavouiert den Statthalter Siziliens damit wirkungsmächtig als homo inhu‐ manus. 82 Ein Oberbefehlshaber, der seine Provinz ausnimmt und Kulturschätze in hemmungsloser Weise an sich bringt, war - wie Fuhrmann anmerkt 83 - kein Einzelfall in der römischen Aristokratie, doch Ciceros Urteil über diesen politi‐ schen Missbrauch und sein Umgang mit Verres im Senat ist grundsätzlicher und orientiert sich an der humanitas als zentraler Handlungsnorm eines Politikers. Cicero, der homo novus, rückt im antiken Rom die humanitas als Komplement zur potestas in den Fokus der Politik. Römische Politiker sind Diener der res publica, müssen sich laut Cicero am öffentlichen Nutzen für die Mitmenschen orientieren. Dementsprechend mahnt Cicero seinen Bruder Quintus: 83 3.2 Die sittlich-ethische Gefasstheit des Menschen (humanitas und decorum) 84 Cicero: Epistulae ad Quintum fratrem et M. Brutum. I, 1, 27. 85 Cicero: De officiis. III, 26. Cicero kommt hier der Auffassung Platos nahe, allerdings findet sich bei Cicero eine andere Konnotation, nämlich soziale Gerechtigkeit in Ver‐ bindung mit Bürgerpflicht. So sind alle Menschen prinzipiell gleich, denn sie unter‐ stehen demselben Gesetz der Natur, welche die Basis der menschlichen Gemeinschaft ist. Diese Gemeinschaft ist als ein großer Körper zu sehen, der als Ganzer geschädigt wird, wenn auch nur ein Teil davon geschädigt wird. Platon hingegen legt den Fokus auf die sittliche Lebensanschauung und verurteilt das aktive Unrechttun (ἀδικεῖν), während das passive Unrechterleiden (ἀδικεῖσθαι) als etwas moralisch Besseres ge‐ sehen wird. 86 Cicero: An seine Freunde. X, 4. 87 Vgl. Aulus Gellius: Attische Nächte. S. 171: Das Konzept der ciceronischen huma‐ nitas-Konzeption konvergiert mit der Vorstellung von Gellius: „Alle nun, die sich ehr‐ lich hierum [humanitas] bemühen und anstrengen, sind Menschen im eigentlichen Sinne des Wortes.“ 88 Vgl. Cicero: Rede für Quinctius. 97. 89 Cicero: De officiis. I, 29. [...] Deine Menschenfreundlichkeit würde Dich trotzdem verpflichten, für ihren Vor‐ teil zu sorgen und ihren Interessen, ihrem Wohlergehen zu dienen. Nun sind wir aber über eine Bevölkerung gesetzt, die nicht nur selbst Kultur besitzt, sondern die sie auch, wie allgemein anerkannt, andern vermittelt hat; da müssen wir gewiß vor allem denen gegenüber Kultur beweisen, von denen wir sie empfangen haben. 84 Die humanitas wird folglich als eine reziproke Beziehung zwischen Menschen als gesellschaftlichen Wesen verstanden. Nur ein ausbalanciertes soziales Achten und „Geachtetwerden“ von Mensch zu Mensch garantiert ein glückli‐ ches Miteinander in Gesellschaft und Staat. So ist es dem einzelnen Bürger nicht untersagt, den eigenen Nutzen zu verfolgen, jedoch ohne dem Anderen Unrecht zu tun. Für Cicero ist der Nutzen für den Einzelnen identisch mit dem Nutzen für die Allgemeinheit. 85 Cicero ist überzeugt, dass „nichts [...] im menschlichen Leben herrlicher und großartiger [ist], als sich um den Staat verdient zu ma‐ chen.“ 86 Neben den römischen Tugenden wie clementia oder fides und der Va‐ terlandsliebe gehört zur idealen vita activa eines römischen Bürgers maßgeblich die humanitas  87 , die Menschlichkeit als conditio sine qua non des Menschseins. Alle Menschen sind zur Fähigkeit der humanitas von der Natur gleichermaßen ausgestattet. Als sozialer Norm unterliegt ihr somit jeder Einzelne gleicher‐ maßen, und ihre Beachtung kann deshalb auch von jedem Einzelnen gefordert werden. Das Größere ist die Sozietät, die res publica als Lebensgemeinschaft. 88 Damit klassifiziert sich die humanitas nach Cicero als eine Form von Gerech‐ tigkeit, die sich darin zeigt, dass sich die Menschen freiwillig in den Dienst des Größeren stellen, indem sie ihre Fähigkeiten und Mittel in die Sozietät ein‐ bringen. 89 Die humanitas ist die Grundlage, damit menschlich erfülltes Leben in 84 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 90 Ibid, I, 30. 91 Cicero: Pro Archia Poeta. I, 2: „[W]eil dieser Mann in dieser Fähigkeit ein anderes Talent und nicht diese Redekunst oder Bildung besitzt.“ 92 Cicero: De fato. V, 11: [V]oluntas, studio, disciplina. einem gesunden Staat möglich ist. Inwieweit sich die Menschen dieser Fähigkeit bedienen und von welchen Faktoren dies abhängig ist, wird nur peripher ange‐ sprochen. So weist Cicero lediglich auf die Schwierigkeiten des einzelnen Men‐ schen hin, sich um die Anliegen anderer zu sorgen, „weil wir eher die günstigen oder ungünstigen Ereignisse wahrnehmen und empfinden, die uns selbst be‐ treffen, als diejenigen, die den anderen Menschen zustoßen und die wir sozu‐ sagen aus großer Entfernung sehen, urteilen wir über jene auch anders als über uns.“ 90 Das reale Problem einer je situativen Realisierung von humanitas wird hier auf die subjektive Perspektive des Einzelnen und die beschränkten mensch‐ lichen Möglichkeiten zurückgeführt, wodurch Emotionen, Neigungen und In‐ teressen Anderer nicht immer gebührend gewürdigt werden können. Die hu‐ manitas als Pflicht gegenüber der Sozietät und die Gerechtigkeit als freiwillige Teilnahme in dieser Gemeinschaft müssen als Richtlinien und Hilfestellung für die Ausübung dieser Pflicht ausreichen. Die sozial-ethische Gefasstheit von humanitas führt zur Frage, inwieweit diese natürlich gegebene Verfasstheit auch ausgebildet werden muss. Kann ihre Ausbildung durch Bildung gefördert werden? Und um welche Art von Bildung handelt es sich dann? Ciceros Konzept der humanitas ist nicht nur formale Bildung, sondern sie wird vor allem als praktische Bildung in der Gesellschaft verstanden. Dort, wo die humanitas ihren Wirkungsbereich hat, dort wird sie auch ausgebildet und geübt: im menschlichen Zusammenleben in der Gemeinschaft. Trotz der Tat‐ sache, dass alle Menschen die gleichen Naturanlagen haben, muss die humanitas als Menschenbildung geübt werden. Zwar subsumiert Cicero unter humanitas auch die formale Bildung in Wissenschaften, aber er definiert die humanitas allgemein als eine geistige Fähigkeit im Menschen. So beschreibt er den Dichter Archias mit folgenden Worten: „[Q]uod alia quaedam in hoc facultas sit ingeni neque haec dicendi ratio aut disciplina“ 91 . Der durch die Konjunktion quod aus‐ gelöste Konjunktiv und die Bedeutung von „facultas“ als Fähigkeit machen schon auf sprachlicher Ebene die in der menschlichen Natur angelegte Mög‐ lichkeit des Einzelnen deutlich, die humanitas zu verwirklichen. Ob ein Indivi‐ duum sich seiner Naturanlagen bedient und diese ausbildet, hängt vom Cha‐ rakter, den situativen Umständen und dem Willen ab. Der Mensch unterliegt nach Cicero nicht dem Zwang des Fatums, sondern er kann durch seinen Willen und sein Streben nach Bildung sein Leben selbst bestimmen. 92 Nach Cicero 85 3.2 Die sittlich-ethische Gefasstheit des Menschen (humanitas und decorum) 93 Cicero: Rede für Sex. Roscius aus Ameria. 154. 94 Ibid, 154. werden die Menschen zwar mit ihren natürlichen Anlagen geboren, doch un‐ terliegen diese dem freien Willen des Menschen, der qua doctrina seine Talente fördern und seine Fehler unterdrücken kann. Für Cicero zeigt sich die humanitas als menschliche Bildung und Fähigkeit zum einen im Geist, zum anderen als Mitleid, Güte und Empathie dem Mit‐ menschen gegenüber im Herzen des Menschen. Dieser komplementäre As‐ pekt zeigt die wahre Natur von humanitas: Sie ist im Ganzen kein Wert, der, einmal erworben, immer gegenwärtig ist, sondern muss vor allem als Emp‐ finden stets aufs Neue trainiert, geschützt und im menschlichen Verhalten erprobt werden. Cicero ist sich bewusst, dass wir uns die Einmaligkeit des Menschen immer wieder neu vor Augen führen müssen, um nicht abzu‐ stumpfen, wenn er sagt: „[W]enn wir zu jeder Stunde sehen und hören, daß etwas Grausiges geschieht, dann mögen wir die mildeste Sinnesart haben: unser Herz verliert, wenn die bedrückenden Ereignisse sich ständig wieder‐ holen, jegliches Empfinden für Menschlichkeit.“ 93 Cicero plädiert an dieser Stelle dafür, dass die vorsitzenden Richter gegenüber ihrer eigenen Bürgerschaft duldsamer sein sollen, wenn die Republik Not leidet. Das Übel der Republik ist die Ausrottung ihrer Bürger infolge der Bürgerkriege. Eine andauernde Verletzung der sozialen Maxime der humanitas kann insofern einen negativen Effekt auf die als Zeugen vorgeladenen Bürger haben, wenn diese sich daran gewöhnen, den Verlust der humanitas in ihrer Sozietät als einen normalen Gesellschaftszustand zu sehen. Die Menschlichkeit als Empfinden zu pflegen und dadurch zu verhindern, dass durch geduldete Gräueltaten das Mit‐ gefühl in den Herzen der Menschen gedämpft und am Ende sogar verloren wird, muss Aufgabe des Staates sein. Pflicht der Richter ist es, die Pflege der humanitas zu garantieren und zu schützen, indem sie „dem Staate zuallererst bei den An‐ gelegenheiten [...] helfen, durch die er am schwersten Not leidet.“ 94 Das Fluidum der humanitas in der Bürgerschaft zu bewahren, ist somit nicht nur Aufgabe der Politiker, sondern auch der Richter. Doch welcher andere Wert beeinflusst die sozial-ethische Maxime der hu‐ manitas, steht ihr vor und begrenzt sie? Es ist die rhetorisch-ethische Kategorie decorum, die die Grenzen der humanitas, verstanden als höhere Bildung des Menschen, in der Gemeinschaft bestimmt. Um an der menschlichen Gemein‐ schaft teilzunehmen und somit in einem gesetzten Kulturraum wirken zu können, bedarf der Mensch der Sprache und der Rhetorik. Diese sind folglich auf sprachlicher Ebene Instrumente der humanitas, so wie es Handlungen auf 86 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 95 Cicero: De oratore. I, 27. 96 Cicero: De officiis. I, 31. 97 Cicero: Pro Archia poeta. I, 2. 98 Philon: On mating with the preliminary studies. De Congressu Quaerendae Eruditionis Gratia. 17. der realen Ebene sind. Oder anders ausgedrückt: Humanitas ist die soziale Ein‐ fühlsamkeit, die sich in der Rede (als iucunditas oder in loquendo lepos) zeigt. 95 Durch die Sprache wird das decorum zum Maßstab für die humanitas. Erst wenn das decorum in den sprachlichen Äußerungen beachtet wird, kann eine Reali‐ sierung von humanitas erfolgen. Ein Redner muss sein Ethos mit Hilfe des de‐ corum aufbauen, will er von der Sozietät akzeptiert werden, will er überzeugen, für das Gute einstehen und humanitas realisieren. So kann Cicero sagen: „Solche Ausnahmen [Wahrhaftigkeit und Treue nicht zu beachten] muss man nämlich auf die Grundlagen der Gerechtigkeit beziehen, die ich anfangs erwähnt habe, dass niemandem Schaden zugefügt wird und dass man dem allgemeinen Nutzen dient.“ 96 Solange als Telos menschlichen Handelns also - ob sprachlich oder real - die humanitas gesetzt ist, erlaubt das decorum sogar im Einzelnen, moralisch betrachtet, ungerechte Handlungen. Die humanitas, hier begrenzt auf den öf‐ fentlichen Nutzen der Gemeinschaft, muss nach dem Gebot des decorum ge‐ schützt werden, dann ist idealiter Gerechtigkeit und Schicklichkeit im Staat möglich. So kann theoretisch auch eine per definitionem ungerechte Handlung, die im Dienste der Gemeinschaft vollzogen wurde, wie beispielsweise der Ty‐ rannenmord, gemäß der humanitas und des decorum geduldet werden. Doch Ciceros Konzept der humanitas umfasst mehr als den Aspekt der sozialen Bindung und der höheren menschlichen Bildung; sie ist auch das Band aller artes: „Alle Künste nämlich, alle Wissenschaften, die auf Bildung zielen, haben ein gemeinsames Band und sind verwandtschaftlich untereinander ver‐ bunden.“ 97 Dieses vinculum commune ist das gemeinsame Ziel: die humanitas. Ausgehend von der griechischen Vorstellung eines ἐγκυκλιος παιδεία, ver‐ standen als ein Verbund aller Wissenschaften und Künste eines freien Bürgers, propagiert auch Cicero ein solches umfassendes Bildungsideal des Menschen, der nach humanitas strebt. Die Künste des ἐγκυκλιος παιδεία, wie Grammatik, Geometrie, Astronomie, Rhetorik oder Musik haben einen Nexus: Ihre Grund‐ lage ist die menschliche ratio. Es sind Künste, welche die geistigen Anlagen eines Menschen verfeinern, harmonisieren und erweitern können, indem sie seine Empfindungen, basierend auf Logik und ratio, fördern. Philon von Alexandria, ein Zeitgenosse von Jesus und Paulus, definiert dementsprechend die Rhetorik als eine Kunst, die den Geist für Betrachtungen schärft, seine Sprachfähigkeiten trainiert und als eine Kunst, die den Menschen rational macht. 98 So kann folglich 87 3.2 Die sittlich-ethische Gefasstheit des Menschen (humanitas und decorum) 99 Cicero: Rede für Sex. Roscius aus Ameria. 154 und Epistulae ad Quintum fratrem et M. Brutum. I, 1, 38-39. 100 Cicero: De officiis. II, 51. die Verfeinerung intellektueller Fähigkeiten mit Hilfe der Rhetorik dabei helfen, falsche Schlussfolgerungen aufzuspüren, menschliche Triebe zu erkennen und bezwingen zu lernen, weil durch die Kunst der Rhetorik rationale Gedanken‐ gänge geübt und die Auswirkungen sprachlicher Interaktion analysiert werden auf der Grundlage rhetorisch ethischer Maximen. Im Fokus der Rhetorik steht stets der Mensch und sein kommunikativer Lebensraum, ob als sprachlich Agierender oder als Rezipient. Diese Kommunikationshandlungen unterliegen rhetorisch-strategischen Überlegungen und rhetorisch-ethischen Normen, wie dem decorum oder dem Ethos, und müssen jeweils situativ neu gesetzt werden. Um diese sprachlichen Handlungen zu einer erfolgreichen Realisierung inner‐ halb eines kommunikativen Wirkungsraumes zu führen, muss der Orator sich seiner ratio und seiner Kenntnisse der Rhetorik bedienen. Mit Hilfe der Künste, der Erziehung und Bildung als Mittel der geistigen For‐ mung eines Menschen nach normativen Maximen wird die humanitas konkret im und am Menschen realisiert. Indem sie das Herz (animus) 99 und den Geist des Menschen bilden und prägen, erwirbt der Mensch dignitas, die sich in der So‐ zietät durch sprachliche und reale Handlungen manifestiert. Die dignitas, als moralisches Attribut durch die menschliche Gesellschaft verliehen, muss sich der einzelne Mensch durch festen Charakter, innere Haltung und tadellose Handlungen erarbeiten. Um dieses Telos zu erreichen, kommt dem Menschen die Rhetorik als intellektuelle Disziplin zu Hilfe. Rhetorik als Instrument zur Verwirklichung von humanitas beschreibt ledig‐ lich einen funktionalen Aspekt der wechselseitigen Beziehung von Rhetorik und humanitas. Die humanitas hat in der Rhetorik jedoch auch einen kategorialen Aspekt: Sie existiert als ein Gebot wahrer Rhetorik nach Cicero. Für Cicero ist das Ideal der humanitas erfüllt, wenn die Rhetorik als ihre Die‐ nerin zum Nutzen der Menschen verwendet wird: „Denn was ist so unmensch‐ lich wie eine Eloquenz, die man zum Wohl und zum Schutz der Menschen von der Natur verliehen bekam, zum Unheil und zum Verderben anständiger Men‐ schen zu missbrauchen? “ 100 So ist als Verteidiger und Ankläger besonders darauf zu achten, die Rhetorik zum Schutz der guten Bürger (boni) zu gebrauchen. Doch auch einen Schuldigen zu verteidigen, der nicht gottlos (nefarius) und frevelhaft (impius) ist, ist unbedenklich, solange es die drei sozialen Instanzen - Mehrheit des Volkes (multitudo), Tradition (consuetudo) und humanitas - dulden. Folglich werden die endoxa der Mehrheit, die Sitten einer Gemeinschaft und die huma‐ nitas zu sozial-ethischen Richtlinien einer rhetorischen Handlung nach Cicero. 88 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 101 Vgl. Cicero: De oratore. I, 71: „[I]n omni genere sermonis, in omni parte humanitatis [...] oratorem perfectum esse debere.“ 102 Ibid, II, 66. 103 Ibid, I, 106. 104 Oscar E. Nybakken: Humanitas Romana. S. 403: Ähnlich wie Kallikles im Gorgias 485d-e, welcher Männer kritisiert, die in Ecken über Philosophie diskutieren, anstatt sie in ihrem Leben zu realisieren, misst auch Mucius der tatsächlichen Handlung und Le‐ bensanschauung mehr Wert bei als der reinen Diskussion darüber. Während die vorherrschenden Meinungen und Sitten das jeweilige Setting eines rhetorischen Wirkungsbereiches umfassen, ist die humanitas als universal gel‐ tende Maxime allen öffentlichen Handelns in einer Sozietät übergeordnet. Die humanitas, verstanden als Band aller Menschen untereinander, als Schutz für alle Menschen, steht über der rhetorischen Bewertung einer Redesituation und es gilt für den Redner, sie immer gleichermaßen zu beachten; der Orator ist nämlich nicht nur Techniker, sondern Mensch, welcher Sensibilität für die Men‐ schen entwickelt. 101 In Ciceros Hymnus auf die Rhetorik wird deshalb auch der Anspruch deutlich, Beredsamkeit von pekuniären Interessen zu trennen: Die Wohltaten und die erfolgreiche Interessenvertretung vor Gericht, die ein rede‐ gewandter und einsatzbereiter Mann erbringt, wenn er traditionsgemäß die Fälle vieler Menschen freudig und ohne Honorar übernimmt, haben demnach eine große Bedeutung. 102 Es ist Aufgabe des patronus, für seine Bürger mit Hilfe der Beredsamkeit zu kämpfen und ihnen Wohltaten zukommen zu lassen. An dieser Stelle sozialen Miteinanders konvergieren humanitas und Rhetorik, indem das eine das Ziel und das andere das Mittel zur Erreichung des Zieles ist. Es stellt sich nun jedoch die Frage, inwiefern Ziel und Mittel konvergieren, was zunächst doch nicht eine unbedingt zwingende Annahme ist, da die Rhe‐ torik eine Wissenschaft und Kommunikationstechnik ist, während humanitas die menschliche Fähigkeit zur Güte und eine soziale Maxime darstellt. Nach Ciceros Auffassung jedoch konvergieren sie idealiter im menschlichen Handeln und Sprechen und bereichern einander. Im Sinne einer Hierarchie spricht sich Mucius in De oratore allerdings für eine klare Priorität der humanitas vor der Beredsamkeit am Beispiel seines Gesprächpartners Crassus aus. 103 Diese Hier‐ archie kann zurückgeführt werden auf die normative Bedingtheit von humanitas und damit auf ihren ethischen Charakter, der verinnerlicht werden muss. Nach Nybakken zeigt sich das ciceronische Konzept der humanitas in den Hand‐ lungen, der Sprache, der Haltung, den intellektuellen und moralischen Fähig‐ keiten, im honestum und im decorum eines Menschen. 104 Es ist folglich eine Le‐ benskonzeption, die sich äußerlich zeigt und innerlich verankert sein muss. Sie 89 3.2 Die sittlich-ethische Gefasstheit des Menschen (humanitas und decorum) 105 Cicero: De oratore. II, 72. 106 Ibid, II, 212. 107 Aristoteles: Rhetorik. II, 1, 1378a9-11: Ethos wird durch φρόνησις, ἀρετή und εὔνοια erzeugt. 108 Vgl. Joachim Knape: Was ist Rhetorik? S. 85. verbindet das Beste im Menschen, seine Tugenden und seine ratio, mit dem individuellen Charakter. Ausdruck dieser harmonischen Verbindung ist dann die Sprache und somit die Rhetorik als Form menschlicher Interaktion. Am Bei‐ spiel des Crassus zeigt sich, dass die Rhetorik der zuvor erworbenen humanitas entsprechend folgt und so wird diese von Mucius entsprechend ihrer Bedeutung und Auswirkung auf den Menschen als bedeutender bewertet. Dennoch wird bei Cicero der Charakter einer Rede als „ein gehöriges Stück Arbeit und vielleicht die anspruchsvollste menschliche Aufgabe“ 105 überhaupt definiert. In ihr und durch sie präsentiert sich der Mensch als Teil einer Ge‐ meinschaft, die ihn ihrerseits akzeptieren oder ablehnen kann. Das rednerische Ziel einer ausgewogenen Rede kann mit Hilfe der humanitas erreicht werden: „Es gibt ja keine ausgewogenere Rede als die, bei der die Härte, mit der ein Redner sich einsetzt, durch seine Menschlichkeit gemildert wird, seine Gelas‐ senheit und Ruhe aber in einem ernsten, energischen Einsatz ihre Stütze findet.“ 106 Das Telos der Persuasion, das durch das Ethos 107 des Redners und die Systase in der Form sozialer Bindung 108 des Auditoriums erreicht wird, findet in der humanitas-Konzeption Ciceros als einer rhetorisch-ethischen Tugend und Lebensanschauung eine Orientierung. Die humanitas als soziale Maxime, als höhere menschliche Bildung und Gebot wahrer Rhetorik nach Cicero ist in Verbindung mit der Kategorie des decorum eine wichtige Säule rhetorischen Handelns. Die humanitas, die als Gesamtkon‐ zept das rhetorische decorum beinhaltet, darf sich jedoch nicht von diesem los‐ lösen, sondern muss das decorum als eine wichtige rhetorische Kategorie stets beachten. Gemäß der humanitas zu handeln, kann nur mit Hilfe des decorum sprachlich verwirklicht werden. Nur wenn die Menschen einer Rede zuhören, wenn sie angesprochen und überzeugt werden, kann die Tugend der humanitas zur Wirkung kommen. Ohne Bezug auf die Menschen als aktuelle Objekte der humanitas wird sich das menschliche Subjekt zwar innerlich geordnet haben können, jedoch kann die humanitas dann als Interaktion in menschlichen Be‐ ziehungen nicht gelebt werden. Hierfür benötigt sie die Rhetorik und das de‐ corum als Garantie für erfolgreiche sprachliche Kommunikation und Ausdruck von Humanität. In der Sprache eines Pico della Mirandola nähert sich der wahr‐ haft „humane“ Mensch dann sogar der göttlichen Sphäre: 90 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 109 Giovanni Pico della Mirandola: De hominis dignitate. S. 17. 110 Vgl. Wolfgang Schadewaldt: ‚Humanitas Romana‘, in: Hellas und Hesperien. S. 695: Schadewaldt bezeichnet humanitas als „politische[s] Bildungsprogramm des Staats‐ manns, dem auch eine propagandistische Note nicht gefehlt hat“ und sieht die von Cicero betonte Humanität als Grundlage, „um sich den homo novus, der sich auf keine maiores berufen kann, zu legitimieren“ (S. 697). Wenn wir das [Begleiter der Engel zu sein] durch die Kunst der Rede oder Dialektik erreicht haben und so schon vom Geist der Cherubim beseelt sind, werden wir in philosophischer Betrachtung über die Stufen der Leiter [...] bald hinaufsteigen [...] bis wir endlich im Schoß des Vaters über der Leiter ruhen [...]. 109 Cicero erweiterte also in sozial-ethischer Perspektive den Begriff der humanitas von φιλανθρωπία, παιδεία und urbanitas. Einerseits ist humanitas als Hand‐ lungsnorm für Machthabende 110 zu verstehen, da sie komplementär zur potestas gedacht ist, andererseits bedarf sie, um wirksam zu werden, auch der prakti‐ schen Ausbildung. Für beides grundlegend ist die Fähigkeit zur Empathie; diese wiederum ist nicht auf die Schicht der Herrschenden bezogen, sondern huma‐ nitas zeigt sich als innerlich verankerte Lebenskonzeption für jeden römischen Bürger. Grundlegend aber ist dabei, dass eine Norm vermittelt wird, dass also zu einer Disposition notwendigerweise die Einübung in eine Disziplin gehört, was bedeutet: Bildung ist die erste Bürgerpflicht für alle. Bildung ist deshalb etwas Doppeltes: einerseits die Förderung der freien Ent‐ wicklung des Einzelnen zu einem höheren Ziel, das heißt Verstandes- und Cha‐ rakterbildung, andererseits aber auch Einübung des einzelnen Menschen in die Struktur eines Gemeinwesens, das nicht nur Rechte gewährt, sondern auch Pflichten dem Ganzen gegenüber einfordert. Dieser antike Ansatz wurde mit dem Bildungsroman im 19. Jahrhundert in Deutschland wieder aufgenommen. Der erste Bildungsroman war Wielands Agathon, der Prototyp allerdings dürfte Goethes Wilhelm Meisters Lehr- und Wanderjahre sein: Der naive Held voller Ideale trifft zunächst auf eine ihn ab‐ lehnende Welt. Seine konkreten Erfahrungen in dieser wirklichen Welt lassen ihn reifen und führen ihn dann zur klaren Erkenntnis seiner selbst und der Welt, in der er dann auch seinen Platz findet. Diesem neuhumanistischen Bildungsbegriff lag das Ideal einer harmoni‐ schen, allseits gebildeten Persönlichkeit zugrunde. Einerseits sollte die höchste individuelle Bildung ein Ziel per se sein, andererseits sollte die individuelle Bil‐ dung dann auch zum Nutzen von Staat und Gesellschaft sein. Herder überschreitet den nationalstaatlichen Rahmen. In seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit erweitert er die Nationalgeschichte zur Menschheitsgeschichte: Nationen und Epochen tragen ihren Wert als 91 3.2 Die sittlich-ethische Gefasstheit des Menschen (humanitas und decorum) 111 Rüdiger Safranski: Nietzsche. Biographie seines Denkens. S. 109. 112 Friedrich Nietzsche: Unzeitgemäße Betrachtungen. Erstes Stück: David Strauss der Be‐ kenner und der Schriftsteller. S. 165. Mächte der Geschichte in sich. Humanität ist allumfassendes Ideal und im ein‐ zelnen Menschen leuchtet die Vision eines vergöttlichten Menschen, der näm‐ lich ein „Analogon der alles durchfühlenden Gottheit“ (S. 74) ist. Dieses Lebens- und Bildungsideal kulminiert im Sturm und Drang im umfassend menschlich gebildeten kreativen Genie. Nach der Revolution von 1848 ist dieser komplexe Bildungsgedanke dann allerdings reduziert worden, indem er auf einen Zweck hin gedacht wurde. Bil‐ dung wurde nun instrumentalisiert, zertifiziert in Form eines Diploms und de‐ generierte damit zum Statussymbol, das berufliche Chancen und Sozialprestige versprach. Nietzsche 111 - und mit ihm viele andere - übergoss diesen Bildungs‐ philister mit Hohn und Spott: Das Wort Philister ist bekanntlich dem Studentenleben entnommen und be‐ zeichnet in seinem weiteren, doch ganz populären Sinne den Gegensatz des Mu‐ sensohnes, des Künstlers, des ächten Kulturmenschen. Der Bildungsphilister aber - dessen Typus zu studiren, dessen Bekenntnisse, wenn er sie macht, anzuhören jetzt zur leidigen Pflicht wird - unterscheidet sich von der allgemeinen Idee der Gattung „Philister“ durch Einen Aberglauben: er wähnt selber Musensohn und Kultur‐ mensch zu sein; [...] Wenn nun die wahre Kultur jedenfalls Einheit des Stiles vor‐ aussetzt, und selbst eine schlechte und entartete Kultur nicht ohne die zur Har‐ monie Eines Stiles zusammenlaufende Mannigfaltigkeit gedacht werden darf, so mag wohl die Verwechselung in jenem Wahne des Bildungsphilisters daher rühren, dass er überall das gleichförmige Gepräge seiner selbst wiederfindet und nun aus diesem gleichförmigen Gepräge aller „Gebildeten” auf eine Stileinheit der deut‐ schen Bildung, kurz auf eine Kultur schliesst. 112 3.3 Der Pflichtbegriff (decorum und officium) Ethische Ideale von καλοκἀγαθία im antiken Griechenland und das Ideal des vir bonus im alten Rom prägten den sittlichen Charakter dieser Hochkulturen. Die Götter ehren, die Sitten der Vorfahren respektieren und Vaterland und Fa‐ milie schützen, galt als Gebot für alle Bürger. Der Mensch als soziales Wesen benötigt nach wie vor den Kontakt mit an‐ deren Individuen in einer Gemeinschaft, und eine menschliche Gemeinschaft benötigt Maximen als Handlungsorientierung und allgemein anerkannte Regeln 92 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 113 GG, Präambel, S. 13. 114 Christoph Gröpl, Kay Windthorst und Christian von Coelln (Hg.): Grundgesetz. Studi‐ enkommentar. S. 2: „Der Gottesbezug der Verfassung [...] verleiht dem GG keinen spe‐ zifisch christlichen oder auch nur generell religiösen Charakter. Er relativiert jedoch den staatlichen Herrschaftsanspruch, indem er einer Verabsolutierung der Staatsgewalt eine Absage erteilt.“ Und Helge Sodan (Hg.): Grundgesetz. Beck’scher Kompakt-Kom‐ mentar. S. 2: „Gewollt war aber - und sollte gelten - eine rechtliche Sicherung der Achtung vor gemeinsamen gottesbezogenen Grundvorstellungen.“ 115 GG, Art. 2.1, S. 14. 116 Aristoteles: Nikomachische Ethik. I, 1, 1094b5-10. zur Sanktionierung, wenn diese Maximen von Einzelnen in gesellschaftsschä‐ digender Weise nicht befolgt werden. Obwohl der Mensch ein soziales Wesen ist, stellen sich sittliche Gebote allerdings nicht als verpflichtend in natürlicher Weise dar, sondern sie müssen vom Menschen selbst und der ihn umgebenden Sozietät aufgestellt und eingeübt werden. Ähnlich wie im antiken Athen und Rom gründet sich auch heute eine moderne Gesellschaft implizit und explizit auf Pflicht und Moralität. So ist in der Präambel des Grundgesetzes der Bun‐ desrepublik Deutschland (GG) zu lesen: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen [...] hat sich das Deutsche Volk [...] dieses Grund‐ gesetz gegeben.“ 113 In diesem Satz kommt zum Ausdruck, dass das deutsche Volk zwar der Souverän ist und als solcher Normen setzt, dies aber nicht willkürlich, sondern in der Bindung an einen obersten Souverän, nämlich Gott 114 , und in der Verantwortung vor den Mitmenschen. Somit erfährt die persönliche Freiheit des Menschen dort ihre Begrenzung, wo sie in den Lebensbereich eines anderen Menschen eindringt oder „gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sit‐ tengesetz verstößt“ 115 . Auch in anderen europäischen Verfassungen ist die sitt‐ liche Verantwortlichkeit des Menschen für seine Worte und Taten ein Regula‐ rium der gesellschaftlichen Ordnung. Diese in den letzten Jahrhunderten verfassten Gesetzesschriften und Landesverfassungen zeugen vom fundamen‐ talen Wert, welcher der Moralität und der Pflicht als den grundlegenden Normen in einer Gesellschaft beigelegt wird. Doch wodurch wird Sittlichkeit erreicht? Und was ist letztlich das Endziel menschlichen Handelns? Es sind insbesondere drei Denker, deren Ansätze ich zunächst darstellen möchte, weil sie auf diese Fragen Antworten geben und weil meines Erachtens das Verständnis des ciceronischen Ansatzes dann im Rückgriff erleichtert wird: Aristoteles, Kant und Schiller. Der griechische Philosoph Aris‐ toteles sieht im Bereich der Staatskunst eine den praktischen Künsten wie der Redekunst übergeordnete Kunst, deren Ziel es ist, zu normieren, was zu tun und was zu lassen sei, und somit ist ihr Ziel das oberste Gut für den Menschen. 116 Nach Aristoteles ist wertvolles menschliches Handeln das Endziel an sich. Das 93 3.3 Der Pflichtbegriff (decorum und officium) 117 Ibid, VI, 4, 1140a25-30. 118 Ibid, IX, 4, 1166a32 und IX, 9, 1170b6-20. 119 Kant verwirft die Glückseligkeit nicht als Gut an sich, sondern er modifiziert sie als phy‐ sisches Gut, welches sich in Abstimmung mit der Sittlichkeit ergibt. Vgl. Kant: Kritik der Urteilskraft. II, § 87 und siehe auch Otfried Höffe: Immanuel Kant. S. 198f. 120 Otfried Höffe: Immanuel Kant. S. 251 und Kant: Kritik der reinen Vernunft. B 839: „Gott also, und ein künftiges Leben, sind zwei von der Verbindlichkeit, die uns reine Vernunft aufer‐ legt, nach Prinzipien eben derselben Vernunft nicht zu trennende Voraussetzungen.“ 121 Kant: Kritik der reinen Vernunft. B 562 und siehe auch Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. BA 119. Prinzip der Eudämonie sieht er im menschlichen Tun verwirklicht, wenn der Mensch sittliche Einsicht hat, d. h., wenn „er wohl zu überlegen weiß, was ihm gut und nützlich ist, [...] in bezug auf das, was das menschliche Leben gut und glücklich macht“. 117 In den Begriffen der Kunst, des Schönen, der gefestigten sittlichen Haltung durch Taten (ἔξις), der Mesoteslehre und der Eudämonie als realisierter Tugend im Tätigsein spiegelt sich nach Aristoteles das Moralische des ζῷον πολιτικόν wider. Die individuelle Eudämonie als gelungenes Leben und der Altruismus einigen - nicht allen - Mitmenschen gegenüber sind bei Aristoteles keine unvereinbaren Gegenpole, sondern lassen sich in seinem Kon‐ zept der Freundschaft als einer Lebensform mit einem zweiten Selbst zu einer Einheit zusammenbringen. 118 Im Gegensatz zu Aristoteles ist für Kant nicht zwangsläufig die Eudämonie 119 , sondern die Pflicht in ihrer prägnanten Form des kategorischen Imperativs die alleinige moralische Maxime des Menschen. Außer dem bestirnten Himmel als Gottes Reich ist es das moralische Gesetz im Menschen selbst, welchem er sich verpflichtet fühlen soll. Kant verbindet die Existenz eines moralischen Endzwe‐ ckes mit der daraus resultierenden logischen Existenz einer „moralischen Weltur‐ sache“ (KdU II, § 87): Gott. Damit verlagert Kant die moralische Tragweite mensch‐ lichen Denkens und Handelns vom Diesseits ins Jenseits. 120 Analog zur ultimativen moralischen Ursache in Gott ist auch die absolute Gültigkeit der menschlichen Pflicht zu begreifen. Eine Pflicht ist in GMS, BA 53 nur dann eine vollkommene Pflicht, wenn sie „keine Ausnahme zum Vorteil der Neigung verstattet“. Die beiden menschlichen Triebfedern Neigung (subjektives Prinzip) und Pflicht (objektives Prinzip als allgemeines Gesetz) werden strikt getrennt. Während die Sinnenwelt mit der Sinnlichkeit erfasst wird als innere und äußere Empfindungen, abstrahiert der Verstand von der sinnlichen Wahrnehmung. „Die Freiheit im praktischen Ver‐ stande ist die Unabhängigkeit der Willkür von der Nötigung durch Antriebe der Sinnlichkeit.“ 121 Qua vernünftiger Intelligenz gibt sich der Mensch das moralische Gesetz selbst, das in ihm liegt. Die Pflicht ist damit die reine Achtung vor dem 94 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 122 Ibid, BA 20. praktischen Gesetz, welche den guten Willen als Handeln realisiert. 122 Um diese Pflicht zu erfüllen, muss der Mensch einen „ernstlichen Willen“ (KdU B 426) zur Handlung entwickeln und nicht von mittelfristigen Folgen einer Handlung wie einem kurzfristigen Erfolg geleitet werden. Der kategorische Imperativ ist deshalb vernünftig, weil nur das gewollt wird, was als Maxime für alle gelten kann. Die Autonomie des Willens ermöglicht nach Kant die reine Umsetzung des morali‐ schen Gesetzes, da nur in der von allen Empfindungen, Fremdbestimmungen und zweckgebundenen Handlungen losgelösten transzendentalen Freiheit der Mensch wirklich moralisch handeln kann. Oberstes Prinzip der Sittlichkeit ist folglich der autonome Wille, der auf prak‐ tisches Handeln gerichtet ist und dabei Gesetzen folgt, die die Vernunft gegeben hat. Diese Gesetze, die Maximen des kategorischen Imperativs, sind die formalen Bedingungen der menschlichen Freiheit, denn der Mensch kann nur innerhalb von Grenzen frei sein. Seiner Pflicht nachzukommen, dient sowohl der Selbsterhal‐ tung des einzelnen Menschen, als auch der Sozietät, in der der Mensch lebt. Wenn wir unsere Pflichten erfüllen, werden wir nicht unbedingt glücklich, aber des Glückes würdig. Kant differenziert dabei zwischen Pflichten sich selbst und an‐ deren gegenüber und zwischen Handlungen aus Pflicht und pflichtgemäßen Handlungen aus Neigung: Handlung aus Pflicht pflichtgemäße Hand‐ lung aus Neigung Pflichten mir selbst gegenüber Lebenserhaltung Selbsterhaltung der Glückseligkeit würdig Pflichten den Mit‐ menschen gegenüber Wohltätigkeit Ehrlichkeit Mitleid Tab. 2: Kants Aufteilung der Pflichten Kants ethische Postulate führen zur Frage, ob Vernunft allein zur Moralität reicht und ob die Autonomie des Willens eine Garantie oder eine Herausforderung von Moralität bedeutet. Im Jahr 1794 entfachte darüber kein Streit, wie oft kolportiert wurde, sondern eine intellektuelle Auseinandersetzung zwischen Kant und Schiller. So betont Schiller in seinem Brief an Kant am 13. Juni 1794 seinen Wunsch, die von Kant entwickelte ethische Sittenlehre der breiten Bevölkerung verständlich zu machen und sie mit der moralischen Absolutheit des kantischen Systems zu versöhnen. Er sieht sich weniger als Gegner, denn als Schüler und 95 3.3 Der Pflichtbegriff (decorum und officium) 123 Kant: Briefwechsel. Brief 628, S. 668/ 669 und Schiller: Über Anmut und Würde. S. 130f. 124 Gert Ueding: Schillers Rhetorik. Idealistische Wirkungsästhetik und rhetorische Tradition. S. 14. 125 Schiller: Über Anmut und Würde. S. 128. 126 Ibid, S. 134. 127 Cicero: De officiis. I, 4. 128 Ibid, I, 4-8. Obwohl Cicero die mittlere Pflicht καθῆκον als officium übersetzt, zeigt Schönberger, dass zwar „jedes Kathekon ein Officium, aber nicht jedes Officium ein Kathekon“ sei. Das καθῆκον betreffe „den Menschen in seinem Wesen oder seiner Natur“, das Officium „den Menschen mehr in seiner Individualität, in seiner Konkret‐ heit“. Otto Schönberger: M. Tullius Cicero. De officiis. S. 11. Vermittler Kants. 123 Auf diesem Hintergrund sind Schillers Schriften als Ergän‐ zungen und Fortführungen des Themas der wirklichen Sittlichkeit zu sehen, die erst in der Auseinandersetzung mit Kants Moralphilosophie entstanden sind. 124 Im Gegensatz zu Kant, welcher vor allem die Pflicht betont und die Neigung für eine moralische Handlung nicht als zwingend notwendig erachtet, ist es bei Schiller gerade diese Harmonie zwischen Pflicht und Neigungen, die die Schön‐ heit der Moralität ausmacht. 125 Diese Verbindung von Lust und Pflicht macht aus, was Schiller als schöne Seele bezeichnet. Laut Schiller sind nicht einzelne Hand‐ lungen sittlich, sondern der gesamte Charakter eines Menschen bestimmt seine Anmut und Würde. 126 Der Mensch als sittliches Wesen ist dann sittlich voll‐ kommen, wenn er die Neigung zu moralischem Handeln ausbildet. Harmonie be‐ deutet bei Schiller, dass der sinnliche Teil in keinem Gegensatz zum vernünftigen Teil des menschlichen Wesens steht und der Mensch durch dieses Gleichgewicht der inneren Kräfte in sich ruhen kann. Schillers Konzept von Sittlichkeit ist die harmonische Verbindung von Pflicht und Neigung, Vernunft und Sinnlichkeit zu einem schönen Ganzen im Menschen. Der Nexus von Aristoteles’, Kants und Schillers philosophischen Betrachtungen ist der feste Glaube an die Notwendig‐ keit eines moralischen Endzweckes im menschlichen Handeln. Auch für Cicero ist Pflicht eine Grundkategorie, sowohl für das private Leben des Einzelnen, als auch für das Leben in der Gesellschaft. Bereits in seiner per‐ sönlichen Anrede an seinen Sohn Marcus zu Beginn des ersten Buches betont Cicero die Tragweite der Pflicht in beiden Lebensbereichen. 127 Er definiert offi‐ cium als eine universale Pflicht im Streben nach dem höchsten Gut als dem Ziel des Menschen. Dabei gibt es zwei Arten von Pflichten: die mittlere (commune/ medium) und die vollkommene Pflicht (perfectum). In Anlehnung an Panaitios übersetzt Cicero die griechischen Begriffe καθῆκον als commune/ medium offi‐ cium und κατόρθωμα als perfectum officium rectum. 128 Dadurch führt Cicero in dieser Diskussion zwei verschiedene moralische Ebenen ein: die menschliche, der Natur gemäße real-tätige Welt als das erreichbar Moralische in der Ver‐ 96 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 129 Cicero: Atticus-Briefe. XVI, 16, 4, De finibus bonorum et malorum. III, 20 und De officiis. I, 124. 130 Max Pohlenz: Antikes Führertum. S. 14f. Ursprünglich beinhaltete officium auch eine Beziehung zur Natur der Pflanzen und Tiere bei Stobaios (ekl. II, p. 85. 15 f.) und Dio‐ genes Laertius (VII, 107), die bei Cicero allerdings zugunsten der moralischen Normie‐ rung des Begriffes entfällt. wirklichung des Möglichen, und die zweite, göttlich-geistige Welt des Weisen als vollkommene Moral, nach der sich der Mensch als Ideal ausrichtet. commune officium perfectum officium Pflicht den Verhältnissen ange‐ passte Pflicht vollkommene Pflicht Mensch Pflicht der Allgemeinheit Pflicht der Weisen Art der Moral das erreichbar Moralische das wahrhaft Moralische Tab. 3: Pflichteneinteilung bei Cicero Da das perfectum officium als höchste Stufe menschlichen Handelns gilt, aber nur für Wenige erreichbar ist, widmet sich der Praktiker Cicero besonders dem menschlichen καθῆκον, welches er oft nur als officium übersetzt. Im 16. Brief an Atticus zählt Cicero auf, welche Tätigkeitsfelder er unter officium subsumiert: consulum officium, senatus officium und imperatoris officium. 129 Hierbei fällt auf, dass es sich um Bezeichnungen politischer Tätigkeitsfelder handelt, wie sie im alten Rom als Teil des cursus honorum erreicht wurden. Sie bezeichnen die Auf‐ gabengebiete von Magistraten, Senatoren oder Konsuln, die zwar ein ehren‐ volles und moralisches Auftreten beinhalten können, nicht aber per se für Moral oder Pflicht stehen. Es liegt nahe, dass Cicero den Begriff des officium seiner politischen Praxis entlehnt, diesem dann einen moralischen Wert beimisst und ihn von der Politik in die Philosophie und Rhetorik erweitert. Pohlenz bestimmt das officium als eine allgemeine Verpflichtung eines Römers dementsprechend als officia des Beamten, der pietas gegenüber dem Vaterland und der Familie und als officia amicitiae gegenüber der Gesellschaft und Freunden. Die Bezeichnung officium geht auf das Wort opificium (wahrscheinlich aus opus und facere entstanden) zurück, das ein „Werktun“ und Arbeit als subjektive Tätigkeit bezeichnet. Dieser Begriff des officium unterlag einem Bedeutungs‐ wandel und bezeichnete zunächst in der Komödie Pseudolus von Plautus (370-380) um 191 v. Chr. die Kupplerei eines improbus vir, um dann zum Aus‐ druck gebührenden Handelns zu werden. 130 Laut Diogenes gilt Zenon von Kition 97 3.3 Der Pflichtbegriff (decorum und officium) 131 Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. VII, 25. Leider wird bei Diogenes weder ein Titel, noch eine Quelle für diese Information angegeben. 132 Ibid, 7, 108-109. als Erfinder des Begriffs καθῆκον (Pflicht), über den er auch eine verloren ge‐ gangene Abhandlung geschrieben haben soll. 131 Definiert wird hier nach Dio‐ genes (VII, 107/ 8) die Pflicht als eine „Tätigkeit, deren Erfüllung sich plausibel erklären lässt“ und die „den Strukturen der Natur zugehörig“ sei. Zenon habe καθῆκον hergeleitet von κατά τινας ἤκειν, was wörtlich übersetzt heißt „was gewissen Menschen obliegt“. Interessant ist bei Diogenes die Angabe, Zenon habe die Pflichten in vier verschiedene Arten eingeteilt: 132 - Pflichten, die von Umständen abhängig sind: Sorge um Gesundheit und Sinnesorgane - Pflichten, die nicht von Umständen abhängig sind: Körperglieder preis‐ zugeben oder Vermögen zu opfern - Pflichten, die immer gelten: ein tugendhaftes Leben - Pflichten, die nicht immer gelten: zu fragen, zu antworten, spazieren zu gehen. Wenn man diese Pflichten hierarchisch ordnet, steht an oberster Stelle der dritte Bereich, da es sich hier um Pflichten handelt, die immer gelten und somit oberste Priorität haben. Die höchste Pflicht des Menschen ist: tugendhaft zu leben. Diese Pflichten hat der Mensch allein zu verantworten, sie werden weder durch situ‐ ative Umstände, noch durch äußeres Einwirken außer Kraft gesetzt. So steht es dem Menschen auch in schweren Zeiten frei, wie bei Verlust, Schmerz oder in existenzieller Not, wie er handeln und leben möchte. Für Zenon ist das Lebens‐ ziel des Menschen das innere Glück, das erreicht wird, wenn der Mensch sich selbst treu ist: ὁμολογουμένως. Dieses Adverb, das aus dem Partikel ὄμως und dem Nomen ὁ λόγος zusammengesetzt ist, bedeutet, „unter den Verhältnissen des Logos“ leben. Im Einklang mit dem rationalen Teil des menschlichen Wesens - dem Logos - und dem begehrlichen Teil - den Affekten und Trieben - zu leben, heißt dann, Sollen und Wollen im Handeln zu versöhnen, um ein sittliches Leben führen zu können. Für die Stoiker Zenon und Seneca (Ep. 9, 3) ist die Apathie, d. h. die Abwesenheit und Beherrschung von dominierenden Affekten, der erstrebenswerte Zustand der menschlichen Seele überhaupt. Diese stoische Definition von Apathie wählt analog auch Cicero in fin. II, 37, diesmal jedoch, um den Begriff οἰκείωσις (Zueignung/ sich ein Zuhause in der Welt schaffen) als ein Lebensprinzip gemäß der Natur zu bestimmen, dessen Funktion in der Selbsterhaltung und Pflege der eigenen Verfassung (status) liegt, worunter als Teil das Freisein von Schmerz (de vacuitate doloris, fin. V, 21) 98 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 133 Cicero: De finibus bonorum et malorum. III, 16 f. und De officiis. I, 11 ff. 134 Cicero: De finibus bonorum et malorum. III, 20. 135 Cicero: Orator. 74. fällt. 133 Im Gegensatz zur altgriechischen Bedeutung des οἶκος als Haus, Haus‐ gemeinschaft oder Heimat versteht Cicero darunter eher ein generelles Hand‐ lungsprinzip, das allen Lebewesen gemeinsam ist. Der Mensch baut sich sein individuelles οἶκος mit Hilfe seiner ratio, seiner Sprache, seines Gefühls für das decorum und seiner Fähigkeit zu tugendhaftem Handeln. Auf diesen stoischen Rahmen der οἰκείωσις-Lehre greift Cicero zurück und entwickelt im Zusam‐ menhang mit honestum und decorum seine Lehre von den Pflichten. Insofern sind auch Deckungsgleichheiten der einzelnen Kategorien Ciceros wie οἰκείωσις (lat. conciliatio) und decorum oder officium und decorum zu erklären, da sie alle Teil seiner großen Ethik des Menschen als Rhetorik und Politik be‐ gabtes Wesen sind. So wird der Mensch mit seinen Vorzügen zwar geboren, doch muss er bei Cicero immer auch eine innere Entwicklung durchlaufen und sich der Einübung unterziehen, um sein volles Potential für ein tugendhaftes und pflichtgemäßes Leben verwirklichen zu können. Cicero beschreibt die mora‐ lische Entwicklung des menschlichen Geistes in Stufen, gekoppelt an die Ein‐ haltung von Pflichten, die dann idealiter repräsentiert werden: 134 - der Natur gemäß leben (vivere secundum naturam) - pflichtgemäße Handlungen auswählen (officio selectio) - und sie zu einer dauerhaften Haltung werden lassen (ea perpetua) - konsequente Übereinstimmung mit der Natur (ad extremum constans consentaneaque naturae) Die Pflicht kann so dazu beitragen, das wahrhaft Gute im Menschen hervorzu‐ bringen, indem sie ihm die Aufgabe stellt, seine Tugenden im Handeln zu ma‐ nifestieren. Wie sind aber Tugenden (virtus), Pflichten (officium) und deren Ur‐ sprünge (officii fons) miteinander verbunden? Gibt es eine Hierarchie der Pflichten? Und welche Rolle spielt das decorum innerhalb der Pflichten? Die beiden rhetorischen Kategorien decorum und officium werden bei Cicero zu korrelativen Säulen seiner Pflichtenlehre. So umschreibt das officium zwar auch den Tätigkeitskreis, innerhalb dessen sich das decorum unterordnet, doch beinhaltet die Kategorie officium als rhetorische Maxime per se das decorum, das in Sprache und Tat erst verwirklicht werden kann. Während das officium universal und immer gilt, wird das decorum je nach Situation und Person bestimmt und kann keiner univer‐ salen Regel folgen, damit es wirkt. 135 Folglich ist das officium als τὸ δέον in jedem Lebensbereich als Orientierung zur Lebensführung existent. Die Pflicht, das offi‐ cium in der Handlung zu realisieren, gelingt mithilfe des decorum, das Mittel und 99 3.3 Der Pflichtbegriff (decorum und officium) 136 Cicero: De officiis. I, 156. Modus der Realisierung ist. Tugenden befördern, Pflichten erfüllen und rheto‐ risch-ethische Kategorien beachten, das ist die Basis eines guten und naturge‐ mäßen Lebens. Cicero rubriziert die Pflichten eines guten Menschen und Bürgers in vier Kardinalspflichten, die aufgrund ihrer ursprünglichen Quellen hierarchisch geordnet sind: die Pflicht zur Wissenschaft und Bildung, die Pflicht zum festen Ver‐ bund menschlicher Gemeinschaft, die Pflicht zum sozialen Handeln und die Pflicht zur harmonischen Verbindung von Taten und Leben. Quelle daraus resultierende Pflicht cognitio Wissenschaft, Bildung ratio menschliche Gemeinschaft animi elatio soziales Handeln rerum modus Decorum als Realisierung einer harmonischen Persönlichkeit Tab. 4: Pflichten Obwohl Cicero diese Hierarchie bei der Einführung der Pflichten und deren Quellen in off. I, 20-152 etabliert, relativiert er diese später in I, 153-158, als er die Pflichten mit der Wesensnatur des Menschen vergleicht und feststellt, dass die sozialen Pflichten eher dem Menschen entsprechen und ihm mehr nützen als die intelligiblen Pflichten. Denn das Resultat der sozialen Pflichten ist das soziale Handeln zum Wohl der menschlichen Gemeinschaft. Zwar nützt die Pflicht zur wissenschaftlichen Erkenntnis dem Individuum, um ein guter Bürger zu werden, aber nur, wenn er diese zum Nutzen für seine Mitmenschen einbringt. Ohne die soziale Verankerung als Telos des Handelns können die erworbenen Fähigkeiten eines Menschen auch zum Schaden der Gemeinschaft genutzt werden. In diesem Kontext kommt Cicero auch auf die Rhetorik zu sprechen, wenn er sie als Instru‐ ment der klugen Kommunikation (modo prudenter) bezeichnet, die das allumfas‐ sende Denken fördert und nicht selbstbezogen ist, sondern gerade im aktiven Miteinander der Menschen ihren Platz hat. 136 Folglich ist die Rhetorik mit ihren intrinsisch-ethischen Kategorien zwar eine Wissenschaft, die zunächst gelernt werden muss, aber sie hat das Potential, die wahre Pflicht zum sozial gerechten Handeln in der Sozietät zu vervollkommnen. Im ersten Buch bespricht Cicero die jeweilige Pflicht ausführlich anhand his‐ torischer Begebenheiten und einer Kasuistik, die anschauliche Beispiele zur 100 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 137 Ibid, I, 18. 138 Cicero: Lucullus. 2, 17 und Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philo‐ sophen. VII, 46 und 50-53. Vgl. Max Pohlenz: Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewe‐ gung. S. 55f. und 62. 139 Cicero: De officiis. I, 18. Nachahmung gibt und als Mahnung dient. Die erste Pflicht zur Erkenntnis und zur Wissenschaft, die „in veri cognitione consistit“ 137 , scheint dem Menschen wesensgerecht zu sein, da er nach Wissen und Erkenntnis strebt und sich auf diesem Feld gut beweisen kann. Dennoch können zwei Fehler unterlaufen, die zu vermeiden sind: Nicht-Verstandenes als verstanden zu akzeptieren und sich zu stark mit unnötigen Fragen zu beschäftigen. Dieses erste vitium ist stark stoisch geprägtes Gedankengut, das Cicero von Zenon von Kition und Chrysipp (Über die Seele, 12) übernommen und in seine Pflichtenlehre als Hintergrund eingewoben hat. Nach den Stoikern fallen die Beschäftigung mit einem Objekt und dessen Erkenntnis nicht analog zusammen, sondern verlaufen als Erkennt‐ nisprozess in Stufen. So muss der erkennende Mensch die αἴσθησις (Sinnes‐ wahrnehmung), φαντασία (Vorstellung/ Erscheinungsbild), συγκατάθεσις (Zu‐ stimmung zum Sinneseindruck) und κατάληψις (Begreifen/ Verständnis) durchlaufen, um zu wahrer Durchdringung eines Objektes zu gelangen und Er‐ kenntnis zu gewinnen. 138 Dieser Aneignungsvorgang setzt in der Auseinander‐ setzung mit der Sache Zeit und Sorgfalt voraus. 139 Bezüglich des zweiten vitium definiert Cicero die nötigen Fragen, die behan‐ delt werden müssen, als die Fragen, die moralisch sind, das gute und glückliche Leben betreffen, das Streben nach Wissen und die gedankliche Klärung beför‐ dern (off. I, 19). Es wird jedoch keine reine Vergeistigung propagiert, sondern die Verbindung von individueller, geistiger Bildung und sozialer Umsetzung in der Praxis. So darf die Beschäftigung des Menschen mit seiner geistigen Bildung nicht das praktische Leben behindern, denn die Tugend wirkt nicht als statisches Ideal, das ein Mensch innerlich besitzt, sondern muss in die Tat umgesetzt werden, um überhaupt zu sein. Analog zu Platons Politeia (540a-c), in der der Staat als eine vollkommene Einheit vieler Einzelglieder bestimmt wird, setzt Cicero damit den Dienst in der Sozietät vor den Dienst in der Wissenschaft. Die zweite Pflicht zum festen Verbund in menschlicher Gemeinschaft (off. I, 20-60) wird aufgrund der ratio, auf der alles gemeinschaftliche Leben ruht, als Beweggrund menschlichen Verhaltens gesehen. Dieser Beweggrund wird in iustitia (Gerechtigkeit) und beneficentia (Wohltätigkeit) unterteilt. Zunächst widmet Cicero der iustitia viel Platz und bestimmt sie als eine Tugend, die auf der fides (Zuverlässigkeit) beruht, die sich wiederum in der constantia (Charak‐ terfestigkeit) und veritas (Wahrhaftigkeit) von Handlungen und Worten im 101 3.3 Der Pflichtbegriff (decorum und officium) 140 Nickel übersetzt aequitas hier mit Angemessenheit, während Dyck aequitas mit iustitia gleichsetzt. Cicero: De officiis. Hg. u. übers. v. Rainer Nickel, S. 31 und Andrew R. Dyck: A commentary on Cicero, De officiis. S. 127. Kontext des Krieges und der Politik und im privaten Leben zeigen. Die Gerech‐ tigkeit hat zwei Kriterien zur Voraussetzung: niemandem Schaden antun, außer demjenigen, der Unrecht tut, und das gemeinsame Eigentum von privatem Ei‐ gentum abgrenzen und bewahren. Der Tugend beneficentia werden die Unter‐ tugenden benignitas (Güte) und liberalitas (Großzügigkeit) beigefügt. Auch die Wohltätigkeit darf weder dem Begünstigten, noch einem anderen schaden und die zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten für die Wohltätigkeit dürfen nicht überzogen werden. Jedem soll die Wohltätigkeit so gewährt werden, wie derjenige es verdient. Dies verdient der Mensch, der modestia (Be‐ scheidenheit), temperantia (Maßhalten) und iustitia in Lebenswandel und Ein‐ stellung zeigt und uns in der Gemeinschaft nützt. Als generelle Regel zur Er‐ füllung der Pflicht einer sozialen Systase gilt, der Natur zu folgen, indem reziprokes Geben und Nehmen in der Sozietät gelebt wird. Um die Menschen zu einem festen Ganzen zu verbinden, müssen Fähigkeiten, Arbeit und materi‐ elle Möglichkeiten zu Hilfe genommen werden, damit Gutes getan werden kann, wie anderen Mitmenschen zu helfen und sie zu schützen. Dies kann lediglich gelingen, wenn das jeweilige Individuum sich selbst nicht zu sehr liebt und sich auch um andere kümmert. Eine solche Handlungs- und Lebensweise dient dem allgemeinen Nutzen, die aequitas (hier: Angemessenheit) 140 ist dabei Garant des Rechtes. Denn die jeweilige Pflicht kann sich im Einzelfall auch verändern, da sie von der jeweiligen Situation abhängt, in welcher sie ausgeübt werden soll. Es besteht stets die wichtige Pflicht zur Dankbarkeit und zu gegenseitiger Wohltat, sollte ein Mensch Wohltätigkeit von einem anderen erfahren haben. Nach Cicero gibt es verschiedene gesellschaftliche Verbindungen, die hierar‐ chisch gegliedert sind: Vaterland/ Eltern - Ehe - Familie mit Kindern - Haus‐ gemeinschaft - Verwandtschaft - erweiterte Verwandtschaft. Diese Bezie‐ hungen basieren auf Sympathie, Liebe und Pflichten. Ein weiteres wichtiges Bindeglied des menschlichen Verbunds ist die ratio (Vernunft) und die oratio (Rede), die besonders im Lehren, Lernen, Mitteilen, Argumentieren und Urteilen (als Rededomänen) ihren Platz haben. Alle diese Vorschriften und Unter‐ pflichten müssen zu einem Teil der Persönlichkeit des Menschen werden, um im Ernstfall situativ richtig und vernünftig angewandt werden zu können. Die dritte Pflicht zu sozialer und seelischer Größe im Handeln (off. I, 61-92) tangiert peripher in manchen Bereichen die zweite Pflicht, was zum einen an der inhaltlichen Nähe der beiden Pflichten liegt und sich zum anderen als Folge und genauere Bestimmung der zweiten Kategorie ergibt. Als Quelle dieser Pflicht wird 102 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 141 Cicero: De officiis. I, 85-92. die große und erhabene Seele angeführt, die als stoische Tugend für Recht und Billigkeit kämpft und in ihrem Wesen der Gerechtigkeit ähnelt. Das Erhabene einer solchen Seele besteht allerdings nicht darin, dem Verlangen nach Überle‐ genheit und Ruhm nachzugeben, sondern ein animus elatus setzt sich für die aequitas ein, welche die Menschen als Gleiche unter Gleichen in der Gemein‐ schaft sieht. Insofern zeigt sich das Moralische im wahren und weisen Mut, den ein erhabener Charakter in Taten zeigt. Doch welche Art von Charakter muss man sich unter einem „fortis animus et magnus“ vorstellen? Es ist in erster Linie eine starke und tüchtige Persönlichkeit, die sich an unverrückbaren Prinzipien und Werten orientiert und eine constantia in ihrem Handeln und Leben zeigt. Um so unbeirrt seinen Weg gehen zu können, muss ein solcher Mensch sich von äu‐ ßeren Dingen unabhängig machen, indem er deren Wert als nicht zu wichtig nimmt und sich keinem Menschen, keiner leidenschaftlich-unüberlegten Regung oder dem Schicksal unterwirft. Es sind das honestum und das decorum, die er an‐ strebt und die seinem Handeln Orientierung geben. Auch die psychische Kom‐ ponente seines Daseins ist wichtig, da nur eine in sich ruhende (tranquillitas) und sichere Seele (securitas) die Gefahren und Verlockungen wie Gier, Angst oder seelischen Schmerz einschätzen und aushalten kann. Erst diese Seelenruhe er‐ möglicht es, constantia und dignitas zu erreichen. Solch ein erhabener Mensch hat sein Tätigkeitsfeld vor allem in der Politik, wo besonders der Geist in politisch kritischen Situationen, wie beispielsweise in kriegerischen Auseinanderset‐ zungen, umsichtig entscheiden und dominieren muss und weniger der Körper. Ein Staatsmann, der Recht und Moral vertritt, ist das Ziel, kein Feldherr, der le‐ diglich den Ruhm favorisiert. Solch ein „vere hominum amice“ verfügt über cle‐ mentia, facilitas und altitudo animi. Und so muss der große Mann zwei Vor‐ schriften Platons beachten, die Cicero anführt: den Nutzen der Mitbürger stets berücksichtigen, den eigenen Vorteil missachten und für das Gemeinwesen als ganzem Organismus - bestehend aus vielen Einzelgliedern - sorgen. 141 Als vierte Pflicht nennt Cicero das decorum (harmonische Persönlichkeit), das er als einen Oberbegriff für verecundia (taktvolles Verhalten), ornatus vitae (an‐ gemessener Lebensstil), temperantia, modestia, sedatio perturbationum (Beruhi‐ gung von Affekten), rerum modus (rechtes Maß) begreift und welches das ho‐ nestum (das Moralische) beinhaltet. Konzipiert als eine moralische Harmonie in Wort, Tat und Leben, ist diese Pflicht zum decorum auch in den vorangegan‐ genen Pflichten als Handlungsfundament vertreten. Das decorum wird von Ci‐ cero in zwei Arten unterteilt: in das decorum generale und in das decorum sub‐ iectum. Das decorum generale lässt sich als Moral per se, als ein Abstraktum 103 3.3 Der Pflichtbegriff (decorum und officium) 142 Ibid, I, 100. 143 Andrew R. Dyck: A commentary on Cicero, De officiis. S. 267: „Die excellentia des Men‐ schen im Vergleich zum wilden Tier ist ein Teil der Definition des decorum generale gewesen“. 144 Manfred Fuhrmann spricht in seinem Aufsatz von einem „System der vier Masken“ (S. 99) und zeigt, wie die richtige Rollenauswahl und das richtige Rollenverhalten sich je nach der natura des Menschen und den Konventionen des decorum bemessen (S. 100), welches außerdem eine „Identitätspflicht“ (S. 101) gebiete, die unmittelbar aus der Cha‐ rakterrolle eines jeden erwachse. Manfred Fuhrmann: ‚Persona, ein römischer Rollen‐ begriff ‘, in: Odo Marquard und Karlheinz Stierle: Identität. S. 83-106. vorstellen, das den Menschen von Natur aus als ein zur Vernunft und Moral be‐ gabtes und damit übergeordnetes Wesen definiert. Das decorum subiectum jedoch ist in jeder einzelnen Tugend wie moderatio, temperantia, species liberalis (anstän‐ dige Erscheinung/ Gestalt), ordo und constantia präsent. Und diese Art des de‐ corum subiectum ist das Tätigkeitsfeld, im dem sich jeder Mensch mithilfe der Pflichten beweisen und bilden muss. Ziel des decorum ist es, den Mitmenschen in keiner Perlokution oder praktischen Handlung zu beleidigen, sondern ihn stets zu achten. Das officiium des decorum ist es, „ad convenientiam conservationemque naturae“ 142 im Leben zu gelangen. Dazu gehört, die beiden Seelenteile, appetitus und ratio, in Einklang zu bringen, indem die Vernunft den Trieben im platonischen Sinne die Zügel anlegt. Gelingt dies, dann gilt das officium als ratio‐ naler Handlungsgrund, der jeder Entscheidung zu Grunde gelegt wird und kon‐ form ist mit der Gemeinschaft und der Natur. Folglich kann qua medio officio für jede Handlung ein überzeugender Grund angegeben werden. Außer diesen ethi‐ schen und rhetorischen Aspekten muss der Mensch auch ein probus ingenium (gutes Naturell) in Mimik, Gestik, Stimme und Körperhaltung ausdrücken und in jeder Situation, auch im Scherz, das richtige Maß und den passenden Augenblick (καιρός/ tempus als äußeres aptum) treffen. Die moralisch verdächtige Lust (vo‐ luptas) wird bei Cicero nicht gänzlich verteufelt, aber das Maßhalten im Genuss der körperlichen Lust wird ebenso angeraten, wie das Entsagen und Verzichten auf jegliche Ausschweifungen, um ein moralisch ernsthaftes Leben 143 führen zu können. Cicero propagiert keine hedonistische Ethik, wohl aber eine Ethik, die der Natur und dem wahrscheinlichen Leben eines Menschen nahekommt, indem sie um die Gefahren und Verlockungen für die moralische Seele weiß. Ciceros Ethik manifestiert sich als eine Pflichtenethik auf Makro- und Mi‐ kroebene, indem sie zum einen den Menschen als individuelle Persönlichkeit im privaten Kosmos und als funktionalen Teil einer größeren sozialen Einheit be‐ trachtet. So beschäftigt sich Cicero mit der psychisch komplexen Persönlichkeit des Menschen, wenn er die Stratifikation von verschiedenen Rollen (per‐ sonae) 144 , die jeder Mensch in seinem Leben spielt, untersucht und bestimmt: 104 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 145 Vgl. hierzu das Konzept des „inner judge“ von Adam Smith: The Theory of Moral Senti‐ ments. VI. ii. I. 22. 1. Mensch als Vernunftwesen 2. Mensch als Individuum 3. Mensch als durch Umstände und Zufälle geprägtes Wesen 4. Mensch gemäß seines subjektiven Willens Diese verschiedenen Facetten der menschlichen Natur zu vereinen und Har‐ monie (aequabilitas) im gesamten Leben und in allen Handlungen zu etablieren, entspricht dem Wesen des decorum. Das eigene Individuelle und Besondere zu fördern und sich selbst zu finden, macht diese Harmonie aus, die sich auch in der konsequenten Nutzung der eigenen Muttersprache zeigt. Von dieser Auffassung her lässt sich auch erklären, warum Cicero in seiner Philosophie, Ethik und Rhe‐ torik jeden altgriechischen Ausdruck mit einem passenden Begriff ins Lateini‐ sche übersetzt, ins Römische einführt und somit die bewährte römische Kultur für Neues öffnet und gleichzeitig seine linguistische Einzigartigkeit wahrt. Um Harmonie herstellen und eine passende Lebensweise finden zu können, muss jeder das eigene ingenium erkennen und seine guten und schlechten Eigenschaften beurteilen. 145 Fragen - wer wir sind, wie wir sind und welches Leben wir führen wollen - helfen uns, das eigene Ich zu finden und gemäß den Pflichten ein angemessenes Leben zu führen. Da solche Fragen auf unterschied‐ liche Art und Weise am Anfang und am Ende eines Lebens gestellt werden, ergeben sich dementsprechend auch unterschiedliche Pflichten für junge und für ältere Menschen. Junge Menschen sollen den älteren Mitbürgern Achtung entgegenbringen und ihren Rat und ihre Autorität annehmen und nutzen. Auch geistige und körperliche Ertüchtigung wird den Jungen angeraten, während Ausschweifungen jeglicher Art zu vermeiden sind. Ältere Menschen wiederum sollen ihre körperliche Bewegung einschränken und die geistige Tätigkeit aus‐ weiten, indem sie die Freunde, die Jugend und das Gemeinwesen klug mit Rat unterstützen. Nach den Altersgruppen folgen die Pflichten je nach Provenienz und Stand innerhalb des Gemeinwesens. Pflicht des Bürgers ist es, seine Würde und sein Ansehen zu bewahren, die Gesetze zu achten, Recht zu setzen und zu beachten. Der Bürger soll sich weder unterwerfen, noch soll er sich über andere erheben und im Gemeinwesen stets Frieden und Anstand befördern. Der Fremde (peregrinus) soll keinen Anteil am fremden Staat haben, keinen anderen aus‐ kundschaften und lediglich sein Geschäft betreiben. Als Movens des ubiquitären decorum fungiert die Anerkennung durch unsere Mitbürger, die besonders dann gewährt wird, wenn formositas (Taktgefühl), ordo und ornatus (hier: äußeres Erscheinungsbild) in Handlung und Auftreten be‐ 105 3.3 Der Pflichtbegriff (decorum und officium) 146 Für formositas, venustas und dignitas gilt, dass sie sich quasi natürlich, ungekünstelt zeigen, worauf Till mit Bezug auf Ciceros „negligentia diligens“ verweist, die er als „sorgfältige Nachlässigkeit“ übersetzt. Dietmar Till: Transformationen der Rhetorik. S. 152. 147 Im ersten und dritten Grundsatz stimme ich mit Otto Schönberger überein, da der Ter‐ minus „angemessen“ ein genuin rhetorischer Begriff ist, während im zweiten Grundsatz strategisch und rationell inhaltlich das Gleiche bedeuten, nämlich gewählte Mittel zur Erreichung eines Zieles bedacht, bzw. angemessen, einzusetzen. Zitiert nach Cicero: De officiis. S. 313, Anm. 67. achtet werden, und als Hilfe für das decorum kommt der natürliche Instinkt ins Spiel, wenn Cicero anrät, Augen und Ohren über Anstand und Scham ent‐ scheiden zu lassen und so das je Angemessene auszuwählen. In diesem Kontext führt Cicero zwei Arten von Schönheit an: venustas (die weibliche Anmut) und dignitas (die männliche Würde) 146 . Vom würdevollen Auftritt über seelische Re‐ gungen (cogitatio und appetitus) kommt er schließlich auf die Bedeutung und Geltungsweise von Sprache zu sprechen. Es werden die drei Redearten genus iudiciale, genus demonstrativum und genus deliberativum und der angemessene Redevortrag anhand historischer Politiker-Persönlichkeiten wie Lucius Licinius Crassus und Gaius Julius Caesar Strabo (off. I, 133) skizziert. Ein Orator muss hauptsächlich darauf achten, je nach Topos, Ethos und Publikum seine Stimm‐ lage und rhetorische Performanz abzustimmen, die Rede mit innerer Festigkeit vortragen, den Gesprächspartner achten und mit Gegenrede rechnen, mit Zu‐ rückhaltung und Ernsthaftigkeit tadeln und sich selbst nicht in der Rede loben. Es wird eine Ähnlichkeit zwischen einer schönen und gut aufgebauten Rede und wohlgeordneten Handlungen (I, 144) prätendiert. Und so entwickelt Cicero am Ende der Darstellung dieser vierten Pflicht (I, 141) drei Grundsätze für eine sitt‐ liche und gelingende Handlung: Die Vernunft zügelt die Begierde (rationale Perspektive), die Bedeutung einer Handlung kann richtig eingeschätzt werden und man setzt sich gewissenhaft für etwas ein (strategische Perspektive), die species liberalis (äußere Gestalt) und die dignitas in der Handlung werden mit Hilfe des decorum präsentiert (rhetorische Perspektive). 147 Cicero stellt einen ethischen und rhetorischen Sollenskatalog auf, der stets unter dem Kriterium des honestum und decorum geprüft wird. Als Ausgangs‐ punkt der Betrachtung und Orientierung dient dem gewillten Menschen dabei in stoischer Tradition die Natur. Er ist sich seiner natürlichen Anlagen bewusst, kennt die Verlockungen, die den Handlungen im Weg stehen, und versucht in der Praxis, das natürliche Streben mit dem Sollen zu versöhnen und sein volles geistiges und seelisches Potential zu aktivieren. Dabei hilft ihm das officium, das dem decorum den Handlungsbereich zuweist. 106 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 148 Cicero: De officiis. I, 101. 149 Vgl. Franz-Hubert Robling: ‚Rhetorisches Handeln als kulturelles Handeln‘, in: Gert Ueding und Gregor Kalivoda (Hg.): Wege moderner Rhetorikforschung. S. 496. Doch auf welcher Ebene menschlichen Seins befinden sich decorum und of‐ ficium? Welche Verbindung von Rhetorik, Moral und menschlicher Wirklichkeit wird hergestellt? Das medium officium bietet eine plausible und überzeugende Möglichkeit gelebter Rhetorik anhand von festgelegten Handlungsgrundsätzen. So muss in jeder Handlung ein Telos angegeben werden können, das Art, Rich‐ tung und Ausmaß der Handlung begründet und somit moralisch bestätigt. Keine Handlung darf durch temeritas (Unüberlegtheit/ Kopflosigkeit) und neglegentia (Nachlässigkeit) initiiert oder geleitet sein. 148 Dieses Dogma grenzt spontane Handlungen, die auf Grund externer Reize ausgelöst werden, aus und postuliert einzig überlegte und besonnene Handlungen als moralische Handlungen, deren der Mensch fähig ist. Befreit von affektiven Begleiterscheinungen scheint das officium nach Cicero damit ein sachlicher Faktor zu sein, der inhaltlich und ethisch bedeutsam ist. Das officium lenkt das Handeln und Denken in Richtung des moralisch Guten. Es manifestiert sich in rhetorischen Sprechakten und gibt ästhetische, performative, persuasive und rhetorisch-ethische Leitlinien vor, wodurch es ein wirkungstechnischer Faktor ist, der komplementär und quasi notwendigerweise zum sachlichen officium hinzutritt. Durch die beiden rhetorischen Kategorien decorum und officium werden zwei Ebenen menschlichen Seins von Cicero in einem Ganzen zusammengefasst, indem sie den Bereich der menschlich erfassbaren Wahrheit, des erreichbar Moralischen und der gelebten Rhetorik als soziales Handeln beschreiben. Die moderne Soziologie als Lehre von der Gesellschaft bestätigt und verdeut‐ licht, was Cicero als Forderung für die Rhetorik formuliert. Der Soziologe Max Weber definiert in seinem Werk Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der ver‐ stehenden Soziologie (1922) das soziale Handeln als ein Handeln, das sich in Bezug auf das erwartete Verhalten anderer setzt und dessen Ausrichtung vom erwarteten fremden Handeln bestimmt wird. Der sozial agierende Mensch hat durch Beobachtungen gelernt einzuschätzen, welche Chancen und welchen Er‐ folg eine Handlung bei seinen Mitmenschen haben wird, um sie demnach ziel‐ gerichtet auszuführen. Diese soziologische Definition beschreibt die der Rhe‐ torik inhärente Situationsanalyse, von der Findung überzeugender Argumente über die situative Gegebenheit (Setting-Analyse) bis hin zur medialen Wider‐ standsanalyse. Handeln mit dem Blick auf den anderen kann rhetorisch und soziologisch beschrieben werden. Dabei scheint soziales Handeln per se ein rhetorisches Handeln und rhetorisches Handeln ein soziales Handeln 149 zu sein, indem es das Verhalten des Anderen in das rhetorische Kalkül einbezieht. Dieses 107 3.3 Der Pflichtbegriff (decorum und officium) 150 Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. I, 1, § 1. 151 Ibid, I, 1, § 2. 152 Joachim Knape: Was ist Rhetorik? S. 34. Knape überträgt die Termini aus der Biologie und Philosophie in die moderne Rhetorik, wenn er für Bindung den Begriff „Systase“ und für Veränderung/ Wechsel „Metabolie“ einführt. 153 Die Soziologen Max Weber und Georg Simmel (Soziologie. IV) postulieren das menschliche miteinander Messen als Basis der Sozialisierung und untersuchen dies in idealtypischen Ka‐ tegorien. So besagt die soziale Kategorie „Kampf“ bei Weber, dass und wie Unter- und Über‐ ordnungsverhältnisse zustande kommen. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. I, 1, § 8. oratorische Kalkül ist bei Weber als Deutungsmittel zu verstehen, als Abwägen von Mitteln, Ziel und Konsequenzen einer Handlung unter Einbezug einer zu erwartenden Reaktion des Anderen 150 . Weber unterscheidet hierbei vier Orien‐ tierungsmodi sozialen Handelns, entsprechend den vier Bestimmungs‐ gründen 151 , die er idealtypisch als zweckrational, wertrational, affektuell und traditional bestimmt und entsprechend dem Reflexionsgrad und Situations‐ bezug - nicht nach moralischen Gesichtspunkten - ordnet. Rhetorik, als soziales Handeln verstanden, setzt zwar einen Konsens über die Spielregeln im Leben einer Sozietät voraus, jedoch muss kritisch berücksichtigt werden, dass damit nicht automatisch ein Konsens bezüglich der Resultate des Handelns besteht. Insofern kann nur in einem begrenzten Rahmen, nämlich über die Ausgangssituation und über das Regulativ rhetorisch-ethischer Richtlinien wie dem decorum und officium, ein Konsens etabliert werden. Inwiefern die Handlung dann ein moralisch Gutes darstellt, ist nicht immer vorherzusehen. Als bipolares Instrument vereint die Rhetorik je zwei Gegensätze in sich: den Konsens und den Agon, die soziale Bindung 152 und die Veränderung in einer Gesellschaft. 153 Der Mensch bedarf der Rhetorik, um sich abzugrenzen (rationale Auseinandersetzung und Veränderung), um sich mit anderen zu messen (destruktive und konstruktive Kraft) und um mit anderen in einen sozialen Verbund zu treten (soziale Bindung). Das rhetorische Handeln funktioniert realiter unter einem persuasiv-techni‐ schen Einfluss und es sollte idealiter auch den normativ-ethischen Aspekt be‐ inhalten, um den Menschen zu einem handlungsfähigen Wesen im großen Kosmos mit anderen zu machen. Der Mensch in toto sollte in seinem Handeln die Prämissen von Rhetorik, Ethik und Politik beachten. Es bleibt noch die Frage offen, wie Cicero das officium in der Wesensbestim‐ mung der Rhetorik einordnet. Der Primat des officium wird nicht zuletzt anhand des Titels seiner Schrift De officiis deutlich, sondern auch in der Rangbestim‐ mung der rhetorischen Kategorien, in welcher decorum und officium eine zeit‐ weilige Einheit bilden. Das officium erfährt bei Cicero einen Bedeutungswandel, indem ihm stoische Konzepte beigemengt werden und ein politisch-rhetorischer Wirkungsbereich festgelegt wird. Da der Mensch natürlicherweise über Ver‐ 108 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 154 Cicero: De officiis. I, 125. nunft verfügt, gelangt er - wieder natürlicherweise - zur Selbsterkenntnis quae secundum naturam (Kleanthes) und zur Anerkennung der Pflicht. Für Cicero zeigt sich die Selbsterkenntnis als ὁμολογία als dauerhafte innere Haltung und Har‐ monie (ordo und concordia) in sittlich guten Taten und die constantia als Charak‐ terfestigkeit, welche die Ziele des officium bestimmt. Die ὁμολογία gilt dabei als Garant für das decorum in Handlungen. 154 In De finibus bonorum et malorum (III, 21-26) erläutert Cicero diese Auffassung, wenn er das sittlich gute Handeln nicht als ursprünglich naturgemäß bezeichnet, sondern als ideales Ergebnis eines in‐ neren Prozesses in der menschlichen Seele. Nicht das Erreichen eines Telos steht allein im Fokus, sondern besonders die innere Haltung eines Menschen, die auf ein Telos ausgerichtet sein muss. Dem Menschen sind die Triebe (ὁρμή), die ratio und die vollkommene Verwirklichung der Vernunft (officium) zu einer be‐ stimmten forma vivendi gegeben, um in seinen Worten und Taten, das, was de‐ ceat und qua natura ist, zu erstreben. Cicero ist sich der menschlichen Schwä‐ chen und Gefahren bewusst und trennt in seinen ethischen Ausführungen stets das erreichbar Mögliche des Menschen von dem des Weisen und des vollkom‐ menen Gottes. Während der Mensch das erreichbar Mögliche schützen soll, schützt der Weise das wahrhaft Moralische (off. III, 17). Die forma vivendi, die Cicero daher für den Menschen vorsieht, ist nicht primär die kontemplativ-pas‐ sive, sondern vor allem die praktisch-aktive Lebensweise in der Politik mithilfe der Rhetorik. Cicero ist sich dessen bewusst, dass nicht jeder Mensch auf diese Weise leben kann, und so weist der Magister seinen discipulus in den Tusculanae disputationes (II, 5) bezüglich der Lehre der Philosophie darauf hin, dass nicht alle Seelen trotz Ausbildung Früchte tragen werden. In toto eröffnet Ciceros Lehre von den Pflichten einen Blick auf seine Wesens‐ bestimmung der Rhetorik anhand der korrelativen Kategorien decorum und offi‐ cium: Während das decorum ein harmonisches und wahrscheinliches Sein des Menschen beschreibt, repräsentiert das officium das ethische Sein innerhalb einer wahren - weil menschlichen - Rhetorik nach Cicero. Die menschliche Seele und der Geist sind von Natur aus auf Vernunft, Moral und sittliches Handeln ange‐ legt, doch damit diese Anlagen auch als ethische Verpflichtung begriffen werden, bedarf es nach Cicero der Bildung durch Philosophie, Rhetorik und Politik. Sittliches Handeln vollzieht sich in der Gesellschaft, im Zusammenleben mit dem Anderen. Diese Interdependenz ist Gegenstand der Analyse Sartres. Der Andere hat sogar die zentrale Bedeutung für mein Selbst und meine Erfahrung der Welt. 109 3.3 Der Pflichtbegriff (decorum und officium) 155 Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts. (1943) S. 474 und vgl. Huis clos. (1944) S. 52/ 53. 156 Ibid, S. 470-474. 157 Adam Smith: The Theory of Moral Sentiments. I, i, I, 1. Analog dazu entdeckte Giacomo Rizzolatti 1996 an der Universität Parma die sogenannten Spiegelneuronen, die für ein Resonanzverhalten verantwortlich sind, welches die gleichen Neurone im Gehirn des Be‐ obachters auslöst wie diejenigen, die der tatsächlich Ausführenden einer Handlung akti‐ viert hat. Dieses Verhalten lässt sich bei Schimpansen und Menschen gleichermaßen be‐ obachten und ist nicht durch den Willen steuerbar. Wenn es einen andern gibt, wer er auch sei, wo er auch sei, was immer seine Bezüge zu mir sein mögen, auch wenn er auf mich nicht anders als durch das bloße Auftauchen seines Seins einwirkt, ich habe ein Außen, ich bin eine Natur; mein Sündenfall ist die Existenz des anderen; 155 Das Bild des Anderen von mir, welches mich widerspiegelt, kann nach Sartre die Hölle sein, so in Huis clos. Die Blicke der Anderen, die jede meiner Regungen und Handlungen sehen, sie verzehren mich in ihrer Häufigkeit. Dem Blick der An‐ deren kann der Mensch nicht entfliehen, denn er ist allgegenwärtig. Zum Richter werden somit die Anderen, die das Tribunal in Sartres Hölle darstellen. Als Ob‐ jekt eines Tribunals ist der Mensch jedoch lediglich „ein Außen“, dessen Inneres den Anderen verborgen bleiben kann. Damit ist das gespiegelte Gewissen nicht a priori wahrheitsgemäß, sondern jeweils so, wie es die Anderen subjektiv-kol‐ lektiv empfinden. Nach Sartre ist das „Ich“ dem Menschen nicht bewusst und erst in der Betrachtung der Anderen, für die mein „Ich“ ein Objekt ist, wird das „Ich“ meinem eigenen Bewusstsein deutlich. Mein „Ich“ erkenne ich über die An‐ deren, die mich sehen, erkennen und beurteilen. Durch diese existentialistische Verkettung meiner selbst mit dem Blick der Anderen richte ich mich damit auch in die Richtung der Anderen aus. Ich orientiere mich auf die Anderen hin, die mir mein „Ich“ widerspiegeln. Diese Unbestimmtheit des menschlichen Seins ist bloß durch die Grenze zum Anderen aufzuheben, indem der Andere als Blick meine transzendierte Transzendenz ist. Daraus ergibt sich eine Abhängigkeit des Indi‐ viduums, das nach einer harmonischen Konvergenz von „Ich“ und dem Bild der Anderen von diesem „Ich“ strebt. 156 Dies bedeutet, dass im Gegensatz zu Adam Smith, der den inneren Richter im Menschen selbst postuliert, die Anderen zum Richter meiner Handlungen werden, indem sie mein gespiegeltes Gewissen sind. Diesem sozial-ethischen Wirkungsmechanismus von Moral kann ich als Mensch nicht entgehen, außer ich meide jeden Kontakt mit Menschen und lebe als Ein‐ siedler außerhalb jeglicher Sozietät. 157 Ganz neue Einblicke können die moderne Wissenschaft der Neurobiologie und die Hirnforschung in Bezug auf folgende Fragen gewähren: Wie entstehen 110 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 158 Vgl. Jean Decety und Thalia Wheatley: The Moral Brain. A Multidisciplinary Perspec‐ tive. Cambridge, Massachusetts/ London, England: The MIT Press, 2015. 159 Martin Trepel: Neuroanatomie. Struktur und Funktion. S. 230: „Eine bilaterale Schädi‐ gung des präfrontalen Kortex (große Frontalhirntumoren [...] oder - sehr häufig - Schädel - Hirn - Traumen) führt zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen. Die Betroffenen erfahren eine drastische Herabminderung ihrer intellektuellen Fähig‐ keiten, ihres psychischen und motorischen Antriebs, ihrer Ausdauer, Konzentrations‐ fähigkeit und ihres Sozialverhaltens. Sie fallen häufig erstmals durch starke Verlang‐ samung und schambzw. taktloses, enthemmtes Verhalten auf, machen dabei aber immer einen selbstzufriedenen und oft auch völlig gleichgültigen Eindruck.“ 160 Ähnlich auch das Phänomen sogenannter „Savants“. So bezeichnet die Wissenschaft Menschen, die eine außergewöhnliche Inselbegabung im Bereich der Kunst, Mathe‐ matik oder Musik zeigen. Diese Menschen sind entweder von Geburt an („congenital savant syndrome“ nach Darold Treffert) oder nach Hirnverletzungen zu solchen „Sa‐ vants“ geworden („acquired savant syndrome“), wie das Beispiel von Orlando Serrell zeigt, der als Kind mit einem Baseball auf den Kopf getroffen und ohnmächtig wurde und seitdem detaillierte Kalenderberechnungen und Wetterbedingungen zu jedem Tag anstellen kann. Darold A. Treffert: ‚Could such dormant potential exist within us all? ‘, unter: www.wisconsinmedicalsociety.org/ professional/ savant-syndrome/ resources/ articles/ the-acquired-savant-accidental-genius/ html; last access: 02.09.2014. moralische Regungen? Gibt es ein moralisches Zentrum im Menschen? Und warum handeln manche Menschen sittlich gut und andere nicht? Seit Phineas Gages Unfall im Jahr 1848 wird nämlich über einen möglichen Sitz der Moral im menschlichen Gehirn gerätselt 158 . Gage war ein 25-jähriger Vorarbeiter eines Bauteams für Erweiterung von Bahnschienen durch Vermont, der einen schweren Arbeitsunfall erlitt, bei dem ihm eine ca. 3 cm dicke und 1,10m lange Eisenstange durch die linke Wange, die Augenhöhle und das Gehirn katapultiert wurde. Prima facies überlebte Gage diesen Unfall ohne große kör‐ perliche Einschränkungen, doch eines hatte sich dramatisch verändert: Aus dem beliebten, besonnenen und sozialen Phineas Gage wurde ein vulgärer, launen‐ hafter und verantwortungsloser Mann, der von seinen Kollegen, Freunden und von der Familie als Phineas nicht mehr wiedererkannt wurde. So handelte er vor seinem Unfall ethisch und angemessen, doch nach seinem Unfall verletzte er rigoros soziale Konventionen, agierte nicht in seinem besten Interesse und verletzte moralische Standards. Dies könnte man der Erfahrung des traumati‐ schen Unfalls zuschreiben, würden sich nicht ähnliche Verhaltensweisen auch bei anderen Patienten mit Kopfverletzungen oder Tumoren 159 im Kopf feststellen lassen. Antonio R. Damasio untersucht diesen Fall in seinem Buch Descartes’ error: emotion, reason, and the human brain detailliert und stellt die These auf, dass eine Verletzung der ventromedialen Region des Stirnlappens eine Blockie‐ rung von rationalen Entscheidungen und eine Gefühlsarmut zur Folge hat. Auch Autisten 160 , die ihre Außenwelt kaum wahrnehmen, zeigen Dysfunktionen (Ver‐ 111 3.3 Der Pflichtbegriff (decorum und officium) 161 Annemarie Pieper: Einführung in die Ethik. S. 25-27 und Friedo Ricken: Allgemeine Ethik. S. 16f. größerungen der Stirnlappen) in diesem Bereich der beiden Gehirnhälften. Wäre es also möglich, hier die Gehirnarreale zu lokalisieren, in denen Emotionen, Entscheidungsfähigkeit, soziales Denken und Moral neurologisch verarbeitet werden? Der frontale Cortex des Menschen scheint eine Art Kontrollorgan zu sein, das eigenständiges Denken, Willen, angemessene Handlungsplanung, Ver‐ antwortung, innere Haltung und Empathie ermöglicht. Ob der frontale Cortex das Moralzentrum im Menschen ist, ist letztlich nicht feststellbar, doch er scheint die physische Voraussetzung für die Entwicklung der Moral zu sein. 3.4 Das moralische Substrat der res publica (decorum und honestum) Welcher Moralbegriff liegt dieser Arbeit zugrunde? Worin unterscheidet sich der moderne Moralbegriff vom antiken Begriff von Moral? Was ist das Moralische und worin besteht die systematische Verbindung zur Rhetorik? Die lateinischen „mores“ und das griechische ἔθος und ἦθος zeigen in ihrer etymologischen Bandbreite be‐ reits ein divergierendes Spektrum von Bedeutungsnuancen des Moralbegriffes auf. 161 Wenn hier von Moral gesprochen wird, ist damit ein verbindlicher Normen‐ komplex für das menschliche Verhalten beschrieben, der sich im gesellschaftli‐ chen, religiösen und auch individuellen Lebensbereich bildet, zeigt und festigt. Das antike Verständnis von Moral und Sittlichkeit ist nicht in einer abgrenz‐ baren Theorie der Moral greifbar, sondern eher in der allgemeinen Darstellung einer Lebensart, wie der Mensch ein vollkommenes Leben führen soll. Dabei stehen das Gute und das Glück als εὐδαιμονία - als guter Schutzgeist des Lebens, der über das Schicksal des Menschen wacht - im Fokus moralischer Überle‐ gungen. Innerhalb der antiken Lebenspraxis stellt sich die Moral bei Platon als Ausrichtung des Lebens, bei Cicero als Selbsterziehung und Nutzen für das ge‐ meinschaftliche Größere dar. Diese in der Praxis gelebte Moral, die sich auch im Umgang mit der Hausgemeinschaft, beim Essen oder bei profanen menschlichen Bedürfnissen zeigt, wird zwar durch Platon, Aristoteles, Cicero und Euripides schriftlich fixiert, doch findet sie ihren wahren Platz im tätigen Handeln und Sprechen selbst. So ist sie Objekt einer jeweilig situativen Interpretation und rhetorischen Anwendung. Dementsprechend ist die antike Moral nach Annas an den moralisch Handelnden gebunden und differiert in konstituierenden Pa‐ rametern: Während sich die moderne Moral in Regeln und universellen mora‐ 112 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 162 Julia Annas: ‚Ancient Ethics and Modern Morality‘, in: Philosophical Perspectives, Vol. 6, S. 119-136. lischen Begründungen zeigt, ihren Fokus auf die moralische Handlung als solche richtet, die sich beispielsweise als Sorge für andere konkretisiert, ist für den Menschen der Antike wichtig, was Tugend ist und wie gute Anlagen im Men‐ schen entwickelt werden können, damit dieser für sich Sorge trägt, um so ein wertvolles Mitglied für die Gesellschaft sein zu können. 162 Das „Moralische“ ist in dieser Arbeit als abstrakte Norm der Moral definiert, die für die Menschen ein zu erstrebendes Ideal und ein deontisches Sollen bein‐ haltet. Da für Moral im modernen Sinn formale, auch in der Sprache gegebene Kriterien bedeutsam sind, wäre hierbei interessant, inwiefern das Moralische und die in der Sprechakttheorie als „intentionale“ und „extensionale“ bezeich‐ neten Codes innerhalb der Perlokution verbunden sind. Welches sind die Marker, die eine Perlokution moralisch werden lassen? Welche Implikationen empfinden Menschen als moralisch wertend, und kann eine Änderung in der Satzstellung, eine Konnotationsverschiebung in den verwendeten Vokabeln oder eine bestimmte Intonation die moralische Bedeutung verändern? Schauen wir uns einige Beispielsätze dazu an: 1. Sie ist nicht fair. 2. Du sollst nicht so schreien. 3. Eine Hand wäscht die andere. 4. Wie lange lässt man sich das noch bieten? Während im ersten Satz die ethische Vokabel der Fairness die alleinige mora‐ lische Wertung trägt, wird im zweiten Satz mit dem Wort „sollen“ ein präskrip‐ tives Gebot ausgedrückt und durch lautes Intonieren des Wortes „schreien“ ein ungerechtfertigtes Benehmen suggeriert, die in der Betonung des „so schreien“ verstärkt wird. Satz drei hat durch die Sprachtradition (geht auf die lat. Formel „manus manum lavat“ bei Seneca zurück) an sich schon moralisch tradierten Wert. Er ist affirmativ: In einer funktionierenden Gemeinschaft hilft der eine dem anderen. Es ist in jedermanns Interesse, dem Anderen zu helfen, will man doch, dass man selbst Hilfe durch Andere erfährt. In Satz vier wird der ethische Impetus durch die rhetorischen Mittel besonders deutlich. Das Verb „sich etwas bieten lassen“ drückt eine ungerechte Behandlung aus, das „noch“ deutet auf die Zeitspanne hin, in welcher dieses Unrechttun andauert und das Personal‐ pronomen „man“ kann hier als die allgemeine Öffentlichkeit aller in dieser Si‐ tuation befindlichen Menschen je nach Kontext verstanden werden. Eine mög‐ liche Variation in der Intonation des Satzes durch die Betonung des „das“ anstelle 113 3.4 Das moralische Substrat der res publica (decorum und honestum) 163 Cicero: De officiis. I, 15. 164 Ibid, I, 66. 165 Ibid, I, 79. des „man“ könnte den Eindruck des Zuhörers verstärken, dass es sich dabei um etwas wirklich Gravierendes handeln muss, das korrigiert werden müsste. Dieser kurze Einschub an der sprachlich-rhetorischen Peripherie soll die Ver‐ bindung von Moralischem und Rhetorik in der sprachlichen Handlung in der Vorstellungswelt des Sprechenden aufzeigen. Allen diesen Sätzen liegt eine mo‐ ralische Idealvorstellung zugrunde, die von der Sprechgemeinschaft geteilt wird, anerkannt ist und als Beurteilungskriterium für die dahinterliegenden Hand‐ lungen dient. Dies macht sich die Rhetorik zunutze. Und gerade ihre genuine Fähigkeit zur Vermittlung, Durchsetzung und Nutzung eines moralischen Sub‐ strats in der Gesellschaft macht das besondere Ansehen der Redekunst und des Redners im Sinne Ciceros aus. Bereits im ersten Buch seines Werkes De officiis kommt Cicero neben dem decorum auf die wichtigste Säule seiner moralphilosophischen Überlegungen im rhetorisch-politischen Umfeld zu sprechen: das honestum, konzipiert als das sitt‐ lich gebotene Handeln, das Ehrenhafte, die Moral und das menschlich Moralische an sich. Für Cicero stellt das honestum einen habitus animi dar, eine innere Fä‐ higkeit der Seele und des Geistes im Menschen. Für diese innere Fähigkeit, die in ihrer äußeren Anwendung im tätigen Handeln das Moralische zeigt, führt er sechs Quellen an: die Erkenntnis der Wahrheit, Geschicklichkeit im Alltag, den Einsatz für die Gemeinschaft, die Bereitschaft und Zuverlässigkeit, die unabhängige und unbesiegbare Seele und die Selbstbeherrschung. 163 Alle diese Quellen des ho‐ nestum, die als Möglichkeiten des Menschen dargestellt werden, sind entweder als Fähigkeit, Eigenschaft oder Tat dem Körper, dem Geist oder der Seele zuzu‐ ordnen. In seiner luziden Beschreibung des honestum wird besonders der Stellen‐ wert der „animi excelsi atque invicti“ deutlich. Eine solche Seele ist unbesiegbar, weil decorum und honestum, ohne Beeinflussung durch andere Menschen, Lei‐ denschaften oder das Schicksal 164 , die Herrschaft übernommen haben. In stoischer Strenge beschreibt Cicero das Ideal einer starken Seele, die für das Höhere des honestum frei und rein von allen begehrlichen Turbulenzen des menschlichen Lebens sein muss. Erst wenn eine Seele so befähigt ist, kann das honestum durch den Geist hervorgerufen und durch den Körper in die Tat umgesetzt werden. Dabei bilden Seele, Geist und Körper eine harmonische Triade, deren Ziel und Zweck das Moralische ist, das „ganz auf der Sorge und der Tätigkeit des Geistes [beruht]“ 165 . Man muss sich allerdings im Klaren sein, dass der lateinische Begriff „animus“ polyvalent ist; er bedeutet Geist, Sinn, aber auch Gesinnung oder Mut, während der Begriff „anima“ Seele, Atem, Leben bedeutet. Die „cura et cogi‐ 114 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 166 Ibid, I, 107. 167 Cicero: Partitiones Oratoriae. 16, 91. 168 Friedrich Klose: ‚Altrömische Wertbegriffe (honos und dignitas)‘, in: NJAD 1, 1938, S. 268-278, Karl Büchner: ‚Utile und honestum‘, in: Friedrich Hörmann (Hg.): Probata - Probanda. S. 5-21 und Hans Drexler: ‚Honos‘, in: Hans Drexler: Politische Grundbegriffe der Römer. S. 55-72. Während Klose honos nicht als Handlung, sondern als Tätigkeit und als eine öffentliche allgemeine Anerkennung bestimmt, die den Römer von der Meinung der Bürger abhängig macht und Büchner Cicero eine gewisse Auffassung unterstellt, „die wohl um die Macht des Nutzens und Lebens weiß“ (S. 20), kritisiert Drexler, dass für Cicero virtus ein „Mittel zur Erlangung des honos, ein Mittel der Karriere“ (S. 67) sei. tatio“, hier verstanden als Sorgfalt und Denken, verweisen wiederum linguistisch auf den unnachahmlichen Vorzug der Menschen vor allen anderen Lebewesen: seine Rationalität als Verstand und Vernunft. Aus dieser Exzellenz des Men‐ schen, die auf der ratio beruht, leiten sich nach Cicero „omne honestum deco‐ rumque“ her. 166 Folglich ist der Mensch zum honestum als einer inneren Fähig‐ keit von Seele und Geist von Natur aus angelegt. Die Furcht vor Ehrlosigkeit oder Schande ist nach Cicero ein Beweis dafür, dass „genus hominum ad honestatem natum“  167 ist und der Mensch nur durch schlechte Erziehung und falsche Mei‐ nungen, die damit als „vitia vitae“ ausgemacht sind, verdorben wird. Um diesen moralischen Fallstricken des Lebens zu entgehen, kann sich der Mensch der Rhe‐ torik als Handwerkszeug für ethische Fragen bedienen. Cicero folgt hierbei Aristoteles (Nikomachische Ethik 1139a22ff.), wonach die sittliche Vollkommenheit ein Habitus ist, bestehend aus einer Wahlentscheidung des freien Willens und der Vernunft. Er ergibt sich aus folgendem Syllogismus: Wenn Tugend ein Habitus und die sittliche Vollkommenheit eine Tugend ist, dann ist auch die Vollkommenheit ein Habitus. 1. Prämisse: alle virtutes = habitus 2. Prämisse: das honestum = virtus Schlussfolgerung: das honestum = habitus Das honestum als innere Fähigkeit zur Moral im Menschen formt und prägt somit wesentlich den Charakter des Menschen. Das ciceronische honestum ist aber auch ein normativer und somit letztlich absoluter Wert innerhalb einer Sozietät. Seine absolute Dignität erhält es durch die Tatsache, dass es seinen Sinn in sich selbst hat, weil es um seiner selbst willen moralisch ist und von Natur aus lo‐ benswert und somit auch erstrebenswert. Nicht erst die öffentliche Anerken‐ nung durch die Masse macht das honestum moralisch, sondern seine Moralität ist intrinsisch, wie Cicero in off. I, 14 und III, 33 und auch in Partitiones Oratoriae 24, 87 apophantisch betont. Ciceros Konzept des honestum ist nicht generell als eine Moral der Öffentlichkeit konzipiert wie Klose, Büchner und Drexler 168 115 3.4 Das moralische Substrat der res publica (decorum und honestum) 169 Cicero: De officiis. I, 14. 170 Ibid, I, 65. 171 Ibid, III, 47. 172 Cicero: De finibus bonorum et malorum. II, 51. meinen, sondern das Moralische trägt seine Moralität in sich, „auch dann, wenn es keinen Beifall finden sollte“ 169 . Sein Wert wird ihm nicht durch die Menschen beigemessen; es kann nur von ihnen erkannt, gelobt und erstrebt werden. Das honestum ist somit eine innere Moral und existiert gerade auch ohne öffentliche Perzeption und äußere Ehre, manchmal sogar im Widerspruch dazu. Es ist Sein, nicht äußerer Schein und zeigt sich „in factis positum“ und eben nicht in Ruhm-Bezeugungen einer fehlgeleiteten Öffentlichkeit. 170 Als praktizierender Politiker und philosophischer Rhetoriker ist sich Cicero der Wirkung des honestum jedoch auch im machtpolitischen Bereich bewusst, wenn er einen römischen Kriegseinsatz mit der Begründung rechtfertigt, dass ein vordergründig nützlicher Frieden mit den punischen Invasoren einem eh‐ renhaften Krieg moralisch unterlegen sei. 171 „Moralisch“ in deskriptiv-ethischer Bedeutung ist hier als Synonym für ehrenhaftes Verhalten der Römer zu ver‐ stehen, die sich nach der verheerenden Niederlage bei Cannae wieder aufrüsten, um Hannibal schlagen und ihre Ehre als Großmacht wiederfinden zu können. Wenn für Cicero Kriegseinsätze moralisch nicht von vornherein verwerflich sind, sich also mit den Anforderungen des honestum vertragen können, dann deshalb, weil das honestum als „Moralisches“ zwar im Inneren des Menschen wohnt, seine Wirkungsstätte sich aber auch in und gerade für die römische So‐ zietät und Kriegsmacht entfaltet. Insofern es mit Blick auf das öffentliche Ge‐ meinwesen eingesetzt wird, kann es als eine Moral für die Öffentlichkeit gesehen werden, die demjenigen, der es glaubhaft verkörpert, Ehre und Belohnungen einbringt. Offensichtlich verwendet Cicero „Moralität“ in deskriptiver und normativer Bedeutung. Sein Konzept des honestum scheint jedoch auf den normativen Ge‐ halt von Moralität fokussiert. In fin. III, 13 zeigt Cicero, dass das honestum mit dem decorum gleichgesetzt ist, wenn er beide als Synonyme gleicher Wertigkeit unter die Tugend stellt. Das honestum ist untrennbar mit der Tugend verbunden und kann als moralisches Ideal (perfectum honestum) nur bei den Weisen gefunden werden. Ciceros Bild der vollkommenen Sittlichkeit spiegelt sich in seinem Konzept des honestum, welches die vier Kardinaltugenden der Weisheit (sapientia), Gerechtigkeit (ius‐ titia), Tapferkeit (fortitudo) und Mäßigung (temperantia) in sich aufnimmt. 172 Es ist evident, dass sich der antike Tugendbegriff in erworbenen - nicht potentiell 116 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 173 Christoph Horn: Antike Lebenskunst. S. 113. 174 Cicero: De finibus bonorum et malorum. II, 45. 175 Ibid, II, 69. 176 Ibid, II, 45. 177 Ibid, II, 49. 178 Auch Augustinus widmete sich dieser Thematik in Bekenntnisse. IV, 13, 20. 179 Platon: Phaidon. 101d1-102a2. 180 Siehe auch die „Tübinger Platonschule“ über die esoterische Lehre Platons (ἄγραφα δόγματα) und die Diskussionen Friedrich Schleiermachers und Schlegels im Jahr 1800 über die Echtheit platonischer Werke wie den Theages. angeborenen und untrainierten - Eigenschaften erschließt. 173 So schreibt auch Seneca in seinen Epistulae Morales XIV, 90, 44 von der Kunst, ein guter Mensch zu sein; allein über die natürlichen Anlagen zu verfügen, ist nicht Tugend, son‐ dern deren explizite Anwendung und Vervollkommnung. Nicht die Natur ver‐ leiht notwendigerweise dem Menschen die Tugend, sondern der Mensch ver‐ leiht sie sich selbst in und durch sein sittlich gutes und damit tugendhaftes Handeln. Für Cicero ist das honestum die moralische Meisterleistung der menschlichen Vernunft per se. 174 Ihre Dignität ist unantastbar, sie ist eben nicht die Magd der menschlichen Lust, wie Epikur propagiert 175 , sondern deren Be‐ zwingerin. Dem honestum, das gerade auch ohne Nutzenerwägung und ohne öffentliche Perzeption moralisch ist, kann zwar äußere Ehre durch das Publikum zuteil werden, doch sind utilitas, praemium und fructus keine immanenten Be‐ dingungen des honestum. 176 Nicht die öffentliche Meinung bestimmt das sittlich Gute, sie erkennt es lediglich. Das honestum ist in seinem eigenen Wesen und Sein sittlich wertvoll und der äußere „Glanz seiner Schönheit [verdient] Ruhm“. 177 So preist er den „Glanz der Schönheit“ des honestum und evoziert hier Assoziationen zum altgriechischen καλόν-Konzept und zu Platons thematischer Affinität von Schönheit und Sittlichkeit. 178 Auf dieses Konzept Platons möchte ich nun kurz eingehen. Platons Philosophie ist als ein kohärentes Netz von zentralen Begriffen zu begreifen 179 , die in qualitativ unterschiedlichen Hypothesen innerhalb eines sokratischen Gespräches untersucht werden und entweder in Aporien oder in einem finalen Elenchus enden. Dieser Umstand verhindert scheinbar eindeutige Wertungen und kategoriale Zuschreibungen 180 . Doch anhand der Figur des Sok‐ rates und über eine skrupulöse Analyse seiner Gesprächsbeiträge und sprach‐ lichen Reaktionen auf geäußerte Prämissen anderer Dialogpartner lassen sich einige platonische Überzeugungen bezüglich der Definition von Begriffen fest‐ machen. Besonders Platons Begriff des Schönen, des Guten und der Tugend soll hier Erwähnung finden. 117 3.4 Das moralische Substrat der res publica (decorum und honestum) 181 F.C. White: ‚Love and Beauty in Plato’s Symposium‘, in: The Journal of Hellenic Stu‐ dies. Bd. 109, S. 149-157. 182 Ibid, S. 155-156. Schon zu Beginn des Dialogs Hippias Maior (286d1-2) verkündet Sokrates sein Unwissen, was das Schöne (τὸ καλόν) sei und bittet den Weisen Hippias, ihn die Kenntnisse über das Schöne zu lehren. In mehreren Definitionsversuchen des Hippias vom Schönen als dem Schicklichen (290c7, 293e11, 294a1-2), dem Brauchbaren (295c3), dem Brauchbaren, um etwas Gutes zu verrichten (296d2-5) und als die Ursache des Guten (297a1) wird die thematische Affinität von Schön‐ heit und Gut (τὸ ἀγαθόν) außerhalb der Ästhetik deutlich. Auch Diotima, einzige und geheimnisumwobene Lehrerin des Sokrates, stellt im Symposion (201c1-8) eine kohärente Verbindung von der Schönheit und dem Guten innerhalb eines großen Begriffkomplexes her. Platons Begriffskorpus ist als eine Art Pyramide zu sehen, an deren oberster Stelle das höchste Gut als Idee steht, darauf folgen Abbilder von höherem Wert, dann Abbilder von niederem Wert, materielle Ge‐ genstände und schließlich sinnlich wahrnehmbare Bilder von Gegenständen. Die Liebe zum Schönen wird nun von Diotima als Aufstieg innerhalb eines sol‐ chen Bezugssystems und in seiner ästhetischen und moralischen Breite darge‐ stellt. Die erste Stufe, die ein philosophisch Liebender wie Sokrates erklimmen kann, ist zunächst die Liebe zu schönen Körpern, dann die Liebe schöner Seelen und schöner Lebensweisen, die Liebe zur Schönheit von Kenntnissen, um schließlich die letzte Stufe zu erreichen: die Schau des absolut Schönen. Bemer‐ kenswert sind hierbei die Sublimationsstufen des Schönen als eine Art von Per‐ spektivenverschiebung von der ersten zur zweiten Stufe, vom materiellen Äu‐ ßeren zum moralischen Inneren eines Menschen über die allgemeine Bildung hin zum letzten Wissen vom Schönen. Während Schönheit an sich von Sokrates im Phaidros (250d7-8) als die liebreizendste Form bezeichnet wird, ist das letzte Schöne nicht mehr als bloße Form, vielmehr als Schönheit, das Ganze umfas‐ send, als das Gute in der menschlichen Welt in seiner ästhetischen und morali‐ schen Ausprägung zu verstehen. Mittels des Konzeptes der Schönheit wird das alldurchdringende Gute erst präsent. F.C. White 181 wies im Jahre 1989 zurecht daraufhin, dass die Forschung in der Diotimainterpretation bislang fälschli‐ cherweise das Schöne mit dem Guten gleichgesetzt hat. Emphatisch argumen‐ tiert er, dass Platon nie von der Gleichheit der Schönheit und des Guten ge‐ sprochen hat. 182 In ihrer Analyse der Liebe begreife Diotima Schönheit als Mittel und das Gute als absolutes Ziel der Liebe. Durch die platonische Subsumption des Partikularen unter die Idee des Guten wird die Wesensbestimmung des Guten innerhalb seiner Philosophie deutlich: Die Idee des Guten macht den 118 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 183 Platon: Politeia. 505a2-3 und 517c1-2. 184 Platon: Menon. 74a4-6. 185 Cicero: De finibus bonorum et malorum. III, 27. Und fast 100 Jahre nach Cicero beschreibt auch Seneca in seinen Epistulae Morales die sittliche Vollkommenheit (honestum) als das einzige Gut (unum bonum) der Seele, welche in sich selbst genug ist. Seneca: Ad Lucilium Epistulae Morales. 74, 6 und 74, 25. Gipfel menschlichen Vermögens und Seins aus, seine größte Einsicht in und Ursache für alles Richtige und Schöne. 183 Aus dieser höchsten Idee des Guten entwickeln sich auch die platonischen Tugenden. Der Mensch hat den Willen zum tugendhaften Leben, dadurch wird die Schau der höchsten Idee des Guten erst möglich gemacht. Es ist am Men‐ schen selbst, ob er qua ratio Tugend lebt und seinen Geist (ὁ νοῦς) die Begierden lenken lässt oder nicht. Im Menon präsentiert Platon verschiedene Definitionen von Tugend als Streben nach dem Guten und Schönen (77b4-5), als nützliche Einsicht (88d1-3), als Synonym für Vernunft (89a5-6) und sogar als göttliche Schickung (99e6), die alle außer der letzten Definition eine aktive Tätigkeit oder geistiges und seelisches Vermögen eines Menschen beschreiben. Als Kardinal‐ tugenden werden die Tapferkeit (ἡ ἀνδρεία), die Besonnenheit (ἡ σωφροσύνη), die Weisheit (ἡ σοφία) und der Großmut (ἡ μεγαλοπρέπεια) angeführt 184 , die in ein harmonisches Ganzes als der einen Tugend - der Gerechtigkeit der Men‐ schen - münden. Diese Urtugend der Gerechtigkeit bedeutet eine Wohlgeord‐ netheit der Seelenteile und macht den Menschen gerecht, sein Leben gut und sein ethisches Handeln vollkommen. Platons Verschränkung des Schönen mit dem Guten und der Tugend ist die Klimax innerhalb seiner Ideenlehre, wie bei Cicero die Synthese von officium, honestum und decorum den Kern seiner rhetorischen Ethik darstellt. Ciceros honestum ist somit als ein summum bonum in seiner rhetorischen Philosophie zu verstehen, weil es aus der Tugend kommt, an sich erstrebenswert ist und das letzte Telos des menschlich guten Lebens ist. Dies beweist er an einem stoischen Syllogismus, der als Mittelwert die lobenswerte Eigenschaft (laudabile) des sitt‐ lich Guten beinhaltet: 1. Prämisse: Jedes Gut (bonum) ist laudabile. 2. Prämisse: Alles laudabile ist honestum. Schlussfolgerung: Bonum ist honestum  185 . Als summum bonum scheint das honestum die Hierarchie ethischer Kategorien anzuführen. Doch wie ist bei Cicero das honestum mit dem decorum verbunden? Und welche Rolle spielen das Nützliche (utile) und die platonische Urtugend der Gerechtigkeit (iustum) in Ciceros Konzept des honestum? 119 3.4 Das moralische Substrat der res publica (decorum und honestum) 186 Cicero: De officiis. I, 94. 187 Lotte Labowsky: Die Ethik des Panaitios. Untersuchungen zur Geschichte des Decorum bei Cicero und Horaz. S. 9. 188 Cicero: De officiis. I, 96. 189 In Übereinstimmung mit Labowsky: Die Ethik des Panaitios. Untersuchungen zur Ge‐ schichte des Decorum bei Cicero und Horaz. S. 6. 190 Cicero: De Inventione. II, 54, 165-167. Da moralische Überlegungen einer Handlung idealiter vorausgehen, stellt Cicero die Frage nach dem moralischen Gehalt einer Handlung und dessen Ab‐ stufungen an erster Stelle, gefolgt von Fragen nach dem Nutzen und abgerundet mit der Frage nach der Vereinbarkeit von Moral und Nutzen einer Handlung. Nicht nur aufgrund seiner inhaltlichen Wichtigkeit, sondern auch zeitlich geht das honestum dem decorum voraus: Denn das decorum ist nur in Anwesenheit des honestum überhaupt sichtbar. 186 Dies würde bedeuten, dass das honestum die sittliche Vorraussetzung für rhetorisches Wirken des decorum ist. Wenn ein Pu‐ blikum über keine Moral verfügt, wird es ethische Handlungsnormen in der Rhetorik des Redners auch nicht wahrnehmen können und weder seine Herzen, noch seine Ohren dafür öffnen. Cicero geht sogar noch weiter, wenn er den nicht darstellbaren, lediglich erkennbaren (woran erkennbar wird leider nicht deut‐ lich) Unterschied von honestum und decorum als gegeben ansieht. Das honestum ist eng mit decorum verbunden, da sie beide der Vernunft entspringen und in‐ einandergreifen. So ist das Angemessene moralisch und die Moral angemessen. Damit ist nicht nur das decorum ein Attribut für das honestum, wie Lotte La‐ bowsky 187 zeigt, sondern auch das honestum ein Attribut für das decorum. In der Differenzierung des decorum ergeben sich dann die jeweiligen Charakteristika. Das decorum generale, das „in omni honestate versatur“, ist mit dem honestum identisch. Das decorum subiectum jedoch, das „ad singulas partes honestatis“ gilt, entspricht lediglich einem Teil des honestum. 188 Dieser Aspekt des speziellen honestum zeigt die moderatio, temperantia und species liberalis des moralischen Menschen. Während die ersten beiden Aspekte des speziellen honestum und untergeordneten decorum eine innere Besonnenheit (σωφροσύνη) repräsen‐ tieren 189 , ist die angemessene äußere Erscheinung eines Menschen jedoch als Teil des rhetorischen decorum zu begreifen, das sich auch als ethische Hand‐ lungsnorm im schicklichen Stil und im Auftreten zeigt. Analog zu den zwei Arten des decorum gibt es auch zwei Arten des ho‐ nestum: das honestum, das um seinetwegen erstrebt wird und das honestum, das mit dem Nutzen (utile) verbunden ist. 190 Cicero geht in off. II, 9-10 sogar so weit zu behaupten, dass dem Leben des Menschen kein größerer Schaden angetan werden könne, als wenn das honestum vom Nutzen getrennt werde. Das iustum, 120 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 191 Cicero: De officiis. III, 11 und III, 74. utile und honestum bezeichnet er in derselben Passage sogar als drei identische Phänomene („tria genera confusa“), was ein brillanter rhetorisch-stilistischer Schachzug ist, denn der moralische Glanz des allmächtigen Gerechten strahlt durch die syntaktische Aneinanderreihung innerhalb eines Syllogismus auf die nachfolgenden Kategorien des utile und honestum ab. Um dem Vorwurf einer utilitaristischen Ethik zu begegnen, postuliert er weiter denselben Maßstab für den Nutzen und die Moral und verwirft - sich in sokratischer Tradition verste‐ hend - die Möglichkeit, dass der Nutzen in einen diametralen Gegensatz zur Moral geraten kann. 191 Dennoch ist die Hierarchie in off. III, 18 für einen vir bonus eindeutig: Die Moral steht über dem Nutzen. Obwohl das honestum und utile in off. als identische Phänomene in einer hierarchisch abgestuften Wert‐ ordnung eingegliedert wurden, nennt er sie in seinem rhetorischen Jugendwerk zunächst noch ein polares Gegensatzpaar (De Inventione II, 54, 165). An der Entwicklung dieser Begriffe und ihren jeweiligen Konnotationen kann man Ciceros menschliche Entwicklung vom juvenilen moralischen Idealisten in Ausbildung hin zum desillusionierten, jedoch moralischen Machtmenschen im Dienst der res publica ablesen. Der Primat der Moral vor der Macht ist in seinem ethischen Lehrwerk, das seinem Sohn gewidmet ist, der archimedische Punkt. Wie sich einerseits utile und turpitudo (Schande) ausschließen (off. III, 35), sind andererseits das honestum und utile in syllogistischem Schluss kongruent: 1. Prämisse: Alles Moralische (honestum) ist ein höchstes Gut (summum bonum). 2. Prämisse: Ein Gut (bonum) ist nützlich (utile). Schlussfolgerung: Honestum ist utile. Warum das honestum als rhetorisch-ethische Kategorie gemeinsam mit dem decorum eine wichtige Rolle in Ciceros philosophischen Reflexionen spielt, zeigt das Sokrates’-Zitat in Tusculanae disputationes V, 47: Wie der seelische Zustand eines Menschen beschaffen sei, so sei der Mensch selbst; wie aber der Mensch selbst sei, so sei seine Rede geartet; seiner Rede aber seien seine Handlungen und seinen Handlungen sein Leben ähnlich. Das Wesen des Menschen, seine οὐσία als seine ihm eigentümliche Existenz als seelenhaftes Individuum, entscheidet über die Art der Rede, über seine Hand‐ lungen und spiegelt sich in seiner ganzen Lebensweise wider. Dies bedeutet, dass die Rhetorik als Kunst der sprachlichen Verfeinerung der Beredsamkeit zwar über mächtige Mittel der Imagepflege und Politur einer Rede verfügt, doch stößt sie trotz rhetorisch-ethischer Kategorien wie dem decorum dort an ihre 121 3.4 Das moralische Substrat der res publica (decorum und honestum) 192 Cicero: Tusculanae disputationes. V, 72. 193 Ibid, V, 104. 194 Ibid, V, 36. 195 Ibid, IV, 8. Vgl. hierzu Epikurs Ataraxie Begriff. 196 Ibid, V, 48. Wirkungsgrenze, wo die charakterliche Natur des Sprechenden einer rheto‐ risch-ethischen Ausrichtung diametral entgegentritt. Lediglich ein Exemplar menschlicher Gattung existiert, das Ciceros rhetorisch-ethischen Kategorien gegenüber keine Wirkungsschranke zeigt: der Weise (sapiens), der allerdings ein normatives Ideal ist. Der ciceronische Weise ist kein lebensreales Konzept, son‐ dern er stellt die erwünschte Bestheit des Menschen im alten Rom dar. Er zeigt auf, wie der Mensch idealiter sein kann, wenn er seine menschlichen Vorzüge als Vernunftnatur nutzt. Cicero zeichnet seinen Weisen als einen Menschen, der am staatlichen Leben teilnimmt, dies jedoch auf kluge, gerechte und tugendhafte Weise tut. 192 Er ist kein von Eitelkeit oder Ehrgeiz Getriebener 193 , sondern ein maßvoller und tapferer Mensch, der sein Schicksal und sein Glück bewusst in den eigenen Händen hält 194 . Sein ruhiger Geist und seine gesunde Seele, die weder Lust, noch Begierde oder Kummer aus dem Gleichgewicht bringt 195 , ma‐ chen ihn zu einem vollkommen glücklichen Menschen. Nur der weise Mensch kann ein vollkommen glückliches Leben führen, das de facto ein tugendhaftes Leben sein muss. 196 Telos des menschlichen Lebens ist das Glück als Tugend. Das wahrhaft Moralische (vere honestum) ist als solches nur bei den Weisen anzutreffen, die Menschen wiederum müssen sich nach Cicero um das nostrum honestum als dem erreichbar Moralischen bemühen. Durch diese auch aristo‐ telische Herabholung der moralischen Möglichkeiten des Menschen auf den Boden seiner Lebensrealität verbindet Cicero die rhetorisch-ethischen Kate‐ gorien des decorum, officium und honestum zu einem am platonischen Ideal ausgerichteten eigenen Konstrukt menschlicher Möglichkeiten in einer rhe‐ torisch geprägten Praxis der Politik. Auf diesem Hintergrund lässt sich fol‐ gende Analogie erstellen: Mensch Weiser medium officium als καθῆκον perfectum officium als κατορθώματα decorum (humanitas & ornatus) ίδεαι nostrum honestum vere honestum Tab. 5: Menschliche und ideale Rhetorikkonzepte 122 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 197 Cicero: De officiis. III, 13. 198 Ibid, III, 17. 199 Ibid, I, 55. 200 Die enge Verbindung von Moral und Gemeinwesen, von individueller Moral und mo‐ ralischem Substrat, zeigt sich in der republikanischen Ära besonders in der sozialen Konzeption des „patronus“, wie Robling zeigt. Damit Bauern, Dörfer und Städte ihre Existenz sichern konnten, bedurften sie des Schutzes eines ranghöheren Patrons, wel‐ cher dank seines Ansehens und seiner Glaubwürdigkeit ihre Interessen gerichtlich und politisch (in Volksversammlung, im Senat und Gericht) vertreten konnte. Damit diese rednerische Aufgabe der Interessenvertretung des Klienten funktionierte, musste der Redner sittliches Verhalten zeigen und über Verantwortlichkeit und Glaubwürdigkeit verfügen. Der Klient war ihm dann treu (fides) ergeben. Dieses Treueverhältnis ist nach Robling „Ausdruck der Staatsethik“ (Sp. 901) überhaupt, welche in der Beziehung Patron (orator) und Klient gelebt wird. Siehe Franz-Hubert Robling: Art. ‚Redner, Rednerideal‘, in: HWRh, Bd. VII, Sp. 862-935. Zur Unterscheidung von patronus und orator und deren Verwendung vor, bei und nach Cicero sei auf Walter Neuhausers ausführliche Studie Patronus und Orator verwiesen, der zeigt, wie das Patronat zur Domäne der Redner wird und durch welche „moralische Bindungen (pietas und fides)“ (S. 63) es geregelt wird. Im Gegensatz zu den Stoikern, für die das honestum ein unerreichbares Gut in höheren Sphären darstellt, geht Cicero hier eigene Wege, indem er nicht nur das honestum als höchstes Gut und letzten Nutzen konzipiert, sondern auch das nostrum honestum für den Menschen in seinem moralischen Streben zum wahren Moralischen propädeutisch versteht. Das eigentliche honestum ist mit der Tugend (virtus) verbunden und findet sich bei den Weisen (sapien‐ tibus). 197 Das erreichbar Moralische (honestum nostrum) ist als „similtudines honesti“ mit dem Nutzen (utilitas) verbunden und jedem normalen Menschen zugänglich (homines). Es ist ein ciceronisches Muss innerhalb seiner Tu‐ gend-Ethik, dass der Mensch das honestum schützt und bewahrt, um sein Telos im Leben, die Tugend, erlangen und verwirklichen zu können. Das er‐ reichbar Moralische des Menschen stellt sich nach Cicero somit als eine Vor‐ stufe in einem moralischen Lernprozess dar 198 , der es dem Gewillten ermög‐ licht, seinen angemessenen Platz in der Sozietät zu finden und zum vir bonus zu werden. Die Moral ist eo ipso nützlich, da sie ein soziales Movens unter Menschen und Definiens eines vir bonus ist. 199 Sie ist nicht nur ein ethischer, sondern auch ein sozialer Faktor; sie berührt uns im Inneren und „amicos facit“. Das honestum schafft und verstärkt das gemeinschaftliche Bindungsgefühl innerhalb der So‐ zietät 200 , in Ciceros Augen Fundament einer gesunden res publica. Qua honestum als zutiefst menschlich-sozialer Triebkraft, qua decorum als ethischer Hand‐ lungsnorm und qua officium als Pflichtenkatalog eines tugendhaften vir bonus schafft Cicero ohne Ausklammerung utilitaristischer Aspekte eine rhetorisch 123 3.4 Das moralische Substrat der res publica (decorum und honestum) 201 Die Diskussion um Moral und Staat, Recht und Moral gewinnt im 21. Jahrhundert eine universale, den Nationalstaat übergreifende Dimension. Hans Küng (Projekt Weltethos, 1990) plädiert deshalb auf Grund der „planetarischen Verantwortung“ (S. 51) des post‐ modernen Menschen für eine „Ethik als öffentliches Anliegen“ (S. 55) und als quasi selbstverständlicher, aber realistischer „Rahmen menschlich-sozialen Handelns“ (S. 56), weil nur so der Konflikt zwischen den Religionen überwunden werden kann und das Überleben der Menschheit möglich ist. Auch Jürgen Habermas analysiert in seinem Buch Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962) den idealen Typus bürgerlicher Öffent‐ lichkeit in seiner historischen Entwicklung und das Zusammenspiel von Politik und Moral und deren kommunikative Vermittlung in der Öffentlichkeit. 202 Vgl. auch den Theologen und Kulturphilosophen Herder: „Der Mensch ist also ein hor‐ chendes, merkendes Geschöpf “, in: Herder: Über den Ursprung der Sprache. I, 3, S. 127. 203 Martin Heidegger: Unterwegs zur Sprache. S. 254f.; Was heisst denken? S. 19; Sein und Zeit. S. 161 und Platons Lehre von der Wahrheit. Mit einem Brief über den ‚Huma‐ nismus‘. S. 57: „Als das hörend dem Sein gehörende ist das Denken“. 204 Siehe Abbildung in Luke Syson und Larry Keith: Leonardo Da Vinci. Painter At The Court Of Milan. S. 83. lebbare Tugend-Ethik, die noch Augustinus und Kant Jahrhunderte später be‐ einflussen sollte. 201 3.5 Die Innerlichkeit des Decorum Wär nicht das Auge sonnenhaft, die Sonne könnt es nie erblicken; Läg nicht in uns des Gottes eigne Kraft, wie könnt uns Göttliches entzücken? Goethe (Virtus hominem iungit deo. Cicero: Acad. 2, 139) Das Auge als Spiegel der Seele und die innere Schau als philosophische Metapher haben in der Philosophie eine lange Tradition von Platon, Aristoteles und Plotin (und auf seinen Spuren auch Goethe), die den Menschen primär als einen Seh‐ enden auffasst. Heidegger 202 setzt vor allem nach der sogenannten „Kehre“ einen anderen Akzent. 203 Die bildende Kunst in der frühen Neuzeit beschäftigt sich ganzheitlich mit dem Menschen. Leonardo Da Vinci ist hier ein Ausnahmetalent aufgrund seiner außergewöhnlichen Vorstellungskraft: So entwarf er beispielsweise Fallschirme, Brennspiegel und Konstruktionen für einen Vorläufer des Fahrrads. Sein Inter‐ esse galt aber primär der Anatomie des menschlichen Körpers, den er auf dem Seziertisch studierte. Mit dem Zeichenstift hielt er die gewonnenen Eindrücke fest. Neben den vielen Studien des Bewegungsablaufes des menschlichen Kör‐ pers war vor allem das menschliche Auge für ihn ein Faszinosum. In einer Studie aus den Jahren 1490-94 lokalisierte er in unmittelbarer Nähe des Auges die Seele. 204 Die Studie zeigt einen Querschnitt des menschlichen Kopfes, von oben 124 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 205 Ibid, S. 81. 206 Cicero: Tusculanae disputationes. I, 41. 207 Jürgen Daiber: ‚Fenster-Metaphorik: Zum historischen Spannungsfeld von Text-Bild-Relationen‘, in: Grenzen der Germanistik. Rephilologisierung oder Erweite‐ rung? Hg.v. Walter Erhart. S. 398. betrachtet: Das Auge ist direkt mit drei Kammern verbunden, wovon die erste Kammer dem senso comune als Sitz der Seele und der Vorstellung (fantasia/ ima‐ ginatio), die zweite der Kognition (cogitatio/ estimatio) und die letzte Kammer dem Gedächtnis (memoria) Raum bietet. Diese Kammern sind nicht voneinander durch eine Membran getrennt, sondern gehen ineinander über durch eine Öff‐ nung am Anfang und Ende der jeweiligen Kammer. Die erste dieser drei Kam‐ mern ist außer dem Auge noch mit den Ohren verbunden. Leonardo da Vinci veranschaulicht so die direkte Verbindung der Seele (anima/ ψυχή) über Auge und Ohr zur Welt, wobei dem Auge als Fenster zur Außenwelt die entscheidende Bedeutung zukommt. 205 Der Exkurs über Leonardos anschauliche Annäherung an das Phänomen der menschlichen Seele kann hilfreich sein, wenn man Ciceros Auffassung vom Wesen der Seele in den philosophischen Schriften der Tusculanae disputationes und in De officiis, die aus seiner späten literarischen Schaffensphase stammen, nachspürt. Auch für Cicero gehen Auge und Ohr eine Verbindung mit der Seele ein. Sie ist für ihn aber vor allem unter psychologischem und ethischem Aspekt bedeutsam (animus/ πνεῦμα). Die unsichtbare Seele und der Geist (lat. animus, -i m. und auch anima, -ae f. für „Atem“, „Hauch“, „Leben“, „Seele“) des Menschen beschäftigen Cicero nachhaltig, insbesondere, weil er die Seele als die sozial-ethische und intel‐ lektuelle Essenz des Menschen begreift. Im Gegensatz zum Neuplatoniker Plotin, der von jeweils zwei Seelen - einer körperlichen und einer geistigen Seele in Welt- und Einzelseele - ausgeht, vereint Ciceros Konzept von Seele beide Aspekte in einer einzigen Seele oder Weltseele. Analog zu Platons Welt‐ seele, aufgefasst als allgemeines Ordnungsprinzip des Weltalls, ordnet die körperliche Seele bei Cicero die Glieder des menschlichen Körpers und stellt eine körperliche Harmonie her. 206 Als Ordnungsprinzip wirkt die Seele als das eigentliche Sinnesorgan des Menschen. Nicht die äußeren Organe, wie Auge und Ohr, sind als Sinnesorgane die zentralen Wahrnehmungsorgane, sondern die Seele ist das entscheidende Wahrnehmungsorgan. In platonischer Tradi‐ tion (Timaios 45dff.) deutet Cicero Auge und Ohr metaphorisch als Fenster zur Seele 207 ; die beiden Sinnesorgane sind bloße organische Rezeptoren, ohne in‐ nere Perzeption. Wie bei da Vinci dargestellt, sind diese „Fenster“ durch ge‐ websartige Verbindungen mit der Seele verbunden. Doch diese „Gänge“, die 125 3.5 Die Innerlichkeit des Decorum 208 Cicero: Tusculanae disputationes. I, 46-47. 209 Noch im 20. Jahrhundert beschäftigt sich Foucault mit dieser Abhängigkeit, sah aber die Seele als Gefängnis für den Körper. Michel Foucault: Surveiller et punir. Nais‐ sance de la prison. S. 34. 210 Cicero: Tusculanae disputationes. I, 52. durch den Körper führen, sind auch durch innere Organe versperrt. Die ma‐ terielle Substanz des menschlichen Körpers behindert die direkte Erkenntnis einer Sache durch die Seele, da die Seele erst durch den materiellen Körper hindurch erkennt. 208 Aus diesem Grund sprach schon Platon (Phaidon) vom Körper als dem materiellen Gefängnis der Seele. 209 Nach Cicero (Tusc. I, 52) ist der Körper lediglich das äußere und materielle Hilfsmittel, mit dem die Seele Handlungen ausführt. Handlungen werden an sich initiiert von der Seele, nicht vom Körper. Diese unsichtbaren Handlungs‐ prozesse können nicht von außen gesehen, nur vom Menschen als solche er‐ kannt werden. Mithilfe der geistigen Empfindsamkeit der Seele kann eine menschliche Seele eine andere erkennen. Dies meint Cicero, wenn er sagt „es ist ja wohl auch das Größte, mit der Seele selbst die Seele zu erkennen“ 210 . Das vom Gott Apollo gegebene Gebot „Erkenne dich selbst“ kann umgesetzt werden mittels des menschlichen Geistes, der es dem Menschen ermöglicht, seine Seele und damit sich selbst in seinem innersten Wesen, dem Zentrum des Ich zu er‐ kennen. Damit ist die Seele das existenzielle Zentrum des Menschen, das agiert, empfindet, über sich selbst reflektieren und eine jede Sache rein erkennen kann. Als machtvolles, noetisches Wesen ist die Seele (bei Platon die Einzelseele) ein eigenständiges Wesen, das sich selbst bewegt. Analog zu Platon (Phaidros 245ef./ Nomoi X, 895cff.) und in Abgrenzung dazu Aristoteles (Metaphysik XII 6, 1071b3ff.), nimmt Cicero hier (Tusc. I, 54) das Konzept der Autokinesis als Be‐ weis für ihre Existenz als Urgrund, der von Gott als Weltseele erschaffen wurde und keinen Anfang und kein Ende hat und somit als Weltseele oder menschliche Seele ewig ist. Ciceros Seelenkonzept als Zentrum des Ich eines Menschen deckt sich mit Aristoteles’ dritter Seelenart, der Denkseele (νοητική ψυχή). Der Mensch, der nach Aristoteles neben einem Nährvermögen, Wahrnehmungs- und Vorstel‐ lungsvermögen auch über ein Verstandesvermögen verfügt, vollbringt im Denken und Entscheiden seine eigentliche Leistung (ἔργον). Das aristotelische Seelenkonzept von Seele als Substanz (οὐσία) ist auch für Cicero der Ausgangs‐ punkt, wenn er von der ethischen und geistigen Fähigkeit der menschlichen Seele spricht. So macht er die Philosophie und die Vernunft zum einen als Pflege und zum anderen als Herrin der Seele aus. Pflicht des Menschen ist es, seine Seele mit Hilfe der Philosophie zu pflegen, um das volle Potential der mensch‐ 126 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 211 Ibid, II, 13 und II, 47. 212 Ibid, I, 65; De natura deorum. I, 45 und De re publica, somnium scipionis, 17. 213 In Homers Ilias bereits angedeutet, (Gesang 13, Z. 544; 16, 414; 20, 459; 23, 65-72 und 100-106, 257) verlässt die Seele den menschlichen Körper in der Stunde des Todes, um dann wie in der Odyssee (11. Gesang, Z. 205-222) beschrieben, zu den Schatten der Un‐ terwelt zu fliegen. Während die Seele körperlos weiterlebt, ist der Körper tot, sobald ihn der θυμός (Geist, Verstand, Leben) verlässt. Homers Seele des Schattenreiches ist eng verknüpft mit dem Prinzip des Lebens an sich, sei es im irdischen Dasein eines Lebenden oder in der Unterwelt als körperlose Seele eines Verstorbenen. Abb. 1: Ciceros Tugendkonzeption lichen Seele zu entfalten, das in der Befähigung zu tugendhaftem Handeln seinen Höhepunkt findet. 211 Aufgrund dieses Vermögens kommt der Seele im Menschen eine besondere Stellung zu: Sie ist ein göttliches Wesen, von Gott dem Menschen gegeben. 212 Damit reiht sich Cicero in die antike Tradition von Homer 213 bis Aristoteles ein, die alle die Seele (ψυχή) als Prinzip des Lebens per se verstehen. Sie ist das Vermögen, das einem Lebewesen oder Ding Leben einhaucht. Sie ist das Synonym zu Leben und befindet sich in Ciceros philosophisch-rhetorischem Gesamtkonzept von Seele, Tugend und decorum im Zentrum aller Tugenden. 127 3.5 Die Innerlichkeit des Decorum 214 Siehe Elaine Fantham: ‚Aequabilitas in Cicero’s Political Theory, and the Greek Tradi‐ tion of Proportional Justice‘, in: The Classical Quarterly, Bd. 23, Nr. 2, S. 286. Cicero wird hier als Erfinder des Begriffes genannt; Fantham listet in übersichtlicher Weise dessen Verwendung mitsamt den politischen Implikationen auf. 215 Cicero: De officiis. I, 111. Zur Übereinstimmung des individuellen Verhaltens mit der persona siehe auch Charles Guérin: ‚Philosophical Decorum and the Literarization of Rhetoric in Cicero’s Orator‘, in: Frédérique Woerther (Hg.): Literary and Philosophical Rhetoric in the Greek, Roman, Syriac and Arabic Worlds. S. 125. Um das göttliche Potential zu entfalten und dem Wesen der Seele im Menschen gerecht zu werden, bedarf es nach Cicero zweier Prinzipien: constantia und aequabilitas. Mit diesen Eigenschaften ist es möglich, dem philosophischen Ziel Ciceros näher zu kommen, eine ausgebildete Seele im tätigen Menschen vom Menschen selbst auszubilden. Der politisch-juristische Begriff „aequabilitas“ 214 wird von Cicero als sozial-ethischer Begriff in Bezug auf ein harmonisches Leben und seelisches Gleichmaß verwendet. Während er in seinem Werk De re publica den Begriff „aequabilitas“ in der Bedeutung von Gleichmäßigkeit im Gemein‐ schaftswesen in einer monarchischen Verfassung, einer Adelsrepublik der Op‐ timaten und in der Demokratie (I, 42), als politischen Terminus für Gleichmä‐ ßigkeit im Volk (I, 43), Gleichmäßigkeit im Recht (I, 53) und in der Bedeutung von Gleichberechtigung der Bürger (II, 43) verwendet, taucht aequabilitas in De officiis und Tusculanae disputationes in sozial-ethischem Kontext als Bezeich‐ nung für Ausgeglichenheit (off. I, 90), Harmonie und Stimmigkeit des Lebens (off. I, 111) und als Gleichmäßigkeit von Vorstellungen (opinio) und Urteilen (iudicium, Tusc. IV, 31) auf. Wie in De re publica aus den Jahren 54-51 v. Chr. die Urtugend iustitia als Prinzip für den Staat als Rechtsgemeinschaft der Bürger gilt, so gilt in De officiis und den Tusculanae disputationes die aequabilitas als Prinzip für den politisch-tätigen Menschen, das ihn befähigt, angemessen zu handeln: „Wenn es überhaupt etwas Angemessenes gibt, dann ist es in Wirk‐ lichkeit nichts anderes als die Harmonie/ die Stimmigkeit (aequabilitas) des ge‐ samten Lebens und dann auch aller einzelnen Handlungen“ 215 . Die aequabilitas wird hier im Kontext der Ethik als eine „aequabilitas in vita mea“ der rheto‐ rischen Urkategorie des decorum untergeordnet, wie sie vorher im Kontext der Politik der iustitia untergeordnet worden ist. Diese kontextuelle Übertragung eines genuin politischen Terminus auf ein sozial-ethisches Gebiet verwundert nicht bei einem Menschen wie Cicero, der selber die Verbindung von leiden‐ schaftlichem Politiker und philosophischem Rhetor lebte. Der Begriff der „constantia“ wird umfangreicher konnotiert. Als ethischer Habitus wird er besonders zu decorum, animus und virtus in Beziehung gesetzt. Außerdem ist constantia (Verlässlichkeit) in off. I, 23, zusammen mit fides (Zu‐ verlässigkeit) und veritas (Wahrhaftigkeit der Worte und Vereinbarungen) die 128 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 216 Vgl. hierzu Gisela Febel: Art. ‚Constantia‘, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 2, Sp. 373. Febel führt hier an, dass die constantia „in einen gewissen Konflikt mit der prepon-Lehre [gerate], die vom Redner ja verlangt, das je Geeignete zu äußern“. Dieser Konflikt scheint der Voraussetzung geschuldet zu sein, dass sich konsequentes Handeln und flexible Anpassung ausschließen, beachtet jedoch nicht, dass ein Redner durchaus innerlich gefestigt und rhetorisch flexibel sein kann. Dies bestätigt auch die kontextu‐ elle Nähe von constantia und decorum in Ciceros De officiis siehe oben. 217 Cicero: De officiis. I, 14 und I, 17. 218 Ibid, I, 98. Grundlage der Gerechtigkeit und insgesamt für Cicero die entscheidende see‐ lische Kraft. Sie wird als geordnete, widerspruchsfreie, beständige und ange‐ messene innere Festigkeit im Menschen römischer Art verstanden und scheint in dieser Verwendungsvielfalt Ciceros Schöpfung 216 zu sein. Cicero verwendet sie häufig in unterschiedlicher Bedeutung: constantia im Sinne von Verlässlich‐ keit in Gedanken und Taten (off. I, 14), dann auch als Kennzeichen für ein be‐ stimmtes Handeln, das in Moral mündet (off. I, 17), als innere Festigkeit (off. I, 69), als Bestandteil für seelische Gesundheit (Tusc. III, 9) und Folgerichtigkeit der Lehre (Tusc. V, 31) bis zu constantia als Grundlage für das Angemessene (off. I, 98). Cicero etabliert zwischen constantia und decorum kein Spannungsver‐ hältnis, sondern lässt diese - einander ergänzend - koexistieren. Die rhetorische Kategorie decorum und das philosophische Prinzip der constantia stellen sicher, dass sich das menschliche Handeln an virtus orientiert. Qua constantia wird neben decorum auch die Moral (honestum) bewahrt. 217 Durch diese inhaltliche Verknüpfung von constantia, virtus und decorum kann die constantia in off. I, 67 an sich als Garant für Vernunft und Würde in einem Menschen gesehen werden. Und „so löst auch das Angemessene, das im täglichen Leben hervorleuchtet, den Beifall (adprobatio) derjenigen aus, mit denen man zusammenlebt, aufgrund von Ordnung (ordo), innerer Festigkeit (constantia) und Mäßigung (moderatio) in allen Worten und Taten.“ 218 Cicero sieht in dieser Textstelle constantia sogar als einen dem decorum zugrunde liegenden Teil. Es wird evident, dass Seele (mit den Prinzipien der constantia und aequabilitas), Tugend und decorum in Ciceros Vorstellung miteinander in einen ethischen Rahmen treten, der sich im Inneren des Menschen manifestiert und nach außen im rhetorischen und tätigen Han‐ deln wirkt. Die aequabilitas und constantia wird deutlich in den menschlichen Vorstellungen und Urteilen einer tugendhaften Seele, die in Tusc. IV, 31 eine schöne Seele genannt wird. Seele → constantia & aequabilitas & virtus → schöne Seele Die Harmonie bildende Seele, die „ratio bene uti“ und ausgeglichen ist (Tusc. III, 15), ist nicht nur die ethische Essenz des Menschen, sondern hat auch Macht, 129 3.5 Die Innerlichkeit des Decorum 219 Walter Eisenhut: Virtus romana: ihre Stellung im römischen Wertsystem. S. 58. 220 Gerhard Liebers: Virtus bei Cicero. Dresden: M. Dittert & Co., 1942. 221 Vgl. Ciceros oben genannte Verwendungsweise von „aequabilitas“ und „constantia“. den Menschen in seinem Innersten vollkommen glücklich zu machen (Tusc. IV, 38), wenn sie gesund und gepflegt ist. Als Endstufe menschlicher Potenz ist für Cicero in Tusc. V, 38-39 damit die ausgebildete und sehende Seele, woraus der vollkommene Geist wird. Ein vollkommener Geist beinhaltet in ciceronischer Auffassung immer auch die Tugend (virtus). Der römische Wertbegriff „virtus“ ist bei Cicero als Idealbild menschlicher Vollkommenheit gesetzt, wird allerdings außerdem auch in der Bedeutung von ἀρετή zur Bezeichnung einer einzelnen Tugend verwendet. 219 In Liebers Dissertation 220 aus dem Jahre 1942 werden virtus als die römische Natio‐ naltugend, ihre erweiterten Verwendungsmöglichkeiten und die Prägung durch Cicero umfassend dargestellt. Als Inbegriff dessen, was den Mann im antiken Rom ausmacht, stammt virtus von vir, im Sinne von männlicher Härte ab, und schließt auch civis als positives Prädikat ein, im Gegensatz zum homo als allge‐ meinem Begriff für einen Menschen, der humanitas besitzt. Ursprünglich in ak‐ tiver Funktion, verwendet für einen siegreichen Feldherrn (S. 11), für die Ver‐ teidigungskraft im Kampf (S. 16), kann virtus auch passives Erdulden des Schicksals (S. 19), die Würdigkeit von Adel und Ritterstand (S. 36), politische Leistung und rechte Haltung (S. 21) und persönliche Leistung (S. 30) bedeuten, wird als seelische Kraft (S. 65) und Sittlichkeit (S. 57) und somit als innerer Besitz (S. 61) bezeichnet. Virtus als menschliche Tugend definiert Cicero in Tusc. II, 30 als Synonym für honestum, rectum und decorum, wobei die ersten beiden als Übersetzungen des altgriechischen καλόν-Konzeptes von Moral gelten können, während Letz‐ teres das genuin rhetorisch Ethische ciceronischer Prägung repräsentiert. Des Weiteren bezeichnet es die richtige Verhaltensweise der Seele („rectae animi adfectiones“ in Tusc. II, 43), die rechte Vernunft (Tusc. IV, 34 & V, 39) und ist in stoischer Tradition das höchste Gut eines Menschen (Tusc. II, 46). Eine ausge‐ bildete und eine tugendhafte Seele sind deckungsgleich, und virtus ist nichts Äußerliches, sondern wird von Cicero eher als tugendhafter Akt und als sittli‐ ches Handeln begriffen. Um sittlich gut handeln zu können, bedarf die Seele des Menschen der Ausbildung durch die Philosophie. Mit Cicero übereinstimmend, begriffen auch im 17. und 18. Jahrhundert Leibniz, Christian Wolf und Kant die Tugend als eine geistige Kraft, die den Menschen in einen Zustand moralischer Vollkommenheit geleiten kann. Im Rahmen seiner vielfältig gebrauchten und daher gelegentlich intranspa‐ rent wirkenden Begriffe 221 entwickelt Cicero seinen Tugend-Begriff jedoch in 130 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 222 Cicero: De officiis. II, 17. 223 Hier ergibt sich eine gewisse Simulationsproblematik: Ist von einer Präsentation des guten Charakters oder des Charakters als eines Guten die Rede? Cicero nimmt dazu in De oratore. II, 182 Stellung, wo Ersteres aufgrund der größeren Wirkung klar vorge‐ zogen, aber Letzteres auch nicht als verwerflich abgetan wird. 224 Manfred Fuhrmann: Die Antike Rhetorik. S. 53. systematischer Klarheit, indem er Definitionen, Aufgaben und Funktionen von virtus darstellt. „Aufgabe“ soll hier die inhaltliche Leistung bezeichnen, welche entweder durch die Sache selbst bedingt ist oder von anderen Menschen über‐ tragen wurde und nun zu erfüllen ist. Ciceros Tugend hat eine deutlich rheto‐ rische Funktion, wenn er feststellt, dass „es die eigentliche Aufgabe der Tugend ist, die Herzen der Menschen zu gewinnen und zu ihrer eigenen Entfaltung [der Tugend] an sich zu binden.“ 222 Das rhetorische Telos von Persuasion und sozialer Bindung scheint damit beschrieben. Virtus im Sinne einer Einzeltugend hat je drei Aufgaben zu bewältigen, die Cicero in off. II, 18 ausführt und für jede Tu‐ gend als gültig erklärt: das Wesen einer Angelegenheit klären (was ist wahr, was angemessen, was sind die Folgen und Ursachen? ), Leidenschaften in der Seele durch Vernunft beherrschen und maßvoll und klug mit seinen Mitmenschen umgehen. Zwar scheint Cicero in diesen drei Aufgaben einer jeden Tugend die drei rhetorischen Überzeugungsgründe von λόγος, ἦθος und πάθος des Aris‐ toteles zu streifen, doch erweist sich diese thematische Nähe als eine ethische Ergänzung. Während λόγος das rationale Überzeugungsmittel in der Rhetorik ist und als solches auch hier von Cicero angeführt wird, wird das πάθος gerade als emotionaler Höhepunkt eines Überzeugungsprozesses begriffen, der wie‐ derum die Beherrschung leidenschaftlicher Affekterregung durch die Vernunft einschließt. Und das rhetorische Ethos schließlich ist die subtile Wirkungsweise des Redners selbst, der durch seine rhetorische Präsentation des eigenen guten Charakters 223 und ebenso durch einen klugen Umgang ad hominem, der von Menschlichkeit zeugt, wirkt. Rhetorische Inszenierung und sittliches Handeln, Beredsamkeit und Tugenderziehung, Rhetorik und Ethik scheinen sich nicht so fremd zu sein, sondern sind bei Cicero komplementär angelegt. Fuhrmann sieht diese Einheit von philosophisch-reflektierendem Zugang (bei Isokrates) und technisch-praktischem Zugang zur Rhetorik (bei Aristoteles) als von Cicero be‐ wusst gewollt. 224 „Funktion“ soll hier die Wirkungsweise, die sich außerhalb eines Systems ent‐ faltet, beschreiben. Als solche wirkt die Tugend, indem sie bei Cicero in off. I, 56 eine innige Verbindung zwischen Menschen herstellt, die eine Einheit in der Ge‐ meinschaft ermöglicht. Sie ist der ethische Kanal, der von einem Menschen auf den Anderen wirkt und zwei primär heterogene Instanzen aneinander binden 131 3.5 Die Innerlichkeit des Decorum 225 Cicero: Tusculanae disputationes. V, 53. 226 Cicero: De re publica. I, 2. Diese Absage an bloße Beredsamkeit und Betonung des prak‐ tischen Handelns in der Politik darf nicht darüber hinweg täuschen, dass Cicero sich dem koexistenten Ausleben von Tugend in der Perlokution und in der tätigen Handlung be‐ wusst ist. 227 Das καιρός ist bei den Sophisten als rechtes Maß oder rechter Augenblick bestimmt. Siehe Fr. 13, in Thomas Buchheim (Hg.): Gorgias von Leontinoi: Reden, Fragmente und Testimonien. S. 83. 228 Für das Begriffsfeld „angemessen“ sind im Griechischen und Römischen mehrere Aus‐ drücke einschlägig. Siehe hierzu die Kapitel 2.1 und 2.2 der vorliegenden Arbeit. kann. Als würdigste Gemeinschaft gilt der Staat (off. I, 57), in dem der vir bonus mittels theoretischer Erkenntnis und seinem auf iustitia beruhenden Handeln agiert, wobei die iustitia in off. III, 28 als „domina et regina virtutum“ den höchsten Rang einnimmt. Die Tugend schafft die soziale Verbindung zwischen Menschen und ist für jeden Einzelnen auch Garant eines guten, tapferen und glücklichen Lebens. 225 Doch dieses Potential für ein glückliches Leben und eine innige Ver‐ bindung wird nicht durch den bloßen Besitz von Tugend als Kunst realisiert, son‐ dern in ihrer praktischen Anwendung. Die Tugend als „männliche Vollkommen‐ heit [ruht] ganz in der Betätigung ihrer selbst; ihre größte Betätigung aber ist die Lenkung des Staates und eben dieser Dinge, die diese Leute in ihren Winkeln deklamieren, Verwirklichung durch die Tat, nicht durch die Rede.“ 226 3.6 Zusammenfassung Worin besteht nun Ciceros genuine Leistung für eine rhetoriktheoretische Aus‐ prägung des decorum? Betrachten wir rekapitulierend rhetorische Theorien von πρέπον/ decorum vor Cicero, so stellen wir fest, dass sich zum einen bei den Sophisten das καιρός-Konzept 227 und zum anderen bei Aristoteles die μεσότης-Lehre (Lehre der rechten Mitte) finden lässt, die sich explizit mit rhetorischer Angemessenheit auseinandersetzen. Dieser Befund scheint angesichts der Fülle rhetorischer und philosophischer Autoren gering zu sein, was die Vermutung aufkommen lässt, dass das decorum oder überhaupt ein Angemessenheitskonzept in der Theorie der Rhetorik eher beiläufig erwähnt wird und nie theoretisch und systematisch analysiert wird. So scheint das decorum in der Antike ein eher unpräziser Begriff 228 zu sein, der sich in die jeweilige Rhetorikkonzeption einfügt, ohne je eine zentrale Rolle zu spielen: Die Sophisten legen den Fokus auf den Redner, der den rechten Au‐ 132 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis 229 Über Protagoras berichtet Sextus Empiricus in den Pyrrhonische Hypotyposen. I: „Man kann also sagen: Aller konkreten Entitäten kritérion ist der Mensch, der seienden, daß sie sind, der nichtseienden, daß sie nicht sind. Und deshalb setzt er allein das jedem einzelnen Erscheinende an und führt so die Relationalität ein.“ Zitiert nach Thomas Schirren und Thomas Zinsmaier: Die Sophisten. S. 43. 230 Philipp Brüllmann: Art. ‚prepon‘, in: Otfried Höffe: Aristoteles-Lexikon. S. 491f. 231 Vgl. Cicero: Orator. 70-71. genblick erkennt und so seiner Rede Wirkmacht verleiht. 229 Dies muss indivi‐ duell und situativ schnell geschehen, ohne dass der Redner dafür einen detailliert ausgefeilten Kunstgriff (τέχνη) zur Hand hätte. Aristoteles wiederum ist an einer Rhetorik als τέχνη interessiert, das πρέπον nimmt aber keinen systematischen Platz in seinen Ausführungen zur Rhetorik ein. In unterschiedlichen Kontexten auftauchend, verwendet Aristoteles das πρέπον meist wertend, beispielsweise wenn er die ἀρετή definiert, die μεγαλοπρέπεια (Großartigkeit) analysiert oder die ethischen Tugenden bestimmt. 230 Aristoteles erkennt also das πρέπον als ethischen Wert an. Doch erst Cicero misst ihm als „decorum“ in seiner rhetorischen Theorie zentrale Bedeutung bei. Durch fünf Merkmale lässt sich das ciceronische decorum zusammenfassend charakterisieren: Es ist erstens die ethische Handlungsnorm und das wahr‐ scheinliche Sein des Menschen. Cicero analysiert nicht nur das decorum ora‐ tionis, sondern erweitert sein rhetorisches Konzept zu einem ethischen Konzept von Angemessenheit: dem des decorum vitae. 231 Damit bindet Cicero das decorum zurück an den Redner selbst, indem er Rhetorik und Moral aufeinander bezieht. Zweitens ist das decorum die Norm für den ornatus, mit welchem es eine Art Symbiose bildet, denn zum einen normiert das decorum den ornatus und zum anderen erhebt der ornatus das decorum in ästhetische (Stil-) Höhen. Dem ästhetischen gegenüber steht drittens der soziale Aspekt, wenn die hu‐ manitas sich mittels des decorum in der societas verwirklicht und das decorum wiederum den Wirkungsbereich der humanitas begrenzt. Viertens ist das officium eine universale Pflicht, die dem decorum sein Hand‐ lungsfeld zuweist. Das decorum wiederum ist Mittel und Modus der Realisierung des officium. Und fünftens fügt Cicero noch einen dezidiert ethischen Aspekt hinzu, wenn er das decorum eng mit dem honestum verbindet. Zwar sind honestum und de‐ corum für ihn wechselseitige Attribute, doch steht das honestum als absoluter Wert moralischer Größe dem decorum vor. Andrew R. Dyck vertritt in seinem 133 3.6 Zusammenfassung 232 Andrew R. Dyck: A Commentary on Cicero, De Officiis. S. 37. „Cicero spricht nicht aus einer Position philosophischer Distanziertheit, sondern als ein Moralist, der ein Pro‐ gramm vertritt.“ 233 Eckard Lefèvre: Panaitios’ und Ciceros Pflichtenlehre. Vom philosophischen Traktat zum politischen Lehrbuch. S. 203. 234 Ibid, S. 203 und Andrew R. Dyck: A Commentary on Cicero, De Officiis. S. 38. 235 Schematisch könnte man die beiden Seiten von Cicero so darstellen: Realpolitik - vita activa - Beredsamkeit - decorum orationis und Philosophie - vita contemplativa - Weisheit - decorum vitae. 236 Ähnlich auch Wolfgang Vogl: Aktion und Kontemplation in der Antike. Die geschichtliche Entwicklung der praktischen und theoretischen Lebensauffassung bis Origenes. S. 110f. Kommentar zu De officiis sogar die These, dass „Cicero speaks, not in a persona of philosophical detachment, but as a moralist with a program“ 232 . Was bedeutet decorum nun für Cicero selber in seiner Eigenschaft als Philo‐ soph und Politiker? Sich selbst ein Leben lang für die Allgemeinheit „im Sinne der Stoa und des alten Römertums“ 233 einsetzend, war Cicero doch zuallererst Politiker, dann erst Philosoph: Die vita activa wird gegenüber der vita contem‐ plativa klar bevorzugt. 234 Und um erfolgreicher Politiker sein zu können, müssen eloquentia und sa‐ pientia (Orator, 70) zusammenkommen. So sucht Cicero sowohl das Angemes‐ sene in der Politik, wie in der Rhetorik und macht das decorum zum erklärten obersten Prinzip gelingender Persuasion. Dennoch sind beide Seiten 235 in der Person Ciceros selbst eng verbunden. Der Privatmann Cicero beschäftigt sich in Ausnahmesituationen (De Oratore, De Le‐ gibus und De Re Publica nach dem Exil, Trostschrift Consolatio nach dem Tod der Tochter) mit dem grundlegenden philosophischen Wertesystem, das wie‐ derum auch die Basis darstellt für seine öffentliche Wirksamkeit. Das heißt, Philosophie und Realpolitik gehören zusammen; seine Realpolitik ist ohne diese Basis nicht zu denken. Auch wenn er als öffentliche Person diese philosophische Grundierung nicht expressis verbis betont, ist sie die Grundlage seiner Lebens‐ führung und politischen Praxis. 236 Ciceros Ausarbeitungen zum decorum in der Rhetorik sind deshalb so sin‐ gulär, weil sowohl vor, als auch nach ihm in der heidnischen Antike kaum ein Theoretiker oder Praktiker sich explizit und derart tiefgründig dieses Themas angenommen hat. Es sollten viele Jahrhunderte vergehen, ehe im Christentum mit Ambrosius und Augustinus das Konzept des decorum für Bildung und Aus‐ bildung von Klerikern maßgeblich wird. 134 3 Das römische Decorum in Ciceros De Officiis Decorum wahrscheinliches Sein ethische Handlungsnorm Sprache und Rhetorik künstliches Nachbild Wahrscheinlicher Schein Ornatus geistige Waffen der Seele Honestum moralische Meisterleistung der Vernunft Officium ethisches Sein innerhalb der Rhetorik Humanitas Band aller Menschen Menschenbildung begrenzt und realisiert Gebot wahrer Rhetorik normiert und lässt wirken Symbiose ästhetisiert menschliche Möglichkeiten in der Praxis der Politik Abb. 2: Idealtypisches Modell eines vir probus 135 3.6 Zusammenfassung 1 Ivor J. Davidson: Ambrose. De officiis. Bd. 1, S. 2. Davidson weist in seiner Übersetzung des ambrosianischen Werkes daraufhin, dass der Titel des Werkes in der Sekundärlite‐ ratur fälschlicherweise mit De officiis ministrorum angegeben wird, um es von Ciceros Werk unterscheiden zu können und ursprünglich lediglich als De officiis tituliert worden ist. Diese vorliegende Arbeit wird sich jedoch der Sekundärliteratur diesbe‐ züglich zum Zwecke einer besseren Unterscheidung anschließen. 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum Im Sinne einer umfassenden Untersuchung des decorum ist nun auf einen Autor einzugehen, der als einer der vier berühmtesten Kirchenväter das Denken des christlichen Abendlandes entscheidend geprägt hat: Aurelius Ambrosius, Statt‐ halter und Bischof von Mailand, Verfasser von De officiis ministrorum  1 . Dieses Werk wurde vermutlich in den späten 80-er Jahren des vierten nachchristlichen Jahrhunderts von einem theologischen Schriftsteller geschrieben, der die Offi‐ zien Ciceros und die Heilige Schrift als inspirierende Quellen heranzog. Seine Pflichtenlehre gewährt neue Einblicke in die christlich basierte ethisch-rheto‐ rische Dimension des decorum. Ambrosius ist in Rhetorik ausgebildet, präsen‐ tiert als christlicher Theologe jedoch ein eigenständiges Konzept von decorum, indem er die erste Umfunktionalisierung von decorum vornimmt und so aus dem rhetorisch-ethischen decorum ein christliches decorum macht. In der vorliegenden Untersuchung soll folgenden Fragen nachgegangen werden: Inwiefern ist Ambrosius’ christliches Menschen- und Gottesbild von der antiken Klassik und Rhetorik geprägt? In welchem archimedischen Punkt konvergieren christliches und stoisches Gedankengut und worin besteht der Beitrag des Ambrosius für die Rhetorik? 4.1 Sittlichkeit in christlichem Kontext (decorum und verecundia) Ein römischer Wertbegriff erlangt bei Cicero, wie auch bei Ambrosius, eine zent‐ rale Bedeutung und ist mit dem rhetorischen Konzept des decorum verbunden: Die verecundia, die im Handwörterbuch von Karl Ernst Georges als „Scheu vor Verlet‐ zungen des Anstandes und der Sitte“, als „Zurückhaltung“ und „Achtung“ über‐ setzt wird. Nach Lossmann fiele verecundia unter die griechischen Oberbegriffe 2 Friedrich Lossmann: ‚Verecundia‘, in: Hans Oppermann: Römische Wertbegriffe. S. 348. 3 Renate Stahl: Verecundia und verwandte politisch-moralische Begriffe in der Zeit der aus‐ gehenden Republik. S. 10. 4 Ibid, S. 15. 5 Ibid, S. 16. 6 Eckemar Vaubel: Pudor, Verecundia, Reverentia. Untersuchungen zur Psychologie von Scham und Ehrfurcht bei den Römern bis Augustin. S. 93. 7 Otfried Höffe (Hg.): Aristoteles-Lexikon. S. 10. ἀρετή und πάθος, doch ist es vor allem das αἰδώς, das die Auffassung von Scham im Griechischen bestimmt. 2 Aristoteles definiert αἰδώς in eth.Nic. II 7, 1108a32-35 nicht als Tugend per se oder als Haltung (ἔξις), sondern als uneigentliche Tugend (eth.Nic. IV 15, 1128b10), eher als Affekt, als Mitte zwischen dem allzu Schamhaften und dem Schamlosen. Als Furcht vor Schande (eth.Nic. IV 15, 1128b12-13) und somit als eine Gefühlsregung definiert, die vor allem den jungen Menschen eigen ist, zeigt sich die Scham äußerlich als Röte im Gesicht. Aristoteles’ Konzept von αἰδώς konvergiert so mit dem verecundia-Konzept eines Cicero und Ambrosius. Renate Stahl hat in ihrer Dissertation von 1968 Verecundia und verwandte po‐ litisch-moralische Begriffe in der Zeit der ausgehenden Republik umfassend den Be‐ griff der verecundia bei Cicero innerhalb eines für Ciceros philosophische Hal‐ tung und Rhetorik maßgeblichen begrifflichen Rahmens analysiert. Die ciceronische verecundia besteht in der Rücksicht auf den Mitmenschen, die sich am honestum als Maß orientiert 3 , und im Taktgefühl in der Einschätzung von Situationen, das so dem Handeln Grenzen steckt 4 . Der Mensch muss fähig sein, „vom Gegenüber statt vom Ich her zu denken.“ 5 Die psychologische Fähigkeit zur Empathie, die rhetorische Fähigkeit des Abwägens von Argument und Gegenar‐ gument und das ästhetische Sprachempfinden des Redners, gepaart mit Taktge‐ fühl hinsichtlich des schicklichen Benehmens in der Öffentlichkeit, vernetzt vere‐ cundia inhaltlich und formell eng mit Ciceros Konzept des decorum. Sie ist Teil des allmächtigen non offendere-Postulats. Auch Vaubel spricht in Bezug auf vere‐ cundia von einer stilistischen Angemessenheit der Rede als einem rational-ästhe‐ tischen Moment, von Ehrfurcht vor dem Leben als einem moralischen Moment und von einem „Moment von transitiver Scheu“ 6 , was die Scheu vor dem eigenen Urteil in Bezug auf das Verhalten eines Anderen meint, dessen Verhalten nicht in toto, sondern lediglich in einem Aspekt missbilligt wird und damit in den Bereich des decorum fällt. Zurecht wird in der Sekundärliteratur vor allem auf zwei Text‐ stellen Ciceros im Orator, 124 und in off. I, 93 hingewiesen, in denen verecundia als eine Qualität des decorum im Sinne taktvollen Verhaltens und eines ange‐ messen zurückhaltenden Stils besonders zu Beginn einer Rede angeführt wird. Cicero weicht in off. I, 93 deutlich von der ursprünglichen Auffassung des Aris‐ toteles ab, der das αἰδώς eben gerade nicht als ἔξις definiert 7 , während Cicero die 137 4.1 Sittlichkeit in christlichem Kontext (decorum und verecundia) 8 Vgl. Friedrich Lossmann: ‚Verecundia‘, in: Hans Oppermann Römische Wertbegriffe. S. 341f. 9 Michael Ernst: Art. ‚Zucht‘, in: Matthias Stubhann (Hg.): Die Bibel von A-Z. Das aktuelle Lexikon zur Bibel. S. 790. verecundia hier als einen habitus (Verhalten) in begrifflicher Abgrenzung zur da‐ rauf genannten temperantia (Zurückhaltung) definiert. So lässt sich feststellen, dass Ciceros Auffassung von verecundia von einer rhetorischen Verhaltensweise ausgeht, die sich im sozialen Wirkungsraum des Redners spiegelt: Die rhetorische Beherrschung der Redesituation und damit der Zuhörer determinieren im Umkehrschluss auch das Verhalten des Redners. 8 Auch bei Ambrosius taucht der Begriff der verecundia im 1. Buch seiner Of‐ fizien auf, nun jedoch christlich gedeutet. Sie ist als Tugend der Keuschheit, Sittsamkeit und als Prüfstein für den sittlichen Charakter eines Klerikers gesetzt und leitet sich auch nach Ambrosius’ Verständnis aus dem übergeordneten de‐ corum ab. Lediglich im ersten Buch von De officiis ministrorum wird das Wort „verecundia“ überhaupt und in unterschiedlichen Kontexten und Definitionen verwendet. Charakterliche Eigenschaften wie Bescheidenheit, Zurückhaltung, Scheu sind Elemente, die der Erziehung zu Züchtigkeit und Sittsamkeit den Boden bereiten. Da Ambrosius die Offizien seinen „Söhnen“, den jungen Kleri‐ kern, widmet, nimmt es nicht wunder, dass er zu Beginn seiner Schrift, ebenso wie Cicero in De officiis, einen väterlichen Erziehungsduktus annimmt, welcher auch der Züchtigkeit als göttlicher und menschlicher Erziehungsmaßnahme 9 ihren Platz anweist. Sie ist biblisch fundiert, so ist bereits im Brief an die Hebräer 12,5 (AT) von der „Zucht des Herrn“ (disciplina Domini) zu lesen, die als Prüfung im Glauben von Gott selbst dem Menschen auferlegt worden ist und an deren Ende eine bestimmte Haltung steht, wodurch Frieden und Gerechtigkeit für den Menschen erwirkt werden. Im Buch der Sprüche (AT) wird die Zucht als Garant für die Erlangung von Erkenntnis (12,1) und Weisheit (13,1) angeführt. Ambrosius orientiert sich in seinen Ausführungen zur verecundia direkt an Beispielen aus der Bibel und führt als beispielhafte Träger dieser Tugend den Patriarchen Joseph aus der Genesiserzählung oder auch die wunderschöne und gottesfürchtige Susanna aus dem Buch Daniel an. Damit sie beispielhaft sein können, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: zunächst die natürliche Be‐ scheidenheit und dann die erworbene Zucht, die sich bei Ambrosius in off. I, 65 als Gottesfurcht, Ehrerbietung gegenüber den Eltern, Ehrfurcht vor dem Alter, Keuschheit, Demut, Sanftmut und Sittsamkeit (verecundia) manifestiert. An Susannas Verhalten lässt sich deutlich der Unterschied zweier inhaltlich verwandter Begriffe von Zucht illustrieren, nämlich der Unterschied zwischen pudor und verecundia. So bezieht sich Susannas Schamgefühl auf ihre äußere 138 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 10 Ambrosius: Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand Pflichtenlehre und ausge‐ wählte kleinere Schriften. Übers. v. Johannes Ev. Niederhuber. I, 71. Im Text als off. mar‐ kiert. 11 Ibid, I, 70. 12 Ibid, I, 67. Schönheit und Weiblichkeit und ist der Grund, warum ihre Dienerinnen die Tore verschlossen haben, so dass Susanna unbeobachtet baden kann. Dieses Verhalten wird als pudor, als Ausdruck von Scham in Bezug auf die Zurschaustellung ihres Körpers bezeichnet. An ihrer keuschen Zurückhaltung während der öffentlichen Anklage durch die schuldhaften Richter wird aber ein anderer Aspekt deutlich, nämlich die Sittsamkeit, lat. „verecundia“. Verecundia ist ein Charakterzug, die Bedeckung des Hauptes ist nach off. I, 79, 80 und 83 ein Zeichen für weibliche Zurückhaltung, die eine Ausdrucksform weiblicher Anmut darstellt. Sie manifes‐ tiert sich äußerlich in der schamhaften Röte. Auch in der körperlichen Bewe‐ gung, in der Haltung und im Gang zeigt sich die verecundia; in der Zurückhal‐ tung in Bewegung und Gestik liegt die Anmut des Menschen begründet. 10 Ein wichtiges Element von Sittsamkeit bei Ambrosius (off. I, 68) ist die rechte Beachtung des silentium als Zeichen weiblicher Bescheidenheit und Zurückhal‐ tung. Susanna schweigt, während sie den Richtern vorgeführt wird. Beschei‐ denheit zeigt sich andererseits auch als Bescheidenheit vor Gott - im Gebet. Sie ist - als verecundia - die Voraussetzung, Gnade (gratia) vor Gott zu erlangen. 11 Des Weiteren dient die verecundia in off. I, 69 als comes (Begleiterin) der pudicitia (Schamhaftigkeit) und castitas (Keuschheit), sie sichert diese beiden Tugenden durch ihre bloße Präsenz (tutior est). Zusammengefasst könnte man so formulieren: Neben besonnenem Verhalten ist auf sittsame Körperhaltung und sittliche Rede zu achten. Denn da der animus (Geisteszustand) des Menschen durch den Körper und die Worte spricht, soll in beidem auf Bescheidenheit und Zurückhaltung geachtet werden: Nicht nur im Handeln, sondern im Reden tritt sie zutage: man überschreitet nicht das Maß beim Sprechen; die Rede lasse nichts Unziemliches [indecorum] verlauten! Im Worte spiegelt sich ja so häufig das Bild des Geistes. Sogar den Ton der Stimme wägt die Eingezogenheit ab, daß nicht eine zu kräftige Stimme das Ohr des Hörers verletze. So besteht schon beim Singen und überhaupt bei jedem Gebrauch der Sprache die erste Schulung in bescheidener Zurückhaltung [verecundia]. Erst nach und nach soll einer zu psallieren oder zu singen oder endlich zu sprechen anfangen, damit die be‐ scheidenen Anfänge vielversprechend für den Fortschritt werden. 12 Ambrosius definiert verecundia im Gegensatz zu Aristoteles als eine christlich fundierte, aber dennoch rhetorische Tugend, die wie bei Cicero als Maßstab des 139 4.1 Sittlichkeit in christlichem Kontext (decorum und verecundia) 13 Wie vorne gezeigt, definiert Cicero verecundia als Hüterin aller Tugenden (Partitiones oratoriae. 23, 79), als einen habitus und ein Bestreben, das decorum zu wahren und Ambrosius orientiert sich an Cicero, übernimmt dessen Gedanken und bestimmt die verecundia als einen Charakterzug und ein Kennzeichen des decorum. Zu Unterschieden in den Ausführungen von Ambrosius siehe Maria Becker: Die Kardinaltugenden bei Cicero und Ambrosius: De officiis. S. 165ff. 14 Ambrosius: Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand Pflichtenlehre und aus‐ gewählte kleinere Schriften. Übers. v. Johannes Ev. Niederhuber. I, 81. 15 Ibid, I, 78. 16 Ibid, I, 78. Redens (modus loquendi) und Handelns begriffen wird. 13 Die verba sollen honesta und die Rede per se decorus sein. Diese rhetorisch-ethische Maxime gilt nach off. I, 76 jedoch nicht nur für die produktionstechnische Instanz des Redners, sondern auch für die rezeptionstechnische Seite des Zuhörers. Eine tiefe Verin‐ nerlichung dieser Tugend, die sich aktiv und passiv im Leben des christlichen Menschen zeigt, orientiert sich an Ciceros rhetorischer Urkategorie, dem de‐ corum als übergeordneter Norm. Jedem Alter, jeder Person, jeder Zeit und jedem Ort angemessen (apta), ziemt sich die verecundia besonders für die Heranwach‐ senden. 14 Es ist die Jugend, der Ambrosius’ Interesse in Bezug auf das decorum im Reden, Handeln, Schweigen und Beten gilt. Cicero und Ambrosius konzi‐ pierten ihr Werk als Erziehungsbuch, bei Cicero mit dem Fokus auf einem mün‐ digen Bürger, sittlichen Redner und philosophisch gebildeten Politiker, bei Ambrosius auf dem sittsamen Kleriker, der sich ganz in den Dienst der Kirche und den ihr anvertrauten Menschen stellt. Doch die scheinbare Übereinstimmung von Cicero (off. I, 129) und Ambrosius hinsichtlich der Überzeugung, dass „natura est magistra verecundiae“ 15 , täuscht zumindest dahingehend, dass Cicero unter natura ein allmächtiges Gesetz, Ambrosius jedoch unter natura primär Gott versteht. So sehr war der Schöpfer der Natur auf die Sittsamkeit des Menschen bedacht, dass er den menschlichen Körper dergestalt geformt hat, dass schöne Körperteile, wie das Gesicht, vorn angeordnet, hässliche, wie Körperausgänge, jedoch versteckt sind. 16 Schon bei Cicero in off. I, 126-128 findet sich diese Bemerkung über die sittliche Anord‐ nung von Körperteilen und das Verbot, weder ihren Namen zu nennen, noch über ihre Tätigkeiten in der Öffentlichkeit zu sprechen. Das decorum zu wahren, bedeutet nach Cicero und Ambrosius demgemäß auch, dass zwar natürliche Vorgänge an sich nicht anstößig sind, darüber zu sprechen jedoch als unange‐ messen gilt. Denn Worte müssten sich in solch einer Situation dem Vorgang an sich anpassen und würden das Ohr des Zuhörers und besonders sein Schamge‐ fühl verletzen. Dies zu vermeiden, gebietet das decorum. 140 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 17 Gott als höchstes begreifbares Wesen oder nach Aristoteles als der „unbewegte Be‐ weger“ muss vor dem Menschen gedacht und hierarchisch deutlich unterschieden werden, um der kosmologischen Ordnung gerecht zu werden. Für Ambrosius ist verecundia eine sittliche Charaktertugend im Handeln, Reden und Schweigen, die im aktiven und passiven „Beteiligtsein“ zu beachten ist, dem Träger Anmut verleiht und sich besonders für junge Kleriker schickt. Sie ist dem decorum untergeordnet, an dem sie sich - neben dem honestum - orientiert. Ge‐ meinsam mit der modestia schmückt die verecundia das menschliche Leben („to‐ tius vitae ornatum adtollit“, off. I, 219) und wird so in der Übernahme ciceronischer Gedanken sowohl dem honestum, als auch dem nur gedanklich unter‐ scheidbaren decorum gerecht. Als krönender Schmuck des klerikalen Lebens kann sie als Vorbedingung des ambrosianischen decorum gelten. In den bisherigen Betrachtungen über die verecundia bei Ambrosius ist auch seine Auffassung von decorum gestreift worden. Um diese in Gänze beleuchten zu können, wird zunächst auf Ambrosius’ Gottesbegriff eingegangen, von dem aus dann Ambrosius’ Konzept des decorum analysiert wird. Um sich eine Vorstellung von Gott machen zu können, ist der Mensch, wie der Begriff „Vorstellung“ schon bezeichnet, auf seine Denkleistung angewiesen, die es ihm ermöglicht, nicht sichtbare Phänomene logisch zu erörtern. Wie Au‐ gustinus (Bekenntnisse VII, 1, 1) lebhaft schildert, ist Gott geistig zu denken, jedoch nur vom Menschen als Subjekt her, der aufgrund seiner Subjektivität Beschränkungen räumlicher, intellektueller und psychischer Art unterliegt. Wie kann ein materielles Lebewesen ein transzendentes, intelligibles und höchstes Wesen innerhalb unserer menschlichen Ordnung erfassen? Mit dieser Frage nach dem Wesen Gottes ist auch die eigene ursprüngliche Herkunft verbunden: Warum ist der Mensch als Mensch existent? Wodurch ist er entstanden und wofür? Die ontologische Suche nach Gott ist eng verknüpft mit der ontolo‐ gischen Suche nach dem Daseinszweck des Menschen auf Erden. Obwohl diese beiden Fragen inhaltlich konvergieren, sind sie formal zu trennen. 17 Die Trinität von Vater, Sohn und heiligem Geist macht in der Einheit des göttlichen Seins die Allmacht im Himmel wie auf Erden sichtbar. Der Mensch bleibt zunächst Mensch auf Erden, kann jedoch laut christlichem Glauben im Jenseits zu Höherem aufsteigen, wenn er sich im Diesseits verdient gemacht und die Gnade Gottes erlangt hat. So bleibt Gott als Richter und gnädiger Vater stets in der menschlichen Gottesvorstellung dem Menschen, der ihn denkt, moralisch und existenziell übergeordnet. Dennoch bleibt dem Menschen seine Fähigkeit, sich mithilfe der naturgegebenen Vernunft eine Vorstellung von Gott zu machen. Sich dieser Differenz und Unzulänglichkeit bewusst zu sein, hilft dem suchenden Menschen, logische Fallstellen und Unsicherheiten im Vorhinein zu entschärfen. 141 4.1 Sittlichkeit in christlichem Kontext (decorum und verecundia) 18 Weder Anselm von Canterbury, noch Thomas von Aquin oder Leibniz haben demnach einen wirklichen Beweis vom göttlichen Dasein geleistet, weil eine Vorstellung von Gott a priori der menschlichen Natur nicht möglich ist und so bloße Tautologie bleiben muss. 19 Ernst Dassmann: Ambrosius von Mailand. Leben und Werk. S. 72. Die Tatsache, dass der Mensch die Existenz Gottes in seinem Bewusstsein mittels Begriffen, kausalen Zusammenhängen und Ideen denkt, stellt Kant später in seiner Kritik der reinen Vernunft als die Ursache für die Unmöglichkeit eines ontologischen Gottesbeweises dar. 18 Der Mensch kann mit seinen Naturgaben die größte Vorstellung eines höchsten Wesens nicht denken, denn dieses müsste sich nach Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft B 629-631 aufgrund seiner ontologischen Bestimmung nicht als Idee im Kopf, sondern als transzendentes Sein außerhalb des menschlichen Bewusstseins befinden. Diese von Kant erörterte anthropologische Beschränkung und Sichtweise des Menschen ist jedoch für Ambrosius noch kein Hindernis: Er ist zutiefst vom Sein Gottes und dessen Wirken auf den Menschen überzeugt. 19 Im Gegensatz zu Au‐ gustinus kannte Ambrosius ein innerliches Hadern mit Gott nicht. Im festen Glauben an Gott aufgewachsen, richteten Ambrosius, sein Bruder Satyrus in seiner Funktion als Ambrosius’ Verwalter und bischöflichem Beistand und seine Schwester Marcellina durch die consecratio virginum ( Jungfrauenweihe) ihr je‐ weiliges Leben an diesem Glauben aus, indem sie alle im privaten oder öffent‐ lichen Rahmen in den Dienst der Kirche traten und ihr Vermögen größtenteils der Armenfürsorge stifteten. Die Vorstellung von Gott und die Suche nach dem Daseinszweck des Menschen laufen bei Ambrosius in einem Punkt zusammen, Gott ist der Schöpfer der Welt und als solcher ein der menschlichen Welt zuge‐ höriger Gott, der Richtlinien für das Handeln und Reden vorgibt. So ist in off. I, 5 zu lesen, dass nicht der als Redner auftretende Mensch das rhetorische καιρός bestimmt, sondern der Herr dem weisen Menschen dieses eingibt. Zu wissen, wann zu schweigen und wann zu reden ist, obliegt bei Amb‐ rosius nicht rhetorischem Kalkül, sondern der göttlichen Verbindung des Men‐ schen zu seinem allwissenden Gott. Warum sollte der gläubige Mensch dem ihm überlegenen Gott nicht auch in allen alltäglichen Lebensbereichen vollkommen vertrauen? Für Ambrosius ist dies keine echte Frage, sondern eine unumstöß‐ liche Tatsache und damit die Basis des menschlichen Lebens. Gott als Lehrer der Weisheit (sapientia) und des Gebotes (disciplina, off. I, 44) wirkt im Innern des Menschen (off. I, 56) als dessen Gewissen, als Geber des guten Willens (benevo‐ lentia, off. I, 169) und Ernährer im physischen und spirituellen Sinn (off. I, 164). Er hat die schöne Welt erschaffen (off. I, 224) und spendet Leben (off. I, 127 und 132), so ist er nach Ambrosius’ Auffassung in der Lage, dem Menschen Verhal‐ 142 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 20 Der Begriff „decorum“ wird hier nicht als theologischer Zentralbegriff eingeführt, son‐ dern die Quelle von decorum ist bei Ambrosius einfach selbstverständlich Gott. Inter‐ essanterweise bestätigt Adam Smith in Theory of Moral Sentiments (VII, 2, 1) sehr viel später diese Sicht, wenn er über propriety (Angemessenheit) schreibt: „[T]he rule that the Gods had given him [a good man] for the direction of his conduct“. Zwar umfasst „propriety“ in Zeiten Adam Smiths die Bedeutung von „correctness“ oder „rightness“, doch ist auch bei ihm die Verbindung zu Gott gegeben. 21 Ivor J. Davidson: Ambrose. De officiis. Bd. 2, S. 537: Ambrosius’ Bezeichnung „trac‐ tatus“ beinhaltet nach Davidson normalerweise auch die Predigt. tensregeln für das Handeln und Reden vorzugeben. Das höchste Wesen lenkt (in hierarchischer Ordnung) die von ihm geschaffenen und ihm untergeord‐ neten Lebewesen. Gemäß Ambrosius soll der Mensch tugendhaft, seinen Nächsten liebend, Gott ehrend und generell bescheiden leben, um sich bei Gott für das ewige Leben empfehlen zu können. Gerade auch die verecundia im Gebet kann dazu dienen, Gnade vor Gott zu erhalten. In Ambrosius’ Pflichtenkatalog, der sich von seiner Gottesvorstellung ab‐ leitet, finden auch genuin rhetorische Kategorien wie das decorum Eingang. Zwar benennt er dieses rhetorisch-ethische Angemessenheitspostulat nicht ex‐ plizit als rhetorische Kategorie, doch beschreibt er das decorum und setzt es in seinen Ausführungen (off. I, 35 und I, 98) voraus. Bedingt durch die klerikale Umgebung erfährt das decorum notwendigerweise eine Bedeutungserweiterung bei Ambrosius: Durch die ekklesiologische Erweiterung des ciceronischen de‐ corum-Begriffs setzt er das decorum als die christliche Norm göttlicher Prove‐ nienz absolut. Ambrosius bestimmt in off. I, 35 das decorum als primum officium des Kleri‐ kers, und er verdeutlicht damit seinen Rang im Pflichtenkatalog des Klerikers. 20 Im Unterschied zu Cicero ist das decorum für ihn das umfassende Maß im Reden (Gott loben, Schriftlesung und Ehrerbietung den Eltern gegenüber), im Schweigen und im Handeln. Die Bedeutung des Schweigens für das decorum soll im folgenden Kapitel dieser Arbeit näher untersucht werden. In der Rangordnung geht nach off. I, 99 das Reden dem Handeln voraus. Vor die praktische Umsetzung ist die theoretisch-rationale Rede und Gegenrede ge‐ setzt. Dabei unterscheidet Ambrosius zwei Arten von Rede: das „colloquium familiare“ (informelle Gespräch) und das „tractatum disceptationemque fidei atque iustitiae“ (formelle Erörterung über den Glauben 21 und die Gerechtigkeit). In beiden Redearten regiert das decorum, das nicht nur die Wortwahl, den Stil, die Atmosphäre vorgibt, sondern auch das Thema der Rede und auffordert, Emotionen zu vermeiden. So sind in beiden Redearten interessanterweise die‐ selben Vorschriften des decorum einzuhalten, nämlich die Aufforderung, Lei‐ denschaftlichkeit (movere) und Gleichgültigkeit zu vermeiden, und gefällige und 143 4.1 Sittlichkeit in christlichem Kontext (decorum und verecundia) 22 Ambrosius: Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand Pflichtenlehre und ausge‐ wählte kleinere Schriften. Übers. v. Johannes Ev. Niederhuber. I, 28. 23 Es handelt sich um ein Fresko, das der Maler um 1510 für die Stanza della Segnatura des Papstes Julius’ II. schuf. wohlwollende Worte (delectare) zu verwenden, und die Rede an sich soll von Vernunft geprägt sein. Sie soll natürlich, einfach, klar, ernst und würdevoll, aber auch anmutig ele‐ gant sein, ohne überladen zu wirken. Als angemessene Gegenstände der Rede werden in off. I, 100-101 die Heilige Schrift, die Glaubenslehre und die Einfüh‐ rung in die Gerechtigkeit genannt. Abstimmung und Begrenzung erfährt das decorum bei Ambrosius somit durch die ecclesiastica regula im Sinne der in der Kirche maßgeblichen und grundlegenden Glaubenswahrheiten. Der Wert des decorum liegt, wie bei Cicero, in der gratia, die jedoch unterschiedlich konnotiert wird. Für Ambrosius handelt es sich um keine materielle oder irdisch erfahrbare Gunst, wie bei Cicero, sondern um den Erwerb der Seligkeit im Jenseits: Wir aber bemessen ausschließlich nur das Schickliche und Ehrbare, mehr mit dem Maßstab des Zukünftigen als des Gegenwärtigen, und bezeichnen nur das für nützlich, was der Seligkeit des ewigen Lebens, nicht was der Lust des gegenwärtigen frommt. 22 Die Einstellung von Ambrosius zu Ciceros Vorlage ist methodisch kritisch. Er nutzt und bearbeitet zielbewusst Ciceros Pflichtenkatalog in der Absicht, den Kleriker darin zu schulen, erfolgreich die christliche Lehre zu entfalten. Man könnte ihn zu Cicero so in Beziehung setzen, wie in der Philosophiegeschichte Platon in Beziehung gesetzt wird zu Aristoteles. In einer interpretatorischen Ausweitung von Raffaels Die Schule von Athen  23 könnte man sagen: Platon (und mit ihm Ambrosius), den Timaios in der einen Hand, die andere vertikal nach oben gerichtet, symbolisiert die Transzendierung der sinnlichen Welt zu einem ideellen Prinzip, Aristoteles (und mit ihm Cicero), in der Hand seine Ethik, weist in der horizontalen Bewegung seiner rechten Hand auf die ethische Verfasstheit der diesseitigen Welt. Im Nutzenbegriff divergieren also Cicero und Ambrosius: Dem rhetorisch bestimmten, auf Anerkennung durch die Mitmenschen zielenden steht das christlich fundierte decorum gegenüber. Auf der einen Seite die Gestaltung in der Gegenwart, die situative Verwurzelung im καιρός, mit dem Ziel, mittels einer Rede lang- oder kurzfristige Effekte zu erlangen, auf der anderen Seite der Blick in eine jenseitige Zukunft, die Hoffnung auf eine vita aeterna als Ort der Seligkeit bei Gott. In off. I, 30 erwähnt Ambrosius die Bibel (Septuaginta), die dem πρέπον seinen primären Rang zuweist. Als Beweis führt er drei Textstellen (Vulgata: Psalm 144 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 24 Ambrosius folgt an dieser Stelle Ciceros Muster, der in off. I, 133 von der Stimme als dem Kennzeichen des sprachlichen Ausdrucks („orationis indicem vocem“) spricht. 64,2; Pastoralbrief an Titus 2,1 und an die Hebräer 2,10) an, die seine termino‐ logische Übernahme der ciceronischen Synonyme von πρέπον und decorum zeigen. Doch abgesehen von diesen drei passenden Textstellen ist von einer vordringlichen Bedeutung des decorum in der Bibel rein semantisch nicht zu sprechen. Es lassen sich lediglich drei weitere Textstellen in der gesamten Vul‐ gata (AT und NT) finden, in denen das Wort „decorum“ auftaucht: Psalm 132,1/ 146,1 und in Sacharja 11,13. „Decorum“ wird hier auf das Zusammen‐ wohnen von Glaubensbrüdern, das Lob Gottes und den angemessenen Preis bezogen. Dennoch ist das decorum als Angemessenheitsnorm in vielen bibli‐ schen Textstellen, wie bei Joseph und seinen Brüdern, bei Abraham oder Noah in Genesis 6,8, im Hintergrund implizit mitgedacht. Das decorum zeigt sich auch in den Anforderungen an die Stimme 24 in off. I, 104: Sie soll angemessen, rein und männlich sein, es soll deutlich artikuliert werden und dem liturgisch gebotenen Rhythmus Rechnung getragen werden („mysticum servet“). Auch in I, 102 folgt Ambrosius Ciceros rhetorischer Vorgabe im angemessenen Umgang mit Scherzen, um sie dann jedoch aufgrund der ecclesiastica regula gänzlich zu verwerfen. Es scheint, als nehme Ambrosius die rhetorischen Auslegungen Ciceros als Ausgangspunkt, um sie dann im christ‐ lich-klerikalen Licht erneut zu be-schauen. Zum Ende des ersten Buches (I, 225-232) bleiben so manche rhetorischen Bestimmungen nach klerikalem Eig‐ nungstest bestehen: Rechtes Maß, Ordnung, Beständigkeit (constantia) sowie Mäßigung im Reden und Handeln, außerdem eine liebenswürdige, aber nicht schmeichelnde Redeweise, die Achtung vor dem Guten ausdrückt, Gründe für eine Handlung angibt, die Regungen des Herzens (motus animi) beachtet, doch den Zorn (reprimatur iracundia) unterdrückt. Die emotionale Kontrolle über sich selbst mit Hilfe der temperantia (off. I, 115) betont Ambrosius gegen Ende dieses ersten Buches deutlich. Ob er das Erregen und Zeigen von leidenschaftlichen Emotionen generell als kritisch einstuft oder nur die als negativ geltenden wie Zorn oder Hass, lässt sich hier nicht mit aller Sicherheit feststellen. Er nennt jedoch auch die Gefahr von übertrieben dargestellten Emotionen wie Wohl‐ wollen und gebietet, Schmeichelei zu vermeiden. Andererseits sieht er die Pro‐ blematik einer völlig emotionslosen und dadurch monotonen Rede, die die Ap‐ perzeption des Rezipienten beeinträchtigt, interessanterweise nicht. In all diesen Parametern wird deutlich Wert gelegt auf die klerikal angemessene Bedeutung, so dass diese sogar dem rhetorischen Kalkül mit dem Ziel der Persuasion wi‐ dersprechen können. Das Ziel seiner Offizien ist immer, einen guten (d. h. got‐ 145 4.1 Sittlichkeit in christlichem Kontext (decorum und verecundia) 25 Johannes Stelzenberger: Die Beziehungen der frühchristlichen Sittenlehre zur Ethik der Stoa. Eine moralgeschichtliche Studie. S. 367. 26 Zwar wird von einigen Wissenschaftlern (Erich Auerbach: Mimesis. Dargestellte Wirk‐ lichkeit in der abendländischen Literatur. S. 147) die Ansicht vertreten, es gebe einen spezifisch christlichen sermo humilis, doch spricht sich Christoph Schäublin (‚Zum pa‐ ganen Umfeld der christlichen Predigt‘, S. 29) im Hinblick auf Augustinus’ Zeugnis in den Bekenntnissen gegen einen solch strikten sermo humilis bei Ambrosius aus. Am‐ brosius selbst spricht in I, 101 von „oratio pura simplex dilucida“. 27 Ambrosius: Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand Pflichtenlehre und aus‐ gewählte kleinere Schriften. Übers. v. Johannes Ev. Niederhuber. I, 222. tesfürchtigen) Kleriker anzuleiten, der rhetorisch geschult und christlich gefes‐ tigt ist, was bedeutet, dass die Kirchenregel das decorum prägt. Als „Dolmetscher der stoischen Lehre an den Okzident“ 25 subsumiert Am‐ brosius die Suche nach der Wahrheit nicht nur unter die erste Kardinaltugend der Klugheit, wie Stelzenberger meint, sondern auch unter das decorum. Mit Eifer das Wahre zu erforschen, ist schicklich (off. I, 122). Dies erinnert an den Anfang der Apologie Platons, in welcher Sokrates von der Notwendigkeit spricht, das Wahre in Reden und Taten zu erkennen und sich selbst als Redner der Wahrheit begreift. Es sind gerade die eloquenten Ankläger Sokrates’, die unter hübschen Wortgebilden Lügen verstecken und qua überbordender Rhe‐ torik sich verdächtig machen. Wie Sokrates für sich den schlichten und klaren Stil wählt und des Redners Aufgabe darin sieht, die Wahrheit vorzutragen, so präsentiert auch Ambrosius des Klerikers Aufgabe, im einfachen Stil 26 zu spre‐ chen, sich des Wahren anzunehmen und das decorum im Handeln zu beachten. Als Orientierung und Norm ist das decorum vitae für den in verbaler und non‐ verbaler Kommunikation begriffenen Kleriker nach Ambrosius’ Auffassung ebenso unabdingbar wie für den idealen Redner nach Cicero. Dem ambrosianischen decorum entspricht per definitionem in off. I, 220 auch die Anmut, die einem Körper äußere Schönheit verleiht („venustas et pulchri‐ tudo corporis“). Während das honestum für die Gesundheit des Körpers steht, steht das decorum für seine Schönheit. Die Schönheit ist übergeordnet, schließt das honestum ein, kann aber nicht ohne Gesundheit und Wohlbefinden exis‐ tieren. Mittels der Metapher der Blüte zeigt Ambrosius die Verbindung von honestum und decorum als derjenigen zwischen Wurzel und Blüte. Während die Wurzel (honestum) unter dem Boden im unsichtbaren Reich unter der Ober‐ fläche wächst und die Pflanze nährt, ist die Blüte (decorum) das schöne Produkt über der Erde, welches von der Wurzel genährt wird. Obwohl das gesunde In‐ einandergreifen von beiden Komponenten das Leben der Pflanze bewirken, ist nur ein Teil sichtbar. Im übertragenen Sinn heißt das: Das decorum als die äußere Sichtbarkeit von Schicklichkeit wird als dasjenige quod praeeminet  27 konstitu‐ 146 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 28 Becker sieht die besondere Leistung von Ambrosius darin, „die bloße Vorstellung der Sichtbarkeit [des decorum] zur Idee des ‚Aufleuchtens, Hervorstrahlens, Herausragens‘“ umzuformen und so bereits eine „Verbindung von Erhabenheit und decorum“ vorzu‐ bilden. Maria Becker: Die Kardinaltugenden bei Cicero und Ambrosius: De officiis. S. 183. 29 Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie. S. 9. 30 Michael Ernst: Art. ‚Licht‘, in: Matthias Stubhann (Hg.): Die Bibel von A-Z. Das aktuelle Lexikon zur Bibel. S. 426-427; Johann Kreuzer: Art. ‚Licht‘ in: Ralf Konersmann (Hg.): Wörterbuch der philosophischen Metaphern. S. 207-224 und Hans Blumenberg: ‚Licht als Metapher der Wahrheit‘, in: Studium Generale. Bd. 10, 1957, S. 432-446. iert. So kann das decorum seine Strahlkraft entfalten, die in off. I, 222 und auch in I, 225 als das Schickliche, das sich widerspiegelt („in quodam speculo elucet“), präsentiert wird. 28 Mit Hilfe dieser „absoluten Metapher“ nach Hans Blumenberg bedient sich Ambrosius einer rhetorischen Figur, um sprachlich nachdrücklich und ein‐ prägsam die besondere Stellung des decorum für den Menschen darzustellen. Im Gegensatz zu Aristoteles, für den die Metapher in seiner Poetik 1457b7-8 und 1459a15-18 die Übertragung aufgrund von Ähnlichkeiten und als ornatus einer Sprache leistet, ist die „absolute Metapher“ nach Blumenberg ein „Mehr an Aus‐ sageleistung“ 29 , so wie das decorum ein „Mehr“ darstellt, dessen Wirkungsbe‐ reich aber nicht eingrenzbar ist und dessen Wesen für den Handelnden ephemer bleibt, sich nur situativ bestimmen lässt. Wie oben bezüglich des ontologischen Gottesbeweises gezeigt, gibt es Bereiche im menschlichen Leben, die zwar denkbar sind, sich jedoch letztlich der Sichtbarmachung in der sprachlich-rati‐ onalen Darstellung verweigern. Diesem Manko begegnet die absolute Metapher; sie ist die Bezeichnung für das „nie erfahrbare, nie übersehbare Ganze der Re‐ alität“ (S. 25). Sie ist „die Übertragung der Reflexion über einen Gegenstand der Anschauung“ (S. 12), aber auch der „Untergrund“ (S. 13) für die Begrifflichkeit, da sie dieser einerseits vorausgeht, sie andererseits aber auch überschreitet. Wie Mythen dem Menschen in der Antike als kulturelle und psychische Stütze in einer kaum begreifbaren Welt dienten, so dienen die absoluten Metaphern als sprachliche Bezeichnung für lediglich philosophisch Benennbares. Die ambrosianische Metapher des Lichts und seiner Strahlkraft, die später auch einer ganzen Epoche, nämlich der Aufklärung (enlightenment/ lumière), ihren Namen geben sollte, ist bereits schon in der Bibel als absolute Metapher zu finden. Während das Licht im AT als erstes Schöpfungswerk Gottes dem zukünftigen Heil zugehörig ist, wird es im NT als Metapher für Leben, Wahrheit, Klarheit und Orientierungsmöglichkeit verwendet. 30 Das göttliche Werk in toto kann nur mit Hilfe der absoluten Metapher des Lichts beschrieben werden. Im decorum fallen Schicklichkeit und angemessenes Verhalten eines Christen gegenüber Gott in eins zusammen. Gott in besonderer Weise zu fürchten, zu 147 4.1 Sittlichkeit in christlichem Kontext (decorum und verecundia) 31 Diese Tätigkeiten von Gläubigen können allgemein unter den Begriff des Betens sub‐ sumiert werden. 32 Ambrosius: Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand Pflichtenlehre und ausgewählte kleinere Schriften. Übers. v. Johannes Ev. Niederhuber. I, 224. 33 Aurelius Augustinus: Confessiones. Bekenntnisse. VI, 3, 3. lieben, zu bitten und zu ehren 31 , geziemt sich für den Kleriker in off. I, 221 ebenso, wie sich das Beten der Frau „in habitu ornato“ geziemt. Als christliche Verhal‐ tensmuster, die Keuschheit und innige Verbundenheit mit Gott zugleich aus‐ drücken, sind decorum und honestum in der klerikalen Welt nach Ambrosius feste Begriffe, ja geradezu der archimedische Punkt seiner Ekklesiologie, wenn er schreibt: Das allgemeine Schöne (Schickliche) findet man vor, weil die Schönheit dieser Welt Gottes Schöpfung ist. [...] So strahlte denn dieses Schöne, indem es in den ein‐ zelnen Teilen der Welt aufleuchtete, im ganzen All wider, wie es die Weisheit mit den Worten bestätigt: „Ich war es, die seinen Beifall fand, da er sich des vollen‐ deten Erdkreises freute“. 32 Das decorum generale setzt Gott als Norm und als solche muss sie der Redner, ob Kleriker oder politischer Laie, erkennen und annehmen und in seiner kör‐ perlichen Haltung, in seinem Vokabular, seiner Rede, seiner Kleidung und in jeder Handlung zum Ausdruck bringen. Gott fällt es zu, über das decorum zu entscheiden, aber der Mensch als vernunftbegabtes Wesen nach Cicero und decorum-begabtes Wesen nach Ambrosius ist gehalten, es zu beachten und be‐ wusst nach dieser Norm zu leben. Ambrosius steigert den ciceronischen de‐ corum-Begriff als rhetorisch-ethische Urnorm zur christlichen Norm par excel‐ lence, auf die er seine Ekklesiologie in den Offizien aufbaut. Erst das decorum verleiht der Welt Schönheit, indem es den Menschen anhält, sein volles geistiges, sittliches und rhetorisches Potential in der Gemeinschaft zu leben. 4.2 Das Schweigen (decorum und lex silentii) Wenn er aber las, so glitten die Augen über die Blätter, und das Herz spürte nach dem Sinn, Stimme und Zunge aber ruhten. 33 Augustinus’ Zeugnis, er habe Ambrosius in der Tiefe seiner Lektüre versunken - für die damalige Zeit untypisch, nämlich lautlos lesend - angetroffen und seine „Jünger“ im ansteckenden Schweigen um ihn versammelt, thematisiert das 148 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 34 Nach Davidson und Niederhuber ist bei Ambrosius David als „magister humilitatis“ (off. I, 1 und I, 7) aufgeführt, welcher ein Gebot des Schweigens gemäß Psalm 39, 2-3 initiiert hat. 35 Mireille Schnyder: Topographie des Schweigens. Untersuchungen zum deutschen höfi‐ schen Roman um 1200. Göttingen, 2003. 36 Frank Kermode: Shakespeare’s Language. London, 2000. 37 J. Vernon Jensen: ‚Communicative functions of silence‘, in: ETC: A Review of General Semantics. Bd. 30, Nr. 3, 1973, S. 249-257. 38 Martin Heidegger: Sein und Zeit. S. 164: „Wer im Miteinanderreden schweigt, kann ei‐ gentlicher ‚zu verstehen geben‘, das heißt das Verständnis ausbilden, als der, dem das Wort nicht ausgeht.“ 39 Johann Kreuzer: Art. ‚Schweigen‘, in: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Aufl., Bd. 7, Sp. 1061: Augustinus spricht in den Bekenntnissen IX, 10, 25 über das „beredte Schweigen der Wahrheit“. Schweigen als die verborgene Seite des decorum. Es gibt, christlich gesprochen, sogar eine lex silentii  34 . Doch zunächst einige Überlegungen zum Schweigen als rhetorischem Instru‐ ment von Kommunikation. Ob als literarisches Moment in höfischen Ro‐ manen 35 und bei Shakespeare 36 , als Ausdruck kultureller Tradition oder als stra‐ tegisches Mittel innerhalb einer verbalen Kommunikation 37 , ist das Schweigen immer auch unausgesprochen Teil kulturell bedingter Redetradition. Schweigen ist eben nicht „nicht sprechen“ 38 , sondern dessen komplementäre Ergänzung im Innern, die im Gespräch gerade durch die daraus resultierende Stille oder Pause sogar vernommen werden kann. 39 Meist als funktionales Gegenteil von hör‐ barem, artikuliertem Sprechen definiert, wird Schweigen als Sprechen im Innern aufgefasst. Der Mensch spricht mit sich selbst lautlos im Denken. Im Dialog mit sich selbst klinkt sich das Subjekt aus der Außenwelt aus und versinkt in seinem Innern zur fachlichen Beratung, zur inhaltlichen Interpretation von Gesagtem oder auch psychischen Beruhigung und Achtsamkeit auf das eigene Selbst. Das Schweigen schafft Raum innerhalb des kommunikativen Wirkungsnetzes. Die psychischen Vorgänge für den Schweigenden wie auch für sein Gegen‐ über sind gerade auch aus rhetorischer Perspektive interessant. So kann in Ein‐ zelfällen, beispielsweise in der Therapie, das Schweigen Kommunikationsver‐ weigerung bedeuten und deshalb unter Unständen zum Abbruch der auf Kommunikation beruhenden Therapie führen, aber häufiger bedeutet Schweigen eben nicht Abbruch von Kommunikation, sondern es ist bedingt durch die psychische Verfasstheit des Sprechenden und hinterlässt seinen Ein‐ druck auf den Gesprächspartner während der Schweigephase. Das Schweigen im Gespräch steht in seiner kommunikativen Funktion sowohl dem rhetorisch Versierten und selbstbewusst auftretenden Redner, als auch dem unsicheren und überforderten Gesprächsteilnehmer offen, hat dann jedoch eine diametral ent‐ gegengesetzte Wirkung: Während der eloquent gebildete Mensch das 149 4.2 Das Schweigen (decorum und lex silentii) 40 Ähnlich auch Astrid Stedje: ‚Brechen sie dies rätselhafte Schweigen - über kulturbe‐ dingtes, kommunikatives und strategisches Schweigen‘, in: Sprache und Pragmatik. Hg. v. Inger Rosengren, Bd. 3, 1983, S. 23. 41 Platon: Gorgias. 450c. Schweigen als Instrument seiner Überzeugungsleistung oder Mittel zur Desta‐ bilisierung seines Gesprächspartners in seinem rhetorischen Kalkül bewusst einsetzt, kann es für den momentan rhetorisch Überforderten eine zeitlich be‐ grenzte Flucht bedeuten, entweder um zu einer möglichen Neupositionierung im Gespräch zu kommen, oder zu einer emotionalen Abnabelung führen, somit eine Schutzfunktion 40 haben. Ein simultanes Ineinandergreifen von emotionaler Distanzierung und kommunikativer Neupositionierung kann dem zunächst rhetorisch Schwächeren zu einer erfolgreichen Redewirkung verhelfen. Die Zäsur, die durch das Schweigen erfolgt, birgt somit auch ein großes rhe‐ torisches Potential, das sich jedoch erst dann optimal entfaltet, wenn alle Para‐ meter der Perlokution beachtet werden. Vorbedingung für die rhetorisch er‐ folgreiche Nutzung von Schweigen ist die Achtsamkeit des Orators, gegenüber sich selbst und dem Empfänger: Während des aktiven Gespräches beobachtet und analysiert der Orator den Kommunikationsfluss auch auf metasprachlicher Ebene und bewertet stets von Neuem den zu erwartenden Erfolg seiner Rede‐ absicht. Diese Art der Erweiterung des rhetorischen Kalküls ins fortlaufende Gespräch hinein weist dem Orator die Notwendigkeit zu entsprechendem rhe‐ torischen Handeln auf. Welcher rhetorischen Mittel er sich dann bedient, ob und wann er spricht oder schweigt, muss aufgrund der rhetorischen Urnorm des decorum je situativ erwogen werden. Wenn das Schweigen bewusst eingesetzt wird, kann nach Protagoras (Frag. 6b, DK) mit Hilfe des Schweigens sogar ein schwacher Logos zu einem starken gemacht werden. Analog zu Gorgias’ an‐ fänglicher Definition, dass die Redekunst „ihre ganze Verrichtung und Vollfüh‐ rung [...] durch Reden“ 41 bewirkt, ist das innere Reden als Schweigen ein Be‐ standteil der Redekunst. Nicht nur das Reden, sondern auch das Schweigen steht somit im Dienst der Überzeugungskunst. Das Schweigen wird mittels rheto‐ rischem Kalkül und durch das situativ bestimmte decorum als kommunikatives Wirkungsmittel spontan oder gezielt eingesetzt. Es ist aber nicht nur Mittel rhetorischer Machtdemonstration zur Verunsicherung des Gegenübers, sondern selbstverständliches Element im Kommunikationsprozess allgemein. Während in der Rhetorik das Schweigen bislang kaum beachtet worden ist, haben die amerikanischen Soziologen Harvey Sacks, Emanuel A. Schegloff und Gail Jefferson bereits in den siebziger Jahren die verschiedenen Arten des Schweigens und seine kommunikative Funktion analysiert und die ethnome‐ thodologische Konversationsanalyse beeinflusst. 150 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 42 Harvey Sacks, Emanuel A. Schegloff, Gail Jefferson: ‚A Simplest Systematics for the Organization of Turn-Taking for Conversation‘, in: Language, Bd. 50, 1974, S. 706-719. In einem andauernden Gespräch wechseln sich die Gesprächsteilnehmer im so genannten „turn-taking“ in festgelegten Mustern ab, womit der Prozess der Kommunikation als bewegter Austausch von Meinungen gewahrt wird. Als „turn-taking signals“ können phonetische, paraverbale, körpersprachliche und syntaktische Signale dienen. Pausen in Redebeiträgen, d. h. ein bewusst oder unbewusst eingesetztes Schweigen, ist folglich ein wahrnehmbares Signal für „turn-taking“. Nach Sacks, Schegloff und Jefferson sind dabei jedoch unter‐ schiedliche Arten des Schweigens zu unterscheiden: „inter-turn silences“, ein Schweigen zwischen verschiedenen Redebeiträgen, um einen Sprecherwechsel einzuleiten und „inter-utterance pauses“, ein sehr kurzes Schweigen während eines Redebeitrages. 42 Während in der erstgenannten Art des Schweigens beide Gesprächsteilnehmer gleichzeitig zu Zuhörern werden, beide nicht als Sender auftreten und somit nicht sprechen, ist in der letztgenannten Art des Schweigens nur der eigentlich gegenwärtig Sprechende auch schweigender Sender. Dies be‐ deutet, dass „inter-turn silence“ als Misskommunikation in der „turn-allocation“ (Verteilung der Redebeiträge) zu deuten ist, während „inter-utterance pause“ ein kalkuliertes sprachliches Mittel des Sprechers zur rhetorischen Kalkulation, ein spontaner Satzabbruch (rhetorische Figur interruptio/ ἀποσίωπησις) als plötzli‐ ches Verstummen oder auch eine temporäre Absence und eine Neu-Justierung in der Argumentationsfolge sein kann. Im Sinne eines vom Orator ausgehenden rhetorischen Kommunikationsmo‐ dells, in dem der Orator mit Blick auf den Adressaten kommunikativ handelt, obliegt es jedoch dem Empfänger, nicht nur das artikulierte Reden, sondern auch das lautlose Schweigen des Senders während der Kommunikation auf dessen Funktion hin zu deuten. (Ausgenommen sind hier Arten des kulturellen oder religiösen Schweigens wie bei Beerdigungen oder in Gedenkminuten.) Die kom‐ munikative Interaktion durch Schweigen kann nicht primär anhand verwen‐ deter Worte, Intonation, Gestik und Mimik analysiert werden, sondern sie muss innerhalb eines Kontextes dekodiert werden, beispielsweise die Art und Länge des Schweigens und die das Schweigen begleitende Gestik oder Mimik. Die pas‐ sive Verwendungsweise des altgriechischen Verbs σιωπὴν für „schweigen“ kon‐ notiert diesen geheimnisvollen und rätselhaften Charakter des rhetorisch so mächtigen Schweigens (ἡ σιγή), wodurch das Schweigen ein effektvolles Mittel der Rhetorik gerade durch die Abwesenheit jeglicher Sprache und jeglichen ornatus darstellt. Auch Sacks, Schegloff und Jefferson konstatieren, dass „the 151 4.2 Das Schweigen (decorum und lex silentii) 43 Ibid, S. 697. 44 Rainer Neu: Art. ‚Schweigen‘, in: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Aufl., Bd. 7, Sp. 1061: „der Schweigende [wird] Gott ähnlich“. 45 Sören Kierkegaard: Gesammelte Werke. Kleine Schriften: 1848/ 49. S. 36. 46 Peter Sloterdijk nennt in seinem Werk Du mußt dein Leben ändern (2012) den Begriff der „Vertikalspannung“, worunter er die Aufrichtung nach oben als menschliche Dis‐ position versteht, welche im Glauben aktualisiert werden kann. Zwar vermeidet Slo‐ terdijk den Begriff „Gott“, spricht aber von Religion und Glauben und dem vertikalen Unterschied zwischen oben und unten. Während sich der Mensch nach oben - zu Gott - strecken muss, holt ihn der Teufel unten ab. S. 67, 99 und 139. 47 Sören Kierkegaard: Gesammelte Werke. Kleine Schriften 1848/ 49. S. 37. natural home of speech is one in which speech is not always present.“ 43 Aus rhetorischer Perspektive ist „beredtes Schweigen“ ergo kein Paradoxon. Exkurs: Kierkegaard und die Stille vor Gott Wie in der rhetorischen Tradition, so ist auch in der Theologie das Schweigen nicht unbedingt das angemessene Proprium eines Redners, wohl aber das Pro‐ prium des gottesfürchtigen Christen. Sören Kierkegaards erste fromme Rede Stillesein aus Die Lilien auf dem Felde und der Vogel unter dem Himmel von 1849 zeigt den Stellenwert von Schweigen im Verhältnis zum allgegenwärtigen Reden des Menschen im Lichte des Christentums auf. Bei Kierkegaard taucht das Schweigen nicht als rhetorisches Instrument auf, sondern als notwendiges Mittel für den Christen, um mit Gott in Kontakt zu kommen. 44 Der in strenger Gläubigkeit erzogene Kierkegaard setzte sich zeitlebens mit dem Glauben und den daraus resultierenden Pflichten, sowohl schriftstellerisch, als auch selbst‐ kritisch-praktisch, auseinander. In seiner ersten Rede Stillesein verarbeitet er Teile der Bergpredigt (Mt 6,25-28) und des Lukas-Evangeliums (Lk 12,27), worin die rechte Sorge des Menschen thematisiert wird, die darin besteht, sich um das Reich Gottes zu bemühen und sich nicht mit materiellen Sorgen zu belasten. Bedingt durch den Vorzug des Menschen, ein redebegabtes Wesen zu sein, de‐ finiert Kierkegaard das Schweigen als große Kunst. Analog zur Bibel werden als Lehrmeister die Lilie und der Vogel (Rabe) angeführt, die im Vertrauen auf Gott ihr Leben als schweigendes Blühen und Vergehen annehmen. Das primäre de‐ ontologische Gebot Kierkegaards lautet demnach: Suche das Reich Gottes, das eo ipso die rechte Sorge des Menschen auf Erden ist. Diese Suche findet ihren Anfang im „Nichts machen, zu einem Nichts werden vor Gott, schweigen lernen“ 45 . Im tiefsten Innern still zu werden, ist für ihn gleichbedeutend mit „gottesfürchtig sein“. Denn des Menschen Wünsche und Begehren werden an‐ gesichts der vertikal bestimmten Beziehung 46 zwischen den Menschen und Gott stumm, weshalb der Mensch und Gott „nicht gut miteinander reden“ 47 können. Durch die Übergeordnetheit Gottes eröffnet sich aber dem Menschen ein an‐ 152 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 48 Ibid, S. 38. 49 Ibid, S. 40. 50 Ibid, S. 41. 51 Ibid, S. 43. deres Kommunikationsniveau, dasjenige des stillen Sprechens. Dieses innere Sprechen definiert Kierkegaard als Beten, das den Menschen zum Hörer Gottes werden und ihn auf diese Weise sein Reich suchen lässt. 48 Schweigen hat somit für Kierkegaard einen besonderen Stellenwert, es er‐ öffnet dem Menschen neue Horizonte, indem er sich von äußeren Gegeben‐ heiten trennt und sich auf sein Inneres konzentriert. Komplementäre Bedingung des Schweigens ist für Kierkegaard das Warten auf den rechten Augenblick, den der Mensch nur dann erkennt und trifft, wenn er schweigt: „Denn freilich ist der Augenblick schwanger mit reicher Bedeutung, doch einen Boten um seine Ankunft zu melden, schickt er nicht voraus, dazu kommt er zu geschwinde, wenn er kommt, es ist ja auch nicht eines Augenblickes Frist vorher gegönnt; “ 49 . Den rechten Augenblick zu erkennen, bedeutet bei Kierkegaard nicht das rhe‐ torische καιρός-Postulat, sondern bezeichnet den Zeitpunkt im Leben eines Menschen, in dem das Ewige und das Zeitliche sich vereinigen. Diese Dicho‐ tomie von vita aeterna als Ziel und vita beata hier und jetzt bildet des Menschen innere Disposition ab und daraus resultierend den seit Christus andauernden Kampf um die richtige Lebensform und des Menschen Glückseligkeit im mora‐ lisch-philosophischen Sinn versus Glück im materiellen Sinn. Das Schweigen verhindert ferner nach Kierkegaard die Potenzierung mensch‐ lichen Leidens. Je mehr der Mensch über sein Leid jammert und redet, desto größer wird es in seiner Wahrnehmung und desto gefährlicher für seine psychische Kon‐ stitution. Auch wenn sich an den Ausmaßen seines Leidens real nichts verändert, gräbt es sich durch das Reden darüber immer tiefer in den Köpfen der Menschen ein und wird somit in seiner Brisanz verstärkt. Reden fungiert hier als ein Poten‐ zierungskatalysator des Leidens. Auch hierin sind die Lilie und der Vogel ein Vor‐ bild für den Menschen, da sie nicht über ihr Leiden sprechen, nicht die Sünde der Ungeduld und der Traurigkeit begehen und weder Gott, noch Menschen an‐ klagen. 50 Dieses Vertrauen auf Gott und die bedingungslose, unhinterfragbare An‐ nahme des natürlichen Lebens wird durch das Schweigen dieser Geschöpfe Gottes, den Tieren in der Luft und auf dem Boden, symbolisiert. Des Weiteren drückt das Schweigen nach Kierkegaards Definition eine Ehr‐ erbietung vor Gott, dessen unübertrefflicher Weisheit und Vernunft aus. Diese Ehrfurcht existiert, da der Mensch vor und für Gott ist. 51 Das menschliche Sein vor Gott ist ein stilles Sein, ein Sein, das alle bisherigen Parameter des Lebens, wie den Namen, die individuellen Pläne, den Willen und Eigensinn vergessen 153 4.2 Das Schweigen (decorum und lex silentii) 52 Ambrosius: Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand Pflichtenlehre und ausge‐ wählte kleinere Schriften. Übers. v. Johannes Ev. Niederhuber. I, 202. 53 Vgl. Martin Heidegger: Sein und Zeit. S. 161: „Zum redenden Sprechen gehören als Mög‐ lichkeiten Hören und Schweigen.“ macht. Der Mensch soll sich vor Gott nicht wichtig nehmen, wenn er betet, sondern im Schweigen zum Nichts werden. Diese existenzielle Hingabe des Menschen und seine Suche nach dem Reich Gottes sättigen und rückversichern den getriebenen Menschen. Kierkegaards Sicht auf das Schweigen ist trotz konfessioneller und zeitlicher Un‐ terschiede dem ambrosianischen Konzept des Schweigens inhaltlich verbunden: Das Schweigen konstituiert die Verbindung von Mensch und Gott im Glauben. Ambrosius’ Konzept des Schweigens basiert auf einer gelebten Verbindung zwi‐ schen Gott und dem weisen Menschen, in der Gott die aktive, den Menschen lei‐ tende Funktion hat, während der Mensch in Stille in sich selbst einkehrt. In off. I, 5 ist es also auch nicht der weise Mensch selbst, der den καιρός des Schweigens er‐ kennt, sondern dieser wird ihm von Gott eingegeben. Der allmächtige Gott gibt, der Mensch empfängt. Gott hört bei Ambrosius besonders den im Schweigen versun‐ kenen Menschen. Gott ist zwar allwissend, doch hört er vor allem die stillen Ge‐ danken, wie die des Mose, und bevorzugt nicht die lauten Rufe der Menschen. 52 Schweigen ist auch für Ambrosius inneres Sprechen mit Gott, doch ist dazu die Komplementärkraft des Schweigens, das aufmerksame Hören, vonnöten. Hören ist in off. I, 7 in einem allgemeineren Sinn dem Schweigen zugehörig. 53 Der Mensch kann so auf sein Handeln in Wort und Tat Acht geben, die gute Lebensform im Sinne des Herrn beherzigen und einer potenziellen Sünde durch unangemessenes Reden entgehen. Doch dies gelingt laut Ambrosius lediglich „dem weisen Menschen“ (off. I, 5), d. h. demjenigen, der sich aufs Schweigen ver‐ steht. Demnach ist es nach Ambrosius schwerer zu schweigen, als zu reden. Die ambrosianische Bestimmung des Schweigens in off. I, 5-7 als Bedingung, reden zu können, zeigt die inhaltliche und kontextuelle Nähe von Schweigen zu den psy‐ chischen Fähigkeiten des Menschen wie Behutsamkeit (cautio), Achtsamkeit (custo‐ dire) und Bedachtsamkeit, die besonders im sozialen Miteinander und in der rheto‐ rischen Beachtung des decorum aufleuchten. Gottes Mahnung zur Achtsamkeit betont die ethische Verpflichtung eines jeden Redners innerhalb einer Gesprächssituation, die bei Ambrosius wichtiger ist als das eloquente Sprechen. Das geht auch daraus hervor, dass er die Zunge und das Wort negativ konnotiert und in off. I, 6 als „Sprach‐ rohr der Sünde“ (peccati adnuntia) bezeichnet. Während des Menschen wahrer Besitz sein Geist, das Gold sein Herz und Silber seine Rede ist, sind in off. I, 11 besonders Gottes Worte reine Reden, geschmiedet im Feuer (Ps 12,7). 154 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 54 Joachim Knape: Was ist Rhetorik? S. 22. 55 Ambrosius: Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand Pflichtenlehre und aus‐ gewählte kleinere Schriften. Übers. v. Johannes Ev. Niederhuber. I, 11. Es lässt sich hier ein deutlich unterschiedlicher Wertegrad bezüglich der göttlichen und der menschlichen Rede feststellen. Dies verwundert den auf‐ merksamen Bibelleser nicht wirklich, denn bereits in der Heiligen Schrift be‐ ginnt das Johannesevangelium mit der Gleichsetzung von Gott und Wort und auch in Genesis 1-3 ist das verbum dei Sinnbild für seine allmächtige Schöpfer‐ kraft: Gott erschafft die Welt, indem er spricht. Der biblische Logos ist Einheit von Gott, Leben und Licht ( Joh 1,1-5). Diese „arhetorische“ 54 symbolische Deu‐ tung des biblischen Logos als Einheit eigener Art zeigt sich nicht in eloquenten Ornaten der Sprache, sondern in der schaffenden Wirkungsmacht Gottes auf Erden. Der Logos ist das sichtbare Zeichen für Gottes Existenz in den durch ihn gewordenen Dingen und Lebewesen der Erde und kein bloßes kommunikatives Instrument ( Joh 1,1,10 - 18). Er ist Licht im menschlichen Leben ( Joh 1,1,5) und der für den Menschen gelegentlich verführerischen Dunkelheit (von Ungerech‐ tigkeit und Sünde) weit überlegen und kann so in jeder Situation als richtung‐ weisendes Gebot und moralische Orientierung dem Menschen Stütze sein. Um den Gefahren des Redens zu begegnen, hilft Gott dem Menschen, indem er ihn anleitet, seinen kostbarsten Besitz, den inneren Menschen, zu hüten und zu achten. Schweigen ist eine Bedingung, um den inneren Menschen, der noch über einen guten Geist, Kontrolle über seine Begierden und Gefühle und über eine ausgewogene Rede verfügen muss, bewahren zu können. 55 Ambrosius weist an dieser Stelle dem Menschen, der sich in seinem Innern um eine christlich fundierte rhetorische Selbsterziehung bemüht, einen aktiven Part zu. Aufgrund dessen unterscheidet er in off. I, 9 zwei Arten des Schweigens: otiosum silentium (müßiges Schweigen) und negotiosum silentium (wirksames Schweigen als ein Sprechen mit Gott in off. III, 2). Sich dieser Unterschiede im Schweigen bewusst zu werden und den Zeitpunkt zum Schweigen oder zum Reden zu erfassen, obliegt dem Menschen, seinem rhetorischen Geschick in der Beachtung des decorum (off. I, 14), seinem Gewissen (off. I, 18) und seinem Hören auf die Eingebung Gottes. Diese menschliche Verantwortung beim Reden wird auch in der Bibel im Buch Jesus Sirach 5,11-13 thematisiert, wenn zur Bereitschaft zum Hören und zu be‐ dächtigen Antworten gemahnt wird und der Untergang des Menschen durch die Zunge angeführt wird. Der möglichen Sünde durch die Zunge wird nur derjenige entgehen, der sich im Schweigen übt und sich auf Gott verlässt, wie einst Su‐ sanna und auch Jesus, der zuerst gegenüber dem Hohenpriester Kajaphas (Mt 26,63) und dann auch gegenüber Pilatus (Joh 19,9 und Lk 23,8-9) und dem ihm 155 4.2 Das Schweigen (decorum und lex silentii) angetanen Unrecht schwieg, um es nicht den laut schreienden Sündern vor dem Prätorium gleich zu tun. Das ambrosianische Schweigen ist ein Zeichen für eine ausgebildete, innere stoische Haltung (off. I, 17), die sich darin zeigt, dass unberechtigte verbale An‐ griffe nicht verbalrhetorisch vergolten, sondern durch wirksames Verstummen beantwortet werden. Dieses Verstummen des zu Unrecht Angeklagten wird von Ambrosius als rhetorisches Mittel gebraucht, um den Redegegner in seiner ver‐ balen Raserei nicht zu stoppen und ihn sich derart selbst entlarven zu lassen. Je länger der Angeklagte schweigt, um so mehr muss der Ankläger diese akustische Leere des Schweigens mit Worten der Anklage füllen, die so von ihm nicht rhe‐ torisch geplant waren. Nach Ambrosius (off. I, 18) wird sich der Ankläger fragen, was der Grund für das Schweigen seines Gegenübers sei und dadurch aus seinem eigenen rhetorischen Konzept und seiner Argumentationskette gebracht, da sein rhetorisches Kalkül, das von der Selbstverteidigung des Angeklagten aus‐ ging, nicht zutrifft. Was bleibt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Ankläger in seine vorgebrachte Anklage versenkt und durch inhaltliche Wiederholungen und phonetische Betonung eine rhetorische Intensivierung des Inhaltes ver‐ sucht oder sich in wachsendem Ärger ergeht und sich so um seine rhetorische Wirkung bringt. Derjenige jedoch, der klaglos Schmähungen hinnimmt und verbale Raserei nicht mit Gleichem vergilt, präsentiert sich als innerlich ruhigen, überlegten Menschen, dessen Ethos eine unverbrüchliche Würde und Gerech‐ tigkeit ausstrahlen. Das Ethos des würdevoll Schweigenden trägt den Sieg über den redenden Rasenden davon. In diesem rhetorisch interessanten Fall ist es dem „kommunikativen Ethos“ möglich, das „linguistische Ethos“ rhetorisch zu besiegen. Seine rhetorische Schlagkraft erhält das Schweigen durch seine Ab‐ stimmung auf das situative decorum. Rät das decorum zum Schweigen, so ist dessen persuasive Wirkungsabsicht abgesichert. Über allen rhetorischen Figuren, Tropen und Mitteln steht die Urnorm des decorum, die den rhetorischen Mitteln erst kommunikative Wirkungskraft verleiht. Wenn der Mensch im Bemühen, das allgemeine Wohl (off. II, 125) zu ver‐ folgen, das decorum (off. III, 89) beachtet und sich der omnipotenten Führung durch Gott überlässt und dabei seine Zunge und Gedanken (off. II, 96: „in occulto dicta“) im Zaum hält, kann er vielen Sünden aus dem Weg gehen. Die rhetorische, soziale und transzendente Absicherung in Ambrosius’ Konzept des Schweigens eröffnet dem Menschen die Möglichkeit, vollkommen handeln zu können. Dennoch bedarf es auch der christlich verstandenen Selbstbildung des Menschen: Er soll sich auch in der Ausübung seiner rhetorischen Fähigkeiten 156 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 56 Ibid, I, 14. 57 Ibid, I, 23. 58 Michael W. Holmes: The Apostolic Fathers. 3. Aufl., S. 195. 59 Henry Chadwick: ‚The Silence of Bishops in Ignatius‘, in: The Harvard Theological Re‐ view. Bd. 43, Nr. 2, Apr. 1950, S. 171. in Bescheidenheit (modestia), Sanftmut (mansuetudo) und Geduld (patientia) üben. 56 So bildet bei Ambrosius das Sich-Gedulden im Schweigen („silendi patientiam“), zusammen mit dem Reden zur rechten Zeit („opportunitatem lo‐ quendi“) und der Verachtung des Reichtums („contemptum divitiarum“), die Basis eines tugendhaften Lebens. 57 Wie im vorigen Kapitel analysiert, ist bei Ambrosius die christliche Verortung der verecundia eben gerade auch in der Fähigkeit des Menschen zum silentium als „virtutum otium“ in off. I, 68 gegeben. Nicht das tugendhafte Handeln an sich, wie beispielsweise die Freigebigkeit (liberalitas) dem armen Mitmenschen gegenüber, ist in off. I, 147 ausreichend, sondern man soll schweigen über die guten Taten und im Verborgenen handeln. Wer sich seiner Nächstenliebe selbst öffentlich rühmt, ist nicht vollkommen im Sinne Ambrosius’, sondern nur derjenige, der von den Begünstigten seiner Wohltat gelobt wird. Zusammengefasst zeigt sich das Schweigen als Wirkungsmacht zum einen als Dialog mit sich selbst in rhetorischer Perspektive (Sacks, Schegloff und Jef‐ ferson), zum anderen als ein stilles Sein vor Gott (Kierkegaard) und als ein Dialog mit Gott in theologisch-rhetorischer Perspektive (Ambrosius). In Kierkegaards und Ambrosius’ Konzept von Schweigen ist durchaus sowohl ein theologischer, als auch ein rhetorischer Aspekt zu konstatieren, wenn beide Autoren sich des Vokabulars der griechischen Rhetorik bedienen (ὁ καιρός, τό ἦθος) und sowohl den Kunstcharakter des Schweigens, als auch das antike ciceronische Konzept der Selbsterziehung aufnehmen. Somit ist diese nach außen hin darstellbare Selbsterziehung durch das Schweigen biblisch begründet (beispielsweise Spr 17,27-28), wo das Maßhalten im Reden und Schweigen ein Synonym für Weisheit, Verstand und Einsicht des Menschen ist. Schon der apostolische Vater Ignatius von Antiochien sieht bereits zu Beginn des 2. Jahrhunderts v. Chr. im Schweigen etwas existenziell Notwen‐ diges, wenn er in seinem Brief an die Epheser (Eph 15) schreibt: „It is better to be silent and be real than to talk and not be real.“ 58 Henry Chadwick vollzieht anhand seiner Analyse des Briefes an die Epheser und an die Magnesier schließ‐ lich den höchsten Definitionsschluss: „Silence being therefore a primary cha‐ racteristic of God Himself “ 59 . 157 4.2 Das Schweigen (decorum und lex silentii) 60 Maximilian Probst und Patrik Schwarz: ‚Darf man sich seinen Glauben selbst bas‐ teln? ‘, in: DIE ZEIT, Nr. 15, 4. 04. 2012, S. 64-65. 61 Die positive Rolle der Religion wird selbst von „religiös Unmusikalischen“ (so Habermas selber 2001 in der Frankfurter Paulskirche und 2004 in der katholischen Akademie in Bayern) gewürdigt. Siehe dazu Jürgen Habermas, Ernst-Wolfgang Böckenförde aus‐ führlich in Kapitel 5. 4.3 Die Gebotsorientierung des Decorum (officium als praeceptum) Kann der Mensch ohne eine Institution, die über die Moral wacht, sozial leben? Braucht eine Gesellschaft die Kirche für ihr reibungsloses Mitein‐ ander? Auf welche Grundfesten stützt sich die menschliche Gemeinschaft bei der Bestrafung sittlichen Fehlverhaltens? Und welche besonderen Anforde‐ rungen ergeben sich für die Gläubigen, Ordensleute und öffentlichen Wür‐ denträger der Kirche? Für den Mailänder Bischof Ambrosius ist die Antwort klar: Zwar sind Kirche und Staat streng zu trennen (Ep. 20, 8/ 19 und Ep. 51, 5/ 14), doch funk‐ tioniert der Staat als sozial heterogenes Gewirr von Menschen nur mit Hilfe normativer moralischer Maximen, wobei dem Menschen als homo socialis die Sehnsucht nach religiöser und moralischer Ausrichtung des Lebens imma‐ nent ist. Eine normative Fundierung der Gesellschaft ist bis heute in den westlichen Gesellschaften seit der Aufklärung selbstverständlich; ihre ge‐ meinsame Basis stellen die Menschenrechte dar. In Bezug auf die Werte im Einzelnen herrscht allerdings ein gewisser Eklektizismus, was zu Unsicher‐ heiten führt und eine große deutsche Wochenzeitung zu der Frage bringt: „Darf man sich seinen Glauben selbst basteln? “ 60 Offensichtlich kann auch ein liberaler Staat nicht auf eine moralische Fun‐ dierung innerhalb des Rechtsstaates verzichten, so wenn die Bundesrepublik den Eigentumsbegriff im GG, Artikel 14,2 nicht individualistisch definiert, son‐ dern mit einer sozialen Verpflichtung versieht: „Eigentum verpflichtet“. Dies zeigte auch vor einigen Jahren eine öffentliche dialogisch geführte Auseinan‐ dersetzung namhafter Philosophen, Theologen und Rechtswissenschaftler, die der Bedeutung moralisch fundierter Normen in unserer westlichen Gesellschaft nachgingen. 61 In der Bibel ist die gelebte Verbindung zwischen Gott und dem Menschen und der menschenmöglichen Vervollkommnung die Grundlage. Im Kontext der menschlichen Bewährung vor Gott sind deshalb normative Begriffe wie Gebot, Pflicht oder Gesetz zu finden, deren Konnotation und Bedeutung im AT und im NT jedoch unterschiedlich sind. So ist für die Vorstellung von „Gesetz“ im AT 158 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 62 Michael Ernst: Art. ‚Gesetz‘, in: Matthias Stubhann (Hg.): Die Bibel von A-Z. Das aktuelle Lexikon zur Bibel. S. 237 und Axel Michaels, Eckart Otto und Heikki Räisänen: Art. ‚Gesetz‘, in: Hans Dieter Betz, Don S. Browning, Bernd Janowski und Eberhard Jüngel (Hg.): Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religi‐ onswissenschaft. Bd. 3, Sp. 843-850. zum einen das hebräische Wort „torá“, das eine Weisung oder Anleitung be‐ zeichnet und zum anderen „mischpát“, das eine Rechtsvorschrift beschreibt, zu finden. 62 Gerade der erste Teil des Alten Testaments, die fünf Bücher Mose, er‐ zählen von Menschen, Begebenheiten und Orten, von Adam und Eva, Kain und Abel, Abraham, Sodom und Gomorra, Joseph und seinen Brüdern, sowie von Mose und den Zehn Geboten und bieten einen Querschnitt von Auseinander‐ setzungen unter den Menschen, wobei es um die richtige Beurteilung einer Si‐ tuation und dem daraus abgeleiteten Handeln unter Beachtung des göttlichen Gesetzes geht. Trostreich für den irrenden Gläubigen ist das Vertrauen in Gott, der ihm den Weg weist. Das Gesetz Gottes ist sein Wort, das im AT unhinter‐ fragbar und bedingungslos vom Menschen eingehalten werden muss. Im Ge‐ gensatz zu Eva, die sich gegen den Gehorsamsanspruch Gottes auflehnt (Gen 2,17-3,13), vertraut Abraham seinen einzigen Sohn ohne zu zögern Gott als Opfer an (Gen 22,1-18). Im Pentateuch und in den Büchern der Propheten ( Jer 7,23 und 32,7), aber auch in den Briefen des NT (1 Kor 7,3/ Röm 2,25 und 13,7) wird in rhetorisch feinsinnigen Erzählungen die Pflicht des Menschen zum ab‐ soluten Gehorsam gegenüber Gott, seinen Geboten und seinem Gesetz und auch gegenüber den Rechten des Mitmenschen exemplifiziert. In Analogie zu den biblischen Geboten präsentiert Ambrosius sein offi‐ cium-Konzept als christlichen Gebotskatalog für den klerikalen Nachwuchs. Dabei dient off. als Erziehungshandbuch, um den „Söhnen“ des Kirchenvaters die Lehre Gottes näherzubringen. In Widmung und Duktus ist die ambrosia‐ nische Schrift derjenigen Ciceros ähnlich, jedoch ist Ambrosius in off. I, 2 in‐ haltlich fokussiert auf das officium docendi des Priesters gegenüber seinen christlichen Schülern. Ambrosius, der trotz allen Widerständen gerade erst vom Statthalter zum Bischof gewählt worden ist, hat selbst die Pflicht zu lernen und gleichzeitig zu lehren (off. I, 4). Ambrosius’ zögerliche Annahme des Bischofsamtes und ein damit eventuell verbundenes Bewusstsein von der eigenen Unzulänglichkeit, sowohl als neuer Bischof, als auch als Lehrer für den klerikalen Nachwuchs, ist hier spürbar, dennoch widerspricht seine eventuelle persönliche Schwäche nicht seiner Auffassung und festen Überzeugung von der Lenkung Gottes, der durch die Heilige Schrift spricht und auch seinem Diener Ambrosius in der Nachfolge Christi Autorität als kirchlicher Lehrperson verleiht. Die Tatsache, dass Am‐ 159 4.3 Die Gebotsorientierung des Decorum (officium als praeceptum) 63 Ambrosius: Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand Pflichtenlehre und ausgewählte kleinere Schriften. Übers. v. Johannes Ev. Niederhuber. III, 59. 64 Niederhubers Unterscheidung von „evangelischen Räten“ (consilia) und Geboten (prae‐ cepta) wird hier nicht berücksichtigt, da Räte im Gegensatz zu Geboten ethisch nicht absolut bindend sind. brosius den Kontakt mit Gott stets sucht und an sich selbst, wie an alle kirchli‐ chen Diener, die höchsten sittlichen Ansprüche stellt, kann ihn zu einem gründ‐ lichen und vorsichtigen magister des Wortes Gottes werden lassen. Die besonderen Anforderungen an den Klerus, an dessen angemessene, von ho‐ nestum und verecundia getragene Rede (off. I, 76) und an das sittliche Verhalten in nonverbaler und verbaler (off. I, 89), am decorum als Norm orientierter Kom‐ munikation, sind nachdrücklich dargelegt. Ausgehend von der ambrosianischen Etymologie des Wortes „officium“ in off. I, 26 als Beschreibung einer Pflichtverrichtung (efficium) und eines frommen Handelns, das niemandem schadet, ist neben der Pflicht zur kleri‐ kalen Unterweisung dem Priester auch die Pflicht aufgetragen, allen zu nützen und keinem zu schaden (off. III, 58). Doch „das Können aber steht nur bei Gott.“ 63 Ambrosius separiert den menschlichen und den göttlichen Wirkungs‐ bereich, indem er dem Menschen den Willen, Gott aber das Können einer vollkommenen Sittlichkeit zuspricht. Schon in seiner Schrift De viduis (Über die Witwen) spricht er in Kapitel XIII davon, dass Gott den freien Willensent‐ schluss des geneigten Menschen anspornt. Aufgrund der religiösen Ausein‐ andersetzung mit Gott hat der Mensch sich für das richtige Handeln in Wort und Tat zu entscheiden. Dies bedeutet, dass der allmächtige Vater bereits die moralische Vorbedingung für das menschliche Handeln, d. h. den freien Willen eines Gläubigen, stärken kann. Ambrosius sind Zweifel eines Augustinus an Gott und dessen Autorität völlig fremd. Für die Kleriker ist das Gebot Gottes, das bei Ambrosius zunächst als officium (Pflicht) bezeichnet wird und in seinem Verständnis der Bibel eher als prae‐ ceptum  64 (Gebot, Weisung, Lehre) wirkt, absolut bindend. Ausnahmen von den besonderen Anforderungen, die das officium sacerdotis an die innere Verfassung eines klerikalen Anwärters und an seine äußere Darstellung stellt, werden nicht geduldet (off. I, 72). Ambrosius ist sich bewusst, dass für seinen Pflichtbegriff ein anderer Maßstab gilt als für den der antiken Autoren, wenn er irdische Glücksgüter nicht nur für nichts Gutes, sondern geradezu als Nachteil be‐ zeichnet (off. I, 29). Sein Maßstab führt zum decorum als Norm göttlicher Pro‐ venienz, die vorschreibt, das Schickliche zu wahren und die Wahrheit zu erfor‐ schen und „herauszuschälen“ (off. I, 98 und I, 122-125). Diese enge Rückbindung des decorum an Gott als dem höchsten Prinzip sichert dem Theologen Ambrosius 160 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 65 Ähnlich auch Johannes Ev. Niederhuber, in: Ambrosius: Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand Exameron. Übers. v. Johannes Ev. Niederhuber. S. XXXV-XXXVI. den überlegenen Standpunkt, von dem aus er die heidnischen Philosophen und die Pflichtenlehre Ciceros in Dienst nimmt und gleichzeitig deren Erkenntnisse auf einer niedereren menschlichen Ebene ansiedelt, weil sie letztlich keinen Zugang zur wahren Weisheit haben finden können. Denn die letztlich gültige Wahrheit ist für Ambrosius die geoffenbarte Wahrheit. Die heidnischen Denker vertreten ein Menschenbild, das nach Ambrosius (off. I, 133-134) nicht gerade originell ist. Wenn sie sagen, der Mensch herrsche über die Natur oder der Mensch sei der Menschen wegen da, so zitieren sie nur das Alte Testament; denn diese Erkenntnisse gehen auf Moses und David zurück. Die antiken Autoren sind also bestenfalls Epigonen der alttestamentarischen Propheten. Aufgrund dessen klassifiziert Ambrosius ihre Werke als Nachah‐ mungen, da ihre Zitate der heiligen Schrift entnommen sind und sie insgesamt sich fremder Erkenntnisse bedienen (off. I, 118/ I, 180/ II, 6 und Exameron I, 2/ II, 7). Für Ambrosius ist die menschliche Erkenntnis notwendigerweise eine re‐ ligiöse Erkenntnis, die durch Christus und das Wort Gottes gewonnen werden kann. Es ist Gott als Instanz und Potenz, wodurch die Erhellung des menschli‐ chen Geistes ermöglicht wird, was letztlich die heidnische Philosophie nach Ambrosius nie wird erlangen können. 65 Ambrosius begründet den Anlass für seine Schrift in off. I, 29 und I, 43 mit der Kritik an Cicero, dessen rhetorische Gewandtheit (ars dicendi) er als Kon‐ trast sieht zur schlichten Anmut („simplex rerum gratia“) der Dinge. Er ist der Auffassung, dass man auf materielle Glücksgüter zu viel Wert legt, während doch die schlichte Sittlichkeit an sich genug sein müsse. Er habe einen an‐ deren Pflichtbegriff und im Jenseits gelte sowieso ein anderer Maßstab für des Menschen Taten als im Diesseits. Obwohl „officium“ ursprünglich kein reli‐ giöser Begriff ist, verwendet Ambrosius trotzdem diesen römischen Amtsbe‐ griff und belegt dessen Berechtigung mit Textstellen aus der Bibel (Ps 38 und Lk 1,23). Die rhetorische Frage, auf wen nämlich Begriff und Konzept des officium zurückgehen - auf Panaitios oder Aristoteles -, taucht in regelmäßigen Ab‐ ständen (off. I, 31/ 118 und 180) immer wieder auf. Nach Ambrosius kommt dieses Verdienst weder Panaitios noch Aristoteles zu, da sie chronologisch dem König David nachfolgen und er ernennt deshalb David grundsätzlich zum originären Vordenker einer Pflichtenkonzeption. Ambrosius’ grundsätzlich idealisierende Darstellung der Figur Davids (u. a. De Apologia Prophetae David ad Theodosium Augustum) als Prophet (off. I, 23) und Lehrer der Behutsamkeit (off. I, 1 und 7) 161 4.3 Die Gebotsorientierung des Decorum (officium als praeceptum) 66 Der Grund für die Überhöhung König Davids bei Ambrosius ist wohl der Tatsache ge‐ schuldet, dass David Reue für sein Morden und seinen Ehebruch empfindet, sich ernied‐ rigt und so Gnade bei Gott erwirkt. Durch die schonungslose Erniedrigung und Ausein‐ andersetzung mit seinem Selbst und dem Bekenntnis seiner Sünden kann Ambrosius den sündigen Menschen zum Propheten erhöhen. Auch die moderne Wissenschaft ist von der historischen Person König Davids fasziniert. Bezüglich einer nachweisbaren Existenz König Davids und seiner Dynastie sind neue archäologische Funde von Yosef Gurfinkel in Khirbet Qeiyafa, südwestlich von Jerusalem, aus den Jahren 2007-2012 von Bedeu‐ tung, die Jerusalem als „Davidstadt“ wahrscheinlicher werden lassen. Der Fund einer Siegesstele (1993), auf der Könige aus dem Hause Davids vermerkt waren, und einer Ost‐ rakon-Scheibe (2008), die man der Zeit Davids zuordnet und auf welcher unter anderem der Begriff „König“ erscheint, im Zusammenhang mit der Ausgrabung einer 3000 Jahre alten Stadtanlage, von der man annimmt, dass es sich um eine jüdische Stadt und nicht um eine Philisterfestung handelt (es wurden nur koschere Speisereste gefunden), scheinen Ambrosius recht zu geben, der von der Existenz Davids überzeugt war. 67 Aristoteles: Nikomachische Ethik. I, 6, 1097b22-1098a9. zieht sich durch seine ganze Schrift 66 und ist innerhalb seiner Apologetik zu verstehen. Eine besonders eindringliche Exemplifizierung der Originalität Da‐ vids als Vorbild und Lehrer findet sich im Zusammenhang mit der lex silentii (off. I, 31). Dieses Gesetz, das David im Psalm 39,2-3 seinen Nachkommen ans Herz legte, wurde von Pythagoras wieder aufgenommen. Während laut Am‐ brosius aber Pythagoras dadurch das richtige Sprechen lehren wollte (zum Teil sogar durch jahrelanges Schweigen), ging es David um religiös motivierte Be‐ dachtsamkeit, um Sündenvermeidung. Der Gerechte schweigt auch im Ange‐ sicht des Frevlers, weil er sich bei Gott geborgen fühlt. Ambrosius’ polemische Einstellung gegenüber den heidnischen Schriftstel‐ lern und Philosophen in toto führt ihn auch dazu, dass er Cicero, dessen Werk doch seine Vorlage ist, namentlich nur nebenbei erwähnt, so, wenn er in off. I, 24 sagt, „Tullius“ habe eine Belehrung für seinen Sohn geschrieben, er schreibe zur Belehrung seiner Söhne - der Kleriker nämlich. In dieser apologetischen Haltung setzt er sich auch nicht mit dem Pflich‐ tenkonzept des Aristoteles auseinander, dies wahrscheinlich umso weniger, als er im Unterschied zu Aristoteles die menschliche Vernunft gering ein‐ schätzte. Für Aristoteles liegt die dem Menschen gegebene spezifische Auf‐ gabe im menschlichen Tätigsein (ἐνέργεια), in der freiwilligen Handlung (ἡ ἑκούσια πρᾶξις), die sich an der Tugend (ἡ ἀρετή) orientiert und von der Vernunft und sittlichen Klugheit (φρόνησις) leiten lässt. Die Bedeutung des menschlichen Handelns liegt in der „vernünftigen Tätigkeit der Seele“ und in einem der Tugend entsprechenden Handeln. 67 Aristoteles grenzt freiwilliges und unfreiwilliges Handeln gegeneinander ab. Als Zwang und Unfreiwillig‐ keit ist eine Handlung definiert, wenn das Prinzip der Handlung nicht im 162 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 68 Ibid, III, 1, 1110a1-1110b5. 69 Ibid, IX, 2, 1165a17-18. Handelnden selbst liegt, sondern „dessen Ursache außen ist“. 68 Dies bedeutet, dass das menschliche Tätigsein gemäß den dianoëtischen und ethischen Tu‐ genden des Aristoteles idealiter das τὸ δέον als Telos seines Handelns setzt. „Τὸ δέον“, übersetzt als das Gesollte und die Pflicht, ist bei Aristoteles als „das Rechte“ (eth.Nic. I, 1, 1094a24) Ziel des menschlichen Tätigseins. In eth.Nic. IX, 2, 1164b30ff. wird die Pflicht, empfangene Wohltaten zurückzugeben, als eine Schuldbegleichung bezeichnet. Die menschliche Gesellschaft nach Aris‐ toteles scheint durch ein fragiles Gleichgewicht von Geben und Nehmen be‐ stimmt zu sein, in der sozial-ethische Aufrechnung als Ehrenwert gilt. Dies ist wohl primär mit „Pflicht“ im aristotelischen Sinne gemeint, eine menschliche Tat zum Wohl des Anderen zu vergelten, und weniger die subsidiären Pflichten für Gesundheit und Lehre. Abweichungen von der Pflichterfüllung sind je nach dem Geziemenden und Angemessenen („τὰ οἰκεῖα καὶ τὰ ἁρμόττοντα“) zu beurteilen. 69 Während bei Aristoteles der Mensch allein qua vernünftiger Begabung und sittlicher Veranlagung fähig ist, gemäß dem Gebotenen zu leben und zu han‐ deln, ist für Ambrosius die Lenkung durch Gott vonnöten, um den Menschen auf den richtigen Weg der Pflichterfüllung zu führen. Ambrosius’ Anliegen ist es offensichtlich, den Vorrang des Christentums vor der heidnischen Philo‐ sophie zu betonen. Somit sind alle seine Beispiele tugendhaften Lebens gott‐ gefällige Menschen. Jedoch finden sich inhaltliche Parallelen zu Aristoteles gerade im Begriff des officium, allerdings als christlich bestimmtes Sollen begriffen, das einen indivi‐ duellen und kirchlichen Dienst im Sinne des sozialen Gebens beschreibt. Um der Norm des officium nach Ambrosius gerecht zu werden, muss die klerikale Er‐ ziehung des Nachwuchses in off. II, 25 durch institutio, sermo und disciplina gestaltet werden, damit das officium im menschlichen Geist mit Hilfe theore‐ tischer Unterweisung (durch die Schrift De officiis ministrorum) und praktischer Einübung verankert werden kann. Denn einer der Handlungsbereiche des offi‐ cium liegt in der societas, die von humanitas und liberalitas (Freigebigkeit/ Güte) gegenüber den Mitmenschen geprägt sein sollte. Dies zeigt sich in Ambrosius’ Ausführungen über die Pflicht der Gastfreundschaft in off. II, 107-108, die jedem Menschen unabhängig von seinem sozialen Status entgegengebracht werden soll, in besonderem Maße jedoch dem gerechten Menschen. Indem der Mensch einem anderen Menschen seine Tür öffnet und ihm hilft, kommt er Gott 163 4.3 Die Gebotsorientierung des Decorum (officium als praeceptum) 70 Vgl. Plinius Secundus d. Ä.: „Für einen Menschen ist der ein Gott, der einem Menschen hilft, und dies ist der Weg zum ewigen Ruhm.“ In: Naturalis historiae. V, 18. Und Am‐ brosius: off. I, 135. 71 Es ist anzunehmen, dass trotz unterschiedlicher Namensschreibung in der deutschen Ausgabe von Niederhuber von ein und derselben Person in der Bibel und bei Ambrosius die Rede ist. näher. 70 Als Beispiel hierfür führt Ambrosius in off. III, 125 die Person Abimelech an. In der Bibel (1 Sam 21,1-16) wird berichtet, König David habe sich auf der Flucht vor Saul dem Priester Ahimelech anvertraut und habe von ihm heiliges Brot und Goliaths Schwert erhalten. 71 In der Pflicht zur Freundschaft wird das eigene Ego für den anderen hintan‐ gestellt, um den Freund wie sich selbst zu behandeln und zu lieben. Diese De‐ finition kommt derjenigen von Aristoteles’ sehr nahe, der den Freund als „ein zweites Selbst“ (eth.Nic. IX, 4, 1166a32 und IX, 9, 1170b6) bezeichnet. Denn auch Ambrosius sieht die soziale und psychische Bedeutung von Freundschaft für den Menschen, wenn er in off. III, 129 einen Freund als Arznei („medicamentum“) und Stütze des Lebens („vitae adiumentum“) bezeichnet. Indem der Mensch einem Mitmenschen Freund ist und diesem im Glück und Leid als Korrektiv und Stütze beisteht, kann er in den Genuss der Unsterblichkeit („immortalitatis gratia“) kommen, denn ein treuer Freund ist für Ambrosius (Sir 6,14-17) not‐ wendigerweise auch ein gottesfürchtiger Gläubiger. Neben der universalen Pflicht zur Gast- und Freundschaft spielt auch der spezielle Pflichtenkatalog für die Jugend bei Ambrosius eine bedeutende Rolle (off. I, 65). Die Jugend soll in Gottesfurcht, Ehrerbietung gegenüber den Alten und Eltern, Keuschheit (castitas), Demut (humilitas), Sanftmut (clementia) und in Sittsamkeit (verecundia) leben. Je nach Art der Pflicht, die Ambrosius einführt, erweitert sich seine Definition von officium von einer fleißigen Dienstverrich‐ tung der Jugend und in der Kirche (off. I, 2/ 72/ 175/ 186/ II, 90 und 95) bis zur Förderung von Tugend allgemein (off. I, 115). Dies nimmt nicht wunder, versteht Ambrosius die Pflicht (officium) doch im Kontext der Kardinaltugenden, die als ausgebildete Eigenschaften den geneigten Menschen erst zur Pflichterfüllung und Beachtung des praeceptum befähigen. Es ist Ambrosius, der den platonischen und aristotelischen Begriff der virtutes cardinales christlich-literarisch konnotiert und diese Tugenden der Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mä‐ ßigung in off. I, 116 als den Ursprung der Pflichtgattung („officiorum genera“) per se bestimmt. Als erste Quelle der Pflicht („officii fons“) wird prudentia aufgeführt, die sich in Ableitung in den jeweils anderen sittlichen Tugenden wiederfindet. Sie er‐ möglicht als rationale Fähigkeit, den sittlich guten Weg aufzuzeigen, auf wel‐ 164 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 72 Jean-Pierre Wils: Art. ‚Klugheit‘, in: HWRh, Bd. IV, Sp. 1115-1125: „Die Klugheit kann also als Fähigkeit zu situationsangemessenem Handeln [...] bestimmt werden“, Sp. 1116. 73 Nach Wils steht die Klugheit generell für den ethischen Bereich und „[d]ie Regeln der Angemessenheit entstammen in Platons Spätphilosophie nicht mehr einer transzen‐ dent-eidetischen Ordnung, sondern der realistischen und Klugheit verlangenden Maß‐ gabe der φύσις ἀνθρώπων [...]. Klugheit wird zu einer ethischen Kategorie der anthro‐ pologischen Endlichkeit.“ Ibid, Sp. 1115-1116. 74 In Übereinstimmung mit Anselm Grün: Das kleine Buch der Tugenden. Der Glaube, die Hoffnung und die Liebe. S. 58. chem die drei übrigen Tugenden und die christlichen Pflichten dann nach‐ folgen. 72 Aus diesem Grunde teilt Aristoteles in eth.Nic. I, 13, 1103a5-10 die Tugenden als „Tüchtigkeit der Seele“ (eth.Nic. I, 13, 1102a16-17) in Verstandes‐ tugenden (dianoëtisch) und in sittliche Tugenden (ethisch) ein. Und auch schon Platon definierte die Tugend als eine Tüchtigkeit und damit als eine Erkenntnis (Charmides 164d/ 174d und Menon 71e/ 78c/ 98a) des je eigenen ἔργον, sei es eines Sinnesorgans, der Seele oder des „Seinigen“ eines Menschen an sich, das in den Bestimmungen der Kardinaltugenden wie der Besonnenheit (Charmides 161b) und Gerechtigkeit (Politeia 433b) als Definiens genannt wird. 73 Doch im Unterschied zu Platons Überzeugung, dass die Kardinaltugenden vom Menschen erworben werden können, sind die theologischen Tugenden dem Menschen durch die Gnade Gottes auf der Basis des Glaubens (off. I, 142) gegeben. Denn zu den Kardinaltugenden der Griechen und Römer gesellen sich in der Theologie die göttlichen Tugenden von Glaube, Liebe und Hoffnung, die gerade nicht erworben, sondern nur von Gott geschenkt werden können. 74 Gott ist die pflichtsetzende Instanz, nicht der Mensch selbst qua Vernunft. In De fuga saeculi III, 14 ist als „primum praeceptum“ (erste Vorschrift) dem Menschen vorgegeben, „ein Ebenbild Gottes zu sein“ („ad imaginem Dei“). Die zweite Vor‐ schrift besagt, dass der Mensch Gottes Kraft und seine Gottheit in der Schöpfung erkennen und sehen muss. Die dritte Vorschrift schließlich gebietet, das Wort Gottes (verbum dei) anzuerkennen, das die menschlichen Taten vergilt, gute Werke belohnt, Sünden bestraft. Gott ist hier als König und Richter über den Menschen von diesem zu akzeptieren. Ambrosius erarbeitet seine christlich fundierte Pflichtenlehre in off. I, 116 nach Ciceros Beispiel: Zuerst wird der Begriff definiert („officium definiatur“), dann wird seine Ausprägung in verschiedenen Gattungen untersucht („in ge‐ nera dividatur“). Und schließlich ist das Beispiel der maiores Spiegel der mora‐ lischen Bildung („disciplinae speculum“) und Referenzpunkt zur Nachahmung für die jungen Kleriker („imitandi reverentia“). Analog zu Cicero in off. I, 8 teilt Ambrosius in off. III, 10 die Pflichten in zwei Gattungen: die mittlere Pflicht (commune officium) und die vollkommene Pflicht 165 4.3 Die Gebotsorientierung des Decorum (officium als praeceptum) 75 Ivor J. Davidson: Ambrose. De officiis. Bd. 2, S. 481. (perfectum et absolutum officium). Während die mittlere Pflicht von der Mehr‐ heit der Menschen eingehalten werden kann, ist die vollkommene Pflicht jedoch schwer zu erfüllen, da die aufopfernde Hingabe des Selbst für andere innerhalb der vollkommenen Pflicht den menschenmöglichen Höhepunkt darstellt. Als mittlere Pflicht wird zunächst das Einhalten des ethischen Dekalogs be‐ stimmt (off. I, 36): nicht töten, ehebrechen, stehlen, lügen sowie die Eltern ehren und den Nächsten lieben. Die vollkommene Pflicht hingegen verlangt mehr als das christliche Einhalten des Dekalogs, wenn in off. I, 37 zur vollkommenen Auf- und Weitergabe des Reichtums an die Armen, zum liebevollen Annehmen der Feinde, zum Beten und Segnen der Verleumder und Verfolger aufgerufen wird. Wie Gott, der Vater im Himmel, soll der Mensch alle Menschen, ob gut oder böse, gleich behandeln und ihnen barmherzig gegenübertreten als „imitatio patris“ (off. I, 38). Ambrosius’ Zielvorstellung des perfectum officium ist auf Erden zwar kaum erreichbar, aber als Pflicht (κατόρθωμα) dennoch Orientie‐ rungsrahmen und oberste Norm „the relevant norm for the clergy“ 75 , für den Menschen und Kleriker. Der vollkommenen Pflicht zur Selbstaufgabe beziehungsweise zum Absehen von sich selbst zugunsten der Zuwendung zum Nächsten sind andere Pflichten untergeordnet; Verstöße gegen diese sind dann in off. I, 37 nur kleinere Pflicht‐ verletzungen (lapsus). Ambrosius sieht in off. I, 135 das Leben der Menschen in der Gemeinschaft, die gegenseitige Unterstützung und die soziale Verantwortung füreinander - wie Cicero - als von der Natur gefordert, doch ist bei ihm außerdem die Bindung der Menschen an- und untereinander Gottes Wille und somit ein Segen. Die Gemeinschaft ist natur- und gottgewollt und durch die Balance zwischen so‐ zialem Nehmen und pflichtgemäßem, noch reichlicherem Geben bestimmt. Zwar kann die Pflicht, Empfangenes reichlicher zurückzugeben, außer Kraft treten, doch nur in Abstimmung, wenn dies „aptum tempori est“ (off. I, 254 und 258). Das officium des Ambrosius’ bestimmt sich als harmonisches Ineinander‐ greifen von honestum und decorum, das zum schönen (vita beata) und nach der Heiligen Schrift zum ewigen Leben (vita aeterna) führt (off. II, 1 und III, 12). Das ambrosianische officium ist ein spezielles officium, nämlich das des Gläu‐ bigen und Klerikers. Als christliches Sollen ist es Leitlinie in der Erziehung des klerikalen Nachwuchses und für die tätige Umsetzung ein sozial-christliches Handlungsgebot. Doch wäre das officium nach Ambrosius zu kurz gefasst, ließe es sich allgemein darauf beschränken, denn das officium sacerdotis ist auch als rhetorisches Sollen konzipiert. Dies wird bereits in der Formulierung der ersten 166 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 76 Davidson weist hier auch auf die historischen Umstände und Probleme der damaligen Kirche hin, denn Geschwätz und Lärm während der Liturgie waren nicht selten. Ibid, S. 479. 77 In meiner Magisterarbeit von 2006 führe ich die Unterscheidung zwischen „linguisti‐ schem Ethos“ und „nicht linguistischem Ethos“ ein. Letzteres bezeichne ich hier auf‐ grund seiner Interdependenz von Sprache und Persönlichkeit präziser als „kommuni‐ katives Ethos“ (Vgl. dazu Andreas Gardt: ‚Referenz und kommunikatives Ethos‘, in: Steffen Pappert, Melani Schröter und Ulla Fix (Hg.): Verschlüsseln, Verbergen, Verdecken in öffentlicher und institutioneller Kommunikation. S. 15-30. Gemäß Aristoteles könnte es auch als „performatives Ethos“ (Rhetorik I, 2,4 und II, 1, 5), bzw. in Knapes Termino‐ logie als „produktives Image“ (S. 112ff.) bezeichnet werden. Joachim Knape: ‚Image, Prestige, Reputation und das Ethos in der aristotelischen Rhetorik‘, in: Birgit Christian‐ sen und Ulrich Thaler (Hg.): Ansehenssache. Formen von Prestige in Kulturen des Alter‐ tums. S. 105-128 und Was ist Rhetorik? S. 74f., S. 95-99. 78 Meinrad Böhl, Wolfgang Reinhard und Peter Walter (Hg.): Hermeneutik. Die Geschichte der abendländischen Textauslegung von der Antike bis zur Gegenwart. S. 74 und 155 f.; Gert Ueding und Bernd Steinbrink: Grundriss der Rhetorik: Geschichte, Technik, Me‐ thode. S. 70. Pflicht in off. I, 35 als Maßhalten im Reden („Primum igitur officium est loquendi modus“) und damit als Selbstzucht deutlich. Diese rhetorisch konnotierte Pflicht ist die Voraussetzung, um Gott zu preisen, ehrfürchtig die Schrift zu lesen und sich gegenüber den Eltern ehrerbietig zu verhalten. Für Ambrosius ist das un‐ angemessene Reden Sünde, und er tadelt den Menschen, der nicht zu schweigen versteht (siehe Kapitel 4.2). 76 Schweigen, Sittsamkeit und Sprechen sind kom‐ plementäre Kräfte in der Perlokution, Exegese, Homiletik und in der Lobprei‐ sung Gottes gemäß dem christlichen decorum. Ambrosius selbst ist in seiner Person ein Beispiel für die Verbindung von officium und christlichem decorum, weshalb ihn auch Augustinus in seinem Werk Confessiones (Bekenntnisse) V, 13, 23 „als eine[n] der Besten“ bezeichnet. Er war bekannt für seine rhetorisch ausgefeilten und angemessenen Reden und Predigten und erzielte mit seinem persönlichen, d. h. kommunikativem Ethos 77 als wirkmächtiger Bischof große Autorität in der Darlegung des christlich ver‐ standenen Pflichtkonzepts. Das klerikal verstandene officium, das in der Homiletik auch vier Arten der Auslegung der Bibel umfasst (historische Auslegung, Allegorie, Tropologie und Anagoge) 78 , wird durch die Klugheit (prudentia) des Priesters vorgegeben. Sie dient als rationale Instanz der Erkenntnis, welche die „scriptura docet“ (in Bezug auf Habsucht in off. II, 108). Die menschliche Klugheit als subjektive Rationalität lernt durch die Heilige Schrift, inwiefern das officium dasjenige ist, was sich ziemt und frommt (off. I, 26) und was decorum und honestum in der jeweiligen Situation vorgeben (off. II, 22). Dies lässt das officium primär zu einem christ‐ lichen und sekundär auch zu einem rhetorischen Sollen werden, das ebenso Teil 167 4.3 Die Gebotsorientierung des Decorum (officium als praeceptum) 79 Ivor J. Davidson: Ambrose. De officiis. Bd. 2, S. 472. einer vollkommenen Tugend und damit auch Sittlichkeit ist. Für das Telos eines tugendhaften und sittlichen Klerikers und Gläubigen bedarf es zum einen der Norm des von Gott gesetzten decorum generale bezüglich des Redens, des Schweigens und der Tat und zum anderen des officium, des frommen Handelns, das sich für den Christen besonders in der misericordia (Barmherzigkeit), libe‐ ralitas (Freigebigkeit/ Güte) und caritas (Liebe/ Nächstenliebe) zeigt. Für Am‐ brosius ergeben sich decorum und officium als Gebot des allmächtigen Vaters. Sie liegen sowohl inhaltlich, wie auch formal, der Ordnung von Kirche und Ge‐ sellschaft zugrunde. Die Gemeinschaft als christliche Einheit in Kirche und Ge‐ sellschaft muss sich auch als individuelle Verantwortung des einzelnen Gläu‐ bigen innerhalb eines großen Ganzen erweisen. Für Ambrosius stabilisieren in off. III, 19 die Einheit in Glauben und in der Liebe die menschliche und die kirchliche Gemeinschaft und schützen durch das christliche officium vor Miss‐ achtung der sozialen und christlichen Verantwortung. 4.4 Christliche Zielvorstellung (decorum und vita aeterna) Ambrosius’ christliche Definition des decorum ist nicht ohne seine originelle Exegese der Heiligen Schrift, die den meisten seiner Werke als Fundament dient, und nicht ohne die Inblicknahme seines Gesamtbildes des Christen, der zum ewigen Leben (vita aeterna) bei Gott geschaffen ist, zu verstehen. Und so stellt sich die Frage nach der rhetorischen Funktion und Stellung des decorum inner‐ halb seiner Konzeption von Sittsamkeit und christlichem Telos. Wie in den vorherigen Kapiteln gezeigt wurde, ist das decorum zunächst als rhetorische, dann auch als christliche Norm einer klerikalen Elite bei Ambrosius mit verecundia, lex silentii und officium als praeceptum eng verwoben. Um das eigentliche proprium bei Ambrosius zu bestimmen, muss die Mikroebene von christlichen Tugenden und Vorschriften verlassen und die Makroebene des ambrosianischen Gesamtkonzeptes betrachtet werden: Erst durch das ewige Leben (vita aeterna) als christliches Telos erhält das ambrosianische decorum seine endgültige und spezifische Bestimmung in De officiis ministrorum. Im Unterschied zu Ciceros situativer Verankerung des rhetorischen de‐ corum, werden bei Ambrosius in off. I, 28 nicht nur das decorum, sondern auch das honestum und die utilitas mit Blick auf das Zukünftige gemessen. Da‐ vidson 79 bezeichnet die vita aeterna als den eschatologischen Referenzpunkt in der Ethik des Ambrosius’ und benennt damit den zentralen Punkt des ambro‐ 168 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 80 Siehe dazu oben Kapitel 3.5. 81 Ambrosius: Über den Tod seines Bruders Satyrus. II, 16. 82 Ambrosius: Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand Pflichtenlehre und aus‐ gewählte kleinere Schriften. Übers. v. Johannes Ev. Niederhuber. II, 7: „Habet ergo uitam aeternam fides quia fundamentum est bonum, habent et bona facta quia uir iustus et dictis et rebus probatur. Nam si exercitatus sit in sermonibus et desidiosus in operibus, prudentiam suam factis repellit; [...] Ibi ergo plenitudo praemii, ubi uirtutum perfectio et quaedam in factis atque dictis aequalitas sobrietatis.“ sianischen decorum-Begriffs. Während Rhetorik situativ geprägt und bei Cicero auf das Jetzt beschränkt ist, dehnt sich ihr Bezugsrahmen bei Ambrosius ins Zukünftige des ewigen Lebens aus. Das ambrosianische decorum als Norm des Redens, Schweigens und Handelns empfiehlt den Menschen für die vita ae‐ terna. Damit ist das decorum nicht mehr nur situativ bestimmt und inhaltlich flexibel 80 , sondern ins Jenseits ausgedehnt und inhaltlich an der Zielsetzung der vita aeterna orientiert. Dem Menschen winkt im Diesseits zwar der Lohn (merces) eines glücklichen Lebens (vita beata), doch im jenseitigen Himmelreich Gottes allein ist die vollkommene Vergeltung (remuneratio) als ewiges Leben (vita aeterna) möglich. Nach diesem Menschenbild verankert Ambrosius das vollkommene und wahrhafte Sein des Menschen nicht im Zustand des Glückes, das im Hier und Jetzt erlangt und gelebt wird, sondern in einem inneren Zustand der Glückseligkeit, der Liebe und des Glaubens, der ihm die himmlischen Tore des Paradieses öffnet und ihn zum ewigen Leben geleitet. 81 Die ontologische Betrachtungsweise des Menschen umfasst bei Ambrosius auch das Äußere, Ma‐ terielle und Stoffliche, das sich in materiellen Gütern wie Reichtum oder der körperlichen Gesundheit des Menschen zeigt, doch vor allem das Innere, die Seele und das Unsichtbare/ Immaterielle: Was den Menschen ausmacht, ist in erster Linie seine Seele, seine psychische und emotionale Kraft und seine innere Beziehung zu sich selbst. Was den Menschen als individuellen Menschen und Christen kennzeichnet, ist seine innere Verfasstheit, es sind nicht seine äußeren Attribute. Um dem vollen christlichen Potential des Menschen gerecht zu werden, be‐ darf es nach Ambrosius der passgenauen Abstimmung von Rhetorik und Praxis: Der Glaube besitzt das ewige Leben: er ist dessen gute Grundlage. Aber auch die guten Werke besitzen es. In Wort und Tat zugleich bewährt sich nämlich der Gerechte. Denn wenn er nur im Reden bewandert, in Werken aber lässig ist, straft das Tun seine Ein‐ sicht Lügen [...]. [...] Dort also winkt der volle Lohn, wo vollendete Tugend herrscht und vernünftiges Handeln mit vernünftigem Reden gleichsam gleichen Schritt hält. 82 Die perfekte Tugend zeigt sich nach Ambrosius in der angemessenen Abstim‐ mung von vernünftigem Handeln und Reden. Zur theoretischen Erkenntnis und 169 4.4 Christliche Zielvorstellung (decorum und vita aeterna) 83 Während Ewald (Der Einfluss der stoisch-ciceronischen Moral auf die Darstellung der Ethik bei Ambrosius. S. 27f.) die Verbindung von decorum und honestum mit aeternum als Ausdruck eines Unbedingten oder eines Urteils Gottes klassifiziert, kritisiert Da‐ vidson (Ambrose. De officiis. Bd. 2, S. 814) die Skizzierung von philosophischem Voka‐ bular an dieser Stelle als künstlich. subjektiven Disposition eines Menschen muss die praktische Umsetzung des als richtig Erkannten hinzukommen. Als Voraussetzungen für das ewige Leben dienen folglich fides und bona facta, die sich fortwährend in Rhetorik und Praxis eines Individuums zeigen müssen. Obwohl Ambrosius an dieser Stelle von „ple‐ nitudo praemii“ des gerechten Menschen („vir iustus“) spricht, die eine Konno‐ tation mit vita beata beinhaltet, ist sein Fokus dennoch weiter, nämlich auf die Endstufe der vita aeterna und des perfekten Weisen als vollkommenem Christen gerichtet. In der Sekundärliteratur, so bei Sauer (Studien zur Pflichtenlehre des Ambrosius von Mailand, S. 37), J. T. Muckle (‚The De Officiis Ministrorum of Saint Ambrose‘, S. 73) und vorsichtiger bei Ewald (Der Einfluss der stoisch-ciceronischen Moral auf die Darstellung der Ethik bei Ambrosius, S. 26 und 28), wird von einer synonymen Verwendungsweise von vita beata und vita aeterna bei Ambrosius ausgegangen, was aus meiner Sicht auf eine gewisse Nachlässigkeit des Ambrosius in der Formulierung zurückzuführen ist, bei gleichzeitiger Strin‐ genz im Konzept, also nicht als absolute inhaltliche Gleichsetzung von vita beata und vita aeterna zu verstehen ist. Im christlich verstandenen Telos des Menschen verbindet sich die rhetorische Urnorm des decorum mit der christlichen Norm der verecundia. Das Denken und Handeln des vollkommenen Weisen (off. III, 12) wird vom decorum und honestum bestimmt. Er achtet auf den Nutzen für die Allgemeinheit und sein ganzes menschliches Sein zielt in letzter Instanz auf das Ewige (aeternum). 83 Zur genaueren Beschreibung der vita aeterna bei Ambrosius muss zunächst die vom Stoischen ins Christliche transponierte vita aeterna und vita beata in off. und ergänzend in De Jacob et vita beata untersucht werden. Dann kann der Frage nachgegangen werden, inwiefern sich vita beata und vita aeterna bei Ambrosius unterscheiden und welche Implikationen sich auffinden lassen. Die kategoriale Unterscheidung von vita beata und vita aeterna lässt sich zu‐ rückführen auf die Trennung von klassischer Philosophie und christlicher Theo‐ logie, wie Muckle bereits 1939 in seinem Artikel ‚The De Officiis Ministrorum of Saint Ambrose‘ über die inhaltliche Nähe und ideelle Trennlinie zwischen stoischer Ethik und den Maximen des Evangeliums eindrücklich vor Augen führt. Zwar ist eine inhaltliche Nähe auf den ersten Blick wahrnehmbar, so bei‐ spielsweise in der Absage an die Leidenschaften, doch ist das Konzept von vita beata und vita aeterna ein unterschiedliches, insofern, als die Stoa zwar auch 170 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 84 J. T. Muckle: ‚The De Officiis Ministrorum of Saint Ambrose‘, in: Mediaeval Studies, Bd. 1, 1939, S. 70. 85 Ambrosius’ hervorgehobene Bedeutung von vita beata als Gewissen und Unschuld in off. II, 1/ II, 8-9/ II, 19. 86 Ivor J. Davidson: Ambrose. De officiis. Bd. 2, S. 707. Davidson geht auf diese nicht ganz eindeutige Zuordnung ein und ordnet die Sekundärliteratur entsprechend der jewei‐ ligen Zuordnung. 87 Ambrosius: Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand Pflichtenlehre und ausgewählte kleinere Schriften. Übers. v. Johannes Ev. Niederhuber. II, 19. nach einem summum bonum sucht, dieses aber durch die Tugend erreicht sieht, während in der christlichen Theologie als höchstes erstrebenswertes Ziel die vita aeterna als vollkommene Verfassung der menschlichen Seele für und mit Gott formuliert wird. Der Ausdruck „vita beata“ ist primär ein Terminus der Stoa und bezeichnet ursprünglich ein ruhiges und naturgemäßes Leben, frei vom Zwang irrationaler Leidenschaften (ἀπάθεια). Doch erfuhr diese eher neutrale Definition der Sto‐ iker in christlicher Sprache eine deutliche Aufwertung, da „beatus“ im AT für die Gnade, Liebe und den Segen Gottes und im NT für den Segen und das Him‐ melreich verwendet wird. 84 Ambrosius’ definiert in Anlehnung an die Bibel in off. II, 8 „beatus“ als „frei von Sünde, unschuldig und voll Gnade Gottes“ und in off. II, 14 als „für Gott und andere reich sein“, doch subsumiert er das ruhige Gewissen des Menschen („tranquillitas conscientiae“) und die sichere Unschuld („securitas innocentiae“) unter sein christliches Verständnis von vita beata. 85 Qua Tugend als „solum et summum bonum“ wird in off. II, 18 ein seliges Leben (vita beata) auf Erden garantiert, aber als Konsequenz ist virtus auch Voraus‐ setzung für das ewige Leben (vita aeterna) bei Gott. Wird also die Tugend als höchstes Gut und Voraussetzung für ein seliges Leben angesehen, so kann der Mensch über das selige Leben auf Erden das ewige Leben erreichen. Wie genau allerdings vita beata, vita aeterna und virtus zueinanderstehen, ist in besagter Textstelle, rein grammatikalisch gesehen, ambivalent. Das lateinische Relativ‐ pronomen „per quam“ bezieht sich auf jeden Fall auf ein vorhergehendes weib‐ liches Nomen, könnte sich also theoretisch sowohl auf „virtute sola“, als auch auf „vitam beatam“ beziehen. Grammatikalisch näherliegend wäre der Bezug auf vita beata, da sich grundsätzlich das Relativpronomen auf das zunächst vor‐ hergehende Nomen, das im Genus und Numerus identisch ist, richtet. 86 Es zeigt sich somit, dass das selige Leben eine erste Stufe der menschlichen Entwicklung darstellt. Das selige Leben besteht nicht in einem zwar für Krankheiten und Schmerz anfälligen, doch insgesamt gesunden Zustand des Leibes, sondern in „der Tiefe der Weisheit, in der süßen Ruhe des Gewissens, im Hochgefühl der Tugend.“ 87 Hat der Mensch sapientia, conscientia und virtus 171 4.4 Christliche Zielvorstellung (decorum und vita aeterna) 88 Ibid, II, 3. errungen, ist es ihm trotz gebrechlichem Körper möglich, sich von der physi‐ schen Ebene zu lösen und zum Sieger über das Leiden zu werden insofern, als das Leid das Innere des Menschen nicht angreift. Die ambrosianische vita beata stellt sich in off. als ein Leben der Tugend und Ratio dar, wodurch Schmerz und Leid, christlich gesehen als Prüfsteine für ein seliges Leben ge‐ deutet werden. So kann sich auch ein schwacher Charakter zu einem Helden steigern. (Dem mag wohl Ambrosius’ Annahme in off. II, 9 und II, 19 zu‐ grunde liegen, dass der Mensch sich weniger in Gesundheit, Reichtum, Ruhm und Glück vervollkommnen wird, als vielmehr, wenn er sich durch inneren Druck des Gewissens und durch psychische Schmerzen dazu gezwungen sieht.) Eine auf diese Art hart erkämpfte vita beata macht den Menschen stark und bereitet ihn auf die vita aeterna im Reich Gottes vor. Während die vita beata in off. II, 2 lediglich der Schatten des Zukünftigen ist und ihren Sitz in der Gegenwart und in der Liebe (De Jacob et vita beata I, 27) hat, ist die vita aeterna im Zukünftigen, bei Gott zu finden. Obwohl Ambrosius in off. II, 1 von einer synonymen Verwendung von „vita beata“ und „vita ae‐ terna“ ausgeht - beides wird in der Bibel als ewiges Leben verstanden - sind doch andererseits Trennlinien in Ambrosius’ Konzept von vita beata und vita aeterna spürbar, wenn diese auch insgesamt durchlässig sind. So ist das Streben nach einem Leben ohne Sünde (als vita beata) und Reue über begangene Sünden Voraussetzung, damit Gott diese Sünden im ewigen Leben vergeben kann. In off. I, 150 bezeichnet Ambrosius die vita aeterna als den gerechten Lohn für gute Taten und Barmherzigkeit anderen Menschen gegenüber. Jedoch ist der Lohn keine Vergütung für christliches Benehmen im Diesseits, sondern eine Gnade von Gott, die im Jenseits auf den Gläubigen wartet und ihm nach dem Tod das wahre Leben als vita aeterna zuteil werden lässt. Das selige Leben geht in das ewige Leben über, das jedoch nur von Gott als dem „Urheber der Ewigkeit“ (off. II, 3) verliehen wird: So nannte denn die Schrift das selige Leben deutlich genug das ewige Leben: es sollte seine Würdigung nicht menschlichen Auffassungen überlassen, sondern dem gött‐ lichen Urteil unterstellt werden. 88 Gott als allmächtiger Schöpfer der Welt ist auch der Gnadenspender des ewigen Lebens. Doch dieses kann in off. II, 5 nur derjenige erreichen, dessen christliche Vervollkommnung sich in der Erkenntnis von Gott und Jesus Christus zeigt. Der Mensch, „der im Gesetze unterrichtet ist und an den göttlichen Geboten seine 172 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 89 Ibid, II, 6. 90 Notker Füglister: Art. ‚Glaube‘, in: Matthias Stubhann (Hg.): Die Bibel von A-Z. Das aktuelle Lexikon zur Bibel. S. 245f. „[E]ine durchgängig verifizierbare Definition des „Begriffs“ Glauben zu versuchen“, ist ein schwieriges Unterfangen, wie der Art. ‚Glaube‘ von Günter Lanczkowski und Reinhard Slenczka, in: Theologische Realenzyklopädie. Bd. XIII, S. 275-365 detailliert zeigt. Ähnlich Andreas Grünschloß und Heiko Schulz: Art. ‚Glaube‘, in: Religion in Geschichte und Gegenwart. Bd. 3, Sp. 940-946. 91 Matthias Stubhann: Art. ‚Gnade‘, in: Matthias Stubhann (Hg.): Die Bibel von A-Z. Das aktuelle Lexikon zur Bibel. S. 247f. Lust hat“ 89 , zeichnet sich durch Gerechtigkeit und Barmherzigkeit den Armen gegenüber aus und wird das ewige Leben erlangen. Unabdingbare Voraussetzung für die Gewährung des ewigen Lebens ist der Glaube des Menschen, dann kommt die Gnade durch Gott hinzu. Während die Termini „Glaube“ und „Gnade“ biblische Sprache sind, ist der Begriff „Glück“ so nicht in der Bibel zu finden, wird aber in den biblischen Geschichten als ein Zustand vollkommen gelungenen Lebens und als Frieden im Inneren eines Menschen deutlich. Glaube (gr. πίστις) bedeutet im AT eine „radikale Übereig‐ nung des Menschen an Gott“ und im NT ein Sich-Verlassen auf die Treue Gottes und die Einswerdung von Mensch und Gott im Glauben und Erkennen. 90 Der christliche Glaube ist eine willentliche Entscheidung des Menschen für eine in‐ nere Verbindung mit Gott, die im Credo als Teil der Eucharistiefeier stets neu bekannt und bestätigt wird. Gnade hingegen ist Gottes Beitrag zur Verbindung mit den Menschen und wird im NT (gr. χάρις und lat. gratia) in Christus und dem heiligen Geist dem Menschen zu einem unverdienten Geschenk. 91 Die Gnade steht für die Entscheidung Gottes und wird als unverdiente Gabe, da nicht verhandelbar oder tauschbar, dem Menschen gewährt. Die christliche Überzeugung von der unverdienten Gnade Gottes für den Menschen ist als solche in den großen christlichen Konfessionen der Katholiken, der Lutheraner und der Reformierten zu finden, doch gibt es Unterschiede in der Perspektive bezüglich des Prozesses der Begnadigung des Menschen. Für die katholische Kirche ist die Gnade Gottes ein Mittel, um den Urkonflikt mit Adam zu überwinden und dem Menschen dadurch wieder einen Weg ins Para‐ dies zu ermöglichen. Die Gnade wird dem Menschen von Gott frei gewährt, doch vermittelt wird sie ihm auch durch die Sakramente, vor allem auch durch die Buße. Doch diese tritt nur in Kraft, wenn der Mensch an Gott glaubt, Reue zeigt und dementsprechend gut handelt. Es ist ein freier Willensakt Gottes und von der Seite des Menschen notwendig, damit die Gnade wirken kann. Luther lehnt jede Art von Werkgerechtigkeit ab, denn der Menschen kann grundsätzlich nicht vor Gott bestehen. Der Mensch kann sich aber direkt an Gott wenden und um Vergebung seiner Sünden bitten. Er bedarf keiner Vermitt‐ 173 4.4 Christliche Zielvorstellung (decorum und vita aeterna) 92 Ambroise de Milan: Jacob et la Vie heureuse. Jacob und das glückliche Leben. I, 3, 10. 93 Ibid, II, 6, 29: „Die innere Ruhe zu (er-)kennen und im Einklang mit sich selbst zu sein“. lungsinstanz, beispielsweise der Kirche. Die Gnade Gottes ist nach Luther weder erzwingbar, noch durch gute Werke (wie im Katholizismus) zu erreichen. Calvins Prädestinationslehre wiederum negiert den freien Willen des Men‐ schen, denn gemäß Calvin kann die Gnade nicht durch menschliches Wirken ausgelöst, aber wenn einmal gewährt, auch nicht ausgeschlagen werden. Die Gründe, warum Gott einen Menschen begnadigt, sind nicht einsichtig und un‐ terliegen seinem Willen allein. Menschliche Einflussnahme ist nicht möglich, denn ob Gott die Seele eines Menschen verdammt oder begnadigt, ist vorher‐ bestimmt. In dieser Lehre sind die Unbedingtheit Gottes und die Vorbestimmt‐ heit des seelischen Schicksals eines Menschen unabhängig von dessen Wirken und Bereuen. Es herrscht eine gewisse Ungleichheit in der ewigen Wahl (electio aeterna) Gottes, denn manche Menschen können zwar begnadigt, aber andere dafür verdammt werden. Diese doppelte Prädestination besagt, dass Menschen zum Bösen oder Guten vorherbestimmt sind. Für Ambrosius ist die Werkgerechtigkeit eine probate Möglichkeit, um trotz begangener Sünden noch die Chance auf ein ewiges Leben bei Gott zu haben. Des Menschen Sein ist für Ambrosius stets neu im Entstehen und nichts Sta‐ tisches, was sich anhand seines Werkes De Jacob et vita beata und dem darin vorgestellten seelischen Entwicklungspotential des Menschen zeigen lässt. So ist es nicht das tatsächliche Handeln des Menschen an sich, was ihn sündigen lässt, sondern die Disposition seiner Seele ist der Urheber der Sünde. 92 Ist die Seele tugendvoll, dann wird auch der freie Wille den Menschen zu tugendhaftem Verhalten anleiten. In Analogie zu den Stoikern ist Ambrosius in De Jacob et vita beata I, 1 der Meinung, dass ein tugendhafter Weg jegliche Leidenschaften unterdrückt. Ein perfektes Leben ist ein Leben der Ratio, die sich, im ganzen Sein des Menschen verwurzelt, in seiner Verfasstheit und seiner natürlichen Anlage, und auch in seinen konkreten Handlungen zeigt. Ein großes Gut ist es: „de connaître la tran‐ quillité intérieure et d’ être en accord avec soi-même.“ 93 Der Mensch ist demnach idealiter ein ausbalanciertes Individuum, das über innere Seelenruhe verfügt und mit sich selbst im Reinen ist. Zeigt ein Mensch diese Art perfekter Tugend in seinem irdischen Leben und vereint in sich den Glauben und die Erkenntnis von Gott und Jesus Christus, kann er von der vita beata in die vita aeterna aufsteigen. Die Beziehung zwischen vita beata und vita aeterna ist bei Ambrosius nur in den Anfängen des zweiten Buches von off. scheinbar synonym angelegt, jedoch ist sie in der Gesamtperspektive eher als eine Beziehung von sukzessiven 174 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 94 Bezüglich der stufenweisen Perfektion der Seele und endgültigen Christwerdung des Menschen durch das Wort Gottes und Jesus Christus siehe Ambrosius von Mailand: De Isaac vel anima. Über Isaak oder die Seele. 6, 50-53. und kohärenten Daseinsformen zu bestimmen. Die vita beata ist Teil der vita aeterna in einer ersten Daseinsstufe und damit Voraussetzung für die letzte und ewige Daseinsform eines Christen. Sie ist eine seelische Vorbereitung des Men‐ schen auf die vita aeterna im Reiche Gottes, die den Menschen stark werden lässt. Die vita aeterna jedoch ist bereits in ihrer Vorstufe der vita beata präsent und stellt die höchste Stufe der seelischen und christlichen Entwicklung eines Menschen dar, die ihn mit Gott und seinem Reich endgültig verbindet. 94 Die vita aeterna als höchste Entwicklungsstufe eines Christen ist der Lohn für die Arbeit des Menschen, die er an sich selbst verrichtet und ist spiritueller Ansporn für seine psychische Ausrichtung. Ambrosius sieht jedoch sein Buch als christliches Erziehungsbuch und bedient sich deshalb folgerichtig rhetorischer Mittel zur bildlichen Vorstellung und Einprägung. In off. I, 238 zeigt Ambrosius anhand der biblischen Figur Davids das ideale Verfasstsein eines Christen, der für den Erwerb der vita aeterna befähigt ist. David wird als vollkommener Mensch, der dennoch nach stetiger Vervollkomm‐ nung strebt, dargestellt. Er dient als exemplum, das seine Glaubwürdigkeit aus der auctoritas der historischen Person und der rhetorischen Zeichnung durch Ambrosius in off. erhält. Dadurch, dass David sich seiner eigenen Unzuläng‐ lichkeit bewusst ist und im Bewusstsein seiner ungenügenden Erkenntnis Zweifel an seiner Eignung für das ewige Leben hegt (Gedankenfigur der dubi‐ tatio), wird sein Ethos als vollkommener Gläubiger vollendet. In den vorher‐ gehenden Paragraphen (off. I, 233-237) teilt Ambrosius die Menschen in drei Klassen ein: - schwache Menschen (fühlen Schmerz und vergelten Angriffe): infirmus - fortschreitende Menschen (erwidern die Schmach nicht und schweigen): profectus - vollkommene Menschen (segnen den Schmähenden): perfectus Obwohl David gemäß Ambrosius’ Einteilung der Menschen bereits im irdischen Leben die höchste Stufe erklommen hat, ist er sich seiner Bedürftigkeit bewusst und erniedrigt sich. Aufgrund seines moralischen Entwicklungsprozesses nimmt David eine pro‐ minente Stellung ein; dies zeigt sich besonders in Ambrosius’ Bewertung der Auseinandersetzung Davids mit dem Sohn des Semeis in off. I, 21. Denn obwohl David nur schwieg und seinen Verleumder eben nicht segnete, wie er dies gemäß 175 4.4 Christliche Zielvorstellung (decorum und vita aeterna) 95 So auch Ivor J. Davidson: Ambrose. De officiis. Bd. 2, S. 659. 96 Joachim Knape: Was ist Rhetorik? S. 58f.: Kognitive Widerstände sind Reaktionen des Rezipienten im Denken und Fühlen, die dem Gesagten des Redners widersprechen. So kann die Verbindung von seligem Leben und Schmerz nicht automatisch von jedem Rezipienten kognitiv vorausgesetzt und nachvollzogen werden. 97 Siehe hierzu Peter L. Oesterreich: ‚Thesen zum homo rhetoricus und zur Neugestaltung der Philosophie im 21. Jahrhundert‘, in: Rhetorica: A Journal of the History of Rhetoric, Bd. 20, S. 289-298. Franz-Hubert Robling: ‚Hypostasierte Anthropologie: fünf kritische Thesen zum Homo rhetoricus Oesterreichs‘, in: Rhetorische Anthropologie: Studien zum Homo rhetoricus. Hg. v. Josef Kopperschmidt, S. 371-382 und Joachim Knape: Was ist Rhetorik? S. 64f. und 78 f. der dritten Stufe hätte tun müssen 95 , zeichnet Ambrosius David in off. I, 236 dennoch als vollkommenen Menschen und stellt ihn sogar auf eine Stufe mit Paulus (Beweisart der amplificatio: comparatio). Auch mögliche kognitive Widerstände 96 werden in das Konzept des seligen Lebens mit eingebunden und damit entkräftet. Schmerz und Leiden werden in off. II, 9 nicht als ein Widerspruch oder Gegensatz zur vita beata dargestellt, sondern als ein wichtiger Bestandteil und sogar als Notwendigkeit betrachtet, denn in Schmerz und Leiden bekundet sich - so Ambrosius - gerade umso mehr das selige Leben. Je besser der Mensch mit allem Negativen der Welt zurecht‐ komme und darin noch frohlocken könne, um so größer werde sein Lohn des ewigen Lebens sein. Wie die Propheten, die verfolgt worden seien, so müsse jeder Mensch sein Kreuz annehmen und Christus in würdevoller Annahme des Kreuzes nachfolgen. In dieser Argumentationsreihe nimmt Ambrosius jegliche Kritik vorweg und wandelt das Gegenargument „ein seliges Leben schließt Schmerz aus“ in ein starkes Argument für sein Konzept des seligen und ewigen Lebens um, dessen Lohn im Dies- und auch im Jenseits greift. Die menschlichen Prüfsteine im Leben wie Schmerz und Leiden werden nicht negiert, sondern als notwendig für die seelische Erstarkung des Menschen erachtet. In bewusster Nutzung des Adres‐ satenkalküls verbindet er scheinbare Gegensätze wie „selig“ und „schmerzvoll“ und weckt dadurch die Aufmerksamkeit des Adressaten. Als exempla werden in off. II, 20 Isaak, Jakob, Joseph, David oder Job angeführt, die aufgrund von harten Prüfungen zur Seligkeit gelangten, sich von schwachen Menschen zu Helden entwickelten. Mit einer Abfolge rhetorischer, sich sukzessive steigernder Fragen deckt Ambrosius jeglichen Einwand zu. Wer ist nach einem solchen rhetori‐ schen Feuerwerk noch in der Lage, diesen großen Männern ihren Wert abzu‐ sprechen? Nicht der Mensch als homo rhetoricus  97 und auch nicht als homo christus urteilt über den Menschen und seine Seele, sondern Gott allein ist Richter über 176 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 98 Ambrosius: Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand Pflichtenlehre und aus‐ gewählte kleinere Schriften. Übers. v. Johannes Ev. Niederhuber. II, 7. 99 Der seelische Aufstieg nach oben impliziert als Metapher schon das Positive per se. Siehe dazu: George Lakoff und Mark Johnson: Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern. S. 22-30. Dietmar Till: ‚Was ist ‚Kognitive Rhetorik‘? ‘ (Vortrag auf den Salzburg-Tübinger Rhetorikgesprächen am 2. Mai 2008), unter: http: / / edocs.ub.uni-frankfurt.de/ volltexte/ 2008/ 11623/ ; last access: 28. 11. 2012, S. 3. 100 Ambrosius: De Isaac vel anima. Über Isaak oder die Seele. 8, 78. des Menschen Wort und Tat und alleiniger „Urheber der Ewigkeit“ (off. II, 3). Er alleine bewertet, ob der Mensch zum ewigen Leben kommt und er führt ihn in die vita aeterna. In der ambrosianischen Beweisführung findet eine amplificatio statt: Das endgültige Urteil wartet als etwas Unentrinnbares bei Gott und im Jenseits. Auf diesem Glaubenshintergrund sind Reden, Sprechen und Handeln eins: „Der Glaube besitzt das ewige Leben: er ist dessen gute Grundlage. Aber auch die guten Werke besitzen es. In Wort und Tat zugleich bewährt sich nämlich der Gerechte.“ 98 Das Reden, das sich an ratio, Tugend und decorum orientiert, wird so zu einer der drei Säulen der vita aeterna: fides, bona facta und bene dicere. Welches Fazit lässt sich demnach ziehen? Ambrosius betrachtet die Rhe‐ torik als Ausdruck der seelischen Verfassung eines Menschen und als will‐ kommenes Instrument, um den vollen Lohn des ewigen Lebens zu erreichen, wenn sie nach dem christlichen decorum ausgerichtet ist. An sich ist sie neu‐ tral; ob sie als Mittel zum Guten oder Bösen auf der Welt eingesetzt wird, hängt von der Verfassung des Menschen, dem die Möglichkeit des seelischen Aufstieges 99 gewährt wird, ab. So nehmen wir uns also diese Flügel, die uns wie Flammen zu den höheren Re‐ gionen lenken. Ein jeder ziehe seiner Seele ihre schmutzigen Hüllen aus und er‐ probe sie, von Schmutz gesäubert, wie Gold im Feuer. Denn so wird die Seele wie feinstes Gold gereinigt. 100 4.5 Ambrosius’ Auffassung von Rhetorik Rekapitulierend stellen wir fest, dass Ambrosius das decorum als christliche Norm göttlicher Provenienz absolut setzt und eine erste Umfunktionalisierung von decorum nach Cicero vornimmt, indem er verecundia (als Vorbedingung des ambrosianischen decorum), lex silentii (als die verborgene Seite des ambrosia‐ nischen decorum) und das officium als praeceptum (als christlicher Gebotska‐ talog) dem decorum zuordnet. 177 4.5 Ambrosius’ Auffassung von Rhetorik 101 James J. Murphy: ‚Augustinus und die Debatte über eine christliche Rhetorik‘, in: Josef Kopperschmidt (Hg.): Rhetorik. Bd. 2, S. 78. 102 Dietmar Till: Transformationen der Rhetorik. S. 112f./ 120ff. und Art. ‚Rhetorik‘, in: His‐ torisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 7, Sp. 1588 und Franz Eybl, Dieter Gutzen, Gert Otto und Martin Ottmers: Art. ‚Christliche Rhetorik‘, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 2, Sp. 197. 103 Joachim Knape: ‚Rhetorik und Predigt. Wie viel Rhetorik braucht die Predigt? ‘, in: Mi‐ chael Meyer-Blanck, Jörg Seip und Bernhard Spielberg (Hg.): Homiletische Präsenz. Pre‐ digt und Rhetorik. S. 37. 104 Siehe Augustinus’ De doctrina Christiana, welche als „die letzte antike und die erste kirchliche Rhetorik“ gilt. Franz Eybl, Dieter Gutzen, Gert Otto und Martin Ottmers: Art. ‚Christliche Rhetorik‘, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 2, Sp. 202. Abb. 3: Das christliche Leben nach Ambrosius Nun bliebe abschließend noch zu untersuchen, welche Rolle die Rhetorik als Disziplin für Ambrosius spielt, ob sie als eine Grundlagenwissenschaft oder bloße Vermittlungswissenschaft gesehen wird: „Hieronymus und Ambrosius waren zwar offenkundig irgendwie gewillt, der Rhetorik einen Platz in der Ele‐ mentarausbildung zuzubilligen, jedoch unentschlossen, bis zu welchem Umfang sie anderswo zugelassen werden sollte.“ 101 Zur Zeit des Ambrosius sah sich die weltliche Rhetorik einer andauernden Kritik 102 ausgesetzt. Sie wurde als Eloquenzrhetorik verdächtigt, als Mittel der Täuschung bar ethischen Inhalts. Dieser Tadel verkennt jedoch, dass der Rhe‐ torik genuin ethische Kriterien wie das der Angemessenheit (durch das aptum/ decorum) oder in unserer Zeit das Aufrichtigkeitspostulat zugrunde liegen, ohne die ein persuasiver Prozess heute wie damals schwer möglich ist. 103 Ihre theo‐ logische Legitimität musste sie allerdings erst noch begründen und dann ver‐ teidigen. 104 178 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 105 Joachim Knape: ‚Rhetorik und Predigt. Wie viel Rhetorik braucht die Predigt? ‘, in: Mi‐ chael Meyer-Blanck, Jörg Seip und Bernhard Spielberg (Hg.): Homiletische Präsenz. Pre‐ digt und Rhetorik. S. 35. und James J. Murphy: ‚Augustinus und die Debatte über eine christliche Rhetorik‘, in: Josef Kopperschmidt (Hg.): Rhetorik. Bd. 2, S. 68 und 72. 106 Dietmar Till: Das doppelte Erhabene. S. 58. 107 „Textur“ und „Medium“ sollten hier terminologisch scharf abgegrenzt werden; eine Predigt ist ein Text oder eine Rede, doch kein Medium aus rhetoriktheoretischer Sicht. 108 Ernst Dassmann: Ambrosius von Mailand. Leben und Werk. S. 145. 109 Franz Eybl, Dieter Gutzen, Gert Otto und Martin Ottmers: Art. ‚Christliche Rhetorik‘, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 2, Sp. 201. 110 Martin Biermann: Die Leichenreden des Ambrosius von Mailand. S. 18. 111 Ambrosius: Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand Pflichtenlehre und aus‐ gewählte kleinere Schriften. Übers. v. Johannes Ev. Niederhuber. I, 103. Aus dem theologischen Blickwinkel ergibt sich ein stilistisches Schlichtheits‐ ideal in der sermo humilis-Tradition 105 , das sich dem inneren aptum verschreibt, um Inhalt und Form aufeinander angemessen abzustimmen. Für die materia der Bibel gilt ein grundsätzlich anderer Zugang, da die Gegenstände als „res semper magna“ (Augustinus: doctr. christ. IV, 18, 35), des elaborierten ornatus nicht be‐ dürfen, da sie an sich bereits bedeutend sind und somit keiner figürlichen Ge‐ staltung bedürfen: „Nicht der äußerliche ornatus (hier durch den Negativbegriff einer der simplicitas entgegengesetzten cura repräsentiert), sondern die christ‐ lichen Gegenstände (also die res) selbst reißen die Zuhörer mit und bewirken das movere“ 106 . Rede im Kontext „christlicher Rhetorik“ meint immer die Predigt, die damals „immerhin für die meisten Gläubigen das Medium 107 war, durch das sie mit dem Wort Gottes in Berührung kamen“ 108 und die wirksame Möglichkeit zu einer face-to-face Kommunikation bildete. In der Verbindung von Homiletik und Rhetorik wird die Doppelaufgabe der christlichen Predigt offenbar, die eine „große pädagogische und apologetische Aufgabe“ 109 ist. Dieser Aufgabe stellt sich Augustinus’ theoretische Schrift De doctrina Christiana. Augustinus unter‐ sucht darin en détail die Rhetorik im theologischen Kontext daraufhin, wie sie dem Christen von Nutzen sein kann (vgl. Kapitel 5.2 der vorliegenden Arbeit). Ambrosius hat keine theoretische Schrift über eine Rhetorik für Christen hin‐ terlassen, doch es lässt sich aus seinen Reflexionen in De officiis und in seinem Brief an den Bischof Constantius (ep. 36) eine bestimmte Rhetorikauffassung herausfiltern. 110 In seinem Werk De officiis I, 12 äußert Ambrosius Kritik, wenn eine Rede (sermo) einen zu üppigen Sprachstil und keine vernünftige Struktur habe. Auch Scherze seien in Reden fehl am Platz (indecorum), wenn sie vom eigentlichen Inhalt ablenken, obwohl er eine gewisse urbanitas (Esprit) und gratia (Liebreiz/ Anmut) in den Reden durchaus zu würdigen weiß. 111 Eine Eloquenzrhetorik, rein 179 4.5 Ambrosius’ Auffassung von Rhetorik 112 Ibid, I, 99 und 101. 113 Martin Biermann: Die Leichenreden des Ambrosius von Mailand. S. 19. 114 Karen Piepenbrink: Christliche Identität und Assimilation in der Spätantike. S. 375. 115 „Damit verbinde sich jedoch eine liebeswürdige Redeweise, um die Hörer für sich zu gewinnen und bei Angehörigen oder bei Mitbürgern oder womöglich bei allen den Eindruck des Gefälligen zu machen.“ Ambrosius: Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand Pflichtenlehre und ausgewählte kleinere Schriften. Übers. v. Johannes Ev. Niederhuber. I, 226 und Ambrosius: De officiis. cura et studio Mauritii Testard, S. 84. 116 Ähnlich Hans von Campenhausen: Ambrosius von Mailand als Kirchenpolitiker. S. 188. um der Zurschaustellung des rednerischen Könnens aber lehnt er ab, da sie mit der Norm des decorum bricht und eines christlichen Inhalts nicht würdig ist. 112 Ähnlich argumentiert auch Augustinus, der zwar den Nutzen einer dialektischen Annäherung an die Heilige Schrift betont (doctr. christ. II, 48), aber wie sein Vorgänger jegliche Prahlerei, Streitlust, Trugschlüsse und zu viel Wort‐ schmuck (ornatus) rigoros ablehnt. Die Tatsache, dass Lehrer der Beredsamkeit in sophistischer Manier Gehälter für ihre Dienste beziehen, kritisiert er ebenso, wie eine Rhetorik, die für Täuschung eingesetzt wird und nicht dazu, seine Mei‐ nung kundzutun und andere von dem als richtig Erkanntem zu überzeugen (doctr. christ. IV, 2/ IV, 5 und 9 und Conf. I, 16/ IX, 1). Die christliche Rede, d. h. die Predigt, ist auf die Verkündigung der göttlichen Offenbarung ausgerichtet (docere und delectare) 113 . Der Inhalt (Gottes Botschaft) wiegt schwerer als die Form der Verkündigung (Eloquenz). Dennoch weist Pie‐ penbrink zu Recht darauf hin, dass trotz aller Kritik „christlicher Wahrheitsan‐ spruch und rhetorisch kunstvolle Formulierungen durchaus keinen Gegensatz bilden müssen.“ 114 Denn Ambrosius und auch Augustinus nach ihm (doctr. christ. IV, 5 und 7) betonen den gewinnbringenden Nutzen einer Verbindung von Weisheit und Beredsamkeit. Eine solche christliche Rede wird als angenehm und heilbringend empfunden (doctr. christ. IV, 5) und gewinnt den Zuhörer: „Accedat tamen suauis sermo ut conciliet sibi adfectum audientium gratumque“ 115 . Mittel zur Bekehrung der Heiden sind Ambrosius die christliche Schicklichkeit (de‐ corum) als primum officium des Klerikers (off. I, 35), sowie die Lehre und die Predigt. 116 In diesem Kontext deutet sich eine persuasive Auffassung von Rhe‐ torik durchaus an, allerdings ist das von ihm bestimmte, rednerische Telos kein frei zu wählendes, sondern als Ziel, nämlich die Unterweisung in der Lehre der Heiligen Schrift, bereits vorgegeben. In seinem Brief an Bischof Constantius äußert sich Ambrosius - der schon zu seinen Lebzeiten als großer Prediger und wirkungsmächtiger Bischof von Mailand galt und in seiner Ausbildung die Schulrhetorik kennenlernte - zu der Frage, wie eine christliche Rede ausgestaltet sein müsse, was sie zum Inhalt haben solle und welches Telos sie verfolge. Es ist anzunehmen, dass Ambrosius 180 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 117 Ähnlich Fuhrmann bezüglich seines schriftstellerischen Werkes, das er als „Dokument eines Rezeptionsprozesses“ sieht, welches „den Niveauunterschied zwischen Ost und West [ausgleicht], den das 4. Jahrhundert mit sich gebracht hatte.“ Manfred Fuhrmann: Rom in der Spätantike. S. 184 und 186. 118 Ambrosius’ Rhetorik als „eine christliche Rhetorik des Schweigens“ zu bezeichnen, ist zwar legitim (vgl. hierzu Kapitel 4.2 der vorliegenden Arbeit), doch scheint mir die Einengung seiner Rhetorikkonzeption auf diese Bestimmung zu kurz zu greifen. Vgl. auch Heike Mayer: Art. ‚Schweigen‘, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 8, Sp. 692. 119 „Lass deine Rede sich selbst verteidigen, sozusagen mit ihren eigenen Waffen“. Mary Melchior Beyenka: Saint Ambrose Letters. S. 79. sich zwar an der antiken weltlichen Rhetorik orientiert und hiervon übernimmt, was ihm sinn- und würdevoll erscheint 117 , doch geht er auch eigene Wege, indem er die christlich bestimmte Ethik seiner Rhetorik vorsetzt und dabei das decorum als Norm göttlicher Provenienz absolut setzt. 118 In direkten Anreden (Abschnitt 5 und 7) wird offensichtlich, dass die Predigt flüssig, klar und deutlich sein muss und die Worte je nach Auditorium ange‐ messen gesetzt werden sollen. So darf die Rede auch ins movere abgleiten, wenn Überschreitungen und Fehlverhalten thematisiert werden, die zu einem schlechten Gewissen führen. Die Predigt soll den Zuhörern Ansporn sein, besser zu werden. Doch nicht von oben herab soll der Prediger sprechen, sondern seine Rede soll von Verständnis und Intelligenz zeugen, um so die Seelen und Herzen der Gemeinde erweichen und heilen zu können (Abschnitt 7). Kein unnützes Wort ist vonnöten, wenn eine Rede sich selbst verteidigt: „[L]et your sermon by itself protect itself, as it were, with its own weapons“ 119 . Sie soll von Aufrich‐ tigkeit und der Ausrichtung auf Gott geprägt sein (Abschnitt 17), denn die Auf‐ gabe des Bischofs ist es, die Menschen darin zu unterrichten, was gut ist, und sie zu guten Taten anleiten (Abschnitt 9). Die moralische Belehrung und Er‐ mahnung muss die Gemeinde erreichen und die Rede der Heterogenität des Auditoriums Rechnung tragen. Damit die Gemeinde dem Prediger folgt, soll er sich der Beredsamkeit bedienen, um die moralischen Argumente zu versüßen (Abschnitt 5). Als Telos einer Predigt nennt Ambrosius in Abschnitt 18 die Per‐ suasion zu Demut und Bescheidenheit. Es wird deutlich, dass Ambrosius’ Ausführungen nicht die Form rheto‐ risch-theoretischer Vorschriften haben, sondern eher plastisch-praktischer Natur sind. Auf das decorum kommt er an dieser Stelle nicht zu sprechen, obwohl er, wie oben gezeigt, die Notwendigkeit einer dem Publikum angemessenen Predigt betont. So ist verständlich, dass dieser Brief von Ambrosius an seinen Bischofskollegen von Nauroy als Ambrosius’ De doctrina Christiana bezeichnet 181 4.5 Ambrosius’ Auffassung von Rhetorik 120 Gérard Nauroy: Ambroise de Milan. Écriture et esthétique d’une exégèse pastorale. S. 275. 121 Siehe hierzu Kapitel 5.1 der vorliegenden Arbeit. 122 Joachim Knape: Was ist Rhetorik? S. 76. 123 James J. Murphy: ‚Augustinus und die Debatte über eine christliche Rhetorik‘, in: Josef Kopperschmidt (Hg.): Rhetorik. Bd. 2, S. 68. worden ist. 120 Denn Ambrosius’ Rhetorik ist mit dem Sein des Christen un‐ trennbar verbunden und wird als Notwendigkeit zur Verbindung des Menschen mit Gott und der Menschen untereinander charakterisiert. 121 Für Ambrosius ist die Rhetorik nicht autonom, denn Gott als Norm und die Heilige Schrift geben Richtlinien vor. Sie ist funktional, wenn sie mächtiges In‐ strument (ars bene dicendi) zur Vermittlung der göttlichen Offenbarung und Ausdruck der seelischen Verfassung des Redners ist. Da sie als Instrument neu‐ tral ist, denn sie kann zum Guten wie zum Bösen eingesetzt werden, muss maß‐ voll und vorsichtig mit ihr umgegangen werden. Ziel einer christlichen Rede ist nicht, den Zuhörer von einer je individuellen inneren Gewissheit (Zertum) 122 zu überzeugen, sondern ihn von der göttlichen Weisheit zu überzeugen und zu Demut und Bescheidenheit zu führen. Orator Prediger als Diener Gottes Zertum göttliche Offenbarung/ Weisheit Telos Demut/ Bescheidenheit Agon Konversion der Heiden zum Christentum Setting Kirche/ heterogene Gemeinde in face-to-face- Kommunikation Tab. 6: Eine christliche Rhetorik? Rhetorik ist nach Ambrosius ein basales Verfahren, um das Wort Gottes (verbum dei) zu erklären, zu verbreiten und zu schützen. Als solches hat die Rhetorik in der christlichen Praxis ihre Berechtigung, wenn sie nicht in sophistischer Ma‐ nier zum Selbstzweck verwendet wird. 123 Indem er die ciceronische Rhetorik‐ konzeption für den christlichen Kleriker adaptiert, ist diese eine Art „Grundla‐ genwissenschaft“ für Kleriker insofern, als sie für diese ein Existenzial ist, und zugleich ist sie eine notwendige Vermittlungswissenschaft für die christliche Kirche im Allgemeinen, für ihre Bibelexegese und ihren Kampf um die Verbrei‐ tung des Christentums im 4. Jahrhundert. 182 4 Das christliche Decorum bei Ambrosius in De Officiis ministrorum 1 Cicero: Orator. 10. 2 Ibid, 14-17. 5 Synthese: Wirkungs- und Gebotsorientierung 5.1 Der inhaltliche und biographische Konnex Ciceros De Officiis ist wohl dasjenige seiner Werke, das am nachdrück‐ lichsten auf Denker der folgenden Jahrhunderte gewirkt hat. Laut Voltaire (Questions sur l’Encyclopédie, par des amateurs IV, S. 111) und auch Friedrich dem Großen, der Christian Garve mit der Übersetzung ins Deutsche beauf‐ tragt hatte, ist es das Buch über Moral schlechthin. Seine Bedeutung besteht in der Latinisierung und Tradierung der altgriechischen Moralphilosophie, und es fand als Standardwerk antiker Ethik in der Folgezeit nicht nur Bewun‐ derer, sondern auch Nachahmer. Während Politik als Agon auf dem römischen Forum und im Senat das per‐ formative, aufgrund seiner Vielschichtigkeit wirkungsvolle Zentrum in Ciceros Leben zu sein scheint, sind Rhetorik und Philosophie Anker und Kraftzentrum seines geistigen Lebens. Im Orator, in De oratore, De inventione und in De officiis betont Cicero stets aufs Neue die Notwendigkeit, das von Sokrates vollzogene Schisma von Rhetorik und Philosophie zu überwinden, um zu einer wahren Rhetorik und dem Ideal eines orator perfectus zu gelangen. So bezeichnet er Platon nicht nur als den bedeutendsten Schriftsteller und Lehrer des Erkennens, sondern auch des Redens. 1 Die Philosophie wird als Voraussetzung für den voll‐ kommenen Redner gesehen. Sie liefert nicht nur Erkenntnisse über die mensch‐ liche Seele und das Leben, sondern auch über die methodische Untersuchung einer Sache. 2 Cicero sieht sich selbst im Orator, 12 eher als jemanden, der aus den Hallen der Akademie hervorgegangen ist, weniger als Absolvent der Rhe‐ torikschulen Roms. Dieser philosophisch-rhetorischen Fundierung und Aus‐ richtung bleibt er sein Leben lang treu, so auch, wenn er gegen Ende seines Lebens, in den Jahren 46-44 v. Chr., noch einmal philosophisch-schriftstellerisch tätig wird. Auf diesem Hintergrund ist sein Konzept des decorum, das er in De officiis präsentiert, als Zentrum seines Moralverständnisses zu verstehen. Das decorum ist der archimedische Punkt in De officiis, worin der ästhe‐ tische Aspekt durch den ornatus, der soziale Aspekt durch die humanitas und das officium und der ethische Aspekt durch das honestum in einem unauflös‐ 3 Cicero: Tusculanae disputationes. V, 5. 4 Ähnlich Manfred Fuhrmann: Cicero und die römische Republik: eine Biographie. S. 217. baren und ausbalancierten Konstrukt menschlicher Handlungsmöglichkeiten verbunden sind (Abb. 2). Während in seinen frühen Schriften wie in De in‐ ventione sein Interesse vor allem im Nutzen der Philosophie (Erkenntnis der Wahrheit) und der Rhetorik („in utramque partem disputare“) für die politischen Auftritte und die res publica gesehen wird, so könnte in seinem Werk De officiis, das er 44 v. Chr. kurz vor seinem Tod in seiner zweiten literarischen Phase verfasste, ein anderer Stimulus gewirkt haben: Nach der Trennung von seiner Frau Terentia, dem schmerzlichen Verlust seiner Tochter Tullia, den schmutzigen Machtkämpfen in Rom zwischen Caesar und Pompeius zieht sich Cicero auf seine Landgüter zurück, um in der Philosophie Trost, Ruhe und Er‐ kenntnisse über das glückliche Leben zu suchen. So ist in den Tusculanae dis‐ putationes eine andere Sichtweise in der rhetorischen Darstellung der Philoso‐ phie zu spüren, wenn er in einem Hymnus auf die Philosophie als „vitae dux“ und „virtutis indagatrix expultrixque vitiorum“ gebetsartig um Zuflucht und Hilfe bei Schicksalsschlägen bittet. 3 Die intensive Auseinandersetzung mit der Philosophie ist dem Macht erfahrenen und gebeutelten Cicero in der Zurück‐ gezogenheit der vita contemplativa nun erst wirklich möglich. Nach all den po‐ litischen Grabenkämpfen, Aufständen und Kriegen erfährt Cicero am Ende seines Lebens einen großen emotionalen Stress 4 durch Trennung und Tod, was sein Werk De officiis sicherlich in der inhaltlichen Ausarbeitung, der gedank‐ lichen Vertiefung und dem psychischen Nachspüren von menschlichem Schmerz und Leid geprägt hat. Aufgrund dieser Lebenserfahrungen und rhetorisch-politischer Erkenntnisse stellt sein Konzept des decorum nicht nur ein ästhetisches, sondern vor allem ein rhetorisch-ethisches und damit ein ganzheitliches Konzept dar. In der Tra‐ dition Platons beschreibt das decorum bei Cicero das wahrscheinliche Sein des Menschen: Mittels Sprache und der Rhetorik schafft der Mensch künstliche Nachbilder und erschafft und erkennt so kommunikativ seine Welt. Die Bedin‐ gung der Wahrscheinlichkeit wird erfüllt, wenn angemessene Sprache und An‐ gemessenheit in allen Lebensbereichen zusammenwirken und eine Rede einen zu überzeugenden Rezipienten aller Wahrscheinlichkeit nach zu erreichen vermag. Cicero fasst das decorum nicht nur als ästhetisches Gebot des ornatus, d. h. als eine Stilqualität auf, sondern als eine ethische Handlungsnorm des rhe‐ torisch agierenden Menschen per se. Als solche kann das decorum nicht äußer‐ lich bleiben, sondern muss im Geist des Menschen verankert und in seinen Sprachhandlungen und praktischen Handlungen zum Ausdruck kommen. So 184 5 Synthese: Wirkungs- und Gebotsorientierung 5 Cicero: Brutus. 23. 6 Vgl. hierzu auch Cicero: De oratore. III, 55-56. bilden decorum und ornatus eine Art Symbiose, denn auf der einen Seite normiert das decorum den ornatus und lässt ihn wirken, und auf der anderen Seite ist es der ornatus, der das decorum in ästhetische (Stil-)Höhen erhebt. In diesem per‐ fekt ausbalancierten Zusammenspiel kann sich die Rhetorik als Kunst der Be‐ redsamkeit von ihrer schönsten Seite - sowohl in ästhetischer, als auch in per‐ formativer und ethischer Hinsicht - zeigen. Als Gegengewichte zum ornatus dienen im Mobile rhetorischer Kategorien um das decorum herum humanitas, officium und honestum. Die humanitas cice‐ ronischer Prägung meint eine Menschenbildung, verpflichtend für den römischen Bürger, besonders aber für die Politiker; sie fungiert als Komplement und Ausgleich zur potestas und garantiert somit Sittlichkeit und Gerechtigkeit gerade auch in politisch turbulenten Zeiten im Staat. Als geistige Fähigkeit, deren Ausbildung dem freien Willen des Individuums obliegt, ist sie das Band aller Künste und auch das Band der Menschen untereinander. Sie muss im Innern des Menschen ausgebildet werden, schwebt in der Form von Rücksichtnahme auf und Empfindung für andere Menschen aber nicht im luftleeren Raum, son‐ dern ist ein normatives Gebot innerhalb eines sozialen Rahmens, wirkt also auch auf die Rhetorik zurück. Im Rahmen der societas verwirklicht sich die humanitas mittels des decorum, das deshalb einen funktionalen Bestandteil in der Mani‐ festation der humanitas (beispielsweise in der Rede) darstellt, andererseits be‐ grenzt das decorum aber auch den Wirkungsbereich der humanitas. Decorum und humanitas sind somit als dialektische Prinzipien zu verstehen, die in moralischen Extremfällen miteinander in Widerstreit geraten können, wenn beispielsweise ein Mensch geopfert werden muss, um das Ganze, die Ge‐ meinschaft zu retten. Hier wird deutlich, dass und wie Politik, Rhetorik und Philosophie zusammen‐ hängen. Sie sind in ihrer Wechselwirkung untrennbar miteinander verbunden. Für Cicero sind gute Staatenlenker auch notwendigerweise authentische Redner. So kann er in seinem Werk über die Geschichte der Beredsamkeit, im Proömium des Brutus, sagen: „Wer sich darum um die wahre Redekunst bemüht, bemüht sich auch um Einsicht. Sie kann niemand, selbst in den größten Kriegen, guten Ge‐ wissens entbehren.“ 5 Die griechische Göttin Peitho oder bei Ennius die Göttin Suada repräsentieren im Brutus, 59 die Beredsamkeit des Menschen, die sich an dieser Stelle als das „Licht eben dieses Verstandes“ zeigt. Die wahre Rhetorik ver‐ mittelt die Politik, und in Verbindung mit prudentia und sapientia  6 zeigt sie sich gemeinsam mit der Philosophie im vollkommenen Redner. 185 5.1 Der inhaltliche und biographische Konnex 7 Vgl. hierzu auch Isokrates: Rede des Nikokles oder Rede an die Zyprioten. 7 und Franz-Hubert Robling: Redner und Rhetorik. S. 82. Isokrates sieht die Vernunft als Voraussetzung für die Realisierung des decorum, das wiederum die individuelle Ver‐ fasstheit (gute Seele) des Redners widerspiegelt. Die römische Tugend der humanitas ist äußerlich sichtbar im Umgang des Trägers mit seinen Mitmenschen. In Analogie dazu ist das officium zwar eine amtliche Pflicht des Römers, doch nicht notwendigerweise nur eine nach außen gezeigte moralische Haltung, sondern beschreibt bei Cicero vor allem das ethische Sein innerhalb der Rhetorik, sei es im Inneren verborgen als mo‐ ralische Entwicklung des Geistes oder im Äußeren öffentlich nachge‐ zeichnet. Der Sinn von officium ist die Selbsterkenntnis, die ὁμολογία als dauerhafte innere Haltung und Harmonie und die constantia. Officium und decorum kommen in Handlungen konkret zum Ausdruck; ihre Basis ist con‐ stantia, d. h. Charakterfestigkeit als Ergebnis eines inneren Prozesses im Men‐ schen, der dann in seiner jeweiligen forma vivendi gelebt und äußerlich sichtbar wird. Die psychische und intellektuelle Verfasstheit eines Menschen ist demgemäß nicht von seiner nach außen gezeigten Handlungsweise zu trennen, so dass sittliche Handlungen im Umkehrschluss auch für einen sitt‐ lich geprägten Geist sprechen. 7 Daraus folgt, dass das ethische Sein eines Orators sich innerhalb seiner Rhetorik zu erkennen gibt. Während das officium als universale Pflicht und als τὸ δέον in jedem As‐ pekt des menschlichen Lebens nach Cicero vertreten ist, ist das decorum wie‐ derum dessen Mittel und Modus der Realisierung. Das officium weist dem decorum sein Handlungsfeld zu, das beschrieben werden kann mit den vier Pflichten, nämlich der Pflicht zu Wissenschaft und Bildung, zum festen Ver‐ bund in menschlicher Gemeinschaft, zu sozialer und seelischer Größe im Handeln und zum decorum als Realisierung einer harmonischen Persönlich‐ keit. Indem Cicero das decorum zum einen als decorum generale als abstrakte Moral definiert und zum Anderen als ein decorum subiectum, als Tätigsein eines Menschen, der seine Pflicht erfüllt und so einen wesentlichen Teil einer jeden Tugend beschreibt, kann er seine Pflichtenethik auf der Mikro- und Makroebene entwickeln: Der Mensch ist nicht nur ein funktionaler Teil einer sozialen Gemeinschaft, sondern auch eine individuelle Persönlichkeit und ein zur Pflicht begabtes Wesen. Erst mithilfe des decorum wird im Sinne der vierten Pflicht eine harmonische Persönlichkeit hervorgebracht und geför‐ dert. Damit beschreiben officium und decorum den Bereich der menschlich erfassbaren Wahrheit, des für den Menschen erreichbar Moralischen und der gelebten Rhetorik als soziales Handeln in der Gemeinschaft. Für Cicero ist folglich ein Mensch, der seine Naturanlagen vernünftig ausbildet, sich pflicht‐ 186 5 Synthese: Wirkungs- und Gebotsorientierung 8 Vgl. hierzu Kapitel 3.6 der vorliegenden Arbeit. 9 Zwar wird das honestum mit honor (Ehre) oft in Verbindung gebracht, was jedoch das honestum nach Ciceros Definition in De officiis dennoch nicht automatisch auf eine sichtbare Moral reduziert, wie in der Sekundärliteratur stets fälschlicherweise be‐ hauptet wird. bewusst, sittlich und gerecht für den Staat als Bürger und Politiker einsetzt und dies als von Kunstkennern anerkannter rhetorischer Meister angemes‐ senen Maßes tut, ein wahrer vir bonus. Dem Menschen zu seiner vollkommenen Entfaltung verpflichtet, nutzt Cicero die Rhetorik, Moral kommunikativ zu vermitteln und durchzusetzen. Diese Funktion der Rhetorik, den Römern mithilfe strategischer Kommunikation Menschlichkeit, Pflichtgefühl und Moral beizubringen, macht für Cicero den eigentlichen Nimbus der Rhetorik in einer funktionierenden Republik aus. 8 Aus diesem Grund fügt Cicero dem rhetorisch-ethischen decorum ein beträchtliches Gewicht hinzu, das honestum, als übergeordnetes Gebot der Moral. Definiert als Fähigkeit der Seele und des Geistes (habitus animi), ist es im Menschen angelegt, doch kann es durch falsche Erziehung und Meinungen verdorben werden. Die Trias von Körper - Seele - Geist ist der Ausgangspunkt der Betrachtung, wenn als Quelle des honestum das harmonische und ausbalancierte Ineinandergreifen dieser drei Größen gesetzt ist, das sich als Fähigkeit zum menschlich Mora‐ lischen, als ehrenhafte Eigenschaft oder sittlich gebotene Tat zeigt. Das ho‐ nestum wird als absoluter Wert moralischer Größe verstanden, um seiner selbst willen bedeutend: Es trägt seinen Sinn in sich selber. Es umfasst das decorum und stellt sich als ein summum bonum dar und kann ergo nicht erst durch die öffentliche Anerkennung moralisch werden. Zwar kann es, eingesetzt für das öffentliche Gemeinwesen, eine Moral für die Öffentlichkeit sein, aber es ist bei Cicero keine reduzierte, nur äußere Moral. Das honestum existiert auch ohne öffentliche Perzeption und äußere Ehre 9 und ist an und für sich eine innere Moral. Es ist Sein, nicht Schein des Moralischen im Menschen. Als nostrum ho‐ nestum ist es zwar dem perfectum honestum des Weisen nicht ebenbürtig, aber es ist das beste Moralische im Menschen, gerade weil seine Moralität intrinsisch und damit fest im Charakter des Menschen verankert ist und somit die mora‐ lische Meisterleistung der menschlichen Vernunft per se darstellt, worum sich der Mensch als das für ihn erreichbare Moralische bemühen soll. Obwohl honestum und decorum gleichwertig unter die Tugend gestellt werden, als wechselseitige Attribute konzipiert sind und als korrelative Säulen in seinen moralphilosophischen Überlegungen innerhalb eines rhetorisch-poli‐ tischen Umfeldes fungieren, beansprucht das honestum, inhaltlich und zeitlich bedingt, eine Vorrangstellung. Da moralisches Abwägen zeitlich vor einer Hand‐ 187 5.1 Der inhaltliche und biographische Konnex 10 Vgl. Manfred Fuhrmann: Cicero und die römische Republik. S. 310. 11 Siehe hierzu Manfred Fuhrmann: Geschichte der römischen Literatur. S. 224ff. lung geschieht, stellt das honestum die sittlichen Voraussetzungen des Umfeldes dar, in dem das decorum dann rhetorisch seinen Platz findet. Das decorum ist somit nur in Präsenz des honestum sichtbar. Dennoch sind diese feinen Unter‐ schiede für Cicero nicht darstellbar, sondern lediglich einsehbar. Decorum und honestum greifen als Attribute füreinander auch ineinander, da das Angemes‐ sene moralisch und die Moral angemessen ist: Das decorum subiectum entspricht einem Teil des honestum, während das decorum generale dem honestum als Ganzem entspricht. Cicero baut als „homo platonicus“ (so genannt von seinem Bruder im Commentariolum petitionis, 46) ein am platonischen Ideal orientiertes Kon‐ strukt menschlicher Möglichkeiten in der Praxis der Politik, die er als das eigentliche Handlungsfeld des antiken Menschen ansieht, und verbindet dazu die rhetorisch-ethischen Kategorien des decorum, officium und ho‐ nestum unentwirrbar miteinander. Mithilfe des medium officium, decorum und den damit verbundenen Kategorien der humanitas und des ornatus und schließlich mittels nostrum honestum legt Cicero sein ideales Rhetorikkon‐ zept für den Menschen dar, geschärft durch Studien in Griechenland und Rom, erweitert durch seine politischen Erfahrungen und gereift durch psy‐ chisches Leid am Ende seines Lebens. Es darf so auch noch Jahrhunderte später Gültigkeit beanspruchen. Ungeachtet dessen, dass manch ein Historiker wie beispielsweise Mommsen, oder Literaturkritiker und Philologen Ciceros Eitelkeit scharf kri‐ tisieren und ihm aus meiner Sicht fälschlicherweise eine lediglich vorge‐ täuschte - da nur äußerliche - Moral zusprechen, beruht Ciceros Leistung darauf, rhetorische Kategorien inhaltlich miteinander verbunden und mit seinen leidenschaftlichen Reden den Blick für moralische, politische und rhe‐ torische Missstände seiner Zeit geschärft zu haben. 10 Die Rhetorik als Wis‐ senschaft und Kunst interessiert weniger, ob Cicero seine Gerichtsreden wirk‐ lich nachträglich redigiert und verschönert hat (wie der Historiker Eduard Meyer in Caesars Monarchie kritisierte), es stellt sich vielmehr die grundsätz‐ liche Frage, worin genau seine Leistung 11 für die Rhetorik liegt. Für die Be‐ trachtung und rhetorische Beurteilung rücken deshalb besonders Brutus, eine namenreiche Geschichte der Beredsamkeit, De oratore und Orator, die das Idealbild eines Redners darstellen, und De officiis, das eine moralische Ver‐ kettung der Rhetorik mit der Ethik vornimmt, in den Fokus. Cicero ist es zu verdanken, griechisches Gedankengut, das das römische Denken nachhaltig 188 5 Synthese: Wirkungs- und Gebotsorientierung 12 Will Durant: Kulturgeschichte der Menschheit. Ursprünge und Anfänge. Die Republik. Bd. 7, Lausanne: Editions Rencontre, 1965, Manfred Fuhrmann: Cicero und die römische Republik: eine Biographie. Düsseldorf: Patmos, 2007 und Marion Giebel: Cicero. 12. Aufl., Hamburg: Rowohlt, 1999. 13 Ähnlich auch Klaus Bringmann: Krise und Ende der römischen Republik. S. 82. 14 Heinrich Schlange-Schöningen: Augustus. S. 88f. verändert hat, nach Rom gebracht zu haben. Der auch von Cicero tradierte Hellenismus hat in 300 Jahren die Mittelmeerwelt vereinheitlicht. So kam das Gedankengut der Epikureer, der Stoa und der Skeptiker nach Rom. Die grie‐ chische Philosophie wurde in Rom bekannt und beeinflusste dort die Rhe‐ torik, ohne dass Cicero diese Quelle je vergessen hätte. Um Cicero gerecht zu werden, muss man ihn auf dem Hintergrund der poli‐ tischen Situation seiner Zeit würdigen 12 , denn im Jahrhundert der Bürgerkriege, zwischen 133-30 v. Chr., veränderte sich die römische Republik hinsichtlich der politischen Verfassung und Cicero selber war in diese Umwälzungen verstrickt. Das Versagen der adligen Nobilität in Kriegen und Bürgerkriegen führte zum Aufstieg von homines novi (wie Marius und Cicero selber). Altehrwürdige Prin‐ zipien wie die Annuität und die Kollegialität, die die Republik vor einer Diktatur schützen sollten, wurden durchbrochen, sowohl von den Gracchen, als auch von Marius und Sulla. Aber während Sulla das Amt des Diktators, das nur für Aus‐ nahmesituationen eingerichtet worden war, im Wissen um dessen Brisanz, 80 v. Chr. freiwillig niederlegte, übersteigerte Caesar seine Ambitionen. Er ließ sich 45 v. Chr. das Diktatoramt auf Lebenszeit übertragen, was mit ein Grund für seine Ermordung war. Es ist gerade das Amt des Diktators, an dem sich zeigen lässt, wie die Kontrollprinzipien der Annuität und der Kollegialität peu à peu in ihrer Substanz entleert wurden. 13 Caesar und Octavian - der spätere Augustus - hatten beide jeweils das Amt des Alleinherrschers inne, doch gingen sie sehr unterschiedlich mit tradierten römischen Machttiteln um. Während Caesar ab Dezember 49 v. Chr. bis zu seiner Ermordung lebenslänglich die Diktatur inne hatte, sich selbst „Imperator“ nannte und das Ehrenrecht des dictator perpetuus verliehen bekam, vermied sein späterer Nachfolger, der erste Kaiser Augustus (ab Januar 27 v. Chr.) diese Bezeichnung, da sie als Missachtung republikanischer Formen verstanden wurde, und nannte sich stattdessen (neben anderen ihm verliehenen Titeln Kaiser, Konsul, Prinzeps und Pontifex Maximus) vor allem „princeps“, also Erster unter Gleichen. 14 Außerdem wurde er „pater patriae“, Retter des Vaterlandes genannt, weil er Rom den Frieden zurückbrachte. Er ver‐ trat in dieser Funktion ein nicht despotisches Prinzipat und betonte so nach außen, nämlich formal, die Traditionen der alten Republik. In seiner Rechtfer‐ tigungsschrift, den Res Gestae 34, wies er Punkt für Punkt nach, dass er nicht 189 5.1 Der inhaltliche und biographische Konnex 15 Zitiert nach Heinrich Schlange-Schöningen: Augustus. S. 90: „In meinem sechsten und siebten Konsulat habe ich, nachdem ich, der ich durch die Zustimmung aller im Besitz umfassender Macht war, die Bürgerkriege beendet hatte, den Staat aus meiner Gewalt in die Verantwortung von Senat und Volk zurückgegeben (rem publicam ex mea po‐ testae in senatus populique Romani arbitrium transtuli). Für dieses Verdienst bin ich auf Beschluss des Senats Augustus genannt worden; außerdem wurden von Staats wegen die Türpfosten meines Hauses mit Lorbeer geschmückt, wurde die Bürgerkrone (corona civica) über meiner Haustür befestigt und ein goldener Schild in der Curia Iulia aufgestellt, den mir, wie die Inschrift auf dem Schild bezeugt, der Senat und das römische Volk meiner Tapferkeit, Milde, Gerechtigkeit und Frömmigkeit wegen verliehen haben. Seit dieser Zeit habe ich alle anderen an Autorität übertroffen, an Amtsgewalt jedoch hatte ich nicht mehr als alle übrigen, die auch ich im jeweiligen Amt zu Kollegen hatte (Post id tempus auctoritate omnibus praestiti, potestatis autem nihilo amplius habui quam ceteri qui mihi quoque in magistratu conlegae fuerunt).“ 16 Plutarch: Fünf Doppelbiographien. 2. Teil, S. 1067: „Kopf und Hände ließ er über den Schiffsschnäbeln auf der Rednerbühne aufstecken, ein scheußlicher Anblick für die Römer, die freilich nicht Ciceros Antlitz zu sehen glaubten, sondern ein Abbild der Seele des Antonius.“ zur Alleinherrschaft gestrebt habe, sondern ihm die verschiedenen Auszeich‐ nungen übertragen worden seien. 15 Mit dem Prinzipat geht aber dennoch die Republik zu Ende und es beginnt die Kaiserzeit, die mit der Absetzung des letzten römischen Kaisers Romulus Augustulus 476 im Westen ihr Ende fand. Das oströmische Reich jedoch bestand als byzantinisches Reich bis zum 15. Jahrhundert n. Chr. weiter. In der Zeit Ciceros konnte zwar noch die Einheit des römischen Reiches ge‐ sichert werden, aber Bürgerkriege, Aufstände und politisches Gemetzel erschüt‐ terten die Republik. Griechisches Denken veränderte auch die Rechtspraxis: So wurde seit Sulla den Gegnern Amnestie (ein griechischer Begriff) gewährt und auch Antonius gewährte den Caesarmördern mit Billigung des Senats Amnestie, allerdings ohne dass dadurch der Tyrannenmord legalisiert worden wäre. Cicero selber verkörpert in seiner Person dieses Schisma im Denken: Er hat die Am‐ nestie für die Caesarmörder erwirkt, andererseits macht er sich für seinen Schützling Octavian, den Adoptivsohn Caesars, stark, um diesem entgegen den Prinzipien der mos maiorum zu helfen, die politischen, mit Ämtern verbundenen Verpflichtungen trotz seines jungen Alters zu übernehmen und das Erbe Caesars anzutreten. Und so wird Cicero Zeuge und Leidtragender der Veränderungen und muss selber sein Leben opfern. Sein Haupt und seine Hände werden ihm abgeschlagen und an die Rostra geheftet, was wohl heißen soll: Sein Denken und seine schriftstellerische Macht sollen für immer beseitigt werden. 16 Aber letztlich hat doch Cicero gesiegt, denn mit dieser Tat hat die ihm feind‐ lich gesonnene Nobilität wider Willen für alle sichtbar Ciceros Bedeutung „an‐ schaulich“ attestiert, als Mann, der sich vor allem auch in seinen Philippinischen 190 5 Synthese: Wirkungs- und Gebotsorientierung 17 Cicero: Die Philippischen Reden. II, 118. 18 Manfred Fuhrmann: Rom in der Spätantike. Porträt einer Epoche. S. 18. 19 Ibid, S. 62f. Reden mit der Macht seines Wortes für die concordia omnium, für das Gemein‐ wesen, die Republik, eingesetzt hatte und das unbeirrt von Jugend an: „[D]efendi rem publicam adulescens, non deseram senex; “ 17 Mithilfe der Rhetorik bietet er alles an Waffenstärke auf, was er sich selbst in seinem bewegten Leben angeeignet und was er gelernt hat, um diese letzte Schlacht gegen die militärische Macht zur Befreiung der Republik gewinnen zu können. Als politisch-rhetorischer Akteur und moralischer Agent ist er für Sitt‐ lichkeit und Gerechtigkeit eingetreten und hat sich für die letztmögliche Rettung der Republik eingesetzt, als schon nichts mehr von den alten römischen Idealen und Werten übrig war. Auf diesem Hintergrund ist Ciceros Alterswerk De officiis mehr als nur ein Kompendium seines rhetorisch-ethischen Schaffens. Zum letzten Mal erinnert er die Römer daran, dass sie den Staat in ehrenvoller Aktivität, in sittlichem Handeln in Wort und Tat übernehmen sollen. Dieses Werk, das erst nach seiner Ermordung 43. v. Chr. veröffentlicht wurde, überdauert den Kampf und lässt Cicero nicht als hilfloses Opfer der Macht zurück. Es lassen sich sowohl gegen Ende der Republik, als auch in der Spätantike gewisse Parallelen ziehen: In Politik und Gesellschaft zeigen sich jeweils Auf‐ lösungserscheinungen, die auf gegenläufige Wertvorstellungen zurückgeführt werden können und sich praktisch als Synkretismus, als relativ unmethodische Verschmelzung unterschiedlicher philosophischer Lehren, als Nebeneinander von Kulturen und Religionen ohne innere Einheit zeigen. Bei Ambrosius ist in De officiis ministrorum beispielsweise eine Fusion von profaner Geschichte und Kirchengeschichte nachverfolgbar. Es scheint, als würde gerade in Zeiten des Umbruchs und der Unruhe Zuflucht zu fremden Einflüssen und Erkenntnissen genommen, die bis dato in Zeiten geordneter Verhältnisse lediglich registriert wurden, jedoch die jeweils eigene Religions- oder Philosophieausrichtung nicht maßgeblich beeinflusst haben. Ambrosius lebte im Jahrhundert des erbitterten Kampfes zwischen Christen und Heiden um die geistige Vorherrschaft, in einer Zeit der Auflösung des rö‐ mischen Reiches in einer Trias von islamisch-arabischen Staaten, fränkischem Reich der Karolinger und oströmischem, byzantinischem Reich 18 . Der auch von Fuhrmann 19 beobachtete ambrosianische Synkretismus lässt sich auf die wech‐ selvolle Geschichte im Zusammenhang mit der Herausbildung des Christentums zurückführen. 191 5.1 Der inhaltliche und biographische Konnex 20 Augustinus: Vom ersten katechetischen Unterricht. 31. 21 Paulinus of Milan: The Life of Saint Ambrose. 7. 22 Ibid, 47. Mit dem Dominat, als der spätantike Kaiser als „dominus“ und „deus“ auf der Proskynese bestand, die ihm nach seinem Selbstverständnis zukam, beginnt die Verfolgung der Christen, da diese ihre Knie nur vor Gott beugen wollten. Nach dem Sieg Konstantins des Großen 312 an der milvischen Brücke über seinen Rivalen Maxentius, den der Kaiser dem Gott der Christen zuschrieb, erließ dieser 313 ein Toleranzedikt (völlige Religionsfreiheit und Gleichberechtigung der Christen), wartete selber mit der Taufe aber, bis er auf dem Sterbebett lag. Kaum war das Christentum etabliert, tobte ein innerkirchlicher Kampf um die reine Lehre, der mit dem Konzil von Nicäa und dem Verbot des Arianismus 325 beendet wurde. Die nun folgende Zeit einer christlich-heidnischen Misch‐ kultur wird verkörpert durch die Auseinandersetzung zwischen dem Heiden Symmachus und Kaiser Theodosius (394/ 5 Alleinherrscher) und endet mit dem Sieg des Christentums, das 391 Staatsreligion wird und einhergeht mit dem Verbot aller heidnischen Kulte. In dieser Auseinandersetzung spielen drei Kir‐ chenväter eine entscheidende Rolle als Vermittler der griechischen Theologie im Westen: Hieronymus übersetzt erstmals Bücher des Alten Testamentes aus dem Hebräischen ins Lateinische (die Vulgata). Ambrosius, der einen großen Einfluss auf Kaiser Theodosius ausübt, verfasst eine christliche Pflichtenlehre und sein Schüler Augustinus, der sich von ihm 387 taufen lässt, übernimmt dessen allegorische Deutung des AT als Verweis auf Christus, aber er überträgt sie auf die Weltgeschichte, die er als Dichotomie zwischen der civitas dei und der civitas terrena beschreibt. 20 Ein augustinisches Hadern mit dem eigenen Glauben und dem Christentum kennt Ambrosius nicht, wohl aber hegt er Zweifel an seiner eigenen Eignung als Bischof und sieht auch Missstände in der christlich adligen Oberschicht seiner Zeit. Wie Cicero im Glauben an die res publica, so ist Ambrosius in seinen Worten und Werken einem gottgefälligen Leben im diesseitigen Leben ver‐ pflichtet. Paulinus von Mailand beschreibt ihn in seiner Biographie als „Christ’s true philosopher“, der mit „simple speech and the doctrine of the true faith“ sogar Philosophen zur Konversion veranlasst. 21 Als Christ und besonders in seiner Funktion als Bischof von Mailand ist Ambrosius als freier und mutiger Redner bekannt 22 , der sich nicht scheut, Königen oder mächtigen Mitgliedern der Gesellschaft nachdrücklich ins Gewissen zu reden. So kritisierte er das mo‐ ralische Fehlverhalten des römischen Kaiser Theodosius I., der im Jahr 390 Tau‐ sende unschuldiger Menschen in Thessaloniki abschlachten ließ, aufgrund eines vorangegangenen Aufstandes von Bewohnern in dieser Stadt, und verweigerte 192 5 Synthese: Wirkungs- und Gebotsorientierung ihm aus diesem Grund den Zutritt zu seiner Kirche und die Teilnahme an den Sakramenten, bis dieser öffentlich Buße getan hatte. Ambrosius weist dem kai‐ serlichen Oberhaupt des riesigen Römischen Reiches (Westreich und Ostreich unter Theodosius I. trotz des Usurpators Arbogast im Westen und den Ausei‐ nandersetzungen mit den barbarischen Goten im Osten noch vereint) seinen Platz unter den Christen in seiner Kirche unübersehbar zu. Dem asketischen Bischof ging es hier wohl weniger um die eigene Selbstaufwertung durch eine Zurechtweisung des mächtigen Kaisers, als darum, ein irregeleitetes Mitglied seiner Kirchengemeinschaft auf den rechten Weg des Glaubens, der Gnade und der Gottesfurcht zurückzuführen. Theodosius I. und Ambrosius verband eine respektvolle, aber von Auseinandersetzungen gezeichnete Verbundenheit (s. Trauerrede auf Kaiser Theodosius d. Gr.) in ihrem jeweiligen Kampf um Frieden und Balance innerhalb des Imperium Romanum. Nicht nur der militärisch ge‐ führte Kampf der Römer gegen die Goten, sondern auch der religiöse Kampf der Christen gegen die Heiden und die Abgrenzung von Kirche und Staat prägte das Zeitalter Ambrosius’. Im Jahr des endgültigen Triumphes des Christentums 391 erscheint Ambro‐ sius’ christliche Pflichtenlehre De officiis ministrorum. Sie ist meines Erachtens keine Widerlegung von Ciceros Offizien - wie man vielleicht annehmen könnte -, sondern eine literarisch fixierte Niederlegung der christlichen Lehre und Selbstauffassung. Zwar orientiert er sich bezüglich des Musters, Aufbaus und der Gedankenführung oft stark an Ciceros Vorlage, doch geht er nur am Rande direkt inhaltlich und namentlich auf Ciceros De officiis ein. Dies mag darin be‐ gründet sein, dass er wohl nicht - wie ihm oft vorgeworfen wurde - literarischen Ruhm für sich selbst im Fahrtwind von Ciceros großem Erfolg sucht, sondern eher den Sieg des Christentums über das Heidentum auch in den Köpfen der Menschen und der Erziehung des klerikalen Nachwuchses verankert wissen möchte. Anti-pagane Haltungen in der Unter- und Oberschicht und anti-christ‐ liche Strömungen in der römischen Oberschicht sind nicht automatisch mit der Einsetzung des Christentums als Staatsreligion aufgelöst. Dessen ist sich Am‐ brosius wohl bewusst und er mag versucht haben, mit seinen Offizien-Büchern seine klerikalen „Söhne“ zu einem vollkommenen Leben anzuleiten. Nicht er selbst als Bischof steht hier im Mittelpunkt, sondern das Christentum: Damit es sich gegen das Heidentum behaupten kann, muss es von allen Menschen, gleich welchen Ranges oder Geschlechts, gelebt werden. Wie Cicero nutzt Ambrosius das besondere Ansehen der Rhetorik, um nun aber die christliche Moral kommunikativ zu vermitteln und mithilfe seines Werkes diese rhetorisch-literarisch zu untermauern. Im Zentrum seiner christ‐ lichen Pflichtenlehre steht das decorum, dem als Säulen die verecundia, das lex 193 5.1 Der inhaltliche und biographische Konnex 23 Ambrosius: ‚Epistula 72 (17)‘, 12: „There is nothing of greater importance than religion, nothing more exalted than faith.” „Es gibt nichts, das von größerer Bedeutung wäre, als Religion, nichts Erhabeneres als Glauben.“ In: Ambrose of Milan. Political Letters and Speeches. Translated Texts for Historians, Bd. 43, übers. v. John H.W.G. Liebeschuetz, S. 67. silentii und das officium als praeceptum zugefügt werden. Für Ambrosius ist die Rhetorik nicht in erster Linie das wahrscheinliche Sein des Menschen wie bei Cicero, sondern kann als eine Notwendigkeit zur Verbindung des Menschen mit Gott und der Menschen untereinander gesehen werden und ebnet so den Weg zu einem vollkommenen Leben als Christ. Die christliche Rhetorik ist Sein des Christen oder christliches Sein. Alle Dinge, so auch die Rhetorik, stehen unter der Prämisse, dass der Mensch gläubig ist. 23 Dieses Sein gilt es stets aufs Neue vor Gott zu beweisen. Seit Adams und Evas Sündenfall im Paradies muss sich der Mensch als Mensch und Christ erst der Gnade Gottes würdig erweisen. In diesem Kontext spielt die verecundia als Tu‐ gend der Keuschheit und Sittsamkeit bei Ambrosius eine besondere Rolle: Sie ist der Prüfstein des sittlichen Charakters bei den Klerikern. Sie leitet sich aus dem ihr übergeordneten decorum ab, orientiert sich an diesem und beschreibt sowohl einen habitus, als auch eine Tugend der Christen, die durch natürliche Bescheidenheit und erworbene Zucht ausgeformt werden kann. Da sie sich im Handeln und Reden als geistige Verfassung des christlichen Redners zeigt, ist sie eine christlich fundierte und rhetorische Tugend. Verecundia ist eine Vorbe‐ dingung, um das ambrosianische decorum verwirklichen zu können. Sie dient als eine Qualität des decorum, eingefärbt von der Kirchenregel. Durch den jen‐ seitigen Nutzenbegriff des decorum bei Ambrosius scheidet es sich vom dies‐ seitigen Nutzenverständnis in Ciceros Konzept des decorum. Der Bezugspunkt des ambrosianischen decorum ist das Himmelreich, und die verecundia ist hierbei ein Teil des decorum, das den Menschen befähigt, sein volles menschliches Po‐ tential auszuschöpfen und sich so vor Gott zu bewähren. Das decorum gene‐ rale, das von Gott als Norm gesetzt ist, hält den Menschen an, sein volles christ‐ liches und rhetorisches Potential für die Gemeinschaft und in ihr zu leben. Durch diese ekklesiologische Erweiterung des ciceronischen decorum-Begriffs setzt Ambrosius das decorum als die christliche Norm göttlicher Provenienz innerhalb seiner Pflichtenlehre. Die Tugend der verecundia ist nicht nur ein konstitutiver Pfeiler des decorum nach Ambrosius, sondern ist auch in der Fähigkeit zu schweigen verortet. Neben der keuschen und sittsamen Lebensführung eines Christen ist auch die Fähigkeit zu schweigen und in Stille in sich selbst einzukehren, eine wesentliche Not‐ wendigkeit, um mit Gott in Verbindung treten zu können: eine lex silentii. Am‐ 194 5 Synthese: Wirkungs- und Gebotsorientierung brosius definiert Schweigen als ein Sprechen mit Gott im Innern. Es hat nicht nur eine existenzielle, sondern auch eine rhetorische Komponente, denn Gott erkennt den καιρός und gibt ihn dem weisen Menschen ein. So ist die rhetorische Fähigkeit, den καιρός zu erkennen, zwar nur Gott zugesprochen, doch der Mensch, der sich auf das Schweigen versteht, erringt dadurch die Fähigkeit, den καιρός von Gott zu empfangen, um ihn dann rhetorisch und ethisch in rechter Weise umzusetzen. Damit wird das Schweigen bei Ambrosius die Bedingung, um reden zu können, denn er versteht diese als eine ethische Verpflichtung des Redners zur Achtsamkeit (custodire), Behutsamkeit (cautio) und Bedachtsamkeit mit Blick auf das allgegenwärtige decorum. Neben der rhetorischen Komponente des silentium als ein durch das decorum abgesichertes, kommunikatives Wir‐ kungsmittel, hat das Schweigen für Ambrosius etwas Existenzielles, denn es bewahrt den wertvollsten Besitz: den inneren Menschen. Durch die Fähigkeit zu schweigen wird auch der Blick ins Innere des eigenen Ichs geübt, der hilft, die Begierden zu kontrollieren und einen guten Geist zu formen. Die lex silentii des Ambrosius offenbart die verborgene Seite des decorum, wenn sie den Zeit‐ punkt zum Sprechen oder Schweigen vorgibt. Diesen Zeitpunkt als christlicher Orator zu finden, setzt die Beachtung des decorum, ein aufmerksames Gewissen und die Fähigkeit zum Hören auf die Eingebung Gottes voraus. Diese christliche Selbstausbildung beruht zum einen auf rhetorischen Fähigkeiten, die mit sitt‐ lichen Tugenden gepaart sind, und zum anderen auf der innigen Verbindung mit Gott. Sie ermöglicht es dem Menschen, ein tugendhaftes Leben führen zu können, was sich nach Ambrosius in der Verachtung des Reichtums, vor allem aber im Schweigen und Reden zur rechten Zeit zeigt. Im Kontext der ekklesiologischen Erweiterung des decorum-Begriffs in Am‐ brosius’ De officiis ministrorum nimmt auch ein weiterer Begriff eine theologisch bestimmte Färbung an: Das officium als Beschreibung einer Pflichtverrichtung erfährt bei Ambrosius durch sein Verständnis und seine Auslegung der Bibel eine Steigerung zum praeceptum als unbedingtem Gebot und als Weisung. Dies mag an seinem anvisierten Zielpublikum liegen, das er mit dieser Schrift im Auge hat: den klerikalen Nachwuchs und die Kleriker insgesamt. Das officium sacerdotis unterscheidet sich darin vom commune officium, dass es absolut ist und somit ohne Ausnahme für alle Kleriker gilt. Für Ambrosius verpflichten die exponierte Stellung und das Ansehen der Geistlichen zu einer besonders auf‐ opfernden Moral, weshalb er auch gemeinsam mit Hieronymus und Augustinus das erste öffentliche Dekret eines Papstes überhaupt, das Dekret des Papstes Siricius im Jahr 385, unterstützte, das die Enthaltsamkeit und Ehelosigkeit von 195 5.1 Der inhaltliche und biographische Konnex 24 Will Durant: Kulturgeschichte der Menschheit. Byzanz auf dem Höhepunkt. Die Kultur des Islams. S. 94 und Josef Gelmi: Die Päpste in Lebensbildern. S. 33-34. Vgl. auch Christian Hornung: Directa ad decessorem. Ein kirchenhistorisch-philologischer Kommentar zur ersten Dekretale des Siricius von Rom (2011) und Klaus Zechiel-Eckes: Die erste Dekretale. Der Brief Papst Siricius’ an Bischof Himerius von Tarragona vom Jahr 385 ( JK 255) (2013). 25 Zitiert nach Will Durant: Kulturgeschichte der Menschheit. Byzanz auf dem Höhepunkt. Die Kultur des Islams. S. 156. Priestern forderte. 24 Die soziale und geistige Gewichtung von Kirche als Insti‐ tution und ihren Ordensträgern wird von Ambrosius in seinem zweiten Brief an Theodosius I. in der Metapher des sicheren Hafens besonders deutlich: Inmitten der Unruhe der Welt bleibt die Kirche fest und beständig; die Wogen können sie nicht erschüttern. Während rings um sie alles in einem schrecklichen Durchein‐ ander liegt, bietet sie den Schiffbrüchigen einen stillen Hafen, in dem sie Sicherheit finden können. 25 Das officium perfectum als praeceptum ist bei Ambrosius zunächst als christ‐ licher Gebotskatalog aufgeführt, dem als Maßstab das decorum als Norm gött‐ licher Provenienz vorgesetzt ist. Diese Rückbindung des praeceptum und de‐ corum an Gott als pflichtsetzender Instanz und höchstem Prinzip fehlt der klassischen Philosophie nach Auffassung von Ambrosius völlig und macht sie in seinen Augen lediglich zu eloquenten Schönschreibern (hier übt er speziell Kritik an Cicero) und Epigonen der alttestamentarischen Propheten, weil ihnen der Zugang zur wahren Weisheit fehle. Das ambrosianische officium als prae‐ ceptum ist ein harmonisches Ineinanderweben von honestum und decorum, Wegweiser für ein schönes und auch ein ewiges Leben. Zwar stimmt er mit Aristoteles überein, das officium als ein Sollen zu definieren, doch bei Ambrosius ist es ein dezidiert christliches Sollen, das auch als rhetorisches Sollen konzipiert ist (so beispielsweise die erste Pflicht zum loquendi modus). Als sprachgewandter und authentischer Prediger vereint Ambrosius auch in seiner Darlegung des decorum und officium rhetorische Kategorien und theologische Dogmen und gestaltet beide mit rhetorischen Mitteln als Gebote Gottes. Ambrosius ist an der inneren Verfasstheit des Menschen interessiert, da für ihn die Seele das unsichtbare Innere den Menschen ausmacht. Dieses Innere verbindet sich mit Gott und öffnet dem Individuum dadurch die Möglichkeit, sein volles menschliches Potential durch die genaue Abstimmung von Rhe‐ torik und christlicher Praxis auszuschöpfen. Das Ziel eines vollkommenen Lebens wird durch die Berücksichtigung des decorum, die Einhaltung der vere‐ cundia und die gewissenhafte Befolgung des officium als praeceptum zu einer lebbaren Realität. So ist die vita beata als vollkommenes Leben bereits auf 196 5 Synthese: Wirkungs- und Gebotsorientierung Verecundia sittlicher Charakter der Kleriker, Habitus und Tugend Decorum Maß im Reden, Schweigen und Handeln, göttlicher Provenienz Officium als praeceptum, christlich-rhetorisches Sollen Lex silentii Sprechen im Inneren mit Gott In der Fähigkeit zu verortet vollkommenes Leben Vita aeterna Abb. 4: Idealtypisches Modell eines homo ecclesiasticus 197 5.1 Der inhaltliche und biographische Konnex Erden zu erreichen, während das eigentliche Ziel eines Christen erst im Jen‐ seits auf ihn wartet: die vita aeterna. Zwar sind bei Ambrosius vita beata und vita aeterna zunächst scheinbar als Synonyme verwendet, doch sind sie in seinem Gesamtkonzept eher als eine Beziehung von sukzessiven und kohä‐ renten Daseinsformen einzustufen. Dies umso mehr, als es die vita aeterna ist, auf welche sich sein christliches Moralgebäude, das sein Zentrum im decorum findet, hin erstreckt. So macht seine rhetorisch geprägte und christlich fundierte Auffassung von Moral für den gottesfürchtigen Ambrosius nur Sinn, wenn Telos die vita aeterna bei Gott ist. Und es nimmt wiederum nicht wunder, dass die wichtigste Säule der vita aeterna der Glaube (fides), die guten Taten (bona facta) und das gute Reden (bene dicere) sind, denn das christliche decorum ist bei Ambrosius von Anfang an als ein von Gott ein- und vorgegebenes Maß im Reden, Schweigen und im Handeln definiert. Kategorie Cicero Ambrosius Decorum wahrscheinliches Sein; Maß im Reden christliches Sein; Maß im Reden, Schweigen & Handeln Symbiose mit ornatus silentium als verborgene Seite des decorum decorum als Attribut für honestum und vice versa verecundia als Teil des decorum Gebot wahrer Rhetorik im Zusammenspiel mit humanitas Officium Officium als ethisches Sein; menschlich erreichbares Moralisches Officium als christlich-rheto‐ risches Sollen; Gebot Gottes Telos schöne Seele; orator perfectus Vita aeterna; orator christianus Tab. 7: Divergenz und Kongruenz bei Cicero und Ambrosius in De officiis Der Versuch, eine rhetorische Synthese von Ciceros und Ambrosius’ de‐ corum-Konzepts zu leisten, bietet auch die Möglichkeit, eventuelle Desiderate der Rhetorik mithilfe einer anderen, nämlich der theologischen Perspektive zu 198 5 Synthese: Wirkungs- und Gebotsorientierung 26 Aristoteles: Poetik. 1450a38f.: Aristoteles bezeichnet den Mythos sogar als die Seele (ψυχή) der Tragödie und verweist damit auf den kultur- und identitätsstiftenden Sinn des Mythos. erkennen. Außerdem stellt sich die Frage, welche Funktion die Rhetorik über‐ haupt für die Theologie damals spielte. Wie einst Mythen mithilfe rhetorischer Mittel erst zu dem wurden, was sie bis heute sind - nämlich geheimnis- und phantasievolle Erzählungen, die Un‐ erklärliches in sprachliche Gestalt kleiden und so dem Menschen zum Trost werden - so hat auch die Religion mit der biblischen Gestaltung der Schöpfungs- und Offenbarungslehre den Wert der Rhetorik als strategischer Kommunikati‐ onswissenschaft für sich zu nutzen gewusst. Mythos und Glaube sind nicht ma‐ teriell fassbare Phänomene innerhalb der menschlichen Lebenswelt, doch gerade qua dieser Immaterialität eignen sie sich in besonderer Weise zur rhe‐ torischen Gestaltung, die hier weniger von rationalen Argumentationsketten lebt, als davon, wie Sprache Bilder malen und dadurch neue Welten schaffen kann. Die geistige Welt als Phantasiereise zu erleben, ist zwar besonders den Kindern eigen, doch die Menschheit zeigt mit der Entwicklung von Mythen zur bildhaften Weltauslegung und Lebensdeutung rhetorische Fähigkeit und ele‐ mentares Bedürfnis nach Rückversicherung. 26 Die Religion steht in dieser Tra‐ dition, indem auch sie dem Menschen moralischer Kompass, christliche Welt‐ deutung und psychischer Anker in großer Not sein kann. Die Rhetorik hilft, indem sie als literarisches Element in Mythos und Religion Zutritt zu einer un‐ fassbaren, aber gleichermaßen existenziell bedeutsamen Welt ermöglicht. Obwohl die Rhetorik in der Antike bei Cicero und in der Spätantike bei Am‐ brosius ihre Blütezeit erlebte, lassen sich auch nach der Geburt Jesu viele rede‐ mächtige Rhetoren und bahnbrechende Werke der Rhetorik finden. Es ist ins‐ besondere die christliche Rhetorik, die mit ausgebildeten Rednern wie Justinos, Tatian, Athenagoras Tertullian, Laktanz, Origines, Cyprian, Basileios von Cae‐ sarea, Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa, Johannes Chrysostomos und vor allem mit Augustinus glänzen konnte und die Rhetorik als Wissenschaft für den Prediger und zum Nutzen der Theologie allgemein neu entdeckte. So gilt Lak‐ tanz’ Werk Divinae institutiones als erstes Dekret einer christlichen Rhetorik, während Gregor von Nazianz als „christlicher Demosthenes“ und Johannes Chrysostomos als „Goldmund“ bekannt waren, wodurch sich eine positive Kon‐ notation von christlicher Rhetorik durchzusetzen vermochte. Als pagane Kunst prima facie zunächst abgelehnt, war auf die Rhetorik als Kommunikationsmittel in der Bibelexegese und der Verbreitung der Bibel aber nicht zu verzichten und gerade in ihrer wertneutralen Konzeption als Kunst der Beredsamkeit war sie eine blanke Folie, die sich in der Form der Predigt zum Träger inhaltlicher Bot‐ 199 5.1 Der inhaltliche und biographische Konnex 27 Gert Ueding: Klassische Rhetorik. S. 89. 28 Ibid, S. 94 und vgl. Peter Brown: Macht und Rhetorik in der Spätantike. Der Weg zu einem ‚christlichen Imperium‘. S. 45, 59 und 98. 29 Paulinus of Milan: ‚The Life of Saint Ambrose‘, in: Boniface Ramsey: Ambrose. S. 195f. schaften von Gott und Jesus Christus entwickeln konnte und geradezu ein „ide‐ ales Instrument für alle diese Absichten“ 27 wurde. Die christliche Predigt wurde „die wichtigste rhetorische Domäne“ und sicherte ihrerseits der Rhetorik als Wissenschaft das Überleben. 28 Doch trotz ihrer scheinbar moralischen Wertleere wird der Rhetorik bei Ambrosius und Augustinus eine gewisse Normierung so‐ wohl durch das decorum als angemessener Würdigung eines christlichen Sach‐ verhaltes und als Norm göttlicher Provenienz, wie auch als Kunst in der Aus‐ legung und Verkündigung der Heiligen Schrift, zugesprochen. Diese drei für die Perzeption der Philosophie in der Rhetorik so wichtigen Schriftsteller - Cicero, Ambrosius und Augustinus - repräsentieren nicht nur die personifizierte Dichotomie von klassischer Rhetorik und christlicher Rhe‐ torik, von Vernunft versus Autorität, sondern sie sind als historische Individuen trotz aller Unterschiede doch miteinander verbunden. Während Cicero dem Ambrosius als literarisches Muster und Initialzündung für seine eigenen Ge‐ danken über die christliche Pflicht dient, so führt die Lektüre von Ciceros Hor‐ tensius Augustinus zur Philosophie. Augustinus orientiert sich in seiner eigenen literarischen Auseinandersetzung mit dem Glauben und der allegorischen Bi‐ belexegese an Cicero als seinem Meister und propagiert, wie Cicero, die Einheit von Weisheit und Eloquenz. Und schließlich ist es Augustinus, der Paulinus von Mailand mit der Vita des Ambrosius beauftragt, um der Nachwelt ein Bild des ehrenwerten Bischofs von Mailand zu hinterlassen. 29 5.2 Wozu Rhetorik für einen Christen? (Augustinus’ De doctrina Christiana) Wie Cicero in seiner Zeit zu großem literarischen Ansehen gelangt war und sich als geübter Redner beim Senat und Volk einen Namen gemacht hatte, so genoss auch Ambrosius als Provinzstatthalter und Bischof von Mailand großes Ansehen; mit seinem rhetorischen Können erweckte er bei Augustinus sogar Bewunderungsstürme. Aber bedürfen Apologeten des Christentums über‐ haupt der Rhetorik? In dieser Hinsicht muss Ambrosius’ Umfunktionalisie‐ rung des ciceronischen decorum auch im Makrokosmos der theologischen Le‐ gitimitätsfrage von Rhetorik gesehen werden. Und inwiefern kann eine säkulare Rhetorik adaptiert werden? Eine mögliche Antwort gibt Augustinus 200 5 Synthese: Wirkungs- und Gebotsorientierung 30 Augustinus: Die christliche Bildung. I, 1: „Es gibt gewisse Regeln für den Umgang mit der Hl. Schrift, die, wie ich sehe, denjenigen, die sich dem Bibelstudium widmen, zu deren Vorteil weitergegeben werden können [...].“ 31 Alfred Schindler: Art. ‚Augustin/ Augustinismus I‘, in: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 4, S. 675: „Augustin verwendet mehrere klassische Regeln der Beredsamkeit in christlicher Abwandlung (docere, delectare, flectere: doctr. christ. IV, 12, 27 ff.; submisse, temperate, granditer: ebd. 17, 34-26, 58).“ 32 Im Zuge seiner Hortensius-Lektüre im Jahr 373 n. Chr. scheint Augustinus die Dicho‐ tomie von Philosophie und Religion noch überbrückbar, doch sollte er diese Sichtweise später revidieren. Ähnlich auch Johannes Brachtendorf: Augustins ‚Confessiones‘. S. 74. 33 Insofern geht hier Augustinus nach seiner Hortensius-Lektüre mutig neue Wege, wenn noch im 2. Jahrhundert n. Chr. Tertullian konstatierte, dass der Christ und der Philosoph nichts gemein hätten (Apologeticum: Verteidigung des Christentums. 46). 34 Johannes Brachtendorf: Augustins ‚Confessiones‘. S. 71. in De doctrina Christiana (doctr.christ.), wenn er im Prolog schreibt: „Sunt praecepta quaedam tractandarum scripturarum quae studiosis earum video non incommode posse tradi“ 30 . Dabei ist besondere Sorgfalt anzuwenden, geht es doch um die Vermittlung der göttlichen Wahrheit in der Form menschlicher Verkündigung. Wenn der Glaube mündig ist, dann muss die Bibel aber frei gedeutet werden können. In‐ dividuelle Bibelauslegung ist somit legitim, sie erfolgt jedoch in einem zweistu‐ figen hermeneutischen Verfahren: Der biblische Überlieferungstext muss zu‐ nächst verstanden werden, dann kann das Verstandene an Andere weitergegeben werden. Für das Verständnis und die Exegese bedeutsam ist dabei nicht nur die Kenntnis der Bibelsprache, sondern auch das Verständnis für das antike Bildungsgut und die antike Rhetorik. Die Rezeption der antiken Bildung und ihre Nutzbarmachung für die Homiletik bedeutet dann logischerweise auch die Kenntnis und Beachtung der Gesetzmäßigkeiten sprachlicher Performanz. 31 Um den Zusammenhang von Rhetorik, Ethik, Exegese und Homiletik bei Au‐ gustinus verstehen zu können, muss sein philosophischer Ausgangspunkt be‐ stimmt werden: Die Dichotomie von paganer Philosophie auf der einen und christlicher Religion auf der anderen Seite ist für Augustinus vorerst über‐ brückbar. 32 Eine Synthese beider ist für ihn möglich insofern, als die Philosophie Athens neue Denkanstöße durch die Religion erhält und sich somit neue Fra‐ gehorizonte eröffnen und die christliche Religion eine intellektuelle Färbung erhält. Zwar stehen sich nach wie vor rationale Argumente und Glaubenssätze gegenüber, aber Augustinus sieht einen Sinn darin, ein produktives Wechsel‐ verhältnis zwischen Philosophie und Religion anzustreben. 33 Die Philosophie bietet Unterstützung und kritische Überwachung der Religion, und die Religion hat nicht nur wie die Philosophie die Tugend als Ziel eines guten Lebens, und ist so auch eine „Ermahnung zu einem reflektierten Leben“ 34 , sondern sie geht 201 5.2 Wozu Rhetorik für einen Christen? (Augustinus’ De doctrina Christiana) 35 Augustinus: Bekenntnisse. VIII, 5, 10. 36 Ibid, VII, 7, 11 und 10, 16. 37 Augustinus: De doctrina Christiana. IV, 5, 23. 38 Augustinus: Ad Cresconium grammaticum partis Donati libri quattuor. An den Sprach‐ lehrer Cresonius von der Partei des Donatus, vier Bücher. I, 1, 2. 39 Origenes: Epistula ad Gregorium. 2. 40 Augustinus: Die christliche Bildung. II, XL, 60: „Wenn aber diejenigen, die Philosophen genannt werden, zufällig etwas Wahres und zu unserem Glauben Passendes gesagt haben, wie besonders die Platoniker, dann darf dies nicht nur nicht gefürchtet, sondern muß sogar von diesen wie von ungerechten Besitzern für unseren Gebrauch eingefor‐ dert werden.“ darüber hinaus und sucht Gott, um ihn „als Lebensziel zu genießen“ 35 . So wie die Philosophie für Augustinus Grenzen hat, so auch die Rhetorik: Während die Kraft der Vernunft an ihre Grenzen stößt, könnte das Vertrauen auf die Autorität der christlichen Kirche und auf Gott weiterhelfen. 36 Die Rhetorik ist zwar an sich ein neutrales Instrument zum guten oder auch schlechten Gebrauch, doch fehlt ihr nach Augustinus eine inhärente gefestigte Moral. Ohne ethische Fun‐ dierung scheint ihm die Rhetorik ohne Wert zu sein: „Wer nämlich beredsam spricht, wird angenehm, wer weise spricht, als heilbringend empfunden. Des‐ wegen sagt die Schrift nicht: ‚Die Menge der Beredsamen‘, sondern ‚Die Menge der Weisen ist das Heil des Erdkreises‘.“ 37 Und so verwundert seine Definition von Rhetorik nicht: „Beredsamkeit ist [...] die Fähigkeit zu reden, indem wir passend zum Ausdruck bringen, was wir denken; sie ist dann anzuwenden, wenn wir richtig denken.“ 38 Wie der christliche Redner dies bewerkstelligt und Be‐ redsamkeit mit Weisheit verbindet, soll im Folgenden erörtert werden. In der Patristik, besonders bei Augustinus und Origenes, wird die Aneignung paganen Wissens legitimiert in der Denkfigur der „spolia Aegyptiorum“ 39 : Wie die Juden beim Exodus aus Ägypten Gold und Silber der Ägypter geraubt (lat. „spolia“ bedeutet „der Raub“) haben (Ex 3,21f. und 12,35f.), so dürfen die Christen den Heiden ihre Schätze entreißen, was bedeutet: Die antike Bildung wird le‐ gitimerweise in die christliche Bildung überführt, denn sie wird dadurch gerettet vor den „ungerechten Besitzern“, den Heiden, indem deren Wahrheiten der ge‐ nerellen Wahrheit des christlichen Glaubens, wofür sich eben Augustinus ver‐ bürgt, untergeordnet werden: Philosophi autem qui vocantur si qua forte vera et fidei nostrae accommodata dixe‐ runt, maxime Platonici, non solum formidanda non sunt sed ab eis etiam tamquam ab iniustis possessoribus in usum nostrum vindicanda. 40 Augustinus, ab 384 Rhetorikprofessor in Mailand und ab 396 Bischof von Hippo Regius, legt in seinem Spätwerk De doctrina Christiana das Fundament einer 202 5 Synthese: Wirkungs- und Gebotsorientierung 41 James J. Murphy: ‚St. Augustine and the Debate About a Christian Rhetoric‘, in: The Rhetoric of St. Augustine of Hippo. De Doctrina Christiana & the Search for a Distinctly Christian Rhetoric. Hg. v. Richard Leo Enos u. Roger Thompson et al., S. 218. Zu Au‐ gustinus’ und die ars rhetorica siehe: Peter Prestel: Die Rezeption der ciceronischen Rhe‐ torik durch Augustinus in ‚de doctrina Christiana‘ (1992); Joachim Knape: ‚Augustinus ‚De doctrina christiana‘ in der mittelalterlichen Rhetorikgeschichte. Mit Abdruck des rhetorischen Augustinusindex von Stephan Hoest (1466/ 67)‘, in: Adolar Zumkeller und Achim Krümmel (Hg.): Traditio Augustiana, 1994, S. 141-174; Klaus Rosen: Augustinus. Genie und Heiliger (2015); Gonsalv K. Mainberger: Reden mit Vernunft. Aristoteles, Cicero, Augustinus (1987); Barbara Kursawe: docere - delectare - movere. Die officia oratoris bei Augustinus in Rhetorik und Gnadenlehre (2000); Christian Tornau: Zwischen Rhetorik und Philosophie. (2006). 42 Augustinus: De doctrina Christiana. II, 36, 54. 43 Seine Mutter Monica war Christin und erzog den Sohn auch in diesem Glauben, den jener jedoch in seiner Jugend als Altweibergeschwätz und in seiner Kritik am kirch‐ lichen Christentum ablehnte und sich aufgrund dessen dem rationalistischen Ansatz der Manichäer zuwandte. Erst nachdem ihn deren beredter Bischof Faustus von Mileve intellektuell enttäuscht hatte (Bekenntnisse V, 6), wandte er sich vom Manichäismus ab und fand erneut über Cicero und dann Ambrosius zuerst zur Philosophie und schließlich zum Christentum zurück. christlichen Rhetorikauffassung und Homiletik, indem er die Rhetorik als un‐ ersetzbar für den Prediger und Christen herausstellt und diejenigen widerlegt, die wie Murphy es ausdrückt: „who would deprive the Church of a useful tool in the work of winning souls.“ 41 Im Unterschied zu Ambrosius, der zwar die Rhetorik durchaus als wertvolles Werkzeug für die Kleriker ansieht, sich jedoch an sophistischen Wortexzessen und Schmuckklaubereien stößt, geht der Rebell Augustinus einen Schritt weiter. Die Rhetorik nicht für eine gute Sache einzu‐ setzen, nämlich für die Heilsverkündung und Exegese, wäre eine Sünde, denn man sollte alle zur Verfügung stehenden Mittel benutzen, um das Wort Gottes in die Welt zu tragen. Ein solch mächtiges Kommunikationsmittel den schlechten Menschen zur Verbreitung von Unheil zu überlassen, wird als sünd‐ hafte Nachlässigkeit der Christen gedeutet: „Since they can also be used to com‐ mend the truth, it is not the subject itself that is reprehensible, but the perversity of those who abuse it.“ 42 Das Selbstverständnis eines Christen ist nach Augus‐ tinus ein holistisches Konzept, das den vollen Einsatz eines Menschen fordert, der alle seine Fähigkeiten in den Dienst des Glaubens stellt und nach den christ‐ lichen Geboten der Liebe zu Gott und der Nächstenliebe zu leben hat. Obwohl oder vielleicht gerade weil Augustinus selbst in jungen Jahren gegen die Denk‐ schemata und Gepflogenheiten der damaligen Zeit rebellierte, indem er zu‐ nächst den Manichäismus und nicht das nordafrikanische Christentum 43 seiner Familie vertrat, eine ungebildete Dienstbotin und damit nicht standesgemäße Frau als Geliebte hatte, mit der er seinen unehelichen Sohn Adeodatus gezeugt 203 5.2 Wozu Rhetorik für einen Christen? (Augustinus’ De doctrina Christiana) 44 Zitiert nach Gert Ueding: Klassische Rhetorik. S. 89f. und Origenes: De principiis. IV, 2, 4. hatte, vertritt er in seinem fast 30 Jahre nach Inangriffnahme der ersten drei Bücher fertig gestellten vierten Buch vehement die Rhetorik als unabdingbares Element der Religion. Dies nimmt nicht wunder, konvertierte Augustinus, wie Murphy (S. 209) feststellt, im Jahr 386 in gewissem Sinne von der Rhetorik zum Christentum. Wie in seinen Bekenntnissen fixiert, tat sich der junge Augustinus zunächst mit der Bibel schwer, vor allem, wie er später feststellt (Bekenntnisse III, 5, 9), weil er die Sprache der Bibel falsch las und so deren göttliche Wahr‐ heiten nicht erkennen konnte. Er las die Bibel wie eine eindimensionale, tech‐ nische Beschreibung von verifizierbaren Objekten und Geschehnissen, anstatt sie rhetorisch in den Blick zu nehmen und die mehrdimensionale Bedeutung der biblischen Sprache zu dekodieren. Der frühe Augustinus war nicht fähig, den wahren Zugang zur Bibel zu finden, weil er das verbum dei nicht verstand, letzt‐ lich aufgrund rhetorischer Mängel in der Auslegung. Es war ihm nicht möglich, Codes und rhetorische Figuren christlich zu deuten, um zu einer sinnvollen Aussage über den vorliegenden Text zu gelangen. Wie in De doctrina Christiana IV, 21, 125 beschrieben, benötigen die Worte der Heiligen Schrift einen Leser und vor allem einen Ausleger, soll die tiefere Bedeutung zutage treten. Um die allegorische Interpretation der Bibel und eine textkritische Arbeit der verschiedenen Bibelübersetzungen hat sich besonders Origenes von Alexandria verdient gemacht, der nicht nur durch die Hexapla (eine von Origenes in 6 Spalten synoptisch zusammengestellte Ausgabe des AT) die ursprünglichen Quellen der Bibel konservierte, sondern vor allem durch seine Lehre vom drei‐ fachen Schriftsinn in seinem Werk De principiis die Exegese im Christentum revolutionierte. In den Jahren 220-230 verfasst, sollte diese systematische Schrift (besonders IV, 2, 4-7) die Interpretation der Bibel neu justieren. Origenes deutet die Worte der Bibel als zwar von Gott geschrieben, ihre Entschlüsselung ist aber Aufgabe der Christen. So gibt es nach Origenes drei verschiedene Sinne der Heiligen Schrift, die einem jeweiligen Menschentypus entsprechen 44 : - den buchstäblichen Schriftsinn („Fleische der Schrift“) für den einfältigen Gläubigen - den moralischen Schriftsinn („Seele der Schrift“) für den fortgeschrittenen Gläubigen - den pneumatischen Schriftsinn („Geist der Schrift“) für den vollkom‐ menen Gläubigen Über diese Kategorisierung des Origenes versteht nun Augustinus, warum die Lektüre der Heiligen Schrift ihm zunächst keine Erleuchtung brachte. Er blieb 204 5 Synthese: Wirkungs- und Gebotsorientierung dem buchstäblichen Sinn eines Wortes verhaftet und konnte folglich den mo‐ ralischen und den pneumatischen Schriftsinn weder erkennen, noch deuten. So gelangte er nur zu einer oberflächlichen Lektüre der Bibel, und die tiefen Wahr‐ heiten blieben ihm noch versagt. Origenes’ Lehre ist der Schlüssel zur rechten Leseweise und zu einem daraus resultierenden tiefen Verständnis der Bibel. Die in den Bekenntnissen beschriebene gnostische Auseinandersetzung und Augustinus’ religiös-philosophische Erfahrungen bieten einen Anhaltspunkt, warum er die Rhetorik in doctr.christ. IV, 1, 1 als „modus proferendi qua intel‐ lecta sunt“ definiert. Die Rhetorik ist in der Zeit des Augustinus’ eine existen‐ zielle Notwendigkeit für das nordafrikanische Christentum, will es sich gegen Donatismus, Arianismus und Manichäismus durchsetzen. Doch nicht nur die kirchenpolitischen Verhältnisse Nordafrikas und Augustinus’ Rhetorikaffinität als Professor, sondern vor allem das Ziel der Erleuchtung des Menschen durch die Heilige Schrift und durch das Christentum generell nötigen ihn, die Rhetorik nun prominent in den Dienst der Religion zu stellen. In Augustinus’ De doctrina Christiana lassen sich sechs Themen herausfiltern: Wie hängen Moralität und Rhetorik zusammen, welchen Nutzen hat die Rhe‐ torik für den Christen, was ist der Ursprung der Rhetorik, wie gestaltet sich ihre inhaltliche Ausprägung in Bezug auf den christlichen Redner, welches Redner‐ ideal und welche Stillehre werden favorisiert? Augustinus in De doctrina Christiana und Ambrosius in De officiis ministro‐ rum sind sich einig, dass die Rhetorik an sich moralisch neutral ist. Augustinus konnotiert die Rhetorik etwas positiver als Ambrosius, der die Zunge und das Wort als Sündenvollbringer bezeichnet und daher negativ konnotiert, während Augustinus sich bewusst ist, dass die Rhetorik zum Guten, wie auch zum Schlechten (doctr.christ. IV, 2 und II, 36) eingesetzt werden kann und ihr Einsatz folglich vom Redner abhängt und bestimmt wird. Sie wird als Kunst nicht ver‐ achtet, sondern Augustinus ist es in De doctrina Christiana IV, 3 ein Anliegen, besonders junge Christen zu ermahnen, sich ihrer anzunehmen, vorausgesetzt, sie sind mit ingenium gesegnet und erlernen die Beredsamkeit durch den usus, um sie dann als gute Christen zu nutzen. Folglich ist die Ausbildung rhetorischer Fähigkeiten für Augustinus unverzichtbares Telos eines guten Christen. Die grundsätzliche Wertfreiheit der Rhetorik darf nicht so verstanden werden, dass es egal ist, wer sich zu welchem Zweck ihrer bedient. Der Christ muss sich der Rhetorik bedienen, um den christlichen Glauben gemäß doctr.christ. IV, 3, 9 zu verkünden, dies umso mehr, als die Rhetorik in ihrer inhaltlichen und formalen Ausprägung aus göttlichem Geiste entspringt. Im Prolog von doctr.christ., von Augustinus als eine Art rhetorisches Bollwerk a priori gegen Widerstände jeg‐ licher Art bezüglich seiner präsentierten christlichen Hermeneutik und Homi‐ 205 5.2 Wozu Rhetorik für einen Christen? (Augustinus’ De doctrina Christiana) 45 Augustinus teilt in doctr.christ. I, 1, 1 seine Hermeneutik in zwei Teile auf: das Verstehen von Dingen und die Methode der Weitervermittlung von den erkannten Dingen. Diese Vermittlung von Dingen bezieht sich wiederum entweder auf Dinge (zum Genuss, frui, oder zum Gebrauch, uti I, 2, 2-4ff.; vgl. Brachtendorf Art. ‚Uti/ frui‘, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Sp. 500-501.) oder auf Zeichen (Wörter). Vgl. auch Peter Prestel: Die Rezeption der ciceronischen Rhetorik durch Augustinus in »de doctrina Chris‐ tiana«. S. 59ff. letik formuliert, wird Gott in De doctrina Christiana, 8 und in den Bekenntnissen VII, 10, 16 als Lehrer im Innern des Menschen bezeichnet, der den Christen durch seine göttliche Gabe die Weisheit der Heiligen Schrift verstehen lässt. Die rhe‐ torische Fähigkeit ist eine Gabe Gottes an den Menschen. Die Vorschriften sind nicht aus menschlicher Arbeit entstanden, sondern strömen weise aus gött‐ lichem Geiste hervor (doctr.christ. IV, 7, 21). Erst die Gegenwart Gottes ermög‐ licht es dem begabten Redner Augustinus selbst, angemessen zu sprechen (doctr.christ. IV, 18, 37). Augustinus’ Unterscheidung von Zeichen und Dingen 45 wird an dieser Stelle bedeutsam, da die Dinge Gott gehören, aber als Zeichen durch den Menschen ausgesagt werden (doctr.christ. IV, 29, 62). So soll der christliche Redner und gute Gläubige in doctr.christ. IV, 30, 63 beten, dass Gott ihm eine gute und passende Rede in den Mund lege. Analog dazu ist auch bei Ambrosius das decorum als Prinzip göttlicher Provenienz konzipiert, wenn in off. I, 5 nicht der Mensch an sich den καιρός erkennt, sondern dieser ihm erst von Gott eingegeben wird. Augustinus und Ambrosius bauen also ihr rheto‐ risches Fundament auf die innige Verbindung von Gott und Mensch. Auch in Bezug auf das christliche Rednerideal konvergieren die Auffassungen von Augustinus und Ambrosius weitgehend. Für Augustinus ist ein Redner doctor und dictor, dessen primäres Ziel das ciceronische docere, dann das delec‐ tare und schließlich das flectere (doctr.christ. IV, 13, 29) sind. In doctr.christ. IV, 5, 7 wird der Anspruch, dass eine Rede dem Hörer Nutzen bringen muss, klar formuliert. Das docere steht über jeglichem ästhetischen und emotionalen Ge‐ nuss einer Rede. Obwohl die menschliche Rede von Gott eingegeben wird, re‐ präsentiert sich in ihr die von Gott verliehene Würde des Menschen. Die Funk‐ tion von menschlicher Rede wird im Prolog, 6 in doctr.christ. als Wille Gottes dargestellt, der die Menschen durch das Band der Liebe vereint und sie mitein‐ ander und voneinander lernen lässt. Der Mensch lernt vom anderen Menschen, den Gott ihm als Hilfe sendet. Diesem göttlichen Willen und Auftrag muss nun der christliche Redner gerecht werden. Als bester Redner gilt in doctr.christ. IV, 10, 25 derjenige, der zu seinem Zuhörer über Wahres spricht und ihm das Wahre auf verständliche Weise vermittelt. Dies bedeutet, dass keine Unklarheiten mehr bleiben. Für den christlichen Lehrer und Redner ziemen sich in doctr.christ. IV, 206 5 Synthese: Wirkungs- und Gebotsorientierung 46 Peter Prestel: Die Rezeption der ciceronischen Rhetorik durch Augustinus in ‚de doctrina Christiana‘. S. 250ff. 47 Augustinus: Bekenntnisse. V, 13, 23. 48 Genaue Zahlenangaben bei Ernst Dassmann: Ambrosius von Mailand. S. 168f. 26, 56 und 27, 61 ein gemäßigter Stil und ein gutes Leben, wobei sein Ethos überzeugender ist als ein eloquenter Redestil. Aus diesem Grund empfiehlt Au‐ gustinus in doctr.christ. IV, 15, 32 dem idealen christlichen Redner, dass er zuerst Beter (orator) und dann Redner (dictor) sei. Wenn er sich vor einer Rede im Gebet für Gott öffnet, wird er auch dessen Geist empfangen, der dann in seiner Rede aus ihm spricht. Gott gibt dem christlichen Redner das Thema, die Worte und den Zeitpunkt einer Rede ein. Auch Ambrosius fordert vom Weisen in off. III, 29, dass er zum Heil seiner Hörer spreche. Dies geschieht in einer vernünftigen, anmutig eleganten Rede, die die Schicklichkeit des tugendhaften Redners wi‐ derspiegelt (decorum generale). Für Ambrosius ist die verborgene Seite des de‐ corum, nämlich das Schweigen, hier von besonderer Bedeutung. Der ambrosia‐ nische Redner muss auch ein Hörer sein, d. h. er muss schweigen können, um sich im Gebet als einem inneren Sprechen mit Gott zu verbinden. Im Unterschied zu Augustinus legt Ambrosius den Akzent auf eine Nuance des Betens - das Hören auf Gott. Dennoch sind sich beide in der ethischen Verpflichtung des christlichen Redners einig. Augustinus lehnt sich im vierten Buch an die Dreistillehre von Cicero an 46 : Der gemäßigte Stil eigne sich demnach für Lob und Tadel und überzeuge durch seine Schönheit und den ornatus (doctr.christ. IV, 25, 55); der verhaltene Stil zieme sich für die Lehre, die durch die Wahrheit überzeuge, und der erhabene Stil schließlich finde seine Anwendung in der Versprachlichung von Bedeu‐ tendem (doctr.christ. IV, 20, 42), das dadurch überzeugt, dass ein bereits ge‐ wusstes Sollen im Handeln des Menschen ausgedrückt wird, wodurch er zum entsprechenden Handeln aufgefordert wird. Diese rhetorischen Vorgaben sieht Augustinus bei Ambrosius erfüllt, wenn er ihn in doctr.christ. IV, 21, 46 für seinen verhaltenen Redestil bei der Diskussion um Sachverhalte rühmt und im Folgenden weitere Beispiele für Ambrosius’ passende Verwendung des jewei‐ ligen Redestils gibt. Auch in den Bekenntnissen beschreibt er ihn als einen Got‐ tesmann, „der andere [...] auf die heilsamste Weise das Heil [lehrte]“ 47 . Augus‐ tinus bezieht sich in vielen Textstellen konkret auf Ambrosius 48 , in denen er „seinen Lehrer“ (Gegen Julian 2,21) und „heiligsten Vater“ (Briefe I., XV/ 27, 8) verehrt, sich Rat suchend an ihn wendet (Conf. VIV, 5 und IX, 5) und ihn als Muster zur Nachahmung empfiehlt (doctr.christ. IV, 21, 48). Die Frage, inwiefern diese von Augustinus ausgehende Bewunderung in einen wechselseitig frucht‐ baren Austausch zwischen Ambrosius und Augustinus führte, muss an dieser 207 5.2 Wozu Rhetorik für einen Christen? (Augustinus’ De doctrina Christiana) 49 Johannes Brachtendorf: Augustins ‚Confessiones‘. S. 113. 50 Ibid. S. 110. 51 Augustinus - Hieronymus: Epistulae mutuae. Briefwechsel. 2. Bd., S. 307. 52 Johannes Brachtendorf: Augustins ‚Confessiones‘. S. 111: „Die höchste Regel aller Schrift‐ auslegung ist ethischer Art.“ 53 Neben Cicero als begnadetem Rhetor ist im Zusammenhang mit Augustinus auch noch Gaius Marius Victorinus zu nennen, der nicht nur Kommentare zu Ciceros Topik und Rhetorik verfasste, sondern auch 355 n. Chr. öffentlich zum Christentum konvertierte und dessen Bekehrungsprozess vom Rhetor zum Christen Augustinus in Conf. VIII ausführlich schildert. Augustinus möchte ihn nachahmen und schreibt: „Ich bewun‐ derte daran nicht so sehr seine Willensstärke als sein Glück, daß er eine Gelegenheit gefunden hatte, sich in Muße allein mit dir zu befassen. Das war es, wonach ich mich sehnte.“ Conf. VIII, 5, 10. Ob das Verdikt Harnacks, Victorinus sei ein „Augustinus ante Augustinum“ zutreffend ist, ist an dieser Stelle nicht zu klären, und ein Verweis auf die einschlägige Sekundärliteratur soll diesbezüglich genügen: Adolf v. Harnack: Lehrbuch der Dogmengeschichte. 3. Band, S. 34. 54 Augustinus: Bekenntnisse. III, 4, 7. 55 Als zweite Bekehrung kann Augustinus’ Lektüre der Briefe des Apostel Paulus im Jahr 386 n. Chr. gelten, die ihn veranlasst, sein Lehramt als Rhetor niederzulegen und sich seiner literarischen Tätigkeit sowie der christlichen Offenbarung zu widmen (Conf. VIII, 12). Stelle leider unbeantwortet bleiben, doch wird sie eher verneint. 49 Unumwunden kann konstatiert werden, dass Augustinus Ambrosius als christlichen Lehrer und geistlichen Vater bewundert. Im Vergleich mit Faustus kann er seine feh‐ lende Eloquenz und seine heisere Stimme kritisieren 50 , ihn aber dennoch der christlichen Inhalte seiner Reden wegen weit über Faustus von Mileve stellen (Conf. V, 13, 23). In seinem Brief an Hieronymus (82, 21) beurteilt Augustinus die Bücher De officiis des Ambrosius positiv, da sie „viele nützliche Anweisungen enthalten“ 51 . Der sich auf der Suche befindende Augustinus ist von Ambrosius’ Intellekt und vom spirituellen Gehalt seiner Ethik beeindruckt und beeinflusst: So ist ihm eine Rhetorik ohne christlich-ethischen Nutzen wie bei Faustus zu wenig. 52 Augustinus’ Beurteilung der Rhetorik und seine Haltung zu Cicero, den er in De doctrina Christiana nicht einmal namentlich erwähnt, ist ambivalent: Rhe‐ torik ist zum einen eine Disziplin, die den christlichen Redner lehrt, argumen‐ tativ zu überzeugen, wie die Bibel zu lesen und auszulegen ist, doch auf der anderen Seite kritisiert er die fehlende ethische Verankerung von Rhetorik. Und Cicero 53 , der begnadete Redner Roms, der Augustinus selbst auf den Weg der Philosophie führt, hält als moralisches Vorbild den Anforderungen Augustinus’ nicht stand. 54 Bereits in jungen Jahren, während des Rhetorikstudiums, stößt Augustinus auf Cicero und sein für ihn so wegweisendes Werk Hortensius, dessen Lektüre den Anstoß zur ersten Bekehrung 55 von Augustinus gibt und 208 5 Synthese: Wirkungs- und Gebotsorientierung 56 Näheres zu Augustinus’ Weisheitsbegriff in Kapitel 5.3. 57 Cicero: De officiis. II, 5 und Tusculanae disputationes. IV, 26, 57. 58 Ciceros Hortensius ist Teil der protreptischen Literatur, die zur Philosophie ermahnt und das gute und glückliche Leben zum Inhalt hat. Ähnlich Johannes Brachtendorf: Augustins ‚Confessiones‘. S. 71. 59 Die Annahme, dass eine Mitteilung nur einen reinen Inhalt vermittelt, ist aus rheto‐ rischer Sicht illusorisch, denn jede Äußerung ist aufgrund ihrer Versprachlichung immer auch framegebunden. sein Denken und Leben nachhaltig verändern sollte (Conf. III, 4, 7-8): Angeregt von Ciceros Hortensius sinnt Augustinus über sein eigenes Leben nach und findet nun sein neues Lebensziel in der Liebe zur Weisheit (amor sapientiae). Nicht äußere, materielle Güter, wie Ruhm und Reichtum, sind erstrebenswert, sondern die Philosophie, weil sie der Weg zur Weisheit 56 ist. Cicero ist mit seinem Werk Hortensius von unschätzbarem Wert für Augustinus’ Neuausrichtung seines Lebens und führt ihn von der Rhetorik zur Philosophie als der Lehre vom Streben nach Weisheit. Nach Cicero bedeutet Weisheit „das Wissen von den göttlichen und menschlichen Dingen und den ihnen zugrunde liegenden Ursa‐ chen“ 57 . Der stoische Weisheitsbegriff, der Ciceros Definition zugrunde liegt, umfasst eine allgemeine Ausrichtung der Philosophie auf alle wichtigen Fragen des Menschen. Nicht nur Ciceros exzellente Beredsamkeit (so ist gemäß Conf. III, 5, 9 Ciceros Latein stilistisch sogar schöner als dasjenige der übersetzten Bibel) nimmt Augustinus gefangen, sondern der philosophische Inhalt, der seinem eigenen Lebensweg Orientierung geben soll. 58 Doch noch sollte Augus‐ tinus zwölf Jahre dem irdischen Gut verhaftet bleiben, bis schließlich „das Licht der Gewissheit in [sein] Herz“ (Conf. VIII, 12, 29) strömt und der christliche Glaube in ihm tatsächlich lebensverändernd wirkt. Während Cicero in den Bekenntnissen namentlich erwähnt und seine Werke häufig zitiert werden, ist er in De doctrina Christiana nur in indirekten Anspie‐ lungen als einer der „Fürsten der Beredsamkeit“ (doctr. christ. IV, 3,7) zu finden. Diese Distanzierung seitens Augustinus lässt sich aus der späteren Fertigstel‐ lung des vierten Buches im Jahr 426 n. Chr. erklären, worin gegensätzliche Rhe‐ torikausrichtungen thematisiert werden: auf der einen Seite mit Cicero eine pa‐ gane, auf eloquente Persuasion gerichtete (eloquentia saecularis) Rhetorik und auf der anderen Seite mit Augustinus eine christliche Rhetorik, die auf res  59 und sapientia ausgerichtet ist (eloquentia ecclesiastica). Augustinus gilt als christlicher Rezipient des Neuplatonismus (beeinflusst durch den christlichen Rhetor Marius Victorinus) und seiner eudaimonistischen Ethik, doch er sucht in den Bekenntnissen seinen eigenen Weg zu einem gotter‐ füllten Leben der caritas. 209 5.2 Wozu Rhetorik für einen Christen? (Augustinus’ De doctrina Christiana) 60 Augustinus: Die christliche Bildung. De doctrina Christiana. II, 41, 150. 61 Ibid, I, 10, 10 und I, 15, 14. 62 Ibid, S. 282. 63 Augustinus: Bekenntnisse. III, 4, 8. Diese ist bei Augustinus eine Verbindung von Gott zum Menschen und von Mensch zu Mensch. Sie ist richtungsweisendes Telos, indem sie den Menschen zu gutem Handeln anhält, wovon noch im folgenden Kapitel die Rede sein wird. „Gut“ ist ein ethischer Wert und meint nach Augustinus „Gutes verrichten“ 60 . Der Mensch soll die göttlichen Gebote befolgen und so handeln, dass nicht er selbst Zweck und Ziel seines sozialen Handelns ist. 61 Den objektiven Kriterien in Form des Dekalogs stehen subjektive Kriterien wie der Selbstzweck entgegen, die besonders in der Rhetorik und ihrem vom Orator vektoriell ausgehenden Persuasionsvollzug vertreten sind. Pollman schlussfolgert aus dieser Form der Selbsterziehung und Selbstreflexion innerhalb des sozial-sprachlichen Mitei‐ nanders, „daß nach Augustin für einen Christen die exegetische Betätigung zum fundamentalen und universalen Lebenszweck wird.“ 62 Es fehlt der Rhetorik in den Augen Augustinus’ eine notwendig ethische Fundierung, die der christliche Redner in der Autorität von Christus selbst sieht und hier vermisst: „[M]einem so gewaltigen glühenden Eifer stellte sich nur dies eine Hemmnis in den Weg, daß der Name „Christus“ in dieser Schrift [Ciceros Hortensius] fehlte.“ 63 5.3 Weisheit - Liebe - Selbsterkenntnis Trotz ähnlicher Themen in den Werken De doctrina Christiana und De officiis ministrorum, wie oben gezeigt, und trotz biographischer Analogien im Leben von Augustinus und Ambrosius, unterscheiden sie sich in der Frage nach dem Nutzen der Rhetorik für die Apologetik des Christentums. Zwar sehen beide die Rhetorik als unabdingbares Werkzeug eines guten Christen an, doch hat sie besonders bei Augustinus auch einen expliziten Nutzen an sich, weil sie die Beweisfähigkeit des Redners schult und den Verstand in den Gesetzen der Dialektik übt (doctr.christ. IV, 9, 23 und II 31, 48/ II, 37, 55). Für Ambrosius hingegen bietet die Rhetorik ein Mittel, um zum einen die christliche Moral kommunikativ zugänglich zu machen, und zum anderen schult sie die Kleriker in bescheidener Zurückhaltung: Die Rhetorik lehrt den geistlichen Redner die Beachtung des decorum, das als Maß im Schweigen, Reden und Han‐ deln universal gilt. Auch in der inhaltlichen Ausprägung von Rhetorik unterscheiden sich Au‐ gustinus und Ambrosius voneinander. Für Augustinus ist die von Cicero pro‐ 210 5 Synthese: Wirkungs- und Gebotsorientierung 64 Johannes Brachtendorf: ‚Augustinus und der philosophische Weisheitsbegriff ‘, in: Die christlich-philosophischen Diskurse der Spätantike: Texte, Personen, Institutionen. Hg. v. Therese Fuhrer, S. 263. 65 Ibid, S. 268. 66 Ibid, S. 270. 67 Diese Arbeit zitiert aus der englischsprachigen Neuausgabe von Joanna Scott und Judith Stark, die nicht nur Arendts ursprüngliche, erste Überarbeitungen (Copy/ Fas‐ sung A), sondern auch ihre umgeschriebene, aber unveröffentlichte Neubearbeitung der Dissertation (Copy B) berücksichtigen und damit die bis dato vollständigste Ver‐ sion der Doktorarbeit Arendts liefern. pagierte Synthese von Beredsamkeit und Weisheit auch ein Muss für die christ‐ liche Rhetorik (doctr.christ. IV, 28, 61), die der Weisheit jedoch den Vorrang vor der Beredsamkeit einräumt. Überdies unterscheidet sich sein theologischer Weisheitsbegriff fundamental vom philosophischen Weisheitsbegriff Ciceros, wie Brachtendorf aufzeigt. Augustinus definiert „Weisheit“ als sapientia dei zwar in plotinischer Tradition, doch umfasst „Weisheit“ bei Augustinus auch den Glauben an Christus als den Weg zur Vollendung der vita aeterna. 64 Philoso‐ phische Weisheit ohne Christus ist Augustinus zu wenig und folglich auch keine Weisheit im höchsten Sinn. Daher erklären sich auch die beiden Aspekte von Weisheit in augustinischer Definition: als ein Erkennen (cognoscere) und ein Festhalten (tenere) des höchsten Gutes. 65 Aus diesem Grund ist „Einsicht, ver‐ bunden mit Glauben, nach Augustinus die höchste Form irdischer Existenz“ 66 . In Augustinus’ De doctrina Christiana wirkt dieses theologische Verständnis von Weisheit nach, wenn die christliche Ethik (besonders in Buch I) ein auf Gott hin ausgerichtetes Leben zum Ziel hat. Im Zentrum der christlichen Ethik steht bei Augustinus jedoch nicht die Weisheit, sondern die Liebe. In ihrer Doktorarbeit von 1929, womit sie bei Karl Jaspers promovierte, arbeitete Hannah Arendt 67 diese Liebesthematik heraus. Ihrer Meinung nach setzt diese „Liebesethik“ nach Augustinus eine gewisse Weltabgewandtheit des Menschen voraus, weil sie die Voraussetzung ist für eine unmittelbarere Gotteserfahrung. Arendt wurde bei ihrer Arbeit offensichtlich weniger von historischem oder theologischem Interesse, son‐ dern eher von einem existenzial-philosophischen Interesse geleitet, weshalb sie auf Sekundärliteratur gänzlich verzichtete und stattdessen in gründ‐ lichster Differenzierung den Gedanken von Augustinus nachspürte. Akri‐ bisch erarbeitete sie den Kern des Liebesbegriffs und stellte die drei für Au‐ gustinus wesentlichen Formen der Liebe als Existenziale des menschlichen Daseins heraus. 211 5.3 Weisheit - Liebe - Selbsterkenntnis 68 Hannah Arendt: Love and Saint Augustine. S. 112 und Hannah Arendt: Der Liebesbegriff bei Augustin. S. 123: „In dem Fortgang der Frage nach der Relevanz des Anderen sehen wir, daß Augustin die Frage nach dem Ursprung des Menschen doppelt stellt und dop‐ pelt beantwortet.“ 69 Hannah Arendt: Love and Saint Augustine. S. 26 und vgl. Augustinus: Bekenntnisse. VII, 20, 26. 70 Augustinus: Bekenntnisse. II, 10, 18 und vgl. hierzu auch Joseph Mausbach: Die Ethik des Heiligen Augustinus. 1. Bd., S. 181. 71 Hannah Arendt: Love and Saint Augustine. S. 102. 72 Ibid, S. 16. Nach Augustinus, so Arendt, speist sich das Sein des Menschen aus einer dop‐ pelten Quelle: „[B]eing of man is understood as derived from a twofold source.“ 68 Jeder Mensch ist als Nachkomme Adams ein sündiger Mensch. Er unterliegt als solcher der Zeitlichkeit, seine Existenz ist begrenzt. Essenziell wird sein Leben aber von Gott her, in der civitas Dei: „So long as man exists, he is not. He can only anticipate his essence by striving for eternity, and he will be only when he fi‐ nally holds and enjoys (frui) it.“ 69 Vom „whence“ (woher) aus bekommt sein Leben Sinn. Der Mensch kommt aus Gott und sein Gewissen kommt auch aus Gott; es verweist ihn auf seinen Schöpfer. Deshalb ist der Mensch in seinem irdischen Leben als ein von Gott auf Gott hin geschaffenes Wesen („creature“), das jedoch dem sündhaften Begehren verfallen ist, unruhig und unstet, auf der Suche nach einem sicheren Hafen, den er nirgends anders als in Gott findet: „Ruhe ist bei Dir, die reine Ruhe; Leben, das Leben ohne Wirrung.“ 70 Der Wille des Menschen muss lernen, sich von Gott her zu definieren, sich Gottes Gebot beugen. Die Liebe, die Arendt in der Interpretation von Augustinus als „transit“ (tran‐ situs/ Überspringen/ Umschlag) bezeichnet (S. 28), ermöglicht dabei dem Men‐ schen in seinem irdischen Dasein in der civitas terrena, diesen Weg zu Gott zu gehen. Allerdings gibt es, analog zu den beiden civitates, zwei verschiedene Formen der Liebe, mit Arendts Worten: „In a similar sense, there are but two loves: love of self (or the world) and the love of God.“ 71 Oder ähnlich: „Augustine clearly distinguishes between love for another person and love for things“ 72 , Liebe zum Mitmenschen oder Liebe zu vergänglichen irdischen Dingen. Nur die richtige Liebe, die caritas, führt zur Verbindung mit Gott. Sie ist das Abschiedsgebot Jesu, das er seinen Jüngern vor seinem Tod gibt. Es steht im Johannes-Evangelium 13 und hat die Form eines kategorischen Imperativs: „Liebet einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“ Dieses Liebesgebot ist eine unmissverständliche Aufforderung zur universalen und nicht exklusiven Liebe gegenüber dem Nächsten. Sie schließt auch den Feind ein. Jesus liebt auch Judas, den Verräter. Er lebt diese bedingungslose Liebe vor: Sie ist die höchste Norm, der alles andere Tun des Menschen nachgeordnet 212 5 Synthese: Wirkungs- und Gebotsorientierung 73 Augustinus: doctr.christ. I, 23, 22 und Johannes Brachtendorf: Art. ‚Uti/ frui‘, in: HWPh, Bd. 11, Sp. 501. 74 Augustinus: Bekenntnisse. X, 27, 38. 75 Hannah Arendt: Love and Saint Augustine. S. 111 und Hannah Arendt: Der Liebesbegriff bei Augustin. S. 123: „[...] zu einem bloßen Durchgang werden für die direkte Beziehung zu Gott selbst.“ 76 Hannah Arendt: Love and Saint Augustine. S. 95 und Hannah Arendt: Der Liebesbegriff bei Augustin. S. 102: „Die selbstverleugnende Liebe liebt unter Verzicht auf sich selbst, und das besagt, sie liebt alle Menschen in der absoluten Unterschiedslosigkeit, die ihr die Welt zur eremus werden läßt.“ ist, so dass Petrus im ersten Brief 4,8 sagen kann: „Vor allem haltet fest an der Liebe zueinander; denn die Liebe deckt viele Sünden zu.“ Auf dieser Basis ergibt sich für die conditio humana des Christen in der Sicht von Augustinus eine Hierarchie von Liebesobjekten, die in absteigender Ord‐ nung zu verstehen sind: „There are four things that are to be loved - one, that which is above us; two, that which we are; three, that which is close to us; four, that which is beneath us.“ (Gott - das Selbst - der Nächste - der eigene Körper)“ 73 Die unterste Form der Liebe nennt Augustinus amor mundi oder cupiditas; sie ist auf Lust und Begehren (appetitus) ausgerichtet und strebt deshalb nach Befriedigung im „hässlichen“ Menschen (deformis inruebam), der nicht bei Gott ist und deshalb, so Augustinus’ Selbsterkenntnis, „warf ich mich [...] auf das Schöngestalte, das du geschaffen [...]. Du warst bei mir, ich war nicht bei Dir.“ 74 In der Mitte der Stufenleiter befindet sich die dilectio in der Form der An‐ nahme seiner selbst und als Nächstenliebe. Da die Liebe zum Nächsten das Ge‐ genteil von Egozentrik ist, nimmt sie die Gottesliebe, die caritas, vorweg und entspringt derselben; sie ist mit Arendts Worten die „mere passage for the direct relation to God himself “ 75 . Über den Mitmenschen beweist ein jeder seine Lie‐ besfähigkeit überhaupt. Um den Nächsten (und dann auch Gott) lieben zu können, muss der Mensch sich selbst verleugnen, sein Selbst hinten anstellen, vom Anderen ausgehen, nicht von seinen eigenen Bedürfnissen und Leiden‐ schaften: „Self-denying love means loving by renouncing oneself, and this in turn means to love all people so completely without distinctions that the world becomes a desert to the lover.“ 76 Wer der sinnlichen Liebe nicht entsagen kann, erfüllt diesen Anspruch nicht, denn er sieht den Anderen nur als Objekt für seine eigene Triebbefriedigung. Die höchste Form der Liebe, die caritas, erhebt den sündigen Nachkommen Adams („from the descent from Adam“ S. 109) aus der Welt hinweg, hin zu Gott und seiner Verherrlichung, als Vorgriff auf die Ewigkeit im Jenseits: „Love as desire looks to eternity for its fulfillment. [...] In the absolute calm and stability 213 5.3 Weisheit - Liebe - Selbsterkenntnis 77 Hannah Arendt: Love and Saint Augustine. S. 31. 78 Augustinus: doctr.christ. I, 38, 42. 79 Augustinus verwendet meist verschiedene Begriffe für die jeweiligen Liebesformen: dilectio (Selbstliebe und Nächstenliebe), caritas (Gottesliebe und größtes Gut) und amor/ cupiditas (Lust und Begierde), die den altgriechischen Begriffen von στοργή (familiäre Liebe und Zuneigung), ἀγάπη (christliche Liebe) und ἔρως (sinnliche Liebe) entspre‐ chen. Zu diesem Thema auch Anders Nygren: Eros und Agape: Gestaltwandlungen der christlichen Liebe. Gütersloh: Bertelsmann, 1954. 80 Hannah Arendt: Love and Saint Augustine. S. 90 und Hannah Arendt: Der Liebesbegriff bei Augustin. S. 97: „Das Erfassen und Ergreifen der gratia Dei geschieht in der caritas. Entsprechend dem notwendigen Rückbezug ist auch die caritas bestimmt durch das redamare. In diesem redamare allein aktualisiert sie den Rückbezug, der erst die Mög‐ lichkeit gibt, zu der veritas des eigenen Daseins zu kommen (veritate sublevatus, con‐ suetudine praegravatus).“ Wie dieses Zitat zeigt (genauso Fußnote 76), macht es nicht unbedingt Sinn, aus Arendts deutscher Doktorarbeit zu zitieren. Ihr Deutsch ist durch den Abstand von fast 100 Jahren schwerfällig und zum Teil schwer verständlich. of eternal life, the relation of man to God will be an eternally lasting, behol‐ ding “enjoyment,“ and this, as it were, is the only adequate attitude of man to God.“ 77 „If on the other hand he both believes and loves, then by good conduct and by following the rules of good behaviour he gives himself reason to hope that he will attain what he loves.“ 78 In der caritas  79 zeigt der Mensch seine Be‐ stimmung und Ausrichtung; er weiß, woher er kommt („whence“) und wohin er folglich geht, und er weiß um seinen Platz im großen Ganzen der göttlichen Schöpfung. Dazu bedarf es allerdings der Gnade von Seiten Gottes; sie ist der Ausdruck der göttlichen Liebe zum Menschen oder, wie Augustinus in Über Natur und Gnade 31, 35 sagt: „[U]nser Wirken ist ein Mitwirken mit Gottes Wirken, denn seine Gnade kommt uns zuvor. [...] Sie kommt zuvor, uns zu berufen“. Der Mensch gibt dann diese Gnade in seiner Gottesliebe zurück als „loving back“: The comprehension and choice of divine grace happens in caritas. Corresponding to the necessity of referring back, caritas is also defined as ”loving back“ (redamare). Only in this return of love can man refer back so as to come to the truth of his existence (“uplifted by truth, weighed down by habit“). 80 Für Augustinus ist selbstverständlich, dass die Gnade Gottes absolut ist und nicht durch Verdienste des Menschen erworben werden kann. Aber kann der Mensch diese Gnade zurückweisen? Anders ausgedrückt: Welchen Stellenwert hat der freie Wille des Menschen? In den Bekenntnissen (vor allem im VIII. Ka‐ pitel) setzt sich Augustinus mit seinem Sündigsein auseinander und beschreibt seinen eigenen Kampf gegen das Böse als das Aufbegehren des Stolzes gegen die Gnade. Auf dem langen Weg der Selbsterkenntnis entfremdet er sich von 214 5 Synthese: Wirkungs- und Gebotsorientierung 81 Augustinus: Bekenntnisse. X, 33, 50. 82 Augustinus: Bekenntnisse. IV, 13, 20. sich selbst: „Mihi quaestio factus sum, et ipse est languor meus.“ 81 Diese Selbst‐ entfremdung, das innere Leer-Werden ist andererseits die Voraussetzung dafür, dass er für Gott frei wird und die Umwertung der Werte stattfinden kann, indem er aus freiem Entschluss seinen Willen Gottes Geboten unterordnet. Nicht Gott verdammt somit den Menschen, sondern dessen schlechte Taten verdammen ihn oder, wie Augustinus dialektisch in den Bekenntnissen X, 4, 5 formuliert: „[D]as Gute an mir, Dein Werk ist es und Deine Gabe, das Schlechte an mir ist meine Schuld und Deine Strafe.“ Man darf sicher schlussfolgern, dass Augustinus mit der Ausdifferenzierung des Liebesbegriffes und der Abgrenzung der drei Formen von Liebe auch Phasen seines eigenen Lebens beschrieb, die dann in den Bekenntnissen ihren eigent‐ lichen beredten Ausdruck fanden. Augustinus’ Autobiographie zeichnet seine Entwicklung vom verirrten zum suchenden Menschen, der dann seine Erfüllung in Gott gefunden hat, nach, wobei er alle drei Stufen der Liebe durchmacht. Er lässt die sinnliche Liebe hinter sich, über die Selbsterkenntnis macht er den Schritt zur Nächstenliebe (dilectio), bis allmählich die wahre Liebe, die caritas, heranreifen kann. So sind die Bekenntnisse zunächst ein Schuldbekenntnis; sie werden dann zu einem leidenschaftlichen Glaubensbekenntnis, das sich schließ‐ lich zum exstatischen Lobpreis Gottes steigert. 5.4 Das Schöne und das Angemessene In den Zusammenhang mit Augustinus’ geistig-religiöser Entwicklung zur Er‐ kenntnis Gottes in der caritas gehört auch das decorum: Denn in Stufen reift in ihm nämlich nicht nur die caritas, sondern auch die Erkenntnis des Schicklichen als Schönes höherer Ordnung: Das alles wußte ich damals nicht, und meine Liebe galt dem Schönen hier unten. [...] Und ich bedachte es näher und gewahrte, daß schon an körperhaften Dingen etwas anderes die Schönheit ist, die auf einer Art von Geschlossenheit des Ganzen beruht, ein anderes wiederum, was deshalb schön sich ausnimmt, weil es gut zu etwas paßt, so wie ein Teil des Körpers zu seinem Ganzen paßt oder der Schuh zum Fuß oder ähnliches. Diese Erwägung, aus meinem innersten Herzen kommend, brodelte in meinem Geist, und ich schrieb die Bücher ,Über das Schöne und das Angemessene‘, zwei oder drei, glaube ich. 82 215 5.4 Das Schöne und das Angemessene 83 So ist in De civitate Dei (XXII, 24) das decorum in der Bedeutung von Zierde und ästhe‐ tischer Schönheit zu finden; über die sichtbare Schönheit soll die unsichtbare Schönheit Gottes gesucht werden, denn so wie alles Geschaffene von Gott her und auf Gott hin ausgerichtet ist, so verhält es sich auch mit den Attributen dieses geschaffenen Leibes. Für Augustinus gibt es in der Tradition Platons offensichtlich zwei verschiedene Formen von Schönheit. Das eine (Bekenntnisse IV, 15, 24) ist die Schönheit an den körperhaften Dingen, etwas, das gut zu etwas anderem passt, dem ange‐ messen ist („aptum autem, quod ad aliquid adconmodatum deceret“). Dieses Schöne gefällt, weil es einsichtig, sinnlich wahrnehmbar ist an den Dingen in Raum und Zeit. Es ist das Schöne „hier unten“, also auf der Erde, in der materi‐ ellen Welt der Dinge, das niedere Schöne. Aptum und decorum  83 sind komple‐ mentäre Begriffe zur Beschreibung dieses nur materiellen, abgeleiteten Schönen. Die andere Schönheit ist anziehend durch sich selbst und erweckt Wohlgefallen nur durch sich selbst, ist im Verhältnis zu Ersterem die Totalität der Dinge selbst, die vollendete Harmonie und „Geschlossenheit“ des Ganzen („pulchritudo pulchrorum omnium“, III, 6, 10), ist raum- und zeitenthoben, also etwas geistig Fassbares, Gott. Die erste Form von Schönheit ist auf diese Tran‐ szendenz hin angelegt, aber nur die „Ohren [des] Herzens“ (IV, 15, 27) können sie erfassen. Das hatte Augustinus geahnt, aber noch nicht erkannt, als er seine Schrift Über das Schöne und Angemessene verfasste, die, wie er selber berichtet, verloren ging. Sie hatte ihn zunächst mit Stolz erfüllt (Bekenntnisse IV, 14, 23), doch als er die Bekenntnisse abfasste, sah er kritisch die Mängel dieser Schrift, die er auf seine geistig-religiöse Unreife zurückführte: Er war noch dem Körperlichen verhaftet, hatte die geistige Realität noch nicht erfasst, das Wahre noch nicht geschaut (IV, 15, 24): Spät hab ich Dich geliebt, Du Schönheit, ewig alt und ewig neu, spät hab ich Dich geliebt. Und siehe, Du warst innen und ich war draußen, und da suchte ich nach Dir, und auf das Schöngestalte, das Du geschaffen, warf ich mich, selber eine Mißgestalt. (Bekenntnisse X, 27, 38) Für den Manichäer Augustinus waren vor seiner Bekehrung das Böse (ge‐ nannt „Dyas“) und das Gute (genannt „Monas“) Wesen oder Substanzen: Er hatte noch nicht begriffen, dass es sich bei dem Kampf zwischen Gut und Böse um eine moralische Dichotomie handelt, die sich in der Seele des Menschen abspielt, dass im Willen des Menschen, der im Irdischen gefangen ist, die Sünde entsteht. Das Böse existiert nicht als körperliche Substanz, sondern es entsteht in der ungefestigten Seele des Menschen, die blind für die Wahrheit ist (Bekenntnisse IV, 14, 23). 216 5 Synthese: Wirkungs- und Gebotsorientierung 84 Ibid, V, 6, 10. 85 Henri-Irénée Marrou: Augustinus und das Ende der antiken Bildung. S. 425. 86 Hannah Arendt: Love and Saint Augustine. S. 39: Arendt stellt diese terminologische Ungenauigkeit schon in Bezug auf Augustinus’ synonyme Verwendung der Liebesbe‐ griffe fest und unterstützt damit die Einschätzung Gilsons, der ihm bereits eine flexible Verwendungsweise attestierte. Augustinus’ Bekehrung als Folge seiner geistig-religiösen Reifung führte nun nicht nur zu seiner schonungslosen Selbstkritik, wie sie in den Bekenntnissen dokumentiert ist, sondern sie lässt ihn auch Leistungen, die in der Redekunst erbracht werden, anders bewerten als zuvor. Rhetorische Glanzleistungen werden nicht mehr isoliert gewürdigt und können relativiert werden, wenn der Redner insgesamt eine falsche Geisteshaltung zeigt. Deshalb bezeichnet Augus‐ tinus im fünften Buch den Manichäer Faustus von Mileve als beredten, aber nicht als weisen Mann. Angemessene Rhetorik (decorum eloquium) und dazu passende Körpersprache wie Mimik und Gestik machen Dinge nicht besser und „nicht die Seele deshalb schon weise, weil das Mienenspiel angemessen, die Ausdrucks‐ weise gefällig war.“ 84 Auch Marrou vertritt die These, dass sich jegliche Bildung und so auch die rhetorisch erlernte Finesse eines christlichen Redners nach Au‐ gustinus stets dem religiösen Telos unterordnen muss: „Nicht einen Augenblick kommt Augustinus der Gedanke, daß die auf die Form verwendete Sorgfalt, mit einem Wort, die literarische Schönheit als solche, gerechtfertigt sei und ein Gut darstellen könne.“ 85 Im Umkehrschluss würdigt Augustinus in seiner Schrift De dialectica VII die Kraft der Worte (vis verbi) und allgemein die Rhetorik, wenn sie der Wahrheit dienen (betrifft den Dialektiker) und wenn die Schicklichkeit (vom Redner) be‐ achtet wird. Die Termini decorum und aptum werden von Augustinus allerdings nicht immer konsequent und stringent (im Sinne der modernen Rhetorikauf‐ fassung) verwendet, was zum einen Augustinus’ Zeitalter und Bildungsideal geschuldet ist, und zum anderen auch Folge seines individuellen Denk- und Schreibstils sein kann. 86 Der klassischen Rhetorik entsprechend fasst er unter aptum den Referenz‐ rahmen des Redners, der sich aus der Rede (inneres aptum) und den Redegege‐ benheiten wie dem Rezipienten (äußeres aptum) ergibt. Als universale officium der Beredsamkeit (doctr.christ. IV, 25) sieht er als erstes Ziel die Persuasion des Hörers und als zweites Ziel die angemessene Rede dem aptum entsprechend. In De civitate Dei (XIX, 13) verwendet Augustinus decorum im Sinne von „gerecht“, wenn er vom Frieden und den Gütern spricht, die Gott den Menschen gegeben hat, unter der angemessenen Bedingung, dass sie der ethischen Notwendigkeit 217 5.4 Das Schöne und das Angemessene 87 Augustinus: Confessiones. XIII, 38, 53. 88 Joseph Mausbach: Die Ethik des Heiligen Augustinus. 1. Bd., S. 380. 89 Hans Krämer: Integrative Ethik. S. 10 und 75 ff. Folge leisten und im Diesseits gut handeln, um sich für das ewige Leben im Jenseits als geeignet zu erweisen. Zwar ist nur Gott das summum bonum, der allein „niemals aufgehört, das Gute zu wirken“ 87 , doch der Mensch kann in der Zeitlichkeit Gutes tun, wenn sein Herz von göttlichem Geist erfüllt ist. Ähnlich schlussfolgert auch Maus‐ bach, wenn er des Menschen Sittlichkeit in Abhängigkeit zu Gott definiert: „Sittlichkeit ist ja im höchsten Sinne nichts anderes, als Vereinigung und Ver‐ ähnlichung mit Gott.“ 88 Augustinus ist bezüglich seiner Ethik und Rhetorik zwischen Cicero und Ambrosius zu verorten. Er vertritt keine strenge Pflichtethik wie Ambrosius und auch keine Wirkungs- und Gebotsorientierung wie Cicero, sondern eine „Lie‐ besethik“. Zwar könnte die Liebe „strebensethisch“ 89 gedeutet werden, doch Au‐ gustinus stellt sie als christliches Gebot gemäß den von Jesus gegebenen „du sollst“-Maximen der Bibel „sollensethisch“ dar. Nicht das Ich und die Liebe an sich als zentraler Lebensvollzug stehen im Zentrum, sondern die Wahrheit und die Schau Gottes als Endziel der Selbsterkenntnis, wie sie in den Bekenntnissen VII, 17, 23 dargestellt sind, beinhalten das wahre Gebot von Augustinus’ Ethik. Auch für Ambrosius ist der Glaube zentral und das Fundament des Lebens, doch vertritt er die untrennbare Einheit von Beredsamkeit und Schicklichkeit (off. I, 99-100), weil sein Fokus auf das rhetorische und sittliche Handeln des Kle‐ rikers im Diesseits, das ihn dann für das Jenseits bei Gott empfiehlt, gerichtet ist. Insgesamt lassen sich inhaltliche Übereinstimmungen bei Ambrosius und Augustinus finden, was an sich nicht verwunderlich ist, war ersterer doch Weg‐ begleiter, Mentor und Förderer von Augustinus’ Konversion zum Christentum. Ambrosius ist als Movens für Augustinus’ eigene Entwicklung, weg vom Ma‐ nichäismus (Faustus von Mileve) hin zum Christentum, die entscheidende Per‐ sönlichkeit. Beide Kirchenväter wenden sich ab von einer rein utilitaristischen Rhetorik. Sie ist für beide kein pragmatischer Selbstzweck, sondern steht im Dienste einer Idee. Damit wird der teleologische Aspekt betont, wenn der Hauptnutzen der Rhetorik in ihrer Hilfsfunktion für die Vermittlung von Werten gelegt wird. Nach Ambrosius und Augustinus ist die Rhetorik als Beredsamkeit folglich ethisch fundiert; die Substanz (Weisheit) formt die äußere Hülle (Be‐ redsamkeit). Die Rhetorik ist bei beiden als eine Art „Grundlagenwissenschaft“ für Kleriker gedacht (vgl. Kapitel 4.5); sie ist keine bloße methodische Disziplin, sondern basiert auf einem ethischen Prinzip. 218 5 Synthese: Wirkungs- und Gebotsorientierung Wie die Mutter der Rhetorik - die Philosophie - als Lebenskunst in der Antike verstanden wurde, so muss die Rhetorik Teil des eigenen Lebens eines guten Redners sein. Sie darf nicht rein utilitaristisch als Instrument benutzt werden, sondern muss aufgrund des rhetorischen Authentizität-Postulats verinnerlicht und so Teil des eigenen Selbst werden. 219 5.4 Das Schöne und das Angemessene 1 Joachim Knape: ‚Zwangloser Zwang. Der Persuasions-Prozeß als Grundlage sozialer Bindung‘, in: Von der Kunst der Rede und Beredsamkeit. Hg. v. Gert Ueding und Thomas Vogel. S. 54-69. In seinem Artikel stellt Knape sein 2-P-Gesetz vor, das besagt, dass eine tragfähige soziale Bindung eine ständig ablaufende Persuasion, d. h. einen persuasiven Progress, erfordert. Persuasion stellt sich somit nicht als eine einmalige rhetorische Leistung seitens eines Senders dar, sondern ist zwingend als kontinuierlicher Prozess zu begreifen und ist dergestalt in der Kommunikation nicht nur als Oratorkalkül, son‐ dern auch als Reaktionsmoment von Bedeutung. 6 Decorum - Proprium einer anti-manipulativen Rhetorik 6.1 Drei Beispiele von Missachtung des Decorum Wie hat sich das Konzept der rhetorischen Angemessenheit seit Cicero und Ambrosius verändert? Und welche Parameter für das decorum haben sich in den Jahrhunderten danach durchgesetzt? Die Rhetorik als Wissenschaft hat sich - nach ihrem disziplinären Untergang im 19. Jahrhundert - verändert, indem sie sich anderen Disziplinen, wie der Psychologie oder den Kogniti‐ onswissenschaften, geöffnet und deren Erkenntnisse aufgenommen hat. Doch die Aktualität von decorum und aptum ist nach wie vor unbestritten. Es ver‐ wundert nicht, bleibt doch die Angemessenheit eine der Grundvorausset‐ zungen für erfolgreiche Kommunikation und Persuasion. Jedoch hat sich der rhetorische Rahmen, in welchem decorum wirkt, durch die neuen Medien stark verändert. Decorum ist heute nicht mehr nur auf die Stilistik einer Rede oder auf die ethische Handlungsnorm innerhalb einer societas beschränkt, sondern sein rhetorischer Wirkungskreis hat sich gerade auch durch die globalen Massenmedien erweitert. Wenn ein Redner innerhalb einer rhetorischen Situation Flexibilität, Kreati‐ vität und Kompetenz beweist, dann überzeugt seine Rede trotz unvorhergese‐ hener Gegebenheiten. Im 21. Jahrhundert, in dem simultane Kommunikations‐ vorgänge im Internet (per Twitter oder Facebook), vor Ort (Gespräch mit dem Sitznachbarn) und per Telefon (SMS) problemlos stattfinden können, wird die moderne Rhetorik ein genuin kommunikativer Prozess 1 . Dieser Prozess ist zwar vom Redner bezüglich seiner Persuasionsabsicht im Groben seinerseits steu‐ erbar, doch alle Unvorhersehbarkeiten lassen sich nicht ins rhetorische Kalkül einbeziehen, da viele auch erst in der jeweiligen Situation entstehen. Umso mehr 2 Thomas Zinsmaier: ‚Stilbruch - rhetorisch‘, in: RhetOn. Online Zeitschrift für Rhetorik und Wissenstransfer, 2011, unter: www.rheton.sbg.ac.at/ rheton/ 2011/ 11/ stilbruch-%E2% 80%93-rhetorisch/ html; last access: 08.08.2013. 3 Ibid, S. 6. braucht es nach wie vor tragende Prinzipien für die Sicherung des kommuni‐ kativen Erfolges: das decorum. Andererseits ist jedoch feststellbar, dass das Konzept von Angemessenheit in der Praxis der Rhetorik heutzutage offensichtlich auch gelegentlich relativiert wird, vielleicht sogar obsolet geworden ist. Oder es wird im Gegenteil, durch den inszenierten Bruch der Regeln des decorum als Norm erst recht deutlich, kann ein Bruch doch nur dann als solcher wahrgenommen werden, wenn das Prinzip allgemein anerkannt und gültig ist. Mit etwas nicht Existierendem kann man nicht brechen. In der Auseinandersetzung mit dem decorum und in der bewussten Verletzung dieser Norm wird das Postulat ja gerade anerkannt. Stil‐ brüche haben also ganz offensichtlich eine Funktion für die Persuasion. Thomas Zinsmaier weist in seinem Artikel ‚Stilbruch - rhetorisch‘ (2011) da‐ rauf hin, dass in der modernen Unterhaltungsgesellschaft der „‚Stilbruch‘ für lauter Positives [steht]: Aufgeschlossenheit, Frische, Nonchalance, Unkonven‐ tionalität, Pluralismus, Kreativität. Der Stilbruch hat sich in der postmodernen Ästhetik selbst als Stilnorm etabliert“ 2 . In Kunst und Literatur ist der Stilbruch Teil der kreativen Freiheit, doch ist er im rhetorischen Umfeld innerhalb einer kommunikativ geäußerten Persuasionsabsicht anders zu bewerten. Ein „rheto‐ rischer Stilbruch“ nach Zinsmaier ist eng mit dem Ethos des Redners verbunden. In der Antike wird er als vitium (Fehler) klassifiziert. Ein Stilbruch ist dann rhetorisch, wenn ein Redner den Stil verlässt oder missachtet, den ihm das decorum je situativ vorgibt. Zinsmaier spricht hierbei von „stilistischen Codes und Nuancen“, die im Zuhörer eine gewisse Erwartungshaltung generieren. Diese Codes können „gesellschaftsethisch (schicklich/ unschicklich; decorum/ indecorum), sachbezogen (passend/ unpassend; aptum/ ineptum) oder ästhetisch (schön/ unschön; ornatum/ inornatum)“ sein. 3 Aufgrund dieser Codes lässt sich der Stil als das je situativ Angemessene verstehen. Ein rhetorischer Stilbruch kann ungestraft durchgehen oder sanktioniert werden. Ein Fauxpas aus der streng normierten Welt des englischen Parlamen‐ tarismus möge als Beispiel für eine Sanktionierung dienen: Der britische Pre‐ mierminister David Cameron wurde am 23. Oktober 2013 von „Mr. Speaker“ John Bercow im House of Commons (dem Unterhaus des britischen Parlaments) gerügt. In einer hitzigen Debatte (, den so genannten „PMQs“, Prime Minister’s Question Time, welche jeden Mittwoch den Mitgliedern des Parlaments die Möglichkeit geben, dem Premierminister Fragen zu aktuellen politischen Bege‐ 221 6.1 Drei Beispiele von Missachtung des Decorum 4 Pons - Collins Großwörterbuch: für Experten und Universität. Hg. v. Peter Terrell, 3. neu‐ bearb., Ausgabe, Stuttgart/ Düsseldorf/ Leipzig: Klett, 1998. S. 1025 und 1029. benheiten zu stellen) über Energiepreise beschimpfte Cameron seinen Kontra‐ henten Mr. Edward Miliband als „conman“ (Schwindler). In der „daily hansard debate“ (der Mitschrift der parlamentarischen Debatte) ist der Wortlaut nach‐ zulesen, wonach Premierminister Cameron zuerst das Verb „to con the public“ (die Öffentlichkeit hereinlegen) verwendete, um dann darauf Milibands Handeln als „acting like a conman“ und seine Politik als die eines „conman“ zu be‐ zeichnen. Beide Ausdrücke derselben Wortfamilie sind laut Collins linguistisch dem Slang und der Umgangssprache zuzuordnen. 4 Ein Premierminister, der im House of Commons die Stilebene der höflichen Formensprache verlässt und ein Mitglied des Parlaments in derben Ausdrücken beschimpft, begeht damit einen rhetorischen Stilbruch. Nicht nur die inhaltliche Botschaft, sondern die Sprache und Stilebene des Ministerpräsidenten wird vom vorsitzenden Präsidenten wie folgt gerügt: Order. I let it go the first time, but the word ‚conman‘ is, frankly, unparliamentary; the Prime Minister is a man of great versatility in the use of language and it is a bit below the level. We will leave it there. Interessant ist hierbei der dezidierte Hinweis des Präsidenten auf die sachliche Stilebene des Parlaments (genus humile/ subtile), die hauptsächlich der Bera‐ tungsrede (genus deliberativum/ γένος συμβουλευτικόν) angemessen ist. Solange die äußere Form angemessen ist, können auch negative Emotionen verlautbart werden. In niedere Stilebenen abzugleiten ist unter dem Niveau - des Parla‐ mentes und des Premierministers. Man ist, was man sagt und wie man auftritt (Aristoteles nennt dies in seiner Rhetorik I, 1366a10 eine „sittlich anständige Rede“ (λόγος ἠθικός), die das Ethos des Sprechers präsentiert). Während ratio‐ naler Argumentationsketten in umgangssprachliche Ausdrücke abzugleiten, er‐ zeugt Widerstand aus den Reihen der zuhörenden Mitglieder des Parlaments, was nicht passiert wäre, wenn Cameron seine Anschuldigung gegenüber Mili‐ band sachlich vorgebracht hätte. So ist aus rhetorischer Perspektive sein Auftritt in dieser Debatte ein nicht erfolgreicher Persuasionsversuch, da er seinen poli‐ tischen Kontrahenten verunglimpft. Bereits am selben Tag berichtete die eng‐ lische Presse über diesen Vorfall und bescherte dem Premierminister negative Schlagzeilen, die sein Ethos als redebegabter und besonnener Politiker zu de‐ maskieren drohten. Die Schlagzeilen reichten von „PMQs: David Cameron mo‐ cked by Ed Miliband and slapped down by John Bercow“ (The Huffington Post 222 6 Decorum - Proprium einer anti-manipulativen Rhetorik 5 Ned Simons: ‚PMQs: David Cameron mocked by Ed Miliband and slapped down by John Bercow‘, in: The Huffington Post UK, 23.10.2013, unter: www.huffingtonpost.co.uk/ 2013 / 10/ 23/ david-cameron-john-bercow-pmqs_n_4148319.html; last access: 20.11.2013. 6 George Eaton: ‚PMQs review: Miliband leaves Cameron looking ‚weak, weak, weak‘, in: New Statesman, 23.10.2013, unter: www.newstatesman.com/ politics/ 2013/ 10/ pmqsreview-miliband-leaves-cameron-looking-weak-weak-weak; last access: 13.11.2013. 7 John Rentoul: ‚The humbling of David Cameron: This outbreak of petulance may cost the PM dearly. The PM was stung into revealing a side of his personality that he has kept hidden‘, in: The Independent, 24.10.2013, unter: www.independent.co.uk/ voices/ comment/ the-humbling-of-david-cameron-this-outbreak-of-petulance-may-cost-the -pm-dearly-8902182.html; last access: 20.11.2013. 8 Joachim Knape: Was ist Rhetorik? S. 58-63. 9 „The Prime Minister really is changing his policy every day of the week. It is absolutely extraordinary. [...] I will tell him what is weak: not standing up to the energy companies. That is this Prime Minister all over.“ Column 294, unter: www.publications.parliament.uk/ pa/ cm201314/ cmhansrd/ cm131023/ debtext/ 131023-0001.htm; last access: 05.09.2016. UK, 23.10.2013 5 ), über „PMQs review: Miliband leaves Cameron looking ‚weak, weak, weak‘“ (New Statesman, 23.10.2013 6 ) bis hin zu „The humbling of David Cameron: This outbreak of petulance may cost the PM dearly. The PM was stung into revealing a side of his personality that he has kept hidden.“ (The Indepen‐ dent, 24.10.2013 7 ). Ob diese sprachliche Entgleisung seinem Ethos als Staats‐ mann anhaltend schadete, kann so der Tagespresse nicht entnommen werden, wohl aber handelt es sich eindeutig um einen rhetorisch fehlgeschlagenen Per‐ suasionsvollzug Camerons. Nicht Miliband steht nun im Kreuzfeuer der Kritik, sondern Cameron selbst. Es ist anzunehmen, dass Cameron spontan sein Rede‐ konzept geändert hat, sonst hätte er seinen verbalen Angriff auf Miliband zuvor stilistisch fein geschliffen und rhetorisch inszeniert, womit er sichergestellt hätte, dass zumindest der kognitive, sprachliche und situative Widerstand 8 von Seiten des Rezipienten in das Kalkül einbezogen worden wäre und seine Bot‐ schaft auch das Ziel erreicht hätte: Die Mitglieder des Parlaments sollten von ihrem Zertum der politischen Interaktion bezüglich eines Preisstopps von Ener‐ giepreisen abgebracht und zu einem Meinungswechsel bewogen werden. An‐ gesichts unaufhaltsam steigender Energiepreise und Lebenshaltungskosten in Großbritannien behauptete die Labourpartei, die Menschen sähen sich ge‐ zwungen, zwischen „heating“ und „eating“ zu wählen, da sie sich beides zu‐ sammen nicht mehr leisten könnten, und sie versprach nach einem Sieg der Partei 2015, die Energiepreise für 20 Monate einzufrieren. Cameron wollte die Parlamentarier von der Ineffektivität dieser Maßnahme überzeugen, wirkte nach seinem Fauxpas aber rhetorisch hilflos und war politisch angeschlagen, was Miliband in besagter Fragerunde am 23.10.2013 auch deutlich aussprach 9 223 6.1 Drei Beispiele von Missachtung des Decorum 10 Ibid, column 294. 11 Unter: www.spiegel.de/ einestages/ benetton-schockwerbung-in-den-neunzigern-pulloversind-mir-scheissegal-a-1040595.html; last access: 06.09.2018. 12 Folgende Artikel dokumentieren die Rezeption dieser Schockwerbung Benettons, unter: http: / / magazin.spiegel.de/ EpubDelivery/ spiegel/ pdf/ 13684629; unter: www.stuttgarternachrichten.de/ inhalt.oliviero-toscani-das-geschaeft-mit-der-provokation.dce4e1f0-4fb 8-4c7d-8bfa-2bd34dd3fc8f.html; und unter: www.zeit.de/ lebensart/ mode/ 2011-11/ benettonunhate-kampagne/ komplettansicht; last access: 06.07.2016. und der New Statesman so kommentierte: „[T]he PM [who] looked like a beaten boxer waiting desperately for the bell“. Die stilistische Entgleisung Camerons wurde also von den Beteiligten im Parlament und von den Medien sanktioniert, und als Cameron noch während der Rede seines Kontrahenten Miliband von der Bank aufstand, vermerkte das Protokoll dieses Verhalten indirekt offensichtlich ebenfalls als Fauxpas 10 und damit als unangemessen. Camerons niveauloser rhetorischer Stilbruch, der ansonsten in Literatur und Kunst als captatio benevolentiae-artige Floskel durchgehen mag, wurde hier, auf der Ebene des politischen Schlagabtausches im Parlament, als unentschuldbarer Bruch mit den stilistischen Codes der Sachbezogenheit (aptum) und der Gesell‐ schaftsethik (decorum) wahrgenommen und gedeutet. Als weiteres Beispiel möge ein „Werbeplakat“ der Firma Benetton aus dem Jahr 1994 dienen, das weder ein Produkt bewirbt, noch den Kaufanreiz eines in Szene gesetzten Wunschobjektes seitens der Konsumenten zum Ziel hat. Es zeigt die Originaluniform des im Bosnienkrieg getöteten Soldaten Marinko Grago. Der Vater des toten Soldaten hatte Benetton die Uniform überlassen, um nach seiner eigenen Aussage 11 auf die Absurdität des Krieges hinzuweisen. Diese Fo‐ tographie von Oliviero Toscani, dem damaligen Chef der Imagekampagne des Modeunternehmens, löste zusammen mit anderen ähnlich gestalteten Werbe‐ plakaten in den Neunzigern eine Welle der Entrüstung und sogar ein Plakat‐ werbeverbot in den USA (für die Abbildung von zum Tode Verurteilten) aus. 12 Warum diese aufgebrachte Diskussion um ein Plakat? Das Publikum reagierte auf diese Abbildung wohl so schockiert, weil sie einen Bruch darstellte gegen‐ über dem, was allgemein als ethisch angemessen empfunden wurde, weil also das decorum nicht beachtet worden war. Es wurde als moralischer Tabubruch empfunden, weil der Tod scheinbar ästhetisiert und der tote Soldat durch die Werbung missbraucht und seiner Würde beraubt worden war. Der durch diese Werbebotschaft beabsichtigte Protest des Vaters gegen den Bosnienkrieg schien für Benetton nur eine Möglichkeit kommerzieller Ausschlachtung zu sein. Das Unternehmen selber betonte in verschiedenen Stellungnahmen, dass das Foto einfach nur künstlerisch gestaltete Werbung sei, Krieg und Werbung hätten 224 6 Decorum - Proprium einer anti-manipulativen Rhetorik 13 Diese innovative Färbetechnik ermöglicht es, ganze Kleidungsstücke zu färben, anstatt farbige Wolle zu Kleidung zu verarbeiten. Unter: http: / / de.benetton.com/ knitwear/ ; last access: 06.07.2016. 14 Christian Wulff: Das gesamte Wulff-Interview in Video und Wortlaut mit ARD und ZDF am 04.01.2012, unter: www.spiegel.de/ politik/ deutschland/ 0,1518,807232-2,00.html; last access: 12.01.2012. nichts miteinander zu tun. Wie immer setzte das Unternehmen einfach auf die Wirkungskraft der Farbe. Seine spezielle Färbetechnik 13 ermöglicht ihm näm‐ lich, fertige Kleidungsstücke insgesamt einzufärben, was ihm erlaubt, schnell und flexibel auf Modetrends zu reagieren. Besonders pikant dabei: Die Abbil‐ dung der Kleider des toten Soldaten, das blutgetränkte Hemd mit dem Ein‐ schussloch und die tarnfarbige schmutzige Hose, beides ausgebreitet, schienen das Logo des Unternehmens („United Colors of Benetton“) zu konterkarieren. Die Welt ist eben nicht vereint, sondern im Krieg. War die Abbildung also nicht doch - im Sinne des Vaters des toten Soldaten - eine politische Botschaft, eine Absage an den Krieg? Aber war es damit noch ein Werbeplakat? Als solches wurde es offensichtlich nicht unbedingt emp‐ funden. Worauf zielte der offensichtliche Bruch des decorum? Die Frage nach der Angemessenheit einer Rede beziehungsweise einer Hand‐ lung stellt sich mit Blick auf den Orator, hier mit Blick auf den Handelnden, auf die Sache und den Adressaten. Die Firma Benetton gab das Werbeplakat bewusst so in Auftrag. Ihr Adressat war die globale Öffentlichkeit, waren die potenziellen Konsumenten, deren Aufmerksamkeit sie wecken wollte, diesmal durch be‐ wusste Provokation und Verstörung, in der zeitgenössischen Kunst (wie bei Hermann Nitsch oder Damien Hirst) eine gängige Methode, in der ästhetisch heilen Werbewelt jedoch eher weniger. Das beabsichtigte Ziel der Verstörung wurde offensichtlich erreicht, der Aufschrei der Öffentlichkeit ist der Beweis dafür. Ein weiteres Beispiel für den Bruch des decorum stammt aus der Welt der Politik. Im Januar 2012 wurde der durch einen Kredit in die Kritik geratene Bundespräsident Christian Wulff von ZDF- und ARD-Redakteuren interviewt. Er sah sich veranlasst, zu den Vorwürfen zu einem umstrittenen Immobilien‐ kredit und zu Urlaubseinladungen durch Unternehmer und Privatpersonen Stel‐ lung zu nehmen. Das in Abschrift erhaltene Interview 14 gibt anschauliche Bei‐ spiele, in denen das rhetorische Postulat der Angemessenheit missachtet worden ist. So sind nicht nur sprachliche Fehler, sondern auch Angemessen‐ heitsbrüche in der rhetorischen Performanz des Bundespräsidenten zu finden. Bundespräsident Wulff verwendete Metaphern falsch, übersetzte ein Zitat zu frei, stimmte seine körperliche actio nicht angemessen auf den Inhalt seiner 225 6.1 Drei Beispiele von Missachtung des Decorum 15 George Lakoff und Mark Johnson: Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern. 7. Aufl., Heidelberg: Carl-Auer, 2011. 16 Ibid, S. 14 und S. 111. 17 Ibid, S. 191. 18 Das gesamte Wulff-Interview in Video und Wortlaut (2012), Teil 5. Redebeiträge ab und verwechselte insgesamt seine berufliche Rolle als Staats‐ oberhaupt mit seiner privaten Rolle als Christian Wulff, wie später gezeigt werden soll. Nach Lakoff und Johnson 15 werden Metaphern nicht mehr nur als ornatus einer Rede, sondern als mentale Konzepte der menschlichen Imagination ge‐ fasst. Diese strukturieren unser Denken und Handeln und sind im menschlichen Leben allgegenwärtig, ohne den Anwendern in dieser Form stets bewusst zu sein. Das menschliche Konzeptsystem ist metaphorisch strukturiert und hilft im Idealfall, ein klares und konsistentes Bild zu erzeugen. 16 Ein Konzept, das inhä‐ rente und interaktionelle Eigenschaften eines Objektes aufzeigt, tut dies meist durch Metaphern, die entschlüsselt und verstanden werden müssen. Zuerst muss ein Satz verstanden werden, bevor der Satz an sich als wahr oder falsch begriffen werden kann. 17 Dies bedeutet nach Lakoff und Johnson, dass eine Wahrheit linguistisch nicht absolut, sondern abhängig vom jeweiligen Kon‐ zeptsystem ist. Doch um die Wahrheit erfassen zu können, muss ein Konzept kohärent und in seinen Metaphern verstehbar sein. Werden Metaphern ominös verwendet, ist ein Konzept nicht klar, und die Wahrheit kann vom Gesprächs‐ partner oder Rezipienten nicht erkannt werden. So verwendet Bundespräsident Wulff die Metapher „Politik ist Unterordnung unter Höheres“, als er davon spricht, dass „man dem Amt sicher nicht ge‐ dient“ 18 habe. Als Diener kommt hier wohl nur er selbst, Christian Wulff, in Frage, der sich als Person dem Amt, das er innehat, unterordnen muss. Diese Auslegung der Metapher ist eigentlich offensichtlich, wäre da nicht diese „man“-Formulierung, in der er sich selbst distanziert und scheinbar über einen Dritten spricht. Scheut sich das präsidiale Oberhaupt, Verantwortung für sein Tun zu übernehmen? Sieht er sich selbst nicht als Diener dieses würdevollen Amtes? Auch seine Mimik passt nicht zu seiner Metapher, denn er schaut nicht mehr direkt seine Gesprächspartner an, sondern blickt auf die leere Tischplatte. Es scheint, als habe sich der präsidiale Diener in einer dritten Form aufgelöst. Der sprachliche Kontext und die rhetorische Performanz sind der Metapher „Politik ist Unterordnung“ nicht angemessen. Auch die laxe Verwendung des Truman-Zitates trägt weiter zur Verwirrung seitens des Rezipienten (hier des Fernsehzuschauers) bei. Bereits als Senator benutzte Harry S. Truman 1942 den Ausspruch „If you don’t like the heat, get out of the kitchen“ als Reaktion auf 226 6 Decorum - Proprium einer anti-manipulativen Rhetorik 19 Unter: www.spiegel.de/ kultur/ gesellschaft/ spott-ueber-bundespraesidenten-neues-verbwulffen-entstanden-a-808568.html; last access: 04.09.2014. 20 George Lakoff und Mark Johnson: Philosophy in the flesh: the embodied mind and its challenge to western thought. New York: Basic Books, 1999. die Kritik eines Mitgliedes seines Kriegsuntersuchungsausschusses an seinem anstrengenden Tempo. Als Präsident dann verwandte er 1949 dieses Zitat in veränderter Form gegenüber seinem Personal: „If you can’t take the heat, get out of the kitchen“. In beiden Versionen wird die Warnung deutlich, keinen Job zu übernehmen, dessen Druck man als Person nicht standhalten kann. Das eng‐ lische Idiom „can’t take sth.“ wäre im Deutschen mit „nicht verkraften oder aus‐ halten können“ zu übersetzen und konnotiert in diesem Fall, etwas jemand an‐ derem zu überlassen, der dem Druck standhalten kann. Wulffs freie Übersetzung „wem es in der Küche zu heiß ist, der darf nicht Koch werden wollen“, wird dieser Konnotation nicht gerecht. Und genau diese Konnotation verhindert, das Zitat zugunsten Wulffs auszulegen. Denn er ist es ja gerade, der in der Kritik steht und der nicht mehr Herr der politischen Großküche zu sein scheint. Vor diesem Hintergrund betrachtet, könnte dieses Zitat eine mögliche Lösung im‐ plizieren: Überlasse die Arbeit jemand anderem. Gerade dies will der Bundes‐ präsident jedoch verhindern und im Amt bleiben. Konzept und Metapher sind zumindest missverständlich, und er selbst wird als unauthentisch wahrge‐ nommen. Das Beispiel zeigt, inwiefern Sprache, kognitive Denkprozesse und rheto‐ risch-ethische Angemessenheit miteinander verwoben sind. Die Tatsache, dass Christian Wulff als präsidiales Staatsoberhaupt spricht, lässt seine rhetorischen Fehler deutlich zutage treten und führt zu Zweifeln, ob er, ethisch gesehen, seiner Rolle gerecht werden kann. Das Resultat ist Verwirrung auf Seiten der Zuschauer, die ihn als Bundespräsidenten sehen müssen und ihm seine als Pri‐ vatmann geäußerte Reue und damit auch insgesamt seine Kompetenz nach diesem rhetorisch unangemessenen Auftritt nicht mehr abnehmen können. Dies lässt sich auch aus der Tatsache ableiten, dass in den darauffolgenden Tagen ein neuer linguistischer Ausdruck als Verb auftauchte: „wulffen“ für „nicht direkt die Wahrheit sagen“. 19 Wenn Lakoff und Johnson mit ihrer These Recht behalten und auch Moral metaphorisch gedacht, verstanden und angewandt wird 20 , so wäre diese Wortneubildung ein Zeichen dafür, dass ein neues metapho‐ risch-(a)moralisches Konzept im Entstehen begriffen war. Was zeigen diese Beispiele von Missachtung des decorum im Hinblick auf seine Funktion? Im Rahmen des persuasiven Kommunikationsmodus ist das decorum zugleich Kriterium und Prinzip erfolgreichen, d. h. interaktiv-koope‐ rativen Kommunizierens. Es ist Kriterium, da es als Garant für einen angemes‐ 227 6.1 Drei Beispiele von Missachtung des Decorum 21 Franz-Hubert Robling: Redner und Rhetorik. S. 21. 22 Im Juni 2018 schockierte erneut eine Werbekampagne Toscanis für Bennetton mit einer Photographie von aus dem Mittelmeer geretteten Flüchtlingen, die als großflächiges Inserat in der Corriere della Sera erschien. senen linguistischen Code fungiert und Prinzip in seiner Funktion als ethischer Handlungsnorm, die ein Gelingen des persuasiven Sprechaktes ermöglichen. ‚Gelingen‘ soll hier den gezielten und erfolgreichen Wechsel von Dissens (Sender und Rezipient vertreten unterschiedliche Zerta) zu Konsens (Sender und Rezipient vertreten ein Zertum) durch Persuasion bedeuten. Hierbei kommt dem „kommunikativen Ethos“ des Orators eine maßgebliche Rolle zu, die bereits die antike Rhetorik (Aristoteles) und auch die moderne Per‐ suasionsforschung (ELM, HSM: source credibility) betonen. „Kommunikatives Ethos“ bezeichnet die rhetorische Selbstdarstellung des Orators, d. h. sein kom‐ munikativ vermitteltes Ethos, das sozial akzeptabel sein muss, aber nicht unbe‐ dingt seine moralische Integrität per se repräsentiert. 21 Das aristotelische Ethos wird erzeugt durch Klugheit (φρόνησις), ethische Tugend (ἀρετή) und Wohl‐ wollen gegenüber dem Publikum (εὔνοια) und garantiert überzeugungskräftige Glaubwürdigkeit (Rhetorik II, 1, 5) und Sympathie für den Orator. Es ist als eines der drei Überzeugungsmittel fast von größter Bedeutung (Rhetorik I, 2, 4). Diese Selbstdarstellung des Orators in seiner Rede ist in den kommunikativen Prozess eingebettet und in der präkommunikativen Phase strategisch von ihm im Hin‐ blick auf das Publikum geplant. Das Beispiel von David Cameron zeigt, dass sein Ethos durch die Missachtung des decorum zwar zeitweise etwas gelitten zu haben scheint, doch sein poli‐ tisches Ende als Premierminister sollte er erst durch das EU-Referendum 2016 und dem daraus resultierenden und nicht geplanten Brexit finden. Dem gegen‐ über läutete Christian Wulffs unangemessenes Verhalten und Auftreten sein politisches Ende als Bundespräsident ein. Auch wenn ihm juristisch kein Fehl‐ verhalten nachzuweisen war, war sein Ansehen durch die Missachtung des decorum unwiderruflich geschädigt, und er war als Oberhaupt im Staate nicht mehr tragbar. Im Bereich der Werbung von Benetton scheint der Tabubruch dem Unternehmen zunächst nicht unmittelbar geschadet zu haben: die Umsatzzahlen sollten erst 1994 einbrechen, der Verantwortliche Toscani 22 musste im Jahr 2000 gehen, doch die weltweite Publicity war dem Unternehmen sicher. Jedoch waren die Werbeplakate nach öffentlichem Protest in den USA vom Markt zu nehmen, und im Jahr 1995 erließ der BGH ein Verbot von drei Benetton-Motiven, da sie als sitten- und wettbewerbswidrig eingestuft wurden. Diese unterschiedlichen Konsequenzen zeigen, dass die ethische Angemes‐ senheit zwar den Rahmen für das rhetorische Ethos vorgibt (was ziemt sich für 228 6 Decorum - Proprium einer anti-manipulativen Rhetorik 23 Das Thema der Angemessenheit zeigt sich bei Thomasius im 17. Jahrhundert als eine von drei regulativen Ethiken des sozialen Lebens. Jane Austen entdeckt zu Beginn des 19. Jahrhunderts das decorum als dezidiert literarisches Sujet und macht es zum Gegen‐ stand ihrer gesellschaftskritischen Romane (Pride and Prejudice), wobei es ihr gelingt, die entsprechenden sozialen Prototypen vor allem in den Dialogen lebendig werden zu lassen. 24 Vgl. Barbara Merker, Georg Mohr und Ludwig Siep: ‚Einleitung‘, in: Merker/ Mohr/ Siep: Angemessenheit. Zur Rehabilitierung einer philosophischen Metapher. S. 13. einen Bundespräsidenten), doch es ist der situative Faktor (wie präsentiert sich der Orator in der konkreten rhetorischen Situation), der alles entscheidend ist. Das situativ angemessene Ethos berücksichtigt alle linguistischen, rhetorischen und ethischen Erfordernisse und bringt sie in Einklang (unter Berücksichtigung und Beurteilung aller Nachteile und Verluste für den Orator) innerhalb des per‐ suasiven Kommunikationsprozesses. 6.2 Die normative Kraft der Gefühle und der ethische Kohärentismus Alle besprochenen Autoren, von Horaz über Aristoteles, Cicero, Opitz bis zu Thomasius 23 eint ein gemeinsames Interesse am decorum, ausgehend vom rein dem ornatus verhafteten rhetorischen Prinzip bis hin zur gesellschaftlich und rhetorisch wirksamen Urnorm. Zuletzt bleibt noch die Frage offen, wie sich die heutige Philosophie zur Angemessenheit stellt, ob ein systematisches Nach‐ denken darüber stattfindet und welche Relevanz dem Prinzip zugeschrieben wird. Im theoretischen Umfeld lassen sich Ernst Tugendhat (Vorlesungen über Ethik und Probleme der Ethik), Hermann Schmitz (System der Philosophie), Michael Tomasello (Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation) und vor allem Klaus Günther (Der Sinn für Angemessenheit. Anwendungsdiskurse in Moral und Recht) und schließlich Jens Badura (Die Suche nach Angemessenheit: praktische Philosophie als ethische Beratung) anführen, die Angemessenheit als Teil der Moral innerhalb eines philosophischen Systems oder als Teil kooperativer Kom‐ munikation peripher und zum Teil auch dezidiert zum Thema haben. Im Be‐ sonderen sind es vor allem philosophische Artikel, die Angemessenheit thema‐ tisieren und gegenüber anderen Normen abgrenzen. 24 Insbesondere sind hier Hilge Landweer, Judith Siegmund (‚Eine Frage der Angemessenheit. Ästhetik als Philosophie der Kunst‘, in: Melanie Sachs und Sabine Sander (Hg.): Die Per‐ manenz des Ästhetischen, S. 41-54) und der von Barbara Merker, Georg Mohr und Ludwig Siep herausgegebene Sammelband Angemessenheit. Zur Rehabilitierung einer philosophischen Metapher zu nennen. 229 6.2 Die normative Kraft der Gefühle und der ethische Kohärentismus 25 Ibid, S. 9. 26 Hilge Landweer: ‚Der Sinn für Angemessenheit als Quelle von Normativität in Ethik und Ästhetik‘, in: Kerstin Andermann und Undine Eberlein (Hg.): Gefühle als Atmo‐ sphären. Neue Phänomenologie und philosophische Emotionstheorie. S. 57. 27 Markus Gottschling und Olaf Kramer: Art. ‚Rhetorische Situation‘, in: Historisches Wör‐ terbuch der Rhetorik. Bd. 10, Sp. 1126-1132. Der Begriff der Situation, der in der Rhetorik als „rhetorische Situation“ firmiert, bezeichnet unter anderem eine gemäß dem decorum je situativ angepasste Rede und Verhaltenweise des Redners. 28 Hilge Landweer: ‚Der Sinn für Angemessenheit als Quelle von Normativität in Ethik und Ästhetik‘, in: Kerstin Andermann und Undine Eberlein (Hg.): Gefühle als Atmo‐ sphären. Neue Phänomenologie und philosophische Emotionstheorie. S. 57. 29 Ibid, S. 58. 30 Ibid, S. 58. Landweer, Krämer und Till beschäftigen sich mit der Bedeutung von Ange‐ messenheit im Bereich der Emotionen, während Siegmund die ästhetische Di‐ mension von Angemessenheit im Bereich der Kunst untersucht, und Merker/ Mohr/ Siep präsentieren die Angemessenheit als „Metapher, die unsere Vorstel‐ lung des räumlichen Messens in den Bereich des Geistes überträgt.“ 25 Für die vorliegende Arbeit ist besonders der Ansatz von Landweer mit der Ortung des decorum im Bereich der Gefühle interessant. Landweer erinnert ein‐ gangs an den Zweck großer kollektiver „Gefühlsinszenierungen“ 26 , die „das richtige Maß“ haben müssen, damit sie situativ wirken und so in die gewünschte Richtung gelenkt werden können. Außer der jeweiligen Situation 27 spielen Vor‐ stellungen von Moral und Ethik eine Rolle, die ihrerseits kollektiv gebunden sind. Da es seit der Antike bis heute keine statischen Regeln für das decorum gibt, ist es - in der Tradition Ciceros - auch für Landweer offensichtlich, dass der Mensch über ein Gespür für Angemessenheit verfügt, das ihn in seinem ethischen und rhetorischen Verhalten leitet. Dementsprechend lautet ihre These, dass Menschen durch Gefühle Situationen erschließen und mit diesen auch die normativen Gehalte von Situationen erfassen können. 28 Dabei ist ein solches „Gespür für die ethische Dimension der Situation“ 29 nicht angeboren, sondern muss bewusst ausgebildet werden. Dieses Gefühl oder Gespür gilt ihr als Voraussetzung, dass die kantische Urteilskraft erst wirksam werden kann. Landweer modifiziert Kants Prämisse im Sinne eines Gemeinsinns oder sensus communis, der die Menschen befähigt, an der Stelle anderer zu fühlen (nicht primär zu denken! ) 30 . Das kognitive Vermögen des Menschen reicht dazu allein nicht aus, es muss eine emotionale Fähigkeit hinzukommen, die es dem Men‐ schen ermöglicht, auf Situationen adäquat reagieren zu können. Dies lässt den Rückschluss zu, dass das decorum jeweils ‚erfühlt‘ werden und der Mensch sich zu dieser Fähigkeit des ‚Erfühlens‘ bilden muss. Fühlen und denken oder Gefühle und Normen konvergieren und bedingen einander. Dies zeigt sie anhand der 230 6 Decorum - Proprium einer anti-manipulativen Rhetorik 31 Ibid, S. 59: Den Begriff der Norm definiert sie als „Oberbegriff für allgemeine Verhal‐ tenserwartungen“. 32 Bernard Williams: Scham, Schuld und Notwendigkeit. S. 91: „Die Grunderfahrung der Scham besteht darin, daß ich von den falschen Leuten in einer falschen und unange‐ nehmen Lage auf unangemessene Weise gesehen werde.“ 33 Hilge Landweer: ‚Der Sinn für Angemessenheit als Quelle von Normativität in Ethik und Ästhetik‘, in: Kerstin Andermann und Undine Eberlein (Hg.): Gefühle als Atmo‐ sphären. Neue Phänomenologie und philosophische Emotionstheorie. S. 60. 34 Ibid, S. 61. 35 Ibid, S. 62. 36 Ibid, S. 63. Tatsache, dass Normen 31 und Konventionen erst durch Sanktionen wie Strafe, Reglementierung, Tadel und Kritik ex negativo konkret werden. Sanktionen sind jedoch nicht nur sprachlich artikuliert, sondern können auch durch Emotionen vermittelt werden. Hierbei unterscheidet sie auf der einen Seite zwischen mo‐ ralischen Normen und deren emotionalen Sanktionen, die sich als Scham 32 , Schuldgefühl, Zorn und Empörung manifestieren und auf der anderen Seite nicht-moralischen Normen, die ebenfalls durch emotional bedingtes negatives Verhalten wie Verlegenheit, Peinlichkeit, Ärger, Gereiztheit und Ungeduld, Lie‐ besentzug, Verachtung und Scham vermittelt werden. 33 Als Bedingung für eine moralische Norm oder Handlung definiert Landweer die Notwendigkeit einer „Selbstbindung“ als Anerkennung einer Norm und Bindung an sie (Kant in KdU B, 70: „Gesetzmäßigkeit ohne Gesetz“) und die Auslösung von emotionalen Sanktionen bei Übertretung einer Norm als „innere Sanktionen“. 34 Vier Kriterien 35 müssen nach Landweer erfüllt sein, damit eine Norm in moralischem Sinn gilt: 1. Scham bei eigener Übertretung; Empörung bei fremder Übertretung (Re‐ ziprozitätsbedingung) 2. Scham auch bei Nicht-Entdeckung (Scham vor sich selbst) 3. Schuldgefühle, wenn es Geschädigte gibt 4. Ausbildung einer „stabile[n] Disposition zu reziproker Scham und Em‐ pörung bei entsprechenden Normverletzungen“. Während das erste und letzte Kriterium eine Sonderstellung bei Landweer ein‐ nehmen, da sie „bereits zusammen hinreichend [sind]“, gelten das zweite und dritte Kriterium nur dann, wenn sie mit dem ersten und/ oder vierten Kriterium zugleich auftreten. 36 Landweer konstatiert, dass es ohne Gefühle die Institution der Moral nicht geben könne, Moral jedoch nicht allein auf Gefühle zurückzuführen sei. Einsicht oder Achtung (Kant) genügten allein aber auch nicht, um den Menschen zu 231 6.2 Die normative Kraft der Gefühle und der ethische Kohärentismus 37 Ibid, S. 65-66. 38 Ibid, S. 66. 39 Hilge Landweer: ‚Der Sinn für Angemessenheit als Quelle von Normativität in Ethik und Ästhetik‘, in: Kerstin Andermann und Undine Eberlein (Hg.): Gefühle als Atmosphären. Neue Phänomenologie und philosophische Emotionstheorie. S. 67. 40 Ibid, S. 68-69. 41 Ibid, S. 72. Landweer fasst den „Sinn für Angemessenheit“ nicht rhetorisch als aptum/ decorum, sondern sie versteht darunter eine emotionale Disposition, die durch „leibliche Interaktion“ erworben wird und ein je adäquates, situatives Verhalten gemäß norma‐ tiven Anforderungen ermöglicht. moralischem Handeln anzuleiten. Es bedarf zum einen, wie oben angeführt, zwar auch der Selbstbindung an Normen, zum anderen aber des Wunsches, in einer bestimmten Sozietät zu leben, was Landweer „ein fundiertes Zugehörig‐ keitsgefühl“ nennt. Das Gewissen und die „Scham vor sich selbst“, unabhängig von einer möglichen Entdeckung und der Zensur durch andere, richten und sanktionieren unser Tun. 37 Gefühle können aber nur dann normativ wirken, wenn eine Situation als etwas erfahren wird, das uns angeht, „etwas, das Ansprüche an uns stell[t]“ 38 , worauf wir mit unserem ganzen Körper „in seiner funktionie‐ renden Einheit“ reagieren. Sie bezeichnet diese Reaktion als eine „leibliche Interaktion“, als „Modus des Erlebens“ und als „Wahrnehmungsaktivität“. 39 Der ganze Mensch spielt sich so in einer Situation „leiblich“ auf andere ein. Mit dem Adjektiv „leiblich“ drückt Landweer meines Erachtens hier indi‐ rekt die Relativität der Sprache im Prozess der Kommunikation aus. Ein Beispiel für instinktive situationsbedingte Reaktion passiert zum Beispiel, wenn man auf dem Gehsteig einer sich nähernden Person automatisch, fast reflexhaft ausweicht. Diese Reaktion wird durch die Sozialisation des Men‐ schen ausgebildet („anthropologische Ausgangsbedingung“). Es handelt sich hier um eine Art basaler Kommunikation als „emotionale und kognitive Verbindung“ von Menschen, die nach Landweer die Quelle der Normati‐ vität ist. Da der Sinn für Angemessenheit sich an den normativen Erforder‐ nissen einer Situation orientiert, stellt er eine „Form impliziten Wissens“ dar, die leiblich und interaktiv erspürt wird. 40 Als Spezialfälle des Sinns für Angemessenheit werden das Gerechtigkeits‐ gefühl oder das moralische Gefühl, das Taktgefühl („Geschmack“ bei Kant), der praktische Sinn (Pierre Bourdieu), die Höflichkeit und das Rechtsgefühl angeführt. In der Rhetorik vereine sich im aptum/ decorum zum einen die optische Pas‐ sung, die den ästhetischen Sinn anspreche und zum anderen die mechanische, die eine soziale Bedeutung habe. 41 Diese beidseitige Verknüpfung im rheto- 232 6 Decorum - Proprium einer anti-manipulativen Rhetorik 42 Ibid, S. 74. 43 Ibid, S. 76. 44 Dietmar Till: ‚Rhetorik des Affekts (Pathos)‘, in: Ulla Fix, Andreas Gardt und Joachim Knape (Hg.): Rhetorik und Stilistik. Ein internationales Handbuch historischer und syste‐ matischer Forschung. S. 650 und 653. 45 Barbara Merker, Georg Mohr und Ludwig Siep: ‚Einleitung‘, in: Merker/ Mohr/ Siep: Angemessenheit. Zur Rehabilitierung einer philosophischen Metapher. S. 9. rischen Angemessenheits-Postulat ist nach Landweer auch in den verschie‐ denen Abzweigungen der sensus communis-Tradition aufzufinden. Sie schlägt dabei den Bogen von Aristoteles’ Konzept des κοινόν αἰσθητήριον, über Des‐ cartes’ sensus communis (gemeinschaftliche Überzeugungen) zur Entwicklung des common sense (gemeinsames Erkennen) zur moral sense-Philosophie (ge‐ meinsames Wahrnehmen oder Fühlen) im 18. Jahrhundert und Kants „Gemein‐ sinn“ (nach Arendt als Präsenz der Anderen definiert) und schließlich Husserls „originäre[m] Gefühl. 42 Für Landweer ist der Sinn für Angemessenheit zwischen Ästhetik und Ethik zu lokalisieren, der Menschen verbindet und „ein Gespür für die Atmo‐ sphäre einer Situation und für die Programme und Probleme, die in ihr ent‐ halten sind, auch jenseits der möglichen eigenen leiblich-affektiven Betrof‐ fenheit [impliziert].“ 43 Während Landweer Angemessenheit als primär durch Gefühle artikuliert betrachtet, lokalisiert Till das Wirkungsgebiet der Angemessenheit als zentrales Regulativ emotionaler Überzeugungsprozesse innerhalb der kontextbedingten Kommunikation 44 und Merker, Mohr und Siep widmen sich dem Thema der Angemessenheit in einem von ihnen im Jahr 1998 herausgegebenen Sammel‐ band mit dem Titel Angemessenheit. Zur Rehabilitierung einer philosophischen Metapher. Angemessenheit ist hier „Übereinstimmung mit etwas Vorgege‐ benem“, sei es in Bezug auf die Natur oder auf die Normen des Logos. Um trans‐ zendente, außersubjektive Phänomene wie Vernunft oder Gott denken zu können, bedarf der Mensch einer philosophisch angemessenen Metapher, die die Relation zwischen dem denkenden Menschen und diesen „Realitäten“ setzt, um die mentalen Leistungen überhaupt bewerten zu können. 45 Diese Bedeutung einer Relation sei die erste Tradition der Metapher, der die zweite Tradition von Angemessenheit als ein „interne[s] Zusammenpassen[] von Momenten zu einem Ganzen“ (τὸ πρέπον und decorum/ aptum) folgt. In dieser Linie werden Aristoteles und sein Konzept der richtigen Proportion und Harmonie, Cicero in seiner römischen Rezeption des griechischen πρέπον als Philosoph der allge‐ meinen (decorum/ honestas) und besonderen Schicklichkeit (persönliche Eigen‐ schaften und aequabilitas von Handlungen in einheitlicher Lebensführung), 233 6.2 Die normative Kraft der Gefühle und der ethische Kohärentismus 46 C. D. Broad spinnt in seinem Werk Fives Types of Ethical Theory (1930) den Faden von Spinoza, über Butler, Hume und Kant bis zu Sidgwick, um dann, im Kontext einer „Phä‐ nomenologie des moralischen Bewusstseins“ (Taylor, S. 339) sein Konzept der fittingness vorzustellen. Unter „fittingness“ versteht Broad eine Art ethischer Beziehung, die durch den Verstand („reason“) erkannt wird, unter eine moralische Norm fällt und in Bezug zu einer ganz bestimmten ganzheitlichen Situation steht (S. 110 und S. 164f.), in der immer auch das Gegenteil, also das nicht Richtige oder das Unpassende („unfitting‐ ness“), implizit mitgedacht wird. Das Richtige ist somit gleichzeitig spezifisch und un‐ analysierbar („unanalysable“), aber dennoch fundamental (S. 278). „X is intrinsically good“ bedeutet: etwas ist gut, weil es für jedes rationale Wesen gut ist, es zu wünschen („desire“) oder zu begehren, wobei das Begehren nur konstatiert, nicht gedeutet wird, etwa als deontologisch oder teleologisch. X ist einfach das angemessene Objekt der Begierde (S. 283). 47 Barbara Merker, Georg Mohr und Ludwig Siep: ‚Einleitung‘, in: Merker/ Mohr/ Siep: Angemessenheit. Zur Rehabilitierung einer philosophischen Metapher. S. 10. 48 Ibid, S. 12. 49 Julian Nida-Rümelin: ‚Angemessenheit als praktische Kohärenz‘, in: Merker/ Mohr/ Siep: Angemessenheit. Zur Rehabilitierung einer philosophischen Metapher. S. 118. 50 Ibid, S. 122. Duns Scotus, Leibniz und Adam Smith genannt und schließlich C. D. Broads Konzept von fittingness  46 aufgeführt. Verbindungen werden zwischen den beiden Traditionen der Metapher von Angemessenheit zum einen in der Tradition der adaequatio (äußere Gegeben‐ heit) und der proprietas oder harmonia (inneres Zusammenpassen) und zum an‐ deren in „der Angemessenheit in der Erkenntnislehre und dem rechten Maß in der Ethik und Ästhetik“ 47 konstatiert. In der Philosophie wird allerdings der Metapher der Angemessenheit als Proportion und Harmonie mehr Bedeutung zugesprochen, wenn sie in „Kohärenztheorien der Wahrheit und Rationalitäts‐ theorien in der Erkenntnislehre und Ethik“ 48 das innere Zusammenpassen er‐ kläre. Erkenntnis müsse mit der Realität zusammenstimmen, um das Überleben der Spezies zu gewährleisten (so auch in der Philosophie des Geistes bei R. Cummins: Representations, Targets, and Attitudes, 1996). Die in diesem Sammelband erschienenen Artikel von Malte Hossenfelder (‚Das „Angemessene“ in der stoischen Ethik‘) und von Julian Nida-Rümelin (‚Angemessenheit als praktische Kohärenz‘) sind hierbei von Interesse. Nida-Rümelin geht in seinem Begriff der praktischen Kohärenz von zwei Ana‐ lyseebenen aus: Konative Einstellungen versus normative Überzeugungen. Der Mensch im Alltag strebe nach praktischer Kohärenz in Entscheidungen und Werten, und so werde auch eine Theorie der praktischen Vernunft notwendig. 49 Von Humes Leidenschaftsbegriff und Thomas Schellings (Spieltheoretiker) Kon‐ zept des „Self-Commitment“ über die „Ramsey-Kohärenz“ als Präzisierung von Humes Modell, die trotz des Terminus der „Hintergrundannahmen“ 50 im Zu‐ 234 6 Decorum - Proprium einer anti-manipulativen Rhetorik 51 Ibid, S. 124. 52 Ibid, S. 125. 53 Ibid, S. 127. 54 Malte Hossenfelder: ‚Das „Angemessene“ in der stoischen Ethik‘, in: Merker/ Mohr/ Siep: Angemessenheit. Zur Rehabilitierung einer philosophischen Metapher. S. 83. Vgl. auch Ka‐ pitel 3.3 der vorliegenden Arbeit. 55 Charles Guérin: ‚Philosophical Decorum and the Literarization of Rhetoric in Cicero’s Orator‘, in: Frédérique Woerther (Hg.): Literary and Philosophical Rhetoric in the Greek, Roman, Sy‐ riac, and Arabic Worlds. S. 121. 56 Ibid, S. 139. 57 Ibid, S. 124. sammenhang mit der Ausbildung von Präferenzen, Wünschen und Propositi‐ onen nur bedingt ein Feld der Rhetorik ausmacht und hier nicht das rhetorische Kalkül oder setting in seine Bedeutung mit einschließt, kommt Nida-Rümelin schließlich auf Harry Frankfurt und dessen Definition von „Volitionen zweiter Stufe“ („wertende Stellungnahme zu den das eigene Handeln bestimmenden Leidenschaften“ 51 ) zu sprechen als diejenigen, welche eine Person bestimmen. Dergestalt bedeutet Angemessenheit, dass eine Person um eine Kohärenz ihrer Wünsche erster Ordnung (handlungsleitende Wünsche) bemüht ist. 52 Eine an‐ gemessene Lebensform werde durch kohärente, handlungsleitende Gründe er‐ möglicht und durch das unauflösbare Dreieck von „Verantwortlichkeiten“, „Ra‐ tionalität“ und „Handlung“ gewährleistet. 53 Hossenfelder geht in seinem Beitrag von der stoischen Ethik und deren Kon‐ zept des καθῆκον aus, das er mit „angemessen“ übersetzt. 54 In diesem Kontext gilt eine Handlung als angemessen, wenn diese naturgemäßes Verhalten widerspie‐ gele. Von Zenon, Cicero, Panaitios und Kant weiß Hossenfelder nichts Neues aufzufinden, doch seine Übersetzung des Pflichtbegriffs καθῆκον als „ange‐ messen“ ist bedeutsam, da sie eine Akzentverschiebung innerhalb der philoso‐ phischen Perspektive, weg von einer Pflichtethik und hin „[z]ur Rehabilitierung einer philosophischen Metapher“ der Angemessenheit, nachzuzeichnen vermag. Im Jahr 2009 widmete sich der Latinist Charles Guérin dem philosophischen und rhetorischen decorum in Ciceros De Officiis und Orator. Sein Ziel war, ein „theore‐ tisches Paradox“ 55 , nämlich die Diskrepanz zwischen quod decet und decorum, im Orator aufzuzeigen. Über dieses Paradoxon, so die These Guérins, lasse sich zeigen, dass Cicero das rhetorische decorum und die Rhetorik in ein literarisches Werkzeug („literary tool“) und so in eine abstrakte und literarische Angelegenheit 56 („chan‐ ging rhetoric and oratory into an abstract and literary concern“) verwandelt habe. Das Konzept des decorum wird als die wichtigste rhetorische Fähigkeit 57 , aber darüber hinaus, als Kohärenzprinzip („principle of coherence“) zwischen dem ethischen Akteur („ethical agent“) und seinen Handlungen definiert, um eine 235 6.2 Die normative Kraft der Gefühle und der ethische Kohärentismus 58 Ibid, S. 126. 59 Ibid, S. 128. 60 Ibid, S. 129. 61 Charles Guérin: ‚Philosophical Decorum and the Literarization of Rhetoric in Cicero’s Orator‘, in: Frédérique Woerther (Hg.): Literary and Philosophical Rhetoric in the Greek, Roman, Sy‐ riac, and Arabic Worlds. S. 130. 62 Ibid, S. 130 und 132. 63 Ibid, S. 131f. Vgl. hierzu auch Kapitel 3.3 der vorliegenden Arbeit. 64 Ibid, S. 133. umfassende Angemessenheit („general appropriateness“) zu erlangen. 58 Im Orator sind nach Guérin zwei divergente Konzepte von „suitable“ (angemessen) darge‐ legt: Das Konzept von quod decet, das als „stilistisches πρέπον“ 59 fungiert, und das weitergehende Konzept des decorum, das die gesamte Performanz des Orators beinhaltet und so eine philosophische Färbung („its philosophical echoes“) hat. Das quod decet als eng gefasste Version des decorum findet seine Anwendung in der stilistischen Ausformung einer Rede oder eines Textes. Diese Version ist in Guérins Augen von vier Faktoren abhängig: Dem Redner als sprechendem Sub‐ jekt („subject“), dem Publikum („audience“), der Rolle des Redners („orator’s per‐ sona“) und dem setting der Rede („circumstances“). 60 Die entsprechende Situation bedingt dann die Wahl des jeweils angemessenen Stiles gemäß der Dreistil-Lehre. Das Prinzip des decorum auf der anderen Seite ist nach Guérin primär auf die Entsprechung („adequation“) von Handlungen und Reden des Redners in Bezug auf seine persona bezogen. 61 Im strikt philosophischen Sinne meint decorum nach Gué‐ rin mit sich selbst übereinstimmen („to be adequate to oneself“). Diese Auffassung sollte auch in Ciceros rhetorischer Abhandlung Orator zur Geltung kommen. Unter dem Rubrum „aequabilitas“ versteht Cicero - wie in Kapitel 3.5 der vorliegenden Arbeit bereits gezeigt - das decorum als „sich selbst treu bleiben“, d. h. den eigenen natürlichen Anlagen und dem Individuum gemäß auftreten und danach auch die stilistischen Fähigkeiten und den Status des Redners in Einklang bringen. 62 Beson‐ ders die zweite und dritte persona bei Cicero konstituieren für Guérin den Kern des rhetorischen decorum: „[They] are at the core of the oratorical decorum, since they share the common feature of being immediately visible to the public.“ 63 Obwohl beide Konzepte von Angemessenheit sich berühren, indem das de‐ corum den Rahmen für das quod decet darstellt, spricht Guérin von einem Pa‐ radoxon, das er mit dem Terminus der „idiosyncrasy“ (Eigenart) bezeichnet. Zunächst ist die „idiosyncrasy“ Teil der stilistischen Findung in der elocutio, doch wird sie auch Teil der persönlichen Selbstfindung des Orators, wenn er sich seiner besonderen Eigenschaften und ihres rhetorischen Nutzens bewusst wird. In der stilistischen Identität des Orators („orator’s stylistic identity“) konver‐ gieren die beiden Konzepte von quod decet und decorum. 64 In De Officiis spricht 236 6 Decorum - Proprium einer anti-manipulativen Rhetorik 65 Ibid, S. 134. In Kapitel 3.3 der vorliegenden Arbeit wurde gezeigt, dass diese apodiktische Schlussfolgerung nicht geteilt wird. 66 So spiele beispielsweise die zweite persona hier keine Rolle mehr. 67 Charles Guérin: ‚Philosophical Decorum and the Literarization of Rhetoric in Cicero’s Orator‘, in: Frédérique Woerther (Hg.): Literary and Philosophical Rhetoric in the Greek, Roman, Syriac, and Arabic Worlds. S. 135. 68 Ibid, S. 136. 69 Ibid, S. 139. Cicero laut Guérin sogar von der Eigenart des Redners als der absoluten Basis des decorum. Dem Prinzip des decorum zu folgen bedeutet Guérin zufolge, die eigene „aequabilitas“ zu bewahren und den Stil zu verwenden, der zum Orator selbst passt. Decorum nimmt das quod decet als den dem Gegenstand angemes‐ senen Stil in sich auf. Dieses konzeptuelle Einverleiben als ein theoretisches Paradox zu bezeichnen, erschließt sich hier aber nicht unbedingt. Interessant ist Guérins Bewertung des ciceronischen decorum unter philoso‐ phischer Prämisse. Er ist der Auffassung, es sei Cicero nicht gelungen, rheto‐ rische Angemessenheit/ Schicklichkeit („rhetorical propriety“) und ethische Übereinstimmung/ Ebenmaß („ethical harmony“) in Einklang zu bringen 65 , wofür er drei Gründe angibt: 1. Das philosophische decorum stehe im Widerspruch zu den Anforde‐ rungen des rhetorischen decorum. 2. Für Cicero habe der rhetorische und damit der funktionale Aspekt des de‐ corum im Vordergrund gestanden. Deshalb habe das ciceronische decorum nicht die gleiche Bedeutung wie das decorum in seiner philosophischen Quelle (Panaitios) 66 , sei insgesamt eine unvollständige Version dieser Quelle. 3. Somit sei das ciceronische decorum ein rhetorisches Ideal, kein Ziel an sich 67 , sondern nur Mittel zum persuasiven Zweck des Redners, das sich besonders in der vierten persona  68 zeige. Guérin beendet seine Darlegung, indem er die Entwicklung des decorum von De officiis zum Orator auf die Erfordernisse zurückführt, welche die Entwicklung der res publica zur Zeit Ciceros an einen Redner stellte, der in den politischen Wirren authentisch bleiben und trotzdem in der politischen Arena bestehen wollte. Er beschreibt es zusammenfassend als ein Prinzip der Kohärenz und Treue zu sich selbst, das dem Redner Maßstab und Bezugspunkt ist: „[R]eference used to evaluate how distant a declamator was from perfection.“ 69 Die Norm des decorum ist laut Guérin also vor allem eine pragmatisch verstandene Orientie‐ rungshilfe, nicht primär ein moralisch-ethisches Prinzip. Die Idiosynkrasie als etwas dem decorum per se Eigentümliches besteht dabei im unauflösbaren Wi‐ 237 6.2 Die normative Kraft der Gefühle und der ethische Kohärentismus 70 Diejenigen Angemessenheitsargumentationen im Recht, wie sie bei Günther im vierten Teil seines Buches verhandelt werden, müssen aufgrund des hier verhandelten Themas von Angemessenheit in Rhetorik und Philosophie außen vor bleiben. 71 Klaus Günther: Der Sinn für Angemessenheit. Anwendungsdiskurse in Moral und Recht. S. 257. 72 John Searle: ‚Prima Facie Obligations‘, in: Joseph Raz (Hg.): Practical Reasoning. S. 81-90. Searle unterscheidet im Fall einer „conflict situation“ zwischen „weaker and stronger obligations“, die jedoch erst in der jeweiligen Situation selbst als solche definiert werden und sich entweder als „absolute obligation“ durchsetzen oder als „prima facie obliga‐ tion“ überstimmt werden. Die Unterscheidung beider Arten ist abhängig von der ge‐ genwärtigen Situation. S. 86. 73 Klaus Günther: Der Sinn für Angemessenheit. Anwendungsdiskurse in Moral und Recht. S. 265. derspruch zwischen philosophisch-ethisch begründeten Maximen und den pragmatisch bestimmten Anforderungen der jeweiligen rhetorischen Situation. Das Spannungsverhältnis zwischen Ethik und Pragmatik, das dem Prinzip der Angemessenheit inhärent ist, wird auch in zwei neueren Monographien the‐ matisiert, bei Klaus Günther (Der Sinn für Angemessenheit. Anwendungsdiskurse in Moral und Recht, 1988) und bei Jens Badura (Die Suche nach Angemessenheit: praktische Philosophie als ethische Beratung, 2002). Den einstigen Habermasmitarbeiter Klaus Günther beschäftigt, was eine Norm angemessen macht, welche Rolle dabei die Urteilskraft spielt, welche Arten von Normen existieren, wie Kollisionsprobleme von Normen in einer konkreten Situation gelöst werden können, und welcher Natur Angemessen‐ heitsargumentationen in der Moral 70 sein müssen. Ausgehend vom Grundsatz der kantischen Universalität des Moralprinzips und der Unparteilichkeit von Normen unterscheidet Günther den Begründungsdiskurs vom Anwendungs‐ diskurs. Die Geltung einer Norm ist für ihn nicht automatisch Garantie für deren Angemessenheit im Einzelfall. Der Gesichtspunkt der Unparteilichkeit gilt in beiden Diskursen, aber das Kriterium für ihre Beurteilung ist verschieden, auch wenn beide dem Bereich der praktischen Vernunft zugehörig sind. Bei der An‐ wendung der Normen sind nämlich „alle Kontexte in Betracht“ zu ziehen, „die in einer Situation relevant sind.“ 71 Die Unparteilichkeit in der Anwendung ist per definitionem „applikativ“, also auf die jeweilige Situation bezogen. Die An‐ gemessenheit der Norm ist konkret verortet, an eine Situation rückgebunden. Was passiert aber, wenn verschiedene Normen kollidieren, wenn Norm N1 und Norm N2 zugleich auftreten und sich widersprechen? Welche Norm setzt sich durch? Auf John Searle und dessen Begriff der „Konversationsimplikatur“ 72 rekur‐ rierend, konstatiert er zwei Geltungsbereiche für Normen, eine absolute Geltung und, davon verschieden, eine „prima-facie-Geltung“ 73 . Beide Bereiche sind sys‐ 238 6 Decorum - Proprium einer anti-manipulativen Rhetorik 74 Ibid, S. 265. 75 Ibid, S. 266. 76 Ibid, S. 261. 77 Ibid, S. 268. Alexy nach Günther zitiert. 78 Ibid, S. 276. 79 Ibid, S. 277 und 278: „Angemessene Normen müssen diese Erfahrungen integrieren können.“ tematisch zu trennen, was dann auch erlaubt, die Umstände, die für die Geltung der Norm eine Rolle spielen, entsprechend zu berücksichtigen. Erstere hat Soll-Geltung, letztere ist in „Handlungsbedingungen“ 74 von Sprechakten veran‐ kert. Somit ist zu fragen, was wird in einem Sprechakt impliziert, also mitgedacht oder mitgemeint, wie ist eine Konversation aufgebaut, wird der Geltung einer Norm und ihrer Umsetzung in die Tat zugestimmt, sofern man bei gleichblei‐ benden Umständen von einer allgemeinen Zustimmung ausgeht? Gleichbleibende Umstände innerhalb des Begründungsdiskurses sind theo‐ retisch möglich, doch ob diese auch in einer konkreten Situation vorherrschen, muss sich nach Günther im Anwendungsdiskurs zeigen. 75 Mit der Unterscheidung von „Prima-facie-Normen“ (schwache Normen nach Searle) und „absoluten/ definitiven Normen“ (starke Normen) lässt sich das Pro‐ blem der Normen-Kollision lösen. Während Normen ersterer Art diejenigen des „ersten Blickes“ sind und „eine[] generelle[] Vermutung zu tun gebieten“ dar‐ stellen, sind die Normen der zweiten Art diejenigen, die in Anbetracht aller Umstände ein absolutes Gebot darstellen. 76 Nach Robert Alexy unterscheiden sich die beiden Arten von Normen insofern voneinander, als prima-facie Normen die Struktur von Normen darstellen, während absolute Normen ihren Sollenscharakter repräsentieren. Diese Unterscheidung Alexys gewinnt nach Günther ihre Überzeugungskraft durch die Tatsache, dass Prinzipien und Regeln einer unterschiedlichen Struktur unterliegen. Demnach integrieren Prinzipien prima-facie Gebote, Regeln aber sind als eine definitive Handlungsaufforderung oder -unterlassung definiert. Prinzipien können eingeschränkt werden, die Ent‐ scheidung für Regeln, beziehungsweise ihre Gültigkeit muss begründet werden, ja es können auch Ausnahmen zugelassen werden, für die es dann bestimmte Klauseln gibt. 77 Alle diese theoretischen Überlegungen führen Günther zu dem Schluss, dass „Begründung und Anwendung nicht bereits durch eine besondere Normen‐ struktur vorgegeben sind.“ Werte sind „kritisierbar“. 78 Inwiefern wirkt sich diese Feststellung auf die theoretische Verankerung der Angemessenheit in der Moral aus? Für Günther sind Angemessenheitsargumentationen ein experimentelles Verfahren in einem moralischen Lernprozess. 79 239 6.2 Die normative Kraft der Gefühle und der ethische Kohärentismus 80 Klaus Günther: Der Sinn für Angemessenheit. Anwendungsdiskurse in Moral und Recht. S. 278. 81 Ibid, S. 285. 82 Ibid, S. 295. 83 Ibid, S. 304. 84 Ibid, S. 306. 85 Ibid, S. 306. 86 Ibid, S. 307. 87 Jens Badura: Die Suche nach Angemessenheit: praktische Philosophie als ethische Bera‐ tung. S. 14. Die Angemessenheit einer Norm scheint innerhalb eines moralischen Lern‐ prozesses als Akt der Urteilskraft gefunden und bestimmt zu werden. 80 Tu‐ gendhat und auch Wellmer befürworten nach Günther „eine Interpretation des Moralprinzips als einer bloßen Operationalisierung des moral point of view, von dem aus wir unmittelbar jede einzelne Situation zu beurteilen haben.“ 81 Günther führt zwei Elemente einer Logik der Angemessenheitsargumentation an: zum einen eine vollständige Situationsbeschreibung, die die Wahrheit jeder Aussage und die Wortgebrauchsregeln beachtet, alle möglichen Bedeutungsvari‐ anten in den Blick nimmt und schließlich so die Bedeutung einer Norm festlegt 82 , zum anderen die Kohärenz der Normen, die als „formale[s] Kriterium für die An‐ gemessenheit“ 83 zusammen mit allen anwendbaren Normen und Bedeutungsva‐ rianten in der Situation angeführt wird. Eine solche Kohärenz, die zu einer Le‐ bensform und zu gültigen Normen gehört, ist somit auch nur je situativ zu bestimmen. 84 Dieses Kohärenzkriterium findet nach Günther seinen Platz nicht im Begründungsdiskurs (wie in den Theorien der Sittlichkeit), sondern in der konkreten Anwendung 85 , was ihn zu folgender Schlussfolgerung führt: „Die kon‐ struktiv anzustrebende Kohärenz drückt keine vorgegebene transitive Ordnung aus, sondern muß fallbezogen hergestellt werden.“ 86 Es lässt sich eine Kollision von Normen nicht vermeiden, deshalb muss je situativ mit Hilfe einer vollstän‐ digen Situationsbeschreibung und Kohärenz der Normen entschieden werden, welche Norm sich in Anbetracht aller anderen Normen am ehesten rechtfertigen lässt. Die Angemessenheit philosophisch innerhalb einer Moraltheorie zu fassen, ist scheinbar nur bedingt möglich, muss doch der Mensch selbst in der jeweiligen Situation entscheiden, was das je Angemessene ist, und er kann sich dabei auf keine fixe oder statische Determinante von Angemessenheit verlassen. Des Men‐ schen moralische Lebensform, Urteilskraft und rhetorische Kalkülleistung bleiben die Werkzeuge zur Findung des je situativ verschiedenen, aber alles entschei‐ denden Angemessenen - sei es in Philosophie oder Rhetorik. Jens Badura (Die Suche nach Angemessenheit, 2002) vermisst in der prak‐ tischen Ethik „umsetzungsorientierte[n] Konzepte[n]“ 87 , die in Dilemmatasitu‐ 240 6 Decorum - Proprium einer anti-manipulativen Rhetorik 88 Ibid, S. 13. 89 Ibid, S. 14 und vgl. hierzu Hans Krämer Integrative Ethik (1995), die in Abgrenzung zu einer „Einheitsethik“ (S. 107) zwischen einer Sollens- und Strebensethik unterscheidet und sich den modernen Anforderungen an eine mehrdimensionale Ethik (S. 119) durch die theoretisch-konzeptuelle Trennung von Moral und Lebensführung, sowie einer „ei‐ gene[n] Methodologie der Anwendung“ (S. 367) öffnet. 90 Ibid, S. 203. 91 Ibid, S. 91, 149 f. und 206. 92 Leonard Nelson und nachfolgend auch Gustav Heckmann bringen die Gesprächsfüh‐ rung des Sokrates aus den platonischen Dialogen in ein neues Gewand, indem sie dessen Methode der „Hebammenkunst“ (Theaitetos) auch für den modernen Kontext erweitern und nutzbar machen: Als Sohn der Hebamme Phainarete (149a1-2) gelingt Sokrates dieselbe Kunst (161e5), indem er Menschen hilft, die mit einem Gedankengang schwanger gehen, innerhalb eines prüfenden Dialoges (161a3) zu einer Erkenntnis zu gelangen. Das vernünftige Lernen im Gespräch und im „Meta-Gespräch“ (Heckmann, S. 16) macht den Menschen frei, sich selbst bestimmend entwickeln zu können („sapere aude“ nach Kant). 93 Jens Badura: Die Suche nach Angemessenheit: praktische Philosophie als ethische Bera‐ tung. S. 152. 94 Ibid, S. 151. ationen moralischen Handelns Entscheidungs- oder Orientierungshilfen geben könnten. Normalerweise handeln wir zwar moralisch gesehen intuitiv, das heißt, wir haben die uns leitenden Normen und Wertmaßstäbe verinnerlicht, so dass wir uns automatisch der Situation angemessen verhalten. Es gibt jedoch in unserer ausdifferenzierten pluralen Gesellschaft neuartige moralische Frage‐ stellungen, „die in unserem moralischen ‚Koordinatensystem‘ nicht ohne wei‐ tere Klärungen zu verorten sind“ 88 , die uns deshalb gelegentlich hilflos oder sogar moralisch desorientiert zurücklassen. Gibt es für solche „Fragen indivi‐ dueller Lebensführung“(S. 14) - man könnte z. B. an die Leihmutterschaft denken - die Möglichkeit, ein ethisches „integratives Modell“ 89 , das in sich ko‐ härent und praxisbezogen ist, zu entwickeln? Dieses Modell sollte Orientie‐ rungshilfe sein mit dem Ziel, „konzeptionelle Grundlagen für eine praktische Philosophie zu bestimmen, die als ethische Beratung zur Bewältigung prak‐ tischer moralischer Fragen und Probleme beitragen [kann].“ 90 Dieses Konzept ethischer Beratung ist kein passives Konzept im Sinne einer zu applizierenden fixen Lehre, sondern eher als eine dynamische Anleitung im Denken zu verstehen, die sich an Rat suchende Menschen zur „Selbstaufklärung und Selbstorientierung“ 91 wendet. Diese Anleitung wird in der Tradition der ‚Sokratischen Methode‘ 92 als eine „maieutisch orientierte Vorgehensweise“ 93 bestimmt. Die ethische Beratung als „ein kohärentistisches Modell ethischen Nachdenkens“ 94 soll den moralischen Akteur dazu befähigen, selbstständig an‐ gemessen moralische Fragen durcharbeiten und schließlich lösen zu können. Da 241 6.2 Die normative Kraft der Gefühle und der ethische Kohärentismus 95 Ibid, S. 37. 96 Ibid, S. 40. 97 Ibid, S. 69. 98 Ibid, S. 204. 99 Ibid, S. 88. 100 Ibid, S. 91. 101 Ibid, S. 98. 102 Ibid, S. 100. im Gegensatz zu einem fundamentalistischen Ansatz von Ethik (durch Religion oder Staat) nicht auf festgesetzte Antworten, Prinzipien und Autoritäten rekur‐ riert werden kann, scheint eine moralische Emanzipation durch methodisch ge‐ leitete Arbeit am Selbst das Ziel einer ethischen Beratung zu sein. Ethik wird so zu einer „Reflexionsdisziplin der Moral.“ 95 Moralisch sein heißt dann, „seine Handlungsoptionen mittels in ihrer Geltung überzeugender - weil vernünftiger [...] - normativer Maßstäbe einzuschränken“ 96 . Moralische Reflexion wird so zur „Suche nach Angemessenheit“ 97 . Im Zentrum und als Basis von Baduras Konzept der ethischen Beratung findet sich sein „Paradigma ethischer Reflexion“ 98 : der ethische Kohären‐ tismus. Für Badura verfügt jeder Mensch über die Fähigkeit, vernünftig nach‐ denken zu können, beispielsweise was je gut oder angemessen ist. Im Nach‐ denken über solche Fragestellungen und Überzeugungen zeigt sich für Badura die menschliche „Vernunftkultur“ „als eine Kompetenz zur Herstellung von Angemessenheit“ 99 . Eine vernünftige Kultur des Nachdenkens ist dabei auf Transsubjektivität ausgerichtet. Der ethische Kohärentismus ist „ein begrün‐ dungsmethodisches Paradigma der Ethik“ 100 , das fordert, dass Überzeugungen nicht nur in sich kohärent sein, sondern sich auch in einen größeren Argu‐ mentationszusammenhang kohärent einfügen müssen, um transsubjektive Geltung zu erlangen. Badura unterscheidet zwischen zwei verschiedenen Arten von Kohärentismus, wobei er in seinem Buch besonders die zweite Form theoretisch analysiert: Problemorientierter Kohärentismus (moralische Über‐ zeugungen gelten a priori) und begründungsorientierter Kohärentismus (mo‐ ralische Überzeugungen gelten erst nach Prüfung und Sicherung durch pass‐ genaues Einfügen in kohärente Zusammenhänge mit anderen Überzeu‐ gungen). 101 In diesem Rahmen definiert Badura Kohärenz als eine „interne systematische Verknüpfung von Aussagenbzw. Überzeugungssystemen.“ 102 Aussagen gelten nicht per se, sondern werden in Bezug zu anderen gesetzt, so dass über die Konsistenz (keine Widersprüche) Kohärenz erlangt werden kann. Der Konsens entsteht aus der inhaltlichen Kohärenz, die prozedural entwickelt wird: „Eine Begründung kann dann als Wahrheitsindikator gelten, wenn das sie stützende Überzeugungssystem systematisch kohärent ist, auch 242 6 Decorum - Proprium einer anti-manipulativen Rhetorik 103 Jens Badura: Die Suche nach Angemessenheit: praktische Philosophie als ethische Be‐ ratung. S. 109. 104 Ibid, S. 117f. 105 Ibid, S. 118. 106 Ibid, S. 204. 107 Ibid, S. 205. 108 Ibid, S. 120. neue Informationen relational kohärent integrieren kann und keine Inkohä‐ renzen aufweist.“ 103 Im Umgang mit moralischen Dilemmata und Fragen bietet der Kohärentismus von Badura dem moralischen Akteur das nötige Instrument, um „im Rahmen von Angemessenheitserwägungen“ sich selbst moralisch orientieren zu können. 104 Der Begriff der Angemessenheit bezeichnet nach Badura den Sinn moralischer Orientierung: [...] Herstellung vernünftiger, also auf einer transsubjektiven Ebene überzeugender, Perspektiven auf moralische Fragen und Probleme, die als legitimierende Grundlage für die Gestaltung moralischer Praxis in Form von Urteilen und Entscheidungen dienen können. 105 Plausibilität erlangt ein begründungsorientierter Kohärentismus, indem mit Hilfe der menschlichen Vernunft Überzeugungen in einem auf Konsens abzie‐ lenden Dialog auf ihre transsubjektive Geltung hin überprüft werden. 106 In dieser kohärentischen Denkweise Baduras gibt es damit letztlich zwar „keine letzten normativen Gewissheiten“, aber der „Modus der Bestmöglichkeit“ von „Orientierungshilfen des Moralischen“ genügt, um sich den flexiblen und pluralen Lebensdimensionen des modernen 21. Jahrhunderts anpassen zu können. 107 Angemessenheit ist somit zum einen inhaltliche Kohärenz in der Argu‐ mentation selbst und innerhalb eines systematisch größeren Gesamtzusam‐ menhanges, zum andern wird sie transsubjektiv hergestellt: Angemessen‐ heitserwägungen sind keine pragmatische Methode, sondern sie werden angestellt, um zu einer Erkenntnis zu gelangen; sie gehören zum Prozess der Erkenntnissuche selbst. 108 Baduras ethischer Ansatz als Kohärentismus integriert meines Erachtens das rhetorische Proprium des plausiblen Überzeugens und die rhetorischen Ziel‐ vorstellungen des decorum als rhetorischer Urnorm und umfassendes Ange‐ messenheitspostulat und basiert darüber hinaus auf einer transsubjektiven Ver‐ ständigungsarbeit, die mittels logisch kohärenter Argumentation im dialogischen Miteinander zur Gestaltung der Praxis befähigt. 243 6.2 Die normative Kraft der Gefühle und der ethische Kohärentismus 109 Jens Badura: Die Suche nach Angemessenheit: praktische Philosophie als ethische Bera‐ tung. S. 70. 110 Ibid, S. 82. 111 Bernard Williams: Der Begriff der Moral. Eine Einführung in die Ethik. S. 71. 112 Kognitive Fähigkeiten sind vonnöten, im Einzelnen sind sie aber sehr unterschiedlich ausgeprägt, so dass der Begriff der Intelligenz in der Psychologie höchstens als Sam‐ melbegriff verwendet wird, in der Philosophie aber überhaupt nicht opportun ist. 113 So sprach Herder von einer „erkennenden Seele“. Herder: Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele, in: Herders Werke. Bd. 3, S. 368. In der modernen Psychologie wird die Verwendung des Begriffs „Seele“ aufgrund der weltanschaulichen Implikati‐ onen und metaphysischen Fragen vermieden. Vgl. V. Gadenne: ‚Seele‘, in: Lexikon der Psychologie. S. 892. Vernunft und Moral gehören dabei zusammen; sie bedingen sich gegenseitig. Unter Vernunft versteht Badura „das Vermögen, situationsgemäß verschiedene Standards anlegen zu können“ 109 , sie ist bei ihm „praxeologisch“ definiert, nicht anthropologisch; so genannte „Argumentationsnormen“ wie „Verständlichkeit, Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit“ 110 müssen daher eingeübt werden. Das Moralische wird von (moralischen und anderen) Grundüberzeugungen ge‐ speist, die wiederum auf die jeweiligen konkreten moralischen Fragen und Pro‐ bleme bezogen werden müssen. Moralische Orientierung bedeutet dann, ange‐ messen zu handeln. Was aber bedeutet moralisches Handeln, als moralphilosophische Maxime verstanden? Bernard Williams betont in seinem Werk Morality. An Introduction to Ethics (1976), dass sich Moral nicht auf eine simple Handlungsanweisung nach dem Muster „Sei und handle wie ein Mensch! “ reduzieren lässt, da „kein direkter Weg von einer Betrachtung der menschlichen Natur zu einer eindeutig bestimmten Moral und zu einem eindeutig bestimmten moralischen Ideal [führt]“. 111 Mora‐ lisches Handeln ist (für Kant und Badura) Ergebnis einer Reflexionsleistung, die aber nicht auf ‚Intelligenz‘ oder ‚Verstand‘ reduziert werden kann. 112 Ihr liegt eine perspektivische Verschiebung zugrunde. Wenn ich ‚reflektiere‘, beuge ich mich zurück, ich nehme mich zurück, verlasse meine Subjektperspektive und betrachte mich quasi aus einer gewissen Distanz. Für diese Reflexionsleistung bedarf es nicht nur der Intelligenz, d. h. der ‚Ein‐ sicht‘ (lat. intellegere) im Sinne von Erkenntnisvermögen. Erkenntnis ist ein ganzheitlicher Vorgang, ein umfassendes Vermögen dessen, was heute Psyche genannt wird, was man sich aber zur Zeit der Aufklärung nicht scheute, Seele zu nennen. 113 Erkenntnis kann also nicht auf Rationalität reduziert werden; Ein‐ bildungskraft, Bewusstsein, Gewissen, Verstand und Vernunft sind verschiedene Begriffe, mit deren Hilfe immer wieder versucht wurde, diese seelische (oder 244 6 Decorum - Proprium einer anti-manipulativen Rhetorik 114 Ibid, S. 373. 115 Bernard Williams: Der Begriff der Moral. Eine Einführung in die Ethik. S. 17ff. 116 Hermann Diels und Walther Kranz: Die Fragmente der Vorsokratiker. Fr. 45, S. 161. psychische) Kraft, diese innere Selbsttätigkeit zu benennen, als Voraussetzung dafür, dass wir dem Menschen als rationalem Wesen Verantwortung für sein Tun und Handeln zuschreiben. Dieses innere Leben gibt sich in der Regel rati‐ onal zu erkennen, aber wie gehen wir mit irrationalen oder mit von außen ge‐ sehen nicht nachvollziehbaren Handlungen um? Ist es nicht oft so, dass nicht die Ratio fehlt, sondern eher die Seele, als ganzheitlich wirkende Lebenskraft verstanden, leidet? Wie kann man sonst verstehen, dass sich beispielsweise ein depressiver Mensch trotz seiner Verantwortung als fünffacher Familienvater in einem ‚egoistischen‘ Akt der Selbstvernichtung das Leben nimmt? Der Appell an seine Ratio ist offensichtlich nicht ausreichend, um ihn von diesem Schritt abzuhalten. Manchmal ist es allerdings einem psychologisch geschulten Men‐ schen möglich, einer verletzten oder kranken Seele zu helfen, wenn er ‚ver‐ ständig‘ und ‚angemessen‘ auf sie eingehen und ihr so ‚helfen‘ kann. Aber er wird nichts bewirken können, wenn der kranke Mensch den Willen und die Kraft weiterzuleben nicht aufbringt, mit den Worten Herders: „Ist jedes gründliche Erkenntnis nicht ohne Wollen, so kann auch kein Wollen ohn Er‐ kennen sein, sie sind nur eine Energie der Seele.“ 114 Bernard Williams hat sich im Rahmen eines kritischen Diskurses um Moral mit dem Sonderfall des Amoralisten beschäftigt. Als einen Amoralisten be‐ zeichnet Williams einen psychisch kranken Menschen (Psychopathen), aber zum anderen auch einen Menschen, der nicht von jeglicher Moral unüber‐ brückbar abgeschnitten ist, sondern lediglich ein Mensch „mit eigentümlicher Moral“ ist. Interessant ist besonders der zweite Typ eines Amoralisten, der die psychische Verwirrung eines Menschen aufzeigt: So kann ein Mörder sich durchaus liebevoll seiner Großmutter gegenüber verhalten, ihr Zuneigung und Mitgefühl entgegenbringen, jedoch seinen Opfern gegenüber keinerlei Empa‐ thie zeigen. 115 Weil die Freiheit unserer Seele unauslotbar, unser Selbstgefühl aber schwan‐ kend ist, kann Heraklit sagen: Der Seele Grenzen kannst du im Gehen nicht ausfindig machen, und ob du jegliche Straße abschrittest; so tiefen Sinn hat sie. (ψυχῆς πείρατα ἰὼν οὺκ ἄν ἐξεύροιο, πᾶσαν ἐπιπορευόμενος ὁδόν · οὔτω βαθύν λόγον ἔχει.) 116 245 6.2 Die normative Kraft der Gefühle und der ethische Kohärentismus 117 Martin U. Schoell: ‚Beyträge zur critischen Historie der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit‘, in: Kindlers Literatur Lexikon. S. 1486. Abb. 5: Angemessenheit im Kommunikationsmodell 6.3 Eine neue Angemessenheit? Nach über 2000 Jahren Rhetorik- und Philosophiegeschichte, während der das Prinzip der Angemessenheit teleologisch legitimiert (Zweck der Persuasion) und praktisch realisiert wurde (unter Beachtung der Konstituenten von decorum und aptum) und sich in Theorie und Praxis vielfältige Konnotationen und Interdepen‐ denzen herauskristallisierten, wovon in vorliegender Arbeit die Rede war, soll abschließend in einer knappen Tour d’ Horizon der Weg nachgezeichnet werden, ausgehend von der Angemessenheit als einem funktionalen Prinzip hin zum Ver‐ ständnis von Kommunikation als einem reziproken prozesshaften Geschehen. Der Begriff „Angemessenheit“ ist im Zusammenhang mit dem Kampf um eine deutsche Nationalsprache zu sehen, als sich nämlich so genannte Sprachgesell‐ schaften wie die Deutsche Gesellschaft  117 , aber auch einzelne „Germanisten“ die 246 6 Decorum - Proprium einer anti-manipulativen Rhetorik 118 Friedrich Kainz: ‚Klassik und Romantik‘, in: Heinz Rupp und Friedrich Maurer (Hg.): Deutsche Wortgeschichte. S. 355. kulturpolitische Aufgabe setzten, in normativer Absicht das Deutsche von La‐ tinismen und französischen Ausdrücken zu reinigen und die Sprache insgesamt zu vereinheitlichen und zu systematisieren. Johann Gottfried Gottsched kommt dabei das Verdienst zu, sich besonders um Klarheit und Einfachheit der deut‐ schen Sprache bemüht zu haben. Auf ihn geht die Eindeutschung des latei‐ nischstämmigen Wortes „adäquat“ als „angemessen“ 118 zurück. Angemessenheit fand dann als Norm auch Eingang in die Schulrhetorik, wo sie als „Zierlichkeit“ (elegantia), als Harmonie zwischen Stil und Habitus und als Perfektionierung von Dichtung gefasst wurde. Einerseits sollte sie dem Redner zu einem runden Sprechcharakter verhelfen, und andererseits ermöglichte sie es, ästhetische und moralische Normen in die Ethosbildung einzubeziehen. Man könnte so von einer „ästh-ethisch“ (ästhetisch + ethisch) habituellen Angemessenheit sprechen. Eine weitere Ausprägung erfuhr der Begriff bei Thomasius, der im Rahmen seiner drei Ethiken (justum, honestum und decorum) eine rechtliche Nuance einführte, im Sinne von „Wohlanständigkeit“ innerhalb einer Ordnung, die den Umgang in einer ständisch geprägten Sozietät regelte. Im Laufe der Zeit wurde der Begriff allerdings zusehends entgrenzt: Er fand Eingang in die Volkswirtschaft, die Jurisprudenz, die Betriebsführung etc. Im Zuge fortschreitender Industrialisierung, Technisierung und schließlich Digitalisierung wird Angemessenheit heute als globale technisierte Angemessenheit verstanden, wobei sich der Fokus immer mehr in Richtung Verständlichkeit bewegt. Ange‐ messenheit ist heute basales Bemühen um funktionierende kommunikative In‐ teraktion zwischen Redner und Auditorium beziehungsweise zwischen Part‐ nern. Inhaltlich erfährt dabei die Angemessenheit eine Akzentverschiebung von einem primär ethisch-ästhetisch bedingten Wert hin zu einem situativen Kohä‐ renzprinzip, das durch Transsubjektivität erreicht wird. Auch in der zeitgenössischen Philosophie wird ein gewisses Interesse am Thema der Angemessenheit spürbar. Meist wird sie im Kontext verschiedener Themenkomplexe mitverhandelt, beispielsweise Angemessenheit in Moral und Recht (Günther), Angemessenheit von Gefühlen (Krämer), Angemessenheit und Ästhetik als Philosophie der Kunst (Siegmund), Angemessenheit als philoso‐ phische Metapher (Merker/ Mohr/ Siep), Angemessenheit und ethischer Kohä‐ rentismus (Badura) und Angemessenheit als Quelle von Normativität in Ethik und Ästhetik (Landweer). Insgesamt lässt sich in der Begriffsgeschichte von decorum beziehungsweise Angemessenheit eine gewisse Überschneidung zwischen Philosophie und Rhe‐ 247 6.3 Eine neue Angemessenheit? 119 Herbert W. Simons: The Rhetorical turn: invention and persuasion in the conduct of inquiry (1990) und Dietmar Till: ‚Aktualität der Metapher, Wiederkehr der Rhetorik. Zum ‚rhe‐ torical turn‘ in den Humanwissenschaften‘ (2008), unter: www.literaturkritik.de/ public/ rezension.php? rez_id=11725, last access: 04.05.2015. 120 Friedrich Nietzsche: Über das Pathos der Wahrheit. Über Wahrheit und Lüge im aussermo‐ ralischen Sinne. S. 17: „Was ist also Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Me‐ tonymien, Anthropomorphismen, kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden, und die nach langem Gebrauche einem Volke fest, kanonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, daß sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind, Münzen, die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Münzen, in Betracht kommen.” 121 Kenneth Burke: A Rhetoric of Motives. S. 55. 122 Ibid, S. 21-23. Vgl. auch John Searle: ‚Collective Intentions and Actions‘ (collective inten‐ tionality) und Michael Tomasello: Origins of Human Communication (shared intentiona‐ lity). torik konstatieren, wird doch von beiden Disziplinen das rechte Maß als Ord‐ nungskonzept anerkannt und jeweils gesucht. Dabei überlappen sich ethisch-mo‐ ralische Fragen (was ist angemessen? ) mit den Fragen nach ihrer sittlichen Verwirklichung in der Praxis (was ist eine angemessene Rede oder angemessenes Verhalten? ). Die Grenzen zwischen beiden Disziplinen sind durchlässig, und heute differenzieren sich sowohl Rhetorik, als auch Philosophie immer weiter aus. In den Geisteswissenschaften ist eine rhetorikaffine Haltung und Offenheit festzustellen, und die Sprachphilosophie verweist mit dem rhetorical turn auf die Rhetorik als Wissenschaft und als Prinzip in einer Wissenschaftssprache, die überzeugen will. 119 Die antike Dichotomie von Wahrheit 120 und Erkenntnis in der Philosophie versus Wahrscheinlichkeit und consensus in der Rhetorik ist also überwunden. Aus Konfliktparteien mit eingespielter Topik sind symbiotische, dialogorientierte Disziplinen geworden. Dadurch, dass sich das Fach Philosophie zu einer Wissenschaft der Methode entwickelt zu haben scheint, ist Wahrheit eine Sache der methodischen und sprachlich-logischen Verknüpfung geworden. Rhe‐ torik wäre dann praktische Philosophie, mit dem Ziel, Verbindlichkeiten herzu‐ stellen und Einfluss auszuüben. Vernünftigen Wahlhandlungen gehen Diskussi‐ onsprozesse und Argumentationen voraus. Das Mittel der Persuasion ermöglicht dabei die Identifikation des Rezipienten mit dem Orator und dessen Haltung, wobei nach Burke (A Rhetoric of Motives) die Identifikation sogar der „einfachste Fall von Persuasion“ 121 ist. Denn er wird als fundamentaler Prozess im Menschen ausgelöst, da der Mensch sich infolge seiner biologischen und sozialen Trennung und infolge hierarchischer Unterschiede nach Zusammengehörigkeit innerhalb einer Gruppe sehnt und sozialen Zusammenhalt auch durch Sprache erfährt. 122 Ziel ist nach Burke eine wesensgleiche Einheit („‚substantially one‘ with a person 248 6 Decorum - Proprium einer anti-manipulativen Rhetorik 123 Kenneth Burke: A Rhetoric of Motives. S. 21. 124 Ibid, S. 56. 125 Ibid, S. 64. 126 Ibid, S. 41. 127 Joachim Knape: Was ist Rhetorik? S. 87. 128 Vgl. Lloyd F. Bitzer: ‚The Rhetorical Situation‘ und die drei Merkmale von exigence, audience und constraints. 129 Joachim Knape: ‚Kreativität der spontanen Findung‘, in: Knape/ Litschko: Kreativität: Kommunikation-Wissenschaft-Künste. S. 216. 130 Joachim Knape: Was ist Rhetorik? S. 84. 131 Thomas Schirren: Herrschaft durch Sprache. S. 12. other than himself“ 123 ). Diesen natürlichen Drang nutzt der Orator, indem er sich seinem Publikum punktuell annähert 124 und sich so sein Auditorium selbst er‐ schafft („to carve out an audience“ 125 ). Basisfunktion von Rhetorik ist für Burke eine sozial bindende über hierarchische Grenzen hinweg, aber auch eine traditi‐ onell persuasive: „[T]he use of words by human agents to form attitudes or to induce actions in other human agents“ 126 . Nach dieser Retrospektive stellen sich nun abschließend zwei Fragen: Wel‐ chen Platz nimmt die Angemessenheit in der „Kasualrhetorik“, welche „die kon‐ kreten rhetorischen Handlungsbedingungen“ 127 untersucht, ein, und inwiefern handelt es sich nicht mehr um Angemessenheit im antiken Sinne? Im Unterschied zur antiken rhetorischen Situation 128 stellt sich ein Kommu‐ nikationsgeschehen im Jahre 2019 innerhalb einer „Echtzeitmedien-Kultur“ 129 mit veränderten Bedingungen dar. Zu Recht betont Knape den prozessualen Charakter von Kommunikationsgeschehen, die simultan auf verschiedenen Ka‐ nälen und Mediensystemen ablaufen können. Daraus ergibt sich eine „Kette kommunikativer Wechselbewegungen“ 130 , die den Redner zwingen, zum einen eine statische Position durch eine rationale Strategie und ein ausgearbeitetes Redemanuskript einzunehmen und zum anderen eine dynamisch-flexible Posi‐ tion, die es ihm erlaubt, im emotionalen Überzeugungsprozess Veränderungen in der emotionalen Performanz je nach Widerständen seitens der Rezipienten vorzunehmen. Doch auch bewusste Provokationen als Stilbrüche oder ein ge‐ nereller bewusster Bruch mit dem Prinzip der Angemessenheit kann vom Redner (als Kalkül) eingesetzt werden, um damit ein attentum parare in einer mit Informationen übersättigten Zuhörerarena zu erlangen. Diese ‚Entfunktio‐ nalisierung‘ von Angemessenheit deckt sich nicht mehr mit der antiken Defi‐ nition, und unter den neuen Kommunikationsbedingungen der modernen Welt verschiebt sich ihr Stellenwert. Für Thomas Schirren dient in Herrschaft durch Sprache die Angemessenheit in einem dynamischen Prozess „als Regulativ des sprachlichen Codes“ 131 , wäh‐ 249 6.3 Eine neue Angemessenheit? 132 Dietmar Till: ‚Rhetorik des Affekts (Pathos)‘, in: Ulla Fix, Andreas Gardt und Joachim Knape (Hg.): Rhetorik und Stilistik. Ein internationales Handbuch historischer und syste‐ matischer Forschung. S. 650 und 653: „Bei emotionalen Überzeugungsprozessen dagegen steht das Einwirken auf eine bestimmte Person, ein bestimmtes Publikum in einer be‐ stimmten Situation im Vordergrund, sie sind also im Gegenteil extrem kontextbezogen. Rhetorisch gesprochen ist hier die Kategorie des aptum das zentrale Regulativ.“ 133 Markus Antonius Wirtz (Hg.): Dorsch - Lexikon der Psychologie. 17. Aufl., S. 327. 134 Joachim Knape: Medienrhetorik. S. 19. 135 Legende: AZ = Ausgangszertum, AK = Ausgangskodes, Z = Zertum. 136 Joachim Knape: Was ist Rhetorik? S. 76. 137 Hier Knapes Terminologie folgend: Joachim Knape: ‚Inversive Persuasion‘, S. 17, der den „persuasiven Dreischritt“ von Gewissheit z 1 über eine Addubitation oder Aporie (a) zu Gewissheit z 2 postuliert. rend Dietmar Till die Angemessenheit nur im Kontext des Pathos als Regulativ emotionaler Überzeugungsprozesse 132 sieht, hier aber als zentrales Regulativ. Moderne Angemessenheit in einer „Echtzeitmedien-Kultur“ ist beides: Sowohl ästhetisches Stilprinzip und ethisch wahrscheinliches Sein, als auch Regulativ in einem emotionalen Überzeugungsgeschehen. Die Psychologie unterscheidet zwischen drei verschiedenen Ebenen von Sprachkodes: der semantischen Codierung, der syntaktischen Codierung und der symbolischen Codierung. 133 Für Knape sind Kodes in der Rhetorik „Symbol- und Zeichenvorräte einer Kommunikationsgemeinschaft“ und „ihres Verwen‐ dungsregelwerks“ 134 , worunter auch akustische Lautkodes und optische Kodes wie Ornamente fallen. Angemessenheit könnte heute so definiert werden: Das im Moment des Sprechens für Redner und Zuhörer je situativ gemeinsam Ak‐ zeptierte an Werten und darauf abgestimmte Codes. Angemessenheit sichert in der Rhetorik einen Persuasionsvollzug insofern ab, als sie eine Basis von einem akzep‐ tierten Ausgangszertum (AZ) und Ausgangskodes (AK) (in Mikro- und Makrostruk‐ turen) schafft, von dem sich die Persuasion prozesshaft fortentwickeln kann. 135 Der rhetorische Fall 136 tritt dann ein, wenn ein Orator sein Zertum als innere Überzeugung (Z) vertritt und auf dasjenige seiner Zuhörer (mithilfe des Adres‐ satenkalküls) einzuwirken beabsichtigt. Mithilfe der Angemessenheit, die eine Basis von einem Ausgangszertum des Redners und Zuhörers und von Ausgangs‐ kodes schafft, kann der Orator in einem prozesshaften Kommunikationsge‐ schehen gemeinsam mit seinem Gesprächspartner über verschiedene Formen (Z 1.1 etc.) schließlich zu seinem von Beginn anvisierten Zertum (Zx) ge‐ langen. 137 Idealiter wäre Zx ein vom Orator und Auditorium oder Dialogpartner gemeinsam gefundenes oder zumindest akzeptiertes Resultat. 250 6 Decorum - Proprium einer anti-manipulativen Rhetorik 138 Kurt Tucholsky: ‚Ratschläge für einen schlechten Redner‘, in: Gesammelte Werke 1930. Bd. 8, S. 292. Mikro- und Makrostrukturen Angemessenheit AZ + AK prozesshaftes Kommunikationsge‐ schehen Z 1.1 Z 1.2 ... Z 2 ... Zx Tab. 8: Angemessenheit Auch in einem dynamisch verstandenen interaktiven Kommunikationsge‐ schehen bildet also das decorum das Bindeglied zwischen Orator und Adressat. Es bleibt die Urnorm der Rhetorik und ist maßgeblich für den Erfolg der Rede. Ist nämlich der Redner unauthentisch, gelingt die Kommunikation nicht, die Persuasion scheitert, und Zx wird kein gemeinsam getragenes Resultat. Präg‐ nant fasst Tucholsky die Exponiertheit des Redners, der, wenn er nicht den Boden unter seinen Füßen verlieren will, notwendigerweise die Angemessen‐ heit als stabiles Fundament seines Agierens verinnerlicht haben muss, in einer Metapher zusammen: Ein Podium ist eine unbarmherzige Sache - da steht der Mensch nackter als im Son‐ nenbad. 138 251 6.3 Eine neue Angemessenheit? 1 In Annäherung an Habermas’ Idee einer „zwanglos einigenden, konsensstiftenden Kraft argumentativer Rede“. Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns. S. 28. Zwar wohnt der Rhetorik ein gewisses Moment von Dominanz inne, doch soll die rhe‐ torische Beherrschung eines Auditoriums an ethischen Maximen der Aufrichtigkeit (Grice), Vernünftigkeit und Angemessenheit gemessen werden. Zwar ist die Beurtei‐ lung, ob ein Anliegen ethisch vertretbar oder ein Redner ein guter Mensch ist, Aufgabe der Ethik ( Joachim Knape: Was ist Rhetorik? S. 81), doch kann die Rhetorik Mecha‐ nismen bereithalten, um den Orator in die Pflicht seiner Verantwortung für sein Tun zu nehmen: das Vir-bonus- und das Decorum-Ideal. Dies bedeutet, dass im Kommuni‐ kationsprozess ein Freiheitsmoment vorhanden sein muss, in welchem der Rezipient die Freiheit von ideologisch dominanter Infiltration und die dialektische Freiheit zu einer freien Meinungsbildung hat, ohne Repressalien fürchten zu müssen. Der Rezipient bildet sich freiwillig eine Meinung in einem kooperativen Kommunikationsgeschehen. 7 Schlussbetrachtungen Abschließend soll noch einmal die Frage nach der Dimension von Angemes‐ senheit in der Rhetorik thematisiert werden. Einerseits wird die These bekräf‐ tigt, dass dem decorum normative Kraft innewohnt und es durch seine inhärente ästhetische, ethische und sozial distinktive Relevanz als gemeinsamer Nenner auch für andere Formen der Wirklichkeitsbeschreibung Anschlussmöglich‐ keiten eröffnet, andererseits hängt die Wirkung des decorum von der jeweiligen Zweckbestimmung des Gegenstandes ab, wodurch es immer auch eine situativ bestimmte Komponente aufweist und deshalb oft fluid und scheinbar theore‐ tisch schwer fassbar erscheint. In dieser Arbeit konnte gezeigt werden, dass das decorum weder bei Cicero, noch bei Ambrosius oder Thomasius eine rein ästhetische Stilqualität ist, son‐ dern als ziviles Ethos und sozial-rhetorische Urnorm eine ethische Komponente in Sprache und Verhalten darstellt. Angemessenheit in der Rhetorik beruht auf der ethischen Trias von freier 1 Überzeugung, rationaler Begründung und mo‐ ralischer Rechtfertigung, was sowohl rhetorische, wie auch moralische und sozial-juristische Implikationen nach sich zieht. Um diese Implikationen und Grenzen aufzuzeigen, bedarf es der Festlegung und Abtrennung der jeweiligen Geltungsframes. Decorum muss scharf vom reinen Dekor als ornatus in der Rhe‐ torik unterschieden werden. Während Dekor die stilistisch ästhetische Ausge‐ staltung eines verbal-sprachlichen oder schriftlich fixierten Textes bezeichnet, ist das decorum zum einen als Ideal und zum anderen als Urnorm der rheto‐ rischen Planung im strategischen Adressatenkalkül in der inventio, dispositio und elocutio (aptum/ decorum) und in der oratorischen Performanz (actio) vor‐ 2 Joachim Knape: Was ist Rhetorik? S. 76 und 80. 3 Mit „tacit knowledge“ beschreibt die Psychologie ein „stilles Wissen“, „das nur selten offen ausgedrückt oder unterrichtet wird“. Dorsch Lexikon der Psychologie. Hg. v. Markus Antonius Wirtz, Bern: Huber, 2014, 17. Aufl., S. 1635. 4 Joachim Knape: Was ist Rhetorik? S. 33. geschaltet. Rhetorik meint dann die oratorische Fähigkeit, seinem Anliegen (Zertum) durch Beachtung des decorum in einer rhetorisch und ethisch ange‐ messenen Rede diejenige Geltung beim Rezipienten zu verschaffen, die der Orator strategisch im Bewusstsein seiner rhetorischen Verantwortung beab‐ sichtigt hat. 2 Aristoteles definiert die Rhetorik als eine Fähigkeit (δύναμις), das Überzeu‐ gende, das einer jeden Sache innewohnt, zu erkennen und schließt damit sowohl die technische, wie auch die intellektuell-kognitive Fähigkeit ein. Es obliegt nicht nur dem Orator als strategischem Kommunikator, eine Botschaft zu ko‐ dieren, sondern der Rezipient muss diese auch dekodieren, damit im Persuasi‐ onsprozess ein Beziehungsgefüge zwischen Sender und Empfänger entstehen kann. Für dieses Kodieren und Dekodieren stellt die Rhetorik nicht nur ein Or‐ ganon als kommunikativ-technische Instrumente zur Verfügung, sondern im‐ pliziert auch die ethische Voraussetzung, dass der Rezipient in der jeweiligen Situation gewillt ist, die Botschaft freiwillig zu vernehmen und zu dekodieren: Zentrales Prinzip dieses Organons ist das decorum. Es ist zum einen als Ideal wichtig, das jeder Orator anstrebt, selbst wenn es als Urnorm mit Goethe „eher gefühlt” oder als „tacit knowledge“ 3 , also theoretisch-praktisch gewusst werden kann, und zum anderen zeigt es die Geltungsframes einer jeden Rede, eines Arguments oder eines Disputes auf. „Geltungsframes“ bezeichnen hier Rituale, Konventionen und Institutionen, die ein perorare aude  4 begleiten und um‐ rahmen. Deren Funktion ist eine moralische wie auch sozial-juristische: Eine Rede hat angemessen zu sein, um ihre volle rhetorische Geltung entfalten zu können, jedoch ohne moralische Tabus oder juristische Konsequenzen zu miss‐ achten. An dieser Stelle scheint sich ein Problem aufzutun: Das decorum ist auf die Beziehung zwischen Adressat und Orator gerichtet und bezieht sich als Norm auf Sittlichkeit und Ethik. Doch als normativer Begriff ist das decorum, im Unterschied zum iustum, nicht einklagbar. Wie soll die rhetorisch-ethische Norm des decorum zum einen Persuasion absichern, zum anderen aber nicht formal einklagbar sein? Um dieses Paradox zu lösen, muss die Ebene der Theorie verlassen und das decorum als situativ verankertes Prinzip der Praxis betrachtet werden. Indem das decorum nicht als konkret vordefinierte Urnorm für jede rhetorische Situation verstanden wird, sondern jeweils neu situativ bestimmt werden muss, hat es zwangsweise eine relationale Qualität, die sich aus der 253 7 Schlussbetrachtungen 5 Es besteht ein Unterscheid zwischen einklagbar und einforderbar, dergestalt, dass erste‐ res formal juristisch aufgrund von Gesetzen und expliziten Vorschriften gilt, während letzteres implizit, im Sinne einer Erwartungshaltung an jemanden, mit dem ich eine gemeinsame Basis teile, gilt. 6 Andreas Reckwitz: Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne. 2018. Situation und dem Urteil des Rezipienten ergibt. Es ist andererseits aber gerade dieses Beziehungsgefüge zwischen verba und res einerseits und Orator und Re‐ zipient andererseits, das die Notwendigkeit eines zwar nicht einklagbaren, aber subsumierten decorum konstituiert: Durch seine relationale Qualität wird das decorum im menschlichen Miteinander einforderbar 5 , weil sich Rezipient und Orator stillschweigend auf eine Voraussetzung ihrer Kommunikation geeinigt haben. Möchte ein Orator reüssieren, muss er sich in temporär begrenzter Re‐ lation mit dem Rezipienten auseinandersetzen. Diese rhetorische Forderung stellt ein ethisches Erfordernis dar, soll eine Rede sozialverträglich und in allen Belangen angemessen sein. Das Publikum als Kollektiv der Anderen dient in demokratischen Gemeinschaften idealiter als kritisches Kontrollorgan und zen‐ sorischer Spiegel, um dem einzelnen Redner sein Bild auf reflektierte Art und Weise aufzuzeigen. Eine jede Rede ist also in kulturelle, sprachliche und moralische Geltungs‐ frames eingebettet, die große soziale Verbindlichkeit erlangen, da sie auf Ver‐ ständigungsregeln basieren und dadurch Konflikte begrenzen können. Aus heu‐ tiger Sicht kommt dem Orator eine große Verantwortung zu. Einerseits soll er der Gefahr monologischen Sprechens entgegentreten, andererseits einen fairen Persuasionsprozess dadurch sichern, dass er sich auf der Ebene strategischen Kommunizierens dem Menschen zuwendet, was voraussetzt, dass er zu ihm durchdringen kann. Dies ist im entgrenzten medialen Raum heute nicht immer einfach, leben wir doch in einer „Gesellschaft der Singularitäten“ 6 , die von „Ich‐ zentrierung“ bei der Suche nach dem Lebenssinn gekennzeichnet ist. Der Orator muss sich deshalb so positionieren, dass er diese Egomanie ins Adressatenkalkül einbezieht. Er muss sich den medialen Gegebenheiten stellen, die seinen Wir‐ kungsbereich einschränken können, und trotzdem das Interesse am Anderen wachhalten. Eine andere Herausforderung, der sich die Rhetorik im 21. Jahrhundert stellen muss, ist der Manipulationsverdacht, der dazu führt, dass sie als grundsätzlich unethisch betrachtet wird. Dieses Vorurteil beruft sich darauf, dass es immer brillante Redner gegeben habe, die erfolgreich ihre Zuhörer manipuliert hätten, so dass auf diese Weise unethisches Verhalten und möglicherweise sogar Ver‐ brechen gebilligt oder hingenommen worden seien. Es ist zwar Aufgabe der 254 7 Schlussbetrachtungen 7 Friedrich Schiller: Die Räuber. S. 404. 8 Andreas Trampota: Art. ‚Norm‘, in: Walter Brugger und Harald Schöndorf: Philoso‐ phisches Wörterbuch. S. 333f. 9 Friedrich Kirchner und Carl Michaëlis: Wörterbuch der philosophischen Begriffe. S. 458f. Ethik, den Menschen sittlich zu bilden und Normen zur Geltung zu bringen, um das Handeln anderer moralisch zu bewerten, doch die Rhetorik hat auch eine mächtige Waffe in ihrem Arsenal: das decorum als verbindlichen Teil einer anti-manipulativen Rhetorik. Um sich von der Manipulation abzugrenzen, schließt die Rhetorik jeglichen ideologischen Zwang und bewusste Täuschung des Rezipienten in der Persuasion aus. Die Rhetorik kann sich zwar nicht da‐ gegen verwehren, dass auch Tyrannen sie zum eigenen Nutzen einsetzen, doch indem das decorum als rhetorisches Prinzip und als Urnorm anerkannt ist, kann das eine vom anderen deutlich geschieden werden, um mit Schiller zu sprechen: Es ist einmal so die Mode in der Welt, daß die Guten durch die Bösen schattiert werden und die Tugend im Kontrast mit dem Laster das lebendigste Kolorit erhält. 7 Während der Begriff des aptum im Sinne einer Passung beispielsweise in Bezug auf die Emotionen der Rezipienten verstanden wird, wird in dieser Arbeit de‐ corum als Teil der Rhetorik im Sinne eines zivilen Ethos zur ethischen Abgren‐ zung gegenüber Manipulation und Propaganda begriffen. Manipulation ist eine Art von Überwältigungsrhetorik, die als negative Spielart von Rhetorik zwar existiert, doch nicht maßgeblich (und höchstens ex negativo) die Disziplin der Rhetorik bestimmt. Was ist nun die normative Kraft des decorum und welches Verständnis von gesellschaftlicher Norm liegt hier zugrunde? Um dem ethischen Begriff von „Norm“ näher zu kommen, soll er von dem Begriff der „Regel“ und „Konvention“ getrennt und in diesem rhetorischen Kontext bestimmt werden. „Norm“ stammt vom lateinischen Nomen norma ab und bezeichnet ein Win‐ kelmaß, eine Richtschnur oder eine allgemein anerkannte Regel. Außerdem kann sie in der theoretischen Philosophie auch ein Ordnungsschema für die Form des Denkens sein und regelt den Aufbau von Sprache (Redehandlungen) und von kognitiv wahren Aussagen. 8 Sie hat eine präskriptive Bedeutung, wenn sie als Maßstab für falsches und richtiges Handeln verwendet wird. Denn eine „Norm“ fordert zu einem bestimmten Verhalten auf und ist somit eine Art ge‐ nereller Imperativ im rechtlichen und moralischen Sinn. 9 Sie umfasst nicht nur Handlungsformen, sondern auch Handlungsziele, und ihre Geltung ist im Sozialen begründet, da sie eine Gemeinschaft in bestimmter Weise formt (was ist richtig? ). 255 7 Schlussbetrachtungen 10 Otfried Höffe: Lexikon der Ethik. S. 191 und Arno Anzenbacher: Einführung in die Ethik. S. 35. 11 Das Politiklexikon. Hg. v. Klaus Schubert und Martina Klein. S. 198: „Konvention“ kann völkerrechtlich als ein Abkommen oder Vertrag zwischen Staaten und soziologisch als ein „gesellschaftlich erwartetes Verhaltensmuster“ unterschieden werden. 12 Herlinde Pauer-Studer: Kommentar zu David Hume: Über Moral. S. 55. Auch die Ge‐ rechtigkeit und die Sprachen nehmen nach Hume ihren Anfang in menschlichen Kon‐ ventionen. Norm meint primär eine gesellschaftliche Norm, die das angemessene Ver‐ halten aller in der Gesellschaft Beteiligten definiert und bei Devianzen Sankti‐ onen vorgibt. Davon abzusetzen wäre der Begriff der „Regel“ vom lateinischen regula für Leiste, Latte, Richtlinie, Maßstab, wobei Regel sowohl einen norma‐ tiven, als auch einen nicht normativen Sinn haben kann. Eine Regel ist eine Norm, wenn sie ausdrückt, dass etwas zu befolgen ist, und einer Handlung das Attribut „regelgemäß“ oder „regelwidrig“ zuschreibt. Eine Regel im nicht nor‐ mativen Sinn beschreibt lediglich ein Wiederholendes oder Gleichbleibendes, das aus Erfahrung und Erkenntnis deduziert und dann als Regel etabliert wird. (Ob sich dies auf Mensch oder Maschine bezieht, spielt keine Rolle). 10 Das Thema der Konvention beschäftigt seit jeher die Philosophen. In Platons Kratylos 384d diskutieren Hermogenes und Sokrates über den arbiträren Cha‐ rakter von Sprachkonventionen, wenn sie der Frage nachgehen, welcher Name welchem Gegenstand von Natur aus oder aus Übereinkunft richtig zugehört. Platon definiert eine Sprachkonvention als „eine Richtigkeit der Worte“, die sich auf Vertrag und Übereinkunft gründet“. Die lateinischen Nomina conventum und conventio bedeuten Übereinkunft, Abmachung oder auch Vertrag. In der Politik wird mit Konvention 11 meist ein Konsens oder ein Übereinkommen bezeichnet. Konvention bedeutet völker‐ rechtlich eine schriftlich fixierte, gemeinsam anerkannte Grundlage für zwi‐ schenstaatliches Handeln (beispielsweise die Genfer Konvention). Soziologisch bedeutet Konvention eine Art Regel des Umgangs innerhalb einer bestimmten Gruppe von Menschen, kann implizit oder explizit soziales Verhalten regeln. David Hume zeigt in Ein Traktat über die menschliche Natur die sozialen Be‐ dingungen von Konvention auf, die gelten müssen, um eine Konvention als Konvention definieren zu können. Er definiert Konvention als eine Überein‐ kunft und als „[…] das Bewußtsein des gemeinsamen Interesses von allen un‐ seren Mitmenschen“, welches „das Zutrauen [weckt], daß sie auch in Zukunft ihr Verhalten entsprechend regeln werden.“ 12 Folgende Bedingungen müssen nach Hume erfüllt sein: Die Mehrheit der Gesellschaft akzeptiert sie als Konvention, eine gegenseitige Befolgung der Konvention wird allgemein vorausgesetzt, das Eigeninteresse und das des An‐ 256 7 Schlussbetrachtungen 13 Ibid, II, S. 202. 14 Ernie Lepore und Matthew Stone: ‚David Lewis on Convention‘, in: A Companion to David Lewis. S. 316-317: Ein spieltheoretisches Kalkül bezeichnet hier den formalen Zugang, den Lewis zu Koordination und Kommunikation wählt, indem er spieltheore‐ tische Ideen von Neumann, Morgenstern (1947) und Schelling (1960) nutzt. Als Spiel wird hier eine Situation beschrieben, in der verschiedene Agenten interagieren, Ent‐ scheidungen treffen und Ergebnisse erzielen. Spiele verallgemeinern entscheidungs‐ theoretische Modelle, in welchen die Agenten alleine agieren. Die Entscheidung der Anderen muss strategisch im Spiel berücksichtigt werden. 15 Herbert P. Grice: ‚Logic and Conversation‘, in: Studies in the Way of Words. S. 26-28. deren wird gewahrt, eine Konvention wird öffentlich festgesetzt und gilt als gemeinsam geteiltes Wissen. Die humesche Definition von Konvention als plan‐ volles Handeln, geteilter Gemeinsinn und Verhaltensregulation durch be‐ stimmte Regeln dient der Gesellschaft als Stütze, um Stabilität und Frieden zu gewährleisten. 13 Der amerikanische Philosoph David Kellogg Lewis veröffentlichte 1969 sein Werk Konventionen. Eine sprachphilosophische Abhandlung, in dem er Konven‐ tionen als eine Lösung für ein immer wiederkehrendes Koordinationsproblem analysiert. Er stützt sich dabei auf die Arbeit des Philosophen Herbert Paul Grice und prägt den Begriff der „sprachlichen Konventionen“ in spieltheoretischem Kalkül 14 . Soziale Konventionen werden in unterschiedlicher Weise wirksam. Grice be‐ schreibt ihre Wirksamkeit innerhalb der sogenannten „konversationellen Im‐ plikaturen“, die beschreiben, was Menschen meinen, aber nicht ausdrücklich sagen, sondern in ihrer Wortwahl eher suggerieren. Um dieses Unterschwellige in einer Konversation richtig abzuschätzen und zu verstehen, müssen die Teil‐ nehmer den Zweck der Konversation, den Kontext und ein gemeinsames Welt‐ wissen teilen. Doch diese Tatsachen allein genügen nicht für eine reibungslose Konversation, d. h. für ein problemloses Verstehen und Verstandenwerden. Grice sieht den Menschen als rationales Wesen und unterstellt ihm, dass er folglich auch rationale Regeln der Konversation einhält, und so definiert er die menschliche Konversation als eine kooperative Bemühung. Die Konversation folgt einem Kooperationsprinzip als Leitmaxime und hält sich an die vier Ma‐ ximen der Qualität, Quantität, Relevanz und Modalität. Laut Grice verfolgt menschliche Kommunikation eine offene Form der Beeinflussung mit dem Zweck (purpose), sich kooperativ und rational auszutauschen 15 , doch bedarf es normativer Regeln in Form von Maximen, um den Rationalitätsstandard zu for‐ mulieren. Im Gegensatz zu konventionellen sollen rationale Konversationsre‐ geln die angemessene Interpretation von Redebeiträgen und die angemessene Antwort auf Fragen gewährleisten. Die griceschen Konversationsmaximen 257 7 Schlussbetrachtungen 16 An dieser Stelle wird deutlich, inwiefern Rhetorik und Pragmatik als philosophische Lehre vom sprachlichen Handeln konvergieren, beispielsweise im Aspekt der Perfor‐ mativität von Sprache, der intendierten Sprecherbedeutung und bezüglich der Bezie‐ hung des Zeichens zum Interpreten nach Charles W. Morris’ Definition in Grundlagen der Zeichentheorie. S. 52. 17 David Lewis: Konventionen. Eine sprachphilosophische Abhandlung. S. 180-198. 18 Ibid, S. 33. können als pragmatische Relationen verstanden werden, deren Funktion es ist, angemessenes kommunikatives Verhalten von Menschen zu garantieren. Meines Erachtens können sie auch nutzbar gemacht werden für die Kodierung oder Dekodierung von Sprechhandlungen in einer erfolgreichen Kommunika‐ tion. 16 Angemessenheit kann so als Klimax pragmatischer Relationen gesehen werden. Dieser Denktradition folgt aus meiner Sicht auch David Lewis, der Konven‐ tionen als Lösung für ein wiederkehrendes Koordinationsproblem begreift. Ein Koordinationsproblem entsteht, wenn in einer Situation verschiedene ange‐ strebte Zielvorstellungen der Beteiligten aufeinandertreffen und sie sich nicht unmittelbar verständigen können oder, wenn Redner und Hörer ihr Verhalten so anpassen und koordinieren müssen, dass der Hörer exakt das versteht, was der Redner ihm sagen will. Koordination ist so eine Bedingung erfolgreichen Kommunizierens und entsteht durch Einigkeit über Regeln, die dann zu Kon‐ ventionen werden. Insofern sind Konventionen der Sprache beispielsweise auch Konventionen der Wahrhaftigkeit (truthfulness  17 ). Lewis definiert Konventi‐ onen als arbiträre, automatische Verhaltensregularitäten, die als konstituierende Bedingung weitgehend von Personen befolgt werden. Diese Verhaltensregula‐ ritäten werden durch ein System von Präferenzen, gegenseitigen Erwartungen und geteiltem Wissen gestützt und über die Rationalität abgesichert. 18 Von Hume über Grice bis Lewis zeigt sich, dass Konventionen und Sprach‐ konventionen ein von mehreren Menschen anerkannter und geteilter Regel‐ komplex ist, der nicht zwangsläufig sprachlich festgelegt ist, sondern oft ein mündlich und kulturell tradiertes Wissen einer Gemeinschaft darstellt. Zusammenfassend kann behauptet werden, dass eine Norm aus einer allge‐ mein anerkannten Regel hervorgeht und eine Konvention sich über eine Norm oder Regel ausformt, und dass menschliches Kommunizieren ohne diese Kon‐ zepte schlicht nicht möglich wäre, zumindest keine sprachliche, rationale und Beziehung klärende Kommunikation (sei es als Konsens oder Dissens). Doch alle drei Begriffe (Norm, Regel und Konvention) eint, dass der Mensch sie zuerst vernehmen, auslegen und je situativ interpretieren muss, bevor er sie befolgen 258 7 Schlussbetrachtungen 19 Friedrich Kirchner und Carl Michaëlis: Wörterbuch der philosophischen Begriffe. S. 458. 20 Den Beweis dafür tritt die Veranstaltung Chor des Hasses an. Der Chefredakteur der Zeit, Giovanni di Lorenzo, hatte am 07.10.2018 im Rahmen des Theater Festivals Ham‐ burg prominente Schauspieler eingeladen. Sie lasen Verleumdungen vor, die in E-Mails von Bürgern an Politiker zu finden waren. Doch auch Autoren (Studie Das freie Wort unter Druck des PEN-Zentrums Deutschland und dem Institut für Medienforschung der Universität Rostock) und Journalisten sind verbalen Anfeindungen ausgesetzt. Die Journalistin Ebru Taşdemir hat zur Demonstration die Hate poetry als eine Art Perfor‐ mance ins Leben gerufen, und seit 2012 gibt es immer wieder entsprechende öffentliche Lesungen. und anwenden kann. Sie werden entweder durch Sprache oder Sitten tradiert und unterliegen zumeist rhetorisch-pragmatischen Prozessen. Die These, dass das decorum normative Kraft hat, wird in dieser Arbeit da‐ hingehend erläutert, als pragmatische Relationen, verstanden als ein reibungs‐ loses Kodieren und Dekodieren von Redebeiträgen in menschlicher Kommuni‐ kation, ohne rhetorische Angemessenheit nicht möglich wären und diese somit als archimedischer Punkt unverzichtbar ist, sowohl aus rhetorischer Produkti‐ onsperspektive, als auch aus pragmatischer Rezipientensicht. Das decorum stellt sich insofern als eine Norm der Rhetorik dar, als es das rhetorisch Angemessene in Sprache und Verhalten bezeichnet, das in einer je konkreten Situation vor‐ ausgesetzt und gewusst werden muss, um strategisch erfolgreich überzeugen zu können. Als Sanktionen bei Devianzen drohen Unverständlichkeit, Ablehnung, Dissens und gesellschaftliche Ausgrenzung. Das decorum ist Norm, weil es „Maß des Angemessenen“ 19 ist und auffordert, Persuasion angemessen zu gestalten. Es ist Teil einer Konvention, wenn eine begrenzte Gruppe von Personen sich auf rhetorisch ethische Standards der Kommunikation zur Verständigung und zum Konsens einigt und verpflichtet. Das Prinzip der Angemessenheit in der Kommunikation ist heute wichtiger denn je, da sprachliche Verrohung nicht nur in den sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter beängstigende Ausmaße angenommen hat, sondern auch gesellschaftliche Relevanz hat und nicht selten zu Abwertung des Anderen und zu Gewalt führt. 20 259 7 Schlussbetrachtungen Literatur Ambrosius (1917): Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand Pflichtenlehre und ausgewählte kleinere Schriften. Bibliothek der Kirchenväter, übers. v. Johannes Ev. Niederhuber, Kempten/ München. Sancti Ambrosii Mediolanensis (2000): De Officiis. 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