eBooks

Beziehungsweisen

2019
978-3-7720-5699-4
A. Francke Verlag 
Elazar Benyoëtz
Friedemann Spicker

Elazar Benyoëtz ist der wohl bedeutendste deutschsprachige Aphoristiker der Gegenwart. Dieser Band versammelt Auszüge aus einem Korpus von fast 700 Briefen von und an Benyoëtz, die thematisch sortiert und mit Anmerkungen versehen sind. Der Leser gewinnt aus den Exzerpten erstmals einen umfassenden Einblick in das Selbstbild des Autors bezogen auf Person und Werk sowie auch in sein Verhältnis zur Literatur und zu seiner Zeit. Ein chronologisches Verzeichnis der Briefe und BriefpartnerInnen, ein Personenregister sowie eine annotierte Bibliographie zu Werk und Sekundärliteratur vervollständigen den Band, der damit ein unentbehrliches Hilfsmittel jeder wissenschaftlichen Beschäftigung mit Benyoëtz darstellt.

25,2 ISBN 978-3-7720-8699-1 Elazar Benyoëtz ist der wohl bedeutendste deutschsprachige Aphoristiker der Gegenwart. Dieser Band versammelt Auszüge aus einem Korpus von fast 700 Briefen von und an Benyoëtz, die thematisch sortiert und mit Anmerkungen versehen sind. Der Leser gewinnt aus den Exzerpten erstmals einen umfassenden Einblick in das Selbstbild des Autors bezogen auf Person und Werk sowie auch in sein Verhältnis zur Literatur und zu seiner Zeit. Ein chronologisches Verzeichnis der Briefe und BriefpartnerInnen, ein Personenregister sowie eine annotierte Bibliographie zu Werk und Sekundärliteratur vervollständigen den Band, der damit ein unentbehrliches Hilfsmittel jeder wissenschaftlichen Beschäftigung mit Benyoëtz darstellt. Spicker (Hrsg.) Beziehungsweisen Beziehungsweisen Friedemann Spicker (Hrsg.) Elazar Benyoëtz: Ein Porträt aus Briefen 38699_Umschlag_02.indd Alle Seiten 14.11.2019 08: 57: 39 Beziehungsweisen Friedemann Spicker (Hrsg.) unter Mitarbeit von Angelika Spicker-Wendt Beziehungsweisen Elazar Benyoëtz: Ein Porträt aus Briefen Umschlagabbildung: Metavel Benyoëtz, Solitude (2019), Aquarell, 11,5 x 17,5 cm. Privatbesitz. © 2019, Abdruck mit freundlicher Genehmigung. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Gedruckt mit Mitteln der Angelika und Friedemann Spicker Stiftung. © 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISBN 978-3-7720-8699-1 (Print) ISBN 978-3-7720-5699-4 (ePDF) ISBN 978-3-7720-0109-3 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Inhalt Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 I „Unleugbar spielten die Briefe in meinem Leben und Werk eine entscheidende Rolle.“ - Der Brief als „gerichtetes Wort” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 A Das Netz der Beziehungen II „Lebten wir in Zeit und Geist genössisch? “ - Zeitgenossen . . . . . . . . . . . . . . . 33 III „Ich lebte ja mehr in der Literatur als in meiner Zeit.“ - Deutsche Traditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 IV „Dein Gesicht ist mein Gesicht, / der Erde ist niemand fremd / und auch den Sternen nicht.“ - Judentum, Israel, Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 V „Kohelet, der Prediger; mein Großvater.” - Bibel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 B Das Werk VI „Wenn der Text nur stünde! “ - Zur Arbeit mit der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . 169 VII „Ich wollte ja nie Aphorismen geschrieben haben.“ - Zum Aphorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 VIII „Ich habe nicht mehr Leben als in meinem Werk.“ - Zu einzelnen Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 „Sahadutha“. 1969 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 „Einsprüche“. 1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 „Treffpunkt Scheideweg“. 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 „Paradiesseits“. 1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 „Wirklich ist, was sich träumen lässt“. 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 „Hörsicht“. 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 „Brüderlichkeit“. 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 6 Inhalt „Querschluss“. 1995 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 „Variationen über ein verlorenes Thema“. 1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 „Die Zukunft sitzt uns im Nacken.“ 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 „Allerwegsdahin“. 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 „Der Mensch besteht von Fall zu Fall“. 2002 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 „Finden macht das Suchen leichter“. 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 „Die Eselin Bileams und Kohelets Hund“. 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 „Die Rede geht im Schweigen vor Anker.“ 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 „Scheinhellig“. 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 „Fraglicht“. 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 „Olivenbäume, die Eier legen“. 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 „Sandkronen“. 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 „Am Anfang steht das Ziel und legt die Wege frei.“ 2015 . . . . . . . . . . . . 275 „Was nicht zündet, leuchtet nicht ein“. 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 „Beteuert und gebilligt.“ 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Unselbstständige Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Briefeditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 „Vielzeitig“. 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 IX „Die Lesungen sind mein wichtigstes Werk.“ - Zu Lesungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 X „Unsere Herzen pochen nicht weit auseinander.“ - Zuwendung im Brief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 „Der ich so gern ein Briefling bleibe.“ - Elazar Benyoëtz als Briefschreiber . . . . 327 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Zur Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Chronologisches Verzeichnis der Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 Verzeichnis der Briefpartner(innen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Die Werke Elazar Benyoëtz’ (selbstständige Publikationen in Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 Briefeditionen (kleinere Einzelsammlungen in Auswahl) . . . . . . . . . . . . 368 Sekundärliteratur (in Auswahl und mit Annotationen der jüngeren Literatur) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 Literatur des Herausgebers zu Elazar Benyoëtz (chronologisch) . . . . . 373 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Zur Einführung Briefe müssen nicht im Zusammenhang stehen, aber eine Beziehung glaubwürdig widerspiegeln und für den Schreibenden sprechen. EB an Monika Fey, 24. Januar 2006 Der Aphorismus ist das Stiefkind der Literaturwissenschaft und der Literaturgeschichte, ungeachtet seiner großen Autoren von Karl Kraus bis Elias Canetti, um nur vom letzten Jahrhundert zu sprechen. Wer allein die neueren Bände des „de Boor/ Newald“, der repräsentativen, in zehn Bänden vorliegenden deutschen Literaturgeschichte, den von Wilfried Barner herausgegebenen Band für die Zeit von 1945 bis zur Gegenwart (1994) und den von Helmuth Kiesel verfassten zur deutschsprachigen Literatur 1918-1933 (2017), daraufhin durchsieht, wird dieser Aussage unmittelbar zustimmen müssen. Der Aphorismus kommt dort (so gut wie) nicht vor. Stiefkind: Das gilt umso mehr für die mystisch-religiöse Aphoristik, für die im 20. Jahrhundert (in einer breit gefächerten Palette von Möglichkeiten) immerhin Autoren wie Peter Hille, Christian Morgenstern, Franz Kafka, Ferdinand Ebner, Rudolf Alexander Schröder, Theodor Haecker, Franz Werfel, Ernst Meister, Franz Baermann Steiner und Ludwig Strauß stehen. Gleichzeitig, und das mag ein Grund für die Skepsis der Literaturwissenschaft sein, ist der Aphorismus auf der Ebene der Gebrauchsliteratur, in Lebenshilfe und Kalenderweisheit, bis auf den heutigen Tag von ungebrochener Attraktivität. Da nimmt es nicht wunder, dass man den Briefband eines Autors wie Elazar Benyoëtz, der sich sein ganzes Leben lang ausschließlich dem Aphorismus und seinen lyrisch-meditativen Nachbarformen gewidmet hat, nicht ohne eine kurze Einführung zu Leben und Werk lassen kann. Dabei ist der Autor mehrfach mit Preisen ausgezeichnet worden; bedeutende Literaturwissenschaftler von Harald Weinrich bis Harald Fricke, die sich ihm zuwandten, haben ihn unisono in einer Reihe mit Lichtenberg, Kraus und Canetti gesehen. Das hat an seiner Randstellung, nicht nur in geographischer Hinsicht, bisher wenig bis nichts geändert, wenn er auch in jüngster Zeit vermehrt zum Gegenstand literarisch-theologischer Erörterungen geworden ist. Elazar Benyoëtz, 1937 in Wiener Neustadt geboren und bald darauf mit den Eltern nach Israel emigriert, war schon in jungen Jahren ein erfolgreicher israelischer Lyriker, ehe er 1963 für einige Jahre nach Deutschland ging, um dort 8 Zur Einführung vorwiegend wissenschaftlich-bibliographisch zu arbeiten und die „Bibliographia Judaica“ aufzubauen. In Israel wurde er dafür stark angefeindet. Zu den Fragen seiner literarischen Sozialisation hat er sich selbst häufig geäußert; auch die Briefexzerpte dieses Bandes sprechen vielfach davon. Seit 1969 lebt er in Tel Aviv und Jerusalem. Die Entfernung vom Sprachraum seiner Literatur ist konstitutiv, auch wenn die Kontakte nach Deutschland, in Briefen oder auf (Lese-)Reisen, vielfältig und eng blieben. Er veröffentlichte in regelmäßiger Folge deutschsprachige Aphorismenbände, zunächst in dem kleinen Verlag Müller, dann bei Hanser, dem Verlag, zu dessen Autoren auch Stanislaw Jerzy Lec und Elias Canetti zählen, und in jüngerer Zeit bei Braumüller (Wien) und Königshausen und Neumann (Würzburg) sowie in zahlreichen kleinen Privatdrucken, die zum großen Teil aus Lesungen entwickelt wurden. Ab 1990 erschienen neuartig strukturierte Bände, in denen neben Aphorismen tagebuchähnliche Kurzberichte, Lektürekommentare und literarhistorische Exkurse, Lyrik und Briefauszüge, Zitate und Selbstzitate zusammengestellt sind, nach 2010 auch vermehrt seine Lesungen in Buchform. Allesamt sind sie der verloren gegangenen deutsch-jüdischen Symbiose gewidmet. Das Jüdische ist bei allen Fäden in die Gattungsgeschichte hinein schon allein deshalb als das Neue zu verstehen, weil hier kein deutscher Jude mehr schreibt wie noch Ludwig Strauß oder Werner Kraft, sondern ein Israeli sich an deutsche Leser wendet. Benyoëtz entwickelt sein (deutsch-)jüdisches Thema - Assimilation erscheint ihm als „Identitäuschung“ - von den Geschichten des Alten Testaments mit den Zentralgestalten Kain, Hiob, Abraham her. Er verfolgt damit das Konzept der Verbindung hebräischer Weisheitslehre und deutscher Aphoristik. Den Spruch bringt er mit Glauben, aber auch mit Widerspruch in Verbindung, mit beidem knüpft er an älteste Traditionen an. Das Buch Kohelet, der Prediger Salomo, ist ihm Vorbild, das einzige, das er so unumschränkt gelten lässt. An diese hebräische Spruchdichtung sucht er mit seinen „Sprüchen“ und ihrer Autorität anzuschließen. Für sein Gesamtwerk ist es charakteristisch, dass er es in Teilen oft aufnimmt, variiert und neu komponiert; es ist von der Suche nach einer aphoristisch-lyrischen Mischgattung gekennzeichnet. Der Ausgangspunkt seiner Poetologie ist eine höchst komplexe Kürze, durch Mehrsinnigkeit mit Spannung aufgeladen, die etwa dem Wortspiel in aller Regel eine neue Kraft verleiht. Auch die Definition ist in das Spannungsreich-Ambivalente hinein weiterentwickelt, in dem Gleichsetzung, Gegensatz, Folge, ironische Durchleuchtung, entgegensetzende Antwort in wechselnden Anteilen enthalten sind. Thematisch steht Benyoëtz gleichfalls mit zentralen Komplexen seines Werkes in der Tradition der Gattung, und er führt sie nicht nur fort, er entwickelt sie fort. Aus einer zentralen Uneindeutigkeit, einer bewussten Ambivalenz zwischen kotextueller Isolation sowie Zusammenhang und Einbindung als Teil Zur Einführung 9 eines Größeren, entwickelt sich das Gattungsweitende und -überschreitende. Das dem neuen Buchtyp zugrunde liegende Mittel ist das Zitat. Erinnerung als lebendig-ganzheitlich, gegenwärtig und vergegenwärtigend ist dabei ein Leitmotiv. Auch mit Versbrechung und Mittelachse, die endgültig einen Grenzbereich zwischen Aphorismus und Lyrik besetzen, geht eine innovative Veränderung einher. Dabei sind die abgrenzende Aufnahme der Sprachmythisierung und -personalisierung von Karl Kraus und insbesondere die Verbindungslinien zu Kafkas Aphoristik mit ihrer autonomen Bildlichkeit ebenso von Bedeutung wie die Beziehungen zu den jüdischen Exilaphoristikern Franz Baermann Steiner und Ludwig Strauß und, von Martin Buber her, das dialogische Prinzip. Benyoëtz, der unter allen zeitgenössischen Aphoristikern das meiste interpretatorische Interesse geweckt hat, gilt als der bedeutendste deutschsprachige Gattungsautor der Gegenwart. In einer Gattung, die zu seiner Zeit in Deutschland, von ein paar frommen Erbauungsaphoristikern abgesehen, fast ausschließlich von sozialpolitisch orientierten, im Übrigen agnostisch-atheistischen Autoren geprägt ist, sich in ihrer Breite der Variation vorgegebener Muster widmet und in Gesinnungs- und Lebenshilfeaphoristik ergeht, stellt Benyoëtz’ Aphoristik mit seinen Konzepten von Kürze und Wörtlichkeit, seinem Erproben von Autorität und Weisheit als aphoristische Grundlagen, insbesondere aber mit seiner Metaphorik in der Nähe des Schweigens in Verbindung mit der Mittelachse einen durch das Miteinander von hochintellektueller Literatur und Religiosität beispiellosen Gipfelpunkt dar. Hier ist wohl auch ein persönliches Wort zu der Beziehung des Herausgebers zum Autor angebracht, weil es dem Leser erlauben wird, den vorliegenden Band auch in dieser Hinsicht einzuschätzen. Kennengelernt als Autor habe ich Elazar Benyoëtz im Zuge meiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit dem Aphorismus, sei es literaturhistorisch, sei es zeitgenössisch, zu Ende des Jahres 1976; mein Besitzeintrag in den „Einsätzen“ (1975) 16.11.1976 bezeugt es. Die Hoffnung, die der Klappentext ausdrückt, es sei ein „bemerkenswertes Bändchen“, hat sich in meinem Fall erfüllt: Der schmale Band aus dem kleinen Verlag hat mich erreicht. Und in mehr als einem Sinne, denn die Hanser-Bände „Worthaltung“, „Eingeholt“ und „Vielleicht - vielschwer“ habe ich sogleich erworben, die früheren „Einsprüche“ nachgeholt. Benyoëtz fordert ein ‚anwesendliches Lesen‘, wenn er schrebt: „Die landläufige Vorstellung vom Aphorismus […] fordert ein abwesendliches Lesen, das nur noch auf Nebenreize reagiert. Ich suche die Kunst, die Kunst findet meine Hand: aus dieser erblüht eine Handvoll Gedanken“ („Filigranit“, S. 8f.). Es materialisiert sich für den späten Nach-Leser wohl in den An- und Unterstreichungen, den Ausrufe- und auch den Fragezeichen, dem Verweis auf frühere Bände („wie vor“), den Kringeln, die Korrespondenzen 10 Zur Einführung verbinden, den Marginalien: „vgl. Kasper“ oder „ s. Lichtenberg“: ein Lesen, das sich Rechenschaft gibt. Meine Rückkehr nach Europa nach einigen Jahren an einer koreanischen Universität, in denen ich den Anschluss an aktuelle Neuerscheinungen etwas verloren hatte, lässt sich im August 1991 geradezu am Benyoëtz-Leser ablesen: „Treffpunkt Scheideweg“, im Vorjahr erschienen, habe ich noch im November desselben Jahres gekauft. Im Mai 1996 sind wir uns bei einer Lesung in Amsterdam zum ersten Mal persönlich begegnet, und ich nutzte die Gelegenheit, „Filigranit“ und die mir bisher unbekannten kleinen Herrlinger Drucke zu erwerben. Unser Briefwechsel setzt im Jahr darauf ein. Er bezieht sich unter anderem auf die Auswahl aus seinem Werk, die ich für den Band „Aphorismen der Weltliteratur“ vorgenommen habe. Eine neue Stufe der Zusammenarbeit bedeutete es, als er im Jahr 2000 den Band „Der Mensch besteht von Fall zu Fall“ komponierte und ich ein Nachwort beisteuerte. Ich konnte ihn für eine Lesung in meiner Kölner Buchhandlung gewinnen, zu der ich die Einführung gab. Bis 2004 kommt es zu mehreren Begegnungen, in Köln, in Bonn, bei der Verleihung des Joseph-Breitbach-Preises der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz; die Briefe wachsen zu einem Briefwechsel an. Als mein Buch über den Aphorismus im 20. Jahrhundert, in den Siebzigern geplant, erschienen war (das ihm ein angemessen großes Kapitel widmet), löste es eine Flut von Briefen bei ihm aus, wie sie auch hier auszugsweise dokumentiert ist. Meine Beschäftigung mit dem Aphorismus, stellte er fest, decke sich genau mit der Entstehungszeit seiner Aphoristik. Er las intensiv: „Das bedeutet, dass ich bald zwölf Stunden mit Ihrem Buch und mit Ihnen spreche.“ Und er schrieb: „Ihre Gattungsgeschichte wird immer mehr zur Geschichte meiner Jugend.“ Dass Elazar Benyoëtz die Gattungsgeschichte wie kaum ein Aphoristiker sonst kennt, wusste ich aus seinen Publikationen; wie genau er sie kennt und wie dicht das Netz persönlicher Bekannntschaft ist, das lernte ich jetzt erst in Fragmenten kennen. In der Folge habe ich dann mehrfach von meiner fortlaufenden Beschäftigung mit dem Autor Rechenschaft gegeben: so in einem größeren Lexikonartikel, in kleineren Festbeiträgen und Rezensionen, in Anthologien und literaturhistorischen Überblickswerken sowie in begleitenden Texten im Lichtenberg-Jahrbuch (Bibliographie im Anhang). Ich konnte ihn zu Tagungen einladen: 2005 zur Lichtenberg-Tagung in Ober-Ramstadt, 2008 zum dritten Aphoristikertreffen in Hattingen, 2015 im Rahmen der Jüdischen Kulturtage im Rheinland in Hilden. Und im Jahr 2007 konnte ich ihn dafür gewinnen, meiner Reihe dapha-drucke im Deutschen Aphorismus-Archiv mit dem ersten Band, einer Auswahl von Aphorismen und Briefen, das Maß vorzugeben. Zur Einführung 11 Der Brief hat im Zusammenhang des Werkes von Elazar Benyoëtz einen im Vergleich zu anderen Autoren herausragenden, wenn nicht einzigartigen Stellenwert: Er ist integraler Bestandteil seiner Vorstellung der Gattung , Buchʻ als einer Komposition von Mischtexten aus Aphorismus, Tagebuch und Gedicht, aus Zitaten und eben Briefauszügen. Dementsprechend sind in seine Werke seit den neunziger Jahren immer wieder auch Briefe integriert. Und auch diverse Briefsammlungen liegen vor, kleinere, unselbstständig gedruckte Briefwechsel mit einzelnen Partnern, größere, vor allem mit dem Band „Vielzeitig“ von 2009, der Briefe von 1958 bis 2007 sammelt, und in „Olivenbäume die Eier legen“, das der Autor als ein „Nachbuch“ bezeichnet und in dem er die Stationen seines Lebens und Werkes auch mit den brieflichen Reaktionen dokumentiert. Hier nun erwartet den Leser keine weitere Briefsammlung. Aus einem Teil dieses umfangreichen Briefwerkes wird in diesem Band der Versuch eines Autorenporträts unternommen, wie es in den Bemerkungen „Zur Edition“ im Anhang im Einzelnen vorgestellt wird. F. S. I „Unleugbar spielten die Briefe in meinem Leben und Werk eine entscheidende Rolle.“ - Der Brief als „gerichtetes Wort” An Albrecht Goes, 30. Mai 1986 Nr. 1 Lange habe ich noch an dem Briefwechsel* gearbeitet und solange auch gezögert, Ihnen zu schreiben und Sie erneut um Ihr Wort zu bitten, um Ihr Wort als Dichter, Leser, Freund, Zeuge und Dichter. Es wäre sehr wichtig, dass Sie sich vor diesen Briefwechsel stellen; zu Clärle, das Sie genau erkannten, zu Manuel auch, dessen Novellen Sie herausgaben** und dessen Bild nicht ganz deutlich wird. Und auch zu mir, ja. Betrachten Sie es bitte nicht als Aufgabe - ein Blatt, ein sonniges, schattenspendendes, ein einziges Blatt von Ihrem Baum wäre Leben genug. Die erweiterte Auswahl, die neue Zusammenstellung ist fast makellos, entspricht dem Gelebten und bleibt anfechtbar. Mehr kann ich nicht sagen, könnten Sie aber - auf einer Seite, in einem Vorwort, Nachwort oder Begleitbrief. *** Für Ihre lange, getreue Begleitung, für Ihre ermutigende Rede sage ich Ihnen Dank. * Solange wie das eingehaltene Licht. Briefwechsel mit Clara von Bodman; Vielzeitig, S. 287 et. pass.; vgl. Olivenbäume, S. 167ff. et pass. (Die Titel der Bücher von EB hier in Kurzform; vgl. dazu die Bibliographie der Werke und Briefeditionen im Anhang.) ** Emanuel von Bodman: Das hohe Seil und andere Novellen. Nachwort Albrecht Goes. Stuttgart: Reclam 1991 *** Der mit beiden befreundete Dramatiker Max Zweig schrieb das Geleitwort zum Briefwechsel. Vgl. Solange wie das eingehaltene Licht, S. 5-9; vgl. Allerwegsdahin, S. 121f., 127 f.; vgl. Aberwenndig, S. 124f., 126 f., 321 An Daphne Hertz, 8. September 1986 Nr. 2 Ihre erneute Stellungnahme zum Briefwechsel* freut mich, sie ist gut und klar, erlaubt einen neuen Denkansatz und ermöglicht ihn - vom Bart bis zum Honig. Aber wie, wenn beide, Honig wie Bart, echt sind? Und das sind sie doch: der Bart des jungen Juden und Dichters, der Honig der alten Dame. Der Honig zumal ist ein natürlicher, und auch der naturreinste ist immer klebrig. Das ist nicht durchwegs angenehm, doch vermindert nicht den Nahrungswert und zieht von der Süße nichts ab. Oder doch? Ich weiß nun, was Ihnen unangenehm war und 14 I Der Brief als „gerichtetes Wort” wohl noch ist, weiß aber noch immer keinen Grund für Ihre heftige Abwehr: „Auf keinen Fall veröffentlichen! “ Mag sein, dass so manches im Briefwechsel gegen mich spricht, wie zum Beispiel, dass ich mir Honig um den Bart schmieren lasse, muss dies aber auch gegen Clara sprechen? Um sie geht es doch, um sie allein geht es mir. […]. Ich war nicht bemüht, im verklärten oder heiteren Licht zu erscheinen. Von mir gibt es in diesem Buch nur Briefe, Claras Briefe dagegen enthalten ihr Größenmaß und geben sie maßvoll wieder, sind also viel mehr als nur Briefe, doch leuchten sie schöner und leuchten besser ein, wenn meine Briefe durch ihre Briefe fahren. Oder war es, liebe Daphne, Ihr ganz persönliches Bangen um mein schöneres Bild? Das würde mir gefallen, denn gern gefalle ich Ihnen, trotzdem ist Gefallsucht nicht meine hervorragendste Stärke. So meine ich, es sei gut, dass wir uns über Bart und Honig, über jung und alt, Gefallsucht und Verfallenheit neue Gedanken machen. Dieser Briefwechsel wäre ein annehmbarer Ansatz dazu. Noch einmal: Möge Ihre Abneigung noch so gut begründet sein, sie gehörte zu diesem Fall und wäre losgelöst von ihm nicht zu denken, nicht von Grund auf neu zu bedenken. Ich meine: Der Ausgang entscheidet über den Ansatz, die Jahre werden in der Liebe zu Dauer, und was wir am Ende bedauern, das sind wir zu Anfang gewesen. * Mit Clara von Bodman. Vgl. Brief an Daphne Hertz, Vielzeitig, S. 118f. An Ludwig Brinckmann, 18. Mai 1994 Nr. 3 Briefwechsel ist Austausch, Mitteilung - nicht gleich, nicht durchwegs, nicht unbedingt Dialog. Auch muss nicht immer von Dialog gesprochen, geschweige denn geschwärmt werden. Dialog ist im Sprechen selbst angesetzt, doch lässt sich über diesen Ansatz ebenso gut hinwegsetzen. Manchmal ist dies gerade, was das Imposante eines Briefes ausmacht. Der groß angelegte Brief ist immer zunächst ein großartig ausgestellter Wechsel. Mit dem konkreten Briefpartner wird das Ganze auf eine Neugier beschränkt, man kann dann scheinbar „besser folgen“, bleibt an der Sache aber nur über die Neugier beteiligt, ohne sich darum stärker angesprochen zu glauben. „Das an dich gerichtete Wort verliert mit dir seine Richtung“. Die Richtung ist das von mir Verlorengegebene, damit bist du schon gemeint, dadurch noch nicht getroffen. I Der Brief als „gerichtetes Wort” 15 Von Alexander von Bormann, 26. Juli 1996 Nr. 4 Ich habe mich sehr gern in die Briefe* eingelesen. Es sind ja durchweg Personen, die interessieren und die auch etwas zu sagen haben, was in Deinen Briefen genauestens aufgenommen (und stimuliert) wird. Schön, ein bezügliches Denken in diese Form zu überführen, die ja zum Glück nie aus der Literatur verschwunden ist. So liest man gern weiter, es ist eine ganz eigentümliche Spannung in diesem Buch (das eines werden soll). Vielleicht hängt das auch mit der eigenen (jüdischen? ) Dialektik zusammen, die Versöhnung nicht als „Aufhebung“ (Verschmelzung der Standpunkte) denkt, sondern strikt als Gespräch meint (das gelegentlich auch schon mal lauter werden darf), als Dialog, der aufgegeben ist, wenn die Stimme des Anderen zum Verstummen gebracht wird. Nein, es ist ein sehr schöner Band, auf dessen Erscheinen ich mich freue. * Das gerichtete Wort. Auswahl aus dem Briefwechsel 1973-1993; zurückgezogen An Friedemann Spicker, 28. November 2004 Nr. 5 Man sieht einem Aphoristiker an, ob er Tagebuch schreibt oder nicht, ob seine Aphorismen von ihm kommen oder seinem Tagebuch entstammen. Man sieht es vor allem an der Fähigkeit eines Aphoristikers, von sich und mit sich selbst zu sprechen. Wer das kann, der schreibt nicht nur Tagebücher, er ist mit seinen Tagebüchern auch intim. Aus dieser Intimität, die ich bezeugen kann, beanspruche ich aber auch den „Brief“ für die Gattung. Das habe ich theoretisch noch nicht laut genug ausgesprochen, aber unübersehbar angedeutet: mit der Aufnahme von Briefen oder Brieffragmenten in meine Bücher. Der Brief gehört zur aphoristischen Praxis, zumal es das Wort zu einem gerichteten macht. (Meine geplante Briefedition heißt „Das gerichtete Wort“. Die drei Wörter mögen auch meine Auffassung vom Aphorismus bedeuten). Damit hätten Sie wieder einen Begriff für meine Aphoristik, einen Schlüssel, der aufschließt. Meinem deutschen Aphorismus ging der Brief voraus und der Brief liegt meiner ganzen Aphoristik zugrunde. Ich betone: die deutsche Aphoristik, weil meine hebräische in Schrifttum und Habitus ihren Grund und Quelle hat. Sie ist keine Worthaltung, und von der Bibel her ist jedes Wort ein gerichtetes. Im Deutschen musste ich mich erst zum Denken erziehen, meine Gedanken ausbilden und „bebildern“, damit sie nicht zu Meinungen herabsinken. Das hätte ich durch mein Tagebuch allein nicht erreicht. Tagebücher sind keine gute Schule, weil man an sich ja kein Wort richten kann, auch wenn man sich ständig zu etwas ermahnen muss. Das Briefeschreiben als Passion und Schule habe ich vor wenigen Jahren aufgegeben, ich brauch das nicht mehr, und auch meine Aphoristik hat es nicht 16 I Der Brief als „gerichtetes Wort” mehr nötig. Ich kann übrigens einem Aphoristiker auch ablesen, ob er Briefe schreibt oder nicht. An Monika Fey, 24. Januar 2006 Nr. 6 Weil Du Dich so lange um das Hebräische bemühst und Dich so ernsthaft hineinsingst, fällt es mir leichter, Dir Hebräisches, deutsch Gedachtes, zu schreiben. Die Fragen, die Du mir stellst, kommen aus einer hebräischen Neugier. Wenn ich sie auf Deutsch beantworte, gehe ich dem Hebräischen entgegen. Eine Zweitsprache schafft Distanz und erleichtert das sich selbst Umarmen, wozu sonst nur Erinnerungen fähig sind. Erinnerungen sind Selbstumarmungen, über das Gedächtnis hinweg. Es gibt Gesprächspartner und Briefpartner, die keine Gesprächspartner sind, aber gute Adressen, wie Ohren, die sich spitzen lassen, weil sie nicht allem offenstehen mögen. Es sind zuhörende Erzähler, die alles aus dem Gegenüber herausspinnen. Sie sind nur scheinbar passiv, die Aufmerksamkeit ist die beste Hebamme des Erzählens. Es ist - nun auch der Briefwechsel - voller Panik, wie wenn alles auf ein Ende drängen, ich in eine Enge getrieben würde, in der ich verzweifelt aus einer Situation, aus einem Menschen Funken Poesie schlagen möchte. Briefe müssen nicht im Zusammenhang stehen, aber eine Beziehung glaubwürdig widerspiegeln und für den Schreibenden sprechen. Briefe sind Einsichtungen; wenn man im Briefwechsel steht, wie im Leben, wie in der Versuchung, wie auf Kriegsfuß. Ich sehe viele Gesichter, Regungen, Leidenschaften, Hemmungen, erkenne Taktik und Verspieltheit. Sie sind mir alle willkommen. Ich sehe ein Ganzes, das Ganze kommt zur Auswahl, wird beschnitten, hört damit auch auf, „ganz gut“ und „ganz schön“ zu sein. Es wird sich ergänzen lassen und könnte immer wieder zur Geltung kommen. Verloren ist der „Blick aufs Ganze“. Das Ganze wird gepuzzelt. Fremde Menschen, die nicht von-Leidenschaft sind, die nur die Falten sehen, nicht das Eingefaltete, treffen die Auswahlen, besorgen die Editionen und führen sie, kommentierend, auf ein Ganzes zurück, das sich nie wieder finden ließe. Das fremde Auge bindet das Ende an den unverbindlichen Anfang und stellt den Zusammenhang her, als wär’s ein Verhängnis. So entstehen die Bilder, die „genauen“, die nach und nach „authentischen“, mit denen wir konfrontiert werden. Daran lässt sich studieren, was alles genau ist, heißt oder sein soll. Wirklich im gelebten Leben ist das Nichtgenaue, das Annähernde. Das Treffliche belebt das Daneben. I Der Brief als „gerichtetes Wort” 17 An Jürgen Stenzel, 19. November 2007 Nr. 7 „Allzu 70-jährig.“ Das Jahr, das uns so sehr zu schaffen macht. Mit Deiner Kritik hast Du mir schon geholfen, sie hat mich, wie es sein soll, verunsichert. Es ist ein Moment der Schwäche, ich mache mir mehr Skrupel als Gedanken. Mit „allzu 70-jährig“ hast Du, Dich selbst dagegen auflehnend, den Kern getroffen. Ich müsste von vorn beginnen, und dazu fehlt mir die Aussicht. Die Aussichtslosigkeit sollte den sinkenden Mut heben. Das Ich zu beherrschen ist schwer, das gespaltene zu überwältigen hoffnungslos. Mein Weg als Israeli und Jude ins Deutsche ist nicht nur mein Lebensweg, ist auch der Schrei meines Lebens. Ich musste mich fügen, ohne mich beugen zu können. Was ich annehmen musste, habe ich nie akzeptiert. Den Deutschen, für die ich schreibe, bin ich nicht „einzusehen“, aber auch den Israelis nicht, weil ich für sie gerade nicht schreibe. Das Pathos liegt im Schreiben, die Distanzlosigkeit im „für“. Das liegt auch dem zugrunde, was Du „einen alten Streitpunkt unter uns beiden“ nennst. Es ist kein Streitpunkt, es ist eine Hemmung. Wann immer Du meine Prosa lobtest, war es mir eine Auszeichnung. Ich habe mir Prosa nie zugetraut und fühle mich auch jetzt von der Vorstellung verfolgt, kein Schriftsteller zu sein. Das liegt tief und geht mir nicht leicht über die Lippen. Diese Not ist zugleich aber meine Schaffenskraft: aus dem Bewusstsein, Dichter zu sein, und nichts als Dichter. Im Sinne des lyrischen Ursprungs, meines traurigen Frühlingserwachens. Sprichst Du mir das - in bester Prosa-Absicht - ab, muss ich mich zur Wehr setzen. Es war wohl nicht anders möglich, als all diese Konflikte auch in den Briefwechsel hineinzutragen. Ich bin der einzige, der das tun kann, nicht darum auch der geeignetste. Der Verleger* wünscht sich Briefe zum Werk, er sieht es neutral, objektiv vor sich, die Briefe sollen dessen Erschließung dienen, zugleich aber eine andere von mir gepflegte „Gattung“ zum Bewusstsein bringen. So würde er denken, meine ich, er hat sich nicht näher darüber geäußert, er verlässt sich auf mich. Briefe zum Werk, Werk für Werk, lassen sich leicht finden und aneinanderreihen. Aber lässt sich das wirklich von „meinem Weg“ trennen? Und könnte daraus ein Buch werden, das man mit Anteilnahme liest? Die Gefahr liegt nahe, es bliebe schematisch und steif. Der mythologische „Leser“ will dem Werk nicht auf den Grund, sondern auf den Hintergrund kommen. Auch ich wüsste gern, was hinter diesem Werk gestanden haben mag. Die Wahrheit kann ich freilich nicht liefern, aber ein Bild, das nach und nach korrigiert werden könnte, am Ende korrigiert werden müsste. Ein Bild, aber auch viele verschiedene Selbstbildnisse, die dazu gehörten, nicht Stimmen allein. Unter den Briefen Deiner Sammlung befinden sich nicht wenige davon, Du bekommst den Schreibenden zu sehen, und diese Briefe an mich sind mir die liebsten. Namen sind mir teuer, mit vielen verbindet mich Dankbarkeit; die Freunde machen die 18 I Der Brief als „gerichtetes Wort” Lesbarkeit eines Werkes aus. Genug, Du weißt Bescheid und kannst so weiterfahren. Wenn Du am Ende bist, wird sich ein Bild einstellen, das uns zeigt. Zur Frage: „Muss das jetzt schon publiziert werden? Wir leben doch noch“ - Die Antwort: Wir leben doch noch, und es muss nicht schon publiziert werden; es ist aber auch die Ausnahme, dass wir es publizieren dürften. Die Publikation wird unsere Freundschaft nicht zerstören, und die Briefe sind alle längst geschrieben. Sie können im Schatten bleiben oder ins Licht gehoben werden. Meine Ansicht: Was zum Leben gehört, bleibe in der Pflege der Lebenden. Was zur Diskretion des Gelebten gehört, bleibe diskret. Darüber hinaus schreiben wir einander nicht anders, als wir miteinander sprechen, und das tun wir immer so und nicht anders, auch wenn man uns zuhört. Wer an unserem Gespräch teilnehmen mag, soll daran teilnehmen können, andere werden es nicht lesen, weil es sie nicht interessiert. Wir sprechen miteinander, wie ehrliche Freunde miteinander sprechen, das ist nicht Literatur, aber denkwürdig genug. Als Freund gehörst Du auch zu meinem Werk, nicht nur zu meinem Leben. * Olivenbäume. Braumüller An Harald Weinrich, 11. März 2011 Nr. 8 Ich habe mich an Deinen Rat gehalten, habe nicht alles weggegeben*, und doch unendlich mehr als vorgesehen und von mir verlangt: übereifernd mich auf die Probe stellend. Denn dazu wäre ich - als Sammler und nicht Wegwerfer - vor weniger Zeit gar nicht fähig gewesen. Dein „Gebot“ war: Trennung für immer, ohne Wehmut. Ohne Sehnsucht. Mein gestriges Gefühl und heutiger Gedanke sagen mir, dass ich mich nach den „Materialien zu meinem Leben und Werk“ nicht sehnen werde. Ich sehe auch den Wert des Hinterbleibens - nicht des Bleibens, das einzig einem Werk einverleibt werden könnte - und habe, um mir das sagen zu können, unseren Briefwechsel vor Augen, der mir als Gewissen galt und nun Gewissheit geworden ist. Das ist das Herz meines literarischen Nachlasses, nicht nur, weil Du mein Begleiter warst, sondern, weil ich ohne Deine Begleitung nicht gewissenhaft am Werk hätte bleiben können. Das war mir die Bedeutung unseres Briefwechsels und ist mir „im Voraus“ eine Genugtuung, dass unsere Nachkommen davon wüssten. Es fiel mir nicht leicht, den Briefwechsel aus der Hand zu geben, aber nun sind wir beide alt genug, und wir bleiben bei- und füreinander, solange wir leben. Es fügte sich, dass ich eben jetzt (mit der 30. Fassung) mein Buch abgeschlossen habe.** Jetzt könnte es Dir gefallen. * Briefwechsel an das Brenner-Archiv ** Olivenbäume I Der Brief als „gerichtetes Wort” 19 An Riccarda Tourou, 3. Januar 2013 Nr. 9 Hältst Du Dein Wort, machst Du Halt; haltbar wird, was sich entziehen will. Hältst Du mein Wort, habe ich Deine Gesichtszüge in Händen. „So fremd bist Du mir, wie nah. Die Nähe erträgst Du nicht, die Fremde ist mir schwer. An der Entstehung Deiner Bücher mithelfen zu dürfen ist meine Erfüllung.“* Das sind abfahrende Gesichtszüge, die ihre Stationen haben. Das gerichtete Wort ist das geeignete Mittel der Physiognomisierung. Ich spreche zu Dir, damit Du dich zeigst. Das magst Du nicht, Du weigerst Dich. Man zeigt sich nicht, lässt sich ja auch nicht gehen, bleibt lange auf der Hut, länger auf der Lauer. Sich zeigen, das käme einer Anzeige gleich. Ehe man sein Gesicht zeigt, spricht man sich aus, man ist ausgesprochen da - und ist nicht in Sicht getreten. Ich wende mich an Dich, werde Dir eine Wand: Du lehnst dich an ihr, kannst durch sie auch gehen. Der korrespondierende Augenblick tritt ein, in dem dies möglich wird. Dann hast Du Dich gezeigt, und ich verhalf Dir dazu. Deine Gesichtszüge, einige von ihnen, bleiben in meinen Briefen unverwischbar für immer. Du tratest in Sicht und bist zu lesen. * Brief von Riccarda Tourou, 3. Januar 2013 An Ingeborg Kaiser, 7. Januar 2013 Nr. 10 Ungefähr dürfen wir zehn Jahre feiern, weil es aber fraglich ist, bekommst Du ein fragwürdiges Geschenk: unseren Briefwechsel, so weit von mir übertragen und gehütet und im PC gespeichert. Es könnte Gewinn bringen, je nach dem. Ich habe nichts redigiert, einiges - rein technisch - korrigiert, von meinen (oft erschreckenden) Textflächen einiges weggeschnitten, das Übrige kannst Du selbst tilgen, für das erste Bild ist doch wichtig zu sehen, wie viel an Flächen ich Dir zugemutet habe, dafür sind fast alle Deine Gedichte der Reihenfolge nach erhalten. Es ist nicht uninteressant zu sehen, was alles in dieser Zeit - also auch mit und zwischen uns - an Literatur entstanden war. Manche Briefe ließ ich in der Originalform (und Farbe), die Gedichte habe ich in keinem Fall angetastet, der Rechtschreibung aber angepasst. Es ist ja keine Edition, und bei mir suche man auch keine Konsequenz. Ich lese gern in verschiedenen Ausgaben und zitiere ebenso gern aus verschiedenen, mir ist alles Schreiben recht, solange man nicht vergisst, „dass Tonfälle Gesten, dass Begriffsinhalte Blicke sind, die nachgelebt und nachgebärdet, nicht nur abgelesen und abgeschrieben werden können“ (Friedrich Gundolf). Es ist das Dokument unserer Freundschaft, mit allen Steigerungen. 20 I Der Brief als „gerichtetes Wort” An Riccarda Tourou, 10. Januar 2013 Nr. 11 Mit den Briefen hat es noch seine Berechtigung, denn unleugbar spielten die Briefe in meinem Leben und Werk eine entscheidende Rolle: Sie ist meinem Werk abzulesen, und mit den zwei Briefbänden* habe ich für eine spätere Aufmerksamkeit ja auch gesorgt. Zwingend wäre ein weiterer Band nicht, doch eher als Bände anderen Genres gerechtfertigt. Für die Erschließung meines Werks wäre damit etwas getan, was sonst nicht mehr getan wird. Selbst wenn ichs vom Wiener Literatur-Archiv erwartete. Archive bewahren, geben nicht weiter, wenn nicht „einer“ initiativ wird. In meinem Nachlass ruhen umfangreiche Manuskripte, die nicht zur Geltung kamen, die ich mir „brennend“ herausgebracht wünschte und von denen ich nie bereut habe, dass sie liegen geblieben sind. Es muss auch mit dem Ehrgeiz aufhören, damit das „In-sich-gehen“ nicht allerwegs Phrase bleibe. Mein Werk kann auch „ungebilligt“ überleben. Die Briefe sind kein technisch zu bewältigendes Problem, auch das Vorhandene muss seine Konzeption entwickeln. Erfahrungen sind gut im Umlauf, nicht gut im Umsatz. Ein Autor eignet sich am wenigsten dafür, ich bin dazu untauglich, denn ich kann nichts in Ruhe lassen, auch längst geschriebene Briefe nicht. Einmal geschrieben, muss es um- und fortgeschrieben werden. Es müsste ein anderer her, doch auch der andere ist immer anders ein Anderer. Neugier allein kann da nicht befriedigen, auch rein Fachmännisches nicht. Den Germanisten interessierte das Germanistische, den Psychologen das Psychologische, den Österreicher das Österreichische. Es müssten mehrere daran arbeiten, das geht aber nicht; schon das Auswählen ist schwer genug. Ferner müsste gekürzt und angemerkt werden, und Du hast schon einmal erfahren, wie lästig es ist, wie schwer zu bewältigen. * Vielzeitig. Olivenbäume An Riccarda Tourou, 22. Januar 2013 Nr. 12 Meine Wirkung, die immer eine stille, unauffällige, nie offizielle, auch kaum erwartete war - kein Schrei, kein Reiz, kein Protest. Und doch in die Tiefe gehend? Das lässt sich behaupten, schwerlich belegen. Der Briefwechsel könnte kleine Belege, hauchdünne, beisteuern. Das wäre ohne Bedeutung, und doch von Wert. Der Fromme neigt zum Unscheinbaren, die Religion ist kein Holz auf Lager - Woodstock -, sie begehrt die Tiefenwirkung und ist dem Unsichtbaren ergeben. Ich lege dazu, weil ich gerade dabei bin, Briefe aus dem Jahr 2000. Du wirst sehen, was mich alles „schon immer“ beschäftigte und wie schon immer ich wohlwollende, meistens wenig taugliche Menschen hatte: bei größter Zunei- I Der Brief als „gerichtetes Wort” 21 gung, mitunter bei gutem kritischen Verstand, aber ohne „Elan vital“. Ich liebe freilich auch die Träumer, die nichts von Erfüllung ahnen, sie kriegen alles in den Mund, nichts in den Griff. Schade eben, dass ich die Typen nicht romanhaft auseinanderhalten und zusammenbringen kann, da kommen die Bibliothekare, Archivare, die glauben, den Puls der Nationalliteratur abhorchen zu können, sie müssen nichts verstehen, sie sitzen an den Quellen, im Archiv, wer ist der Literatur näher als sie-… An Riccarda Tourou, 24. Januar 2013 Nr. 13 Der große Brocken ist das Briefprojekt*, unverdrossen mache ich meine Register, stelle dabei fest, dass mir halbe Jahrgänge fehlen und dass so manches unwiederbringlich verloren ist, aber auch dass mein Problem - in allem und immer - die Fülle ist. Ich schaffe es nicht, kann schwer sieben und sichten, ich habe den Eindruck, es müsste auf zwei Bände hinauslaufen, und zwar: Band. 1) Begleiter; Band. 2) Jünger. Es wird dann biographisch und literarhistorisch weniger interessant oder aufregend (keine großen Namen), aber es hätte Hand und Fuß und Sinn und ließe sich auch mehr als Briefwechsel (wiewohl redigiert, mitunter streng) gestalten. Band 1 - die Wissenschaftler: Fricke, Helmich, Holzner, Mieder**, Sonnemann, Spicker, Stenzel, Weinrich, Wiedemann, Wohlmuth - es können auch Laien hinzukommen, wie Dorothee von Chamisso***, Hilde Schultz und Riccarda Tourou. Bd. 2 - Bongardt, Dausner, Grubitz, Heyden, Talebitari, Welz. Dies wäre schon einmal ein engerer Kreis, den man konzentriert verfolgen kann, es ginge um mein Werk, aber auch um das Thema Beziehung , die Bände ließen sich mit halbwegs gutem Sinn trennen, viele der Briefe liegen mir im PC vor, ich könnte die Auswahl vornehmen, ohne auf das ÖLA**** ausweichen zu müssen, wo natürlich viel mehr vorliegt, auch müsste ab und zu eine Abschrift verglichen werden, aber ich will nicht „historisch-kritisch“ streng vorgehen, es bliebe die Frage: kommentiert oder nicht, und wenn - wie weit? Das nämlich wäre noch einmal so viel Arbeit. Nun, leuchtet Dir das Programm ein? - Jetzt bin ich mich aber satt. * Unabgeschlossen ** Prof. Dr. Wolfgang Mieder (geb. 1944), Literaturwissenschaftler. Professor an der University of Vermont. Spezialgebiete Sprichwort und Märchen; vgl. Olivenbäume, S. 15. Zu den übrigen Personen vgl. das Verzeichnis der Briefpartner(innen) *** Dorothea von Chamisso (1912-2010), Altphilologin, Witwe des Urenkels von Adelbert von Chamisso, seit 1988 mit dem Chamisso-Preisträger EB freundschaftlich ver- 22 I Der Brief als „gerichtetes Wort” bunden; Vielzeitig, S. 305; Allerwegsdahin, S. 166f.; Keine Worte zu verlieren, S. 17f.; Olivenbäume, S. 195-200 **** Literatur-Archiv der Österreichischen National-Bibliothek, Wien An Ingeborg Kaiser, 9. April 2013 Nr. 14 Nur drei Stationen - Wittlich, Weinsberg, Schwäbisch Gmünd - , überall willkommen geheißener Gast, in feinen Hotels untergebracht, mit wenigen Reisen dazwischen - und vielen Gesichtern. Und doch: Ich bin noch gar nicht zu mir gekommen, nichts geschrieben, und dabei gefällt mir die eine, eigentlich entscheidende Lesung - geschrieben vor zwei Monaten - nicht mehr. In dieser Not (erlaube mir, sie so zu nennen: Es ist mitunter erbaulich, sich lächerlich zu empfinden und - es bleibe unter uns - „so herum“ zu genießen) „flüchtete“ ich mich in unseren Briefwechsel und - arbeitslos seit Wochen - „arbeite ich daran“, als wären es meine Tagebücher. Nicht viel, nicht lang, aber es freute mich - darüber nachzudenken, was mich dazu bringt, was ich mir dabei denke, was dazu zu sagen wäre. Was ich in meinem Tagebuch dazu schrieb, kann ich jetzt nicht sagen, das ist immer „für später“. Im Moment sage ich mir: dass es nicht anders gehen kann, schon gar, wenn ichs einmal rückwärts gelesen habe, quasi geschichtlich, unsere Beziehung zurückverfolgend und mich - angenehm - erinnernd. Das war ein lesendes Sich-Erinnern, ein noch fühlbares, ehe die Briefe, wie gestern geschrieben, wieder in die „Truhe“ (um beim Romantischen zu bleiben) gelegt werden - auf nimmer Wiederlesen, weil das Alter sich nicht zweimal seine Jugend als Hintergrund zurückrufen kann. Aus dem Gedächtnis wird Erinnerung, aus der Erinnerung das Nachlassen und der Nachlass. Nach der zweiten Begegnung büßte der Briefwechsel sein Leben für die Gegenwart ein, und da geschah es: Die Gegenwart selbst suchte sich die Briefe aus, an die sie anknüpfen, sich also aussprechen konnte. Mit der bloßen Vorstellung „veröffentlicht“ eröffnete sich eine neue Perspektive. Was Dir und mir galt, hatten wir zweimal für uns, wie es in der Regel ja ist. Mit dem eingeschobenen Fremdenblick werden die Briefe zu „Texten“, die niemandem gelten, aber an sich zu gelten hoffen: weil geltungsbedürftig oder - weil lesenswert. Sie sollten lesenswert werden. Nun gibt es kein Ausweichen: Auch das hier ist „für später“, wie alles, was ich schreibe, und es kommt der Tag, an dem Du dies in einer anderen Fassung zu lesen bekommst, und wenn Du oder ich Glück haben, wird es in zwei Sätzen geschehen, denn es verdiente, in einen Satz gebannt zu werden. I Der Brief als „gerichtetes Wort” 23 An Ingeborg Kaiser, 9. April 2013 Nr. 15 Bestünde der Brief nur aus dem einen Satz: „Wie kannst du aushalten, was du wissend schreibst? “, wäre er vollständig und einwandfrei, weil es eine echte Frage ist, die auf etwas hinweist, das zu fragen ist: aus dem Inhalt oder aus der Beziehung. Es ist gleichsam etwas, das mit Dir zu tun hat. Und das andere nicht? Ja, weil Du keine Schmeichlerin bist; nein, weil es in keinem Punkt Dich enthält oder aufdeckt. Das kann, das würde jeder sagen können. Und wenn es mich beim ersten Lesen auch freute, weil du mir lieb bist und ich Dir glaube, es ist nicht der Ausdruck, mit dem ich Dich nach außen zeigen möchte. Du bist Dichterin und stehst für die Dichtung ein. Ob Du willst oder nicht. Und das ist eben das Komplizierte des Briefwechsels, ich muss jene sehen, deren Blick ich Dich „ausliefere“. Es geht nicht um „gewichtig“, unser Briefwechsel ist vor allem privat, nicht aus Gefallsucht geschrieben, nicht für eine Veröffentlichung gedacht. Und doch denke ich, dass wir alles, was auch nur aus unserer Feder fließt, zu verantworten haben. Selbst die Schmeichelei müsste zur Würde kommen. Mit einer neuen Wendung. Schaffen wir’s nicht, haben wir versagt. An Winfried Schindler, 13. Mai 2013 Nr. 16 „Briefe sind Mitteilungen an sich selbst, die man zufällig frankiert hat.“* Es geht darum, dass es frankierte Mitteilungen sind, die wir deshalb Briefe nennen, obwohl es doch Briefe gab, die nicht frankiert werden mussten und dennoch Mitteilungen an sich selber waren: den Übermittler einbeziehend, den Boten hinzudenkend. Die Frankierung, nicht ihre Zufälligkeit, macht die Mitteilungen an sich selbst zum Brief. Tagebücher sind gewiss Mitteilungen an sich selbst, sie werden nicht frankiert und nicht Briefe genannt, obschon sie den nämlichen Adressaten im Sinn haben. Das Tagebuch ist eine Botschaft ohne Boten. Da mich „Brief“ und „Tagebuch“ gerade beschäftigen, darum kommt mir Ihr Aphorismus gelegen. * Winfried Schindler: Die Wirklichkeit der Illusion. Aphorismen. Annweiler: Sonnenberg 2009, Nr. 101 An Friedemann Spicker, 23. Mai 2013 Nr. 17 Die Probleme des autobiographischen Schreibens häufen sich bedrohlich. Ich wage sie nicht auszusprechen; die einer erneuten Brief-Edition sind geringer. Briefe plaudern die Tage selbst heraus. Dann suchen sie einander. Zusammen- 24 I Der Brief als „gerichtetes Wort” tragen und Sichten - leicht gesagt, die Fülle ist erdrückend, wenn ich nur wüsste, wo anzufangen. Also fange ich bei unserem Briefwechsel an, den wir auf seinen Kerninhalt schon einmal - mit Erfolg - geprüft haben, was aber nicht besagt, dass nur kernlose Briefe übrigblieben. Es handelt sich - fast ausschließlich - um die PC-Jahre, ich möchte auf Handschriftliches nicht zurückgreifen, mich möglichst von Wien* freihalten - ohne „Recherchen“, gerade wie es mir vorliegt, mit allen Fehlern, die gereinigt werden müssten, und Kürzungen, die notwendig sind. Nur in seltenen Fällen käme ein ganzer Briefwechsel in Betracht, in jedem Fall muss eine Aussage bleiben, ich meine die Beziehung - Lebensweg oder Gedankengang - und der Brief, der alles enthält und doch auch für sich spricht. Ich habe unseren Briefwechsel nun zusammengetragen. Manches werde ich verloren, anderes übersehen haben, es ist dennoch unser Briefwechsel in all seinen Phasen und das Bild unserer Beziehung, die ich getreu erhalten möchte. Ich bitte Sie, das Ganze auf das Erhaltenswerte hin zu prüfen; korrigieren Sie, was sich korrigieren lässt, kürzen Sie oder schlagen Sie Kürzungen vor. Erst die mir vermittelten Vorstellungen sagten mir, was zu machen ist, was sich zu machen lohnt. Ich bleibe nur noch der Briefe wegen im Deutschen, und dies nicht über das Jahr 2014 hinaus. * Literatur-Archiv der Österreichischen National-Bibliothek, Wien An Martina Kraut, 2. Juli 2013 Nr. 18 Das Schreiben macht Ihnen Freude, das Resultat ist ein Brief, ein Brief ist ein gerichtetes Wort, das sein Gesicht nicht verhüllt. Sie sprechen von sich und sprechen zu mir, nichts Schöneres als dies. Täten Sie es nicht, zu wem habe ich dann mit meinen Büchern gesprochen? Sie blieben jüdische Selbstgespräche. Auf diesen Punkt kommen wir noch - im Verlauf der Blätter - zurück. Ihren Berg müssen Sie sowieso besteigen oder versetzen, Sie tun es besser mit mir, da die Bereitschaft dazu in Ihnen entsteht. Von Martina Kraut, 31. Juli 2013 Nr. 19 Der Briefwechsel um Lec* ist in meinen Augen sehr bedeutsam; Sie haben ihn inzwischen gekürzt, aber entschuldigen Sie, wenn ich es so knapp sage: Ich finde ihn immer noch zu lang. Was ich allerdings nicht weiß, ist Ihre eigentliche Intention zu diesem Briefwechsel. Wenn Sie die Entwicklung der Gedanken wiedergeben möchten, dürfen Sie tatsächlich nicht weiter kürzen - wollen Sie I Der Brief als „gerichtetes Wort” 25 hingegen Ihre eigene Position (z. B. „was mir zu schaffen machte“)- in welcher Form auch immer „darstellen“, dann meine ich wirklich, dass es kürzer sein müsste. Was haben Sie vor? * Stanislaw Jerzy Lec, vgl. Anm. zu Brief Nr. 44 An Burkhard Talebitari 16. Dezember 2013 Nr. 20 Die Fragen, die Du Dir stellst, kann ich zwar beantworten, doch mir und nicht Dir. Ich lese sie mit und warte auf Deine Antworten oder Beantwortung. Dir vorausgehen will ich mit der Beantwortung der Frage, ob eine Mail noch als Brief betrachtet werden kann oder soll. Die Frage ließ mich nicht schlafen, obschon sie mir nicht grundlegend scheinen wollte. Du setzt etwas voraus, wogegen Du Dich selber stemmst (oder gefeit glaubst), wozu Du selbst weder Muster noch Beispiel bist: Lese ich Deine Mails, erkenne ich nicht, worin oder wodurch sie sich von Briefen unterschieden. Der Unterschied muss gesucht oder hergestellt werden. Das ist sicher so, stimmt aber nicht. Es gibt keinen Unterschied, denn Du bist ein Briefschreiber, und das bist Du und bleibst Du unter allen Umständen und durch alle Medien. Gibt es nun auch keinen Unterschied, so gibt es doch eine Differenz, sie ist eine psychologische und sie betrifft die Bewusstseinslage und die zu tilgende Distanz. Bei Dir ist sie noch schwerer festzustellen als bei mir (auf den die Feststellung ebenfalls zutrifft: es gäbe keinen erkennbaren Unterschied zwischen Brief und Mail), denn Du beeilst Dich mit Schreiben und Antworten nicht, es bleibt immer die dem-Zweck eingeräumte Zeit. Bei Dir entfällt schon ein Kennzeichen: Der Mailschreiber hat es mit der Eile - auch wenn er es nicht eilig hat oder wenn Eile nicht gefordert wird. Die Mail ist die Eilige Schrift. Und im Gegensatz zur Heiligen ist sie nicht um Korrektheit, Fehlerlosigkeit, Genauigkeit, Sauberkeit bemüht, das ist grundlegend: Mailschreiben heißt an sich - mit der Eile zu tun zu haben. Damit bricht in den „Text“ - der noch zu besprechen wäre - die so lange ferngehaltene / ausgeschaltete Schamlosigkeit ein. Man kann sich nicht zeigen, ist also auch alles, wie es ist. Vor dem Schirm heißt psychologisch - halböffentlich, das kann „theoretisch“ die ganze Welt mitlesen, es ist kein Blatt und kein Bogen, kein Zusammenfalten und mit eigener Zunge anzufeuchtender Umschlag, frankiert und abgestempelt. „Nicht Ich und Du.“ „Das Wort ist nicht gerichtet“, man meldet sich und kommt sich als Nachricht vor. Ich unterbreche, denn es ist zu früh, um frisch genug denken zu können, es ist das erste Festhalten einer lohnenden Besprechung - für später. Im Prinzip - für mich Schreibenden - ist es ähnlich dem Wechsel von der noch ganz intimen Füllfeder zur nichtintimen Schreibmaschine. Mit dem Halten der Füllfeder - mit dem Sie-nicht-aus-der-Hand-Geben, aber Aus-der- 26 I Der Brief als „gerichtetes Wort” Hand-legen-Können - wähnte ich mich Herr des Schicksals, federführend im Auge eines jeden Worts, verantwortlich für jedes, ganz und gar und rund. Mit dem Geklimper der Finger, dem Geklopfe der metallnen Lettern ward es mächtig eingeschränkt. Der Text bekam eine sichtbare Festigkeit, ich selbst aber ward tief verunsichert, wie wenn ich meine schreibende Hand verlassen hätte. Es war für mich eine antipoetische Handlung, für die ich mit einem wachsenden kritischen Sinn büßen musste. Dieser Wechsel prägte sich meinem Bewusstsein als grundlegend ein, und in diesem Punkt bleibe ich mit H. G. Adler* unauslöschlich verbunden, denn er redete mir die Schreibmaschine ein. Das habe ich ihm lange nachgetragen, ja, nicht verzeihen wollen, und das beunruhigt mich noch eben jetzt, da ich erkennen muss, dass ich mein deutsches Werk diesem Moment schulde oder verdanke. Ich wäre mit der Füllfeder nicht darauf gekommen, hätte es auch nicht geschafft, und - wäre ich später nicht mit größter Abneigung an den Rechner gelangt -„Treffpunkt Scheideweg“ wäre kaum zur Welt gekommen. Mein Werk bliebe ohne Folgen, oder - an „Variationen“ etc. gemessen - ich bliebe ohne Werk im Deutschen. Im Hebräischen blieb ich bei der Füllfeder - wäre vielleicht weitergekommen, ob ich meine Zeit je erreichte? Schwer zu denken, man könne mit der Füllfeder Zeitgenosse sein. An Oskar Loerke denken aber doch Zeitgenossen vieler Zeiten. Das Buch hat es mir angetan: Von Loerke geschrieben**, von Annette Kolb auf mich kommend, Alfred Mombert enthaltend.*** Dreimalstolz. Dass es mir nicht daran lag, Zeitgenosse zu sein, steht auf einem anderen Blatt. Zeitgenosse meiner Jugendsehnsucht - ja, das wollte ich sein, mit Emmy Hennings**** und Lotte Pritzel*****. Im Deutschen konnte ich jedenfalls sein, was zu werden mir im Hebräischen verwehrt bleiben musste: Zeitgenosse vieler Zeiten. Das Jahr 2013 war mir Plage genug, es erfordert noch allerlei Reinigung, auch wäre mir das Verantworten von Briefen anderer, die konsultiert, befragt, beschnitten werden müssten - zu schwer, mitunter lästig, wobei ich deren Zustimmung weitgehend voraussetzen dürfte. Es wäre alles zu umständlich, vor allem zu umfangreich, und - lese ich mit Deiner Nase - es scheint auch wenig dafür zu sprechen. Nicht jeder, der gern Briefe schreibt, ist hinlänglich Briefschreiber. Es gibt Menschen, die gern mit mir korrepondieren, das merkt man ihren Briefen auch an, manche entwickeln eine Stimme, manche hallen wider oder hauchen ihren Geist brieflich aus. Das wäre eine Studie für sich. Die herrschende Meinung ist dem Brief eher abgeneigt, die Neigung gilt dem Briefwechsel, auch wenn der Wechsel ohne Deckung bleibt. Das würde ein verlegerisches Problem ergeben, wie die Anmerkungen auch, die ich mir so gern sparen möchte. Ich könnte freilich andere Konzeptionen verteidigen, aber nicht gut genug darstellen. Es bleibt - anders als „Vielzeitig“ - die Geschichte meines Alterswerks und I Der Brief als „gerichtetes Wort” 27 meines Alterns, mit der dazu geschaffenen Umwelt und vielen Nebenstimmen. So interessant oder eigenartig dies sein mag (mit Einsichten noch und noch), es bewegt sich in einem engen Interessenkreis und letztlich um einen wenig bekannten Autor. Die hinreißenden Stellen sind wenige, denkbar wären kleine Auszüge als Vorspann - oder als Anmerkung oder im Anhang. Meine Briefe - streng ausgewählt, die Auswahl wieder gesiebt - und die Briefe selbst gut gekürzt. Widme bitte auch dieser Vorstellung einen Gedanken, ehe ich mich zu einer Konzeption entschließe. Ich möchte gern von editionellen Begriffen weg, doch gerade bei Briefen fürchten Verleger die (meist nicht vorhandenen) Editionskritiker, es gibt ja in der kritischen Welt nichts Leichteres zu kritisieren/ bemängeln als einen Briefband (ein falsches Datum, eine alte Schreibart, das Fehlen eines Namens im Register, „ein Vergleich mit ergäbe-…“). Es ist eben schwer, mit einem Briefband die Unvergleichlichkeit zu erreichen. Gut, dass es mir in der Aphoristik glückte, da konnte ich aber auch taktieren. * H. G. Adler (1910-1988), deutschsprachiger Prager Schriftsteller; vgl. Allerwegsdahin, S. 92; vgl. Die Rede geht im Schweigen vor Anker, S. 51; vgl. Aberwenndig, S. 93 mit Anmerkung ** Oskar Loerke: Zeitgenosse aus vielen Zeiten. Berlin: S. Fischer 1925 *** EB: Annette Kolb und Israel; vgl. Treffpunkt Scheideweg, S. 34; Loerke: Zeitgenosse aus vielen Zeiten, S. 206-215; vgl. Olivenbäume, S. 301 **** Emmy Hennings (1885-1948), Schriftstellerin und Kabarettistin; gehört mit ihrem Ehemann Hugo Ball (Heirat 1920) zu den Begründern des Dadaismus. ***** Lotte Pritzel (1887-1952), Puppenkünstlerin, Kostümbildnerin und Zeichnerin An Harald Weinrich, 13. Mai 2015 Nr. 21 Dein Brief hat mich einigermaßen erschüttert, weil es das Bild Deines Lebens, wie es ist und wie es war, wiedergibt: Alle Ecken und Enden finden sich in den Brief ein. Der freie Blick des über Paris schwebenden Geistes des Romanisten, das fliehende Gedächtnis, der suchende Blick, der noch sieht, was nicht verborgen bleiben kann: die Rothschild-Schule, die Lage also und der Rückknüpfung [? ], alle Bemühungen um Freiheit und Änderungen, die Dich auszeichneten, das Vertrauen im Experiment, die Verbrüderung jener, die irgendwann wieder aufhören, Brüder zu sein, weil sie „stämmig“ werden und streng um Abgrenzung bemüht sind, Territorium, Acker, Quelle, Brunnen, Wüsten und Verwüstungen. Das alles ist in Deinem Brief zusammengeklagt. Man verspricht nicht mehr, zu leicht könnte man sich versprochen haben. 28 I Der Brief als „gerichtetes Wort” An Hans-Jürg Stefan, 8. März 2016 Nr. 22 Über Wert und Bedeutung von Briefwechseln müssen wir einander nicht überzeugen. Welcher Verlag gäbe Lavaters Briefwechsel* heraus, was muss alles geschehen, geleistet, zusammengetragen werden, um einen Briefwechsel herauszubringen, den manche erforschen werden, niemand aber lesen wird? Gedacht wurde schon viel über Briefe und Briefwechsel, umgedacht nicht genug. Da stehe ich mit meinem kümmerlichen Briefwechsel. Nötig ist eben der Wechsel - aber nicht nur der Briefe. Als Erkenntnis gebe ich zu überlegen, dass nichts über die Vollständigkeit eines Briefwechsels Goethe-Schiller ginge, damit wäre aber nicht gesagt, dass die Briefe Goethes oder Schillers allein gerade die Hälfte wären. Sie zählen nur weniger, wiegen aber jeder für sich schwer genug. * Ab 2018 wird im Rahmen eines Schweizerischen Nationalfonds-Projektes eine historisch-kritische Ausgabe einer Auswahl aus Joh. Caspar Lavaters Briefwerk vorbereitet; vorgesehen sind zehn Bände. Diese werden, wie schon-die Ausgewählten Werke Lavaters, im Verlag der Neuen Zürcher Zeitung erscheinen. An Ingeborg Kaiser, 21. Mai 2016 Nr. 23 Ich schicke Dir die erste Auswahl*, die müsstest Du nun strenger durchkämmen. Das Endziel, denke ich, soll ein Arrangement sein, das deute ich mit den ersten Auszügen an: Brief - Freundschaft - Werk. Meine Stimme ist die häufigere und die lautere, sie müsste gedämpft werden. Nun sage ich Dir etwas, das Du von mir kennst, das Dir aber - nach wie vor fremd ist: „Gedruckt“, was und wie auch immer - bedeutet: Text, Lesestoff, Literatur. Und Literatur muss schön und gut oder gut und schön sein. Die Verantwortung des Autors gilt dem Text gegenüber, ist er gut (geworden) - hat er seine Pflicht erfüllt. Unsere Freundschaft besteht, ist ein Faktum, unantastbar, die Briefe sind ihr Ausdruck - unveränderlich: In der Intimität und posthum . Die Veröffentlichung ändert daran nichts, aber das dritte Auge der lesenden Neugier, das die Intimität weniger interessiert und von Dichtern möglichst Dichtes erwartet, zumal in einer rein literarischen Umgebung, wie die einer Festschrift. Alles, was im Leben gilt, gilt auch in der Literatur und für uns, z. B. Kosmetik. Du gebrauchst sie im Leben, sollst sie auch in der (Brief-)Literatur gebrauchen dürfen, Du korrigierst ja auch andere Fehler. Ob ich damit Recht habe? Es ist keine Rechtsfrage, ist Kosmetik und gehört zur schönen Literatur wie zum schönen Leben. Ich spreche von Briefen, nicht von Briefeditionen, von Ästhetik, nicht von Philologie. Ich schreibe, wie es kommt, und sage, wie es ist, das Schreiben vor Augen und I Der Brief als „gerichtetes Wort” 29 hinterm Ohr. Wie immer Du duftest, wie gut Du dich schminkst, wir werden uns treffen. Oder einander verfehlt haben. Du bist der Brief. Dies zur Erklärung meines Standpunkts, Deiner bleibe, wie er ist, tadellos und unantastbar. Was ich von Dir bitte: dass Du Dir ein Wunschbild vom Beitrag machst; dass Du streng auswählst und ohne Rücksicht kürzest und streichest. Denk an Dich, an mich nur, wenn und wo unumgänglich. Vor allem muss Deine Stimme vernommen werden. Du wirst erkennen, was du gern gesagt hast oder wieder gern sagen würdest. Wenn Du die Redaktion in dem Sinne durchgeführt hast, setze ich die Auswahl fort. * Elazar Benyoëtz - Ingeborg Kaiser: Die Freunde des Dichters machen die Lesbarkeit seines Werkes aus. Aus dem Briefwechsel 2004-2016. In: Ingeborg Kaiser: Porträts, Lesarten und Materialien zu ihrem Werk. Hg. von Klaus Isele. Norderstedt: Books on demand 2016, S. 56-84 A Das Netz der Beziehungen II „Lebten wir in Zeit und Geist genössisch? “ - Zeitgenossen Von Manfred Sturmann, 8. September 1966 Nr. 24 Ich freue mich, dass Sie das bibliographische Material nunmehr für Ihr Archiv beisammen haben. Herr Otto Heuschele* hat sich in meinem „früheren“ Leben in rührender Weise bei meinem Start als junger Schriftsteller für mich eingesetzt. Da mir aber keinesfalls klar ist, welche Haltung er während der Nazizeit eingenommen hat, besteht von meiner Seite nicht die Absicht, die Verbindung mit ihm aufzunehmen. Wenn er mir schreibt, werde ich ihm selbstverständlich höflicherweise antworten. * Otto Heuschele (1900-1996), Schriftsteller, Essayist, Aphoristiker, Herausgeber; vgl. Brief Nr. 45 An Manfred Sturmann, 1. Oktober 1966 Nr. 25 Was Herrn Heuschele betrifft, haben Sie gewiss recht. Wir werden ja sehen, ob er sich meldet. Gerechterweise will ich vorsichtig sein und ein Sich-nicht- Melden nicht gerade als Zeichen des schlechten Gewissens beurteilen. Indessen will ich aber den „Fall“ untersuchen. Ich dachte anfangs nicht daran, weil er mir, als ich kam, andeutete, Herr Wilhelm von Scholz*, den ich vorher gesprochen hatte, wäre doch nicht einwandfrei. So hielt ich ihn selbst für „einwandfrei“, was mir durch seine harmlose Erscheinung bestätigt zu sein schien. Nun aber will ich Ihnen noch einen anderen Gruß bestellen - von Georg von der Vring**, mit dem ich befreundet bin, den ich auch lieb habe. Er ist bestimmt einwandfrei***. Es geht ihm in letzter Zeit nicht gut, sogar so wenig gut, dass man kürzlich schon das entsetzliche Gerücht verbreitete, er wäre gestorben. So schlimm ist es aber nicht, er ist nur alt geworden und hatte sich einen Arm gebrochen. Er ist ein wirklicher Dichter, wenn auch die junge Generation solche Dichtung nicht mehr gelten lassen will. Deshalb bleibt er es dennoch, allen zum Trotz. * Wilhelm von Scholz (1874-1969), Schriftsteller, Aphoristiker. Er arrangierte sich früh mit dem NS-Regime und wird wegen seiner zustimmenden Haltung zum Nationalsozialismus der NS-Literatur zugerechnet - so lt. Wikipedia 34 II Zeitgenossen ** Georg von der Vring ( 1898-1968), Schriftsteller und Maler; vgl. Die Eselin Bileams und Kohelets Hund, S. 190 ; vgl. Die Rede geht im Schweigen vor Anker, S. 58 *** Bestimmt einwandfrei: „So vorsichtig prüfend ich mich glaubte, musste ich mir nach und nach das ,bestimmt ʻ sowohl als auch das ,einwandfreiʻ abgewöhnen; das geschah nicht ohne Folgen für meine Aphoristik.“ (An Friedemann Spicker, 25.4.2018) An Hildegard Schultz-Baltensperger, 13. Januar 1991 Nr. 26 Dank für das allermerkwürdigste „Du“-Heft*. Als ichʼs in der Hand hielt, dachte ich, ich hätte Deinen Brief nicht richtig gelesen, Dürrenmatt könne doch unmöglich gestorben sein. Die Einleitung zum Heft las sich aber wie eine melancholische Ironie, als würden Dürrenmatt oder seine Seele irgendwo im Raum über uns schweben. Das tat sie dann also auch. Ein Zusammentreffen von Datum und Seele in einem Zwischenraum. Voreilig schickte ich Christoph Grubitz** zum Neujahr eine aphoristische Auswahl aus Dürrenmatts Werken (Diogenes-Büchlein)*** mit meinen verdrossenen Anmerkungen. Ich glaube nach wie vor, dass Dürrenmatt groß im Großen ist, aber nicht im Kleinen. Unbegreiflich war es mir, wie er dieser Auswahl nur zustimmen konnte. Jetzt, nach dem Interview mit ihm, kann ich es verstehen. Die Schweiz hat ein Prachtexemplar seiner besten Gattung verloren, Israel einen seltenen, auch kostbaren, weil nur kritisch liebenden Freund.**** * Du - die Zeitschrift der Kultur. Dürrenmatt (70). Tages-Anzeiger Zürich 1991. Dürrenmatt starb im Dezember 1990. ** Vgl. Verzeichnis der Briefpartner(innen) *** Das Dürrenmatt Lesebuch. Herausgegeben von Daniel Keel. Mit einem Nachwort von Heinz Ludwig Arnold. Zürich: Diogenes 1991 **** Presseartikel „ Ich stelle mich hinter Israel“ (1973), Träger der Buber-Rosenzweig-Medaille 1977, Ehrendoktorat Jerusalem An Edith Silbermann, 10. August 1991* Nr. 27 Nicht ich habe Margarete Susman** die „große Großmutter“ genannt, sondern Clärle***, die sich selbst dann die „kleine Großmutter“ nannte. Sie war um fast zwanzig Jahre jünger als Margarete Susman, verehrte sie aber auch. Margarete Susman ist mir ganz natürlich Großmutter geworden, Clärle wollte es sein, Annette Kolb - die stolze Jungfrau („Ich war nie einem Mann erlegen! “) - war zu solchen Gefühlen nicht fähig, auch zu solchen Spielen nicht, aber zu anderen, wie eben mit dem „wilden Hebräer“ und seiner christlichen Schwester, das gefiel ihr, für das Geschwisterliche hatte sie im Leben wie im Werk Gefühl und II Zeitgenossen 35 Sinn, wir trafen uns auch öfter mit ihrem Bruder Paul. Sie war älter als Margarete Susman, und es gibt eine Briefstelle von Margarete Susman, in dem sie den Umstand mit Humor erwähnt, dass sie - meine Großmutter - nun auch die Großmutter meiner Schwester sein müsste. Das und anderes mehr können Sie in meinem Kolb-Buch lesen. Aber wie kommen wir zum Buch, da nun der Stiehm-Verlag eingegangen ist? Vielleicht finden Sie es im Ramsch. Vor zwei oder drei Jahren erschien Annette Kolbs Briefwechsel mit René Schickele, damit ist die Frage nach ihrem Antisemitismus laut geworden. Es ist eine Frage, aber eine für mich nicht mehr interessante, da ich nun alle meine Pappenheimer kenne. Antisemitismus lebt vom Hörensagen, vom Leichtsinn, aus Ignoranz und Charakterlosigkeit. Damit will ich seine Gründe nicht genannt haben, Annette Kolb aber aus der langen Reihe der charakterlosen Schriftsteller herausnehmen. Das war sie in keinem Fall, in keinem Punkt; die Schwächen teilte sie mit vielen anderen. Die Stärke behält man für sich und zur Not. Sie gehört zu den besten, tapfersten und ehrlichsten Schriftstellern deutscher Sprache: auch hinsichtlich der Judenfrage; sie war sogar eine entschiedene und konsequente Zionistin, wovon man in Deutschland nichts wissen will; es ist leichter und billiger, für die große Europäerin zu schwärmen. Also bewährte sie sich im Leben und im Werk, für das sie in der Öffentlichkeit mit Namen und Gesicht, die sie hätte verlieren können, einstand. Mehr kann ich von einem Schriftsteller nicht verlangen. Kein deutscher Schriftsteller setzte sich mit einer Fußnote ein Denkmal, wie Annette Kolb auf S. 176 ihres Romans „Die Schaukel“, Berlin 1934.**** Und schließlich ihre letzte Reise. Alle ihre illustren Freunde waren gegen ihre Reise; die 96jährige wollte von ihrem innigen Wunsch, das altneue Volk in seinem altneuen Land zu sehen, nicht lassen. Natürlich haben die Katholiken auch die Absicht ihrer Reise gefälscht, die Wahrheit darüber steht in meinem (vielverschwiegenen) Buch. „Dein Land ist schon mein Land geworden“ ist Annette Kolbs letzte schriftliche Mitteilung an mich. Clärle hatte mein Buch schon während seines Entstehens kennengelernt, sie zitiert mitunter sogar eine frühe Fassung, die im Druck nicht nachweisbar ist. Unter welchen Umständen ich Margarete Susman kennengelernt habe, ist im Brief vom Oktober 1966 (aufgenommen in „Treffpunkt Scheideweg“, S. 115ff.) nachzulesen; wie ich zu Annette Kolb kam - in meinem Buch „Annette Kolb und Israel“*****. Zu Clara von Bodman kam ich durch Empfehlung eines ehemaligen Nazis: Wilhelm von Scholz, den ich in Konstanz besuchte, da ich auf der Spur Fritz Mauthners****** war, dem er, der Dichter Wilhelm von Scholz, die Grabrede hielt. Scholz war ein Schulkamerad Emanuel von Bodmans, sie machten auch ihre ersten Schritte in der Literatur zu gleicher Zeit. Erst in der Nazizeit wandte sich Emanuel von Bodman von Scholz ab. Ich kannte auch das Werk von 36 II Zeitgenossen Bodmans, vor allem aber wusste ich, dass er mit Gustav Landauer befreundet war, und die Briefe Landauers hatten mich interessiert. Nun sagte mir Scholz, die Witwe Emanuels lebe in der Nähe, in Gottlieben, und Frau Scholz - die mich herzlich gern loswerden wollte - telefonierte sogleich, und in zehn Minuten stand ich schon im herrlichen Treppenhaus in Gottlieben. Die Freundin, die mich dahin begleitete und dann wieder abholte, ist später meine Gattin geworden: eben jene, heute weitbekannte Miniaturmalerin Metavel (vielleicht kennen Sie ihre „Haggada schel Pessach“, die bei Schocken herauskam). Clara von Bodman wohnte wenigstens zweimal einem jüdischen Gottesdienst mit mir bei; ich erinnere mich an einen Jom-Kippur in Konstanz und an ein Wochenfest in Kreuzlingen. Durch ihren Besuch in der Synagoge in Kreuzlingen kam sie der Familie Robert Wielers******* näher und wurde wiederholt eingeladen, den Schabbat mitzufeiern. Sie wünschen sich Näheres über den Rilke-Brief********, was könnte ich noch dazu sagen? Er betrifft - für jenen Zeitpunkt ziemlich aufrichtig - mein Verhältnis zu Rilke, meint aber noch ganz besonders Emanuel von Bodman, für den Clara unablässig missionierte. Von mir und meinen Gedichten angetan, wollte sie in mir auch unbedingt den spätgeborenen Freund sehen, von dem Emanuel in einem Sonett träumte*********. Ihre Versuche, mich für Emanuels Gesamtwerk zu interessieren, musste ich abwehren, sonst wäre die vielversprechende, aber doch erst aufkeimende Beziehung zwischen uns in die Brüche gegangen. Ich war innerlich zu sehr mit „meinen Juden“ befasst und poetologisch bereits so weit von jener Generation weg, dass ich mich unmöglich mit dem lyrischen Werk Emanuels hätte beschäftigen können. Es mussten einige Jahre vergehen, bis ich geduldiger wurde und einer Lyrik wie der von Bodmans gerecht werden konnte. Die „Gottlieber Dichterfreunde“ waren die Freunde eines einzigen Dichters, dessen Werk sie in schmalen, aber noblen Heften in einem kleinen Kreis verbreiten wollten. Der Dichter bin ich gewesen. Die Initiative ging von C. v. B. aus, die das Geld für das erste Heft vorstreckte. Druck und Vertrieb besorgte die Gottlieber Malerin Lore Gerster. Es erschienen sechs Hefte; sie sind so gut wie vergriffen, tauchen antiquarisch selten und nie vollzählig auf. * Edith Silbermann, die auch eine bekannte Rezitatorin war, wollte einen Abend um den Briefwechsel mit Clara von Bodman in Düsseldorf veranstalten, woraufhin sie EB viele Fragen stellte; vgl. Olivenbäume, S. 221 ** Margarete Susman (1872-1966), Essayistin, Lyrikerin; vgl. Allerwegsdahin, S. 99-105, 180 f.; Die Rede geht im Schweigen vor Anker, S. 33, 55; Vielzeitig, S. 273 et pass.; vgl. Aberwenndig, S. 49, 62, 101-106, 182, 306 f., 359-361 mit Anmerkungen *** Clara von Bodman: Solange wie das eingehaltene Licht, S. 56-57; vgl. Allerwegsdahin, S. 124-126; vgl. Das Mehr gespalten, S. 198f. II Zeitgenossen 37 **** Annette Kolb: Die Schaukel. Roman. Mit einem Nachwort von Joseph Breitbach. Berlin: S. Fischer 1977, S. 160: „Vom Tage an, da die Juden im geistigen Leben an Einfluss gelangten, machten sich in der gefährdeten Existenz des Künstlers gewisse Chancen fühlbar, dass er nicht mit einer Mühsal wie bisher […] sich durchzuringen hatte. […] Wie dem auch sei, wir sind heute in Deutschland eine kleine Schar von Christen, die sich ihrer Dankesschuld dem Judentum gegenüber bewusst bleibt. (Dieser Roman entstand 1934 in der Emigration.)“ ***** EB: Annette Kolb und Israel, S. 29-32 ****** Fritz Mauthner (1849-1923), Philosoph, Schriftsteller, Publizist. In Meersburg am Bodensee entstand die von Martin Buber angeregte und Gustav Landauer gewidmete Monographie „Die Sprache“ (1907). ******* Robert Wieler, geboren 1912, war Mitbegründer der jüdischen Gemeinde in Kreuzlingen und ist 2012 in Jerusalem gestorben. ******** Solange wie das eingehaltene Licht, S. 39-42, vgl. „Vielzeitig“, S. 168 ********* „Du fremder Freund, den ich nicht sah, noch kenne / Du bist mir nah in manchen späten Stunden, / Wenn ich die Tagesarbeit überwunden / Und wach im Kreise meiner Lampe brenne” […]. (Bodman: Der unbekannte Freund. In: Die gesamten Werke 3, S. 159) An Ulrich Sonnemann, 21. Januar 1992 Nr. 28 Lieber Ulrich, Dein Geburtstag rückt näher, schon steht er bevor, die vielen kleinen Wörter ballen sich zu einem großen Wort zusammen, wie soll es lauten, soll es heißen. Du hast so viel erlebt, erreicht, bewirkt, und wurdest von keinem guten Geist verlassen. Deine Rückkehr nach Deutschland, das kann man schon sagen, gehört zur Geschichte des neuen Deutschlands.* Und nun steht auch Dein Wort wieder an einem Anfang: poe th isch, deutschbekümmert, europa-würdig. Dein Rückblick mit 80 wird nicht mehr nur Trümmer sehen. Ich freue mich Deines Rückblicks, bin froh, Dein Werk solange begleitet haben zu dürfen und danke Gott, dass ich mich, ohne Verdienst, doch reinen Herzens Dein und Brigittes Freund nennen darf. * Sonnemann, 1940 in Brüssel verhaftet und im Lager Gurs interniert, konnte 1941 von dort aus in die USA flüchten. Er kehrte 1955 nach Deutschland zurück. Vgl. EB: Logorhythmen. In: Sabotage des Schicksals. Für Ulrich Sonnemann. Hg. von Gottfried Heinemann und Wolf-Dietrich Schmied-Kowarzik. Tübingen: Gehrke 1982, S. 367-371; EB: Was nicht zündet, leuchtet nicht ein. In: Spontaneität und Prozess. Zur Gegenwärtigkeit kritischer Theorie. Hg. v. Sabine Gürtler. Ulrich Sonnemann zum 80. Geburtstag. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1992, S. 251-263; EB: Was nicht zündet, leuchtet nicht ein; Grubitz: Dasein ist hiersinnig, S. 69-80 38 II Zeitgenossen An Anemone Bekemeier, 14. Mai 1992 Nr. 29 Nimm zum Beispiel Anna Achmatowa. Es ist recht bescheiden, was in diesem hübschen Heft* abgedruckt ist, schaust Du aber genau hin, findest Du meine ganze Intention, und es fragt sich, warum sie Dir so viel zu schaffen machen soll. Auf S. 22 steht: „Verse immerzu, ich vertreibe sie, wie immer, bis ich eine wirkliche Zeile höre.“ Und: „Aber ‚Michal‘ gelingt noch nicht, das heißt, da schwirrt etwas Zweitrangiges“. Also: eine wirkliche Zeile - und nichts Zweitrangiges. * Anna Achmatowa: Vor den Fenstern Frost. Gedichte und Prosa. Übersetzt von Barbara Honigmann und Fritz Mierau. Berlin: Friedenauer Presse 1988, S. 22 An Christoph Grubitz, 17. Februar 1993 Nr. 30 Freut mich, dass Du endlich Sonnemanns Festschrift bekommen hast. Mein Büchlein darin* - samt Untertitel - müsstest Du unbedingt in der neuen Fassung Deines Buches** berücksichtigen. Für meinen leidenden Freund bete ich täglich. Übrigens sagte er mir, dass er „Was nicht zündet-…“ ganz anders las und erlebte als alle meine anderen Bücher. Es erschien ihm als etwas „ganz Ganzes“, ganz Menschliches, schon ganz Verklärtes, und er betonte das mit dem Wort: universell. Er sprach davon sichtlich gerührt. Gern wollte er ein Nachwort zur geplanten, erweiterten Ausgabe schreiben, „wenn man ihm dazu Zeit lässt“. Aber er ist zum Schreiben nicht mehr fähig, ist schwach und verunsichert. Ich wollte Dir eben eine schöne Widmung von ihm mitteilen***, die auf den Unterschied zwischen mir und Kraus**** abzielt, aber nach einem halbstündigen Suchen finde ich das Buch noch immer nicht! * Siehe Anmerkung zum Brief Nr. 28 ** Christoph Grubitz: Der israelische Aphoristiker Elazar Benyoëtz.Tübingen: Niemeyer 1994 (Conditio Judaica 8) *** Sie lautet: Dem Freund und Sprach-Hauptmitbewohner. Zu Paul Schick **** zu Karl Kraus vgl. Olivenbäume, S. 15 et pass; vgl. Aberwenndig, S. 37 An Matthias Hermann, 22. Februar 1993 Nr. 31 Du bist ein guter, ernster Leser. Ich kann Dich jetzt, anhand Deines Briefes, gut dabei beobachten. Du gefällst mir in Deiner Strenge. So muss es sein, unter Dichtern, die Dichtung betreffend. Und doch ist die Verantwortung des „aphoristischen Dichters“ eine weitere oder jedenfalls eine andere, was zur Folge hat, dass Poetik und Rhetorik mitunter auseinandergehen, bzw. in Widerspruch zueinander geraten. Ich muss an vielerlei Menschen denken, auch II Zeitgenossen 39 an solche, die mit Poesie nichts zu tun haben. Die vielen Menschen, die bestimmte Zeit, die Herausforderung eines Augenblicks, die Reizbarkeit eines Nervs, die Art und Intention eines Büchleins - sie alle spielen eine Rolle, machen Strategien nötig. Freilich ist auch dies ohne Selbstbetrug weder denkbar noch zu machen. Das hast auch Du zwischendurch gemerkt, so z. B. wenn Du zum Folgenden - „Was du nicht verhinderst, das hast du geschehen lassen“ - schreibst: „Auch nicht neu, doch aus aktuellem politischen Anlass würde ich es stehen lassen.“ Der aktuelle politische Anlass - zumal der altneue Antisemitismus - steht ja vor und über diesem Büchlein - „Träuma“ -, das ich auf die Herausforderung Rufus Flügges, des ehemaligen Superintendenten von Hannover, geschrieben habe. Als ich nämlich von meiner letzten Lesereise zurückkehrte, fand ich seinen Brief vor, der also endete: „Erheben sollst Du Deine Stimme.“ Also versuchte ich, meine Stimme zu erheben. Flügge schreibt mir zum Manuskript: „Die Reihenfolge und Kapiteleinteilung ist in dieser Form sehr einleuchtend, es ist ein fortlaufender Gedankengang und zum Lesen und wahrscheinlich zum Vorlesen gut geeignet. Es sind viele besondere Kostbarkeiten darin. Du erhebst deine Stimme wie eine Posaune. Schone nicht.“ Ich schone nicht und schone doch auch, denn ich möchte viele erreichen. Das wird mir oft nur mit einem Satz gelingen. Und auch dies wäre schon ein Erfolg. Das, lieber Matt, vermag überlegene Ironie allein nicht. Natürlich kommt sie bei mir vor und ist auch Dir, so unangenehm Dich der „heilige Ernst meiner Prosa“ berührt, nicht ganz entgangen. Heilig - ja; gesalbt - nein; auch nicht weihevoll. Es gibt eine seelsorgerliche Sprache, die viele nicht mehr verstehen und nur wenige noch sprechen, diese aber wissen sie zu schätzen und wüssten mir Dank, wenn sie fühlten, dass ich gerade sie meine, da ich mich ihrer Sprache bediene. „Ordination“, übrigens, habe ich nicht geschrieben, sondern aus dem Stegreif für Silke* in ihrer Kirche gesprochen. Ich mache nicht gern „Sprüche“, aber auch Salomo machte sie nur ungern, was besagt, dass sie gemacht werden mussten. „Hinfällig ist alles, was auf Gott hofft und nicht baut“ ist nach meinen Begriffen gerade nicht erbaulich. Ich habe alle Deine Anmerkungen in das Manuskript eingetragen, so habe ich jetzt ein ganz interessantes Exemplar. Deine treffende, nicht zutreffende Bemerkung „Wenn sie doch wenigstens unsere Witze sammeln würden, die mit lachendem und weinendem Auge entstanden, sie hätten beides - die Tränen und den Witz“ wollte ich, da sie mich entzückte, gleich in mein Büchlein aufnehmen - mit Deiner Erlaubnis, versteht sich. Aber Deine Bemerkung brächte meinen Satz doch um seine schon erprobte 40 II Zeitgenossen Wirkung. Auch trifft sie, wie gesagt, nicht zu. Jüdische Witze wurden und werden gesammelt. Und mancher lacht dabei Tränen. * „Ordination“: Träuma. Herrlinger Drucke 3, Mai 1993, S. [15], [38]; Silke Alves-Christe, vgl. Brief Nr. 136 An Hans Otto Horch, 22. Juli 1993 Nr. 32 Ich sollte Ihnen längst schreiben, wollte es aber nicht tun, ehe ich Ihren „Strauß“* gelesen habe. Zum Anfang Ihres Nachworts möchte ich bemerken, dass mir das direkte und ehrliche Zeugnis Albrecht Schaeffers** besser gefallen würde als das indirekte Hannah Arendts; und gerade von Ihnen hätte ich es erwartet, zumal nach unserem Gespräch hier. Es ist sehr wichtig, dass wir deutsche Zeugen und Zeugnisse finden, verhören, vernehmen und auch beherzigen. Schaeffers Beitrag über Strauß ist ein Zeugnis, das nicht unbeachtet bleiben darf, auch poetologisch nicht, obschon er umständlich ist und mitunter leicht konfus erscheint. Ich schätze seine Resultate, mehr noch sein Bemühen, am meisten seine Bereitschaft, dem jüdischen Dichterfreund einen hohen Rang und einen ehrenvollen Platz in seiner Dichter-Galerie zuzuweisen. Das Interessanteste an Strauß ist, dass er auf allen Gebieten Bedeutendes leistete, aber in seiner Bedeutung nicht vermochte, anstachelnd zu wirken. Er ist zu gut, um noch interessant zu sein. Dass er „beides zugleich und in eins war“, daran liegts. Es fehlt die Zerrissenheit. Und was könnte entbehrlicher sein als ein jüdischer Hölderlin? Ludwig Strauß ist der größte Entbehrliche der deutsch-jüdischen Dichtung, und eben das macht ihn mir interessant und auch (seiner hebräischen Gedichte wegen) teuer. Man kann von ihm nur viel lernen, nicht viel haben. Er ist allemal ein Gewinn, aber keine Bereicherung. * Ludwig Strauß: Prosa und Übertragungen. Gesammelte Werke. Bd. 1. Hg. von Hans Otto Horch. Göttingen: Wallstein 1998 (Veröffentlichungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung 73) ** Albrecht Schaeffer: Über Ludwig Strauß. In: Ders.: Dichter und Dichtung. Kritische Versuche. Leipzig: Insel 1923, S. 83-125 An Hans Otto Horch, 29. September 1993 Nr. 33 Sie haben, bis auf einen Punkt, in allem recht. Auch mit „Träuma“. Es ist ein zwiespältiges Wort für eine zwiespältige Sache, ein missglücktes Wort für eine missglückte Sache oder noch besser: ein unglückliches Wort für eine unglückliche Entwicklung. („Treffpunkt Scheideweg“ hieß ursprünglich „Träuma“.) Ihre II Zeitgenossen 41 ernsthaften Bemühungen um Ludwig Strauß gaben mir Anregung und Anlass, noch einmal meine Stellungnahme zu ihm zu formulieren. Das tat ich in einem Brief an Sie. Gut möglich, dass ich mein Urteil revidiere, solange bleibt mein letztes Wort über Strauß in meinem Brief an Sie enthalten. Ich wollte mit diesem nicht maßgeblich sein, andererseits auch nicht sagen, dass alles Positive, auch wenns nicht bereichert, schon ein Gewinn sei. Das denke ich wirklich nicht. Strauß ist eine Ausnahme und dadurch von Bedeutung. Sein Zionismus richtete sein deutsches Gedicht auf und bereicherte es. Erst als überzeugender Zionist wurde er ein deutscher Dichter von Rang. Dies ist die Ausnahme. Von wem könnte man das, guten Gewissens, sonst noch behaupten? Sie haben recht, wenn Sie in diesem Zusammenhang auf Richard Beer-Hofmann zu sprechen kommen. Sieht man von Deutschland weg, kommt man auf ihn, dann aber auch wieder von ihm weg. Richard Beer-Hofmann ist immer, in allem „der Ältere“. Das würde zu seinem Namen gehören: „Richard Beer-Hofmann d. Ä.“ Davon abgesehen hatte er mehr Personen als Strauß; und er bleibt in allem, möchte man sein Werk auch aus den Augen verlieren, unvergesslich. Wieso und warum? Er war entschieden, aber in dieser Entschiedenheit, der keine Entscheidung vorausgegangen zu sein scheint, trug er seinen Kampf mit dem Engel aus. Das mag fatal klingen, so sage ich lieber: vielleicht, weil er den „Tod Georgs“* schrieb. Oder weil er Paula so liebte.** Was Sie von Schaeffer sagen, zeigt mir, dass auch er zerrissen war. Ob er mit seinem späteren Brief sein öffentliches Zeugnis, seine Einsichten widerrufen wollte? Ob das ohne weiteres möglich wäre? Es sind Fragen, denen wir uns stellen müssen. Wie bedrückend sie sein können, habe ich erfahren, als der Briefwechsel Kolb/ Schickele*** erschienen ist. Sie können es jetzt, wenn Sie mögen, in meinem Beitrag zum Katalog der eben in München eröffneten Kolb-Ausstellung nachlesen (verlegt bei Eugen Diederichs)****. * Richard Beer-Hofmann: Der Tod Georgs. Roman. Berlin: S. Fischer 1900 ** 1898 heiratete er Pauline Anna Lissy. *** Annette Kolb, René Schickele: Briefe im Exil 1933-1940. Hg. von Hans Bender. Mainz: v . Hase und Koehler 1987 **** Ich habe etwas zu sagen. Annette Kolb 1870-1967. Ausstellung der Münchener Stadtbibliothek anlässlich ihres 150-jährigen Bestehens. Hg. von Sigrid Bauschinger. München 1993 42 II Zeitgenossen An Annemarie Moser, 15. Juni 1995 Nr. 34 Da ich Ihre anderen Werke noch nicht kenne, kann ich nicht sagen, dass Sie mit den „Türmen“* die beste Wahl getroffen haben, doch nun, da ich das Buch gelesen habe, bin ich in der Lage, Ihre Wahl zu verstehen und bin Ihnen umso dankbarer für dieses Geschenk, das für Sie nicht nur spricht, sondern Sie auch enthält. Es freut mich, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, denn ganz anders als Ihr Buch können Sie unmöglich sein. Und dieses ist ohne Falsch; der Versuchungen der Poetisierung an keinem Punkt erliegend. Wer diesen Grad an Gradheit erfahren will, der muss nach Wr. Neustadt fahren. Also war Wr. Neustadt auch aus diesem Grund der Reise wert. Was den Roman als solchen anlangt: Er bringt alles, was er verspricht, zur Deckung. Das Bedeutsame meidend, ist das Entsprechende sein Erfolg. Merkwürdig, dass der Waschzettler Hans Weigel** sagen lässt, was Sie selbst mit gleichen Worten, aber viel besser, weil „turmhoch“, auf S. 188 sagen: „Und ich sah einen Turm, einen silbern schimmernden Turm aus Worten, und dachte: ‚Das wird das Protokoll meiner Heilung.‘“ - Zu dieser gehört am Ende, so unverhofft wie unvermeidlich, die alte Frage: „Wie war das möglich? “ und das „nun begriff ich“, wofür zehn Jahre eines falschen Bekenntnisses der Preis gewesen ist: ein hoher Preis, doch auch dieser wiederum nicht ohne Lohn: eben dieses Buch geschrieben zu haben. Mir haben Sie damit noch viel anderes geschenkt, z. B. eine Sinngebung des mir lange belanglos scheinenden Faktums, dass ich just in Wr. Neustadt zur Welt gekommen bin. Sie mussten in die Stadt zurück, mit der Sie aus den Trümmern stiegen. Durch Sie habe ich etwas davon nacherleben und „mitbekommen“ können. Noch will ich Ihnen sagen, dass das Unbeirrbare Ihres Sprachvermögens wohltuend wirkt. * Türme. Roman. Graz: Styria 1981 ** Vgl. Anm. zu Brief Nr. 77 An Angelika Hübscher, 4. Juli 1996 Nr. 35 Es freut mich, dass eine Arthur Hübscher-Ausstellung* stattfindet, und natürlich soll Hugo Bergmann** in ihr nicht fehlen. Das Material in der Mappe*** ist allerdings gering, für mich aber von großer Rührung. Ich werde im kommenden Jahr 60, als mich Hugo Bergmann Arthur empfohlen hatte, war ich 27 Jahre alt, und was sonst? Für Hugo Bergmann immerhin „ein junger hebräischer Dichter von Rang“. Er hatte mir immer freudig zu meinen Gedichten geschrieben, und einmal legte er ein Gedicht von mir seiner Neujahrspredigt zugrunde. Einmal im Jahr, eben am Rosch-Haschanah, pflegte er in seiner Synagoge zu predigen. Er hielt mich auch für den besten Kenner der deutschen Literatur und hat meine Wissbegier unermüdlich unterstützt; also dachte er, dass ich geeignet wäre, II Zeitgenossen 43 eine Brücke nach Deutschland zu bauen. Er schrieb mir oft liebevolle, mitunter zarte Briefe, aber er ging mit mir auch hart ins Gericht: über meine Aphorismen, die ihm zu geistreich erschienen; über mein deutsches Schreiben, das er für zu schnell erlernt und zu gut gemeistert hielt. Er war ja ein Frühzionist und hatte dieser Welt der „Geistreichen“ den Rücken gekehrt. Er hatte mich gewarnt, aus tiefer Liebe, die immer missverständlich ist, aber nur selten irrt. Also irrte sich Bergmann nicht: Ich hörte auf, ein „junger hebräischer Dichter“ zu sein, und bin ein deutscher Aphoristiker „von Rang“ geworden. Ein Visitenkärtchen, wenige Worte der Empfehlung - und diese ganze Geschichte dahinter, die allerdings noch besser, länger und trauriger hätte erzählt werden können. Und doch war es mir andererseits eine Freude, mich einen Augenblick lang in Arthurs Augen zu sehen, wie er da am 16. November 1964 Hugo Bergmann berichtet: „Mit Elazar Benyoëtz stehe ich übrigens in dauernder brieflicher Verbindung - ein äußerst begabter, interessanter und menschlich liebenswerter junger Mann.“ Wie sehr mich das beruhigte, liebe Angelika. Mein Weg bleibt mir selbst unergründbar, er war nicht gerade, keinem erwünscht, aber auch nicht verfehlt: „Nirgends zu Hause, allerwegs in Gottes Hand.“ Ende November findet in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften der 2. Wiener Kulturkongress zum Thema: „Auf der Suche nach dem verlorenen Gott - Zukunft von Religion und Glaube in einer säkularisierten Welt“ statt. Ich wurde um einen Beitrag gebeten, dieser wird lauten: „Die Sprache des Glaubens, Oder: Alle Siege werden davongetragen“****. Im Januar werden wahrscheinlich einige Lesungen in Österreich stattfinden; im Februar erscheint mein Buch über den Glauben: „Variationen über ein verlorenes Thema“ (bei Carl Hanser in München) - das besagt: Ich komme wahrscheinlich nach Deutschland, und selbstverständlich will ich gern meiner Freundschaft für Arthur, für Euch Ausdruck geben. Aber ein Termin lässt sich noch nicht ausmachen (Du hast selbst ja auch keinen), auch nicht, ob die Erinnerungsworte bei der Eröffnung der Ausstellung effektivste Form des Nachrühmens wären. Ich würde z. B. eine Lesung zu seinem Andenken, in die ich Erinnerungen, Zitate und Briefstellen einflechten könnte, für wirkungsvoller halten. Zwar wird es Mühe kosten, aber sich dann auch gelohnt haben. Die Lektüre meiner Briefe an Arthur kann nicht so einfach vor sich gehen, allein die Begegnung mit meiner frühen, so unbeholfenen deutschen Handschrift; mit meinem Deutsch von anno dazumal; mit meiner so kühnen Naivität. * Ausstellung in der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main 30. Oktober - 27. November 1997; vgl. Die Rede geht im Schweigen vor Anker, S. 49; zu Arthur Hübscher vgl. Aberwenndig, S. 396 44 II Zeitgenossen ** Hugo Bergmann (1883-1975), Freund Kafkas, erster Leiter der Universitätsbibliothek Jerusalem; Die Rede geht im Schweigen vor Anker, S. 37, 40; vgl. Aberwenndig, S. 279 *** Briefwechsel Hugo Bergmann - Arthur Hübscher, an EB ausgeliehen **** Endgültiger Titel: „In Zweifel gezogen, dehnt sich der Glaube aus“ An Michael Wirth, 25. Februar 1997 Nr. 36 Ich danke Ihnen für die Gelegenheit, an Max Rychner zu erinnern, den ich von Herzen liebte. Ich habe Rychner nie aus meinen Augen und meinen Ohren verloren; Wachheit, Lache, Regung und Anregung, die ich in seinem Angesicht wahr- und aufgenommen habe, bleiben aufbewahrt. Nie habe ich versäumt, seinen Namen zu nennen und jedes darauf folgende Echo bereitwillig und breit aufzunehmen. Rychner spielt eine Rolle in meinem Buch „Annette Kolb und Israel“, in meinem Briefwechsel mit Clara von Bodman, in meiner Dankrede beim Empfang des Adelbert von Chamisso-Preises („Treffpunkt Scheideweg“, S. 168-173). Nun blicke ich zurück. 1961 erschienen Rychners „Antworten“*; in dem Aufsatz „Rahel“ steht Verständnisvolles über das Judentum, schlägt ein Herz für die Juden, wacht ein klares Auge über den Ablauf der Geschichte. Kein Schwanken, kein Zögern, rein und trefflich. Unter anderem finde ich darin ein Wort alter Treue: „Noch bei Margarete Susman, in ihrem immer wieder hervorzuhebenden Buch ‚Frauen der Romantik‘, erschienen 1929, kurz bevor Hannah Arendt das ihre begann […]“ (S. 114). Dreißig Jahre vorher, am 5.12.1929, schreibt Rychner an Carl J. Burckhardt: „Das literarische Ergebnis 1929 ist jammervoll. […]. Ein sehr bedeutendes, sehr schönes Werk ist: Margarete Susman: ‚Frauen der Romantik‘. Welch geistreiche, intuitiv begabte und im Denken überlegene Frau! Voila une femme! “ (Carl Burckhardt/ Max Rychner: Briefe 1926-1965. Frankfurt am Main 1970, S. 33). Nicht anders als Margarete Susman war auch Rychner intuitiv begabt und wusste wie sie, das Kommende, als es sich gerade am Horizont abzeichnete, zu begreifen und zu begrüßen. Es ist mir eine Genugtuung festzustellen, dass auch Margarete Susmans Werke eben jetzt wieder, in einem neuen Gewande, für eine neue Generation zu erscheinen beginnen („Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes“. Frankfurt a. M.: Jüdischer Verlag bei Suhrkamp 1997). Beim näheren Zusehen Am 19. März 1962 gratuliere ich Max Rychner zum Erhalt des Stadtpreises Zürich, lege meine Übersetzung seines Gedichtes „Auf einem Heimweg“** bei, schicke ihm meinen letzten (hebr.) Gedichtband, „als Zeichen meiner Hochschätzung“, bedanke mich für das Vergnügen, das seine Bücher mir bereiten, II Zeitgenossen 45 und für alle Belehrung, schließe mit der Hoffnung, dass auf das eine übersetzte Gedicht andere Übersetzungen aus seinem Werk folgen werden. Ich zeichne „In tiefer Verehrung.“ Diese Verehrung blieb unvermindert, doch kamen hinzu: eine helle Freude um diesen Menschen herum, desgleichen ich nie wieder begegnete. Er wurde mir Bild und Begriff des sympathischen Menschen. Ehe ich ihm begegnet war, kannte ich nur Zu- und Abneigungen, entschieden, ohne Geräumigkeit und Verweilen. Das waren Geschenke Rychners an mich. Er hat alles nach seinem Gewicht erkannt und eingeschätzt, doch nahm er in der Begegnung alles ohne Schwere. Die seitliche Neigung seines Kopfes, als würde er links oder rechts hinhorchen. Die helvetische Distanz, die er innehatte, ließ er mich nie merken, seine Augen sprachen: Du kannst mir nichts vormachen, doch bitte - versuchs! Öffnete er seine Augen, wars, um alles schon gesehen zu haben. Zu Hause nahm er die Dinge unter die Lupe und schrieb nur „bei näherem Zusehen“. Großherzig war er, aber nicht verschwenderisch; es war ihm um jedes Wort schade, wenns nicht gefunkelt oder bunt geschillert und gegoethet hatte. „Wenn Rychner irgendwohin schaut, ist es eine Richtung, nimmt er sich etwas vor, wird daraus ein Maß“ steht in meinem Tagebuch, 1963. * Max Rychner: Antworten. Aufsätze zur Literatur. Zürich: Manesse 1961; vgl. Die Rede geht im Schweigen vor Anker, S. 41; Das Kommende ist nicht in Eile, S. 30-39; Vielzeitig, S. 279; vgl. Aberwenndig, S. 97 mit Anmerkung ** Aus „Glut und Asche“ (Zürich: Manesse 1945), dem ersten Buch Rychners, das EB in Tel Aviv antiquarisch erworben hatte. An Friedemann Spicker, 24. November 2000 Nr. 37 Was Handke betrifft: Ich weiß, dass seine Aufnahme in Ihre Anthologie* Ihnen nicht nur viel bedeutete, sondern auch Freude machte, weil Sie Wege suchen aus der aphoristischen (Ein-)Öde. Das habe ich erkannt, geschätzt und beherzigt, ja, es brachte Sie mir menschlich noch näher. Fern wäre es mir darum, Ihnen die Freude zu trüben, aber Sie haben, meinte ich, Besseres verdient. Was Handke bietet, ist zu wenig poetisch, wenig raffiniert, nicht übermäßig klug. Zwar nehmen seine Sätze sich aus, aber wohin und wie weit? Das ist nicht Allerweltsaphoristik, aber auch nicht „Weltliteratur“, die ich regelmäßig nehme. Würde es heißen, dass ich für mich selbst diesen Rang in Anspruch nehme? Ja, ich weiß, was ich tu, denn ich tu nichts anderes. Ich schreibe Einsätze, keine Aphorismen; nicht auf Kosten der Sprache, auch nicht in Gottes Gnaden. Es gibt eine Aristokratie der Erkenntnis, die ohne Repräsentanz auskommt. * Aphorismen der Weltliteratur. Hg. von Friedemann Spicker. Stuttgart: Reclam 1999 46 II Zeitgenossen An Burkhard Talebitari, 20. Juni ‏2001 Nr. 38 Von Albrecht Fabri besitze ich den „roten Faden“* als List-Taschenbuch, das ich in den fünfziger Jahren in Tel-Aviv, ausnahmsweise regelrecht, gekauft habe - nicht antiquarisch, was die Regel für deutsche Bücher wäre. Es gehörte zu meinen ersten Anschaffungen neuer deutscher Literatur, und es ist mir lange treu und lieb geblieben; darum, weil Sie Fabri zu schätzen wissen, möchte ich Ihnen sein Buch schenken. * Albrecht Fabri: Der rote Faden. München: List 1959. Vgl. A. F.: Der schmutzige Daumen. Gesammelte Schriften. Hg. von Ingeborg Fabri und Martin Weinmann. Frankfurt: Zweitausendeins 2000 An Erika Burkart, 18. Oktober 2002 Nr. 39 Ich war froh, für eine Stunde Ihnen so nah sein zu können* wie nie zuvor. Das Zuvor freilich ist schon 40 Jahre alt. Vor vierzig Jahren war ich Max Rychner zum erstenmal persönlich begegnet. Er führte mich damals in die Schweizer Dichtung ein und machte mich auch mit Ihren Gedichten bekannt. Es folgten viele, die mein Herz erfreuten. Max Rychner begleitet mich unentwegt, er hat auch Ihnen viel bedeutet. Dass Sie sich seinen „Lichtenberg”** besonders zu Herzen nahmen, habe ich mir gemerkt. Also sind Sie bereits 40 Jahre bei mir, und nun kamen Sie mit einmal mir so ganz nah. * EB bekam (gem. mit Robert Menasse und Erika Burkart) den Joseph-Breitbach-Preis der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz 2002. ** Aphorismen. Von Georg Christoph Lichtenberg. Hg. von Max Rychner (Manesse-Bibliothek der Weltliteratur). Zürich: Manesse 1947 An Walter Helmut Fritz, 18. ‏Oktober 2002 Nr. 40 Sie vergessen mich nicht, Sie nehmen sich meiner an, so schreibe ich weiter, und Sie verstehen, wie viel Dank für Sie schon das allein bedeutet. Aber mehr mag ich nicht sagen, und mehr könnten Sie auch nicht vertragen. Da stehen wir - Sie in Ihrem, ich in meinem Werk. In die Jahre kommend, sehen sie sich ähnlicher. Das sind große Geschenke, die Sie mir machten. Ich bin gerade an der vorletzten Fassung meines nächsten Hanser-Buches. Ein kleiner Abschnitt - Ohnmacht ist brutal - endet: „Grosse Worte / klein gesagt: / Aphorismen.“ Als ich das las, dachte ich, es träfe auf Ihre Gedichte zu, nur dass Sie eben in jedem Wort Dichter sind und dass man dazu ein kleines Wort mehr sagen müsste. Sie II Zeitgenossen 47 sind ein Augenmensch, Ihre Augen aber verfügen über das vollkommene Gehör. Bei anderen Dichtern freut man sich über kurz oder lang, bei Ihnen über das Maß selbst. Sie dürfen mich beneiden, dass ich Sie so gut zu beneiden verstehe. Auf Ihre Prosadichtungen möchte ich noch zu sprechen kommen. Das tue ich vielleicht am besten prosadichtend. Seien Sie für alles, für vieles, für die Handvoll Hand (=-Treue) bedankt. An Matthias Hermann, 29. November 2002 Nr. 41 Der gebeugte Klang*? - im Denken und - auch meiner - gedacht**, kommt rundum und frisch matt*** ein verlorener Sohn zurück zu mir, inspiriert und wohlvertraut inspirierend: Am liebsten würde ich Dir Strophe für Strophe antworten, oder auch nur Zeile für Zeile. Beglückend wärs, denn dazu tauge ich eben jetzt nicht. Vom Titel an bis „schlägt die Erde auf“ ein gelungenes, lohnendes Buch, zu dem ich Dir von Herzen gratuliere und danke. Für die Widmung Sonderdank! Von allem abgesehen freut es mich, dass Du nicht länger zögertest, denn mir schien, du bliebest zu lange vom Fenster weg. * Matthias Hermann: Der gebeugte Klang. Gedichte. Tübingen: Klöpfer & Meyer 2002 ** Widmung: Für EB *** Matthias Hermann, von EB auch Matt genannt An Friedemann Spicker, 25. November 2004 Nr. 42 Wie ernst die Geschichte des Aphorismus zu nehmen ist, kann man an Personen ausmachen, die nur herausgeberisch (einen Augenblick lang den Zeitpunkt bestimmend) von einiger Bedeutung waren, wie Margolius. An ihm kann man mit größerer Gewissheit zeigen, was ein Aphorismus nicht ist oder „besser nicht sein sollte.“ Der gute Mann hat sich Jahrzehnte mit einer Gattung beschäftigt, von der er keine Ahnung hatte, über die er sich aber auch keine Gedanken machte. Aber er „beherrschte das Feld“ und hatte die Landschaft überflutet. Aber Sie sagen das ja selbst mehr oder weniger auch, nur: Sie haben das längere Maß und können auch einem Margolius Gerechtigkeit widerfahren lassen. Er hat nicht vergebens gewirkt, vielleicht haben seine eigenen Aphorismen, gegen die ich vollkommen immun war, auch „im besten Sinne“ Einfluss auf einige Seelen genommen. Schwer anzunehmen, leicht zu glauben. Er hat seine Aphorismen, falls Sie es nicht wissen, auch immer wieder im Jahrbuch der Schopenhauer-Gesellschaft veröffentlicht. Arthur Hübscher war mit ihm befreundet, hatte jedenfalls ein Herz für ihn. 48 II Zeitgenossen Ich lebte ja mehr in der Literatur als in meiner Zeit. Es genügt, dass ich alle Namen, manchmal die Werke, manchmal sogar die Personen kannte. Wenn ich nun sagte, Werner Kraft hatte überhaupt keinen Einfluss auf mich, ebenso wenig Ludwig Strauß, würde das etwas bedeuten? In jedem Fall müsste es geprüft werden, denn es liegt doch nahe. Ihre Schlussannahme* kann ich also nicht von der Hand weisen, die Franz Baermann Steiner gelesen und mir abgeschrieben habe**, sie mussten also Eindruck auf mich gemacht haben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ich die Abschrift noch herausfinden könnte. Meine Wertschätzung Steiners als Dichter habe ich zitatweise wiederholt bekundet. * Vgl. Friedemann Spicker: Der deutsche Aphorismus im 20. Jahrhundert. Spiel, Bild, Erkenntnis. Tübingen: Niemeyer 2004, S. 793; dort zu Hans Margolius S. 366-371 et pass., zu Werner Kraft S. 351-354 et pass., zu Ludwig Strauß S. 359-366 et pass., zu Franz Baermann Steiner S. 354-358 et pass. ** Sprachliche Feststellungen und Versuche. In: Merkur 10, 1956, S. 966-973; Sätze und Fragen. In: Neue Deutsche Hefte 3, 1956/ 57, S. 336-338 An Friedemann Spicker, 28. November 2004 Nr. 43 Ich bin Ihnen oder mir noch einen Nachtrag, Werner Kraft* betreffend, schuldig. Ich musste wieder an ihn denken; meine Beziehung zu ihm war nicht einfach, sie war zuerst und auf längere Zeit negativ, was ich ihm auch zu verstehen gab. Dennoch begegnete er mir später, nach meiner Rückkehr, so entwaffnend unbefangen, dass ich mein Urteil über ihn revidieren musste und erst dann ihn wirklich kennen, ich meine zu schätzen und bisweilen auch zu lieben lernte. Liebenswert war er schon wegen seiner Liebe zur Dichtung, die beispiellos war. Dass ich ihm den Einfluss über mich absprach, hatte seinen Grund, war aber eng gedacht, auf sein Werk allein bezogen. Das gilt bei persönlicher, zuweilen naher Bekanntschaft nicht, und ich muss eben gestehen, dass Kraft in einem Punkt einen bedeutenden Einfluss auf mich hatte und dies gerade, weil er mich zu schätzen wusste, so dass ich es damals annehmen konnte und heute anerkennen muss. Er sagte mir, ich sollte - anders als Kraus - nicht nur über „das Wort“ schreiben, sondern auch über den Satz nachdenken. Das habe ich daraufhin getan: Das also ist sein direkter, guter und fruchtbarer Einfluss gewesen. Würde ich noch länger über Kraft nachdenken, ich fände sicher noch anderes, was ich ihm zu danken habe. * Satzspiegel. Dem Andenken an Werner Kraft. In: Filigranit, S. 67-84 II Zeitgenossen 49 An Friedemann Spicker, 1. Dezember 2004 Nr. 44 Beginnt man früh mit Aphorismen, kommt man um seine eigene Lebensgeschichte. Kraus war fruchtbar und bildend in seiner Zeit, und der Erste Weltkrieg „schenkte“ ihm „Die letzten Tage der Menschheit“. Der Zweite Weltkrieg, obschon aus dem Ersten hervorkommend, war etwas ganz anderes. Die Nachkriegszeit erforderte natürlich ein Verständnis für die „Letzten Tage“ und besonders für die „Dritte Walpurgisnacht“, erforderte aber keinen Anschluss an den Feind der Presse, an den Kritiker „der Sprache“, also keinen Anschluss an Karl Kraus. Es war vergebens, aber nicht umsonst, denn für eine Rückkehr Canettis* war er unerlässlich. Nicht für ein Verständnis Canettis war Kraus entscheidend, aber für sein Selbstverständnis. Er selbst konnte sich nur über Kraus als Aphoristiker verstehen und entwickeln. Er war ein Augenmensch, dem das Ohr zum Aug nicht fehlte, der aber erst durch „Die Fackel im Ohr“ hörsichtig geworden ist. Das war notwendig, aber nicht schwer, denn Kraus konnte man immer wieder hören. Krausʼ „Nachbild“ prägten Rück-, nicht Heimkehrer. Damit war der Grund für falsche Identifikationen gelegt. Das dauerte eine Weile, zum Glück nicht zu lange, bald zog die andere, politisch eindeutige und aktuelle Variante ins Land: Lec. Er brachte mit sich allerlei Erleichterungen, so die Kraus-Erleichterung. Das war ein großes Geschenk, von Dedecius großartig dem Volk beschert. Man hatte alles in einem, die ostwestliche Aktualität, den mangelnden politischen Witz, den sich nach Wien orientierenden Polen und ganz verschwiegen auch - den Juden. Man durfte Kraus, dem seine Aphorismen nur das Kleingeld für den Großkrieg waren, vergessen. Mit diesem galizischen Juden beginnt die neue Geschichte des deutschen Aphorismus. Ich hätte Grund, mich zu freuen, doch ist mir Lec „zum Verhängnis“ geworden.** Der Jude wurde durch Dedecius getauft: nicht zum Christen, aber zum Deutschen. Ohne auf Einzelheiten der Aphoristik und der Aphorismen eingehen zu wollen: Lec wurde/ wird nicht als fremder, nichtdeutscher Aphoristiker reflektiert,-so bleibt er der „Rivale“, gegen den ich aufkommen musste und muss: nicht erst beim Publikum, schon beim Verleger. Die Verkaufszahlen lassen immer noch vergessen, dass er kein deutscher Sprachkünstler war. Der Pole ist durch den Erfolg Deutscher geworden, während ich der Israeli geblieben bin, was konkret besagt: Mich rezipiert man als Fremden. Und man würde wahrscheinlich, erführe man davon, staunen, dass mein Werk kein übersetztes ist. Lec war ein großer Mann, sein Werk von großen Folgen und meist segensreich. Ich bin für ihn, er aber, fälschlich als Deutscher rezipiert, ist gegen mich. Vom Format her, ohne es zu wollen, ohne mich zu kennen, ist er mein Gegenspieler geworden. Müsste ich einen handfesten Grund nennen, weshalb ich mich irrte, als ich mich Hanser verschrieben habe, es wäre: Lec, nicht Canetti, der 50 II Zeitgenossen noch anderes war und eher für anderes stand (Aphoristiker war er nur für eine elitäre Oberschicht, im Übrigen auch nicht zum Lachen). Lec bedeutete auch, dass Aphorismen sich verkaufen und geschäftlich nicht zu missachten sind. Wird das Unfrisierte auch frisiert, es verkauft sich immer noch. Ich bot mich Hanser aber nicht als einen Unfrisierten an. Der Unterschied war nicht schwer zu erkennen (der damalige Leiter des Hanser-Verlags - Christoph Schlotterer*** - erkannte ihn auf den ersten Blick), die Differenz war aber groß. Die Verkaufszahlen sprachen für mich, aber gegen meine Bücher. Ich hatte keinen Namen und trat ohne Werbung in die Welt, es haben sich gleich 1000 Menschen und mehr gefunden, die sich bereit erklärten, meine Gedanken aufzunehmen und für sich fruchtbar zu machen. Das hat der Verlag zur Kenntnis genommen, und er beschloss, es dabei bewenden zu lassen. Die großen Ost-West-Spannungen haben sich gelegt, der Aphorismus muss heute eine andere Rolle spielen, eine viel ernstere, doch steht heute Ernst für fad, und das Geschäft (um Gott z. B.) besorgen Sachbücher, die nicht zur Sache sprechen und nicht zu Buche schlagen. * Vgl. Manfred Schneider: Augen- und Ohrenzeuge des Todes. Elias Canetti und Karl Kraus. In: Austriaca 6, 1980, Nr. 11, S. 89-101; Gerald Stieg: Elias Canetti und Karl Kraus. Ein Versuch. In: Modern Austrian Literature 16, 1983, H. 3/ 4, S. 197-210; Josef Quack: Über Elias Canettis Verhältnis zu Karl Kraus. Ein kritischer Vergleich. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 23, 1998, S. 118-141; Manfred Schreiber: Kritik der Paranoia. Elias Canetti und Karl Kraus. In: Der Überlebende und sein Doppel. Kulturwissenschaftliche Analysen zum Werk Elias Canettis. Hg. von Susanne Lüdemann. Freiburg: Rombach 2008 (Reihe Litterae 150), S. 189-213; zu Canetti vgl. Olivenbäume, S. 75f. et pass. ** Stanislaw Jerzy Lec (1909-1966), polnischer Lyriker und Aphoristiker. In der Bundesrepublik erschienen viele Ausgaben seiner von Karl Dedecius übersetzten „Unfrisierten Gedanken“, von „Unfrisierte Gedanken“ (1959) bis „Sämtliche unfrisierte Gedanken“ (2007); vgl. Friedemann Spicker: Zur Rezeption von St. Jerzy Lec in der deutschsprachigen Aphoristik.-In: Convivium 2005, S. 141-161 *** Vgl. Olivenbäume, S. 109-115 et pass.; Vielzeitig, S. 295f. An Friedemann Spicker, 9. Dezember 2004 Nr. 45 Ich kannte Kraus-Epigonen älterer und jüngerer Prägung. Älterer Prägung z. B. Engelmann* und Kraft**, jüngerer Prägung z. B. Klaus von Welser***, der, als ich ihn kennen lernte - auch dem Aussehen, dem Haarschnitt und der Brille nach -, ganz auf den jungen Kraus stilisiert war. Die Alten und die Jungen sprachen alle von „der Presse“, und der junge v. Welser donnerte und wetterte gegen die II Zeitgenossen 51 Journalisten, als würde er eben gerade die nächste Nummer der „Fackel“ vorbereiten. Aber ein großer Satiriker, der auch hassen muss, um aus dem Hass seine Liebe zu retten, wird, wenns hochkommt, einmal in hundert Jahren geboren. Wer aber kein Satiriker ist, soll Kritiker werden und nicht Aphorismen schreiben „gegen die Presse und die Journalisten“. Das ist ein kluger Rat, aber Epigonen ist eben nichts zu raten. Die Themen entscheiden also, die Erweiterungen im Aphorismus sind oft nur scheinbare. Ich habe die Briefe von Margolius gesucht und vorläufig nur einen gefunden, mit dem ich gar nicht rechnete, der mir eben zeigt, dass ich vielleicht Grund hätte, mit einiger Dankbarkeit von ihm zu sprechen. Wieviel Dank versäumt man doch im Leben! Aus dem Brief geht hervor, dass er sich auf die Suche machte, einen Verlag für mich zu finden. Der Versuch fruchtete nicht, aber da tauchen Namen auf, die auch bei Ihnen vorkommen (für mich weniger erfreuliche, wie z. B. Peter Coryllis****). Aber das wäre vielleicht für Sie eine noch zu erhellende Ecke, mit dem Namen Doerdelmann***** verbunden, der Lektor war oder mehr in Rothenburg ob der Tauber und Coryllis wie andere dieser Art, aber auch eine Reihe deutsch-israelischer Schriftsteller herausgab. Er gab auch eine Zeitschrift heraus. Seine Frau besuchte mich hier einmal und bat mich um Aphorismen, die wahrscheinlich dort auch abgedruckt wurden. Es ist lange her. Margolius erwähnt in seinem Brief vom 25. Sept. 1974 auch Sigmund Graff******. Der Brief enthält die entwaffnende Antwort auf meine listige Frage, die für mich grundsätzlich war und ich jedem stellte, der vorgab, vom Aphorismus etwas zu verstehen: Wie stehen Sie zu Heuschele (mein „rotes Tuch“)*******? Hier seine Antwort: „Die Aphorismen von OH kenne ich und besitze ich. Ich schätze sie sehr, soweit sie sich unmittelbar mit dem Leben und dem Menschen befassen. Die, in denen er zur Literatur und Kunst Stellung nimmt, stehen mir etwas ferner.“ Lec ist natürlich im obigen Kontext von Epigonentum ein Kapitel für sich, in seiner Nachfolge gibt es fast nur Epigonen. Ob er in irgendeinem Sinn auch Schule machte, muss noch herausgestellt werden. Um seine Größe und Einfluss wirklich ausmachen zu können, muss man natürlich in die Ostländer, wo er und seine Sprache zu Hause waren. * Vgl. Anm. zu Brief Nr. 46 und Brief Nr. 50 ** zu Werner Kraft vgl. Brief Nr. 42, 43 *** Klaus von Welser (1942-2014), Germanist und Aphoristiker, 1969 bis 1982 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bibliographia Judaica **** zu Peter Coryllis: Friedemann Spicker: Der deutsche Aphorismus im 20. Jahrhundert, S. 488-490 ***** Bernhard Doerdelmann (1930-1988), Verlagsdirektor, Lyriker, Erzähler, Hörfunkautor und Lektor; vgl. Aberwenndig, S. 418 52 II Zeitgenossen ****** zu Sigmund Graff: Friedemann Spicker: Der deutsche Aphorismus im 20. Jahrhundert, S. 481-488 et pass. ******* zu Heuschele vgl. Brief Nr. 24 An Friedemann Spicker, 14. Dezember 2004 Nr. 46 Paul Engelmann (1891-1965) war ein Schüler von Adolf Loos, mit Kraus und besonders mit Wittgenstein befreundet. In seinen letzten Lebensjahren habe ich viel Zeit mit ihm verbracht, da stand meine Aphoristik in ihrer Blüte, sein Verständnis für mich war groß. Im Wittgenstein-Jahrbuch 2001/ 2002 schreibe ich auch darüber (auf S. 424 finden Sie einige von Engelmann übersetzte Aphorismen).* Für meine Anfänge ist dieser Beitrag von Bedeutung, er wird Sie gewiss interessieren. Ein schwieriges Kapitel für mich war und blieb die Schweizer Aphoristik, die mit Ludwig Hohl** ihren Canetti bekommen hat (den Canetti auch verehrt hat). Ich habe mich für ihn lange nicht interessiert, bis Adolf Muschg 1985 (? ) mich in Zusammenhang mit ihm brachte, da wurde ich neugierig, kaufte gleich zwei Bücher von ihm, wurde aber nicht warm. Das eine Buch habe ich gleich weitergegeben, behalten habe ich mir „Nuancen und Details“, vielleicht des Propheten Jona wegen (S. 65, auf der er auch Lichtenberg zitiert). Muschgs Schwärmen für Hohl wird von Hugo Loetscher ironisiert (Hugo Loetscher, Lesen statt Klettern. Aufsätze zur Literatur der Schweiz. Zürich: Diogenes 2003, über LH S. 210-233); zum Mythos LH empfehle ich Ihnen sehr J. R. von Salis, Notizen eines Müßiggängers. Zürich: Orell Füssli 4. A.1984, S. 160ff. Mynonas „Schöpferische Indifferenz“ - einschließlich der Aphorismen am Ende des Buches - verdient größere Beachtung. Aus meinem Leben, weil Sie das interessiert: Ich kann mir denken, dass Schopenhauers „Aphorismen“ über das weibliche Geschlecht mir Eindruck machten und mich in meiner Jugend freuten, da sie meine pubertäre „Erfahrung“ zu bestätigen schienen. Darüber schämte ich mich später, und das war der Hauptgrund dafür, dass ich in den siebziger Jahren Ronners Verleger*** verboten habe, Aphorismen von mir abzudrucken. Das billige Herziehen über die Weiber durch die Bände war mir zuwider. Das brachte mich in Konflikt mit Hanser (der den Abdruck schon genehmigt hatte), und natürlich war es auch das Ende meiner Mitarbeit an der „Weltwoche“.**** Die Schweiz war mir in den sechziger Jahren, vor allem Margarete Susmans und Max Rychners wegen, eine zweite Heimat. Von Max Rychner, einem Aphoristiker zwischen Goethe und Valéry, spreche ich jetzt nicht, er gehört in meine Autobiographie, dort könnte ich ihm vielleicht gerecht werden. Was er über Aphoristiker geschrieben hat, wiegt seine eigenen Aphorismen auf.***** II Zeitgenossen 53 Wie kommt es, dass alle Wortspieler, ob von Ost oder von West kommend, ein pessimistisches Menschenbild haben? Pessimismus ist ein Mechanismus und entspricht dem wortspieligen Bandfabrikat. Dieses Bild vom Menschen ist ein trügerisches, kein Mensch ließe sich hinter diesem finden. Was es mit dem Menschenbild auf sich hat, glaube ich in einer Begegnung erfahren zu haben. Vor vielen Jahren hat Gabriel Laub****** eine Lesung mit mir in Hamburg organisiert. Nach der Lesung kam der Aphoristiker E., den ich nicht kannte, auf mich zu, - ob er sich mir vorstellte? - und begann sofort, seine Reime in meine Ohren zu schütteln, es war eine ununterbrochene Kette, von der mir ein Glied in Erinnerung geblieben ist: „Ich sitze hier am Mittelmeer / und habe keine Mittel mehr.“ Schüttelreime prägen sich leicht ein, so prägte sich mir auch ein anderer, den mir Wilhelm von Scholz - ich kannte ihn noch - ins Ohr flüsterte: „Als Gottes Atem leise ging / schuf er den Grafen Keyserling.“ Nach Hamburg zurück: Was hat der Aphoristiker, nach meiner Lesung, von mir gehalten? Was sollte ich von ihm, nach seiner Reimkanonade, denken? War er gekommen, um mir zuzuhören und vielleicht mit mir zu sprechen? Ich werde das nie erfahren, ist das aber, auch wenn ich es nicht als Demonstration bewerten wollte, nicht schon Erfahrung genug? Er ist der bessere, er kann mehr und kann mir das auch gleich beweisen - hier! Aber er irrte sich in mir. Ich gebe mich leicht und gern geschlagen, mir fällt es nicht schwer, Fähigkeiten zu schätzen, auch zu bewundern, wenn sie groß sind. Er war in Schütteln und Reimen der Gewandtere und Bessere. Beides will gekonnt sein! Schüttelreimend trug er also den Sieg davon. Warʼs ein Sieg? Der Sieg, den er meinte, der Sieg, den er wollte. Und das war für ihn auch schon die Geschichte des Aphorismus in ihrer letzten Konsequenz, für mich hingegen die lebendige Erfahrung, die mir fehlte. Ich glaubte zu verstehen, warum ich nicht Aphoristiker sein wollte, und sei es um den Preis, dass ich in die Geschichte der Gattung nicht hineinkommen werde. Nun wusste ich warum, denn ich habʼs am eigenen Leib zu verstehen bekommen. Davon also versuchte ich mich abzusetzen. * EB: Paul Engelmann, Der Andere. Ein Teppich, aus Namen geknüpft, zu seinem Gedenken aufgerollt. In: Wittgenstein-Jahrbuch 2001/ 2002, S. 369-427; Variationen, S. 9f.; Allerwegsdahin, S. 52-57, 91; vgl. Das Mehr gespalten, S. 193f.; vgl. Vielzeitig, S. 278f. et pass.; vgl. Aberwenndig, S. 55f, 239-248; vgl. Ilse Somavilla: „Die Leiden des Geistes.“ Ludwig Wittgenstein und Elazar Benyoëtz. In: Korrespondenzen, S. 176-192 ** Zur Schweizer Aphoristik und zu Ludwig Hohl vgl. Friedemann Spicker: Der deutsche Aphorismus im 20. Jahrhundert, S. 559-616 *** Markus M. Ronner, Anthologist, Benteli-Verlag **** Die Weltwoche, Zürich ***** Max Rychner: Bei mir laufen Fäden zusammen. Literarische Aufsätze, Kritiken, Briefe. Hg. von Roman Bucheli. Göttingen: Wallstein 1998 (Veröffentlichungen der Deut- 54 II Zeitgenossen schen Akademie für Sprache und Dichtung 74); vgl. Allerwegsdahin, S. 96f.; vgl. Vielzeitig, S. 279; vgl. Aberwenndig, S. 97 ****** Gabriel Laub (1928-1998), tschechisch-deutscher Schriftsteller. Floh nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 nach Hamburg. Dort erschienen seine Aphorismensammlungen in deutscher Sprache; vgl. Friedemann Spicker: Der deutsche Aphorismus im 20. Jahrhundert, S. 667-670 An Friedemann Spicker, 20. Januar 2005 Nr. 47 Als Sie mir schrieben, Sie wollten sich mit seiner [Lecʼ] Rezeption befassen, stellte ich fest, dass ich kein Buch von ihm habe - und bestellte mir die „Sämtlichen-…“ bei Hanser.* Gestern trafen sie ein, und nachts habe ich darin gelesen, nicht brütend, aber mit Bleistift, und habe den ersten Teil (54 Seiten) auch hinter mir. Die erneute Lektüre - nach dreißig Jahren - war so verblüffend wie ernüchternd. Darüber würde ich gern mit Ihnen sprechen. Da ich noch viel zu lesen habe, will ich jetzt nichts „Abschließendes“ sagen, obschon der Eindruck notwendig derselbe bleiben müsste, denn schon der erste zeigte mir „die Einheit des Geistes“: Lec bleibt Lec, nur ist er weniger geworden. Er hat genug Geist und Witz, den Ost-West-Konflikt zu überleben, nur wird die Überlebensqualität geringer, jedenfalls im Deutschen. In Polen ist er Klassiker, in Deutschland Erfolgsautor. Den kleinen Unterschied macht das Ganze der Sprache aus. Also spreche ich nur vom „deutschen“ Lec. Das Billige überwiegt, es macht das Werk aber nicht minderwertig. Über diesen Punkt will ich nachdenken, und vielleicht mit Ihnen. Ohne mich hinzuzurechnen, frage ich mich, wieso Lec und Canetti gleichzeitig wirken konnten, auch wenn sie scheinbar aus der gleichen Schule (nennen wir sie vorsichtig „Wien“) kommen. Aphoristik in den sechziger-siebziger Jahren, das waren in der Hauptsache doch Lec und Canetti, (die „Suhrkamp-Aphoristik“ von Ost und West ist eine Kategorie für sich), wobei der erste der populärere war. Canetti war mit dem Ost-West-Konflikt nur massenmächtig beschäftigt, nicht humanhumoristisch. * Siehe Anmerkung zu Brief Nr. 44 An Friedemann Spicker, 1. Februar 2005 Nr. 48 Eben finde ich - in Abschrift - den Auszug aus einem Margolius-Brief* - die Antwort auf meine direkte Frage: „Ich bin nicht von der Literatur, sondern von der Philosophie zum Aphorismus gekommen. Vielleicht liegt es daran, dass ich eigentlich (wie ich zu meiner Schande gestehen muss) keine klare und feste Definition des Aphorismus habe. II Zeitgenossen 55 Eigentlich akzeptiere ich jede kurze Darstellung einer Einsicht, einer Ansicht, einer Überzeugung, eines Ausblicks als Aphorismus. Von den „Klassikern“ des Aphorismus stehen mir wohl Joseph Joubert und Marie von Ebner-Eschenbach am nächsten. Natürlich hätte ich in meiner Auswahl aus Ihren Aphorismen wenigstens eine Reihe von Sätzen, die charakteristisch für Sie persönlich sind.“ (Miami, Florida, 5.4.1977) * Vgl. Brief Nr. 42 mit Anmerkung An Harald Fricke, 10. Februar 2005 Nr. 49 Ein Abschiedsdank an Annette Kolb * „Ja, wie am Straßburger Münster, sie sind so blind.“ (Annette Kolb an René Schickele) Sie steht - die Straßburger ‚Synagoga‘ - zwischen ihr und Schickele, dem Elsässer. Ist ‚Synagoga‘ aber nicht überall und immer die Blinde? Musste sie örtlich bestimmt werden? Ja, sie musste, denn freilich ist die Straßburger ‚Synagoga‘ so blind wie jede andere, doch im Gegensatz zu anderen ist sie von innerer Klarheit und äußerer Anmut; Hoheit und Ergebung ausstrahlend. Sie ist die in Niedergeschlagenheit Thronende. Sie hat alles in sich und an sich, nur keine Macht in Händen. Die andere, die Rivalin, Ecclesia, hat alle Macht in Händen; sie, Synagoga - allen Zauber an sich. Darüber, dass sie die Macht entbehren kann, gibt die Augenbinde Aufschluss. Während Ecclesiaʼs Macht und Herrlichkeit nicht zu übersehen sind, zieht Synagoga alle Aufmerksamkeit auf sich; kein Augenblick, der gern bei der Machtvollen verweilte. So steht sie vor uns: gebrochenen Zepters, doch nicht gebrochenen Mutes; nichts habend, nur gewinnend. * Siehe Anm. zu Brief Nr. 20, 27 An Friedemann Spicker, 7. Mai 2005 Nr. 50 Im Anschluss finden Sie einige Seiten, sie mögen Sie erfreuen Karl Kraus in Tel Aviv Paul Engelmann war zu sechzig Prozent Kraus-geprägt, davon hatte er hundert Prozent auf mich übertragen. Ich war Kraus-geweiht, noch ehe ich ein Wort von ihm kannte, ja noch ehe ich des Deutschen kundig genug war, um einen Aphorismus von ihm verstehen zu können. Überzeugt, Engelmann sei die Stimme Karl Kraus’, hatte ich es auch nicht für nötig gehalten. Ich hatte Kraus lautlich vor Augen, aus all seinen Mundwinkeln und Gesichtszügen traten die 56 II Zeitgenossen Worte hervor, und er - mir zugewandt - presste aus ihnen das Öl, einzig für mich, der ich ohne Verdienste war und doch, wie ich glaubte, gesalbt werden sollte. Dreißig Jahre lang war Paul Engelmann-Karl Kraus in Tel Aviv gewesen, „nun werde ich es sein“, mochte ich bei mir gedacht haben. Aber ich war nicht zu sechzig Prozent Kraus-geprägt,-mein Denken war hundertprozentig hebräisch, und ich kannte keinen anderen Wunsch, als hebräische Gedichte zu schreiben. Wo immer der Anfang meines Gedankens war, er fand im Vers sein Ende. Paul Engelmann, er selbst, geistvoll und leibhaftig,-war meine Poetik. Und das schon bald nach unserer Bekanntschaft, als ich Mut zur Prosa fasste. Das war begründet in einer Begegnung mit der geringfügigen, unscheinbaren Prosa von Jakob van Hoddis - und in der Lustwandelschaft meiner Freundin Nahida. Ihre Erotik erwachte durch meine Schrift, nicht unter dem Apfelbaum. Sie war eine Schriftbewegte mit dem absoluten Gehör und einem Herz für Engelmann, der ihr gern bis tief in die Nacht hinein vorgetragen und -gesungen hat. Ihr habe ich versprochen, jeden Tag, wenn sie mich besucht, eine handvolle, handgeschriebene Prosageschichte vorzulegen. In acht Tagen waren es sieben geworden. Die erste erschien in Hapoel Hazair vom 9. 1. 62 und war Paul Engelmann gewidmet.* Engelmanns Übersetzungen aus dem Hebräischen waren gleichsam der Anfang meiner deutschen Aphoristik. * Es folgen Auszüge aus dem Briefwechsel mit Engelmann aus den 60er Jahren; vgl. Anmerkung zu Brief Nr. 46 An Friedemann Spicker, 7. Mai 2005 Nr. 51 Clara von Bodman* war die wichtigste Freundschaft meines Lebens. Ich habe sie 1966 in ihrem Haus in Gottlieben kennengelernt und blieb mit ihr bis zu ihrem Tod im Jahre 1982 verbunden. Für sie habe ich mein Deutsch aufrechterhalten, zehn Jahre einzig für sie auf Deutsch gedacht und geschrieben. „Du bist ich“, sagte ich zu ihr, sagte sie zu mir. Also war’s der ideale Weg, mein deutsches Selbstgespräch voranzutreiben. Wir wechselten jede Woche wenigstens einen Brief. Meine Briefe waren selten kurz, sie trugen mehr und mehr Charakterzüge eines deutschen Tagebuchs, in dem ich ihr meine hebräische Gedankenwelt erschloss, denn ich lebte, nach meiner Rückkehr aus Deutschland, 1968, wieder ganz im Hebräischen. Meine Briefe an Clara von Bodman bildeten auf Jahre hinaus die Quelle meiner Aphorismen. Mein Wort war ein gerichtetes, und der Mensch, an den es gerichtet war, war der richtige. In diesem Wort sind Glück und Dank ausgesprochen. Nach dem Tod Clara von Bodmans habe ich mich vier Jahre mit der Sichtung unseres II Zeitgenossen 57 Briefwechsels beschäftigt. Diese Beschäftigung, die viele nur verwunderte, war meine späte - und viel später erfolgreiche Schule der Prosa. Prosa ist eine Poesie für sich. Das Schreiben Satz für Satz erfordert eine höhere Schule als das Schreiben Wort für Wort oder Zeile um Zeile. Ich ging ungern zur Schule, nun musste ich bei mir und sogar von mir lernen. Es war alles schon da, schon lange da, es fehlte nur das eine „es werde! “. * Vgl. Anm. zu den Briefen Nr. 1, 27 An Friedemann Spicker, 8. Dezember 2005 Nr. 52 Es ist nur folgerichtig, dass ich Ihrem Lieblingskind* etwas Grundlage und Nährstoff zuführen möchte, beginnend mit meinem Briefwechsel mit Hans Margolius**, der vielleicht kein großer Aphoristiker war, aber sich große Verdienste um diese Gattung nach 1945 erworben hat. Er war im Kleinen Ihr Vorgänger, seine Sammlungen werden ihren Wert behalten, weil sie nach dem Kahlschlag da waren. Mir diente er zur Klärung meiner frühen Positionen - ohne Zuspitzung. Ich wusste bald Bescheid und blieb ihm trotzdem dankbar und persönlich geneigt. Er war sicher ein guter Mensch und ein bescheidener Denker. Er versuchte auch, mir bei der Verlagssuche zu helfen, vergeblich. Alles, was dazu gehört oder gehören mochte, will ich „Hattingen“ überlassen, also wird noch manches hinzukommen, den Grundstock bilden eben die Briefe Margolius’ und meine Antworten bzw. Entwürfe, die manchmal schwer leserlich sind, wahrscheinlich auch ab und zu von der endgültigen Antwort abweichen. Wo sein Nachlass ist, weiß ich nicht. Die heutige Sendung enthält wahrscheinlich auch nicht alle Briefe, doch diese waren in einem Bündel, die anderen müssen sich erst finden, sie kämen dann hinzu. Ferner möchte ich dem Aphorismus-Archiv eine Reihe von Typoskripten überlassen, die entweder von der endlichen Ausgabe abweichen oder nie zum Abdruck gelangt sind. Auch möchte ich den Hanser-Verlag bitten, meine Bücher, sofern sie vorrätig sind, wie auch Herrn Walther Wölpert***, die Herrlinger Drucke an das Aphorismus-Archiv zu schicken. Ferner gedenke ich, eine Reihe Personen zu bitten, meine Briefe an sie dem Archiv zur Verfügung zu stellen, sei es im Original, sei es in einer Kopie, so dass sich im Archiv nach und nach eine kleine Benyoëtz-Ecke ausbildete. * Deutsches Aphorismus-Archiv Hattingen, gegründet 2004 ** Vgl. Briefe Nr. 42, 48 *** Siehe Verzeichnis der Briefpartner(innen) 58 II Zeitgenossen An Friedemann Spicker, 11. Januar 2006 Nr. 53 Man kennt mich nicht, weil man mich nicht sieht. Die wenigen Lesungen machen kein Ansehen aus. Nun war ich Arnold* in Darmstadt begegnet - und lustig: Ich stand vor dem Aufzug, er kam auf mich zu - er dachte an den Aufzug -, glaubte einen alten Freund zu sehen, fiel mir um den Hals und - ja, ich zwang mich da auch zu einer Vorstellung, meinetwegen, dachte ich - und sagte halbfragend: Harald? „Heutzutage“ verändert sich der Mensch doch so leicht, und Harald Weinrich** habe ich sicher zwei Jahre nicht gesehen, wer weiß? Wir sahen unsern Irrtum ein und versuchten, das Beste daraus zu machen, wir sprachen eine Stunde über Ernst Jünger, dessen Sekretär er war. Ich ließ ihn erzählen, das allein war schon ein Geschenk, wer erzählt nicht gern eine ganze Stunde von sich oder von sich und Ernst Jünger? Und dann unser Briefwechsel. So gehtʼs, lieber Herr Spicker, in der Literatur zu. Lässt man reden, gewinnt man Sympathie. Nicht dass Ihre wiederholte Mühe umsonst war, nur - wer ist, wer war denn schon Benyoëtz? Und Benyoëtz - unter uns - wäre vielleicht auch jetzt nicht der Rede wert, Benyoëtz und Jünger aber! Das ist etwas ganz anderes, dann ist er vielleicht unsereins! Also darf Spicker im EKG oder KGB über diesen Hebräer schreiben.*** * Heinz Ludwig Arnold (1940-2011), Publizist, bedeutender Vermittler der Gegenwartsliteratur (z. B. in Gesprächen), Herausgeber u. a. des Kritischen Lexikons der Gegenwartsliteratur, 1961 bis 1964 Privatsekretär bei Ernst Jünger ** Siehe Verzeichnis der Briefpartner(innen) *** Friedemann Spicker: Elazar Benyoëtz. In: Kritisches Lexikon der Gegenwartsliteratur. Hg. von Heinz Ludwig Arnold. München: text und kritik. S. 1-10, A-F. 85. Nachlieferung März 2007 An Hans-Martin Gauger, 19. September 2006 Nr. 54 Ich habe Deinen Erfahrungsbericht* gelesen, er ist ein geglückter, klassischer „Gauger“, zu dem ich Dir einmal schreiben müsste, alle „Schlüssel“ dazu liegen in diesem Prosa-Text „offen zu Tage“, man könnte ihn fast als künstlerisch raffiniert betrachten - und das wäre ja die Frage: Ist es Literatur, ist es Unterhaltung? Es ist sicher nicht Unterhaltungsliteratur, so unterhaltsam es auch ist und so heiter es sich gibt. Die ernsthaftesten Probleme - der Wissenschaft und der Zeit - werden allen Ernstes nicht nur gestreift, sondern eben auf Gaugersch bezeugt, wozu für mich alle Namen, ohne Ausnahmen, gehören. Das für mich Schöne ist, dass ich Dich mittendrin sehe: Du nennst die Probleme, Dein Standort steht fest, Du verschluckst Dich nicht beim Aussprechen des „Symbolworts“ Auschwitz, aber du stehst nicht mit der Kreide vor der Schwarzen Tafel des Weltgerichts II Zeitgenossen 59 und zählst ausdrücklich zu Deinen Lehrern und Freunden Menschen, die „Dreck am Stecken“ hatten. Du weißt, was Du weißt, und lässt keine Missverständnisse aufkommen, im Übrigen aber stehst Du im Licht wie im Zwielicht, weil es sich menschlich so gehört. „Ich bin nicht die Posaune deines jüngsten Tags“, heißt es bei mir. Der Prophet Elija aber sagte „Ich bin nicht besser als meine Väter“. Ich denke da an Hugo Friedrich**, der mir lange in vielem maßgeblich war, ich denke vor allem an Kurt Wais, dessen dicker, schwerer „Mallarmé“*** mich seit vierzig Jahren begleitet (erschienen übrigens in Deinem Verlagshaus). In meiner einfältigen Spätjugend hielt ichs gar für mutig, dass er in der „Literatur“ zum Buch den Juden Karl Wolfskehl erwähnte. Kannst Dir denken, wie sehr mich Deine Erinnerungen an ihn interessierten? Vom „unbehausten Menschen“ wusste ich recht früh, von Holthusen**** nicht wenig aus Rychners Munde zuerst, der ihm mit einem anerkennenden Zeitungsartikel den Weg bahnte, später - und sehr kritisch - aus Audens Mund, schließlich aber aus dem seiner Schwester, die mich hier besuchte, mit der ich einen ganzen unvergessenen Tag verbrachte und die sich wenig später das Leben nahm. Ist es eine „Hauptsache“? Man könnte glauben, müsste aber nicht denken: Du kommst gegen Ende darauf zu sprechen. Das finde ich großartig, wie wenn Du sagen würdest: Das muss nicht gesagt, darf aber nicht verschwiegen werden - so kommst Du auch wieder auf die 68er zu sprechen. Wie gesagt, ich finde Deine Ausschweifung - das wollte ich als „Gattung“ für mich in Anspruch nehmen, sehe mich genötigt, sie mit Dir zu teilen - als eine Dir gemäße, an sich geglückte Form, Haartracht und Glatze unter einen Hut zu bringen. Und ich denke im Ernst, Du solltest aus Deiner Not eine große Tugend machen, will sagen - ein Buch. Ich sehe auch die Nachteile, die Kritiker monieren würden, halte Deinen Weg in der Literatur dennoch für gerechtfertigt und gut. Es sieht so aus, als würdest Du Dich gehen lassen, ich meine: Das gerade sollst Du, denn es ist gerade. * Hans-Martin Gauger: Was wir sagen, wenn wir reden. München: Hanser 2004 ** Hugo Friedrich (1904-1978), Romanist an der Universität Freiburg; Die Struktur der modernen Lyrik. Hamburg: Rowohlt 1956 *** Kurt Wais (1907-1995), Romanist an der Universität Tübingen; Mallarmé. Ein Dichter des Jahrhundert-Endes. München: Beck 1938, 2. erweiterte Auflage 1952 **** Hans Egon Holthusen (1913-1997), Literaturwissenschaftler, Essayist und Kritiker; Der unbehauste Mensch. Motive und Probleme der modernen Literatur. Essays. München: Piper 1951 60 II Zeitgenossen An Friedemann Spicker, 27. März 2007 Nr. 55 Ich freue mich schon auf Ihre kleine Geschichte*, die mich an die „Kleine Geschichte der deutschen Literatur“ von Klabund** erinnert, eines meiner ersten - und damals auch liebsten - deutschen Bücher. Es lag ein zauberhafter Schleier über der Literatur damals, der Impressionismus übertrieb seine Blüten, Herbert Eulenberg hatte seine kleine Gattung erfunden, die „Schattenbilder“***, die ich mit großer Freude las, mit leichter Hand entwarf er Gesichter zu den Werken. Noch stehen seine Bücher hier bei mir, aber ich wage sie nicht mehr zu lesen. Und doch wünsche ich mir, jemand schriebe heute so ähnlich, mit Liebe und Esprit. * Friedemann Spicker: Kurze Geschichte des deutschen Aphorismus. Tübingen: Francke 2007 ** Klabund: Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde. Leipzig: Dürr & Weber 1923 *** Herbert Eulenberg: Schattenbilder. Berlin: Dt. Buchgemeinschaft 1929 An Hans-Martin Gauger, 28. Januar 2008 Nr. 56 Golo Mann - Du folgst Deinem Gefühl, gegen Ende bricht Deine Liebe durch.* Das wiederholt sich bei Dir des Öfteren, und ich frage mich, ob Du es bist oder Deine Stil gewordene Art, denn Du bist ja kein Gehemmter. Betrachte ich alle „Erinnerungsstücke“, die Du mir in den letzten Jahren zukommen ließest, so meine ich, dass Du „memoirenreif“ geworden bist. Es wäre schade, zögertest Du länger damit, zumal Du einen guten, geeigneten Verlag hast.** Memoiren mit Briefwechsel - in einem oder getrennt. Deine Gedanken, die in Dir noch kochen und sieden, wären dabei nicht verloren, kämen vermutlich noch leichter und reicher zum Ausdruck. Du stehst herum - und willst erzählen - tu das doch! Du hast dem Gedenken an Golo Mann gut gedient, offenherzig. Ich danke Dir für dieses Bild aus mehreren Zeiten, mit allen Namen, die dazugehören, wie Wiechert*** und Bergengruen**** (den kannte ich noch), und wozu für mich, ungenannt, auch Karlheinz Deschner***** gehört mit seinem „Kitsch, Konvention und Kunst“ (1957). Beim Lesen empfand ich eine einzige „Nebenstörung“, die ich Dir nicht vorenthalten will. „Es fehlt einem ja oft die Phantasie für Naheliegendes.“ Das ist ein Kernwort, spricht aber nicht nur beiläufig gegen Dich. Alles Gebeichtete gehört zur Sache, es kommt aber der Punkt, für den man büßen muss. Du hast den Kranken nicht besucht, dafür musst Du büßen, das kannst Du nicht beichtlings gutmachen; anständiger wäre, behieltst Du dieses Faktum für Dich. Irrungen/ Wirrungen - Irrtum/ Wirrtum: dennoch gefällt es mir wie Dir. Die Bemerkungen zu Joachim Fest****** sind mehr elegant als nobel: volltrefflich. Den Briefwechsel Kraft - Lehmann******* würde ich gern lesen, es muss, II Zeitgenossen 61 wie die Bemerkung über Benn vermuten lässt, ein blühender Holzweg sein. Gottfried Benn ist ein Stein des Anstoßes, kein Stolperstein der Poesie. Lehmann warf mit großen Schatten um sich, Kraft blieb lange im Schatten, nun treten beide schattenreich wieder ans Licht, mit einer Fülle von Namen, nehme ich an, die Verheißungen waren und Verkalkungen sind. Ob ich Kraft kannte? Als ich ihn zu kennen glaubte, kannte ich ihn nicht. Nun glaube ich wieder-… * Golo Mann: Erinnerungen und Gedanken. Lehrjahre in Frankreich. Hg. von Hans-Martin Gauger. Frankfurt am Main: S. Fischer 1999 ** Beck Verlag, München *** Ernst Wiechert (1887-1950), 1930 bis 1950/ 60 einer der meistgelesenen deutschsprachigen Autoren, zählt zur sog. Inneren Emigration („Das einfache Leben“, 1939). **** Werner Bergengruen (1892-1964), Schriftsteller („Der Großtyrann und das Gericht“, 1935) ***** Karlheinz Deschner (1924-2014), Kirchen- und Literaturkritiker („Kriminalgeschichte des Christentums“, 10 Bände 1986-2013, „Kitsch, Konvention und Kunst“, 100. Tsd. 1962, „Talente, Dichter, Dilettanten“, 1964), Aphoristiker ****** Joachim Fest (1926-2006), Journalist, Historiker („Hitler“, 1973, „Speer“, 1999), Herausgeber („Frankfurter Allgemeine Zeitung“) ******* Werner Kraft - Wilhelm Lehmann: Briefwechsel 1931-1968. Hg. von Ricarda Dick (Veröffentlichungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt in Verbindung mit dem Literatur- und Kunstinstitut Hombroich; Bd. 89). Göttingen: Wallstein 2008; vgl. die Exzerpte daraus in der wikipedia-Biographie Wilhelm Lehmanns (1882-1968), Schriftsteller (Autobiographie, Naturlyrik) An Hans-Martin Gauger, 7. August 2008 Nr. 57 Ich danke Dir für die Einsicht, die Du mir gewährst. Deine Rezension* ist so gut, wie man sie sich wünscht, Du kannst sie guten Herzens verabschieden. Alles abwägend und dem einen doch mehr gewogen als dem anderen. Auch dies mehr Kraft denn Stoff**. Die Poesie bleibt im Bild, wird nicht abgeklatscht. Und alles „Nebenbei“, wie immer bei Dir, ist köstlich oder unmerklich bedenkenswert. Jetzt müsste ich das Buch doch lesen, wo mir Deine Rezension gerade dies abnehmen sollte. * Zum Briefwechsel Kraft/ Lehmann. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.3.2009 ** Anspielung auf Louis (Ludwig) Büchner: Kraft und Stoff. Empirisch-naturphilosophische Studien. In allgemeinverständlicher Darstellung. Frankfurt/ M.: Meidinger 1855 62 II Zeitgenossen Von Hans-Martin Gauger, 7. August 2008 Nr. 58 Dank, lieber Elazar,-für die prompte Auskunft. Nun kann ich dies also beruhigt abschicken. Über Lehmann schrieb mir Wapnewski*, den ich fragte,- eben, wie immer witzig knapp: „Hat mich nie berührt. Zuviel Pflanzen und Kräuter und Bienengesumm“. Schade, dass ich dies nicht zitieren kann. * Peter Wapnewski (1922-2012), Mediävist an der TU Berlin, Literatur- und Musikhistoriker (zu Richard Wagner, 1978 u. ö.) An Hans-Martin Gauger, 7. August 2008 Nr. 59 „Hat mich nie berührt. Zuviel Pflanzen und Kräuter und Bienengesumm“. Gut, dass Du es nicht anführen kannst, es wäre eine zu billige Abqualifizierung dessen, was Kraft aufrichtig glaubte schätzen zu müssen und mit gutem Kunstgewissen auch schätzte. Auch Lehmann warf einmal große Schatten, darunter hatte mein lieber Freund, ein von mir auch geliebter Dichter, Georg von der Vring*, zu leiden. Lehmann ließ ihn nicht gelten. Und das tat weh. Das Problem der Wertung taucht in einem solchen Briefwechsel bedrohlich auf, besteht er doch aus Tagen und Werken, die uns Körpernähe suggerieren. Die Stimme spricht, wir werden Zuschauer, sehen das Für und Wider wachsen und hören nicht, wie das eine zum andern kommt. Da zeigen sich Vorzüge und Nachteile eines Werner Kraft, der ein Bluthund der Poesie sein konnte, das Bellen anderer aber fürchtete. Gewonnen hatte er immer, denn er liebte die Poesie wie wenige: Vers um Vers, doch immer in Angst, sein Bestes zu verlieren - seine eigene Dichtung, die ihm Reim um Reim abgestritten wurde. * Vgl. Anmerkung zu Brief Nr. 25 An Friedemann Spicker, 18. März 2009 Nr. 60 Heute kam Ihr „Moser“*, ich danke Ihnen für das Geschenk und gratuliere Ihnen zum Nachwort und vor allem dazu, dass Ihnen der lang gehegte Wunsch in Erfüllung ging, das Gesamtwerk durch eine Auswahl zugänglich zu machen. Ihre Studie schenkte mir das vermisste Bild. Aber ich glaube Ihnen auch, dass Moser bedeutender ist, als ich denke. Er gehört zu den Fällen, die nach Ungerechtigkeit rufen. Man muss sich mit ihm gedulden. Beim ersten Durchblättern dachte ich, er sei von haarsträubender Banalität. Je bereiter ich mich fand, eine längere Strecke mit ihm zurückzulegen, umso näher kam er seinem eigenen II Zeitgenossen 63 Antlitz. Ich hatte zuerst Mühe, Gesicht und Wort aufeinander zu beziehen. Die von Staiger** gerühmte Sprache ist zu schätzen, aber sie zündet nicht. Moser ist ein guter Dirigent seiner Gedanken, zur Virtuosität hat ers auch in der Sprache nicht gebracht. Ein langes Leben in Sätzen, das ist denkwürdig; ein langes Leben in Reimen kommt häufiger vor. Moser gehört zu den Entbehrlichen, die man nicht missen möchte. * Hans Albrecht Moser: Efeu ohne Baum. Gedanken eines Durchschnittsmenschen. Hg. von Friedemann Spicker. Bochum: Brockmeyer 2009 (dapha-drucke 2) ** Emil Staiger (1908-1987), Professor der Germanistik an der Universität Zürich, zu seiner Zeit einer der meistbeachteten deutschsprachigen Literaturwissenschaftler („Die Zeit als Einbildungskraft des Dichters“, 1939; „Die Kunst der Interpretation”, 1955) An Friedemann Spicker, 19. August 2009 Nr. 61 Sie treiben unverdrossen Ihre dapha-Ausgrabungen*, genießen Marbach und noch nicht aufgehobene Nachlass-Schätze. Das habe ich seit dreißig Jahren nicht mehr getan, wie bedauernswert. Auch Kessel gehört zu den Aphoristikern, denen ich nie gerecht werden konnte. Dabei besaß ich seinen riesigen Band** (nur Rathenaus „Reflexionen“*** konnten damit konkurrieren, oder? ) und habe mich ernsthaft um diesen bemüht. Damals lebte Kessel noch und in Berlin, und ich frage mich gerade, ob ich ihn vielleicht kannte? Es ist nicht allein die Zeit, die verblasste. Bin ich nicht aber auch selbst die verblasste Zeit und bemüht, mir etwas Schamröte als Farbe ins Gesicht zu treiben? Wenn Sie also von Indien zurückgekommen sind, werden Sie erfahren, dass zwei umfangreiche Bücher von mir erschienen sind, der Briefband bei Brockmeyer**** und das Hauptwerk „Scheinhellig“ bei Braumüller in Wien. Habe ich Glück, finden Sie darin Frisches. * Arbeit an Martin Kessel: „Ein Fragezeichen der Gesellschaft“. Aphorismen. Mit Zeichnungen von Gisbert Tönnis. Hg. und mit einem Nachwort von Friedemann Spicker. Bochum: Brockmeyer 2012 (dapha-drucke 4) ** Martin Kessel. Gegengabe. Aphoristisches Kompendium für hellere Köpfe. Darmstadt: Luchterhand 1960 *** Walther Rathenau: Reflexionen. Leipzig: Hirzel 1908 **** Vielzeitig 64 II Zeitgenossen An Friedemann Spicker, 22. September 2009 Nr. 62 Unter den Papieren fand ich einige Zeilen Klaus von Welsers*, die er als Klappentext für „Einsätze“ verfasste, ich konnte es nicht gebrauchen, nehmen Sie es als Erinnerungsstück und Dank für Ihre lange Beschäftigung mit EB. Er gehört, als einer, der über den Aphorismus nachdachte, zu Ihrer Geschichte. „Die Einsätze von Benyoëtz sind riskant. Denn die Regeln jenes Sprachspiels, das Aphorismus heißt, fordern, eine Einsicht zu gewinnen oder den Gedanken zu verlieren, den man zu haben meinte. Mit einem Satz ist der Spatz aus der Hand. Und der Reiz des Sprachglücks ist [? ], die man nur gegen sich selbst gewinnen kann, und wenn ein Gedanke verspielt wurde, es von der Sprache heimgezahlt bekommt: Nie schien die Taube auf dem Dache schöner. Solches Denken geht nicht auf Nummer sicher, semper crescit aut decrescit. In des Autors Worten: Kein Wort, das bei dir stehen bliebe. Aber die Klage ist unaphoristisch. Der Liebhaber der Sprache muss gerade dort zudringen, wo sie ihm die Verifizierung seines Glaubens vorenthält. Seine Insistenz kann er nur damit rechtfertigen. Dass sie ihm schon öfters, wie unabsichtlich, recht gegeben hat.“ * Siehe Anm. zu Brief Nr. 45 An Friedemann Spicker, 22. Oktober 2009 Nr. 63 Ich bekam gestern das Lichtenberg-Jahrbuch 2009*, mit dem ich nicht mehr gerechnet hatte. Ich schreibe Ihnen aus der Bewegtheit der ersten Lektüre, über die ich noch lange nachdenken müsste, denn - sie rührte mich zu Tränen. Warum? Umso näher waren Sie mir mit Ihrem Nachwort. * EB: Unter den Gegebenheiten kommt auch das Mögliche vor. Eine Morgenlesung. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2009, S. 91-112. Friedemann Spicker: Elazar Benyoëtz und Lichtenberg. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2009, S. 113-116 An Ingeborg Kaiser, 8. Januar 2010 Nr. 64 Zu Hermann Hakel* gehört der Brief an die Hakel-Gesellschaft in „Vielzeitig“.** Hast Du Anstoß daran genommen? Kennst Du Hakel und glaubst Du, ich hätte ihn verzeichnet? Ich frage mich, aus welchem Grund und mit welchem Recht man über Personen herfällt und was damit gewonnen sein könnte. Man gibt seine Eindrücke wieder, sein Urteil ab. Auf wessen Geheiß? Warum soll der Richter der Bessere gewesen sein? Er weiß, was richtig ist. An seiner Richtschnur bleibt er auch hängen. Er spielt seine überlegene Rolle in Schwarz. Er fällt sein Urteil, verhängt die Strafe, ein Vollstrecker, vollschrecklich. Hier habe ich mit der Re- II Zeitgenossen 65 flexion begonnen, sie müsste fortgesetzt werden. Ich will weder als noch wie ein Richter gesprochen haben. Ich habe diesen Fragenkomplex mit einem Blick auf Stephan Hermlin*** erweitert. Gut möglich, dass ich diese gefälligst gefällten Urteile aus den Tagebüchern streichen werde. Hessing****, Professor für deutsche Literatur an der hiesigen Universität, ein zu vielem begabter Mensch, am wenigsten aber zur eigenständigen, feinkarierten Prosa. Seine Studien hingegen haben einen Rang, sie machen auch seine bessere Prosa aus. Er hatte ein Herz für Else Lasker-Schüler, sie nahm seinen Verstand unter ihre Fittiche, Freud zerknirschte ihn, gedemütigt ist er Vater geworden - nun sollte er Beschneidungen vornehmen, mit wem sollte er beginnen und zu welchem Ende. Alle seine Antworten fragen danach. Sein Buch über Heine***** ist so gut wie Hessing. * Hermann Hakel (1911-1987), österreich. Lyriker, Prosaist, Herausgeber und Übersetzer ** Vielzeitig, S. 169f. *** Stephan Hermlin (1915-1997), 1936 Emigration nach Palästina, nach 1949 einer der bekanntesten Schriftsteller der DDR, rechtfertigte 1961 den Bau der Berliner Mauer, gehörte 1976 zu den Initiatoren des Protestes prominenter Schriftsteller gegen die Ausweisung Wolf Biermanns aus der DDR („Abendlicht“, 1979 und 2015). **** Jakob Hessing (geb. 1944), Leiter der germanistischen Abteilung der Universität Jerusalem; vgl. Olivenbäume, S. 41f. et pass. ***** Jakob Hessing: Der Traum und der Tod. Heinrich Heines Poetik des Scheiterns. Göttingen: Wallstein 2005 An Friedemann Spicker, 13. Februar 2010 Nr. 65 Steffens schickte mir mittlerweile sein Buch*, zu dem Ihr Nachwort - auch seitenzahlenmäßig verholfen hat. Ich habe ihm gratuliert, gratuliere nun auch Ihnen. Ich kenne die neue Aphoristik nicht, habe dennoch den Eindruck, dass sie mit Steffens wieder nennenswert geworden ist. Steffens schrieb mir, er würde gern mein Büchlein „vom Menschen und seiner Ausgesprochenheit“ (in der Festschrift für Sonnemann, 1992)** herausgeben. Ich zögerte, stimmte einer kleinen, einmaligen Auflage zu. Nun muss er sich entscheiden. Gefallen hat mir, dass er darauf gekommen ist. Aber kennen Sie den Nordpark-Verlag? * Andreas Steffens: Petits fours. Aphorismen. Mit einem Nachwort von Friedemann Spicker. Wuppertal: NordPark 2009 ** Siehe Anm. zu Brief Nr. 28 66 II Zeitgenossen An Friedemann Spicker, 28. April 2010 Nr. 66 Günther* - gut, und bitte, um ihn kämpfen. Es ist ein Gebot des Anstands, nicht nachzugeben. Geben Sie nach, verfälschen Sie das wichtigste „Für“. Günther verstand so viel und so gut er verstehen konnte, und doch war es auch das wichtigste, gediegenste Verstehen: ein anderes - und darauf kommt es an - hatte es nicht gegeben. Schon allein, dass er den NDH** einen aphoristischen Anstrich gab, ist viel und wäre genug, um ihn in diesem geschichtlichen Zusammenhang zu würdigen. In dieser Zeitschrift, wie in keiner anderen der Nachkriegszeit, die lange auf dem Plan blieb, bekam der Aphorismus ein Gewicht. Man hatte ihn vielleicht nicht gesucht, wollte ihn aber finden. Er stand immer da - und nicht auf einem anderen Blatt. Er gehörte ganz natürlich zur Sache Literatur. So wollte Günther es gesehen haben. Das machte leider keine Geschichte, gehört aber zur Geschichte des deutschen Aphorismus. * Friedemann Spicker: Joachim Günther - eine Schlüsselfigur in der Geschichte des Aphorismus im 20. Jahrhundert. In: Monatshefte für deutschsprachige Literatur und Kultur 104, 2012, S. 527-553. Mit einer Bibliographie auch der Rezensionen Günthers zum Aphorismus in den „Neuen deutschen Heften“; Vielzeitig, S. 284, 289 et. pass. ** Neue deutsche Hefte. Hg. von Joachim Günther (1905-1990) An Friedemann Spicker, 17. Oktober 2010 Nr. 67 Im Ganzen bietet die Anthologie* wieder eine gute Gelegenheit, über das Phänomen „Auswahl“ nachzudenken. Manchem Aphoristiker haben Sie gut aus der Fülle herausgeholfen, bei anderen erscheint mir Ihre Hilfsbereitschaft zu groß (bei Michael Rumpf** etwa). Besonders danken möchte ich Ihnen dafür, dass Sie mir zeigen, wie gut Gabriel Laub und wie schlecht Hans Kudszus*** doch sein können. Joachim Günther ist makellos; er erscheint hier im schönsten Licht seiner Denkart. Da ist Ihnen ein Porträt gelungen. Ich habe ihn gesehen und gehört und empfand so etwas wie Sehnsucht. * Friedemann Spicker (Hg.): Deutsche Aphorismen. Stuttgart: Reclam 2012 (RUB 18695) ** Michael Rumpf (geb. 1948), Lyriker, Aphoristiker, Essayist *** Hans Kudszus (1901-1977), Journalist, Essayist, Aphoristiker in Berlin II Zeitgenossen 67 An Harald Weinrich, 3. Mai 2011 Nr. 68 Zweimal die traurige Pflicht, beide Mal ging sie mir zu Herzen: Walter Helmut Fritz, mit dem ich seit 1961 auf unauffällige Weise verbunden war*, und Friedhelm Kemp**, mit dem Du lange und intensiv verbunden gewesen bist. Für W. H. Fritz habe ich keine Adresse, ich vermisse sie, für Kemp, so fühle ich, müsste und könnte ich Dir kondolieren. Du hast oft von und für ihn gesprochen, immer mit Sympathie und gebührendem Respekt. Als wir uns das letzte Mal sahen, hast Du mir noch seine Integrität in der Nazizeit bestätigt. Lieber Harald, Dein Freund, ein wichtiger Teil Deines „München“, ist nun von Dir weggegangen, ein ziemliches Stück von Dir, weil auch „romanistisch“ erheblich - und überhaupt: wie viele Kemps gibt es in einer Generation? Vor Jahren sagte ich Dir, man müsste ihm ein Denkmal setzen, so hoch schätzte ich ihn: als Lektor, Editor, Übersetzer, als Leser, auch als Sammler. Er hatte ja „alles“, und hatte ich, was er nicht hatte, zum Beispiel Däublers „Nordlicht“ in der Florentiner Ausgabe, dann war sie gewiss „nicht bedeutend“ genug, um sie besitzen zu müssen (immerhin 600 Exemplare-…). Jetzt teile ich mit Dir die Trauer um ihn, der hoch in die Jahre kam, ein großer Liebhaber der Poesie, ein Nichtautor, der seine Mitstreiter (Hohoff*** und Holthusen****) um vieles, in vielem überlebte. Er hat nicht gedichtet, nur geleistet, und es war Poesie, ohne Dichtung zu sein. Das ist das Phänomen Friedhelm Kemp. Friedhelm Kemp, ich fühlte diesen Namen immer bedeutend über meine Lippen gehen. Ich weiß nicht, ob er zum Lieben war, ich habe es vielleicht versucht, aber zu großem Erfolge habe ichs mit ihm ohnehin nicht bringen können, er hatte allerlei gegen mich einzuwenden - bei einer gewissen Achtung, die er sich nicht verkneifen konnte. Ich werde ihn vermissen, so wenig ich von ihm auch hatte. Das muss ich Dir sagen - und schreiben, denn Du hattest nicht wenig von ihm. Meine Korrespondenz mit Kemp erstreckte sich über dreißig Jahre (1960-1990) und war eher dürftig, weil nur meinerseits erwartungsvoll, hier ein Beispiel: Jerusalem, den 30.8.1990 Lieber Herr Kemp, Dank für Ihren Brief und für Ihre Bereitschaft, mein Experiment zu betrachten. Es erfordert Kritik, ist sie hoffentlich auch wert. Ich denke: Wäre ich meiner Sache sicher, ich suchte Ihre kritische Weite nicht auf. So muss ich mich damit nicht weiter zieren, und Sie brauchen keineswegs zimperlich zu sein. Vor hundert Jahren, am 19. Juli 1890, nach dem Tode Gottfried Kellers, schrieb Conrad Ferdinand Meyer an Julius Rodenberg: 68 II Zeitgenossen „Obwohl ich mit ihm nicht in nähern Verhältnissen gestanden, geht mir die Sache doch nahe, auch ganz abgesehen von seiner literarischen Größe, wegen seiner innerlichen Liebenswürdigkeit; deshalb würde ich mich gar nicht wundern, wenn in seinem Nachlass etwas Unangenehmes für mich zum Vorschein käme - ich verzeihe es im Voraus.“ Es ist ein merkwürdiges Wort: „ deshalb“ - im Anschluss gerade an die „ innerliche Liebenswürdigkeit“. Ihre innere Liebenswürdigkeit, lieber Herr Kemp, wird deshalb ohne Abstriche fortbestehen, und ich müsste Ihnen, wenn Ihre Lektüre Unangenehmes für mich zeitigt, nicht einmal im Voraus verzeihen. Noch lebe ich und werde mich verteidigen können. Das Beste, was Sie mir bieten können, ist kritischer Widerstand. Dafür wäre ich Ihnen dankbar. Auf Ihre Kritik, fiele sie sehr hart aus, würde ich vielleicht erwidern mögen, und wenn es dann zwischen uns Funken gibt, darüber freuen wir uns sicher nur. Dies freilich gilt ganz und gar nur hinsichtlich „Ihres Verhältnisses zu manchem“, was ich schreibe, das „ gelegentlich problematisch ist“, wie Sie sagen; nicht gilt es ganz und gar bezüglich „der Art, wie ich schreibe“. Wäre diese doch nur anfechtbar - ich selbst stehe mit ihr auf Kriegsfuß. Aber „wer spricht von Siegen-…“, und wenn auch Sie meine Art angreifen wollten, was wäre damit gewonnen? Es sei denn, Sie wollen mir eine bessere vorspielen oder vorschreiben, die ich mir so gut aneignen könnte, dass aus ihr wiederum ein Werk hervorginge, darin ich mich, den Anfechtbaren, erkennen kann. Ich würde darum vorschlagen, dass Sie alles, was Ihnen an meiner Art missfällt, ohne Rücksicht rot oder dick im Manuskript streichen. Ich werde es schon verstehen und sehen, was mir zu verantworten bleibt. Eitelkeit ist in diesem Manuskript zum Stilprinzip erhoben, das Zitat auf seine Spitze getrieben; dass „ein Wort das andere gibt“, ist das Auffallendste, wenn auch als der Weisheit letzter Schluss nicht ohne weiteres erkennbar. * Siehe Verzeichnis der Briefpartner(innen); vgl. EB: Die Rede geht im Schweigen vor Anker, S. 39 ** Friedhelm Kemp (1914-2011), Literaturwissenschaftler, Schriftsteller und Übersetzer; Vielzeitig, S. 16 *** Curt Hohoff (1913-2010), Literaturkritiker und Essayist **** Vgl. Anmerkung zu Brief Nr. 54 II Zeitgenossen 69 An Werner Helmich, 6. November 2011 Nr. 69 Ich habe etwas Absurdes, wohl auch Sträfliches unternommen, ob Sie bereit wären, darüber kurz nachzudenken, mir ein Wort zu sagen? Vermochte ich eine echte Stimmung zu erzeugen? Lassen sich beide Stücke zusammendenken (muss nicht sein)? Weil Sie es unbefangen (und ohne Rücksicht auf mich) lesen sollen, erfahren Sie von mir nichts Näheres, aber dann! Wieder auf dem Wüstenpfade reitet der Jahrtausendgeist Wenn sich der Pfad vor deinem Fliehen engt, wenn sich der Pass vor deinen Augen schließt, welch ein Weg beginnt vor deinen Füßen! Gen Abend liegt das Totenreich im Meer, dort hausen Tote ganz im Schein des Lebens. Abgründlich droben tut sich sternlos auf nordlichterhelltes Nichts. Wer durfte wandeln Dich zur Aschensaat? --------------- Wer sagts dir an, was du gesehn? Kein König kann seine Träume deuten, wie sie auch ihn siebennächtlich quälen. Er muss doch den jungen Seher rufen, der allein die Magier beschämt. Horchen muss er der grausen Deutung und den Deuter töten, auf dass sie sich erfüllt. Wer herrscht, erblindet. wer schaut, verfällt dem Schwert. Falsche Versöhnung streitet wider Gott. Zusammengeflickt aus Ernst Bertrams „Nornenbuch“, 1925- Von Werner Helmich, 7. November 2011 Nr. 70 Lieber Dichter, ja, Sie sind hier ganz Lyriker und kein Spruchdichter; mir war, auch ohne Ihre frühere hebräische Dichtung zu kennen, immer klar, dass Sie mehrere Saiten auf Ihrem Bogen haben. Der Ton gefällt mir, auch als Diptychon (auch wegen 70 II Zeitgenossen der weitgehend parallelen Metrik). Ist der metrische Bruch in „die Mágièr bescháemt. Hórchen múss er“ an der Satzgrenze (keine Senkung) gewollt? Ich könnte mir’s vorstellen. Mir fiel er nur wegen der ansonsten durchgehenden Blankversstruktur besonders auf. War ich Kritiker genug? An Werner Helmich, 7. November 2011 Nr. 71 Lieber, abenteuerlicher, geneigter und entzückender Kritiker, Sie haben sich kühn auf ein Abenteuer eingelassen, das schwere Folgen haben könnte (müsste), theoretische und moralische. Ich habe Sie gelegentlich schon heranzuziehen versucht, mit geringen, aber offenen Karten. Die heutigen Karten lagen Ihnen nicht offen vor, ein Eröffnen folgt auf Wunsch, dann teile ich Ihnen eine Seite dazu aus meinem Tagebuch mit, doch muss ichs erst Helmich-würdig gestalten, wiewohl nicht entstammeln, denn mitunter zittert meine Hand dabei. An Werner Helmich, 8. November 2011 Nr. 72 AUF BIEGEN ODER BRECHEN ODER FEINDE AUS ERZ Mit dem Zitieren beginnt das Gegenwerk Kosal Vanít ------------------------------------------------------------------------------------ Wieder auf dem Wüstenpfade reitet der Jahrtausendgeist Wenn sich der Pfad vor deinem Fliehen engt, wenn sich der Pass vor deinen Augen schließt, welch ein Weg beginnt vor deinen Füßen! Gen Abend liegt das Totenreich im Meer, dort hausen Tote ganz im Schein des Lebens. Abgründlich droben tut sich sternlos auf nordlichterhelltes Nichts. Wer durfte wandeln Dich zur Aschensaat? Ernst Bertram, „Das Nornenbuch“. 1925 II Zeitgenossen 71 --------------- „Nie wusstest du was hinten und was vorne, Rülpsen des Augenblicks schien dir Raun und Norne. Warst lang bereit fürs braune Miss-Geschick, uns kennend, zischtest du vom ›Rattenblick‹. Schriest von der ›Großzeit‹, aller Zeiten Ernte, die Zeit wars, wo man Juden gelb besternte, wo man, gewiss, den Erdball zu erbeuten, die Bücherreihn bezog mit Judenhäuten-… O, auch dein Quantum Auschwitzasche bekamst du, dass man schwärzere Kirschen nasche, mit Düngerfolg den Führer überrasche.“ Karl Wolfskehl, An E[rnst] B[ertram] (unveröffentlicht) Schwarze Segel wachsen auf der Welle Wer sagts dir an, was du gesehn? Kein König kann seine Träume deuten, wie sie auch ihn siebennächtlich quälen. Er muss doch den jungen Seher rufen, der allein die Magier beschämt. Horchen muss er der grausen Deutung und den Deuter töten, auf dass sie sich erfüllt. Wer herrscht, erblindet. wer schaut, verfällt dem Schwert. Falsche Versöhnung streitet wider Gott. Das ist eine Fälschung, ein nicht zu überbietender Frevel. Ernst Bertram, der Bonner „Bücherverbrenner“, Verleugner seiner Freunde - gegen den Karl Wolfskehl eine Empörung schrieb in Versen, die in wenigen Zeilen großmächtig sind (darum sage ich eine Empörung, nicht eine Dichtung). Bertram war ein sich auch poetisch germanisierender Deutscher. Menschlich kann ich ihn nicht beurteilen, ich kenne ihn zu wenig, kenne seinen Mythos-Nietzsche, seinen Briefwechsel mit Thomas Mann, kleinere Studien über Kleist, Stifter, nicht als Dichter. In meiner Jugend, als ich Deutsch zu lesen begann, mit dem Verstehen aber nicht weit war, habe ich „Das Nornenbuch“ bei Nissim in Tel-Aviv gekauft. Die Ausgabe gefiel mir, der Einband, das Papier 72 II Zeitgenossen - Insel-Verlag 1925, stockfleckig. Der Titel nornig, raunig, mir unverständlich. Ich führte es heim, wie ein Geheimnis fürs Leben. Nun habe ichs zur Hand genommen, aufgeschlagen - bin auf die Abschrift eines frühen Gedichts von mir gestoßen, auf Firmenpapier des Rabbi Kook Instituts getippt, demnach war das Buch 1959 bereits in meinem Besitz, ich werde auch versucht haben, aus ihm Inspiration zu schöpfen. Davon findet sich bei mir (nun auch in der Erinnerung) keine Spur. Es sind mehr Gedichte von Bertram als Gedichte. Sie wiegen nicht schwer, wiegen nichts auf, sie sind gewichtig. Gebärde, Grimasse: „Er stirbt und sinnt noch immer: / Solch eine Rune steht ihr im Gesicht.“ (Hebbel, Die Nibelungen: Der gehörnte Siegfried) Mehr Orakles denn Siegfried. Weizenhaar des Kindes, Blauaug des Mannes, eisiger Norden, männlich, mannmännlich Er schwingt die Keule Gegen die nordhoch Fliehende Frau Für Wolfskehl warʼs ein Rülpsen, er wird gewusst haben, was er sagt, er hatte das blinde Aug des Sehers. Dieses Wissen gilt jenseits der Gerechtigkeit. Es gibt eine strafende und sträfliche, eine sündhafte und sühnende, eine triumphierende und eine zerknirschte Dichtung, aber keine gerechte. Das „Nornenbuch“ ist auch im poetischen Sinn nicht Bertrams wichtigstes Buch, viel bedeutender scheinen seine aphoristischen Dichtungen zu sein (ich kenne sie nur aus Spickers Wälzer*) und sein Nietzsche**. Er hatte etwas zu sagen, immer auf einer Leiter stehend, hochgreifend, während seine Seele sümpfelte. Er war von Rang und hatte kein Niveau - so wie viele Nazigelehrte aus Kaiserzeiten. Er wusste, wo der Dichter wohnt (sagen wir, Stefan George), entschied sich aber für die Norne. Sein Auge streifte den Süden, die Stifter-Forschung weist einige Bertram-Streifen auf. Mit seiner Dichtung ist nicht viel zu wollen, manches hat in sich einen künstlichen, gestelzten Zauber, doch im Germanischen und Germanisierenden gab es eben Größere. Nichts zu wollen, aber - auf Wolfskehl hin - vielleicht doch etwas zu machen? Das Nornenbuch lesend, die Olivenbäume im Hintergrund, kam mir der Gedanke, aus dem Nornenbuch eine „Antwort“ auf Wolfskehl, auf Vertreibung und Mord der Juden vorwegzugeben. Unter dem mich lange beschäftigenden Motto: „Mit dem Zitieren beginnt das Gegenwerk“. Es gehört dazu die Frage, ob man in der Poesie Gott spielen - seine Worte in Bileams Mund legen dürfe, dem zum Fluchen Bestellten Segenssprüche auf die Zunge schmieren. Zitieren wir Bileam oder Gott? Ja, was zitieren wir überhaupt, II Zeitgenossen 73 wenn wir zitieren? Nicht alles, was uns entgegenkommt, steht uns zur Verfügung. Auch umgekehrt. Wir haben die Wahl, solange wir nicht gewählt haben. Damit verbunden ist der große Fragenkomplex „Fälschung“; es wird Ihnen nicht entgangen sein, dass mich diese Frage besonders in den letzten Büchern beschäftigt, beunruhigt wohl auch, weil ich Fälschung betreibe. Ich kann nichts unverändert lassen, Berühren heißt schon Verändern. Für mich ist alles Dichtung, und Dichtung - ein reißender, mitreißender Strom. Ich nenne es so, man kann es auch anders nennen, gut anders. Ich verlasse aber nie Boden und Himmel der Poesie, ich sage nicht Land, ich sehe nicht Land. Wie reagiert die Dichtung, wenn sie poetisch bleiben will, da alles Poetische verpönt ist? Ich will Zeitgenosse aller Zeiten sein - aber nicht „Zeitgenosse“. Ich muss viel experimentieren, abweichen, ausweichen, vornehmlich in diesem Sinn. Alles Deutsch-Jüdische, das ich für mein Teil mit „Treffpunkt Scheideweg“ erledigt zu haben meinte, ist nicht in allen möglichen Formen erledigt. Doch wollte ich nicht mehr gesagt haben. Also lasse ich andere sagen, wie Gott Bileam sagen ließ. Doch bin ich nicht Gott und will diese Rolle nicht spielen, nur vertreten, ja sogar verantworten: Ich lege kein Wort von mir in den Mund Bertrams - es sind alles seine Worte, von mir ausgesucht, zusammengebunden - und ihm wieder auf die Zunge gelegt. Das alles sage ich jenseits des Gelingens, auch bleibt meine Intention nicht eindeutig. Warum Bertram? Nicht nur der Anregung Wolfskehls folgend. „Treffpunkt Scheideweg“ war grundlegend, für mich selbst bahnbrechend. Zu den schwersten Aufgaben damals gehörte das Prüfen der Namen - auf Herz und Nieren. Den Boden der Poesie nie verlassend, musste ich mich, bei aller Poesie, der Geschichte stellen. Das tat ich zitatweise, die Zitate, an Namen gekettet, mussten gesichtvoll werden. So bekam ich die Gesichter zu sehen, viele Namen sind dabei hinfällig geworden. Manche Namen habe ich mir verbieten müssen (die Berühmten meide ich aus anderen Gründen). Kommen sie vor, hat sie die Not, habe nicht ich sie gerufen. Nun nehme ich mit den kommenden Büchern Abschied - wie es sein soll, nicht wie es sein muss. Mein Gefühl, das mit „Treffpunkt Scheideweg“ nicht erledigte, sagte mir - laut wurde es gegen Ende der „Olivenbäume“ -, dass ich den ausgeschlossenen Todfeind wieder einschließen müsste, sonst ginge meine Rechnung (Poesie und Leben in einem) nicht auf. Wieder geprüft, Rang und Schattierung in Rechnung gebracht, steht er nun in meinem letzten Buch, mit Namen: Gottfried Benn, Ernst Bertram, Carl Schmitt. „Falsche Versöhnung streitet wider Gott“, sagt Bertram, ich treibe keine falsche Versöhnung, aber ich besinne mich auf die Rolle des Todfeindes in meinem gelebten Leben, mit dem ich mich versöhnen soll. 74 II Zeitgenossen Ich wollte Ihnen eine Ahnung vom Umkreis des bei mir Gedachten geben, ich habe wenig gesagt, mehr angedeutet, wir werden darüber weiter sprechen, jedenfalls Sie bei sich und ich bei mir. Einiges davon sehen Sie klarer, wenn Sie das Buch bekommen haben, meine Methode geht über Bertram hinaus, sie betrifft z. B. auch Mombert, der am Anfang des Buches steht (hebräisch erstreckt sie sich über die Psalmen). Ich destilliere Gedichte auch aus nüchterner Prosa. Ich meine: Die Toten werden nie die Toten begraben, das tun die Lebenden, die den Tod auch feststellen müssen. Ich gehe suchend und lauschend über Leichenfelder. Was ich Ihnen hier „verrate“, werden Forscher erst in Jahren herausfinden, nicht nur, weil Bequemlichkeit und blinder Glaube sie daran hinderten. Ja, wer wollte mir eine Unredlichkeit unterstellen. Doch jenseits von Moral und Rhetorik hat Poesie ihre bestimmte Unredlichkeit. Also gäbe es bei mir viel zu prüfen, zu vergleichen, zusammenzudenken und auseinanderzuhalten - dem Zitieren neue Dimensionen erschließend. Zeilen zeugen gegen ihren Erzeuger, im gleichen, vertrauten, unverwechselbaren Ton, echt, nicht nachgeahmt - das Parodistische ausschließend, eine Willkür zum Vorschein bringend. Eine Grenze gebe ich zu: Mit Lebenden lässt sich das nicht machen, sie bleiben - und nicht nur urheberrechtlich - geschützt und unantastbar. So muss es sein, mit der Vergangenheit aber doch auch anders werden, sonst bleibt die Poesie um diese Möglichkeit verkürzt. Was bei mir steht, soll bei mir nicht stehen bleiben, es mache jeder daraus sein Bestes. * Friedemann Spicker: Der deutsche Aphorismus im 20. Jahrhundert. Spiel, Bild, Erkenntnis. Tübingen: Niemeyer 2004, S. 320-328, 454-456 ** Ernst Bertram: Nietzsche. Versuch einer Mythologie. Berlin: Bondi 1918 Von Werner Helmich, 9. November 2011 Nr. 73 Also: Eine Überraschung war es schon für mich. Ich hatte beide Texte für (parodistische? da war ich mir nicht sicher) Rollenlyrik aus Ihrer Feder gehalten, ohne den Anlasstext zu kennen; nehmen Sie es als Bestätigung, dass Sie im zweiten den Ton des ersten, fremden getroffen haben. Dann habe ich erst einmal die Bileam-Erzählung* nachgelesen, um Ihre Bedenken überhaupt zu verstehen. Dann werde ich noch einmal „Treffpunkt Scheideweg“ lesen, um zu ahnen, wo Sie jetzt weitermachen. Das Verfahren ist gut und notwendig (für Sie und für die Schmachgeschichte der deutschen Literatur), aber: Wie hermetisch wollen Sie es halten? Wenn Sie Bertram, Mombert (und Wolfskehl) nur in Ihrem eigenen Zitatentext (einem Cento, so nennt man wohl in der älteren Tradition diese Form) durchklingen lassen, also ohne direktere Entschlüsselungshilfe, bin ich nicht II Zeitgenossen 75 sicher, dass die Germanistik je draufkommt - was aber auch nicht viel ausmacht: Der kluge Leser riecht da vielleicht etwas von einem zweiten Text, der darunter verborgen ist (Palimpsest sagt man heute gern metaphorisch), auch ohne ihn punktuell zu kennen. Andererseits, und das ist viel wichtiger: Soll denn des Bertram-Texts als solchen überhaupt gedacht werden? Da kommt eben alles darauf an, wieweit sich ein Zitate-Cento, ohne ein eigenes Wort einzufügen, selbst decouvriert. Spielen Sie weiter, mit allem Ernst, der dazugehört. Mehr Brosamen als diese Ermunterung habe ich nicht, brauchen Sie auch gar nicht. * 4 Moses 22-24 An Werner Helmich, 9. November 2011 Nr. 74 Ein Wort (mehr) zu Recht - kein Wort zuviel? Es ist ein quasi wissenschaftliches Buch, und dass es leicht verwirre, gehört zum Programm. Engen wir die Wissenschaft auch ein, wäre denkbar - für mich auch dankenswert, dass ein gediegener Germanist sich vor den Kopf gestoßen fühlte oder sich kundig machte. Wolfskehl trommelt auf Bertram herum, das ist nicht zu überhören, doch bleibt Bertram nicht stumm, was sagt er? Er sagt, was man nicht vermuten oder gar erwarten würde. Das ist zu wenig, mag sein. In einem Werk, das auf Andeutungen gründet und der Winke voll ist, muss es genügen. Ich habe nichts zu sagen, ich stehe hinter meinem Wort, auch wenn es Bertram heißt. Einzig die Sprache und die Namen haben das Wort. Erklärungen stünden diesem Verständnis im Wege. Man wird sich Rat wissen oder gleichgültig daran vorbeigehen. Indes hatte Wolfskehl das Wort, das in meinem Olivenhain weder zum Sang noch zum Klang gekommen ist. Wolfskehl, ein sich ebenfalls stolz germanisierender Dichter, steht für den weitesten Weg: von Palästina - über Rom und Rhein - bis Neuseeland. Mir liegt der Prachtband, in Halbpergament, vor: „Älteste deutsche Dichtungen. Übersetzt und herausgegeben von Karl Wolfskehl und Friedrich von der Leyen. Im Insel Verlag Leipzig 1909“. Ich habe es für die „Sandkronen“ verwendet. Die Namen, dynamisch zu nehmen. Nehmen Sie das Glatteis südlich, die Sonne bringt Vertrauen und Zuneigung an den Tag, etwas Spiel gehört ja auch dazu. Es ist nicht alles Bärenernst, nicht alles beerenstachlig. 76 II Zeitgenossen An Werner Helmich, 23. November 2011 Nr. 75 Großen Gebärden „in eigener Sache“ misstrauend - bei Nicolás Gómez Dávila wie bei mir, glaube ich nicht, dass seine Behauptung fruchten könnte: „Das Fragment umfasst mehr als das System“. Es ist mehr Aufsicht denn Einsicht. Aber - dies meine Frage - ist mit „umfassen“ die richtige Bewegung übertragen? Das Fragment ist zwar kein Torso, doch sehe ich „es“ nicht mit ausgestreckten Armen, um-fassend. Umfassen, umfassend sein, ist gerade der Wunsch des „Systems“ (des Systematikers). Von Werner Helmich, 28. November 2011 Nr. 76 Ich teile Ihre Bedenken bei „umfassen“, habe aber auch keine Lösung parat. „Intueri“ würde man im Lateinischen wohl sagen, das gehört zum Bildbereich des Schauens und der plötzlichen Einsicht, also mit einem Blick, punktuell das Wesentliche erfassen. An Friedemann Spicker, 10. Februar 2013 Nr. 77 Ich freue mich, dass Ihr Günther-Aufsatz endlich erscheinen konnte,* ich habe ihn ja schon einmal gelesen, doch hätte ich ihn gern bei mir. Über alles, was in mir erwacht, wenn Sie „Günther“ sagen, sollte auch ich einmal schreiben. Manchmal empfinde ich etwas wie Liebe, und dabei gab es eine ziemliche Strecke von Abneigung zwischen uns; wir haben sie beide überwunden. Aber nach so vielen Jahre, nun selbst ein eher alter Mann, von Gefühlen zu sprechen, die auch noch schwer zu entwirren sind? Es lohnte sich dennoch, über das Nachwachsen eines verkannten Gefühls nachzusinnen. Merkwürdig: Ähnlich ergeht es mir beim Stichwort „Hans Weigel“**. Bei aller Sympathie, die uns augenblicklich verband, hatte ich seine Gegenwart als massiv und etwas grob empfunden, aber seit einigen Jahren erblüht mir seine Nähe, die ich erfolglos zu greifen versuche. Sie sehen, was da alles erwacht - und alles ist noch nicht alles! Ungewollt kam ich auf beide Kritiker zu sprechen, die meine Anfänge gutherzig begrüßten. Es war übrigens Weigel, der mich an Günther empfohlen hatte. In der Aphoristik tauchten Günther und ich fast gleichzeitig auf, waren eigentlich Rivalen, mir gegenüber hatte er sich als Kritiker und Gentleman bewährt. Neuerdings fiel mir sein Aphorismenband (mit Widmung) in die Hand, ich fragte mich, ob ich das wieder lesen soll, ich tat es nicht. Es wäre, sagte ich mir, ein Luxus, wenn ich darüber nicht auch gleich schreiben wollte. Und zum Schreiben will es nicht II Zeitgenossen 77 kommen, auch meine Aufzeichnungen legte ich beiseite. Keine Lust, sie fortzusetzen, die Arbeit macht mir Mühe, keine Liebesmühe. * Vgl. Anm. zu Brief Nr. 66; Johann Siering (d. i. Joachim Günther): Rez. Benyoëtz, Einsätze. In: Neue Deutsche Hefte 22, 1975, S. 629-630; Rez. Benyoëtz, Eingeholt. In: Die Zeit, 6.4.1979, dann in: Neue Deutsche Hefte 26, 1979, S. 600-603 ** Vgl. Vielzeitig, S. 279f., 298 An Jutta Czeguhn, 24. Juni 2013 Nr. 78 Annette Kolb hört nicht auf, mich zu begleiten und mir bedeutend zu sein - auch in ihrem unverwüstlichen Stil, der mir als Erinnerung über Jahrzehnte langsam auf der Zunge zergeht. „Torso“ hieß die erste Kolb-Prosa, die ich zur Kenntnis und zu Herzen nahm - vor knapp 60 Jahren.* Diese Prosa bestimmte auch meinen Blick auf ihr Erscheinungsbild. Sie war nicht nur älter als alt, sie war urtümlich uralt. Auf dem alten Pergament ihres Gesichtes stand für mich ihre ätzende, muntere, schlagende, nicht handfeste Prosa. Bayerin durch und durch, Pariserin mehr und mehr, schrieb sie ihr Deutsch in vier Sprachen: Bayrisch, Französisch, Italienisch und nicht zuletzt Englisch. Das wäre vielleicht eine Basis für eine neue Betrachtung ihres Stils. Sie selbst war eine Metropole von Bekanntschaften und Erinnerungen, wir gingen durch sie wie durch Straßen, unterwegs klopften wir an vielen Türen, und alle öffneten sich. Wie sie war? Mutig, kühn, abenteuerlich, rastlos, ungeduldig, aber täglich am Klavier, und bei guter Gelegenheit Karten auslegend. Waren meine Karten schlecht ausgefallen, lags an den Karten, sie mussten wieder gemischt werden. Sie lebte im Glauben und in schlechter Erinnerung ihrer Klosterschule. Ab und zu begleitete ich sie in die Kirche, sie sagte: Ich bin gläubig, aber nicht fromm. Meine Aphorismen über den Glauben hat sie beherzigt. Sie konnte gleichzeitig Dickschädel und Kindkopf sein. Wir waren oft, gern und lange zusammen, auch wenn sie zwischendurch einnickte. In einer ihrer Widmungen heißt es: „Dem wilden Hebräer von seiner christlichen Schwester“, mit „christlich“ meinte sie „sanft“ im Gegensatz zu „wild“. Aber die „christliche“ war mir recht, denn sanft war sie nicht, aber eine Schwester - durch dick und dünn. Ich glaube nicht, dass ich von ihr das Wort „Heimat“ je hörte, mir ist, als hätte es zwischen uns auch keinen Erwähnungswert. Wir standen ganz in der Geschichte, deren letzte Phase eine unselige und unglückliche war. „Haimat“ [! ] war in jenen Jahren noch Synonym für „Blut und Boden“, sie kam von Amerika nach Paris zurück, war stolz auf ihr Foto mit de Gaulle und mochte gern an das vereinte Europa denken. 78 II Zeitgenossen Ob sie sich in München wohlgefühlt hatte? Das lässt sich mit Sicherheit nicht sagen, ein Mensch hohen Alters fühlt sich schon in seinen Tagen nicht glücklich. Sie kam nicht aus ganz freien Stücken zurück, sie lebte in einer gewissen Not, aus der ihr Joseph Breitbach heraushelfen wollte und herausgeholfen hat. Sicher nicht er allein. Annette Kolb hörte nie auf, von Sami Fischer als Mäzen zu sprechen. Die Verbindung zum Verlag blieb alle Jahre eng und warm - mit und ohne Veröffentlichungen. Händelstr. 1 in Bogenhausen war indes ihre letzte Adresse, und es war ihr klar, dass es auch ihre letzte Station sei. Damit sollte sie sich abfinden, das konnte sie nicht. Ob Heimat oder nicht - ihr Bruder Paul lebte in München und war da, gute Geschwister waren sie. Und dann das große Freundesnetz, die Ehrungen, die Sprache um die Ohren, war Deutsch doch der Sprachrest, der ihr für ein letztes Schreiben blieb. Ihre Handlungen, auch die launischen, waren immer charakteristisch, meistens charaktervoll. Es gab eben nur eine Annette Kolb, und die, welche ich kannte, war die ihr Ähnlichste. Ich trauerte ihr lange nach, am Ende der Trauer lebt sie eben noch. Annette Kolb war um Ehrlichkeit bemüht, und ihre letzte Reise - nach Israel - bekam einen unehrlichen Anstrich, da man sie als Pilgerfahrt herausstellte, was sie nicht war. Ich weiß es nicht besser, aber genau, weil ich diese Reise für sie organisierte - gegen das (echte und falsche) Bangen einiger Freunde. Nicht alle, die hoch in die Jahre kommen, werden senil; Rücksicht ist immer geboten, Unehrlichkeit und Missbrauch nicht. Man wird nicht uralt, um sein Wort gebrochen zu bekommen. Annette Kolbs letztes Wort, an mich geschrieben, lautete (München, 15. VII. 1967): „Dein Land ist schon mein Land geworden.“ * Annette Kolb: Im Jahre 1905 beschrieb sie in der autobiografischen Erzählung „Torso“ ihre Begeisterung für Richard Wagner. Die Hauptfigur Marie durchläuft, wie Annette Kolb, eine verstörende Schulzeit im Klosterinternat. An Stefan Kaszyński, 4. Juli 2013 Nr. 79 Ich dachte gestern, es wäre womöglich eine kleine List der Geschichte, damit wir miteinander in Kontakt kommen, denn in Gedanken - in geistigen Räumen - habe ich Sie schon öfter gesucht. Warum? Die indirekte Antwort liegt in Ihrem Satz „Ich glaube nicht, dass St. J. Lec eine Weltkarriere gemacht hätte ohne die Sprachkunst von Dedecius.“* Dagegen ist kein Wort zu sagen, nichts spräche dagegen, alles dafür - doch: wofür genau? Man müsste sagen: Für Dedecius, für seine Sprachkunst. Das würde ich sagen, nicht gesagt haben wollen. Das betrifft die vom Deutschen ausgehende „Weltkarriere“, nicht die vom Polnischen ausgehen sollende! Lec ist ein deutscher Aphoristiker geworden (vielleicht zur Freude des Auch-Wieners in ihm), er ist und bleibt ein polnischer, und sein Name steht II Zeitgenossen 79 für das überwiegend Polnische in der Aphoristik seiner Zeit, die weitgehend verkommen, wenn nicht bereits verlassen war. Dedecius steht für den Doppelblick, gleichfalls einmalig in der Zeit, und Sie, als Dritter, entscheiden die Lage. So sehe ich Sie, so glaube ich Sie verstanden zu haben. Denn es war Ihr Vorhaben, österreichisch darüber - mit einem polnischen Blick oder einem Blick aus Polen - zu entscheiden. Mir fällt dabei ein Name ein, den Sie - würden Sie nicht mit ihm vertraut sein - zu Herzen und zu Forschung nehmen könnten: Otto Forst de Battaglia**. Warum ich an ihn denke und warum in Zusammenhang mit Ihnen - demnächst. Sie haben vielleicht schon selbst daran gedacht. * Karl Dedecius (1921-2016): Übersetzer polnischer und russischer Literatur, Gründungsdirektor (1979-1997) des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt ** Otto Forst de Battaglia (1889-1965), österreichischer Historiker, Übersetzer, besonders polnischer Literatur, Literaturkritiker Von Stefan Kaszyński, 4. Juli 2013 Nr. 80 Lec, ein alter Galizianer, war in den vierziger Jahren Pressereferent an der polnischen Vertretung in Wien. Er hatte schon damals Gedichte und Aphorismen geschrieben. Ein mir gut bekannter Schriftsteller und Übersetzer, Oskar Jan Tauschinski, der mit Lec befreundet war, hatte versucht, für diverse Wiener Zeitungen einige seiner Aphorismen zu übersetzen. Die Übertragungen waren stilistisch und semantisch einwandfrei und doch wurden sie kaum beachtet. Erst als der erste Band von Dedecius erschienen ist, wurde Lec im deutschen Sprachraum berühmt. Woran lag das? Von der intellektuellen Qualität der Aphorismen abgesehen, sicherlich am Zeitpunkt, aber doch nicht nur. Dedecius hatte genial die ironische Aura (W. Benjamin) von Lec getroffen, alles andere gehört zur Technik des Übersetzens, die man lernen kann, die Nachempfindung der Aura aber nicht, das ist eine Sache des Talents. Dedecius war von seiner Genialität fest überzeugt und hatte demnächst ganze Anthologien von Lyrik und Aphorismen selbst übersetzt, damit hatte er seine auratische Begabung entzaubert, denn alle Gedichte- oder Aphorismen verschiedener Autoren aus fünf Jahrhunderten-waren zuerst Dedecius und später Tuwim, Herbert, Lec oder Mrożek. Und Lec, der war auch ein ausgezeichneter Lyrikübersetzer (Brecht, Celan, Bachmann), er hatte aber niemals fremde Aphorismen übersetzt, die hatte er eher imitiert. Einiges bei ihm kommt von der Ebner, von Kraus oder Lichtenberg. Canetti hat dazu einen Aphorismus gemeistert. Wie dem auch sei, Ihre Unruhe ist durchaus berechtigt, und ich möchte sie Ihnen auch nicht abnehmen. 80 II Zeitgenossen An Stefan Kaszyński, 5. Juli 2013 Nr. 81 Immerhin war Lec die Geburtsstunde des Dedecius. Das kann man sagen. Wie oft? Wie war das persönliche Verhältnis der beiden zueinander? Wirkt Lec beim Wegfallen des politischen Hintergrunds, was bei ihm allerdings mehr war als nur Hintergrund - je nach Gewebe: ob fein oder grob, ob eingefädelt oder verstrickt? Was mir - in der notwendigen, aber auch zwanghaften Vergleichung - zu schaffen machte, war, dass Lec als deutscher Klassiker galt. Man wusste, woher er kommt und wusste vieles mehr - es half nichts, denn sagte man auch „Dedecius“, meinte man doch Lec. Also galt seine Aphoristik als deutsches Sprachkunstwerk, er wurde als deutscher Meister rezipiert. Die Aphoristik hat zweimal die Realität bezwungen, einmal kritisch, einmal sprachlich. Und gerade im Deutschen, das ganz auf die / oder auf der Abwehr des Ostens bestand. Das ist eine besondere Stunde gewesen, und diese holt auch Willy Brandt in die Geschichte des Aphorismus. Das war die Stunde des Ostens im Westen, ein Augenblick, ein Nu in nuce. Canetti kam danach oder hinzu. Keiner, der kam, vermochte an Lec vorbeizugehen. Sie denken, das habe mich beunruhigt, das hat es, denn ich war allerdings um ein deutsches Sprachkunstwerk bemüht und wäre beinahe gescheitert. Das wäre der Fall, wenn ich nicht bei Hanser erscheinen könnte. Und ich konnte zuerst nicht - denn - so hieß es - „wir haben den Lec bereits“ (das galt schon als Argument). Zum Glück gab es im Verlag Christoph Schlotterer, der den Unterschied zu erkennen und genau auszusprechen vermochte. Lec wäre mir um ein Haar zum Verhängnis geworden. Und so gar nicht zu Recht, denn er war ein Meister aus Polen, aber kein Meister aus Deutschland. Und dennoch korrespondieren wir so viele Jahre danach über diesen sonderbaren, doch auch erheblichen und erhebenden Fall. Das gehört zum Lohn der Literaturliebhaber. Von Stefan Kaszyński, 5. Juli 2013 Nr. 82 Ich stimme mit allem, was Sie geschrieben haben, überein, mit einer Ausnahme. Die Geburtsstunde von Dedecius war die Lyrikanthologie „Lektion der Stille“ (1957)*. Das hat er so gesehen, und Göpfert** vom Hanser Verlag hat mir das bestätigt. * Karl Dedecius (Hg.): Lektion der Stille. Neue polnische Lyrik. München: Hanser 1959 ** Herbert G. Göpfert (1907-2007), Verlagsleiter des Hanser Verlages II Zeitgenossen 81 An Stefan Kaszyński, 5. Juli 2013 Nr. 83 Göpfert weiß es genau, jedermann besser. Es geht nicht um die Anfänge des Begabten - das ist Lebens- und Literaturgeschichte, es geht um das fragwürdige Wesen, das behauptet wird: heute wie gestern, wenn die Zukunft sich die Erinnerung aus Jux vornimmt. Dann heißt Dedecius Lec, heißt Lec Dedecius. Das meinte ich mit der „Geburtsstunde“. Dedecius hatte seine Talente, Beschäftigungen, Institute und Leistungen, sie stehen alle auf einem anderen Blatt, verdienten vielleicht oder wohl Blatt um Blatt gewürdigt zu werden. Aus der Zeit heraus und vom Himmel fiel Dedecius ein Stern mit Namen „Lec“ in den Schoß. Er hatte keine Zeit, sich zu besinnen, so war es um ihn geschehen. Korrespondierten wir in einer anderen Sprache miteinander, nichts davon bliebe handfest oder auch nur dem Gedanken nah. An Jürgen Stenzel, 8. Juli 2013 Nr. 84 Paul Raabe* - ich wäre gern mit Dir bei seiner Bestattung! In jeder Hinsicht und Richtung - ein weitläufiger Mensch, vielleicht auch der Geräumigste, den ich kannte. Ein Mann voller - mitunter erlesener - Gesten. Viel Äußerliches, nach Außen gekehrtes, und das sage ich fast nur, um ergänzen zu können, daß wir („irgendwie“) innerlich verbunden waren. Ich kannte ihn so ziemlich 50 Jahre. Ich habe ihm seine Fehler weder vorgerechnet noch nachgetragen, einen großen machte er unvorsichtigerweise - ganz gegen seine Gepflogenheit: Er hat seiner - ihn abgöttisch verehrenden Schwester - meine Autobiographie zur Herausgabe empfohlen. Daraus ist „Allerwegsdahin“ geworden - zum Kummer der Elisabeth.** Und nun steht Lebensgeschichte wieder auf der Tagesordnung - und Paul Raabe ist tot. Sich mit ihm, Kopf an Kopf, an Bücher und Menschen zu erinnern, das gehörte zum Schönsten. * Paul Raabe (1927-2013), Literaturwissenschaftler und Bibliothekar ** Elisabeth Raabe, Literaturwissenschaftlerin und Verlegerin An Ingeborg Kaiser, 25. Juli 2013 Nr. 85 Ein anderes Problem - aus den Tagebüchern erwachsend: Klatsch und Tratsch. Was ist deren Funktion, wie zu behandeln? Beide Probleme, die ich eben nannte, tauchen gleichzeitig im Tagebuch auf. Zwei Freundschaften, die ich gern beschreiben oder besprechen würde, sind im Tagebuch von allerlei Klatsch umrankt, die zu H. G. Adler* und die zu W. H. Auden**. Ich steige groß in die Beziehung ein, wie es meine Art ist („ist“ musst du mit „war“ übersetzen), bestrebt, schnell die größte Nähe zu erreichen, um ebenso schnell auf Abstand zu 82 II Zeitgenossen gehen. Die Kräfte werden angespannt und nach allen Richtungen ausgedehnt, die Gespräche dauern Stunden, sie werden immer anregender: Im Tagebuch nun - müde heimkehrend oder am nächsten Tag oder noch später aufgeschrieben oder eher nur festgehalten - sieht es aus wie Aufwerfen von Themen, wie Umsich-Werfen mit Namen, hie und da eine Auskunft, ein Geständnis, ein kluges oder giftiges Wort, eine Erinnerung, alles in allem Stichworte , die ich - es sind die Jahre meines Unterwegs - selten und wenig ausführte. Hinzu kommt, dass ich damals meine Tagebücher weitgehend auf Hebräisch führte, das müsste ich nun ins Deutsche übersetzen. Das ist aufwendig, zeitraubend, mir auch sehr oft lästig, weil nur weniges daran mich freuen könnte. Auch große Dichter führen Literatengespräche, ich hielt davon wenig, doch fast alles fest. Klatsch ist eine bewährte Gedächtnisstütze, aber auch eine Erinnerungsspeise. Das würde ich gern herausbekommen, ehe ich mich meines Klatsches erbarme oder nicht. Die Namen würden das Buch beleben, die Gefahr besteht, dass solche Quasi-Gespräche stark von meinem Stil abwichen. Die genannten kämen mir insofern entgegen, weil ich sie in einen österreichischen Kontext stellen könnte, H. G. Adler ist Prager, spielt in meinem damaligen Leben aber auch eine ziemliche Rolle, Auden war in jenen Jahren (ich weiß jetzt nicht einmal, ob bis ans Ende seines Lebens) Wahl-Österreicher, er lebte nicht nur in Österreich, er bewohnte das Haus Josef Weinhebers, über den er damals ein langes (umstrittenes) Gedicht schrieb. * Siehe Anm. zu Brief Nr. 20 ** Auden übersetzte EB; vgl. Das Mehr gespalten, S. 195 An Werner Helmich, 8. August 2013- Nr. 86 Denke ich an meine Zeit und Zeitgenossen, glaube ich über Lec und Canetti schreiben zu müssen, so wenig es mir danach ist, auch interessiert es mich kaum noch. Also beginnen wir damit, wenn Sie erlauben und dazu bereit sind: Ich lege meinen Briefwechsel mit Stefan Kaszyński zu Lec bei. Und meine Tagebuchreflexionen über Canetti, Sie tun Ihren Senf dazu oder dämpfen mich, nur das Nötige und Plausible durchlassend. Die Ähnlichkeiten sind immer das Befremdliche Canetti entdeckt Pessoa* und stellt erstaunt, zufrieden und fast dankbar fest, dass Pessoa und er während dreißig Jahren Zeitgenossen waren. Ähnlich erging es mir mit ihm, Canetti, anlässlich eines Vergleiches zwischen ihm und mir. Dass man Zeitgenosse ist, will etwas heißen, was macht es aber aus, und warum will man Zeitgenosse eines Nichtgenossenen sein? Was machen die zwischen uns II Zeitgenossen 83 liegenden, klaffenden, trennenden Jahren aus? Es läuft auf den Zeitgeist hinaus. Lebten wir in Zeit und Geist genössisch? Unverwandt sehen wir uns an, als Verwandte wenden wir uns voneinander ab. Alle Verwandlungen laufen aufs Verwandte hinaus. Canetti geht weit, ist immer, in allem weitgehend, bleibt aber kreisend im Umkreis seiner Gedanken, auf den einen fixiert, der seine Kreise stört. Seine Bilder wechseln, der Rahmen bleibt, die Wand wird neu getüncht. Er will über seinen Horizont hinaus, bleibt gern „unter der Sonne“, am liebsten bei seiner Leselampe. Von Hanser habe ich die letzten Aufzeichnungen Canettis und eine Auswahl seiner Aussprüche über Dichter erhalten.** Nicht alles von Gewicht, nicht alles hat Substanz, manches ist gezwungen, wie wenn es ihm schade wäre um seine Lektüre. Er will das Buch nicht umsonst gelesen haben. Die vergeudete Zeit darf nicht auch verlorengegeben werden. Reflexion und gefälltes Urteil rechtfertigen die verlorene Zeit als Zeitvertreib. Ins Bild gerückt, fällt der Rahmen auf. / Viele Bilder sind Rahmengeschichten. / Das beweist mir, dass unter demselben Titel / jeder ein anderes Buch liest Vor allem will Canetti etwas gesagt haben, darum hört er nicht auf zu lesen. Kraus war die Schule seines Lebens, seine Ohrmuschel hat Kraus geformt. Was Abraham Sonne*** ihm bedeutete, hat er lang und breit zu sagen versucht, klar ist es nicht geworden. Sonne war ein weiser Mann aus Galizien, aus dem man schwer klug werden konnte, aus dem niemand klug geworden ist. Das spricht für seine Dichtung, die ihre Fürsprecher bis heute hat. Er war der Dichter schlechthin. Er musste nur seinen Mund öffnen oder auch nur seine Augen. Sie spielten eine größere Rolle als die Handvoll Gedichte, die er meinte hinterlassen zu haben. Die Hinterlassenschaft wurde an- und ernst genommen, 14 Gedichte. Von Sonne weiß ich kein Lied zu singen, hätte aber einiges zu berichten und ein Wort zu sagen. * Fernando Pessoa (1888-1935): Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares. Zürich: Ammann 2003; Wenn das Herz denken könnte-… . Sätze, Reflexionen, Verse und Prosastücke. Ausgewählt von Marie-Luise Flammersfeld und Egon Ammann. Zürich: Ammann 2006 ** Elias Canetti: Über den Tod. Mit einem Nachwort von Thomas Macho. München: Hanser 2003; Über die Dichter. Mit einem Nachwort von Peter von Matt. München: Hanser 2004 *** Abraham Sonne (1883-1950): hebräischer Lyriker, österreichisch-israelischer Literaturkritiker und Gelehrter. Canetti, der ihn 1933 kennenlernte, schildert ihn als Dr. Sonne in seinem Memoirenband „Das Augenspiel“. 84 II Zeitgenossen Von Werner Helmich, 8. August 2013- Nr. 87 Ich kenne Ihre beiden Zeit- und Gattungsgenossen recht gut: Lec habe ich frühzeitig als Germanistikstudent verschlungen, mir alle „Unfrisierten Gedanken“ gekauft, natürlich alles auf Deutsch, also über Dedecius. Mein Eindruck bei ihm - ich habe ihn lange nicht wiedergelesen - ist, dass er seine Wirkung in Deutschland neben Dedecius stark dem Kalten Krieg verdankt. Der Aphorismus als subversive Gattung gegen die Grabeshülle der Zensur, und gerade beim polnischen Nachbarn, das hat uns Germanisten damals fasziniert. Bei Canetti ist es komplexer, über ihn habe ich in Bologna mehrfach gesprochen und halte ihn - neben dem Narrativen, vor allem der selbststilisierenden Autobiographie - für einen sehr komplexen Aphoristiker mit einem großen Reichtum an subtilen Pointen. Warum er Ihnen in vielem fremd bleibt, glaube ich auch zu ahnen - es dürfte letztlich mit seiner Weltanschauung zusammenhängen. Ich bin leider durch die Lektüre des erschütternden Briefwechsels Veza Canettis mit seinem Bruder Georges* vor ein paar Jahren auf manche dunkle Seite bei ihm gestoßen - eine zu genaue Kenntnis der Biographie ist immer eine schlimme Voraussetzung zur literarischen Würdigung. Wie Sie über sie schreiben, kann Ihnen niemand vorschreiben, am allerwenigsten ich. Ich vermute, das Ihrem Duktus Angemessenste ist auch hier eine Gattungsmischung, wie Sie sie mit dem Briefwechsel schon andeuten. Ob Sie die beiden beurteilen sollen wie ein Kollege, d. h. Konkurrent (aber mit einem völlig anderen Schwerpunkt! ) oder wie ein Literaturkritiker, lässt sich von außen nicht entscheiden. Kraus und Sonne** aus einer anderen Perspektive als Canetti - ebenfalls gut. Könnten Sie sich vorstellen, in Lec und Canetti neu als Leser einzutauchen, und sei es für ein paar Tage - um eine historische Lektüreerfahrung mit der jetzigen zu vergleichen: Lec und Canetti wiedergelesen? Ich weiß aber nicht, ob da ein starker Widerwille (vermutlich vor allem gegenüber Canetti) blockiert, ob Sie also eine solche Neulektüre überhaupt interessiert. Wenn Ihnen beide gar nichts mehr sagen, würde ich nicht über sie schreiben. * Elias und Veza Canetti: Briefe an Georges. München: Hanser 2006 ** Vgl. Anmerkung zu Brief Nr. 86 An Werner Helmich, 8. August 2013- Nr. 88 Wahrnehmung, Eindruck, Analyse. In der Zeit lebend, an Zeitgenossen vorbei. Auch das Früher hat die Verspätung in sich. „Später einmal“, sagen wir. Auch bei der Analyse spielt der Eindruck eine Rolle, während Sie den Text analysiert haben wollen. Diesem Wollen ging der Eindruck voraus, und „er bleibt in der Gegend“. Tagebuch ist ein Zeitphänomen. Sie schreiben keine Tagebücher, Sie II Zeitgenossen 85 lesen und besprechen - und schreiben Ihr wissenschaftliches Hauptwerk. Es wird zu lesen ein Vergnügen sein, und nach allen Richtungen belehrend. Ich schreibe „apodiktisch“ (so heißt es), aber nicht belehrend, vor allem nicht erklärend (wozu ich keine Begabung habe). Mein Leben ist vorbei, geblieben sind Eindrücke, viele von ihnen könnte man Erinnerungen nennen, sie sehen danach aus. Einige davon waren einmal Lektüren und Lesefrüchte. Urteile wollen gefällt werden, Gerechtigkeit kommt nach dem Gericht, geht ihm nicht voraus. Wollte ich über Canetti und Lec schreiben, ich folgte Ihrem Rat, das Resultat wäre das von Ihnen erwartete: ein Aufsatz, und wäre er noch so kurz, die Lektüre müsste jedenfalls lang sein. Nun schreibe ich keine Aufsätze. „Bei meiner Arbeit verfiel ich zunächst in meinen alten Fehler: während des Schreibens geriet ich nämlich wieder in die Gebärde der Abhandlung hinein. Eine Abhandlung schreiben aber kann ich nicht.“ (Ferdinand Ebner, Freitag, 6. Dezember 1918, Schriften 2, S. 854) Und wäre ich dazu fähig, Ihre Fähigkeit ginge weit über meine hinaus, niemals würde ich mit Ihnen konkurrieren wollen. Also zugegeben: Wissenschaftlich - „eng am Text“ - sind meine Urteile wertlos. Auf einen kleinen Teil meiner Zeitgenossen habe ich zeitgenössisch, verspätet oder verfrüht reagiert, in meiner Zeit, nicht auf der Uhr, nicht auf die Minute, weder gerecht noch ungerecht. Die Reaktion fand in Briefen und Tagebüchern statt, aus Tagebüchern und Briefen können sie geholt - nicht frisiert werden. Das tue ich eben: meine Tagebücher und Briefe durchkämmen. Meine Unzulänglichkeit kommt dabei heraus, gegen sie ist kein Kraut gewachsen, auch eine eingehende Lektüre wäre nur Bitterkraut. Wer bräuchte sie denn? Sie haben Recht, wenn Lec und Canetti mich nicht mehr interessieren, dann soll ich über sie nicht schreiben, sie auch nicht wieder lesen. Nun habe ich sie anno dazumal aber doch gelesen und bin nun dabei, meine „Erinnerungen“ zu schreiben. In diesen Rahmen sollten sie hineinwachsen oder hineingepasst werden. Das war die laute Frage eines schlechten, immer stiller werdenden Gewissens. An Hans-Martin Gauger, 9. Oktober 2013 Nr. 89 Reich-Ranicki war der echte - von allen Seiten kritisierte Kritiker; ein Glück, dass die Akademie ihn dreimal nicht wählte. Sein Fehlen wird den Blick auf ihn schärfen. Bei mir beginnt es schon, bei Dir auch, das zeigt das Ausrufezeichen: „Dieser Ruhm ist ein Phänomen! “ Der Ruhm war schon immer, umstritten wachsend, da, den verdeckten fördert Dein Ausrufezeichen hervor - auch er wird umstritten wachsen, weil niemand diese Lücke ausfüllen könnte. Ob 86 II Zeitgenossen aber diese Lücke lange spürbar bliebe? Der Berg von Namen, über den er mit seinem Ruhm sitzt oder steht, wird immer kleiner, am Ende bleibt vielleicht nur ein Reich-Ranicki-Hügel. Er war weise genug, sein Schreiben in Ton und Bild zu retten. Aber das ist nicht das, was mich bewegen wird, sobald ich über ihn schreiben kann. Er hat viel Ergreifendes an sich, was Kritiker in der Regel ja nicht haben. Reich-Ranicki mit seiner Passion für Literatur gehört mehr in die Geschichte als zur Literatur. Denke ich an Deutschland (nach 1950) in der Nacht, sehe ich auch das Aufgehen dieses Sterns, den ich selbst 1963 für ein Irrlicht hielt. Ich war damals in Hamburg. Halt, da falle ich in Erinnerungen zurück. Von seinem Tod habe ich aus einer hebräischen Zeitung erfahren. Er hatte für meine Arbeit kein Verständnis, aber Respekt und war derjenige, der pünktlich für Besprechungen meiner Kleinbücher sorgte; als er wegging, herrschte lange FAZ-Stille um meine Bücher. Als er seinen ersten Vortrag hier im Goethe-Institut halten sollte, ließ er mich es Wochen davor wissen, ich sollte unbedingt dabei sein. Ich hatte es als „Bangen“ verstanden. An Martina Kraut, 16. Oktober 2013 Nr. 90 Heute bekam ich einen dicken, schweren Gruß aus Weinsberg (Kerner-Haus), er enthielt u. a. eine Anthologie, in der auch ein Gedicht Kerners abgedruckt ist: Grund der Sendung, die Anthologie beschäftigt mich aber - des Titels wegen, er heißt: „Die besten deutschen Gedichte. Ausgewählt und herausgegeben von Marcel Reich-Ranicki.“* Ob es diesen Titel schon gegeben hat? Ich würde gern darüber schreiben, zumal ich ohnehin an Reich-Ranickis Erscheinung denken muss. So einfach - „die besten“, und dies, ohne Dichter zu sein. Es gab einmal einen Poeten hohen Ranges, einen durchaus kühnen Menschen, Rudolf Borchardt, seine Anthologie nannte er „Ewiger Vorrat deutscher Poesie“**. Auch darüber kann man streiten, dabei hätte man’s aber mit der Ewigkeit zu tun. Für einen geheuteten wie mich schwer zu denken. Titel wie Namen, die Übereinstimmung beider, beschäftigen mich. Was mich verblüffte, ging mit dem Namen des Herausgebers auf. Der Name deckt den Titel, einzig dieser Name - Marcel Reich-Ranicki -, der alles enthält, was wir von ihm zu sagen wissen. Die schönsten Gedichte kennt jeder, der Gedichte liest oder liebt, die besten nur Reich-Ranicki. Der Titel geht zwingend aus dem Namen hervor (nicht aus seinem Vorwort). * Marcel Reich-Ranicki (Hg.): Die besten deutschen Gedichte. Frankfurt: Suhrkamp 2012 ** Rudolf Borchardt: Ewiger Vorrat deutscher Poesie. München: Verlag der Bremer Presse 1926 II Zeitgenossen 87 Von Werner Helmich, 8. November 2013 Nr. 91 Seit mehr als einem Monat sitze ich nun von früh bis spat an dem erzkatholischen, aber auch wohltuend verrückten kolumbianischen Aphoristiker Gómez Dávila, um meine weit auseinandergehenden Leseeindrücke zu einem einigermaßen homogenen Aufsatz zu verwursten, für den mir nicht einmal ein Seitenzahllimit vorgegeben worden ist, und das ist bei Zeitschriftenaufsätzen selten.* Die Schwierigkeit ist: Manches von ihm finde ich sehr gut (und ich bin literarisch eher streng) und vieles sehr schlecht, und beides werde ich in irgendeiner Weise auch sagen und begründen müssen (wenn auch in verschiedenen Kapiteln), auch wenn mich die stark gespaltenen Forschergemeinden dann zweifach zerreißen werden - und die kolumbianische Hausmacht obendrein, für die er ein Nationalheiliger ist, obwohl er öffentlich geschrieben hat: Lo que comparto con mis compatriotas es sólo mi pasaporte (Sie werden das sicher auch ohne Übersetzung verstehen). Zwischen alle Stühle - da gehört der Kritiker hin. * Werner Helmich: Gómez Dávila, Skandalon und monstre sacré. Ein Klärungsversuch. In: Roman. Zs. f. Literaturgeschichte 38, 2014, S. 431-482 An Werner Helmich, 22. November 2013 Nr. 92 Die Lesereise war zu lang und zu wenig ergiebig, ich freue mich, zur vertrauten Landschaft meines Schreibtisches zurückgekehrt zu sein, zu meinem Briefwechsel aus Holz, zu Ihrem „erzkatholischen, aber auch wohltuend verrückten kolumbianischen Aphoristiker Gómez Dávila“, der immerhin schöne Blüten zu treiben scheint zwischen Graz und Jerusalem. Ich müsste rufen: Her mit ihm, mehr von ihm! Damit geizen Sie, freilich mit Grund und Rüge: „Was Sie nicht auf Spanisch lesen können, muss Ihnen spanisch bleiben“. Ich hatte einst die Fähigkeit, alle Sprachen auf Hebräisch zu lesen. Mit dem Deutschen waren auch diese Kreise gestört. Nun denke ich mit Ihnen über die Schwierigkeit nach: „Manches von ihm finde ich sehr gut (und ich bin literarisch eher streng) und vieles sehr schlecht, und beides werde ich in irgendeiner Weise auch sagen und begründen müssen (wenn auch in verschiedenen Kapiteln), auch wenn mich die stark gespaltenen Forschergemeinden dann zweifach zerreißen werden - und die kolumbianische Hausmacht obendrein, für die er ein Nationalheiliger ist, obwohl er öffentlich geschrieben hat: Lo que comparto con mis compatriotas es sólo mi pasaporte (Sie werden das sicher auch ohne Übersetzung verstehen).“ Es sieht nach „heikel“ aus, und ich gestehe, versucht gewesen zu sein, Ihren Text zu analysieren (ich fragte mich z. B., warum Sie schreiben „und ich bin literarisch eher streng“). Die schlagende Antwort geben Sie dann selbst: „Zwischen alle Stüh- 88 II Zeitgenossen le - da gehört der Kritiker hin.“ Genauer kann man den Ort des Kritikers nicht beschreiben, er ist der Herausgeforderte, ist es schon darum, weil er mehr und viel mehr wissen muss als der Autor, den er kritisiert. Über das Zwischen-den-Stühlen als festen Ort könnte noch weiter nachgedacht werden, hingegen kaum über: „Manches von ihm finde ich sehr gut-… und vieles sehr schlecht.“ Ich schaue mir den Satz an, da steht manches gegen vieles, es ist ein Erwägen, schwer genug, auch heikel, weil es scheinbar ein Urteil enthält - allein vom Erwägen bedingt. Denn sagten Sie nur das eine oder das andere, wäre es nicht der Fall, es wäre eher das Normale „manches finde ich gut“, „vieles finde ich schlecht“. Eine Situation entsteht, die gewöhnliche eines Lesers, der nicht ohne Grund hingerissen werden will. Im Buch, das er liest, findet er „manches sehr gut“, im Buch, das er liest, findet er „vieles sehr schlecht“. Über das „sehr“ könnte man streiten. Ich ließ diese Zeilen über mich ergehen. Ich kenne nach wie vor Gómez Dávila nicht, ich werde mit ihm oft zusammen genannt, demnach wäre ich so gut und so schlecht wie er, scheint auch er nicht viel anderes gemacht zu haben als Aphorismen - ein Leben lang.* Kann ein „Lebenslang“ anders verlaufen, anderes zeitigen als „manches sehr gut und vieles sehr schlecht? “ Ist es eine berechtigte Frage überhaupt? (Aber sind „gut und schlecht“ überall gleich, auf alle Formen anwendbar? Wenn schlecht aber misslungen ist, könnte man nicht sagen: nicht gut, nicht recht, nicht wohl geraten? Wer müsste nicht, wenn er nur könnte, von seinem Tun und Lassen sagen? Das Lassen im Tun, das Aus- und Weglassen im Schreiben.) Sie scheint berechtigt zu sein, doch eher im Kleinen als im Großen oder Größeren. Auf einen Romanschreiber könnte dies nicht zutreffen, mit dem ersten schlechten Roman wäre er erledigt. Im Großen sieht man den Meister am Werk, im Kleinen nicht, sieht nur das „Tag-für-Tag“ und die Routine. Blitzgescheit und blitzgescheitert. Fein und nobel, wie man ist, erwartete man auch vom Klugen nicht, dass er täglich weise sei, dass seine Sprüche immer träfen oder umwerfend wirkten. Das sehe ich ein, so sehr ich mich dagegen wehren möchte. Es wird mir nie gelingen, ich habe hunderte, ja tausende Einsätze geschrieben, Wortfügungen in die Welt gesetzt - alles ein Gefüge, keine Fügung. Es bleibt die ärgerliche - nicht zu umgehende, nicht zu entscheidende - Frage des Niveaus. Wie ranghoch muss man sein, um darüber entscheiden zu können. Ich bilde mir ein - und falle aus dem Rahmen. * Einsamkeiten. Glossen und Text in einem. Ausgewählt und aus dem Spanischen übertragen von Günther Rudolf Sigl. Wien: Karolinger 1987; Auf verlorenem Posten. Neue Scholien zu einem inbegriffenen Text. Aus dem Spanischen von Michaela Meßner. Wien: Karolinger 1992; Aufzeichnungen des Besiegten. Fortgesetzte Scholien zu einem inbegriffenen Text. Wien: Karolinger 1992; Notas. Unzeitgemäße Gedanken. Berlin: Matthes und Seitz 2006; Scholien zu einem inbegriffenen Text. Wien, Leipzig: Karolinger 2006; Scholien. Ein Nachtrag. Wien, Leipzig: Karolinger 2014 II Zeitgenossen 89 Von Werner Helmich, 27. November 2013 Nr. 93 Über die GD-Arbeit* will ich gar nicht weiter klagen, auch wenn sie mich nach wie vor stark beschäftigt. Sie müssen im Übrigen nicht die Befürchtung haben, das, was ich in meiner leidenschaftlichen Auseinandersetzung so über ihn sage, könne insgeheim auch auf Sie gemünzt sein: nein, nein! Sie denken und leben ganz und gar anders als er, vor allem gehen Sie mit den aphoristischen Verfahren völlig anders um, andererseits ist es aber für die Spannweite der Gattung schon interessant, dass Sie trotz aller tiefgreifenden Unterschiede doch beide kluge und erbauliche Aphoristiker sind (dass das bei mir einen eigenen Klang hat, wissen Sie) und Lust an der Pointe haben, also noch in ein gemeinsames Haus gehören. Es gibt immer noch gute Gründe, gegen Croce und andere an der Vorstellung festzuhalten, es gebe so etwas wie Gattungstraditionen - die wüste Welt wird dadurch punktuell ein bisschen ordentlicher. * Arbeit an dem Aufsatz über Gómez Dávila; siehe Anmerkung zu Brief Nr. 91 An Burkhard Talebitari, 16. Dezember 2013 Nr. 94 Als mir H. G. Adler* mitteilte, er schriebe seine Gedichte auf der Schreibmaschine, empfand ich eine Abscheu gegen ihn; die Mitteilung, die nackte Tatsache, reichten mir, sein „Dichtertum“ in Zweifel zu ziehen. Warum in Zweifel ziehen, ist die eine Frage; wer in Frage gezogen werden soll - die andere. H. G. Adler galt als Schwieriger und hat sein Gelten verdient. Er hatte die Physiognomie seiner Bücher: nicht zu bestechen, nur zu erobern; zu bewundern, nicht zu lieben; mit der Liebe war es vorbei, auch mit der Toleranz, geblieben sind: der Rang und die wortkarge Bewährung. Ich besorgte mir eine Schreibmaschine. Die Füllfeder habe ich weder abgeschafft noch abgegeben, die Versuchung lag nah und sie zog nach sich das Versuchen und Üben. Das hat - weil Du mich fragst - mit meiner späteren Einstellung zu seinen Gedichten nichts zu tun, ich habe sie damals, zur Zeit unserer Freundschaft, gelesen, und zehn oder zwanzig Jahre später wieder, immer von Reuegefühlen begleitet darüber, dass ich ihm als Lyriker keinen Rang zuzusprechen vermochte. Die Frage des Ranges ist eine dringende, schwer zu entscheidende. Es kommt ja nicht selten vor, dass ein Dichter-ohne-Rang ein umwerfendes Gedicht schreibt, das man nicht wieder vergisst; nicht wenige dieser Art sind mir auf meinem Lebensweg begegnet, keines davon stammte von H. G. Adler. Aber auch das kommt vor und lässt sich kenntlich machen: ein Mensch von Rang, sein Leben tadellos, seine Prosa einwandfrei, seine Lyrik, um das eine Gedicht ringend - und ohne Erfolg. Aber was ist schon ein Gedicht gegen eine Romanfülle, die überwältigt? Nichts, nur ist Dichtung mit Adel ver- 90 II Zeitgenossen bunden, Prosa nicht. Auch der Gröbste leidet, wenn man ihm sagt, er wäre nicht von Adel. Nicht zu fassen, doch auch gefasst, ergäbe es keine Poesie. * Siehe Anm. zu Brief Nr. 20 An Werner Helmich, 9. August 2015 Nr. 95 Ich spekuliere gern um die Romanistik herum. Germanistik denke ich mir als „Verband von“, Romanistik „als Kreis um“. Nicht alle Romanistik ist fein und nobel, Germanistik oft brutal, oft banausisch, was die Romanistik nicht zu sein „pflegt“. Ich selbst bin so gar nicht Romanist, mir ist sie die Entdeckung auf dem Weg zur Germanistik. Ein Romanist kann nicht schreiben, ohne sich zu porträtieren, was ihm mehr fremd als erwünscht ist, es geht nicht anders, wenn man immer mit der Waage schreibt. Germanistik kennt die Waage nicht, nur die falschen und echten, meistens die schweren, dicken und groben Gewichte (Steine). Es geht selten ums Gesicht, es geht fast nur ums Können, und wenn man endlich schreibt, dann - nieder! Bei den Romanisten, die ich - eine ziemliche Anzahl von ihnen - liebe, fand ich dieses Niederschreiben nicht. Kritisch wohl, bis ätzend, allerwegs elegant. Und wie gut und hilfreich waren schon immer die deutschen Romanisten! Auch die Charakterschwachen, bis auf einzelne Gauner, die man kennt, weil auch sie nicht wirkungslos blieben. An Hans-Jürg Stefan, 1. November 2015 Nr. 96 „Du / Eine Rühmung“ von Kurt Marti* kenne ich nicht, das sei meinem nächsten Schweizer Aufenthalt vorbehalten. Ob ich mich zu einem Werkdialog mit Marti bringen könnte, ist eine Frage, da ich mit Lebenden nicht spreche, das tu ich in meinen Tagebüchern. Dank Dir kann ich zum ersten Mal Bücher von Marti lesen, ganze Bücher, und ihm nach und nach auf den Grund kommen. In seiner Art und Haltung steht er mir schon vor Augen, als Dichter muss er mir erst vertraut werden, so einheitlich seine Person auch ist - in ihren Aussagen; verschieden sind seine „Macharten“. Im Theologen Marti dominiert der Gemeinsinn (er steht nicht nur in der Gemeinde und ihr vor, er geht ihr auch voraus, in dieser Rolle wirkt der Prediger als Einpräger und Imprägnierer); in der Poesie dominiert der Eigensinn. In der Theologie hat es Marti - auch im Sinne der „Konkurrenz“ - leichter als in der Poesie, wo er sich besser und genauer umschauen - und sich „vorsehen“ muss; da sehen andere zu, wird ihm anders auf die Finger geschaut. * Kurt Marti: Du. Rühmungen. Stuttgart: Radius 2008; zu Marti vgl. Anmerkung zu Brief Nr. 101 II Zeitgenossen 91 An Hans-Jürg Stefan, 13. November 2015 Nr. 97 Von Deiner Schwester* gabst Du mir in Bern** „Als sei ich von einem andern Stern / Jüdisches Leben in Montreal“ (2011)***, das ich auch gleich gelesen habe, ein lohnendes [Buch] (vom Ergreifenden braucht nicht geredet zu werden), aus lauter Distanzen kommend, lässt es sich als literarisch origineller Versuch betrachten. Die erzählenden Personen gingen mich alle an, interessiert hat mich vor allem Deine berichtende Schwester. Was mir bei ihr, an ihr gefällt: Sie pflegt eine Diktion der Anständigkeit. In der Literatur muss immer etwas gekrümmt, etwas zurechtgebogen werden. Davon bleibt sie frei, bleibt auch in ihrer strengen Freiheit. So war sie schon in den „Häutungen“. Dass sie zu leiden hat, tut mir weh, ich spüre es. Ich liebe ihre Anständigkeit, die weder Abnoch Ausweichen kennt. Das kann man riechen. * Verena Stefan, geb. 1947 („Häutungen“, 1975; „Fremdschläfer“, 2007; „Die Befragung der Zeit“, 2014), gestorben 2017 in Montreal ** Lesung in der Berner Synagoge, 22. Oktober 2015, mit Improvisationen von Daniel Glaus *** Verena Stefan, Chaim Vogt-Moykopf (Hgg.): Als sei ich von einem anderen Stern. Jüdisches Leben in Montreal. Heidelberg: Das Wunderhorn 2011 An Hans-Jürg Stefan, 10. Dezember 2015 Nr. 98 Bewegt, gerührt und leicht erschüttert teile ich Dir mit, dass eben, am 5. Tag Chanukka, die helvetisch-martinische Ziegelbibel* bei mir eingetroffen ist, eine Aug- und Herzweide. Ich komme aus der ersten Bewunderung nicht heraus, man gewinnt den Eindruck, dass es nicht nur ein Leben birgt, sondern auch den angemessenen Lohn für ein beispielhaftes Leben. Du hast mich - auch noch leichenredend** - verwöhnt und reich - und Leich beschenkt, wie dankt man dafür? Um einen solchen Marti müssen Generationen beten. - „wa’ani lo jadati“ (und ich wusste es nicht), sagt Jakob nach seinem Erwachen (Gen. 28, 16). Mehr lohnt sich jetzt nicht zu sagen, den Dank sollst Du brühwarm erhalten. * Kurt Marti: Notizen und Details 1964-2007. Zürich: Theologischer Verlag 2007. Der Band ist mit 1422 Seiten im Bibelformat ziegelsteinschwer. ** Anspielung auf Kurt Marti: Leichenreden. Neuwied: Luchterhand 1969; München: Dt. Taschenbuch-Verlag 2004 92 II Zeitgenossen An Hans-Jürg Stefan, 14. Dezember 2015 Nr. 99 Das Fehlen Silja Walters bei Marti* ist ein Faktum und unveränderlich. In dieser seiner Welt hatte sie keinen Raum. Gespräch und Bücherschrank sind andere Welten. Ich stellte - und nur, weil ich gerade auf sie stieß - ihr Fehlen einfach fest. Ich war darüber keineswegs „erschüttert“. Marti muss Silja Walter nicht schätzen, ich - ob ichs Dir gestehen darf? - schätze manche Flächen bei ihr auch nicht. Sie ist nicht umsonst und nicht von ungefähr Schwester Hedwig geworden. Ich musste mit ihr ringen, mein Ringen gründete auf Freundschaft und Instinkt, mein Instinkt bewährte sich, das Ringen ward mir nicht erspart. Das alles hätte Kurt Marti nicht nötig. Du weißt, dass ich ihn schätze und nun auch liebe, ich bin ziemlich blind für ihn, aber ich bin nicht blind gegen seine Schwächen, auch in den Notizen** gibt es Entbehrliches, das „man“ nicht gern entbehrte, weil dies sein Charme ist: sich möglichst viel vorzunehmen und nicht nachzulassen. Er spricht von allem, was ihm nicht fremd bleiben soll, denn er will nicht, dass etwas Menschliches ihm fremd bleibe, die Hauptsache bleibt, dass er spricht und nicht redet, und die Art seines Sprechens ist unter allen Umständen Nähe suchend. * Schwester Otto F. Walters; vgl. Ulrike Wolitz; siehe das Verzeichnis der Briefpartner(innen) ** Zärtlichkeit und Schmerz. Notizen. 2. Auflage. Darmstadt, Neuwied: Luchterhand 1979 An Hans-Jürg Stefan, 30. Dezember 2015 Nr. 100 Ich säumte lange mit diesem Brief, der zu einem Buch auszuwachsen drohte. Dann kam ich (bei mir) ins Gespräch mit Marti, und das Schreiben erübrigte sich. Danach gab ichs auch auf: Was soll ich ihn mit Schriftzügen überfahren. Nun wollte ich ihm doch einen Gruß schicken, einen kleinen Dank aus der Verspätung heraus und aus dem Land seiner Bibel. Zum Neujahr erreicht es ihn nicht mehr, vielleicht über Dich aber schneller, jedenfalls sicherer. In den Neujahrspostsäcken gingen diese Zeilen für lange unter. Auf die Unterschrift kommt es sowieso nicht (mehr) an. Wenn Du kannst, lese ihm die Zeilen oder lass sie ihm zukommen auf einem der kurzen Wege, die Du kennst. 30.12.2015 Lieber Dichter, verehrter Herr Marti, jede Zeit hat ihre Verspätung.* Der Satz könnte noch zu Kohelet gehören, den Sie so lieben wie ich. Mit Ihrem Buch über ihn**, mit Ihrer Übersetzung seines Buches, habe ich meine - eben verspätete - Marti-Lektüre begonnen. So sind Ihre Bücher - mir rührend herzlich von Hans-Jürg Stefan geschenkt - eine II Zeitgenossen 93 Erinnerung nach vorn. Wo immer ich aufschlage, bin ich mittendrin. Marti ist eine Stadt, wohnlich, für ein gutes Leben eingerichtet, das aber ehrlich verdient werden muss, wenn man sein Gesicht in der Stadt zeigen will. Es zeigt sich nicht in Marti, es muss ein jeder sich zeigen können. Ich weile seit 2 Monaten in Marti, lerne alle Quer-, aber auch alle Kreuzverbindungen. Habe viele Bekannte schon, darunter alte und sehr alte, wie Ihren Freund Rainer Brambach, den ich in einem Buch zitiere, und zwar aus dem schmalen Band „Tagwerk“***, den Sie gerade aus dem Regal ziehen, da Sie vom Tode Brambachs hören, wobei - wie immer bei Ihnen, wenn Sie ein Buch aus dem Regel hervorholen - ein Zeitungsausschnitt herausrutscht. Eine schöne, mir vertraute, nicht ganz „gesunde“ Gepflogenheit, weil sie dem Buch nicht bekommt. Zeitungspapier, zwischen Buchseiten gepresst, hinterlässt Spuren. Nun gehören aber auch die eingefalteten Zeitungsauschnitte zu Ihrer Geschichte mit dem jeweiligen Buch. Man sieht Sie und sieht Ihnen zu, vor dem Regal stehend: Erinnerungen zusammenrufen, Gedanken sammeln, die Worte denkmalend. Etwas will heraus, etwas zum Stehen kommen. In Marti ist gut spazieren, und Kurt Marti begleite ich gern durch seine Stadt, in der er nie das Sagen hatte****, aber die nicht zu übersehende Unbeirrbarkeit in Wort und Schrift und Bild. Das Tintenfass gab alle Tropfen in Königsblau her, federführend soll ein anderer werden, doch wo nimmt man einen Pfarrer, der Gedichte spricht und nicht die Leviten liest. Vielleicht machen wir im nächsten Jahr noch einen kleinen Ausflug in Marti oder mit Ihnen, bei Ihnen. * Am 23. Oktober 2015 hatte sich eine persönliche Begegnung von E. B. mit dem hochbetagten Schriftsteller-Kollegen Kurt Marti (1921-2017) ergeben. ** Kurt Marti: Prediger Salomo: Weisheit inmitten der Globalisierung. Stuttgart: Radius 2002; vgl. Variationen über ein verlorenes Thema, S. 153f. *** Anm. EB: Brambachs „Tagwerk“ ist 1959 bei Fretz & Wasmuth in der Akazienreihe erschienen, in der sollte auch ein Gedichtband von mir, mit einem Vorwort von Margarete Susman, erscheinen, wozu es aber nicht gekommen ist. Als Muster wurde mir Brambachs „Tagwerk“ geschickt, das mir bis heute lieb geblieben ist, das Zitat daraus lautet: „Ausgesungen ist das Miserere, / nichts als Schnee liegt auf dem leeren Dach“. **** Kurt Marti war von 1961 bis 1983 Pfarrer an der Nydeggkirche in Bern. Er engagierte sich im Kampf gegen Atomwaffen und die US-Intervention in Vietnam. 1972 verweigerte ihm der Regierungsrat des Kantons Bern aus politischen Gründen eine Professur für Homiletik an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Bern. 94 II Zeitgenossen An Hans-Jürg Stefan, 1. Januar 2016 Nr. 101 Marti legt keinen Wert darauf, groß gedacht zu haben. Das zeigt sich in seinem Willen, kleinzuschreiben. Keiner Erscheinung abhold, zu Schattierungen neigend, ist ihm - wie einst dem Prediger Salomo - das Licht das Süße. Er kommt auf Gott nicht zu sprechen; nicht dafür wird er bezahlt, doch darum ist er Dichter geworden. Gott spricht, wenn wir zuhören. „Gott ist immer noch, nun auch immer wieder das Wunder“ (Spätsätze)*. Im Zurückhalten wie im Zuschlagen - der Prediger als Gentleman. Er lässt keinen sitzen, keinen fahren, läuft nicht mit und bleibt bei sich nicht stehen: Zeitgenosse rundherum und allerwegs. Dies zu bleiben, ist seine Aufgabe. Ob Marti Aphoristiker ist? Er ist es als Prediger, als Prediger aber doch lieber Dichter. Dahin wollte er, dahin gelangte er, unbeirrbar und bibelfest. Ich kenne kein Aphorismenbuch von ihm, nur einzelne Aphorismen aus Friedemann Spickers Sammlung bei Reclam**, sie sind nicht überragend. Kurt Marti, Heilige Vergänglichkeit. Spätsätze Das steigende Alter, die zurückgelassenen Jahre. Was bleibt einem Alten, der seine Gedanken hinter sich hat Im Alter sind auch die Gedanken nur noch Erinnerungen, eingezimmert, ausgeklammert. Die Lust zum Erwachen - auf null gesenkt. Spätsätze - Krümel; man glaubt ihm die Krümel, nimmt sie ihm ab, nicht mehr in den Mund. Die Unheimlichkeiten eines Altersheims sind nicht denkwürdig. Hier sitzen wir, im Altersheim, bei ihm, und freuen uns, wenn er ein Wort fallen lässt oder einwirft. Aus dem Irgendwo und Irgendwann seines Lebens herangedacht oder der Zigarette erzählt, die ihm zur Konzentration verhilft. Seine Gäste sind gemeint und dürfen mithören. Sie werden gehen, die Zigaretten bleiben. Er war noch keine 90, als er seine Spätsätze herausgab: Man sieht dem Buch kein Denken an. Noch ist alles kurz gesagt, doch nicht kürzer. Es fällt ihm schwer, die Silben zu zählen, die Längen zu messen. Er erzählt sich seine Sätze. Die Fragen, die er sich stellt, warten nicht auf Antwort; Warten ist die Antwort; Abwarten. Das Buch - Notizen eines altersschwachen Menschen, der poetisch anständig und fest im Leben stand, ganz im Leben: mit Weib und Wein und Bibel, die Buchstaben fest im Blick, in guter Stimmung auch sie; Prophetisches dämpfend, Gott selbst allein ist das Wunder. Was er im Altersheim denkt, ist nicht mehr wichtig, wichtig ist die - „Schlimme Entdeckung: Ich kann nicht mehr pfeifen“. Und: „Im Licht der langsam entgleitenden Abendsonne wird der Zigarettenrauch märchenhaft blau“. Sein letztes Glaubensbekenntnis: II Zeitgenossen 95 „Ihm, Jesus, glaube ich Gott“. Das ist der letzte, würdige, aufrechte Marti. Dazu gehört, dass er nicht Christus sagt. (Den Christus hat ihm Paulus verdorben, siehe S. 34) Seine Leser sind jenseits der Straße und wie hinterm Glas; sie hören ihn nicht, wenn er seine Zigarette raucht und nicht aus der Hand gibt. „Im Licht der langsam entgleitenden Abendsonne wird der Zigarettenrauch märchenhaft blau.“ Der blaue Zigarettenrauch spricht für ihn, das Märchenhafte ist auf keinem dieser Blätter zu finden. Es ging im Leben auf und verraucht nicht. * Kurt Marti: Heilige Vergänglichkeit. Spätsätze. Stuttgart: Radius 2010 ** Friedemann Spicker (Hg.): Deutsche Aphorismen. Stuttgart: Reclam 2012 (RUB 18695), S. 242f. III „Ich lebte ja mehr in der Literatur als in meiner Zeit.“ - Deutsche Traditionen An Jürgen Manthey, 12. April 1991 Nr. 102 Das ist aber ein köstlicher, geistreicher Aufsatz über Lichtenberg, den „Gerneklein“*. Mich freute er auch wegen seiner doppelten Vollkommenheit, hat er doch nicht nur „Kopf und Fuß“, sondern auch Guillotine zu Anfang und Amputation am Ende. Sie können sich denken, dass mir dieses unverhoffte Wiedersehen mit meinem alten Bekannten sehr angenehm war. Und wenn Ihre Theorie, wie Sie meinen, auch vielleicht nicht zutrifft, sie ist darum nicht mehr „Hirngespinst“ als andere, wobei sie immerhin den Vorzug hat, selbst aphoristisch zu sein. Ob deswegen Lichtenberg keinen Roman schrieb? Er jedenfalls täte es gern, wenn wir ihm aufs Wort glauben wollten. Das Buch Ricarda Huchs, nach dem Sie fragen, hieß ursprünglich „Natur und Geist“, dann „Vom Wesen des Menschen“, das ich in der 2. Auflage von 1922 zitierte**. Dieser hohe Anspruch macht ihre Schwäche aus. Davon abgesehen - und bei Ricarda Huch muss ich davon absehen können -: sie war und sie bleibt ein starker, unabhängiger, nicht zu bestechender Geist; ich habe für sie nur Achtung, ab und zu aber auch Liebe. Meine Enttäuschung bestand darin, dass ich sie in meinem Buch nicht als tragende Säule gebrauchen konnte, womit ich ursprünglich gerechnet hatte. Zum Thema ‚Deutschland ist Hamlet‘ können Sie viele Belege bei Ricarda Huch finden, so etwa: „Diese stehen gebliebene Jugend ist nichts Erfreuliches, sondern etwas Tieftrauriges. Zuweilen kommt noch eine ohne Sonne reifgewordene Frucht zustande, aber im Grunde bleibt es doch zwischen Jünglingshaftem und Greisenhaftem unbeglückend schwankend.“ (So in „Luthers Glaube“, einem ihrer schönsten Bücher)*** * Jürgen Manthey: Der große Herr Gerneklein. Lichtenberg, die Französische Revolution und der vierte Stand. In: Merkur, 45, 1991, S. 24-33 ** Natur und Geist als die Wurzeln des Lebens und der Kunst. München: Reinhardt 1914 (neu hg. als: Vom Wesen des Menschen. Natur und Geist. Prien: Kampmann & Schnabel 1922) *** Luthers Glaube. Briefe an einen Freund. Leipzig: Insel 1916 98 III Deutsche Traditionen An Edith Silbermann, 10. August 1991 Nr. 103 Mein 99-jähriger Freund, der Dramatiker Max Zweig*, reist morgen nach Deutschland, ich möchte ihm ein Bündel Papiere für Sie mitgeben, und also ist es Zeit, Ihre Fragen der Reihe nach zu beantworten. In meinem Brief an Harald Weinrich („Treffpunkt Scheideweg“, S. 159f.) habe ich ziemlich genau beschrieben, wie wenig Deutsch ich als Kind aufnahm und wie bald ich dieses Wenige aufgab, um mich dem Hebräischen ganz zu widmen. Alle meine Verwandten hier erlernten bald die Sprache, sofern sie aber noch Deutsch sprachen, war es ein für mich farb- und reizloses Magerdeutsch. Möglich, dass ich - ein in jedem Fall kaum integrierbares Kind - stolz war, einem anderen, „feineren“ Kulturkreis anzugehören; vielleicht hegte ich bei mir sogar einen solchen Stolz, aber er war doch nicht real; mein Ehrgeiz galt dem Hebräischen, meine ganze Liebe gehörte ihm. Zu einem nennenswerten Deutsch kam ich über die Lektüre. Ich hatte aber auch Glück, mit einigen guten Vertretern oder Kennern dieser Literatur bekannt oder befreundet zu sein. Die für mich wichtigsten waren: Paul Engelmann (ein Freund sowohl von Kraus als von Wittgenstein) und Erwin Loewenson (der eigentliche Theoretiker des Berliner Expressionismus, Intimus und Herausgeber von Jakob van Hoddis und Georg Heym). Engelmann konnte gut Hebräisch, er übersetzte auch meine Gedichte ins Deutsche; Loewenson hingegen, der Zeit seines Lebens die Bibel kommentierte, konnte kein Wort Hebräisch sprechen. Meine Freundschaft mit ihm währte zwar kurz, er aber machte auf mich einen großen Eindruck, und dieser wird auch sprachlich von Gewicht gewesen sein. Engelmann, der ausnehmend geistreich war, Tausende von Gedichten auswendig kannte und den ganzen Kraus, Engelmann freilich, den ich wie einen großen, bewundernswerten Bruder liebte, bedeutete mir viel mehr als Loewenson. Und da er mir Eigenes und Fremdes vorlas - und er galt als Meister des Vortrags -, blieb die deutsche Sprache nicht nur in der Schwebe, sondern trat in eigener Gestalt zwischen uns. Alles in allem waren es nur Tage, die sich auf knapp zwei Jahre verteilten; alles in allem eher beflügelnd als handfest. Doch begann für mich damit eine zweite Kindheit oder das Nachholen der ersten, versäumten. Sie fragen mich nach der Bedeutung von Kraus für mich. Hier entstand sie: in Engelmann und durch ihn, lebendig - eine echte, hauchdünne, hautnahe Überlieferung. 1966 gab ich in Wien Engelmanns Schrift „Dem Andenken an Karl Kraus“ heraus.** Sobald ich meines Wegs sicher wurde, hörte Kraus auf, mich zu beschäftigen. In den 60er Jahren schrieb ich über ihn, hauptsächlich Briefe, vor allem an Paul Schick, der in Wien den Nachlass von Kraus verwaltete und eine Monographie über ihn verfasste, aber auch eine eigene Zeitschrift herausgab („Der Alleingang“), in der einer meiner Briefe abgedruckt wurde.*** III Deutsche Traditionen 99 Im Briefwechsel mit Clara von Bodman kommt Kraus, wenn ich mich nicht irre, nur einmal vor. Aber es ist ja nur eine winzige Auswahl aus meinen Briefen. Übrigens, auch in meinem Kolb-Buch findet sich eine Stelle über Kraus.**** „Kleiner Joseph“, sprach Else Lasker-Schüler auf Deutsch, und mehr sagte sie nicht.***** Es war die einzige Begegnung. Mit Joseph muss ich mich wohl stark identifiziert haben, sonst wüsste ich mir meine Gedichte nicht zu erklären und nicht, warum ich immer wieder den Zyklus um weitere Gedichte vermehrte. Vielleicht schreibe ich Ihnen später einmal einen Brief über Joseph, jetzt ginge es über meine Kräfte. Ich denke mir, dass der erste Grund zu dieser Identifizierung mit dem frühen Tod meines Vaters gelegt wurde; ich war früh verwaist, war ein Träumer, und meine Mutter machte mir eigens ein - nicht gestreiftes, aber ein getupftes Hemd. Den Joseph liebte übrigens auch Annette Kolb sehr, und darüber finden Sie ganz schöne Sachen in meinem Buch. Über Lasker-Schüler hoffte ich ein Buch zu schreiben, es war aber eine eitle Hoffnung. Solche Beziehungen sind geheimnisvoll, in ihnen liegt ein Auftrag, den man nicht verfehlen darf, und oft ist gerade ein Buch das Verfehlen. Es ist dann so gekommen: Ich übersetzte die Gedichte an Senna Hoy****** und erreichte damit meinen Gipfel. Das war 1966. Vor zwei Jahren wagte ich mich an die Erneuerung jenes Zyklus, und das Wunder hatte sich ereignet, es glückte mir ein zweites Mal, für eine junge Generation in einer sich so rasch wandelnden Zeit. Die Übersetzung mit einem Kommentar und einigen Handschriftproben aus meiner Autographensammlung erschien in der Zeitschrift des Schriftstellerverbandes „Moznaim“. Mit Else Lasker-Schüler, die mir so viel bedeutete, die in mir so viel in Bewegung setzte, erging es mir wie mit Karl Kraus. Nachdem ich von ihr so viel lernte, wie mir zu lernen beschieden war, hörte meine Beschäftigung mit ihrem Werk auf. * Vgl. Anm. zu Brief Nr. 1 ** EB (Hg.): Paul Engelmann: Dem Andenken an Karl Kraus. Wien: Kerry 1967 *** Paul Schick: Karl Kraus. Rowohlt Bildmonographien. Reinbek: Rowohlt 1986; Aus einem Brief an den Verleger. In: Der Alleingang. Wien, 3. Jg., Nr. 7, März 1966, S. 14-19 **** EB: Annette Kolb und Israel, S. 29-32 ***** Vgl. Allerwegsdahin, S. 13; Aberwenndig, S. 15 mit Anmerkung ****** Johannes Holzmann (1882-1914), Anarchist und Schriftsteller; vgl. Else Lasker-Schüler: Senna Hoy. In: E. L.-Sch.: Sämtliche Gedichte. Hg. von Friedhelm Kemp. München: Kösel 1966, S. 109 und 115 ; vgl. Fünfunddreißig Jahre nach der „Chinesischen Mauer”. Zu dem Gedichtzyklus „Meinem so geliebten Spielgefährten Senna Hoy“ von Else Lasker-Schüler. In: Neue Sirene 12, Juni 2000, S. 69-71 100 III Deutsche Traditionen An Jens Stüben, 10. Januar 1992 Nr. 104 Zu lange war die Droste in unbefugten Händen. Die Geschichte der Droste-Editionen ist über weite Strecken eine düstere. Gern hätte ich mit Ihnen darüber gesprochen. Sie wissen, dass ich die Droste nicht nur liebe, sondern auch zu einer Säule meines deutsch-jüdischen Buches machte. Es sind übrigens der Säulen vier und alles Frauen: die Droste und ihre spätgeborene Zwillingsschwester Annette Kolb (beide katholisch, beide gleichsam im Sinne des „Geistlichen Jahrs“)*, Clara von Bodman (evangelisch) und Margarete Susman (jüdisch). - Sie waren offenbar nicht bei meiner Lesung im Rüschhaus vor einem Jahr. Schade. Aber kommen Sie zurecht mit meiner Deutung der „Judenbuche“? * Annette von Droste Hülshoff: Das geistliche Jahr. In: Annette von Droste Hülshoff: Sämtliche Werke. Hg. von Clemens Heselhaus. München: Hanser 1966, S. 569-621. EB: Rüschhaus ohne Risches. In: Treffpunkt Scheideweg, S. 39-64 EB: Geht man in sich, wird man erinnert. In: Jens Stüben und Winfrid Woesler in Zusammenarbeit mit Ernst Loewy (Hgg.): Wir tragen den Zettelkasten mit den Steckbriefen unserer Freunde. Beiträge jüdischer Autoren zur deutschen Literatur seit 1945. Acta-Band zum Symposion „Beiträge jüdischer Autoren zur deutschen Literatur seit 1945“ (Universität Osnabrück, 1.-5.6.1991). Darmstadt: Hausser 1993, S. 126-135 Von Jens Stüben, 22. Januar 1992 Nr. 104a Von Oktober 1987 an bin ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Historisch-Kritischen Droste-Ausgabe tätig. […] Am 12. Januar nahm ich teil an der Morgenfeier der Droste-Gesellschaft, die traditionell aus Anlass des Geburtstages der Droste alljährlich veranstaltet wird, so befand ich mich auch nicht unter den Zuhörern bei Ihrer Lesung.* Wohl habe ich das Kapitel über die „Judenbuche“ in Ihrem „Treffpunkt Scheideweg“ gelesen.** Es enthält subtile Beobachtungen in differenzierender, „schwebend metaphorischer“ (Klappentext) und doch wiederum eindeutiger Sprache. Ihren Satz „Erbarmen kommt nach dem Gericht“ halte ich für einen Kernsatz, der ins Zentrum der Dichtung führt. Hier ist die Droste unmissverständlich, so sehr der Novellentext auch vieles unbestimmt lässt - ob der aus dem Ausland Zurückgekehrte der Mörder ist, ob er mit Friedrich Mergel identisch ist, ob Friedrich Mergel der Mörder ist. - Sie beklagen das „Fehlen eines jüdischen Blickes“ auf die „Judenbuche“. Beim Internationalen Germanistenkongress in Tokio 1990 sprach Prof. Raymond Immerwahr (Bellevue, Washington) über „Die Judenbuche als Gewebe von Begegnungen mit dem Fremden“. Der Aufsatz wird in Band 11 der Kongressakten erscheinen.*** Ich werde Ihnen eine Kopie zuschicken. III Deutsche Traditionen 101 * Im Rüschhaus, am 14.11.1990 ** Rüschhaus ohne Risches, in: Treffpunkt Scheideweg, S. 39-51 *** Raymond Immerwahr: ‚Die Judenbuche‘ als Gewebe von Begegnungen mit dem Fremden. In: Begegnung mit ‚Fremden‘. Grenzen - Traditionen - Vergleiche. Akten des VIII. Internationalen Germanistik-Kongresses. Hg. v. Eijiro Iwasaki. Bd. XI. Tokyo 1990, S. 406-413 An Harald Fricke, 21. Juni 19‏99 Nr. 105 „[…] Kommt ja auch das Neue von den Göttern herab, und wenn es echt ist, ist es uralt. Und vom Tage zu lernen ist für ein ehrliches Herz nicht leichter, als zu lernen von den Jahrtausenden. […]“ (Paul Heyse an Jacob Bernays, München, 25. Juli 1855) Das kam mir bei der Erwähnung Scaligers (S. 11) in den Sinn: Jacob Bernays schrieb über ihn ein bahnbrechendes Buch.* Es freuen mich fast alle Zitierungen, auch Ihr Werben für Opitz und Kuhlmann oder Justus Möser, unter deren Namenszug und Himmelsstrich ich mich zu Hause fühle. Der alte Hut am Ende ist aber nicht alt genug und ist nur ein Hut. Mag sich dieser auch schick ausnehmen bei der Verbeugung des Autors: die Vorhut dieser Expedition nach Neu-Alt ist bedeutender als der Hut und müsste ohne Vorsatz und Nachtrag am Ende stehen: Kohelet 1, 9-10. Das war sein Thema, er ist auch Ihr Vater. In seinen Variationen über das Thema ist er uns immer voraus. * Jacob Bernays: Joseph Justus Scaliger. Berlin: Hertz 1855 An Harald Fricke, 14. September 1999 Nr. 106 Weil es uns gibt, sind wir die Gegebenheit, und weil wir es sind, kommen wir nicht ans Ziel, sondern sind ihm ausgesetzt. Aber wir kommen allerwegs zu Resultaten, auch ohne Theorie und Thesen. Theorie ist Ihnen die natürlichste Regung. Gern möchten auch Sie den Zufall ausschließen, und doch fallen Ihnen gute Thesen zu. Alles hat seine Notwendigkeit, wenn es nur nicht zwingend ist. Der Zufall gibt uns Recht. Könnten wir ihm begegnen, wir könnten ihm auch ausweichen. Er ist die Gerechtigkeit des nicht Ausschließlichen. Wir rechnen; die Rechnung geht auf. Dieses Moment des Aufgehens ist wie ein Entgegenkommen; ist gleichsam das Mehr des Resultats; die Entdeckung. Stimmigkeit allein tut es nicht, man muss selbst in Übereinstimmung sein. Sie hätten auch auf musikalischem Weg zu Ihrem Resultat kommen können. Man hört das Seufzen eines Worts in einem falschen Satz, das Klagen eines Satzes in einer trüben Ecke. Als ich hingebungsvoll meine bibliographischen 102 III Deutsche Traditionen Studien trieb, kam auch ich zu „überraschenden Resultaten“. Habe ich meine Ohren gespitzt, durfte ich mir die Augen reiben. Nun, Sie haben mit Ihrer Theorie* neue Ordnungen eingeführt und für große Klarheit gesorgt, die uns allen zugutekommt; vor siebzig Jahren aber - bei aller Fülle - schiene sie gegenstandslos. Ist es nicht in der Wissenschaft oft so, dass es die Falschen sind, die das Rechte tun? Liebe kann sich nicht um Rechtschreibung kümmern, und wir vermehren ihre Fehler, sobald wir glauben, sie korrigieren zu können. Kein Umbruch ohne Fahnenkorrektur. Ich meine auch die editorischen, auch die theoretischen Fahnen. Kein Fricke ohne Hecker.** Schon dies allein sei ihm hoch angerechnet. Aber er machte keine Edition, er machte ein Buch, und zu diesem gehörte eine andere Theorie, und zu jener Theorie gehörten die eigenen blinden Flecken. Archäologisch betrachtet würde es organischer aussehen. Sie machten Hecker zur Falle, und jener, der es hätte wissen können, ging in die Falle. Das besagt aber auch, dass Hecker tief sitzt; dass er eben zu den Falschen gehörte, die das Rechte taten. Mit einer Theorie - auch dem ‚Zeitgeschmack‘ liegt eine zugrunde -, die erst 80 Jahre später von einem Fricke gebrandmarkt und ersetzt werden konnte. Nun machen Sie Schule; eine Hochschule, die junge Philologen mit Hochgenuss durchlaufen werden. „Mit Fricke durch die Schule“ - oder „Mit Goethe durch das Jahr“? Auch eine Artemis*** bedarf ihres Heckers. Und er ist auch nicht erledigt, er bleibt „dialektisch“ mit Ihnen verbunden. Weil er Goethe ein neues Buch zuspielte oder andichtete, konnte es dazu kommen, dass Sie uns mit einem ganz neuen Goethe-Band überraschen. Ein Band, der ganz sicher und ganz und gar Goethe ist, aber durch Sie verjüngt, und nun - als einziges von Goethe - am Anfang einer Rezeptionsgeschichte steht. * Harald Fricke: Norm und Abweichung. Eine Philosophie der Literatur. München: Beck 1981 ** Johann Wolfgang von Goethe: Sprüche in Prosa. Sämtliche Maximen und Reflexionen. Hg. von Harald Fricke (=- Goethe: Sämtliche Werke. Band. 13). Frankfurt: Dt. Klassiker-Verlag 1993 (=-Bibl. der dt. Klassiker 102); Johann Wolfgang von Goethe: Maximen und Reflexionen. Hg. von Max Hecker. Weimar: Goethe-Gesellschaft 1907. - Fricke korrigierte, angefangen bei dem Titel, etliche Fehler und Versehen der älteren, kanonisch gewordenen Ausgabe. *** Anspielung auf den Zürcher Artemis Verlag, der beides herausgab: eine Gesamtausgabe Goethes und die vielverbreitete Kalenderreihe „Mit Goethe durch das Jahr“; in dieser Gesamtausgabe erschienen natürlich auch die von Hecker zusammengestellten „Maximen und Reflexionen“. III Deutsche Traditionen 103 An Friedemann Spicker, 26. Juni 2001 Nr. 107 Sie wissen, ich habe allerlei Mütter und besonders Großmütter in der deutschen Literatur, Vater musste ich mir selber werden; würde ich aber einen gehabt haben, er hieße Jacob Bernays. Das habe ich vor Jahren in einer großen Collage mir und Hanser zu beweisen versucht, umsonst, denn ich bin damit durchgefallen: auch bei kritisch geneigten Lesern wie Friedhelm Kemp und Harald Weinrich; einzig Jürgen Stenzel stellte das Buch „Treffpunkt Scheideweg“ gleich. Sie können also ganz froh sein, Bernays nicht vergessen zu haben.* * Friedemann Spicker: Der Aphorismus. Begriff und Gattung von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis 1912. Berlin: de Gruyter 1997 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 11), S. 163. Ders.: „Wer hat zu entscheiden, wohin ich gehöre? “ Die deutsch-jüdische Aphoristik. Göttingen: V & R unipress 2017, S. 42-44 An Gertrude Rosenberg, 18. Oktober 2002 Nr. 108 „Solange die Rose zu denken vermag, / ist niemals ein Gärtner gestorben.“ Diesen Vers Gottfried Kellers* könnte ich als Motto beherzigen. Meine nächsten Freunde waren Keller-Leser, oft auch Kraus-Schüler, und das ging - wie auch bei Wittgenstein - gut zusammen; auch im Dada wurde Keller groß verehrt und gefeiert, von Johannes Baader** vor allem. So hat Ihr Meister auch mir viel bedeutet, aber meine Liebe gehörte dennoch dem geringeren Conrad Ferdinand Meyer***. Das hatte einen kuriosen Grund. Es gab in Jerusalem einen gutherzigen Arzt - der die Armen bevorzugte, von denen er kein Geld nahm -, er war zugleich Maimonides-Forscher und gab dessen medizinische Schriften heraus. Bei der Herausgabe eines dieser Werke habe ich ihm geholfen, so kam ich ihm näher, wobei er mich als Dichter kennenlernte. Eines Tages rückte er mit einem Manuskript heraus - es war Meyers Ballade „Die Füße im Feuer” in seiner Übersetzung, die er mir zur Überarbeitung anvertraute. Seine Freundschaft - er hieß Süssman Muntner**** und wurde später Professor für die Geschichte der Medizin - war mir teuer und zwang mich, etwas zu leisten, was über meine Kräfte ging, denn meine Deutschkenntnisse waren dürftiger denn dürftig. Es könnte ein Wendepunkt gewesen sein, vielleicht die Geburt einer Begeisterungsfähigkeit, die mir nach und nach mehr und mehr erschloss. Die Ballade spielte nicht lange eine Rolle in meinem poetischen Haushalt, aber der Name Meyer prägte sich mir tief ein, und schließlich war es seine Prosa, die mir so wertvoll wurde, obschon ich mich am längsten mit seiner Lyrik beschäftigte. Meyers Prosa wirkte auf mich immer so beruhigend, dass ich keinen Militärdienst antrat, ohne einen Band Meyer mitzunehmen. Das ist alles in allem eine Jugenderinnerung, für meine Entwicklung waren andere Dichter 104 III Deutsche Traditionen von entscheidender Bedeutung, vor allem Else Lasker-Schüler. In der Prosa vor allem Goethe, Noten zum West-östlichen Divan , die schönste Prosa, die mir je zu Herzen ging, Heines Prosa ausgenommen, doch diese - sonderbarerweise - in der hebräischen Übersetzung, die ein Zauberer vollbrachte. In vieler Hinsicht habe ich die Gegenwart verpasst, weil ich mich nach Deutschland begab, ins Deutsche, das es nicht mehr gab, weil es zur Hälfte jüdisch war. In Deutschland interessierten mich vor allem die Autoren, die Juden noch als Freunde hatten und mir von diesen erzählen konnten. Aus diesen Besuchen sind dann einige wichtige Freundschaften entstanden, z. B. mit Annette Kolb, die ich als Schriftstellerin hochschätzte (über die ich auch ein Buch geschrieben habe).***** Mit Georg von der Vring, den ich vor allem als Lyriker liebte, und mit Marie Luise Kaschnitz******, die in ihrer Prosa nicht weniger gut war als in ihrer Lyrik, sie war auch im Umgang schlicht und sachlich und erinnert mich ein wenig an Sie. * Aus dem Gedicht „Rosenglaube“: „Dich zieret dein Glauben, mein rosiges Kind-…“ ** Johannes Baader (1875-1955), DADA-Schriftsteller, Architekt, Aktionskünstler *** Vgl. Anm. zu Brief Nr. 68 **** Vgl. Anm. zu Brief Nr. 171 ***** EB: Annette Kolb und Israel; vgl. Anmerkung zu Brief Nr. 20 und 27 ****** Vgl. Allerwegsdahin, S. 75, 108 f.; vgl. Die Rede geht im Schweigen vor Anker, S. 48, 52; vgl. Aberwenndig, S. 76, 108 An Friedemann Spicker, 28. November 2004 Nr. 109 Schön wärs, könnten wir das Buch* gemeinsam, Seite für Seite lesen, da hätten wir auch hinter die Kulissen treten können, Anekdoten austauschen, einander Lebensgeschichten ergänzen. So hätte ich Ihnen z. B. über Oscar Ewald erzählen können, den Sie, wie es sich gehört, gegen Kraus in Schutz nehmen. Sie schreiben (S. 137): „…in seinen besten Texten ist Ewald in jedem Fall nachdenkenswert und für eine vernichtende Kritik nicht der geeignetste“, dem stimmt kein geringerer als Georg Simmel zu, der - am 29.1.1907 - bei Husserl mit folgenden Worten für Ewald wirbt: „Es liegt mir daran zu wissen, ob in Göttingen noch Raum für einen philosophischen Privatdozenten wäre. Es handelt sich um einen jungen Mann, der bereits durch allerhand Veröffentlichungen hinreichend legitimiert ist und von dessen philosophischer Begabung ich eine hohe Meinung habe. “ Ewald schrieb übrigens ein Buch über die Moralisten, das Sie heranziehen könnten.** Gestorben ist er 1940 in Exon, England. III Deutsche Traditionen 105 Die Wortspielwiesler*** haben kein Gesicht zu verlieren, weil sie keines haben, sie schreiben in der Regel eben auch keine Tagebücher, weil sie nicht einmal an sich selbst interessiert sind. Das betrifft auch Karl Kraus - und die Folgen - für die Aphoristik, der er gesichtsvoll seinen Stempel aufdrückte, mit einem eigenen Wappen vielleicht. Sein Name steht für Größeres, für die letzten Tage der Menschheit, diese Größe - mit noch anderem, was dazugehört - ist nicht zu übersehen, dass er für uns aber ein Gesicht hat - zu verlieren, zu gewinnen -, verdankt er, verdanken wir einer Anni Kalmar**** und einer Sidonie von Nadherny*****. Kraus selbst würde wahrscheinlich sagen, sie gehörten nicht zur Sache, aber eine große Sache darf nicht gesichtslos sein, und wärʼs auch möglich, Sache und Person messerscharf zu trennen. * EB in der Lektüre von: Friedemann Spicker: Der deutsche Aphorismus im 20. Jahrhundert. Spiel, Bild, Erkenntnis. Tübingen: Niemeyer 2004 ** Oscar Ewald: Die französische Aufklärungsphilosophie. München: Reinhardt 1924 *** Friedemann Spicker: Der deutsche Aphorismus im 20. Jahrhundert, S. 673-685: Auf der Wortspielwiese oder Kandierte Sätze **** (1877-1901), Schauspielerin, Geliebte von Kraus ***** (1885-1950), Geliebte von Kraus An Friedemann Spicker, 15. Dezember 2004 Nr. 110 Günther (über ihn muss ich Ihnen noch einen Brief schreiben)* - Günther hatte den Vorteil, dass er nicht von der Musik kam (unter Deutschen eine Rarität). Aber es wäre auch von Vorteil für Ihre Arbeit, wenn Sie nebenberufliche Kritiker zur Kenntnis genommen hätten, die in der Musik ihre Herkunft hatten, wie z. B. Oskar Loerke und Hermann Hesse (und nebenbei auch Goes). Sie haben ein großes Verständnis für den musikalischen Satz und verfügen dadurch über einen musikalischen Schlüssel zum Aphorismus. Sie - in ihren Rezensionen - sind eines ernsten Studiums wert, und ich rechne dazu, weil er mir gerade in den Sinn kommt, auch Ernst Lissauer (einiges blitzelte durch meinen Kopf, darunter seine Rezension von Morgensterns „Stufen“**). Das erlaube ich mir Ihnen zu sagen, weil Sie eben nicht zu den konventionellen Pfadfindern gehören. (Morgenstern: „Wir fanden einen Pfad“***: Er selbst, nach Abzug aller gewaltigen Einflüsse, denen er erlag - von Nietzsche**** bis Mauthner - , war in seiner Person die aphoristische Gespaltenheit - kalkig und galgig*****, nehmen Sie es mir nicht übel, ich kann mich jetzt nicht um Besseres bemühen). * Vgl. Brief 66, 80 mit Anmerkung ** Ernst Lissauer: Zu Morgensterns „Stufen“. In: E. L.: Von der Sendung des Dichters. Aufsätze. Jena: Diederichs 1922, S. 128-134 106 III Deutsche Traditionen *** Christian Morgenstern: Wir fanden einen Pfad. Neue Gedichte. München: Piper 1914 **** zu EB und Nietzsche vgl. Olivenbäume, S. 21 et pass. ***** Christian Morgenstern: Galgenlieder. Berlin: Cassirer 1905; vgl. Die Eselin Bileams und Kohelets Hund, S. 186; Vielzeitig, S. 275 An Harald Fricke, 5. Januar 2005 Nr. 111 Weil Sie Lichtenbergs Briefwechsel* erwähnen: Als ich vor vielen Jahren den Chamisso-Preis erhielt, bekam ich eine Gratulation vom Deutschen Auswärtigen Amt, es gab damals noch Sitten, ich durfte mir auch noch persönlich etwas wünschen; ich wünschte mir den Briefwechsel Lichtenbergs, von dem bereits zwei Bände vorlagen. Für die weiteren Bände hatte ich keine Gratulanten mehr. […] Wenn Sie sich für tüchtig halten, wäre ich froh, Ihre Begeisterung teilen zu können, also die nächsten Bände des Lichtenbergschen Briefwechsels zu bekommen. Die Werbungsphrasen wollen mich doch als Lichtenbergs Erbe wissen, wer sollte meine Ansprüche auf Erbschaft nicht einsehen können. Allerdings: wer ist Wer? Ich schrieb vom „Bestellen meines Hauses“, das ich weiter betreibe. Ich habe - Gott sei es geklagt - vier Häuser zu bestellen, von den nächsten zwei muss ich zunächst absehen - das Hebräische ist mir zu schmerzhaft nah, das Österreichische entrückt und beinahe verhasst, im unheimlich Deutschen machte ich mir meinen Namen, im Schweizerischen machte ich mein Glück. * Georg Christoph Lichtenberg: Briefwechsel. Hg. von Ulrich Joost und Albrecht Schöne. Bd. I-V, 1-2. München: Beck 1983-2004 Von Harald Fricke, 18. Januar 2005 Nr. 112 Ich staune erneut, liebster Elazar: auch den Jacobi* kennen Sie viel besser als ich, mir hat die wiederkehrend-marginal bleibende Begegnung nie ein so umriss-scharfes Bild eingedrückt! Ich werde mich mit dem Ihren durch erneute Jacobi-Lektüre näher befassen, sobald sich eine günstige Gelegenheit offeriert. Wegen der weiteren Briefwechsel-Bände lasse ich über Freund Joost** noch einmal nachfassen, so ganz schnell wird sich vermutlich ein Erfolg noch nicht zeigen. Aber diese Bücher lohnen das Warten! Erst heute morgen habe ich Bettina*** beim Frühstück einen entzückend selbstironischen Brief vorgelesen, den Lichtenberg 1793 vom Vorstadt-Garten aus an seine geliebte „Frau Hofräthin“ daheim geschickt hat.**** * Friedrich Heinrich Jacobi; vgl. Vielzeitig, 240 f. und 324 f.; vgl. Aberwenndig, S. 133 ** Prof. Dr. Ulrich Joost, Herausgeber der Briefbände Lichtenbergs III Deutsche Traditionen 107 *** Ehefrau Prof. Harald Frickes; vgl. Brief Nr. 400 **** Georg Christoph Lichtenberg: Briefwechsel. Hg. von Ulrich Joost und Albrecht Schöne. Bd. I-V, 1-2. München: Beck 1983-2004, Bd. IV, S. 79f. (Nr. 2258) An Friedemann Spicker, 27. April 2005 Nr. 113 Von Lec abgesehen, las ich wieder in Ihrem Buch und notierte mir folgendes für Sie: zu Rathenaus „Reflexionen“ (sehr wichtig: Gespräche mit Rathenau, München dtv, S. 192f.; Gespräch mit Schumann). Ich habe den Prachtband übrigens-in Deutschland erworben und verschenkt. Im Anschluss daran - durch Felix Stössinger zweifach verbunden - Arno Nadel* betreffend: Arno Nadel, Der Ton: „Der Verdruss an alledem hindert mich nicht, festzustellen, dass vieles Aphoristische vortrefflich ist.“ (Oskar Loerke, Der Bücherkarren, Heidelberg/ Darmstadt 1965, S. 331). Das würde heißen, dass Nadel in eine andere Kategorie gehörte, obschon er mit seinen „Aphorismen“ im Banne Nietzsches stand. Stössinger - ein bedeutender Kritiker an sich, gab u. a. eine für seine Zeit wunderbare „Zusammenfassung“ Heines-bei Manesse heraus**; er war ein intimer Freund Nadels; er konnte sich in die Schweiz retten und dadurch nach und nach auch-um den Nachlass des umgebrachten Freundes kümmern; dieser ist zum Teil auf mich gekommen. Stössinger verlegte-Bücher von Nadel, auch den „Ton“*** - ich weiß jetzt nicht, ob vor oder nach der Insel-Ausgabe. * Vgl. Vielzeitig, S. 321; zu Nadel und Stössinger: Friedemann Spicker: „Wer hat zu entscheiden, wohin ich gehöre? “ Die deutsch-jüdische Aphoristik. Göttingen: V & R unipress 2017, S. 91f. ** Heinrich Heine: Mein wertvollstes Vermächtnis. Religion, Leben, Dichtung. Hg. von Felix Stössinger. Zürich: Manesse 1950 *** Arno Nadel: Der Ton. Hg. von Eduard Sievers. Leipzig: Insel 1921; Der Ton: Die Lehre von Gott und Leben. Religiöses Gedichtwerk. Berlin: Stössinger 1926 An Ingeborg Kaiser, 31. Dezember 2005 Nr. 114 Dank für den Dezemberjanuar, es bleibt zu fragen, auch zu befragen, wie Heiner Müller sagt. Tiefe Gedanken haben in der Tiefe ihre Entsprechung und sind nicht eben. Es ist doch bemerkenswert, dass Sie mir von Rosa, Heiner und Bauch schreiben. „Ich habe keine Angst vor dem Tod”*: als stünde er gegenüber, ein Riese, mit dem man’s ohne Zittern aufnehmen könnte. Der David in uns wird den Philister schon zur Strecke bringen. In meinen jungen Jahren imponierten mir Menschen, 108 III Deutsche Traditionen die so sprachen; ich glaubte, Mut und Überlegenheit zu vernehmen. Was laut werden wollte, wurde kleinlaut gedacht, in Schranken und schräglich. Misstrauisch geworden mehr und mehr, wirkte diese Aussage nur noch bedauerlich; und je bedeutender der Sprechende, desto krämlicher. Darüber wollte ich also schreiben, als Ihr Brief mit „Heiner, dunklem bauch und grab“ bei mir eintraf. Die Beschäftigung mit alten Briefwechseln brachte mich dazu, darunter besonders der sich über Jahre erstreckende mit Lotte von Schaukal: einer Wienerin, als Übersetzerin bekannt, doch eher noch als Tochter ihres Vaters, des Dichters Richard von Schaukal, dessen Name und Werk einst von gutem Klang waren.** In seiner (mir eine der liebsten) Anthologie ‚Zu Unrecht vergessen‘ (Hamburg 1957), schreibt Paul Hühnerfeld: „Als der Herausgeber daranging, in den dunklen, vergessenen Winkeln unserer Dichtung umherzustöbern, stellte sich - nach den ersten Fragen - bald schon ein neues Problem ein. Möglicherweise gab es Dichter, die zu Unrecht vergessen wurden, doch ebenso sicher schien unsere Literaturgeschichte Beispiele dafür zu geben, dass ein Dichter zu Unrecht ‚behalten‘ wurde. Aber es ist doch eindrucksvoll, wie zu langer Ruhm eines Tages von der Zeit korrigiert wird. In der Lyrik der letzten Jahrzehnte scheint Richard von Schaukal ein solcher Fall zu sein. Er galt Zeit seines Lebens als ein großes Talent, das namhafte Kritiker ebenbürtig neben Hofmannsthal und George stellten-… Heute findet man außer ein, zwei Gedichten nichts mehr von ihm.“ (S. 10)*** Der Briefwechsel mit Lotte könnte eine Briefnovelle abgeben. Lotte nun antwortet auf einen Brief, in dem vom Tod die Rede war, sie habe keine Angst vor dem Tod. Das stellte sich mir in ihrer großzügigen Handschrift vor Augen, leichthin und schwerweg. Was mochte ich ihr dazu gesagt haben? Ich weiß es nicht, doch nehme ich an, dass es mir in den Fingern juckte. Die Grundangst klang auf und wurde einsilbig oder wortwechselnd thematisiert - und abgewehrt. Es ist leichter, den Mund zu halten als zu schweigen. Man macht sich Mut und will doch auch imponieren (meistens folgt ein aufhebender Zusatz, die Qualen des Sterbens betreffend. Vor dem Tod keine Angst, doch bitte ohne Schmerzen). Das Aufhören liegt jenseits von Wille und Vorstellung, man weiß, wie ein Leben endet, kann selbst damit auch Schluss machen, sein Ende nicht aber nehmen, es ist nicht zu haben, es folgt. Ein Aufwirbeln alten Staubs bringt Nachricht aus einem fernen, fremd gewordenen, anderen Leben, das wir einst umworben haben und [das] nun von uns entleert, mit eigener Hand geschrieben steht. Wiederum aufgewirbelt, kam mir zu Gesicht ein Brief aus dem Jahr 1974, Meret Oppenheim**** bedankt sich für ein Gedicht und fügt hinzu: „Ich würde mich freuen, Ihre Gedichte zu erhalten. Ich muss Ihnen aber sagen, dass ich noch nie zu Gedichten etwas machen konnte. Nicht einmal zu eigenen, was ich III Deutsche Traditionen 109 versucht habe. Ich bin aber gerne bereit, (irgend)eine Zeichnung für Ihr Buch zu geben oder eine Eau forte***** für eine eventuelle Luxusausgabe zu machen-…“ Es dauerte eine gute Weile, bis ich mich erinnern konnte, dass ein Gedichtband von mir einstlich ernstlich erscheinen sollte, in St. Gallen („im Erker“). Es war eine noble Adresse, und der Band wäre als Steindruck erschienen. Wäre also. Und die Beziehung? Briefwechsel als Staubsauger; Beziehungen als Altpapier. Staub, Papier, Erinnerung - alle drei zusammen führten zu einem asthmatischen Anfall. Und sagte ich nun: „Ich kann davon nicht ablassen”, hieße es, ich würde an einem Zipfelchen Leben hängen? Das löste bei mir Heiner Müller aus, auf den ich unmittelbar - das war meine erste Regung - mit einem Zitat vom Maurice Maeterlinck antworten wollte: „Unser Leben ändert sich völlig mit dem Tage, wo wir anfangen, mit den Toten in uns zu verkehren und sie zu verstehen. Man zähle sie sorgsam, vergesse keinen: sie sind die wahren Reichtümer unseres Lebens.” (Maurice Maeterlinck, Vor dem Großen Schweigen, 1935). Doch das entsprechende Zitat, Heiner Müller vorausgehend, stammte von einem Wiener - dessen Briefe Weltliteratur sind - Alexander von Villers******, er schrieb: „Kein Brand von Alexandrien kommt dem Verlust an Ungeborenen gleich.“ Die Welt feiert Neujahr, und wir sprechen von Altpapier und Tod, das gelte dem Abgelegten, morgen kommen neue Strahlen und erwärmen neue Werke! * Rosa Luxemburg, Heiner Müller ** Richard von Schaukal (1874-1942), österreichischer Dichter („Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser“, 1907), dazu Friedemann Spicker: Der deutsche Aphorismus im 20. Jahrhundert. Spiel, Bild, Erkenntnis. Tübingen: Niemeyer 2004, S. 248-252 *** Paul Hühnerfeld (Hg.): Zu Unrecht vergesen. Hamburg: v. Schröder 1957 **** Meret Oppenheim (1913-1985), schweizerische Künstlerin und Lyrikerin ***** eine besondere Art der Radierung ****** Alexander von Villers: Briefe eines Unbekannten. Aus dessen Nachlaß neu herausgegeben von Karl Graf Lanckoronski und Wilhelm Weigand. Zwei Bände. Leipzig: Insel 1910 An Friedemann Spicker, 1. April 2008 Nr. 115 Von meiner Lesung, in die Sie einführen werden*, habe ich weder Dunst noch Schimmer, enttäuschend wird sie in einem Punkt gewiss aber sein: Kein Wort von Lichtenberg. Wüssten Sie von anderen Erwartungen, die ich noch enttäuschen könnte? Dafür bekommen Sie eine Überraschung - ich war selbst eben überrascht - in Form eines Heuschele-Briefes: 110 III Deutsche Traditionen „Waiblingen, am 10.3.1971 Verehrter, lieber Herr Elazar Benyoëtz! Sie haben mir durch die Güte von Frau Clara von Bodman Ihr Buch „Sahadutha“ zugehen lassen. Dafür hätte ich Ihnen längst schon danken müssen, aber es waren nicht eben gute Zeiten für mich, Zeiten, die Sorgen bereiten, nicht persönlicher Art nur, sondern weit eher überpersönlicher, zeitgeschichtlicher Art. Inzwischen habe ich mich aber mit Ihrem Buch sehr intensiv beschäftigt, ich habe es mit jener Beglückung gelesen, die sich dort einstellt, wo wir Wesentlichem begegnen, und das ist heute seltener als wir annehmen. Ich möchte dieses Buch eine Selbstdarstellung nennen, eine innere Biographie möchte es auch genannt werden, so wie ich das in meinen eigenen Büchern „Dank an Freunde“ und „Augenblicke des Lebens“** gegeben habe. Man müsste an einem Tisch beisammen sitzen und könnte dann, von diesen Gedanken ausgehend, weite Wege durch die Sphären des Geistes wie des Lebens antreten. Ich darf schließlich noch sagen, wie sehr ich mich über die vollendete sprachliche Formulierung der Gedanken gefreut habe. Darauf kommt ja alles an. Man könnte über das Buch die Verse schreiben, die der ganz junge Hofmannsthal*** in ein Exemplar seines Erstlings „Gestern“ schrieb: ‚Gedanken sind Äpfel am Baume, / Für keinen / Bestimmten bestimmt, / Und doch gehören sie schließlich / Dem einen, der sie nimmt.‘ Ich habe sie ergriffen und so gehören sie mir.“ * Lesung auf der Lichtenberg-Tagung am 4. Juli 2008 ** Otto Heuschele: Dank an Freunde. Berlin: Rabenpresse 1939 (Kunst des Wortes 19). 4. erweiterte Auflage: Stuttgart: Fink 1958; Augenblicke des Lebens. Aphorismen. München, Esslingen: Bechtle 1968 *** zu Hofmannsthals „Buch der Freunde“ vgl. Aberwenndig, S. 156 An Friedemann Spicker, 2. April 2008 Nr. 116 Ich weiß nicht, ob ich Ihnen erzählte, dass die Wiener Nationalbibliothek meinen Nachlass (sie nennen es Vorlass) erwerben will, zwei Mitarbeiter sollten schon Ende des Monats kommen, mein „Hab und Gut“ einzuschätzen, was ich abwehren musste, da wir Ende April ja nach Berlin gehen. Also werde ich meine Gespräche mit Prof. Schmidt-Dengler* in Berlin führen, so ist es jedenfalls vorgesehen. Merkwürdig, dass Wien, das sich um mein Werk und Leben nicht kümmerte, nun plötzlich um meinen Tod und Nachleben besorgt sich zeigt. Doch wollte ich von anderem sprechen: Dieses Ansinnen wühlte bei mir Erinnern und Vergessen, Kisten und Truhen auf, und so wie ich auf den ungeahnten Heuschele stieß, stieß ich auf den Briefwechsel mit Joachim Günther, der mich III Deutsche Traditionen 111 wiederum überraschte: Alles ist viel umfangreicher, auch viel intimer, aber auch wertvoller, als ich dachte, ich gewinne daraus ganz wichtige Daten. In einem Brief beschwert er sich über meine Handschrift, jetzt ist seine Handschrift mein Problem. Man kommt schon dahinter nach einiger Übung (bei mir nützt keine Übung), die unerlässlich ist, denn er schrieb nur mit Hand, von meinen Briefen gibt es immerhin Durchschläge, denn die meisten sind maschinengeschrieben. Was Sie betrifft: Die Aphoristik oder deren Veröffentlichung taucht als Thema zwischen uns auf, erst nachdem unsere eigentliche Beziehung zu Ende war, sie ist weder erheblich noch fruchtbar. Das bedauere ich heute, wie viel hätten wir von einander haben können, wäre meine und seine Aphoristik früher ausgebrochen. Ich habe indes die Vermutung, dass meine „Einsprüche“ / „Einsätze“ ihm, der bereits lange und viele Aphorismen in seiner Zeitschrift veröffentlichte, den letzten Anstoß gaben, mit seinen Versuchen ernst zu machen. * Wendelin Schmidt-Dengler (1942-2008), österreichischer Literaturwissenschaftler. Seit 1980 Professor am Institut für Germanistik der Universität Wien. Leiter des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek An Harald Fricke, 7. Juni 2011 Nr. 117 Sie lasen in Lichtenbergs Briefen und gedachten meiner, ich lese in Gershom Scholems Tagebüchern und denke an Sie - im Rückertschen Zusammenhang: Von der KLAGE* verstand der junge Scholem so viel, dass auch für Sie, der Sie genug davon hatten** - Blick- und Herzerweiterndes zu finden wäre. Hier die frische Begegnung mit Ihrem Meister: „21. Juni 1919. Ich kaufte-… die Pantheon-Ausgabe einer Rückert-Auswahl von Loerke, weil ich doch großes Interesse für diesen Dichter bekommen habe, besonders seit ich von der Existenz der Kindertotenlieder vor einiger Zeit (ich glaube wirklich, es war durch die Jewish Encyclopedia! ) erfuhr, von denen einige Stücke auch hier aufgenommen sind, von denen einige sehr schön sind, vor allem aber das kleine Gedicht „Du bist ein Schatten am Tage und in der Nacht ein Licht« zum Schönsten gehört, was ich an Elegischem kenne. Es ist sogar wirklich eine Ahnung von Klage darin - Rückert war ein großer Orientalist und mag als solcher, ohne begrifflich darüber klar zu sein, ohne Vorstellung von Klage in unserem Sinn geahnt haben aus seinen semitischen Studien, vielleicht hat er sogar Klagen übersetzt, was man untersuchen wird müssen - arabische oder hebräische - besonders in der ungeheuren gedrängten Zyklik dieses Gedichtes, das völlig in sich selbst verschwindet. Es schließt sich und hebt sich auf eine wahrhaft wunderbare Weise. Ich will dieses Buch ganz zu bekommen trachten.“ (G. Scholem, Tagebücher-… 2. Halbband 1917-1923. Ffm 2000, S. 492) 112 III Deutsche Traditionen Diese frische Begegnung des jungen Scholem mit dem alten Meister wird Sie freuen, lieber Harald, sie deckt sich mit Ihrer späten Begegnung mit Rückert*** - und allzu frühen mit der Klage. Was Scholem über die KLAGE zu sagen weiß, ist blick- und herzerweiternd. Sie können sich denken, wie viele Erinnerungen zu Ihnen dabei strömten. Rückert, das habe ich Ihnen nie gesagt, hatte auch für mich eine frühe Bedeutung und später wieder, „Treffpunkt Scheideweg“ im Blick. Die Makamen des Hariri****, in der 2. vervollständigten Auflage von 1837, begleiten mich seit mehr als vierzig Jahren. Und „Die Weisheit des Brahmanen“*****. * Friedrich Rückert: Kindertotenlieder, Kap. 19: „Du bist ein Schatten am Tage, / Und in der Nacht ein Licht; / Du lebst in meiner Klage, / Und stirbst im Herzen nicht.“ ** Anspielung auf den Tod der Tochter Judith 1997 *** Harald Fricke: Rückert und das Kunstlied. In: RückertStudien 5, 1990, S. 14-37 **** Die Makamen von Hariri (1054-1122) hatten großen Erfolg und fanden Nachahmer in arabischer, persischer, hebräischer und syrischer Sprache. Im Westen wurden sie zunächst durch Teilübersetzungen bekannt. Deutsche Nachdichtung von Friedrich Rückert (Die Verwandlungen des Ebu Seid von Serûg oder die Makâmen des Hariri, in freier Nachbildung. 2. vervollständigte Auflage 1837) ***** Friedrich Rückert (Lyriker, Prof. für Orientalistik, Übersetzer): Die Weisheit des Brahmanen. 6 Bände: Leipzig: Weidmann 1836-39. Ein „Lehrgedicht in Bruchstücken“; zweizeilige Sinnsprüche Von Günter Bader, 10. Juni 2011 Nr. 118 Was geschieht mit der deutschen Sprache, wenn der hebräische Dichter Elazar Benyoëtz sie jetzt spricht? Im Grunde nichts Einzelnes, nichts auf der Ebene des zu Vergleichenden, des zu Übersetzenden und Übersetzbaren. Sondern es geschieht etwas mit der Sprache als ganzer. Ich versuche zu sagen was. Immer, wenn etwas mit der Sprache als ganzer geschieht, muss ein Dichter am Werk gewesen sein. Noch gut mag ich mich erinnern, welche Wohltat, welche Bestürzung es für mich, das Nachkriegskind, in der Zeit seines Heranwachsens war, seine eigene Sprache: Deutsch, von jüdischen Menschen gesprochen zu hören, von Hans Jonas etwa, von Gershom Scholem, von Shmuel Sambursky*. Das hieß, Deutsch noch einmal für einen Moment hören zu können, wie wenn keine Katastrophe geschehen wäre, wiewohl von solchen, die Zeugen dieser Katastrophe waren und ums Haar selbst dies nicht hätten sein können. Also zu hören dieses schöne, leicht antiquierte, würdige Deutsch, das in der Rehavija** gesprochen worden sein mag und jetzt über den Umweg Jerusalems noch einmal zurückkehrte an III Deutsche Traditionen 113 die Ohren der Täter und in ihnen den Schmerzklang entfachte: So habt ihr einmal geredet, so durftet ihr einmal reden, jetzt nicht mehr. (So erging es mir auch, als ich in der Großen Synagoge saß und Chorgesänge aus dem Berlin des 19. Jahrhunderts hörte: So durftet ihr einmal singen, jetzt nicht mehr. Der Titel Scholems kehrte sich um: Von Jerusalem nach Berlin.***) Das ist nicht mehr die Situation von Elazar Benyoëtz. Er sitzt an den Bächen Jerusalems und weint: Wie dürfte ich Deutsch singen im eigenen Lande? Der Konflikt hat sich in der Generation nach Scholem usw. ungeheuer verschärft. Es ist nach menschlichem Ermessen die letzte Generation, die diesen Konflikt austragen muss. Selbst wenn Muttersprache erklingt, ist es keine Muttersprache. Die sinnlichen, kindheitlichen, atmosphärischen Assimilationen von Welt sind sämtlich dahin und weggebrochen. Unter beständigem Reflexionsriss erklingt eine Muttersprache zweiten Grades. Was für eine Fremdlingin, diese ehemals Schöne! Nun gilt vor allem Eines: Deutsch soll, ja muss daran gehindert werden, je noch einmal sich selbst zu berühren. Keine Rekursivität, kein Reim, höchstens „Not“/ „Ton“, Schriftarbeit also, Buchstabenarbeit. Das Deutsche hebräisch zu erziehen (wie es angesichts der lingua sacra die Aufgabe Luthers gewesen wäre, der sich allerdings damit begnügte, seinen lieben Deutschen das Narkotikum eines deutschen Deutsch einzugießen), heißt Knochenarbeit leisten. Das bedeutet: die Schriftgestalt des Hebräischen - das ich in meiner Privatsprache gerne als Knochenhebräisch bezeichne - solange aufs Deutsche zu legen und ihm einzuprägen, bis es in Dissipation gerät, in Dissimulation zu sich selbst. Nur ein solches zur Zerstreuung gebrachte Deutsch zeigt allenfalls noch liminale Berührung mit Wirklichkeit. Das ist es vielleicht, was mit der Sprache als ganzer geschieht, indem der hebräische Dichter Elazar Benyoëtz sich in ihr bewegt. Und in diesem Zustand der Zerstreuung haben Sie Deutsch selbst noch aus den letzten Ecken zusammengefegt und gesammelt. In einer solchen Sammlung findet sich selbst Isolde Kurz, an deren Vater und eins seiner Gedichte ich stets an einer bestimmten Stelle denke, wenn ich von der Bibliothek Tübingen mit Blick an den Horizont nach Hause fahre. Und natürlich findet sich darin selbst der wieder so gänzlich andere Paul Mongré, der Bonner Kollege, der längst dem Zecher olam angehört. Ein Erzjude, dicht am Herzklopfen Luthers, in der deutschen Sprache, wie in einer Kirche * Shmuel Sambursky (1900-1990), Professor für Geschichte und Philosophie der Naturwissenschaft an der Universität Jerusalem 114 III Deutsche Traditionen ** Rehavija: Stadtteil von Jerusalem; vgl.: Thomas Sparr: Grunewald im Orient. Das deutsch-jüdische Jerusalem. Berlin: Berenberg 2018 *** Gershom Scholem: Von Berlin nach Jerusalem. Jugenderinnerungen. Erweiterte Fassung, aus dem Hebräischen von Michael Brocke und Andrea Schatz. Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag 1994 An Burkhard Talebitari, 4. September 2011 Nr. 119 Wie immer - hilfreich und gut, nur: Kritik beginnt „Am Anfang“ und ist - auch sie - ohne Ende. Wird der Narr gestrichen, bleibt der Weise außer Atem. Das Blöde gehört dazu, gehört auch in jede Rezeption. Jeder muss sein Wort, wenn es zu stehen kommt, verantworten, auch Du. Dem Nachweis ist nicht zu entgehen. Ludwig Fulda kommt in den „Sandkronen“ (der alte Titel geht mir leichter über die Lippen*) vor, darum auch in den „Ölbäumen“, der z. T. auf Parallelen gebaut ist.** Den Fulda gab es, er war ein Virtuose, seine Stücke beherrschten lange die Bühne, ebenso seine Moliere-Übersetzungen. (Hans Weigel*** wollte sie verdrängt wissen.) Meine Schwäche für ihn hängt mit seinem Ende zusammen: Von den Nazis aus der Preußischen Akademie verjagt (hier müssen wohl mehr als-… Punkte folgen), nahm er sich das Leben. Dafür steht - ganz unauffällig, ja heiter - sein Name in diesen letzten Büchern. Dazu - im Gegensatz zu meinen früheren Büchern - stehen die Namen, die ich gemieden habe: Benn,-Ernst Jünger, Carl Schmitt. * Zu diesem Zeitpunkt wurde ein anderer Titel erwogen: Dasein ist Hiersinnig. ** Sandkronen, S. 295; Olivenbäume, S. 228 *** Siehe Anm. zu Brief Nr. 77 An Werner Helmich, 13. Januar 2012 Nr. 120 „Das protestantische Wort ist Dichtung, es lässt die subjektive Beteiligung und Fortspinnung zu, das katholische Wort ist Glaube. Das erste lässt Arien einzelner Stimmen zu und sehnt sich danach, dass die Ritornellformen den Andächtigen umrunden. Das zweite sammelt gern die Gesamtheit in Vokalfugen, verschlingt die Vielheit in unisonen Zügen, umfasst allmählich das Ganze mit dem in der zyklischen Form der absoluten Instrumentalmusik waltenden Willen. Bach schöpfte den Glauben aus, die Wiener Großen freuten sich in ihm, Beethoven maß sich an ihm, und alle bestanden ihn nach ihrem Reichtum. Bruckner nahm ihr Dynamisches aus dem Glauben heraus und konzentrierte es in dem instrumentalen und vokalen Orchester, das ihn nun wie ein einziger vernunft- und leidenschaftsbegabter Körper äußerte-…“ (Oskar Loerke: Anton Bruckner. Ein Charakterbild. Berlin 1938, S. 242f.) III Deutsche Traditionen 115 Es will weiter nichts bedeuten (obschon es mir allerlei bedeuten muss im Hinblick auf eine kuriose Tagung der evangelischen Stadtakademie Bochum, anlässlich meines 75. Geburtstags - mit nur katholischen Referenten)*. Es geht um Bruckner und also denke ich an Sie (so wird es immer sein, wenn Bruckner fällig wird, und Loerke hatte ein Herz für Bruckner) und will gleich von dieser Angelegenheit abkommen, um Ihnen eine ganz andere ans Herz zu legen, eine neue Fassung meines alten „Paradiesseits“, weil die CD es zu fordern scheint. Nehmen Sie es mir bitte nicht übel und fühlen Sie sich nicht überfordert, ich möchte nur wissen, ob es Ihnen in dieser Fassung gefallen kann. * Tagung Bochum, 18.11.2012 Von Werner Helmich, 13. Januar 2012 Nr. 121 Oh, mein lieber Rebbe, natürlich gefällt es mir, was Sie in Ihrem Attachment vom Paradies künden, auch wenn mir das, was im Haupttext der Herr Loerke da von protestantischer Dichtung und katholischem Glauben sagt, so allgemein schwerlich einleuchten will, obwohl ich ein paar sehr gläubige Katholiken kenne und mich ihnen nahe weiß; hier ist es vermutlich ganz auf Bruckner gemünzt. Bei Bruckners Musik bin ich stark gespalten: Manches ist mir schwer erträglich, etwa wenn er sich zwanzig Takte lang jeweils einen Halbton höher schraubt oder allzu primitiv-triumphalistisch endet, anderes finde ich innig und erstaunlich neutönerisch für seine Zeit, so den langsamen Satz der Romantischen* (von dem ich sicher schon früher einmal geschwärmt habe) oder generell viele Streichquartette und andere Kammerbesetzungen. Lassen Sie sich ruhig von katholischen und evangelischen Stadtakademikern feiern: Es ist doch schön, wenn die sich auf einen ihrer Altvordern verständigen. Wie schön wäre es, wenn die Araber einmal die gemeinsamen Väter wieder hervorholten und mit den Juden Einigkeit übten. Aber da sehe ich seit den Befreiungsbewegungen in Nordafrika noch schwärzer. In einem Wort: ein Jammertal, wie gut, dass es wenigstens Bruckner und die evangelische Akademie Bochum gibt - und dass wir einander bald sehen werden. * Anton Bruckner: 4. Sinfonie Es-Dur (Die Romantische, WAB 104), 1874, 1878 116 III Deutsche Traditionen Von Jürgen Stenzel, 1. Januar 2013 Nr. 122 Dass die Droste ihren Schatten auf Dich wirft, begreife ich gut. In Münster* war sie uns nachgerade überlästig, was aber nicht an ihr lag.-Trotzdem habe ich mich früher immer wieder mit ihr beschäftigt; ihr Epos über den Flaschengeist** ist wirklich groß, und so auch ihr Silvestergedicht***. * Anspielung auf Jürgen Stenzels Studienzeit in Münster ** Annette von Droste-Hülshoff: Am letzten Tage des Jahres (Silvester). In: Annette von Droste Hülshoff: Sämtliche Werke. Hg. von Clemens Heselhaus. München: Hanser 1966, S. 620f. *** Annette von Droste-Hülshoff: Der spiritus familiarius des Rosstäuschers. In: Annette von Droste Hülshoff: Sämtliche Werke. Hg. von Clemens Heselhaus. München: Hanser 1966, S. 415-441 An Julia Knapp, 6. Februar 2013 Nr. 123 Gestern kam ich nach Jerusalem und fand Jean Paul/ 250 Jahre*, in zerzaustem Gewande, doch heil - und freute mich von Herzen. Das klingt kitschig und ist tief traurig, worauf ich Sie aufmerksam machen will: Jean Paul - im Gegensatz zu fast allen Klassikern, gilt - heimlich, unheimlich - als eine „jüdische Vibration“ (Sie dürfen es so auffassen: hochintellektuell und tieferotisch, wobei das Erotische unentschieden bleibt). Ich war keinem jüdischen Intellektuellen begegnet, dem Jean Paul nicht von Kindheit an vertraut und also geliebt war. * Jean Paul - Das große Lesebuch. Hg. von Kurt Wölfel. Frankfurt am Main: S. Fischer 2013 An Friedrich Pfäfflin, 10. Juli 2013 Nr. 124 Sie haben das Bändchen „Editionen“* zwar nicht herausgegeben, doch spielen Sie in ihm eine ziemliche Rolle, so habe ich Ihnen zu danken. Es wäre zum Lachen - doch weder für Sie, der Sie es verschmähen, noch für mich, der ich es für eine von Bodmansche Minute ernst nahm - sagte ich Ihnen, dass Tiedges „Urania“, 1824 bei A. F. Macklot in Stuttgart erschienen, mir vorliegt, endlich - wie es sich gehört und in Tel Aviv fast die Regel ist - wurmstichig. Doch vor dem Wurm habe auch ich es gelesen - und in meinem „Querschluss“ (1995)** steht ein Zitat daraus: „Nahe bleibt der Gott, den du entfernst“. Das will etwas heißen, von Bedeutung ist etwas anderes, was ich Ihnen mitteilen wollte, weil es Sie - wie ich Sie in Erinnerung habe - interessieren, vielleicht gar freuen kann. III Deutsche Traditionen 117 Tiedges „Urania“ ist für jeden Hebräer so unbedeutend wie unbekannt, Urania sagt dem Hebräer nichts. Dessen ungeachtet - eine riesige Ausnahme - erschien Tiedges Werk in der hebräischen Übersetzung des größten Meisters seiner (kurzen, engen) Zeit: Jizchak Salkinson (1820-1883), auch Eduard genannt, denn er ließ sich 1849 in London taufen. Bekannt ist er durch seine Milton- und Shakespeare-Übersetzungen geworden, berühmt durch seine posthum erschienene Übersetzung des Neuen Testaments. Tiedges „Urania“ in seiner Übersetzung ist 1876 in Wien erschienen, mit dem Titel - BEN KOHELET. Das ist Sohn Kohelets, des Predigers Salomon, ist zugleich der Titel eines poetischen Hauptwerks von Shmuel HaNagid (993-1056), einem großen Mann. (Ihm bedeutete ‚ben‘ wohl: im Geiste von, nach Muster, im Genre- …) Möglich, dass heute nur ich davon weiß und den Fall noch kenne, der ohne große Folgen blieb. In jener Zeit, für einen kurzen Augenblick, bekam Tiedges Urania (nicht vergessen: durch einen jüdischen Missionar) diesen hohen Rang. Mit der „von Bodmanschen Minute“ meinte ich, dass die „Urania“ natürlich zum literarischen Erbe der Familie von Bodman gehörte, in deren Reihe ich, fälschlich, durch Clara von Bodman geraten bin, so kam die „Urania“ an den Wurm - und in meinen „Querschluss“. * Joachim Kalka (Hg.): Editionen - Vom Herausgeben. Göttingen: Wallstein 2012 (Valerio 15). Mit einem Beitrag von Friedrich Pfäfflin ** recte: Endsagung, S. [12] An Friedemann Spicker, 18. Juli 2013 Nr. 125 An Ihre Anthologie* denkend, mir von ihr vielerlei versprechend, spende ich Ihnen folgendes Zitat: „Dem Gedanken, der leben und etwas bedeuten will, wird es nicht so leicht gemacht. Eine lange Maulwurfarbeit ging voraus, ehe Descartes sagen durfte: ‚Cogito, ergo sum! ‘; und nun sprichts ihm mancher nach, der auf das erste Wort von den dreien gar keinen Anspruch hat. Das ist schon übel an mühsam eroberten Sätzen, wie viel mehr an solchen außer allem Zusammenhang auftretenden Gedankenblitzen, richtiger gesagt, abgeblitzten Gedanken, an denen besonders schreibende Weiber reich sind.“ (Alexander von Villers)** Ich könnte Ihnen noch andere Zitate liefern, ich möchte aber auch gelegentlich selbst über das Thema nachdenken, und wie es wäre, gäbe es Ebner-Eschenbach nicht. * Friedemann Spicker (Hg.): Deutsche Aphorismen. Stuttgart: Reclam 2012 (RUB 18695) ** Siehe Anmerkung zu Brief Nr. 117 118 III Deutsche Traditionen An Burkhard Talebitari, 2. August 2013 Nr. 126 In meinem Alter, was meint: in meiner Lage, muss ich fähig sein, nicht allein gegen den Strich - wer weiß genau von wem gezogen - sondern auch gegen den Stich zu schreiben, den mir der eine und der andere ins Herz versetzte. Ich hatte Abneigungen genug in meiner Jugend empfunden, war polemisch aufgeladen - und schnell beleidigt. Von Rechtbehalten hielt ich nichts. Ich habe bevorzugt, das genügte mir, zumal ich das meiste mit mir allein ausmachen musste. Du siehst noch ein wenig in die Zukunft, Deinen Liebrucks* wirst Du in einem späteren Rückblick herbeirufen. Ich schaue 50 und 60 Jahre zurück, habe Deutschland hinter mir, und hier - mit Buber und anderen - wieder vor Augen. Kritisiert werden am Ende alle, kritisiert auch der Einfluss aller. Ob Liebrucks und wodurch und seit wann er Einfluss auf die Dichtung hatte, wirst Du mir sagen oder auch zeigen, für den Einfluss Heideggers hätte ich einige Beispiele, die nicht die schlechtesten hießen: Ernst Meister und Paul Celan**. Wenn Du es leugnest, wirst Du Recht haben. Die Frage ist, ob der Einfluss - er mag an sich wirkliches oder schöneres Missverständnis einer Lehre sein - von einer ganz anderen Qualität sein kann als die - sagen wir - verworfene oder zu verwerfende Lehre. Heute interessiert mich diese Frage mehr als zuvor. Gegen Heidegger oder für Buber - wir geben zu oder lenken ab, es gibt sie beide noch in ihren Nachwirkungen, auch „in memoriam“. Widmungsblätter werden in Erinnerung geschrieben, während die Namen aus dem Text ausscheiden. Das Immernoch im Spiegel des Nochnicht; das Nochnicht als Erinnerungsbild. Wir sehen es kommen, werden es nicht kommen gesehen haben. * Bruno Liebrucks (1911-1985), dt. Philosoph ** Vgl. Allerwegsdahin, S. 185-187; vgl. Olivenbäume, S. 32 et pass.; vgl. Aberwenndig, S. 186 Von Christoph Grubitz, 8. August 2013 Nr. 127 Deine fragmentarischen geistigen Physiognomien* lese ich als Parabeln. Das aphoristische Offenlassen wird aus meiner Sicht auf das Genre des Portraits so angewandt, dass sie zu offenen Parabeln werden, Parabeln also, wie ich sie zumindest aus Talmud-Übersetzungen kenne, die weder unverbindlich noch kategorisch gleichsetzen, sondern alles Wort für Wort abtasten - „Die Sprache - unser Voraustastsinn“ - und dem Leser dabei zu denken und zu assoziieren geben. Das sagt mir sehr zu, wie Du z. B. von Canettis Schreibgewohnheiten sprichst, daraus aber ein Licht auf seinen Habitus wirfst und als Nachklingen Kohelets deutest: „Unter der Sonne“ wird zu „unter seiner Leselampe“. Auf diese Weise III Deutsche Traditionen 119 erschließen sich auch die sonst schwer zu Überliefernden, wie Abraham Sonne** oder Tiedge***. So erwächst daraus noch ein anderes Genre, wiederum durch das Kunstmittel des Offenlassens: das Genre der Rettung. Ich lese deswegen in diesem Zusammenhang auch folgende Zeilen selbstreflexiv: „Das beweist mir, dass unter demselben Titel jeder ein anderes Buch liest“. Das sind Sätze über die Möglichkeit verschiedener Deutungen, aber auch über Deinen Zugang, vor allem über das dichterische Wort. Die Geschichte mit dem Wort „Urania“ - für Hebräer an sich unbedeutend, aber wurmstichig und deswegen übersetzt - wärmt mein Herz. Vor allem, weil - wie bei Canetti Leselampen-Sonne - wieder Kohelet dabei ist. * Bezieht sich offensichtlich auf Texte, die in „Korrespondenzen“ aufgenommen werden sollten. Der Band war bereits erschienen, sie kommen darin vor und werden von Grubitz Physiognomien genannt. ** Siehe Anmerkung zu Brief Nr. 87 *** Siehe Brief Nr. 124 An Hania M. Fodorowicz, 16. Oktober 2013 Nr. 128 Paul Mongré, als Felix Hausdorff unter Mathematikern bekannt, gehörte zu den reinsten Erscheinungen seiner Zeit, vielfach begabt und geistig überlegen.* Dass er von großer Klugheit und Anmut war, habe ich zufällig - aus Privatbriefen erfahren, vor 50 Jahren im Nachlass Fritz Mauthners entdeckt: Briefe des noch jungen Hausdorff. Viel später entdeckte ich sein literarisches Jugendwerk Sant’ Ilario. Gedanken aus der Landschaft Zarathustras. Leipzig 1897. Das war mir eine bedeutende Entdeckung, ich hielt es für das bedeutendste Aphorismenwerk in der Nachfolge Nietzsches. Es gelang mir aber nicht, die Zunft davon zu überzeugen. Mir bleibt er teuer, doppelt teuer dadurch, dass er sich genötigt sah, seinem Leben ein Ende zu setzen.** Jedes Wort von ihm, das ich zitiere, ist ein Lichtlein für seine Seele, ein Seelenlicht. Und ich zitiere ihn, so oft ich kann (das Zitieren ist eine Kunst für sich). * Felix Hausdorff (Paul Mongré) (1868-1942), Mathematiker, Philosoph, Schriftsteller ** Vgl. Querschluss, S, [88 f.]; vgl. Friedemann Spicker: „Wer hat zu entscheiden, wohin ich gehöre? “ Die deutsch-jüdische Aphoristik. Göttingen: V & R unipress 2017, S. 48f. An Matthias Klatte, 18. Oktober 2013 Nr. 129 Vorgestern holte ich Ihr Paket ab, Sie haben mich reich beschenkt, ich danke Punkt für Punkt und Blatt für Blatt, besonders für das edle Holz, das leider in Scherben lag, doch sollen Sie darüber nicht traurig sein: Die Scherben passen 120 III Deutsche Traditionen besser zu meinem Werk und mir. Meine Welt ist nicht die heile Welt Justinus Kerners. Man darf der Post kostbare Dinge nicht anvertrauen, bei mir jedenfalls trifft nichts heil ein. Dafür komme ich mit dem Papier glänzend aus, so freute mich von Herzen die Kopie des (mir so wichtigen) Traums vom Hirschen*, und ich machte mich sofort an die Lektüre von Kurt Oesterles Vortrag über Wagner und Auerbach, Auerbach und Wagner**. Die Vergangenheit ist beantwortet, ist es darum ein Fall, ist der Fall damit erledigt, was meint: Ergibt sich nicht von selbst die Frage an die Gegenwart? Sie scheint mir gerade komplexer geworden zu sein, denn alle Fakten liegen uns vor. Auerbach konnte von den ehrlosen Juden sprechen, die sich Wagner anbiederten, seinem Werk um jeden Preis dienen wollten. Könnte man heute von ehrlosen Deutschen sprechen, die dem Antisemiten Wagner unbedingt dienen wollen? Also steht die Frage des „überragenden“ Kunstwerks offen. An dieser scheiden sich aber doch die Geister. Sind Kunstwerke mehr als Menschenseelen? Sie verdienten allemal gerettet zu werden, und ginge es über Dieb und Stahl, die Menschen aber verdienten die Rettung nicht allemal. Ich will die Frage nicht weiter verheikeln, Sie sollen nur sehen - und Herrn Oesterle weitergeben -, wie sehr mich der Vortrag bis in seinen ( J. P.) Hebel hinein beschäftigte. Alles Weitere müsste ich wohl mit dem Verfasser bereden. * Justinus Kerner: Bilderbuch aus meiner Knabenzeit. Mein Gang auf die Universität. Frankfurt/ M.: Insel 1978 (insel taschenbuch 338), S. 292 ** „Vergebens gelebt und gearbeitet“. Wie Berthold Auerbach am Antisemitismus seines Freundes Richard Wagner zerbrach. Vortrag von Dr. Kurt Oesterle am 19. April 2013 im Kernerhaus, Weinsberg; vgl. Olivenbäume, S. 223f.; Keine Worte zu verlieren, S. 19-21; Vielzeitig, S. 319 An Burkhard Talebitari, 23. Dezember 2013 Nr. 130 Der Randerscheinung habe ich mein Leben geweiht-und schreibe mehr von mir weg als darüber. Ich beobachte mich weiter, und Du findest auch ferner einiges und mehr und weiteres dazu zu sagen,-es ist ja nichts, was enden will, in jeder Randerscheinung oder Randbewegung gibt es ein kleines Prinzip Müßiggang, nicht größer als ein Senfkorn. Nun halte ich Dich damit nicht länger auf, Dein Senf ist an der Tagesordnung (Müßiggang, kleine Portion Barock, bei abnehmendem Königsblau). Ich übe mich in Poesie, wie einst die Feder spitzend. III Deutsche Traditionen 121 Anhänglichkeit Ein Blick, aus einem sich schließenden Auge geworfen „Die Straßen komme ich entlang geweht“* Mit schwarzem Dichterhut auf einen grünen Zweig, aus der Zeit gekommen, verblasst * Gedichtzeile aus Ernst Blass: „An Gladys“ (1912) An Angelika Obert, 23. Dezember 2013 Nr. 131 Die Jahre sind gezählt, in Erinnerung bleiben die Tage Die Zeit würde nicht davonlaufen, wollten wir nicht Schritt halten mit ihr Erwartung - die Hoffnung in Rechnung gestellt Ich habe Ihnen zu danken, dass Sie zu meiner Lesung* gekommen sind, mich aber auch zu entschuldigen, dass ich so gar nicht mit Ihnen, wiewohl in Gedanken bei Ihnen gewesen bin. Das Ausbleiben des Büchertisches machte mir zu schaffen, verstörte mich geradezu. Beschämend, dass ich es Ihnen sagen muss, wo ich Sie doch auf Robert Walsers „Geschwister Tanner“ ansprechen wollte, ja, mir schien es ein dringendes Vorhaben, denn dieser Roman hat es mir in meiner Jugend angetan, wie kaum einer (er löste bei mir Hermann Hesses „Knulp“ ab). Walser selbst und sein Simon sollten mich eines Besseren belehrt haben. Auf diesem Hintergrund empfand ich meine Empörung als Versagen, und dies auch Ihnen gegenüber, wollte ich Sie doch kennenlernen. Möge es zu einem Wiedersehen kommen. Also bleibts beim Dank. * Lesung am 11. November 2013 im Literaturhaus Berlin IV „Dein Gesicht ist mein Gesicht, / der Erde ist niemand fremd / und auch den Sternen nicht.“ - Judentum, Israel, Christentum An Manfred Sturmann, 25. August 1966 Nr. 132 Eine vierfache Freude: das unverhoffte Wiedersehen, der Band „Gedichte aus Israel“*, der Sie mir neu, noch unbekannt, zeigt, der seltene Gedichtband, der von alten Zeiten zeugt und spricht, einer geraden Linie, ungebrochen weiterzieht: ganz, wie Sie waren, nicht mehr ganz, wie Sie sind. Und die Nachricht von der neuen Erzählung, die Sie mit heimgebracht haben. Sie macht mich neugierig - aber auch neidisch, denn Ihre Gedichtzeilen würden, etwas verändert, auf meine jetzige Situation leider zutreffen: „Immer leiser wird mein Gesang, Immer dünner wird meine Saat.“ Nun, da es so nicht weiter sein darf, wird es bald wieder anders. Ich war kürzlich wieder auf Reisen, das ist der Grund, weshalb ich mich erst jetzt melde, um mich für Ihren Brief und Vita zu bedanken. Ich war u. a. in Konstanz, von dort aus auf einen Sprung in Gottlieben, dem ehemaligen Schweizer Fischerdorf, bei der Witwe des Dichters Emanuel von Bodman, von dessen Nachlass ich mir einiges erhoffte. Bei Frau von Bodman traf ich Otto Heuschele, der dort zu Gast war, und da ich seine Anthologie** kannte, erzählte ich ihm sogleich von Ihnen und gab ihm auch Ihre Adresse. Vielleicht hören Sie bald von ihm. Er erinnerte sich noch gut an Ihre Glanzzeit, als Sie zu den verheißungsvollsten jungen deutschen Dichtern gehörten, wovon er sich auch etwas zugute hält. Leider wusste er aber recht wenig von der Erfüllung jener Verheißungen. Immerhin konnte ich ihm mindestens gleich Ihren Erzählband*** ans Herz legen, vielleicht könnte er etwas dafür tun - oder noch mehr? * Manfred Sturmann: Althebräische Lyrik. Nachdichtungen. München: Allg. Verlagsanstalt 1923 ** Junge deutsche Lyrik. Leipzig: Reclam 1928, Brevier des Herzens. Halle 1940 *** Manfred Sturmann: Abschied von Europa. Geschichten aus Israel. Berlin, Stuttgart: Lettner 1963 124 IV Judentum, Israel, Christentum An Manfred Sturmann, 8. November 1966 Nr. 133 Natürlich habe ich mich über den Nobelpreis gefreut*, vielmehr, ich habe das Gefühl, als ertrüge unser kleines Land diese große Ehre nicht, da selbst ich, weit vom ‚Schuss‘ und nur mittelbar einen Schuss Freude genießend, ob dieser fast atemlos blieb! Dennoch glaube ich, die Verleihung dürfte rein politisch nicht überschätzt werden, nicht nur, weil sie nicht rein politisch zu betrachten ist (zumal auch in diesem Fall die Preisträger den Preis ganz fraglos verdienten), sondern in der Hauptsache darum, weil alles, was von rein politischem Effekt hätte sein können, abgeschwächt wurde. Der Preis wurde ja nicht einem Israeli allein zugesprochen; durch die zusätzliche Erwählung von Nelly Sachs ist er auf eine Ebene übertragen worden, die nun eine jüdische ist, was dem jüdischen Stolz oder dem Stolz der Juden eher zugutekommt, aber weniger politisch - im engeren Sinn - ist, wenn auch deshalb nicht weniger wertvoll. Ich glaube darüber hinaus, dass die scheinbar so ganz unpolitische, durchaus objektiv gerechtfertigte Wahl gerade auch politisch genial war. Denn allen Gefahren wurde ausgewichen, die Ehre wie der Vorteil wurden mehreren zuteil. Die ‚Gefahr‘ z. B. den Arabern gegenüber wurde durch Nelly Sachsʼ Wahl vermieden, denn nun gilt die Ehre den ‚Juden‘, gegen die die Araber angeblich doch nichts haben, und nicht den ‚Zionisten‘. Und der Vorteil ist ganz offensichtlich. Nelly Sachs schreibt Deutsch, so hat man sich auch der ‚unbeliebten‘ Deutschen entledigt, sie ist aber schwedische Staatsbürgerin, also auch eine Schwedin-… dabei war es zugleich auch eine schöne Dankesbezeigung für ihre Übertragungen aus der schwedischen Dichtung. Diese Erwägungen mögen kleinlich erscheinen, allein Sie sprachen von Politik, und so kam ich auf diese Gedanken, die glücklicherweise als belanglos abgetan werden können, da die beiden Preisgekrönten die denkbar Würdigsten sind. * Für Samuel Agnon und Nelly Sachs An Manfred Sturmann, 19. Februar 1968 Nr. 134 Es freut mich, dass Sie bald hierher kommen wollen; wird es tatsächlich „bald“, dann sehen wir uns noch, denn sehr lange gedenke ich nicht mehr hierzubleiben. Eine Frage: Kennen Sie Herrn Dr. Werner LiebenthaI? Er wohnte vor Jahren in Bet Kassim, Romema, doch ist er, wie ich hörte, längst umgezogen. Könnten Sie seine Anschrift ermitteln? Wenn Sie ihn aber persönlich und gut kennen, wäre ich Ihnen dankbar, würden Sie ihm Folgendes ausrichten: Ich hätte seine (ermordete) Schwester nie vergessen, jedoch lange vergeblich nach einem Verleger für ihre Gedichte gesucht. Nun habe ich einen, allerdings unkommerziellen, gefunden, der geneigt wäre, die Gedichte in Auswahl biblio- IV Judentum, Israel, Christentum 125 phil herauszubringen. Dazu bräuchte ich: 1) Dr. Liebenthals Einverständnis, 2) Lebensdaten seiner Schwester, 3) eventuell noch einige Gedichte aus dem Nachlass, sonst würde ich meine Auswahl aus dem gedruckten Band treffen. Es läge mir sehr daran, dass Ite Liebenthal* nicht vergessen bleibt. Möge auch er sich über diese wohl einmalige Gelegenheit freuen und mir die gewünschte Hilfe gewähren. In jedem Fall bräuchte ich seine Adresse; als Mitglied des Irgun Olei Merkas Europa** müsste sie sich in Ihrer Kartei befinden. * Ite Liebenthal (eigentlich Ida Liebenthal; 1886-1941), deutsche Lyrikerin. Vgl. EB: Ich habe ein Leben, das brennt wie ein Licht. Im Gedenken an Ite Liebenthal. In: Paian für die Dichtung. Hg v. Dieter Straub. Berlin: H.V/ VI 1968, S. 23-25; siehe EB: Brüderlichkeit, S. 14 ** Vereinigung der Israelis mitteleuropäischer Herkunft An Albrecht Heinzerling, 25. März 1991 Nr. 135 Ich danke Ihnen für Ihre Mitteilungen zur religiösen Situation der Bundesrepublik. Ich glaube schon, dass mein Büchlein* etwas mehr Klarheit darüber verschaffen könnte. Ob ich mehr von Thora und Talmud hätte zitieren sollen? Die europäischen Menschen sind bereits so weit von Gott entfernt, dass sie im Dunkeln das Licht der Thora vielleicht schon sehen könnten, und doch meine ich, dass die dazu gehörende Optik fehlte. Um über sie zu verfügen, muss man göttlich angeheitert oder tief gesunken sein. Die Bibel spricht von Pfaden der Gerechtigkeit, von Wegen der Weisheit, von Bahnen der Finsternis; von Gehen und Wanken und immer wieder vom Kreisen. Man ist des geraden Wegs nicht sicher, aber auch die Wege, die durch Finsternis führen, kreisen um Gott. Für all diese Wege stehen heute Begriffe, die sie verstellen. Das Wanken des Menschen hat aber mit seinem Kreisen mehr zu tun als mit dem zielstrebigen Weg. Beides, Kreisen und Wanken, Wanken und Kreisen, hört nicht auf, und nur davon kann noch die Rede sein. Alles andere ist Einkehr, Meditation oder beredtes Schweigen. Meine Variationen kreisen um das Kreisen. Die Möglichkeiten des Glaubens - woran, wofür, wodurch - müssten erst wieder abgetastet werden, und zu diesem Zweck ist es nötig, im Vertrauten, im letzten Rest des vertrauten Vokabulars zu verharren. Im Vertrauen ließen sich die echten Zweifel abklopfen und als Herzklopfen vernehmen. „Es irrt der Mensch, solang er strebt“: Das Irren heute ist ohne Streben. Ich muss mich auf den Weg der Verirrten begeben, um Irrlichter flammengrad machen zu können. Wäre ich der Wissende und wollte ich beweisen, ich würde sofort abgewiesen. In der Welt des Unglaubens ist Überzeugung eine fremde Sprache. So sehe 126 IV Judentum, Israel, Christentum ich mein Buch, so möge es vernommen werden, die Stimme spricht, sie ist die des Juden; die Stimme spricht - dem Deutschen sein Deutsch ans Herz legend. * Treffpunkt Scheideweg An Silke Alves, 12. April 1991 Nr. 136 Deine Predigt ist gut, weil sie ein Bild von Dir gibt - kein Vorbild, ein Kanzelbild, dem Abkanzeln abhold. Auch zeigt sie mir, wie viel es in Deutschland noch zu tun gibt, und dass es ohne Gott und seine - von seinem Odem erfüllten - Buchstaben schwer zu leisten wäre. Ohne Wert und Urteil geht es nicht, dafür reicht aber die Moral nimmer aus; sie ist allein für unsere Unzulänglichkeit zuständig. Es lässt sich schlecht von Gut und Böse sprechen, da uns aller Mut verlassen hat. Man meidet den Krieg und nimmt darum den Kampf nicht auf. Als Theologen noch ergriffen waren und Gott begreifen zu können glaubten, waren sie darauf gerichtet, mit Ihm zu tun zu haben, da besaßen sie auch die Fähigkeit, Menschen aufzubrechen und aufbrechen zu machen. Man hörte zu, man horchte auf, man stieg von Wort zu Wort und war mit einem Satz vom Fleck gekommen. Man stand im Wort; der Fleck blieb in Sicht. Gott, der Sprache entrückt, erweckt weder Hoffnung noch Sehnsucht; die Erinnerung an ihn klingt ab. Man muss sich die Zunge abbeißen, um Gott gesagt zu haben. Wer sich noch erinnern kann, freut sich des Glaubens, lebt aber in der Erinnerung und nicht im Glauben. Es gibt dagegen andere, die sich nicht erinnern wollen und alles meiden, was sie erinnern könnte. Der Jude erinnert; er sei gewarnt. Predigt hat zu erschüttern, wenn sie noch Predigt sein will - bei zugeschlagenen Bibeln Ich grüble in und über meine „Variationen“, hoffend, sie könnten Dir eines Tags von Wert sein. Für wen sollte sonst ein solches Buch, ein so deutsches Buch geschrieben sein? Göttlich gedacht und menschlich gesprochen, das war einmal gebibelt. Wer könnte, wer wagte bloß, göttlich zu sprechen oder auch nur ein Lied von Gott zu singen? IV Judentum, Israel, Christentum 127 An Rufus Flügge, 11. März 1993 Nr. 137 Du weißt, dass „Träuma“* meine Antwort auf Deine Herausforderung ist. Dein Satz „Auch Du bist ein Wächter auf der hohen Zinne! Erheben sollst Du Deine Stimme“ hat mich beunruhigt. Zuerst dachte ich, Du würdest mich überfordern, da ich gerade von einer zermürbenden Lesereise durch ganz Deutschland zurückkehrte, wobei ich nichts anderes tat, als meine Stimme zu erheben. * Es lag Rufus Flügge im Manuskript vor. An Annette Klüpfel, 3. Januar 1995 Nr. 138 Ich schreibe Ihren Namen gern, da auch zwei der größten deutschen Dichterinnen ihn getragen haben: Annette Droste-Hülshoff und Annette Kolb. Zwillingsschwestern, obschon ein Jahrhundert sie trennt. In Ihrem Namen ist Ihre Frage enthalten, vielleicht auch schon beantwortet. Sie werden staunen, wieviel beide Frauen Ihnen zu sagen haben. Beide gehören sie übrigens zu den tragenden Säulen meines Buches „Treffpunkt Scheideweg“, das selbst auch eine Antwort auf Ihre Frage versucht. Sie könnten mit gutem Grund umgekehrt sagen: An jenem Abend in Würzburg haben Sie klug gefragt und ich dumm geantwortet. Wie aber werden wir jetzt auseinander klug? Also geht es nicht um diese Klugheit und nicht um jene Menschen, die Ihre Frage vielleicht beargwöhnten. Sie haben eine wagemutige Freundin, die das Schul-‚Endspiel‘ mit Auschwitz verdarb.* Sie war effektiv eine Spielverderberin, und das war nicht in Ordnung, doch aber recht: Denn Spielverderber sind dazu da, das Spiel auf Blut und Pappe zu prüfen. Junge Menschen, der Schule entwachsen, ins Leben entlassen, sollen ihren ersten Schritt nicht gleich ins Als-Ob-Land tun müssen. Zum harten Schritt gehört eine harte Melodie. Ihre Freundin wusste, was sie tat und warum. Ob das genügte, um das Ganze in eigene Regie genommen zu haben, mag dahin gestellt sein. Doch sind Spielverderber ebenfalls gewarnt und müssen auf der Hut bleiben, denn auch sie spielen nur ihre Rolle. Bin ich der Überlegene, muss ich der Bessere nicht sein. Darum geht’s, und das können Sie bei Elija sehen, von ihm lernen, durch ihn getröstet sein: „Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise und kam hinein und setzte sich unter einen Wacholder und bat, dass seine Seele stürbe und sprach: Es ist genug, so nimm nun, Herr, meine Seele; ich bin nicht besser denn meine Väter. Und legte sich hin und schlief unter dem Wacholder. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: steh auf und iss! “ (1. Könige 19, 4). Da haben Sie, liebe Annette, die ganze Weisung für Ihren „Fall“. Was die Statistik anlangt: Auf 200 haben sich sechs laut mit „Auschwitz“ solidarisiert, noch einige vielleicht im Stillen, so wird es sich auch aufs Ganze des Volkes abgesehen verhalten. Wenn Sie nun sagten: Was machen schon 128 IV Judentum, Israel, Christentum sechs von zweihundert aus! Da müsste ich widersprechen: Sie machen nicht viel aus, doch sie zählen: eins für eins, Gesicht für Gesicht, Wort für Wort; und sie wiegen, weil jeder sich auf die große Waage stellen lässt; und alles in allem und unter allen Umständen sind sie mehr, weil (wenn) sie voneinander wissen. Erfahre ich von diesen sechs, dann weiß ich von sechs Deutschen, die sich als Deutsche gut zeigen und sehen lassen können, und ich habe meine Freude. Die vielen Erklärungen stehen oft dem Verstehen im Weg, die Erklärung, die man braucht, findet man bei sich, wenn man in sich gegangen ist. Sie sprechen von der mangelnden Zivilcourage und schließen sich selber nicht aus. Sie wissen also, wie es aussieht, wenn man ohne Einsicht zuschaut. Was die Waggons betrifft: Auch ich kann nicht umhin, sie wahrzunehmen, und Deutschland wird mir dann wieder zu einer „Landschaft aus Schreien“. Unvergesslich ist mir mein erstes „Rollen“ - eine Nacht lang, aus Wien kommend - über die deutsche Grenze. Das war im Januar 1963. Heute danke ich Gott und der Bundesbahn, dass es die IC und ICE gibt! So werden wir immer weniger an jene Waggons erinnert, wenn wir nur von Hinz zu Kunz wollen; anderseits bringt es der IC mit sich, dass man immer geschwinder aus der Erinnerung herausfährt. Also leiden wir an dem, was uns erfreuen soll. So bleibt’s, obschon nicht unveränderbar, mit einem Schuss Masochismus dabei. Sie, liebe Annette, sind zum Glück aber durch eine Beobachtungsgabe und eine Portion Humor dagegen gefeit. Und das ist es auch, was ich Ihnen an jenem Abend wünschte und zum angelaufenen Jahr wieder wünschen will: Sie sind frei genug, um sich keine Schlechtigkeit, die Sie begreifen, aufzwingen oder andichten zu lassen. Es steht Ihnen offen, die Deutsche zu werden, die ihren Kopf erheben darf, weil sie dem Bösen die Stirn und dem Guten das Herz bietet. „Die Schuld ist dein, wo immer du sie nur erblickst“.** Solche Sprüche haben nur darum Wert, weil sie uns alle verbinden. * Freundin: Ein Mädchen aus dem Publikum, das EB nach der Lesung aus seelischer Not einen Brief geschrieben hat (wohl im ÖLA). Ein Briefwechsel entstand daraus seiner Erinnerung nach nicht. ** Träuma, S. [16]; Die Zukunft sitzt uns im Nacken, S. 173 An Walter Thümler, 7. Juli 1999 Nr. 139 Seit einer Woche bin ich im Besitz Ihres Manuskriptes* und ebenso lange am Lesen. Es ist ein tiefes Buch, Ihre Wahrheit enthaltend, für Ihren Ernst zeugend. Es zeigt mir Ihr Herz, das freut mich von Herzen. Ich höre Ihnen zu und kann Ihnen folgen, aber nicht weit. Sie kommen ganz und gar nicht aus ohne Jesus Christus, ich ganz und gar nicht mit ihm. Es ist ein Buch, das seine Reichtümer IV Judentum, Israel, Christentum 129 fortschreitend einsammelt, vorausschickt, um sie gegen Ende groß auszustellen. Aus dieser Gegend hole ich einen Satz, der für das Ganze Ihrer Konfession steht und der Ihnen zeigt, wie weit ich Ihnen folgen kann, durch einen Vor-Satz vorbereitet („Gott hat einen vierfachen Keil in die heidnische Selbstgewissheit getrieben-…”) (1) In Jesus Christus ist das Zeugnis Gottes vollkommen und damit weltüberwindend geworden. (2) Erst von ihm aus ergeht die Vollmacht zur Predigt. (3) Darum kann und darf im eigentlichen Sinne nur das Christentum predigen. 1) kann ich nicht teilen, 3) nicht einsehen, 2) doch verstehen - und soweit Ihnen auch folgen. Während des Lesens und nun danach sehe ich mich mit der Frage beschäftigt, in welchem Verhältnis dieses Buch zu Ihrer Dichtung, zu Ihren Möglichkeiten als Dichter steht. Eine für mich wichtige, gemessen an Ihrem Ernst aber doch nur eine flüchtige Frage, die Ihnen vermessen erscheinen muss. Mir scheint: Dies Buch ist jene Stadtmauer, von der Sie auf S. 138 sprechen und die Ihren Glauben braucht - oder Ihre Dichtung wohl. „Es ist doch einerlei”, sagen Sie vielleicht, „ich kann ja nicht dichten, es sei denn vor Gott! ” Seine Konfession aber, schreibt man seine Konfession für Gott? In diesem Buch geht es um Ihre Vollmacht und Ihre Predigt. Das kann übersehen, nicht überhört werden. Ich beneide Sie darum, denn Sie sind fest in Ihrem Glauben, und zu diesem gehört die Gemeinde, für die Sie schreiben können. Sie könnten sonst nicht schreiben. Ich habe keine Gemeinde und werde nie wissen, für wen ich geschrieben habe. Mit Sicherheit kann ich nur sagen, dass ich, deutsch schreibend, nicht für Juden schreibe. Aber Sie sagten mir, ich schriebe für Sie. Und darum sprechen wir miteinander. Und im Lichte dieser Sprache, die wir füreinander zu hegen beginnen, erlaube ich mir nicht, sondern ich darf Ihnen sagen: Ich sehe Sie lieber als Dichter, und alles, was Sie zu sagen haben, lieber im Gedicht; in jener Form, die Sie, wovon ich überzeugt bin, auf dem Weg sind zu finden. Sie mussten Ihr Buch schreiben, weil nur es befugt ist, Ihnen das zu offenbaren. Das Buch spricht zum Dichter, es ist nicht der Dichter, der spricht. * Penuels Hügel. Sentenzen zu Religion, Kunst und Philosophie. Berlin: Morus 2004 130 IV Judentum, Israel, Christentum An Renate Heuer, 16. Oktober 2002 Nr. 140 Vor vielen Jahren dachte und fühlte ich, allumfassend: die Bibliographia Judaica*, das bin ich. Das war die Wahrheit, eine übertriebene Wahrheit, die man braucht, wenn man große Verluste zu buchen hat. Seit vielen Jahren bist Du - in eben diesem Sinn - die Bibliographia Judaica. Nur: die Bibliographia Judaica ist auch Du, weil sie buchstäblich Dein Lebenswerk geworden ist, in voller Entsprechung: Leben - Werk; Werk - Leben. Ich weiß nicht genau, wie es ist, aber was es bedeutet, denn ich habe es ja erlebt: Stunde für Stunde, Brief für Brief, Auskunft um Auskunft. Weil Du die BJ bist und für immer auch bleibst, ist auch das Archiv ein Stück von Dir, ein volles Stück Leben, das es für keinen Nachfolger sein kann, möge er noch so viel gelernt haben und lernen wollen. Liebe gehört nicht zur Sache. Liebe muss erzeugt werden, man hat sie nicht und kriegt sie nicht geschenkt. Also lassen wir das Archiv, aus dem Du nun aussteigen willst. Dein Lebenswerk hütest Du weiter, und ich wünsche Dir Kraft, es zu Ende zu führen, in diesem stecken Dein Mut und Deine Liebe: unübersehbar, doch leider für andere schwer zu erkennen. Ich kann Dir keine Ratschläge geben, auch habe ich nichts zu wünschen, doch froh wäre ich, sehr froh, wenn Du Deinen Weg beschrieben hättest oder wenigstens eine mehr geistige als nur faktische Geschichte der BJ. Diese wäre mehr als ein „Buch mehr”, aber ich kann mir denken, dass auch Deine Vorträge (ich wohnte einem einzigen bei) mehr wären als nur ein Buch mehr, und sie gehörten doch zu diesem Lebenswerk, das eine sonderbare Geschichte darstellt, nicht weniger sonderbar als meine. Was Du - R. H.- BJ - bist und denkst, das bist und denkst Du bald vierzig Jahre ununterbrochen: Das ist beispiellos und ist ebenso lange und beispiellos „das ganz andere Deutschland“, das von Liebe sprechen kann und spricht, wissend, wovon. * Vgl. Allerwegsdahin, S. 63f. An Gertrude Rosenberg, 18. Oktober 2002 Nr. 141 Hebräische Autoren nenne ich nicht, ich müsste sie porträtieren, damit sie anschaulich für Sie werden. Die großen Namen, um die man nicht herumkommt, sind Mendele Moicher Sforim und Bialik, Agnon, Brenner und Gnessin* - von den Gründern der neueren Literatur. Heute stehen viele da und verkörpern das alltägliche Wunder der so rüstig auferstandenen hebräischen Literatur, in der sich alles denken und schönstens sagen lässt! Im Sinne der Auferstehung ist die hebräische Literatur die bewundernswerteste weit und breit. IV Judentum, Israel, Christentum 131 * Mendele Moicher Sforim (1835-1971), gilt als Großvater der neujiddischen Literatur. Chaim Nachman Bialik (1873-1934), einer der einflussreichsten hebräischen Dichter, der in Israel als Nationaldichter angesehen wird Samuel Joseph Agnon (1888-1970), einer der wichtigsten hebräischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Nobelpreis 1966 Josef Chaim Brenner (1881-1921), hebräischer Schriftsteller Uri Nissan Gnessin (1879-1913), hebräischer Schriftsteller An Johanna Erzberger, 20. Oktober 2002 Nr. 142 Manchmal vermisse ich die Schärfe, manchmal die Eleganz, auch des Gedachten, z. B.: „Als Jude schreibt er - deutschsprachig - einem in erster Linie christlichen Publikum.“ Das würde auf einen Brief eher zutreffen. Ob ich als Jude schreibe, das können wir ausmachen, dass ich aber als Jude für ein christliches Publikum schreibe, ist zu einschränkend. Es ergibt sich, weil die Situation eine solche ist, aber ich schreibe nicht als Jude, sondern bin für den Leser , den deutschen Leser ein Jude, von dem man auch/ sogar als Christ etwas lernen kann (oder nicht). Ich bin Jude und will als Jude wahrgenommen werden, aber ich schreibe darum doch nicht als Jude und nicht nur für Christen, obwohl ich für sie möglicherweise erst als Jude interessant bin. Ich halte mich lange dabei auf, weil es um die Schärfe geht, und Sie werden mit ihr immer mehr zu tun haben, weil Sie die delikatesten Dinge sich ausgesucht haben, die alles infrage stellen und selbst dabei fraglich und fragwürdig bleiben. Ob ich als Jude schreibe, wäre demnach die erste Frage oder die Fragwürdigkeit selbst. Das trifft sich vielleicht mit Bruckstein*, muss aber nicht entschieden werden: Lassen Sie sich überraschen. Entscheidend ist der Mut zum Denken. * Prof. Dr. Shulamit Bruckstein, Gründerin von TASWIR Projects und Erfinderin des TASWIR Atlas, Denkerin, Kuratorin und Netzwerkerin; Dozentin und Professorin für kosmopolitische jüdische Traditionen über zwei Jahrzehnte in Jerusalem, Basel, Berlin, Hamburg An Rudolf Klaes, 27. Oktober 2002 Nr. 143 Dein Moses* ist gut, man merkt ihm Deine Freude am Schreiben an; er ist nicht lupenrein (ich komme auf dies Stichwort zurück) und hie und da zu leicht. So lerne ich Dich auch von der leichten Seite kennen. Abrahams Seitensprung ist keinesfalls angemessen, es trifft auch nicht zu. 132 IV Judentum, Israel, Christentum Gut, dass Du einen Dir gnädigen Selbstzensor hast. Dass Du mir Einblick in deinen Zettelkasten gewährst, rechne ich dir hoch an. Du bist hin- und hergerissen wie eh und je und wirst es bleiben, weil es in Dir gärt und gärt und gärt. Du teilst mir deine vorgesehene Lektüre mit, vielleicht bringt sie Dir Beruhigung. Zum Thema selbst kann ich Dir nichts sagen, Du erwartest es wohl auch nicht von mir. Was ich fürs Leben schreiben musste, steht in Treffpunkt Scheideweg . Ich muss nicht mehr. Was als wertvoller Beitrag noch gelten könnte, wird aus meinen Werken und Taten hervorgehen (oder nicht). Ich liebe mich nicht, aber ich liebe das jüdische Volk, weil es ausharrt in Mühen und Plagen. Es ist wie nur wenige Völker und klarer als alle - dreitausend Jahre ununterbrochen geistesgegenwärtig. Es war - auch für deutsche Meister - noch immer gut, einen Juden als Lehrer oder Apostel zu haben. Ein Volk durch die Geschichte gehend, ist immer ein großes Schauspiel; wie es sich bewährt, das ist eine Frage. Die Antwort hängt von der Optik ab. Dass sich das jüdische Volk nicht seit je selbstkritisch betrachtete, kann man nicht sagen. Wer die Verheißungen niederschrieb, der buchte auch Versagen und Scheitern und mochte auch nicht unterschlagen, „dass alles eitel” sei. Auserwähltheit verlangt den höchsten Preis. Dass die Juden ihn nicht bezahlten, kann man nicht sagen. Sie bleiben ein Ärgernis, weil sie bleiben. Aber man geht durch die Geschichte nicht anders als durch Jahr und Alltag, und sich bewähren ist nicht jedermanns Sache. Nur kennt der Jude die Strafe, die darauf steht, wenn er sich nicht bewährt. Was kennen aber seine Richter, die von „Aug um Zahn“ sprechen (Du schreibst nicht einmal „Aug um Auge“, „Zettelkasten“, S. 1). Dass man Freud nennen muss, wenn man ihn zitiert, ist korrekt: aus Gründen des Anstands, aber auch aus Gründen der Feigheit (man müsste seine Worte selbst verantworten). Aber wer Freud zitiert, weiß auch immer, warum ihn und nicht Buber oder Susman oder Rosenzweig**. Ein Volk, zweitausend Jahre und mehr unter der Lupe. Die Kraft des Auferstehens aus der vollkommenen Niedergeschlagenheit; das Erblühen der toten Sprache im Mund der Totgeschlagenen: das sind Denkwürdigkeiten, nicht das Sich-unliebsam-Machen des Sich-auserwählt-Wähnenden. Das meint das Bild - das der darüber Sprechende mit jedem Spruch entwirft oder hinstellt; meint nicht die Gerechtigkeit und die Tugenden. Die Mischung von Religion und Patriotismus sei explosiv - ja; andere Mischungen sind es ebenfalls, das sind auch Patriotismus für sich und Religion für sich (Christentum und Islam waren und sind nicht patriotisch); das ist jede Gesellschaftstheorie, wenn sie die Praxis ergreift, ist auch die Wissenschaft, wenn sie nicht heilen will, sondern das Heil bringen möchte; das kann jede IV Judentum, Israel, Christentum 133 Verbindung von Mensch und Idee sein. Ideen sind heilsam - solange sie in der Luft bleiben. Aber es bleibt nichts in der Luft. Dass es hier in absehbarer Zeit zur Ruhe kommt, glaube ich nicht, um so schöner finde ich Deinen ehrlichen Wunsch, dass „endlich nach 2000 Jahren des Lebens in der Diaspora Juden sich endlich in ihrem ‚Zion‘ vereinigten“ (Ein „endlich” kannst du aufgeben). * Verfasst für ein Programmheft (Moses und Aaron? ) ** Franz Rosenzweig (1886-1929), deutscher Historiker und jüdischer Philosoph An Friedemann Spicker, 21. Dezember 2004 Nr. 144 Käthe Braun-Prager* - ich kannte sie noch, die Schwester von Felix Braun, ein Freund Hofmannsthals, dessen Gedichtband „Viola d’Amore“ an Viola erinnert, die wunderschöne Schwester Robert Neumanns, die vielen, vor allem Oscar Ewald**, mit dem sie verheiratet war, zum Verhängnis wurde. Quellen der Aphoristik, Formen der Erbaulichkeit. Das Judentum machte sich immer stark oder schwach gegen das Christentum, das kann man symbolisch mit Karl Kraus und Felix Braun (ein Grad - aber nicht entscheidend besser als seine Schwester, indes „hofmannsthalwürdig“) umschreiben, das gab auch der Erbaulichkeit eine Note und müsste noch untersucht werden. Es ist eben nicht nur ein gesunder, es ist auch ein fauler Zweig der Aphoristik. Und das Judentum spielt nicht nur eine positive Rolle in dieser Geschichte der deutschen Aphoristik. Nicht von ungefähr und nicht nebensächlich sind Judentum und Judenhass Grundthemen deutscher Aphoristik, ob von der Altphilologie, ob von der Orientalistik kommend. Auch da entsteht die Ambivalenz (Zwiespalt) der Gattung, die Sache und Person vereint, Bekenntnis und Gesichtslosigkeit verursacht. Das kann man wunderbar an zwei Gestalten der deutschen Literatur festmachen, an Friedrich Rückert und an Christian Morgenstern, die im Leben für die Juden waren, im Werk aber gegen sie. Für uns - weil Rückert nicht Aphoristiker war - sei Morgenstern der interessantere. Sein geistiges Erwachen verdankte er Nietzsche, sein schöpferisches Mauthner, sein aphoristisches Nietzsche und vielleicht noch mehr Paul de Lagarde***, sein seelisches Rudolf Steiner (seinen Lebensunterhalt Juden, wie er an Kayssler**** schreibt). Morgenstern als Knotenpunkt ist - neben den „Galgenliedern“ - der einzig interessante, im Übrigen kann er uns „gestohlen bleiben“. * Siehe Anmerkung zu Brief Nr. 243 ** Vgl. Brief Nr. 109 mit Anmerkung *** Vgl. Brief Nr. 178 134 IV Judentum, Israel, Christentum **** Friedrich Kayssler (1874-1945): Schauspieler, Aphoristiker (u. a. „Besinnungen“, 1929), lebenslange Freundschaft mit Christian Morgenstern; vgl. Friedemann Spicker: Der deutsche Aphorismus im 20. Jahrhundert. Spiel, Bild, Erkenntnis. Tübingen: Niemeyer 2004, S. 105-107 An Harald Fricke, 10. Februar 2005 Nr. 145 Beiden Dichterinnen (Christine Lavant, Gertrud Kolmar) ging eine Dritte voraus. Die Dritte ist immer die entscheidende, nie genannte, in meinem Buch „Brüderlichkeit“ heißt sie Ite Liebenthal.* Sie stand - an ihren Geliebten, Erich Berger, gestützt - am Rande des instinktlos seherischen George-Kreises, dem sie ihren Untergang verdankte. Mit ausbrechenden, ihr entlaufenden Tönen, sprach sie an das Volk der Dichter und Denker vorbei: Ihr schlaft noch, stille Straßen? Warum springen Die Steine nicht aus den bedrohten Mauern? Laßt ihr die Zeit in euren Winkeln kauern, wenn wir dem Sieg ins Todesantlitz singen? Der Frieden lügt, den eure Giebelbogen, den eure Dächer auf uns niederdämmern. Wir werden euch aus eurer Ruhe hämmern! Ihr saht die andern, die vorüber zogen, Und öffnet euch vor uns noch wie die Gassen, durch die der Sonntag ging mit Festgebärden. Wacht auf! Ihr seid der Weg zur Schlacht! Wir werden dröhnende Spur auf euren Steinen lassen! Ite Liebenthals Bruder, Werner, habe ich in Jerusalem kennengelernt. Er war Rechtsanwalt, Pianist und philosophierte gern - hauptsächlich um Albert Schweitzer herum. Ich habe ihn nur einmal kurz, mir zuliebe, spielen gehört. Er sagte dann, er habe einmal, in frühester Jugend, Stefan George vorspielen dürfen. Vor seinem Flügel stand ein kleines Büchergestell: Sinn und Quintessenz seines Lebens - alles von George, fast alles um George herum. Mit diesem ersten Eindruck war ich ins letzte Geschehen hineingewirbelt und eingeweiht. An sie denkend, die Hälfte ihres Lebens zusammenfassend, widmete ich ihr zwei Zeilen: „Du bist nicht einmal / im Besitz deiner Liebe. / Du hattest kaum Zeit, / dir eine Stunde / zu stehlen. / Du kannst dein Leben nicht verändern, / den Tod aber, den man dich sterben machte / von dem Du nun weißt, wie er schmeckt.“ Ich habe oft an Ite Liebenthal denken müssen, aber weder mein Denken noch IV Judentum, Israel, Christentum 135 mein Müssen vermochten einen Verlag für sie einzunehmen und ihr schmales Werk herauszugeben. In meiner Brüderlichkeit ist ihre Stimme wohltemperiert zu hören, sie macht die Stimmigkeit des ersten Teiles aus. * In den Anmerkungen zu „Brüderlichkeit“: Ite Liebenthal (15.1.1886 Berlin - nach 1941 aus Berlin deportiert). Ihr einziger Gedichtband, dem das Gedicht entnommen ist, erschien 1921. Es enthält 43 Gedichte und eine schwere Vorahnung. Vgl. Brief Nr. 134 An Hans-Martin Gauger, 19. September 2006 Nr. 146 „Vor dem 16. Jahrhundert nennt sich fast niemand nach seinem Namen, kaum dass er in den Bildwerken erscheint; er hat keine Anhänger, man baut ihm keine Kirchen, brennt ihm keine Kerzen-… Denn es hat nicht jeder eine Legende, der sie wünscht; um sie zu erhalten, muss man zum Herzen des Volkes geredet, die Einbildungskraft getroffen haben-… . Paulus war dem Volksbewusstsein zu wenig sympathisch-… .“ So weit zurückgeworfen hat mich Ihre Erinnerung an Paulus/ Taubes*: „Übrigens war mir Taubes nicht sympathisch , ein diabolos im Wortsinne, ein „Durcheinanderwerfer-…“. Taubes im Bilde des Paulus, vielleicht auch umgekehrt; es ist daran etwas, das sich nicht leugnen lässt, so seltsam ihr Nebeneinanderstehen aussehen muss. Es ist ein Bild, das ich - im Sinne Ihres Satzes - gern malen würde. Paulus, sagen Sie, „war ein gewaltiger Schriftsteller“, Taubes war es nicht. Taubes selbst hielt das Griechisch des Paulus für eine Art „Jiddisch“. Auf Biegen oder Brechen sollte er dem Apostel ähnlich sein oder werden. Es gehörte zu seiner langen Fahrt aus der eigenen Haut. Paulus hatte das NT als Sprachrohr, Resonanzboden und Bühne. Blieben seine Briefe außerhalb, sie wären weniger. Sie machen mehr aus als der Raum, den sie einnehmen. Was hatte Taubes, der auch ein Apostel sein wollte? Als ich ihn kannte, hatte ich kein Herz für ihn, sein „Paulus“ aber traf mich ins Herz, nicht nur, weil er mir darin als Gezeichneter entgegentrat, sondern auch - und mehr noch - darum, weil ich den Taubes in mir erkannte. Ich weiß nicht, ob ich über ihn wieder schreiben könnte, was ich über ihn aber schrieb, bedürfte eines mitfühlenden Nachtrags.** Er kam nach Deutschland und spielte seine Rolle. Was war aber die Rolle, die er spielte? Wieso gibt es ihn noch in allen Formen der frohlockenden Abneigung? Von welcher Qualität war die Unruhe, die ihn schüttelte und andere packte? Ich dachte, er wäre, weil kein „gewaltiger Schriftsteller“, leichter zu übergehen. Ich hätte ihn ernster nehmen müssen, ernster noch, als er selber war. * Jacob Taubes (1923-1987), Religionssoziologe, Philosoph und Judaist, ab 1966 Professor an der FU Berlin; vgl. Aberwenndig, S. 297-301 ** Jacob Taubes: Die politische Theologie des Paulus. Vorträge in Heidelberg 23.-27. Februar 1987. Hg. von Aleida und Jan Assmann. München: Fink 1993 136 IV Judentum, Israel, Christentum EB über Taubes. In: Ein Teppich, aus Namen geknüpft, zum Gedenken an Michael Landmann aufgerollt. In: Exzerpt und Prophetie. Gedenkschrift für Michael Landmann (1913- 1984). Hg. v. Klaus-Jürgen Grundner, Dieter Holz (+), Heinrich Kleiner, Heinrich Weiß. Würzburg: Königshausen & Neumann 2001, S. 33-57; vgl. Aberwenndig, S. 284-305, 308-314 An Friedemann Spicker, 15. Februar 2007 Nr. 147 Damit Sie sehen, dass auch in Deutschland „geschossen“ wurde und - wie in Israel - immer von besorgten und mundflinken Genossen*. In Deutschland waren es eben auch Israel-Freunde, denen ich anmaßend und aufreizend vorgekommen sein musste. Ich hatte dabei den Eindruck, an einen wunden Punkt gerührt zu haben, daran zu erkennen, dass sie mich, der ich mich immer als Benyoëtz vorstellte, mit Herrn Koppel ansprachen oder anschrieben. Das war ja korrekt, sie haben den Namen nicht erfunden, sondern von mir erfahren, damit wollten sie mich aber doch auf etwas zurückführen und jedenfalls weg von meiner Erscheinung und Gegenwärtigkeit als junger israelischer Dichter in Deutschland, der sich erdreistet, mit dürftigem Deutsch die deutsche Literatur besser zu kennen als sie. Mit einem Verständnis für mich war ja ohnehin nicht zu rechnen, das kann ich heute auch einsehen. Es gibt kein „Leben in der Dichtung“, auch nicht das „Spielen mit Vers und Namen“, das für meinen seelischen Ausgleich sorgte, den ich in Deutschland nötig hatte. Wäre ich nicht Dichter, ich wäre längst untergegangen. Vom Überleben abgesehen, verdanke ich alles in meinem Leben der Poesie. Ich müsste darauf zu sprechen kommen, hier genügt die nackte Dokumentation des Wegs, den niemand verstehen konnte und der im KLG** nun sein Ende - ohne Aufschluss - gefunden hat. * Helmuth Nürnberger, Fontane-Forscher, Herausgeber der Werke Fontanes bei Hanser, an Elazar Benyoëtz, 31.10.1963: „Ich lege Ihnen einen Artikel bei, den Erich Lüth, bald nachdem Sie bei uns waren, im Hamburger Echo veröffentlicht hat und den man ja wohl ein Attentat nennen kann. Nun, eine jede Kugel trifft ja nicht, wie es bei den Preußen hieß, für den Fall aber, dass Sie noch nichts davon bemerkt haben sollten, mögen Sie wenigstens wissen, dass geschossen wurde.“; Die Rede geht im Schweigen vor Anker, S. 46; Vielzeitig, S. 283 ** Friedemann Spicker: Artikel „Elazar Benyoëtz“. In: Kritisches Lexikon der Gegenwartsliteratur (KLG). München: text und kritik. S. 1-10, A-F. 85. Nachlieferung März 2007 IV Judentum, Israel, Christentum 137 An Jürgen Stenzel, 19. November 2007 Nr. 148 Shin Shalom war ein pathetischer Mensch, trotzdem kann’s an der Übersetzung liegen*. Seine Rolle ist größer, als ohne Kommentar einzusehen ist, das müsste ich in einer Anmerkung oder in einem Vorwort deutlich machen. Shin Shalom steht stellvertretend, auch symbolhaft für meine hebräische Vergangenheit und markiert zugleich meinen nicht geplanten Übergang zum Deutschen. Er war mir ein treuer Begleiter von Anfang an; als Präsident des hebräischen Schriftstellerverbandes rüstete er mich mit einem Deutsch geschriebenen Empfehlungsbrief aus, mit dem ich „loszog“, somit steht er im doppelten Sinn am Anfang. Er hatte selbst auch seine deutsche Geschichte. Als Kind kam er mit dem Hof seines Vaters, eines chassidischen Rabbi,-nach Wien, dort schrieb er auf Deutsch sein erstes Gedicht, später, als berühmter hebräischer Dichter, stand er im Briefwechsel mit Nelly Sachs und Paul Celan, seine Spuren im Deutschen sind auch noch zu finden. Das war meine Überlegung, aber ich kann von den poetischen Anfängen auch absehen und mit Briefen, die meine jugendliche Beschäftigung mit der deutschen Literatur belegen, einsetzen. Auch das wäre plausibler als ein „brutaler“ Auftakt mit dem ersten deutschen Werk (1969). * Shin Shalom (1905-1990), hebräischer Schriftsteller: Galiläisches Tagebuch. Heidelberg: Drei Brücken 2012; Vielzeitig, S. 11-13, 271 Von Friedemann Spicker, 29. November 2007 Nr. 149 Da ich annehme, dass Sie die FAZ in Israel nicht regelmäßig sehen, hier eine kleine Notiz: Gestern zwei Artikel, eine ganze Seite, über Oskar Goldberg, und am Schluss wird EB (von Lorenz Jäger) zitiert: „Elazar Benyoëtz hat für die fast klandestine, aber umso deutlichere Wirkung, die von Goldberg ausging, die passenden Worte gefunden: ,Mit einem metaphysischen Aufwand-… nicht zu entzaubernden Eindruck.ʻ“* * Henning Ritter: Von Berlin-Lichterfelde nach New York. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung-v. 28. November 2007, S. N 3 An Friedemann Spicker, 5. Dezember 2007 Nr. 150 Wie oft hätte man mich zitieren können, und wie selten kommt es doch vor - oder mir zu Gesicht. Sie aber wachen und lassen mir nichts entgehen! Merkwürdig, dass ich Goldbergs* wegen sogar Anrufe aus Deutschland erhielt. Dass aus der Goldberg-Ecke Aphorismen kommen könnten, habe ich in frühren Zeiten gedacht. Ich hatte die Vorstellung, dass um jedes Kultbuch, das Wellen schlägt, 138 IV Judentum, Israel, Christentum immer auch eine aphoristische Welle hochsteigt. Seine nächsten und bedeutendsten Jünger/ Freunde gingen alle in die Breite, mit einer Ausnahme: Joseph Markus**, der sehr konzentriert und verantwortungsvoll zu denken vermochte, doch leider nicht aphoristisch. In Loewensons*** Nachlass ließen sich Aphorismen vielleicht noch finden, aber im Grunde ging auch er lieber in die Länge. * zu Oskar Goldberg vgl. Friedemann Spicker: „Wer hat zu entscheiden, wohin ich gehöre? “ Die deutsch-jüdische Aphoristik. Göttingen: V & R unipress 2017, S. 98 ** Joseph Markus, Arzt und Philosoph, gestorben am 24. Dezember 1949 in Tel Aviv *** Erwin Loewenson (1888-1963), deutsch-jüdischer Schriftsteller An Werner Helmich, 3. April 2012 Nr. 151 Denke ich an Sie, gehen durch meinen nämlichen Kopf nicht nur Zacharias Werner* und Werner Sombart** (jeder mit seinem Grund und seiner Grundfarbe), es geht durch mein Herz der erste Werner überhaupt, mein Onkel Werner, der das Märchen meines Lebens geworden ist, da ich sein Bild einzig aus den Geschichten meiner Mutter schöpfte. Er sollte mich, selbst kinderlos, geliebt haben. Das könnte sein und wäre ein Tropfen Honig mehr. Ich war nur ein Jahr alt, als ich Wiener Neustadt verlassen musste. Onkel Werner - kaum zu fassen - ein zum Judentum übergetretener Neustädter, ein Arzt, der das Cello spielte, ein frommer Jude, sicher frömmer als meine Tante Helen, die er geheiratet hatte. Sage ich Werner, geht auch er mit seinem Cello über meine Lippen. * Zacharias Werner (1768-1823), Schriftsteller, Dramatiker der Romantik ** Werner Sombart (1863-1941), Soziologe und Volkswirt („Die Juden und das Wirtschaftsleben“, 1911) An René Dausner, 5. Januar 2013 Nr. 152 Ich bin kein Theologe, ich bin Jude, und spreche aus einer „jüdischen Vibration“ heraus, und weil wir Zeugen sind - unsere Generation tritt im Zeichen des Zeugnisses auf -,-will ich für mein Leben im „theologischen Deutschland“ bezeugen, dass auf protestantischer Seite niemand mit mir so weit ging (das meint auch: sich gehen ließ) wie Rufus Flügge, Stadtsuperintendent in Hannover, Prediger an der Marktkirche, und auf katholischer Seite Josef Wohlmuth, Professor in Bonn und Programmleiter eines Studienjahrs an der Dormitio, Jerusalem. Wir sind Freunde, das kann man sagen, was ist damit gesagt? Ich bin hie und da als Autor bekannt, keine Bekanntheit, meide herzlich gern die Öffentlichkeit, und zähle ich mitunter, es ist mit mir nicht zu rechnen. Einsilbig und zurückgezogen, IV Judentum, Israel, Christentum 139 mache ichs meinen Gesprächspartnern nicht leicht, sie müssen nicht sprechen, wenn sie verschwiegen sind, aber - mit der Sprache heraus. An Gerhard Langer, 21. Januar 2013 Nr. 153 Sie wünschten sich, sagten Sie, einen hebräischen Text für Ihren Sammelband*. Ich bin nicht in der Lage, zu jeder Zeit einen hebräischen Text zu liefern, bin leider meistens dazu nicht in der Lage (was die Qualität des Geschriebenen meint, schreiben kann ich immer). Ich habe gerade eine Weile geübt, ich lege Ihnen das Resultat bei - als Gesprächsunterlage, denn vielleicht wissen auch Sie noch nicht genau, was Sie wollten oder gern von mir hätten. Zur Beilage: Ausgehend von meinem „ureignen“ Problem des Deutschen, gehe ich auf das altbewährte, altverstörte Problem der „negativen Theologie“ ein - alles in Anspielungen, auch die offensichtlichen Quellen (wie Psalmen) nicht angebend. Es weiß, der es weiß. Es soll ein „poetischer Text“ sein, kein wissenschaftlicher. Natürlich könnte ich alle Quellen angeben, besser wäre - und wohl unabdingbar - ein punktierter Text. Jetzt geht’s ja nur um einen Text - zur Diskussion. Dieser kann gekürzt oder erweitert werden - in jeder Hinsicht und mancher Richtung. Meine Neigung wäre, ein Kuriosum zu leisten, nämlich ein hebräisches Anhang-Büchlein, das im Kern das enthielte, was ich nur Hebräisch denken kann, also gar nicht Deutsch. Philosophisch, theologisch, poetologisch, vielleicht auch autobiographisch. * Bernhard Fetz, Michael Hansel, Gerhard Langer (Hgg.): Elazar Benyoëtz. Korrespondenzen. Wien: Zsolnay 2014 (Profile 21) An Gerhard Langer, 24. Januar 2013 Nr. 154 Die lange Übung brachte es mit sich, dass mein hebräisch Gedachtes nicht auf gleichem Niveau mit dem Deutschen steht. Das ließe sich im Großen nicht mehr ändern, im Kleinen aber. Man könnte sagen: also gut, dann lassen wirs, wir haben des Deutschen ja auch genug. Auch dies würde ich akzeptieren, nur: Von Ihrem Vorhaben denke ich anders. Für die „Zukunft“ wäre es interessant, wahrscheinlich von hohem Wert, wenn ich vermöchte, den hebräischen Kern, den aus dem Geist des Hebräischen gedachten, in geballter Form zu gestalten, und zwar: Glaube, Gebet, Poesie/ Poetik, Traum/ Poetik/ Skrupel (deutsch-jüdisch). Sie böten mir die Gelegenheit, denn Ihre Reihe erscheint unter einem judaistischen Anspruch, wenn auch weitgehend ins Deutsche hinein sprechend. Darum nannte ich mein Ansinnen ein „Kuriosum“, sehr wenige in Deutschland könnten 140 IV Judentum, Israel, Christentum es lesen, sehr wenige in Israel brächten Interesse dafür auf. Vieles also spricht dagegen, dafür einzig mein (momentan anerkannter) Rang. Es wäre sozusagen eine Stimme Ihres Gewissens, wenn ich Gegenstand Ihres Forschungsbandes bleibe. Nur aus der Not machte ich meinen deutschen Talmud, aber zu dieser Not aufgebrochen bin ich nicht in Berlin. Die Texte, die ich Ihnen nach und nach liefere, sind Vor-würfe, sie könnten gekürzt oder erweitert, müssten in jedem Fall streng genommen werden. Sie wären dann ein Fremdes und doch prinzipiell ein Schlüssel, so wahr es ist, und so wahr möge es sein. Was im Deutschen (so gut) geht, kommt meist nicht aus dem Hebräischen, was aber kommt aus dem Hebräischen, ohne dass Herder es merkte? Von Manfred Voigts, 19. Februar 2013 Nr. 155 Ich weiß nicht, ob ich Ihnen schon einmal meinen Vortrag über H. G. Adler und Unger* schickte, wahrscheinlich tat ich es - sonst bitte melden. Jeremy Adler hat mich daraufhin um einen Vortrag über die Theologie oder den Gottesbegriff bei Adler, Steiner und Canetti gebeten. Bei der Erarbeitung sah ich, dass die Verbindungen dieses Kreises mit Unger und mit dem Tel Aviver Kreis um Joseph Markus enger waren, als ich dachte. Bei meinen Nachforschungen stieß ich auf Paul Engelmann: Dem Andenken an Karl Kraus, was ich zwar als Kopie hatte, aber jetzt ist das Heft in meinen Händen.** Meine Frage an Sie ist nun, ob es möglich ist, diese Hefte, die da und dort verstreut liegen, möglichst vollständig zu sammeln, um dann vielleicht eine Gesamtpublikation zu versuchen. Ich weiß von den Heften: Gedanken (1.8.1944), Im Nebel (1945), Philosophische Abende (1.11.1949), Dem Andenken an Karl Kraus, Adolf Loos (? im Engelmann-Nachlass in Innsbruck), Joseph Markus: Über den Sinn des Denkens (Nachlass Adler, Marbach). Kennen Sie mehr von diesen Heften? Wo könnten die zu finden sein? * Erich Unger (1887-1950), dt.-jüd. Philosoph; Vielzeitig, S. 306; vgl. Aberwenndig, S. 394 ** Siehe Anmerkung zu Brief Nr. 103 An Burkhard Talebitari, 22. Juli 2013 Nr. 156 Dass Wiedemanns* Ausspruch: „Warum predigt er nur“ es Dir angetan hat. Er mag ja kritisch-ironisch hingenäselt worden sein - wer predigt noch und wer will einer Predigt lauschen; trotzdem hat er mich immer ernst genommen, als einen Autor,-der etwas zu sagen hat. Ich glaube nicht, dass er daran je zweifelte. Vielleicht missfiel ihm mein Tonfall, vielleicht mochte er ‚das Religiöse‘ nicht. Ohne Zweifel ließ ich keinen Zweifel daran,- dass der Zweifel eine Form des IV Judentum, Israel, Christentum 141 Glaubens sei, und Kohelet, der Prediger, mein Großvater**. Dass Du mich heute leise bittest, im Literaturhaus keine Predigt zu halten, bedeutet, dass Wiedemann weiter war als Du - und als Du denkst. Was ich gegen ihn haben könnte, hat er mir selbst gebeichtet: von mir gewusst und für mich nichts getan zu haben. Darin sah er das Versagen seiner Generation,- welche die Universitäten in jenen Jahren beherrschte. Die Germanistik seiner Zeit war eine kleine Großmacht. Um sich mit mir zu befassen, brauchte man Mut, eigentlich nur Charakter.-Meine Germanisten - wir sind gleichen Jahrgangs - schärften den Studenten das Geläufige ein, huldigten lautstark dem Modischen, mich ließen sie liegen und Leiche sein.-Über diese gingen sie mit groß erstaunten Augen, Zartgefühl und Mitleid. „Treffpunkt Scheideweg“ war doch ein guter Titel, ein interessanter sogar, wenn nur kein Buch dahinter stünde. Conrad Wiedemann kannte das Buch, wollte sich ihm sogar stellen, beim Ausweichen halfen ihm andere. Am Ende hatte er auch gebeichtet, er allein und gründlich. Das gebe ich zu Protokoll. * Prof. Dr. Conrad Wiedemann, Germanist, Berlin; vgl. Conrad Wiedemann: Zweifelrede. Elazar Benyoëtz, dem Aphoristiker und Wortfinder, zum Siebzigsten. In: Süddeutsche Zeitung, 24./ 25.3.2007 ** Vgl. Die Eselin Bileams und Kohelets Hund, S. 146-148, 152-158; vgl. Aberwenndig, S. 335-341 An Manfred Voigts, 20. November 2013 Nr. 157 Ihre Erziehungserfolge müssten Sie gewiss mit Ihrer Frau teilen, die anderen aber gehen auf Ihre Entscheidungen zurück, die Sie glücklich oder mit Glück getroffen haben. Ihr Setzen aufs Jüdische - damit meine ich vor allem Ihre Analyse der „deutsch-jüdischen Symbiose“; Ihr Setzen auf Oskar Goldberg*, was vermutlich als das Bedeutendere innerhalb Ihrer Leistung gelten wird.-Sie haben Großes für ihn getan, Großes wird in Ihrer Folge getan werden, und es bliebe immer noch etwas über Goldberg zu sagen. Ich habe viel über ihn nachgedacht, auch eben jetzt - und besonders bei Ihrer Analyse des Briefes von Scholem, die gut, mutig, zutreffend ist, ob es Ihnen aber gelungen ist oder gelingen wird, den Sieg über diese „Wucht“ davonzutragen? Scholem ist - wie Goldberg - ein Bergmassiv, leicht zu durchbohren, schwer zu umgehen. Er hatte sich „Schlösser“** vorgenommen und einigermaßen missbraucht (oder ausgenützt), er hatte kaum vor, einen Brief an ihn zu schreiben, er nahm die Gelegenheit wahr, mit seinem früheren Leben abzurechnen. Womit rechnete er eigentlich ab? Das Deutsche hatte er hinter sich, die Deutschen wieder vor sich, er konnte - auch er - nicht anders, als in alle Zukunft hinein zu ihnen zu sprechen. Wie Buber. 142 IV Judentum, Israel, Christentum Nun kommtʼs. Mit Buber konnte er leichter fertig werden als mit Oskar Goldberg, der ihm nach wie vor ein Ärgernis war. An dieser Stelle treten Sie auf, erkennen richtig, verfehlen aber die Pointe. Es ist gut und nicht schwer, Goldberg anzugreifen, er aber, Oskar Goldberg, hatte mit einem Wort den ganzen „Sachverhalt“ auf andere Bahnen gelenkt, und das-mit dem Titel seines Buches fast mehr als mit dem Buch selbst: -„Die Wirklichkeit-der Hebräer“ besagt: Schluss mit dem-Wesen des Judentums. Die „Wirklichkeit der Hebräer“ war eine Wucht, Maimonides*** nicht, wuchtig aber Scholems Löcken dagegen, denn es offenbarte die für ihn schmerzliche Differenz: Auch er hätte es lieber mit der „Wirklichkeit der Hebräer“ als mit dem „Wesen des Judentums“, wogegen Goldbergs Maimonides ja gerichtet war. * Oskar Goldberg (1885-1953), deutsch-jüdischer Arzt und Religionsphilosoph; Die Wirklichkeit der Hebräer. Wissenschaftliche Neuausgabe. Mit einem Geleitwort von Elazar Benyoëtz. Mit einem Nachwort von Roland Goetschel. Hg. von Manfred Voigts.-Wiesbaden: Harrassowitz 2005, S.VII/ VIII ** Manfred Schlösser (geb. 1934), Verleger (Agora-Verlag); Herausgeber der Festschrift „Auf gespaltenem Pfad“. Für Margarete Susman zum 90. Geburtstag (Darmstadt: Erato 1964); vgl. dazu die Anmerkung in Aberwenndig, S. 401 *** Oskar Goldberg: Maimonides. Kritik der jüdischen Glaubenslehre. Wien: Glanz 1935 An Gerhard Langer, 22. November 2013 Nr. 158 Die „Gedankenübertragung“ fand nicht von ungefähr statt. Sie dachten an den Band und seine Struktur, ich an meinen hebräischen Beitrag und seine Form, wenn er denn eine Form haben soll. Die Formgebung wäre die Aufgabe und die Arbeit, nicht zwingend aber der Sinn meines Beitrags: Über den bestimmen Sie. Wenn Sie sich seiner annehmen wollen, wäre es das Angemessene, Einfache und Richtige, dass Sie - je nach Vorstellung oder Absicht - eine Auswahl träfen. Dann hätten Sie sicher, was Sie gebrauchen können, Rahmen und Umfang würden sich aus der Auswahl ergeben. Was ich Ihnen zukommen ließ, war als Material und „Themenzettel“ gedacht, vor allem in der Absicht, Ihnen Einblick zu gewähren und mir die Richtung zu weisen. Mit mir als Übersetzer - das muss vielleicht schon gesagt werden - dürfen Sie nicht rechnen, so ideal es Ihnen scheinen mag. Gerade, weil ich in meinen Texten verstrickt bin, wäre es mir unmöglich, auf ein Gleiches hinauszukommen. Ich kann mich nicht übersetzen, es wird etwas anderes werden: nicht, was ich mir denke; nicht, was Sie sich von mir erhoffen. Sagen Sie mir bitte, wie Sie es halten wollen. „Unübertrefflich“ ist von Ihnen schön gedacht, wenn ich mich nur selbst noch übertreffen könnte. „Sandkronen“ war der Gipfel, von dem es nur noch her- IV Judentum, Israel, Christentum 143 untergeht. Im Hebräischen wird es nicht auffallen, da es mich schon lange nicht mehr gibt. Ich kann mich auf das Wenige konzentrieren, meine Sprache - die nicht zeitgemäße - bestimmt wie von selbst das Niveau des Gedachten, weist aber auch noch Spuren alten poetischen Schmelzes auf. An Daniel Glaus, 9. September 2014 Nr. 159 Wen wollen Sie heute mit „Gott ist“ anlocken? Darauf könnte man nur scharf kontrapünktlich erwidern, die ersten Sätze gehen noch, alles Weitere ist ohne jeglichen poetischen Funken, mir scheint sogar: ohne Gott in den Buchstaben. Es mag Ihrer Neigung zum Mittelalterlichen entsprechen, sie bleibe auch unantastbar, ich kann mir - jüdisch beschränkt - die Wirkung im sakralen Raum natürlich nicht ausdenken, aus meiner (christlichen und „postchristlichen“) Sprachumgebung mir aber vorstellen. (Da mag Deutschland allerdings anders reagieren als die Schweiz.) Der einzige Satz vom Sein Gottes, der seinen Klang und Beiklang nicht ganz verloren hat, lautet: Gott ist tot. Darüber müssen wir kein Wort verlieren, doch muss von hier aus, von Erbaulichkeit fern - das Wort aufgebaut werden, am paradoxen Credo, nicht am steifen, das niemand verstehen wird: nicht, weil es nicht zu verstehen wäre, sondern, weil es die Lust zum Verstehen nicht weckt. Sehen Sie mir diese erste Reaktion milde nach, solche und ähnliche „Gott-Ist-Sätze“ haben die Jahrhunderte zu Tode geritten. Möglich, dass im Weiterreiten Ihr Auftrag liegt, dann kann ich dazu nichts sagen, aber auch nichts tun. Auch die negative Theologie hatte ihre mittelalterliche Blüte, sie welkte nicht ganz, sie steht am Anfang unserer Sprache, darauf ließen sich noch ein paar Ohren zuspitzen. Gott wird nicht besser oder richtiger verstanden, der Mensch kann aufgerissen und tiefer beunruhigt werden mit neuen, nicht ähnlichen Worten. Noch trat nie Heiliges in die Welt ohne Feuer oder einen poetischen Funken. Hätte ich im Leben einen Auftrag (ich hatte nie einen, auch keinen mir eingebildeten), er wäre: Weg von dieser Sprache, die neue suchen, was vor allem bedeutet: die alte verloren geben. Das meint der Titel: „Variationen über ein verlorenes Thema.“ An Harald Weinrich, 1. Oktober 2014 Nr. 160 Hat einer die Macht, gibt er sie nicht aus der Hand, aber keine Macht beherrscht die Ohnmacht. Die Bibel ist so politisch wie der Koran, Jude und Muslim treffen sich nie auf neutralem Boden. Darum hat ein neutrales Denken über beide keine Aussicht, den Konflikt zu neutralisieren. Ob ich das glaube? Nein, das schien mir im Augenblick denkbar. Bis zur Denkwürdigkeit des Gedachten ist ein weiter 144 IV Judentum, Israel, Christentum Weg, ich werde ihn zurücklegen. Israel darf nicht aufhören zu existieren, alle Gedanken und Wünsche um seinen Untergang lass ich an mich nicht heran. Ich will nicht, dass Israel auf Kosten anderer überlebe, aber auch nicht, dass es auf Wunsch seiner Feinde untergehe. Israel muss existieren, um seine Existenz mit allen Mitteln kämpfen, zu dem der Frieden gehörte. Wir können über den Frieden auch noch anders denken. Als Motto dazu möge der Schlussvers von Psalm 120 dienen: „Ich halte Frieden; aber wenn ich rede, so fangen sie Krieg an.“ Die den Krieg haben wollen, bereiten sich auf ihn vor, und solange sie nicht vorbereitet sind, sprechen sie nicht von ihm. Sie wollen ihn machen, nicht bereden. Schweigend vollzogen, ist ein Akt ein Akt; besprochen, wird er zu einem Problem, einem casus belli, zur Quelle einer Neurose. Es könnte die Klugheit des Psalmisten sein, die uns darauf hinweisen wollte. Wir reden zu viel von dem Frieden, beten zu viel für ihn. Hebräisch lautet der Vers: Ani Schalom, wechi adaber - hemmah lamilchama. „Ani Schalom“ / „Ich bin Friede“. Das müsste man von sich sagen können, ehe man seinen Mund zum Beten auftut. Das Gebet wäre dann schon eines des Friedens, nicht eines um ihn oder um ihn herum (Querschluss, S. 24). „Ich bin Friede, aber-…“ sagt der Psalmist, und Du würdest einwenden, jeder Muslim oder Araber könnte und dürfte den Psalm sprechen und für sich in Anspruch nehmen. Ja, so ist es. Und: Was die Psalmen singen, ist nicht, was sie sagen. Das ist grob oder „allgemein ausgedrückt“, und in meinen Büchern bin ich zwar allgemein - aber bis ins Letzte hinein. Menschenhass wird man bei mir nicht finden, von mir nicht lernen. Mein Credo ist und bleibt: Dein Gesicht ist mein Gesicht, der Erde ist niemand fremd und auch den Sternen nicht Das Müssen ist in uns, gesollt und wie gehabt Du kannst nichts Größeres leisten als Widerstand Wenn Hass in Liebe endet, ist Liebe, wie selten, ein Lohn Weit davon entfernt, mir ein Modell vorzunehmen oder nur einzubilden, dachte ich manchmal an den - ganz anders gearteten - Briefwechsel Croce-Vossler*. In keiner Weise hielt ich mich Vossler ähnlich, Du aber warst natürlich Croce. Mein Werk ist vollendet, wer es lesen will, kann es tun. Ob ich mein Werk ohne IV Judentum, Israel, Christentum 145 Dich hätte vollenden können? Diese Frage gehört zu meinem Vermächtnis an meine Nachkommen. * Briefwechsel Benedetto Croce - Karl Vossler. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1955; vgl. Treffpunkt Scheideweg, S. 33 Von Harald Weinrich, 7. November 2014 Nr. 161 Die politische Parenthese, die ich vor einiger Zeit geöffnet hatte und die von Dir mit so viel Generosität aufgenommen worden ist, will ich von mir aus heute mit einer kleinen Bemerkung wieder schließen. Sie betrifft den großen Konzertmeister Daniel Barenboim*, den ich mit seinem „west-östlichen Orchester“ sehr dafür bewundere, dass er in einer fast verzweifelten Situation den Mut gehabt hat, den zweiten vor dem ersten Schritt zu tun. Mit ihm möchte ich selber wohl Schritt halten mögen, wenn ich eine gute Reihe von Jahren jünger wäre. * Daniel Barenboim dirigierte die Berliner Philharmoniker bei ihrer weltweit beachteten erstmaligen Israel-Tournee; er gründete 1999 das Orchester des West-östlichen Divans mit Musikern aus Israel sowie den palästinensischen Autonomiegebieten, Libanon, Ägypten, Syrien, Jordanien und Spanien. Im August 2005 gab das Orchester ein vielbeachtetes Konzert in Ramallah. An Hans-Martin Gauger, 22. Dezember 2014 Nr. 162 Schön war der aus der Taufrische gehobene Tag mit Dir in Tübingen, unvermutet, unerwartet, gutgefahren, gutgelandet, schwergehört, doch reichlich beweint - und die Nähe erhaltend, von der wir nicht abweichen wollen, auch wenn wir uns über „Antisemitismus“ (ein Wort ohne Hörsicht) nicht einigen und vielleicht nicht einigen sollten.* Die Einigung hat ihre Grenzen, die Vereinigungen weisen sie auf und nach. Dass man einig sein wollte, ist vielleicht ein falscher Wunsch, dass man einig sein könnte - ein falscher Traum, der niemand hilft. Falsche Probleme werden ewig diskutiert, das kennzeichnet sie. Fragen kann man stellen, Probleme nicht. Das wirst Du strikt ablehnen, denn das Wissen, würdest Du sagen, gründet auf Problemstellungen. Das Problem ist aber doch Ausdruck des als Frage nicht Beantworteten. Die Lösung eines Problems ist nicht die Antwort auf eine Frage, die den Fragenden ins Auge fasst und im Blick behält. Man antwortet zuerst und zuletzt dem Fragenden. Das Problem unterdrückt den Fragenden und überwuchert das Gefragte. So wird es fragwürdig und bekommt den Anschein eines Problems, um dessen Lösung die Fakultäten streiten: ein Streit, der ihnen Wachstum und Dauer sichert. 146 IV Judentum, Israel, Christentum Das ist, was ich mir sage, Dir aber nur schreibe. Keine Fragestellung dürfte Deine Freiheit berichtigen; was immer Du sagtest, es stünde für Dich. Und ich würde das „Für-dich“ nie als „Gegen-mich“ verstehen oder zurückweisen. Wir glauben zu repräsentieren, während unsere Worte stellvertreten. * Dem ging EBs Beitrag voraus, Gauger als Sonderdruck zugekommen - und der seine Zustimmung nicht gefunden hatte: Nächstenliebe Fremdenhass, Oder: Rom wie Jerusalem sind nur noch über Auschwitz zu erreichen. In: Theologische Zeitschrift. Basel, Jg. 69, 2013, S. 611-619; erweitert, mit einem Brief an H.-M. Gauger, in: Aberwenndig, S. 195-210 Von Hans-Martin Gauger, 15. März 2015 Nr. 163 Nachgedacht habe ich natürlich auch über Deine Meinung, wir könnten gar nicht einig sein, müssten quasi notwendig divergieren im Blick auf Antisemitismus. Also dies sehe ich eben ganz anders. Da gibt es für mich keine Abhängigkeit von Biographischem. Es geht ja hier schließlich um eine wissenschaftliche Frage, und Antisemitismus ist längst eine fest etablierte wissenschaftliche Disziplin. Antisemitismus ist, wie ich geschrieben hatte, was für Dich einfach gegenstandslos war, wenn jemand gegen jemanden ist aus dem einzigen Grund, dass der Betreffende Jude ist. Ich finde, dies ist eine ganz furchtbare, primitive, eine restlos unmenschliche Sache. Nach allem Geschehenen-erst recht. Und deshalb ist umgekehrt der Vorwurf des Antisemitismus ein äußerst verletzender Vorwurf. Wenn Du meinst (eine Meinung, die ich übrigens noch nie gehört habe, was kein Argument ist, ich weiß), Antisemitismus als Wort sei nur ein Euphemismus für das, was eigentlich ‚Judenhass‘ heißen müsste, dann kann man mit dem Vorwurf großzügiger sein, wie es so viele Juden sind. Und da geht es ja faktisch jetzt immer um Kritik an Israel. Da haben viele dann ganz schnell nur diese eine Erklärung: Antisemitismus. Natürlich äußert sich Antisemitismus - eine psychologisch neutrale Kategorie, eben deshalb halte ich sie für gut - oft als Hass, gar keine Frage, bei den Muslimen ganz besonders, aber er kann psychologisch auch etwas ziemlich anderes sein: Verachtung, Irritation, zum Beispiel darüber, dass die Juden ‚anders‘ sein wollen, oder dann, groteskerweise, über das Umgekehrte, dass sie sich anpassen wollen, dann Neid über ihre Erfolge, über ihr Sich-gegenseitiges-Helfen, Angst, paranoia-artiger, also bis ins Klinische gehender Wahn oder dann, nun intellektuell gesehen, einfach Blödsinn, was als Vorwurf für einen Intellektuellen oder Wissenschaftler schon schlimm genug ist. Im Übrigen gebe ich zu oder konstatiere selbst, dass der Antisemitismus durch die Jahrhunderte hindurch auch etwas Rätselhaftes hat, geradezu etwas Mysteriöses. Sicher etwas rational nicht Auflösbares. IV Judentum, Israel, Christentum 147 An Hans-Martin Gauger, 17. März 2015 Nr. 164 Zum Antisemitismus nur so viel: Das- Anti- ist konkret, schmerzt und schadet den Betreffenden. Der-„-ismus“ ist das Wissenschaftliche, worauf Du Dich beziehst, doch dafür enthält es zu wenig (eben nur den Juden als Semiten), um eine Wissenschaftlichkeit - jenseits von These, Buch und Lehrstuhl - zu rechtfertigen. Wenn Du unbefangen von Juden sprechen kannst und magst, warum sprichst Du von Semiten? Deine Einstellung, wie Du sie darstellst, ist eine Sache des Herzens und der Gesinnung, wozu das Ausweichen in die Wissenschaft? Ich kenne freilich diese Wissenschaft, handelt sie doch von mir, mich sehe ich aber nicht gern wissenschaftlich behandelt, und wenn wir miteinander sprechen, ist nicht davon die Rede. Die Gründe, die Du anführst, sind alle in menschlichen Affekten begründet, wie Gegnerschaften und Feindschaften allgemein sind. Ich sehe keinen Grund, gegen Juden zu sein, das wiederum wäre auch kein Grund, die oder den Juden sympathisch zu finden oder gar zu lieben. Warum Juden unbeliebt sind oder gehasst werden, ist eine Frage, sogar eine alte, und alt sind auch die Versuche, sie zu beantworten. Das Alter der Frage macht sie interessanter, sie reizt darum so viele, auch mich und Dich, eine eigene Antwort zu versuchen. Ich habe den Eindruck, dass die Antwort weder mir noch dir gelungen ist. 1990, in meinem Buch „Treffpunkt Scheideweg“, hielt ich es mit George Orwell, den ich unter dem Aphorismus zitierte: „Je weiter von sich weisend, desto näher dran: ‚Was nahezu alles, was über Antisemitismus geschrieben wurde, ungültig macht, ist die Annahme des darüber Schreibenden, er selber sei gegen ihn gefeit. ‚Da ich weiß, dass Antisemitismus irrational ist‘, überlegt er, ‚liegt der Schluss auf der Hand, dass ich an ihm keinen Anteil habe.‘ Auf diese Weise verpasst er schon zu Beginn seiner Untersuchung, an dem Punkt anzusetzen, der einzig ihr die Gültigkeit gewährleisten könnte - bei sich, in seinem Wesen selbst.‘“ (George Orwell, England your England and other Essays, London 1953, S. 79)*. „Treffpunkt Scheideweg“ war zu einem guten Teil meine lebhafte, fast leibhaftige Beschäftigung mit dem Antisemitismus bzw. mit seinen nennenswerten Vertretern, von denen ich mir Belehrung erhoffte. Manche versuchte ich zu entschärfen, was mir zu meinem Staunen auch gelang. Ein weites Feld, doch kaum lohnend, von uns beackert zu werden. Trotzdem und immer wieder: Denke ich heute wie gestern, habe ich einen Tag verloren. Dem füge ich zwei Zitate an: „Ich kann zwar beurteilen, was richtig und was falsch ist, aber den Ton, in dem ich spreche, den höre ich nicht.“ (Hugo Ball) „Einem so unruhigen, aggressiven, immer zum Sprung bereiten Subjekt darf man nicht mit akademischen Samthändchen den Bart streicheln.“ (Friedrich Sengle über Heinrich Heine) * Treffpunkt Scheideweg, S. 180f. 148 IV Judentum, Israel, Christentum An Burkhard Talebitari, 18. November 2015 Nr. 165 Deine Kritik an der deutschen Öffentlichkeit - die das Heutzutage einschließende - ist im ersten von Dir zitierten Satz aus Sahadutha enthalten.* Dieser Satz, aber mehr noch, dass Du ihn zitierst, spricht schon alles aus, und spricht für Dich. Denn alle, die Sahadutha schätzten, waren zu feige, ihn zu zitieren. Ich sage feige, um Dich als mutig herauszustreichen, aber es ist nicht eigentlich Feigheit, es liegt im defekten Bewusstsein eines Deutschen, der seiner „Sache“ nicht mehr sicher ist. Und das wärest auch Du, wenn Du Dich nicht entschlossen hättest, mit eben dieser Sache auf Jüdisch fertig zu werden. Ich meine die Kompetenz, die man sich zuschreiben müsste. Wenn ein Jude von Juden spricht, hat ein Deutscher dazu zu schweigen. Du hast - nicht ohne Mühe und Eifer - dies Missverständnis als solches erkannt und überwunden, was meint: mir zugestanden, Dir die Zunge zu lösen und Dich sprechen zu machen. Du hast mich ernst genommen, in der Situation, in der und in die hinein ich schrieb: NICHT FÜR JUDEN. * „Es ist tragisch zuzusehen, wie sehr Juden bemüht sind, den Deutschen zu erklären, dass sie ihnen heute fehlen müssten - sie fehlen nicht.“ (S. 22) V „Kohelet, der Prediger; mein Großvater.” - Bibel An Ludwig Brinckmann, 1. Dezember 1993 Nr. 166 Noch ein Wort zu Deinem Text.* Du schreibst: „Wo Erwählung ist, da ist auch Anfeindung. Das ist das Los der Erwählten.“ Geliebt wird der Einzelne, erwählt das Volk. Sinai - und Golgatha. Golgatha ist Trauma, wie einst Morija** war. Aber auch Morija verblasste vor bzw. gegen Sinai, obschon der Berg Ort des Tempels wurde, während der Berg Sinai jede Bedeutung einbüßte, ja selbst aus der Geographie verschwand. Es stimmt darum mit der Erwählung nicht. Das Tiefste, das Wahrste und Gültige über die Erwählung steht in Sefer Dewarim (5. Mos. 4). Und wenn ich schreibe: „Auserwählt - der Ungnade ausgesetzt“, gehört das noch unmittelbar dazu. Erwähltsein hat mit Sich-erwählt-Wähnen nichts zu tun. Alle sind auserwählt, wenn Gott außer Spiel bleibt. Was aber Gott (selbst) sagt, kann ein Mensch nicht behaupten, geschweige denn von sich. Darum steht das Wort „Prophet“ (Nabi) so unerwartet, weil scheinbar unmotiviert und kaum gerechtfertigt, schon bei Abraham; darum gilt Moses als Haupt der Propheten und somit mehr als alle zusammen. Ich bin heute so kühn zu behaupten, dass Israels Propheten ihre letzte Erhöhung und Bedeutung in der Welt erst durch Jesus bzw. durch das Evangelium erhalten haben. Die Juden sind freilich ohne die Propheten, die Prophetie ohne die Juden kaum vorstellbar; das Judentum aber, in seiner Denk- und Dankbarkeit, wurzelt einzig im Pentateuch, weil darin Prophetie noch Granit ist und nicht Pergament. Ein Stein des Anstoßes, nicht ein Stein der Weisen. Darauf kann man bauen. Was ich Dir hier sage, ist hebräisch empfunden, nicht deutsch gedacht. Ist aber das von mir deutsch Gedachte auch noch hebräisch empfunden? Das ist die Grundfrage meines Lebens, und - weil mein Leben betreffend - mir ein Rätsel, und nur Dir noch eine Frage. * Das Land der Augen Gottes. Ein Geleitwort zu: Michael Krupp: Die Geschichte der Juden im Land Israel. Vom Ende des zweiten Tempels bis zum Zionismus. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1993 ** Das Land, in dem der Berg lag, auf dem Abraham seinen Sohn Isaak opfern sollte; vgl. Die Eselin Bileams und Kohelets Hund, S. 195-198 150 V Bibel Von Katharina Heyden, 29. September 2002 Nr. 167 Wenn Ihr Weg von Kohelet ausging, so führen Ihre Worte den Leser zu ihm hin, und der garstige Graben der Geschichte verliert seinen Abgrund. Die Komposition bedarf wohl des Einatmens, bei jedem Lesen gehen mir neue Dimensionen und Bezüge auf. Ich kann mich kaum sattatmen. Es ist vielleicht der dichteste, komponierteste Text, den ich von Ihnen kenne.* Die Reime und Überschriften verdichten zusätzlich, aber immer auf leichte und zugleich tiefe Weise. Aber Sie baten auch um Kritik, und so habe ich denn auch eine Atempause eingelegt - die, oft unwesentlichen, Anmerkungen im Text. Nicht immer war mir deutlich, was Überschrift ist und was nicht - manches schien mir als Überschrift, war aber nicht entsprechend gedruckt. „Königreich Imma”** ist ein in sich so geschlossener, schöner, klarer Text, dass er mir zunächst den Zusammenhang zu sprengen schien. Im Nachhinein aber erschließt sich die Einbettung. Die Schönheit des Misserfolgs*** wird mir zum hermeneutischen Schlüssel zu Kohelet - ich bin gespannt, was er aufschließt. Ich glaube, befürchte, dass auch mein Versuch, Ihr Buch zu lesen, von der Schönheit des Misserfolgs gekrönt ist. Vielleicht fehlt mir die kritische Distanz - die Worte, ihr Zusammenspiel und ihr Einzeldasein, springen mich an, verunsichern, erhellen, trösten. Manchmal reflektieren sie etwas in mir. Wie kann ich da reflektieren? Aber gerade deshalb lese ich gern weiter, wenn es Ihnen irgendwie hilfreich sein sollte. * Finden macht das Suchen leichter ** Ebd., S. 53f. *** Die Schönheit des Misserfolgs. In: Viele Kulturen - Eine Sprache. Hommage an Harald Weinrich. Zu seinem 75. Geburtstag von den Preisträgern und Preisträgerinnen des Adelbert-von-Chamisso-Preises der Robert Bosch Stiftung. Stuttgart 2002, S. 45-51; EB: Die Zukunft sitzt uns im Nacken. In: Österreich-Konzeptionen und jüdisches Selbstverständnis. Identitätsfigurationen im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. von Hanni Mittelmann und Armin A. Wallas. Tübingen: Niemeyer 2001 (Conditio Judaica 35), S. 299-318, hier S. 301 An Johanna Erzberger, 20. Oktober 2002 Nr. 168 Direkt und eher noch verwandelt ist Kajin-Abel ein großes und häufiges Thema der (Welt-)Literatur, wo soll man da beginnen? Die deutsche Literatur zum Thema wurde wiederholt bibliographisch erfasst, ich habe sie aber nur bis 1939 verfolgt, es sind oft Dramen oder dramatische Skizzen. Ich fürchte, es führte Sie zu weit hinaus (und zu weit von mir weg). Mein Vorschlag wäre, die Perspektiven, die „Methode”, die Hermeneutik als „Thema” zu nehmen und Kajin-Abel V Bibel 151 als Beispiel, als großes (denn die Sicht verschiebt sich auch bei mir oft, quasi von Buch zu Buch), aber nicht als einziges; es muss auch nicht alles biblisch sein oder zugehen, sondern reich und anwendbar. Bleiben Sie auf Kajin-Abel festgelegt oder fixiert, überlegen Sie die Perspektive: das Thema nach dem 2. Weltkrieg im Hinblick auf die Shoa. In der Literatur, häufig in der Lyrik, wird Kajin für Nazi (Mörder) eingesetzt. Darauf spielt meine Bemerkung an („Brüderlichkeit“, S. 27; auf diesem Hintergrund ist mein größerer Text entstanden). Es könnte eine willkommene, aber sinnvolle Einschränkung sein, neue Resultate versprechend, theologisch brisant. Allerdings wird es nicht leicht sein, die Literatur zu erschließen. Dann wäre meine erwähnte Bemerkung möglicherweise die angemessene/ annehmbare These. Die Betrachtung könnte auch Ordnung in die Gefühle bringen, denn auf dem Kajin- Abel-Acker wetteifern gegeneinander die schlimmste Brutalität (um Kajin) und die süßlichste Sentimentalität (um Abel). An Burkhard Talebitari, 12. Dezember 2002 Nr. 169 Die Vorstellung vom Zaddik* ist an Abraham befestigt, obwohl Noah zuerst mit dem Titel ausgezeichnet wurde. Er genügte, aber nicht zum Vorbild. Was ihm geheißen wurde, führte er gehorsamst aus; er baute die Arche, scharte die Tiere um sich und brachte sie, wie befohlen, mit allem Geflügel in der Arche unter, dann folgte er mit seinem Hausgesind, nahm einen tiefen Atemzug und schloss die Läden. Mit den Fluten immer höher steigend, landete die Arche endlich, nach hundertfünfzig Tagen, am siebzehnten des siebenten Monats, auf den Bergen Ararats, aber noch lange nicht im Trockenen. Am siebenundzwanzigsten zwoten 600 hat Gott Noah befohlen, die Arche zu verlassen. Als er die Arche verließ und wieder Welt in Sicht bekam, war auch sein Auge trocken. Er sorgte vor und trauerte nicht nach. Er dankte Gott fürs große Überleben, dann dürstete es ihn nach Wein, denn Überleben allein macht nicht vergessen. Er pflanzte die Nachsintflutrebe und half damit seinen Nachfolgern, sich selbst und zuweilen die Sintflut zu vergessen. Also kam er davon, aber nicht glimpflich. Von seinem jüngsten Sohn entmannt, lernte er das Fluchen wieder. Er [Abraham] war nicht Gottes Freund, doch immerhin der erste, der ihm gefallen hat. Wenn es Gott reut, die Menschen geschaffen zu haben, wenn eine Sintflut bevorsteht, dann muss es immer den einen geben, der Gott gefallen kann. Alle seine Voraussetzungen kennen wir als Nachträge, selbst seine Geburt musste nachgedichtet werden. Zwischen Vorschein und Abglanz, auf der Höhe seines Lebens, taucht er vor unseren Augen auf. Seine Heimat soll nicht seine Bleibe gewesen sein. Gott hat mit ihm etwas vor, darauf lässt er sich ein. Er wird wissen, warum; wir erfahren es von ihm nicht. Sein erstes Vorkommen 152 V Bibel ist ein Unterwegs. Aus Ur bereits ausgezogen, heißt es nun erst aufbrechen, verlassen, fortziehen. Die Stimme spricht, er geht und wächst wortlos in das Wortpaar hinein, sein großes Thema: Verlassen und Verlass. Mit dem ersten Schritt in Rufrichtung, in die letzte Stimmigkeit seines Daseins, erweist er sich, in seinem fünfundsiebzigsten Lebensjahr, als noch veränderbar. Mit der Veränderung seines Namens - von Abram zu Abraham - tritt er aus dem Gehorsam in die Bereitschaft; aus dem zugefügten Ha wird das felsenfeste Hinneni geboren, das allerwegs unverbrüchliche Hier-bin-ich. Abram ist gottähnlich, Abraham gotthaltig. * Zaddik: religiöser Titel für einen hoch angesehenen, als heilig oder moralisch herausragend geachteten Mann im Chassidismus An Michael Bongardt, 6. August 2004 Nr. 170 Muhammad hatte für Jesus ein tiefes Gefühl, er ging ihm zu Herzen. Eine Überlieferung - „Die Geschichten der Propheten“* - offenbart uns diese Nähe auf Apokalyptisch besonders schön: „Bald wird der Sohn Marias zu euch kommen“ - als Richter und Rächer wiederkehren, „vierzig Jahre auf Erden verweilen“, Frieden im Geist des Islams, nach der Beschreibung Jesajas (11, 6) bewirken und selbst friedlich leben, „heiraten und Kinder zeugen-…“. Innerhalb einer endzeitlichen Vision bedenkt Muhammad Jesus mit einem Stück natürlichen Lebens. Es war Muhammad offenbar nicht recht, dass Jesus sein Leben ledig fristen musste; das war ihm geradezu ein Schmerz, und also erbarmte er sich seiner. Der Redlichkeit wegen trage ich Anfang und Ende der mitgeteilten Überlieferung nach: Jesus wird Gericht halten- …, wird das Kreuz zerschlagen und das Schwein töten-… . Und am Ende, nach den glücklichen vierzig Jahren seines Verweilens auf Erden, sterben, die Muslime aber werden um ihn trauern, ihn bei Omar, in Medina, begraben und für seine Seele beten. Interessant, dass es Jesus sein muss, der letzten Endes den Islam durchsetzt, denn er kennt die letzte „Stunde“. * Ibn Kathir (um 1300-1373): Die Geschichten der Propheten V Bibel 153 An Friedemann Spicker, 21. Dezember 2004 Nr. 171 Über kurz oder lang geht’s um Leben und Tod Oder: Hippokrates und Kohelet* In memoriam Süssman Muntner** Hippokrates hat die Kürze weder erfunden noch entdeckt,-leitmotivisch aber auf die Zeit bezogen - und mit einem majestätischen Eröffnungssatz thematisiert. Sein erster Aphorismus ist schon ein Buch vom Menschen, dem die Krone gebührt. Sein Thema ist ein Grundakkord Kohelets, der König war über Israel in Jerusalem. Doch sind seine Worte - „Diwräj Kohelet“ - keine Aphorismen, obschon er die Menschen, wenn auch anders als Hippokrates, seziert. Dass Hippokrates einer späten Gattung die frühe Bezeichnung gab, ist von Bedeutung; dass er mit dem ersten Aphorismus der Gattung den Weg zu hohem Rang wies, ist von hohem Sinn; so bleibt der Aphorismus an den Mann gebunden, der Arzt war und ein Bild hatte von einem ganzen, heilen, gebrochenen, schwachen, fiebrigen, zerfallenden, unter allen Umständen heilsbedürftigen Menschen. Dieses Bild vom Menschen bleibt vorbildlich, solange Hinfälliges auf Verbindlichkeit hoffen darf. Kohelet hat ein ganzes Bild, ein Bild vom Ganzen, er geht mit dem Menschen durch alles ihn Verzehrende - vom hohen Thron bis zum Absturz, bis in den Staub hinein. Satz für Satz, durch dick und dünn, Bild um Bild, nichts verschonend, nichts beschönigend, geradewegs und rundherum, mit offenen Fragen seine letzte Würde hütend. Seine Bitterkeit ist von süßem Klang und ohne Verachtung. Er setzt sich zum Menschen hin, predigt nicht über ihn hinweg; er spricht nicht zur Sache, sondern von der Sache zu ihm. Das macht ihn zum Glücksfall; das ist auch seine Bedeutung für mich. Ihm war es gelungen, ein Buch literarischer Entschlossenheit, aus Selbstgefühl und Mitleid zu schreiben, mit einem Blick, der in der Lage war, die Lichtverhältnisse zu klären, in alle Satzgefüge einzuführen und zu ordnen. Unter der Sonne ist immer Tag und alles wird bei Licht besehen, unter der Sonne - besehen, besprochen, bewertet. * Vgl. Die Eselin Bileams und Kohelets Hund, S. 152f. ** Süssman Muntner (1897-1973); jüd. Arzt und Medizinhistoriker; vgl. Brief Nr. 108 Von Hans-Martin Gauger, 6. Oktober 2005 Nr. 172 Mein David* schwankt ja zwischen Essay und Erzählung. Ich wollte vor allem den Text so nehmen, wie er ist - nichts weg und nichts dazu. Und ihn so halt lesen.- Es ist eine implizite Absetzung von dem (von mir bewunderten) Thomas-Mann-Joseph. „Wahrlich keine Höllenfahrt“, sage ich gleich zu Beginn, und 154 V Bibel Th. M. beginnt mit „Höllenfahrt“. Aus einer Seite - Deutung der beiden Träume des Pharao - hat er über hundert gemacht. Und dann hab ich mich an die hier sogenannte Einheitsübersetzung gehalten, denn Luther wollte ich meiden - obwohl ich weiß, dass er die schönste Übersetzung gemacht hat. Klar: Sympathie, besonders für den Text, und dann in der Tat der christliche Hintergrund bei mir. Mit einem eben erschienenen Buch bin ich da noch weiter gegangen**. Suhrkamp immerhin. Dass sich die Weltkinder dort dafür interessiert haben, wundert mich. * Davids Aufstieg. Erzählung. München: Beck 1993 ** Vom Lesen und Wundern. Das Markus-Evangelium. Frankfurt: Suhrkamp 2005 An Hans-Martin Gauger, 6. Oktober 2005 Nr. 173 Nun Ihr Markus. Die schönste Lektüre der Evangelien ist die Jugendlektüre. Nicht vor allem, aber auch die jüdische. Kennen Sie die Jugendtagebücher von Gershom Scholem? * Diese kann ich Ihnen wärmstens ans Herz legen. Ob Jugendlektüre oder nicht, ich kann das jetzt nicht sagen - Markus hatte es ihm angetan. Suhrkamp - wieso denn nicht? Das ist doch alles wieder im Kommen, und wenn nicht im Kommen, doch eben jetzt. Und Sie kommen - „mit allen Wassern gewaschen“: unverfänglich philologisch, rein verführerisch also - und mit Vorsicht zu genießen. Zu genießen, aber mit Vorsicht. Zu sehen, zuzusehen, wie Apologetik und Mission sich um den Hals fallen. * Gershom Scholem: Tagebücher 1913-1917. Frankfurt/ M.: Jüdischer Verlag 1995 An Hans-Martin Gauger, 20. Oktober 2005 Nr. 174 Ihre Erzählung, mit dem aufschließenden Blick auf Nebenfiguren, ist durchaus gelungen, auch im Sinne Ihrer stillen Absicht - es nicht wie Thomas Mann zu machen. Tatsächlich ist Ihre Erzählung eine runde Geschichte, ohne Buckel, dafür hat sie aber einen Bauch bekommen, den „von unten“ in den Text hineingeholten Kommentar. Manches bleibt Kommentar. Nun sind wir beim Essay. Wie streng kann man den Essay aber nehmen, ließe er sich überhaupt? Ist es eine Vermählung zweier Gattungen, ist das Essayistische nur die Mitgift? Manches bleibt Reflexion. Das Buch hat seine eigene Rhetorik, ist selbst im Ganzen auch eine kleine Schule der Rhetorik. V Bibel 155 Viele Genusspunkte wären aufzuzählen. Ich habe mit Freude gelesen, weil mir alles auch gefällt. Das kann ich sagen und freue mich, es sagen zu können, denn freilich habe ich das Buch nicht ohne Bangen gelesen, weil Sie der Autor sind und weil Sie offenbar theologisch denken müssen oder nicht anders können. Nur wenige können das, nur ganz wenige können davon auch ablassen. Also bleibt noch Ihr Anliegen zu besprechen, und das fiele mir unter allen Umständen nicht leicht. Diese Seite, man kann auch sagen: dieser Teil Ihres Buches - es betrifft hauptsächlich das letzte Kapitel, dieses ganz und gar - gibt mir zu knacken. Mit dem Knacken kann ich jetzt aber nicht einmal beginnen. Erlauben Sie mir eine stilistisch-musikalische Bemerkung, aufs Ganze des Buches abgesehen: Ich hätte mir einen Stilbruch gewünscht, ein regelrechtes Tanzen aus der Reihe - wozu Sie eine königliche Legitimation hätten. Der durchgehaltene überlegene Ton, der Ton eines durchgehend überlegenen Beobachters, kommt der Erzählung nicht in jedem Fall zugute. Freilich erkenne ich Sie darin und weiß, dass Sie es sind, allerwegs aus dem Wissen kommend. Dafür macht man seinen Gewinn aus den Bemerkungen zur Kunst des Erzählens. Dass Ihre Wärme durch alle Seiten geht und bis zum Schluss erhalten bleibt, das macht Ihre Kunst aus. Nur: Es ist eine verwirrende Kunst, und ich wüsste gern, ob nicht auch für Sie. Im letzten Kapitel geraten Sie aus der Fassung. Sie finden nicht, was Sie wollen, und verlieren sich dabei. Da sind Sie in einer Ihrer Tiefen aufgewühlt, was Sie mir näher bringt, aber ich verliere Sie aus den Ohren. Für alle Fälle - hier, ganz am Ende - erlaube ich mir einen kleinen Rat, den ich selbst auch befolge: Ob Luther oder Einheitsbibel - ziehen Sie immer eine Übersetzung jüdischer Herkunft zu Rate, Sie werden das nie bereuen, auch wenn die Übersetzung ohne Glanz ist. Allerdings nützen diese nicht in jedem Fall zur Absicherung. Ein Beispiel - Ihre Reflexion zu den Helden auf S. 116: Man kann fast nicht anders übersetzen als „die Helden“, aber im hebräischen Text steht nur Helden (Gibborim, nicht ha-Gibborim). Es ist ein interessanter Fall, da man sich schon aus dem Gefühl heraus genötigt fühlt, die Helden zu übersetzen, - auf den hebräischen Text würde Ihre Reflexion aber nicht zutreffen. Von Hans-Martin Gauger, 25. Oktober 2005 Nr. 175 Ich freue mich sehr über Ihre so genaue Lektüre. Und wo Sie ein Problem sehen, sehe ich auch eines, obwohl mir der „David“ schon etwas weggerückt ist. Aber bei „Markus“ kehrt das wieder. Aber - wie sollte man vom Theologischen (oder meinen Sie dies im Unterschied zum Religiösen? ) absehen können oder wollen? Mein Anliegen - anmutig halb literarisch zu zeigen, dass da was ist. Dass dies nicht alles Blödsinn ist. Also durchaus auch skeptisch. Woher die Atheisten ihre 156 V Bibel (verdammte) Sicherheit nehmen, das hätte ich gern mal gewusst. Früher waren die Selbstsicheren die Religiösen, heute sind-die Sicheren die anderen. Oder? An Hans-Martin Gauger, 30. Oktober 2005 Nr. 176 Es ist mir angenehm, Sie bei der Arbeit zu wissen, mit ähnlichen Fragen beschäftigt, und gerade auch theologische, die in der Sprache erblühen und mit jedem Wort zu Fall gebracht werden. Im Anfang war das Wort, und der im Wort-vom- Anfang stand, steht nach wie vor in diesem. Wird das Wort aber Fleisch, wird es stellvertretend. Dagegen lehnt sich die Sprache auf und jedes Wort für sich. Synonyme sind der Verfolgungswahn im Reich der Wörter. Kein Wort lässt sich vertreten. Ließen sich Worte vertreten, gäbe es auch keinen Anfang. So sehe ichs heute, gestern sah es noch anders aus, und was sagte der Morgen dazu? Markus - das wäre ja auch so ein Anfang, mit dem man am Beginn des vorigen Jahrhunderts wieder einen Anfang zu setzen gedachte, in reinster Fragwürdigkeit, positivistisch (mir geht das Wort schwer über die Lippen). Bei mir steht noch - ich mag darüber lachen oder weinen - der alte (Arthur) Drews*, ein alter Eugen-Diederichs-Star - halb aufgeschnitten, wahrlich ein Sachbuch, das viel Staub aufwirbelte. Worauf liegt nun der einst aufgewirbelte Staub? Denkt man theologisch zurück oder an Gott nach vorn, wird das Denken staubfältig umso mehr. Dann rührt auch der Sprachwitz an Gott. Ob ich daran glaube? Ich kann’s nicht bezweifeln. * Arthur Drews (1865-1935): Das Markusevangelium als Zeugnis gegen die Geschichtlichkeit Jesu.-Jena: Diederichs 1921. Drews, ein Schüler Eduard von Hartmanns, gehört zu den bekanntesten deutschen Bestreitern der Existenz eines historischen Jesus. An Harald Weinrich, 24. Juli 2006 Nr. 177 Du hast mir zweimal - und zweifach - vom Kostbarsten geschenkt: von Deiner knappen Zeit den großen Brief und das große Buch über die Knappheit der Zeit*, in allen Schattierungen und Tonlagen, nichts versäumend. Wie schwer ist doch das Überblicken der Knappheit und wie großartig Dein Überblick. Das Schönste bei allem ist Deine Lust zu fabulieren, und ebenso Dein Maß. Es liest sich, als wäre es nicht kurz bemessen. Und so auch Dein Brief mit der Abraham-Wunde in der Mitte. Es sind zweierlei: der Autor und Abraham selbst. Den Autor kann ich mit Deinen Augen sehen und als Autor dieses Buches Dir auch Recht geben. Die Abraham-Variationen gehörten eher in ein anderes Buch. Und sähe ich dieses Buch kommen, ich schnitte den Text noch heute heraus. Aber ich sehe das Buch nicht kommen und vor allem: Ich möchte meine Beschäftigung mit V Bibel 157 Abraham abgeschlossen wissen - und diesen Abschluss mit Augen sehen! Am falschen Platz ist falsch genug. Das gebe ich zu. Was den Dir fremden Autor anbelangt, das werde ich mit meinen Augen nicht sehen können, das müsstest Du mir zeigen. Zeigtest Du mir das, ich wäre in der Lage, es zu sehen. Abraham ist - war jedenfalls viele Jahre - der mir nächste, vielleicht auch tatsächlich mein Vater. Mit dem Zweifel daran hat mein Nachdenken über ihn begonnen, das geschah in Berlin. Da war er mir erschienen, wie Kohelet kurz danach. Das waren die Erscheinungen/ Entscheidungen meines geistigen Lebens in einem Jahr der Verlassenheit. Abraham sagte mir zwei Dinge: Es gäbe ihn tatsächlich, und er sei anders, als man denke. Um das zu sehen, müsste ich seine Geschichte, wie sie in der Bibel steht, Wort für Wort lesen und nicht anders als Wort für Wort. Diese Erscheinung sollte mir Beruhigung und Verheißung sein. Die Existenz des (Erz-)Vaters war die große Beruhigung, die Verheißung - die neue Sicht. Ich las die Geschichte Wort für Wort, zur Sicherheit mit Bleistift, jedes Wort meditierend. Das ist meine Geschichte, ich setze sie jetzt nicht fort, ich will Dich mit ihr nicht behelligen; Abraham ist Dir fremd. Das muss ich hinnehmen. Ich kann mir auch denken, dass ich nicht die Fähigkeit habe, meinen Abraham zu entfremden oder überhaupt so darzustellen, wie ich es gern täte. Dass ich von „Erscheinung“ sprach, besagt ja, dass es viel größer ist als mein natürliches Vermögen. Es ist vielleicht auch besser, von Erscheinungen nicht zu sprechen und vor allem - Erscheinungen nicht zu beschreiben. Je „echter“ sie sind, desto hilfloser werden sie zum Ausdruck gebracht. In meinen Texten selbst ist freilich keine Rede davon. * Harald Weinrich: Knappe Zeit. Kunst und Ökonomie des befristeten Lebens. München: Beck 2005 An Hans-Martin Gauger, 19. September 2006 Nr. 178 Dank für Bereitschaft, Stellungnahme, Korrektur und Kritik. Und dass Du zu mir gesprochen hast, wie es sich gehört: von Dir, denn darum geht es ja in der Sache, und um diese habe ich Dich gebeten. Nun habe ich zu entscheiden, was aufrechterhalten werden darf oder nicht. Gewichtig ist dies alles nicht, ich glaubte zu wissen, dass etwas davon in passender Einstreuung irgendwo aufgehen könnte. Die Tonlagen sind verschieden, ich warf sie ineinander und breitete sie vor Dir aus. Nun gehörte auch Dein Text dazu, und es wäre gut, auch richtig, ihn, vielleicht gekürzt oder auch leicht verändert, mit abzudrucken. Die Sache steht über uns, es gibt sie aber doch nur unter uns. Es muss dem Unglauben geholfen werden, die Helferin in meinen Büchern ist die Vielstimmigkeit. Damaskus wird neutralisiert. Das kennen wir schon, und was wir kennen, ist 158 V Bibel in der Bekanntheit und durch sie verunsichert. Wir kommen ohne Erklärungen nicht aus, doch stehen uns Erklärungen auch im Wege. Jesus sprach zu ihm: Das ist die große Gegebenheit, aber auch die gesteigerte Annahme. Die angenommene Gegebenheit machte Furore-… Die angenommene Gegebenheit ist der Kern des Glaubens. Der Treffpunkt war die Trennlinie. Im grellen Licht stand er; vom Licht geschlagen und geblendet, begann Paulus im Hellen zu tappen. Ein blendend Geblendeter. Das mit der Poesie ist ein Stück 19. Jahrhundert, aber auch ein gut Stück Paul de Lagarde*, von dem es stammt. Es fällt mir schwer, Feinde zu zitieren, man muss aber auch von den Feinden Abschied nehmen. Die Trennlinie verläuft anders als die Chinesische Mauer, ist aber nicht kürzer. Ich stehe anders in der Verantwortung, sie aber ist immer eine poetisch verstandene, auch wo sie theologisch gefärbt ist, die Feindschaft also bestätigen und besiegeln kann. Edith Stein** ist der Ausdruck verbitterter Ironie, im Grunde eine Rüge, passt so gar nicht zu mir und in mein Buch hinein, und doch wollte ichs „meinen Katholiken“ ins Stammbuch geschrieben haben. Gleichsam als weibliches Doppelportrait. Aus der Not eine Tugend, aus der Tugend eine Warnung. Der Magdalena hatte der Hahn nicht dreimal gekräht. Wie geschmacklos dies alles ist! Doch schreibt heute niemand mehr einen Essay „Über den Geschmack“. Das ist vorbei; in diesem Vorbei verweile ich doch. Ohne Jesus, das kann man sich denken, keine westliche Kunst; wer denkt aber an den Anteil des Paulus an ihr? Die Kirche verdankt dem Paulus zu viel, als dass er ihr sympathisch sein könnte. Sympathisch war er auch den Künstlern nicht, doch spielt seine intellektuelle Auslegung von Fleisch und Buchstabe auch in der Kunst eine Rolle. Sein „Damaskus“ verwirrt die Rolle und verdeckt das Bild. Man kommt nicht gern auf Paulus zurück, als würde er Jesus im Wege stehen. Der Kirche alle Straßen nach Rom bahnend, stand er Jesus tatsächlich im Weg. * Paul de Lagarde (1827-1891), Kulturphilosoph, Vertreter eines modernen Antisemitismus ** Vgl. Anm. zu Brief Nr. 180 An Hans-Martin Gauger, 19. September 2006 Nr. 179 Das Einleitungszitat, hätte ich fast vergessen, ist von Renan*, auf den ich immer wieder zurückkomme, über seine Intuitionen erstaunt. Ich habe mitunter den Eindruck, dass in diesem Schöngeist und alten Besserwisser ein wüster Ruten- V Bibel 159 gänger steckt. Im Ganzen veraltet, im Kleinen überholt, im Ganzkleinen glänzlich und groß nach wie vor, und nach wohl mehr als wie vor. David Friedrich Strauß**, für den ich auch lange eine Schwäche hatte, ist Renan in manchem ähnlich, doch ist er pedantischer und - obwohl in der Praxis ein Dichter - viel weniger poetisch als dieser. In Erinnerung an meine Schwäche - aber auch in memoriam - nehme ich in mein nächstes Buch ein Zitat von Strauß auf. Ich liebe die Menschen „ersten Spatens“. Es sind nicht Grübler, die in sich wühlen, während sie bohren. Ihr Buch stellte mir die Frage nach dem Interessanten in einer Schärfe, die ich lange nicht mehr kannte. Ist Jesus interessant, ist es Paulus, und lässt sich Gott - auch nur im Glauben an ihn - in diese Kategorie bringen? „Kirche ist nicht mehr interessant“, spricht die Stimme. Das Interessante scheint eigenes Volumen angenommen zu haben. Es besteht für sich, nicht mehr in der Frage: zu welcher Zeit, unter welchen Umständen, für wen? Es muss nicht geglaubt, auch nicht glaubhaft gemacht werden, sondern - interessant. Es mag demütigend unernst scheinen, doch werden in dieser Kategorie auch die sich anbahnenden „Religionsschlachten“ entscheiden. Es wird zu viel versprochen auf Erden, es gibt für alles und jeden eine Pille, eine Übung, eine Massage, ein Kräutlein; das Jenseits wird nicht begehrt; neue Gesänge verdrängen die Psalmen, es kommen neue Klagelieder. Auch Religionen sind nur Interessengemeinschaften. Steht es aber auch geschrieben - hier oder an der Wand -, es ist doch nicht gesagt. Eisberge schmelzen versonnen dahin, Berge nehmen ab, Pole rücken einander näher, bald ist das Interessante bei Gott, und den Glauben holt der Teufel. „Er war auch kein Dichter“, sagt Renan von Paulus, „seine Schriften sind Werke von hoher Originalität, aber ohne Reiz; ihre Form ist rauh und fast jeder Anmuth beraubt. Was war er aber? […] ein starker, mit sich fortreißender, enthusiastischer Geist, ein Eroberer, ein Missionar“. Was im Text darauf folgt, ist Literatentum und Schöngeist; da kommt alles aus der Feder, nichts aus dem Herzen. * Ernest Renan (1823-1892), Historiker, Religionswissenschaftler und Orientalist ** David Friedrich Strauß (1808-1874), Philosoph und ev. Theologe Von Hans-Martin Gauger, ca. 28. Juni 2009 Nr. 180 Hier nun mein Elaborat. Ob Du was damit anfangen kannst? Natürlich, Du weißt es,- ist Dein Problem: Wie kann man als Aphorismus, also kurz, etwas 1. Verständliches und 2. etwas offen Suggestives und 3. etwas einigermaßen Richtiges (ganz richtig muss es wohl gar nicht sein) über etwas sehr Komplexes sagen? Meine Stellungnahme. 160 V Bibel Also verletzt, weil Du danach fragst, fühle ich mich durch nichts in Deinem Text*. „Poesie“ - mir scheint Jesus sehr unpoetisch. Poesie ist in den Evangelien so gut wie nirgends. Es sind ja auch literarisch anspruchslose Texte. Das ist ein Unterschied zu Paulus. Also gut, die Auferstehungsszene bei Johannes. Habe ich schon in meinem „Markus“. Eine hochpoetische Sache - einerseits, also nur einerseits. Also dass Maria Magdalena den Gesuchten nicht erkennt und das mit dem Gärtner und dann das „Mariám“ und das „Rabbuní“. Gewaltig. Auch etwa bei dem reichen Jüngling: „Er sah ihn an und liebte ihn“. Was bei den anderen dann fehlt, also das „liebte ihn“. Aber poetisch ist das „alte“ Testament viel reicher. Ist ja auch viel länger. Du weißt es - ich will ja nur, dass Du weißt, ich weiß es auch. Also die Psalmen sowieso, das Hohelied und Hiob und Joseph und „das Büchlein Ruth“, wie Luther sagt oder zitiert, und-… und-… und. „Poesie“ missfällt mir vor allem, weil es heißt: Das muss man nicht so ernst nehmen, nicht existentiell, nur als schön und interessant und insofern ansprechend. So nimmt etwa Goethe den Islam, konkret den Koran („Noten und Abhandlungen“ zum Divan). Und ernstnehmen muss man Jesus schon - man muss ‚ja‘ sagen oder ‚nein‘. Also, wenn schon Poesie, die ich kaum sehe, so doch zumindest ethisch ‚fordernde‘ oder ‚strenge‘ Poesie. Wobei ich, was die Juden angeht, nicht meine, emotional meine, dass sie unbedingt ja oder nein sagen müssen. Juden sind ein Sonderfall. Sie sind ja nun wahrlich keine Heiden. Gerade bei Paulus gibt’s da gute Stellen. Und dann - der nie gekündigte Bund mit Israel! Dann ‚großer Mann‘ - gut, das ist nun mal Deine jüdische Sicht, und die heidnischen Humanisten sehen dies ja auch so. Ein großer Mann, „nicht unbedeutend“, wie mir Scholem beim Frühstück damals, 1981, in Berlin übrigens, denke ich, ganz ernst sagte: ein „homo religiosus“ im äußersten Fall, wie es auch zum Beispiel der Heilige Franz (von Assisi) war. Aber dies wäre eben nicht der Christus-… Woher nimmst Du, dass Jesus „von anderem nichts wissen wollte“? Es gibt bei ihm und in den Evangelien doch viele Hinweise auf anderes. Oder? Monoman war er, rein menschlich und als Mensch gesehen, doch nun gar nicht. Und Paulus - gut, man erfährt bei ihm leider gar nichts Konkretes über Jesus als Menschen, als Mann. Das ist enttäuschend. Und ein Problem, etwas wie ein Ärgernis. Nur Theologisches. Insofern hast Du schon recht. Als Menschen hat Paulus Jesus, heißt es, nicht interessiert. Schwer zu widerlegen. Ihm kam eben alles darauf an klarzulegen, wer Jesus war - nämlich der durch die Auferstehung zum Sohn Gottes Gemachte. Gleich zu Beginn des Römerbriefs: „qui praedestinatus est Filius Dei in virtute secundum spiritum sanctificationis ex resurrectione mortuorum“. Wie gesagt, ich kann’s auswendig. Übrigens zeigt das vorausgehende „ex semine David secundum carnem“, dass er von Jungfrauengeburt offenbar nichts wusste. Sonst würde ja „dem Fleische nach“ nicht V Bibel 161 angehen. Und sogleich stellt er da auch den Zusammenhang zum Vorhergehenden her: „segregatus in Evangelium Die, quod ante promiserat per Prophetas suos in Scripturis sanctis“. Ich habe nochmals gelesen, was Küng über Paulus schreibt („Große christliche Denker“**) und auch Bornkamm***. Beide zeigen, dass bei Paulus aber doch viele Referenzen auf Jesus sind. Und nirgends ein Widerspruch zu dem in den Evangelien und von Jesus Gesagten. Natürlich: wer Paulus begreift, hat, was Jesus gesagt hat, nicht auch schon begriffen - einfach weil Paulus da - leider - nichts dazu sagt, weil ihm, was Jesus war und ist, weit wichtiger war. Und weil er einen eigenen und direkten Zugang zu Jesus - oder hier nun wirklich Christus - beanspruchte (1. Kor 15,8). Dann die Stimme, die er hörte, schafft, was zwischen Jesus und Paulus trennt. Seltsam, da doch gerade Jesus zu Paulus spricht! Gut: Paulus gab ihn zu verstehen. Sagte, wie man ihn verstehen muss. Aber ich verstehe nicht, weshalb Paulus viel von der „Szene“ (von welcher? ) verstanden haben soll. Mehr als andere, sagst Du. Aber warum sollen dann diese anderen, die also weniger von der Szene verstanden als er, nicht mehr „das Volk der Juden“ gewesen sein? Vorliegt objektiv geschichtlich doch einfach dies, dass Paulus - und das Evangelium überhaupt - Erfolg bei den Heiden hatte und kaum bei den Juden. Nach Küng hat Paulus sich nicht von der Tora (so schreibt er das Wort) getrennt, sondern nur von der Halacha****. „Nicht Glaube und Gesetz sind bei Paulus entgegengesetzt, sondern Glaube und Werke“ (S. 33). Und das sagt ja nun schon Jesus: „kein Tüttel vom Gesetz“ (so bei Luther übersetzt) soll „vergehen“, Matth. 5,18. Natürlich - nur von der Tora aus konnte Paulus argumentieren. Von was denn sonst aus? Und diese bleibt ja auch (Küng: „Die Tora gilt weiter“). Sie ist uns, Juden und Christen, gemeinsam. Gut: Der Glaube darf nicht im Glauben bleiben. Muss Tat werden. „Der Teufel habe sie gezeugt“ - „sie“, also die Juden: finde ich bei Johannes nicht. Bei ihm aber doch das schöne Jesuswort über Nathanael: „Siehe ein rechter Israeliter, in dem kein Falsch ist“. „Erzieher des Menschengeschlechts“ - schöne Anspielung auf Lessing. Du freust Dich über Edith Stein***** als Heilige. Schön. Aber ich persönlich hielt und halte ihre Heiligsprechung für leicht oder deutlich bedenklich, beinahe skandalös, denn ermordet wurde sie nur und auschließlich als Jüdin, nicht als Katholikin oder Nonne. Im Dom zu Speyer steht - für mich - empörend diese doch wohl aufsteigend gemeinte Reihenfolge: „Jüdin, Christin, Märtyrerin“. Das ist, meine ich, eine Usurpation. Da bist Du toleranter als ich. „Tod Gottes“ - kann für mich nur heißen, dass Gott in den Menschen stirbt oder gestorben ist. Ein Gott, der stirbt, wäre keiner gewesen. Ich denke, Nietzsche hat es auch so gemeint. Denn er setzt hinzu: „und wir haben ihn getötet“. 162 V Bibel Und er sah darin eine unübersehbare Katastrophe. Nicht etwas Positives wie manche Postmodernen: ‚Klasse, Gott ist weg, nun sind wir frei‘. Einverstanden auch mit „Die Überschrift“. Schwieriger für mich das mit beiden Himmelspforten. Weiß nicht genau, was Du da meinst. Prinzipiell meine ich aber, dass Juden manches sagen können - wegen Auschwitz -, das uns anderen problematisch vorkommt. Das muss man akzeptieren (so wie man akzeptieren muss - pardon! -, dass in Israel Wagner nicht gespielt werden darf - rein musikalisch gesehen eigentlich eine Ungeheuerlichkeit - aber gut-…). Eben weil Auschwitz war und weil der Antisemitismus, auch im christlichen Antijudaismus, der schon in den Evangelien anhebt und von Markus bis Johannes sich immer deutlicher akzentuiert, seine Wurzeln hat oder durch ihn mitgenährt wurde. Nun meinst Du ja im Fortgang Deiner Aphorismen mit dem „Tod Gottes“ („rief das Christentum hervor“) doch wohl den von Jesus. Oder? Schließlich gibt es ja im Christentum gar eine „Theologie vom Tod Gottes“ (Bonhoeffer****** etc.), die ich freilich nie verstehen konnte. „Mit sich ins Reine kommen“ - nun, Du weißt ja, da sind wir wieder bei Paulus, dass man dies, christlich gesehen, rein aus sich selbst heraus, mit eigenen Mitteln, aus eigener Kraft, gar nicht kann. Aber vielleicht ist dies auch jüdisch gesehen so. * Scheinhellig, S. 222 (nur teilweise, vgl. EB: Jüngster Tag. In: Drei Religionen - ein Heiliges Land. Anlässlich des 70. Geburtstags von Prof. Dr. Josef Wohlmuth hg. v. Claudia Lücking-Michel und Stefan Raueiser. Schriften des Cusanuswerks 7. Köln 2008, S. 9-39, hier S. 16). (EB dazu: Gaugers Stellungnahme steht für sich und spricht für ihn, um Verständnis und Missverständnis auseinanderhalten zu können, müsste folgendes Zitat angeführt werden: „Jeder große Mann weckt in seiner Umgebung die Poesie.“ Paul de Lagarde: Schriften für Deutschland. Hg. von August Messer. Stuttgart: Kröner 1933, S. 119) ** Hans Küng (geb. 1928), kath. Theologe: Große christliche Denker. München: Piper 1994 *** Günther Bornkamm (1905-1990), evangelischer Theologe **** rechtliche Auslegungen der Tora ***** Edith Stein (1891-1942), jüd. kath. Ordensfrau, in Auschwitz ermordet, Brückenbauerin zwischen Christen und Juden ****** Dietrich Bonhoeffer (1906-1945), ev. Theologe, führender Vertreter der Bekennenden Kirche, im KZ Flossenbürg ermordet V Bibel 163 An Burkhard Talebitari, 30. November 2008 Nr. 181 Manchmal liegen Aug und Ohr im Kampf, beide wissen Bescheid, aber - vor diesem Problem stand schon Kohelet, und auch er entschied - seinem Herzen nach. Das gehört zu seiner Großartigkeit, die in der Nuancierung des Monotonen liegt (das Monotone ist das verhängte Schicksal eines Aphoristikers, nur gibt es wenige Aphoristiker, die das Verhängnis eigener Rede begreifen). Man muss überraschen können, wohl wissend, dass es schon alles gegeben hat, auch das Neue - unter der Sonne. Im Licht besehen - nicht bei der Leselampe. Meine Predigt vom Prediger ist eine Predigt in der Wüste geblieben; bei den Aphoristikern bzw. Aphorismusforschern werde ich in diesem Punkt nicht ernst genommen; man zitiert mich, geht meinen Hinweisen aber nicht nach, denkt sich wohl, es sei eine orientalische Marotte des EB, wenn er immer mit seinem Kohelet kommt, wo es doch einen Lichtenberg gibt, oder-… Die meisten Aphoristiker machen sich lieber Einfälle als Gedanken, sie haben in der Tat auch kein Werk im Sinn, darum studieren sie keine Werke, suchen immer nur die Prinzipien des Einfalls - oder Rosinen. Kohelet aber fasste sich ein Herz und machte sich Gedanken von Kopf bis Fuß, Gedanken auch über die Möglichkeit eines Werks, da ihm so vieles als schon unmöglich geschienen ist. Kohelet steht nicht nur im Anfang, er macht sich auch Gedanken darüber, ob und wo mit einem Anfang begonnen werden könne. Er lässt seine Gedanken kreisen, und sie kreisen weiter, während er sie spricht; kreisend steht er im Wort, kreisend bleibt er im Bilde - auf die Herrlichkeit des Hinfälligen bedacht - er ist König: König - über Israel - in Jerusalem, dreimal herrlich: gesalbt, erwählt, geweiht - auch dem Tode. Er sagt Ich, dass man es höre, nicht, damit der Himmel sich öffne, spricht es ichlichtig grell und nicht untertönig. Was immer er mit seinem Zungenschlag berührt, bewirkt einen Wellenschlag. Zu meinem Bedauern muss ich feststellen, dass dieser Wellenschlag keinen der heutigen Aphorismusforscher erreicht, ich sehe keinen von ihnen Kohelet lesen, er bleibt für sie „der Prediger“ - biblische Erbauungsliteratur. Weisheitssprüche gehören ja allgemein nicht zur Aphoristik, und der Weise Salomo ist, aphoristisch betrachtet, ein königlicher Langweiler, dem kaum ein Witz abzugewinnen sei. Das bekomme ich selbst zu spüren, wenn man mich - einen Weisen nennt, auf dass ich meine Harmlosigkeit begreife. Und bin ich nicht tatsächlich von biblischer Harmlosigkeit? Der Aphorismus geht aufs Griechische zurück - und auf ein lateinisch rhythmisiertes Abendland. Merkwürdig dabei ist, dass Kohelet seinen einstigen Ruhm und lange währende Wirkung dem Latein verdankt: Vanitätisch schritt er, kerzengrad, durch die Literaturgeschichte - und machte Furore. In der übersetzten „Eitelkeit“* verharmloste er, denn es war - und ist bis heute - nur noch von den Eitelkeiten die Rede. Allein 164 V Bibel das Haschen nach Wind rauscht ein wenig nach, bleibt im Ohr aber liegen, nah beim Naschen, harmlos wie nur [? ]. Zu spät ward der Versuch unternommen, das Deutsche aufs Hebräische zurückzuführen. Der Versuch schlug in die Dichtung noch ein, die Aphoristik hatte davon nicht profitiert. Schade, ist doch Verunsicherung ein Gebot der Aphoristik. * Ich sah an alles Tun, das unter der Sonne geschieht, und siehe, es war alles eitel und Haschen nach Wind. (Kohelet; Pred 1, 14) An Helmut Zwanger, 28. September 2011- Nr. 182 Von der Bibel kommend, muss zwischen echten und falschen Propheten radikal unterschieden werden, denn vom echten hängt die Sache Gottes ab, obwohl der falsche mitunter den Ausschlag gibt. Um des echten willen muss der falsche genannt, aber auch zitiert werden. Kommt man von der Poesie, verändert sich die Lage, es ist nicht mehr die Stimme Gottes, die tonangebend in die Saiten greift, die falschen Propheten sind oft die echten Dichter. Das ist grob gesagt keine Zeit für Feinheiten, in wenigen Stunden beginnt Rosch haSchanah, es wird ernst, Falsch und Echt eines Jahres treten in unerbittlichen Kampf miteinander. Wehe dem Echten, gäbe es einen falschen Ton von sich. Es ist also mein letztes Schreiben in diesem Jahr, es geht an Sie - als Dank für Ihre „Gottesgedichte“*, die mich unterwegs beschäftigt haben. Eine denkwürdige Anthologie, aus großer Entschlossenheit kommend und mit beachtlichem Mut durchgeführt. Durch dick und dünn, durch echt und falsch, nichts verachtend, auf ein Gehör vertrauend, das selten geworden ist. Ihre Entscheidungen sind kühn und machen Ihnen Ehre. In meinem letzten Buch - „Olivenbäume, die Eier legen“ - musste ich ähnliche Entscheidungen treffen, darum weiß ich, was ich hier sage oder gern sagen wollte; auch ich musste die Echtheit falscher Propheten anerkennen. Das wäre eigentlich ein Thema für ein nachletztliches Buch-… * Helmut Zwanger, Karl-Josef Kuschel (Hgg.): Gottesgedichte. Ein Lesebuch zur deutschen Lyrik nach 1945. Tübingen: Klöpfer & Meyer 2011 Von Riccarda Tourou, 11. Januar 2013 Nr. 183 Ich habe meine intensive Beschäftigung mit Deinem Werk mit Deinen Briefen begonnen, die Du mir „kiloweise“ schicktest. Nun sind wir wieder dort gelandet. Nicht kiloweise, sondern sorgfältig ausgewählt. Jeder Brief ein Juwel, noch strahlender in seiner Auswahl als in jenem dicken Konvolut von damals. Deine Auseinandersetzung mit Abraham verdiente ein eigenes Buch, zumindest aber V Bibel 165 das Buch, das ich mir vorstelle und wünsche, „Die andere Bibel“, mit allem, was Du zu Bibelgestalten und Bibeltexten sagst und wie Du sie erzählst. Von Josef Wohlmuth, 9. Juli 2013 Nr. 184 Dass Sie sich erneut bereit gefunden haben, mich mit Ihren Texten zu ehren, hat mich mit großer Freude erfüllt.* Nun bin ich dabei, Ihre Texte zu ‚ruinieren‘, denn mit einem ein- oder zweimaligen Lesen ist es nicht getan - war es bisher bei Ihren Texten nie getan. Und - noch weniger ist es damit getan, die Gabe nur schweigend anzunehmen, ohne mich mit einer Reaktion zu bedanken. Wie schon vor zehn Jahren beginnen Ihre neuen Aphorismen wieder bei einem Anfang. Vielleicht nicht mit dem allerersten Anfang wie damals, als Sie den ersten in der Bibel gesprochenen Satz „Es werde Licht! “ zum Anfang der Aphoristik erklärten. Jetzt beginnen Sie mit dem Satz: „Jede Begegnung mit Gott ist ein Bibelkommentar, denn wir kennen nur den Gott der Bibel“. Dann erst folgt der Ausdruck ‚Im Anfang‘. Abraham war auch Ihr großes Thema vor zehn Jahren, von dem ich wusste, dass es Ihr Lebensthema war. Unvergesslich der Text, in dem der Weg nach Morija gegangen wird. Jetzt ist es Isaak, von dem die Frage herrührt, was er wohl verstanden haben mag, und dass sein „uns fehlendes Verständnis“ eine Lücke aufreißt, die nur durch viele Variationen der Glaubensgeschichte geschlossen werden kann. Und dann taucht neu bei Ihnen Hagar**, die Verstoßene / Unglückliche auf und damit die erste Träne, die in der Bibel geweint wird. „Zu denken gibt, / was zu schaffen macht“, schrieben Sie mir vor zehn Jahren ins Stammbuch. Das trifft auch auf den Umgang mit den vorliegenden Texten zu. Ich kann nur wenige Aspekte kurz ansprechen, am liebsten jene, die mir zu denken geben und damit zu schaffen machen. So etwa schon das folgende Thema „Das Gebet ums Beten, mit Lippen übermalt“. Ich folge gerne den ersten Zeilen, die sagen, vertraut mit Gott mache uns das Gebet, nicht jedoch der Glaube und noch weniger das Nachdenken. Aber dann lassen Sie den 75-jährigen Prediger auf die Kanzel steigen (wenn er es denn tut). Es folgen eine Reihe rätselhafter Vorschläge, die ich jedenfalls anlässlich meines Geburtstages so nicht bedacht habe. „Rückblick“ vielleicht. Über das übermorgige Leben etwas erfahren, „das mich heute im Blick hat“? Vielleicht auch, zumal das Morgen mich stets fast schon im Griff hat. Bei solcher Art von Rückblick nehmen die Gedanken mich tatsächlich in Zucht. Aber wie, wenn es schlussfolgernd heißt: „Wie wenn es [das Übermorgen] sagte: / Lass uns, lieber Oremus, gehen / oder ich nehme dich ins Gebet“? Das Gebet als Weg, den ich in Freiheit gehe, oder ein unentrinnbares Schicksal? Wer hilft mir zu entziffern? 166 V Bibel Abraham und Hiob haben Sie - was ihr verschiedenartiges Verhältnis zu Welt und Gott betrifft - , wenn ich mich recht erinnere, vor zehn Jahren noch nicht miteinander ins Gespräch gebracht. Ein nächstes Paar lassen Sie neu auftreten, die zwei Frauen Marta und Maria in ihrer Begegnung mit Jesus (Lk 10, 38-42). Jeder ahnt, was das einzig Notwendige ist, und weiß doch nicht, was Jesus zu Marta sagen wollte. „Vernehmlich bleibt, was nicht vergeblich ist“. Weiß ich das einzig Notwendige? Dann stoße ich erneut auf Ihr großes Thema ‚Anfang‘. „Im Anfang war das Wort / und keiner da, das Wort beim Wort zu nehmen“. Wie hieß es vor 10 Jahren? „Im Anfang / war das Wort / und ein Wort / gab das andere“. 2013 nun fahren Sie fort: „Dasein wird hingenommen, / das Ausbleiben des Anfangs / wird mit Ur beleuchtet. / Es ward noch immer licht“. „[…] Wartende Worte“! Es werde auch heute Licht. „Getrennt von seinem Sprecher / ist jedes Wort erlöst“. Ja, das tägliche Sprechen oder Singen der Psalmen macht das Christentum von einem Tag zum andern dem Judentum zu Dank verpflichtet - leolmei olamim. Wie gerne befasse ich mich sprechend und singend mit den Psalmen, ahnend oder wissend, dass Sie selbst daraus leben! Die ganze Menschheit könnte sich dem Judentum für jeden einzelnen zu Dank verpflichtet wissen. Ihre Texte neigen sich stichwortartig dem Ende zu: Fanatismus, Erinnerung, Antisemitismus. Das warnende Wort in unsere Tage gesprochen zuletzt: Der Antisemitismus, salonfähig gemacht „für leichte Witze und düstere Prognosen“ - haben Sie Würzburgs Skandal im Priesterseminar*** vorausgeahnt? Schmilzt die Erinnerung dahin? Wird sie durch Traumdeutung ersetzt? Selbst wenn der Traum sich erschöpfte: „erheben wir uns“. Fanatismus darf nicht das letzte Wort sein. Wohl aber und mit Recht das Wort ‚Gott‘ als verpflichtender Aufruf im Hier und Heute - auch für die Christenheit! Ich verstehe Ihre Mahnung und stimme ihr ausdrücklich zu. * Aus der Sicht verschwunden, im Blick behalten / / Schrift für Schrift / und Zug um Zug. In: Florian Bruckmann, René Dausner (Hgg.): Im Angesicht der Anderen. Gespräche zwischen christlichen Theologen und jüdischen Denkern. Festschrift für Josef Wohlmuth zum 75. Geburtstag. Paderborn u.a.: Schöningh 2013, S. 13-24 ** Hagar: die ägyptische Magd Saras, Nebenfrau Abrahams und Mutter Ismaels *** Zwei Priesteramtsanwärter am Würzburger Priesterseminar zeigten den Hitler-Gruß und erzählten KZ-Witze. B Das Werk VI „Wenn der Text nur stünde! “ - Zur Arbeit mit der Sprache An Harald Fricke, 23. Oktober 2002 Nr. 185 Ich hatte übrigens einen tunesischen Onkel - Onkel Felix (Gozlan), ein charmanter Kaufmann, leicht hochstaplerisch, der mir nun, lang nach seinem Tod, mehr und mehr gefällt. Vermutlich, weil ich ernsthaft mit dem Gedanken spiele, Lebenserinnerungen zu schreiben. Ich glaube, die Methode gefunden zu haben. Ich habe sie an Michael Landmann versucht* und neulich an Paul Engelmann entwickelt (erscheint im nächsten Jahrbuch der Wittgenstein-Gesellschaft)**; noch ist sie nicht sehr vielversprechend, aber für eine erste Strecke zuverlässig. * Siehe Anm. zu Brief Nr. 146; vgl. Allerwegsdahin, S. 65f.; vgl. Die Rede geht im Schweigen vor Anker, S. 57; vgl. Olivenbäume, S. 76 et pass. ** EB: Paul Engelmann. Der Andere. Ein Teppich, aus Namen geknüpft, zu seinem Gedenken aufgerollt. In: Wittgenstein-Jahrbuch 2001/ 2002, S. 369-427 An René Dausner, 25. Oktober 2002 Nr. 186 Dass Sie befürchten, man könnte Ihnen Gedanken klauen, ist nicht unnatürlich und besagt, dass Sie Ihr Denken tief empfinden und seine Früchte schätzen. Wer seine Gedanken aber liebt, der gibt sie - wie sich selbst in der Liebe - hin. Erwin Loewenson war von der Angst, man könnte ihm seine Gedanken stehlen, so durchdrungen, dass er kaum je etwas aus der Hand gab. Er dachte kistenweise, nun sind die Kisten in Marbach, in Hannover, und jeder - der will - kann nehmen, was er mag. Als ich meine Erinnerungen an Paul Engelmann schrieb, stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass auch er diese Angst hegte. Auch von ihm gibt es Kisten. Nun, die Geistesgeschichte kennt diese Angst und verdankt sich in der Tat dem Gedankenraub. Ohne Raub und Diebstahl keine Geistesgeschichte (sie wäre ohne sie noch lückenhafter). Im Ernst - und abschließend: Ich hegte lange selbst diese Angst und hatte Grund zu befürchten - denn ich habe immer Kritik gesucht und musste schon darum meine Manuskripte aushändigen, „anvertrauen”. Aber mit den Jahren habe ich gelernt, dass es mit dem „Klauen” nicht einfach ist. Man muss auch dazu begabt und geeignet sein. Die wertvollen Denker bringen ihre Gedanken mit, und sie lieben diese bis zur Blindheit, so dass sie das Kostbare der anderen gar nicht merken. Oder aber sie lassen sich anregen, was mitunter Ähnliches 170 VI Zur Arbeit mit der Sprache zeitigt. Auf originelle Gedanken fliegen nur originelle Menschen. Und - da wir bei der Kunst sind: der Gedanke ist weniger als die Form. Sie hatten eine Idee, diese gab Ihnen die Form ein, so konnten Sie eine geistvolle Arbeit schreiben.* Da lässt sich weiter nichts klauen, die einzelnen Gedanken machten es nicht aus. Von dem Augenblick an, wo ein Werk seine Zeugen hat und gedruckt vorliegt, muss es aufhören mit der Angst, sonst nähme es kein Ende. Ein veröffentliches Werk ist wie die Einladung zu einem Mahl. Und wir dürfen uns freuen, wenn viele kommen und sich etwas holen, das sie verzehren oder auch weitergeben können. Auch unsere Gaben wurden uns geschenkt. * René Dausner: Schreiben wie ein Toter. Poetologisch-theologische Analysen zum deutschsprachigen Werk des israelisch-jüdischen Dichters Elazar Benyoëtz. Paderborn u.a.: Schöningh 2007 (Studien zu Judentum und Christentum) An Michael Krüger, 10. April 2003 Nr. 187 Ich fragte, wie geht es nun weiter? Du sagtest, es geht weiter so, dass Hora* aufnimmt, was wir besprochen und ich mir notiert habe, dann machen wir es fest und es kommt ins Programm: 1. Erinnerungen an die deutsche Literatur/ Abschied von den Büchern (Arbeitstitel) zu meinem 70. Geburtstag im März 2007 (abzuliefern im August 2006). 2. Eine gründlich veränderte, neugestaltete Ausgabe der „Variationen”. 3. Die verschollenen und nicht mehr erreichbaren Aphorismen, das Frühwerk eingerechnet. Um mit 1 beginnen zu können, muss ich 2-3 abgeschlossen haben. Ich kann beides in einem Jahr schaffen und wär für das Andere innerlich frei. Äußerlich hast Du mir ein Stipendium in Aussicht gestellt: „Das kann ich für Dich tun und das will ich tun, Du müsstest nur die Formulare ausfüllen.“ Du sprachst auch von einer Villa, in der ich mich drei Monate aufhalten und arbeiten könnte. Das alles hast Du Dir notiert, und alles das habe ich dann auch nach Deiner Anweisung mit Hora schriftlich fixiert. Nun warte ich, dass es wahr wird und ich mich auf den Weg machen kann: mit Deinem Segen und Deiner Unterstützung. Noch stehe ich auf der Höhe und könnte einen Gipfel erreichen. Aber die Verteidigung meines „deutschen Reiches“ fällt mir immer schwerer. Wenn Du mir nicht bald entgegenkommst, müsste ich mit der Auflösung meiner Bibliothek beginnen, und das wäre des Endes Anfang. Versuche bitte mir so zu antworten, dass ich Dich sprechen sehe. * Lektor Eginhard Hora; vgl. Vielzeitig, S. 144 VI Zur Arbeit mit der Sprache 171 An Ingeborg Kaiser, 24. Juni 2004 Nr. 188 Ich wollte noch „Lebenserinnerungen“ schreiben, aber es wurde mir nicht klar, wozu: Um das Leben doch noch zu gewinnen oder um es zur Lebzeit loszuwerden. Als ich vor zwei Jahren auf die Idee kam, von meinem Leben nicht indirekt zu sprechen, hat sie mich gefreut, ich habe auch bereits ein Modell entworfen, das mir den Vollzug ermöglichen würde. Mein Lektor hatte kein Verständnis dafür. An Michael Krüger, 23. Juli 2004 Nr. 189 „Nun gibt es eben sehr wenig Platz für Gedichtbände“, sagst Du und weißt natürlich bestens, was Du sagst. Es ist auch nicht falsch, meine Bücher - zumal den letzten Band - als Dichtung zu betrachten, das sind sie, doch im Rahmen einer Gattung, die es nicht dahin zu bringen vermochte. Soviel ich sehe - und ich sehe nicht wenig - ist es das Beste, auch das Eigenartigste innerhalb einer Gattung, deren Ansehen allerdings nicht groß ist, ein größeres aber dringend verdiente, aus guten Gründen, die meinem Werk abzulesen sind. Hanser hat somit den besten einer Gattung, und es ist unverständlich verschwendet, wenn er diesen unter „Gedichtbände“ laufen und untergehen lässt. Ich bin in vollem Besitz meiner geistigen Kraft, schreibe besser denn je und verstehe mein Schreiben auch besser denn je. Auf diesem Gipfel will ich nun aber Abschied nehmen: von den Büchern und von der Erinnerung: ein Buch von den Wänden, aus dem Herzen. Abschied vom Glauben, auf Wiedersehen mit Gott: ein zweites Buch, ohne Kreuz und Nagel auf dem Umschlag (Vattimo*), auch ohne Nagel und Sarg, und kein „Stück“ lebendiger Gott. Der Rest wäre Gesamtausgabe oder das Fehlende dazu. Wenn Du mir dazu nicht definitiv Antwort gibst, dann muss ich meinen Abschied anders nehmen: von den Büchern, indem ich sie bald verkaufe; von den Erinnerungen, indem ich sie auf dem Niveau „Tagebuch“ belasse und ein Archiv für sie suche. Ich kann nicht länger in Jerusalem für die Wand Deutsch schreiben. „Hanser sei mein Haus und meine Bleibe“, hast Du mir vor siebzehn Jahren schreiben lassen. Ich suche kein anderes Haus und keine andere Bleibe. Deine Rede sei Ja Ja. * Gianni Vattimo (geb. 1936), ital. Philosoph, Autor und Politiker 172 VI Zur Arbeit mit der Sprache An Ingeborg Kaiser, 22. September 2004 Nr. 190 Sie haben mir einen lieben Brief geschrieben, und so, als müssten Sie mich trösten. Ich bin nicht trostlos, meine Lage ist es. Ich leide nicht an Mangel, mir fehlt nie der erste Satz, bei mir steht längst alles, was ich brauche, ich leide am Überfluss - und an meinem kritischen Sinn. Verwerfen ist mein Schaffensprozess, und Sie können ermessen, wie elend lang er dauert. Vor mich hin, allein für mich zu schreiben, das waren die Freuden meiner Jugend; spätere Versuche gingen freudlos vor sich. Zwischen 1981 und 1990 wollte Hanser von mir nichts wissen. Das kenne ich, das kannte ich auch aus der Literaturgeschichte. Aber ich bin verwöhnt. „Abschied von den Büchern“ sollte der Titel meiner Lebenserinnerungen werden. Buch für Buch wollte ich in die Hand nehmen und alles mit ihm Verbundene, mich mit ihm Verbindende niederschreiben. Bis die Regale leer stünden und Wand wieder in Sicht träte. Kein anderer Titel passte zu meinem Lebensabschied, aber ich kam zu spät an ihn. Ich gebe es noch nicht auf, indes geht mir ein anderes Werk durch den Kopf: „Die Eselin Bileams und Kohelets Hund“; Unglaublichkeiten und Credos . Hier eine „Unglaublichkeit“ daraus: - „Es kam ein Mönch aus dem Süden: ‚Eine gewaltige Sehnsucht nach Jesus habe ihn gepackt; er müsse ihm so nahe kommen wie möglich; er wolle Jude werden.‘ ‚Sein Gewand‘, wurde ihm gesagt, ‚könne man ablegen, seinen Glauben wechseln, man glaube ja zu glauben; auch seinen Lebenswandel könne man ändern; seine Sehnsucht aber sei schon der halbe Himmel und ein Zelle für sich.‘“ An Friedemann Spicker, 1. Dezember 2004 Nr. 191 In meinen Tagebüchern trieb ich über Jahre viel Allotria, um mich selbst zu unterhalten und bei Laune zu halten, das war der Zweck, und dabei habe ichs nach allen Seiten übertrieben, aber auch ausprobiert. Sie dürfen meine konkrete Lage nicht aus den Augen verlieren, ich kann nur vor mich hin schreiben, habe keine anderen Quellen als mich und meine Bücher, Lesen und Schreiben, und mit den Jahren mehr Schreiben denn Lesen, aus Angst, die Sprache liefe mir davon. Um meine deutsche Sprache am Leben erhalten zu können, muss ich mein Leben für sie einsetzen. Es ist ein pathetisches Unterfangen und nicht zum Lachen, nur der Blödsinn kann mich darüber hinwegtäuschen oder trösten. Um wach bei der Sprache bleiben zu können, muss ich mich unterhalten, so treibe ich Allotria. Das geht über Jahre und bleibt lange im Tagebuch stehen, beim zweiten oder dritten Durchgehen oder Redigieren des Tagebuchs werden sie gestrichen, aber nicht alle getilgt: Sie kommen in mein eigenes Allotrialexikon, VI Zur Arbeit mit der Sprache 173 das mit Billig 1 bis 3 betitelt ist. Nehme ich mir die Wortspiele für ein Buch vor, nehme ich sie auch in Zucht und frage mich dabei, ob und wie und wo sie gut oder unauffällig untergebracht werden können. Selten stehen sie nur geistreichelnd-oder witzelnd da. Manchmal erweisen sie sich als künstlich, manchmal sind sie sprachwidrig, abstoßend oder nichtsbringend. Aber die Totgeburten sind nicht immer zu erkennen, und mancher Totgeburt trauert man lange nach. Die Rezensenten, sagen Sie, sprechen bei mir von „Sprachbesessenheit“, Sie führen Ihrerseits gegen mich eine „Klangfixierung“ ins Feld. „Vom Brodeln der Brüderlichkeit“ erliegt nicht dem Wortspiel und dem Klang, sondern folgt dem Bild, das es meint: Kajin und Abel. Ich kann mich im Wort wie im Klang verwählen, treffe meine Bilder aber nicht wahllos. In Ihrem Wörterbuch (sagen wir im „Paul“*) können Sie bei „brodeln“ auch „brudeln“ lesen, und „brudeln“ wäre das näher gelegene und wäre doch aufreizender, wie an den Haaren herbeigezogen, wahrscheinlich auch lächerlich, in jedem Fall der Korrektheit wegen zu billig. „Vom Brudeln der Brüderlichkeit“ würde man mir nicht abnehmen, niemand dächte noch ans Brodeln. Zum Brodeln gehört lexikalisch aber auch „siedende Flüssigkeit und der daraus aufsteigende Dampf“. Das passt bis ins Bild hinein auf Kajin und Abel. „Das Blut Deines Bruders schreit aus dem Boden zu mir hinauf“. Die siedende Flüssigkeit Blut dampft, steigt empört und schreit in den Himmel hinein. Der Dampf ist dem Hewel (Abel) nah, auch wenns eher mit Hauch zu übersetzen ist, es wäre auch dann nur „gedämpfter“. Und darum gehtʼs in dem Text, zu dem als Zwischentitel „Vom Brodeln der Brüderlichkeit“ gehört. Hier stehen sich Aug und Ohr gegenüber, ich will darüber nicht entscheiden, auch Sie nicht widerlegt haben, ja, nicht einmal Ihnen widersprechen wollte ich, nur Ihnen zeigen, dass ich auch scheinbar Leichtes nicht leichthin hinschreibe. Das Gelingen ist bei der Sprache selbst, sie krönt mein Wort oder liefert mich der Phrase gnadenlos aus. * Hermann Paul: Deutsches Wörterbuch. Tübingen: Niemeyer. 1. Aufl. 1896, 9. Auflage 1992 An Hans-Martin Gauger, 25. September 2005 Nr. 192 Heute kam Ihre Sendung an, wie viele Überraschungen in einer Sendung. Ich habe ein philologisches Werk, ein kritisches Buch über Literatur erwartet - und bekomme nun eine Erzählung. Und noch eine über Davids Aufstieg*. Wieviele Romanisten gehen denn unter die Erzähler? Das Schreiben eines deutschen Romanisten ist allerdings im Vergleich zu dem von Germanisten - in der Regel - reine Literatur. 174 VI Zur Arbeit mit der Sprache Für einen Romanisten ist die Sprache „selbst“, „an sich“ eine atemberaubende Geschichte, die Ehrfurcht und Eleganz vorschreibt. Die Sprache ist die Literatur, und man muss es wert sein, von ihr zu sprechen. So würde ein Romanist, denke ich, fühlen. So fühlt aber selten ein Germanist. Die Sprache ist für ihn jenseits der Konzeption. Ich kenne wenige Germanisten, die ich als Leser genießen kann, kaum einen Romanisten, der mich - mit seinem Deutsch - nicht erfreut, von Curtius bis Weinrich (der im Herzen Curtius gar nicht mag). Was alles dazwischen liegt, muss ich Ihnen nicht aufzählen, nur sollen Sie wissen, dass ein deutscher Romanist für mich fast immer zur „Sache Literatur“ gehört, ein Germanist nur selten (mir fallen gerade Albrecht Schöne** ein oder in ganz anderer - feingeschmeckelter - Art,-Peter Horst Neumann***). Es gibt freilich auch eine Großartigkeit der Ideen, diese ist aber mit dem fatalen Missverständnis verbunden, es könne etwas auf Kosten der Sprache bzw. ohne ihr Einverständnis zustande kommen. Ich nehme mir hier den Mund voll, und wenn Sie mich rügten, ich gäbe Ihnen Recht. Ich bin nicht sprachkundig, Sprache ist mir ein Musikinstrument und pure Poesie. Sie müssen es erkannt haben. Ich weiß nicht, was ich sage - ich verlasse mich auf die Sprache. Ist sie meine Verbündete nicht, ist meine Sache verloren. Davon abgesehen - und eben, weil ich auf Übersetzungen angewiesen bin - empfinde ich als zweites Grundthema - die Übersetzung. Es ist interessant, dass es auch in Bezug auf dieses Thema einen merklichen Unterschied gibt zwischen Romanisten und Germanisten. Ich denke nebenbei - aber nicht beiläufig - an Bibelübersetzungen. Und mir fällt auf, dass es mich interessieren würde, wo in diesem Punkt der große Unterschied festzumachen wäre zwischen Katholiken und Protestanten. Beide gingen vom Latein aus, beide profitierten - mehr oder weniger - von Luther, oder sehe ich das ganz falsch? Wie kommt es also, dass Romanisten auf gut katholische Art Luthers Sprache weiter hegen und fortentwickeln, während Germanisten auf Protestantisch Luthers Wälder ausroden? Ich habe jetzt viele Worte gemacht, die ich vielleicht nicht verantworten kann. Aber ich denke mir das auf Sie hin, Ihres Buches, aber auch Ihrer Rezension**** wegen. Ich will Ihnen damit nicht imponieren, aber eine mir wichtige Diskrepanz anzeigen, eben die zwischen deutschen Romanisten und deutschen Germanisten. Das ist für mich ein Erlebtes und ein Erlebbares, und es muss mir irgendwann als Erkenntnis unter die Haut gegangen sein. Das Persönliche, mein Persönliches, kam spät hinzu. Es spielt sicher eine Rolle - ich nenne nur Ernst Robert Curtius’ „Deutscher Geist in Gefahr“ oder Vosslers Reden, auch Hugo Friedrichs - des nicht einwandfreien - bahnbrechendes oder augenöffnendes Buch über die moderne Lyrik oder sein Montaigne-Buch. VI Zur Arbeit mit der Sprache 175 Das waren mir große Jugenderlebnisse, als mein Deutsch noch ganz dürftig war. Damals fragte ich mich noch nicht, war der Autor Nazi, war ers nicht. Dem voraus ging aber eine Sammlung deutscher Literaturgeschichten, die grundlegend und maßgeblich für mich geworden sind. Erst spät - da war ich vielleicht schon in Deutschland - ging mir der große Unterschied auf. Vielleicht zum ersten Mal durch Leo Spitzers Studie über Morgensterns Galgenlieder.***** Mit Morgenstern war ich „fälschlich“ sehr früh innig verbunden. Hier breche ich ab, ich sehe, dass ich ins Uferlose gehe. Das hat alles mit David nichts zu tun, nur mit Ihnen, dem Romanisten, und mit mir, der ich nicht einmal ein Germanist bin. * Vom Lesen und Wundern. Das Markus-Evangelium. Frankfurt: Suhrkamp 2005; Davids Aufstieg. Erzählung. München: Beck 1993 ** Albrecht Schöne (geb. 1925), Germanist, Prof. in Göttingen; vgl. Vielzeitig, S. 301 *** Peter Horst Neumann (1936-2008 ), Literaturwissenschaftler, Essayist, Lyriker **** „Ist Gott ein Fremdwort? Sprachschöpfertum: Der israelische Dichter Elazar Benyoëtz“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.7.2005 (Zu: „Finden macht das Suchen leichter“) ***** Leo Spitzer: Die groteske Gestaltungs- und Sprachkunst Christian Morgensterns. In: Hans Sperber, L. S.: Motiv und Wort. Studien zur Literatur- und Sprachpsycholgie. Leipzig: Hirzel 1918, S. 53-123 An Hans-Martin Gauger, 28. März 2006 Nr. 193 Dass ich es mit Hilfe anderer endlich zum Witzbold brächte! Ich dachte, hoffte auch, Sie würden sieben. Nun habe ich in Ihrem Buch* einen dicken Originalbeitrag, im Ernst einen Erstdruck. Die Franzosen haben es mit Goethe, Sie aber auch - „ein Tag nach Goethes Tod“, ja, doch bitte - ein Tag vor meinem Geburtstag! Also war’s doch ein Geburtstagsgeschenk, denk es, o Seele! ** Ich danke herzlich für das Büchlein mit seinen vielen Schattierungen […]. Witze lebendig oder abwürgend erzählen - das ist eine Sache; schriftlich niederlachen - ein weites, ein schmales Feld. Erich Heller*** sagte mir, der einzige, der das könne, sei Friedrich Torberg. Beide sind nun lange tot, uns gibt es noch - wie gut Sie erzählen, weiß ich. Ich wage mich gar nicht erst daran, ich lass die Theorie über den Witz kommen. 176 VI Zur Arbeit mit der Sprache Witz - die Behauptung des Nebensächlichen Witz erschließt das Ausgeschlossene Sein Wunsch, er möge im Tod das ewige Leben finden, ist des Menschen unsterblicher Witz * Das ist bei uns nicht Ouzo. Sprachwitze. München: Beck 2006. Zu Elazar Benyoëtz S. 90-93 ** Eduard Mörikes Gedicht „Denk es, o Seele“ *** Erich Heller (1911-1990), Germanist und Essayist, 1939 Emigration, seit 1960 in den USA An Hans-Martin Gauger, 7. April 2006 Nr. 194 Die Herren Fastenden* werden gerade gebeten, ihre Mazzes zu backen und freuen sich auf die Knödel, Zeit gibt es also nicht. Dennoch will ich Ihnen sagen, wie sehr mich Ihre Einleitung freute, aber auch manche Witze, die mich vor die Frage stellten, wieso das Billige auch für geistvolle Witze unentbehrlich zu sein scheint, unentbehrlich also ist. Im Rahmen des Sprachwitzes kam ich zum frappierenden Schluss: Das Billige ist unabdingbar, denn der Witz muss beteuern. Die Beteuerung macht den Witz aus, das Billige somit unentbehrlich. Und nicht nur, er wird unauffällig aufgewertet. Also geht’s auch um eine Aufwertung des schwer zu Billigenden. * Anspielung auf eine von Scholem erzählte, von Gauger mitgeteilte Berliner Begebenheit An Hans-Martin Gauger, 18. Juli 2006 Nr. 195 Ich lebe in der Sprache, nicht in Sprachen. Die eine ist in mir in zwei gespalten, wie das, was einst „Schicksal“ geheißen hat. Nun komme ich ins Plaudern, und Sie scheinen der einzige zu sein, weit und breit, der plaudern kann, weil er vom Plaudern etwas versteht, und nicht, weil es „Südliche Romania“* wäre. Sie - aber auch Weinrich, der mir eben, in- höchster Verspätung, seine „Knappe Zeit“** schickte - vertreten hierin einen deutschen Standpunkt, den man beachten VI Zur Arbeit mit der Sprache 177 muss und der jede Beachtung verdient. Das deutsche Herz und die romanische Sprache, und wiederum: das Herz der romanischen Sprachen, und das deutsche Reden in Zungen. In der Germanistik ging es um echt oder falsch, um „Geschichtslüge“, in der Romanistik ging es um Croce und Vossler, Leo Spitzer und Erich Auerbach. Auf eingeschränktem Rahmen kann man sagen - um Curtius und Friedrich, weil beide im Lande blieben. Die Germanistik ist - fast durchwegs - eine Geschichte des Versagens; die Romanistik die der Alternativen. Die große Frage bleibt, nach wie vor: Lag es an dem „Wesen“ der Sprache, lag es am Charakter der Lehrer? Ich komme von diesem Punkt nicht leicht weg, weil mir hier ein Schlüssel zu hängen scheint. Dies umso mehr, als daraus gerade die deutsche Romanistik als schlechthin maßgeblich erscheinen würde. Es ist mir unangenehm, einen Beitrag von mir zu empfehlen, umso unangenehmer, als ich nicht in der Lage bin, Ihnen ein Exemplar oder einen Sonderdruck zu schicken. Ich habe einen großen, und wie ich glaube, wichtigen Beitrag, im letzten Lichtenberg-Jahrbuch veröffentlicht*** - das ich vorher nicht kannte und „im Letzten“ noch nicht zu sehen bekommen habe. Es gibt davon keine Sonderdrucke, und wenn - dann sehr spät. Es sind alles Dinge, die Sie brennend interessieren. Ich weiß also nicht, wovon ich spreche, doch weiß ich, was ich geschrieben habe. * Karl Vossler: Südliche Romania. Leipzig: Koehler und Amelang 1950 ** Vgl. Anmerkung zu Brief Nr. 177 *** Ein Morgen letzter Hand. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2006, S. 15-54 An Hans-Martin Gauger, 1. Januar 2007 Nr. 196 Vor einer Woche überraschte mich - wie es auch sollte - das Jahresprogramm der Burg Rothenfels. Da musste ich erst schlucken. Wenn ich dem Programm trauen darf, wollen Sie die Laudatio zu meinem 70. Geburtstag halten*. Das ginge über meine Erwartung. Dank für Ihre Bereitschaft, sie ist mir schon Freude genug. Bleiben Sie dabei, erleichtern Sie mir das Altern, mit dem ich mich freilich nicht zieren kann, sind wir doch fast gleichaltrig. Ich könnte aber kaum noch Rad fahren. * Der Kreisende. Laudatio auf Elazar. In: Michael Bongardt (Hg.): Humor - Leichtsinn der Schwermut, S. 43-55 178 VI Zur Arbeit mit der Sprache An Hans-Martin Gauger, 28. März 2007 Nr. 197 „Was mir jene Zusendung durch die FAZ damals gebracht hat! “ Mit diesem Satz könnte ein Buch beginnen, mit diesem Ausrufezeichen eine lohnende Betrachtung: Das ist ein schönes Geburtstagsgeschenk, für das man so herzlich einfach danken kann.* Was mich am Buche am meisten freute, freut mich am meisten an Ihrer Besprechung: Die Herausstreichung des letzten Teils - von mir „Hinterbuch“ genannt. Es ist nicht Sache des Autors, seinem Kritiker recht zu geben, auch haben Dichter nicht Recht zu behalten. Über ein Wort, dem ich nicht widerspreche, würde ich gern schreiben: „Benyoëtz ist ehrgeizig in diesem Buch“. Das tu ich hier nicht, das verlangt einen Brief für sich. Aber für dies und für ein weiteres Wort, das ich Ihnen bestätigen möchte, teile ich Ihnen abschließend zwei kleine „Gewebe“ mit. Das eine steht am Ende meines neulich erschienenen Buches „Das Mehr gespalten“: Nun rufst DU mich, ein Schriftgelebter, dein Wort zu halten: meinen Mund Ich lausche dem Wort sein Meer ab, ehe es vermuschelt** Das andere steht im Büchlein „Auch das Nichts spricht durch die Blume“***, das Ende April erscheint: Ich war schon immer ein unwillensstarker Mensch. Und doch habe ich einmal im Leben auch stark gewollt; ich wollte, „dass alles“ noch einmal auf jüdisch-deutsch gewesen sein möge und dass „alles das“ mit mir noch einmal stürbe. Das war der Grundakkord meines Lebens und ist die Melodie meines letzten Buches geworden: „Die Eselin Bileams und Kohelets Hund“ (2007). Die unverfälschte, in Jerusalem rein erlauschte Melodie einer dem Untergang geweihten deutsch-jüdischen Welt mit ihrer eigenen Schöpfungsgeschichte. Mein Buch ist der musikalische Schlüssel dieser Geschichte. Im Widerstreit der Klänge, bin ich eine Saite, keine Partei. Ich bin froh, Sie, lieber Hans-Martin Gauger, streckenweise auf meiner Seite zu wissen. VI Zur Arbeit mit der Sprache 179 * Hans-Martin Gauger: Der Horchideenzüchter. Stiller Prophet aus Jerusalem: Aphorismen von Elazar Benyoëtz In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 22 vom 26.3.2007, S. 34 ** Das Mehr gespalten. Einsprüche. Einsätze. Jena: Edition Azur 2007, S. 190 *** Unter verändertem Titel: Die Rede geht im Schweigen vor Anker. Aphorismen und Briefe. Hg. von Friedemann Spicker. Dortmund: Brockmeyer 2007, S. 12 Von Hans-Martin Gauger, 22. Januar 2008 Nr. 198 Heute schicke ich Dir nun den-von mir aus gesehen fertigen Text meiner-Laudatio*. Es wäre mir recht, wenn Du mir offen sagen würdest, ob Du Dich in irgendeinem Punkt falsch eingeschätzt fühlst.- Es wäre mir wichtig, denn ich hatte bei der Überarbeitung das Gefühl, dass ich Deinem Ernst oder einfach Dir-nicht ganz gerecht werde. Mit Deinen Überlegungen zu den französischen Literaten und den deutschen bin ich ziemlich einverstanden. Ich kann sie jetzt, während ich Dir dies schreibe, nicht wieder lesen. Freilich gibt es schon Mystifizierungen. Bei dem von mir verehrten Goldschmidt** zum Beispiel. Es ist ja so - das wird manchmal übersehen -, dass es hier eine zuständige Wissenschaft gibt, die Sprachwissenschaft. Oder? * Vgl. Anmerkung zu Brief Nr. 196 ** Georges-Arthur Goldschmidt (geb. 1928), Schriftsteller, Essayist und Übersetzer An Hans-Martin Gauger, 22. Januar 2008 Nr. 199 Du bittest mich um etwas, das mir gegen die Natur ist, ich lasse es gelten und freue mich der Buntheit und danke meinem Kritiker. Der Ernst ist eins, ob meiner oder deiner. Meiner drückt sich knapp aus, Deiner nicht, ich liebe aber das Ausschweifende und begehre es als Gattung. Ich schrieb Dir schon einmal dazu. Ich höre Dich sprechen und sehe Dich dabei, unverwechselbar, wie Du bist. Es gibt keinen anderen Gauger als diesen, der so manche rhetorischen Kniffe kennt und handhabt. Eine Laudatio will gesprochen werden, sie wird zum Text gezwungen. Mir liegt nun ein Text vor - das ist mein Vorwand, ich könnte auch sagen: meine Vor wand . Ich kann Deinem Wunsch nur „vom Rednerpult“ weg nachkommen. Ich habe Dich ja erlebt, einige Leser werden sich auch vergnügt daran erinnern, alle anderen den Text mit sieben Augen lesen und höchstens mit zwei Ohren. Wenn Du es wirklich willst, gehe ich den Text, den ich eben ganz und gründlich gelesen habe, noch einmal Satz für Satz und Wort für Wort durch und mache Dir im Ernst (aber nicht zu meinem Ernst) meine Vorschläge, ohne viel zu argumentieren. Ich werde dabei auch den Kritiken Rechnung tragen, 180 VI Zur Arbeit mit der Sprache die ich vereinzelt nach Deinem Vortrag vernommen habe. Ich tu das, wenn Du willst, und tu das dann im Geist der Freundschaft. Von Hans-Martin Gauger, 24. Januar 2008 Nr. 200 Also, ich habe mich nicht deutlich genug ausgedrückt. Ich war, als- ich den Text-diktierte, dann nochmals durchging und übrigens auch in Deinen Büchern wieder gelesen hatte, etwas unzufrieden, uneasy.-Hatte das Gefühl, Dir, Deinen Texten, deren Ernst-nicht gerecht geworden zu sein. Eigentlich (dies Gefühl hatte ich jetzt) müsste ich mich ihnen, Deinen kompakten Kurztexten,-viel extensiver und intensiver aussetzen.-Aber das wollte ich Dir nur so sagen vorgestern (warʼs vorgestern? ) und jetzt noch einmal. Nein, ich meinte-nur, dass ich Dich bitten sollte, es mir zu sagen, wenn Du Dich-in einem oder in zwei oder drei Dir wichtigen Punkten völlig- missverstanden fühltest.- Denn das würde mich um der Freundschaft willen ärgern. Andererseits sollte es ja schon mein Text sein, und meine Art will-(und könnte ich auch nur krampfhaft)-nicht verleugnen. Und ich sehe auch - das wusste ich natürlich -, dass ich Dich, wenn ich Dich- um eine sozusagen durchgehende Kritik gebeten hätte, um etwas bitten würde, was Dir gegen den Strich gehen muss. Es ginge auch mir im umgekehrten Fall so. Außerdem wäre es eine-unzumutbare Arbeit! Aber, wie gesagt: Daran hatte ich gar nicht gedacht. Nur an das zuvor Gesagte: ein Missverständnis meinerseits bei einem-Dir wichtigen Punkt. Übrigens ist mir-auch ziemlich egal, was andere Dir da gesagt haben mögen. Ich kenne die Theologen oder theologisierenden Denker und dann speziell solche ‚Tagungsleute‘ viel zu gut und übrigens auch das, was man im Mittelalter die „rabies theologica“ nannte. Es ging mir nur um Dich. Also um Deine-mögliche Reaktion im Sinne von ‚Mensch, da hat mich aber der Gauger sehr missverstanden! ‘ That’s all.- Also - sind wir uns einig? -Du kannst mir sagen, was Du willst, évidemment. Was wäre sonst Freundschaft wert? Aber ich möchte, dass Du mir nur dann was sagst, wenn Du Dich missverstanden fühlst in einem Dir wichtigen Punkt. Übrigens bin ich den Text noch einmal durchgegangen, intensiv, habe auch hinzugefügt. Wo steht übrigens Dein Gedicht über Gedächtnis und Erinnerung? Ich habe es in einem-Prospekt gefunden, den ich nun auch nicht mehr habe. An Hans-Martin Gauger, 24. Januar 2008 Nr. 201 Wir sind uns einig, und wir sind Freunde, wären wir’s aber auch nicht, mir läge an Deinem mir vorliegenden Text mehr als an der Aufhebung eines möglichen Missverständnisses, das-auch nur ein anderes Verstehen wäre. Über die Schönheit des Misserfolgs habe ich geschrieben, über die Schönheit des Missverste- VI Zur Arbeit mit der Sprache 181 hens noch nicht, das kommt noch.* Wir beide können leicht zugeben, dass ich mich bequem und angenehm missverstehen lasse, ohne böse Folgen. Ich baue darauf und zehre davon, weil es immer das Neuere, Aktuelle und Frische ist - auch wo es als Ausdruck der Empörung erscheint. Der Leser muss aus meinen Büchern sein Bestes machen, mein Bestes machte ich schon. Darum, Hans-Martin, darum, mein lieber Freund, geht es mir, wenn ich Deinen Text, in dem ich Dich sehe und andere Dich zu sehen bekommen werden, vor mir liegen habe. Das Missverstehen ist immer das Heute der Philosophie, ist mein, bin ich - nicht der Betreffende, nicht Kant, Plato, Parmenides. Das Verstandene ist das gestern Kapierte, das Missverstehen das im Heute Aufgehende. Du sagst, es gäbe die Sprache ja nicht, aber es gibt die Metaphysik, und das ist die Sprache. Über Weinrich können wir uns nie genug einigen, ein Mensch hohen Ranges. Er begleitet mich nun mehr als dreißig Jahre und hat mir noch nie seinen kritischen Widerstand versagt. Seine Abwehrstation ist „das Religiöse“, vielleicht Gott, sicher Abraham. Er liest diese Sachen leicht verdrossen, aber er beherrscht sich und bringt seine Abneigung in Form. Was er an mir schätzt? Seine knappe Zeit. Nun sind wir in guter Gesellschaft und können miteinander so sprechen, wie es in guter Gesellschaft sich anbietet: frech und nicht fromm. Deine Lektüre - nach wie vor - ist Grund und Begründung unserer Freundschaft, meine Freude darüber, mein erster Brief, bereits wissend, an wen er gerichtet sei. Ich habe Dich gesehen, mein Dank war natürlich, mein Ziel bist Du gewesen. Deine Rezension** enthielt Verständnis für mich und etwas Lob, das für mich Kostbare war einzig - Dein aufrichtiges, leicht gewundenes, lautes Ringen. Das habe ich Dir beschrieben, das bleibt im Bild, das ich noch minutiöser beschreiben könnte, weil es voller Züge ist. In Deiner Laudatio gibt es alles das, und natürlich, denn es ist ja der Gauger. Aber dieser ist nicht mehr der Ringende, und er verdeckt hie und da eine Unsicherheit, die er in sich fühlt, durch Betonung oder Abschwächung. Der Anfang ist munter, der Schluss ergreifend, das ist der schöne „Geburtstagskuchen“, der jedes Auge freut, das Auge begehrt nun, die Füllung herauszubekommen und sich zu Gemüte zu führen. Und die Füllung enthält von allem Guten etwas, hie und da auch des Guten zuviel. Mich freute der Kuchen, und er schmeckt mir mit den Rosinen, die hinzugekommen sind, ich fühle mich nicht missverstanden und bin Dir für alle Zuneigung und Mühe dankbar. Erlaube mir aber doch einige Bemerkungen zu meiner Lektüre, die ich Dir immer schuldig bin, wenn Du mir etwas vorlegst. Ich tu das immer, wo es sich lohnt, bei Dir aber aus innerer Verantwortung, zu der mich Deine erste Rezension für immer verpflichtete. Es wäre mir unmöglich, Dich mit Lob und Nettigkeiten abzuspeisen. Ich habe nun einen langen Brief geschrieben, um Dir 182 VI Zur Arbeit mit der Sprache einen Vorschlag zu machen: Streiche, wenn Du das über Dich bringen kannst, den ganzen Passus über die Juden, einschließlich Deiner, wie ich weiß, teuren Erinnerung an Gershom Scholem. „Assimilanten“, mit allen Schimpf- und Spottdrüsen hoch- und niedergeschmettert, hast Du zuerst von ihm vernommen, und es machte Dir Eindruck, aber es ist ein gewöhnliches Brandmarken im ehemaligen zionistischen Denkraum. Nichts Neues, und heute nicht mehr im Gebrauch. Du brauchst Dich nicht auf dieses Glatteis zu begeben, auch nicht „mir zur Feier“. Du lobst mich ja auch nicht, Du sagst nur, so gefällt es mir. Dann hast Du von mir gesprochen, aber auch Dich zu mir gestellt, man sieht Dich. Und so würde es mir gefallen - knapp, im Ernst, im Bilde bleibend, den Rahmen nicht erweiternd. Dann bist Du schon mit der Bibel in der Hand, nun kannst Du sie aufschlagen, sprechen. Ich denke übrigens, dass die Wiederholung von Bibel - bibeln - gebibelt auf S. 2 und 3 die Sache abschwächt, sie wäre kompakter eindrücklicher, auch schöner. Was Du dazu sagst, zur Grammatik, zur Poesie und Prosa, die guten Beispiele - und Dein heiterer Blick darauf -, das ist die gaumenerregende Füllung des für mich gebackenen Kuchens, mich in jeder Zeile erfreuend und bestens verstehend, Du sprichst ja mit Herz, immer ungenierter; vom Genierten könntest Du vielleicht etwas wegnehmen. Lass Reich-Ranicki bitte ruhig unangetastet alt werden, auch er geht in sich und stellt sich vielleicht vor Gott. Seine Erwähnung gibt nichts, auch seine Berühmtheit ist rhetorisch verschwendet, wenn es dann heißen muss: „Doch zurück zu Reich-Ranicki.“ „Zurück zu Kant“ hieß einst ein Buch von Otto Liebmann***, das war neu und führte zurück zu Kant. Ich halte mich hier länger auf, weil dieser eine heikle Punkt war und nicht bleiben soll: Ein jüdischer Dichter, der die für ihn lange Reise nach Würzburg machte, fühlte sich von Deiner Ausführung gekränkt. Wäre es eine grundsätzliche Sache, ich hätte Dir keine Streichung nahegelegt, aber Du kannst sie verschmerzen, und EB will selbst ja auch nicht der bessere oder der interessantere sein, nur gerade so, wie er Dir gefällt. Wenn Du mir aber noch einen persönlichen Gefallen tun willst, versuche den charmanten Pult- und Poltergeist für Momente zu entlassen, der da klopft: 12 Mal „jedenfalls“ und „also“ 38. Eleganz und Witz streiten bei Dir um die Wette, und Du weißt, wie sehr ich für den Witz bin, meine Eitelkeit ist in diesem Fall aber angestachelt und zieht das Elegantere vor. So dumm es nicht nur klingt, sondern ist: Dieser Text, der mich anderen lobend vorstellen soll, ist vor allem doch für mich geschrieben, denn ich werde ihn öfter lesen wollen als andere. Nun ist es zwar „ein geschenkter Gaul“, ohne Frage, ich aber, die Eselin Bileams reitend, frage mich, ob ich in diesem Fall und ausnahmsweise nicht vielleicht auch aufs „ E-maulige“**** verzichten würde. VI Zur Arbeit mit der Sprache 183 „Und das nächste Buch von Benyoëtz, sein Geburtstagsbuch für uns und auch ihn selbst („mir selbst zur Feier“, sagt wiederum Rilke)“: Das kann man sagen - ich sagte es nicht, und meinte es auch nicht „mir zur Feier“. Auf S. 170 bringe ich ein Gedicht und sage, es sei „Als Abschiedsgeschenk an mich, in Erinnerung an den deutschen Dichter Edwin Bormann“*****. Abschied vom Buch und vom Leser, in Erinnerung an den längst Vergessenen, es sind alles andere Intentionen als die Rilkes. Und das ist der Ort auch zu sagen, dass Deine Bemerkung zu meinen Anmerkungen und dem Zitatnachweisteil mir die größte Freude bereitete. Deine Betonung dieses Teils belegt Dein wahres Verständnis und bezeugt unsere echte Nähe, so möge es noch etliche Jahre bleiben! Beschämend für mich, ich kann Dir das Gedächtnis-Erinnerung-Zitat nicht nachweisen. In meinem Buch „Brüderlichkeit. Das älteste Spiel mit dem Feuer“ (München 1994) gibt es einen Abschnitt „In Erinnerung gedacht / für Harald Weinrich“ mit dem Motto: Fünf mutige Vögel verpflanzen das Herz ins Gedächtnis. Christine Lavant****** * Siehe Anmerkung zu Brief. Nr. 167 ** Siehe Anmerkung zu Brief Nr. 290 *** Otto Liebmann: Kant und die Epigonen. Stuttgart: Schober 1865 **** missglücktes Wortspiel Gaugers, siehe Brief Nr. 202 ***** Edwin Bormann (1851-1912), dt. Schriftsteller, sächsischer Mundartdichter; vgl. Die Eselin Bileams und Kohelets Hund, S. 213f. ****** Brüderlichkeit, S. 31 Von Hans-Martin Gauger, 27. Januar 2008 Nr. 202 Ich bin beeindruckt von der- Intensität Deines Engagements.- Und etwas verwirrt oder beschämt auch. Ich bin den ganzen Text nochmals durchgegangen und habe alles erwogen. Mir geht es jedenfalls so: Wenn ich nach vielem Hin und Her etwas geschrieben habe, dann habe ich es stark affektiv besetzt. Das war und ist auch hier so. Es geht Dir wahrscheinlich nicht viel anders.- Und nun braucht der Bongardt den Text wirklich*. Das- „E-maulige“ habe ich gern weggenommen, auch die etwas - jedenfalls hier alberne Geschichte mit dem koscheren Essen. Ich habe einige „also“ gestrichen (die hängen mit dem mündlichen Charakter meines-Schreibens zusammen, denke ich), auch einige „jedenfalls“ (ich weiß nicht, woher diese Häufigkeit kommt), und ich habe das mit dem Jüdischen stark gestrafft und einiges von dem Dir Anstößigen weggenommen. 184 VI Zur Arbeit mit der Sprache Die Passage ganz zu streichen, brachte ich aber nicht über mich.-Es ist so, dass unsereins-(ich ‚jedenfalls‘ - schon wieder! ) da einen Anlauf braucht. Und wirklich - ein Jude, der auch religiös Jude ist, ist mir neu. Und „Assimilant“ empfinde ich als eine Art Beleidigung. Reich-Ranicki kennt mich. Er wird mir das nicht übelnehmen, und wenn schon-… Kurz, ich wollte da an etwas anknüpfen, das halt bei uns da ist, und so ein wenig Unabhängigkeit signalisieren. Ich wundere, wie Dein Dichter-Freund- da gekränkt sein konnte! - Auch das mit „mir zur Feier“ habe ich präzisiert - missverständlich in der Tat, wie es dastand. Kurz, nun ist der Text besser, Dir sei Dank! * Siehe Anmerkung zu Brief Nr. 196 An Hans-Martin Gauger, 27. Januar 2008 Nr. 203 Ich danke Dir, wissend, welch Überwindung es Dich kostete, das hast Du nun für mich getan. Ich würde Deine Kritik in jeder Form ermutigen und selbst meine Empfindlichkeiten ihr gern aussetzen. Schreib Deine Erinnerungen, und tu das „von der Leber weg“. Es ist das Schönste - immer, ob sich kindlich erinnernd, ob kritisch oder ätzend, - wenn Du bei Dir, bei Deiner eigenen Lebensgeschichte bleibst. Das ist auch immer gut erzählt, und ich höre Dir herzlich gern zu. Von Hans-Martin Gauger, 27. Januar 2008 Nr. 204 Nein, eine eigentliche Überwindung war es nicht. Gar nicht. Ich wollte nun nur die mir freilich wichtige Sache mal loswerden, weil der Bongardt* - mit Recht - drängt. Ich habe, was Du genannt-hast, eingebaut.-Wobei es mir sehr interessant ist, dass Dein Sprachempfinden anders reagiert (zum Teil) als meines. Ich schicke Dir nochmals eine Version. * Siehe Anmerkung zu Brief Nr. 196 An Hans-Martin Gauger, 28. Januar 2008 Nr. 205 Es zeigt sich immer mehr, wie ergiebig wir für einander sind und dass wir über so vieles zu sprechen hätten. Dass „mein Sprachempfinden anders reagiert“, gehört dazu, möchte es auch anstößig scheinen. Unsere Übereinstimmung kommt von Herzen und von den Hinfälligkeiten. Du bist ein Erzähler, ich sehe nur einstürzende Standpunkte; Du baust aus, ich reiße ein. Neugierig und gespannt sehen wir einander zu. Das könnte stimmen, muss nicht. Du kannst immer auch anders schreiben, ich nicht; in Deiner VI Zur Arbeit mit der Sprache 185 David-Erzählung* bist Du so breit wie knapp. Ich trage meine Knappheit noch in die Breite hinein. Gewiss, ich kann auch Seiten schreiben, nicht nur Sätze, am Ende wird alles doch gesätzlich. Aber ich bin Dir in jedem Augenblick zugewandt, höre Dir zu und bin bemüht, Dich zu sehen, wie Du gerade sprichst: zu mir oder über mich weg. Nun habe ich versuchsweise in Deinen Text hineingesprochen, nimm es bitte als gesprochen oder sieh es mir nach. Seltsam genug, dass ich mit Dir über mich spreche, aber es geniert mich nicht, ich kann gut von mir ab- oder auch wegsehen. Auch noch das Wegsehen würde mich mehr interessieren als meine Wenigkeit. Ich sehe Deine effektiven oder möglichen Pointen, und ich kann schlecht zusehen, wenn Du sie verdirbst. Ich gebe aber gern zu, dass es nicht unbedingt, auch nicht immer primär, um die Pointe geht. Ich war nie der Mann am Rednerpult, und wäre ich einer, ich könnte Dir nicht das Wasser reichen. Auch daher die verschiedenen „Sprachempfindlichkeiten“. Meine Möglichkeiten sind beschränkt, ich muss auf der Hut bleiben, sonst könnte ich mein Deutsch hier nicht aufrechterhalten. Aber ich kann das Ausgesprochene sehen. Das ist vielleicht kein Vorteil, doch eine Gabe. In [ ] sind meine Vorschläge, zwischen den Schrägen / / meine Erläuterungen und mein Gemurmel. Dass Du alles sagst, was Dir am Herzen liegt, ist auch in meinem Interesse, aber es muss nicht alles bei diesem feierlichen Anlass gesagt werden. * Siehe Anmerkung zu Brief Nr. 172 An Hans-Martin-Gauger, 8. August 2008 Nr. 206 Deine Kritik* wird den Text verbessern, so hast Du mir geholfen. Ich will meine Geschichte in Briefen „erzählt“ haben, sie entsteht von Brief zu Brief, sie beginnt allerdings unbeholfen, wie es sich gehört, das ließe sich auch gar nicht verbergen, aber nicht, weil da ein paar Fehler ausgemerzt wurden. Dem und Ähnlichem musste leicht Rechnung getragen werden. Aber es geht mir einzig um die ungestörte Lesbarkeit; die Anmerkungen - auch ein ewiger Streit der Fakultäten - sollen ganz hinten stehen, nicht unter dem jeweiligen Brief. Heute, da auf Tastenbefehl die Quellen fließen, muss man sich nicht mehr Rat holen. Anmerkungen gehören nur noch in streng wissenschaftliche Publikationen, und auch dort haben sie ihre Rolle zu behaupten. Oder aber - in einem Buch wie „Die Eselin Bileams und Kohelets Hund“: da spielen sie eine Rolle, die ihnen zugewiesen wird, eine wechselnde, wechselreiche Rolle. Der Anmerkungsteil ist ein Anhang, das Bücher enthält und befördert. * Detailkritik am Vorwort von „Vielzeitig“ in zwei vorangegangenen Briefen 186 VI Zur Arbeit mit der Sprache Von Hans-Martin-Gauger, 23. Dezember 2008 Nr. 207 Willst Du nicht mitmachen an dem von mir herausgegebenen Valerio-Heft „Lob der deutschen Sprache“? Da wärst Du doch besonders-qualifiziert. Du darfst da doch nicht fehlen, denn Dein Fall ist besonders-interessant. Übrigens kann die Antwort durchaus auch sein, dass man die Frage destruiert, sie für unsinnig erklärt. Ansatzweise hab ich dies ja bereits selbst getan in meiner Einladung, die Dir zuging.- * Dichtend stelle ich mich selbst an die Wand. In: Hans-Martin Gauger (Hg.): Lob der deutschen Sprache. Valerio 9/ 2009, S. 32-35 An Hans-Martin-Gauger, 23. Dezember 2008 Nr. 208 Nun, lieber Valerio, dass Du gerade diese fragwürdige Nummer machen sollst! Ja, ich hatte die Aufforderung „seinerzeit“ erhalten, aber doch von Peter Eisenberg* unterzeichnet - so glaube ich mich zu erinnern - und habe darauf umgehend - ich weiß nicht: satirisch, ironisch oder ätzend - reagiert. Es kam mir - übertrieben - hoch, musste dann niedergezwungen werden. Also hätte ich ein Thema, und schaffe ichs nach meiner Rückkehr aus Wien, versuche ichs auf eine Seite zu bringen. Schaffe ich es aber nicht, bekommst Du einen schönen, harmlosen Text, ein Schmuck zum Lobe-… Das Loben der Sprache, die sich austoben muss, um sich überhaupt wieder Gehör zu verschaffen - merkwürdig, dass solche Feierlichkeiten wieder aufkommen; hat man nichts Festes, kommt man aufs Festliche. * Peter Eisenberg (geb. 1940), Linguist, bis 2005 Professor für Deutsche Sprache der Gegenwart an der Universität Potsdam Von Hans-Martin-Gauger, 23. Dezember 2008 Nr. 209 Für mich ist- Dein Beitrag* interessant oder besser beunruhigend bemerkenswert, weil in ihm so viel, noch so viel präsent ist von dem, was da war. Aber eben: Dies müssen wir verstehen, wir Deutschen und auch wir Sprachwissenschaftler, die wir ja eine- Sprache nicht als Subjekt auffassen können - ein Subjekt, das sich etwas „gefallen lassen“ könnte oder irgendetwas „annähme“. Das Subjekt einer Sprache sind diejenigen, die sie (als Erstsprache oder dann als „Chamissos“**) sprechen. Diese Subjekthypostasierung macht-ja Heidegger auch. Du machst sie poetisch und metaphorisch. Und ‚meschugge‘ und ‚Maloche‘ und so viel anderes Jiddisch-Jüdisches sind doch in der Sprache geblieben. Aber das meinst Du ja nicht. Gar nicht so leicht zu sagen, was da eigentlich VI Zur Arbeit mit der Sprache 187 verloren ging. Natürlich - eine spezifische Geistigkeit. Aber speziell sprachlich? Also, ich danke Dir sehr für Deinen Beitrag. Es ist nur etwas kurz. Also wenn Du da noch was hinzufügen wolltest-… Übrigens „den Krieg verlieren“ - das entspricht- nicht unserem Empfinden. Den Ersten Weltkrieg haben die Deutschen verloren, aber den Zweiten nicht. Das war etwas qualitativ-ganz anderes. Das war die quasi Totalzerstörung, das Aufhören von allem, und es wurde stillschweigend- als gerecht, als verdient empfunden. Es war-eben der „Zusammenbruch“. Und nach all der Verdrängung kam dann auch die Anerkennung. * Vgl. Anmerkung zu Brief Nr. 207 ** Chamisso-Preis für das deutschsprachige Werk von Autoren aus nichtdeutscher Sprachherkunft, 1988 An Hans-Martin-Gauger, 29. Dezember 2008 Nr. 210 Ich versuchte den kritischen Punkt Deiner Kriegsreflexion herauszufinden. Habe ich die Lage verniedlicht, verharmlost? „Den Krieg hat nicht sie verloren- …“. Nun sprichst Du von Krieg, Verlust und Deutschland fast so wie ich von der „verwundeten Braut“, es fehlen Dir Wort, Farbe und Atem, um den Unterschied zwischen Verlust und Zusammenbruch zu schildern. Aber der Erste Weltkrieg sieht so „verlustartig“ aus, nur weil es den Zweiten gab, und der dritte, wenn er kommt, wird den zweiten blassstellen [blossstellen? ]. Auch der Atomkrieg wird Krieg gewesen sein, wenn seine Verluste auch von keinem mehr gebucht würden. Der verlorene Krieg ist wie der gewonnene, manchmal sind beide auch im Resultat ähnlich. Nimmt manʼs aber genau, dann war es die deutsche Sprache, die den Krieg, nein - den Sieg für immer verloren hat. Ich weiß nicht, wie groß ihre Aussichten waren, Weltsprache zu werden, aber sie war eine ehrliche Kandidatin, und gerade die Juden, mit, durch, aus ihrem Jiddisch und sonstigen Sympathien hätten ihr dazu gern verholfen. Jetzt schreiben die Germanisten englisch und „Deutsch als Fremdsprache“ wird nur schüchtern großgeschrieben. Gegen Gewinn steht nun einmal Verlust, gegen Sieg Niederlage und Kapitulation. Alles andere ist Ausmaß. Ich denke, es wäre ein Thema - von zweien - für Dich: Kann eine Sprache den Krieg/ den Sieg verlieren? Weil sie die Sprachherrschaft einbüßte, steigen die „Chamissos“ im Wert, durch diese Hintertür tritt die Welt bei den Deutschen ein. Eine verlockende Sprache war Deutsch schon immer (das „immer“ heißt 19. und etwas 20. Jh.), das Lockfutter ist gering geworden, und hieße der große Rest Berlin, da spräche man lieber Englisch. 188 VI Zur Arbeit mit der Sprache Ein interessantes Thema wäre noch, wie weit das Sprachopfer (Erlernen des Deutschen) mit den Opfern des Nationalsozialismus zusammenhängt, den getöteten und den überlebenden Dichtern. Diese Opfer erhalten die Sprache aufrecht und interessant, und z. T. wird die deutsche Sprache durch das Engagement der Fremden aktualisiert und belebt. Ich sehe keine Situation, die „Sprachreiniger“ im alten Stil und Geist gegenwärtig ermöglichen würde. So viele Themen für ein „Valerio“! An Hans-Martin-Gauger, 29. Dezember 2008 Nr. 211 Man kann nicht den Menschen, das einzige Sprachorgan, vernichten und die Sprache heil für sich behalten. Was man an Menschen vernichtet, geht auch als Sprache verloren. Ich tauge, wie Du siehst, nur im Bund mit meinen Fragwürdigkeiten. An Hans-Martin-Gauger, 31. Dezember 2008 Nr. 212 Dass ich Dich irritierte, war nicht beabsichtigt, aber gut. Ich habe beide Texte* gelesen, sie sind unmissverständlich, aber zu stark plädierend und werbend. Es liegt am Wort, dem Du am Ende selber ausweichst, ich wäre (auch noch die Scham vor Augen) eher für Lieben denn für Loben. Das Liebenswerte einer Sprache ist anders als das Lobenswerte, das wäre auch leichter zu sagen, man hätte den intimen, nicht nur „handwerklichen“ Bezug - die Beziehung eben, somit auch die bessere Möglichkeit, von sich zu sprechen. Es führte auch gleich aus der Misere der „Sprachkritik“ heraus (in meinem rückständigen Sprachgebrauch halte ich es noch mit Mauthner**). Da bräuchte man nicht mehr viel werben. Das Angebot, wie es mir vorliegt, sieht etwas angestrengt aus, ich bin gespannt, wer darauf reagiert und womit. Ich weiß natürlich, dass Lieben nicht akademisch wäre, käme auch nicht infrage, aber es ist doch das Herz der Sache, die Du meinst. Nicht im Vergleichbaren liegt das Lobenswerte. Vergleichbar sind Nachteile und Vorzüge. Diese brauchen mich nicht, Borges sagt es ja***. Mit Hilfe der Dichtung. Lob geht von der Rhetorik in die Haltung über, und diese ist heute eine feierlich-steife Sache, die - bei mir - auf instinktive Abwehr stößt. * Gauger: Lob der deutschen Sprache; siehe Anmerkung zu Brief Nr. 205 ** Fritz Mauthner: Beiträge zu einer Kritik der Sprache. 3 Bände. Stuttgart: Cotta 1901- 1902; vgl. Anm. zu Brief Nr. 27 *** Jorge Luis Borges: „ […] Ein Schriftsteller muß zulassen, dass die Themen ihn suchen, er muss sie zuerst abwehren, und schließlich, wenn er sich damit abgefunden hat, kann VI Zur Arbeit mit der Sprache 189 er sie aufschreiben“. ( Jorge Luis Borges, Osvaldo Ferrari: Lesen ist Denken mit fremdem Gehirn. Gespräche über Bücher und Borges. Aus dem Spanischen von Gisbert Haefs. Zürich: Arche 1990, S. 24) An Ingeborg Kaiser, 6. Januar 2010 Nr. 213 Ich sehe Deine Augen über Briefe fahren, jeder Name eine Fähre. Ich zögere mit der Herausgabe meiner Tagebücher, weil ich mich nicht blamieren darf, denn das wäre schon mein Leben gewesen. Ich schiebe sein Erscheinen hinaus, arbeite verstohlen daran, während anderes entsteht. Meine Lebensgeschichte kann ich mit jedem Jahrgang meiner Tagebücher beginnen und abschließen; kein Jahr nahm sein Ende, in jedem lebe ich noch. Die Ferne macht die Nähe zum Begriff. Jedes meiner Bücher ist der Vorläufer eines Gedankens, der mir auf der Spur ist. Der Schlussstrich wird in die Länge gezogen, über Jahre. Wo das Licht fällt und das Wort aufsteigt, mischt Papier sich ein. Schreiben, Streichen - Denkbewegung und Gedankengang; Streichen - die Niederlage der Idee, der Erfolg des Nachdenkens, die Gegebenheit des Genommenen. Es bleibt etwas, das wir das Bleibende nennen, allein: wovon? Das Aufschreien der Dinge, die nicht einmal zum Vorschein kommen, geschweige denn zu Wort. Das Streichen nimmt auf alles Rücksicht; ich liebe das Streichen, wie wenn es meinem Schreiben voranginge. Im Verlauf des Schreibens habe ich das Lesen verlernt. Bahnhof Ende. „Ende“ heißt die Station vor dem Ziel (Zürich). Wir schieben das Ende hinaus, so gut wir können, das Ziel rückt uns dadurch nicht näher. Wir haben unser Ziel und finden nur das Ende. Wir brauchen ein Dach über unserem Kopf, das ist Gott. An Ingeborg Kaiser, 8. Januar 2010 Nr. 214 Ohne Beschwerden kommt kein Tagebuch aus, sie gehören zu den Grundzügen eines Tagebuchs, wie die „Beichten eines Toren“; wozu sollen Tagebücher sonst geschrieben werden. Ohne Beschwerde und Beichte verdiente kein Tagebuch seinen Namen. Mein Leben war immer ohne Alltag, demnach - ohne Grund und Boden. Ein Tagebuch muss Tage zählen, Tägliches und Alltägliches enthalten, sie sind das Haltbare, wenn auch schwer einzuhaltende, überhaupt nicht aufzuhaltende. Zum Tagebuch gehört eben, dass es Tag für Tag anwächst, nie über den Tag hinaus, das „Darüber hinaus“ besorgen die Gedanken, das Gelingen eines Gesprächs, das Scheitern einer Beziehung. Ich schreibe eher Jahrbücher, die Tage werden nicht gezählt, sie kommen wenig vor, ich müsste das GESCHEHEN aus allen Jahrgängen herausbzw. hineinholen. Und dabei alles überarbeiten, 190 VI Zur Arbeit mit der Sprache weil ich immer für später schreibe, daher mein wachsendes Zögern, ich könnte jetzt nur eine Ahnung von der Fülle geben und die bessere Prosa pflegen, bis ich einen Band von 200-300 Seiten zusammenbekomme, mit dem ich mich zeigen dürfte. Das wäre dann ein Prosaband, kein Tagebuch. Eine Frage, den möglichen Titel meines nächsten Buches betreffend - ehe mein Verleger mich anruft und ich mit ihm hadern muss. Er will GESAMMELTE Aphorismen (von-… bis-…), ich aber kann ein Buch nicht ohne Namen entlassen. Wenn auch gesammelt und nicht aus der Taufe gehoben, verdient das Buch seinen Namen, der es in die heitere Welt der Bücher einführte und nicht in die regalträchtige der gesammelt und regungslos beieinander stehenden Werke. Sag mir bitte, zu welchem Titel Du neigst; Du kannst auch alle verwerfen, Dich aber nur für einen entscheiden. An Julia Knapp, 3. Januar 2012 Nr. 215 Ich will gern etwas mit Herrn Echte* unternehmen, davon ausgehend, er mache schöne Bücher. Das wäre der Mühe und der Freude wert. Wie immer es kommen mag, das erste Buch wäre der Briefwechsel mit Clara von Bodman . Die erste Neigung ist in solchen Fällen - und in meinem Alter -, unverändert herauszugeben, weil es verdient, in einem neuen Gewand herauszukommen und wieder greifbar zu sein. Zur „Neigung“ gehört die Gefahr, das einst Unmittelbare durch Nachträglichkeiten zu verderben. Die Gefahr besteht, und dennoch würde ich meinen, es soll eine zeitgemäß veränderte Ausgabe werden, gleichsam gekürzt und erweitert. Ich nehme Sie in Ihrer Jugend und nicht eigentlich „typischen“ Liebe zur Poesie - als Maßstab. Sie kennen jetzt das Buch oder werden es bald kennen, sagen Sie sich und mir, was Ihnen daran gefällt und was anderen heute daran gefallen / missfallen könnte. Betrachten Sie es editorisch, was könnte z. B. ausgeschieden oder gekürzt werden. Sie würden, sagen Sie, gern damit bald beginnen, damit könnten wir bald beginnen, eben mit den Überlegungen, wie die neue Ausgabe gestaltet werden könnte oder sollte. Sie haben jetzt eigene Erfahrungen mit Editionen, ohne dem Gängigen verpflichtet zu sein, Sie sind eigenständig genug. Ich könnte einige Briefe hinzufügen, die ich schon einmal erwogen habe; könnte einen Rückblick auf die erste Ausgabe verfassen, vielleicht hätte der alte Marbacher-Text** Sinn und Platz im Buch, vielleicht würde es sich lohnen, meine Tagebücher auf Bodman hin durchzukämmen, dadurch würden sich die Proportionen allerdings ändern - das alles müsste überlegt werden, ehe wir an die Arbeit gehen, sie mit Takt unternehmen und mit Sinn füllen. Sie lesen also - auf eventuelle Veränderungen der Vorlage hin, ich lege den einen Text bei, ohne ihn wieder zu lesen, im Moment liegt er mir fern und ist mir fremd, Sie VI Zur Arbeit mit der Sprache 191 aber lesen mit frischen Augen und sagen, ob er taugt und ob er dazugehören könnte. Es gibt übrigens eine Dokumentation der Vorgänge, bis das Buch erscheinen konnte. Viele verschiedene Stellungnahmen, ein erhebliches Für, ein ziemliches Wider.*** * Bernhard Echte (* 1958), Verleger, Literaturwissenschaftler ** Marbacher Text: Nicht erschienen, vgl. cr: Würdigung für Gottlieber Dichterehepaar. Feierstunde zum 100. Geburtstag von Clara von Bodman im Deutschen Literaturarchiv in Marbach. In: Thurgauer Volksfreund. Kreuzlingen, 22.2.1990, S. 2 *** Brief an Daphne Hertz (Vielzeitig, S. 118f.) An Werner Helmich, 27. Juni 2012 Nr. 216 Der Profile-Band* ist an sich vornehm, wie weit lebendig, das hängt vom Weitblick der Herausgeber, von deren Sinn und Geschmack ab - und von den zu gewinnenden Mitarbeitern. Jedes Buch scheitert ja an seinem Autor. Von diesem Punkt an, würden Sie sagen, hätte mich das Unternehmen nicht weiter zu bekümmern. Ich bleibe draußen, denn es geht um mich. Am Draußen sitzend, würde ich Erinnerungen an die hebräische, Erinnerungen an die deutsche Literatur anbieten. Am Ende ist es vielleicht ein Gedenkbuch, das soll es aber nicht werden, es soll etwas Feuer ins Papier. Also muss ich mit Ihnen sprechen, denn Ihr Beitrag - wie immer geartet - gehörte zu den grundlegenden. Ich möchte Sie bitten, ein Kapitel hinzuzuschreiben: EB und die französische Moralistik, in dem Fall: Joubert - Valéry - Cioran. Keiner könnte es besser, und dann wäre es eine runde Sache für mich, auch für Sie. Wer würde sich schon um die entlegenen Jubelschriften kümmern? Von allen denkbaren Sammelbänden kämen die PROFILE dem BUCH am nächsten. Möge es ein Buch des Lebens, nicht des Andenkens werden. (Auf einer Ähnlichkeit mit Joubert beharrte Werner Kraft, Valéry zitiere ich oft, Cioran nie, er kommt mir vielleicht in die Quere, Ihnen entgegen, also erführen wir über die drei, wie sie sind und wie ich mich zu ihnen verhalte.) * Bernhard Fetz, Michael Hansel, Gerhard Langer (Hgg.): Elazar Benyoëtz. Korrespondenzen. Wien: Zsolnay 2014 192 VI Zur Arbeit mit der Sprache An Werner Helmich, 10. August 2012 Nr. 217 Ich bin dabei, ein Tagebuch-Modell zu schaffen, es könnte sich lohnen - kaum auf Braumüller* hin -, wäre jedenfalls das einzige, was ich noch leisten oder mir auf Deutsch - gönnen könnte. Auch im Hinblick auf die „Profile“. „Lebenswerk“ klingt schon wie Grabstein, die Ehrung für mein „Lebenswerk“ ist ja nur eine vornehme Abschiedsfeier. So gehört es sich, und ich denke es mir gehörig. * Verlag Braumüller: Scheinhellig, Fraglicht, Sandkronen An Werner Helmich, 13. September 2012 Nr. 218 Ich habe mit den Tagebüchern begonnen, ein Projekt, das über alle Hoffnung ginge - sechzig Jahre zu Buche geschlagen. Ich schaffe aber wenigstens einen Musterband, aus verschiedenen Textsorten, die Jürgen Stenzel für unvereinbar hält. Braumüller kommt nicht in Frage, es wird von dem Verleger - er möge gefunden werden - abhängen, denn erst mit dem Vertrag stellen sich Idee und Form bei mir ein. Jetzt gibt es nur Material, Sortieren, Sieben. Ich habe bald 50 Seiten, sie könnten für eine Einsicht genügen, das Resultat wird in jedem Fall, also immer anders aussehen. Ich neige zu „Aufzeichnungen“, dabei könnte ich ziemlich sicher auf meinem erreichten Niveau bleiben, alles andere würde mich verunsichern, wie z. B. Stellen aus meinem Büchertagebuch, von denen ich mir zwei beizulegen erlaube. Ein Blick von Ihnen darüber geworfen, zeigte mir, ob mir ein Wurf gelingt. An Werner Helmich, 13. September 2012 Nr. 219 Braumüller will herzlich gern meine Tagebücher herausgeben, doch mich interessieren meine Tagebücher nicht, ich will nicht geboren und gestorben sein, getroffen und geliebt haben, sondern zu Ende denken, also keine Tagebücher, sondern Aufzeichnungen (vorläufig, auf einen angenehmeren Untertitel hoffend). Die Arbeit ist schwer, geht langsam vor sich, sie ist auch bedrückend, weil ich keine Form finde, wenn ich keinen Vertrag und kein Erscheinungsdatum habe. Das ist eine Marotte, doch eher ein Defekt, dem gegenüber bin ich wehrlos. Ich kann Tag und Nacht schreiben, es wird kein BUCH. Vertrag und Erscheinungsdatum sind formgebend, denk es o Seele! * Ich habe keinen Verlag, das ist die Lage; ich weiche aufs Hebräische hinaus, das ist die Situation, und sie beginnt sich aufzuhellen. Folglich: Mein Deutsch verzweifelt. * Gedicht von Eduard Mörike VI Zur Arbeit mit der Sprache 193 An Werner Helmich, 12. Dezember 2012 Nr. 220 An mich ging auch eine Erwartung, die ich wohl enttäuschen muss, wie meine Antwort an Fetz* lautet: „Meinem Lebenswerk - und das war schon mein Leben - habe ich mich fünfmal gestellt, mit den Büchern „Treffpunkt Scheideweg“, „Allerwegsdahin“, „Die Eselin Bileams und Kohelets Hund“, „Sandkronen“ und „Olivenbäume, die Eier legen“. Die Briefbände fügen eine gewisse Chronologie hinzu bzw. ein. Mir ist, als wäre mein Leben damit abgeschlossen. Mich dem Leben zu stellen, wo es rasant abläuft, den Profilen nun gar vor-, ist mir ein schwer zu fassender Gedanke. Ich komme an mein Leben nicht heran, es sei denn, ich umgehe es. Das ist vielleicht eines Versuches wert, wenn ich dabei der Versuchung nicht erliege, daraus Literatur zu machen. Das Resultat, wie auch immer, wird keine Erzählung, kein Bericht sein, sondern eine Mischform, zu der ich auch noch inspiriert werden müsste, denn eine Form stellt sich bei mir nur dann ein, wenn ich Umfeld, Umfang, Erscheinungsdatum kenne. Und ich muss wissen, ob Sie das Risiko auf sich nehmen, da Sie doch ein Handfestes von mir erwarten. * Bernhard Fetz, Mitherausgeber von EB: Korrespondenzen An Martina Kraut, 9. April 2013 Nr. 221 Es ist eine Konkurrenz, denn schreibend erhebe ich einen musikalischen Anspruch. Die Konkurrenten können nun gemeinsame Sache machen, vielleicht sogar im pädagogischen Sinn - in der Schule, mit Schülern. Dass meine Einsätze sich für den Deutschunterricht eignen, bestätigte mir Harald Weinrich, der es vor dreißig Jahren versuchte.* Ich bilde mir ein, Partituren zu schreiben, und halte meine Lesungen für musikalische Abende, so werden sie auch gestaltet. Nun bekommen Sie eine „Partitur“ ganz anderer Art, sehen Sie, wie Sie damit zurande kommen - zum Lesen gibt es hier mehr als zum Nachdenken, Ihre Wachsamkeit wird aber auch zum Mehr angestachelt. Ich erweitere den Umkreis einer möglichen „Lebensgeschichte“, noch weiß ich nicht, ob ich Alternativen prüfen oder ausweichen will. Was ich packen möchte, könnte am Ende mich packen. Sie müssen - das meint: werden gebeten - einfach „mit Bleistift“ zu lesen. Was Sie interessiert, streichen Sie bitte an, was Ihnen gefällt oder zusagt; so auch Stellen, von denen Sie meinen, sie fügten sich gut in „Kleeblatt und Strohhalm“ ein. Möglich, dass Ihnen - wie mir - ein Hin und Her nicht erspart bliebe. In jedem Fall - so dachte ich mir - sollten Sie mehr „Umwelt“ erschlossen bekommen. Wenn Sie den Eindruck bekommen, es wäre zu viel erschlossen oder zu weit gegangen, sagen Sie mir das bitte. Ich muss durch meine Fülle gehen 194 VI Zur Arbeit mit der Sprache und sehen, ob daraus noch ein Lohnendes herauszuholen sei - in einem Jahr, denn mehr habe ich nicht. Sie können mit der Vorlage nach Herzenslust verfahren, Sie können sich darüber aussprechen oder sich hineindenken - es blieben die Martina-Blätter bestehen, aus denen gewinne ich dann eine weitere Fassung. Jeder Satz braucht sein Gefühl wie seine Stunde. Mancher Satz, der sich bei mir einstellt, macht mich staunen, mancher ratlos. Sie kommen und kommen, die Sätze, und kommen und kommen nicht an. * Irmgard Ackermann (Hg): Als Fremder in Deutschland. Berichte, Erzählungen, Gedichte von Ausländern. Eingeleitet von Harald Weinrich. Mit einem Nachwort von Dietrich Krusche. München: Deutscher Taschenbuchverlag 1982, S. 10 An Helmut Zwanger, 12. April 2013 Nr. 222 Was ich signiert habe, resigniere ich nicht. Aus jedem Tag einen Tropfen Dankbarkeit zu keltern - dem stimme ich zu, weil es harte Arbeit ist: Man braucht mehr als einen Tropfen für diesen Tropfen, für jeden Tag ein Jahr. Denn erst „mit den Jahren“ kommt man auf diese Tropfenweisheit. An Harald Weinrich, 12. Juli 2013 Nr. 223 Du hast mir erlaubt, das in Arbeit befindliche Buch Dir vorzulegen. Ein Buch ist zuviel gesagt, obschon es eines werden könnte, die Schwierigkeiten sind ungewöhnlich, wiewohl mir vertraut - sie sind dem Text auch abzulesen: Mein Leben stemmt sich gegen meine Lebensgeschichte. Die Gedanken versammeln sich um diese Schwierigkeit - auch sie scheinen mich am Werk verhindern zu wollen, ans Erzählen mich nicht gelangen zu lassen. Ich habe lange den Vorzug des Lebens in Gedanken genossen, nun muss ich seinen Nachteil erfahren. Ohne zum Durchbruch gekommen zu sein, konnte - musste ich die größten Hemmungen überwinden, um mich nicht ganz zu blamieren: In dem mir gewidmeten Band der Reihe „Profile“ (soll 2014 bei Zsolnay erscheinen) bin ich mit einem Beitrag angekündigt: Zur Einleitung : Elazar Benyoëtz: Autobiographisches / Poetologisches Statement. Für diesen Zweck sollte es ausreichend sein, doch bin ich ein Stückchen darüber hinaus. Fasse ich Mut, mache ich mich ans Porträtieren. Ich möchte aber nicht, dass es ein großes Buch werde, ich traue meinem Maß nicht mehr, auch nicht dem letzten Rest. VI Zur Arbeit mit der Sprache 195 An Hans-Martin Gauger, 9. Oktober 2013 Nr. 224 Nach vielen Abschieden - aus einem unverhofften Erwachen heraus - habe ich beschlossen, ein Buch aus EinSätzen zu schreiben, ein schmales wohl, denn was bliebe mir noch Lohnendes zu schreiben? Es sind ca. 180 Seiten geworden, und - wie es im Moment aussieht - wird das Buch (Im Glanz des Unscheinbaren)* im kommenden Jahr erscheinen können, womöglich in der Schweiz. Das wäre der richtige Abschluss, dort habe ich, dort hat es mit mir begonnen, zumal ich bald Österreich hinter mir habe, was mit dem Erscheinen des Bandes in der Reihe PROFILE (bei Zsolnay) der Fall sein wird, in dem Du ja auch mit einem Beitrag stehen wirst. * Unter diesem Titel nicht erschienen. Titel wieder aufgenommen und erneut fallengelassen; vgl. Brief Nr. 227 von Harald Weinrich, 19. Juni 1985 An Harald Weinrich, 13. Mai 2015 Nr. 225 Wir müssten einen Altersstil finden oder schaffen, der Seufzen und Selbstanklage nicht zulässt, dass der Zerfall uns ja nicht ins Wort falle. Die Grenzen offenbaren sich Zug um Zug, ohne Anstrengung, am Schein der Gelassenheit. Für Dich, in geringerem Maß auch für mich, ist das Abnehmen des Gedächtnisses die größte Verunsicherung, die an die Grenze der Kapitulation führt. Man traut sich nicht zu, lässt seinen Mut sinken - und es genug sein. Wer will, der greife zurück. Kein Gruß mehr nach vorn. Born und Rückhalt; leitend und maßgeblich, lässt uns das Gedächtnis nicht straucheln - ob die Gedankenführung oder Gedächtnisstütze überwiegt? An Werner Helmich, 26. Mai 2015 Nr. 226 Ihr „Etwa“ verdiente eine Abhandlung. Ich ließ mein Ms. sofort auf „etwa“ durchsuchen: 17 „etwas“ - nicht schön, immerhin kein „etwa“! Was es bedeutet? Allerlei. Darüber werde ich nachdenken, ich höre mich auch nicht „etwa“ sagen. Das muss mit meiner Lage zu tun haben bzw. mit Ihrer als Lehrer, der unterrichtet, demonstriert, diskutiert. Ich habe ja „nichts zu beweisen“. Ich hab’s nicht leicht, nicht angenehm, aber gut. Ich muss nicht. Das „etwa“ hat Schwebendes an sich, muss es ewig in der Schwebe bleiben? Es klingt so leicht, leichter als „zum Beispiel“, dass man gar nicht merkt, wenn 400 Stück davon einem unterlaufen. Es ist heute ein Jargon des Uneigentlichen. Als Lehrer merken Sie es nicht mehr, als „Kopf“ macht es Sie rasend - mit Humor. Es liegt an Ihrer Mündlichkeit, die dem Schreiben vorausgeht, auch wenn Sie sich auf Ihre Vorträge schreibend vorbereiten. So stelle ichs mir vor. 196 VI Zur Arbeit mit der Sprache Nun geht’s konsequent ins „Werfen“ über, wir dürfen uns auf „herauswerfen“ einigen, für jeden „Rauswurf“ wäre ich dankbar, unversehens wuchs mir das Buch über den Kopf, da es hieß: Endredaktion Ende Mai, und da kamen mir auch drei Fassungen durcheinander, ich bin trostlos, Sie werden’s an der Konfusion der Anmerkungen merken (spätestens). Der bequeme Verleger schickte mir eben ein pdf, woran ich nicht arbeiten konnte, ich kam ins Abschreiben. Ich habe nicht das Gefühl, damit fertig geworden zu sein; wenn der Text nur stünde! VII „Ich wollte ja nie Aphorismen geschrieben haben.“ - Zum Aphorismus Von Harald Weinrich, 19. Juni 1985 Nr. 227 Ich war längere Zeit von München abwesend und reagiere daher leider verspätet auf das Manuskript „Im Glanz des Unscheinbaren“*, das mich aus der Schweiz erreicht hat. Nun habe ich es aber sorgfältig und mit der gehörigen Muße gelesen und möchte Ihnen zunächst zu dem Werk, wie es jetzt vorliegt, herzlich gratulieren. Ich glaube, es hat jetzt - mit einer kleinen Einschränkung, auf die ich gleich zu sprechen kommen werde - seine Gestalt gefunden und kann so (und muss! ) seinen Weg nehmen. „Ein Wort in Sinn getaucht“** - ja, das ist ein Aphorismus tatsächlich, und so habe ich es auch als Leser Ihrer Aphorismen empfunden. Fast alle diese Aphorismen haben mich erreicht, viele haben mich berührt, einige sind tief in mich eingedrungen. Ich möchte nun hoffen und wünschen, dass es zahlreichen Lesern so ergeht. Ich will von mir aus gerne versuchen, dazu beizutragen. Nun will ich aber noch kurz erläutern, was ich mit der kleinen Einschränkung gemeint habe, die ich oben erwähnte. Während ich die Teile „Hörsicht“ und „Paradiesseits“ mit großer und andauernder Zustimmung gelesen habe, hatte ich, wie schon früher, einige Schwierigkeiten mit dem Teil „Träuma“ (S. 69-118)***. In diesem Teil sind es hauptsächlich die auf Komposition und Derivation beruhenden aphoristischen Wortspiele, die mir beim Lesen Schwierigkeiten bereitet haben. Ich finde zwar grundsätzlich, dass dem Aphoristiker Wortspiele gestattet sein müssen, und es gibt großartige Wortspiele bei Ihnen, die den Leser sehr nachdenklich machen. Ich will nur das Wort „Scheiterhoffen“ nennen. Aber das Problem des Lesers (anders als das Problem des Autors wahrscheinlich) ergibt sich daraus, dass diese aphoristischen Wörter bisweilen Schlag auf Schlag aufeinander folgen, ohne kontextuelle Entspannungszonen dazwischen. Ich bilde dann als Leser einen bestimmten Abwehrinstinkt aus, um mich vor diesem Wortregen zu schützen. Ich habe mir überlegt, was man da machen kann. Natürlich besteht die Möglichkeit, einige dieser aphoristischen Wörter (Zukunst, Sklaviatur, Lyrikalien-…) einfach herauszunehmen. Aber ich könnte gut verstehen, dass Sie das nicht wollen. Wenn das so ist, meinen Sie nicht, man könnte 198 VII Zum Aphorismus daran denken, diese Wörter im gedruckten Text schräg oder vertikal, etwa in einer Randzone des Blattes, zu setzen, als eine Art begleitendes Glossarium zu den „Sätzen“ des sonstigen Textes? Ich denke dabei natürlich auch an den Gesichtspunkt der „Konstellation“ im Sinne von Mallarmé und seinen Nachfolgern. Möglicherweise würde das die Rezeption des Textes erleichtern, denn das große Problem jedes aphoristischen Textes ist natürlich die zu schnelle Abfolge der Aphorismen, wenn man sie einfach nacheinander liest, so wie es die Lesegewohnheiten aller anderen Bücher mit sich bringen. In den kleinen Heftchen der „Gottlieber Dichterfreunde“ ist das kein Problem, aber bei jeder größeren Publikation taucht dieses Rezeptionsproblem unausweichlich auf. Und je mehr ein Aphorismus auf ein einziges Wort - Kompositum oder Derivatum - zusammengedrängt ist, umso deutlicher empfindet der Leser den Widerspruch zwischen der Tiefendimension dieses Aphorismus und der Linearität des Textes in seinem Verlauf Seite um Seite. Bitte überlegen Sie doch einmal, ob Sie nicht, wenigstens was die äußerst komprimierten Aphorismen betrifft, eine typographische Lösung finden, die das Problem etwas entschärft. * nicht erschienen; vgl. Brief Nr. 224 an Hans-Martin Gauger, 9. Oktober 2013 ** Die Zukunft sitzt uns im Nacken, S. 109 *** Hörsicht. Paradiesseits. Träuma. Herrlinger Drucke 1993/ 94 An Franziska*, 18. September 1986 Nr. 228 Ein Satz für sich kann nur darum auch für mich sein, weil er mich als Gegensatz schon voraussetzte. Wie stehts nun mit meinem EinSatz? Während man mit ihm nichts anzufangen weiß, weil er ohne Anfang beginnt, spürt man doch gleich, dass er mit uns immer noch etwas vorhat, zu tun gedenkt, tut. Er gibt immer mehr Aufschluss als Auskunft; man erweist, ohne zu wissen, ob man aus ihm klug geworden ist. [? ] Könnte dies aber Art, Sinn, Ziel und Zweck eines Satzes sein? Und warum muss das beunruhigend heißen, ließe es sich doch mit allerlei Bezeichnungen, wie „Aphorismus“ und „Weisheitsspruch“, mit denen Sie es versuchen - vom Leibe halten. Es ist das in den Satz verlegte Geheimnis der Poesie. Das wäre mein Traum, ist aber auch schon seine Vergeblichkeit, da ihm Glaubwürdigkeit geschenkt werden müsste. Solch große Geschenke gibt kein Mensch, vergibt kein Gott. Alle bisherigen Vorstellungen vom Satz und von der Poesie stehen unerschütterlich gegen Traum und Träumer. Es wäre für mich gut, würde man mich in diesem Schwerpunkt verstehen, doch so wichtig ist es nicht, da wir mit Sicherheit doch eines sagen können: Der geglückte EinSatz ist zugleich ein beglückender, und er zeichnet sich dadurch VII Zum Aphorismus 199 aus, dass er aus Ihnen mehr herausholt als Sie in ihn hineinlegen. Während Sie auf Auskunft beharren, werden Sie selbst aufgeschlossen. So meine ich es, ob es so auch ist? Soll man sich mit einem ‚Geheimnis der Poesie‘ abspeisen lassen? Nein, das soll man nicht, und darum muss man in einen Ringkampf mit dem Wort treten. Wie kommt man aber zum Wort? Auf allen Wegen, auf den verwegenen zumal, von denen der Satz der wegsamste ist. Ein Wort ist ja nur selten unter einem Satz zu haben. Angezogene, hervorgelockte, auch zugereiste Worte finden sich in einem Satz ein. So kommen auch die unordentlichsten ‚in Ordnung‘. Das Wort ist die Warte der Verkündung, der Satz das Boot der Botschaft. Das Wort mundet, der Satz findet Gefallen. Nun sagen Sie vielleicht: Gut, aber was haben die meisten Menschen mit ‚dem Wort‘ zu tun? Nicht viel. Nur Kinder beginnen beim Wort und wissen mit ihm etwas anzufangen; sie kennen keine vollendeten Tatsachen. Der Satz aber ist schon eine Tatsache, und wenn auch nur eine des Denkens/ im Vollzug. Beim Wort beharren, heißt kindisch sein. Ein Satz gibt zu denken, ein Wort gibt zu dichten. Die Poesie ist vom Stammelstamm, und das ist schon ihr Elend und Sieg. Das Wort beflügelt, aber nur mit einem Satz kommt man vom Fleck. Der Kindheit entwachsen, aphoristisch geworden, prägt man sich ein: Je geflügelter das Wort, desto satzhafter. Ein Satz genügt für jede Erkenntnis, doch nicht jede Erkenntnis könnte einem Satz Genüge tun. Darum bildet sich auch kein Aphoristiker ein, er könnte einen vollständigen Gedanken in nur einem Satz ausdrücken. Das ist von ihm auch nie verlangt worden, obschon den Besten ein Satz ausreichte; wie könnte ich sonst auch recht haben, würde es keinem vor mir geglückt sein? Aber auch Sätze entsetzen sich und treiben den sie bevölkernden Worten ihren Eigensinn aus. Ein Satz gibt immer einen Sinn, weil er auch immer den Worten ihre Bedeutung austreibt. Ein Satz gibt zu denken, ein Wort gibt zu dichten. Ein Satz gibt immer einen Sinn, hat aber nur selten eine Bedeutung, weil diese den Worten gehört: solange sie auf dem Weg zum Satz sind. Wir wollen nun sehen, ob sich die Grenzen der Vernunft sprachlich ausdehnen lassen, ob man sich selbst mit einem Satz in den Griff bekommen kann oder ob man unvorbereitet, aber dazu vorbestimmt, auf undenkbare Zeiten in Poesie aufgehen muss, um wenigstens bei seinem Wort bleiben zu können. * Vielzeitig, S. 152f. et. pass. 200 VII Zum Aphorismus An Hildegard Schultz-Baltensperger, 28. Februar 1989 Nr. 229 Du bist über Deine La Rochefoucauld-Lektüre wenig erbaut, schreibst Du. Über einige Sätze - in der Übersetzung von Fritz Habeck mir mitgeteilt* - will ich mit Dir nachdenken: „Neid ist unversöhnlicher als Hass.“ Dieser Satz wäre aus einer allgemeinen Erfahrung zu lesen, weil er aus der eigenen kaum hervorgehen kann. Im Hass kann ja auch eine Portion Neid sein, und auch sonst scheint Hass, solange er währt, nicht auf Versöhnlichkeit erpicht zu sein. Ich für meinen Teil verstehe diesen Satz erst, wenn ich ihn als Aussage über den Antisemitismus betrachte. Unter diesem Aspekt könnte er stimmen. Der Neid erwacht nämlich auch da, wo sich der Hass noch nicht zeigen konnte. „Es ist schwerer, der Geliebten treu zu sein, wenn sie uns glücklich macht, als wenn sie uns quält.“ Paradox ist er, sofern wir den Masochismus ausschließen, es als reine Erkenntnis auffassen und beim ersten Teil verweilen. Warum soll es schwerer sein, dem treu zu bleiben, der uns glücklich macht? Oder soll es eine falsche Auffassung vom Glück(lichmachen) sein? Dies ist für mich ein Satz, der nur in meiner eigenen Erfahrung aufgeht und klar ist, weil Glück selbstgefällig und beschwingt macht, Zauber verleiht und verlockend wirkt. Das kenne ich, es ist harmlos und ist doch so ernst, dass man darüber die Treue beschwören darf. Das tut er, und sieh: es ist eine wesentliche Erkenntnis. Dagegen ist der darauf folgende Satz: „Die Frauen sind koketter, als sie selber ahnen“ eine beliebig anwendbare und darum entbehrliche Behauptung. Erstens sind es die Frauen nicht allemal; zweitens will LR damit doch wissen , was die Frauen selber nicht ahnen . Das wäre ein niedriger Hochmut, eine billige Beteuerung. „Je mehr man liebt, desto eher verzeiht man.“ Lohnt sich das? Es ist noch nicht einmal albern. Wir kehren, wenn Du magst, zu diesem hochgerühmten Aphoristiker später zurück, bei dem ich - wie ich neulich entdeckte - unwissentlich eine Anleihe machte! „Was uns vorausgeht, geht uns auch nach.“ * La Rochefoucauld: Spiegel des Herzens. Übersetzt von Fritz Habeck. Hg. von Wolfgang Kraus. Stuttgart: Prachner 1951 Von Harald Weinrich, 30. Juni 1992 Nr. 230 Mein vagabundierendes Leben verschafft mir heute einen Tag Muße in Paris. Ich hatte gestern am College de France eine Reihe von Besprechungen, die schon meine dortige Ansiedlung betrafen, wie sie für den Winter vorgesehen ist. Vor- VII Zum Aphorismus 201 her aber muss ich noch in München meine Abschiedsvorlesung halten, deren Titel schon feststeht: „Chamissos Gedächtnis“. Daher habe ich mich auch sehr gefreut, von Dir in neuer Gestalt Deine Gedanken zum Gedächtnis und zur Erinnerung zu lesen. Es sind gute und wahre Aphorismen, die auch, wie Du zu Recht schreibst, die innere Affinität zwischen Erinnerung und Aphorismus bezeugen. Es ehrt mich, wenn Du mir „In Erinnerung gedacht“ widmen willst.* Bei allen Aphorismen, die Du unter diesem Titel gruppiert hast, empfinde ich lebhafte und freudige Zustimmung. * In Erinnerung gedacht. Für Harald Weinrich. In: Brüderlichkeit, S. 31-38 An Harald Weinrich, 13. Oktober 1992 Nr. 231 Ich freue mich, dass Dir meine Bändchen* gefallen und Du meinen Versuch, das Fassungsvermögen des Aphorismus zu erweitern, ohne seine Grenzen zu missachten, beherzigst. Auf gleicher Ebene, mit großem Erfolg, bewegt sich Deine Kunst des Briefschreibens. Da gibt es immer ein Meisterliches und ein Bewältigtes. Und beides auf eine Seite gebracht. * Taumeltau, Paradiesseits An Harald Fricke, 3. Oktober 2002 Nr. 232 Noch bleibt die Gattung „klein” und nicht des Aufhebens wert. Doch eben darum dürfen wir jetzt nicht ablassen: Ist das Interesse auch minimal, einen günstigeren Augenblick erleben wir nicht bald. Was wir für den Aphorismus jetzt nicht erreichen, ist verloren. Also noch eine gelinde Weile dabei bleiben und - die staubigen oder gepanzerten Türen abklopfen. An Friedemann Spicker, 1. April 2004 Nr. 233 Das Geheimnis des „Buches“ ist groß und liegt tief, aber es ist auch leicht zu sagen, was es ausmacht: die Stimme, der Rhythmus, die Atmosphäre; oder: Satzbau und Wortmilieu. Nicht die Gedanken machen das Buch, geschweige denn die Meinungen oder der Witz. „Worthaltung“ war mein erster gescheiterter Versuch, „Eingeholt“ war schon die echte Regung des Misserfolgs, auffallend, aber nicht erheblich. Wer entlarven will, muss gestehen können. Aphoristik in der höchsten Region hängt ganz vom Ich ab und kann nicht umhin, „ich“ zu sagen; sie sagt „ich“, auch wenn sie „man“ sagt, aber sie sagt nicht „er“, weil das ihre Selbstvernichtung wäre. Ein Aphoristiker, der weder 202 VII Zum Aphorismus von sich noch gegen sich spricht, taugt nicht. Es ist darum nicht nur falsch und geschmacklos, Er-Aphoristik zu schreiben, es offenbart auch die Minderwertigkeit des Feigen, der über alle Masken, Maskierten und Maskeraden herfällt, im Glauben, man könne entlarven, ohne sich selbst die geringste Blöße zu geben. An Friedemann Spicker, 1. April 2004 Nr. 234 Das Problem - mein Problem - des „Buches“ ist damit* für mich - auf letzter, mir erreichbarer Stufe - gelöst. Nicht, dass ich keinen weiteren Versuch unternehmen könnte, aber das Buch gemahnt mich zu stark an meinen Ursprung, so dass es selbst das Müssen freisetzt - unbekümmert hinfort Gedichte zu schreiben. Das ist, was das Buch mir sagt, die Situation seines Erscheinens spricht allerdings für Prosa, für „Lebenserinnerungen“. Im Herbst kommt noch ein Nachfahrer, der letzte Versuch eines „Büchleins“**, diesmal aus dem Geist der Prosa, gleichsam eine entwicklungsgeschichtliche Zusammenfassung, die für Sie von besonderem Interesse sein wird. In der Jugend beschäftigte mich die Poetik des Aphorismus, nach und nach und immer stärker die Poetik des Buches, die mich vom „Makel des Aphorismus“ befreien sollte. Ich wollte ja nie Aphorismen geschrieben haben, auch wenn ich unleugbar Urheber von vielen geworden bin. Ich bin zum Glück erfolglos geblieben, dadurch konnten meine Versuche rein unternommen werden. Für die Poetik des Buches sind alle meine Bücher von „Treffpunkt Scheideweg“ an von gleicher Bedeutung. Der Geist des Versuchs ist in allen derselbe, sie aber unterscheiden sich voneinander: nicht auffallend, aber gravierend. Ich breche hier ab, weil es sonst eine Untersuchung würde - oder eine Beichte. * Finden macht das Suchen leichter ** wohl nicht realisiert An Friedemann Spicker, 1. April 2004 Nr. 235 Bei der Lektüre* kam mir ein Titel in den Sinn: Der Aphorismus zwischen Almanach und Abreißkalender. Almanach ist das Gehobene, ich denke z. B. an den Insel-Almanach, in dem immer auch Aphorismen abgedruckt wurden. Schon dadurch, dass Aphorismen Neben- und Abfallprodukte sind, liegen sie weitgehend nur „ungebunden“ vor. Gedankensplitter und Tagesfliegen. Das gehört zur Gattungsbestimmung, gibt ihr einen Sinn für den Tag, einen Tagessinn, auch wenn sie mit dem sofortigen - einsätzigen - Ewigkeitsanspruch auftritt. Der Tag lässt sich nicht überfliegen, daher auch die EinSatz-Bereitschaft. Tag für Tag. VII Zum Aphorismus 203 Ihre Beschäftigung mit dem Aphorismus deckt sich übrigens mit der Entstehungszeit meiner deutschen Aphoristik. Der Anfang liegt weiter zurück, begonnen hat es wahrlich 1973 mit „Einsprüche“ und wirklich 1975 mit „Einsätze“. Was mich verwundert: Jeder Aphoristiker schreibt über den Aphorismus und jeder glaubt zu wissen, was der Aphorismus ist, ich habe aber kaum einen gefunden, der darüber nachdachte, was ein Aphorismus noch alles sein könnte. * Friedemann Spicker: Der deutsche Aphorismus im 20. Jahrhundert. 2004 An Ingeborg Kaiser, 5. Oktober 2004 Nr. 236 Was die erste Zeile betrifft: * Sie ist von großer Bedeutung - oder auch nur von Symbolwert. Das kann man nicht in jedem Fall entscheiden, so ausgemacht es zu sein scheint. Mit der ersten Zeile, denkt man, kommt das Gedicht ins Rollen. Es kommen aber nicht alle Gedichte ins Rollen, und manche werden vom Ende her aufgerollt. Die erste Zeile steht immer da, nicht immer fest; oft ist es nicht die erste, dastehende Zeile, die im Anfang war. Eine Theorie der ersten Zeile wäre wie jede Schöpfungstheorie, die sich in den Anfang beißt. In manchen Fällen hilft das I Ging, in Ihrem Fall kann es ein Buch von mir leisten, wenn Sie es daraufhin lesen. Sie müssen nicht auf Kriechspur bleiben, die Zeit aber auch nicht in der Kleinstform fristen, wo Sie mit Ihrer „Róża“** die Weite gesucht und gefunden haben. Was im Kleinen glückt, und wär’s Clip-klappend, steigert die Ansehnlichkeit nicht. Das ist zu bedauern, nicht zu verändern. Was die Rede immer noch schafft, muss das Wort immer wieder erleiden. Das „Erleiden“ ist „man“ satt. Das Wort gilt nicht mehr. * „Es gibt ein altes Sprichwort ‚Frisch begonnen, halb gewonnen‘, aber es taugt nichts. Man sollte lieber sagen: ‚Vor der Mitte kein Beginn‘, demnach hätte ich mein Gedicht noch nicht begonnen und kann folglich (a priori) auch nichts drüber sagen. Ich fang gottlob mit Eifer immer wieder dort an, wo ich aufgehört habe, trotz gelegentlicher Depressionen-… .“ John Keats an Benjamin Robert Haydon, London, 10./ 11. Mai 1817 ** Ingeborg Kaiser: Róża und die Wölfe. Roman. Basel: Janus 2002 An Friedemann Spicker, 28. November 2004 Nr. 237 Auffallend - und für mich schon immer verwunderlich - wie wenig Gebrauch auch Sie vom theoretischen Gehalt der Aphoristiker selbst machen. Sie führen zwar immer die Aphorismen eines Aphoristikers zum Aphorismus an, diese aber stehen mehr als Credo denn als Beleg da, im Sinne einer fortlaufenden Anthologie von Aphorismen über den Aphorismus, ohne theoretischen Gewinn. Die Schlüssel werden alle in anderen Fachbereichen geschmiedet. Aphorismen 204 VII Zum Aphorismus sind nicht nur sprach- und gesellschaftskritisch oder erbaulich, vergiftete Pfeile oder Worte, die zu Herzen gehen. Die Haltung gehört durchaus als Kriterium zur Gattung und zeigt sich besonders in der Handhabung des „Ichmandu“.* Es ist für mich von Bedeutung, umso mehr, als ichs bei Kohelet beobachtet habe und in meine Praxis umsetzte. Es war mir immer bewusst, dass ich nur mit Scherben zu tun habe, aber auch mit dem „ganzen Menschen“, den ich nicht nur aufklären darf und mit Worten schlagen soll. „Ich bin geistreich und insofern der Bessere“, denkt der Wortspielwiesler**, aber er lebt nur auf Kosten des Sprachaugenblicks, und seine menschliche Dürftigkeit kommt nur geistreich hervor. Diese Aphoristik entsteht weitgehend über einem Du hinweg. Das muss nicht gegen diese Aphoristiker ausgespielt, doch aber gesagt werden. Weil das eben zur Schwierigkeit der Gattung gehört. Die scheinbar geistreichste Sparte ist die menschlich am wenigsten nuancierte. Das wahre Problem der Aphoristik ist ihre Gesichtslosigkeit, und das meint auch die Bereitschaft eines Aphoristikers, das sich einprägende Gesicht gegen den schlagenden Beweis auszutauschen. Das macht die Missverständlichkeit der Gattung grundsätzlich. * Ichmandu. Eine Lesung. 2000 ** Vgl. Anm. zu Brief Nr. 109 An Friedemann Spicker, 1. Dezember 2004 Nr. 238 Die Wortspielwiesler* können ohne Feinde, ohne laufendes Erfinden eines Gegners kaum bestehen. Sie werfen um sich mit gespitzten Steinchen, nehmen nie einen Grundstein in die Hand und suchen nirgends einen Grund zu legen. Wo es Glasfenster gibt oder sonst Glänzendes, müssen sie brillieren und das Glänzende einwerfen. Ich darf das sagen, weil ich das kenne und in jedem Buch beweise - ob als Wortspiel geglückt oder missraten -, dass auch ich es kann. Aber ich baue nicht darauf, es fügt sich oder nicht, es ist kaum je als Baustein gedacht, ist vielmehr bewusst von mir als Fleck hingepinselt oder besser beim Ausmalen der Wand stehengelassen. Ich kann Ihnen auch den Grund verraten: Das gehört zu jedem jüdischen Haus, seit der Zerstörung des Tempels. Ein kleines Stück - an der Ostwand - bleibt ungetüncht zur Erinnerung an den zerstörten Tempel. Es darf kein vollkommenes Haus geben. Das ist der wahre Grund, aber ich verstehe es auch als zum Auftrag gehörend und im Sinne Kohelets: Lass das Vollkommene, sei nicht zu sehr gerecht, lass Deine Worte wenig sein, versprich nicht zu viel, auch der Gerechte ist nicht einwandfrei, überhebe Dich nicht, Du bist nicht der Bessere, behalte Deine Weisheit für Dich. Du musst stark sein, sonst verdienst Du nicht die Gunst der Sprache, aber Du musst Deine Schwä- VII Zum Aphorismus 205 chen einsehen und eingestehen und musst auch aus deiner Schwäche heraus sprechen können. Ich gehöre nicht zu den Wortspielwieslern, aber es war mir einst interessant zu zeigen, dass ich es sein könnte, sonst erführe ich nie Respekt aus dieser Ecke. Das werden Sie auf Ihrem Aphorismenkongress** demnächst ja leibhaftig erfahren. Ich halte es für ausgeschlossen, dass die Wortspielwiesler mich im Ernst zu den Aphoristikern rechneten, falls sie mich überhaupt zur Kenntnis nehmen. Das ist eine sprachautistische Gattung, die alles abgrast und dabei meint, das Feld gänzlich zu beherrschen. Aber auch eine fromme, treue, alles abgrasende Kuh hat nur die ihr zugewiesene Wiese und beherrscht-kein Feld. Es gibt kein Feld als das beackerte. * Vgl. Anm. zu Brief Nr. 109 ** 1. Aphoristikertreffen Hattingen 2004: Petra Kamburg, Jürgen Wilbert (Hgg.): Gedankenflug. Aphorismen und Illustrationen. Dokumentation und Beiträge zum 1. bundesweiten Aphoristikertreffen vom 4.-6.11.2004 in Hattingen an der Ruhr. Essen: Klartext 2005 An Friedemann Spicker, 9. Dezember 2004 Nr. 239 Aphoristik greift an und weicht zurück, sie ist eine Gattung nicht unter anderen, sondern zwischen anderen, sie eignet sich von allen etwas an; im „Er-Aphorismus“ - gegen den ich manches zu sagen habe - sogar „Epik“. „Er“ ist eine übermütige Form von Feigheit, die Mut suggeriert. Im epischen Kern ist das „Er“ gerettet, es ist die bessere, allerdings auch sich anbietende, also leichtere Möglichkeit, den Aphorismus zur Einsatzgeschichte zu machen. Von diesem Kern abgesehen, ist „Er“ nur die nicht-vornehme Art, von sich selbst zu sprechen. Die vielen Variationen sind nur Variationen über diese Feigheit. Mit dem Aphorismus ist kein Widerstand zu leisten, obschon ein Satz zum Widerstand genügte. Man kann in die Misere kaum mehr als einen Satz mitnehmen, und aus ihr mag ein „ZuSpruch“ helfen. Parolen sind aber nicht Aphorismen. (Haben wirs bereits festgestellt? ) Würde ein Aphorismus zum Widerstand ausreichen (oder sagen wir: beitragen), die Nazizeit müsste den Beweis erbracht haben. Zu oft ist der Aphorismus aber eine Wahrheit ohne Bewährung. Das ist auch ein Argument gegen Sie, auch gegen den Aphorismus als Gattung. In jeder anderen Gattung gibt es die Möglichkeit, wirklich Farbe zu bekennen, weil in jeder die Möglichkeit enthalten ist, ein Bild vom Menschen zu geben, nach Maß und Wert hervorzurufen. In diesem Zusammenhang wird der Aphorismus eben zur Parole. Es ist Farbe, ohne Bekenntnis. Auf der Sprachspielwiese - zumal in der Nachfolge von Lec* - tummeln sich eben die vielen billigen, lügenstrafenden Sprüche, die strafredlichen, s chlagenden Beweise . Ist das Mut? Nein, nur 206 VII Zum Aphorismus Übermut. Wo zeigt sich der Mut des Aphorismus, in einem Aphorismus? Wo es aufhört, Parole zu sein und Bekenntnis wird. Wie stehen aber Aphorismus und Bekenntnis zueinander? In jeder anderen Gattung entwickelt sich das Bekenntnis durch alle Farben, bis am Ende die eine zum Vorschein kommt. Wo sind aber die Farben für den Aphorismus zu holen? Allein für „Rot und Schwarz“ muss ein ganzer Roman herhalten.** Mit dem Witz hat der Aphorismus eines gemein: die Neigung zum Anonymen. Das erklärt die Schwierigkeit eines „Farbenbekenntnisses“, vielleicht auch die Unmöglichkeit des Widerstandes. Es sind immer große Worte, aber kleingesagt. Die Problematik des deutschen Aphorismus lässt sich an drei großen Namen zeigen, an Lichtenberg, der nicht im Sinne hat, die Gattung als solche zu pflegen (auch nicht einmal zu benennen); an Schopenhauer, der sein einflussreichstes Buch, das keine Aphorismen enthält, Aphorismen nennt; Nietzsche, der den Aphorismus zum Grundsatz seines Lebenswerks macht. Die Aphoristik in der Nachfolge Nietzsches ist sämtlich von dieser Werk-Allüre geprägt (sie grassierte, währte aber nur wenige Jahrzehnte). * Zu Lec vgl. Olivenbäume, S. 75 et pass. ** Stendhal (1783-1842): Rot und Schwarz. 1830 An Friedemann Spicker, 14. Dezember 2004 Nr. 240 Wenn ich über einen Dichter sprechen soll, dann muss ich mir ein Bild von ihm machen, um es anderen vor Augen führen zu können. Shakespeare muss dann Shakespeare und Goethe Goethe sein, es ginge auch nicht anders, denn jeder ist doch Verfasser eigener Werke, auf die ich auch eingehen müsste. Aphoristiker sind aber keine Verfasser von Werken, schon dies allein macht sie gesichtslos, man kann sie immer nur im Ansatz und im Einsatz anführen und auslegen, weil man sonst nichts vornoch beizutragen hätte. Und weil sie (weitgehend) eine gesichtslose Gattung ist, ist sie auch die einzige, die es jedem Aphoristiker ermöglicht, über einen anderen Aphoristiker zu sprechen und sich selbst dabei grundsätzlich und durchgehend zu meinen. Er wird Lichtenberg oder Kraus mit großen Worten verehren, mit jedem aber sich selbst meinen. Er spricht nicht von ihnen, nicht von der Gattung, sondern immer in eigener Sache, weil ihm „alles eins“ ist. Seine Aphorismen über den Aphorismus meinen im gleichen Sinne seine eigenen, er reflektiert immer nur sich, nicht die Gattung. Das gehört eben zur Gattungsreflexion, es bedarf aber der gerechten Ergänzung, und nicht, weil es einseitig gesehen ist. Nicht weil sie so klein und unscheinbar ist, ist Aphoristik als Gattung unansehnlich, sondern weil sie ohne Selbstbewusstsein mit hohem Anspruch kommt. Die anmaßende Kürze macht den Anspruch VII Zum Aphorismus 207 aus/ laut, das mangelnde Selbstbewusstsein indes hängt damit zusammen, dass es wohl eine Gattung ist, aber doch nur ein Nebenzweig. Keiner der großen Aphoristiker war es beruflich oder im Hauptfach. Es gibt den Aphoristiker eben nicht, wie es den Romancier gibt. Und jeder Romancier wird still vor sich oder lautstark sagen, er stecke jeden sogenannten Aphoristiker zu jeder Stunde in die kleinste Westentasche, da er auf jeder Seite seiner Romane Lebensweisheiten ausbreitet und zusammenfasst, die im Ausschnitt sehr gut eine zweite Karriere als Aphorismen beginnen könnten. Er wird behaupten, Aphorismen seien eben nicht „Ringe“*, nicht „Glieder“, sondern Ausschnittsätze, die unter jeder Bezeichnung gut ihr Leben fristen könnten, isoliert, als Torsi usw. Das bestätigt ja auch jeder Zitatenschatz, in dem - das sollten Sie einmal untersuchen - der Anteil der ausgerufenen Aphoristiker immer - durch die Bank - der geringste ist. * Marie von Ebner-Eschenbach: „Ein Aphorismus ist der letzte Ring einer langen Gedankenkette.“ In: M. v. E.-E.: Das Gemeindekind. Novellen. Aphorismen. Hg. von Johannes Klein. München: Winkler 1956, S. 865 An Friedemann Spicker, 17. Dezember 2004 Nr. 241 Ihre Gattungsgeschichte wird immer mehr zur Geschichte meiner Jugend. Nun sehe ich mich seit zwei Wochen mit Dingen beschäftigt, die mir längst erledigt schienen und mit denen ich mich auch nicht befassen wollte. Und nun habe ich es doch fertig gebracht, die „Einsprüche“ zu überarbeiten und jedenfalls auf einen höheren Stand zu bringen. Doch jeder Schritt löst wiederum eine Gedankenflut aus, gegen die ich keinen Damm mehr errichten kann. Hätte ich einen Verleger, es könnte wiederum ein Buch werden. Denken Sie aber nicht, dass ich nun vorhabe, Sie zu überschwemmen. Sie sind dammfest, aber ich muss immer weiter, weil Ihr Buch der Anlass dafür ist, dass ich mit Ihnen sprechen und Dinge, die auch Ihre sind, mit Ihnen besprechen will. Sie hatten gewiss auch nie die Gelegenheit, einen Aphoristiker von seinem Werk und zu seiner Lage sprechen zu hören. Das wäre einigermaßen auch gattungswidrig. Die reine Autobiographie ist eine vollkommen ausgedachte. Was ich Ihnen erzähle, wird Ihnen sonst niemand erzählen können. Die Großen sind tot, die anderen haben nichts zu erzählen. Es ist in dieser Hinsicht, und das werden Sie schwerlich erfahren haben, eine unglückliche Gattung, und auf Deutsch eine besonders unglückliche, närrische Gattung. Wie komme ich, fragen Sie sich, dazu, mir dieses Urteil anzumaßen? Weil ich der einzige bin, der sich - seit je - so oft und so lang Gedanken über die Gattung „Aphorismen“ machte. Das mag an meiner Situation mehr als an meiner Fähigkeit liegen, das kann Ihnen aber auch gleichgültig sein. Wie Aphorismen entstehen, wie Aphoristiker ihre Aphorismenbän- 208 VII Zum Aphorismus de vornehmen und beschließen, das werden Sie kaum erfahren, ist auch nur in Sonderfällen zu erfahren. Sie können nur Unterschiede von Buch zu Buch feststellen oder erschließen. In manchen Fällen wäre ein Quellenstudium möglich. Wie wenig dafür spricht, wie viel dagegen, können Sie schon allein aus Frickes Edition von Goethes Maximen und Reflexionen* ersehen. Bei mir ist noch alles ziemlich offenbar, ich mache auch darum die große Ausnahme. Ich kann darüber auch - wenn auch nicht gern - sprechen, ich nehme die Sache ernst, sie ist mein Lebenswerk, und das ist die noch größere Ausnahme. An diesem Punkt übrigens schieden sich die Geister, sah ich mich genötigt, von Werner Kraft Abschied zu nehmen.** Er hatte ein großes Verständnis für meine Aphorismen, auch für meine Aphoristik, nicht aber für mein „aphoristisches Dasein“. In diesem Punkt war sein Verständnis, meinem Verständnis nach, literatenhaft. Wer sich einer einzigen Gattung verschreibt, der ist unzulänglich und letztlich verwerflich. Das war sein Standpunkt, gewonnen aus ernsthafter Beschäftigung auch mit anderen Aphoristikern. Alle, die sein Interesse gewonnen haben, schrieben noch andere Werke, Werke anderer Art, von Seume bis Kraus. Das war in meinen Augen ein großes Missverständnis, worüber ich mit ihm aber nicht sprechen mochte, denn es könnte bedeuten, dass er sich in seiner Vielfalt - die mir als solche nicht einleuchtete - vielleicht getäuscht hat. Dass ich mich täuschte, nahm ich gern hin: nicht in Demut, sondern überzeugt davon, dass ich nicht zu machen habe, was andere nachweislich besser machen können. Ich nahm die Aufgabe ernster als das Talent. Ich wollte mich nicht auszeichnen, ich wollte maßgeblich sein. Und es geht in keiner anderen Gattung als im Aphorismus um Maß und Maßgeblichkeit. Das ist die nicht hin und her wandernde Seele der Aphoristik. Denn vor allem hat alles seine Maßlosigkeit, die das Ermessen hervorbringt, im Maß aber unsicher bleibt. Ich hatte und habe das sichere Maß, weil ich dafür mein Leben einsetzte. Dass ich es konnte, lag an meiner eigenartigen Situation, die leider keiner begreift und wenige nur begriffen haben. Canetti ist nicht zu überspringen, seine Biographie (Vatertod / Mutter / Wien / Kraus) und sein Exil machen ihn (und unsere Vergleichbarkeit) aus. Sähen wir von „Nietzsche“ (eine Gattung für sich innerhalb der Philosophiegeschichte), Fackelkraus und Tagebuchhebbel ab, bleiben für das Verständnis der Gattung Lichtenberg*** und Benyoëtz, Göttingen und Jerusalem. Das sind beide - schon als solche nicht konkurrierende - Pole der deutschen Aphoristik. Freilich wollte Lichtenberg gern einen Roman schreiben, was hätte es aber gebracht? Laurence Sterne hat es schon bestens getan und den Lichtenberg hat es auch schon gegeben. Dass andere ihn gern nachahmten, ist kein Grund, sich zu vervielfachen. Mit einem Roman hätte es nur noch einen zweiten Lichtenberg - so gut oder schwächer als den ersten - gegeben. Es ginge aber doch nur darum, ein Lichtenberg zu sein. Aphoristik ist eine Gattung, über die man schreiben, VII Zum Aphorismus 209 aber nicht sprechen kann. Nun versuche ich aber, mit Ihnen auch darüber zu sprechen. Eben habe ich die Überarbeitung der „Einsprüche“ beendet****. Die Probleme habe ich Ihnen schon angedeutet, es kamen mehrere hinzu. Das wichtigste und interessanteste ist das des Zeitabstandes, der Korrekturen und Fehlurteile mit sich bringt. Ich bin in der „Aphoristik“ nun reifer und alt geworden, ich habe dadurch den reiferen Blick auf die Sache gewonnen, vielleicht aber auch den jugendlichen verloren? Möglich, dass ich die älteren meines jetzigen Blickes gewinne, verliere ich aber nicht jene, die den jugendlichen Blick hatten oder sich bewahren konnten? Das zeigte sich vielleicht doch nur in der raffiniertesten Formulierung, die sich selbst weniger Blößen gibt? Darüber lohnte sich nachzudenken, es wird vieles fruchten, sicher aber nicht die Wahrheit der Jugend. Ich werde bald siebzig, ich war sechsunddreißig, als „Einsprüche“ erschien, die meisten Aphorismen habe ich zwischen 25-35 geschrieben. Beim ersten Aufschlagen des Buches - das ist übrigens ein Gefühl, das jedes Buch ohne Ausnahme begleitet, dachte ich, das muss ja gründlich umgeschrieben werden, das kann so nicht bleiben. Dann kamen alle Argumente gegen dieses Gefühl und schließlich die Frage, was mich beim Alten halten könnte, um eine gravierende Fälschung zu verhindern. Was nicht entscheidend war, aber den Ausschlag gab, das waren die Stellungnahmen, die sich im Laufe der - früheren - Jahre um fast jeden Aphorismus versammelten. Die Stellungnahmen stehen bei jedem Aphorismus, und sie besagen, dass wenigstens einem der Aphorismus zu- oder nichts sagte. Freilich blieben einige auch ohne Stellungnahme, aber es waren die wenigsten, das Für und Wider überwiegt. * Siehe Anmerkung zu Brief Nr. 106 ** Vgl. Brief Nr. 42, 43 *** Zu Lichtenberg vgl. Olivenbäume, S. 76 et pass. **** Vgl. Das Mehr gespalten. 2007 An Friedemann Spicker, 21. Dezember 2004 Nr. 242 In einer finsteren Gedankenecke, die grobschlächtig im Dunkeln Fäden zieht, ist die Sprache eine brutale Mitläuferin. Dichter, die das kennen, stellen sich unwissend an. Die Grammatik folgt der Ordnung, keiner Chaos-Theorie, sie ist gegen Ausnahme und Sonderfall, im Grunde nachträglich, im Letzten nachtragend. Sie ist die Inquisition aller zur Sprache Kommenden. Kürze (im Aphoristischen wie im Lyrischen) ist direkt mit diesem Fragekomplex verbunden, daher die Übertreibung. Aber das wäre ein Punkt, dem auch Sie einmal - im Rahmen Ihrer Arbeit - nachgehen könnten. Dazu gehörte auch - und nicht im Abseits - die Frage, warum Heidegger auf die Gattung Einfluss nehmen konnte und Husserl 210 VII Zum Aphorismus nicht. Die Gattung hängt nicht nur ursächlich „hippokratisch“ mit Altphilologie zusammen, sie ist eine Gattung „zwischen Altphilologie und Mathematik“ (daher der Genauigkeits-Fimmel). Diese Herkunft ist bei Nietzsche, aber auch bei seinem Nachfolger, der in der Mathematik zu Ruhm kommen sollte - Paul Mongré - nachweislich. Es tut mir leid, dass Sie ihn - Paul Mongré - nicht behandelt haben*, aber ich würde eher noch anderes, an sich - und zumal im deutschen Kontext - Gravierendes monieren: Hermann Diels’ Vorsokratiker und dessen Einfluss auf die Gattung.** Eine sekundäre, aber mich brennend interessierende Frage wäre noch: Welche Verlage gern Aphorismen verlegten und wie standen sie zur „Altphilologie“? Das war eine durch Humanismus und Reformation vorgeprägte Frage. Sie spielt auch bei Lichtenberg eine Rolle, auch bei seiner Vorstellung von „Salomo“***, der wenigstens in der Fantasie seiner Zeit immer noch „maßgeblich“ war. Nur Mathematikern und Theologen „geht’s ums Leben“, und es muss darum „genau“ sein, weil sie sonst Klarheit und Richtung verlieren. Die Neigung des Mathematikers und Physikers zum Aphorismus. Es gibt noch eine ganze Reihe von brennenden Fragen, die jetzt, dank Ihnen, geklärt werden können. Das nächstdringende wäre eine aphoristische Stilkunde, die es nie gegeben hat, ob es sie nun geben kann? * Siehe Anmerkung zu Brief Nr. 128 ** Hermann Diels: Fragmente der Vorsokratiker Hamburg: Rowohlt 1957 *** „Das Huren-Lied Salomonis.“ Lichtenberg, Sudelbücher J 110; „Die beiden Hohenlieder-Dichter Salomon und Bürger haben in puncto puncti nie sonderlich viel getaugt.“ ( J 660); „ […] Im Salomo stehen eine Menge vortrefflicher Lehren, die wohl nicht von ihm sind - Eingebungen; vielleicht Hefte, die ihm seine Lehrmeister diktiert haben. Eben dieser Verstand der Alten, die Gabe, die sie haben, einem Beobachter seiner selbst ins Herz zu reden, ist es, was mir die Lesung der Bibel so angenehm macht. […]“ (G 108) Von Friedemann Spicker, 22. Dezember 2004 Nr. 243 Ihre Bemerkungen (Altphilologie und Mathematik, Mongré, Heidegger, Vorsokratiker - stehen natürlich in meiner Handbibliothek - , Frenzel*, Braun-Prager**, Morgenstern, aphoristische Stilkunde): eine einzigartige Quelle. Da werden Spätere noch schöne Arbeit haben. Sonderbar: Sie sprechen von Lichtenbergs Vorstellung von „Salomo“, und ich bin gleichzeitig bei Lavaters Anthologie „Salomo, oder Lehren der Weisheit“ (1785). * Herbert A. Frenzel: Wenn der Groschen fällt. Aphorismen für den Hausgebrauch. 21.- 30. Tsd. Weimar: Duncker 1942 ** Käthe Braun-Prager: Ahnung und Einblick. Wien: Lanyi 1937 VII Zum Aphorismus 211 An Friedemann Spicker, 27. Oktober 2005 Nr. 244 Ich denke, es geht bei mir zu Ende, es wäre gut, wenn die* sich um mein Werk kümmerten, ob selbstständig oder durch Sie. Scheuen Sie sich auch nicht, meine Briefe an Sie zu verwenden, die Erlaubnis habe ich Ihnen ja erteilt, und das Persönliche ist in diesem Fall wichtig, weil gerade der Aphorismus selten Gelegenheit bekommt, sich „persönlich auszudrücken“, man weiß ja, wie subjektiv er ist. Im Ganzen geht es - geht es mir - darum, den Aphorismus nicht zu „legitimieren“, sondern ihm den „absoluten, atomaren, nanoistischen Vorrang“ zu sichern. Das meint - die einst vorgelieferte, nun nachlieferbare Wortethik. Man muss nicht überwunden werden, um überlebt zu sein. Der Aphorismus, der bei Kraus ausharren zu können glaubt, hat von Canetti nicht gehört, und wer Canetti für den Gipfel hält, ist über die Alpen hinaus nicht gestiegen. Die Alpen bleiben nicht in der Schweiz. * René Dausner, Christoph Grubitz An Friedemann Spicker, 29. April 2010 Nr. 245 Eine Stelle in Ihrem Brief, die mich vielleicht freuen sollte, verfehlte ihre Wirkung: „Die- öffentlichen (Nicht-)Reaktionen auf den Briefband enttäuschen mich stark, aber ich hoffe immer noch auf den Zeitfaktor.“ Ich musste darüber nachdenken, nicht zum ersten Mal. Nicht laut, sonst klänge es als Beschwerde. Aber Sie fordern mich heraus, wie einst Burkhard Tewes*, und ich muss Ihnen antworten. Sie wissen am besten - andere wissen es gut genug -, wie es um den Aphorismus bestellt ist. Sein Tod war schon bekannt gegeben, seine Auferstehung könnte bevorstehen, die neue Kommunikationstechnik schreibt vor, dass man sich kurz fasse. Kürze, Knappheit sind wieder Thema. Über die mögliche Auferstehung der Aphoristik hat niemand so oft, so gründlich und so gut nachgedacht wie ich. Diesem Thema haben Sie Ihr Lebenswerk gewidmet. Nichts könnte Sie brennender angehen als dies. Und doch überlassen Sie die Sache den „Redaktionen“ und hoffen „auf den Zeitfaktor“. Wie erklären Sie sich das? Natürlich wissen Sie, wie schwer es ist, einen Aufsatz, auch nur eine Rezension unterzubringen, oft genug wurden Sie zurückgewiesen. Wenn aber der führende Aphorismusforscher sich nicht in der Lage weiß, laut zu sagen: „Hier! Das ist, worauf wir so lange gewartet haben! “ Was wollen Sie von einem Redakteur, der von anderen, ihm tausendmal wichtigeren Literatursachen überschwemmt wird? Wie soll er überhaupt wissen, dass es mich gibt, denn wo und in welchem Kontext gibt es mich denn überhaupt? 212 VII Zum Aphorismus Gewiss, es gibt geistvolle Menschen, die mein Werk kennen und zu schätzen wissen, und was ich hier sage, gilt auch für sie, nur anders, weil sie keine Aphorismusherolde sind. Nun, Sie haben für mein Werk nicht wenig getan, auch habe ich Ihnen dafür nicht wenig gedankt, und dabei bleibt es. Nicht darum geht es hier, sondern einzig um die Haltung, um das kleine Nachgeben bei Dingen, die man doch hochhält. Wenn Sie auf mein Buch gespannt sind wie kein anderer, wenn Sie meinen Briefband** schätzen, weil es ein Beitrag zur Aphoristik ist, müsste es nicht seine Folgen haben? Warum erwarten Sie von anderen, was nur Sie zu bieten haben? Schade um den schönen Briefband, aber müssen Sie mich denn bedauern? * Geburtsname von Burkhard Talebitari, siehe Verzeichnis der Briefpartner(innen) ** Vielzeitig. 2009 An Werner Helmich, 23. Februar 2011 Nr. 246 Was mich gestern als Sonderdruck* erreichte, ist ein Werk für sich, das erste, das ich von Ihnen (und noch mit Widmung) erhalten habe - das große und größere kenne ich von Christoph Grubitz, der es mir in Berlin zum Lesen gab, was ich mit Hingabe, aber auch hingerissen getan habe. Nun wieder eine dreifache Poetologie. Zur Person, zum Aphorismus, zum Tagebuch - alles deckend, was mich „leibeigentlich“ betrifft. Es ist nicht recht, dass Sie für Franzosen denken, was für Deutsche maßgeblich sein sollte. Natürlich, wer mit Aphoristik zu tun haben will, soll Französisch können: unabdingbar. Das würde ich schwören und unterschreiben. Und doch kenne ich alles Französische entweder auf Hebräisch (Montaigne) oder auf Deutsch (alles - mit reichhaltigem Quellennachweis - und Entdeckungen dazu, die in meinen Anmerkungen zu finden sind). Ich bin ein raffinierter Autor, aber ein primitiver Leser. Ich vermag von meinem Werdegang um keinen Zentimeter abweichen; vergeblich würden Sie mir die Leviten lesen, Sie könnten die Macht des Primitiven aber auch nicht ableugnen. Mein Werk steht dennoch und trotzdem da, auch von einem Helmich nicht zu ignorieren. Das ist vielleicht überheblich, ich bitte um Nachsicht. * Werner Helmich: De l’atelier à l’oeuvre. La gestation d’une poétique de l’aphorisme dans les Cahiers 1957-1972 de Cioran. In: Romanistische Zs. f. Literaturgeschichte 34, 2010, S. 327-373 VII Zum Aphorismus 213 An Werner Helmich, 29. November 2011 Nr. 247 Ich baue auf Sand und bleibe unver“sehr“t. Superlative gehen nicht auf mich zurück, bleiben aber ein nichtabweisbares Thema, da nicht nur die Götter, sondern auch der einzige Gott ohne sie nicht auskommt. Man hat für sich selbst keine haltbare Sprache, man muss eine suchen und sich für die gefundene entscheiden. Diese ist einmal eine nüchterne, einmal eine erschütternde. Superlative sind Vor-Schriften. Dem Schöpfer sind nicht alle Tage seiner Schöpfung gleich, einer ist dann sehr gut. Und es gibt den siebenten, den außerordentlichen, der Vergleichbarkeit enthobenen Tag. In ihm geschieht nichts, er ist die Vollendung des Vollbrachten. Er steht am Ende und steht für die künftige Welt: „Ein Tag, der ganz und rundherum Schabbat ist.“ Sind alle gut, gleichgütig, sind alle gleichgültig. Man kann zwar immer nur der bessere sein, „die Sprache“ aber will, daß es auch den Besten gäbe. Der Beste ist der Schlecht hinige. Es entspricht der Erwartung eines Künstlers, wenn ihm eine Einzigkeit, Einmaligkeit oder Unvergleichlichkeit bescheinigt wird. Solange er „Schöpfer“ ist, bleibt er an diese Vorstellung gebunden. Der Narr bleibt närrisch, auch wenn er Emanuel Quint* heißt. * Gerhart Hauptmann: Der Narr in Christo Emanuel Quint. Berlin: S. Fischer 1910 VIII „Ich habe nicht mehr Leben als in meinem Werk.“ - Zu einzelnen Publikationen „Sahadutha“. 1969 An Edith Silbermann, 10. August 1991 Nr. 248 Meine ersten nennenswerten Aphorismen sind in der Zeitschrift „Prozdor“ [=-Vorhalle]* erschienen. Martin Buber und Hugo Bergmann gehörten der Redaktion an; dass meine Aphorismen da aber erscheinen konnten, hatte ich vor allem Paul Engelmann zu verdanken. Populär ist diese Form bei uns nie gewesen, sie wird es auch nie wieder sein. Von allen klassischen Traditionen, die übertrieben prophetische eingerechnet, erwies sich gerade die Spruchweisheit als unerwecklich. Es gibt für meine Kunst nichts Vergleichbares, man greift instinktiv 2000 Jahre zurück. Das ist fatal. Würden meine Aphorismen in den 60er Jahren nicht um den Glauben kreisen, sie würden schwerlich erschienen sein. In jener Zeit saß ich schon in Berlin. Engelmann übersetzte meine Aphorismen ins Deutsche, zum Teil gingen sie in mein erstes deutsches Buch ein („Sahadutha“, 1969). * Siehe Variationen über ein verlorenes Thema, S. 9f.; Aberwenndig, S. 54f. An Katharina Prager, 28. Mai 2013 Nr. 249 Kraus heißt zwar Ihr Vorhaben, und Neues werden Sie befördern, nun sind Sie aber mit zwei anständigen, tapferen, hilfreichen, hoch gebildeten Menschen in Berührung gekommen, die zusammen ein Kapitel österreichische Politik und Literatur ausmachten. Diese Doppelbiographie - warum sollte sie Ihnen nicht gelingen - wäre fast aus dem Nichts gestampft. Und spräche Bände, und die Bände wären wiederum Menschen, nicht Papier - möglich, dass Sie darum zu beneiden wären. Der Vergangenheit kann ich leider nichts mehr hinzufügen. Ich war jung - Sie können ausrechnen, wie jung -, war aber auch beschwingt, ahnungslos, mittellos, von großer Aufnahmebereitschaft und Liebe, ohne Ehrgeiz, frei von Interessen. Was ich in diesem Zustand damals aufgenommen habe, ist alles da, bei mir, auch in diesem Augenblick, da ich mein Gedächtnis auf keinen Fetzen Papier mehr stützen kann. Ich war nicht oft in Wien, dann wohnte ich in der Johannesgasse 216 VIII Zu einzelnen Publikationen 16, die Vorbereitungen darauf sind in Sophies Briefen geschildert*, abgereist bin ich mit dem von ihr eigens hergestellten Vodka. Während der Freundschaft mit den Schaukal-Kindern wurde ich der Johannesgasse untreu, aber die Schicks** besuchten mich in der Cobenzlgasse 42. Sie waren meine echten Vertreter in Wien - nicht meine Onkels, die da lebten - und nahmen in meinem Namen / in meiner Abwesenheit den Theodor-Körner-Förderpreis*** entgegen. * Briefe der Ehefrau Paul Schicks, Sofie, Sophia, Zofia (1914-1995), siehe Internet-Edition „Das gerichtete Wort“ ** Paul Schick: Karl Kraus. Rowohlt Bild-Monographien. Reinbek: Rowohlt 1986 *** 1964 erhielt EB den Förderpreis des Theodor-Körner-Stiftungsfonds. Von Anne Gyrithe Bonne, 9. Juni 2013 Nr. 250 Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie ein wenig Zeit für mich hätten, wenn ich in Tel Aviv bin. Wenn dies möglich ist, würde ich Sie sehr gerne befragen zur Grundlegung der Bibliographia Judaica und Ihrer Wahl, ab 1969 künstlerisch sozusagen die Spur zu wechseln von der hebräischen zur deutschen Sprache. Damit gaben Sie den Juden ihre Stimme zurück - ob dies auch in Israel eine Rolle gespielt hat? Sie haben einen hohen Preis bezahlt für Ihre Wahl und einen Leserkreis und ein Publikum bekommen, das in Israel kaum akzeptabel war. Hat sich denn in Israel im Laufe der letzten 25 Jahre etwas geändert daran, wie diese Wahl verstanden wurde, oder ist es immer noch „die Sprache der Mörder“, die man im Deutschen hört? Finden sich Ihre Werke nun auch in israelischen Bibliotheken - und haben Sie auch in Israel Anerkennung erfahren für Ihren künstlerischen Einsatz? Sie haben es selbst folgendermaßen ausgedrückt: „Ich kann nur in Jerusalem schreiben“ - und Ihre große Liebe gilt der hebräischen Sprache, während die deutsche ihre Geliebte ist. Gibt Ihnen Ihr so nuancierter Gebrauch der deutschen Sprache auch einen anderen Einblick in das Volk der „Feinde“? Ist hier ein Brückenbau auch zwischen den Sprachen zur Sprache gebracht? Und welches der durchgehenden Themen in Ihrem Werk bedeutet Ihnen im Rückblick gesehen am meisten - und weshalb? Auch habe ich eine ganze Reihe von Fragen, die ich all meinen Gesprächspartnern im Film stelle: - Wie hat sich das jüdische Selbstverständnis nach dem Holocaust entwickelt? Ist die jüdische Identität gebunden an einen Vertrauensverlust in eine Welt, in der die Schoah stattfinden konnte? - Auf welche Weise wirkt sich das Schuldgefühl oder dessen Mangel in der Israel umgebenden Welt aus auf die Erinnerung der Schoah? „Sahadutha“. 1969 217 - Auf welche Weise verhalten sich die nachfolgenden Generationen zu jenem Erbe des Holocaust, das sie selbst nicht direkt erlebt haben? Wird dieses Erbe als eine Bürde betrachtet, von der man sich kaum befreien kann? Wie ist dies für Sie selbst? - Hat dieses Erbe Ihrer Ansicht nach auch psychologische und politische Auswirkungen auf künftige Generationen? - Ist es möglich, das Vertrauen wiederaufzubauen und einige der Schatten zu überwinden? Ist es möglich, sich im Dialog zu begegnen und zu verändern? An Anne Gyrithe Bonne, 10. Juni 2013 Nr. 251 Ich habe Ihren Fragebogen gelesen und hatte Sie lieb dabei, mir war, als wollten Sie mir das ganze Leben zurückgeben, und es wäre ein Geschenk, würde ich auf Ihre Fragen antworten können, wie es Ihnen lieb und mir vielleicht auch recht wäre. Es liegt in den Fragen das ganze Pathos der Geschichte, etwas von diesem ist auch in meinem Werk zu finden, dem ich mein Leben übertragen habe. Ich habe nicht mehr Leben - als in meinem Werk. Ich selbst bin freilich ein Mann von 76 Jahren und genügend pathetisch, dazu mag gehören, dass ich der Vergangenheit nichts überlassen habe, nichts überlassen will, selbst meine eigene Hinterlassenschaft soll der Zukunft gehören und dienen. Vor vierzig und fünfzig Jahren habe ich vielleicht „einen hohen Preis“ bezahlt, der Preis ist entrichtet, die Rechnung ist beglichen, mir ist niemand etwas schuldig und meine Gedanken gehen nicht in Abrechnungen auf. Was zu tun war, ist getan. Sein Werk bekommt man nicht geschenkt, es ist Arbeit. Sie muss geleistet werden, ob sie Abnehmer findet, ob sie angenommen wird, das muss sich zeigen. Ich hielt mich von Programm, Partei, Protest fern. Ich lese aus meinen Werken, habe anders für sie nie geworben, und wo Deutsch gesprochen wird, werden sie gelesen - von wenigen. Ich wünschte, es wären/ werden mehr, aber ich weiß gut genug, dass es dafür nicht viele mehr geben kann, weder jetzt noch später. Man kennt seinen eigenen Rang, seine Bedeutung nicht. Umso mehr würde ich mich hüten, mir oder meinem Werk Bedeutung beizumessen. Ich würde mich dabei glatt irren. Es ist keine Antwort auf Ihre Fragen, ehe meine Angst vor Antworten, die ich nicht verantworten könnte. Ich will vieles davon weder wissen noch gewusst haben. Ich weiß, woher ich komme und wohin ich gehöre, das soll nicht alles Vergangenheit gewesen sein. Ich bin kein Überlebender im genauen, strengen, tragischen Sinn. Ich habe kaum meine eigene Geschichte, und versuchte ich sie zu erzählen, ich würde durchfallen. Sie ist eng und beschränkt, ereignet sich im Herzen eines Einzelnen und in einem fast luftleeren Raum zwischen zwei Sprachen, die einan- 218 VIII Zu einzelnen Publikationen der meiden, im Herzen aber schon immer einander Gutes wollten. Die Sprache ist viel weiter als der Horizont jener, die sie sprechen. Aber weitgedacht haben sie denkende Menschen. Sie sehen eben, dass ich Dichter bin und lieber aus dem Nichtwissen lebe, das mich sicher durchs Leben führte. Fragen Sie mich nur ja nicht, was ich damit meine, wenn ich mich als Dichter bezeichne oder mein Werk als Dichtung ausgebe. Ich bin nie dahinter gekommen, und das war mein Schutz. Ich liebte das Fragen, die Antworten liebte ich nicht. „Einsprüche“. 1973 An Friedemann Spicker, 7. Mai 2005 Nr. 252 Von Sahaduta* zu den Einsprüchen und zurück Mit „Einsprüche“, München 1973, beginnt die Geschichte meiner deutschen Aphoristik, nicht aber die meiner deutschen Autorschaft. Das Buch trat unter einem Wort Sahaduthas an. (Dieses habe ich in der vorliegenden Neuausgabe** gestrichen und durch ein kurzes ersetzt, nicht jedoch, weil ich es unterschlagen wollte.) Es lautete: „An des Anfangs Ende steht noch immer das Wort: ausgelebt, nicht ausgesprochen. Laut und Sinn dämmern ineinander. Jeder von ihnen glaubt, das Jenseits für sich voraus zu haben. Demut großer Worte, in der wir spurlos, aber verzaubert verschwinden.” Sahadutha - ein Wort mit Sinn und Klang, in Sinn und Klang gespalten. Sahadutha - das einzige im Pentateuch vorkommende aramäische Wort, an der Stelle (Genesis 31,47) mit dem hebräischen „Gal-Ed“ wiedergegeben: Steinhaufen des Zeugnisses. Zeugnis, Bezeugung, Steinhaufen - sie alle gehören zum Sinn, den das Buch, welches so hieß, tragen sollte. Die biblische Quelle, das Fremdwort, der Steinhaufen, machten den neuen Sinn aus. Das Wort, in seiner Sinnträchtigkeit, war unübertrefflich. Darin lag im Kern ein neues Bekenntnis zum Aphorismus. Es wird sich in der Titelgeschichte meiner Bücher wiederholen. Das Wort hatte aber auch seinen Klang und dieser war indisch - und darum für die Titelwahl entscheidend. Wäre mir der Weg ins Deutsche damals geglückt, „Sahadutha“ hieße mein Deckname, nicht Benyoëtz. Was Namen verheißen und bewirken, was den Namen Gewalt über uns verleiht, das habe ich zu prüfen gesucht. Meine Bücher sind fast alle mit Worten Sahaduthas bespickt, kein einziges davon steht in „Sahadutha“. Unentschlossen, Aphoristiker werden zu wollen; entschlossen, kein deutscher Schriftsteller zu sein, wollte ich doch gern Sahadutha heißen. Das soll die Tatsache nicht verdecken, dass in die „Einsprüche“ mehr als eine Handvoll Aphorismen aus „Einsprüche“. 1973 219 „Sahadutha“ (Berlin 1969) eingegangen ist. Ich wäre sonst 1973 nicht in der Lage gewesen, ein Bändchen von rund sechzig Seiten zu füllen. Dieser Umstand allein genügt, um die Notwendigkeit einer Überarbeitung der neuen Auflage verständlich zu machen. Die „Sahadutha“ entnommenen Aphorismen, immerhin über sechzig, mussten an „Sahadutha“ zurückgegeben werden. Damit sind „Einsprüche“ um 12 Seiten ärmer geworden. Während ich die Aphorismen zu ersetzen trachtete, kamen mir neue Gedanken, die mir zeigten, was nicht beim Alten bleiben kann, was frisch beim Alten bleiben muss. Sie wussten es besser als ich und haben den Erweis erbracht: Die Nähe beider Bücher zueinander tritt klar vor Augen. In der neuen Form konnte nun auch der Anfang zu Ende geführt werden. Aus der Erinnerung ist ein Buch des Abschieds geworden. „Einsprüche“ war Clara von Bodman gewidmet, und diese Widmung war der Grund seiner Herausgabe. 1973 erkrankte Clara von Bodman ernstlich, ich hatte Grund zur Sorge und den besten Grund, sie mit einem Buch aufzumuntern. Ich stellte das Büchlein schnell zusammen und wandte mich an Gotthold Müller, der mit Clara von Bodman lange vor mir befreundet war und den Ernst der Lage kannte. Unter diesen Umständen war er der einzige in Betracht kommende Verleger. So bin ich an Gotthold Müller geraten. Für die Ausstattung holte ich mir bei Charlotte Schmid in Zürich Rat. Das Buch konnte bald erscheinen, mit seinem Erscheinen war auch Clara von Bodman genesen. „Einsprüche“ waren nun da und weckten, ohne es beabsichtigt zu haben, Aufmerksamkeit. Es war keine schlechte Zeit für den Aphorismus in Deutschland; die gute, Lec-gekrönte war schon im Ausklingen, die Canettis wiederum im Kommen. Schwer zu glauben, dass Canettis erste Aufzeichnungen - „Alle vergeudete Verehrung“,-in der gelben „Reihe Hanser“ - erst 1970 erschienen sind, ein Jahr nach „Sahadutha“, und dass-Canetti selbst erst mit seiner „Provinz des Menschen“, 1973, als Aphoristiker-zum Durchbruch und zur Anerkennung kam. Jahrzehnte später ging mir auf, dass wir im engsten, strengsten, aphoristischen Sinn Zeitgenossen waren, mit dem Unterschied, dass seine „Provinz“ drei Jahrzehnte umfasste, meine „Einsprüche“ vier Jahre-und nur sechzig Seiten. Canetti hatte ein reichhaltiges-Leben hinter sich, ein zweifaches Hauptwerk auf dem Büchermarkt, ich hatte keine Zukunft hinter mir und keine Vergangenheit vorzuweisen; keine Verdienste, keine Werke, keine-Gnade, auch-keine Fürsprecher, und vor allem: keinen Carl Hanser als Verleger. Als unbekannter Autor, im kleinen Verlag, konnte ichs unmöglich zu Ansehen bringen, mich-aber doch-ausweisen und stellen. Es gab nur wenige Rezensionen, doch kamen Briefe, und aus den Briefen stiegen gesichtsvolle Stimmen, die sich nach und nach freundschaftlich verfärbten. In Tel Aviv war es vor allem Dr. Meir Teich***, Herausgeber der „Stimme“, gründlicher Kenner von Karl Kraus, der nicht müde 220 VIII Zu einzelnen Publikationen wurde, meine Aphorismen zu loben. Ich konnte zufrieden sein, auch mein Verleger ist nicht ohne Post geblieben. Schließlich kam auch Gotthold Müller auf seine Kosten: „Dem Münchner Verleger Gotthold Müller kommt der Verdienst zu, den für mich ausdruckstärksten Aphoristiker deutscher Sprache für die bundesrepublikanischen Leser entdeckt zu haben: Elazar Benyoëtz.“ (Hans-Horst Skupy in einer Sendung des Bayerischen Rundfunks über „die Renaissance des Aphorismus“, 26.7.1977****) Über die FAZ erreichte Müller eine Bestellung von 400 Exemplaren von „Einsätze“. So konnte bald die zweite Auflage gedruckt werden. „Einsprüche“ entfaltete die Magie seiner Präsenz. Ich hatte unerwartet ein deutsches Buch in die Welt gesetzt, das erste auf meiner Linie. Die notwendige Kürze war da, es fehlte ihr nur die Noblesse, der unerschrockene Segen der Sprache. Das Deutsch zeigte sich hebräisch geniert. Das Fehlende lieferte der Jom-Kippur-Krieg*****. So gesellten sich die „Einsätze“ zu den „Einsprüchen“. * Vgl. Treffpunkt Scheideweg, S. 178-187 und Anm. S. 196 ** Das Mehr gespalten. 2007 *** Vgl. Vielzeitig, S. 92f., 293 f.; Schalom Ben-Chorin: Rez. „Einsätze“, „Einsprüche“. In: Die Stimme (Tel-Aviv), Juli 1976. S. 7 **** Hans-Horst Skupy: Die Renaissance des Aphorismus. Ein empfindsames Kind der Prosaliteratur wird volljährig. In: Weltwoche Nr. 44 v. 2.11.1977, S. 69-70 ***** 6.-25.10.1973: Krieg Ägyptens, Syriens und anderer arabischer Staaten gegen Israel „Treffpunkt Scheideweg“. 1990 An Michael Krüger, 16. Juni 1987 Nr. 253 Sprüche 13,12* gilt mit den Jahren mehr, wirkt schmerzlicher, ist schwer zu ertragen. Sieben Jahre wären es im Kommenden, dass kein Buch von mir erschienen ist.** Dann bin ich so vergessen, dass ich glatt von vorn beginnen könnte. Für mich wär’s kaum das Glück, für meine Sache gar nicht schlecht: ein Aufbruch des Abgebrochenen; ein Beginnen, des Anfangs los; ein Erfrischen der Einbildungskraft. Dies jedoch in unscheinbarer Weise zu versuchen, will mir nicht mehr gemäß erscheinen. Das mir Gemäße und noch Rechtzeitige wäre ein repräsentativer Band von 200-250 Seiten: Einsätze, Fragmente, Gedichte enthaltend. Mir steht der Sinn nicht nach Vermehrung, sondern einzig nach Bewahrung des Vorhandenen, von dem nur die Hälfte gedruckt ist. Auch das Gedruckte müsste neu bedacht und revidiert werden. Manche „Themen“ zogen sich zurück, andere traten in den Vordergrund; manches hat an Aktualität gewonnen. Aktualitäten bewähren sich nicht, ihre Gültigkeit ist von heute auf „Treffpunkt Scheideweg“. 1990 221 morgen. Der Morgen schaut sich nicht lange herum, ehe [er] den Abend an sich zieht und ausgehet. [? ] Es wäre das Ende meines Nichtvorhandenseins, mein Eintreten in eine aufgeklärte Sichtbarkeit. Allein, mit welchem Zuspruch? Unter wessen Obhut? Diese Frage geht an Dich. Willst Du mich zum Buch kommen lassen? Willst Du es nicht, sondern mich gehen - nicht fahren! - lassen, würde ich Dich bitten, mir freundschaftlich die Rechte freizustellen, damit ich aus allen Büchern ein neues Werk schaffe, ohne auch nur einen Baustein zu vermissen. Vielleicht habe ich damit mehr Glück und finde Haus und Bleibe. * Die Hoffnung, die sich verzieht, ängstet das Herz; wenn’s aber kommt, was man begehrt, das ist ein Baum des Lebens. ** Seit „Vielleicht - Vielschwer“, 1981 Von Eginhard Hora, 3. September 1987 Nr. 254 Ich bin Lektor im Hanser Verlag, und Michael Krüger hat mich beauftragt, mit Ihnen über das neue Buch zu sprechen. Vor allem: Wir freuen uns über Ihren Veröffentlichungsplan, und der Hanser Verlag wird ihn verwirklichen. Sie sollen mit diesem Buch ein Haus und eine Bleibe finden. Sie haben in Ihrem Brief schon die entscheidenden Punkte angesprochen. Dieses neue Buch soll keine weitere Aphorismen-Sammlung sein, sondern die wichtigsten, repräsentativsten Stücke Ihrer schriftstellerischen Arbeit aufbewahren: auch Aphorismen, dann aber vor allem Gedichte, Essays, fragmentarische Studien. Diese Sammlung darf nicht beliebig sein, sondern muss nach inneren thematischen Schwerpunkten aufgebaut sein. Unsere Vorstellung: das Buch als eine Landschaft Ihres Denkens, Ihres Schreibens, Ihrer Existenz mit den Markierungspunkten Judentum, Antisemitismus, Glauben, Denken, Sprache, Liebe. In dieser Motivlandschaft eingebettet liegen dann all Ihre sprachlichen Ausdrucksformen. An Rufus Flügge, 21. September 1987 Nr. 255 Ich bin wieder so tief im Hebräischen, dass ich nach langem und wie zum ersten Mal etwas von Glücksempfinden ahne. Ein schönes Buch wächst unter meiner Hand. Das heißt aber auch, dass ich im Deutschen immer schlechter denke, auch immer weniger schreiben kann; Du siehst - kaum noch Briefe. Kohelet bewegt mich immer, Montaigne, nach bald 30 Jahren, wieder, nun konnte ich den beiden einige Seiten in meinem hebräischen Buch widmen. 222 VIII Zu einzelnen Publikationen Eine gute Nachricht: Hanser erklärte sich bereit, einen repräsentativen Band von mir herauszubringen. In der Sprache des Lektors: „Unsere Vorstellung: das Buch als eine Landschaft Ihres Denkens, Ihres Schreibens, Ihrer Existenz mit den Markierungspunkten Judentum, Antisemitismus, Glauben, Denken, Sprache, Liebe […].“ Lieber Rufus, es sollte mir eine große Freude sein, ist es im Verborgenen auch, doch „ausdrücklich“ eher eine Genugtuung. Ich bin jetzt eben weit weg, „getrennt von allen deutschen Freuden“, im Sprachdenken auch unter „allen Wortkanonen“ („Stern“-Titel), und das bedeutet hier konkret: Ich bedürfte Deiner Hilfe. Du sollst mich in Deinem Sinne - nur im Glauben stärken, nur bei der Auswahl der Glaubens Bleibenswerter [? ]. Für die Hoffnung muss mir die Liebe, für die Liebe die Poesie ihre Dienste leisten. Noch will ich Dir gestehen, dass es mir bei dem eingeschränkten Themenkreis nicht ganz wohl ist. Er verspricht zwar eine „authentische“ Wiedergabe meiner Zerrissenheit, die Spiegelung meiner gebrochenen Existenz, und doch fühle ich mich, meinem jetzigen hebräischen Sprachstand nach, und dies zum erstenmal in meinem Leben - Harmonie bedürftig . Das Rücken von Judentum und Antisemitismus ins Zentrum meines Buches bürgt eher für Disharmonie. Vom einen ergriffen, kann ich das andere nicht begreifen, es sind beides keine „Themen“ und sollten mich nicht beschäftigen. In jedem Fall erbitte ich mir Deinen Rat, es könnte ja sein, dass Du Dir eine klarere Vorstellung von einem solchen Buch machen kannst, und ganz streng: als Vermächtnis. Denn bleibe ich im Glauben und im Hebräischen fest, wird es doch ein Vermächtnis sein und bleiben. Also kein Wort zu viel und keines zu wenig, und das Vielwenige auf die Goldwaage gelegt. An Eginhard Hora, 25. September 1987 Nr. 256 „Haus und Bleibe“ sind hohe Worte, denen man zu leicht misstraut, weil man sie zu gern vernimmt. Nun, ich höre sie so gern wie die Zuversicht, dass der Hanser Verlag meinen Plan verwirklichen wird. Es läge nun an mir, das Buch zu verwirklichen. Sie sollten, lese ich, über dieses Buch mit mir sprechen: als Fragender und Mahnender oder auch als begleitender Gesprächspartner? Eines solchen bedürfte ich allerdings, und wenn Sie mir dies positiv beantworten können, wären wir schon um einen guten Schritt weiter. Denn der Plan würde sich doch in jedem Fall mit den mir gesetzten Grenzen decken, es ginge also nicht darum, diese zu skizzieren, sondern sie mit Bleibenswertem randvoll auszufüllen. Damit wären beide Hauptfragen aber noch nicht beantwortet, die Rahmenfrage und die des taktischen Vorgehens beim Aufbau des Buches. Seit bald zwei Jahren schreibe ich nicht mehr deutsch. Für die Qualität eines jeden Stücks zu bürgen, wähne ich mich noch stark und selbstsicher genug, „Treffpunkt Scheideweg“. 1990 223 doch darüber hinaus walten meine unleugbaren Schwächen. In der nächsten Zeit werde ich mein hebräisches Manuskript abschließen, dann könnte ich den Weg zurücklegen, auf dem allerlei zu entwerfen und zu verwerfen sein wird. Die allmählich in mir erwachende Lust am Experiment wird mir am Ende wohl noch ein ganz neues Wort entlocken. Und dies hier, Sie können es schon leicht vernehmen, ist bereits die Stimme des erwachenden Rückblicks. An Franziska, 8. November 1988 Nr. 257 Das einzige für mich geltende Prinzip ist das des „Einsatzes“, seine letzte oder wenigstens vorletzte Konsequenz hieß „Treffpunkte“ (1985)*, die Mündigkeit des Einsilbigen. Prinzipiell betrachtet, war es das Ende meines Wegs; „Treffpunkt Scheideweg“ (1986, im Jahrbuch der Bibliographia Judaica)** war es im erweiterten Sinn und auf die Bibliographia Judaica bezogen ebenfalls. Das Prinzip, wie Du weißt, wurde in München nicht preisgekrönt***, nicht die poetische Intention, sondern lediglich der im landläufigen Sinn gute Aphoristiker und kluge Mann (und menschenfreundliche Jude). Das schöne Deutsch ließ sich auch nicht verleugnen. Dass es diesem Werk (vom Menschen spricht man ja nur noch ungern) um ein Prinzipielles geht, wurde auch noch im Sichtbarmachen dessen nicht wahrgenommen. Für mich war es eine Verleugnung im Anerkennen. Doch zurück zu „Treffpunkt Scheideweg“: Seine Intention bestand weder im Einsatzprinzip noch in der Kunst des Zitierens, sondern in der ‚jüdischen Lesart‘. Die erste ausführliche Fassung war kein wirkliches Werk, sondern ein Buch aus Büchern, die für sich entstanden und zusammen bestehen und überstehen sollten. Ich dachte an Rettung, der Verlag an Repräsentation. Aus dieser Not ist eine Tugend geworden, in die vor allem wir beide verliebt waren, aber auch Hans Mayer****. Erst in der zweiten Fassung ist „Treffpunkt Scheideweg“ zu einem Buch geworden, ein zwar nicht ganz organisches, aber - durch ein neu eingeführtes Prinzip - ein organisch organisiertes Buch. Und erst von da an heißt das Prinzip: Die Kunst des Zitierens. Dass Du einen Menschen, der sich in seiner Sprache und gar schriftstellerisch (also Anspruch erhebend) ausdrückt, durch Zitierung entlarvst, ist das A und O der Kritik. Wie Du das machst, ist Sache der Taktik, doch diese an sich bedingt keine „Kunst des Zitierens“. Der Witz im Falle Blüher***** war eher im Kommentar als im Zitat oder im Kommentar als Zitat und umgekehrt. Aber die Kunst des Zitierens ist nur zu einem geringen Teil im Entlarven (das nur die Kategorien von Ironie über Parodie bis zum Sarkasmus umfasst); im „was“ immer beschränkt, im „wer“ oft unermesslich. Wird ein Text oder sein Verfasser (Geist und Geister) zitiert? Ist Zitieren nur Entlarven, nicht auch Beschwören? Und lässt sich ein Gedanke wiederholen? 224 VIII Zu einzelnen Publikationen Mit anderen Worten? Mit einem aus einem Text herausgelösten Wort? Straft das Gewebe nicht das Fadenscheinige Lügen? Überstrahlt das eine Wort nicht die vielen? Und was gilt ein Überstrahlen vor dem erworbenen Gedanken? In diesem weiten Sinn müsstest Du meine Lesart in diesem Buch als „Kunst des Zitierens“ verstehen. Wohl dient mir das Zitat auch zur Entlarvung, auch als Kommentar - bis hin zur Parodie, aber die „ganze Geschichte“ eignet sich doch nicht zur Parodie und lässt sich auch nicht ironisieren, und unsere Geschichte, von der wir in „Treffpunkt Scheideweg“ sprechen, ist eine bluternste und will vor allem ernst genommen werden. Genügt hierfür aber mein Ernst allein? Nein, in dieser Geschichte musste der Ernst der Geschichte seine Gegenwärtigkeit feststellen und rechtfertigen, nicht im Nachhinein, das wäre zu billig, sondern eben im Voraus, also in Zitat und Zitation. Dass mir dies vollkommen glückte, gedenke ich nicht zu behaupten, und doch denke ich, dass mir eine gewisse Glaubwürdigkeit des „im Vornhinein“ glückte; man fühlt sich (beim Lesen von A bis Z) vielleicht nicht mitgegangen, aber doch mitgefangen; in eine Atmosphäre hineingewoben, die man am Ende doch an sich selbst - als Verstrickung begreift. Ich glaube nicht, man käme auf die Idee, es sei eine vergebliche, verfehlte oder überflüssige Mühe gewesen. Man wüsste am Ende mehr als man weiß und verstünde mehr als man versteht. Man nähme wahrscheinlich auch kaum noch Anstoß an der Länge mancher Zitate, aber das wäre dann auch der einzige Einwand, und dagegen kann ich mich nicht wehren. Fände ich mehr Verständnis für meine Probleme, ich hätte die noch zutreffenderen Zitate anführen können. […] Zu diesem Buch kann ich stehen wie selten zu einem, es „ist gerecht in seinem Urteil und hat das ganze Gewicht der Geschichte auf seiner Seite“, wie Harald Weinrich von der früheren Fassung sagte. Das gilt für die letzte Fassung in noch höherem Maße. Die besagte Kunst beginnt im poetischen Geschichtsempfinden, mit diesem ist sie im Finden begründet, im „suchlosen Finden“, denn Suchen ist keine Kunst, aber auch das Finden des Gesuchten nicht. Es ist die im Anfang des Buches angedeutete Kunst des „Aufschlagens“ und ist in der „jüdischen Lesart“ manifest. Ich bin auf das Aufschlagen angewiesen, auf das Finden gestimmt. Der große Rest ist mit „Bedacht“ zu erspüren und zu ergründen. Die gefundenen Zitate wollen organisch aneinandergefügt werden, die Worte und die Namen wollen zueinander gehören oder wenigstens passen, die jeweilige Überschrift (zumal, wenn sie eine zitierte ist) will die bestimmte Beleuchtung einstellen, und der Anfang will sein Ende im Buch selbst finden. Ich könnte Beispiele nennen, es ist aber doch ein Buch aus Beispielen: viele gute, einige schlechte, die zu jeder Sache gehören, weil keine nur im Guten beispielhaft sein kann und sein darf. Für jede gute Sache bürgen auch schlechte Beispiele. Perfekt ist inhuman. Das vergesse ich auch beim Verfassen eines mir „Treffpunkt Scheideweg“. 1990 225 selbst kostbaren Buches nicht. Das ist jüdisch. Am Ende einer jeden Sache wird immer noch der Anfang fehlen. So gesehen, ist auch meine „Einsätzigkeit“ ein Beginnen von B an. Ich halte mein Buch für in jeder Hinsicht adäquat und kann mir im Augenblick kein deutscheres denken. In ihm, wenn es einmal erscheint, wird man auch besser sehen und prüfen können, was es mit meinen „Einsätzen“ auf sich hat. Sie bekämen die Philosophie zum Hintergrund und müssten ihr nicht mehr bloß als ‚Folie‘ dienen, doch werden sie Glanz und Elend des Wortes an sich erfahren, von sich aus offenbaren müssen. Übrigens, für die „Kunst des Zitierens“, mit allen Nachteilen, die Du mir anlastest, gibt es ein bekanntes Muster: Fritz Mauthner.****** Er besaß sie in hohem Maße, obschon mehr Parodist als Satiriker und oft auch eher ernst und streng denn gerecht. In allem jüdisch, und doch für meine jüdische „Lesart“ ein schlechtes Beispiel (wie es sich am krassesten in seiner Einstellung zu Mendelssohn zeigt). Am Beispiel Mauthners wird deutlich, wie selten, wie schwer auch dann Kühnheit mit Originalität zur Deckung gebracht werden kann. Aber es liegt schon im Begriff der Parodie - und das war Mauthners primäres Talent -, dass Kühnheit im Gegensatz, wenn nicht gar auf Kosten der Originalität entstehe. An seinem Freund Gustav Landauer gemessen ist seine Kühnheit eine fast „gesetzte“ Angelegenheit. Du siehst, auf Umwegen wirft „Treffpunkt Scheideweg“ auch noch auf Mauthner ein noch anderes Licht, aber mich zu lesen ist schwer, manchmal unangenehm, weil man nie recht wissen kann, worauf ich mich stützte, woher ich komme und wohin ich will, das weiß nur ich und darüber hinaus kenne ich noch so manches aus der deutschen Literatur, was heute niemand mehr kennt. Für meine Sache ist das vorteilhaft, doch schon in den Augen meines Verlegers - eine Verlegenheit. * EB: Treffpunkte (Fassung Jan. 85). Bad Soden: Woywod 1985 ** Treffpunkt Scheideweg. In: Jahrbuch 1, 1985 - Probleme deutsch-jüdischer Identität. Hg. v. Norbert Altenhofer und Renate Heuer (Archiv Bibliographia Judaica). Frankfurt: Woywod 1986, S. 95-145 *** Adelbert-von-Chamisso-Preis für ausländische Autoren deutscher Sprache 1988 **** Hans Mayer vgl. Treffpunkt Scheideweg, S. 154-158 ***** Fall Blüher: Hans Blüher (1888-1955): Secessio Judaica. Philosophische Grundlegung der historischen Situation des Judentums und der antisemitischen Bewegung (1922); vgl. Treffpunkt Scheideweg, S. 25f., 66; vgl. Die Eselin Bileams und Kohelets Hund, S. 193 ****** Siehe Anm. 6 zu Brief Nr. 27 226 VIII Zu einzelnen Publikationen An Franziska, Januar 1989 Nr. 258 In unsrer Welt, von der es nur noch „Umwelt“ gibt, gehören Schöpfungsakt und Zerstörungswerk durchaus zusammen, und sei es unter dem Titel „Treffpunkt Scheideweg“. Auch im Persönlichen würde das zutreffen, ist doch der hebräische Ursprung mit dem deutschen Ziel im Kern darin vereint. Es war von mir nicht so gedacht, folglich muss es in mir angelegt gewesen sein. „Treffpunkt Scheideweg“ ist unabsichtlich, ganz natürlich zum Hauptwerk geworden: schwerwiegend und, weil nichts Billiges enthaltend, auch reich genug, um menschenwürdig wirken zu können. Wohl keine Literatur, aber das Beste an Judentum, was die deutsche Sprache heute noch auszudrücken vermag. An Eginhard Hora, 24. Juli 1989 Nr. 259 Es war nur eine kurze, mir aber eine aufrichtige Freude, Sie wiederzusehen, gut war auch der „Kritische Waffengang“ zu Dritt, um den Weinrichschen Tisch herum.* Dabei blieb so manches unausgesprochen und bohrte in mir weiter und tiefer. Nach und nach stellte sich mir das Ausmaß des zu Verantwortenden vor Augen; ich war genötigt, Text um Text auf die Probe zu stellen, mich selbst der Prüfung zu unterziehen: In Kassel habe ich damit begonnen**, in Bethel zum Abschluss gebracht.*** Was ich in Deutschland noch ändern konnte, habe ich in das Manuskript eingetragen, das Ihnen aus Bielefeld zugeschickt wurde. In Ruhe konnte dies nicht vollzogen werden, auch ließ der Anmerkungsteil zu wünschen übrig. Nun aber ist es vollendet, alle „werk-immanenten“ Fragen angedeutet, alle angerufenen Zeugen vernommen, auch die unentbehrliche (lutherische) Ricarda Huch fand ihren Ort****; Anfang und Ende stimmen nun überein, Treffpunkt wie Scheideweg sind beredt, zwischen den beiden liegt, halb verschwiegen, meine Lebensgeschichte. Es ist vollbracht - bis auf den gebliebenen Fehler: Fehler des Bleibens und des Übrigen. Ein makelloses Buch auch nur anzustreben, wäre in diesem Fall taktlos. * Treffen bei Harald Weinrich in München ** Lesung in Kassel, von Ulrich Sonnemann organisiert (eine weitere am 20.6.1991) *** Lesung Bethel, 13.11.1990 (? ) **** Treffpunkt Scheideweg, S. 22f., 77 „Treffpunkt Scheideweg“. 1990 227 Von Conrad Wiedemann, 14. August 1990 Nr. 260 Dank für Ihre Judenbuche -Interpretation*, über die ich viel sinniert habe, mehr und mehr als Überläufer. Was machen wir jetzt mit dem gewaltigen, schönen Baum (Buche) im deutschen Wald, der den Juden gehört und unumhaubar ist; aber auch unverpflanzbar, weil er so alt ist und der Tod in ihm wohnt? Dass er mitrauscht, gehört auch zu jenem halberlaubten Gedanken und ist doch gewiss, auch wenn wir versucht sind, nicht so genau zu hören oder mit Symposien und Sammelbänden einen Zaun darum zu ziehen oder gar eine Lichtung (das ausgeklammerte Jiddische? ). - Auch sonst hat mich viel an Ihrem „Treffpunkt Scheideweg“ bewegt, vor allem natürlich wieder die Sprachenfrage. So wie Sie sie stellen (und beantworten), scheint sie mir eine Frage an eine zukünftige Zivilisation zu sein: Wer kann wann und wem sagen, eine Sprache sei die seine? Einfache Gleichungen, wie sie einige Jahrhunderte lang galten, scheinen jedenfalls gefährdet oder vorbei, und was in Ihrem Fall so schwer erkauft ist, könnte der nächsten Generation eine geläufige Frage sein. Oder ich täusche mich und wir fallen zurück in die alten Fundamentalismen und wickeln die Sprache in die Fahnen? * Vgl. Rüschhaus ohne Risches. In: Treffpunkt Scheideweg, S. 39-51 An Eginhard Hora, 4. Dezember 1990 Nr. 261 Ich habe keine Begabung, mich zu erklären; auch lebe ich ununterbrochen in meinen Gedanken, so dass mir alles vertraut und selbstverständlich vorkommt. Hätten wir Zeit, könnten wir miteinander den Text lernen und würden unsre Freude daran haben. Dessen bin ich mir gewiss, zumal ich Ihnen zeigen könnte, dass die Stationen Ihres Lebens in meinem Buch vorkommen und alle von Bedeutung sind: Breslau ( Jacob Bernays), Oldenburg (Georg von der Vring), Hamburg (Margarete Susman), München (Annette Kolb und Eginhard Hora selbst). - Was mir die Erklärung besonders erschwerte, war Ihre Suche nach einem BUCH in strengem Sinn, wo mir ein solches gar nicht erstrebenswert erscheint. Hier liegt das Missverständnis, gleichviel ob mein Vorhaben mir glückte oder nicht. „Hörsicht“* setzt ein Vorhandenes - „Treffpunkt Scheideweg“ - und ein noch nicht Vorhandenes - dessen Gemeinde - voraus. Sie dürfen nicht glauben, es sei das Thema, das „Treffpunkt Scheideweg“ vom „Unbuch“ zu einem Buch machte. Es war umgekehrt das „Unbuch“, das mir ermöglichte, das Jüdisch-Deutsche dem Übermorgen zu erschließen. Durch Sie, lieber Eginhard, genötigt, das Buch für das Thema zu schaffen, stellte sich bei mir die Methode ein: aus dem inneren meiner Gedenkkultur kommend, die ich lange vermisste und suchen musste - Zitat und Zitation. 228 VIII Zu einzelnen Publikationen Über diese wird nirgends so, so viel, so überraschend viel zu erfahren sein als in „Hörsicht“. Es ist zwar nicht die Seele meines Buches, aber sein pochendes, womöglich epochendes Herz. Wem diese Lesart glückt, dem öffnet die Sprache seine Augen; dem wird der innere Weg der deutschen Literatur offenbar. Das habe ich beim Schreiben empfunden, und darum ging es fast mühelos vor sich. Meine Mühe galt dem Finden, dem Zurechtfinden der Zitate, wobei ich die Entdeckung machte, dass es nichtzitierbare Autoren gibt. Man kann sich aus allen Schriften Belege holen, nicht kann man beliebig zitieren. Das Zitat kann die Zu-Stimmung seines Autors nicht entbehren, es behält seine Stimmqualität, gibt seine Stimme nicht ab. Diese - scheinbar posthume - Übereinstimmung dauert lange; schwieriger ist, dem Nichtzitierbaren ein Wort zu entlocken, ein Wort, das weiter sinnt und nicht stehenbleibt. Das Neue an meinem neuen „Unbuch“ ist: das fortwährende Gehen auf die Quellen zurück, so weit zurück, dass man sie wieder rauschen hört. Der Vorwurf, es sei ein Unbuch, verfängt nicht. Der Talmud wurde lange als Unbuch verschrien und ist doch das an Stimmen reiche, an Erinnerungen üppige Werk vornehmer Geister, die kein Zungenreden pflegten, über Jahrhunderte jedes Wort in den Mund nahmen und zu Herzen und jeden Vers gegen das Licht hielten. Alles wird auf den Punkt gebracht und immer von weit her, Ermessen und Sichtweite im Blick. Hochschule des Lesens. Von außen mag nun auch mein Buch abschreckend wirken, doch einmal in sein Dickicht eingedrungen, kann es die Quelle unversiegbarer Freude werden. Das grosse Thema ist auch hier die Sprache, oder - wie Harald Weinrich sagen würde: Gedenkkultur contra Information. Das Wort Sahaduthas, das dem Buch als Motto vorausgeschickt ist, weist auf die dahinter stehende Theorie, zur Praxis aber erteilt Rankes Wort am Ende des Buches die letzte, konkrete Mahnung. „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? “ (Psalm 8, 5) Die Erinnerung ist eitel, alle Eitelkeit entfaltet sich auf das Gedachtwerden hin; die eitle Person, von Erinnerungen verzärtelt und verzerrt, bürgt für das Gedenken. In dem Sinne tritt die Eitelkeit auf in meinem Buch und hält eine letzte Verteidigungsrede. Sie kann im Recht nicht bleiben, ist aber im Recht; das gibt ihr einen traurigen Anstrich, zieht sie zugleich aber auch ins Lächerliche. An Selbstkritik mangelt es auch in „Hörsicht“ nicht. - Die Arbeit machte mir Freude, das wird wohl der Grund meiner Zufriedenheit gewesen sein, die ich sonst kaum je verspüre. Doch darf ich nicht zufrieden bleiben, so komme die Kritik und wetze ihre Messer am „Stein der Weisen“! * Hörsicht, 1994 „Wirklich ist, was sich träumen lässt“. 1994 229 „Paradiesseits“. 1993 An Walther Wölpert, 22. Mai 1992 Nr. 262 Gestern trafen die Bildchen bei mir ein - sie erinnerten mich nicht nur an den denkwürdigen Abend bei Ihnen in Muschenwang, sondern mahnten mich auch, meinen Teil am Dank zu erfüllen, war es doch eine gemeinsame Sache, und nicht allein eine Sache, sondern auch eine Herausforderung und ein kleines Abenteuer, das wir herbeiwünschten und das nicht lange auf sich warten ließ. So haben wir einander, bei Brot und Wein, im schönen Rahmen, auf engstem Raum verstanden. Dass Sie auf die Idee kamen und sie gleich verwirklichen wollten, sprach vielleicht nicht Bände, aber aphoristisch treffend für Sie. So ließ ich mich gleich gehen - von Abenteuer zu Abenteuer, Sie fragend, ob Sie bereit wären, eine Reihe von Privatdrucken mit mir zu wagen. Der Gedanke tauchte in mir knapp vor Ulm auf, als Resultat meiner langen Lesereise. Die erste Folge, die sich gut bewährte, ward von Schweizer Freunden, in der Schweiz, vor 13 Jahren ins Leben gerufen. Nun sollte eine neue in Deutschland ins Leben gerufen werden. * * Wort in Erwartung. Kreuzlingen: Bodan 1980 (Veröffentlichungen der Gottlieber Dichterfreunde 1); Herrlinger Drucke ab 1993 „Wirklich ist, was sich träumen lässt“. 1994 An Barbara Wedekind, 24. Januar 1994 Nr. 263 Sie stellten Ihre Fassung her, ich bin mit ihr im Großen einverstanden, die Änderungen, die ich mir wünsche, liegen bei. Es entsteht so, nach und nach, unsere wundersame Zusammenarbeit. Was aber den Titel anlangt: Es ist noch nie ein Buch von mir erschienen, dessen Titel nicht ganz meine Schöpfung war, so kann ich Ihnen bei der Titelwahl keine freie Hand lassen, aber doch einigermaßen entgegenkommen. Wenn Ihnen also der von mir angegebene Titel, der Ihnen angebotene neue nicht zugkräftig genug erscheint, so müsste der endgültige Titel - sei es ein Wort, sei es ein Spruch - in jedem Fall dem Buch selbst entnommen werden. Sie haben die Wahl, ich muss aber meine Zustimmung geben. Haben Sie sich Clara von Bodman als Autorin überlegt? Ich denke, eine kleine Auswahl aus ihren Briefen könnte ein für das mir von Ihnen geschilderte Leserpublikum geeignetes Buch ergeben. 230 VIII Zu einzelnen Publikationen An Barbara Wedekind, 30. März 1994 Nr. 264 Sie haben meinen Titel nicht genommen, aber doch gut gewählt. „Wirklich ist, was sich träumen lässt“ ist schön und hat außerdem den Vorteil, Gott nicht zu strapazieren. Ich hoffe, die Fotos zum Buch noch sehen zu können (am 19. 4. werde ich in Frankfurt sein). Für alle Fälle: ohne Synagogen und Kirchen, ohne Kreuz und Davidstern. Am 15. Juni werde ich an der Uni Jena einen Vortrag halten, am 16. dann in Weimar (Wittumspalais) lesen, das Buch ist wohl noch nicht da, aber das Herbstprogramm könnte helfen, wenigstens bei den Lesungen auf dem Rückweg: Herrlingen, 19. 6.; Tübingen 22. 6. „Hörsicht“. 1994 Von Harald Weinrich, 13. Februar 1991 Nr. 265 Nun aber zu „Hörsicht“*. Die Lektüre hat in mir allerhand widerstreitende Gedanken freigesetzt. Es ist wahr, Du solltest recht bald mit einem neuen Buch „sichtbar“ werden, will sagen: bleiben. Natürlich auch hörbar, setze ich hinzu, denn der „eigentliche“ Textabschnitt „Hörsicht“ ist von großer Schönheit und verdient, laut gelesen zu werden. Ich wünschte ihn mir im Grunde ohne weiteren Kontext, gut gesetzt, als Buch „an und für sich.“ Das würde auch gut zu dem zentralen Lob des Schweigens und Verstummens passen, wie auch zu dem gewichtigen Satz: „Wenig sprechen, das Wenige sagen.“ Bei Karl Kraus habe ich gelesen: „Einer, der Aphorismen schreiben kann, sollte sich nicht in Aufsätzen zersplittern.“ Das Problem besteht also wohl darin, dass Deine Lakonismus-Maxime, wenn man sie ernst nimmt, jeden längeren Kontext, wie ihn der Büchermarkt vielleicht verlangt, dementiert. * Eine frühere Fassung aus der Vorgeschichte des späteren Privatdrucks An Franziska, 13. Februar 1991 Nr. 266 „Hörsicht“ betreffend: Glaubst Du wirklich, es liege an meinem „jüdischen Horizont“, der sich in meinem Text zwar nicht offenbart, den es als Luftlinie aber geben muss? Mir ist mein Judentum Morgengebet, Arbeitstisch, Nachtlager, ich kenne mich nicht anders, komme ich doch aus dem Hebräischen, das ich aus meinem Seelengrund liebe; Dir aber begegne ich auf deutschem Boden, im deutschen Sprachgut mal grabend, mal schwelgend - mein jüdischer Horizont sollte Dir die freie Sicht nicht verstellen können. Du musst für Dich entscheiden und bei Dir wissen, ob Du in meinem Buch Jüdisches erkennst oder nur witterst. Zum Glück „Brüderlichkeit“. 1994 231 ist der Horizont immer der des Lesers, denn dieser lässt sich erweitern. Ich kann mein Werk nur einmal verfasst haben, Du es aber auch zwei- und dreimal lesen. Hörsicht enthält - nicht anders als Treffpunkt Scheideweg - deutsche Sprache, deutsche Literaturzeugnisse: durchaus, durchein, als wären sie ein Stück von mir. Befremdlich mag Dir die Unzugänglichkeit meiner Quellen erscheinen, sie sind aber nur verschüttet oder entlegen. Für die heutige Dichtung, ich will’s nicht leugnen, ist Zeitung die Verlängerung der Straße, auf der man Gott und die Welt treffen kann. Die Bibel verträgt sich nicht gut mit Zeitungspapier.* * Vgl. „Wortwährend“. Für Franziska. In: Filigranit, S. 25-44 „Brüderlichkeit“. 1994 An Harald Fricke, 10. Februar 2005 Nr. 267 Wenn ich die Bedeutung meines Buches „Brüderlichkeit“ mit drei Worten charakterisieren müsste, sie wären: Zitat, Skrupel, Credo. Allen drei gibt das Buch einen neuen, durchgreifenden, erschütternden Sinn. Eben diese Erschütterung wird gedämpft durch Credo, Skrupel, Zitat. Damit wäre alles gesagt; damit war alles geleistet: auf 87 Seiten, die weitgehend von anderen mitgeschrieben wurden - und in deren Geist nicht weniger als in meinem. Es gibt keine Leistung „aus eigener Kraft“. Und auch die Geister kommen nicht wie gerufen. Ich habe mir Gertrud Kolmar , eine gewaltige Dichterin, deren Mord man nicht genug beklagen kann, für dieses Buch vorgenommen.* Das wollte ich, das musste sein, nicht sollte, aber mein Wille sollte geschehen. Christine Lavant** drang in das Buch ein und beherrschte, gegen meine Absicht, die Szene: Eine katholische Dichterin, die vom Leid ein eigenes Lied zu singen wusste, in einem Buch, das ich ganz und gar, von Anfang bis zum Ende, jüdisch gedacht haben wollte 232 VIII Zu einzelnen Publikationen Was dies bedeuten soll, müssen Christen und Juden ausmachen. Ich, ein Jude, denke mir - zitierend - folgendes: Jede Religion hat ihre Billigkeit und in dieser ihren Untergang. Christine Lavant, eine leidgeprägte, wie Gertrud Kolmar - in tiefster Demut stolze Dichterin, wollte, in ihrer Affinität zum Judentum ihren Katholiken etwas gesagt haben. Sie wollte aber auch noch, was ich nicht gut genug vermochte, mit ihrer eigenen Größe ein Hinweis auf Gertrud Kolmar sein. Das betrifft die Wahrheit vielleicht nicht, aber die meines Buches. Mit der Wahrheit muss man immer durch die Wand, sonst erkennt man ihre Wirkung nicht. * Zu Gertrud Kolmar vgl. S. 52 und 79; vgl. Allerwegsdahin, S. 183f.; vgl. Aberwenndig, S. 185 ** Motto S. 31: „Fünf mutige Vögel verpflanzen / das Herz ins Gedächtnis.“ Vgl. auch S. 77 „Querschluss“. 1995 An Heinke von Löw, 22. März 1995 Nr. 268 Man erblindet zusehends. Das betrifft die Taten und die Gedanken, die sie umkreisen. Man fragt zu groß und antwortet zu klein. Dreißig Jahre bin ich nun bemüht, immer kleiner zu fragen; bemüht auch, meine Unerbittlichkeit in Sanftmut einzuhüllen. Was ich mir vorgenommen habe, war mir gegönnt und schließlich geglückt. Was bleibt mir zu tun? Ich bringe es zu einem friedlichen, befriedigenden Abschluss - „Querschluss“; dann müsste ich doch weg vom Fenster. Die Schuld, auf die Sie - zurück- oder zu sprechen kommen: Schuld ist entweder eine Last oder eine Belästigung. Das weiß jeder bei sich und macht es mit sich aus. Hammer und Glocke lärmen draußen - ein Lärm der Welt, zugegeben, aber keine Musik, die ich spielen kann oder mag. Sie halten sich an Burckhardt*, er ließ sein Wort vor bald 50 Jahren fallen, ist es seitdem gewachsen? Nach 50 Jahren zitiert, kann es noch das Nämliche bedeuten? Geltung beanspruchen? Das Gewicht der Sache, der Klang des Wortes für sich und im gehefteten Ohr ist anders. Wir erblinden zusehends, bleiben in Erinnerungen stecken, die nicht viele mehr mit uns teilen können oder mögen. Der Grad der Schuld hängt auch von der Qualität der Erinnerung ab. Um das ausdrücken zu können, wären mehr als zehn Sätze nötig. Aber wie bekomme ich auch nur zehn Sätze zum Thema Schuld zusammen? Bis das wieder gelingt, ist eine Generation vergangen. Indes ließen wir die Toten die Toten begraben, die unsichtbaren und die ungeborenen. Es scheint, wir lechzen immer noch nach dem Frieden, obschon er längst ins Land eingezogen ist. Ich möchte Frieden schließen mit dem Frieden. „Variationen über ein verlorenes Thema“. 1997 233 * Carl Jakob Burckhardt (1891-1974), Schweizer Diplomat und Historiker; Meine Danziger Mission 1937-1939. München: Callwey 1960. Vgl. auch die Kritik an seinem Rechenschaftsbericht; vgl. Die Eselin Bileams und Kohelets Hund, S. 203; vgl. Die Rede geht im Schweigen vor Anker, S. 59 „Variationen über ein verlorenes Thema“. 1997 An Michael Krüger, 13. Januar 1991 Nr. 269 Mit „Treffpunkt Scheideweg“ hat sich ein Teil unserer - Deiner und meiner Erwartung erfüllt. Meine Autorschaft trat in Sicht. Diese erwies sich als eine aus vielen blinden Punkten bestehende. Auf meinen Lesereisen konnte ich das wahrnehmen, konnte auch alle Fragen vernehmen, auf die ich die Antwort nicht schuldig bleiben darf. In und mit „Hörsicht“ versuchte ich eine ausführliche Antwort auf manche Fragen, auch auf die eindringliche: Wo waren Sie bis jetzt? Warum haben wir von Ihnen so lange nicht gehört? Die wichtigsten Sachen meines Lebens und meiner dichterischen Praxis gingen in „Hörsicht“ ein, auf die entscheidende Sache verwies nur eine klaffende Lücke. Nun folgt sie unter dem Titel „Variationen über ein verlorenes Thema“. Jetzt will ich versuchen, meine Vorstellungen und Absichten zu formulieren, damit Du mich verstehst und mir antworten kannst. Die wichtigste Erkenntnis, zu der ich bei meinen Lesungen gelangen konnte, war, dass die Zeit meiner Aphorismen gekommen ist. Darüber wäre viel zu sagen, für meine Arbeit jetzt ist aber nur die eine Einsicht von Bedeutung: Der EinSatz führte nicht zu meinem Ziel und ist für die Verbreitung meiner Bücher hinderlich gewesen. Das heißt: Ich habe meine Bücher umsonst komponiert, sie wurden nur als Sammlungen wahr- und angenommen und anderen - wahllos - gleichgestellt. Demnach müssen von mir aus zwei Dinge geschehen, um eine größere Verbreitung zu erreichen: Die reine Einsatzform muss aufgegeben, mit der neuen Form ein einziges Thema, nicht zu eng gefasst, aufgewühlt werden. Mit „aufgewühlt“ meine ich die in Sicht tretenden Thematisierten, die Aug und Ohr haben. Die Werbung müsste dann nicht mehr im Dunkeln tappen, in Gattungsverzweiflung geraten. Aufs Größere besehen („Hörsicht“) und aufs Kleinere („Variationen“), habe ich die Konsequenz gezogen. In der Folge werden noch andere Elemente hinzukommen, die Hauptelemente blieben: Aphorismus, Fragment, Gedicht, Zitat, Kommentar, Überlieferung (Brief/ Dokument), Anekdote. Unter diesem Aspekt denke ich mir meinen weiteren Weg zweispurig und dem Augenschein angemessen - zweiformatig. 234 VIII Zu einzelnen Publikationen Jetzt wäre ich eben in der Lage, die Bücher parallel zu verfassen, so dass beide Wege gleich sichtbar würden und die Leserschaft die Wahl hätte, den längeren oder den kürzeren einzuschlagen. Für die neue Phase meiner Aphoristik sollte ein neuer Buchtyp erwogen werden. Alle werden ungefähr so ausfallen wie „Variationen“ und höchstens 100 Seiten zählen, aber nicht weniger als 70-80, und auf so viele Seiten muss auch das beiliegende Manuskript gebracht werden. Am Text werde ich nur wenig ändern, es kommen aber noch hinzu: ein Widmungsblatt am Anfang, eine Notiz am Ende. Um mich selbst bei diesem Experiment wach zu halten, verfasse ich jedes Buch auf seine zweite Auflage hin, die immer den Charakter einer veränderten Version hat. Es ist ein Versuch; die Reaktion soll mich eines Besseren belehren und mir ein weiteres Wort entlocken. Fürs erste bleibe ich auf deutschem Boden, erst wenn ich diesen unter meinen Füßen fester werden fühle, will ich es mit der jüdischen Überlieferung versuchen. Die Typen für dieses neue Alphabet müssen erst noch gegossen werden. Hier mach ich Halt, die Pläne sind groß und weitläufig, die Zeit aber drängt und die Ungewissheit wächst. Es kann jetzt nur um das Grundsätzliche zwischen uns gehen, möge dieses sich zu einem festen Boden verhärten, über den ich mit mir selbst Schritt halten könnte. Denn nun darf ich die Sicht nicht verlieren und muss als Autor in Sicht bleiben. Zwar stellte sich heraus, dass meine alten Bändchen mir eine kleine, getreue Leserschaft zuführten, allerdings eine mehr zuverlässige als tragfähige. Die zehn Jahre, in denen von mir nichts erschienen war, brachten mich in Vergessenheit, ich „verspurloste“, wie es im Munde eines Briefträgers heißt. Und es ist gut so. Ich bekam die Chance, von vorn zu beginnen, die Fehler zu bedenken, den Irrweg zu verlassen, so wird das Krumme grad. Ein Beginn mit 54 Jahren kann freilich nicht der eines Anfängers sein. Auf den ersten Schritt müsste bald ein zweiter folgen, sonst wird das eine Buch von seinem Autor getrennt und seinem Einzelschicksal überlassen. Zwar ist „Treffpunkt Scheideweg“ gut genug, um gute Leser zu finden, aber nicht stark genug, um die ihm gesetzten Grenzen aus eigener Kraft überschreiten zu können. Vom Autor, aber auch vom Verlag muss ihm nachgeholfen werden. Übrigens, wenn sich Hermann Broch in seiner Diagnose nicht irrt* und ich mich in meiner Wahrnehmung nicht täusche, können die „Variationen“ jetzt eine gute Verbreitung finden. Für „Treffpunkt Scheideweg“ bleibt vorerst die Frage: Wen findet dieses Buch aus einem sogenannten schöngeistigen Verlag, die wir unter der Rubrik ‚schön‘ nicht mehr die geistige Richtigkeit suchen? Wie trifft also dieses Buch am Scheideweg Theologen und Germanisten, Umweltversessene und Weltvergessen(d)e, auf dem Punkt ihres je dialogischen Lebens? Wer vernimmt von Gräbern aus Rauch in den Lüften** die Inschrift „Lest Elazar Benyoëtz! “? „Variationen über ein verlorenes Thema“. 1997 235 Für mich und meine Ziele kommt ein nichtschöngeistiger Verlag nicht in Betracht, aber es wäre gut, wenn Du Wege ins nicht Schöngeistige fändest. Das bringt mich auf einen weiteren Punkt: Ich habe mir vorgenommen, noch eine Saison für „Treffpunkt Scheideweg“ zu wirken, ich hoffe, das glückt mir, und verbunden mit einem neuen Buch oder wenigstens mit einer Aussicht darauf wird es mir besser gelingen. Ich teilte meinen Freunden also mit, dass ich gern im Juni wieder lesereisen würde, aber ich kann die Freunde nicht zu sehr strapazieren und möchte auch nicht immer nur abseits des Buchhandels agieren. Ich habe im letzten Jahr zwei Monate des Schreibens für Lesungen geopfert, das heißt konkret für den Verkauf meines Buches. Ich tat es aus der Überzeugung, dem Verlag und meinem Buch dies schuldig zu sein. Ich bereue es nicht; hart war’s und dennoch fruchtbar. Gewiss aber auch für den Verlag gut. Und wer soll meine Interessen denn wahrnehmen, der ich in Jerusalem meine deutschen Bücher schreibe, wenn nicht mein deutscher Verleger? * Brochs Diagnose: „Was muß noch alles geschehen, damit alles, was geschieht, geschehe? “ Motto in: Variationen über ein verlorenes Thema, S. 5; Anm. zum folgenden Brief ** Anspielung auf Paul Celans „Todesfuge“ An Hildegard Schultz-Baltensperger, 13. Januar 1991 Nr. 270 Das Gefühl, einen letzten Brief schreiben zu wollen, nur weil diese Zeilen mit der letzten Lufthansamaschine abgehen werden. Dann bricht vielleicht der „letzte“ Krieg aus, und „Krieg“ hört auf, Thema zu sein. „Alle Siege werden davongetragen“: Von diesem Satz (wie von nur noch einem) mochte ich nie ablassen. Mir scheint, ich habe ihn in allen meinen Büchern wiederholt. Unter Druck gedeihen aber auch Denkwürdigkeiten anderer Art, so mein Büchlein über Gott und seine Umwelt, „Variationen über ein verlorenes Thema“. Eine Kopie davon liegt bei, lieb wäre mir, wenn Du sie auch Deinen Theologen zu lesen gäbest. Ich vertraue Brochs Diagnose* und meiner Wahrnehmung, weiß sonst aber nicht, worauf ich mich verlasse, da ich Hanser das Manuskript als Erfolg versprechend einreiche. In wenigen Wochen hoffe ich, ans nächste Buch gehen zu können, bald sind auch die Briefe dran; ich lege auch das erste Resultat meiner großen Ausmistung bei: Reste meines Tagebuchs 1980. Ich kann mir nicht denken, dass es immer so dürftig war, nehme eher an, dass ich das Beste daraus in „Das andere Ende“** und in „Vielleicht - Vielschwer“ aufgenommen habe. Einiges ließ sich immerhin noch retten. 236 VIII Zu einzelnen Publikationen * „Alles was geschieht - das wird immer deutlicher und deutlicher - ist ein Ringen um die neue Religiosität und dies ist wahrscheinlich auch das einzige, was den Menschen jetzt wahrhaft interessiert, mag es auch danach aussehen, als wäre die Weltwirtschaft das einzige Interessante.“ Hermann Broch ** nicht erschienen An Franziska, 13. Februar 1991 Nr. 271 Deine Stellungnahme zu den Variationen über ein verlorenes Thema zeigt, dass auch Du Dich der Wirksamkeit des Stoffes nicht entziehen kannst. Dass die Wirkung noch nicht tiefer reicht, mag an der Verlorenheit des Themas liegen. Zwar wäre ich im Augenblick leicht zu verunsichern, da ich mit „Hörsicht“ durchgefallen bin, aber ich eigne mir die Ruhe des Verlorengegebenen an. Gott ist keine Sache, keine Tatsache, keine Ursache, er ist Schöpfer, oder wir sind entbehrlich. Alles um Gott ist erschütternd, alles um den Glauben kränkend. Das geringste Wort ist schon ein Wort zuviel, wenn man nicht imstande ist, seine Wahl mit einem Wort zu treffen. Dem Glauben steht ein einziges Wort zu.* * Vgl. Vielzeitig, S. 152f. „Die Zukunft sitzt uns im Nacken.“ 2000 Von Harald Weinrich, 7. Juni 1998 Nr. 272 Dein neues Manuskript ist mir nach Amerika gefolgt, und ich sitze zu früher Morgenstunde im Hof des alten Hauses, um mich in Deine Worte und Sätze zu vertiefen. Um Dir zu erläutern, warum ich diesmal Deine Aphorismen mit besonderer Hellhörigkeit gelesen habe, will ich kurz erwähnen, dass ich mich in den letzten Tagen ziemlich intensiv mit den ältesten aller Aphorismen beschäftigt habe, dem ersten Satz im ersten Aphorismus des Hippokrates: „Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang.“* Das Thema der Kürze oder Länge, über das Du auf diesen Seiten ja auch nachgedacht hast, ist hier angeschlagen, und es macht mich ebenfalls nachdenklich, wie lange nun schon in der Geschichte die „erschöpfende“ und nicht „ermüdende“ Kürze unsere Gedanken in Atem hält. * Siehe Anmerkung zu Brief Nr. 177; vgl. Allerwegsdahin, S. 41f; vgl. Die Eselin Bileams und Kohelets Hund, S. 152; vgl. Aberwenndig, S. 44 „Die Zukunft sitzt uns im Nacken.“ 2000 237 Von Verena Lenzen, 24. Januar 2001 Nr. 273 Die richtige Lektüre für Neujahr, dachte ich, und so las ich an den ersten Tagen des neuen Jahres, Jahrhunderts, Jahrtausends - ein bisschen Übertreibung erhöht die Spannung - endlich Dein jüngstes Buch „Die Zukunft sitzt uns im Nacken”, natürlich mit spitzem Bleistift und vielen schriftlichen Anmerkungen und Notizen. Die Sätze über das Leben, die Zeit und die Zukunft habe ich mir als Leit- und Vorsätze notiert, denn tatsächlich sitzt mir die Zukunft so sehr im Nacken, dass er bisweilen schmerzhaft gebeugt wird. Aber das wusste schließlich schon ein Schreiber des 8. Jahrhunderts: „Drei Finger schreiben, der ganze Körper leidet.” Ich habe mich kürzlich im Blick auf Walter Benjamins „Engel der Geschichte”, dem „Angelus novus” von Paul Klee, mit dem hebräischen Zeitverständnis beschäftigt; es spiegelt sich zwar im Titel Deiner Schrift, aber nicht in allen Sentenzen über Zeit, Vergangenheit und Zukunft. Während ich Dein Buch las, schlug es plötzlich wie ein Pfauenrad auf und fächerte sich filigran zu einer Buchskulptur auf. Ich habe den Anblick und Augenblick mit der Kamera eingefangen, weil sich darin die Klarheit und Schönheit Deines Buches widerspiegelte. Die visuelle Gestaltung und Tendenz zu Sehgedichten wie auf den Seiten 93, 184, 70 fällt auf. Besonders interessant ist die erzählerische Entwicklungslinie, die einen spannungsvollen Bogen beschreibt: Du-Wer-Mensch-Ich-Dichter-Wir-ER-Wir, bis zu dem Punkt, wo thematische Aphorismen-Sammlungen über Liebe, Krieg, Frieden, Sünde, Erinnerung, Vergessen und Zeit angehängt werden. Insofern teilt sich das Buch in meinen Augen - wie auf der Photographie - in zwei Teile. Ich habe mich gefreut, alten Bekannten wie Paul Koppel und Sahadutha wieder zu begegnen. Und wer ist dieser „Lazarus Trost”? Die humoristischen Aphorismen (S. 21, 22) haben mich amüsiert, obwohl ich vermute, dass die Eulen von Athen (S. 138) zu tief ins Schnapsglas geblickt haben und dann begannen, zu bubern und zu benchorinen. Dein Satz über die ersten Bundestafeln, die zerbrochenen (S. 133), erinnerte mich an Jabès’ Reflexionen über die zerschlagenen ersten Tafeln*; so zum Beispiel: „Das Volk Israel hat Moses dazu veranlasst, die Tafeln zu zerschlagen. Der Ursprung des Buchs liegt auch im Bruch. Es ist, als hätten die Israeliten Moses verdrängt, um mit dem Buch in unmittelbaren Kontakt zu treten, ohne Vermittlung, um aus dem Text die Entsprechung GOTTES zu machen. Die Entsprechung jenes unsichtbaren GOTTES, von dem selbst der Name unaussprechlich ist. 238 VIII Zu einzelnen Publikationen Es bleibt bloß der Text, das Wort. Die Juden hören nicht auf, das Buch zu befragen, weil darin ihre Wahrheit liegt.” (E. J., Die Schrift der Wüste, S. 106f.) […] Je länger und tiefer ich in seine Bücherwelt eindrang, umso deutlicher wurde mir, dass man ihn nur aus der jüdischen Mystik heraus deuten kann. Das ist denn auch bei allen thematischen Anklängen und stilistischen Parallelen zu Deinen Büchern die grundlegende Differenz. * Edmond Jabès (1912-1991): Die Schrift der Wüste. Übers. von Felix Philipp Ingold. Berlin: Merve 1989 Von Harald Weinrich, 12. März 2000 Nr. 274 Inzwischen haben wir aber auch das ganze Buch gelesen, und es ist uns, mit der tiefsinnigen Zeichnung von Metavel auf dem Schutzumschlag, ganz vertraut geworden. Ein wunderbares Buch hast Du geschrieben, das mit jedem seiner Aphorismen zum Nachdenken anregt, anstiftet, anstößt. Ich finde gut, dass Du den Gedanken in diesem Buch, anders als früher, mehr Raum gegeben hast: zwei, drei Zeilen in der Regel. Mir scheint, dass Du mit dieser Form Dein „klassisches“ Maß gefunden hast. Auch die Zitate („Zitieren - ins Nachleben rufen“) finden sich gut in diesen Rhythmus. Ich wollte zunächst, weil das Buch so schön in der Hand liegt, keine Bleistiftstriche bei den mir wichtigsten Aphorismen machen, habe dann aber doch damit begonnen. Und nun finde ich seitenweise alle Aphorismen angestrichen. Unmöglich also, Dir diejenigen zu nennen, die Doris und mich am meisten angesprochen haben. Drei will ich gleichwohl nennen. Gleich am Anfang: „Sinn - / der Klang eines / fallengelassenen Wortes“. Bald danach, erschreckend: „Das Wissen vom Menschen / schließt den nächsten nicht ein.“ [S. 11] Zu dem Aphorismus „Das Leben / findet hier sein Ende, / nicht jedoch sein Ziel“ [14] will ich anmerken, dass mir gerade beim Lesen anderer Texte aufgefallen ist, dass man im Italienischen zwischen la fine ‚Ende‘ und il fine ‚Ziel‘ unterscheiden kann. Zwei Anmerkungen noch. Du gebrauchst oft das Wort „Wort“ und wählst als Pluralform immer „Worte“, auch an Stellen, wo ich „Wörter“ sagen würde. (Linguisten haben es fast nur mit Wörtern zu tun.) Diese Anmerkung hat nur den Zweck, Dich zu einigen zukünftigen Reflexionen über diese beiden Formen und ihren im Singular versteckten Gegensinn zu verlocken. Zweite Anmerkung. Da der Uraphorismus schlechthin, bei Hippokrates, lautet „Kurz ist das Leben, lang ist die Kunst“, fällt mir auf, dass die erste Hälfte des Satzes, „Leben“ (mit „Zeit“) in Deinem Schreiben reichlich vertreten ist, die zweite Hälfte, „Kunst“ (mit „Wissenschaft“) fast gar nicht - außer der Sprachkunst natürlich. „Allerwegsdahin“. 2001 239 „Allerwegsdahin“. 2001 Von Claudia Welz, 11. November 2001 Nr. 275 Die Bilder vom Wiedersehen vor der Stiftskirche, der Spaziergang auf der herbstlichen Neckarinsel in goldenem Licht, bei fliegenden Blättern und Winterkälte, die fröhlichen und sorgenvollen Gespräche auf Bänkle und Weg, Tee im warmhellen Zimmer, Jerusalemsehnsucht, die gepflückte Zeit - all das ersteht vor meinem inneren Auge. […] Was mich noch im Nachhinein beunruhigt, ist meine wortkarge Reaktion auf „Allerwegsdahin“. […] Auch jetzt merke ich, dass mir die für eine gute Kritik unabdingbare Distanz abhandengekommen ist. Ich will versuchen, wenigstens einige Leseeindrücke zu benennen und das annäherungsweise auszudrücken, was dieses Buch in mir wachgerufen hat. Es spricht von einem Leben, das man nicht erzählen kann. Kein Lebenslauf, eher Gedankengänge - wie Blitzlichter über Fragmenten, die das Bedachte erhellen und Unbeantwortbares im Dunkeln lassen. Die Teile des Buches fügen sich ineinander, aber die Reihenfolge ist nicht von zwingender (Ver)Folgerichtigkeit. Man wandert nicht von A nach B und ist dann am Ziel, sondern hat gleichsam ein Kristall in der Hand, das man von verschiedenen Seiten betrachten kann, jede Seite für sich, etwas Rundes mit Kanten, durchsichtig nur so weit, bis man merkt, dass das tiefste Geheimnis nicht zu durchschauen ist. Weshalb, wesganz? Die abgedruckten Briefe und autobiographischen Kurztexte haben mich damals, als ich das erste Manuskript las, ungleich mehr aufgewühlt als beim Wiederlesen. Sie sind das Feste, Unverrückbare, und sie dokumentieren ein Geschehen, das nicht mehr ungeschehen zu machen ist. Sie bleiben wie „Dokumente“ im Gedächtnis, und ein flüchtiger Blick versichert: Es sind die vertrauten alten Bekannten, nicht wegzudenken, geprägt mit Charakter und Rückgrat. Wohl bislang formgeschichtlich einzigartig, ganz genuin das Ihre, ist deren Kombination mit der Aphoristik und Poesie, mit sublimster Reflexion, die ins Allgemeine, Jederzeitliche hinein führt. Unvermittelt steht man in der eigenen Gegenwart, bespiegelt und gebrochen, vergleichzeitigt mit und neben biblischen Figuren, Hillel* und Celan, den garstigen Graben überspringend, hineinwandernd in eine weite Welt, und sie bleibt nicht dieselbe. Ich dachte, ich kenne das Allermeiste schon, aber Sie überraschen mich immer wieder! Um nur Weniges davon anklingen zu lassen: Die Sonne geht, bei Licht besehen, unter - Josephs Welt, ohne ihn die aufgegangene Rechnung, für die kein Bleiben ist, erfüllt - der Hoffnung entgangen wozu? Für-… 240 VIII Zu einzelnen Publikationen Sehnsucht nach Harmonie, die ihre Gegensätze und Widersprüche nicht vermissen lässt. Nicht zu überspringender Schatten Lebenserfahrung - mehr in Zweifel als in Betracht gezogen, sich abhanden oder gefährlich nah gekommen in der Sprache, dem Schatten eines Wortes, der den ganzen Baum zusammenfasst unfassbar begreiflich Außer mir im ergriffenen Wort Das Vorwort muss Gott geblieben sein Herrlichkeit der Hörlichkeiten, Himmel in Sicht- und Rufweite Weg im Aufbruch erlösende Verbindlichkeit eingeholte Ewigkeit im Lauf der Zeit, Zukunft auf dem Teppich der Vergänglichkeit Atemzüge rollen Das Beste aus dem Schlechten machen? - traurige Heiterkeit Es ist nicht gut, schlechthin zu denken fragwürdig ist jede Antwort das Vergangene unter dem Strich weitsichtige Reue einer kurzsichtigen Tat Erklärung in sich, zusehends erblindend, dem Verstehen entgegen Nicht das Erklärliche gilt es zu verstehen […] Es macht viel zu nachdenklich, ist viel zu unbequem, zu ernst, als dass es einfachhin mit „schön“ o. ä. zu betiteln wäre. Es ist weit mehr als eine „handwerklich“ gelungene Sache, ein Werk, wofür der Künstler zu loben ist, das dann aber in Frieden ruhen möge. Kritikerworte beziehen sich auf ein vorliegendes Buch, das man auch weglegen kann. Der Aufgabe, Anforderung und Herausforderung Ihres Buches könnte ein Kritiker nur dann entsprechen, wenn sein Leben ihm entspräche. Wenn er nicht nur bespricht, sondern sich selbst so ansprechen lässt, dass er nicht nur weiß, wie er unter Hitler gehandelt hätte, sondern sein Gewissen auch heute mit klarer Stimme spricht. Auch ich bin noch lange nicht „fertig“ mit diesem Buch. Denn das, wovon die Rede ist, bleibt erst zu beherzigen. So könnte ich mich zwar zum Inhalt des Gesagten äußern, die Richtigkeit bestätigen und noch den Scharfsinn der Art, wie es gesagt ist, hervorheben. Doch damit käme die Wahrheit noch nicht zum Vorschein. Wo sie verstanden ist, wird sie als gelebte zu leuchten beginnen, sei’ s mit vielen, wenigen oder ohne alle Worte. Mit vielen Worten verbinde ich die Situationen, in denen sie schon einmal gesprochen wurden. […] Ich habe Ihr Buch eher wie eine Schatzsucherin als wie eine Kritikerin gelesen, bereichert, ohne Wenn, aber- … . Auf Schritt und Tritt sind es eben Sie, dem ich begegne, immer wieder anders, verändert nach wie vorfindlich, und ich freue mich, wenn ich dies als Weggefährtin, wenn auch „Der Mensch besteht von Fall zu Fall“. 2002 241 aus der Ferne, so doch im Buche, mitbekomme. In diesem Buch treffe ich Elazar Benyoëtz, wie er im Buche steht, und deshalb ist mir dieses Buch so lieb, wie Sieʼs mir auch sind. * Hillel (der Ältere oder der Alte; geb. um 110 v. Chr.; gest. um 9 n. Chr.), einer der bedeutendsten pharisäischen Rabbinen aus der Zeit vor der Zerstörung des zweiten Tempels, Gründer einer Schule zur Auslegung der Schrift, auf den sich Juden bis heute oft berufen „Der Mensch besteht von Fall zu Fall“. 2002 An Friedemann Spicker, 26. Februar 2001 Nr. 276 Ich freue mich, dass Ihr Einsatz Erfolg hatte.* Reclam Leipzig kenne ich zu meiner Beschämung nur aus der DDR-Zeit. Aber Reclam Leipzig bedeutet mir viel: Vor Reclams Wechsel nach Stuttgart war Gotthold Müller Verlagsleiter in Leipzig, nach dem Wechsel erster Verlagsleiter in Stuttgart. Mit ihm war ich befreundet, und in seinem eigenen - eben Gotthold Müllers - Verlag sind meine ersten Bändchen „Einsprüche“ und „Einsätze“ erschienen. Nun genügen mir Ihre Angaben und Ihre Fürsprache, um mich über diese Bereitschaft zu freuen. * Anfrage an den Reclam Verlag, Leipzig An Burkhard Talebitari, 20. Juni ‏2001 Nr. 277 Und nun muss ich Halt machen, meine Mutter ist tot; von Kopf bis Fuß; durch dick und dünn, von meinem ersten bis zu ihrem letzten Atemzug meine Mutter - und von Wort zu Wort: Sie hörte mich ab und hörte mir zu. Vor ihrem Tod schenkte sie mir ihr Gehör für die Schlussseite des Reclam-Buches; das helle Gehör erleuchtete ihr Gesicht, beim Wegbleiben des Augenlichts. Die Schlussseite - vollendet und vollbracht. Heute rief man aus Leipzig an, in aufrichtiger Absicht, mich hinzukriegen,-ohne mich verlieren zu müssen. Dabei stellte sich heraus, dass der Leiter des Reclamverlags, Stuttgart, ein „Fan“ von mir ist.-Folglich lenkte Leipzig ein und das Krumme ward gerade, der kaum durchsichtige Vertrag annehmbar, die Zahlen stimmig. Fazit: Es sollen 4.000 Exemplare gedruckt werden, worauf - nach einem Jahr - eine Taschenbuchausgabe folgen könnte: mein Ziel von Anfang an, das ich leichter zu erreichen hoffte. In meiner jetzigen Verfassung kann ich nicht ans Manuskript gehen, auch könnte ich kaum im August, wie vorgesehen, das Manuskript abliefern; der Erscheinungstermin muss auf den Herbst 2002 verlegt werden. Ob es daran scheiterte? Das täte mir leid, mein Herz 242 VIII Zu einzelnen Publikationen schlägt aber schon um die nächste Ecke - und meine Gedanken kreisen um das übernächste Buch: „Abschied von den Büchern“. Erst danach könnte ich auch von meiner Mutter Abschied nehmen; jetzt ist mir abschiedlich zumute, dann hätte ich Mut zum Abschied und schriebe ein Buch um Else Gottlieb, das mich Schaukals „Mutter“* vergessen machte. Sie staunt [? ]: Wie sollte jenes Buch des Richard von Schaukal noch in Erinnerung geblieben sein? Es ist nicht; ich bin es: Ich kann nichts vergessen, wenn ichs nur einmal berührte.- * Richard von Schaukal: „Augen der Mutter“: Widmung in „Der Mensch besteht von Fall zu Fall“: Dem Andenken an Else Gottlieb 1909-2001 An Friedemann Spicker, 26. Juni 2001 Nr. 278 Nun muss gedankt werden: Für Ihren Brief und das von Ihnen kritisch geprüfte Manuskript, für einige Anregungen. Vieles, woran Sie Anstoß nahmen, finden Sie ja nicht wieder in der neuen Fassung, das meiste hat sich von selbst erledigt. Dennoch: Es ist vielleicht mein letztes Aphorismenbuch - vor einer Gesamtausgabe -, und es gilt nach wie vor: streng bleiben und sieben. In der Ausgabe letzter Hand fallen dann die letzten Schlacken ab, jetzt müssen einige bleiben, weil ein Leser es nicht mag, so ganz streng in Zucht genommen zu werden; er verliert die Lust am Lesen, wenn ihm überall nur Bärenernst begegnet. Das ist der Grund, weshalb ich in jedes Buch einige Kalauer aufnehme, Wortspiele, Spielereien, auch harmlose Sprachwitze, die ich einzeln nicht verteidigen könnte. Sie gereichen mir alle nicht zur Ehre, aber sie lockern auf. In gleicher Absicht nehme ich auch „Didaktisches“ und „Eindimensionales“ auf, es sind - nicht Erbaulichkeiten, aber Zusprüche, Regeln und Verhaltensweisen, die man leicht vergisst und umso leichter übergeht. Wo soll man sie aber sonst finden? Freilich, ich muss Ihnen genügen können, doch ebenso jungen Menschen, die noch gar nicht wissen, was ein Aphorismus vermag und die zunächst nur einem Wink folgen, einem angeschlagenen Ton, einer Stimme, der sie sich anvertrauen. Auch wenn meine Bücher immer nur von wenigen Dingen sprechen, die mir wichtig sind, schreibe ich jedes für sich, als wäre es ein Buch fürs Leben, ein Ganzes (in der Ahnung oder im Abglanz) enthaltend, ein Buch vom Menschen. So hoch ich meine Kunst auch schätze, dies nehme ich ernster. Nun ist das Buch fertig, aber nicht vollendet. Die Vollendung braucht die eigene Zeit, zu der nun eine Trauerzeit hinzukommt: um meine Mutter, die vor zwei Wochen gestorben ist. Solange sie tot und nicht auferstanden ist, kann ich ans Manuskript nicht gehen. Darum bat ich Reclam, die Herausgabe des Buches „Der Mensch besteht von Fall zu Fall“. 2002 243 auf den Herbst zu verlegen, wenn es geht. Einen Tag vor ihrem Tod habe ich mit meiner Mutter noch das ganze Manuskript gelesen, sie behielt bis zuletzt ihren kritischen Sinn. An Harald Weinrich, 1. August 2002 Nr. 279 Dein lobseliger Brief wirkte labsälig, die Freude im Hause Weinrich - ansteckend. Aber auch der schönste Preis, ja schon die Kunde von ihm, wird bei ihrem Eintreffen hier von Trauer umgarnt. Es ist nicht leicht, sich zu freuen, man verbietet sich die Freude geradezu. Und die Trauer ist ohne Ende, ein Marsch gegen die schönsten Aussichten, gegen die besten Einsichten, die ich fest glaubte, wie den Aphorismus: „Alle Siege werden davongetragen.“ Es soll aber auch nicht dabei geblieben sein, mein neues Buch, das Dich bald erreicht, enthält einiges mehr „dazu“. Und nun Falkensohn! * Er zeigte mir, wie weit „mein” Chamisso-Preis schon zurückliegt, wie alt meine Bücher schon sind, aber auch, wie lange unsere Freundschaft schon währt. * Jörg Drews: Zwischen den Sprachen. Einwanderer auf Versfüßen. Isachar Falkensohn Behr aus Litauen. In: Süddeutsche Zeitung, 19. 7. 2002 (Rez. Isachar Falkensohn Behr: Gedichte von einem polnischen Juden. Mit einem Nachwort hg. von Andreas Wittbrodt. Göttingen: Wallstein 2002). Vgl. „Letzte Morgenstunden der Aufklärung oder: Goethes ganz privater Ahasver.“ In: Treffpunkt Scheideweg, S. 145-153 An Friedemann Spicker, 1. August 2007 Nr. 280 Mittlerweile drang indirekt die schlimme Nachricht zu mir, Reclam sei dabei, mein/ unser Buch zu verramschen. Die Leipziger schämten sich offenbar, so schickten sie einen Brief und zehn Exemplare an Frau Fey* in Wuppertal. Ich muss meine Galle beherrschen. Was wissen Sie, was haben Sie gehört, was denken Sie dazu? Die Auflage - es kommt bei solchen Anlässen immer heraus - war größer, als mir bekannt gegeben. 2000 Exemplare werden nun den Markt überfluten, das Buch wird kaum 1-Euro kosten-… . Ich denke lieber nicht darüber nach, es ist ja zum Weinen. Es war das von allen geliebte Buch, freudiger Hand griffen Alt und Jung zu. Und der Verkauf war ja auch gut, nur druckten sie eben zuviel und gegen meine Intention (ich wollte ein Taschenbuch, sie bestanden auf Hardcover zuerst). Interessant, dass beide Bücher, die um den Tod meiner Mutter entstanden (Arche, Reclam)**, das gleiche Schicksal erleiden von Anfang an; es begann damit, dass sie in der Presse nicht besprochen wurden. Mir ist schwer ums Herz, ich muss 244 VIII Zu einzelnen Publikationen aufhören. Nein, so darf der Brief nicht enden! Sie kamen mit der guten Nachricht, dass Ihre Kurzgeschichte nun gedruckt wird, ich gratuliere - und freue mich darauf! *** * Monika Fey, siehe Verzeichnis der Briefpartner(innen) ** Der Mensch besteht von Fall zu Fall; Allerwegsdahin *** Missverständnis; es handelte sich um einen privaten Reisebericht. An Friedemann Spicker, 10. August 2007 Nr. 281 Werden Restbestände von 100-400 Exemplare verramscht, ist es eine Sache; wird der Markt überflutet mit 2000 Exemplaren zu einem Schleuderpreis, wird damit eine schöne Ausgabe dem Tode geweiht. Dem Tode freilich nicht ganz, man wird das Buch kaufen und gerne lesen; tot wäre es für mich und für eine bessere Möglichkeit. Ich sah es kommen, von Anfang an wollte ich ja nur ein Taschenbuch. Vor einigen Monaten schrieb ich Frau Koettnitz* aus dem Blauen, sie möge verhüten, dass dem Buch das gleiche Schicksal widerfahre wie „Allerwegsdahin“, das seine Verlegerin voreilig verramschte und unmittelbar darauf zu bedauern hatte. Das Buch geht gut, ein richtiger „Dauerrenner“. Es ist doch schön, einen solchen Schimmel im Stall zu haben. Dummheit verblendet, ist aber auch schädlich, in diesem Fall trug ich den Schaden davon - nahm mir Reclam zu Herzen, aber auch zur Galle. * Maria Koettnitz, damals Leiterin von Reclam, Leipzig Von Friedemann Spicker, 9. Dezember 2008 Nr. 282 Zu meiner freudigen Überraschung bekam ich gestern von Herrn Koranyi* mein Nachwort zu „Der Mensch- …“ zur Durchsicht für eine Nachauflage**. Dann gibt es also die 2. Auflage Ihres Buches zeitgleich mit der 2. meiner „Aphorismen der Weltliteratur“***, die in den Fahnen ist. Und wie sieht es mit den Brockmeyer-Briefen aus? Nichts gehört habe ich seit längerem von dem bibliothekarisch-dokumentarischen Herrn aus Berlin und aus dem Literaturarchiv Österreich. Hat es da Bewegung gegeben? Kann man etwas einsehen? -Haben Sie-aktuelle Pläne, auf die ich mich mit Ihnen freuen darf? Mit Herrn Joost**** stehe ich immer in Verbindung; wir haben nicht davon gesprochen, aber ich denke und hoffe doch, dass es im nächsten Lichtenberg-Jahrbuch etwas von Ihnen zu lesen geben wird.***** * Stephan Koranyi, Lektor des Reclam Verlages ** Der Mensch besteht von Fall zu Fall. Aphorismen. Mit einem Nachwort von Friedemann Spicker. 2. Auflage: Stuttgart: Reclam 2009 (Reclam-Taschenbuch 20176) „Finden macht das Suchen leichter“. 2004 245 *** Friedemann Spicker (Hg.): Aphorismen der Weltliteratur. 2. erweiterte und aktualisierte Auflage. Stuttgart: Reclam 2009 **** Prof. Dr. Ulrich Joost, Herausgeber des Lichtenberg-Jahrbuches; siehe Anm. zu Brief 112 ***** Unter den Gegebenheiten kommt auch das Mögliche vor. Eine Morgenlesung. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2009, S. 91-112. Siehe Anm. zu Brief Nr. 63 „Finden macht das Suchen leichter“. 2004 An Claudia Welz, 7. Oktober 2002 Nr. 283 Das Allesinallem entbehrte noch immer das „Mehr“. Mein Buch, wie ich es nun verabschiedete - wie es vielleicht aber nie erscheinen wird - ist der längste und weiteste Weg, den ich zurückgelegt habe. Es ist in seinem Grund neu und verlangt ein anderes Lesen, ein Teppichlesen. Das wird sich mit den Jahren nach und nach herausstellen. Damit ist nun auch der eine Weg (Werkweg) zu Ende. An Michael Krüger, 12. Oktober 2002 Nr. 284 Ich bin auf S. 309 meines neuen Buches und gut in Fahrt; ich brauche noch zwanzig Seiten (ohne Zitate und Nachweis) und bitte Dich um grünes Licht. Es wird mit jeder Fassung besser; es ist gut; Du wirst es nicht bereuen; es ist das letzte. An Michael Bongardt, 31. Oktober 2002 Nr. 285 Ich muss bei meinem Leisten bleiben und mein neues Buch jetzt fertig machen, das wächst und wächst, schon sind es 350 Seiten, wobei mir im Vertrag nur 250 eingeräumt wurden. Ich kann mich nicht beschränken, denn es muss mein letztes Buch im aphoristischen Geist sein, und dieses Müssen ist ganz müsslich, sonst komme ich nie davon los, nie zum andern, das schon heisrig nach mir ruft. Ihre Anmerkungen und Vorschläge habe ich alle - wie stets - beherzigt. In einem Punkt war Ihr Ohr mir nicht ganz geneigt: „Übt man keine Zweifel, wird der Glaube taub”. Dazu Michael: Verbindung von „üben” und „taub werden” leuchtet mir nicht ein. - Sie müssen sich den Zweifel als Instrument vorstellen, als eine Geige, die geübt werden muss und eben täglich. Wie dem auch sei, der Satz ist entbehrlich und ausgeschieden. Sicht und Gehör sind nach wie vor erfreulich scharf, und schön wär’s, könnten wir das Ganze vor dem Druck durchgehen. Das mute ich Ihnen jetzt aber nicht zu; vielleicht schicke ich Ihnen in 246 VIII Zu einzelnen Publikationen zwei Wochen wenigstens den ersten Teil oder das kurze Intermezzo „Ohnmacht ist brutal“.* * Finden macht das Suchen leichter, S. 153-172 An Burkhard Talebitari, 7. November 2002 Nr. 286 Das Buch, lieber Burkhard, lässt sich als Dichtung lesen und ebenso als Prosa, ich empfehle Ihnen, das Buch als Teppich zu lesen, und wenn Sie sich auf ein solches Lesen noch nie eingelassen haben, dann hilft Ihnen Mahnaz, die aus einer großen Teppichwelt kommt und in der Teppichlektüre sicher geübt ist.* Das Buch zu beenden war notwendig, es ist auch fertig, doch das Verlassen der Fühlfelder war ein Schmerz. Ich hätte dem mich erweckenden jungen Lyriker, der ich einst gewesen, eine weitere Strecke [Glücks] folgen sollen. Vielleicht, wenn ich achtzig werde, geht Poesinn** den Weg eines letzten Abenteuers. Wie dem auch sei: Mit diesem Buch legte ich den längsten und weitesten Weg zurück. Weil Sie aber reine Prosa begehren, lege ich für Sie - alles, versteht sich, ist nur für Sie - und Mahnaz allein meinen letzten Prosaversuch bei, Versuch vor allem im Sinne des Experiments, denn ich muss meine Methode gefunden haben, ehe ich an mein nächstes „Projekt“ gehe. Der erste Versuch ging um Michael Landmann***, und das haben Sie wohl gelesen, mit Engelmann **** gehe ich einen Schritt weiter; jetzt habe ich also die Methode und hätte auch den Rahmen - Lebenserinnerungen -, nur der Verleger fehlt noch, der mich dazu ermutigte, was meint: zu mir stünde, solange ich arbeiten kann. Die Fülle ist zu groß. Nun also werden Sie Engelmann kennenlernen und mit ihm ein Stück Welt, in der ich mich als junger Mann und Spätling bewegt habe. Im Grunde - das heißt in Wahrheit - ist mein aphoristisches Werk der ausschließliche Versuch, zu einer reinen Autobiographie zu gelangen. So habe ichs mir gedacht und so wird es auch bleiben. Die Lebenserinnerungen gehörten dann nicht dazu, wenn auch zu mir. Das Anstößige gehört mehr zu mir als zum Buch, aber auch hinein. Ihre Kritik würde mich darum nicht überraschen, es ist alles mit Bedacht, auch die Schönheitsfehler (die geburtsmäßig eingeschändeten ausgenommen, die merkt man selbst ja nicht). Das geschieht im Geist meines Grundaphorismus’: „Perfekt ist inhuman und kunstwidrig”, auf den Aufbau meiner Bücher bezogen hat diese Erkenntnis auch noch eine starke jüdische Note, die Sie kennen (aber nicht weitergeben) sollen. Ein Jude, der sein Haus baut, muss eine Lücke, ein Loch, eine unbemalte Fläche lassen: zur Erinnerung an den zerstörten Tempel. Das gilt ausnahmslos. „Die Eselin Bileams und Kohelets Hund“. 2007 247 Ich gebe mir alle Mühe, mein höchstes Niveau zu erreichen und - was mehr Mühe kostet - auf diesem zu bleiben: mit dem Fehlenden, Störenden oder Anstößigen im Blick. Glückt mir das, dann war’s g lücken haft. Ich „erkläre” es Ihnen, weil Sie mein getreuer, vertrauensvoller, zuverlässiger, vollkommen ernster Leser sind. Das erkläre ich meinem Lektor nicht, es wäre vergebens. Aber Sie werden, teppichlesend, merken, dass alles das im Buche steht (weniger leicht zu übersehen als in allen anderen auch). * Mahnaz: Ehefrau Burkhard Talebitaris ** Finden macht das Suchen leichter, S. 5-68 *** Siehe Anm. zu Brief Nr. 143 **** Paul Engelmann, siehe Anm. zu Brief Nr. 46 An Michael Bongardt, 5. Februar 2004 Nr. 287 Ich sprach vom „Nachbuch”, denn davor - schon im März - erscheint mein neues Hanser-Buch: „Finden macht das Suchen leichter“ - mein reichstes, poetischstes und intimstes Buch, auch theologisch erschütternd („Gottum“* und mehr enthaltend, im Nachbuch aber noch erheblich erweitert). Ihnen wird es streckenweise „ein Buch der Erinnerung” sein. Eben machte ich mit der Katholischen Akademie in Hamburg eine Lesung aus, so bin ich Berlin um einen Schritt näher gekommen. In Münster blüht mir Schönes, alles steht schon bereit und erwartungsvoll, nur das Buch und das Datum bleiben aus. * „Imgleichen oder: Gottum“. In: Finden macht das Suchen leichter, S. 173-254 „Die Eselin Bileams und Kohelets Hund“. 2007 An Friedemann Spicker, 27. April 2005 Nr. 288 Die Schweizer Sache*- scheint- ihren Weg sicher- zu gehen. Scheint - sage und schreibe. Scheinen tut’s nun auch mit Hanser. Plötzlich ergriff ihn die Angst, er könnte meinen 70. Geburtstag versäumen, so „tat er erwachen“--- . Kurzerhand entschloss er sich-zur Herausgabe meines Buches „Die Eselin Bileams und Kohelets Hund“-- mein Buch vom Glauben. Ich bekomme in dem Fall, werde er fällig,-einen neuen Lektor, der mir freundlich schreibt, aber doch wie einer, der vorhat, seinen Igel zu bürsten. Ich bat ihn eben, davon abzusehen. Nun warte ich ab. * nicht realisiert 248 VIII Zu einzelnen Publikationen An Friedemann Spicker, 7. Mai 2005 Nr. 289 Mit Hanser habe ich viel Zeit verloren, eigentlich Jahre. Jetzt zeichnet sich endlich etwas ab, da eine grundlegende Überarbeitung der „Variationen“ ausgeschlossen ist. Dazu wären zwei Jahre nötig gewesen, mir bleibt aber gerade ein Jahr. Das Buch - „Die Eselin Bileams und Kohelets Hund“ - soll zu meinem 70. Geburtstag herauskommen, also im Frühjahr 2007. Um meine Aphorismen kann ich mich nicht weiter kümmern. Wichtiger und für mich ergiebiger wäre mein Briefwechsel, für den sich einige Forscher in Österreich interessieren. Das könnte mich freuen, aber ich drücke mich lieber vorsichtig aus. Eine Briefausgabe war schon über Jahre im Gespräch, und viele haben sich damit schon beschäftigt - und am Ende ist alles liegen geblieben. Mein Hauptwerk liegt ja vor; das Vergriffene wird schon erscheinen. Rimbaud - an sich keine Träne wert - war mir ein Segen: Ich konnte beide Büchlein gründlich und gut überarbeiten und - noch wichtiger - in schöner Prosa über meine Anfänge schreiben. An Friedemann Spicker, 7. Juli 2005 Nr. 290 Sie fahren für einige Tage nach Berlin, ich für drei Wochen in die Wüste (Sinai). Danach komme ich in die unsicherste Lage meines Lebens zurück: ein Buch in wenigen Monaten schreiben zu müssen, weil der Verleger so lange schlief. Für das Buch habe ich noch nicht einmal die Sprache, geschweige denn die Form. Und davor eine Augenoperation. Zum ersten Mal freute ich mich nicht über einen Vertrag und zögerte lange, ehe ich ihn - vorgestern - unterschrieb. Ich täte es gewiss auch nicht, ginge es nicht mehr um das Datum - meinen 70.Geburtstag - als um das Buch. Gestern gings los mit dem Fax. Seit einem Jahr steht der Apparat still, es wird nur noch gemailt. Nun faxte es wie gehagelt,-aus Hamburg, aus Bonn, aber nicht aus Frankfurt, nicht aus München, Sitz des Hanser-Verlags. Es musste also Eindruck gemacht haben. Möge es Gutes bewirken. Hans-Martin Gauger? Ich hatte keine Ahnung von dem Mann, von Ihnen angestachelt, finde ich ihn eben im Mitgliederverzeichnis der Darmstädter Akademie, sogar mit Adresse. Seine Rezension* ist die „Beschreibung eines Kampfes“**, das macht sie interessant. Beschreibung einer Bedrängung, die zugleich eine Belagerung ist. Am Ende wird die Burg eingenommen, aber es heißt „man kapituliert“. Ich hatte schon „bessere Presse“, aber etwas so Echtes habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen, es freute mich von Herzen. „Die Eselin Bileams und Kohelets Hund“. 2007 249 * Hans-Martin Gauger: „Ist Gott ein Fremdwort? Sprachschöpfertum: Der isrealische Dichter Elazar Benyoëtz“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.7.2005. (Zu: „Finden macht das Suchen leichter“) ** Anspielung auf Franz Kafka: Beschreibung eines Kampfes An Friedemann Spicker, 21. Oktober 2005 Nr. 291 Hätten Sie Ihr Buch nicht geschrieben, ich käme nicht zu den neuen Überlegungen zur Aphoristik. Wir sind also nicht nur verbunden, sondern in einander verknüpft. In dem Sinne werden Sie nun gebeten, über meine Texte zu reflektieren - über Ihr Buch hinaus, wie ich hoffe, denn das wäre der Gewinn. Mein Buch bei Hanser - für mich das letzte, weil ich dann in die vernachlässigte Jugendsprache zurückkehren möchte - erscheint im März 2007. Im Dezember kommt Prof. Holzner aus Innsbruck* zu mir, und ich werde mit ihm meinen Nachlass - er nennt es Vorlass - endgültig besprechen, also ausmachen. * Prof. Dr. Johann Holzner (geb. 1948), österreichischer Germanist, Leiter des Brenner-Archivs, Innsbruck; Keine Worte zu verlieren, S. 49-52; Vielzeitig, S. 310 et pass. An Harald Fricke, 13. Januar 2006 Nr. 292 Ich taste nach dem Weg zu meinem Alterswerk; auf die 70 zu, dachte ich, sollte mir das Altern nicht mehr schwer fallen; ich ließ mich auch gehen, doch kam ich beim Werk noch nicht an. Ich brauche schon drei Jahre für eines, für das Buch zum 70. aber räumte mir Hanser „ein halbes Jahr und nicht viel mehr“ ein. Also bedrückt mich, was mich beflügeln sollte. „Die Eselin Bileams und Kohelets Hund” soll das Buch heißen. In dieser Klagelage gelangte ich ins neue Jahr. An Harald Weinrich, 19. Januar 2006 Nr. 293 Dass Du keine Bücher mehr schreiben willst, hat mich in einem Moment der Schwäche getroffen. Du sprachst bewundernswert entschlossen, mein Ohr vernahm die Traurigkeit eines stolzen Abschieds. Das Büchermachen ohne Ende kann ja auch sein gutes Ende nehmen. Und müssten es keine Bücher mehr sein, dann können die Prosaseiten, die ohne Druck entstehen, lyrischer werden. Ein Beschluss von solcher Tragweite muss seinen festen Boden haben. Du hast ihn. Ich bin jünger als Du und hatte nie einen festen Boden als im Schreiben, und nun bin ich - ohne Beschluss - auf dem gleichen Punkt angelangt. Ich soll mein letztes Buch schreiben, und dies in wenigen Monaten. 250 VIII Zu einzelnen Publikationen Der Zwang heißt - der 70. Geburtstag. Jahre wartete ich auf das letzte Buch und bekam keine Chance, nun heißt es - schreib dein letztes Buch, und ich reagiere mit lähmender Melancholie. Muss ein letztes Buch geschrieben werden? Ist ein letztes auch das letzte? Das letzte kommt ja gar nicht zuletzt. Das „ohne Ende“ des Schreibens ist ja kein reiner Vorwurf. So setzt man sich über sein Ende hinweg. An Friedemann Spicker, 8. Juni 2006 Nr. 294 Die wichtigste Mitteilung: Mein Buch ist da und kann sich sehen lassen. Es war eine schwere Geburt, mitunter eine Plage - wie nie zuvor, nun sieht’s wie inspiriert aus. Wie es dazu doch noch kommen konnte, müsste ich Ihnen erzählen. Wie es nun aber weitergehen soll, weiß ich nicht. Es ist ein sehr reiches, auch umfangreiches Buch geworden. Der Verlag wird zu knacken haben, vielleicht rebelliert er auch. Das Buch ist jedenfalls da, auch wenn es liegen bleiben müsste. Sie kennen das Gefühl und das Wort dazu: Es ist vollbracht. Die schwere Zeit - das war sie in jedem Fall - kam auch den anderen Büchern zugute. Die „Sandkronen“ gehen, so hieß es zuletzt, in diesem Monat in den Satz. Den letzten, neuen Teil, habe ich grundlegend überarbeitet. Das geschah vor einer Woche. „Das Mehr gespalten“ habe ich auch wieder überarbeiten können - es sind ca 280 S. geworden -, und es soll im Februar 2006 [2007] erscheinen. Das Hanser-Buch ist knapp 300 S. stark. Ich habe Hanser das Manuskript bereits angekündigt, ich warte auf die Rückmeldung meines neuen Lektors. Vorläufig bleibts also beim alten Titel: „Die Eselin Bileams und Kohelets Hund.“ Die drei genannten Titel können Sie in Ihre Bibliographie aufnehmen. Ich würde den letzten verteidigen, mich darauf aber nicht versteifen. Ich nehme zwar nicht offiziell Abschied und werde auch nur 70, doch werde ich nicht noch einmal 70, und große Aphorismenwerke werde ich keine mehr schreiben. Gelingt mir eine Rückkehr ins Hebräische, dann wäre es der natürliche Abschied vom Deutschen. Gelingt sie mir nicht, dann schreibe ich vielleicht noch Erinnerungen. Für die Aphoristik müsste eine neue Zeit, müsste vor allem ein neuer Autor kommen, der die Sache gut, und also wieder ganz anders vertritt und verteidigt. Ich kann nicht weiter, ich habe die letzte Runde gerade noch geschafft, doch habe ich oft verzagen müssen, immer in der Angst, ich würde mich am Ende nur wiederholt haben. „Die Eselin Bileams und Kohelets Hund“. 2007 251 An Friedemann Spicker, 27. Juli 2006 Nr. 295 Ein Besuch aus Deutschland brachte mir als Gruß von Herrn Joost* ein Exemplar des Jahrbuchs mit. Mit dem Hanser-Buch geht es sonderbar zu. Weil es so groß geworden ist, müssen 300 Seiten in 200 untertauchen. Das Seitenbild verändert sich, umso wertvoller für mich und für die zukünftige Forschung, dass ein Teil des Buches, in seiner ursprünglichen Form, nun doch im Jahrbuch erhalten bleibt. Das besagt aber auch, dass Ihr- Aufsatz ebenfalls an den Jahrbuch-Beitrag fixiert bleibt. * Siehe Anm. zu Brief Nr. 195 An Hans-Martin Gauger, 1. Januar 2007 Nr. 296 Meine Literatur hat sich indes kompliziert. Das Hanser-Buch bekam unverhofft ein Hinterbuch hinzu, das mir noch teurer wurde. Aus einer Verzweiflung geboren, beschäftigte es mich bis vor zwei Wochen, Tag und Nacht, lesend und schreibend. Dass ich das Buch abschließen und aus der Hand geben musste, stürzte mich in Traurigkeit. Hinzu kam die Bearbeitung meines Frühwerks, die vor einem Jahr schon herauskommen sollte. Die Verspätung zwang mich, das alte Buch dem neuen näher zu rücken. Das sollte von Vorteil sein, brachte mit sich aber den Stilbruch. Schließlich sah ich mich genötigt, einen Satz aus dem neuen Buch dem Altneuen abzutreten, was das Hauptwerk nun als schmerzlichen Verlust empfindet, da es einzig ihm gehören sollte: Zum Messias gehört ein Esel, kein Pegasus An Friedemann Spicker, 14. Januar 2007 Nr. 297 Das neue Buch bei Hanser ist alles in allem oder auch ganz und gar das Buch zum 70. Geburtsjahr. Auch auf die Zahl 70 wurde darin Gewicht gelegt, auch auf das Jahr 1937. Es ist ein Buch ohne Folgen und enthält viele Schlüssel zum Werk. Sollte ich mich in der Annahme auch irren, dass ich mich mit diesem Buch selbst übertreffe, es ist sicher das wichtigste Buch zu meinem Werk, in Anspielungen auch zu meinem Werdegang. Es hätte dann keinen Sinn, eine Lesung zum 70. Geburtstag zu halten - und nicht daraus. 252 VIII Zu einzelnen Publikationen „Die Rede geht im Schweigen vor Anker.“ 2007 An Friedemann Spicker, 7. Februar 2007 Nr. 298 Unweigerlich denke ich daran, wie man Ende und Anfang verbinden kann, dass meine Anfänge für den deutschen Leser anschaulich werden. Es ist wahrlich schwer, auch nach bester Erklärung, meinen Weg als Israeli ins Deutsche mit Sinn zu fassen. Mögen Dokumente so verwirrend sein wie alles um mich: treten sie vor Augen, beleben sie die Vorstellung. Das Problem in meinem und ähnlichen Fällen - es war auch das Problem Paul Engelmanns -, dass die Vorstellung eine Umwelt vermisst und darum auf der Strecke bleibt. Beim Abfassen meines großen Beitrags über Engelmann* war meine einzige Sorge, der Nachwelt eine Umwelt nachzuliefern. Diesem Versuch gilt nun meine Auswahl. So bekommt man eine Vorstellung von meinen deutschen Anfängen. Man gewinnt einen Einblick, zu einem Bild freilich gehörte noch anderes. Die Briefe würden in jedem Fall den dokumentarischen Wert des Bändchens steigern und von den anderen Büchern auch deutlicher unterscheiden. Es bleibt eine Frage der Konzeption, des Umfangs und des Aufbaus. In jedem Fall würde ich nach Meidner** den Brief um van Hoddis und einen von Claire Goll aufnehmen. Das wäre ein tragisches Anknüpfen an Celan, denn eben in dieser Zeit spielte Claire Goll ihre fatale, vielleicht vernichtende Rolle im Leben Celans. Wir wären um beide Namen einander „verwunschen“ näher. Aber das gehörte zur Vielzeitigkeit*** des Bildes. Yvan und Claire Goll standen an meinem Anfang in Tel Aviv, wie an Celans Anfang in Paris. Die Dokumentation des Streites um die „Todesfuge“**** nennt übrigens auch einen Brief Claire Golls an mich. Meine Beziehung zu Claire habe ich woanders dargestellt. Der Philosoph Hugo Bergmann - ein bedeutender Mann (und nicht nur darum, weil er Kafkas Schulkamerad war) - begleitete meine hebräische Dichtung, aber auch ins Deutsche. Beides kommt in den Briefen zum Ausdruck. Er glaubte, ich hätte eine Aufgabe in Deutschland, vor der Bibliographia Judaica aber hatte er mich strengstens gewarnt. Jacob Picard***** ist schon eine Begegnung des „Ewigen Juden“, in der von mir angenommenen Gestalt. Es ist ein deutsch-jüdisches Dokument auch an und für sich. * Siehe Anmerkung zu Brief Nr. 46 ** Ludwig Meidner (1884-1966); Maler, Grafiker, Schriftsteller; vgl. Die Eselin Bileams und Kohelets Hund, S. 188; vgl. Aberwenndig, S. 315f. mit Anmerkung S. 415-417 *** Vielzeitig. Briefe. 2009, darin Claire Goll 21 f., 24 f. et pass. **** Claire Goll bezichtigte Paul Celan des Plagiats an ihrem Bruder Yvan. Vgl. Barbara Wiedemann (Hg.): Paul Celan. Die Goll-Affäre. Dokumente zu einer Infamie. Frankfurt „Die Rede geht im Schweigen vor Anker.“ 2007 253 a. M.: Suhrkamp 2000; vgl. Die Rede geht im Schweigen vor Anker, S. 34f.; Vielzeitig, S. 273f. et. pass. ***** Vielzeitig, S. 43f. u. Anm.; vgl. Die Rede geht im Schweigen vor Anker, S. 43 An Friedemann Spicker, 14. Februar 2007 Nr. 299 Ich stelle nun meinen definitiven Text her, - ein Büchlein von 20-25 Seiten, in einer Woche wird es Ihnen zur Verfügung und zur Kritik stehen. Ich erlaube mir nun, Ihnen eine erste Titel-Auswahl vorzulegen, und bitte Sie, das, was Ihnen nicht gefällt, zu streichen. Was Sie bestehen lassen, kommt in eine engere Wahl, aber Sie bekommen vorher vielleicht noch andere Vorschläge. Titel - eine Gattung für sich. Unter der Sonne, hinter dem Berg Kommen ist das längste Unterwegs Auch das Bleibende ist nur ein Weilnis Alljählich Mein Schritthalten ist ohne Mitgehen Versäumt und nicht verfehlt Ich habe die Flammen dem Feuer überlassen An Friedemann Spicker, 15. Februar 2007 Nr. 300 Als Titel zu meinem Kleinbuch schwanke ich noch zwischen „Alljählich“ und „Auch das Nichts spricht durch die Blume“, zum letzteren neigend. Für das Buch hielte ich „Unter der Sonne, hinter dem Berg“ für geeignet. Das entspricht vielem, vor allem dem Leben und seinem Ende, dem Ort, wo ich stehe oder bald stehen werde, aber hinter dem Berg gekommen sein ist auch nicht nur schlecht, es ist überwunden. Und unter der Sonne ist der Spielplatz, ist aber natürlich ein dicker Hinweis auf Kohelet. Es ist kein unbedingt poetischer, aber auch kein hochgestochener Titel, der alles in sich vereinen und fassen kann, und das wäre in unserem Fall doch richtig. 254 VIII Zu einzelnen Publikationen An Friedemann Spicker, 24. Mai 2007 Nr. 301 Kaum setzte ich an, Ihnen „kurz und gut“ zu schreiben, fährt Ihre Mail dazwischen. Das kam schon vor, mit-Hattingen* scheint für uns eine „neue Zeitrechnung“ angebrochen zu sein. Zum zweiten Mal setzten wir gemeinsam Denkwürdiges in die Welt des Aphorismus, von der man wieder hört, nichts aber zu berichten gibt. Die Feier ging glücklich vor sich**, auch das Buch war eine Geburt und wird als Gabe genommen, mehr liebenswert als ansehnlich und guten Mutes zu verschenken. * Sitz des Deutschen Aphorismus-Archivs, vgl. Anmerkung zu Brief Nr. 52 ** Lesung am 6. Mai 2007 „Scheinhellig“. 2009 An Michael Bongardt, 5. Juni 2007 Nr. 302 Ich komme auf mein Werk kurz zu sprechen. Es sind in diesem Jahr drei Bücher erschienen; die „Sandkronen“*- meine einstige „Schweizer Produktion“ -, die in der Schweiz erscheinen sollten, habe ich zurückgezogen; mein Briefwechsel erscheint gerade in einer Internet-Edition**, es gibt für mich nichts Dringendes mehr zu leisten, bis auf das Eine: die „Variationen“ zugänglich zu machen; es wird nach ihnen immer mehr gefragt, ich möchte sie nicht wieder an Hanser vergeben, meine Frage: Würdest Du gern die Herausgabe besorgen, mit allem, was dazu gehört? * Sandkronen - in einer Frühfassung - sollte bei Waldgut in Frauenfeld erscheinen. ** Das gerichtete Wort.-Briefe von und an Elazar Benyoëtz. Hg. von Barbara Hoiß und Julija Schausberger. Innsbruck: Brenner Archiv 2007ff. Von Friedemann Spicker, 6. Januar 2008 Nr. 303 Nach ein paar Wintertagen in Winterberg/ Sauerland sitze ich wieder am Rechner und sehe unter mancherlei Neuigkeiten Ihre dritte Fassung vor mir. Diese habe ich jetzt noch nicht genauer ansehen können, aber für die zweite hatte ich die schönste Leseruhe in den Ferientagen. Der Introitus mit Klarheit und Dunkelheit und paradoxer Kraft, den ich schätzte, ist jetzt wohl anderen Überlegungen zum Opfer gefallen, sehe ich gerade? Ich habe genauer als früher vier Formen Ihrer Arbeit unterscheiden gelernt, meine ich: „Scheinhellig“. 2009 255 - eine Moralistik eigener Art* - dann - immer wieder wunderbar erneuert - Wortspiel-Erkenntnis - auch Metaphern-Erkenntnis - schließlich einen Typ hermetischer(er) Paradoxie, der sich unterschiedlich (weit) erschließt. Ich habe gelesen,-wie Sie die Präposition-ernstnehmen, wie Sie den alten Doppelsinn beleben oder die Arbeit an der Redewendung in ihr Recht setzen, wie Sie Ihre alten eigenen Themen immer wieder gedanklich durchdeklinieren,-wie Sie immer weiter an Ihrer Poetik arbeiten, an Ihrer Worthaltung, dass Sie Wiederaufnahmen einarbeiten. Das Leseprotokoll kann nie erschöpfend sein, so will ich es bei diesen Winterberger Lesenotizen lassen.-Nehmen Sie sie als nichts weiter als meine Selbstvergewisserung. Ich bin gespannt, wohin Sie der Weg in der dritten Durcharbeitung geführt hat und noch mehr, was wie den Weg zum Druck, also den Weg zu mehr Lesern findet. * Stellenbelege - auch im Folgenden - eliminiert An Hans-Martin-Gauger, 23. Dezember 2008 Nr. 304 Ich stehe leidenschaftlich gern an einem Anfang, wo immer er sich mir bietet, und habe auch eine Schwäche für altbewährte Namen - wie alte Wirtshausschilder* -, so einer ist Braumüller, da erschienen einst die Psalmen in der Übersetzung von Adolf Brecher**, dem Großvater Paul Engelmanns*** - und im krassen Gegensatz dazu: Otto Weiningers „Geschlecht und Charakter“; und Engelmanns Freund, Ludwig Wittgenstein, hätte seinen „Tractatus“ gern hier erscheinen gesehen. In diesen Erinnerungen lebe ich eben - mein absurdes, darum aber nicht falsches Leben. Aber was ist Braumüller heute, und wer weiß noch, was ich zu wissen glaube, und bringe ich mich mit diesem Anfangstrieb nicht in einen Mischmasch hinein? * Regina Ullmann: Von einem alten Wirtshausschild. Erzählungen. Einsiedeln/ Zürich: Benziger 1949 ** Adolf Brecher (1831-1894); Die Psalmen, metrisch übersetzt von Adolf Brecher. Wien: Wilhelm Braumüller k. k. Hofbuchhändler 1864 *** Vgl. Anmerkung zu Brief Nr. 46 256 VIII Zu einzelnen Publikationen An Hans-Martin Gauger, 23. Juni 2009 Nr. 305 Hab meine „Theologia teutsch“* abgeschlossen und abgeschickt, damit wird meine „Wiener Edition“ im Herbst, bei Braumüller, ihren Weg in die Wirklichkeit suchen (immer schön in Leinen gebunden). Das Buch ist wohl geraten, es heißt „Scheinhellig” und wird Dich freuen. Du wirst schon merken, wie oft und wo ich an Dich denken musste und gedacht habe. Es ist angenehm, Verbündete im Schreiben zu haben. Paulus** habe ich eine Seite gewidmet; ich scheute das Mehr, denn das Denken über Paulus ist, wie er selbst: maßlos. Paulus ist für das Nachdenken ergiebiger als für die Nachfolge. Was ich egentlich nicht wissen sollte. Die Rückwendung nach Österreich bringt mit sich fast unweigerlich eine Abwendung von Deutschland. Für den Herbst ist eine letzte Lesereise durch Deutschlands theologische Fakultäten vorgesehen, ich werde auch in Freiburg sein und Dich dann hoffentlich sehen. Im Spätsommer erscheint mein Briefband, dieser wird Dich vielleicht noch mehr interessieren, und nicht nur, weil auch Du darin vorkommst. * Scheinhellig, S. 131-138; Anspielung auf Martin Luther, 1516/ 1518 ** Gauger: Paulus, siehe Anm. zu Brief Nr. 146; Scheinhellig, S. 222 mit Anm. „Fraglicht“. 2010 An Friedemann Spicker, 25. Oktober 2009 Nr. 306 Wenn Sie und ich Ende Dezember zurück sind, möchte ich mich mit Ihnen wegen einer Gesamtausgabe der Aphorismen beraten, eine gesamtsämtliche wird sie ja nicht sein können, es ginge also hauptsächlich um einen Nachdruck der vergriffenen Bücher, die Gottlieber Hefte eingerechnet, die Herrlinger ausgeschlossen (sie müssten später für sich erscheinen). Um das Problem vorwegzunennen: „Einsprüche“ / „Einsätze“ sind überarbeitet als „Das Mehr gespalten“ vorhanden, ich kann sie nicht wieder, „wie sie waren“, ohne weiteres aufnehmen; bleiben sie fort, bleibt „Sahadutha“ in einem historischen, luftarmen Raum hängen, also muss auch es wegbleiben bzw. separat einmal, vielleicht als ‚Buch des Anfangs‘ [erscheinen], als Nachdruck oder aus seiner Zeit ergänzt bzw. kommentiert. Folglich: Die Gesammelten Aphorismen müssten mit dem ersten Hanser-Buch beginnen, also „Worthaltung“ - „Eingeholt“ - „Vielleicht/ Vielschwer“. Ich zähle die Titel nicht weiter auf, Sie kennen sie alle (Die Misch-Bücher ab „Treffpunkt Scheideweg“ kommen nicht infrage, das sind schon Werke für sich, auch sind sie nicht vergriffen). Es ginge um die grundsätzliche Frage: „Historisch-kritisch“, was mein Erstdruck getreu [? ], nur leicht korrigiert, wo „Fraglicht“. 2010 257 nötig, aber nicht ergänzt, nicht erweitert, samt Wiederholungen einzelner Sätze von Buch zu Buch. Vieles spricht dafür, auch die Bequemlichkeit, doch diese mag ich eben nicht, mein Sinn ist immer auf Verändern aus, doch müsste ich mich wohl zusammenreißen-… An Friedemann Spicker, 6. Dezember 2009 Nr. 307 Vor wenigen Tagen zurück, es war ein „Mammutprogramm“ mit einem schlechten Anfang, aber in aufsteigender Linie, bei meiner letzten Lesung in Osnabrück wurde ich von einem ganzen Chor begleitet - ein denkwürdiger, auch ergreifender Abschluss meiner letzten Lesereise, denn ich war darauf nicht gefasst, es sollte eine Überraschung sein. Ich konnte auch die erste Wirkung meines Buches „Scheinhellig“ beobachten, in diesem so zweifelhaften Punkt bin ich beruhigt. Im Frühjahr soll der Band „Gesammelte Aphorismen (I)“ herauskommen: das aphoristische Jahrzehnt umfassend, von „Worthaltung“ (1977) bis „Weggaben“ (1986). Diese Rechnung geht auf, ich nehme sie als Lösung an. Ich hatte in Münster Gelegenheit, mit Harald Weinrich die Ausgabe zu besprechen, er sprach sich gegen die Chronologie aus, seine Gründe waren vielerlei, ich konnte ihnen folgen, aber nur halbherzig. Es liefe auf Umstellen und Umarbeiten hinaus, diese letzte Energie würde ich aber doch lieber einem neu zu Schaffenden zuwenden. Also gab ich die Anfänge wieder auf. Sie könnten mir gewiss bestätigen, dass mein Entschluss so sachlich wie sinnvoll ist: Mit „Worthaltung“ beginnt mein Werk öffentlich zu werden, mit ihm beginnt auch die eigentliche Rezeption meiner Aphoristik; die drei Hanser-Büchlein sind fast durchwegs einsätzig, führen sich „klassisch“ und führen alles „auf den Punkt“. Für diese aphoristische Dreifaltigkeit („Worthaltung“ - „Eingeholt“ - „Vielleicht/ Vielschwer“) bekam ich dann auch den Chamisso-Preis. In höherer Sauberkeit wird es konsequent durch die Gottlieber Dichterfreunde geführt: meine Schweizer Produktion, die mit „Weggaben“ endet: das erste Werk ohne Punktsetzung. Damit endet eigentlich meine aphoristische Periode und beginnt mein intensives, ruheloses Suchen nach dem „Buch“, damit hängt auch meine Rückkehr ins Hebräische zusammen: Sie war nicht meine endliche, glückliche, wie ich hoffte, aber sie hatte einen tiefen Sinn: denn in diesem letzten hebräischen Buch fand ich eigentlich die Form, die ich mit „Treffpunkt Scheideweg“ zur Geltung bringen sollte.. Der „Gesammelten Aphorismen“ 2. Band soll demnach folgende Bücher enthalten: „Filigranit“ - „Wirklich ist, was sich träumen lässt“ - „Der Mensch besteht von Fall zu Fall“ - „Das Mehr gespalten“ - „Die Rede geht im Schweigen vor 258 VIII Zu einzelnen Publikationen Anker“ (die Aphorismen). Das wäre eine klare Linie, sie ließe sich verunklären durch Erweiterungen, wie „Brüderlichkeit“ und einzelne Herrlinger Drucke. Ich würde die klare Linie im Moment vorziehen, „Brüderlichkeit“ zu den Hanser-Werken stellen: „Treffpunkt Scheideweg“ - „Brüderlichkeit“ - „Die Zukunft sitzt uns im Nacken“ - „Finden macht das Suchen leichter“ - „Die Eselin Bileams“: Werke, die unverändert Band für Band erscheinen müssten. Ich würde ebenfalls die Herrlinger Drucke 1-13 komplett herausgeben. Es bleibt mir nicht verborgen, was dagegen sprechen könnte. In diesem Punkt, wie auch hinsichtlich der Aufnahme nicht selbstständiger Publikationen in einem Band 2, wird meine Lage kompliziert, und ich frage mich ernsthaft, ob ich die Entscheidung darüber nicht meinen Nachkommen überlassen sollte. Gesammelt soll werden, was gesammelt stärker wirken kann. Die Hanser-Werke, „Scheinhellig“ und die „Gesammelten Aphorismen“ I und II, wie hier aufgezeichnet, enthielten entschieden das, was man als meine „aphoristische Leistung“ bezeichnen könnte. Von Friedemann Spicker, 15. Dezember 2009 Nr. 308 Ich bin Ihrer-Meinung, dass Sie die große Energie, die das-Umstellen und Umarbeiten erforderte,- lieber Neuem zuwenden sollten, und kann Ihren Gliederungsüberlegungen gut folgen. Es darf ja auch dereinst (und nach unserer Zeit) einmal eine Kritische Gesamtausgabe geben. Zu „Gesammelte Aphorismen“ 1: „Sahadutha“, „Einsprüche“, „Einsätze“: Ich kann nachvollziehen, warum sie nicht aufgenommen werden sollen, das gilt auch - aus anderen Gründen - für die „Treffpunkte“*. Die Veröffentlichungen der Gottlieber Dichterfreunde fielen weg oder würden zusammengefasst- (vgl. Herrlinger Drucke)? Bei „Logorythmen“ ergibt sich das Problem nicht-selbstständiger Publikationen, das Sie schon selbst ansprechen und das sich für mich z. B. bei Lichtenberg-Jb. 2006 und 2009**, aber auch Akzente 2004***-entschieden stellt. Es sind wertvolle Texte, und ich würde mir dafür insgesamt einen Band 3 wünschen, sehe aber noch nicht genau, wieviel Doppelung er angesichts Ihrer Variations- und Kompositionsarbeitsweise enthielte. Zu „Gesammelte Aphorismen“ 2: Die Herrlinger Drucke gesondert und gesammelt: Ich sehe noch nicht im Einzelnen, wie weit sie in Späterem aufgegangen sind. Auf jeden Fall, scheint- mir, wäre- der Neudruck für einen etwas späteren Zeitpunkt vorzusehen. Dass Sie die „Variationen“ nicht erwähnen, verstehe ich, aber was ist mit „Allerwegsdahin“? - Da ist viel aus den Herrlinger Drucken eingegangen, der Band ist aber doch als eine innere Biographie in Aphorismen, Zitaten, Briefen äußerst wichtig. „Fraglicht“. 2010 259 * Vgl. Anmerkung zu Brief Nr. 257 ** Ein Morgen letzter Hand. In Lichtenberg-Jahrbuch 2006, S. 15-54; Unter den Gegebenheiten kommt auch das Mögliche vor. Eine Morgenlesung. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2009, S. 91-112 *** „Es dunkelt, wie mir scheint“. In: Akzente 51, 2004, S. 34-47 An Friedemann Spicker, 15. Dezember 2009 Nr. 309 Vielen Dank für Ihre gestrige Stellungnahme, von gestern auf heute veränderte sich meine Vorstellung vom ersten Band: „Filigranit“ soll auch noch aufgenommen werden, das ergäbe ein vollständiges Entwicklungsbild: vom EinSatz zum Buch. Dadurch entfiele viel Problematisches, das nicht echt oder gut genug zu diesem Zeitpunkt gelöst werden kann. „Das Mehr gespalten“ und „Der Mensch besteht-…“ sind noch zu haben, ein Nachdruck ist darum wenig plausibel, „Filigranit“ hingegen macht sich gut aus in einem Band „Gesammelte Aphorismen“. Für mich war schon immer jede Publikation ein Werk für sich, Wiederholungen sind von wandelnder Gewichtung und immer anders zu betrachten; sie gehören dazu, wie zum Alltag eines jeden Menschen: Sie kommen vor und weichen ab. […] Ich denke bei mir, dass ich der Zukunft nichts überlassen soll, worüber ich im Augenblick entscheiden kann, vielleicht ist kein zweiter Band in Sicht. Nur muss die Entscheidung klug sein und vor allem echt, und das wäre sie mit der Aufnahme von „Filigranit“. Ich sehe die Vorteile, sehe freilich auch einen Nachteil: Das Buch wird umfangreich, vielleicht zu dick für einen Aphorismenband, möge es noch so gesammelt sein. An Friedemann Spicker, 13. Februar 2010 Nr. 310 Zu „Fraglicht“ (so soll das Buch heißen) lege ich Ihnen einen ersten Entwurf „zur Edition“ bei, Sie können sich eine Vorstellung machen und sich den Rest denken. Das Vorwort interessiert Sie wohl auch oder mehr. Mit der Überarbeitung bin ich fertig, mit dem Anhang beginne ich heute, mir ist nicht wenig bange davor. Von Friedemann Spicker, 7. Mai 2010 Nr. 311 Die freudige Nachricht, dass Sie den Theodor-Kramer-Preis* bekommen werden, die ich eben erhielt, will ich gleich mit einem ebenso freudigen und herzlichen Glückwunsch an Sie-beantworten! Da kommt das „Fraglicht“ gerade recht! * Theodor- Kramer-Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil, Österreich 260 VIII Zu einzelnen Publikationen An Friedemann Spicker, 27. Mai 2010 Nr. 312 Die Preisverleihung etc. sehr schön, ich bin zufrieden. Am kommenden Sonntag fahre ich mit meiner Frau in die Schweiz, wo wir uns von Österreich erholen wollen. Der große Band gefällt Ihnen hoffentlich. Vierzig Jahre deutsche Aphoristik - mein „Schatz der Armen“*. Merkwürdig, dass Sie an Hessing denken**, während ich an Spicker dachte - und gar nicht an Hessing. Indes habe ich die Anthologie Grüterichs*** erhalten und - lese und erstaune: Zeile für Zeile gelesen. Keine aufregende, auch keine erbauliche, aber eine - zumal auf Hattingen**** hin - lehrreiche Lektüre. Hattingens erste selbstständige Frucht, darüber würde ich gern mit Ihnen nach meiner Rückkehr sprechen. * Anspielung auf Maurice Maeterlinck: „Der Schatz der Armen“ (1902) ** Für eine Rezension; Jakob Hessing, vgl. Anm. zu Brief Nr. 64; FAZ-Rezensent; u. a.: In der deutschen Sprache wohnen. Freigelassene Gedanken: Die Aphorismen des Elazar Benyoëtz. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. 8. 2000. (Zu: „Die Zukunft sitzt uns im Nacken“) *** Tobias Grüterich, Alexander Eilers, Eva Annabelle Blume (Hgg.): Neue deutsche Aphorismen. Eine Anthologie. Dresden: Azur 2010 **** Vgl. Anmerkung zu Brief Nr. 52, 238 „Olivenbäume, die Eier legen“. 2012 An Harald Weinrich, 15. Oktober 2010 Nr. 313 Ich schaue und höre Dir so gerne lang zu, die Gespräche werden immer kürzer. „Knappe Zeit”*. Da können auch wir, Meister der Kürze, uns nicht herausreden. Es ist gar nicht in unserer Hand, so dreist ich auch immer bin, so vornehm Du auch immer sein magst. Wir kennen das Maß, haben es nicht. Wir erfüllen das Gebot, erreichen das Maß der Kürze aber nicht. Es ist also unerreichbar, denn ehrlicher als wir kann sich niemand darum bemüht haben. Mein letztes Hanser-Buch (es steht für eine „Gattung”) war „Die Eselin Bileams- …”. Das war das letzte. Nun muss auch Schluss gemacht werden - mit einem Buch, das zu meinem 75. Geburtstag in Österreich erscheinen soll. Nichts Altes, Nichts Neues - Ergänzendes, anders akzentuiert. Darüber nachzudenken habe ich ein halbes Jahr, im Moment wollte ich von der Prosa weg, wie eng ich ans Lyrische gelangte, entzieht sich noch meiner Vorstellung, es wäre meine Neigung, würde auch eher ins Hebräische vordringen. Es wird sich zeigen, nun steht aber schon ein erster Bau, wärest Du bereit, einen Blick darauf zu werfen? * s. Anm. zu Brief Nr. 177 „Olivenbäume, die Eier legen“. 2012 261 An Harald Weinrich, 15. Oktober 2010 Nr. 314 Das Buch ist überwiegend neu, Älteres kommt vor: überarbeitet oder in neuem Zusammenhang. Es ist ein Abschiedsbuch, auch von den „Themen“, die mein Leben beherrschten - und das Buch nun bestimmen, vielleicht übertönen. Aber die - mitunter elegischen - Zwischentöne machen das „Neuere des Neuen“ aus. Ich schicke es im ausgehenden Jahr ab, Du wirst es schon im neuen empfangen, dazwischen liegen die mich immer erschütternden Verse der Droste („Am letzten Tage des Jahres“) „Was ich begangen und gedacht, Was mir aus Haupt und Herzen stieg, Das steht nun eine ernste Wacht Am Himmelstor. O halber Sieg! O schwerer Fall! “* * Annette von Droste-Hülshoff: Am letzten Tage des Jahres (Silvester). In: Annette von Droste Hülshoff: Sämtliche Werke. Hg. von Clemens Heselhaus. München: Hanser 1966, S. 620f. Vgl. Anm. zu Brief Nr. 122 An Harald Weinrich, 24. Januar 2011 Nr. 315 Du hast gründlich gelesen, erwogen, befunden. Das Resultat wird mein Dank sein, und dieser wird auf sich warten lassen. Ich hole Deine Lektüre langsam ein. Du urteilst messerscharf und zeigst mir genau, wo und woran es fehlt. Du lehrst mich das Fürchten und bringst mir noch einmal das Zittern bei. Meine Ohren sind zu sehr nach innen gekehrt, es ist Zeit, das Feld zu räumen. Ich bildete mir den Gipfel ein, ich bin an meiner Grenze. Da hörts mit der Dichtung auf, obschon ich sie, wie das Pathos es verlangt, erst mit meinem letzten Atemzug aufgeben werde. Deine Favoriten sind ja ein Ritt darüber hinaus oder davon weg. Die meisten Korrekturen konnte ich gleich übernehmen, dank Dir ist das „Manuskript“ schon viel besser, noch ist es nicht das Buch. Ist es soweit, ist es auch nicht mehr so dick. II. Fassung Mit einer - Deiner - Lektüre - eine Ethik des Lesens darstellend - hast Du das Niveau meines Buches erheblich gesteigert. 262 VIII Zu einzelnen Publikationen An Werner Helmich, 27. Februar 2011 Nr. 316 Zu „Olivenbäume“: Das Ende geht vor. Ein übliches Nachwort wird zu einem ungewöhnlichen Nachbuch, aus dem ein Lebenswerk, mit vielen Titeln versehen, als einziges Vorbuch hervorgeht. Das Nachbuch stellt sich als Perspektiv ein und beansprucht gleichsam, eine neue Gattung etabliert zu haben. „Es ist die Umstellung eines Hallraumes durch Texte, Fragmente häufig, zu einer großen dialogischen Konstellation. Im Zentrum dieses Hallraums begegnen einander die Sprechenden in dem, worüber sie sprechen: Dies ist das aphoristische Werk Elazar Benyoëtz’, welches als dichterisches Werk im Medium der Sprache nicht von der Person, seinem Autor zu trennen ist. Die Idee des ›Nachbuches‹ sei ein ›Gespräch des Autors mit seiner Intention‹, heißt es in der Vorbemerkung.“ (Rüdiger Zymner). Werkgeschichte als Lebensgeschichte und beides - bis zum vorletzten Atem. Von den Anfängen mitgenommen, von Namen umstellt, von Stimmen betäubt, findet das Nachbuch kein Ende. Als Herausforderung an die Literaturwissenschaft erscheinen diese „wiehernden Bäume“ wider Erwarten im wissenschaftlichen Verlag, kommt das Ende seinem Vorhaben nicht nach. Die Idee wird auf Gedankengängen nicht zertreten, sie bleibt in der Luft. Dieses Gespräch findet hier die Form der umstellenden Zitatkonstellation, in der nach und nach das aphoristische Werk seit dem Buch „Sahadutha“ (1969) - ‚Buch um Buch‘ - besprochen wird. Es gelingt Benyoëtz, das Buch auf der Grenzlinie zwischen Primär- und Sekundärliteratur zu halten. Die dichterisch collagierten Stimmen bilden ein Gesprächspiel, das eine Geschichte zeigt oder deutlich macht, ohne sie zu erzählen. An Riccarda Tourou, 15. Juli 2011 Nr. 317 Für Kritik darfst Du Dich nicht entschuldigen, sie gehört zu den Pflichten. Sie ist berechtigt, auch wenn sie nicht in der Sache begründet ist. Zum Beispiel: Es störe mein Gefühl oder meinen Sinn für Harmonie. In jedem Fall wird es Deine Vorstellung sein, und diese wird einem eigenen Wunsch entsprechen. Du weißt auch, dass ich über Kritik nie diskutiere, ich will sie hören und nehme sie gern an. Ich bin ein Autor gebrochener Harmonien und Fanatiker meines Poetenbildes. Ich sehe alles, was Du nicht siehst. Und weiß auch, wohin und warum etwas gehört oder besser gehören würde. Ich war darum nie Freund meiner Lektoren, sie auch nicht meine Freunde. Ich konnte mich nicht um deren Verständnis von Literatur kümmern, ich habe mein eigenes und da kann mir niemand hineinreden. Man nimmt mich oder man lässt mich. Und Du weißt: Man nimmt mich zur Kenntnis und lässt mich in der Tat. Das hat seinen Preis, aber wer schreibt sonst „Olivenbäume, die Eier legen“. 2012 263 noch „Olivenbäume“? Wer sollte mich also mit wem vergleichen? Es ist eine wilde Sache, und Du musst verwildern, willst Du ihr auf den Grund kommen. Ziehe sie ja nicht ins Brave und Harmonische. Bei diesem Mädchen, Juliane Link*, bin ich nicht durchgefallen; sie machte sich die Mühe - bis sie auf ihre Kosten kam. Das bekommt man nun zu sehen , das ist das Kostbare. Sie sagt kein Wort von Bedeutung: Sie spricht - und man sieht sie lesen. Und das lässt sich nun zeigen: Ich bin leserlich lesbar, wenn man intelligent meine Bücher aufschlägt und eine Weile dabei bleibt, was sehr bald heißt: bei sich. Die Voraussetzungen sind besser, wenn man mich einmal gehört hat. Man kommt auf seine Kosten: nicht schnell, nicht billig. Freilich standen mir Briefe der gescheiten Art zu Gebote, davon gibt es auch in der Briefliteratur genug, nicht gibt es viele Briefe, die den Lesenden beim Lesen, beim Aufnehmen des Fremden zeigen. Der Brief der Juliane Link zeigt und besagt nicht. Das ist sein Wert für mich, sein Stellenwert im Buch. Um woanders im Buch stehen zu können, müsste der Brief eine literarische Qualität aufweisen, die er nicht hat, und die, hätte er sie, das Gezeigte verwischte. Juliane Link will nichts gesagt haben, sie will gesehen werden. Denk nur daran, dass beide Bücher** gleichzeitig erscheinen sollen, und Du hättest einen helleren Blick darauf. Ich neige dazu, meinen Büchern ein Motto vorauszuschicken und mit einem Zitat sie enden zu lassen. So beschneide ich mir das erste Wort und verwehre mir das letzte. Ich muss das letzte Wort nicht haben, und wehe mir, müsste ich das letzte behalten. Das gehört zu meiner Poetik, aber auch zu meinem Menschenbild. Und soll nicht erklärt werden müssen. * Olivenbäume, S. 389f. ** Olivenbäume, 2012; Sandkronen, 2012 Von Burkhard Talebitari, 15. Juli 2011 Nr. 318 Im Kern folge ich Helmich, wenn er vorschlägt, das Ganze noch dialogischer zu komponieren, und wenn Du erlaubst, sehe ich diesem Manuskript Deine unvergleichlichen, ganz und gar einzigartigen Sprachkompositionskünste nur an einzelnen (von mir erwähnten) Stellen an. Es ist mir zu viel Sekundäres, gegen das Du ja auf eine mir plausible Art nichts hast, ganz ungebrochen drin. Das absolut Reizvolle der Primär-Sekundär-Aufhebung, der Sphärenmischung scheint mir noch da verloren zu gehen, wo mir - ausnahmsweise mit dem mir fremden Kraus - einleuchtet, dass man schlechte (germanistische) Argumente am besten durch Nicht-Stören widerlegt. Andernfalls ich nicht einsähe, weshalb gewisser philologischer Sülzenschwurbel (ja, ich bin da empfindlich-…) Eingang in das Buch finden sollte. 264 VIII Zu einzelnen Publikationen Das „noch dialogischer“ klingt natürlich leicht verbubert*. Darüber müssen wir uns hier wohl kaum unterhalten. Was ich darunter verstehe, wäre noch mehr Sphärenmischung. Und ich kann hier nicht mit meiner Ansicht hinterm Berg halten, dass mir mehr Tagebuchnotate - aus der Zeit der jeweiligen Bücher etwa - hier überaus verheißungsvoll erschienen. Die geglückte Komposition, so ging es mir beim Lesen alleweil, scheint nicht gar schwierig. Sie stellt sich fast immer gleich da ein, wo Briefschaften, Philologisches - selbst Gattungsschmock auf Deine Sätze stoßen. Das Tagebuch bemühst Du aber gar zu sparsam, und wäre es nicht so, dass Du Dir nichts vergäbest, wenn Du uns darin passagenweise und je nach ganz und gar eigenem Gutdünken Einblick gewährtest? Mir scheint, es möcht da ein Buch auf einer noch einmal neuen Stufe möglich sein. Solches jedenfalls schwante mir bei Deinen ersten Überlegungen dazu und Hinweisen darauf. Auf einer ganz schlichten Ebene möchte ich auch einwenden, es seien manche philologischen Texte einfach zu lang und viel zu verschwatzt, um das wertvolle Papier eines Buchs von Dir und über Dich zu füllen, ob ich gleich weiß, dass es mir in Deiner Situation gewiss auch an der erforderlichen Strenge gebräche. Wie im Kommentar angedeutet, ist es schon alleine mehr als nur beachtlich, dass Du wirklich frei Stimme verleihst und nicht davor zurückschreckst, auch bedenklich ins Schwurbelige Changierendem Platz einzuräumen. Nur so wird ja auch Dein dichterisches Elend im/ aus dem Ausland deutlich. In einem gar nicht fernen Sinne ist das wortwörtliche, radi(x)kale Aufklärung, auch wenn das kaum einer hierzulande so zu lesen in der Lage sein wird. Legitimiert das alles aber extensiven Abdruck von - ja zuvörderst - germanistischen, mit meinem Liebrucksschen** Lieblingswort „untersprachlichen“ Dummbeuteleien? * Martin Buber: Das dialogische Prinzip. Heidelberg 1973 ** Bruno Liebrucks (1911-1985), dt. Philosoph An Burkhard Talebitari, 16. Juli 2011- Nr. 319 Die Gefahren, die Du anzeigst, gehörten zur redlichen Anzeige des Buches. Ehe ich zur Hauptsache komme, fasse ich das Bild vom Buch zusammen. Seine Idee entstand organisch, beim Abschluss eines Buches, das in Druck gehen sollte. Dazu gehörte ein Nachwort. Das Wort brauchte aber kein Nachwort, das Buch - das die Summe summierte: mein ganzes Frühwerk - aber ein Nachbuch. Das wäre das Richtige - und des Neuen zu viel. Ich brannte darauf. Für einige Wochen war das Nachbuch die Freude meines Lebens. Im letzten Augenblick - ich mache es kurz - wurde es amputiert. Das Nachbuch machte das Buch zum Vorbuch, nun gab es sie beide nicht mehr. „Olivenbäume, die Eier legen“. 2012 265 Die Dächer waren davongetragen, mir blieb ein Spatz in der Hand. Der Verleger ließ die Wolken ziehen, zufrieden. Es traf mich ins Herz; ich hatte eine Gelegenheit und hatte sie nicht mehr. Das Versprechen des Verlegers, er würde das „Nachbuch“ selbstständig herausgeben, nahm ich eher hin als an. Er gab mir sein Wort, doch unter der Bedingung, das Buch würde nicht im Rahmen meiner Werk-Ausgabe erscheinen, sondern in seinem wissenschaftlichen Verlag, darum notwendig von einem Wissenschaftler eingeleitet und also legitimiert. Zugesprochen und abgewertet. Der Witz des Ursprungs war hin, ich hätte künstlich eine Theorie des Nachbuchs entwerfen müssen, es wollte mir müßig scheinen. Ich kam nicht mehr darauf zu sprechen. Nun ist es so weit und wird doch nicht so kommen. Der Verleger sperrt sich gegen eine Buchausgabe im Rahmen der Werke, beharrt darauf, es sei ein wissenschaftliches, höchst sekundäres Buch, müsse darum im wissenschaftlichen Verlag erscheinen - Punkt. Es war der einzige, große Angriff auf meine Literatur, denn es sollte eben nicht zur Literatur gehören, sondern gezwungen, als Sekundärliteratur für immer abgestempelt zu werden. Die Gründe liegen auf der Hand und sind nicht zu preisen. Diese Geschichte soll Dir das Erscheinungsbild vor Augen halten, denn dieses stellt das Buch sogleich in eine andere Reaktionswelt hinein. Mit einem Wort aus einem Brief Werner Helmichs an Riccarda Tourou: „Zusammen mit EB, in ein Buch gegossen, das länger und länger wird, denn ich bekomme immer wieder einmal Nachträge. Ich bin gespannt, wie die gelehrte Welt das aufnehmen wird.“ Es ist nicht so, dass der Gelehrte auf die gelehrte Welt gespannt ist, es ist allein die Welt, die einzige, die überhaupt reagierte, denn die literarische Welt erreichte das Buch nur auf Umwegen: Für die gelehrte Welt ist EB das Sekundäre, sein Wert stiege mit keinem Tagebuch, vielmehr: Jeder launische Zusatz, jede geheime Anspielung bestätigten nur den Unernst dieses Unterfangens, den Mischmasch. So wird keine brauchbare Sekundärliteratur gemacht, die von wissenschaftlichem Wert wäre. Es sind Verlegenheiten, die nicht allein die Gattung betreffen, sondern auch alles das, was die Situation meines Werkes ausmacht, das Ausbleibende und das Bleibende. Und doch darf ich mich nicht beschweren: Auch die mich übergingen, kamen um mich nicht herum. 266 VIII Zu einzelnen Publikationen An Friedemann Spicker, 31. Oktober 2011 Nr. 320 Beide Bücher sind fertig und gehen in Druck - „Sandkronen“; „Olivenbäume, die Eier legen“. Zu den Oliven und den Eiern gehörte ein immer härter werdendes Brot, das ich lange (bis gestern) und in Tränen aß. Das Resultat ist erschreckend: ca. 400 Seiten. Vielleicht nicht bahnbrechend, grundlegend aber für die „Aphoristik-Diskussion“. An Werner Helmich, 14. Dezember 2011 Nr. 321 Vor einem Jahr schrieb ich Ihnen einen richtigen Weihnachtsbrief: „Und nun nehmen Sie sich meiner Olivenbäume an. Alleinstehend - nicht als launisches Nachbuch - könnte es den Eindruck eines nicht zartbesaiteten Seitensprungs erwecken.“ Es war ein „längst fertiges“, nur einigermaßen kurioses Buch, und ist seitdem - was geworden? Seit Wochen bin ich am Korrigieren des „gesetzten“ Buches, ob ich wirklich das Buch korrigiere? Will ich nicht eher es verlängern oder viel eher noch - mit ihm mein Leben? Ich denke bei mir eben, ich wollte beides nicht verlängern, nur zu Ende führen, dass ich am Ende stürbe, wie ich gelebt habe: schreibend, unter meinen Büchern, die ich zu beredten Zeugen eines Lebens und vieler Tode machte. Wie gut, dass ich mit oder zu Ihnen sprechen kann. Von Werner Helmich, 14. Dezember 2011 Nr. 322 Schreibend sterben - das erscheint auch mir als die angemessene Form. Mein hochgeschätzter Kollege Ulrich Schulz-Buschhaus*, der mir nach zwölf Jahren Trennung noch nahe ist, als stünde er neben mir, hat es mir in seinem letzten Jahr, den Tod vor Augen, vorgelebt, auch er kein Dichter wie Sie, sondern nur ein Kritiker wie ich - aber was für einer! Zugleich weiß ich wohl: Wie wir enden, steht nicht bei uns, was immer wir uns wünschen. Ihr Abschiedsgedicht** und den letzten Satz lese ich, ohne zu kommentieren, nur mit Dank. * Prof. Dr. Ulrich Schulz-Buschhaus (1941-2000), Romanist in Graz ** Olivenbäume, S. 46 „Olivenbäume, die Eier legen“. 2012 267 An Werner Helmich, 3. April 2012 Nr. 323 Sie sind mir wie ein Hüter meines Werks, sind aber noch mehr, denn die „Olivenbäume“ haben Sie für mich gerettet. Das will gesagt werden, möge es Ihnen nun auch gefallen, mehr gefallen als beim ersten Lesen, wo alles halb im Nebel lag (passt gut zu meinen Antworten, die Sie - mit Recht und treffend - für Nebelkerzen halten). An Friedemann Spicker, 29. April 2012 Nr. 324 Es freut mich, dass Sie mit großem Interesse und vielleicht Zustimmung (würde Werner Kraft gesagt haben) meine „Olivenbäume“ gelesen haben. Reaktionen darauf? Wer sollte schneller sein als Sie! Doch schrieb mir Czernin* vor wenigen Tagen: „Ich lese mit Freuden in den ,Olivenbäumenʻ, und es gehen so manche Lichter auf. Anlässlich denke ich dabei auch wieder einmal an Karl Kraus, der, fast seit ich ahne oder zu ahnen vermeine, was Poesie und die Literatur sein können und sollen, mir so vorbildlich ist.“ Ich habe das Zitat ausgedehnt, denn Sie kamen auf Czernin zu sprechen, und also würde es Sie interessieren. Werner Helmich war mir eine große Hilfe, ich könnte sagen: Er rettete die „Olivenbäume“. Er ist übrigens maßgeblich beteiligt an einer ersten Übersetzung ins Italienische (nicht ohne Seufzer und Wehklagen). Von rechts nach links - das Hebräische im Deutschen, die hebräischen Quellen hinter dem deutschen Text - sofern dem Judaisten / Hebraisten erkennbar. Das war das eigentlich Neue in der Wiener EB-Erschließung**, und weil unerwartet (ich kannte Herrn Langer*** nicht, schon gar nicht als EB-Leser) für mich umso erfreulicher. - Zum „Stellenwert“**** gratuliere ich Ihnen, noch mehr zum alten Kessel*****, seine große „Gegengabe“ kaufte ich mir im Berlin der sechziger Jahre, Ihre Neuausgabe würde mich heute wahrscheinlich mehr interessieren. Nicht zu leugnen: Für die Nachkriegsjugend gehörte auch er zu den Vätern, ob nicht schon damals zu den entschlafenen? Dabei weiß ich doch, wie vorsichtig von Aphoristikern gesprochen werden muss. Die Sache ist so klein, dass sie ebenso leicht unterwie überschätzt werden kann oder geradezu „werden muss“. Man könnte leichter vom „Stellenwert“ eines Aphoristikers sprechen als von seinem Gewicht. Verliert man die Stelle, verliert man vom Wert. Der Wertende (neu Bewertende) ist gleichsam der (ihm) Gewogene. „Ein weites Feld“ - ich hätte noch mehr Olivenbäume pflanzen können. * Franz Josef Czernin: die aphorismen. eine einführung in die mechanik. 8 Bände. Wien: Sonderzahl 199; ders.: das labyrinth erst erfindet den roten faden. einführung in die 268 VIII Zu einzelnen Publikationen organik. München, Wien: Hanser 2005. Zu einem Archivgespräch der Österreichischen Nationalbibliothek und des „Standard“ aus Anlass des 75. Geburtstages versammelte Daniela Strigl am 29.3.2012 Franz Josef Czernin gemeinsam mit Claudia Welz, Werner Helmich und Gerhard Langer. ** Symposium Wien *** Gerhard Langer, siehe Verzeichnis der Briefpartner(innen) **** Petra Kamburg, Friedemann Spicker, Jürgen Wilbert (Hrsgg.): „Prinzipienreiter satteln nicht um.“ Anthologie zum Aphorismenwettbewerb 2012 „Vom Stellenwert der Werte.“ Bochum: Brockmeyer 2012 ***** Martin Kessel: „Ein Fragezeichen der Gesellschaft“. Aphorismen. Mit Zeichnungen von Gisbert Tönnis. Hg. und mit einem Nachwort von Friedemann Spicker. Bochum: Brockmeyer 2012 (dapha-drucke 4) „Sandkronen“. 2012 An Harald Fricke, 17. Juni 2007 Nr. 325 Johann Holzner hat zu meinem 70. Geburtstag mit der Internet-Edition meines Briefwechsels begonnen. Geht es so - oder besser - weiter, dann bleibt mir nur noch, meine Tagebücher zu bearbeiten. Das wäre viel, kaum zu übersehen, aber doch etwas anderes. Mit der „Eselin Bileams“ ist mein aphoristisches Vermögen/ Vermächtnis erschöpft. Da gäbe es nichts mehr zu reiten, doch einiges aufzuholen und einzusammeln. Darüber möchte ich mit Ihnen ein ernstes Wort wechseln. In meiner Werkgeschichte gibt es eine Schweizer Phase, manifestiert in sieben Privatdrucken - begehrte Raritäten heute. Ich fasste sie zusammen und fügte alles, was dazugehört oder noch dazugehören könnte, hinzu, mit dem Nachwort wären es ca. 165 Seiten. Das Buch sollte „Sandkronen“ heißen und vor zwei Jahren im Waldgut-Verlag, Frauenfeld, erscheinen. Ich zog das Manuskript zurück. An Kristian Wachinger, 18. März 2010 Nr. 326 „Die konkreten Planungen fürs Frühjahrsprogramm 2012 beginnen bei uns etwa in einem halben Jahr, und das satzreife Manuskript müsste bis Jahresmitte 2011 vorliegen.”- Ich habe nicht darauf reagiert, da ich den Eindruck hatte, mich zu früh gemeldet zu haben; und ob ich den Mund mir nicht zu vollgenommen? Nein, ich schaffe es und will - auf alle Gefahren des Alters hin - bald damit beginnen. Die Grundlage, davon konnte ich mich überzeugen, ist solide. Ob daraus ein „Sandkronen“. 2012 269 klassisch gediegener Aphorismenband entsteht oder ein „aus der Reihe Tanzender” - ich musste von meinen Büchern noch immer überrascht werden. Sobald ich eine erste Fassung am Scheideweg oder knapp davor in Händen habe, teile ich sie Ihnen mit. Meine Lage ist heikel geworden, weil mich Österreich plötzlich entdeckte und nun alles daran setzt, mich nackt und bloß zu stellen - durch die Übernahme meines Riesenvorlasses, der „Buchprojekte” noch und noch enthält. Demnächst soll er nach Wien abgehen. Ich sehe mich in allem überfordert, zumal ich alle Jahre nach Marbach orientiert war, wo meine Freunde ruhen. Schwere Zeiten für mich, ich wünschte sie mir länger, handfest bleibe das Maß. Im Österreichischen Literaturarchiv hätte ich gute Nachbarn, kaum aber Freunde. Dieses Gefühl gehörte nun zum Nachlass, in dem es auch überleben wird. Weil das Material mich bald verlässt, beschäftige ich mich mit Briefwechsel und Rezeptionsgeschichte. Verlässt das Material mein Haus, bekommt niemand mehr das Bild zusammen; allein die Zusammenhänge wieder herzustellen, dauerte Jahre. Und die hergestellten wären ja nur die (jeweils) rechten, nicht die echten. Der Zusammenhang ist immer einer, der sich in Bezug bringt und zur Verfügung stellt. Der echte Zusammenhang ist ein einziges Leben, an dem alles hing oder hängen geblieben ist. An keinem Leben bleibt ein anderes hängen, möge er noch so viel „Anhang“ gehabt haben. Für das Auseinanderlaufen des Zusammenhangs verwendet Kohelet starke Bilder, die mit einem Klang verbunden sind, der ihnen nachzittert. Dieser Klang ist nachträglich nicht herzustellen, er soll auch nie wieder vernommen werden. Ein Zerschellen, in vierzig Kisten versammelt. Sehen Sie sich in der Lage, „projektiv” darüber nachzudenken? Der Aphorismenband soll jedenfalls „Sandkronen“ heißen. An Verena Lenzen, 3. Januar 2011 Nr. 327 Ich wende mich, statt klug zu reden, gleich mit einer kleinen Schrift an Dich und Deinen kritischen Sinn; sie wird Dich - das Billigste enthaltend - verärgern und amüsieren. Ein kleiner Vorläufer war „Treffpunkte“ (1985)*. Mir kam die Anwandlung, mit etwas Leichtem herauszukommen, ehe ich das schwere Alter von 75 Jahren erreiche. Wer sollte mich, nach so vielen schweren Büchern, noch leicht nehmen können, wenn ich es nicht tue? Das wäre der Weg, mir das Alter zu erleichtern, was nicht besagt, dass man mir es auch leicht abnähme. Da gehörte ein Sorgezeichen hin. Danach erschiene immerhin mein letztes Hauptwerk, wie vorgesehen, im Januar 2012, bei Braumüller. Es ist schon weit gediehen, liegt in der 21. Fassung vor, bis Juni habe ich Zeit, dann muss ich es aus der Hand geben; Zeit genug, es zu vermakellosen und auf 365 Seiten zu brin- 270 VIII Zu einzelnen Publikationen gen, wie vorgesehen. Lesung und Losung in einem. Deutschland lange genug gedient, kehrte ich also nach Österreich zurück. Ich wollte die dortige, von mir vernachlässigte Leserschaft nicht völlig versäumen. Auch kam mir Österreich entgegen - mit Ehrungen und Theodor-Kramer-Preis, es scheint seine Stimmigkeit zu haben; auch mein Verleger kommt meinen teuren ästhetischen Ansprüchen nach - so wird das Alter auf seine Kindheit zurückgeführt. Ich bliebe aber nicht länger dabei, ich bereite mich schon auf die Rückkehr ins Hebräische vor, ein erster Text - ein poetischer Traktat über Beten und Gebet - ist eben in einer vornehmen Zeitschrift erschienen. Noch bin ich seelisch nicht frei, vor allem muss mich das Österreichische Literatur-Archiv von meinem Vorlass/ Nachlass erlösen, so lange gingen die Verhandlungen! Nun besteht die Aussicht, dass die mich belagernden Kisten bis Ende Februar abgeholt werden. Die Bücher nicht, dafür hat man noch keinen Raum gefunden. * Vgl. Anmerkung zu Brief Nr. 257 An Werner Helmich, 23. Februar 2011 Nr. 328 Ich bitte um Folgendes: Mein Buch „liegt in den letzten Zügen“: Sie werden es freilich erkennen, aber auch einsehen, dass es über „jene Fassung“ ziemlich weit hinausreichte. Es soll Sie freuen; dass es Sie erfreue, war u. a. meine Absicht. Es bleibt die entscheidende, nicht vorgesehene Frage des Titels, denn unerwartet meldeten sich Bedenken (z. B. von Harald Weinrich). Die Auswahl - vom Billigen bis zum Edelkitsch. Sie haben nicht zu entscheiden, aber Ihre Wahl zu treffen: Titelwahl 1 Am Anfang ist, / wer am Ende steht 2 Midasmüd 3 Grundherum 4 Der Augenblick / ist das Lichtjahr des Tages 5 Dasein ist hiersinnig 6 Die Gassen sind die Fenster der Stadt 7 Das Leben ist das Geschenk der Jahre 8 Aufgebäumt und abgezweigt 9 Fürs Leben bezahlt man / mit dem Leben 10 Sandkronen „Sandkronen“. 2012 271 Von Werner Helmich, 23. Februar 2011 Nr. 329 Zu den „Sandkronen“ erbitte ich nur einen einzigen Satz, bevor ich mich votierend äußere: Welche Bedenken sind denn, und gar von Weinrich, gegen den bisherigen Titel vorgebracht worden? Dann antworte ich Ihnen getreulich. An Werner Helmich, 23. Februar 2011 Nr. 330 Weinrich argumentierte nicht gegen den Titel, er sagte bloß, der Titel erwecke weder in ihm noch in seiner mitlesenden Frau einen Widerhall. Das müsste ich mir übersetzen, und es fiele mir nicht schwer. Ich habe nichts gegen „Sandkronen“, ich kann sie mir gut vorstellen, auch ausmalen, aber ich weiß auch, dass dieser Titel nicht aus dem Geist dieses Buches hervorging, daher mein Zögern. Unter diesem Titel sollte 2007 in der Schweiz ein Buch erscheinen, das ich doch zurückgezogen habe. Es war bereits mit ISBN versehen und ist im Internet (mit Umschlagzeichnung und Preis) immer noch anzutreffen. Mit dem neuen Buch wollte ich das alte löschen, es ist aber schon lange nicht mehr das alte. „Sandkronen“ dienten mir gut als Arbeitstitel, nun muss er sich zur Wahl stellen. Von Werner Helmich, 24. Februar 2011 Nr. 331 Ob Weinrich es so meint, wie Sie es interpretieren, weiß ich natürlich nicht. Wie sollte ich einem Rabbi die Leviten lesen, und das heißt ja wohl: den Leviticus* zu lesen geben? Den kennt er tausendmal besser als ich. Mit anderen Worten: Ich will Sie beileibe nicht ändern. Lassen wir also die Titel Revue passieren: Billiges und Edelkitsch finde ich überhaupt nicht darunter. Das Buch scheint mir, jedenfalls soweit ich es aus der Frühfassung kenne, bei aller Diversität und Lockerkeit seiner Zwischenmusiken (die dazugehört) durchaus Vermächtnischarakter zu haben, und das hatten Sie ja auch angekündigt. Ich würde keinen Wortspieltitel auf Paronomasiebasis wie 2 oder 4 wählen. Beim Lichtjahr ist semantisch heikel, dass es für Physiker ja keine Zeitangabe, sondern eine Entfernung bedeutet, also müsste der Leser Lichthier gleich metaphorisch verstehen. 1, 4, 6, 7, 9 sind allesamt Titel, die in Satzform eine Lehre enthalten - welche davon Sie am ehesten als Lebensfazit verstehen, können nur Sie entscheiden. Wollen Sie einen Fazit-Titel oder ist Ihnen das doch zu moralisierend? Der Anfang-Titel wäre eine gute Mischung von Lehre und Dunkelheit, aber nehmen Sie auch bewusst den Gleichklang mit dem Beginn des Johannesevangeliums in Kauf? Am pathetischsten (aber darum nicht falsch oder kitschig) und doch mit einem gewissen Spielelement durch Idiomatik versehen ist der Fürs-Leben-Titel. Mir gefielen die „Sandkronen“ - etwas 272 VIII Zu einzelnen Publikationen Schönes, aber Flüchtiges - eigentlich gut; ich verstehe aber, dass der Titel durch die frühere Fast-Publikation sozusagen verbrannt ist (er ist in der Tat mehrfach als Ihre Publikation im Internet zu finden). Ein anderes, nicht klangspielerisches Kompositum wäre aber auch vertretbar.- Sie sehen: Ich optiere nicht, sondern suche Ihrer eigenen Entscheidung nur das Terrain vorzubereiten. * Leviticus: 3. Buch Mose An Werner Helmich, 24. Februar 2011 Nr. 332 Ihre Betrachtung ist entzückend, eines zu findenden Titels würdig. Betrachte ich die Liste auf Abstand (den Sie mir verschaffen), finde ich das meiste wenig erfreulich. Alle meine Titel waren Geburten, dieser will nicht geboren sein. Der geborene Titel ist das Gesicht seines Verfassers und das Schicksal des Buches. Meine Bücher sind langatmige Kurzstreckenläufer. Sie kommen wie gerufen und bleiben gern auf Lager. Grundherum ist auch für ein Vermächtnis gut. Nicht zu verspielt, nichts verfehlend. Man weiß, woher es kommt, von wem. Aber-… Es hätte dann lauten müssen: „Grundherum Oder: Fürs Leben bezahlt man mit dem Leben“. Das wäre fast ein Buch-… Ermüdend. In meinen Büchern weiß ich mit „oder“ einiges anzufangen, auf dem Titelblatt wäre es zu aufwendig, wichtigtuerisch. Besser wäre schon „Dasein ist hiersinnig“. Das macht das Herz nicht selig, die Seele nicht heiter. Das Lichtjahr haben Sie mir problematisiert, wiederum bin ich midasmüd - das bekomme ich durch und durch zu spüren. Ich habe heute die 28. Fassung abgeschlossen, ich bin dem Ende fühlbar nahe, Sie werden überrascht sein. Doch der Titel, einmal in Frage gestellt, macht mir größere Mühe und Kummer. Ein Titel muss einschlagen wie der Blitz oder einfach zünden. „Fürs Leben bezahlt man mit dem Leben“ gehört zu Weinrichs Favoriten, die er nach seiner Lektüre für mich aufgestellt hat, was nicht heißen will, es gefiele ihm als Buchtitel. Wahrscheinlich nicht. Er schätzte meine Titel immer hoch - daran liegts, „Fraglicht“, „Andersgleich“, auch „Treffpunkt Scheideweg“ haben es ihm angetan. An Ulrike Wolitz, 27. Mai 2011 Nr. 333 Mein Buch liegt in den letzten Zügen, mein letztes Hauptwerk, es soll gleich in Satz gehen und zu meinem 75. Geburtstag erscheinen. Heute wollte ich den Schlussstrich darunter ziehen, da kam mir Silja Walter* entgegen, von mir scheinbar etwas wollend. Ich folgte unschlüssig dem Wink und lege das Resul- „Sandkronen“. 2012 273 tat bei. Es ist vielleicht nicht das letzte Wort, das letzte aber zu besprechende: Verstehen Sie das in meinem Sinne? Ist es klar, dass es - sinnvoll wie immer - nicht gegen den ursprünglichen Sinn gedeutet werden will, auch nicht gedeutet werden könnte? Es ist klar, wer ihr „armer Jude ist“, auch wenn mir nur am „Juden“ liegt, ich selbst war ihr der Jude nur am äußersten Rand des Späten, doch war ich einer, mit dem sie ringen wollte, den sie auch - am schieren Ende - akzeptieren konnte. Es war nicht alles ausgesprochen, weil das nicht sein muss, selten sein kann, meist unnötig ist, weil elementar unmissverständlich. Nun, es soll daraus Dichtung werden, keine Geschichte, Ich würde ihr gern dies kleine Denkmal - aus eigenen Worten - in meinem Buch setzen -, wenn Sie es verstanden haben und damit einverstanden sind.** Das Buch - so groß wie meine anderen Hauptwerke, doch ohne Apparat, Anmerkungen, Zitatnachweis - ließ keine Ausnahmen zu. Nur der Name wird großgeschrieben, zweifach genannt (Schwester Hedwig), der Rest müsste dem Leser überlassen werden. Ich bitte Sie um sofortige Stellungnahme, denn das Buch muss unbedingt in Satz, ich selbst habe auch noch keine Distanz dazu gewonnen, weiß nicht, ob gut genug und ob ichs gut unterbringen kann, der Rahmen ist streng und bereits ausgefüllt: 365 Seiten, anderes müsste geopfert werden. * Siehe Verzeichnis der Briefpartner(innen) ** Siljanusgesichter, in: Sandkronen, S. 317-320 An Harald Fricke, 7. Juni 2011 Nr. 334 Nun verlassen mich nach und nach die verschiedensten Begleiter. Vor wenigen Monaten ist mein literarischer Vorlass - in rund 40 Kisten - ab nach Wien. Ich dachte nie zuvor an Wien, das wünschte sich aber Schmidt-Dengler*, und es wurde sein Vermächtnis. Nun ging nach Wien auch das Ms. meines letzten Hauptwerks („Dasein ist hiersinnig“), vier Jahre habe ich daran gearbeitet, große Mühe hat es mich gekostet, ich glaubte nicht, es würde mir noch glücken, nun ist es volldacht, 365 Seiten stark: Das Jahr eines Lebensabends. Es wird zu meinem 75. Geburtstag bei Braumüller in Wien erscheinen. * Anm. zu Brief Nr. 116. April 2008 274 VIII Zu einzelnen Publikationen An Werner Helmich, 12. Oktober 2011 Nr. 335 Ob Sie diese Zeilen in Graz erreichen? Müssten sie nicht „in die Welt hinein/ hinaus“ adressiert werden? Ich sollte Sie jedenfalls heute erreichen können, denn heute sind große Dinge im Gange: a) heute kehrte ich zum alten Titel, zu den „Sandkronen“, zurück, b) heute gab ich endlich die „Olivenbäume“ aus der Hand - O Schreck! sagen Sie, doch lassen wir uns überraschen. Zu „Sandkronen“: Auf Sand gebaut, doch auch gekrönt; gekrönt, und doch auf Sand gebaut. Immer, wenn etwas mit der Sprache als ganzer geschieht, muss ein Dichter am Werk gewesen sein. Sandkronen ist die essentialistische, große Abschiedslesung eines Dichters, der auch als Aphoristiker bahnbrechend war. Dasein ist hiersinnig, doch gibt es Verluste zu buchen. Das ist der Gewinn dieses Buches. Das Ende geht vor sich und nimmt an jedem Wendepunkt seinen Anfang. Von Werner Helmich, 17. Oktober 2011 Nr. 336 Dass Sie zum Titel „Sandkronen“ zurückkehren, freut mich: Ich war immer ein Freund dieses Titels, wollte Ihnen aber in Ihre vorherige Entscheidung auch nicht hineinreden. Das ist einfach eine schöne Metapher und eine innovative obendrein: Der erste Satz Ihres Werbetexts sagt alles dazu. Und den vorigen Titel haben Sie ja noch im Text gerettet. Dass Ihnen Werbetexte in eigener Sache nicht leicht von der Hand gehen, glaube ich Ihnen gern ( Jüngere sind da oft weniger zimperlich: der Markt verlangt’s eben). Ihre beiden Texte sind schön, geheimnisvoll- und würdig, ich sage das ausdrücklich, auch wenn es für eine Korrektur ohnehin wohl zu spät ist. Ein bisschen gezaudert habe ich anfangs beim Wort „existenzialistisch“ - aus Angst, das könne als Bekenntnis zu dieser philosophischen Schule oder Gruppierung missverstanden werden, während Sie das Wort wohl eher im Gemeinverstand des Wesentlichen oder der Lebenssumme verwenden; aber dass Sie kein Sartre- oder Camus-Jünger sind, sieht man ohnehin sofort, so mag es auch stehen bleiben. So mögen sie denn das Licht der Welt erblicken, die beiden jüngsten Kinder. Und vielleicht sind sie auch nicht die letzten: denn dass Sie einfach aufhören zu dichten, mag ich mir nicht vorstellen. „Am Anfang steht das Ziel und legt die Wege frei.“ 2015 275 An Werner Helmich, 23. Oktober 2011 Nr. 337 Da ich Ihre Höflichkeit - und Vorsicht - schon etwas zu kennen glaube, habe ich die Klappentexte zurückgestellt und jetzt neu geschrieben. Ich lege sie nur als Vordank bei, sie sind doch keine große Angelegenheit, und mit dergleichen sollte ich Sie nicht behelligen. Ich wollte Ihnen einen langen Brief schreiben, er passte aber doch besser für später, wenn beide Bücher erschienen sind. Schön, wenn mir die Kraft dazu bliebe. Die Bücher enden ja nie, eine Verlängerung in Briefform wäre angemessen, der Brief müsste dann eben an Sie adressiert werden, da Sie unverhofft eine große Rolle in meinem „Auf-das-Ende-zu“ spielen. Würden Sie kein Wort zu den „Olivenbäumen“ gesagt haben, ich rührte keinen Finger mehr. Nun wurde es eine richtige Muskelarbeit. Hier also für alle Fälle: Klappentext „Sandkronen“: Fünf Jahre nach seinem letzten Hauptwerk „Die Eselin Bileams und Kohelets Hund“-(München 2007), zu seinem 75. Geburtstag, erscheint wieder ein Hauptwerk von Elazar Benyoëtz: Ein Werk im Rückblick, um einige Ecken, über die Runden und immer höher in die Jahre kommend: „Sandkörnchen waren unsere Buchstaben, von unabsehbarer Tragweite.“ Die Tragweite offenbart sich hier als Buch, das Buch als Abschiedslesung, alles Stehengebliebene mitreißend. „Was geschieht mit der deutschen Sprache, wenn der hebräische Dichter Elazar Benyoëtz sie jetzt spricht? Im Grunde nichts Einzelnes, nichts auf der Ebene des zu Vergleichenden, des zu Übersetzenden und Übersetzbaren. Sondern es geschieht etwas mit der Sprache als ganzer.“-(Günter Bader) „Sandkronen“ - Auf Sand gebaut, doch auch gekrönt; gekrönt, und doch auf Sand gebaut.* * Es folgt der Klappentext zu „Olivenbäume“, s. Brief Nr. 316 „Am Anfang steht das Ziel und legt die Wege frei.“ 2015 Von Werner Helmich, 6. Juni 2015 Nr. 338 Das erste, was ich zu loben habe, ist die Buntscheckigkeit. Sie ist der beste Garant für Wirkung, und das meine ich ganz ernst. Anders sind aphorismusnahe Formen kaum zu genießen. Früher war ich da puristischer, aber die jetzige Lesungs-Form ist einfach hörer- und leserfreundlicher: Nach zehn Reflexionen sehnt man sich nach Biographischem, ja nach Anekdotischem oder auch nach biblischer Exegese, danach geht es wieder umgekehrt. Ich habe das ähnlich bei Scutenaire erfahren, der aber einen ganz anderen Duktus hat als Sie. 276 VIII Zu einzelnen Publikationen Jedenfalls ist die Kategorie „Lesung“ eine gute Erfindung, gerade für die hier gebotene Mischung, sogar noch im Buch, also ohne die Musikbegleitung der echten Lesung. Ich glaube jetzt auch ausformulieren zu können, was das Gemeinsame Ihrer Textsorten ist, die ja in sich sehr verschieden sind: Es ist faktuale Rede (eben nicht fiktionale - ich habe immer heftig dagegen polemisiert, die Literatur auf Fiktion zu reduzieren, und tue das auch in meinem aktuellen Buch: dafür werde ich viele Schläge einstecken müssen): gleichermaßen in Lyrik, Aphoristik, Autobiographie, Kurzzitat, Exegese und Betrachtungen aller Art. Ein paar alte Bekannte habe ich natürlich wiedergefunden: Den EB-Ton erkenne ich inzwischen nach fünf Wörtern, auch wenn er etwas ganz Neues sagt. Hebräisches ist neu! Welche Zentralrolle immer mehr die Zitate spielen, auch unkommentiert, aber immer solide mit Quellenbeleg, war mir schon früher aufgefallen. Dass Ihre zentrale „Denkform“ (so nennt man das ja wohl seit Hugo Friedrich) das religiöse Paradox ist, wird mir auch immer deutlicher - das liegt mir sehr nah. Gerade Ihre Exegese ist voll davon. Sehr schön auch der Lichtenberg und was Sie daraus machen.* Ob ich Ihnen damit etwas über Ihr Schreiben gesagt habe, was Sie nicht ohnehin schon wussten? * Das Feuer ist nicht das ganze Licht, S. 158: „Wenn ich zuweilen in einem meiner alten Gedankenbücher einen guten Gedanken von mir lese, so wundere ich mich, wie er mir und meinem System so fremd hat werden können, und freue mich nun so darüber, wie über einen Gedanken eines meiner Vorfahren.“ Zitat K 44. Zit. nach Mautners Ausgabe 1963, S. 211 „Was nicht zündet, leuchtet nicht ein“. 2016 An Friedemann Spicker, 3. August 2010 Nr. 339 Mit Lesungen wird nur noch gegeizt, der eine Monat im vorigen Jahr war - mit Lesungen - mein Abschied von den Lesungen. In Münster wird es auch eine 10-Minuten-Lesung sein, von Harald Weinrich eingeleitet. Es wird eine Quasi-Erwiderung auf den Kohelet-Vortrag von Ebach* sein. Ein Wuppertaler Verleger überraschte mich - von Steffens angeregt** - mit dem Angebot, „Was nicht zündet, leuchtet nicht ein. Ein Büchlein vom Menschen und seiner Ausgesprochenheit“ - als „Kleinod“ herauszugeben. (Erstdruck in der Festschrift für Ulrich Sonnemann). Das war mir eine Freude, und es wird mir auch noch eine werden, wenn es erschienen ist. Ich hätte am liebsten alles „kleinödlich” (es gibt irgendwo eine Notiz von mir dazu).*** Mit der Besprechung meiner Bücher ist es, wie es offenbar sein soll. Ich beschwere mich nicht. Ich bin kein Autor, den man kennt, ich bin einer, den man „Was nicht zündet, leuchtet nicht ein“. 2016 277 für sich entdecken muss. Es wäre anders, machte ich von mir reden, ein echter Aphoristiker macht Sätze, nicht Reden, auch nicht von sich. Die Situation beleuchtet Ihre Position. Sie können noch das gediegendste Werk zur Aphoristik geschrieben haben, es genügt nicht, um Ihnen eine Rezension zur wichtigsten Erscheinung auf diesem Gebiet in einer FAZ anzuvertrauen. Sie sind genötigt, in einem Jahrbuch der Lichtenberg-Gesellschaft eine kleine Rezension durchzudrücken****. Auch Harald Fricke - der zweite Herold der Gattung - konnte seine Laudatio nirgends unterbringen*****, und er hat es redlich versucht. Die Aphoristik bleibt in Unehren oder sie schafft es eben nicht, zur Literatur ersten Ranges zugerechnet zu werden. Oder aber-… Es ist zwecklos, seine Augen dagegen zu schließen. Mein Werk wurde noch nie infrage gestellt, die wirklich Besten stellten sich zu ihm, nur die Presse wollte es nicht (oder nicht gern) haben. Ich darf es nicht billigen, ich liebe die Literatur zu sehr, aber ich kann es verstehen. Es gab und gibt zu viele, die den Aphorismus verbilligen, ja, auf den Hund bringen - mit großem Gebell. Da muss man zufrieden sein, wenn Reclam eine Anthologie herausbringt******. Andererseits: Wenn der Aphorismus diese STUNDE verpasst (SMS wie SOS), hat er für immer verspielt. Was mich anbelangt - ich wollte kein Aphoristiker sein, der Aphorismen schreibt. Die deutsche Dichtung wird mich nicht für immer vergessen, obschon ich natürlich des Vergessens bin, wieso auch nicht? * Ausstellung Metavels im Bibelmuseum Münster, Vortrag des Theologen Jürgen Ebach, Professor für Exegese und Theologie des Alten Testaments und biblische Hermeneutik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum ** Dr. phil. habil. Andreas Steffens, Herausgeber *** Siehe Brüderlichkeit. 1994, S. 81: „Im Grunde gilt mein ganzes Streben nur dem seltensten Wort-Gebilde: dem Kleinod.“ (Werner Zemp an Erwin Sutz, Zürich, 6.11.1942) **** Rez. Benyoëtz, Scheinhellig. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2010, S. 342 ***** Harald Fricke: Lyrische Aphoristik. Laudatio auf Elazar Benyoëtz. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2004, S. 185-189 ****** Vgl. Anm. zu Brief Nr. 37 278 VIII Zu einzelnen Publikationen „Beteuert und gebilligt.“ 2016 An Werner Helmich, 17. Mai 2012 Nr. 340 Ehe wir das komplizieren, lege ich Ihnen das Ms. bei. Ich habe es nach langer Zeit eben gelesen, ich denke, ich darf es Ihnen zumuten. Es ist nicht erbaulich, auch nicht erschütternd, ist ausnahmsweise, wie es ist: konziseliert. Manchmal angegangen, mitunter angetastet, zuweilen luftgeschäftig. Alles über viele Jahre geschrieben, um mich bei guter Laune zu halten. Ob nun auch haltbar, wird sich zeigen. „Das ist bei uns nicht Ouzo“ nennt Gauger seine Sprachwitzsammlung*, in der er mir einige Seiten widmete. Lachen Sie fünfmal auf, hat es sich mir schon gelohnt, die Herausgabe freilich wäre damit nicht entschieden. Ich wäre auch durchaus in der Lage, das Ms. liegen zu lassen. „Eine Art Schiffbruch muss das sein, wenn einer alt ist und sich noch über etwas aufregt“ (Paul Klee). Sie regen sich also nicht auf. * EB: Mehr Wirbel denn Säule Oder Funmerkungen. In: Hans-Martin Gauger: Das ist bei uns nicht Ouzo. Sprachwitze. München: Beck 2006, S. 90-93 Von Werner Helmich, 17. Mai 2012 Nr. 341 Da ich heute mit einer ziemlich trüben Sache beschäftigt war, habe ich mir zur Aufheiterung Ihr Manuskript auf meinen Bildschirm geholt* und jede sich mir bietende Gelegenheit genutzt, um zwischendurch - wenn ich Lust hatte abzuschweifen - immer wieder ein paar Seiten zu lesen, und mein Lesegenuss war dabei so groß, dass ich schon bald ganz fertig war mit Ihrem Ms., noch lange bevor ich meine Pflichtaufgabe erledigt hatte. Mein erstes Gefühl hat mich also nicht getrogen: Das gefällt mir sehr gut, gerade weil es so leicht daherkommt - als Wortwitz in Reinkultur, bewusst saublöd (sagen die Bayern) oder feinsinnig, aber ohne aphoristischen Nobilitierungs- und Pointenumweg. Ich könnte Ihnen viele Perlen zitieren, gerade die Massierung der Kalauer ist eine gute Diät. Sie sollten das unbedingt publizieren, ob Sie es noch ergänzen wollen oder nicht. * Eine frühe Fassung von „Beteuert und gebilligt” „Beteuert und gebilligt.“ 2016 279 An Werner Helmich, 18. Mai 2012 Nr. 342 Wie freute mich das „sau-blöd“ des Philologen, es klingt, obschon ohne Mühe erreicht, wie der Lohn für die größte. Wäre ich nicht am Ende, ich würde gern damit jetzt anfangen und alles erfinden, was Arnim, Brentano oder Simrock vor sich gefunden haben, nicht kunstvoll, aber auch ungekünstelt. Die Kinder verlassen die Sprache. Jetzt werde ich ernst und mache darum Schluss. Dank fürs kindsköpfige Mitgehen! An Hans-Martin Gauger, 17. Dezember 2015 Nr. 343 So sehen wir, was Schweigen alles in sich birgt und was auch an Verschwiegenem zur Sprache erwacht. Wie stark kommt’s heraus, dass es das Leben und die Sprache gibt, und zündet es zwischen beiden - springt Gott heraus-… . Ich danke Dir für alle Worte, die nichts mehr verhüllen. Mein lieber, tapferer Freund, wir schauen jetzt nicht zurück. Beck ist vergessen*, edle Gründe für die Ablehnung gab es ja nicht, aber auch die nicht edlen, die nackten und echten - haben mich nicht nur gedemütigt, sondern rissen Fragen auf, die ich mir lieber selbst hätte stellen sollen. Das Buch war nicht gut genug, darüber belehrte mich die verstrichene Zeit mehr und mehr. Und jetzt packte es mich, da auch bei mir die Sargsorgen gewachsen sind. So kommt man auf die Echtheit des Witzes, er erhellt nicht, heitert nur auf, und bleibt am Ernst des Lebens und des Todes kleben. Der Witz ist das Kleben am Leben. Das muss man sehen können - und im Blick behalten. In dem Sinne, meinem Alter entsprechend, habe ich nun (zum wievielten Mal? ) das Buch überarbeitet. Entsprechend, ob auch besser? Mein Gefühl, durch Deinen Brief erweckt, sagt mir, dass sein Lesen (Lektüre wäre zu mundvoll, auch nicht erforderlich) Dir etwas sagen, etwas vielleicht auch geben könnte. Jetzt geht’s nur darum, auch wenn Du von anderen Sorgen umgeben bist. Ich bitte Dich darum, denn ich will von Dir erfahren, ob durch den Witz der Tod seinen Sitz im Leben (dieses Buches) gefunden habe. * „Beteuert und Gebilligt“, für das sich Gauger einsetzte, erschien nicht bei Beck. 280 VIII Zu einzelnen Publikationen Unselbstständige Publikationen An Harald Weinrich, 16. August 1982 Nr. 344 Zu „Kitnamor“*: S. 13. - „Ich habe Schwierigkeiten mit dem Wort ‚Hörlichkeiten‘. Ich meine, hier streifen Sie zu nahe das Wortspiel.“ Von den Hörlichkeiten wissen Sie so viel wie ich, und in diesem Buch geht es nicht zuletzt auch um sie. Schade, dass der emphatische Hinweis auf deren Vorhandensein Sie an die Grenze des Wortspiels verleitet. Die Hörlichkeiten können aber nicht entfallen, weil sie eben hier ihr Dasein behaupten. Entfielen dagegen ‚meine Herrlichkeiten‘, gäbe es im Wortfeld keine Spannung mehr, die vermöchte, die sonstige Vernehmbarkeit zu jenen subtileren, objektiven Hörlichkeiten zu steigern. S. 16 - „Vielleicht ist das Wort ,Zukunstʻ noch eindrucksvoller, wenn es schon neben ,Zukunftʻ zu stehen käme.“ Lieber ist mir, wenn die ZuKunst aus der Hörsicht erfolgt und nicht aus der alten ‚Zukunftsmusik‘. Ein Näherrücken meiner ZuKunst zu jener, wäre - sagt mir mein Gefühl - eine Entscheidung gegen die Zukunft. Sie haben es doch auch so verstanden. S. 20 - „Das Wort ‚Ahnen‘ ist durch die Ahnenforschung der Nazizeit immer noch belastet und braucht wohl noch eine längere Erholungszeit.“ Sollen wir darum ahnungslos bleiben? Sie geben mir ein echtes, unlösbares Problem auf. S. 28 - „Bei dem Wort ‚Bleilah‘ beachten Sie bitte die störende Assoziation der Wollmarke ,Bleyle‘.“ Wäre die Stelle nicht so ernst, ich würde am liebsten gleich Ihre Bemerkung in das Buch aufnehmen. S. 55 - „Muss es nicht ,Harfe‘ heißen? “ Das Wort ,blausam‘ erscheint mir etwas schwach neben ‚grausam‘. Die von Ihnen gewollte Steigerung könnte ,azur‘ ausdrücken, ,blau‘ kaum. Es müsste Harfe heißen, wenn Harf’ nicht stehen würde. Die Zeile entstammt dem Gedicht ‚An Tieck‘ von Novalis**, der in meinem Text durchgehend gegenwärtig ist. Im Zitat habe ich ein Wort ausgetauscht und glaubte, auch darum die Anführungszeichen weglassen zu dürfen. Es ist doch so, dass, wer auf Novalis nicht kommt, den Text sowieso nicht ganz oder nicht richtig entschlüsseln kann, wer darauf aber kommt und sich verführen lässt, von rechts nach links und von unten nach oben zu lesen, dem werden ›blausam‹ wie ›Harf‹ zu Hinweisen. Hier werden Anfang und Ende von rechts nach links richtig gelesen, das macht zugleich aber auch die Verkehrtheit der Romantik aus, unter deren Zauber das zauberhafte Mädchen (Sary) sanft an sich Hand anlegte. Doch steckt in Novalis auch schon Unselbstständige Publikationen 281 Sila von H., und wenn wir uns über den Sinn seines Spruches - „Man kann die Poesie nicht gering genug schätzen“*** - auch nicht einigten, hier sollte er aufgehen. Mit alledem habe ich nur wenig Erhellendes zum Text gesagt, jedoch mehr, als mir sonst lieb wäre. Fassen Sie es bitte als Auskunft auf, die ich Ihnen schuldig zu sein glaubte. In jedem Fall ist es ein Kernstück des Buches, in dem die Poesie an drei Stellen namentlich auftaucht. Wenn Sie meinen, „blausam“ erschiene neben „grausam“ schwach, so ist es vollkommen wahr. Allein, an dieser Stelle sind beide gleich schwach oder gleich stark, weil hier das Blausame auch das Grausame war. Zu „Dämmerdu“: S. 5 - „Das Wort ,Betpultʻ**** ist wenig gebräuchlich; etwas gebräuchlicher wäre vielleicht ,Betschemelʻ. Hilft Ihnen das? “ Der aus Ur Stammende kennt keinen Betschemel, hat aber sein Betpult, auch heute noch. S. 23 - „Schwierigkeiten habe ich mit dem Wort ,summsummierendʻ. Das mag damit zusammenhängen, dass das Wort ,subsumierenʻ im Deutschen oft fälschlich mit zwei „m“ geschrieben wird, so dass man eher einen Abwehrinstinkt gegen diese Assoziation entwickelt hat.“ Es ist eine Schwierigkeit, und ich bin durchaus der Ansicht, dass einem Dichter möglichst viele Schwierigkeiten bekannt und immer vertrauter werden sollten; nicht bin ich der Ansicht, dass er allen Schwierigkeiten Rechnung tragen müsse. Der Leser soll mit ihm ruhig die Schwierigkeiten der gemeinsamen Sprache teilen und tragen. Das Summen bezieht sich auf das Lebenslied. Die Summe seines Lebens summend ziehen, heißt mit einem Wort: „Summsummierend.“ „Schließlich“, schreiben Sie, „habe ich noch überlegt, ob Sie eigentlich den Titel dieses Bandes gut gewählt haben. Die drei Wörter Kitnamor, Dämmerdu und Logorhythmen***** weisen alle drei in sehr verschiedene Assoziationsrichtungen. […] Ich fürchte, das Auseinanderstreben der Assoziationsrichtungen in diesen Worten könnte der Rezeption des Büchleins hinderlich sein. Wenn ich ganz ehrlich sein soll, wünschte ich mir für alle drei Wörter andere.“ Dass alle drei Titel wenig beglückend sind, sehe ich ein, der eine ist aus meiner Sicht aber doch ein glücklicher: Logorhythmen. Diese habe ich nicht gemeint, sondern gewollt und produziert. Und es sind Logo-Rhythmen von jedem mir nur erdenklichen Standpunkt aus, und schon von der Intention her als Titel sowie als Gattungsbezeichnung gedacht. Dieser Titel wird der Rezeption des Büchleins wohl eher hinderlich als förderlich sein, aber […] glauben Sie denn wirklich an eine breitere Rezeptionsmöglichkeit für meine Arbeiten? Ich bin nicht geneigt, diesbezüglich mir etwas vorzugaukeln. Es sind Logorhythmen, die ich schrieb, und ich werde sie nicht als etwas anderes anbieten; auch sind Logorhythmen nicht jedermanns Sache. 282 VIII Zu einzelnen Publikationen * Kitnamor: vgl. Die Eselin Bileams und Kohelets Hund, S. 103 ** Novalis: An Tieck. In: Novalis: Schriften. Erster Band: Das dichterische Werk. Hg. von Paul Kluckhohn und Richard Samuel. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1977, S. 411-413 *** Novalis: Paralipomena zu „Heinrich von Ofterdingen“. In: Novalis: Schriften. Erster Band. Das dichterische Werk: Hg. von Paul Kluckhohn und Richard Samuel. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1977, S. 335; vgl. Fraglicht, S. 539 **** Vgl. Paradiesseits, S. [7] ***** Logorhythmen. In: Sabotage des Schicksals. Für Ulrich Sonnemann. Hg. von Gottfried Heinemann und Wolf-Dietrich Schmied-Kowarzik. Tübingen: Gehrke 1982, S. 367- 371 An Friedemann Spicker, 20. September 2005 Nr. 345 Ich will Ihnen mitteilen, dass ich in den letzten Wochen ein Büchlein geschrieben habe - für das Lichtenberg-Jahrbuch*. Ich hatte es nicht vor, doch ist Herr Joost so freundlich auf das „ursprüngliche Angebot“ eingegangen, dass ich beschloss, „mein kleines Testament“ in Lichtenberg zu deponieren. Das große muss noch geschrieben werden - für Hanser. Mein Problem ist nach wie vor - das Buch, die Form, die sich nicht wiederholt und mir immer in anderer Weise doch ermöglicht, Aphoristiker zu werden, zu sein, zu bleiben. Ich weiß nicht: Ist es ernst, ist es aberwitzig, dass ich der einzige bin, der sich darüber Gedanken, ja Sorgen macht? Das wäre ein Thema. Möglicherweise wäre mein „Lichtenbergbüchlein“ auch ein Beitrag dazu. Unbeabsichtigt auch dies. Der Beitrag ist ziemlich groß - er soll ja auch zu meinem 70. Geburtstag erscheinen; ich werde Sie mit dem Ganzen nicht behelligen, Sie sollen ihn auch, bei seinem Erscheinen, ganz frisch haben. Er besteht aus zwei Teilen, der erste ist stark poetisch (stärker als sonst), der zweite stark prosaisch. Es wird Ihnen gefallen. Und sage ich darin auch alles zum Aphorismus, das ich vor allem Ihnen sagte, es ist nicht mein letztes Wort. Doch leider wird das letzte kommen müssen, im Hanser-Buch** vermutlich, wenn ich es schaffe und wenn mein neuer Lektor mich versteht. Danach habe ich vor, das Feld zu räumen, meinen Nachlass zu ordnen und - mit Gottes Hilfe - meine hebräische Poesie hinterlassenswert zu machen. * Ein Morgen letzter Hand. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2006, S. 15-54 ** Die Eselin Bileams und Kohelets Hund, 2007 Unselbstständige Publikationen 283 Von Friedemann Spicker, 21. Oktober 2005 Nr. 346 Zu Ihrem Lichtenberg-Jahrbuch-Beitrag hat mich Herr Joost* jetzt gebeten, ein Nachwort zu schreiben.** Ich will das sehr gern tun und bin zu dem Zweck wieder ganz in Ihre Texte vertieft. Kommen Sie voran mit Ihrem Geburtstagsbuch für Hanser? „Das Buch - die Form, die sich nicht wiederholt und mir doch ermöglicht, Aphoristiker zu sein“: Sie geben mir einen Einblick in Ihre geistige Arbeit, die offenbar zu interpolieren sucht zwischen dem Ganzen und seinen Teilen, zwischen dem Großen und dem kleinen Einzelnen. Auf diesem Weg produktiver Uneindeutigkeit ahne ich Sie ja schon lange, und ich bin deshalb sehr gespannt darauf, wie Sie ihn weiter beschreiten werden. Darf ich das Wort zu Sahadutha, das Sie wünschen, noch vertagen zugunsten der Beschäftigung mit Ihren neuen Texten? Statt der einen Art eines Gesprächs mit Ihnen will ich jetzt gleich die andere aufnehmen und mich in Ihre Gedankenbildwelt begeben. * Siehe Anm. zu Brief Nr. 282 ** EB: Unter den Gegebenheiten kommt auch das Mögliche vor. Eine Morgenlesung. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2009, S. 91-112; Friedemann Spicker: Elazar Benyoëtz und Lichtenberg. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2009, S. 113-116 An Bernhard Fetz, 13. Dezember 2012 Nr. 347 Sie zwingen mich auf eine kühne Bahn, die gleichsam eine demütigende zu werden droht. Ein Rückblick, das Ende in Sicht. Im Garten Eden konnte man sich verstecken, wohin sich aber im Garten Ende verkriechen. Das sind nicht Ihre Sorgen, umso erfreulicher für mich, dass Sie die „Lobrede“ Robert Menasses in die „Profile“ aufnehmen*, was mich zuerst verwunderte, ist sie doch mehrfach veröffentlicht worden. Sollte ich meine Aufgabe nicht erfüllen können, sein Beitrag - im Zeichen der Frage: „Wer zum Teufel ist dieser EB? “ - wäre zur Einleitung geeignet. Sie sehen, meine Gedanken kreisen schon. Das Alter zieht andere Kreise, im Alter werden andere Kreise gestört. Sie wollten sich den Briefwechsel mit Weinrich vornehmen und nun eine Auswahl daraus treffen**: Aus der Fülle? Ins Volle greifend? Meine Gedanken kreisen - Weinrich: Erkenntnis verpflichtet. Das stellte er im Leben und Werk auf die Probe, nun kann er daran geprüft werden. Sobald er mein Werk erkannte, sah er sich ihm verpflichtet, mit Rat und Tat also mir beizustehen. Das leuchtet ein, und ist das Übliche doch nicht. Die Überzeugung hängt vom eigenen Rang ab, den sie gleichsam offenbart. Soweit meine heutige Reflexion, Belege liegen bei. 284 VIII Zu einzelnen Publikationen Indes sieht der Aufbau der „Profile“ vielversprechend aus, dazu hätte ich nichts Weiteres zu sagen, und nicht nur, weil es mir nicht zusteht. Sie erlauben mir aber doch eine Anmerkung, einen Hinweis, eine Frage zum Fehlen zweier, die Wesentliches beitragen könnten: Karl-Josef Kuschel*** hat den besten zusammenfassenden Beitrag geschrieben und sich bereit erklärt, den Beitrag auf den letzten Stand zu bringen. Das wäre also nicht „der alte Laden“. Walter Methlagl**** erklärte sich bereit, über EB und Ferdinand Ebner zu schreiben. Gesetzt, es wäre ernst gemeint und Sie mit ihm (alles in allem) einverstanden - von Ebner abgesehen, hielte ich einen Beitrag von ihm als erhellend, weil er nicht allein ein Österreicher wäre, sondern weil uns vieles - bis auf den Jahrgang - verbindet, wobei die Verbundenheit den Fragenkomplex eröffnen mag. Immerhin ein Österreicher mehr, in Bezug auf EB gebracht, Wiener Neustadt (Ebner) einschließend. Mir bedeutete Ludwig von Ficker***** vielleicht nicht viel weniger als Methlagl, wenn auch von ihm (von Ficker) - bis auf ein Zitat - in meinem gedruckten Werk nicht die Rede ist. Aber Sie sind doch um österreichische Zusammenhänge bemüht. Das sind Erwägungen, nicht Gedanken, nicht Empfehlungen. * Robert Menasse: „Ursachen müssen nicht stimmen, doch muss es sie geben.“ Über den Weisen Elazar Benyoëtz. In: Korrespondenzen, S. 53-59 ** Korrespondenzen, S. 244-254 *** Karl-Josef Kuschel (geb. 1948), Prof. Dr. theol, Tübingen; Keine Worte zu verlieren, S. 81-84 **** Prof. Dr. Walter Methlagl (geb. 1937), österreichischer Germanist, leitete von 1964 bis 2001 das Brenner-Archiv an der Universität Innsbruck ***** Ludwig von Ficker (1880-1967), Schriftsteller und Verleger, gründete 1910 die Kulturzeitschrift „Der Brenner“. Seinen Briefwechsel 1909-1914 (4 Bde. 1986) schätzte EB sehr: „Für das Thema Mensch und Brief, Stil und Briefstil ist das Buch unschätzbar“ (so in einem ungedruckten Brief an den Mitherausgeber Walter Methlagl, 28.7.1993). An Martina Kraut, 30. Juni 2013 Nr. 348 Noch ein Wort zu meiner Autobiographie. Mit Allerwegsdahin glaubte ich sie geschrieben zu haben (in der mir entsprechenden Form, die immer das A und O meiner Entscheidungen ist), nun hat mich die Situation zu etwas gezwungen, das ich nicht wollte. Das Zwingende war: die Erwartung, dass auch ich ein Wort zu jener Person sage, der ein Forschungsband gewidmet werden soll. Nun, Erwartungen zu enttäuschen ist meine Passion - dafür suchte ich die Form, und ich glaube sie am Ende gefunden zu haben. Ich habe sie - nun fast in der Hand - fortsetzbar, und dafür hätte ich sogar schon einen Verleger, er schreibt: „Was Unselbstständige Publikationen 285 ich aber in jedem Falle will, ist mehr von dieser Art autobiographisch grundierter Texte, die Sie mir übersandt haben. Das könnte ein sehr bewegendes Buch werden, und vielleicht wäre ein Verlag mit Sitz in der Schweiz wie der unsrige dafür auch in spezieller Weise geeignet-….“ Von Martina Kraut, 2. Juli 2013 Nr. 349 Ihre Erläuterungen zur Entstehung des Bandes zeigen mir, dass Sie zum einen in guten Händen sind mit den Herausgebern, das ist wichtig, und zum anderen Ihre Schwierigkeiten, mit denen Sie sich erneut der autobiographischen Aufgabe stellten. „Allerwegsdahin“ muss schon schwer gefallen sein, bei allen liebgewonnenen Episoden, die darin auch enthalten sind. Insofern wird sich Ihr Bedürfnis nach Autobiographischem in Grenzen gehalten haben und- halten, dem jetzigen „Vorbuch“* hätte ich Ihre „Passion, Erwartungen zu enttäuschen“, allerdings nicht angemerkt und-halte die von Ihnen gefundene Form, wie schon gesagt,- für sehr gelungen. Das heißt ja nicht, dass ich nicht geschluckt hätte an der einen oder anderen Stelle, wenn ich zum Beispiel nicht annehmen will, dass Sie Ihre Regale leer räumen, bis „Wand in Sicht“ ist, oder Ihre Gefühle erahnen kann bei bestimmten Erinnerungen. Vor allem Letzteres wird sicher eine enorme Rolle spielen bei der Anfrage, die Sie nun aus der Schweiz bekommen haben. Das vom Verleger artikulierte Interesse teile ich, aber andererseits wird Sie das aufwühlen, in Unruhe bringen, trifft es doch, wenn ich es richtig verstehe, gerade die Zeit, in der sich Ihr Lebensweg so weit vom Vorhergesehenen oder Vorgestellten entfernt hat, mit allen seinen Folgen, die ebenso schwer wie wiegend wurden. Sie hören sich jedoch positiv diesem Plan gegenüber an, das ist gut. Ob ich diesbezüglich mit Ihnen gehen kann oder möchte, ist schon etwas komplizierter. Mögen schon, diese Frage stellt sich nicht, Können ist die Frage. Ich bin Deutsche, ob mir das gefällt oder nicht. Ich gebe mir Mühe, mit dieser Staatsangehörigkeit sinnvoll umzugehen. Ob das immer gelingt, vermag ich nicht zu sagen. Kann ich mit meinem Hintergrund mitarbeiten? Darf ich als Deutsche-überhaupt? -Oder muss ich „den Berg versetzen“, „über den ich gerade nicht komme“? Ich schreibe hier ein wenig in ein Vakuum hinein, da ich nicht gut abschätzen kann, wie hoch der Berg ist. * Folgenichtig. Oder: Ich unterschreibe nicht; Korrespondenzen, S. 5-52 286 VIII Zu einzelnen Publikationen An Werner Helmich, 12. Juli 2013 Nr. 350 Ich bin wie Sie an meinem Beitrag für die „Profile“, doch wird daraus vielleicht ein Buch, gelänge es mir, zwanzig Hemmungen zu überwinden, nachdem ich dreißig schon hinter mir habe. „Mein Leben stemmt sich gegen meine Lebensgeschichte“ - habe ich schon einmal erfahren („Allerwegsdahin“), doch verband ich meine Schwierigkeiten damals mit dem Tod meiner Mutter, die viel größeren aber hängen mit dem frühen Tod meines Vaters zusammen. In meinem nicht heiteren Alter kommt es mir vor wie ein trauriges Unternehmen. Nun, das ist es allemal, und daran lässt sich auch nichts ändern. Was ich in den Blick bekomme, muss ich mir nicht vor Augen führen. Darum also geht es, und das ließe sich mit Schwung umschreiben. Sobald ich beschwingt bin, geht’s ja ganz gut. An Harald Weinrich, 12. Juli 2013 Nr. 351 Ein Buch ist zu viel gesagt, obschon es eines werden könnte, die Schwierigkeiten sind ungewöhnlich, wiewohl mir vertraut - sie sind dem Text auch abzulesen: Mein Leben stemmt sich gegen meine Lebensgeschichte. Die Gedanken versammeln sich um diese Schwierigkeit - auch sie scheinen mich am Werk verhindern zu wollen, ans Erzählen mich nicht gelangen zu lassen. Ich habe lange den Vorzug des Lebens in Gedanken genossen, nun muss ich seinen Nachteil erfahren. Ohne zum Durchbruch gekommen zu sein, konnte - musste ich die größten Hemmungen überwinden, um mich nicht ganz zu blamieren: In dem mir gewidmeten Band der Reihe Profile (soll 2014 bei Zsolnay erscheinen) bin ich mit einem Beitrag angekündigt: „Zur Einleitung: Elazar Benyoëtz: Autobiographisches / Poetologisches Statement.“ Für diesen Zweck sollte es ausreichend sein, doch bin ich ein Stückchen darüber hinaus. Fasse ich Mut, mache ich mich ans Porträtieren. Ich möchte aber nicht, dass es ein großes Buch werde, ich traue meinem Maß nicht mehr, auch nicht dem letzten Rest. Von Werner Helmich, 16. Juli 2013 Nr. 352 Ich will nur auf die Schnelle berichten, dass ich mit Freuden Ihre „ersten Seiten“ gelesen habe und den vertrauten Ton erkenne: Der Aphorismus ist noch nicht abgemeldet. „Das Hohelied der Fälscher / läuft unter „Memoiren“* - oh ja, so sehe ich das auch, wenn ich es auch nicht so bündig hätte ausdrücken können -, dass Sie dagegen nicht gefeit wären, schiene mir ohnehin undenkbar. Stemmen Unselbstständige Publikationen 287 Sie sich weiter gegen Ihre Lebensgeschichte. Und zu den „Profilen“: was sind schon zwanzig Hemmungen? * Folgenichtig. Oder: Ich unterschreibe nicht; Korrespondenzen, S. 7 An Ingeborg Kaiser, 25. Juli 2013 Nr. 353 Deine Kritik hilft mir, ich möchte sie in ganzem Umfang annehmen, gerade im Kleinen fällt es mir nicht leicht, ich muss länger darüber nachdenken: Hebbel, Fritz* herauszunehmen fällt mir nicht schwer, auch nicht D. v. Chamisso** zu kürzen: ob es Dir so zusagt? Mein Kopf ist jetzt nicht frisch, im Grunde sollte ich aufhören mit dem Schreiben, die Schwierigkeiten sind zu groß, weil so echt wie möglich, z. B. müsste ich nicht nur meinen Begriff von Freundschaft untersuchen, sondern mich selbst in Bezug auf die Formen meiner Freundschaft auf Herz und Nieren prüfen. Noch drücke ich mich, weil ich die gewünschte Buch-Proportion nicht im Auge habe. Ich will keine Traktate, auch keine Beichten schreiben. Ich hatte einmal vor, den Klatsch bei Goethe zu untersuchen, was ich mir sogleich verboten habe. Wie „stehst Du“ zu „Treffpunkt Scheideweg“ heute? Es machte seinen Weg, ich habe das Gefühl, dass es sein Schicksal nicht hatte. Wohl war es bahnbrechend, doch sind weder Bahn noch Bruch zu sehen. Wie, in welcher „Sprache“ redete es Dich an? Du wünschst, dass ich meine Erinnerungen, meine Lebensgeschichte, meinen Roman vielleicht schreibe. Das alles könnte ich tun, alle meine Finger wollen schreiben, aber der Reiz ist ohne Verlockung: Was von Ferne winkt, winkt auch wieder ab. Ich wollte immer Dichter werden und glaubte, mich dazu nicht entschließen zu müssen. Ich machte meine Gedichte und hatte meine Freude daran, solange, bis ich zu meinem wichtigsten Entschluss gekommen bin: aufhören, Gedichte zu machen und endlich Dichter sein. * Walter Helmut Fritz; siehe Verzeichnis der Briefpartner(innen) ** Siehe Verzeichnis der Briefpartner(innen) An Josef Wohlmuth, 2. August 2013 Nr. 354 So vieles erübrigt sich schon, das merke ich täglich, da ich mich mit einer scheinbaren Lebensgeschichte plage. Sie interessiert mich nicht, und doch ist mir, als müsste ich sie für einen Augenblick retten. So viele Fragwürdigkeiten stecken in diesem einen Satz, und sie lassen mich um keinen Schritt weiterkommen, schon gar nicht auf mich zu. Und das müsste ich, dazu habe ich mich verpflichtet, da ich einen Beitrag zu dem mir gewidmeten Band der Reihe „Profile“ zusagte. Seit 288 VIII Zu einzelnen Publikationen Monaten lastet diese Zusage auf mir. Zur Nahrung brauche ich dieses Brot nicht mehr und muss es nun mit Tränen essen. An Werner Helmich, 7. August 2013 Nr. 355 Die Not diktiert mir diese Zeilen, in zwei Wochen müsste ich meinen Beitrag abliefern, nie zuvor fiel mir ein Beitrag so schwer. Meine Beiträge waren in der Regel Geschenke, sie erschienen in Festschriften, ich wusste von wem, für wen und hatte freie Hand, war auch nicht auf Druckzeichen festgelegt. Nicht, dass ich meinen Beitrag für so wichtig halte, das ist er nicht, aber blamieren darf ich mich nicht, auch sollen sich die Herausgeber mit mir nicht blamiert haben, da sie mich „voraus schickten“. Ich ziere mich nicht. Im Gegensatz zu anderen Mitarbeitern habe ich kein Thema, sondern die Aufgabe, nackt von mir und bloß von meiner Poetik zu sprechen. Der Rahmen ist knapp, mit meinem aphoristischen Stil benötigte ich einen ziemlichen Anlauf, um ins Erzählerische zu kommen. Ich sehe mich also genötigt, eine Lebens- und Werkgeschichte in Textsorten zu schreiben. Weil die Fülle des Materials so groß ist, mangelt es mir sowohl an Ein-, als auch an Übersicht. Von Werner Helmich, 8. August 2013 Nr. 356 Zu Ihren beiden Mails, die ich bewusst erst nach dem Absenden des Beitrags geöffnet habe, muss ich zunächst einmal sagen, dass es mich rührt, wenn Sie mir Jurorenfähigkeiten in Bezug auf Ihren Beitrag zubilligen. Den Beckmesser werde ich natürlich nicht spielen können. Ich weiß nicht, was die Herausgeber Ihnen aufgegeben haben außer vielleicht einer Höchstzeichenzahl. Über Ihre Poetik, so wie sie sich mir in den letzten zwei Jahrzehnten darstellt, habe ich im Kern das geschrieben, was Sie vom Wiener Vortrag schon kennen. Ob Sie dazu eine Art Gegenreferat aus Autorsicht halten sollten, weiß ich nicht. Am Schluss wären wir uns wahrscheinlich bald einig, und dann gäbe es gar keinen „fruchtbaren Dissens“. Da scheint mir Ihre Idee, zu zwei Aphoristiker-Zeitgenossen zu schreiben, eine gute Alternative. Briefeditionen 289 Briefeditionen An Friedemann Spicker, 15. Dezember 2005 Nr. 357 Ich hatte in der letzten Zeit mehrfach Gelegenheit, Ihr Buch* in die Hand zu nehmen, prüfend oder empfehlend. Empfohlen habe ichs vor allem Prof. Holzner, Leiter des Brenner-Archivs, Innsbruck. Er hat es sich jedenfalls notiert. Er wird - wenn alles klappt - einen Briefband von mir - zum 70. Geburtstag, wenns klappt - in Wien herausgeben. Ich würde, denke ich, auch etwas aus unserem Briefwechsel in den Band aufnehmen, wenn Sie nichts dagegen hätten. Nun will ich Ihnen meinen einmaligen Briefwechsel mit Heinz Ludwig Arnold** mitteilen, es geht um FG Jünger***, den auch Sie vielleicht nicht im Abschnitt über die Aphorismen im Dritten Reich behandeln müssten, doch aber, wie mir scheint, weniger rücksichtsvoll. Ich bin übrigens mit Arnold nicht einverstanden und habe vor, Albrecht Schöne - dessen Schüler Arnold war -: sein Wort als Schlussstrich unter diesen Fall zu setzen. Ehe ich - am Ende - auf Arnold zu sprechen komme, setze ich voraus, dass ich ihn nicht kannte und ihm erst bei der letzten Tagung der Akademie in Darmstadt begegnet war. Wir sprachen länger miteinander bzw. er erzählte mir weit und breit über seine Beziehung zu Ernst Jünger, dessen Sekretär er eine Weile auch war. * Friedemann Spicker: Der Aphorismus im 20. Jahrhundert. 2004 ** Vgl. Brief Nr. 11. Januar 2006 *** Friedrich Georg Jünger (1898-1977), Bruder Ernst Jüngers, Lyriker, Erzähler, Essayist; u. a. „Gedanken und Merkzeichen“, 2 Bände (1949-1954) An Friedemann Spicker, 16. Juni 2006 Nr. 358 Ich nenne Ihnen noch einmal die Briefwechsel, aus denen Sie Ihre Auswahl treffen mögen.* Es soll ordentlich und übersichtlich sein, es geht doch alles auf Ihre Rechnung. Und gern bin ich bereit, alles noch einmal zu lesen, zu prüfen, zu korrigieren, zu ergänzen. Also Briefwechsel mit: H. G. Adler, Hannah Arendt, Theodor W. Adorno**, Wystan H. Auden, Rose Ausländer***, Schalom Ben-Chorin, Hugo Bergmann, Clara von Bodman, Martin Buber, Carl J. Burckhardt, Paul Engelmann, Hans W. Eppelsheimer****, Walter Helmut Fritz, Albrecht Goes, Claire Goll, Erich Heller, Arthur Hübscher, Erich Kästner, Hermann Kasack*****, Alfred Kittner, Marie Luise Kaschnitz, Annette Kolb, Werner Kraft, Michael Landmann, Hans Leip, Erwin Loewenson, Hans Mayer, Ludwig Meidner, Anna Mitgutsch, Erika Mitterer, Walter Muschg, Karl Otten******, Dan Pagis, Jacob Picard, Kurt Pinthus*******, Ernst Rowohlt, Tuvia 290 VIII Zu einzelnen Publikationen Rübner, Max Rychner, Nelly Sachs********, Albrecht Schöne, Gershom Scholem, Wilhelm von Scholz, Ina Seidel, Ulrich Sonnemann, Fritz Strich, Margarete Susman, Jacob Taubes, Hans Weigel, Harald Weinrich, Max Zweig. * Anlässlich des Artikels „Elazar Benyoëtz“. In: Kritisches Lexikon der Gegenwartsliteratur (KLG). München: text und kritik. S. 1-10, A-F. 85. Nachlieferung März 2007 ** Vgl. Allerwegsdahin, S. 112-116; vgl. Olivenbäume, pass.; vgl. Aberwenndig, S. 113f. *** Vgl. Vielzeitig, S. 285 **** Hans W. Eppelsheimer: vgl. Aberwenndig, S. 353-355 ***** Hermann Kasack: vgl. Aberwenndig, S. 352f. ****** Vgl. Vielzeitig, S. 272f. et pass. ******* Vgl. Vielzeitig, S. 13-15, 17, 271f. ******** Die Rede geht im Schweigen vor Anker, S. 36 An Friedemann Spicker, 14. Februar 2007 Nr. 359 Was Sie Briefe aus den 60er Jahren nennen, versuche ich unter dem Titel „Von Anfang zu Anfang“* zusammenzufassen, von den Anfängen meiner Beschäftigung mit der deutschen Literatur in Jerusalem bis zum Erscheinen meiner ersten Bücher in Deutschland. „Unterwegs“ gewinnt man kurze Einblicke in das Entstehen der Bibliographia Judaica, und hie und da tauchen Dichternamen auf, die mir in dieser Zeit bedeutend waren oder lieb. Ich war auf das so entstehende Bild mehr bedacht als auf die „illustren Namen“, von denen so manche auch schon wieder verschollen sind, es bleiben aber doch Namen genug, die mit dem Erscheinen ihrer Briefe für das Buch werben werden. Den dokumentarischen Teil sinn- und wertvoll erweiternd, denke ich an einen Abschnitt - aus Schwarz- Weiß-Fotos bestehend: Meine Zeitgenossen oder Mit meinen Zeitgenossen Mit Margarete Susman, Annette Kolb, Ludwig Meidner, Kasimir Edschmid, Clara von Bodman, Georg von der Vring, Marie-Luise Kaschnitz, Max Rychner, Arthur Hübscher, Wilhelm Unger (mein erstes Bild in Deutschland, wohl in der Redaktion des Kölner Stadt-Anzeigers),-Paul Engelmann, Max Zweig, Schalom Ben-Chorin, Alfred Kittner - Wilhelm von Scholz (ein Nazi - und wär’s als Schandfleck - gehört zum Bild meiner Zeit , doch spielt Scholz eine wahre Rolle in meinem deutschen Lebenslauf. Was Sie in Ihrem Buch zu ihm sagen,** ist in der Sache trefflich, im Rückblick gerecht, seine Lyrik bleibt der Rest, der darin nicht aufgeht). Das ließe sich als kleiner „Bilderbogen“ drucken, auf knappem Raum. Ich würde darin auch Porträts von Erwin Loewenson*** und Hanna Hellmann**** „Vielzeitig“. 2009 291 aufnehmen, intime Größen meines Wegs (aber nicht z. B. von Else Lasker-Schüler, die mir den Weg vielleicht erst geöffnet hatte, auch nicht von Buber). Es gibt auch zwei symbolische Fotos von mir: am Schreibtisch Margarete Susmans - und an dem Fritz Mauthners. So sehr ich meine eigenen Bücher gern bildfrei halte, so sehr schiene es mir in dem Fall gerechtfertigt und vorteilhaft, es ist auch nicht eigentlich mein Buch. Und die Bilder wären auch für Sie animierend, Sie hätten „meine Zeit“ richtig vor Augen und schrieben umso beflügelter. * in dieser Form nicht realisiert ** Friedemann Spicker: Der deutsche Aphorismus im 20. Jahrhundert. 2004, S. 279-282, 405 f. et pass. *** Erwin Loewenson (1888-1963), deutsch-jüdischer Schriftsteller; Vielzeitig, S. 274 et. pass.; vgl. Aberwenndig, S. 315, 417 **** Hanna Hellmann (1877-1942), Literaturwissenschaftlerin, 1942 nach Polen verschleppt; vgl. Die Eselin Bileams und Kohelets Hund, S. 189; vgl. Vielzeitig, S. 291 „Vielzeitig“. 2009 An Friedemann Spicker, 1. August 2007 Nr. 360 Mit Herrn Brockmeyer* erwäge ich eine bescheidene Briefedition, beginnend mit einem Band „Briefe zum Werk“. Noch zögere ich etwas, nachdem er mir seine Verlagslage schilderte. Mein erster Eindruck war nicht, dass er recht eigentlich ein kleiner Verlag ist. Nun, für Briefe ist ein kleiner Verlag wahrscheinlich der richtige (so meinte jedenfalls Michael Krüger vor Jahren mir gegenüber), da es mir aber nicht um ein Buch geht - davon habe ich genug -, sondern um eine neue Werkzeit, darf ichs mir auch mit der Verlagswahl nicht zu leicht machen, also zögere ich. * Der Verleger Dr. Norbert Brockmeyer, Bochum An Friedemann Spicker, 10. September 2007 Nr. 361 Ich habe mich gerade dazu aufraffen können, Herrn Brockmeyer meine Bereitschaft zu bestätigen, das nächste Jahr der Briefedition zu widmen. Ich zögerte eine Weile, es erfordert eine vielfache Umstellung. Das wäre ein Werk nach anderen Gesetzen, anderen Arbeitsmethoden. Ich bin in dieser Sache ganz auf mich gestellt, man kann mir nicht helfen, ich muss mir ein Bild machen, mit oder aus vielen Gesichtern, nach editorisch brauchbaren Prinzipien suchen und dann auf der Hut bleiben, dass mein Kommentar sich nicht selbstständig mache. 292 VIII Zu einzelnen Publikationen Die Gefahr besteht ja. Meine Briefe stehen mir ohnehin zu Berge. Und meine Tagebücher auch. Ich habe den Eindruck, daß die „Eselin Bileams“ mir zu abschließend geraten ist. Ich komm über den Schluss nicht hinaus. Das mag die „pure“ Altersstimmung sein oder eine Konsequenz der lebenslänglichen Konzentration. Am Ende schwindet der Punkt, auf den ich mich konzentrierte. Und das sollte doch der „Zweck der Übung“ sein. Bleibt der Punkt, was soll die Pointe? Es freut mich, dass es nun die „Hattinger-Drucke“ geben wird*, das war ja „mein Bestreben“ mit dem ersten Druck; mit diesem wurde aber auch ein Niveau gesetzt, das nicht unterschritten werden sollte. Darauf kommt alles an, doch ist „Hattingen“** mehr Verein als Verlag, die „Leute vom Verein“ verwirrten leicht die Maßstäbe. Sie wissen das und ahnen die Gefahren. Ihr Ruf steht jetzt für Werk und Ort, er zwingt Sie auch zur Diplomatie, Sie gefährden ihn aber, wenn Sie Politiker werden. Ihr großes Werk möge Sie davor bewahren! Anthologie wäre ein guter Ausweg - fürs Erste. * EB: Die Rede geht im Schweigen vor Anker. Aphorismen und Briefe. Hg. von Friedemann Spicker. Bochum: Brockmeyer 2007 (dapha-drucke 1) ** Vgl. Anmerkung zu Brief Nr. 301 An Friedemann Spicker, 18. November 2007 Nr. 362 Für diesen Brief gäbe es einige Anfänge, beginnen möchte ich mit dem Dank für Ihre Ghana-Reflexionen.* Der Karren ist verfahren, Afrika muss weg von Afrika, um unter einer nicht glühenden Sonne überwintern zu können. Dafür ist es freilich zu spät, die Welt ist weltweit überheizt, und Europa setzt sich zur Wehr. Die Aussichten für Fremdenliebe werden geringer von Tag zu Tag. Soweit der kleine Moritz. Ich lege dem Brief das erste Blatt eines zukünftigen Buches bei, ein Blatt-für- Blatt-Buch. Noch weiß ich nicht, wie es auszusehen hätte, mir ist, ich wollte zur Prosa zurück, weg also von der Mittelachse. Das Blatt, wie alles bei mir, ist eine bloße Einstimmung, der Ton aber könnte schon der erwünschte sein. Mit Brockmeyer ist es soweit. Der erste Band: Briefe zum Werk, wie eng ich es aufzufassen habe oder wie weit, ist die quälende Frage. Ein Werk getrennt vom Leben? Das wäre schematisch und leichter zu bewältigen, doch wäre es nicht zu einfach oder zu steif und vielleicht langweilig? Mein Werk ist vermutlich doch nur als „Mein Weg als-… ins Deutsche“ interessant und gerechtfertigt (es will gerechtfertigt werden, während ich alles in mir finde). Ich würde diese Fragen „Vielzeitig“. 2009 293 gern mit Ihnen besprechen, vielleicht wären Sie auch bereit, ein „Modell“ zu prüfen, wenn ich es aufgestellt habe. * Brieflich mitgeteilte Reisenotizen An Jürgen Stenzel, 19. November 2007 Nr. 363 Ob ich noch ein Buch bei Hanser herausbringen kann? Für eine solide Grundlage konnte ich noch sorgen, starke Stücke darunter, aber nicht umwälzend neu, das lässt mich zögern. Ich will, wenn ich mit der Briefedition fertig bin, meine Tagebücher bearbeiten, sie sollten wenigstens in einem anständigen Zustand zurückgelassen oder auszugsweise vorgelegt werden. Und dann - ja dann-… „Ja, hätte mir von Anbeginn so manches nicht gefehlt, und hätt’ ich nur mit anderm Sinn den andern Weg erwählt, und hätt’ ich auf dem rechten Pfad die rechte Hilf’ empfahn und so statt dessen, was ich tat, das Gegenteil getan; und hätt’ ich vieles nicht gemusst auf höheres Geheiß, und nur die Hälft’ vorhergewusst von dem, was heut’ ich weiß, und hätte ernstlich nur gewollt, ja wollt’ ich nur noch jetzt, und wäre mir das Glück so hold wie manchem, der’s nicht schätzt, und hätt’ ich zehnmal soviel Geld und könnt’, was ich nicht kann, und käm’ noch einmal auf die Welt - Ja, dann! - “ …-kehre ich, reuig und zerknirscht, zu meinen hebräischen Vätern zurück. In Erinnerung an Ludwig Fulda, von dem das Gedicht stammt, schließe ich diesen Brief.* * Ludwig Fulda (1862-1929): „Wenn“ 294 VIII Zu einzelnen Publikationen An Friedemann Spicker, 26. März 2008 Nr. 364 Moser steht bevor*; über Moser - ich habe nur einen Band von ihm - haben wir noch nie gesprochen: ein Phänomen, gewiss, wie wertvoll aber jenseits der Konzeption bzw. der Besessenheit? Ihr großes Werk gab mir die begehrte Antwort nicht, nun werde ich sie bekommen. Wie erfreulich: eine überarbeitete Auflage der „Aphorismen der Weltliteratur“**. Darin liegt Ihre „nackte“ Botschaft, wohl reclamiert. Mit Reclam habe ich meine sonderbaren Erfahrungen, aber auch mit Brockmeyer. Ich habe mit ihm meinen Vertrag, nun auch meine Sorgen, da mir klar wurde - dass er nicht in der Lage sei, ein Manuskript zu lektorieren, was zur Folge hatte, dass ich - weil ich bereits einen Vertrag mit ihm unterzeichnete - mein Vorhaben gründlich verändern musste. Das Buch, das ich gern veröffentlicht hätte, wird nicht erscheinen. * Hans Albrecht Moser: Efeu ohne Baum. Gedanken eines Durchschnittsmenschen. Hg. von Friedemann Spicker. Bochum: Brockmeyer 2009 (dapha-drucke 2) ** Friedemann Spicker (Hg.): Aphorismen der Weltliteratur. 2. erweiterte und aktualisierte Auflage. Stuttgart: Reclam 2009 An Friedemann Spicker, 10. Dezember 2008 Nr. 365 Wiener Nationalbibliothek: So rasch geht es nicht mit dem „Einsehen“, wenn ich Sie verstehe. Jetzt geht es erst um eine Einsicht, die schwer genug ist zu erreichen. Doch schlimmer steht’s mit der Übersicht. Es ist eine Bergkette, kaum zu besteigen, schwer hinter sich zu bringen. Wochen dauerten meine Vorbereitungen, nun waren zwei Bibliothekare da - zwei Tage Tel Aviv, zwei Tage Jerusalem - und registrierten, ganz grob, versteht sich, sonst müssten sie zwei Wochen bleiben oder mehr. Nun aber stehen die Koffer und die Kisten herum, und so müssen sie noch lange herumstehen. Sehr ungemütlich, und kein Ende ist abzusehen. Denn Schmidt-Dengler*, der mich und darum meinen Vorlass zu schätzen wußte, ist plötzlich gestorben, sein Nachfolger noch nicht in Sicht, und wird er ein Wissender sein? Das alles belastet mich und erschwert meine Arbeit, ich muss mich auf Wien vorbereiten, da findet im Jänner eine Ehrung statt**; die wichtigste Arbeit aber wäre eine „Wiener Edition“ und als erster Band die Neuausgabe meiner „Variationen“, meines Hauptwerks, das an Aktualität täglich zunimmt. Unter diesen Umständen wird es schwer sein, einen befriedigenden Beitrag für das Lichtenberg-Jahrbuch fertigzustellen, zumal das Lichtenberg Betreffende überprüft und ergänzt werden müsste.*** Wenn ich damit bis Ende Januar Zeit habe, könnte ichs schaffen. Nennen Sie mir bitte den äußersten Zeitpunkt. „Vielzeitig“. 2009 295 Briefband. Ein Projekt, in endlosen Hemmungen steckend, darum zieht es sich immer weiter hinaus. Ich bin mir der Sache, und zu dieser gehört der Verleger, nicht sicher. Ich wollte ja etwas anderes, einen Briefwechsel, daran arbeitete ich sehr lange, bis zur Erschöpfung, vom Verleger ermutigt. Diese Ermutigung habe ich aber missverstanden, dem Resultat zeigte sich der Verleger nicht gewachsen. Dieses war jedenfalls mit ihm nicht zu verwirklichen. Ich musste die Konzeption grundlegend ändern, vom Briefwechsel - mit dem daraus gewonnenen Werk- und Lebensbild - abrücken und aufs Monologische und Einstimmige ausweichen. Wäre ich nicht vertraglich gebunden und hätte ich nicht schon so viele Monate in die Arbeit gesteckt, ich hätte es aufgegeben. Nun begann ich aber mit der Arbeit doch von vorn. Statt der sich gegenseitig beleuchtenden Beziehungen musste ein Kommentar erstellt werden, mit allen seinen Fragwürdigkeiten. Kommentare, ob ausführlich oder verknappt, bleiben umstritten. Je überflüssiger sie erscheinen (z. B. durchs Internet), desto empfindlicher ihr Fehlen. Es ist ja, wie auch immer, ein Werk, das hohe Ansprüche stellt, es wird genau betrachtet werden. Der Band sollte nicht von übertriebenem Umfang werden, so auch nicht sein Kommentar. Je länger sich die Arbeit hinzog, desto weniger konnte ich unbeteiligt und konsequent bleiben. Das wird sich im Resultat widerspiegeln, aber ich kann’s nicht mehr ändern, denn nun muss ich damit auch Schluss machen. Es soll doch im Frühjahr 2009 herauskommen, Herr Brockmeyer müsste es auch noch genau lesen, so sauber die Druckvorlage zu sein scheint. Auch die PC-Übertragung beunruhigt den Text. Die „Variationen“ erschienen im Herbst, die Briefe hätten einen Vorsprung. Das Reclam-Taschenbuch**** wäre keine Konkurrenz. Entscheidend für mich ist: Das reichhaltige Buch muss entsprechend ausgestattet werden: nicht bildhübsch, aber vorbildlich schön. Darauf kommt es an, soll damit doch etwas Neues beginnen. * Anm. zu Brief Nr. 116. April 2008 ** Ehrenkreuz der Republik Österreich, 10. November 2009; vgl. die Laudationes von Werner Helmich und Robert Menasse in: Michael Bongardt (Hg.): Humor - Leichtsinn der Schwermut, S. 127-135 und 139-143, dazu Vielzeitig, S. 326 *** EB: Unter den Gegebenheiten kommt auch das Mögliche vor. Eine Morgenlesung. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2009, S. 91-112 **** EB: Der Mensch besteht von Fall zu Fall. Aphorismen. Mit einem Nachwort von Friedemann Spicker. 2. Aufl. Leipzig: Reclam 2009 296 VIII Zu einzelnen Publikationen Von Friedemann Spicker, 21. September 2009 Nr. 366 Ich habe den erhofften ruhigen Sonntag gehabt für das Buch*, ich habe mir den Montag dazugenommen, aber reichen tun zwei Tage lange- nicht für so ein epistolographisches Lebenswerk.-An Ihnen geschult, würde man vielleicht sagen: Ich bin an das Ende gekommen, aber noch nicht zu einem Schluss.-Den wird es auch-(hoffentlich oder gewiss) nicht geben, aber jetzt ist es Zeit für ein langsames, partienweises Aufnehmen und philologisches „Lauschen“, wo Sie Borchardt zitierend sagen: „,Ich habe nichts als Rauschen, Kein Deutliches erwarte Dir.ʻ“** Sie schreiben an Herrn Holzner: „Jedenfalls war es für mich etwas aufregend, durch das Gespräch mit Ihnen so weit und so heftig in die Erinnerung zurückgeworfen zu werden.“***- Mir ist es mit Ihren Briefen nicht anders gegangen. Ehrenstein: mein erster Dissertationskandidat, aber Nachlass in Jerusalem, das war unerreichbar weit weg; Lasker-Schüler, Mauthner: mir besonders nah in Oberseminarzeiten; Haringer, Kramer: Erinnerungen an meine Vaganten-Dissertation****; Kenko*****: einer von vielen wertvollen Neuen aus meiner Ostasienzeit******. Eine Kleinstauswahl, denn das ist von Bedeutung nur für-mich. Wichtig ist anderes. Schön, dass alles, was über Sie bisher geschrieben wurde, neu geschrieben werden muss, da jetzt die Quelle erster Ordnung vorliegt. Und sie auszuschöpfen auch nur nach einer Richtung hin - und wie viele Richtungen sind hier zu verfolgen! -, das wird einer langen „schönen Anstrengung“ bedürfen. Sie schrieben mir schon damals (S. 237) ganz zu Recht ja: „Ich kann mir vorstellen, dass die Geschichte meiner-Aphoristik meinem Briefwechsel abzulesen wäre.“ Jetzt kann man sich in diesen Geschichtsstrom- vertiefen - und immer wieder über Zuflüsse staunen, bekannte, geahnte, unbekannte. Man sieht Sie in der liebevollen Zuwendung zu Ihren jeweiligen Briefpartnern und zugleich in der- prüfenden Beschäftigung mit vielen hundert- Autoren, immer mit dem Menschen dahinter, nie mit dem Werk allein.- Es war sehr, sehr viel Mühe (trotz Frau Fey*******; dieser Anhang! ), ohne Lektorat, in einem kleinen Verlag, aber Ihre Leser werden belohnt damit, und wie stolz kann Herr Brockmeyer sein, so etwas in seinem Verlag zu haben und seinen Namen damit zu verbinden! * Vielzeitig ** Vielzeitig, S. 195 *** Vielzeitig, S. 167 **** Friedemann Spicker: Deutsche Wanderer-, Vagabunden- und Vagantenlyrik 1910- 1933. Wege zum Heil - Straßen der Flucht. Berlin: de Gruyter 1976 (Quellen und Forschungen. Neue Folge 66 [190]) „Vielzeitig“. 2009 297 ***** Yoshida Kenko (um 1283-1350): Seine „Betrachtungen aus der Stille“ („Tsurezuregusa“) gehören zur klassischen japanischen Literatur; vgl. Vielzeitig, S. 325 ****** Lektor an der Yonsei-Universität Seoul 1986-1991 ******* Monika Fey, Bearbeiterin des Bandes, siehe Verzeichnis der Briefpartner(innen) An Friedemann Spicker, 22. September 2009 Nr. 367 Ihr Lesebericht freute mich und gern wollte ich in der Lage sein, Ihre Freude zu teilen und Ihr Urteil zu bestätigen, allein-… . Ich habe das Manuskript vor vielen Monaten abgeliefert und das Buch noch nicht in die Hände bekommen. So muss ich Ihnen aufs Wort glauben. Sicher kann Herr Brockmeyer stolz sein, und ich rechne es mir hoch an, ihn auf das Niveau dieses Buches, auch äußerlich, wie man mir sagt, gebracht zu haben. „Scheinhellig“ hätte auch schon erscheinen sollen. Es wird Sie gewiss freuen, für Ihre deutsche Anthologie* käme es leider zu spät. Kennen Sie Prof. Tilo Brandis**, Berlin? Er war neulich hier, von der Österr. Nationalbibliothek beauftragt, meinen Vorlass zu begutachten. Es kamen dabei viele Manuskripte hervor, die nicht Bücher werden wollten oder konnten, und alle Briefe - Abertausende - denen ich zu Büchern nicht mehr werde verhelfen können. Ein Glück, dass es nun den einen Band gibt. * Friedemann Spicker (Hg.): Deutsche Aphorismen. Stuttgart: Reclam 2012 (RUB 18695). ** Tilo Brandis (geb. 1935), Bibliothekar und Mediävist, leitete von 1973 bis 2000 die Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek Berlin. Von Riccarda Tourou, 11. Januar 2013 Nr. 368 Ich bin gestern zusätzlich noch in „Vielzeitig“ versunken. Denn nach dem Vorliegenden dachte ich wieder, Dein Tagebuch sind Deine Briefe und Briefwechsel. Die Geschichte Deines Lebens liegt in ihnen, da ist sie erzählt. Interessanterweise spricht mich die Auswahl der derzeitigen Briefe in anderer Weise an als in „Vielzeitig“. Das mag wohl schon an dem „Briefwechsel“ an sich liegen, wohl lese ich es auch anders als „Vielzeitig“, oder es liegt doch an der Auswahl oder einfach an der Kombination von allem. 1994, schon damals hast Du Dich mit dem Gedanken „Erinnerungen“ herumgetragen. Sollten sie nun doch „mit Dir beginnen“? -Soll es doch das Buch der Erinnerung werden? Dass es ein besonderes Buch werden kann, werden wird, liegt auf der Hand. Nur ob dieses besondere Buch in den Apfelkorb* gelegt werden soll? * Apfel-Verlag, Wien. Nicht erschienen 298 VIII Zu einzelnen Publikationen An Friedemann Spicker, 11. April 2013 Nr. 369 Meine Erinnerungen gehen mir aus dem Weg. Wann soll ich mich denn erinnern, wenn nicht jetzt, im vielleicht letzten Augenblick? „Das Letzte“ - ein Thema für sich, und mir ein altes. Zürich war ein schöner Erfolg, mit dem ich nicht zu rechnen wagte. Er - der Erfolg - könnte mich beim Deutschen eine Weile festhalten, dann hätte ich alle drei Länder, die ich für mein Nachleben nötig habe. Finde ich einen Schweizer Verleger, bleibe ich noch ein Jahr im Deutschen, einen „letzten“ Aphorismen/ Aufzeichnungen-Band schreibend. Er möge kommen, ich würde noch lieber einen Briefband herausbringen - ohne viele Anmerkungen; Briefe aus den letzten zwanzig Jahren. IX „Die Lesungen sind mein wichtigstes Werk.“ - Zu Lesungen An Regina Pressler, 10.Oktober 2000 Nr. 370 Sie helfen mir, die konventionelle Form der „Lesung“ zu durchbrechen; nun brechen wir das Wort für einander wie Brot. Mein Wunsch ist: an diesem Abend* für: Liebe, Dichtung, Glaube etwas zu tun. Paradiesseits ist die Perle des Abends: wenn sie über Ihre Lippen geht. Ich überlege mir noch einige Texte, die Sie - wenn sie Ihnen gefallen - oder auch wir abwechselnd lesen könnten. Was Sie nicht mögen, sagen Sie mir bitte gleich, alles andere können wir ja noch am Vorabend besprechen. Noch bin ich dabei, meine Lesung zu komponieren. Einen vollständigen Text könnte ich Ihnen von unterwegs schicken (ich muss noch die Musik hineindenken); er wird sich mit dem Buch ( Die Zukunft sitzt uns im Nacken ) nicht decken, deshalb schicke ich Ihnen auch nicht das Buch. Paradiesseits ist der Höhepunkt gegen Ende des Abends. Es geht dann zum Glauben über, doch ehe ich darauf zu sprechen komme, möchte ich Sie fragen, ob Folgendes Ihnen gut genug erscheint, dass Sie es gern sprächen, dann nämlich wäre es Ihr Prolog: Wir trauen unseren Augen nicht; wir wollen durchschauen, dahinterkommen und drängen uns nach vorne Da ist die Bühne und die anderen, die ihre Rolle spielen, und spielend uns zu verstehen geben, dass wir gemeint sind und alles das uns treffen muss, weil wir keine Rolle spielen 300 IX Zu Lesungen Ich setzte dann ein und fort: Das Instrument wird gestimmt, bald wird man sich betonen; man wärmt sich ein und schaut sich um, man denkt bei sich: Auf Eingebungen wird nicht mehr gewartet, verdächtigt sind Andachten; keine stolze Sache mehr, Dichter zu sein. Die Wüste ist in die Stadt eingezogen und sorgt da selbst für Rufer und Ruf Weil dies eine wichtige Frage der Regie ist, bitte ich Sie, mir besonders zu diesem Punkt ein Wort zu sagen, denn kommt der „Prolog“ für Sie nicht in Frage, kommt er auch für den Abend nicht in Betracht. Und weil wir beim Anfang sind: Alle Künste bzw. Instrumente haben für sich selbst allein zu sprechen: nicht von sich und nicht über sich hinaus. Das wäre mir lieb, wär’s auch Ihnen recht? Wir machen nichts als unser Bestes, ohne „Vorstellung“, „Einführung“, „Moderation“. Ich überlege mir das Folgende aufzunehmen: es ist nicht „lyrisch“, aber - auf die Jugend abgesehen, die wohl auch da sein wird - vielleicht ausschlaggebend, ich riskierte dafür einen Stilbruch, wenn Sie es sprechen mögen: Alle Siege werden davongetragen Wie sag’ ichs aber meinem Kinde Du bist ein schönes Fenster zur Welt - lass deine Scheiben putzen Du kannst dich noch so weit öffnen, der Andere bleibt immer dein Tor in die Welt Was du darstellen willst, musst du auch verkörpern können Du kannst jeden Platz einnehmen, nur einen einzigen ausfüllen IX Zu Lesungen 301 Was du bist, kann niemand sonst sein: daher deine Verantwortung Du bist aufgefordert, das zu tun, was niemand von dir verlangen kann Willst du Ruhe finden, lass dich nicht beruhigen Du musst an Gott nicht glauben, nur zuhören, wenn Er zu dir spricht Und dann in das Land gehen, das er dir zeigen wird Du musst werden, denn du bist erwartet Und als vorletztes Wort: Was steht nicht alles in den Sternen, was kommt nicht alles uns entgegen, tritt uns zu nah - und lässt uns hinter sich * Lesung in den Hamburger Kammerspielen, 31.10.2000, mit der Schauspielerin Regina Pressler und der „Familie Lachmann“ (ukrainische Familie klassischer Musiker, Klezmer-Musik) An Helga Bubert, 11. Oktober 2000 Nr. 371 Das wird der Abend sein, und er wird seinen Eindruck nicht verfehlen: die Lacher wohl nicht auf seine Seite kriegen, aber den ganzen Ernst der Kunst: von Ida Ehre - Regina Pressler - bis zu den jüngsten Lachmanns, die nun die Möglichkeit hätten, nicht „abgestempelt“ für die Poesie eine Lanze zu brechen und eine Geige mit dem Titusbogen zu streichen. Und es wäre ein Ensemble, und nicht einer, der allein, omnipotent dasitzt und in seinen Bart hineinrezitiert. Die Dichtung spricht für sich, aber nicht mit einer Stimme; die Worte sind beredt, wenn sie über viele Lippen gehen. 302 IX Zu Lesungen An Friedemann Spicker, 24. November 2000 Nr. 372 Meine Erwartung, sie schien begründet zu sein, war groß, sie wurde ebenso groß enttäuscht: weil es eben Köln war*, nicht etwa Fürstenwalde-… . Wobei zu meiner Lesung in Fürstenwalde (bei Berlin) immerhin vierzig Menschen kamen, in Köln waren es nur zwanzig, vier davon meine Gäste - und ein Sonderling, der meine hebräischen Schriften kennt, und gerade die entlegenen. Zwar habe ich an der Uni einen Freund, einen bekannten Germanisten, der die Herrlinger Drucke regelmäßig bezieht, er lobt mich auch sehr - nur nicht vor seinen Studenten. Mein Brief kann die Antwort sein auf Ihren Brief, soll manches aber auch zum Thema haben, wie Aphorismus, Buch und Buchkritik, Tischgeselligkeit und - nicht zuletzt: den Schmerz. Ihren Schmerz kenne ich, Sie sprechen ihn aus, und ich habe ihn ja auch verursacht, indem ich sagte, Köln sei nicht meine Stadt. Diesen Schmerz kann ich besänftigen und mildern, denn nun ist Köln tatsächlich meine Stadt, denn sie ist die Stadt Friedemann Spickers, der ein guter und kluger Freund meines Werkes ist. Es gab aber und gibt auch meinen Schmerz darüber: dass Köln, die erste deutsche Stadt, gleichsam der erste deutsche Boden war, den ich - 1963 - betreten habe, und da machte ich meine ersten Schritte ins Deutsche, auch die ersten für mich interessanten Bekanntschaften: H. G. Adler, Hannah Arendt, Hans Bender, Paul Schallück, Wilhelm Unger. Köln war meine Stadt, blieb es aber nicht, denn aus Köln erreichte weder mich noch mein Werk je ein Gruß - dreißig Jahre lang. Protestiere nicht, deine Erscheinung sei dein Protest Du bist aufgefordert, das zu tun, was niemand von dir verlangen kann * Lesung in Köln, 2.11.2000 An Paul Rutz, 29. November 2002 Nr. 373 Dank für Botschaften und Mitteilungen. Mit Vor- und Rücksicht wollen wir die Sache angehen.* Wir haben Zeit; ich schreibe später, wenn ich Ihre Gedanken zur Vesper vorliegen habe, zum Abendgebet. Sie sind Gastgeber und sollen den Ton angeben (Sie haben das milde und mildernde Wort), die Regie bitte ich Sie zunächst mir zu überlassen. Die Atmosphäre - aber auch der Arbeitstitel - verträgt eine Beschränkung, aber kein Wort zuviel. Ich will die Worte kosten und auch auf ihre Tragfähigkeit prüfen können. Es muss mit Herz (Sympathie und Übereinstimmung) und Kopf (Kontrast) komponiert werden - im Angesicht IX Zu Lesungen 303 Gottes, also nicht zu fromm und nicht zu weich. Eine moderne Vesper eben. Wir müssen von etwas reden, worüber andere (und wir selbst als andere) lieber schweigen. Es darf uns nichts leicht über die Lippen gehen. Schwester Hedwig kennt Silja Walter** besser als ich, für mich sind beide in dem einen Wort vereinigt: „Tanzen heißt / auferstehen.“ Ich habe alle Sympathie für sie, ich könnte sogar von Liebe sprechen. Aber wir wollen nicht kurios erscheinen; es soll kein Spektakel sein. * EB: Was sich ereignet, findet nicht statt. Solothurner Lesungen 2016 und 2003. Hg. von Paul Rutz und Hans-Jürg Stefan. Wuppertal: NordPark 2017 ** Vgl. Verzeichnis der Briefpartner(innen) An Paul Rutz, 4. Dezember 2002 Nr. 374 Dass für Silja Walter das Wort Person ist, weiß ich, es bliebe auch keinem verborgen, wer diese Person ist. Sie ist katholisch und lebt im Kloster. Ihr Wort ist in jedem Fall Person, es drückt sie aus, färbt auf sie ab; sie steht im Wort. Ihre Sorge, wenn sie eine ist, kann ich zerstreuen, ihre Fragen aber, wie sie mir hier in die Augen springen, nicht beantworten, weil ich nicht wissen kann, ob sie ihre Befürchtung ausdrücken oder ihr Unbehagen. Mir stellt sich die Frage so: Ist die Kirche der Rahmen - oder sinds die Solothurner Literaturtage. Sinds die Literaturtage, dann müssen meine Texte nicht Theologie sein; es genügt, wenn sie - und gerade im Kirchenraum - beunruhigen oder bewegen. Vielleicht kommt auch Gott dann kurz vorbei, weil er sich denkt, die Kirche ist groß, das Wort aber ohne Aufheben. Wie schwer ist es doch, mit Worten, die nicht Psalmen sind, Gott zu gefallen. Und wie oft kommt es schon vor, dass Gott zur Predigt erscheint. Der Zusammenklang - er muss erst erzeugt werden. Ich hielt es für möglich, wollte mich vor allem aber auch gern überraschen lassen. Ich verlasse mich darauf, darum verlasse ich das mir Vertraute. Ich bin in der Kirche Gast, aber das werden auch andere sein, die nur darum kämen, weil sie dem Dichterwort noch einmal in einem sakralen Raum die Chance geben wollten. Das, lieber Paul Rutz, verstehen Sie gut, sonst würden Sie nicht an mich denken. Das Wort, das einst Antwort gab, gibt heute nur noch Auskunft. Ich trete nur als Dichter auf und habe sonst nichts anzubieten. Noch haben wir Zeit; wir brauchen Geduld; ein Schuss Humor würde nicht schaden. 304 IX Zu Lesungen An Michael Bongardt, 10. September 2004 Nr. 375 Dass ich öffentlich lese, geschieht ja einzig darum, weil ich den Texten meine Stimme beilegen will. Denn mehr als meine Stimme habe ich dem Text nicht hinzuzufügen, die Stimme selbst aber macht die andere Melodie - solange ich lebe. Hört man auf mein Wort und von meiner Stimme weg, bin ich entbehrlich. Deutlicher gesagt und schärfer: Zu meinen Büchern gehört wesentlich ein anonymer Autor, von dem man allerdings wissen muss - dass er Jude sei; mehr aber nicht. Im Grunde stehe ich mir, öffentlich lesend, im Wege. Der Autor will in das Buch, seine Stimme lockt ihn heraus. Das lang bedachte Wort muss das Bedachte mit der Stimme teilen, die ohne Trefflichkeit ist. Das sind Glanz und Elend Kohelets, der nur anonym wirken kann und doch Salomo für immer bleiben muss, denn ihm verdankt er seine Kanonisierung. Man ist nicht ungestraft Klassiker. Das war mein Problem schon beim ersten Buch, „Sahadutha“, mit dem ich sowohl erscheinen als auch verschwinden, d. h. in der Anonymität- Fuß fassen wollte. Würde dieser Benyoëtz, sagte ich mir, im Deutschen überlieferbar werden, er müsste-unter „Sahadutha“ verschwinden und auferstehen. So habe ichs mir gedacht, doch war es eine fromme Einbildung, denn man lässt heute niemand anonym bleiben. Es liefe auch beim besten Willen auf Mystifikation hinaus. Also musste es den Benyoëtz geben. Darunter leidet er täglich, daran erkennt er aber auch, dass nicht sein Wille geschieht. Nun hat auch der unerbittliche Wille, der geschieht, seine freundlichen Aspekte, wie eben diese Tagung* - Ihre Initiative; Sie führen die Regie, ich gehe über die Bretter. * Tagung auf der Burg Rothenfels, April 2007; vgl. Michael Bongardt (Hg.): Humor - Leichtsinn der Schwermut. 2010 An Anna Fischer-Buck, 28. Dezember 2004 Nr. 376 Sie kennen mein letztes Buch, ja, Sie haben auch trefflich, mit einem Satz, etwas dazu gesagt. Nun denken Sie sich eine Lesung aus diesem Buch in Potsdam, eine Stunde lang. Sie nimmt mich natürlich mit, ich halte keinen Vortrag, nur gerade - mehr mit Sprachsinn als treu - das Wort, ich könnte ins Schwindeln geraten, in Bodenlosigkeit versinken - da steigen BZ-Fragen* aus trockener Kehle in den eben beseelten Raum, schweben herum und werden - warumlich wiesoliert - nacheinander zum Platzen gebracht, leicht und billig: „was denken Sie über-…“; „was halten Sie von- …“; „was würden Sie, wenn- …“. Was soll meine deutsche Poesie, komme ich doch aus Israel. Wer dort unter Palmen wandelt, soll nicht ungestraft in Potsdam lesen. Ein Gast, ob Poet oder nicht, hat ausgefragt und bloßgestellt zu werden, so will es die Demokratie. Gefragt wird nach Strich und IX Zu Lesungen 305 Faden; der Strich ist der Sex, der Faden die politische Fadenscheinigkeit. Ist man gnädig und geistvoll, fragt man auch noch interessiert, warum und wann man schriebe und ob es sich auch lohne. Die Gedanken werden zu Spott, das Sprachkunstwerk zunichte, die Liebesmühe zur Raufbolderei. Will ein Dichter vernehmlich werden, wird ihm die Kehle zugedrückt. Mit Fragen blank wie Küchenmesser werden ihm die Worte ausgestochen. Warum kommen die Leute, wenn sie ihre Ohren doch in der Schublade zu Hause lassen? Muss denn alles, will denn alles diskutiert werden? Wenn ich etwas über Gott und die Dichtung sagen möchte, will ich nicht gezwungen werden, mein Urteil über Arafat oder Sharon abzugeben. Mit Fragen solcher Art wird die Poesie öffentlich ausgepeitscht. Die hier mitschwingende Verbitterung betrifft vor allem die falschen Gastgeber. Potsdam war zum Frieren kalt. Ich ging zur Buchhandlung, Autorengesichter und Plakate schauten mich im Fenster an, in zwei Stunden werde ich hier lesen - keine Zeile kündigte mich an. Wie angewurzelt stand ich vor dem Fenster, unfähig, den nicht einladenden Laden zu betreten. Wärmebedürftig, ging ich noch zwei Stunden über Eis. Dann war die Zeit gekommen, ich wurde begrüßt und gefragt, wie ich mir den Ablauf denke, den Abend wünsche. Ich will mich bemühen, sagte ich, etwas in den Raum zu stellen, das sich mit Ohren betrachten ließe; es bleibe unantastbar - bitte also keine Diskussion. Der Buchhändler - große Stücke hielt er auf seine Stiefel, sie stiegen ihm zu Kopf und zehrten vom Glanz seiner Augen. Er sprach Trumpfkarten - und forderte das Publikum zur Diskussion auf. Was ich mich lesend mühte, in den Raum zu stellen, lag zertrampelt vor dem wackeligen Tisch. Wenn Wut weinen könnte, es wäre ihre Stunde. Diese gestiefelte, über mich triumphierende Stunde heißt nun „Potsdam“ bei mir. Potsdam war mir die Erfahrung einer umfassenden Lieblosigkeit. Auf Potsdam folgte zur Entbitterung Hamburg, und dazu gehörten auch Sie. * Fragen der „Berliner Zeitung“ An Friedemann Spicker, 14. Januar 2007 Nr. 377 Sie kennen meine Lesungen und wissen wohl, wovon Sie sprechen. Und doch, zumal Sie die Lesung* drucken wollen, habe ich das Gefühl, wir müssten darüber sprechen; wir müssen einander gut verstanden haben. Meine Lesungen sind Werke für sich. Die meisten Stücke oder Stückelchen werden aus Büchern zusammengetragen und zu etwas Neuem - das an vieles erinnert - gestaltet. Außerdem kommt immer auch etwas ganz Neues hinzu oder hinein. Auch fertige Partituren ändern manchmal ihre Gestalt unterwegs, von Leseort zu Leseort. Ich lese nie aus den Büchern. Manchmal nehme ich ein Buch zur Hand 306 IX Zu Lesungen und lese auch daraus. Meine Partituren werden gesammelt, sie sind manchmal nicht auf dem wirklich letzten Stand, weil die Änderungen vorgenommen, aber nicht ein- oder nachgetragen wurden. Das war dann ein Verlust. * Lesung Hattingen 6.5.2007; nicht publiziert An Friedemann Spicker, 19. Januar 2007 Nr. 378 Ich bin sehr fürs Technische, was immer Sie darunter verstehen (scheinwerfen, Sätze elektrisieren-…), lassen Sie alles, was Ihnen durch den Kopf geht, Wirklichkeit werden - und je „verrückter“, desto besser, es soll kein langweiliger Abend werden, von unten bis oben zugeknöpft. Es soll eine Freude sein „für jung und alt“. Ich habe ja nichts zu verlieren - Sie aber bzw. das Archiv* - alles zu gewinnen. Ich gebe mich gern zu allem her, es wird nicht weniger ernst, wenn es rundum lustiger geworden ist. Auch dann wird’s nicht billig. Und geschmacklos kann ja nichts werden. Also ohne Bangen. Von Flöte bis Posaune und Trommelschlag - meine Texte können alles vertragen. Auch längere Passagen zwischendurch, auch vielleicht Autobiographisches - alles, wie Sie es sich wünschen, nur muss das Resultat von einem Atem sein - druckreif und druckwert, darauf stelle ich mich ein, auch wenn die Atmosphäre mich vielleicht nötigt, einiges bei der Lesung auszulassen bzw. zu überspringen. Das kann man nie wissen, schon gar nicht, wenn man die Technik einschaltet. Letzten Endes entscheiden die Gäste darüber. Ihre Einführung - Sie haben es schon einmal sehr gut gemacht**, Sie werden es nicht weniger gut in Hattingen machen, mit gebührendem Witz, denn freilich wollen wir alles ernst machen - aber ent bär t wissen! Ohne Weihen! Nicht gewichtig! Feierlich nur in der guten Stimmung, die Aphoristik muss ganz zu Boden liegen, dass die Gäste über sie wie über einen persischen Teppich gingen. Ich schlage vor: Ich stimme mit wenigen Worten den Abend ein, dass ein Ton schon in der Luft - tongebend - schwebe; dann Musik, ob lang oder kurz. Dann ergreifen Sie das Wort. Aber damit will ich mich nicht in „Ordnungen“ eingemischt haben, nur wäre ich - wie immer - gegen Reverenzen und Pflichtadressen, sofern sie sich vermeiden lassen. Der Geist des Abends sollte selbst aphoristisch sein, wir wollen die Worte ja auf die Waage gestellt wissen. Meine Eselin*** reitet noch nicht, ist aber - via Hanser - schon auf dem Weg zu Ihnen, bald steht sie vor Ihrer Haustür und lädt Sie zu einem ersten Ritt ein. Dazu der Aphorismus - aus dem anderen Buch, das nächste Woche in Druck geht: Zum Messias gehört ein Esel, kein Pegasus**** * Deutsches Aphorismus-Archiv Hattingen ** Lesung in Köln, 2.11.2000 IX Zu Lesungen 307 *** Die Eselin Bileams und Kohelets Hund. 2007 **** Das Mehr gespalten. 2007, S. 172 An Friedemann Spicker, 30. Oktober 2007 Nr. 379 Vor Polen habe ich mich alle Jahre gedrückt, nun war ich in Auschwitz, und es war doch eine - übertrieben Kolbsche* - „glückliche Polenreise“, eine Dunkelheit mit drei lichtvollen Lesungen: in Warschau (mit Klavier), in Lodz (mit polnischer Übersetzung, die vielleicht Folgen hat), in Krakau (mit über 50 Studenten und gut für Metavel)**. * Annette Kolb, vgl. Anm. zu Brief Nr. 20, 27, 33, 49 **Ehefrau EBs An Friedemann Spicker, 22. November 2007 Nr. 380 Da kommen Lesereisen freilich nicht in Frage, aber einige Lesungen werden dennoch stattfinden, und einige könnten nun auch folgen, da ich das Angebot des DAAD angenommen habe, mich drei Monate in Berlin aufzuhalten. Ich dachte, das käme den Erinnerungen entgegen, der Kommentierung der Briefedition zugute, vor allem würde ich dort auch meine Berliner Tagebücher (1963- 1968) besser überarbeiten können. Freilich, es sind nur drei Monate, und schon habe ich mir den Mund zu voll genommen. Eine Lesung ist mit der Katholischen Akademie dort schon in Planung, sie wird nicht die einzige in Berlin bleiben. Wann ich komme, kann ich noch nicht sagen, es werden entweder die Monate Mai-Juli oder Juni-August sein. Das nenne ich des Julis wegen, denn das wäre die einmalige Möglichkeit, eine Lesung im Rahmen der Lichtenberg-Tagung zu halten*. Der Juli kommt sonst für mich ja nicht in Frage. Nach den Erfahrungen dieses Jahres muss ich „letzte Gelegenheiten“ wahrnehmen. Die Lesungen sind mein wichtigstes Werk, sie wirken nach; noch wirken sie. Zu Ihrer Frage: An welche Bearbeitung zu welchem Zweck denken Sie? -Zum einzigen sinnvollen Zweck der Aufstellung, Übersicht, Dokumentation, Bibliographie. Es wäre gut zu wissen, wo, wann eine Lesung stattgefunden und was dazu Gedrucktes vorliegt (vom Prospekt bis zur Kritik). Die Lesungen, viele von ihnen, kommen im Briefwechsel vor, sie müssten ebenfalls kommentiert werden, und es wäre auch nicht abwegig, eine „Bibliographie“ der Lesungen dem Briefband anzuhängen. * Lesung auf der Lichtenberg-Tagung in Ober-Ramstadt, 4. Juli 2008; im Druck: Unter den Gegebenheiten kommt auch das Mögliche vor. Eine Morgenlesung. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2009, S. 91-112 308 IX Zu Lesungen An Friedemann Spicker, 23. April 2008 Nr. 381 Lichtenberg*: Ich schwanke zwischen den Titeln: In Zweifel gezogen, / dehnt sich der Glaube aus Unter den Gegebenheiten / kommt auch das Mögliche vor Aus dem Rahmen ins Auge gefallen Das könnte auch die Einleitung sein, was würden Sie als Titel empfehlen? Ich hätte an der Lesung noch viel zu arbeiten, ich weiß aber noch gar nicht, wie ich Ihre Anregung auffassen soll, meinen konkreten Briefband aufzunehmen. Sie kennen Ihre Pappenheimer, sagen Sie mir bitte ein Wort mehr. Herr Nordmann** will bis Ende der Woche Antwort geben. Wäre (auch nur etwas) Musik denkbar? * Siehe Anm. zum vorigen Brief ** Prof. Dr. Alfred Nordmann, zu der Zeit Vorsitzender der Lichtenberg-Gesellschaft Von Friedemann Spicker, 23. April 2008 Nr. 382 Ich will spontan antworten, so spontan, wie ich mich mit-Ihren Titeln befasst habe. „Unter den Gegebenheiten kommt auch das Mögliche vor“* ziehe ich vor, da ist Konjunktiv, da ist Utopie, da sehe ich auch etwas von Rückseite oder Undercover, lauter Assoziationen, die mich im Hinblick auf beide Autoren ansprechen.-- Musik? Das würde wieder eine Geldfrage, also wohl eher nicht. Aber fragen Sie doch Herrn Nordmann, bitte. Stattdessen autobiographisch aussagekräftige Briefauszüge als Intermezzi zwischen die Texte: das geht wohl nicht? Wechselnde Sprecher, wenn Antwortbriefe zitiert werden, damit der Hörer eine akustische Abwechslung hat? * unter diesem Titel erschienen; vgl. Anm. zu Brief Nr. 63 An Günter Bader, 27. September 2011 Nr. 383 Mit Ihnen die Ränder streifen, ist immer ein Genuss, Ihre Augen sind nie ohrenvergessen, aber auch Ihre Ohren liebäugeln. „Dass Bauen und Zerstören gerade bei Kirchen auf Spitz und Knopf kommen und sich so eng berühren, bleibt niemandem erspart, der sich am göttlichen Wort verbrennt.“ Es bleibt bei mir nicht stehen, die zugespitzte und zugeknöpfte Kirche kommt nach und nach. Und das herabgebrannte Wort. Ich wusste, dass Sie kommen wollten, Sie gehörten zum Vertrauten des Publikums, ganz vertraut, doch nicht erkannt, da ich mich zwischen Texten, anders als vorgesehen, am Pult entscheiden musste. Also waren Sie da, und waren dann auch weg. Die Kirche bleibt im Dorf und IX Zu Lesungen 309 dort auch unzerstörbar und nicht an den Rand gedrängt. In Tübingen steht ihr der Hölderlinturm gegenüber, im Glanz des Unscheinbaren. An Julia Knapp, 3. Januar 2012 Nr. 384 In einer „Partitur“ baue ich in der Regel 3-4 Pausen ein, von je 1-3 Minuten, das ist auch immer gut für den Hörer, der mir konzentriert folgen muss und sich darum auf eine kleine Pause freut. Wenn ich einen guten Musiker habe, der auch leicht und gern improvisiert, kann ich die Pausen je nach Stimmung oder Laune vermehren. Das wird bei Schülern kaum der Fall sein, sie müssen die Stücke vorbereiten und üben. Soviel zur Lesung, sie könnte sich aber auch zu einem Konzert erweitern. Dann machten eben mehrere - je nach Abstimmung - eine „Kleine Nachtlesung - Musik“, zu Anfang, zu Ende oder auch zwischendurch. Von Ihren Überlegungen wird es abhängen, welche Partitur ich schreibe. Mir wäre willkommen, würde meine Lesung musikalisch verstanden, dazu gehörten eben die Studenten der Musikhochschule; Sie sollen einmal näher mit Sprachmusik in Berührung kommen. Ist es so weit, schreibe ich meine Partitur - dann eben auch mit Rücksicht auf jüngere Hörer, und Sie bekommen den Text zu lesen, um die Instrumente auszusuchen und die Stücke anzupassen. Möglich, dass dadurch Saal und Publikum wüchsen. An Ingolf U. Dalferth, 15. Januar 2013 Nr. 385 „Er fasst bei Vortragsbestuhlung ca. 72 Personen. Halten Sie das für zu klein? “ Erfülle ich das Maß, füllt sich der Raum. Klammermusik; Kammermusik. So dachte ich bei mir, hoffend, auf 72 Bestuhlte zu kommen - wen kenne ich denn, wen kenne ich noch in Zürich? Und gelänge es mir auch, zehn Leute zusammenzurufen, die Werbung, falls geworben werden soll… . Sie kennen die Lage, haben die Übersicht, Sie wissen Bescheid, Werbung soll aber nicht Ihre Sache sein. Also Kammermusik - Herz, nicht Stuhl erwärmend. Andererseits - Bücher laufen dem Autor nach, wenn er sich auch absetzt, sitzen bleibt oder ganz entrückt ist. Und die Pianisten*, wenn sie tief in die Tasten griffen - sollen sie nicht die besten Hörer in den Griff bekommen haben. Für die Besten ist ja gesorgt. Wir spielten für Sie, für Ihre Studenten. Vielleicht gewinnt auch die Germanistik Interesse. Man bekommt eine Möglichkeit, wie geschenkt, schaut man sie an, wird sie frech. So bin ich bei der nebensächlichsten Frage, die ich umgehend mit rundem JA hätte beantworten müssen, steckengeblieben. Ich sollte mich schämen, dagegen wehren sich meine Bücher, sie leben ihr Leben getrennt von mir, lieben die Leser, während ich, sogar schreibend, auf Hörer eingestellt bin. Von den Büchern 310 IX Zu Lesungen beauftragt, erlaube ich mir die Frage nach der Möglichkeit eines Büchertisches. Mittlerweile sind Sie wohl weg von Tübingen, einige Meilen entfernt vom Ernst der Theologie und können das schrille Tönen meines Plaud- und Dudelsacks vertragen. * Lesung in Zürich, Collegium Helveticum, 5.3.2013; Einführung: Professor Ingolf Dalferth; Musik: Klavierduo Shoko Hayashizaki - Michael Hagemann An Werner Helmich, 24. März 2013 Nr. 386 Und also noch ein Wort zur Jugend: Der erste Schritt ins Hebräische zurück begann vielversprechend, zwei - anderes versprechend - Schweizer Lesungen rissen mich heraus. Die erste Lesung - am Collegium Helveticum - können Sie sich im Internet jetzt anhören*. Die Lesungen waren gelungen und werden Folgen haben, mir liegt an der Schweiz - einst meine „zweite Heimat“ - ich gab sie bereits verloren, nun interessiert sich ein Schweizer Verleger** für mich, und das wäre dann ein runder Abschluss. Ich hätte gerade große Lust auf einen „letzten“ Aphorismenband (+ Aufzeichnungen), aber auch auf 1-2 Briefbände. Möge es mir gelingen, im Mai werde ichs wissen, ich treffe mich mit dem Verleger in Weinsberg. * https: / / www.collegium.ethz.ch/ fileadmin/ autoren/ docs/ ch_events/ 130305_lesung_benyoetz.pdf ** Vgl. Brief Nr. 369, 11.4.2013 An Beat Allemand, 21. Oktober 2013 Nr. 387 Ich danke Ihnen für Ihre Einladung* - das kommt von Herzen; sage Ihnen mein Einverständnis - das betrifft die Sache, und schlage Ihnen einen Titel (zur Auswahl) vor - das verlangen die Eile und Sie. Über den Aufbau müssten wir noch sprechen. Wie es mir vorliegt, läuft es zu stark auf einen Wettkampf zwischen Wort und Musik hinaus, wobei die Musik aus allen - guten Gründen obsiegen müsste. Weil sie Musik ist, weil die Musik den geweihten Raum füllen kann, weil die Geige des bekannten Meisters** alle Vibrationen für sich hätte. Ich lass mich gern erobern, ich lass mich auch schlagen, aber dem Wort muss sich eine Hörsicht auftun, damit es ohne Vibrationen das Herz ergreifen, das Denken erschüttern kann. Das wäre von mir aus der Erfolg der Lesung. Ich muss sie wie eine Partitur gestalten, damit die Musik gut hineinpasse - und das Ziel gemeinsam - ohne Nachhinken - erreicht werde. Eine geballte Ladung von Aphorismen, die 8-10 Minuten aufeinander folgten, täten die Wirkung nicht, brächten das kleine „Sprachkunstwerk“ eher zum Scheitern. Also spreche ich IX Zu Lesungen 311 meine Freude unumwunden, aber auch meine Bedenken aus, was besagt, Sie müssten mir zu einem Gleichgewicht verhelfen. * Lesung in Bern ** Daniel Zisman (geb. 1954 in Buenos Aires) An Werner Helmich, 24. März 2014 Nr. 388 Wo sollte ich beginnen, mit dem Geburtstagsdank, mit einer Antwort, worauf? Bologna* - Auschwitz? Nicht, dass ich darüber ungern nachdenken würde, ich müsste sogar, da mir eine sonderbare Lesung in Jerusalem blüht, eine mich spaltende: vor Studenten aus Deutschland und israelischem Publikum, das von mir nichts weiß, auch nicht, was es hätte einmal wissen können. Glaubt man auch, sein Leben hinter sich gebracht zu haben, ist man um keinen Fußbreit aus seiner Lebensgeschichte heraus. Es schafft in mir zu viel Unruhe, als dass ich daraus ein Buch, darauf mit einem Buch reagieren könnte. Also kann ich mich nur in Briefen austoben. Indes muss ich doch von einer glücklichen Reise durch die Schweiz berichten, die seit vielen Jahren glücklichste, mit dem Berner Großmünster als Höhepunkt, wunderbar begleitet vom Geiger Daniel Zisman**. Es war mein heißer Wunsch, die Schweiz doch noch zu erreichen, und siehe da-… Wegen der Lesungen und den in der Schwebe befindlichen „Profilen“*** konnte ich den deutschen Faden noch nicht zerreißen; obschon ich es mit dem Hebräischen gut aufgenommen habe, fand sogar zarte Töne, die allerdings eher die Abschiedsstimmung verursachte. Ich muss aber einen Adressaten haben, für eine kurze Zeit war es Gerhard Langer****, der für sein deutsches Buch einen hebräischen Text wünschte, als er dann aber verlangte, dass ich den Text auch selbst übersetze, gab ichs auf. Und im Deutschen habe ich - zum ersten Mal - keinen Verlag. Der Schweizer, der sich meldete, war kein Gentleman, obschon er sich als solcher vorstellte („Sie haben mein Wort“).***** Es steht bei mir drum nichts still, nur fließt es formlos in Tagebüchern weiter, wie eh und je-… * Professor Werner Helmich lehrte zeitweise an der Universität Bologna. ** Lesung in Bern, siehe voriger Brief *** Korrespondenzen. 2014 **** Siehe Verzeichnis der Briefpartner(innen) ***** Siehe Anm. zu Brief Nr. 386; 24.3.2013 312 IX Zu Lesungen An Werner Helmich, 17. April 2014 Nr. 389 Meine Unsicherheit ist mehrfach begründet - auch darin, dass ich keine Lektorin zu Hause habe. Es hat meine Unsicherheit, aber auch ein weltverbindendes Element. Und der Kritiker - bringt er nicht seine Unsicherheiten nur in Ordnung? Auch er weiß nicht Bescheid, es wäre ratsam, sagt er. Ratlosigkeit tut gern geheimrätlich. Das Echo also gibt seinen Widerhall, es endet vielleicht auch nicht in Graz, das hört man gern, es mit Augen zu blicken ist noch schöner, halten Sie das Echo dann in Händen, war’s vollbracht. Und das soll eben kommen. Es ist Zeit, die Lesungen aus der Hörsicht zu heben und als geltende Gattung (die Bezeichnung ist nicht zwingend, mir aber lieb) hin- oder vorzustellen. Wenn alles gut geht, wird dies Jahr zum Jahr der Lesungen: Vier Lesungen, mit acht Miniaturen Metavels und zwei CDs, erscheinen in Liechtenstein*, die Bochumer Lesung zur Woche der Brüderlichkeit mit CD und Miniatur soll als Geschenkbuch der Evangelischen Stadtakademie Bochum herauskommen**, und auch DAphA hat vor, die Hildener Lesung mit zwei Miniaturen herauszubringen***. Auf das Werk und auf mich, als seine Begleiterscheinung, abgesehen, hieße es dann mit Fug: Vollendet und vollbracht. Es könnten noch Bücher entstehen - vor allem Briefbände -, aber keine Seite fehlte mehr. Viel gesagt, aber auch weit gegangen, zu danken einzig der großen Unsicherheit. * Das Feuer ist nicht das ganze Licht. 2014 ** Am Anfang steht das Ziel und legt die Wege frei. 2015 *** Lesung Hilden, 11.3.2015; Auch Kürze hat ihre Maßlosigkeit. 2015 An Hans-Martin Gauger, 10. September 2015 Nr. 390 Ich war schon am Ende meines Deutsch, mit einem Bein wieder im Hebräischen, auf dem Weg, eine versäumte Pflicht einzuholen, da wurde ich vehement zurückgerufen. Das deutsche - längst Hauptwerk - war nicht, wie ich dachte, vollendet: Die Lesungen schienen unentbehrlich, auch für die grundlegende Theorie meines Werks -, sie mussten sich zeigen, wie es sich gehörte. Darin zeigt sich der anmutige Zwang des Deutschen. Im Hören treffen sich die unvereinbaren Sprachen, es ist unerhört, also SCHMA JISRAEL, Höre Israel. Ohne dass mein Wille in Aktion trat, ergaben sich drei Gelegenheiten*, deren Erfolg eine Trilogie ist, von der der erste Band schon vorliegt, der letzte Ende des Monats erscheint. Alle drei vornehm, - alle mit Miniaturen Metavels, die letzte Konsequenz eines hartnäckigen Werks. Vor den Toren des Gerichts, des sich bald eröffnenden jüdischen Jahrs, kann ich sagen: Es war ein fruchtbar-rui- IX Zu Lesungen 313 nierendes Jahr; ruinierend - denn schlaflos. Indes ward ich beschenkt und fühlte eine Freiheit wie nie zuvor: Alles kam unerwartet und wie in die Fülle gerufen. Schön wäre zu glauben, nun sei der Weg ins Hebräische ganz frei. Die Vorbereitungen sind getroffen, das Material liegt vor, ist brauchbar bis gut, in einem Jahr wäre ich soweit. * Siehe den vorigen Brief Von Werner Helmich, 10. Dezember 2015 Nr. 391 Ich habe von zwei verschiedenen Personen jeweils ein neues Werk* von Ihnen zugesandt bekommen, weiß gar nicht, womit ich das verdient habe, und schließe daraus vor allem, dass Sie produktiv sind, und das ist wichtig. Ich habe inzwischen beide Bücher gelesen, habe viele Bekannte getroffen und mich über die AT-NT-Nähe gefreut: Wir stehen gemeinsam gegen den globalen Atheismus (obwohl ich vermute, dass da sowohl Ihre als auch meine Amtstheologen einiges einzuwenden hätten) und wissen uns doch auf verlorenem Posten. Maks nix.** Die Lesung ist eine literarische Verfahrenskategorie, die Ihnen auf den Leib geschrieben ist. Ich habe im „Feuer“-Band, den ich zuletzt gelesen habe, viel gefunden, wofür ich Ihnen von Herzen danke. Seien Sie vor allem generell bedankt für Ihre Deutsch-Option: Ohne sie könnte ich Sie gar nicht lesen. Zitieren könnte ich natürlich viel (S. 19, 32, 41-…), muss ich aber gar nicht. * Lesungen, vgl. die vorigen Briefe ** Anspielung auf Mijnheer Peperkorn, eine Figur in Thomas Manns „Zauberberg“ X „Unsere Herzen pochen nicht weit auseinander.“ - Zuwendung im Brief An Ludwig Brinckmann, 1. Dezember 1993 Nr. 392 Du bist ein guter Ansprecher und Eröffner, hast die Fähigkeit, Dich einer Sache wie einem Menschen zuzuwenden, und bist darum so erfreulich und gewinnend. Dir sind Menschen noch lieb, und alle Wege der Menschen - wenn sie zu Gott, in ein Antiquariat oder nirgendwohin führen. Der Mensch, lässt er sich auch nicht wie ein Buch aufblättern, ist immer noch bewundernswert wie eine Lotusblume. Aber „einer war Abraham“. Wenn Du, lieber Freund, einen Text von mir liest, begibst Du Dich in ein Spannungsfeld. Den Gesetzen dieser Spannung musst Du Dich fügen und nicht versuchen, sie, die Spannung, mit neutralisierender Logik außer Kraft zu setzen. „Gott will nicht, was er kann“, ist entsprechend; „Gott kann nicht, was er will“, ist frevelhaft, weil nur willkürlich. Es ist dasselbe, aber ohne Spannung. Äußerungen dieser Qualität (oder auch nur dieser Art) sind erhebend, stechend oder bestechend - niemals hieb- und stichfest; sie leben aus der wörtlich erzeugten Spannung oder aus der Einfalt. Wortzüge wie Schachzüge, die nicht ermatten. Um Gottes Willen will ich mit Dir nicht hadern, und was Er kann oder könnte, das möchte ich gar nicht wissen. Ich schenke Dir einen neuen Abraham, darum gehts, und das möge Dir genügen. An Silja Walter/ Schwester Hedwig, 9. Dezember 2002 Nr. 393 Wichtig ist: Ihr Dasein, Dabeisein, Sprechen: für den Glauben, für sich, mit mir. Damit haben wir jetzt begonnen und müssen uns weiter keine Gedanken machen. Wir haben Zeit; wir sprechen miteinander. Zu Ihrer Erfahrung, auch der als Nonne: Die tiefste steht in Ihren Gedichten. Sie sind kostbar, weil sie schmerzlich beschwingt vom Glück sprechen. Das ist alles und kann alles „mehr“ entbehren, umso leichter: wenn Sie das, was unvermindert in die Welt hinaus will, Wort für Wort entbinden und in den Raum entlassen. Alles andere - oder weitere - ob Sie es wollen oder nicht - ist Wirkung. Das Wort, an das Sie glauben, soll’s bewirken. Es wäre mehr als Lebensgeschichte. Diese Wirkung wünschte ich Ihnen, auch mir, auch uns. Und nun wünsche ich Ihnen heitere Tage, bei froh bleibender Botschaft, und neue Strophen für Ihr hohes Lied. 316 X Zuwendung im Brief An Michael Krüger, 9. Dezember 2003 Nr. 394 Man nimmt sich die Zeit, die Jahre lässt man sich schenken. Und schon bist Du sechzig. Das ist, biblisch gesehen, die Hälfte des Lebens, mit und ohne Hölderlin* - unvergleichlich dicht; in jedem Fall die bessere Hälfte. Mit vielen „Hälften“, die immer noch besser werden. Du bist, wann immer ich Dich sehe, der vielerfahrene Jüngling, der in mir zwar nicht Neid, aber unberechtigte väterliche Gefühle erweckt. Ich bin nur wenige Jahre älter (in „meinem“ Wilpert** bist Du noch nicht drin). Wann haben wir uns wohl kennen gelernt? Wüsste ichs noch, es wäre auch dann „die Hälfte Deines Lebens“. Ich denke darüber nach, es will mir wichtig scheinen, es muss wohl 1976 gewesen sein. Zehn Jahre danach ist Dan Pagis*** gestorben. Das verdient, weil ich Dir zum denkwürdigen Geburtstag gratuliere, erinnert zu werden. Ich habe ihn zu Dir geschickt, seine Übersetzung Deines Gedichtes war das erste aus seinem Nachlass. Ohne ihn und Dich gibt es für mich kein deutsches Selbstverständnis. Was das besagen soll, weiß ich nicht, aber es läuft auf etwas wie Liebe hinaus. * Anspielung auf Friedrich Hölderlins Gedicht „Hälfte des Lebens“ ** Gero von Wilpert: Deutsches Dichterlexikon. Stuttgart: Kröner ab 1963; Lexikon der Weltliteratur. Stuttgart: Kröner ab 1975 in diversen Auflagen *** Dan Pagis (1930-1986), israelischer Literaturwissenschaftler, Dichter und Übersetzer An Hans-Martin Gauger, 13. Januar 2006 Nr. 395 Dem Heiteren werden auch noch die Gedanken zugespielt Dem reichen Spielmann, Hans-Martin Gauger Im Erwarten seines neuen Buches und mit Dank für das schöne Foto Es steht nichts fest, ehe wir zu spielen beginnen Das Spiel zaubert die Regeln hervor Auch die Sprache treibt ihr Spiel mit uns X Zuwendung im Brief 317 Das Wortspiel ist ein Auskundschafter der Sprache; Wortschöpfungen bleiben nicht ohne Seinsentsprechung Freude lässt sich spielend, Heiterkeit auch verspielend gewinnen Das vollkommene Leben, das sich abspielende An Michael Bongardt, 5. Juni 2007 Nr. 396 Schöne Post - Dein Brief - gute Post - Dein Geburtstagsbeitrag in Kirche und Israel* und mein eigener Beitrag - im großen Symposionband „Opfere deinen Sohn“**. Mir ist, als ginge mein Geburtstagsfest weiter und weiter, und - ich sollte darüber staunen - ich hätte nichts dagegen. Es ist ein neuer Zug in meiner Lebenshaltung, ein leiser Siegeszug: Noch gibt es mich - und mein Werk ist vollbracht. Ich glaubte nicht, damit rechnen zu dürfen. Da ich nun mit Dir spreche, frage ich mich, was davon ich Dir verdanke. Das erstaunt dich vielleicht, doch warum. Wenn Du zu mir kommst, dann bist Du allerdings, der da kommt, allemal aber doch der Kommende. Auch der Ersehnte, auch der Erwartete sind im Kommen enthalten; der Kommende macht im Kommen alles aus. Denk an den zögernden Moses, der mit allen Wendungen sich aus dem göttlichen Auftrag herauswinden will. Gott nimmt ihm die Angst seines Herzens dadurch, dass er ihm sagt: ‚Ist nicht Aaron, dein Bruder, da? Ich weiß, dass er reden kann; siehe, er kommt dir entgegen-…‘ Aron machte sich auf den Weg zu Moses und war im Kommen. Sein Kommen veränderte ‚mit einem Schlag‘ die Lage. Mit Deinem Kommen, lieber Michael, hatte sich auch meine Lage verändert. Ich musste mir die Jugend nicht mehr einbilden, sie war mit Dir da. Moses musste nicht aufhören zu stottern, aber er war am Ende in der Lage, das ‚fünfte Buch Mose‘ - Rede um Rede, Gesang um Gesang - in einem fort zu sprechen. Als Du zu mir kamst, waren erst die Variationen da, und zum Glück waren sie es, denn ihr Aufbau ermöglichte uns das Zusammenspiel! Was aber darauf folgte, war ein viel größeres Werk. Dies wäre nicht ohne weiteres entstanden, ich musste schon an Dich denken und an Claudia***, an René****, an Katharina*****, manchmal an Johanna******, und zwischendurch an Josef Wohlmuth*******. Denken, das meint in Liebe und in Sorge. Sorge darum, dass niemand der Versuchung erliege, leicht das Spiel zu gewinnen, billig den Sieg davon zu tragen. Aus dem Leichten und Billigen erwächst die religiöse Öde. Es werden immer Ausbrüche aus der Öde 318 X Zuwendung im Brief vorgenommen, aber die Bahnbrecher sind nicht die Wegweiser. Das Thema ist großgeschrieben, es ist aber die Fragwürdigkeit, die die großen Themen diktiert. Dein „Scheideweg“******** liegt nicht in der Luft, sondern vor, und nicht zu übersehen (Du sagst unausweichlich): redlich gedacht, sauber ausgesprochen, ungeziert durch alle Paraden fahrend, doch mit aller Geduld und vornehm. Ich weiß nicht, was ich sonst noch sagen könnte, und ob ich sollte. Die Sache spricht - mit Deiner Hilfe - für sich. Die Widmung - was beleuchtet sie in diesem Fall? Du hast Dich das vielleicht nicht gefragt, für Dich scheint sie eine Art Bekenntnis zu sein. Aber Widmungen, wenn sie auch nicht als Lampen eingesetzt werden, beleuchten etwas, ob man will oder nicht, ob man es selber sieht oder nicht. Das eben sehe ich noch nicht und warte ab. Du bist jedenfalls gut zu sehen, in Deiner Diktion auch gut zu vernehmen. Die Umgebung - „Kirche und Israel“ -: Ich kenne die Zeitschrift nicht, die Namen der Beiträger sind mir aber vertraut. * Michael Bongardt: Am Scheideweg. Christlicher Glaube angesichts des Judentums. In: Kirche und Israel 22, 2007, S. 34-50. Elazar Benyoëtz zum 70. Geburtstag gewidmet. ** Keine Macht beherrscht die Ohnmacht. Eine ungebundene Lesung um Abraham und seinen Gott. In: Bernhard Greiner/ Bernd Janowski/ Hermann Lichtenberger (Hgg.): Opfere deinen Sohn! Das ,Isaak-Opfer‘ in Judentum, Christentum und Islam. Tübingen: Francke 2007; EBs Beitrag S. 109-134 *** Claudia Welz, siehe Verzeichnis der Briefpartner(innen) **** René Dausner, siehe Verzeichnis der Briefpartner(innen) ***** Katharina Heyden, siehe Verzeichnis der Briefpartner(innen) ****** Johanna Erzberger, siehe Verzeichnis der Briefpartner(innen) ******* Josef Wohlmuth, siehe Verzeichnis der Briefpartner(innen) ******** Treffpunkt Scheideweg, 1990; Michael Bongardt schied 2003 aus dem Priesteramt aus. An Hans-Martin Gauger, 6. Juni 2007 Nr. 397 Was sagt nun König David* zu Deinem Buch, was sprach Dein Buch zu Deinen Augen, wie weit - nach vorn oder zurück - vermochte Dein Gehör dich zu tragen? Bis zum Tragbaren hin, bis zum gerade noch Erträglichen. Es steht in den Sternen, es ist in der Luft, blausam, grausam - durch die Bank der Spötter, psalmodisch neu X Zuwendung im Brief 319 Der erste Besuch, der bann- und bahnbrechende. Schön, dass wir uns wenigstens noch sehen konnten. In der Enge, in der Knappheit, zu kurz gekommen. Denk nur nicht, ich hätte etwas überhört: Ich werde auf alles, ob gesprochen, ob nur gedacht, zurückkommen. Dass ich Deiner Frau, Carmen, lange zuhören und zusehen durfte, wie sie ihre literarischen Passionen ins Bild hochholt, war mir Freude und Genugtuung. Was wir miteinander zu besprechen hätten, dafür eignete sich einzig meine verwahrloste Arbeitsstätte mit allen Büchern und Bücherfratzen. Wenn Du kommst, wenn Du kommst, wenn Du wieder, wieder kommst. Und das Tragbare - war’s erträglich? Es war ein erster Schritt auf einem langen Weg, den Du, wie Du vielleicht geglaubt hast, längst zurückgelegt hast. „Ob die Zeit vorübersause Mit der Hast des Fin de Siècle, Wir im stillen deutschen Hause Rufen nicht ein Mene Tekel, Sehen Jahr um Jahr verrinnen Sacht in traulicher Gemeinschaft, Nur beflissen zu gewinnen Den Rekord getreuer Freundschaft.“ Paul Heyse an Alfred Dove * König David: vgl. Anm. zu Brief Nr. 175 An Michael Krüger, 11. Dezember 2008* Nr. 398 Ist man gemichelt, wird man krüger. Hingesprüchelt tönts wie Weisheit, wie der Segen einer Greisheit, der noch scherzlich ist zumute, eh die Tage werden trüber - Schwamm darüber! Schwamm darüber! Lieber Michel, lieber Freund, ich denke an Dich an diesem Nachgeburtstag und wünsche Dir das einzig Lohnende: dein Leben, wie es ist, mit Menschen, die Bücher werden, mit Büchern, die Menschen machen, und allerwegs in der Dichtung: länglich hin und hinlänglicher. * Zu seinem 65. Geburtstag 320 X Zuwendung im Brief An Michael Bongardt, 4. Mai 2011 Nr. 399 Unsere Herzen pochen nicht weit auseinander: das ist die Nachsicht; Deine Sprache hat sich von meiner abgelöst, das ist die Vorsicht; ich werde Dir anders zuhören. Ich freue mich, dass Du kommst, dass Du mit Jerusalem in besserem Einvernehmen bist, und freue mich auf das Wiedersehen. Du wirst mir erzählen von Deinen neuen Aufgaben, ich Dir von meinem letzten Buch.* Du bekommst Deine Nüsse, ich werde sie knacken. * Fraglicht. 2010 An Bettina Fricke, 24. Juni 2012 Nr. 400 Ich kehre eben von einer Reise zurück und erfahre von Haralds letzter Reise*. Es ist das Stichwort, das uns im Leben verband, eine lange Reise um den Tod herum und fast fluchtartig wieder ins Leben. In mir leben alle Bilder - des Gartens, des Hauses, der Kinder, der Tafel, Ihr Bild, liebe Bettina. Und dann die Wortkette den Weg entlang, auf dem er so manches zurücklegen musste, ganz allein, aber von der drückenden Einsamkeit des sich Beschuldigenden befreit. Bis zu diesem „befreit“ sah ich ihm nach, und ich merke eben, dass ich da stehen geblieben bin. Da - kurz vor Gottlieben** - fielen wir einander um den Hals, er stieg in den Wagen, warf das Steuer um und trat, überwältigt, seine vielstimmige Reise an. Nach Hause. * Tod Prof. Harald Frickes am 20. Juni 2012 ** Gemeinde im Thurgau in der Schweiz. EB kam 1966 zum erstenmal nach Gottlieben in das Haus des verstorbenen Dichters Emanuel von Bodman. Aus der ersten Begegnung mit Clara von Bodman, der Witwe Emanuel von Bodmans, entwickelte sich eine große Freundschaft. EB verbrachte damals alljährlich mehrere Wochen als ihr Gast in Gottlieben. „Veröffentlichungen der Gottlieber Dichterfreunde“ seit 1980. Vgl. Brief Nr. 27 an Edith Silbermann, 10. August 1991 An Harald Weinrich, 15. August 2012 Nr. 401 Du verweist auf Deine „Knappe Zeit“*, eines Deiner schönsten Bücher (das würde ich fast von jedem Titel behaupten, geliebt sind sie alle). Ich war gerade versucht zu sagen, „in Deiner knappen Zeit, in welcher Du alles gesagt hast-…“. Das wollte ich wirklich Dir umgehend bestätigen, denn umgehend sollte ich Dir auch danken! Allein, da begann mein Nachdenken, richtiger das in mich Hineindenken, ich musste es am eigenen Leib erfragen und erfahren, wie steht es mit der knappen Zeit. Sie ist evident, und nicht von ungefähr ging sie Hippo- X Zuwendung im Brief 321 krates** einen Satzweit entlang. Die Zeit ist kurz, kein Mensch kennt es anders und keiner, der sich nicht „kurz halten“ möchte. Die ausgedehnteste Rede wird bemüht sein, mit „kurz, - “ zu enden. Ich konnte in mir feststellen, was Du schon lange besser weißt, dass es zwei verschiedene Bewegungen sind, die in sich aber nicht gegensätzlich sind. Ich weiß, dass ich sterben muss, ich habe keine Zeit zu verlieren, muss mit der Zeit sparen, mich kurz fassen, Sätze schreiben, nicht Aufsätze. Ich ertrage in mir keinen toten Punkt, ich will den Schlaf für mich einnehmen, ich träume, sparsam auch da, verhältnismäßig kurz. Dann aber denke ich lange über meine Träume nach, glaube, sie deuten zu müssen. Der kurze Traum war die knappe, gerettete Zeit, die Deutung ist die Ausdehnung, die Möglichkeit, das Leben zu verlängern. Ich denke mir: „Halte es einmal fest“, was meint: Ich komme darauf zurück, es will doch gesagt, gedeutet, also verlängert werden. Kommt es auf seine Länge, bringe ichs auf den Punkt-… . Zwischen Strich und Punkt, Rechnung und Strich durch die Rechnung. Das Leben in die Kürze retten, ist das eine, das Leben in die Länge ziehen das andere. Ich habe gehofft, etwas Elegantes zuwege bringen zu können, dabei ist mir kein einziger Aphorismus gelungen, und nun besteht die Gefahr, ich könnte noch Deine „Knappe Zeit“ verderben. * Vgl. Anmerkung zu Brief Nr. 177; zu Aphorismus/ Hippokrates S. 20, 45 f., 49 f., 53, 56 ff., 93, 109, 127 f., 131, 164, 231, 235 ** Vgl. Die Eselin Bileams und Kohelets Hund, S. 134f. Von Riccarda Tourou, 3. Januar 2013 Nr. 402 An der Entstehung Deiner Bücher mithelfen zu dürfen ist meine Erfüllung. Die Vorstellung, ja Angst, Du schriebst nicht mehr in Deutsch, schnürt mir die Kehle zu, raubt mir die Energie, und ich bete darum, dass es nie passieren wird, solange Deine Hand die leeren Seiten füllen kann. Von Ingeborg Kaiser, 10. Januar 2013 Nr. 403 Eben von der Zeitreise, Wortreise zurück. Und ganz benommen, staunend, froh. Dein Vorhaben „Jahrbücher“, „Lebenserinnerungen“ wird schon 2004 angesprochen und dann die Auseinandersetzung mit Hebräisch - Deutsch. Ich muss mein eigenes Herz essen. Ein Traum. Ich sah mich zwischen zwei Sprachen aufgebahrt. Beide hielten sich auf genau dem gleichen Abstand von mir und klagten um mich. 322 X Zuwendung im Brief Wir haben uns in ungefähr zehn Jahren ungefähr zusammengeschrieben, andererseits schienen mir die Texte von uns losgelöst, als hätten sie sich verselbstständigt, seien andere geworden? Dein Geschenk ein Schatz, den ich hüten will.* * Zusammenstellung des Briefwechsels: Elazar Benyoëtz - Ingeborg Kaiser. Die Freunde des Dichters machen die Lesbarkeit seines Werkes aus. Aus dem Briefwechsel 2004-2016. In: Ingeborg Kaiser: Porträts, Lesarten und Materialien zu ihrem Werk. Hg. von Klaus Isele. Norderstedt: Books on demand 2016, S. 56-84 An Josef Wohlmuth, 21. Januar 2013 Nr. 404 Ihr Brief - das schönste Geschenk zum neuen Jahr, von seinem beichtherzigen Inhalt abgesehen, was hätten wir einander nicht alles zu sagen! So kostbar ist mir Ihre Freundschaft, mit Harfenengeln und Eselsknochen, endlos kann es so weitergehen - mit uns, und sehr zu fürchten - auch ohne uns. Solange bleiben wir beieinander. Und dennoch würde ich gern, könnte ich nur, Ihre Fragen beantworten, besonders die ums Überzeugen. Leidenschaftlich, nicht weniger, gäbe ich Ihnen Antwort, allein, ich bin im Moment depressiv, und es wäre schade darum, auch um anderes, denn unserer Freundschaft geht es doch um Subtiles. Lassen Sie uns auf gute Antwort hoffen, ich muss erwachen. Sie sind der im Moment Nüchterne. An Claudia Welz, 5. Juli 2013 Nr. 405 Mein Werk wird Dir gehören, wie das Werk Abertausender deutsch schreibender Juden mir - einzig aus dem Grund, dass ich das Erbe wahrgenommen und gehoben habe. Was wir uns nicht zu eigen machen, wird uns nicht gehören können. Ein Beweis mehr, dass mein Werk Dir gehört, lieferst Du mit Deinem Beitrag in der Festschrift für Josef Wohlmuth*, die ich gestern von der Post abholte. Schon dieser Band verbietet Dir, traurig zu sein - ein herrliches Buch, und Du bist in bester Gesellschaft. Und Dein Beitrag zeigt, was es heißt, aus dem Werk eines anderen sein Bestes zu machen. In anderen Werken, in Werken anderer kennst Du Dich nicht weniger, vielleicht besser aus - das macht die Ergiebigkeit für Dein Denken nicht aus. Mein Werk ist für Dich das ergiebigste, weil es noch unverbraucht ist und Dir alle Freiheit gewährt, vor allem zum Infragestellen ohne Ende. Du kannst wirklich schalten und walten, auf keinen Punkt hat noch nie jemand Anspruch erhoben, dabei kannst Du aber auch zeigen, wie schön diese Freiheit ist, an sich und als eine gewährte. Es ist nicht gottgefällig, aber es könnte Gott gefallen, denn man hört, dass gesprochen wird. Ohne Versprechen, ohne sich versprochen zu haben. Es ist die Poesie als Ursprung der Theologie/ X Zuwendung im Brief 323 Philosophie, wo es sich lohnt, nach dem Anfang zu fragen, aber auch, vom Anfang nichts zu wissen. * Claudia Welz: „Wo Gott Gesicht und Stimme wird.“ Zum Offenbarungsbegriff in der jüdischen Tradition. In: Florian Bruckmann, René Dausner (Hgg.): Im Angesicht der Anderen. Gespräche zwischen christlichen Theologen und jüdischen Denkern. Festschrift für Josef Wohlmuth zum 75. Geburtstag. Paderborn u.a.: Schöningh 2013, S. 91-122 An Hania M. Fodorowicz, 16. Oktober 2013 Nr. 406 „The shorter the text, the more impatient the reader“. Mit dem ersten Ausdemärmelschütteln haben Sie es schon getroffen. Sie haben es im Ohr, Sie denken musikalisch, es macht Ihnen Freude, das sei Ihr Maß: die Freude. Was Sie freut, wird getan, was Sie getan, freut Sie. Alles andere scheidet von selbst aus. Ob das thematisch bedingt sein könnte? Das wird sich zeigen; es zeige sich langsam. Sie brauchen immer den Klang, auch und vor allem das Zusammenklingen der Menschen. Das Leben in der Sprache schafft Ihnen die Ruhe, die Sie brauchen, die still bewegende. Sie verlieren dabei keinen Mensch aus den Augen, nicht aus dem großen Netz. An Hania M. Fodorowicz, 21. November 2013 Nr. 407 Solang Sie sich freuen, liebe Hania, wächst Ihr Verständnis und wächst Ihre Lust, aus meinen Worten IHR Bestes zu machen. Darum geht’s. Sie sagen es, und es kann nicht schöner gesagt werden: „Ich kann schon sagen: Das Übersetzen bereitet mir viel Freude, jedes Wort ist ein Schatz in sich.“* Dazu gehört notwendig: „Es ist trotzdem ein Bangen um die zusammenhängenden Worte“. Das bleibende Bangen begleitet das Werk nicht nur, es dringt in es auch ein, und bleibt eingefaltet in ihm. Kein Werk, ob übersetzt oder nicht, ist ohne Bangen. „Gerecht und treu“ sind große Fragen, sie bleiben in der Fragwürdigkeit bestehen - groß, nicht gelöst. Wem gilt die Gerechtigkeit, wem die Treue? Prüfen Sie sich selbst. Es wechselt heftig im Menschen, nicht weniger heftig in Wort und Schrift. Es ist manchmal der Mensch, manchmal das Gefühl für ihn, manchmal das, was wir uns selbst schuldig zu sein glauben. „Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst“: wie - annähernd, der Nächste bist nicht Du, Du bist - oft auch dir selbst - nicht der Nächste. Annähernd, liebe Hania, Sie dürfen nicht mehr sein als „wie“ ich, denn auch Sie bleiben allerwegs der Nächste, und meine Worte müssen gleichfalls Sie lieben, Ihnen ihre Treue erweisen, da Sie sich einen Weg zu mir bahnen. In einer Zweit-, Dritt oder Viertsprache, in denen Treue anders 324 X Zuwendung im Brief geschrieben wird und anders auch klingen muss, selbst „der Nächste“ wird in jeder Sprache anders zu Herzen gehen. Mit Ihnen sind einige Sprachen am Werk, das allein ist eine große Sache. * H. F. übersetzte „Paradiesseits“ ins Englische; nicht erschienen An Norbert Lüthy, 7. Dezember 2013 Nr. 408 Du ließest mir vor Monaten einen Aufsatz über Jean Paul schicken, hast Dich beim letzten Wiedersehen auch beschwert, ich hätte auf einen Gedichtband von Dir nicht reagiert, doch ich lese immer, was von Dir kommt, und lese, so gut ich kann. Denn das kann ich, reagieren aber nicht immer, warum nicht? Das kann ich sicher nicht sagen, aber ehrlich. Dank verdientest Du allemal, und den blieb ich Dir schuldig. Du siehst, was andere nicht sehen; Du hast von der Traurigkeit gekostet, siehst auch die Not und das Elend in der Welt und um Dich und bist auf das Richtige und Rechte eingerichtet, nicht nur eingestellt. Du bist Für und Für. Es eifert in Dir, Du wirbst für Gott. Ich muss nur einmal Norbertus Magnus vor mich hin sagen, schon steht mir dies alles vor Augen, und eine Wärme steigt für Dich auf, begleitet von der Erinnerung einer (Solothurner) Verheißung, doch folgte auf sie gleich das Problem einer Werbung, die nicht in der Dichtung aufgehen will. Auch nicht in der Wissenschaftssprache eines Aufsatzes, der die Wissenschaft auch nicht eigentlich meint. Texte, der Sicht übertragen oder mit Ansicht belegt. Du hast Deine Vorzüge und lässt sie spielen, man kann aber nur besser spielen, nicht besser gewinnen. Zwischen Spiel und Gewinn steht Dein Werben. Und die Gefahr des Werbens: dass es das Spiel verderben, den Gewinn verringern könnte. Dir Widerstand zu leisten oder zu bieten, ist das Beste, dachte ich, was ich für Dich tun kann, denn Du überzeugst zu gern, zu schnell, zu gut. Überzeugen ist das Prinzip der Werbung, nicht des Glaubens. Gott überzeugt nicht. Oder ist dies wiederum meine Überzeugung? Ich bleibe auf der Hut, also im Fraglicht. An Harald Weinrich, 21. November 2013 Nr. 409 Ich könnte es aufrichtig nicht sagen, noch glaube ich die Einsicht zu haben, die Übersicht habe ich bereits verloren - vorsichtiger denn je, ich traue mich kaum noch in die Erinnerung hinein. Das mag übertrieben sein, ich mag es nicht. Was soll mit mir werden, da alles aus mir schon geworden ist. Siehe, wie schlecht meine Rhetorik geworden ist. Also habe ich noch den Rest einer Lust zu fabulieren, keine Freude mehr am Schreiben. Du sagst viel- X Zuwendung im Brief 325 leicht: Wie gesund! Und sprächen wir miteinander darüber, Du würdest mich überzeugen. An Harald Weinrich, 1. Oktober 2014 Nr. 410 „Ich drücke mich so allgemein aus, weil wir ja bisher in unserem Briefwechsel stillschweigend die Gewohnheit angenommen haben, den politischen, gesellschaftlichen und - ja - militärischen Zustand der Welt nicht zu thematisieren. Aber das fällt mir zunehmend schwer, obwohl ich weiß, dass auch wir kaum über einen Austausch von Ratlosigkeiten hinauskommen würden.“ Ich glaube, Vorwurf und Selbstanklage zu hören, und möchte darauf reagieren, ich kann nicht sagen antworten, denn mit dem, was Antwort wäre, müsste ich mich gedulden, in mich also gehen. Ich möchte über Briefwechsel nachdenken, über die Bedingungen seines jeweiligen Entstehens. Ein Briefwechsel ergibt sich, entwickelt sich nach Neigung oder Zuneigung, manchmal summiert er sich nur, nicht alles findet Ausdruck, nicht für alles gibt es Platz in einem Brief, Du sagst „Thematisieren“. Haben wir denn anderes thematisiert? Wir waren uns selbst Thema genug, aber auch Gesellschaft und Frieden und Krieg genug. Dass wir einander nicht alles sagten, war weder Gewohnheit noch Stillschweigen. Wir sind Freunde geworden, das meint vor allem Erkennen und Achten und - erkennend und achtend - Lieben. Wir standen, wo es darauf ankam, zueinander. Ohne daraus Schlüsse zu ziehen (alles Ziehen steht in Verdacht), also schloss ich aus Deinem Stehen zu mir nicht auf Dein Stehen zu Israel, auch nicht einmal zu seiner Existenz, gewiss nicht auf ein Gutheißen seiner Politik. Ideen sind gesund, solange sie in der Luft bleiben. Und es war in der Luft und uns vor Augen. Ich komme aus einer Kultur der Diskussionen, der nicht endenden Diskussionen. Als ich sie satt hatte, stieg ich aus, ich hatte nichts mehr zu diskutieren, ich wollte nicht wissen, was ich weiß. Das verrate ich Dir, weil Du mein Freund bist, und weil ich mir oft sagen musste, Du hieltest mich für einen Ausweichler. Das muss ich Dir nun, Deinen letzten Brief bedenkend, gestehen. Ich bin gern einsilbig und ebenso gern unbrauchbar. So lebe ich, in diesem Licht schreibe ich. Wie einst Kohelet, mit dem man so wenig anzufangen wusste, dass man ihn schließlich in die Heilige Schrift aufnahm, hoffend, er käme dort zum Schweigen. In die Schrift aufgenommen, glaubte man, ihn abgeschrieben zu haben. Zum Schweigen brachte man ihn nicht, er wurde aber nimmer laut, für die feinen Ohren jedoch vernehmlicher. Er riss keine Himmel prophetisch auf, er ging leise und Wort für Wort unter die Haut. Und konnte in jede Richtung gedeutet werden, auch politisch, auch gesell- 326 X Zuwendung im Brief schaftlich, auch militärisch. Wir hatten die Idee in der Luft und waren manchmal bewegt, manches bewegend, mit knappen Worten, in knappster Zeit. Mehr gibt es nicht, mehr gab es auch nicht für uns. Ich hatte nie den Eindruck, dass wir politisch weit auseinanderlägen. Auch wenn Du vornehm schwiegst, konnte ich mir sagen, was Du bei Dir denkst. In meinen Augen warst Du immer ein nicht pedantischer, aber strenger Konsequenzenzieher, mit hohem Verantwortungsbewusstsein: Wortspiele meidend. Ich weiß, wann Dein Lächeln strafend ist. Ich will nicht, dass man weiß, was ich denke, doch wie ich denke - das liegt offen zu Tage. Das Wort kann hart werden wie das Herz, ein herzloses Wort, ein versteinertes Herz wird man bei mir nicht finden. Und wer sagte schon alles, was zu sagen wäre, und wer traf oft genug das Wort, das zu sagen sich lohnte? Wir müssen das Warten lernen und üben, die Worte (Harald: Wörter) haben es in sich, und ein Dichter erkennt auch die wartenden Worte. Ich bin vielleicht nicht vom Fleck gekommen, mit ihm aber ins Deutsche hinein. Was wollte ich gesagt haben? Diskussionen sind Knochenstärkung des fleischwerdenden Worts. An Burkhard Talebitari, 7. März 2016 Nr. 411 Ich hätte Dir jetzt einen langen Brief geschrieben, und Gründe dafür und Lust dazu hätte ich noch und noch, auch weiß ich, dass ich Dir ein Wort zu Konrad Weiß* schulde, es geht ohne Ruhe und Geduld aber nicht, meine Schlaflosigkeit macht meinem Kopf zu schaffen, das Steigen in den Tag hinein dauert den halben, mitteilenswert bleibt: Ich bin unablässig am Buch, das vielleicht in wenigen Monaten erscheint: nun bald mit Beteuert und gebilligt. Und nun - denk! Du nimmst Dir das fabelhafte Projekt vor: Der Satz und sein Autor, der Autor und sein Satz, der Satz eines Autors, der Autor eines Satzes, schon das Grundthema ist so wechselreich, dass man nicht mehr weiß, von wem die Rede ist oder sein soll. Das freut mich, doch zum Fabelhaften gehörte eben, dass wir beide den Satz wie den Autor kennen, glauben, in beiden - Satz und Autor - sicher zu sein, es fehlt nur die nachweisbare Quelle - Du hast sie nicht gefunden, und ich nicht finden können, so auswendig sie aus mir brach, wie aus allen Fasern. Ich kenne den Autor, er spricht aus meinem Leben, der Satz aber, wo bleibt der Satz!? Der Autor nach seinem eigenen Satz suchend. Am Ende, schier verzweifelt - entdeckte ich die Quelle, „genau wie du, genau wie du“. Du hast sie gewiss in Deiner Konkordanz, sitzt an der gleichen Quelle, blind wie ich: „Weggaben“, S. 18**. Auf diese Weise schenktest Du mir einen verschollenen Satz, jetzt weiß ich, von wem und wo. Und Du führst uns weiter in die herrliche Irre! * Konrad Weiß (1880-1940), dt. kathol. Schriftsteller ** Ein ganzes Leben lang bleiben wir uns / ein ganzes Leben schuldig „Der ich so gern ein Briefling bleibe.“ - Elazar Benyoëtz als Briefschreiber Wer über die Bedeutung des Briefes für Elazar Benyoëtz nachdenkt, tut gut daran, ihn zunächst selber sprechen zu lassen, denn er hat sich vielfach und höchst substanziell dazu geäußert. So heißt es in „Folgenichtig. Oder: Ich unterschreibe nicht“, der eigenen Einleitung zu den „Korrespondenzen“, einem-Sammelband mit Aufsätzen über ihn: „Der Zufluchtsort der Liebe wie der Poesie heißt Brief.“ Und weiter: „Briefe sind poetische Mutproben; wer Mut hat und mehr noch Übermut, schreibt Briefe.“ (33) Er habe „kaum je einen Brief vernichtet, auf jeden geantwortet, die Antwort liegt dem mich einst erreichten Brief als Durchschlag, in Abschrift, im Entwurf bei.“ (49) Und weiter: „Und doch war mir der Brief die Rechtfertigung meines Daseins hier und für. Nicht abwegig wäre es, liefe mein Gesamtwerk unter dem Titel Korrespondenzen, im weitläufigen, verschwenderischen, rücksichtslosen Sinn.“ Und er bekennt mit einem bezeichnenden Neologismus: „Der ich so gern ein Briefling bleibe.“ (49) Dementsprechend ziehen sich seine Bemühungen um das Briefwerk und frühere (zum Teil aufgegebene) Editionen auch durch diese Auswahl. Diese Arbeit fällt ihm nicht immer leicht, die Textberge häufen sich: „Meine Briefe stehen mir ohnehin zu Berge. Und meine Tagebücher auch.“ (An den Herausgeber, 10. September 2007) Die Einzelbriefwechsel mit Clara von Bodman, Annette Kolb, Harald Weinrich, Werner Helmich, Christoph Grubitz, Silja Walter und zuletzt Ingeborg Kaiser werden erörtert, von der kleinen Zusammenstellung in „Die Rede geht im Schweigen vor Anker“ (2007) ist ebenso die Rede wie von der umfangreichen Sammlung „Vielzeitig“ von 2009, dem „Nachbuch“ „Olivenbäume, die Eier legen“ (2012), in dem auch Briefe abgedruckt sind, und der noch nicht weit gediehenen Internet-Edition des Brenner-Archivs „Das gerichtete Wort“. Im Zusammenhang mit diesen Bemühungen heißt es in einem Brief an Riccarda Tourou vom 10. Januar 2013: „Unleugbar spielten die Briefe in meinem Leben und Werk eine entscheidende Rolle: Sie ist meinem Werk abzulesen, und mit den zwei Briefbänden [„Vielzeitig“, „Olivenbäume“] habe ich für eine spätere Aufmerksamkeit ja auch gesorgt.“ Und an den Herausgeber, nachdem Vertreter der Österreichischen Nationalbibliothek seinen Nachlass gesichtet haben (22. September 2013): „Es kamen dabei viele Manuskripte hervor, die nicht Bücher werden wollten oder konnten, und alle Briefe - Abertausende -, denen ich zu Büchern nicht mehr werde verhelfen können.“ 328 Elazar Benyoëtz als Briefschreiber Das steht zunächst einmal im Zusammenhang mit dem besonderen Wert, den er der Gattung Brief allgemein zuerkennt: „Briefe plaudern die Tage selbst heraus. Dann suchen sie einander.“ (An den Herausgeber, 23. Mai 2013) Er reflektiert den Briefwechsel Goethes und Schillers oder Croce - Vossler mit größter Achtung; an Ingeborg Kaiser (31. Dezember 2005) schreibt er über Alexander von Villers, „dessen Briefe Weltliteratur sind“, gegenüber Harald Weinrich (13. Oktober 1992) bemerkt er: „Auf gleicher Ebene, mit großem Erfolg, bewegt sich Deine Kunst des Briefschreibens.“ Zum andern und insbesondere geht es aber um das eigene Briefwerk. Zahlreich sind die Äußerungen, die die Bedeutung der Briefe und der Briefwechsel betonen. So schreibt er an Monika Fey, 24. Januar 2006: „Es gibt Gesprächspartner und Briefpartner, die keine Gesprächspartner sind, aber gute Adressen, wie Ohren, die sich spitzen lassen, weil sie nicht allem offenstehen mögen. Es sind zuhörende Erzähler, die alles aus dem Gegenüber herausspinnen. Sie sind nur scheinbar passiv, die Aufmerksamkeit ist die beste Hebamme des Erzählens. […] Briefe müssen nicht im Zusammenhang stehen, aber eine Beziehung glaubwürdig widerspiegeln und für den Schreibenden sprechen. Briefe sind Einsichtungen; wenn man im Briefwechsel steht, wie im Leben, wie in der Versuchung, wie auf Kriegsfuß. Ich sehe viele Gesichter, Regungen, Leidenschaften, Hemmungen, erkenne Taktik und Verspieltheit. Sie sind mir alle willkommen.“ Ihr Stellenwert für den Autor lässt sich auch gewissermaßen ex negativo bestimmen: wenn er en passant auf Gegenstände zu sprechen kommt, die er vorerst ausklammert, weil sie einen eigenen Brief erfordern, etwa in einem Brief an Edith Silbermann, 10. August 1991 („Vielleicht schreibe ich Ihnen später einmal einen Brief über Joseph, jetzt ginge es über meine Kräfte.“), an den Herausgeber, 15. Dezember 2004, zu Joachim Günther („über ihn muss ich Ihnen noch einen Brief schreiben“) oder an Hans-Martin Gauger, 28. März 2007: „Über ein Wort, dem ich nicht widerspreche, würde ich gern schreiben: ,Benyoëtz ist ehrgeizig in diesem Buchʻ. Das tu ich hier nicht, das verlangt einen Brief für sich.“ Spezifischere Aufschlüsse lässt sein Brief an Harald Weinrich vom 11. März 2011 zu. Er habe, schreibt er dort, ihren „Briefwechsel vor Augen, der mir als Gewissen galt und nun Gewissheit geworden ist. Das ist das Herz meines literarischen Nachlasses, nicht nur, weil Du mein Begleiter warst, sondern, weil ich ohne Deine Begleitung nicht gewissenhaft am Werk hätte bleiben können. Das war mir die Bedeutung unseres Briefwechsels und ist mir ,im Vorausʻ eine Genugtuung, dass unsere Nachkommen davon wüssten.“ Neben der Bedeutung, die er ihm allgemein zumisst („Herz meines literarischen Nachlasses“) und mit der er auch den Wert für Dritte, mithin die Publikation, begründet, spielt er hier schon auf die Bedeutung für sich selbst an („weil ich ohne Deine Begleitung nicht gewissenhaft am Werk hätte bleiben können“). Der Brief ist der materiell Elazar Benyoëtz als Briefschreiber 329 gewordene Ausdruck für eine Beziehung in doppeltem Sinne, nach außen wie nach innen. Nach außen, das meint: der Brief als Beziehung zu anderen Menschen, nach innen, das bedeutet: der Brief in der Beziehung zum eigenen Werk. Schlicht und eindeutig an Riccarda Tourou, 22. Januar 2013: „Es ginge um mein Werk, aber auch um das Thema Beziehung“. Der Brief hat für EB nie nur einen sachlichen Aspekt, „Zuwendung“ ist der zumindest gleichrangige Gesichtspunkt dabei, so schon in dem Brief an Monika Fey: „eine Beziehung glaubwürdig widerspiegeln“. Von „bezüglichem Denken“ spricht der kluge und einfühlsame Leser Alexander von Bormann (26. Juli 1996). In einem Brief an den Herausgeber (23. Mai 2013) hat es Benyoëtz selbst reflektiert, er spricht vom „Bild unserer Beziehung“: „In jedem Fall muss eine Aussage bleiben, ich meine die Beziehung - Lebensweg oder Gedankengang - und der Brief, der alles enthält und doch auch für sich spricht. Ich habe unseren Briefwechsel nun zusammengetragen. Manches werde ich verloren, anderes übersehen haben, es ist dennoch unser Briefwechsel in all seinen Phasen, und das Bild unserer Beziehung, die ich getreu erhalten möchte.“ In einem Brief an Ingeborg Kaiser, 7. Januar 2013, klingt es noch sachlich („Dokument“), wenn auch mit allen Anzeichen der Wertschätzung („gehütet“): Es sei hier „unser Briefwechsel, so weit von mir übertragen und gehütet und im PC gespeichert. Es ist das Dokument unserer Freundschaft, mit allen Steigerungen.“ Poetischer und stärker in einem Brief an Michael Bongardt, 4. Mai 2011: „Unsere Herzen pochen nicht weit auseinander: das ist die Nachsicht; Deine Sprache hat sich von meiner abgelöst, das ist die Vorsicht; ich werde Dir anders zuhören.“ Das ist nicht unproblematisch und durchaus nicht ohne Augenblicks-Ambivalenzen. Wie anders sollte man dieses Zitat aus einem Brief wiederum an Ingeborg Kaiser, 31. Dezember 2005, deuten: „Und die Beziehung? Briefwechsel als Staubsauger; Beziehungen als Altpapier. Staub, Papier, Erinnerung - alle drei zusammen führten zu einem asthmatischen Anfall“? In meinem Beitrag zu dem Band „Korrespondenzen“ habe ich vom Aphorismus her schon den Aspekt des Dialoges behandelt, Grubitz spricht in Bezug auf den Brief von der „Bewährungsprobe des Dialogs“ (Bongardt: Humor, 123 f.). Erste Verbindungslinien sind gezogen, ohne dass die Dialogizität bei Benyoëtz überhaupt schon hinreichend geklärt wäre. In einem Brief an Ludwig Brinckmann vom 18. Mai 1994 schreibt er nämlich in gegensätzlichem Sinne und skrupulös gegenüber vorschnellen Zuschreibungen: „Briefwechsel ist Austausch, Mitteilung - nicht gleich, nicht durchwegs, nicht unbedingt Dialog. Auch muss nicht immer von Dialog gesprochen, geschweige denn geschwärmt werden. Dialog ist im Sprechen selbst angesetzt, doch lässt sich über diesen Ansatz ebenso gut hinwegsetzen. Manchmal ist dies gerade, was das Imposante eines Briefes ausmacht. Der groß angelegte Brief ist immer zunächst ein groß- 330 Elazar Benyoëtz als Briefschreiber artig ausgestellter Wechsel.“ Entscheidend hierbei ist, dass der Briefschreiber den Begriff des Wechsels buchstäblich nimmt, und das nicht zufällig: „Die herrschende Meinung ist dem Brief eher abgeneigt, die Neigung gilt dem Briefwechsel, auch wenn der Wechsel ohne Deckung bleibt“ (an Burkhard Talebitari, 16. Dezember 2013). Das ist hier nicht zu vertiefen. Stattdessen möchte ich nur einen besonderen Aspekt in der Beziehung zu anderen Menschen herausheben: das Körperliche, Sehen und Hören (synästhetisch verstanden), Blick und Stimme: „Ein Brief ist ein gerichtetes Wort, das sein Gesicht nicht verhüllt“ (an Martina Kraut, 2. Juli 2013). Ein Briefwechsel bestehe, so schreibt er an Hans-Martin Gauger (7. August 2008), „aus Tagen und Werken, die uns Körpernähe suggerieren. Die Stimme spricht, wir werden Zuschauer“. In dem schon zitierten Brief an Ingeborg Kaiser, 7. Januar 2013, zitiert er in diesem Zusammenhang Friedrich Gundolf: „Mir ist alles Schreiben recht, solange man nicht vergisst, ,dass Tonfälle Gesten, daß Begriffsinhalte Blicke sind, die nachgelebt und nachgebärdet, nicht nur abgelesen und abgeschrieben werden können.ʻ (Friedrich Gundolf).“ Unmissverständlich heißt es in einem Brief an Hilde Schultz-Baltensperger vom 13. Dezember 1993: „Ist der Brief auch ohne Ziel und Richtung, enthält er doch nie Abgewandtes. Kein schriftliches Zeugnis vermag die Stimme eines Menschen getreulicher wiederzugeben als ein Brief. Die Stimme eines Briefes übertönte seinen Inhalt“ (Vielzeitig, 168). Und auch in der hier vorliegenden Auswahl sind die entsprechenden Zeugnisse zahlreich, so an den Herausgeber, 7. Mai 2005: „Es gab nur wenige Rezensionen, doch kamen Briefe, und aus den Briefen stiegen gesichtsvolle Stimmen, die sich nach und nach freundschaftlich verfärbten“; so an Hans-Martin Gauger, 7. August 2008: „Das Problem der Wertung taucht in einem solchen Briefwechsel bedrohlich auf, besteht er doch aus Tagen und Werken, die uns Körpernähe suggerieren. Die Stimme spricht, wir werden Zuschauer, sehen das Für und Wider wachsen und hören nicht, wie das eine zum andern kommt”; so an Ingeborg Kaiser, 21. Mai 2016: „Du bist der Brief. Vor allem muss Deine Stimme vernommen werden“. (Zur „Poetik der Stimme“ jetzt auch Grubitz: Dasein ist hiersinnig, S. 16-18) Es geht um ein Bild, das die briefliche Stimme erzeugt, ganz im Sinne des sokratischen „Sprich, damit ich dich sehe.“ Lapidar in einem Brief an Matthias Hermann, 22. Februar 1993: „Du bist ein guter, ernster Leser. Ich kann Dich jetzt, anhand Deines Briefes, gut dabei beobachten.“ Es geht einerseits um das Sich-Zeigen des Schreibers, wie in dem Brief an Riccarda Tourou vom 15. Juli 2011: „Freilich standen mir Briefe der gescheiten Art zu Gebote, davon gibt es auch in der Briefliteratur genug, nicht gibt es viele Briefe, die den Lesenden beim Lesen, beim Aufnehmen des Fremden zeigen. Der Brief der Juliane Link zeigt und besagt nicht. Das ist sein Wert für mich, sein Stellenwert im Buch. […] Juliane Link will nichts gesagt haben, Elazar Benyoëtz als Briefschreiber 331 sie will gesehen werden.“ Es geht andererseits um das Bild, das der Adressat gewinnt. An Jürgen Stenzel schreibt er am 19. November 2007: „Die Wahrheit kann ich freilich nicht liefern, aber ein Bild, das nach und nach korrigiert werden könnte, am Ende korrigiert werden müsste. Ein Bild, aber auch viele verschiedene Selbstbildnisse, die dazu gehörten, nicht Stimmen allein. Unter den Briefen Deiner Sammlung befinden sich nicht wenige davon, Du bekommst den Schreibenden zu sehen, und diese Briefe an mich sind mir die liebsten.“ Genauer beschreibt er den Vorgang der Physiognomisierung über die briefliche Stimme und im Miteinander der Briefpartner in seinem Brief an Riccarda Tourou, 3. Januar 2013, in dem es heißt, er habe ihre „Gesichtszüge in Händen“: „Das gerichtete Wort ist das geeignete Mittel der Physiognomisierung. […] Ehe man sein Gesicht zeigt, spricht man sich aus, man ist ausgesprochen da - und ist nicht in Sicht getreten. Ich wende mich an Dich, werde Dir eine Wand: Du lehnst dich an ihr, kannst durch sie auch gehen. Der korrespondierende Augenblick tritt ein, in dem dies möglich wird. Dann hast Du Dich gezeigt, und ich verhalf Dir dazu. Deine Gesichtszüge, einige von ihnen, bleiben in meinen Briefen unverwischbar für immer. Du tratest in Sicht und bist zu lesen.“ (Das Physiognomische ist im Übrigen auch eines der Kriterien, die die Elemente des Benyoëtzʼschen Werkes zusammenbinden: „Zitate, an Namen gekettet, mussten gesichtvoll werden“; an Werner Helmich, 8. November 2011.) Auf drei spezielle Gesichtspunkte möchte ich nur kurz eingehen, weil sie der Epistolograph besonders nahelegt: auf die jüdische Briefliteratur, auf den Aspekt der Veröffentlichung, auf das Verhältnis von Mail und Brief. Im Rahmen eines Nachwortes sind dazu jeweils nur Hinweise möglich. Der Besonderheit der jüdischen Briefliteratur wird gewiss einmal von Benyoëtz aus das Augenmerk zu schenken sein. Grubitz geht in seiner Internet-Rezension kurz darauf ein. Er spannt den Bogen dabei vielleicht etwas weit: „Der Briefband Vielzeitig knüpft an das Ethos der reichen jüdischen Briefliteratur der Diaspora seit dem ausgehenden Mittelalter an.“ Wenn er damit der ausführlichst kommentierten Briefsammlung Gert Mattenklotts („Über Juden“, 1992, S. 15) folgt, gibt er aber dennoch Hinweise, die im Lichte der vorliegenden Briefexzerpte exemplarisch verifiziert werden können: „Kennzeichen der jüdischen Briefliteratur, die es in nahezu allen Literatur-Sprachen gibt, sind ihre eminente sprachliche Ausdruckskraft und Welthaltigkeit, Gelehrtheit und Erbaulichkeit.“ (C. G.: „Dasein ist hiersinnig“, S. 15) Die „eminente sprachliche Ausdruckskraft und Welthaltigkeit, Gelehrtheit und Erbaulichkeit“ der vorliegenden Briefe fallen ja auch dem kursorischen Leser bald ins Auge. Alexander von Bormann (26. Juli 1996, hier nicht aufgenommen) hat nach der Lektüre eines Briefkonvoluts, das ihm der Autor vorlegte, schon - angemessen vorsichtig - eine ähnliche Vermutung geäußert: „Ich habe mich sehr gern in die Briefe eingelesen. Es sind ja 332 Elazar Benyoëtz als Briefschreiber durchweg Personen, die interessieren und die auch etwas zu sagen haben, was in Deinen Briefen genauestens aufgenommen (und stimuliert) wird. Schön, ein bezügliches Denken in diese Form zu überführen, die ja zum Glück nie aus der Literatur verschwunden ist. So liest man gern weiter, es ist eine ganz eigentümliche Spannung in diesem Buch (das eines werden soll). Vielleicht hängt das auch mit der eigenen (jüdischen? ) Dialektik zusammen, die Versöhnung nicht als ,Aufhebungʻ (Verschmelzung der Standpunkte) denkt, sondern strikt als Gespräch meint (das gelegentlich auch schon mal lauter werden darf), als Dialog, der aufgegeben ist, wenn die Stimme des Anderen zum Verstummen gebracht wird.“ Der Autor selbst verknüpft einmal beide Aspekte, das Deutsch-Jüdische und den Brief, unter dem Aspekt des „Totgesagten“, dem er besonders verbunden ist, das er schätzt und pflegt. An den Verleger Thedel v. Wallmoden, dem er vergeblich eine-Briefauswahl angeboten hat, schreibt er: „Das waren die Auswahlprinzipien, und dementsprechend enthält die Auswahl nichts Weltbewegendes, nur ein paar große Augen und viele Seitenblicke, ein Sinnbild von Irrlichtern beleuchtet. Mich selbst interessierte dabei der Brief als totgesagte Gattung, die ich gern beleben wollte. Das Totgesagte fand immer meine Zuneigung: das Jüdisch-Deutsche; der Aphorismus; der Brief“ (18. April 1999, hier nicht aufgenommen). Bei dem vorliegenden Korpus wie auch sonst sprechen wir (noch) wie selbstverständlich von ,Briefenʻ, es sind aber bis auf wenige frühe Ausnahmen Mails, die hier gewechselt werden. Um die Unterschiede nur zu skizzieren: Die Mail nimmt stilistisch wie auch in ihrer Flüchtigkeit eine Zwischenstellung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit ein. Der Wechsel geht spontan und schnell vor sich, er kann mehrfach am Tag erfolgen, Zitate werden einkopiert. Wenn der Autor etwa in dem Brief an Harald Weinrich vom 3. Mai 2011 seinen Brief an Friedhelm Kemp zitiert, in dem er einen Brief Conrad Ferdinand Meyers an Julius Rodenberg zitiert, werden ganze intertextuelle Reihen sichtbar. Und die Mail erlaubt in besonderer Weise das Fluide. Es müsse ständig „um- und fortgeschrieben werden“: „Ich kann nichts in Ruhe lassen, auch längst geschriebene Briefe nicht“ (an Riccarda Tourou, 10. Januar 2013). Die Briefforschung wie die Schreibprozessforschung, die auch besonders das Schreibmedium (Feder, Bleistift, Schreibmaschine, Computertastatur) reflektiert, werden mit besonderem Interesse zur Kenntnis nehmen, wie der Autor den „Unterschied“ von Brief und Mail charakterisiert. „Die Mail ist die Eilige Schrift“ hat nicht nur des Wortspiels wegen alle Aussichten, dort zu einem Kernzitat zu werden: „Lese ich Deine Mails, erkenne ich nicht, worin oder wodurch sie sich von Briefen unterschieden. Der Unterschied muss gesucht oder hergestellt werden. Bei Dir entfällt schon ein Kennzeichen: Der Mailschreiber hat es mit der Eile - auch wenn er es nicht eilig hat oder wenn Elazar Benyoëtz als Briefschreiber 333 Eile nicht gefordert wird. Die Mail ist die Eilige Schrift. Und im Gegensatz zur Heiligen ist sie nicht um Korrektheit, Fehlerlosigkeit, Genauigkeit, Sauberkeit bemüht, das ist grundlegend: Mailschreiben heißt an sich - mit der Eile zu tun zu haben. Damit bricht in den ,Textʻ - der noch zu besprechen wäre - die so lange ferngehaltene / ausgeschaltete Schamlosigkeit ein. Man kann sich nicht zeigen, ist also auch alles, wie es ist. Vor dem Schirm heißt psychologisch - halböffentlich, das kann ,theoretischʻ die ganze Welt mitlesen, es ist kein Blatt und kein Bogen, kein Zusammenfalten und mit eigener Zunge anzufeuchtender Umschlag, frankiert und abgestempelt. Nicht Ich und Du. Das Wort ist nicht gerichtet, man meldet sich und kommt sich als Nachricht vor“ (an Burkhard Talebitari, 16. Dezember 2013). „Nicht Ich und Du.“, „Das Wort ist nicht gerichtet“, „Man kann sich nicht zeigen“: In dieser Analyse geht es um exakt die Kennzeichen, die ich zuvor herausgestellt habe: Zuwendung, Sehen und Gesicht. Wenn Benyoëtz dem Adressaten attestiert: „Bei Dir entfällt schon ein Kennzeichen“, so darf man fortfahren: Bei dem Schreiber, der hier sehr exakt ex negativo formuliert, entfallen alle diese „Kennzeichen“. Die Mail bleibt ihm insoweit dem Medienwechsel zum Trotz vollgültiger Brief. Auch auf die Frage der Veröffentlichung geht diese Mail schon ein: „kein Blatt und kein Bogen“, „Nicht Ich und Du“, sondern „Schirm“ und psychologisch halböffentlich. Im besonderen Maße stellt sie sich dem Autor natürlich immer wieder, wenn er an einer für den Druck bestimmten Briefauswahl arbeitet. Da ist zum einen das mit der Publikation, überspitzt formuliert, unweigerlich verbundene Exhibitionistische. Er wisse, schreibt er an Daphne Hertz (8. September 1986), „aber noch immer keinen Grund für Ihre heftige Abwehr“: „,Auf keinen Fall veröffentlichen! ʻ Mag sein, dass so manches im Briefwechsel gegen mich spricht, wie zum Beispiel, dass ich mir Honig um den Bart schmieren lasse, muss dies aber auch gegen Clara sprechen? Um sie geht es doch, um sie allein geht es mir. Ich war nicht bemüht, im verklärten oder heiteren Licht zu erscheinen. Von mir gibt es in diesem Buch nur Briefe, Claras Briefe dagegen enthalten ihr Größenmaß und geben sie maßvoll wieder, sind also viel mehr als nur Briefe, doch leuchten sie schöner und leuchten besser ein, wenn meine Briefe durch ihre Briefe fahren.“ Fragen wie die nach der Übersteigung des Ich-und-Du, nach der zerstörten Intimität beschäftigen ihn dort und verlangen nach Antworten, so, wenn er für die Schriftstellerin Ingeborg Kaiser ein Korpus zusammenstellt: „Mit der bloßen Vorstellung ,veröffentlichtʻ eröffnete sich eine neue Perspektive. Was Dir und mir galt, hatten wir zweimal für uns, wie es in der Regel ja ist. Mit dem eingeschobenen Fremdenblick werden die Briefe zu ,Textenʻ, die niemandem gelten, aber an sich zu gelten hoffen: weil geltungsbedürftig oder - weil lesenswert“ (9. April 2013). Die Zuwendung wird verallgemeinert, der Brief wird zum Text, die Veränderung durch „das dritte Auge“ gilt reflektiert zu werden: 334 Elazar Benyoëtz als Briefschreiber „Unsere Freundschaft besteht, ist ein Faktum, unantastbar, die Briefe sind ihr Ausdruck - unveränderlich: in der Intimität und posthum. Die Veröffentlichung ändert daran nichts, aber das dritte Auge der lesenden Neugier, das die Intimität weniger interessiert und von Dichtern möglichst Dichtes erwartet, zumal in einer rein literarischen Umgebung, wie die einer Festschrift“ (an Ingeborg Kaiser, 21. Mai 2016). So auch an Jürgen Stenzel: „Die Publikation wird unsere Freundschaft nicht zerstören, und die Briefe sind alle längst geschrieben. Sie können im Schatten bleiben oder ins Licht gehoben werden. Meine Ansicht: Was zum Leben gehört, bleibe in der Pflege der Lebenden. Was zur Diskretion des Gelebten gehört, bleibe diskret“ (19. November 2007). Der Brief wird über die Intimität der beiden Briefpartner hinaus „der Pflege der Lebenden“ anvertraut. Dem Brief als Beziehung nach außen korrespondiert der Brief als Beziehung nach innen, zum eigenen Werk. „Schreiben heißt also sich zeigen, sich sehen lassen, sein eigenes Gesicht vor dem des anderen erscheinen lassen.“ Michel Foucaults Studie „Über sich selbst schreiben“, aus der dieses Zitat entnommen ist, bietet nicht nur in diesem Detail, das ich oben dargelegt habe, eine überraschende Parallele, sie ist mit ihrer Unterscheidung von Hypomnemata und Korrespondenz auch für einen zentralen Aspekt der geeignete theoretische Hintergrund. So wie Foucault hier das Schreiben der Hypomnemata, Notizen von disparater Wahrheit, in ihrer Heterogenität von der Einheit des Schreibenden zusammengehalten, und die Korrespondenz auf einen gemeinsamen Grundzug, eben das Schreiben über sich selbst, zurückführt, so legen Benyoëtzʼ Briefe an vielen Stellen Zeugnis von der Verbindung zwischen Brief, Tagebuch und Aphorismus ab. Alle drei Aspekte verbindet insbesondere ein Brief an den Herausgeber vom 28. November 2004: „Man sieht einem Aphoristiker an, ob er Tagebuch schreibt oder nicht, ob seine Aphorismen von ihm kommen oder seinem Tagebuch entstammen. Man sieht es vor allem an der Fähigkeit eines Aphoristikers, von sich und mit sich selbst zu sprechen. Wer das kann, der schreibt nicht nur Tagebücher, er ist mit seinen Tagebüchern auch intim. Aus dieser Intimität, die ich bezeugen kann, beanspruche ich aber auch den ,Briefʻ für die Gattung.“ Die aus Menschenwie Selbstbeobachtung gewonnene Menschenkenntnis gehört zum Kern des Gattungsbegriffes. Mit den Kriterien Intimität und Selbstgespräch, die er als beiden Gattungen gemeinsam reklamiert, evoziert er ihn hier in gleichem Maße, ohne den Umkreis des Tagebuches zu verlassen. Von der besonderen Funktion des Tagebuchs in seiner Lage, in einer Sprache zu schreiben, in der er mit niemandem ringsumher sprechen kann, handelt ein Brief wenige Tage später: „In meinen Tagebüchern trieb ich über Jahre viel Allotria, um mich selbst zu unterhalten und bei Laune zu halten, das war der Zweck, und dabei habe ichs nach allen Seiten übertrieben, aber auch Elazar Benyoëtz als Briefschreiber 335 ausprobiert. Sie dürfen meine konkrete Lage nicht aus den Augen verlieren, ich kann nur vor mich hin schreiben, habe keine anderen Quellen als mich und meine Bücher, Lesen und Schreiben, und mit den Jahren mehr Schreiben denn Lesen, aus Angst, die Sprache liefe mir davon. Um meine deutsche Sprache am Leben erhalten zu können, muss ich mein Leben für sie einsetzen. Es ist ein pathetisches Unterfangen und nicht zum Lachen, nur der Blödsinn kann mich darüber hinweg täuschen oder trösten.“ (1. Dezember 2004) Wenige Monate später heißt es an denselben Adressaten explizit: „Wir [Clara von Bodman und ich] wechselten jede Woche wenigstens einen Brief. Meine Briefe waren selten kurz, sie trugen mehr und mehr Charakterzüge eines deutschen Tagebuchs.“ (7. Mai 2005) Im Jahre 2013 ist er wieder einmal besonders stark mit den Fragen eines Briefwechsels beschäftigt. Riccarda Tourou schreibt ihm (11. Januar 2013): „Ich bin gestern zusätzlich noch in ,Vielzeitigʻ versunken. Denn nach dem Vorliegenden dachte ich wieder, Dein Tagebuch sind Deine Briefe und Briefwechsel. Die Geschichte Deines Lebens liegt in ihnen, da ist sie erzählt.“ Die Bestätigung für diese Sicht seiner Korrespondentin erfolgt in einem kurz darauf verfassten Brief an eine andere Briefpartnerin: „In dieser Not ,flüchteteʻ ich mich in unseren Briefwechsel und - arbeitslos seit Wochen - ,arbeite ich daranʻ, als wären es meine Tagebücher.“ (An Ingeborg Kaiser, 9. April 2013) In diesem Zusammenhang exzerpiert EB in einem Brief an Winfried Schindler (13. Mai 2013) einen von dessen Aphorismen, der ihn in diesem Sinne besonders anspricht, bezeichnet Briefe als frankierte „Mitteilungen an sich selbst“ und fährt fort: „Tagebücher sind gewiss Mitteilungen an sich selbst, sie werden nicht frankiert und nicht Briefe genannt, obschon sie den nämlichen Adressaten im Sinn haben. Das Tagebuch ist eine Botschaft ohne Boten. Da mich ,Briefʻ und ,Tagebuchʻ gerade beschäftigen, darum kommt mir Ihr Aphorismus gelegen.“ Auch in dem autobiographisch-selbstreflexiv orientierten Textgefüge „Folgenichtig oder Ich unterschreibe nicht“, das den „Korrespondenzen“-Band einleitet, heißt es mit nicht zu verkennender Deutlichkeit: „Weil ich mir aber die bessere Antwort immer schuldig bleibe, geht mein Briefwechsel in meine Tagebücher über.“ (49) In dem schon zitierten Brief an den Herausgeber vom 28. November 2004 heißt es weiter: „Der Brief gehört zur aphoristischen Praxis, zumal es das Wort zu einem gerichteten macht. (Meine geplante Briefedition heißt ,Das gerichtete Wortʻ. Die drei Wörter mögen auch meine Auffassung vom Aphorismus bedeuten.) Damit hätten Sie wieder einen Begriff für meine Aphoristik, einen Schlüssel, der aufschließt. Meinem deutschen Aphorismus ging der Brief voraus, und der Brief liegt meiner ganzen Aphoristik zugrunde. Ich betone: die deutsche Aphoristik, weil meine hebräische in Schrifttum und Habitus ihren Grund und Quelle hat. Sie ist keine Worthaltung, und von der Bibel her ist jedes Wort ein 336 Elazar Benyoëtz als Briefschreiber gerichtetes. Im Deutschen musste ich mich erst zum Denken erziehen, meine Gedanken ausbilden und ,bebildernʻ, damit sie nicht zu Meinungen herabsinken. Das hätte ich durch mein Tagebuch allein nicht erreicht.“ (Im „Bebildern“ wie im Gegensatz von Meinung und Gedanke sind gleich zwei ,weite Felderʻ beschritten, auf denen ich ihm hier nicht weiter folgen kann.) Und ferner: „Das Briefeschreiben als Passion und Schule habe ich vor wenigen Jahren aufgegeben, ich brauch das nicht mehr, und auch meine Aphoristik hat es nicht mehr nötig. Ich kann übrigens einem Aphoristiker auch ablesen, ob er Briefe schreibt oder nicht.“ In welcher Form ihm „Briefeschreiben als Passion und Schule“ gilt oder zumindest galt und wie weit Epistolographie und Aphoristik für ihn untrennbar verbunden sind, habe ich mich gleichfalls in den „Korrespondenzen“ zu zeigen bemüht und muss es deshalb hier nicht weiter ausbreiten. Die vorliegenden Briefexzerpte legen wiederum eindrucksvoll davon Zeugnis ab, so - von der einen Seite her - an den Herausgeber am 7. Mai 2005 („Meine Briefe an Clara von Bodman bildeten auf Jahre hinaus die Quelle meiner Aphorismen. Mein Wort war ein gerichtetes, und der Mensch, an den es gerichtet war, war der richtige.“) und am 27. Oktober 2005 bei Gelegenheit eines kleinen Sammelbandes, von der anderen Seite her: „Scheuen Sie sich auch nicht, meine Briefe an Sie zu verwenden, die Erlaubnis habe ich Ihnen ja erteilt, und das Persönliche ist in diesem Fall wichtig, weil gerade der Aphorismus selten Gelegenheit bekommt, sich ,persönlich auszudrückenʻ, man weiss ja, wie subjektiv er ist.“ Das geht so weit, dass er für die eine aus der anderen schöpft: „Aus den Briefen an sie [Margarete Susman] und an andere habe ich Aphorismen gewonnen; manchmal konnte ich sie im Wortlaut übernehmen.“ (An den Herausgeber, 28. November 2004; Vielzeitig, S. 237) So steht Beziehungsweisen als der Titel des Briefwechsels in der Anordnung, wie ich sie hier vorgenommen habe, für Beziehungs-Weisen von mehrfacher Art: zunächst für Benyoëtzʼ Beziehung zur Gattung Brief selbst, sodann zur Literatur in Vergangenheit und Gegenwart sowie zu ästhetischen, poetologischen und (nicht zuletzt) religiösen Fragen, schließlich zu den Partner(innen) wie auch zum eigenen Werk. „Nirgends bin ich mir so nah, wie im Aphorismus, im Brief aber werde ich mir ähnlich“ Ein Morgen letzter Hand In: Lichtenberg-Jahrbuch 2006, S. 29 Anhang Zur Edition Der Autor hat dem Herausgeber in den Jahren 2015/ 2016 in 22 Konvoluten eine Auswahl seiner Briefe aus den Jahren 1966-2015 zur Verfügung gestellt, ein Korpus von ca. 700 Briefen, die in gar keiner Weise etwas auch nur zeitabschnittsweise Vollständiges widerspiegeln können und sollen, wie der Leser schon bei einem kurzen Vergleich mit dem Briefband „Vielzeitig“ oder der kleinen Sammlung in „Die Rede geht im Schweigen vor Anker“ feststellen wird. Wenn hier also beispielsweise Exzerpte aus den Briefen an Hilde Domin fehlen (vgl. auch: Hilde Domin, Ein Schlussgespräch. In: Das Kommende ist nicht in Eile [2017], S. 58-62), die dort zu lesen sind, dann deshalb, weil sie nicht Bestandteil der Konvolute für die Zwecke dieser Edition waren. Aus diesem Korpus hat der Herausgeber in vielfachen Streichungen, Um- und Zusammenstellungen ein Porträt des Autors zu entwickeln gesucht und sein vielfältiges Beziehungsnetz, seine jüdisch-biblischen und seine deutschen Wurzeln sowie seine Aussagen über Vorläufer und Zeitgenossen und Selbstzeugnisse zu seinem Werk in zehn Kapiteln dargestellt, so dass der Leser erstmals einen umfassenden Einblick in das Selbstbild des Autors, bezogen auf die Person wie das Werk, sowie auch sein Verhältnis zur Literatur, insbesondere zur Literatur seiner Zeit, gewinnt: ein Weg, so die Hoffnung, „dem Werk nicht auf den Grund, sondern auf den Hintergrund zu kommen“, wie Benyoëtz schreibt (an Jürgen Stenzel, 19. November 2007). Der Band ordnet also weder nach Adressaten noch behält er die Einheit des Briefes bei. Er geht allerdings in den einzelnen Kapiteln chronologisch vor. Die Briefe sind gekürzt, auch ,auseinandergeschnittenʻ und so dem Thema des einzelnen Kapitels zugeordnet. Das ist im Einzelnen nie ohne Kompromisse und Uneindeutigkeiten möglich; natürlich äußert sich der Autor ,organischʻ und nicht auf systematische Zwecke orientiert, und der geteilten Zuordnung sind enge Grenzen gesetzt. Gehört ein Brief (an den Herausgeber, 21. Dezember 2004), der die Rolle des Judentums in der Geschichte der deutschen Aphoristik auch an Morgenstern exemplifiziert (er sei im Leben für die Juden, im Werk aber gegen sie gewesen und „verdankte seinen Lebensunterhalt Juden“, wie er an Kayssler schreibt), in ein Kapitel „Judentum“ oder in ein Kapitel „Deutsche Traditionen“? Im Ganzen ist das Verfahren aber doch höchst sinnvoll und Einsichten fördernd, die den einzelnen Traditionsstrang oder die einzelne Werkgenese betreffen. Wer Genaueres über Benyoëtzʼ Verständnis von 338 Anhang Lesungen wissen möchte, der ist über das entsprechende Kapitel hinaus unbedingt auf die verstreuten Hinweise hier und dort verwiesen; wer die Bedeutung des Briefes für ihn vollkommen verstehen will, der muss außer den Eckkapiteln auch mindestens die Briefe im Zusammenhang mit Briefeditionen im Kapitel VIII „Zu einzelnen Publikationen“ zur Kenntnis nehmen. Auch von anderer Seite her ist die Zuordnung subjektiv und durchaus diskussionswürdig, etwa wenn die deutsch-jüdische Lyrikerin Ite Liebenthal in den jüdischen Kontext, Elias Canetti aber fraglos in ein Kapitel „Deutsche Traditionen“ eingeordnet wird. Einzelne Textpassagen der Briefpartner werden einbezogen, sofern sie zum Verständnis der Antworten beitragen oder sonstwie die einzelnen Themen erhellen. Das erste Kapitel „Der Brief als gerichtetes Wort” dokumentiert den Stellenwert des Briefes im Brief, dient also als Einführung durch den Autor selbst. Die Hauptteile „A Das Netz der Beziehungen” und „B Das Werk” richten sich einmal auf die Quellen und Bezüge des Werkes. Sie sind gewissermaßen in fortschreitender Tiefe angelegt. So zeigen die Kapitel II „Zeitgenossen“ und III „Deutsche Traditionen“, bei fließenden Grenzen, die Breite und Fülle der literaturkritischen Reflexionen des Autors zum Zwecke der Selbstbestimmung und Selbstbehauptung; hier liegt ein Schwerpunkt der Sammlung, denn es besteht Anlass zu der Vermutung, dass dieser vielfältigen Verortung ein besonderes Interesse des Lesers gilt. Die Kapitel IV „Judentum, Israel, Christentum” und V „Bibel” dokumentieren die Verwurzelung im jüdisch Religiösen, die ihr Fundament in Autoren wie Kohelet, dem „Prediger Salomo”, findet. Das andere Mal richten sie sich auf die Reflexion des eigenen Werkes, im Allgemeinen (Kapitel VI „Zur Arbeit mit der Sprache”) und speziell „Zum Aphorismus” (Kapitel VII). Während diese im engeren Sinne poetologisch orientiert sind, heben die Kapitel VIII „Zu einzelnen Publikationen“ und IX „Zu Lesungen“ exemplarisch auf die äußeren Bedingungen ab, in denen das Werk sich entwickelt. Das Kapitel X „Zuwendung im Brief“ schließlich schlägt einen Bogen zum Anfang und bringt auf diese Weise noch einmal zum Ausdruck, dass der Brief als Beziehung für seinen Verfasser nie nur eine sachliche Komponente hat. Neben einem Nachwort vervollständigen ein chronologisches Verzeichnis der hier aufgenommenen Briefe, ein Register der Adressat(inn)en, eine Bibliographie der Werke und Briefe, eine kommentierte Bibliographie der Sekundärliteratur und ein Personenregister die Edition. Zu den Anmerkungen mit Asteriskus: Für die Bücher EBs sowie für die Briefpartner(innen) wird auf den Anhang verwiesen (Die Werke Elazar Benyoëtzʼ; Briefeditionen; Verzeichnis der Briefpartner[innen]); es erfolgt keine bibliographisch exakte Anmerkung im Einzelfall (die sich vielfach wiederholen müsste). Zur Edition 339 Die Briefpartner(innen) sind im Anhang knapp und auf EB fokussiert charakterisiert. Namen von Autoren wie Opitz oder Kuhlmann, die den Lesern und Leserinnen dieser Edition geläufig sein sollten oder im Zeitalter des Internets besonders leicht aufzuschlüsseln sind, werden nicht erläutert, insbesondere auch nicht, wenn die Erläuterungen im Brief selbst hinreichend scheinen, um den Umfang des Bandes nicht unnötig zu vergrößern (also beispielsweise Johannes Baader ja, Conrad Ferdinand Meyer nein, Franz Rosenzweig ja, Kierkegaard nein). Die vielfachen Anspielungen auf Literatur, sei es solche der Briefpartner(innen), sei es ,fremdeʻ Literatur, werden dagegen soweit möglich nachgewiesen. Die Verweise auf frühere Bücher Benyoëtzʼ dienen auch dazu, die dortigen Anmerkungen gewissermaßen einzubeziehen und die aktuellen entsprechend knapp zu halten. Kleinere Flüchtigkeiten und Versehen in Interpunktion und Orthographie sind stillschweigend berichtigt, die EB eigene Interpunktion ist aber nicht in jedem Fall ‚normalisiert‘. 340 Anhang Chronologisches Verzeichnis der Briefe Das chronologische Verzeichnis erlaubt es, die thematisch zusammengestellten Briefexzerpte im Zusammenhang zu lesen. Es ist aber zu beachten, dass sich im Zeitalter des Mailverkehrs gleiche Daten nicht unbedingt auf denselben Brief beziehen. 1960-1969 25. August 1966 An Manfred Sturmann Nr. 132 8. September 1966 Von Manfred Sturmann Nr. 24 1. Oktober 1966 An Manfred Sturmann Nr. 25 8. November 1966 An Manfred Sturmann Nr. 133 19. Februar 1968 An Manfred Sturmann Nr. 134 1980-1989 16. August 1982 An Harald Weinrich Nr. 344 19. Juni 1985 Von Harald Weinrich Nr. 227 30. Mai 1986 An Albrecht Goes Nr. 1 8. September 1986 An Daphne Hertz Nr. 2 18. September 1986 An Franziska Nr. 228 16. Juni 1987 An Michael Krüger Nr. 253 3. September 1987 Von Eginhard Hora Nr. 254 21. September 1987 An Rufus Flügge Nr. 255 25. September 1987 An Eginhard Hora Nr. 256 8. November 1988 An Franziska Nr. 257 Januar 1989 An Franziska Nr. 258 28. Februar 1989 An Hildegard Schultz-Baltensperger Nr. 229 24. Juli 1989 An Eginhard Hora Nr. 259 1990-1999 14. August 1990 Von Conrad Wiedemann Nr. 260 4. Dezember 1990 An Eginhard Hora Nr. 261 13. Januar 1991 An Hildegard Schultz-Baltensperger Nr. 26 13. Januar 1991 An Hildegard Schultz-Baltensperger Nr. 270 13. Januar 1991 An Michael Krüger Nr. 269 13. Februar 1991 An Franziska Nr. 271 25. März 1991 An Albrecht Heinzerling Nr. 135 12. April 1991 An Silke Alves Nr. 136 12. April 1991 An Jürgen Manthey Nr. 102 10. August 1991 An Edith Silbermann Nr. 27 Chronologisches Verzeichnis der Briefe 341 10. August 1991 An Edith Silbermann Nr. 103 10. August 1991 An Edith Silbermann Nr. 248 10. Januar 1992 An Jens Stüben Nr. 104 21. Januar 1992 An Ulrich Sonnemann Nr. 28 22. Januar 1992 Von Jens Stüben Nr. 104a 14. Mai 1992 An Anemone Bekemeier Nr. 29 22. Mai 1992 An Walther Wölpert Nr. 262 30. Juni 1992 Von Harald Weinrich Nr. 230 13. Oktober 1992 An Harald Weinrich Nr. 231 17. Februar 1993 An Christoph Grubitz Nr. 30 22. Februar 1993 An Matthias Hermann Nr. 31 11. März 1993 An Rufus Flügge Nr. 137 22. Juli 1993 An Hans Otto Horch Nr. 32 29. September 1993 An Hans Otto Horch Nr. 33 1. Dezember 1993 An Ludwig Brinckmann Nr. 166 1. Dezember 1993 An Ludwig Brinckmann Nr. 392 24. Januar 1994 An Barbara Wedekind Nr. 263 30. März 1994 An Barbara Wedekind Nr. 264 18. Mai 1994 An Ludwig Brinckmann Nr. 3 3. Januar 1995 An Annette Klüpfel Nr. 138 22. März 1995 An Heinke von Löw Nr. 268 15. Juni 1995 An Annemarie Moser Nr. 34 4. Juli 1996 An Angelika Hübscher Nr. 35 26. Juli 1996 Von Alexander von Bormann Nr. 4 25. Februar 1997 An Michael Wirth Nr. 36 7. Juni 1998 Von Harald Weinrich Nr. 272 21. Juni 1999 An Harald Fricke Nr. 105 7. Juli 1999 An Walter Thümler Nr. 139 14. September 1999 An Harald Fricke Nr. 106 2000-2009 12. März 2000 Von Harald Weinrich Nr. 274 10. Oktober 2000 An Regina Pressler Nr. 370 11. Oktober 2000 An Helga Bubert Nr. 371 24. November 2000 An Friedemann Spicker Nr. 37 24. November 2000 An Friedemann Spicker Nr. 372 26. Februar 2001 An Friedemann Spicker Nr. 276 24. März 2001 An Verena Lenzen Nr. 273 20. Juni 2001 An Burkhard Talebitari Nr. 277 20. Juni 2001 An Burkhard Talebitari Nr. 38 342 Anhang 26. Juni 2001 An Friedemann Spicker Nr. 107 26. Juni 2001 An Friedemann Spicker Nr. 278 11. November 2001 An Claudia Welz Nr. 275 1. August 2002 An Harald Weinrich Nr. 279 29. September 2002 Von Katharina Heyden Nr. 167 3. Oktober 2002 An Harald Fricke Nr. 232 7. Oktober 2002 An Claudia Welz Nr. 283 12. Oktober 2002 An Michael Krüger Nr. 284 16. Oktober 2002 An Renate Heuer Nr. 140 18. Oktober 2002 An Gertrude Rosenberg Nr. 108 18. Oktober 2002 An Gertrude Rosenberg Nr. 141 18. Oktober 2002 An Erika Burkart Nr. 39 18. Oktober 2002 An Walter Helmut Fritz Nr. 40 20. Oktober 2002 An Johanna Erzberger Nr. 142 20. Oktober 2002 An Johanna Erzberger Nr. 168 23. Oktober 2002 An Harald Fricke Nr. 185 25. Oktober 2002 An René Dausner Nr. 186 27. Oktober 2002 An Rudolf Klaes Nr. 143 31. Oktober 2002 An Michael Bongardt Nr. 285 7. November 2002 An Burkhard Talebitari Nr. 286 29. November 2002 An Matthias Hermann Nr. 41 29. November 2002 An Paul Rutz Nr. 373 4. Dezember 2002 An Paul Rutz Nr. 374 9. Dezember 2002 An Silja Walter/ Schwester Hedwig Nr. 393 10. April 2003 An Michael Krüger Nr. 187 9. Dezember 2003 An Michael Krüger Nr. 394 5. Februar 2004 An Michael Bongardt Nr. 287 1. April 2004 An Friedemann Spicker Nr. 233 1. April 2004 An Friedemann Spicker Nr. 234 1. April 2004 An Friedemann Spicker Nr. 235 24. Juni 2004 An Ingeborg Kaiser Nr. 188 23. Juli 2004 An Michael Krüger Nr. 189 6. August 2004 An Michael Bongardt Nr. 170 10. September 2004 An Michael Bongardt Nr. 375 22. September 2004 An Ingeborg Kaiser Nr. 190 5. Oktober 2004 An Ingeborg Kaiser Nr. 236 25. November 2004 An Friedemann Spicker Nr. 42 28. November 2004 An Friedemann Spicker Nr. 5 28. November 2004 An Friedemann Spicker Nr. 43 28. November 2004 An Friedemann Spicker Nr. 109 Chronologisches Verzeichnis der Briefe 343 28. November 2004 An Friedemann Spicker Nr. 237 1. Dezember 2004 An Friedemann Spicker Nr. 44 1. Dezember 2004 An Friedemann Spicker Nr. 191 1. Dezember 2004 An Friedemann Spicker Nr. 238 9. Dezember 2004 An Friedemann Spicker Nr. 45 9. Dezember 2004 An Friedemann Spicker Nr. 239 14. Dezember 2004 An Friedemann Spicker Nr. 46 14. Dezember 2004 An Friedemann Spicker Nr. 240 15. Dezember 2004 An Friedemann Spicker Nr. 110 17. Dezember 2004 An Friedemann Spicker Nr. 241 21. Dezember 2004 An Friedemann Spicker Nr. 144 21. Dezember 2004 An Friedemann Spicker Nr. 171 21. Dezember 2004 An Friedemann Spicker Nr. 242 22. Dezember 2004 Von Friedemann Spicker Nr. 243 28. Dezember 2004 An Anna Fischer-Buck Nr. 376 5. Januar 2005 An Harald Fricke Nr. 111 18. Januar 2005 Von Harald Fricke Nr. 112 20. Januar 2005 An Friedemann Spicker Nr. 47 1. Februar 2005 An Friedemann Spicker Nr. 48 10. Februar 2005 An Harald Fricke Nr. 49 10. Februar 2005 An Harald Fricke Nr. 145 10. Februar 2005 An Harald Fricke Nr. 267 27. April 2005 An Friedemann Spicker Nr. 113 27. April 2005 An Friedemann Spicker Nr. 288 7. Mai 2005 An Friedemann Spicker Nr. 50 7. Mai 2005 An Friedemann Spicker Nr. 51 7. Mai 2005 An Friedemann Spicker Nr. 251 7. Mai 2005 An Friedemann Spicker Nr. 289 7. Juli 2005 An Friedemann Spicker Nr. 290 20. September 2005 An Friedemann Spicker Nr. 345 25. September 2005 An Hans-Martin Gauger Nr. 192 6. Oktober 2005 Von Hans-Martin Gauger Nr. 172 6. Oktober 2005 An Hans-Martin Gauger Nr. 173 20. Oktober 2005 An Hans-Martin Gauger Nr. 174 21. Oktober 2005 An Friedemann Spicker Nr. 291 21. Oktober 2005 An Friedemann Spicker Nr. 346 25. Oktober 2005 Von Hans-Martin Gauger Nr. 175 27. Oktober 2005 An Friedemann Spicker Nr. 244 30. Oktober 2005 An Hans-Martin Gauger Nr. 176 8. Dezember 2005 An Friedemann Spicker Nr. 52 344 Anhang 15. Dezember 2005 An Friedemann Spicker Nr. 357 31. Dezember 2005 An Ingeborg Kaiser Nr. 114 11. Januar 2006 An Friedemann Spicker Nr. 53 13. Januar 2006 An Harald Fricke Nr. 292 13. Januar 2006 An Hans-Martin Gauger Nr. 395 19. Januar 2006 An Harald Weinrich Nr. 293 24. Januar 2006 An Monika Fey Nr. 6 28. März 2006 An Hans-Martin Gauger Nr. 193 7. April 2006 An Hans-Martin Gauger Nr. 194 8. Juni 2006 An Friedemann Spicker Nr. 294 16. Juni 2006 An Friedemann Spicker Nr. 358 18. Juli 2006 An Hans-Martin Gauger Nr. 195 24. Juli 2006 An Harald Weinrich Nr. 177 27. Juli 2006 An Friedemann Spicker Nr. 295 19. September 2006 An Hans-Martin Gauger Nr. 54 19. September 2006 An Hans-Martin Gauger Nr. 146 19. September 2006 An Hans-Martin Gauger Nr. 178 19. September 2006 An Hans-Martin Gauger Nr. 179 1. Januar 2007 An Hans-Martin Gauger Nr. 196 1. Januar 2007 An Hans-Martin Gauger Nr. 296 14. Januar 2007 An Friedemann Spicker Nr. 377 14. Januar 2007 An Friedemann Spicker Nr. 297 19. Januar 2007 An Friedemann Spicker Nr. 378 7. Februar 2007 An Friedemann Spicker Nr. 298 14. Februar 2007 An Friedemann Spicker Nr. 299 14. Februar 2007 An Friedemann Spicker Nr. 359 15. Februar 2007 An Friedemann Spicker Nr. 147 15. Februar 2007 An Friedemann Spicker Nr. 300 27. März 2007 An Friedemann Spicker Nr. 55 28. März 2007 An Hans-Martin Gauger Nr. 197 24. Mai 2007 An Friedemann Spicker Nr. 301 5. Juni 2007 An Michael Bongardt Nr. 396 5. Juni 2007 An Michael Bongardt Nr. 302 6. Juni 2007 An Hans-Martin Gauger Nr. 397 17. Juni 2007 An Harald Fricke Nr. 325 1. August 2007 An Friedemann Spicker Nr. 280 1. August 2007 An Friedemann Spicker Nr. 360 10. August 2007 An Friedemann Spicker Nr. 281 10. September 2007 An Friedemann Spicker Nr. 361 30. Oktober 2007 An Friedemann Spicker Nr. 379 Chronologisches Verzeichnis der Briefe 345 18. November 2007 An Friedemann Spicker Nr. 362 19. November 2007 An Jürgen Stenzel Nr. 7 19. November 2007 An Jürgen Stenzel Nr. 148 19. November 2007 An Jürgen Stenzel Nr. 363 22. November 2007 An Friedemann Spicker Nr. 380 29. November 2007 Von Friedemann Spicker Nr. 149 5. Dezember 2007 An Friedemann Spicker Nr. 150 6. Januar 2008 Von Friedemann Spicker Nr. 303 22. Januar 2008 Von Hans-Martin-Gauger Nr. 198 22. Januar 2008 An Hans-Martin-Gauger Nr. 199 24. Januar 2008 Von Hans-Martin-Gauger Nr. 200 24. Januar 2008 An Hans-Martin-Gauger Nr. 201 27. Januar 2008 Von Hans-Martin-Gauger Nr. 202 27. Januar 2008 An Hans-Martin-Gauger Nr. 203 27. Januar 2008 Von Hans-Martin-Gauger Nr. 204 28. Januar 2008 An Hans-Martin-Gauger Nr. 56 28. Januar 2008 An Hans-Martin-Gauger Nr. 205 26. März 2008 An Friedemann Spicker Nr. 364 1. April 2008 An Friedemann Spicker Nr. 115 2. April 2008 An Friedemann Spicker Nr. 116 23. April 2008 An Friedemann Spicker Nr. 381 23. April 2008 Von Friedemann Spicker Nr. 382 7. August 2008 An Hans-Martin-Gauger Nr. 57 7. August 2008 An Hans-Martin-Gauger Nr. 58 7. August 2008 An Hans-Martin-Gauger Nr. 59 8. August 2008 An Hans-Martin-Gauger Nr. 206 30. November 2008 An Burkhard Talebitari Nr. 181 9. Dezember 2008 Von Friedemann Spicker Nr. 282 10. Dezember 2008 An Friedemann Spicker Nr. 365 11. Dezember 2008 An Michael Krüger Nr. 398 23. Dezember 2008 Von Hans-Martin-Gauger Nr. 207 23. Dezember 2008 An Hans-Martin-Gauger Nr. 208 23. Dezember 2008 An Hans-Martin-Gauger Nr. 304 23. Dezember 2008 Von Hans-Martin-Gauger Nr. 209 29. Dezember 2008 An Hans-Martin-Gauger Nr. 210 29. Dezember 2008 An Hans-Martin-Gauger Nr. 211 31. Dezember 2008 An Hans-Martin-Gauger Nr. 212 18. März 2009 An Friedemann Spicker Nr. 60 23. Juni 2009 An Hans-Martin Gauger Nr. 305 ca. 26. Juni 2009 Von Hans-Martin Gauger Nr. 180 346 Anhang 19. August 2009 An Friedemann Spicker Nr. 61 21. September 2009 Von Friedemann Spicker Nr. 366 22. September 2009 An Friedemann Spicker Nr. 367 22. September 2009 Von Friedemann Spicker Nr. 62 22. Oktober 2009 Von Friedemann Spicker Nr. 63 25. Oktober 2009 An Friedemann Spicker Nr. 306 6. Dezember 2009 An Friedemann Spicker Nr. 307 15. Dezember 2009 Von Friedemann Spicker Nr. 308 15. Dezember 2009 An Friedemann Spicker Nr. 309 2010-2016 6. Januar 2010 An Ingeborg Kaiser Nr. 213 8. Januar 2010 An Ingeborg Kaiser Nr. 64 8. Januar 2010 An Ingeborg Kaiser Nr. 214 13. Februar 2010 An Friedemann Spicker Nr. 65 13. Februar 2010 An Friedemann Spicker Nr. 310 18. März 2010-An Kristian Wachinger Nr. 326 28. April 2010 An Friedemann Spicker Nr. 66 29. April 2010 An Friedemann Spicker Nr. 245 7. Mai 2010 Von Friedemann Spicker Nr. 311 27. Mai 2010 An Friedemann Spicker Nr. 312 3. August 2010 An Friedemann Spicker Nr. 339 15. Oktober 2010 An Harald Weinrich Nr. 313 15. Oktober 2010 An Harald Weinrich Nr. 314 17. Oktober 2010 An Friedemann Spicker Nr. 67 3. Januar 2011 An Verena Lenzen Nr. 327 24. Januar 2011 An Harald Weinrich Nr. 315 23. Februar 2011 An Werner Helmich Nr. 246 23. Februar 2011 An Werner Helmich Nr. 328 23. Februar 2011 Von Werner Helmich Nr. 329 23. Februar 2011 An Werner Helmich Nr. 330 24. Februar 2011 Von Werner Helmich Nr. 331 24. Februar 2011 An Werner Helmich Nr. 332 27. Februar 2011 An Werner Helmich Nr. 316 11. März 2011 An Harald Weinrich Nr. 8 3. Mai 2011 An Harald Weinrich Nr. 68 4. Mai 2011 An Michael Bongardt Nr. 399 27. Mai 2011 An Ulrike Wolitz Nr. 333 7. Juni 2011 An Harald Fricke Nr. 117 7. Juni 2011 An Harald Fricke Nr. 334 Chronologisches Verzeichnis der Briefe 347 10. Juni 2011 Von Günther Bader Nr. 118 15. Juli 2011 An Riccarda Tourou Nr. 317 15. Juli 2011 Von Burkhard Talebitari Nr. 319 16. Juli 2011 An Burkhard Talebitari Nr. 319 4. September 2011 An Burkhard Talebitari Nr. 119 27. September 2011 An Günter Bader Nr. 383 28. September 2011 An Helmut Zwanger Nr. 182 12. Oktober 2011 An Werner Helmich Nr. 335 17. Oktober 2011 Von Werner Helmich Nr. 336 23. Oktober 2011 An Werner Helmich Nr. 337 31. Oktober 2011 An Friedemann Spicker Nr. 320 6. November 2011 An Werner Helmich Nr. 69 7. November 2011 Von Werner Helmich Nr. 70 7. November 2011 An Werner Helmich Nr. 71 8. November 2011 An Werner Helmich Nr. 72 9. November 2011 An Werner Helmich Nr. 73 9. November 2011 An Werner Helmich Nr. 74 23. November 2011 An Werner Helmich Nr. 75 28. November 2011 An Werner Helmich Nr. 76 29. November 2011 An Werner Helmich Nr. 247 14. Dezember 2011 An Werner Helmich Nr. 322 14. Dezember 2011 Von Werner Helmich Nr. 328 3. Januar 2012 An Julia Knapp Nr. 215 3. Januar 2012 An Julia Knapp Nr. 384 13. Januar 2012 An Werner Helmich Nr. 120 13. Januar 2012 Von Werner Helmich Nr. 121 3. April 2012 An Werner Helmich Nr. 151 3. April 2012 An Werner Helmich Nr. 323 29. April 2012 An Friedemann Spicker Nr. 324 17. Mai 2012 An Werner Helmich Nr. 340 17. Mai 2012 Von Werner Helmich Nr. 341 18. Mai 2012 An Werner Helmich Nr. 342 24. Juni 2012 An Bettina Fricke Nr. 400 27. Juni 2012 An Werner Helmich Nr. 216 10. August 2012 An Werner Helmich Nr. 217 15. August 2012 An Harald Weinrich Nr. 401 13. September 2012 An Werner Helmich Nr. 218 13. September 2012 An Werner Helmich Nr. 219 12. Dezember 2012 An Werner Helmich Nr. 220 13. Dezember 2012 An Bernhard Fetz Nr. 347 348 Anhang 1. Januar 2013 Von Jürgen Stenzel Nr. 122 3. Januar 2013 An Riccarda Tourou Nr. 9 5. Januar 2013 An René Dausner Nr. 152 7. Januar 2013 An Ingeborg Kaiser Nr. 10 10. Januar 2013 An Riccarda Tourou Nr. 11 10. Januar 2013 Von Ingeborg Kaiser Nr. 403 11. Januar 2013 Von Riccarda Tourou Nr. 183 11. Januar 2013 Von Riccarda Tourou Nr. 368 15. Januar 2013 An Ingolf U. Dalferth Nr. 385 21. Januar 2013 An Josef Wohlmuth Nr. 404 21. Januar 2013 An Gerhard Langer Nr. 153 22. Januar 2013 An Riccarda Tourou Nr. 12 24. Januar 2013 An Riccarda Tourou Nr. 13 24. Januar 2013 An Gerhard Langer Nr. 154 6. Februar 2013 An Julia Knapp Nr. 123 10. Februar 2013 An Friedemann Spicker Nr. 77 19. Februar 2013 Von Manfred Voigts Nr. 155 24. März 2013 An Werner Helmich Nr. 386 9. April 2013 An Ingeborg Kaiser Nr. 14 9. April 2013 An Ingeborg Kaiser Nr. 15 9. April 2013 An Martina Kraut Nr. 221 11. April 2013 An Friedemann Spicker Nr. 369 12. April 2013 An Helmut Zwanger Nr. 222 13. Mai 2013 An Winfried Schindler Nr. 16 23. Mai 2013 An Friedemann Spicker Nr. 17 28. Mai 2013 An Katharina Prager Nr. 249 9. Juni 2013 Von Anne Gyrithe Bonne Nr. 250 10. Juni 2013 An Anne Gyrithe Bonne Nr. 251 24. Juni 2013 An Jutta Czeguhn Nr. 78 30. Juni 2013 An Martina Kraut Nr. 348 2. Juli 2013 An Martina Kraut Nr. 18 2. Juli 2013 An Martina Kraut Nr. 249 4. Juli 2013 An Stefan Kaszyński Nr. 79 4. Juli 2013 An Stefan Kaszyński Nr. 80 5. Juli 2013 An Stefan Kaszyński Nr. 81 5. Juli 2013 An Stefan Kaszyński Nr. 82 5. Juli 2013 An Stefan Kaszyński Nr. 83 5. Juli 2013 An Claudia Welz Nr. 405 8. Juli 2013 An Jürgen Stenzel Nr. 84 9. Juli 2013 Von Josef Wohlmuth Nr. 184 Chronologisches Verzeichnis der Briefe 349 10. Juli 2013 An Friedrich Pfäfflin Nr. 124 12. Juli 2013 An Harald Weinrich Nr. 223 12. Juli 2013 An Werner Helmich Nr. 350 12. Juli 2013 An Harald Weinrich Nr. 351 16. Juli 2013 Von Werner Helmich Nr. 352 18. Juli 2013 An Friedemann Spicker Nr. 125 22. Juli 2013 An Burkhard Talebitari Nr. 156 25. Juli 2013 An Ingeborg Kaiser Nr. 85 25. Juli 2013 An Ingeborg Kaiser Nr. 353 31. Juli 2013 Von Martina Kraut Nr. 19 2. August 2013 An Burkhard Talebitari Nr. 126 2. August 2013 An Josef Wohlmuth Nr. 354 7. August 2013 An Werner Helmich Nr. 355 8. August 2013 An Werner Helmich Nr. 86 8. August 2013 Von Christoph Grubitz Nr. 127 8. August 2013-An Werner Helmich Nr. 87 8. August 2013-An Werner Helmich Nr. 88 8. August 2013-Von Werner Helmich Nr. 356 9. Oktober 2013 An Hans-Martin Gauger Nr. 89 9. Oktober 2013 An Hans-Martin Gauger Nr. 224 16. Oktober 2013 An Hania M. Fodorowicz Nr. 128 16. Oktober 2013 An Hania M. Fodorowicz Nr. 406 16. Oktober 2013 An Martina Kraut Nr. 90 18. Oktober 2013 An Matthias Klatte Nr. 129 21. Oktober 2013 An Beat Allemand Nr. 387 8. November 2013 Von Werner Helmich Nr. 91 20. November 2013 An Manfred Voigts Nr. 157 21. November 2013 An Hania M. Fodorowicz Nr. 407 21. November 2013 An Harald Weinrich Nr. 409 22. November 2013 An Gerhard Langer Nr. 158 22. November 2013 Von Werner Helmich Nr. 92 27. November 2013 Von Werner Helmich Nr. 93 7. Dezember 2013 An Norbert Lüthy Nr. 408 16. Dezember 2013 An Burkhard Talebitari Nr. 20 16. Dezember 2013 An Burkhard Talebitari Nr. 94 23. Dezember 2013 An Burkhard Talebitari Nr. 130 23. Dezember 2013 An Angelika Obert Nr. 131 24. März 2014 An Werner Helmich Nr. 388 17. April 2014 An Werner Helmich Nr. 389 9. September 2014 An Daniel Glaus Nr. 159 350 Anhang 1. Oktober 2014 An Harald Weinrich Nr. 160 1. Oktober 2014 An Harald Weinrich Nr. 410 7. November 2014 Von Harald Weinrich Nr. 161 22. Dezember 2014 An Hans-Martin Gauger Nr. 162 15. März 2015 Von Hans-Martin Gauger Nr. 163 17. März 2015 An Hans-Martin Gauger Nr. 164 13. Mai 2015 An Harald Weinrich Nr. 21 13. Mai 2015 An Harald Weinrich Nr. 225 26. Mai 2015 An Werner Helmich Nr. 226 6. Juni 2015 Von Werner Helmich Nr. 338 9. August 2015 An Werner Helmich Nr. 95 10. September 2015 An Hans-Martin Gauger Nr. 399 1. November 2015 An Hans-Jürg Stefan Nr. 96 13. November 2015 An Hans-Jürg Stefan Nr. 197 18. November 2015 An Burkhard Talebitari Nr. 165 10. Dezember 2015 Von Werner Helmich Nr. 391 10. Dezember 2015 An Hans-Jürg Stefan Nr. 98 14. Dezember 2015 An Hans-Jürg Stefan Nr. 99 17. Dezember 2015 An Hans-Martin Gauger Nr. 343 30. Dezember 2015 An Hans-Jürg Stefan Nr. 100 1. Januar 2016 An Hans-Jürg Stefan Nr. 101 7. März 2016 An Burkhard Talebitari Nr. 411 8. März 2016 An Hans-Jürg Stefan Nr. 22 21. Mai 2016 An Ingeborg Kaiser Nr. 23 Verzeichnis der Briefpartner(innen) 351 Verzeichnis der Briefpartner(innen) Allemand, Beat (geb. 1976) Studium in Basel und Tübingen, seit 2013 Pfarrer am Berner Münster, fasziniert von der Verbindung Theologie und Literatur. Nr. 387 Alves-Christe, Silke (geb. 1961) Theologiestudium u. a. in Tübingen und Jerusalem, Pfarrerin in Frankfurt am Main. vgl. Variationen, S. 78 Nr. 136 Bader, Günter (geb. 1943) Prof. Dr. theol., ev. Theologe. Lehrstuhl für Systematische Theologie an der Universität Bonn 1995-2008. vgl. Olivenbäume, S. 36f., 408 Nr. 118, 383 Bekemeier, Anemone (geb. 1945) Pfarrerin in Bad Saarow-Pieskow. vgl. Reisen nach Jerusalem. Das Heilige Land in Karten und Ansichten aus fünf Jahrhunderten. Wiesbaden: Reichert 1993. Nr. 29 Bongardt, Michael (geb. 1959) Prof. Dr. theol., Theologe und Philosoph, seit 2016 Prorektor für Studium, Lehre und Lehrerbildung an der Universität Siegen. Herausgeber: Humor - Leichtsinn der Schwermut. Zugänge zum Werk von Elazar Benyoëtz. Bochum: Brockmeyer 2010; (gem. mit René Dausner): Zum Einsatz kommen. „Die Eselin Bileams und Kohelets Hund“ von Elazar Benyoëtz vielstimmig gelesen zu seinem 75. Geburtstag. Münster: Aschendorff 2012; Zugrunde gegangen und in die Jahre gekommen. Gabe an den Dichter Elazar Benyoëtz zu seinem 80. Geburtstag. Würzburg: Königshausen und Neumann 2019; Beten - mit den Lippen an Gott hängen. Eine biblisch-literarische Spurensuche. In: Korrespondenzen, S. 156-172. vgl. Bongardt/ Dausner: Zum Einsatz kommen, S. XXI vgl. Olivenbäume, S. 38-40 et pass. Nrn. 170, 285, 287, 302, 375, 396, 399 352 Anhang Bonne, Anne Gyrithe (geb. 1951) Dänische Filmregisseurin, Dokumentation über den israelisch-palästinensischen Konflikt 2017. Nrn. 250, 251 Bormann, Alexander von (1932-2009) Prof. Dr. phil., Literaturwissenschaftler, Prof. für Neuere deutsche Literatur an der Universität Amsterdam 1971-2001. vgl. Olivenbäume, S. 15 Nr. 4 Brinckmann, Ludwig (geb. 1930) Privatgelehrter in München; Mitherausgeber der TAD-NACHRICHTEN, Zeitschrift der Theologischen Arbeitsgemeinschaft für interkonfessionellen Dialog; redigiert den Rundbrief der Evangelischen Michaelsbruderschaft. vgl. Humor - Leichtsinn der Schwermut, S. 57 Nr. 3, 166, 392 Bubert, Helga (1938-2006) Journalistin in Hamburg, organisierte seit 1995 die dortigen Lesungen EBʼs, Briefwechsel mit EB. vgl. Vielzeitig, S. 203, 320 Nr. 371 Burkart, Erika (1922-2010) Schweizer Schriftstellerin; Gedichte, Aufzeichnungen, Romane. vgl. Olivenbäume, S. 305f. Nr. 39 Czeguhn, Jutta Journalistin, München. Nr. 78 Dalferth, Ingolf U. (geb. 1948) Religionsphilosoph und ev. Theologe, 1995-2013 Professor an der Universität Zürich. vgl. Aberwenndig, S. 258f. Nr. 385 Verzeichnis der Briefpartner(innen) 353 Dausner, René (geb. 1975) Dr. theol. habil., kath. Theologe an der Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt. Zerbrechende Zeit. Zum Motiv der Zukünftigkeit im Werk von Elazar Benyoëtz. In: Akzente 51, 2004, S. 48-54. Die hinterlassene Spur. Elazar Benyoëtz liest Franz Rosenzweig. In: Franz Rosenzweigs „neues Denken“. Internationaler Kongreß Kassel 2004. Hg. von Wolfdietrich Schmied-Kowarzik. Bd. II: Erfahrene Offenbarung - in theologos. Freiburg, München: Alber 2006, S. 892-910. Schreiben wie ein Toter. Poetologisch-theologische Analysen zum deutschsprachigen Werk des israelisch-jüdischen Dichters Elazar Benyoëtz. Paderborn u. a.: Schöningh 2007 (Studien zu Judentum und Christentum) vgl. Bongardt/ Dausner: Zum Einsatz kommen, S. XXI vgl. Olivenbäume, S. 103-105 et pass. vgl. Vielzeitig, S. 322 et pass. Nrn. 152, 186 Erzberger, Johanna (geb. 1976) Dr. theol., Professorin auf dem Laurentius-Klein-Lehrstuhl für Biblische und Ökumenische Theologie des Theologischen Studienjahres Jerusalem und Dekanin desselben Programms. Nrn. 142, 168 Fetz, Bernhard (geb. 1963) Dr. phil., österreichischer Literaturwissenschaftler, Direktor des Literaturarchivs an der Österreichischen Nationalbibliothek. Elazar Benyoëtz und Harald Weinrich. Ausgewählter Briefwechsel. In: Korrespondenzen, S. 244-254 Nr. 347 Fey, Monika (1949-2018) Langjährige Freundin, Sängerin, Lehrkraft für Gesang und Chorleiterin der Vokalformation „Feyne Töne“, Bearbeiterin der Briefsammlung „Vielzeitig“. „Lebtag und Leseabend“ (2018) ist ihrem Gedenken gewidmet. Nr. 6 Fischer-Buck, Anna Sozialpädagogin und Philosophin, Witwe des Philosophen Franz Fischer und Herausgeberin seiner Werke. Nr. 376 354 Anhang Flügge, Rufus (1914-1995) Ev. Theologe, Stadtsuperintendent in Hannover, in der Friedensbewegung engagiert. Mit Benyoëtz zwanzig Jahre „verbunden“. EB: Nachruf auf Rufus Flügge. In: Rufus Flügge 11.9.1914-21.4.1995; Ansprachen bei der Trauerfeier am 2. Mai 1995 in der Dietrich Bonhoeffer-Kirche Hannover. Privatdruck. S. 7-12 vgl. Olivenbäume, S. 29f. et pass. vgl. Treffpunkt Scheideweg, S. 164-167 vgl. Variationen über ein verlorenes Thema, S. 75 vgl. Vielzeitig, S. 295 et pass. vgl. Scheinhellig, S. 94f. vgl. Aberwenndig, S. 322-330 Nrn. 137, 255 Fodorowicz, Hania M. (geb. 1953) Kommunikationswissenschaftlerin (MA). vgl. Bongardt/ Dausner: Zum Einsatz kommen, S. XXII Nrn. 128, 406, 407 Franziska Wortwährend. Für Franziska. In: Filigranit, S. 25-44 vgl. Olivenbäume, S. 255 vgl. Treffpunkt Scheideweg, S. 184-187 vgl. Vielzeitig, S. 124-131 et pass. Nrn. 228, 257, 258, 266, 271 Fricke, Bettina Ehefrau von Professor Harald Fricke. Nr. 400 Fricke, Harald (1949-2012) Prof. Dr. phil., Literaturwissenschaftler, seit 1984 an der Universität Fribourg. Lyrische Aphoristik. Laudatio auf Elazar Benyoëtz. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2004, S. 185-189 vgl. Vielzeitig, S. 324 et pass. vgl. Olivenbäume, S. 16 et pass. Nrn. 49, 105, 106, 111, 112, 117, 145, 185, 232, 267, 292, 325, 334 Verzeichnis der Briefpartner(innen) 355 Fritz, Walter Helmut (1929-2010) Lyriker, Essayist, Romanschriftsteller, Benyoëtzʼ erste persönliche Beziehung zu einem deutschen Dichter nach dem Weltkrieg. vgl. Humor - Leichtsinn der Schwermut, S. 89 vgl. Olivenbäume, S. 8, 171 et pass. vgl. Vielzeitig, S. 33 et pass. vgl. Aberwenndig, S. 320, 418 Nr. 40 Gauger, Hans-Martin (geb. 1935) Prof. Dr. phil., Romanist, Sprachwissenschaftler und Autor, EB-Rezensent. EB: Mehr Wirbel denn Säule Oder Funmerkungen. In: Hans-Martin Gauger: Das ist bei uns nicht Ouzo. Sprachwitze. München: Beck 2006, S. 90-93 vgl. Olivenbäume, S. 219-220 et pass. vgl. Vielzeitig, S. 326 et pass. Nrn. 54, 56-59, 89, 146, 162-164, 172-176, 178-180, 192-212, 224, 296, 304, 305, 343, 390, 395, 397 Glaus, Daniel (geb. 1957) Schweizer Organist und Komponist. Professor an der Hochschule für Musik und Theater Zürich und der Hochschule der Künste Bern. Organist des Berner Münsters. s. Briefwechsel EB - Daniel Glaus in: Das Kommende ist nicht in Eile (2017), S. 103-109 Nr. 159 Goes, Albrecht (1908-2000) Schriftsteller und protestantischer Theologe; die 1954 erschienene Erzählung „Das Brandopfer“ gilt als Beitrag zu Dialog und Versöhnung von Juden und Christen. In der Festschrift „Aller Worte verschwiegenes Rot. Albrecht Goes zu Ehren“ (hg. von Oliver Kohler, 1993) auf dem Vor- und Nachsatz des Buches EB: Sprache - Schauplatz des Unsichtbaren. vgl. Olivenbäume, S. 75, 87 et pass Nr. 1 356 Anhang Grubitz, Christoph (geb. 1965) Dr. phil., Germanist. Lektor, Wissenschaftsberater, Essayist. Briefwechsel mit EB. ‚Einsatz‘ und Collage. Zur Aphoristik von Elazar Benyoëtz. In: Jüdischer Almanach 1993. Hg. von Jakob Hessing. Frankfurt: Jüdischer Verlag 1992, S. 162-167; Der israelische Aphoristiker Elazar Benyoëtz. Tübingen: Niemeyer 1994 (Conditio Judaica 8); Grubitz, Christoph, Ingrid Hoheisel, Walther Wölpert (Hgg.): Keine Worte zu verlieren. Elazar Benyoëtz zum 70. Geburtstag. Herrlingen 2007; Dasein ist hiersinnig. Wuppertal: NordPark 2017 vgl. Bongardt/ Dausner: Zum Einsatz kommen, S. XXII vgl. Olivenbäume, S. 148-159 et pass. vgl. Vielzeitig, S. 142ff., 260 ff. et pass. Nrn. 30, 127 Heinzerling, Albrecht (Awraham Harel) vgl. Vielzeitig, S. 178 Nr. 135 Helmich, Werner (geb. 1941) Prof. Dr. phil., Romanist an der Universität Graz. Briefwechsel mit EB. Wahrheitsarbeit. Ein Tauchgang in die neuere Poetik von Elazar Benyoëtz. In: Korrespondenzen, S. 59-72 Laudatio. In: Humor - Leichtsinn der Schwermut, S. 127-136 vgl. Bongardt/ Dausner: Zum Einsatz kommen, S. XXIIf. vgl. Vielzeitig, S. 260f. et pass. vgl. Olivenbäume, S. 382-400 Nrn. 69-76, 86-88, 91-93, 95, 120-121, 151, 216-220, 226, 246, 247, 316, 321-323, 328-337, 338, 340-342, 350-352, 355, 356, 386, 388, 389, 391 Hermann, Matthias (geb. 1958) Schriftsteller aus jüdischer Familie in Ost-Berlin, wegen politischer Straftaten in Haft, 1980 von der Bundesrepublik freigekauft. vgl. Humor - Leichtsinn der Schwermut, S. 53 Zwei Gedichte. In: Korrespondenzen, S. 173-175 Nrn. 31, 41 Hertz, Daphne (geb. 1950) Feministische Publizistin. vgl. Vielzeitig, S. 302 Nr. 2 Verzeichnis der Briefpartner(innen) 357 Heuer, Renate (1928-2014) Dr. phil., Germanistin, Leiterin der „Bibliographia Judaica“ und Herausgeberin des „Lexikons deutsch-jüdischer Autoren“. EB: Des Wortes Traum von seiner Silbentreue. Nachruf auf Renate Heuer. In: Korrespondenzen, S. 255-266 vgl. Aberwenndig, S. 280-283 vgl. Vielzeitig, S. 284, 317 et pass. vgl. Olivenbäume, S. 62 et pass. Nr. 140 Heyden, Katharina (geb. 1977) Prof. Dr. theol., ev. Kirchenhistorikerin, Professorin für ältere Geschichte des Christentums und der interreligiösen Begegnungen an der Universität Bern. vgl. Olivenbäume, S. 236 Nr. 167 Hora, Eginhard Literaturwissenschaftler, Verlagslektor, seit 1984 im Hanser-Verlag. Mithg.: Studia Humanitatis. Ernesto Grassi zum 70. Geburtstag. München: Fink 1973 vgl. Vielzeitig, S. 325 Nrn. 254, 256, 259, 261 Horch, Hans Otto (geb. 1944) Prof. Dr. phil., Literaturwissenschaftler, 1990-1992 Gastprofessor in Jerusalem, bis 2009 Inhaber der „Ludwig-Strauß-Professur“ an der RWTH Aachen, Herausgeber der Reihe „Conditio Judaica“. Nrn. 32-33 Hübscher, Angelika (1912-1999) Schriftstellerin. Verlagslektorin. Zeitweise Generalbevollmächtigte der Schopenhauer-Gesellschaft. Nr. 35 Kaiser, Ingeborg (geb. 1930) Deutsch-schweizerische Schriftstellerin, Briefwechsel mit EB. vgl. Bongardt/ Dausner: Zum Einsatz kommen, S. XXIII vgl. Olivenbäume, S. 404-407 Nrn. 10, 14, 15, 23, 64, 85, 114, 188, 190, 213, 214, 236, 353, 403 358 Anhang Kaszyński, Stefan (geb. 1941) Prof. Dr. phil., polnischer Germanist, Aphorismusforscher. Veröffentlichungen u. a.: Die Stimme des Intellekts ist leise. Österreichische Aphorismen. Poznan: ars nova 2000; Kleine Geschichte des österreichischen Aphorismus. Tübingen, Basel: Francke 1999 (Edition Patmos 2); Weltbilder des Intellekts. Erkundungen zur Geschichte des österreichischen Aphorismus. 2. verbesserte und erweiterte Auflage. Wroclaw: ATUT 2005 Nrn. 79-83 Klaes, Rudolf EB lernte ihn bei einer Lesung kennen. Nr. 143 Klatte, Matthias Lebt in Weinsberg, Kerner-Gesellschaft. Nr. 132 Klüpfel, Annette Dr. med., Internistin, Würzburg. Nr. 138 Knapp, Julia (geb. 1984) Literaturwissenschaftlerin, Geschäftsführerin des Jean-Paul-Vereins Bayreuth. Nrn. 123, 215, 384 Kraut, Martina Gymnasiallehrerin in Weinsberg. Nrn. 18, 19, 90, 221, 348, 349 Krüger, Michael (geb. 1943) Schriftsteller, 1986-2013 Verlagsleiter des Hanser-Verlages. Nrn. 187, 189, 253, 269, 284, 394, 398 Langer, Gerhard (geb. 1960) Prof. Dr. theol., österreichischer katholischer Theologe und Judaist, Professor an der Universität Wien. vgl. „Rabbi“ Elazar: Der Midraschist Benyoëtz. In: Korrespondenzen, S. 133-155 Nrn. 153, 154, 158 Verzeichnis der Briefpartner(innen) 359 Lenzen, Verena (geb. 1957) Prof. Dr. theol., Professorin für Judaistik und Theologie Luzern, Gastvorlesungen an der Dormition Abbey in Jerusalem. Briefwechsel mit EB. vgl. Humor - Leichtsinn der Schwermut, S. 41 vgl. Bongardt/ Dausner: Zum Einsatz kommen, S. XXIII vgl. Vielzeitig, S. 182-188, 315 f. et pass. Nrn. 273, 327 Löw, Heinke von (1921-2014) Ökogärtnerin. Mit EB befreundet. 2008 erhielt sie den Ehrenpreis des Bundesumweltministeriums für ihr Lebenswerk. Nr. 268 Lüthy, Norbert (geb. 1953) Studierte Germanistik, Romanistik und Theologie in Zürich und war anschließend 22 Jahre lang im Bankwesen tätig. Lyriker und Aphoristiker. Das Kommende ist nicht in Eile. Zürcher Lesungen 2016. Freundesgabe zum 80., 24. März 2017. Hg. von Norbert Lüthy und Hans-Jürg Stefan. Wuppertal: NordPark 2017 Nr. 408 Manthey, Jürgen (geb. 1932) Prof. Dr. phil., Schriftsteller und Literaturwissenschaftler. Cheflektor des Rowohlt-Verlages. Von 1986 bis 1998 Professor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Essen. Nr. 105 Moser, Annemarie (geb. 1941) Österreichische Schriftstellerin. Nr. 34 Obert, Angelika (geb. 1948) Pfarrerin, von 1993-2014 Rundfunk- und Fernsehbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz für den Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb). Nr. 131 360 Anhang Pfäfflin, Friedrich (geb. 1935) Langjähriger Leiter der Museumsabteilung des Schiller-Nationalmuseums in Marbach. Autor, Herausgeber und Ausstellungsmacher. Nr. 124 Prager, Katharina Historikerin und Kulturwissenschaftlerin. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte und Theorie der Biographie / der Wienbibliothek im Rathaus arbeitet sie an der Neuorganisation des komplexen Karl Kraus-Archivs wie auch an der Erstellung einer Online-Biographie von Karl Kraus. Nr. 249 Pressler, Regina (geb. 1938) Schauspielerin in Hamburg. Nr. 370 Rosenberg, Gertrude (1879-1942) Herkunft aus einer jüdischen Familie Münchens. Dr. phil. 1933 Flucht ins Exil nach Paris. Bekanntschaft mit Paul Celan, dessen Anwalt und Testamentsvollstrecker ihr Ehemann war. Nrn. 108, 141 Rutz, Paul (geb. 1943) kath. Stadtpfarrer in Solothurn bis 2013. Was sich ereignet, findet nicht statt. Solothurner Lesungen 2016 und 2003. Hg. von Paul Rutz und Hans-Jürg Stefan. 2017 vgl. Vielzeitig, S. 322 et pass. Nrn. 373, 374 Schindler, Winfried Schriftsteller, Aphoristiker. Nr. 16 Schultz-Baltensperger, Hildegard (1935-2008) Schulleiterin, Herausgeberin der Briefe an Clara von Bodman. Keine Worte zu verlieren, S. 26f. vgl. Olivenbäume, S. 157 et pass. vgl. Vielzeitig, S. 311f. et pass. Nrn. 26, 229, 270 Verzeichnis der Briefpartner(innen) 361 Silbermann, Edith (1921-2008) Jugendfreundin Paul Celans in Czernowitz. Übersetzerin rumänischer Literatur. Schauspielerin und Sängerin. vgl. Olivenbäume, S. 221 Nrn. 27, 103, 248 Sonnemann, Ulrich (1912-1993) Prof. Dr. phil., Philosoph, Psychologe, pol. Schriftsteller. s. Anm. zu Brief Nr. 28 vgl. Vielzeitig, S. 154 et pass. vgl. Olivenbäume, S. 71f. et pass. Nr. 28 Spicker, Friedemann (geb. 1946) Dr. phil., freier Wissenschaftler und Autor, Aphorismusforscher, Briefwechsel mit EB. Herausgeber dieses Bandes. Aus dem Briefwechsel mit EB: Die Rede geht im Schweigen vor Anker, S. 69-105 vgl. Humor - Leichtsinn der Schwermut, S. 145 vgl. Bongardt/ Dausner: Zum Einsatz kommen, S. XXIV vgl. Olivenbäume, S. 208f. et pass. vgl. Vielzeitig, S. 233-237 et pass. Nrn. 5, 17, 37, 42-48, 50-53, 55, 60-63, 65-67, 77, 80, 107, 109, 110, 115, 116, 125, 144, 147, 149, 150, 171, 191, 233-235, 237-245, 252, 276, 278, 280-282, 288-291, 294, 295, 297-301, 303, 306-312, 320, 324, 339, 346, 357-362, 365-366, 367, 369, 372, 377-382 Stefan, Hans-Jürg (geb. 1936) Pfarrer in Zürich, Hymnologe, Kirchenmusiker, Mitherausgeber der Werke Lavaters. Elazar Benyoëtz - Meister der Aphoristik. Einleitung zur Lesung in der Synagoge Bern. In: Der Kunst ausgesetzt. Beiträge des 5. Internationalen Kongresses für Kirchenmusik, 21.-25. Oktober 2015 in Bern. Hg. von Thomas Gartmann und Andreas Marti. Bern: Lang 2016 Das Kommende ist nicht in Eile. Zürcher Lesungen 2016. Freundesgabe zum 80., 24. März 2017. Hg. von Norbert Lüthy und Hans-Jürg Stefan. 2017 Was sich ereignet, findet nicht statt. Solothurner Lesungen 2016 und 2003. Hg. von Paul Rutz und Hans-Jürg Stefan. 2017 Nrn. 22, 95-101 362 Anhang Stenzel, Jürgen (geb. 1937) Prof. Dr. phil., Literaturwissenschaftler, 1995-2012 Präsident der Lessing-Akademie Wolfenbüttel vgl. Humor - Leichtsinn der Schwermut, S. 113 Lob der Torheit. Für Jürgen Stenzel. In: Filigranit, S. 85-88 Für Jürgen Stenzel zum 14. April 2017 (Mit Einleitung von Ulrich Joost). In: Lichtenberg-Jahrbuch 2016, S. 223-235 vgl. Olivenbäume, S. 15, 169 et pass. vgl. Vielzeitig, S. 305 Nrn. 7, 84, 122, 148, 363 Stüben, Jens (geb. 1952) Dr. phil., Germanist, Lehrbeauftragter an den Universitäten Osnabrück und Oldenburg. Mitorganisator des Symposions „Beiträge jüdischer Autoren zur deutschen Literatur seit 1945“ (Univ. Osnabrück, 2.-5.6.1991) und Mitherausgeber des Acta-Bandes „Wir tragen den Zettelkasten mit den Steckbriefen unserer Freunde“, Darmstadt 1994. Nrn. 104, 104a Sturmann, Manfred (1903-1989) Deutsch-israelischer Lyriker und Erzähler. vgl. Vielzeitig, S. 272 et pass. Nrn. 24-25, 132-134 Talebitari, Burkhard (geb. 1958) Dr. phil., Journalist, Briefwechsel mit EB. vgl. Bongardt/ Dausner: Zum Einsatz kommen, S. XXV vgl. Olivenbäume, S. 256-259 et pass. vgl. Vielzeitig, S. 323 Nrn. 20, 38, 94, 119, 126, 133, 165, 169, 181, 277, 286, 318, 319, 411 Thümler, Walter (geb. 1955) Lyriker, Übersetzer, Herausgeber. Nr. 139 Verzeichnis der Briefpartner(innen) 363 Tourou, Riccarda (geb. 1943) Österreichische Mitarbeiterin in führender Position bei den Vereinten Nationen, Literaturmanagerin und Lektorin. vgl. Olivenbäume, S. 401f. Nrn. 9, 11-13, 183, 317, 368, 402 Voigts, Manfred (geb. 1946) Dr. phil., bis 2011 apl. Prof. für Jüdische Studien und Religionswissenschaft, Universität Potsdam. vgl. Olivenbäume, S. 70 Nrn. 155, 157 Wachinger, Kristian (geb. 1956) Lektor im Hanser Verlag (bis 2015) Nr. 326 Walter, Silja (Schwester M. Hedwig; 1919-2011) Schweizerische Benediktinerin, Schriftstellerin. Was sich ereignet, findet nicht statt. Solothurner Lesungen 2016 und 2003. Im Gedenken an Silja Walter hg. von Paul Rutz und Hans-Jürg Stefan. 2017 vgl. Vielzeitig, S. 322 Nr. 393 Wedekind, Barbara (geb. 1951) Journalistin, Autorin, TV-Produzentin; seinerzeit Verlagsleiterin im Kiefel-Verlag (vgl. Wirklich ist, was sich träumen lässt, 1994). Nrn. 263, 264 Weinrich, Harald (geb. 1927) Prof. Dr. phil., Romanist, Linguist, Schriftsteller, Prof. in München, 1992 bis 1998 am Pariser Collège de France. Elazar Benyoëtz und Harald Weinrich. Ausgewählter Briefwechsel. In: Korrespondenzen, S. 244-254 EB: Deutsch als Fremdsprache. In: Treffpunkt Scheideweg, S. 159-163 EB: In Erinnerung gedacht. Für Harald Weinrich. In: Brüderlichkeit, S. 31-38 vgl. Olivenbäume, S. 101-102, 178-181, 229-231 et pass. vgl. Allerwegsdahin, S. 117f. Nrn. 8, 21, 68, 160, 161, 177, 223, 225, 227, 230, 231, 265, 272, 274, 279, 293, 313-315, 344, 351, 401, 409, 410 364 Anhang Welz, Claudia (geb. 1974) Prof. Dr. theol., Professorin für Systematische Theologie (mit bes. Aufgaben in Ethik und Religionsphilosophie) und Gründungsdirektorin des Center for the Study of Jewish Thought in Modern Culture (CJMC) an der Universität Kopenhagen, 1999/ 2000 ökumenisches Studienjahr in Jerusalem. EB, Claudia Welz: SinnSang: Poesie und Theologie. Aphorismen - Essays - Briefe. Wuppertal: NordPark 2019 vgl. Bongardt/ Dausner: Zum Einsatz kommen, S. XXV; Vielzeitig, S. 209-216, 321; Gebet, Theologie und die Stimme der Stille. Elazar Benyoëtzʼ Sandkronen . In: Korrespondenzen, S. 73-96 vgl. Olivenbäume, S. 131-139 et pass. vgl. Vielzeitig, S. 209-216 et pass. Nrn. 275, 283, 405 Wiedemann, Conrad (geb. 1937) Prof. Dr. phil., Literaturwissenschaftler an der TU Berlin 1989-2004. vgl. Olivenbäume, S. 43-44, 206 vgl. Brüderlichkeit, S. 42 Nr. 260 Wirth, Michael Mitherausgeber der „Schweizer Monatshefte“. Nr. 36 Wölpert, Walther Kaufmann in Neu-Ulm, großer Leser, Bücher- und Autographensammler in Herrlingen. Von „Treffpunkt Scheideweg“ angetan, veranstaltete er für den Rotary Club am 29. März 1993 eine erste Lesung in seinem Jagdschloss Muschenwang bei Ulm. Das war die Geburtsstunde der Herrlinger Drucke. vgl. Olivenbäume, S. 27 et pass. Nr. 262 Wohlmuth, Josef (geb. 1938) Prof. Dr. theol., kath. Theologe in Bonn. „Zu Liedern sind mir geworden deine Gebete im Hause meiner Fremdlingsherrschaft“ (Ps. 119, 54). Elazar Benyoëtz als poetischer Interpret der Tora. In: Korrespondenzen, S. 113-132 vgl. Bongardt/ Dausner: Zum Einsatz kommen, S. XXVI vgl. Keine Worte zu verlieren, S. 92f. Nrn. 184, 354, 404 Verzeichnis der Briefpartner(innen) 365 Wolitz, Ulrike (geb. 1961) Dr. phil., Herausgeberin der Werke Silja Walters. Nr. 333 Zwanger, Helmut (geb. 1942) Ev. Pfarrer, bis 2005 an der Martinskirche in Tübingen, Schriftsteller, engagierte sich für den jüdisch-deutschen Dialog. Nrn. 182, 222 366 Anhang Die Werke Elazar Benyoëtz’ (selbstständige Publikationen in Auswahl) Sahadutha. Berlin: Paian 1969. Annette Kolb und Israel. Heidelberg: Stiehm 1970 (Literatur und Geschichte 2). Einsprüche. München: Müller 1973. Einsätze. München: Müller 1975. Worthaltung. Sätze und Gegensätze. München: Hanser 1977. Eingeholt. Neue Einsätze. München, Wien: Hanser 1979. Vielleicht - vielschwer. Aphorismen. München, Wien: Hanser 1981. Treffpunkt Scheideweg. München, Wien: Hanser 1990. Filigranit. Ein Buch aus Büchern. Göttingen: Steidl 1992. Paradiesseits. 2. Auflage. Herrlingen 1993 (Herrlinger Drucke 1). Taumeltau. Herrlingen 1993 (Herrlinger Drucke 2). Träuma. Herrlingen 1993 (Herrlinger Drucke 3). Beten. Herrlingen 1993 (Herrlinger Drucke 4). Wirklich ist, was sich träumen lässt. Gedanken über den Glauben. Wuppertal, Gütersloh: Kiefel 1994. Hörsicht. Herrlingen 1994 (Herrlinger Drucke 5). Brüderlichkeit. Das älteste Spiel mit dem Feuer. München, Wien: Hanser 1994. Endsagung. Herrlingen 1995 (Herrlinger Drucke 6). Identitäuschung. Herrlingen 1995 (Herrlinger Drucke. 1. Sonderheft). Querschluß. Herrlingen 1995 (Herrlinger Drucke 7). Entwirt. Herrlingen 1996 (Herrlinger Drucke. 2. Sonderheft). Variationen über ein verlorenes Thema. München, Wien: Hanser 1997. Keineswegs. Herrlingen 1998 (Herrlinger Drucke NF 1). Anschluß. Herrlingen 1999 (Herrlinger Drucke NF 2). Ichmandu. Eine Lesung. Herrlingen 2000 (Herrlinger Drucke NF 3). Die Zukunft sitzt uns im Nacken. München, Wien: Hanser 2000. Allerwegsdahin. Mein Weg als Jude und Israeli ins Deutsche. Zürich, Hamburg: Arche 2001. Der Mensch besteht von Fall zu Fall. Aphorismen. Mit einem Nachwort von Friedemann Spicker. Leipzig: Reclam 2002. Hinnämlich. Herrlingen 2003 (Herrlinger Drucke NF 4). Finden macht das Suchen leichter. München, Wien: Hanser 2004. Die Eselin Bileams und Kohelets Hund. München: Hanser 2007. Die Rede geht im Schweigen vor Anker. Aphorismen und Briefe. Hg. von Friedemann Spicker. Dortmund: Brockmeyer 2007 (dapha-drucke 1). Das Mehr gespalten. Einsprüche. Einsätze. Jena: Edition Azur 2007. Scheinhellig. Variationen über ein verlorenes Thema. Wien: Braumüller 2009. Fraglicht. Aphorismen 1997-2007. Wien: Braumüller 2010. Sandkronen. Eine Lesung. Wien: Braumüller 2012. Die Werke Elazar Benyoëtz’ 367 Zeit ist Aufgabe. Worte Sahaduthas. Mit einem Nachwort des Autors. Hg. von Hans- Horst Skupy. Fernwald: litblockin 2014. Am Anfang steht das Ziel und legt die Wege frei. Eine Lesung. Mit CD. Berlin: Hentrich & Hentrich 2015. Das Feuer ist nicht das ganze Licht. Lesungen. Mit 9 Miniaturen von Metavel und einer Doppel-CD. Schaan: Edition Eupalinos 2015. Auch Kürze hat ihre Maßlosigkeit; Friedemann Spicker, Jürgen Wilbert: Deutschsprachige jüdische Aphoristik. Mit Miniaturen von Metavel. Bochum: Brockmeyer 2015. Beteuert und gebilligt. Eine Lesung. Hg. von Irene Bulasikis. Mödling: Bellaprint 2016. Was nicht zündet, leuchtet nicht ein. Ein Büchlein vom Menschen und seiner Ausgesprochenheit. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Andreas Steffens. Wuppertal: NordPark 2016. Das Kommende ist nicht in Eile. Zürcher Lesungen 2016. Freundesgabe zum 80., 24. März 2017. Hg. von Norbert Lüthy und Hans-Jürg Stefan. Wuppertal: NordPark 2017. Was sich ereignet, findet nicht statt. Solothurner Lesungen 2016 und 2003. Hg. von Paul Rutz und Hans-Jürg Stefan. Wuppertal: NordPark 2017. Aberwenndig. Mein Weg als Israeli und Jude ins Deutsche. Würzburg: Königshausen und Neumann 2018 [Neufassung von „Allerwegsdahin“, 2001]. Feindeutig. Eine Lesung. Würzburg: Königshausen und Neumann 2018. Lebtag und Leseabend. Wuppertal: NordPark 2018. Allsamkeit. Eine Lesung. Kamenz 2018. Gottik. Eine Lesung. Würzburg: Königshausen und Neumann 2019. Nadelind. Prosamen. Würzburg: Königshausen und Neumann 2019. (gemeinsam mit Claudia Welz): SinnSang: Poesie und Theologie. Aphorismen - Essays - Briefe. Wuppertal: NordPark 2019. 368 Anhang Briefeditionen (kleinere Einzelsammlungen in Auswahl) Benyoëtz, Elazar: Annette Kolb und Israel. Heidelberg: Stiehm 1970 (Literatur und Geschichte 2), Briefe S. 102-157. —-: Paul Engelmann, Der Andere. Ein Teppich, aus Namen geknüpft, zu seinem Gedenken aufgerollt. In: Wittgenstein-Jahrbuch 2001/ 2002. Frankfurt a. M.: Peter Lang 2003, S. 369-427; Briefwechsel S. 413-427. —-: Die Rede geht im Schweigen vor Anker. Aphorismen und Briefe. Hg. von Friedemann Spicker. Bochum: Brockmeyer 2007: Elazar Benyoëtz und Friedemann Spicker: Aus dem Briefwechsel, S. 69-105. —-: Vielzeitig. Briefe 1958-2007. Bochum: Brockmeyer 2009. —-: Olivenbäume, die Eier legen. Ein Nachbuch. Wien: Braumüller 2012: U. a. Briefwechsel mit Werner Helmich, S. 382-400. —-: Lebtag und Leseabend. Wuppertal: NordPark 2018: Briefwechsel mit Monika Fey, S. 99-126. Bodman, Clara von, Elazar Benyoëtz: Solange wie das eingehaltene Licht. Briefe 1966-1982. Hg. von Hildegard Schultz-Baltensperger. Konstanz: Harting-Gorre 1989. Fetz, Bernhard, Michael Hansel, Gerhard Langer (Hgg.): Elazar Benyoëtz - Korrespondenzen. Wien: Zsolnay 2014 (Profile 21): Worte, die warten müssen - Wartende Worte. Ein Briefwechsel zwischen Elazar Benyoëtz und Arne Grøn, S. 234-243; Elazar Benyoëtz und Harald Weinrich: Ausgewählter Briefwechsel, S. 244-254. Grubitz, Christoph: Der israelische Aphoristiker Elazar Benyoëtz. Tübingen: Niemeyer 1994 (Conditio Judaica 8): ICHMANDU oder: Was nicht trifft, kommt nicht an. Briefe an Christoph Grubitz 1987-1992, S. 192-213. —-: Dasein ist hiersinnig. Über Elazar Benyoëtz. Wuppertal: NordPark 2017: Aus dem Briefwechsel zwischen Elazar Benyoëtz und Christoph Grubitz, S. 95-121. Grundner, Klaus-Jürgen, Dieter Holz (+), Heinrich Kleiner, Heinrich Weiß (Hgg.): Exzerpt und Prophetie. Gedenkschrift für Michael Landmann (1913-1984). Würzburg: Königshausen & Neumann 2001: Ein Teppich, aus Namen geknüpft, zum Gedenken an Michael Landmann aufgerollt, S. 33-57. Hoiß, Barbara, Julija Schausberger (Hgg.): Das gerichtete Wort. Briefe von und an Elazar Benyoëtz. Mit einem Editorial von Johannes Holzner. http: / www.uibk.ac.at/ brenner-archiv/ editionen/ benyoetz. 2007 ff. Isele, Klaus (Hg.): Ingeborg Kaiser: Porträts, Lesarten und Materialien zu ihrem Werk. Norderstedt: Books on demand 2016: Elazar Benyoëtz - Ingeborg Kaiser. Die Freunde des Dichters machen die Lesbarkeit seines Werkes aus. Aus dem Briefwechsel 2004-2016, S. 56-84. Rutz, Paul, Hans-Jürg Stefan (Hgg.): Was sich ereignet, findet nicht statt. Solothurner Lesungen 2016 und 2003. Im Gedenken an Silja Walter hg. Wuppertal: NordPark 2017: Aus dem Briefwechsel mit Silja Walter, S. 61-91. Zabel, Hermann, Andreas Disselkötter, Sandra Wellingshoff (Hgg.): Stimmen aus Jerusalem. Zur deutschen Sprache und Literatur in Palästina/ Israel. Berlin: Deutsch-Israelische Bibliothek Bd. 2, 2006, S. 350-352: Briefe von Walter A. Berendsohn 1966-1975. Sekundärliteratur 369 Sekundärliteratur (in Auswahl und mit Annotationen der jüngeren Literatur) Becker, Thomas: Der Zweifel ist unsere Rettung. In: Publik-Form Extra Leben. Oktober 2015, S. 30-32. Bongardt, Michael (Hg.): Humor - Leichtsinn der Schwermut. Zugänge zum Werk von Elazar Benyoëtz. Bochum: Brockmeyer 2010. [Sammelband der Beiträge der Tagung auf der Burg Rothenfels und der Ehrung in Würzburg 2007 (die Laudationes Hans-Martin Gaugers [zu Sprache und Bibel] sowie Werner Helmichs [das aphoristische Verfahren] und Robert Menasses [Wien 2009], Beiträge u. a. von Michael Bongardt [Glaube und Humor], Erich Garhammer [Benyoëtz und die deutsche Sprache], René Dausner [Ironie], Christoph Grubitz [Brief und Dialog], dazu die Lesung Benyoëtz’ zu seinem 70. Geburtstag sowie die biographisch wichtige Dankrede Januar 2009)] —-(Hg.): -Zugrunde gegangen und in die Jahre gekommen. Gabe an den Dichter Elazar Benyoëtz zu seinem 80. Geburtstag. Würzburg: Königshausen und Neumann 2019. [Dokumentation des Symposiums am 15. und 16. Mai 2017 in Berlin, u. a. Originalbeiträge von Katharina Heyden [zur Bibliographia Judaica ], Lydia Koelle [zu Paul Celan], Claudia Welz [zu Margarete Susman], Christoph Markschies, René Dausner und Michael Bongardt, dazu Elazar Benyoëtz, Lesung (S. 29-69), „Fragmente für Lydia“ [zu Paul Celan] (S. 119-136) und - als Beigabe - „Die Übersetzung als Monolog (1963)“ (S. 216-222) sowie Dokumente zur Entstehung der Bibliographia Judaica ; „Gesamtbibliographie“ S. 245-253.] —-, René Dausner (Hgg.): Zum Einsatz kommen. „Die Eselin Bileams und Kohelets Hund“ von Elazar Benyoëtz. Vielstimmig gelesen zu seinem 75. Geburtstag. Münster: Aschendorff 2012. [Der Text des Buches mit Kommentaren von Begleitern Benyoëtzʼ in der Tradition des theologischen Sentenzenkommentars] —-: Ein Weg ins Deutsche. Biographie, Dichtung und Glaube im Werk des israelischen Autors Elazar Benyoëtz. Bremen: Edition lumiere 2013. Dausner, René: Zerbrechende Zeit. Zum Motiv der Zukünftigkeit im Werk von Elazar Benyoëtz. In: Akzente 51, 2004, S. 48-54. —-: Die hinterlassene Spur. Elazar Benyoëtz liest Franz Rosenzweig. In: Franz Rosenzweigs „neues Denken“. Internationaler Kongreß Kassel 2004. Hg. von Wolfdietrich Schmied-Kowarzik. Bd. II: Erfahrene Offenbarung - in theologos. Freiburg, München: Alber 2006, S. 892-910. —-: Schreiben wie ein Toter. Poetologisch-theologische Analysen zum deutschsprachigen Werk des israelisch-jüdischen Dichters Elazar Benyoëtz. Paderborn u.a.: Schöningh 2007 (Studien zu Judentum und Christentum). [Theologische Erörterung von Zentralbegriffen Elazar Benyoëtzʼ (EinSatz, Bodenlosigkeit, Variationen, Worthaltung). Kernbegriffe: Haltung, Autorität, Erinnerung; Übersetzung, Sprache und Verantwortung] 370 Anhang Fetz, Bernhard, Michael Hansel, Gerhard Langer (Hgg.): Elazar Benyoëtz. Korrespondenzen. Wien: Zsolnay 2014 (Profile 21). [Nach „Folgenichtig“, einer biographisch orientierten Einführung des Autors, u. a. theologische (Claudia Welz [zu „Sandkronen“], Josef Wohlmuth [Benyoëtz als poetischer Interpret der Tora], Gerhard Langer [der „Midraschist“], Michael Bongardt [Beten, im doppelten Blick auf EB-Texte und die Bibel] und literaturwissenschaftliche Beiträge (Ilse Somavila [Wittgenstein und Benyoëtz], Daniela Strigl [Benyoëtz und Kraus], Werner Helmich [zur Poetik], Friedemann Spicker [zu Epistolographie und Aphoristik. Bildteil.] Frettlöh, Magdalene L., Matthias Käser-Braun (Hgg.): Zitat und Zeugenschaft. Eine Spurensuche im Werk von Elazar Benyoëtz. Dokumentation eines Studientags zu und mit Elazar Benyoëtz am 7. November 2016 an der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Uelzen: Erev-Rav 2017. [Theologisch orientierte Beiträge u. a. von Lydia Koelle (Sprache und Zeugenschaft), Katharina Heyden (zur theologischen Bedeutung des Zitierens), Magdalene L. Frettlöh (über „Sahadutha“, vom Zeugnis zum Zeugen), Norbert Lüthy und Matthias Käser-Braun (über Hiob), Ralph Kunz (Theodizee), Claudia Welz (Zweifel). Mit einer Danklesung des Autors, u. a. zur geschichtlichen Situation seines Anfangs.] Fricke, Harald: Lyrische Aphoristik. Laudatio auf Elazar. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2004, S. 185-189. [Benyoëtz als eigenständiger Erbe von Kraus und Canetti, jüngstes Glied der hebräischen Spruch-Tradition wie der Wiener Aphoristik. Gedankentiefe Prosa und gedichtnahe Form zu einem neuen Gebilde verschmolzen: dem lyrischen Aphorismus.] Gauger, Hans-Martin: Elazar Benyoëtz - der Wortspieler. In: Sprach-Spiel-Kunst. Ein Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis. Hg. von Esme Winter-Froemel. Berlin: de Gruyter 2019, S. 143-155. Grubitz, Christoph: ‚Einsatz‘ und Collage. Zur Aphoristik von Elazar Benyoëtz. In: Jüdischer Almanach 1993. Hg. von Jakob Hessing. Frankfurt: Jüdischer Verlag 1992, S. 162-167. —-: Der israelische Aphoristiker Elazar Benyoëtz. Tübingen: Niemeyer 1994 (Conditio Judaica 8). [Rez. Delphine Bechtel in: Études germaniques 52, 1997, S. 470f. Leitfragen: An welchen Verfahren (1), Themen (2), Merkmalen seiner Texte (3) lassen sich Nähe bzw. Distanz zur deutschsprachigen Aphoristik festmachen? - Die detaillierte, theoretisch (textlinguistisch wie philosophisch) breit abgesicherte Untersuchung analysiert die poetischen Verfahrensweisen, geht dann auf die wesentlichen Themen ein und sucht schließlich die Stellung des Autors zwischen der deutschsprachigen Aphoristik und der hebräischen Spruchdichtung zu bestimmen.] —-, Ingrid Hoheisel, Walther Wölpert (Hgg.): Keine Worte zu verlieren. Elazar Benyoëtz zum 70. Geburtstag. Herrlingen 2007. [„Minima poetica“, kleinere literaturwissenschaftliche Beiträge u. a. von Werner Helmich, Harald Weinrich, Johann Holzner, Christoph Grubitz, Harald Fricke, Helmuth Sekundärliteratur 371 Berthold, Andreas Steffens und Jürgen Stenzel; christliche Perspektiven (Karl-Josef Kuschel, Josef Wohlmuth u. a.); Zeugnisse von Weggefährten.] —-: Artikel Elazar Benyoëtz. In: Andreas B. Kilcher (Hg.): Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur. Stuttgart/ Weimar: Metzler 2000, S. 58-61. —-: Dasein ist hiersinnig. Über Elazar Benyoëtz. Wuppertal: NordPark 2017. [Gesammelte Rezensionen aus dem Blog des Autors, zu „Vielzeitig“, „Scheinhellig“, „Auch Kürze hat ihre Maßlosigkeit“, „Das Feuer ist nicht das ganze Licht“, „Am Anfang steht das Ziel und legt die Wege frei“, „Beteuert und gebilligt“, „Was nicht zündet, leuchtet nicht ein“, „Das Kommende ist nicht in Eile“] Janik, Allan: Rez. Benyoëtz, Die Zukunft sitzt uns im Nacken. In: Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv 19, 2000, S. 94-98. Mieder, Wolfgang: „Des Spruches letzter Spruch ist der Widerspruch“. Zu den redensartlichen Aphorismen von Elazar Benyoëtz. In: Modern Austrian Literature 31, 1998, S. 104-134. - Wiederabdruck in W. M.: Sprichwörtliche Aphorismen. Von Georg Christoph Lichtenberg bis Elazar Benyoëtz. Wien: Edition Praesens 1999, S. 274-301. [Redensart, Wortspiel, Sprichwortweiterführung als Quellen neuer Erkenntnis.] Pazi, Margarita: Deutschsprachige Literatur und Autoren in Israel. In: Kontroversen, alte und neue. Akten des VII. Internationalen Germanisten-Kongresses Göttingen 1985. Bd. 5. Tübingen: Niemeyer 1985, S. 259-60. Steffens, Andreas: Zugetan und Zugedacht. Anthropoesie und Menschenwissenschaft: Elazar Benyoëtz und Ulrich Sonnemann. In: Elazar Benyoëtz: Was nicht zündet, leuchtet nicht ein. Ein Büchlein vom Menschen und seiner Ausgesprochenheit. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Andreas Steffens. Wuppertal: NordPark 2016, S. 93-117. —-: Anthropoesie. Gedankendichtung und Menschendenken. Das Paradigma Elazar Benyoëtz. Wuppertal: NordPark 2019. [Benyoëtzʼ Sprachwerk als Beitrag zu Ulrich Sonnemanns Geschichtsdenken und zur apokryphen Gattung einer ,Anthropoesieʻ, in der Gedankendichtung zu einer Gestalt wird, zu denken, was ein Mensch ist. (Ausarbeitung des Nachwortes zu „Was nicht zündet, leuchtet nicht ein“)] Stüssi, Anna: Artikel Benyoëtz. In: Deutsches Literatur-Lexikon. Ergänzungsband 1. Hg. von Heinz Rupp und Carl Ludwig Lang. Bern: Saur 1994, Sp. 691. Wallas, Armin A.: „Von der hebräischen zur deutschen Sprache - Elazar Benyoëtz“. In: Handbuch zur deutsch-jüdischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Hg. von Daniel Hoffmann. Paderborn u. a.: Schöningh 2002, S. 466-468. Wetterwald, Deborah: Konzision in den Aphorismen von Lichtenberg, Kraus und Benyoëtz. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2010, S. 101-109. [Der kurze Aufsatz geht nur auf Lichtenberg ein.] Wittbrodt, Andreas: ‚Hebräisch im Deutschen.‘ Das deutschsprachige Werk von Elazar Benyoëtz. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 121, 2002, S. 584-606. [Benyoëtzʼ Werk in deutscher Sprache und zugleich in hebräischen Formen, seine Aphoristik als Weisheitsliteratur in der Tradition Kohelets] 372 Anhang Zetzsche, Cornelia: Artikel Benyoëtz. In: Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1945. Begründet von Hermann Kunisch, fortgeführt von Herbert Wiesner, Sibylle Cramer und Dietz-Rüdiger Moser. Neu hg. von Thomas Kraft. Vollständig überarbeitete und aktualisierte Neuausgabe. München: Nymphenburger 2003, S. 105-107. Literatur des Herausgebers zu Elazar Benyoëtz 373 Literatur des Herausgebers zu Elazar Benyoëtz (chronologisch) Aphorismen der Weltliteratur. Stuttgart: Reclam 1999, S. 207-212. 2., erweiterte und aktualisierte Auflage 2009, S. 220-228. (Herausgabe) Elazar Benyoëtz: Der Mensch besteht von Fall zu Fall. Aphorismen. Leipzig: Reclam 2002, Nachwort S. 193-206. 2. Auflage: Stuttgart: Reclam 2009 (Reclam-Taschenbuch 20176), S. 193-200. Der deutsche Aphorismus im 20. Jahrhundert. Spiel, Bild, Erkenntnis. Tübingen: Niemeyer 2004, S. 786-808. Zwölf Gründe, Elazar Benyoëtz zu lesen [Aphorismen]. In: Rothenfelser Burgbrief 1, 2005, S. 25. Wiederabgedruckt in: Michael Bongardt (Hg.): Humor - Leichtsinn der Schwermut. Zugänge zum Werk von Elazar Benyoëtz. Bochum: Brockmeyer 2010, S. 145. „Auf der Grenze liegen immer die seltsamsten Geschöpfe“. Elazar Benyoëtz, als eine Einführung zum Folgenden. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2006, S. 9-14. „Mystik und Aphorismus. Mystik-Modelle des 20. Jahrhunderts in aphoristisch bestimmten Mischgattungen der Moderne“. In: Kleine Prosa. Theorie und Geschichte eines Textfeldes im Literatursystem der Moderne. Hg. von Thomas Althaus, Wolfgang Bunzel und Dirk Göttsche. Tübingen: Niemeyer 2007, S. 315-328, zu EB S. 319f. Elazar Benyoëtz. In: Kritisches Lexikon der Gegenwartsliteratur. München: text und kritik. S. 1-10, A-F. 85. Nachlieferung März 2007. Elazar Benyoëtz: Die Rede geht im Schweigen vor Anker. Aphorismen und Briefe. Bochum: Brockmeyer 2007 (dapha-drucke 1). (Herausgabe) Kurze Geschichte des deutschen Aphorismus. Tübingen: Francke 2007, S. 244-247. „Aphorismen - / Prosamen.“ Über Saat und Lese. In: Christoph Grubitz, Ingrid Hoheisel, Walther Wölpert (Hgg.): Keine Worte zu verlieren. Elazar Benyoëtz zum 70. Geburtstag. Herrlingen 2007, S. 65-69. Elazar Benyoëtz und Lichtenberg. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2009, S. 113-116. Rez. Benyoëtz, Scheinhellig. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2010, S. 342. Es lebt der Mensch, solang er irrt. Deutsche Aphorismen. Stuttgart: Reclam 2010, S. 262-279. (Herausgabe) Allesamt Nachfolger - in den Spuren Lichtenbergs? Zu einigen aphoristischen Neuerscheinungen. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2011, S. 206-215. (Sammelrez. u. a. zu Benyoëtz, Fraglicht) „Das gerichtete Wort“ oder „Briefeschreiben als Passion und Schule“. Epistolographie und Aphoristik bei Elazar Benyoëtz. In: Elazar Benyoëtz - Korrespondenzen. Hg. von Bernhard Fetz, Michael Hansel und Gerhard Langer. Wien: Zsolnay 2014 (Profile 21), S. 213-227. Elazar Benyoëtz: Auch Kürze hat ihre Maßlosigkeit. Eine Lesung; Friedemann Spicker, Jürgen Wilbert: Deutschsprachige jüdische Aphoristik. Ein Überblick im Dialog. Bochum: Brockmeyer 2015, S. 93-96. 374 Anhang „Wer hat zu entscheiden, wohin ich gehöre? “ Die deutsch-jüdische Aphoristik. Göttingen: V&R unipress 2017 (Poetik, Exegese und Narrative 7), S. 159-166 et pass. Rez. Benyoëtz, Aberwenndig. In: Lichtenberg-Jahrbuch 2018, S. 329-331. Personenregister Abel 150 f., 173 Abraham 8, 131, 149, 151 f., 156 f., 164 ff., 181, 315, 318 Achmatowa, Anna 38 Adler, Hans Günter 26 f., 81 f., 89, 140, 289, 302 Adler, Jeremy 140 Adorno, Theodor W. 289 Agnon, Samuel 124, 130 f. Albrecht, Fabri 46 Allemand, Beat 310 Alves-Christe, Silke 40 Arendt, Hannah 40, 44, 289, 302 Arnim, Achim von 279 Arnold, Heinz Ludwig 34, 58, 289 Auden, Wystan Hugh 59, 81 f., 289 Auerbach, Berthold 120 Auerbach, Erich 177 Ausländer, Rose 289 Baader, Johannes 103 f., 339 Bachmann, Ingeborg 79 Bader, Günter 112, 308 Ball, Hugo 27, 147 Barenboim, Daniel 145 Barner, Wilfried 7 Beer-Hofmann, Richard 41 Behr, Isachar Falkensohn 243 Bekemeier, Anemone 38 Ben-Chorin, Schalom 220, 289 f. Bender, Hans 41, 302 Benjamin, Walter 79, 237 Benn, Gottfried 61, 73, 114 Bergengruen, Werner 60 f. Berger, Erich 134 Bergmann, Hugo 42 ff., 215, 252, 289 Bernays, Jacob 101, 103, 227 Bertram, Ernst 69-75 Bialik, Chaim Nachman 130 f. Biermann, Wolf 65 Blass, Ernst 121 Blüher, Hans 223, 225 Bodman, Clara von 13 f., 34 ff., 44, 56, 99 f., 110, 117, 123, 190 f., 219, 229, 289 f., 327, 333, 335 f. Bodman, Emanuel von 13, 35 ff., 116 f., 320 Bongardt, Michael 21, 152, 177, 183 f., 245, 247, 254, 304, 317 f., 320, 329 Bonhoeffer, Dietrich 162 Bonne, Anne Gyrithe 216 f. Borchardt, Rudolf 86, 296 Borges, Jorge Luis 188 f. Bormann, Alexander von 15, 329, 331 Bormann, Edwin 183 Bornkamm, Günther 161 f. Brambach, Rainer 93 Brandis, Tilo 297 Brandt, Willy 80 Braun, Felix 133 Braun-Prager, Käthe 133, 210 Brecher, Adolf 255 Brecht, Bertolt 79 Breitbach, Joseph 37, 78 Brenner, Josef Chaim 130 f. Brentano, Clemens 279 Brinckmann, Ludwig 14, 149, 315, 329 Broch, Hermann 234 ff. Bruckner, Anton 114 f. Bruckstein, Shulamith 131 Buber, Martin 9, 34, 37, 118, 132, 141 f., 215, 264, 289, 291 Bubert, Helga 301 Büchner, Ludwig 61 Burckhardt, Carl J. 44, 232 f., 289 Burkart, Erika 46 376 Personenregister Camus, Albert 274 Canetti, Elias 7 f., 49 f., 52, 54, 79 f., 82-85, 118 f., 140, 208, 211, 219, 338 Canetti, Veza 84 Celan, Paul 79, 118, 137, 235, 239, 252 Chamisso, Adelbert von 21 Chamisso, Dorothee von 21, 287 Cioran, E. M. 191, 212 Coryllis, Peter 51 Croce, Benedetto 89, 144 f., 177, 328 Curtius, Ernst Robert 174, 177 Czeguhn, Jutta 77 Czernin, Franz Josef 267 f. Dalferth, Ingolf U. 309 f. Däubler, Theodor 67 Dausner, René 21, 138, 166, 169 f., 211, 318, 323 David 107, 153 ff., 160, 173, 175, 185, 318 f. Dedecius, Karl 49 f., 78-81, 84 Descartes, René 117 Deschner, Karlheinz 60 f. Diels, Hermann 210 Doerdelmann, Bernhard 51 Dove, Alfred 319 Drews, Arthur 156 Drews, Jörg 243 Droste-Hülshoff, Annette von 100, 116, 127, 261 Dürrenmatt, Friedrich 34 Ebner-Eschenbach, Marie von 55, 79, 117 Ebner, Ferdinand 7, 85, 284 Echte, Bernhard 190 f. Edschmid, Kasmir 290 Ehrenstein, Albert 296 Eisenberg, Peter 186 Elija (Prophet) 59, 127 Engelmann, Paul 50, 52 f., 55 f., 98 f., 140, 169, 215, 246 f., 252, 255, 289 f. Eppelsheimer, Hans W. 289 f. Erzberger, Johanna 131, 150, 318 Eulenberg, Herbert 60 Ewald, Oscar 104 f., 133 Fest, Joachim 60 f. Fetz, Bernhard 139, 193, 283 Fey, Monika 7, 16, 243 f., 296 f., 328 f. Ficker, Ludwig von 284 Fischer-Buck, Anna 304 Fischer, Samuel 78 Flügge, Rufus 39, 127, 138, 221 Fodorowicz, Hania M. 119, 323 Forst de Battaglia, Otto 79 Foucault, Michel 334 Franz von Assisi 160 Frenzel, Herbert A. 210 Freud, Sigmund 65, 132 Fricke, Bettina 320 Fricke, Harald 7, 21, 55, 101 f., 106, 111 f., 134, 169, 201, 208, 231, 249, 268, 273, 277, 320 Friedrich, Hugo 59, 174, 177, 276 Fritz, Walter Helmut 46, 67, 287, 289 Fulda, Ludwig 114, 293 Gauger, Hans-Martin 58-62, 85, 135, 145 ff., 153-159, 162, 173, 175-181, 183-188, 195, 198, 248 f., 251, 255 f., 278 f., 312, 316, 318, 328, 330 George, Stefan 72, 108, 134 Gerster, Lore 36 Glaus, Daniel 91, 143 Gnessin, Uri Nissan 130 f. Goes, Albrecht 13, 105, 289 Goethe, Johann Wolfgang von 28, 52, 102, 104, 160, 175, 206, 208, 243, 287, 328 Goldberg, Oskar 137 f., 141 f. Goldschmidt, Georges-Arthur 179 Goll, Claire 252, 289 Goll, Yvan 252 Gómez Dávila, Nicolás 76, 87 ff. Göpfert, Herbert G. 80 f. Gottlieb, Else 242 Gozlan, Felix 169 Personenregister 377 Graff, Sigmund 51 f. Grubitz, Christoph 21, 34, 38, 118 f., 211 f., 327, 330 f. Grüterich, Tobias 260 Gundolf, Friedrich 19, 330 Günther, Joachim 66, 76 f., 105, 110, 328 Habeck, Fritz 200 Haecker, Theodor 7 Hagar 165 f. Hakel, Hermann 64 f. HaNagid, Shmuel 117 Handke, Peter 45 Hanser, Carl 52, 103, 219 Haringer, Jakob 296 Hauptmann, Gerhart 213 Hausdorff, Felix s. Mongré Hebbel, Friedrich 72, 208, 287 Hebel, Johann Peter 120 Hecker, Max 102 Heidegger, Martin 118, 186, 209 f. Heine, Heinrich 65, 104, 107, 147 Heinzerling, Albrecht 125 Heller, Erich 175 f., 289 Hellmann, Hanna 290 f. Helmich, Werner 21, 69 f., 74 ff., 82, 84, 87, 89 f., 114 f., 138, 191 ff., 195, 212 f., 262 f., 265-268, 270 ff., 274 f., 278 f., 286, 288, 295, 310-313, 327, 331 Hennings, Emmy 26 f. Herbert, Zbigniew 79 Herder, Johann Gottfried 140 Hermann, Matthias 38, 47, 289, 330 Hermlin, Stephan 65 Hertz, Daphne 13 f., 191, 333 Hesse, Hermann 105, 121 Hessing, Jakob 65, 260 Heuer, Renate 130, 225 Heuschele, Otto 33, 51 f., 109 f., 123 Heyden, Katharina 21, 150, 318 Heym, Georg 98 Heyse, Paul 101, 319 Hillel 239 Hille, Peter 7 Hiob 8, 44, 160, 166 Hippokrates 153, 236, 238, 320 f. Hoddis, Jakob van 56, 98, 252 Hofmannsthal, Hugo von 108, 110, 133 Hohl, Ludwig 52 f. Hohoff, Curt 67 f. Hölderlin, Friedrich 40, 316 Holthusen, Hans Egon 59, 67 Holzner, Johann 21, 249, 268, 289, 296 Hora, Eginhard 170, 221 f., 227 Horch, Hans Otto 40 Hübscher, Angelika 42 Hübscher, Arthur 42 ff., 47, 289 f. Huch, Ricarda 97, 226 Hühnerfeld, Paul 108 f. Husserl, Edmund 104, 209 Immerwahr, Raymond 100 Isaak 149, 165 Isele, Klaus 29, 322 Jacobi, Friedrich Heinrich 106 Jäger, Lorenz 137 Jean Paul 116, 324 Jesus 95, 128 f., 149, 152, 156, 158-162, 166, 172 Johannes (Evangelist) 160 ff., 271, 339 Jonas, Hans 112 Joost, Ulrich 106 f., 244 f., 251, 282 f. Joubert, Joseph 55, 191 Jünger, Ernst 58, 114, 289 Jünger, Friedrich Georg 289 Kafka, Franz 7, 9, 44, 249, 252 Kain 8, 150 f., 173 Kaiser, Ingeborg 19, 22 f., 28 f., 64, 81, 107, 171 f., 189, 203, 287, 321 f., 327-330, 333 ff. Kalmar, Anni 105 Kant, Immanuel 181 ff. Kasack, Hermann 289 f. Kaschnitz, Marie Luise 104, 289 f. 378 Personenregister Kasper, Hans 10 Kästner, Erich 289 Kaszyński, Stefan 78-82 Kayssler, Friedrich 133, 337 Keller, Gottfried 67, 103 Kemp, Friedhelm 67 f., 99, 103, 332 Kenko 296 f. Kerner, Justinus 86, 120 Kessel, Martin 63, 267 f. Keyserling, Eduard 53 Kierkegaard, Søren 339 Kiesel, Helmuth 7 Kittner, Alfred 289 f. Klabund (Alfred Henschke) 60 Klaes, Rudolf 131 Klatte, Matthias 119 Klee, Paul 237, 278 Kleist, Heinrich von 71 Klüpfel, Annette 127 Knapp, Julia 116, 190, 309 Koettnitz, Maria 244 Kohelet 8, 34, 92, 101, 106, 117 ff., 141, 149 f., 153, 157, 163 f., 172, 178, 183, 185, 193, 204, 221, 225, 233, 236, 247-250, 252 f., 269, 275 f., 282, 291, 304, 307, 321, 325, 338 Kolb, Annette 26 f., 34 f., 37, 41, 44, 55, 77 f., 99 f., 104, 127, 227, 289 f., 307, 327 Kolmar, Gertrud 134 Koranyi, Stephan 244 Kraft, Werner 8, 48, 50 f., 60 ff., 191, 208, 267, 289 Kramer, Theodor 259, 296 Kraus, Karl 7, 9, 38, 48 ff., 52, 55 f., 79, 83 f., 98 f., 103 ff., 133, 140, 206, 208, 211, 215 f., 219, 230, 263, 267 Kraut, Martina 24, 86, 193, 284 f., 330 Krüger, Michael 170 f., 220 f., 233, 245, 291, 316, 319 Kudszus, Hans 66 Kuhlmann, Quirinus 101, 339 Küng, Hans 161 f. Kuschel, Karl-Josef 164, 284 Lagarde, Paul de 133, 158, 162 Landauer, Gustav 36 f., 225 Landmann, Michael 136, 169, 246, 289 Langer, Gerhard 139, 142, 267 f., 311 Lasker-Schüler, Else 65, 99, 104, 291, 296 Laub, Gabriel 53 f., 66 Lavant, Christine 134, 183, 231 f. Lavater, Johann Kaspar 28, 210 Lec, Stanislaw Jerzy 8, 24 f., 49 ff., 54, 78-82, 84 f., 107, 205 f., 219 Lehmann, Wilhelm 60 ff. Leip, Hans 289 Lenzen, Verena 237, 269 Lessing, Gotthold Ephraim 161 Leyen, Friedrich von der 75 Lichtenberg, Georg Christoph 7, 10, 46, 52, 64, 79, 97, 106 f., 109, 111, 163, 206, 208 ff., 282 f., 294, 308 Liebenthal, Ite 125, 134 f., 338 Liebenthal, Werner 124, 134 Liebmann, Otto 182 Liebrucks, Bruno 118, 264 Link, Juliane 263 Loerke, Oskar 26 f., 105, 107, 111, 114 f. Loetscher, Hugo 52 Loewenson, Erwin 98, 138, 169, 289 ff. Loos, Adolf 52, 140 Lüth, Erich 136 Luther, Martin 97, 113, 154 f., 160 f., 174, 256 Lüthy, Norbert 324 Luxemburg, Rosa 109 Maeterlinck, Maurice 109, 260 Maimonides 103, 142 Mallarmé, Stephane 59, 198 Mann, Golo 60 f. Mann, Thomas 71, 153 f., 313 Manthey, Jürgen 97 Margolius, Hans 47 f., 51, 54, 57 Maria Magdalena 160 Markus (Evangelist) 154 ff., 160, 162 Markus, Joseph 138, 140 Personenregister 379 Marta 166 Marti, Kurt 90-95 Mattenklott, Gert 331 Mauthner, Fritz 35, 37, 105, 119, 133, 188, 225, 291, 296 Mayer, Hans 223, 225, 289 Meidner, Ludwig 252, 289 f. Meister, Ernst 7, 118 Menasse, Robert 46, 283 f., 295 Mendelssohn, Moses 225 Metavel (Ehefrau EBs) 36, 238, 277, 307, 312 Methlagl, Walter 284 Meyer, Conrad Ferdinand 67, 103, 332, 339 Mieder, Wolfgang 21 Mitgutsch, Anna 289 Mitterer, Erika 289 Mohamed 152 Mombert, Alfred 26, 74 Mongré, Paul (Felix Hausdorff) 113, 119, 210 Montaigne, Michel de 174, 212, 221 Morgenstern, Christian 7, 105 f., 133, 175, 210, 337 Moser, Annemarie 42 Moser, Hans Albrecht 62 f., 294 Möser, Justus 101 Moses 75, 131, 133, 149, 237, 317 Mrożek, Sławomir 79 Müller, Gotthold 8, 219 f., 241 Müller, Heiner 107, 109 Muntner, Süssman 103, 153 Muschg, Adolf 52 Muschg, Walter 289 Mynona (Salomo Friedländer) 52 Nadel, Arno 107 Nadherny, Sidonie von 105 Neumann, Peter Horst 174 f. Neumann, Robert 133 Nietzsche, Friedrich 71 f., 74, 105 ff., 119, 133, 161, 206, 208, 210 Nordmann, Alfred 308 Novalis (Friedrich von Hardenberg) 280, 282 Obert, Angelika 121 Oesterle, Kurt 120 Opitz, Martin 101, 339 Oppenheim, Meret 108 f. Orwell, George 147 Otten, Karl 289 Pagis, Dan 289, 316 Parmenides 181 Paulus 95, 135, 158-162, 256 Pessoa, Fernando 82 f. Pfäfflin, Friedrich 116 f. Picard, Jacob 252, 289 Pinthus, Kurt 289 Plato 181 Prager, Katharina 215 Pritzel, Lotte 26 f. Raabe, Elisabeth 81 Raabe, Paul 81 Ranke, Leopold von 228 Rathenau, Walther 63, 107 Reich-Ranicki, Marcel 85 f., 182, 184 Renan, Ernest 158 f. Rilke, Rainer Maria 36, 183 Rimbaud, Arthur 248 Rodenberg, Julius 67, 332 Ronner, Markus M. 52 f. Rosenberg, Gertrude 103, 130 Rosenzweig, Franz 34, 132 f., 339 Rowohlt, Ernst 289 Rübner, Tuvia 290 Rückert, Friedrich 111 f., 133 Rumpf, Michael 66 Rutz, Paul 302 f. Rychner, Max 44 ff., 52 f., 59, 290 Sachs, Nelly 124, 137, 290 Salkinson, Jizchak 117 380 Personenregister Sambursky, Shmuel 112 f. Sartre, Jean-Paul 274 Schaeffer, Albrecht 40 f. Schallück, Paul 302 Schaukal, Lotte von 108, 216 Schaukal, Richard von 108 f., 242 Schick, Paul 38, 98 f., 216 Schickele, René 35, 41, 55 Schiller, Friedrich 28, 328 Schindler, Winfried 23, 335 Schlotterer, Christoph 50, 80 Schmid, Charlotte 219 Schmidt-Dengler, Wendelin 110 f., 273, 294 Schmitt, Carl 73, 114 Scholem, Gershom 111-114, 141 f., 154, 160, 176, 182, 290 Scholz, Wilhelm von 33, 35 f., 53, 290 Schöne, Albrecht 106 f., 174 f., 289 f. Schopenhauer, Arthur 52, 206 Schröder, Rudolf Alexander 7 Schultz-Baltensperger, Hildegard 21, 34, 200, 235, 330 Schweitzer, Albert 134 Seidel, Ina 290 Sengle, Friedrich 147 Seume, Johann Gottfried 208 Sforim, Mendele Moicher 130 f. Shakespeare, William 117, 206 Shalom, Shin 137 Silbermann, Edith 34, 36, 98, 215, 328 Simmel, Georg 104 Simrock, Karl 279 Skupy, Hans-Horst 220 Sombart, Werner 138 Sonne, Abraham 83 f., 119 Sonnemann, Ulrich 21, 65, 226, 276, 290 Spicker, Friedemann 15, 21, 23, 34, 45, 47-50, 52-58, 60, 62-66, 72, 74, 76, 94 f., 103 ff., 107, 109 f., 117, 119, 133 f., 136 ff., 153, 172, 179, 201-207, 209 ff., 218, 241-245, 247-254, 256-260, 266, 268, 276, 282 f., 289-292, 294-298, 302, 305-308 Spitzer, Leo 175, 177 Staiger, Emil 63 Stefan, Hans-Jürg 28, 90 ff., 94, 303 Stefan, Verena 91 Steffens, Andreas 65, 276 f. Stein, Edith 158, 161 f. Steiner, Franz Baermann 7, 9, 48, 140 Stenzel, Jürgen 17, 21, 81, 103, 116, 137, 192, 293, 331, 334, 337 Stifter, Adalbert 71 f. Stössinger, Felix 107 Strauß, David Friedrich 159 Strauß, Ludwig 7 ff., 40 f., 48 Strich, Fritz 290 Stüben, Jens 100 Sturmann, Manfred 33, 123 f. Susman, Margarete 34 ff., 44, 52, 93, 100, 132, 142, 227, 290 f., 336 Talebitari, Burkhard 21, 25, 46, 89, 114, 118, 120, 140, 148, 151, 163, 241, 246 f., 263 f., 326, 333 Taubes, Jacob 135 f., 290 Tauschinski, Oskar Jan 79 Teich, Meir 219 Thümler, Walter 128 Tiedge, Christoph August 116 f., 119 Torberg, Friedrich 175 Tourou, Riccarda 19 ff., 164, 262, 265, 297, 321, 327, 329 f., 332, 335 Tuwim, Julian 79 Unger, Erich 140 Unger, Wilhelm 290, 302 Valéry, Paul 52, 191 Villers, Alexander von 109, 117, 328 Voigts, Manfred 140 ff. Vossler, Karl 144 f., 174, 177, 328 Vring, Georg von der 33 f., 62, 104, 227, 290 Personenregister 381 Wagner, Richard 62, 78, 120, 162 Wais, Kurt 59 Walser, Robert 121 Walter, Silja 92, 272, 303, 315, 327 Wapnewski, Peter 62 Wedekind, Barbara 229 f. Weigel, Hans 42, 76, 114, 290 Weinheber, Josef 82 Weininger, Otto 255 Weinrich, Harald 7, 18, 21, 27, 58, 67, 98, 103, 143, 145, 150, 156 f., 174, 176, 181, 183, 193 ff., 197, 200 f., 224, 226, 228, 230, 236, 238, 243, 249, 257, 260 f., 270 ff., 276, 280, 283, 286, 290, 320, 324 f., 327 f., 332 Weiß, Konrad 326 Welser, Klaus von 50 f., 64 Welz, Claudia 21, 239, 245, 268, 318, 322 f. Werfel, Franz 7 Werner, Zacharias 138 Wiechert, Ernst 60 f. Wiedemann, Conrad 21, 140 f., 227 Wieler, Robert 36 f. Wirth, Michael 44 Wittgenstein, Ludwig 52, 98, 103, 255 Wohlmuth, Josef 21, 138, 162, 165 f., 287, 317 f., 322 f. Wolfskehl, Karl 59, 71-75 Wolitz, Ulrike 92, 272 Wölpert, Walther 57, 229 Zisman, Daniel 311 Zwanger, Helmut 164, 194 Zweig, Max 13, 98, 290 Zymner, Rüdiger 262 25,2 ISBN 978-3-7720-8699-1 Elazar Benyoëtz ist der wohl bedeutendste deutschsprachige Aphoristiker der Gegenwart. Dieser Band versammelt Auszüge aus einem Korpus von fast 700 Briefen von und an Benyoëtz, die thematisch sortiert und mit Anmerkungen versehen sind. Der Leser gewinnt aus den Exzerpten erstmals einen umfassenden Einblick in das Selbstbild des Autors bezogen auf Person und Werk sowie auch in sein Verhältnis zur Literatur und zu seiner Zeit. Ein chronologisches Verzeichnis der Briefe und BriefpartnerInnen, ein Personenregister sowie eine annotierte Bibliographie zu Werk und Sekundärliteratur vervollständigen den Band, der damit ein unentbehrliches Hilfsmittel jeder wissenschaftlichen Beschäftigung mit Benyoëtz darstellt. Spicker (Hrsg.) Beziehungsweisen Beziehungsweisen Friedemann Spicker (Hrsg.) Elazar Benyoëtz: Ein Porträt aus Briefen 38699_Umschlag_02.indd Alle Seiten 14.11.2019 08: 57: 39