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Person und Artefakt

2020
978-3-7720-5707-6
A. Francke Verlag 
Linus Möllenbrink

Trotz ihrer unbestrittenen Bedeutung bildeten literarische Figuren lange eine Leerstelle der mediävistischen Erzählforschung. Am Beispiel des >>Tristan<< Gottfrieds von Straßburg unternimmt es die vorliegende Untersuchung, Antworten auf bislang ungeklärte Fragen in diesem Bereich zu finden. Dafür werden zunächst zentrale narratologische Kategorien - die Handlungsmotivation, die Frage des Rezipientenwissens, das Verhältnis von Typik und Individualität - diskutiert, um anschließend in exemplarischen Analysen des Romans hermeneutisch fruchtbar gemacht zu werden. Die Lektüren arbeiten heraus, wie sich die vermeintliche Lebenswirklichkeit der Figuren zu ihrer artifiziellen Inszenierung verhält, und bieten damit neben einem Beitrag zur Historischen Narratologie zugleich neue Interpretationsansätze für Gottfrieds Text.

Trotz ihrer unbestrittenen Bedeutung bildeten literarische Figuren lange eine Leerstelle der mediävistischen Erzählforschung. Am Beispiel des »Tristan« Gottfrieds von Straßburg unternimmt es die vorliegende Untersuchung, Antworten auf bislang ungeklärte Fragen in diesem Bereich zu finden. Dafür werden zunächst zentrale narratologische Kategorien - die Handlungsmotivation, die Frage des Rezipientenwissens, das Verhältnis von Typik und Individualität - diskutiert, um anschließend in exemplarischen Analysen des Romans hermeneutisch fruchtbar gemacht zu werden. Die Lektüren arbeiten heraus, wie sich die vermeintliche Lebenswirklichkeit der Figuren zu ihrer artifiziellen Inszenierung verhält, und bieten damit neben einem Beitrag zur Historischen Narratologie zugleich neue Interpretationsansätze für Gottfrieds Text. ISBN 978-3-7720-8707-3 Möllenbrink Person und Artefakt BIBL. GERM. 72 Linus Möllenbrink Person und Artefakt Zur Figurenkonzeption im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg 38707_Umschlag.indd 2-3 38707_Umschlag.indd 2-3 16.10.2020 14: 51: 11 16.10.2020 14: 51: 11 Bibliotheca Germanica HANDBÜCHER, TEXTE UND MONOGRAPHIEN AUS DEM GEBIETE DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE HERAUSGEGEBEN VON UDO FRIEDRICH, SUSANNE KÖBELE UND HENRIKE MANUWALD 72 Linus Möllenbrink Person und Artefakt Zur Figurenkonzeption im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT. © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0067-7477 ISBN 978-3-7720-8707-3 (Print) ISBN 978-3-7720-5707-6 (ePDF) 5 Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1 Methodische Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1.2 Literatur und Welt. Anthropologisches und literarisches Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1.3 Wiederholung und Variation. Figuren als ›Typen‹ und ›Individuen‹ . . . . . . . . . . . 105 2 Annäherungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2.1 Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2.1.1 fabelen, die hier under sint. Zur ›Geschichtlichkeit‹ der Figuren . . . . . . . . . 131 2.1.2 senede leiche und senede mære. Literatur im Roman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2.2.1 und was dâ cleine wunder an. Psychologisch-rationales Erzählen . . . . . . . 158 2.2.2 aller der lanthêrren leben. Der historische Anspruch des Erzählens . . . . . 185 2.2.3 ›Wirklichkeit‹ in der Kunst. Tristans Hirschbast als poetologisches Bild 207 2.3 Die motivationslogische Mehrdeutigkeit des Zufalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2.4 Minne zwischen personaler Erfahrung und literarischem Code . . . . . . . . . . . . . . . . 237 3 Lektüren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 3.1 Isoldes Mordanschlag auf Brangäne. Das Schema im Kopf der Figur . . . . . . . . . . . 275 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 3.2.1 ›David gegen Goliath‹ als Erzähltyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 3.2.2 Gott als Figur. Mit einem Ausblick auf das Gottesurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 3.2.3 Die Figur regiert das Schema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 3.3 Tristans Schönheitspreis Isoldes. Werbung für die Brautwerbung . . . . . . . . . . . . . . 337 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ . . 364 3.4.1 ›Künstler‹ und ›Krieger‹ in der höfischen Kultur des Mittelalters . . . . . . . 366 3.4.2 Tristans Erziehung, Jugend und Schwertleite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 3.4.3 Tristan und Artus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 3.4.4 Literarisches Rittertum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Kontextualisierung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 Siglen und Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 6 Inhaltsverzeichnis Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 Textausgaben und Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 Textstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 Autoren und Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 Erzähltypen und Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 7 Vorwort Gedenket man ir ze guote niht, von den der werlde guot geschiht, sô wære ez allez alse niht, swaz guotes in der werlde geschiht. (Gottfried von Straßburg, »Tristan«, vv. 1-4) ›Gedenket man derer im Guten nicht, von denen den Menschen Gutes geschieht, so wäre es alles soviel wie nichts, was Gutes unter Menschen geschieht.‹ Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 2018 von der Philologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg angenommen wurde. Auch ich möchte damit beginnen, derer zu gedenken, die mir Gutes getan haben und ohne die dieses Buch nicht entstanden wäre. An erster Stelle danke ich Martina Backes, die mich seit vielen Jahren begleitet und gefördert hat. Für ihre klugen Ratschläge und ihre Herzlichkeit bin ich ihr außerordentlich dankbar. Almut Suerbaum danke ich für die Übernahme der Zweitbetreuung und für ihre Anregungen, die mich noch über die Dissertation hinaus beschäftigen. Ein besonderer Dank gilt Burkhard Hasebrink, der diese Arbeit angeregt und auch nach seiner Versetzung in den Ruhestand mit großem Interesse Anteil an ihrer Entstehung genommen hat. Seinen klugen Beobachtungen und herausfordernden Nachfragen verdanke ich wichtige Impulse. Ich freue mich sehr, dass er das dritte Gutachten übernehmen konnte. Mit verschiedenen Menschen habe ich über Gottfrieds Roman und die Figuren in der mittelalterlichen Literatur diskutiert. Besonders dem Austausch mit Mark Chinca, Gerd Dicke, Nikolaus Henkel, Silvia Reuvekamp und Markus Stock verdanke ich vielfältige Anregungen. Das gilt auch für die Teilnehmer*innen des internationalen Graduiertentreffens aus Oxford, Freiburg, Fribourg und Genf sowie meine Kolleg*innen in der Abteilung für Germanistische Mediävistik und dem Teilprojekt C1 des Sonderforschungsbereichs 1015 ›Muße‹ - mit ihnen allen habe ich viele bereichernde Momente erlebt. Tomas Tomasek und seinem Team, besonders Frank Schäfer, danke ich dafür, dass sie mir freigiebig Einblick in ihre im Entstehen befindliche Neuedition des »Tristan« gewährt haben. Für die Aufnahme in die »Bibliotheca Germanica« danke ich herzlich den Herausgeber*innen der Reihe: Udo Friedrich, Susanne Köbele und Henrike Manuwald. Der VG Wort bin ich für die finanzielle Unterstützung der Drucklegung zu Dank verpflichtet. Schließlich gibt es eine ganze Reihe von Personen, die sich auf verschiedene Art und Weise um den Text bemüht haben: Lisa Deutscher, Johanna Eckes, Bettina Frank, Julia Frick, Daniela Heller, Maria Kohle, Laura Kuhn, Stephan Lauper, Tobias Möllenbrink, Gisela Münch, Sabine Rischer und Katja Weidner - ihnen allen gilt mein herzlicher Dank. Meiner Familie danke ich für ihre andauernde Unterstützung und ihr Vertrauen. Sarah-Julie danke ich für alles. Freiburg, im September 2020 Linus Möllenbrink 9 9 Einleitung Einleitung ›Oft wird in traurigen Geschichten und anderen Gesängen der Dichter und in den Liedern der Spielleute ein Held geschildert, der klug, schön, tapfer, liebenswert und in jeder Hinsicht vorbildlich ist. Es wird aber auch von den schrecklichen Bedrängnissen und Kränkungen erzählt, die diesem Helden zugefügt werden. So berichten Spielleute von Artus und Gawein (? ) und Tristan manches Wunderbare, wodurch die Herzen der Zuhörer, wenn sie es vernehmen, von Mitleid erschüttert und bis zu Tränen betrübt werden.‹ 1 In diesen Worten skizziert Petrus von Blois (gest. um 1211), ein guter Kenner des höfischen Literaturbetriebs, eine figurenzentrierte Lektürehaltung seiner adligen Zeitgenossen, die gemessen an modernen Erwartungen erstaunlich ›nah‹ an den erzählten Akteuren ist. 2 Ähnliche Aussagen finden sich auch bei anderen geistlichen Autoren des 12. und 13. Jahrhunderts. 3 Einen Einblick in mittelalterliche Perspektiven der Figurenwahrnehmung bietet weiterhin Thomasin von Zerklære, wenn er im »Welschen Gast« (1215 / 16) bekannte literarische Helden als Vorbilder für den adligen Nachwuchs empfiehlt: 1 Petrus von Blois, »Liber de confessione sacramentali«: Sæpe in tragœdiis et aliis carminibus poetarum, in joculatorum cantilenis describitur aliquis vir prudens, decorus, fortis, amabilis et per omnia gratiosus. Recitantur etiam pressuræ vel injuriæ eidem crudeliter irrogatæ, sicut de Arturo et Gangano et Tristanno, fabulosa quædam referunt histriones, quorum auditu concutiuntur ad compassionem audientium corda, et usque ad lacrymas compunguntur. Zitiert nach Petri Blesensis Bathoniensis in Anglica archidiaconi opera omnia […], accurante J.-P. Migne, Paris 1855 (PL 207), Sp. 1088C-D. Übersetzung im Text nach Joachim Bumke: Höfische Kultur. Literatur und-Gesellschaft im hohen-Mittelalter, München 6 1992, S. 711. 2 Ich verwende hier bewusst den relativ offenen Begriff der ›Nähe‹, um eine vorschnelle Festlegung auf alternative Konzepte wie das der Identifikation zu vermeiden, da diese in Bezug auf die Figurenkonzeption voraussetzungsreicher sind, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Zur ›imaginativen Nähe‹ aus filmwissenschaftlicher Perspektive Jens Eder: Imaginative Nähe zu Figuren, in: montage AV. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation 15 / 2 (2006), S. 135-160. 3 Der Zisterzienser Ælred von Rievaulx lässt in seinem »Speculum caritatis« (nach 1150) einen Novizen zu Wort kommen, der von seiner Erfahrung mit der Lektüre weltlicher Erzählungen berichtet: Nam et in fabulis, quae uulgo de nescio quo finguntur Arthuro, memini me nonnunquam usque ad effusionem lacrimarum fuisse permotum. (»De speculo caritatis«, 2,17,51) Zitiert nach Aelredi Rievallensis opera omnia, Bd. 1: Opera ascetica, ed. A. Hoste / C.H. Talbot, Turnhout 1971 (CCCM 1), S. 90, Z. 949-951. ›Ich erinnere mich, daß ich durch Geschichten, die in der Volkssprache über Arthur erzählt werden, von dem ich sonst nichts weiß, manchmal bis zum Ausbruch der Tränen bewegt wurde.‹ Übersetzung Bumke 6 1992a, S. 711. Auch der Bamberger Magister Hugo von Trimberg kritisiert in seinem »Renner« (1300), die adligen Damen hätten mit dem Schicksal literarischer Helden mehr Mitleid als mit der Passion Christi: Wie her Dietrich vaht mit Ecken | Und wie hie vor die alten recken | Durch frouwen minne sint verhouwen, | Daz hœrt man noch vil manige frouwen | Mêre klagen und weinen ze manigen stunden | Denne unsers herren heilige wunden (»Renner«, vv. 21691-21696). Zitiert nach Der Renner von Hugo von Trimberg, hrsg. von Gustav Ehrismann, Bd. 3, Tübingen 1909 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 252), S. 196f. Vgl. in Bezug auf Petrus und Ælred auch Katharina Mertens Fleury: Leiden- lesen. Bedeutungen von compassio um 1200 und die Poetik des Mit-Leidens im »Parzival« Wolframs von-Eschenbach, Berlin / New York 2006 (Scrinium Friburgense 21), S. 6f. 10 Einleitung Juncherren suln von Gâwein hoeren, Clîes, Êrec, Îwein, und suln rihten sîn jugent gar nâch Gâweins reiner tugent. volgt Artûs, dem künege hêr, der treit iu vor vil guote lêr, und habt ouch in iuwerm muot künic Karln, den helt guot. lât niht verderben iuwer jugent, gedenket an Alexanders tugent. an gevuoc volgt ir Tristande, Seigrimos, Kâlogrîande. (Thomasin von Zerklære, »Der Welsche Gast«, vv. 1041-1052) 4 Dieses literaturpädagogische Programm ist ebenfalls ganz auf die Figuren ausgerichtet: Auf die Frage, waz diu kint suln vernemen unde lesen (vv. 1026 f.), 5 »empfiehlt Thomasin nicht Autoren oder Werke, sondern Einzelgestalten.« 6 Genauso wie die realen Mitmenschen am Hof sollen auch die fiktiven Gestalten den jungen Adligen als Objekte der Anschauung und Nachahmung dienen. 7 Aus einer modernen Perspektive ist das nicht ganz unproblematisch: Unabhängig von der Frage, inwiefern sich etwa Tristan als Vorbild eignet und ob ein solcher Zugriff überhaupt dem komplexen Sinngehalt der höfischen Romane gerecht wird, 8 scheint Thomasins Konzept im Widerspruch zu unserem gewohnten literaturwissenschaftlichen Umgang mit den Texten zu stehen. In der Germanistischen Mediävistik interessiert man sich meist für Handlungsstrukturen, Erzählschemata und Gattungstraditionen, während es Thomasin offenbar »nicht um Textstrukturen, sondern um Personen« 9 geht. Die Forschung fokussiert damit in erster 4 Zitiert nach Thomasin von Zerklaere: Der Welsche Gast, ausgewählt, eing., übers. und mit Anm. vers. von Eva Willms, Berlin / New York 2004, S. 43f. 5 Ebd., S. 43. 6 Walter Haug: Literaturtheorie im deutschen Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, 2., überarb. und erw. Aufl., Darmstadt 1992, S. 233. 7 Vgl. dazu Horst Wenzel: Partizipation und Mimesis. Die Lesbarkeit der Körper am Hof und in der höfischen Literatur, in: Materialität der Kommunikation, hrsg. von- Hans Ulrich Gumbrecht / K.- Ludwig Pfeiffer unter Mitarbeit von-Monika Elsner u. a., Frankfurt a. M. 1988, S. 178-202. 8 In der Forschung hat Thomasins Lektüreempfehlung eine Debatte darüber ausgelöst, ob man den höfischen Romanen überhaupt tiefe sinne (»Der Welsche Gast«, v. 1108; Ausg, Willms 2004, S. 45) unterstellen kann, oder ob nicht vielleicht doch eine oberflächliche Lektüre den Texten in mittelalterlicher Perspektive eher gerecht wird. Dabei ging es vor allem um die Frage, ob man an der zitierten Textstelle das Konzept des integumentum in Anschlag bringen dürfe. Vgl. dazu etwa Hennig Brinkmann: Verhüllung (integumentum)-als literarische Darstellungsform im Mittelalter, in: Der Begriff der repraesentatio im Mittelalter. Stellvertretung, Symbol, Zeichen, Bild, hrsg. von Albert Zimmermann, Berlin 1971 (Miscellanea mediaevalia 8), S. 314-339; Christoph Huber: Höfischer Roman als Integumentum? Das Votum Thomasins von Zerklaere, in: ZfdA 115 (1986), S. 79-100, hier bes. S. 83-89; Fritz Peter Knapp: Integumentum und Âventiure: nochmals zur Literaturtheorie bei Bernardus (Silvestris? ) und Thomasin von Zerklaere, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 28 (1987), S. 299-307. 9 Haiko Wandhoff: bilde und schrift, volgen und versten. Medienorientiertes Lernen im »Welschen Gast« am Beispiel des ›Lektürekatalogs‹, in: Beweglichkeit der Bilder, hrsg. von Horst Wenzel / Christina Lechtermann, Köln u. a. 2002 (Pictura et poesis 15), S. 104-120, hier S. 106. Vgl. weiterhin Haiko Wandhoff: Der epische Blick. Eine mediengeschichtliche Studie zur höfischen Literatur, Berlin 1996 (Philologische Studien und Quellen 141), S.-345-350. 11 Linie die künstliche Gemachtheit der Erzählungen, während der mittelalterliche Gelehrte von den Akteuren spricht, »als ob es sich […] um lebende Personen handelte.« 10 Kann man die beiden Textstellen von Thomasin und Petrus als Belege für eine mittelalterliche Rezeptionspraxis lesen, die die Artifizialität der Erzählung suspendiert, sich auf die Illusion der erzählten Welt einlässt und ihre Bewohner wahrnimmt, als ob es sich um reale Menschen handelte? In diesem Sinne glauben etwa Edith und Horst Wenzel, die »mediale Differenz von Buch und Alltagswelt« habe in der mittelalterlichen Lektürepraxis im Gegensatz zur modernen Literaturwissenschaft noch eine untergeordnete Rolle gespielt. Deshalb komme im Mittelalter der »›Verschmelzung‹ des lesenden Subjekts mit der Handlung einer literarischen Erzählung« gegenüber einer »kritisch distanzierte[n] Beschäftigung mit einem Buch als Objekt intellektueller Auseinandersetzung« eine sehr viel größere Bedeutung zu: »Es gibt eine ganze Reihe von Indizien, daß eine solche Rezeption von Kunst in der Antike und im Mittelalter nicht nur die jugendliche Erfahrungswelt bestimmte, sondern das eigentliche Ziel der Künstler war.« 11 Zumindest in Bezug auf die beiden zitierten Textstellen sind daran allerdings Zweifel anzumelden. Was zunächst den »Welschen Gast« angeht, so scheint Thomasin tatsächlich vor allem eine ›jugendliche Erfahrungswelt‹ vor Augen zu haben, denn seine Lektüreempfehlung richtet sich ausdrücklich an junge, unverständige Leser und Hörer: Ir habt nu vernomen wol, waz ein kint hoern und lesen sol. ave die ze sinne komen sint die suln anders dann ein kint gemeistert werden, daz ist wâr. (Thomasin von Zerklære, »Der Welsche Gast«, vv. 1079-1083) 12 Auch die Kritik am Mitleid mit den literarischen Helden bei Petrus von Blois und anderen mittelalterlichen Geistlichen kann nicht ohne Weiteres als Beleg für eine Verwechslung literarischer Figuren mit echten Menschen verstanden werden. Abgesehen von der Frage, ob man in dem klerikalen Topos überhaupt ein authentisches Abbild mittelalterlicher Lektüregewohnheiten sehen kann, ist auch der grundsätzliche Zusammenhang zwischen der affektiven Teilnahme eines Rezipienten und seiner Perspektive auf die Figur nicht eindeutig. Zwar geht man in der Regel davon aus, dass Leser und Hörer dann besonders emotional auf eine Figur reagieren, wenn sie sie wie eine Person wahrnehmen, während umgekehrt ein Bewusstsein für die künstliche Gemachtheit der Figur die affektive Anteilnahme schwächt. 13 Dieser Zu- 10 Volker Mertens: Wahrheit und Kontingenz in Gottfrieds »Tristan«, in: Kein Zufall. Konzeptionen von Kontingenz in der mittelalterlichen Literatur, hrsg. von Cornelia Herberichs / Susanne Reichlin, Göttingen 2010 (Historische Semantik 13), S. 186-205, hier S. 201. Auch Wenzel meint, »daß Thomasin, wenn er von höfischen Romanen spricht, die er den jungen Adligen zur Lektüre empfiehlt, nicht von Autoren oder Themen spricht, sondern so, als redete er von lebenden oder früher lebenden Personen.« (Wenzel 1988a, S. 189) 11 Edith Wenzel / Horst Wenzel: Die Tafel des Gregorius. Memoria im-Spannungsfeld von-Mündlichkeit und Schriftlichkeit, in: Erzählungen in Erzählungen. Phänomene der Narration in Mittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Harald Haferland / Michael Mecklenburg, München 1996 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 19), S. 99-114, hier S. 99. 12 Ausg. Willms 2004, S. 44. 13 Vgl. etwa Jens Eder: Die Figur im Film. Grundlagen der Figurenanalyse, Marburg ²2014, S. 657: »Tendenziell rufen Figuren auf der Ebene der fiktiven Welt intensivere Emotionen hervor, wenn das Figurenmodell personalisiert, realistisch, detailliert, mehrdimensional, kohärent, konsistent und anschaulich ist - kurz: Einleitung 11 12 Einleitung sammenhang ist aber keineswegs erwiesen. 14 Dass das Mitfühlen mit einer literarischen Figur nicht bedeutet, sie mit einem realen Menschen zu verwechseln, wusste jedenfalls schon Ælred von Rievaulx, wenn er sich darüber beklagt, dass die Zuhörer den literarischen Figuren mehr Anteilnahme entgegenbringen, als sie es gegenüber einem realen Mitmenschen in der gleichen Situation tun würden. 15 Ich möchte die beiden Stellen zum Anlass nehmen, um mich aus einer erzähltheoretischen Perspektive grundsätzlich damit zu beschäftigen, wie mittelalterliche Leser und Hörer die Figuren der zeitgenössischen Literatur wahrgenommen haben - und was das für den modernen literaturwissenschaftlichen Umgang mit ihnen bedeutet. Dass dabei auch hermeneutische Entscheidungen auf dem Spiel stehen, hat sich bereits angedeutet: Von der Perspektive auf die Figuren hängt ab, wie man interpretatorisch mit ihnen umgeht. 16 Wie man - um ein bekanntes Beispiel aus der mittelhochdeutschen Literatur anzuführen - etwa Erecs Schuld im Kontext des verligens beurteilt oder erklärt, weshalb er Enite danach so schlecht behandelt, hängt nicht zuletzt davon ab, ob man die Figur als Abbild einer realen Person versteht (und zum Beispiel psychologische Erklärungsansätze bemüht) oder die künstliche Gemachtheit des Textes in den wenn es illusionistisch wirkt […].« Ein »Bewusst-Halten dessen, dass hier eine Figur konstruiert wird, schwächt bei den Zuschauerinnen üblicherweise die emotionale Anteilnahme« (ebd., S. 410). Einen engen Zusammenhang zwischen affektiver Anteilnahme und der Wahrnehmung von Figuren als ›Personen‹ erkennt (in Bezug auf Dramenaufführungen) auch Colin Radford: How Can We Be Moved by the Fate of Anna Karenina? (I), in: Proceedings of the Aristotelian Society. Supplementary Volumes 49 (1975), S. 67-80, etwa S. 78: »Perhaps we are and can be moved by the death of Mercutio only to the extent that, at the time of the performance, we are ›caught up‹ in the play, and see the characters as persons, real persons, though to see them as real persons is not to believe that they are real persons. […] If we are always and fully aware that these are only actors mouthing rehearsed lines, we are not caught up in the play at all and can only respond to the beauty and tragedy of the poetry and not to the death of the character.« 14 Vgl. Lutz Danneberg: Weder Tränen noch- Logik. Über die Zugänglichkeit fiktionaler Welten, in: Heuristiken der Literaturwissenschaft. Disziplinäre Perspektiven auf Literatur, hrsg. von Uta Klein u. a., Paderborn 2006 (Poetogenesis 3), S. 35-83, hier S. 38f.; in Reaktion auf den Beitrag von Radford weiterhin Michael Weston: How Can We Be Moved by the Fate of Anna Karenina? (II), in: Proceedings of the Aristotelian Society. Supplementary Volumes 49 (1975), S. 81-93, hier bes. S. 87. 15 Vgl. Ælred von Rievaulx, »De speculo caritatis«, 2,7,50: cum enim in tragoediis uanisue carminibus quisquam iniuriatus fingitur, uel oppressus, cuius amabilis pulchritudo, fortitudo mirabilis, gratiosus praedicetur affectus; si quis haec uel cum canuntur audiens, uel cernens si recitentur, usque ad expressionem lacrymarum quodam moueatur affectu, nonne perabsurdum est, ex hac uanissima pietate de amoris eius qualitate capere coniecturam, ut hinc fabulosum illum nescio quem affirmetur amare, pro cuius ereptione, etiamsi haec omnia uere prae oculis gererentur, ne modicam quidam substantiae suae portionem pateretur expendi? (Ausg. Hoste / Talbot 1971, S. 90, Z. 927-936) ›Wenn da in den tragischen Heldenliedern ein liebenswerter, schöner, tapferer, gutherziger Mensch als ein ungerechtfertigt dem Untergang Preisgegebener dargestellt wird, und dann der Zuhörer bis zu Tränen gerührt ist - wäre es nicht absurd, aus dieser unverbindlichen Rührung auf seine Fähigkeit zu wahrer Liebe zu schließen? Würden diese Dinge sich nicht in der dichterischen Erzählung, sondern real vor seinen Augen zutragen, würde er nicht das kleinste Bisschen seines Vermögens zu dessen Rettung aufwenden.‹ Übersetzung nach Benedikt Konrad Vollmann: Erlaubte Fiktionalität: die Heiligenlegende, in: Historisches und fiktionales Erzählen im Mittelalter, hrsg. von Fritz Peter Knapp / Manuela Niesner, Berlin 2002 (Schriften zur Literaturwissenschaft 19), S. 63-72, hier S. 69. Zu der Stelle auch Danneberg 2006, S. 38 Anm. 11. 16 Vgl. zusammenfassend Eder 2 2014, S. 34: »Was sind Figuren also - fiktive Menschen oder Knotenpunkte des Textes? Mit dieser ontologischen Fragestellung ist zugleich das grundlegende methodologische Problem der Figurenanalyse verknüpft: Wie soll man mit Figuren umgehen - soll man sie wie Menschen psychologisch analysieren und moralisch bewerten, oder soll man sie wie Texte in ihren formalen Strukturen, in ihrer ›Gemachtheit‹ erschließen? « 13 Vordergrund stellt (und die Funktion der Episode in der Doppelwegstruktur des Artusromans fokussiert). 17 Als Gegenstand meiner Überlegungen dient ein anderer höfischer Roman der Zeit um 1200, nämlich der um 1210 entstandene »Tristan« Gottfrieds von Straßburg, und damit eine Erzählung, deren grundsätzlicher künstlerischer Anspruch einen besonders elaborierten Umgang mit den Figuren erwarten lässt. 18 Der Untersuchung liegt dabei vor allem ein narratologisches Interesse zugrunde, sie stellt aber auch den Versuch dar, eine erstaunliche Lücke in der ansonsten überaus breiten Gottfried-Forschung zu füllen, da trotz einer beinahe unüberschaubaren Menge an Einzeluntersuchungen »eine umfassende Auswertung der Figuren(konstellation) im »Tristan« noch aussteht« 19 . Überhaupt fristete die theoretische Beschäftigung mit den Figuren in der Germanistischen Mediävistik lange ein Nischendasein, das ganz im Gegensatz zu ihrer großen Bedeutung in der mittelalterlichen Literatur und Kultur zu stehen scheint. Figuren stellen hier - vielleicht sogar in noch stärkerem Maße als in der Moderne - einen zentralen Gegenstand der Wahrnehmung und Erinnerung literarischer Texte dar. 20 Einen Beleg dafür bietet - neben den eingangs an- 17 Zum Zusammenhang von Schuld, Verantwortung und Figurenkonzeption im »Erec« exemplarisch Max Wehrli: Zur Identität der Figuren im frühen- Artusroman, in: Gotes und der werlde hulde. Literatur in Mittelalter und Neuzeit.-Festschrift für-Heinz Rupp zum 70.-Geburtstag, hrsg. von Rüdiger Schnell, Bern / Stuttgart 1989, S. 48-57, hier S. 52; Volker Honemann: »Erec«. Von den Schwierigkeiten, einen mittelalterlichen Roman zu verstehen, in: Germanistische Mediävistik, hrsg. von Volker Honemann / Tomas Tomasek, Münster 2000 (Münsteraner Einführungen. Germanistik 4), S. 89-121, hier S. 108-110. Zu den Figuren im »Erec« auch Markus Stock: Figur. Zu einem Kernproblem historischer Narratologie, in: Historische Narratologie. Mediävistische Perspektiven. Unter Mithilfe von Carmen Stange / Markus Greulich hrsg. von- Harald- Haferland / Matthias Meyer, Berlin / New York 2010 (Trends in Medieval Philology 19), S. 187-203, hier S. 196-202. Zu Hartmanns Figurenkonzeption und der Interpretation des Romans zuletzt weiterhin Florian Kragl: Enites schöne Seele. Über einige Schwierigkeiten des höfischen-Romans der Blütezeit, Figuren als Charaktere zu erzählen.-Mit Seitenblicken auf Chrétien de Troyes und auf den »Wilhelm von Orlens« des-Rudolf von-Ems, in: Emotion und Handlung im-Artusroman, hrsg. von Cora Dietl u. a., Berlin / Boston 2017 (Schriften der Internationalen Artusgesellschaft. Deutsch-österreichische Sektion 13), S. 117-151. 18 Vgl. einführend Tomas Tomasek: Gottfried von Straßburg, Stuttgart 2007 (RUB 17665), S. 99-117. Die Bedeutung der Figuren für die Gesamtinterpretation des Textes betont auch Horst Brunner: Tristan als-Mörder [2011], in: Literarisches Leben. Studien zur deutschen- Literatur, Berlin 2018 (Philologische Studien und Quellen 266), S. 31-43, hier S. 31: Bei Gottfried hänge »eigentlich alles von den Figuren« und »der komplexen Art ihrer Gestaltung« ab. 19 Tomasek 2007, S. 100. - Ich verzichte auf einen Überblick über die Forschung. Das aktuell ausgesprochen große Interesse an den Figuren im »Tristan« belegt eine Reihe von Untersuchungen, die in den letzten Jahren erschienen sind und sich ganz oder teilweise mit den Akteuren in Gottfrieds Roman beschäftigen, darunter allein vier Monographien aus dem vorigen Jahr, vgl. Ute Nanz: Die Isolde-Weißhand-Gestalten im Wandel des Tristanstoffs. Figurenzeichnung zwischen Vorlagenbezug und Werkkonzeption, Heidelberg 2010 (Beiträge zur älteren Literaturgeschichte), zu Gottfried S. 123-165; Friedrich Michael Dimpel: Die Zofe im Fokus. Perspektivierung und Sympathiesteuerung durch Nebenfiguren vom Typus der Confidente in der höfischen Epik des hohen Mittelalters, Berlin 2011 (Philologische Studien und Quellen 232), zu Gottfrieds Brangäne S. 243-290, sowie Florian Kragl: Gottfrieds Ironie. Sieben Kapitel über figurenpsychologischen Realismus im »Tristan«. Mit einem Nachspruch zum »Rosenkavalier«, Berlin 2019; Myriam Bittner: Komplizen des Erzählers. Auctoriale Figuren in der mittelhochdeutschen Epik, Baden-Baden 2019 (Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum-Verlag. Reihe Germanistik 12), zu Tristan und Brangäne S. 327-417; Janina Dillig: Identität und Maske. Die Aneignung des Anderen in Bearbeitungen des Tristanstoffes im 12. und 13. Jahrhundert, Wiesbaden 2019 (Imagines Medii Aevi 43), zu Gottfried S. 112-188; Anna Karin: Männliche Hauptfiguren im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg. Charakterisierung, Konstellation und Rede, Berlin / Boston 2019 (Lingua Historica Germanica 20). 20 Vgl. Stock 2010, S. 190. Einleitung 13 14 Einleitung gesprochenen Zitaten - etwa die immer wieder zu beobachtende Praxis, höfische Romane in anderen mittelalterlichen Erzählungen, Sammelhandschriften oder Bibliothekskatalogen nach ihren Protagonisten zu bezeichnen. So spricht Hugo von Trimberg von einem buoch namens Tristrant und Rudolf von Ems lobt Gottfried dafür, wie meisterlîch sîn Tristan sei. 21 Im 1376 angelegten Bücherverzeichnis des Ritters Erhard Rainer von Schambach heißt es, den Trisdram han ich meiner tochter der Zengerinn gelihen. 22 Nicht zuletzt äußert sich das große Interesse an literarischen Figuren auch in der vielfach dokumentierten Gewohnheit mittelalterlicher Adliger, ihre Söhne und Töchter nach den Protagonisten und Protagonistinnen der höfischen Romane zu benennen. 23 Schließlich betont auch Gottfried selbst die Bedeutung 21 Vgl. Hugo von Trimberg, »Renner«, vv. 21637-21643: Vil manigem sint aber baz bekant | Hie und über manic lant | Diu buoch, diu ich vor hân genant: | Parcifâl und Tristrant [Hs. a: Tristarant; m: tristerant], | Wigolais und Enêas, | Erec, Iwân und swer ouch was | ze der tafelrunne in Karidôl. (Ausg. Ehrismann 1908- 1911, Bd. 3, S. 194); Rudolf von Ems, »Alexander« (nach 1230), vv. 3158-3162: wie ist sô gar meisterlich | sîn Tristan [Hs. M: tristam; B: dristram]! swer den ie gelas, | der mac wol hœren daz er was | ein schrôter süezer worte | und wîser sinne ein porte. Zitiert nach Rudolf von Ems: Alexander. Ein höfischer Versroman des 13. Jahrhunderts. Zum ersten Male hrsg. von Victor Junk, Bd. 1, Leipzig 1928 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 272), S. 115f. In der »Steirischen Reimchronik« (1301-1319) Ottokars von Steiermark heißt es in Bezug auf die Beschreibung höfischer Jagdkultur: swer des kunde welle hân | der sol Tristramen [Hs. 1: trystamen] lesen, | dem ist wol kunt gewesen | swaz ze gejeide gehôrt. (vv.-19919-19922) Zitiert nach Ottokars Österreichische Reimchronik. Nach den Abschriften Franz Lichtensteins hrsg. von Joseph Seemüller, Bd. 1, Hannover 1890 (MGH. Deutsche Chroniken 5 / 1) [Nachdruck München 1980], S. 264. Ottokar scheint sich mit Tristram dabei offensichtlich (auch? ) auf die Figur zu beziehen. 22 Zitiert nach Nigel F. Palmer: German Literary Culture in the Twelfth and Thirteenth Centuries. An Inaugural Lecture Delivered Before the University of Oxford on 4 March 1993, Oxford 1993, S. 19 Anm.-67. - Ob sich diese und andere Bezeichnungen jeweils auf den »Tristan« Gottfrieds von Straßburg, den »Tristrant« Eilharts von Oberg oder eine ganz andere (verlorene, französische oder mündliche) Form des Stoffes beziehen, lässt sich im Einzelfall nicht klären, da sich die Namensformen der Figuren überhaupt als außerordentlich unfest erweisen. So wird auch Gottfrieds Protagonist in den Handschriften (unter Einfluss von Eilharts Roman? ) zuweilen als Tristrant bezeichnet. Auch der zwischen 1556 bis 1559 entstandene Bibliothekskatalog der pfalzgräflichen Schlossbibliothek in Heidelberg führt Gottfrieds Roman als Tristrandt auf (siehe dazu unten, S. 191). - Hugo Kuhn glaubt deshalb, dass bei den zeitgenössischen Rezipienten »kein ausdrückliches Bewußtsein der Differenz zwischen Eilhart und Gottfried« bestanden hätte (Hugo Kuhn: Bemerkungen zur Rezeption des Tristan im deutschen Mittelalter. Ein Beitrag zur Rezeptionsdiskussion, in: Liebe und Gesellschaft, hrsg. von Wolfgang Walliczek, Stuttgart 1980 (Kleine Schriften 3), S. 36-43, hier S. 37). Dagegen spricht allerdings ein Eintrag in der Kölner »Tristan«-Handschrift B. Dort heißt es: Hie beginnet der nuwe tristan (Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7020 (W*) 88, Bl. 1 a ). Es existierte also zu Beginn des 14. Jh.s offenbar zumindest eine grobe Vorstellung von der Entwicklung des Tristanstoffes im deutschsprachigen Raum. 23 Vgl. für die unterschiedlichen Formen des Namens Tristan Friedrich Panzer: Personennamen aus dem höfischen Epos in Baiern, in: Philologische Studien. Festgabe für Eduard Sievers zum 1. Oktober 1896, hrsg. von K. Bohnenberger u. a., Halle a.S. 1896, S. 205-220, hier S. 217; Ernst Kegel: Die Verbreitung der mittelhochdeutschen erzählenden Literatur in Mittel- und Niederdeutschland, nachgewiesen auf Grund von Personennamen, Halle a.S. 1906 (Hermaea 3), S. 108-124. Einen Tristamus von Aich erwähnt für das Jahr 1287 weiterhin Bumke 6 1992a, S. 711. Ergänzend wäre etwa ein Tristan von Scharenstetten anzuführen, der am 11. Juli 1380 den Verkauf der Gleißenburg bei Blaubeuren bezeugt (Sigmaringen, Staatsarchiv, FAS DS 27 T 1 R 75,20). In den Urkunden des Kaisers Sigismund wird zwischen 1412 und 1413 außerdem mehrfach ein Tristan von Savorgnano (Friaul) genannt, vgl. Die Urkunden Kaiser Sigismunds (1410-1437), verzeichnet von Wilhelm Altmann, Bd. 1, Innsbruck 1896-1897 (Regesta Imperii 11 / 1), Nr. 263, 496, 497 f., 506 f., 523, 532, 548 f. Mehrere südwestdeutsche Urkunden belegen außerdem einen Tristram bzw. Drisdram von Waldeck (etwa Urkunde vom 1. August 1417, Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 602, Nr. 7739; Urkunde vom 7. Februar 1428, ebd., Nr. 7745). Ein Junker Arnolt Tristan wird am 11. Juli 1457 als verstorbener Ehemann Margarethes von Bettingen genannt (Karlsruhe, Badisches Generallandesarchiv, 26, Nr. 2567). 15 seines Protagonisten für den Text, wenn er von Tristan als demjenigen spricht, von dem diu mære erhaben sint (v. 1864). 24 Trotz ihrer offenkundig großen Bedeutung für die zeitgenössischen Rezipienten blieben die Figuren lange eine Leerstelle der mediävistischen Erzählforschung, so dass Markus Stock noch 2010 von einem »Kernproblem historischer Narratologie« gesprochen hat. 25 Die fehlende theoretische Auseinandersetzung in der Germanistischen Mediävistik entspricht dabei auch dem allgemeinen Umgang mit Figuren in der Erzählforschung, die sich insgesamt erstaunlich wenig um diesen eigentlich zentralen Gegenstand gekümmert hat. 26 Erst in den letzten Jahren ist dagegen ein deutlicher Aufschwung der narratologischen Figurenforschung festzustellen: Während sich Stock etwa noch darüber beklagt, dass in der kanonischen »Einführung in die Erzähltheorie« von Matías Martínez und Michael Scheffel der Figur bis zur achten Auflage von 2009 überhaupt keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde, 27 widmet ihr die neunte Auflage von 2012 bereits ein ganzes Kapitel. 28 Figuren haben offenbar Konjunktur. Gemeinsam mit dem grundsätzlich stark gestiegenen Interesse der Mittelalter-Philologien an erzähltheoretischen Fragen 29 hat das dazu beigetragen, dass die Figur nun auch verstärkt in den Fokus der mediä- Noch am Beginn des 17. Jh.s erscheint ein Tristrant von Montfort als Statthalter der gleichnamigen Grafen (Urkunde vom 22. Juli 1603, Neuenstein, Hohenlohe-Zentralarchiv, La 165 U 21). 24 Ich zitiere den Text hier und im Folgenden unter Angabe der jeweiligen Verse nach folgender Ausgabe: Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde, hrsg. von Walter Haug und Manfred Günter Scholz. Mit dem Text des Thomas, hrsg., übers. und komm. von Walter Haug, Bd. 1-2, Berlin 2011 (Bibliothek deutscher Klassiker 192 / Bibliothek des Mittelalters 10-11). Auf Kommentar und Übersetzung verweise ich als Haug / Scholz. Vergleichend wird vor allem für den Variantenapparat folgende Ausgabe herangezogen: Gottfried von Straßburg: Tristan, Bd. 1: Text, hrsg. von Karl Marold. Unveränderter 5. Abdruck nach dem 3., mit einem auf Grund von Friedrich Rankes Kollationen verb. kritischen Apparat bes. und mit einem erw. Nachwort vers. von Werner Schröder, Berlin / New York 2004 [zitiert als Marold / Schröder]. Des Weiteren verweise ich auf die Übersetzung von Peter Knecht (Gottfried von Straßburg: Tristan, Bd. 2: Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung in das Werk von Tomas Tomasek, Berlin / New York 2004 [Knecht]) sowie Kommentar und Übersetzung von Rüdiger Krohn (Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hrsg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn, Bd. 1-3, Stuttgart 1980 (RUB 4471-4473) [Krohn]). - Für Markus Stock zeigt sich in solchen Äußerungen eine »Sekundarität von Handlungsverlauf und -gestaltung gegenüber der sie bestimmenden Figur.« (Stock 2012, S. 190) 25 So der Titel von Stock 2010. Zum Stand der mediävistischen Figurenforschung weiterhin Eva von Contzen: Why We Need a Medieval-Narratology. A Manifesto, in: Diegesis 3 / 2 (2014), S. 1-21, hier S. 10-12. 26 Vgl. etwa Shlomith Rimmon-Kenan: Narrative Fiction. Contemporary-Poetics, London / New York ²2002, S.-29; Eder ²2014, S. 39. 27 Vgl. Matías Martínez / Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie, 8.-Aufl., München 2009. Dazu Stock 2010, S. 189. 28 Vgl. Matías Martínez / Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie, 9., aktual. und überarb. Aufl., München 2012, S. 144-150. Siehe jetzt Matías Martínez / Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie, 10., überarb. Aufl., München 2016, S. 147-153. - Einen der wichtigsten älteren deutschsprachigen Beiträge zur Figurentheorie bietet mit Blick auf dramatische Texte Manfred Pfister: Das Drama. Theorie und Analyse, München 4 1984, S. 220-264. Ein ausgeprägtes diachrones Interesse besitzt Thomas Koch: Literarische Menschendarstellung. Studien zu ihrer Theorie und Praxis (Retz, La Bruyère, Balzac, Flaubert, Proust, Lainé), Tübingen 1991 (Romanica et comparatistica 18). Ziel seiner Arbeit ist es dabei in erster Linie, »eine Vielzahl von Beschreibungskategorien und -modellen aus allen Epochen der abendländischen Literaturtheorie und -wissenschaft zueinander in Beziehung zu setzen« (ebd., S. 9). Das Ergebnis hat vor allem den Charakter einer Geschichte der Figurenpoetik bzw. -forschung. 29 Dafür steht neben den seit 2018 erscheinenden »Beiträgen zur mediävistischen Erzählforschung« etwa die Arbeit des 2017 abgeschlossenen DFG-Netzwerks »Medieval Narratology«, dessen Ergebnisse in fol- Einleitung 15 16 Einleitung vistischen Narratologie gerückt ist. Neben einem Kapitel aus Armin Schulz’ »Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive« aus dem Jahr 2012 30 ist in diesem Kontext vor allem ein 2014 in der »Diegesis« erschienener Aufsatz von Silvia Reuvekamp zu nennen. 31 Weil Schulz und Reuvekamp in unterschiedlichen narratologischen Traditionen stehen, betrachten sie ihren Gegenstand dabei aus ganz verschiedenen Blickwinkeln. Sie vertreten damit zwei alternative Möglichkeiten, literarische Figuren wahrzunehmen. Um das auszuführen, lohnt sich ein kurzer Blick auf die Geschichte der Figurenforschung: Spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts haben sich in der Literaturwissenschaft, was die Wahrnehmung von literarischen Figuren angeht, zwei Lager herausgebildet. Es geht dabei, vereinfacht gesagt, um die Frage, was Figuren eigentlich sind: Abbilder realer Personen oder textuelle Artefakte. 32 Der erste, ›mimetische‹ Standpunkt wurde neben der klassischen Hermeneutik vor allem in der psychoanalytisch ausgerichteten Literaturtheorie prominent vertreten. 33 Schon Sigmund Freud bezog sich für seine Überlegungen bekanntlich mit Vorliebe auf literarische Figuren. Das dabei zugrunde gelegte Figurenbild veranschaulicht ein Zitat seines Schülers Theodor Reik. Im Vorwort einer Arbeit über Arthur Schnitzler schreibt er: »Die vorliegende Untersuchung behandelt die Gestalten der Dichtungen […] als Objekte psychologischer Analyse; so, als wären sie wirklich lebende Menschen.« 34 Gegen diese Position wurde früh zum Teil heftige Kritik geäußert. Besonders bekannt ist ein Zitat Robert Musils aus dem Entwurf einer Rezension zu Reik: »Das ganze Unterfangen geht von einer falschen Voraussetzung aus. Personen eines Dichtwerks wie lebende Menschen behandeln ist die Naivität gendem Sammelband veröffentlicht wurden: Narratologie und mittelalterliches Erzählen. Autor, Erzähler, Perspektive, Zeit und Raum, hrsg. von Eva von Contzen / Florian Kragl, Berlin / Boston 2018 (Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung. Beihefte 7). Da sich der Band auf die beiden Schwerpunkte ›Autor / Erzähler / Perspektive‹ und ›Zeit / Raum‹ konzentriert, spielen Figuren darin eine untergeordnete Rolle. - Zu Stand und Perspektiven der mediävistischen Erzählforschung weiterhin Eva von Contzen: Diachrone Narratologie und historische Erzählforschung. Eine Bestandsaufnahme und ein- Plädoyer, in: Beiträge zur mediävistischen Erzählforschung 1 (2018), S. 17-36. 30 Vgl. Armin Schulz: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive, hrsg. von Manuel Braun u. a., Berlin / Boston 2012, Kap. 2.1: Echte Menschen und literarische Figuren; Charaktere und Typen, S. 8-19. 31 Silvia Reuvekamp: Hölzerne Bilder - mentale Modelle? Mittelalterliche Figuren als Gegenstand einer historischen Narratologie, in: Diegesis 3 / 2 (2014), S. 112-130. 32 Vgl. auch im Folgenden den Überblick bei Rimmon-Kenan ²2002, S. 31-33; Eder ²2014, S. 30-32; Martínez / Scheffel 10 2016, S. 189f. 33 Zur Frage der Aktualität psychoanalytischer Zugänge in der Germanistischen Mediävistik siehe unten, S.- 53 Anm.- 96. Sophie Marshall hat jüngst einen alternativen Ansatz psychoanalytischer Interpretation vertreten, der nicht von der Figur als ›Person‹ ausgeht, sondern im Gegenteil die »textstrukturelle Gemachtheit« der Figuren explizit voraussetzt. Es gehe um die psychoanalytische »Beschreibung der Textstrukturen mit den Namen Lanzelet, Gahmuret, Tristan und Wigalois.« (Sophie Marshall: Unterlaufenes Erzählen. Psychoanalytische Lektüren zum höfischen Roman, Wiesbaden 2017 (MTU 146), S. 15) Dafür beruft sich Marshall auf die Weiterentwicklung der Psychoanalyse bei Lacan: »In radikaler Perspektive untersucht Lacan keine physischen Menschen, sondern deren ›Texte‹« (ebd.). 34 Theodor Reik: Arthur Schnitzler als Psycholog. Mit einer Einleitung und Anmerkungen hrsg. von Bernd Urban, Frankfurt a. M. 1993 [zuerst 1913], S. 29. Ein solcher Umgang mit literarischen Figuren lässt sich in der Psychoanalyse bis heute beobachten. So möchte sich etwa Tilmann Moser bei seiner Lektüre von Elfriede Jelinek, Samuel Beckett oder Charlotte Roche »lesend mit den leidenden Personen identifizieren, als seien es Mitmenschen aus unserer näheren Umgebung« (Tilmann Moser: Lektüren eines Psychoanalytikers. Romane als Krankengeschichten, Gießen 2013, S. 10). 17 eines Affen, der in den Spiegel greift.« 35 Es waren dann vor allem strukturalistische Theorien, die in Abgrenzung von der Psychoanalyse den Unterschied zwischen Figuren und Personen hervorgehoben haben. Die literarischen Akteure erscheinen hier nur noch als Bündel von Textstrukturen. 36 Aufgrund des maßgeblichen Einflusses, den der Strukturalismus auf die moderne Narratologie ausgeübt hat, 37 hält sich diese Überzeugung zum Teil bis heute. Einer Figur ›Personalität‹ zuzugestehen gilt demgegenüber als literaturwissenschaftlicher Fauxpas. 38 Das betrifft gerade auch die mediävistische Erzählforschung, da sie aufgrund der Bedeutung von Handlungsstrukturen und Erzählschemata in mittelalterlichen Texten eine besonders große Nähe zum Strukturalismus besitzt. 39 In dieser Tradition steht Schulz und fordert deshalb, als Literaturwissenschaftler*in »den Blick […] auf die spezifische ›Künstlichkeit‹ bzw. ›Gemachtheit‹ der Erzählung zu lenken« 40 . Diese einseitige Betonung der Artifizialität literarischer Figuren wurde wiederum aus rezeptionsästhetischer Perspektive auf den Prüfstand gestellt. So hat schon Herbert Grabes 1978 danach gefragt, ›wie aus Sätzen Personen werden‹: 35 Zitiert nach Oliver Pfohlmann: ›Eine finster drohende und lockende Nachbarmacht‹? Untersuchungen zu psychoanalytischen Literaturdeutungen am Beispiel von Robert Musil, München 2003 (Musil-Studien 32), S.- 12. - Man könnte hier natürlich auf die lange literarische Tradition von Spiegelmetaphern verweisen, die gerade für die Literatur des Mittelalters eine ausgesprochen große Bedeutung besitzen, vgl. Horst Wenzel: Spiegelungen. Zur Kultur der Visualität im Mittelalter, Berlin 2009 (Philologische Studien und Quellen 216), bes. S. 15, 64-96. Wenzel spricht geradezu von einer ›Spiegelpoetik‹ der mittelalterlichen Literatur, in der die Figuren zu Spiegeln für die Leser und Hörer werden, ebd., S. 94-96. Thomasin von Zerklære fordert weiterhin regelrecht dazu auf, literarische Figuren genauso wie reale Personen als Spiegel vorbildlichen Verhaltens zu benutzen. Zum Spiegelstatus der Mitmenschen etwa »Der Welsche Gast«, vv. 619f.: wan diu vrumen liute sint | und suln sîn spiegel dem kint. Zitiert nach Der wälsche Gast des Thomasin von Zirclaria. Zum ersten Male hrsg. mit sprachlichen und geschichtlichen Anm. von Heinrich Rückert, Quedlinburg / Leipzig 1852 (Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur 30), S. 17f. Dazu Wenzel 2009, S. 70-72. Auch Gottfried arbeitet mit dem Bild des Menschen als Spiegel, wenn er davon spricht, Tristans Ziehmutter Floräte sei wîbes êre ein spiegelglas (v. 1907). 36 Von einem »Mengendurchschnitt struktureller Funktionen« spricht in Anlehnung an Vladimir Propp etwa Jurij M. Lotman: Die Struktur literarischer Texte. Übers. von Rolf-Dietrich Keil, München 1972 [zuerst im russischen Original 1970], S. 341. Zu den (post-)strukturalistischen Figurentheorien auch Fotis Jannidis: Figur und Person. Beitrag zu einer historischen Narratologie, Berlin / New York 2004 (Narratologia 3), S.-147-169; Eder 2 2014, S. 48-51. 37 Zum strukturalistischen Erbe der Narratologie vgl. von Contzen 2014, S. 4; 2018a, S. 17; Hartmut Bleumer: Historische Narratologie, in: Literatur- und Kulturtheorien in der Germanistischen Mediävistik. Ein Handbuch, hrsg. von Christiane Ackermann / Michael Egerding, Berlin / Boston 2015, S. 213-274, hier S. 213. Ansgar Nünning spricht davon, dass »die moderne Narratologie primär strukturalistischer Provenienz« sei (Ansgar Nünning: Art. Erzähltheorien, in: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze - Personen - Grundbegriffe, hrsg. von Ansgar Nünning, 5., aktual. und erw. Aufl., Stuttgart / Weimar 2013, S. 187-191, hier S.-187). 38 Vgl. etwa Jörn Stückrath: Figur und-Handlung, in: Literaturwissenschaft. Ein Grundkurs, hrsg. von Helmut Brackert / Jörn Stückrath, erw. und durchges. Ausg., 8.-Aufl., Reinbek bei Hamburg 2004, S. 40-53, hier S. 41: »Literarische Figuren bestehen aus Wörtern und Sätzen. Sie referieren nicht auf konkrete Personen aus Fleisch und Blut. Wer, wie Christian Friedrich Daniel Schubart, über Werthers Schicksal Tränen vergießt […], weint über eine fiktive Figur, deren materielle Existenz aus Druckerschwärze besteht.« 39 Vgl. Schulz 2012, S. 165. 40 Ebd., S. 10. Einleitung 17 18 Einleitung Über den ständigen Hinweisen auf den Künstlichkeitscharakter der Figuren wurde die sich eigentlich um so dringlicher stellende Frage vergessen, wie denn überhaupt jemand auf die Idee kommen kann, solche literarischen Gebilde […] als ›Personen‹ zu betrachten. 41 D a s s Rezipienten auf die Idee kommen, Figuren als ›Personen‹ zu betrachten, ist auch Schulz durchaus bewusst: Literarische Figuren erwecken ganz selbstverständlich den Anschein, echte Menschen zu sein. Was uns die Texte nicht über sie erzählen, vor allem über ihr Innenleben, ergänzen wir spontan aus unserem eigenen Erfahrungsschatz, aus unseren eigenen Gefühlen und Gedanken, wenn wir uns vorstellen, in der gleichen Situation zu sein. […] So lernen wir lesen, und wir können es zunächst gar nicht anders. 42 Auch Joel Weinsheimer, ansonsten ein deutlicher Kritiker des ›mimetischen‹ Standpunktes, beschreibt eine solche illusionistische Wirkung von Figuren, der man sich kaum entziehen könne. 43 Er spricht in diesem Zusammenhang von der illusion that characters have a life independent of the text. […] In fact, rarely during the act of reading we aware that ›Emma‹ [die Protagonistin in Jane Austens gleichnamigem Roman] is fictive, and the infrequent moments of such awareness are perfectly unnatural. 44 Bei Schulz und Weinsheimer geht es in erster Linie darum, wie man als Literaturwissenschaftler*in diese ›naive‹ Lektürehaltung überwinden könne. Wenn wir uns allerdings dafür interessieren, wie (historische) Leser und Hörer eine Erzählung verstehen, dann bildet die Wahrnehmung der Figuren als ›Personen‹ offensichtlich eine mögliche und mit Blick auf moderne Rezipienten sogar empirisch ausgesprochen übliche Lektürehaltung. Grabes fordert deshalb, sie in die literaturwissenschaftliche Betrachtung miteinzubeziehen: »Bei der Analyse kann man zwar nicht in dieser Illusionswirkung verbleiben, aber man muß mit ihr rechnen und sie als das ›primäre‹ Phänomen zu erklären suchen.« 45 Er möchte daher den Prozess der Illusionsbildung selbst zum Gegenstand der Analyse machen. 46 41 Herbert Grabes: Wie aus Sätzen Personen werden… Über die Erforschung literarischer Figuren, in: Poetica 10 (1978), S. 405-428, hier S. 405. 42 Schulz 2012, S. 8. 43 Vgl. Joel Weinsheimer: Theory of Character: »Emma«, in: Poetics Today 1 (1979), S. 183-211, hier S. 185: »I am caught. How is it possible to refuse the illusion that Emma Woodhouse was a woman whom I can discuss with as much unself-consciousness as the woman next door? At the very moment I refer to her (her: third person, feminine), I have already tacitly removed her from the novel, credited her with an independent life, and assumed a mimetic theory of character.« Auch Jörn Stückrath spricht von einer »auffällig[en] suggestive[n] Kraft« der Figuren: »Das Wissen, daß literarische Figuren luftige Gebilde sind, schützt uns aber nicht im mindesten davor, auf sie emotional zu reagieren, a l s o b sie unsere leibhaftigen Freunde und Widersacher sind.« (Stückrath 2004, S. 41) - Zu dieser starken Illusionswirkung weiterhin Grabes 1978, S. 407: »Selbst wenn man ein Werk ausdrücklich in der Absicht rezipiert, die Figuren bzw. ihre Konstitution im Verlaufe eines Dramas oder einer Erzählung zu analysieren, dokumentiert sich die Dominanz der Illusionsbildung bei wirkungsstarken Werken darin, daß die Analyseebene nur mit einer gewissen Anstrengung beibehalten werden kann und man nur zu leicht geneigt ist, in die ›normale‹ Lese- oder Zuschauergewohnheit zurückzugleiten, um sich in willing suspension of disbelief der Illusionswirkung anheimzugeben und die literarischen Figuren als Personen zu betrachen.« 44 Weinsheimer 1979, S. 187. 45 Grabes 1978, S. 407. 46 Vgl. ebd., S. 426. 19 Dieser kognitionsorientierte Ansatz wurde mit unterschiedlichen Schwerpunkten in den letzten beiden Jahrzehnten vor allem von Ralf Schneider, Fotis Jannidis und Jens Eder eingelöst. 47 Schneider beschreibt die Figur dabei als eine mentale Repräsentation des Lesers. 48 Dieses m e n t a l e M o d e l l d e r F i g u r werde ausgehend von bestimmten Basis-Annahmen - zum Beispiel, dass jede Figur über ein Äußeres und ein Inneres verfüge 49 - während der Lektüre gebildet. Dafür würden sich die Rezipienten sowohl auf die unvollständigen Informationen aus dem Text als auch auf text-externe Wissensbestände beziehen. 50 Weil die Bildung des mentalen Modells literarischer Figuren analog zur Wahrnehmung unserer Mitmenschen funktioniert und zum Teil auf denselben Basis-Annahmen beruht, 51 besitzt das Konzept wieder eine größere Offenheit dafür, sich Figuren wie reale Personen vorzustellen. 52 Das bedeutet ausdrücklich nicht, dass Figuren unabhängig vom Text existieren. Sie sind jedoch »als Artefakte auf Vorstellungen von Personen bezogen« und werden »vom Rezipienten auch entsprechend wahrgenommen« 53 . Diesem Modell folgt Reuvekamp, die deshalb in expliziter Abgrenzung von Schulz auch für mittelalterliche Figuren von einer »automatisierten Unterstellung von Personalität« 54 ausgeht. Die neue Aufgeschlossenheit für die Wahrnehmung der Figur als ›Person‹ lässt sich auch an anderer Stelle in der Germanistischen Mediävistik beobachten. So erkennen etwa die Herausgeber*innen des 2017 erschienenen Sammelbandes zu »Emotion und Handlung im Artusroman« eine Wiederbelebung und […] damit einhergehende aktuelle Popularität von überholt geglaubten narratologischen Modellen und Theorien, wodurch der Blick neu auf den erzählerischen Umgang mit Figuren und insbesondere auf ihre Wahrnehmung und ›Komplettierung‹ durch den […] Leser oder 47 Vgl. Ralf Schneider: Grundriß zur kognitiven Theorie der Figurenrezeption am Beispiel des viktorianischen Romans, Tübingen 2000 (ZAA Studies. Language, Literature, Culture 9); Jannidis 2004a; Eder ²2014 (in Bezug auf Figuren im Film). Siehe auch Jens Eder u.a.: Characters in Fictional-Worlds. An-Introduction, in: Characters in Fictional Worlds. Understanding Imaginary Beings in Literature, Film, and Other Media, hrsg. von Jens Eder u. a., Berlin / New York 2010 (Revisionen 3), S. 3-64. 48 Vgl. Schneider 2000, S. 59-98; Jannidis 2004a, S. 177-185. 49 Vgl. Jannidis 2004a, S. 192f. 50 Zum ›Basistypus‹ als »basale[r] Struktur der Informationen in der mentalen Repräsentation einer Figur« auch Jannidis 2004a, S. 126-128, 185-195, Zitat S. 192. 51 Dass die mentalen Modelle von literarischen Figuren und realen Personen »kognitiv zumindest teilweise auf ähnliche Weise konstruiert werden«, betonen etwa Martínez / Scheffel 10 2016, S. 150. Aus kognitionspsychologischer Sicht Richard J. Gerrig / David W. Allbritton: The Construction of-Literary Character. A View from-Cognitive Psychology, in: Style 24 (1990), S. 380-391, hier S. 380: »The very act […] of creating new personages in our heads is preeminently u n special. In a variety of circumstances we are called upon to create mental representations for individuals for whom we have no direct evidence. We expect to find equivalent cognitive processes operating when we hear a story about a colleague’s distant cousin, read a biography of a historical figure, or encounter a new character in a novel.« 52 Vgl. dazu Jannidis 2004a, S. 9: »Unter dieser Untersuchungsperspektive ist das Verhältnis von Figuren und Personen erneut problematisch geworden. Es gehört zu den Binsenweisheiten der Literaturwissenschaft, daß die Figur etwas kategorial anderes ist als eine Person in der lebensweltlichen Wahrnehmung.« Neben dieser »kategoriale[n] Trennung« bestehe jedoch eine »gleichzeitig[ ] enge[ ] Relation« zwischen Figuren und Menschen. 53 Reuvekamp 2014, S. 115. 54 Ebd., S. 113. Einleitung 19 20 Einleitung Hörer gelenkt wurde. Figuren wirken, v. a. wenn von ihren emotionalen Äußerungen berichtet wird, zunächst wie ›Personen‹ […]. 55 Angesichts der Tatsache, dass die historische Narratologie bisher zu zeigen bemüht war, dass Figuren »gerade keine Personen darstellen«, schlagen sie nun einen »Mittelweg« zwischen den beiden Standpunkten vor. 56 Überhaupt werden in der neueren Erzählforschung die konkurrierenden Positionen nicht mehr als einander ausschließende Gegensätze verstanden. So sind schon bei James Phelan ›synthetische‹ und ›mimetische‹ Aspekte (gemeinsam mit anderen) gleichermaßen an der Konstruktion und Wahrnehmung von Figuren beteiligt. 57 Besonders deutlich wird diese Perspektive bei Eder (als Unterscheidung von ›fiktiven Wesen‹ und ›Artefakten‹) sowie in der erzähltheoretischen Einführung von Tilman Köppe und Tom Kindt (›Figuren als Personen‹ und ›Figuren als Artefakte‹) zum Ausdruck gebracht. 58 Dass grundsätzlich mit Wechselwirkungen zwischen den beiden Perspektiven zu rechnen ist, zeigt schon ein Blick auf die Geschichte einiger zentraler Ausdrücke aus dem Wortfeld der Figur. So stammt etwa das Wort ›Person‹ vom lat. persona, mit dem im antiken Theater die Maske des Schauspielers und davon ausgehend seine Rolle im Stück bezeichnet wurden. Erst über die Vorstellung der Welt als Theater (theatrum mundi) 59 wird der Ausdruck auf die 55 Cora Dietl u.a.: Vorwort der Herausgeber, in: Emotion und Handlung im- Artusroman, hrsg. von Cora Dietl u. a., Berlin / Boston 2017 (Schriften der Internationalen Artusgesellschaft. Deutsch-österreichische Sektion 13), S. IX-XX, hier S. X. - Von Contzen betont in ihrem Forschungsüberblick in Bezug auf die Figurendarstellung im Artusroman ebenfalls eine »anthropological dimension of character depiction […] that is beyond the scope of structuralist approaches« (von Contzen 2014, S. 12). Auch Kragl geht davon aus, dass Figuren »stets irgendeine analogische Nähe mit jenen Personen verbindet, die die Teilhaber am literarischen Leben um sich herum im ›wirklichen‹ Leben wahrnehmen« (Kragl 2019, S. 180). 56 Dietl u. a. 2017, S. Xf. 57 James Phelan: Reading People, Reading Plots. Character, Progression, and the Interpretation of Narrative, Chicago / London 1989, S. 2f. Darauf bezieht sich auch Matthias Meyer: Struktur und Person im Artusroman, in: Erzählstrukturen der Artusliteratur. Forschungsgeschichte und neue Ansätze, hrsg. von Friedrich Wolfzettel unter Mitwirkung von-Peter Ihring, Tübingen 1999, S. 145-163, bes. S. 147-149; Matthias Meyer: Der-Weg des Individuums. Der epische Held und (s)ein-Ich, in: Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur, 1150-1450, hrsg. von Ursula Peters, Stuttgart / Weimar 2001 (Germanistische Symposien. Berichtsbände 23), S. 529-545, bes. S.-533. 58 Vgl. Eder 2 2014, S. 134-143; Tilmann Köppe / Tom Kindt: Erzähltheorie. Eine Einführung, Stuttgart 2014 (RUB 17683), S. 120-146. Sowohl Eder als auch Köppe und Kindt nennen weitere Ebenen der Figur (die Figur als ›Symptom‹ / ›Symbol‹ bzw. ›Figur als Bedeutungsträger‹), die allerdings im vorliegenden Zusammenhang keine Rolle spielen. 59 Das schon bei Platon gebrauchte Bild von der Welt als Theater zitiert im 12. Jh. Johannes von Salisbury, wenn er im »Policraticus« (1156-1159) über die vorbildlichen Menschen schreibt: Hi sunt forte qui de alto uirtutum culmine theatrum mundi despiciunt ludumque fortunae contempnentes nullis illecebris impelluntur ad uanitates et insanias falsas. ( Johannes von Salisbury, »Policraticus«, 3,9) Zitiert nach Ioannis Saresberiensis episcopi Carnotensis Policrati sive De nugis curialium et vestigiis philosophorum libri VIII, recognovit et prolegomenis, apparatu critico, commentario, indicibus instruxit Clemens C.I. Webb, Bd. 1, Oxford 1909, S. 199, Z. 5-8. ›Diese sind etwa diejenigen, die vom hohen Gipfel der Tugenden auf das Theater der Welt herabsehen und, das Spiel des Glücks verachtend, von keinen Lockungen zu Nichtigkeiten und unwahren Tollheiten verleitet werden.‹ Zu dieser Stelle auch Peter von Moos: Geschichte als Topik. Das rhetorische Exemplum von der Antike zur Neuzeit und die historiae im »Policraticus« Johanns von Salisbury, Hildesheim u. a. 1988 (Ordo 2), S. 511f. - Überhaupt wird in der theologisch-philosophischen Tradition des Christentums die Welt immer wieder als ein Kunstwerk Gottes beschrieben, weshalb die realen Menschen als (göttliche) Artefakte erscheinen. In diesem Sinne bezieht sich etwa Augustinus (gest. 430) auf ein Bild von Plotin und vergleicht die Welt mit einem (inszenierten) Wettkampf (agon), bei dem die göttliche Providenz die Rollen verteilt, wie ein Künstler die Farben eines Gemäldes: Sed sicut niger co- 21 außerliterarische Realität übertragen. 60 Auch der Begriff der ›Rolle‹ (von lat. rotulus) stammt aus dem Bereich des Theaters und bezeichnete ursprünglich die (auf einer Schriftrolle festgehaltene) Textpartie eines Schauspielers. 61 Der Ausdruck ›Charakter‹ wiederum leitet sich vom gr. Verb charássein (›einritzen‹) ab und fungierte ursprünglich als Äquivalent zu lat. stilus (›schriftliche Eigenart‹). 62 Noch um 1200 lautet die Grundbeutung von mhd. karacter ›Schriftzeichen‹. 63 Der Begriff, der sich heute vor allem auf die persönlich-psychologische Eigenart eines Menschen bezieht, - weshalb er in der (deutschsprachigen) Forschung als Synonym für ›Figur‹ vermieden wird - besitzt damit ebenfalls eine ›literarische‹ Herkunft. Auch mittelalterlichen Autoren waren offenbar beide Aspekte literarischer Figuren bewusst, wie sich wiederum an Thomasin zeigen lässt. Kurz nach der oben angeführten Stelle heißt es im »Welschen Gast« in Bezug auf die höfische Literatur: ein hülzîn bilde ist niht ein man. swer ave iht verstên kan, der mac daz verstên wol, daz ez einen man bezeichen sol. (Thomasin von Zerklære, »Der Welsche Gast«, vv. 1127-1130) 64 Reuvekamp zitiert diese Stelle als Beleg dafür, dass auch in mittelalterlicher Perspektive Figuren als »ästhetische Simulation[en] des Menschlichen« aufgefasst wurden. 65 Thomasins Aussage lässt sich aber von beiden Seiten aus lesen: Sie bietet zwar einen Hinweis auf eine ›mimetische‹ Funktion von Figuren als Repräsentation realer Personen, leugnet jedoch gleichzeitig nicht ihre künstliche Gemachtheit. Auch Thomasin ist sich offenbar darüber im Klaren, lor in pictura cum toto fit pulcher, sic istum totum agonem decenter edit incommutabilis diuina prouidentia, aliud uictis, aliud certantibus, aliud uictoribus, aliud spectatoribus. (Augustinus, »De vera religione«, 40,76) Zitiert nach Aurelii Augustini opera, Bd. 4 / 1: De doctrina christiana. De vera religione, cura et studio Josephus Martin / K.-D. Daur, Turnhout 1962 (CCSL 32), S. 237, Z. 58-61. Etwa: ›Denn so wie die schwarze Farbe in der Gesamtkomposition eines Bildes schön aussieht, so führt die unwandelbare göttliche Vorsehung diesen ganzen Wettkampf vortrefflich auf: Besiegten, Wettstreitenden, Siegern und Zuschauern weist sie unterschiedliche Rollen zu.‹ 60 Dazu Manfred Fuhrmann u.a.: Art. Person, in: HWPh 7 (1989), Sp. 260-338, hier Sp. 269 f.; Jan A. Aertsen: Einleitung: -Die Entdeckung des Individuums, in: Individuum und Individualität im Mittelalter, hrsg. von Jan A. Aertsen / Andreas Speer, Berlin / New York 1996 (Miscellanea mediaevalia 24), S. IX-XVII, hier S. -XV. Während die Bezeichnung der Akteure in der antiken Gerichtsrhetorik als persona noch zwischen beiden Bereichen vermittelt, habe der Ausdruck im Mittelalter schon nur noch den Menschen in einem allgemeinen Sinne bezeichnet, vgl. Fuhrmann u. a. 1989, Sp. 281 f. Für Matthias Däumer lebt dagegen in der mittelalterlichen Poetik der antik-rhetorische Begriff von persona als ›Maske‹ oder ›Rolle‹ fort, vgl. in Bezug auf die »Poetria nova« Galfreds von Vinsauf Matthias Däumer: Stimme im- Raum und Bühne im-Kopf. Über das performative Potenzial der höfischen Artusromane, Bielefeld 2013 (Mainzer Historische Kulturwissenschaften 9), S. 83-85. Zu lat. persona jetzt weiterhin Dillig 2019, S. 39f. 61 Vgl. Elke Platz-Waury: Art. Rolle, in: RLW 3 (2003), S. 313-315, hier S. 314. 62 Vgl. Bernard Asmuth: Art. Charakter, in: RLW 1 (1997), S. 297-299, hier S. 297f. 63 Vgl. BMZ, Bd. 1, S. 788; Lexer, Bd. 1, Sp. 1516. So gebraucht den Ausdruck auch Wolfram von Eschenbach im »Parzival«, vv. 453,11-17: Kyôt der meister wol bekant | ze Dôlet verworfen ligen vant | in heidenischer schrifte | dirre âventiure gestifte. | der k a r a k t e r â b c | muoser hân gelernet ê, | ân den list von nigrômanzî. Zitiert nach Wolfram von Eschenbach: Parzival. Nach der Ausgabe Karl Lachmanns rev. und komm. von Eberhard Nellmann. Übertr. von Dieter Kühn, Frankfurt a. M. 1994 (Bibliothek deutscher Klassiker 110 / Bibliothek des Mittelalters 8), Bd.-1, S. 750. (Hervorhebung L.M.) 64 Ausg. Willms 2004, S. 45f. 65 Vgl. Reuvekamp 2014, S. 115. Einleitung 21 22 Einleitung dass man Figuren je nach Blickwinkel sowohl als ›Artefakte‹ (bilde) als auch als ›Personen‹ (man) betrachten kann. Das Konzept des mentalen Modells der Figur bietet eine Möglichkeit, beide Perspektiven auf die Figur zu integrieren und danach zu fragen, wie sie sich bei der Lektüre zueinander verhalten. Es ist außerdem gut für die Anwendung auf vormoderne Literatur geeignet: 66 Die Tatsache, dass Rezipienten eine mentale Repräsentation literarischer Figuren bilden, kann man aus kognitionswissenschaftlicher Sicht als anthropologische Konstante ansehen, 67 während die zugrunde liegenden Basis-Annahmen und die jeweils abgerufenen Wissensbestände dem kulturellen Wandel unterliegen und deshalb historisiert werden müssen. 68 Ohnehin eignen sich rezeptionsorientierte Ansätze zur Beschreibung mittelalterlicher Literatur, da zumindest die lateinischen Dichtungslehren des Mittelalters - in der Tradition der antiken Gerichtsrhetorik - ausgesprochen rezipientenbezogen argumentieren. 69 So sind etwa die Ausführungen über die Beschreibung von Figuren (descriptio personæ) in der einflussreichen »Ars versificatoria« des Matthäus von Vendôme (um 1175) ausdrücklich auf die Wirkung auf den Zuhörer (auditor) ausgerichtet. 70 66 In der Germanistischen Mediävistik ist das Modell bereits vereinzelt rezipiert worden. Vgl. neben Reuvekamp 2014 schon Dimpel 2011, S. 136-144; in Bezug auf verschiedene Textsorten weiterhin Susanne Bernhardt: Figur im Vollzug. Narrative Strukturen im religiösen Selbstentwurf der »Vita« Heinrich Seuses, Tübingen 2016 (Bibliotheca Germanica 64), S. 28f., sowie Teresa Cordes: Narratologie und Sprachpragmatik. Die Erprobung eines Ansatzes zur Beschreibung von-Figuren am-Beispiel der »Kudrun«, in: Brüchige Helden --Brüchiges Erzählen. Mittelhochdeutsche-Heldenepik aus narratologischer Sicht, hrsg. von Anne-Katrin Federow u. a., Berlin / Boston 2017 (Texte und Studien zur mittelhochdeutschen Heldenepik 11), S. 149-163, hier S. 149-151. Zuletzt auch Karin 2019, S. 11; Bittner 2019, S. 13-16. - Zur grundsätzlich eher geringen Rezeption kognitionsorientierter Ansätze in der Mediävistik Robert Mohr: Cognitive Poetics und mittelalterliche Literatur. Chancen einer Untersuchung mittelalterlicher Leseprozesse und schemabezogener Identitätsbildung, in: ZfdA 141 (2012), S. 419-433, hier S. 419. 67 Vgl. Reuvekamp 2014, S. 115f. 68 Auch die Arbeit von Jannidis vertritt, wie ihr Titel deutlich macht, einen explizit historischen Anspruch. Eine tatsächliche Historisierung bleibt allerdings weitgehend aus, vgl. Stock 2010, 192 f.; Reuvekamp 2014, S. 130 Anm. 4. Zum Textkorpus, an dem Jannidis seine Theorie entwickelt, gehört zwar auch der 1509 zum ersten Mal gedruckte »Fortunatus« (der ebenfalls den Gegenstand von Reuvekamp 2014 bildet), um - wie Jannidis ausdrücklich betont - »die Tauglichkeit des analytischen Instrumentariums auch an einem historisch weiter entfernten Text demonstrieren zu können« ( Jannidis 2004a, S. 11). Im Laufe der Untersuchung kann man sich jedoch des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass der »Fortunatus« immer dann herangezogen wird, wenn er sich gerade als Beispiel eignet (etwa um zu zeigen, dass Tiere mitunter als Objekte dargestellt werden, vgl. ebd., S. 112f.). Überhaupt erfolgt die Heranziehung der Primärtexte bei Jannidis überwiegend illustrativ. - Was die Textauswahl angeht, so wäre weiterhin auch mit Blick auf Reuvekamp danach zu fragen, wie gut ein frühneuzeitlicher Prosaroman geeignet ist, um sich mit »[m]ittelalterliche[n] Figuren als Gegenstand einer historischen Narratologie« (so der Untertitel ihres Aufsatzes) auseinanderzusetzen. 69 Vgl. Gert Hübner: evidentia. Erzählformen und ihre Funktionen, in: Historische Narratologie. Mediävistische Perspektiven. Unter Mithilfe von Carmen Stange / Markus Greulich hrsg. von Harald Haferland / Matthias Meyer, Berlin / New York 2010 (Trends in Medieval Philology 19), S. 119-147, hier S. 133: »Die rhetorische Art der Reflexion über das Erzählen war in erster Linie von kommunikativen Wirkungskalkülen bestimmt.« 70 Vgl. Matthäus von Vendôme, »Ars versificatoria«, 1,40: si agatur de amoris efficacia, […] praelibanda est puellae descriptio et assignanda puellaris pulchritudinis elegantia, ut, audito speculo pulchritudinis, verisimile sit et quasi conjecturale auditori […]. Zitiert nach Edmond Faral: Les arts poétiques du-XII e et du XIII e siècle. Recherches et documents sur la technique littéraire du moyen âge, Paris 1958 (Bibliothèque de l’École des Hautes Études, Sciences Historiques et Philologiques 238), S. 119. Besonders in der Übersetzung von 23 Was in Bezug auf mittelalterliche Texte dagegen nicht geleistet werden kann, ist eine empirische Untersuchung der historischen Rezeption, wie sie Schneider für den viktorianischen Roman des 19. Jahrhunderts unternimmt. Um mittelalterliche Lesevorgänge nachvollziehen zu können, fehlen uns die notwendigen Quellen. Entsprechende Mitteilungen wie diejenigen von Petrus und Thomasin sind ausgesprochen selten und zudem von unsicherem Aussagewert. Ein direktes Zeugnis mittelalterlicher Rezeption bietet vor allem die handschriftliche Überlieferung der Texte, insofern jedes Manuskript das Produkt eines Lesers (des jeweiligen Redaktors) darstellt. Soweit es im vorliegenden Rahmen möglich ist, soll deshalb auch die Überlieferungsvarianz des »Tristan« berücksichtigt werden, 71 die in der Forschung bisher weitgehend vernachlässigt wurde. 72 Ansonsten ist die Beschreibung zeitgenössischer Rezeptionsvorgänge in erster Linie auf die Informationen angewiesen, die der literarische Text selbst bietet. Wie Eckart Conrad Lutz unter dem Stichwort des Lesevorgangs beschrieben hat, geht es dabei nicht nur um empirische, sondern auch und vor allem um intendierte Rezeptionsprozesse: Was geschieht im Leser (oder mit ihm), während er einen bestimmten Text […] wahrnimmt, was soll geschehen? Was lässt die Struktur des Artefakts (interne Lesesteuerung), was lässt der (überlieferte) Kontext, vorab die Handschrift (externe Lesesteuerung) erkennen? Dabei ist vorausgesetzt, dass so- Aubrey E. Galyon hat es den Anschein, Matthäus berücksichtige geradezu die kognitiven Aspekte der Rezeption: ›[I]f one writes about the power of love […] the audience ought to be given a foretaste of such exquisite feminine beauty, so that having a p i c t u r e of such beauty i n t h e i r m i n d s , they would find it reasonably believable.‹ Übersetzung aus Matthew of Vendôme: The Art of Versification, transl. with an introd. by Aubrey E. Galyon, Ames (Iowa) 1980, S. 34. (Hervorhebung L.M.) Zur Rezipientenbezogenheit der »Ars versificatoria« mit Bezug auf die vorliegende Stelle auch Christian Schneider: Narrationis contextus. Erzähllogik, narrative Kohärenz und das Wahrscheinliche in der Sicht der hochmittelalterlichen Poetik, in: Erzähllogiken in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Akten der Heidelberger Tagung vom 17. bis 19. Februar 2011, hrsg. von Florian Kragl / Christian Schneider, Heidelberg 2013 (Studien zur historischen Poetik 13), S. 155-186, hier S. 172. 71 Dafür verweise ich grundsätzlich auf den Variantenapparat der Ausgabe Marold / Schröder. Da sich dieser allerdings als fehlerhaft und unvollständig erwiesen hat, nehme ich weiterhin direkt auf die handschriftliche Überlieferung Bezug. In diesem Zusammenhang bin ich Tomas Tomasek und seiner Arbeitsgruppe, besonders Frank Schäfer, zu großem Dank verpflichtet, weil sie mir einen Einblick in das Material ihrer im Entstehen befindlichen Neuedition des »Tristan« gewährt haben. Einen Überblick über die Konzeption und erste Ergebnisse des Editionsprojekts bieten Frank Schäfer / Tomas Tomasek: Zur Neuedition des »Tristan« Gottfrieds von Straßburg, in: Usbekisch-deutsche Studien, Bd. 4: -Kontakte: -Sprache, Literatur, Kultur,-Didaktik, hrsg. von Kordula Schulze u. a., Münster 2016, S. 219-230. Im Rahmen der Projektarbeit hat sich auch das von René Wetzel erarbeitete Stemma der »Tristan«-Überlieferung leicht verändert. Stark vereinfacht kann man immer noch davon ausgehen, dass es sich möglicherweise um eine Lesart des Archetyps handelt, wenn diese durch eine oder mehrere der zentralen Handschriften F, H, M oder W repräsentiert wird, während andere Varianten eher als Rezeptionszeugnisse zu werten sind. - Zur Rezeption gehören in einem weiteren Sinne auch die Abbildungen der drei illustrierten »Tristan«-Handschriften B (Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7020 (W*) 88), M (München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 51) und R (Brüssel, Königliche Bibliothek, ms. 14697). 72 Eine Ausnahme stellt die Untersuchung von Susanne Flecken-Büttner dar, vgl. Susanne Flecken-Büttner: Wiederholung und Variation. Exemplarität, Identität und Exzeptionalität in Gottfrieds »Tristan«, Berlin / New York 2011. - Besonders gut ausgewertet sind außerdem die Bearbeitungstendenzen der stark kürzenden »Tristan«-Handschrift M, vgl. Martin Baisch: Textkritik als Herausforderung der Kulturwissenschaft. »Tristan«-Lektüren, Berlin / New York 2006 (Trends in Medieval Philology 9), S. 146-305. Einleitung 23 24 Einleitung wohl der Text […] als auch die Handschrift so entworfen sind, dass sie bestimmte Gebrauchsformen, bestimmte Lesevorgänge ermöglichen, nahe legen oder gar erzwingen. 73 Ich verstehe den »Tristan« und damit auch die Figuren in diesem Sinne als Elemente einer literarischen Kommunikation zwischen Autor und Rezipienten. 74 Dabei gehe ich von einer Kommunikationssituation ›um 1200‹ aus, also in unmittelbarer zeitlicher Gegenwart des Autors. 75 Um die literarische Kommunikation zu beschreiben, lege ich der Untersuchung ein pragmatisches Modell narrativer Ebenen zugrunde, wie es etwa Wolf Schmid entwickelt hat. 76 Über einzelne Aspekte dieses Modells und ihre Anwendbarkeit auf mittelalterliche Verhältnisse lässt sich freilich streiten. 77 So wird etwa die Trennung von Autor und Erzähler in der mediävistischen Erzählforschung wieder (oder immer noch) intensiv diskutiert. 78 Ein großer Vorteil der grundsätzlichen Beachtung der äußeren Kommunikationsebene von Autor und Rezipienten besteht in jedem Fall darin, dass sie es erlaubt, den Text historisch und kulturell zu verorten. 79 So kann etwa die ansonsten problematische Instanz des Autors als »Instrument« 73 Eckart Conrad Lutz: Lesevorgänge. Vom punctus flexus zur Medialität, in: Lesevorgänge. Prozesse des Erkennens in mittelalterlichen Texten, Bildern, Handschriften, hrsg. von Eckart Conrad Lutz u. a., Zürich 2011 (Medienwandel - Medienwechsel - Medienwissen 11), S. 11-33, hier S. 16. Einen idealtypischen Lesevorgang beschreibt Lutz als »aus bestimmten historischen, allgemeinen und besonderen Bedingungen heraus sich entwickelnder Erkenntnisprozess, der mit der Wahrnehmung von Text unter den besonderen Voraussetzungen einer bestimmten Handschrift mit der ihr eigenen Ausstattung beginnt, sich in der lesenden oder hörenden, evt. [sic] von einführenden oder fortlaufenden Erläuterungen, von eigener Reflexion und Gespräch begleiteten Aneignung des Textes fortsetzt (und dabei dessen rezeptionssteuernder Einrichtung ausgesetzt ist)« (ebd., S.-26). 74 Mit dem Begriff der Kommunikation soll dabei nicht impliziert werden, dass es sich notwendigerweise um einen zweckgebundenen, zielgerichteten Prozess handelt. Gerade literarische Texte sind grundsätzlich durch eine gewisse Offenheit und Unbestimmtheit charakterisiert. Dazu etwa Jochen Hörisch: Das Wissen der Literatur, Paderborn / München 2007, S. 32f.: »Dichtung ist, je dichter, je besser, je komplexer sie ist […], desto schwerer verständlich, desto mehr an Kommunikationsverhinderung interessiert.« 75 Das bedeutet auch, dass ich den Text - anders als die meisten Rezipienten, die wir über die Handschriften empirisch zu fassen bekommen - als Fragment lese. Von den elf vollständig überlieferten Handschriften des Romans bricht nur eine (die Wiener Hs. W) mit Gottfrieds Fragment ab; alle anderen Textzeugnisse beenden die Geschichte entweder mit einer der beiden Fortsetzungen Ulrichs von Türheim oder Heinrichs von Freiberg (so außerdem die beiden Fragmente e1 / e und g) oder mit dem Schluss von Eilharts »Tristrant«, vgl. die Übersicht bei Tomasek 2007, S. 54f. 76 Vgl. Wolf Schmid: Elemente der Narratologie, 3., erw. und überarb. Aufl., Berlin / Boston 2014, S. 45-106. Zu Figuren als Elementen narrativer Kommunikation auch Jannidis 2004a, S. 15-83. 77 In jedem Fall muss das Modell für die Anwendung auf mittelalterliche Kommunikationssituationen um eine Ebene / Instanz erweitert werden, nämlich den realen Erzähler oder Rhapsoden, der den Text am Hof vorträgt und in der Regel wohl nicht mit dem realen Autor identisch ist. 78 Vgl. etwa Sonja Glauch: An der Schwelle zur Literatur. Elemente einer Poetik des höfischen Erzählens, Heidelberg 2009 (Studien zur historischen Poetik 1), S. 77-97; zuletzt Seraina Plotke: Die Stimme des Erzählens. Mittelalterliche Buchkultur und moderne Narratologie, Göttingen 2017. Von Contzen kritisiert grundsätzlich die narratologische Auffassung vom Erzählen als Akt der Kommunikation. Gerade vormodernes Erzählen lasse sich besser mit dem Begriff der Erfahrung (experience) beschreiben, gegenüber dem die Unterscheidung zwischen Autor und Erzähler an Relevanz verliere, vgl. Eva von Contzen: Narrative and Experience in-Medieval Literature. Author,-Narrator, and Character Revisited, in: Narratologie und mittelalterliches Erzählen. Autor, Erzähler, Perspektive, Zeit und Raum, hrsg. von Eva von Contzen / Florian Kragl, Berlin / Boston 2018 (Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung. Beihefte 7), S. 61-79. 79 Zur Bedeutung des kulturellen Settings in kognitionsorientierten Ansätzen Mohr 2012, S. 423. 25 Einleitung 25 dienen, um »den Text mit bestimmten Sprach- und Wissensbeständen zu verbinden.« 80 Wir wissen zwar kaum etwas über das biographische Autorsubjekt ›Gottfried von Straßburg‹, 81 aber wenn wir - mit guten Gründen - davon ausgehen, dass es sich um einen lateinisch gebildeten litteratus handelt, 82 erlaubt uns das zum Beispiel, den »Tristan« mit der lateinischen Rhetorik der Antike und des Mittelalters in Verbindung zu bringen. 83 Neben den seltenen poetologischen Selbstaussagen der literarischen Texte stellt die Rhetorik den Ort dar, an dem im Mittelalter in erster Linie über das Erzählen nachgedacht wurde. 84 Dem Autor steht im Modell der narrativen Kommunikation der reale Rezipient gegenüber, von dem wir in Bezug auf die höfische Literatur noch nicht einmal genau wissen, ob wir ihn besser als ›Hörer‹ oder als ›Leser‹ bezeichnen sollen 85 - beziehungsweise als ›Hörer*in‹ oder ›Leser*in‹ 86 . 80 Vgl. Jannidis 2004a, S. 21. 81 Vgl. dazu Tomasek 2007, S. 16-44. 82 Vgl. Mark Chinca: Gottfried von Strassburg, Tristan, Cambridge 1997 (Landmarks of World Literature), S. 7. 83 Vgl. Stanisław Sawicki: Gottfried von Straßburg und die Poetik des Mittelalters, Berlin 1932 [Nachdruck Nendeln-(Liechtenstein) 1967] (Germanische Studien 124); Winfried Christ: Rhetorik und Roman. Untersuchungen zu Gottfrieds von Straßburg »Tristan und Isold«, Meisenheim am Glan 1977 (Deutsche Studien 31). 84 Die mittelalterlichen Dichtungslehren stehen dabei noch so stark in der Tradition der antiken Rhetorik, dass es sich nicht um Poetiken im eigentlichen Sinne handelt. Zur »Einbettung der Poetik in die Rhetorik« etwa Paul Klopsch: Prosa und Vers in der mittellateinischen- Literatur, in: Mittellateinisches Jahrbuch 3 (1966), S. 9-24, hier S. 11: »All die »Artes versificatoriae« […] wie z. B. die »Ars« des Matthäus von Vendôme (vor 1175), sind nichts als Anweisungen zur Rhetorik und als solche meist vom Auctor ad Herennium abhängig; das der Poesie Eigentümliche, etwa Äußerungen über die Versmaße u[nd] d[ergleichen], bieten sie allenfalls einschub- oder anmerkungsweise.« 85 Vgl. dazu Manfred Günter Scholz: Hören und Lesen. Studien zur primären-Rezeption der Literatur im 12. und 13.- Jahrhundert, Wiesbaden 1980. Es gibt einige Hinweise darauf, dass Gottfried für den »Tristan« zumindest mit einer partiell lesenden Rezeption gerechnet hat. Dazu gehört neben dem Akrostichon, das nur visuell aufgenommen werden kann, etwa folgender Rückverweis in den Versen 8736-8738: […], als in von hove was geboten | und als daz mære hie vor giht, | der dâ vor an daz mære siht. Die Formulierung dâ vor an daz mære sehen (›sich rückblickend versichern‹, vgl. Haug / Scholz, Bd. 1, S. 491; ›weiter vorne noch einmal nachsehen‹, vgl. Krohn, Bd. 1, S. 523) hat man als Aufforderung zum Zurückblättern im Codex und damit als expliziten Beleg für eine (auch) schriftliche Rezeption gesehen, vgl. Dennis Howard Green: Vrume rîtr und guote vrouwen / und wîse phaffen. Court Literature and its-Audience, in: German-Narrative Literature of the Twelfth and-Thirteenth Centuries. Studies Presented to- Roy Wisbey on his Sixty-fifth Birthday, hrsg. von Volker Honemann u. a., Tübingen 1994, S. 1-23, hier S. 18f.; Chinca 1997, S. 522. - Der Unsicherheit bezüglich der primären Rezeptionsform trage ich dadurch Rechnung, dass ich die Rezipienten des »Tristan« im Folgenden stets als ›Leser und Hörer‹ bezeichne. 86 Es spricht bekanntlich einiges dafür, dass sogar ein großer Teil des adligen Publikums aus den Damen am Hof bestand, vgl. etwa Bumke 6 1992, S. 704-706; Scholz 1980, S. 205-211; Jürgen Wolf: vrowen phlegene ze lesene. Beobachtungen zur Typik von Büchern und Texten für Frauen, in: Wolfram-Studien 19 (2006), S. 169-190; Dennis Howard Green: Women Readers in the Middle Ages, Cambridge 2007 (Cambridge Studies in Medieval Literature) sowie den Sammelband Die lesende Frau, hrsg. von Gabriela Signori, Wiesbaden 2009 (Wolfenbüttler Forschungen 121). Einen textinternen Hinweis bietet zum Beispiel die »Tristan«-Fortsetzung Ulrichs von Türheim, wo sich der Erzähler im Epilog ausdrücklich an die vrouwen im Publikum richtet, vgl. vv. 3658-3661: swelhe vrouwen an disem buoche lesen, | die suln mir wünschen heiles | und danken mir mîns teiles, | des ich dar an gesprochen hân. Zitiert nach Ulrich von Türheim: Tristan, hrsg. von Thomas Kerth, Tübingen 1979 (ATB 89), S. 194. - Wenn also im Folgenden vom ›Leser‹, ›Hörer‹ oder ›Rezipienten‹ des Romans die Rede ist, schließt das generische Maskulinum ausdrücklich andere Geschlechter mit ein. 26 Einleitung Grundsätzlich sollte man sich vor übereilten historischen Konkretisierungen in Acht nehmen. Das gilt etwa für die Annahme eines irgendwie gearteten ›bürgerlichen‹ Kontextes des »Tristan«, von dem man vor allem in der älteren Forschung immer wieder lesen kann. 87 Schon die Lokalisierung des Romans in Straßburg beruht neben der »vornehmlich ins Westalemannische […] weisenden frühen Überlieferung« 88 lediglich auf dem Herkunftsnamen des Autors. Dass dieser kein besonders belastbares Indiz darstellt, zeigt das Beispiel Konrads von Würzburg, der vor allem in Straßburg und Basel gewirkt hat. 89 Und selbst wenn Straßburg als primärer Rezeptionsraum des »Tristan« zutreffen sollte, haben wir es deshalb noch nicht mit einem ›bürgerlichen‹ Milieu zu tun. Gottfrieds Zielpublikum wird die Führungselite der Stadt gewesen sein, 90 die sich nicht anders als die Adligen auf dem Land als Teil der höfischen Gesellschaft verstanden hat. 91 Dieser soziokulturelle Kontext wird auch im Roman selbst immer wieder aufgerufen. 92 Da wir also über die realen Leser und Hörer des »Tristan« kaum informiert sind, der Adressat im Konzept des mentalen Modells jedoch eine entscheidende Rolle spielt, 93 muss die Instanz des Rezipienten zum größten Teil aus dem Text selbst heraus entwickelt werden. Dafür haben die rezeptionsästhetischen Ansätze verschiedene Modelle entwickelt. 94 Ein besonders 87 Vgl. etwa Helmut de Boor: Die höfische Literatur. Vorbereitung, Blüte, Ausklang. 1170-1250, 10. Aufl., bearb. von-Ursula Hennig, München 1979 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart 2), S. 121f. 88 Tomasek 2007, S. 29. 89 Da dieses Problem, soweit ich sehe, nie diskutiert wird, erlaube ich mir, es an einem weiteren historischen Beispiel zu illustrieren: Bei einer Auswertung von rund 500 Personennamen aus Bremer, Hamburger und Lübecker Urkunden der Jahre 1150 bis 1250 fanden sich sieben Personen mit dem Herkunftsnamen de Brema bzw. Bremensis, von denen vier tatsächlich in Bremen ansässig waren, jedoch auch zwei in Lübeck und eine in Hamburg. Vgl. Dieter Hägermann: Die-Bildung von-Doppelnamen in-Bremen,-Hamburg und-Lübeck von 1150 bis 1250, in: Onomastik.-Akten des 18. Internationalen Kongresses für Namenforschung, Trier, 12.-17.- April 1993,- Bd. 6: - Namenforschung und Geschichtswissenschaften, Literarische- Onomastik,-Namenrecht, ausgewählte Beiträge (Ann-Arbor 1981).-In-Zusammenarbeit mit Monique-Bourin u. a. hrsg. von-Dieter-Kremer, Tübingen 2002, S. 75-90, hier S. 82. 90 Vgl. Tomasek 2007, S. 34, 36. Belegen lässt sich das etwa für den Basler Rezipientenkreis Konrads von Würzburg, vgl. Horst Brunner: Art.-Konrad von-Würzburg, in: ²VL 5 (1985), Sp. 272-304, hier Sp. 274 f. 91 Vgl. dazu den Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 211: »Eine Festlegung in der Frage von Gottfrieds Publikum wird dadurch schwierig, daß eine Grenze zwischen städtischem und höfischem Leben im Straßburg der damaligen Zeit kaum gezogen werden kann«. Auch die spätere Rezeption des »Tristan« findet nach dem Zeugnis der Überlieferung dann vor allem »an Adelshöfen Schwabens, des Rheingebiets und Böhmens« statt (Tomasek 2007, S. 36). 92 Vgl. Herbert Kolb: Der Hof und die Höfischen. Bemerkungen zu Gottfried von Straßburg, in: ZfdA 106 (1977), S. 239-252. 93 Vgl. Jens Eder: Gottesdarstellung und Figurenanalyse. Methodologische Überlegungen aus medienwissenschaftlicher Perspektive, in: Gott als Figur. Narratologische Analysen biblischer Texte und ihrer Adaptionen, hrsg. von Ute E. Eisen / Ilse Müllner, Freiburg i.Br. u. a. 2016 (Herders Biblische Studien 82), S. 27-54, hier S.- 32: »Ohne eine Modellierung der intendierten, empirischen oder idealen Rezipienten ließe sich die kommunikative Konstruktion von Figuren nicht erklären.« 94 Bei Schmid ist in diesem Zusammenhang vom ›abstrakten Leser‹ die Rede, vgl. Schmid 3 2014, S. 67-70. Er versteht darunter den »Inhalt jenes Bildes vom Empfänger […], das der Autor beim Schreiben vor sich hatte oder - genauer - de[n] Inhalt jener Vorstellung des Autors vom Empfänger, die im Text durch bestimmte indiziale Zeichen fixiert [ist]« (S. 67). Daneben vor allem Wolfgang Iser: Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer-Wirkung, München 1976, S. 50-67, zu älteren Lesermodellen ebd., S. 54-60; weiterhin Wolfgang Iser: Der implizite Leser. Kommunikationsformen des Romans von- Bunyan bis Beckett, München 1972 (Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste 31). Zu den Ansätzen von 27 häufig herangezogenes Konzept bietet Umberto Ecos ›Modell-Leser‹: Eco versteht darunter ein vom Autor imaginiertes Konstrukt, das über alle Kompetenzen und Wissensbestände verfügt, die der Autor in seinem Text voraussetzt. Deshalb sei der Modell-Leser in der Lage […], an der Aktualisierung des Textes so mitzuwirken, wie es sich der Autor gedacht hat, und sich in seiner Interpretation fortzubewegen, wie jener seine Züge bei der Hervorbringung des Werkes gesetzt hat. 95 Eine wichtige Differenzierung dieses Ansatzes hat Jannidis vorgenommen. In Anlehnung an Peter Rabinowitz unterscheidet er zwei verschiedene Typen von Rezipienten, den ›auktorialen‹ und den ›narrativen‹ Leser: 96 Das auktoriale Publikum ist das vom Autor eines Textes intendierte Publikum. Es weiß, daß es einen fiktionalen Text liest; nur dieses Publikum kann den Text als ästhetisches Objekt betrachten […]. Das narrative Publikum dagegen […] nimmt an, daß die von einem zuverlässigen Erzähler berichteten Sachverhalte wahr sind. 97 Im vorliegenden Kontext lassen sich die beiden Lesertypen in einen Zusammenhang mit den alternativen Möglichkeiten der Figurenwahrnehmung bringen: Für ›narrative‹ Rezipienten erscheinen die Figuren wie echte Menschen, ›auktoriale‹ Leser erkennen sie als Kunstwerke. Rückhalt findet diese Überlegung auch in der Forschung zur (modernen) Lesersozialisation: Hier geht man davon aus, dass Kinder bis zu einem Alter von etwa zwölf Jahren literarische Texte nur identifikatorisch lesen können und sich in die Figuren hineinversetzen, als seien es reale Personen. Erst danach lernten sie, den Text als Kunstwerk zu analysieren. 98 Man mag hier wiederum an Thomasin denken, der in seinem literaturpädagogischen Programm ebenfalls zwischen-unverständigen Kindern und denjenigen, die ze sinne komen sint, differenziert. Vor allem in lateinischen Quellen des Mittelalters findet sich immer wieder eine Zweiteilung Schmid und Iser aus germanistisch-mediävistischer Perspektive Ramona Raab: Transformationen des dû im Text. Predigten Meister Eckharts und ihr impliziter- Adressat, Tübingen 2018 (Bibliotheca Germanica 69), S. 34-47. Zum impliziten Adressaten in mittelalterlichen Texten weiterhin Volker Mertens: ›Der implizierte-Sünder‹. Prediger,-Hörer und Leser in-Predigten des 14.-Jahrhunderts. Mit einer Textpublikation aus den-»Berliner Predigten«, in: Zur deutschen-Literatur und Sprache des 14. Jahrhunderts.-Dubliner-Colloquium 1981, hrsg. von Walter Haug u. a., Heidelberg 1983 (Reihe Siegen. Germanistische Abteilung 45), S. 76-114; Burkhard Hasebrink: Die Anthropologie der Abgeschiedenheit. Urbane Ortlosigkeit bei-Meister-Eckhart, in: Meister-Eckhart im-Original, hrsg. von Freimut Löser / Dietmar Mieth, Stuttgart 2014 (Meister-Eckhart-Jahrbuch 7), S. 139-154. 95 Umberto Eco: Lector in fabula. Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten. Aus dem Italienischen von Heinz-Georg Held, München / Wien 1987, S. 67. 96 Vgl. Jannidis 2004a, S. 28-33; zur Herkunft der Unterscheidung bes. S. 32 Anm. 32. 97 Ebd., S. 32. Vgl. auch Knaebles Unterscheidung zwischen dem Modell-Leser und einem ›einfachen Leser‹, den sie folgendermaßen beschreibt: »Der einfache Leser verbleibt […] auf der Geschichtsebene des Textes, seine Lektüre ist naiv zu nennen. Er folgt gewissermaßen der inneren Logik der Geschichte […]. Er setzt sich der Kontingenz der imaginären Realität vollständig aus und verweilt mit seinen Beobachtungen in deren hergestellter Welt.« (Susanne Knaeble: Höfisches-Erzählen von-Gott. Funktionen und narrative Entfaltung des-Religiösen in Wolframs »Parzival«, Berlin / New York 2011 (Trends in Medieval Philology 23), S. 89) 98 Vgl. Werner Graf: Literarische- Sozialisation, in: Grundzüge der Literaturdidaktik, hrsg. von Klaus-Michael Bogdal / Hermann Kortes, München 2002, S. 49-60, bes. S. 52, 58. Einleitung 27 28 Einleitung der möglichen Rezipienten in-simplices und sapientes, tumbe und wîse. 99 Womöglich reagiert Gottfried auch darauf, wenn er mit den edelen herzen im Prolog des »Tristan« einen exklusiven Rezipientenkreis entwirft, der ausdrücklich von der Welt der vielen (ir aller werlde, v. 50) abgesetzt wird. 100 Ein Bild der verschiedenen Lesertypen, das der Unterscheidung von ›narrativen‹ und ›auktorialen‹ Rezipienten erstaunlich nahe kommt, entwirft Johannes von Salisbury: Im »Policraticus« (1156-1159) vergleicht er den ungebildeten Leser mit einem Jüngling, der sich (nach einer Komödie des Terenz) beim Anblick eines Gemäldes von Jupiters Goldregen im Schoß von Danae sexuell erregt und offensichtlich nicht in der Lage ist, die Künstlichkeit der dargestellten Wirklichkeit zu erkennen. 101 Man sollte die beiden Rezipiententypen aber nicht ohne Weiteres mit tatsächlichen (sozialen) Lesergruppen gleichsetzen. 102 Es handelt sich vielmehr um unterschiedliche Standpunkte 99 Vgl. Peter von Moos: Was galt im lateinischen- Mittelalter als das Literarische an der Literatur? Eine theologisch-rhetorische Antwort des 12.- Jahrhunderts, in: Literarische Interessenbildung im Mittelalter. DFG-Symposion 1991, hrsg. von Joachim Heinzle, Stuttgart / Weimar 1993 (Germanistische Symposien. Berichtsbände 14), S. 431-451, hier S. 446. 100 Zu den edelen herzen als ›idealen Rezipienten‹ etwa Till Dembeck: Der wintschaffene (wetterwendische)-Christus und die Transparenz der Dichtung in-Gottfrieds »Tristan«, in: Zeitschrift für Germanistik. N.F. 10 (2000), S. 493-507, hier S. 499. 101 Vgl. Johannes von Salisbury, »Policraticus«, 7,9 (Ausg. Webb 1909, Bd. 2, S. 126, Z. 19-25). Dazu von Moos 1988, S. 180f. und Anm. 424; von Moos 1993, S. 447. 102 Vgl. Jannidis 2004a, S. 33. Das gilt bereits für den mittelalterlichen Topos, vgl. von Moos 1993, S. 446. - Angesichts der großen Bedeutung der Leser- und Hörerinnen im höfischen Literaturbetrieb (siehe oben, S.-25 Anm.-86) wäre allerdings danach zu fragen, inwiefern man (in einer mittelalterlichen Perspektive) möglicherweise von einer geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Rezeptionshaltung von Männern und Frauen ausgehen muss. Gibt es neben dem ›impliziten Rezipienten‹ auch so etwas wie eine ›implizite Rezipientin‹ in der mittelalterlichen Literatur? In der Rezeptionsästhetik spielt das Geschlecht - anders als in der lesesoziologischen Forschung - bisher eine untergeordnete Rolle. In den grundlegenden Ansätzen von Schmid, Iser und Eco findet es überhaupt keine Erwähnung. Vgl. dazu Roberta L. Krueger: Art. Reader-Response Criticism, in: Women and Gender in Medieval Europe. An Encyclopedia, hrsg. von Margaret C. Schaus, New York 2006 (Routledge Encyclopedias of the Middle Ages 14), S. 696f. Dabei weisen Ergebnisse der empirischen Leseforschung (mit einigen Unsicherheiten) darauf hin, dass bei modernen Leser*innen das Geschlecht einen großen Einfluss auf das Leseverhalten ausübt, vgl. Maik Philipp: Geschlecht und Lesen, in: Lesen. Ein interdisziplinäres Handbuch, hrsg. von Ursula Rautenberg / Ute Schneider, Berlin / Boston 2015, S. 445-467; Andrea Bertschi-Kaufmann / Natalie Plangger: Genderspezifisches Lesen, in: Grundthemen der Literaturwissenschaft: Lesen, hrsg. von Alexander Honold / Rolf Parr unter Mitarbeit von Thomas Küpper, Berlin / Boston 2018, S. 550-570. Diese Beobachtung wird oft auf das Konzept einer spezifisch ›weiblichen‹ Lektürehaltung zurückgeführt, wie es im 18. Jahrhundert geprägt worden sei: »Die bis heute nachwirkende Idee, Männer läsen distanziert und reflektiert, Frauen hingegen identifikatorisch und emotional, setzte sich in jener Zeit durch« (ebd., S. 559). Dass die zugrunde liegende Verbindung von ›Weiblichkeit‹ mit emotionaler Anteilnahme und ›Männlichkeit‹ mit rationaler Distanz möglicherweise auf sehr viel älteren kulturellen Mustern beruht, zeigt Rüdiger Schnell: Geschlechtscharaktere in Mittelalter und Moderne. Interdisziplinäre Überlegungen zur Natur / Kultur- Debatte, in: Frühmittelalterliche Studien 51 (2017), S.-325-388, bes. S.-329-333, 350-366. Zur Vorstellung einer geschlechterspezifischen Kommunikation in der Vormoderne außerdem Rüdiger Schnell: Gender und Rhetorik in Mittelalter und Früher Neuzeit. Zur Kommunikation der Geschlechter, in: Rhetorik. Ein internationales Jahrbuch 29 (2010), S. 1-18. Insgesamt sind - auch für die Moderne - noch einige Fragen offen und die Untersuchung der ›impliziten Leserin‹ in der mittelhochdeutschen Literatur steht bislang aus. Siehe jedoch die romanistischen Ansätze von Roberta L. Krueger: Women Readers and the Ideology of Gender in Old French Verse Romance, Cambridge 1993 (Cambridge Studies in French 43); Angelica Rieger: Lecteur - lectrice ou: de l’altérité des lectures féminines, in: La lecture au féminin. La lectrice dans la littérature française du Moyen Âge au XX e siècle, hrsg. von Angelica Rieger / Jean-François Tonard, 29 oder Perspektiven auf die Erzählung, die jeder Leser und Hörer einnehmen kann. Welchen Standpunkt ein Rezipient gegenüber den Figuren einnimmt, hängt dabei davon ab, welche Ebene im Modell der narrativen Kommunikation er fokussiert: ›Narrative‹ Rezipienten verorten sich perspektivisch auf einer Ebene mit den Figuren in der erzählten Welt, nehmen also diese Welt und ihre Bewohner wahr, wie es auch die fiktiven Figuren tun würden. ›Auktoriale‹ Rezipienten achten dagegen auf die Ebene der Kommunikation zwischen Autor und Publikum. 103 Köppe und Kindt unterscheiden deshalb von der erzählten Welt aus gesehen zwischen einem ›internen‹ und einem ›externen‹ Standpunkt: Aus dem Gesagten ergibt sich […], dass man fiktionalen Erzähltexten gegenüber zwei grundsätzlich voneinander verschiedene Standpunkte einnehmen kann: Man kann sie einerseits als Te x t e betrachten, die es in unserer Welt gibt, die über bestimmte sprachliche (syntaktische, stilistische, semantische, intertextuelle u. a.) Eigenschaften verfügen […]. Andererseits sind die Dinge, von denen fiktionale Texte handeln, i n u n s e r e r Vo r s t e l l u n g real. Wir können uns in unserer Vorstellung den von diesen Texten behandelten fiktiven Sachverhalten in vielerlei Hinsicht genauso widmen, als handle es sich um reale Sachverhalte. 104 Das bedeutet: Jeder Akteur der erzählten Handlung ist »nur vom externen Standpunkt aus gesehen eine literarische Figur; vom internen Standpunkt aus gesehen handelt es sich um einen Menschen aus Fleisch und Blut.« 105 Ob ein Leser oder Hörer also eine Figur als ›Person‹ oder ›Artefakt‹ wahrnimmt, ist grundsätzlich variabel; beide Perspektiven können während der Lektüre einander abwechseln, ergänzen und überlagern. Für die Untersuchung gilt es, danach zu fragen, welchen Blickwinkel auf die Figur der Text an einer bestimmten Stelle p r i v i l e g i e r t . Das betrifft einerseits die Frage, welche Perspektive die Erzählung besser zu erklären vermag, andererseits die Suche nach Textsignalen, die Einfluss auf den Kommunikationsprozess ausüben und den Rezipienten möglicherweise dazu bringen, den einen oder den anderen Standpunkt einzunehmen. Damit sind Fragestellung und grundlegende Rahmenbedingungen meiner Untersuchung der Figurenkonzeption in Gottfrieds »Tristan« umrissen. Bevor ich skizziere, welche Schritte für die Beantwortung der Frage im Einzelnen notwendig sind, möchte ich noch auf einen Darmstadt 1999 (Beiträge zur Romanistik 3), S. 23-48; Elena Lombardi: Imagining the Woman Reader in the Age of Dante, Oxford 2018. 103 Jannidis beschreibt das folgendermaßen: »Das narrative Publikum […] ist gleichsam Teil der fiktionalen Welt. […] [D]er auktoriale Leser ist das Gegenstück zum realen Autor.« ( Jannidis 2004a, S. 32) In Bezug auf den ›einfachen Leser‹ auch Knaeble 2011, S. 89: »Der einfache Leser […] hat sich auf der gleichen Ebene wie die im Text agierenden Figuren positioniert.« 104 Köppe / Kindt 2014, S. 117. Eine vergleichbare Unterscheidung von Lektürehaltungen trifft Anne Sophie Meincke, die von einer ›synthetischen‹ und einer ›analytischen‹ Perspektive spricht, vgl. Anne Sophie Meincke: Finalität und Erzählstruktur. Gefährdet Didos Liebe zu Eneas die narrative Kohärenz der »Eneide« Heinrichs von Veldeke? , Stuttgart 2007, S. 43f.: »Die s y n t h e t i s c h e P e r s p e k t i v e stellt gewissermaßen den ›Normalfall‹ der Lektüre dar, also den Fall, daß ich mich ganz auf das erzählte Geschehen einlasse und dieses […] kraft meiner Phantasie zu einer - mehr oder minder anschaulichen - zusammenhängenden Vorstellung verbinde. Nehme ich dagegen dem Text gegenüber eine a n a l y t i s c h e P e r s p e k t i v e ein, was nach Beendigung der Lektüre oftmals ganz ›automatisch‹ geschieht und - nicht zu vergessen - u. a. das Geschäft des Literaturwissenschaftlers ist, vermeide ich es gerade, mich vom I n h a l t der Erzählung in Bann ziehen zu lassen, und betrachte vielmehr die Art und Weise, in der er mir vermittelt wird, seine F o r m«. 105 Köppe / Kindt 2014, S. 119. Einleitung 29 30 Einleitung Aspekt eingehen, der für die Arbeit mit mittelalterlicher Literatur eine herausgehobene Bedeutung besitzt: Mittelalterliches Erzählen ist W i e d e r e r z ä h l e n . 106 Für den »Tristan« gilt das in besonderem Maße, weil der Roman nicht nur die Bearbeitung einer einzelnen Vorlage darstellt, sondern einen Stoff behandelt, der um 1200 bereits in mehreren Versionen existiert hat. 107 Gottfried macht diese Vielfalt der Überlieferung bekanntlich im Prolog seines Textes selbst zum Thema (vv. 131-134). Seine unmittelbare Vorlage ist demzufolge der französische Roman des Anglonormannen Thomas (1155 / 1170? ), 108 den er als Thômas von Britanje (v. 150) im Prolog als Quelle anführt. Daneben gab es bereits eine andere deutschsprachige Version des Stoffes, nämlich den »Tristrant« Eilharts von Oberg (um 1170). 109 Gekannt hat Gottfried seinen deutschsprachigen Vorgänger sicher - wie ein 1995 neu gefundenes Fragment des französischen Romans, das sogenannte Fragment von Carlisle, 110 nahelegt, hat er ihn sogar neben Thomas ebenfalls als Vorlage benutzt. Ein Vergleich der verschiedenen Fassungen gehört jedenfalls seit jeher zu den zentralen Anliegen der Tristanphilologie. 111 Dabei unterscheidet man traditionell zwei Varianten des Stoffes: Auf der einen Seite steht eine ›spielmännische‹ Version 106 Vgl. immer noch grundlegend Franz Josef Worstbrock: Wiedererzählen und- Übersetzen, in: Mittelalter und frühe Neuzeit. Übergänge, Umbrüche und Neuansätze, hrsg. von Walter Haug, Tübingen 1999 (Fortuna vitrea 16), S. 128-142. Weiterhin vor allem die Beiträge des Sammelbandes Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur, hrsg. von Joachim Bumke / Ursula Peters, Berlin 2005 (ZfdPh. Sonderheft 124). 107 Einen guten Überblick über die verschiedenen mittelalterlichen Bearbeitungen des Stoffes bietet Nikolaus Henkel: Die Geschichte von Tristan und Isolde im deutschen Mittelalter, in: Hauptwerke der Literatur. Vortragsreihe der Universität Regensburg, hrsg. von Hans Bungert, Regensburg 1990 (Schriftenreihe der Universität Regensburg 17), S. 71-96. - Um die Texte auseinanderzuhalten, verwende ich zu ihrer Berzeichnung die jeweils übliche Version des Protagonistennamens: »Tristan« (Gottfried), »Tristran« (Thomas und Béroul) sowie »Tristrant« (Eilhart). Wenn auf die Figuren verwiesen wird, benutze ich ebenfalls die jeweils vorherrschende Namensform, also Isolde (Gottfried), Ysolt (Thomas), Isalde (Eilhart), Isond (Bruder Robert), Ysonde (»Sir Tristrem«) usw. 108 Den französischen Text und seine Übersetzung zitiere ich im Folgenden unter Angabe der Verszahl nach Thomas: Tristan, eing., textkritisch bearb. und übers. von Gesa Bonath, München 1985 (Klassische Texte des Romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben 21). 109 Im Folgenden unter Angabe der Verszahl zitiert nach Eilhart von Oberg: Tristrant und Isalde. Mittelhochdeutsch / neuhochdeutsch von Danielle Buschinger / Wolfgang Spiewok, Greifswald 1993 (Wodan 27). 110 Das Fragment von Carlisle ist zusammen mit einer rekonstruierenden Übersetzung von Walter Haug abgedruckt in Haug / Scholz, Bd. 2, S. 190-203. Zum Fragment weiterhin Michael Benskin u.a.: Un nouveau fragment du »Tristan« de Thomas, in: Romania 113 (1995), S. 289-319. Zu den Konsequenzen des Neufundes für die Einschätzung der Abhängigkeiten zwischen Thomas, Gottfried und Eilhart siehe Walter Haug: Erzählen als Suche nach personaler Identität. Oder: Gottfrieds von Straßburg Liebeskonzept im Spiegel des neuen »Tristan«-Fragments von Carlisle, in: Erzählungen in Erzählungen. Phänomene der Narration in Mittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Harald Haferland / Michael Mecklenburg, München 1996 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 19), S. 177-187; Walter Haug: Gottfrieds von Straßburg Verhältnis zu Thomas von England im Licht des neu aufgefundenen »Tristan«-Fragments von Carlisle, Amsterdam 1999 (Mededelingen Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschapen. Afdeling Letterkunde N.R. 62 / 4); Eberhard Nellmann: Brangaene bei Thomas, Eilhart und Gottfried. Konsequenzen aus dem Neufund des Tristan-Fragments von Carlisle, in: ZfdPh 120 (2001), S. 24-38; Anna Keck: Tradition und Variation. Zu den Tristanromanen Thomas’ und Gottfrieds von Straßburg aus Anlass des Fragments von Carlisle, in: Poetica 34 (2002), S. 43-72. 111 Vgl. dazu bes. Anna Keck: Die Liebeskonzeption der mittelalterlichen Tristanromane. Zur Erzähllogik der Werke Bérouls, Eilharts, Thomas’ und Gottfrieds, München 1998 (Beihefte zu Poetica 22); Monika Schausten: Erzählwelten der Tristangeschichte im hohen Mittelalter. Untersuchungen zu den deutschsprachigen Tristanfassungen des 12. und 13. Jahrhunderts, München 1999 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 24). 31 oder version commune, die von Eilhart und dem französischen Roman des Béroul (um 1190) 112 vertreten werde und sich durch eine ›archaische‹, heldenepische Erzählweise auszeichne. Für die ›höfische‹ Version oder version courtoise auf der anderen Seite stehen die Romane von Thomas und Gottfried, die durch eine besonders ›moderne‹ Erzählweise charakterisiert seien. Allerdings ist diese Gegenüberstellung und vor allem die damit verbundene ästhetische Bewertung zugunsten der ›höfischen‹ Version zunehmend hinterfragt worden, 113 so dass man die jeweiligen Etiketten heute nur noch in Anführungszeichen benutzt. Ob und wie sich ›spielmännische‹ und ›höfische‹ Figurenkonzeption voneinander unterscheiden, soll die Analyse zeigen. Der Vergleich des »Tristan« mit den verschiedenen anderen Versionen des Stoffes erlaubt außerdem weiterführende Erkenntnisse über Gottfrieds Erzählweise. Dabei ist die Gegenüberstellung mit Thomas nicht ganz einfach, da der französische Roman nur in einigen Fragmenten erhalten ist, die zum größten Teil aus dem Schluss der Erzählung stammen, der wiederum bei Gottfried nicht mehr erzählt wird. Der Vergleich bezieht sich deswegen in weiten Teilen nicht direkt auf den französischen Roman, sondern auf zwei andere Bearbeitungen desselben, die dem Handlungsverlauf trotz stilistischer und erzähltechnischer Unterschiede mehr oder weniger genau folgen: die altnordische »Tristrams saga ok Ísondar«, die 1226 am norwegischen Königshof verfasst wurde und deren Autor sich Bruder Robert nennt, 114 sowie den englischen »Sir Tristrem« aus dem späten 13. Jahrhundert. 115 Im Vergleich der Texte zeigt sich, welche Veränderungen Gottfried vorgenommen hat und an welchen Stellen seine Erzählweise im Hinblick auf die Figuren neue Akzente setzt. Auf diese Weise bildet die Stofftradition eine Vergleichsfolie, vor der die spezifische Figurenkonzeption des »Tristan« sichtbar wird. Bevor ich allerdings zum »Tristan« komme, sollen zunächst noch einmal methodische Überlegungen im Fokus stehen. In diesem ersten Teil der Untersuchung geht es mir darum, die bisher knapp skizzierte Fragestellung weiter zu präzisieren und ein Beschreibungsinventar zu entwickeln, mit dem sich - aufbauend auf dem Konzept des mentalen Modells - die Figuren 112 Zitiert nach Berol: Tristan und Isolde, hrsg. und übers. von Ulrich Mölk, 2. verb. Aufl., München 1991 (Klassische Texte des Romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben 1). 113 Zusammenfassend Schausten 1999, S. 94-96, die weiterhin davon spricht, »wie verfehlt es ist, Eilharts »Tristrant« als ›vorhöfisch‹ oder gar als ›archaisch‹ zu bewerten.« (ebd., S. 117) Dass wir es »nicht mit einer historisch-genetischen Reihe von einfacheren zu komplexeren Formen zu tun haben«, betont auch Henkel 1990, S. 72. Dafür steht etwa die Tatsache, dass Eilharts Roman (in einer höfisierenden Überarbeitung) das gesamte Mitt elalter hindurch gelesen wurde. Nachdem Gottfrieds »Tristan« Fragment geblieben war, bezogen sich seine Fortsetzer Ulrich von Türheim und Heinrich von Freiberg wiederum auf Eilhart. Der »Tristrant« war es schließlich auch, der die Vorlage für den gedruckten Prosaroman lieferte und so dem Stoff eine anhaltende Popularität bis ins 17. Jh. sicherte. 114 Zitiert nach Die nordische und die englische Version der Tristan-Sage, Teil 1: Tristrams Saga ok Ísondar, hrsg. von Eugen Kölbing, Heilbronn 1878. Eine neuere Übersetzung des Textes findet sich in Der mittelalterliche Tristan-Stoff in Skandinavien. Einführung - Texte in Übersetzung - Bibliographie, hrsg. von Heiko Uecker, Berlin / New York 2008, S. 10-125. Zur Bearbeitungsweise Bruder Roberts vgl. Vera Johanterwage: Minnetrank und Brautunterschub in der »Tristrams saga ok Ísǫndar«. Ein Vergleich mit dem Text des Carlisle-Fragments, in: Übersetzen im skandinavischen Mittelalter, hrsg. von Vera Johanterwage / Stefanie Würth, Wien 2007 (Studia Medievalia Septentrionalia 14), S. 177-222. 115 Zitiert nach Die nordische und die englische Version der Tristan-Sage, Teil 2: Sir Tristrem, hrsg. von Eugen Kölbing, Heilbronn 1882. Zur Erzählweise des anonymen »Sir Tristrem« Eva von Contzen: Emotion und Handlungsmotivation in »Sir Tristrem«, in: Emotion und Handlung im-Artusroman, hrsg. von Cora Dietl u. a., Berlin / Boston 2017 (Schriften der Internationalen Artusgesellschaft. Deutsch-österreichische Sektion 13), S.-229-242. Einleitung 31 32 Einleitung mittelalterlicher Erzählungen angemessen beschreiben lassen. Hier möchte ich Kategorien, die bisher in der Forschung diskutiert wurden, auf ihre Tragfähigkeit für die spätere Analyse befragen. Zunächst steht dabei das gerade in der Mediävistik vieldiskutierte Verhältnis von Figur und Handlung im Mittelpunkt (Kap. 1.1), dann das bei der Figurenwahrnehmung abgerufene Rezipientenwissen, das in kognitionsorientierten Ansätzen grundsätzlich eine zentrale Rolle spielt (Kap. 1.2), schließlich das Verhältnis von Typik und Individualität und die Frage, wie sinnvoll diese Unterscheidung in Bezug auf mittelalterliche Figuren überhaupt ist (Kap. 1.3). Grundsätzlich geht es mir bei diesen methodischen Vorüberlegungen darum, eine historische Perspektive einzunehmen und die verschiedenen Kategorien auf ihre Historisierbarkeit hin zu überprüfen. Das methodische Instrumentarium illustriere ich dabei nicht nur anhand des »Tristan«, sondern beziehe mich auch auf weitere Beispiele der höfischen Literatur. So soll einerseits ein Vorgriff auf die späteren Analysen vermieden werden. Andererseits - und das ist der wichtigere Grund - möchte ich damit unterstreichen, dass die Überlegungen einen allgemeingültigen Charakter besitzen und sich potentiell auf andere mittelalterliche Texte übertragen lassen. Gottfrieds Roman rückt dann im zweiten Teil in den Vordergrund der Untersuchung. Bevor ich zur Analyse einzelner Episoden gelange, soll der Text hier in seiner Gesamtheit in den Blick genommen werden. Die beiden ersten Kapitel des zweiten Teils sind der Suche nach Erzählstrategien und Textsignalen gewidmet, die dazu geeignet sein könnten, eine ›artifizielle‹ oder ›mimetische‹ Wahrnehmung der Figuren zu privilegieren (Kap. 2.1 und 2.2). Im zweiten Abschnitt dieser ›Annäherungen‹ stehen dann übergeordnete inhaltliche Themen des »Tristan« im Fokus, die sowohl für die Poetik des Romans eine maßgebliche Rolle spielen als auch die Forschung intensiv beschäftigt haben: der Zufall (Kap. 2.3) und die Minne (Kap. 2.4). In diesen beiden Kapiteln werden die im ersten Teil entwickelten Beschreibungskategorien aufgegriffen und hinsichtlich ihrer Taugleichkeit für die Textanalyse auf die Probe gestellt. Der folgende dritte Teil der Untersuchung ist dann der intensiven Lektüre von vier einzelnen Episoden des Romans gewidmet. Die Episoden wurden in erster Linie deshalb ausgewählt, weil sich in ihnen eine besonders spannungsreiche Konzeption der Figuren zwischen ›Person‹ und ›Artefakt‹ beobachten lässt. Es handelt sich - in der zeitlichen Abfolge der Handlung - um Tristans Schwertleite (Kap. 3.4), den Kampf mit Morolt - mit einem Ausblick auf das Gottesurteil - (Kap. 3.2), den Beginn der Brautwerbung (Kap. 3.3) sowie Isoldes Mordanschlag auf Brangäne (Kap. 3.1). Die Anordnung der Lektüren erfolgt dabei nicht chronologisch, sondern nach thematischen Gesichtspunkten. 116 Alle vier Episoden arbeiten mit mehr 116 Dass der Schwerpunkt der Lektüren auf der Figur des Protagonisten liegt, lässt sich auch inhaltlich begründen: Nicht nur ist bereits über ein Drittel der Handlung vergangen, als Isolde in Vers 7168 (abgesehen vom Prolog) überhaupt zum ersten Mal im Text erwähnt wird, sie spielt außerdem bis nach dem Drachenkampf (ab etwa v. 9264) - also bis zur Hälfte des Romans - eine völlig untergeordnete Rolle in der Handlung. Dem entspricht weiterhin die Tatsache, dass auf die verschiedenen Flexionsformen von Tristan mehr als anderthalbmal so viele Belege (etwa 650) entfallen wie auf Isôt u.ä. (etwa 390), obwohl darin auch die Verweise auf die alte Isolde sowie Isolde Weißhand enthalten sind. Während die modernen Textausgaben in der Titelgebung unentschieden sind (»Tristan« oder »Tristan und Isolde«), hat man den Text im Mittelalter, wie wir gesehen haben, in der Regel nur mit dem Namen des Protagonisten bezeichnet. Auch der Illustrationszyklus der Kölner Handschrift B liest den Roman offenbar als Lebensbeschreibung von Tristan, dessen Vita er von der Geburt bis zum Tod bebildert. Allerdings gibt gerade Gottfried - gemäß seines Programms der Einheit - auch gegenläufige Signale. So wird Isolde bei ihrer ersten Erwähnung als diejenige in die Handlung eingeführt, von der diu werlt elliu saget | und von der disiu mære sint (vv.-7718 f., analog zu v. 1864 in Bezug auf Tristan). Der Prolog betont ebenfalls die gemeinsame Bedeutung der bei- 33 oder weniger deutlichen intertextuellen Bezügen, über die sich die künstliche Gemachtheit der erzählten Welt zu erkennen gibt. Einen wichtigen Zugang bietet dabei die stoffgeschichtliche Grundlage der einzelnen Abschnitte, die es jeweils im Rahmen der Analyse aufzudecken gilt. Es handelt sich außerdem um Episoden, die in hermeneutischer oder erzähllogischer Hinsicht besonders problematisch erscheinen und deshalb in der Forschung zum Teil große Aufmerksamkeit erhalten haben. Hier kann die Untersuchung also unter Beweis stellen, dass die Betrachtung der Figuren unter der gewählten Fragestellung neue Perspektiven auf den bekannten Roman ermöglicht. den Protagonisten (vgl. vv. 125-130: ich wil in wol bemæren | von edelen senedæren, | […] | Tristan Îsolt, Îsolt Tristan). Dennoch bleibt auch Gottfrieds Text auf den Protagonisten bezogen, ist also in erster Linie ein-lesen von Tristande (vgl. v. 132). Einleitung 33 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation 35 1 Methodische Vorüberlegungen 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation Mir ist das passiert, was ich für Germanistenkitsch gehalten hatte: Die Figuren entwickeln ein Eigenleben, man muss ihnen nur noch hinterherschreiben und so weiter. […] Und irgendwann fing ihre Figur an, sozusagen autonom zu handeln. […] Weil die Figur so handeln wollte, wie sie es aus ihrer inneren Logik heraus tun musste. Das war abenteuerlich. (Arno Frank) 1 Zu den zentralen Aspekten der Figurenanalyse gehört das Verhältnis von Figur und Handlung: Ist das erzählte Geschehen das Ergebnis des Handlungswillens der Figuren oder sind die Figuren vielmehr den Bedürfnissen der Handlung untergeordnet? In anderen Worten geht es hier um die Spielräume der erzählten Akteure zwischen Autonomie und Determiniertheit. Das betrifft die Frage danach, warum oder wozu etwas in einem fiktionalen Text geschieht, und damit die zentrale erzähltheoretische Kategorie der M o t i v a t i o n . 2 Im Folgenden möchte ich zentrale Positionen und Argumente aus der um diese Kategorie geführten Debatte vergegenwärtigen und auf ihre Prämissen hin befragen. Es geht dabei sowohl um allgemeine erzähltheoretische Bestimmungen als auch um spezifische Probleme, die sich aus der Anwendung moderner Ansätze auf vormoderne Texte ergeben. Eine grundlegende Positionierung, auf die in der Diskussion der genannten Fragen immer wieder verwiesen wird, nahm schon Aristoteles vor, indem er in seiner Dramentheorie das Primat der Handlung über die Figuren behauptete: 3 Denn die Tragödie ist nicht Nachahmung von Menschen, sondern von Handlungen […]. Folglich handeln die Personen nicht, um die Charaktere (éthé) nachzuahmen, sondern um der Handlung willen beziehen sie Charaktere ein. Daher sind die Geschehnisse und der Mythos [d. h. hier: die Handlungsstruktur] das Ziel der Tragödie; das Ziel aber ist das Wichtigste von allem. Ferner könnte 1 Ulrich Gutmair / Jan Feddersen: »Es ist taktlos. Aber ich darf das«. Gespräch mit Arno Frank, in: taz.am wochenende (11.03.2017), S. 24f., hier S. 24, online verfügbar unter: www.taz.de/ ! 5387967/ (08.02.2020). 2 Dem üblichen Sprachgebrauch der deutschsprachigen Literaturwissenschaft folgend benutze ich im Folgenden die Ausdrücke ›Motivation‹ und ›Motivierung‹ synonym, vgl. dazu etwa Matías Martínez: Art. Motivierung, in: RLW 2 (2000), S. 643-646, hier S. 644. Jannidis dagegen lehnt die Bezeichnung ›Motivation‹ aufgrund ihrer »unerwünschten psychologische[n] Konnotationen« ab und spricht nur von ›Motivierung‹, vgl. Jannidis 2004a, S. 223 Anm. 49. Zur Unterscheidung von ›Motivation‹ (auf der Ebene der erzählten Welt) und ›Motivierung‹ (auf der Ebene der Erzählung) Bleumer 2015a, S. 220, 223-225. - Zur besonderen Bedeutung der Motivation für die Figurenkonzeption vgl. etwa Eder ²2014, S. 37. 3 Vgl. dazu Koch 1991, S. 26-32; Pfister 4 1984, S. 220; Asmuth 1997, S. 298; aus der Germanistischen Mediävistik etwa Nanz 2010, S. 20. 36 1 Methodische Vorüberlegungen ohne Handlung keine Tragödie zustandekommen, wohl aber ohne Charaktere. (Aristoteles, »Poetik«, 1450a16-23) 4 Damit will Aristoteles nicht behaupten, es könne eine Handlung ohne Figuren geben, 5 wohl aber eine Handlung ohne Figuren, die über eine ausgeprägte, individuelle oder psychologische Wesensart verfügen. 6 In jedem Fall ergeben sich die Eigenschaften der Figur demzufolge allein aus ihrer Funktion für die Handlung, sind also nur ein »Nebenprodukt bei der Konstruktion des Handlungsgefüges.« 7 Die Handlung, beziehungsweise genauer: die Handlungsstruktur (mythos), 8 präge die Figur. Diese Position scheint der Alltagswahrnehmung zumindest moderner Menschen zu widersprechen, wonach die psychischen, charakterlichen oder emotionalen Eigenschaften eines Menschen seine Handlungen motivieren und nicht umgekehrt. 9 Und auch zumindest moderne Autoren sprechen - wie im einführenden Zitat deutlich wird - immer wieder von einem ›Eigenleben‹ ihrer Figuren im Schreibprozess. 10 Offenbar existieren zwei Perspektiven, um das Verhältnis von Figur und Handlung zu bestimmen. Eine solche Unterscheidung findet auch in der modernen Erzählforschung statt. Da- 4 Übersetzung nach Aristoteles: Poetik. Griechisch / Deutsch, übers. und hrsg. von Manfred Fuhrmann, bibliographisch erg. Ausg., Stuttgart 1994 (RUB 7828), S. 21. 5 So Koch 1991, S. 27, der hier einen Widerspruch zu erkennen glaubt. 6 Das erschließt sich aus der Bedeutung des gr. éthos, das hier (richtig) mit ›Charakter‹ übersetzt ist. Aristoteles bestimmt éthos zuvor als ›das, im Hinblick worauf wir den Handelnden eine bestimmte Beschaffenheit zuschreiben‹ (»Poetik«, 1450a5f.; Übers. Fuhrmann 1994, S. 19-21). Vgl. dazu in Bezug auf die zitierte Textstelle den Kommentar von Fuhrmann ebd., S. 111: »gemeint sind offenbar handlungsreiche Stücke mit blassen, wenig ausgeprägten Charakteren.« Ausführlich Eckart Schütrumpf: Die Bedeutung des Wortes ēthos in der Poetik des Aristoteles, München 1966 (Zetemata 49), bes. S. 39-46, 96 f. Die Bestimmung von Aristoteles entspricht der Figurendarstellung in der griechischen Tragödie, wie sie die Forschung traditionell beschrieben hat. So meint etwa Max Pohlenz, die Figuren seien dort »freilich keine Individuen im modernen Sinne, Einzelmenschen mit ihren kleinen physischen und seelischen Eigenheiten« (Max Pohlenz: Die griechische Tragödie, Bd. 1-2, 2. neubearb. Aufl., Göttingen 1954, Bd. 1, S. 227). - In der modernen Narratologie finden sich mitunter sehr vergleichbare Aussagen; so meint etwa Margolin (ohne Bezug auf Aristoteles): »Within the (re)constructed narrative universe, characters and character traits are n o t primary. They presuppose other representational elements, such as actions […]. While there cannot be any n a r r a t i v e universe without actions and actants, there can be such universes which do not lead to significant mental traits or portraits.« (Uri Margolin: The Doer and the Deed. Action as a Basis of Characterization in Narrative, in: Poetics Today 7 (1986), S. 205-225, hier S.-206) Auch bei Boris Tomaševskij lesen wir: »Der Held ist keineswegs ein unabdingbarer Bestandteil der Fabel. Die Fabel als System von Motiven kann voll und ganz ohne einen Helden und seine Charakteristik auskommen. Der Held ist das Ergebnis der Sujet-Formung des Materials« (Boris Tomaševskij: Theorie der Literatur. Poetik. Nach dem Text der 6. Aufl. (Moskau - Leningrad 1931) hrsg. und übers. von Ulrich Werner, Wiesbaden 1985 [zuerst im russischen Original 1925] (Slavistische Studienbücher. N. F. 1), S. 240). 7 Koch 1991, S. 27. 8 Aristoteles definiert mythos als ›Zusammensetzung der Geschehnisse‹ (sýnthesis ton pragmáton, »Poetik«, 1450a5; vgl. Ausg. Fuhrmann, S. 18f.). Gemeint ist offenbar die Fabel oder der Plot; erzähltheoretisch könnte man von ›Handlungsstruktur‹ sprechen, vgl. auch den Kommentar ebd., S. 110. 9 Zum psychologischen Konzept der Motivation etwa Philip G. Zimbardo / Richard J. Gerrig: Psychologie. Aus dem Amerikanischen von Ralf Graf u. a., 18. aktual. Aufl., München 2008, S. 415: »Psychologen und Laien gleichen sich darin, typischerweise von sichtbarem Verhalten auf innere Ursachen zu schließen.« 10 Von einer solchen ›Autonomie‹ spricht auch E.M. Forster: Ansichten des Romans, Frankfurt a. M. 1962 [zuerst im englischen Original 1927], S. 73: »Die Gestalten treten auf, wenn sie gerufen werden, aber sie sind voll aufrührerischen Geistes. Denn sie weisen jene zahlreichen Parallelen mit unseresgleichen auf, sie versuchen, ihr eigenes Leben zu leben, und üben demgemäß oft Verrat an der Grundlinie des Buches. Sie ›laufen davon‹, sie ›entgleiten‹ […].« 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation 37 bei lässt sich beobachten, dass die Leistungsfähigkeit der zweiten, vermeintlich ›naiven‹ Perspektive, die die Handlungen von den Figuren her begründet, besonders in der Beschäftigung mit älterer Literatur immer wieder stark infrage gestellt wird. Als Beleg dafür zitiere ich einen Ausschnitt aus Armin Schulz’ einflussreicher »Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive«: Die Frage, die im Deutschunterricht und später dann im Germanistikstudium am häufigsten gestellt wird, ist diejenige, w a r u m etwas in einem Text geschieht. Schüler und selbst noch Studierende im Hauptstudium beantworten sie fast ausschließlich von den Figuren her, indem sie versuchen, die Emotionen, Intentionen und Gedanken der Protagonisten zu rekonstruieren und darin dann Gründe für die erzählten Handlungen zu suchen. Beschlagenere geben sich Mühe, solche Ergänzungen zu objektivieren, indem sie Argumentationshilfe aus der Psychoanalyse Sigmund Freuds oder aus der Archetypenlehre C.G. Jungs in Anspruch nehmen. […] Es ist schwierig genug, begreiflich zu machen, daß in literaturwissenschaftlicher Perspektive die M o t i v a t i o n eines Geschehens zuerst einmal rein erzähltechnisch zu beschreiben ist […] und nicht psychologisch von den Figuren her. 11 Schulz geht also wie Aristoteles von einem Primat der Handlung über die Figuren aus. Die Handlung geschehe nicht, weil es die Akteure so wollen, sondern weil es die Erzählung vorsehe. Nicht die Affekte oder Intentionen der Figuren motivieren die Handlung, sondern die Bedürfnisse der Handlungsstruktur. Das Handeln der Figuren erscheint damit determiniert, sie selbst als Marionetten im Dienste der Erzählung - um eine in der Erzähltheorie äußert beliebte Metapher zu benutzen. 12 James A. Schultz etwa beschreibt die Figuren in Eilharts »Tristrant« in diesem Sinne in auffälliger, aber unbewusster Übereinstimmung mit Aristoteles: »[T]hey seem a species of marionettes, figures without character or memory who are moved about by outside forces according to 11 Schulz 2012, S. 8-10. Schulz lehnt damit freilich keineswegs jede Form kausaler Motivation ab, vgl. dazu ebd., S. 326-328. 12 Vgl. etwa Peter Czerwinski: Heroen haben kein Unbewußtes. Kleine Psycho-Topologie des Mittelalters, in: Die Geschichtlichkeit des Seelischen. Der historische Zugang zum Gegenstand der Psychologie, hrsg. von Gerd Jüttemann, Weinheim 1986, S. 239-272, hier S. 243; Asmuth 1997, S. 298; Florian Kragl / Christian Schneider: Einleitung, in: Erzähllogiken in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Akten der Heidelberger Tagung vom 17. bis 19. Februar 2011, hrsg. von Florian Kragl / Christian Schneider, Heidelberg 2013 (Studien zur historischen Poetik 13), S. 1-25, hier S. 2; Harald Haferland: Konzeptuell überschriebene Module im volkssprachlichen Erzählen des Mittelalters und ihre Auflösung, in: Beiträge zur mediävistischen Erzählforschung 1 (2018), S. 109-193, hier S. 136. Als einen »gewissermaßen an Drähten tanzenden Fabliauxtyp« bezeichnet Emil Nickel die aus der Stofftradition überlieferte Rolle der Figur Marke im zweiten Teil des »Tristan«, vgl. Emil Nickel: Studien zum Liebesproblem bei Gottfried von Straßburg, Königsberg i.Pr. 1927, S. 56. Auch Winfried Christ spricht davon, die Figuren würden »puppenhaft […] künstlich gelenkt« (Christ 1977, S.-76). Zu Gottfried »als Dichter und […] ›Marionettenmeister‹« weiterhin Albrecht Classen: König Marke in Gottfrieds von Straßburg »Tristan«. Versuch einer Apologie, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 35 (1992), S. 37-63, hier S. 46. In Bezug auf Gottfrieds »Tristan« meint auch Karl Bertau: »Die Personen sind Marionetten des Kommentars, sind Objekte der Montage, verfügbare Dinge.« (Karl Bertau: Deutsche Literaturgeschichte, Bd. 1-2, München 1972-1973, Bd. 2, S. 930) Im Anschluss daran spricht Mark Chinca von »puppets of the author’s commentary« (Chinca 1997, S. 744). Als Marionetten ihrer eigenen Anthropologie (»ihrer Körpersäfte«) beschreibt dagegen Martin Przybilski Gottfrieds Figuren (Martin Przybilski: Ichbezogene Affekte im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg, in: PBB 126 (2004), S. 377-397, hier S. 381). - Zur kulturhistorischen Tradition des Sprachbildes siehe Erika Kartschoke / Dieter Kartschoke: Rollenspiele, in: Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters. Festschrift für Volker Mertens zum 65. Geburtstag, hrsg. von Matthias Meyer / Hans-Jochen Schiewer, Tübingen 2002, S. 309-333, hier S. 309f. 38 1 Methodische Vorüberlegungen momentary needs of the plot.« 13 Im Bild der Marionette zeigt sich auch, dass die Frage der Motivation mit der grundsätzlichen Perspektive auf die Figuren zusammenhängt: Nimmt man eine Figur wie eine reale Person wahr, wird man geneigt sein, die Handlung von ihren Gefühlen und Intentionen her zu begründen; 14 versteht man sie eher als ›Artefakt‹, erklärt man ihr Verhalten mit den Bedürfnissen des literarischen Produkts. Zu Beginn der modernen Literaturwissenschaft, bis in die 1920er Jahre und darüber hinaus, dominierte eher die erste, vermeintlich ›naive‹ Perspektive, verbunden mit einem großen Interesse an den individuellen, psychologischen Eigenschaften der Figuren. Bezeichnend dafür sind etwa die in der Einleitung bereits angesprochenen Untersuchungen Sigmund Freuds und seiner Schüler. 15 Aber solche Ansätze blieben keineswegs auf die literarische Psychoanalyse oder andere Ränder der Literaturwissenschaft beschränkt. So erteilte etwa auch der einflussreiche Erzählforscher E.M. Forster 1927 dem Primat der Handlung über die Figuren pointiert eine Absage: »We have already decided that Aristotle is wrong« 16 . Eine Gegenposition dazu vertrat dann vor allem die strukturalistische Erzählforschung, die allerdings in der westlichen Narratologie erst sehr viel später rezipiert wurde. Hier sind etwa Vladimir Propps grundlegende Überlegungen zu den Handlungsrollen der Figuren im Zaubermärchen zu nennen. In seiner 1928 veröffentlichten Untersuchung zur »Morphologie des Märchens« heißt es: Die meisten Aktionen der handelnden Personen […] eines Märchens sind naturgemäß durch den Gang der Handlung bedingt. […] Man kann allgemein konstatieren, daß die Gefühle und Absichten der handelnden Personen sich in keinem Fall auf den Gang der Handlung auswirken. 17 Diese Überzeugung findet sich dann wirkmächtig im Aktantenmodell von Algirdas J. Greimas wieder, das im Wesentlichen auf Propps Überlegungen aufbaut. 18 Für die Form der Handlungsmotivation, die nicht von den psychologischen Eigenschaften der Figuren ausgeht, hat Clemens Lugowski 1932 unabhängig vom Strukturalismus den Begriff der ›Motivation von 13 James A. Schultz: Why Do Tristan and Isolde Leave for the Woods? Narrative Motivation and Narrative Coherence in Eilhart von Oberg and Gottfried von Straßburg, in: Modern Language Notes 102 (1987), S.-586-607, hier S. 602. 14 So leitet auch Schulz die von ihm abgelehnte ›naive‹ Lektüre von der unbedarften Wahrnehmung literarischer Figuren als »echte Menschen« (Schulz 2012, S. 8) her. Bereits Forster verbindet die Beobachtung des »aufrührerischen Geistes« der Figuren mit ihren »zahlreichen Parallelen mit unseresgleichen« (Forster 1962 [1927], S.-73). 15 Siehe oben, S.-16 16 E.M. Forster: Aspects of the Novel, New York 1954 [zuerst 1927], S. 83. Vgl. dazu Koch 1991, S. 150-152. 17 Vladimir Propp: Morphologie des Märchens, hrsg. von Karl Eimermacher, München 1972 [zuerst im russischen Original 1928] (Literatur als Kunst), S. 75-78. Unter Motivierung versteht Propp »sowohl die verschiedenen Beweggründe als auch die Absichten der Gestalten« (S. 75). 18 Vgl. Algirdas J. Greimas: Strukturale Semantik. Methodologische Untersuchungen, Braunschweig 1971 [zuerst im französischen Original 1966] (Wissenschaftstheorie, Wissenschaft und Philosophie 4), S. 157- 205. Greimas hat seinen Ansatz später noch mehrmals überarbeitet, was aber vor allem Details wie die konkrete Anzahl an Aktanten betraf und nicht seine grundlegenden Annahmen. Vgl. auch Algirdas J. Greimas: Elemente einer narrativen Grammatik, in: Strukturalismus in der Literaturwissenschaft, hrsg. von Heinz Blumensath, Köln 1972 (Neue wissenschaftliche Bibliothek 43), S. 47-67. - Zur Bedeutung des Aktantenmodells für die Figurenforschung vgl. Jannidis 2004a, S. 2. 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation 39 hinten‹ eingeführt. 19 Ist eine Erzählung ›von hinten‹ motiviert, dann seien nicht die Figuren die eigentlichen Träger der Handlung, sondern erscheinen vielmehr von ihr determiniert: Die Erzählung hat einen bestimmten thematischen Zusammenhang, an dem die einzelnen auftretenden Figuren gleichsam teilhaben dürfen; keinesfalls aber sind sie selbst das jenen Zusammenhang Tragende. Sie erscheinen so in ihrem Wesen als Mensch [Aristoteles würde vielleicht sagen: dem éthos] überfremdet. 20 Lugowski verbindet die unterschiedlichen Formen der Motivation dabei ebenfalls mit der Annahme einer Differenz zwischen realen Menschen und künstlichen Figuren: Hier ist daran zu erinnern, daß nicht von einer Motivenlehre des realen Menschen gesprochen wird, sondern von Motivation als einem t e c h n i s c h e n M i t t e l zur Schaffung einer eigenen dichterischkünstlichen Wirklichkeit […]. 21 Nachdem Lugowskis Überlegungen nach 1945 zunächst wenig Beachtung fanden, 22 sind sie vor allem seit den späten 1990er Jahren gerade auch in der Germanistischen Mediävistik verstärkt rezipiert worden, 23 und die Unterscheidung zwischen ›Motivation von vorne‹ und ›Motivation von hinten‹ gehört mittlerweile zu den methodischen Grundlagen der deutsch- 19 Vgl. Clemens Lugowski: Die Form der Individualität im Roman. Studien zur inneren Struktur der frühen deutschen Prosaerzählung, Berlin 1932 [Nachdruck Hildesheim / New York 1970] (Neue Forschung. Arbeiten zur Geistesgeschichte der germanischen und romanischen Völker 14), S. 73-89. Zu Lugowski auch der Sammelband Formaler Mythos. Beiträge zu einer Theorie ästhetischer Formen, hrsg. von Matías Martínez, Paderborn u. a. 1996 (Explicatio 7), siehe vor allem den einleitenden Beitrag von Matías Martínez: Formaler Mythos. Skizze einer ästhetischen Theorie, S. 7-24. - Die Parallele zwischen Propp und Lugowski betont etwa Matías Martínez: Fortuna und Providentia. Typen der Handlungsmotivation in der Faustinianerzählung der »Kaiserchronik«, ebd., S. 83-100, hier S. 92 Anm. 19. Gekannt hat Lugowski Propps Überlegungen sicher nicht: Die Rezeption der »Morphologie des Märchens« begann in Westeuropa erst 1958 mit der ersten englischsprachigen Übersetzung. 20 Lugowski 1932 [1970], S. 24. 21 Ebd., S. 74. 22 Vgl. zur Rezeption der »Form der Individualität« Heinz Schlaffer: Clemens Lugowskis Beitrag zur Disziplin der Literaturwissenschaft, in: Clemens Lugowski: Die Form der Individualität im Roman. Mit einer Einleitung von-Heinz Schlaffer, Frankfurt a. M. 1976, S. VII-XXIV, bes. S. VII, XIX-XXI; Martínez 1996a, S. 7-11. Aufgenommen wurden seine Überlegungen zunächst vor allem in Bezug auf die Erforschung des Prosaromans, so bei Jan Knopf: Frühzeit des Bürgers. Erfahrene und verleugnete Realität in den Romanen Wickrams, Grimmelshausens, Schnabels, Stuttgart 1978, S. 140f., 145 f., und Jan-Dirk Müller: Volksbuch / Prosaroman im 15. / 16. Jahrhundert. Perspektiven der Forschung, in: IASL Sonderheft 1 (1985), S. 1-128, bes. S. 92-95. 23 Maßgeblich für den Aufschwung der Lugowski-Rezeption war neben der bereits 1974 erschienenen Neuauflage der »Form der Individualität« vor allem ein 1992 veranstaltetes Kolloquium und der daraus hervorgegangene Sammelband Martínez (Hrsg.) 1996. - Belege für die zeitnahe Aufnahme in der Germanistischen Mediävistik bieten neben einer Erwähnung im Vorwort des Sammelbandes Erzählstrukturen der Artusliteratur. Forschungsgeschichte und neue Ansätze, hrsg. von Friedrich Wolfzettel unter Mitwirkung von-Peter Ihring, Tübingen 1999, S. IX-XI, hier S. X, die Beiträge von Jan-Dirk Müller: Der Prosaroman - eine Verfallsgeschichte? Zu Clemens Lugowskis Analyse des ›Formalen Mythos‹ (mit einem Vergleich), in: Mittelalter und frühe Neuzeit. Übergänge, Umbrüche, Neuansätze, hrsg. von Walter Haug, Tübingen 1999 (Fortuna vitrea 16), S. 143-163, und Jens Haustein: Kausalität als Autorität in mittelhochdeutscher Erzählliteratur. Oder Clemens Lugowski als mediävistische Autorität? , in: Autorität der / in Sprache, Literatur, Neuen Medien. Vorträge des Bonner Germanistentages 1997, hrsg. von Jürgen Fohrmann u. a., Bielefeld 1999, S. 553-572, die alle aus demselben Jahr stammen. Zur Anwendbarkeit der Kategorien Lugowskis weiterhin vor allem Annette Gerok-Reiter: Erec, Enite und Lugowski, C. Zum ›formalen Mythos‹ 40 1 Methodische Vorüberlegungen sprachigen Erzählforschung. 24 Das verdankt sich vor allem den auf Lugowski aufbauenden Überlegungen von Matías Martínez, die das gängige Begriffsinventar für die Beschreibung narrativer Motivation bereitstellen, was etwa im »Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft« dokumentiert ist. 25 Martínez differenziert Lugowskis Terminologie weiter aus und unterscheidet nicht zwischen zwei, sondern drei Formen der Motivation. 26 Der ›Motivation von vorne‹ entspricht bei ihm die k a u s a l e Motivation. Die Ereignisse erscheinen hier, so Martínez, als Ergebnis von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen, die in der erzählten Welt begründet sind. 27 Die kausale Motivation umfasst dabei insbesondere auch die psychologischen Beweggründe der Figuren. im frühen arthurischen Roman. Ein Versuch, in: Impulse und Resonanzen. Tübinger mediävistische Beiträge zum 80. Geburtstag von Walter Haug, hrsg. von Gisela Vollmann-Profe, Tübingen 2007, S. 131-150. 24 In der englischsprachigen Narratologie werden entsprechende Konzepte mit anderen Schwerpunkten vor allem unter dem Stichwort der ›Kohärenz‹ (coherence) abgehandelt, vgl. etwa Michael Toolan: Art. Coherence, in: the living handbook of narratology (erstellt am 29.09.2011; zuletzt überarb. am 01.10.2013), online verfügbar unter: -www.lhn.uni-hamburg.de/ article/ coherence (08.02.2020). Auch in der erzähltheoretischen Einführung von Monika Fludernik spielt die Motivation eine untergeordnete Rolle, vgl. Monika Fludernik: Erzähltheorie. Eine Einführung, 4., erneut durchges. Aufl., Darmstadt 2013. 25 Vgl. Martínez 2000. Siehe auch die kanonische Einführung von Martínez / Scheffel 10 2016, S. 110-119. 26 Martínez entwickelt seine Terminologie vor allem in Martínez 1996b, bes. S. 96-98, und parallel in der Monographie Matías Martínez: Doppelte Welten. Struktur und Sinn zweideutigen Erzählens, Göttingen / Zürich 1996 (Palaestra 298), bes. S. 27-30. - Eine Unterscheidung zwischen drei Arten von Ursachen der Dinge, die es in der Welt gibt, findet sich auch in mittelalterlichen Quellen. Sie geht zurück auf den »Timaios«-Kommentar des Calcidius (um 400), der im 12. Jh. viel gelesen wurde und die Grundlage der mittelalterlichen Platon-Rezeption darstellte, vgl. Markus Wesche: Art. Calcidius, in: LexMa 2 (1983), Sp.-1391 f. Dort heißt es: Omnia enim quae sunt uel dei opera sunt, uel naturae uel naturam imitantis hominis artificis (Calcidius, »Commentarius in Platonis Timaeum«, 1,23). Zitiert nach Plato Latinus, Bd. 4: Timaeus. A Calcidio translatus commentarioque instructus, ed. J.H. Waszink, London / Leiden 1975 (Corpus Platonicum medii aevi), S. 73, Z. 10. ›Denn alle Dinge, die es gibt, sind entweder Werke Gottes, der Natur oder eines die Natur nachahmenden menschlichen Künstlers.‹ Der Gedanke wird dann im 12. Jh. etwa bei Wilhelm von Conches und Hugo von Sankt Viktor aufgegriffen, vgl. Wilhelm von Conches, »Glosae super Platonem«, 1,37: Ostenso quod nichil est sine causa […]. Et sciendum quod omne opus uel est opus Creatoris, uel opus naturae, uel artificis imitantis naturam. Zitiert nach Guillelmi de Conchis opera omnia, Bd. 3: Glosae super Platonem, editionem novam trium codicum nuper repertorum testimonio suffultam curavit Eduardus A. Jeauneau, Turnhout 2006 (CCCM 203), S. 69, Z.-1f. ›Es ist gezeigt worden, dass nichts ohne Grund geschieht. Und man muss wissen, dass jedes Werk entweder das Werk des Schöpfers, das Werk der Natur oder das Werk eines die Natur nachahmenden Künstlers ist.‹ Hugo von Sankt Viktor, »Didascalion«, 1,10: Sunt etenim triplicia opera, id est, opus Dei, opus naturæ, opus artificis imitantis naturam. Zitiert nach Hugonis de S. Victore canonici regularis S. Victoris Parisiensis opera omnia […], editio nova accurante J.-P. Migne, Bd. 2, Paris 1854 (PL 176), Sp. 747C. ›Es gibt nämlich drei Arten von Werken, und zwar das Werk Gottes, das Werk der Natur und das Werk des die Natur nachahmenden Künstlers.‹ Vgl. besonders zu Wilhelm auch Marie-Dominique Chenu: The Renaissance of the Twelfth Century, in: Nature, Man, and Society in the Twelfth Century. Essays on New Theological Perspectives in the Latin West. With a preface by Etienne Gilson, selected, ed., and transl. by Jerome Taylor / Lester K. Little, Toronto u. a. 1997, S.-1-48, hier S. 40f. 27 Anne Sophie Meincke kritisiert den unterminologischen Gebrauch von ›Kausalität‹ bei Martínez im Besonderen und in der Erzählforschung im Allgemeinen. Während der Begriff eigentlich deterministischen Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen vorbehalten sei (aus einer Ursache A folgt immer die Wirkung B), werde er hier auch für statistische Zusammenhänge gebraucht (aus einer Ursache A folgt wahrscheinlich die Wirkung B), vgl.-Meincke 2007, S. 66-71. Dieses Kausalitätsverständnis ist freilich in der Philosophiegeschichte nicht unumstritten; ein solcher Determinismus wird vielmehr »erst mit Beginn des 20. Jh. zur Idealvorstellung von Kausalität.« (Erhard Scheibe: Art. Kausalgesetz, in: HWPh 4 (1976), Sp.-490-498, hier S. 495) 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation 41 Auch Lugowski hatte von der ›Motivation von vorne‹ vor allem als »p s y c h o l o g i s c h e [r] Motivation« 28 gesprochen. Mit ›kausal-psychologischer Motivation‹ ist im Folgenden jede Form der Begründung gemeint, die die erzählte Handlung von den Figuren und ihren Motiven, Trieben oder Affekten her erklärt. 29 In Bezug auf Lugowskis ›Motivation von hinten‹ führt Martínez eine Unterscheidung ein, nämlich zwischen der sogenannten finalen und der kompositorischen Motivation. Bei der f i n a l e n Motivation sei der Handlungsverlauf durch das Wirken einer transzendenten Instanz determiniert - im christlichen Mittelalter bezieht sich das in der Regel auf die göttliche Vorsehung und die Vorherbestimmtheit der Ereignisse im göttlichen Heilsplan. Auch wenn eine derartige Festlegung die komplexe theologische Diskussion notwendigerweise stark vereinfacht, äußert sich doch seit den Kirchenvätern immer wieder die Vorstellung von der Providenz als einer Macht, die die gesamte Schöpfung ordnet und regiert. 30 Der Gedanke, dass die 28 Lugowski 1932 [1970], S. 73. 29 Jens Eder definiert die psychologische Motivation folgendermaßen: »Zur M o t i v a t i o n im psychologischen Sinn gehören alle dauerhaften oder kurzfristigen, bewussten oder unbewussten inneren Vorgänge und Beweggründe, die Verhalten auslösen, aufrechterhalten und steuern, etwa Motive, Ziele, Pläne, Absichten, Entscheidungen, Wünsche, Gefühle, Bedürfnisse, Triebe und Instinkte.« (Eder ²2014, S. 428) Dabei lassen sich verschiedene Ebenen der Motivation unterscheiden, die unterschiedlich konkret und bewusst sind. Überhaupt umfasst die Motivation eines Menschen unterschiedliche Aspekte, die sich zu einem komplexen Motivationssystem zusammensetzen, vgl. dazu ebd., S. 430-448. Aus psychologischer Perspektive auch Zimbardo / Gerrig 18 2008, S. 416-422. - Florian Kragl beschreibt in Bezug auf die Brautwerbungsepisode im »Tristan« eine Motivationsstruktur, bei der zwar alle Figuren bestimmte Intentionen verfolgen, die Handlung aber zu einem Ergebnis gelangt, das keine Figur geplant oder gewollt hat. Die Handlung wird hier also zwar von den Figuren ausgelöst, aber nicht wirklich kausal begründet. Kragl spricht von einer ›Scheinkausalität‹, die er als ›ironische Motivation‹ bezeichnet, vgl. Florian Kragl: Gottfrieds Ironie: Vorüberlegungen zu einer Narratologie des Unernsts. Zu Morolds Wappnung und der Brautwerbung um Isolde, in: Ironie, Polemik und Provokation, hrsg. von Cora Dietl u. a., Berlin / Boston 2014, S. 17-49, hier S. 29-49, sowie jetzt Kragl 2019, S. 13-28. Zur Motivation in der Brautwerbungsepisode siehe weiterhin unten, S. 169, 172f., 347f. 30 Vgl. etwa Johannes Köhler: Art. Vorsehung, in: HWPh 11 (2011), Sp. 1206-1218, hier Sp. 1209 f. In diesem Sinne schreibt etwa der Kirchenvater Laktanz (gest. um 325), dass alles von der göttlichen Vorsehung gelenkt werde (dei prouidentia regatur hoc omne, »Divinae institutiones«, 1,2,5). Zitiert nach L. Caelius Firmianus Lactantius: Divinarum institutionum libri septem, ed. Eberhard Heck / Antonie Wlosok, Bd. 1: Libri I et II, München / Leipzig 2005 (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), S. 7, Z. 16-S. 8, Z. 1. Zum komplexen Verhältnis von Providenz und Determination, Vorherwissen und Vorherbestimmtheit auch Hermann Deuser: Art. Vorsehung I. Systematisch-theologisch, in: TRE 35 (2003), S. 302-323, hier S. 316: »Gottes Vorsehung impliziert sein Vorherwissen, und dies - unauflöslich verbunden mit Gottes Allmacht und Allwirksamkeit - scheint alle in der Zeit folgenden Ereignisse, auch menschliche Handlungen, vorweg zu bestimmen, eben weil Gott sie weiß; und dann könnte von (Entscheidungs-)Freiheit einer menschlichen Instanz keine Rede mehr sein«. Der Philosoph William James hat diesen Zusammenhang in seinem einflussreichen Essay »The Dilemma of Determinism« (1884) mit dem Bild des Schachspiels beschrieben: Gott sei wie ein überlegener Schachspieler, der die Züge des Gegners zwar nicht direkt beeinflussen, aber dennoch vorausplanen und so zum gewünschten Ziel führen kann, vgl. William James: The Dilemma of Determinism, in: The Will to Believe and Other Essays in-Popular-Philosophy, New York u. a. 1897, S. 145-183, hier S. 181. Ob dieses Bild allerdings zutrifft, ist nicht geklärt, und auch grundsätzlich lässt sich die Allwissenheit Gottes auch abgekoppelt von der Determination denken, vgl. dazu Deuser 2003, S. 316f. Zwischen Vorherwissen (praescientia) und Vorherbestimmung (praedestinatio) verortet auch Augustinus die Providenz, ohne dabei die Freiheit des menschlichen Willens zu negieren, vgl. Köhler 2011, Sp. 1210. - Zum Verhältnis von göttlicher Providenz und der Freiheit des menschlichen Handelns siehe unten, S. 65f. Grundsätzlich unterscheidet man in der mittelalterlichen Theologie außerdem zwischen einer Vorsehung, die sich auf die natürliche Anordnung der göttlichen 42 1 Methodische Vorüberlegungen scheinbar zufälligen oder natürlichen Ursachen in der Welt tatsächlich durch die göttliche Providenz ›von hinten motiviert‹ sind, wird etwa in der mittelalterlichen Geschichtsschreibung wiederholt zum Ausdruck gebracht. So bezeichnet Folkwin von Lobbes im 10. Jahrhundert den Willen Gottes als die einzige Ursache der Dinge (sola rerum causa). 31 Auch Thomas von Aquin (gest. 1274) spricht davon, dass hinter den natürlichen Prinzipien und den menschlichen Absichten Gott als Erstursache stehe. 32 Man wird also die Bedeutung der finalen Motivation für mittelalterliche Texte kaum überschätzen können. Der Begriff der finalen Motivation ist allerdings - nebenbei bemerkt - einigermaßen unglücklich gewählt: 33 Einerseits unterscheidet er sich vom gebräuchlichen, weitgefassten Begriff der Finalität, mit dem in narratologischem Kontext in der Regel nichts anderes gemeint ist als die ›Motivation von hinten‹; 34 andererseits suggeriert er eine Nähe zum Konzept der Schöpfung und die Geschöpfe ohne freien Willen bezieht, und einer Vorsehung, die sich auf diejenigen Geschöpfe bezieht, die einen freien Willen besitzen (Engel und Menschen); Augustinus spricht von providentia generalis und providentia specialis, vgl. Maarten J.F.M. Hoenen: Art. Vorsehung, in: LexMa 8 (1997), Sp. 1856-1858, hier Sp. 1858. 31 Folkwin von Lobbes, »Gesta abbatum Lobbiensium« (nach 980), Prologus: Hanc autem rerum causam mutabilem immutabilis ratio continet, apud quam non est novum, quod nobis recens apparat, et cui non variantur, quae nobis variabilia esse videntur; ita ordinans cuncta, ut etiam quae putantur mala, non sint inordinata. Summa ergo et principalis, immo s o l a r e r u m c a u s a v o l u n t a s D e i e s t . Zitiert nach Folcuini gesta abbatum Lobiensium, ed. G.H. Pertz, in: MGH. Scriptores 4 (1841), S. 52-73, hier S. 55, Z. 10-14. (Hervorhebung L.M.) ›Dieses veränderliche Wesen der Dinge hält aber ein unveränderlicher Sinn zusammen, für den nicht neu ist, was für uns plötzlich auftritt, für den sich nichts ändert, was uns plötzlich erscheint; er ordnet alles dermaßen, daß auch das, was wir als Übel ansehen, nicht außerhalb dieser Ordnung steht. Der höchste und erste, ja der einzige Grund (causa) der Dinge ist der Wille Gottes.‹ Übersetzung von Gert Melville: Wozu Geschichte schreiben? Stellung und Funktion der Historie im Mittelalter, in: Formen der Geschichtsschreibung, hrsg. von Reinhart Koselleck u. a., München 1982 (Theorie der Geschichte. Beiträge zur Historik 4), S. 86-146, hier S. 126. - Zum Verhältnis zwischen Zufall und göttlicher Vorsehung siehe auch unten, Kap. 2.3. 32 Vgl. Thomas von Aquin, »Summa theologiae«, 1,2,3: cum natura propter determinatum finem operetur ex directione alicujus superioris agentis, necesse est ea quae a natura fiunt, etiam in Deum reducere, sicut in primam causam. Similiter etiam quae ex proposito fiunt, oportet reducere in aliquam altiorem causam, quae non sit ratio et voluntas humana. ›Da die Natur offenbar unter dem Einfluß eines höheren Antriebes auf ein bestimmtes Ziel hin tätig ist, muß das Naturgeschehen auf Gott als seine erste Ursache zurückgeführt werden. In gleicher Weise ist auch das überlegte Handeln [des Menschen] auf eine das menschliche Erkennen und Wollen überragende Ursache zurückzuführen.‹ Zitat und Übersetzung nach Die deutsche Thomas-Ausgabe. Vollständige, ungekürzte deutsch-lateinische Ausgabe der Summa Theologica, übers. von Dominikanern und Benediktinern Deutschlands und Österreichs, Bd.- 1: Gottes Dasein und Wesen I,1-13, Graz u. a. 1982, S. 49. Zu der Stelle auch Florian Kragl: Wer hat den Hirsch zum Köder gemacht? Der »Münchner Oswald«, spiritualiter gelesen, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 63 (2007), S. 157-178, hier S. 171f. 33 Während Martínez den Begriff der ›Komposition‹ aus der narratologischen Tradition ableitet (siehe unten) wird die ›finale Motivation‹ nicht weiter erklärt. 34 So unterscheidet Susanne Reichlin im Anschluss an Lugowski kausale und finale Motivation: »Im ersten Fall entwickelt sich das erzählte Geschehen nach kausalen oder psychologischen Gesetzmäßigkeiten, im zweiten wird eine kausal unterbestimmte oder inkohärente Handlungsfolge durch einen dominanten Sinnzusammenhang (absolute Tugendhaftigkeit des Helden) oder das ›Ergebnis‹ der Handlung (Liebende finden sich wieder) begründet.« (Susanne Reichlin: Kontingenzkonzeptionen in der mittelalterlichen Literatur. Methodische Vorüberlegungen, in: Kein Zufall. Konzeptionen von Kontingenz in der mittelalterlichen Literatur, hrsg. von Cornelia Herberichs / Susanne Reichlin, Göttingen 2010 (Historische Semantik 13), S. 11-49, hier S. 35) Vgl. dazu auch Stephanie Seidl: Der Herr über dem Schema. Versuch einer Beschreibung zweier mittelalterlicher Brautwerbungstexte anhand ihrer mikrostrukturellen Erzähllogiken, 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation 43 Teleologie, von dem die ›Motivation von hinten‹ jedoch dezidiert abgegrenzt wird. 35 Trotzdem benutze ich den Ausdruck auch im Folgenden, allerdings nur in dem von Martínez gemeinten Sinn, also zur Bezeichnung numinoser Handlungsbegründungen. Wichtiger ist für den vorliegenden Zusammenhang des Verhältnisses von Figur und Handlung ohnehin die sogenannte k o m p o s it o r i s c h e oder ästhetische Motivation, bei der das Geschehen durch die funktionale Stellung der Handlungselemente in der (durch Genrekonventionen oder Erzählmuster bestimmten) Komposition des Textes - Aristoteles würde sagen: dem mythos - bestimmt ist. 36 Mit Jens Eder kann man auch von einer dramaturgischen Motivation sprechen. 37 Schon Lugowski bezog die ›Motivation von hinten‹ auch auf den »Künstlichkeitscharakter« der Dichtung: »Wo eine Dichtung ›komponiert‹ ist, da spielt die ›Motiin: Erzähllogiken in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Akten der Heidelberger Tagung vom 17. bis 19. Februar 2011, hrsg. von Florian Kragl / Christian Schneider, Heidelberg 2013 (Studien zur historischen Poetik 13), S. 209-225, hier S. 214 Anm. 23. Weiterhin spricht etwa Ralf Simon von Finalität, wenn die Handlung durch die ›Tiefenstruktur‹ eines Textes motiviert ist, vgl. Ralf Simon: Einführung in die strukturalistische Poetik des mittelalterlichen Romans. Analysen zu deutschen Romanen der matière de Bretagne, Würzburg 1990 (Epistemata. Literaturwissenschaft 66), S. 25, oder wenn es um den künstlerisch-technischen Aufbau der Handlung geht: »Technisch gesehen ist es also nicht so, daß die Welt gefährlich ist und der Artusritter ausreitet, um sie zu befrieden. In der finalen Ausrichtung der Handlungsführung auf das Ritterwerden […] des Helden ist es vielmehr umgekehrt. Der Ritter reitet aus, um zu werden, was er sein soll und die Welt ist deshalb so eingerichtet, daß er es werden kann. Die âventiuren sind also in die F i n a l i t ä t der Handlungsführung eingebunden.« (ebd., S. 30) Um göttliche Fügung geht es hier nicht. In beiden Fällen wäre Martínez’ Begriff der kompositorischen Motivation geeignet, um die Motivationsstruktur zu bezeichnen. 35 Vgl. Lugowski 1932 [1970], S. 88: »Es wäre nicht gut und würde das Verständnis des ganzen Problems nicht im mindesten fördern, sondern nur verwirren, wollte man die ›Motivation von hinten‹, wie es nahezuliegen scheint, ›teleologische‹ Motivation oder ähnlich nennen.« Daran schließt sich Martínez explizit an, vgl. Martínez 1996c, S. 19. Während eine teleologisch begründete Handlung nur auf ein Ziel a u s g e r i c h t e t ist und dieses Ergebnis zum Beispiel nicht unbedingt erreicht werden muss, ist in der ›Motivation von hinten‹, wie Lugowski sie versteht, das Ergebnis immer schon in der Handlung enthalten. Es ist »insofern während des gesamten Romanablaufs immer da, als die Gewißheit über den Ausgang absolut und die Spannung des ›Ob überhaupt‹ aufgehoben ist. Das geht weit über alles ›Teleologische‹ hinaus.« (Lugowski 1932 [1970], S. 88) Dagegen allerdings Meincke 2007, S. 254: »Mögen Lugowski und Martinez ihren Begriff von Motivation von hinten bzw. von Finalität noch so vehement gegen den Begriff der ›Teleologie‹ abzugrenzen suchen, letztendlich handelt es sich doch nur um verschiedene Namen [für] ein und dieselbe Idee: die Idee einer t e l e o l o g i s c h e n S t r u k t u r n a r r a t i v e r Te x t e .« Zum Verhältnis von Intentionalität, Finalität und Teleologie auch Dimpel 2011, S. 147f.; weiterhin Seidl 2013, S. 214 Anm.-23. - Eine zentrale Kategorie bildet die Finalität für Haferland, für den sie auf einer anderen Ebene als die Differenzierung zwischen ›Motivation von hinten‹ und ›Motivation von vorne‹ stattfindet: »Kausale Motivierung ist mit Finalität verträglich. Den Begriff der ›Motivation von hinten‹ dagegen sollte man für kausal motivierte Erzählzüge vermeiden: kausale Motivierung schließt ›Motivation von hinten‹ aus, nicht aber Finalität.« (Harald Haferland: ›Motivation von hinten‹. Durchschaubarkeit des Erzählens und Finalität in der Geschichte des Erzählens, in: Diegesis 3 / 2 (2014), S. 66-95, hier S. 76) 36 Der Begriff der kompositorischen Motivation stammt von Boris Tomaševskij, vgl. Martínez 1996b, S. 96 Anm. 28, und 1999c, S. 20 Anm. 7. Siehe Tomaševskij 1985 [1925], S. 227-229, der dazu erklärt: »Ihr Prinzip ist die Ökonomie und Zweckmäßigkeit der Motive. […] Nicht ein Requisit darf in der Fabel ungenutzt, nicht eine Episode ohne Einfluß auf die Situation der Fabel bleiben. Čechovs These, wenn man zu Beginn einer Erzählung von einem Nagel in der Wand spreche, müsse sich der Held am Ende der Erzählung an diesem Nagel aufhängen, zielt genau auf die kompositorische Motivierung.« (S. 227f.) 37 Eder 2 2014, S. 430-432. 44 1 Methodische Vorüberlegungen vation von hinten‹ eine Rolle.« 38 Hier zeigt sich wieder der Zusammenhang zwischen dem Primat der Handlung über die Figuren und der Wahrnehmung der Figuren als ›Artefakte‹. Trotz der großen Bedeutung der Motivation für die Beschreibung erzählender Texte 39 bietet Martínez bislang den einzigen systematischen Entwurf mit einer vergleichbaren Reichweite, 40 und es verwundert nicht, dass seine Darstellung den maßgeblichen Bezugspunkt für die narratologischen Untersuchungen der letzten Jahrzehnte darstellt. Überhaupt fristet die Motivation als erzähltheoretische Kategorie immer noch »eine Art narratologisches Nischendasein«, kritisiert etwa Florian Kragl, »und wo sie dann doch in den narratologischen Blick gerät, sind die methodischen Annäherungen von hastiger Kurzatmigkeit.« 41 Mit diesem Vorwurf bezieht sich Kragl ausdrücklich auf das Begriffsinventar von Martínez, das nur für die Beschreibung von Textbeispielen »von einer klinischen Präzision« geeignet sei, also für Beispielfälle, wie sie auf freier Erzählbahn kaum je begegnen. Jede feiner schattierte Motivationslogik hingegen, die sich nicht mit solchen reduktionsstufigen Mustern einfangen lässt, muss dabei unweigerlich durch den analytischen Rost fallen. 42 Gerade die »motivationslogisch labilen Stellen von Erzählwelten« 43 ließen sich so nicht in den Griff bekommen. Darauf wird zurückzukommen sein. Ein Vorteil der Terminologie von Martínez besteht jedoch neben ihrer großen Klarheit in jedem Fall darin, dass sie - wie bereits die 38 Lugowski 1932 [1970], S. 201, 202. 39 In E.M. Forsters grundlegender Definition von ›Geschichte‹ (plot) gegenüber bloßem ›Geschehen‹ (story) spielt die Motivation eine zentrale Rolle: »We have defined a story as a narrative of events arranged in their time-sequence. A plot is also a narrative of events, the emphasis falling on causality. ›The king died and then the queen died‹ is a story. ›The king died, and then the queen died of grief‹ is a plot. The timesequence is preserved, but the sense of causality overshadows it. […] If it is in a story we say ›and then? ‹ If it is in a plot we ask ›why? ‹ That is the fundamental difference between these two aspects of the novel.« (Forster 1954 [1927], S. 86) Diese Definition scheint in zentralen Punkten zu kurz gegriffen: So denkt Forster offenbar nur an kausale Formen der Verknüpfung. Vor allem aber zieht er die Möglichkeit nicht in Betracht, dass die Rezipienten den kausalen Zusammenhang im ersten Beispiel selbst herstellen und damit die Abfolge als motiviert wahrnehmen könnten, vgl. Valentin Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge. Der »Eneasroman« Heinrichs von Veldeke, der »Roman d’Eneas« und Vergils »Aeneis« im Vergleich, Berlin / Boston 2015 (Hermaea. N. F. 137), S. 39 Anm.- 100. Siehe außerdem unten, S.- 71 Anm.-182. Trotzdem behauptet Forsters Erklärung in der erzähltheoretischen Einführungsliteratur nach wie vor ihre Gültigkeit. Karin Kukkonen sieht in Forsters Bestimmung als »causal enchainment of story events« immer noch »one of the key definitions of plot« (Karin Kukkonen: Art. Plot, in: the living handbook of narratology (erstellt am 25.01.2014; zuletzt überarb. am 24.03.2014), online verfügbar unter: -www. lhn.uni-hamburg.de/ article/ plot (08.02.2020), §-15). Vgl. in diesem Sinne Martínez / Scheffel 10 2016, S. 115: »Das Geschehen wird zu einer Geschichte, wenn die dargestellten Veränderungen motiviert sind.« Auch Fludernik versteht den Plot als »die bereits logisch und motivational strukturierte Geschichte« (Fludernik 4 2013, S.-40). Bereits Tomaševskij beschreibt die Fabel als »die Gesamtheit der Motive in ihrer logischen, kausal-temporalen Verknüpfung« (Tomaševskij 1985 [1925], S. 218). 40 Siehe daneben vor allem Meincke 2007; Haferland 2014. In Bezug auf die Filmanalyse auch Eder 2 2014, S. 430-463. Zum Teil im Anschluss an Eder unterscheiden Tilman Köppe und Tom Kindt in ihrer erzähltheoretischen Einführung zwischen ›interner‹ und ›externer Motivierung‹, was sich inhaltlich im Wesentlichen mit der Unterscheidung ›kausal‹ / ›kompositorisch‹ deckt, aber auf einer anderen Ebene argumentiert ist, vgl. Köppe / Kindt 2014, S. 149-151. Die Einführung von Fludernik widmet der Motivation keinen eigenen Abschnitt, der Begriff fehlt auch im Glossar, vgl. Fludernik 4 2013. 41 Kragl 2014, S. 19; beinahe wortgleich 2019, S. 3. 42 Kragl 2014, S. 19; beinahe wortgleich 2019, S. 3. 43 Kragl 2014, S. 19; 2019, S. 3. 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation 45 Überlegungen von Lugowski - nicht lediglich in Auseinandersetzung mit dem modernen realistischen Roman, sondern auch anhand von vormodernem Textmaterial entwickelt wurde. 44 Auch einer der interessantesten alternativen motivationslogischen Entwürfe entstand nicht nur in Bezug auf mittelalterliche Literatur, sondern ausgerechnet in der Auseinandersetzung mit der deutschsprachigen Tristantradition. James A. Schultz hat in Bezug auf Eilhart und Gottfried vier motivationslogische Kategorien entwickelt, wobei die Ebene des Erzählens, auf der er die Motivation jeweils verortet, das zentrale Unterscheidungskriterium bildet: 45 Die sogenannte story motivation beziehe sich auf motivierende Elemente, die aus der ›Geschichte‹ (plot) stammen, also in anderen Worten Teil der erzählten Welt sind - dazu gehören auch »an actor’s reasons and aims, but also […] that actor’s nature« 46 . Bei der narrator motivation hingegen werde der Motivationszusammenhang vom Erzähler hergestellt, indem dieser auf Übereinstimmungen des Figurenhandelns mit realweltlichen Gesetzmäßigkeiten hinweise. 47 Mit der Kategorie der recipient motivation trägt Schultz der wichtigen Einsicht Rechnung, dass auch die Leser und Hörer eines Textes an der Herstellung der Motivationsstruktur beteiligt seien. Jede Erzählung enthalte Handlungsmomente, die nicht explizit motiviert seien, aber von den Rezipienten über die Abrufung von Weltwissen begründet werden können. Die actional motivation schließlich berührt grundlegende Erfordernisse der Handlungsstruktur, zum Beispiel die Tatsache, dass eine Handlung eine andere auslöst, indem sie ein Ungleichgewicht (disequilibrium) herstelle, das ausgeglichen werden müsse. 48 Zu den Kategorien von Martínez liegen diejenigen von Schultz zum größten Teil quer. Es geht ihm nur um kausale Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, während andere Formen der Motivation - etwa durch Genrekonventionen oder Erzähltraditionen - explizit ausgeschlossen werden. 49 Eine Gemeinsamkeit zwischen Schultz und Martínez besteht jedoch in der Berücksichtigung der Ebenen der Erzählung, die einen entscheidenden Gewinn beider Modelle 44 Als Textbasis zur Entwicklung seiner Kategorien diente Martínez die Faustiniangeschichte aus der um die Mitte des 12. Jh.s entstandenen »Kaiserchronik«, vgl. Martínez 1999c, S. 13-20; 1999b. 45 Schultz entwickelte das Konzept in zwei Beiträgen mit unterschiedlichem Textmaterial von Gottfried und Eilhart, vgl. James A. Schultz: Why Does Mark Marry Isolde? And Why Do We Care? An Essay on Narrative Motivation, in: DVjs 61 (1987), S. 206-222, hier S. 208-213 (am Beispiel der Brautwerbungsepisode), noch systematischer Schultz 1987b, S. 588-600 (am Beispiel von Waldleben beziehungsweise Minnegrotte). 46 Schultz 1987a, S. 208. Schultz bezieht sich hier auf die von Propp als für das Zaubermärchen nebensächlich angesehene (kausale) ›Motivation‹. 47 Diese Form der Motivation spielt in Gottfrieds »Tristan« eine besonders große Rolle, siehe dazu ausführlich unten, S. 169-179. 48 Vgl. Schultz 1987a, S. 212. Da es sich dabei nicht um eine Eigenschaft des Textes handelt, so Schultz, sondern um Annahmen und Erwartungen der Rezipienten, sei die actional motivation eigentlich eine Sonderform der recipient motivation. »Actional motivation […] does not describe a property of narrative actions themselves but rather a property they have because of the expectations and assumptions we bring to them; because we expect them to proceed causally one from the other and assume they will cohere, we think that they do. Actional motivation is, then, a sort of recipient motivation, but a very general and basic sort.« (Schultz 1987a, S. 213) 49 Vgl. Schultz 1987a, S. 215-218, bes. S. 216f.: »I would restrict the term motivation to […] the naive activation of an everyday causal common frame […]. Narrative motivation is fictional causality.« - Das betrifft auch die actional motivation, bei der Schultz ausdrücklich die Nähe zur Alltagswahrnehmung hervorhebt: »Not only does one action lead to another, but we tend to assume, from the mere fact of their sequential arrangement, that there must be some causal connection betweeen them. […]. Our expectation that disequilibrium will be followed by something as well as our assumption that consecutive events are causally related are attitudes we bring to narrative from everyday life.« (Schultz 1987a, S. 212f.) 46 1 Methodische Vorüberlegungen darstellt. Auch Martínez verbindet nämlich die Überlegungen von Lugowski mit den Ebenen des Modells der narrativen Kommunikation. Die kausale Motivation ›von vorne‹ verortet er auf der Ebene der erzählten Welt. 50 Naturgesetze etwa seien Eigenschaften der Diegese; sie existieren damit auf derselben Stufe wie die Figuren. Wenn Wolfram von Eschenbach im »Parzival« in Vorbereitung der berühmten Blutstropfenszene erklärt, warum der Falke vom Artushof zu Parzival gelangt sei, dann bezieht sich der begründende kausale Zusammenhang von Überfütterung, Appetitlosigkeit und Flucht des Greifvogels 51 auf die erzählte Welt. Die Aussage, dass ein Falke nicht auf das Lockfleisch des Falkners reagiert, wenn man ihn vorher zu stark gefüttert hat, ist auf derselben Ebene wahr wie die Aussage, dass Parzival ein Mensch ist. 52 Könnten wir die im Text erwähnten Falkner aus Karidol danach fragen, sie würden beide Aussagen bestätigen. Die Aussage hingegen, dass es sich bei den drei Blutstropfen im Schnee um ein bekanntes Märchenmotiv handelt, 53 ist ebenfalls wahr, allerdings n i c h t in der erzählten Welt. Wolframs Falkner wüssten damit nichts anzufangen. Anders als bei Schultz geht es hier nicht darum, auf welcher Ebene der Erzählung ein Motivationszusammenhang kommuniziert wird, sondern auf welcher Ebene er g ü lt i g ist. Der Unterschied zeigt sich etwa in Bezug auf Schultz’ narrator motivation: Dort weist zwar der Erzähler auf einen Motivationszusammenhang hin, dieser existiert aber innerhalb der erzählten Welt, 54 es handelt sich also um kausale Motivation. Ähnliches gilt für die recipient motivation. Für die kausale Motivation ist es unerheblich, ob sie vom Erzähler oder von einer 50 Vgl. Martínez 2000, S. 643: »Die ›kausale Motivierung‹ ist ein Bestandteil der erzählten Welt (Diegese, Diegesis) narrativer Texte.« 51 Vgl. Wolfram von Eschenbach, »Parzival«, vv. 281,26-30: ir besten valken si verluren: | der gâhte von in balde | und stuont die naht ze walde. | von überkrüphe daz geschach | daz im was von dem luoder gâch. Ausg. Nellmann 1994, Bd.-1, S. 468. Etwa: ›Sie verloren ihren besten Falken. Der flog schnell von ihnen davon und verbrachte die Nacht im Wald. Es geschah aufgrund von übermäßiger Fütterung, dass er vom Lockfleisch davoneilte.‹ Bei Chrétien ist das Auftauchen des Falken überhaupt nicht motiviert, vgl. Chrétien, »Perceval«, vv. 4175-4177: […] eles s’en aloient braiant | Por und faucon qui vint raiant | Après eles de grant radon (›[…] sie [die Gänse] stoben mit schrillem Schrei vor einem Falken davon, der ihnen pfeilschnell nachjagte.‹) Zitat und Übersetzung nach Chrétien de Troyes: Le Roman de Perceval ou Le Conte du Graal. Der Percevalroman oder Die Erzählung vom Gral. Altfranzösisch / deutsch, übers. und hrsg. von Felicitas Olef-Krafft, Stuttgart 1991 (RUB 8649), S. 234f. 52 Freilich ist die erste Aussage darüber hinaus auch in der realen Welt wahr, die zweite allerdings nicht. 53 Vgl. dazu den Kommentar der Ausg. Olef-Krafft 1991, S. 594f., und Emmanuel Cosquin: Les contes indiens et l’occident. Petites monographies folkloriques à propos de contes maures recueillis à Blida par M. Desparmet, Paris 1922, S. 218-246. Siehe auch das Erzählmotiv Mot. Z 65.1 (›Red as blood, white as snow‹), vgl. Stith Thompson: Motif-Index of Folk-Literature. A Classification of Narrative Elements in Folktales, Ballads, Myths, Fables, Medieval Romances, Exempla, Fabliaux, Jest-Books, and Local Legends, Bd. 1-6, rev. and enl. ed., Kopenhagen 1955-1958, Bd. 5, S. 552f.; Motif-Index of German Secular Narratives from the Beginning to 1400. Unter der Leitung von Helmuth Birkhan hrsg. von Karin Lichtblau / Christa Tuczay in Zusammenarbeit mit Ulrike Hirhager / Rainer Sigl, Bd. 1-7, Berlin / New York 2005-2010, Bd. 6.2, S. 413. 54 Dazu auch Schulz 2012, S. 329f.: »Eine solche Motivation seitens des Erzählers steht so, anders als Schultz dies im allzu korrekten Rekurs auf die Kategorien der Erzähltheorie sehen möchte, allerdings nicht unbedingt außerhalb der erzählten Welt.« Der einzige von Schultz angesprochene Fall, bei dem es sich tatsächlich um eine narrator motivation im engeren Sinne handelt, bei dem also der Motivationszusammenhang durch den Erzähler hergestellt wird, findet sich im Moroltkampf, wo der Erzähler explizit sagt: ich mache ez doch wârbære (v. 6876), vgl. zu dieser Stelle besonders Mark Chinca: History, Fiction, Verisimilitude. Studies in the Poetics of Gottfried’s »Tristan«, London 1993 (Modern Humanities Research Association. Texts and Dissertations 35), S. 105f. Siehe weiterhin unten, S. 320f. 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation 47 Figur mitgeteilt oder lediglich vom Rezipienten erschlossen wird. 55 Worauf es ankommt ist, dass der Motivationszusammenhang und die ihm zugrunde liegende Gesetzmäßigkeit Teil der erzählten Welt sind. Auf dieselbe Ebene wie die kausale Motivation gehört bei Martínez auch die finale: Die transzendente Instanz, die das Geschehen determiniert, ist ebenso Teil der erzählten Welt wie die Figuren. 56 »Kausale und finale Motivierung betreffen gleichermaßen die objektive Ordnung der erzählten Welt.« 57 Dass die kompositorische Motivation auf einer ganz anderen Ebene stattfindet, scheint auf der Hand zu liegen, denn Erzählmuster oder Gattungskonventionen sind ja keine Eigenschaften der erzählten Welt. 58 Um dieser Tatsache Ausdruck zu verleihen, wird oft eine räumliche Bildlichkeit bemüht. Man spricht dann vom kompositorischen Zusammenhang als etwas, das ›unterhalb‹ der Textoberfläche liege. Besonders die strukturalistische Rede von einer ›Tiefenstruktur‹ des Textes hat dieses Bild geprägt. 59 Aber auch, wenn man die Frage einmal außer Acht lässt, was diese ›Tiefenebene‹ des Textes eigentlich ist, bleibt doch unklar, wo man sie im Modell der narrativen Kommunikation verorten soll. Thomas Mann hat für den Zusammenhang, den wir als kompositorische Motivation bezeichnen, in seiner Version der mittelalterlichen Gregorius-Legende das schöne Bild vom »Geist der Erzählung« gefunden. 60 Dieser sei zwar selbst abstrakt, heißt es dort, könne sich jedoch in einer ersten Person verkörpern. Wer ist diese Person, wer verantwortet also die kompositorische Motivation? Wenn man die Gemachtheit der Erzählung in den Vordergrund stellt, den Text also als Artefakt betrachtet, braucht es einen artifex als intentionalen Produ- 55 Vgl. Martínez 2000, S. 644; Martínez / Scheffel 10 2016, S. 117f. 56 Vgl. Martínez 1996c, S. 20. Diese Feststellung lässt sich theoretisch einfach treffen; in der literaturwissenschaftlichen Analysepraxis allerdings werden die Instanzen des fiktionalen Gottes (als Teil der erzählten Welt) und des ›realen‹ Gottes (als Teil der realen Welt von Autor und Publikum) nicht selten vermischt. Siehe zu dieser Unterscheidung auch unten, Kap. 3.2.2. 57 Martínez / Scheffel 10 2016, S. 119. 58 Vgl. Martínez 2000, S. 644; Martínez / Scheffel 10 2016, S. 119. - Lugowski hatte vom »hinterweltlichen Charakter« (Lugowski 1932 [1970], S. 27) der Erzählung gesprochen. 59 Vgl. zu dieser Bildlichkeit Cordula Kropik: Tristrants Doppelleben. Strukturelle Simultaneität und handlungsweltliche Sukzession, in: Gleichzeitigkeit. Narrative Synchronisierungsmodelle in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hrsg. von Susanne Köbele / Coralie Rippl, Würzburg 2015 (Philologie der Kultur 14), S. 173-197, hier S. 175. 60 Zitiert nach Thomas Mann: Der Erwählte, hrsg. von Peter de Mendelssohn, Frankfurt a. M. 1980 (Thomas Manns Gesammelte Werke in Einzelbänden. Frankfurter Ausgabe), S. 8. Verschiedentlich wurde dieses Bild aufgenommen, um über die Motivation literarischer Texte zu sprechen, so etwa bei Kurt Ruh: »Jene Warum-Fragen waren [für mittelalterliche Rezipienten] eben keine Fragen von Belang. Der Hörer stand in Erwartung des Wozu. Uns als Interpreten aber steht es an, so zu fragen, wie der Dichter, dem Geiste der Erzählung folgend, gefragt haben muß.« (Kurt Ruh: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Erster Teil: Von den Anfängen bis Hartmann von Aue, Berlin 1967 (Grundlagen der Germanistik 7), S. 111) Vgl. weiterhin Flecken-Büttner 2011, S. 145 Anm. 340. Als ein »Phänomen der ›Tiefenstruktur‹« beschreibt auch Franz K. Stanzel den Geist der Erzählung, vgl. Franz K. Stanzel: Theorie des Erzählens, Göttingen 4 1989, S. 31 Anm. 1. Die handlungsmotivierende Funktion des Geistes der Erzählung zeigt sich bei Mann vor allem in der Frage ›Wer läutet die Glocken? ‹, mit der seine Erzählung einsetzt. Es gelingt ihm damit, die uneinlösbare Komplexität des Verhältnisses von Figuren und Handlung ins Bild zu setzen, wenn der Erzähler hier eine Handlung imaginiert, die völlig ohne menschliche Akteure auskommt: »Wer läutet die Glocken? Die Glöckner nicht. Die sind auf die Straße gelaufen wie alles Volk, da es so ungeheuerlich läutet. Überzeugt euch: die Glockenstuben sind leer.« (»Der Erwählte«; Ausg. de Mendelssohn 1980, S. 8) 48 1 Methodische Vorüberlegungen zenten. 61 Infrage kommen dafür grundsätzlich zwei Instanzen, nämlich Autor und Erzähler, und deren Unterscheidung ist - wie bereits in der Einleitung angedeutet - besonders im Hinblick auf mittelalterliche Texte problematisch. Martínez äußert sich, was die Verortung der kompositorischen Motivation angeht, dementsprechend für seine Verhältnisse ungewöhnlich wenig präzise. 62 Auch die übrige Forschung ist zurückhaltend; das Unbehagen gegenüber einer eindeutigen Festlegung spürt man etwa dort, wo Valentin Christ im Zusammenhang mit der kompositorischen Motivation von einer »Autor- / Erzählerinstanz« 63 spricht. Lugowski hatte seine ›Motivation von hinten‹ dort, wo sie ein technisches Mittel der künstlerischen Darstellung meint, noch ausdrücklich der Intention des ›Dichters‹ zugeordnet. 64 Die Unsicherheit der aktuellen Forschung gegenüber solchen Zuschreibungen erklärt sich wohl auch mit der generellen Vorsicht gegenüber konkreten Autor-Subjekten. Bei Thomas Mann verkörpert jedenfalls ein irischer Mönch namens Clemens den Geist der Erzählung, und damit eine Erzählerfigur, die ganz offensichtlich verschieden ist vom tatsächlichen Autor des Romans. 65 Der Erzähler ist diejenige Instanz, die - um das Bild der Marionette noch einmal zu bemühen - die Fäden der Erzählung in der Hand hält. 66 In seiner »Werkstatt« werden die »Entscheidungen über den Einsatz verschiedener Strategien getroffen« 67 , nach denen er die Figuren handeln lässt. Wenn man die kompositorische Motivation allerdings von der kommunikativen Funktion des Textes her beschreibt - etwa als dramaturgische Motivation - liegt sie auf der Ebene von Autor und Rezipienten, also außerhalb des Textes. 68 Auch 61 Vgl. dazu Risto Hilpinen: Authors and Artifacts, in: Proceedings of the Aristotelian Society 93 (1993), S.-154-178, hier S. 156: »An object o is an artifact if and only if o has an author.« 62 Martínez scheint die kompositorische Motivation sowohl dem Erzähler als auch dem Autor zuzuschreiben. Kompositorisch motiviert sei die Handlung einerseits, sofern sie sich aus der »Perspektive des (retrospektiven) Erzählers« (Martínez 1996b, S. 98) erkläre, andererseits, da ihr eine Funktion in der Komposition des Autors zukomme, vgl. auch Martínez 1996c, S. 28. Dass es sich hier um eine Verwechslung zwischen Autor und Erzähler handelt, glaubt Meincke 2007, S. 112 und Anm. 333, weiterhin S. 126, 129. Dazu auch Flecken-Büttner 2012, S. 28. 63 Christ 2015, S. 43. Siehe auch ebd., Abb. 3 (S. 41). 64 Vgl. Lugowski 1932 [1970], S. 74. Ähnlich auch Haferland 2014, passim. Zu der grundlegenden Frage, inwieweit die Komposition eines Textes eine schöpferische Autorinstanz voraussetzt, vgl. Martin Huber: Art. Komposition, in: RLW 2 (2000), S. 323-326, hier S. 326: »Während bei den hermeneutischen Theoriemodellen ein bestimmbares (Autor-)Subjekt für die sinnstiftende Kompositionsleistung verantwortlich ist, ist das Werk für [antihermeneutische] Theoriemodelle […] eine von der physischen Existenz eines Autors unabhängige literarische Schnittstelle zeitgenössischer Diskurse (Poststrukturalismus, Dekonstruktion). Jedoch mehren sich in den 1990er Jahren Ansätze, die über den Kompositionsbegriff den Autor restituieren.« Zur Verbindung von kompositorischer Funktion und Autor-Subjekt auch Meincke 2007, S. 42f. und Anm. 84. 65 Zur komplexen erzählerischen Anlage Jochen Berendes: Wer läutet? Eine Analyse des Anfangs von Thomas Manns Roman »Der Erwählte«, in: Recherches Germaniques 24 (1994), S. 93-107; zur narratologischen Auswertung der Stelle bei Käthe Hamburger, Franz K. Stanzel und Wolfgang Haubrichs ebd., S. 93 Anm.-1. 66 In diesem Sinne sprechen Kragl und Schneider in Bezug auf die im Münchner »Willehalm«-Fragment ins Bild gesetzte Erzählerfigur davon, »dass dieser Erzähler Wolfram es ist, der hier seine Figuren - wie Marionettenpuppen fast - miteinander agieren bzw. aneinander denken lässt […]. Erzähler wie dieser Wolfram der »Willehalm«-Handschrift Cgm 193,III führen […] mit großer Souveranität Regie über die Handlung und die erzählten Figuren, von der und von denen sie erzählen.« (Kragl / Schneider 2013, S. 2) 67 Burkhard Hasebrink: Prudentiales Wissen. Eine Studie zur ethischen Reflexion und narrativen Konstruktion politischer Klugheit im 12. Jahrhundert, Habil. Göttingen 2000, S. 275. 68 So in Bezug auf die Filmanalyse Eder 2 2014, S. 431f. In diesem Sinne meint auch Haferland, man könne die ›Motivation von hinten‹ »so erkennen, wie man z. B. Absichten eines Kommunikationspartners durch- 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation 49 vom Wortsinn her ist der Autor (von lat. auctor) der Urheber und die Ursache des Textes. 69 In diese Richtung weist auch die ›naive‹ moderne Frage nach der Autorintention, also danach, warum der Autor seine Figuren so handeln ließ, wie er es tat. So gesehen entspricht dann die kompositorische Motivation in der Perspektive der Rezipienten gewissermaßen der kausalpsychologischen Motivation des Autors. Solchen konkreten Bezugnahmen auf historische Autor-Subjekte und ihre Intentionen ist allerdings mit größter Vorsicht zu begegnen. Das gilt ganz besonders angesichts der Alterität mittelalterlicher Konzeptionen von Autorschaft. 70 Insgesamt scheint es geraten, einen ›weichen‹ Autorbegriff anzusetzen: Dass die kompositorische Motivation auf der Kommunikationsebene von Autor und Rezipient angesiedelt wird, muss nicht bedeuten, dass sie auch von einem historisch-biographischen Autor-Subjekt intendiert wurde. Sie kann ebenso das Ergebnis von Erzählgewohnheiten oder Stofftraditionen sein, die ganz unbeabsichtigt in den Text gelangt sind. 71 Aber das ist eine Frage der Konzeption von Autorschaft, nicht der narrativen Ebene. In vielen Fällen reicht es wohl ohnehin aus, die kompositorische Motivation auf der E b e n e d e s E r z ä h l e n s im Unterschied zur kausalen und finalen Motivation auf der E b e n e d e r e r z ä h lt e n We lt zu verorten. 72 Kehren wir noch einmal zurück zum Verhältnis von Figur und Handlung und der Frage nach der Leistungsfähigkeit eines Beschreibungsverfahrens, das die Motivation der Handlung von den Figuren her erklärt. Die Frage, »wieweit handlungspsychologische Annahmen in Anschlag gebracht werden können, um die Figur, ihre Konzeption und Motivation zu erklären«, bezeichnet Markus Stock als »entscheidende Frage« einer historischen Narratologie der Figur. 73 Es ist vielleicht auf den originären Einfluss des Strukturalismus auf die moderne Narratologie zurückzuführen, 74 dass die Ablehnung kausal-psychologischer Motivation, wie wir sie etwa bei Armin Schulz beobachtet haben, trotz vereinzelter Gegenstimmen lange zum common sense einer erzähltheoretisch aufgeklärten Literaturwissenschaft gehörte: schaut« (Haferland 2014, S. 67). 69 Das lässt sich auch mit der von Plotke vorgeschlagenen Differenzierung zwischen einer Gestaltungsinstanz und einer Kommunikationsinstanz anstelle der Unterscheidung von Autor und Erzähler vereinbaren, vgl. Plotke 2017a, S. 251: »Wenn der Autorbegriff in der historischen Dimension nicht problematisch wäre, war er doch im Mittelalter mit einer spezifischen Bewertung verknüpft, könnte man die Gestaltungsinstanz weiterhin ›Autor‹ nennen, einfach in dem Sinne, dass damit derjenige gemeint ist, der hinter der kompositorischen und stilistischen Formgebung des verspoetischen (oder auch in Prosa gehaltenen) Artefakts steht, also im ursprünglichen Wortsinn der Urheber des narrativen Textes.« - Zu mittelalterlichen Vorstellungen vom Autor als causa efficiens im Sinne der philosophischen Ursachenlehre vgl. Burghart Wachinger: Autorschaft und Überlieferung, in: Autorentypen, hrsg. von Walter Haug / Burghart Wachinger, Tübingen 1991 (Fortuna vitrea 6), S. 1-28, hier S. 10. 70 Vgl. dazu auch Christian Kiening: Literarische Schöpfung im Mittelalter, Göttingen 2015, bes. S. 7-36, der darstellt, wie sich die Vorstellung von Literatur als kreativer Schöpfung - in Anlehnung an die göttliche creatio - seit dem 12. Jh. langsam zu etablieren beginnt. 71 So unterscheidet Haferland eine »eingespielte, unhinterfragte Erzählweise« von einer »erzähltechnisch kalkulierten ›Motivation von hinten‹« (Haferland 2014, S. 68). Weiterhin ebd., S. 83: »Von einer vom Dichter zu verantwortenden und über seine Erzählakte lancierten Finalität ist damit eine Finalität unterschieden, die im Plot oder der Handlungsstruktur einer Erzählung gebunden ist.« 72 Vgl. auch Eder 2 2014, S. 430-433, daran anschließend Köppe / Kindt 2014, S. 149-151. Weiterhin Haferland 2014, S. 93 Anm. 46: »Kausalität liegt auf der Ebene des Erzählten und Komposition und Rezipientenbezug auf der Ebene des Erzählens.« 73 Stock 2010, S. 194. 74 Siehe oben, S. 17. 50 1 Methodische Vorüberlegungen Die handelnden Figuren der mittelhochdeutschen epischen Texte erkannte man […] als normierte Rollen- und Funktionsträger, programmiert durch Gattungstraditionen oder die Bedingungen konstitutiver Strukturschemata. Einer Figur Individualität zuzugestehen oder mit psychologischen Erklärungsvarianten für Handlungsschemata aufzuwarten erschien nunmehr als interpretatorischer Fauxpas. 75 Die Einwände gegen psychologische Erklärungsversuche sind dabei zunächst grundlegender Art und betreffen die grundsätzliche Ablehnung der Wahrnehmung von literarischen Figuren als ›Personen‹. Ganz entschieden äußert sich in diesem Sinne etwa Katharina Philipowski: »Figuren stellen zwar Menschen dar, doch eines unterscheidet sie grundsätzlich von ihnen: Sie existieren nicht und haben deshalb auch keine psychischen Dimensionen.« 76 Dagegen besitzen vor allem die neueren kognitionsorientierten Ansätze - die ja von ihrer Genese her eine gewisse Nähe zur Psychologie besitzen - wieder eine größere Offenheit dafür, nach den Beweggründen der Akteure im Text zu fragen. In der Folge lässt sich gerade in den letzten Jahren eine zunehmende Aufgeschlossenheit gegenüber kausal-psychologischen Erklärungen beobachten. 77 Allerdings richtet sich die Kritik neben solchen grundsätzlichen Einwänden im Besonderen gegen die kausal-psychologische Beschreibung v o r m o d e r n e n Erzählens. Sie verweist dabei auf die Alterität mittelalterlicher Rezeptionserwartungen. 78 In diesem Sinne schreibt - stellvertretend für die vor allem an Strukturen interessierte Germanistische Mediävistik des 20. Jahrhunderts - Kurt Ruh: Zu überwinden gilt es auch die psychologisch orientierte Forschung […]. Chrétien und Hartmann fragen nicht oder doch nur gelegentlich und beiläufig nach Beweggründen, sondern nach dem Wozu. Handlung ist nicht kausal, sondern final bedingt, Situationen stellen sich nach ›Bedarf‹ der Handelnden ein, Personen bleiben rollengebunden. […] Jene Warum-Fragen waren eben keine Fragen von Belang. Der Hörer stand in Erwartung des Wozu. 79 75 Annette Gerok-Reiter: Individualität. Studien zu einem umstrittenen Phänomen mittelhochdeutscher Epik, Tübingen 2006 (Bibliotheca Germanica 51), S. 13; dazu auch Dimpel 2011, S. 129-132. 76 Katharina Philipowski: Wer hat Herzeloydes Drachentraum geträumt? Trûren, zorn, haz, scham und nît zwischen- Emotionspsychologie und Narratologie, in: PBB 128 (2006), S. 251-274, hier S. 263; weiterhin Katharina Philipowski: Die Gestalt des Unsichtbaren. Narrative Konzeptionen des Inneren in der Erzählliteratur, Berlin / New York 2013 (Hermaea. N. F. 131), bes. S. 331-341. 77 Vgl. etwa Dimpel 2011, S. 127: »Kann man überhaupt […] von Intentionen, von Motiven einer Figur sprechen? Haben Figuren ein Inneres, das zumindest partiell beschrieben werden kann? Ich plädiere dafür, diese Fragen mit Ja zu beantworten.« 78 Zum Alteritätsparadigma in Bezug auf die Erzähllogik siehe Schneider 2013, S. 157f. 79 Ruh 1967, S. 111. Ruh bestreitet dabei nicht, dass im Mittelalter eine Vorstellung von der »Individualität der Person« existiert und ein gewisses Interesse am Figureninnern bestanden habe, doch »[d]as in der Individualisierung der Person eingeschlossene realistisch-psychologische Moment greift nicht in die Handlungsführung ein. Gerade die entscheidenden ›Wendungen‹ der Erzählung bleiben ohne kausal-psychologische Motivierung.« (ebd.) Vorsichtiger etwa Jan-Dirk Müller, wenn er davon spricht, man könne für mittelalterliche Erzählungen nicht die »vorbereitende Kausalmotivation, wie sie in neuzeitlichen Erzählungen vorherrscht, als den einzig möglichen und selbstverständlichen Motivationstypus voraussetz[en]« ( Jan-Dirk Müller: Spielregeln für den Untergang. Die Welt des Nibelungenliedes, Tübingen 1998, S. 76). Dazu auch Annette Gerok-Reiters Unterscheidung zwischen primär ›strukturorientiertem‹ Erzählen im Mittelalter und primär ›subjektorientiertem‹ Erzählen in der Moderne, vgl. Annette Gerok-Reiter: Auf der Suche nach der Individualität in der Literatur des Mittelalters, in: Individuum und Individualität im Mittelalter, hrsg. von Jan A. Aertsen / Andreas Speer, Berlin / New York 1996 (Miscellanea mediaevalia 24), S. 748-765, hier S. 750f. 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation 51 Der »weitgehende Verzicht auf eine plausible Ereignismotivation« 80 gilt als allgemeines Merkmal vormoderner Literatur. Damit ist zunächst eine ästhetische Norm gemeint: Im Mittelalter, so die Auffassung, habe noch nicht jene Forderung nach kohärenter kausaler Motivierung der Handlung bestanden, der man in der Romanpoetik des 18. Jahrhunderts begegnet: »Erst in der Moderne dürfte jenes Erzählen, das ›Motivation von hinten‹ der eingelebten Gewohnheit nach als unanstößig zulässt, infolge einer perspektivischen Verzerrung als defizient wahrgenommen werden.« 81 Einen gern zitierten Beleg für den Siegeszug der Kausalitätserwartung bietet die 1774 veröffentlichte Dichtungslehre Christian Friedrichs von Blanckenburg. Dort heißt es: Der Dichter hat in seinem Werke Charaktere und Begebenheiten unter einander zu ordnen und zu verknüpfen. Diese müssen nun […] so untereinander verbunden seyn, daß sie gegenseitig Ursach und Wirkung sind, woraus ein Ganzes entsteht, in dem alle einzelne Theile unter sich, und mit diesem Ganzen in Verbindung stehen, so daß das Ende, das Resultat des Werks eine nothwendige Wirkung alles des vorhergehenden ist. 82 Über die Figuren schreibt Blanckenburg, sie sollen »lebende, handelnde Personen« sein, und der Dichter solle - ganz im Gegensatz zu der Bestimmung von Aristoteles - sein Werk so ordnen, »daß diese Situation, diese Wendung aus den, seinen Personen gegebenen Eigenschaften erfolgt, und so erfolgt, daß sie uns eine natürliche Wirkung derselben zu seyn scheint« 83 . Dieser Anspruch wird dann etwa in Karl Philipp Moritz’ ab 1785 erscheinendem »Anton Reiser« eingelöst, der bereits in seinem Untertitel als »psychologischer Roman« charakterisiert ist. 84 Die Einschätzung der kausal-psychologischen Motivation als eine Form des Erzählens, die der mittelalterlichen Literatur weitgehend fremd sei, findet sich bereits bei Lugowski, dessen Untersuchung ausdrücklich literaturbeziehungsweise erzählgeschichtlich angelegt ist. 85 Im 80 Kropik 2015, S. 173 Anm. 2. Friedrich Ohly hatte - um nur ein weiteres Beispiel zu nennen - in dem »eigenwillig und unbekümmert um Begründungen sich verwirklichende[n] Gesetz der Fabel, die ihrer dichterischen Eigengravitation gehorchend, unabwendbar abläuft«, einen grundlegenden »Zug mittelalterlichen Erzählens« gesehen (Friedrich Ohly: [Rezension] Maria Bindschedler, Gottfried von Strassburg und die höfische Ethik, Halle a.d. Saale 1955, in: Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Literatur 68 (1955 / 56), S. 119-130, hier S. 127). Von der fehlenden kausalen Motivierung als einem »Topos in der mediävistischen Textkritik [sic]« spricht Meincke 2007, S. 101. 81 Haferland 2014, S. 68. Vgl. auch Martínez 1996a, S. 20: »In deutschen Romanpoetiken der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts etablierte sich das Konzept einer empirisch plausiblen Motivation des Geschehens auch als ästhetische Norm.« 82 Christian Friedrich von Blanckenburg: Versuch über den Roman, Leipzig 1774, S. 313f. Zu Blanckenburg auch Jannidis 2004a, S. 92: »In der deutschen Literaturtheorie läßt sich der Erfolg des kausalgenetischen Beschreibungsinstrumentariums und Wertesystems an von Blanckenburgs »Versuch über den Roman« und dem dort beschriebenen Figurenideal festmachen.« Auf Blanckenburg beziehen sich neben den zitierten Ansätzen von Haferland und Martínez auch Martínez / Scheffel 10 2016, S. 123f. 83 von Blanckenburg 1774, S. 340. 84 [Karl Philipp Moritz: ] Anton Reiser. Ein psychologischer Roman, Bd. 1-4, Berlin 1785-1790. Im Vorwort des ersten Bandes heißt es dazu: »Dieser psychologische Roman könnte auch allenfalls eine Biographie genannt werden, weil die Beobachtungen größtentheils aus dem wirklichen Leben genommen sind.« (Bd. 1, S. 2) Weiterhin ist die Rede von »einem Buche, welches vorzüglich die innere Geschichte des Menschen schildern soll« (S. 2f.). 85 In diesem Sinne auch Propp 1971 [1928], S. 76: »Es besteht Grund zu der Annahme, daß das Märchen ursprünglich gar keine sprachlich formulierten Motivierungen [im Sinne kausaler Motivation] kannte und es sich hierbei höchstwahrscheinlich um Elemente jüngeren Ursprungs handelt.« 52 1 Methodische Vorüberlegungen Umkehrschluss gilt für ihn die ›Motivation von hinten‹ als spezifische Eigenschaft vormoderner Literatur. Sie habe die Rezeptionserwartung mittelalterlicher Leser und Hörer geprägt, während »uns heute die vorbereitende Motivation im Blute liegt« 86 . In Anlehnung an Lugowski skizziert auch Harald Haferland eine »Geschichte des Erzählens und des Romans«, in der »die ›Motivation von hinten‹ mit der zunehmenden Ausbreitung kausal motivierter Erzählzüge zurückgedrängt wird« 87 . Im Mittelalter sei noch ein »Erzählhabitus« am Werk gewesen, der »der kausalen Motivierungen keinen privilegierten Platz einräumte« 88 und es dem Dichter erlaubt habe, »vorbereitende Motivierungen zu vernachlässigen« 89 . Zu welchem Zeitpunkt in der europäischen Literaturgeschichte wird das primär ›von hinten‹ motivierte Erzählen abgelöst durch eine kausal-psychologische Erzählweise, wie sie offenbar für die Moderne als dominant vorausgesetzt werden kann? Kann man überhaupt von einer solchen Ablösung ausgehen? Es geht also in anderen Worten um eine historische Verortung der ›Motivation von hinten‹. 90 Das betrifft zwei Aspekte, die miteinander in Verbindung stehen, aber nicht identisch sind: einerseits die Kategorie des Bewusstseins (haben die Figuren in mittelalterlichen Texten eine Psyche? ), andererseits das grundsätzliche Vorhandensein vorbereitender Begründungsstrukturen (gibt es kausallogisches Erzählen im Mittelalter? ). Die erzählgeschichtliche Entwicklung von der ›Motivation von hinten‹ zur ›Motivation von vorne‹ ist bei Lugowski eingebettet in einen geistesgeschichtlichen Prozess, nämlich den Zerfall des mythischen Weltbildes zugunsten des modernen, aufgeklärten Denkens. 91 Auch Haferland stellt einen Zusammenhang her zwischen Erzählform und »Wirklichkeitserfahrung« 92 . Lässt sich also die andersartige Rezeptionserwartung mittelalterlicher Leser und Hörer mit den »kuriosen Wissensordnungen des Mittelalters« erklären, »die vermeintlich an Zwerge, Zauberquellen und Motivation von hinten (Clemens Lugowski) glaubten« 93 ? Im Umkehrschluss wird jedenfalls davon ausgegangen, dass kausal-psychologische Zugänge 86 Lugowski 1932 [1970], S. 87. 87 Haferland 2014, S. 86. 88 Ebd., S. 74. 89 Ebd., S. 72. 90 Die »Frage nach der historischen Zuordnung teleologischen Erzählens« beschreibt auch Hasebrink als narratologisches Forschungsdesiderat (Hasebrink 2000, S. 276 Anm. 23). 91 Lugowski spricht von einem »historische[n] Vorgang« (Lugowski 1932 [1970], S. 200). Die Gegenüberstellung von ›empirisch-wissenschaftlichem‹ und ›mythischem‹ Weltbild hatte er bei Ernst Cassirer kennengelernt, vgl. Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 2: Das mythische Denken, Berlin 1925. Zu Lugowskis geschichtsphilosophischen Implikationen Gerok-Reiter 2007a, S. 133; Müller 1999, bes. S. 149-155. 92 Haferland 2014, S. 86. Zur Alterität vormoderner kognitiver Strukturen auch Harald Haferland: Verschiebung, Verdichtung, Vertretung. Kultur und Kognition im Mittelalter, in: IASL 33 (2008), S. 52-101, bes. S. 63f. (zum mythischen Denken bei Cassirer), und Harald Haferland: Kontiguität. Die Unterscheidung vormodernen und modernen Denkens, in: Archiv für Begriffsgeschichte 51 (2009), S. 61-104. 93 Bent Gebert: Mythos als Wissensform. Epistemik und Poetik des »Trojanerkriegs« Konrads von Würzburg, Berlin / Boston 2013 (spectrum Literaturwissenschaft. Komparatistische Studien 35), S. 74. Kann man an ›Motivation von hinten‹ glauben? Jan-Dirk Müller betont in seiner Rezension zu Gebert, dass in dieser Formulierung Differenzen eingeebnet werden: »Die ersten beiden sind Motive der niederen Mythologie, das dritte aber eine Aussage über Strukturen von Erzähltexten, die kognitive Implikationen hat. Die Verwischung der Grenzen zwischen diesen Typen ist verbreitet« (PBB 139 (2016), S. 299-311, hier S. 307 Anm. 16). Diese Verwischung ist allerdings eher den Forschungspositionen anzulasten, die Gebert hier distanzierend referiert. 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation 53 außerhalb des mittelalterlichen Denkhorizontes lagen. Kausallogisches Denken gilt gewissermaßen als ›Erfindung‹ der Moderne, 94 woraus sich gegenüber entsprechenden Beschreibungen mittelalterlicher Texte der Vorwurf der Ahistorizität ableiten lässt. 95 Das Problem ist dabei nicht nur, dass sich mittelalterliche Vorstellungen von der menschlichen Psyche von jenen in der Moderne unterscheiden. Die Alterität psychologischer Modelle und Theorien wäre für eine historisch arbeitende Narratologie keine unlösbare Herausforderung. Es geht also erst einmal nicht um spezielle Fragen wie diejenige, ob etwa die Psychoanalyse ein geeignetes Instrumentarium bietet, um Figuren höfischer Romane zu beschreiben. 96 Gemeint ist vielmehr die grundsätzliche Frage danach, ob (psychologische) Kausalitätsunterstellungen in der Vormoderne überhaupt eine Rolle gespielt haben - wenn es sich dabei nicht ohnehin um 94 Zur Durchsetzung des ›kausalgenetischen Denkens‹ im 18. Jh. etwa Fotis Jannidis: Das Individuum und sein Jahrhundert. Eine Komponenten- und Funktionsanalyse des Begriffs ›Bildung‹ am Beispiel von Goethes »Dichtung und Wahrheit«, Tübingen 1996, S. 79-82. 95 Von einem ›ahistorischen Psychologismus‹ spricht etwa Armin Schulz: »Frühere Generationen von Literaturwissenschaftlern haben sich damit abgemüht, das ›Innenleben‹ und die psychische Motivation der Figuren zu rekonstruieren, heute, da dieser a h i s t o r i s c h e P s y c h o l o g i s m u s überwunden ist, gilt der Aufwand, Literatur auf mittelalterliche Realität zu beziehen, dem ›Außenleben‹ der Figuren. Aber wir haben es weder mit wirklichen noch mit vollständigen Welten zu tun. Literarische Menschen sind keine echten Menschen […].« (Armin Schulz: Die Verlockungen der Referenz. Bemerkungen zur aktuellen Emotionalitätsdebatte, in: PBB 128 (2006), S. 472-495, hier S. 482; Hervorhebung L.M.) 96 So lehnt etwa Czerwinski 1986 psychoanalytische Zugänge zu mittelalterlichen Figuren mit der Begründung ab, mittelalterliche Autoren und Rezipienten hätten keine Vorstellung vom Unterbewussten. Sehr reflektiert dagegen Philipowski, die kausal-psychologische Zugänge aus anderen, nämlich grundsätzlichen Gründen ablehnt. Vgl. Philipowski 2006, S. 246 Anm. 27: »Das größte methodologische Problem bei der Anwendung emotionspsychologischer Begriffe und Konzepte besteht […] durchaus nicht in der vielbeschworenen Ahistorizität emotionspsychologischer Begriffe und Theorien«. Zur Debatte um psychoanalytische Zugänge zur Literatur vgl. den Überblick bei Walter Schönau: Einführung in die psychoanalytische Literaturwissenschaft, Stuttgart 1991, zur Forschungsgeschichte S. 123-216; im vorliegenden Kontext bes. S. 102-105. Zur Geschichte der Verbindung von Psychoanalyse und mediävistischer Literaturwissenschaft siehe Friedrich Wolfzettel: Mediävistik und Psychoanalyse: Eine Bestandsaufnahme, in: Mittelalterbilder aus neuer Perspektive. Diskussionsanstöße zu amour courtois, Subjektivität in der Dichtung und Strategien des Erzählens. Kolloquium Würzburg 1984, hrsg. von Ernstpeter Ruhe / Rudolf Behrens, München 1985 (Beiträge zur romanischen Philologie des Mittelalters 14), S. 210-239; Wolfgang Beutin: Ältere deutsche Literatur und Psychoanalyse, in: Germanistik - Forschungsstand und Perspektiven. Vorträge des Deutschen Germanistentages 1984, Bd. 2: Ältere Deutsche Literatur, Neuere Deutsche Literatur, hrsg. von Georg Stötzel, Berlin / New York 1985, S. 199-222; Wolfgang Maaz: Psychologie und Mediävistik. Geschichte und Tendenzen der Forschung, in: Klio und Psyche, hrsg. von Wolfgang Kornbichler, Pfaffenweiler 1990 (Geschichte und Psychologie 1), S. 49-72; Jutta Eming: Mediävistik und Psychoanalyse, in: Codierungen von Emotionen im Mittelalter, hrsg. von C. Stephen Jaeger / Ingrid Kasten, Berlin / New York 2003 (Trends in Medieval Philology 1), S. 31-44; Christiane Ackermann: Mediävistik und psychoanalytische Literaturtheorie, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 48 (2007), S. 9-44, bes. S. 14-19; Ruth Sassenhausen: Wolframs von Eschenbach »Parzival« als Entwicklungsroman. Gattungstheoretischer Ansatz und literaturpsychologische Deutung, Köln u. a. 2007 (Ordo 10), bes. S. 71-90. 54 1 Methodische Vorüberlegungen eine anthropologische Konstante handelt, wie Gert Hübner meint 97 - und wenn ja, ob sie als Zugang zu literarischen Texten fungierten. 98 Lugowski hatte die ›Zersetzung‹ des mythischen Weltbildes und den damit verbundenen Wandel hin zu einem primär ›von vorne‹ motivierten Erzählen im Prosaroman der Frühen Neuzeit beobachtet. Spätere Untersuchungen haben wiederholt bestätigt, dass sich diese historische Textsorte durch ein besonderes Interesse an psychologischer Kohärenz auszeichnet. 99 97 Hübner spricht hier von einer »biologisch bedingten kognitiven Omnipräsenz von Kausalitätsunterstellungen beim Homo sapiens« (Gert Hübner: [Rezension] Armin Schulz: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive, hrsg. von Manuel Braun u. a., Berlin / Boston 2012, in: ZfdPh 132 (2013), S. 445-450, hier S. 449). Ähnlich Dimpel 2011, S. 157: »Menschen neigen dazu, anderen Menschen Intentionen zu unterstellen - das ist kultur- und epochenübergreifend konstant.« - Die Frage, ob das Bewusstsein des Menschen seine Handlungen motiviert, ist aus evolutionspsychologischer Perspektive allerdings nicht unbedingt grundsätzlich zu bejahen. Ich verweise exemplarisch auf die (durchaus umstrittenen) Thesen des Psychologen Julian Jaynes, der davon ausgeht, das menschliche Bewusstsein (consciousness) sei keine anthropologische Konstante, sondern habe sich erst im Laufe der Menschheitsgeschichte, etwa an der Wende zum 1. Jahrtausend v. Chr., entwickelt. Es habe also, was man sich kaum vorstellen kann, eine Zeit gegeben, in der das Handeln der Menschen nicht ihrem Bewusstsein unterworfen war, sondern etwas, das Jaynes als ›bikamerale Psyche‹ (bicameral mind) beschreibt. Spuren davon beobachtet er (unter diskussionsbedürftigen literaturgeschichtlichen Voraussetzungen) noch in der »Ilias«, deren Figuren »kein subjektives Bewußtsein haben, keinen Geist, keine Seele, keinen Willen« ( Julian Jaynes: Der Ursprung des Bewußtseins durch den Zusammenbruch der bikameralen Psyche. Deutsch von Kurt Neff, Reinbek bei Hamburg 1988 [zuerst im englischen Original 1976], S. 92). Sie agierten als »Roboter, die nicht wußten, was sie taten.« (ebd., S. 98) In der »Ilias« stünden die Handlungen im Vordergrund, nicht die Figuren: »Die »Ilias« handelt von - Handlungen […]. Worum es hier geht, sind Achills Taten und deren Folgen, nicht sein Geisteszustand.« (S. 103) 98 Dass es sich dabei um zwei verschiedene Dinge handelt, zeigt Almut Suerbaum: »Das menschliche Bedürfnis, zu wissen und zu verstehen, wie es im eigenen Inneren oder dem des Anderen aussieht, mag universal sein, als methodischer Zugang zu literarischen Texten und ihren Figuren dagegen handelt es sich um eine Frage, die man jedenfalls in der europäischen Literatur erst von einem bestimmten Punkt an überhaupt stellen kann.« (Almut Suerbaum: Wissen als Macht. Figurendarstellung in Thüring von Ringoltingens »Melusine«, in: Figurenwissen. Funktionen von Wissen bei der narrativen Figurendarstellung, hrsg. von Lilith Jappe u. a., Berlin / Boston 2012 (linguae & litterae 8), S. 54-75, hier S. 54) 99 Vgl. Hans-Gert Roloff: Stilstudien zur Prosa des 15. Jahrhunderts. Die »Melusine« des Thüring von Ringoltingen, Köln / Wien 1970 (Literatur und Leben. N. F. 12), S. 168 (»Ursache-Folge-Denken«); Müller 1985, bes. S. 91f. Darauf, dass die mediale Form des Prosaromans unabhängig von geistesgeschichtlichen Umständen ein kausal motiviertes Erzählen begünstigt, weist möglicherweise die Tatsache hin, dass Fritz Peter Knapp ähnliche Beobachtungen bereits am französischen Prosaroman des 13. Jh.s macht. So sei der Bearbeiter von Chrétiens »Le Chevalier de la Charette« darum bemüht, kausallogische Lücken seiner Vorlage zu füllen, und gestalte die Erzählung insgesamt kohärenter, vgl. Fritz Peter Knapp: Kausallogisches Erzählen unter den weltanschaulichen und pragmatischen Bedingungen des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Erzähllogiken in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Akten der Heidelberger Tagung vom 17. bis 19. Februar 2011, hrsg. von Florian Kragl / Christian Schneider, Heidelberg 2013 (Studien zur historischen Poetik 13), S. 187-205, hier S.-192f. - Dass die Verbindung von psychologischem Erzählen und neuzeitlichem Prosaroman zumindest nicht ausnahmslos ist, zeigt Jost Schneider am Beispiel des Romans »Die durchleuchtige Syrerinn Aramena« (1669-1673) des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel: »Eine Hauptschwierigkeit für den modernen Leser dieses Werks ergibt sich aus dem Umstand, dass das Verhalten der zahlreichen Haupt- und Nebenfiguren nicht den Gesetzen der psychologischen Wahrscheinlichkeit folgt. Der Autor hat sich offenkundig nicht gefragt, wie eine Person in dieser oder jener Lage vermutlich reagieren würde, sondern eher darauf geachtet, welche Reaktion eine möglichst überraschende Wendung des Handlungsgeschehens herbeiführt.« ( Jost Schneider: Sozialgeschichte des Lesens. Zur historischen Entwicklung und sozialen Differenzierung der literarischen Kommunikation in Deutschland, Berlin 2004, S. 142) Am Ende erweise sich das Geschehen hier als durch 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation 55 Man spricht von einem ›Rationalitätsschub‹ im Roman der Frühen Neuzeit, infolge dessen die »Handlungsmotivationen stärker als bisher an psychologisch plausible Umstände geknüpft werden.« 100 Die Erzählweise wird dabei in einen Zusammenhang gebracht mit der Ausbreitung des neuzeitlichen, empirisch-naturwissenschaftlichen Weltbildes. 101 Abgesehen davon, dass Hübner fordert, von geistesgeschichtlichen Begründungen mittelalterlicher Erzählformen überhaupt abzusehen, 102 lässt sich ein erster ›Rationalitätsschub‹ allerdings bereits im 12. Jahrhundert beobachten. 103 Stichworte wie die ›Erfindung des inneren Menschen‹ 104 oder die ›Entdeckung der Subjektivität‹ 105 verweisen außerdem auf das zunehmende Interesse an göttliche Vorsehung vorherbestimmt. Schneider erkennt in dieser Erzählweise einen Gegensatz zu den »Prinzipien der klassisch-antikischen Einfachheit, Natürlichkeit und Wahrscheinlichkeit« (ebd., S. 143). 100 Suerbaum 2012, S. 55. Vgl. dazu Jan-Dirk Müller: Rationalisierung und Mythisierung in Erzähltexten der Frühen Neuzeit, in: Wolfram-Studien 20 (2008), S. 435-456, hier S. 441f.: »Unablässig wird das Wunderbare oder Monströse an erwartbare Handlungskonstellationen angeschlossen. Die Forschung hat es noch und noch herausgearbeitet: common sense und ein moralisches juste milieu sollen das Inkommensurable kommensurabel machen.« 101 Zur Bindung des Erzählens »ans naturwissenschaftliche Weltbild der Neuzeit« etwa Hans Geulen: Erzählkunst der Frühen Neuzeit. Zur Geschichte epischer Darbietungsweisen und Formen im Roman der Renaissance und des Barock, Tübingen 1975, S. 19. Zur »frühneuzeitlichen Phantasie, […] die Welt durch Rationalität beherrschen zu können« auch Christian Kiening: ›Erfahrung‹ und ›Vermessung‹ der Welt in der frühen Neuzeit, in: Text - Bild - Karte. Kartographien der Vormoderne, hrsg. von Jürg Glauser, Freiburg i.Br. u. a. 2007 (Litterae 105), S. 221-251, Zitat S. 221. 102 Vgl. Hübner 2010, S. 140: »Nicht dagegen sollten wir die Phänomenologie narrativer Praktiken höfischer Romane auf Mutmaßungen über die Rezeptionskompetenzen laienadliger Hörer oder Leser, ihre hypothetischen Weltbilder, Mentalitäten und Einstellungsmuster oder gar auf großräumige Epochenklischees geistes-, sozial- oder kulturgeschichtlicher Provenienz gründen.« Andererseits seien jedoch der Rhetorik selbst gewisse anthropologische Überzeugungen eingeschrieben: »Wenn die Rhetorik lehrte, dass Erzählungen durch die Angabe von Handlungsgründen und -zielen plausibel werden, unterstellte - und vermittelte - sie dabei immer auch, dass Handlungen in erster Linie Konsequenzen von Gründen und Zielen der handelnden Einzelpersonen sind.« (ebd., S.-142) Dazu auch ebd., S. 145-147. 103 Vgl. Glauch 2009, S. 331; Suerbaum 2012, S. 54f.; Sandra Linden: Exkurse im höfischen Roman, Wiesbaden 2017 (MTU 147), S. 63-66; Klaus Ridder: Rationalisierungsprozesse und höfischer Roman im 12. Jahrhundert, in: DVjs 78 (2004), S. 175-199, hier S. 181: »In nahezu allen gesellschaftlichen Teilbereichen lassen sich im 12. Jahrhundert die Auswirkungen eines Rationalisierungsschubs beobachten, den man als das vielleicht hervorstechendste Kennzeichen der Zeit bezeichnet hat.« Dazu auch der Sammelband Reflexion und Inszenierung von- Rationalität in der mittelalterlichen Literatur. Blaubeurer-Kolloquium, in Verbindung mit Wolfgang-Haubrichs / Eckart Conrad Lutz hrsg. von Klaus Ridder, Berlin 2008 (Wolfram-Studien 20). Siehe vor allem die Einleitung von Klaus Ridder, S. 9-18, bes. S. 9f., sowie den Beitrag von Walter Haug: Die mittelalterliche Literatur im kulturhistorischen Rationalisierungsprozess. Einige grundsätzliche Erwägungen, S. 19-39, bes. S.-25-27; zu den Auswirkungen auf die Figurendarstellung in der höfischen Literatur ebd., S. 27-32. 104 Vgl. dazu Rüdiger Schnell: Wer sieht das Unsichtbare? Homo exterior und homo interior in monastischen und laikalen Erziehungsschriften, in: Anima und sêle. Darstellungen und Systematisierungen von Seele im Mittelalter. Tagungsband der Irseer Tagung, 5.-7. Dezember 2004, hrsg. von Katharina Philipowski / Anne Prior, Berlin 2006, S. 83-112, hier S. 83-112. Zu dieser »geistesgeschichtlichen Bewegung der Anthropologisierung und Interiorisierung, die sich in wissenschaftlichen Diskursen ebenso wie in literarischen niederschlägt« weiterhin Linden 2017, S. 46-49, Zitat S. 46. 105 Vgl. Kurt Flasch: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli. Unter Mitarbeit von Fiorella Retucci / Olaf Pluta, 3., vollständig durchg. und erw. Aufl., Stuttgart 2013, S. 250f. Flasch bezieht sich hier auf Petrus Abaelardus als »den Entdecker der unüberspringbaren Subjektivität« (S. 250). Hasebrink spricht in diesem Zusammenhang von einer Ausrichtung der Ethik »auf die Intentionalität des Handelns« (Hasebrink 2000, S. 30). Die Formulierung einer geradezu »motivationspsychologischen Sündendeutung« bei Abaelard findet sich bei Ulrich Ernst: Häresie und kritische Intellektualität in der 56 1 Methodische Vorüberlegungen Innerlichkeit und Intentionalität im hohen Mittelalter. Wie sehr sich die volkssprachige Literatur dieser Zeit für die Innenräume ihrer Figuren zu interessieren beginnt, wurde auf verschiedenen Gebieten gezeigt. 106 Man kann deshalb kaum - wie das Ulrike Draesner tut - davon sprechen, bei der mittelalterlichen Gesellschaft handle es sich um »eine Gesellschaft, die kein Konzept einer Psyche des Menschen und ihrer Ausprägungen kennt« 107 . Gerade im höfischen Roman des 12. Jahrhunderts wurde zuweilen ein zuvor nicht dagewesenes Interesse an der Psyche der Figuren beobachtet. 108 Daneben kam es im Hochmittelalter auch zu einer verstärkten Beschäftigung mit der Logik und der Lehre von den Ursachen (lat. causae), angestoßen vor allem durch die arabisch vermittelte Aristoteles-Rezeption seit dem 12. Jahrhundert. 109 Parallel dazu findet auch in der lateinischen Dichtungstheorie des Mittelalters eine Diskussion über die Beweggründe erzählmittelalterlichen Stadtkultur. Gottfrieds von Straßburg »Tristan« als Antwort auf die Ketzerverfolgung im 13. Jahrhundert, in: ZfdA 137 (2008), S. 419-438, hier S. 424. Einen deutlichen Bezug auf eben diese intentionale Ethik hat man im Prolog des »Tristan« erkannt, wenn es heißt swaz der man in guot getuot, | daz ist ouch guot und wol getân (vv. 144 f.), vgl. Tomas Tomasek: Moral und Menschenbild in den mittelalterlichen Tristandichtungen, in: Sandbjerg 85. Dem Andenken von Heinrich Bach gewidmet, hrsg. von Friedhelm Debus / Ernst Dittmer, Neumünster 1986, S.-113-139, hier S. 128. 106 Vgl. etwa für den Bereich der Erzähltechnik Gert Hübner: Erzählform im höfischen Roman. Studien zur Fokalisierung im »Eneas«, im »Iwein« und im »Tristan«, Tübingen / Basel 2003 (Bibliotheca Germanica 44); zur Metapher des ›Innenraums‹ der Sammelband Innenräume in der Literatur des deutschen Mittelalters. XIX. Anglo-German Colloquium, Oxford 2015, hrsg. von Burkhard Hasebrink u. a., Tübingen 2008. 107 Ulrike Draesner: Wissen aus Muskel, Makel und Mensch. Gedanken zum Helfen mit Hilfe des »Nibelungenliedes«, in: Heimliche Helden. Über Heinrich von Kleist, Jean-Henri Fabre, James Joyce, Thomas Mann, Gottfried Benn, Karl Valentin u. v. a. Essays, München 2013, S. 49-81, hier S. 54. 108 Vgl. in diesem Sinne schon Wendelin Foerster: Kristian von Troyes. Wörterbuch zu seinen sämtlichen Werken. Unter Mitarbeit von Hermann Breuer verfasst und mit einer literaturgeschichtlichen und sprachlichen Einleitung versehen, Halle a.S. 1914, S. 43*: »Was Kristian in die Litteratur eingeführt hat und was ihn über das Dreigestirn der antiken Romane [Alexanderroman, Thebenroman, Trojaroman] erhebt, ist die hohe Kunst, psychologische Probleme zu behandeln […].« Bereits Gervinus schreibt in Bezug auf den höfischen Roman der matière de Bretagne, »daß sich viele dieser britischen Dichtungen psychologische Aufgaben zu stellen lieben, daß sie die Anfänge machen, sich den inneren Menschen und sein geistiges Leben zum Gegenstande zu nehmen« (Georg Gottfried Gervinus: Geschichte der Deutschen Dichtung, Bd. 1, 5. völlig umgearb. Aufl., Leipzig 1871, S. 445). Auch Robert Scholes und Robert Kellog sehen gerade im höfischen Roman durch die Verbindung keltischer Stoffe mit christlichen Traditionen der Innerlichkeit (besonders Augustinus) sowie antiker Rhetorik (Ovid) den Beginn psychologischen Erzählens und innerlicher Entwicklung der Figuren, vgl. Robert Scholes / Robert Kellogg: The Nature of Narrative, New York 1966, S. 167f. 109 Auf die Rezeption der aristotelischen Logik verweist im Zusammenhang mit der Motivation Knapp 2013, S. 189; weiterhin Schneider 2013, S. 179. - Einen interessanten Beleg für die Aristoteles-Rezeption bietet eine lateinische Exzerptsammlung aus dem 13. Jh. In der Handschrift Bern, Burgerbibliothek, Cod. 371 ist der Versuch dokumentiert, die vier aristotelischen causae mit der bereits bekannten Ursachenlehre Ciceros (vgl. »De inventione«, 2,17-20) zu verbinden, der zwischen zwei causae unterscheidet: Causa alia rationativa alia inpulsiva. Causa alia finalis, alia formalis, alia efficiens, alia materialis. Huius tria menbra sub duobus prioris includuntur: rationativa causa, id est quod finalis. Inpulsiva id est quod efficiens et quod formalis. Quod alii materialem causam vocaverunt, Tullius facultatem vocavit (fol. 4 rb ). Etwa: ›[Es gibt] einerseits die Ursache der Überlegung, andererseits des Antriebs. Es gibt (außerdem) die Zweck-, Form-, Wirk- und Materialursache. Drei dieser Glieder sind in den beiden der ersten eingeschlossen: Die Ursache der Überlegung, das ist die Zweckursache. Die Ursache des Antriebs umfasst Wirkursache und Formursache. Was andere Materialursache genannt haben, hat Cicero Möglichkeit genannt.‹ 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation 57 ter Handlungen statt. 110 Auch wenn die entsprechenden Aussagen spärlicher und weniger systematisch ausfallen als in anderen Bereichen mittelalterlicher Poetologie, beweisen etwa Matthäus von Vendôme und Galfred von Vinsauf durchaus ein Verständnis für die Verknüpfung narrativer Handlungselemente und diskutieren die Notwendigkeit eines kausallogisch stringenten Erzählaufbaus. Das möchte ich in einem kurzen Exkurs ausführen: Bereits in der antiken Gerichtsrhetorik, die ja die Grundlage für die mittelalterliche Poetik bildet, kam der Motivation eine besondere Bedeutung zu. Schon Cicero wusste, dass eine Handlung vom Publikum nicht akzeptiert werden würde, wenn sie nicht motiviert sei, weshalb ein Ankläger immer die Beweggründe (causae) der involvierten Akteure betonen soll: Nam nihil factum esse cuiquam probatur, nisi aliquid quare factum sit, ostenditur. Ergo accusator, cum impulsione aliquid factum esse dicet, illum impetum et quandam commotionem animi affectionemque verbis et sententiis amplificare debebit et ostendere, quanta vis sit amoris, quanta animi perturbatio ex iracundia fiat aut ex aliqua causa earum, qua impulsum aliquem id fecisse dicet.-[…] et omnino quicquid erit, quod causae fuisse dicet, id summe augere debebit. (Cicero, »De inventione«, 2,19f.) ›Denn man kann niemandem beweisen, daß etwas geschehen ist, wenn man nicht zeigt, warum es geschehen ist. Also muß der Ankläger, wenn er sagt, etwas sei aufgrund eines Antriebes geschehen, jenen ungestümen Drang und eine gewisse Gemütsbewegung und -erregung durch Worte und Sätze stärker hervorheben und zeigen, wie groß die Gewalt der Liebe sei, welch große Gemütsverwirrung aus Jähzorn entstehe oder aus irgendeinem der Beweggründe, aufgrund derer jemand dies nach seiner Aussage getan habe. […] [U]nd überhaupt muß er, was es auch immer ist, das am allermeisten hervorheben, was nach seiner Aussage der Beweggrund war.‹ 111 Dass vor Gericht die Motivation der (kriminellen) Handlung eine besondere Rolle spielt, liegt auf der Hand. Aber auch in Bezug auf die Dichtung wird in der Antike die Bedeutung der Beweggründe erzählter Handlungen hervorgehoben. Das geschieht vor allem im Rahmen des Konzeptes der verisimilitudo (›Wahrscheinlichkeit‹), die als genuine Eigenschaft fiktionaler Literatur gilt, welche zwar nicht wahr sei, aber dem Wahren ähnlich (veri similis). 112 Schon die antike »Rhetorica ad Herennium« betont die Wichtigkeit der Hervorhebung der Ursachen (causae) erzählter Handlungen für die verisimilitudo. Dazu gehört auch die Berücksichtigung der Absichten und Motive der handelnden Figuren (consilium rationis). 113 Ausdrücklich gelte es, fehlende Motivation (causa nulla) zu vermeiden: 110 Vgl. dazu Schneider 2013. Auch Florian Kragl verweist darauf, dass die erzähltheoretischen Kategorien im Bereich der Motivation »nicht erst die moderne Narratologie erfunden hat - die gesamte antike und mittelalterliche Poetik hat sich in Ähnlichem geübt.« (Kragl 2014, S. 21) 111 Zitat und Übersetzung nach M. Tullius Cicero: De inventione / Über die Auffindung des Stoffes. De optimo genere oratorum / Über die beste Gattung von Rednern. Lateinisch-deutsch, hrsg. und übers. von Theodor Nüßlein, Düsseldorf / Zürich 1998 (Sammlung Tusculum), S. 178-181. 112 Zum Konzept der verisimilitudo Schneider 2013, S. 169-177; Chinca 1993, S. 86-97. 113 Zur Bedeutung der Handlungsmotivation für die Evokation von Wahrscheinlichkeit in der Rhetorik auch Hübner 2010, S. 124: »Zur evidentia gehört demnach neben der deskriptiven Detaillierung der affektischen Emphatisierung auch der Blick ins Innere der handelnden Personen: Indem der Redner ihre Innenwelt ›vor Augen führt‹ und ›durchschaubar macht‹, stärkt er die Glaubwürdigkeit seiner Erzählung von ihrem Handeln.« 58 1 Methodische Vorüberlegungen Veri similis narratio erit, si, ut mos, ut opinio, ut natura postulat, dicemus, si spatia temporum, personarum dignitates, consiliorum rationes, locorum opportunitates constabunt, ne refelli possit aut temporis parum fuisse aut causam nullam aut locum idoneum non fuisse aut homines ipsos facere aut pati non potuisse. (»Rhetorica ad Herennium«, 1,9,16) ›Wahrscheinlich ist die Darlegung des Sachverhaltes, wenn wir sprechen, wie es die Sitte, wie es die allgemeine Meinung, wie es die Natur fordert; wenn Zeitraum, Rang und Charakter der Personen, die Motive für ihr Vorhaben, die günstige Lage des Ortes übereinstimmen, damit man nicht dagegen vorbringen kann, es sei zu wenig Zeit gewesen oder es habe keinen Anlaß dazu gegeben oder der Ort sei nicht geeignet gewesen oder die Menschen selbst hätten es nicht tun oder geschehen lassen können.‹ 114 Die verisimilitudo bietet auch einen wichtigen Bezugspunkt für die mittelalterliche Dichtungslehre des Matthäus von Vendôme. 115 ›Wahrscheinlichkeit‹ meint hier zunächst die Nähe zur Erfahrungswelt der Rezipienten und umfasst dabei die Vorstellung einer ›natürlichen‹ Folge menschlicher Handlungen: Verbi gratia, in humanis actionibus quaedam est ordinaria successio. Quaedam enim actiones aliarum sunt praeambulae, quaedam aliarum sunt consecutivae. […] Similiter in exsecutione materiae actionum gradus expresso debemus imitari vestigio, ut narrationis nulla sit intercisio sicut nec actionum. (Matthäus von Vendôme, »Ars versificatoria«, 4,13) 116 ›Zum Beispiel gibt es in den menschlichen Handlungen eine gewisse ordnungsgemäße Abfolge. Einige Handlungen gehen anderen voran, einige folgen anderen nach. […] Nicht anders müssen wir bei der Behandlung des Stoffs die Stufen der Handlung in anschaulichen Schritten nachahmen, so dass kein Bruch in der Erzählung ist, so wie er auch in den Handlungen nicht ist.‹ 117 In der Folge kritisiert Matthäus eine Erzählung von Ovid, 118 weil dort die gewöhnliche Folge der Ereignisse (ordinaria successio) nicht beachtet sei. Damit ist offenbar nicht nur eine zeitliche Abfolge, sondern auch ein logisches Auseinander-Folgen gemeint. Matthäus spricht vom ›Gewebe der Erzählung‹ (narrationis contextus), das bei Ovid durchbrochen sei, und meint damit wohl auch so etwas wie die ›narrative Kohärenz‹ 119 oder in anderen Worten: die kausale Motivationsstruktur einer Ursache-Wirkungs-Kette. 120 Eine besonders aufschlussreiche Stelle in Bezug auf mittelalterliche Kohärenzerwartungen findet sich bei Galfred von Vinsauf (um 1200), dessen als »Poetria nova« bezeichnete Dich- 114 Zitat und Übersetzung nach Rhetorica ad Herennium. Lateinisch-deutsch, hrsg. und übers. von Theodor Nüßlein, Düsseldorf / Zürich 2 1998 (Sammlung Tusculum), S. 24-27. Harry Caplan übersetzt consilium rationes mit »the motives in the planning« und causam mit »motive«, vgl. Ad C. Herennium libri IV de ratione dicendi (Rhetorica ad Herennium), with an English transl. by Harry Caplan, Cambridge / London 1977 (Loeb Classical Library / Cicero in Twenty-Eight Volumes 1), S. 29. 115 Vgl. dazu Schneider 2013, S. 169-172. 116 Zitiert nach Faral 1958, S. 183. 117 Übersetzung Schneider 2013, S. 169f. 118 Es handelt sich um die »Metamorphosen«, 1,588-590. 119 So Schneider 2013, S. 170. 120 Während sich hier die verisimilitudo vor allem auf die Nähe zur Erfahrungswelt bezieht, meint Matthäus damit an anderer Stelle auch ein bestimmtes Erzählverfahren, das logisch und kohärent aufgebaut ist und so den Eindruck von Wahrscheinlichkeit vermittelt. Dazu Schneider 2013, S. 172. 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation 59 tungslehre zu den einflussreichsten poetologischen Texten des Mittelalters gehört. In Bezug auf die Ausweitung des Stoffes (amplificatio), der Galfred einigen Raum widmet, unterscheidet er zwischen zwei Formen der Verknüpfung von Erzählelementen, nämlich einer ›künstlichen‹ und einer ›natürlichen‹: 121 […] hic est Formula subtilis juncturae, res ubi junctae Sic coeunt et sic se contingunt, quasi non sint Contiguae, sic continuae quasi non manus artis Junxerit, immo manus naturae. (Galfred von Vinsauf, »Poetria nova«, vv. 258-262) 122 ›Dies ist das Muster für eine subtile Verbindung, wo die miteinander verbundenen Dinge so zusammenlaufen und sich so berühren, als ob sie einander nicht lediglich berührten, sondern auseinander folgen, wie wenn sie nicht die Hand der Kunst, sondern vielmehr die der Natur verbunden hätte.‹ 123 Die elegantere Form der Darstellung ist für Galfred eine kohärente Verbindung, bei der die Elemente nicht nur aufeinander folgen, sondern auseinander. 124 Wiederum wird außerdem der logische Aufbau der Erzählung mit dem Kriterium der Natürlichkeit verbunden. 125 Blanckenburg ist also offenbar nicht der erste Dichtungstheoretiker, der um die Bedeutung kausaler Begründungsstrukturen weiß. Das Konzept einer kausallogischen, entsprechend natürlichen Gesetzmäßigkeiten aufgebauten Handlung lag offenbar keineswegs außerhalb mittelalterlicher Vorstellungen von Dichtung. Diese rhetorische Tradition dürfte für einen an ihr geschulten gelehrten Autor des 13. Jahrhunderts wohl nicht ohne Wirkung geblieben sein: Eine zu erzählende Geschichte mag zum Beispiel infolge einer entsprechenden Stofftradition noch so massiv durch Finalmotivation konstituiert sein - einen gelehrten Dichter, der die rhetorischen narratio-Techniken erlernt hatte, wird gleichwohl die habituell mehr oder weniger stark verfestigte 121 Zu dieser Stelle wiederum Schneider 2013, S. 173-175. Weiterhin auch Peter Dronke: The Medieval Poet and his World, Rom 1984 (Storia e letteratura 164), S. 25. - Die Unterscheidung zwischen einer ›natürlichen‹ und einer ›künstlichen‹ Art der Darstellung kannten die mittelalterlichen Rhetoriker aus dem Bereich der zeitlichen Ordnung des Erzählens. Die bereits spätantike Differenzierung von ordo artificialis und ordo naturalis war in der mittelalterlichen Poetologie gut bekannt und wurde wesentlich breiter behandelt als die Frage der Handlungsmotivation, vgl. etwa in der »Poetria nova«, vv. 87-100 (zitiert nach Faral 1958, S. 200). Dazu Fritz Peter Knapp: Art. Ordo artificialis / Ordo naturalis, in: RLW 2 (2000), S. 766-768. 122 Zitiert nach Faral 1958, S. 205. 123 Übersetzung Schneider 2013, S. 173. 124 Vgl. die Definition von ›Motivierung‹ bei Martínez / Scheffel 10 2016, S. 115: »Die Motivierung integriert die Ereignisse in einen Erklärungszusammenhang. Die Ereignisse werden dann so verstanden, dass sie n i c h t grundlos wie aus dem Nichts a u f e i n a n d e r, sondern nach Regeln oder Gesetzen a u s e i n a n d e r folgen.« (Hervorhebung L.M.) 125 Der Zusammenhang von Natürlichkeit und Kausalität findet sich bereits bei Cicero, »De divinatione«, 2,60: quicquid enim oritor, qualecumque est, causam habeat a natura necesse est […]; si nullam reperies, illud tamen exploratum habeto, nihil fieri potuisse sine causa. ›Was immer entsteht, von welcher Beschaffenheit es auch sei, muß eine natürliche Ursache haben. […] [F]indest du aber keine, so halte trotzdem für ausgemacht, daß unmöglich etwas ohne Ursache habe entstehen können.‹ Zitat und Übersetzung nach Marcus Tullius Cicero: Über die Wahrsagung / De divinatione. Lateinisch-deutsch, hrsg., übers. und erl. von Christoph Schäublin, 3., überarb. Aufl., Berlin 2013 (Sammlung Tusculum), S. 189f. 60 1 Methodische Vorüberlegungen Neigung geleitet haben, das Handeln seiner Figuren durch Affekte und Kalküle, Gründe und Intentionen kausal zu motivieren. 126 Besonders spannend ist es zu untersuchen, wie diese lateinisch vermittelte ›gelehrte‹ Erzählweise mit den mündlich geprägten, ›märchenhaften‹ Stoffen der höfischen Literatur umgegangen ist. 127 - Insgesamt verwundert es jedenfalls nicht, dass der höfische Roman der Zeit um 1200 mitunter als erste europäische Form eines Erzählens angesehen wurde, in dem die Handlung von der Intention der Figuren her begründet wird. 128 Ganz unabhängig davon, ob man den Beginn kausal-psychologischen Erzählens ins 12., 16. oder 18. Jahrhundert datieren möchte, ist mit dem Erzählverfahren stets eine entwicklungsgeschichtliche Wertung verbunden. Kausal-psychologisches Erzählen gilt als ›modern‹, kompositorisches Erzählen als ›archaisch‹. 129 Das dass nicht immer so war, zeigt ein Blick auf die ältere Stoffgeschichtsforschung der Tristansage am Beginn des 20. Jahrhunderts: Beeinflusst von modernen Genievorstellungen und dem Stammbaumdenken der Editionsphilologie wurde hier gerade keine Entwicklungsgeschichte gezeichnet, sondern ein Verfallsprozess. So galt die ursprüngliche Version des Stoffes, der ›Ur-Tristan‹, als eine gut organisierte und stringent komponierte geniale Schöpfung, die erst durch Wiedererzählen korrumpiert worden sei. Joseph Bédier spricht etwa vom Archetyp des Stoffes als »un poème plus archaïque que tous 126 Hübner 2010, S. 143. Hübner meint auch, dass kausallogisches Erzählen die Voraussetzung für eine exemplarische Funktion der Erzählung bilde, wie sie in den poetologischen Passagen höfischer Erzählungen regelmäßig behauptet wird, vgl. ebd., S. 145. 127 Vgl. dazu Hübner 2010, S. 143. 128 So beobachtet etwa Ridder, »daß kausale Zusammenhänge in mittelalterlicher Literatur zwar nicht durchgehend, aber doch zunehmend Beachtung finden. Vor allem im höfischen Roman gewinnt das Konzept einer nachvollziehbaren und plausiblen Motivation des Geschehens an Bedeutung, wenngleich es noch nicht zu einer ästhetischen Norm wird. Insbesondere ein Typus der Motivation wird ausgebaut, die Begründung von Entscheidungshandeln über die Inszenierung eines Figuren-Innenraums, in dem emotionale Dispositionen und Befindlichkeiten, Verhaltensaspekte und Interessen, Bewertungen und Zielsetzungen reflektiert werden. Handeln erscheint in der Perspektive dieser Inszenierungen vielfach schon als Ergebnis eines kognitiv-rationalen Entscheidungsprozesses.« Im Vergleich mit älterer Literatur wie dem »Hildebrandslied« zeige sich, »[w]ie groß die Distanz der Motivationsformen im höfischen Roman zu denen in weit vorausliegender, der Mündlichkeit nahestehender Dichtung ist« (Ridder 2004, S. 189). Ulrich Wyss bezeichnet »psychologische Motivierungen« grundsätzlich als eines der »geläufigen Requisiten höfischer Erzählkunst« (Ulrich Wyss: Theorie der mittelhochdeutschen Legendenepik, Erlangen 1976, S. 216). Die »höfisch-psychologisierend[e]« Tendenz des Erzählens im Roman um 1200 betont auch Eckart Conrad Lutz: Erfahren - Erinnern - Erkennen. Wolframs Parzival-Roman am Hof, in: Repräsentation und Erinnerung. Herrschaft, Literatur und Architektur im Hohen Mittelalter an Main und Tauber, hrsg. von Peter Rückert / Monika Schnaupp in Verbindung mit Goswin von Mallinckrodt, Stuttgart 2016, S. 112-125, Zitat S. 122. 129 Bent Gebert spricht etwa in Bezug auf den Mythosbegriff von einem Instrument der Forschung, um die »schematische und formularische Erzählweisen [mittelalterlicher Texte] als archaisch herabzustufen.« (Gebert 2013, S. 73) Lorenz Deutsch meint in Bezug auf Walter Haugs Analyse des »König Rother«, dieser erzeuge das Bild einer vorgängigen Erzählweise, in der »[d]ie Protagonisten […] ohne reflektierendes Bewußtsein mit archaischer Selbstverständlichkeit nach heroischem Schema« agierten (Lorenz Deutsch: Die Einführung der Schrift als Literarisierungsschwelle. Kritik eines mediävistischen Forschungsfaszinosums am Beispiel des »König Rother«, in: Poetica 35 (2003), S. 69-90, S. 81). - Solche Wertungen spielen auch eine wichtige Rolle, wenn es um den Vergleich der sogenannten ›spielmännischen‹ und ›höfischen‹ Version des Tristanstoffes geht. Hier gilt Eilharts »Tristrant«, unter anderem in Bezug auf Figurenkonzeption und Erzähllogik, vor allem gegenüber Gottfried als ›primitiv‹ und ›archaisch‹. 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation 61 ceux que nous avons conservés, mieux organisé, plus robuste et plus beau.« 130 Für die Wertung einer Erzählvariante als ursprünglich war für ihn daher neben ihrem allgemein ›archaischen‹ Eindruck auch die logische Verknüpfung entscheidend (»son accord plus exact et plus logique avec les traits voisins« 131 ). Kriterium für die Rekonstruktion der Ursprungssage war also, in den Worten Gertrude Schoepperles, the logical progress of the action from one step to another, and the harmony of each step in the action with the characters of the persons involved. […] M. Bédier would perhaps say that the lost common source possessed this logical progress of action and this s u b o r d i n a t i o n o f a c t i o n t o c h a r a c t e r and that the inconsistencies of the extant versions are due to their imperfect reflection of their lost original. 132 Das Beispiel illustriert, wie variabel die Bewertung solcher evolutionistisch gedachter Entwicklungen sein kann. Eng verbunden mit der literaturgeschichtlichen Wertung der Motivationsarten ist eine gattungsgeschichtliche. 133 So bezog Lugowski die Ablösung der ›Motivation von hinten‹ durch die ›Motivation von vorne‹ auch auf den »fundamentalen Gegensatz von Epos und Roman.« 134 Und bereits Blanckenburg entwickelte seine Überlegungen zum Roman in Abgrenzung vom Epos. 135 Während das psychologisch motivierte Erzählen als Errungenschaft des ›modernen‹ Romans gilt, zeichne sich das ›archaische‹ Epos durch einen weitgehenden Verzicht auf vorbereitende Begründungen aus. 136 Dieser Gegenüberstellung liegt die teleolo- 130 Joseph Bédier: Le Roman de Tristan par Thomas. Poème du XII e siècle, Bd. 1-2, Paris 1902-1905 (Société des Anciens Textes Français 46), Bd. 2, S. 308. 131 Ebd., Bd. 2, S. 192. Damit verbunden ist wiederum das Kriterium der Nähe zur Wirklichkeit. Der Ursprungstext sei weniger poetisch und romantisch, aber wahrheitsgemäßer als spätere Versionen (»moins poétique que l’autre, ou moins romantique, et peut-être plus vraie«, ebd., S. 319). 132 Gertrude Schoepperle: Tristan and Isolt. A Study of the Sources of the Romance, Bd. 1-2, Frankfurt a. M. / London 1913 (Ottendorfer Memorial Series of Germanic Monographs 3-4), S. 4f. (Hervorhebung L.M.) 133 Der Zusammenhang zwischen Figurenkonzeption und Gattung findet sich auch bei Propp, der sein Handlungsmodell explizit für die Textsorte des Zaubermärchens entwickelte. Für den Zusammenhang von Märchen und ›Motivation von hinten‹ auch Haferland: »Wo eine narrative Gattung derart schematisierte Erzählhandlungen beherbergt [wie das Märchen], da wird final erzählt.« (Harald Haferland: Metonymie und metonymische Handlungskonstruktion. Erläutert an der narrativen Konstruktion von Heiligkeit in zwei mittelalterlichen Legenden, in: Euphorion 99 (2005), S. 323-364, hier S. 344) 134 Müller 1985, S. 93f. Zum Roman als derjenigen Textsorte, »der das schwächste mythische Analogon entspricht« Lugowski 1932 [1970], S. 13. Grundlegend zur Gegenüberstellung von Epos und Roman waren vor allem die Arbeiten von Georg Lukács, vgl. dazu Knopf 1978, S. 37, 140 f. Für das Mittelalter Hans Robert Jauß: Epos und Roman - eine vergleichende Betrachtung von Texten des XII. Jahrhunderts [1962], in: Alterität und Modernität in der mittelalterlichen Literatur. Gesammelte Aufsätze 1956-1976, München 1977, S. 310-326, hier bes. S. 319-322 zum »Strukturunterschied von Handlung und Geschehen« (S.-321). 135 Vgl. etwa von Blanckenburg 1774, S. 7: »Wenn der Innhalt des Romans von dem Innhalt der Epopee abgehen muß, weil sie aus einer Verschiedenheit in der Denkungsart der Menschen entstanden sind: so muß dies natürlich einen Einfluß auf die übrigen Einrichtungen des Romans gehabt haben.« Ein wesentlicher Unterschied bestehe etwa darin, dass das Epos »ein gewisses Wunderbares [gestattet], das man Maschienen nennt; und der Roman dürfte es vielleicht nicht vertragen.« (ebd., S. 22) 136 Das hat vor allem Jan-Dirk Müller in verschiedenen Untersuchungen herausgearbeitet. Den »Verzicht auf psychologische Verknüpfung« nennt er eines der »typische[n] Momente epischen Erzählens« ( Jan-Dirk Müller: Motivationsstrukturen und personale Identität im »Nibelungenlied«. Zur Gattungsdiskussion um Epos oder Roman, in: Nibelungenlied und Klage. Sage und Geschichte, Struktur und Gattung. Passauer Nibelungengespräche 1985, hrsg. von Fritz Peter Knapp, Heidelberg 1987, S. 221-256, hier S. 225f.); auch 62 1 Methodische Vorüberlegungen gische Vorstellung einer Entwicklung zugrunde, deren Zielpunkt der moderne Roman des 18. Jahrhunderts darstellt. Für Blanckenburg beginnt diese Entwicklung bereits im Hochmittelalter, etwa bei Wolfram von Eschenbach, den er als ersten deutschsprachigen Romandichter ansieht. 137 Doch auch wenn wir uns angewöhnt haben, vom ›höfischen Roman‹ zu sprechen, ist doch nicht klar, inwieweit sich dabei eine Kontinuität der Erzählformen beobachten lässt. Entspricht die Unterscheidung von Epos und Roman der zeitgenössischen Literaturwahrnehmung mittelalterlicher Rezipienten? 138 Solche Fragen stellen sich ganz besonders mit Blick auf den Tristanstoff, bei dem man sich - wie in der Einleitung erwähnt - angewöhnt hat, einen ›archaischen‹ von einem ›höfischen‹ Traditionszweig zu unterscheiden. Aber auch bei Gottfried, dessen Version zum romanhaften Zweig der Tristantradition gehört, spielen durchaus Erzähllogiken eine Rolle, die man eher einem ›vorhöfischen‹ Erzählen zuordnen würde. Wie er damit umgeht und welche Funktion solche Erzählstrukturen im höfischen Roman besitzen, gilt es zu untersuchen. Und schließlich wurden die Motivationsarten auch medial verortet: Fehlende Kausalmotivation gilt als Merkmal mündlicher Erzählungen, die besonders an einfachen Schemalogiken orientiert seien. 139 Harald Haferland spricht etwa davon, dass »mündliches Erzählen grundsätzlich final orientiert ist und diese Orientierung ›Motivation von hinten‹ begünstigt.« 140 die Interpreten sollten »weitgehend auf jene psychologischen Verknüpfungen […] verzichten, die der Epiker konsequent verweigert« (ebd., S. 228). Zur Alterität psychologischen Erzählens im »Nibelungenlied« auch Müller 1998, S. 201-248 (»Wider Psychologisierung«). Zum epischen Erzählen weiterhin Jan-Dirk Müller: Heroische Erinnerung - Heroische Präsenz. Die Klage um die Etzelsöhne in der »Rabenschlacht«, in: Erzähllogiken in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Akten der Heidelberger Tagung vom 17. bis 19. Februar 2011, hrsg. von Florian Kragl / Christian Schneider, Heidelberg 2013 (Studien zur historischen Poetik 13), S. 227-242, hier S.-227: »Unter epischem Erzählen verstehe ich einen archaischen Erzähltypus, wie er in alten mythologischen und heroischen Epen vorliegt, die, obwohl uns nur in schriftlicher Überlieferung zugänglich, noch in der Mündlichkeit wurzeln.« Dieser ›vorliterarische Erzähltypus‹ sei unter anderem »durch besondere Typen der Motivierung« gekennzeichnet. 137 Vgl. von Blanckenburg 1774, S. 6f. 138 Dass zumindest im Umgang mit den Texten nicht streng unterschieden wurde, lässt sich etwa an der Tatsache ablesen, dass in anderen Texten unterschiedslos und nebeneinander auf Figuren beider Traditionen verwiesen wird. Auch auf mittelalterlichen Bildwerken »begegnen Figuren aus der Helden- und Artusepik häufig im friedlichen Nebeneinander […].« Und nicht zuletzt die Überlieferung verweist auf die Möglichkeit einer nicht differenzierenden Rezeption, wenn in eine Sammelhandschrift Texte aus beiden Traditionen nebeneinander gebunden werden. Vgl. dazu etwa Hilkert Weddige: Einführung in die germanistische Mediävistik, 6., durchges. Aufl., München 2006, S. 237-242, Zitat S. 237. 139 Vgl. Martínez / Scheffel 10 2016, S. 124. Dazu auch Walter J. Ong: Oralität und Literalität. Die Technologisierung des Wortes. Mit einem Vorwort von Leif Kramp und Andreas Hepp. Übers. von Wolfgang Schömel, Wiesbaden ²2016, S. 143-147. In Bezug auf die mittelalterliche Literatur meint auch Müller, dass die »Anforderungen an narrative Schlüssigkeit, wie sie eine entwickelte Schriftkultur als scheinbar selbstverständlich voraussetzt,« (Müller 1998, S. 72) im mündlichen oder mündlich geprägten Erzählen suspendiert würden. 140 Haferland 2014, S. 74. Siehe auch ebd., S. 86: »Es gibt eine Geschichte des Erzählens, in der sich einschneidende Änderungen der Form des Erzählens eingestellt haben. Die Erzählform interagierte in historischer Zeit mit Hörern, die eine andere Wirklichkeitserfahrung mitbrachten und deren Wirklichkeitserfahrung sich kontinuierlich ändert: auf einschneidende Weise allemal, als sie zu Lesern wurden.« - Besonders am »König Rother« wurde eine Debatte über die Bedeutung der Schriftlichkeit für die Motivationslogik schemageprägten Erzählens geführt, vgl. Walter Haug: Struktur, Gewalt und Begierde. Zum Verhältnis von Erzählmuster und Sinnkonstitution in mündlicher und schriftlicher Überlieferung, in: Idee - Gestalt - Geschichte. Festschrift Klaus von See. Studien zur europäischen Kulturtradition, hrsg. von Gerd Wolfgang 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation 63 Auf die methodologischen Probleme, die eine solche Verortung mit sich bringt, wurde in der Forschung mehrfach hingewiesen. 141 Ungeachtet dessen, ob man nach geistesgeschichtlichen, poetologischen oder medialen Voraussetzungen kausal-psychologischer Motivation fragt, stellt sich die grundsätzliche Frage, ob überhaupt ein Erzählen vorstellbar ist, das ohne jede Form intentionalen Figurenhandelns auskommt. Es liegt nahe, diese Frage mit Nein zu beantworten. 142 Es mag zwar Erzähltraditionen geben, in denen die D a r s t e l l u n g der Figurenintention eine marginale Rolle spielt, in der Wa h r n e h m u n g durch die Rezipienten kommt ihr jedoch wohl immer eine große Bedeutung zu. Die Kognitionswissenschaft legt nahe, dass es uns überhaupt nicht möglich ist, einen Text wahrzunehmen, ohne den auftretenden Akteuren irgendeine Form von ›Psyche‹ zu unterstellen. Dass das selbst bei einer maximal reduzierten Figurendarstellung der Fall ist, demonstriert ein bekanntes Experiment aus dem Jahr 1944, in dem die Psychologen Fritz Heider und Marianne Simmel einigen Versuchspersonen eine Animation mit sich bewegenden geometrischen Formen zeigten. 143 Als sie anschließend das Geschehen nacherzählen sollten, schrieben so gut wie alle Probandinnen den zweidimensionalen Figuren Gefühle und Intentionen zu, von denen her sie die Handlung erklärten. Daraus lässt sich ableiten: »Die Unterstellung psychologischer Motivation ist also fundamental und unverzichtbar für das Verstehen von Geschichten und Figuren.« 144 Oder mit Haferland: »Es gibt keine Figuren ohne Psychologie.« 145 Das gilt auch für mittelalterliche Texte: »Ohne Kausalitätsunterstellungen konnte es […] auch in der Vormoderne keine Begründungen erzählten Handelns und damit kein als sinnvoll verstehbares erzähltes Handeln geben.« 146 Selbst im Fall von besonders schemaorientierten Erzählungen wie den von Propp untersuchten Zaubermärchen unterstellen Rezipienten den Figuren eine kausale Motivation - und müssen sie unterstellen, um den Text zu verstehen. So meint Jens Eder (in Bezug auf Verfilmungen solcher Zaubermärchen): Die Unterstellung psychologischer Motive spielt auch dann noch eine Rolle, wenn die dramaturgische Funktion offen zu Tage tritt. […] Selbst wenn man klar erkennt, dass die Fee dem Märchenhelden ›eigentlich‹ nur wegen der Einfallslosigkeit der Filmemacher hilft, muss man die Handlung des Hel- Weber, Odense 1988, S. 143-157; Christian Kiening: Arbeit am Muster, in: Zwischen Körper und Schrift. Texte vor dem Zeitalter der Literatur, Frankfurt a. M. 2003, S. 130-156. 141 Vgl. besonders Deutsch 2003. 142 Vgl. dazu allerdings die Einwände von Jaynes, siehe oben, S.-54 Anm.-97. 143 Vgl. Fritz Heider / Marianne Simmel: An Experimental Study of Apparent Behaviour, in: The American Journal of Psychology 57 (1944), S. 243-259. Die Untersuchung von 1944 stellt immer noch einen maßgeblichen Bezugspunkt kognitionspsychologischer Forschung dar, siehe etwa Andrew S. Gordon: Commonsense Interpretation of Triangle Behavior, in: Proceedings of the Thirtieth AAAI Conference on Artificial Intelligence and the Twenty-Eighth Innovative Applications of Artificial Intelligence Conference. 12-17 February 2016, Phoenix, Arizona, Palo Alto (Kalifornien) 2016, S. 3719-3725, online verfügbar unter: www.aaai.org/ ocs/ index.php/ AAAI/ AAAI16/ paper/ view/ 11790/ 12152 (08.02.2020). 144 Eder 2 2014, S. 433. Aus kognitionspsychologischer Perspektive zeigen das Gerrig / Allbritton 1990, S.-381- 384. Dieser Zusammenhang ist schon in der Bezeichnung ›Animation‹, wörtlich ›Beseelung‹ (von lat.-anima), erhalten. 145 Harald Haferland: Psychologie und Psychologisierung. Thesen zur Konstitution und Rezeption von Figuren. Mit einem Blick auf ihre historische Differenz, in: Erzähllogiken in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Akten der Heidelberger Tagung vom 17. bis 19. Februar 2011, hrsg. von Florian Kragl / Christian Schneider, Heidelberg 2013 (Studien zur historischen Poetik 13), S. 91-117, hier S. 91. 146 Hübner 2013, S. 449. 64 1 Methodische Vorüberlegungen fens erst einmal identifizieren, sonst hätte man nichts als eine Abfolge unverständlicher Körperbewegungen. Und dazu muss man der Fee bestimmte Motive zuschreiben, mögen diese auch rudimentär und unglaubwürdig erscheinen. 147 Bei der ›Motivation von vorne‹ und der ›Motivation von hinten‹ handelt es sich also nicht um einander ausschließende Gegensätze, sondern vielmehr um unterschiedliche Perspektiven auf ein und dieselbe Erzählung. Das heißt, die verschiedenen Motivationsarten liegen gleichzeitig vor. Diese Erkenntnis ist eigentlich alles andere als neu. Denn schon wenn Blanckenburg 1774 schreibt, daß der Romandichter seine eigne Absichten, die er mit seinem Werk gehabt hat, so genau mit den in seinem Werk gebrauchten Mitteln verbunden haben müsse, daß sie aus diesen erfolgen, ohne, daß wir seine Hand weiter im Spiele sehen[,] 148 meint das gerade nicht die ausschließliche Vorherrschaft kausaler Begründungen, sondern vielmehr eine Überlagerung der verschiedenen Motivationsarten. 149 Genauer: Blanckenburg weiß, dass jeder Text auch kompositorisch motiviert ist, und fordert, dass die stets vorhandene kompositorische Motivation ü b e r d e c k t werde von einer kausalen; oder in seinen Worten: dass »der Dichter seine Nothwendigkeit mit der Nothwendigkeit der handelnden Personen zu verbinden suchen müsse.« 150 Und schon Galfred von Vinsauf zielt auf etwas Vergleichbares, wenn er davon spricht, dass der Zusammenhang der Erzählung durch die ›Hand der Kunst‹ (manu artis) überlagert werden soll von einem natürlichen Zusammenhang (manu naturae). 151 Auch Lugowski hatte den Künstlichkeitscharakter als »konstitutives Merkmal aller Dichtung«, das heißt auch der modernen, betrachtet: Es hat wohl kaum eine Zeit gegeben - bis zu unseren Tagen -, die die Komposition nicht gekannt und als wichtiges künstlerisches Prinzip anerkannt hätte. Wo eine Dichtung ›komponiert‹ ist, da spielt die ›Motivation von hinten‹ eine Rolle. 152 Jede Erzählung ist grundsätzlich kompositorisch und kausal motiviert, wobei die Motivationsarten einander überlagern können. 153 147 Eder 2 2014, S. 433. 148 von Blanckenburg 1774, S. 339. 149 Vgl. dazu auch Martínez 1996a, S. 21: »Blanckenburg verlangt eine parallele, durchgehend doppelte Motivation des Geschehens, in der die ›Motivation von vorn‹ und die ›Motivation von hinten‹ kongruieren.« 150 von Blanckenburg 1774, S. 340. 151 Vgl. Galfred von Vinsauf, »Poetria nova«, vv. 261 f. (Faral 1958, S. 295) und siehe oben, S. 59. Schneider spricht davon, die naturgemäße Wahrscheinlichkeit »kann und soll die Kunsthaftigkeit der dichterischen Darstellung verschleiern« (Schneider 2013, S. 173). 152 Lugowski 1932 [1970], S. 201f. 153 Vgl. Martínez 2000, S. 644. Der russische Formalist Viktor Šklovskij spricht dann, wenn die künstlerische Gesetzmäßigkeit durch außerliterarische, realistische Begründungen gedeckt ist, von der eigentlichen Motivierung (motivacija bzw. motivirovka), was für ihn interessanterweise den poetisch weniger ansprechenden Fall darstellt, vgl. Martínez 1996c, S. 20 Anm. 7. Diese Überlagerung funktioniert, wie sich noch zeigen wird, nur in eine Richtung. - Ein anderer Gebrauch des Sprachbildes der Überlagerung liegt vor, wenn Armin Schulz für die Heldenepik davon spricht, dass die ›Motivation von hinten‹ diejenige ›von vorne‹ überlagere, vgl. Armin Schulz: Fragile Harmonie. »Dietrichs Flucht« und die Poetik der ›abgewiesenen Alternative‹, in: ZfdPh 121 (2002), S. 390-407, hier S. 391: »Alles ist, wie es ist und wie es der Hörer 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation 65 Schwieriger zu bestimmen ist das Verhältnis von kausaler und finaler Motivation. Insofern beide Motivationsarten auf einer Ebene stattfinden, nämlich innerhalb der erzählten Welt, ist Martínez davon ausgegangen, dass sie sich gegenseitig ausschließen: »Die empirische und die numinose Erklärung […] stehen alternativ zueinander, denn kausale und finale Motivation […] sind miteinander unvereinbar.« 154 Die Vorherbestimmtheit des Geschehens lasse keinen Platz für eine kausale Beeinflussung durch die Figuren. Bei Erzählungen, in denen scheinbar beide Motivationsarten zugleich vorkommen, indem sich etwa die numinose Macht empirischer Kausalität bedient, spricht Martínez von einer »paradoxen Koexistenz von kausaler und finaler Motivation« 155 ; es handle sich um eine »ontologische[ ] Zweideutigkeit« 156 , bei der die Motivationsstruktur wie in einem Vexierbild zwischen den sich ausschließenden Begründungsformen hin- und herspringe. 157 Diese Darstellung verkürzt allerdings die Bedeutung, die in der christlichen Theologie dem freien Willen als Teil göttlicher Vorsehung beigemessen wird. 158 Schon im Alten Testament wird die Relevanz des menschlichen Willens (consilium suum) hervorgehoben. 159 Später betont etwa der Kirchenvater Origenes (gest. um 254) ausdrücklich, dass die Vorsehung nicht gegen die Freiheit des Willens (non contra arbitrii libertatem) arbeite. 160 Und Thomas von Aquin widmet ein ganzes Kapitel seiner »Summa contra gentiles« (vor 1265) dem Beweis, dass die göttliche Vorsehung die Freiheit des Willens nicht ausschließe (Quod divina providentia non excludit arbitrii libertatem). 161 Schon der Gegensatz zwischen Empirie und Providenz, auf dem Martínez’ Unterscheidung beruht, greift zu kurz, wenn man die Natur selbst als Produkt bereits vorab weiß. Das Geschehen ist durch finale Determination vorherbestimmt, und dies mag wenigstens zum Teil erklären, warum vormoderne Erzähltexte so wenig unseren Erwartungen an kausale, folgerichtige Handlungsverknüpfungen entsprechen. Die ›Motivation von hinten‹, um es mit Lugowski zu sagen, überlagert diejenige ›von vorne‹.« 154 Martínez / Scheffel 10 2016, S. 119. Vgl. mit ähnlichem Wortlaut Martínez 1996c, S. 33. 155 Martínez 1996c, S. 36. 156 Ebd. 157 Vgl. ebd., S. 32-35; dazu auch Meincke 2007, S. 138-142, die die Annahme einer logischen Unvereinbarkeit von finaler und kausaler Motivation kritisiert: »Kausale und finale Motivation sind alles andere als ›logisch unvereinbar‹.« (S. 141) 158 Vgl. dazu Hoenen 1997; Roman Kühschelm: Art. Vorsehung I. Biblisch-theologisch, in: LThK³ 10 (2001), Sp. 895-897; Georg Essen: Art. Vorsehung. II. Theologie- und dogmengeschichtlich, III. Systematischtheologisch, in: LThK³ 10 (2001), Sp. 897-890; Deuser 2003. 159 So heißt es etwa über die Verantwortung des Menschen in Sir 15,11-15: non dixeris per Deum abest […] | Deus ab initio constituit hominem et reliquit illum i n m a n u c o n s ilii s u i | adiecit mandata et praecepta sua | si volueris mandata conservabunt te. (Hervorhebung L.M.) ›Sag nicht: Meine Sünde kommt von Gott. […] | Er hat am Anfang den Menschen erschaffen / und ihn der Macht der eigenen Entscheidung überlassen. | Er gab ihm seine Gebote und Vorschriften / Wenn du willst, kannst du das Gebot halten.‹ (Einheitsübersetzung) Andere Stellen betonen freilich die Macht Gottes über den Menschen, wenn es etwa wiederholt heißt, Gott habe die Herzen der Menschen ›verstockt‹ ( Jes 6,9f. u. a.). Zur Diskussion über die Vereinbarkeit von Freiheit und Determination im Alten Testament vgl. Kühschelm 2001, Sp. 896. 160 Vgl. Origenes, »De principiis«, 2,1,2. Zitiert nach Origenes: Werke, Bd. 5: De principiis, hrsg. von Paul Koetschau, Leipzig 1913 (Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte 22), S. 108, Z. 2. 161 Vgl. Thomas von Aquin, »Summa contra gentiles«, 3,73. Zitiert nach Thomas von Aquin: Summe gegen die Heiden, Bd. 3 / 1: Buch 3, Kapitel 1-83, hrsg. und übers. von Karl Allgaier. Lateinischer Text bes. und mit Anm. vers. von Leo Gerken, Darmstadt 1990 (Texte zur Forschung 17), S. 312-317. Zwar sah Thomas in Gott grundsätzlich die Erstursache aller Dinge (siehe oben, S. 42), doch »die Erstursache (Gott) nahm den Zweitursachen (den geschaffenen Wesen) nicht ihre Eigenständigkeit, sondern begründete sie. Die 66 1 Methodische Vorüberlegungen göttlicher Vorsehung begreift. 162 Auch wenn dieser komplexe theologische Zusammenhang nicht weiter ausgeführt werden kann, sollen diese knappen Anmerkungen doch zeigen, dass sich Providenz und intentionales Figurenhandeln in mittelalterlicher Perspektive keineswegs ausschließen, sondern ebenfalls zugleich existieren: »Die Freiheit wird von der V[orsehung] nicht aufgehoben.« 163 Wie sich die verschiedenen Motivationsarten überlagern, verdeutlicht ein Beispiel aus Gottfrieds »Tristan«: Der Erzähler berichtet hier von einem Seesturm, der das Schiff der norwegischen Kaufleute von seinem Kurs abbringt und beinahe kentern lässt: dô huop sich ein s ô michel nôt von sturmwetere ûf dem sê, d a z si alle samet in selben mê enmohten niht ze staten gestân, wan daz si et ir schif liezen gân, dar ez die wilden winde triben. (vv. 2412-2417; Hervorhebung L.M.) Die Tatsache, dass die Seeleute ihren Kurs nicht halten können, wird als Folge des Sturmes dargestellt, wobei der Zusammenhang durch das konsekutive sô … daz zum Ausdruck gebracht wird. Es handelt sich dabei um einen naturgesetzlich-empirischen Zusammenhang, der die erzählte Welt betrifft und die Handlung kausal motiviert (bei Sturm ist das Navigieren eines Erstursache des Thomas verhielt sich wie ein wohlberatener Lehnsherr: Er griff nicht in die Zuständigkeit seiner Vasallen ein.« (Flasch 3 2013, S. 378) 162 Schon Herodot charakterisiert im 5. Jh. v. Chr. die Natur als Produkt göttlicher Vorsehung (prónoia), vgl. Deuser 2003, S. 302. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Unterscheidung einer göttlichen Providenz, die mit natürlichen Gesetzmäßigkeiten arbeitet (providentia ordinata) und einer Providenz durch Wunder contra naturam (providentia extraordinata), dazu Deuser 2003, S. 320; weiterhin Engelbert Krebs: Art. Vorsehung, in: LThK² 10 (1965), Sp. 695-697, hier Sp. 696: »Zur Ausführung ihrer Pläne bedient sich die V[orsehung] grundsätzlich der geschaffenen Ursachen […] u[nd] greift unmittelbar nur dort ein, wo die Natur der Sache od[er] ein besonderer Zweck es erfordert (z. B. Offenbarung).« - Im vorliegenden Zusammenhang wird auch ein grundsätzliches begriffliches Problem deutlich, das vor allem mit dem Ausdruck der ›Wirklichkeit‹ zusammenhängt: ›Wirklich‹ ist in mittelalterlicher, christlich fundierter Weltsicht etwas anderes als die empirische Welt: Die Wirklichkeit ist nicht in erster Linie empirisch evident, sondern garantiert von »Gott als de[m] verantwortliche[n] Bürge[n] für die Zuverlässigkeit der menschlichen Erkenntnis […].« (Hans Robert Jauß: Wirklichkeitsbegriff und Möglichkeit des Romans, in: Nachahmung und-Illusion. Kolloquium-Gießen-Juni 1963.-Vorlagen und-Verhandlungen, hrsg. von Hans Robert Jauß, 2., durchges. Aufl., München 1969, S. 9-27, hier S. 12) Auch das Wort ›Wirklichkeit‹ existiert in der deutschen Sprache vor dem 13. Jh. nicht: »Es wird wohl erstmals von dominikanischen Theologen um 1300 verwendet, die aber würklicheit bzw. wirklicheit nicht im Sinne der Faktizität des Gegebenen verwenden, sondern zur Bezeichnung eines Wirkens und Wirksamseins im Vollzug (in der Übersetzung von lat. actus- und actualitas).« (Burkhard Hasebrink: Die Ambivalenz des Erneuerns. Zur Aktualisierung des Tradierten im mittelalterlichen Erzählen, in: Fiktion und Fiktionalität in den Literaturen des Mittelalters. Jan-Dirk Müller zum 65. Geburtstag, hrsg. von Ursula Peters / Rainer Warning, München 2009, S. 205-217, hier S. 209) Das ist grundsätzlich zu bedenken, wenn im Folgenden von der ›Wirklichkeit‹ die Rede ist. 163 Hoenen 1997, Sp. 1858; ähnlich schon Krebs 1965, Sp. 696: »Die geschöpfl[iche] Freiheit wird durch die V[orsehung] so wenig vergewaltigt oder beeinträchtigt, daß diese vielmehr als Mittel zur Ausführung der göttl[ichen] Pläne dienen muß.« Arnold Angenendt sieht darin eine Entwicklung des hohen gegenüber dem frühen Mittelalter, besonders als Errungenschaft der Scholastik, vgl. Arnold Angenendt: Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 4 2009, S. 116f. Die »Negation des freien Willens« (Deuser 2003, S. 307) erscheint demgegenüber dann wieder als Vorstellung der Reformation, vgl. etwa Luthers »De servo arbitrio« beziehungsweise »Daß der freie Wille nichts sei« (1525). 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation 67 Segelschiffes unmöglich). Nun hat allerdings der Erzähler zuvor explizit deutlich gemacht, dass hinter dieser Ursache-Wirkungs-Kette tatsächlich das Wirken Gottes steht: 164 dô widerschuof ez allez der, der elliu dinc beslihtet, beslihtende berihtet, dem winde, mer und elliu craft bibenende sint dienesthaft. als der wolte unde der gebôt, dô huop sich ein sô michel not […]. (vv. 2406-2412) Die kausale Motivation wird also dominiert von der finalen. 165 Gleichzeitig liegt dem Motiv des durch höhere Mächte verursachten Seesturms eine lange literarische Tradition zugrunde, die sich von Homer und Vergil über die Jona-Erzählung im Alten Testament bis zu Hartmanns »Gregorius« verfolgen lässt. 166 Durch diese Verbindung wird die Künstlichkeit der 164 Dieser deutliche Verweis auf die finale Motivation scheint eine Erfindung Gottfrieds zu sein. In der »Tristramssaga« (Kap. 19; Ausg. Kölbing 1878, S. 19f.) spielt Gott nur in der Perspektive der norwegischen Seeleute eine Rolle. Als Auslöser des Sturmes wird er nicht genannt, »ein Zug, der vom Mönch Robert gewiß nicht unterschlagen worden wäre, hätte er ihn bei Thomas vorgefunden« (Haug / Scholz, Bd. 2, S. 320). Siehe dazu auch Félix Piquet: L’originalité de Gottfried de Strasbourg dans son poème de »Tristan et Isolde«. Étude de littérature comparée, Lille 1905 (Travaux et mémoires de l’Université de Lille. Nouvelle série 1: Droit, lettres 5), S. 94; Ulrich Stökle: Die theologischen Ausdrücke und Wendungen im Tristan Gottfrieds von Strassburg, Ulm 1915, S. 66. Auch im »Sir Tristrem« ist davon nichts zu lesen, vgl. Str. 34-36 (Ausg. Kölbing 1882, S.-12f.). 165 Die Alternative ›Wind‹ oder ›Gott‹ wird an einer späteren Stelle des Romans in Figurenperspektive präsent gemacht, wenn die Boten aus Dublin, die Tristan bei seiner ersten Irlandfahrt finden, darüber spekulieren, swaz sô dich her gevüeret hât, | got oder wazzer oder wint-(vv. 7612 f.). - Die Dominanz der finalen Motivation über die Kräfte der Natur (den Wind) wird etwa im »Barlaam und Josaphat« Rudolfs von Ems (um 1225) zum Ausdruck gebracht. In Nachors Rede an die Chaldäer, die die Elemente als göttliche Mächte verehren, heißt es: die tumben sint unwîse | und gar an rehten witzen blint, | die iu des jehent, daz der wint | got heize oder wese got: | daz ist ein lasterlîcher spot. | […] | d e r w i n t n â c h g o t e s g e b o t e v e r t -| er ist den schifliuten beschert | ze geleiten ûf dem mer. Zitiert nach Barlaam und Josaphat von Rudolf von Ems, hrsg. von Franz Pfeiffer, Leipzig 1843 (Dichtungen des deutschen Mittelalters 3), Sp. 240, vv. 4-13. (Hervorhebung L.M.) 166 Vgl. dazu Ingrid Hahn: Raum und Landschaft in Gottfrieds Tristan. Ein Beitrag zur Werkdeutung, München 1963 (Medium aevum 3), S. 17f., sowie die Kommentare von Okken 2 1996, Bd. 1, S. 161-165, und Haug / Scholz, Bd.-2, S. 320; außerdem Mot. S 264.1 (›Man thrown overboard to placate storm‹), vgl. Thompson 1955-1958, Bd.- 5, S.- 320, und den Erzähltyp ATU 973 (›Man as sacrifice to the storm‹), vgl. Hans-Jörg Uther: The Types of International Folktales. A Classification and Bibliography. Based on the System of Antti Aarne and Stith Thompson, Bd. 1-3, Helsinki 2011 (FF Communications 284-286), Bd. 1, S. 607f. Auf »spätantike[ ] Romantradition« verweist für diese Stelle Walter Haug: Aventiure in Gottfrieds von-Straßburg »Tristan« [1972], in: Strukturen als Schlüssel zur Welt. Kleine Schriften zur Erzählliteratur des Mittelalters, Tübingen 1989, S.-557-582, hier S. 567. Vergleichbar ist die Erzählung von Odysseus’ Schiffbruch im fünften Gesang der »Odyssee«, wo der kausale Zusammenhang von Sturm, Welle und Kentern des Schiffes ebenfalls im Vorhinein als Ergebnis göttlichen Wirkens dargestellt wird (vgl. Homer, »Odyssee«, 5,290-316). Dabei fällt auf, dass spätere Nacherzählungen die finale Motivation mitunter übergehen. So wird in Sebastian Brants »Narrenschiff« (1494) nur der Wind als natürliche Ursache des Schiffbruchs von Odysseus angegeben: Im kem zů letst eyn wyder wynd | Der jm syn schiff zerfürt geschwynd | Das jm syn gesellen all erdryncken | All růder / schiff / sægel / versyncken. (Sebastian Brant, »Narrenschiff«, Kap. 107, vv. 88-91) Zitiert nach Sebastian Brant: Das Narrenschiff. Studienausgabe. Mit allen 114 Holzschnitten des Drucks Basel 1494, hrsg. von Joachim Knape, Stuttgart 2005 (RUB 18333), S. 489. 68 1 Methodische Vorüberlegungen literarischen Handlung erkennbar. Die Erzählung folgt einem bekannten Erzählmuster und erscheint daher kompositorisch motiviert. 167 Die finale Motivation wird wiederum dominiert von einer kompositorischen. 168 Diese Beobachtung lässt sich verallgemeinern. Grundsätzlich kann man von einer Hierarchie der Motivationsarten ausgehen, die sich etwa folgendermaßen beschreiben lässt: Die kompositorische Motivation, die weiter ›außen‹ im Modell der literarischen Kommunikation verortet wird, dominiert die beiden anderen Begründungsformen, 169 denn es ist g r u n d s ä t z l i c h nicht möglich, dass eine Begründung, die Teil der erzählten Welt ist, auf eine Struktur übergreift, die außerhalb des Textes angesiedelt ist. 170 Es ist allerdings danach zu fragen, ob sich diese narratologische Festlegung auch etwa gegenüber religiösen Logiken in vormodernen Texten behaupten lässt. 171 Vor allem in religiösen Texten scheinen mitunter Strukturen vorzuliegen, die gerade darauf basieren, dass Elemente der erzählten Welt auf die Welt der Leser und Hörer übergreifen. Ein solches ›Übergreifen‹ der Ebenen kommt etwa in der Inschrift auf einem Buchkasten aus dem Säckinger Münsterschatz (um 1000) zum Ausdruck. Wenn es hier heißt: ›Durch diese doppelte Hülle wird der Text des Evangelienbuchs umschlossen, welcher ja bekanntlich die ganze Welt umschließt‹ 172 , dann überschreitet in diesem Bild der Text des Evangeliums die Ebene der Materialität, an die er eigentlich gebunden ist, und umspannt die Welt der Leser des Buches. 167 Der Zusammenhang von literarischem Wissen und kompositorischer Motivation soll im folgenden Kapitel näher ausgeführt werden. 168 Dadurch, dass der Erzähler so deutlich auf die finale Motivation verweist, ist allerdings anzunehmen, dass Rezipienten zuerst und vor allem auf diese Ebene achten - die Aussage, dass die kompositorische Motivation die Szene ›dominiert‹ ist also nur in einem bestimmten Sinn zutreffend. 169 In Bezug auf die kausale Motivation ist dieser Zusammenhang evident; so schreibt schon Lugowski 1932 [1970], S. 87, »daß alle vorbereitende Motivation sich durchaus in Abhängigkeit von der ›Motivation von hinten‹ befindet.« Schwieriger zu bestimmen ist das Verhältnis von finaler und kompositorischer Motivation. So beschreibt Martínez etwa, wie sich in der Faustinian-Geschichte die (kompositorisch motivierte) ›Fortunawelt‹ im Nachhinein als (final motivierte) ›Providentiawelt‹ erweist. Dagegen weist Meincke zurecht darauf hin, dass auch diese ›Providentiawelt‹ kompositorisch motiviert ist und spricht (in meinem Sinne) von der »(narrato-)logischen Priorität der kompositorischen Motivation [über die finale]; mit ihr ist, sofern man es mit l i t e r a r i s c h e n Erzählungen zu tun hat, immer zu rechnen, sei das erzählte Geschehen der betreffenden Erzählung nun k a u s a l oder f i n a l motiviert. Die Komposition greift per definitionem durch a l l e Schichten einer Erzählung hindurch.« (Meincke 2007, S. 113) Zum Verhältnis von finaler und kompositorischer Motivation auch Seidl 2013. Zu dieser Frage siehe weiterhin unten, Kap. 3.2.2. 170 In diesem Sinne spricht auch Meincke davon, »daß die Komposition, allgemein definiert als formales (und thematisches) Organisationsprinzip eines Erzähltextes, dessen fiktionale Realität u m f a ß t , indem sie diese überhaupt erst g e n e r i e r t .« (Meincke 2007, S. 46) Weiterhin S. 47f.: »Die Einsicht in die logische Priorität der Komposition ist auch von Relevanz für das Verhältnis von Plausibilität und Funktionalität: Wenn die erzählte Geschichte mitsamt dem zugehörigen Entwurf einer erzählten Welt Te i l der umfassenden Komponiertheit des Textes ist, dann gilt analoges für die Plausibilität […].« 171 Ebenfalls in Bezug auf Martínez meint auch Albrecht Hausmann: Erzählen diesseits göttlicher Autorisierung: »Tristan« und »Erec«, in: Literarische Säkularisierung im Mittelalter, hrsg. von Susanne Köbele / Bruno Quast, Berlin 2014 (Literatur - Theorie - Geschichte 4), S. 65-86, hier S. 66 Anm. 4: »In der vormodernen Wahrnehmung dürfte es aber umgekehrt gewesen sein. Gott ist nicht der Repräsentant des Autors im Text, sondern der Autor ist das Werkzeug Gottes.« 172 Hac cavea duplici textvs evangelii | clavditur en cvnctum qvem constat cla[vdere mvndvm]. Zum Säckinger Buchkasten Hans-Walter Stork: Mittelalterliche Buchkästen, in: Buchkunst im Mittelalter und Kunst der Gegenwart - Scrinium Kilonense. Festschrift für Ulrich Kuder, hrsg. von Hans-Walter Stork u. a., Nordhausen 2008, S. 291-319, hier Nr. 2, S. 298-300. Die Inschrift wird ebd. auf S. 299 zitiert. 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation 69 Eine Dominanz von der finalen über die kompositorische Motivation wird auch in der »Tristan«-Fortsetzung Ulrichs von Türheim zum Ausdruck gebracht, wenn der Erzähler in der Autorrolle den Tod der Protagonisten zum Anlass nimmt, die Theodizee-Frage zu stellen und seine Verantwortung für die Geschehnisse in der erzählen Welt zu leugnen: war umbe tuot unser herre daz, daz er die vrumen hin nimet und in der bœsen niht gezimet? zwâre daz ist wunderlich! ich von Türeheim Uolrich lieze tûsent bœse sterben, ê einen vrumen verderben. (Ulrich von Türheim, »Tristan«-Fortsetzung, vv. 3594-3600) 173 Diesem Verhältnis wird weiter nachzugehen sein. Was das Verhältnis von finaler und k a u s al e r Motivation angeht, so gilt, dass beide auf derselben Ebene angesiedelt sind. Dabei scheint es auf der Hand zu liegen, dass die Figuren als menschliche (oder menschenähnliche) Bewohner der erzählten Welt in der Regel keinen Einfluss auf die dort wirkenden transzendenten Mächte besitzen, da diese meist außerhalb ihres Zugriffs liegen. Ausnahmen sind wiederum möglich. Bevor wir zum Schluss des Kapitels kommen, gilt es noch eine zentrale Frage zu beantworten, die bisher unberührt geblieben ist: Was i s t die ›Motivation‹ eines Textes überhaupt? Angesichts der Tatsache, dass wir es mit einer Kategorie zu tun haben, die offenbar auf ganz verschiedenen Ebenen der literarischen Kommunikation angesiedelt ist, stellt sich die Frage, ob wir es bei der kompositorischen und der kausal-psychologischen Motivation überhaupt mit zwei Aspekten ein und derselben Sache zu tun haben. Kann man sie sinnvollerweise in ein Verhältnis zueinander setzen, wie das bisher geschehen ist, oder werden auf diese Weise Äpfel mit Birnen verglichen? 174 Ich meine, dieser Einwand lässt sich aus dem Weg räumen, wenn man die Motivation aus rezeptionsästhetischer Perspektive beschreibt, sie also nicht als Eigenschaft des Textes versteht, sondern vielmehr als Ergebnis des Lektüreprozesses von Lesern und Hörern. Das lässt sich mit textlinguistischen Kohärenz-Modellen in Verbindung bringen. 175 Robert-Alain de Beaugrande und Wolfgang Ulrich Dressler etwa beschreiben Kohärenz in diesem Sinne als »Ergebnis kognitiver Prozesse der Textverwender« 176 . Diese Perspektive wird 173 Ausg. Kerth 1979, S. 190. 174 In diesem Sinne kann man Schultz verstehen: »I would restrict the term motivation to […] the naive activation of an everyday causal common frame. And this for three reasons. First, there is no value to a category so broad that it includes everything: if the nesting habits of birds, the introduction of tropes, and the symbolic intentions of the author are all instances of narrative motivation, then the category is so imprecise as to be meaningless. Second, my restricted usage is closer to the ordinary one […]. Third, this definition of motivation insures that the categories of extra-textual (recipient, actional) motivation remain equivalent to those of textual (story, narrator) motivation […].« (Schultz 1987a, S.-216f.) 175 Zum Verhältnis von Kohärenz und (besonders: kausaler) Motivation vgl. Meincke 2007, bes. S. 41-148. Zur fehlenden Unterscheidung von Textkohärenz und narrativer Kohärenz der Handlung siehe auch die Rezension von Hartmut Bleumer, in: ZfdA 138 (2009), S. 397-399, hier S. 399. Als Teilaspekt von Kohärenz versteht die Motivation offenbar Martínez, vgl. Martínez 2000, S. 643. 176 Vgl. Wolfgang Ulrich Dressler / Robert-Alain de Beaugrande: Einführung in die Textlinguistik, Tübingen 1981 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 28), S. 7. 70 1 Methodische Vorüberlegungen vor allem in psycholinguistischen Ansätzen betont. 177 Ähnlich wie mit der Kohärenz verhält es sich auch mit der narrativen Motivation: Die Handlungselemente sind nicht von sich aus motiviert, sondern der Motivationszusammenhang wird von den Rezipienten hergestellt. Auf diese Tatsache hatte schon James A. Schultz mit seiner Kategorie der recipient motivation hingewiesen. Betrachtet man die Motivation in diesem Sinne als rezeptionsästhetische Kategorie, so spricht einiges dafür, dass in der Wahrnehmung durch die Rezipienten der kausal-psychologischen Motivation sogar ein Primat zukommt. Leser oder Hörer, so die These, werden in der Regel zunächst einmal versuchen, dem Geschehen eine kausale Motivation zu unterstellen. 178 In diesem Sinne handelt es sich bei der kausalen Motivation um einen ›Basismodus‹ der Rezeption literarischer Texte. 179 So meint Uta Störmer-Caysa, auch mittelalterliche Rezipienten seien grundsätzlich bereit, in einem früher Erzählten die Ursache des später Erzählten zu erblicken, wogegen die umgekehrte Sinnhypothese, nach der das Spätere dem Früheren zugrundeliegt (wie im Erzählen von einer Prophezeiung), sich nicht spontan herstellen wird, sondern Anhaltspunkte im Text braucht. Progressive Zeitachse und mögliche Kausalität zwischen Früher und Später sind gewissermaßen die Normallage verstehenden Interpretierens, wogegen andere Zeitformen und Arten des Zusammenhangs die Ausnahme bedeuten. 180 Die ungerechtfertige Unterstellung kausaler Bezüge, besonders die vorschnelle Deutung einer zeitlichen Abfolge als kausaler Zusammenhang, gilt in der europäischen Geistesgeschichte seit Aristoteles als einer der grundlegenden logischen Irrtümer; den mittelalterlichen Scholasti- 177 Vgl. Ulrich Schade / Gert Rickheit: Kohärenz und Kohäsion, in: Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung, Bd. 1, hrsg. von Klaus Brinker u. a., Berlin / New York 2000 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 16 / 1), S. 275-283. Weiterhin etwa Wolfram Bublitz: Introduction. Views of Coherence, in: Coherence in Spoken and Written Discourse: How to Create It and How to Describe It. Selected Papers from the International Workshop on Coherence, Augsburg 24-27 April 1997, hrsg. von Wolfram Bublitz u. a., Amsterdam 1999 (Pragmatics & Beyond. N.S. 63), S. 1-7, hier S.-2: »[W]e use coherence as a context-dependent, hearer- (or reader-)oriented and comprehension-based, interpretive notion. […] Accordingly, coherence is not a text-inherent property at all […]. Hence, coherence is not a state but a process […].« 178 Umgekehrt meint Haferland, dass das Erkennen der ›Motivation von hinten‹ erst eine Ausbildung der Lesekompetenz erfordere: »Hörern in vormodernen mündlichen Erzählkulturen« sei es »allenfalls in Ausnahmefällen möglich gewesen« (Haferland 2014, S. 73), die Komponiertheit der Dichtung zu erkennen. Dementsprechend könnten »primären Rezipienten kleine Motivationslücken auch nicht weiter aufgefallen sein. Erst der versierte Leser einer späteren Zeit bildet die Instanz, an der die ›Motivation von hinten‹ gemessen werden kann.« (ebd., S. 72) Überhaupt hätten frühere Rezipienten »nicht so hohe Erwartungen und Ansprüche an das Erzählen« (S. 74) herangetragen wie moderne Leser. - Dass Leser grundsätzlich bereit sind, aus der literarischen Tradition vertraute kompositorische Motivierungen nicht als solche zu erkennen, meint schon Tomaševskij 1985 [1925], S. 230f.: »Die vom realistischen Standpunkt absurde traditionelle Einführung von Motiven nehmen wir aufgrund ihrer Traditionalität nicht wahr. […] An die Technik des Abenteuerromans gewöhnt, nehmen wir nicht wahr, wie absurd es ist, daß der Held stets fünf Minuten vor seinem unausweichlichen Tod gerade noch rechtzeitig gerettet wird; die Zuschauer der antiken und der Molièrschen Komödie fanden es nicht absurd, daß sich im letzten Akt plötzlich herausstellte, daß alle handelnden Personen miteinander verwandt sind […].« 179 Vgl. Eder 2 2014, S. 432. 180 Uta Störmer-Caysa: Grundstrukturen mittelalterlicher Erzählungen. Raum und Zeit im höfischen Roman, Berlin / New York 2007, S. 101. 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation 71 kern war er unter der Formel post hoc ergo propter hoc bekannt. 181 Dass es sich bei einer solchen Kausalitätsunterstellung aus logischer Perspektive um eine Fehlleistung handelt, spricht allerdings nicht dagegen, sie für die Beschreibung von Lektüreprozessen vorauszusetzen. Im Gegenteil zeigt sich gerade darin die große Bedeutung von Kausalitätsunterstellungen für die Wahrnehmung literarischer Texte: Leser neigen dazu, »im Sinne von post hoc ergo propter hoc temporale Zusammenhänge als kausale Zusammenhänge zu verstehen« 182 . Das konnten ja schon Heider und Simmel in ihrem Experiment nachweisen. 183 Für Roland Barthes werden Kausalitätsunterstellungen in diesem Sinne geradezu zur Grundbedingung des Erzählens: Alles weist darauf hin, daß die treibende Kraft der narrativen Aktivität die Verwechslung von zeitlicher Folge und logischer Folgerung ist, das Nachfolgende in der Erzählung als v e r u r s a c h t v o n gelesen wird; die Erzählung wäre in diesem Fall die systematische Anwendung des in der Scholastik unter der Formel post hoc, ergo propter hoc angeprangerten logischen Irrtums […]. 184 Die kompositorische Motivation gerät vor allem dann in den Blick, wenn Kausalitätsunterstellungen versagen, wenn sich also eine Leerstelle in der kausalen Motivationsstruktur der Erzählung auftut, der Text umgangssprachlich formuliert ›unmotiviert‹ erscheint. 185 Die Imagination der erzählten Welt wird dann durchsichtig und lässt die hinter dem Text liegende Komposition durchscheinen. Harald Haferland spricht in diesem Sinne in Zusammenhang mit der ›Motivation von hinten‹ von der »Durchschaubarkeit« des Textes. 186 181 Vgl. Aristoteles, »Rhetorik«, 2,1401b29-34: ›Ein weiterer Topos (des Trugschlusses) besteht darin, etwas nicht Ursächliches als Ursache hinzustellen, z. B. wenn etwas gleichzeitig oder nach etwas anderem geschehen ist; denn die Leute sehen das ›danach‹ oft für ein ›deswegen‹ an […].‹ Zitiert nach Aristoteles: Rhetorik, übers. und hrsg. von Gernot Krapinger, Stuttgart 1999 (RUB 18006), S. 146. 182 Dimpel 2011, S. 171; vgl. auch ebd., S . 147 Anm. 370. Siehe bereits Schultz 1987a, S. 213: »Although philosophers question such logic, we ordinarily assume that most everyday events have causes and consequences - and we assume the same of events in narrative.« In diesem Sinne auch Seymour Chatman am Beispiel von Forsters Minimalgeschichte ›The king died and then the queen died‹: »The reader ›understands‹ or supplies it; he infers that the king’s death is the cause of the queen’s. ›Because‹ is inferred through ordinary presumptions about the world« (Seymour Chatman: Story and Discourse. Narrative Structure in Fiction and Film, Ithaca / London 1978, S. 46). Dazu gehörten aber auch Annahmen, die das Erzählen selbst betreffen, z. B. die Unterstellung einer Zielgerichtetheit des Sprechens (»the purposive character of speech«, ebd.). Vgl. ebenfalls Rimmon-Kenan 2 2002, S. 18: »[T]here is nothing to prevent a causallyminded reader from supplementing Forster’s first example with the causal link that would make it into an implicit plot«. Weiterhin S. 20: »[C]ausality can often (always? ) be projected onto temporality […].« Das Prinzip des post hoc ergo propter hoc ist also, anders als Cassirer dachte, wohl kein spezifisches Merkmal des mythischen Denkens (vgl. Cassirer 1925, S. 60, dazu Haferland 2008, S. 64), sondern möglicherweise eine anthropologische Konstante. 183 Vgl. Heider / Simmel 1944, S. 256. 184 Roland Barthes: Einführung in die strukturale Analyse von Erzählungen [zuerst im französischen Original 1966], in: Das semiologische Abenteuer. Aus dem Französischen von Dieter Hornig, Frankfurt a. M. 1988, S.-102-143, hier S. 113. Dazu auch Schulz 2012, S. 332. Kritisch Köppe / Kindt 2014, S. 54, die darauf hinweisen, dass es sich auch in Bezug auf Erzählungen bei dem Irrtum des post hoc ergo propter hoc mitunter um einen Fehlschluss handelt: »Nicht zwischen allen Ereignissen einer Erzählung müssen kausale Zusammenhänge bestehen«. Das ist nicht zu bestreiten, allerdings wohl von Barthes auch nicht so gemeint worden. 185 Vgl. Eder 2 2014, 432: »Die dramaturgische Erklärung tritt erst in den Vordergrund, wenn […] sich keine plausiblen Motive finden lassen.« 186 Vgl. Haferland 2014, S. 76-78. 72 1 Methodische Vorüberlegungen Letztlich ist die Frage nach der Motivation abhängig von der Lektürehaltung und der damit verbundenen Perspektive auf den Text - damit komme ich zurück zum Beginn des Kapitels. 187 Unterschiedliche Rezipienten betrachten unterschiedliche Ebenen der Narration. 188 So sind Literaturwissenschaftler*innen - besonders wenn sie die Einführung von Armin Schulz gelesen haben - darauf trainiert, auf die kompositorische Motivation der Handlung zu achten. Die Motivation ist eine rezipientenabhängige Kategorie und daher beeinflusst von den Erwartungen und Vorerfahrungen der Leser. Dieser Zusammenhang soll im nächsten Kapitel ausgeführt werden. Daneben gibt natürlich auch der Text selbst Signale, um die Motivation der Handlung zu steuern und die Rezipienten dazu zu bringen, die Handlung eher von den Figuren oder von den Bedürfnissen der Komposition her zu erklären. Das wurde ja am Textbeispiel aus dem »Tristan« deutlich, wo Gottfrieds Erzähler der finalen Motivation besonderen Nachdruck verleiht. Die Motivation ist also kein vom Text unabhängiger mentaler Prozess, sondern sie beruht auf den sprachlichen Zeichen der Erzählung. 189 Die Suche nach solchen Textsignalen gehört zu den Aufgaben der vorliegenden Untersuchung. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Vorsicht gilt es gegenüber einfachen historischen Zuordnungen zu bewahren: auch moderne Texte sind kompositorisch motiviert, und das gilt nicht nur für das Schema-Erzählen im populären Kinofilm. 190 Im Umkehrschluss sollte nicht ausgeschlossen werden, dass auch mittelalterliche Rezipienten nach psychologischen Begründungen für die erzählten Handlungen gefragt haben. Weiterhin sollte man vorschnelle ästhetische Wertungen vermeiden 191 und stattdessen nach der F u n k t i o n der verschiedenen Erzähllogiken fragen. 192 Besonders betont habe ich die Zuordnung der Motivationsarten zu 187 Vgl. Köppe / Kindt 2014, S. 149. 188 In diesem Sinne ordnet Jannidis die Motivationsarten verschiedenen Lesertypen zu: Während die ›psychische Motivation‹ auf der Ebene des ›narrativen‹ Lesers stattfinde, werde auf der Ebene des ›auktorialen‹ Lesers nach der ›kompositorischen Notwendigkeit‹ gefragt, vgl. Fotis Jannidis: Zu anthropologischen Aspekten der Figur, in: Anthropologie der Literatur. Poetogene Strukturen und ästhetisch-soziale Handlungsfelder, hrsg. von Rüdiger Zymner / Manfred Engel, Paderborn 2004 (Poetogenesis), S. 155-172, hier S. 160 Anm. 24. Auch Meincke verbindet die verschiedenen Formen der Erklärung erzählter Handlungen jeweils mit der ›synthetischen‹ beziehungsweise ›analytischen‹ Lektürehaltung, vgl. Meincke 2007, S. 44: »Im ersten Fall ist der Text a l s R e p r ä s e n t a t i o n e i n e r f i k t i v e n R e a l i t ä t , welche p l a u s i b e l zu sein hat, Gegenstand meiner Aufmerkamkeit, im zweiten als K o m p o s i t i o n , unter welchem Blickwinkel es auf die F u n k t i o n a l i t ä t der textuellen Elemente ankommt.« 189 In Bezug auf die Kohärenz warnen Rickheit und Schade ausdrücklich davor, sie solle nicht als »außersprachliches Phänomen (miß-)verstanden« werden, wie das in psycholinguistischen Ansätzen mitunter geschehe (Schade / Rickheit 2000, S. 277). Bei der Kohärenz handle es sich um einen kognitiven Prozess, der sich auf sprachliche Eigenschaften bezieht (vgl. ebd., S. 280f.). In diesem Sinne auch Bublitz 1999, S. 2: »It [coherence] is not given in the invariantly and independently of an interpretation, but rather ›comes out‹ of the text in the sense that it is based on the language of the text […].« 190 Vgl. Schneider 2013, S. 157; Haferland 2014, S. 75. Dass kompositorisch motivierte Texte »nicht ohne weiteres [als] Dokumente ›literarischer Frühzeit‹« angesehen werden können, weil solche »erzählerischen Formen […] auch in der Folgezeit weder einfach verabschiedet noch nur als archaische Relikte bewahrt« wurden, weiß auch Kiening 2003, S. 132. 191 Wenngleich die Verbindung von Wahrscheinlichkeit und Ästhetik schon in der mittelalterlichen Poetologie vertreten wurde, so etwa im anonymen Berliner Kommentar zu Martianus Capellas »De nuptiis Philologiae et Mercurii« aus dem späten 12. oder frühen 13. Jh., vgl. dazu Schneider 2013, S. 178f. 192 Im Sinne von Schneider geht es darum, »die Abweichungen und Eigenarten der mittelhochdeutschen Texte eher als solche einer spezifischen Literarizität denn einer anthropologischen Alterität zu verstehen.« (Schneider 2013, S. 186) 1.1 Figur und Handlung. Die Kategorie der Motivation 73 den Ebenen der narrativen Kommunikation; sie verbindet die Frage, warum oder wozu etwas in einem literarischen Text geschieht, mit der grundlegenden Perspektive auf die Figur, der die vorliegende Untersuchung gewidmet ist: Die verschiedenen Ansatzpunkte verdichten sich so zu der Frage, ob ein Leser bei der Lektüre eher die fiktive Lebenswirklichkeit der erzählten Welt oder die künstliche Gemachtheit des literarischen Textes fokussiert. Im Modell wirken die narrativen Ebenen und damit die verschiedenen Formen der Motivation dabei klar getrennt. Das ist die Eigenschaft theoretischer Modelle, und es ist aus heuristischer Sicht auch sinnvoll, diese Trennung zunächst aufrechtzuerhalten. Blickt man allerdings genauer in die Texte, so kommen immer wieder Zweifel auf - Florian Kragl hatte ja bereits davor gewarnt. 193 Burkhard Hasebrink hat sich in seiner Untersuchung zur Rolle der politischen Klugheit in mittelhochdeutschen Erzähltexten auch mit narratologischen Aspekten befasst und dabei solche Verunsicherungsmomente beschrieben. Er fragt etwa nach den Spielräumen der Akteure für die Gestaltung der erzählten Welt und stellt die These auf, dass die Kombination der Erzählelemente nicht nur auf der Ebene des Erzählers stattfindet, sondern auch auf der Ebene der Figuren. 194 Wenn die Figuren ein vorgegebenes Erzählschema erfüllen, wird man die Handlung üblicherweise als kompositorisch motiviert betrachten; die Handlung der Akteure ist dem Erzählschema untergeordnet. Gegenüber solchen schematischen Erklärungen warnt Hasebrink: Das Handeln der Figuren aber allein funktional zu dechiffrieren würde indes die Spannung zwischen der formierenden Kraft des Schemas und den Optionen seiner Realisation zu gering schätzen. Wenn man die Verknüpfung einzelner Episoden nicht als zweitranging gegenüber den makrostrukturellen Vorgaben des abgerufen Erzählschemas versteht, sondern vielmehr als sinnstiftendes Gestaltungsprinzip begreift, reflektiert das Räsonnement der Figuren zentrale Fragen der erzählerischen Motivation. 195 In Akten des Planens und der List, wie sie gerade auch im »Tristan« eine wichtige Rolle spielen, werde so ein »Oszillieren zwischen handlungslogischer und erzähllogischer Motivierung erkennbar« 196 . Wenn eine Figur ein vorgegebenes Erzählschema erfüllt, dann bleibt oft unentschieden, ob man den Text eher als kausal oder kompositorisch motiviert lesen soll. 197 Es kommt zu Überlagerungen und Interferenzen zwischen den Motivationsarten, die auch in der mittelalterlichen Literatur nicht immer harmonisch ablaufen. Wie sich solche Spiegelungen und Intereferenzen mit dem gegebenen narratologischen Vokabular beschreiben lassen, wird die Lektüre ausgewählter Textstellen zeigen. Zunächst gilt es aber, die Fragestellung im nächsten Kapitel aus einem anderen Blickwinkel weiter zuzuspitzen. 193 Siehe oben, S. 44. 194 Vgl. Hasebrink 2000, S. 62. Zur Anwendung von Roman Jakobsons Begriff der Kombination auf mittelalterliches Erzählen besonders Markus Stock: Kombinationssinn. Narrative Strukturexperimente im »Straßburger Alexander«, im »Herzog Ernst B« und im »König Rother«, Tübingen 2002 (MTU 123). 195 Hasebrink 2000, S. 274. 196 Ebd., S. 275. 197 Vgl. Störmer-Caysa 2007, S. 99f. 74 1 Methodische Vorüberlegungen 1.2 Literatur und Welt. Anthropologisches und literarisches Wissen Literatur arbeitet mit den Erinnerungsressourcen anderer Menschen. Wenn man schreibt, eine Frau in einem roten Kleid kommt in ein Zimmer, dann muß der Leser die Frau, das rote Kleid und das Zimmer aus seiner Erinnerung beisteuern. ( John Updike) 198 Fiktive Figuren sind unvollständig, das heißt, die Menge an Informationen über sie ist begrenzt. 199 Das unterscheidet Figuren grundsätzlich von realen Menschen und wird deshalb als Argument gegen den ›mimetischen‹ Standpunkt der Figurenwahrnehmung ins Feld geführt. 200 Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob die fehlenden Informationen überhaupt nicht existieren oder ob sie vielmehr nur der Wahrnehmung der Leser und Hörer verborgen bleiben. Dann würden sich Figuren nämlich nur graduell von realen Menschen unterscheiden, über deren Innenleben etwa wir in der Regel auch nur sehr unzulänglich informiert sind. 201 Katharina Philipowski ist jedoch davon überzeugt, dass es die entsprechenden Informationen tatsächlich überhaupt nicht gibt. Sie spricht von einer ›ontologischen Unvollständigkeit‹ literarischer Figuren, die sie an einem Beispiel aus der bildenden Kunst ausführt: Dass eine gemalte Obstschale so realistisch gemalt sein kann, dass die Vögel nach den dargestellten Trauben picken, ändert nicht das Geringste an der Tatsache, dass die Trauben nicht echt sind - und jeder, der danach fragt, wo sie gewachsen oder wann sie geerntet worden sind, würde zurecht für töricht gehalten werden. Denn Ficta sind unvollständig: Sie bestehen allein aus den Eigenschaften, mit denen ihr Schöpfer (oder im Fall von Texten, die ihren Gegenstand erfinden: ihr Autor) sie ausgestattet hat. In Bezug auf die gemalte Obstschale bestünde die Unvollständigkeit z. B. in dem Sachverhalt, dass wir (wenn der Maler sie nicht dargestellt hat) nicht wissen, wie die Beine des Tisches aussehen, 198 Interview mit Denis Scheck im »Deutschlandfunk« am 02.09.2002, online verfügbar unter: www.deutschlandfunk.de/ john-updike-ein-radiogespraech.700.de.html? dram: article_id=80629 (08.02.2020). 199 Vgl. Elke Platz-Waury: Art. Figur 3 , in: RLW 1 (1997), S. 587-589, hier S. 587; Martínez / Scheffel 10 2016, S.- 148; Jannidis 2004a, S. 67f., mit Bezug auf Lubomir Doležels Theorie fiktionaler Welten. Bei Doležel stellt ihre Unvollständigkeit ein grundlegendes Merkmal fiktionaler Welten (und ihrer Bewohner) dar, siehe Lubomír Doležel: Heterocosmica. Fiction and Possible Worlds, Baltimore / London 1998, S. 169: »Finite texts, the only texts that humans are capable of producing, are bound to create incomplete worlds. For this reason, incompleteness is a universal extensional property of the fictional-world structuring. […] Gaps, let us repeat, are a necessary and universal feature of fictional worlds.« Zur Unvollständigkeit literarischer Figuren außerdem Charles Crittenden: Fictional Characters and Logical Completeness, in: Poetics 11 (1982), S. 331-344. 200 So bei Philipowski 2006; differenzierter Philipowski 2013, S. 331-340. 201 Vgl. Robert Steinke: Verhinderte Ritter in der deutschen Literatur des Mittelalters. Scheitern und Gelingen fiktionaler Identitätskonstruktionen, Wiesbaden 2015 (Imagines Medii Aevi 35), S. 15: »[O]hne die Anwendung von Präsuppositionen wäre die Bildung eines Persönlichkeitsbildes auch eines realen Menschen nicht möglich, da dieser im Unterschied zur literarischen Figur zwar in Bezug auf seine Persönlichkeitsmerkmale das Kriterium der Vollständigkeit erfüllt, der Außenstehenden [sic] über diese aber niemals in vollem Umfang verfügen kann.« 1.2 Literatur und Welt. Anthropologisches und literarisches Wissen 75 auf dem die Obstschale steht - und zwar nicht deshalb, weil uns dieses Wissen fehlt, sondern weil es diese Beine nicht gibt. 202 Ganz abgesehen von der grundsätzlichen Differenz zwischen der Betrachtung eines Kunstwerks und der Lektüre einer Erzählung 203 scheint diese Festlegung allerdings kaum der tatsächlichen Rezipientenwahrnehmung zu entsprechen; denn würde man einen Betrachter des von Philipowski beschriebenen Gemäldes danach fragen, ob der Tisch, auf dem die Obstschale steht, Beine hat, so würde er wohl nicht zögern, diese Frage zu bejahen. Vielleicht könnte er die Beine sogar beschreiben, zum Beispiel unter Berufung auf die Beschaffenheit der Tischplatte. Einen anschaulichen Beleg für die Unvollständigkeit literarischer Figuren bietet die Beschreibung weiblicher Schönheit in der mittelhochdeutschen Epik. Am Beginn des »Nibelungenliedes« etwa heißt es bekanntlich über Kriemhild, sie sei ein außergewöhnlich schönes Mädchen, daz in allen landen niht schœners mohte sîn (Str. 2,2) 204 . Worin diese Schönheit allerdings besteht, wie man sich also das Aussehen der jungen Frau vorzustellen hat, darüber schweigt der Erzähler. Der Rezipient erhält auch im weiteren Verlauf keinerlei Informationen über die körperlichen Eigenschaften der Figur. 205 Wir wissen also nicht, ob Kriemhild klein oder groß ist, blond oder dunkelhaarig, ob sie blaue Augen hat oder braune. Und das ist keineswegs ein Einzelfall: Es ist zwar üblich, dass die Erzähler höfischer Epen betonen, wie unvergleichlich schön ihre Protagonistinnen sind, 206 eine tatsächliche Beschreibung ihrer äußeren Erscheinung erhalten wir jedoch selten. 207 Das gilt für Enite genauso wie für Condwiramurs oder Blanscheflur. Auch Isoldes körperliche Eigenschaften bleiben bei Gottfried weitgehend Leerstelle. 208 Aber würde man deshalb sagen, Kriemhild hätte keine Haare, keine Augenfarbe oder Körpergröße? Vermutlich nicht: 202 Philipowski 2006, S. 263f. Die Anekdote von den lebensechten Trauben wird seit der Antike mit dem griechischen Maler Zeuxis von Herakleia (um 400 v.-Chr.) verbunden. 203 Crittenden weist darauf hin, dass Gegenstände der bildenden Kunst anders als narrative Texte den Rezipienten nicht dazu einladen, einen internen Standpunkt einzunehmen und sich ein mentales Modell der dargestellten Personen zu machen. Folglich blieben gemalte Portraits im Gegensatz zu erzählten Figuren unvollständig, vgl. Crittenden 1982, S. 339f. 204 Zitiert nach Das Nibelungenlied. Nach der Ausgabe von Karl Bartsch hrsg. von Helmut de Boor. 22., rev. und von Roswitha Wisniewski erg. Aufl., Wiesbaden 1996 (Deutsche Klassiker des Mittelalters), S. 3. 205 Vgl. dazu Roberto de Pol: Schöne ›Vâlandinne‹ und femme fatale. Von Kriemhilds Schönheit, in: Beiträge zu Komparatistik und Sozialgeschichte der Literatur. Festschrift für Alberto Martino, hrsg. von Norbert Bachleitner u. a., Amsterdam / Atlanta (Georgia) 1997 (Chloe. Beihefte zum Daphnis 26), S. 423-444, hier S. 423-425. 206 Vgl. etwa beim ersten Auftreten Enites in Hartmanns »Erec«: diu was ein diu schoeniste maget | von der uns ie wart gesaget (vv. 310 f.); der megede lîp was lobelich (v. 323); man saget, daz nie kint gewan | einen lîp sô gar dem wunsche gelîch (vv. 330 f.); ich wæne got sînen vlîz | an si hæte geleit | von schœne und von sælekeit (vv. 339-341). Zitiert nach Hartmann von Aue: Erec. Mit einem Abdruck der neuen Wolfenbütteler und Zwetteler Erec-Fragmente, hrsg. von Albert Leitzmann, fortgef. von Ludwig Wolff, 7. Aufl. bes. von Kurt Gärtner, Tübingen 2006 (ATB 39), S. 10. Das einzige vom Erzähler erwähnte körperliche Merkmal betrifft die helle Hautfarbe Enites: ihr Körper ist wîz alsam ein swan (v. 330) beziehungsweise alsam diu lilje dâ si stât | under swarzen dornen wîz (v. 337 f.). - Auch die erste Beschreibung von Blanscheflur bei Gottfried folgt diesem Topos. Der Erzähler beschreibt die junge Frau als ein maget, daz dâ noch anderswâ | schœner wîp nie wart gesehen (vv. 634 f.). 207 Dabei gehört die Beschreibung der physischen Attribute einer Figur bereits in der antiken Rhetorik zum festen Bestandteil der Charakterisierung (gr. charakterismós, lat. descriptio), vgl. Elena Artaza: Art. Charakterismos, in: HWR 2 (1994), Sp. 163-166; Heinrich Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, Bd. 1-2, München 1960, Bd. 1, §-818, S. 406. 208 Isoldes Mutter spricht in v. 9280 von den clâren ougen ihrer Tochter; auf dem Gerichtstag in Wexford wird außerdem gesagt, sie sei suoze gebildet über al, | lanc, ûf gewollen unde smal (vv. 10893 f.). Das einzige cha- 76 1 Methodische Vorüberlegungen Die Auffassung, nur das, was im Text gegeben sei, existiere auch in der durch den Text erzeugten fiktionalen Welt, läßt sich wohl nur halten, wenn man ein sehr weites Verständnis davon hat, wann etwas als gegeben angenommen werden kann. 209 Vom internen Standpunkt aus erscheinen Figuren vollständig, als ganze Menschen. 210 Herbert Grabes zufolge gilt das nicht nur für naive Rezipienten: Obwohl die Informationen über eine literarische Figur […] insbesondere zu Beginn noch sehr lückenhaft sind, neigt der Leser oder Zuhörer dazu, schon zu einem frühen Zeitpunkt eine Vorstellung der g a n z e n Figur zu bilden, von deren Richtigkeit er in der Regel subjektiv sehr stark überzeugt ist. Selbst dann, wenn der Leser Literaturwissenschaftler sein sollte […], ist er bereit, schon bei der ersten Information die Figur so aufzufassen, als sei sie ganz ›da‹ und ihm nur noch nicht ganz bekannt. 211 Jeder Leser oder Hörer des »Nibelungenliedes« kann sich die Figur Kriemhild so vorstellen, wie es seiner kulturell geprägten Vorstellung von weiblicher Schönheit entspricht. 212 Die unvollständigen Informationen aus dem Texten werden ergänzt durch text-externe Wissensbestände der Leser rakteristische körperliche Attribut, das Isolde immerhin erhält, ist ihre Haarfarbe, die in der Forschung als Epitheton zur Unterscheidung von der zweiten Isolde gebraucht wird. In vv. 10984 f. - und damit über 3500 Verse nach ihrem ersten Auftritt in der Handlung - heißt es: sô gelîch und als einbære | was ir har dem golde. Zuvor bezieht sich auch der betrügerische Truchsess in seinem Schlachtruf beim fingierten Drachenkampf auf Isoldes Haarfarbe: ma blunde Îsôt, ma bêle! (v. 9166). - Zum rezeptionsästhetisch wichtigen Begriff der ›Leerstelle‹ im Anschluss an Roman Ingarden siehe Wolfgang Iser: Die Appellstruktur der Texte. Unbestimmtheit als Wirkungsbedingung literarischer Prosa, Konstanz 1970 (Konstanzer Universitätsreden 28), bes. S. 15f., 34; Iser 1976, bes. S.-280-315. 209 Jannidis 2004a, S. 69. Anders wäre die narrative Erzeugung fiktionaler Welten kaum möglich, denn »[m]üßte ein Text wirklich alle Informationen, die in seiner fiktionalen Welt gegeben sind, ausdrücklich mitführen, dann wäre jede Erzählung von einem umfangreichen Lexikon begleitet.« (ebd., S. 70) 210 In Bezug auf die in der philosophischen und literaturtheoretischen Diskussion zum Standardfall gewordene Frage nach der Vollständigkeit der Figur Sherlock Holmes etwa Crittenden 1982, S. 337: »[F]rom the inside-the-story perspective Holmes is a normal person and logically complete.« Dazu auch Schulz, der allerdings fordert, diese vermeintlich naive Lektürehaltung zu überwinden: »Literarische Figuren erwecken ganz selbstverständlich den Anschein echte Menschen zu sein. Was uns die Texte nicht über sie erzählen, vor allem über ihr Innenleben, ergänzen wir spontan aus unserem eigenen Erfahrungsschatz, aus unseren eigenen Gefühlen und Gedanken, wenn wir uns vorstellen, in der gleichen Situation zu sein. Das funktioniert selbst dort, wo die Figuren eigentlich recht blaß bleiben, weil wir, wie etwa im Fall von Märchen, nur dasjenige erfahren, was die Figuren tun. So lernen wir lesen, und wir können es zunächst gar nicht anders.« (Schulz 2012, S. 8) Weiterhin die Kritik von Philipowski 2013, S. 338-341, bes. S. 340: »Dass Figuren auf der Ebene der histoire Menschen und keine Figuren sind, bedeutet nun aber nicht, dass die Vollständigkeit, die dort vorliegt, für uns verfügbar oder auch nur vorhanden ist. […] Außerdem greift das Argument, Figuren seien auf der Figurenebene und für andere Figuren vollständig, also müssten auch wir, die Leser sie als vollständige Wesen betrachten, noch in anderer Hinsicht zu kurz. Denn die Ebenen von histoire und discours lassen sich nicht als voneinander isolierte Bereiche betrachten. Es gibt nicht ›die Welt der Figuren‹, […] [d]enn die sogenannte ›Welt der Figuren‹ geht ja aus der Erzählerrede hervor, sie i s t Erzählerrede.« 211 Grabes 1978, S. 415. 212 Ich glaube deshalb auch nicht, dass sich aus der fehlenden Information über die Haarfarbe Kriemhilds ableiten lässt, bei den Figuren im »Nibelungenlied« handle es sich nicht um »ganze[ ] Charaktere«, während etwa die »Thidrekssaga« darum bemüht sei, durch äußerliche Beschreibungen ihre Figuren zu »ganzen Menschen« zu machen, die »gelebt haben« (so Hermann Reichert im Nachwort seiner Ausgabe Das Nibelungenlied. Nach der St. Galler Handschrift hrsg. und erl. von Hermann Reichert, Berlin / New York 2005, S. 396f.). 1.2 Literatur und Welt. Anthropologisches und literarisches Wissen 77 und Hörer. 213 Ein mittelalterlicher Rezipient mag sich bei der Bildung des mentalen Modells der Figur zum Beispiel an der Statue der Markgräfin Uta im Naumburger Dom orientiert haben, die bekanntlich als ›schönste Frau des Mittelalters‹ gilt. Hier zeigt sich, welche enorme Bedeutung das außertextliche Wissen 214 der Rezipienten für die Wahrnehmung literarischer Figuren besitzt. 215 213 Vgl. Eder 2016, S.-32: »Wichtig ist zudem, dass die Rezipienten bei der Konstruktion mentaler Modelle über die im Text gegebenen Informationen hinausgehen, indem sie auf verschiedene Wissensbestände zurückgreifen.« Solche top down-Prozesse der Abrufung textexterner Wissensbestände werden besonders im Modell von Schneider ausführlich untersucht, vgl. Schneider 2000, S. 35-97. Zum kognitionspsychologischen Nachweis von »Strategien der Informationsbeschaffung« siehe Ralf Klausnitzer: Literatur und Wissen. Zugänge - Modelle - Analysen, Berlin / New York 2008, S. 228f.: »Suchimpulse der Emotionsprogramme melden, dass innerhalb des Romanbzw. Textgeschehens keine befriedigenden weiterführenden Informationen zu finden sind, und geben den Impuls, die Situation zu erweitern und neue Informationsgrundlagen zu beschaffen.« 214 Ich verwende den Ausdruck ›Wissen‹, wie in der narratologischen Forschung, auf die ich mich beziehe, üblich, nicht in einem harten, erkenntnistheoretischen Sinn, sondern im Sinne kollektiv in einer Kultur vorhandener Wissensbestände, vgl. dazu mit besonderem Bezug auf die Frühe Neuzeit und ausführlicher Nennung der maßgeblichen Literatur Carolin Struwe: Episteme des Pikaresken. Modellierungen von Wissen im frühen deutschen Pikaroroman, Berlin / Boston 2016 (Frühe Neuzeit 199), S. 10-15. So verstehen auch Lilith Jappe u. a. Wissen als »Sammelbezeichnung für Annahmen sowie Konzepte und Typisierungen, die in einer Kultur oder in Teilen einer Kultur akzeptiert werden beziehungsweise geläufig sind.« (Lilith Jappe u.a.: Einleitung. Figuren, Wissen, Figurenwissen, in: Figurenwissen. Funktionen von Wissen bei der narrativen Figurendarstellung, hrsg. von Lilith Jappe u. a., Berlin / Boston 2012 (linguae & litterae 8), S. 1-35, hier S. 2, im Anschluss an Michael Titzmann: Kulturelles Wissen - Diskurs - Denksystem. Zu einigen Grundbegriffen der Literaturgeschichtsschreibung, in: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 99 (1989), S. 47-61) Grabes spricht auch von »Vorurteilen« der Rezipienten, vgl. Grabes 1978, S. 416. Ein anderer Wissensbegriff liegt etwa der Arbeit von Gebert zugrunde, vgl. Gebert 2013, S. 38-43. 215 Vgl. dazu den Sammelband Figurenwissen. Funktionen von Wissen bei der narrativen Figurendarstellung, hrsg. von Lilith Jappe u. a., Berlin / Boston 2012 (linguae & litterae 8) und besonders die Einleitung der Herausgeber*innen, etwa S. 1: »In der Forschung zur Figurendarstellung in der erzählenden Literatur ist allgemein anerkannt, dass bei der Produktion und Rezeption literarischer Figuren spezifische Wissensmengen und Wissensformen involviert sind […].« Überhaupt ist in den letzten Jahren die Omnipräsenz von Wissen in der Literatur in den Blick geraten, vgl. Lutz Danneberg / Carlos Spoerhase: Wissen in-Literatur als-Herausforderung einer Pragmatik von-Wissenszuschreibungen: -sechs Problemfelder, sechs Fragen und zwölf Thesen, in: Literatur und Wissen. Theoretisch-methodische Zugänge, hrsg. von Tilmann Köppe, Berlin / New York 2011 (linguae & litterae 4), S. 29-76, hier S. 30. Die Konjunktur des Forschungsfeldes ›Literatur und Wissen‹ schlägt sich in zahlreichen Publikationen nieder. Einen Überblick (Stand 2008) bietet Klausnitzer 2008, über zentrale Beiträge informiert Benjamin Specht: Was weiß Literatur? Vier neue Antworten auf eine alte Frage, in: KulturPoetik 10 (2010), S. 234-249. Siehe daneben vor allem die Sammelbände Literatur, Wissenschaft und Wissen seit der Epochenschwelle um 1800. Theorie, Epistemologie, komparatistische Fallstudien, hrsg. von Thomas Klinkert / Monika Neuhofer, Berlin / New York 2008 (spectrum Literaturwissenschaft 15) sowie Literatur und Wissen. Theoretisch-methodische Zugänge, hrsg. von Tilmann Köppe, Berlin / New York 2011 (linguae & litterae 4). Über das Verhältnis von Literatur und Wissen wurde außerdem eine Debatte geführt, an der sich Tilmann Köppe, Roland Borgards, Andreas Dittrich und Fotis Jannidis beteiligt haben, vgl. Tilmann Köppe: Vom-Wissen in-Literatur, in: Zeitschrift für Germanistik. N. F. 17 (2007), S. 398-410; Roland Borgards: Wissen und Literatur. Eine Replik auf Tilmann Köppe, in: Zeitschrift für Germanistik. N. F. 17 (2007), S. 425-428; Andreas Dittrich: Ein Lob der Bescheidenheit. Zum Konflikt zwischen Erkenntnistheorie und Wissensgeschichte, in: Zeitschrift für Germanistik. N. F. 17 (2007), S. 631-637; Tilmann Köppe: Fiktionalität, Wissen, Wissenschaft. Eine Replik auf Roland Borgards und Andreas Dittrich, in: Zeitschrift für Germanistik. N. F. 17 (2007), S.-638-646; Fotis Jannidis: Zuerst Collegium Logicum. Zu-Tilmann-Köppes Beitrag ›Vom-Wissen in-Literatur‹, in: Zeitschrift für Germanistik. N. F. 18 (2008), S. 373-377. Aus mediävistischer Perspektive neben Struwe 2016 besonders Gebert 2013. 78 1 Methodische Vorüberlegungen Besonders in den kognitionswissenschaftlich orientierten Figurentheorien spielt Wissen daher eine große Rolle. 216 Dort werden grundsätzlich zwei Wissensbereiche unterschieden, mithilfe derer die Rezipienten die Figureninformationen ergänzen: 217 Zunächst handelt es sich um We lt w i s s e n . In Bezug auf die Figuren betrifft das besonders anthropologische Grundannahmen, also Vorstellungen darüber, was einen Menschen ausmacht. 218 Zum anthropologischen Wissen gehören neben gesellschaftlichen Rollenerwartungen und grundlegenden Persönlichkeitstheorien etwa Vorstellungen von Innerlichkeit, wie sie im vorigen Kapitel angesprochen wurden. Es ist weitgehender Konsens der Erzählforschung, dass die Wahrnehmung von Figuren o h n e einen Bezug auf anthropologisches Wissen überhaupt nicht möglich ist. 219 Grundsätzlich geht man davon aus, dass sich die Rezipienten - zumindest, soweit der Text keine abweichenden Informationen gibt - bei der Erzeugung des mentalen Modells an der Beschaffenheit der realen Welt orientieren (›Realitätsprinzip‹), und in der erzählten Welt alle Dinge der Fall sind, die auch in der realen Welt der Fall sind (›Prinzip der allgemeinen Überzeugung‹). 220 Wenn also in 216 Vgl. dazu Jappe u. a. 2012, S. 5-11, für die die Ansätze von Schneider, Jannidis und Eder zentrale Bezugspunkte darstellen. Weiterhin Monika Fludernik: Towards a ›Natural‹ Narratology, London / New York 1996, S.-12f.; Mohr 2012, S. 421, 432. 217 Vgl. Jannidis 2004a, S. 70-72; Schneider 2000, S. 80-90 und das Schema auf S. 98; Bruno Zerweck: Der cognitive turn in der Erzähltheorie. Kognitive und ›Natürliche‹ Narratologie, in: Neue Ansätze in der Erzähltheorie, hrsg. von Ansgar Nünning / Vera Nünning, Trier 2002, S. 219-242, hier S. 221f.; grundlegend bereits Margolin 1986, S. 209f. Siehe auch zur Rolle des Wissens in linguistischen Kohärenztheorien Angelika Linke u.a.: Studienbuch Linguistik. Ergänzt um ein Kapitel »Phonetik / Phonologie« von Urs Willi, 5. erw. Aufl. mit Ergänzungen von Simone Berchtold u. a., Tübingen 2004 (Germanistische Linguistik 121), S. 255: »Wenn es also darum geht zu entscheiden, ob wir bei einer Reihe von Sätzen einen zusammenhängenden [d. h. kohärenten] Text vor uns haben, […] müssen wir […] sowohl allgemeines Wissen von und über Texte aktivieren als auch allgemeines aussersprachliches Wissen einbeziehen.« 218 Vgl. Schneider 2000, S. 81: »Es handelt sich einerseits um Wissen über den Menschen, das der Rezipient im Kontext mit den Mitmenschen erwirbt oder das ihm durch professionelle (wissenschaftliche oder populärwissenschaftliche) Theorien vermittelt wird, die sich mit der Erklärung des Menschen befassen.« 219 Vgl. Jappe u. a. 2012, S. 12 und Anm. 40. Oder mit Haferland 2013, S. 91: »Figuren […] teilen immer ein anthropologisches Minimum mit lebendigen Menschen.« Dagegen widerspricht Philipowski grundsätzlich der Einbeziehung von Weltwissen: »So würde zurecht mit Spott bedacht, wer zur Deutung von Petitcrü oder Enites Pferd auf die Forschungsergebnisse der Zoologie zurückgreifen wollte, weil uns klar ist, dass beide ›Tiere‹ reine Fiktion sind. […] [N]iemand würde die Meteorologie zurate ziehen, um den Sturm zu verstehen, den Kalogrenant und Iwein an Ascalons Brunnen auslösen. Warum aber sollte ausgerechnet für - beispielsweise - Enites Trauer etwas anderes gelten als für Petitcrü […] oder den Sturm? « (Philipowski 2006, S. 261 Anm. 51) Das entsprechende realweltliche Wissen wird jedoch etwa im Fall von Petitcrü nicht aus grundsätzlichen Überlegungen nicht herangezogen, sondern weil es im fraglichen Kontext offensichtlich nicht relevant ist, vgl. Dimpel 2011, S. 153 Anm. 384. Ähnlich wie Philipowski fordert bereits Weinsheimer, überhaupt keine textexternen Informationen zum Verständnis von Figuren heranzuziehen: »All the evidence is always already given« (Weinsheimer 1979, S. 188). Er spricht in diesem Zusammenhang von der Geschlossenheit des Textes und der Figur: »[A]ll the evidence about ›Emma Woodhouse‹ is always already in, and in that sense alone character is closed.« (ebd., S. 193) 220 Zu den Begriffen ›Realitätsprinzip‹ (reality principle) und ›Prinzip der allgemeinen Überzeugung‹ (mutual belief principle) vgl. Frank Zipfel: Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität. Analysen zur Fiktion in der Literatur und zum Fiktionsbegriff in der Literaturwissenschaft, Berlin 2001 (Allgemeine Literaturwissenschaft - Wuppertaler Schriften 2), S. 84-88; Köppe / Kindt 2014, S. 144f. Vgl. ähnlich Jannidis 2004a, S. 238: »Das Verhältnis der narrativen Welt, die vom Text erzeugt wird, zur aktualen Welt wird durch […] das Prinzip der minimal departure bestimmt, d. h. solange die Gattungskonvention nichts anderes vorschreibt und solange der Text nicht explizit eine Abweichung markiert, wird der Leser aufgefordert, sein Weltwissen zum Verständnis des Textes heranzuziehen.« Zusammenfassend schon Crittenden 1982, S. 336: »Putting 1.2 Literatur und Welt. Anthropologisches und literarisches Wissen 79 einer Erzählung von einer schönen Frau die Rede ist, gehen wir in der Regel davon aus, dass die Figur einen Körper, Augen sowie Haare besitzt und dass diese weiterhin so aussehen, wie es in unserer Erfahrungswelt als schön gilt. Gerade am Beispiel der Schönheit wird dabei deutlich, dass anthropologische Vorstellungen nicht nur individuellen, sondern auch kulturellen und historischen Schwankungen unterworfen sind. Ein mittelalterlicher Rezipient hat vermutlich andere Vorstellungen von Schönheit als ein moderner, und dementsprechend unterscheiden sich ihre mentalen Modelle der Figur Kriemhild. Das gilt nicht nur in Bezug auf das Schönheitsideal, sondern grundsätzlich für die Vorstellung davon, was einen Menschen ausmacht, was also in Bezug auf Personen ›in der realen Welt der Fall ist‹. Gerade die angesprochenen Vorstellungen von Innerlichkeit unterliegen großen kulturellen Veränderungen. Möchte man im Rahmen einer mediävistischen Erzählforschung das mentale Modell zeitgenössischer Leser und Hörer rekonstruieren, so gilt es jeweils zu klären, welches anthropologische Wissen für die konkrete Kommunikationssituation vorausgesetzt werden kann. 221 Markus Stock sieht darin die »entscheidende Herausforderung an eine historische Narratologie der Figur« 222 . Im Fall des Aussehens von Kriemhild lässt sich diese Aufgabe noch recht leicht bewältigen, da wir einigermaßen gut über das mittelalterliche Schönheitsideal informiert sind. So kann man davon ausgehen, dass das mentale Modell der Figur bei einer Mehrheit der zeitgenössischen Leser und Hörer des »Nibelungenliedes« vermutlich blonde Locken, kleine Ohren, eine gerade Nase, rote Wangen und weiße Zähne, ein rundes Kinn und kleine Brüste hatte. 223 In vielen anderen Bereichen ist die Rekonstruktion anthropologischer Vorstellungen wesentlich schwieriger. Dieser Aufgabe widmet sich das Projekt einer historischen Anthropologie, das in der mediävistischen Literaturwissenschaft auf großes Interesse gestoßen ist. 224 Hier hat man vor allem nach der Übereinstimmung mittelalterlicher Erzählungen mit außerliterarischen Wissensbeständen gesucht. Dabei ließ sich zeigen, dass die Texte zuweilen auf ourselves in this standpoint, that of a character in the story, we think of [the character] C as having a history and of being subject to the physical and causal regularities holding for real people. Indeed in the story he is a real person […]. As such C has the full complement of properties constitutive of real things.« Weiterhin S. 339: »A character is to be understood as having not only those features ascribed to him in a narrative but all the qualities normal people have.« 221 Vgl. Grabes 1978, S. 427f. 222 Stock 2010, S. 193. Die Einbeziehung textexterner Wissensbestände stellt damit einen wesentlichen Ansatzpunkt für die Historisierung der Analyse dar. 223 So Joachim Bumke zum mittelalterlichen Ideal weiblicher Schönheit, vgl. Bumke 6 1992a, S. 452. Insofern sich Bumke vor allem auf literarische Texte bezieht, ist die Argumentation im vorliegenden Zusammenhang freilich zirkulär. 224 Vgl. dazu den Forschungsüberblick bei Ursula Peters: Historische Anthropologie und mittelalterliche Literatur. Schwerpunkte einer interdisziplinären Forschungsdiskussion, in: Von der Sozialgeschichte zur Kulturwissenschaft. Aufsätze 1983-2000, hrsg. von Susanne Bürkle u. a., Tübingen / Basel 2004, S. 199-224. Zur Vielheit der unter dem Label ›historische Anthropologie‹ versammelten Ansätze auch Christian Kiening: Anthropologische Zugänge zur mittelalterlichen Literatur. Konzepte, Ansätze, Perspektiven, in: Forschungsberichte zur Germanistischen Mediävistik 5 / 1 (2006), S. 11-129, bes. S. 20-30. Die Frage ist dabei vor allem, inwiefern die literarischen Texte selbst als Quelle für eine historische Anthropologie dienen können, ohne dass die Argumentation zirkulär wird. Zur ›literarischen Anthropologie‹ als Methode der »Erhebung von anthropologischem Wissen vergangener Epochen« auch Beate Kellner: Zur Kodierung von Gewalt in der mittelalterlichen Literatur, in: Wahrnehmen und Handeln. Perspektiven einer Literaturanthropologie, hrsg. von Friedmar Apel / Wolfgang Braungart, Bielefeld 2004, S. 74-103, Zitat S. 78 . 80 1 Methodische Vorüberlegungen anthropologische Spezialdiskurse ihrer Entstehungszeit zurückgreifen. 225 Solche speziellen Wissensbestände aus Medizin, Theologie oder Philosophie sind - wie überhaupt der Großteil des Weltwissens der Zeit um 1200 - beinahe ausschließlich in lateinischen Texten überliefert. Während man für die gebildeten Autoren der volkssprachigen Epen die Kenntnis dieser Diskurse noch mit einer gewissen Sicherheit plausibel machen kann, sind Art und Umfang des anthropologischen Wissens ihres adligen Publikums kaum zu ermitteln. Es geht dabei vor allem um die Frage, inwiefern gelehrte, lateinisch überlieferte Wissensbestände für die Interpretation volkssprachiger Texte herangezogen werden können. Gab es im Mittelalter so etwas wie eine eigenständige Anthropologie des Laienadels, die womöglich mündlich tradiert wurde? 226 Und wenn ja, wie lässt sich diese rekonstruieren? Armin Schulz rät jedenfalls, bei der Kontextualisierung mittelalterlicher Erzählungen Zurückhaltung zu üben. Statt sich in Spezialdiskurse zu vertiefen, solle man sich vor allem an mittelalterliche Enzyklopädien halten, die das »(gelehrte) Allgemeinwissen der Zeit« versammeln, außerdem an volkssprachige Erziehungsratgeber sowie Sprichwörter. 227 Dagegen fordert Silvia Reuvekamp, »die für anthropologische Modellbildung relevanten Wissensresiduen nicht von vorneherein einzugrenzen.« 228 Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass sich in der Literatur immer wieder ein vordiskursives Wissen nachweisen lässt, das sich erst zu einem späteren Zeitpunkt im schriftlichen wissenschaftlichen Diskurs manifestiert, aber dennoch für die Interpretation geeignet erscheint. 229 Um solchen methodischen Schwierigkeiten zu entgehen, fordert Stock, die not- 225 Vgl. etwa Anja Kühne: Vom-Affekt zum-Gefühl. Konvergenzen von-Theorie und Literatur im-Mittelalter am-Beispiel von-Konrads von-Würzburg »Partonopier und Meliur«, Göppingen 2004 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 713), zusammenfassend S. 335-339. 226 Dagegen spricht jedenfalls die Darstellung von Klaus Grubmüller, der das Laienwissen des Mittelalters zunächst als unsystematische und punktuelle Rezeption des gelehrten Diskurses beschreibt: »Laiengelehrsamkeit« basiere auf der »Verarbeitung und Weitergabe von Buchwissen über die Welt […]. Sie unterscheidet sich darin nur graduell von mittelalterlicher Wissenschaft überhaupt. Erfahrungswissen spielt eine ganz nebensächliche Rolle, es ist prinzipiell sogar gefährlich oder bedrohlich«, vgl. Klaus Grubmüller: Laiengelehrsamkeit. Über volkssprachliche Wissenschaft im Mittelalter, in: Scientia poetica. Literatur und Naturwissenschaft. Im Auftrag der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen hrsg. von Norbert Elsner / Werner Frick, Göttingen 2004, S.- 53-75, Zitat S. 70f. Freilich werde gelehrtes Wissen in volkssprachigen Texten nicht einfach rezipiert, sondern poetisch (weiter-)verarbeitet, aber darauf kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht an. Zum Laienwissen weiterhin Burghart Wachinger: Wissen und Wissenschaft als Faszinosum für Laien im Mittelalter, in: Ars und Scientia im Mittelalter und der Frühen Neuzeit. Ergebnisse interdisziplinärer Forschung. Georg Wieland zum 65. Geburtstag, hrsg. von Cora Dietl / Dörte Helschinger, Tübingen / Basel 2002, S. 13-29. 227 Schulz 2012, S. 21-26, Zitat S. 23. Konkret empfiehlt er in seiner an Studierende gerichteten Einführung das »Liber de natura rerum« des Thomas von Cantimpré, »De rerum proprietatibus« des Bartholomäus Anglicus, das »Speculum naturale« des Vinzenz von Beauvais sowie Konrads von Megenberg »Buch der Natur«, weiterhin den »Welschen Gast« Thomasins von Zerklære und Freidanks »Bescheidenheit«. Zur Frage des Bezugs auf anthropologische Spezialdiskurse auch Philipowski 2013, S. 26. Die Forderung nach einer ›Alltagsanthropologie‹ findet sich ebenfalls bei Jannidis 2004a, S. 185-192. In Bezug auf die Frage nach der Figurenintention bezieht er sich vor allem auf das psychologische Modell der folk psychology (›Alltagspsychologie‹), die davon ausgeht, wie gewöhnliche Menschen ihre Mitmenschen wahrnehmen, vgl. dazu Lynn Rudder Baker: Folk Psychology, in: The MIT Encyclopedia of the Cognitive Sciences, hrsg. von Robert A. Wilson / Frank C. Keil, Cambridge (Mass.) / London 2001, S. 319f. 228 Reuvekamp 2014, S. 117, dazu auch ebd., S. 130 Anm. 7. 229 Vgl. Wolfgang Lukas: ›Figurenwissen‹ vs. ›Textwissen‹. Zur literarischen Archäologie des psychischen ›Unbewussten‹ in der Erzählliteratur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Figurenwissen. Funktionen von Wissen bei der narrativen Figurendarstellung, hrsg. von Lilith Jappe u. a., Berlin / Boston 1.2 Literatur und Welt. Anthropologisches und literarisches Wissen 81 wendigen anthropologischen Inferenzen möglichst »aus dem Text oder Textgruppen selbst heraus« zu entwickeln, wie es Jan-Dirk Müller in verschiedenen Arbeiten vorgemacht hat. 230 Für das skizzierte Vorhaben einer Rekonstruktion der Inferenzen, die Rezipienten ausgehend von ihren textexternen Wissensbeständen bilden, beinhaltet das allerdings die Gefahr von Zirkelschlüssen. Auf welches Wissen man sich jeweils bezieht, um das mentale Modell der Figur zu beschreiben, wird man von Fall zu Fall entscheiden müssen, je nach Gattung, Autorprofil und historischem Kontext sowie möglichen Textsignalen. Anstatt diesem Problem weiter nachzugehen, möchte ich danach fragen, welche W i r k u n g die Abrufung realweltlicher Wissensbestände auf die Wahrnehmung der Erzählung und ihrer Figuren hat. Dafür gehe ich noch einmal auf ein Textbeispiel aus dem vorigen Kapitel ein. Dort habe ich die kausale Motivation anhand des entflohenen Falkens aus dem »Parzival« illustriert. 231 Auch bei dieser Textstelle spielt das Rezipientenwissen eine entscheidende Rolle. Um die Stelle zu verstehen und einen kohärenten Zusammenhang herzustellen, muss man nämlich wissen, dass im Mittelalter Greifvögel mithilfe kleiner Fleischstücke, dem Lockfleisch (mhd. luoder), gefügig gemacht wurden, und dass dies nicht funktioniert, wenn der Vogel 2012 (linguae & litterae 8), S. 170-200. So lasse sich in der Literatur der ersten Hälfte des 19. Jh.s ein psychologisches Wissen über das Unterbewusstsein nachweisen, das erst gegen Ende des Jahrhunderts im theoretischen Diskurs artikuliert werde. Zum Begriff der »Antizipation« als »Ähnlichkeit zu s p ä t e r e n wissenschaftlichen Theorien« auch die Einleitung von Jappe u. a. 2012, S. 32. Zur Erzeugung von Wissen in Literatur weiterhin Thomas Klinkert: Literatur und Wissen. Überlegungen zur theoretischen Begründbarkeit ihres Zusammenhangs, in: Literatur und Wissen. Theoretisch-methodische Zugänge, hrsg. von Tilmann Köppe, Berlin / New York 2011 (linguae & litterae 4), S. 116-139, hier S. 121, in Bezug auf einen Aufsatz von Weertje Willms: Wissen um Wahn und Schizophrenie bei Nikolaj Gogol’ und Georg Büchner. Vergleichende Textanalyse von »Zapiski sumasšedšego« (»Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen«) und »Lenz«, in: Literatur, Wissenschaft und Wissen seit der Epochenschwelle um 1800. Theorie, Epistemologie, komparatistische Fallstudien, hrsg. von Thomas Klinkert / Monika Neuhofer, Berlin / New York 2008 (spectrum Literaturwissenschaft 15), S. 89-109. Willms zeigt hier, dass die Texte von Gogol und Lenz ein psychiatrisches Wissen voraussetzen, das im entsprechenden wissenschaftlichen Diskurs der Zeit noch nicht existierte. Die Texte rezipierten also nicht Wissen, sondern generierten es. Lukas spricht in solchen Fällen von einem ›Textwissen‹ als Form des Wissens, das weder Produzent noch Rezipient zugeordnet werden kann, aber »gleichwohl ›im Text‹ vorhanden ist« (Lukas 2012, S.- 171). Dazu auch Danneberg / Spoerhase 2011, S. 71-76; zur grundsätzlichen Problematik der Identifikation ›neuen Wissens‹ ebd., S.- 60f. - Einen Beleg aus der mittelalterlichen Erzählliteratur bietet Burkhard Hasebrink, wenn er das »Rolandslied«, den »König Rother« sowie den »Herzog Ernst B« liest als »Dokumente einer impliziten Verständigung über die politische Klugheit […], bevor diese, Jahrhunderte später, zu einer zentralen Kategorie des politischen Denkens werden konnte.« Damit verfolgt Hasebrink allerdings ausdrücklich nicht die Absicht, »das Muster eines vorgezogenen Anfangs zu bedienen, die untersuchte Literatur also zum Beleg eines Vorscheins der Neuzeit mit ihren Konzepten […] zu machen« (Hasebrink 2000, S. 262). Vielmehr betont er die »spezifisch poetischen Erkenntnisleistungen der Erzählliteratur« (ebd., S. 52), die eben nicht einfach lateinisch-gelehrte Diskurse abbilde oder exemplifiziere. 230 Stock 2010, S. 194. Zur Rekonstruktion textinterner Anthropologie Müller 1998, S. 39-45 und 202: Angesichts der »erhebliche[n] methodische[n] Schwierigkeiten, vor allem, was die Quellen betrifft«, empfiehlt Müller ein »streng textbezogenes Vorgehen: Literarischen Texten sind, wie Texten auch sonst, mehr oder minder explizit anthropologische Modelle eingeschrieben. Diese Modelle sind nicht unabhängig von anderen, in andere Texte eingeschriebenen oder praktisch gelebten Modellen der gleichen Kultur, doch empfiehlt es sich, die Frage nach der Beziehung unterschiedlicher Diskurstypen und der ihnen inhärenten Modelle zueinander zunächst einmal einzuklammern. Die Rekonstruktion einer ›nibelungischen Anthropologie‹ soll vorerst beiseitelassen, ob diese etwa gewöhnlichen Vorstellungen um 1200 und der damaligen Lebenspraxis entspricht (die ja ihrerseits wieder aus anderen Texten zu rekonstruieren wäre).« 231 Siehe oben, S. 46. 82 1 Methodische Vorüberlegungen vorher überfüttert (mhd. überkrüpht) worden ist. Moderne Leser sind für das Verständnis der Stelle auf den Kommentar der Ausgabe angewiesen; das adlige Publikum des »Parzival« war vermutlich aus eigener Erfahrung mit diesen Informationen vertraut. Es handelt sich dabei um Weltwissen, das (etwas später) auch schriftlich dokumentiert ist. 232 Die Greifvögel in der Welt des »Parzival« unterliegen - entsprechend dem ›Realitätsprinzip‹ - offenbar denselben Gesetzmäßigkeiten wie die Greifvögel in der Erfahrungswelt mittelalterlicher Rezipienten. Bei dem Zusammenhang von Überfütterung und Flucht des Falken handelt es sich um ein mental repräsentiertes Skript, dass die Rezipienten aus ihrer Erfahrungswelt kennen. 233 Durch die Abrufung des realweltlichen Wissens ist der Zusammenhang erklärbar, erscheint die Stelle kausal motiviert. Die Verbindung von Weltwissen und kausaler Motivation lässt sich auch am Beispiel des gerade noch abgewendeten Schiffbruchs aus dem »Tristan« illustrieren: Der naturgesetzliche Zusammenhang zwischen dem Seesturm und der Manövrierunfähigkeit des Schiffes basiert wiederum auf empirischem Wissen über die reale Welt, deren Gesetze auf die erzählte Welt übertragen werden und die Szene (vermeintlich) kausal motivieren. Es besteht offenbar ein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen der Abrufung von Weltwissen und der kausallogischen Begründung der Handlung. 234 Um zu entscheiden, ob etwas 232 So lesen wir etwa in der »Älteren deutschen Habichtslehre« aus dem 14. Jh.: Auch merck: vor allem dingen sal man daz bewarn, das men den habich nit uͤberchröphff […]. Suͤlch habich fliegent gern von dem manne zů veld, zů valde oder zů dorffe; daz chömbt von der vaist [›Übersättigung‹]. Zitiert nach Die deutsche Habichtslehre. Das Beizbüchlein und seine Quellen, eing. und hrsg. von Kurt Lindner, 2. erw. Aufl., Berlin 1964 (Quellen und Studien zur Geschichte der Jagd 2), S. 296-298. 233 Der kognitionswissenschaftliche Begriff des scripts beschreibt einen typischen Handlungsablauf, der mental gespeichert ist und bei der Lektüre einer Erzählung abgerufen werden kann. Das Standardbeispiel dafür ist das Skript ›Restaurantbesuch‹. Vgl. einführend Martínez / Scheffel 10 2016, S. 170f.; Fludernik 4 2013, S. 178. Auf die Skripttheorie bezieht sich auch Jan-Dirk Müller: Höfische Kompromisse. Acht Kapitel zur höfischen Epik, Tübingen 2007, S. 17f. Siehe weiterhin Mohr 2012, S. 420f. - Während scripts prozessual organisiert sind, d. h. vor allem Handlungen und Geschehensabläufe abbilden, bezeichnet man umfassendere, statischere Organisationseinheiten des Wissens als frames. Zu dieser Unterscheidung Bernhardt 2016, S. 25 Anm. 41. Da es mir im vorliegenden Zusammenhang um die Frage der Motivation, und deshalb in erster Linie um erzählte Handlungen geht, beziehe ich mich vor allem auf Skripte. 234 Struwe beobachtet eine grundsätzliche Verbindung von Kausalität und argumentativ geformtem Wissen; dieses unterstelle »meist eine logische Beziehung von Grund und Folge, Ursache und Ergebnis, Bedeutung und Resultat, und setzt damit Kausalität im Hinblick auf Ereignisse und Kohärenz voraus« (Struwe 2016, S. 22). Schon Tomaševskij spricht im Zusammenhang mit der ›realistischen Motivation‹ von der »Einführung außerliterarischen Materials in das Kunstwerk« (Tomaševskij 1985 [1925], S. 223). Einen umgekehrten Zusammenhang zwischen der ›Motivation von hinten‹ und Abweichungen von realweltlichen Erwartungen beobachtet Lugowski 1932 [1970], S. 77: »Es scheint […] ein Widerspruch vorzuliegen zwischen dem, was wir heute als die Erfahrungswelt unseres Autors bezeichnen würden, und der Welt, wie sie sich in seinem Roman aufbaut.« Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Kausalität und Wahrscheinlichkeit (vraisemblance) finden sich auch in Chatmans Konzept der naturalization, vgl. Chatman 1978, S. 48: »The convention of ›filling in‹ by verisimilitude is […] basic to narrative coherence«; weiterhin Jonathan Culler: Structuralist Poetics. Structuralism, Linguistics and the Study of Literature, London 1975, S. 137: »To assimilate or interpret something is to bring it within the modes of order which culture makes available, and this is usually done by talking about it in a mode of discourse which a culture takes as natural. This process goes by various names in structuralist writing: recuperation, naturalization, motivation, vraisemblablisation.« Obwohl für ihn auch kulturelle Konventionen wie Genre-Vorgaben für die vraisemblance eine Rolle spielen, bezieht sich die basalste Form der naturalization auf die Wirklichkeit (»the ›real‹«): »This is best defined as a discourse which requires no justification because it seems to derive directly from the structure of the world.« (ebd., S. 140) Zum Konzept der naturalization und ›Natürlichkeit‹ siehe auch Fludernik 1996. Kritisch dazu Meincke, die Anstoß nimmt am Zusammenhang 1.2 Literatur und Welt. Anthropologisches und literarisches Wissen 83 »als empirisch wahrscheinlich oder zumindest möglich gilt« 235 - so beschreiben Martínez und Scheffel die kausale Motivation - müssen wir realweltliches Wissen abrufen. Bereits im vorigen Kapitel war im Zusammenhang mit der kausalen Motivation immer wieder von der Wirklichkeitsnähe oder ›Natürlichkeit‹ der Erzählung die Rede, ohne dass genauer bestimmt wurde, was damit gemeint ist. Es ist wohl kein Zufall, dass das verstärkte Interesse der Literatur an empirischer Anthropologie im 18. Jahrhundert mit der Forderung nach einem kausalgenetischen Aufbau der Erzählung zusammenfällt. 236 Auch Blanckenburg verbindet das Ideal einer kausal motivierten Erzählung mit der Forderung nach der Nähe der erzählten Welt zur Realität: »Das Werk des Dichters muß eine kleine Welt ausmachen, die der großen so ähnlich ist, als sie es seyn kann.« 237 zwischen Kohärenz und Weltwissen: »[E]ine Theorie, derzufolge textuelle Kohärenz nur durch Rückführung auf Vertrautes (naturalization, vraisemblablisation), im referentiellen Vergleich mit der eigenen ›Lebenswelt‹, festbzw. hergestellt werden kann«, lehnt sie ab. Plausibilität hänge »nicht […] primär an der Übereinstimmung der erzählten Welt mit der ›Realität‹ […], sondern zunächst einmal an der Überzeugungskraft der textinternen Zusammenhänge, d. h. an dem Grad der Vernetzung der Elemente und deren - je spezifischer - Systematik. Hieraus erwächst wiederum die Möglichkeit, die Kohärenz auch solcher Texte zu beschreiben, deren erzählte Welt definitiv oder wahrscheinlich von unserer Lebenswelt abweicht, also auch mittelalterlicher Texte« (Meincke 2007, S. 246f., vgl. weiterhin S.- 48-56). Ihre Ablehnung bezieht sich vor allem auf die Alterität des realweltlichen Wissens (der ›Natürlichkeitsvorstellungen‹) vergangener Kulturen: Ob es sich bei der erzählten Welt um eine handle, die »unseren Natürlichkeitsvorstellungen entspricht […], ist für uns de facto zunächst nicht entscheidbar, denn - das ist ein Punkt, den Culler übersieht - aufgrund der kulturellen und zeitlichen Differenz […] können wir nicht nur nicht wissen, was man damals für natürlich hielt, sondern auch nicht einmal feststellen, ob das, was uns natürlich scheint, auch […] als natürlich gemeint ist« (ebd., S. 55). - Der Zusammenhang von Kausalität und Übereinstimmung mit der realen Welt gilt vor allem für solche Texte, die Crittenden der »standard fiction« zuordnet, also nicht unbedingt für Märchen, Fantasy oder Science Fiction, vgl. zu dieser Unterscheidung Crittenden 1982, S.-332f. Die fiktiven Welten solcher Genres weichen von unserer Welt ab und besitzen eigene kausale Regeln. Vgl. dazu auch Alexander Bareis: Science Fiction vs. Fiction Science. On the ›Principle of Genre Convention‹ as an Exploration Rule for Fictional Worlds, in: The Aesthetics and Politics of Cultural Worldmaking, hrsg. von Ansgar Nünning u. a., Trier 2010 (Giessen Contributions to the Study of Culture 3), S. 119-130, bes. S. 122-124. In diesem Sinne geht James A. Schultz davon aus, dass es so etwas wie eine ›fantastische Kausalität‹ gibt, wie er am Beispiel der Schwalbe in Eilharts »Tristrant« ausführt: »The fictional world of Eilhart’s »Tristrant« is one in which it is natural for swallows to travel overseas and return with a strand of hair. This fictional causality can be held up to our everyday causal assumptions and, if one is so inclined, taken to task for its deviations. […] But within Eilhart’s world international swallows are perfectly natural; indeed, by their behavior they help define what i s natural in that world.« (Schultz 1987a, S. 209) Besonders in diesem Fall werden Rezipienten die Erzählung allerdings gerade n i c h t als kausal motiviert wahrnehmen, einen Beleg dafür bietet Gottfried selbst in seinem Schwalbenhaar-Exkurs (siehe unten, S. 179-183). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Martínez 2000, S. 644: »Die kompositorische Motivation des dargestellten Geschehens […] leitet sich aus (je nach Gattung unterschiedlich gefüllten) Kategorien der Modalität ab - in der erzählten Welt eines Märchens sind andere Dinge ›möglich‹, ›wahrscheinlich‹ und ›notwendig‹ als in derjenigen eines realistischen Romans.« 235 Martínez / Scheffel 10 2016, S. 116. 236 Vgl. Wolfgang Riedel: Literarische Anthropologie, in: RLW 2 (2000), S. 432-434, hier S. 433. 237 von Blanckenburg 1774, S. 314. Gerade im naturalistischen Roman des 19. Jh.s findet sich die Forderung nach einem kausallogischen Aufbau der Handlung; der Autor wird hier als Zuschauer aufgefasst, dessen eingreifende Hand im Text möglichst nicht sichtbar sein soll. So versteht etwa Wilhelm Bölschle 1887 den Dichter als bloßen Beobachter des Menschen, dessen Gesetze »der Forscher ergründet hat und die der Dichter bei dem freien Experimente [der Dichtung] so gut zu beachten hat, wie der Chemiker, wenn er etwas Vernünftiges und keinen werthlosen Mischmasch herstellen will« (Wilhelm Bölschle: Die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Poesie. Prologomena einer realistischen Ästhetik, Leipzig 1887, S.-8). Das Ziel der Dichtung sei es, »zu einer wahren mathematischen Durchdringung der ganzen Handlungsweise 84 1 Methodische Vorüberlegungen Dieser Zusammenhang lässt sich auf die Figuren und die Frage nach der kausal-psychologischen Motivation übertragen. Wenn wir die Figur als ›Person‹ wahrnehmen und die Handlung von ihren Intentionen, Gefühlen oder Affekten her beschreiben, beziehen wir uns auf Vorstellungen darüber, wie solche innerlichen Zustände und Prozesse funktionieren, rufen also anthropologisches Wissen ab. 238 Das zeigt sich schon am Beispiel der bereits erwähnten Heider-Simmel-Demonstration: Wenn die Probanden die geometrischen Formen hier als ›Personen‹ wahrnehmen und ihre Bewegungen entsprechend begründen, aktivieren sie alltägliche psychologische und soziale Wissensbestände. 239 Oder, um ein Beispiel aus der mittelalterlichen Literatur zu bemühen: Wenn man Iweins Zustand nach der Verstoßung von Laudine rein als psycho-pathologischen Prozess entsprechend zeitgenössischen medizinischen Diskursen liest - was hier nicht unbedingt angemessen ist -, dann richtet man das Augenmerk auf Iwein als ›Person‹, und weg von der dramaturgischen Funktion der Szene. Der Wahnsinn wäre dann weniger strukturell (etwa durch die Doppelwegstruktur des Artusromans) motiviert, sondern vielmehr psychologisch. 240 Neben dem Weltwissen spielt noch ein zweiter Wissensbereich eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Bildung des mentalen Modells der Figur, nämlich das l it e r a r i s c h e W i s s e n der Rezipienten. 241 Dazu gehört etwa die Kenntnis von Erzählschemata, Genrekoneines Menschen zu gelangen und Gestalten vor unserm Auge aufwachsen zu lassen, die logisch sind, wie die Natur.« (ebd., S. 34f.) Zum komplexen Verhältnis von Naturalismus, Kausalität und Determiniertheit bei Émile Zola, dem Begründer des ›Experimentalromans‹, vgl. Barbara Ventarola: Der Experimentalroman zwischen Wissenschaft und Romanexperiment. Überlegungen zu einer Neubewertung des Naturalismus Zolas, in: Poetica 42 (2010), S. 277-324, bes. S. 301-304. 238 Zum Zusammenhang zwischen der grundsätzlichen Perspektive auf die Figur und der Wahrscheinlichkeit (vraisemblance) auch Culler 1975, S. 140f.: »We speak of people as having minds and bodies, as thinking, imagining, remembering, feeling pain, loving and hating, etc., and do not have to justify such discourse by adducing philosophical arguments. It is simply the text of the natural attitude, at least in Western culture, and hence vraisemblable.« 239 Vgl. Gordon 2016, S. 3724. 240 In diesem Sinne Wolfram Schmitt: Der ›Wahnsinn‹ in der Literatur des Mittelalters am Beispiel des »Iwein« Hartmanns von Aue, in: Psychologie in der Mediävistik. Gesammelte Beiträge des Steinheimer Symposions (März 1984), hrsg. von Jürgen Kühnel u. a., Göppingen 1985 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 431), S. 197-214. Kritisch zu solchen Interpretationen Dirk Matejovski: Das Motiv des Wahnsinns in der mittelalterlichen Dichtung, Frankfurt a. M. 1996, S. 124-126, der den Wahnsinns im »Iwein« als Vertreter eines ›Strukturtypus‹ der höfischen Literatur beschreibt, vgl. ebd., S. 122-155. Zu Iweins Wahnsinn weiterhin Jan-Dirk Müller: Identitätskrisen im höfischen Roman um 1200, in: Unverwechselbarkeit. Persönliche Identität und Identifikation in der vormodernen Gesellschaft, hrsg. von Peter von Moos, Köln u. a. 2004 (Norm und Struktur 23), S. 297-323, hier S. 308-311. Zur stoffgeschichtlichen und strukturellen Deutung schon Jacques LeGoff: Lévi-Strauss in Brocéliande. Skizze zur Analyse eines höfischen Romans, in: Phantasie und Realität des Mittelalters, Stuttgart 1990, S. 171-200. Ausdrücklich möchte LeGoff dabei »die zu einfachen sogenannten ›psychologischen‹ Erklärungen […] vermeiden, die aus Chrétien einen Psychologen und fast einen Psychiater machen« (S.-174). Eine (auch) psychologische Erklärung favorisiert dagegen Meyer 1999, S. 157: »Daß die Beschreibung einen medizinhistorisch rekonstruierbaren Hintergrund hat, heißt aber auch, daß sie einen für das Publikum rekonstruierbaren psychischen Hintergrund hat: Iweins Wahnsinn ist nicht nur die strukturelle Krise des Handlungsträgers, sondern zuvörderst ein diesem Handlungsträger zugeschriebenes (mimetisches) psychisches Ereignis.« - Vielleicht zeigen die verschiedenen Forschungspositionen dabei auch, dass sich die unterschiedlichen Erklärungen eben nicht ausschließen, sondern überlagern. 241 Vgl. Köppe / Kindt 2014, S. 145: »Neben Weltwissen ist auch Wissen über Genres, Darstellungskonventionen usw. nötig, wenn man herausfinden möchte, was in einer fiktiven Welt der Fall ist.« Zur Funktion des literarischen Wissens bei der Bildung des mentalen Modells weiterhin Schneider 2000, S. 88-90. Jannidis 1.2 Literatur und Welt. Anthropologisches und literarisches Wissen 85 ventionen, Figurenmodellen oder einzelnen Modellfiguren. 242 Es ist die Eigenart literarischer Texte, sich nicht bloß auf die außertextliche Wirklichkeit zu beziehen, sondern immer auch ihre eigene künstliche Gemachtheit zu beobachten. 243 Genauso, wie es nicht möglich ist, Figuren ohne die Abrufung anthropologischer Grundannahmen zu verstehen, ist es deshalb auch nicht möglich, einen Text zu verstehen, ohne erzählerische Konventionen abzurufen - also literarische Wissensbestände. 244 Welche Bedeutung das literarische Wissen für die Rezeption von Figuren hat, möchte ich an einem einfachen Beispiel aus dem modernen Film ausführen: Hier lässt sich die merkwürdige Tatsache beobachten, dass Schurken offenbar besonders gerne Äpfel essen. 245 Dieses Muster kann man zurückverfolgen bis in die Anfänge des Kinos, nämlich zur Figur des Hans Beckert in Fritz Langs »M« aus dem Jahr 1931. Zweifellos beruht die Symbolik des Apfels dabei auf einer langen kulturellen Tradition, die vom antiken Parisurteil über den biblischen Sündenfall bis zur Skulptur vom Fürsten der Welt am Straßburger Münster führt. 246 Aber darauf kommt es hier nicht an, sondern vielmehr auf die Tatsache, dass sich die Verbindung von Schurken und Äpfeln weder auf realweltliches anthropologisches Wissen zurückführen lässt noch auf die Regeln der fiktiven Welt im engeren Sinne. Weder haben böse Menschen besonderen Appetit auf Kernobst, noch führt der Verzehr von Äpfeln zu moralischem Verfall. Das gilt für unsere Welt wie auch (entsprechend dem ›Realitätsprinzip‹) für die Welt der Erzählung. Es handelt sich also um rein ›literarisches‹ Wissen. Wenn ein Rezipient, der über ein entsprechendes literarisches Wissen verfügt, jemanden in einem Film sieht, wie er einen Apfel isst, dann kann er die Figur (unbewusst) der Kategorie ›Widersacher‹ zuordnen und ihre Handlungen entsprechend damit verbundener Erzählmuster antizipieren. Wie wichtig solche Kategorien für die Wahrnehmung literarischer Figuren sind, zeigt sich selbst noch im modernen Roman des 18. und 19. Jahrhunderts. Dort begegnen uns zum Beispricht von ›Genrewissen‹, vgl. Jannidis 2004a, S. 70f.; zu diesem Konzept auch Bareis 2010. Zur Unterscheidung von literary frames und real world frames außerdem Zerweck 2002, S. 222. 242 Zum Figurenmodell siehe Jannidis 2004a, S. 214. Er versteht darunter »gestaltförmige Konfigurationen von Figureninformationen, z. B. der Melancholiker oder die Extrovertierte.« Der Begriff der Modellfigur stammt von Bernhardt 2016, S. 73-76. 243 Vgl. Klinkert 2011, S. 124. 244 Jannidis ist sogar der Ansicht, dass »im Zweifelsfall Genrewissen relevanter ist als das Weltwissen« ( Jannidis 2004a, S. 71). 245 Das sehen wir am Beispiel von Figuren wie Hector Barbossa aus »Pirates of the Carribean« (2003), Draco Malfoy aus »Harry Potter and the Prisoner of Azkaban« (2004) oder Ramsay Bolton aus »Game of Thrones« (2016). Die Beispiele verdanke ich einem Artikel von Peter Weissenburger: Zwischenmahlzeit der Zwielichtigen. Symbolik des Apfels im Film, in: taz.die tageszeitung (12.10.2016), online verfügbar unter: www.taz.de/ Archiv-Suche/ ! 5343369&; s=peter+weissenburger (08.02.2020). 246 Vgl. Liselotte Stauch: Art. Apfel, in: RdK 1 (1937), Sp. 748-751. Die Identifikation der Frucht vom Baum der Erkenntnis (lat. fructus, vgl. Gen 3,6) mit dem Apfel lässt sich im christlichen Westen, vielleicht beeinflusst durch die antike Symbolik, seit der Spätantike, sicher ab dem 5. Jh., beobachten. Vgl. Dieter Harmening: Art. Apfel, Apfelbaum. Ikonographie und Volkskunde, in: LexMa 1 (1960), Sp. 746 f. Anders hingegen, das sei nebenbei bemerkt, bei Gottfried, wo das obez aus dem Paradies entsprechend theologischer Lehrmeinungen mit der Feige identifiziert wird: die pfaffen sagent uns mære, | daz ez diu vîge wære (vv. 17943 f.). Die Kenntnis dieser im Westen eher seltenen theologischen Ansicht wird als Beleg für Gottfrieds theologische Bildung gelesen, vgl. den Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 692, und Christoph Huber: Gottfried von Straßburg: Tristan, 3., neu bearb. und erw. Aufl., Berlin 2013 (Klassiker-Lektüren 3), S. 131: »Gottfried zeigt sich […] demonstrativ beschlagen in theologischen Sonderauslegungen, wenn er statt des üblichen Apfels die Feige als Sündenfall-Obst erwähnt.« 86 1 Methodische Vorüberlegungen spiel auffallend häufig schöne vernachlässigte Waisentöchter, wie etwa Fanny Price bei Jane Austen, Jane Eyre bei Charlotte Brontë oder Esther Summerton bei Charles Dickens. 247 Sie alle folgen einem Figurenmodell, das schon im Märchen von Aschenputtel angelegt ist. Eine Figurenkategorie, die in der mittelalterlichen Literatur eine wichtige Rolle spielt, ist zum Beispiel die des Verräters, zu der etwa Genelun aus dem »Rolandslied« gehört. 248 Ausgehend von der Zugehörigkeit zur Figurenkategorie lassen sich gewisse Schema-Erwartungen formulieren, die typischerweise damit verbunden sind: So wird das Waisenmädchen am Schluss den Helden heiraten, 249 der Verräter mit dem Tod bestraft. Die Handlung ist damit kompositorisch motiviert; die Figur verliert ein Stück weit ihre Individualität und erscheint als Wiederholung von etwas, das schon einmal erzählt wurde. 250 Der Begriff der Wiederholung steht schon bei Lugowski im Zusammenhang mit der ›Motivation von hinten‹ und der Determiniertheit der Figur: In dieser Wiederholung liegt eine Überfremdung der jeweiligen Situation durch die wesentlich identische Struktur […]. Um Gehabtsein handelt es sich insofern, als die Besonderheit beider Situationen durch die identische Struktureinheit vergewaltigt, beherrscht wird. 251 Der Zusammenhang lässt sich rückblickend auch am Beispiel der Erzählung vom göttlich verursachten Seesturm im »Tristan« erkennen: Die Szene erscheint dann kompositorisch motiviert, wenn man die ihr zugrunde liegende literarische Tradition erkennt, wenn man also die konkrete Erzählung des »Tristan« als Wiederholung anderer Erzählungen versteht. Kehren wir noch einmal zurück zur Verbindung von Äpfeln und Bösewichtern. Der Apfel ist hier nicht einfach nur ein Objekt der fiktiven Welt, sondern er bekommt eine Funktion 252 und fungiert als Tr i g g e r, das heißt als Zeichen für die Abrufung bestimmter literarischer Wissensbestände der Rezipienten. 253 Er verweist damit auf die Ebene der Kommunikation 247 Vgl. Vladimir Nabokov: Die Kunst des Lesens. Meisterwerke der europäischen Literatur. Mit einem Vorwort von John Updike. Aus dem Englischen von Karl A. Klewer unter der Mitarbeit von-Robert A.-Russel, hrsg. von Fredson Bowers, Frankfurt a. M. 1991, S. 33f. 248 Vgl. den entsprechenden Eintrag bei Elisabeth Frenzel: Motive der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte, 6., überarb. und erg. Aufl., Stuttgart 2015, S. 775-788. Für die französische chanson de geste-Dichtung Karl Plath: Der Typ des Verräters in den älteren Chansons de geste, Halle a.S. 1934. Typische Eigenschaften der Figurenkategorie sind etwa Doppelzüngigkeit und Verstellung (die für den Verrat notwendig sind) sowie Feigheit, Missgunst und Geldgier (die den Verrat motivieren). Oft handelt es sich um Ratgeber-Figuren. Nicht selten geschieht der Verrat an den eigenen Leuten zugunsten von Anhängern einer fremden Religion. 249 Wie solche Muster auch gebrochen werden können, zeigt Dostojewski in »Die Sanfte« (1876): Hier bildet die Hochzeit des Waisenmädchens mit dem vermeintlichen Retter nur den Auftakt zu einer Geschichte, die gerade nicht mit einem Happy End endet. Dass gerade in diesem Spiel mit dem Muster die traditionelle Figurenkategorie und mit ihr verbundene Schema-Erwartungen eine Rolle spielen, liegt auf der Hand. 250 In diesem Sinne schon Scholes / Kellogg 1966, S. 204: »When we consider characters as villains, ingénues, ficelles, choral characters, nuntii, and so on, we are thinking of them not as characters in themselves but as elements which contribute to the whole, as parts of the plot or meaning of a work.« 251 Vgl. Lugowski 1932 [1970], S. 32f., 68-73, Zitat S. 69. 252 Zum Begriff der Funktion im vorliegenden Kontext auch Barthes 1988, S. 109-111. 253 Zum Begriff des »semiotischen Triggers« siehe Jannidis 2004a, S. 78. Auch Eder ²2014, S. 326, spricht von Zeichen als »textbasierte[n] Reize[n] mit der Funktion, figurenbezogene mentale Vorgänge bei den Zuschauern auszulösen.« 1.2 Literatur und Welt. Anthropologisches und literarisches Wissen 87 zwischen Produzent und Rezipient (hier: Filmemacher und Zuschauer). 254 Mit einem Begriff aus der literarischen Wissensforschung kann man für den Zusammenhang von Äpfeln und Schurken von einer ›Außenindexikalität‹ des Wissens sprechen. 255 Damit ist gemeint, dass sich das Wissen nicht auf die fiktive erzählte Welt bezieht, sondern auf die Welt des Erzählens, also die Welt von Autor und Publikum. Das gilt grundsätzlich für alle Wissensaussagen, die explizit mit literarischem Wissen arbeiten. 256 Durch die Abrufung solcher Wissensbestände rückt damit die künstliche Gemachtheit der Erzählung in den Vordergrund, und der Text wird ›durchschaubar‹. Über den Begriff des literarischen Wissens lässt sich so auch die Verortung der kompositorischen Motivation im Modell der narrativen Kommunikation besser erklären: Es ist zwar der Erzähler, der die Figuren wie auf einem Schachbrett hin und her bewegt, 257 aber die Regeln, nach denen er sie bewegt - also Genrevorgaben oder Erzählmuster - sind produktions- und rezeptionsästhetische Konzepte. 258 Es handelt sich um Wissensbestände des Autors und der Rezipienten, die nicht Teil des Textes sind (wie der Erzähler), sondern Teil der realen Welt. Das »eherne[ ] Gesetz des Märchens, welches besagt: ›Der Beste bekommt die Schönste.‹« 259 , ist in diesem Sinne kein Gesetz der erzählten Welt, sondern ein Gesetz des Erzählens. 260 Von diesem Punkt aus lässt sich der bisher geschilderte Zusammenhang von abgerufenem Rezipientenwissen und anderen narratologischen Kategorien folgendermaßen schematisch vereinfacht zusammenfassen: 254 Auch die Wiederholung geschieht auf dieser Ebene und nicht auf der Ebene der erzählten Welt: In der Welt des »Tristan« handelt es sich beim göttlichen Eingreifen und dem gerade noch abgewendeten Schiffbruch womöglich um ein völlig einmaliges Ereignis. Wenn man mit Lotman Wiederholung als Äquivalenz versteht, »die aufgrund einer Relation nicht vollständiger Gleichheit zustandekommt - unter der Voraussetzung, daß eine - oder mehrere - Ebenen vorhanden sind, auf denen die Elemente gleich sind, und eine - oder mehrere - Ebenen, auf denen keine Gleichheit herrscht« (Lotman 1972 [1970], S. 125), dann kann man die Gleichheit hier auf der Ebene des Erzählens (oder strukturalistisch gesprochen: auf der ›Tiefenebene‹ des Textes) verorten, während auf der Ebene der erzählten Welt keine Gleichheit besteht. 255 Vgl. Roger Friedlein: Indexikalisierung von Wissensinszenierungen in der Renaissance-Epik Portugals (Luís de Camões: »Os Lusíadas« und Jerónimo Corte-Real: »Naufrágio de Sepúlveda«), in: Dynamiken des Wissens, hrsg. von Klaus W. Hempfer / Anita Traninger, Freiburg i.Br. u. a. 2007 (Rombach Wissenschaften. Reihe Scenae 6), S. 187-217, hier S. 187-190; zur literaturwissenschaftlichen Auswertung des Konzeptes der Indexikalität auch Bernd Häsner: Indexikalität und Indexikalisierung. Überlegungen zur literaturwissenschaftlichen Relevanz eines sprachphilosophischen Konzepts, in: Im Zeichen der Fiktion. Aspekte fiktionaler Rede aus historischer und systematischer Sicht. Festschrift für Klaus W. Hempfer zum 65. Geburtstag, hrsg. von Irina O. Rajewsky / Ulrike Schneider, Stuttgart 2008, S. 67-84. Siehe auch Gebert 2013, S. 4f. 256 Vgl. Köppe / Kindt 2014, S. 150f. Zum Bezug solcher ›externer‹ Aussagen auf die reale Welt schon Crittenden 1982, S. 334. 257 Das Bild stammt von Kragl / Schneider 2013, S. 3. 258 Vgl. Christ 2015, S. 44. 259 Dorothea Klein: Gottfried von Straßburg: Tristan, in: Lektüren für das 21. Jahrhundert. Schlüsseltexte der deutschen Literatur von 1200 bis 1990, hrsg. von Dorothea Klein / Sabine M. Schneider, Würzburg 2000, S.-67-85, hier S. 67. 260 Über die abgerufenen Wissensbestände lässt sich so auch der Vorrang der kompositorischen über die kausale Motivation begründen. Dass literarische Wissensbestände bei der Rezeption Priorität gegenüber realweltlichem Wissen besitzen, betonen etwa Martínez / Scheffel 10 2016, S. 149: »Zwischen den Inferenzen auf der Basis von allgemeinem Weltwissen und solchen aus literarischem Gattungswissen kann es zu Widersprüchen kommen. Dann haben in der Regel die literarischen Inferenzen Vorrang […].« 88 1 Methodische Vorüberlegungen abgerufenes Rezipientenwissen anthropologisches Wissen literarisches Wissen Indexikalität intern / Binnenindexikalität 261 extern / Außenindexikalität Perspektive auf die Figur Figur als ›Person‹ Figur als ›Artefakt‹ Motivation kausal-psychologisch kompositorisch Tab. 1: Rezipientenwissen und narratologische Kategorien Die Vorstellung eines Zusammenhangs zwischen Erzählmustern und der Determiniertheit des Figurenhandelns liegt auch dem strukturalistischen Aktantenmodell zugrunde. 262 Die Überlegungen zum literarischen Wissen und seiner Funktion für die Figurenwahrnehmung erscheinen mir dabei als geeigneter Ansatzpunkt, das Aktantenmodell neu zu formulieren und so für die Untersuchung fruchtbar zu machen. Ein zentraler Einwand gegenüber dem Modell besteht darin, dass Greimas es in Anlehnung an die Generative Grammatik auf einer ›Tiefenebene‹ des Textes verortet hatte. Tatsächlich, so die berechtigte Kritik, gibt es eine solche Tiefenstruktur nicht; 263 es handelt sich dabei lediglich um eine »Abstraktion des Interpreten« 264 . Gerade diese Tatsache macht es aber möglich, das Aktantenmodell in das Konzept des mentalen Modells der Figur zu integrieren, wenn man nämlich die Aktantenstruktur als Produkt einer Abstraktion versteht, das kognitiv beim Rezipienten vorhanden ist - also als literarisches Wissen. 265 In diesem Sinne werden Erzählmuster, Gattungskonventionen oder Figurenmodelle dann nicht mehr als textuelle Merkmale aufgefasst, sondern als kognitive. Sie existieren nicht in, ›hinter‹ oder ›unter‹ dem Text, sondern vielmehr im Kopf des Rezipienten. 266 Dieses Wissen kann bei der Lektüre abgerufen werden, um Figureninformationen zu ergänzen und Handlungen zu antizipieren und zu begründen. Trotz ihres abstrakten Charakters basieren Erzählmuster freilich auf einer Menge konkreter Einzeltexte, aus denen sie im Rahmen von bottom-up-Prozessen 267 abgeleitet und verallgemeinert werden. Für die Forschung stellt sich die methodisch anspruchsvolle Aufgabe, diesen Abstraktionsprozess gewissermaßen nachzu- 261 Während sich literarisches Wissen nur auf die reale Welt bezieht, besitzt das Weltwissen oft eine ›doppelte Indexikalität‹. Sprichwörter und Sentenzen etwa beziehen sich einerseits auf die erzählte Welt, haben andererseits aber auch eine wissensvermittelnde, didaktische Funktion für die Welt von Autor und Publikum. 262 Vgl. Propp 1972 [1928]; Greimas 1971 [1966]. 263 Vgl. Jannidis 2004a, S. 100f.; Müller 2007, S. 32f.; Schulz 2012, S. 17. Grundsätzlich in Bezug auf Erzählschemata bereits Hinrich Siefken: Überindividuelle Formen und der Aufbau des Kudrunepos, Diss. Tübingen 1967, S. 38: »Überspitzt gesagt: Es gibt das Schema nicht. Es begegnet uns immer nur verborgen in dichterischer Gestaltung.« Dazu auch Deutsch 2003, S. 85. 264 Vgl. Schulz 2010, S. 17; Armin Schulz: Spaltungsphantasmen. Erzählen von der ›gestörten Mahrtenehe‹, in: Wolfram-Studien 18 (2004), S. 233-262, hier S. 239. In diesem Sinne versteht auch Müller Tiefenstrukturen als »Ergebnisse wissenschaftlicher Konstruktion - Abstraktion aus einer großen Zahl von Oberflächentexten« (Müller 2007, S. 32). 265 Dieses Verständnis der Aktantenstruktur besitzt eine große Nähe zu Gerd Dickes Konzept vom ›Erzähltyp‹ als »das, wovon Texte Versionen sind, also ein Abstraktionsprodukt aus der Gesamtheit seiner Fassungen.« (Gerd Dicke: Erzähltypen im »Tristan«. Studien zur Tradition und Transformation internationaler Erzählmaterialien in den Romanversionen bis zu Gottfried von Straßburg, Habil. Göttingen 1997, S. 18) 266 Diese Tatsache verweist wieder darauf, dass literarische Erklärungsmuster keine Eigenschaft der erzählten Welt sind, sondern eine Eigenschaft der realen Welt. 267 Siehe dazu Schneider 2000, S. 37-39. 1.2 Literatur und Welt. Anthropologisches und literarisches Wissen 89 vollziehen und aus einer bestimmten Textmenge sich wiederholende Muster zu extrahieren. 268 Nichts anderes hat Propp mit seinen 100 Zaubermärchen getan. Wie man sich die mentale Repräsentation literarischer Muster vorstellen kann, lässt sich gut mithilfe der linguistischen Prototypentheorie beschreiben. 269 Besonders das Verhältnis zwischen der abstrakten Kategorie und den konkreten Referenztexten lässt sich auf diese Weise erklären. Um ein beliebtes Beispiel aus der Prototypensemantik zu zitieren: Wir besitzen zwar eine recht genaue Vorstellung davon, was ein Vogel ist, diese Vorstellung basiert aber auf der Beobachtung konkreter Amseln, Spatzen, Krähen und Pinguine, von der aus bestimmte Familienähnlichkeiten abstrahiert werden. Die Entscheidung darüber, ob ein Referent zur Kategorie gehört, erfolgt dann einigermaßen intuitiv und wie im Fall der Familie der Vögel in der Regel schnell und ohne Schwierigkeiten. 270 Entscheidend für die Zugehörigkeit ist dabei kein Katalog an notwendigen oder hinreichenden Bedingungen, sondern die Nähe zum Prototypen, der das Zentrum der Kategorie bildet. 271 Ein Problem bei der Arbeit mit literarischen Mustern besteht darin, dass sich oft keine konkrete Erzählung nachweisen lässt, die dem abstrakten Muster ohne jede Abweichung entspricht. Diese Tatsache lässt sich allerdings gut erklären, wenn man im Sinne einer ›erweiterten‹ Prototypentheorie davon ausgeht, dass es sich beim Prototypen 268 Dass ein solches Vorgehen immer auf die Intuition des Interpreten angewiesen sind, liegt auf der Hand. Zu den methodischen Schwierigkeiten einer Objektivierung des Verfahrens besonders Dicke 1997a, S. 19- 22. - Zu verschiedenen Verfahren, anhand von konkreten Texten abstrakte Erzählschemata zu rekonstruieren auch Schulz 2012, S. 188f. 269 Einen Überblick über die Entstehung der Theorie und ihre verschiedenen Anpassungen bietet Georges Kleiber: Prototypensemantik. Eine Einführung. Übers. von Michael Schreiber, 2. überarb. Aufl., Tübingen 1998. In diesem Sinne versteht auch Schneider literarische Gattungen als »Kategorien, die einen Kern von einem oder mehreren prototypischen Fällen und eine Reihe weniger eindeutig zuzuordnender Einzelfälle aufweisen« (Schneider 2000, S. 88). In diese Richtung, allerdings vor allem mit Blick auf die Textproduzenten, schon Wilhelm Voßkamp: Gattungen als literarisch-soziale- Institutionen. Zu Problemen sozial- und funktionsgeschichtlich orientierter-Gattungstheorie und -historie, in: Textsorte - Gattungsgeschichte, hrsg. von Walter Hinck, Heidelberg 1977 (Medium Literatur 4), S. 27-44, hier S. 30-32. In Bezug auf real world frames auch Fludernik 1996, S. 17-19. - Die Anwendung der Prototypentheorie auf narrative Kategorien lässt sich auch darüber begründen, dass der für die Prototypensemantik zentrale Begriff der ›Familienähnlichkeit‹ nach Wittgenstein (vgl. dazu Kleiber 1998, S. 36f.) in der Erzählforschung schon lange gebräuchlich ist. In Bezug auf literarische Gattungen benutzen ihn etwa Hans Robert Jauß: Theorie der-Gattungen und Literatur des Mittelalters [1972], in: Alterität und Modernität in der mittelalterlichen Literatur. Gesammelte Aufsätze 1956-1976, München 1977, S. 327-358, hier S. 333, sowie Klaus W. Hempfer: Art. Gattung, in: RLW 1 (1997), S. 651-655, hier S. 653; dazu auch Jannidis 2004a, S. 63f. Der Ausdruck findet sich allerdings - lange vor Wittgenstein - schon bei Wilhelm Grimm: Zu den altdänischen Heldenliedern (1811), in: Kleinere Schriften von Wilhelm Grimm, hrsg. von Gustav Hinrichs, Bd. 1, Berlin 1881, S. 176-203, hier S. 195. 270 Dass Rezipienten zumindest in Bezug auf grundlegende Textsorten sehr schnell über die Zugehörigkeit eines Textes entscheiden können, zeigt eine Untersuchung von Malcom Hayward. Einem Großteil der Versuchspersonen war es möglich, Texte bereits nach den ersten fünf Wörtern korrekt den Bereichen Geschichtsschreibung (history) oder Fiktion (fiction) zuzuordnen. Vgl. Malcom Hayward: Genre Recognition of History and Fiction, in: Poetics 22 (1994), S. 409-421. 271 So gehören Pinguin und Strauß zur Familie der Vögel, obwohl ihnen das zentrale Merkmal der Flugfähigkeit fehlt. Trotzdem spielen typische Eigenschaften weiterhin eine wichtige Funktion für die Zuordnung zur Kategorie, wenn auch nicht mehr so starr wie in früheren semantischen Modellen: Zum Beispiel würden wir ein Tier wohl nur mit einigem Aufwand als Vogel akzeptieren, wenn es nicht über einen Schnabel verfügt. 90 1 Methodische Vorüberlegungen nicht um einen konkreten Vertreter der Kategorie handelt, sondern um eine gedachte Größe. 272 Schon gar nicht sollte man den Prototyp als eine Art genetischen ›Archetyp‹ auffassen, von dem die anderen Vertreter der Kategorie abstammen, wie das in der älteren Stoffgeschichtsforschung gemacht wurde. 273 Darauf, dass literarisches Rezipientenwissen tatsächlich prototypisch organisiert sein könnte, weisen etwa kognitionsorientierte Untersuchungen David Fishelovs zu literarischen Gattungen hin. 274 Sie zeigen, dass Gattungen nicht, wie zuweilen angenommen, primär über typische Eigenschaften memoriert und aktualisiert werden, sondern vor allem über einzelne Autoren und Texte, die zum ›harten Kern‹ der Gattung gehören. So kann man es möglicherweise auch verstehen, wenn der Erzähler im »Rolandslied« die Zugehörigkeit Geneluns zum Typus des Verräters herstellt, indem er auf Judas Ischariot als den prototypischen Verräter verweist. 275 Die Modellfigur steht hier für das Figurenmodell. 276 In diesem Fall wird man wohl davon ausgehen können, dass zeitgenössische Rezipienten mit der Geschichte vom Verrat des Judas vertraut waren. Grundsätzlich ist es jedoch sehr schwierig, einigermaßen sichere Aussagen über die literarischen Wissensbestände historischer Leser und Hörer zu treffen. Weil das literarische Wissen auf konkreten Einzeltexten beruht, muss man dafür mit den Lektüregewohnheiten der Rezipienten vertraut sein. 277 Das ist gerade in Bezug auf die adligen Leser und Hörer der Zeit um 1200 allerdings kaum der Fall. Eine empirische Rekonstruktion der »Lesegewohnheiten breiter Bevölkerungsschichten« 278 , wie sie Ralf Schneider seiner Untersuchung am Beispiel des viktorianischen Romans zugrunde legt, ist für mittelalterliche Verhältnisse nicht denkbar. Versuche, den literarischen Horizont mittelalterlicher Adliger etwa mithilfe bibliotheks- und überlieferungsgeschichtlicher Beobachtungen nachzuzeichnen, wurden vor allem für einzelne Höfe oder Regionen unternommen. 279 Im 272 Zur erweiterten Version der Prototypensemantik Kleiber 2 1998, S. 109-137, zum neuen Verständnis des Prototypen bes. S. 123-128. 273 Vgl. dazu Dicke 1997a, S. 19. 274 Vgl. David Fishelov: The Structure of Generic Categories: Some Cognitive Aspects, in: Journal of Literary Semantics 24 / 2 (1995), S. 117-126. 275 Vgl. Pfaffe Konrad, »Rolandslied«, vv. 1924-1939: Genelun geriet michel not, | den armen Iudas er gebildot: | du unser herre zemerde gesaz | unde er mit ime tranc unde az, | in den truwen er in uerriet | widir die meintaetige diet; | er uerchophte in mit gedinge | umbe drizzic phenninge: | […] | unde uerchophte Judas in einin, | Genelun uerchouphte widir die heidin | mit ungetruwen listen | manigen herlichen kristen. Zitiert nach Das Rolandslied des Pfaffen Konrad, hrsg. von Carl Wesle, 3., durchges. Aufl. bes. von Peter Wapnewski, Tübingen 1985 (ATB 69), S. 101f. In einem nichtterminologischen Sinn spricht auch Frenzel davon, dass Judas »für das christliche Abendland der Prototyp des Verräters wurde« (Frenzel 6 2015, S. 777). Der Bezug von Genelun auf Judas ist sicher vielschichtiger, als ich es hier darstelle; weitere Überlegungen lassen sich etwa in Bezug auf figurale Denkmuster anschließen, siehe dazu unten, S. 118. 276 Zur Verschachtelung der beiden Kategorien auch Bernhardt 2016, bes. S. 73-77, bes. S. 76f. Schon Jannidis betont im Zusammenhang mit Figurenmodellen: »Vorlagen für Figuren sind zumeist andere Figuren« ( Jannidis 2004a, S. 215). 277 Vgl. Schneider 2000, S. 90. 278 Ebd. 279 Für den Heidelberger Hof des 15. Jh.s Martina Backes: Das literarische Leben am kurpfälzischen Hof zu Heidelberg im 15. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Gönnerforschung des Spätmittelalters, Tübingen 1992 (Hermaea. N. F. 68). Neben den Höfen stehen vor allem die Städte im Fokus der Literaturgeschichtsschreibung, vgl. dazu grundlegend Joachim Bumke: Mäzene im Mittelalter. Die Gönner und Auftraggeber der höfischen Literatur in Deutschland: 1150-1300, München 1979, S. 283-293, zu Gottfried und Straßburg bes. S. 283-285; Ursula Peters: Literatur in der Stadt. Studien zu den sozialen Voraussetzungen und kultu- 1.2 Literatur und Welt. Anthropologisches und literarisches Wissen 91 Fokus der Literaturgeschichtsschreibung stehen in der Regel Aspekte der (Re-)Produktion von Literatur, während die Rezeption aus Mangel an geeigneten Quellen weitgehend ausgespart bleibt. 280 Nikolaus Henkel fasst die Problematik folgendermaßen zusammen: Was Literaturgeschichte im bisherigen Zuschnitt nicht zu leisten vermag, ist die Beschreibung des zu einem bestimmten Zeitpunkt aktuellen literarischen Wissens bzw. Bewußtseins, das von der Präsenz älterer, aber aktueller Werke ebenso geprägt ist wie von der Bildung neuer Modelle. Die durch Literaturgeschichte im herkömmlichen Sinne erfaßte Abfolge der je zeittypischen ›Neuerscheinungen‹ ist nur ein Teil dessen, das ich mit Formulierungen wie ›literarisches Bewußtsein‹ oder ›literarisches Leben‹ zu fassen suche. 281 Lediglich die Bekanntheit der großen höfischen Epen lässt sich anhand von Überlieferung, Anspielungen in anderen Texten, Namenszeugnissen sowie bildlichen Darstellungen einigermaßen gut abschätzen. 282 Über andere Texte wissen wir dagegen wenig. Dass man bei den adligen Teilnehmern der höfischen Kultur grundsätzlich von einem umfangreichen literarischen Wissen ausgehen kann, legt Eckart Conrad Lutz nahe. Er charakterisiert die Rezipienten der höfischen Literatur als einen »Kreis von Kennern« 283 , für den die Zurschaustellung von »Bildung, Literaturkenntnis und Kunstverstand« 284 einen zentralen Aspekt ihrer Selbstdarstellung rellen Organisationsformen städtischer Literatur im 13. und 14. Jahrhundert, Tübingen 1983 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 7). 280 Entsprechende Überlegungen finden sich bei Bumke 1979, bes. S. 42-72 zur ›Adelsliteratur‹ des Hochmittelalters. Allerdings ist auch Bumkes Ansatz über das Mäzenatentum grundlegend mit der Produzentenseite verbunden. - Einen Gegenentwurf zur traditionellen Literaturgeschichte unternimmt Schneider 2004, bes. S.- 129-152. Gerade im Hinblick auf das Mittelalter bleiben Schneiders Beobachtungen allerdings äußerst oberflächlich, wie der Autor selbst einräumt. Seine Aussagen gehen in der Regel nicht über Handbuchwissen hinaus und erweisen sich so für weitergehende mediävistische Forschungen als nicht anschlussfähig (vgl. etwa S. 134 zur Etablierung der höfischen Literatur). So ist die Behauptung, Oswald von Wolkenstein habe »den Weg für die Rezeption der Minnesangtradition in bürgerlichen Kreisen« (ebd., S. 139) bereitet, angesichts eines dezidiert adligen Autors, dessen Lyrik kaum Verbreitung gefunden hat, höchst problematisch. Die grundsätzliche Tendenz zur Pauschalisierung ist wohl auch Schneiders Ansatz geschuldet, nicht der traditionellen literaturgeschichtlichen Epocheneinteilung zu folgen, sondern mit dem ›feudalen Zeitalter‹ einen Zeitraum vom 9. Jh. bis zur Französischen Revolution global zu betrachten. - Einen einführenden Überblick über die Geschichte des Lesens im Mittelalter bieten Nikolaus Henkel / Sabine Griese: Mittelalter, in: Lesen. Ein interdisziplinäres Handbuch, hrsg. von Ursula Rautenberg / Ute Schneider, Berlin / Boston 2015, S. 719-738. 281 Nikolaus Henkel: Religiöses Erzählen um 1200 im Kontext höfischer Literatur. Priester Wernher, Konrad von Fußesbrunnen, Konrad von Heimesfurt, in: Die Vermittlung geistlicher Inhalte im deutschen Mittelalter. Internationales Symposium, Roscrea 1994, hrsg. von Timothy R. Jackson, Tübingen 1996, S. 1-21, hier S. 1. 282 Vgl. exemplarisch Bernd Schirok: Parzivalrezeption im Mittelalter, Darmstadt 1982 (Erträge der Forschung 174); zum »gemeinsame[n] literarische[n] Horizont« von Rezipienten und Erzähler des »Parzival« auch Lutz 2016, Zitat S. 121. 283 Eckart Conrad Lutz: Einspielung von Wissen und gebildeter Umgang. Texte und Bilder im Gespräch, in: Literatur und Wandmalerei II. Konventionalität und Konversation. Burgdorfer Colloquium 2001, hrsg. von Eckart Conrad Lutz u. a., Tübingen 2005, S. 361-391, Zitat S. 375. 284 Ebd., S. 377. Interessant sind in diesem Kontext auch Lutz’ Überlegungen zur Rolle des geselligen Gesprächs bei der kollektiven Rezeption höfischer Literatur, vgl. Eckart Conrad Lutz: Schreiben, Bildung und Gespräch. Mediale Absichten bei Baudri de Bourgueil, Gervasius von Tilbury und Ulrich von Liechtenstein, Berlin u. a. 2013 (Scrinium Friburgense 31), zum »Tristan« bes. S. 143f.: Mit dem Begriff der unmüezekeit verweise der Text auf eine »geistig-seelische Aktivität«, die Lutz verortet »im Kontext der Konstruktion eines höfischen-elitären Kreises von Gebildeten, die (sicher nur auch) an einem literari- 92 1 Methodische Vorüberlegungen bildet. Das gilt wohl auch für das ambitionierte Zielpublikum des »Tristan«, wie auch immer man es sich genau vorzustellen hat. Ein einzigartiges Zeugnis für die Lektüregewohnheiten des Laienadels um 1200 bietet die Beschreibung des Hofes der Grafen von Guines in der »Historia comitum Ghisnensium« (1194-1203) Lamberts von Ardres. Zu den Geschichten, die man sich im hochmittelalterlichen Adel erzählte, gehören danach nicht nur solche Stoffe, die uns aus der schriftlichen Überlieferung bekannt sind, darunter derjenige de Tristanno et Hisolda, 285 sondern offenbar auch (rein? ) mündlich überlieferte Erzählungen. 286 Allerdings ist der Aussagewert der Quelle gering: Sie bietet wohl kein dokumentarisches Abbild tatsächlich historischer Lektürepraxis, sondern ist vielmehr als eine Art kulturpolitische Standortbestimmung zu verstehen. 287 Auch ist unklar, ob sich die Darstellung des kulturell fortschrittlichen flandrischen Hofes von Guines verallgemeinern und auf die Verhältnisse im deutschsprachigen Raum übertragen lässt. 288 Ohnehin finden wir bei Lambert keine Details, die uns etwa bei der Rekonstruktion zeitgenössischer Figurenmodelle oder Erzählschemata helfen könnten. Die Darstellung weist jedoch darauf hin, dass uns in der handschriftlichen Überlieferung nur ein kleiner Teil der mittelalterlichen Erzählkultur begegnet. Immer wieder wird in den schriftlichen Quellen eine mündliche Literatur in der Volkssprache erwähnt, angefangen bei den barbara et antiquissima carmina, die Karl der Große gesammelt haben soll, oder dem laicorum cantus obscenus bei Otfrid von Weißenburg. 289 Auch spätere Autoren erwähnen immer wieder mündlich schen Liebesdiskurs interessiert sind. Als unmüezekeit lässt sich also der Prozess der Auseinandersetzung mit dem Stoff und dessen Fassungen bezeichnen, aus dem Gottfrieds eigener Roman hervorgeht […], aber auch jener Prozess, den die erneute Verarbeitung durch den Leser (und in ihm) auslöst«. Zu dieser Form ›meditativen‹ Umgangs mit dem Text auch Eckart Conrad Lutz: lesen - unmüezec wesen. Überlegungen zu lese- und erkenntnistheoretischen Implikationen von Gottfrieds Schreiben, in: Der »Tristan« Gottfrieds von Straßburg. Symposion Santiago de Compostela, 5. bis 8. April 2000, hrsg. von Christoph Huber / Victor Millet, Tübingen 2002, S. 295-315. 285 Vgl. Lambert von Ardres, »Historia comitum Ghisnensium«, Kap. 96. Zitiert nach Lamberti Ardensis historia comitum Ghisnensium, ed. Johannes Heller, in: MGH. Scriptores 24 (1879), S. 550-642, hier S. 607, Z.-20. 286 Vgl. Lambert von Ardres, »Historia comitum Ghisnensium«, Kap. 81 (Ausg. Heller 1879, S. 598, Z. 39-41). Die Begriffe, mit denen Lambert das höfische Erzählgut beschreibt, erinnern dabei an moderne Ordnungskategorien: Neben Heldendichtung beziehungsweise chansons de geste (nenias gentilium, cantilenas gestoriis) erwähnt er vornehme âventiure-Erzählungen (eventuris nobilium) und bäuerliche ›Fabliaux‹ (fabellae ignobilium). Vgl. dazu Michael Curschmann: Höfische Laienkultur zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Das Zeugnis Lamberts von Ardres, in: ›Aufführung‹ und ›Schrift‹ in Mittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Jan-Dirk Müller, Stuttgart 1996 (Germanistische Symposien. Berichtsbände 17), S. 149-169, hier S. 156f. 287 Vgl. Curschmann 1996, bes. S. 165f. 288 Zu dieser Frage optimistisch Curschmann 1996, S. 167; kritisch Joachim Bumke: Höfische Kultur. Versuch einer kritischen Bestandsaufnahme, in: PBB 114 (1992), S. 414-492, hier S. 418. 289 Vgl. Einhard, »Vita Caroli magni«, Kap. 29: Item barbara et antiquissima carmina, quibus veterum regum actus et bella canebantur, scripsit memoriaeque mandavit. Zitiert nach Einhardi Vita Karoli Magni. Post G.H. Pertz recensuit G.- Waitz, editio sexta, curavit O. Holder-Egger, Hannover / Leipzig 1911 (MGH. Scriptores rer. Germ. 25), S.- 33, Z. 11-14. ›Ebenso ließ er alte [und] volkstümliche Lieder, in denen die Taten und Kriege früherer Könige besungen wurden, aufzeichnen und lernte sie auswendig.‹ Übersetzung von Piergiuseppe Scardigli: Zur sprachhistorischen Bewertung der germanischen Heldendichtung, in: Heldensage und Heldendichtung im Germanischen, hrsg. von Heinrich Beck, Berlin 1988 (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 2), S. 197-211, hier S. 208. Zur möglichen Identität dieser Lieder und der Deutung von barbara Gerhard Meissburger: Zum sogenannten-Heldenlie- 1.2 Literatur und Welt. Anthropologisches und literarisches Wissen 93 überlieferte fabulae. 290 Als Träger dieser vorgängigen Literatur nennen die höfischen Autoren wiederholt berufsmäßige Spielleute, die sie als fabulatores, jongleurs oder spilliute bezeichnen und von denen sie sich in der Regel abgrenzen. 291 Daran, d a s s es vor und neben der höfischen Schriftliteratur auch eine mündliche Erzählkultur gegeben hat, kann eigentlich kein Zweifel bestehen. 292 Man wird das literarische Wissen mittelalterlicher Rezipienten also nur einseitig erfassen, wenn man diesen Bereich ausblendet. 293 W i e diese mündliche Erzählkultur allerdings ausgesehen hat, bleibt im Dunkeln; die zitierten Belege sagen so gut wie nichts darüber aus: »Nichts von alledem führt uns auch nur an die Schwelle des unbekannten Bereiches.« 294 Wenn es um die Rekonstruktion von Figurenmodellen oder Erzählschemata geht, sind wir daher mit dem methodischen Problem konfrontiert, dass die höfischen Texte mit literarischen Mustern arbeiten, für die sie zuweilen selbst den ältesten Beleg darstellen. So kennt Tristan bei Gottfried eine Geschichte von mînem hêrn Gurûne | und von sîner vriundinne (vv. 3526 f.), die vorher nur bei Thomas referiert wird (vgl. Thomas, »Tristran«, vv. 835-842). Kann man angesichts der später außerordentlich weiten Verbreitung des Erzähltyps vom derbuch Karls des-Großen, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift 44 (1963), S. 105-119, bes. S. 109f., 114 f. Otfrid von Weißenburg, »Evangelienbuch«, Widmungsvorrede an Bischof Liutbert von Mainz: Dum rerum quondam sonus inutilium pulsaret aures quorundam probatissimorum virorum eorumque sanctitatem laicorum cantus inquietaret obscenus, […] rogatus, […] partem evangeliorum eis theotisce conscriberem, ut aliquantulum hujus cantus lectionis ludum saecularium vocum deleret, et in evangeliorum propria lingua occupati dulcedine, sonum inutilium rerum noverint declinare. ›Als einst der Vortrag von nichtsnutzigem Zeug die Ohren vortrefflicher Männer beleidigte und das anstößige Gesinge der Laien sie in ihrer frommen Gesinnung beunruhigte, bin ich […] gebeten worden, ihnen eine volkssprachliche Evangelienharmonie zu schreiben, auf daß der Vortrag dieses heiligen Textes ein wenig die Unterhaltung durch weltliche Lieder zurückdränge und die Menschen, gefesselt von der Süße der Evangelien in der Muttersprache, lernten, sich von Gesängen nichtsnutzigen Inhalts abzuwenden.‹ Zitat und Übersetzung nach Otfrid von Weißenburg: Evangelienbuch. Auswahl. Althochdeutsch / neuhochdeutsch, hrsg., übers. und komm. von Gisela Vollmann-Profe, Stuttgart 1987 (RUB 8384), S. 16, Z. 5-14 und S. 17. 290 Vgl. Martin Przybilski: Paradoxes Erzählen, oder: Wissen die Figuren des Artusromans um ihre eigene Fiktionalität? , in: Orte - Ordnungen - Oszillationen. Raumerschaffung durch Wissen und räumliche Struktur von Wissen, hrsg. von Natalia Filatkina / Martin Przybilski, Wiesbaden 2011 (Trierer Beiträge zu den historischen Kulturwissenschaften 4), S. 41-55, hier S. 43. 291 Einen Beleg bietet wiederum die »Historia comitum Ghisnensium« Lamberts von Ardres, Kap. 81: fabulatores (vgl. Ausg. Heller 1879, S. 598, Z. 10); ioculatores (ebd., Z. 41). Siehe auch die Übersicht bei Edmond Faral: Les jongleurs en France au moyen âge, New York 1910 [Nachdruck New York 1970], S. 272-327. 292 Vgl. dazu exemplarisch Paul Zumthor: Die Stimme und die Poesie in der mittelalterlichen Gesellschaft. Aus dem Französischen von Klaus Thieme, München 1994 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 18), hier etwa S. 24: »Man wird wohl in den Jahrhunderten des Mittelalters nicht an der Existenz zahlreicher (lebendiger) und sich oft lange durchhaltender mündlicher poetischer Überlieferungen zweifeln können: archaischer und ursprünglicher Überlieferung oder auch solcher von einer längeren zeitlichen Dauer, parallel oder nicht zu einer schriftlichen Überlieferung.« 293 Vgl. Bumke 6 1992a, S. 610-617, etwa S. 614: »Vieles deutet darauf, daß in der höfischen Zeit neben der schriftlich konzipierten Literatur eine intakte mündliche Literatur existiert hat. Das bedeutet, daß man die literarische Situation der Laiengesellschaft in dieser Zeit einseitig und unzureichend erfaßt, wenn man nur die in Handschriften überlieferten Werke betrachtet.« 294 Zumthor 1994, S. 24. Die sichersten Aussagen lassen sich in Bezug auf die Heldenepik treffen. Hier können wir mit einiger Bestimmtheit davon ausgehen, dass die Sagen, die den Kern der mittelalterlichen Erzählungen bilden, zuvor bereits mündlich kursierten. Vgl. zu den Belegen etwa Bumke 6 1992a, S. 613f. Ein Zeugnis einer das gesamte Mittelalter und darüber hinaus kontinuierlich andauernden mündlichen Sagentradition bietet noch die Sammlung deutscher Sagen der Gebrüder Grimm, vgl. Deutsche Sagen, hrsg. von den Brüdern Grimm, Bd. 1-2, Berlin 1816-1818. 94 1 Methodische Vorüberlegungen gegessenen Herzen davon ausgehen, dass bereits Gottfrieds Rezipienten eine mündliche Version der Geschichte kannten? 295 Ein Begriff, der im Zusammenhang mit der mündlichen Erzählkultur des Mittelalters immer wieder verwendet wird, ist der des M ä r c h e n s . In den höfischen Romanen, besonders jenen der matière de Bretagne, lassen sich wiederholt Motive und Strukturen nachweisen, die aus international verbreiteten Märchenerzählungen bekannt sind. 296 Gustav Ehrismann hielt deshalb zumindest »die heroischen partien der Artusepen« sogar für »umbildungen von märchen« 297 . In jüngerer Zeit hat besonders Friedrich Wolfzettel intensiv nach Parallelen zwischen Märchen und Roman gesucht. Er beschreibt die Märchen dabei als ›Palimpseste‹, die der mittelalterlichen Epik eingeschrieben seien. 298 Aus methodischer Hinsicht ist der Bezug auf Märchen allerdings problematisch, denn sie lassen sich zumindest in engerem Sinne frühestens ab dem Spätmittelalter nachweisen - viele auch erst sehr viel später. 299 In der Frage, ob es im Mittelalter eine verbreitete märchenhaft-folkloristische Erzähltradition gab, herrscht daher große Uneinigkeit. 300 In Bezug auf das tatsächliche Alter der Erzählungen gehen die 295 Siehe ATU 992 (›The eaten heart‹), vgl. Uther 2011, Bd. 1, S. 618f.; dazu weiterhin Fritz Peter Knapp: Der Selbstmord in der abendländischen Epik des Hochmittelalters 1979 (Germanische Bibliothek. N. F. 3. Reihe: Untersuchungen und Einzeldarstellungen), S. 199-212; Albert Gier: Art. Herzmäre (AaTh 992), in: Enzyklopädie des Märchens 6 (1990), Sp. 933-939. Schon der um 1200 entstandene »Lai d’Ignaure« Renauts de Beaujeu spielt parodierend auf das Erzählmuster an und setzt es damit offenbar als bekannt voraus. Zum verlorenen Lai von Gurun auch Luciano Rossi: Il cuore, mistico pasto d’amore. Dal »Lai- Guirun« al »Decameron«, in: Studi provenzali e francesi 82 (1983), S. 28-128, bes S. 35-37. Seit dem 16. Jh. lassen sich verschiedene deutsche Volksballaden nachweisen, von denen der »Bremberger« nur die bekannteste ist, vgl. Deutsche Sagen, Ausg. Grimm 1816-1818, Nr. 500, Bd. 2, S. 211f.; Deutsche Volkslieder und ihre Melodien, Bd. 1: Balladen, hrsg. von John Meier, Freiburg i.Br. 1935, Nr. 16,2, S. 161-170. Dazu Knapp 1979, S. 209f.; Paul Sappler: Art. »Bremberger«, in: ²VL 1 (1978), Sp. 1014-1016. Dagegen meint Glier: »In Europa ist das H[erzmäre] nahezu ausschließlich auf die Hochliteratur beschränkt geblieben. In die mündl[iche] Überlieferung scheint es nur in Frankreich und Katalonien eingedrungen zu sein« (Glier 1990, Sp. 936). Frenzel verweist außerdem auf eine indische Erzählung, die spätestens im 11. Jh. nach Europa gekommen sei, vgl. Elisabeth Frenzel: Stoffe der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte, 8., überarb. und erw. Aufl., Stuttgart 1992, S. 330-332, hier S. 330. 296 Vgl. Wolfgang Maaz: Art. Märchen und Märchenmotive im Mittelalter, in: Enzyklopädie des Märchens 6 (1993), Sp. 224-226. Zur Nähe von Märchen und höfischem Roman auch Ilse Nolting-Hauff: Märchen und Märchenroman, in: Poetica 6 (1974), S. 129-178, die ihre Überlegungen mit der Feststellung beginnt, »[d]aß Romane - jedenfalls bestimmte Romane - eigentlich Märchen für Erwachsene« (S. 129) seien und dieselben Handlungsmuster und Figurenkonstellationen aufwiesen. Kritisch dazu Christoph Cormeau: Artusroman und Märchen. Zur Beschreibung und Genese der Struktur des höfischen Romans, in: Wolfram-Studien 5 (1979), S.-194-205. 297 Gustav Ehrismann: Märchen im höfischen Epos, in: PBB 30 (1905), S. 14-54, hier S. 16. 298 Vgl. zusammenfassend Friedrich Wolfzettel: Le Conte en palimpseste. Studien zur Funktion von Märchen und Mythos im französischen Mittelalter, Stuttgart 2005. Dafür müssten die Märchen im Mittelalter nicht unbedingt »als autonome Gattung im modernen Sinne« (ebd., S. 10) existiert haben. Weil das Märchen aus christlicher Perspektive ein »Skandalon« (S. 21) bedeute, hätten sich märchenhafte Elemente nur in anderen Erzählungen erhalten, dafür aber in umso größerer Zahl. - Für Fritz Peter Knapp bildet das Wunderbare des Märchens die eigentliche Grundlage der ›Entdeckung der Fiktionalität‹ bei Chrétien, vgl. Fritz Peter Knapp: Verborgene Märchen des Hochmittelalters, in: PBB 134 (2012), S. 73-88; Fritz Peter Knapp: Die Geburt des fiktionalen Romans aus dem Geiste des Märchens. Vorgetragen am 25. Oktober 2013, Heidelberg 2014 (Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 53), bes. S. 25-33. 299 Vgl. Maaz 1993, Sp. 224. 300 Vgl. Heinz Rölleke: Art. Märchen, in: RLW 2 (2003), S. 513-517, hier S. 514: »Daß in Antike und Mittelalter kein Märchen überliefert ist, das den Gattungseigentümlichkeiten entspricht, wie sie sich später 1.2 Literatur und Welt. Anthropologisches und literarisches Wissen 95 Schätzungen weit auseinander. So haben die Literaturwissenschaftlerin Sara Graça da Silva und der Anthropologe Jamshid J. Tehrani jüngst den zweifelhaften Versuch unternommen, mithilfe naturwissenschaftlicher Modelle (Phylogenese) und unter Bezug auf die Stammbaumtheorie der indoeuropäischen Sprachen verbreitete Märchen bis in die Bronzezeit, also etwa in das 2. Jahrtausend vor Christus, zu datieren. 301 Dagegen will Maren Clausen-Stolzenburg zeigen, dass die höfischen Romane nicht auf vorgängige mündliche Erzählmuster zurückgreifen, sondern vielmehr umgekehrt selbst erst den Beginn einer (schrift-)literarischen Tradition bilden, an deren Ende die Grimmsche Märchensammlung steht. 302 Ein verwandter, aber nicht weniger problematischer Begriff ist der des My t h o s , 303 der nicht nur für die höfische Literatur im Allgemeinen, 304 sondern gerade auch für den »Tristan« immer wieder in Anschlag gebracht wurde. 305 Gemeinsam ist Märchen und Mythos neben herausgebildet haben - wohl indes Märchenmotive in Fülle […] -, gibt zu Spekulationen Anlaß, die von der Nichtexistenz der Gattung bis zur Vermutung der Allbekanntheit solcher Texte (so daß sie nicht aufgeschrieben werden mußten) reichen. In eins damit stellt sich nicht nur die Frage der Entstehungszeit des Märchens (Thesen umfassen den Zeitraum von den Anfängen der Menschheit bis zum 18. Jh.), sondern auch nach Herkunft und Verbreitung […].« Knapps Aussage, »[d]ass Motive im Märchen bis in die Urzeit der Menschheit zurückreichen, bestreitet kaum jemand« (Knapp 2012, S. 76), erscheint vor dem Hintergrund dieser kontroversen Debatte etwas gewagt. Zur Suche nach Märchen in lateinischen Exempelsammlungen des Mittelalter vgl. ebd., S. 78f. 301 Vgl. Sara Graça da Silva / Jamshid J. Tehrani: Comparative Phylogenetic Analyses Uncover the Ancient Roots of Indo-European Folktales, in: Royal Society Open Science (20.01.2016), S. 1-11, online verfügbar unter: http: / / rsos.royalsocietypublishing.org/ content/ 3/ 1/ 150645#ref-26 (08.02.2020). 302 Vgl. Maren Clausen-Stolzenburg: Märchen und mittelalterliche Literaturtradition, Heidelberg 1995 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte. 3. Folge 138), bes. Kap. 2: Erfolgreiche Texte und ihre Bedeutung für die Entstehung der Märchen. Einer der Texte, auf die sich Clausen-Stolzenburg besonders beruft, ist Eilharts »Tristrant«, vgl. S. 122-154. Ihre Kritik profitiert dabei von »der methodischen Crux, daß in der Regel nur ›literarisch‹ begegnet, was gleichwohl originär ›folkloristisch‹ sein mag.« (Gerd Dicke: [Rezension] Maren Clausen-Stolzenburg: Märchen und mittelalterliche Literaturtradition, Heidelberg 1995 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte. Dritte Folge 138), in: Germanistik 37 (1996), S. 677) Siehe weiterhin die Rezensionen von Felix Karlinger, in: Études Germaniques 52 (1998), S. 311, und Heinz Rölleke, in: Wirkendes Wort 46 (1996), S.-341-343. 303 Zur Nähe von Mythos und Märchen vgl. Rölleke 2003, S. 516; Andreas Hammer: Tradierung und Transformation. Mythische Erzählelemente im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg und im »Iwein« Hartmanns von Aue, Stuttgart 2007, S. 50. Wolfzettel versteht Märchen in Anlehnung an Jan de Vries als »Ausdruck eines gesunkenen Mythos« (Wolfzettel 2005, S. 10). - Zum Mythosbegriff neben Hammer 2007, S. 25-54 (zu Mythos und Literatur S. 47-49), vor allem Gebert 2013, S. 69-103, der zugleich die Unschärfe des Begriffs kritisiert und davor warnt, »den Mythosbegriff im Spiel wechselnder Assoziationen aufzulösen und mithin als Untersuchungsbegriff unbrauchbar zu machen« (S. 71). 304 Vgl. den Sammelband Präsenz des Mythos. Konfigurationen einer Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Udo Friedrich / Bruno Quast, Berlin / New York 2004 (Trends in Medieval Philology 2) und darin bes. die Einleitung der Herausgeber: Mediävistische Mythosforschung, S. IX-XXXVII; weiterhin Jan-Dirk Müller: Mythos und mittelalterliche Literatur, in: Mythos - Sage - Erzählung. Gedenkschrift für Alfred Ebenbauer, hrsg. von Johannes Keller / Florian Kragl, Göttingen 2009, S. 331-349; Artusroman und Mythos, hrsg. von Friedrich Wolfzettel u. a., Berlin 2011 (Schriften der Internationalen Artusgesellschaft. Deutsch-österreichische Sektion 8); Ulrich Hoffmann: Arbeit an der Literatur. Zur Mythizität der Artusromane Hartmanns von Aue, Berlin 2012 (Literatur - Theorie - Geschichte 2). 305 Vgl. Wolfgang Mohr: Tristan und Isolde, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift. N. F. 26 (1976), S. 54- 83, der die Begriffe ›Mythos‹ und ›Märchen‹ einigermaßen parallel verwendet; Alois Wolf: Gottfried von Strassburg und die Mythe von Tristan und Isolde, Darmstadt 1989, zum Mythosbegriff bes. S. 1-7; mit einem eher weitgefassten Mythosbegriff Susanne Köbele: Mythos und Metapher. Die Kunst der Anspielung in Gottfrieds »Tristan«, in: Präsenz des Mythos. Konfigurationen einer Denkform in Mittelalter 96 1 Methodische Vorüberlegungen einer postulierten Nähe zum Unrationalen 306 vor allem ihre »Wiederholungsaffinität« 307 : Mythen und Märchen arbeiten beide mit einem begrenzten Inventar an Formen, Figurenmodellen und Erzählmustern. 308 Nach Northrop Frye liefern sie daher die ›Archetypen‹ der europäischen Literatur - also die Muster, nach denen spätere Erzählungen funktionieren. 309 Versteht man den Begriff des Archetypen nicht als genetischen Ursprung (wie in der älteren Stoffgeschichtsforschung), sondern als Abstraktion aus der Gesamtheit seiner Fassungen, 310 lassen sich Mythos und Märchen als literarische Wissensbestände der Rezipienten begreifen. 311 Es geht dabei dann weniger um den Inhalt als vielmehr um eine spezifisch ›mythische‹ beziehungsweise ›märchenhafte‹ Erzählweise. 312 Diese Erzählweise ist durch die Untersuchungen von Propp (zum Märchen) 313 und Lugowski (zur Form des Mythos) mit einer ›artifiziellen‹ und Früher Neuzeit, hrsg. von Udo Friedrich / Bruno Quast, Berlin / New York 2004 (Trends in Medieval Philology 2), S. 219-246; weiterhin Volker Mertens: Bildersaal - Minnegrotte - Liebestrank. Zu Symbol, Allegorie und Mythos im Tristanroman, in: PBB 117 (1995), S. 40-64; Armin Schulz: in dem wilden wald. Außerhöfische Sonderräume, Liminalität und mythisierendes Erzählen in den Tristan-Dichtungen: Eilhart - Béroul - Gottfried, in: DVjs 77 (2003), S.- 515-547; Hammer 2007, S. 73-207; Jan-Dirk Müller: Gotteskrieger Tristan? , in: Literarische Säkularisierung im Mittelalter, hrsg. von Susanne Köbele / Bruno Quast, Berlin 2014 (Literatur - Theorie - Geschichte 4), S.-39-63, hier S. 60-63. 306 Zu der im vorigen Kapitel bereits angesprochenen, von Cassirer begründeten und von Lugowski rezipierten Gegenüberstellung von Mythos und Rationalität siehe auch Friedrich / Quast 2004, S. X, die den Mythos verstehen als »das Andere der Vernunft […], das sich einer vollständigen rationalen Auflösung entzieht«. Dazu auch Gebert 2013, S. 77f. Zum Umgang des Mythos mit der Rationalität weiterhin Hammer 2007, S. 49-53. Zur konstitutiven Funktion des ›Wunderbaren‹ im Märchen siehe Knapp 2014b, S. 30f. 307 In Bezug auf den Mythos Gebert 2013, S. 74. 308 Vgl. Hammer 2007, S. 53. 309 Vgl. Northrop Frye: The Archetype of Literature, in: Kenyon Review 13 (1951), S. 92-110, hier S. 99f., 103f. 310 In diesem Sinne spricht auch Lévi-Strauss davon, es gebe keine »authentische[ ] oder ursprüngliche[ ] Version. Wir schlagen stattdessen vor, jeden Mythos durch die Gesamtheit seiner Fassungen zu definieren« (Claude Lévi-Strauss: Strukturale Anthropologie, Frankfurt a. M. 1967 [zuerst im französischen Original 1958], S. 283f.). 311 Zur ›Wissensförmigkeit‹ des Mythos vgl. Gebert 2013, bes. S. 80-99. Den Zusammenhang von Wissen und ›kleinen Formen‹ erforscht jetzt auch das DFG-Graduiertenkolleg 2190 »Literatur- und Wissensgeschichte kleiner Formen« unter der Leitung von Joseph Vogl. 312 Vgl. in diesem Sinne auch Müller 2007, S. 26-28. 313 In Bezug auf Propp stellt sich die Frage, ob sich sein Modell von den Handlungsrollen der Figuren überhaupt auf andere Textsorten als die von ihm untersuchten Zaubermärchen übertragen lässt. Während Propp das selbst nicht behauptete, vertrat Greimas nämlich einen universalen Anspruch, auf den sich der zweite große Einwand gegenüber dem Aktantenmodell bezieht, vgl. Schulz 2012, S. 167. Bereits Warning ist der Meinung, »daß das Modell dem Paradigma verpflichtet bleibt, aus dem es gewonnen wurde. Zumindest kann seine Universalität nicht mehr in dem Sinne behauptet werden wie von Greimas selbst, d. h. im Sinne einer allen Erzählungen zugrunde liegenden narrativen Tiefenstruktur« (Rainer Warning: Formen narrativer Identitätskonstitution im höfischen Roman, in: Grundriss der romanischen Literaturen des Mittelalters, Bd. 4 / 1: Le roman jusqu’à la fin du XII e siècle (Partie historique), hrsg. von Jean Frappier / Reinhold R. Grimm, Heidelberg 1978, S. 25-59, hier S. 32). Ilse Nolting-Hauff dient die Nähe zum Märchen als Begründung für die Anwendung des Aktantenmodells auf höfische Romane, vgl. Nolting-Hauff 1974. Bereits Propp beobachtete, dass »einige Ritterromane dieselbe Struktur« wie die von ihm untersuchten Zaubermärchen aufwiesen (Propp 1928 [1972], S. 99). - Schon die Gebrüder Grimm betonen in ihrer Vorrede der »Kinder- und Hausmärchen« die sich wiederholenden Handlungsrollen im Märchen: »Das von der Spindel zum Schlaf gestochene Dornröschen ist die vom Dorn entschlafene Brunhilde […]. Schneewitchen schlummert in rothblühender Lebensfarbe wie Snäfridr, die schönste ob allen Weibern« ( Jacob Grimm / Wilhelm Grimm: Vorrede zu den-Kinder- und Haus-Märchen (1815), in: Kleinere Schriften von Wilhelm Grimm, hrsg. von Gustav Hinrichs, Bd. 1, Berlin 1881, S. 328-332, hier S. 330). Siehe auch die Überlegungen zu den »feststehende[n] Charaktere[n]« in der Einleitung der zweiten Auflage von 1.2 Literatur und Welt. Anthropologisches und literarisches Wissen 97 Figurenkonzeption und der ›Motivation von hinten‹ verbunden. Was etwa auf der Ebene der erzählten Welt als ›mythischer Zwang‹ erscheint, lässt sich also auf der Ebene des Erzählens über das Wissen der Rezipienten als kompositorische Motivation beschreiben. 314 In diesem Sinne kann man für den »Tristan« dann auch von der ›mythischen Herkunft‹ des Minnetranks 315 oder Morolts sprechen - nämlich als einer Herkunft ›aus der Literatur‹ beziehungsweise aus dem Erzählen. Diese knappen Überlegungen zu den Möglichkeiten und Grenzen der Rekonstruktion literarischen Wissens mittelalterlicher Leser und Hörer müssen an dieser Stelle genügen. Anstatt dieser Frage weiter nachzugehen, möchte ich noch einmal auf das Verhältnis von Rezipientenwissen, Figurenwahrnehmung und Handlungsmotivation zurückkommen. Im vorigen Kapitel habe ich im Zusammenhang mit der Annahme der Omnipräsenz von Kausalitätsunterstellungen auf das Experiment von Fritz Heider und Marianne Simmel verwiesen. 316 In Bezug auf das Rezipientenwissen kann man die Heider-Simmel-Demonstration als Beleg dafür verstehen, dass selbst maximal reduziert dargestellte Figuren von den Rezipienten durch die Abrufung anthropologischen Wissens vervollständigt werden. 317 Ausgehend von der Bedeutung literarischer Wissensbestände möchte ich gegenüber dieser herkömmlichen Deutung eine etwas andere Lesart wagen: Genau genommen liegt der Bewegung der geometrischen Formen bei Heider und Simmel nämlich ein N a r r a t i v zugrunde, und zwar eine Narrativ, das recht basalen Mustern folgt. Man mag etwa an das literarische Motiv von der ›Rettung der Jungfrau in Nöten‹ (Mot. R 111.1) denken, das in zahlreichen Erzählungen international verbreitet ist. 318 Ein Rezipient, der über entsprechende Wissensbestände verfügt, entdeckt in der Animation mühelos eine zugrunde liegende bekannte Struktur, von der aus er (unbewusst) die Handlung erklären und begründen kann. Er erkennt die Animation also als Wiederholung von etwas schon einmal Erzähltem. Die Handlung wäre dann 1819, vgl. Jacob Grimm / Wilhelm Grimm: Einleitung. Über das Wesen der Märchen, ebd., S.- 332-358, hier S. 355-358. 314 Vom »mythischen Zwang des don contraignant« spricht etwa Elisabeth Schmid in Bezug auf die Figur Mabonagrin, vgl. Elisabeth Schmid: Spekulationen über das Band der Ehe in Chrétiens und Hartmanns Erec-Roman, in: Vom Mittelalter zur Neuzeit. Festschrift für Horst Brunner, hrsg. von Dorothea Klein u. a., Wiesbaden 2000, S. 109-127, hier S. 122. Bei dem mit dem rash boon verwandten don contraignant handelt es sich um ein in der mittelalterlichen Literatur wiederholt verwendetes Motiv, vgl. Jean Frappier: Le motif du don contraignant dans la littérature du moyen âge, in: Travaux de linguistique et de littérature 7 / 2 (1969), S. 7-46; Corinne Cooper-Deniau: Le motif du don contraignant dans les romans arthuriens des XII e et XIII e siècles, in: Perspectives médiévales 27 (2001), S. 37-41. 315 So Mertens 1995, S. 40, 59, 60. 316 Siehe oben, S. 63. 317 In diesem Sinne spricht Andrew S. Gordon davon, das Experiment betone »the role of knowledge and personal experience in the process of interpretation« (Gordon 2016, S. 3719), wobei sich das Wissen vor allem auf »commonsense knowledge of human psychology and social interaction« (ebd.) beziehe. 318 Vgl. Thompson 1955-1958, Bd. 5, S. 276-278: ›Princess (maiden) rescued from captor‹. Parallelen bestehen darüber hinaus auch zu den verwandten Erzählungen, die Thompson als K 1371.1 (›Lover steals bride from wedding with unwelcome suitor‹) aufführt, vgl. ebd., Bd. 4, S. 393. Siehe auch ATU 885 (›The facetious wedding‹), vgl. Uther 2011, Bd. 1, S. 509f.; dazu weiterhin Carme Oriol: Art. Trauung, die scherzhafte T., in: Enzyklopädie des Märchens 13 (2010), Sp. 893-896. Ein Motiv, das in der Heider-Simmel-Demonstration wiederholt wird, ist etwa die Wut des unterlegenen Kontrahenten. Aufgrund des Größenunterschiedes der Dreiecke mag auch die einflussreiche literarische Tradition des Sieges eines kleinen Helden über einen großen Widersacher (Mot. L 311: ›Weak (small) hero overcomes large fighter‹) eine Rolle spielen, vgl. dazu Thompson 1955-1958, Bd. 5, S. 18f. 98 1 Methodische Vorüberlegungen weniger psychologisch als vielmehr kompositorisch motiviert. Dass hier tatsächlich literarisches Wissen abgerufen wird, lässt sich auch konkret am Material der Untersuchung von 1944 nachweisen: Wenn etwa in der Nacherzählung einer Probandin das kleine Dreieck als ›Held‹ (hero) bezeichnet wird und das große als ›Widersacher‹ (villain), dann werden damit basale literarische Figurenkategorien und traditionelle Handlungsrollen aktualisiert. 319 Auch die Zuschreibung von mangelnder Intelligenz und Hässlichkeit des größeren Dreiecks, 320 für die die Animation keinerlei Anhaltspunkte bietet, lässt sich womöglich über die narrative Tradition besser erklären als über realweltliche Erfahrungen. Letzten Endes kann man sich fragen, ob ein Rezipient überhaupt in der Lage wäre, ein Narrativ wie die Heider-Simmel-Animation zu verstehen - und darüber hinaus nachzuerzählen -, ohne auf entsprechende literarische Muster Bezug zu nehmen. An diesem Beispiel zeigt sich, dass die Unterscheidung von ›Literatur‹ und ›Welt‹ in Wahrheit sehr viel schwieriger ist, als es zunächst den Anschein hatte. Texte und narrative Muster bilden nicht einfach die Welt ab, sondern sind selbst Teil der Realität und prägen unsere Vorstellungen von ihr. 321 Gerade die höfische Literatur ist ein wichtiger Teil der kulturellen Wirklichkeit des mittelalterlichen Adels - die repräsentativen Handschriften, Fresken und Wandteppiche mit literarischen Motiven zeugen davon. 322 Zwar weisen einzelne philosophische 323 und kognitionspsychologische 324 Studien darauf hin, dass es durchaus so etwas wie ein eigenständiges narratives Wissen gebe, das sich in Form und Struktur vom logisch-empirischen Weltwissen unterscheide. 325 Doch Wissen ist grundsätzlich sprachlich strukturiert und 319 Vgl. Heider / Simmel 1944, S. 247: »Triangle number-one shuts his door (or should we say line) and the innocent young things walk in. Lovers in the two-dimensional world, no doubt; little triangle number-two and sweet circle. Triangle-one (hereafter known as t h e v i l l a i n ) spies the young love. Ah! … He opens his door, walks out to see o u r h e r o a n d h i s s w e e t […].« (Hervorhebung L.M.) Solche Zuschreibungen waren in der Untersuchung offenbar kein Einzelfall, vgl. ebd., S. 248, 250. 320 Vgl. ebd., S. 248. 321 Vgl. in Bezug auf die höfische Kultur Hasebrink 2000, S. 42: »Es ist gerade umgekehrt, wenn man davon ausgeht, daß literarische Texte entscheidend dazu beitragen, jene Wirklichkeit der höfischen Kultur erst herzustellen, die sie vermeintlich abbilden.« Zu literarischen Typen und Gattungsmustern als »empirische[r] literaturgeschichtliche[r] Realität« auch Koch 1991, S. 139. 322 Das entspricht durchaus einem mittelalterlichen Verständnis von ›Wirklichkeit‹, wie es Hasebrink in Anlehnung an die Historisierung des Wirklichkeitsbegriffs von Blumenberg beschreibt (siehe oben, S.-66 Anm.-162), vgl. Hasebrink 2009, S. 209f.: »›Wirklichkeit‹ […] ist im mittelalterlichen Sinne immer bereits eine Hervorbringung (productio) und als Hervorgebrachtes Zeuge eines Wirkens. […] Die ›Wirklichkeit‹ des Höfischen wäre in diesem Sinne nicht das, was man aus moderner Perspektive als ›historische Realität‹ bezeichnet, sondern das Erscheinen ihrer Deutungsmodelle in den Symbolisierungen ihrer Kultur.« 323 Vgl. Jean-François Lyotard: Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, hrsg. von Peter Engelmann, Wien 4 1999 [zuerst im französischen Original 1979], S. 63-86. 324 Vgl. Jerome S. Bruner: Actual Minds, Possible Worlds, Cambridge (Mass.) / London 1986, Kap. 1.2: Two Modes of Thought, S. 11-43, bes. S. 11-14; Jerome S. Bruner: Narrative and Paradigmatic Modes of Thoughts, in: Learning and Teaching the Ways of Knowing, hrsg. von Elliot Eisner, Chicago 1985 (Yearbook of the National Society for the Study of Education 84 / 2), S. 97-115. Bruner differenziert hier zwischen einem paradigmatic oder logo-scientific und einem narrative mode of thinking. 325 Vgl. auch Struwe 2016, S. 16-23, die im Anschluss an Bruner und Lyotard narratives und logisch-argumentatives Wissen unterscheidet. Unter logisch-argumentativem Wissen versteht sie für die Vormoderne konkret folgende Wissensbestände: »Gelehrtes Wissen, enzyklopädisches Wissen, geistliche Lehren, Bibelzitate und Bezüge auf antike Autoritäten« (ebd., S. 20) sowie insbesondere auch Sprichwörter (vgl. S. 20f.). - Die Unterscheidung ließe sich auch systemtheoretisch beschreiben, indem man die Literatur als ein abgeschlossenes System versteht, für das die Leitdifferenz schön / hässlich gilt, während es für das 1.2 Literatur und Welt. Anthropologisches und literarisches Wissen 99 wird über Texte vermittelt; das gilt gerade für unser Wissen über das Mittelalter. 326 In diesem Sinne hat Clifford Geertz auf die generelle Literarizität anthropologischer Beschreibungen hingewiesen und gezeigt, dass was wir für genuin ›anthropologisch‹ halten, oft literarisch konstruiert ist. 327 Kurz zuvor hatten auch der Dekonstruktivismus Jacques Derridas 328 und Michel Foucaults Diskurstheorie 329 daran gearbeitet, die vermeintliche Kluft zwischen ›Literatur‹ und ›Welt‹ zu überwinden. Der auf diesen Theorien aufbauende New Historicism 330 ist schließlich empirische Wissen auf die Opposition wahr / falsch ankommt, vgl. Klinkert 2011, S. 128-130. - Im Zusammenhang mit der Diskrepanz zwischen Literatur und Welt mag man auch an Rainer Warnings Konzept von der Konterdiskursivität der Literatur denken, vgl. dazu Rainer Warning: Petrarcas Tal der Tränen. Poetische Konterdiskursivität im Canzoniere, in: Petrarca-Lektüren. Gedenkschrift für Alfred Noyer- Weidner, hrsg. von Klaus W. Hempfer, Stuttgart 2003 (Text und Kontext. Romanische Literaturen und Allgemeine Literaturwissenschaft 17), S. 225-246. Thomas Klinkert weist allerdings darauf hin, dass auch literarische Gegendiskurse außertextliche Episteme rezipieren und deshalb gerade kein eigenständiges Wissen generieren: »Mit anderen Worten: Die Literatur wäre ihrerseits (ein wie auch immer vermittelter) Ausdruck der Episteme. Ob man der Literatur einen konterdiskursiven Sonderstatus zubilligen möchte oder nicht - in jedem Fall ist das eigentliche Wissen […] den (wissenschaftlichen oder literarischen) Diskursen vorgelagert. […] Spuren der Episteme lassen sich in allen Arten von Diskursen finden, selbst im Gegendiskurs der Literatur.« (Klinkert 2011, S. 120) 326 Die Problematik der Unterscheidung von ›Literatur‹ und ›Welt‹ offenbart sich dann besonders, wenn man, wie in der Germanistischen Mediävistik üblich, einen ›erweiterten Literaturbegriff‹ zugrunde legt, siehe dazu unten, S. 102. 327 Vgl. neben Clifford Geertz: Thick Description: Toward an Interpretive Theory of Culture, in: The Interpretation of Cultures. Selected Essays, New York 1973, S. 3-30, auch Clifford Geertz: Works and Lives. The Anthropologist as Author, Stanford 1988. In Bezug auf die Rezeption der ›dichten Beschreibung‹ in der Literaturwissenschaft beobachtet Christian Kiening eine zeitliche Verschiebung: Als die Kulturanthropologie mit Geertz beginnt, sich der literarischen Konstruiertheit ihrer Rekonstruktion von Lebenswelten bewusst zu werden, orientiert sich das aufkommende literaturwissenschaftliche Interesse an anthropologischen Fragestellungen noch an älteren, strukturalistischen Zugängen, vgl. Kiening 2006, S. 13. - Auch Eder verweist in seiner Methodik der Figurenanalyse auf Geertz’ ›dichte Beschreibung‹, allerdings ohne weitergehende Überlegungen anzustellen. Für ihn sind »Beschreibungen von Figuren […] immer d i c h t e Beschreibungen: Sie setzen interpretierende Schlüsse von äußerlich wahrnehmbaren Informationen auf nicht direkt wahrnehmbare psychische und soziale Aspekte der Figur voraus« (Eder ²2014, S. 713), vgl. auch ebd., S. 25, sowie Eder 2016, S. 38. 328 Vgl. dazu Klausnitzer 2008, S. 139: »[N]un verwandelt sich die Erfahrungswirklichkeit der Menschen in einen riesigen, sich beständig selbst reproduzierenden und transformierenden Text«. Damit seien Literatur und Welt nicht mehr zu unterscheiden: »Fiktionalität und Realität, Text und Natur werden zu ununterscheidbaren Einheiten von Textualität« (ebd., S. 141). Allerdings meint Derrida nicht, wie man bei Klausnitzer und anderswo lesen kann, es gebe kein ›Außerhalb des Textes‹ (de dehors du texte). In der »Grammatologie« heißt es vielmehr: »Il n’y a pas de hors-texte« ( Jaques Derrida: De la grammatologie, Paris 1967, S. 227), also »[e]in Text-Äußeres gibt es nicht« ( Jaques Derrida: Grammatologie, Frankfurt a. M. 1974, S. 274). Vgl. dazu Joseph Margolis: Interpretation-Radical but Not Unruly. The New Puzzle of the Arts and History, Berkeley u. a. 1995, S. 127: »Derrida’s formula […] does n o t mean that everything is part of a supreme fiction, or that fiction and reality are indistinguishable. […] His meaning is not that there is a ›texte‹ that nothing escapes - a supreme fiction perhaps, in the manner more obviously favored by Paul de Man […]. It is rather that there is nothing real that is not ›texted‹, constructed […].« Zum Dekonstruktivismus auch Nicolas Pethes: Literatur- und Wissenschaftsgeschichte. Ein Forschungsbericht, in: IASL 28 (2003), S. 181-231, hier S. 199f. 329 Vgl. Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Aus dem Französischen von Ulrich Köppen, Frankfurt a. M. 1971 [zuerst im französischen Original 1966]; Michel Foucault: Archäologie des Wissens, Frankfurt a. M. 1973 [zuerst im französischen Original 1969]. Zu Foucault auch Klinkert 2011, S. 131-134. 330 Vgl. besonders die literaturwissenschaftlichen Untersuchungen von Stephen Greenblatt, etwa Stephen J. Greenblatt: Towards a Poetics of Culture, in: The New Historicism, hrsg. von H. Aram Veeser, New York 100 1 Methodische Vorüberlegungen zu einem der einflussreichsten Paradigmen der historisch arbeitenden Kulturwissenschaften geworden. 331 Allen Ansätzen ist gemeinsam, dass sie die Annahme einer objektiv beobachtbaren realen Welt zurückweisen. 332 Das meint wohl auch Paul Ricœur, wenn er das Leben als ›Gewebe erzählter Geschichten‹ bezeichnet. 333 Wie stark auch unsere eigene Selbstwahrnehmung von narrativen Mustern geprägt ist, wurde aus verschiedenen Perspektiven bestätigt: Neurologische, psychologische, kognitionswissenschaftliche und philosophische Studien haben gezeigt, dass Identitätskonstruktion immer über Erzählungen funktioniert. 334 Für Julian Jaynes ist schließlich jede Wahrnehmung realer Handlungen mit einer Narrativierung verbunden: Daß wir unseren Verhaltensmustern diese oder jene Ursache zuschreiben oder eine bestimmte Einzelhandlung so oder so begründen, das alles gehört zur Narrativierung. […] Das Bewußtsein ist allzeit bereit, für jedes beliebige Tun, bei dem wir uns ertappen, eine Erklärung zu liefern. Der Dieb narrati- 1989, S. 1-14; Stephen J. Greenblatt: Shakespearean Negotiations. The Circulation of Social Energy in Renaissance England, Oxford 1990, S. 1-29. Den Begriff New Historicism benutzt Greenblatt zum ersten Mal 1982 in einem Sonderheft der Zeitschrift »Genre«, vgl. Stephen J. Greenblatt: Introduction, in: Genre 15 (1982), S.-3-6, hier S. 5. Als ein Vorläufer des New Historicism wird mitunter auch der linguistic turn Hayden Whites angesehen, der besonders auf die Geschichtswissenschaft enormen Einfluss ausgeübt hat, vgl. Hayden White: Auch Klio dichtet oder Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses, Stuttgart 1986 [zuerst im englischen Original 1978] (Sprache und Geschichte 10). - Zum unterschiedlich bewerteten Einfluss von ›dichter Beschreibung‹, Diskursanalyse und Dekonstruktivismus auf den New Historicism etwa Pethes 2003, S.-204f.; Laurenz Volkmann: Art. Greenblatt, Stephen J., in: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze - Personen - Grundbegriffe, hrsg. von Ansgar Nünning, 5., aktual. und erw. Aufl., Stuttgart / Weimar 2013, S. 280f. Als ›Erbe‹ der poststrukturalistischen Bewegungen beschreibt den New Historicism-Klausnitzer 2008, S. 147, vgl. auch S. 149-151. - Aufgenommen und weitergeführt wird Foucaults diskurstheoretischer Ansatz auch in Joseph Vogls ›Poetologie des Wissens‹, vgl. Josef Vogl: Mimesis und Verdacht. Skizze zu einer Poetologie des Wissens nach Foucault, in: Spiele der Wahrheit. Michel Foucaults Denken, hrsg. von Francois Ewald / Bernhard Waldenfels, Frankfurt a. M. 1991, S. 193-204; Josef Vogl: Für eine Poetologie des Wissens, in: Die Literatur und die Wissenschaft 1770-1930, hrsg. von Karl Richter, Stuttgart 1997, S.-107-121. 331 Rezipiert etwa bei Schausten 1999, S. 39-46. 332 Vgl. zu den drei ›Verschränkungstheorien‹ (Diskursanalyse, ›dichte Beschreibung‹ und New Historicism) auch Gebert 2013, S. 27-34: »Programmatisch lösen sie die Unterscheidung von Text und Welt auf« (S. 33). 333 Vgl. Paul Ricœur: Temps et récit, Bd. 3: Le temps raconté, Paris 1985, S. 356: »Comme l’analyse littéraire de l’autobiographie le vérifie, l’histoire d’une vie ne cesse d’être refigurée par toutes les histoires véridiques ou fictives qu’un sujet se raconte sur lui-même. Cette refiguration fait de la v i e elle-même un t i s s u d’histoires racontées.« 334 »We have, each of us, a life-story, an inner narrative - whose continuity, whose sense, i s our lives. It might be said that each of us constructs and lives, [sic] a ›narrative‹, and that this narrative i s us, our identities.« (Oliver Sacks: The Man Who Mistook His Wife for a Hat and Other Clinical Tales, London 1985, S. 110); »We are all storytellers, and we are the stories we tell.« (Dan P. McAdams u.a.: Introduction, in: Identity and Story. Creating Self in Narrative, hrsg. von Dan P. McAdams u. a., Washington 2006 (Narrative Study of Lives 4), S.-1-13, hier S. 3); »We invent ourselves […] but we really are the characters whom we invent.« ( J. David Velleman: The Self as Narrator, in: Self to Self. Selected Essays, Cambridge 2006, S. 203-223, hier S. 206); »[A] person creates his identity by forming an autobiographical narrative - a story of his life« (Marya Schechtman: The Constitution of Selves, Ithaca (New York) / London 1996, S. 93). Diese Ansicht ist freilich nicht unwidersprochen geblieben, vgl. die Kritik von Galen Strawson: The Unstoried Life, in: On Life-Writing, hrsg. von Zachary Leader, Oxford 2015, S. 284-301, hier S. 286f.: »We’re naturally - deeply - non-Narrative. We’re anti-Narrative by fundamental constitution. […] The experience of ›self-authorship‹ - the sense that one is engaging in self-determination in and through some process of ›life-writing‹ or narrative self-constitution - is one thing, mysterious to my kind.« Er spricht weiterhin vom »adamantine fact that one’s life is simply one’s life, something whose actual course is part of the history of the universe and 100 per cent non-fictual.« (ebd., S. 289) 1.2 Literatur und Welt. Anthropologisches und literarisches Wissen 101 viert sein Handeln in einen Kausalzusammenhang mit der Armut, der Künstler mit der Schönheit, der Wissenschaftler mit der Wahrheit […]. Aber dergestalt narrativieren wir […] alles und jedes, was uns überhaupt ins Bewußtsein tritt. Ein isoliertes Faktum wird in irgendeinen Zusammenhang mit einem anderen isolierten Faktum narrativiert. Ein weinendes Kind auf der Straße: Prompt narrativieren wir das Vorkommnis im Geist zur Sequenz vom verirrten Kind und der ängstlich suchenden Mutter. Eine Katze auf dem Baum: Prompt narrativieren wir das Vorkommnis zur Sequenz vom Hund, der sie da heraufgescheucht. 335 In diesem Sinne erweist sich jedes Skript als narrativ. 336 So weit muss man nicht gehen. Wie solche mentalen Schemata aber tatsächlich reales Handeln prägen, hat Gerd Althoff in verschiedenen Arbeiten auf dem Feld der ritualisierten Kommunikation des Mittelalters untersucht 337 (die freilich selbst wiederum nur über Texte vermittelt ist 338 ). Auch hier zeigt sich, dass die Akteure vorgegebenen, sich wiederholenden ›Drehbüchern‹ unterworfen sind, die ihr Handeln determinieren: 339 Emotionen etwa seien hier kein Ausdruck innerer Gemütszustände, sondern erfüllten »bestimmte Funktionen« 340 und besäßen »Zeichencharakter« 341 . Das Handeln der Akteure ist also auch hier nicht rein psychologisch motiviert, sondern wird vom jeweiligen Schema vorgegeben. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Auch wenn die genannten Ansätze von Geertz, Derrida, Foucault, Stephen Greenblatt oder Hayden White mitunter hinterfragt, differenziert oder zurückgewiesen wurden, ist die grundsätzliche Problematik der Trennung von ›Literatur‹ und ›Welt‹ aus den textbasierten Geisteswissenschaften nicht mehr wegzudenken. Damit erscheint auch die Unterscheidung von ›literarischem‹ und ›realweltlichem‹ Wissen nicht mehr selbstverständlich. Vielmehr beginnt man sich vom postmodernen Standpunkt aus zu fragen, ob nicht überhaupt schon die Trennung von Literatur und empirischem Wissen, die von Charles Percy Snow 1959 wirkmächtig als ›zwei Kulturen‹ beschrieben wurden, 342 nicht selbst eine Erfindung der Moderne sei. 343 Zeitlich kommt dafür besonders das 18. Jahrhundert als Zeitalter 335 Jaynes 1988 [1976], S. 84f. 336 Auf die Nähe von real world scripts und literary scripts verweist auch Müller 2007, S. 18-24. 337 Vgl. exemplarisch Gerd Althoff: Spielen die Dichter mit den Spielregeln der Gesellschaft? , in: Mittelalterliche Literatur und Kunst im Spannungsfeld von Hof und Kloster. Ergebnisse der Berliner Tagung, 9.-11. Oktober 1997, hrsg. von Nigel F. Palmer / Hans-Jochen Schiewer, Tübingen 1999, S. 53-71. 338 Zu dieser Problematik mit Bezug auf Hayden White, aber im Ergebnis unkritisch Gerd Althoff: Fußfälle. Realität und Fiktionalität einer rituellen Kommunikationsform, in: Eine Epoche im Umbruch. Volkssprachliche Literalität 1200-1300. Cambridger Symposium 2001, hrsg. von Christa Bertelsmeier-Kierst / Christopher Young, Tübingen 2003, S. 111-122, hier S. 111f. 339 Gerd Althoff: Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997, S. 13: »Überraschungen und spontane Handlungen schlossen die Regeln […] weitgehend aus«. Zum Begriff des ›Drehbuchs‹ ebd., S. 16f. 340 Ebd., S. 259, 261. 341 Ebd., S. 276. 342 Charles Percy Snow: The Two Cultures, Cambridge (Mass.) 1993 [zuerst 1959], etwa S. 3: »I believe the intellectual life of the whole of western society is increasingly being split into two polar groups.« 343 In diesem Sinne meint auch Pethes 2003, S. 197, »daß die Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Literatur nicht schlicht existiere, sondern historisch entstanden sei, indem sie diskursiv behauptet wurde«. Die Genese stellt er in einen zeitlichen Zusammenhang mit dem Ende der einheitlichen Naturphilosophie seit dem 17. Jh., vgl. George S. Rousseau: The Discourse(s) of Literature and Science, in: University of Hartfort Studies in Literature 19 / 1 (1987), S. 1-24, dazu Pethes 2003, S. 197f. Vgl. auch Daniel Cordle: Postmodern Postures. Literature, Science and the Two Cultures Debate, Aldershout u. a. 1999, S. 7. 102 1 Methodische Vorüberlegungen der Aufklärung in Frage - also die Zeit, in der auch der realistische Roman entstanden ist, an dem wiederum die moderne Narratologie entwickelt wurde. Lässt sich die Annahme von den ›zwei Welten‹ auf vormoderne Jahrhunderte übertragen? Kann man davon ausgehen, dass im Mittelalter zwischen ›Literatur‹ und ›Welt‹ unterschieden wurde? Dagegen spricht zumindest die Dominanz der Schrift über die Welterfahrung im Mittelalter: »Wie es sich mit den Dingen verhält, lernt man nicht aus der Anschauung, sondern aus der Überlieferung. […] Wissenschaft, auch Naturwissenschaft, ist im Mittelalter Buchwissenschaft.« 344 Die Annahme, das Mittelalter habe noch nicht in gleichem Maße wie die Moderne zwischen ›Literatur‹ und ›Welt‹ unterschieden, liegt auch dem ›erweiterten Literaturbegriff‹ des »Verfasserlexikons« zugrunde: Zudem stellt dieses Gesamt [der Literatur] […] eine ganz anders geartete Einheit dar, als wenn man, auch schon im 18. Jahrhundert, wo ein derartiger Versuch wenigstens noch denkbar erscheint, daran ginge, zur Dichtung die Trivialliteratur, das wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Schrifttum, die religiöse Erbauungsliteratur, die Welt- und Naturgeschichten, die Memoiren und die Tagebücher generell zur Literaturgeschichte zu schlagen. Was im Mittelalter, das die Trennung von Ästhetik und Lebenspraxis noch nicht vollzogen hat […], aufs Pergament oder aufs Papier kam, hatte oder beanspruchte die Würde des Literarischen: das gilt für die zunächst nur mündlich tradierte Heldendichtung wie für z.T. unbeholfene Versuche, religiöse Eindrücke und theologische Formeln in Reimen festzuhalten, für Predigt und Lehrtraktat, medizinische Rezeptgruppen und Kräuterbücher, Reiseberichte und chronikale Berichterstattung usw. Sie alle treten erst einmal ins literarische Leben ein: als Lebens- und Bildungshilfe, als Weltkunde, Informationen von gestern und heute […]. 345 Einen Hinweis auf die mittelalterliche Überblendung von Text und Welt bietet weiterhin die christliche Konzeption von der Welt als Buch, ›geschrieben vom Finger Gottes‹, wie es bei Hugo von Sankt Viktor heißt. 346 Diese Vorstellung einer textuellen Gemachtheit der Wirk- 344 Grubmüller 2004, S. 54f. Vgl. auch Weddige 6 2006, S. 62: »Im Mittelalter genießt die einmal begründete schriftliche Tradition uneingeschränkte Autorität; ihr hat sich jede Beobachtung der Wirklichkeit zu beugen.« Weiterhin S. 105: »Weltdeutung und Textdeutung bilden im geistlichen Verständnis des Mittelalters eine Einheit […].« Zur Ablösung dieser »literarischen Wahrheitstradition« seit der Renaissance siehe Sabine Heimann: Von erfarung aller land. Zum Wissenschaftsverständnis Sebastian Brants, in: Soziokulturelle Kontexte der Sprach- und Literaturentwicklung. Festschrift für Rudolf Große zum 65. Geburtstag, hrsg. von Sabine Heimann u. a., Stuttgart 1989 (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 231), S. 433-444, Zitat S. 437. 345 Kurt Ruh: Vorwort, in: ²VL 3 (1981), o.S. Siehe dazu die Kritik am ›erweiterten Literaturbegriff‹ bei Burkhard Hasebrink / Peter Strohschneider: Religiöse Schriftkultur und säkulare Textwissenschaft. Germanistische Mediävistik in postsäkularem Kontext, in: Poetica 46 (2014), S. 277-291, bes. S. 284-290. 346 Hugo von Sankt Viktor, »Didascalion«, 7,3: Universus enim mundus iste sensibilis quasi quidam liber est scriptus digito Dei, hoc est virtute divina creatus, et singulæ creaturæ quasi figuræ quædam sunt non humano placito inventæ, sed divino arbitrio institutæ ad manifestandam invisibilium Dei sapientiam. (Ausg. Migne 1854, Sp. 814B) ›Diese ganze sinnlich wahrnehmbare Welt ist wie ein Buch, geschrieben vom Finger Gottes, das heißt von der göttlichen Kraft geschaffen, und die einzelnen Geschöpfe sind wie Figuren, die nicht nach menschlichem Beschluß, sondern durch den göttlichen Willen aufgerichtet worden sind, um die Weisheit des unsichtbaren Wesens Gottes zu offenbaren.‹ Übersetzung von Herbert Kolb: Der Hirsch, der Schlangen frißt. Bemerkungen zum Verhältnis von Naturkunde und Theologie in der mittelalterlichen Literatur, in: Mediævalia litteraria. Festschrift für Helmut de Boor zum 80. Geburtstag, hrsg. von Ursula Hennig / Herbert Kolb, München 1971, S. 583-610, hier S. 592. Vgl. zu dieser Stelle auch Kiening 2015, S. 14-16, demzufolge hier Gott nicht als Dichter charakterisiert werde. Hugo »gestaltete zwar die Metapher vom Buch der Natur und die Vorstellung von der Lesbarkeit der Welt aus. […] Mit dem sonst auf den Heiligen Geist bezogenen Bild des göttlichen Fingers, digitus dei, hatte er aber weniger einen Schreibals einen 1.2 Literatur und Welt. Anthropologisches und literarisches Wissen 103 lichkeit, die mithilfe literarischer Muster ›gelesen‹ werden kann, 347 erscheint beinahe postmodern. Aus einer anderen Perspektive nimmt auch Heiko Wandhoff an, in der semi-oralen Übergangszeit um 1200 sei noch nicht zwischen literarischem und realweltlichem Wissen unterschieden worden: »Die Texte stellen in dieser Wahrnehmung keine neuartigen ›fiktiven‹ Sonderinformationen bereit, die sich vom sozial verbindlichen Wissen unterscheiden […].« 348 Während bei Hugo von Sankt Viktor die reale Welt als textuell konfiguriert erscheint, ist für Wandhoff umgekehrt die Literatur sozial und historisch, also realweltlich konfiguriert. 349 Sollte es sich bei der Unterscheidung zwischen ›Literatur‹ und ›Welt‹ also tatsächlich um ein Produkt der Moderne handeln? 350 Dass es sich bei der Annahme eines »Gegensatzes von Kunst und Leben« um eine moderne Vorstellung handelt, die den mittelalterlichen Texten »letztlich fremd bleibt«, meint auch Anna Keck. 351 Dagegen spricht allerdings, dass schon seit Zeige-, Formungs- und Prägeakt im Sinn - eine Urheberschaft (auctoritas) im ontologischen Sinne.« - Die wirklichen Dinge erscheinen in dieser Perspektive als Zeichen, die auf die göttliche Gemachtheit der Welt verweisen: Wenn der Protagonist in Grimmelshausens »Simplicissimus« (1668) von einem Apfel an den Sündenfall erinnert wird (vgl. dazu Weddige 6 2006, S. 66), dann mag man beinahe an die Triggerfunktion des Apfels im modernen Kinofilm denken. Dieser Gedanke ist schon in der Zeichenlehre von Augustinus angelegt, die ausgeht von einer »Zeichenhaftigkeit der zu transzendierenden raum-zeitlichen Wirklichkeit (die insofern also sprachlichen Charakter hat und als vordergründige res zum signum der wahren res wird).« (Gerhard Ebeling: Art. Hermeneutik, in: Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, 2., völlig neubearb. Aufl. 3 (1959), Sp. 242-262, hier Sp. 249) 347 Vgl. Hans Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt a. M. 1981, zu der Stelle bei Hugo von Sankt Viktor S. 52f. 348 Wandhoff 1996, S. 350. 349 Ebd., S. 389: »Der epische Blick richtet sich […] in aller Regel nicht auf eine t e x t u e l l , sondern vielmehr s o z i a l und h i s t o r i s c h konfigurierte Welt.« Vgl. dazu die Rezension von Ingrid Kasten, in: PBB 121 (1999), S. 138-142, die die Gleichsetzung der verschiedenen Wissensbereiche kritisiert: Es erweise »sich als Problem, daß Wandhoff kaum zwischen verschiedenen Formationen und Ebenen des ›Wissens‹ differenziert […], denn offensichtlich vermittelt der Artusroman ein ›Wissen‹, das mit dem als adlige memoria bezeichneten ›historischen‹ Wissen nicht einfach verrechnet werden kann.« (S. 140); gerade die »Kategorie des (sozialen) ›Wissens‹ bleibt daher unbestimmt« (ebd.). Ebenfalls aus mediengeschichtlicher Perspektive argumentiert Horst Wenzel, wenn er auf die Nähe von Schrift und Körper im Mittelalter verweist: »Dadurch wird der mediale Rahmen mittelalterlicher Kunst relativiert, die ästhetische Differenz zwischen Kunst und Leben vielfach aufgehoben.« (Horst Wenzel: Hören und Sehen, Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter, München 1995, S. 12) 350 Damit wäre diese Unterscheidung auf einen kulturgeschichtlich übersichtlichen Zeitraum von gerade einmal 200 Jahren beschränkt, bevor sie von der Postmoderne seit den 1960er Jahren wieder aufgehoben wurde. 351 Keck 1998, S. 20. In diesem Zusammenhang kann auch auf Überlegungen Peter Strohschneiders verwiesen werden, der am Beispiel des Verhältnisses von ›âventiure-Erzählen‹ und ›âventiure-Handeln‹ im Artusroman beobachtet hat, dass »Erzählakt und Erzählinhalt […] lediglich relativ schwach gegeneinander abgegrenzt sind« (Peter Strohschneider: âventiure-Erzählen und âventiure-Handeln. Eine Modellskizze, in: Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Bezeichnungen von Rede und Schrift im Mittelalter, hrsg. von Gerd Dicke u. a., Berlin / New York 2006 (Trends in Medieval Philology 10), S. 377-383, hier S. 380). Strohschneider vermutet dahinter einen distinkten Text-Begriff, der im spätmittelalterlichen Artusroman aufgegeben werde. Siehe auch Strohschneiders Beobachtungen an der Alexiuslegende Konrads von Würzburg: Hier seien »die Differenzen zwischen […] hagiographischer Äußerung und Wirklichkeit, wie sie von jedem mimetischen Konzept vorausgesetzt werden, […] durchkreuzt« (Peter Strohschneider: Höfische Textgeschichten. Über Selbstentwürfe vormoderner Literatur, Heidelberg 2014 (Germanisch- Romanische Monatsschrift. Beihefte 55), S.-155). Der »Alexius« stelle damit das Zeugnis einer Textkultur beziehungsweise Wissensordnung dar, in der »Unterscheidungen zwischen Schrift und sprachlicher Äußerung, zwischen sprachlicher Äußerung und Bedeutung, zwischen Bedeutung und Bedeutetem unter 104 1 Methodische Vorüberlegungen der Antike über die Frage der Übereinstimmung der Dichtung mit der Wirklichkeit diskutiert wurde. 352 Berühmt ist etwa Platons Aussage, in Homers Epen solle man kein Fachwissen über Medizin oder Wagenlenken suchen (»Ion«, 536c-540a). 353 Die mittelalterliche Sprachphilosophie hat sich intensiv mit dem Zusammenhang von Sprache und Wirklichkeit beschäftigt. 354 Und auch die Dichtung des Mittelalters arbeitet sich am Verhältnis von ›Literatur‹ und ›Welt‹ ab. Um nur ein Beispiel zu nennen: In dem um 1300 entstandenen Märe »Des Mönches Not« geht es um einen jungen Mönch, der herausfinden möchte, was es mit dem ›Band der Minne‹ auf sich hat. Wenn ihm das nicht gelingt, weil er zwar allez daz wol las, | daz vor im geschriben was (vv. 17 f.), aber im […] diu werlt unbekant (v. 11) ist, 355 dann wird offensichtlich das Verhältnis von literarischem und empirischem Wissen verhandelt; die »konkrete Erfahrung in der Welt wird gegen Buchwissen ausgespielt und erweist sich als überlegen.« 356 Weiterhin sei nur an Hartmanns »Iwein«-Prolog und den Zusammenhang von werc und mære erinnert. 357 Um beschreiben zu können, wie die Texte das Verhältnis von ›Literatur‹ und ›Welt‹ diskutieren, erscheint es zumindest aus heuristischer Perspektive in jedem Fall sinnvoll, diese Trennung zunächst aufrecht zu erhalten. 358 Nur so lässt sich das spannungsreiche Verhältnis von literarischem und realweltlichen Wissen beschreiben. Wie arbeitet Gottfried mit der Kluft zwischen ›Literatur‹ und ›Welt‹? Wie kommuniziert der Text ihr Verhältnis? Welche Wissensbestände werden als ›literarisch‹ markiert, welche als ›wissenschaftlich‹? 359 Wissen wird ja bestimmten Umständen - und anders als in der für uns fundierenden Epistemik - auch entfallen können; in diesem Sinne handelt es sich dann um fremde Wissensordnungen.« (ebd., S. 154) - Dagegen meint Timo Reuvekamp-Felber, die höfische Literatur offenbare »nicht anders als moderne Literatur auch eine Differenz von Text und Leben und das Wissen um diese Differenz sowie den souveränen Umgang mit ihr.« (Timo Reuvekamp-Felber: Volkssprache zwischen Stift und Hof. Hofgeistliche in Literatur und Gesellschaft des 12. und 13. Jahrhunderts, Köln u. a. 2003 (Kölner Germanistische Studien. N. F. 4), S. 365) 352 Vgl. dazu neben Klinkert 2011, S. 116, und Gebert 2013, S. 34f., auch Hörisch 2007, S. 15-19. 353 Zu Platon einführend Klausnitzer 2008, S. 3-5. 354 Vgl. Wolfgang L. Gombocz: Sprachphilosophie in der Scholastik, in: Sprachphilosophie. Ein internationales- Handbuch zeitgenössischer Forschung,- Halbbd. 1, hrsg. von Marcelo Dascal u. a., Berlin / New York 1992 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 7 / 1), S. 56-75, hier S. 65: »Die Wechselbeziehungen von Denken und Sprache, von Sprache und Wirklichkeit rücken schon im 11. Jahrhundert zum Mittelpunkt philosophischen Interesses hin.« Dazu auch Jochen Hennigfeld: Geschichte der Sprachphilosophie. Antike und Mittelalter, Berlin / New York 1994, zusammenfassend S. 318-320. 355 Zitiert nach Novellistik des Mittelalters. Märendichtung, hrsg., übers. und komm. von Klaus Grubmüller, Frankfurt a. M. 1996 (Bibliothek deutscher Klassiker 138 / Bibliothek des Mittelalters 23), S. 666-695, hier S.-666. 356 Kurt Otto Seidel: Bücherwissen und Erfahrung im Märe. Die Auseinandersetzung mit Lebensformen hinter Mauern, in: Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters. Festschrift für Volker Mertens zum 65. Geburtstag, hrsg. von Matthias Meyer / Hans-Jochen Schiewer, Tübingen 2002, S.-691-711, hier S. 693. Vgl. weiterhin den Kommentar in der Ausg. Grubmüller 1996, S. 1258: »[L]etztlich ist es die scholastische Denkschulung, das Schließen vom Begriff auf die Sache, die aufs Korn genommen wird«. Dazu auch Irmgard Meiners: Schelm und Dümmling in Erzählungen des deutschen Mittelalters, München 1967 (MTU 20), S. 116-118. 357 Vgl. dazu immer noch Haug 2 1992, S. 125f. 358 In diesem Sinne auch Klausnitzer 2008, S. 154: »Schon Hölderlin […] wusste: ›Unterschiedenes ist gut.‹« Deshalb seien die »literaturtheoretischen Differenzierungen zwischen Text- und Kontextelementen« zu bewahren und sollten »nicht in diskursanalytischer Gleichheit aufgehen«. 359 Zur ständigen Konstruktion der Trennung zwischen »artistic production and other kinds of social production« im Rahmen des literarischen Kunstwerkes auch Greenblatt 1982, S. 6: »Such distinctions do 1.3 Wiederholung und Variation. Figuren als ›Typen‹ und ›Individuen‹ 105 in Erzählungen nicht nur abgerufen, sondern auch diskutiert, modifiziert oder abgelehnt. 360 Wie das im »Tristan« in Bezug auf die Figuren gemacht wird, sollen die Textlektüren zeigen. Zunächst sind jedoch noch einige methodische Überlegungen notwendig, die eng an das vorliegende Kapitel anschließen und den hier bereits angesprochenen Begriff der Wiederholung in den Blick nehmen. 1.3 Wiederholung und Variation. 361 Figuren als ›Typen‹ und ›Individuen‹ nihil sub sole novum nec valet quisquam dicere ecce hoc recens est iam enim praecessit in saeculis quae fuerunt ante nos (Koh 1,10) ›Nichts ist wirklich neu unter der Sonne. Wohl sagt man: Sieh an! Es ist neu! - Es war längst schon einmal da, in den Zeiten, die vor uns waren.‹ 362 Immer wieder hat es das Bedürfnis gegeben, literarische Figuren zu klassifizieren. 363 Unter den entsprechenden Versuchen stellt Forsters Unterscheidung von ›flachen‹ und ›runden‹ Figuren (flat und round characters) zweifellos den einflussreichsten Ansatz dar. 364 Sowohl wegen ihrer Einfachheit als auch aufgrund eines Mangels an Alternativen hat sich Forsters Klassifizierung in der Erzähltheorie weitgehend durchgesetzt und bietet bis heute die gängigste Figurentypologie. 365 In der deutschsprachigen Erzählforschung setzt man sie in der Regel in fact exist, but they are not intrinsic to the texts; rather they are made up and constantly redrawn by artists, audiences, and readers.« 360 Vgl. Pethes 2003, S. 218f. 361 Vgl. den Titel von Flecken-Büttner 2011. Zum Erzählen zwischen ›Wiederholung‹ und ›Variation‹ auch Schulz 2012, S. 323. 362 Übersetzung nach der Zürcher Bibel. 363 Vgl. Fotis Jannidis: Art. Character, in: the living handbook of narratology (erstellt am 06.12.2012; überarb. am 14.09.2013), online verfügbar unter: -www.lhn.uni-hamburg.de/ article/ character (08.02.2020), §-6. 364 Vgl. Forster 1962 [1927], S. 74-85. 365 Vgl. Jannidis 2012 / 2013, §- 6: »[M]ost proposals seem to be either too complex or theoretically unsatisfying, so that Forster’s classification into flat vs. round characters continues to be widely used«. Es handle sich um »[t]he most widely known proposal on how to categorize character« (ebd., §- 28). Vgl. auch Jannidis 2004a, S.-86: »Seine Unterscheidung zwischen ›flat‹ und ›round‹ ist so populär, daß sie alle Renovierungsversuche bislang unbeschadet überstanden hat.« In der Germanistischen Mediävistik hat zuletzt Seraina Plotke Forsters Typologie zum Ausgangspunkt genommen, um von Lanzelet bei Ulrich von Zatzikhoven als einer ›flachen‹ Figur zu sprechen, vgl. Seraina Plotke: Eine flache Figur? Fragen der Introspektion und der Handlungsmotivation im »Lanzelet« Ulrichs von- Zatzikhoven, in: Emotion und Handlung im-Artusroman, hrsg. von Cora Dietl u. a., Berlin / Boston 2017 (Schriften der Internationalen Artusgesellschaft. Deutsch-österreichische Sektion 13), S.-185-195. Auch in den digital humanities findet die Unterscheidung Verwendung, vgl. Manuel Braun u.a.: Digitale Modellierung von Figurenkomplexität am Beispiel des Parzival von Wolfram von Eschenbach, in: Kritik der digitalen Vernunft. 5. Tagung des Verbands Digital Humanities im deutschsprachigen Raum e. V., Universität zu Köln, 26. Februar bis 2. März 2018. Konferenzabstracts, hrsg. von Georg Vogeler, o. O. 2018, S. 184-187, online verfügbar unter: http: / / dhd2018.uni-koeln.de/ wp-content/ uploads/ boa-DHd2018-web-ISBN.pdf (08.02.2020). 106 1 Methodische Vorüberlegungen mit der Gegenüberstellung von ›Typen‹ auf der einen und ›Charakteren‹ oder ›Individuen‹ auf der anderen Seite gleich. 366 Bei Forster werden ›flache‹ und ›runde‹ Figuren über die beiden Merkmale der Komplexität und Entwicklung definiert: ›Flache‹ Figuren erkenne man daran, dass sie »um eine einzige Idee oder Eigenschaft« herum konzipiert seien. Sobald »mehr als ein Motiv in ihnen wirkt, beginnt damit schon die Krümmung zu runden Charakteren. Der wirklich flache Charakter läßt sich mit einem Satz umreißen« 367 . Weiterhin veränderten sich ›flache‹ Figuren im Gegensatz zu ›runden‹ nicht: »Das Kennzeichen für einen runden Charakter ist, ob er uns in überzeugender Weise zu überraschen vermag. Überrascht er uns nie, ist er flach.« 368 Im Zuge der Adaptation von Forsters Modell hat man die Unterscheidung um weitere Merkmale ergänzt. So tritt bei Shlomith Rimmon-Kenan als drittes Kriterium neben Komplexität (»complexity«) und Entwicklung (»development«) die Zugänglichkeit der Figurenpsyche (»penetration into the ›inner life‹«). 369 Das Merkmal der psychologischen Darstellung 370 ist auch sonst immer wieder in Anschlag gebracht worden, um ›flache‹ und ›runde‹ beziehungsweise typische und individuelle Akteure zu unterscheiden. 371 So verortet Dorothee Birke, um nur ein Beispiel zu 366 Vgl. Ansgar Nünning: Art. Charakter und Typ, in: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze - Personen - Grundbegriffe, hrsg. von Ansgar Nünning, 5., aktual. und erw. Aufl., Stuttgart / Weimar 2013, S.-99f., hier S. 100. So sprechen etwa Uwe Böker und Christoph Houswitschka in ihrer Einführung in die Literaturwissenschaft vom »Typus, der zweidimensionalen Figur (E.M. Forsters flat character), und dem entwicklungsfähigen Individuum (E.M. Forsters round character)« (Uwe Böker / Christoph Houswitschka: Literaturwissenschaft, in: Einführung in das Studium der Anglistik und- Amerikanistik, hrsg. von Uwe Böker / Christoph Houswitschka, 2., überarb. Aufl., München 2007, S. 166-251, hier S. 219). Siehe auch Ingo Stöckmann: Art.- Charakter, in: Metzler- Lexikon- Ästhetik. Kunst,- Medien,- Design und Alltag, hrsg. von Achim Trebeß, Stuttgart / Weimar 2006, S. 68f., sowie Koch 1991, S. 136: »Der Typ ist eine flache und statische, das Individuum ist eine runde, dynamische Figur«. Schon bei Forster wird auf die Entsprechung von ›flachen‹ Figuren und ›Typen‹ hingewiesen, vgl. Forster 1962 [1927], S. 74. Dazu auch Rimmon-Kenan ²2002, S. 40: »Flat characters are analogous to ›humours‹, caricatures, types.« - Zur Unterscheidung zwischen ›Typus‹ und ›Charakter‹ bzw. ›Individuum‹ Pfister 4 1984, S. 244-246; Koch 1991, S. 135-137; Eder 2 2014, S. 228-232, 375-381; Köppe / Kindt 2014, S. 135-137; Martínez / Scheffel 10 2016, S. 150-152. Von »[e]iner der grundlegenden literaturwissenschaftlichen Dichotomien bei der Beschäftigung mit den Personen einer Handlung« spricht Meyer 2001, S.-532. 367 Forster 1962 [1927], S. 74. 368 Ebd., S. 84. 369 Rimmon-Kenan ²2002, S. 41f. (nach Joseph Ewen). Daran anschließend etwa Plotke, die Lanzelet deshalb als ›flache‹ Figur beschreibt, weil er sich erstens »über wenige, fest umrissene Grundeigenschaften fassen lässt« (Plotke 2017b, S. 188), zweitens »in keiner Weise verändert« (ebd., S. 190) und man drittens »[p]sychologische Innenschau […] bei Lanzelet meist vergebens« suche (S. 191). 370 David Fishelov plädiert zurecht dafür, zu unterscheiden, ob eine Figur kein Innenleben aufweise oder ob dieses Innenleben vom Erzähler nicht dargestellt werde, vgl. David Fishelov: Types of Character,-Characteristics of-Types, in: Style 24 (1990), S. 422-429, hier S. 424f. 371 Vgl. etwa Stöckmann 2006, S. 68, der für Charaktere die Merkmale »Individualität, psychologische Komplexität und Widersprüchlichkeit« ansetzt. Koch bezieht Forsters Unterscheidung grundsätzlich auf die »psychologische[ ] Grundstruktur« der Figur und unterscheidet »psychologisch komplex[e]« von »einfach konzipiert[en]« Figuren (Koch 1991, S. 136). Von einem »psychologisch vertieften ›round character‹« spricht weiterhin Martínez 1996c, S. 77. Zum round character als »psychologisch konsistente[r] literarische[r] Figur« außerdem Walter Schönau: Erdichtete Träume. Zu ihrer Produktion,-Interpretation und-Rezeption, in: Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik 17 (1983), S. 41-68, hier S. 50. An einen engen Zusammenhang zwischen ›runden‹ Figuren und den Formen der Introspektion glaubt auch Ong ²2016, S. 143-147. Er spricht vom »›runden‹ Charakter […] mit tiefst innerlichen Beweggründen, geheimnisvoll motiviert, jedoch von einem schlüssigen inneren Prinzip getragen.« (S. 145) 1.3 Wiederholung und Variation. Figuren als ›Typen‹ und ›Individuen‹ 107 nennen, Typen und Individuen »auf einer Skala von mehr oder weniger komplex, individuell und psychologisch glaubwürdig ausgestalteten Figuren« 372 . Die Frage nach der psychologischen Zugänglichkeit verweist dabei auf ein erstes Problem der Definition von Figuren als ›Individuen‹. Hier zeigt sich nämlich, dass die Individualität der Figur offenbar mit einem Anspruch auf ›Personalität‹ zusammengedacht wird: Je individueller eine Figur konzipiert sei, desto mehr wirke sie wie eine reale Person, und das umfasst auch einen Anspruch auf ein (komplexes) Innenleben. 373 Der Grund für diese Annahme ist ein modernes Verständnis von Individualität als ›Einzelmenschlichkeit‹ im Sinne einer »erhabene[n] Einzigartigkeit« oder dem »›Kern einer Person‹« 374 . So verbindet zum Beispiel Ruth Sassenhausen in ihrer Untersuchung des »Parzival« mit dem Begriff des Individuums ein »Be- 372 Dorothee Birke: Zur Rezeption und Funktion von ›Typen‹. Figurenkonzeption bei Charles Dickens, in: Figurenwissen. Funktionen von Wissen bei der narrativen Figurendarstellung, hrsg. von Lilith Jappe u. a., Berlin / Boston 2012 (linguae & litterae 8), S. 220-240, hier S. 221 Anm. 7. Einschränkend fügt sie allerdings hinzu, »dass es sich bei Komplexität, Individualität und psychologischer Glaubwürdigkeit um verschiedene Aspekte der Figurenkonzeption handelt, die zwar oft, aber keineswegs immer korrelieren.« - Ein Beispiel aus dem Feld der Germanistischen Mediävistik bietet Annette Gerok-Reiter, wenn sie davon spricht, die Literatur biete »um 1200 keine Charaktere oder Individuen, deren Seelenleben zur Entfaltung käme. Sie bietet Handlungskonstellationen, innerhalb derer die Figuren bestimmte Typen vertreten, Rollen übernehmen, oder Funktionen erfüllen: es gibt den weisen oder den schwachen König, den tapferen Ritter, den Boten etc. Das heißt, die mittelalterlichen Figurendarstellungen kennen in der Regel keine Introspektion, keine Subjektivität.« (Annette Gerok-Reiter: Die Angst des Helden und die Angst des Hörers. Stationen einer Umbewertung in mittelhochdeutscher Epik, in: Angst und Schrecken im Mittelalter. Ursachen, Funktionen, Bewältigungsstrategien, hrsg. von Annette Gerok-Reiter / Sabine Obermaier, Berlin 2007 (Das Mittelalter 12 / 1), S. 127-143, hier S. 129) Vgl. weiterhin Haferland 2018, S. 139, der vom flat character als »psychologisch eindimensionale[r] Figur« spricht, sowie Bittner 2019, S. 9, die round characters als »lebensecht und in psychologischer Hinsicht klar definiert« von flat characters unterscheidet, »denen nicht viel psychologische Tiefenstruktur beigemessen wird.« Auch Kragl denkt psychologisches Erzählen und Individualität zusammen: Zwar seien »Individualität und figurenpsychologischer Realismus […] nicht deckungsgleich - sie residieren, als anthropologische Kategorie und als Erzähltechnik, auf verschiedenen Ebenen -, doch scheint mir dieser die narrative Vorbedingung jener zu sein.« (Kragl 2019, S.-182f.) 373 Das ist für Jannidis schon bei Forster zu spüren: »Beide Aspekte [Komplexität und Entwicklung] machen - so Forster - eine Figur einer Person ähnlicher.« ( Jannidis 2004a, S. 87) Siehe auch Nünning 2013, S. 100: »Einer realen Person am nächsten steht eine als Ch[arakter] angelegte vielschichtige Figur, die durch eine Fülle charakterisierender Merkmale individualisiert wird.« Weiterhin Ong ²2016, S. 143: »Die Komplexität der Motivation und die im Verlauf der Ereignisse schärfer werdende psychische Kontur des ›runden‹ Charakters lassen ihn einem ›wirklichen Menschen‹ ähnlich werden.« 374 Peter von Moos: Einleitung. Persönliche Identität und Identifikation vor der- Moderne.- Zum Wechselspiel von sozialer Zuschreibung und Selbstbeschreibung, in: Unverwechselbarkeit. Persönliche Identität und Identifikation in der vormodernen Gesellschaft, hrsg. von Peter von Moos, Köln u. a. 2004 (Norm und Struktur 23), S. 1-42, hier S. 11. Zu einem solchen Verständnis von Individuen »als einzelne, mit reflexivem Selbstbewußtsein ausgestattete Einzelmenschen«, wie es etwa in der modernen Psychologie vorausgesetzt wird, vgl. Michael B. Buchholz: Art. Individuum / Individualität, in: Psychologische Grundbegriffe. Mensch und Gesellschaft in der Psychologie. Ein Handbuch, hrsg. von Siegfried Grubitzsch / Günter Rexilius, Reinbek bei Hamburg 1987, S. 486-493, hier S. 486. Zur Kritik an der Anwendung eines solchen neuzeitlichen Individualitätsbegriffs auf vormoderne Epochen siehe Aertsen 1996, hier S. Xf. Zu den unterschiedlichen Implikationen von ›Individualität‹ bes. Gerok-Reiter 2006, S. 27-42, zum Verhältnis von Individualität und Personalität in mittelalterlicher Perspektive S. 37-42; weiterhin Dillig 2019, S. 26f. 108 1 Methodische Vorüberlegungen wusstsein von der Einzigartigkeit, Besonderheit und Autonomie des einzelnen Menschen« 375 . Ich möchte dagegen von solchen Implikationen absehen und den Begriff der Individualität in einem streng narratologischen Sinne benutzen. 376 Es geht also nicht in erster Linie um Menschenbilder, sondern um Fragen der Figurenkonzeption. Diese Begriffsverwendung entspricht auch einem mittelalterlichen Verständnis, nach dem Individualität gerade nicht mit Personalität gleichgesetzt wird, sondern auch Dingen als Eigenschaft zugesprochen werden kann: Eigentümlich für das mittelalterliche Verständnis der Individualität ist, daß dieser Begriff nicht, wie in der Neuzeit, ausschließlich für Menschen reserviert wird. ›Individuum‹ erstreckt sich auf alles, was ist. Jedwedes Ding besitzt Individualität. Das Musterbeispiel, das in mittelalterlichen Texten zur Erläuterung des Einzelnen angeführt wird, ist ›dieser Stein‹. Wodurch unterscheidet er sich von jenem? Individualität und Personalität sind mithin im Mittelalter nicht äquivalent. 377 Das bedeutet, dass mit der Aussage über die Typik oder Individualität einer Figur ausdrücklich noch keine Vorentscheidung über ihre ›Personalität‹ oder ›Artifizialität‹ gefallen ist. Auch eine als ›artifiziell‹ wahrgenommene Figur kann individuell gestaltet sein, während eine ›persönlich‹ wirkende Figur möglicherweise völlig typische Eigenschaften aufweist. Das gilt besonders für mittelalterliche Verhältnisse und zeigt sich gerade auch in Bezug auf das Kriterium der psychischen Durchdringung: Ein Verständnis von Individualität, das auch für Steine Geltung beansprucht, setzt offensichtlich keine Darstellung der Figurenpsyche voraus. Und umgekehrt existiert im Mittelalter durchaus die Vorstellung einer nicht-individuellen Form des Innenlebens. Die ›Entdeckung des inneren Menschen‹, von der oben bereits die Rede war, 378 ist in mittelalterlicher Perspektive nicht unbedingt mit einer ›Entdeckung der Individualität‹ gleichzusetzen. 379 375 Sassenhausen 2007, S. 17. Das kommt auch in der Definition von Nünning zum Ausdruck, wenn er davon spricht, bei einem Charakter liege »die Betonung auf der persönlichen Eigenart und Unverwechselbarkeit des einzelnen Menschen« (Nünning 2013, S. 99). Weiterhin heißt es dort, eine »realistische[ ], individualisierende und psychologisierende Figurendarstellung«, wie sie im modernen Roman vorherrsche, entspreche »der Komplexität und Verschiedenartigkeit menschlicher Individualität« (ebd., S. 100). 376 Die übliche Vermischung beider Perspektiven bemängelt Nanz 2010, S. 10f.: »Der Begriff des Individuums erweist sich schon deshalb als nicht unproblematisch, weil er sowohl figurentheoretisch eine Figur von größtmöglicher Komplexität beschreiben als auch philosophisch auf historisch divergierende Menschenbilder Bezug nehmen kann. Innerhalb mediävistischer Arbeiten beinhaltet der Begriff des Individuums in der Regel beide Komponenten. Die geistesgeschichtlich bedeutsame Frage nach möglichen Formen von Individualität im Mittelalter ist für die Figurenanalyse allerdings von eher geringem Nutzen, da sie zu keinen figurenanalytischen Erkenntnissen führt.« Als »primär narrative Kategorie« benutzt den Begriff auch Meyer 2001, S. 529. 377 Aertsen 1996, S. XV. 378 Siehe oben, S. 55f. 379 Vgl. Caroline Walker Bynum: Did the Twelfth Century Discover the Individual? , in: Journal of Ecclesiastical History 31 (1980), S. 1-17, hier S. 4: »[T]he twelfth century regarded the discovery of homo interior […] as the discovery within oneself of human nature made in the image of God - an imago dei which is the same for all human beings.« Dass es in mittelalterlicher Literatur auch typisierte Darstellung des Figureninneren gibt, hat zuletzt Björn Reich am Beispiel des »Parzival« gezeigt. Hier sei »eine psychologische Deutung, nicht im modernen Sinne, sondern als eine psycho-logische Deutung im Sinne der mittelalterlichen Phantasmatologie, auch und gerade dort möglich, wo Streitfälle zwischen der individuellen Profilierung oder der Typenhaftigkeit von Figuren bestehen, weil die Psycho-Logik beides umfasst - den Typus ebenso wie den spezifizierten Einzelfall.« (Björn Reich: Zur Psycho-Logik bei Wolfram. Gawan und Parzival als emotive Modellfiguren, in: Emotion und Handlung im-Artusroman, hrsg. von Cora Dietl 1.3 Wiederholung und Variation. Figuren als ›Typen‹ und ›Individuen‹ 109 Doch nicht nur das Kriterium der psychologischen Darstellung erweist sich bei genauerem Hinsehen als ungeeignet für eine narratologische Unterscheidung von Typen und Individuen. Wie Jens Eder festgestellt hat, gilt das auch für die beiden anderen, bereits von Forster aufgestellten Kriterien der Komplexität und Entwicklung: Zwei verbreitete Meinungen über Figuren-Typen [d. h. typische Figuren] sind falsch: Erstens, dass sie immer nur wenige Merkmale hätten; zweitens, dass sie sich im Verlauf der Geschichte nie veränderten. Eine typisierte Figur kann aber erstens in ihrem Eigenschaftssystem durchaus k o m p l e x und in der Darstellung sehr detailliert sein […]. Entscheidend für die Typisierung ist nicht Einfachheit, sondern ein hoher Grad von Schema-Entsprechung. […] Zweitens kann sich eine typische Figur durchaus v e r ä n d e r n , nur kennt man ihre Veränderung längst aus anderen Erzählungen. […] Typische Figuren zeigen nicht k e i n e Veränderungen, sie zeigen t y p i s c h e Veränderungen. 380 Anstelle der bisher diskutierten Merkmale möchte ich deshalb die Unterscheidung von Typen und Individuen auf die bereits im vorigen Kapitel eingeführte Kategorie der W i e d e r h o l u n g zurückführen: 381 Je mehr eine Figur den Rezipienten als Wiederholung von etwas bereits Beu. a., Berlin / Boston 2017 (Schriften der Internationalen Artusgesellschaft. Deutsch-österreichische Sektion 13), S. 63-86, hier S. 86) - Dass sich Typik und Personalität nicht ausschließen müssen, beobachtet am Beispiel verschiedener ›früher‹ Kulturen bereits Mircea Eliade: Kosmos und Geschichte. Der Mythos der ewigen Wiederkehr, Frankfurt a. M. 1984 [zuerst im französischen Original 1949], S.-48: Hier werde »W i r k l i c h k e i t ausschließlich durch Wiederholung und Teilhabe erworben; alles, was kein exemplarisches Vorbild besitzt, ist ›des Sinnes entblößt‹, das heißt, es besitzt keine Wirklichkeit.« Der »Mensch der frühen Kulturen« halte »sich nur in dem Maße für wirklich […], als er aufhört, er selbst zu sein (in den Augen eines modernen Beobachters), und sich damit zufrieden gibt, die Handlungen eines a n d e r n z u w i e d e r h o l e n u n d n a c h z u a h m e n . Mit anderen Worten: er erkennt sich als w i r k l i c h , d. h. als ›wahrhaftig er selbst‹ nur, soweit er eigentlich aufhört, es zu sein.« Nach Arnold Angenendt gilt das zum Beispiel auch für den Bereich der christlichen Hagiographie, die in der Regel völlig typische Figuren bietet, ohne dass damit in einer vormodernen Perspektive ein Mangel an ›Wirklichkeit‹ oder ›Personalität‹ der dargestellten Heiligen verbunden wäre, vgl. Arnold Angenendt: Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, 2., überarb. Aufl., München 1994, S.-143f. Dazu auch Angenendt 4 2009, S.-299-231. 380 Eder 2 2014, S. 377f. Vgl. auch Eder u. a. 2010, S. 39. Dass sich auch ›flache‹ Figuren verändern können, hat wohl auch Forster grundsätzlich erkannt, wenn er davon spricht, ›runde‹ Figuren sollten ›überraschen‹, d. h. sich in einer nicht vorhergesehen (und trotzdem überzeugenden) Art und Weise verändern, vgl. Forster 1962 [1927], S. 84. 381 Ich verwende ›Wiederholung‹ hier und im Folgenden in einem weiten Sinne. Gerade im Mittelalter sind Phänomene der Wiederholung nicht nur als Wiederauftreten eines zu einem früheren Zeitpunkt schon einmal Dagewesenen zu verstehen, sondern oft vielmehr als (wiederholte) Realisierung einer zeitlos abstrakten Idee oder eines Musters. Mit Bezug auf die Tradition neoplatonischen Denkens beobachtet das Peter Haidu: Repetition: -Modern-Reflections on-Medieval Aesthetics, in: Modern Language Notes 92 (1977), S. 875-887, hier S.-879f.: »In this context, the function of repetition is clearly very different than in modern notions of repetition. Repetition here [d. h. im Mittelalter] is not referred to another phenomenon or entity occurring earlier along the linear dimension of chronological development. Repetition here takes the form rather of a further concretization, a further incorporation and revelation of the abstract and the idea.« Hier lassen sich weiterhin Ludger Liebs Überlegungen zur ›Metaphysik‹ des Wiedererzählens anschließen: Lieb versteht Wiedererzählen nicht als einfache Repetition eines älteren Textes, sondern als Konkretisierung und Erneuerung eines abstrakten (›metaphysischen‹) Stoffes, den er als »ideale Größe jenseits aller konkreten Manifestationen« (Schulz 2012, S. 379) konzipiert, vgl. Ludger Lieb: Die Potenz des Stoffes. Eine kleine Metaphysik des ›Wiedererzählens‹, in: Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur, hrsg. von Joachim Bumke / Ursula Peters, Berlin 2005 (ZfdPh. Sonderheft 124), S. 356-379, hier S. 367-370. 110 1 Methodische Vorüberlegungen kanntem erscheint, desto typischer ist sie, je einzigartiger sie auf die Leser und Hörer wirkt, desto individueller. Mit der Wiederholung ist dabei eine Kategorie angesprochen, deren grundlegende Bedeutung für die Produktion und Rezeption literarischer Texte kaum überschätzt werden kann. 382 Wiederholungen spielen nicht nur eine grundsätzlich elementare Rolle für »den mentalen Wahrnehmungsapparat« des Menschen, der »wesentlich auf dem (Re)konstruieren von Mustern beruht« 383 , sondern besitzen gerade für die Lektüre eine zentrale Funktion: Um Erzählungen verstehen zu können, suchen Leser und Hörer immer nach Mustern, die ihnen bei der Verarbeitung der komplexen Informationen des Textes helfen. Ohne die über Wiederholungen geleistete Komplexitätsreduktion wären wir möglicherweise überhaupt nicht in der Lage, literarische Texte zu verstehen. Das gilt besonders für die Wahrnehmung von Figuren, weshalb Eder die produktions- und rezeptionsseitige Bedeutung ihrer Typisierung hervorhebt: Das Prinzip der Typisierung heißt ›wenig sehen - viel wissen‹. […] Man sieht nur wenige Merkmale der Figur und kann viele andere aus dem Kopf ergänzen […]. Der Grund für die Verwendung von Typen liegt in ihrer produktionstechnischen wie narrativen Ökonomie: Sie sind einfach zu verstehen, schnell etabliert, ermöglichen also ein schnelles, ökonomisches Erzählen. 384 Aus kognitionswissenschaftlicher Perspektive haben Richard J. Gerrig und David W. Allbritt on die Bedeutung von Wiederholungen für die Wahrnehmung literarischer Figuren beobachtet: »[T]he reader’s act of constructing a literary character is initially one of trying to assimilate the character to some well-known category.« 385 Ralf Schneider beschreibt diesen Prozess als K a t e g o r i s i e r u n g . 386 Dabei handle es sich um einen »top-down-Modus der Infor- 382 Zur Wiederholung als grundlegender literarischer Kategorie Umberto Eco: Serialität im Universum der Kunst und der Massenmedien. Deutsch von Rolf-Eichler, in: Im-Labyrinth der Vernunft. Texte über Kunst und Zeichen, hrsg. von Michael Franz / Stefan Richter, Leipzig ³1995, S. 301-324. Siehe weiterhin Dietrich Mathy: Vorab ergänzend, in: Dasselbe noch einmal. Die Ästhetik der Wiederholung, hrsg. von Carola Hilmes / Dietrich Mathy, Opladen / Wiesbaden 1998 (Kulturwissenschaftliche Studien zur deutschen Literatur), S.- 7-11, hier S. 7f. Zur Bedeutung von Wiederholungen innerhalb einzelner Erzählungen auch Schulz 2012, S.- 322: »Das Grundprinzip narrativen Zusammenhalts ist die variierende Wiederholung. Eine Erzählung, die immer wieder dasselbe mit genau denselben Worten sagt, würden wir nicht akzeptieren. Auf der anderen Seite würden wir eine Erzählung, in der nichts, aber auch wirklich gar nichts an das bereits Eingeführte anschließt, nicht als zusammenhängende akzeptieren, sondern allenfalls als äußerst heterogene Aneinanderreihung unterschiedlicher Geschichtenfragmente.« 383 Albrecht Hausmann: Gott als Funktion erzählter Kontingenz. Zum Phänomen der ›Wiederholung‹ in Hartmanns »Gregorius«, in: Kein Zufall. Konzeptionen von Kontingenz in der mittelalterlichen Literatur, hrsg. von Cornelia Herberichs / Susanne Reichlin, Göttingen 2010 (Historische Semantik 13), S. 79-109, hier S. 82. Schon Freud hatte von einem ›Wiederholungszwang‹ des Menschen gesprochen, der später von kognitionsorientierten Ansätzen neu begründet worden ist, vgl. Michael Theunissen / Helmo Hühn: Art.-Wiederholung, in: HWPh 12 (2004), Sp. 738-746, hier Sp. 744. 384 Eder 2 2014, S. 375. Die ökonomische Funktion der Typisierung betonen auch Köppe / Kindt 2014, S. 135: »Typisierungen sind in hohem Maße funktional, denn sie rufen bei Rezipienten schnell einschlägige Wissensbestände ab, was den vom Text erforderten Charakterisierungsaufwand reduziert.« 385 Gerrig / Allbritton 1990, S. 386. Vgl. in Bezug auf die Handlungen von Figuren auch Margolin 1986, S.- 208f.: »Acts must be identified, categorized and t y p i f i e d before they can serve as a basis for the characterization of their agents.« 386 Vgl. Schneider 2000, S. 142-155. Schneider bezieht seine Überlegungen dabei explizit auf Forsters Unterscheidung, vgl. ebd., S. 164: »Die eindimensionale Figur oder der ›flat character‹ entspricht in etwa der Art von mentalem Figurenmodell, das oben als kategorisiert bezeichnet wurde, denn bei ihr treten sehr wenige typische Eigenschaften (im Extremfall nur eine) in den Vordergrund.« 1.3 Wiederholung und Variation. Figuren als ›Typen‹ und ›Individuen‹ 111 mationsverarbeitung beim Figurenverstehen«, im Zuge dessen der Leser oder Hörer »zuvor gespeicherte Wissensstrukturen aktiviert« 387 . Hier zeigt sich ein enger Zusammenhang mit der im vorigen Kapitel diskutierten Kategorie des abgerufenen Rezipientenwissens: Bei der Lektüre aktualisieren Rezipienten kognitiv repräsentierte Figurenmodelle 388 , an denen sie sich für die Bildung des mentalen Modells der Figur orientieren. Das umfasst neben den Eigenschaften der Figur auch »implizite Verhaltenserwartungen und Verhaltenserklärungen« 389 , betrifft also den Bereich der Motivation. Der jeweilige Modus der Motivation (kausal-psychologisch / kompositorisch) ist dabei abhängig von der Art des abgerufenen Rezipientenwissens. Kategorisierungen können sich nämlich sowohl auf literarische als auch auf realweltliche Wissensbestände beziehen. Neben den literarischen Figurenmodellen, die im vorigen Kapitel im Fokus standen, spielen bei der Figurenwahrnehmung auch soziale und anthropologische Kategorien eine Rolle. 390 Das betonen auch Köppe und Kindt: »Die Typisierung einer Figur kann sich u. a. dem Genre oder auch unserem Alltag (oder zumindest unserer Welt) entnommenen Kategorisierungen verdanken.« 391 Als Beispiel für eine solche realweltliche Typisierung verweist Eder unter anderem auf die mittelalterliche Lehre von den vier Körpersäften. 392 Schon in der antiken Rhetorik spielen anthropologische Kategorien eine wichtige Rolle. So fordert bereits Horaz (gest. 8 v.-Chr.) in seiner »Ars poetica«, die Figuren als »Vertreter bestimmter Personenkategorien oder Charaktertypen« zu beschreiben, »deren Merkmale sie auf sich vereinigen müssen.« 393 Als Beispiel dienen ihm dafür die verschiedenen Altersstufen (puer, iuvenis, vir, senex) mit ihren jeweiligen typischen Eigenschaften. 394 Grundlage für die Typisierung ist hier also eine anthropologische Kategorie. Wie überhaupt bei der Unterscheidung von literarischem und realweltlichem Wissen stellt sich dabei allerdings wiederum die Frage, wo die Grenze zwischen den beiden Bereichen zu ziehen ist, ob nicht zum Beispiel soziale Stereotype oft in erster Linie literarisch konstruiert sind. 395 Grundsätzlich wird jedoch 387 Ebd., S. 142. 388 Den Zusammenhang zwischen Figurenmodell und ›Typus‹ betont Jannidis 2004a, S. 214: »Als ›Figurenmodell‹ soll im folgenden bezeichnet werden, was früher stark wertend ›Typus‹ genannt wurde«. 389 Schneider 2000, S. 142f. Eder betont ebenfalls, Typisierungen würden dazu beitragen, »starke und verlässliche Hypothesen« über das Figurenverhalten zu bilden (Eder 2 2014, S. 375). 390 Vgl. Schneider 2000, S. 144; Jannidis 2004a, S. 181; Eder u. a. 2010, S. 39f. Mit Bezug auf das Drama bereits Pfister 4 1984, S. 245: »Typen können […] zweierlei Herkunft sein: entweder sind sie synchron aus der zeitgenössischen Charakterologie und Sozialtypologie bezogen, oder sie entstammen der diachronen Tradition vorgeprägter dramatischer Typen (stock figures).« 391 Köppe / Kindt 2014, S. 135f. 392 Vgl. Eder 2 2014, S. 309. 393 Koch 1991, S. 34f. 394 aetatis cuiusque notandi sunt tibi mores, | mobilibusque decor naturis dandus et annis. (Horaz, »Ars poetica«, vv. 156 f.) ›Achte genau auf die Eigenart jedweder Stufe des Alters, gib Charakteren ihr Anseh’n entsprechend dem Wandel der Jahre.‹ Zitat und Übersetzung nach Quintus Horatius Flaccus: Satiren / Sermones. Briefe / Epistulae. Lateinisch-deutsch, übers. von Gerd Herrmann, hrsg. von Gerhard Fink, Düsseldorf / Zürich 2000 (Sammlung Tusculum), S. 260f. Vgl. weiterhin »Ars poetica«, vv. 153-178 (ebd., S. 260-262) Zu der Stelle im vorliegenden Kontext auch Ernest Gallo: Matthew of Vendôme. Introductory Treatise on the Art of Poetry, in: Proceedings of the American Philosophical Society 118 (1974), S. 51-92, hier S. 56. 395 Vgl. Schneider 2000, S. 150f. Weiterhin Jannidis 2004a, S. 181; Eder 2 2014, S. 379. Zur gegenseitigen Beeinflussung realweltlicher und medialer Typen - allerdings vor allem mit Bezug auf moderne Medien - Eder u. a. 2010, S. 40: »The fictional media representations are part of the overall media representations of a culture, and as such they absorb social stereotypes of gender, national character or the habitus of certain 112 1 Methodische Vorüberlegungen deutlich, dass die Unterscheidung von typischen und individuellen Figuren auf einer anderen Ebene liegt als die Frage nach dem abgerufenen Rezipientenwissen. Hier zeigt sich noch einmal, was oben bereits angedeutet wurde: Dass die Einteilung in Typen und Individuen losgelöst von der Perspektive auf die Figur als ›Person‹ oder ›Artefakt‹ betrachtet werden sollte. 396 Unabhängig davon, ob sie sich auf literarische oder realweltliche Wissensbestände beziehen, erweisen sich einmal etablierte Kategorisierungen Schneider zufolge »durch eine latente Beharrlichkeit gegenüber Informationen« aus, »die den ersten Erwartungen widersprechen.« 397 Wenn Rezipienten mit neuen Informationen konfrontiert werden, die nicht mit der bereits bestehenden Kategorie in Einklang zu bringen sind, werde dadurch die Kategorisierung nicht grundsätzlich infrage gestellt. Die Rezipienten versuchten vielmehr, die neuen Informationen in das mentale Modell zu integrieren und die Kategorie (gegebenenfalls in modifizierter Form) aufrecht zu erhalten. Schneider bezeichnet diesen Prozess als ›Individualisierung‹. 398 Den umgekehrten Vorgang, bei dem Leser oder Hörer ein mentales Modell bilden, ohne auf irgendwelche vorgängigen Figurenkategorien zurückzugreifen, nennt er ›Personalisierung‹. Da sie deutlich mehr kognitiven Aufwand erfordere, sei die personalisierte Wahrnehmung von Figuren sehr viel seltener und an bestimmte Voraussetzungen gebunden, zum Beispiel, dass überhaupt keine Hypothesenbildung über eine Kategorienzugehörigkeit möglich ist. 399 Diese Annahme entspricht der oben zitierten Beobachtung von Gerrig und Allbritton, dass Leser immer erst einmal versuchen, Figuren einer bekannten Kategorie zuzuordnen. Wie solche Kategorisierungen jedoch genau etabliert werden, was man also - mit Eder gesprochen - in einem Text ›sehen‹ muss, um eine Figur einer Kategorie zuzuordnen, darüber machen die entsprechenden Theorien keine genaueren Angaben. Bei Schneider ist nur ganz professions. Due to the pressure to be innovative, the fictional representations modify the stereotypes and feed them back into the circulation of social patterns. It is therefore hard to overemphasise the contribution of fictional media to the distribution and modification of such autoand hetero-stereotypes. To be sure, there is a whole range of stereotypes which a particular society regards as purely fictional, but there is also a large area in between the fictional and the non-fictional representation involved in the creation of social types.« 396 Auch für Köppe und Kindt können Typisierungen sowohl die Figur als ›Person‹ als auch die Figur als ›Artefakt‹ betreffen, vgl. Köppe / Kindt 2014, S. 135-137. Zum Verhältnis von Typik und Individualität in Bezug auf Phelans Unterscheidung der mimetischen, synthetischen und thematischen Perspektive auf die Figur Meyer 1999, S. 147; 2001, S. 532f. Mit Blick auf die bildende Kunst des Mittelalters plädiert auch Bruno Reudenbach dafür, den Zusammenhang zwischen ›Lebensnähe‹ und Individualität einerseits, Künstlichkeit und Typisierung andererseits aufzulösen, vgl. Bruno Reudenbach: Individuum ohne Bildnis? Zum Problem künstlerischer Ausdrucksformen von Individualität im Mittelalter, in: Individuum und Individualität im Mittelalter, hrsg. von Jan A. Aertsen / Andreas Speer, Berlin / New York 1996 (Miscellanea mediaevalia 24), S. 807-818, hier S. 812f.: So wirkt etwa die Darstellung eines Löwen bei Villard d’Honnecourt (um 1230) außerordentlich formelhaft, behauptet aber, ›nach dem Leben gezeichnet‹ (contrevais al vif) zu sein. Demgegenüber erscheinen die Stifterfiguren im Naumburger Dom zwar außerordentlich lebensecht, sind aber keine Abbilder konkreter Individuen, sondern typenhafte Porträtbilder. 397 Schneider 2000, S. 143. Aus kognitionspsychologischer Perspektive lässt sich das damit begründen, dass wir auch reale Personen auf diese Weise wahrnehmen, vgl. Gerrig / Allbritton 1990, S. 385. 398 Vgl. Schneider 2000, S. 143. Eder spricht in solchen Fällen von ›individualisierten Typen‹, vgl. Eder 2 2014, S. 230. 399 Vgl. Schneider 2000, S. 155-160. Zur kognitionspsychologischen Begründung in Analogie zur Wahrnehmung realer Personen wiederum Gerrig / Allbritton 1990, S. 387: »In real life, we need special motivation to expand the extra effort to form a p e r s o n b a s e d representation of an individual: special involvement is necessary to cause us to see an individual as more than a token of some category«. 1.3 Wiederholung und Variation. Figuren als ›Typen‹ und ›Individuen‹ 113 allgemein von »textuelle[n] Anregung[en]« 400 die Rede, und auch Jannidis spricht lediglich von »Hinweis[en] im Text« 401 . Im vorigen Kapitel wurde für solche Textelemente, die die Abrufung von Rezipientenwissen auslösen, bereits der Begriff des Triggers eingeführt. 402 Will man als moderner Interpret die Kategorisierungen mittelalterlicher Rezipienten nachvollziehen, setzt das auf jeden Fall eine gewisse Kenntnis der historischen Figurenkategorien voraus. 403 Die Entscheidung darüber, ob die Eigenschaft einer Figur ein individuelles Charakteristikum darstellt oder als typisches Merkmal auf eine Kategorie zurückgeführt werden kann, erfordert die Rekonstruktion der Wissensbestände zeitgenössischer Leser und Hörer. Darauf hat bereits Ernest Gallo mit Bezug auf die dünnen Beine des Vogts aus Geoffrey Chaucers »Canterbury Tales« hingewiesen: The Reeve’s skinny legs may seem an individual trait; but they are also a sign of his cowardice, for the Reeve is a type of the ›lowly man who rises high‹. […] If we ignore any of these facts about the function and purpose of description, we run the risk of misreading the poetry. 404 Seine Warnung begründet Gallo mit der mittelalterlichen Poetik, die eine grundsätzliche Affinität zu typisierter Figurendarstellung erkennen lasse: »The purpose of description […] is a manifesto, a demonstration, a declaration of the nature of some person: and that person will be a type, not an individual.« 405 Tatsächlich lässt sich in der lateinischen Dichtungslehre des Mittelalters eine gewisse, auf die antike Rhetorik zurückgehende Tendenz zur Betonung des Typischen erkennen. So schreibt Matthäus von Vendôme über einige exemplarische descriptiones, die er in seiner »Ars versificatoria« vorführt (1,50-58), diese seien nicht als Beschreibung individueller Figuren zu verstehen, sondern verwiesen vielmehr auf die jeweils zugrunde liegende Figurenkategorie (die hier in Anlehnung an Horaz wiederum vor allem sozial beziehungsweise anthropologisch konnotiert ist): quod dictum est de summo pontifice, vel de Caesare, vel de aliis personis quae sequuntur, ne nomen proprium praeponderet ceteris personis ejusdem conditionis, vel aetatis, vel dignitatis, vel officii, vel sexus, intelligatur attributum, ut nomen speciale generalis nominis vicarium ad maneriem rei, non ad rem maneriei reducatur. (Matthäus von Vendôme, »Ars versificatoria«, 1,60) 406 ›[T]hose characteristics which are attributed to the Pope, or to Caesar, or to various persons who are described should be understood, not as peculiar characteristics of those particular persons, but 400 Schneider 2000, S. 143. Als Beispiel nennt er später »telling names […], die […] Hinweise auf [die] soziale und / oder literarische Kategoriezugehörigkeit einer Figur enthalten« (ebd., S. 152). 401 Jannidis 2004a, S. 182. 402 Siehe oben, S. 86. 403 Dazu auch Eder u. a. 2010, S. 42. 404 Gallo 1974, S. 57. Leider bietet Gallo jedoch keine weitere Begründung für den mutmaßlichen Zusammenhang zwischen dünnen Beinen und der Figurenkategorie des ›kleinen Mannes, der hoch aufsteigt‹. 405 Ebd., S. 56f. 406 Zitiert nach Faral 1958, S. 132. Dazu Koch 1991, S. 41: »Die descriptio bei Matthaeus ist also nicht als Abbildung eines Individuums mit seinen charakteristischen Merkmalen zu verstehen, die beschriebene Person wird vielmehr als positiv oder negativ idealisierte Ausprägung […] der Personenkategorie beschrieben, der man sie nach Alter, Geschlecht, Stand, Herkunft etc. zuordnen kann.« Weiterhin Gallo 1974, S. 57: »When Matthew describes ›Ulysses‹ and ›Caesar‹, he is in fact describing, respectively, any clever man, any great military leader - a point that he makes very explicit.« 114 1 Methodische Vorüberlegungen as characteristics that may apply to other persons of the same social status, age, rank, office, or sex. Names of specific persons are thus used to represent a general class of persons and not to indicate special qualities belonging alone to those persons who are named.‹ 407 Diesem Befund entspricht das verbreitete Vorurteil, im Mittelalter habe es noch keine Charaktere oder Individuen gegeben, sondern ausschließlich typenhafte Figuren. 408 Allerdings illustrieren solche Aussagen wie die von Matthäus zwar die Bedeutung von Figurenkategorien für die mittelalterliche Poetik, bieten aber noch keinen hinreichenden Beleg dafür, dass es im 12. und 13. Jahrhundert unmöglich gewesen sei, Figuren individuell zu gestalten. In der Regel wird diese Überzeugung jedoch auch gar nicht mit der zeitgenössischen Ästhetik oder Dichtungstheorie begründet, sondern geistes- oder sozialgeschichtlich. 409 Zurückgehend auf Jakob Burckhardts einflussreiche These von der ›Geburt des Individuums‹ in der Renaissance 410 ist man davon ausgegangen, in der ständisch organisierten Gesellschaft des Mittelalters habe noch keine Vorstellung von Individualität existiert, weshalb auch die Figuren in mittelalterlichen Texten nicht individuell konzipiert sein könnten. 411 Allerdings gilt Burckhardts These seit Längerem als widerlegt. 412 Zumindest in einer grundlegenden Form 407 Übersetzung Galyon 1980, S. 45. 408 Vgl. dazu Meyer 2001, S. 532. Beispiele bieten Platz-Waury 1997, S. 588; Stöckmann 2008, S. 68; für dramatische Texte außerdem Asmuth 1997, S. 297f. Aus germanistisch-mediävistischer Perspektive Horst Wenzel: Vorwort, in: Typus und Individualität im Mittelalter, hrsg. von Horst Wenzel, München 1983 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 4), S. 7-9, hier S. 7; Schulz 2012, S. 12: »Die Figuren erscheinen kaum je als komplexe Charaktere (weshalb man den Begriff hier vermeiden sollte), sondern in erster Linie als Handlungsträger, die bestimmte Typen repräsentieren.« In Bezug auf den »Tristan« meint schon Hans-Günther Nauen: Die Bedeutung von Religion und Theologie im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg, Diss. Marburg 1947, S. 26: »Gottfried ist darin ganz Kind seiner Zeit, daß er nicht Charaktere zeichnen wollte, sondern Idealtypen.« Grundlegend für diese Anschauung Lugowski 1932 [1970]. - Zu diesem »commonplace« der historischen Narratologie auch von Contzen 2014, S. 10. 409 Vgl. Anette Sosna: Fiktionale Identität im höfischen Roman um 1200. »Erec«, »Iwein«, »Parzival«, »Tristan«, Stuttgart 2003, S. 17f. 410 Vgl. Jacob Burckhardt: Die Cultur der- Renaissance in- Italien. Ein Versuch, Basel 1860, S. 131-170, zum Menschenbild des Mittelalters S. 131: »[D]er Mensch […] erkannte sich nur als Race, Volk, Partei, Corporation, Familie oder sonst irgend einer Form des Allgemeinen.« Burckhardt sieht dabei die ›Geburt des Individuums‹ zusammen mit einem »Erwachen der Persönlichkeit« (ebd., S. 132). - Zu Burckhardts Einfluss auf die moderne Individualitäts-Debatte Gerok-Reiter 2006, S. 23-27; Aertsen 1996, S. IXf.; Klaus Jacobi: Einzelnes - Individuum - Person. Gilbert von-Poitiers’ Philosophie des Individuellen, in: Individuum und Individualität im Mittelalter, hrsg. von Jan A. Aertsen / Andreas Speer, Berlin / New York 1996 (Miscellanea mediaevalia 24), S. 3-21, hier S. 3; Reudenbach 1996, S. 807. In Bezug auf die Figurenwahrnehmung auch von Contzen 2014, S. 10. 411 Vgl. etwa Czerwinski 1986, S. 243. 412 So gab es in den letzten 50 Jahren verschiedene Versuche einer Vordatierung der ›Geburt des Individuums‹. Vgl. etwa Colin Morris: The Discovery of the Individual 1050-1200, New York 1972. Kritisch dazu mit verschiedenen Argumenten Walker Bynum 1980; Gerok-Reiter 1996, S. 749f.; Gerok-Reiter 2006, S. 19f. Siehe zur Kritik von Walker Bynum auch die Reaktion von Colin Morris: Individualism in Twelfth- Century Religion. Some Further Reflections, in: Journal of Ecclesiastical History 31 (1980), S. 196-206. Zur Individualität im Mittelalter neben Gerok-Reiter 2006 und Müller 2007, S. 225-229, auch die vielseitigen Beiträge der Sammelbände Typus und Individualität im Mittelalter, hrsg. von Horst Wenzel, München 1983 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 4); Unverwechselbarkeit. Persönliche Identität und Identifikation in der vormodernen Gesellschaft, hrsg. von Peter von Moos, Köln u. a. 2004 (Norm und Struktur 23) sowie bes. Individuum und Individualität im Mittelalter, hrsg. von Jan A. Aertsen / Andreas Speer, Berlin / New York 1996 (Miscellanea mediaevalia 24). Zusammenfassend das Vorwort der Herausgeber ebd., S. Vf.: »Das etwa ein Jahrtausend umfassende Mittelalter ist auf allen Feldern der 1.3 Wiederholung und Variation. Figuren als ›Typen‹ und ›Individuen‹ 115 von Individualität, die von spezifisch modernen Konnotationen absieht, handelt es sich wohl um eine anthropologische Konstante. 413 Folglich lässt sich die Vorstellung einer einfachen zeitlichen Abfolge von typenhaften Figuren im Mittelalter und individuellen Figuren in der Moderne, wie sie etwa in den Überblicksdarstellungen von Elke Platz-Waury und Ingo Stöckmann zum Ausdruck kommt, nicht halten. 414 Auch im Mittelalter gibt es mehr oder weniger individualisierte Figuren. 415 Viel wichtiger ist jedoch die umgekehrte Feststellung, dass auch in der Moderne die Darstellung von Figuren nicht ohne Wiederholungen funktioniert. 416 Grundsätzlich handelt es sich bei Typik und Individualität um skalierbare Größen. 417 Auch eine äußerst komplexe Figur ist in der Regel auf verschiedene typische Muster bezogen. 418 Litera- Kultur- und Geistesgeschichte mehr und mehr als eine vielgestaltige Epoche in den Blick getreten, in der auch die Rolle des Individuums und die Eigenart des Individuellen als höchst bedeutsam angesehen werden.« Die »Einsicht in die Bedeutung des Individuellen« zeige sich auch in einer »breite[n] theoretische[n] Ausarbeitung und Fortgestaltung« des Themas in der mittelalterlichen Philosophie. 413 Vgl. Hans-Georg Soeffner: ›Typus und Individualität‹ oder ›Typen der Individualität‹? Entdeckungsreisen in das Land, in dem man zuhause ist, in: Typus und Individualität im Mittelalter, hrsg. von Horst Wenzel, München 1983 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 4), S. 11-44, hier S. 13-16; Peter von Moos: Einleitung. Persönliche Identität und Identifikation vor der Moderne. Zum Wechselspiel von sozialer Zuschreibung und Selbstbeschreibung, in: Unverwechselbarkeit. Persönliche Identität und Identifikation in der vormodernen Gesellschaft, hrsg. von Peter von Moos, Köln u. a. 2004 (Norm und Struktur 23), S. 1-42, hier S.-12; Alois Hahn: Wohl dem, der eine Narbe hat. Identifikation und ihre soziale- Konstruktion, ebd., S. 43-62, hier S. 43. Mit einem weitergehenden Verständnis von Individualität auch Meyer 2001, S. 535f.: »Wenn Individuum ein in seiner persönlichen Geschichte mit Bewusstsein einer personalen Identität ausgestattetes, in Auseinandersetzung mit anderen und der Gesellschaft sich definierendes menschliches Wesen bezeichnet, das Gefühle hat und […] sich dabei gleichzeitig seiner selbst, seiner Rollen und seiner Tätigkeit bewusst ist, dann steht außer Frage, dass ein solcher Begriff auf das Mittelalter (sowie auf jede kulturell belegbare Epoche der Menschheit) angewendet werden kann und muss. In diesem Sinne ist Individualität ein evolutionäres Faktum, ein Merkmal der Gattung Mensch«. 414 Siehe oben, S. 114 Anm. 408. Stöckmann spricht von einer »Ablösung des vormodernen Typus durch den modernen Ch[arakter]« »an der Schwelle zur ästhetischen Moderne um 1800« (Stöckmann 2006, S. 68). Aus mediengeschichtlicher Perspektive beschreibt auch Walter Ong eine Entwicklung von ›flachen‹ zu ›runden‹ Figuren, vgl. Ong ²2016, S. 143-147, hier S. 143: »Nun wissen wir, dass der Typ des ›gewichtigen‹ (oder ›flachen‹) Charakters ursprünglich aus der primären oralen Erzählung herrührt, die nur solche Charaktere hervorbringen kann. […] Indem der Diskurs von der primären Oralität zur größeren chirographischen und typographischen Kontrolle fortschreitet, entwickelt sich der ›flache‹, ›gewichtige‹ oder ideal-typische Charakter mehr und mehr zu einem ›runden‹ Charakter.« Weiterhin S. 145: »Nachdem er zuerst im chirographisch kontrollierten antiken griechischen Drama aufgetaucht war, entwickelt sich der ›runde‹ Charakter nach der Erfindung des Drucks im Zeitalter Shakespears. Er erreicht seine volle Ausformung mit dem Roman zu einem Zeitpunkt, als nach der Romantik das gedruckte Wort wesentlich tiefer im Denken des Menschen interiorisiert ist […].« 415 Vgl. von Contzen 2014, S. 10f.: »[O]f course individuality was prevalent in the Middle Ages and of course medieval characters can exhibit individual traits.« 416 Vgl. Reuvekamp 2014, S. 115. 417 Vgl. Pfister 4 1984, S. 244; Nanz 2010, S. 12; Birke 2012, S. 221 Anm. 7; Reuvekamp 2014, S. 115. 418 Vgl. Eder 2 2014, S. 376. In diesem Zusammenhang könnte man auch auf Lotmans Überlegung hinweisen, nach der jede scheinbare Individualität eines künstlerischen Textes stets durch die Überlagerung verschiedener Strukturen und Gesetzmäßigkeiten zustande komme, vgl. Lotman 1972 [1970], S. 114f. und 121: »Das Gesetz des künstlerischen Textes lautet: je mehr Gesetzmäßigkeiten sich in einem gegebenen Punkt der Struktur überschneiden, desto individueller scheint der Text zu sein. Eben deshalb kann die Untersuchung des Unwiederholbaren nur realisiert werden durch die Aufdeckung des Gesetzmäßigen, wobei man sich notwendig der Unerschöpflichkeit dieses Gesetzmäßigen bewußt bleiben muß.« Dazu auch Simon 1990, S. 192-198; zur Bedeutung der Wiederholung bei Lotman weiterhin Schulz 2012, S. 323. 116 1 Methodische Vorüberlegungen rische Figuren befinden sich - wie Literatur überhaupt - immer in einer Spannung zwischen Wiederholung und Variation, die es jeweils im Einzelnen auszuloten gilt. 419 Ein weiteres Vorurteil gegenüber typisierten Figuren betrifft ihre ästhetische Beurteilung: In der Forschung lässt sich immer wieder eine Höherwertung individualisierter Figurendarstellung beobachten. 420 Schon Forster war dagegen ausdrücklich um die Verteidigung ›flacher‹ Figuren bemüht und verwies dafür auf ihre hohe Funktionalität. 421 Aber nicht nur ökonomische Gründe sprechen für die Verwendung von Typen: Im Identifizieren bekannter Muster kann auch ein besonderer ästhetischer Genuss liegen. Das meint auch Gallo, wenn er davon spricht, der Reiz bei der Lektüre mittelalterlicher Texte liege in »the pleasure of recognition, not discovery.« 422 Man kann davon ausgehen, dass das besonders im Hinblick auf eine vormoderne Ästhetik gilt, die allgemein eher auf Wiederholung als auf Innovation ausgerichtet ist. 423 Auf verschiedenen Gebieten zeigt sich das Mittelalter geradezu als eine ›Kultur der Wiederholung‹ - wenn man den Begriff nicht zu eng fasst. 424 So sind Wiederholungen bekanntlich ein »poetologisches Grundkonstituens mittelalterlicher Literatur« 425 . Das zeigt sich prominent am Paradigma der Retextualisierung, dessen Bedeutung für den vormodernen Literaturbetrieb Franz Josef Worstbrock mit dem Schlagwort des ›Wiedererzählens‹ beschrieben hat. 426 Aber nicht nur zwischen den verschiedenen Variationen eines Stoffes, sondern auch innerhalb einzelner Texte lassen sich in der mittelalterlichen Literatur immer wieder unterschiedliche 419 Vgl. Fishelov 1990, S. 422. 420 Vgl. Jannidis 2012 / 2013, §-28: »Another problematic aspect of this approach [the distinction between flat and round characters] is the fact that it is almost always combined with an evaluative stance valorizing the complex and devaluating the simple«. Siehe auch Jannidis 2004a, S. 87 Anm. 5. Zu der »meist fraglos akzeptierten Annahme […], nach der typisierte Figuren eine geringere ästhetische Leistung darstellen oder interpretatorisch weniger interessant seien als stark individualisierte Figuren« weiterhin Jappe u. a. 2012, S. 21. 421 Vgl. Forster 1962 [1927], S. 75-77. Dazu auch von Contzen 2014, S. 11. 422 Gallo 1976, S. 56. 423 Dazu grundlegend Haidu 1977, bes. S. 880: »Repetition is not ›tolerated‹ in this context; repetition is positively valued. This is the explanation, I think, for that extraordinary stock of loci communes, the topoi, the whole range of conventions to be found in narrative at every level of the text - stylistic, actantial, evenemential, and structural. […] Hence the existence, joy, and delight, in a conventional literature.« Siehe weiterhin Eco 3 1995, S. 301f. Von Contzen fordert in diesem Zusammenhang, die »two-dimensionality« mittelalterlicher Figuren nur vor dem Hintergrund der »medieval aesthetics of narrative« zu bewerten (von Contzen 2014, S. 11). 424 Der Ausdruck selbst ist vor dem 15. Jh. allerdings so gut wie nicht belegt. Das Deutsche Wörterbuch kennt lediglich zwei ahd. Glossenbelege als Entsprechung für lat. revocare beziehungsweise repetire, vgl. DWB, Bd. 29, Sp. 1046. Die Erforschung einer Wortgeschichte der Wiederholung steht noch aus. 425 Ludger Lieb: Eine Poetik der Wiederholung. Regeln und Funktionen der Minnerede, in: Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur, 1150-1450, hrsg. von Ursula Peters, Stuttgart / Weimar 2001 (Germanistische Symposien. Berichtsbände 23), S. 506-528, hier S. 506. 426 Siehe oben, S. 30 Anm. 106. Den Zusammenhang von Wiedererzählen und Wiederholung betont Michael Stolz: Dingwiederholungen in-Wolframs »Parzival«, in: Dingkulturen. Objekte in-Literatur, Kunst und-Gesellschaft der Vormoderne, hrsg. von-Anna Mühlherr u. a. unter-Mitarbeit von-Ulrich-Hoffmann, Berlin / Boston 2016 (Literatur - Theorie - Geschichte 9), S. 267-293, hier S. 267. Ludger Lieb weist ebenfalls auf die Bedeutung der Wiederholung für das Phänomen des Wiedererzählens hin, die aufgrund des neuzeitlichen Blickwinkels gegenüber der Variation oft zu wenig Aufmerksamkeit erhalten habe, vgl. Lieb 2005, bes. S. 363-366. 1.3 Wiederholung und Variation. Figuren als ›Typen‹ und ›Individuen‹ 117 Formen der Wiederholung beobachten. 427 Für Gottfrieds »Tristan« hat Susanne Köbele gezeigt, dass der Roman auf sämtlichen Konstitutionsebenen von Wiederholung geprägt ist […]. Kaskaden von Wiederholungen auf allen Ebenen binden unsere Aufmerksamkeit, Wiederholungen auf der phonologischen, morphologischen, syntaktischen und semantischen Ebene, auf den verschiedenen Erzählebenen (Exkurs und Handlung), und schließlich kehrt Wiederholung als eine in ihrer Sachhaltigkeit problematische Kategorie auch thematisch wieder […]. 428 Doch nicht nur in der Literatur zeigt sich im Mittelalter eine derartige Wiederholungsaffinität. Auch zentrale mittelalterliche Denkformen arbeiten mit Figuren der Wiederholung: Das betrifft etwa das genealogische Denken des mittelalterlichen Adels, das von R. Howard Bloch als grundlegende »mental structure« beschrieben wurde, die nicht nur die feudale Gesellschaftsordnung des Mittelalters maßgeblich geprägt, sondern auch auf andere Bereiche der mittelalterlichen Kultur und Gesellschaft großen Einfluss ausgeübt habe. 429 Im klerikalen Bereich kann man außerdem auf das Denkmuster der Typologie verweisen, das eine vergleichbare Bedeutung für die Kultur des Mittelalters besitzt und ebenfalls auf einer Idee der Wiederholung beruht. 430 427 Jenseits der Doppelungsstrukturen im Artusroman etwa Lieb 2001 in Bezug auf die Gattung der Minnereden und Stock 2002 für »Herzog Ernst B«, »Straßburger Alexander« und »König Rother«. 428 Susanne Köbele: iemer niuwe. Wiederholung in Gottfrieds »Tristan«, in: Der »Tristan« Gottfrieds von Straßburg. Symposion Santiago de Compostela, 5. bis 8. April 2000, hrsg. von Christoph Huber / Victor Millet, Tübingen 2002, S. 97-115, hier S. 97. Daran anschließend die Arbeit von Flecken-Büttner 2011. 429 Vgl. R. Howard Bloch: Genealogy as a Medieval Mental Structure and Textual- Form, in: Grundriss der romanischen-Literaturen des Mittelalters, Bd. 11 / 1: -La littérature historiographique des origines à 1500 (Partie historique), hrsg. von Hans Ulrich Gumbrecht u. a., Heidelberg 1986, S. 135-156. Im Anschluss daran beschreibt auch Beate Kellner die Genealogie »als dominante mentale Struktur« des Mittelalters: »Jene spielt eine zentrale Rolle in den verschiedenen Ordnungen des mittelalterlichen Wissens und dient dabei als nahezu universales, interdiskursiv verwendetes Ordnungsmuster.« (Beate Kellner: Ursprung und Kontinuität. Studien zum genealogischen-Wissen im Mittelalter, München 2004, S. 15) Siehe weiterhin den Sammelband Genealogie als Denkform in-Mittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Kilian Heck / Bernhard Jahn, Tübingen 2000 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 80). In Bezug auf die Rolle der Genealogie in der mittelalterlichen Literatur weiterhin Ursula Peters: Dynastengeschichte und-Verwandtschaftsbilder. Die-Adelsfamilie in der volkssprachigen-Literatur des Mittelalters, Tübingen 1999 (Hermaea. N. F. 85). 430 Vgl. Rudolf Bultmann: Ursprung und Sinn der-Typologie als hermeneutische-Methode, in: Theologische Literaturzeitung 75 (1950), Sp. 205-212, hier Sp. 205: »Die Typologie steht unter dem Gedanken der W i e d e r h o l u n g«. - Zur Typologie als Denkform Friedrich Ohly: Halbbiblische und außerbiblische Typologie (1976), in: Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungskunde, Darmstadt 1977, S. 361-400, hier S. 366; Paul Michel: Übergangsformen zwischen-Typologie und anderen-Gestalten des Textbezugs, in: Bildhafte Rede in Mittelalter und früher Neuzeit. Probleme ihrer Legitimation und ihrer Funktion. In Verbindung mit Herfried Vögel hrsg. von-Wolfgang-Harms / Klaus-Speckenbach, Tübingen 1992, S. 43-72, hier S. 68. In Reaktion auf die Kritik an einer vorschnellen Anwendung des Konzepts auf säkulare Literatur überlegt Hasebrink, »die Typologie als christliche Anwendung eines umfassenden Traditionsmodells zu verstehen, auf das die heilsgeschichtliche Deutung mit der Typologie im Mittelalter erfolgreich einen Monopolanspruch behauptete.« (Hasebrink 2000, S. 88 Anm. 18) Rainer Warning hat die zentralen Wiederholungsstrukturen im Artusroman auf die Typologie als ein »epochale[s] Denk- und Interpretationsmodell« zurückgeführt, vgl. Warning 1978, S. 36-39, Zitat S. 38. 118 1 Methodische Vorüberlegungen Für mittelalterliche Autoren fungieren beide Formen - Genealogie und Typologie - auch als Medium, um Wiederholungsstrukturen in ihren Texten zum Ausdruck zu bringen. 431 Im vorigen Kapitel wurde das Beispiel von Genelun erwähnt, dessen Zugehörigkeit zur Figurenkategorie des Verräters im »Rolandslied« durch einen Bezug auf Judas markiert wird (vgl. v.-1925: den armen Iudas er gebildot). Dabei hat man das Verb gebilden, mit dem die Beziehung sprachlich ausgedrückt wird, als Übertragung des lateinischen Typologiebegriffs figurare verstanden. 432 Das bedeutet allerdings noch nicht unbedingt, dass hier auch tatsächlich ein typologisches Verhältnis im eigentlichen Sinne artikuliert werden soll. 433 Der Pfaffe Konrad nutzt vielmehr ein typologisches Vokabular, um die narrative Wiederholung zum Ausdruck zu bringen. Vergleichbares lässt sich auch in Bezug auf Bilder aus dem Bereich der Genealogie beobachten: So bezieht der französische Autor Bertrand de Bar-sur-Aube in seinem Epos »Girart de Vienne« (nach 1180) die Verräterfiguren anderer chanson de geste-Dichtungen wiederum auf Genelun, indem er sie seinem Geschlecht, der lingnaje (v. 44), zuordnet. 434 Durch die genealogische Verwandtschaft werden die Figuren dabei auch in erzählerischer Hinsicht als Wiederholungen voneinander markiert. Die lingnaje Geneluns steht gewissermaßen für die von ihm prototypisch repräsentierte Figurenkategorie. 435 Wiederholungen besitzen eine elementare 431 Zur Verbindung von Genealogie und Typologie in mittelalterlicher Perspektive Wenzel 1995, S. 474: »Die alte und die niuwe ê stehen […] in einem Generationenverhältnis und fügen sich ein in das für mittelalterliches Geschichtsdenken grundlegende Prinzip der Genealogie«. - Dass sich auch beide Denkmodelle überlagern können, zeigen die Elternvorgeschichten in den höfischen Romanen. So wurde Gottfrieds Erzählung von Riwalin und Blanscheflur einerseits als »genealogische Hypothek« für Tristan und Isolde beschrieben (Huber 3 2013, S. 57), andererseits als Präfiguration der Haupthandlung gedeutet, vgl. Rolf Keuchen: Typologische Strukturen im »Tristan«. Ein- Beitrag zur Erzähltechnik Gottfrieds von Straßburg, Diss.-Köln 1975, S. 27-151, zusammenfassend S. 245-247; Wolf 1989, S. 111-123. Zur typologischen Bedeutung der Elternvorgeschichten bereits Friedrich Ohly: Synagoge und- Ecclesia. Typologisches in mittelalterlicher Dichtung (1966), in: Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungskunde, Darmstadt 1977, S. 312-337, hier S. 317, 332. Zum beziehungsreichen Verhältnis zwischen Vor- und Hauptgeschichte im »Tristan« Flecken-Büttner 2011, S. 79-195. - Mit Schneider könnte man hier von einer textspezifischen Kategorisierung sprechen. Dabei handelt es sich um einen von der literarischen und sozialen Kategorisierung verschiedenen Fall, bei dem sich die fragliche Figurenkategorie nicht auf das vorgängige Rezipientenwissen bezieht, sondern erst vom Text selbst konstruiert wird, vgl. Schneider 2000, S. 148f., der allerdings an etwas anders gelagerte Sachverhalte denkt. 432 Vgl. Horst Richter: Kommentar zum- Rolandslied des Pfaffen Konrad,-Teil 1, Bern / Frankfurt a. M. 1972 (Kanadische Studien zur deutschen Sprache und Literatur 6), S. 270f. Zu figurare als Ausdruck einer typologischen Beziehung Rudolf Suntrup: Zur sprachlichen-Form der Typologie, in: Geistliche-Denkformen in der Literatur des-Mittelalters, hrsg. von Klaus Grubmüller u. a., Wiesbaden 1984, S. 23-68, hier S. 41f. 433 Vgl. Friedrich Ohly: Beiträge zum-Rolandslied, in: Philologie als-Kulturwissenschaft. Studien zur-Literatur und- Geschichte des Mittelalters.- Festschrift für Karl- Stackmann zum 65.- Geburtstag, hrsg. von Ludger Grenzmann u. a., Göttingen 1987, S. 90-135, hier S. 93f. - Für die grundsätzliche Diskussion um die Anwendbarkeit der Typologie auf außerbiblische Texte und in nicht heilsgeschichtlicher Perspektive zusammenfassend Suntrup 1984, S. 34-37. Vgl. zu den terminologischen Problemen auch den Vorschlag von Michel 1992, S. 66-72. Stock fragt ebenfalls, ob die von ihm beobachteten Erzählformen der Wiederholung nicht auf »ganz andere genetische Wurzeln« zurückgingen. Es sei oft »nicht zu entscheiden, ob die Wiederholungsrelationen, die sich in nicht primär geistlich funktionalisierten Texten finden, nicht eher auf mündlichen Erzähltraditionen als auf der eschatologischen Deutungspraxis der Kleriker fußen, die diese Texte aufschreiben.« (Stock 2002, S. 14f.) 434 Zitiert nach Girart de Vienne par Bertrand de Bar-sur-Aube, publ. par Wolfgang van Emden, Paris 1977, S.-5. 435 Der Autor bietet dabei auch eine Charakterisierung dieser Figurenkategorie: Es handle sich um schreckliche und kühne Krieger von großem Ruhm (fier et hardi et de grant renom, »Girart de Vienne«, v. 30), die 1.3 Wiederholung und Variation. Figuren als ›Typen‹ und ›Individuen‹ 119 Funktion für die Produktion und Rezeption literarischer Figuren. Die volkssprachigen Autoren der Zeit um 1200 suchen nach sprachlichen Mitteln, um sie auf Textebene zum Ausdruck zu bringen, und beziehen sich dafür zum Teil auf bereits etablierte Konzepte der Wiederholung. In der Untersuchung gilt es, solche und andere Trigger aufzuspüren, um die vom Text angeregten Kategorisierungen nachzuvollziehen und auf ihre Funktion hin zu befragen. Dass die Typisierung einer Figur an sich noch keine Aussage in Bezug auf die übergeordnete Frage der Untersuchung zulässt, wurde mehrfach hervorgehoben. Wie sich die Kategorisierung dennoch zu den beiden in den vorangegangenen Kapiteln diskutierten Aspekten der Handlungsmotivation und des abgerufenen Rezipientenwissens verhält, möchte ich abschließend an einem Beispiel zusammenfassen. Ich beziehe mich dafür auf Parzival und seinen sowohl in der Forschung als auch im Roman selbst immer wieder hervorgehobenen zorn. 436 Um diese wiederkehrende Emotion zu erklären, kann man sich auf verschiedene Figurenkategorien beziehen. So könnte man etwa davon ausgehen, Wolfram habe seinen Protagonisten entsprechend dem Charaktertyp des Cholerikers zeichnen wollen. 437 Dabei würde es sich um eine Kategorisierung der Figur handeln, die sich auf realweltlich-anthropologische Wissensbestände bezieht, nämlich die mittelalterliche Temperamentenlehre. 438 Damit ginge die Argumentation von der Figur als ›Person‹ aus: Parzivals Verhalten entspräche seinem durch ein Übermaß an gelber Galle gekennzeichneten Charakter, wäre also kausal-psychologisch motiviert. Eine andere mögliche Erklärung bezieht sich dagegen auf literarische Wissensbestände: zorn ist nämlich auch eine typische Eigenschaft eines bestimmten literarischen Figurentyps, des ›Heros‹. 439 Die Emotion würde deshalb Wolframs Protagonisten einer (basalen) narrativen Figurenkategorie zuordnen. Im Hinblick auf seinen zorn präsentiert sich Parzival in dieser Perspektive als Wiederholung zum Beispiel von Homers Ajax. Die Figur erschiene als literarisches ›Artefakt‹, ihr Verhalten wäre kompositorisch motiviert. In beiden Fällen wäre der zorn keine individuelle Charaktereigenschaft der Figur, sondern ließe sich auf die jeweilige Kategorie zurückführen. Die beiden Erklärungsansätze müssen einander dabei keineswegs ausschließen, sondern können sich - wie dies auch im Hinblick auf die verschiedenen Formen der Motivation dargestellt wurde - durchaus überlagern: Was sich auf der ›Tiefenebene‹ des Textes einem literarischen Muster verdankt, kann auf der Textoberfläche einem anthropologischen Charaktertyp zugeordnet werden. ganz Frankreich beherrschen könnten, wenn nicht ihr Stolz (orgueill) und ihre Neigung zum Verrat (traïson, v. 32) sie zum Scheitern verdammen würden. Damit verbinden sich weiterhin bestimmte Erwartungen über den Ausgang der Handlung, wenn davon die Rede ist, es gehe ihnen ebenso wie den gefallenen Engeln, die gestürzt wurden und nun im Gefängnis der Hölle schmoren, wo sie Kummer und Schmerz erleiden. - Der genealogischen Zusammengehörigkeit der Genelun-Sippe entspricht weiterhin eine gattungsspezifische: Bertrand zufolge bilden die Erzählungen über die Sippe Geneluns, die geste qui vint de Ganelon (v. 28), eine spezifische Gruppe innerhalb der chansons de geste (vgl. v. 44f.: De ce lingnaje […] fu la seconde geste). Diese in der deutschsprachigen Forschung als ›Empörergesten‹ bezeichneten Texte nennt Bertrand zuvor nach Doon de Mayence, einem weiteren Mitglied der Sippe, auch geste de Doon (vgl. vv.-14-26). Die Textsorte ›Empörergeste‹ entspricht damit der Geschichte einer Dynastie (und umgekehrt). - Das Muster einer genealogischen Ansippung neuer Geschichten an eine bereits etablierte Textgruppe (bzw. ein Erzähluniversum) lässt sich auch am Beispiel des Artusromans beobachten, siehe unten, S. 386. 436 Vgl. etwa vv. 155,4f., 229,8-22, 247,7f., 463,1f. (Ausg. Nellmann 1994, Bd. 1, S. 260, 380-382, 410, 768). Allerdings sind im »Parzival« auch sonst immer wieder Figuren zornig - einschließlich des Erzählers Wolfram (vgl. vv.-114,8-19; ebd., S. 192-194). 437 Vgl. Reich 2017, S. 85. 438 Vgl. Schulz 2012, S. 37. 439 Vgl. Müller 1998, S. 203-208. 2.1 Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹? 121 2 Annäherungen 2.1 Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹? Tristan ist ein Kunstwerk. Diesen Eindruck macht es zumindest, wenn der Erzähler bei der Beschreibung der Schönheit seines Protagonisten in der gleichen kunsthandwerklichen Bildlichkeit bleibt, mit der er zuvor Tristans meisterhaft geschmiedete Rüstung beschrieben hat. Wie kunstvoll der Schmied diese Rüstung auch hergestellt habe, sie werde noch übertroffen von der Vortrefflichkeit des Ritters, der darin steckt: swie sô der ûzer wære, der inner b il d æ r e der was baz b e t i h t e t , bemeistert unde berihtet ze ritters f i g i u r e dan diu ûzere f a it i u r e . daz w e r c daz was dar inne an geschepfede unde an sinne vil lobelîchen û f g e l e it . des w e r c m a n n e s wîsheit hî, wie wol diu dar an schein! sîn brust, sîn arme und sîniu bein diu wâren hêrlîch unde rîch, wol gestalt und edelich. (vv. 6643-6656; Hervorhebung L.M.) Die ganze Stelle ist durchzogen von Ausdrücken aus dem Bildfeld kunsthandwerklicher Produktion. 1 Dazu gehört schon das Wort bildære, auch wenn nicht ganz klar ist, ob damit im vorliegenden Kontext der Künstler oder das Kunstwerk gemeint ist. 2 Auch das Verb ûf legen 1 Vgl. dazu Mark Chinca: Metaphorische Interartifizialität. Zu Gottfried von Straßburg, in: Interartifizialität, hrsg. von Susanne Bürkle / Ursula Peters, Berlin 2009 (ZfdPh. Sonderheft 128), S. 17-36, hier S. 31-34. 2 Der Ausdruck bildære schwankt zwischen artifex und artificium, entsprechend unentschieden sind die Deutungen der Stelle. Lexer und BMZ bieten übereinstimmend die Ansetzungen ›bildner‹ sowie mit Verweis auf die vorliegende Stelle ›der sich zum ebenbilde von etwas macht, vorbild‹ (Lexer, Bd. 1, Sp. 273; BMZ, Bd. 1, S.-122). Das neue Mittelhochdeutsche Wörterbuch gibt dagegen ein Bedeutungsspektrum an, das von ›Schöpfer, Gestalter‹ über ›Idee, Idealbild (wie lat. idea)‹ bis zu ›Muster, Vorlage‹, ›Vorbild, Beispiel‹ und auch (mit Verweis auf die vorliegende Stelle) ›Bild, Bildwerk‹ reicht, vgl. MWB, Bd. 1, Sp.-797 f. Auf Tristan beziehen der innere bildære Haug / Scholz, Bd. 1, S. 177 (›die innere Prägung‹), Krohn, Bd. 1, S. 403 (›das Innere‹), sowie Gottfried von Strassburg: Tristan, transl. entire for the first time. With the surviving fragments of the Tristran of Thomas, newly transl. with an introd. by A.T. Hatto, Hermondsworth 1976, S.-130 (›the subject within‹); in diesem Sinne auch MWB, Bd. 1, Sp. 798, Z. 58-60: »gemeint: Tristan selbst, im Gegensatz zu seiner Rüstung«. Die Formulierung kann sich aber auch auf den P r o d u z e n t e n (im Gegensatz zum Schmied der Rüstung) beziehen; in diesem Sinne übersetzt Knecht, S. 81: ›der Künstler, der das Innere gestaltet hat‹. Peschel-Rentsch betont, dass die Bedeutung ›Muster, Vorbild‹ erst sehr 122 2 Annäherungen (›entwerfen, ausdenken‹) 3 weist in diese Richtung. Schwieriger zu bestimmen ist die Bedeutung des afr. Fremdworts figiure. Die Grundbedeutung von figiure beziehungsweise figûre, wie es bei anderen mittelhochdeutschen Autoren heißt, ist in Anlehnung an lat. figura ›Gestalt‹. 4 In diesem Sinne bezieht sich der Ausdruck unter anderem auf das äußere Erscheinungsbild eines Menschen. 5 Dabei erscheint die figûre oft explizit als Produkt göttlicher Schöpfung. 6 Weiterhin kann der Ausdruck, gerade bei einem gelehrten Autor wie Gottfried, im Zusammenhang mit dem Denkmuster der Typologie betrachtet werden: Das lat. figura fungiert hier als Äquivalent zu gr. typos und schwankt zwischen ›Vorbild / Muster‹ und ›Abbild‹. 7 In diesem Sinne wird Gottfrieds Formulierung der ritters figiure in den meisten Textausgaben übersetzt. 8 Schließlich klingt in figiure über die Etymologie vom lat. Verb fingere (›formen, viel später belegt sei: »Es scheint keinen Beleg vor Gotfrit zu geben, wo bildære etwas anderes heißt als ›Bildner‹, einer der ein Bild macht« (Dietmar Peschel-Rentsch: Erlesene Liebe. Zum Selbstbewußtsein Gotfrits als Autor, in: Gott, Autor, Ich. Skizzen zur Genese von Autorbewußtsein und Erzählerfigur im Mittelalter, Erlangen 1991 (Erlanger Studien 89), S. 180-207, hier S.-196). Zu den verschiedenen Deutungen vgl. auch den Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 433. Zur artifiziellen Konnotation von bilden Karina Kellermann: und vunden vür ir herren da einen zestucketen man. Körper, Kampf und Kunstwerk im »Tristan«, in: Der »Tristan« Gottfrieds von Straßburg. Symposion Santiago de Compostela, 5. bis 8. April 2000, hrsg. von Christoph Huber / Victor Millet, Tübingen 2002, S.-131-152, hier S.-135. 3 Vgl. BMZ, Bd. 1, S. 991f. (mit Verweis auf die vorliegende Stelle). 4 Vgl. BMZ, Bd. 3, S. 309; Lexer, Bd. 1, Sp. 346. So in v. 10856: sîn wât und sîn figiure. Vgl. die Übersetzungen von Krohn, Bd. 2, S. 61; Haug / Scholz, Bd. 1, S. 607; Knecht, S. 130. 5 Godefroy gibt als Bedeutung für afr. figure sogar ›personnage, personne‹ an (Frédéric Godefroy: Dictionnaire de l’ancienne langue Française et de tous ses dialectes du IX e au XV e siècle, Bd. 1-8, Paris 1880-1895, Bd. 3, S.- 791) und auch de La Curne de Sainte-Palaye nennt die Bedeutungen ›visage, beauté, créature‹ ( Jean-Baptiste de La Curne de Sainte-Palaye: Dictionnaire historique de l’ancien langage françois ou glossaire de langue françoise depuis son origine jusqu’au siècle de Louis XIV, Bd. 1-10, Niort / Paris 1875-1882, Bd. 6, S. 211). 6 Vgl. dazu vv. 11204 f., wo es mit den Worten der irischen Hofgesellschaft heißt: »wâ geschuof ie got figiure baz | ze ritterlîchem rehte? « Haug / Scholz übersetzen: ›Wo hat Gott je einen Mann geschaffen…? ‹ (Bd. 1, S. 627), ähnlich Knecht, S. 133. Ein weiteres Beispiel bietet Konrad von Würzburg im »Partonopier«, wenn es über den schönen Körper Meliurs heißt: got selber sich vil harte fleiz, | dô si geschuof sîn meisterschaft.-| er hete rîches heiles kraft | geleit an Meliûre. | ir forme und ir f i g û r e | het er mit sîner hende | vor aller missewende | gereinet alsô garwe | daz man sich in ir varwe | und in ir bilde wol ersach. (vv. 7872-7881) Zitiert nach Konrad von Würzburg: Partonopier und Meliur - Turnei von Nantheiz - Sant Nicolaus - Lieder und Sprüche. Aus dem Nachlasse von Franz Pfeiffer und Franz Roth hrsg. von Karl Bartsch, Wien 1871, S. 116. Einen Beleg für figûre als Produkt der Natur bietet »Die Minneburg« aus dem 15. Jh., wo es heißt: ires lybes figure | Geschickt ist von nature (vv. 3095 f.). Zitiert nach Die Minneburg. Nach der Heidelberger Pergamenthandschrift (CPG. 455) unter Heranziehung der Kölner Handschrift und der Donaueschinger und Prager Fragmente, hrsg. von Hans Pyritz, Berlin 1950 [Nachdruck Hildesheim 1991] (Deutsche Texte des Mittelalters 43), S. 97. Etwas anders Konrads »Trojanerkrieg«, vv.- 3034f.: der Wunsch der hete mit gewalt | geschephet die figûre sîn. Zitiert nach Konrad von Würzburg: »Trojanerkrieg« und die anonym überlieferte Fortsetzung. Kritische Ausgabe von Heinz Thoelen / Bianca Häberlein, Wiesbaden 2015 (Wissensliteratur 51), S. 44. 7 Vgl. immer noch grundlegend die Ausführungen von Erich Auerbach: Figura [1938], in: Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie, hrsg. von Gustav Konrad, Bern 1967, S. 55-92 [wieder in Figura. Dynamiken der Zeiten und Zeichen im Mittelalter, hrsg. von Christian Kiening / Katharina Mertens Fleury, Würzburg 2013 (Philologie der Kultur 8), S. 263-300]; weiterhin Ulrich Dierse u.a.: Art. Figur, in: HWPh 2 (1972), Sp.-948-951, hier Sp. 948. 8 Vgl. Hatto 1976, S. 130 (›pattern of a knight‹); Haug / Scholz, Bd. 1, S. 403 (›Musterritter‹); Krohn, Bd. 1, S.-403 (›Inbegriff der Ritterlichkeit‹); Knecht, S. 81 (›einen echten Ritter‹). 2.1 Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹? 123 künstlich gestalten‹) aber auch eine artifizielle Konnotation mit, 9 die sich in der modernen literaturtheoretischen Verwendung des Begriffs ›Figur‹ durchgesetzt hat. Durch den Kontext der Stelle und die Parallele zu dem ebenfalls aus dem Altfranzösischen übernommenen faitiure (von lat. factura ›Erzeugnis, Geschaffenes‹) 10 wird diese artifizielle Komponente bei Gottfried in den Vordergrund gestellt. Ganz deutlich ist der kunsthandwerkliche Kontext dann in der Bezeichnung der Figur als werc: Tristan erscheint hier als »work of art« 11 , als artificium im eigentlichen Sinne. Rhetorisch gesprochen nähert sich die descriptio personae einer ekphrasis an. Wie zuvor ihre Rüstung (vgl. v. 6628), so ist auch die Figur das Produkt eines wercmannes. Wer ist damit gemeint? Darauf, dass man hier an den Autor des Textes denken kann, 12 deuten schon die 9 Vgl. Auerbach 1967 [1938], S. 55f. Dem entspricht das afr. Verb figurer ›créer, façonner‹, vgl. Godefroy 1880-1895, Bd. 3, S. 791. Dazu auch mhd. figûren bzw. figûrieren ›gestalten‹, vgl. Lexer, Bd. 3, Sp. 346; BMZ, Bd. 3, S. 309. In diese Richtung zielt möglicherweise auch das Verb figieren, das Gottfried im Literaturexkurs in Bezug auf Hartmann verwendet, vgl. vv. 4626f.: wie er mit rede figieret | der âventiure meine! Zu den möglichen Herleitungen des Verbs von lat. fingere oder figere ›mit etwas treffen‹ siehe Sigrid Müller-Kleimann: Gottfrieds Urteil über den zeitgenössischen deutschen Roman. Ein Kommentar zu den Tristanversen 4619-4748, Stuttgart 1990 (Helfant-Studien 6), S. 40-43. - Auch die Tatsache, dass Gottfried mit der Form figiure die Herkunft des Wortes aus der französischen ›Kultursprache‹ bewusst hält, könnte auf den artifiziellen Kontext hinweisen. Alle anderen mittelhochdeutschen Autoren verwenden, soweit ich sehe, eingedeutschte, möglicherweise direkt auf lat. figura zurückgehende Formen wie figûre u.ä. 10 Für den mhd. Ausdruck bieten die Wörterbücher die Bedeutung ›Ausrüstung, Putz, Gestalt‹ an, vgl. Lexer, Bd. 3, Sp. 50; BMZ, Bd. 3, S. 292. In diesem Sinne wird faitiure auch im »Tristan« zuvor für die Beschreibung von Tristans Kleidung bei der Schwertleite benutzt, vgl. vv. 4578-4580: der Sin der næte ir aller cleit | und ander ir feitiure, | baniere und covertiure. Die Überlieferung von v. 6648 ist, gerade was die späteren Handschriften angeht, sehr unfest: E hat ferture, B fiture, N kouernture, O fatüre, P saitture und S futtur. Offenbar wurde der Ausdruck nicht immer verstanden. 11 Hatto 1976, S. 130. Vgl. Franziska Wessel: Probleme der Metaphorik und die Minnemetaphorik in Gottfrieds von Strassburg »Tristan und Isolde«, München 1984 (Münstersche Mittelalter-Schriften 54), S. 447 Anm.-1486: »werc wird im »Tristan« - bis auf [v.] 17950: Evas werc im Sinne von ›Tat‹ - immer als Bezeichnung für ein Kunstwerk, eine Handarbeit verwendet.« Zu der Stelle auch C. Stephen Jaeger: Medieval Humanism in Gottfried von Strassburg’s Tristan und Isolde, Heidelberg 1977, S. 120f.; Kellermann 2002, S. 141, 150 f. Blake Lee Spahr sieht in »the magnificent description of Tristan astride his horse« gar »a description which has reminded some of the Bamberger Reiter« (Blake Lee Spahr: Tristan Versus Morolt: Allegory Against Reality? , in: Helen Adolf. Festschrift, hrsg. von Sheema Z. Buehne u. a., New York 1968, S. 72-85, hier S. 75), wobei er den Nachweis schuldig bleibt, auf wen er sich damit bezieht. Tatsächlich haben (später) einige Interpreten an der vorliegenden Stelle an ein »Reiterstandbild« gedacht, so Marie-Sophie Masse: Von der Neugeburt einer abgenutzten Praxis: die descriptio in Gottfrieds »Tristan«, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift. N. F. 55 (2005), S. 133-156, S. 154: »Das literarische Schaffen wird hier mit der Arbeit eines Bildhauers in Parallele gebracht, und in der Tat läßt Gottfried in dieser descriptio […] eine Skulptur entstehen«. Von einem »vollendete[n] Reiterbildnis« spricht auch Kellermann 2002, S. 141, 150. 12 Vgl. Peschel-Rentsch 1991, S. 196: Es sei »der Autor selber, der sich in der dritten Person als wercmann […] bezeichnet«. An der Stelle komme »eine begeisterte Identifikation des Dichters mit eben dieser von ihm gedichteten Passage zum Ausdruck«. Ebenso Masse 2005, S. 153: »Die in den zitierten Versen gelobte Arbeit des Handwerkers (wercman), hier des Waffenschmiedes, verweist auf die Tätigkeit des Dichters […]. Der Verweis auf die literaturtheoretische Ebene ist offensichtlich.« Mit einem wercman vergleicht sich zum Beispiel auch Frauenlob, Lied 5,13: Ja tun ich als ein wercman (v. 1). Zitiert nach Frauenlob (Heinrich von Meissen): Leichs, Sangsprüche, Lieder. Aufgrund der Vorarbeiten von Helmuth Thomas hrsg. von Karl Stackmann und Karl Bertau, Bd. 1: Einleitungen, Texte, Göttingen 1981 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-historische Klasse. 3. Folge 119), S. 396. Zu dieser Stelle Patricia Harant: Poeta Faber. Der Handwerks-Dichter bei Frauenlob. Texte, Übersetzungen, Textkritik, Kommentar und Metapherninterpretationen, Erlangen 1997 (Erlanger Studien 110), S. 78, 162 f.; Sabine 124 2 Annäherungen Ausdrücke betihten, bemeistern und berihten hin. Sie changieren nicht nur im »Tristan« immer wieder zwischen kunsthandwerklicher und literarischer Produktion, 13 sondern werden in der mittelhochdeutschen Literatur grundsätzlich auch für die Herstellung literarischer Texte benutzt; das gilt vor allem für die immer wieder synonym gebrauchten Reimwörter tihten und rihten. 14 Ohnehin liegt es in der Perspektive des mittelalterlichen Literaturbetriebs nicht fern, die Tätigkeit eines Schmiedes auf die Tätigkeit eines Dichters zu beziehen, schließlich ist diese Verbindung schon im Autorbild des poeta faber angelegt. 15 Sie findet sich bereits in der »Ars poetica« des Horaz und wird etwa von Alanus ab Insulis (gest. 1203) im Prolog des »Anticlau- Obermaier: Von Nachtigallen und Handwerkern. ›Dichtung über Dichtung‹ in Minnesang und Sangspruchdichtung, Tübingen 1995 (Hermaea. N. F. 75), S.-249-251; Kiening 2015, S. 25f. 13 Für betihten siehe Peschel-Rentsch 1991, S. 195-197; Christopher Young: Der Minnetrank als Literarisierungsprozeß bei Gottfried von Straßburg, in: Der »Tristan« Gottfrieds von Straßburg. Symposion Santiago de Compostela, 5. bis 8. April 2000, hrsg. von Christoph Huber / Victor Millet, Tübingen 2002, S. 257-279, hier S.- 271f. Die Wörterbücher kennen für betihten zwar auch die Ansetzung ›schaffen, bereiten, zurichten‹, bieten dafür aber außer den Stellen im »Tristan« nur einen Beleg aus dem Liederbuch der Klara Hätzlerin, vgl. Lexer, Bd. 1, Sp. 237; BMZ, Bd. 3, S. 36; zwei weitere Belege in MWB, Bd. 1, Sp.-708. Im Kontext kunsthandwerklicher Produktion wird der Ausdruck im »Tristan« neben der vorliegenden Stelle noch in Bezug auf die Herstellung von Tristans Helm durch Vulkan (v. 4943), die Herstellung des Minnetranks durch die alte Isolde (v.-11432) sowie im Kontext der Minnegrotte (v. 16927) verwendet. Alle Stellen sind stark poetologisch aufgeladen und spielen mit der Semantik von Kunsthandwerk und Literaturproduktion. Die Hss. MB bieten für v. 6645 statt betihtet die Lesart getihtet, die noch eindeutiger auf den Kontext des Dichtens verweist, vgl. den Apparat bei Marold / Schröder, S. 113. 14 Vgl. Joachim Bumke: Autor und Werk. Beobachtungen und Überlegungen zur höfischen Epik (ausgehend von der Donaueschinger Parzivalhandschrift Gδ), in: Philologie als Textwissenschaft. Alte und neue Horizonte, hrsg. von Helmut Tervooren / Horst Wenzel, Berlin 1997 (ZfdPh. Sonderheft 124), S. 87-114, hier S. 108; Martina Backes: Ich buwe doch die strazzen / die sie hant gelazzen. Überlegungen zu Selbstverständnis und Textkonzept deutscher Bearbeiter französischer Werke im Mittelalter, in: Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur, hrsg. von Joachim Bumke / Ursula Peters, Berlin 2005 (ZfdPh. Sonderheft 124), S. 345-355, hier S.- 348f. - Den Ausdruck meistern benutzt in spannungsreicher Doppeldeutigkeit zwischen kunsthandwerklicher und literarischer Produktion (in Bezug auf eine kostbare Gewandspange) auch der Erzähler bei Wirnt von Grafenberg: alsus hât gemeistert dar | nâch dem wunsche ditze werc | mit worten Wirnt von Grâvenberc (»Wigalois«, vv.-10574-10576; Ausg. Seelbach / Seelbach 2014, S. 243). - Man kann auch daran denken, dass die Thematik von ›Innen‹ und ›Außen‹, die in der vorliegenden Szene mit dem inneren und ûzeren bildære angesprochen wird, auf das ûzen unde innen verweist, das im Literaturexkurs (v. 4623) als poetologische Kategorie benutzt wird. Masse erkennt darin sogar »Leitbegriffe des poetologischen Diskurses im »Tristan«« (Masse 2005, S. 153). 15 Grundlegend Julius Schwietering: Die Demutsformel mittelhochdeutscher Dichter, Berlin 1921 [Nachdruck Göttingen 1971] (Abhandlungen der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Philologischhistorische Klasse. N. F. 17,3), S. 55-57; Hans Günther Bickert: Der Dichter als Handwerker. Zu Herkunft und Bedeutung einiger Begriffe der Dichtungstheorie, in: Sprache in Vergangenheit und Gegenwart. Beiträge aus dem Institut für Germanistische Sprachwissenschaft der Philipps-Universität Marburg, hrsg. von Wolfgang Brandt / Rudolf Freudenberg, Marburg 1988 (Marburger Studien zur Germanistik 9), S. 1-14; für die mittelhochdeutsche Lyrik weiterhin Obermaier 1995, S. 333-338. Zur Metapher des Dichters als Schmied bes. Bickert 1988, S. 10f.; Harant 1997, S. 152-154, 158 f. Die Verbindung von Dichtung und Schmiedekunst lässt sich auch in verschiedenen anderen Kulturen beobachten, vgl. etwa Mircea Eliade: Schmiede und Alchemisten. Mythos und Magie der Machbarkeit, Freiburg i.Br. u. a. 1992 [zuerst im französischen Original 1956], S. 92f., 104f. 2.1 Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹? 125 dianus« zitiert. 16 Auch Galfred von Vinsauf benutzt das Bild in seiner Dichtungslehre. 17 Aus der mittelhochdeutschen Literatur lassen sich ebenfalls Beispiele anführen: So zitiert Frauenlob in mehreren Liedern Metaphern aus dem Bereich der Schmiedekunst, 18 und der Illustrator des Codex Manesse zeigt den Minnesänger Hartmann von Starkenberg mit Hammer und Amboss. 19 In der »Goldenen Schmiede« Konrads von Würzburg wird die Metallverarbeitung schließlich zur Leitmetapher - mit einem expliziten Verweis auf von Strazburc meister Gotfrit, | der als ein wæher houbetsmit | guldin getihte worhte (vv. 97-99). 20 Ausgehend von der etablierten Verbindung der beiden Bildbereiche liegt es also nahe, in der zitierten »Tristan«-Stelle eine Reflexion über die literarische Schöpfung der figiure Tristan zu lesen: Tristan erscheint dann als ›Figur‹ im eigentlichen Sinne, also als Produkt des Autors Gottfried. 21 Dabei werden 16 Vgl. Horaz, »Ars poetica«, vv. 440f.: delere iubebat | et male tornatos incudi reddere versus. (Ausg. Fink 2000, S.-276) ›[Quintilius Varus] gebot, (das Ganze) zu tilgen und die schlecht gedrechselten Verse wieder auf den Amboss zu legen.‹ Ganz ähnlich Alanus ab Insulis, »Anticlaudianus«: male tortum proprie reddatur incudi. Zitiert nach Alain de Lille: Anticlaudianus. Texte critique avec une introduction et des tables, publ. par Robert Bossuat, Paris 1955 (Textes philosophiques du moyen age 1), S. 55. 17 Galfred von Vinsauf, »Poetria nova«, vv. 722-728: Hoc facto quasi fungere lege fabrili: | Ferrum materiae, decoctum pectoris igne, | Transfer ad incudem studii. Permolliat illud | Malleus ingenii, cujus luctatio crebra | Formet ab informi massa peridonea verba. | Verba, coadjunctis aliis quae verba sequuntur, | Post conflent folles rationis. Zitiert nach Faral 1958, S.-219. ›In doing this, work as if by the process of a blacksmith: the iron of the subject matter, seethed with the fire of the mind, transfer to the anvil of study. Let the hammer of the intellect, whose close coming to grips may form from the unformed mass words more fit, work it all through. Later, the bellows of reason may fuse verbs (the elements being also added which follow verbs).‹ Übersetzung aus Geoffrey of Vinsauf: The New Poetics (Poetria nova), transl. by Jane Baltzell Kopp, in: Three Medieval Rhetorical Arts, ed. by James J. Murphy, Berkeley u. a. 1971, S. 27-108, hier S. 59. 18 Vgl. Harant 1997, S. 154-160. 19 Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 848, fol. 256 v , vgl. den Kommentar in Codex Manesse. Die Miniaturen der Großen Heidelberger Liederhandschrift, hrsg. und erl. von-Ingo F.-Walther unter-Mitarbeit von Gisela Siebert, Frankfurt a. M. 5 1992, S. 157, der allerdings auch einen Bezug auf den Namen des Autors (Starkenberg) erwägt (das Schmieden als »Zeichen seiner Stärke«). So auch Volker Mertens: Art. Hartmann von Starkenberg, in: ²VL 3 (1981), S. 526f. Der Sänger Regenbogen wird im Codex Manesse ebenfalls als Schmied dargestellt (fol. 381 r ), aber das könnte ein Reflex seiner (tatsächlichen oder angenommenen) beruflichen Tätigkeit sein; für eine solche biographische Lesart plädiert vorsichtig Frieder Schanze: Art. Regenbogen, in: ²VL 7 (1989), Sp.-1077-1987, hier Sp. 1079 f. Zur ›poetologischen‹ Deutung des Autorbildes zuerst Schwietering 1921 [1971], S. 57. 20 Zitiert nach Die goldene Schmiede des Konrad von Würzburg, hrsg. von Edward Schröder, Göttingen 1926, o.S. Zum Gottfried-Lob in der »Goldenen Schmiede« Susanne Köbele: Zwischen- Klang und Sinn. Das Gottfried-Idiom in Konrads von Würzburg »Goldener- Schmiede« (mit einer Anmerkung zur paradoxen-Dynamik von-Alteritätsschüben), in: Alterität als Leitkonzept für historisches-Interpretieren, hrsg. von Anja Becker / Jan Mohr, Berlin 2012 (Deutsche Literatur. Studien und Quellen 8), S. 303-333, zur vorliegenden Stelle bes. S.-308f., 319. - Vgl. weiterhin die Selbstbezeichnung am Ende der »Crône« Heinrichs von dem Türlin: Hie mit hât ein end | diu krône, die mîne hend | nâch dem besten gesmit hânt. (vv.-29966- 29968) Zitiert nach Heinrich von dem Türlin: Diu Crône. Kritische mittelhochdeutsche Leseausgabe mit Erläuterungen, hrsg. von Gudrun Felder, Berlin / Boston 2012, S.- 441. Auch Gottfried selbst benutzt in seinem Literaturexkurs die Metapher der Goldschmiedekunst, um die Wirkung des Tropfens aus dem Helikon auf seine Sprache zu beschreiben. Wie in einem Schmelztiegel würden seine Wörter zu arabischem Gold umgeschmolzen: diu mînen wort muoz er mir lân | durch den vil liehten t e g e l gân | der camênischen sinne | und muoz mir diu dar inne | ze vremedem wunder e it e n [›schmelzen‹], | dem wunsche bereiten | als g o l t von Arâbe. (vv. 4889-4895; Hervorhebung L.M.) Vgl. dazu Chinca 2009, S. 27. 21 Vgl. Peschel-Rentsch 1991, S. 196, der ritters figiure mit ›Figur eines Ritters‹ übersetzt. Insofern könnte man hier fast von einem literaturtheoretischen Gebrauch des Begriffs vor der Zeit sprechen. Die Anfänge der terminologischen Verwendung von ›Figur‹ sind zwar im Detail unerforscht, werden aber meist in der Goethezeit vermutet, vgl. Platz-Waury 1997, S. 587. 126 2 Annäherungen in der descriptio die Ebenen der Erzählung überschritten, da mit dem zuerst gelobten wercman, der Tristans Rüstung hergestellt hat, eine Figur der erzählten Welt gemeint ist und mit dem zweiten wercman der Autor außerhalb des Textes. Die Stelle ist dabei nicht die einzige Beschreibung im »Tristan«, die mit kunsthandwerklicher Bildlichkeit spielt: Schon wenn Riwalin von den Damen in Cornwall wahrgenommen wird (vv. 704-719), 22 dann erscheint er in den Augen Helmut de Boors »wie ein vollkommenes Reiterbild, ein lebendiges Kunstwerk« 23 , und auch Alois Wolf sieht in der Szene »ein anmutiges Standbild aufgebaut, bei dem die Ästhetik der bildenden Kunst dominiert« 24 . Auf die Artifizialität verweist hier vor allem die Formulierung, Riwalins Schild wirke wie an seine Seite gelîmet (v. 712). 25 Der eigentlich handwerkliche Ausdruck des lîmens 26 wird später im Literaturexkurs des »Tristan« auch als poetologische Metapher gebraucht. 27 Ein Produzent des ›Kunstwerks‹ Riwalin wird dabei nicht genannt. Später treten neben der personifizierten Minne 28 auch die kunsthandwerklichen Tätigkeiten des Drechselns und Nähens selbst (gedræt 22 Die Verbindung der beiden descriptiones von Riwalin und Tristan hebt Wolf hervor, vgl. Wolf 1989, S. 146f. 23 Helmut de Boor: Die Grundauffassung von Gottfrieds Tristan, in: DVjs 18 (1940), S. 262-306, hier S. 278. 24 Wolf 1989, S. 117. Horst Wenzel erinnert die Darstellung weiterhin an »Herrscherfiguren in den zeitgenössischen Miniaturen« (Wenzel 1995, S. 410). 25 Auch in Bezug auf Tristan wird die Formulierung vom ›festgeleimten‹ Schild später noch einmal aufgenommen, vgl. vv. 6618-6621: der [schilt] stuont dem keiserlichem man | und vuogete ime zer sîten | dô unde z’allen zîten, | als er dar gelîmet wære. Gerade die Formulierung den schilt lîmen scheint allerdings häufiger vorzukommen. Sie findet sich auch in Hartmanns »Erec«, vv. 9077f.: ir ietweder den schilt nam | und lîmte in an sich vaste. (Ausg. Gärtner 2006, S. 266) Die neue, vom Text des Ambraser Heldenbuchs ausgehende »Erec«-Ausgabe von Andreas Hammer, Victor Millet und Timo Reuvekamp-Felber bietet dagegen l a i n t e an sich vast, vgl. Hartmann von Aue: Ereck. Textgeschichtliche Ausgabe mit Abdruck sämtlicher Fragmente und der Bruchstücke des mitteldeutschen »Erek«, hrsg. von Andreas Hammer u. a. unter Mitarbeit von Lydia Merten u. a., Berlin / Boston 2017, S. 512. Die Herausgeber interpretieren das offenar als Form von-leinen (›anlehnen‹), vgl. die Übersetzung ebd., S. 513 (›legte ihn an sich‹). Für lîmen als ›(Waffen) festhalten‹ auch »Iwein«, v. 5327: unde lîmte vaste sînen sper. Zitiert nach Iwein. Eine Erzählung von Hartmann von Aue. Mit Anm. von Georg Friedrich Benecke und Karl Lachmann, 5. Ausg. durchg. von Ludwig Wolff, Berlin / Leipzig 1926, S. 167 (nach Hs. A). Anders die Ausgabe von Volker Mertens, die (nach Hs. B) dructe bietet. Zitiert nach Hartmann von Aue: Gregorius. Der arme Heinrich. Iwein, hrsg. und übers. von Volker Mertens, Frankfurt a. M. 2004 (Bibliothek deutscher Klassiker 189 / Bibliothek des Mittelalters 6), S. 606. Vgl. außerdem den Apparat bei Benecke / Lachmann / Wolff 1926, S. 494. Eine mögliche Rezeption der »Tristan«-Stelle findet sich in »Mai und Beaflor«, vv. 3327f.: Den schilt er eben an sich maz | als er gelimet waer an in. Zitiert nach Mai und Beaflor. Minneroman des 13. Jahrhunderts, hrsg. von Christian Kiening / Katharina Mertens-Fleury, Zürich 2008, online verfügbar unter: doi.org/ 10.5167/ uzh-17304 (20.02.2020). 26 lîmen wird vor allem im Zusammenhang mit der Holzverarbeitung verwendet, besonders im (wiederum poetologisch wichtigen) Bereich der Architektur. Im Kontext der Kleiderherstellung wird der Ausdruck im »Gregorius« benutzt, vgl. v. 3399: mit- sô- gelîmter- beinwât. (Ausg. Mertens 2004, S. 194) Eine Verbindung zum Bereich der Literaturherstellung ergibt sich womöglich über die Beobachtung, dass auch buochstaben gelîmet werden, so etwa im »Trojanerkrieg« Konrads von Würzburg, vv. 1476 f. (Ausg. Thoelen / Häberlein 2015, S. 22). Vgl. auch Lexer, Bd. 1, Sp. 1922. 27 Dort heißt es über Bligger von Steinach: wie kan er rîme lîmen, | als ob si dâ gewahsen sîn! (vv. 4716 f.) Die Verbindung von rîmen und lîmen ist (auch aufgrund des Reims) in der mittelhochdeutschen Literatur recht häufig. Vgl. etwa Konrad von Würzburg, »Trojanerkrieg«, vv. 277f.: den kann ich wol gelîmen | z’ein ander hie mit rîmen. (Ausg. Thoelen / Häberlein 2015, S. 4); Rudolf von Ems, »Alexander«, vv. 3173f.: wir tihten und rîmen, | wir wænen daz wir lîmen. (Ausg. Junk 1928 / 29, S. 116); Wirnt von Grafenberg, »Wigalois«, vv. 11672-11674: mîn zunge si verschriete | und begunde si wider lîmen | mit ganzen niuwen rîmen. (Ausg. Seelbach / Seelbach 2014, S. 267) 28 Siehe dazu unten, S. 271f. 2.1 Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹? 127 unde genæt) als Produzentinnen der Figur Isolde auf, die als ein lebendez bilde erscheint (vgl. vv. 10954-10956). 29 Die Anspielungen dieser komplexen Beschreibung der Figur lassen sich kaum noch auflösen. 30 Wiederum rückt dabei die literarische Produktion in den Fokus, denn der Bereich der Textilherstellung, der hier mit genæt angesprochen wird, steht grundsätzlich besonders im Verdacht, auf die Ebene der Poetologie zu verweisen. Darauf deutet schon die in der europäischen Literaturgeschichte zentrale Metapher des Textes als ›Gewebe‹ (lat. textus) hin. 31 Im »Tristan« wird immer wieder auf diese Verbindung angespielt. 32 29 Knecht übersetzt: ›Die zwei Künste, die der Plastik und der Schneiderei, schufen da gemeinsam ein lebendes Bild‹ (S. 131); etwas anders Krohn: ›Beide zusammen, Gebilde und Gewand, haben niemals besser geschaffen ein lebendes Bild‹ (Bd. 2, S. 67). Vgl. auch Kellermann 2002, S. 135: »[N]icht die Natur, sondern die Kunstfertigkeit der höfischen Kultur schuf diese Wunderwerke.« An die Ästhetik gotischer Skulpturen denkt bei der Beschreibung Jaeger und übersetzt das lebende bilde mit »living statue« ( Jaeger 1977, S. 111-115, Zitat S. 112). Uttenreuther sieht in der Darstellung einen Hinweis darauf, dass die Frau hier als Objekt männlicher Betrachtung erscheint, vgl. Melanie Uttenreuther: Die (Un)Ordnung der Geschlechter. Zur Interdependenz von-Passion, gender und genre in Gottfrieds von-Straßburg »Tristan«, Bamberg 2009 (Bamberger interdisziplinäre Mittelalterstudien 2), S. 185f. Diese Verobjektivierung werde später bei Thomas im Statuensaal noch gesteigert, vgl. ebd., S. 194-199. - Ähnlich funktioniert - wiederum im Kontext der Ausrüstung vor dem Moroltkampf - die Formulierung: beidiu, îsen unde man, | geworhten schœner bilde nie (vv. 6690 f.). Hier erscheinen Rüstung (îsen) und Träger (man) als artifices. Man kann das zwar auch so übersetzen, dass noch nie eine Rüstung und ihr Träger ›besser ausgesehen hätten‹ (Krohn, Bd. 1, S. 407; ähnlich Haug / Scholz, Bd. 1, S. 379), aber mit geworht und bilde werden wiederum zwei Ausdrücke gebraucht, die auf das Bildfeld kunsthandwerklicher Produktion verweisen. In diese Richtung geht die Übersetzung von Knecht, S. 81: ›… dass die beiden, Eisen und Mann, nie ein schöneres Bild geschaffen hätten‹. Vgl. zu dieser Stelle weiterhin Kellermann 2002, S. 144, die von einem »aus Mann, Rüstung und Roß geschaffene[n] Kunstwerk« spricht. Dazu auch Chinca 2009, S. 33f. 30 Vgl. Chinca 2009, S. 35: »Die Kunsthandwerker sind heterogen und miteinander in mehrfacher, nämlich grammatikalischer, ontologischer und figuraler Hinsicht unvereinbar.« 31 Zur Verbindung von Kleidungsmetaphorik und Poetologie in der europäischen Literaturtradition Bickert 1988, S. 5-10; Harant 1997, S. 163-167; Andreas Kraß: Geschriebene Kleider. Höfische Identität als literarisches Spiel, Tübingen / Basel 2006 (Bibliotheca Germanica 50), S. 361-374, sowie den Sammelband ›Textus‹ im Mittelalter. Komponenten und Situationen des Wortgebrauchs im schriftsemantischen Feld, hrsg. von Ludolf Kuchenbuch / Uta Kleine 2006 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 216). Eine solche Verbindung beobachtet auch Beatrice Trînca an verschiedenen Stellen in den Werken Wolframs von Eschenbach, vgl. Beatrice Trînca: Parrieren und undersnîden. Wolframs Poetik des Heterogenen, Heidelberg 2008 (Frankfurter Beiträge zur Germanistik 46). In Bezug auf den Literaturexkurs im »Tristan« Masse 2005, S. 143f., sowie Rebekka Becker: Muße im höfischen Roman. Literarische Konzeptionen des Ausbruchs und der Außeralltäglichkeit im »Erec«, »Iwein« und »Tristan«, Tübingen 2019 (Otium 12), S. 433f. Auch in der lateinischen Poetik finden textile Metaphern Verwendung, so vestire (›einkleiden‹) und nicht zuletzt integumentum (›Verhüllung‹), dazu ebenfalls Masse 2005, S. 138f. In Bezug auf die Textherstellung verwendet etwa Rupert von Deutz (gest. 1129) das Bild des Webens (textuere), wenn er in seinem Genesis-Kommentar Josefs prächtiges Gewand auf den von Gott verfassten Text der Bibel hin auslegt: textuerunt digiti Dei omnem Scripturam (Rupert von Deutz, »Commentariorum in Genesim libri novem«, 8,20). Zitiert nach R.D.D. Ruperti abbati monasterii S. Heriberti Tuitiensis […] opera omnia, accurante J.-P. Migne, Bd. 1, Paris 1854 (PL 167), Sp. 507A. ›Die Finger Gottes webten die gesamte Schrift.‹ 32 Vgl. Philipowski 2013, S. 155: »Von allen mittelalterlichen Autoren der Erzählliteratur bedient sich Gottfried von Straßburg wohl am ausgiebigsten und differenziertesten dieses Musters: Im »Tristan« wird nicht allein der Körper der Figur zum Gewand, sondern die ganze Figur.« Die Gewand-Metapher bekomme »stellenweise die Funktion eines regelrechten Leitmotivs«. - Im vorliegenden Kontext ist auch an die Gandin-Episode zu denken, deren Pointe in der Bezeichnung von Isolde als ›Gewand‹ (wât, gewant, vv.-13420-13422) liegt. 128 2 Annäherungen Wiederum in der Perspektive einer anderen Figur erscheinen Tristan und Isolde in der zweiten Baumgartenepisode als Kunstwerk. Für König Marke wirken die ineinander verschlungenen Liebenden hier wie eine aus Metall gegossene Skulptur: 33 wîp unde neven die vander mit armen zuo z’ein ander gevlohten nâhe und ange, ir wange an sînem wange, ir munt an sînem munde; swaz er gesehen kunde, daz in diu decke sehen lie, daz vür daz deckelachen gie zuo dem oberen ende: ir arme unde ir hende, ir ahsel unde ir brustbein diu wâren alsô nâhe in ein getwungen unde geslozzen: und wære ein w e r c g e g o z z e n von êre oder von golde, ez’n dorfte noch ensolde niemer baz g e v ü e g e t sîn. (vv. 18195-18211; Hervorhebung L.M.) Das Bild der Vereinigung der Geliebten vor ihrer Trennung erinnert dabei an die literarische Situation im Tagelied und erscheint schon insofern als ›künstlich‹. Auch Wolfram von Eschenbach benutzt in einem seiner Lieder eine vergleichbare Bildlichkeit, um eine ganz ähnliche Situation zu beschreiben. 34 Im »Tristan« stellt die Szene einen zentralen Wendepunkt der Handlung dar, der außerdem auf das tragische Ende der Erzählung vorausdeutet: 35 Wir wissen zwar nicht, wie Gottfried den gemeinsamen Liebestod gestaltet hätte, aber vor allem die Formulierung ir munt an sînem munde erinnert deutlich an das buche a buche (»Tristran«, 33 Chinca spricht von einem »artwork, for that is what the lovers have become in the eyes of the king« (Chinca 1997, S. 94). Vgl. weiterhin Kellermann 2002, S. 138, 140: »[I]n der letzten Liebesvereinigung visualisiert Gottfried Tristan und Isolde als ein perfektes Werk der bildenden Kunst.« Von einer »Minneskulptur« spricht auch Anina Barandun: Die Tristan-Trigonometrie des Gottfried von Straßburg. Zwei Liebende und ein Dritter, Tübingen / Basel 2009, S. 265. 34 Vgl. Wolfram von Eschenbach, »Den morgenblic« (MF 3,1), Str. 3, vv. 5-8: sus kunden sî dô vlehten | ir munde, ir bruste, ir arme, ir blankiu bein. | Swelch schiltaer entwurfe daz, | geselleclîche als si lâgen, des waere ouch dem genuoc. Zitiert nach Des Minnesangs Frühling. Unter Benutzung der Ausgaben von Karl Lachmann und Moriz Haupt, Friedrich Vogt und Carl von Kraus bearb. von Hugo Moser / Helmut Tervooren, Bd. 1: Texte, 38., erneut rev. Aufl. Mit einem Anhang: Das Budapester und Kremsmünsterer Fragment, Stuttgart 1988, S. 437. Die Nähe der »Tristan«-Stelle zu Wolframs Tageliedern im Allgemeinen betont ohne Erwähnung der artifiziellen Metaphorik auch Krohn, Bd. 3, S. 258, in Bezug auf Peter Wapnewski: Die Lyrik Wolframs von Eschenbach. Edition, Kommentar, Interpretation, München 1972, S. 30f. 35 Auf die Parallelen zur Minnetrankszene verweist Rainer Warning: Die narrative Lust an der List. Norm und Transgression im »Tristan«, in: Transgressionen. Literatur als Ethnographie, hrsg. von Gerhard Neumann / Rainer Warning, Freiburg i.Br. 2003 (Rombach Wissenschaften. Reihe Litterae 98), S. 175-212, hier S. 203f. 2.1 Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹? 129 v.-3117), mit dem Thomas die Vereinigung der Liebenden im Tod beschreibt. 36 Damit wird das Motiv des Liebestodes gewissermaßen in die Baumgartenepisode hineingeholt und dort mit der Künstlichkeit der Liebenden verbunden, die Tristan und Isolde ein Weiterleben über den Tod hinaus ermöglichen wird. Oder wie Sandra Linden es ausdrückt: »Für einen Moment haben sie sich auf der Handlungsebene in das Kunstwerk verwandelt, als das sie in der Literatur zeitenübergreifend existieren werden« 37 . Zusammenfassend lässt sich also festhalten: Indem die Figuren im »Tristan« immer wieder mit Ausdrücken aus unterschiedlichen kunsthandwerklichen Bereichen in Verbindung gebracht werden, wird ihre Artifizialität auf der Textoberfläche zum Ausdruck gebracht, erscheinen sie als Artefakte des Erzählers beziehungsweise Autors. Das ist aber nur eine Sichtweise auf die Sache, wie sich anhand der eingangs zitierten Textstelle zeigen lässt: Mittelalterliche Rezipienten konnten hier beim wercman, dessen Kunstfertigkeit in der vollkommenen Gestalt des jungen Tristan zum Ausdruck kommt, nämlich auch an den deus artifex denken, der den Menschen wie ein Handwerker geschaffen hat. 38 Schon das Alte Testament vergleicht Gott 36 Die ganze Stelle bei Thomas lautet: Embrace le e si s’estent, | Baise li la buche e la face | E molt estreit a li l’enbrace, | Cors a cors, buche a buche estent (»Tristran«, vv. 3114-3118). ›Sie umarmt ihn und streckt sich hin, küßt ihm den Mund und das Gesicht und ganz eng an ihn gepreßt umarmt sie ihn, Leib an Leib, Mund an Mund streckt sie sich aus.‹ Ob bereits bei Thomas eine Verbindung der beiden Stellen angelegt war, lässt sich nicht mehr sagen, weil im Cambridger Fragment, das die Baumgartenepisode überliefert, der Anfang der Textstelle fehlt. Sowohl der Befund dieses Fragmentes als auch der »Tristramssaga« deuten aber darauf hin, dass es sich bei der Darstellung der Liebenden um eine Erfindung Gottfrieds handelt. 37 Linden 2017, S. 265. Ähnlich Christian Buhr: Zweifel an der Liebe. Zu Form und Funktion selbstreferentiellen Erzählens im höfischen Roman, Heidelberg 2018 (Frankfurter Beiträge zur Germanistik 57), S.-215: »Hier […] werden die Liebenden im Zusammenspiel von Wort und Bild zur Kunst erklärt, gerinnt das »Tristan«-Syntagma zur zeitenthobenen ästhetischen Erscheinung.« 38 Vgl. dazu grundlegend Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 2. durchges. Aufl., Bern 1954, S. 527-529; Harant 1997, S. 147f; Kiening 2015, S. 13-16. - Man könnte hier auch an die Vorstellung der natura creatrix denken, vgl. Michael Seggewiss: ›Natur‹ und ›Kultur‹ im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg, Heidelberg 2012 (Beiträge zur älteren Literaturgeschichte), S. 116. Allerdings scheint diese bei Gottfried offenbar trotz der Rezeption des Alanus ab Insulis keine Rolle zu spielen, vgl. Fritz Peter Knapp: Allegorie, in: Die Rezeption lateinischer Wissenschaft, Spiritualität, Bildung und Dichtung aus Frankreich, hrsg. von Fritz Peter Knapp, Berlin / Boston 2014 (Germania Litteraria Mediaevalis Francigena 1), S. 281-306, hier S. 291. Der Erzähler benutzt allerdings bei der Beschreibung seiner Figuren zumindest immer wieder eine ›organische‹ Bildlichkeit, etwa wenn er in der vorliegenden descriptio sagt, Tristan und sein Pferd passen zueinander als ob si wæren under in zwein | mit ein ander unde in ein-| alsô g e w a h s e n unde g e b o r n . (vv. 6709-6711; Hervorhebung L.M.) Vgl. dazu Chinca 2009, S. 34. Eine prominente Darstellung der personifizierten Natur als Produzentin einer Figur bietet Chrétien bei der Beschreibung Enites - ausgerechnet mit einem Verweis auf Isolde: Molt estoit la pucele gente, | car tote i ot mise s’antante | Nature qui fete l’avoit; | ele meïsmes s’an estoit | plus de .v c . foiz merveilliee | comant une sole foiee | tant bele chose fere pt; | car puis tant pener ne se pot | qu’ele poïst son essanplaire | an nule guise contrefaire. | De ceste tesmoingne Nature c’onques si bele criature ne fu veüe an tot le monde. | Por voir vos di qu’Isolz la blonde | n’ot les crins tant sors ne luisanz | que a cesti ne fust neanz. (»Erec et Enide«, vv. 411-426) ›Die Jungfrau war sehr liebenswert; die Natur hatte ja auch alle ihre Kunst darauf verwendet, ihren Körper zu bilden. Sie selbst hatte sich mehr als fünfhundertmal darüber gewundert, wie sie ein einziges Mal etwas derart Vollkommenes zustande bringen konnte; nachher konnte sie sich plagen, wie sie wollte, es gelang ihr nicht, dieses Muster auf irgendeine Art nachzuahmen. Die Natur selbst bezeugt, daß ein so schönes Geschöpf niemals sonst auf der ganzen Welt gesehen wurde. Ich sage euch fürwahr: So golden und leuchtend auch das Haar der blonden Isolde war, sie hätte doch gegen diese Jungfrau zurückstehen müssen.‹ Zitat und Übersetzung nach Chrétien de Troyes: Erec et Enide. Erec und Enide. Altfranzösisch / deutsch, übers. und hrsg. von Albert Gier, Stuttgart 1987 (RUB 8360), S. 26f. Dabei könnte man darüber 130 2 Annäherungen in diesem Sinne mit einem Töpfer (lat. figulus), der aus Ton die Menschen formt. 39 In verschiedenen mittelhochdeutschen Texten wird die Bezeichnung wercman ausdrücklich auf Gott bezogen. 40 Deswegen liegt es nahe, in der vorliegenden »Tristan«-Stelle den wercman ebenfalls anstelle des Autors mit Gott zu identifizieren, wie das der Großteil der modernen Interpreten tut. 41 In diesem Sinne wird Gott auch später in der Perspektive der irischen Hofleute explizit für Tristans ritterliche figiure verantwortlich gemacht: »wâ geschuof ie got figiure baz | ze ritterlîchem rehte? « (vv. 11204 f.). 42 Wenn aber Gott als artifex des jungen Ritters auftritt, ist das mit einer ›mimetischen‹ Perspektive auf die Figur vereinbar: als g ö t t l i c h geschaffenes artificium würde sich Tristan nicht von realen Personen unterscheiden. Allerdings scheint mir die Identität des wercmannes im »Tristan« keineswegs so eindeutig festgelegt zu sein, wie es in der Forschung zuweilen den Eindruck macht. Vielmehr werden hier göttliche und menschliche Autorschaft enggeführt, ohne dass sich ihr Verhältnis auflösen ließe. 43 Im »Tristan« wird der nachdenken, inwiefern gerade durch den intertextuellen Bezug auf Isolde bei Chrétien wiederum der literarische Charakter der gesamten Anlage durchsichtig wird. 39 Vgl. Jes 29,16: perversa est haec vestra cogitatio quasi lutum contra figulum cogitet et dicat opus factori suo non fecisti me et figmentum dicat fictori suo non intellegis. ›Eure Verkehrtheit! Soll denn der Töpfer geachtet werden wie der Ton, dass das Werk von dem, der es gemacht hat, sagen könnte: Er hat mich nicht gemacht! , und das Gebilde von seinem Bildner: Nichts hat er begriffen! ‹ (Zürcher Bibel); Jer 18,6: ecce sicut lutum in manu figuli sic vos in manu mea domus Israhel. ›Seht, wie der Ton in der Hand des Töpfers, so seid ihr in meiner Hand, Haus Israel.‹ (ebd.). Siehe auch Röm 9,20f.: o homo tu quis es qui respondeas Deo numquid dicit figmentum ei qui se finxit quid me fecisti sic an non habet potestatem figulus. ›O Mensch, wer bist du eigentlich, dass du mit Gott zu rechten wagst? Wird etwa das Werk zum Meister sagen: Warum hast du mich so gemacht? Hat denn der Töpfer nicht Macht über den Ton? ‹ (ebd.) 40 So schon in der »Wiener Genesis« (Anfang 12. Jh.) im Kontext der Erschaffung des Menschen: Der here werchman | da nach einen leim nam | also der tůt der uz wahsse | ein pilede machet | […] | Da ze dem hoͮ bite er bigan | daz pilede machon (vv. 215-230). Zitiert nach Die altdeutsche Genesis. Nach der Wiener Handschrift, hrsg. von Viktor Dollmayr, Halle a.S. 1932 (ATB 31), S. 7. Später dann etwa bei Konrad von Würzburg, »Got gewaltec, waz du schickest«: wercman hôch (v. 195). Zitiert nach Kleinere Dichtungen Konrads von Würzburg, Bd.-3: Die Klage der Kunst, Leiche, Lieder und Sprüche, hrsg, von Edeard Schröder, Berlin 3 1959, S. 14. Siehe weiterhin etwa Bruder Wernher, Lied 18: des sol der wercman geêret sîn (v.-4). Zitiert nach Bruder Wernher: Sangsprüche, transliteriert, normalisiert, übers. und komm. von Ulrike Zuckschwerdt, Berlin / Boston 2014 (Hermaea. N. F. 134), S. 183. - Zur Vorstellung von Gott als ›Meisterschmied‹ auch Schwietering 1921, S. 57. 41 Vgl. Gottfried Weber: Gottfrieds von Straßburg Tristan und die Krise des hochmittelalterlichen Weltbildes um 1200, Bd. 1-2, Stuttgart 1953, Bd. 1, S. 121f.: »Gemeint ist hier natürlich Gott, aber der Dichter, der sonst mit und ohne Anlaß Gottes Namen im Munde führt, umgeht hier offenbar bewußt die unmittelbare Nennung Gottes - sichtlich deswegen, weil er den überirdischen Künstler, der des Helden Erscheinung so herrlich zu gestalten wußte, nicht ohne weiteres mit der christlichen Gottesvorstellung gleichzusetzen wünscht, sondern seine Phantasiekraft wohl mehr in die Richtung einer absoluten Naturkraft leiten wollte«. Weiterhin Jaeger 1977, S. 120: »Both works of art - the armor and the man - have been created by a skilled craftsman; a human being created the one, God the other.« Wolf 1989, S. 147: »[D]ieser wercmann […] kann nur Gott sein. Gott als Schöpfer menschlicher Schönheit und Vollkommenheit gehört bekanntlich zum Bestandteil mittelalterlichen Denkens und Beschreibens.« Siehe auch Chinca 2009, S. 33. 42 Die artifizielle Rolle Gottes betont für diese Stelle auch Weber 1953, Bd. 1, S. 122: »[Z]udem ist aber auch wieder Gott nahe an die Vorstellung eines unpersönlichen allgemein-transzendenten - in diesem Falle: höfisch-künstlerisch gearteten Gestalters herangerückt.« 43 Weniger vorsichtig formuliert Marie-Sophie Masse, wenn sie davon spricht, hier werde »die Tätigkeit des Dichters, der in seiner descriptio eine literarische Figur schafft, implizit mit dem göttlichen Schöpfungsakt verglichen«, so dass eine »Aufassung des Dichters als Demiurg« zum Ausdruck komme, vgl. Masse 2005, S. 154. - Ähnliche Engführungen von dichterischer und göttlicher Schöpfung lassen sich auch bei anderen mittelhochdeutschen Autoren beobachten. Ein Beispiel dafür bietet etwa Walthers Frauenpreislied »Vil 2.1 Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹? 131 Artefakt-Charakter der Figuren zwar immer wieder auf der Textebene angedeutet, es bleibt aber letztlich offen, wie dieser zu bewerten ist. Die ›Gemachtheit‹ der Figuren wird jedoch nicht nur auf der Oberfläche des Textes sprachlich zum Ausdruck gebracht, sondern lässt sich auch auf anderen Ebenen beobachten, wie zunächst ein Blick auf die Stoffgeschichte des »Tristan« zeigt. 2.1.1 fabelen, die hier under sint. Zur ›Geschichtlichkeit‹ der Figuren Die epische Großform des Romans, die der Tristanstoff in der Mitte des 12. Jahrhunderts erhält, 44 ist eine Verknüpfung ganz unterschiedlicher narrativer Muster, die auch unabhängig davon verbreitet sind. Obwohl Herkunft und Entwicklung des Stoffes bis zum Zeitpunkt seiner Verschriftlichung weitgehend im Dunkeln liegen, scheint es, als habe der Kern der Geschichte wie ein Magnet andere Erzählstoffe und Motive angezogen und in die Ursprungssage integriert. 45 Es handelt sich beim Tristanstoff gewissermaßen um eine ›zusammengesetzte‹ Erzählung, 46 eine »Geschichte aus allerlei Geschichten« 47 . Die Stoffgeschichtsforschung, lange Zeit das Kerngebiet der Tristanphilologie, 48 hat versucht, den Prozess dieser ›Aufschwellung‹ 49 des Stoffes nachzuvollziehen und die einzelnen Stufen seiner Entwicklung zu rekonstruieren. 50 In wundern wol gemaht wîp« (L 53,25), zitiert in der Fassung DN nach Walther von der Vogelweide. Leich, Lieder, Sangsprüche. 15., veränderte und um Fassungseditionen erw. Aufl. der Ausg. Karl Lachmanns. Aufgrund der 14., von Christoph Cormeau bearb. Ausg. neu hrsg., mit Erschließungshilfen und textkritischen Kommentaren versehen von Thomas Bein. Edition der Melodien von Horst Brunner, Berlin / Boston 2013, S. 199f.: Nachdem zunächst die göttliche Schöpfung der Dame fokussiert zu werden scheint (Str. 1,1: Vil wundern wol gemaht wîp, ›Mit Wundern gut erschaffene Frau‹), betont das Lied direkt im Anschluss die Abhängigkeit des Frauenpreises vom Sänger-Ich und seiner Kunst (Str. 1,3f.: ich setze ir minniclîchen lîp | vil werde in mînen hôhen sanc). Die eigentliche Beschreibung der Schönheit in Strophe zwei wird dann in Strophe drei wiederum als Ergebnis göttlicher Kunstfertigkeit dargestellt - wobei der Text eine artifizielle Bildlichkeit bemüht (Str. 3,1f.: Got het ir wengel hôhen vlîz, | er streich sô tiure varwe dar). - Zum Verhältnis von göttlicher und dichterischer Schöpfung in der mittelalterlichen Literatur grundlegend Kiening 2015. 44 Diese erste schriftliche Stufe der Überlieferung, die wir nach einer Nennung bei Béroul (v. 1789) als ›Estoire‹ bezeichnen (vgl. zuerst Schoepperle 1913, S. 8), ist nicht erhalten, vgl. Tomasek 2007, S. 268-270. 45 Haug beschreibt diesen Prozess etwa folgendermaßen: »Wir fassen […] einen stofflichen Kern, an den sich Motivkomplexe unterschiedlicher Art und Herkunft angelagert haben. […] [W]ie immer man die Vorgeschichte im einzelnen rekonstruieren mag, im Prinzip gilt, daß man es mit einer stufenweisen Addition und Verzahnung von gängigen, d. h. auch anderweitig faßbaren Motivkomplexen zu tun hat.« (Walter Haug: Der »Tristan« - eine interarthurische Lektüre, in: Artusroman und Intertextualität. Beiträge der Deutschen Sektionstagung der Internationalen Artusgesellschaft 1989, hrsg. von Friedrich Wolfzettel, Gießen 1990 (Beiträge zur deutschen Philologie 67), S. 57-72, hier S. 57f.) Von einer »Komposition aus einem bunten Mosaik von Einzelstücken verschiedenen Niveaus und weltweiter Herkunft, dem Repertoire der Conteurs und Spielleute entnommen,« spricht Mohr 1976, S. 59. 46 Von einer »composite legend« spricht Helaine Newstead: The Origin and Growth of the Tristan Legend, in: Arthurian Literature in the Middle Ages. A Collaborative History, hrsg. von Roger Sherman Loomis, Oxford 1959, S. 122-133, hier S. 125. Zum ›additiv-kompositorischen‹ Charakter des Stoffes weiterhin etwa Haug 1990, S. 57. 47 Mohr 1976, S. 76. 48 Vgl. Dicke 1997a, S. 1; Gerd Dicke: Das belauschte Stelldichein. Eine Stoffgeschichte, in: Der »Tristan« Gottfrieds von Straßburg. Symposion Santiago de Compostela, 5. bis 8. April 2000, hrsg. von Christoph Huber / Victor Millet, Tübingen 2002, S. 199-220, hier S. 199. 49 Zum »aufgeschwellten Stoff« Huber 3 2013, S. 57. 50 Dieses Vorhaben verteidigen noch Gottfried Weber / Werner Hoffmann: Gottfried von Straßburg. 5., von Werner Hoffmann bearb. Aufl., Stuttgart 1981, S. 28: »[D]em Werden eines Stoffes nachzugehen bleibt 132 2 Annäherungen der germanistischen Forschung ist dieser Versuch vor allem mit dem Namen Friedrich Rankes verbunden, der in der Zusammenfügung der verstreuten Motive und Erzählmuster die Leistung eines einzelnen »unbekannte[n] große[n] Künstler[s]« 51 sah. Dieser geniale Dichter habe die ursprüngliche Sage »mit lebhafter, an Märchenmotiven gesättigter Phantasie ausgebaut« und verschiedene zuvor unabhängig voneinander überlieferte Teile »zur Einheit zusammengeschlossen« 52 . Noch in der Gestalt der schriftlichen Texte des 12. und 13. Jahrhunderts lasse sich beobachten, wie er aus der Fülle der ihn bedrängenden Geschichte, aus dem reichen Schatz ihm bekannter Erzählungen, sich die geeigneten auswählt und aus ihnen mit einem bei der Leidenschaftlichkeit seiner Phantasie erstaunlich klaren Kunstverstand die Steine zurichtet, deren er zu seinem Bau bedarf. 53 Der Nachweis solcher ›Bausteine‹ diente der älteren Stoffgeschichtsforschung dabei vor allem dazu, auf die Herkunft des Stoffes zu schließen. So leitete Gertrude Schoepperle aus den Parallelen des »Tristan« mit der »popular tradition« der britischen Inseln einen keltischen eine legitime Aufgabe der Literaturgeschichte auch im schon wieder zu Ende gehenden ›Zeitalter der Einzelinterpretation‹.« 51 Friedrich Ranke: Tristan und Isold, München 1925 (Bücher des Mittelalters), S. 8. Diese Vorstellung eines einzelnen Autors des ›Ur-Tristan‹ hat die Stoffgeschichtsforschung spätestens seit Bédiers grundlegender Untersuchung von 1902 beziehungsweise 1905 dominiert. In Folge einer modernen Genieästhetik und in Anlehnung an Vorstellungen und Methoden der klassischen Textphilologie hatte Bédier eine kollektive Entstehung (»la collaboration instinctive des générations, à l’apport presque inconscient de lignées de conteurs anonymes«, Bédier 1902-1905, Bd.- 2, S. 318f.) abgelehnt: »[L]a légende de Tristan est essentiellement la création d’un grand poète« (ebd., S. 318). Gegen diese Auffassung hat sich allerdings schon früh Gertrude Schoepperle mit einem schönen Bild gewandt: »There is no evidence, however, that the lost poem was as perfect artistically as M. Bédier supposes. Even if there were, it would be unjustifiable to infer, merely from such evidence, that it was created at one stroke by a single poet. We may admire the symmetry of Canterbury Cathedral, but the aesthetic justification [of] our admiration cannot make Canterbury Cathedral the work of one man or of one century.« (Schoepperle 1913, S. 5) In der Tristanforschung hat diese Kritik allerdings kaum Wirkung gezeigt. Noch in Christoph Hubers Einführung liest man: »Nur ein individueller, überlegt disponierender Autor konnte den großen Bogen der Geschichte von Tristans Eltern bis zum Untergang des Liebespaares spannen und dabei Einzelelemente unterschiedlicher Herkunft in einen Handlungsstrang verflechten.« (Huber 3 2013, S. 19) Die verschiedenen Ansätze der Forschung unterscheiden sich vor allem in der räumlichen und zeitlichen Verortung des ›Ur-Tristan‹ und seines Autors. Bédier hat ihn auf die Zeit zwischen 1066 (der normannischen Eroberung Englands) und 1154 (dem Nachweis der Bekanntheit des Stoffes bei Bernart de Ventadorn und anderen Troubadours) datiert und als Autor einen Anglo-Normannen vermutet, vgl. Bédier 1902-1905, Bd. 2, S. 313f. Ranke verortet den Text in der ersten Hälfte des 12. Jh.s »gewiß in der alten Heimat des Tristanstoffes, in Kornwall« (Ranke 1925a, S.-8). Die früheste mir bekannte Datierung findet sich bei Sigmund Eisner. Er sah den ›Ur- Tristan‹ als »the work of a highly literate person, undoubtedly religious, who probably was associated with a North British monastery in about the seventh century« (Sigmund Eisner: The Tristan Legend. A Study in Sources, Evanston (Illinois) 1969, S. 159). 52 Ranke 1925a, S. 8. 53 Ebd., S. 20. 2.1 Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹? 133 Ursprung der Erzählung ab, 54 während Rudolf Zenker aufgrund von Ähnlichkeiten zum persischen Epos »Wîs und Râmîn« (um 1050) an eine orientalische Provinienz glaubte. 55 Solche Versuche haben sich jedoch letztlich als vergeblich erwiesen, weil es sich bei den meisten der im Tristanstoff verarbeiteten Narrative um mehr oder weniger ubiquitäres Erzählmaterial handelt, das »aus dem Fundus der zeitlich wie räumlich kaum je fixierbaren internationalen (klein)epischen Stoffe, Plots und Motive« 56 stammt. Nachdem stoffgeschichtliche Fragestellungen in der Tristanforschung deshalb für längere Zeit kaum mehr eine Rolle gespielt haben, gelang es erst Hugo Kuhn und Walter Haug in zwei Aufsätzen aus dem Jahr 1973 unabhängig voneinander, von der Suche nach Abhängigkeiten abzurücken und neue Fragen an das stoff- und motivgeschichtliche Material zu stellen. 57 Diese Ansätze wurden dann vor allem von Gerd Dicke in mehreren Arbeiten weitergeführt, die einen wichtigen Ausgangspunkt meiner Untersuchung darstellen. 58 In expliziter Abgrenzung von »jener Art von Stoffgeschichte […], die die Forschung zu Beginn unseres [das heißt des 20.] Jahrhunderts kennzeichnete,« 59 geht es in den Ansätzen von Haug, Kuhn und Dicke nicht mehr 54 Vgl. Schoepperle 1913, Zitat S. 6. Zur ›keltischen These‹, die lange Zeit die Forschung bestimmt hat, vgl. Walter Haug: Die Tristansage und das persische Epos »Wîs und Râmîn«, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift. N. F. 54 (1973), S. 404-423, hier S. 408-411; Dicke 1997a, S. 1-4. Siehe dazu neben Schoepperle etwa Rachel Bromwich: Some Remarks on the Celtic Sources of »Tristan«, in: Transactions of the Honourable Society of Cymmrodorion (1953), S. 32-60. Aus jüngerer Zeit etwa William J. McCann: Tristan. The Celtic Material Re-examined, in: Gottfried von Strassburg and the Medieval Tristan Legend. Papers from an Anglo-North American Symposium, hrsg. von Adrian Stevens / Roy Wisbey, Cambridge 1990 (Arthurian Studies 23 / Publications of the Institute of Germanic Studies 44), S. 19-28; Mary Brockington: The Seperating Sword in the »Tristan« Romances. Possible Celtic Analogues Re-examined, in: Modern Language Review 91 (1996), S. 281-300. Ganz deutlich vertritt noch Marion Mälzer die Vorstellung eines keltischen Ursprungs der Tristansage, wobei sie sich auf das stoffgeschichtliche Modell von Ranke bezieht, vgl. Marion Mälzer: Die Isolde-Gestalten in den mittelalterlichen deutschen Tristan-Dichtungen. Ein Beitrag zum diachronischen Wandel, Heidelberg 1991 (Beiträge zur älteren Literaturgeschichte). Dazu auch die Rezension von Christoph Huber, in: ZfdPh 115 (1996), S. 118-129, hier S. 118. Auch wenn das stoff- und motivgeschichtliche Material die Annahme eines keltischen Ursprungs nicht erlaubt, verweisen darauf doch immerhin die Schauplätze der Erzählung sowie vor allem die Namen der Figuren. 55 Vgl. Rudolf Zenker: Die Tristansage und das persische Epos von Wis und Ramin, in: Romanische Forschungen 29 (1911), S. 321-369; weitere Vertreter der ›orientalischen‹ These sind besonders Franz Rolf Schröder: Die Tristansage und das persische Epos »Wîs und Râmîn«, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift. N. F. 42 (1961), S. 1-44, sowie Pierre Gallais: Genèse du roman occidental. Essais sur Tristan et Iseut et son modèle persan, Paris 1974. Vgl. dazu Haug 1973; Angelika Hartmann: Das persische Epos »Wis und Ramin«. Ein-Vorläufer des »Tristan«? , in: Tristan und Isolt im Spätmittelalter. Vorträge eines interdisziplinären Symposiums vom 3. bis 8. Juni 1996 an der Justus-Liebig-Universität Gießen, hrsg. von Xenja von Ertzdorff unter redaktioneller Mitarbeit von Rudolf Schulz, Amsterdam 1999 (Chloe 29), S. 103-139. 56 Dicke 1997a, S. 3. 57 Vgl. Haug 1973; Hugo Kuhn: Tristan, Nibelungenlied, Artusstruktur [1973], in: Liebe und Gesellschaft, hrsg. von Wolfgang Walliczek, Stuttgart 1980 (Kleine Schriften 3), S. 12-35. Zur Abkehr von den Fragen der älteren Stoffgeschichte weiterhin Mohr 1976, bes. S. 66-68. - Diese Ansätze sind auch im größeren Kontext einer ›Neuen Stoffgeschichte‹ oder Thematologie zu sehen, die sich in den 1970er Jahren etabliert hat. Zu diesem Vorhaben Manfred Beller: Von der Stoffgeschichte zur Thematologie, in: Arcadia 5 (1970), S. 1-38; Adam John Bisanz: Zwischen Stoffgeschichte und Thematologie. Betrachtungen zu einem literarhistorischen Dilemma, in: DVjs 47 (1973), S. 148-166. 58 Vgl. Dicke 1997a; Dicke 2002 sowie Gerd Dicke: Gouch Gandin. Bemerkungen zur Intertextualität der Episode ›Rotte und Harfe‹ im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg, in: ZfdA 127 (1998), S. 121-148. 59 Haug 1973, S. 407. 134 2 Annäherungen um Ursprünge und Abhängigkeiten, sondern um die »erzählerische[ ] Funktion« 60 der verschiedenen Narrative im Roman. Anstelle der Geschichte des Stoffes steht hier vielmehr die G e s c h i c h t l i c h k e it des Textes im Vordergrund. 61 Die ›märchenhaften‹ Erzählstoffe, die dem Roman zugrunde liegen, werden nicht mehr mit konkreten Einzeltexten identifiziert, sondern vielmehr als abstrakte Muster verstanden. 62 Dicke spricht von ›Erzähltypen‹, die er definiert als »das, wovon Texte Versionen sind, also ein Abstraktionsprodukt aus der Gesamtheit seiner Fassungen.« 63 Die einzelnen Erzählungen haben nur noch den Charakter von Belegen für die Bekanntheit und die narrativen Möglichkeiten solcher Erzähltypen. Während Ranke die Erzählstoffe und -motive vor allem p r o d u z e n t e n s e it i g in Bezug auf den Autor des ›Ur-Tristan‹ im ›reichen Schatz ihm bekannter Erzählungen‹ verortet hatte, lassen sie sich ausgehend von der Definition Dickes und in Übereinstimmung mit den Analysekategorien meiner Untersuchung auch r e z i p i e n t e n s e it i g bestimmen. Wenn man davon ausgeht, dass die Leser und Hörer der Zeit um 1200 mit den im »Tristan« verarbeiteten Mustern vertraut waren, dass sie also die ›Bausteine‹ erkannt haben, aus denen der Roman zusammengesetzt ist, dann handelt es sich bei den verschiedenen Erzähltypen um literarische Wissensbestände der Rezipienten, die bei der Lektüre des Romans abgerufen werden können. Diese rezipientenseitige Bedeutung der Geschichtlichkeit des Tristanstoffes und ihre Funktion hat schon Wolfgang Mohr anschaulich beschrieben: Das Publikum, dem zuerst ein Tristanroman vorgelesen wurde, wird […] sich auf Schritt und Tritt an Bekanntes aus dem großen Erzählvorrat der Conteurs erinnert haben, an ähnliche Erzähltypen, Erzählschemata, Erzählverläufe. […] [D]ie Hörer brachten der Geschichte […] ihre eigenen Erwartungen entgegen. Der Hörer oder Leser ist ja nicht unbeteiligt an der Formung der Geschichte, die ihm erzählt wird, sein rezeptiver Formbetrieb schafft an ihr mit. Er wird durch das angeschlagene Thema auf eine bestimmte Fährte gesetzt, macht sich Gedanken, wie es weitergehen wird […]. 64 Das bedeutet, dass auch bei der Bildung des mentalen Modells der Figuren literarisches Rezipientenwissen aktualisiert wird. Mit der Verwendung ›märchenhafter‹ Erzähltypen gelangen Handlungsrollen in den Roman, die sich zum Beispiel mit dem Aktantenmodell beschreiben lassen. 65 60 Ebd., S. 410. 61 Vgl. ebd., S. 407. Dazu auch Dicke 1997a, S. 17f. 62 Vgl. dazu auch Mohr 1976, S. 66-68. 63 Dicke 1997a, S. 18. Dieser Gedanke findet sich auch schon in der älteren Erzählforschung. Wenn etwa Hans Honti ›Märchentypen‹ nicht als »gegebene Wirklichkeit« auffasst, sondern als »ideelle Einheit« beziehungsweise als »die Substanz, deren Erscheinung die Vielheit der Varianten ist,« (Hans Honti: Märchenmorphologie und Märchentypologie, in: Folk-Liv 3 (1939), S. 307-318, hier S. 307) dann wird auch dabei der Erzähltyp als ein abstraktes Konstrukt gedacht, vgl. dazu Dicke 1997a, S. 15f. - Um die abstrakten Muster zu beschreiben, ist es freilich notwendig, sich auf konkrete Texte zu beziehen, und es kommt daher der älteren Stoffgeschichte sowie der volkskundlichen Erzählforschung der große Verdienst zu, das Material für solche Untersuchungen zur Verfügung zu stellen, vgl. dazu Haug 1973, S. 407; Dicke 1997a, S. 10. 64 Mohr 1976, S. 60. Vgl. auch Haug 1990, S. 63: »Der Hörer oder Leser erkennt also diese gängigen Erzählmuster, und indem er dies tut, weiß er auch, wie die ihnen verpflichteten Handlungen ablaufen werden […].« 65 Mohr drückt das folgendermaßen aus: Die Erzählschemata »stellen, sobald sie auftreten, ihre eigenen Spielregeln [auf], nach denen der epische Verlauf sich eine Weile richten muß, sie teilen den Figuren des 2.1 Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹? 135 Zuweilen wird das auch auf der Textebene des Romans zum Ausdruck gebracht. Das kann etwa durch ein so kleines Signal geschehen wie die Tatsache, dass mit Marke, Morolt, Morgan, Marjodo und Melot die Namen beinahe aller wichtigen Gegenspieler des Protagonisten mit demselben Anfangsbuchstaben beginnen. 66 In einem Text, der so stark auf Sprache achtet wie der »Tristan«, dürfte das kaum ein Zufall sein. 67 Dieses Indiz deutet auf eine vergleichbare Handlungsrolle der verschiedenen Akteure hin. Darin kann man ein Zeichen der Künstlichkeit der erzählten Welt erkennen: Die Namen verdanken sich nicht etwa einer historischen Überlieferung, 68 sondern einem poetischen Kunstgriff, der auf die Funktionalität der Figuren verweist. Die Figuren erscheinen gewissermaßen - zumindest in diesem einen Aspekt - als Wiederholungen voneinander. 69 Dabei handelt es sich freilich um eine eher subtile Anspielung, die nicht für jeden Leser oder Hörer zu erkennen gewesen sein dürfte. Eine Textstelle, in der sich die literarische Verfasstheit der Figuren deutlicher zeigt, findet sich im Kontext der Minnegrotte: Als Markes Jägermeister zufällig auf die Grotte stößt und durch ein Fenster auf die schlafende Isolde blickt, erscheint sie ihm wie ein Wesen aus einer anderen Welt. 70 Später berichtet der Jäger dem König, es sei ihm vorgekommen, als habe er es nicht mit einem Menschen zu tun gehabt: »jâ, hêrre, dâ ist inne ein man und ein gotinne: […] der man ist alse ein ander man; mîn zwîvel ist aber dar an, sîn geslâfe [›Schlafgenossin‹] dâ bî Romans jeweils neue Aufgaben und Rollen zu, die sie im Rahmen des Schemas zu erfüllen haben.« (Mohr 1976, S. 76) 66 Auf die Alliteration von Marke, Marjodo und Melot verweisen auch Gareth S. Penn / Frederic C. Tubach: The Constellation of Characters in the »Tristan« of Gottfried von Strassburg, in: Monatshefte für deutschen Unterricht, deutsche Sprache und Literatur 65 (1972), S. 325-333, hier S. 331, sowie Uwe Ruberg: Zur Poetik der Eigennamen in Gottfrieds »Tristan«, in: Sprache - Literatur - Kultur. Studien zu ihrer Geschichte im deutschen Süden und Westen. Wolfgang Kleiber zu seinem 60. Geburtstag gewidmet, hrsg. von Albrecht Greule / Uwe Ruberg, Stuttgart 1989, S. 301-320, hier S. 313, der mit Hinweis darauf, dass im Mittelalter »öfter nahe Angehörige der gleichen Sippe durch alliterierende Namen zusammengeschlossen waren«, ironisch von einer ›Familienähnlichkeit‹ spricht. 67 Vgl. für die ›Poetik der Eigennamen‹ im »Tristan« Ruberg 1989. Andere Figuren, deren Name ebenfalls mit M beginnt, gibt es im »Tristan« nicht. Die Namen sind, soweit man dem Zeugnis der »Tristramssaga« trauen kann, von Thomas übernommen. Eine Ausnahme bildet Melot, der nur bei Gottfried überliefert ist, vgl. schon den Kommentar von Wilhelm Hertz in Tristan und Isolde von Gottfried von Straßburg. Neu bearb. und nach den altfranzösischen Tristanfragmenten des Trouvers Thomas ergänzt von Wilhelm Hertz, Stuttgart 1877, S.-594. In der »Tristramssaga« heißt er nur ›der Zwerg‹ (dvergr, Kap. 54; Ausg. Kölbing 1878, S. 68, Z. 35), ebenso im »Sir Tristrem« (Þe duerwe, Str. 188,5; Ausg. Kölbing 1882, S. 57). Auch bei Eilhart wird er als ain zwerg (v. 3517) eingeführt. Bei Béroul hingegen trägt er den Namen Frocin (v.-320 u. ö.). Den Namen Marjodo könnte Thomas neu eingeführt haben, in den anderen Versionen heißt die Figur Andret, vgl. schon Hertz 1877, S. 593. Eine gleichnamige Figur taucht offenbar auch in verschiedenen keltischen Sagen auf, vgl. Krohn, Bd. 3, S. 198. 68 Dazu unten, Kap. 2.2.2. 69 Über diese Wiederholung wird auch Marke in gewisser Weise in eine Kategorie mit den anderen Gegenspielern gestellt, was sich interpretatorisch fruchtbar machen lässt. 70 Vgl. vv. 17441-17444: in dûhte an dem wîbe, | daz nie von wîbes lîbe | kein crêatiure als ûz erkorn | z e d i r r e w e r l d e würde geborn. (Hervorhebung L.M.) 136 2 Annäherungen daz der ein mensche sî: der ist schœner danne ein feine; von vleische noch von beine enkunde niht gewerden sô schœnes ûf der erden.« (vv. 17469-17480) Wenn der Jäger hier Isolde mit einer Fee (feine, gotinne 71 ) vergleicht, dann kann man darin einen Bezug auf ein literarisches Figurenmodell sehen, nämlich das der Protagonistin aus dem Märchenschema der ›gestörten Mahrtenehe‹, bei dem von der Beziehung eines sterblichen Mannes zu einer Fee erzählt wird und das in der mittelalterlichen Literatur außerordentlich weit verbreitet ist. 72 Das lässt sich so verstehen, dass der Jäger die von ihm beobachtete Szene 71 Den Ausdruck gotinne gebraucht Gottfried schon zuvor in der Bedeutung ›Fee‹. So heißt es nämlich über das Zauberhündchen Petitcrü: daz was gefeinet, hôrte ich sagen, | und wart dem herzogen gesant | ûz Avalûn, der feinen lant, | von einer gotinne (vv. 15806-15809). Vgl. Petrus W. Tax: Wort, Sinnbild, Zahl im Tristanroman. Studien zum Denken und Werten Gottfrieds von Strassburg, 2., durchges. und erw. Aufl., Berlin 1971 (Philologische Studien und Quellen 8), S. 123f.; Schulz 2003, S. 540. Auch im »Gauriel von Muntabel« (um 1250? ) wird die feenartige Geliebte als götinne bezeichnet, vgl. vv. 51-56: ein künigin in ze vriunde nam, | […] | disiu was ein götinne. Zitiert nach Der Ritter mit dem Bock. Konrads von Stoffeln »Gauriel von Muntabel«. Neu hrsg., eing. und komm. von Wolfgang Achnitz, Tübingen 1997 (Texte und Textgeschichte 46), S. 237. Darauf, dass die Ausdrücke feine und götinne als mehr oder weniger synonym verstanden wurden, weist auch ein Beleg der Karlsruher Handschrift D des Textes (Karlsruhe, Cod. Donaueschingen 86) hin, deren Schreiber in v. 3741 feine durch göttin ersetzt, vgl. ebd., S. 398f. Auch in v.-1443, für den alle überlieferten Handschriften-göttin bieten, könnte ursprünglich feine gestanden haben, vgl. ebd., S. 298f. und den Kommentar auf S. 528. - Wolf sieht in der gotinne im »Tristan« dagegen eine »gelehrt antikisierende Bezeichnung« (Alois Wolf: diu ware wirtinne - der ware Elicon. Zur Frage des typologischen Denkens in volkssprachlicher Dichtung des Hochmittelalters, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 6 (1974), S. 93-131, hier S. 104), räumt allerdings ein: »Eine genaue Unterscheidung zwischen antiken Göttinen einerseits und Feen aus der Artuswelt andererseits ist im Fall der mittelalterlichen Dichter im allgemeinen problematisch« (ebd., S. 105 Anm. 21). 72 Vgl. grundlegend Friedrich Panzer: Einleitung, in: Merlin und Seifrid de Ardemont von Albrecht von Scharfenberg in der Bearbeitung Ulrich Füetrers, hrsg. von Friedrich Panzer, Tübingen 1902 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 227), S. I-CXXXIII, hier S. LXXII-LXXXIX; Simon 1990, S. 35-46; Lutz Röhrich: Art. Mahrtenehe: Die gestörte M[ahrtenehe], in: Enzyklopädie des Märchens 9 (1999), Sp. 44-53, bes. Sp. 49 f. (›Feenlieben‹); Frenzel 6 2015, S. 762-765; Schulz 2004b. - Die Anspielung auf »das Märchenschema der Liebe zwischen einer Fee und einem Sterblichen« erkannte zuerst Marianne Wünsch: Allegorie und Sinnstruktur in »Erec« und »Tristan«, in: DVjs 46 (1972), S. 513-538, hier S. 529; weiterhin Volker Mertens: Klosterkirche und Minnegrotte, in: Mittelalterliche Literatur und-Kunst im-Spannungsfeld von-Hof und Kloster. Ergebnisse der Berliner-Tagung, 9.-11.-Oktober 1997, hrsg. von Nigel F. Palmer / Hans-Jochen Schiewer, Tübingen 1999, S. 1-16, hier S. 11f.; Schulz 2003, S. 539-541; Müller 2007, S. 439: »Von außen und mit den Augen des uneingeweihten Jägers betrachtet, gerinnt das Lager […] zur mythischen Szene: Zum Beilager eines Sterblichen mit einer Göttin, zu einer jener verhängnisvollen Mahrtenehen, die auf dämonischer Verführung beruhen.« Eckhard Höfner erinnert die vorliegende Stelle an den »Lanval« der Marie de France, bei dem es sich um eine ebensolche Erzählung von einer gestörten Mahrtenehe handelt, vgl. Eckhard Höfner: Zum-Verhältnis von-Tristan- und Artusstoff im 12.-Jahrhundert, in: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 92 (1982), S. 289-323, hier S. 315f. mit Anm. 59. An »Erscheinungen […], wie man sie damals aus der matière de Bretagne, z. B. aus den lais der Marie de France, kannte«, denkt bei der Bezeichnung ›Fee‹ Wolf 1974, S. 104f. Den ›literarischen‹ Charakter der Szene erkennt auch Mohr, wenn er von »einer mythisch-künstlichen Welt« spricht, in der die Liebenden »als etwas Überwirkliches« erscheinen, »wie es sich die alten Dichter ausgedacht haben könnten« (Wolfgang Mohr: »Tristan und Isold« als Künstlerroman (1959), in: Gottfried von Strassburg, hrsg. von Alois Wolf, Darmstadt 1973 (Wege der Forschung 320), S. 248-279, hier S. 271). 2.1 Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹? 137 mithilfe von literarischem Wissen deutet. 73 Dabei handelt es sich nicht etwa um eine aufgesetzte Deutung, 74 denn das Schema des Feenmärchens spielt im »Tristan« tatsächlich eine zentrale Rolle, und zwar im Rahmen von Tristans Kampf mit Morolt und der anschließenden Heilungsfahrt nach Irland. 75 Weil Isolde dort die entsprechende Handlungsrolle einnimmt, hat es aus der Perspektive des Erzähltyps durchaus eine gewisse Berechtigung, sie als ›Fee‹ zu bezeichnen. 76 Insofern wird an dieser Stelle etwas an die Textoberfläche geholt, was im stoffgeschichtlichen Erbe der Figur angelegt ist; in der Wahrnehmung des Jägermeisters scheint gewissermaßen für einen Augenblick die ›Tiefenebene‹ des Textes durch. 77 Narratologisch ausgedrückt: Da die Rezipienten der Zeit um 1200 vermutlich mit dem Erzählschema der ›gestörten Mahrtenehe‹ vertraut waren, kann man davon ausgehen, dass hier literarisches Wissen abgerufen und in das mentale Modell der Figur Isolde integriert wird. Das betrifft etwa die vom Erzähltyp vorgegebene Handlungsrolle. Welche Konsequenzen diese ›Geschichtlichkeit‹ für die Wahrnehmung der Figur besitzt, sollen im Detail die Analysen im dritten Teil der Untersuchungen zeigen. In Bezug auf die S t r u k t u r des Romans führt der beschriebene ›kompositorische‹ Charakter des Tristanstoffes jedenfalls zu einer E p i s o d e n h a f t i g k e it , die wiederholt beschrieben worden ist. 78 Der »Tristan«, wie er uns in der schriftlichen Fassung Gottfrieds von Straßburg 73 Von einem »einschlägige[n] Deutungsmuster« und »mythische[n] Erzählmodell« spricht Schulz 2003, S. 539, 541; von einem »vom Jäger hergestellte[n] Deutungsschema« Wünsch 1972, S. 529; von einem »bestimmten mythischen Geschichtentypus« schließlich Mertens 1999, S. 11. Vgl. auch Mohr 1973 [1959], S. 271: »er sieht eine mythologische Szene«. Auf den ›literarischen‹ Charakter der Stelle verweist womöglich auch die Formulierung des Jägers, er habe âventiure vunden (v. 17462), schließlich meint âventiure nicht nur ein ›wunderbares Ereignis‹ (so die meisten Übersetzungen), sondern auch die Erzählung davon; zu âventiure siehe auch unten, Kap. 2.3. Auch der Eindruck des Jägers, er habe es mit wilden dingen (v.- 17451) zu tun, mag in diese Richtung weisen, schließlich wird wilde im Literaturexkurs als poetologischer Begriff verwendet (wilde mære, vgl. v. 4665). Zur poetologischen Kategorie der wildekeit vgl. die Beiträge im Sammelband wildekeit. Spielräume literarischer obscuritas im Mittelalter.-Zürcher Kolloquium 2016, in-Verbindung mit Ricarda Bauschke / Franz-Josef Holznagel hrsg. von-Susanne-Köbele / Julia Frick, Berlin 2018 (Wolfram-Studien 25). Siehe auch Ursula Liebertz-Grün: Selbstreflexivität und Mythologie. Gottfrieds »Tristan« als Metaroman, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift. N. F. 51 (2001), S. 1-20, hier S. 5f. 74 Von einer »Re-Mythisierung« spricht Schulz 2003, S. 543. Siehe auch den Kommentar von Lambertus Okken: Kommentar zum Tristan-Roman Gottfrieds von Straßburg. Im Anhang: Musik, Aufführungspraxis und Instrumente im Tristan-Roman Gottfrieds von Straßburg von Martin van Schaik. Heilkunde im Tristan-Roman Gottfrieds von Straßburg von Bernhard Dietrich Haage, Bd. 1-2, 2., gründlich überarb. Aufl., Amsterdam / Atlanta (Georgia) 1996 (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur 57), Bd. 1, S. 630: »Die wârheit wird als ein Märchen mißverstanden.« 75 Vgl. Simon 1990, S. 109-111. Simon charakterisiert den »Tristan« insgesamt als einen »auf dem Feenmärchen basierenden Liebesroman[ ]« (Simon 1990, S. V). Bertau bezeichnet das Feenmärchen als »mythischpsychologische[n] Kern« der Tristanfabel, vgl. Bertau 1972-1973, Bd. 1, S. 558. 76 Das beschreibt auch Mertens 1999, S. 11 Anm. 22: »[D]ie Gestalt Isoldes ist daher von Beginn mythisch überhöht als Göttin / Fee. Hier wird dieses Motiv sprachlich konkretisiert.« Widersprechen möchte ich dagegen Schulz, der die Realisation des Erzähltyps im »Tristan« nur im Rahmen der Minnegrotte sucht (wo er eine falsche Besetzung der Schemapositionen erkennt) und deshalb von einem »Simulacrum einer mythischen Konfiguration« (Schulz 2003, S. 540) spricht. 77 Schulz spricht von einem »Verweisen auf eine mythische Schicht, die bereits in den ältesten auf uns gekommenen Fassungen des Stoffes verschüttet worden ist« (Schulz 2003, S. 543). 78 Den Begriff der Episodenhaftigkeit benutzt für den Artusroman bereits Ehrismann 1905, S. 14, im Rückgriff auf Franz Saran: Ueber Wirnt von Grafenberg und den Wigalois, in: PBB 21 (1896), S. 254-420, hier S. 290, der allerdings den Tristanstoff explizit ausgenommen hatte. - Den »stark episodische[n] Charakter 138 2 Annäherungen vorliegt, besteht aus einer Reihe mehr oder weniger selbstständiger Episoden, denen jeweils ein anderer Erzähltyp zugrunde liegt. Der Eindruck einer Autonomie der Einzelepisoden verstärkt sich noch, wenn man davon ausgeht, dass solche Erzählabschnitte wie Moroltkampf, Brautwerbung oder Baumgartenepisode auch die Grundlage für die (akustische) Rezeption des Romans etwa im Rahmen höfischer Feste bildeten. 79 Möglicherweise wurden einzelne Episoden der Geschichte außerdem auch unabhängig von den Romanen (und vielleicht schon vor der Verschriftlichung des Stoffes) durch fahrende Spielleute vorgetragen. 80 des Tristanstoffes« betont etwa Max Wehrli: Das Abenteuer von Gottfrieds Tristan, in: Formen mittelalterlicher Erzählung: Aufsätze, Zürich 1969, S. 243-270, hier S. 270. Von einer »anspruchslose[n] Episodenreihung« spricht Ruh 1980, S. 224. Zur »Episodenstruktur der Tristan-Fabel« neben dem gleichnamigen Abschnitt bei Bertau 1972-1973, Bd. 1, S. 558f., etwa Stein 1977, S. 145; Simon 1990, S. 105f.; Keck 1998, S. 12, 36; Brunner 2018 [2011], S. 31; Bittner 2019, S. 240f.; in Bezug auf Eilhart Schausten 1999, S. 93, 111 f. Die frühere Forschung zusammenfassend und perspektivierend Jutta Eming: Emotionen im »Tristan«. Untersuchungen zu ihrer Paradigmatik, Göttingen 2015 (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung 20), S. 21-30. - Dass es sich bei der Episodenhaftigkeit um ein allgemeines Merkmal mittelalterlicher Epik handelt, betonen Peter Haidu: The Episode as Semiotic Module in Twelfth-Century Romance, in: Poetics Today 4 (1983), S. 655-681; Jonathan D. Evans: Episodes in Analysis of Medieval Narrative, in: Style 20 (1986), S. 126-141; Haferland 2018, S. 109-193, bes. S. 115. Zur Episodenhaftigkeit als grundlegendem Merkmal mündlichen Erzählens siehe Ong ²2016, S. 136; in Bezug auf den »Tristan« Knapp 2014b, S. 28: »Die episodische Struktur zeigt noch die Herkunft aus dem mündlichen Erzählen an.« - Die Episodenhaftigkeit des Tristanstoffes schlägt sich auch in der Existenz kleinerer selbstständiger Texte nieder, die jeweils weitere Episoden der Handlung erzählen, vgl. dazu Henkel 1990, S. 91f.: »Die Einsicht in die additive Struktur des zweiten Teils der Tristandichtung wird bestätigt durch die Existenz der Episodengedichte, die aus dem 12. und 13. Jahrhundert überliefert sind. […] Die Existenz solcher Episodengedichte scheint unmittelbar mit dem Strukturmuster der Tristan-Romane zusammenzuhängen.« Den Zusammenhang zwischen der episodischen Struktur des Stoffes und den Episodengedichten betont weiterhin Wolf 1989, S. 56f.: »Das Vorhandensein der Episodengedichte und deren starke erzählerische Eigenausprägung legen zumindest die Vermutung nahe, daß bei der Konstituierung der Tristansage als literarischer Größe die Einzelepisode erhebliches Gewicht besaß und als primärer Faktor anzusehen ist.« Tomasek spricht von einer »Erzählweise […], die es zuließ, weiteres Episoden- und Motivmaterial anzuschließen« (Tomasek 2007, S. 281). Wie solche Texte auch in die Struktur des Romans integriert werden konnten, zeigt der einzige erhaltene deutsche Text »Tristan als Mönch« (1. Hälfte 13.-Jh.), der in einer der beiden Handschriften, der »Tristan«-Handschrift R, zwischen Gottfrieds Fragment und die Fortsetzung Ulrichs von Türheim geschaltet ist (Brüssel, Königliche Bibliothek, ms. 14697, fol. 511 r -578 v ). Dass die Episodengedichte nachträglich aus dem geschlossenen »Stoffzusammenhang« der Tristanfabel herausgelöst wurden, glaubt Hella Frühmorgen-Voss: Tristan und Isolde in mittelalterlichen Bildzeugnissen, in: Text und Illustration im Mittelalter. Aufsätze zu den Wechselbeziehungen zwischen Literatur und bildender Kunst, hrsg. von Hella Frühmorgen-Voss, München 1975 (MTU 50), S. 119-139, hier S. 129. 79 In diesem Sinne denkt etwa Henkel bei der Rezeption des »Tristan« an »die von einem litteratus vor einem Kreis Interessierter vorgelesene Episode des Tristanromans.« (Henkel 1990, S. 73) Grundsätzlich zum Vortrag höfischer Epen in Form einzelner Abschnitte Bumke 6 1992a, S. 723f.; Wandhoff 1996, S. 258. - Hinweise auf eine entsprechende Vortragsgliederung lassen sich auch im Text selbst finden, etwa in Form von Regiebemerkungen des Erzählers, die Vorangegangenes rekapitulieren oder einen Neueinsatz der Geschichte markieren, vgl. etwa vv. 3379f.: Nu Tristan der ist ze hûse komen | unwizzende, alse ir habet vernomen; v. 7231: Nu grîfe wider, dâ ich’z liez; vv.-8897-8901: Nu Tristan der ist ze vride komen. | ie noch hât nieman vernomen, | waz er welle an gân. | nu sol man’z iuch wizzen lân, | sô’n belanget iuch des mæres niht; v. 11367: Dô disiu rede g’endet was. Zum Teil sind solche Einschnitte in den Handschriften durch Initialen markiert. Siehe dazu Tomasek 2007, S. 87f., und Josef Klein: Textlinguistische Studien zu Gottfrieds von Straßburg »Tristan«, Diss. Aachen 1972, S. 21-96. 80 So etwa Mohr 1976, S. 81. 2.1 Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹? 139 Wie wiederholt beobachtet wurde, steht diese Episodenhaftigkeit des Tristanstoffes einer kohärenten Entwicklung der Geschichte entgegen. 81 In diesem Sinne meint etwa Horst Wenzel, der »Tristan« sei »kein psychologisierender Entwicklungsroman, sondern konstruiert als eine Abfolge von Episoden« 82 . Rainer Warning hat dieses »Erzählen im Zeichen der Episodizität« als ›Erzählen im Paradigma‹ bezeichnet. 83 Versuchen, darin einen übergreifenden Erzählzusammenhang zu erkennen, erteilt er eine Absage: »Wo immer man festhält am Konzept einer syntagmatisch-kohärenten Geschichte, verläßt man den Text selbst.« 84 Der Eindruck einer fehlenden kohärenten Entwicklung lässt sich auch auf die Wahrnehmung der Figuren übertragen: Da jede Episode einem anderen Erzähltyp folgt, treten die Akteure - allen voran Tristan - immer wieder in unterschiedlichen, sich zum Teil widersprechenden literarischen Rollen auf. 85 Weil die einzelnen Episoden verschiedene Figurenkategorien und damit unterschiedliche Wissensbestände abrufen, gelingt es den Rezipienten nicht, ein kohärentes men- 81 Vgl. Chinca 1997, S. 77; Kragl 2019, S. 267-269. 82 Horst Wenzel: Negation und Doppelung. Poetische Experimentalformen von- Individualgeschichte im »Tristan« Gottfrieds von- Straßburg, in: Wege in die Neuzeit, hrsg. von Thomas Cramer, München 1988 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 8), S. 229-251, hier S. 231. In diesem Sinne spricht auch Wehrli davon, im »Tristan« seien keine Entwicklung und kein ›Weg‹ des Helden zu erkennen, vgl. Wehrli 1969, S. 270. Ausgehend von der episodischen Struktur des »Parzival« auch Lutz 2016, S. 113f.: »Unter den angenommenen Voraussetzungen selektiven Vortrags wird sich aber die Aufmerksamkeit von der ›ganzen Handlung‹ des »Parzival« - wie wir sie in den Blick zu nehmen gewohnt sind - zu einzelnen Szenen hin verlagern, weg von der Beobachtung langfristiger ›Entwicklungen‹ (einer ohnehin problematischen Kategorie) […].« 83 Warning 2003b, S. 179. 84 Ebd., S. 205. - Das episodische Erzählen ist kein Alleinstellungsmerkmal des Tristanstoffes. Meincke sieht darin eine grundsätzliche Eigenschaft mittelalterlicher Literatur, in der sich Kohärenzerwartungen vor allem auf einzelne, ›themadeterminierte Handlungsblöcke‹ bezögen, vgl. Meincke 2007, S. 225-239; ähnlich Haferland 2018, der von ›konzeptuell überschriebenen Modulen‹ spricht. Die Übertragung moderner Vorstellungen von Ganzheit und Geschlossenheit auf mittelalterliche Texte kritisiert auch Müller 2007, S. 461; weiterhin Haidu 1983, S. 655f. In Bezug auf die Figurenkonzeption in episodisch organisierten Texten (siehe unten) fordert auch Armin Schulz, die »Inkohärenzen des Heldenbildes« nicht als »Ausdruck erzählerischen Unvermögens« zu verstehen. Sie markierten vielmehr eine »kategoriale historische Differenz, die die Erzählliteratur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit von der modernen trennt.« (Armin Schulz: Poetik des Hybriden. Schema, Variation und intertextuelle Kombinatorik in der Minne- und Aventiureepik. »Willehalm von Orlens«, »Partonopier und Meliur«, »Wilhelm von Österreich«, »Die schöne Magelone«, Berlin 2000 (Philologische Studien und Quellen 161), S. 64). Dazu auch Christoph Huber: Brüchige Figur. Zur literarischen Konstruktion der Partonopier-Gestalt bei Konrad von Würzburg, in: Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters. Festschrift für Volker Mertens zum 65. Geburtstag, hrsg. von Matthias Meyer / Hans-Jochen Schiewer, Tübingen 2002, S. 283-308, hier S. 284. - Solchen Einwänden kann man allerdings entgegenhalten, dass schon bei Aristoteles der Autonomie der Einzelepisode die normative Vorstellung eines kohärenten Gesamtzusammenhangs gegenübergestellt wird. In der »Poetik« heißt es nämlich, ›episodische‹ Fabeln seien ›die schlechtesten‹, weil in ihnen ›die Episoden weder nach der Wahrscheinlichkeit noch nach der Notwendigkeit aufeinanderfolgen.‹ (1451b) Übersetzung Fuhrmann 1982, S. 33. Jonathan D. Evans betont jedoch, dass die aristotelische Poetik (zumindest in diesem Aspekt) überhaupt keinen Einfluss auf die mittelalterliche Literatur gehabt hätte, weshalb er seinen Beitrag explizit in Abgrenzung zur aristotelisch geprägten modernen Narratologie versteht, vgl. Evans 1986, S. 127f. Zu der Aristoteles-Stelle auch Haidu 1983, S. 656f.; Klausnitzer 2008, S. 69f.; Haferland 2018, S. 110f. 85 Vgl. dazu besonders Dicke 1997a, S. 105f.: »Da sich die Hauptfiguren des »Tristan« im Wechselspiel der sich überschneidenden Muster mit ganz verschiedenen Rollenaspekten und -attributen ›anreichern‹ […], wird vor allem Inkonsistenz zum Signum ihrer Zeichnung […].« 140 2 Annäherungen tales Modell der Figur zu bilden; 86 es kommt zu Brüchen in der Figurenkonzeption. 87 Anstatt einer langfristigen ›charakterlichen‹ Entwicklung der Figur dominiert im episodenhaften Erzählen eine kurzfristige, ›episodische Identität‹. 88 Schon Lugowski erkannte in dieser diskontinuierlichen Erzählweise vormoderner Texte ein Argument gegen psychologische Deutungen der auftretenden Figuren. 89 In anderen Kontexten wurde für eine solche Figurenkonzeption, die sich aus unterschiedlichen literarischen Traditionen speist, der Begriff der ›Hybridität‹ geprägt. 90 86 Vgl. Koch 1991, S. 214-216. 87 Als eine ›brüchige Figur‹ hat Christoph Huber die Figur Partonopier bei Konrad von Würzburg beschrieben, vgl. Huber 2002. Er bezieht sich damit ebenfalls auf »Uneinheitlichkeiten, die mit dem heterogenen Erzählmaterial gegeben sind« (ebd., S. 284), und spricht von einer »literarischen Figurenzeichnung, die im Partonopier-Roman offensichtlich mit der Abfolge heterogener Rollenkonzepte operiert.« (S. 285) Ähnliche Diskontinuitäten beobachtet auch Judith Klinger im Prosa-»Lancelot«: »Welche Verbindungslinien erlauben es, in dem idealen Artusritter, dem Wahnsinnigen, dem Büßer, stets noch die Person Lancelot zu sehen? Was hält diese Figur, die in so unterschiedlichen (physischen und affektiven) Zuständen und Masken auftritt […] überhaupt zusammen und macht sie identisch mit sich selbst? « ( Judith Klinger: Der mißratene Ritter. Konzeptionen von Identität im Prosa-Lancelot, München 2001 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 26), S.- 20) Diese »Brüche« erklärt sie ebenfalls aus der Kombination unterschiedlicher literarischer Traditionen, »denn von Lancelot wird erzählt als einem idealen Artusritter, einem passionierten Liebenden, […] einem Sünder und Büßer, einem gescheiterten Gralsritter. Diese miteinander verbundenen ›Geschichten‹ produzieren vielfältige Interferenzen, die das Bild des Helden prägen.« (ebd., S. 32) Klinger spricht in diesem Zusammenhang auch von einem »Rollensynkretismus« (S. 171) der Figur. Siehe weiterhin Schulz 2012, S. 88-91. Dass im vormodernen episodischen Erzählen die Einheit der Figur gefährdet ist, erkannte schon Lugowski mit Blick auf das Volksbuch von Till Eulenspiegel, vgl. Lugowski 1932 [1970], S. 84: »Es würde nichts dabei herauskommen […], wenn man den Thyl der verschiedenen Einzelabenteuer als einen identischen Menschen auffasst.« 88 Vgl. Horst Wenzel: Der unfeste Held. Wechselnde oder mehrfache Identitäten, in: Unverwechselbarkeit. Persönliche Identität und Identifikation in der vormodernen Gesellschaft, hrsg. von Peter von Moos, Köln u. a. 2004 (Norm und Struktur 23), S. 163-183, hier S. 176-180. Dazu auch Chinca 1997, S. 77. Kragl betont ebenfalls, dass »sich die Figuren Gottfrieds in ihrer ›Personalität‹« zwar »gegen die gleichsam homines sociales der höfischen Romane davor abheben« würden, sich diese ›Personalität‹ aber »kaum einmal von einer Szene in die nächste zu retten vermag« (Kragl 2019, S. 269). 89 Vgl. in Bezug auf die Figur des Herzogs im »Ritter Galmy«: »[E]s ist sehr fraglich, ob im Verhalten des Herzogs überhaupt etwas Verstehbares im Sinne individueller Psychologie vorhanden ist. Wir verneinen diese Frage. Sie wäre zu bejahen nur dann, wenn man die individuelle Einheit der Figur des Herzogs voraussetzte, was in der Welt dieses Romans reine Willkür bedeuten würde.« (Lugowski 1932 [1970], S. 84) Auch für Armin Schulz verbietet die »Inkohärenz« vormoderner Figurenentwürfe »a priori jedwede (individual)psychologische Deutung« (Schulz 2000, S. 65). 90 Vgl. zuerst Stephan Fuchs-Jolie: Hybride Helden. Gwigalois und Willehalm. Beiträge zum Heldenbild und zur Poetik des Romans im frühen dreizehnten Jahrhundert, Heidelberg 1997 (Frankfurter Beiträge zur Germanistik 31); Schulz 2000, S. 63-66: »Hybridisieren sich die Erzähltypen, wird auch die Konzeption des Helden selbst hybride« (S. 64); Lydia Miklautsch: Montierte Texte - hybride Helden. Zur Poetik der Wolfdietrich-Dichtungen, Berlin / New York 2005 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 36 (270)), zusammenfassend S. 242f. Angesichts der Hybridität mittelalterlicher Figuren fordert Markus Stock, »nicht nach harmonisierenden Modellen der Figur zu suchen, sondern sich den Spannungen des Figurenentwurfs auszusetzen.« (Stock 2010, S. 202) In Bezug auf Tristan benutzt den Begriff auch Monika Schulz: Gottfried von Straßburg: »Tristan«, Stuttgart 2017, S. 49-53. Von einer »Hybridität der Tristanfigur« spricht weiterhin Uttenreuther in Bezug auf die im Roman verwirklichten ›Männlichkeitskonzepte‹, vgl. Uttenreuther 2009, S. 14, 136 (Zitat), 150, 158 f., 253, 269 f., 274. - Auf ein alternatives Konzept bezieht sich Martin Baisch, wenn er die Brüche in der Konzeption von Orgeluse im »Parzival« als ›Dialogizität‹ im Sinne Bachtins beschreibt, vgl. Martin Baisch: Orgeluse 2.1 Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹? 141 Besonders gut lässt sich die aus der Episodenhaftigkeit hervorgehende Unfestigkeit der Figuren im »Tristan« am Beispiel von König Marke im zweiten Teil des Romans beobachten. Hier werden einzelne Listepisoden aneinandergereiht, die in sich mehr oder weniger abgeschlossen 91 und so oder ähnlich auch als selbstständige Schwankerzählungen überliefert sind. 92 Alle Episoden laufen nach einem identischen Muster ab: Am Anfang steht eine Verdächtigung der Liebenden, am Ende sind Tristan und Isolde wieder mit Marke versöhnt. Immer wieder wird der Verdacht des Königs geweckt, immer wieder können Tristan und Isolde ihn von ihrer Unschuld überzeugen. Marke schwankt zwischen Vertrauen und Zweifel. 93 Besonders plausibel erscheint das aus psychologischer Perspektive oft nicht: 94 Wenn Marke etwa die Liebenden vom Hof verbannt, weil er ihre verliebten Blicke wahrgenommen hat (vgl. vv. 16493-16620), sollte er da schon Isoldes Gottesurteil vergessen haben, mit dem sie gerade erst so fulminant ihr Ansehen verteidigt hatte? 95 Und andererseits: Wenn er in den Augen von Tristan und Isolde die wârheit (v. 16504) erkannt hat, warum verzeiht er ihnen dann am Ende der Episode wieder? Markes ›fehlendes Gedächtnis‹, 96 das erzählstrukturell die Voraussetzung für die potentiell unendlich mögliche Fortsetzung 97 der Listepisoden darstellt, unterscheidet ihn von - Aspekte ihrer Konzeption in Wolframs von Eschenbach »Parzival«, in: Schwierige Frauen - schwierige Männer in der Literatur des Mittelalters, hrsg. von Alois M. Haas / Ingrid Kasten, Bern u. a. 1999, S. 15-33. 91 Mohr spricht von »eine[r] Folge von spannenden Einzelgeschichten« (Mohr 1976, S. 77), Armin Schulz sogar von »Einzeltext[en]« (Schulz 2012, S. 344). 92 Vgl. Mohr 1976, S. 68: »Die Geschichten, die nun von Tristan, Isolde und Marke erzählt werden, stammen aus dem unerschöpflichen Repertoire der Ehebruchschwänke. Mit so etwas hat man schon Generationen vorher die Leute in Indien, Persien, Arabien, Italien und Frankreich unterhalten.« Für die Baumgartenepisode hat das Gerd Dicke im Detail herausgearbeitet, vgl. Dicke 2002. 93 Vgl. schon Ranke 1925a, S. 150f. »Gesinnungsschwankungen« beobachtete auch Lugowski im »Ritter Galmy« und sah darin ein Merkmal vormoderner Figurenkonzeption, vgl. Lugwoski 1932 [1970], S. 84. 94 Vgl. Schultz 1987b, S. 595f.: »Gottfried’s text contains its share of motivational improbabilities […]. Does it seem plausible that Tristan and Isold, who begin the banishment scene enjoying the confidence of Marke and showing great success in controlling their passion, should fall so quickly because of the way they look at each other? And is it really likely that mere glances would convince Marke of the love between Tristan and Isolde when blood on the sheets left him in doubt? Or that he would so quickly forget the very dramatic proof of Isold’s innocence in the trial by ordeal and believe in her guilt on the basis of glances? « 95 Von einer »erzähllogische[n] Bruchstelle[ ]« spricht hier auch Walter Haug: Gebet und Hieroglyphe. Zur Bild- und Architekturbeschreibung in der mittelalterlichen Dichtung, in: ZfdA 106 (1977), S. 163-183, hier S.-181: »Die Motivationen für den Auszug und die Rückkehr geben sich anscheinend bewußt ohne Überzeugungskraft.« Damit solle die Irrealität der Minnegrotte zum Ausdruck gebracht werden. 96 Vgl. dazu Schulz 2012, S. 12f., 344f. 97 Zur »potentiellen Unabschließbarkeit dieses Spiels« siehe Warning 2003b, S. 187, der darin ein grundsätzliches Merkmal paradigmatischen Erzählens sieht: »Erzählen im Paradigma […] tut sich allemal schwer mit dem Ende: Wann und wie höre ich auf, wie komme ich aus dem Paradigma wieder heraus? « (ebd., S. 210) In Bezug auf Warning auch Schulz 2012, S. 345. 142 2 Annäherungen einer realen Person. 98 Die Tatsache, dass sein Gedächtnis immer wieder ›auf Null gestellt‹ 99 wird, verdankt sich dabei der episodischen Struktur des Romans. 100 Marke ist offensichtlich nicht als aus einem einheitlichen Wesenskern heraus handelnde Figur gestaltet worden. […] Das merkwürdig Schwankende, das ihn kennzeichnet, gehört nicht zum ›Charakter‹ Markes, sondern ergibt sich aus seinen verschiedenartigen und daher mehrdeutigen Handlungsfunktionen. 101 Die These von der Episodenhaftigkeit des »Tristan« ist allerdings nicht unwidersprochen geblieben. So meint Christoph Huber, der Stoff habe »bereits auf der Stufe der estoire kein beliebiges Episoden-Konglomerat« gebildet, »sondern eine Einheit, in der sich die Teile zu einer Gesamtbiographie des Helden zusammenfügen« 102 . Auch Mohr spricht davon, die Estoire 98 Zum psychologischen Begriff des ›autobiographischen Gedächtnisses‹, den Schulz ohne weitere Erklärungen anführt (vgl. Schulz 2012, S. 12), siehe Hans J. Markowitsch / Harald Welzer: Das autobiographische Gedächtnis. Hirnorganische Grundlagen und biosoziale Entwicklung, Stuttgart 2005. Das episodisch-autobiographische Gedächtnis wird hier verstanden als »das aktive, bewußte Erinnern von Episoden; in der Regel biographische Episoden, die emotional gefärbt sind« (ebd., S. 83). Diese Gedächtnisfunktion unterscheide den Menschen von anderen Säugetieren und bilde die Voraussetzung für die Wahrnehmung der eigenen Identität, weil sie »subjektiv Kohärenz und Kontinuität sichert« (S. 259). Dabei gehen Markowitsch und Welzer im Rückgriff auf die Zivilisationstheorie von Norbert Elias davon aus, das autobiographische Gedächtnis stelle zumindest »in seiner gegenwärtigen Gestalt« ein »Produkt der Moderne« (S. 15) dar. In Bezug auf den »Tristan« meint auch Waltraud Fritsch-Rößler: »In moderner Sicht konstruiert sich Identität durch Abgleich der Erinnerungen an das vergangene Ich mit der Wahrnehmung des gegenwärtigen Ichs. Identität hat nur, wer ein Gedächtnis hat.« (Waltraud Fritsch-Rößler: Multiple Memorialisierung in Gottfrieds von Straßburg »Tristan«, in: Kunst und Erinnerung. Memoriale Konzepte in der Erzählliteratur des Mittelalters, hrsg. von Ulrich Ernst / Klaus Ridder, Köln u. a. 2003 (Ordo 8), S. 159-197, hier S. 190) Eine solche identitätsstiftende Funktion des Gedächtnisses (memoria) erkennt sie in Isoldes Abschiedsmonolog (vv. 18286-18358): »An die Oberfläche des Textes gebracht wird nunmehr […] auch das identifikatorische Potential der Memoria.« Es handle sich also um einen »Akt der Subjektwerdung« (ebd.). - Schon Lugowski sieht im fehlenden Gedächtnis ein Merkmal für die brüchige Figurenidentität im vormodernen Roman. So beobachtet er etwa in Bezug auf Don Quijote, »daß in vielen Fällen die Identität dieses Menschen nicht gewahrt ist, d. h. daß der Don Quixote an d i e s e m Punkt des Romans unmöglich derselbe sein kann wie an j e n e m . […] Er hat […] etwas ›vergessen‹, was kein normaler Mensch je vergessen würde.« (Lugowski 1932 [1970], S. 52) 99 Vgl. Schulz 2012, S. 12. 100 Dass es sich bei Markes Inkohärenz um »ein strukturelles Erbe mythischer Erzählungen« handelt, glaubt auch Schulz 2012, S. 345. 101 Gisela Hollandt: Die Hauptgestalten in Gottfrieds Tristan. Wesenszüge - Handlungsfunktion - Motiv der List, Berlin 1966, S. 78. In diesem Sinne beobachtet auch Christ den »wechselnde[n] Gebrauch, den Gottfried mit bestimmter thematischer oder struktureller Absicht von der Figur Markes macht, also das Rollenspiel Markes« (Christ 1977, S. 106), vgl. dazu auch ebd., S. 69-77, 85-93, 101-109. Warning formuliert das folgendermaßen: »Die Unentschiedenheit der Interpreten« hinsichtlich der Bewertung der Marke- Figur »gründet in einer strukturellen Unentscheidbarkeit.« (Warning 2003b, S. 199) Zu den literarischen Rollen Markes weiterhin Ina Karg: Die Markefigur im »Tristan«. Versuch über die literaturgeschichtliche Position Gottfrieds von Straßburg, in: ZfdPh 113 (1994), S. 66-87. Hanna Hauenstein erkennt drei verschiedene thematische Rollen (›Herrscher in Analogie zu Artus‹, ›Herrscher und königlicher Ehemann‹, ›Minnender‹), denen die Darstellung Markes folge, vgl. Hanne Hauenstein: Zu den Rollen der Marke- Figur in Gottfrieds »Tristan«, Göppingen 2006 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 731). Als Ergebnis unterschiedlicher Erzählperspektiven versteht Markes Inkohärenzen Irene Lanz-Hubmann: Nein unde jâ. Mehrdeutigkeiten im »Tristan« Gottfrieds von Strassburg: Ein Rezipientenproblem, Bern u. a. 1989 (Deutsche Literatur von den Anfängen bis 1700 5), S. 40-46: »Der ›Bruch‹ im Charakter Markes wäre somit gar keiner, sondern läge in einem Wechsel der Darstellung begründet« (S. 42). 102 Huber 3 2013, S. 26, allerdings mit der Einschränkung, dass »bestimmte Sequenzen (wie die Ehebruchslisten und die Rückkehrabenteuer) seriell, in der Art offener Reihen konstruiert sind.« In expliziter Ausein- 2.1 Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹? 143 wolle »nicht nur als ein fortlaufendes Geschehen oder als eine Folge spannender Abenteuer verstanden werden.« 103 Vielmehr könne man beobachten, wie »aus einem Ineinanderfügen […] von Einzelstücken und schematischen Erzählverläufen eine neue, genau zusammenhängende und in sich schlüssige Einheit geworden« 104 sei. Das gilt für Gottfrieds Text in besonderer Weise. 105 Deshalb werden die Erzähltypen, verglichen mit den unabhängig vom »Tristan« verbreiteten Versionen, nicht eins zu eins in den Roman übernommen, sondern erscheinen in einer ›transformierten‹ Gestalt. 106 Das hat schon Bédier erkannt: Or ceci précisément est remarquable: chacun de ces thèmes de folk-lore nous apparaît dans la légende, non pas tel qu’il vit dans les différentes littératures populaires, mais déformé, mais ployé aux fins d’un romancier qui le façonne à bon escient, le soumet à un plan d’ensemble, le soumet aux charactères, une fois définis, de ses personnages. 107 Die Notwendigkeit einer Transformation der überkommenen Stoffe ergibt sich schon allein aus der Tatsache, dass die meist ›märchenhaften‹ Erzählschemata in der Regel ein Happy End (das heißt die endgültige, glückliche Vereinigung der Liebenden) vorsehen, während der Roman auf den tragischen Liebestod hin erzählt. Deshalb lässt sich im »Tristan« immer wieder beobachten, dass Schemata nicht an ihr ordnungsgemäßes Ende geführt, sondern vorzeitig abgebrochen werden. 108 Es gibt kaum einen mittelalterlichen Roman, der so intensiv an den überlieferten Stoffen arbeitet wie Gottfrieds »Tristan«, das haben vor allem die Untersuchungen Gerd Dickes gezeigt. Wie das im Einzelnen funktioniert, zeigen die Lektüren einzelner Episoden im dritten Teil der vorliegenden Arbeit. Die stoffgeschichtliche Grundlage des Romans bildet dabei einen wesentlichen Bezugspunkt der Analysen. Nur in ihrer ›Geschichtlichkeit‹, also den aus der Stoffgeschichte ererbten Handlungsrollen, kann man die Figuren im »Tristan« richtig verstehen. Dass die Figuren dabei nicht in ihrer ›episodischen Identität‹ aufgehen, zeigt bereits das Beispiel der oben angesprochenen Wahrnehmung Isoldes durch den Jägerandersetzung mit Warning auch ebd., S. 154f. 103 Mohr 1976, S. 78. 104 Ebd., S. 76. 105 Vgl. etwa Schausten 1999, S. 169. Aber schon bei Eilharts »Tristrant« handle es sich »keinesfalls um eine Dichtung […], die sich damit begnügt, Einzelepisoden aneinanderzureihen.« (ebd., S.-84) - Dagegen betont Warning auch für Gottfried ein »Festhalten am Episodischen« (Warning 2003b, S. 198). 106 Vgl. Dicke 1997a, S. 10. 107 Bédier 1902-1905, Bd. 2, S. 179f. Vgl. auch Mohr 1976, S. 68: »Nach Bedarf werden überkommene Modelle für den Zusammenhang des Romans zurechtgeschnitten und dabei verstümmelt.« Weiterhin Hannes Kästner: Harfe und Schwert. Der höfische Spielmann bei Gottfried von Strassburg, Tübingen 1981 (Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte 30), S. 103: »Der Straßburger Meister ist ein schöpferischer, gleichzeitig aber auch gelehrter Erzähler, der alle rhetorischen Kniffe beherrscht und vorhandene literarische Muster gemäß mittelalterlicher Kunstanschauung unbefangen für die eigenen Zwecke einsetzt.« Dieses »synthetisierende Verfahren eignete sich der discipulus schon im scholastischen Schulunterricht an […].« 108 Haug beschreibt das als »Spiel des Schemawechsels«: Danach laufen die Erzählmuster im »Tristan« nicht so ab, »wie sie ablaufen sollten, denn durch die Kombination der Muster erreichen sie immer wieder nicht das erwartete Ziel. So wird man an jeder Nahtstelle gezwungen umzuschalten, von einem Schema zum andern überzuwechseln, ja, man gerät in ein geradezu irritierendes Spiel von sich brüsk überschneidenden narrativen Versatzstücken.« (Haug 1990, S. 63) In Bezug auf das Brautwerbungsschema hat das auch Kuhn beobachtet, der deshalb von einem »Schema-Anfangs-Zitat« im »Tristan« spricht, vgl. Kuhn 1980, S. 23. Weiterhin Simon 1990, S. 109 u. ö.; Dicke 1997a, S. 105, 237. 144 2 Annäherungen meister: Markes Ehefrau erscheint hier als ›Fee‹, obwohl das entsprechende Erzählschema der ›gestörten Mahrtenehe‹ eigentlich schon längst abgeschlossen ist. Wie auch immer man das deuten möchte: 109 Die vom Erzähltyp vermittelte literarische Rolle beschränkt sich offenbar nicht auf eine abgeschlossene Episode. Isolde trägt einen Teil ihrer Vergangenheit mit sich in die nächsten Abschnitte der Erzählung. Die einzelnen Handlungsrollen folgen also nicht einfach seriell aufeinander, sondern sie überlagern sich in der Figur. Wie die Ausführungen zur Stoffgeschichte deutlich gemacht haben, lassen sich die Figuren im »Tristan« in jedem Fall nur in ihrer ›Geschichtlichkeit‹ richtig erfassen. Genauso wie »der Tristanstoff insgesamt ein aus Literatur verfertigter ist« 110 , sind auch die Figuren ›aus Literatur‹ verfertigt. In den Lektüren des dritten Teils der Untersuchung wird es unter anderem darum gehen, die dem Roman zugrunde liegenden Erzählmuster aufzudecken und ihre Funktion für die Figurenkonzeption zu beschreiben. Aber nicht nur auf dieser ›Tiefenebene‹ hat man es beim »Tristan« mit einem »hochgradig intertextuellen Roman zu tun« 111 , wie im nächsten Abschnitt zu zeigen sein wird. An verschiedenen Stellen wird hier nämlich auch ganz konkret auf andere Einzeltexte verwiesen. 112 2.1.2 senede leiche und senede mære. Literatur im Roman Als Tristan sich noch nicht lange am Hof von König Marke aufhält, spielt eines Tages nach dem Essen der walisische Harfner des Königs ein Lied, das der Neuankömmling sofort als dasjenige von mînem hêrn Gurûne | und von sîner vriundinne (vv. 3526 f.) identifiziert. Danach trägt der zum niuwen spilman (vgl. v. 3563) avancierte Tristan auch gleich selbst etwas vor, nämlich den Leich von der vil stolzen vriundîn | Grâlandes des schœnen (vv. 3586 f.) und als Zugabe jenen de la curtoise Tispê (v. 3616). Später gibt sich Tristan gegenüber Gandin als Spielmann aus und spielt auf Wunsch des irischen Barons den leich von Didône (v. 13347). Wie dieses Lied, so werden auch alle vorangegangenen Stücke im Text als leiche bezeichnet. 113 Unter 109 Man könnte das erzählstrukturell etwa so interpretieren, dass hier noch einmal Tristans (unter anderem) aus dem Erzählmuster der ›gestörten Mahrtenehe‹ abzuleitender Anspruch auf Isolde zum Ausdruck gebracht wird. Auch Armin Schulz kommt, allerdings mit einer etwas anderen Herleitung, zu dem Ergebnis, die Szene hätte die Funktion, »Markes Ansprüche auf Isolde implizit zu desavouieren« (Schulz 2003, S. 541). 110 Dicke 1997a, S. 10. 111 Ebd., S. 11. 112 Vgl. zum Folgenden grundsätzlich Peter F. Ganz: Tristan, Isolde und Ovid. Zu Gottfrieds »Tristan«, Z.-17182 ff., in: Mediævalia litteraria. Festschrift für Helmut de Boor zum 80. Geburtstag, hrsg. von Ursula Hennig / Herbert Kolb, München 1971, S. 397-412; Knapp 1979, S. 256-261; Henkel 1990, S. 82-84; Roy Wisbey: Living in the Presence of the Past. Exemplary Perspectives in Gottfried’s »Tristan«, in: Gottfried von Strassburg and the Medieval Tristan Legend. Papers from an Anglo-North American Symposium, hrsg. von Adrian Stevens / Roy Wisbey, Cambridge 1990 (Arthurian Studies 23 / Publications of the Institute of Germanic Studies 44), S. 257-276, hier S. 270-273; Manfred Kern: Edle Tropfen vom Helikon. Zur Anspielungsrezeption der antiken Mythologie in der deutschen höfischen Lyrik und Epik, Amsterdam u. a. 1998 (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur 135), S. 186-193; Flecken-Büttner 2011, S. 232-238. 113 Vgl. vv. 3517, 3585, 3609, 3615, 3647, 3652. Zu dieser um 1200 aktuellen Gattungsbezeichnung Christoph März: Art. Lai, Leich, in: Musik in Geschichte und Gegenwart, begr. von Friedrich Blume, 2. neubearb. Ausg., Sachteil 5 (1996), Sp. 851-867, für den deutschen Sprachraum bes. Sp. 862-864. Weiterhin Henrike Lähnemann: Leich, Lied und Leise. Singen im »Tristan«, in: Impulse und Resonanzen. Tübinger mediävis- 2.1 Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹? 145 dieser uneindeutigen mittelhochdeutschen Bezeichnung kann man sich zwar durchaus einen rein instrumentalen Vortrag vorstellen, und in Bezug auf die leiche von Gurun und Graland gibt der Text auch tatsächlich keinen Hinweis auf eine gesangliche Begleitung. 114 Bei Tristans Thisbe-Leich wird dem Gesang allerdings sowohl vom Erzähler als auch vom textinternen Publikum große Beachtung geschenkt. 115 Und selbst wenn die anderen Leiche nicht vertextet sein sollten, so sind sie doch zumindest über die zitierten Namen jeweils mit einer Erzählung verbunden. 116 Diese narrative Seite der Leiche möchte ich im Folgenden in den Vordergrund stellen. 117 Auch im Kontext der Minnegrotte geht es um Erzählungen: Hier spielen und singen Tristan und Isolde nicht nur leiche und noten der minne (v. 17211), sondern sie erzählen sich auch Liebesgeschichten, senemære über die antiken Frauenfiguren Phyllis, Canace, Byblis und Dido: tische Beiträge zum 80. Geburtstag von Walter Haug, hrsg. von Gisela Vollmann-Profe, Tübingen 2007, S. 179-192, hier S. 189. 114 Vgl. Herbert Riedel: Musik und Musikerlebnis in der erzählenden deutschen Dichtung, Bonn 1959 (Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft 12), S. 179. Zum Leich im »Tristan« als »rein instrumentale[m] Vortragsstück« auch Louise Gnaedinger: Musik und Minne im »Tristan« Gottfrids von Straßburg, Düsseldorf 1967, S. 64. 115 Vgl. vv. 3622-3633. Dabei ist allerdings nicht ganz klar, wie viel die Hofgesellschaft vom Liedtext versteht, weil Tristan, wie nicht nur der Erzähler, sondern auch Marke ausdrücklich betont, sowohl in französischer als auch bretonischer, walisischer und lateinischer Sprache singt, vgl. vv. 3627 f., 3690-3693. - Tristans Kunst wird hier als vuoge (v. 3635) bezeichnet, und auch die Hofleute beneiden Tristan im Stillen um seine vuoge, die kein man | ze dirre werlde haben kan (vv. 3713 f.). Bei der vuoge handelt es sich um einen Ausdruck, der auch für die literarische Komposition gebraucht wird: Mhd. vuoge meint nicht nur das passende, schickliche Verhalten eines höfischen Menschen, sondern bezeichnet zunächst eine passende, feste Verbindung, sowohl im Bereich der Kleidung (im Sinne von ›Naht‹) als auch im Bereich erzählerischer Komposition. Zur Wortfamilie des vüegens vgl. Lexer, Bd. 1, Sp. 969, Bd. 3, Sp. 555 f., 572 f.; BMZ, Bd. 3, S. 438-442. In einem poetologischen Sinne benutzt Gottfried den Ausdruck auch im Literaturexkurs, vv.-4821-4823: Nu hân ich rede genuoge | von guoter liute v u o g e | g e v ü e g e n liuten vür geleit. (Hervorhebung L.M.) Haug und Scholz übersetzen mit ›Kunstverstand‹ (Bd.-1, S.-275). 116 Zu dieser Funktion einzelner Namen als Chiffre des Gesamttextes im Kontext der mittelalterlichen Exempelpraxis Timo Reuvekamp-Felber: Literarische Formen im Dialog. Figuren der matière de Bretagne als narrative Chiffren der volkssprachigen Lyrik des Mittelalters, in: Lyrische Narrationen - narrative Lyrik. Gattungsinterferenzen in der mittelalterlichen Literatur, hrsg. von Hartmut Bleumer / Caroline Emmelius, Berlin 2011 (Trends in Medieval Philology 16), S. 243-270, hier S. 248f.: »In einem Wort verdichten sich der gesamte plot oder die mit der Figur verbundenen Handlungselemente des Prätextes. […] Durch das als metonymisches pars pro toto fungierende konstitutive Referenzsignal kann der Prätext oft als Ganzes evoziert werden.« - In der textinternen Kommunikationssituation reicht für Tristan offenbar bereits die Melodie, um den Namen und das damit verbundene Narrativ zu erinnern, vgl. Hartmut Bleumer: Gottfrieds »Tristan« und die generische Paradoxie, in: PBB 130 (2008), S. 22-61, hier S. 45: »[S]chon der Klang realisiert das Thema einer Geschichte: Das Thema der Leiche wird am Klang erkannt.« Die narrative Dimension der Lieder betont auch Werner Schröder: Die von-Tristande hant gelesen. Quellenhinweise und Quellenkritik im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg, in: ZfdA 104 (1975), S. 307-338, hier S. 337: »schanzune, / rundate und höfschiu liedelin (19210 f.), leiche (19198) und zumal der edele leich Tristan (19201) […] bestanden nicht bloß aus gesummten Melodien und taktierten Rhythmen, sondern auch und vor allem aus sinntragenden Wörtern und Sätzen.« Die Verbindung von musikalischer und narrativer Seite ist möglicherweise auch in der - umstrittenen - Etymologie von fr. lai / mhd. leich abgebildet, vgl. März 1996, Sp. 852 f. Hier lässt sich die »ungewöhnliche Erscheinung« beobachten, »daß die Gattung Lai sowohl als epische wie als lyrische Geltung hat« (ebd., Sp. 853). 117 Zu den spezifisch lyrischen Aspekten der leiche im »Tristan« dagegen Bleumer 2008, S. 45-51. 146 2 Annäherungen dâ sâzen si z’ein ander an die getriuwen senedære und triben ir senemære von den, die vor ir jâren von sene verdorben wâren: si beredeten unde besageten, si betrûreten unde beclageten, daz V ill î s e von Trâze, daz der armen C a n â z e in der minnen namen geschach; daz B i b l î s e ir herze brach durch ir bruoder minne; daz ez der küniginne von Tîre und von Sidône, der seneden D i d ô n e durch sene sô jæmerlîche ergie. mit solhen mæren wâren s’ie unmüezic eteswenne. (vv. 17182-17199; Hervorhebung L.M.) Die Erzählstoffe, auf die im »Tristan« in Form von leichen und senemæren angespielt wird, stammen einerseits aus der matière de Bretagne (Gurun, Graland), 118 andererseits aus der antiken Literatur (Thisbe, Dido, Phyllis, Canace, Byblis). Gottfried konnte die Stellen wohl zum Teil aus seiner Vorlage übernehmen, zum Teil hat er sie vermutlich aber auch selbst in den Roman eingebracht. 119 118 Auf die ›bretonische‹ Herkunft der leiche weist auch der Text selbst mehrfach hin, vgl. v. 3525 (die macheten Brîtune), v. 3557 (leiche von Britûn), v. 3590 (in britûnscher wîse). Auf die grundsätzliche Affinität der Gattung ›Lai / Leich‹ zur matière de Bretagne verweist März 1996, Sp. 852f. 119 Im fragmentarischen Roman des Thomas wird nur der lai pitus d’amur von Guirun erwähnt (vgl. »Tristran«, vv. 833-842). Isolde singt ihn hier nach der Trennung von Tristan. Weil aber in der »Tristramssaga« auch in der früheren Szene ein leik […] um unnustu hins góða Geirnis (Kap. 22; Ausg. Kölbing 1878, S. 23, Z.-31-33; ›Lied […] über die Geliebte des guten Geirnir‹; Übers. Uecker 2008, S. 30) erwähnt wird, könnte der Lai auch bei Thomas bereits hier erwähnt worden sein. Vgl. Lähnemann 2007, S. 189. Für die anderen Texte fehlen entsprechende Hinweise. Wo Tristan bei Gottfried die Leichs von Graland und Thisbe vorträgt, ist in der »Saga« an beiden Stellen unspezifisch von einer ›Weise‹ (slátt, Kap. 22; Ausg. Kölbing 1878, S. 24, Z. 1, 9) die Rede. Ebenso fordert auch Gandin nur ganz allgemein, Tristram solle ihm etwas vorspielen (»gør mér nú aðra skemtam«, Kap. 50, ebd., S. 62, Z. 33). Zur Gestaltung der gesamten Minnegrotten-Episode bei Thomas lassen sich nur schwer Aussagen treffen; dass Gottfried hier die senemære selbstständig gestaltet hat, glaubt Ganz 1971, S. 399f. Zur Vorlagenfrage auch Wilhelm Hoffa: Antike Elemente bei Gottfried von Straßburg, in: ZfdA 52 (1910), S.- 339-350, hier S. 339-341. - Ob Gottfried sich bei den gegenüber Thomas womöglich neu hinzugefügten Figuren direkt auf Ovid bezog, lässt sich nicht ermitteln. Dazu grundsätzlich Knut Usener: Verhinderte Liebschaft. Zur Ovid-Rezeption bei- Gottfried von-Straßburg, in: Tristan und Isolt im Spätmittelalter. Vorträge eines interdisziplinären Symposiums vom 3. bis 8. Juni 1996 an der Justus-Liebig-Universität Gießen, hrsg. von Xenja von Ertzdorff unter redaktioneller Mitarbeit von Rudolf Schulz, Amsterdam 1999 (Chloe 29), S. 219-245, hier S. 229f., 233, 236, 243 f., der an eine direkte Ovid-Rezeption glaubt. Die in der Minnegrotten-Episode genannten Namen könnte Gottfried auch aus den »Fabulae« des Hyginus übernommen haben, wo sie in derselben Reihenfolge aufgeführt werden, vgl. Hyginus, »Fabulae«, 243,6f. Zitiert nach Hyginus: Fabulae, ed. Peter K. Marshall, München / Leipzig 2 2002 (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana). Dazu Knapp 2.1 Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹? 147 Die knappe Form der Anspielung über einen mit der Erzählung verbundenen Figurennamen entspricht dabei der narrativen Minimalform des Exempels, die in der mittelalterlichen Literatur häufig Verwendung findet. 120 Über die jeweiligen Narrative erfährt man im »Tristan« jedenfalls nicht viel mehr, als dass es sich um senelîche Geschichten handelt, sehnsuchtsvolle Erzählungen von zumeist unglücklicher Liebe. 121 Für einen Leser oder Hörer, der nicht mit den zugrunde liegenden Stoffen vertraut ist, bleiben die zitierten Namen daher weitgehend blind. 122 Um die mögliche Wirkung der Anspielungen einschätzen zu können, lohnt sich deshalb ein kurzer bildungsgeschichtlicher Blick auf die Bekanntheit der jeweiligen Geschichten bei deutschsprachigen Rezipienten der Zeit um 1200. Was zunächst die ›bretonischen‹ Stoffe angeht, so ist das nicht ganz einfach. Wie an anderer Stelle bereits angedeutet, ist zwar der Erzähltyp vom ›gegessenen Herzen‹, der dem Leich von Gurun und seiner Geliebten zugrunde liegt, später außerordentlich verbreitet, aber die Tristantradition bietet den ersten und einzigen Beleg für eine mit dem Namen Gûrun (bei Thomas: Guirun) verbundene Erzählung. 123 Können wir also davon ausgehen, dass die Rezipienten des »Tristan« mit einem mündlich vermittelten »Lai de Guirun« (möglicherweise in französischer Sprache) vertraut waren? 124 Ein »Lai de Graelant« dagegen lässt sich zumindest in Frankreich seit dem Ende des 12. Jahrhunderts nachweisen. 125 Auch mehrere deutschsprachige Texte aus dem 13. Jahrhundert führen Grâlant als Exempelfigur an, beziehen sich dabei allerdings offenbar auf eine andere Geschichte als Gottfried. 126 1979, S. 258. Skeptisch dagegen Kern 1998, S. 187 Anm. 339; Usener 1999, S. 243 Anm. 51. Zu weiteren möglichen lateinischen Quellen für Thisbe und Dido siehe unten S. 148 Anm. 127. 120 Den Bezug zur literarischen Form der Beispielfiguren betont auch Okken 2 1996, Bd. 1, S. 616; von Exempeln spricht außerdem Usener 1999, S. 233 u. ö. Zur mittelalterlichen Exempelpraxis einführend Gerd Dicke: Art. Exempel, in: RLW 1 (1997), S. 534-537. Vgl. dazu den Sammelband Exempel und Exempelsammlungen, hrsg. von Burghart Wachinger / Walter Haug, Tübingen 1991 (Fortuna vitrea 2) sowie Olive Sayce: Exemplary Comparison from Homer to Petrarch, Woodbridge (Suffolk) 2008. Vgl. für den vorliegenden Kontext Nikolaus Henkel: Reduktion als poetologisches Prinzip. Verdichtung von Erzählungen im lateinischen und deutschen Hochmittelalter, in: Wolfram-Studien 24 (2017), S. 27-55, hier S. 45-49. 121 Vgl. vv. 3524, 3615, 17183-17186, 17196 f. Zur Wortfamilie um mhd. sene (›liebendes, schmerzliches Verlangen‹) siehe Lexer, Bd. 2, Sp. 877 f.; BMZ, Bd. 2 / 2, S. 249-251. Krohn betont, der Ausdruck senelîch lasse »offen, ob die damit bezeichnete Liebesgeschichte glücklich endet« (Krohn, Bd. 3, S. 29). Kästner sieht darin auch einen Bezug zum Minnesang: Im Literaturexkurs heißt es über die ›Nachtigallen‹, sie kunnen alle ir senede leit | sô wol besingen unde besagen (vv. 4776 f.), vgl. Kästner 1981, S. 35. 122 Könnte das erklären, warum der Redaktor der Handschrift M die senemære gestrichen hat? Andere Deutungen bietet Baisch 2006, S. 238-241. - Henkel weist darauf hin, dass die Blindheit der Anspielungen auf Textebene am Beispiel von Marke vorgeführt wird: »Marke hört und versteht nicht - zum ersten Mal ist die später vielfach erscheinende ›Blindheit‹ Markes ins Werk gesetzt« (Henkel 2017, S. 47). 123 Siehe oben, S. 93f. und Anm. 295. 124 Vgl. Henkel 1990, S. 83: »[I]m deutschen Südwesten, nahe der französischen Sprachgrenze, dürfte das nicht ganz unmöglich gewesen sein«. 125 Vgl. E. Margaret Grimes: The Lays of Desiré, Graelent and Melion. Edition of the Texts, New York 1928 [Nachdruck Genf 1976], S. 76-122. Obwohl der Text nicht eindeutig zu datieren ist, weist eine Reihe von Anspielungen in der französischen Literatur auf die Bekanntheit der Erzählung in der Zeit kurz nach 1200 hin, vgl. ebd., S. 28-30. 126 Vgl. Heinrich von dem Türlin, »Diu Crône«: dâ man Grâlanden sôt (v. 11564; Ausg. Felder 2012, S. 191); »Der Weinschwelg«: Grâlanden sluoc man unde sôt | und gab in den frouwen ze ezzen | want si sîn niht wolden vergezzen (vv.- 334-336; zitiert nach Der Stricker: Verserzählungen II. Mit einem Anhang: Der Weinschwelg, hrsg. von Hanns Fischer, 4. durchges. Aufl. bes. von Johannes Janota, Tübingen 1997 (ATB 68), S. 56); der von Gliers, Lied 3: Grâlant, den man gar versôt | wart nie grœzzer nôt beschert, | danne mir, 148 2 Annäherungen Die antiken Figuren kannten lateinisch gebildete Leser im Mittelalter in erster Linie von Ovid. 127 Vor allem die »Metamorphosen« dienten als Schullektüre 128 und waren in der aetas ovidiana des hohen Mittelalters »allgegenwärtig« 129 . Anders sieht es für diejenigen Rezipienten aus, die kein Latein verstehen konnten: Zwar entstand kurz vor oder nach 1200 am Hof des Landgrafen Hermann von Thüringen die »Metamorphosen«-Übersetzung Albrechts von Halberstadt; sie ist allerdings nur in fünf Fragmenten einer einzigen Handschrift erhalten ich wænne, ane mînen tôt. (Str. 9,19-21; zitiert nach Die Schweizer Minnesänger. Nach der Ausg. von Karl Bartsch neu bearb. und hrsg. von Max Schiendorfer, Bd. 1: Texte, Tübingen 1990, S. 74) Vgl. dazu Kern 1998, S. 297 Anm. 533; Christoph Cormeau: »Wigalois« und »Diu- Crône«. Zwei- Kapitel zur- Gattungsgeschichte des nachklassischen Aventiureromans, Zürich / München 1977 (MTU 57), S. 201 Anm. 56. - Gustav Ehrismann ging davon aus, dem »Meleranz« des Pleier (vor 1270) habe »eine erzählung von Gralant zu grunde« gelegen (Gustav Ehrismann: [Rezension] Untersuchungen über das epische Gedicht Gauriel von Muntabel, hrsg. von E. von Roszko,-Lemberg 1903, in: Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Literatur 30 (1906), S. 87-97, hier S. 92). Vorsichtiger formuliert Peter Kern, der Pleier habe »auf ein literarisch bearbeitetes Feenmärchen von der Art des »Lai de Graelent« zurückgegriffen« (Peter Kern: Art. Der Pleier, in: ²VL 7 (1989), Sp. 728-737, hier Sp. 733). Für die europäische Verbreitung der Erzählung spricht auch die Tatsache, dass der »Lai der Graelent« um die Mitte des 13. Jh.s ins Altnordische übertragen wurde. Die »Grelentz saga« findet sich in einer Sammlung von Bearbeitungen französischer Lais (strengleikar), die genauso wie die »Tristramssaga« am Hof des norwegischen Königs Håkon IV. angelegt wurde, vgl. Strengleikar. An Old Norse Translation of Twenty-One Old French Lais, ed. from the Manuscript Uppsala De la Gardie 4-7 - AM 666 b,4° by Robert Cook and Mattias Tveitane, Oslo 1979 (Norsk Historisk Kjeldeskrift-Institut. Norrøne Tekster 3), S. 280-290. Dort findet sich auch ein Text mit dem Titel »Guruns strengleicr« (ebd., S. 170-181), der allerdings eine ganz andere Erzählung bietet, als die Paraphrase des »Lai de Guirun« bei Thomas erwarten lässt. Zu den möglichen Deutungen dieser Abweichungen siehe Cook / Tveitane 1979, S.-168f. 127 Vgl. Ovid, »Metamorphosen«, 4,55-166 (Pyramus und Thisbe), 9,453-665 (Byblis); »Heroides«, 2 (Phyllis), 7 (Dido), 11 (Kanake). Zitiert nach Publius Ovidius Naso: Metamorphosen, hrsg. und übers. von Gerhard Fink, München / Zürich 2004 (Sammlung Tusculum); Publius Ovidius Naso: Liebesbriefe / Heroides epistulae. Lateinisch-deutsch, hrsg., übers. und erl. von Bruno W. Häuptli, 2., überarb. Aufl., Düsseldorf / Zürich 2001 (Sammlung Tusculum). Von Pyramus und Thisbe berichten neben den »Metamorphosen« auch sechs lateinische Bearbeitungen aus dem 12. und 13. Jh., vgl. Robert Glendinning: Pyramus and Thisbe in the Medieval Classroom, in: Speculum 61 (1986), S. 51-78. Bei der ältesten Version des Matthäus von Vendôme (um 1150? ) könnte es sich, wie Glendinning glaubt, um eine Quelle des »Tristan« gehandelt haben, vgl. ebd., S. 75-77. - Auch Dido kannte man im Mittelalter aus verschiedenen Texten. Für die lateinische Tradition, zu der unter anderem Didos Klage in den »Carmina Burana« (CB 100) gehört, siehe Peter Dronke: Dido’s Lament: From the Medieval Latin Lyric to Chaucer, in: Kontinuität und Wandel. Lateinische Poesie von Naevius bis Baudelaire. Franco Munari zum 65. Geburtstag, hrsg. von Ulrich Justus Stache u. a., Hildesheim 1986, S. 364-390; weiterhin Joachim Hamm: Infelix Dido. Metamorphosen einer Liebestragödie, in: Das diskursive Erbe Europas. Antike und Antikenrezeption, hrsg. von Dorothea Klein / Lutz Käppel, Frankfurt a. M. u. a. 2008 (Kulturgeschichtliche Beiträge zum Mittelalter und der frühen Neuzeit 2), S. 1-24. 128 Vgl. Curtius 2 1954, S. 58-64; Ernest H. Alton / Donald E.W. Wormell: Ovid in the Medieval Schoolroom, in: Hermathena 94 (1960), S. 21-38, 95 (1961), S. 67-82. 129 Dorothea Klein: Metamorphosen eines Dichters. Zur Ovid-Rezeption im deutschen Mittelalter, in: Das diskursive Erbe Europas. Antike und Antikenrezeption, hrsg. von Dorothea Klein / Lutz Käppel, Frankfurt a. M. u. a. 2008 (Kulturgeschichtliche Beiträge zum Mittelalter und der frühen Neuzeit 2), S. 159-178, hier S.-162. Zur Ovid-Rezeption im Mittelalter weiterhin Franco Munari: Ovid im Mittelalter, Zürich / Stuttgart 1960; Karl Stackmann: Ovid im deutschen Mittelalter, in: Arcadia 1 (1966), S. 231-254; Hartmut Kugler: Art. Ovidius Naso, P., in: ²VL 7 (1989), Sp. 247-273; Renate Kistler: Heinrich von Veldeke und Ovid, Tübingen 1993 (Hermaea. N. F. 71), S. 4-25. Eine umfangreiche Sammlung von Ovid-Remineszenzen bietet Karl Bartsch: Albrecht von Halberstadt und Ovid im Mittelalter, Quedlinburg / Leipzig 1861 (Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur von der ältesten bis auf die neuere Zeit 58), S. XI-CXXVII, CCXLIV-CCXLX. Weitere Literatur bei Usener 1999, S. 221 Anm. 6. 2.1 Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹? 149 und blieb wohl ohne »nennenswerte Wirkung« 130 . Einige der von Gottfried zitierten Figuren waren einem Laienpublikum deshalb womöglich nicht bekannt. 131 Das gilt etwa für Byblis, die außer im »Tristan« in der mittelhochdeutschen Literatur lediglich in Konrad Flecks »Flore und Blanscheflur« (um 1220? ) erwähnt wird. 132 Canace findet sich sogar nur bei Gottfried. 133 Phyllis kennen immerhin noch die »Crône« Heinrichs von dem Türlin (um 1230), der »Trojanerkrieg« Konrads von Würzburg (vor 1287) und der »Reinfried von Braunschweig« (nach 1291). 134 Auch ein Lied Heinrichs von Mügeln (etwa 1350-1375? ) berichtet vom Selbstmord der thrakischen Prinzessin. 135 Mit Dido und Thisbe dagegen dürften literarisch einigermaßen gebildete Leser und Hörer der Zeit um 1200 gut vertraut gewesen sein: Dido kannte man aus dem deutschen »Eneasroman« (vor 1190) oder seiner französischen Vorlage, dem »Roman d’Eneas« (um 1150). Eine ganze Reihe mittelhochdeutscher Texte erwähnt das traurige Schicksal der Königin von Karthago. 136 Mindestens ebenso bekannt war die Geschichte von Pyramus und Thisbe. 137 130 Karl Stackmann: Art. Albrecht von Halberstadt, in: ²VL 1 (1978), Sp. 187-191, hier Sp. 190. Eine Edition der einzelnen Fragmente bieten August Lübben: Neues Bruchstück von Albrecht von Halberstadt, in: Germania 10 (1865), S. 237-245 (Fragment a); Wilhelm Leverkus: Aus Albrechts von Halberstadt Übersetzung der Metamorphosen Ovids, in: ZfdA 11 (1859), S. 358-374 (Fragment b); Martin Last: Neue Oldenburger Fragmente der Metamorphosen-Übertragung des Albrecht von Halberstadt, in: Oldenburger Jahrbuch 65 (1966), S. 41-60, hier S. 47-53 (Fragmente c, d, e; Bezeichnungen nach Stackmann 1978). Das vollständige Werk ist durch eine stark veränderte Neufassung Georg Wickrams zugänglich, die 1545 in Mainz zum ersten Mal gedruckt wurde, vgl. Georg Wickram: Sämtliche Werke, Bd. 13: Ovids Metamorphosen, hrsg. von Hans-Gert Roloff, Berlin 1990 (Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts 134). Die Bearbeitung bietet zumindest den Beleg dafür, dass Albrechts Übersetzung nicht völlig ohne Wirkung geblieben ist, schließlich muss Wickram noch ein Exemplar des älteren Textes vorgelegen haben. 131 Für Green bieten die senemære deshalb einen Hinweis darauf, dass Gottfried (auch) mit klerikal gebildeten Rezipienten gerechnet habe, vgl. Green 1994b, S. 20f. 132 Vgl. Konrad Fleck, »Flore und Blanscheflur«, v. 2434 (Biblis). Vgl. Lexikon der antiken Gestalten in den deutschen Texten des Mittelalters, hrsg. von-Manfred Kern / Alfred-Ebenbauer unter Mitwirkung von-Silvia Krämer-Seifert, Darmstadt 2003, S. 140f. 133 Vgl. Kern / Ebenbauer (Hrsg.) 2003, S. 152. 134 Heinrich von dem Türlin, »Crône«, v. 11590 (Phillis); Konrad von Würzburg, »Trojanerkrieg«, v. 2319 (Phyllis); »Reinfried von Braunschweig« (Pillis). Vgl. Kern / Ebenbauer (Hrsg.) 2003, S. 509f. Siehe auch Knapp 1979, S. 118f. Knapp weist darauf hin, dass Phillis (neben Pyramus, Dido u. a.) zu den Figuren gehört, deren Geschichten dem »Roman de Flamenca« zufolge zum Repertoire der Jongleurs gehören (vgl. vv. 644 f.; zitiert nach Wandhoff 1996, S. 355). 135 Zitiert nach Die kleineren Dichtungen Heinrichs von Mügeln. Erste Abteilung: Die Spruchsammlung des Göttinger Cod. Philos. 21, Teilbd. 1: Einleitung, Text der Bücher I-IV, hrsg. von Karl Stackmann, Berlin 1959 (Deutsche Texte des Mittelalters 50), Nr. 254, S. 299. 136 Kern und Ebenbauer nennen neben dem »Tristan«, der »Metamorphosen«-Übersetzung und dem »Eneasroman« 17 weitere Anspielungen, vgl. Kern / Ebenbauer (Hrsg.) 2003, S. 218-222. Auf die tragische Liebe von Dido zu Aeneas beziehen sich etwa Hartmann von Aue (»Erec«, v. 7558), Wolfram von Eschenbach (»Parzival«, v. 399,14), Konrad Fleck (»Flore und Blanscheflur«, v. 2434), Heinrich von dem Türlin (»Diu Crône«, v. 11561) sowie der »Reinfried von Braunschweig« (vv. 3211, 15262, 24544) und der »Weinschwelg« (v. 333). Zur mittelalterlichen Dido-Rezeption auch Knapp 1979, S. 110-112, 135-143, sowie - allerdings ohne Bezugnahme auf deutschsprachige Texte - Marilynn Desmond: Reading Dido. Gender, Textuality, and the Medieval »Aeneid«, Minneapolis / London 1994 (Medieval Cultures 8). 137 Es handelt sich um »die im M[ittelalter] meistzitierte und am häufigsten erneuerte Erzählung aus Ovids »Metamorphosen«« (Karl-Heinz Schirmer / Franz Josef Worstbrock: Art. »Pyramus und Thisbe«, in: ²VL 7 (1989), Sp. 928-930, hier Sp. 928). Zur Rezeption des Stoffes im Mittelalter vgl. Franz Schmitt-von Mühlenfels: Pyramus und Thisbe. Rezeptionstypen eines Ovidianischen Stoffes in Literatur, Kunst und Musik, Heidelberg 1972 (Studien zum Fortwirken der Antike 6); Knapp 1979, S. 110f., 143-155; Hennig Brinkmann: Mittelalterliche Hermeneutik, Darmstadt 1980, S. 206-214; Brian Murdoch: »Pyramus und Thisbe«. 150 2 Annäherungen Dass der Stoff »zu den berühmtesten und wirkungsmächtigsten Sujets in der weltlichen Literatur des Hoch[mittelalters]« 138 zählt, belegen neben einer selbstständigen Kurzerzählung des 14. Jahrhunderts 139 und zahlreichen Anspielungen in anderen Texten 140 - darunter die berühmte Darstellung auf dem Sattel von Enites Pferd in Hartmanns »Erec« (vv. 7552-7581, 7706-7713), gemeinsam mit Dido und Aeneas - auch bildliche Darstellungen wie diejenige im Chor des Basler Münsters. 141 Für einen Rezipienten, der mit den Stoffen vertraut ist und die intertextuellen Verweise auflösen kann, bieten die Anspielungen im Kontext der literarisch geprägten Elitenkultur des höfischen Adels um 1200 eine Gelegenheit, das eigene Wissen zu demonstrieren und damit die Zugehörigkeit zu dieser »exklusiven Bildungselite« 142 zum Ausdruck zu bringen. Darüber hinaus haben sie aber auch eine hermeneutische und erzähltechnische Funktion innerhalb des Romans, auf die es mir ankommt. 143 Immer wieder lassen sich nämlich signifikante Parallelen zwischen den zitierten Geschichten und derjenigen von Tristan und Isolde erkennen. Das beginnt bei ihrer grundsätzlichen Thematik: Es handelt sich um tragische Liebesgeschichten, Spätmittelalterliche Metamorphosen einer antiken Fabel, in: Zur deutschen Literatur und Sprache des 14. Jahrhunderts. Dubliner Colloquium 1981, hrsg. von Walter Haug u.a., Heidelberg 1983 (Publications of the Institute of Germanic Studies 29 / Reihe Siegen 45), S. 221-237. 138 Kern / Ebenbauer (Hrsg.) 2003, S. 546. 139 »Von Pyramo und Thisbe, den zwein lieben geschah vil wê«. Zitiert nach Novellistik des Mittelalters, Ausg. Grubmüller 1996, S. 336-363. - Seit dem frühen 16. Jh. lässt sich die Geschichte von Pyramus und Thisbe auch als Volkslied mit dem Titel »Der Abendgang« nachweisen, vgl. Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien. Balladen, Bd. 1, hrsg. von John Meier, Freiburg i. Br. 1935, Nr. 19, S. 179-195. 140 Vgl. Kern / Ebenbauer (Hrsg.) 2003, S. 545-548. Kern und Ebenbauer kennen außer der »Metamorphosen«- Übersetzung und dem »Tristan« noch 14 weitere Zeugnisse. Darunter befinden sich der »Erec« (v.-7709), »Flore und Blanscheflur« (v. 2435), die »Crône« (vv. 11574 f.), der »Trojanerkrieg« (vv. 2315-2317), »Reinfried von Braunschweig« (vv. 15268, 15274), der »Apollonius« Heinrichs von Neustadt (v.- 177), sowie »Die böse Frau« (v. 385), »Die Heidin« (v. 898), der »Weinschwelg« (v. 337), außerdem zwei Leiche des Tannhäusers und des von Gliers sowie zwei Sangsprüche des Jungen Meißners. 141 Die Darstellung auf einem Kapitell im Chorumgang stammt aus dem 12. Jh. Abbildung bei Dorothea Schwinn Schürmann u.a.: Das Basler Münster, Basel 2006, S. 94. Zur möglichen geistlichen Deutung des Reliefs Schmitt-von Mühlenfels 1972, S. 55-57. 142 Timo Reuvekamp-Felber beobachtet das in Bezug auf Anspielungen auf Texte der matière de Bretagne in der mittelalterlichen Lyrik: »Das Zitieren von Figurennamen, Dingbezeichnungen oder Handlungselementen […] mag […] der Beschwörung einer als klassisch saturierten Welt literarischer Tradition dienen, die zu der Evokation führt, zu einer exklusiven Bildungselite zu gehören.« (Reuvekamp-Felber 2011, S. 248) Den Stellenwert literarischer Bildung und ihrer Demonstration in der adligen Gesprächskultur des Mittelalters beschreibt - unter anderem mit Blick auf die »Metamorphosen«-Rezeption und Gottfrieds »Tristan« - auch Lutz 2005. Zur Bedeutung von Anspielungen als ›Konversationsstücken‹ mit ›Gesprächsfunktion‹ ebd., S. 371. Siehe in diesem Kontext auch Lutz 2013. Für Beatrice Trînca erwecken die knappen Anspielungen im »Tristan« geradezu den Anschein, »als würde Gottfried intertextuelles Wissen« seiner gebildeten Rezipienten »prüfen wollen« (Beatrice Trînca: Amor conspirator. Zur Ästhetik des Verborgenen in der höfischen Literatur, Göttingen 2019 (Aventiuren 10), S. 231). Das spielerische Enträtseln der Anspielungen besitzt dabei sicher auch einen Eigenwert, den Nikolaus Henkel in einem vergleichbaren Kontext als ›ästhetischen Genuss‹ bezeichnet hat, vgl. Nikolaus Henkel: Das Bild als Wissenssumme. Die Holzschnitte in Sebastian Brants Vergil-Ausgabe. Straßburg 1502, in: Schreiben und Lesen in der Stadt. Literaturbetrieb im spätmittelalterlichen Straßburg, hrsg. von Stephen Mossmann u. a., Berlin / Boston 2012 (Kulturtopographie des alemannischen Raums 4), S. 379-409, hier S. 400. 143 Vgl. Henkel 2017, S. 46-49. Ähnlich fordert auch Reuvekamp-Felber, den semantischen Gehalt solcher Anspielungen ernst zu nehmen und nach ihrer hermeneutischen Funktion im jeweils untersuchten Text zu fragen, vgl. Reuvekamp-Felber 2011, S. 248-250. 2.1 Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹? 151 die bis auf diejenige von Graland alle tödlich enden. 144 Die Erzählungen, die sich Tristan und Isolde in der Minnegrotte erzählen, werden als senemære bezeichnet (v. 17184), und ein senedes mære, so heißt es im Prolog, will auch der Roman selbst sein (vgl. v. 123). Als ein senedære unde ein senedærîn (v. 128) führt der Erzähler schließlich auch die Figuren in den Text ein. 145 Die weiteren Parallelen sind unterschiedlich deutlich zu erkennen und liegen auf verschiedenen Ebenen: Mit dem »Lai de Graelant« etwa besitzt Gottfrieds Roman eine strukturelle Gemeinsamkeit. Wir haben es nämlich mit einer Erzählung vom Typ der ›gestörten Mahrtenehe‹ zu tun, der, wie wir gesehen haben, auch im »Tristan« eine Rolle spielt. 146 Der Erzähltyp vom gegessenen Herzen, vertreten durch den »Lai de Guirun«, wie ihn Thomas paraphrasiert, handelt von einer Dreiecksbeziehung, die damit endet, dass die Liebenden auf tragische Weise ums Leben kommen und im Tod vereint werden. Die Ähnlichkeiten zum Tristanstoff liegen auf der Hand. 147 Besonders anspielungsreich ist der Bezug auf Dido, der verschiedene Anknüpfungspunkte zulässt. In der Gandin-Episode, wo Dido zum ersten Mal erwähnt wird, besteht eine Pointe in der parallelen und doch unterschiedlichen Situation von Gandin und Aeneas: So wie Aeneas Dido verlässt und ohne sie mit dem Schiff davonfährt, so muss auch der irische Baron - gegen seinen Willen - ohne Isolde davonfahren. 148 Andererseits kann man hier aber auch einen weniger humorvollen Verweis auf die spätere Trennung von Tristan und Isolde erkennen: Hier ist es Tristan, der davonsegelt und Isolde - zumindest vorläufig - allein 144 Siehe zu Graland allerdings auch unten, Anm. 146. 145 Dabei handelt es sich um Neologismen (vgl. Krohn, Bd. 3, S. 29, zu v. 98), was den Ausdrücken eine besondere Markiertheit verleihen dürfte. 146 Zum »Lai de Graelent« als ›Feenmärchen‹ siehe Panzer 1902, S. LXXXI-LXXXIV. In Bezug auf die vorliegende Stelle Henkel 1990, S. 83; Bleumer 2008, S. 48. Mit Verweis auf die Tatsache, dass in der deutschen Literatur des Mittelalters der Name Grâlant offenbar vor allem mit der Geschichte vom gegessenen Herzen verbunden war (siehe oben, S. 94 Anm. 295), glaubt Knapp hingegen, dass diese (im Anschluss an den Leich von Gurun) auch im »Tristan« gemeint sei, vgl. Knapp 1979, S. 201 Anm. 10. Dafür spricht, dass es sich bei dem »Lai de Graelent« sonst um die einzige Erzählung mit positivem Ausgang handeln würde. Dagegen wiederum Krohn, Bd. 3, S. 77: »Da aber kurz zuvor der walisische Sänger mit dem Gûrun-Leich […] dieses Thema bereits behandelt hat, ist anzunehmen, daß Tristan das weitverbreitete Feenmärchen um den Helden des altfranzösischen »Lay de Graalant« zum Vortrag brachte […].« So schon der Kommentar in der Übersetzung von Hertz 1877, S. 562: »Wenn das Lied von Gurun wirklich die Sage vom gegessenen Herzen behandelte, so ist schwer zu glauben, daß Tristan seinen Hörern dasselbe traurige Gericht noch einmal aufgetischt haben sollte.« 147 Für Bleumer besitzt die »Nennung dieser Geschichte« damit »ganz offensichtlich einen poetologischen Signalcharakter für den »Tristan«« (Bleumer 2008, S. 47). 148 Vgl. ebd., S. 51. Jackson spricht in Bezug auf Gandins Liedwunsch von »an ironical choise, since Dido lost her lover when he set sail without her« (William T.H. Jackson: Artist and Performance in Gottfried’s »Tristan«, in: Tristania 1 (1975 / 76), S. 3-20, hier S. 14). Judith A. Davidson sieht in Gandins Liedwunsch die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, »that Isolde’s feelings for him will duplicate eventually Dido’s undying love for Aeneas.« ( Judith A. Davidson: The Cur, the Serpent, and the Knight of the Rote. Three Villains from Gottfried’s »Tristan«, in: Colloquia Germanica 15 (1982), S. 17-31, hier S. 19) Ich denke jedoch, es sollte hier nicht darum gehen, die Anspielungen in eine Richtung festzulegen und damit ihr Potential zu reduzieren, sondern vielmehr die Vielstimmigkeit der Auslegungsangebote zuzulassen. Vgl. dazu in Bezug auf den »Tristan« auch Köbele 2004, S. 221: »Für Anspielungen wie für Ironie ist jede Explikation tödlich. Anspielungen sind hochempfindliche Gebilde.« Sie funktionierten nicht »im Sinn eines Rätsels mit Frage-Antwort-Struktur, das die Lösung schon mitenthielte.« (ebd., S. 243) - Zur Deutung des Dido-Leichs in der Gandin-Episode auch Kästner 1981, S. 72. 152 2 Annäherungen zurücklässt, um wie Aeneas in der Ferne eine andere Frau zu heiraten. 149 Bei Phyllis handelt es sich ebenfalls um eine Frau, die von ihrem Geliebten verlassen wird. 150 Byblis und Canace wiederum sind nicht nur allgemeine Beispiele für den amor illicitus, eine gegen gesellschaftliche Normen verstoßende Liebe, 151 sondern über das Motiv des Inzests auch darüber hinaus mit Tristan und Isolde verbunden: Auch wenn das in der Forschung nicht oft hervorgehoben wird, fiel deren Verhältnis nach mittelalterlichem Verständnis nämlich ebenfalls unter diesen Straftatbestand, der im Mittelalter (und noch bis ins 18. Jahrhundert) auch Beziehungen zwischen verschwägerten Personen sanktionierte. Auch eine Beziehung mit der Frau des Onkels galt im Mittelalter als Inzest. 152 Insofern Marke außerdem als Vaterfigur für Tristan fungiert, 153 149 Vgl. Wolf 1974, S. 109f.; Alois Wolf: Venus versus Orpheus. Reinmar, Walther, Gottfried und die ›Renaissance‹ des 12. Jahrhunderts, in: Sprache und Dichtung in Vorderösterreich, hrsg. von Guntram A. Plangg / Eugen Thurnher, Innsbruck 2000, S. 75-98, hier S. 90. Hahn erkennt in Isoldes Abschiedsmonolog einen Bezug zu den »Heroides«, vgl. Hahn 1963, S. 117f.; dazu auch Flecken-Büttner 2011, S. 237. - Die Parallelen der Handlung werden auch in der Paraphrase der Erzählung im »Erec« deutlich, vgl. vv. 7552-7581: Die Geschichte erzähle, wie der vil listige man (Aeneas) über sê ins Land der Frau (Dido) fuhr und wie sie ihn in ir genâde nam. Darauf hin habe er sie wieder verlassen. In der Fremde leiste er viele sagebære dinge, die jedoch ze sagenne ze lanc seien. Unter anderem heirate er eine Frau (Lavinia). Die Zusammenfassung enthält dabei auch eine deutliche Bewertung des Erzählers zu Ungunsten von Aeneas. Es heißt nämlich, er enleiste ir niht des er gehiez: | sus wart die vrouwe betrogen. (vv. 7561 f.) Sollte man auch das auf Tristan übertragen? 150 Zur Parallele von Phyllis und Isolde Usener 1999, S. 237f. Flecken-Büttner weist darauf hin, dass Isolde im Gegensatz zu Dido und Phyllis nicht den Verstand verliert, sich nicht das Leben nimmt und daher besser handle als die antiken Frauen, vgl. Flecken-Büttner 2011, S. 237f.: »Isolde, so könnte man sagen, hat - in Gottfrieds Sinne - richtig gelesen: Sie verfällt nicht in die imitatio, ihr bricht nicht das Herz […]. Isolde kann der Kraft der Liebe das Zerstörerische nehmen.« In diesem Sinne bezeichnete schon Alois Wolf Isolde als »eine nova oder vera Dido« (Wolf 1974, S. 109). Dazu auch Knapp 1979, S. 259. 151 Vgl. Ganz 1971, S. 404; Usener 1999, S. 238-240; Flecken-Büttner 2011, S. 235. Als Beispiel für den amor illicitus erscheint Canace auch in einem anonymen »Accessus ad Ovidium« aus dem 12. Jh.: hoc triplici modo tractat de ipso amore, scilicet de legitimo, de illicito et stulto. […] de illicito per Canacen. Zitiert nach Accessus ad auctores. Bernard d’Utrecht. Conrad d’Hirsau, Dialogus super auctores. Édition critique entièrement revue et augmentée par R.B.C. Huygens, Leiden 1970, S. 30, Z. 8-10. ›[Ovid] verhandelt auf diese dreifache Weise über die Liebe, nämlich über die gesetzmäßige, die unerlaubte und die törichte. […] Die unerlaubte (verhandelt er) am Beispiel von Canace.‹ 152 Vgl. Andreas Roth: Art. Inzest, in: HRG² 2 (2012), Sp. 1297-1300. Dahinter steht auch die Vorstellung, dass zwei Menschen beim Geschlechtsakt durch den Austausch von Körperflüssigkeiten zu tatsächlich Blutsverwandten werden. So heißt es schon im Neuen Testament, Mann und Frau würden beim Geschlechtsakt zu ›einem Fleisch‹ (Mt 19,5: homo […] adherebit uxori suae et erunt duo in carne una). Vgl. dazu den Sammelband Blood & Kinship. Matter for Metaphor from Ancient Rome to the Present, hrsg. von Christopher H. Johnson u. a., New York / Oxford 2013, darin neben der Einleitung von Simon Teuscher / David Warren Sabean, S. 1-17, bes. die Beiträge von Anita Guerreau-Jalabert: Flesh and Blood in Medieval Language about Kinship, S.-61-82, und Simon Teuscher: Flesh and Blood in the Treatises on the Arbor Consanguinitatis (Thirteenth to Sixteenth Centuries), S. 83-104. Die Reihe der biblischen Inszestverbote in Levitikus 18 erwähnt allerdings nur ein Verbot des Verkehrs mit der Frau des Onkels väterlicherseits (lat. patruus), vgl. Lev 18,14. An anderer Stelle ist dagegen von der uxore patrui vel avunculi (Lev 20,20) die Rede. 153 An vier Stellen wird Marke als ›Vater‹ von Tristan bezeichnet: Der Erzähler nennt ihn den unverwânden [›unvermuteten‹] vater sîn (vgl. v. 3382), Marke selbst möchte erbevater (v. 4301) seines Neffen sein und Rual tröstet Tristan damit, er habe keinen Vater verloren, sondern in Marke einen gewonnen: er ist dîn vater, alsô bin ich (v.- 4386). Später spricht der Text von Rual und Marke aus Tristans Perspektive als seinen vetern zwein (v. 5684). Zu diesen Bezeichnungen und zur Vater-Rolle Markes siehe Nicola Zotz: Vaterverlust oder Vatergewinn? Rual zwischen Riwalin und Marke, in: Das Abenteuer der Genealogie. Vater-Sohn-Beziehungen im Mittelalter, hrsg. von Johannes Keller u. a., Göttingen 2006 (Aventiuren 2), S. 87-103, hier S. 92-95. Aus psychoanalytischer Perspektive außerdem Marshall 2017, S. 264. Aus kom- 2.1 Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹? 153 kann man hier auch eine Anspielung auf das literarisch weit verbreitete Motiv der inzestuösen Beziehung zwischen einem Stiefsohn und seiner (jungen) Stiefmutter erkennen. 154 Besonders deutliche und weitreichende Verbindungen ergeben sich schließlich zur Geschichte von Pyramus und Thisbe. 155 In diesem mittelalterlichen »locus classicus für unglückliche Liebe« 156 wird erzählt, wie eine verbotene Liebesbeziehung aufgrund eines Missverständnisses des Mannes im Tod der Liebenden endet. Vor allem das Motiv des gemeinsamen Liebestods ist hier eindrücklich vorgezeichnet. Damit verbindet sich außerdem die Vorstellung einer Einheit der Liebenden, 157 die im Tod ihre Erfüllung findet. 158 munikationstheoretischer Perspektive zeigt Karin, dass sich Marke gegenüber Tristan auch »sprachlich wie ein Vater verhält.« (Karin 2019, S. 276) 154 Vgl. dazu Frenzel 6 2015, S. 392f., 401 f.; Ion Taloş: Art. Inzest, in: Enzyklopädie des Märchens 7 (1993), Sp.-229-241, hier Sp. 236. Zuweilen wird dieses Motiv auch in Brautwerbungserzählungen benutzt, so in der Geschichte von König Jörmunrek in »Edda«, »Snorra Edda« und »Völsungensaga«, vgl. Frenzel 6 2015, S. 401. 155 Vgl. bes. Usener 1999, S. 228-231; Knapp 1979, S. 257, sowie Brinkmann 1980, S. 211-214, für den die Geschichte sogar »durch ihre Konzeption das Modell […] für die Gestaltung der Tristansage durch Thomas und Gottfried geliefert hat.« (ebd., S. 208) 156 William T.H. Jackson: Der Künstler Tristan in Gottfrieds Dichtung [1962], in: Gottfried von Strassburg, hrsg. von Alois Wolf, Darmstadt 1973 (Wege der Forschung 320), S. 280-304, hier S. 288. 157 Wie Robert Glendinning gezeigt hat, wird dieses ›Einheitsphantasma‹ besonders in der Version des Matthäus von Vendôme herausgearbeitet, vgl. Glendinning 1986, S. 75-77. Dass die Darstellung der Zweieinigkeit auch auf sprachlicher Ebene eine große Nähe zu Gottfried besitzt, zeigt sich schon am Beginn der Erzählung. Dort heißt es: Piramus et Tisbe duo sunt nec sunt duo: iungit | Ambos unus amor nec sinit esse duos. | Sunt duo nec duo sunt, quia mens est una duorum, | Una fides, unus spiritus, unus amor; | Esse duos prohibet amor unicus, una voluntas, | Et probat alteritas corporis esse duos. | Sunt duo, sunt unum: sic sunt duo corpore, mente | Unum, sicque duos unicus unit amor. (Matthäus von Vendôme, »Piramus et Tisbe«, vv.-3-10) Zitiert nach Mathei Vindocinensis opera, Bd. 2: Piramus et Tisbe, Milo, Epistole, Tobias, ed. Franco Munari, Rom 1982 (Storia e letteratura 152), S. 45-56, hier S. 45. ›Pyramus und Thisbe sind zwei und sind nicht zwei: Es verbindet beide eine Liebe, sie läßt sie nicht zwei sein. Sie sind zwei und sind nicht zwei, weil die zwei einen Sinn haben, eine Treue, einen Geist, eine Liebe. Zwei zu sein, das verhindert die eine Liebe, der eine Wille; aber das Eins-und-Anderssein des Körpers beweist, daß sie zwei sind. Sie sind zwei, sie sind eins, so sind sie zwei nach dem Körper, und nach dem Sinn eins, und so vereinigt die eine Liebe die zwei.‹ Übersetzung Okken 2 1996, Bd. 1, S. 11. 158 Vgl. dazu Brinkmann 1980, S. 208, 211-214, für den die Geschichte von Pyramus und Thisbe »[d]as große Exemplum […] für die Einheit von Liebe und Tod« (ebd., S. 206) darstellt. - Eine Verbindung zwischen Pyramus und Thisbe und dem Tristanstoff stellt in diesem Zusammenhang auch das Motiv des Pflanzenwunders dar, mit dem bei Eilhart (vv. 9736-9747) sowie in den »Tristan«-Fortsetzungen Ulrichs von Türheim (vv. 3696-3703; Ausg. Kerth 1979, S. 196) und Heinrichs von Freiberg (vv. 6822-6841; zitiert nach Heinrich von Freiberg. Mit Einleitungen über Stil, Sprache, Metrik, Quellen und die Persönlichkeit des Dichters, hrsg. von Alois Bernt, Halle a.S. 1908 [Nachdruck Hildesheim / New York 1978], S. 209f.) die Einheit der Liebenden im Tod zum Ausdruck gebracht wird. Ganz ähnlich berichtet die Verserzählung von Pyramus und Thisbe aus dem 14. Jh., dass eine Weinrebe von der einen Seite des gemeinsamen Grabes in die Höhe und auf der anderen Seite wieder in den Boden wächst und damit die Liebenden verbindet, vgl. »Von Pyramo und Thisbe«, vv. 469-486 (Novellistik des Mittelalters, Ausg. Grubmüller 1996, S. 360-362). Zu dieser Parallele vgl. Knapp 1979, S. 153f.; Henkel 1990, S. 84. Grubmüller geht davon aus, das Märe habe das Motiv aus der Tristansage übernommen, vgl. den Kommentar in Novellistik des Mittelalters, Ausg. Grubmüller 1996, S. 1153; ebenso Brinkmann 1980, S. 208. Doch schon bei Ovid endet die Erzählung immerhin mit einem anderen Pflanzenwunder, nämlich der Verfärbung der Früchte des für die Handlung zentralen Maulbeerbaums. In den »Metamorphosen« betont Thisbe dabei auch die verbindende Funktion dieses Baums: »at tu quae ramis arbor miserabile corpus | nunc tegis unius, mox et tectura duorum, | signa tene caedis pullosque et luctibus aptos | semper habe fetus, gemini monumenta cruoris.« (4,158-161) ›»Du aber, der mit deinen Zweigen, Baum, nun einen beklagenswerten Leichnam, bald aber zwei bedeckst, be- 154 2 Annäherungen Diese Ausführungen mögen an dieser Stelle genügen, um die jeweiligen Parallelen der zitierten Erzählungen zum »Tristan« deutlich zu machen. Dass solche Verbindungen zwischen den Stoffen auch von zeitgenössischen Rezipienten wahrgenommen wurden, lässt sich daran beobachten, dass Tristan und Isolde in anderen mittelhochdeutschen Texten in eine Reihe mit den im »Tristan« genannten Beispielfiguren gestellt werden. In der »Crône« Heinrichs von dem Türlin etwa fungiert Tristan (als Tristrant bzw. Tristram 159 ) gemeinsam mit Graland und Dido als Exempel für die tödlichen Folgen der Liebe. 160 Zusammen mit Pyramus und Thisbe werden Tristan und Isolde im »Apollonius«-Roman Heinrichs von Neustadt 161 und in einem Leich des von Gliers 162 genannt; Konrads »Trojanerkrieg« führt außerdem noch Phyllis sowie Riwalin und Blanscheflur an. 163 Das hermeneutische Potential der einzelnen Anspielungen haben die vorstehenden Ausführungen wohl nicht vollständig ausgeschöpft. 164 Aber es kommt mir hier weniger auf die semantischen Möglichkeiten der intertextuellen Bezüge an als vielmehr auf ihre grundsätzliche Funktion für die Wahrnehmung der Figuren im »Tristan«. Diese besteht zunächst darin, auf eine Fatalität der Erzählung zu verweisen. Die verschiedenen Geschichten machen immer wieder deutlich, was der stoffkundige Rezipient schon weiß und was auch im Prolog des Romans angedeutet wird: Die Liebe von Tristan und Isolde kann nicht gut ausgehen, nur im Tod finden halte die Zeichen des Mordes und trage immer dunkle, trauerfarbene Früchte, der doppelten Bluttat zum Denkmal.«‹ Zitat und Übersetzung nach der Ausg. Fink 2004, S. 176f. Vgl. dazu Ganz 1971, S. 405. - Ohnehin meint allerdings Volker Mertens: »Ob das Pflanzenwunder [bei Gottfried] am Schluß gestanden hätte, darf man bezweifeln.« (Volker Mertens: Der Tristanstoff in der europäischen Literatur, in: wagner-spectrum 1 (2005), S. 11-42, hier S. 20) Im Fragment Sneyd, das das Ende des Romans des Thomas bietet, fehlt das Motiv jedenfalls. Gisela Bonath hat in ihrer Ausgabe dennoch zwischen dem Tod der Liebenden und dem Epilog des Romans den entsprechenden Abschnitt aus der »Tristramssaga« (Kap. 101; Ausg. Kölbing 1878, S. 112, Z. 16-21) ergänzt, vgl. dazu den Kommentar der Ausg. Bonath 1985, S. 397f. - Usener erkennt auch im Motiv des Rendezvous im Baumgarten eine Parallele zu Pyramus und Thisbe, die sich statt unter einem Ölbaum unter einem Maulbeerbaum treffen, vgl. Usener 1999, S. 231. Zu weiteren Parallelen Knapp 1979, S. 227, 243; Brinkmann 1980, S. 213f.; Wisbey 1990, S. 267. 159 Die Hs. P bietet die Namensform tristram, die Hs. V, der die Ausgabe folgt, hat Tristrant, vgl. den Apparat der Ausg. Felder 2012, S. 191. Vgl. dazu Kern 1998, S. 297 Anm. 534: »Die divergierende Schreibung der Namen […] besagt wohl wenig.« 160 Vgl. Heinrich von dem Türlin, »Diu Crône«, vv. 11560-11564: sam dâ sich brant unde stach | vrowe Dydô umb Eneam, | und dô her Tristrant genam | durch vrou Ysalde den tôt, | und dâ man Grâlanden sôt… (Ausg. Felder 2012, S.-191). 161 Vgl. Heinrich von Neustadt, »Apollonius«, vv. 164-178. Zitiert nach Heinrichs von Neustadt »Apollonius von Tyrland« nach der Gothaer Handschrift. »Gottes Zukunft« und »Visio Philiberti« nach der Heidelberger Handschrift, hrsg. von Samuel Singer, Berlin 1906 (Deutsche Texte des Mittelalters 7), S. 5. Dazu Flecken-Büttner 2011, S. 233f. 162 Vgl. der von Gliers, Lied 2: Der Minne dienen ist ein nôt, | die man wunderkûme tragen mag. | durh si lîdet meniger tôt, | der ir doch mit herzetriuwe pflag, | sam Tristan, der mich riuwen muoz, | […] sam tet Pyramus. (Str. 3, vv. 9-15) Zitiert nach Schweizer Minnesänger, Ausg. Schiendorfer 1990, S. 66. 163 Vgl. Konrad von Würzburg, »Trojanerkrieg«, vv. 2310-2321: wie lac diu reine Blanschiflûr | hie vor nâch Riwalîne tôt! | wie starp diu liehte blunde Îsôt | durch ir friunt Tristanden! | wie stach mit sînen handen | Pîramus ze tôde sich | und sîn amîe wunneclîch, | diu Tisbê geheizen was! | des grimmen tôdes niht genas | Phyllis, diu hôchgeborne, | wan si von leides zorne | nâch ir friunde sich erhienc. (Ausg. Thoelen / Häberlein 2015, S. 33) 164 Dafür wäre es etwa nötig, stärker auch die Brechungen zu fokussieren, die im Verhältnis zu den Beispielfiguren sichtbar werden. Alois Wolf erkennt sogar eine antithetische Beziehung zwischen Gottfrieds Protagonisten und den antiken Figuren, vgl. Wolf 1974, S. 106-111, die er als grundsätzliches Moment figuralen Denkens versteht, ebd., S. 103. Dagegen Kern 1998, S. 188f. Auf die Abweichungen von den antiken senemæren verweisen auch Wisbey 1990, S. 271f.; Flecken-Büttner 2011, S. 237. 2.1 Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹? 155 die beiden endgültige Vereinigung. 165 Diese »prophetische Funktion« 166 der Anspielungen wurde in der Tristanforschung wiederholt beschrieben. So spricht etwa Kurt Usener davon, dass die zitierten Erzählungen als »Spiegel und, auf den Handlungsverlauf bezogen, Antizipation im Sinne eines gezielten Vorverweises auf das Schicksal von Tristan und Isolde« 167 fungierten. Erzähltheoretisch kann man das als eine kompositorische Motivation ›von hinten‹ beschreiben. Damit verbindet sich auch eine gewisse Künstlichkeit der »Tristan«-Handlung: Erkennt man die Parallelen zu den anderen Erzählungen, nimmt das der Liebesgeschichte von Tristan und Isolde ein Stück weit ihre Individualität: »Sie ist nicht einmaliges Ereignis, sondern hat sich immer wieder ereignet« 168 , erscheint also als Wiederholung von etwas, das schon einmal erzählt wurde. Man kann dieses Wiederholungsverhältnis auch mit dem christlichen Denkmuster der Typologie in Verbindung bringen. Das wurde vor allem in Hinblick auf die antiken Erzählungen vorgeschlagen. 169 Tristan und Isolde würden so als Erfüllung und Überbietung der anderen Liebespaare erscheinen. Betrachtet man das Verhältnis hingegen aus einer narratologischen Perspektive, dann stellen die zitierten Erzählungen eine Figurenkategorie bereit, die im »Tristan« abgerufen wird, nämlich diejenige des senedæres, des tragischen, unglücklichen Liebhabers. Graland, Gurun, Dido, Thisbe und die anderen fungieren gewissermaßen als ›Vorlagen‹ oder - um in der oben eingeführten Terminologie zu bleiben - als Modellfiguren für Tristan und Isolde. 170 Von »paradigmatische[n] Figuren« 171 spricht deshalb sehr passend Peter Ganz: Die Exempelfiguren stellen ein Muster bereit, dem Gottfrieds Figuren (genauer: die Bildung des mentalen Modells von ihnen) folgen. Wenn Tristan schließlich selbst zum Protagonisten eines leichs wird, nämlich des edelen leichs Tristanden (vgl. v. 19201), dann schreibt ihn der Text (beziehungsweise er sich selbst) 165 Vgl. Ganz 1971, S. 405: »Die Exempel […] nehmen das tragische Schicksal der Protagonisten vorweg, um das der Leser ja schon weiß«. Im Rahmen der Minnegrotte »deuten sie damit an, daß das paradiesische Waldleben nicht dauerhaft sein kann.« Der »Tristan« ist nicht der einzige Text, in dem zitierte Stoffe auf das zukünftige Schicksal der Protagonisten verweisen. Ähnliche Muster finden sich etwa (in Form von Bildbeschreibungen mit antik-mythologischen Sujets) bereits im hellenistischen Roman der Spätantike, vgl. Haug 1977, S. 168. 166 Ganz 1971, S. 405. 167 Usener 1990, S. 245. Siehe auch ebd., S. 230 (»Funktion eines impliziten Vorverweises«, »Charakter der leitmotivischen Antizipation«). Vgl. weiterhin Kästner 1981, S. 51; Trînca 2019, S. 229; Becker 2019, S. 418. Psychologisierend versteht das Knapp, wenn er von einer »geheime[n] Anziehungskraft« spricht, »die jene senemære auf die Liebenden ausüben«, und die dazu führe, dass Tristan und Isolde das tödliche Ende ihrer Liebe »vorausahnen« (Knapp 1979, S. 259). Flecken-Büttner meint, dass die senemære das Schicksal von Tristan und Isolde »ankündigen, mögen die Liebenden, was einen traurigen Verlauf angeht, fürchten oder ahnen.« (Flecken-Büttner 2011, S. 237) 168 Henkel 1990, S. 84. 169 Von einer ›typologischen Erfüllung‹ und ›Überwindung‹ der antiken Liebenden spricht schon Tax 1961, S.-124 und Anm. 37; zustimmend Ingrid Hahn: [Rezension] Petrus W. Tax: Wort, Sinnbild, Zahl im Tristanroman. Studien zum Denken und Werten Gottfrieds von Strassburg, Berlin 1961 (Philologische Studien und Quellen 8), in: Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Literatur 75 (1964), S. 171-178, hier S. 173 (»Präfiguration«). Eine »überbietende und erfüllende Spannung zwischen den antiken Liebespaaren und dem mittelalterlichen Liebespaar Gottfrieds«, die »an eine am typologischen Denken orientierte Überbietung und Erfüllung der Antike denken« lasse, erkennt auch Wolf 1974, S. 109. Vgl. weiterhin Wisbey 1990, S. 271f. mit weiterer Literatur in Anm. 27. 170 Zum Begriff der Modellfigur nach Bernhardt siehe oben, S. 85 Anm. 242. 171 Ganz 1971, S. 403. 156 2 Annäherungen tatsächlich in die Reihe dieser literarischen Figuren ein. 172 Erkennt man die Ähnlichkeiten zu den anderen Figuren und ihren Geschichten, wird bei der Bildung des mentalen Modells von Tristan und Isolde also wiederum literarisches Wissen abgerufen. Das ist auch bei den Exempelfiguren in anderen Texten der Fall, aber die Besonderheit im »Tristan« besteht darin, dass das literarische Wissen als solches markiert wird. 173 Hier wird ja nicht einfach auf Figuren verwiesen, sondern explizit auf Te x t e , nämlich leiche und senemære. Wir haben es also mit einer Intertextualität im engeren Sinne als »Präsenz eines Textes in einem anderen Text« (Genette) 174 zu tun. Die leiche und senemære liegen nicht auf der ›Tiefenebene‹ des Romans, sondern sie sind Teil der erzählten Welt. In diesem Sinne kann man den »Tristan« als einen ›Metaroman‹ bezeichnen, 175 also eine Erzählung über Erzählungen. Welche Bedeutung hat es dabei, dass es die Figuren selbst sind, die die Literatur in den Roman einbringen? Alle erwähnten Texte - mit Ausnahme des Leichs von Gurun 176 - werden von Tristan und Isolde aufgeführt. Überhaupt haben wir es gerade bei Tristan mit einer Figur zu tun, die in besonderem Maße über Literatur verfügt. Seine ›künstlerische‹ Identität wurde immer wieder beschrieben. 177 Bereits Béroul und Eilhart haben mit dem Spielmann Tristran / Tristrant einen ›Künstler‹ zum Protagonisten, 178 aber die ›höfischen‹ Versionen von Thomas und Gottfried steigern das nicht nur, 179 sondern fokussieren vor allem die schriftliterarische Ausbildung des Protagonisten. Die ausführlichen Lektüren werden zu zeigen haben, welche Wirkung sich daraus ergibt, dass ein dermaßen aus Literatur verfertigter Stoff wie der »Tristan« eine Figur zum Protagonisten hat, die wie keine andere mittelalterliche Figur über Literatur verfügt. Kommen wir zunächst noch einmal zurück zu den leichen und senemæren im »Tristan«. Schaut man sich die Lektüreszene in der Minnegrotte genau an, dann lassen sich offenkundige 172 Vgl. Lähnemann 2007, S. 190: »In die Leichthematik wird also die Geschichte von Tristan und Isolde selbst eingeschrieben. Das wird am markantesten deutlich am leich Tristanden.« Auch Henkel meint: »Die Geschichten der Liebe, die in vielfältigen Brechungen die Romanhandlung begleiten, münden also ein in die Liebesgeschichte Tristans und Isoldes, die sich in diesem Refrain wie in einer Abbreviatur ausdrückt.« (Henkel 1990, S.-85) Die Nähe der Texte betont auch Kästner 1981, S. 35, 94. 173 Ich würde deshalb auch weniger davon sprechen, dass Tristan und Isolde »vor einen geschichtlichen Hintergrund« (Hahn 1964, S. 173) gestellt werden, sondern vielmehr vor einen l i t e r a r i s c h e n . Zum Verhältnis von Historizität und Literarizität aber auch unten, Kap. 2.2.2, bes. S. 204-206. 174 Gérard Genette: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Ebene. Aus dem Französischen von Wolfram Bayer und Dieter Hornig, Frankfurt a. M. 1993, S. 10. 175 So der Titel von Liebertz-Grün 2001. 176 Ich kann nicht erkennen, wo Tristan, wie Bleumer meint, den Leich des walisischen Harfners »in der bretonischen Urfassung zum Vortrag bringt« (Bleumer 2008, S. 45). Allerdings ist er es immerhin, der auf den Namen Gurun verweist und damit das Narrativ auf Textebene abruft. Das gilt dann allerdings auch umgekehrt für Gandin und den Leich von Dido. 177 Siehe dazu unten Kap. 3.4. - Isolde wird Tristan - nicht zuletzt durch seine Ausbildung (vgl. Jackson 1973 [1961], S. 293, 297) - darin folgen; auch in ihrem Künstlertum entsprechen sich die Liebenden und zeigt sich daher ihre Exzeptionalität, die sie von der übrigen Gesellschaft abgrenzt und füreinander bestimmt sein lässt. Jackson spricht von einer »Ausbildung«, die zu »der höchsten Form der Leibe fähig« macht (ebd., S. 303). 178 Vgl. Kästner 1981, S. 41. Zu den Künstlerfiguren in den verschiedenen Versionen der Stofftradition Joan M. Ferrante: Artist Figures in the Tristan Stories, in: Tristania 4 (1979), S. 25-35. 179 Vgl. etwa Mohr 1973 [1959], S. 250. 2.1 Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹? 157 Parallelen zu den poetologischen Aussagen im Prolog des Romans erkennen. 180 Dabei fallen wörtliche Übereinstimmungen ins Auge, die zu deutlich sind, um sie zu übersehen: 181 In Bezug auf Tristan und Isolde heißt es etwa, dass sie mit solhen mæren […] unmüezic (vv. 17198 f.) waren, und die Vertreibung von schädlicher muoze wird auch im Prolog als intendierte Funktion des Romans genannt (vgl. vv. 77-90). Noch deutlicher ist die Beschreibung des eigentlichen Lektürevorgangs: In der Minnegrotte wird gesagt, die getriuwen senedære […] triben ir senemære (vv. 17183 f.); im gleichen Wortlaut ruft der Erzähler im Prolog die Rezipienten dazu auf, senemære zu erzählen: ein senelîchez mære | daz trîbe ein senedære (vv. 97 f.). Die Figuren des Romans befolgen also die Anweisungen des Erzählers und werden auf diese Weise eng an die edelen herzen des Prologs herangeführt. 182 Anderseits ist auch die P r o d u k t i o n der Erzählung mit unmüezekeit (vv. 45, 71) verbunden. Insofern werden Tristan und Isolde ebenfalls dem Erzähler des Romans angenähert, da sie genau wie er senelîche Geschichten nicht nur anhören, sondern eben auch erzählen. Nikolaus Henkel beschreibt das folgendermaßen: [B]ei den […] an die Handlung angelagerten Liebesgeschichten erscheinen also musikalisch-dichterische Kunstwerke, vorgeführt von den beiden Künstlern Tristan und Isolde innerhalb der Kunstform höfischen Erzählens, im Roman. Kunst bricht sich in sich selbst. 183 Zieht man außerdem in Betracht, wie die Erzählung nach Thomas vermutlich zu Ende geführt worden wäre, lässt sich von Tristans Künstlertum aus noch einmal der Bogen zum Beginn des Kapitels schlagen. Thomas beziehungsweise Bruder Robert berichten nämlich, wie Tristan in Arundel einen Statuensaal einrichten lässt, der mit lebensechten vergoldeten Kunstwerken von Isolde, Brangäne und anderen Figuren der erzählten Welt ausgestattet ist. 184 Während Tristan und Isolde in der zweiten Baumgartenepisode bei Gottfried wie ein-gegozzenes werc anmuten, wird Tristan hier selbst zum Konzepteur von metallenen Kunstwerken. Auch Isolde erscheint »als ein Geschöpf von Tristans Kunst« 185 . Tristan ist nicht nur Kunstwerk, sondern auch Künstler. 180 Zu diesen Parallelen Ganz 1971, S. 406; Wolf 1974, S. 107; Lutz 2002, S. 302; Becker 2019, S. 418f. Kästner spricht davon, hier »realisieren die beiden Hauptfiguren in der fiktiven Welt des Romans das vom Autor Gottfried im Prolog formulierte Programm« (Kästner 1981, S. 94). 181 Vgl. Kern 1998, S. 187. 182 Vgl. Flecken-Büttner 2011, S. 237: »Es erweist sich in dieser Partie, daß Tristan und Isolde Inbegriff der edelen herzen sind, wie sie als ideale Rezipienten im Prolog angesprochen werden.« - Man kann darin auch einen Hinweis auf eine identifikatorische Lektüre sehen, denn in der Minnegrotte wird die emotionale Anteilnahme an den antiken Erzählungen geschildert: si beredeten unde besageten, | si betrûreten unde beclageten (vv. 17187 f.). Vgl. Kern 1998, S. 189f. 183 Henkel 1990, S. 85. 184 Vgl. Thomas, »Tristran«, vv. 941-990. Der Beginn der Erzählung vom Statuensaal ist bei Thomas nicht mehr erhalten, vgl. dazu die »Tristramssaga«, Kap. 79 f. (Ausg. Kölbing 1878, S. 92f.). Dazu Jan-Dirk Müller: Pygmalion, höfisch. Mittelalterliche Erweckungsphantasien, in: Pygmalion. Die Geschichte des Mythos in der abendländischen Kultur, hrsg. von Mathias Mayer / Gerhard Neumann, Freiburg i.Br. 1997, S. 465-495, hier S.-467-472; Mertens 1995, S. 41-46. 185 Uttenreuther 2009, S. 198. Eine weitere Dimension erhält die Darstellung allerdings dadurch, dass der Szene wiederum ein literarisches Muster zugrunde liegt, nämlich der aus den »Metamorphosen« bekannte Mythos von Pygmalion, vgl. Mohr 1973 [1959], S. 275; Mertens 1995, S. 44; Uttenreuther 2009, S. 196-198, sowie Müller 1997, S. 467-472, der allerdings auch die Unterschiede zum Pygmalion-Mythos hervorhebt: 158 2 Annäherungen Während es im vorliegenden Kapitel darum ging, solche Aspekte des Romans zu beschreiben, die Gottfrieds Figuren als ›Artefakte‹ erscheinen lassen, sollen im Folgenden Hinweise gesammelt werden, die eine ›mimetische‹ Figurenwahrnehmung privilegieren. 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 2.2.1 und was dâ cleine wunder an. Psychologisch-rationales Erzählen Auf verschiedenen Ebenen erscheinen Gottfrieds Figuren im Vergleich mit den Akteuren anderer mittelalterlicher Erzählungen als besonders ›persönlich‹. 186 Auch wenn dem Roman immer wieder ›märchenhafte‹ Erzählmuster zugrunde liegen, sind Tristan und Isolde doch keine Märchenfiguren. Im Unterschied zu diesen verfügen sie etwa über ein komplexes I n n e n l e b e n , das vom Erzähler auch ausführlich zugänglich gemacht wird. 187 Auf das grundsätzlich zunehmende Interesse der höfischen Literatur an der Innerlichkeit der erzählten Figuren habe ich oben unter dem Stichwort der ›Erfindung des inneren Menschen‹ bereits hingewiesen. 188 Dass Gottfried allerdings auch gemessen an anderen höfischen Roman besonders ›psychologisch‹ erzählt, ist ein immer wieder aufgerufener Topos der »Tristan«-Forschung. 189 So Tristan sei nicht der eigentliche Schöpfer und das Bild von Isolde werde nicht wirklich lebendig, vgl. bes. S. 468f. 186 Vgl. Tomasek 2007, S. 115. Von einer »personale[n] Wesensart der Figuren« spricht Hollandt 1966, S. 9, wenngleich sie betont, diese dürfe nicht »mit modernen Begriffen wie ›Charakter‹, ›Personalität‹ oder gar irgend einer Art von psychologischem Typus […] gleichgesetzt werden.« Auch Florian Kragl erkennt im »Tristan« »Figuren, die man fast schon Personen nennen dürfte« (Kragl 2014, S. 43; 2019, S. 28). Gerade in ihrer psychischen Plastizität stellten Gottfrieds Figurenentwürfe Ausnahmen innerhalb der mittelalterlichen Literatur dar, vgl. Kragl 2019, S. 61 und Anm. 40. 187 Zum Zusammenhang zwischen psychologischem Erzählen und Figurenwahrnehmung die kritische Beobachtung von Christ 1977, S. 169: »[I]m Fall Gottfrieds […] haben der Reichtum des psychologischen Details, die auktorialen psychologischen Motivationen der Handlung […] die Interpreten verführt, psychologisierende Charakterbilder zu versuchen.« 188 Siehe oben, S. 55f. 189 Vgl. Peter K. Stein: Tristans Schwertleite. Zur Einschätzung ritterlich-höfischer Dichtung durch Gottfried von Straßburg, in: DVjs 51 (1977), S. 300-350, hier S. 340: »[Ü]ber das (nicht überall! ) größere psychologische Raffinement Gottfrieds ist schon viel geschrieben worden.« Zusammenfassend Tomasek 2007, S. 116. Auch Kragl beobachtet, »dass in der »Tristan«-Forschung vergleichsweise wenig Kritik an psychologisierenden Deutungen geäußert wird, außerhalb der bundesdeutschen Germanistik scheinen sie generell favorisiert zu werden, vermutlich weil gerade Gottfried - mehr noch als Thomas - entsprechend breite Angebote an (moderne? ) Leser macht« (Kragl 2019, S. 266). An anderer Stelle spricht er davon, dass »die psychologische Eindringlichkeit der Figuren« in der Forschung »ausgemacht scheint« und sich ihr »zumindest heute kaum jemand […] entziehen kann« (ebd., S. 314). Ein Beispiel bietet William T.H. Jackson: The- Literature of the Middle- Ages, New York 1960, S. 152: »[C]haracterization in Gottfried’s poem is far more detailed and psychologically accurate than in any other medieval poem.« Von einem »fortgeschrittenen Niveau der Seelendarstellung bei Gottfried«, das sogar mit »moderner Figurenpsychologie« vereinbar sei, spricht auch Christoph Huber: [Rezension] Marion Mälzer: Die Isolde-Gestalten in den mittelalterlichen deutschen Tristan-Dichtungen. Ein Beitrag zum diachronischen Wandel, Heidelberg 1991 (Beiträge zur älteren Literaturgeschichte); Martin Todtenhaupt: Veritas amoris. Die »Tristan«-Konzeption Gottfrieds von Straßburg, Frankfurt a. M. u. a. 1992 (Bochumer Schriften zur deutschen Literatur 30); Rüdiger Schnell: Suche nach Wahrheit. Gottfrieds »Tristan und Isold« als erkenntniskritischer Roman, Tübingen 1992 (Hermaea. N. F. 67), in: ZfdPh 115 (1996), S. 118-129, hier S. 120. 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 159 betont - um nur ein Beispiel zu nennen - Alois Wolf Gottfrieds »Streben […] nach einer sorgfältigen Gestaltung des Seelischen und nach psychologischer Wahrhaftigkeit« 190 und bezeichnet das »Eindringen ins Innermenschliche« 191 als zentrales Anliegen des »Psychologe[n] Gottfried« 192 . Wie eindrücklich das Innenleben der Figuren im »Tristan« dargestellt wird, zeigt sich besonders im Vergleich mit den sogenannten ›spielmännischen‹ Versionen der Stoffgeschichte. 193 Gottfried folgt in diesem Aspekt seiner ›höfischen‹ Vorlage, dem Tristanroman des Thomas: Bereits Thomas gilt als ausgesprochener ›Psychologe‹, 194 dessen Roman sich durch »exzessive[ ] Innenweltdarstellung« 195 auszeichnet. Allerdings beobachtete schon Friedrich Ranke, dass Gottfried sogar seinen ›höfischen‹ Vorgänger hinsichtlich der psychologischen Gestaltung der Figuren noch überboten habe: Das Seelenleben […] nahm schon in der Dichtung des Thomas einen breiten Raum ein; aber auch hier weiß Gottfried seinen Vorgänger noch zu übertreffen. […] Gottfried lebt in noch ganz anderer Weise als Thomas in den Seelen seiner Romangestalten. 196 Für Rankes Schüler Emil Nickel erklärt sich Gottfrieds »psychologische Kunst« dabei aus seiner genauen, mimetischen Abbildung echter Menschen: Die psychologische Darstellung der Figuren sei »nichts, das am Schreibpult hinter Folianten hätte erklügelt werden können«, sondern verdanke sich »einem Leben inmitten der Gesellschaft, einem ständig auf der Lauer liegenden, angespannt beobachtenden Auge und Ohr.« 197 Auch wenn diese Erzählweise auf Nickel einen ausgesprochen ›modernen‹ Eindruck machte, braucht es dabei nicht zu überraschen, dass die Darstellung von Innenwelten in der volkssprachigen Epik um 1200 tatsächlich 190 Alois Wolf: Die Klagen der Blanscheflur. Zur Fehde zwischen Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Straßburg, in: ZfdPh 85 (1966), S. 66-82, hier S. 73. 191 Wolf 1989, S. 251. 192 Ebd., S. 257. Dass einige von Gottfrieds Figuren »tiefe seelische Innenräume« aufweisen, beobachtet auch Tomasek 2007, S. 100. 193 Zu »dem in der »Tristan«-Forschung verbreiteten Eindruck […], dass Gottfried psychologicher erzähle« als etwa Eilhart siehe Eming 2015, S. 111. Zu psychologisch-rationalem Erzählen als Merkmal der ›höfischen‹ Stofftradition Keck 1998, S. 76, 133. Kritisch gegenüber den damit verbundenen Wertungen Schausten 1999, S. 94. Zur Erzähltechnik der Bewusstseinsdarstellung bei Béroul und Eilhart Hübner 2003, S. 274-304. 194 Vgl. Pierre Le Gentil: Die Tristansage in der Darstellung von Berol und von Thomas. Versuch einer Interpretation [1953], in: Der arthurische Roman, hrsg. von Kurt Wais, Darmstadt 1970 (Wege der Forschung 157), S. 134-164, hier S. 162. 195 Hübner 2003, S. 271. Das sei »oft festgestellt worden«. Die Innenweltdarstellung wird dabei als Teil des »Repertoire[s] der neuen Erzähltechniken« (ebd.) wahrgenommen. Zu Thomas auch ebd., S. 304-312. Die »Versenkung in die Psychologie der Liebe« betonte schon Ranke 1925a, S. 131. Zum psychologischen Erzählen in Gottfrieds Vorlage weiterhin Renée L. Curtis: Tristan Studies, München 1969, S. 41: »[I]t is not only by the depth of his psychological analysis that Thomas surpasses his own times and foreshadows modern developments […].« Zu Thomas’ intensiver Darstellung der ›Seelenregungen‹ seiner Figuren auch Bertau 1972-1973, Bd. 1, S. 438-442. Als eine der »Neuerungen im Bereich der Figurenbehandlung« erwähnt die »verfeinerten, psychologisch vertieften Darstellungen« bei Thomas auch Tomasek 2007, S. 258. Siehe weiterhin Roger Pensom: Rhetoric and Psychology in Thomas’s »Tristan«, in: Modern Language Review 78 (1983), S. 285-297. 196 Ranke 1925a, S. 192. Vgl. auch Nickel 1927, S. 37. Bereits Piquet hob die gegenüber der Vorlage gesteigerte Innenweltdarstellung im deutschen »Tristan« hervor: »Plus que Thomas, Gottfried s’est attaché à pénétrer dans l’âme de ses personnages, à scruter les mobiles de leur actes et à dévoiler leurs émotions.« (Piquet 1905, S. 46f.) 197 Nickel 1927, S. 38. 160 2 Annäherungen anders funktioniert als im modernen Roman. Psychologisches Erzählen ist in mittelalterlichen Texten stark rhetorisch stilisiert, 198 was einem modernen Anspruch nach Authentizität der Abbildung von Innerlichkeit entgegenläuft. Aber das betrifft vor allem die Möglichkeiten und ästhetischen Konventionen literarischer Darstellung und nicht die Figurenkonzeption, also vereinfacht gesagt, die Frage danach, ob literarische Figuren eine Psyche haben oder nicht. 199 Ein Beispiel für eine auch gegenüber anderen Abschnitten des »Tristan« besonders psychologisch erzählte Episode bietet die innere Auseinandersetzung des Protagonisten mit Isolde Weißhand, mit der das Romanfragment endet (vv. 18949-19548). 200 Eilhart berichtet hier ganz kurz: Als Kehenis Tristrant vorschlägt, seine Schwester zu heiraten, ist dieser sofort einverstanden, und die Hochzeit wird vorbereitet. 201 Der Kontrast zu Gottfried könnte kaum größer sein: Im »Tristan« umfasst der Abschnitt bis zum Abbruch des Romans genau 600 Verse, von denen der Erzähler rund 350, also mehr als die Hälfte der Darstellung, dem Innenleben des Protagonisten widmet. Wie stark hier die Psyche der Figuren, besonders diejenige von Tristan, im Vordergrund steht, belegt schon die häufige Verwendung der Ausdrücke herze 202 und muot 203 , die in der mittelhochdeutschen Literatur als Signalwörter für Innerlichkeit fungieren. 204 Um Tristans innere Zerrissenheit anschaulich zu machen, kombiniert der Erzähler ver- 198 Vgl. Monika Fludernik: »Durch einen dunkel verzerrten Spiegel« (1 Kor 13: 12). Die Entstehung des Bewusstseins in der englischen Literatur, 1050-1500, in: Historische Narratologie. Mediävistische Perspektiven. Unter Mithilfe von Carmen Stange / Markus Greulich hrsg. von-Harald-Haferland / Matthias Meyer, Berlin / New York 2010 (Trends in Medieval Philology 19), S. 281-305, hier S. 289. 199 Vgl. dazu Hübner 2003, S. 132f., 136, 147. Zum Verhältnis von Rhetorik und Psychologie auch Pensom 1983. 200 Vgl. etwa Huber 3 2013, S. 145: »Die Hinwendung zu der anderen Isolde ist in einer Subtilität geschildert, die den großen psychologischen Analysen des Romans nicht nachsteht, ja diese an Doppelbödigkeit übertrifft.« Die gemessen am historisch Erwartbaren außergewöhnlich psychologische Darstellung des Textabschnitts betont auch Ilka Büschen: Sentimentalität. Überlegungen zur Theorie und Untersuchungen an mittelhochdeutschen Epen, Stuttgart u. a. 1974 (Studien zur Poetik und Geschichte der Literatur 38), S. 131. Für »eins der bewundernswertesten Stücke realistischer Psychologie« im »Tristan« hält diesen Abschnitt Käte Hamburger: Gottfrieds Tristan. Nicht-mediävistisch betrachtet, in: Ist zwîvel herzen nâchgebûr. Günther Schweikle zum 60. Geburtstag, hrsg. von Rüdiger Krüger u. a., Stuttgart 1989 (Helfant-Studien S 5), S. 165-180, hier S.-173. Zu der Episode weiterhin Wolf 1989, S. 252-261. 201 Vgl. Eilhart, »Tristrant«, vv. 6352-6371. Zu der Stelle Schulz 2017, S. 166f.; Brigitte Schöning: Name ohne Person. Auf den Spuren der Isolde Weißhand, in: Der frauwen buoch. Versuche zu einer feministischen Mediävistik, hrsg. von Ingrid Bennewitz, Göppingen 1989 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 517), S. 159-178, hier S. 162-164, die betont, hier werde »jegliche psychologische Motivierung der Verbindung zurückgenommen und damit Isalde II als P e r s o n auf ein Nullum reduziert.« (S. 163) Zuvor wird die Annäherung auch bei Eilhart vorbereitet, indem Tristrant bei seiner Ankunft in der belagerten Stadt Karahas auf die schöne Isalde Weißhand trifft (vv. 5916-5934), wie es dem Erzählmuster der Belagerung der Landesherrin durch einen abgiewesenen Freier entspricht, das wir etwa aus dem »Gregorius« oder dem »Parzival« kennen, vgl. dazu bereits Hendricus Spaarnay: Das ritterliche Element der Gregorsage, in: Neophilologus 5 (1919), S. 21-32, hier S. 26-29. Die Verbindung von Tristrant und Isalde Weißhand ist bei Eilhart also auch ein Produkt des Erzählmusters (und damit kompositorisch motiviert). 202 Vgl. in dieser Bedeutung mit Bezug auf Tristan vv. 18977, 18990, 19030, 19048, 19051, 19128, 19180, 19266, 19354; weiterhin die Ausdrücke herzeriuwe (v. 18967), herzeswære (v. 19083); daneben mit Bezug auf Isolde Weißhand vv. 19074, 19225, 19312, 19333, 19406, 19411. 203 Vgl. nur mit Bezug auf Tristan vv. 18979, 19028, 19045, 19139, 19168, 19178, 19247, 19453; weiterhin auch gemüete (v. 19059), muoteshalp (v. 19177). Die herausgehobene Verwendung von herze und muot als Leitwörter der Episode betont auch Wolf 1989, S. 252, 254, 256, 260. 204 Zu herze und muot als Bezeichnung für die Innenwelt Hübner 2003, S. 46; Dillig 2019, S.-36; ausführlich Philipowski 2013, S. 81-84 und 95-102. Zum herzen bei Gottfried auch Friedrich Wilhelm Wodtke: Studien zum Wortschatz der Innerlichkeit im Alt- und Mittelhochdeutschen, Habil. Kiel 1952, S. 147-150, 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 161 schiedene Formen der Bewusstseinsdarstellung. 205 Besonders auffällig ist das außergewöhnlich ausführliche abschließende Soliloquium 206 , mit dem der Roman abbricht (vv. 19424-19548). 207 Die Erzählweise führt dazu, dass die Rezipienten den ›mentalen Prozess‹ der Figur an dieser für die Gesamtdeutung des Textes zentralen Passage mitvollziehen. 208 Das schlägt sich auch in zum Teil stark psychologisierenden Deutungen der Episode in der Forschung nieder. So spricht etwa Ilka Büschen davon, dass »[i]m überlieferten Schluß des Gottfriedschen Werkfragments […] die P e r s o n Tristans in den Vordergrund« 209 trete. Auch wenn die Figuren im »Tristan« grundsätzlich nicht »als Personen im Sinne einer psychologischen Ganzheitstheorie gezeichnet« 210 seien, lasse sich doch »zumindest am Schluß von einer Psychologisierung der Gestalt Tristans sprechen.« 211 Die Darstellung führt Büschen dazu, für die Interpretation der Episode verschiedene psychologische Konzepte in Anschlag zu bringen. So erkennt sie bei Tristan etwa einen »seelischen Prozeß der allmählich sich vollendenden Dissoziierung der Persönlichkeitskräfte« 212 und bezieht sich explizit auf das psychoanalytische Konzept der der außerdem betont, dass Gottfried »[v]on allen höfischen Dichtern seiner Zeit […] am bewußtesten alle seelischen Vorgänge in das I n n e r e des Menschen verlegt.« (S. 149) In den Kontext der Innenweltdarstellung gehört auch der mehrfach gebrauchte Ausdruck inneclîche, vgl. bes. vv. 18979, 19316, 19351, 19415, weniger vielleicht die inneclîchen Blicke (vgl. vv. 19064, 19079, 19318). Zu diesem Ausdruck als dem »häufigste[n] auf die Innerlichkeit weisende[n] Epitheton bei Gottfried« Wodtke 1952, S. 152-159. 205 Einen erzähltechnischen Durchgang durch die Episode bietet mit Blick auf die Bewusstseinsdarstellung Hübner 2003, S. 386-392. Schon Wolf betont, »wie breit die stilistische Palette ist, über die Gottfried auch hier verfügt.« (Wolf 1989, S. 252) Nicola Kaminski erkennt in den Versen 18965-18992 sogar eine erlebte Rede, darauf verwiesen die »emotional aufgeladenen Partikel[ ]« sô (vv. 18965, 18975) und jâ (v. 18988), vgl. Nicola Kaminski: Zeichenmacht: Gottfrieds »Tristan«, in: Oxford German Studies 37 (2008), S. 3-26, hier S. 24 Anm.- 68. Skeptisch mit Verweis auf die »Außenwahrnehmung« in vv. 18976 f. (daz man im under ougen kôs | den smerzen sînes herzen) der Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 729. Zur Frage der erlebten Rede als Mittel der Bewusstseinsdarstellung in mittelalterlichen Texten Hübner 2003, S. 49-53; Fludernik 2010, S. 297-299. 206 Der von Hübner eingeführte und auf Augustinus zurückgehende Begriff des Soliloquiums entspricht in funktionaler Hinsicht dem modernen inneren Monolog, verweist aber auf die alteritäre Mimesiskonvention der mittelalterlichen Repräsentation von Figurenbewusstsein in Figurenrede, vgl. Hübner 2003, S. 48f. 207 Schon Gottfrieds Vorlage, die im Fragment Sneyd des französischen Romans erhalten ist (vv. 53-234), hielt Samuel Singer für »ein Meisterstück psychologischer Analyse«, dessen Darstellung »ganz modern« anmute (Samuel Singer: Thomas von Britannien und Gottfried von Straßburg, in: Festschrift für Edouard Tièche zum 70. Geburtstage. Mit Beiträgen von Hansjörg Bloesch u. a., Bern 1947 (Schriften der Literarischen Gesellschaft Bern 6), S. 87-101, hier S. 99). Von einer »subtilen, psychologisch scharfen und realistischen Analyse« spricht auch Michel Huby: Prolegomena zu einer Untersuchung von Gottfrieds »Tristan«, Göppingen 1984 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 397), Bd, 1, S. 249. Für Piquet übertrifft Gottfried seinen Vorgänger allerdings sogar noch und erweist sich in der vorliegenden Episode als »un psychologue plus avisé que Thomas.« (Piquet 1905, S. 55) 208 Von einem »Mitvollzug des mentalen Prozesses« der Figur spricht Hübner 2003, S. 388. Ganz anders liest die Episode Christ, der gerade keinen nachvollziehbaren Gedankengang erkennt. Tristan entbehre vielmehr »jeder charakterlichen Identität […] und besetzt in der Isolde Weißhand-Episode nur wechselnde Rollen in einer Revue minnetheoretischer Topik« (Christ 1977, S. 155). 209 Büschen 1974, S. 131. Büschen bringt ihre Beobachtungen in Bezug zu der von Hugo Kuhn postulierten ›Entdeckung der Person‹ (Hugo Kuhn: Rittertum und Mystik, in: Text und Theorie, Stuttgart 1969 (Kleine Schriften 2), S. 216-226, hier S. 226) in der hochmittelalterlichen Literatur, vgl. Büschen 1974, S. 140. 210 Ebd., S. 131. 211 Ebd., S. 131. Vgl. in Bezug auf die Liebesentstehungen des »Tristan« im Allgemeinen bereits Sawicki 1932 [1967], S. 90: »Gottfried spricht von Menschen, die sich in Leid und Weh ihr Liebesglück erkämpfen müssen […].« 212 Büschen 1974, S. 139. 162 2 Annäherungen Verdrängung, »um einen der Gottfriedschen Beschreibung der psychischen Vorgänge hier durchaus angemessenen Begriff der neuzeitlichen Psychologie anzuwenden« 213 . Mit z e it g e n ö s s i s c h e n anthropologischen Modellen 214 argumentiert dagegen Claudia Konetzke, wenn sie im Rückgriff auf das Konzept der melancholia bei Tristan eine »seelische[ ] Erschütterung« und »schwerwiegende geistige oder psychische Störung« 215 beobachtet. Seine »psychische Verfassung« 216 motiviere Tristans Verhalten, das folglich nicht als Treuebuch gegenüber der ersten Isolde zu bewerten sei. Es ist aber nicht zu übersehen, dass in der vorliegenden Episode neben der Innerlichkeit der Figuren auch die K u n s t eine herausgehobene Rolle spielt. 217 Tristan tritt als Künstler auf und (re-)produziert verschiedene Arten von Texten, deren Wirkung auf die höfische Gesellschaft diskutiert wird. Mit sagen, schrîben, lesen, machen, vinden und tihten werden dabei wiederholt zentrale poetologische Ausdrücke gebraucht, die nicht nur auf die musikalische, sondern auch auf die dichterische Seite seines Schaffens verweisen: 218 213 Büschen 1974, S. 141. Auch der Befund einer inneren ›Rationalisierung‹ greift auf ein psychoanalytisches Konzept zurück, vgl. ebd., S. 180 Anm. 122; gemeint ist damit in der Psychoanalyse eine »Strategie des Selbstbetrugs«, bei der »ein Handeln oder Verhalten, das mit der Grundeinstellung der Persönlichkeit nicht zu vereinbaren ist, […] durch Scheingründe gerechtfertigt« (ebd.) wird. Eine psychoanalytische Deutung der entsprechenden Stelle bei Thomas bietet Françoise Barteau: Les romans de Tristan et Iseut. Introduction à une lecture plurielle, Paris 1972, S. 207-211, wenn sie nach den »multiples motivations intrapsychiques« (S. 207) fragt und unter anderem einen Konflikt zwischen Ich, Über-Ich und Es diagnostiziert. Siehe dazu auch den ebenfalls psychoanalytisch motivierten Ansatz bei Pensom 1983, S. 288-297. 214 Konetzke spricht von »medizinische[n] Wissenskonzepte[n] des Hochmittelalters« (Claudia Konetzke: triuwe und melancholia. Ein neuer Annäherungsversuch an die Isolde-Weißhand-Episode des »Tristan« Gottfrieds von Straßburg, in: Körperinszenierungen in mittelalterlicher Literatur. Kolloquium am Zentrum für interdisziplinäre Forschungen der Universität Bielefeld (18.-20. März 1999), hrsg. von Klaus Ridder / Otto Langer, Berlin 2002 (Körper - Zeichen - Kultur 11), S. 117-138, hier S. 118) und »medizinisch-psychologischen Vorstellungsmustern« (ebd., S. 119, 132). Konkret beruft sich Konetzke auf das Traktat »De melancolia« des Constantinus Africanus (um 1080), vgl. ebd., S. 132-134. Ihre Interpretation bezieht sich also ausdrücklich auf »außerliterarische Vorstellungsmuster« (S. 135). Dabei weist Konetzke eingangs auf eine Parallele zur Darstellung des Wahnsinns im »Iwein« hin und geht sogar davon aus, Gottfrieds Rezipienten könnten die Stelle im »Tristan« »als Zitat aus Hartmanns Epos« (S. 118) verstanden haben. Neben die außerliterarischen Bezüge treten also innerliterarische. Das wird, von Konetzke unbemerkt, auch dort deutlich, wo sie von der Melancholie als einem »ikonographische[n] Schema« spricht, »das über viele Jahrhunderte und in allen großen Kulturen überliefert ist, und Wenzel zufolge schon im 13. Jh. so populär war, daß ›seine l i t e r a r i s c h e D a r s t e l l u n g bei seinen Hörern eine vertraute B i l d v o r s t e l l u n g abrufen kann‹« (S. 118; Hervorhebung L.M.) Das Zitat stammt von Horst Wenzel: Melancholie und Inspiration. Walther von der Vogelweider L. 8,4ff. Zur Entwicklung des europäischen Dichterbildes, in: Walther von der Vogelweide. Beiträge zu Leben und Werk, hrsg. von Hans-Dieter Mück, Stuttgart 1989 (Kulturwissenschaftliche Bibliothek 1), S. 133-153, hier S. 149. 215 Konetzke 2002, S. 118. Distanzierend Huber 3 2013, S. 150. 216 Konetzke 2002, S. 135. 217 Vgl. Wolf 1989, bes. S. 258f. Zu Tristans Liedern in der Episode auch Klaus Ridder: Ästhetisierte Erinnerung - erzählte Kunstwerke. Tristans Lieder, Blanscheflurs Scheingrab, Lancelots Wandgemälde, in: LiLi 27 (1997), S. 62-85, hier S. 66-70. Zuletzt weiterhin Trînca 2019, S. 245-252. - Auch die Ausgangssituation des ›Mannes zwischen zwei Frauen‹ entspricht einem literarischen Muster, das zum Beispiel in den Lais der Marie de France bearbeitet ist, vgl. dazu Schoepperle 1913, S. 524-528; Wolf-Dieter Lange: Keltischromanische Literaturbeziehungen im Mittelalter, in: Grundriss der romanischen Literaturen des Mittelalters, Bd. 1: Géneralités, hrsg. von Hans Ulrich Gumbrecht, Heidelberg 1972, S. 163-205, hier S. 197. 218 Zu vinden, machen und tihten in der vorliegenden Stelle vgl. Walter Johannes Schröder: Vindaere wilder maere. Zum Literaturstreit zwischen Gottfried und Wolfram, in: PBB 80 (1958), S. 269-287, hier S. 273. Dazu weiterhin Schröder 1975, S. 337: »Zum dichterischen Tun gehört immer beides: Inhalt und Form, 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 163 er s e it e ir [Isolde Weißhand] s c h œn i u m æ r e , er s a n c ir, er s c h r e i p unde er l a s ; und swaz ir kurzewîle was, dâ zuo was er gedanchaft: er leiste ir geselleschaft, er kürzete ir die stunde etswenne mit dem munde und underwîlen mit der hant. Tristan er m a c h e t e unde v a n t an iegelîchem seitspil l e i c h e unde guoter noten vil, die wol geminnet sint ie sît. er v a n t ouch zuo der selben zît den edelen l e i c h Tristanden, den man in allen landen sô lieben und sô werden hât, die wîle und disiu werlt gestât. (vv. 19188-19204; Hervorhebung L.M.) Aufmerksamkeit verdient zunächst der berühmte edele leich Tristanden (vgl. v. 19201), in dem sich gewissermaßen Gottfrieds Erzählung spiegelt, so dass man von einer mise en abyme des Romans sprechen kann. 219 Insofern die Figur gleichsam zum Autor ihrer eigenen Geschichte und beide können ganz oder teilweise übernommen, ganz oder teilweise ›erfunden‹ sein. Das trifft auch für die lyrischen Gattungen zu […]. schanzune, / rundate und höfschiu liedelin (19210 f.), leiche (19198) und zumal der edele leich Tristan (19201), die Tristan für Isolde mit den weißen Händen machete unde vant (19196, 19200), bestanden nicht bloß aus gesummten Melodien und taktierten Rhythmen, sondern auch und vor allem aus sinntragenden Wörtern und Sätzen.« Dort auch zu sagen, schrîben und lesen in der vorliegenden Stelle, S. 310. Wenn ich im Folgenden die narrative Seite der vorgeführten Lieder in den Fokus stelle, bin ich mir bewusst, dass dadurch spezifisch lyrische Phänomene etwa der Herstellung von Präsenz notwendigerweise zu kurz kommen. Auf die Differenz von Lyrik und Narration verweisen Ulrike Draesner: Zeichen, Körper, Gesang. Das Lied in der Isolde-Weißhand-Episode des »Tristan« Gotfrits von Straßburg, in: Wechselspiele. Kommunikationsformen und Gattungsinterferenzen mittelhochdeutscher Lyrik, hrsg. von Michael Schilling / Peter Strohschneider, Heidelberg 1996 (Germanisch-Romanische Monatsschrift. Beiheft 13), S. 77-101, hier S. 98-100 (siehe auch den Diskussionsbericht ebd., S.- 100f.), und Bleumer 2008. 219 Vgl. Glauch 2009, S. 338; Gerhard Meissburger: Tristan und Isold mit den weißen Händen. Die Auffassung der Minne, der Liebe und der Ehe bei Gottfried von Straßburg und Ulrich von Türheim, Basel 1954, S. 16: »Daß Gottfried in den Liedern Tristans ein Gleichnis für sein eigenes Dichten sieht, ist kaum zu bezweifeln.« - Der ursprünglich heraldische Begriff der mise en abyme wurde zuerst von André Gide in einem Tagebucheintrag aus dem Jahr 1893 auf literarische Texte bezogen: »Ich habe es gern, wenn man im Kunstwerk den eigentlichen Gegenstand, ins Maß der darin auftretenden Personen übersetzt, wiederfindet. […] So reflektiert auf gewissen Bildern von Memling oder Quinten Massys ein konvexes dunkles Spiegelchen seinerseits das Innere des Raumes, in dem sich die gemalte Szene abspielt. Ebenso auf dem Gemälde »Las Meniñas« von Velázquez (ein wenig anders zwar). In der Literatur schließlich die Komödienszene in »Hamlet« und noch in vielen anderen Stücken. […] Keines dieser Beispiele ist ganz und gar zutreffend. Zutreffender […] wäre der Vergleich mit jenem Verfahren der Heraldik, wobei man in die Mitte des eigentlichen Wappens ein zweites, kleineres ›en abyme‹ setzt.« Zitiert nach André Gide: Gesammelte Werke in zwölf Bänden, Bd. 1: Stirb und Werde, Tagebuch 1889-1902. Aus dem Französischen übertr. von Johanna Borek / Maria Schäfer-Rümelin, hrsg. von Raimund Theis, Stuttgart 1989, S. 422f. Zum Begriff weiterhin Harald Fricke: Art. Potenzierung, in: RLW 3 (2003), S.-144-147, bes. S. 145. Im Fall einer Romanfigur, die als Verfasser des eigenen Textes auftritt, handelt es sich grundsätzlich um eine »réflexion 164 2 Annäherungen wird, 220 werden hier die Ebenen der Erzählung überschritten. 221 Darauf wird zurückzukommen sein. Worum es mir im vorliegenden Kontext vor allem geht, ist der Refrain (refloit, v.-19212), den Tristan nach Auskunft des Textes zu jedem seiner Lieder singt: 222 »Isôt ma drûe, Îsôt m’amie, | en vûs ma mort, en vûs ma vîe! « (vv. 19213 f.) Diese beiden später noch einmal wiederholten Verse (vv. 19409 f.) bieten ein erstaunliches literaturtheoretisches Spannungspotential, das hier nur angerissen werden kann. Es geht dabei um das Verhältnis mittelalterlicher Liebeslyrik zur ›Realität‹: Die germanistische Minnesangforschung hat immer wieder darauf hingewiesen, dass es sich bei den von ihr untersuchten Liedern nicht um Dokumente einer realen sozialen Praxis des Liebeswerbens handelt; Minnesang sei Rollenlyrik, keine Erlebnislyrik. 223 Dem widerspricht offensichtlich die Art und Weise, wie Tristans Lieder sowohl von der höfischen Gesellschaft in Arundel als auch von der vermeintlich umworbenen Isolde Weißhand wahrgenommen werden: Beide verstehen die Lieder als Ausdruck von Tristans Gefühlen für die Prinzessin (vgl. vv. 19215-19221, 19403-19417). Schuld daran ist jedoch, wie der Text ausdrücklich betont, 224 auch der Sänger und Autor Tristan, denn er verstößt gegen aporistique« (Lucius Dällenbach: Art. Abyme, mise en, in: Dictionnaire des genres et notions littéraires, Paris 1997, S. 11-14, hier S. 12) bzw. eine »paradoxe Spiegelung« (Fricke 2003, S.-144), also eine Form der Potenzierung, die sich nicht logisch auflösen lässt (so lange es sich um einen fiktionalen Text handelt). 220 Vgl. auch Wolf 1989, S. 258f.: »Die Zentralgestalt dieser mittelalterlichen Minnemythe, Tristan, ist also in der Lage, sich selbst und das eigene Schicksal zu besingen. Das ist ein literarisch-geistesgeschichtliches Ereignis von großer Bedeutung.« Auch Draesner spricht davon, dass sich Tristan »durch die Abfassung von Liedern selbst zum Gegenstand des Erzählens macht und seine Liebe in eine Geschichte verwandelt« (Draesner 1996, S. 93). Siehe für weitere Deutungen der Stelle den Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 734f. Die Möglichkeit, dass der Name des Leichs lediglich auf Tristan als Autor verweist, ohne dessen Geschichte zu erzählen, erwähnt Draesner 1996, S. 97 Anm. 46. Dazu auch Müller 2007, S. 220: »Man erfährt nicht mehr über den Leich, weiß also nicht, ob er nur den Namen seines Verfassers trägt oder den Namen des Helden, von dem er handelt. Vermutlich gilt beides, ist Tristan sein Verfasser und sein Gegenstand, dazu noch der, der den Leich zum Sprachrohr seiner Gefühle macht.« 221 Vgl. dazu Draesner 1996, S. 79 Anm. 7: »Hinsichtlich der behaupteten Autorschaft Tristans sind mindestens zwei Rezeptionsmodi vorstellbar: Die Lieder, insbesondere der edele leich Tristanden, könnten unter Verkennung des ›Fiktionalitätscharakters‹ der Erzählung tatsächlich ›Tristan‹ zugerechnet worden sein. Ist Tristan jedoch als ›Figur‹ erkannt worden, müßte man annehmen, daß das Publikum Gotfrit die Autorschaft der Lieder zuschrieb. Damit träten Autor und Sänger zwar nicht in der textinternen Aufführungssituation, wohl aber im Ebenensprung zwischen der Erzählwelt und dem Akt des Erzählens auseinander.« Vgl. auch Müller 2007, S. 261. Dass der Leich »noch einmal wie in einem Brennglas die verschiedenen Romanebenen« zusammenführt, beobachtet auch Lähnemann 2007, S. 191. Eine Verbindung zwischen der erzählten Welt und der Welt der Erzählung wird auch vom Text selbst hergestellt, wenn er davon spricht, dass man den von Tristan komponierten Leich noch heute in allen landen sô lieben und sô werden hât (vv. 19203 f.). Draesner spricht davon, dass der Text hier »die Grenze zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit durchbricht« (Draesner 1996, S. 97). Dazu auch Bleumer 2008, S. 52. Kaminski liest die Stelle als Etablierung einer genealogischen Beziehung zwischen Tristan und Gottfrieds Text. Der Erzähler gebe hier »innerfiktional auch eine Genealogie der eigenen, an dasselbe außerfiktionale Publikum sich adressierenden Geschichte: zurückgehen muß alles Erzählen von Tristan, auf welchen überlieferungsgeschichtlichen Wegen auch immer, letztlich auf Tristans eigene, autobiographische Präsentation.« (Kaminski 2008, S. 21) 222 Es ist unklar, ob der Refrain auch auf den edelen leich Tristanden zu beziehen ist. Der Text gibt darauf keinen expliziten Hinweis und üblicherweise sind Leichs ohne Refrain überliefert, vgl. Haug / Scholz, Bd. 2, S. 735. 223 Vgl. Jan-Dirk Müller: Die Fiktion höfischer Liebe und die Fiktionalität des Minnesangs, in: Text und Handeln. Zum kommunikativen Ort von Minnesang und antiker Lyrik, hrsg. von Albrecht Hausmann, Heidelberg 2004 (Beihefte zum Euphorion 46), S. 47-64, hier S. 47. 224 Auch der Erzähler weist die Schuld ausdrücklich in erster Linie Tristan zu, vgl. vv. 19403-19412. Dazu Draesner 1996, S. 94f.; Ridder 1997, S. 69. Dabei ist es nicht nur die Tatsache, dass er Îsôt zum Gegenstand 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 165 die Norm des Minnesangs, wenn er die besungene Dame mit einer real existierenden Person identifiziert und so einen konkreten Bezug zur außertextlichen Wirklichkeit (der erzählten Welt) herstellt. 225 Vorausgesetzt, unsere Vorstellungen von der mittelalterlichen Lyrikpraxis entsprechen in etwa dem Verständnis zeitgenössischer Rezipienten, 226 dann beobachten wir hier also sowohl produktionsals auch rezeptionsseitig einen unzulässigen Kurzschluss zwischen der literarischen Kommunikationssituation im Lied (Lied-Ich / Dame) und der ›realen‹ Aufführungssituation am Hof von Arundel. 227 Damit geht es an der vorliegenden Stelle um eine Diskussion des Verhältnisses von ›Literatur‹ und ›Realität‹; 228 die Szene lässt sich in dieser Hinsicht auch als Warnung vor einfachen Kurzschlüssen verstehen. seines Singens macht, sondern auch die Art, wie er von ihr singt (und wan er daz sô gerne sanc, v. 19215; daz er daz alsô gerne sanc, v. 19408), die den Hof und Isolde Weißhand zu ihrem Fehlschluss verleiten. Hartmut Bleumer sieht darin die besondere lyrische Präsenzstiftung angesprochen, vgl. Bleumer 2008, S. 51f.: »Es ist also nicht schon der Name, es ist der im Lied erzeugte eindringliche Klang des Namens, seine lyrische Präsenz, die für Tristans Publikum den Anschein erzeugt, der Liedinhalt müsse sich auf die real gegenwärtige Isolde beziehen.« 225 Zur Fiktionalität der Dame im Minnesang siehe Günther Schweikle: Die frouwe der Minnesänger. Zum Realitätsgehalt und Ethos des Minnesangs im 12. Jahrhundert, in: Minnesang in neuer Sicht, Stuttgart 1994, S. 29-66, bes. S. 52-55. Wenn Walther von der Vogelweide scheinbar gegen diese Regel verstößt, indem er seine Dame als Hiltegunde identifiziert (L 74,19), dann bestätigt er tatsächlich die Künstlichkeit der literarischen Darstellung, da es sich hier nicht um eine authentische Selbstaussage, sondern um einen literarischen Bezug auf die gleichnamige Protagonistin aus dem »Waltharius« handelt, vgl. Müller 2004a, S. 56. Dagegen ging zuletzt wieder Harald Haferland von einer realen Existenz der Dame im Minnesang aus, vgl. Harald Haferland: Hohe Minne. Zur Beschreibung der Minnekanzone, Berlin 2000 (Beihefte zur ZfdPh 10), S. 216. 226 Für Draesner kann hingegen umgekehrt »Gotfrits Text als Anstoß verstanden werden,« das angenommene Verhältnis des Minnesangs zur außersprachlichen Realität zu überdenken und »biographische Lesarten eines Liedes als Interpretationsmöglichkeiten neu in Erwägung zu ziehen« (Draesner 1996, S. 90). 227 Verkompliziert wird die Situation hier zusätzlich dadurch, »daß der Erzähltext nicht eine zeitgenössisch ›reale‹ Aufführungssituation von Minneliedern umsetzt, sondern seinerseits allein die Kommunikationssituation, die manche dieser Lieder selbst zu inszenieren wissen, erzählerisch nachspielt.« (Draesner 1996, S. 80) Von einer ›realen‹ Aufführungssituation lässt sich also nur sehr eingeschränkt sprechen. Überhaupt sollte man Vorsicht bewahren vor einer einfachen Zuordnungen der externen Kommunikationssituation im Minnesang als ›real‹ und der internen Kommunikationssituation als ›fiktiv‹, vgl. Müller 2004a, S. 59 Anm. 48. Zur Frage, inwiefern man überhaupt von einer ›Fiktionalität‹ des Minnesangs sprechen kann, entbrannte in der jüngeren Forschung eine Debatte, bei der auch gesicherte Positionen neu hinterfragt wurden. Vgl. resümierend Bleumer 2008, S. 24 Anm. 4. Den Ausgangspunkt der Diskussion stellt die Untersuchung Harald Haferlands dar, der gegenüber dem oben skizzierten Konsens wieder für eine »Bezugnahme[ ] auf Wirkliches« (Haferland 2000a, S. 9) im Minnesang wirbt. Wenn er dabei in der Einleitung seiner Arbeit davon spricht, in der Minnekanzone ginge es um das »Leben und Erleben« (ebd.) der Minnesänger, und diese »werben mit ihnen [den Liedern] um ihre Damen«, dann schlägt er trotz gewisser Relativierungen »eine ›biographische‹ Interpretation der Minnelyrik vor« (so Jan-Dirk Müller in seiner Rezension, in: ZfdPh 122 (2003), S. 456-463, hier S. 457), wie sie auch im »Tristan« offenbar erzählt wird. Tatsächlich liest Haferland die vorliegende Textstelle des »Tristan« als Beleg für »eine Konvention, nach der Lieder für die Werbung um eine Dame verfaßt werden, und es fällt schwer zu glauben, es handle sich hierbei um eine fingierte Konvention, die es in Wirklichkeit nie gegeben hat.« (Haferland 2000a, S. 148f.) Ausgehend von Haferland hat Jan-Dirk Müller die Frage nach der Fiktionalität des Minnesangs noch einmal aufgenommen und differenziert beantwortet. Unter anderem in Bezug auf Hayden White weist er die Alternativen »(alltagsweltlich) ›real‹ und (literarisch) ›fiktiv‹« zurück (Müller 2004a, S. 51). Vielmehr sei der höfische Minnediskurs eine kollektive kulturelle ›Fiktion‹, die auch dann noch intakt bleibe, wenn die Fiktion des einzelnen Minneliedes enttarnt werde. 228 In diese Richtung geht auch die Interpretation von Draesner, die hier eine Verhandlung des Verhältnisses von ›Zeichen‹ und ›Körper‹ erkennt, vgl. Draesner 1996, S. 94-98. Der Fortgang der Handlung werde 166 2 Annäherungen Davon ausgehend kann man auf eine andere Stelle in der vorliegenden Episode blicken, in der Tristan zwar nicht als Produzent, aber als Rezipient von Literatur auftritt. Sie befindet sich im abschließenden Soliloquium. In einem gegenüber Thomas vermutlich neu eingeführten Abschnitt 229 denkt Tristan hier darüber nach, seine Liebe auf zwei Frauen zu verteilen, ebenso wie man auch einen Fluss in mehrere Kanäle oder ein Feuer in mehrere Brände aufteile, um ihm die Kraft zu nehmen (vv. 19432-19456). Wie man früh erkannt hat, handelt es sich dabei um eine offensichtliche Übernahme aus Ovids »Remedia amoris«. 230 Ausgehend von dieser Stelle kann man in der »Tristan«-Episode auch vorher schon Parallelen zu dem lateinischen Text erkennen, weshalb »Tristans Verhaltensweisen« in der gesamten Episode als »Erprobung der Ovidianischen Lehren« 231 gelesen wurden. Diese Tatsache ist an sich noch nicht besonders auffällig, schließlich ist Ovid im Mittelalter die zentrale Autorität in Sachen Liebe. Deshalb könnte man das Zitat der »Remedia« auf den ersten Blick als Einspielung von bekanntem anthropologischem Wissen ansehen. 232 Der Bezug bekommt aber eine besondere Pointe durch die Tatsache, nicht nur durch authentisch-persönliche körperliche, zum Beispiel psychische Vorgänge bestimmt, sondern mindestens ebenso sehr durch die Gestaltung des Körpers durch sprachliche Zeichen. Die »Identität des Sprechenden« und seine »›innere[ ]‹ Gefühlslage« würden also im Minnelied nicht nur abgebildet, »sondern konstituiert« (S.-98). 229 Vgl. Hoffa 1910, S. 345f.; Flecken-Büttner 2011, S. 240. Vorsichtiger Wisbey 1990, S. 269 Anm. 28. 230 Vgl. Ovid, »Remedia amoris«, vv. 441-446: Hortor et, ut pariter binas habeatis amicas: | Fortior est, plures si quis habere potest. | Secta bipertito cum mens discurrit utroque, | Alterius vires substrahit alter amor. | Grandia per multos tenuantur flumina rivos, | Haesaque seducto stipite flamma perit. ›Ich rate euch auch, gleichzeitig zwei Freundinnen zu haben; in noch stärkerer Stellung ist, wer noch mehr haben kann. Wenn der auf zwei sich richtende Sinn sich nach beiden Seiten teilt, entzieht die Leidenschaft für die eine der für die andere die Kraft. Mächtige Ströme werden durch viele Rinnsale abgeschwächt, und in ihrer Gewalt gebrochen erstirbt die Flamme, wenn die Holzklötze gesondert werden.‹ Zitat und Übersetzung nach Ovid: Heilmittel gegen die Liebe. Die Pflege des weiblichen Gesichtes. Lateinisch und deutsch von Friedrich Walter Lenz, 2., neu bearb. Aufl., Berlin 1969 (Schriften und Quellen der Alten Welt 9), S. 52f. Die Abhängigkeit erkannte schon Richard Heinzel: Ueber Gottfried von Straßburg, in: Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien 19 (1868), S. 533-563, hier S. 539 Anm. 9. Dazu auch Ganz 1971, S. 400f.; Wisbey 1990, S. 268-270. Zu der Stelle weiterhin Usener 1999, S. 234-236; Anna Sziráky: Éros Lógos Musiké. Gottfrieds »Tristan« oder eine utopische renovatio der Dichtersprache und der Welt aus dem Geiste der Minne und Musik? , Bern u. a. 2003 (Wiener Arbeiten zur Germanischen Altertumskunde und Philologie 38), S. 314f.; Sosna 2003, S. 280f.; Barandun 2009, S. 204f., und besonders Flecken-Büttner 2011, S.-239-248; zuletzt Buhr 2018, S. 238f.; Dillig 2019, S. 186. Dieselben Bilder begegnen, in umgekehrter Reihenfolge, auch in Quintilians »Institutio oratoria«, 5,13,13, vgl. Usener 1999, S. 235 Anm. 46. 231 Flecken-Büttner 2011, S. 240. Auch Buhr beobachtet, »dass nahezu alle impliziten und expliziten Maximen, denen der Held nach der Trennung von Isolde folgt, auf jene ›Heilmittel gegen die Liebe‹ zurückzuführen sind, die von Ovid dem unglücklich oder übermäßig Verliebten anempfohlen werden.« (Buhr 2018, S. 239) Zu den Parallelen im Einzelnen Flecken-Büttner 2011, S. 241-245, sowie Meißburger 1954, S. 10 Anm. 51. 232 In diesem Sinne dient das Zitat für Krohn der »psychologischen Vertiefung« (Krohn, Bd. 3, S. 268) des Gedankengangs. Singer erkannte hier eine »logische Begründung für Tristans Verhalten« (Singer 1947, S. 99). Wenn durch den Bezug auf gewöhnliche anthropologische Lehren das Figurenverhalten hier als ›allgemeinmenschlich‹ erscheint, dann ist das allerdings angesichts der außergewöhnlichen Liebe von Tristan und Isolde nicht ganz unproblematisch. Diese Problematik äußert sich auch in der Absicht des Protagonisten, ein triurelôser Tristan (v. 19464) zu werden, weil diese im Widerspruch zu seiner im Namen ausgedrückten Identität steht, vgl. dazu Flecken-Büttner 2011, S. 245f. Die Stelle muss aber nicht als Kritik an Tristan verstanden werden und steht auch nicht im Widerspruch zur Absage an die remedia im Prolog des Romans. Vielmehr zeigt sich im weiteren Verlauf der Handlung ja gerade, dass solche gewöhnlichen Heilmittel bei Tristan wirkungslos bleiben und an der Außergewöhnlichkeit der literarischen Liebe schei- 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 167 dass die Aussage nicht vom Erzähler getätigt wird, 233 sondern aus dem Mund der Figur Tristan stammt. Sie ist außerdem noch explizit als Ergebnis eines Lektüreprozesses markiert: »ich hân doch dicke daz gelesen« (v. 19432) lautet der Beginn von Tristans Überlegungen. Tristan beruft sich also »ausdrücklich auf einen Text.« 234 Damit wird zumindest in einem weiteren Sinne Literatur zum Ausgangspunkt für den seelischen Prozess der Figur, 235 deren psychologische Entwicklung offenbar nicht unabhängig von ›literarischen‹ Mustern funktioniert. 236 Überhaupt ist schon die ›Entdeckung des inneren Menschen‹ in der mittelalterlichen Literatur, von der oben die Rede war, eng an kulturelle Muster gebunden. Bereits die Leitdifferenz von ›Innen‹ und ›Außen‹ ist das Produkt einer Metapher, nämlich der Verräumlichung des menschlichen Bewusstseins. 237 Die volkssprachigen Texte arbeiten an einer sprachlichen Sichtbarmachung von eigentlich unsichtbaren psychischen Zuständen und Prozessen, bei der die Innenräume ihrer Figuren nicht einfach offengelegt, sondern vielmehr erst mit den Mitteln tern, vgl. ebd., S. 248. Zu den Ovid-Bezügen im Kontext des Prologs bereits Hahn 1963, S. 112-115. Als Kritik an Ovid versteht den Bezug Buhr 2018, S. 239f. 233 Anders Sosna 2003, S. 280 Anm. 97: »Der Erzähler beruft sich hier auf Ovid […].« Auf den Autor bezieht die Stelle Ganz 1971, S. 400: »Von eigener Ovidlektüre berichtet Gottfried in Z. 19432f.« Auch Kästner meint, dass »Gottfried« hier »von eigener Ovidlektüre berichtet« (Kästner 1981, S. 83). 234 Flecken-Büttner 2011, S. 240. Auch für Alois Wolf kommt hier zum Ausdruck, »daß Tristan […] sich auf seine literarische Bildung beruft« (Wolf 1989, S. 260). Allerdings bedeutet mhd. lesen ›rezipieren‹ in einem weiteren Sinne und kann etwa als ›wahrnehmen, an sich nehmen, erinnern, merken‹ gebraucht werden, vgl. Lexer, Bd.-1, Sp. 1888 f.; BMZ, Bd.-1, S. 1006. Das wird etwa in der im »Tristan« häufig gebrauchten Formel in daz herze lesen (›sein Herz auf etwas richten, mit dem Herzen aufnehmen, sich zu Herzen nehmen‹) deutlich, vgl. v. 1035 u. ö. Dass an der vorliegenden Stelle dennoch ›lesen‹ im engeren Sinne der Lektüre gemeint ist, glaubt auch Schröder 1975, S. 311. So auch einstimmig die Übersetzungen von Haug / Scholz, Bd. 1, S. 1077; Krohn, Bd. 2, S. 567; Knecht, S. 225, sowie Hatto 1976, S. 296. Zum lesen im »Tristan«- Prolog zwischen legere und cogitare Sziráky 2003, S. 43-52. 235 Vgl. Flecken-Büttner 2011, S. 240: »Literatur und Leben treten so für diese Figur in ein metonymisches Verhältnis.« Siehe auch Buhr 2018, S. 239: »So resultiert im »Tristan« einmal mehr das Handeln einer Romanfigur aus der Reflexion und Duplikation vorgefundener Handlungsmuster; Dichtung geht hier gleichsam autopoetisch aus Dichtung hervor.« 236 Auch Draesner kommt zu dem Ergebnis, Gegenstand der vorliegenden Episode sei nicht »eine kohärente Entfaltung der ›Psyche‹« der Figuren, sondern vielmehr »Zeichenreflexion« (Draesner 1996, S. 84). Es gehe Gottfried hier nicht um Fragen psychologischer Begründungen, sondern um die Theorie sprachlicher Zeichen: »Dementsprechend wird der narrative Akt einer ›Schuldzuweisung‹ nicht auf die Motivation von Tristans Handeln gelegt, sondern auf einen Aspekt, der seine semiotische Kompetenz betrifft.« (ebd., S. 92) In diesem Sinne liest auch Schöning die Episode als »sprachtheoretische[s] Exemplum«, deshalb sei »insgesamt vor einer zu sehr psychologischen Deutung dieser Episode zu warnen.« (Schöning 1989, S. 169) Dass hier (erneut) das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit (wort und sin) problematisiert wird, betonen weiterhin Christ 1977, S. 129f., 144 f.; Rüdiger Schnell: Suche nach Wahrheit. Gottfrieds »Tristan und Isold« als erkenntniskritischer Roman, Tübingen 1992, S. 257-262. 237 Wie stark auch unser modernes Sprechen auf solche Bilder angewiesen ist, um unsichtbare Prozesse zu beschreiben, zeigen prominent George Lakoff / Mark Johnson: Metaphors We Live By, London 1980, vgl. etwa S. 148 zur Metapher vom Bewusstsein als einem Behältnis: »[T]he mind is a container metaphor, which establishes a similarity between the mind and the body - both being containers.« Zur container-Metaphern ebd., S. 29-32; zu anderen Metaphern für das menschliche Bewusstsein (als Maschine oder zerbrechliches Objekt) ebd., S. 27f. Aus der Perspektive der historischen Semantik auch Gerd Fritz: Einführung in die historische Semantik, Tübingen 2005 (Germanistische Arbeitshefte 42), S. 92. Manuel Braun schlägt vor, diese Kontinuität des metaphorischen Zugriffs auf die Welt für die mediävistische Alteritätsdebatte fruchtbar zu machen, vgl. Manuel Braun: Alterität als germanistisch-mediävistische Kategorie: Kritik und Korrektiv, in: Wie anders war das Mittelalter? Fragen an das Konzept der Alterität, hrsg. von Manuel Braun, Göttingen 2013 (Aventiuren 9), S. 7-38, hier S. 32f. 168 2 Annäherungen der Sprache konstruiert werden. 238 Das geschieht etwa mithilfe der oben angesprochenen Signalwörter herze und muot, die im »Tristan« mehrfach als Orte ausgewiesen werden, an denen rationale und emotionale Prozese ablaufen, und damit den Innenraum der Figur sprachlich erzeugen. 239 Die Frage, wie das Verhältnis von innerlichen Zuständen und Prozessen und ihrer sprachlichen Kodierung bei Gottfried gestaltet ist, soll unten am Beispiel der Minne zwischen Psychologie und literarischem Muster noch einmal aufgegriffen werden (Kap. 2.4). Mit der Erzählweise, die immer wieder Einblick in das Innere der Figuren gewährt, verbindet sich auch ein Bemühen um die psychologisch plausible M o t i v a t i o n der erzählten Ereignisse. Die grundsätzliche Tendenz zu einer logisch-rationalen Verknüpfung der Handlungselemente im »Tristan« wurde ebenfalls so oft hervorgehoben, dass man von einem Topos der Forschung sprechen kann. 240 So meint etwa Kurt Ruh, Gottfried motiviere »sorgfältiger im Sinne realistischer und psychologischer Wahrscheinlichkeit, als dies Thomas gewollt hat oder ihm möglich war.« 241 . Dabei arbeitet schon Thomas »mit raffinierten psycholog[ischen] Motivierungen« 242 ; 238 Wie die Texte selbst die literarische Konstruktion der Innenräume offenlegen, zeigen die Beiträge in Hasebrink u. a. (Hrsg.) 2008, vgl. bes. die Einleitung der Herausgeber*innen, S. XI-XXI. 239 Vgl. etwa vv. 12694f.: sô nam si i n i r m u o t | und bedâhte allez ir dinc; vv. 18174f.: nu bedâhte si daz | und betrûrete ez i n i r m u o t e ; v. 19128: er bedâhte i n s î n e m h e r z e n . (Hervorhebungen L.M.) 240 Zusammenfassend Keck 1998, S. 175; Tomasek 2007, S. 116f.; Eming 2015, S. 111. Christ spricht in diesem Zusammenhang davon, in der Tristanforschung herrsche das »Vorurteil einer psychologischen Kausalität zwischen Charakter, Situation und Handeln« (Christ 1977, S. 169). - Chinca betrachtet Gottfrieds Bemühen um eine rationale Handlungsmotivation in einem Zusammenhang mit der rhetorischen Kategorie der verisimilitudo, die oben bereits eingeführt wurde, vgl. Chinca 1993, S. 97: »The attention Gottfried pays to the depiction of character and motive helps bring about the intelligibility and consistency of representation that define the rhetorical virtue of narratio verisimilis.« 241 Kurt Ruh: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Zweiter Teil: »Reinhart Fuchs«, »Lanzelet«, Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg, Berlin 1980 (Grundlagen der Germanistik 25), S. 210. Vgl. auch Büschen 1974, S. 131: »Zwar findet sich schon in anderen hochhöfischen Epen die Reflexion auf das innere Erleben als Gegenstand der Darstellung, doch werden die geheimsten Auseinandersetzungen mit den Handlungsmotivationen […] in keinem anderen Falle einer derart minuziösen Analyse unterworfen.« Im Vergleich mit dem Artusroman betrachtet die Handlungsmotivation des »Tristan« Hollandt 1966, S. 9f.: »Hartmanns Romanhelden sind Träger bestimmter demonstrativer Handlungen. […] Hingegen handeln Gottfrieds Figuren aufgrund von Überlegungen, die aus ihrer spezifischen Wesensart resultieren, und die Romanhandlung wird weitgehend durch Entscheidungen der einzelnen Gestalten motiviert.« Zur »ausgeklügelte[n] realistischen Motivierungskunst Gottfrieds« weiterhin Hamburger 1989, S. 168. Ähnlich Haferland 2018, S. 128: »Gottfried minimiert als einer der versiertesten Erzähler des Mittelalters den Eindruck unzureichender Motivierung der Handlung nach Kräften.« Von einer »Erzählweise, die in beinahe präzedenzloser Art und Weise die kausalen Zusammenhänge der Figuren zum Gegenstand der Erzählung macht« spricht Bittner 2019, S. 378. In diesen Kontext gehört schließlich auch Kragls These, »dass mit Gottfrieds »Tristan« im frühen 13. Jahrhundert eine neue - wenn man so will - Schreibweise Eingang in die deutsche, volkssprachliche, vielleicht europäische Literaturgeschichte des Mittelalters findet, die […] eine starke Wirklichkeitsnähe suggeriert, die mich von einem ›(figurenpsychologischen) Realismus‹ avant la lettre sprechen lässt« (Kragl 2019, S. 179f.). Gottfried verlege »einen Großteil der Handlungsmotivation ins Figureninnere« (ebd., S. 249) und sein Erzähler bemühe sich »um psychologische Plausibilisierung, wo immer sich die Gelegenheit bietet.« (S. 255) Dabei sei psychologischer Realismus allerdings nicht unbedingt mit kausallogischer Nachvollziehbarkeit zu verwechseln, weil auch das ›wirkliche‹ Leben oft nicht als logisch nachvollziehbar, sondern als von »humane[n] Wirrnisse[n]« geprägt (S.-249) wahrgenommen werde. 242 Christoph Huber: Art. Gottfried von Straßburg, in: Killy² 4 (2009), S. 330-336, hier S. 331. Zu Thomas’ »Streben nach sorgfältiger Motivierung und nach einem möglichst rationalen Handlungsverlauf« bereits Ranke 1925a, S. 131-135, Zitat S. 133. Zum kaussallogischen Erzählen im französischen Roman weiterhin Bertau 1972-1973, Bd. 1, S. 438-442; Knapp 2013, S. 196f. Zu ›Rationalität‹ und ›Realismus‹ als Topoi der 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 169 auch in diesem Punkt geht also Gottfrieds Bearbeitung den Weg weiter, der in ihrer Vorlage vorgezeichnet war. 243 Das Zusammenspiel von realistischer Darstellung, kausal-psychologischer Motivation und ›mimetischer‹ Figurenkonzeption beschreibt etwa Florian Kragl am Beispiel der Brautwerbungsepisode. Hier herrsche ein dichtes, undurchsichtiges Geflecht psychologischer Figurenmotivationen, deren Voraussetzung runde, plastische, lebenswirkliche Figuren sind. Zu dieser Lebenswirklichkeit gehört auch, dass nur manches Mal, keineswegs aber auf Schritt und Tritt zu wissen ist, was in diesen Figuren, die man fast schon Personen nennen dürfte, vorgeht, und vielleicht wissen sie es mitunter selbst nicht ganz genau. 244 Gleich zu Beginn des »Tristan« stellt der Erzähler die Kategorie der Motivation in den Fokus der Rezipientenaufmerksamkeit. Es geht dabei um die Beweggründe für ein Ereignis, das für den Handlungsverlauf ebenso zentral wie aus rechtlich-moralischer Perspektive problematisch ist, nämlich Riwalins Angriff auf seinen Lehnsherrn Morgan. Der Erzähler gibt dabei vor, nicht genau über Riwalins Motive informiert zu sein: weder ez dô nôt ald übermuot | geschüefe, des enweiz ich niht (v. 342 f.). Damit lenkt er freilich umso mehr die Aufmerksamkeit auf die Frage nach der (psychologischen) Ursache für das Geschehen. Ganz im Gegensatz zu dieser Unsicherheit ist der Erzähler sonst sehr darum bemüht, die Handlungen seiner Figuren ausdrücklich zu begründen. Das geschieht oft dadurch, dass er das Verhalten der Akteure auf anthropologische Gesetzmäßigkeiten zurückführt. Die Figuren handeln, wie jeder Mensch in einer entsprechenden Situation handeln würde: als si ie tâten und noch tuont, | den ir dinc stât, als ez ir stuont (vv. 1207 f.), heißt es etwa in Bezug auf die unglücklich verliebte Blanscheflur. Das Figurenhandeln erscheint »als Teil der allgemeinen Weltordnung« 245 und wird dadurch für die Rezipienten nachvollziehbar. 246 Solche Einschübe, Thomas-Forschung Keck 1998, S. 145: »[D]iese beiden Begriffe kehren in jeder Thomas-Interpretation wieder […].« 243 Vgl. Tomasek 2007, S. 258f. Das zeigt sich besonders im Vergleich mit der ›spielmännischen‹ Version Eilharts, vgl. Cordula Kropik: Gemachte Welten. Form und Sinn im Höfischen Roman, Tübingen 2018 (Bibliotheca Germanica 65), S. 293f.: »Indem er [Gottfried] die schematische Motivation Eilharts mit sichtbar durchstreichendem Gestus plausibilisierend überschreibt, setzt er Thomas’ ›entmechanisierende‹ Restrukturierung des Tristanstoffes konsequent so um, dass nun auch die erzählte Welt eine sichtlich andere, der Wirklichkeit ähnlichere wird.« Dass Gottfried auch gegenüber seiner Vorlage größeren Wert auf die Wahrscheinlichkeit der Darstellung legt, beobachtete schon Piquet 1905, S. 45f. Zu Gottfrieds ›Motivierungseifer‹ bei der Bearbeitung seiner Vorlage auch Sawicki 1932 [1967], S. 159-167, Zitat. S. 162. 244 Kragl 2014, S. 43. Ähnlich Kragl 2019, S. 27f. Zum »Vorurteil einer psychologischen Kausalität zwischen Charakter, Situation und Handeln« und der Tendenz der Forschung, aus der psychologischen Motivation der Handlung »psychologisierende Charakterbilder« abzuleiten, kritisch Christ 1977, S. 169. Zwar lasse sich beobachten, »daß im »Tristan« im Detail durchaus griffige Portraits der Figuren und ihrer Innerlichkeit gegeben werden«, und auch die »Beobachtungen der Forschung, die von feiner, differenzierter Motivation, von realistischem Detail oder gar von einfühlsamer Charakterzeichnung sprechen« hätten »ihre begrenzte Berechtigung«; doch handle es sich dabei eben stets um eine »partikulare« Darstellung, die rhetorischen Zwecken der Komposition unterworfen sei, vgl. Christ 1977, S. 76 Anm. 217. 245 Uwe Pörksen: Der Erzähler im mittelhochdeutschen Epos. Formen seines Hervortretens bei Lamprecht, Konrad, Hartmann, in Wolframs Willehalm und in den ›Spielmannsepen‹, Berlin 1971 (Philologische Studien und Quellen 58), S. 131. 246 Vgl. weiterhin Flecken-Büttner 2011, S. 48; Wessel 1984, S. 251 Anm. 365: »Indem Gottfried stets Handlungen oder Erfahrungen der Romanfiguren auf diese allgemeingültigen Weisheiten bezieht, kann er das Ergehen seiner Gestalten seinen Lesern nachvollziehbar vermitteln […].« Die Ausführungen bieten dabei 170 2 Annäherungen die James A. Schultz als narrator motivations bezeichnet hat, 247 sind im »Tristan« ausgesprochen häufig. 248 Schon Richard Preuss erkannte Gottfrieds Neigung […], an das Erzählte anknüpfend allgemeine Geltung dafür in Anspruch zu nehmen. Dieser Neigung zu generalisieren […] gibt unser Dichter im weitesten Umfang nach […], um auf die Gesetzmäßigkeit des in jenem ausgesprochenen Faktums aufmerksam zu machen. 249 Dieses Vorgehen ist in der mittelalterlichen Literatur auch sonst nicht selten und lässt sich mit dem aus der lateinischen Rhetorik bekannten Mittel der digressio (›Abschweifung‹) in Verbindung bringen. 250 So finden sich nicht nur in der volkssprachigen Epik, sondern auch in der lateinischen Geschichtsschreibung immer wieder »[g]rundsätzliche Ausführungen zum menschlichen Verhalten« 251 . Aber wie schon Preuss festgestellt hat, macht Gottfried besonders häufig von dieser Praxis Gebrauch. Oft beschränken sich die Ausführungen des Erzählers dabei wie im zitierten Beispiel auf einen nachgeschobenen Halbsatz, mitunter wachsen sie aber auch zu ganzen Exkursen an. 252 So begründet der Erzähler Tristans dritte Hinwendung zu Isolde Weißhand mit einer grundlegenden anthropologischen Erkenntnis: 253 keine konsistente Anthropologie, sondern besitzen immer nur punktuelle Gültigkeit, vgl. Chinca 1997, S. 79: »Much of Gottfried’s commentary on the characters and their psychology is microstructural. Shortsighted, it aims no further than to illuminate the motives from which they act at any one time; it makes no contribution to a greater whole […].« Der Wirkung tut das allerdings keinen Abbruch, wie schon Christ betont: »Dabei ist es unerheblich, daß die Allgemeinurteile der Sentenzen innerhalb des Werkes auch konträre Behauptungen vertreten. Das gehört zum aphoristischen Wesen menschlicher Urteile im ethisch-sozialen Bereich. Aber die Apodiktik der kurzen, einprägsamen und reizvollen Sentenz verbürgt im jeweiligen Kontext Autorität und sichert die partikulare Glaubwürdigkeit.« (Christ 1977, S. 293f.) Auch der grundlegend wissensvermittelnde Anspruch zum Beispiel von Sprichwörtern wird durch ihre offensichtliche Situationsgebundenheit und Widersprüchlichkeit nicht aufgehoben, vgl. Struwe 2016, S. 21, 67. Vgl. in Bezug auf die Sentenzen im »Tristan« auch Tomas Tomasek: Überlegungen zu den Sentenzen in Gotfrids »Tristan«, in: bickelwort und wildiu maere. Festschrift für Eberhard Nellmann zum 65. Geburtstag, hrsg. von Dorothee Lindemann u. a., Göppingen 1995 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 618), S. 199-224, hier S. 205. 247 Vgl. Schultz 1987a, S. 209f.; 1987b, S. 591-597. Siehe dazu oben, S. 45. 248 Vgl. die Aufzählungen bei Richard Preuss: Stilistische Untersuchungen über Gottfried von Strassburg, in: Strassburger Studien 1 (1883), S. 1-75, hier S. 72f.; Pörksen 1971, S. 131 Anm. 25 und 26; Schultz 1987b, S.-592f. Zu dem Phänomen weiterhin bes. Christ 1977, S. 292-294; Chinca 1993, S. 90f.; 1997, S. 72-78. 249 Preuss 1833, S. 72. 250 Huber 3 2013, S. 139; Chinca 1993, S. 89-92. Zur digressio in der lateinischen Rhetorik vgl. Lausberg 1960, Bd. 1, §- 290, S. 165, §§- 340-342, S. 187f., §- 415, S. 220; Ernest Gallo: The »Poetria Nova« and Its Sources in Early Rhetorical Doctrine, Mouton 1971 (De Proprietatibus Litterarum. Series Maior 10), S. 175-177. Chinca stellt das Mittel vor allem in einen Zusammenhang mit der Herstellung von verisimilitudo, was aber in den Rhetoriken, so weit ich sehe, keine Rolle spielt. In Galfreds von Vinsauf »Documentum de arte versificandi« etwa wird die digressio als Mittel der Ausschmückung genannt (amplificare et decorare, vgl. 2,17; zitiert nach Faral 1958, S. 274). Bei Lausberg wird sie nur sehr allgemein als Mittel der peroratio (›Redeschluss‹) aufgeführt (Lausberg 1960, Bd. 1, §- 431, S. 236). Zur digressio auch Galfred von Vinsauf, »Poetria nova«, vv. 527-553 (Faral 1958, S.-213f.). 251 Huber 3 2013, S. 129f. 252 Zu den Exkursen im »Tristan« zuletzt Linden 2017, S. 181-276. Zu dem im »Tristan« besonders ausgeprägten Verfahren, im Exkurs allgemeine Gesetzmäßigkeiten zu formulieren, denen die Figuren in der Handlung folgen, vgl. etwa ebd., S. 16 Anm. 79. 253 Auch Thomas verweist an dieser heiklen Stelle immer wieder darauf, dass Tristans Handeln nicht ungewöhnlich sei, sondern es vielen Menschen ähnlich ergehe, vgl. etwa »Tristran«, v. 389: Issi avient a plusurs 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 171 wan weizgot diu lust, diu den man alle stunde und alle zît lachende under ougen lît, diu blendet ougen unde sin, diu ziuhet ie daz herze hin. […] jâ zwâre, als ich’z erkennen kan, vil lieber minne mac ein man baz verre enbern und verre gern dan nâhe gern und nâhe enbern und kumet der verren lîhter abe, danne er der nâhen sich enthabe. hie verwar sich Tristan inne. (vv. 19358-19375) Indem die Ausführungen das Verhalten der Figur mit außerliterarischen Wissensbeständen in Verbindung bringen, 254 wird es für die Rezipienten plausibel gemacht: und was dâ cleine wunder an (v. 19357), heißt es im Text. Gert Hübner beschreibt diese Wirkung folgendermaßen: Der kleine, kasuistisch inszenierte Exkurs erklärt Tristans inneren Prozeß samt seinem Ergebnis mit der anthropologischen Wahrscheinlichkeit; dies entlastet den Protagonisten durch den Rekurs auf das Allgemeinmenschliche. 255 Im »Tristan« finden sich solche Ausführungen nicht nur dort, wo es (wie im vorliegenden Beispiel) um die ethisch-moralische Entlastung der Figuren geht, sondern besonders auch an Stellen, an denen die Kohärenz der Erzählung gefährdet ist. Das ist etwa dort der Fall, wo, wie im vorigen Kapitel beschrieben, einzelne Episoden aneinandergereiht werden und es deshalb zu Brüchen in der Motivationsstruktur kommt. genz (›das widerfährt vielen Leuten‹); v. 397: A molz l’ai veü avenir (›Ich habe gesehen, wie es vielen geschah‹). Schon vorher erklärt der Erzähler in einem langen Exkurs die merkwürdige Natur (estrange nature, v. 286) der Menschen, vgl. vv. 285-356. Dazu Keck 1998, S. 147-149. 254 Zu möglichen Parallelstellen vgl. das Handbuch der- Sentenzen und Sprichwörter im höfischen- Roman des 12. und 13.-Jahrhunderts, hrsg. von Manfred Eikelmann / Tomas Tomasek, Bd. 2: -Artusromane nach 1230, Gralromane,- Tristanromane, bearb. von- Tomas Tomasek in- Zusammenarbeit mit Hanno Rüther / Heike-Bismark unter Mitwirkung von-Jan Hallmann u. a., Berlin / Boston 2009, S. 530f. - Die Erzählung bezieht sich nicht nur rezeptiv auf außertextliche Wissensbestände, sondern trägt auch zu deren Vermittlung bei. Ausdrücklich betont der Erzähler hier, dass die Rezipienten am Beispiel der Erzählung etwas lernen könnten: Hie mugen die minnære | kiesen an dem mære, | daz man vil michel baz vertreit | durch verre minne ein verre leit (vv. 19363-19366). Auf diese Weise exemplifiziert die Erzählung zugleich die von ihr abgerufenen Wissensbestände, so dass von einer gegenseitigen Sicherung der Elemente ausgegangen werden kann. Dass durch die Abrufung außertextlichen Wissens das Exemplarische der Erzählung hervorgehoben wird, beobachtet in Bezug auf Sprichwörter und Sentenzen Manfred Eikelmann: Einleitung, in: Handbuch der Sentenzen und Sprichwörter im höfischen-Roman des 12. und 13.- Jahrhunderts, hrsg. von-Manfred-Eikelmann / Tomas-Tomasek, Bd. 1: -Einleitung und Artusromane bis 1200, bearb. von-Manfred-Eikelmann / Silvia Reuvekamp unter-Mitarbeit von-Agata Mazurek u. a., Berlin / Boston 2012, S. 3*- 83*, hier S. 9*. Bittner erkennt in der vorliegenden Stelle einen »geradezu ›psychologische[n] Scharfblick‹ der Erzählinstanz, welcher diese befähigt, aus der Befindlichkeit der Figuren Lehren auch für den Alltag realer Liebenden [sic] zu ziehen und diese Lehren in nüchternen Kommentaren darzubieten« (Bittner 2019, S. 334). 255 Hübner 2003, S. 391. 172 2 Annäherungen Ein Beispiel dafür bietet der Beginn der Brautwerbung. Es handelt sich dabei um die vielleicht größte Nahtstelle in der Komposition des Tristanstoffes, weil hier Jugend- und Liebesgeschichte - oder stoffgeschichtlich betrachtet: die beiden grundlegenden Motivkomplexe von imram und aithed 256 - aneinanderstoßen. Die Episode stellt deshalb eine besonders große motivationslogische Herausforderung dar: 257 Mit Tristans Heilung und Rückkehr aus Irland könnte die Geschichte eigentlich enden, da alle Probleme für den Moment gelöst sind. Der Erzähler muss deshalb einigen Aufwand betreiben, um den Fortgang der Erzählung und den Beginn der Brautwerbung zu motivieren. Bei Gottfried geschieht das über eine Intrige von Markes Hofleuten, die psychologisch auf ihre Missgunst (mhd. den nît) gegenüber Tristan zurückgeführt wird. 258 Davon erfährt der Leser hier allerdings zum ersten Mal; völlig unvorbereitet taucht der nît mitten im Satz auf: künec unde hof die wâren dô ze sînem willen gereit, biz sich diu veige unmüezekeit, der verwâzene nît, der selten iemer gelît, under in begunde üeben […]. (vv. 8316-8321) Nachdem die Höflinge Tristan zuvor ausgesprochen zugeneigt gewesen waren, wirkt dieses plötzliche Auftreten der Feindseligkeit wie ein Bruch. Außerdem handelt es sich beim Neid auf den vom König favorisierten Protagonisten um ein außerordentlich weit verbreitetes Erzählmotiv, 259 das auch in Brautwerbungserzählungen immer wieder eine Rolle spielt. 260 Insofern 256 Bei imram und aithed handelt es sich um keltische Erzählmuster, die aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit der Handlung des Tristanstoffes in der Stoffgeschichtsforschung eine große Rolle gespielt haben, vgl. zusammenfassend Haug 1973, S. 408; Schulz 2017, S. 10f.: Der imram erzählt von einer Meerfahrt, die den Helden in das Land einer Fee führt (siehe dazu unten, S. 231), beim aithed geht es um ein illegitimes Liebespaar (oft eine Königin und der Neffe ihres Mannes), das gemeinsam in die Wildnis flieht. 257 Vgl. dazu Kragl 2014, S. 29f.; 2019, S. 14f., 16. Auch Mohr erkennt: »Die bisherigen Antriebe sind verbraucht, und die Handlung muß neu in Gang gebracht werden.« (Mohr 1976, S. 63) Siehe zu der Episode auch unten, Kap. 3.3. 258 Zu dieser ›Ad-hoc-Motivierung‹ jetzt auch Haferland 2018, S. 126-129. - Gottfried motiviert hier vermutlich anders als seine Vorlage. Darauf deutet der Befund der altnordischen »Tristramssaga« hin. Hier bildet nämlich nicht Missgunst, sondern die Furcht der Höflinge vor Tristrams Rache die hauptsächliche Begründung für ihre Intrige, vgl. Kap. 32: ›Sie sagen, er werde sich an all denen rächen, die sich während seiner Krankheit von ihm abgewandt hatten. Jarle und Ritter, Lehnsmänner und die mächtigsten Männer, die es in Bretland gab, fürchteten Tristram wegen seiner Kenntnisse und seiner Klugheit und daß er nach seinem Mutterbruder König werden würde und sich dann rächen und denen große Feindschaft zeigen werde, die sich von ihm und seiner Krankheit und seinem Elend schändlich abgewandt haben.‹ (Übers. Uecker 2008, S.- 47f.; vgl. Ausg. Kölbing 1878, S. 40, Z. 25-31) Kölbing meint, diese Motivation gehe auf Thomas zurück: »Die idee ist übrigens sehr passend und dürfte wohl dem original angehören.« (ebd., S.-LIX) Ganz ähnlich ist die Anlage auch im »Sir Tristrem«, vgl. Str. 119: ›da ahnten jene rache, weil sie ihn allein hatten ziehen lassen.‹ (Übers. Kölbing 1882, S. 260) 259 Siehe Mot. H 911 (›Task assigned at suggestion of jealous rivals‹), vgl. Thompson 1955-1958, Bd. 3, S. 499f. Von einem »Allerweltsmotiv« spricht Kurt Ranke: Art. Corvetto, in: Enzyklopädie des Märchens 3 (1981), Sp.-149-156, hier Sp. 154. Zu den bösen Ratgebern als »typischen Gegenspielern, die den König veranlassen, dem Helden lebensgefährliche Aufgaben zu stellen« auch Katalin Horn: Art. Ratgeber, in: Enzyklopädie des Märchens 11 (2004), Sp. 242-247, hier Sp. 246. 260 Zur Verbindung von Mot. H 911 mit dem Erzählschema von der Jungfrau mit den goldenen Haaren (ATU 531), das hier im »Tristan« aktualisiert wird (siehe unten), vgl. Katalin Horn: Art. Freundschaft und Feind- 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 173 lässt sich hier nur unschwer die kompositorische Motivation der Erzählung erkennen. Indem der Erzähler allerdings in Übereinstimmung mit anderen zeitgenössischen Quellen 261 darauf hinweist, dass es sich beim verwâzenen nît um eine anthropologische Grundeigenschaft handle, mit der prinzipiell zu rechnen sei (der selten iemer gelît), 262 versucht er zumindest, den Bruch in der Erzählung zu glätten und die plötzliche Wandlung im Verhalten der Höflinge gegenüber Tristan zu plausibilisieren: »[I]f envy is always at work everywhere, then it is quite natural that the barons should succumb to its power.« 263 Besonders gut lässt sich dieses Erzählverfahren im zweiten Teil des Romans beobachten. Von König Markes ›fehlendem Gedächtnis‹, das erzählstrukturell die Voraussetzung für die wiederholte Fortsetzung der Listepisoden darstellt, war im vorigen Kapitel bereits die Rede. Auch dabei versucht der Erzähler immer wieder, mithilfe von narrator motivations die aus der Episodenhaftigkeit des Romans resultierende Unfestigkeit der Figur zu kaschieren. Ein Beispiel dafür bietet der ausführliche Exkurs über die Blindheit der Liebe (vv.- 17738-17831). 264 Als Tristan und Isolde aus der Minnegrotte an den Hof zurückkehren, wird Markes Gedächtnis wieder einmal ›auf Null gestellt‹, um eine neue Episode beginnen zu lassen: Marke der was aber dô vrô (v. 17723). Für einen Rezipienten, der schon eine ganze Reihe von Listen und Gegenlisten mitverfolgt hat, erscheint der erneute holde muot (vgl. v. 17736) des Königs gegenüber Isolde einigermaßen unplausibel. Doch der Erzähler gibt sogleich eine psychologische Erklärung, die er anschließend in einem Exkurs ausführt: 265 diz was diu alwære, diu herzelôse blintheit, schaft, in: Enzyklopädie des Märchens 5 (1987), Sp. 293-315, hier Sp. 308, die auch grundlegend auf die motivierende Funktion von Feindschaft in der Struktur von Märchenerzählungen verweist. 261 Vgl. TPMA, Bd. 8 (1999), S. 449. Ganz ähnlich heißt es etwa im »Marienleben« Wernhers des Schweizers (1. Hälfte 14. Jh.): Nu ist ain altgesprochen wort, | Als man vil dik haͮ t gehort, | Das nid und hass | Nie muͤssig gesass (vv. 4691-4594). Zitiert nach Das Marienleben des Schweizers Wernher aus der Heidelberger Handschrift, hrsg. von Max Päpke. Zu Ende geführt von Arthur Hübner, Berlin 1920 (Deutsche Texte des Mittelalters 27), S. 79f. 262 Später verweist auch König Marke in der Pose eines »gelassene[n] Kenner[s] der menschlichen Schwächen und ihrer höfischen Spezialitäten« (Rainer Gruenter: Der Favorit. Das Motiv der höfischen Intrige in Gotfrids »Tristan und Isold«, in: Euphorion 58 (1964), S. 113-128, hier S. 124) gegenüber seinem Neffen auf die Unvermeidlichkeit von Hass und Neid gegen denjenigen, der großes Ansehen genießt: Aus Ansehen erwachse stets Neid, Glück ohne Feindschaft sei nichts wert, vgl. vv. 8395-8406. Dabei bezieht sich die Figur auf ein Wissen, das auch anderswo belegt ist, vgl. TPMA, Bd. 8 (1999), S. 454f.: ›Glück hat viele Neider‹; S. 457f.: ›Die Guten (Starken) müssen (können) Neid ertragen‹; weiterhin Eikelmann / Tomasek (Hrsg.) 2009, S. 466-471. 263 Schultz 1987a, S. 210. Für Kragl ist damit »[d]as Motivationsproblem […] beseitigt«, die Passage mache - zumindest auf den ersten Blick - den Eindruck »einer stimmigen und schlüssigen Szene« (Kragl 2014, S. 35; 2019, S. 19). Vgl. auch die psychologische Deutung der Intrige bei Gruenter 1964, S. 116f., 122-125: »Der Dichter führt die einleuchtendsten Motive an, um diesen Gesinnungswandel oder das plötzlich zur Aktion entschlossene alte Unbehagen des Hofes plausibel zu machen.« (S. 117) Zum Neid als Affekt weiterhin Przybilski 2004, S. 319f. Zur vorliegenden Stelle außerdem Eva Lieberich:  Tristan, waere ich alse duo! Tristan und die neidische Hofgesellschaft, in: Rache - Zorn - Neid. Zur Faszination negativer Emotionen in der Kultur und Literatur des Mittelalters, hrsg. von Martin Baisch u. a., Göttingen 2014 (Aventiuren 8), S. 209-237, bes. S.-228-237. 264 Vgl. dazu Schultz 1987a, S. 209f.; 1987b, S. 592; Chinca 1997, S. 75. 265 Für Keck wird im Exkurs »praktische[ ] Liebespsychologie« (Keck 1998, S. 213) verhandelt; die Ausführungen seien »Thomas [sic] räsonierendem Gestus verpflichtet« (ebd., S. 214). 174 2 Annäherungen von der ein sprichwort dâ seit: ›diu blintheit der minne diu blendet ûze und inne.‹ 266 si blendet ougen unde sin: daz si wol sehent under in, des enwellent si niht sehen. alsô was Marke geschehen. (vv. 17738-17746) Wieder handelt es sich um anthropologisches Wissen, das auch unabhängig vom »Tristan« überliefert ist. 267 Die Übereinstimmung des Figurenhandelns mit der allgemeinmenschlichen Gesetzmäßigkeit wird abschließend noch einmal hervorgehoben (alsô was Marke geschehen). Dass der Erzähler seine Ausführungen dabei ausdrücklich mit einem sprichwort belegt, verstärkt den Eindruck, dass er sich auf »kollektive[s] Erfahrungswissen« 268 bezieht, das Gültigkeit in der Welt der Rezipienten beansprucht. Sprichwörter vertreten nämlich genauso wie Sentenzen 269 in besonderem Maße den Anspruch, ein allgemein gültiges »auf das menschliche Leben bezogenes« 270 Wissen zu vermitteln. 271 Diesen Anspruch dokumentiert auch die lateinische Rhetorik der Antike und des Mittelalters. 272 Die »Rhetorica ad Herennium« etwa bezeichnet die Sentenz in diesem Sinne als ›aus dem Leben genommene Rede‹ (oratio sumpta 266 Abweichend von der Ausgabe von Haug / Scholz könnten auch die nächsten Verse noch als dem Sprichwort zugehörig angesehen und das schließende Anführungszeichen etwa hinter Vers 17745 gesetzt werden. 267 Vgl. die Belege bei Eikelmann / Tomasek (Hrsg.) 2009, S. 516f., und TPMA, Bd. 7 (1998), S. 425-427, darunter etwa Freidank, »Bescheidenheit«, 99,11f.: Minne blendet wîsen man, | der sich vor ir niht hüeten kann; Otte, »Eraclius«, vv. 2480-2482: Die liebe kan wol blenden | Einn man, daz er niht gesiht | Und nimt im doch der ougen niht; Thomasin von Zerklære, »Der Welsche Gast«, v. 1197: Si blendet wîses mannes muot. Zur vorliegenden Stelle auch Eikelmann 2012, S. 35*f. 268 Eikelmann 2012, S. 18*. Eikelmann weist auch darauf hin, dass die Bennung als sprichwort hier zu einem »worthistorisch sehr frühen Zeitpunkt« geschieht, vgl. ebd., S. 35* (Zitat), 52*f. Als Sprichwort wurde die Stelle offenbar auch von einem Benutzer der Handschrift H erkannt, der die Stelle entsprechend mit einem Nota-Zeichen versehen hat, Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 360, fol. 116 v . Ähnliche Markierungen finden sich auch in anderen »Tristan«-Handschriften, vgl. Tomasek 1995, S. 206f. 269 Zur definitorischen Abgrenzung von Sentenz und Sprichwort sowohl in historischer als auch modern literaturwissenschaftlicher Perspektive sowie den fließenden Grenzen zwischen beiden Konzepten Silvia Reuvekamp: Sprichwort und Sentenz im narrativen Kontext. Ein Beitrag zur Poetik des höfischen Romans, Berlin / New York 2007, S. 7-19; Eikelmann 2012, S. 49*-63*; forschungsgeschichtlich Sibylle Hallik: Sententia und proverbium. Begriffsgeschichte und Texttheorie in Antike und Mittelalter, Köln 2007 (Ordo 9), S. 32-36. Da beide Formen in dem für den vorliegenden Kontext zentralen Aspekt übereinstimmen, »auf das menschliche Leben bezogenes Erfahrungswissen« (Eikelmann 2012, S. 63*) zu vermitteln, kommt es hier nicht auf eine Unterscheidung an. 270 Reuvekamp 2007, S. 9. Zu Sentenzen und Sprichwörtern in der Poetik des höfischen Romans vgl. Reuvekamp 2007; Eikelmann 2012, S. 3*-66*, zum »Tristan« S. 34*-36*. 271 Zu Sprichwörtern als zentraler Gattung ›festen‹, argumentativen Wissens Struwe 2016, S. 20f. Auch Silvia Reuvekamp erwähnt die Beobachtung der Sentenzen-Forschung, »dass das in den Texten transportierte Erfahrungs- und Orientierungswissen in die außerliterarische Sphäre zu verweisen scheint« (Reuvekamp 2007, S. 46). Für Harald Haferland handelt es sich bei gnomischen Wissensformen wie Sentenz und Sprichwort grundsätzlich um rationale Wissensformen; sie setzen »eine rationalisierte Zeit- und Lebenserfahrung voraus, wie sie mythischem Denken fremd ist.« (Harald Haferland: Gottfrieds Erzählprogramm, in: PBB 122 (2000), S. 230-258, hier S. 230) 272 Grundlegend zu Sprichwörtern und Sentenzen in der lateinischen Rhetorik und Poetik bes. Hallik 2007 mit einer Fülle von Belegmaterial. 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 175 de vita), die ›zeigt, was im Leben und Handeln der Menschen der Fall ist‹ (quid sit in vita et actione hominum). 273 Sentenzen eigneten sich danach besonders als Begründung (ratio) 274 , weil sie auf die Übereinstimmung des dargestellten Einzelfalls mit einer allgemeingültigen Regel verwiesen, der jeder Zuhörer zustimmen müsse. 275 Diese Definition war im Mittelalter außerordentlich einflussreich und wird zum Beispiel bei Marbod von Rennes (vor 1123), einem nicht identifizierten Magister Johannes (um 1170), Transmund von Clairvaux (1180-1189) sowie Engelbert von Admont (1306-1313) angeführt. 276 Weil sie ein ›aus dem Leben gegriffenes‹ Wissen vermitteln, sind Sentenzen und Sprichwörter besonders gut dafür geeignet, das Figurenhandeln zu motivieren. Deshalb werden sie in den narrator motivations immer wieder zitiert. 277 Mit ihrer Hilfe stellt der Erzähler »das Handeln seiner Protagonisten […] in Relation zu einem konsensuellen Allgemeinwissen und macht es dadurch nachvollziehbar.« 278 Ohne auf die lange Zeit die Forschung bestimmende 273 Vgl. »Rhetorica ad Herennium«, 4,17,24: Sententia est oratio sumpta de vita, quae aut quid sit aut quid esse oporteat in vita, breviter ostendit. ›Ein Sinnspruch ist ein aus dem Leben genommener Ausspruch, der kurz zeigt, was im Leben der Fall ist oder sein müßte‹. Zitat und Übersetzung nach der Ausg. Nüßlein 2 1998, S. 222f. 274 Vgl. »Rhetorica ad Herennium«, 4,17,24 (Ausg. Nüßlein 2 1998, S. 222f.). 275 Vgl. »Rhetorica ad Herennium«, 4,17,25: Necesse est enim conprobet eam tacitus auditor, cum ad causam videat adcommodari rem certam, ex vita et moribus sumptam. ›Notwendigerweise billigt einen Sinnspruch der Zuhörer in seinem Inneren ohne Worte, wenn er sieht, daß auf den vorliegenden Fall eine Maxime angewendet wird, die dem Leben und der Sittlichkeit entnommen ist.‹ Zitat und Übersetzung nach der Ausg. Nüßlein 2 1998, S. 224f. 276 Marbod von Rennes, »Liber de ornamentis verborum«, §-8: Sententia est oratio sumpta quae, aut quid sit aut quid esse oporteat in vita, breviter ostendit. Zitiert nach Venerabilis Hildeberti […] opera omnia tam edita quam inedita accesserunt Marbodi Redonensis episcopi, ipsius Hildeberti supparis opuscula […], accurante J.-P. Migne, Bd. 1, Paris 1854 (PL 171), Sp. 1689. Magister Johannes, »Tractatus de dictamine«: generalis sententia, id est sententia de vita et moribus sumpta (Brügge, MS. 549, fol. 3 r ). Zitiert nach Hallik 2007, S. 189. Transmund von Clairvaux, »Introductionis dictandi«, 14,16: Sentantia est oratio sumpta de uita, quae quid sit uel oporteat esse in uita breuiter ostendit. Zitiert nach Transmundus: Introductiones dictandi. Text ed. and transl. with annotations by Ann Dalzell, Toronto 1995 (Studies and Texts 123), S. 72. Engelbert von Admont, »Speculum moralium virtutem«, 10,15: Sententia itaque secundum Tullium v. libro secunde Rhetorice sue est oratio, que, quid sit et quid fieri oporteat in vita et actione hominum, breviter demonstrat. Zitiert nach Die Schriften des Alexander von Roes und des Engelbert von Admont, Bd. 2: Engelbert von Admont, Speculum virtutem, hrsg. von Karl Ubl, Hannover 2004 (MGH. Staatsschriften des späteren Mittelalters 1 / 2), S. 340, Z. 16-18. Vgl. zu diesen Stellen Hallik 2007, S. 155, 189, 199, 392. Zu weiteren Belegen aus den Kommentaren von Galfreds »Poetria nova« ebd., S. 389, 390. 277 Gottfrieds Vorliebe für Sprichwörter erkannte bereits Preuss 1883, S. 67. Zur herausgehobenen Rolle von Sentenzen im »Tristan« Eikelmann 2012, S. 15*f., 34*-36; Linden 2017, S. 23 Anm. 109; Tomasek 1995, S. 201; 2007, S. 119f.: »Sentenzen, die zum Gattungsbild des höfischen Romans gehören, sind im »Tristan« in hoher Zahl vertreten - etwa 130 Sentenzen ergeben eine Frequenz von einem Beleg auf durchschnittlich rund 150 Verse. In kaum einem anderen mittelhochdeutschen Versroman werden so viele Sentenzen vom Erzähler gesprochen (etwa 70-%) und stellen Sentenzen ein derart wichtiges Mittel zur Profilierung der Erzählerrolle dar.« (S. 119) Das zeigt sich gerade auch im Vergleich mit Eilhart, dessen »Tristrant« nur fünf Proverbien aufweist, vgl. Eikelmann 2012, S. 15* (der 99 Stellen für Gottfried aufführt). Grundsätzlich zu den Sentenzen und Sprichwörtern im »Tristan« Tomasek 1995; Eikelmann / Tomasek (Hrsg.) 2009, S. 415-547. Zur motivationslogischen Funktion auch Tomasek 2007, S. 117. 278 Eikelmann / Tomasek (Hrsg.) 2009, S. 540. Der Erzähler gestalte die Handlung »in Einklang mit einem verbindlichen Erfahrungswissen seines Publikums […]. Auf diese Weise wird das Geschehen als Ganzes rational kommensurabel und zugleich die Wahrscheinlichkeit der narratio unterstrichen.« (ebd., S. 541) 176 2 Annäherungen Debatte um die ›Volkstümlichkeit‹ proverbialen Wissens eingehen zu wollen, 279 kann man hier eine Verbindung zum Konzept der folk psychology herstellen. 280 In diesem Sinne handelt es sich um ein Wissen, das zeitgenössische Leser und Hörer so oder ähnlich auch herangezogen haben könnten, um das Verhalten ihrer Mitmenschen zu erklären und vorherzusagen. Durch den Bezug auf Sprichwörter und Sentenzen wird außerdem zum Ausdruck gebracht, dass die narrator motivations ein Wissen transportieren, »das der Erzähler nicht selbst verantwortet, sondern lediglich an passender Stelle zitiert.« 281 Die Allgemeingültigkeit der Aussagen verdeutlicht ebenfalls die Verwendung von Indefinitpronomen wie swer oder swâ. 282 Der Erzähler spricht das Erfahrungswissen der Rezipienten aber auch explizit an. So sagt er etwa angesichts der beiden um den getöteten Morolt trauernden irischen Isolden: die quelten manege wîs ir lîp, a l s i r w o l w i z z e t , daz diu wîp vil nâhe gênde clage hânt, dâ in diu leit ze herzen gânt. (vv. 7169-7172; Hervorhebung L.M.) 283 Auf diese Weise vermitteln die narrator motivations »zwischen dem erzählten Weltausschnitt und dem […] Erfahrungs- und Weltwissen der Rezipienten« 284 . Die Ausführungen »verbin- 279 Dazu Eikelmann 2012, S. 22*f. Als »volksthümliche Bildungselemente« nahm die Sprichwörter im »Tristan« in diesem Sinne schon Preuss wahr, vgl. Preuss 1883, S. 67. Sie stammten zwar zum Teil aus der »lateinische[n] Spruchpoesie«, seien aber von dort zu »Element[en] der allgemeinen Bildung der Zeit« (ebd., S. 70) geworden. - Gegen die eher volkskundlich orientierte älteren Sprichwortforschung wendet sich Reuvekamp, indem sie dezidiert die Literarizität und Gelehrsamkeit von Sprichwörtern und Sentenzen in den Vordergrund stellt, vgl. dazu Reuvekamp 2007, S. 40-42, 167, sowie Silvia Reuvekamp: Verborgener Schatz. Das Sprichwort zwischen gelehrtem Wissen und Alltäglichkeit, in: Größe im Kleinen. Der Aphorismus und seine Nachbarn. Aphorismen, Fachbeiträge, Illustrationen. Dokumentation zum 6. Internationalen Aphoristikertreffen vom 7. bis 9. November 2014 in Hattingen / Ruhr, hrsg. von Friedemann Spicker / Jürgen Wilbert, Bochum 2015, S. 47-54. Reuvekamp versteht Sprichwörter hier als Teil »einer letztlich elitären Gesprächs- und literarisch ambitionierten Sprachkultur im durch lateinische Bildungstraditionen geprägten europäischen Kulturraum.« (S. 47) Am Beispiel des Sprichwortes vom Gefäß, das immer nach seiner ersten Füllung riecht, zeichnet sie einen »elitäre[n] Bildungsdiskurs« nach und kommt zu dem Ergebnis, »dass der Gebrauch von Sprichwörtern in solchen Zusammenhängen wenig mit Mündlichkeit, Ungelehrtheit, Bildungsferne, Banalität oder fehlender Rhetorizität zu tun hat.« (S. 51) Das ändere freilich nichts am Anspruch von Sprichwörter, »das zu formulieren, was ohnehin von allen längst gewusst wird.« (S. 53) 280 Siehe oben, S. 80 Anm. 227. 281 Linden 2017, S. 14. 282 Indefinitpronomen unterstreichen, »dass der in der Handlung präsentierte Einzelfall an ein allgemeines Weltwissen rückgebunden wird.« (Linden 2017, S. 14) Vgl. etwa vv. 1116-1118: swâ liep in liebes ouge siht, | daz ist der minnen viure | ein wahsendiu stiure; vv. 1844-1847: swâ sô der man naht unde tac | den tôtvînt vor ougen hât, | daz ist diu nôt, diu nâhen gât, | und ist ein lebelîcher tôt. Siehe auch Eikelmann / Tomasek (Hrsg.) 2009, S. 544. 283 Diese Stelle besitzt eine wichtige Funktion für den Fortgang der Handlung, denn nur wegen der gründlichen Betrachtung des geliebten Leichnams entdeckt die Königin Isolde den Splitter in Morolts Schädelwunde. - Analog in Bezug auf die Beschreibung von Isoldes Wirkung auf die Hofgesellschaft, vgl. vv.-8080-8084: durch si wart wunder gedâht, | a l s i r w o l w i z z e t , daz geschiht, | dâ man ein solich wunder siht | von schœne und von gevuocheit, | als an Îsôte was geleit. (Hervorhebung L.M.) 284 Eikelmann 2012, S. 10* in Bezug auf Sentenzen im Allgemeinen. An anderer Stelle beschreibt er die Funktion von Proverbien damit, »das im Roman erzählte Geschehen mit dem Erfahrungswissen der Rezipienten in Verbindung zu bringen.« (ebd., S. 8*) 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 177 de[n] das Erzählte mit der Lebenswelt des Erzählenden und der Rezipientengemeinschaft« 285 , und werden so gewissermaßen zu »Schaltstellen zwischen Roman und Rezipientenwirklichkeit« 286 . Die Verbindung zur Erfahrungswelt der Rezipienten wird formal auch dadurch markiert, dass die Ausführungen des Erzählers in den narrator motivations im Präsens stehen und sich damit vom Präteritum der erzählten Welt abheben. 287 Daneben verdeutlichen Formulierungen wie diz ist und was ie (v. 266) die Kontinuität des abgerufenen Wissens. Zusammenfassend wird durch die narrator motivations also zum Ausdruck gebracht, dass die Figuren denselben anthropologischen Gesetzmäßigkeiten unterworfen sind, die auch in der Erfahrungswelt der Rezipienten gelten. Hier wird anthropologisches Wissen abgerufen, die Handlung ist kausal-psychologisch motiviert und die Figuren wirken wie reale Personen. Damit ist allerdings kein Anspruch auf ›Einzelmenschlichkeit‹ verbunden. Im Gegenteil beziehen sich die narrator motivations gerade mit den Sprichwörtern und Sentenzen auf ein dezidiert kollektives Wissen. Die Figuren erscheinen nicht als Individuen, sondern als Vertreter typisch menschlicher Eigenschaften. 288 Aber sie verhalten sich wie Menschen, denen man in der Welt außerhalb des Textes begegnen könnte. Das macht der Erzähler am Beispiel seiner Ausführungen über die Blindheit der Liebe deutlich, nachdem ein fingierter Publikumseinwand noch einmal explizit nach der Motivation König Markes fragt: »war umbe, hêrre, und umbe waz truoc er ir inneclichen muot? « d a r u m b e e z h i u t e m a n e g e r t u o t : 285 Flecken-Büttner 2011, S. 48. 286 In Bezug auf die längeren Exkurse Linden 2017, S. 17. 287 Zum Präteritum als »Leittempus der erzählten Welt« Harald Weinreich: Textgrammatik der deutschen Sprache. Unter Mitarbeit von- Maria Thurmair u. a., Hildesheim u. a. 2003, S. 219. Dazu immer noch die grundlegende Darstellung von Käte Hamburger: Die Logik der Dichtung, 2. stark veränd. Aufl., Stuttgart 1968, S. 59-72. Hamburger weist darauf hin, dass das Präteritum im fiktionalen Kontext nicht nur eine temporale Funktion besitzt, sondern auf die Differenz zwischen erzählter Welt und der Welt von Erzähler und Publikum verweist. Das zeigt sich etwa darin, dass auch moderne Science Fiction-Romane, obwohl sie in der Zukunft angesiedelt sind, im Präteritum erzählt werden. Zu den Tempora der mittelhochdeutschen Dichtung siehe Sonja Zeman: Tempus und ›Mündlichkeit‹ im Mittelhochdeutschen. Zur Interdependenz grammatischer Perspektivensetzung und ›Historischer Mündlichkeit‹ im mittelhochdeutschen Tempussystem, Berlin / New York 2010 (Studia Linguistica Germanica 102), S. 123-183, zum Präsens »als prototypische[m] Tempus innerhalb der sprecherbezogenen Rede« bes. S. 152-183, Zitat S. 168. In Bezug auf Exkurse jetzt Linden 2017, S. 17. - Einen ähnlichen Effekt beobachtet auch Joachim Bumke in Wolframs »Parzival«, vgl. Joachim Bumke: Wolfram von Eschenbach, 7., völlig neu bearb. Aufl., Stuttgart / Weimar 1997, S. 129: »Formales Kennzeichen der Erzählerrede ist fast überall der Sprung aus dem Erzählpräteritum in das Präsens des Erzählens. […] Die in der Vergangenheit spielende Geschichte wird zur Gegenwart hin geöffnet und zu aktuellen Erfahrungen und Interessen des Erzählers und des Publikums in Beziehung gesetzt.« 288 In Bezug auf Markes Zweifel (vv. 13749-13852) spricht auch Chinca davon, die Figur werde durch den erklärenden Kommentar des Erzählers »reduced […] to a function of a type« (Chinca 1997, S. 73f.). Dazu schon ausführlich Ranke 1925a, S. 192f.: »Es ist ja überhaupt im allgemeinen nicht die Art mittelalterlicher Dichter, die Menschen ihrer Romane als einheitliche und einzigartige oder gar sich von innen heraus entwickelnde Charaktere zu erleben oder zu zeichnen. Der höfische Dichter neigt dazu, Typen zu sehen […], und wenn es auffallende Handlungen zu motivieren gibt, so leitet er sie nicht aus den besonderen Bedingungen des einmaligen Charakters ab, sondern begnügt sich leicht mit allgemeingültigen Betrachtungen über die Natur des menschlichen Herzens. Auch Gottfried ist darin ein Kind seiner Zeit und teilt ihre Sehweise; er erlebt seine Menschen in der Einzelszene, die er gerade bearbeitet, und sieht auch dabei das Allgemeingültige, nicht das Niewiederkehrend-Einmalige des Sonderfalls.« 178 2 Annäherungen geluste unde gelange der lîdet vil ange, daz ime ze lîdene geschiht. Âhî, w a z m a n i r n o c h h i u t e s i h t der Marke und der Îsolde, ob man’z bereden solde, die blinder oder alse blint ir herzen unde ir ougen sint! (vv. 17764-17774; Hervorhebung L.M.) Ob die narrator motivations etwa im Fall von Marke allerdings tatsächlich dazu führen, dass die Unfestigkeit der Figur unsichtbar wird und das episodische Schwanken des Königs für den Rezipienten als charakterliche Entwicklung erscheint, ist unklar. Das zeigt sich auch an den ganz verschiedenen Interpretationen der Marke-Figur, 289 die einmal - wie wir im vorigen Kapitel gesehen haben - die Brüche in der literarischen Figurenkonzeption betonen, 290 einmal ein kohärentes Charakterbild zeichnen. 291 Dennoch äußert sich in den narrator motivations 289 Vgl. den Überblick bei Hübner 2003, S. 319 Anm. 124; Hauenstein 2006, S. 1-11, bes. S. 6-8; Tomasek 2007, S. 103-106. 290 Siehe oben, S. 141f. Mit Blick auf die vorliegende Textelle betont Christ, dass hier »[d]er dramaturgisch konzipierte wechselnde Rollencharakter Markes […] überdeutlich« werde (Christ 1977, S. 106). 291 Ein Beispiel dafür bietet Emil Nickel, wenn er »den erklärenden Schlüssel für dies widerspruchsvolle Geschehen« (Nickel 1927, S. 54) in der gesamten Episodenreihe in der psychologischen Betrachtung von Markes »Gestalt« (ebd.) sucht, vgl. ebd., S. 54-60. Nickel kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass die vermeintlichen Inkohärenzen keinen »Riß in die Einheitlichkeit von Markes Charakter« brächten, da sie als »Charakterzug« von Anfang an angelegt seien: »Man sieht gar nicht ab, wie G[ottfried] anders und einfacher noch hätte motivieren können. Die Glaubhaftigkeit des von ihm gezeichneten Verlaufs, die Möglichkeit eines solchen A[b]sinkens von Stufe zu Stufe wird man für seinen Marke doch zugeben müssen.« (S. 58) Ganz ähnlich sieht auch Rainer Gruenter die Unfestigkeit der Figur im Kontext einer kohärenten »Marke-Psychologie« (Rainer Gruenter: Das guldine lougen. Zu Gotfrids »Tristan«, vv.-17536-17556, in: Euphorion 55 (1961), S. 1-14, hier S.- 2): »Wie versucht nun Gotfrid Markes neugewonnes Vertrauen zu Tristan und Isolde psychologisch glaubwürdig zu machen? Dazu bedurfte es keiner Begründung, die der Dichter nicht bereits berücksichtigt hatte, als er den Charakter Markes zeichnete. […] Das Schwanken gehört zum Charakter Markes. Gotfrids Marke-Darstellung ist eine dichterische Studie des ›Schwankenden‹, die immer wieder die fatale Richtigkeit jener psychologischen Erkenntnis prüft und bestätigt: daß Marke Gewißheit in seinen Zweifeln ebenso fürchtet, wie er die Ungewißheit, in der sie ihn belassen, unerträglich findet.« Auch an anderer Stelle führt Gruenter Markes »Unentschiedenheit« auf seinen Charakter, seine »so inflammable[- ] und flüchtig-entschlußschnelle[- ], […] ebenso leichtsinnige[- ] wie zutrauliche[-] Natur« (Gruenter 1964, S. 120) zurück. Zwar erkennt er hier durchaus, dass die Darstellung der Figur literarischen Mustern folgt, doch erschöpfe »Gotfrid […], wie niemand vor und nach ihm in mittelalterlicher Dichtung, die psychologischen Möglichkeiten, die der Typus bietet.« (ebd., Anm. 32) Bereits Nickel hat in Gottfrieds Darstellung die Psychologisierung einer (aus der Stofftradition) tradierten literarischen Rolle erkannt, und spricht davon, »wie wirklich tiefmenschlich er [Gottfried] diesen allerkonventionellsten, schwankhaft flachen, gewissermaßen an Drähten tanzenden Fabilauxtyp des betrogenen Gatten ergriffen und mit eigengesetzlicher, tragischer Schicksalsnotwendigkeit erfüllt hat.« (Nickel 1927, S. 56) Dass bei Marke »der für die mittelalterliche Dichtung recht seltene Fall der Entwicklung einer Figur vorliegt« und »Gottfried hier eine konsequente und psychologisch überzeugende Charakterstudie gelungen ist«, glaubt auch Silvia Konecny: Tristan und Marke bei Gottfried von Straßburg, in: Leuvense Bijdragen 66 (1977), S. 43-60, hier S.-45f. Ruth Sassenhausen meint ebenfalls, dass der Roman mit Markes Zweifeln »persönliches Erleben abbildet« (Sassenhausen 2007, S. 90). Siehe weiterhin die Deutung von Classen 1992, der in Marke einen Menschen sieht, dem man Mitleid entgegenbringen soll, weil er - im Gegensatz zu Tristan und Isolde - »leidet, wie auch wir als Menschen leiden« (ebd., S. 63). Von einem »Zerrütungsprozess« und von »Markes Abstieg« spricht weiterhin Tomasek 2007, S. 104f., der in der 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 179 zumindest der A n s p r u c h eines realistischen Erzählens, bei dem die Figuren in Übereinstimmung mit dem anthropologischen Wissen der Rezipienten handeln. Dieser Anspruch des »Tristan« wird auch auf der Ebene der Poetologie pointiert vom Erzähler zum Ausdruck gebracht, ganz besonders im berühmten ›Schwalbenhaar-Exkurs‹ (vv.-8601-8628). Die Ausführung steht wiederum im Zusammenhang mit der Brautwerbung. Im Modus des ›agonalen‹ Wiedererzählens 292 erteilt der Erzähler hier einem ›märchenhaften‹ Erzählmotiv eine Absage, das fester Bestandteil der Stofftradition ist: 293 Si lesent an Tristande, daz ein swalwe z’Îrlande von Curnewâle kæme, ein vrouwen hâr dâ næme z’ir bûwe und z’ir geniste (ine weiz, wâ si’z dâ wiste) und vuorte daz wider über sê. (vv. 8601-8607) Einen Beleg für die Erzählvariante, auf die sich der Erzähler hier bezieht, bietet Eilhart: Nachdem Marke im »Tristrant« von seinen Vasallen immer stärker zur Heirat gedrängt wird, verweist der König auf ein Haar, das zwei Schwalben fallen lassen, und schwört, er werde nur jene Frau heiraten, der dieses Haar gehöre (»Tristrant«, vv. 1419-1482). 294 Tristrant macht sich Figurendarstellung (unter anderem) eine »minutiöse[-] psychologische[-] Studie« (S. 105) erkennt. Hamburger hält die Darstellung von Marke sogar für »die großartigste psychologische Leistung Gottfrieds« (Hamburger 1989, S. 178). Zuletzt hat Eming für eine Einheit der Figur plädiert, ohne ihren grundlegend paradigmatischen Charakter zu negieren, vgl. Eming 2015, S. 21-59: Der »Tristan« sei zwar »weitgehend über paradigmatisches Erzählen strukturiert« und besonders Marke werde »nicht zu einer homogenen Figur«, die Figur erhalte jedoch »auf der Ebene der paradigmatischen Organisation […] eine Konsistenz«; in erster Linie ihre »Emotionen halten die Figur über die Gesamtheit des Textes zusammen und lassen sie dadurch als kohärent erscheinen.« (S. 58f.) 292 Zum Begriff des ›agonalen‹ Wiedererzählens Schulz 2012, S. 124-126. Tennant erkennt im ›Schwalbenhaar-Exkurs‹ die Anwendung des rhetorischen Mittels der anasceva (›Widerlegung‹), das vor allem in historiographischen Texten verwendet werde, vgl. Elaine C. Tennant: The Principle of Authority in Gottfried’s Concept of Narrative Writing, in: Euphorion 76 (1982), S. 222-259, hier S. 248-250, 255. 293 Dass es sich um eine bekanntete Szene des Tristanstoffes handelt, bezeugt auch die Überlieferung in Bildzeugnissen, vgl. Norbert H. Ott: Katalog der Tristan-Bildzeugnisse, in: Text und Illustration im Mittelalter. Aufsätze zu den Wechselbeziehungen zwischen Literatur und bildender Kunst, hrsg. von Hella Frühmorgen-Voss, München 1975 (MTU 50), S. 140-171, Nr. 14-18; dazu Dicke 1997a, S. 32. 294 Eilharts Erzählung weist einige Unterschiede zu Gottfrieds Paraphrase auf. So handelt es sich im »Tristrant« entsprechend der ikonographischen Tradition nicht um eine, sondern um zwei Schwalben. Außerdem wird bei Eilhart nichts von der Intention der Schwalbe zum Nestbau berichtet. Chinca folgert: »If it is Eilhart whom Gottfried is attacking here, he has been mirepresentated« (Chinca 1993, S. 95f.). Möglicherweise bezieht sich Gottfried auf eine andere (mündlich vermittelte? ) Version des Tristanstoffes, vgl. Dicke 1997a, S. 34. In der Regel wird aber dennoch angenommen, dass Gottfried hier seinen deutschsprachigen Vorgänger meint, vgl. Flecken-Büttner 2011, S. 210. Dass Gottfried fehlende Motive wie die Motivation der Schwalbe aus seinem Weltwissen ergänzt und somit schon die Nacherzählung gegenüber Eilhart plausibler gestaltet, meint Schultz 1987a, S. 211. Schon für Schindele zeigt die kurze Passage daher, dass Gottfried anders als Eilhart über die Wahrscheinlichkeit des Erzählens nachdenke, vgl. Gerhard Schindele: Tristan. Metamorphose und Tradition, Stuttgart u. a. 1971 (Studien zur Poetik und Geschichte der Literatur 12), S. 22. Auch Chinca geht davon aus, indem Gottfried der Schwalbe eine Intention unterstelle, »stutzt er die alternative Version gemäß den Postulaten seiner Kritik zurecht, derzufolge alle Handlungsträger, sowohl Menschen als auch Tiere, immer rationales Verhalten an den Tag legen.« (Mark Chinca: Mögliche Welten. 180 2 Annäherungen in Begleitung von einhundert Rittern mit einem Schiff auf die Suche nach der Besitzerin des Haares, und findet sie nicht nur zufällig, sondern sogar gegen seine Absicht 295 mit Prinzessin Isalde in Irland. Worauf sich Gottfrieds Kritik an dieser Erzählvariante im Einzelnen bezieht, wurde bereits so häufig nachgezeichnet, 296 dass ich mich darauf beschränken kann, die im vorliegenden Zusammenhang wesentlichen Punkte herauszuheben: Gottfrieds Erzähler begründet seine Ablehnung mit Plausibilitätsannahmen aus der realen Welt, die etwa das empirische Nistverhalten von Schwalben betreffen: genistet ie kein swalwe mê mit solhem ungemache, sô vil sô sî busâche bî îr in dem lande vant, daz si über mer in vremediu lant nâch ir bûgeræte streich? (vv. 8608-8613) Die Schwalben in der erzählten Welt der anderen Tristanversionen unterliegen offenbar nicht denselben Gesetzmäßigkeiten wie Schwalben in der realen Erfahrungswelt. Die Erzählung widerspricht dem realweltlichen Wissen der Rezipienten und ist nicht kausal motiviert. Das Urteil von Gottfrieds Erzähler ist jedenfalls eindeutig: weizgot, hie spellet sich der leich (vv. 8614). ›Hier wird die Erzählung märchenhaft‹, könnte man übersetzen. 297 Und worauf der Erzähler sich hier bezieht, ist t a t s ä c h l i c h ein bekanntes Märchenschema, nämlich die Geschichte Alternatives Erzählen und Fiktionalität im Tristanroman Gottfrieds von Straßburg, in: Poetica 35 (2003), S. 307-333, hier S. 323) 295 Vgl. Eilhart, »Tristrant«, vv. 1558f.: Trystrand dem schiffman geboͮ t, | daß er Yrland vermitt. 296 Vgl. bes. Schindele 1971, S. 21-26; Christ 1977, S. 296-301; Schultz 1987a; 1987b, S. 590f.; Chinca 1993, S.-92-94; 2003, S. 322-324; Karg 1994, S. 78f.; Dicke 1997a, S. 33-38; Sonja Glauch: die fabelen sol ich werfen an den wint. Der Status der arthurischen Fiktion im Reflex: Thomas, Gotfrid und Wolfram, in: Poetica 37 (2005), S. 29-64, hier S. 55f.; Flecken-Büttner 2011, S. 208-210; Kragl 2014, S. 38f.; 2019, S. 23. 297 Mhd. spel bedeutet ›in gutem sinne eine jede, auch eine sagenhafte erzählung; in üblem sinne märchen, lügenhafte und unnütze Rede‹ (BMZ, Bd. 3, S. 490; vgl. Lexer, Bd. 2, Sp. 1077). In diesem Sinne auch Dicke 1997a, S. 38. Siehe weiterhin Chinca 1993, S. 95: »Told in such a way, the narrative would become a spel, a fabulous or mendacious tale, and it would lisp, or speak incoherently.« Peschel-Rentsch übersetzt spellen mit ›phantastisch werden‹, vgl. Peschel-Rentsch 1991, S. 180; ähnlich Hatto 1976, S. 154 (›the tale grows fantastic‹). Zum Gegensatz von spel und wârheit Chinca 1993, S. 99 Anm. 31. Eine St. Galler Notker-Handschrift aus dem 11. Jh. (Cod. Sang. 872) benutzt spel als Übersetzung für mithos (Notker: Die Hochzeit der Philologie und des Merkur. Diplomatischer Textabdruck, Konkordanzen und Wortlisten nach dem Codex Sangallensis 872, hrsg. von Evelyn Scherabon Firchow, Hildesheim 1999, Bd. 1, S. 89, Nr. Nc08910 und Nc08914), vgl. Gebert 2013, S. 96 Anm. 226, sowie Elmar Seebold: Chronologisches Wörterbuch des deutschen Wortschatzes, Bd. 2: Der Wortschatz des 9. Jahrhunderts, Berlin / New York 2008, S. 785f. Als ›literaturtheoretischen‹ Begriff verwendet spel auch Thomasin von Zerklære, wenn er die Geschichten von Alexander und Karl als spel diu niht wâr sint bezeichnet (»Welscher Gast«, v. 1085; Ausg. Willms 2004, S. 44), vgl. Timo Reuvekamp-Felber: Zur gegenwärtigen Situation mediävistischer Fiktionalitätsforschung. Eine kritische Bestandsaufnahme, in: ZfdPh 133 (2013), S. 417-444, hier S. 432. Die Hss. NB des »Tristan« ersetzen spellet durch speldet (›spaltet‹), vgl. den Apparat von Marold / Schröder, S. 146. O hat spilet und R bietet wenne got wil so stellet sich. - Erklärungsbedürftig ist in der vorliegenden Stelle auch der Ausdruck leich, obwohl das in der Forschung selten Erwähnung findet, vgl. den Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 479. Mhd. leich ist eigentlich musikalisch begleiteten, gesungenen Texten vorbehalten, vgl. Lexer, Bd. 1, Sp. 1862; BMZ, Bd. 1, S.-959f. Peschel-Rentsch versteht leich hier als Ausdruck für einen »mündlichen Vortrag« (Peschel-Rentsch 1991, S.-180) und verweist auch auf die Bedeutung von leichære 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 181 von der ›Jungfrau mit den goldenen Haaren‹, die sich nicht nur in einer beinahe zeitgleich mit dem »Tristan« verfassten hebräischen Handschrift aus Nordfrankreich nachweisen lässt, sondern deren Vorläufer bis in eine indisch-chinesische Erzählsammlung des 6. Jahrhunderts zurückreichen. 298 Die vorgängigen Tristanversionen folgen also einem womöglich bekannten Erzählschema; die Erzählung von den Schwalben ist kompositorisch motiviert. Dass es hier um ›literarische‹ Wissensbestände geht, macht auch die folgende Stelle deutlich, in der der Erzähler seine Kritik noch einmal in Form einer rhetorischen Frage zusammenfasst: was rach er an den buochen, | der diz hiez schrîben unde lesen? (vv. 8622 f.) Übersetzt man rechen nicht als ›Rache üben‹, sondern als ›zusammenkratzen‹, kann man darin einen konkreten Verweis auf den literarischen Charakter des Märchenschemas sehen (›Was hat er nur aus den Büchern zusammengekratzt? ‹). 299 Was der Erzähler im Exkurs betreibt, lässt sich als »rationale Entlarvung des Mythischen« 300 beschreiben. Gemessen an lebensweltlichen Erwartungen hat die literarische Erzähllogik des Märchens keinen Bestand. 301 Das betrifft auch die dargestellten Figuren und ihre Handlungen: (eigentlich ›Spielmann‹) als ›Betrüger‹, vgl. ebd., S. 180f. Haug / Scholz halten diese Erklärung jedoch für »[k]aum fundiert« (Haug / Scholz, Bd. 2, S. 479). 298 Vgl. Dicke 1997a, S. 38-48; grundlegend Wolfgang Golther: Die Jungfrau mit den goldenen Haaren, in: Studien zur Litteraturgeschichte. Michael Bernays gewidmet von Schülern und Freunden, Hamburg / Leipzig 1893, S. 167-176. Als eine der drei Grundformen des Erzähltyps ATU 531 führt das Märchen auch Walter Pape auf, vgl. Walter Pape: Art. Ferdinand der treue und Ferdinand der ungetreue (AaTh 531), in: Enzyklopädie des Märchens 4 (1984), Sp. 1011-1021, hier Sp. 1011, 1013 f. Zum Erzähltyp Uther 2011, Bd. 1, S. 310-312. Zum Motiv der durch ein Frauenhaar ausgelösten Fernliebe siehe Mot. H 1213.1 (›Quest for princess caused by sight of one of her hairs dropped by a bird (or floating on river)‹), vgl. Thompson 1955-1958, Bd. 3, S. 480. Die hebräische Erzählung von Rabbi Jochanan findet sich in der Hs. Oxford, Bodleian Library, Ms. Bodl. Or. 135. Eine Inhaltsangabe bietet Dicke 1997a, S. 40f. Die Handschrift ist datiert auf ›nach 1215‹, vgl. Catalogue of the Hebrew Manuscripts in the Bodleian Library. Supplement of Addenda and Corrigenda to Vol. 1 (A. Neubauer’s catalogue), compiled under the direction of Malachi Beit-Arié, hrsg. von R.A. May, Oxford 1994, Nr. 1466, Sp. 245. Es lässt sich also nicht ausschließen, dass die hebräische Erzählung durch den Tristanstoff beeinflusst ist, vgl. Dicke 1997a, S. 43. Die Parallele zwischen hebräischem Text und Tristansage ist in der erzählkundlichen Forschung schon lange bekannt, vgl. Cosquin 1922, S. 351-358. In der Tristanforschung wurde sie erst von Dicke fruchtbar gemacht. 299 Zu den beiden gleichlautenden Verben rechen 1 und rechen 2 vgl. Lexer, Bd. 2, Sp. 359 f.; BMZ, Bd. 2, S. 588f., 682-684. Die Übersetzungen bieten unterschiedliche Ansetzungen: Haug / Scholz übersetzen ›mißhandeln‹ (Bd. 1, S. 485), ebenso Knecht (S. 103). Hatto überträgt rechen mit ›to settle a score‹ (Hatto 1976, S. 155), ›eine Rechnung begleichen‹. Krohn dagegen bietet ›zusammensuchen‹ (Bd. 1, S. 517), so auch Gottfried Weber: ›Was hat der nur aus den Büchern (Quellen, Vorlagen) zusammengekratzt‹ (Gottfried von Straßburg: Tristan. Text, Nacherzählung, Wort- und Begriffserklärung, hrsg. von Gottfried Weber, Darmstadt 1967, S. 656). Im Sinne von rechen 1 (›Rache üben‹) versteht die Stelle Chinca 1993, S. 96: »What kind of books Gottfried has in mind is not clear, but one undertone in this statement might be that whoever tells the story in this way deviates from the authoritative and factual version enshrined in written historical books.« Ebenso Tennant 1982, S. 249, die diu buoch mit den Quellen der Erzählung identifiziert. Dass hier von buochen die Rede ist, spricht in der von mir vorgeschlagenen Lesart nicht dafür, dass sich Gottfried nur auf mündliche Versionen bezieht, wie das etwa Peschel-Rentsch 1991, S. 180f., angenommen hat. Für rechen 2 (›zusammenkratzen‹) spricht auch der Erzählerexkurs anlässlich der âventiuren, die Tristan im Exil erlebt haben soll, vgl. vv. 18455-18466 (siehe dazu unten, S. 391f.). Hier will der Erzäher nicht jede Heldentat des Protagonisten die man von ime geschriben hât, | rechen al besunder (vv. 18460 f.). Allerdings ist die Form rechen an dieser zweiten Stelle textkritisch nicht gesichert: Die Hss. MH bieten stattdessen zelen, ebenso E (zellen). Hs. N hat sagen und FB recken. 300 Christ 1977, S. 298. 301 In diesem Sinne meint Flecken-Büttner, im Kommentar »setzt sich der Erzähler nicht ohne Spott von den Versionen ab, die für diesen Schritt der Handlung eine märchenhafte und damit lebensweltlich nicht 182 2 Annäherungen ouch ist ez alwære, swer saget, daz Tristan ûf daz mer nâch wâne schiffete mit her und ensolte des niht nemen war, wie lange er vüere oder war, und enwiste ouch niht wen suochen. […] jâ wæren s’alle samet gewesen, der künic, der si ûz sande, sîn rât von dem lande, die boten gouche unde soten, wæren s’alsô gewesen boten. (vv. 8616-8628) Wenn die Akteure vom Erzähler hier als ›Narren‹ (gouche unde soten) bezeichnet werden, dann impliziert das eine Kritik an der Darstellung der Figuren in den anderen Versionen: Ein Narr ist ein Mensch, der sich unvernünftig und ›verkehrt‹ verhält. 302 »It is not to be expected that people should behave in such a way.« 303 Ein solches Figurenverhalten, dem keine Handlungsabsicht zugrunde liegt, sondern das nâch wâne 304 handelt und sich ganz dem Zufall und damit letztlich der Macht des Erzählschemas überlässt, 305 kommt für Gottfrieds Erzähler nicht infrage. 306 Und tatsächlich erzählt er anders als Eilhart und leistet damit konkrete »Arbeit an der Entmythisierung des Stoffes« 307 : Im »Tristan« ist die Brautwerbung nicht das Ergebnis eines Märchenschemas, sondern Folge der Intentionen der beteiligten Akteure. Sie richtet sich außerdem dezidiert auf Isolde von Irland, so dass Tristan das Ziel seiner Reise von Anfang bekannt ist. 308 Anstelle der ›mythischen‹ Erzähllogik tritt das rational nachvollziehbare Handeln der Figuren, die Episode ist kausal-psychologisch motiviert. 309 Wie wir gesehen haben, ist das im plausible Begründung finden« (Flecken-Büttner 2011, S. 168). 302 Vgl. DWB, Bd. 13, Sp. 357. Lugowski versteht den Narren als eine Figur, deren Konstruktion im Vergleich zu einem ›normalen‹ Menschen Brüche aufweist, vgl. Lugowski 1932 [1970], S. 51-53. 303 Chinca 1993, S. 96. Chinca sieht hier außerdem einen Verstoß gegen die rhetorische Vorgabe der Beachtung der personarum dignitates (Cicero, »De inventione«, 1,29; »Rhetorica ad Herennium«, 1,9,16). 304 Linden verweist auch darauf, dass sprechen nach wâne in der mittelhochdeutschen Literatur als F i kt i o n a l i t ä t s signal fungiert, vgl. Linden 2017, S. 79f. Könnte das im vorliegenden Zusammenhang eine Bedeutung besitzen? 305 Zum Zusammenhang zwischen Zufall und Erzählschema siehe unten, Kap. 2.3, bes. S. 230-232. 306 Allerdings kritisiert auch Eilharts Erzähler bereits Tristrants ziellosen Aufbruch als ain groͮ ß kinthait (v.-1449), vgl. Dicke 1997a, 45. 307 Keck 1998, S. 176. 308 Zum Beginn der Brautwerbung siehe unten, Kap. 3.3. 309 Vgl. Christ 1977, S. 301: »Nicht das Frauenhaar und nicht die Winde führen Marke und Isolde aufeinander zu, sondern das politische Kalkül der Figuren.« Allerdings folgt auch Eilhart keineswegs einer reinen Märchenlogik, wie das im Erzählschema von der Jungfrau mit den goldenen Haaren vorgesehen ist: Vielmehr wird das Erzählschema hier zu einem Instrument für König Marke, mit dem er versucht, das Drängen seiner Vasallen abzuwehren, vgl. vv. 1455-1459: do sprach er selber wider sich: | hie mitte will ich weren mich: | der will ich zů wib begern. | si múgend mich ir nit gewern. | mit kaim ding wer ich mich baß. Insofern wird die Logik des Schemas zwar nicht aufgegeben (die Schwalbe und das goldene Haar sind ja trotzdem da; die Braut wird gefunden), aber zumindest teilweise in die Figurenintention überführt. Vgl. Dicke 1997a, S. 42, 57: »So spiegelt er [Marke] denn das Interesse an der Unbekannten nur vor, das die 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 183 »Tristan« allerdings nicht immer der Fall: Auch bei Gottfried spielen mythische Logiken und kompositorische Motivation zuweilen eine Rolle. Deshalb meint Winfried Christ, dass die »Zurückweisung des empirisch Unwahrscheinlichen nichts weiter als eine rhetorische Pose ist und nicht programmatisch einen allgemeinen literarischen Realismus Gottfrieds begründet.« 310 Trotzdem dokumentiert diese prominente Stelle durchaus den richtungsweisenden Anspruch einer ›mimetischen‹ Figurenkonzeption. 311 Ob der ›Schwalbenhaar-Exkurs‹ eine direkte Entsprechung bei Thomas hatte, lässt sich nicht mehr feststellen. 312 In jedem Fall besitzen die Ausführungen bei Gottfried aber deutliche Parallelen zu einem s p ä t e r e n Exkurs des französischen Romans (vgl. Thomas, »Tristran«, vv.-2107-2156). 313 Dort bezieht sich der Erzähler ebenfalls auf verschiedene vorgängige Erzählvarianten (cest cunte est mult divers, v. 2107; Il en cuntent diversement, v. 2115), 314 denen er nicht zustimmen möchte, weil sie unplausibel seien. Er wolle mit vernünftigen Gründen (par raisun, v. 2135) zeigen, warum ihre Erzählungen nicht die richtige Version der Geschichte darstellen; am Ende werde sich die Vernunft durchsetzen (La raisun s’i provera ben! , v. 2156). 315 Was raisun an dieser Stelle meint, wird aus den folgenden Ausführungen deutlich. Es geht offenbar um Fragen der Handlungslogik. 316 Was Thomas als raisun bezeichnet, entspricht der rhetorischen Kategorie der verisimilitudo: 317 »Es sind die Gesetze außerliterarisch-lebensweltlicher Logik und Plausibilität, denen Thomas auch die in seinem »Tristan« vorgestellten Handlungsabläufe Könige der oben referierten Märchen ohne Hintersinn tatsächlich hegen«. Dazu bereits Mohr 1976, S. 64, der davon spricht, bei Eilhart werde die »Märchenexposition […] entzaubert«; indem Marke das Motiv des goldenen Haares nur als Ausrede benutze, werde Märchenlogik in »Romanpsychologie« überführt. - Wenn im vorliegenden Kontext von einer ›rationalen‹ Erzählweise die Rede ist, bedeutet das freilich nicht, dass sich die Figuren immer rational verhalten würden. Zu diesem Einwand Kragl 2019, S. 23. 310 Christ 1977, S. 297. Vgl. dazu auch Armin Schulz: Die Spielverderber. Wie ›schlecht‹ sind die »Tristan«- Fortsetzer? , in: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 51 (2004), S. 262-276, hier S. 270: »[W]enn Gottfried […] in seinem berühmten ›Schwalbenhaar‹-Exkurs konkurrierende Fassungen aufgrund ihrer Unwahrscheinlichkeit abkanzelt, dann hindert ihn das ansonsten überhaupt nicht daran, dem unwahrscheinlichen ›Wunderbaren‹ und ›Magischen‹ breiten Raum zu gewähren. […] Vielleicht […] sollte man auch hier die Vermutung zulassen, daß das Kriterium der Wahrscheinlichkeit für mittelalterliche Maßstäbe ebenfalls nur punktuelle, aber keine übergreifende Geltung zu haben scheint«. 311 Zur »affektive[n] Einflußnahme auf das Publikum« Christ 1977, S. 298. 312 In der nordischen und englischen Bearbeitung findet sich kein entsprechender Exkurs, im »Sir Tristrem« wird jedoch zumindest auf eine Schwalbe angespielt, vgl. Str. 125,1: A swalu ich herd sing (Ausg. Kölbing 1882, S. 38). Dabei könnte es sich um den Reflex eines entsprechenden ›Schwalbenhaar-Exkurses‹ bei Thomas handeln, so der Kommentar von Kölbing 1882, S. 148f. Dass Gottfried die Ausführungen von Thomas übernommen habe, meinen Bédier 1902-1905, Bd. 2, S. 215-217; Piquet 1905, S. 187, sowie zuletzt etwa Dicke 1997a, S. 33, und Flecken-Büttner 2011, S. 209f. Dagegen Tennant 1982, S. 242. 313 Zu den Parallelen etwa den Kommentar der Ausg. Bonath, S. 383f. 314 Bei Thomas wird mit der Doppelform von dit und escrit (»Tristran«, vv. 2117 f.) angedeutet, dass es sich um eine sowohl mündliche wie auch schriftliche Überlieferung handelt. 315 raisun hat grundsätzlich ein weites Bedeutungsspektrum, zu dem auch die Erzählung (parole, discours) gehört, vgl. Godefroy 1880-1895, Bd. 6, S. 567-569. Der Begriff steht bei Thomas auch sonst im Kontext von Überlegungen zu Handlungslogik und Figurenpsychologie. Wenn der Erzähler etwa darüber nachdenkt, wer von seinen Figuren (Ysolt I, Ysolt II, Tristran oder Marke) am meisten leidet, wird die Vernunft mit dem Erfahrungswissen des Erzählers verbunden, vgl. »Tristran«, vv. 1086f.: Ne la raison dire ne sai, | Por ce que esprové ne l’ai. ›Ich kann auch keine vernünftige Begründung anführen, deshalb, weil ich diesbezüglich keine Erfahrung habe.‹ 316 Vgl. Henkel 1990, S. 93. 317 Vgl. Chinca 1993, S. 93: »This experimental and consensual form of truth […], which Thomas calls raisun, is what the rhetoricians call verisimilitudo.« 184 2 Annäherungen folgen lassen will.« 318 Dazu passt vielleicht, dass der Erzähler die vorgängigen Versionen, die nicht der raisun verpflichtet sind, als divers (vgl. vv. 2107, 2112, 2115) bezeichnet. Das hat man vor allem auf die Vielfalt und den Variantenreichtum der Stofftradition bezogen. 319 Das afr. Adjektiv divers heißt jedoch anders als im modernen Sprachgebrauch weniger ›verschieden‹, sondern bedeutet neben ›eigenartig, absonderlich‹ (singulier, bizarre) und ›bösartig, schlecht‹ (méchant, cruel, pervers) auch ›wild, ungezähmt‹ (sauvage) und ›wundervoll, fabelhaft‹ (merveilleux). 320 Möglicherweise sind es vor allem diese beiden letzten Bedeutungen (›wild, wundervoll‹), auf die Thomas hier anspielt. In diesem Sinne könnte man dann die Formulierung Ici diverse la matyre (v. 2112) als Entsprechung für Gottfrieds hie spellet sich der leich verstehen. 321 Zur Abgrenzung von den ›märchenhaften‹ Versionen führt Thomas’ Erzähler neben der Vernunft (raisun) auch das Kriterium der ›Wahrheit‹ (verur, v. 2152) ein. Das verbindet den Exkurs im französischen Roman mit dem Prolog von Gottfrieds »Tristan«, wo ebenfalls die wârheit (v. 156) eine zentrale Bedingung für die Wahl der richtigen Fassung des Stoffes bildet. 322 Was genau Thomas aber mit der ›Wahrheit‹ der Erzählung meint, lässt sich nicht sagen. Möglicherweise bezieht sich verur genauso wie raisun auf die Kategorie der verisimilitudo, 323 doch es ist ebenfalls gut möglich, dass die beiden Begriffe etwas Verschiedenes meinen und damit neben die rhetorische Wahrscheinlichkeit der Darstellung (raisun) hier auch die h i s t o r i s c h e Wa h r h e it der dargestellten Ereignisse und Figuren (verur) tritt: 324 Es geht bei 318 Ricarda Bauschke: Das Kunstwerk als- Medium der Liebe: - Tristran im- Statuensaal. Zum- Verhältnis von-Fiktionalität und Autoreferentialität in der Erzählliteratur des Mittelalters, in: Im Zeichen der Fiktion. Aspekte fiktionaler Rede aus historischer und systematischer Sicht. Festschrift für Klaus W. Hempfer zum 65. Geburtstag, hrsg. von Irina O. Rajewsky / Ulrike Schneider, Stuttgart 2008, S. 85-107, hier S. 90. 319 So übersetzt Gesa Bonath den Vers cest cunte est mult divers (v. 2107) mit ›diese Geschichte hat sehr viele Varianten‹ (S. 255). Vgl. auch Henkel 1990, S. 93. 320 Vgl. Godefroy 1880-1895, Bd. 2, S. 730f. Für die Bedeutung merveilleux besonders La Curne de Sainte-Palaye 1875-1882, Bd. 5, S. 215. 321 So könnte man auch die Reaktion des Erzählers auf die ›Diversität‹ des Stoffes deuten (E pur ço l’uni par mes vers, v. 2108). Als Gegenwort zu divers würde unir dann nicht nur ›vereinheitlichen‹ bedeuten, sondern ›logisch und kohärent machen‹. In diesem Sinne übersetzt Bédier den Ausdruck dire en uni (vgl. v. 2111), vgl. Bédier 1902-1905, Bd. 2, S.-451: »Dire en uni paraît signifier ici ›donner […] un récit logique et cohérent.‹« Dazu Douglas Kelly: En uni dire (»Tristan« Douce 839) and the Composition of Thomas’s »Tristan«, in: Modern Philology 67 (1969), S. 9-17. 322 Auch die Beschreibung ihrer jeweiligen Vorlage verbindet die beiden Textstellen: Wenn Thomas über seine Vorlage Breri sagt, dass er alle Erzählungen über die Könige und Grafen der Bretagne kannte (»Tristran«, vv.-2120-2123: Breri | Ky solt les gestes e les cuntes | De tuz les reis, de tuz les cuntes | Ki orent esté en Bretaingne), dann entspricht das dem, was wiederum Gottfried wiederum über ihn, Thômas von Britanje, erzählt, dass er nämlich an britûnschen buochen las | aller der lantherren leben (vv. 152 f.). Die Nähe der beiden Stellen erkannte zuerst Adolphe Bossert: Tristan et Iseult. Poème de Gotfrit de Strasbourg, comparé à d’autres poèmes sur le même sujet, Diss. Paris 1865, S. 49 Anm. 1. Dazu auch Kelly 1969, S. 14; Tennant 1982, S. 232f.; Alexander Kolerus: Aula memoriae. Zu Gestalt und Funktion des Gedächtnisraums im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg und im mittelhochdeutschen Prosa-Lancelot, Frankfurt a. M. u. a. 2006 (Mikrokosmos 74), S. 28. Dass es sich bei Gottfried um eine »transposition« der französischen Vorlage handle, bei der lediglich der Name Breri durch Thômas ersetzt worden sei, meint Bédier 1902-1905, Bd. 2, S. 38. 323 In diesem Sinne hält Green den gesamten Exkurs bei Thomas für »a vernacular example of the fictional contract […]. The truth of his detail depends for Thomas not on any historically attested source, but rather on its imaginative plausibility.« (Dennis Howard Green: The Beginnings of Medieval Romance. Fact and Fiction, 1150-1220, Cambridge 2002 (Cambridge Studies in Medieval Literature), S. 15) 324 Chinca spricht von raisun und-verur als »two modes of truth, the experimental and the factual« (Chinca 1993, S. 94). Von einer (in modernem Sinne) »vorgeblichen Historizität des Geschehens« spricht Bonath 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 185 Thomas also möglicherweise nicht nur darum, welche Erzählung am plausibelsten erscheint, sondern auch darum, was ›wirklich‹ geschehen ist. 325 Welche Konsequenzen ein solcher ›historischer‹ Anspruch für die Wahrnehmung der Figuren als ›Personen‹ haben könnte, soll im Folgenden diskutiert werden. 2.2.2 aller der lanthêrren leben. Der historische Anspruch des Erzählens Der Anspruch eines ›historischen‹ Erzählens, der auch in Gottfrieds »Tristan« an verschiedenen Stellen zum Ausdruck gebracht wird, wurde in der Forschung zum Teil eng mit einer besonders realitätsnahen, mimetischen Figurenkonzeption des Romans in Verbindung gebracht. 326 In diesem Sinne beschreibt etwa Albrecht Hausmann das von den ›höfischen‹ Tristanversionen entworfene Autorbild als das eines Chronisten, der für die Ereignisse in der erzählten Welt keinerlei Verantwortung trägt, weil er von etwas berichtet, was außerhalb des Textes geschehen sei: Der menschliche Autor […] geriert sich in der Erzählerstimme so, als wäre er für das Erzählte nicht zuständig, sondern allenfalls für die Art und Weise des Erzählens. Thomas (und Gottfried wird ihm darin folgen) hält sich in seinem nur bruchstückhaft überlieferten Roman als Erzähler von der histoire im Kommentar ihrer Ausgabe, S. 386: »Er [Thomas] hat ein Interesse, den Eindruck zu vermitteln, daß seine Figuren historisch sind, […], daß man das, was er berichtet, für wahr halten kann.« Gegen Green (siehe oben) ganz deutlich Fritz Peter Knapp: Sein oder Nichtsein. Erkenntnis, Sprache,-Geschichte, Dichtung und Fiktion im-Hochmittelalter, in: Historie und Fiktion in der mittelalterlichen Gattungspoetik (II). Zehn neue Studien und ein Vorwort, Heidelberg 2005 (Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 35), S. 225-256, hier S. 248f. Zur ›Wahrheit‹ (veritas) als Kriterium in der mittelalterlichen Geschichtsschreibung Hans-Werner Goetz: Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im hohen Mittelalter, Berlin 1999 (Orbis mediaevalis 1), S. 148-150. 325 Dass es sich dabei um zwei verschiedene Dinge handelt und ›wahre‹ Erzählungen nicht automatisch auch ›wahrscheinlich‹ sind, sondern auch ihre ›Tatsächlichkeit‹ erst glaubhaft machen müssen, wird bereits in der antiken Rhetorik reflektiert, vgl. dazu Lausberg 1960, Bd. 1, §-323, S. 180. Diese Tatsache wird deutlich in den Ausführungen über die verisimilitudo in der »Rhetorica ad Herennium« betont: Si vera res erit, nihilominus haec omnia narrando conservanda sunt, nam saepe veritas, nisi haec servata sint, fidem non potest facere (1,9,16). ›Wenn der Sachverhalt wahr ist, muß man trotzdem dies alles [d. h. die Mittel zur Herstellung von verisimilitudo] bei der Darlegung desselben beachten; denn oft kann auch die Wahrheit, wenn diese Punkte nicht beachtet sind, keinen Glauben erwecken‹. Zitat und Übersetzung Nüßlein 2 1998, S. 26f. Vgl. dazu mit Bezug auf den Lukan-Kommentar Anselms von Laon auch Chinca 1993, S. 86-88. 326 So bezeichnet Keck »Historisierung, Rationalisierung und Realitätsnähe« als die drei Erzählverfahren, mit denen Gottfried an der »Entmythisierung des Tristanstoffes« (Keck 1998, S. 175) arbeite. Auch in modernen Adaptationen des Stoffes verbindet sich der Anspruch eines rationalen Erzählverfahrens mit der Tendenz zur Historisierung des Stoffes. Das zeigt sich etwa in Kevin Reynolds Verfilmung aus dem Jahr 2005: Hier trägt Markes Schloss den Namen ›Dore‹ und verweist damit auf eine reale, (vermeintlich) frühmittelalterliche (tatsächlich aber vorchristliche) Festung (Castle Dore, Fowey), in deren Nähe der sogenannte ›Tristan-Stein‹ aus dem 6. Jh. gefunden wurde, weshalb der Ort lange als historischer Schauplatz der Tristansage galt. Vgl. dazu Stefan Keppler-Tasaki: Crisis Discourse and Art Theory. Richard Wagner’s Legacy in-Films by Veith von Fürstenberg and Kevin Reynolds, in: The Medieval Motion Picture. The Politics of Adaptation, hrsg. von Andrew James Johnston u. a., New York 2014 (The New Middle Ages), S. 107-128, hier S. 122: »The motto of ›the truth behind the myth‹ aims at a truth situated within the historical past. […] The film anchors its history in this possible source of the Tristan / Marke legend. By resituating the myth within specific historical coordinates, the film seeks to reach what appear to be the real historical events.« Zur Neudatierung der prähistorischen Anlage siehe Henrietta Quinnell / Daphne Harris: Castle Dore. The Chronology Reconsidered, in: Cornish Archaeology 24 (1985), S. 123-132. 186 2 Annäherungen so weit es geht fern: Er erstattet angeblich nur kommentierend Bericht von etwas, was nicht er selbst verantwortet, sondern was er schon vorgefunden hat. […] Die Geschichte selbst steht nicht zur Disposition, sondern ist angeblich historisch verbürgt. 327 Auch Rüdiger Schnell spricht davon, Gottfried erwecke »an vielen Stellen seines Romans den Eindruck, er referiere lediglich eine Geschichte, die sich außerhalb der Literatur zugetragen hat.« 328 Der Erzähler würde damit suggerieren, er konstruiere keine fiktive Erzählwelt, sondern bilde ›wirklich gelebtes Leben‹ ab. Das entspricht dem grundsätzlichen Anspruch historiographischen Erzählens, »auf eine außertextuelle vergangene Welt zu referieren und nicht eine eigenständige fiktionale Welt zu erschaffen.« 329 ›Historisch‹ hieße also »in eine geographisch und chronologisch vorgegebene Welt eingefügt, die der Autor zwar frei wiedergeben und ausschmücken, aber nicht erschaffen kann.« 330 Für die Figuren bedeutet das eine Privilegierung des ›mimetischen‹ Standpunktes ihrer Wahrnehmung: Sie erscheinen nicht als Konstrukte der Erzählung, sondern als Abbilder real existierender Personen. Martínez und Scheffel bringen das folgendermaßen auf den Punkt: »Autoren fiktionaler Texte erfinden Figuren, Autoren faktualer Texte (wie Reporter, Biographen oder Historiker) beschreiben Personen.« 331 Sie verbinden also die Figurenkonzeption mit der Frage nach dem Fiktionalitätsstatus des jeweiligen Textes. Allerdings ist die Unterscheidung von Faktualität und Fiktionalität - vor allem was vormoderne Texte angeht - alles andere als einfach; sie wurde in den letzten Jahrzehnten gerade in der Germanistischen Mediävistik intensiv diskutiert. 332 Anstatt die Debatte im Detail nach- 327 Hausmann 2014, S. 75. 328 Rüdiger Schnell: Göttliches Handeln und menschliches Spekulieren. Erzähler, Protagonist und Rezipient in Hartmanns »Erec«, Wolframs »Parzival« und Gottfrieds »Tristan«, in: Gottes Werk und Adams Beitrag. Formen der Interaktion zwischen Mensch und Gott im Mittelalter, hrsg. von Thomas Honegger u. a., Berlin 2014 (Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung. Beihefte 1), S. 340-367, hier S. 352. 329 Stephan Jaeger: Erzählen im historiographischen Diskurs, in: Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen- Erzählens, hrsg. von Christian Klein / Matías Martínez, Stuttgart / Weimar 2009, S. 110-135, hier S. 110. 330 Fritz Peter Knapp: Historiographisches und fiktionales Erzählen in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, in: Historie und Fiktion in der mittelalterlichen Gattungspoetik (II). Zehn neue Studien und ein Vorwort, Heidelberg 2005 (Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 35), S. 15-37, hier S. 26. 331 Martínez / Scheffel 10 2016, S. 147. 332 Zur andauernden Fiktionalitätsdebatte in der Germanistischen Mediävistik siehe neben den Sammelbänden Fiktionalität im Artusroman. Tagung der Deutschen Sektion der Internationalen Artusgesellschaft. Berlin vom 13.-15. Februar 1992, hrsg. von Volker Mertens, Tübingen 1993; Historisches und fiktionales Erzählen im Mittelalter, hrsg. von Fritz Peter Knapp / Manuela Niesner, Berlin 2002 (Schriften zur Literaturwissenschaft 19); Fiktion und Fiktionalität in den Literaturen des Mittelalters. Jan-Dirk Müller zum 65. Geburtstag, hrsg. von Ursula Peters / Rainer Warning, München 2009; weiterhin Gertrud Grünkorn: Die Fiktionalität des höfischen Romans um 1200, Berlin 1994 (Philologische Studien und Quellen 129); Green 2002; Walter Haug: Die Entdeckung der Fiktionalität, in: Die Wahrheit der Fiktion. Studien zur weltlichen und geistlichen Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Tübingen 2003, S. 128-144; Chinca 2003; Jan-Dirk Müller: Literarische und andere Spiele. Zum Fiktionalitätsproblem in vormoderner Literatur, in: Poetica 36 (2004), S. 281-311, sowie die gesammelten Aufsätze von Fritz Peter Knapp: Historie und Fiktion in der mittelalterlichen Gattungspoetik. Sieben Studien und ein Nachwort, Heidelberg 1997 (Beiträge zur älteren Literaturgeschichte) sowie Fritz Peter Knapp: Historie und Fiktion in der mittelalterlichen Gattungspoetik (II). Zehn neue Studien und ein Vorwort, Heidelberg 2005 (Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 35). Resümmierend Reuvekamp-Felber 2013; Sonja Glauch: Fiktionalität im Mittelalter. revisited, in: Poetica 46 (2014), S. 85-139 (siehe auch die 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 187 zeichnen zu wollen, beschränke ich mich auf einige kurze Anmerkungen, bevor ich zurück zum »Tristan« komme: Grundsätzlich gibt es verschiedene Möglichkeiten, den Fiktionalitätsstatus eines Textes zu bestimmen. Man kann etwa nach der Beziehung der dargestellten Ereignisse zur Wirklichkeit fragen, also nach dem ontologischen Status des Dargestellten (zum Beispiel: ›Hat Tristan wirklich gelebt? ‹). 333 In diesem Sinne bestimmte schon Isidor von Sevilla (gest. 636) in seiner einflussreichen Definition die historia von ihren Gegenständen her als Erzählung von wirklich geschehenen Ereignissen (res gestae): Historia est narratio rei gestae, per quam ea, quae in praeterito facta sunt, dinoscuntur. (»Etymologiae«, 1,41,1) 334 Eine solche gekürzte Version des Beitrags in: Fiktionalität. Ein interdisziplinäres Handbuch, hrsg. von Tobias Klauk / Tilmann Köppe, Berlin 2014 (Revisionen 4), S. 385-418). Die zitierten Beiträge fokussieren dabei in aller Regel die Fiktionalität, so dass F a k t u a l i t ä t lediglich als »konzeptioneller Gegenpol« (Glauch 2014, S. 94) eine Rolle spielt. Das liegt wohl auch daran, dass Faktualität in der Regel als »Normalfall« (Martínez / Scheffel 10 2016, S. 12) des Erzählens gilt, der keiner gesonderten Bestimmung bedarf, vgl. dazu Glauch 2014, S. 94-96. Zur grundsätzlichen Vernachlässigung faktualen Erzählens in der Narratologie Monika Fludernik: Narratologische Probleme des faktualen Erzählens, in: Faktuales und fiktionales Erzählen. Interdisziplinäre Perspektiven, hrsg. von Monika Fludernik u. a., Würzburg 2015 (Faktuales und fiktionales Erzählen. Schriftenreihe des Graduiertenkollegs 1767 1), S. 115-137, hier S. 115. Eine Ausnahme bildet der Sammelband Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen- Erzählens, hrsg. von Christian Klein / Matías Martínez, Stuttgart / Weimar 2009, vgl. im vorliegenden Kontext bes. den Beitrag von Jaeger, S. 110-135. Siehe dazu jetzt auch den nach Fertigstellung des Manuskripts erschienenen Sammelband Narrative Factuality. A Handbook, hrsg. von Monika Fludernik / Marie-Laure Ryan in Zusammenarbeit mit Hanna Specker, Berlin / Boston 2020 (Revisionen. Grundbegriffe der Literaturtheorie 6). 333 Auch Christian Klein und Matías Martínez wollen ausgehend von Aristoteles die Faktualität eines Textes zunächst vom Wirklichkeitsbezug des Erzählten her bestimmen: »Die Frage danach, ob ein geschildertes Geschehen fiktiv ist oder nicht, bezieht sich darauf, w a s erzählt wird. Entscheidend für die Bestimmung eines dargestellten Geschehens als real oder fiktiv ist die Referenz, nämlich die Frage, ob der im Text dargestellte Sachverhalt in der außersprachlichen Realität tatsächlich der Fall war / ist oder nicht.« (Christian Klein / Matías Martínez: Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens, in: Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen- Erzählens, hrsg. von Christian Klein / Matías Martínez, Stuttgart / Weimar 2009, S. 1-13, hier S. 2) In einer Anmerkung wird diese Position dann folgendermaßen differenziert: »Wie es sich wiederum mit dieser ›Realität‹ verhält, inwiefern sie ein Konstrukt unseres Erkenntnisapparats ist, ob sie absolut gegeben oder kulturell relativ ist - das sind fundamentale erkenntnistheoretische Fragen, die nicht in unseren Zusammenhang gehören. Entscheidend für Wirklichkeitserzählungen ist der mit ihnen verbundene - und sie von fiktionalen Erzählungen unterscheidende - G e l t u n g s a n s p r u c h , reale Sachverhalte darzustellen.« (ebd., S. 2 Anm.- 3) - Anstatt von F i k t i o n a l i t ä t (als Eigenschaft von Texten) spricht man in Bezug auf den Wirklichkeitsstatus der dargestellten Dinge, Personen und Ereignisse in der Regel von F i k t i v i t ä t , vgl. Gottfried Gabriel: Art. Fiktion, in: RLW 1 (1997), S. 594-598, hier S. 596. In Bezug auf die Faktualität ist eine entsprechende Differenzierung (Faktualität / Faktizität) weniger etabliert. 334 Zitiert nach Isidori Hispalensis episcopi Etymologiarum sive Originum libri XX, recognovit brevique adnotatione critica instruxit W.M. Lindsay, Bd. 1, Oxford 1911 (Scriptorum Classicorum Bibliotheca Oxoniensis) [Nachdruck 1957], o.S. ›Geschichtsschreibung ist die Erzählung von Ereignissen, durch die das, was in der Vergangenheit geschehen ist, erkannt wird.‹ Später heißt es dann in Abgrenzung zu den anderen Erzählformen: historiae sunt res verae quae factae sunt (ebd. 1,44,5). ›(Der Gegenstand von) Geschichtsschreibungen sind wahre Ereignisse, die geschehen sind.‹ Freilich können auch Dichter von wahren Ereignissen erzählen, weshalb es bei dieser Bestimmung nicht bleibt, siehe unten, S. 188 Anm. 337. Zu Isidor auch Grünkorn 1994, S. 43f.; Knapp 2005, S.-9; Glauch 2014, S. 126f. Die Unterscheidung geht unter anderem auf die »Rhetorica ad Herennium« zurück, die die historia folgendermaßen bestimmt: Historia est gesta res, sed ab aetatis nostrae memoria remota (1,8,13). ›Die geschichtlich beglaubigte Erzählung ist ein wirklich geschehenes Ereignis, das aber von unserer Zeit weit entfernt liegt.‹ Zitat und Übersetzung Nüßlein 2 1998, S. 22f. Dazu auch Haug 2003a, S. 132f. Aristoteles unterscheidet ebenfalls Dichter und Ge- 188 2 Annäherungen Bestimmung ist allerdings schon allein deshalb problematisch, weil die Einschätzung davon, was ›wirklich geschieht‹, zeit- und kulturabhängig ist. 335 Aber auch grundsätzlich erweist sich das Kriterium des Wirklichkeitsbezugs als wenig geeignet, um fiktionale und nicht-fiktionale Texte zu unterscheiden. Auf diese Weise würden etwa Texte, die zwar versuchen, die Realität genau wiederzugeben, aber an diesem Anspruch scheitern, weil sie Fehler enthalten, als fiktional eingeschätzt. 336 Das würde von einem modernen Standpunkt aus auch auf einen großen Teil der mittelalterlichen Historiographie und Wissenschaftsliteratur zutreffen. Ähnlich problematisch sind Versuche, Fiktionalität als Eigenschaft von Texten zu bestimmen. 337 Abgesehen schichtsschreiber nach den Gegenständen ihres Erzählens, vgl. »Poetik«, 9,1451b: ›Denn der Geschichtsschreiber und der Dichter unterscheiden sich nicht dadurch voneinander, daß sich der eine in Versen und der andere in Prosa mitteilt […]; sie unterscheiden sich vielmehr dadurch, daß der eine das wirklich Geschehene mitteilt, der andere, was geschehen könnte.‹ Übersetzung Fuhrmann 1994, S. 29. Zur Faktizität der mittelalterlichen Historiographie auch Goetz 1999, S. 135f. 335 Vgl. Chinca 2003, S. 310; Reuvekamp-Felber 2013, S. 429-431. In Bezug auf mittelalterliches Erzählen meint deshalb auch Joachim Heinzle, dass man »die Kategorie des Fiktionalen nicht direkt vom Stoff ableiten kann, sondern versuchen muß, sie in einem Verhältnis zu diesem zu bestimmen.« ( Joachim Heinzle: Die Entdeckung der Fiktionalität, in: PBB 112 (1990), S. 55-80, hier S. 63) Dazu auch Müller 2004b, S. 282 Anm. 4: »Was im Mittelalter als faktisch wahr oder möglich angesehen wurde, ist dies keineswegs immer für den modernen Beobachter, so daß ›faktisch wahr‹ also zwischen den Bedeutungen ›für wahr gehalten‹ und ›nachweislich wahr‹ oszilliert. Elementargeister sind in der Moderne nur noch in einem literarischen Text denkbar, im Mittelalter aber auch im historischen, z. B. einer Chronik. Doch wird dadurch die Chronik nicht zum fiktionalen Text, ihr Inhalt nicht zur ›Fiktion‹.« 336 Vgl. etwa Peter Blume: Fiktion und Weltwissen. Der Beitrag nichtfiktionaler Konzepte zur Sinnkonstruktion fiktionaler Erzählliteratur, Berlin 2004 (Allgemeine Literaturwissenschaft - Wuppertaler Schriften 8), S. 230. Weiterhin hat man darauf hingewiesen, dass auch in faktualen mittelalterlichen Texten fiktive Elemente enthalten sein können, ohne dass dadurch ihr Anspruch auf historische Wahrheit verloren ginge, vgl. Reuvekamp-Felber 2013, S. 430. 337 Zu solchen Versuchen Jaeger 2009, S. 124-128. Als einflussreicher Vertreter eines solchen Fiktionalitätsverständnis kann innerhalb der Germanistischen Mediävistik vor allem Walter Haug gelten, insofern er die Fiktionalität des höfischen Romans wesentlich in Abhängigkeit von bestimmten Erzählmustern (Chrétiens bele conjointure), vor allem der Doppelwegstruktur des Artusromans, beschrieben hat, vgl. Chinca 2003, S. 311f. - Auch für diese Positionen lassen sich mittelalterliche Belege anführen. In antiker und mittelalterlicher Perspektive galt etwa die Verwendung sprachlicher Bilder und rhetorischer Mittel als zentrales Merkmal, das den Dichter vom Historiker unterscheidet, vgl. Chinca 2003, S. 310 Anm. 9; Schausten 1999, S. 26; ausführlich Peter von Moos: poeta und historicus im Mittelalter. Zum Mimesis-Problem am Beispiel einiger Urteile über Lucan, in: PBB 98 (1976), S. 93-130, bes. S. 117f. Bei Isidor heißt es an einer anderen Stelle, dass vor allem die verblümte Art der Darstellung (obliqua figuratio) und der rhetorische Schmuck (decor) den Dichter vom Geschichtsschreiber unterscheiden, vgl. »Etymologiae«, 8,7,9: Officium autem poetae in eo est ut ea, quae vere gesta sunt, in alias species obliquis figurationibus cum decore aliquo conversa transducat. (Ausg. Lindsay 1911, o.S.) ›Die Pflicht des Dichters liegt jedoch darin, dass er das, was wahrhaftig geschehen ist, abgewandelt durch mehrdeutige Darstellung mit gewissem Schmuck in eine andere Gestalt überträgt.‹ Für Peter von Moos herrscht daher in Antike und Mittelalter ein »wesentlich formale[r] fictio-Begriff […], der nichts mit der originalitätsästhetischen Vorstellung des Erfindens als reiner Phantasieproduktion zu tun hat. Nach mittelalterlicher Literaturtheorie konnte nämlich jede Periphrase, jede Metapher, jede Sinnfigur und sogar jede Wortfigur in den Bereich der fictio fallen.« (von Moos 1976, S. 117) Einen Beleg für die Wirkmächtigkeit einer spezifisch historiographischen Schreib- und Erzählweise, die sich etwa durch Verzicht auf rhetorischen Schmuck, Beachtung des ordo naturalis und des Gebots der brevitas auszeichnet, bieten spätmittelalterliche Weltchroniken, die unter dem Namen Heinrichs von München überliefert sind. Hier werden wiederholt Passagen aus literarischen Texten integriert, die einen als historisch wahr geglaubten Stoff behandeln (zum Beispiel Strickers »Karl«, der »Alexander« Ulrichs von Etzenbach oder der »Trojanerkrieg« Konrads von Würzburg). Die Integration in den historischen Text geht dabei einher mit einer Bearbeitung entsprechend der erwähnten 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 189 davon, dass die Einschätzung sprachlicher oder erzähltechnischer Mittel ebenfalls dem kulturellen Wandel unterliegt, hat spätestens Hayden White deutlich gemacht, dass Geschichtsschreibung und andere faktuale Textsorten dieselben Darstellungsverfahren und Erzählmuster benutzen wie literarische Texte. 338 Vielversprechender erscheint dagegen ein pragmatischer Fiktionalitätsbegriff, der Fiktionalität und Faktualität auf der Ebene der Kommunikation zwischen Autor und Publikum verortet und damit ihre grundsätzliche Rezipientenabhängigkeit 339 sprachlichen und erzähltechnischen Normen, vgl. Reuvekamp-Felber 2013, S.-433. Freilich besitzen auch mittelalterliche Historiographen in bestimmten Fällen die Lizenz zu rhetorisch-poetischer Ausschmückung, vgl. von Moos 1976, S. 113f. Wenn allerdings der dort als Beispiel angeführte Guibert von Nogent die poetische Erzählweise seiner »Gesta Dei per Francos« (um 1110) ausführlich begründet, zeigt das ja gerade, wie legitimationsbedürftig die literarische Gestaltung historiographischer Darstellungen war. 338 Vgl. dazu Fludernik 4 2013, S. 72f.; Chinca 2003, S. 310f. Grundlegend ist für diese Position neben White vor allem die Kritik von John R. Searle, der ausgehend vom Vergleich eines Romanauszugs mit einem Artikel aus der »New York Times« zu dem Ergebnis kommt, »[d]ie Äußerungsakte in Fiktion sind nicht von den Äußerungsakten im ernsthaften Diskurs zu unterscheiden, und aus ebendiesem Grund gibt es keine Eigenschaft des Texts, die einen Diskurs als fiktionales Werk ausweist« ( John R. Searle: Der logische Status fiktionalen Diskurses, in: Ausdruck und Bedeutung. Untersuchungen zur Sprechakttheorie. Übers. von Andreas Kemmerling, Frankfurt a. M. 1982 [zuerst im englischen Original 1974 / 75], S. 80-97, Zitat S. 90). Dagegen hält etwa Harald Klausnitzer in expliziter Abgrenzung von solchen Positionen an einer Unterscheidbarkeit von faktualer und fiktionaler Erzählweise fest, wenn er betont, »dass bereits auf der Ebene des Erzählvorgangs historiographisches und fiktionales Erzählen unverwechselbar auseinandertreten und also verschiedene Arten von Gegenständen erzeugen« (Klausnitzer 2008, S. 151). Für Hayden White macht ihre ›literarische‹ Erzählweise auch historiographische Texte zu »sprachliche[n] Fiktionen (verbal fictions), deren Inhalt ebenso e r f u n d e n wie v o r g e f u n d e n ist« (White 1986 [1978], S. 102). Kritisch zu einem solchen ›Panfiktionalismus‹ Blume 2004, S. 12-16; Eva-Maria Konrad: Panfiktionalismus, in: Fiktionalität. Ein interdisziplinäres Handbuch, hrsg. von Tobias Klauk / Tilmann Köppe, Berlin 2014 (Revisionen 4), S. 235-254. In Bezug auf mittelalterliche Texte deutlich Fritz Peter Knapp: Historiographisches und fiktionales Erzählen im Mittelalter. Ein Nachwort in eigener Sache, in: Historisches und fiktionales Erzählen im Mittelalter, hrsg. von Fritz Peter Knapp / Manuela Niesner, Berlin 2002 (Schriften zur Literaturwissenschaft 19), S. 147-159; weiterhin Reuvekamp-Felber 2013, S. 430: »Die generelle Verfügbarkeit literarischer Darstellungsmittel und fiktiver Elemente für die Historiographie hebt die Grenze zwischen fiktionalem und faktualem Diskurs nicht auf.« Hartmut Bleumer hingegen verteidigt White und die anderen Vertreter eines vermeintlichen ›Panfiktionalismus‹ gegen den Vorwurf, die Unterscheidung von Fiktionalität und Faktualität aufheben zu wollen: »Der irrtümlichen Auffassung, daß die sogenannte narrativistische Geschichtstheorie eine Fiktionalisierung der Geschichtsschreibung betreibe, daß sie mit der These von der sinnstiftenden Leistung der Fiktion die Faktizität historischer Ereignisse sogar für unerheblich zu erklären suche, hat White selbst mehrfach widersprochen« (Hartmut Bleumer: [Rezension] Fritz Peter Knapp / Manuela Niesner (Hrsg.): Historisches und fiktionales Erzählen im Mittelalter, Berlin 2002 (Schriften zur Literaturwissenschaft 19), in: Jahrbuch für Internationale Germanistik 35 (2003), S. 187-190, hier S. 188). Vgl. auch Hartmut Bleumer: [Rezension] Frank Zipfel: Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität. Analysen zur Fiktion in der Literatur und zum Fiktionsbegriff in der Literaturwissenschaft, Berlin 2001 (Allgemeine Literaturwissenschaft - Wuppertaler Schriften 2), in: PBB 120 (2004), S. 105-109, hier S. 107f. Siehe weiterhin Müller 2004a, S. 55 Anm. 35; Konrad 2014, S. 248f. 339 Zur Rezipientabhängigkeit der Fiktionalität zusammenfassend Martínez / Scheffel 10 2016, S. 17: »Fiktional ist ein Text demnach nicht an und für sich, sondern in einem bestimmten historischen und sozialen Kontext, d. h. er ist fiktional für ein Individuum, eine Gruppe, eine Gesellschaft, in einer bestimmten Situation, in einer bestimmten Epoche.« In Bezug auf vormoderne Texte Glauch 2014, S. 91: »Gerade ›alte‹ Texte zeigen: es kann nicht darum gehen, wie ein heutiger Leser oder Interpret ihren Wahrheitsgehalt oder Wahrheitsanspruch beurteilt. Der intendierte zeitgenössische Leser oder Zuhörer und sein intendierter Umgang mit dem Text muss das Kriterium sein.« Dass auch im Mittelalter ein und derselbe Text von verschiedenen Rezipienten als historia bzw. als fabula angesehen wurde, zeigt Knapp 2005b, S. 26. 190 2 Annäherungen in die Theorie hineinholt. 340 ›Historisch‹ wäre eine Erzählung in diesem Sinne dann, wenn sie (produktionsästhetisch) den Anspruch vertritt, historisch verbürgt zu sein, und (rezeptionsästhetisch) als historisch wahrgenommen wird. 341 Faktualität kann also genau wie Fiktionalität als Ergebnis eines »Kontrakt[s] zwischen Autor und Leser« 342 verstanden werden; sie ist dabei nicht losgelöst von kulturellen Kontexten, sondern vielmehr eingebettet in eine »konventionalisierte soziale, kulturelle Praxis des Umgangs mit Texten.« 343 In Bezug auf die Fiktionalität bedeutet dieser ›Fiktionalitätskontrakt‹ eine »›Neutralisierung‹ der Frage nach dem Wirklichkeitscharakter« 344 der Erzählung. Umgekehrt kann man bei faktualen Texten von einem ›Faktualitätskontrakt‹ ausgehen, der die Erwartung einer Entsprechung des Erzählten mit der realen Welt beinhaltet und zumindest eine potentielle Überprüfbarkeit der Erzählung an der Erfahrungswelt der Leser und Hörer verspricht. 340 In Bezug auf mittelalterliche Texte wurde dieser Ansatz maßgeblich in der romanistischen Forschung entwickelt und diskutiert, vgl. besonders Rainer Warning: Der inszenierte Diskurs. Bemerkungen zur pragmatischen Relation der Fiktion, in: Funktionen des Fiktiven, hrsg. von Dieter Henrich / Wolfgang Iser, München 1983 (Poetik und Hermeneutik 10), S. 183-206, bes. S. 191-194, sowie die Beiträge von Hans Robert Jauß: Zur historischen Genese der Scheidung von Fiktion und Realität, ebd., S. 423-431, und Hans Ulrich Gumbrecht: Wie fiktional war der höfische Roman? , ebd., S. 433-440. Für die verspätete Aufnahme solcher Ansätze in der Germanistischen Medivistik macht Chinca den Einfluss verantwortlich, den Haugs »Literaturtheorie« und ihr Fiktionalitätsbegriff auf die germanistische Diskussion ausübten, vgl. Chinca 2003, S. 312f.; zustimmend Glauch 2014, S. 91 Anm. 19. Einen pragmatischen Fiktionalitätsbegriff vertritt hier etwa Grünkorn 1994, S.-11-19; deutlich auch Stock 2002, S. 5: »Fiktionalität ist ein Begriff, der sich sinnvoll nur auf die pragmatische Dimension der literarischen Kommunikation beziehen kann […].« Dennis H. Green vermischt die ontologische Bestimmung von Fiktionalität über die Gegenstände des Erzählens (»events that could not conceivably have taken place and / or […] events that, although possible, did not take place«, Green 2002, S. 4) mit einem pragmatischen Ansatz (Fiktionalität als »a category of literary texts which […] invites the intended audience to be willing to make-believe what would otherwise be regarded as untrue«, ebd.). Wie häufig eine solche Vermischung ist, zeigt auch Stephan Jaeger, wenn er zunächst den »pragmatischen Wahrhaftigkeitsanspruch« als zentrales Merkmal faktualer Texte anführt, im Anschluss daran aber »das Überprüfbarkeitskriterium« als »[e]ntscheidend für den Status als historiographische Erzählung« ( Jaeger 2009, S. 111) bezeichnet. 341 Dabei können intendierte und tatsächliche Rezeption selbstverständlich auseinandertreten, wie Köppe und Kindt betonen: »Allerdings kann ein Autor scheitern mit der Absicht, seine Erzählung als fiktionale zu kommunizieren. Das ist etwa dann der Fall, wenn k e i n Leser anhand des Erzählten auf die Idee kommt, der Autor habe zu verstehen geben wollen, dass seine Erzählung fiktional ist.« (Köppe / Kindt 2014, S. 83) Umgekehrt »ist es natürlich möglich, einen Text als fiktional zu behandeln, obwohl sein Urheber dies nicht wollte oder obwohl wir von den Intentionen des Urhebers nichts wissen.« (ebd., S. 84) 342 Warning 1983, S. 194. 343 Glauch 2014, S. 91. Als »integriert […] in eine umfassende soziale Praxis« beschreibt die Fiktionalität bereits Warning 1983, S. 197; Reuvekamp-Felber bezeichnet sie als »institutionalisierte Kommunikationspraxis […], die durch bestimmte Konventionen geleitet ist.« (Reuvekamp-Felber 2013, S. 421) Zu Theorien, die Fiktionalität als Institution oder soziale Praxis beschreiben, vgl. Tilmann Köppe: Die Institution Fiktionalität, in: Fiktionalität. Ein interdisziplinäres Handbuch, hrsg. von Tobias Klauk / Tilmann Köppe, Berlin 2014 (Revisionen 4), S. 35-49; Köppe / Kindt 2014, S. 74-85: »Entscheidend für die Fiktionalität der Erzählung ist, dass sie im Rahmen der Fiktionalitätsinstitution geäußert wird, und nicht, dass sich ihr Autor alles ausgedacht hat. Auch eine ursprünglich nicht fiktionale Erzählung kann durch einen entsprechenden Äußerungsakt (d. h. ein Wiedererzählen im Kontext der Fiktionalitätsinstitution) fiktional werden.« (ebd., S. 83) 344 Gumbrecht 1983, S. 439. Knapp lehnt die Annahme eines Fiktionalitätskontrakts für das Mittelalter als ahistorisch ab: »Desgleichen ist dem Mittelalter, soweit ich sehe, unbekannt, sollte daher auch nicht versuchsweise auf mittelalterliche Erzähltexte angewandt werden. Die damalige Poetik gibt dazu nicht den geringsten Anlaß.« (Knapp 2014b, S. 16 Anm. 15) 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 191 Ein Zeugnis dafür, dass der »Tristan« von (mehr oder weniger) zeitgenössischen Rezipienten als ›historischer‹ Text gelesen wurde, bietet etwa der in den Jahren 1556 bis 1559 angefertigte Katalog der pfalzgräflichen Schlossbibliothek in Heidelberg. 345 Eine im 13. Jahrhundert angefertigte »Tristan«-Handschrift aus dem Besitz der Pfalzgrafen 346 wird hier - wie überhaupt der größte Teil der volkssprachigen Epik des Mittelalters - in der Abteilung für historiographische und kosmographischen Literatur (Historiographi et cosmographi) geführt. 347 Auch ein späterer Eintrag auf dem Rücken des entsprechenden »Tristan«-Codices weist in diese Richtung. 348 Aber solche Quellen sind nicht nur sehr selten und von unsicherer Aussagekraft, sondern zudem in der Regel auch deutlich jünger als Gottfrieds Text, so dass sie keine gesicherten Erkenntnisse über die Lektürepraxis von Rezipienten der Zeit um 1200 zulassen. 349 345 Die Bände des Katalogs befinden sich heute in der apostolischen Bibliothek des Vatikans unter den Signaturen Cpl 1929, 1932-1937, 1940-1944 sowie 1946. Zum Katalog und seiner Entstehung im Kontext der Auslagerung der pfalzgräflichen Bibliothek siehe Backes 1992, S. 94-96. 346 Es handelt sich um die Handschrift H, die sich heute unter der Signatur Cpg 360 in der Heidelberger Universitätsbibliothek befindet. Vgl. die Beschreibung von Matthias Miller / Karin Zimmermann: Die Codices Palatini germanici in der Universitätsbibliothek Heidelberg (Cod. Pal. ger. 304-495), Wiesbaden 2007 (Kataloge der Universitätsbibliothek Heidelberg 8), S. 235-237. Zu welchem Zeitpunkt der Band in die pfalzgräfliche Bibliothek gekommen ist, lässt sich nicht bestimmen. Vgl. zu dieser Frage grundlegend Backes 1992, S. 96f. 347 Vgl. Vatikan, Biblioteca Apostolica, Cpl 1937, fol. 101 r : Tristrandt. Ein Buch vf [Miller liest fälschlich ist] Perment geschrieben Raymen weiß. Beinahe gleichlautend die parallele Handschrift Cpl 1941, fol. 80 r : Tristrand. Ein buech auf perment geschrieben Reimweiß. Die beiden Kataloge versammeln unter der Kategorie Historiographi et cosmographi auch eine Reihe volkssprachiger Epen, die allerdings zumindest aus moderner Perspektive einen ganz unterschiedlichen Fiktionalitätsstatus besitzen. Neben Gottfrieds »Tristan« werden nicht nur das »Rolandslied« des Pfaffen Konrad (Cpl 1937, fol. 19 v =- Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 112) oder der »Eneasroman« Heinrichs von Veldeke (ebd., fol. 4 r =-Cpg 403) aufgeführt, sondern etwa auch Artusromane wie der »Lanzelet« Ulrichs von Zatzikhoven (ebd., fol. 61 v =-Cpg 371), Hartmanns »Iwein« (ebd., fol. 40 v =- Cpg 316) oder die »Crône« Heinrichs von dem Türlin (ebd., fol. 4 r =-Cpg 374). Für die jeweiligen Einträge siehe die Beschreibung bei Miller / Zimmermann 2007. Der unsichere Fiktionalitätsstatus wird im Katalog auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass die meisten der genannten Texte durch ein auf dem Titelblatt erklärtes Verweiszeichen als Fabeln (vgl. ebd., fol. 1 r ) ausgewiesen sind. Das gilt aber zum Beispiel auch für den »Welschen Gast« Thomasins von Zerklære (ebd., fol. 103 v =-Cpg 321), während »Tristan« und »Iwein« keine entsprechende Auszeichnung aufweisen. Der Markierung liegt also offenbar kein sehr systematischer Zugriff zugrunde. 348 Der (römische) Rückentitel aus dem 17. Jh. lautet Poema Histor[icum] de Reb[us] Gestis Reg[is] Tristani et alior[um] pri[nci]pum, zitiert nach Miller / Zimmermann 2007, S. 236. Etwa ›Historisches Gedicht von den (verbürgten) Taten des Königs Tristan und anderer Fürsten.‹ Mit historicum und res gestae werden dabei zwei zentrale Schlagworte für historisches Erzählen genannt. 349 Als weiteres Indiz für die Einschätzung eines mittelalterlichen Textes als fiktional oder faktual gilt vor allem die Mitüberlieferung. Besonders »Co-Textualisierungen in mittelalterlichen Codices können nämlich Aufschluss darüber geben, welchen Textsorten man einen gemeinsamen epistemologischen Status zuzuweisen geneigt war.« (Reuvekamp-Felber 2013, S. 421) Das bedeutet: Ist ein Text gemeinsam mit anderen faktualen Textsorten überliefert, hat man ihm möglicherweise denselben Wirklichkeitsbezug wie diesen zugeschrieben. Allerdings steht eine überlieferungsgeschichtliche Untersuchung der Frage noch aus, ob es überhaupt »Sammelhandschriften gibt, die nachweislich ein Arrangement mit historisch-faktualer Geltungsbehauptung aufweisen« und deshalb »als Wissensspeicher historischer Fakten angesehen wurden« (ebd.), ob also in volkssprachiger Sammelüberlieferung tatsächlich vorrangig Texte mit demselben Fiktionalitätsstatus versammelt wurden. In Bezug auf Gottfrieds »Tristan« verspricht eine Untersuchung der Mitüberlieferung ohnehin kaum weiterführende Erkenntnisse, da das Romanfragment in der Regel selbstständig (d. h. nur in Verbindung mit einer Fortsetzung) überliefert ist. Beispiele einer Mitüberlieferung eher faktualer Textsorten bieten lediglich die Hs. N (Berlin, Staatsbibliothek, mgq 284; entstanden um 1350-1375), die neben Gottfrieds Roman unter vielen anderen auch die »Sächsische Welt- 192 2 Annäherungen Daher kann die Beurteilung des Faktualitätsstatus mittelalterlicher Erzählungen von einem pragmatischen Standpunkt aus vor allem über die Suche nach Textsignalen geschehen, die den Lektürevorgang beeinflussen, indem sie etwa suggerieren, dass eine Erzählung als historisch gelesen werden soll. 350 Solche Signale können sowohl textinterne Merkmale 351 als auch paratextuelle Phänomene 352 sein. Während in der Forschung eine Reihe von Textsignalen diskutiert wurde, die eine Erzählung als fiktional ausweisen, fanden mögliche Faktualitätssignale kaum Aufmerksamkeit. 353 Das liegt vor allem daran, dass Faktualität als Normalfall chronik« bietet, sowie die Hs. H (Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 360; entstanden 1250-1275) mit Freidanks »Bescheidenheit« und einigen Sangspruchstrophen. Daneben stehen die Hs. F (Florenz, Nationalbibl., Cod. B.R. 226; entstanden Anfang 14. Jh.) mit Hartmanns »Iwein« und das Fragment z / z 1 (Zürich, Staatsarchiv, C VI 1, VI, Nr. 6a; entstanden 1275-1300) mit Wolframs »Parzival«. Zur Mitüberlieferung des »Tristan« siehe Tomasek 2007, S. 55. 350 In Bezug auf Fiktionalität Frank Zipfel: Fiktionalitätssignale, in: Fiktionalität. Ein interdisziplinäres Handbuch, hrsg. von Tobias Klauk / Tilmann Köppe, Berlin 2014 (Revisionen 4), S. 97-124. Wenn der Fiktionalitätsstatus eines Textes im Sinne des Fiktionalitätskontrakts zwischen Autor und Rezipient vereinbart werden soll, dann sind »Fiktionalitätssignale […] geradezu unabdingbar für das Gelingen« (ebd., S. 100) der Kommunikation. Innerhalb der Fiktionalitätsinstitution gehört es daher zu den Pflichten der jeweiligen Textproduzenten, »in geeigneter Weise zu signalisieren, dass ihre Erzählungen als fiktionale gemeint und daher dem besagten Regelwerk gemäß aufzufassen sind.« (Köppe / Kindt 2014, S. 74f.) Grundsätzlich stellt sich die Frage, wie explizit die Markierung der Fiktionalität geschehen muss, damit die Rezipienten einen Text als fiktional verstehen. Bleumer etwa vertritt einen ›harten‹ Fiktionalitätsbegriff, wonach Fiktionalität »die durch sprachliche Selbstreflexivität markierte Fiktivität eines Aussageinhalts« (Bleumer 2003, S. 188) voraussetze. Kritisch dazu Müller 2004b, S. 284 Anm. 8: »[M]ir scheint weder (explizite) Markiertheit unbedingt erforderlich noch Reflexion des Fiktionscharakters durch den Fingierenden […].« Vielmehr sei »die explizite Ausstellung des Fiktionscharakters, die ›Entblößung von Fiktionalität‹ […] eine zwar hinreichende, doch keineswegs notwendige Bedingung von Fiktionalität, d. h. sie muss nicht unbedingt erfüllt sein, damit ein Text als ›fiktional‹ aufgefasst werden kann.« (ebd., S. 285) 351 In diesem Punkt berühren sich pragmatische Ansätze mit solchen Fiktionalitätstheorien, die Fiktionalität als Eigenschaft des Textes verstehen, vgl. Zipfel 2014, S. 99f. Folgt man etwa Searles extremer Position, wonach sich faktuale und fiktionale Texte auf der Textoberfläche überhaupt nicht voneinander unterscheiden, ist eine Suche nach Textsignalen tatsächlich unmöglich, vgl. ebd., S. 107. Dass auch vermeintliche Faktualitätssignale spielerisch als Markierung von F i k t i o n a l i t ä t verwendet werden können, betont Aleida Assmann, wenn sie davon spricht, »daß bereits die allzu explizite Wahrheitsbeteuerung zum Signal für Fiktionalitätsverdacht werden kann.« (Aleida Assmann: Fiktionalität als-Differenz, in: Poetica 21 (1989), S. 239-260, hier S. 254) Zur grundsätzlichen Relativität der Rezeptionssignale auch Zipfel 2014, S. 120f.: Diese Relativität gelte »allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt. Dieser Punkt scheint mir überschritten, wenn z. B. [David] Gorman behauptet, es könne keine Faktualitätssignale geben, weil fiktionale Texte diese immer fingieren können. Dem ist zu entgegenen, dass nicht jede Verwendung eines Rezeptionssignals entgegen seiner konventionalisierten Funktion diese Konvention bereits auflöst.« (S. 121) Zu diesem Einwand David Gorman: Theories of Fiction, in: Routledge Encyclopedia of Narrative Theory, hrsg. von David Herman u. a., London / New York 2005, S. 163-167, hier S. 167: »[T]here can be no indicators of factual discourse, since if one was proposed, it would immediately become a challenge to fiction-writers to co-opt: hence the frequency of the fictional imitation of non-fiction.« 352 Vgl. Glauch 2014, S. 113. Dazu gehören auch die Überlieferungszusammenhänge, insofern sie nicht nur im Hinblick auf den Redaktor der Handschrift einen Beleg für das Verständnis des zugrunde liegenden Textes als fiktional oder faktual bieten, sondern auch die Wahrnehmung späterer sekundärer Rezipienten der Handschrift beeinflussen, vgl. ebd., S. 119f. Sie sind also gleichzeitig Beleg für die Lektürepraxis (des Redaktors) als auch Textsignal (für spätere Leser). 353 Vgl. Frederike Lagoni: Fiktionales versus faktuales Erzählen fremden Bewusstseins, Berlin / Boston 2016 (Narratologia 53), S. 191f.; Meike Herrmann: Fiktionalität gegen den Strich lesen. Was kann die Fiktionalitätstheorie zu einer Poetik des Sachbuches beitragen? , Berlin / Hildesheim 2005 (Arbeitsblätter für die Sachbuchforschung 7), online verfügbar unter: www.blogs.uni-mainz.de/ fb05-sachbuchforschung/ 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 193 der Kommunikation gilt, 354 der im Gegensatz zur Fiktionalität nicht ausdrücklich markiert zu werden brauche. 355 Dennoch weist Gottfrieds »Tristan« eine Reihe von Merkmalen auf, die möglicherweise als Faktualitätssignale verstanden werden können. Dazu gehört etwa die Tatsache, dass die Geographie des Romans im Großen und Ganzen mit der Welt von Autor und Publikum übereinstimmt, 356 was besonders im Vergleich zur ›märchenhaft‹-unbestimmten Topographie des Artusromans auffällig ist. 357 Mit Dennis Howard Green kann man davon sprechen, der »Tristan« spiele in der world of history statt in der world of fable. 358 Das macht die Erzählung freilich noch nicht im Sinne des ontologischen Fiktionalitätsbegriffs zu einem faktualen Text, schließlich sind auch fiktive Welten (zumindest in der Moderne) oft stark an realen Räumen orientiert. 359 Trotzdem äußert sich in der Nennung konkreter Orte wie der Schampânje, Almânje oder dem rœmesch rîche (vgl. vv. 18445-18451), die eine Entsprechung in der Erfahrungswelt zeitgenössischer Rezipienten besitzen, 360 womöglich durchaus ein Anspruch auf Faktizität des Erzählens. files/ 2012/ 09/ Arbeitsblaetter_Sachbuchforschung_07.pdf (08.02.2020), bes. S. 8-13. Als »deutliche Signale des Faktizitätsanspruchs« mittelalterlicher Texte nennt Fritz Peter Knapp »Wahrheitsbeteuerungen, Quellenangaben, Versatzstücke der historischen Realität in der Erzählliteratur« (Knapp 2014b, S. 16). 354 Siehe oben, S. 186 Anm. 332. 355 So geht Zipfel davon aus, dass Faktualität »keiner besonderen Markierung bedarf, weil die Institution ›Faktualität‹ eine Art Default-Einstellung bei der Verwendung von Sprache darstellt.« (Zipfel 2014, S. 100) Dazu auch Glauch 2014, S.-95. 356 Vgl. Tomasek 2007, S. 75; Hahn 1963, S. 34-37, 87. Die Übernahme geographischer Angaben verweise auf Gottfrieds Anliegen, »die historische Gebundenheit der auftretenden Personen um Tristan deutlich zu machen« (ebd., S. 37). Auch Reuvekamp-Felber nennt (ohne Bezug auf den »Tristan«) die »Verankerung des Geschehens in plausiblen Zeit-Raum-Koordinaten« als eine der »historischen Narrativierungsstrategien« (Reuvekamp-Felber 2013, S. 432) der volkssprachigen Literatur des Mittelalters. Vgl. auch Mathias Herweg: Wege zur Verbindlichkeit. Studien zum deutschen Roman um 1300, Wiesbaden 2010 (Imagines Medii Aevi 25), S. 138: »Daß die Einführung in der Realität verankerter […] Länder-, Orts- und Volksnamen zunächst einmal defiktionalisierende Rezeptionssignale setzt, darf […] vorausgesetzt werden.« Zur »Öffnung zur historisch-geographischen Realität« als Faktualitätssignal weiterhin Glauch 2014, S. 137. Auch Mohr verbindet bereits ›historisches‹ Erzählen mit dem Bezug auf reale Räume, vgl. Mohr 1976, S. 57f. 357 Grundlegend zur Raumgestaltung der matière de Bretagne Störmer-Caysa 2007, S. 43-47, zum »Tristan« S. 45f. Zur »weitgehende[n] zeitliche[n] und räumliche[n] Unbestimmtheit« der Artuswelt auch Alexander Klare: Überlegungen zur Literarisierung von historischen Figuren am Beispiel des Hoyer von Mansfeld in Wirnts »Wigalois«, in: Leuvense Bijdragen 83 (1994), S. 485-521, hier S. 487. Dass fiktive Geographie als Fiktionalitätssignal fungieren kann, erwähnt Zipfel 2014, S. 108f. Dasselbe gilt für räumliche Unbestimmtheit als Ausweis von Referenzlosigkeit, vgl. Glauch 2014, S. 109f. 358 Vgl. Dennis Howard Green: The »Alexanderlied« and the Emergence of the Romance, in: German Life and Letters 28 (1974 / 75), S. 246-261, hier S. 258. - Dagegen meint Mohr 1976, S. 58: »[M]it den Geschichten von […] König Marc, Morolt, Tristan, Isolde geriet man in eine andere Welt«, genauso wie mit denen der Artussage. 359 Vgl. Chinca 2003, S. 316; grundsätzlich Reuvekamp-Felber 2013, S. 427: »Eine fiktive Welt wird auch in der Moderne zumeist im Verhältnis zur realen Welt situiert, die fiktive Welt mit Ereignissen, Namen oder dinglichen Komponenten an die reale Welt angebunden. Wenn man von der Erschaffung nicht-möglicher Welten absieht, ist es auch heute noch für jeden Autor wesentlich, seine Erzählwelt mit (zeit-)geschichtlichen Erfahrungen oder historischem Wissen zu konturieren. Grundsätzliche Unterschiede in der Erschaffung literarischer Welten zwischen Mittelalter und Moderne kann ich daher nicht erkennen.« 360 Dazu Chinca 2003, S. 328. 194 2 Annäherungen Dasselbe gilt für einzelne Figuren, die sich mit realen historischen Personen in Verbindung bringen lassen (was konkret heißt, dass sie in anderen, als historisch verbürgt angesehenen Texten auftauchen). 361 Das trifft im »Tristan« vor allem auf Isoldes Vater Gurmun und vielleicht auf Marke zu. 362 Andere Namen wie Riwalîn und Tristan mögen zwar stoffgeschichtlich auf historische keltische Personen verweisen, 363 dürften aber deutschsprachigen Rezipienten 361 Als mögliches Faktualitätssignal versteht solche ›historischen‹ Figuren etwa Green 2002, S. 185: »The mention of ›historical‹ figures like Gurmun and Corineus at isolated points may suggest that the whole narrative is likewise historical, but certainly cannot establish it.« Für den ontologischen Status der Figuren ist das freilich noch nicht entscheidend. Immer wieder wird betont, dass solche Akteure allein durch die Tatsche, dass sie sich auf historisch verbürgte Personen beziehen, noch nicht zu nicht-fiktionalen Figuren werden, vgl. exemplarisch Jannidis 2004a, S. 67: »Fiktionale Entitäten, seien es nun Räume oder Figuren, sind ontologisch etwas anderes als aktuale Entitäten. Tolstois fiktionaler Napoleon hat zwar denselben Namen wie der aktuale, aber ist ontologisch etwas vollständig anderes.« Das führt auch zu der umstrittenen Frage, ob Mischungen fiktiver und realer Elemente in einem Text möglich sind, vgl. dazu Köppe / Kindt 2014, S. 82f., in Bezug auf Figuren, die nach dem Vorbild realer Personen gestaltet sind ebd., S. 154. Die Mehrheit der Literaturtheoretiker geht dabei davon aus, dass wie Haug es formuliert, faktische Elemente im fiktionalen Kontext »nicht die Macht« besitzen, »sich gegenüber den fiktiven Elementen durchzusetzen. […] Die Fakten werden, auch wenn sie an sich authentisch sind, im fiktiven Zusammenhang letztlich fiktionalisiert.« (Haug 2003a, S. 133) Allerdings lässt sich Haugs »zutreffende Beobachtung«, wie Jan-Dirk Müller bemerkt, »auch umkehren: In einem historischen Bericht erscheint auch das Erfundene als ›Tatsache‹.« (Müller 2004b, S. 296 Anm. 1) Zu solchen »immigrant objects« auch Chinca 2003, S. 316. - Ein vergleichbares Beispiel aus der mittelhochdeutschen Literatur bietet der Auftritt des Hojir von Mannesvelt im »Wigalois« Wirnts von Grafenberg (vgl. vv. 2861 f.), der auf einen realen sächsischen Grafen gleichen Namens aus dem frühen 12. Jh. verweist. Zitiert nach Wirnt von Grafenberg: Wigalois. Text der Ausgabe von J.M.N. Kapteyn, übers. erl. und mit einem Nachwort versehen von Sabine Seelbach und Ulrich Seelbach, 2., überarb. Aufl., Berlin / Boston 2014, S. 69. Hojirs Auftritt verstehen die Herausgeber*innen Sabine und Ulrich Seelbach allerdings sogar »als besonders wirksames F i k t i o n a l it ä t s signal«, denn die »Fiktionalität des Artusritters ›Hojer von Mansfeld‹ dürfte für das zeitgenössische Publikum außer Frage gestanden haben.« (ebd., S.- 280 Anm. 38; Hervorhebung L.M.) Anders Elisabeth Lienert: Zur Pragmatik höfischen Erzählens. Erzähler und Kommentar in Wirnts von Grafenberg »Wigalois«, in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literatur 149 (1997), S. 263-275, hier S. 263. Auführlich Klare 1994, zu den historischen Bezügen der Figur S.-491-497, zum »Verhältnis von Dichtung und Historiographie bzw. […] Fiktion und Realität« S.-508-517, Zitat S. 508. Klare versteht das Auftauchen der historischen Figur als Hinweis darauf, dass in Bezug auf den Artusroman von Rezipienten auszugehen sei, die den Texten nicht ohne Weiteres Fiktionalität unterstellten, vgl. ebd., S. 515. Zu »Namen als Realitätseffekt« auch Herweg 2010a, S. 138-140. 362 Dass es sich bei Gurmun um eine »geschichtliche Person« handle, meinte mit Verweis auf Wace und Geoffrey of Monmouth bereits Hertz im Kommentar seiner Übersetzung, vgl. Hertz 1877, S. 518. Dazu Adrian Stevens: Killing Giants and Translating Empires. The History of Britain and the Tristan Romances of Thomas and Gottfried, in: Blütezeit. Festschrift für L. Peter Johnson zum 70. Geburtstag, hrsg. von Mark Chinca u. a., Tübingen 2000, S. 409-426, bes. S. 421-425; Stevens 2003, S. 237-250; Green 2002, S. 143f.; Barandun 2009, S. 27f. Zu den Quellen der Gurmun-Geschichte Ferdinand Lot: Gormond et Isembard. Recherches sur les fondements historiques de cette épopée, in: Romania 27 (1898), S. 1-54, bes. S. 35-43. Zur Frage, inwiefern etwa auch Marke ein historisches Vorbild besitzt vgl. schon Hertz 1877, S. 493f.; Okken 2 1996, Bd. 1, S. 63f., sowie Oliver J. Padel: The Cornish-Background of the Tristan-Stories, in: Cambridge Medieval Celtic Studies 1 (1981), S. 53-81, hier S.-76-79. 363 Zu keltischen Belegen für den Personennamen Drustan etwa Okken 2 1996, Bd. 1, S. 23-25. Immer wieder wird vor allem auf den sogenannten ›Tristan-Stein‹ verwiesen. Dabei handelt es sich um einen Grabstein aus dem 6. Jh., gefunden in Fowey (Cornwall), dessen Inschrift einen Drustanus […] Cunomori filius (›Drustan, Sohn des Cunomorus‹) erwähnt und deshalb »als Zeugnis für ein historisches Paar Tristan und Isolde beansprucht« wird (ebd., S. 24). So etwa bei André de Mandach: Legend and Reality. Recent Excavations and Research in Cornwall Concerning Tristan and Isolt, in: Tristania 4 (1979), S. 3-24, bes. S. 13-17. Vor allem die Tatsache, dass die Vita des hl. Paulus Aurelianus eines bretonischen Mönchs na- 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 195 völlig unbekannt gewesen sein. 364 Allerdings bemüht sich der Erzähler zumindest in Bezug auf Riwalin, mit dem Gestus eines quellenkritischen Historiographen seinen Zunamen (Canêlengres) und seine Herkunft (Parmenîe) mit Verweis auf Thomas zu plausibilisieren (vgl. vv.-319-334). 365 Das verringert den Eindruck einer rein poetischen Setzung. Mit den Figuren Gurmun und Marke sind weiterhin chronikale ›Hintergrundberichte‹ verbunden, die an verschiedenen Stellen die Vorgeschichte der erzählten Handlung nachliefern und in besonderem Maße den historiographischen Anspruch des Erzählens untermauern. Neben der Erklärung von Gurmuns Herkunft und Cornwalls Abhängigkeit von Irland (vv.-5878-6006) gehört dazu die Erzählung davon, wie England unter die Herrschaft von Marke kam (vv. 425-453). 366 Die beiden Exkurse erlauben aus moderner Perspektive eine Datierung der erzählten Ereignisse in die Zeit nach der angelsächsischen Landnahme in England, also ins 6. Jahrhundert nach Christus. 367 Hier bestimmt der Erzähler folglich »den historischen Ort der »Tristan«-Geschichte, indem er sie in die quasi amtliche Geschichte Großbritanniens einfügt […].« 368 Thomas, von dem Gottfried die Exkurse übernommen hat, bezog sich dabei wohl vor allem auf die historiographische Tradition der »Historia regum Britanniae« Geoffreys of Monmouth (um 1138) und den »Roman de Brut« des Wace (1155). Für sein Publikum am englischen Königshof dürften diese Bezüge erkennbar gewesen sein. 369 Ob das auch für Gottfrieds deutschsprachige Rezipienten gilt, ist unklar. 370 Beide Exkurse sind bei Gottfried in jedem mens Wrmonoc aus dem 9. Jh. einen König Marcus mit dem Beinamen Quonomorius erwähnt, wird als Beleg für die Verbindung zur Tristansage herangezogen, vgl. Rosemarie Lühr: Tristan im Kymrischen, in: Tristan und Isolt im Spätmittelalter. Vorträge eines interdisziplinären Symposiums vom 3. bis 8. Juni 1996 an der Justus-Liebig-Universität Gießen, hrsg. von Xenja von Ertzdorff unter redaktioneller Mitarbeit von Rudolf Schulz, Amsterdam 1999 (Chloe 29), S. 141-168, hier S. 145f. 364 Vgl. Mohr 1976, S. 61. 365 Der Erzähler richtet sich dabei vor allem gegen die bei anderen behauptete Herkunft aus Lohnois, von der viele erzählten, vgl. vv. 324-327. Dass Riwalin ein Lohnoisære (v. 326) sei, wussten mittelalterliche Rezipienten aus Eilharts »Tristrant«, vv. 79 f. Auch in Wolframs »Parzival« begegnet Rîwalîn als künec von Lohneis (vv. 73,14-16; Ausg. Nellmann 1994, Bd. 1, S. 126), für Krohn »ein Grund mehr womöglich für Gottfried, sich von seinem Berufsrivalen kritisch abzusetzen.« (Krohn, Bd. 3, S. 40) 366 Vgl. Keck 1998, S. 176 Anm. 1. 367 Vgl. Tomasek 2007, S. 98. 368 In Bezug auf Thomas Okken 2 1996, Bd. 1, S. 43, übersetzt nach Anthime Fourrier: Le courant réaliste dans le roman courtois en France au moyen-âge, Bd. 1: Les débuts (XII e siècle), Paris 1960, S. 43 (»Il [Thomas] localise d’abord le récit avec plus de précision en l’insérant dans l’histoire officielle de la Grande-Bretagne«). Vgl. schon Ranke 1925a, S. 131: »Die Vorgeschichte des Romans liest sich bei Thomas in manchen Partien fast wie eine sorgfältig motivierende Geschichtsdarstellung, und Thomas sucht den Eindruck der Glaubwürdigkeit seiner Erzählung noch dadurch zu verstärken, daß er seinen Stoff möglichst klar in den Verlauf der englischen Geschichte eingliedert, wie sie ihm aus der Historia Britannica des Gottfried von Monmouth, genauer aus deren Versbearbeitung durch den anglonormannischen Dichter Wace bekannt war […].« Dass sich der Tristanstoff (wie die Artussage auch) bereits in den französischen Epen von dieser historischen Tradition loslöst, meinte dagegen Mohr 1976, S. 57. 369 Zur Diskussion um den historiographischen Status der »Historia regum Britanniae« und des »Roman de Brut«, der schon von Zeitgenossen infrage gestellt wurde, vgl. Tennant 1982, S. 228-230. 370 Auf die geringe Bekanntheit der chronikalen Artustradition im deutschen Sprachraum verweist jedenfalls Herweg 2010a, S. 99-101. Vgl. dagegen Adrian Stevens: History, Fable and Love. Gottfried, Thomas and the Matter of Britain, in: A Companion to Gottfried von Strassburg’s »Tristan«, hrsg. von Will Hasty, Rochester (New York) / Woodbridge (Suffolk) 2003 (Studies in German Literature, Linguistics, and Culture), S. 223-256, hier S. 230: »[I]t would seem that Gottfried, like Thomas, wrote with readers and listeners in mind who were familiar with the received account of early Britain […].« 196 2 Annäherungen Fall ausdrücklich als historiographische Berichte markiert, indem der Erzähler sie als istôrje bezeichnet (vgl. vv. 450, 5880). 371 Der von lat. historia abgeleitete Ausdruck kommt bis dahin in der Volkssprache nicht vor und verweist deutlich auf chronikale Erzählformen und deren Historizitätsanspruch. 372 Es handelt sich also um ein recht eindeutiges Faktualitätssignal. Auch auf der Ebene der Erzähltechnik zeigen sich Merkmale, die möglicherweise einen Anspruch auf Faktualität artikulieren. Dazu gehört etwa das bewusste Herausstellen der Begrenztheit des Wissens, das der Erzähler über die erzählte Welt besitzt. Ein prominentes Beispiel dafür ist die oben bereits angeführte Stelle, an der der Erzähler zu verstehen gibt, er wisse nicht, warum Riwalin seinen Lehnsherrn angegriffen habe (vgl. vv. 342 f.). Die Art und Weise der Bewusstseinsdarstellung wird grundsätzlich als ein zentrales Merkmal für die Unterscheidung von fiktionalem und faktualem Erzählen angesehen. 373 Gerade die markierte Unverfügbarkeit von Figurenbewusstsein gilt dabei als wichtiges Faktualitätssignal. 374 Wenn der Erzähler behauptet, das Innenleben seiner Figuren liege außerhalb seines Zugriffs, dann suggeriert er damit, nicht dafür verantwortlich zu sein. Das Figurenbewusstsein erscheint so 371 Für v. 450 übernimmt die Ausgabe von Marold / Schröder die näher am Lateinischen bleibende Lesart histôrje (S. 10). Die Handschriften bieten unterschiedliche Schreibvarianten: Für v. 450 haben die Hss. FWBERP hystorie, während MN ystorie bieten. Vgl. den Apparat der Ausg. Marold / Schröder, S. 10. In v.- 5880 haben die Hss. HO ystorie, F historie und WP hystoria. Die (verwandten) Hss. MBE bieten stattdessen als ich an den buochen las. Vgl. ebd., S. 101. 372 Vgl. zu istôrje weiterhin vv. 15915 (in Bezug auf Urgan), 18692 (in Bezug auf Jovelins Herrschaft über Arundel). Dasselbe gilt für mhd. geste (von lat. gesta), vgl. v. 8942. Zu beiden Ausdrücken Tennant 1982, S. 244; Chinca 1993, S. 47; Okken 2 1996, Bd. 1, S. 30; Green 2002, S. 184. Für istôrje / historia im mittelhochdeutschen Versroman ausführlich Joachim Knape: ›Historie‹ in Mittelalter und früher Neuzeit. Begriffs- und gattungsgeschichtliche Untersuchungen im interdisziplinären Kontext, Baden-Baden 1984 (Saecula Spiritalia 10), zu den Belegen bei Gottfried S. 112-115; Stefanie Schmitt: Inszenierungen von Glaubwürdigkeit. Studien zur Beglaubigung im späthöfischen und frühneuzeitlichen Roman, Tübingen 2005 (MTU 129), S. 244-249. Zum lateinischen Begriff außerdem Arno Seifert: Historia im Mittelalter, in: Archiv für Begriffsgeschichte 21 (1977), S.- 226-284. Als Verweis auf »ein Geschichtsbuch« versteht den Ausdruck istôrje im »Tristan« auch Schröder 1975, S. 328. Hier äußere sich Gottfrieds Anspruch, »alle erdenkliche Sorgfalt auf historische und kulturhistorische Details zu verwenden« (ebd.). Für die Bewertung als Faktualitätssignal ist es dabei völlig unerheblich, ob die Quellenangabe erfunden ist, wie Stevens meint, vgl. Stevens 2000, S. 420f. Green verweist darauf, dass der Gebrauch von istôrje und geste an anderer Stelle, nämlich in Bezug auf den Riesen Urgan und den irischen Drachen, möglicherweise ironisch zu verstehen ist, vgl. Green 2002, S. 185; anders Tennant 1982, S. 241f. Interessant ist in diesem Kontext der Beleg der Münchener »Tristan«-Handschrift M, wo in der Urgan-Episode die wâre istôrje ausgerechnet durch âventiure ersetzt wird. Hier heißt es als und div auenture seit (München, Bayerische Staatsbibliothek, fol. 84 rb , Z. 27 f.), vgl. Baisch 2006, S. 221. 373 Vgl. dazu grundlegend Lagoni 2014. 374 Vgl. Philippe Carrard: Picturing Minds. Biography and the Representation of Consciousness, in: Narrative 5 (1997), S. 287-305, hier S. 298: »The biographer […] admits that he / she does not have enough evidence to describe the character’s state of mind, even with the help of a ›perhaps‹ or a ›must have‹. In doing so, he / she points to the fact that his / her endeavor is ›serious‹, in the sense of ›distinct from fiction‹. Indeed, as the extraand heterodiegetic narrator of a novel does not make conjectures, he does not acknowledge his ignorance either.« Daneben Lagoni 2014, S. 189-192. Schon Forster sah den entscheidenden Unterschied zwischen realen Menschen und fiktiven Figuren in der Tatsache, dass der Autor eines fiktionalen Textes unbegrenzten Zugang zu Informationen über das Innere seiner Figuren besitze, vgl. Forster 1962 [1927], S. 71: »Sie sind Menschen, deren Geheimstes sichtbar ist oder sein kann: wir aber sind Menschen, deren Geheimstes unsichtbar ist.« Zu epistemologischen Leerstellen als Differenzierungsmerkmal von historischen und fiktiven erzählten Welten auch Lubomír Doležel: Fictional and Historical Narrative. Meeting the Postmodern Challenge, in: Narratologies. New Perspectives on Narrative Analysis, hrsg. von David Herman, Columbus 1999, S. 247-273, hier S. 259. 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 197 ausdrücklich nicht als Produkt des Erzählers, sondern als etwas, das unabhängig vom Text existiert und vom Erzähler nur unzulänglich erschlossen werden kann. 375 Am deutlichsten wird der historische Anspruch des »Tristan« im Prolog artikuliert. 376 Bereits der erste Vers des Romans (v. 1: Gedenket man ir ze guote niht… 377 ) spielt mit dem Thema der memoria deutlich auf einen Topos aus der mittelalterlichen und antiken Geschichtsschreibung an und eröffnet damit »eine betont geschichtliche Perspektive« 378 . Besonders die vieldiskutierten ›Archivrecherchen‹ des Erzählers (vv. 131-166), in denen zum ersten Mal im Prolog von der vorliegenden Erzählung selbst die Rede ist, artikulieren dann einen historiographischen Anspruch. 379 Der Erzähler inszeniert sich an dieser poetologisch wichtigen Passage als gelehrter historiographus, der keine erfundenen Ereignisse, sondern durch Studium der zugrunde liegenden Quellen gesicherte historia bieten möchte. 380 Dafür orientiert er sich 375 Vgl. Schnell 2014, S. 353f. 376 Vgl. Tennant 1982, S. 232-236; Schmitt 2005, S. 47-49. 377 Der prominente Vers ist editionsphilologisch umstritten; die Lesart gedenket, die Haug / Scholz zugrunde legen, findet sich nur in den Hss. H und M, denen im Stemma der »Tristan«-Überlieferung allerdings eine zentrale Bedeutung zukommt. Die übrige Überlieferung bietet die Form gedæhte, vgl. Marold / Schröder, S. 3; Krohn, Bd.-1, S. 11. Vgl. dazu auch Ute Nanz: [Rezension] Gottfried von Straßburg: Tristan und Isold, hrsg. von Walter Haug und Manfred Günter Scholz. Mit dem Text des Thomas, hrsg., übers. und komm. von Walter Haug,- Bd.- 1-2, Berlin 2011 (Bibliothek deutscher Klassiker 192 / Bibliothek des Mittelalters 10-11), in: ZfdA 142 (2013), S. 102-109, hier S. 104f. Für den Aspekt der Deutung, auf den es mir ankommt, scheint diese Varianz jedoch nicht relevant zu sein. 378 Vgl. Eberhard Nellmann: Gedaechte man ir ze guote niht. Der memoria-Topos im Tristanprolog, in: Mittelalterliche Poetik in Theorie und Praxis. Festschrift für Fritz Peter Knapp zum 65. Geburtstag, hrsg. von Thordis Hennings u. a., Berlin / New York 2009, S. 241-255, hier S. 253: »Indem er [Gottfried] sein Werk mit einem historiographischen Topos eröffnet, gibt er sich den Anschein, selbst in die Reihe der historiographi zu gehören.« Ähnlich Green 2002, S. 184: »Gottfried […] employs a topos of historical writing […], and suggests thereby a historical dimension for his work.« Für Keck wird damit der »Tristan« gleichsam »zu einer historisch-realen Geschichte« (Keck 1998, S. 175). Die Wirkung dieses Einstiegs auf die Gesamtperspektive auf den Roman betont Wolf 1989, S. 94: »Gottfried setzt mit dem aus der antiken Historiographie stammenden memoria-Topos ein. Wenn er damit beabsichtigte, eine betont geschichtliche Perspektive herauszuarbeiten, so wäre dies von erheblicher Konsequenz für die Gesamtdeutung des Tristanstoffes durch Gottfried.« Zum memoria-Topos in der antiken und mittelalterlichen Historiographie Nellmann 2009, bes. S. 249-253. Zurückhaltend in Bezug auf die Aussagekraft des historiographischen Topos äußert sich Huber 3 2013, S. 41: »Nun kann man Gottfrieds Prolog-Einstieg nicht an dem Steinbruch festmachen, aus dem sie [sic] gebrochen ist. Er lässt sich nicht auf die historischen Akteure oder ihre Historiographen festlegen und auch nicht in die Richtung drängen, die in den lateinischen Belegen des Topos in Antike und Mittelalter am häufigsten belegt ist.« Zu anderen Deutungen des gedenkens im »Tristan«-Prolog siehe den Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 241f.; ausführlich Sziráky 2003, S. 31-64. 379 Ganz anders Haug, der darin ein besonders explizites Fiktionalitätssignal sehen möchte, vgl. Walter Haug: Literaturtheorie und Fiktionalitätsbewußtsein bei Chrétien de Troyes, Thomas von England und Gottfried von Straßburg, in: Fiktion und Fiktionalität in den Literaturen des Mittelalters. Jan-Dirk Müller zum 65. Geburtstag, hrsg. von Ursula Peters / Rainer Warning, München 2009, S. 219-234, hier S. 233: »Gottfried hat offensichtlich die Quellenfiktion des Thomas durschaut und sich einen Spaß daraus gemacht, sie zu überbieten und damit die Fiktion offenzulegen.« Indem Gottfried das Verfahren von Thomas »durch die angebliche Archivreise nach England [? ], von der er annehmen konnte, daß niemand sie ihm glaubt, überzieht und damit ironisiert, nimmt er, anders als Thomas, von Anfang an unverstellt eine fiktionale Freiheit für sich in Anspruch.« Dagegen Glauch 2005, S. 57, mit Verweis auf die Tatsache, dass Rudolf von Ems Gottfrieds »Selbstdarstellung als Geschichtsschreiber« zitiert, um seinerseits den (überhaupt nicht ironischen) historischen Anspruch seiner Erzählung zu untermauern. 380 Vgl. Sawicki 1932 [1967], S. 158; Schmitt 2005, S. 47-49; Grünkorn 1994, 97. Zu »Gotfrits Selbstdarstellung als Geschichtsschreiber« auch Glauch 2005, S. 56-58, Zitat S. 57. 198 2 Annäherungen an der Fassung des Thômas von Britanje (v. 150). 381 Zentrale Kriterien, durch die sich die vom Erzähler gewählte Vorlage des Thomas gegenüber den übrigen Versionen der Stofftradition auszeichne, sind dabei die Richtigkeit (rihte, v. 149 u. ö.) und, wie schon erwähnt, die Wahrheit (wârheit, v. 156) der Erzählung. Zwar ist wârheit in mittelalterlichem Verständnis nicht unmittelbar mit historischer Faktizität in modernem Sinne gleichzusetzen, 382 mag aber an dieser Stelle dennoch genauso verstanden worden sein. 383 Wenn es außerdem heißt, Thomas habe in historiographischen Quellen (britûnschen buochen, v. 152) 384 über das Leben seiner Figuren (aller der lanthêrren leben, v. 153) gelesen, dann impliziert das, »that the principal characters in the Tristan story (who else might lantherren here be? ) belonged to historical reality.« 385 381 Auf die Tatsache, dass Gottfried hier genau einer anderen Stelle seiner Vorlage und der Beschreibung ihrer Quelle (Breri) folgt, habe ich bereits hingewiesen, siehe oben, S. 184 Anm. 322. Für Bauschke handelt es sich bei der Ausführung des Thomas allerdings um eine Quellenfiktion, die vom Publikum durchschaut worden sei und deshalb gerade die Absicht verfolge, »die literarische Konstruiertheit von Thomas’ Tristanroman zu profilieren« (Bauschke 2008, S. 89). 382 ›Wahrheit‹ meint etwa auch die vorgegebene Wahrheit des göttlichen Heilsplans, die auch im Rahmen des integumentum in fiktionalen Texten zum Ausdruck gebracht werden kann. In diesem Sinne existiert im Mittelalter eine grundlegende ›Wahrheit der Fiktion‹, wie sie Haug beschrieben hat: »In der Perspektive der Vermittlung einer Wahrheit tritt also die Opposition zwischen Faktischem und Fiktivem zurück« (Haug 2003a, S.- 136). Grünkorn dagegen hält die Tradition des integumentum zumindest in Bezug auf Wolfram und Gottfried gegenüber der ›isidorischen‹ historia für nicht entscheidend, vgl. Grünkorn 1994, S. 102: »Ein Hinweis auf irgendeine Art ›höhere Wahrheit‹ in bezug auf die Wahrheitsbeteurungen in Verbindung mit den Quellenberufungen ist bei den deutschen Autoren nicht auszumachen.« - Zum Zusammenhang von ›Wahrheit‹ und ›Wahrscheinlichkeit‹ siehe oben, S. 184f. 383 In Bezug auf Thomas meint das Bauschke. Wenn von verur (v. 2152) die Rede ist, meine das nicht nur eine integumental versteckte Wahrheit, »sondern muss als mit historischer Faktizität korrelierbar aufzufassen sein.« (Bauschke 2008, S. 90) Keck versteht auch an der vorliegenden Stelle bei Gottfried die ›Wahrheit‹ als Ausdruck »schriftlich verbürgter Historizität« (Keck 1998, S. 174). Zum ambivalenten Wahrheitsbegriff des »Tristan« Ottmar Carls: Die Auffassung der Wahrheit im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg, in: ZfdPh 93 (1974), S. 11-34, zur vorliegenden Stelle S. 17f., 19f. 384 Vgl. Chinca 1993, S. 50. Chinca denkt hier etwa an genealogische Werke, wie sie im französischsprachigen Raum seit dem 11. Jh. existierten. An »chronicles« denkt Tennant 1982, S. 233. Stevens sieht einen intertextuellen Bezug zur »Historia Regum Britanniae«, in der Geoffrey selbst ein ›sehr altes Buch in bretonischer Sprache‹ (quendam Britannici sermonis librum uetustissimum) als Quelle angibt, vgl. Stevens 2003, S. 223f. Zu überlegen wäre allerdings, inwiefern hier nicht auch ein Zusammenhang mit der matière de Bretagne und ihrer von Jean Bodel zum Ausdruck gebrachten Lügenhaftigkeit hergestellt werden kann. Dann wäre mit dem Label britûnsch gerade nicht ein Anspruch auf Faktualität, sondern Fiktionalität verbunden. Vgl. dagegen zur Historizität der matière de Bretagne-vor allem in England Heinzle 1990, S. 62f., in Bezug auf die Überlegungen von Peter Johanek: König Arthur und die Plantagenets. Über den Zusammenhang von Historiographie und höfischer Epik in mittelalterlicher Propaganda, in: Frühmittelalterliche Studien 21 (1986), S. 346-389. 385 Chinca 1993, S. 50. Daran anschließend Haug / Scholz, Bd. 2, S. 261: »Die Wortwahl in v. 153 suggeriert, daß die Hauptfiguren des Tristanromans der historischen Realität entstammen; die genannten Quellen können genealogische und dynastische Werke gewesen sein […].« Ähnlich schon Green 2002, S. 184: »By implying historical sources for the Tristan story Gottfried suggests that its figures existed in historical reality and that the story was ›founded on, but not reducible to, history‹.« Schließlich werden Tristan und Isolde im Prolog ausdrücklich als einstmals lebende Personen bezeichnet, die vor langer Zeit gestorben seien, vgl. v. 222: al eine und sîn si lange tôt. Von einer »implication that Tristan and Isold existed in historical reality« spricht hier Green 2002, S. 185. Auch Keck erkennt darin einen Bezug auf die »reale[ ] Vergangenheit«. Die »Geschichte von Tristan und Isolde« stelle »einen geschichtlichen Fall dar, wie Gottfrieds Erzähler in der Historikerrolle zuvor betont hat« (Keck 1998, S. 196). 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 199 Ausgehend von solchen Signalen verwundert es nicht, dass von vielen Interpreten tatsächlich ein historischer Anspruch des »Tristan« wahrgenommen wird. 386 Welche Wirkung dieser historische Anspruch des Erzählens für eine ›mimetische‹ Wahrnehmung der Figuren durch den Leser hat, wurde oben bereits angedeutet. Zunächst einmal kann man allerdings davon ausgehen, dass sich die Bildung des mentalen Modells bei Figuren in einem faktualen Text nicht grundsätzlich von derjenigen in einem fiktionalen Text unterscheidet. Jens Eder beschreibt das folgendermaßen: »Auch wenn wir beispielsweise einen Zeitschriftenartikel über eine reale Person wie die Kanzlerin lesen, machen wir uns ein mentales Modell von ihr.« 387 Der Unterschied besteht jedoch in dem Versprechen des faktualen Textes, dass das mentale Modell mit einer realen Person übereinstimmt. 388 Das bedeutet auch, dass der Figur alle Eigenschaften zugeschrieben werden können, die man der realen Person zuschreibt, dass bei der Bildung des mentalen Modells also, etwa was die Vorstellung von psychischen Zuständen oder Prozessen angeht, realweltliches Wissen abgerufen wird. 389 Das impliziert auch eine gewisse Unabhängigkeit der faktualen Figuren vom jeweiligen Text. Wenn wir, um bei Eders Beispiel zu bleiben, etwas über die Kanzlerin erfahren möchten, können wir weitere Zeitungsartikel, Interviews oder andere (biographische) Beiträge heranziehen, um unser mentales Modell von ihr zu vervollständigen, da alle Texte versprechen, auf ein und dieselbe reale Person zu rekurrieren. Die Bildung des mentalen Modells beschränkt 386 Vgl. besonders Tennant 1982. Am deutlichsten hat das vielleicht Fritz Peter Knapp artikuliert, der überhaupt den historischen Anspruch der meisten volkssprachigen Texte des Mittelalters betont. Vgl. etwa mit Bezug auf Thomas’ Roman Knapp 2014b, S. 26: »Der »Tristan« ist Pseudohistorie mit moraltheologischen Implikationen.« Das treffe auf »nahezu alle[ ] Gattungen« der volkssprachigen Literatur zu: »Legende, Bibeldichtung, Weltchronik, Heldenepik und, wohlgemerkt, auch […] Roman (in Vers und Prosa).« Der Begriff ›Pseudohistorie‹ soll darauf hinweisen, dass für die Historizität vormoderner Texte »nicht die von heutiger Warte aus erkennbare tatsächliche Entfernung von der realen Geschichte« entscheidend sei, »sondern der offen bekundete Anspruch der Autoren, historia im damaligen Sinne zu produzieren und dem Publikum als solche erscheinen zu lassen.« (ebd., S. 14) Bei Thomas erkennt selbst Haug »keine Signale, über die er sich mit seinem Publikum über den fiktionalen Charakter seiner Erzählung verständigen würde«; auf diese Weise werde »in der Schwebe gehalten, wo der Roman zwischen Historie und Fiktion anzusiedeln ist.« (Haug 2009, S. 229) Es gelingt Haug deshalb nur über einen Umweg, den Text als Zeugnis für seine These von der ›Entdeckung der Fiktionalität‹ in Anspruch zu nehmen; ganz anders allerdings bei Gottfried, der »den bei Thomas impliziten fiktionalen Charakter der Tristan-Erzählung programmatisch bewußt« (ebd., S. 233) mache. - Als fiktionale Texte und deutlich von ›historischen‹ Gattungen wie der Heldenepik und dem Antikenroman unterschieden betrachtete den Tristanstoff dagegen etwa Mohr 1976, S. 57: »Schon die französische Gesellschaft, die sich von Marke und Tristan oder von Artus und seinen Rittern erzählen ließ, fragte nicht mehr viel nach der geschichtlichen Wahrheit und Bedeutung dieser Stoffe. Sie ließ sich aus diesen Geschichten ein fast geschichtsloses, symbolisches Abbild ihrer eigenen Lebens- und Wertwelt schaffen. Nun entstanden Dichtungen, die frei in ihrem eigenen poetischen Raum lebten, Romane, die nicht gewesene oder vermeintlich gewesene Wirklichkeit überlieferten, sondern zweckfrei allein dem Gesetz der poetischen Wahrheit gehorchten. Noch ferner von jeder wirklich geschehenen Geschichte waren diese Stoffe für die höfische Gesellschaft, die ein bis zwei Generationen später in Deutschland die Romane von Tristan und Isolde und von den Rittern der Tafelrunde bei sich aufnahm.« 387 Eder 2016, S. 34. 388 Eder spricht von der »Postulierung eines Entsprechungsverhältnisses zwischen der realen Person und einem intersubjektiv generalisierten Figurenmodell - der nicht-fiktionalen Figur.« (Eder 2016, S. 34) 389 Zum Zusammenhang zwischen der Faktualität des Textes und der Abrufung von Weltwissen etwa Glauch 2014, S. 96, 123. Auch für Martínez und Scheffel bedeutet Faktualität eine »unmittelbare Referenzialisierbarkeit, d. h. Verwurzelung in einem empirisch-wirklichen Geschehen« (Martínez / Scheffel 10 2016, S. 16). Grundlegend Danneberg / Spoerhase 2011, bes. S. 46-52. 200 2 Annäherungen sich also nicht notwendigerweise auf die Basis eines einzelnen Textes. Lutz Danneberg und Carlos Spoerhase machen diese Tatsache zum Zentrum ihres Fiktionalitätskonzepts, 390 indem sie die Fiktionalität eines Textes über sein Verhältnis zu der von ihm konstruierten erzählten Welt bestimmen. Bei fiktionalen Texten handle es sich um ein ›univiales‹ Verhältnis, das heißt, der jeweilige fiktionale Text biete den einzigen Zugang zu der von ihm erzählten Welt. Ein faktualer Text stelle hingegen einen unter vielen Zugängen dar: Behandelt man […] einen Text als den einzigen Zugang zu der von ihm (propositional) beschriebenen ›Welt‹, dann - so die vereinfachte Festlegung - macht man im Zuge des Umgangs aus ihm einen fiktionalen Text. […] Behandelt man den Text so, dass es m e h r e r e Zugänge zu der von ihm (propositional) beschriebenen Welt gibt, dann behandelt man ihn als faktualen Text. 391 Das bedeutet: Über Figuren in einer fiktionalen Erzählung erfährt man nur im jeweils vorliegenden Text etwas, über Figuren in einer faktualen Erzählung auch anderswo. 392 Deshalb gilt die Unvollständigkeit, die oben als zentrales Merkmal fiktiver Figuren eingeführt wurde, in Bezug auf Figuren in historiographischen Texten nur eingeschränkt. Im Gegensatz zu fiktiven Figuren sind sie nicht unvollständig, weil sich potentiell stets weitere Informationen über sie gewinnen lassen. 393 Lubomir Doležel unterscheidet in diesem Zugammenhang zwischen ontologischen und epistemologischen Leerstellen: Während fiktionale Texte ontologische Leerstellen aufweisen, die sich grundsätzlich nicht schließen lassen, existieren in faktualen Texten lediglich epistemologische Leerstellen, die prinzipiell durch die Erschließung neuer Quellen gefüllt werden können. 394 Es stellt sich allerdings die Frage, wie sich das Konzept von Danneberg und Spoerhase gegenüber dem Paradigma des Wiedererzählens im mittelalterlichen Literaturbetrieb verhält. Vertreten mittelalterliche Texte nicht grundsätzlich den Anspruch, Zugang zu einer erzählten Welt zu bieten, über die man bereits in anderen Texten etwas erfahren kann? Wendet man das Fiktionalitätskonzept von Danneberg und Spoerhase auf vormoderne Texte an, die dem Wiedererzählen verpflichtet sind, müsste man sie als nicht-fiktional kategorisieren. 395 Den beiden Literaturtheoretikern zufolge entspricht das tatsächlich der Kommunikationsabsicht mittelalterlicher Autoren: Das Dichten wird […] zum W i e d e r e r z ä h l e n und erlangt (für einige Zeit) dadurch seine Beglaubigung, dass der Bezug auf Vorgegebenes den Lügenvorwurf aussetzt. Die Beglaubigung (etwa in der 390 Vgl. Danneberg / Spoerhase 2011; siehe auch Danneberg 2006. 391 Danneberg / Spoerhase 2011, S. 47; weiterhin Danneberg 2006, S. 65f. 392 Das betrifft nicht nur weitere Erzähltexte: Auch andere Quellensorten können einen Zugang zur erzählten Welt des faktualen Textes bieten, etwa Bilder, historische Dokumente, Artefakte oder sogar auch persönliche Gespräche mit den jeweiligen Personen (wie etwa beim Beispiel der Kanzlerin). 393 In diesem Sinne meinen auch Martínez und Scheffel, in Bezug auf Figuren in faktualen Texten sei das »Prinzip der Abgeschlossenheit nur eingeschränkt gültig, da die Identität dieser Protagonisten nicht nur durch den fiktionalen Text, sondern auch durch textexterne Dokumente konstituiert wird.« (Martínez / Scheffel 10 2016, S.-149) 394 Vgl. Doležel 1999, S. 258f. 395 Zur Inkompatibilität von Wiedererzählen und Fiktionalität auch Schmitt 2005, S. 274: »In einem an wahrheitsverbürgenden Vorlagen orientierten Dichtungsverständnis und bei einer auf sprachliche und formale Gestaltung gründenden Autorkonzeption hat Fiktivität keinen Platz.« Dagegen Reuvekamp-Felber 2013, S.-429: »Das Paradigma der Retextualisierung schließt […] nicht fiktionales Erzählen aus, sondern ein.« 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 201 mittelalterlichen Literatur) durch die Berufung auf eine vorgängige Quelle lässt sich dann so deuten, dass die im Text dargebotene ›Welt‹ nicht nur einen einzigen Zugang besitzt und dadurch v e r s u c h t wird, den Text als nichtfiktional auszuweisen […]. 396 Kann man davon ausgehen, dass etwa die Artusromane Hartmanns von Aue und Wirnts von Grafenberg in der Perspektive mittelalterlicher Rezipienten Zugang zu ein und derselben erzählten Welt bieten? 397 Handelt es sich also bei Gawein im »Erec« um dieselbe Figur wie im »Iwein« und im »Wigalois«? In diesem Sinne nimmt jedenfalls Harald Haferland für die Antike und das Mittelalter eine Autonomie der Figuren vom einzelnen Text an, die er mit einem noch nicht entwickelten Fiktionalitätsbewusstsein zusammendenkt. Erst in der Moderne habe sich ein Verständnis dafür entwickelt, dass Figuren ›Versionen ihrer selbst‹ seien: So hätte Euripides vermutlich behauptet, seine Medea sei die der Trojasage. Und die mittelalterlichen Dichter von Trojaromanen hätten ihre Darstellung Medeas immer noch so verstanden. Aber Versionen Medeas aus dem 20. Jahrhundert würden einen solchen Anspruch schwerlich aufrechterhalten. Medea wird hier vielmehr zu einer Version ihrer selbst modernisiert. Eine solche Version bleibt auf das Areal beschränkt, in dem oder für das sie erzeugt wird, d. h. auf den Roman, den Film, das Bild usw. 398 Differenzierter äußert sich Sonja Glauch: Zwar besäßen »die narrativen Welten des Mittelalters« stets einen Rückhalt im Wissen über die reale Welt. Dieser Rückhalt wird durch das gewährleistet, was man an Übereinstimmendem aus anderen, auch zweifellos nichtfiktionalen Textquellen über die Zentralfi- 396 Danneberg / Spoerhase 2011, S. 45. 397 Gerade der ›nachklassische‹ Artusroman Wirnts von Grafenberg bietet vielleicht ein besonders spannungsreiches Beispiel. Einerseits knüpft er im Prolog in Anspielung an den Beginn des »Iweins« deutlich an die Tradition arthurischen Erzählens an. Von Artus, der zuvor als historisch verbürgte Person eingeführt wurde, sei so viel erzählt worden, dass auch diejenigen seinen Namen und sein Land kennen würden, die beides nie gesehen hätten, vgl. »Wigalois«, vv. 163-171 (Ausg. Seelbach / Seelbach 2014, S. 7). Andererseits wurde in der Forschung immer wieder beschrieben, wie die Anknüpfung an die Erzählwelt der Artusromane im Verlauf des Textes aufgegeben und durch die Anküpfung an andere Erzählwelten ersetzt werde, vgl. den Kommentar von Seelbach / Seelbach 2014, S. 266, 277-281. - Die Frage der erzählten Welt(en) im Artusroman soll im Laufe der Untersuchung noch einmal aufgegriffen und ausführlicher behandelt werden (siehe unten, S. 386f.). 398 Haferland 2013, S. 99f. - Einen Beleg für ein in diesem Sinne ›modernes‹ Verständnis fiktiver Figuren könnte man bei Giovanni Boccaccio (gest. 1375) erkennen, wenn er an Petrarca über Vergils Darstellung der Dido-Figur schreibt: Quod autem Virgilio obiciunt, falsum est. Noluit quippe vir prudens recitare Didonis hystoriam; sciebat enim, ut talium doctissimus, Didonem honestate precipuam fuisse mulierem, eamque manu propria mori maluisse, quam infixum pio pectori castimonie propositum secundis inficere nuptiis. Sed, ut artificio et velamento poetico consequeretur, quod erat suo operi oportunum, composuit fabulam in multis similem Didonis hystorie; quod, ut paulo ante dictum est, veteri instituto poetis conceditur. (»Genealogia deorum gentilium«, 14,13,12) Zitiert nach Tutte le opere de Giovanni Boccaccio, Bd. 7 / 8: Genealogia deorum gentilium, a cura de Vittore Branca, Mailand 1998, Bd. 2, S. 1446. ›Was sie aber Vergil vorwerfen, trifft nicht zu. Durchaus nicht wollte der gelehrte Mann die wahre Geschichte (hystoria) der Dido wiedererzählen. Er wusste nämlich, umfassend gebildet, wie er in diesen Dingen war, dass Dido eine Frau von herausragender Ehrenhaftigkeit war und lieber durch die eigene Hand sterben wollte, als ihren Entschluss zur Witwentreue, den sie fromm gefasst hatte, durch eine zweite Heirat zu beflecken. Aber um das, was seinem Werk anstand, mit literarischer Kunstfertigkeit (artificium) und poetischer Verhüllung zu erreichen, erfand er eine fiktive Erzählung (fabula), die in vielem der wahren Geschichte (hystoria) Didos ähnlich war - und dies ist, wie kurz zuvor bereits erläutert, den Dichtern nach alter Übereinkunft zugestanden.‹ Übersetzung von Hamm 2008, S.-22f. 202 2 Annäherungen guren erfahren kann. Die Verfasser einer fiktionalen Darstellung, etwa eines Artusromans, sind hier nicht zugleich die Schöpfer einer ganzen fiktionalen Welt. […] Wirklich ›univiale‹ fiktionale Welten finden sich im Mittelalter primär in den Erzähltraditionen der Allegorie und der Kleinepik. In der Großepik sind ›Inselwelten‹ (z. B. Wolframs »Titurel«, Wittenwiles »Ring«) rar. 399 Anders als Danneberg und Spoerhase möchte Glauch daraus jedoch keine absoluten Aussagen über den Fiktionalitätsstatus mittelalterlicher Texte ableiten. Stattdessen verortet sie das mittelalterliche Erzählen zwischen den Polen ›Realität‹ und ›Fiktionalität‹: Statt der strikten Opposition zwischen ›univialen‹ fiktionalen Welten und ›multivialer‹ realer Welt lässt sich das mittelalterliche Erzähluniversum eher als eines charakterisieren, das narrative Entwürfe in eben dem Maß als Ergänzung und Erweiterung der realen Welt verstand, wie diese Entwürfe durch Wissen über diese Welt gedeckt und autorisiert waren […]. 400 In den eingehenden Textanalysen wird darauf zu achten sein, wie sich Gottfrieds »Tristan« möglicherweise in diesem Spannungsfeld zwischen fiktionaler und realer Welt verorten lässt. Das bedeutet, nach Hinweisen darauf zu suchen, ob der Text ein ›univiales‹ oder ›multiviales‹ Verhältnis zu den von ihm erzählten Figuren nahelegt. 401 Die quellenkritischen Exkurse des Erzählers scheinen Letzteres nahezulegen: Hier geht es nicht nur darum, welche Fassung besser erzählt, sondern offenbar auch, ›wie es wirklich gewesen ist‹. Dabei bleibt es allerdings nicht: Folgt man nämlich weiter dem Gedankengang des Prologs, dann stellt der Erzähler dem historiographischen Bericht des Thomas etwas Anderes an die Seite, und zwar seine eigene Lektüre der Geschichte: Waz aber mîn lesen dô wære von disem senemære: daz lege ich mîner willekür allen edelen herzen vür. (vv. 167-170) 399 Glauch 2014, S. 122f. 400 Ebd., S. 123. Das gelte grundsätzlich für jedes serielle Erzählen, auch in der Moderne: »Selbst für die Gegenwart ist zweifelhaft, ob diese Annahme [eines Zusammenhangs zwischen dem ›multivialen‹ Zugang zur erzählten Welt und der Faktualität des Textes] universell gilt; das moderne ›Wiedererzählen‹ und ›Weitererzählen‹ fiktionaler Welten im Film, in Fortsetzungen, in Fan-Fiction etc. funktioniert ganz ähnlich wie das mittelalterliche. Es verbietet den Autoren das freie Schalten mit identitätsstiftenden Elementen der fiktionalen Welt« (ebd.). 401 Daran anschließend stellt sich auch die Frage, ob es sich in der Perspektive zeitgenössischer Rezipienten bei den Protagonisten in Gottfrieds Text um dieselben Figuren handelt wie in der Erzählung von Eilhart. Eine Identität der erzählten Geschichte suggeriert jedenfalls der Epilog des Prosa-»Tristrant«. Hier heißt es Von dyser hystorj hat vonn erste geschriben der maister von Britanie (Z. 5184 f.). Zitiert nach Tristrant und Isalde. Prosaroman. Nach dem ältesten Druck aus Augsburg vom Jahre 1484, vers. mit den Lesarten des zweiten Augsburger Druckes aus dem Jahre 1498 und eines Wormser Druckes unbekannten Datums, hrsg. von Alois Brandstetter, Tübingen 1966 (ATB. Ergänzungsreihe 3), S. 197. Damit existiert offenbar »eine Kontinuität des Erzählens von scheinbar ein und derselben Geschichte in veränderten Formen.« (Marion Oswald: Anonymität und Autorität im Prosaroman von »Tristrant und Isalde« [1484], in: Autorität der / in Sprache, Literatur, Neuen Medien. Vorträge des Bonner Germanistentages 1997, hrsg. von Jürgen Fohrmann u. a., Bielefeld 1999, S. 509-531, hier S. 517) Der Erzähler des Prosaromans erhebt nicht den Anspruch auf Autorschaft im eigentlichen Sinne, sondern tritt nur als Formgeber des Erzählten auf (vgl. Z. 5189f.: hab jch Vngenannt dise Hystorj in die form gebracht; Ausg. Brandstetter 1966, S. 198). Zu dieser Stelle auch Schmitt 2005, S. 51. Zur Frage der Identität der erzählten Welten in den Tristanromanen außerdem Schausten 1999, bes. S.-287f. 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 203 Durch die Formulierung waz aber steht die Aussage dabei in einem stärkeren Kontrast zum zuvor Gesagten, 402 als das in den Übersetzungen in der Regel zum Ausdruck kommt. 403 Der als wahr gesicherte Stoff wird zur Ausgangsbasis für die Gestaltung durch ein Erzähler-Ich, das durch das wiederholte Possessivpronomen (m î n lesen, m î n e willekür) deutlich in den Vordergrund tritt. 404 Neben die historiographische Überlieferung tritt hier der »Aspekt der dichterischen Originalität Gottfrieds« 405 . Auch Thomas erscheint im Prolog nicht nur als historiographus, sondern wird auch als âventiure meister (v. 151) bezeichnet, was durchaus als Verweis auf die Produktion spezifisch l it e r a r i s c h e r Texte verstanden werden kann. 406 Huber spricht deshalb davon, Gottfried verpasse »seiner Dichtung einerseits einen historiographischen Anstrich, dagegen zitiert er mit dem Stichwort aventiure auch die Tradition des fiktionalen Artusromans.« 407 Neben die Kompetenz des Erzählers als Historiograph tritt jene als ›Künstler‹, ohne dass beide gegeneinander ausgespielt würden. 408 Offenbar nutzt Gottfried die Logik historiographischen Erzählens, ohne den Anspruch auf die literarische Gemachtheit des Erzählten zu unterdrücken. Das verweist zunächst auf die grundsätzliche Skaliertheit von Fiktionalität, die sich »einer absoluten Opposition zwischen ›Fiktion‹ und ›Wirklichkeit‹« 409 verweigert. Man kann die 402 In einigen Handschriften ist durch eine Initiale gekennzeichnet, dass hier ein neuer Abschnitt beginnt, so etwa in M (München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 51, fol. 2 r ) und B (Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7020 (W*) 88, Bl. 3 a ). 403 So übersetzt etwa Knecht, S. 5: ›Und was ich gelesen habe‹; in diesem Sinne auch Hatto 1976, S. 43: ›And now I freely offer the fruits of my reading…‹. Ich schlage folgende Übersetzung der Stelle vor: ›Was aber meine Lektüre dieser Liebesgeschichte war, das lege ich wie ich es will allen edelen Herzen vor.‹ Vgl. auch die Übersetzung bei Manfred Kern: Katagrammatische Lektüre. Ein ovidianisches Pamphlet, in: Der »Jüngere Titurel« zwischen Didaxe und Verwilderung. Neue Beiträge zu einem schwierigen Werk, hrsg. von Martin Baisch u. a., Göttingen 2010 (Aventiuren 6), S. 119-173, hier S. 122 Anm. 9. 404 Die Bedeutung des Possessivpronomens an dieser Stelle betont Jaeger 1977, S. 163 Anm. 10: »[T]he sense is quite different if one does not place the stress on the possessive«. Zur Bedeutung von mîner willekür siehe Kolerus 2006, S. 31f. (›nach meinem Gutdünken; wie es mir richtig erscheint‹); ähnlich übersetzt Schröder 1975, S. 313 (›wie es mich gutdünkt‹). Krohn dagegen sieht darin einen Verweis auf (vorgebliche) Unabhängigkeit Gottfrieds von einem Mäzenen, vgl. Krohn, Bd. 3, S. 34. So auch Huber 3 2013, S. 44 (›aus freiem Entschluss‹), ähnlich Hatto 1976, S. 43 (›freely‹). 405 Kolerus 2006, S. 31. Von einer »doppelten Sicherung« der Erzählung durch »materia und […] artifizielle Gestaltung des Erzählers« spricht Hasebrink 2009, S. 212. 406 Vgl. Chinca 1993, S. 52; 2004, S. 319; Stevens 2003, S. 224. Den Ausdruck âventiure meister übersetzt Glauch an anderer Stelle mit ›Meister der Romanüberlieferung‹, vgl. Glauch 2005, S. 56; in diesem Sinne auch Hatto 1976, S. 43 (›a master romancer‹). Auch im quellenkritischen Exkurs zur Herkunftsbezeichnung Riwalins (vv.-319-334) fällt mehrfach der Ausdruck âventiure, vgl. vv. 321, 329. 407 Huber 3 2013, S. 44. Zum Ausdruck âventiure, den der Erzähler erneut in v. 166 für die Geschichte verwendet, als Teil des »Vokabular[s] […], das die französische und deutsche Erzählkultur für Annäherungen an das Konzept des Fiktionalen benutzte«, siehe Glauch 2014, S. 125f., Zitat S. 126. 408 In diesem Sinne spricht Stefanie Schmitt für den »Tristan« von einem »Erzähler, dessen Autorität erstmals prononciert aus seinen quellenkritischen u n d aus seinen künstlerischen Qualitäten erwächst« (Schmitt 2005, S. 102). Chinca verbindet das mit dem Autorbild Lukans, der im Mittelalter als poeta et historiographus galt, vgl. Chinca 1993, S. 61. Auch Kolerus betont, »die Frage, ob er [Gottfried] sich in der betreffenden Passage seines Tristanprologs entweder als Dichter oder als Geschichtsschreiber darstelle«, sei »von vornherein unsinnig, da diese Rollen hier unmöglich unabhängig voneinander gedacht werden können, sondern sich vielmehr gegenseitig bedingen.« (Kolerus 2006, S. 29) 409 Jan-Dirk Müller: [Rezension] Harald Haferland: Hohe Minne. Zur Beschreibung der Minnekanzone, Berlin 2000, in: ZfdPh 122 (2003), S. 456-463, hier S. 459. Weiterhin: »Bei Annahme einer absoluten Opposition zwischen ›Fiktion‹ und ›Wirklichkeit‹ verwickelt man sich - wie beispielsweise Untersuchungen 204 2 Annäherungen Stelle weiterhin auch so interpretieren, dass die Figuren als historisch dargestellt werden, nicht aber die Erzählung von ihnen. 410 Vielleicht sollte man Historizität und Literarizität aber überhaupt nicht als Gegensätze verstehen, 411 was ausgehend von den Beobachtungen Hayden Whites kaum überraschen sollte. 412 Dass Historizität nicht unabhängig von literarischer Verzur mittelalterlichen Epik, zumal zur Geschichts- und Legendenepik zeigen - in heillose Widersprüche. Es gibt keine reine Faktizität, die nicht in bestimmten sinnstiftenden Mustern ausgelegt ist und insofern fiktionale Anteile hat (so wenig wie eine völlig referenzlose Fiktion).« Dazu besonders auch Glauch 2014, S. 120-125. 410 So Green 2002, S. 185; Chinca 1993, S. 46f. Auch Grünkorn zieht die Möglichkeit in Betracht, »daß nur der Stoff, nicht aber das von den Autoren verfaßte Werk in die historisch verbürgte Tradition eingereiht ist. Das bedeutet, die Autoren greifen den wie auch immer verbürgten historischen Stoff auf und setzen diesen dichterisch um.« (Grünkorn 1998, S. 102) Klaus Ridder sieht darin sogar einen allgemein Zug volkssprachigen Erzählens um 1200, vgl. Klaus Ridder: Fiktionalität und Autorität. Zum Artusroman des 12. Jahrhunderts, in: DVjs 75 (2001), S. 539-560, hier S. 539f. 411 Vgl. in Bezug auf den »Tristan« Tomasek 2007, S. 138; Kolerus 2006, S. 29f. In diesem Sinne kann man auch Bertau verstehen, wenn er von einer ›imaginären Historizität‹ des »Tristan« spricht: »Da das Vergangene nur als Imaginiertes existiert, kann auch das Imaginierte wie historisch Vergangenes behandelt werden.« Insofern erweise sich der historische Anspruch als Teil der literarischen Imagination: »Hier wird vielmehr eine Haltung, die uns als historisch-kritische Haltung erscheinen kann, als Haltung dokumentiert. Den Anschein zu erwecken, die ›res fictae‹ seien ›res gestae‹, gehört offenbar zur Kunst.« Die Geschichtlichkeit sei also Teil der Kunst, »das Schalten mit imaginärer Historizität Literatenhaltung« (Bertau 1972-1973, Bd. 2, S. 920f.). Man könnte aber auch von einem umgekehrten Verhältnis ausgehen, bei dem die Historizität nicht Teil der Kunst, sondern vielmehr Kunst die Voraussetzung für Historizität ist (siehe unten). Eine andere Erklärung für die Zwischenstellung mittelalterlicher Erzählungen zwischen Literatur und Historizität verweist darauf, die Autoren und Rezipienten der Zeit um 1200 hätten noch nicht zwischen Fiktionalität und Historizität unterscheiden können, vgl. etwa Horst Wenzel: Imaginatio und Memoria. Medien der Erinnerung im höfischen-Mittelalter, in: Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, hrsg. von Aleida Assmann / Dietrich Harth, Frankfurt a. M. 1991, S. 57-82, hier S. 64. Dazu auch Hans Robert Jauß: Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, Frankfurt a. M. 1982, S. 228f.: »Eine Unterscheidung historischer von poetischer Wahrheit liegt dieser Zeit so fern, daß noch Dante in die exempla-Reihen, die in der »Divina Commedia« das moralische Fazit der weltlichen Geschichte repräsentieren, Figuren aus den drei Epochen der Bibel, der Antike und der christlichen Moderne ohne Ansehung ihrer sakralen, mythischen, historischen oder fiktionalen Herkunft aufnehmen konnte. In der Beispielreihe der ›großen Liebenden‹ (um nicht zu sagen: der ›Wollüstigen‹) steht Tristan (V,67) als Hervorbringung der mittelalterlichen Phantasie neben historischen oder mythischen Gestalten wie Semiramis, Dido, Kleopatra, Helena, Achilles, Paris einerseits und Paolo und Francesca, dem realen Liebespaar der jüngsten ›chronique scandaleuse‹, andererseits.« 412 Zum »schaffenden Element[ ] von Geschichtsschreibung« und dem grundsätzlichen »Konstruktcharakter von Geschichte« Jaeger 2009, S. 210. In Bezug auf mittelalterliche Erzählungen und ohne expliziten Verweis auf Hayden White und den linguistic turn auch Dorothea Klein: Mittelalter. Lehrbuch Germanistik, Stuttgart / Weimar 2006, S. 256f.: »Die Aufzeichnung historischer Fakten im Medium der Schrift […] heißt immer Literarisierung, und zwar im doppelten Sinne des Wortes. In ihr fallen Faktum und Interpretation des Faktums zusammen; eine hinter dem Text stehende Faktizität (›Wirklichkeit‹) ist nicht mehr erreichbar.« Auf die Bedeutung der Darstellung und damit des schöpferischen Moments der Geschichtsschreibung hat in der Geschichtswissenschaft Gert Melville in seiner Dissertation verwiesen, vgl. Gert Melville: System und Diachronie. Untersuchungen zur theoretischen Grundlegung geschichtsschreiberischer Praxis im Mittelalter, in: Historisches Jahrbuch 95 (1975), S. 33-37, 308-341. Vgl. auch, vorsichtiger, Goetz 1999, S. 140: »Das Verhältnis des mittelalterlichen Geschichtsschreibers zu seinem Gegenstand, dem Faktum, hat sich […] als weit komplexer erwiesen, als es die einfache Begrifflichkeit erwarten ließ. Das Faktum an sich war zwar real, wurde aber erst durch das Wort erschlossen.« Einem mittelalterlichen Historiographen »war zwar noch nicht die moderne Anschauung vertraut, daß überhaupt erst die Darstellung ›Geschichte‹ schaffe, wohl aber war ihm bewußt, daß das (an sich feste und unveränderliche) Faktum erst in der historischen Darstellung zugänglich wurde« (ebd., S.-141). 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 205 mittlung ist, zeigt sich im »Tristan« etwa bei der Beschreibung der Figur Melot von Aquitanien, über die der Erzähler nicht mehr sagen will, als in seiner schriftlichen Quelle steht: 413 ine wil aber nihtes von im jehen, wan alse ich’z von dem buoche nim. nu’n vinde ich aber niht von im an dem wâren mære, wan daz ez kündic wære, listic unde rederîch. (vv. 14244-14249) Gesicherte Informationen über die Figur bietet nur die Überlieferung des wâren mæres. Nicht etwa Augenzeugenschaft, sondern ein schriftlicher Text (daz buoch) garantiert hier die historische Wahrheit der Erzählung. Das bedeutet: Die historische ›Person‹ hinter der Figur wird - wenn überhaupt - nur über die textliche Gestaltung zugänglich und ist deshalb nicht unabhängig von ihr zu denken. Ausgangspunkt für die Bildung des mentalen Modells ist ein Text. 414 Womöglich zeigt sich hier also wiederum ein mittelalterliches Verständnis von ›Wirklichkeit‹, wie ich es oben bereits zu skizzieren versucht habe: 415 Wenn Wirklichkeit weniger eine unabhängig beobachtbare historisch-faktische Realität meint als vielmehr den Akt ihrer Hervorbringung betont, dann ist die literarische Gestaltung (d. h. Geschichts s c h r e i b u n g im eigentlichen Sinne) womöglich ›wirklicher‹ als die empirische Vergangenheit. 416 Dass ›Lite- 413 Zur Artikulation der Quellentreue an dieser Stelle auch Schmitt 2005, S. 50f. 414 Diese Beobachtung lässt sich auch mit einem Verständnis von Wiedererzählen verbinden, wie es Ludger Lieb formuliert hat. In seinem Versuch einer »metaphysischen Reformulierung des Wiedererzählens« äußert sich Lieb folgendermaßen zur »Wahrheit der Historia«: »[D]ie Historia darf nicht missverstanden werden, als ob sie sozusagen der absolute Bezugspunkt wäre. Schon gar nicht ist sie die faktische Datenmenge eines ›So-ist-es-wirklich-gewesen‹. Vielmehr markiert die Historia eine ausgezeichnete, erste Aktualisierung des Stoffes. Von daher ist sie ein Fluchtpunkt, doch zugleich ist auch sie der irdischen Unvollkommenheit unterworfen« (Lieb 2005, S. 369). Könnte das mit dem wâren mære im »Tristan« gemeint sein? - Im Übrigen könnte man darüber nachdenken, ob es sich hier insofern um ein univiales Verhältnis handelt, dass der Erzähler ausdrücklich von einer einzigen Quelle spricht (daz buoch, daz mære), der er unter Missachtung anderer Quellen folgt. Da das wâre mære nicht mehr über Melot weiß, als dass er kündic wære, listic unde rederîch, kann der Erzähler des »Tristan« auch nicht mehr über ihn erzählen. Dasselbe gilt gewissermaßen auch für den Prolog, wo der Erzähler den Bericht des Thomas an eime buoche bestätigt findet. Zumindest in der gegebenen epistemologischen Situation unseres Erzählers ist der Zugang zur historischen Wirklichkeit also ein univialer. 415 Siehe oben, S. 66 Anm. 162 und S. 98 Anm. 322. Zu alteritären mittelalterlichen Vorstellungen von historischer Wahrheit auch Vollmann 2002, S. 64-66; Müller 2004b, S. 286f. 416 Vgl. Hasebrink 2009, bes. S. 209f. Hasebrink verbindet die Praxis des Wiedererzählens mit einem vormodernen Begriff von Wirklichkeit in Anlehnung an Hans Blumenberg, »in dem der Gesichtspunkt seiner Hervorbringung zur Geltung kommt. ›Wirklichkeit‹ […] ist im mittelalterlichen Sinne immer bereits eine Hervorbringung (productio) und als Hervorgebrachtes Zeuge eines Wirkens. […] Wenn wir also hier von ›Wirklichkeit‹ sprechen wollten, dann nicht, um das einzubringen, was ›historischen Realität‹ genannt wird, sondern um die kulturellen Manifestationen hervorzuheben, die im Zuge der Aktualisierung der eigenen Deutungstraditionen hervortreten.« Eine solche Form von ›Wirklichkeit‹ beschreibt auch Siegfried Ringler, auf den Hasebrink verweist, in Bezug auf die mittelalterliche Frauenmystik: »›Wirklich‹ ist nicht nur das historische Substrat, das der literarischen Darstellung zugrunde liegt; wirklich ist oft in einem weit höheren Maß die literarische Darstellung selbst, und zwar auch in ihren fiktiven Teilen: insofern sie ein Produkt geschichtlich wirksamer Kräfte ist, und vor allem, insofern sie selbst geschichtlich ›wirksam‹ wird.« (Siegfried Ringler: Die Rezeption mittelalterlicher Frauenmystik als wissenschaftliches Problem, dargestellt am-Werk der Christine Ebner, in: Frauenmystik im Mittelalter, hrsg. von Peter Dinzelbacher / 206 2 Annäherungen rarizität‹ und ›Historizität‹ keine einfachen Gegensätze darstellen, lässt sich auch am Prolog des »Iwein« beobachten: Wenn Hartmann die Lebendigkeit von Artus im Erzählen über ihn (ir mære, sîn name) den historischen Ereignissen (diu werc) vorzieht, wird dadurch nicht die Historizität der Person Artus negiert. 417 Es geht nicht um die »Differenz zwischen historischer Faktizität und poetischer Fiktion«, sondern um die »Aktualisierung der Geschichte« im Erzählen. 418 Historisches Erzählen steht zwischen den Polen ›Literatur‹ und ›Welt‹; die Kategorie der ›Gemachtheit‹ der Erzählung liegt quer zur Frage nach Faktualität oder Fiktionalität. 419 Eine einfache Gleichsetzung von Faktualität und Person, Fiktionalität und Figur, wie sie etwa Martínez und Scheffel vorschlagen, greift hier zu kurz. Bevor ich zum Schluss des Kapitels komme, möchte ich die bisherigen Ergebnisse kurz zusammenfassen: In mehrfacher Hinsicht privilegiert der »Tristan« einen ›mimetischen‹ Standpunkt der Figurenwahrnehmung. Vor allem anhand von drei Aspekten lässt sich hier ein Bemühen erkennen, die Figuren wie reale Personen erscheinen zu lassen. Erstens besitzen Gottfrieds Figuren ein Innenleben, das vom Erzähler ausführlich zugänglich gemacht wird. Damit verbindet sich zweitens ein rationales Erzählverfahren, das immer wieder die kausalpsychologische Nachvollziehbarkeit der Handlung hervorhebt und die Übereinstimmung mit dem realweltlichen Wissen der Rezipienten betont. Auch der geschichtliche Anspruch des Erzählens lädt drittens dazu ein, die Figuren als Abbilder realer historischer Personen zu betrachten. Zumindest auf der Textoberfläche vertritt Gottfrieds Roman damit - gerade im Vergleich sowohl mit anderen mittelalterlichen Erzählungen als auch der übrigen Stofftradition - deutlich den Anspruch einer ›mimetischen‹ Figurenkonzeption. Die verschiedenen Erzählverfahren, die zu diesem Eindruck beitragen, stehen dabei in einem spannungsreichen Wechselspiel mit den gegenläufigen Tendenzen, von denen im vorigen Kapitel die Rede war. Deshalb ist nicht immer klar, welcher der beiden Standpunkte der Figurenwahrnehmung im Einzelnen den Vorzug erhält. Besonders am Beispiel des historischen Anspruchs der Erzählung hat sich jedoch auch gezeigt, dass die im vorliegenden Kapitel behandelten Aspekte einer ›mimetischen‹ Figurenkonzeption nicht unbedingt mit einem Verzicht auf die künstlerische Gestaltung der Erzäh- Dieter R. Bauer, Ostfildern ²1990, S. 187-200, hier S. 192) Auch Müller betont, dass im vormodernen Weltbild »›Re-Konstruktion‹ des göttlichen Plans in der Geschichte von der ›Konstruktion‹ einer poetischen Deutung des Weltgeschehens nicht klar abgrenzbar ist« ( Jan-Dirk Müller: Poet, Prophet, Politiker. Sebastian Brant als Publizist und die Rolle der laikalen Intelligenz um 1500, in: LiLi 10 (1980), S. 102-127, hier S. 115). 417 Das hat auch Haug nicht gemeint, als er von einer ›Entdeckung der Fiktionalität‹ im höfischen Roman gesprochen hat, vgl. noch einmal deutlich Haug 2003a, S. 138f.: »Man kann […] durchaus mit der historischen Wirklichkeit der arthurischen Welt rechnen - und Hartmann tut dies offenkundig -, aber auf dieses Faktum kommt es nicht an, entscheidend ist allein die Sinngebung durch das Erzählen. […] Die Frage nach der historischen Faktizität eines König Artus und seiner Ritter berührt dieses fiktionale Moment nicht. Historische Faktizität und poetische Fiktion schließen sich nicht aus, sie liegen auf unterschiedlichen Ebenen.« 418 Hasebrink 2009, S. 208. 419 Einen entsprechenden Fiktionalitätsbegriff fordert in Auseinandersetzung mit Haug auch Stock 2002, S. 3-6, bes. S. 5: »Kein Zweifel besteht jedenfalls darüber, daß die vorarthurischen Epen allein stofflich in viel deutlicherem Sinne [als die Artusromane] Geschichtsepen sind, die auch in der Anordnung der Geschehnisse mehr oder weniger den stofflichen Vorgaben folgen und um historisch ›geglaubte‹ Helden (Alexander, Rother, Ernst) herum entworfen sind. […] Konstruiert sind die frühen mittelhochdeutschen Romane aber ebenso wie der Artusroman […].« 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 207 lung einhergehen und die ›Wirklichkeit‹ der erzählten Figuren nicht mit ihrer Gemachtheit verrechnet wird. Diese Beobachtung lässt sich an einer Textstelle des Romans wiederholen, die damit eine gleichsam poetologische Aussagekraft bekommt: Ich meine die Jagd-Episode (vv. 2759-3378) im Rahmen der Jugendgeschichte des Protagonisten, in der Tristan kunstvoll einen Hirsch ausnimmt und damit seine Karriere am Hof König Markes beginnt. 420 2.2.3 ›Wirklichkeit‹ in der Kunst. Tristans Hirschbast als poetologisches Bild In dieser Episode demonstriert Tristan nicht nur seine Fähigkeit als herausragender Jäger (die metaphorisch auf die Fähigkeit als herausragender Liebender verweist 421 ), sondern zugleich auch wieder einmal seine kulturelle Überlegenheit. Die Jagd und vor allem die daran anschließende Zubereitung des Erjagten, die hier thematisiert wird, ist eine der zentralen Kulturtätigkeiten des Menschen. Es geht um die Überführung von Natur in Kultur. 422 Im Kontext 420 Die Episode ist wiederholt Gegenstand von Einzelinterpretationen geworden, vgl. im vorliegenden Kontext besonders Ernst Siegfried Dick: Tristan the Hunter. Toward a Metanarrative Reading of Gottfried’s Stag Ritual, in: Fide et Amore. A Festschrift for Hugo Bekker on his Sixty-Fifth Birthday, hrsg. von William C. McDonald / Winder McConnell, Göppingen 1990 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 526), S. 41-69; Margaret Brown / C. Stephen Jaeger: Pageantry and Court Aesthetic in »Tristan«. The Procession of the Hunters, in: Gottfried von Strassburg and the Medieval Tristan Legend. Papers from an Anglo-North American Symposium, hrsg. von Adrian Stevens / Roy Wisbey, Cambridge 1990 (Arthurian Studies 23 / Publications of the Institute of Germanic Studies 44), S. 29-44; Burkhardt Krause: Die Jagd als Lebensform und höfisches ›spil‹. Mit einer Interpretation des ›bast‹ in Gottfrieds von Straßburg Tristan, Stuttgart 1996 (Helfant-Studien 12), S. 130-188; Helmut Brackert: »deist rehtiu jegerîe«. Höfische Jagddarstellungen in der deutschen- Epik des Mittelalters, in: Jagd und höfische Kultur im- Mittelalter, hrsg. von Werner Rösener, Göttingen 1997 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 135), S. 365-406, hier S. 381-384, 390-395; Hans Jürgen Scheuer: Die Signifikanz des Rituals. Zwei »Tristan«-Studien, in: PBB 121 (1999), S. 406-439, hier S. 425-438; Elisabeth Schmid: Natur und Kultur in der Jagdszene von Gottfrieds »Tristan«, in: Der »Tristan« Gottfrieds von Straßburg. Symposion Santiago de Compostela, 5. bis 8. April 2000, hrsg. von Christoph Huber / Victor Millet, Tübingen 2002, S. 153-166; William Sayers: Breaking the Deer and Breaking the Rules in Gottfried von Strassburg’s »Tristan«, in: Oxford German Studies 32 (2003), S. 1-52, sowie Seggewiss 2012, S. 159-163. Die besondere Bedeutung der Episode wird schon durch ihre auffällige Ausführlichkeit betont, vgl. Wessel 1984, S. 388. Krause erkennt darin ein signifikantes Abweichen vom rhetorischen Gebot der brevitas, vgl. Krause 1996, S.- 138: »Kein anderer deutscher literarischer Text des Mittelalters kennt, soweit ich dies übersehe, anläßlich vergleichbarer Gelegenheiten Vergleichbares […]. Wir haben hier tatsächlich eine ungewöhnliche, solitäre hermeneutisch höchst aussagekräftige Passage des Romans vor uns.« 421 Entscheidend dafür, hier einen Verweis auf Tristans spätere Liebesqualitäten zu erkennen, ist vor allem das »seit der Antike verbreitete Bildfeld der Liebesjagd« (Wessel 1984, S. 389). Zur Verbindung von ars venandi- und ars amandi im »Tristan« und besonders an der vorliegenden Stelle weiterhin Christoph Huber: Wort-Ding-Entsprechungen. Zur Sprach- und Stiltheorie Gottfrieds von Straßburg, in: Befund und Deutung. Zum-Verhältnis von-Empirie und Interpretation in Sprach- und Literaturwissenschaft.-Festschrift für Hans-Fromm, hrsg. von Klaus Grubmüller u. a., Tübingen 1979, S. 268-302, hier S. 278; Huber 3 2013, S. 60; Dick 1990, S. 46; Krause 1996, S.- 130-135; Brackert 1997, S. 390f.; Scheuer 1999, S. 425-438; Seggewiss 2012, S. 162. Auf diese Verbindung verweist unter anderem auch die Tatsache, dass der Erzähler den Ausdruck bast noch einmal gebraucht, wenn er sich im Kontext der Minnegrotte als Jäger darstellt (v. 17107), vgl. den Kommentar von Haug / Scholz, Bd.-2, S. 666f. Zu der Stelle auch Schmid 2002, S. 160f. Liebertz-Grün deutet die Hirschbast daher geradezu als »Sexualmetapher«, vgl. Liebertz-Grün 2001, S. 13. 422 Vgl. grundlegend Claude Lévi-Strauss: Mythologica 1. Das Rohe und das Gekochte, Frankfurt a. M. 1971 [zuerst im französischen Original 1964]. Dazu in Bezug auf die vorliegende Szene Schmid 2002, S. 161- 166. Zum Verhältnis von Natur und Kultur auch Seggewiss 2012, S. 159-163. Zur Jagd des mittelalterlichen Adels zwischen Natur und Kultur bes. Udo Friedrich: Menschentier und Tiermensch. Diskurse 208 2 Annäherungen der höfischen Gesellschaft des mittelalterlichen Adels kann die Jagd als ars venandi darüber hinaus geradezu als eine Form von Kunst aufgefasst werden. 423 Der im »Tristan« beschriebene Vorgang beginnt zunächst mit der Zerstörung, dem Zerlegen (zewürken, v. 2795) des natürlichen Hirschkörpers, 424 der durch die kunstgerechte Bearbeitung in ein Kulturprodukt und ›Kunstwerk‹ verwandelt wird. 425 Diese Überführung in den Bereich der Kunst besitzt dabei auch eine sprachliche Komponente, indem Tristan das Wild nicht nur in seine Einzelteile zerlegt, sondern auch sprachlich seziert. 426 Burkhardt Krauder Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter, Göttingen 2009 (Historische Semantik 5), S. 178-187 (›Naturbeherrschung zwischen Kunst und Gewalt: Die Jagd‹). 423 Vgl. Brackert 1997, S. 385f.; Friedrich 2009, S. 182f, 377. Darauf verweisen etwa die im Zusammenhang mit Tristans Bast wiederholt gebrauchten Ausdrücke kunst (vgl. vv. 2923, 2997, 3075, 3308, 3413, 3474) und list (vgl. vv. 2799, 2816, 2956, 3040, 3293, 3296, 3305, 3477; auch als jagelist, vv. 2929, 3422). Die Verbindung der Jagd-Episode mit dem darauffolgenden musikalischen Auftritt betont bereits Mohr 1973, S. 249, und folgert, beide Szenen sollten »vom Leser als Variation über ein und dasselbe Thema verstanden werden. Beide handeln vom Aufstieg und Erfolg des K ü n s t l e r s an einem Hofe; auch die erste, von den Jagd- Künsten, die wir heute den Funktionen eines ›Künstlers‹ nicht mehr zuschlagen würden.« Auch Wolf spricht davon, hier werde »das primitiv Reale, das plumpe Zerlegen des edlen Wildes, auf die Ebene des Künstlerischen gehoben.« (Alois Wolf: Zu Gottfrieds literarischer Technik, in: Sprachkunst als Weltgestaltung. Festschrift für Herbert Seidler, hrsg. von Adolf Haslinger, Salzburg 1966, S. 384-409, hier S. 399) 424 Mhd. zerwirken, zerwürken wird besonders im Kontext der Jagd gebraucht und bedeutet dort ›zerhauen, zerschneiden, zerlegen, aufbrechen, ausweiden‹, vgl. Lexer, Bd. 3, Sp. 1905; BMZ, Bd. 3, S. 594; MWB, Bd. 2, Sp.-1759 (zu entwürken) sowie David Dalby: Lexicon of the Mediaeval German Hunt. A Lexicon of Middle High German Terms (1050-1500), Associated with the Chase, Hunting with Bows, Falconry, Trapping and Fowling, Berlin 1965, S. 320. Mit dieser Bedeutung hat sich ›zerwirken‹ in der waidmännischen Sprache bis in die Gegenwart erhalten, vgl. DWB, Bd. 31, Sp. 802. Gleichzeitig kann man in mhd. zerwirken noch die Wurzel wirken erkennen, aus der später die ›Wirklichkeit‹ abgeleitet wurde und die im Mittelhochdeutschen im Besonderen für die künstlerische bzw. kunsthandwerkliche Produktion steht, vgl. Lexer, Bd. 3, Sp. 928; BMZ, Bd. 3, S. 591f. In diesem Sinne wird wirken im »Tristan« mehrfach gebraucht, vgl. vv. 4573, 4694, 4970, 6691, 8759, 10965. Dabei geht der Bezug vom Kunsthandwerk mitunter über auf die Produktion des literarischen Textes, wenn etwa bildlich davon gesprochen wird, die Worte Bliggers von Steinach seien von Damen auf dem Webrahmen aus Gold und Seite ›gewirkt‹ worden (vv. 4692-4697). Durch die Vorsilbe zewird in der vorliegenden Textstelle aus dem produktiven ein destruktiver Vorgang, wobei aber der Bedeutungsaspekt des Artifiziellen möglicherweise erhalten bleibt. 425 Vgl. C. Stephen Jaeger: Höfisches Fest und Hofästhetik in Gottfrieds »Tristan«. Die Dichterschau als Zelebration, in: Bildhafte Rede in Mittelalter und früher Neuzeit. Probleme ihrer Legitimation und ihrer Funktion. In Verbindung mit Herfried Vögel hrsg. von-Wolfgang-Harms / Klaus-Speckenbach, Tübingen 1992, S. 197-216, hier S. 212: »Bei Gottfried ist der erlegte Hirsch zu einem Bild- und Kunstwerk geworden.« Weiterhin Seggewiss 2012, S. 160: »Das Naturwesen ›Hirsch‹ ist damit in ein Kulturbzw. Kunstereignis ersten Ranges transformiert worden […].« In diesem Sinne meinen auch Brown und Jaeger, die Art und Weise der Behandlung des Hirsches »transforms a real object into a work of art« (Brown / Jaeger 1990, S. 43). Siehe auch Krause 1996, S. 145: »Das urtümlich W i l d e wird […] zum herausragenden Objekt einer ziselierten, anspruchsvollen handwerklichen Technik.« Es handle sich um eine »systematische symbolische Umbildung von Natur in Kultur durch eine in höchstem Maße disziplinierte intellektuelle Handlung« (ebd., S. 156). Für Scheuer ist dagegen zentral, dass der natürliche Hirschkörper durch die Bast nicht verschwindet, sondern ihm nur ein zweiter, künstlich-imaginierter Körper zur Seite trete, so dass es zu einer ›Verdoppelung‹ des Hirschkörpers komme, vgl. Scheuer 1999, S. 430. 426 Vgl. Sayers 2003, S. 49: »The hunted stag is doubly deconstructed, in anatomical and lexical terms […].« Die Bedeutung der sprachliche Ebene hebt auch Dick hervor: »More than the physical procedure itself the text stresses the verbalizing of the ritual, the organizing of its structure, and the fixing of its terminology, complete with an ad hoc exegesis« (Dick 1990, S. 49). Weiterhin Krause 1996, S. 176: »Erheblich […] ist, wie ich denke, der mehrfach hervorgehobene Zusammenhang von exakter Sprache (Bezeichnen) und dem Vorgang des Entbästens.« 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 209 se bringt den Vorgang in einer Umformulierung des Bibelwortes auf den Punkt: »Das Fleisch wird Wort.« 427 Damit wird gewissermaßen die mittelalterliche Vorstellung von der Lesbarkeit der Welt konkret umgesetzt. Tristan formt die von den Jägern nur als vollkommen amorph wahrgenommene Natur (des Tieres) in l e s b a r e , geordnete Kultur […]. Er l i e s t die den anderen unbekannte Natur des Tieres mit systematisch-sezierendem Blick wie aus einem Buch, dem liber naturae. 428 Von hier aus liegt es nicht fern, die Stelle poetologisch zu lesen. 429 Darauf, dass hier das Verhältnis von Sprache und ›Welt‹ diskutiert wird, deuten auch Tristans sprachtheoretische Ausführungen etwa zur Wortherkunft von curîe (vv. 3022-3028) hin, 430 die ihn nicht nur als exzellenten Jäger ausweisen, sondern auch als wortwîse (v. 3018) - ein Attribut, das vom Erzähler später für den Autor Bligger von Steinach gebraucht wird. 431 Auf den poetologischen Charakter der Stelle verweist außerdem die Tatsache, dass für Tristans Umgang mit dem erlegten Wild mehrfach Ausdrücke benutzt werden, die auch für die kunsthandwerkliche und literarische Produktion Verwendung finden. 432 Dazu gehören neben vüegen (v. 3178) 433 und verstricken (v. 2951) 434 vor allem entwæten und entnæn (vgl. vv. 2873 f.) 435 , die aus dem Bereich der Textilherstellung stammen und den Hirschkörper gleichsam »zum textilen Material« 436 427 Krause 1996, S. 151. 428 Ebd., S. 165. 429 Vgl. ebd., S. 1: »Hier mag Gottfried eine Fährte angelegt haben, die weniger mit der Jagd als mit einer Strategie seines Textes selbst zu tun hat.« Die Selbstreflexivität der Erzählung betont auch Dick 1990, S. 49: »At this point the art of narrativ certainly begins to draw attention to itself, as if to compete with the art of the hunter.« Weiterhin S. 51: »It is possible to view the entire construction as […] a continuous reflection on the subject of art. In the latter case the suggestion is that of a metatextual approach.« 430 Zur sprachlichen Vermittlung von Wirklichkeit im vorliegenden Kontext Huber 1979, S. 276-278; Krause 1996, S. 157-164, 168-170. Auch Scheuer liest die Szene als Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Körper und Zeichen, »res / facta und verba / nomina« (Scheuer 1999, S. 438). 431 Vgl. v. 4710: der selbe wortwîse. Dazu Dick 1990, S. 52, 55. 432 Die Verknüpfung der beiden Bildfelder ›Jagd‹ und ›Dichtung‹ zeigt sich auch darin, dass der Erzähler an anderer Stelle Bilder aus dem Bereich der Jagd benutzt, um über Poetologie zu sprechen. Das betrifft neben dem hasen auf der wortheide (vv. 4638 f.) aus dem Literaturexkurs vor allem die ›Geschichtenwilderer‹, der mære wilderære (v. 4666). Auch der Ausdruck verpirsen (vgl. v. 4927) gehört in das Wortfeld der Jagd. Vgl. dazu Dalby 1965, S. 265, sowie Dick 1990, S. 52; Liebertz-Grün 2001, S. 4-6; Chinca 2003, S. 26f. Die Lesart verpirsen findet sich allerdings nur in den Hss. FWOzNR, während MHBEP verprîsen bieten, vgl. den Apparat bei Marold / Schröder, S. 85. Zu verprîsen (›sein Lob verscherzen; im Preisen das Maß überschreiten‹) siehe Lexer, Bd. 3, Sp. 194; BMZ, Bd. 2 / 1, S. 543, die beide nur die »Tristan«-Stelle angeben. 433 Zur kunsthandwerklichen und poetologischen Bedeutung von vüegen siehe oben, S. 145 Anm. 115. Ein Beispiel für die textile Bedeutung der vuoge (›Naht‹) findet sich im Kontext von Tristans Ausstattung vor dem Moroltkampf, vgl. vv. 6553-6560: ein wâfenroc […], | der was, alse ich hôrte sagen, | mit drîhen in den spelten | zen vuogen und zen velten, | […] | noch prîslîcher vollebrâht. 434 Zur textilen Metaphorik des strickens siehe unten, S. 271. 435 Zu entwæten und entnæn im Kontext der Jagd (ohne weitere Belegstellen) Dalby 1965, S. 49. Vor allem spätere Handschriften bieten hier zum Teil andere Ausdrücke: Hs. P ersetzt entwæten durch entwrcken (entwürken, ›zerstören‹) und entnæn durch entnietten (so auch die Lesart von Hs. F: entnieten); Hs. N bietet intwirken und intirken (? ), vgl. den Apparat bei Marold / Schröder, S. 50. 436 Schmid 2002, S. 163. Man könnte hier auch daran denken, dass Jagdtiere im Mittelalter tatsächlich eine Rohstoffquelle für die Kleiderproduktion darstellten. Da Hirsche jedoch im Gegensatz zu anderen Wildtieren keinen Pelz ausbilden, spielen sie, soweit ich sehe, zumindest in der Dichtung eine eher untergeordnete Rolle als Lieferant für Leder: Ein hirzhals (›Koller aus Hirschleder‹) wird im »Weinschwelg« erwähnt 210 2 Annäherungen werden lassen. Überhaupt ist es im Mittelalter nicht unüblich, den Körper eines toten Tieres mit einem Text zu vergleichen. 437 Dieser Zusammenhang findet sich bereits bei Platon 438 und wird dann etwa bei Origenes aufgenommen, für den ein Brandopfer, das nach Levitikus 1,6 enthäutet und zerlegt werden soll, auf den heiligen Text der Bibel verweist. 439 Man kann also die Erzählung von Tristans Hirschbast auf Gottfrieds Roman beziehen und als selbstreflexives Bild dafür verstehen, wie die Erzählung lebendige Wirklichkeit in kunstvolle, höfische Sprache überführt. Doch dabei bleibt es nicht: Auf den Vorgang des kunstvollen Zerteilens des Wilds folgt auf der Handlungsebene eine Neuzusammenfügung und Präsentation der einzelnen Teile, die insofern als ›mimetischer‹ Prozess verstanden werden kann, 440 da sie ausdrücklich der ›natürlichen‹ Gestalt des Hirsches folgt (alse der hirz geschaffen sî, (v. 404; Ausg. Fischer / Janota 1997, S. 58), vgl. Lexer, Bd. 1, Sp. 1306. Im Quodlibet »Von der Stampeney« (um 1340), das (scheinbar? ) zusammenhanglos selbstverständliche Weisheiten aneinanderreiht, erfahren wir: Hirzîne hiute | Sint ze hantschuohen guot. (vv. 144 f.) Zitiert nach Gerhard Brose: Alemannische Reimsprüche aus der Zeit Ludwigs des Bayern, Diss. handschr. Jena 1924, S. 9. 437 Vgl. Krause 1996, S. 176f., 181-183. Zum Bild des Textes als Körper, den man zerteilen kann, ausführlich Lutz Danneberg: Die Anatomie des Text-Körpers und Natur-Körpers. Das Lesen im liber naturalis und supernaturalis, New York / Berlin 2003 (Säkularisierung in den Wissenschaften seit der Frühen Neuzeit 3), bes. S.- 178-197. Eine Parallele zwischen Tierkörper und Text bildet auch die Dialektik von einem ›Außen‹ und einem ›Innen‹, das es aufzudecken gilt, vgl. Krause 1996, S. 174, 179 f.; Scheuer 1999, S. 435. Wie Gottfried im Literaturexkurs das ûzen und innen (v. 4623) von Hartmanns Erzählungen unterscheide, komme es auch bei der Jagdbeute auf die Unterscheidung von Fell (Decke), Fleisch und Innereien an. Die Freilegung des Inneren entspricht in diesem Bild also der Auslegung des Textes, wobei die Decke des Tiers gleichsam als integumentum verstanden werden kann. Hier lässt sich auch auch an die (paulinische) Bezeichnung des Buchstabensinns als ›Fleisch des Textes‹ (sensus carnalis) denken, vgl. Danneberg 2003, S. 191. 438 In Platons »Phaidros« (4. Jh. v. Chr.) spricht Sokrates zunächst davon, ›daß jede Rede wie ein Lebewesen organisch aufgebaut sein und ihren eigenen Leib haben muß, so daß sie weder ohne Kopf noch ohne Füße ist‹ (47). Weiter heißt es, man solle darauf achten, die Rede ›nach Einzelideen zu zerlegen, nach den Gliedern, wie sie von Natur gewachsen sind, und nicht […] versuchen, ein einzelnes Stück nach Art eines schlechten Koches [oder von Markes Jägern] zu zerbrechen.‹ (49) Übersetzung aus Platon: Meisterdialoge. Phaidon, Symposion, Phaidros, eing. von Olof Gigon, übertr. von Rudolf Rüfener, Zürich / München 2 1986 (Die Bibliothek der alten Welt. Griechische Reihe), S. 242, 244. Dazu Danneberg 2003, S. 185f.; Krause 1996, S. 182; Scheuer 1999, S.- 408. Zur Platon-Rezeption im lateinischen Mittelalter einführend Helmut Meinhardt: Art. Platon / Platonismus. D. Frühmittelalter, in: LexMa 7 (1995), Sp. 11 f. Obwohl sich keine mittelalterliche Rezeption des »Phaidros« nachweisen lässt, zeigt das Beispiel von Origenes (siehe unten), wie platonisches Gedankengut indirekt etwa über die Patristik vermittelt wurde. 439 Vgl. Origenes, »In Leviticum homiliae«, 1,4: Quomodo decorietur caro verbi Dei, quod hic ›vitulus‹ nominatur, et quomodo ›membratim‹ dividatur a sacerdotibus, operae pretium est advertere. Ego puto quod ille sacerdos detrahit corium ›vituli‹ oblati in ›holocaustum‹ et deducit pellem, qua membra eius conteguntur, qui de verbo Dei abstrahit velamen litterae et interna eius, quae sunt spiritalis intelligentiae membra, denudat […]. Dividit namque ›membratim vitulum‹, qui explanare per ordinem potest et competenti distinctione disserere […]. Zitiert nach Origenes: Werke, Bd. 6: Homilien zum Hexateuch in Rufins Übersetzung, Teil 1: Die Homilien zu Genesis, Exodus und Leviticus, hrsg. von W.A. Baehrens, Leipzig 1920 (Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte 29), S. 285, Z. 20-S. 286, Z. 3. ›Wie das Fleisch des Wortes Gottes, das hier ›Kalb‹ genannt wird, enthäutet und wie es ›gliedweise‹ von den Priestern zerlegt wird, ist ein Gegenstand, dem es sich zuzuwenden lohnt. Ich meine, dass jener Priester das Fell des im ›Brandopfer‹ geopferten ›Kalbs‹ abzieht und die Haut entfernt, von der seine Glieder bedeckt werden, der die Hülle der Buchstaben vom Wort Gottes wegzieht und seine inneren Teile entblößt, die die Glieder der geistigen Einsicht sind […]. Es zerteilt nämlich derjenige ›gliedweise das Kalb‹, der in der richtigen Ordnung erklären und mit der angemessenen Unterscheidung erörtern kann.‹ 440 Anders Scheuer 1999, S. 434. Schmid spricht davon, dass »die Reorganisation der Einzelteile auf das lebende Modell v e r w e i s t« (Schmid 2002, S. 165; Hervorhebung L.M.). 2.2 Gottfrieds Figuren als ›Personen‹? 211 v. 3174; rehte alse der hirz geschaffen ist, v. 3294). 441 Das macht den Hirsch zwar nicht direkt lebendig, 442 aber es handelt sich zumindest um eine »Simulation des lebendigen Tiers mit Mitteln der Kunst« 443 . Der lebendige Körper des Hirsches wird »nachgeschaffen« und erhält gewissermaßen eine »neue Wirklichkeit der Kunst« 444 . Dabei ist nicht jede Kunst geeignet, eine solche Wirkung zu entfalten, sondern ausdrücklich die h ö f s c h e jegerîe (vgl. v.- 3315), die Tristan von Markes Jägern unterscheidet - und poetologisch gesprochen: Gottfrieds höfische Dichtkunst von den unhöfischen ›Geschichtenwilderern‹. Man kann die Hirschbast aber auch als Bild für die R e z e p t i o n des Textes lesen, schließlich stehen bei Origenes Enthäuten und Zerteilen des Tieres für die L e k t ü r e des Textes. Wie der tote Hirsch durch das Zerlegen und Zusammenfügen eine neue (imaginierte) Wirklichkeit erhält, 445 so bekommt die Erzählung von Tristan und Isolde eine lebendige Wirklichkeit in den Herzen der Rezipienten, wenn sie den Text lesen. Es liegt nahe, hier eine Parallele zur Brot-Metapher des Prologs zu sehen (vv.-233-240): 446 Beide Stellen rufen das Bildfeld des Textes als (zu zerteilende, zu zerkauende 447 ) Nahrung für die Leser auf; in beiden Fällen entsteht aus etwas Totem eine neue 441 Dick spricht von einem »display of the stag in its natural form« (Dick 1990, S. 49); analog Seggewiss 2012, S. 160: »Tristans Präsentation des Hirsches in seiner ›natürlichen Form‹«. Dass der ›Natürlichkeit‹ der Präsentation dabei (enge) Grenzen gesetzt sind, betont in Auseinandersetzung mit Seggewiss zurecht Christoph Huber: [Rezension: ] Michael Seggewiss: ›Natur‹ und ›Kultur‹ im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg, Heidelberg 2012 (Beiträge zur älteren Literaturgeschichte), in: ZfdA 143 (2014), S. 525-529, hier S. 259: »Der mit Nachdruck gegen andere Voten behauptete Eindruck einer natürlichen Form ist überzogen, wenn man u. a. bedenkt, dass die Teile des Hirsches in einer Prozession von jeweils zwei Reitern in der Burg aufmarschieren.« 442 So betont Schmid, »daß die Leiblichkeit des zerlegten Tieres, wenn wir uns die hier entworfene Szene konkret vor Augen führen, alles andere als intakt ist und der Hirsch überhaupt mausetot.« (Schmid 2002, S. 163) 443 Schmid 2002, S. 165. Jaeger meint, Tristan lasse die Jäger »den Hirsch wiederherstellen und in rekonstruierter Gestalt dem König präsentieren«; es sei aber »kein wirklicher Hirsch mehr, sondern eine Re- Präsentation, eine Darstellung« ( Jaeger 1992, S. 212). Man kann auch daran erinnern, dass nicht Tristan derjenige ist, der den Hirsch getötet hat. Er findet vielmehr ein bereits totes Tier vor, dass er durch die kunstvolle Behandlung seiner natürlichen Gestalt annähert, denn als er das von Markes Jägern niedergestreckte Wild zuerst sieht, gleicht es mehr einem Schwein als einem Hirsch (vgl. v. 2791: alsam ein swîn). Insofern es sich beim Schwein im Gegensatz zum Hirsch um ein Kulturtier handelt, könnte man insofern davon sprechen, dass Tristan die ›Natürlichkeit‹ des Wilds wiederherstelle. 444 Wolf 1966b, S. 400. Die Wirklichkeit ist für Krause auch ein Produkt der Benennung, vgl. Krause 1996, S.-165: »Tristan ist es, der den Dingen einen, der ihnen ihren r i c h t i g e n Namen gibt und sie damit erst auch w i r k l i c h werden läßt.« 445 Scheuer beschreibt das als »artifizielle[ ] Verdoppelung des Hirschleibs« (Scheuer 1999, S. 436): Der alte, natürliche Körper bleibe (in seiner zerteilten Form) erhalten, daneben trete aber ein imaginierter Hirschkörper. Der Hirsch stehe so für die Zweideutigkeit aller Körper im »Tristan« und die »subversive Zeichenökonomie« (ebd., S.-438) des Textes. 446 Auf die Prologstelle verweisen im Kontext der Bast auch Krause 1996, S. 180, und Schmid 2002, S. 166. Die Verbindung der beiden Stellen betont bereits Lee Stavenhagen: »The central position here [in der Jagdszene] given to food and rituals of its preparation recalls the bread metaphor with which Gottfried described the vital nature of his story and its artistic purpose.« (Lee Stavenhagen: The Raw and the Cooked in Gottfried’s »Tristan«, in: Monatshefte für deutschen Unterricht, deutsche Sprache und Literatur 76 (1984), S.-131-142, hier S. 134) 447 Zum ›Kauen‹ des Textes als einem Zerteilen und Zerkleinern, durch das der verborgene Sinn freigelegt wird, auch Danneberg 2003, S. 185. Siehe etwa die Auslegung der Speisung der 5000 bei Augustinus, der das Brot auf die fragmenta legis bezieht, Predigt Nr. 130,1: Hæc cum exponuntur, franguntur; cum intelliguntur, manducantur. Zitiert nach Sancti Aurelii Augustini Hipponensis episcopi opera omnia, accurante 212 2 Annäherungen ›Lebendigkeit‹, aus dem Wort wird (wieder) Fleisch. Grundlage dafür ist der kunstvolle Umgang mit dem jeweiligen Material. Wie sich das Verhältnis von kunstvoller Sprache und lebendiger ›Wirklichkeit‹ im »Tristan« im Einzelnen gestaltet, soll in den nächsten beiden Kapiteln anhand zweier übergreifender Themen des Romans untersucht werden. Die Betrachtungen nehmen dabei Bezug auf die beiden grundlegenden Analysekategorien der Untersuchung: In der Auseinandersetzung mit der Rolle des Zufalls in der Erzählung steht zunächst die narratologische Kategorie der Motivation im Vordergrund (Kap. 2.3). Bei der Frage nach dem Charakter der Minne zwischen Psychologie und Literatur geht es dann außerdem um das Verhältnis von ›realweltlichen‹ und ›literarischen‹ Wissensbeständen (Kap. 2.4). 2.3 Die motivationslogische Mehrdeutigkeit des Zufalls Viele Ereignisse, die die Handlung des »Tristan« zum Teil wesentlich beeinflussen, geschehen ›zufällig‹: 448 ›Zufällig‹ trifft Riwalin zum ersten Mal auf Blanscheflur (vv. 737-739); ›zufällig‹ kommen die norwegischen Kaufleute nach Parmenien (vv. 2149-2159); ›zufällig‹ sieht Tristan auf ihrem Schiff ein Schachbrett 449 (vv. 2219-2221). In Cornwall findet er ›zufällig‹ einen Waldweg, der ihn auf eine Straße, zu den beiden Pilgern und letztlich an Markes Hof führt (vv.-2571-2573). Als er in die Bretagne kommt, hört Tristan ›zufällig‹, wo sich Morgan aufhält (vv.-5309-5313). ›Durch Zufall‹ hat Tristan die Minnegrotte gefunden (vv. 16685 f.); ›durch Zufall‹ findet Markes Jäger ein Fenster, um in die Grotte zu schauen (vv. 17433-17435). ›Zufällig‹ treffen sich die Blicke von Tristan und Isolde Weißhand (vv. 19075-19079). Diese Ereignisse werden alle vom Erzähler explizit als ›Zufall‹ bezeichnet, wofür Gottfried die mhd. Ausdrücke âventiure und geschiht benutzt. 450 Daneben gibt es Ereignisse, die vom Text selbst nicht ausdrücklich als zufällig markiert sind, von den Interpreten aber dennoch so wahrgenommen J.-P. Migne, Bd. 5 / 1, Paris 1863 (PL 38), Sp. 725. ›Indem sie ausgelegt werden, werden sie zerbrochen, indem sie verstanden werden, werden sie verspeist.‹ 448 Der dieser Aussage innewohnende Widerspruch zwischen Substantialität (›wesentlich‹) und Akzidentialität (›zufällig‹) ist mir bewusst - er weist auf Spannungen in Gottfrieds Konzeption des Zufalls hin, auf die ich zurückkommen werde. Zum Gegensatz von substantia und accidentia in Bezug auf den Zufall siehe unten, S. 235 Anm. 575. 449 Das Schachbrett kann auch als Bild für die Rolle des Zufalls im Roman gelesen werden, weil beim Schachspiel programmatisch Zufall und Planung aufeinandertreffen, vgl. Walter Haug: Kontingenz als Spiel und das Spiel mit der Kontingenz. Zufall, literarisch, im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Kontingenz, in Zusammenarbeit mit Matthias-Christen hrsg. von-Gerhart von-Graevenitz / Odo-Marquard, München 1998 (Poetik und Hermeneutik 17), S. 151-172, hier S. 168f. 450 Erwähnt sind hier nur solche Stellen, an denen der Erzähler mit Formulierungen wie dô kam ez von âventiure (v. 737) oder von âventiure ez […] geschach (v. 2219) explizit darauf hinweist, dass etwas ›durch Zufall‹ geschieht. Wie der Überlieferungsbefund zeigt, können beide Ausdrücke auch füreinander eintreten, vgl. Flecken-Büttner 2011, S. 140 Anm. 329. So verwenden einige Handschriften geschiht anstelle von âventiure (v. 737 in den Hss. MB und vv. 2150 und 5310 in den Hss. MBE, vgl. den Apparat der Ausg. Marold / Schröder, S. 15, 38, 91; Kurt Herold: Der Münchener Tristan. Ein Beitrag zur-Überlieferungsgeschichte und Kritik des Tristan Gottfrieds von Straßburg, Straßburg 1911, S. 6). In das Wortfeld gehören weiterhin die Ausdrücke gelücke sowie ungelücke, welches die Hss. MBE (als ungeluke bzw. ungeluͤcke) in v. 2219 anstelle von âventiure verwenden, vgl. den Apparat bei Marold / Schröder, S. 39. 2.3 Die motivationslogische Mehrdeutigkeit des Zufalls 213 werden, weil keine direkte Ursache zu erkennen ist. 451 Das gilt vor allem für die versehentliche Einnahme des Minnetranks, die als Produkt einer Reihe von Zufällen gilt. 452 Ausgehend von seiner Bedeutung für das Zustandekommen der Handlung wurde der Zufall in der Forschung gebührend gewürdigt und auch für die Gesamtdeutung des Romans fruchtbar gemacht. 453 Vor allem Walter Haug und Franz Josef Worstbrock haben ihn mit jeweils unterschiedlicher Implikation als strukturbildendes Element des »Tristan« beschrieben. 454 In den Kontext der vorliegenden Untersuchung gehört das Thema besonders deshalb, weil sich 451 Das ist besonders in Bezug auf Eilharts »Tristrant« der Fall, wo Belege für die Substantive, mit denen Gottfried den Zufall bezeichnet (âventiure, geschiht, gelücke), weitgehend fehlen, obwohl der Zufall auf Handlungsebene eine wichtige Rolle spielt. Die beiden Belege für aubentúr bzw. abinture (»Tristrant«, vv. 5259, 5287) meinen die ritterliche Bewährung. Die entsprechenden Stellen sind in der Überlieferung außerdem sehr unfest; sie stammen nicht aus den älteren Fragmenten, sondern aus den beiden jüngeren Handschriften des 15. Jh.s (worauf auch die jüngere Wortform mit b hinweist), wobei sich die erste Erwähnung in H und D findet, die zweite nur in D, vgl. den Apparat der Ausg. Buschinger / Spiewok 1993, S. 139, 140, und Klaus-Peter Wegera: mich enhabe diu âventiure betrogen. Ein Beitrag zur Wort- und Begriffsgeschichte von âventiure im Mittelhochdeutschen, in: Das Wort. Seine strukturelle und kulturelle Dimension. Festschrift für Oskar Reichmann, hrsg. von Vilmos Ágel u. a., Tübingen 2002, S. 229-244, hier S. 231. Nur die zweite Erwähnung findet sich (als abenteür) auch im Prosa-»Tristrant« (Z. 2785 f.; Ausg. Brandstetter 1966, S. 107). Überhaupt ist die Bedeutung von âventiure als »Zufall ohne bewusstes ritterliches Zutun« in der mittelhochdeutschen Literatur recht selten und findet sich gehäuft nur bei Gottfried, vgl. Wegera 2002, S. 235. 452 Die Zufälligkeit der gemeinsamen Einnahme des Minnetranks wurde wiederholt betont, so etwa von Walter Johannes Schröder: Der Liebestrank in Gottfrieds »Tristan und Isolt«, in: Euphorion 61 (1967), S. 22-35, hier S. 28f.: »Zunächst lässt sich feststellen, daß bei all den besprochenen Umständen der Trankszene, die nun natürlich bedeutsam werden, der bloße Zufall eine gewichtige Rolle spielt. […] Damit ist die wichtige Einsicht gewonnen, daß die Minne keine eigentliche Ursache hat […]. Die Tristanminne ist vielmehr ursachelos, sie ist ein Wunder, sie geschieht einfach«. Auch Ernst Hellgardt beschreibt die Minne als ein Produkt des Zusammenspiels von Zufall und Trank: »Erst im Zusammenhang des programmatisch fatalen Zufalls, der die zur Magie des Tranks gehörigen Handlungsanweisungen außer Kraft gesetzt und die falschen Partner zum Einnehmen des Tranks geführt hat, bekommt die bis in den Tod wirkende Kraft des Tranks einen unerwartet verderblichen Sinn.« (Ernst Hellgardt: Tristanroman und »Vǫlsunga Saga«. Mythos, Magie und Liebe. Zwei mittelalterliche Paradigmen zum Thema ›Liebe als Passion‹, in: Der »Tristan« Gottfrieds von Straßburg. Symposion Santiago de Compostela, 5. bis 8. April 2000, hrsg. von Christoph Huber / Victor Millet, Tübingen 2002, S. 167-198, hier S. 190) Weiterhin Erich Köhler: Der literarische Zufall, das Mögliche und die Notwendigkeit, München 1973, S. 30 (in Bezug auf den »Tristran« des Thomas); Haug 1989, S. 575-577; Walter Haug: Der Tristanroman im Horizont der erotischen Diskurse des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Freiburg (Schweiz) 2000 (Wolfgang-Stammler-Gastprofessur für Germanische Philologie. Vorträge 10), S. 31; Franz Josef Worstbrock: Der Zufall und das Ziel. Über die Handlungsstruktur in Gottfrieds »Tristan«, in: Fortuna, hrsg. von Walter Haug / Burghart Wachinger, Tübingen 1995 (Fortuna vitrea 15), S. 34-51, hier S. 39, 43; außerdem Dicke 1997a, S. 53; Haferland 2000b, S. 251f., 258; Hammer 2007, S. 191; Tomasek 2007, S. 203; Huber 2009, S. 333; Flecken-Büttner 2011, S. 141f.; Schulz 2017, S. 82. 453 Vgl. Schnell 2014, S. 351. Zu âventiure als »einem zentralen Begriff« der literarischen Konzeption bei Gottfried auch Wegera 2002, S. 231. Siehe außerdem Otto Langer: Der ›Künstlerroman‹ Gottfrieds - Protest bürgerlicher ›Empfindsamkeit‹ gegen höfisches ›Tugendsystem‹? , in: Euphorion 68 (1974), S. 1-41, hier S. 8, 10, 26 f., 32; Dietmar Peschel: Prolog-Programm und Fragment-Schluss in-Gotfrit’s Tristanroman, Erlangen 1976 (Erlanger Studien 9), S. 156; Becker 2019, S. 196. Relativiert hat die Bedeutung der âventiure im »Tristan«, so weit ich sehe, nur Werner Schröder, wenn er in Bezug auf Haug schreibt: »So viel Scharfsinn Haug auf seine These verwendet hat, die Formel von aventiure vermag sie nicht zu tragen. Wirklich leitmotivische Funktion kommt ihr keineswegs zu. Mit einer Ausnahme begegnet sie vorzugsweise an relativ unwichtigen Stationen von Tristans äußerem Lebensweg« (Schröder 1975, S. 325). 454 Vgl. Haug 1989 [1972]; Worstbrock 1995. 214 2 Annäherungen mit der Frage nach dem Zufall auch diejenige nach den Handlungsmöglichkeiten der Figuren verbindet. Es geht also um die erzähltechnische Kategorie der Motivation und besonders um »das Verhältnis von Planung und dem Ausgeliefertsein des Menschen an den Zufall«, das Albrecht Hausmann als ein zentrales Thema besonders von Gottfrieds Version des Tristanstoffes ansieht. 455 Mit seiner prominenten Behandlung des Zufalls steht der Text dabei nicht allein: Überhaupt findet in der mittelalterlichen Theologie und Philosophie eine Auseinandersetzung mit dem Zufall statt, die sich in der Literatur der Zeit niederschlägt; 456 mit der âventiure im Artusroman wird der Zufall gewissermaßen zum Leitkonzept einer der wichtigsten Gattungen volkssprachigen Erzählens um 1200. 457 Ich möchte der Diskussion um den Zufall in der mittelalterlichen Literatur im Allgemeinen und dem »Tristan« im Besonderen im Folgenden keine gänzlich neuen Aspekte hinzufügen, sondern vielmehr einige Gesichtspunkte hervorheben, die aus erzähltheoretischer Sicht besondere Beachtung verdienen. Zunächst lohnt es sich, erst einmal allgemein danach zu fragen, was man unter ›Zufall‹ überhaupt verstehen kann. Im eigentlichen Sinne meint der Zufall ein Ereignis, das keine Ursache besitzt (vgl. gr. tó autómaton). Allerdings besagt eine alte philosophische Erkenntnis, dass es einen solchen Zufall überhaupt nicht gibt. 458 So beschreibt schon 455 Albrecht Hausmann: Der älteste Tristan-Teppich im Kloster Wienhausen bei Celle, in: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 64 (2017), S. 294-301, hier S. 298. Auch Haug erkennt im »Tristan« einen Grundkonflikt zwischen Protagonist und Zufall, bei dem der Zufall als »eigentliche[r] Gegner« der Ratio des Helden gegenüberstehe (Haug 2008, S. 31). Dazu auch Walter Haug: Eros und Fortuna. Der höfische Roman als Spiel von Liebe und Zufall, in: Fortuna, hrsg. von Walter Haug / Burghart Wachinger, Tübingen 1995 (Fortuna vitrea 15), S. 52-75, hier S. 66-68; Haug 1998, S. 168: »Im »Tristan« ist es der Held selbst, der plant, und das Zufällige erscheint deshalb als das, was sich dieser Planung entgegenstellt.« Es komme geradezu »zu einem immer riskanter werdenden Duell […] zwischen dem Kalkül des Helden und einer nicht genau identifizierbaren Macht, die sich mit Zufallsaktionen querlegt.« (ebd., S. 168f.) Von einem »Zusammenspiel[ ] von Zufall und Intention« spricht Caroline Krüger: Freundschaft in der höfischen Epik um 1200. Diskurse von Nahbeziehungen, Berlin / New York 2011, S. 250, wenn die durch den Minnetrank ausgelöste Liebe zwar »als Verkettung fataler Ereignisse gelesen werden« könne, aber »erst durch Tristans bewußte Entscheidung für Isolde« (ebd.) besiegelt werde. 456 Vgl. besonders die Sammelbände Fortuna, hrsg. von Walter Haug / Burghart Wachinger, Tübingen 1995 (Fortuna vitrea 15); Providentia, Fatum, Fortuna, hrsg. von Joerg O. Fichte, Berlin 1996 (Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung 1 / 1). Siehe auch den Band Kontingenz, in Zusammenarbeit mit Matthias-Christen hrsg. von-Gerhart von-Graevenitz / Odo-Marquard, München 1998 (Poetik und Hermeneutik 17), dessen Beiträge immer wieder den Zufall thematisieren; zum Verhältnis von Zufall und Kontingenz bes. die Beiträge von Franz-Josef Wetz: Die Begriffe ›Zufall‹ und ›Kontingenz‹, S. 27-34, sowie Rüdiger Bubner: Die aristotelische Lehre vom Zufall. Bemerkungen in der Perspektive einer Annäherung der Philosophie an die Rhetorik, S. 3-21, hier S. 6f. Weiterhin Kein Zufall. Konzeptionen von Kontingenz in der mittelalterlichen Literatur, hrsg. von Cornelia Herberichs / Susanne Reichlin, Göttingen 2010 (Historische Semantik 13). Beispiele unterschiedlicher ›Zufallskonstellationen‹ in der mittelalterlichen Literatur diskutiert Störmer-Caysa 2007, S. 148-196. 457 Vgl. Störmer-Caysa 2007, S. 162-179. 458 Vgl. Margarita Kranz u.a.: Art. Zufall, in: HWPh 12 (2004), Sp. 1408-1424, hier Sp. 1408 f. Diese Überzeugung wird jetzt allerdings durch die Quantenmechanik herausgefordert: Während bei herkömmlichen physikalischen Experimenten, etwa dem Werfen einer Münze, lediglich die zu beachtenden mikrophysikalischen Phänomene (Winkel und Kraft des Wurfes, Oberflächenstruktur der Münze, Verhalten der Luftmoleküle…) so komplex sind, dass es praktisch - aber keineswegs grundsätzlich - unmöglich ist, das Ergebnis vorherzusagen, offenbart sich in quantenphysikalischen Experimenten ein ›echter‹ Zufall. Das Verhalten der Teilchen hat offenbar keine Ursache und ist daher tatsächlich, also intrinsisch unvorhersehbar. Vgl. dazu Nicolas Gisin: Der unbegreifliche Zufall. Nichtlokalität, Teleportation und weitere Selt- 2.3 Die motivationslogische Mehrdeutigkeit des Zufalls 215 die pseudo-hippokratische Schrift »Über die Kunst« im 5. Jahrhundert v. Chr. den Zufall im Sinne eines ursachenlosen Ereignisses als etwas, das bei näherer Betrachtung nicht existiert: ›Indeed, under a close examination spontaneity [tó autómaton, d. h. der Zufall] disappears; for everything that occurs will be found to do so through something, and this ›through something‹ shows that spontaneity is a mere name, and has no reality.‹ (Pseudo-Hippokrates, »Über die Kunst«, 6) 459 Ähnliche Überlegungen begegnen uns auch in mittelalterlichen Texten. Ein Beispiel bietet William FitzStephen (gest. 1190), der Biograph des heiligen Thomas Becket, wenn er in seiner Lebensbeschreibung des Heiligen vom scheinbar zufälligen Wiederfinden eines Pferdes berichtet: Est enim casus juxta quorundam opinionem eventus temerario motu sine causa productus […]. Si igitur istud accidit casu, id est, temerario motu sine causa, aliquid fit sine causa; cum nec folium cadat ab arbore sine causa. (William FitzStephen, »Miraculorum gloriosi martyris Thomæ«, 3,24) 460 ›Denn nach der Meinung einiger Leute ist der Zufall ein Ereignis, das durch eine unbedachte Bewegung ohne Ursache hervorgebracht worden ist. […] Wenn dies also durch Zufall geschehen ist - das heißt, durch eine unbedachte Bewegung ohne Ursache -, dann geschieht irgendetwas ohne Ursache, obwohl doch nicht ein Blatt ohne Ursache vom Baum fällt.‹ Eine ganz ähnliche Formulierung findet sich bereits bei Boethius, dessen »Consolatio philosophiæ« (vor 524) den mittelalterlichen Diskurs über den Zufall maßgeblich beeinflusst hat: Si quidem […] aliquis eventum temerario motu nullaque causarum conexione productum casum esse definiat, nihil omnino casum esse confirmo et praeter subiectae rei significationem inanem prorsus vocem esse decerno. (Boethius, »Consolatio philosophiæ«, 5, prosa 1) ›Wenn jemand den Zufall so bestimmen wollte, daß er ein Ereignis sei, das durch eine willkürliche Bewegung und nicht durch irgendeine Verknüpfung von Ursachen hervorgebracht werde, so behaupte ich, daß es überhaupt keinen Zufall gibt, und erkläre, daß dies überhaupt keine zugrunde liegende Sache bezeichne, sondern ein durchaus leeres Wort sei.‹ 461 samkeiten der Quantenphysik. Aus dem Französischen von Manfred Stern, Berlin / Heidelberg 2014, zum ›echten Zufall‹ bes. S. 32-34, 68-70. 459 Übersetzung aus Hippocrates, with an English transl. by W.H.S. Jackson, Bd. 2, London 1923 [Nachdruck 1967] (Loeb Classical Library 148), S. 198-200. Zu dieser Stelle auch Kranz u. a. 2004, Sp. 1408. Zu Autorschaft und Datierung vgl. Werner Golder: Hippokrates und das Corpus Hippocraticum. Eine Einführung für Philologen und Mediziner, Würzburg 2007, S. 56. Zur lateinischen Rezeption von »De arte« im Mittelalter, die wohl den vorliegenden Abschnitt nicht umfasste, siehe Pearl Kibre: Hippocrates Latinus. Repertorium of Hippocratic Writings in the Latin Middle Ages (III), in: Traditio 33 (1977), S. 253-295, hier S. 279-281. 460 Zitiert nach Miracula S. Thomæ Cantuariensis, in: Materials for the History of Thomas Becket, Archbishop of Canterbury, ed. by James Craigie Robertson, Bd. 1, London u. a. 1875 (Chronicles and Memorials of Great Britain and Ireland During the Middle Ages 67), S. 137-546, hier S. 282f. Vgl. auch Mt 10,29: nonne duo passeres asse veneunt et unus ex illis non cadet super terram sine Patre vestro. ›Verkauft man nicht zwei Spatzen für ein paar Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters.‹ (Einheitsübersetzung) 461 Zitat und Übersetzung nach Boethius: Trost der Philosophie. Consolatio philosophiae. Lateinisch und deutsch, hrsg. und übers. von Ernst Gegenschatz / Olof Gigon, eingel. und erl. von Olof Gigon, Düsseldorf / Zürich 6 2002 (Sammlung Tusculum), S. 228, Z. 19-23 und S. 229. 216 2 Annäherungen Als ›leeres Wort‹ (vox inanis) 462 bietet der Zufall damit ein Konzept, das unterschiedlich gefüllt werden kann. Worauf die Rede vom Zufall also verweist, ist grundsätzlich variabel und hängt nicht zuletzt von der Deutung des jeweiligen Betrachters ab. 463 Diese grundsätzlichen Überlegungen lassen sich auf die Rolle des Zufalls in der Literatur übertragen. Aus erzähltheoretischer Perspektive folgt daraus vor allem eine m o t i v a t i o n s l o g i s c h e M e h r d e u t i g k e it des Zufalls. Das bedeutet, dass der Zufall jeder der drei Kategorien der Motivation zugeordnet werden kann. Martínez versteht ihn zunächst als eine Spielart der kausalen Motivation und verortet ihn auf der Ebene der erzählten Welt. 464 Bei einem solchen ›lebensweltlichen‹ 465 Zufall handelt es sich dann allerdings nicht um einen echten Zufall im Sinne eines ursachenlosen Ereignisses, sondern - durchaus in Übereinstimmung mit dem gegenwartssprachlichen Gebrauch des Wortes 466 - um das Ergebnis einer kausalen Kette von Ursachen und Wirkungen, die sich lediglich aufgrund ihrer Komplexität der menschlichen Beobachtung entzieht. 467 Die Vorstellung, dass hinter dem Zufall in Wirklichkeit eine Reihe von Ursachen (series causarum) steht, findet sich schon bei Boethius, der sich wiederum auf Aristoteles beruft. 468 Auf diesen bezieht sich auch Thomas von Aquin, wenn er den Zufall ebenfalls als Interferenz kausaler Ursachen beschreibt: 462 Augustinus benutzt den Ausdruck vox inanis zur Präzisierung der Unterscheidung von verbum und vox, vgl. Predigt 288,3: Verbum valet plurimum et sine voce: vox inanis est sine verbo. (Ausg. Migne 1863, Sp.-1304) ›Das Wort bedeutet auch ohne die Rede sehr viel: Die Rede ist ohne das Wort leer.‹ 463 Vgl. Schnell 2014, S. 351, 366. 464 Vgl. Martínez 2000, S. 643; Martínez / Scheffel 10 2016, S. 116f. Freilich kennt Martínez auch andere Formen des Zufalls (siehe unten). 465 Vgl. Schnell 2014, S. 351f. 466 Vgl. Störmer-Caysa 2007, S. 149. 467 Vgl. dazu auch Martínez / Scheffel 10 2016, S. 116f.: »Ein Ereignis wird nicht etwa deswegen in der Alltagssprache ›zufällig‹ genannt, weil es - wie ein Wunder - kausal unmotiviert wäre, sondern weil man sein Zustandekommen in einer gegebenen Situation nicht aufgrund bekannter Regeln vorhersagen konnte; man kann es aber durchaus retrospektiv empirisch-kausal erklären, sobald man den Situationskontext erweitert und die zunächst unbekannten Beweggründe kennengelernt hat.« Ähnlich bereits Martínez 1996c, S. 23 Anm. 12. 468 Vgl. Boethius, »Consolatio philosophiæ«, 5, prosa 2 (Ausg. Gegenschatz / Gigon 6 2002, S. 232). Für den Bezug auf Aristoteles vgl. ebd., prosa 1: Aristoteles meus id, inquit, in Physicis et brevi et veri propinqua ratione definivit. […] Quotiens, ait, aliquid cuiuspiam rei gratia geritur aliudque quibusdam de causis, quam quod intendebatur, obtingit, casus vocatur; ut, si quis colendi agri causa fodiens humum defossi auri pondus inveniat, hoc igitur fortuito quidem creditur accidisse. Verum non de nihilo est, nam proprias causas habet, quarum inprovisus inopinatusque concursus casum videtur operatus. ›Mein Aristoteles, sagte sie [die Philosophie], hat dies in der Physik mit kurzem und der Wahrheit nahe kommendem Beweis umgrenzt. […] So oft etwas, sagt er, um irgendeiner Sache willen ausgeführt wird und aus irgendwelchen Ursachen etwas anderes eintrifft als beabsichtigt war, wird dies Zufall genannt; wenn jemand den Erdboden durchgräbt, um den Acker zu bebauen, und eine Last vergrabenen Goldes findet, dann glaubt man, das sei irgendwie von ungefähr geschehen. In Wahrheit ist dies nicht grundlos so, sondern hat seine eigenen Ursachen; doch das unvorhergesehene, unerwartete Zusammentreffen von Ursachen erscheint als Zufall.‹ Zitat und Übersetzung ebd., S. 230, Z. 37-47 und S. 231. Das Beispiel findet sich allerdings nicht in Aristoteles’ »Physik«, sondern in seiner »Nikomachischen Ethik«, 1112a27, vgl. den Kommentar von Gigon, ebd., S. 201. - Diese Definition von ›Zufall‹ als Ereignis, das durch das intentionale Handeln der Beteiligten geschieht, aber so, dass ›etwas Anderes eintrifft als beabsichtigt war‹, lässt sich mit dem zusammenbringen, was Florian Kragl in Bezug auf die Brautwerbungsepisode im »Tristan« als ›ironische‹ Motivation beschreibt, vgl. Kragl 2014, S. 35-37; 2019, S. 19-21. Auch hier ist die Handlung das Ergebnis der Intentionen der beteiligten Akteure (Marke, Tristan, Barone), wurde aber von keiner Figur beabsichtigt. 2.3 Die motivationslogische Mehrdeutigkeit des Zufalls 217 Ex concursu autem duarum vel plurium causarum contingit aliquid casualiter evenire, dum finis non intentus ex concursu alicuius causae provenit: sicut inventio debitoris ab eo qui ibat ad forum causa emendi aliquid, provenit ex hoc quod debitor etiam ad forum ivit. (Thomas von Aquin, »Summa contra gentiles«, 3,74) ›Aus dem Zusammentreffen zweier oder mehrerer Ursachen aber geschieht es, daß sich etwas zufällig ereignet, wobei ein nicht erstrebtes Ziel aus dem Zusammentreffen mit einer Ursache hervorgeht; so fand jener, der zum Markt ging, um etwas zu kaufen, seinen Schuldner daher, weil auch der Schuldner zum Markt gegangen war [und nicht, weil er ihn finden wollte].‹ 469 Ein solches Verständnis vom Zufall, das auch menschliche Willensentscheidungen miteinschließt, 470 ließe sich im »Tristan« etwa dort in Anschlag bringen, wo Riwalin ›zufällig‹ (von âventiure, v. 737) zum ersten Mal auf Blanscheflur trifft. 471 Dasselbe gilt auch für die versehentliche Einnahme des Minnetranks: Der Wind und die Wellen, durch die die Frauen seekrank werden, das Versehen der Hofdame, die den Trank für Wein hält, sowie das Versäumnis Brangänes sind für sich genommen alles kausale Ursachen, die erst in ihrem Zusammenspiel dazu führen, dass Tristan und Isolde gemeinsam den Minnetrank trinken, weshalb Haug von einem »Paradebeispiel einer Verkettung von unglücklichen Umständen« 472 spricht. Ausgehend davon beschreibt Worstbrock Boethius’ Konzept der catena fatalis als maßgeblich für die Bedeutung des Zufalls im »Tristan«, was in der Forschung vielfach aufgenommen wurde. 473 Dabei verweist schon die Bezeichnung als ›Kette des Schicksals‹, dass es um mehr geht als eine bloße Aneinanderreihung kausaler Ursachen. 474 Da bei einer solchen Verkettung unglücklicher Umstände kein Ursprung ausgemacht werden kann und die Frage nach der Ursache - und damit auch nach Schuld und Verantwortung - unbeantwortbar bleibt, 475 erscheint das Geschehen kontingent und letztlich sinnlos. 476 469 Zitat und Übersetzung nach der Ausg. Allgaier u. a. 1974-1996, Bd. 3 / 1, S. 318f. Das Beispiel stammt von Aristoteles, »Physik«, 2,4. 470 Vgl. dazu Boethius, »Consolatio philosophiæ«, 5, prosa 2: Sed in hac haerentium sibi serie causarum estne ulla nostri arbitrii libertas, an ipsos quoque humanorum motus animorum fatalis catena constringit? Est, inquit; neque enim fuerit ulla rationalis natura, quin eidem libertas adsit arbitrii. ›Aber besteht in dieser Reihe zusammenhängender Ursachen irgendeine Freiheit unseres Willens, oder umschließt die Kette des Schicksals sogar die Bewegungen der menschlichen Seelen? Es gibt eine [Freiheit des Willens], sagte sie [die Philosophie]; es würde nämlich keine vernunftbegabte Natur existieren, wenn es keine Freiheit des Willens gäbe.‹ Zitat und Übersetzung nach der Ausg. Gegenschatz / Gigon 6 2002, S. 232, Z. 2-7 und S. 233. 471 Vgl. zu dieser Stelle Haug 1989 [1972], S. 563. 472 Haug 1989 [1972], S. 576. 473 Vgl. Worstbrock 1995, bes. S. 39-41; daran anschließend etwa Köbele 2004, S. 232; Tomasek 2007, S. 183; Flecken-Büttner 2011, S. 141; Kropik 2018, S. 295f.; in Bezug auf Thomas Schulz 2017, S. 182-185. Zum ›realistischen‹ Charakter des Zufalls im »Tristan« auch Hamburger 1989, S. 165-167: Insbesondere der Zufall des Minnetranks sei »von so gewöhnlicher, zu allen Zeiten möglicher Art, daß gerade durch ihn der Realismus des Romans präsentiert wird« (S. 166). 474 Worstbrock selbst spricht von einer »finalen Kausalität des Geschehens« (Worstbrock 1995, S. 40). 475 Vgl. Haug 1989 [1972], S. 576: »Wo liegt die Ursache? Wem kommt die Schuld zu? […] Genau genommen gibt es keine Schuld; was vorliegt, ist eine Kette von Umständen, deren Ansatz sich irgendwo verliert.« 476 Zur Kontingenz der âventiure Volker Mertens: Frau Âventiure klopft an die Tür…, in: Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Bezeichnungen von Rede und Schrift im Mittelalter, hrsg. von Gerd Dicke u. a., Berlin / New York 2006 (Trends in Medieval Philology 10), S. 339-346, hier S. 345: »Ich sehe in der Bedeutungsgeschichte von âventiure vor und um 1200 die Grundbedeutung der Kontingenz«. Auch im »Tristan« werde »âventiure für das Kontingente verwendet.« 218 2 Annäherungen Überhaupt besitzt das Zufällige eine Nähe zum Sinnlosen. 477 Andererseits eignet dem Zufall aber durchaus auch ein sinn s t i f t e n d e s Moment, insofern man immer wieder geneigt ist, ihn - rückblickend betrachtet - als Ausdruck einer höheren Ordnung wahrzunehmen. Er wird dann ›von hinten‹ motiviert. 478 In Bezug auf die Kategorien von Martínez meint das zunächst eine finale Motivation, also die Determiniertheit des Geschehens durch eine numinose Instanz und den »Sinnhorizont eines mythischen Weltmodells« 479 . Im mythischen Weltbild, wie es Cassirer beschreibt, gibt es keinen Zufall, weil sich scheinbar zufällige Ereignisse stets als Ausdruck einer transzendenten Ordnung erweisen. 480 Wie Elena Eberwein unter Bezug auf die Etymologie von lat. advenire gezeigt hat, ist auch im afr. aventure »ständig der Verweis auf eine ungreifbare, fremde, jenseitige Macht« 481 präsent. Davon ausgehend bezeichnet Klaus-Peter Wegera die »Vorstellung des Sichtbarwerdens von etwas Jenseitigem« geradezu als »semantischen Kern« von aventure / âventiure. 482 477 Vgl. Walter Haug: Der Zufall. Theodizee und Fiktion, in: Die Wahrheit der Fiktion. Studien zur weltlichen und geistlichen Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Tübingen 2003, S. 64-87, hier S. 75. In diesem Sinne beschreibt Martínez die Bestimmung des Verhältnisses von Sinn und Zufall in Friedrich Theodor Vischers »Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen« (1846-1858): »›Zweck‹ (›Sinn‹) wird von Vischer […] auch als kontradiktorischer Gegenbegriff zum ›Zufall‹ eingeführt: Ein zufälliges Ereignis ist eines, das nicht als Zweck erklärt werden kann […]. Als Resultat einer Handlung hat ein Ereignis ›Sinn‹, während ein zufälliges Ereignis sinnlos (weil zwecklos) ist.« (Martínez 1996c, S. 119) Zur »fehlenden Sinnkonstitution« als Bedeutungsdimension von mhd. âventiure auch Mertens 2006, S. 341. 478 Vgl. Mireille Schnyder: Sieben Thesen zum Begriff der âventiure, in: Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Bezeichnungen von Rede und Schrift im Mittelalter, hrsg. von Gerd Dicke u. a., Berlin / New York 2006 (Trends in Medieval Philology 10), S. 369-375, hier S. 369f., 373, 375; dazu auch Flecken- Büttner 2011, S. 143: »Je größer die Bedeutsamkeit zufälliger Ereignisse ist, desto dringender stellt sich die Frage, ob nicht doch ein Sinn hinter ihnen steht; sobald bedeutsame Zufälle als solche dargestellt und wahrgenommen werden, wirken sie bald so zielgerichtet, daß es nahe liegt, über einen verborgenen Plan nachzusinnen.« 479 Martínez 2000, S. 644. 480 Vgl. Cassirer 1925, S. 63f.: »Man hat es wenigstens als einen eigentümlichen Wesenszug des mythischen Denkens bezeichnet, daß es den Gedanken eines in irgendeinem Sinne ›zufälligen‹ Geschehens überhaupt nicht zu fassen vermöge. […]. In der Tat hat man den Satz, daß nichts in der Welt durch Zufall, sondern alles durch bewußte Absicht geschieht, bisweilen geradezu als einen Fundamentalsatz der mythischen Weltsicht bezeichnet.« Diese Einschätzung haben spätere anthropologische bzw. ethnologische Untersuchungen bestätigt. So spricht etwa der Ethnologe Christopher Robert Hallpike von der »Unfähigkeit der Primitiven, sich eine Vorstellung von Zufall zu bilden« (Christopher Robert Hallpike: Die Grundlagen primitiven Denkens, Stuttgart 1984 [zuerst im englischen Original 1979], S. 520-538, Zitate S. 532; der problematische Begriff des ›Primitiven‹ wird in einem einleitenden Kapitel erklärt). Siehe auch Martínez 1996a, S. 18f.; 1996c, S. 123. Diese Beobachtungen lassen gewisse Zweifel daran aufkommen, inwiefern man auch in Bezug auf ein mythisches Weltbild eine »kategoriale Differenz […] zwischen dem Erleben einer als komplex und kontingent erfahrenen ›Wirklichkeit‹ und dem Erzählen« voraussetzen kann, wie das Florian Kragl im Zusammenhang mit seiner Realismus-Theorie tut (Kragl 2019, S. 203). 481 Elena Eberwein: Zur Deutung mittelalterlicher Existenz. (Nach einigen altromanischen Dichtungen), Bonn / Köln 1933 (Kölner Romanistische Arbeiten 7), S. 30. Diese Vorstellung ist auch dem modernen Sprachgebrauch nicht fremd. Zur Bedeutung von ›Zufall‹ als »unberechenbare macht« siehe etwa DWB, Bd. 32 (1954), Sp. 345. 482 Wegera 2002, S. 233f. Dabei fungiere âventiure »im Sinne eines Zeichens« für das Jenseitige. Peter Strohschneider zufolge besitze die âventiure jedoch weniger Zeichencharakter, sondern in ihr werde vielmehr das Jenseitige konkret präsent: »Indes kann epiphantisches Zur-Erscheinung-Kommen (oder Sichtbarwerden) schwerlich mit zeichenhafter Stellvertretung ohne weiteres identifiziert werden. Es gehört vielmehr in einen Bereich, den man zum Beispiel ›Produktion von Präsenz‹ nennen könnte, während das Zeichen demgegenüber ein Modus der Repräsentation (von Abwesendem) ist.« (Strohschneider 2006, S. 378) 2.3 Die motivationslogische Mehrdeutigkeit des Zufalls 219 Die Vorstellung, dass sich im Zufall eine höhere Ordnung offenbart, wurde auch für den »Tristan« immer wieder in Anschlag gebracht. 483 Haug versteht den Zufall in diesem Sinne nicht nur als Verweis auf eine jenseitige Gewalt, sondern erkennt in ihm selbst eine »autonome[ ] Macht mit einer ganz bestimmten Tendenz« 484 . Diese Vorstellung kommt auch dort zum Ausdruck, wo moderne Textausgaben die mhd. Formulierung dô kam es von âventiure (v.-737) mit der Wendung ›wie es der Zufall wollte‹ übersetzen, 485 und so zumindest auf sprachlicher Ebene aus dem Zufall eine intentionale Instanz machen. 486 Dass es sich beim Zufall um eine in der erzählten Welt wirkende transzendente Macht handelt, scheint sich auch in der Perspektive einiger Figuren zu bestätigen. So unterwerfen die norwegischen Seeleute im Sturm ihr Handeln ganz der Lenkung (stiure) von âventiure und geschiht: si hæten sich mitalle ergeben an die vil armen stiure, 487 diu dâ heizet âventiure: si liezen ez an die geschiht, weder si genæsen oder niht (vv. 2420-2424) 483 Kritisch dagegen Worstbrock 1995, S. 39: Der Zufall existiere im »Tristan« nicht »als eine alles Geschick regierende Macht, als autonome oder als göttlich beauftragte […]. Gottfrieds Roman schließt lenkende transzendente Instanzen wie Gott oder Fortuna aus. Er meint nicht ein Wesen Fortuna, auch nicht Fortuna als göttliche Providenz.« 484 Haug 1989 [1982], S. 578. 485 Vgl. Krohn, Bd. 1, S. 53; Haug / Scholz, Bd. 1, S. 51. Weiterhin ebd., S. 129, 133. Ähnlich die Übersetzung von Knecht, der auf die Fügung (›es fügte sich‹, S. 11) und damit ebenfalls auf eine höhere Ordnung verweist. 486 Das entspricht dem Umgang mit dem Zufall im mythischen Weltbild, das hinter dem Zufall stets transzendente ›Absichten‹ erkennt, vgl. Cassirer 1925, S. 63: »Häufig findet es sich, daß dort, wo w i r, vom Standpunkt der wissenschaftlichen Welterklärung, vom ›Zufall‹ sprechen, das mythische Bewußtsein gebieterisch eine ›Ursache‹ verlangt und in jedem einzelnen Fall eine solche Ursache setzt. So ist z. B. für das Denken der Naturvölker ein Unglück, das über das Land hereinbricht, eine Verletzung, die sich ein Mensch zuzieht, so sind Krankheit und Tod niemals ›zufällige‹ Ereignisse, sondern sie gehen stets auf magische Einwirkungen als ihre eigentlichen Ursachen zurück. Der Tod insbesondere tritt niemals ›von selbst‹ ein, sondern er ist immer von außen her durch zauberischen Einfluß bewirkt.« Dazu auch Martínez 1996a, S. 19. 487 Das Verständnis der Verse 2321 f. ist nicht ganz einfach; die Übersetzungen gehen hier weit auseinander. Krohn übersetzt ›dem armseligen Ruder, das da ›Zufall‹ heißt‹ (Bd. 1, S. 153); ähnlich Haug / Scholz: ›der Willkür jenes Steuerruders, das man Zufall nennt‹ (Bd. 1, S. 145); anders Knecht: ›der kargen Barmherzigkeit jener Macht […], die da Zufall heißt‹ (S. 31). Mhd. stiure nimmt als ›Steuerruder‹ die nautische Bildlichkeit des Kontextes der Stelle auf, vgl. Lexer, Bd. 2, Sp. 1202 f. Es handelt sich aber auch um eines der häufigsten Reimwörter für âventiure in der mittelhochdeutschen Literatur, vgl. Wegera 2002, S. 232. arm, im Sinne von ›dürftig‹ (vgl. Lexer, Bd. 1, Sp. 92), ist die Lenkung durch den Zufall, weil sie eine willkürliche Bewegung und keine (intentionale) Ausrichtung auf ein Ziel bedeutet. Dazu Mireille Schnyder: Räume der-Kontingenz, in: Kein Zufall. Konzeptionen von Kontingenz in der mittelalterlichen Literatur, hrsg. von Cornelia Herberichs / Susanne Reichlin, Göttingen 2010 (Historische Semantik 13), S. 174-185, hier S. 177: »Durch das Epitheton ›jämmerlich‹ für diese Zufallsführung wird auf der Ebene des Textes eine klare Wertung mit eingezogen. Die Führung durch die âventiure als Zufallsgeschehen ist defizient. Es gäbe bessere Möglichkeiten.« Vgl. auch Hahn 1963, S. 101: »Die Aventiure, die im Artusroman vielgenannte Lenkerin der Geschicke, erscheint hier als ein armseliges und kraftloses Steuerruder. Ihr zu folgen bedeutet die Bankrotterklärung der eigenen Möglichkeiten.« In anderem Kontext wird stiure auch als poetologischer Begriff verwendet, so etwa im »Wigalois« Wirnts von Grafenberg, v. 11658 (Ausg. Seelbach / Seelbach 2014, S. 267), vgl. dazu Backes 2005, S. 350. Im »Wigalois« ist an anderer Stelle auch von gotes stiure (v. 11627) die Rede (Ausg. Seelbach / Seelbach 2014, S. 266). 220 2 Annäherungen Wie kann man die Macht beschreiben, die sich hier im Zufall manifestiert? Es liegt nahe, Vorstellungen aus dem antiken Denken heranzuziehen, etwa das Konzept des Schicksals (lat. fatum). 488 In den modernen Wörterbüchern erscheint ›Schicksal‹ jedenfalls als Übersetzung von âventiure; 489 mit mhd. geschiht ist es auch etymologisch verwandt. 490 Eberwein zufolge trete das ›Schicksal‹ nicht nur als Übersetzungsmöglichkeit n e b e n den ›Zufall‹, sondern falle in mittelalterlicher Perspektive in der aventure mit diesem auch untrennbar z u s a m m e n . 491 Überhaupt wurde die Rede vom ›Schicksal‹ in Bezug auf den »Tristan« immer wieder bemüht. So beobachtet etwa Hans-Günther Nauen im Roman »das Walten einer geheimnisvollen Schicksalsmacht« 492 , und Peter Ganz versteht den Zufall als »Instrument des Schicksals« 493 . Eine Schlüsselstelle für das Verständnis von âventiure als ›Schicksal‹ bietet Tristans Namensgebung (vv. 1974-2002). 494 Nachdem Rual vorgeschlagen hatte, das Kind aufgrund der traurigen Geschichte seiner Eltern auf den Namen Tristan zu taufen, kommentiert der Erzähler: 488 Zur Klärung des in der Gegenwartssprache uneinheitlich gebrauchten Begriffs Margarita Kranz: Art. Schicksal, in: HWPh 8 (1992), Sp. 1274-1298, hier Sp. 1274 f. Zum Schicksal als fatum auch Störmer-Caysa 2007, S. 154f. Zur Verwandtschaft und Abgrenzung von Schicksal und Zufall Kranz u. a. 2004, Sp. 1408f. 489 Vgl. Lexer, Bd. 1, Sp. 105; BMZ, Bd. 1, S. 72; MWB, Bd. 1, Sp. 389 f.; für afr. aventure siehe auch Franz Lebsanft: Die Bedeutung von altfranzösisch aventure. Ein Beitrag zu Theorie und Methodologie der mediävistischen Wort- und Begriffsgeschichte, in: Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Bezeichnungen von Rede und Schrift im Mittelalter, hrsg. von Gerd Dicke u. a., Berlin / New York 2006 (Trends in Medieval Philology 10), S. 311-337, hier S. 322-324. Zur âventiure als dem »Schicksalsfaden […], der das erzählte Leben des Helden bestimmt« außerdem Schnyder 2006, S. 369. In Bezug auf die vorliegende Stelle weiterhin Schnyder 2010, S. 177: »Die dem Zufall des Auf und Ab ausgelieferten Seeleute sind ihres Willens beraubt und ergeben sich ganz dem Geschick, dem Schicksal.« 490 Auch Krohn und Knecht übersetzen in der zitierten Textstelle geschiht mit ›Schicksal‹, vgl. Krohn, Bd. 1, S.-153; Knecht, S. 31. Haug / Scholz sprechen von ›Fügung‹ (Bd. 1, S. 145). 491 Vgl. Eberwein 1933, S. 32. In seiner »Ars versificatoria« führt Matthäus von Vendôme dagegen (in Anlehnung an Cicero, »De inventione«, 1,35-37) eine Differenzierung zwischen casus (›Zufall‹) und fortuna (hier im Sinne von ›Schicksal‹) ein: Siquidem distinguendum est inter casum et fortunam. Casus etenim est eventus alicujus infortunii, qui alicui personae solet frequenter irrogari. Fortuna vero est status vitae […]. Vel in hoc distat inter casum et fortunam, quod casus transitorius est, fortuna velo paulo permanentior et majoris efficaciae (§- 90). Zitiert nach Faral 1958, S. 142. ›To be sure, we must distinguish between accident and fortune. Accident is the outcome of some misfortune, such as often befalls mankind. Fortune, however, is a condition of life […]. The disctinction between accident and fortune lies in the fact that accident is transitory, while fortune is somewhat more lasting and of greater efficacy.‹ Übersetzung Gallo 1974, S. 76. Unter fortuna wird dabei offensichtlich keine transzendente Macht verstanden, sondern vielmehr das Ergebnis ›natürlicher‹ Ursachen: Fortuna vero est status vitae, quam aliquis adipiscitur vel ex proprio arbitrio vel ex casu temporis vel ex humana dispensione. ›Fortune, however, is a condition of life which one reaches as a result of his own choice, the consequence of the times, or human dispensation.‹ (ebd.) 492 Nauen 1947, S. 47. 493 Peter F. Ganz: Minnetrank und Minne. Zu Tristan, Z. 11707 f., in: Formen mittelalterlicher Literatur. Siegfried Beyschlag zu seinem 65. Geburtstag von Kollegen, Freunden und Schülern, hrsg. von Otmar Werner / Bernd Naumann, Göppingen 1970 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 25), S. 63-75, hier S. 66; zustimmend Flecken-Büttner 2011, S. 155. Ganz hebt hervor, dass der Zufall durch diese Schicksalhaftigkeit seine eigentliche Zufälligkeit verliere, vgl. Ganz 1970, S. 69. Zum Zufall als Schicksal weiterhin etwa Schröder 1967, S. 29: »[I]m bloßen Zufall drückt sich unvorhersehbare, unbegreifliche Macht aus; wenn der Zufall ein ganzes Leben bestimmt, so wirkt darin das Schicksal. Anfang und Ende der Minne zwischen Tristan und Isolde sind vom Schicksal bestimmt.« Von einer »Mechanik des Schicksals« spricht weiterhin Haug 1989 [1972], S. 566. 494 Dass es sich dabei um eine »narratologisch zentrale[ ] und auf das ganze Werk ausstrahlende[ ] Stelle« handelt, betont Scheuer 1999, S. 408. 2.3 Die motivationslogische Mehrdeutigkeit des Zufalls 221 nu heizet triste triure und v o n d e r â v e n t i u r e sô wart daz kint Tristan genant. (vv. 1999-2001; Hervorhebung L.M.) Als ›Zufall‹ lässt sich das Wort âventiure hier wohl nicht übersetzen. Einerseits könnte die Erzählerrede als wiederholende Zusammenfassung der Begründung Ruals verstanden werden; dann würde sich âventiure auf die Erlebnisse von Riwalin und Blanscheflur beziehungsweise die Erzählung davon beziehen. 495 Die meisten Interpreten gehen jedoch davon aus, dass sich die Aussage nicht auf die Vorgeschichte, sondern vielmehr auf die nun folgende Handlung bezieht, also auf die den Figuren unbekannte Zukunft der Erzählung. 496 Die âventiure würde damit zum Ausdruck des Zukünftigen, die Namensgebung wäre also ›von hinten‹ motiviert. Man kann deshalb davon sprechen, der Name werde - entsprechend antiker Topik 497 - zum Ausdruck des Schicksals. 498 Was man sich unter der »geheimnisvollen Schicksalsmacht« 499 hier und anderswo allerdings vorzustellen hat, bleibt einigermaßen unklar. Das gilt auch für die »rätselhafte Macht des billîch« 500 , die der Erzähler im »Tristan« gelegentlich für den Lauf der Handlung verantwortlich macht. Bei dem aus dem Adjektiv billich (›angemessen, rechtmäßig‹) abgeleiteten Substantiv handelt es sich um eine Wortneuschöp- 495 In diesem Sinne übersetzen Haug / Scholz, Bd. 1, S. 121: ›aufgrund dieser Geschehnisse‹; uneindeutig bleiben die Übersetzungen von Krohn (›deshalb‹, Bd. 1, S. 129) und Knecht (›also‹, S. 26). In diesem Sinne auch Schulz 2017, S. 39. 496 So spricht Haubrichs davon, der Erzähler ergänze Ruals Begründung »um die Dimension der Zukunft« (Wolfgang Haubrichs: Namendeutung in- Hagiographie,- Panegyrik - und im »Tristan«. Eine gattungs- und funktionsgeschichtliche Analyse, in: Namen in deutschen literarischen-Texten des Mittelalters. Vorträge Symposion- Kiel, 9.-12.9.1987, hrsg. von Friedhelm Debus / Horst Pütz, Neumünster 1989 (Kieler Beiträge zur deutschen Sprachgeschichte 12), S. 205-224, hier S. 217). In diesem Sinne auch Scheuer 1999, S. 418: »Dem Aspekt der traurigen Vorgeschichte […] schließt sich nun der Aspekt der gesamten folgenden âventiure an, die von der Taufszene aus gesehen in der Zukunft des Protagonisten verschlossen liegt.« Vgl. weiterhin Ruberg 1989, S.-316; Claudia Brinker-von der Heyde: Geliebte Mütter - mütterliche Geliebte. Rolleninszenierung in höfischen Romanen, Bonn 1996 (Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik 123), S. 202. 497 Vgl. Scheuer 1999, S. 421. Zum Namen als »schicksalshafte[m] Topos« in der antiken Rhetorik auch Henning Hermann: Identität und Personalität in Gottfrieds von Straßburg »Tristan«. Studien zur sozial- und kulturgeschichtlichen Entwicklung des Helden, Hamburg 2006 (Schriften zur Mediävistik 8), S. 108f. Zur »göttlichen Lenkung der Namenwahl« durch eine »quasi providentielle Regie« auch Haubrichs 1989, S. 217. 498 Zu der Stelle bes. Müller 2007, S. 215-221. Von ›Schicksal‹ sprechen auch Brinker-von der Heyde 1996, S. 202, und Tomas Tomasek: Überlegungen zum truren im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg, in: LiLi 114 (1999), S. 9-20, hier S. 10: »[B]ei der Namensgebung […] wird der Begriff der triure eng mit dem Protagonistenschicksal verknüpft«. Auch Huber meint: »Der name Tristan paßt insofern, als er ›schicksalsförmig‹ ist.« (Huber 1979, S.-274) Vgl. weiterhin Schröder 1967, S. 29. 499 Nauen 1947, S. 47. Vgl. zuletzt Kropik 2018, 297, die davon ausgeht, dass hinter dem Schicksal im »Tristan« »nicht der Gott des Christentums steht, sondern eine sozusagen halbreale - da zwischen Kunstprinzip und Wirklichkeitserfahrung, zwischen metaphorisch-erdichteter und erzählweltlich-realer Existenz schwebende - Liebesgottheit.« Zur Vorstellung einer solchen ›Liebesgöttin‹ siehe unten, Kap. 2.4. 500 Huber 3 2013, S. 49. Meine Ausführungen zum billîch beruhen zum Teil auf Überlegungen Gerd Dickes, für dessen Hinweise ich sehr dankbar bin. 222 2 Annäherungen fung Gottfrieds, 501 die im »Tristan« sechsmal gebraucht wird. 502 Im vorliegenden Kontext geht es um zwei Stellen, an denen dem billîch als intentionale Instanz eine Bedeutung für die Motivation der Handlung zugesprochen wird. Als Isolde nach dem Drachenkampf den bewusstlosen Tristan findet, geschieht das laut Erzähler gemäß der Intention des billîch: nu ergienc ez, alse ez solte und a l s e d e r b il l î c h w o lt e , diu junge künigin Îsôt daz si ir leben unde ir tôt, ir wunne unde ir ungemach z’allerêrste gesach. (vv. 9369-9374; Hervorhebung L.M.) Auch die kurz darauffolgende Entdeckung Tristans als Mörder Morolts wird mit dem billîch begründet: Nu ergienc ez aber Îsolde, a l s ô d e r b il l î c h w o l d e : daz si aber ir herzequâle zem anderen mâle vor den andern allen vant. (vv. 10057-10061; Hervorhebung L.M.) Durch die vorausdeutenden Verweise auf die Freude und das Leid, das Tristan später für Isolde bedeuten werde (ir leben und ir tôt, ir wunne unde ir ungemach, ir herzequâle), wird an beiden Stellen auf etwas Zukünftiges referiert, das für die Figuren noch nicht verfügbar ist. Dadurch kommt deutlich zum Ausdruck, dass beide Stellen ›von hinten‹ motiviert sind. 503 Auch die 501 Worstbrock spricht von »einer höheren Gemäßheit, die zu bezeichnen Gottfried das dunkle, wenig gebräuchliche Wort billich wählte« (Worstbrock 1995, S. 41). - Benecke / Müller / Zarncke verweisen neben den »Tristan«-Stellen mit falscher Seitenangabe auf einen Beleg aus Laßbergs »Lieder-Saal« (vgl. BMZ, Bd. 1, S.- 120), bei dem es sich in Wahrheit um keinen anderen Text als Konrads von Würzburg »Herzmære« handelt (bei Laßberg mit dem Titel »Von der Minnen«, vgl. Lieder-Saal. Sammlung altteutscher Gedichte aus ungedruckten Quellen, hrsg. von Joseph Freiherr von Laßberg, Bd. 2, o. O. 1822 [Nachdruck Darmstadt 1968], Nr. 133, S.-359-376, hier S. 368). Insofern es sich beim »Herzmære« um »eines der bemerkenswertesten Zeugnisse der Gottfried-Rezeption« (Brunner 1985, Sp. 293) handelt und von Strâzburc meister Gotfrit (v. 9) im Prolog des Textes als Gewährsmann für aufrechte Minne genannt wird, könnte es sich bei dieser Nennung um eine direkte »Tristan«-Rezeption handeln. Der fragliche Vers Als ich von billich sol findet sich außerdem nur in der von Laßberg zugrunde gelegten Hs. D des »Herzmæres« aus dem 15. Jh. (als Einschub nach v. 323), vgl. den Apparat in Kleinere Dichtungen Konrads von Würzburg, Bd. 1: Der Welt Lohn, Das Herzmaere, Heinrich von Kempten, hrsg. von Edward Schröder, Berlin 2 1930, S. 27. Vermutlich aus diesem Grund ist der Beleg auch in der Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank und im neuen Mittelhochdeutschen Wörterbuch nicht verzeichnet, vgl. MWB, Bd. 1, Sp. 807. 502 Vgl. vv. 6425, 9370, 10058, 13768, 17783, 18023. 503 Zur Perspektivenabhängigkeit dieser Stelle Peter Kern: Sympathielenkung im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg, in: Sammlung - Deutung - Wertung. Ergebnisse, Probleme, Tendenzen und Perspektiven philologischer Arbeit. Mélanges de littérature médiévale et de linguistique allemande offerts à Wolfgang Spiewok à l’occasion de son soixantième anniversaire par ses collègues et amis, hrsg. von Danielle Buschinger, Amiens 1988, S. 205-217, hier S. 210: »Es ist der Erzähler, der hier aus seiner die ganze Handlung überblickenden Panorama-Position spricht und nicht etwa aus der Innensicht seiner Romanperson. E r weiß, daß Tristan d e r e i n s t Isoldes herzequâle sein wird, der Anlaß inniger Herzenspein. I s o l d e weiß das noch nicht, ahnt es auch noch nicht halb- oder unbewußt.« Auch Flecken-Büttner betont, hier werde »eine Relation zur Liebe zwischen Tristan und Isolde hergestellt, von der zwar Autor, Erzähler und einge- 2.3 Die motivationslogische Mehrdeutigkeit des Zufalls 223 Tatsache, dass der Erzähler an der zweiten Stelle explizit keine kausal-psychologische Motivation dafür anbietet, dass Isolde Tristans Schwert untersucht und ihn damit als Mörder Morolts identifiziert, betont diesen Zusammenhang: [ich] enweiz niht, wie si des gezam, | daz si daz swert ze handen nam (vv. 10065 f.). 504 Die Handlung ist offenbar final motiviert; der billîch erscheint als transzendente, das Geschehen beeinflussende Macht. 505 Worum es sich allerdings konkret handelt, bleibt wiederum unklar. Die Übersetzungen bieten mit ›Zufall‹ 506 , ›Schicksal‹ 507 , ›Fügung‹ 508 , ›Verhängnis‹ 509 oder auch ›Lauf der Dinge‹ 510 ganz unterschiedliche Ansetzungen. Damit sind die modernen Interpreten nicht alleine: Wie der Überlieferungsbefund zeigt, war offenbar bereits den zeitgenössischen Rezipienten nicht klar, was man sich unter dem billîch vorstellen sollte. 511 Darauf wird zurückzukommen sein. Vorerst möchte ich weihtes Publikum schon wissen, die aber in der Figurenwelt noch der Zukunft angehört.« (Flecken-Büttner 2011, S. 145) 504 ›Ich weiß nicht, was sie dazu trieb, daß sie das Schwert in ihre Hände nahm‹ (Haug / Scholz, Bd. 1, S. 565); ›Ich weiß nicht, was sie veranlaßte, das Schwert zur Hand zu nehmen.‹ (Krohn, Bd. 2, S. 15) Vgl. dazu Nauen 1947, S. 46: »Indem der Dichter ausdrücklich jede rationale Motivierung ablehnt […] gibt er damit seiner Grundauffassung von der überpersönlichen Macht des Schicksals, das die Liebenden unentrinnbar zusammenführt, kund.« Zur markierten fehlenden kausal-psychologischen Motivation an der vorliegenden Stelle auch Schnell 2014, S. 355f. Bereits Nickel sieht darin eine (nachgeschobene und nicht eigentlich glaubwürdige) Betonung der Zufälligkeit: »Schon aber, als hätte er bereits allzusehr sich kompromittiert, bricht der Dichter ab, und, in einer plötzlichen Kontrastierung des Tons, die an diesem Ort sicher nicht belanglos, sondern schalkhafte Absichtlichkeit ist, wechselt er […] hinüber in einen gemacht harmlosen Weitererzählungston: und enweiz niht … eigentlich aber wars ja doch nur ein Z u f a l l , daß es zu dieser verhängnisvollen Entdeckung kam! « (Nickel 1927, S. 48) Max Wehrli erkennt in der Entdeckung Tristans als Mörder Morolts »wieder Schicksal am Werk« (Max Wehrli: Geschichte der deutschen Literatur im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, 3., bibl. erneuerte Aufl., Stuttgart 1997, S. 264). 505 Vorsichtig spricht Combridge vom »fast als metaphysische Macht auftretende[n] billîch« (Rosemary N. Combridge: Das Recht im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg, 2., überarb. Aufl., Berlin 1964 (Philologische Studien und Quellen 15), S. 145). Das kommt auch dann zum Ausdruck, wenn Mieth von einer »F u n k t i o n s g l e i c h h e i t von Gott und billich« spricht (Dietmar Mieth: Dichtung, Glaube und Moral. Studien zur Begründung einer narrativen Ethik mit einer Interpretation zum Tristanroman Gottfrieds von Straßburg, Mainz 1976, S. 230). Vgl. weiterhin Schnell 2014, S. 356 Anm. 41: »Man kann darin ein finales Prinzip, ein Fatum sehen«. Jacob Grimm hatte den billîch noch konkret mit der altnordischen Göttin Bil in Verbindung gebracht, vgl. Jacob Grimm: Deutsche Mythologie,-Bd. 1, Göttingen 2 1844, S. 347, 842. 506 Knecht, S. 120 (›gerechter Zufall‹). 507 Haug / Scholz, Bd. 1, S. 525; ebenso Gottfried von Straßburg: Tristan, übers. von Xenja von Ertzdorff u. a. 1979, S. 118 und 126, sowie Hatto 1976, S.-164 und 174 (›equitable fate‹). 508 Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde. Aus dem Mittelhochdeutschen übertr. und erl. von Günter Kramer. Mit zwanzig Holzschnitten von Maria Hiszpanska-Neumann, 2., durchges. Aufl., Berlin 1970, S. 234 und 252. Auch Kern versteht den billîch »als schicksalhafte Fügung« (Kern 1988, S. 210). 509 Tristan und Isolde von Gottfried von Straßburg. Übersetzt von Karl Simrock, 2., mit Fortsetzung und Schluß vermehrte Aufl., Leipzig 1875, Bd. 1, S. 258. Für v. 10057 übersetzt Simrock hingegen »ihr angebornes Heil befahls« (ebd., S. 277). 510 Gottfried von Straßburg: Tristan und Isold. Nach der Übertragung von Hermann Kurtz bearb. von Wolfgang Mohr, Göppingen 1979 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 290), S. 235 und 252. 511 So bietet Hs. P für vv. 10057f.: Nu ergieng es ysolde | als es billich solte (Berlin, Staatsbibliothek, mgf 640, fol.-69 rb , Z. 19 f.). Hs. O macht in v. 9370 anstelle des billîchs Gott zum Subjekt: als got billich wolde (Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7020 (W*) 87, fol. 58 rb , Z. 25); in v. 10058 wird der billîch vollends durch Gott ersetzt: als got selber wolde (ebd., fol. 62 va , Z. 32). Den Hinweis auf die Stelle verdanke ich Gerd Dicke. Hs. R dagegen bezieht die Aussage vv. 9370 f. ganz auf Isolde: Vnd also es billich wolte | Die junge maget Ysot (Brüssel, Königliche Bibliothek, ms. 14697, fol. 228 v , Z. 16 f.). So verfährt auch die Edition von Christoph Heinrich Myller: Nu ergieng iz als ez solte | und als billich wolte | die junge kuneginne ysot 224 2 Annäherungen auf einen interessanten Befund aufmerksam machen: Die erste Stelle, an der das Substantiv billîch im »Tristan« (und damit in der deutschen Literatur überhaupt) benutzt wird, stammt ausgerechnet aus dem Mund der Figur Tristan (vgl. vv. 6422-6428). Damit ist es die Figur, die diese Instanz zuerst aufruft und gewissermaßen in die erzählte Welt holt. Fragt man danach, was sich mittelalterliche Menschen unter numinosen Mächten wie dem Schicksal vorgestellt haben könnten, kann man zwar auf entsprechende antike Konzepte (fortuna, fatum) verweisen. Grundsätzlich spielen aus christlicher Perspektive transzendente Kräfte wie Zufall und Schicksal aber eine untergeordnete Rolle, weil sie als heidnische Vorstellungen erst einmal abgelehnt wurden. 512 So berichtet Thietmar von Merseburg (gest. 1018), wie heidnische Dänen nach einer verlorenen Schlacht beklagten, ›dass es der Zufall (casus) so gefügt hatte. Uns aber verbietet die Schrift zu glauben, dass es ein Schicksal (fatum) oder einen Zufall (casus) gibt.‹ (»Chronicon«, 7,41) 513 Dabei konnte sich der Chronist etwa auf Augustinus berufen, demzufolge Zufall und Schicksal nie die wirkliche Ursache eines Ereignisses sind: causa […] nec fortuita est nec fatalis (»De civitate Dei«, 5,1). 514 In einer gemäß der göttlichen Vorse- (vv.-9253-9255). Zitiert nach Tristran. Ein Rittergedicht aus dem XIII. Jahrhundert von Gotfrit von Strazburc. Zum erstenmal aus der Handschrift abgedruckt, in: Samlung deutscher Gedichte aus dem XII., XIII. und XIV. Jahrhundert, hrsg. von Christoph Heinrich Myller, Bd. 2, o. O. [Berlin] 1785, Abschnitt 1, S. 68. In der Hs. F, die Myller seinem Abdruck zugrunde legt, hat das allerdings keinen Rückhalt, vgl. Florenz, Nationalbibliothek, Cod. B.R. 226, fol. 60 rb , Z. 34-36. 512 Vgl. etwa Walter Haug: O Fortuna. Eine historisch-semantische Skizze zur Einführung, in: Fortuna, hrsg. von Walter Haug / Burghart Wachinger, Tübingen 1995 (Fortuna vitrea 15), S. 1-22, hier S. 4f. Diesen Gedanken betont in Reaktion auf den faschistischen Schicksalsglauben noch 1937 die Enzyklika »Mit brennender Sorge« des Papstes Pius IX.: »Wer nach angeblich altgermanisch-vorchristlicher Vorstellung das düstere unpersönliche Schicksal an die Stelle des persönlichen Gottes rückt, leugnet Gottes Weisheit und Vorsehung, die ›kraftvoll und gütig von einem Ende der Welt zum anderen waltet‹ (Weish 8,1) und alles zum guten Ende leitet. Ein solcher kann nicht beanspruchen, zu den Gottgläubigen gerechnet zu werden.« Zitiert nach Rundschreiben Seiner Heiligkeit Pius XI. durch Gottes Vorsehung [! ] Papst […] über die Lage der katholischen Kirche im Deutschen Reich, in: Mit brennender Sorge. Das päpstliche Rundschreiben gegen den Nationalsozialismus und seine Folgen in Deutschland, hrsg. von Simon Hirt, Freiburg i.Br. 1946 (Das christliche Deutschland 1933 bis 1945. Dokumente und Zeugnisse. Katholische Reihe 1), S. 1-24, hier S. 4f. 513 quod sic fortuitis id accidit casibus. Nobis autem scriptura prohibet credere fatum vel casum aliquid esse. Zitiert nach Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg und ihre Korveier Überarbeitung, hrsg. von Robert Holtzmann, Berlin 1935 (MGH. Scriptores rer. Germ. N.S. 9), S. 448, Z. 14-16. Übersetzung nach Goetz 1996, S. 86. 514 ›Die Ursache […] ist weder zufällig noch schicksalsbedingt.‹ Im Ganzen lautet das Zitat: Causa ergo magnitudinis imperii Romani nec fortuita est nec fatalis secundum eorum sententiam siue opinionem, qui ea dicunt esse fortuita, quae uel nullas causas habent uel non ex aliquo rationabili ordine uenientes, et ea fatalia, quae praeter Dei et hominum uoluntatem cuiusdam ordinis necessitate contingent. Prorsus diuina prouidentia regna constituuntur humana. Zitiert nach Aurelii Augustini opera, Bd. 14 / 1: De civitate dei libri I-X, curaverunt Bernardus Dombart / Alphonsus Kalb, Turnhout 1955 (CCSL 47). S. 128, Z. 1-7. ›Die Ursache der Größe des Römischen Reiches ist weder Zufall noch Schicksal, wie diese Worte von denen verstanden werden, die zufällig nennen, was überhaupt keine oder wenigstens keine in einer vernünftigen Ordnung begründeten Ursachen hat, und schicksalhaft, was ohne Gottes und der Menschen Willen in notwendigem Ablauf der Dinge sich ereignet. Vielmehr werden unfraglich durch göttliche Vorsehung die menschlichen Reiche gegründet.‹ Übersetzung aus Aurelius Augustinus: Vom Gottesstaat (De civitate dei). Buch 1 bis 10. Aus dem Lateinischen übertr. von Wilhelm Thimme. Eing. und komm. von Carl Andresen, Düsseldorf / Zürich 4 1997, S. 219. Vgl. dazu Deuser 2003, S.-305. Auch Folkwin von Lobbes schreibt im Prolog seiner »Gesta abbatum Lobbiensium«: non fortuitis mundum volvi casibus, sed ad nutum praesidentis et creatricis omnipotentisque Deitatis cuncta regi per providentiam, secundum ineffabilem dispositionis suae ordinatione. (Ausg. Pertz 1841, S. 54, Z. 27-29) ›[…] daß sich die Welt nicht durch zufällige Ereignisse (casus fortuiti) 2.3 Die motivationslogische Mehrdeutigkeit des Zufalls 225 hung geordneten Welt gibt es keinen Zufall. 515 Auch der bereits erwähnte William FitzStephen begründet seine Ablehnung des Zufalls mit dem Verweis auf die göttliche Ordnung der Welt: Relinquitur etiam locus temeritati in mundana dispositione, rerumque derogatur Auctori, qui sic perpetua mundum ratione gubernat. (William FitzStephen, »Miraculorum gloriosi martyris Thomæ«, 3,24) 516 ›Wird eine Sache in der weltlichen Ordnung dem Zufall überlassen, so wird dem Schöpfer seine Herrschaft abgesprochen, der die Welt so mit seiner ewigen Vernunft regiert.‹ Dass der Zufall aus christlicher Perspektive zum Problem wurde, zeigt sich auch in der Literatur: 517 Wenn zum Beispiel Erec auf der Flucht aus Limors im Hof der Burg sein bereits gesatteltes Pferd vorfindet, kommentiert das Chrétiens Erzähler noch ausdrücklich als Zufall: Ceste avanture li fu bele (Chrétien de Troyes, »Erec et Enide«, v. 4900). 518 Bei Hartmann dagegen wird explizit Gott für den Vorfall verantwortlich gemacht: ez vuocte eht gotes wille (Hartmann von Aue, »Erec«, v. 6726). 519 Überhaupt vermeidet der deutschsprachige Bearbeiter im Gegensatz zu seiner Vorlage den Zufall als Handlungsmotivation. 520 Ganz ähnlich kann man es verstehen, wenn der Redaktor der »Tristan«-Handschrift O (um 1425) den billîch in Vers-10058 durch got ersetzt. 521 fortentwickelt, sondern auf Geheiß der sie leitenden, schaffenden und allmächtigen Gottheit alles durch die Vorsehung (providentia) gelenkt wird, gemäß der [unaussprechlichen] Ordnung ihres Planes […].‹ Übersetzung nach Melville 1982, S. 125. 515 Vgl. Hoenen 1997, Sp. 1858; Haug 1998, S. 152: »In einer Welt, für die gilt, daß kein Sperling ohne den Willen Gottes zu Boden fällt [vgl. Mt 10,29], hat der Zufall keinen Platz. […] Kurz: Der Zufall widersprach in christlicher Sicht der Idee göttlicher Providenz.« Dazu auch Schnell 1992, S. 102-104. 516 Ausg. Robertson 1875, S. 282f. 517 Vgl. grundlegend Köhler 1973, S. 28-31. 518 ›Dieser Zufall kam ihm gelegen.‹ Zitat und Übersetzung nach der Ausg. Gier 1987, S. 274f. Insofern das Ereignis als ein Ergebnis verschiedener Ursachen zustande kommt, ließe sich hier Boethius’ Konzept des concursus causarum in Anschlag bringen. 519 Ausg. Gärtner 2006, S. 198. Das Ambraser Heldenbuch bietet ez fuegte n u r gotes wille, vgl. den Apparat ebd. und die Ausg. Hammer u. a. 2017, S. 392. Es wäre freilich darüber nachzudenken, wie ironisch die Stelle bei Hartmann möglicherweise gemeint sein könnte. 520 Vgl. Hausmann 2014, S. 79-81, der von einer »Wiedereinführung göttlicher Providenz« (S. 80) spricht. In diesem Sinne auch Schnell 2014, S. 345: »Zufälle kennt Hartmanns »Erec« nicht. Denn alles, was geschieht, wird den Plänen Gottes unterstellt.« Zum göttlichen Ursprung der âventiure im »Erec« auch Schnyder 2006, S.-370f. 521 Siehe oben, S. 223 Anm. 511. Ohnehin erkennt Dietmar Mieth im »Tristan« einen engen Zusammenhang zwischen Gott und billîch: »Gott erscheint im Tristanroman in der Gestalt des billich, einer höheren Fügung, die jeder weiteren Rechenschaft entzogen ist. Zwar findet keine ausdrückliche Identifizierung dieses billich mit Gott statt, auch muß dahingestellt bleiben, ob er im Sinne des theologischen Terminus der lex divina interpretiert werden kann, aber als nicht hinterfragbare Letztinstanz hat er die gleiche F u n k t i o n wie got an anderer Stelle.« (Mieth 1976, S. 230) In diesem Sinne fragt auch Combridge 2 1964, S. 145: »Ist der billîch als ›höhere Gerechtigkeit‹ am Ende vielleicht doch als Fügung des göttlichen Gesetzgebers selbst zu verstehen? « Noch deutlicher geht Schnell davon aus, dass mit dem billîch »keine von Gott unterschiedliche Schicksalsmacht« (Schnell 1992, S. 103 Anm. 115) gemeint sei. An den christlichen Gott scheint beim billîch auch Dieter Kühn zu denken, wenn er ihn in seiner Übersetzung als ›Der Gerechte‹ wiedergibt, vgl. Tristan und Isolde des Gottfried von Straßburg. Ulrich von Türheim: Tristan. Eine Fortsetzung, hrsg. von Dieter Kühn, Frankfurt a. M. / Leipzig 1991, S. 305 und 322. Auch Brangäne identifiziert die Macht, die Isolde den bewusstlosen Tristan finden lässt, später mit Gott, vgl. vv. 10435f.: »got der hæte unser ruoche | an unserre suoche«. Haug und Scholz übersetzen ›Gott hat uns bei unserer Suche gnädig gelenkt‹ (Bd. 1, S. 585). 226 2 Annäherungen Freilich müssen auch in mittelalterlicher Perspektive Zufall und göttliche Fügung einander nicht ausschließen. Das hebt etwa Thomas von Aquin in seiner »Summa contra gentiles« explizit hervor. 522 Grundlegend für das »Comeback« 523 des Zufalls im Mittelalter war die Darstellung von Boethius, in der Zufall oder Schicksal als Instrumente göttlichen Wirkens fungieren, 524 so dass die Providenz gleichsam zur Ursache des Zufalls wird. 525 Deshalb kann auch dort, wo in literarischen Texten etwa von âventiure die Rede ist, in Wirklichkeit die göttliche Vorsehung hinter den Geschehnissen erkannt werden. Darauf hat bereits Eberwein hingewiesen, wenn sie ausgehend von lat. adventus das »Eintreffen des Göttlichen« als Grundbedeutung von aventure beschreibt. 526 In diesem Sinne manifestiert sich in christlicher Perspektive mitunter g e r a d e in Momenten scheinbar größter Zufälligkeit das Wirken der Providenz. 527 Das macht es für mittelalterliche Erzähltexte im Einzelnen »schwer entscheidbar […], ob ein 522 Vgl. »Summa contra gentiles«, 3,74: Quod divina providentia non excludit fortunam et casum (Ausg. Allgaier u. a. 1974-1996, Bd. 3 / 1, S. 316-319). 523 Vgl. Haug 1995a, S. 6, 21. 524 Vgl. Boethius, »Consolatio philosophiæ«, 4, prosa 6: Quo fit, ut omnia, quae fato subsunt, prouidentiae quoque subiecta sint, cui ipsum etiam subiacet fatum. ›So kommt es, daß alles, was dem Schicksal untersteht, auch der Vorsehung unterworfen ist und ebenso das Schicksal selbst.‹ Zitat und Übersetzung nach der Ausg. Gegenschatz / Gigon 6 2002, S. 206, Z. 61 f. und S. 207. Im Lauf des Kapitels wird dann eine gewisse ›Aufgabenteilung‹ zwischen Schicksal und Vorsehung skizziert, bei der die Vorsehung für die ›unbewegte und einfache Form der sich vollziehenden Dinge‹, das Schicksal für die ›bewegte Verflechtung und die zeitliche Ordnung‹ zuständig ist: illud certe manifestum est, immobilem simplicemque gerendarum formam rerum esse providentiam, fatum vero eorum, quae divina simplicitas gerenda disposuit, mobilem nexum atque ordinem temporalem. ›[D]as ist gewiß offenbar, daß die Vorsehung die unbewegte und einfache Form der sich vollziehenden Dinge ist, das Schicksal aber die bewegte Verflechtung und die zeitliche Ordnung dessen, was die göttliche Einfachheit zum Vollzug geordnet hat.‹ (ebd., S. 206, Z.-56-60 und S. 207) Dazu auch Schulz 2012, S. 297f. Die Vorstellung von der göttlichen Vorsehung als Ursache hinter dem Zufall wird in der Frühen Neuzeit ins Bild gesetzt, wenn Fortuna als von einer göttlichen Hand gelenkt gezeigt wird, so auf einem Holzschnitt von Georg Pencz aus dem Jahr 1534 (Abbildung bei Burkhardt Krause: »Ein rasend-freches Weib«. Geschichten von der Göttin mit dem Rad, in: Glück - Zufall - Vorsehung. Vortragsreihe der Abteilung Mediävistik des Instituts für Literaturwissenschaft im Sommersemester 2008, hrsg. von Susanne Finkele / Burkhardt Krause, Karlsruhe 2010, S. 1-48, hier S. 22), oder, wie in Sebastian Brants »Narrenschiff«, Kap. 37: Von gluckes fall, Gott selbst das Rad der Fortuna dreht (Abbildung in der Ausg. Knape 2005, S. 228). - Dass sich der Zufall rückblickend als Wirken göttlicher Vorsehung offenbart, hat auch Martínez am Beispiel der »Kaiserchronik« beschrieben: »Nach Boethianischem Muster enthüllt sich Fortuna als Instrument der Providentia.« (Martínez 1996b, S. 100) 525 Als Ursache (causa) des Schicksals (fatum) bezeichnet die göttliche Vorsehung (divina providentia) etwa Alexander von Hales im ersten Teil des ersten Buchs seiner »Summa theologica« (1235-1245), 1,5,2,3,2,2,2 (Quid sit fatum secundum definitionem). Zitiert nach Doctoris irrefragabilis Alexandri de Hales ordinis Minorum Summa theologica, iussu et auctoritate Bernhardini Klumper, Bd. 1, Ad Claras Aquas (Quaracchi) 1924, S. 306. Dazu Hoenen 1997, Sp. 1858. 526 Eberwein 1933, S. 30, weiterhin auch ebd., S. 49-53. In diesen Zusammenhang gehört auch die Nähe von âventiure zu mhd. sælde als dem »göttlichen und providentiellen Heil« (Schnyder 2006, S. 371). 527 Peter Strohschneider zeigt das in Bezug auf die mittelalterliche Praxis des ›Bibelstechens‹, bei der eine Bibel ›zufällig‹ an irgendeiner Stelle aufgeschlagen wird, wobei der auf diese Art ausgewählten Textstelle dann ein besonderer hermeneutischer Gehalt zugesprochen wird: »In der scheinbar unüberbietbaren Sinnlosigkeit der völlig willkürlichen Auswahl einer Schriftstelle wird ein - prinzipiell unverfügbarer - ›höherer Sinn‹ magisch verfügbar. In der radikalen Kontingenz bricht Providenz durch« (Strohschneider 2014, S. 130f.). Zum Zufall als Medium, in dem sich die göttliche Vorsehung erkennen lässt, auch Hans-Werner Goetz: Fortuna in der hochmittelalterlichen-Geschichtsschreibung, in: Providentia, Fatum, Fortuna, hrsg. von Joerg O. Fichte, Berlin 1996 (Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung 1 / 1), S. 75-89, hier S. 89. 2.3 Die motivationslogische Mehrdeutigkeit des Zufalls 227 Ereignis der göttlichen Providenz oder dem (von Gott geduldeten) Zufall entspringt« 528 , lässt aber grundsätzlich jeden Zufall als möglichen Ausdruck finaler Motivation erscheinen. Auch im »Tristan« verdankt sich der Zufall mitunter ausdrücklich göttlichem Wirken. 529 So ist der Sturm, den die norwegischen Seeleute als Produkt von âventiure und geschiht wahrnehmen, zuvor vom Erzähler ja bereits explizit dem Wirken Gottes zugeschrieben worden. 530 Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass hinter dem, was aus der Perspektive des Menschen als Zufall (oder Schicksal) erscheint, in Wirklichkeit die göttliche Vorsehung steht. 531 Rüdiger Schnell sieht darin eine Schlüsselstelle für den gesamten Roman. Ausgehend von der Formulierung von Gott als demjenigen, der elliu dinc beslihtet, | beslihtende berihtet (vv.-2407f.), geht er davon aus, dass es in der erzählten Welt des »Tristan« überhaupt keinen Zufall gebe: Wenn wir die Aussage des Erzählers, wonach alles was in dieser Welt geschieht, auf Gottes Lenkung zurückzuführen ist (2406 ff.), ernst nehmen, dann dürfte es eigentlich keinen Zufall geben […]. Zufall kann dann lediglich eine unzulängliche Umschreibung für göttliches Handeln sein, das sich in seiner Rätselhaftigkeit dem unzulänglichen menschlichen Erkenntnisvermögen entzieht. […] Die Formel in Gottfrieds »Tristan«, etwas geschehe von aventiure, wäre dann der adäquate Ausdruck für die Unfähigkeit der Menschen, die Hintergründe der irdischen Ereignisse und damit Gottes Handeln zu erkennen. 532 Ob sich dieser Befund allerdings derart verallgemeinern lässt, erscheint unklar. 533 Ohnehin scheint Gottfried grundsätzlich offen zu lassen, was sich hinter dem Zufall in der erzählten 528 Tomasek 2007, S. 183. 529 Vgl. Schnell 1992, S. 99-104. 530 Vgl. vv. 2406-2412: dô widerschuof ez allez der, | der elliu dinc beslihtet, | beslihtende berihtet, | dem winde, mer und elliu craft | bibenende sint dienesthaft. | als der wolte und der gebôt, | dô huop sich ein sô michel nôt | von sturmwetere ûf dem sê. Siehe oben, S. 66f. 531 Vgl. Tax 2 1971, S. 27f.; Schnell 1992, S. 101f. Anders Nauen 1947, S. 25, der meint, in der vorliegenden Stelle stünden »Gott und Schicksal völlig unharmonisch nebeneinander, so daß eines für das andere eintreten könnte«. Dazu auch der Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 231. Kritisch zum Zufall als Instrument göttlicher Providenz auch Worstbrock 1995, S. 39. Zur Perspektivenabhängigkeit der Deutung von âventiure weiterhin Schnyder 2006, S. 371: »Für den in der Welt verstrickten Helden ist es das Fortunaglück der vergänglichen Zufälligkeit; aus der Perspektive des zurückblickenden und die Einzelereignisse ordnenden Erzählers aber ist es das als Geschick im Geschehen wirkende sælde-Glück göttlicher Vorsehung.« Freilich gibt es auch in der erzählten Welt des »Tristan« Figuren, die hinter dem Zufall die göttliche Vorsehung vermuten. So sprechen die Barone auf der zweiten Irlandfahrt davon, dass Gott das Glück gewähre (daz uns got gelückes gan, v. 8661), und vor dem Moroltkampf fordert Tristan die Barone auf, sie sollten dafür beten, dass der Heilige Geist ihrem Kämpfer gelücke gebe (v. 6123). Später spricht er dann davon, er wolle sein Leben durch got an âventiure geben (v.-6158), ›um Gottes willen dem Schicksal anheimgeben‹ (Krohn, Bd. 1, S. 377), vgl. dazu auch Schröder 1975, S. 324: ›dem Schicksal oder der Fortuna anheimgestellt‹; anders Frederik Mosselman: Der Wortschatz Gottfrieds von Straßburg, ’s-Gravenhage 1953, S. 1, der hier die im »Tristan« sonst seltene Bedeutung von âventiure als ›ritterliches Wagnis, Kampf‹ ansetzt. Auch den Zufall der versehentlichen Einnahme des Minnetranks versteht Brangäne als Produkt transzendenter Mächte, vgl. vv. 12127: »daz riuwe got, | daz der vâlant sînen spot | mit uns alsus gemachet hât! « Vgl. dazu Haug 1989 [1972], S. 576 und Anm. 29. 532 Schnell 2014, S. 366; dazu mit Verweis auf die vorliegende Stelle schon Schnell 1992, S. 100: »Für die mittelalterliche Theologie gibt es keinen Zufall, auch nicht für Gottfried von Straßburg […].« 533 Vgl. dazu auch den Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 320: »Aus dieser und vergleichbaren Stellen zu folgern, für Gottfried gebe es keinen Zufall […], ist kurzschlüssig.« Auch Huber kritisiert in seiner Rezension von Schnell 1992, dass dort »das vielförmige Zufallsprinzip als menschlich beschränkte Sicht glatt elimiert und durch den unergründlichen Gott ersetzt wird.« (Huber 1996, S. 126) Ganz im Gegensatz 228 2 Annäherungen Welt verbirgt. 534 Der Zufall bleibt im »Tristan« eine ›leere‹ Kategorie, die der Interpretation bedarf und von den jeweiligen Rezipienten unterschiedlich gefüllt werden kann - was die divergenten Forschungspositionen ja eindrucksvoll demonstrieren. Ob man dabei eher an ein antikes Fatum oder die göttliche Providenz denken möchte, also antike oder christliche Wissensordnungen zur Deutung heranzieht, hängt auch davon ab, wie man das generelle Verhältnis von Antike und Christentum im »Tristan« beurteilt. 535 Dabei betreffen alle bisher diskutierten Möglichkeiten zur Deutung des Zufalls (als Verkettung kausaler Ursachen beziehungsweise als Wirken einer numinosen Schicksalsmacht oder der göttlichen Providenz) die erzählte Welt. Sie entsprechen (gemäß dem ›Realitätsprinzip‹) wohl mehr oder weniger der Art und Weise, wie auch mittelalterliche Leser und Hörer ›Zufälle‹ in ihrer Erfahrungswelt deuten konnten. 536 dazu möchte Huber an anderer Stelle hinter dem Zufall im »Tristan« überhaupt nicht die göttliche Providenz erkennen: »Eine transzendente Überwindung des Fortuna-Konzepts aber, wie sie das mittelalterliche Denken seit der »Consolatio« […] postuliert, lässt Gottfried außer Betracht.« (Huber 3 2013, S. 49) 534 Vgl. Schnell 1992, S. 101: »Wenn Gottfried […] an entscheidenden Punkten des Geschehens das Zufallsprinzip ins Spiel bringt, so soll dies meines Erachtens die beschränkte Sicht der Menschen offenlegen, die hier eben nicht das Warum oder Wozu eines Ereignisses erkennen können.« Auch kann der Zufall durchaus mehrfach motiviert sein. Wenn etwa im »Silvester« Konrads von Würzburg erzählt wird, wie der heidnische Richter Tarquinius an einer Fischgräte erstickt, die zufällig (von geschihte, v. 399) in seine Kehle gerät, dann ist das einerseits ein gewöhnliches kausales Ereignis (Menschen ersticken zuweilen an Fischgräten), andererseits das Ergebnis göttlicher Providenz (in diesem Sinne wurde es Tarquinius von Silvester vorausgesagt, vgl. vv. 360-367). Zitiert nach Konrad von Würzburg: Die Legenden I, hrsg. von Paul Gereke, Halle a.S. 1925 (ATB 19), S. 14f. 535 Die grundsätzliche Diskussion dieser Frage manifestiert sich am Beispiel des Umgangs mit der Antike in Gottfrieds Literaturexkurs, besonders in Bezug auf die Deutung des wâren Êlicônes (v. 4897) in der Inspirationsbitte des Erzählers. Einen Überblick über die verschiedenen Ansätze bieten Reiner Dietz: Der »Tristan« Gottfrieds von Straßburg. Probleme der Forschung (1902-1970), Göppingen 1974 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 136), S. 39-45; Tomasek 2007, S. 149-151; Haug / Scholz, Bd. 2, S. 390-392. Für Nauen treten im Literaturexkurs die antiken Musen an die Stelle des christlichen Gottes: »Das ist etwas ganz Unerhörtes und Beispielloses in unserer mittelhochdeutschen Literatur. […] Gottfried nimmt damit eine bezeichnende Loslösung vom christlichen Brauch vor« (Nauen 1947, S. 33). Ähnlich Weber 1953, Bd. 1, S. 122. Von einer »typologischen Überwindung der Antike« spricht dagegen Ohly 1955 / 56, S. 123. Zu dieser Lesart ausführlich Herbert Kolb: Der ware Elicon. Zu Gottfrieds Tristan vv. 4861-4907, in: DVjs 41 (1967), S. 1-26; Jaeger 1977, S.-139-152. Ein »zwielichtige[s] Ineinander von Antike und Christentum« erkennt Gnaedinger 1967, S. 17. Eine offene Lesart, die sich auf die Typologie als Denkform bezieht, ohne sich auf eine christliche Deutung festzulegen, vertritt Wolf 1974. Dazu weiterhin Kern 1998, S. 174-186; Burghart Wachinger: Geistliche Motive und geistliche-Denkformen in-Gottfrieds »Tristan«, in: Der »Tristan« Gottfrieds von Straßburg. Symposion Santiago de Compostela, 5. bis 8. April 2000, hrsg. von Christoph Huber / Victor Millet, Tübingen 2002, S.-247-255, hier S. 247-250. Dagegen vertritt Dorothea Klein wiederum die Ansicht, dass unter dem ›wahren Helikon‹ »wohl nur der christliche Schöpfergott zu verstehen ist.« (Dorothea Klein: Inspiration und Autorschaft. Ein-Beitrag zur mediävistischen-Autordebatte, in: DVjs 80 (2006), S. 55-96, hier S. 87) Dazu auch Flecken-Büttner 2011, S. 220. Kritisch wiederum Knapp 2014a, 290 f. - Dass grundsätzlich im »Tristan« antik-mythologische und christlich-religiöse Motive mit zum Teil unklarem Bezug überblendet werden, bemerkt Chinca und spricht deshalb von einem »syncretistic pantheon« (Chinca 1993, S. 69). 536 In diesem Sinne versteht Schnell die Zufälle im »Tristan« als Teil der Mimesis: »Gottfried von Straßburg erweckt an vielen Stellen seines Romans den Eindruck, er referiere lediglich eine Geschichte, die sich außerhalb der Literatur zugetragen hat. […] Der Autor suggeriert dort, wo er von Zufällen spricht, er bilde lediglich lebensweltliche Zufälle ab, konstruiere selbst nichts und enthalte sich selbst jeglicher Deutung.« (Schnell 2014, S. 352) Grundlegend zum mimetischen Zufall auch Köhler 1976, S. 9, der davon spricht, 2.3 Die motivationslogische Mehrdeutigkeit des Zufalls 229 Darüber hinaus stellt sich jedoch die Frage nach der spezifisch n a r r a t i v e n F u n k t i o n des Zufalls. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass Zufälle, sobald sie in eine (fiktionale) Erzählung Eingang finden, ihren Zufallscharakter verlieren, weil sie dann nämlich zu Funktionsträgern eines narrativen Konzepts werden. Zufälle werden konstruiert. Demnach erlangten Zufälle den Status eines narrativ geplanten Ereignisses. 537 Insofern trifft für den Zufall im literarischen Text in besonderem Maße zu, was ohnehin gilt: Er existiert nicht. »In literarischen Erzählungen gibt es keinen Zufall« 538 . Der Zufall fungiert dann gewissermaßen als Leerstelle in der Motivationsstruktur, die den Text im Sinne Haferlands ›durchschaubar‹ werden lässt 539 und damit die Komposition der Erzählung zum Vorschein bringt. 540 Aus der Perspektive moderner poetischer Konventionen wird der literarische Zufall deshalb zu einem ästhetischen Problem. 541 Auch Gottfried scheint mitunter darum bemüht gewesen zu sein, den Zufall im Vergleich zur Stofftradition zurückzudrängen. Das zeigt sich besonders am Beispiel der Schifffahrten im »daß Zufälle nun einmal unser Leben mitentscheiden und somit Eingang finden in eine irgendwie immer auch mimetische Literatur.« 537 Schnell 2014, S. 352. Ähnlich Flecken-Büttner 2011, S. 143: »Innerhalb künstlerisch komponierter Welten wie der des »Tristan« sind Zufälle eo ipso arrangiert«. Siehe auch Reichlin 2010, S. 28f. 538 Meincke 2007, S. 96. Diesen Zusammenhang beschreibt auch Armin Schulz: »Grundsätzlich kann narrative Kunst, egal aus welcher Epoche sie stammt, Kontingenz allenfalls thematisieren, simulieren, inszenieren, fingieren, aber nicht ›real werden lassen‹ […]. Ereignisse, die sich je für den Augenblick oder aus der perspektivischen Sicht des Erzählers oder der Figuren als hochgradig kontingent und ergebnisoffen präsentieren, erweisen sich durch den bloßen Umstand, daß sie und keine anderen erzählt werden und daß es dann ein Ende gibt, als narrativ sinnstiftend und ordnungstragend, weil sie rückblickend notwendig funktional auf dieses Ende, auf dieses Ergebnis bezogen werden. Erzählen selbst stiftet Sinn als Gegenpol zur Kontingenz« (Schulz 2012, S.-298f.). 539 Siehe oben, S. 71. 540 Zur kompositorischen Motivation des Zufalls Flecken-Büttner 2011, S. 143. Auch Hausmann spricht davon, Zufälle seien auf der »metadiegetischen Ebene […] begründet und notwendig« (Hausmann 2014, S. 79). Allerdings schränkt er die kompositorische Motivation des Zufalls auf Eingriffe des Autorsubjekts in den Text ein: »Weil aber ein Autor innerhalb einer heterodiegetischen Erzählung eigentlich nichts tun kann […], muss er sich auf einen einzigen Kunstgriff verlassen, der diesen Romantyp auch tatsächlich geprägt hat - auf den Zufall. […] Solche Zufälle sind […] Ausdruck des Autorwillens und auf dieser metadiegetischen Ebene auch begründet und notwendig«. (ebd., S. 78f.) 541 Vgl. etwa Robert McKee: Story. Die Prinzipien des Drehbuchschreibens, Berlin 2000, S. 382-384; George Varotsis: Screenplay and Narrative Theory. The Screenplectics Model of Complex Narrative Systems, Lanham (Maryland) 2015, S. 70, 95 f. Haferland sieht darin ein spezifisches Merkmal moderner Ästhetik, vgl. Haferland 2014, S. 84. Freilich fordert bereits Aristoteles die Vermeidung von ›blinden‹ Zufällen. Demnach sollten auch wunderbare Ereignisse ›gleichwohl folgerichtig auseinander hervorgehen. So haben sie nämlich mehr den Charakter des Wunderbaren, als wenn sie in wechselseitiger Unabhängigkeit und durch Zufall (apò toû automátou) vonstatten gehen.‹ (»Poetik«, 9,1452a4-6; Ausg. Fuhrmann 1994, S. 33) Falls sich ein Zufall jedoch nicht vermeiden lasse, solle er wenigstens durch einen höheren Zusammenhang gedeckt sein (oder zumindest den »Schein von Absichtlichkeit« aufweisen, vgl. Max Komerell: Lessing und Aristoteles, Frankfurt a. M. 1960, S.-130): ›denn auch von zufälligen Ereignissen wirken diejenigen am wunderbarsten, die sich nach einer Absicht vollzogen zu haben scheinen - wie es bei der Mitys-Statue in Argos der Fall war, die den Mörder des Mitys tötete, indem sie auf ihn stürzte, während er sie betrachtete; solche Dinge scheinen sich ja nicht blindlings zu ereignen.‹ (»Poetik«, 9,1452a6-10; Ausg. Fuhrmann 1994, S. 33) 230 2 Annäherungen »Tristan«: Im Tristanstoff besitzen Seereisen eine wichtige strukturelle Funktion. 542 Entsprechend der grundlegenden Bedeutung, die das Meer als ›Kontingenzraum‹ in der europäischen Literatur des Mittelalters besitzt, 543 spielt dabei der Zufall eine wichtige Rolle. 544 Ein Beispiel dafür bietet die Darstellung von Tristrants erster Irlandfahrt bei Eilhart: Der vergiftete Protagonist begibt sich ohne Ziel aufs Meer, liefert sich völlig den Elementen aus und wird zufällig vom Wind nach Irland gebracht: 545 der wind tet im ser we: er trib in her und dar. suß muste der arme siche vare ane sture, wo he mochte wen daß herß nicht me geruchte, wo daz schiffchin hin ging. ain groͮ sser wind in gefieng und trib in gegen Yrland. (Eilhart, »Tristrant«, vv. 1202-1210) 542 Vgl. neben Hahn 1963, S. 16-24, 100-102, besonders Ricarda Bauschke: Die Bedeutung des Meeres in den deutschen und französischen Tristanromanen, in: Formen arthurischen Erzählens vom Mittelalter bis in die Gegenwart, hrsg. von Cora Dietl / Christoph Schanze, Berlin / Boston 2016 (Schriften der Internationalen Artusgesellschaft. Deutsch-österreichische Sektion 12), S. 35-57. Diese strukturelle Bedeutung schlägt sich auch in den Abbildungen des Stoffes nieder, vgl. etwa mit Blick auf den Wienhauser Tristan-Teppich Bauschke 2016, S. 38f.; Hausmann 2017, S. 298f. Daneben hebt Bauschke auch die Verbindung des Meeres mit der Minne hervor, die in den ›höfischen‹ Tristanversionen von Thomas und Gottfried im Wortspiel von lamer / lameir zum Ausdruck gebracht werde (Thomas, »Tristran«, Fragment von Carlisle, vv. 38-52, zitiert nach Haug / Scholz, Bd.-2, S. 192-194; Gottfried, »Tristan«, vv. 11985-12015), vgl. Bauschke 2016, S. 45-48. 543 Vgl. dazu Schnyder 2010. Zur »Seefahrt als Kontingenzmetapher« auch Hasebrink 2000, S. 230-233 (in Bezug auf den »Herzog Ernst B«); weiterhin Hahn 1963, S. 101; Mathias Herweg: Christi Geburt als Glücksspiel? Mittelalterliche Reisen zum Magnetberg und ihre heilsgeschichtliche Bedeutung, in: Glück - Zufall - Vorsehung. Vortragsreihe der Abteilung Mediävistik des Instituts für Literaturwissenschaft im Sommersemester 2008, hrsg. von Susanne Finkele / Burkhardt Krause, Karlsruhe 2010, S. 49-75, hier S. 50f. Schon Aristoteles nennt als Beispiel für den Zufall einen Sturm während einer Seereise: ›Es stieß jemandem zu [d. h. es geschah zufällig], daß er nach Aigina kam, wenn er nicht deswegen ankam, weil er dorthin gehen wollte, sondern er vom Sturm verschlagen oder von Räubern gefangen wurde. Das Akzidenz (das Zufällige) ist also eingetreten oder es ist vorhanden, aber nicht insofern es selbst, sondern insofern etwas anderes [eingetreten oder vorhanden ist]; denn der Sturm ist die Ursache dafür, daß der Reisende nicht dorthin kam, wohin er fahren wollte.‹ (»Metaphysik«, 5,30,1025a26-39) Übersetzung nach Aristoteles: Metaphysik, übers. und eing. von Thomas Alexander Szlezák, Berlin 2003, S. 101. Die besondere motivationslogische Bedeutung des Meeres lässt sich auch in moderner Literatur noch beobachten, so etwa in Thomas Manns »Der Tod in Venedig«, vgl. Martínez / Scheffel 10 2016, S. 118f.; Martínez 1996c, S. 158-160. 544 Vgl. Bauschke 2016, S. 49, 55. Hausmann 2014, S. 70-72, sieht dabei in der »maritime[n] Topographie« als Ausdruck der »Spannung zwischen Lenkung und Zufall« (S. 71) ein Motiv, das Thomas aus der französischen »Vie du pape saint Grégoire« übernommen habe. Vgl. auch Ingrid Kasten: Raum, Leib, Bewegung. Aspekte der Raumgestaltung in Gottfrieds »Tristan«, in: Transkulturalität und-Translation. Deutsche Literatur des Mittelalters im europäischen Kontext, hrsg. von Ingrid Kasten / Laura Auteri, Berlin / Boston 2017, S. 127-144, hier bes. S. 131. 545 Der Zufall wird dabei nicht explizit als solcher benannt. Zur Zufälligkeit der Seereise Dicke 1997a, S. 50; Keck 1998, S. 182; Schulz 2017, S. 59; Kragl 2019, S. 225, 229. Im Prosa-»Tristrant« erscheint zumindest in der Perspektive der Figur der mit dem Zufall verwandte Ausdruck gelücke: Tristrant hofft darauf, dass in gelück ettwa braͤcht da jm gehollfen wurde (»Tristrant und Isalde«, Z. 441 f.; Ausg. Brandstetter 1966, S. 18). 2.3 Die motivationslogische Mehrdeutigkeit des Zufalls 231 Der Erzähler macht dabei ganz deutlich, dass die Figurenintention hier keine Rolle spielt (daß herß nicht me geruchte). 546 Die Handlung ist also ausdrücklich nicht kausal-psychologisch motiviert. Nicht anders erzählen auch »Tristramssaga« und »Sir Tristrem«. 547 Der Zufall, der den Protagonisten nach Irland führt, erfüllt dabei nicht nur eine wichtige Funktion in der Komposition des Textes, sondern entspricht darüber hinaus auch einem verbreiteten Erzählmuster, das dem Tristanstoff hier zugrunde liegt: In keltischen imram-Erzählungen wird davon berichtet, wie der tödlich verwundete Held auf wundersame Weise über das Meer ins Land einer feenartigen Frau fährt, wo er von seiner Verletzung geheilt wird. 548 Die Parallelen zum Tristanstoff sind evident. Damit wird literarisches Wissen abgerufen, Tristrants wundersame Seereise und seine scheinbar zufällige Ankunft in Irland sind also deutlich kompositorisch motiviert. 549 Gottfried macht die Irlandreise dagegen zu einem geplanten Unternehmen. Anders als bei Eilhart weiß Tristan hier, wo er Heilung von seiner vergifteten Wunde finden kann, 550 und es 546 Der Vers fehlt in der Leithandschrift H, sodass die Ausgabe hier Hs. D folgt, vgl. den Apparat der Ausg. Buschinger / Spiewok 1993, S. 33 Anm. 33. 547 Vgl. »Tristramssaga«, Kap. 30: Nú rak þa svá lengi í hafi fyrir vindi ok straumi, at þeir vissu ei, hvar þeir fóru; en um síðr kómu þeir at Írlandi. (Ausg. Kölbing 1878, S. 38, Z. 1-3) ›Nun trieben sie vor Wind und Strömung so lange auf dem Meer herum, daß sie nicht mehr wußten, wo sie waren. Aber schließlich kamen sie nach Irland‹ (Übers. Uecker 2008, S. 45). - Etwas unklar ist der Text im »Sir Tristrem«: Auch hier ist es ein Wind, der den Protagonisten nach Irland bringt: Nighen woukes and mare | He hobled vp and doun. | A winde to wil him bare | To a stade, þer him was boun, | Neighe hand: | Develin hight þe toun. | A hauen in Irland. || A winde þider him gan driue. ›Neun wochen und mehr schwankte er auf und ab; ein wind trug ihn nach wunsche zu einem orte, wo es für ihn zubereitet war, in nächster nähe: Devlin hiess die stadt, ein hafen in Irland. Ein wind trieb ihn dorthin.‹ (Str. 106 f.; Ausg. Kölbing 1882, S. 33 und 258) Es heißt zwar, der Wind habe ihn ›nach wunsche‹ (to wil) nach Irland gebracht, doch auch hier ist Tristrem unglücklich, als er hört, wo er gelandet ist, vgl. Str. 108,4: þo was Tristrem vnfain (ebd., S. 34). 548 Vgl. die Zusammenfassung des imrams bei Haug 1973, S. 408: »Der Typus des Imram faßt Meerfahrten zusammen, deren Ziel eine Insel mit mehr oder weniger deutlichem Jenseitscharakter darstellt. Meist wird der Held durch magische Mittel veranlaßt, die oft gefahrvolle Fahrt anzutreten: von einer unwiderstehlichen Macht getrieben, krank, verwundet, ja bewußtlos, erreicht er in einem in wunderbarer Weise gelenkten Schiff das Jenseitsland, wo eine überirdische, zauberkundige Frau ihn empfängt und heilt.« Die Parallelen lassen sich auch mithilfe des Schemas der ›gestörten Mahrtenehe‹ beschreiben, siehe dazu oben, S. 136 und Anm. 72. Das märchenhafte Ausgeliefertsein der Figur wird dort etwa im »Lai de Guigemar« der Marie de France dadurch zum Ausdruck gebracht, dass der Held auf einem Schiff ohne Segel und Steuer fährt, vgl. Huber 3 2013, S. 76. - Zu den Parallelen von Tristanstoff und imram grundlegend Schoepperle 1913, S. 370-390, besonders zur Schifffahrt in verschiedenen keltischen Erzählungen S. 370-374. Während für Schoepperle der imram im Rahmen der These eines keltischen Ursprungs der Tristansage eine zentrale Bedeutung für die Genese des Stoffes besitzt, betont die neuere Stoffgeschichte eher allgemein strukturelle Parallelen, als von einer direkten Rezeption des imram im Tristanstoff auszugehen, vgl. dazu Haug 1973, S. 408-410; Chinca 1997, S. 20. 549 Daneben wird in der »Tristramssaga« zumindest in der Perspektive der Figur auch die Möglichkeit einer finalen Motivation erwogen. Tristram sagt nämlich, er wolle dorthin reisen, ›wohin mich auch Gott in seiner Gnade und nach meinem Bedarf hinkommen lassen mag‹ (vil ek héðan burt fara, hvar sem guð lætr mik niðr koma með sínni háleitri miskunn, Kap. 30; Ausg. Kölbing 1878, S. 37, Z. 26-28; Übers. Uecker 2008, S. 44). 550 Morolt hatte es ihm während des Zweikampfes verraten, vgl. vv. 6940-6953. Das ist allerdings auch in der »Tristramssaga« der Fall, vgl. Kap. 30 (Ausg. Kölbing 1878, S. 38, Z. 21-25). Womöglich hatte also schon Thomas von der Irlandreise als einem absichtsvollen Unternehmen erzählt. Das glaubt zumindest Huber 3 2013, S. 76: »Thomas und Gottfried motivieren neu. Tristan weiß von der Adresse seiner Heilung.« Dagegen nehmen Haug und Scholz »die Konstellation einer nicht zielgerichteten Fahrt auch für Thomas« an, vgl. Haug / Scholz, Bd. 2, S. 447; ebenso Schulz 2017, S. 59; Kropik 2018, S. 286. Ausführlich zu dieser Frage bereits Bédier 1902-1905, Bd. 1, S. 94-96 Anm. 5; Piquet 1905, S. 163-173. 232 2 Annäherungen ist von Anfang an seine Absicht, daz er z’Îrlanden wolte (v. 7328). Die Ankunft in Irland ist kein Produkt eines wundersamen Zufalls, sondern das Ergebnis zielgerichteten Figurenhandelns: Also nicht mehr Gott oder die Aventiure, sondern die Kunst des Steuermanns ist es, die Ziel und Richtung der Meerfahrt bestimmt. […] Tristan setzt sich nicht dem Zufall aus, er unternimmt seine Handlungen nach einem klug ausgedachten Plan. 551 Die Episode ist weniger kompositorisch (oder final) als vielmehr kausal-psychologisch motiviert. 552 Gottfried rationalisiert damit das ›mythische‹ Erzählmuster des imram 553 und gibt der Erzählung wortwörtlich die im Prolog geforderte rihte (v. 7391). Doch auch in Gottfrieds Text fehlt das Erzählmuster des imram nicht ganz, denn am Ziel seiner Reise angekommen lässt sich Tristan hier mit Absicht in einem wîselôsen schiffelîn (vgl. v. 7508) vor der Küste Irlands aussetzen. Auf diese Weise wird er dem Erzählmuster entsprechend swebende ûf dem wilden sê (v. 7493) von den Iren gefunden, den Elementen ausgeliefert: der swebete dâ wâ unde wâ | mit jâmer und mit sorgen (vv. 7504 f.). 554 Damit wird »die Situation des imram, das ziellose Dahintreiben, die Auslieferung des Leidenden an eine nicht mehr steuerbare Zukunft, sinngemäß [in die Erzählung] hereingeholt.« 555 Es handelt sich gewissermaßen um einen »inszenierten ›immram‹« 556 . Der Zufall spielt dabei nur scheinbar eine Rolle. Für die Iren, die das Arrangement als âventiure (v. 7521) wahrnehmen, 557 entspricht die Situation dennoch dem Erzählmuster: Für Isolde und die Leute in Irland wird Tristan im kleinen Boot de facto von Wind und Wellen angespült; was sich da dem Scheine nach als altes mythisches Muster darbietet, ist freilich raffiniertes Kunstprodukt. Tristan spielt, sorgfältig vorbereitet, das alte, märchenhafte Muster vor […]. 558 Das Erzählmuster wird also auch bei Gottfried aktualisiert, bloß ist es hier das Ergebnis zielgerichteten Figurenhandelns. 559 551 Hahn 1963, S. 101. 552 Für Tristan selbst freilich entscheidet Gott über den Ausgang der Reise: ez ergienge im, swie got wolte (v.-7309). 553 Vgl. Schulz 2017, S. 60; Kropik 2018, S. 286, 290-292. Als Abkehr vom Mythos verstehen Gottfrieds Änderung auch Mohr 1976, S. 63 (bei Gottfried »verwandelt sich das Mythenmärchen in den Roman«), sowie Wolf 1989, S. 150f. 554 Zum sweben als etwa auch in Hartmanns »Gregorius« gebrauchtem Ausdruck für das Ausgeliefertsein an die Elemente vgl. Hahn 1963, S. 24. 555 Huber 3 2013, S. 77. Auch Hausmann denkt bei Tristans Seereisen an diejenigen von Gregorius, allerdings mit Bezug auf Thomas und die französische »Vie du pape saint Grégoire«, vgl. Hausmann 2014, S. 70-72. 556 Schulz 2017, S. 60. 557 Das Wort âventiure ist damit hier »anders als an den Stellen, wo Tristans Abhängigkeit von der âventiure als Zufall oder Schicksal hervorgehoben wird, Ausdruck einer Wirkung, die Tristan bewußt auslöst« (Haug / Scholz, Bd. 2, S. 448). 558 Wolf 1989, S. 151. 559 Für Wolf handelt es sich deshalb um eine »Wiederherstellung des alten Musters auf neuer, rationaler Grundlage« (Wolf 1989, S. 151). Etwas anders gelagert ist die Deutung von Kropik 2018, S. 291f.: Gottfrieds Erzählen rufe den Eindruck hervor, Eilhart und die anderen Versionen der Tristangeschichte erzählten gewissermaßen aus der Perspektive von »Tristans Lügengeschichten«, etwa so, wie es die Iren getan hätten. In diesem Sinne würde sich »Eilharts Bericht - sozusagen nachträglich - als ein[ ] (einseitig) fokalisierte[r] ausweisen. Denn Eilhart ›kennt‹ ja offenbar nur den Bericht derer, die Tristans Ankunft in Dublin beobachten« (ebd., S.-291 Anm. 294). Gottfried betreibe folglich nicht nur eine »Rationalisierung 2.3 Die motivationslogische Mehrdeutigkeit des Zufalls 233 Überhaupt wird der Zufall im »Tristan« nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Im Gegenteil spielt er, wie eingangs hervorgehoben, sogar eine zentrale Rolle für das Zustandekommen der Handlung. Zwar meinte Werner Schröder, der Erzähler nutze den Zufall lediglich als eine »bequeme Formel«, um Ereignisse zu motivieren, »für die schwer eine plausible Erklärung beizubringen gewesen wäre.« 560 Eine solche Verwendung des Zufalls als »mechanisches Mittel« wäre zumindest aus moderner Perspektive tatsächlich, wie Haug meint, einigermaßen »unbefriedigend, ja inakzeptabel« 561 . Allerdings hebt der Erzähler bei Gottfried - anders als in den übrigen Tristanversionen 562 - die Bedeutung des Zufalls ja explizit hervor. Es geht offenbar nicht darum, Leerstellen in der Motivationsstruktur lediglich mehr oder weniger gut zu verdecken. Vielmehr wird gerade durch die Betonung des Zufalls die Künstlichkeit der Erzählung ausdrücklich herausgestellt. Diese Lesart lässt sich etwa am Beispiel der Benennung Tristans von der âventiure (v.-2000) in Anschlag bringen. Ausdrücklich betont der Erzähler, die Übereinstimmung von name und leben lasse sich durch die Lektüre der Geschichte überprüfen: der name was ime gevallesam und alle wîs gebære; daz kiesen [wir] an dem mære: […] diz mære, der daz ie gelas, der erkennet sich wol, daz der nam dem lebene was gehellesam. (vv. 2004-2020) Der Name wird zum »Produkt einer Geschichte« 563 . Versteht man die Namensgebung, wie oben vorgeschlagen, als ›von hinten‹ motiviert, dann meint das ausdrücklich auch die folgende Erzählung. Die Namensgebung wäre damit kompositorisch motiviert. Was auf der Ebene des Erzählens, sondern auch die Depotenzierung von Eilharts - in diesem Teil der Geschichte vornehmlich schematischer - Handlungsbegründung.« (S. 292) 560 Schröder 1975, S. 326. 561 Haug 1995b, S. 54. 562 An allen Stellen, an denen bei Gottfried ausdrücklich etwas ›durch Zufall‹ (von âventiure, durch geschiht u.ä.) geschieht (siehe oben), findet sich in der »Tristramssaga« kein entsprechender Verweis. Von einem ›sonderbaren Zufall‹ (kynligum hlut von hlutr ›Los, Teil, Ding, Sache‹ zum Verb hluta ›durch Los bestimmen‹, vgl. Theodor Möbius: Altnordisches Glossar. Wörterbuch zu einer Auswahl alt-isländischer und alt-norwegischer Prosatexte, Leipzig 1866, S. 190f.), spricht dort soweit ich sehe nur an einer Stelle die zweite Isonde, wenn sie vom ›kühnen Wasser‹ berichtet (Kap. 82; Ausg. Kölbing 1878, S. 95, Z. 32; Übers. Uecker 2008, S. 107). Für Eilhart siehe oben, S. 213 Anm. 451. 563 Müller 2007, S. 217. Das ist wohl auch bei Scheuer mitgemeint, wenn er davon spricht, »dem Aspekt der traurigen Vorgeschichte« schließe sich »der Aspekt der gesamten folgenden âventiure an« (Scheuer 1999, S. 418). Vgl. in diesem Kontext auch Kaminski 2008, S. 7: »Damit hat sich an die Stelle der ›Autorinstanz‹ Rual ein ›Autor‹ höherer Ordnung gesetzt, der Erzähler, der, als verstehe sich das von selbst, pointiert die Konsequenzen von Ruals angemaßter ›Autormacht‹ nach- oder eigentlich vorzeichnet.« Dass schon Rual durch die »Konstruktion einer Biographie« gewissermaßen als ›Autor‹ der Figur Tristan auftritt, betont schon Monika Schausten: Ich bin, alse ich hân vernomen, ze wunderlîchen- maeren komen. Zur Funktion biographischer und autobiographischer Figurenrede für die narrative Konstitution von Identität in Gottfrieds von Straßburg »Tristan«, in: PBB 123 (2001), S. 23-48, hier S. 36. Daran anschließend spricht auch Kaminski davon, dass sich Rual »durch diesen Akt semantischer Aufladung des Protagonistennamens Autorkompetenzen zueignet, ja regelrecht dem Erzähler seine Position streitig macht.« (Kaminski 2008, S. 8) 234 2 Annäherungen der erzählten Welt als ›Zufall‹ oder wie hier als ›Schicksal‹ erscheint, begründet sich aus der Perspektive der Erzählung aufgrund des kompositorischen Zusammenhangs. 564 Im Ausdruck der âventiure fallen beide Perspektiven zusammen. 565 Bekanntlich gehört neben ›Zufall‹ und ›Schicksal‹ auch ›Erzählung‹ zu den Grundbedeutungen des mhd. Wortes âventiure. 566 Als âventiure verweist der Zufall nicht nur im Sinne einer ›Leerstelle‹ auf die Ebene des Erzählens, sondern v e r k ö r p e r t die literarische Gemachtheit der erzählten Welt geradezu. Im Zufall wird die erzählerische Komposition gleichsam im Text präsent. 567 Der Zufall ist dabei mehr als nur »Ausdruck des Autorwillens« 568 , in ihm äußert sich auch ein grundlegendes »Gesetz der Handlung« 569 . Volker Mertens spricht in diesem Sinne von der âventiure im »Parzival« als ›Geist der Erzählung‹. 570 Vor allem im ersten Teil des »Tristan« meint das die Ausrichtung auf ein bestimmtes Ziel, nämlich die Vereinigung von Tristan und Isolde. Insofern ist der Zufall in besonderer Weise mit der Minne verbunden. 571 Überhaupt beobachtet Walter Haug einen grundlegenden »Zusammenhang von Liebe und Zufall« 572 in 564 In diesem Sinne spricht Almut Schneider von einem »Perspektivwechsel«, mit dem der Erzähler »den Namen auch für das eigene Erzählen in Anspruch nimmt« (Almut Schneider: Chiffren des Selbst. Narrative Spiegelungen der Identitätsproblematik in Johanns von Würzburg »Wilhelm von Österreich« und in Heinrichs von Neustadt »Apollonius von Tyrland«, Göttingen 2004 (Palaestra 321), S. 134). 565 Hartmut Bleumer betont ausdrücklich die Offenheit des Begriffs zwischen den beiden Polen, der so die Ebenen der Narration überspringe, vgl. Hartmut Bleumer: Im-Feld der âventiure. Zum begrifflichen Wert der Feldmetapher am Beispiel einer poetischen Leitvokabel, in: Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Bezeichnungen von Rede und Schrift im Mittelalter, hrsg. von Gerd Dicke u. a., Berlin / New York 2006 (Trends in Medieval Philology 10), S. 347-367, hier S. 366. Zum Verhältnis von âventiure als Erzählen und âventiure in der erzählten Welt siehe auch Strohschneider 2006. 566 Vgl. Wegera 2002, S. 238-241; Lebsanft 2006, S. 330-332, und weiterhin die übrigen Beiträge zur âventiure in Dicke u. a. (Hrsg.) 2006. Dasselbe gilt auch für mhd. geschiht, vgl. Mertens 2006, S. 342. 567 Vgl. in Bezug auf die âventiure Strohschneider 2006, S. 378f. Dazu jetzt auch Becker 2019, bes. S. 209-214. 568 So Hausmann 2014, S. 79. Diese Lesart findet sich auch bei Reichlin, wenn sie davon spricht, der Zufall werde im literarischen Text »von einem auktorialen Regisseur eingesetzt und dadurch funktionalisiert« (Reichlin 2010, S. 28). Ganz anders versteht den Zufall im »Tristan« Kropik, die davon ausgeht, »dass Gottfried das ›künstliche Schicksal‹ des »Tristrant« auseinanderdividiert und seine beiden Faktoren (zunächst) einzeln veranschlagt: nämlich so, dass ein vergleichsweise real erscheinendes Schicksal jetzt einer ›Kunst‹ gegenübertritt, die zwar noch wie bei Eilhart (kompositorisch) motivierend, aber nicht mehr (final-)schicksalhaft wirkt.« (Kropik 2018, S. 294) Im »Tristan« trete ein »Schicksal« auf, »das umso ›echter‹ wirkt, als es - zumindest in erster Instanz - k e i n e r l e i k ü n s t l i c h e I m p l i k a t i o n e n mehr hat. Angetrieben wird es von einem Zufall, der dem Muster lebensweltlicher Erfahrung entsprechend über die handelnden Figuren hereinbricht, ohne zunächst auf einen besonderen Sinn hin transparent zu werden und ohne unmittelbar zu enthüllen, ob er tatsächlich ›nur‹ Zufall ist. […] Das dem Zufall zugrundeliegende Prinzip ist damit augenscheinlich n i c h t d a s d e r (o f f e n e n ) d i c h t e r i s c h e n K o n s t r u k t i o n , s o n d e r n d a s d e r W i r k l i c h k e i t« (ebd., S. 295; Hervorhebung L.M.). 569 Ohly 1955 / 56, S. 127. Die Anerkennung dieses Gesetzes müsse man Ohly zufolge »nicht als Zweifel an der dichterischen Fähigkeit zurückweisen«. Vielmehr äußere sich hier ein »auch für den Tristan gültige[r] Zug mittelalterlichen Erzählens«. 570 Vgl. Mertens 2006, S. 344. In Bezug auf den billîch im »Tristan« benutzt dieses Bild, auf das schon Ohly angespielt hatte, Flecken-Büttner 2011, S. 145 Anm. 340. Einen Zusammenhang zwischen ›Schicksal‹ und ›Logik der Fabel‹ erkannte in Bezug auf die vom Erzähler mit dem billîch begründete Entdeckung Tristans im Bad bereits Nickel 1927, S. 48. 571 Vgl. etwa Flecken-Büttner 2011, S. 140: »Der Zufall ist im »Tristan« überindividueller Teil der umfassenden Ohnmachtserfahrung Minne, und es ist nicht zu übersehen, daß ihm auch bei der Entstehung der Liebe zwischen Tristan und Isolde entscheidende Bedeutung zukommt.« 572 Haug 1995b, S. 52, zum »Ineinander von Liebe und Zufall« im »Tristan« ebd., S. 66-68. Für Haug erklärt sich auch die Rolle des Zufalls in der mittelalterlichen Literatur über das für die Texte maßgebliche The- 2.3 Die motivationslogische Mehrdeutigkeit des Zufalls 235 der europäischen Literaturgeschichte, der gerade die höfische Literatur des Mittelalters geprägt habe und ganz besonders im »Tristan« zum Ausdruck komme. Diese Verbindung von Zufall und Minne zeigt sich besonders deutlich am zufällig eingenommenen Minnetrank, 573 so dass Tomasek davon spricht, die Minne werde »in der vom Zufall geprägten Trankszene gewissermaßen selbst zum Fatum« 574 . In diesem Sinne steht die Minne von Anfang an fest, ist sie ›von hinten‹ motiviert. Einerseits verhilft erst der Zufall der Minne zur Verwirklichung, andererseits bietet die Minne zwischen dem ›Besten‹ und der ›Schönsten‹ gewissermaßen das ›mythische Gesetz‹, dem der Zufall gehorcht. 575 Diesem Zusammenhang möchte ich im folgenden Kapitel nachgehen. ma der Liebe: »Die Maßlosigkeit der Liebe ruft zwangsläufig den Zufall auf den Plan, und damit war das [zuvor philosophisch bewältigte] Problem des Zufälligen in seiner tödlichen Brisanz wieder da und bestimmte das neue literarische Experiment der Liebe wesentlich mit.« (ebd., S. 63) Über die Bedeutung der Minne im »Tristan« würde sich dann auch die Tatsache erklären, dass kein anderer höfischer Text eine derart dichte und differenzierte Auseinandersetzung mit dem Zufall aufweist, wie etwa Wegera feststellt, vgl. Wegera 2002, S. 231. 573 Vgl. Haug 1995b, S. 66. Zum Zusammenspiel von Minne und Zufall auch Tomasek 2007, S. 203f. - Auch hier sind menschliche Handlungen am Geschehen beteiligt: Elisabeth Lienert erkennt in Brangänes Schuldeingeständnis, in der sie die Einnahme des Tranks auf ihre Unachtsamkeit zurückführt, zumindest den Versuch einer »Plausibilisierung des Zufalls« (Elisabeth Lienert: sô getriuwe und sô geminne. Über Helferfiguren in Gottfrieds »Tristan«, in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 243 (2006), S. 259-275, hier S.-264). Damit rückten »die Ereignisse zumindest zeichenhaft aus dem Bereich schicksalhafter Verstrickung in den menschlicher Verantwortung.« (ebd., S. 265) 574 Tomasek 2007, S. 183. In diesem Sinne auch Mohr 1976, S. 79: »Das Schicksal, dem die beiden Hauptgestalten des Tristanromans gehorchen müssen, ist die Liebe.« 575 Hier offenbart sich eine für die Konzeption des Zufalls im »Tristan« charakteristische paradoxale Spannung; das wird besonders deutlich, wenn man sich die Herkunft und Bedeutung des Wortes ›Zufall‹ in Erinnerung ruft: Das frühnhd. Wort zuoval tritt erstmals im 14. oder 15. Jh. in mystischen und logischen Texten auf, wo es als Lehnübersetzung von lat. accidens gebraucht wird, vgl. DWB, Bd. 32 (1954), Sp. 342 f.; Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 25., durchges. und erw. Aufl., bearb. von Elmar Seebold, Berlin / Boston 2011, S. 1016. Auch im »Vocabularius Ex quo« aus dem frühen 15. Jh. wird für accidens die Übersetzung ein zu vall angesetzt (die Redaktion W fügt hinzu: uel ain zů geschicht), vgl. »Vocabularius Ex quo«. Überlieferungsgeschichtliche Ausgabe. Gemeinsam mit Klaus Grubmüller hrsg. von Bernhard Schnell u. a., Bd. 2, Tübingen 1988 (Texte und Textgeschichte 23), S. 30. Der Zusammenhang von Zufall und Akzidenz zeigt sich auch schon früher in einschlägigen lateinischen Texten. Als causa per accidens bezeichnet den Zufall (fortuna vel casus) bereits Boethius: Quo fit, ut sit fortuna vel casus causa per accidens (»Commentaria in Ciceronis Topica«, 5, ad par. 63 f.), zitiert nach M. Tulli Ciceronis opera quae supersunst omnia ac deperditorum fragmenta […], Bd. 5 / 1: Scholiastae, ed. Johann Caspar Orelli / Johann Georg Baiter, Zürich 1833, S. 373, Z. 41 f. Siehe weiterhin Thomas von Aquin: casus et fortuna, est causa per accidens (»In Aristotelis libros Physicorum«, 2,9,225), zitiert nach S. Thomae Aquinatis doctoris angelici in octo libros Physicorum Aristotelis expositio, cura et studio M. Maggiòlo, Turin / Rom 1954, S. 109b; Albertus Magnus: […] quæ nec in se est nec in aliqua causa ordinata, sicut ea quæ fiunt a casu et fortuna et a causa per accidens. (»Commentarii in secundum librum Sententiarum«, 3,1,15), zitiert nach B. Alberti Magni Ratisbonensis episcopi, ordinis Prædicatorum opera omnia, cura ac labore Auguste Borgnet, Bd. 27: Comentarii in II sententiarum, Paris 1894, S. 90b, Z. 5-8. Als Produkt des Zufalls scheint die Minne zunächst akzidentiell, also als ›etwas, das nicht wesentlich zur Sache gehört‹. Andererseits gehört die Liebe jedoch im Wortsinn ganz wesentlich (das heißt: substantiell) zum senemære von Tristan und Isolde. Durch den Zufall wird also das Wesen der Erzählung verwirklicht. Zum philosophischen Gegensatz von substantia / accidentia vgl. Jens Halfwassen u.a.: Art. Substanz; Substanz / Akzidens, in: HWPh 10 (1989), S. 495-553. Ähnliche Überlegungen lassen sich auch in Bezug auf die Kontingenz der Minne anstellen, insofern mit ›kontingent‹ etwas bezeichnet wird, ›das auch anders sein könnte‹; zu Zufall und Kontingenz etwa Kranz u. a. 2004, Sp. 1409 f. Zu accidens und contigentia als Bedeutungsaspekte von ›Zufall‹, die im 17. / 18. Jh. zusammenfallen, siehe ebd., Sp.-1413. 236 2 Annäherungen Gottfried nutzt also den Zufall, um die literarische Gemachtheit der Handlung zu diskutieren. Das schließt allerdings andere Erklärungen des Zufalls, etwa als Verkettung kausaler Ursachen oder Produkt göttlicher Providenz, nicht aus. Als an sich ›leere‹ Kategorie ist der Zufall immer abhängig von der Deutung seiner Betrachter. Dieser Befund entspricht den grundsätzlichen theoretischen Überlegungen zur Kategorie der Motivation: Ich habe im entsprechenden Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die verschiedenen Formen der Motivation einander nicht ausschließen, sondern vielmehr überlagern und aus unterschiedlicher Perspektive auf dieselbe erzählte Handlung blicken. Am Zufall zeigt sich das besonders deutlich, was ihn aus narratologischer Sicht zu einem besonders interessanten Untersuchungsgegenstand macht. Was auf der Ebene der erzählten Welt als Schicksal erscheint, kann auf der Ebene der Erzählung mit der Komposition des Textes erklärt werden. Welche Perspektive der Text jeweils privilegiert, gilt es, wie im vorliegenden Kapitel an verschiedenen Beispielen vorgeführt werden sollte, im Einzelfall zu untersuchen. Abschließend möchte ich noch einmal auf das Verhältnis von Figur und Zufall zurückkommen: Wenn Hausmann wie oben erwähnt im Verhältnis von Figurenintention und Ausgeliefertsein an den Zufall ein zentrales Thema des Romans erkennt und Haug geradezu von einem ›Duell‹ zwischen Figur und Zufall spricht, 576 dann wird damit auch das Verhältnis von Figur und Handlung zur Austragung gebracht. Wie dieses Verhältnis im Einzelnen bestimmt ist, wer also - um in der agonalen Bildlichkeit zu bleiben - jeweils die Oberhand behält, sollen die im dritten Teil der Untersuchung folgenden Lektüren zeigen. Wie spannungsreich sich dabei das Verhältnis von Souveränität und Determination im Einzelnen gestaltet, möchte ich vorerst nur mit einem Textbeispiel andeuten: Als Tristan in Cornwall auf Markes Jagdgesellschaft stößt, tischt er ihr eine fingierte Herkunftserzählung auf. Er sei der Sohn eines Kaufmannes und diesem entlaufen, um die Welt kennenzulernen (vv. 3090-3123). 577 Was Tristan hier (erneut) tut, nennt der Erzähler sîn âventiure vinden (v. 3093). Das lässt sich einmal so verstehen, dass Tristan eine Geschichte erfindet, die er den Hofleuten erzählt. 578 Nicht zufällig wird vinden auch für die dichterische Produktion gebraucht. 579 Aber es ist nicht irgendeine Geschichte, die Tristan hier erzählt, sondern s e i n e Geschichte. Und schwingt nicht auch hier im Ausdruck âventiure 580 die Bedeutungsebene des ›Schicksalshaften‹ mit? In diesem Sinne heißt sîn âventiure vinden dann auch, dass Tristan ›sein Schicksal in die Hand nehmen‹ will. Tristan wird in doppeltem Sinne zum Autor seiner Erzählung. 581 576 Siehe oben, S. 214 Anm. 455. 577 Zu dieser »narrative[n] Selbsterfindung« Kaminski 2008, S. 10f.; Chinca 1993, S. 114-117; Schausten 2001, S. 39f.; Bittner 2019, S. 346-348; Karin 2019, S. 55-57, 109-112, und grundlegend Siegfried Grosse: Vremdiu maere. Tristans Herkunftsberichte, in: Wirkendes Wort 20 (1970), S. 289-302, hier S. 294-296. 578 So die Übersetzungen von Krohn, Bd. 1, S. 193, und Haug / Scholz, Bd. 1, S. 181: ›eine Geschichte erfinden‹. Ebenso Hatto 1976, S. 82: ›to fabricate his story.‹ 579 Vgl. Chinca 1993, S. 114f.; Kaminski 2008, S. 10. 580 Die Hss. WNRSP bieten anstelle von âventiure hier antworte, vgl. den Apparat der Ausg. Marold / Schröder, S. 54. 581 Zu Tristan als »Erzähler seiner selbst« auch Annette Gerok-Reiter: Kindheitstopoi in Gottfrieds »Tristan«. Anspielungen, Überlagerungen, Subversionen, in: Alterstopoi. Das Wissen von den Lebensaltern in Literatur, Kunst und Theologie, hrsg. von Dorothee Elm u. a., Berlin / New York 2009, S. 113-136, hier S. 129. Ausgehend davon zeigt sich für Bittner eine »Konkurrenzsituation zwischen Protagonist und sonst so souveränen [sic] Erzählerfigur«, insofern der Erzähler nicht anders könne, als Tristans Geschichte nachträglich wahr werden zu lassen, da er seinen Protagonisten nicht als lügenhaft darstehen lassen möchte: 2.4 Minne zwischen personaler Erfahrung und literarischem Code 237 2.4 Minne zwischen personaler Erfahrung und literarischem Code Ein zentrales Thema des Romans ist offensichtlich die minne. Ihre Bewertung besitzt daher eine große Relevanz für die Gesamtdeutung des Textes. Vor allem die Minnetrank-Szene gilt als Schlüsselstelle für jede »Tristan«-Interpretation. 582 Gerade im Hinblick auf den Minnetrank zeigt sich dabei, dass die Deutung der Liebe in einem engen Zusammenhang mit der grundsätzlichen Einschätzung von Gottfrieds Erzählweise und Figurenkonzeption steht. Wenn in der Forschung darüber diskutiert wird, ob die Liebe der Figuren ›von außen‹ oder ›von innen‹ kommt, ob sie schon vor dem Minnetrank existiert oder erst durch diesen ausgelöst werde, 583 dann geht es immer auch um grundsätzliche Annahmen in Bezug auf Figurenpsychologie und Handlungsmotivation, etwa um die Frage, »inwieweit wir in mittelalterlicher Dichtung überhaupt Darstellung eines rein psychologischen Geschehens suchen dürfen.« 584 Und umgekehrt beeinflussen die Erwartungen an Gottfrieds Erzählweise die Bewertung der Liebe. In diesem Sinne meint etwa Volker Mertens: Mir scheint hinter dem Bedürfnis der Interpreten, eine ›Liebe vorher‹ zu entdecken, der Wunsch nach einem ›modernen‹, einem ›psychologisierenden‹ Gottfried zu stehen, der Bedeutung und Funktion des Minnetranks gegenüber der Tradition ›verinnerlicht und vertieft‹ habe. 585 Ein Zusammenhang zwischen dem jeweiligen Umgang mit dem Minnetrank und sich verändernden Figurenkonzeptionen wurde auch in Bezug auf die Stoffgeschichte des »Tristan« beobachtet. 586 So entspricht die Beobachtung, dass die Prosa-Bearbeitung von Eilharts »Tristrant« zwar den ›magischen‹ Charakter des Minnetranks aus der Vorlage übernommen, ihn aber um eine ›natürliche‹ Begründung ergänzt und zu einer lebenslangen Leidenschaft ge- »[D]ie Realität der Erzählung scheint an dieser Stelle mehr von Tristans Souveranität abzuhängen als von der der Erzählinstanz.« (Bittner 2019, S. 347) Kaminski spricht mit Bezug auf Haug von einer ›Hybris‹ Tristans, der an die Stelle der âventiure als ›autonomer Macht mit einer ganz bestimmten Tendenz‹ (Haug 1989 [1972], S. 579) treten wolle, um »wie ein deus ex machina zum Drahtzieher der bärenhammer- und leimrutengleichen ›mechanischen Fallen‹ der âventiure zu werden.« (Kaminski 2008, S. 11 Anm. 31) Das hieße, Tristan träte in die Position der kompositorischen Macht hinter der schicksalhaften âventiure. 582 Vgl. Schindele 1971, S. 58f., 64 f.; Dietz 1974, S. 89. 583 Für einen Überblick über die umfangreiche Forschung ist hier kein Raum, vgl. dazu Dietz 1974, S. 89-124; Rüdiger Schnell: Causa amoris. Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in der mittelalterlichen Literatur, Bern u. a. 1985 (Bibliotheca Germanica 27), S. 329-331; Tomasek 2007, S. 200-204. 584 Schnell 1985, S. 331. So meint etwa Leo Pollmann mit Blick auf die französische Literatur: »[W]enn wir die Motivierung der Liebeskrankheit in den höfischen Romanen in den Blick nehmen, so wird auffallen, daß die Verfasser durchweg keine psychologische Erklärung dafür unternehmen […], sondern die Motivierung ist eine mythologische, sie besteht in der Rückführung der Liebeskrankheit auf die Macht Amors.« (Leo Pollmann: Die Liebe in der hochmittelalterlichen Literatur Frankreichs. Versuch einer historischen Phänomenologie, Frankfurt a. M. 1966 (Analecta Romanica 18), S. 261f.) 585 Mertens 1995, S. 52. Ein prägnantes Beispiel für eine solchermaßen psychologisierende Interpretation der Tristanliebe bietet etwa Emil Nickel, wenn er schon vor dem Trank eine »Jungmädchenliebe« bei Isolde beobachtet, vgl. Nickel 1927, S. 46. 586 Dazu grundlegend Schnell 1985, S. 326-328. 238 2 Annäherungen macht habe, 587 der Annahme eines generell ›rationaleren‹ Erzählens im Prosaroman. 588 Schon Heinrich von Freiberg war darum bemüht, in seiner »Tristan«-Fortsetzung den Minnetrank zu ›rationalisieren‹ und im Rekurs auf Medizin, Astrologie und Mineralogie naturkundlich zu bewältigen. 589 Noch deutlicher ist die Umgestaltung dann im französischen Prosaroman: In dem um 1230 entstandenen »Tristan en prose« lieben sich Tristan und Isolde eindeutig v o r dem Minnetrank. 590 Auch bei Thomas Malory ist das der Fall. 591 Den (vorläufigen) Endpunkt dieser erzählerischen Entwicklung stellt gewissermaßen die Hollywood-Verfilmung aus dem Jahr 2005 dar, die den Trank schließlich ganz streicht und in der sich die Figuren auf ›natürlichem‹ Wege ineinander verlieben. 592 Man braucht diese Beobachtung allerdings nicht in einen geistesgeschichtlichen Zusammenhang zu stellen, wie das Bernwart Plate tut, 587 Vgl. Bernward Plate: Natura Parens Amoris. Beobachtungen zur Begründung der minne in mittelhochdeutschen und frühneuhochdeutschen- Texten, in: Euphorion 67 (1973), S. 1-23, hier S. 14-17; Schnell 1985, S.-327. Plate verweist besonders auf folgende Zeilen des Prosaromans: Do nun die lieb von der krafft des getranckes nach der vergangen vier jaren auff hoͤ ret. was der n a t ü r li c h f l a m m e n der liebe so hoch vnd weit inprünstigklichen in in beyden entzündt mit soͤ llicher grosser krafft das in vnmügenlichen was das zů erleschen. vnd můßten also jr lebtag prinnen in den flammen der starcken vnd vnsaͤglichen grossen liebe (»Tristrant und Isalde«, Z. 1093-1099; Ausg. Brandstetter 1966, S. 43; Hervorhebung L.M.). Er spricht dabei von einer »Kausal-Angabe« und mit Verweis auf die natürlich flammen von einer »Neubegründung« der Liebe in der Prosabearbeitung (Plate 1973, S. 16). Auch erkennt er im Prosaroman Ansätze zu einer ›Psychologisierung‹ der Trankminne. Diese zeige sich vor allem in der Figurenperspektive Isaldes: Als sie verwundt mit dem stral der mynn (Z. 1148) in ihrem Bett liegt, fragt Isalde in einem langen Soliloquium nach der Ursache ihrer Liebe zu Tristan: Warumb bin jch jm dann holt. Ja wie moͤ ht jch jm veint sein. Wann zwischen himel vnd erden lebt nicht bessers noch kuͤner held dann er ist. Er hat auch das dick vnd manichen enden wol erzeyget das er groß vn manlich taͤt besteen und gethůn tharr. jch erkenn auch sein adel. sein tugent. sein schoͤ n. sein hoͤ ffisch vnd warhafft gemuͤt. sein zucht vnd wolgezogenheit. vnd das er alwegen würbet vmb er. vnd den hoͤ chsten preiß. wz soll der red mer. jm gebricht keiner tugent. vnd ist der aller suͤssest man. den junckfraw je lieb gehebt hat. durch soͤ llich sein tugent vnd frümmkeit. bin jch jm worden hold. (Z. 1159- 1170; Ausg. Brandstetter 1966, S. 45f.) Vgl. auch Volker Mertens: ›Aspekte der Liebe‹. Ihre Semantik in den Prosaromanen »Tristrant«, »Melusine«, »Magelone« und »Goldfaden«, in: Personenbeziehungen in der mittelalterlichen Literatur, hrsg. von Helmut Brall u. a., Düsseldorf 1994 (Studia humaniora 25), S. 109-134, der auch für andere Stellen des Romans von einer »ausdrücklich hervorgehobenen ›natürlichen‹ Liebe zwischen Tristrant und der blonden Isolde« spricht: »die Liebe zwischen den Protagonisten ist […] nicht allein magisch, sondern auch natürlich begründet und damit im Prinzip für alle erreichbar.« (S.-115) 588 Siehe oben, S. 54. 589 Vgl. Müller 2007, S. 445. 590 Vgl. Curtis 1969, S. 19-23. 591 Das gilt zumindest für Isode, vgl. Sir Thomas Malory: Le Morte Darthur, ed. by P.J.C. Field, Bd. 1: Text, Cambridge 2013 (Arthurian Studies 80), S. 302, 6-13: And therefore Sir Tramtryste kyste grete love to La Beale Isode, for she was at that tyme the fayrest lady and maydyn of the worlde. And there Tramtryste lerned hir to harpe and she began to have a grete fantasy unto hym. Weiterhin S. 304, 11-14: Than had La Beale Isode grete suspeccion unto Tramtryste that he was som man of worshyp preved, and therewith she comforted herselffe and kyste more love unto hym, for well she demed he was som man of worshyp; S. 306, 26-28: Whan Isode herde her sey so she was passynge sore abaysshed, for passynge well she loved Tramtryste and full well she knew the crewelnesse of hir modir the quene. 592 Zu den älteren Verfilmungen der Tristansage von Jean Cocteaus »L’Éternel Retour« aus dem Jahr 1943 bis zu Veith von Fürstenbergs »Feuer und Schwert« von 1981 siehe Meradith T. McMunn: Filming the Tristan Myth. From Text to Icon, in: Cinema Arthuriana. Essays on Arthurian Film, hrsg. von Kevin J. Harty, London / New York 1981 (Garland Reference Library of the Humanities 1426), S. 169-180. Auch McMunn beobachtet dabei eine Tendenz zum rationalisierenden Umgang mit mythischen Motiven wie dem Minnetrank, die sich etwa in der Einführung psychologischer Motivation äußere, vgl. ebd., S. 171, 176. 2.4 Minne zwischen personaler Erfahrung und literarischem Code 239 wenn er von einem veränderten Liebesverständnis im Spätmittelalter ausgeht. 593 Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass wir es mit verschiedenen Erzähltraditionen zu tun haben. Vorsicht ist auch gegenüber Kurzschlüssen geboten, die auf allgemeinen entwicklungsgeschichtlichen Annahmen beruhen. So zeigt sich am Beispiel von Eilhart, dass sich seine Darstellung der Trankliebe gar nicht so sehr von jener der Prosabearbeitung unterscheidet, und hier vielmehr schon angelegt ist, was dort ausgearbeitet wird. 594 Grundsätzlich geht es in der Forschungsdiskussion, zugespitzt formuliert, um die Frage, was minne im »Tristan« eigentlich ist: 595 das Ergebnis ›natürlicher‹, kognitiv-emotionaler Prozesse oder eine mythisch-numinose Macht, die von den Menschen Besitz ergreift? Existiert die Minne im Kopf der Figuren oder als Instanz in der erzählten Welt? Diese Fragen interessierten offenbar schon mittelalterliche Autoren. 596 Vor allem in der Liebeslyrik des 12. Jahrhunderts 593 Vgl. Plate 1973. Plate erkauft seine These um den Preis, immer wieder verfrühte Vorläufer dieser frühneuzeitlichen Neukonzeption annehmen zu müssen. Dazu gehört auch Gottfrieds »Tristan«, der eine Zwischenposition einnehme; der Autor versuche zwar, »das mechanistische Motiv des Liebestrankes ›psychologisch‹ zu deuten« (ebd., S. 5), doch »er überwindet […] nicht ganz den mechanistischen Standpunkt« (S. 12). Kritisch dazu Schnell 1985, S. 287 Anm. 354. 594 Auch bei Eilhart lässt sich ein nicht aufzulösendes Nebeneinander von zeitlich begrenzter und lebenslanger Liebe beobachten, vgl. »Tristrant«, vv. 2388-2393: sy mochten sich nit me schaiden | in vier jauren. | wie gern sie eß enbaͮ ren, | sie můsten sich minnen | mit allen iren sinnen | die wyl daß sie lebten. Dazu Keck 1998, S. 94f.; Hellgardt 2002, S. 192-194. Weiterhin finden sich ebenfalls Ansätze zu einer kausalen Begründung der Liebe in der Figurenperspektive Isoldes: wie mag ich im dann hold sin? | hold? waͮ r umb sprich ich daß? | wie möcht ich im sin gehaß | oder ymmer gran werden? | zwúschen himel und erden | mag nicht besserß leben. | er kan wol naͮ ch tugent streben … (vv.-2524-2530). Zu dieser Stelle bes. Eming 2015, S. 68-71. Auch Plate spricht von ersten Ansätzen »zu einer neuen Minnebegründung« (Plate 1973, S. 13). Angesichts der unfesten Überlieferung der Textstelle überlegt er allerdings, ob es sich um eine Hinzufügung der spätmittelalterlichen Handschriftenschreiber handeln könne, vgl. ebd., S. 14f. Zu dieser Frage auch Hübner 2003, S. 301. Dass das ungewöhnlich lange Soliloquium eine aus dem übrigen Erzählfluss des »Tristrant« herausgehobene Passage darstellt, die einer anderen narrativen Konzeption folge, beobachtet auch Keck. Sie spricht davon, dass Eilhart hier »versuchsweise Ysalde eine höfische Liebende ›wie im Roman‹ darstellen ließ« (Keck 1998, S. 99). Auch Wolf erkennt eine »erzählerische Modernität« von Isaldes Soliloqium: »Selbst bei einem Erzähler, der die Minneproblematik in grob holzschnitthafter Weise konzipiert, wird die Darstellung des Minnegeschehens, das Psychologische also, zu einer darstellerischen Attraktion und zu einem Einfallstor für moderne Erzählkunst.« (Wolf 1989, S. 67) Am Gesamteindruck der archaischen Erzählweise ändert dieses »für diesen Romantyp bezeichnende[ ] sorglose[ ] Nebeneinander von inhaltlicher Primitivität und dem Auftrumpfen mit stilistischen Novitäten« (ebd., S. 66) freilich nichts. Ganz ähnlich beschreibt auch Strohschneider den Liebesmonolog lediglich als eines der »dem Erzählen […] aufgesteckten rhetorischen Prunklichter« (Peter Strohschneider: Herrschaft und Liebe. Strukturprobleme des Tristanromans bei Eilhart von Oberg, in: ZfdA 122 (1993), S. 36-61, hier S. 39 Anm. 12). Dagegen fordert Hübner, solche Ausnahmen in die Gesamtdeutung von Eilharts Erzählweise miteinzubeziehen, anstatt sie »einfach als unbewältigte oder störende Modernismen in einer ansonsten archaischen Erzählweise ab[zu]werfen; mehr noch als bei Veldeke ist bei Eilhart die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen das eigentlich Interessante.« (Hübner 2003, S. 289) Grundsätzlich zur psychologischen Liebesdarstellung nach der Trankszene ebd., S. 298-302. 595 Flecken-Büttner spricht vom »Seinsmodus« und der »Existenzweise« der Minne (Flecken-Büttner 2011, S.-149). 596 Vgl. bereits Herbert Kolb: Der Begriff der Minne und das Entstehen der höfischen Lyrik, Tübingen 1958 (Hermaea. N. F. 4), S. 11-18. Kolb erkennt, dass schon im Diskurs der höfischen Literatur zwei Arten der Liebesentstehung unterschieden werden: »Eintreten der Minne auf unbegreifliche, nur durch Zauber erklärbare Weise oder Entstehen der Minne aus der bewußten und sich immer bewußt bleibenden Hinwendung des Herzens.« Die erste Perspektive, die auch der Tristansage zugrunde liege, ist für ihn dabei die literaturgeschichtlich ältere, ›frühhöfische‹. Die höfischen Dichter seien versucht gewesen, sie zu ra- 240 2 Annäherungen wurde dabei die durch den Minnetrank verursachte Tristanliebe einer ›natürlichen‹ und rational begreifbaren Liebesentstehung gegenübergestellt und als Ergebnis einer übernatürlichen, von außen kommenden Macht wahrgenommen. 597 Für Clemens Lugowski entspricht das der üblichen Form der Darstellung von Liebe in der vormodernen Literatur. So schreibt er in Bezug auf die Figuren in Boccaccios »Decameron« (um 1350): Diese Liebenden sind alle mehr Ergriffene als Ergreifende […]; alle sind so sehr nur Vakuum, mit Liebe und nichts als Liebe, immer derselben Liebe erfüllt, daß sie wie Traumwandler, ohne sich auch nur einmal umzuschauen, vorwärtsstreben und ihr Schicksal erfüllen. Sie können gar nicht anders; denn lieben heißt hier eben: einem Übermenschlichen, Ewigen verfallen, das nicht ›durch menschliche Vorkehrungen vertilgt‹ werden kann. Sie bewegen sich nicht selbst, sondern werden bewegt […]. Lieben ist keine aktive Gerichtetheit - darin wäre es sofort persönlich - , sondern nur in passivischen Wendungen zu umschreibendes Sein. 598 Lugowski bezeichnet diese Form der Liebesdarstellung als ›Gehabtsein‹: Die Figuren lieben nicht, sondern werden von der Liebe ›gehabt‹; Liebe sei in vormodernen Texten nicht kausalpsychologisch motiviert, sondern ›von hinten‹. Das zeigt sich auch im »Tristan«: Einen Hinweis darauf bietet bereits ein kleines Detail aus Tristans Ausrüstung, die im Kontext des Moroltkampfes beschrieben wird, nämlich sein Helm. tionalisieren und »unter die Kontrolle des Bewußtseins zu bringen.« (ebd., S. 16) Auch Linden beobachtet, dass »die Frage, ob die Minne eine den Menschen von außen schicksalhaft heimsuchende Instanz ist, die als Entschuldigung für ungünstiges Protagonistenverhalten hergenommen werden kann, oder ob eigenverantwortliches Minnehandeln möglich ist« in der hochmittelalterlichen Minnekasuistik »immer wieder diskutiert« werde (Linden 2017, S. 55). 597 Einen Überblick über die unterschiedlich gelagerten Beispiele von Bernart de Ventadorn, Bertran de Borne, Raimbaut d’Orange, Chrétien de Troyes, Bernger von Horheim und Heinrich von Veldeke bietet neben Kolb 1958, S. 14-16, auch Schnell 1985, S. 327f. Dazu im Einzelnen Volker Mertens: Intertristanisches. Tristan- Lieder von Chrétien de Troyes, Bernger von Horheim und Heinrich von Veldeke, in: Kultureller Wandel und die Germanistik in der Bundesrepublik. Vorträge des Augsburger Germanistentags 1991, hrsg. von Johannes Janota, Tübingen 1993, S. 37-55; Reuvekamp-Felber 2011, S. 254-259; Henkel 2017, S. 43-45. Auch Gerbert de Montreuil stellt in seinem »Roman de la Violette« (1227-1279) der magischen Tristanminne eine Liebe gegenüber, die natürlich und freiwillig entsteht: C’amors qui vient naturalment; | […] | Amours qui vient de volenté (vv.-4299-4301). Zitiert nach Le Roman de la Violette ou de Gerart de Nevers par Gerbert de Montreuil, publ. par Douglas Labaree Buffum, Paris 1928, S. 171. Und wenn es in einem Sangspruch Reinmars von Zweter heißt, Tristan habe die Liebe aus einem Glas getrunken, der Sänger aber aus den Augen der Dame, dann wird auch hier, so Timo Reuvekamp-Felber, »der mechanistischen Distanz der Tristanliebe die Unmittelbarkeit der Empfindungen des Ichs entgegengestellt« (Reuvekamp-Felber 2011, S.-257). 598 Lugowski 1932 [1970], S. 34f. Darin erkennt Lugowski den Ausdruck einer »Weltauffassung«; diese sei »nichts dem Dekameron besonders Eigentümliches, sie ist alt und mag auch heute noch fortwirken.« (ebd., S.-37) Zur Verbindung von Gehabtsein und Liebe ebd., S. 36f., 68-73. Von ›Gehabtsein‹ spricht auch Eming 2015, S. 69, in Bezug auf die Minneentstehung bei Eilhart. Das Gehabtsein der Liebe äußert sich auch in den Worten Francesca da Riminis in Dantes »Göttlicher Komödie« (um 1308-1321), vgl. Inferno, 5,100f.: ›Amor, der leicht ein edles Herz erfaßt, ergriff den Mann hier zu dem schönen Leib, der mir geraubt ward - wie, das verletzt mich immer noch. Amor, der keinem Geliebten das Lieben erläßt, ergriff mich zu seiner Schönheit so stark, daß er mich, wie du siehst, noch heute nicht verläßt.‹ Übersetzung aus Dante Alighieri: Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch, Frankfurt a. M. 2013, S. 30. Vgl. dazu den Kommentar von Flasch: »Amor regiert; er ist der eigentlich Handelnde. Er ergreift besonders die edlen Herzen; er bestimmt einen Menschen zur Liebe.« (ebd., S. 480f.) 2.4 Minne zwischen personaler Erfahrung und literarischem Code 241 Der Pfeil (diu strâle), den Tristan als Helmzier trägt und der auch in Handschrift B abgebildet ist, 599 steht dem Erzähler zufolge für die Minne: 600 dar ûffe stuont diu strâle, der minnen wîsaginne, diu sît her mit der minne an ime vil wol bewæret wart, swie lange ez würde dar gespart. (vv. 6594-6598) Diesem Detail kommt im Kontext der höfischen Kultur eine besondere Bedeutung zu, denn die Helmzier bildet neben dem Schildwappen das zentrale Identifikationsmerkmal eines Ritters und steht daher gewissermaßen für ihren Träger. 601 Der Minnepfeil verweist also auf Tristans Identität, die damit als von Minne bestimmt dargestellt wird. Das ist jedoch zu diesem Zeitpunkt in der Handlung noch überhaupt nicht der Fall, wie der Text ja auch ausdrücklich betont (swie lange ez würde dar gespart), sondern erst später (sît). 602 Auch der Ausdruck wîsaginne hebt die ›prophetische‹ Bedeutung des Pfeils hervor. 603 Dass Tristan jetzt schon den Liebespfeil als zu ihm passendes Zeichen trägt, ist offensichtlich ›von hinten‹ motiviert; Tristan ist von der Minne ›gehabt‹. 604 Das lässt sich im Text immer wieder feststellen. Tristan und Isolde sind »Minne-Determinierte von Anbeginn.« 605 599 Vgl. Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7020 (W*) 88, Bl. 89, 112, 197. 600 Inwiefern verweist auch die cristalle var des lûteren Helmes (vgl. vv. 6588 f.) auf den cristallînen und durchlûteren Charakter der Minne (vgl. vv. 16983 f.), wie er in der Minnegrotten-Allegorese als Ideal vermittelt wird? Vgl. Masse 2005, S. 151. Siehe dazu auch unten, S. 268. 601 Zum »Wappen als visuelles Zeichen einer Identität im feudalen System« Carolin Oster: Die Farben höfischer Körper. Farbattribuierung und höfische Identität in mittelhochdeutschen Artus- und Tristanromanen, Berlin 2014, S. 233. 602 Die Bedeutung der Vorausdeutungen betont schon Jaeger 1977, S. 118; vgl. auch den Kommentar bei Krohn, Bd. 3, S. 130. Haug / Scholz übersetzen den Vers 6598 mit ›auch wenn sie [die Minne] lange auf sich warten ließ‹ (Bd. 1, S. 375), Krohn mit ›wenn es auch noch lange dauerte‹ (Bd. 1, S. 401). 603 wîssaginne bedeutet ›Prophetin, Weissagerin‹, vgl. Lexer, Bd. 3, Sp. 945 f.; BMZ, Bd. 3, S. 785. Die Bedeutung geht also über ein ›Symbol der Liebe‹ (Krohn, Bd. 1, S. 401) und ›Verweis‹ (Haug / Scholz, S. 375) hinaus, obwohl das auch mitgemeint ist; genauer Knecht, S. 80: ›der Pfeil, der prophetisch auf die Liebe verweist‹. 604 Als Vasall der Minne deutet schon Nickel Tristan im Hinblick auf die Helmzier, vgl. Nickel 1927, S.- 9 Anm.-2. Auch Ganz bezeichnet die Minne mit Verweis auf die vorliegende Textstelle als »Tristans Feudalherrin«, vgl. Ganz 1970, S. 67f.: »Dem Leser erscheint es dann auch völlig angemessen, wenn Tristan den Pfeil der Minne auf seinem Helm trägt, als Zeichen dafür, daß er ihr Vasall ist […]. Die Wahl des Zimiers braucht der Dichter nicht näher zu begründen: es verdeutlicht Tristans angestammte Untertänigkeit.« In diesem Kontext ist auch an die feudalrechtliche Bezeichnung der Minne als vogetinne (v. 12000) beziehungsweise erbevogetîn (v.-11765) zu denken. - Wie komplex Gottfrieds Anlage ist, zeigt sich schon in der ersten Erwähnung der Helmzier im Kontext des Literaturexkurses. Auch hier heißt es, auf Tristans Helm befände sich al nâch der minnen quâle | die viurîne strâle (vv. 4945 f.). Die Stelle ist deswegen besonders anspruchsvoll, weil der Erzähler hier lediglich im Modus des Konjunktivs beschreibt, wie er erzählen k ö n n t e (was er dann nicht tut), wie Vulkan einen Helm für Tristan entwerfen würde: wie er’m den helm betihte (v. 4944). Der Helm und die Helmzier erscheinen hier also in doppeltem Sinne als bloß erdachtes, man könnte vielleicht sagen: fiktives Produkt, wobei mit betihtet nicht zufällig ein Ausdruck benutzt wird, der auch die Herstellung literarischer Texte bezeichnet. 605 Worstbrock 1995, S. 44. Zu Vorausdeutungen auf die Trankszene vgl. Young 2002, S. 262f. Ganz anders liest die Stelle Barandun, indem sie der Figur Marke eine Form von ›prophetischer‹ oder sogar handlungslenkender Kompetenz zuschreibt, vgl. Barandun 2009, S. 63: »Unbewusst lenkt Marke seinen Neffen mit dieser Helmzier auf den Pfad der Minne […]. Mit tragischem Instinkt steuert der König auf sein eigenes Leid zu 242 2 Annäherungen Die Minne erscheint dabei nicht nur in in der Haupthandlung als eine von außen kommende Macht, sondern bereits in der Vorgeschichte. Das Bild der Leimrute etwa, mit dem der Erzähler die Liebesentstehung bei Riwalin beschreibt und das er dann nach dem Minnetrank in Bezug auf Isolde noch einmal aufnimmt, 606 wird als Ausdruck einer »Mechanik« 607 , des »zwanghaften Charakter[s] der Liebe« 608 gelesen. In dieselbe Richtung zielen auch die zuvor im Text genannten stricke (vgl. v. 839), in denen sich Riwalin verfängt und die wiederum auf den strick (vgl. v. 11753) vorausweisen, in dem sich Tristan nach dem Minnetrank gefangen fühlt. 609 Dieses Bild stammt, wie auch die Rede von der gewaltærinne Minne (v.- 961), 610 aus dem traditionsreichen Bildfeld der Gewalt und Gefangenschaft der Liebe. 611 Wenn weiterhin erzählt wird, wie die Minne Tristan an der Hand zu Isolde führt, dann erinnert das an Lugowski: Die Liebenden bewegen sich nicht selbst, sondern werden bewegt. 612 Ab dem Leimrutengleichnis wird die Minne, in den Ausgaben jetzt großgeschrieben, 613 außerdem mit anthropologisierenden Substantiven verbunden. Als Personifikation erscheint die Liebe von nun an als handelnde Akteurin, die Einfluss auf die erzählte Welt und die anderen Figuren ausübt. Man mag hier an die antike Liebesgöttin Venus denken, 614 als deren Opfer und antizipiert seinen Liebesschmerz.« Damit würde suggeriert, dass Tristans Ausstattung in irgendeiner Weise ›von vorne‹ die Minne motiviere, anstatt vielmehr ›von hinten‹ durch diese motiviert zu sein. 606 Vgl. vv. 841-871 und 11789-11814. Zu den Leimmetaphern grundlegend Wessel 1984, S. 274f. und 280- 290; zum Vergleich der beiden Stellen Flecken-Büttner 2011, S. 102-108. 607 Keck 1998, S. 211. 608 Hübner 2003, S. 313. 609 Zum mehrdeutigen Bildbereich der Stricke, Schlingen und Fesseln vgl. Wessel 1984, S. 289-294 und S. 101 Anm. 403: Danach könnten sich die ›Stricke der Liebe‹ je nach Kontext und Gestaltung auf den Bildbereich der Jagd (›Fallstricke‹) oder der Gefangenschaft (›Fesseln‹) beziehen. Zum fließenden Übergang der beiden »einem gemeinsamen Realitätsbereich angehörenden« Metaphern in der vorliegenden Stelle ebd., S. 281 Anm.-553. Zu mhd. stric und stricken im Bereich der mittelalterlichen Jagd auch Dalby 1965, S. 227-229, 231. Daneben kann mit dem strick auch ein ›verknüpfendes Band‹ gemeint sein, so etwa dann, wenn es heißt, Minne diu strickærinne (v. 12176) verbinde die Herzen von Tristan und Isolde mit dem stricke (v. 12178). Siehe dazu auch unten, S. 271f. 610 Zu dieser Neuschöpfung Gottfrieds Wessel 1984, S. 224, 237. Gewaltærinne ist diejenige Person, die gewalt besitzt oder ausübt; entsprechend den beiden Grundbedeutungen von mhd. gewalt als ›Gewalt‹ und ›Macht‹ ergeben sich unterschiedliche Übersetzungen wie ›Gewalttäterin‹ (Haug / Scholz, Bd. 1, S. 63), ›kriegerische Liebe‹ (Knecht, S. 14), ›Gewaltherrscherin‹ (Krohn, Bd. 1, S. 67), ›tyrant‹ (Hatto 1976, S. 54), aber auch ›Gewalthaberin‹ (Lexer, Bd. 1, Sp. 973; MWB, Bd. 2, Sp. 689). Die Überlieferung ist hier sehr unfest: Die Hs. M bietet gewaltege minne (›mächtige Minne‹), ähnlich auch BEORS; Hs. F hat gewaltigerinne, vgl. den Apparat bei Marold / Schröder, S. 18. Die Form gewaltige minne findet sich auch im anonymen Märe »Aristoteles und Phyllis«, wo die Verse 959-971 des »Tristan« relativ wortgetreu zitiert werden, vgl. »Aristoteles und Phyllis«, vv. 207-219, bes. v. 209 (Novellistik des Mittelalters, Ausg. Grubmüller 1996, S. 502-504). 611 Vgl. dazu ausführlich Wessel 1984, S. 219-315. 612 Vgl. vv. 12164-12169: Minne diu arzâtinne | si vuorte ze handen | ir siechen Tristanden. | ouch vant s’Îsôte ir siechen dâ. | die siechen beide nam si sâ | und gap in ir, im sie. 613 Wann genau die Minne zum ersten Mal als personifizierte Instanz auftritt und daher großgeschrieben werden soll, darin sind sich die Herausgeber uneinig: Haug / Scholz setzen sie für Vers 915 an, wo die süeze Minne zum ersten Mal als Abstraktum agens gebraucht werde, die Ausgaben von Bechstein, Marold und Ranke erst in Vers 961, vgl. dazu den Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 289. 614 Vgl. Ganz 1970, S. 68; Wolf 1974, S. 102; Wehrli 3 1997, S. 267. Die Vorstellung einer ›Liebesgöttin‹ wäre dabei im weiteren Kontext der Entstehung und Ausbreitung solcher Gestalten in geistlichen und weltlichen Texten seit dem 12. Jh. zu betrachten, vgl. dazu Barbara Newman: God and the Goddesses. Vision, Poetry, and Belief in the Middle Ages, Philadelphia 2003 (The Middle Ages Series), S. 138-189. Die mit- 2.4 Minne zwischen personaler Erfahrung und literarischem Code 243 Riwalin, Blanscheflur, Tristan und Isolde auch bei Konrad von Würzburg im »Trojanerkrieg« erwähnt werden. 615 Tatsächlich wurde die Minne im »Tristan« immer wieder als transzendente Macht aufgefasst. Vor allem Helmut de Boor hat, aufbauend auf Überlegungen Friedrich Rankes, den Roman in diesem Sinne als eine ›Heiligenlegende‹ der ›Minne-Märtyrer‹ Tristan und Isolde gelesen, bei der die »Minne-Transzendenz« den Platz Gottes einnehme und als causa finalis das Geschehen lenke. 616 Am nachdrücklichsten wurde diese Lesart von Peter Ganz vertreten, der davon spricht, der Minne komme »als Göttin und schicksalhafter Macht […] eine reale Existenz und kosmologische Funktion zu.« 617 Sie beherrsche »die Handlung als transzendente Macht.« 618 Die Entstehung der Liebe wäre damit final motiviert. Aber erhebt Gottfried die Liebe wirklich »ins Transzendente« und macht sie so »zu einer zweiten metaphysischen Macht neben oder gegen Gott« 619 , wie man auch in neueren Einführungen lesen kann? Von einer »Göttin Minne«, wie es bei Christoph Huber heißt, 620 spricht immerhin auch Gottfrieds Erzähler: An zwei Stellen des Textes begegnet uns die mhd. Bezeichnung gotinne Minne (vv. 4809, 16723). 621 Dabei stellt der Text eine Verbindung zur antiken Liebesgöttin Venus her, indem auch deren aus der Mythologie bekannter Sitz, die Venusinsel Kythera, genannt wird. 622 Dass es sich bei der gotinne Minne allerdings tatsächlich um eine in der erzählten Welt wirkende transzendente Macht handelt, daran sind Zweifel anzumelden. So steht die erste Erwähnung im Literaturexkurs, und damit in einem poetologischen Kontext. 623 telalterlichen ›Liebesgöttinnen‹ beziehen sich dabei neben der antiken Mythologie auch auf christliche Liebeskonzepte (caritas). 615 Vgl. Konrad von Würzburg, »Trojanerkrieg«, vv. 2306-2313: »dû solt daz wizzen, Vênus, | daz dir der apfel niht enwirt. | diu minne süezem friunde birt | vil ofte ein bitter ende sûr. | wie lac diu reine Blanschiflûr | hie vor nâch Riwalîne tôt! | wie starp diu liehte blunde Îsôt | durch ir friunt Tristanden! « (Ausg. Thoelen / Häberlein 2015, S. 33) Es handelt sich hier um Figurenrede von Pallas und Juno. In Eilharts »Tristrant« richtet sich Isalde in ihrem Soliloquium neben frow Minn (v. 2617) auch an frow [! ] Amor (v. 2576) und Cupido, der minnen got (v. 2579). Zur Parallele von Minne und Venus in Bezug auf Gottfried vgl. Flecken-Büttner 2011, S. 147. Zu Venus in der mittelalterlichen Literatur Kern / Ebenbauer (Hrsg.) 2003, S. 639-662. 616 Vgl. de Boor 1940, Zitat S. 276, 301; Friedrich Ranke: Die Allegorie der Minnegrotte in Gottfrieds Tristan, Berlin 1925 (Schriften der Königsberger Gelehrten Gesellschaft. Geisteswissenschaftliche Klasse 2 / 2). Daran anknüpfend zuletzt Hausmann in Bezug auf Gottfrieds Vorlage: »Bei Thomas tritt eine andere Macht an die Stelle Gottes […]. Es ist offenbar die schicksalhafte Macht der Liebe, die hier die Geschichte vorantreibt und letztlich deren Urheber ist.« (Hausmann 2014, S. 74) Bei der Liebe handle es sich um eine »quasi-mythische Macht« (ebd., S. 85). 617 Zitat aus der Einleitung der Ausgabe Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach der Ausgabe von Reinhold Bechstein hrsg. von Peter Ganz, Bd. 1-2, Wiesbaden 1978 (Deutsche Klassiker des Mittelalters N. F. 4), Bd. 1, S. XXXIII. 618 Ganz 1970, S. 68. 619 Weddige 6 2006, S. 112. 620 Huber 3 2013, S. 85; vorsichtiger Wessel, die von einer »›göttliche[n]‹ Macht« nur in Anführungsstrichen spricht und einschränkend betont: »›Göttlich‹ ist hier nur als formale Bezeichnung eines Status, nicht inhaltlich, etwa in christlichem Sinne, gemeint.« (Wessel 1984, S. 292 und Anm. 600) 621 Auf diese Stellen verweist auch Ganz in seiner Argumentation, vgl. Ganz 1970, S. 68. Eine besondere Bedeutung kommt der Formulierung in den Arbeiten von Ranke und de Boor zu, darauf weist Dietz hin: »Bei Ranke wie bei de Boor ist die Gottfriedsche Wortprägung von der ›gotinne Minne‹ ein wichtiges Glied in der Beweiskette.« (Dietz 1974, S. 173) In den Hss. MBE fehlt minne, vgl. den Apparat in der Ausgabe Marold / Schröder, Bd. 1, S. 281. 622 Vgl. Hansjörg Kalcyk / Ernst Meyer: Art. Kythera, in: Der Neue Pauly 6 (1999), Sp. 1022 f. Dazu Schindele 1971, S. 65. Zur Wortform Zythêrône siehe unten, S. 267 Anm. 754. 623 Vgl. Flecken-Büttner 2011, S. 151: »Als Teil eines Verweiszusammenhangs, der Gottfried eine poetische Standortbestimmung ermöglicht, ist die Minne hier demnach eine durch und durch literarisierte Gestalt.« 244 2 Annäherungen Sie bezieht sich nicht auf die erzählte Welt, sondern auf Gottfrieds Zeitgenossen Walther von der Vogelweide. 624 Die zweite Erwähnung geschieht dann im Zuge der Beschreibung der Minnegrotte. Wenn hier die Inschrift auf dem Bett in der Grotte besagt, dass es der gotinne Minne geweiht sei, 625 dann kann man das auf die Zeit der Gründung der Höhle under der heidenischen ê (v. 16690) beziehen. 626 Die Liebesgöttin wird also in einer heidnisch-antiken Vorzeit der erzählten Welt verortet. 627 Und mehr noch: Auf Handlungsebene tritt sie auch an dieser Stelle nicht auf; die gotinne Minne ist vielmehr das Ergebnis eines mæres, existiert lediglich in Form von buochstaben (vgl. vv. 16720 f.). 628 Darauf wird zurückzukommen sein. Ohnehin lässt sich beobachten, dass es beim ›Gehabtsein‹ der Figuren durch die Minne nicht bleibt. Es ist nicht zu übersehen, dass schon bei der Liebesentstehung von Riwalin und Blanscheflur die Darstellung des Figureninneren breiten Raum einnimmt. 629 Dasselbe gilt für die Bewusstwerdung der Liebe bei Tristan und Isolde nach dem Minnetrank. 630 Man hat daher 624 Vgl. vv. 4806-4819: wie si [die nahtegal von der Vogelweide] ir sanc wandelieret | (ich meine aber in dem dône | dâ her von Zythêrône, | dâ diu gotinne Minne | gebiutet ûf und inne)! Ganz spricht deshalb davon, Gottfried hole »die antike Göttin in seine mittelalterlich-gleichzeitige Welt« (Ausg. Bechstein / Ganz 1978, S. XXXIII). An anderer Stelle heißt es dagegen: »Jetzt herrscht die Göttin Minne noch auf Zytheron (Z. 4808) zur gleichen Zeit, als Gurmun in Irland und Marke in Cornwall regieren, ohne daß dies nun innerhalb des Romans zu einem direkten Konflikt mit dem christlichen Gott führt.« (Ganz 1970, S. 70) 625 vv. 16716-16723: ein bette in mitten inne was | […] | alumbe ergraben mit buochstaben, | und seiten ouch die mære, | daz ez bemeinet wære | der gotinne Minne. Zur Analogie des Bettes im Zentrum der Grotte mit dem Altar in der Kirche vgl. de Boor 1940 , S. 293. Die Stelle ist auch für Weddige maßgeblich für die Interpretation der Minne als göttliche Macht, vgl. Weddige 6 2006, S. 112. 626 Zu dieser Stelle auch Ganz 1970, S. 70. Chinca geht davon aus, die Grotte sei von den heidnischen Riesen gebaut und später der Minne geweiht worden, vgl. Chinca 2009, S. 20. 627 Vgl. Flecken-Büttner 2011, S. 153: »Wie die ganze Grotte wird das Bett zudem in einer fernen Zeit und einer anderen Kultur verortet […].« Ähnlich meint auch Tomasek, der Erzähler greife »auf ein zu seiner Zeit nicht mehr geglaubtes heidnisches Mythologem zurück.« (Tomasek 2007, S. 197) Wie konkret Gottfrieds Rezipienten hier an den Venuskult im römischen Polytheismus denken konnten, ist schwer zu sagen. Nimmt man die Erwähnung ernst, dass die Grotte noch vor Corinêis jâren (v. 16691) errichtet wurde, müsste man sie noch vor die Besetzung Britanniens durch die Römer datieren, denn Korinäus, der Namensgeber für Cornwall, gehört in der historiographischen Tradition zu den Gründungsvätern des trojanisch-römischen Britanniens. Dem Bericht von Geoffrey of Monmouth und Wace zufolge haben die in England ankommenden Trojaner alle dort lebenden Riesen getötet, wobei Korinäus als Herrscher von Cornwall den letzten noch lebenden Riesen besiegt, vgl. zu dieser Tradition Stevens 2000, S. 418. Die Erwähnung dürfte schon bei Thomas vorhanden gewesen sein, vgl. Bédier 1902-1905, Bd. 1, S. 236 Anm.-1. - Anders Hahn 1964, S. 172: »Herrin der Geschichte der Grotte ist die gotinne Minne (die man darum nicht mit dem Venus-Namen zur heidnischen Göttin stempeln darf).« 628 In diese Richtung interpretiert die Stelle schon Tax 2 1971, S. 124f. Vgl. auch Flecken-Büttner 2011, S. 153: »Aber die Göttin ist der Welt von Tristan und Isolde entrückt. Sie erscheint nicht selbst, auch zeugen weder lebendiger Ritus noch Bildnis von ihr, sondern in den Stein gravierte Schrift.« Das gleiche gilt für diejenigen antiken Götter, die Kassandra ihren geist gefeinet haben, vgl. vv. 4959f.: [mîn vrou Cassander,] der geist ze himele, a l s i c h ’ z l a s , | von den goten gefeinet was. (Hervorhebung L.M.) Auch von ihnen hat der Erzähler lediglich gelesen, sie existieren also im Bereich der (antik-mythologischen) Literatur. 629 Vgl. dazu Kragl 2019, S. 40-63. 630 Vgl. Flecken-Büttner 2011, S. 100; Hübner 2003, S. 348-355; Kragl 2019, S. 235-238. Schirok ist daher der Meinung, nach dem Minnetrank entstehe zunächst »der Eindruck der Entwicklung einer ›normalen‹ Liebe« (Bernd Schirok: Handlung und Exkurse in Gottfrieds »Tristan«. Textebenen als Interpretationsproblem, in: Texttyp, Sprechergruppe, Kommunikationsbereich. Studien zur deutschen Sprache in Geschichte und Gegenwart. Festschrift für Hugo Steger zum 65. Geburtstag, hrsg. von Heinrich Löffler u. a., New York / Berlin 1994, S. 33-51, hier S. 45). 2.4 Minne zwischen personaler Erfahrung und literarischem Code 245 vom »minnepsychologische[n] Interesse« 631 Gottfrieds gesprochen. So lasse sich im »Tristan« auch im Vergleich mit Thomas 632 ein Bemühen erkennen, die Liebe zu verinnerlichen und psychologisch zu plausibilisieren. Das zeigt sich etwa daran, dass dem magischen Zwang des Minnetranks etwas zur Seite gestellt wird: Durch Tristans Einverständnis in die Trankliebe und ihre Folgen (vv. 12494-12502) verwandle Gottfried »die blinde Verfallenheit an eine Droge durch Tristans Bekenntnis zum Trank in einen Akt bewußter Zustimmung« 633 . Dietmar Mieth erkennt darin eine nachträgliche Psychologisierung der Liebe durch die Figuren: Die Liebenden stellen nach dem Minnetrank gleichsam im Rückwärtsgang die psychologische Motivierung ihrer Minne her. Im Gespräch […] rationalisieren sie die Entstehung ihrer Gefühle im Nachhinein. 634 Das macht die Minne freilich noch nicht zu einem Produkt der Figurenpsychologie, aber zumindest »bringt Gottfried ein Moment der Willensfreiheit in die Liebe, das der älteren Konzeption fremd ist: Wohl ist die Entstehung unabhängig vom Willen, nicht aber, was der Mensch daraus macht.« 635 Gerade in Tristans aktiver Zustimmung ausgerechnet auch zur Todeshaftigkeit der Trankliebe lässt sich ein besonderes Moment der Freiheit erkennen. 636 Vielleicht kann man hier an Seneca denken, für den in der Annahme von Leid und Tod die größtmögliche Form der Selbstbestimmung des Menschen gegenüber dem Schicksal (fortuna) 631 Tomasek 2007, S. 198. 632 Zum Vergleich der Passage bei Thomas und Gottfried Haug 1999, der darauf hinweist, dass Thomas für den Handlungsabschnitt zwischen Liebesgeständnis und Ankunft in Cornwall gerade einmal 29 Verse braucht, Gottfried hingegen beinahe 500, vgl. ebd., S. 13. Grundlegend zum Vergleich der Liebesentstehungen bei Thomas und Gottfried schon Sawicki 1932 [1967], S. 90. 633 Müller 2007, S. 434. Auch diese »Überhöhung des magischen Liebeszwangs durch das freie Bekenntnis zu der hereingebrochenen Liebe«, in der Haug den zentralen »Schritt von der vorhöfischen zur höfischen Fassung des Tristanromans« erkennt, ist nicht, wie man vor der Entdeckung des Fragments von Carlisle geglaubt hat, schon bei Thomas angelegt, sondern existiert erst bei Gottfried, vgl. Haug 1999, S. 11. 634 Mieth 1976, S. 172. Kragl verweist hier vor allem auf den Dialog von Tristan und Isolde, »der tiefe Einblicke in die psychische Verfasstheit der beiden Figuren erlaubt.« Auf diese Weise »kratzt der Dialog an der Absolutheit des Minnezaubers, weil er dessen Wirkung gleichsam psychologisch seziert und damit auf einem Register der Handlungsmotivation spielt, das zu dem extrapersonalen Minnezauber - der nun auch nicht mehr erwähnt wird - quer steht. Wer Tristan und Isolde auf diese Weise einander necken hört, der wird bald vergessen haben, dass die Liebe, die sie treibt, eine ganz und gar von außen an sie herangetragene ist, weil der Dialog den Blick nur auf das Innenleben dieser beiden Liebenden richtet. Der Dialog macht den Zauber nicht obsolet; aber er verdeckt ihn bis zur Unkenntlichkeit hinter einer amourösen Psyche, die, einmal in Gang gesetzt, keinerlei Zaubers mehr bedarf, sondern alles aus den Figuren-Personen selbst entwickelt« (Kragl 2019, S. 238). 635 Mertens 1995, S. 58. Ähnlich schon Nauen 1947, S. 46: »Das bedeutet natürlich nicht eine Aufhebung des Schicksals. Aber dadurch, daß dieser übernatürlichen Macht ein freier Wille antwortet, wahrt Gottfried die Würde der menschlichen Persönlichkeit.« Stärker Huber 3 2013, S. 88: »Der zwanghafte Zaubertrank wird damit in einen Akt der Freiheit überführt […].« 636 Vgl. vv. 12495-12502: »ez wære t ô t oder leben: | ez hât mir sanfte vergeben. | ine weiz, wie jener wesen sol: | dirre t ô t der tuot mir wol. | solte diu wunneclîche Îsôt | iemer alsus sîn mîn t ô t , | sô wolte ich gerne werben-| umbe ein êweclîchez s t e r b e n .« (Hervorhebung L.M.) Jun Matsuura erkennt darin eine »dezidierte Stellungnahme, die im Sinne der zeitgenössischen philosophisch-theologischen Anthropologie den freien Willen (liberum arbitrium) […] voraussetzt.« ( Jun Matsuura: Körper vs.- Sprache. Zu poetologisch-anthropologischen Konzepten der Tristandichtungen Eilharts von Oberg und Gottfrieds von- Straßburg, in: Neue Beiträge zur Germanistik 14 / 1 (2015), S. 25-53, hier S. 43) Zu den verschiedenen Deutungen des Todes und vor allem der Formulierung vom ›ewigen Sterben‹ zuletzt Mertens 2010, S. 191f.; daneben der Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 548-551. 246 2 Annäherungen besteht, weil das Schicksal, wie es heißt, keine Macht über denjenigen hat, der zu sterben weiß. 637 Auch das Leimrutengleichnis ist nicht nur Ausdruck des ›Gehabtseins‹ durch die Minne, denn in dem Bild wird auch ausdrücklich die anfängliche vrîheit des Vogels betont, der sich freiwillig und durch die vrîheit (v. 845) auf den mit Leim bestrichenen Ast setzt. Der Determiniertheit durch die Liebe geht, nimmt man das Bild ernst, zumindest bei Riwalin ein Akt freier Willensentscheidung voraus. 638 Weiterhin zeigt sich, dass die Darstellung der verschiedenen Liebesentstehungen im »Tristan« immer wieder Vorstellungen folgt, die in der Zeit um 1200 aus anthropologischen Modellen bekannt waren. 639 Neben den Parallelen zum einflussreichen Traktat über die Liebe von Andreas Capellanus (um 1200) hat man vor allem auf die Vorstellung von der Entstehung der Liebe in fünf Schritten (Blick, Gespräch, Berührung, Kuss, Vereinigung) verwiesen, die man von Ovid kannte. 640 Auch die Liebesentstehung Tristans und Isoldes nach dem Minnetrank folgt diesem Muster. 641 Solche Bezüge auf außerliterarische Liebeskonzeptionen rufen 637 Vgl. Seneca, »Epistulae morales«, 70,7: Ego cogitem in eo, qui vivit, omnia posse fortunam, potius quam cogitem in eo, qui scit mori, nil posse fortunam. Zitiert nach L. Annaei Senecae opera quae supersunt, Bd. 3: Ad Lucilium epistularum moralium quae supersunt, iterum ed. supplementum quirinianum adiecit Otto Hense, Leipzig 1938 (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), S. 237. ›Soll ich lieber denken, dass das Schicksal mit dem, der lebt, alles zu tun vermag, als zu denken, dass es mit dem Menschen, der zu sterben weiß, gar nichts zu tun vermag? ‹ Deshalb, so heißt es an anderer Stelle, übertreffe der Weise im Annehmen von Leid und Tod sogar Gott: Hoc est quo deum antecedatis: ille extra patientiam malorum est, vos supra patientiam (»De providentia«, 6,6). Zitiert nach L. Annaei Senecae opera quae supersunt, Bd. 1: Dialogi libros XII, ed. Emil Hermes, Leipzig 1923 (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), S. 19. ›Das ist es, worin ihr Gott übertrefft: Er steht außerhalb des Erleidens von Übel, ihr darüber.‹ Vgl. dazu Deuser 2003, S. 302. 638 Vgl. Schnell 2014, S. 363. Von einer »freiwillig-unfreiwillige[n] Gefangennahme durch die Liebe« spricht daher Wessel 1984, S. 275. Vgl. auch ebd. 282. Das gilt zunächst für Riwalin. Bei Isolde werde die Darstellung stärker in der Schwebe gehalten. Der Text sage »nichts darüber aus, ob die Liebe zwischen Tristan und Isolde durch den Genuß des Trankes ausgelöst werde oder schon vorher angebahnt sei. Geradezu virtuos hält Gottfried auch in der Schwebe, ob Isolde sich freiwillig in den Leim der Minne begebe und zu welchem Zeitpunkt sie ihre Ungebundenheit einbüßt oder einbüßte. […] [O]b Isolde sich aus eigenem Entschluß in dem klebenden ›Morast‹ niederläßt, bleibt offen.« (ebd., S. 287f.) Eindeutiger Flecken-Büttner 2011, S. 107: »das Anfangsstadium der Freiheit […] gibt es hier nicht.« - Zum Verhältnis von Freiheit und Determination beobachtet Mieth, dass im »Tristan« die »sittliche Freiheit der Person in der Dichtung keineswegs grundsätzlich und theoretisch, sondern pragmatisch, d. h. innerhalb dieser konkreten Situation und ihren Folgen bestritten wird.« (Mieth 1976, S. 229) Es gehe Gottfried nicht um den systematischen Entwurf eines »anthropologischen Modell[s]« (ebd., S.-230). 639 So beobachtet Keck, »daß sich für Gottfried wie für Thomas Tranknicht von anderer, von ›gewöhnlicher‹ Liebe unterscheidet.« (Keck 1998, S. 211) 640 Vgl. etwa den Nachweis einzelner Parallelen zu Andreas Capellanus bei Xenja von Ertzdorff: Ehe und höfische Liebe im Tristan Gottfrieds von Strassburg, in: Love and Marriage in the Twelfth Century, hrsg. von Willy van Hoecke / Andries Welkenhuysen, Leuven 1981 (Mediaevalia Lovaniensia 1 / 8), S. 197-218, hier S.- 209, 213; Karl Bertau: Über Literaturgeschichte. Literarischer Kunstcharakter und Geschichte in der höfischen Epik um 1200, München 1983, S. 147, 164; Antonius H. Touber: Gottfrieds »Tristan« und der Minnesang, in: Tristan - Tristrant. Mélanges en l’honneur de Danielle Buschinger à l’occasion de son 60ème anniversaire, hrsg. von André Crépin / Wolfgang Spiewok, Greifswald 1996 (Wodan 66), S. 513- 519. Zu den quinque linea amoris im »Tristan« neben Touber 1996, S. 516f., etwa Schulz 2012, S. 61-63. Schnell spricht von einem ›epistemologischen Schema‹, vgl. Schnell 1985, S. 332, das er allerdings nur bei den Nebenfiguren verwirklicht sieht, nicht aber bei Tristan und Isolde, deren Liebesentstehung einem anderen Modell folge, nämlich dem der christlichen caritas, vgl. ebd., S. 342. 641 Vgl. Barandun 2009, S. 104; Huber 3 2013, S. 89; Kragl 2019, S. 235. Dazu auch Lutz 2002, S. 311: »Indem er dies aber in penetrantem Rückgriff auf denselben Vorgang bei Riwalin und Blanscheflur tut […], wird die 2.4 Minne zwischen personaler Erfahrung und literarischem Code 247 realweltliches Wissen ab und erzeugen so den Eindruck eines ›natürlichen‹ Charakters der Minne im »Tristan«. Der Erzähler verstärkt diesen Eindruck, indem er besonders in Bezug auf die Minne immer wieder mithilfe von narrator motivations die Allgemeingültigkeit der Darstellung hervorhebt. 642 So heißt es zum Beispiel über die Auswirkungen der Liebe auf die Wahrnehmung des geliebten Subjekts: die gelieben dûhten beide ein ander schœner vil dan ê. deist liebe reht, deist Minnen ê: e z i s t h i u r e u n d w a s o u c h v e r t und ist, die wîle minne wert, under gelieben a ll e n , daz s’ein ander baz gevallen, sô liebe an in wahsende wirt, […] dan an dem urspringe. diu wuocherhafte minne diu schœnet nâch beginne. (vv. 11856-11868; Hervorhebung L.M.) Durch die Zeitadverbien (hiure - vert) sowie den Gebrauch des Präsens wird die Ebene der Figuren mit derjenigen der Rezipienten verbunden: 643 der Minnen ê gilt für alle Liebenden, sowohl in der erzählten Welt als auch in der Erfahrungswelt von Erzähler und Publikum. Wie die Minne im »Tristan« nicht nur als von außen kommende, quasi-mythische Macht, sondern auch als ein im Inneren der Figuren beginnendes psychisches Ereignis dargestellt wird, lässt sich auch an einem Textbeispiel zeigen. Ich beziehe mich dafür auf die Liebesentstehung von Blanscheflur, an deren Beispiel Rüdiger Schnell die Übereinstimmung der Minnedarstellung im »Tristan« mit der zeitgenössischen Anthropologie demonstriert hat. 644 In einem Soliloquium, im Verlauf dessen sich Blanscheflur ihrer Liebe bewusst wird (vv. 981-1076), werden verschiedene Möglichkeiten der Liebesentstehung durchgespielt. Zunächst erwägt die junge Frau, ihre Gefühle für Riwalin könnten das Ergebnis von zouber oder zouberlist (vv.-1003, 1040) sein. 645 Es handelt sich dabei jedoch um eine abgewiesene Alternative; stattdessen macht Blanscheflur ihr herz und ihren muot verantwortlich für ihre Liebessehnsucht: Magie des Trankes entbehrlich und seine Bedeutung gründlich in Frage gestellt.« 642 In diesem Sinne meint Keck: Indem der Erzähler »ständig vom Besonderen seiner Liebesexempel auf die allgemeine Liebeserfahrung schließt, lädt er das Publikum zur Identifikation mit den Liebenden ein.« (Keck 1998, S. 209) Ähnlich Flecken-Büttner 2011, S. 101. Die Liebe ist das in den narrator motivations am häufigsten behandelte Thema. 643 Bertau spricht davon, dass der Erzähler »das außerordentliche epische Ereignis« - nämlich die Verbindung der ehemaligen Feinde Tristan und Isolde durch den Minnetrank - »definitorisch in ein Ereignis von regelhafter Allgemeinheit transportiert« (Bertau 1983, S. 152). 644 Vgl. Schnell 1985, S. 332f.; zu dieser Stelle auch Eming 2015, S. 83-89; Kragl 2019, S. 44-47, 53 f. 645 Diese Überlegung findet sich auch in der »Tristramssaga«, Kap. 7: ›»Sicher«, sagt sie, »ist dieser Mann voller Zauberei und böser Kräfte [gørninga fullr ok illra krapta], da ich von seinem Anblick und kurzem Anschauen so furchtbar gepeinigt werde.«‹ (Übers. Uecker 2008, S. 16; Originalzitat Ausg. Kölbing 1878, S. 10, Z. 11 f.) Die Stelle lässt sich als Verweis auf die Haupthandlung verstehen. Vgl. dazu Eming 2015, S. 86: »Die Rede von zouber ist wohl nicht nur metaphorisch gemeint, sondern spielt auf die Möglichkeit magischer Einflüsse an: auf die bereits genannte Möglichkeit des Liebeszaubers. Zugleich wird ein inter- 248 2 Annäherungen »swaz herzesorge ich mir von im und ouch durch sînen willen nim, daz wizze got, deist allermeist mîn selbes h e r z e n volleist. 646 […] mîn tumber meisterlôser m u o t der ist, der mir dâ leide tuot.« (vv. 1019-1022, 1045 f.; Hervorhebung L.M.) Mit muot und herze fallen die beiden Leitwörter für das Innenleben einer Person in der mittelalterlichen Bildsprache. 647 Auch bei Andreas Capellanus werden lat. animus und cor als Orte der Liebesentstehung genannt. 648 Die Entstehung der Minne wird also bei Blanscheflur im Inneren der Figur verortet, was auch Andreas ausdrücklich betont. 649 Für Schnell ist damit die Frage der Liebesentstehung »klar zu beantworten«: »Die Liebe kommt nicht als eine absolute, unteilbare Macht in die Menschen, sondern sie wächst Stück für Stück in ihnen […]. Liebe vollzieht sich als innermenschliche Entwicklung.« 650 In der Perspektive der Figur Blanscheflur ist die Liebe damit kausal-psychologisch motiviert. Wie lässt sich diese Beobachtung mit der Darstellung der Minne als handelnde Figur zusammenbringen? Um das zu erklären, sind einige grundsätzliche Anmerkungen zum Figurenstatus von Personifikationen nötig: 651 Personifizierte Abstrakta wie die Minne besitzen immer einen konkreten und einen bildlichen Anteil. Einerseits erscheinen sie als handelnde anthropomorphe Figuren, andererseits verweisen sie zeichenhaft auf einen anderen Sachverner Bezug zum Minnetrank hergestellt.« Als Anspielung auf die Haupthandlung versteht die Stelle auch Hellgardt 2002, S. 183f. Einen ›antithetischen‹ Bezug auf die Trankminne erkennt in der vorliegenden Stelle Schindele 1971, S. 61. Später wird auch Isoldes sirenenhafte Wirkung mit zouber in Verbindung gebracht, vgl. v. 8128. 646 Haug / Scholz übersetzen passend ›das hat vor allem mein eigenes Herz hervorgebracht‹ (Bd. 1, S. 67). 647 Siehe oben, S. 160 Anm. 204. 648 Vgl. Andreas Capellanus, »De amore«, 1,1,8f. Zitiert nach Andreas, königlicher Hofkaplan: Von der Liebe. Drei Bücher. Text nach der Ausgabe von E. Trojel, übers. und mit Anm. und einem Nachwort vers. von Fritz Peter Knapp, Berlin / New York 2006, hier S. 8, Z. 19 und S. 10, Z. 2. 649 Die Frage ›Was die Liebe ist‹ (Quod sit amore) wird in »De amore« folgendermaßen beantwortet: Amor est passio quaedam i n n a t a procedens ex visione et immoderata cogitatione formae alterius sexus […]. Quod autem illa passio sit i n n a t a , manifesta tibi ratione ostendo, quia passio illa ex nulla oritur actione subtiliter veritate inspecta; sed ex sola c o g it a t i o n e , quam concipit a n i m u s ex eo, quod vidit, passio illa procedit. (Andreas Capellanus, »De amore«, 1,1,1 und 8) ›Die Liebe ist ein im Inneren geborenes Erleiden, welches aus dem Anblick und der unmäßigen gedanklichen Beschäftigung mit der Wohlgestalt des anderen Geschlechts hervorgeht […]. Daß aber jenes Erleiden im Inneren geboren ist, beweise ich mit der einleuchtenden Begründung, daß bei genauer Einsicht in die Wahrheit jenes Erleiden aus keiner Handlung entsteht. Vielmehr geht jenes Erleiden allein aus einer gedanklichen Beschäftigung hervor, welche das Gemüt aus dem, was es sieht, empfängt.‹ Zitat und Übersetzung nach der Ausg. Knapp 2006, S. 6-9. (Hervorhebung L.M.) 650 Vgl. Schnell 1985, S. 333. 651 Dieser wurde in der Figurentheorie bisher wenig behandelt, entsprechend schematisch ist die narratologische Bestimmung von Personifikationen, vgl. Pfister 4 1984, S. 244; Koch 1991, S. 137; Jannidis 2004a, S. 6, 94, 107, 239, 243 Anm. 1; Eder ²2014, S. 124, 137, 396; Köppe / Kindt 2014, S. 147f. In mediävistischer Perspektive zuletzt Sonja Glauch: Grenzüberschreitender Verkehr oder uneigentliche Rede? Allegorische Assistenzfiguren des Erzählers und ihr diegetischer Standort, in: Beiträge zur mediävistischen Erzählforschung 1 (2018), S. 87-107. 2.4 Minne zwischen personaler Erfahrung und literarischem Code 249 halt. 652 Dementsprechend kann man in Bezug auf den ›Realitätsgehalt‹ von Personifikationen zwei Perspektiven einnehmen: Von einem ›kultisch-mythisierenden‹ Standpunkt aus nimmt man sie als real existierende Akteure, oft als transzendente Mächte, wahr, von einem rhetorisch-rationalisierenden Standpunkt als bildliche Darstellung abstrakter Konzepte. 653 Darüber, welchen Standpunkt mittelalterliche Autoren und Rezipienten eingenommen haben, herrscht in der Forschung Uneinigkeit: Entweder wird behauptet, die mittelalterlichen Autoren und das Publikum hätten die Personifikationen noch als real aufgefasst - dafür wird auf den philosophischen Realismus in der Hochscholastik oder eine noch im Mythischen verhaftete Mentalität verwiesen. Oder es wird behauptet, die Personifikationen hätten rein literarische Natur, spielerischen Charakter […]. 654 Dass mittelalterliche Personifikationen als reale, göttliche Mächte verstanden wurden, glaubte etwa Johann Huizinga. 655 Oft wird dabei eine historische Entwicklung von der einen zur anderen Perspektive angenommen. So meint Bernwart Plate, dass die Personifikation der Minne in den Tristanerzählungen erst mit einer veränderten Liebesauffassung im Verlauf des Spätmittelalters nicht mehr als venushafte, mythisch-transzendente Gestalt verstanden worden 652 In diesem Sinne fasst Eder Personifikationen unter die Perspektive ›Figur als Symbol‹, in der Figuren »als komplexe Zeichen […] für etwas anderes stehen« (Eder 2 2014, S. 124). Mir kommt es darauf an zu betonen, dass Personifikationen darin aber nicht aufgehen, und auch - um Eders Kategorien zu benutzen - als ›Artefakte‹ oder ›Personen‹ erscheinen können. Paul Michel spricht von einem »Doppelleben« der Personifikationen: »Einerseits sind sie - für sich genommen - Begriffe; andererseits gehören sie - als syntagmatische Partner der Verbmetaphern - der sozialen (bzw. Ding-)Welt an. Als solche können sie auch mit realen Personen interagieren (bzw. mit anderen Dingen zusammen funktionieren).« (Paul Michel: Alieniloquium. Elemente einer Grammatik der Bildrede, Bern u. a. 1987 (Zürcher Germanistische Studien 3), S. 580) 653 Zu dieser grundsätzlichen Unterscheidung Christoph Huber: Art. Personifikationen, in: RLW 3 (2003), S.-53-55, hier S. 54. Christian Kiening spricht von einer »ambigen Struktur und Wechselbeziehung zwischen den Achsen abstrakt / unbelebt und konkret / belebt« (Christian Kiening: Personifikation. Begegnungen mit dem-Fremd-Vertrauten in mittelalterlicher Literatur, in: Personenbeziehungen in der mittelalterlichen Literatur, hrsg. von Helmut Brall u. a., Düsseldorf 1994 (Studia humaniora 25), S. 347-387, hier S. 354). 654 Michel 1987, S. 588. Zur ›Personenallegorie als stilistisches Mittel oder als real empfundene Macht? ‹ auch Gerda Anita Jonen: Die Allegorie als Kunstform in der französischen Literatur des Spätmittelalters, München 1974 (Beiträge zur romanischen Philologie des Mittelalters 9), S. 164-173, bes. S. 164-166. Unentschieden zu der Frage, »[o]b das mittelalterliche Publikum die Personifikationen als literarisches Mittel einer Veranschaulichung des Abstrakten durchschaut oder von einer götterähnlichen Realpräsenz ausgeht,« äußert sich zuletzt Linden 2017, S. 84. 655 So heißt es in Bezug auf die Allegorien im »Roman de la Rose«: »Für die Zeitgenossen […] sind es Wesen von einer in lebendige Form gekleideten und mit Leidenschaft erfüllten Wirklichkeit, einer Wirklichkeit, die sie durchaus in eine Reihe stellt mit den aus Abstraktionen hergeleiteten römischen Göttergestalten wie Pavor und Pallor, Concordia usw. […] Doux Pense, Honte, Souvenirs und die übrigen Figuren haben in den Köpfen der spätmittelalterlichen Menschen eine gleichsam göttliche Existenz gehabt.« ( Johann Huizinga: Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, Stuttgart 1952, S. 224) Vgl. außerdem Johann Huizinga: Über die Verknüpfung des Poetischen mit dem Theologischen bei Alanus de Insulis, Amsterdam 1932 (Mededeelingen der Koninklijke Akademie van Wetenschappen. Afdeeling Letterkunde Deel 74, Serie B 6), S. 82-92. Zu Huizinga auch Kiening 1994, S. 381f. Daran anknüpfend weiterhin Hans Robert Jauß: Form und Auffassung der Allegorie in der Tradition der »Psychomachia« (von Prudentius zum ersten »Romanz de la Rose«), in: Medium aevum vivum. Festschrift für Walther Bulst, hrsg. von Hans Robert Jauß / Dieter Schaller, Heidelberg 1960, S. 179-206, hier S. 183, 186 f., 205. 250 2 Annäherungen sei, sondern zunehmend als Verkörperung psychologischer Vorgänge. 656 Dagegen war C.S. Lewis davon überzeugt, dass sich die mittelalterlichen Autoren durchaus des rhetorischen Charakters der Personifikationen bewusst gewesen seien: There is nothing ›mystical‹ or mysterious about medieval allegory; the poets know quite clearly what they are about and are well aware that the figures which they present to us are fictions […]. [A]llegory is a mode of expression. It belongs to the form of poetry, more than to its content, and it is learned from the practice of the ancients. 657 Gerade die lateinischen Dichtungslehren des Mittelalters können aus produktionsästhetischer Perspektive als Beleg für eine solche, rhetorische Auffassung von Personifikationen verstanden werden. 658 Vor allem Personifikationen psychischer Zustände lassen sich auch damit erklären, dass die volkssprachigen Autoren der Zeit um 1200 auf der Suche nach geeigneten Bildern für die Darstellung von Innerlichkeit waren. 659 Allegorien können in diesem Sinne als gebräuchliche zeitgenössische Technik der Innenweltdarstellung aufgefasst werden und wurden von den Rezipienten wohl auch als solche verstanden. 660 Zusammenfassend meint schließlich auch Paul Michel: Wir dürfen annehmen, dass auch minder gebildeten Literaten und ihrem Publikum der fiktive Charakter vieler Personifikationen bewusst war, und dass sie nicht gleich jeder Personifikation die ontologische Würde eines überirdischen Wesens verliehen haben. 661 656 Vgl. Plate 1973, S. 10. Zu solchen entwicklungsgeschichtlichen Tendenzen auch Kiening 1994, S. 352f. 657 C.S. Lewis: The Allegory of Love. A Study in Medieval Tradition, London u. a. 1936 [Nachdruck 1968], S.-48. Vgl. auch Rainer Gruenter: Bemerkungen zum Problem des Allegorischen in der deutschen Minneallegorie, in: Euphorion 51 (1957), S. 2-22, bes. S. 12-18. 658 Vgl. Jonen 1974, S. 165f. Auf ihren literarischen beziehungsweise rhetorischen Charakter verweist schon die grundlegende Definition von Personifikationen (gr. prosopopeia) bei Isidor von Sevilla: Prosopopeia est, cum inanimalium et persona et sermo fingitur […]; quod et tragoedis usitatum et in orationibus frequentissime invenitur (»Etymologiae«, 2,13; Ausg. Lindsay 1911, Bd. 1, o.S.). ›Personifikation liegt vor, wenn unbelebte Dinge mit einer Persönlichkeit und mit Sprache bedacht werden […]; dies ist auch in Tragödien absolut üblich und wird in Reden sehr oft angetroffen.‹ Übersetzung aus Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla, übers. und mit Anm. versehen von Lenelotte Möller, Wiesbaden 2008, S. 95. Für Kiening bezeugt die Textstelle »klar den artifiziellen, rhetorischen, fingierten Charakter der Personifikation« (Kiening 1994, S. 352). Auch Matthäus von Vendôme weist darauf hin, dass Personifikationen (die hier als Form der Metonymie behandelt werden) nicht im Wortsinn verstanden werden dürfen, sondern für etwas anderes stehen: Contentum ponitur pro continente, ut apud Stacium: Sed postquam rabies et vitae prodiga virtus emisere animos; ›virtus‹ pro ›virtuoso‹ accipitur, in quo continetur. (»Ars versificatoria«, 3,32; zitiert nach Faral 1958, S. 175) ›Das Enthaltene nehmen wir für das, was es enthält, (wenn es) bei Statius (heißt): ›Aber nachdem die Wut und die Leben verschwendende Tapferkeit die Leidenschaft freisetzen‹, dann verstehen wir ›die Tapferkeit‹ als ›den Tapferen‹, in welchem sie enthalten ist.‹ Und wenn Galfred von Vinsauf als Beispiel für die prosopopeia ein Tischtuch sprechen lässt, wird man wohl kaum davon ausgehen, mittelalterliche Leser hätten das Tischtuch als belebte Instanz verstanden, vgl. »Poetria nova«, vv. 508-514 (ebd., S. 212). 659 Vgl. Michel 1987, S. 589-591. Diesen Zusammenhang beobachtet schon Lewis bei Chrétien: »[W]herever Chrétien became psychological he became allegorical.« (Lewis 1936 [1968], S. 113) Zu den »tastende[n] Versuche[n] der volkssprachigen Literatur […], eine Ausdrucksweise für psychische Prozesse zu finden« auch Müller 2007, S. 317-362, Zitat S. 361. In Bezug auf die Minne weiterhin Linden 2017, S. 58-61. 660 Vgl. Hübner 2003, S. 160: »Die ›psychologische‹ Allegorie ist eine genuine zeitgenössische Form der Versprachlichung mentaler Zustände und Prozesse; wenn der moderne Blick hier nur eine elokutionäre Artistik und gar keine Innenweltdarstellung sieht, benutzt er eine falsche, unhistorische Brille.« 661 Michel 1987, S. 589. 2.4 Minne zwischen personaler Erfahrung und literarischem Code 251 Grundsätzlich sollte man sich davor hüten, Personifikationen vorschnell und generalisierend auf eine der beiden Perspektiven festzulegen; sie besitzen einen »schillernden Charakter« 662 , wie schon Max Wehrli erkannt hat: Ob Amor oder Cupido dann noch Götter oder bloße Gefühlsregungen sind, ob Venus eine geglaubte Göttin, eine Metapher für die Liebe, die Liebe selbst oder eine aufhöhende Bezeichnung der Geliebten ist, schillert je nach Kontext. 663 Welche Perspektive ein Text privilegiert, ist im Einzelfall zu klären. In diesem Sinne betont Christian Kiening, daß der Ort der Personifikation in jedem Einzelfall neu im Geflecht des kaum ausgestalteten Abstractum agens, der mythisch-mythologischen Erscheinung und der allegorischen Figur zu bestimmen ist. Die Übergänge sind ebenso vielfältig wie die zwischen den Polen magisch-mythischer Symbolik und theoretisch-bewußter Allegorese im allgemeinen. 664 Die Entscheidung ist jedoch nicht einfach und hängt nicht zuletzt von den jeweiligen Rezipienten ab. 665 Diese Rezipientenabhängigkeit schlägt sich auch in den gegensätzlichen Positionen der Forschung nieder, wenn es um die Frage geht, ob die Minne im »Tristan« mehr ist »als nur die personifizierte ›Liebe‹« und »eine ›reale Existenz‹« 666 besitzt. Dass die Minne vor allem von den Anhängern einer ›Liebesreligion‹ als quasi-göttliche Macht wahrgenommen wird, wurde bereits angesprochen. Dabei hat man auch auf das Allegorie-Verständnis der Schule von Chartres verwiesen, demzufolge Personifikationen zwar nicht direkt als göttliche Instanzen geglaubt würden, aber doch mehr seien als eine bloße ›rhetorische Spielerei‹, nämlich die Verkörperung kosmologischer Kräfte. 667 Die entgegen- 662 Kiening 1994, S. 352. 663 Max Wehrli: Literatur im deutschen Mittelalter. Eine poetologische Einführung, Stuttgart 1984 (RUB 8038), S. 241. 664 Kiening 1994, S. 357. Vgl. auch Michel 1987, S. 589: »Bei der proteusartigen Vielfalt der Phänomene sollte man wohl besser in jedem Einzelfall zu entscheiden versuchen, was aber sehr schwer ist.« Weiterhin Newman 2003, S. 30-35. Kiening schlägt daher vor, zumindest mitunter von der Frage nach dem Realitätsgehalt von Personifikationen ganz abzusehen, vgl. Kiening 1994, S. 355: »Die Frage, ob und inwieweit die jeweiligen Personifikationen ›geglaubt‹ worden seien, welcher Realitätsgehalt ihnen zukam, führt zumindest teilweise in die Irre.« 665 Vgl. Michel 1987, S. 576: »Im einzelnen ist an Texten nur schwer ablesbar […], ob einer Personifikation das (animistische) Empfinden eines Gläubigen für reale, persönliche Mächte […] zugrundeliegt, oder ob ein landläufiges Wort ad hoc mit persönlichen Merkmalen ausgestattet worden ist […]. Es hängt auch von der Mentalität des Rezipienten ab, ob er hinter einem abstractum agens eine mächtige Grösse oder einen rhetorischen Trick sieht.« 666 Ganz 1970, S. 63. 667 So schreibt Ganz in Bezug auf die Darstellung der Venus in Alanus’ ab Insulis »De planctu naturae«: »Wenn nun bei ihm Venus weder dämonisiert noch als astrologische Planetengottheit erscheint, so müssen wir uns fragen, ob sie für ihn nur eine rhetorische Spielerei bedeutete, oder ob sie, um mit Hegel zu reden, die konkrete Individualität eines wirklichen Subjekts besaß. Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen: ein Theologe des zwölften Jahrhunderts konnte natürlich nicht an die Existenz persönlicher Wesen wie Venus oder Natura glauben. Aber schon Huizinga hat hier differenzierter gesehen. Bei Alanus ist, so meinte er, ›dieser ganze Bildschmuck seiner Dichtung so innig mit seinen tiefsten philosophischen und theologischen Gedanken verwoben, daß man ihm Unrecht täte, wollte man diese Poesie als literarisches Spiel qualifizieren und damit abtun.‹« (Ganz 1970, S. 69f.) Das Zitat findet sich (mit einer Änderung) bei Huizinga 1932, S. 86. Dazu auch Flecken-Büttner 2011, S. 154f., und Christoph Huber: Die Aufnahme 252 2 Annäherungen gesetzte Überzeugung, dass es sich bei der personifizierten Minne im »Tristan« lediglich um eine rhetorische Verkörperung psychischer Vorgänge handle, vertritt etwa Rüdiger Schnell. 668 Einen Beleg für diese Lesart findet er in der Tatsache, dass die Personifikation nur an solchen Stellen des Textes auftauche, die auch sonst stark rhetorisch stilisiert sind. Weiterhin lässt sich in Bezug auf Riwalin und Blanscheflur erkennen, dass die Minne erst dann als Akteurin in Erscheinung tritt, wenn der Prozess der Liebesentstehung bereits begonnen hat. 669 Anders verhält es sich freilich bei Tristan und Isolde, wo zeitgleich mit dem Trinken des Minnetranks auch die Minne auftaucht: Nu daz diu maget unde der man, Îsôt unde Tristan, den tranc getrunken beide, sâ was ouch der werlde unmuoze dâ, Minne, aller herzen lâgærîn. (vv. 11707-11711) Aber auch hier wird die personifizierte Minne nicht klar von der Liebe als Bewusstseinsvorgang unterschieden, sondern die beiden Perspektiven erscheinen vielmehr miteinander verbunden. Wie Gert Hübner gezeigt hat, wird nämlich die bereits angesprochene Gefangenschaft durch die Minne vor allem aus der Figurenperspektive Tristans erzählt, also von der Figur selbst wahrgenommen: »Tristan erlebt die Stricke der Liebe […], ebenso Isolde in der anschließenden Psychonarration ihren Leim […].« 670 und Verarbeitung des Alanus ab Insulis in mittelhochdeutschen Dichtungen, Zürich / München 1988, S. 103-106, 133f. 668 Vgl. Schnell 1985, S. 331, 343 f. Daran anschließend spricht auch Keck davon, dass es sich bei Frau Minne um »die bewußte Inszenierung psychischer Vorgänge handelt« (Keck 1998, S. 41). Schnell richtet sich damit ausdrücklich gegen die Position von Ganz, der davon überzeugt war, die Minne sei »[u]nter den Abstraktionen, die im Gottfriedschen Roman agierend auftreten«, die einzige, »die mehr [ist] als bloße Personifikation menschlicher Gefühle und Teil der rhetorischen Maschinerie« (Ganz / Bechstein 1978, S.-XXXIII), ähnlich Ganz 1970, S. 66. 669 Darüber, wann genau die Minne zum ersten Mal als handelnde Personifikation auftritt, sind sich die Herausgeber uneinig, siehe oben, S. 242 Anm. 613. Der Prozess der Liebesentstehung bei Riwalin beginnt in jedem Fall deutlich früher, nämlich etwa in vv. 790-793: dô alrêrste huop ez sich | mit gedanken under in. | Canêlengres der kêrte hin | in maneger slahte trahte. Wenig später ist dann - ebenfalls allegorisch - von einem ›Entzünden‹ der sinne Riwalins die Rede, was auf die Minne als ›Anzünderin‹ (viurærinne, v. 930) vorausweist, vgl. vv. 806-812: daz entzunte ouch sîne sinne, | daz si sâ wider vuoren | und nâmen Blanschefluoren | und vuorten si mit in zehant | in Riwalînes herzen lant | und crônden si dar inne | im z’einer küniginne. Herbert Kolb sah in einem solchen »Hervorgehen der Minne aus dem Nachdenken über die Minne« (Kolb 1958, S. 44) ein Gegenmodell zu einem ›gewaltsamen‹ Entstehen der Minne von außen, vgl. zu den beiden Arten der Liebesentstehung auch ebd., S. 16. - Ein ähnliches Arrangement findet sich dann auch in Dantes »Vita Nova«, Kap. 24, wo ausdrücklich das innerliche Gefühl dem Auftritt der Personifikation vorausgeht: lo mi s e n t i ’ svegliar dentro a lo c o r e | un spirito amoroso che dormia: | e poi vidi venir da lungi Amore. ›Ich fühlte im Herzen drinnen mir erwachen einen Geist der Liebe, der zuvor dort schlief: und dann sah ich von ferne Amor kommen.‹ Zitat und Übersetzung nach Dante Alighieri: Vita Nova - Das Neue Leben, übers. und komm. von Anna Coseriu / Ulrike Kunkel, München 1988, S. 76f. (Hervorhebung L.M.) Dazu auch Kiening 1994, S. 347, 355, der von einer »zwischen Innen- und Außenwelt schwebenden Schilderung des Liebeserwachens« (S. 347) spricht. 670 Hübner 2003, S. 349f. Die eigentlich analytische Bewusstseinsdarstellung durch die Personifikation werde damit gleichsam fokalisiert: »Selbst die Allegorie führt unter den Bedingungen zunehmender Reflexivität des Figurenbewußtseins nicht mehr zu einer analytischen Distanzierung der Stimme« (S. 349). 2.4 Minne zwischen personaler Erfahrung und literarischem Code 253 Dass zumindest spätmittelalterliche Rezipienten die Minne als Allegorie des abstrakten Gefühls verstanden haben, belegt auch ein Befund aus der Überlieferung von Eilharts »Tristrant«: In der Heidelberger Handschrift H hat ein Benutzer über amor das Wort liebin eingetragen und über Cupido das Wort begird. 671 Die mythologischen Gestalten Amor und Cupido stehen also für die jeweiligen Gefühle. Für den Figurenstatus der Minne bedeutet das: Sie ist auch bei Gottfried keine Figur der erzählten Welt, sondern existiert auf derselben allegorischen Ebene wie die Personifikationen der Triuwe und Êre. 672 Um eine Figur handelt es sich aber dennoch, allerdings um eine vom Erzähler oder - wie im Fall von Isaldes Minnemonolog bei Eilhart - den anderen Akteuren selbst imaginierte. 673 Durch die allegorische Darstellung wird die unverfügbare Erfahrung der Liebe im Medium der Erzählung ausgedrückt. Für Jutta Eming stellt die Personifikation als Versuch einer sprachlichen Bewältigung daher eine Form des rationalen Umgangs mit Affekten dar. 674 Auch Andreas Capellanus, dem es ja um ein ›rationales‹ Verständnis der Liebe geht, benutzt im Vorwort von »De amore« das Bild vom Liebenden als mit Ketten gefesseltem Sklaven der Venus. 675 Dass die Minne somit auch in der zeitgenössischen Liebespsychologie als gewalttätige Macht dargestellt wird, zeigt, wie schwierig die Unterscheidung von der Liebe als Gefühl und der Liebe als übernatürlicher Macht ist. 676 Auch wenn die personifizierte Minne lediglich als Allegorie für psychische Vorgänge verstanden wird, bewahrt sich im Bild doch etwas von der Unzulänglichkeit des Gefühls. Auch bei Andreas Capellanus erscheint die Liebe ganz im Sinne Lugowskis nicht als ›aktive Gerichtetheit‹, sondern als passives Erleiden (passio). 677 Schon Jan-Dirk Müller hat davor gewarnt, Personifikationen einfach auf ihren nicht-metaphorischen Sinn zurückzuführen. 678 Dass die Liebe in der Literatur um 1200 immer wieder als eine ge- 671 Vgl. Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 346, fol. 46 v , Z. 24, 27. Siehe auch den Apparat in der Ausgabe von Buschinger / Spiewok, S. 68 Anm. 78. 672 Vgl. etwa vv. 11759-11772, wo in Form einer Psychomachie die Auseinandersetzung der Tugenden mit der Minne beschrieben wird. Vgl. dazu Schnell 1985, S. 343 und 333: »Minne besitzt ein Dasein lediglich auf der Erzählerebene, ist ein Mittel in der Hand des Autors.« Zu der Stelle weiterhin Wenzel 1995, S. 456. 673 Siehe dazu oben, S. 239 Anm. 594 und S. 243 Anm. 615. Vgl. außerdem Eming 2015, S. 70f. Zur Personifikation als Figur in einem ›Mikronarrativ‹ Linden 2017, S. 92f. 674 In Bezug auf Eilhart spricht sie davon, »die Personifizierung des Affekts als Frau Minne bedeutet einen Ansatz zur rationalen Durchdringung der Vorgänge« (Eming 2015, S. 70). 675 Vgl. Andreas Capellanus, »De amore«, Præfatio: Novi enim et manifesto experimento percepi [! ], quod, qui Veneris est servituti obnoxius, nil valet perpensius cogitare, nisu et aliquid semper valeat suis actibus operari, quo magis possit ipsius illaqueari catenis. ›Ich weiß nämlich und habe es durch eindeutige Erfahrung gelernt, daß, wer Venus in Sklaverei verfallen ist, an nichts eifriger denken kann, als wie er ständig etwas mit seinem Tun erreichen könne, wodurch er umso mehr durch ihre Ketten gefesselt werden könne.‹ Zitat und Übersetzung nach der Ausg. Knapp 2006, S. 2, Z.-10-13 und S.-3. 676 Vgl. Keck 1998, S. 211: »Soweit es um ihre Entstehung und Beschaffenheit geht, ist die Erfahrung von Liebe zunächst und grundsätzlich, das lehrt alle zeitgenössische Liebespsychologie, eine von Gewalt und Schmerz«. In der Personifikation der Minne bewahre sich »eine Art der Liebeserfahrung, die moderner Empfindungsweise und damit deren literarischer Darstellung fremd geworden ist.« (ebd., S. 41) Zur Bildsprache der ›feudalen Kriegergesellschaft‹ für die Beschreibung der Liebe Schulz 2012, S. 61f.; Eming 2015, S. 71. 677 Zur Liebe als passio vgl. den Kommentar der Ausg. Knapp 2006, S. 7 Anm. 3. 678 Vgl. Müller 2007, S. 342f. Ähnlich schon Kiening 1994, S. 384: »Aber die verschiedenen Personifikationen […] gehen wiederum auch nicht im Verweischarakter, in der Veranschaulichung abstrakter Phänomene auf. Auch wenn sie ausgedeutet werden, wenn sie auf die Allegorie hin geöffnet sind, verlieren sie nicht ihren Überschuß an Konkretheit, der sie ebenso reizvoll wie schwer faßbar macht.« An anderer Stelle spricht er auch von einer ›mythosanalogen‹ Funktion von Personifikationen, die zwar »keine kultische 254 2 Annäherungen waltsame, passiv zu erleidende Macht dargestellt wird, ist möglicherweise nicht unabhängig von der mittelalterlichen Erfahrungswelt zu sehen. 679 Dass auch Gottfried die Liebe zwischen den beiden Polen Freiheit und Determination changieren lässt, zeigt sich am Minnetrank. 680 Er stellt zwar dem Trank ein ›psychologisches‹ Moment zur Seite, ohne damit aber seinen ›mythischen‹ Zwang aufzuheben. Zwar wurden immer wieder Versuche gemacht, die Begründung der Liebe von Tristan und Isolde vom Trank unabhängig zu machen. So meint etwa Schnell: Daß die magische Kraft des Minnetranks selbst diese ideale Liebe auslöst, wird wohl niemand behaupten wollen. Die höchste Stufe menschlicher Liebesbindung die Folge eines Zaubertranks: es wäre ein Armutszeugnis für die Intentionen unseres Dichters […]. 681 Doch man kommt nicht darum herum: Auf Handlungsebene wird die Liebe durch den Trank ausgelöst. In der erzählten Welt ist der Trank weder Symbol noch ›Strukturanzeiger‹ 682 , sondern ein konkretes magisches Objekt. 683 Für Tristan und Isolde bedeutet er trotz allem Un- oder rituelle Funktion haben«, aber dennoch »immer wieder zum Leben erwachen« können (ebd., S. 356). Ähnlich Newman 2003, S. 2: »[I]f we follow convention and refer to them as ›personifications‹ oder ›allegorical figures‹, we run the risk of blunting their emotional force and trivializing their religious import. The term ›goddesses‹ may startle, yet it appears not infrequently in the texts […]. The mythic resonance of these terms is surely intended.« Dass in der »literarischen Metapher noch die Göttin des Mythos lebendig ist« meint auch Flecken-Büttner 2011, S.-153, und bezieht sich dabei mit Ganz auf das Allegorie-Verständnis der Schule von Chartres. 679 So geht Michel davon aus, am produktivsten für die Bildung von Personifikationen seien solche mentalen Kräfte oder andere Mächte (wie Hunger und Tod), denen sich die Menschen ausgeliefert fühlen, vgl. Michel 1987, S. 575. Schon Gruenter meint in diesem Sinne: »Die Personalallegorie der Personifikationsdichtung erfassen eine ›Realität‹, die dem modernen Realitätsbewußtsein entschwunden ist, das heißt: wenn der Verfasser dieser Dichtungen ›Liebe‹, ›Treue‹, ›Beständigkeit‹, ›Schönheit‹ in sein Gedicht einführt, so handelt es sich zwar um ›rhetorische Mittel der Verdeutlichung‹; aber die auf diese Weise verdeutlichten, persongewordenen Begriffe haben hier eine ›Realität‹, die den durch andere rhetorische Mittel erzeugten Fiktionen nicht eignet.« (Gruenter 1957, S. 16) So geht auch Schindele davon aus, wer die gewalttätige Minne »als bloße Metapher für die erschütterte rationale Selbstkontrolle des Minnenden wertet, verkennt die darin aktuelle Realitätserfahrung, welcher Minne als selbsttätige, weitgehend der Verfügbarkeit des Subjekts entzogene, also außer- und übermenschliche Macht begegnet.« (Schindele 1961, S. 69) Kiening spricht daher von der Personifikation als dem ›Fremdvertrauten‹, weil sich im Fremden der Allegorie immer etwas Eigenes, Vertrautes äußere, vgl. Kiening 1994. 680 Eming erkennt das in der Perspektive der Figuren, die »ihre Liebe […] zwischen Fatalität und Freiheit ansiedeln« (Eming 2015, S. 81). 681 Schnell 1985, S. 343. Zuletzt sucht Kragl nach Szenen, »die sich ex post einer Minnelogik einpassen ließen, die auf den Minnetrank nicht dringlich angewiesen ist« (Kragl 2019, S. 239). Zwar könne man nicht direkt von einer Liebe vor dem Trank sprechen, dass »es aber so etwas wie einen autonomen Spannungsbogen gibt, der zum Zauber des Minnetranks parallel läuft und auf figurenpsychologischen Pfeilern ruht, lässt sich nicht negieren […]. Es bedarf keiner besonders großen interpretatorischen Phantasie, um diesen Spannungsbogen für den primären zu erklären.« (ebd., S. 245) 682 So Simon 1990, S. 111. 683 Vgl. Hübner 2003, S. 348 Anm. 148: »Der Trank ist überhaupt nicht deutungsbedürftig, sondern einfach nur ein Liebestrank; hätte Isolde ihn mit Marke getrunken, wäre seine Wirkung, ohne jede Symbolträchtigkeit, keine andere gewesen.« Dazu pointiert schon Kuhn: »Der Liebeszaubertrank ist - ein Liebeszaubertrank! « (Kuhn 1980, S. 19) Vom »Liebestrank als magische[m] Mittel« und »eine[m] der wenigen im Roman auftauchenden Objekte, deren Übernatürlichkeit offensichtlich ist«, spricht auch Hammer 2007, S. 191. Siehe dazu weiterhin Müller 2007, S. 434; Kragl 2019, S. 245-247. Von einer Entzauberung und ›Entmaterialisierung‹ (Dagmar Mikasch-Köthner: Zur Konzeption der Tristanminne bei Eilhart von Oberg und Gottfried von Straßburg, Stuttgart 1991 (Helfant-Studien S 7), S. 52-57) kann man also nicht 2.4 Minne zwischen personaler Erfahrung und literarischem Code 255 freiheit und eine Liebe, die ›von außen‹ kommt. 684 Auch bei Gottfried wirkt der Trank ausdrücklich âne danc (vgl. v. 11440), und es ist wohl kein Zufall, dass er damit ausgerechnet jene Formulierung beibehält, mit der sich das Ich bei Heinrich von Veldeke so prominent von der Tristanliebe distanziert hatte. 685 Wenn Gottfried einerseits die Minne ›psychologisiert‹ und (zumindest bei den Nebenfiguren) die Liebesentstehung ins Innere der Figuren verlegt, andererseits aber am ›Gehabtsein‹ durch den Minnetrank festhält, zeigt sich eine Vielfältigkeit der Liebesdarstellung, die sich nicht auflösen lässt: An verschiedenen Stellen des Romans nutzt Gottfried unterschiedliche narrative Möglichkeiten, von minne zu erzählen. 686 Aber auch an einzelnen Stellen zeigt sich ein Nebeneinander von Freiheit und Determination, Psychologie und Gehabtsein. 687 Es soll im Folgenden nicht darum gehen, diese Ambivalenz aufzulösen. Ich möchte vielmehr eine alternative, dritte Perspektive auf die Minne im »Tristan« vorschlagen: Schauen wir dafür noch einmal auf die Liebesentstehung bei Blanscheflur, die mit Schnell als Beleg für den ›psychologischen‹ Charakter der Minne angeführt wurde. Die zentrale Stelle in Blanscheflurs Reflexion findet sich am Ende ihres Soliloquiums, nachdem darin zum ersten Mal von minne (v. 1063) die Rede ist: sprechen. - Geht man freilich davon aus, dass mittelalterliche Menschen die Wirkung von magischen Liebeselixieren für möglich hielten (so Ganz 1970, S. 65f.), ist damit noch nicht ausgeschlossen, dass der Minnetrank über realweltliches Wissen referenzialisierbar ist. Vorsichtiger Flecken-Büttner 2011, S. 137: »Inwieweit die Wirkung des Trankes außerhalb der lebensweltlich plausiblen Kausalität liegt, ist dabei schwierig zu ermessen.« Zu dieser Frage auch Mertens 1995, S.- 53-55: »Das mittelalterliche Publikum konnte sich durchaus ein reales Mittel unter dem Liebestrank vorstellen, verstand ihn sicher nicht als reines Symbol.« (S. 53f.) Ein magischer Minnetrank muss daher nicht unbedingt ›mythisch‹ sein, sondern kann möglicherweise ›rational‹ erklärt und damit kausal motiviert werden. In diesem Sinne lässt sich die Behandlung des Minnetranks bei Heinrich von Freiberg verstehen, siehe oben, S. 238. - Auf ein in diesem Zusammenhang interessantes Rezeptionszeugnis aus dem niederländischen Sprachraum hat Bart Besamusca hingewiesen: In einer Handschrift des späten 15. Jh.s, die vor allem medizinische Prosatexte enthält, findet sich unter anderem das Rezept für einen magischen Liebestrank, der lebenslange Zuneigung bewirken soll (hoemen sal maken vrienscappen die nemmermeer vergaen en sellen eerse die doot scheidet). Als Beleg für die Wirksamkeit dieses Tranks werden Tristan und Isolde angeführt: nemmermeer en mach die minne scheiden tusschen die twee dies drinken. Dit en es gheen twiuel want het geschiede tusschen terestamme ende ysauden van Irlant. Zitiert nach W.L. Braekman: Een merkwaardige collectie ›secreten‹ uit de vijftiende eeuw, in: Verslagen en mededelingen van de Koninklijke Academie voor Nederlandse taalen letterkunde. Niuwe reeks (1987), S. 270-287, hier S. 278f. Etwa: ›Nie wieder kann man die Liebe zwischen zwei Leuten trennen, die diesen Trank trinken. Daran gibt es keinen Zweifel, denn so geschah es zwischen Tristan und Isolde von Irland.‹ Dazu Bart Besamusca: Tristan und Isolt in den Niederlanden, in: Tristan und Isolt im Spätmittelalter. Vorträge eines interdisziplinären Symposiums vom 3. bis 8. Juni 1996 an der Justus-Liebig-Universität Gießen, hrsg. von Xenja von Ertzdorff unter redaktioneller Mitarbeit von Rudolf Schulz, Amsterdam 1999 (Chloe 29), S. 413-428, hier S. 426f. 684 Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Liebe anschließend im herzen zu wirken beginnt, wie Schnell betont, vgl. Schnell 1985, S. 342f. 685 Vgl. Heinrich von Veldeke, »Tristran muose sunder sînen danc«, v. 1 (MF 58,35; Ausg. Mooser / Tervooren 1988, S. 108). Siehe dazu auch oben, S. 240 Anm. 597. Dass der Bezug eine »unausgesprochene Distanzierung verrät«, meint Schindele 1971, S. 61. 686 Vgl. Schnell 1985, S. 346. Zur Vielfalt der mittelalterlichen Vorstellungen von minne vgl. Burghart Wachinger: Was ist Minne? , in: Lieder und Liederbücher. Gesammelte Aufsätze zur mittelhochdeutschen Lyrik, hrsg. von Burghart Wachinger, Berlin / New York 2011, S. 25-38, hier S. 25. 687 Jan-Dirk Müller hat das als Ambivalenz beschrieben, womit er ausdrücklich keine Widersprüchlichkeit, sondern Doppelwertigkeit meint, also den »scheiternde[n] Versuch des Zugleich« (Müller 2007, S. 433). 256 2 Annäherungen »mir wahset eteswaz hier an, daz minne meinet unde man. wan swaz ich allen mînen lîp umbe rehte minnendiu wîp und umbe liebe hân vernomen, daz ist mir in mîn herze komen: der süeze herzesmerze, der vil manic edele herze quelt mit süezem smerzen, der liget in mînem herzen.« (vv. 1067-1076) Deutlich ist hier von einem Impuls die Rede, der von a u ß e n in das Figureninnere (in mîn herze) gelangt, um dann dort (in mînem herzen) die Entstehung der Liebe auszulösen. Als Ursache für das Wachsen der Liebe im Herzen benennt Blanscheflur alles, was sie je von aufrichtig liebenden Frauen und von Liebe gehört hat. Die Formulierung swaz ich umbe rehte liebe hân vernomen kann man auch als Beschreibung für literarische Darstellungen der Liebe verstehen. 688 Das würde bedeuten: Durch die Rezeption von Liebesgeschichten wird sich Blanscheflur nicht nur ihrer Liebe zu Riwalin bewusst, sondern entsteht in der Perspektive der Figur diese Liebe überhaupt erst. Literatur wird zum Ausgangspunkt von Liebeserfahrung. Das lässt sich auch auf die anderen von Schnell untersuchten Szenen übertragen: Ob Tristans Lobpreis auf Isolde, der (nur scheinbar! ) bei Marke Fernliebe auslöst, 689 Tristans Lied-Vortrag vor Isolde Weißhand 690 oder Isoldes sirenenhafte Wirkung auf den irischen Hof 691 - stets ist die Entstehung von Liebe eng mit Kunst und Literatur verbunden. Diesem Zusammenhang möchte ich im Folgenden nachgehen. Liebe besitzt grundsätzlich eine »Nähe zur narrativen Form« 692 , weshalb Niklas Luhmann in »Liebe als Passion« beschrieben hat, dass es sich bei ihr nicht in erster Linie um ein natür- 688 So Wisbey 1990, S. 259-261, etwa S. 259: »There is evidence in Gottfried’s Riwalin and Blanscheflur episode which suggests that tragic stories of love (senemære) have been a formative influence upon Marke’s sister.« Ebenso Mertens 2010, S. 198, der darin die Verwirklichung des vom Erzähler im Prolog geforderten Rezeptionsmodus sieht. 689 Siehe unten, Kap. 3.3. 690 Siehe oben, S. 162-165. 691 Der Vergleich ist möglicherweise gegenüber Thomas neu eingefügt, vgl. Piquet 1905, S. 179 . Die Verbindung von Eros (körperlicher Anziehung) und Kunst (Gesang) findet sich bereits in der Darstellung der Sirenen bei Homer, vgl. Kern 1998, S. 173; dazu auch John Richardson: Niuwer David, Niuwer Orpheus. Transformation and Metamorphosis in Gottfried von Straßburg’s »Tristan«, in: Tristania 17 (1996), S. 85-109, hier S. 97-99. Auch in der Beschreibung des Auftritts Isoldes vermischt sich die Wirkung der Musik mit derjenigen ihrer Schönheit, die auch als der tougenlîche sanc (v. 8122) bezeichnet wird; beide - Musik und Erotik - zielen gleichermaßen in die Herzen der Zuschauer, wo sie sene und senede nôt (v. 8131) auslösen. Hier spielt sicher auch eine Rolle, dass der Erzähler zuvor im Literaturexkurs die Musen als der ôren niun Sirênen-(vv. 4871 f.) bezeichnet hatte, vgl. dazu Kern 1998, S. 184; Manfred Kern: Isolde, Helena und die Sirenen. Gottfried von Straßburg als Mythograph, in: Oxford German Studies 29 (2000), S. 1-30, hier S. 11-16. Zur Tradition dieser Gleichsetzung Herbert Backes: Isolde und der Magnetstein. Zur anagogischen Funktion von Kunst, in: Architectura poetica. Festschrift für Johannes Rathofer zum 65. Geburtstag, hrsg. von Ulrich Ernst / Bernhard Sowinski, Köln / Wien 1990 (Kölner Germanistische Studien 30), S. 147-178, hier S. 161, sowie der Kommentar von Okken 2 1996, Bd. 1, S. 277-287. - Zu der Stelle bei Gottfried auch Young 2002, S. 264, 269f. 692 Niklas Luhmann: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt a. M. 1994 [zuerst 1982], S. 71. 2.4 Minne zwischen personaler Erfahrung und literarischem Code 257 liches Gefühl handle, sondern um einen kulturellen Code. 693 Liebe sei keine anthropologische Konstante, sondern das Ergebnis kultureller, vor allem literarischer Verhandlungen. 694 Geht man mit Luhmann von einem ›Artefakt-Charakter‹ 695 der Liebe aus, betrifft das auch die Frage, welches Wissen abgerufen wird, um die Liebe und ihre Darstellung in der Literatur zu verstehen. Luhmann zufolge ist hier in erster Linie literarisches Wissen gefragt: Um die Liebe zu begreifen, sollte man sich nicht mit Psychologie beschäftigen, sondern Romane lesen. 696 Die Abhängigkeit des Gefühls von seiner sprachlichen Codierung ist in der Folge in den Kulturwissenschaften aus verschiedenen Perspektiven bestätigt worden. 697 Sie lässt sich gerade auch in der höfischen Kultur des europäischen Mittelalters beobachten. So gilt besonders das Konzept der höfischen Liebe als ein hochartifizieller kultureller Code oder - in anderen Worten - geradezu als eine Form von Kunst. 698 In diesem Sinne beginnt auch Walter Haug seinen einflussreichen Aufsatz über »Das Experiment mit der personalen Liebe im 12. und 13. Jahrhundert« mit der Feststellung, dass es sich bei der Liebe um »eine literarische Erfindung« handle. Da in der realen adligen Gesellschaft die Bedingungen für geschlechtliche Liebe gefehlt hätten, habe es sie »im Mittelalter nur als Literatur gegeben.« 699 Schon zuvor hatte Peter 693 Vgl. ebd., S. 23: »In diesem Sinne ist das Medium Liebe selbst kein Gefühl, sondern ein Kommunikationscode, nach dessen Regeln man Gefühle ausdrücken, bilden, simulieren, anderen unterstellen, leugnen […] kann.« 694 Vgl. ebd., S. 54: »Der Medien-Code erzeugt eine zu ihm passende Anthropologie.« Das gilt offenbar auch in Bezug auf den einzelnen Menschen, wenn Luhmann davon spricht, »daß es um ein Verhaltensmodell geht, das gespielt werden kann, das einem vor Augen steht, bevor man sich einschifft, um Liebe zu suchen.« (S. 23) 695 Luhmann spricht von der Liebe als einem »Artefakt soziokultureller Evolution« (ebd., S. 47). 696 Vgl. ebd., S. 47: »Die Motivlage wird nicht anthropologisch […] zu erklären sein. […] Das Wagnis Liebe und die entsprechend komplizierte, anforderungsreiche Alltagsorientierung ist nur möglich, wenn man sich dabei auf kulturelle Überlieferungen, literarische Vorlagen, überzeugungskräftige Sprachmuster und Situationsbilder, kurz: auf eine tradierte Semantik stützen kann.« Oder einfacher: »Ohne Liebesromane und Liebesfilme hätten die Menschen größere Schwierigkeiten, das Gefühl der Liebe bei sich [und anderen? ] zu entdecken.« (Günter Burkart: Sprache und Kultur in der Systemtheorie Luhmanns, in: Sprache - Kultur - Kommunikation. Ein internationales Handbuch zu Linguistik als Kulturwissenschaft, hrsg. von Ludwig Jäger u. a., Boston / Berlin 2016 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 43), S. 138-145, hier S. 141) 697 Vgl. Eming 2015, S. 84. So spricht etwa der Psychiater Luc Ciompi davon, dass »Kultur und Sprache gewissermaßen die Gefäße bereitstellen«, in denen die Affekte ihre Form bekommen. Erst durch diese »kulturelle[-] Prägung« würden aus den elementaren Grundaffekten gesellschaftlich wirksame Gefühle. Er verweist dabei auf »ethnologische Beobachtungen, wonach Gefühle, für die es keinen sprachlichen Begriff gibt, offenbar gleichsam gar nicht existieren. So soll zusammen mit dem entsprechenden Wort bei gewissen Amazonasindianern auch das Gefühl für Liebe in unserem Sinn völlig fehlen« (Luc Ciompi: Die emotionalen Grundlagen des Denkens. Entwurf einer fraktalen Affektlogik, Göttingen 1997, S. 82). Für eine stärkere Berücksichtigung der medialen Codierung von Emotionen in der historischen Emotionsforschung plädiert der Sammelband Schrift und Liebe in der Kultur des Mittelalters, hrsg. von Mireille Schnyder, Berlin / New York 2008 (Trends in Medieval Philology 13), siehe besonders die Einleitung, S. 1-22, bes. S. 1-8. Mit Bezug auf Luhmann auch Rüdiger Schnell: Historische Emotionsforschung. Eine mediävistische Standortbestimmung, in: Frühmittelalterliche Studien 38 (2004), S. 173-276, hier S. 185f. 698 Vgl. etwa Schulz 2012, S. 53-55. 699 Walter Haug: Das Experiment mit der personalen Liebe im 12. / 13. Jahrhundert, in: Die Wahrheit der Fiktion. Studien zur weltlichen und geistlichen Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Tübingen 2003, S. 256-280, hier S. 256. 258 2 Annäherungen Wapnewski von der »Liebe als Literatur« 700 gesprochen. Auch Luhmann war davon ausgegangen, dass die kulturelle Gemachtheit der Liebe bereits im Mittelalter existiert habe. Sie sei allerdings noch nicht erkannt worden. Erst ab dem 17. Jahrhundert sei man sich bewusst geworden, »daß der Code ›nur ein Code‹ und die Liebe ein literarisch präformiertes, geradezu vorgeschriebenes Gefühl ist« 701 . Daran sind Zweifel anzumelden: So lassen, um zunächst nur ein Beispiel zu nennen, die zahlreichen Reimpaarerzählungen des 14. und 15. Jahrhunderts, die man unter der Bezeichnung ›Minnereden‹ zusammenfasst und in denen über das Wesen der Minne diskutiert wird, ein hohes Bewusstsein für die Künstlichkeit der Liebe erkennen. Durch die explizite Betonung literarischer Traditionen 702 sowie eine ausgeprägte Vorliebe für Schriftmetaphern 703 reflektieren die Texte ihre eigene Gemachtheit genauso wie die ihres Gegenstandes. Es geht in den Minnereden »um Einübung und Benutzung symbolischer Codes« 704 , und Zugang zu diesen Codes erhält man vor allem über Schrift und Sprache: »Die Textpraxis 700 Vgl. Peter Wapnewski: Liebe als-Literatur im-Mittelalter, in: Lexikothek. Spektrum der Literatur, hrsg. von Bettina Clausen / Lars Clausen, Gütersloh 1975, S. 84-91. Schon viel früher beschreibt Theodor Spoerrli in Bezug auf die neue Art der Liebesdarstellung bei Wilhelm von Poitou den engen Zusammenhang von Idee und Form: »Bewusstwerdung ist identisch mit Formwerdung; man wird seines Erlebens inne, indem man es äussert.« (Theodor Spoerrli: Wilhelm von Poitou und die Anfänge der abendländischen Poesie, in: Trivium 2 (1944), S. 255-277, hier S. 265) Darauf bezieht sich Denis de Rougement, wenn er in »Die Liebe und das Abendland« die ›Erfindung der Liebe‹ in der Literatur verortet: »[D]ie Bewußtwerdung einer psychischen Wirklichkeit ist untrennbar mit ihrer (plastischen oder poetischen) Formwerdung verknüpft« (Denis de Rougemont: Die Liebe und das Abendland, Gaggenau 2007, S. 391, 392). Vgl. das französische Original: »[L]a prise de conscience d’une réalité psychique est inséparable de sa mise en forme (plastique ou poétique)« (Denis de Rougemont: L’amour et l’occident, édition définitive, o. O. [Paris] 1972, S. 283). Siehe dazu auch Müller 2004b, S. 306f. Müller glaubt zwar ebenfalls, »daß an der Ausformung eines Konzepts höfischer Liebe die Literatur maßgeblich beteiligt ist und einige seiner Erscheinungsformen überwiegend als literarische aufzufassen sind«, warnt aber davor, die Liebe »a u s s c h l i e ß l i c h als ein literarisches Phänomen zu verstehen« (S.-306), weil das literarische Muster als Teil einer kulturellen Praxis zur Realität der höfischen Gesellschaft gehört. 701 Luhmann 1994 [1982], S. 53. Im Mittelalter habe man die Liebe vor allem als Pathologie, und damit aus einer anthropologischen Perspektive heraus betrachtet, vgl. ebd., S. 63. Zwar habe es auch in anderen Epochen vergleichbare Bilder gegeben, doch »waren dies immer Analogien und Metaphern. Nur das Mittelalter und die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts besaßen Naivität und Wissenschaftsvertrauen genug, um tatsächlich körperlich und psychisch pathologische Tatbestände zu vermuten« (S. 30 Anm. 12). An anderer Stelle versteht Luhmann etwa den höfischen Minnesang aber durchaus als »Vorläufer« des 17. Jh.s, vgl. ebd., S. 57. Zu Luhmanns Annahme einer Epochengrenze im 17. / 18. Jh. grundsätzlich Rüdiger Schnell: Alterität der Neuzeit. Versuch eines Perspektivenwechsels, in: Wie anders war das Mittelalter? Fragen an das Konzept der Alterität, hrsg. von Manuel Braun, Göttingen 2013 (Aventiuren 9), S. 41-94, hier S. 50f. 702 Ein zentraler Teil dieser literarischen Tradition des Erzählens von der Liebe ist im Bewusstsein der Minnereden offenbar auch die Tristansage. So wird etwa in dem Text mit dem Titel »Ain hüpscher spruch von ainer bulschafft« sowohl auf Eilhart als auch auf Gottfried sowie dessen Fortsetzer Bezug genommen, vgl. Handbuch Minnereden. Mit Beiträgen von Iulia-Emilia Dorobanţu u.a, hrsg. von Jacob Klingner / Ludger Lieb, Berlin / Boston 2013, Bd. 1, S. 67-69. Der Text ist abgedruckt bei Cora Dietl: Minnerede, Roman und historia. Der »Wilhelm von Österreich« Johanns von Würzburg, Tübingen 1999 (Hermaea. N. F. 87), S. 385-399. Siehe auch die folgenden Anführungen zur Minnerede »Minne und Gesellschaft«. 703 Siehe dazu Ludger Lieb: Minne schreiben. Schriftmetaphorik und Schriftpraxis in den ›Minnereden‹ des späten Mittelalters, in: Schrift und Liebe in der Kultur des Mittelalters, hrsg. von Mireille Schnyder, Berlin / New York 2008 (Trends in Medieval Philology 13), S. 191-220. 704 Vgl. Lieb 2008, S. 218: »Im Bereich der Minnereden ist Schrift ein Diskurszugang, eine Ermöglichung von Ausdruck, eine Verfügbarmachung einer Sprache über die Liebe.« 2.4 Minne zwischen personaler Erfahrung und literarischem Code 259 der Minnereden ist Liebespraxis […]. Für die Minnereden gilt: Schreibenkönnen ist Ausweis von Liebenkönnen.« 705 Ein Beispiel für das Spiel mit der Kodifiziertheit der Minne bietet die aus dem 15. Jahrhundert überlieferte Erzählung »Der Knappe und die Frau«. Hier teilt der Erzähler gleich zu Beginn mit, woher er sein Wissen über die Minne bezieht. Dabei benutzt er nicht nur Ausdrücke aus dem Wortfeld der Literaturproduktion und -rezeption (singen hœren, an den buochen lesen) sondern bezieht sich auch auf zentrale Textsorten, die die höfische Literatur zu diesem Thema bereitstellt, nämlich Minnesang (taglied) und höfischen Roman (aventuͤr): S i n g e n han ich g e h o r e t vil Vnd tuͤtsch a n d e n b u o c h e n l e s e n Vnd bin vil da by gewesen Das mans s a it f uͤ r a u e n t uͤ r Wie ain rainez wib gehuͤr Aim ritter guetlich hab getan Vil dick ich daz g e h o r e t han S i n g e n a n a i n e m t a gli e d Wie fruͤntlich sich ain ritter schied Dez morgens von der frowen sin. (»Der Knappe und die Frau«, vv. 5-14) 706 Wenn dann in der Binnenerzählung von einer Liebesbegegnung berichtet wird, finden sich zum Teil wörtliche Zitate aus den angesprochenen Textsorten Tagelied und höfischer Roman. 707 Erfahrung folgt hier literarischen Mustern. Noch prägnanter äußert sich die literarische Bedingtheit der Minne in der Erzählung »Des Spiegels Abenteuer« (1451 / 1453) des produktiven Minnereden-Autors Hermann von Sachsenheim. 708 Schon im Prolog betont der Erzähler, dass er sich in seiner Erzählung auf literarisch kodifiziertes Wissen beziehe: wie wol myn synn sind smal, ie doch so wil ich suͤchen uß mencher hand büchen schon byspil unnd figur. (Hermann von Sachsenheim, »Des Spiegels Abenteuer«, vv. 4-7) 705 Ebd., S. 220. 706 Zitiert nach Lieder-Saal, Ausg. Laßberg 1820-1825 [1968], Nr. 213, S. 305-314, hier S. 305. 707 So gleicht der Kuss der Liebenden demjenigen von Willehalm und Giburc, und die Liebesbegegnung findet wie bei Wolfram vff aim matrasz (v. 192) statt. Vgl. Wolfram von Eschenbach, »Willehalm«, v. 100,10: ûf ein matraz. Zitiert nach Wolfram von Eschenbach: Willehalm. Nach der Handschrift 857 der Stiftsbibliothek St. Gallen. Mittelhochdeutscher Text, Übersetzung, Kommentar, hrsg. von Joachim Heinzle, Frankfurt a. M. 1991 (Bibliothek deutscher Klassiker 69 / Bibliothek des Mittelalters 9), S. 176. Die Trennung der Liebenden am nächsten Morgen folgt der Situation im Tagelied. Dabei erinnern die Verse Er hat war von wem ichz hort | Das lieb an lait nit muͤg sin (vv. 302 f.) deutlich an Dietmar von Aist: liep ane leit mac niht sin (MF 39,24; Ausg. Moser / Tervooren 1988, S. 66). Vgl. zu den intertextuellen Bezügen Klingner / Lieb 2013, S. 401. 708 Der Text wird zitiert nach Hermann von Sachsenheim: Des Spiegels Abenteuer, hrsg. von Thomas Kerth, Göppingen 1986 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 451). 260 2 Annäherungen Der Erzähler ist offenbar mit dem in der höfischen Literatur verfügbaren Wissen über die Minne gut vertraut, 709 der »höfische Erzählkosmos« ist ihm »ganz und gar verfügbar« 710 . Das literarische Wissen spielt dann auch im Verlauf der Erzählung eine wichtige Rolle. Alles, was erzählt wird, folgt bekannten Mustern: »[D]as Geschehen bestätigt nur noch, was in der Schrift immer schon wahr und bekannt ist.« 711 Was die Minne angeht, gibt es keine autonome Erfahrung. Erfahrung basiert immer auf dem (literarischen) Wissen darüber, was Minne ist und wie sie funktioniert: 712 »Lesen, Erfahren und Schreiben gehen im Rahmen der Gattung ineinander über […].« 713 Auf dieser Basis lässt sich nicht mehr zwischen Minne als Gefühl und Minne als literarischem Code unterscheiden: Eine Differenzierung in ›eigene‹ und ›durch Lektüre angeeignete‹ Erfahrungen scheint hier wie überhaupt im Rahmen der Gattung ›Minnerede‹ keine Gültigkeit zu besitzen. Beides ist im ›Vorgewussten‹ und ›Vorgefundenen‹ verschränkt, aus dem Minnereden ihr Wissen über Minne übernehmen. 714 Auch in einer Minnerede mit der Überschrift »Diz ist ein krig ob mynnen beßer sie oder geselleschafft« 715 (um 1325) bildet den Ausgangspunkt der Reflexion über die Liebe ein Kasus, der ausdrücklich »nicht aus der als real ausgegebenen Erfahrungswelt, sondern aus einem explizit literarischen Entwurf […] abgeleitet wird.« 716 Eine verheirate und eine unverheiratete Frau beginnen hier nämlich eine Diskussion über den Vorrang von Minne oder Gesellschaft, 709 Vgl. etwa vv. 1816-1823: was ich noch ye gelos | von undruw manigfalt | das hat ein cleyni gestalt | gen diesem falschen wib, | drucz das kein meister schrib | und nümer schriben kundt | so vil der falschen grund | als in irm herczen was. 710 Katharina Philipowski: Die Zeit der ersten Person. Warum Ich-Erzählungen keine Wiedergebrauchsrede sind und wozu man sie deshalb gebrauchen kann - am Beispiel von »Des Spiegels Abenteuer« Hermanns von Sachsenheim, in: Zwischen Anthropologie und Philologie. Beiträge zur Zukunft der Minneredenforschung, hrsg. von Jacob Klingner u. a., Heidelberg 2014, S. 71-109, hier S. 91. Siehe daneben schon Dietrich Huschenbett: Hermann von Sachsenheim. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte des 15. Jahrhunderts, Berlin 1962 (Philologische Studien und Quellen 12), S. 81-92. 711 Philipowski 2014, S. 92. 712 Vgl. ebd., S. 93: »[D]ie eigene Erfahrung bestätigt, was durch die Erfahrung anderer bereits an Wissen über die minne erworben worden ist. Die Aneignung der Erfahrung von minne findet also immer schon auf der Grundlage des minne-Wissens statt […].« 713 Ebd., S. 93. Philipowski spricht auch von einer »genetischen Beziehung[ ] zwischen Gewusstem und Erfahrenem« (S. 94 Anm. 48). 714 Ebd., S. 92, mit Bezug auf Burghart Wachinger: Gespräche in der »Mörin« Hermanns von-Sachsenheim, in: Literatur und Wandmalerei II. Konventionalität und Konversation. Burgdorfer Colloquium 2001, hrsg. von Eckart Conrad Lutz u. a., Tübingen 2005, S. 139-154, hier S. 140. 715 Zitiert nach Mittelhochdeutsche Minnereden, Bd. 1: Die Heidelberger Handschriften 344, 358, 376 und 393, hrsg. von Kurt Matthaei, Berlin 1913 (Deutsche Texte des Mittelalters 24), Nr. 6, S. 65-73. 716 Linden 2017, S. 183. Vgl. Ludger Lieb / Peter Strohschneider: Die Grenzen der Minnekommunikation. Interpretationsskizzen über Zugangsregulierungen und Verschwiegenheitsgebote im Diskurs spätmittelalterlicher Minnereden, in: Das Öffentliche und Private in der Vormoderne, hrsg. von Gert Melville / Peter von Moos, Köln u. a. 1998 (Norm und Struktur 10), S. 275-305, hier S. 302: »Erzählt wird hier also, wie textinterne Kommunikation im Modus ihrer Rezeption textexterne Kommunikation generiert und programmiert.« 2.4 Minne zwischen personaler Erfahrung und literarischem Code 261 nachdem sie in einem bůch (v. 61) 717 ausgerechnet gelesen haben, wie Tristant und Ysot | hielten truwe biz an den tot (vv. 75 f.). 718 Ähnliche Beobachtungen wie in Bezug auf die Minnereden lassen sich auch andernorts in der mittelhochdeutschen Literatur machen. Ein bekanntes Beispiel für die Verbindung von Literatur und Minne bietet etwa Konrad Flecks Liebes- und Abenteuerroman »Flore und Blanscheflur« (um 1220? ): 719 Wenn die Lektüre in einem buoch von minnen (v. 713) - ähnlich wie später bei Francesca und Paolo in Dantes »Göttlicher Komödie« (um 1308-1321) 720 - den Ausgangspunkt der Liebe bildet, 721 wenn dann das Minnewerben der Figuren nicht durch ›subjektive Erfahrung‹, sondern durch literarische Muster geprägt ist und somit »literarische[- ] Stilisierungen an die Stelle des unmittelbaren Gefühls« 722 treten, wenn die Figuren schließlich selbst Minneliteratur produzieren, 723 dann sind Liebe und Literatur auch hier aufs Engste miteinander verbunden, »Lektüre und eigenes Erleben […] noch [? ] nicht getrennt.« 724 Weiterhin bildet nicht zuletzt auch an prominenter Stelle im »Herzmære« Konrads von Würzburg (gest. 1287) die Rezeption von Liebesdichtung (hœren sagen unde singen von herzeclichen dingen) die Grundlage der wahren Liebe, was ausgerechnet durch Gottfried von Straßburg verbürgt werde: des bringet uns gewisheit von Strâzburg meister Gotfrit: swer ûf der wâren minne trit 717 Welche Version hier gemeint ist, lässt sich nicht feststellen. Bei Klingner / Lieb 2013, S. 884, wird Eilharts »Tristrant« als Vorlage angenommen. Ebenso mit Verweis auf die Namensformen (Tristrant, Tristran, Ysot) Lieb / Strohschneider: 1998, S. 301 Anm. 49. Zu den damit verbundenen Problemen siehe oben, S.-14 Anm.-22. Eindeutig ist nur, dass die Minnerede von einem bůch ausgeht, dass auch den tragischen Schluss der Geschichte von Tristan und Isolde überliefert, aber das träfe auch auf die meisten Gottfrieds »Tristan« überliefernden Handschriften zu. 718 Die komplexen Bezüge werden noch dadurch gesteigert, wenn der von den beiden Damen mit der Lösung des Konflikts beauftrage Erzähler den Kasus einigen Figuren vorträgt, die man mit zeitgenössischen historischen Persönlichkeiten identifizieren kann, darunter etwa der graͤve von Sponheim (v. 394) oder von Winsperg her Cunrad (v. 398), vgl. dazu Lieb / Strohschneider 1998, S. 300. 719 Vgl. im Folgenden Werner Röcke: Liebe und Schrift. Deutungsmuster sozialer und literarischer Kommunikation im deutschen Liebes- und Reiseroman des 13. Jahrhunderts, in: Mündlichkeit - Schriftlichkeit - Weltbildwandel. Literarische Kommunikation und Deutungsschemata von Wirklichkeit in der Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, hrsg. von Werner Röcke / Ursula Schaefer, Tübingen 1996 (ScriptOralia 71), S.- 85-108, bes. S. 88-96. Zu möglichen Parallelen der Minnekonzeption zu Gottfrieds »Tristan« ebd., S. 91 Anm. 11; kritisch dazu Christine Putzo: Konrad Fleck, »Flore und Blanscheflur«. Text und Untersuchungen, Berlin u. a. 2015 (MTU 143), S. 72-77. 720 Vgl. Dante, »Göttliche Komödie«, Inferno, 5,127f.: ›»Eines Tages lasen wir zum Vergnügen von Lancelot, wie Amor ihn bedrängte […]. Als wir lasen, wie der begehrte lachende Mund von einem solchen Liebhaber geküßt wurde, da küßte dieser Mann, der niemals von mir getrennt wird, mich auf den Mund, zitternd am ganzen Leib. Den Kuppler Galehaut spielten das Buch und der es schrieb.«‹ (Übersetzung Flasch 2013, S. 31) Vgl. dazu etwa Jürgen Ritte: »Die eine Stelle war’s, die uns besiegte«. Die Frage nach dem Buch bei Francesca da Rimini, in: La lecture au féminin. La lectrice dans la littérature française du Moyen Âge au XX e siècle, hrsg. von Angelica Rieger / Jean-François Tonard, Darmstadt 1999 (Beiträge zur Romanistik 3), S. 291-301. 721 Vgl. Konrad Fleck, »Flore und Blanscheflur«, vv. 754f.: dâ von wart in schiere kunt | swaz sie von minnen vernâmen. Zitiert nach Putzo 2015, S. 249. 722 Vgl. Röcke 1996, S. 93. 723 Vgl. Konrad Fleck, »Flore und Blanscheflur«, vv. 820-824: an ir tevelîn sie dô schriben | von den bluomen wie sie sprungen, | von den vogelîn wie sie sungen, | von minnen vil und anders niht; | dâ von was gar ir getiht. Zitiert nach Putzo 2015, S. 251. 724 Röcke 1996, S. 93. 262 2 Annäherungen wil eben setzen sînen fuoz, daz er benamen hœren muoz sagen unde singen von herzeclichen dingen, diu ê waren den geschehen die sich dâ hæten undersehen mit minneclichen ougen. diu rede ist âne lougen: er minnet iemer deste baz swer von minnen etewaz hœret singen oder lesen. (Konrad von Würzburg, »Herzmære«, vv. 8-21) 725 Auch wenn diesem Zusammenhang weiter nachzugehen wäre, weisen die verschiedenen Beispiele aus dem 13., 14. und 15. Jahrhundert darauf hin, dass die literarische Gemachtheit der Liebe dem Mittelalter nicht unentdeckt geblieben ist. 726 Heiko Wandhoff geht darüber hinaus sogar davon aus, dass gerade in der höfischen Kultur des hohen Mittelalters ein ausgesprochen großes Bewusstsein für die Künstlichkeit der Minne geherrscht habe. Im Mittelalter sei Liebe nicht in erster Linie als natürliches Gefühl, sondern vor allem als ein kulturelles Konzept verhandelt worden: [T]he concept of love in the Middle Ages […] is different from what we consider it to be today. Above all, love is not conceived as a mere ›feeling‹, an ›emotion‹, or a ›state of mind‹ (although all this is included) but rather a complex and demanding process of recognition. Love in this context is not ›natural‹ or immediate; instead, it has to be artful, artistic, and artificial […]. 727 Dafür lassen sich besonders in Gottfrieds »Tristan«, auf den sich auch Wandhoff bezieht, Belege finden. Eine in Bezug auf das Wesen der Minne zentrale Stelle des Romans bietet der vom Erzähler als kurze rede von guoten minnen (v. 12185) bezeichnete Exkurs (vv. 12187-12357). 728 Darin pro- 725 Zitiert nach der Ausg. Schröder 2 1930, S. 12f. Zur Gottfried-Rezeption im »Herzmære« siehe oben, S.-222 Anm.-501. 726 Sandra Linden hat in Bezug auf die Minneexkurse höfischer Romane gezeigt, dass sich aus dem Nachdenken über die Minne immer wieder ein Nachdenken über Sprache und Dichtung ergibt, vgl. Linden 2017, S.-57f.: »Es geht nicht nur um ein Wissen über die Minne, sondern auch um das richtige und angemessene Sprechen über sie, d. h., das Sachinteresse an der Minne verbindet sich mit einer erhöhten Aufmerksamkeit für die Möglichkeiten ihrer Darstellung.« Die Minneexkurse öffneten sich so »in besonderem Maße […] dem Feld der Poetologie.« (ebd., S. 107) Die Minne erscheine dabei als ein Phänomen, das »die literarische Sprache« womöglich »besser fassen kann als die exakte Wissenschaft«, da »sich die Unergründlichkeit der Minne im wissenschaftlichen Diskurs nur feststellen lässt, während das literarische Sprechen produktive Mittel kennt, um in immer neuen Anläufen gegen die Unsagbarkeit anzugehen.« (S. 61) Zum Zusammenhang zwischen Liebe und literarischer Kommunikation im Mittelalter jetzt auch Trînca 2019, zum »Tristan« S. 169-185, 225-234, 245-252. 727 Haiko Wandhoff: How to Find Love in Literature. Reading Gottfried von Strassburg’s »Tristan« and His Cave of Lovers, in: Visuality and-Materiality in the Story of Tristan and-Isolde, hrsg. von Jutta Eming u. a., Notre Dame (Indiana) 2012, S. 41-64, hier S. 55. 728 Haug und Scholz verstehen den Vers nicht in Bezug auf den folgenden Exkurs, sondern als Zusammenfassung der vorangegangenen Erzählung, indem sie rede hier als ›epische Erzählung‹ auffassen, vgl. den Kommentar in Haug / Scholz Bd. 2, S. 536f., und die Übersetzung Bd. 1, S. 681: ›Liebesszenen breit getreten, verstimmen einen höfischen Geist, kurz von guter Liebeslust gesprochen, das finden Gutgesinnte gut.‹ 2.4 Minne zwischen personaler Erfahrung und literarischem Code 263 filiert Gottfried, direkt im Anschluss an die Minnetrankszene, sein Konzept der Tristanliebe. 729 Bereits das landwirtschaftliche Bild des Säens und Erntens, mit dem der Erzähler den menschlichen Umgang mit der Minne charakterisiert (vv. 12228-12256), spielt mit dem Verhältnis von Natürlichkeit und Gemachtheit. 730 Der Erzähler beschreibt die Minne als eine Pflanze, die zwar ursprünglich als natürlich gedacht werden kann, aber - wie der veredelte Baum der Dichtung im Literaturexkurs 731 - dem kulturellen Einfluss des Menschen unterworfen ist. Wenn es etwa heißt wir müezen daz her wider lesen, | daz dâ vor gewerket wirt (vv.-12232 f.), 732 dann erscheint die Minne als »etwas vom Menschen Hervorgebrachtes«, »kulturell Gezüchtetes« 733 . Zum Titel rede von guoten minnen auch Linden 2017, S. 207f. - Zum Exkurs neben den grundlegenden Darstellungen von Lore Pfeiffer: Zur Funktion der Exkurse im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg, Göppingen 1971 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 31), S. 194-198; Ferdinand Urbanek: Die drei Minne- Exkurse im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg, in: ZfdPh 98 (1979), S. 344-371; Tomas Tomasek: Die Utopie im »Tristan« Gotfrids von Straßburg, Tübingen 1985 (Hermaea. N. F. 49), S. 117-123, 135-152, sowie Linden 2017, S. 206-230, im vorliegenden Zusammenhang besonders Chinca 1997, S. 81-86; weiterhin Sziráky 2003, S. 166-174. 729 Als »la partie centrale de l’œuvre« versteht den Exkurs Louis Gravigny: La composition de »Tristan« de Gottfried de Strasbourg et les initiales dans les principaux manuscrits et fragments, in: Études germaniques 26 (1971), S. 1-17, Zitat S. 3. Darauf verweise einerseits die formale Hervorhebung durch Vierreimstrophe und Initiale, andererseits die Tatsache, dass es sich um die Mitte des von Gottfried geplanten Werkganzen handle, das Gravigny auf exakt 24616 Verse schätzt, vgl. ebd., S. 4. Dazu auch Schirok 1994, S. 46. Gravigny weist außerdem darauf hin, dass der Exkurs genauso viele Verse wie der Prolog besitze, nämlich 244 (wenn man den Exkurs von vv. 12187 bis 12431 ansetzt), was ihn auch poetologisch heraushebe, vgl. Gravigny 1971, S. 3. - Dass es Gottfried hier darum ging, sein spezifisches Konzept der Tristanliebe zu profilieren, zeigt sich an der Tatsache, dass er den Exkurs gegenüber Thomas neu eingefügt hat, wie man seit der Entdeckung des Fragments von Carlisle weiß, vgl. Haug 1999, S. 13; Linden 2017, S. 206 Anm. 110. Zuvor war Krohn durch den Vergleich mit »Tristramssaga« und »Sir Tristrem« bereits zu demselben Ergebnis gelangt, vgl. Krohn, Bd. 3, S. 180. Für Keck sind dafür vor allem stilistische Gründe entscheidend: Der Exkurs besitze »nicht den warnenden Gestus Thomas’« und sei daher als Gottfrieds ›Eigentum‹ anzusehen, vgl. Keck 1998, S. 214. Dass der Erzähler hier »einen neuen Liebesbegriff« entwickelt, meint Lutz 2002, S. 312. 730 Zur Pflanzenmetaphorik grundlegend Wessel 1984, S. 453-458. Vgl. auch Seggewiss 2012, S. 101, der die Stelle als Ausdruck »gestörter Natur« liest. Zur theologischen Tradition der Bildlichkeit von Säen und Ernten Nauen 1947, S. 42. 731 Vgl. vv. 4738-4750. Auch Chinca ist der Ansicht, das Bild von Saat und Ernte verweise auf die florale Metaphorik des Literaturexkurses, Minne und Literatur erschienen gleichermaßen als Pflanzen, vgl. Chinca 1997, S. 82f. Ebenso Linden 2017, S. 188: »Das florale Bildfeld ist also nicht nur mit der Minne, sondern auch mit dem richtigen Sprechen über die Minne, das bei Gottfried stets ein literarisch geformtes Sprechen ist, verknüpft und kann so die zwei zentralen Themen des Romans, Minne und Literatur, vereinen.« Zur pflanzlichen Bildlichkeit des Literaturexkurses jetzt auch Becker 2019, S. 434. 732 ›Wir müssen das ernten, was wir zuvor gepflanzt haben‹, übersetzen Haug / Scholz, Bd. 1, S. 685; ähnlich Krohn, Bd. 2, S. 143; Knecht, S. 145. Spielt Gottfried womöglich darüber hinaus mit der Semantik von lesen, das hier in der Bedeutung ›aufsammeln‹ gebraucht wird? Vgl. dazu Lexer, Bd. 1, Sp. 1888 f.; BMZ, Bd. 1, S.-1006-1009 (mit dem Verweis auf das birnen lesen im »Parzival«, v. 80,1, und bluomen lesen bei Walther von der Vogelweide, L 39,10). Siehe dazu auch »Tristan«, v. 4646: wir, die die bluomen helfen lesen (wiederum in poetologischem Kontext). 733 Wessel 1984, S. 453f. Nicht eindeutig ist die Formulierung in v. 12237: wir bûwen die minne. Mhd.-bûwen bedeutet mit Akkusativ sowohl ›eine Sache anbauen‹ als auch ›eine Sache bebauen, bestellen‹, vgl. Lexer, Bd. 1, Sp. 1167 f.; BMZ, Bd. 1, S. 287-289 (die für die vorliegende Textstelle die zweite Ansetzung vorschlagen). So übersetzt Krohn ›Wir bauen die Liebe an‹ (Bd. 2, S. 143), ähnlich Hatto ›We cultivate love‹ (S. 202); dagegen Haug / Scholz ›Wir bauen auf dem Feld der Liebe‹ (Bd. 1, S. 638), so auch MWB, Bd. 1, Sp.-1168, Z. 24-30 (›das Feld der Liebe‹). Zu dieser Übersetzung auch Ralf Plate: Wortbedeutung, Gebrauchstyp und Textverständnis in der historischen Beleglexikographie. Am Beispiel von mhd. bûwen und seinem 264 2 Annäherungen Die Deutung der Minne als kulturelles Produkt verstärkt sich dann noch, wenn der Erzähler im Folgenden darüber klagt, dass die minne aus der Welt vertrieben worden sei: 734 Es ist vil wâr, daz man dâ saget: »Minne ist getriben unde gejaget in den endelesten ort.« wir’n haben an ir niuwan daz wort: uns ist niuwan der name beliben und hân ouch den alsô zetriben, alsô verwortet und vernamet, daz sich diu müede ir namen schamet und ir daz wort unmæret. (vv. 12279-12287) Von der Minne ist nur das Wort geblieben, 735 sie existiert also im Sinne Luhmanns nur noch als ›Sprachmuster‹ 736 . Im Unterschied zu Luhmann beschreibt Gottfrieds Erzähler die Liebe aber nicht als Produkt eines kulturellen Musters, sondern das Muster vielmehr im Modus der laudatio temporis acti (zunächst) als Ergebnis eines Zerfallsprozesses, bei dem vom Gefühl nur noch wort und name übrig bleiben. Was Gottfried mit Luhmann verbindet, ist jedoch, dass auch hier die sprachliche Codierung der Liebe im Vordergrund steht. Darauf verweisen die wiederholt verwendeten Ausdrücke aus dem Wortfeld der Sprache, darunter besonders die beiden Wortneuschöpfungen verworten und vernamen. 737 Gerade das verworten und vernamen, die sprachliche Codierung des Gefühls, scheint dabei die Schuld am Verfall der Minne zu tragen. 738 Uns ist niuwan der name beliben: Die übermäßige Nutzung des Wortes führt zu einer semantischen Entleerung; 739 dem Zeichen entspricht keine Sache mehr. 740 Dementsprechend Gebrauch im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg, in: ›Texte zum Sprechen bringen‹. Philologie und Interpretation. Festschrift für Paul Sappler, hrsg. von Christiane Ackermann / Ulrich Barton, Tübingen 2009, S. 365-384, hier S. 378f. Zur Pflanzenmetaphorik zwischen Natürlichkeit und Kultivierung vgl. Linden 2017, S. 211. 734 Von einer »Vertreibung der Idee der Minne aus der Welt« spricht etwa Huber 3 2013, S. 87. 735 Hier bezieht sich Gottfried vielleicht auf Vorstellungen, die auch in der Schule von Chartres diskutiert werden, etwa bei Alanus ab Insulis, vgl. zu den allgemeinen Bezügen der Stelle Roy Wisbey: The »Renovatio Amoris« in Gottfried’s »Tristan«, in: London German Studies 1 (1980), S. 1-66, hier S. 20-25; speziell zur Sprachkritik Huber 1988, bes. S. 109-111. 736 Vgl. Luhmann 1994 [1982], S. 47. 737 Dazu, dass es sich hier um Neologismen Gottfrieds handelt, vgl. den Kommentar von Krohn, Bd. 3, S.-182, sowie Edmund Wiessner / Harald Burger: Die höfische-Blütezeit, in: Deutsche-Wortgeschichte, 3., neubearb.-Aufl.,-Bd. 1, hrsg. von Friedrich Maurer / Heinz Rupp, Berlin / New York 1974 (Grundriß der germanischen Philologie 17 / 1), S. 181-253, hier S. 228. 738 Darauf verweist das konsekutive alsô … daz. Genau gelesen könnte das alsô andeuten, dass nicht ein grundsätzlicher Vorgang, sondern die besondere Art und Weise des verwortens und vernamens problematisiert werden. Sziráky betont die Parallele des verwortens und vernamens zum vertrîben und verjagen in v.-12260, vgl. Sziráky 2003, S.-168f. Zur negativen Bedeutung der Vorsilbe verim Sinne einer Bewegung auf ein Ziel hin, das als falsch aufgefasst wird, vgl. DWB, Bd. 25, Sp. 51-59. 739 Von einer ›Entleerung‹ spricht Huber 3 2013, S. 87. Darauf, dass der Vers 12283 eine Parallele in Bernarts de Ventadorn »Chantars no pot gaire valer« (Str. 3 f.) besitzt, verweist Alois Wolf: Die ›Große Freude‹. Vergleichende Betrachtungen zur Eros-exsultatio in Minnekanzonen, im »Erec« und im »Tristan«, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 34 (1993), S. 49-79, hier S. 77. 740 Zum gestörten Verhältnis zwischen nomen und res, vox und significatio vgl. Schnell 1992, S. 255f. 2.4 Minne zwischen personaler Erfahrung und literarischem Code 265 heißt es dann auch, die Liebe existiere nur noch als ein bœses conterfeit (vgl. v. 12305) 741 ihrer selbst. In Bezug auf das zetriben, verworten und vernamen lässt sich auch an die literarische Darstellung von Minne denken. 742 Darauf deutet hin, dass zetriben zuvor im Literaturexkurs in diesem Sinne gebraucht wurde, wenn es hieß, dass ritterliche Pracht mit rede zetriben (vgl. v.-4618) worden sei. 743 Der Kontext einer kritischen Betrachtung des literarischen Charakters der Minne ist möglicherweise auch im Folgenden gemeint, wenn der Erzähler die valschen minnære, der Minnen trügenære (vv. 12311 f.) anklagt. Wen genau er damit meint, lässt sich nicht eindeutig bestimmen. 744 Ist das wir, mit dem sich der Erzähler formal in die Gruppe der valschen minnære einschließt, ernst zu nehmen oder meint es im Sprachduktus eines Predigers vielmehr in Wahrheit ein ›ihr‹? 745 Friedrich Ranke hat die Stelle jedenfalls wiederum auf den Literaturexkurs bezogen und als deutliche Anspielung »auf den höfischen Minnedienst und Minnesang« 746 gelesen. Vorsichtiger fragt William T.H. Jackson: »Does he mean all men - or all contemporaries - or all authors? « 747 Ist die Minne also möglicherweise nicht »Opfer und 741 Der Begriff conterfeit von afr. contrefait meint ursprünglich ›Nachbildung‹ und besonders im Kontext von Schmuck und Edelsteinen ›Fälschung‹, vgl. Krohn, Bd. 3, S. 183, und die Belegstellen bei Lexer, Bd. 1, Sp.-1783. Das passt auch für den vorliegenden Kontext, wo von einem bœsen conterfeit in einem vingerlîn die Rede ist. Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass der Begriff ab dem späten 13. Jh. zunehmend im Diskurs um Möglichkeiten und Grenzen der Abbildung von Wirklichkeit in der Kunst verwendet wird und eine Bedeutungsveränderung durchmacht, vgl. etwa Philipp Zitzlsperger: Distanz und Präsenz. Das Porträt in der Frühneuzeit zwischen Repräsentation und Realpräsenz, in: Abwesenheit beobachten. Zu Kommunikation auf Distanz in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Mark Hengerer, Zürich u. a. 2013 (Vita Curialis. Form und Wandel höfischer Herrschaft 4), S. 41-78, hier S. 68; in diesem Sinne zum afr. contrefaire Stephen Perkinson: The Likeness of the King. A Prehistory of Portraiture in Late Medieval France, London / Chicago 2009, S. 59, 73, 165 f., 177 f. Könnten solche kunsttheoretischen Implikationen bereits im »Tristan« mitgelesen werden? 742 Die Übersetzung der entsprechenden Stelle ist unklar; vgl. zu den verschiedenen möglichen Alternativen Chinca 1997, S. 85f. Krohn übersetzt zetriben, […] verwortet und vernamet als ›zerredet, abgenutzt und verbraucht‹ (Bd. 2, S. 145), Haug / Scholz als ›zerrieben, mißbraucht und entleert‹ (Bd. 1, S. 685), Knecht als ›zerredet und zerschlissen‹ (S. 146). - Auch für Linden verbindet sich Sprachkritik mit Kunstkritik: »Die Beschwerde wandelt sich zur Kunstkritik, zu einer Klage darüber, wie von der Minne geschrieben und gesprochen wird.« (Linden 2017, S. 216) 743 Auf den Zusammenhang der beiden Stellen verweist Krohn, Bd. 3, S. 182. Zur Schwertleite siehe unten, S.-393. 744 Vgl. etwa Wessel 1984, S. 454 Anm. 1519: »Sind es die im Prolog adressierten edelen herzen (58 ff.), oder ist es gerade die dort gerügte Welt der Vielen (50-57), wie Ton und Inhalt der Anklagen des Exkurses eher vermuten ließen […]? « Schnell 1992, S. 178, sieht hier die Vertreter der ›Außenmoral‹ kritisiert; Christian Kiening gar »die Welt schlechthin« (Christian Kiening: [Rezension] Rüdiger-Schnell: -Suche nach-Wahrheit.-Gottfrieds »Tristan und Isold« als erkenntniskritischer Roman, Tübingen 1992 (Hermaea.-N.F. 67), in: PBB 117 (1995), S.-166-172, hier S. 167). 745 So Bertau 1983, S. 147f. 746 Ranke 1925b, S. 36 . Der Einwand von Wessel 1984, S. 442 und Anm. 1455a, dass sich der Erzähler durch das wir selbst einschließe und der Bezug auf die Minnesänger daher zu kurz gegriffen sei, lässt sich mit Verweis auf Bertaus Deutung entkräften, siehe oben, Anm. 745. Zu den unterschiedlichen Forschungspositionen in Bezug auf Gottfrieds Verhältnis zum Minnesang siehe den Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 387-389. Zur Verbindung der rede von guoten minnen mit dem Literaturexkurs Linden 2017, S. 218-221. 747 William T.H. Jackson: The Anatomy of Love. The »Tristan« of Gottfried von Strassburg, New York / London 1971, S. 93. 266 2 Annäherungen abhängig von den Minnenden« 748 , sondern vielmehr Opfer von Autoren, die für das verworten und vernamen verantwortlich sind? Bei dieser Kritik am literarischen Charakter der Minne bleibt es allerdings nicht, wenn der Erzähler im Folgenden dem Verlust der Sache in einer an den »Iwein«-Prolog erinnernden Aussage 749 wiederum die positive Wirkung guter Literatur entgegenstellt: nu gît uns doch daz guoten muot, daz uns ze nihte bestât. swaz ieman schœner mære hât von vriuntlîchen dingen, swaz wir mit rede vür bringen von den, die wîlent wâren vor manegen hundert jâren, daz tuot uns in dem herzen wol. (vv. 12318-12325) Der Verlust der ›realen‹ Erfahrung von Minne wird substituiert durch die literarische Erfahrung in der Lektüre schœner mære. Von der Minne bleiben zwar nur wort und name übrig, aber wort und name sind gewissermaßen alles, was man braucht. Richtige Liebe findet sich nur in der Literatur: »The ideal of good loving cannot be experienced except in the literary imagination.« 750 Davon ausgehend kann man schon die Eingangsworte des Exkurses als Verweis auf literarische Erfahrung sehen; wenn der Erzähler davon spricht, dass er der Protagonisten gedenke (v. 12201), nimmt er ein Schlüsselwort aus dem Prolog auf. 751 Der Erzähler wird damit gleichsam zum Rezipienten der Erzählung. 752 748 So Pfeiffer 1971, S. 197. 749 Vgl. Michael Dallapiazza: Welterfahrung und ästhetische Erfahrung in Gottfrieds von Straßburg »Tristan«, in: Il Romanzo di Tristano nella letteratura del Medioevo. Der »Tristan« in der Literatur des Mittelalters. Atti del convegno - Beiträge der Triester Tagung 1989, hrsg. von Paola Schulze-Belli / Michael Dallapiazza, Triest 1990, S. 79-92, hier S. 90. 750 Chinca 1997, S. 84. Schon Tomasek verweist darauf, dass es sich hier nicht mehr um eine wirkliche laudatio temporis acti handelt, vgl. Tomasek 1985, S. 149f. Der Gegenwart wird nämlich nicht die Vergangenheit entgegengestellt, sondern eine l i t e r a r i s c h e Utopie. Vgl. dazu auch Dallapiazza 1990, S. 90: »[D] amit spielt sich eben auch alles nur in Literatur ab, die hier in deutlichen Gegensatz zum Leben gerät. […] Die verlorene Zeit also wäre für ihn [Gottfried] bestenfalls in der ästhetischen Erfahrung wiederfindbar geworden.« Dagegen meint Linden, dass der Exkurs nicht bei der literarischen Erfahrung stehen bleibe, sondern die Rezipienten vielmehr auffordere, von der affektiven Wirkung der Literatur »wieder einen Übergang zur Realität zu finden« (Linden 2017, S. 228). 751 Vgl. vv. 12200f.: ich hân von in zwei vil gedâht | und gedenke hiute und alle tage. Bei gedenken handelt es sich um einen zentralen Begriff aus dem Prolog (vgl. v. 1: Gedenket man ir ze guote niht), vgl. dazu Chinca 1997, S. 81; Lutz 2002, S. 302. Auf den Zusammenhang von memoria und Vergegenwärtigung, um den es im Prolog geht, verweist auch die Aussage, der Erzähler wolle sich die liebe und senede clage Tristans und Isoldes vor Augen stellen und sein Herz darauf ausrichten (vgl. vv. 12202-12208). Wisbey erinnert die Stelle an die spätere Beschreibung der Literaturszene in der Minnegrotte (vv. 17183-17199), vgl. Wisbey 1980, S. 21, obwohl dort andere Formulierungen verwendet werden. Zu der Stelle als Meditation literarischen Nachvollzugs auch Linden 2017, S. 208-210. Dabei wird bereits im Text selbst deutlich gemacht, dass das gedenken hier an die Stelle eigener Erfahrungen tritt, über die der Erzähler nämlich, einem Topos der Minneexkurse folgend (dazu ebd., S. 77-80), gar nicht verfügt, vgl. vv. 12187f.: Swie lützel ich in mînen tagen | des lieben leides habe getragen. 752 Linden spricht davon, dass »der Erzähler […] in der rede von guoten minnen explizit darüber nachdenkt, welche Affekte die Rezeption von Liebesgeschichten bei ihm selbst auslöst.« (Linden 2017, S. 88) 2.4 Minne zwischen personaler Erfahrung und literarischem Code 267 Der existenzielle Zusammenhang von Liebe und Literatur lässt sich in Gottfrieds »Tristan« immer wieder beobachten: 753 Schon ein Detail wie die Verschmelzung von Musenberg und Venusinsel verweist auf diese Verbindung. 754 Vor allem die Minnegrotte erweist sich als Ort, an dem Liebe und Literatur untrennbar miteinander verbunden sind. 755 Auf der Handlungsebene ist der Aufenthalt der Liebenden in der Höhle durch die Beschäftigung mit Kunst und Literatur geprägt: Tristan und Isolde erzählen sich senemære und machen gemeinsam seneliche Musik (vv. 17182-17239). 756 Dabei geht das spil der Musik nahtlos über in das spil der Minne. 757 Dieses wiederum erfüllt, was in alten Erzählungen (âventiuren) bereits über die Grotte berichtet (bemæret) worden ist. 758 Auf verschiedenen Ebenen wird Literatur in der Minne- 753 Manfred Kern spricht von einem »untrennbaren Konnex von Eros und Kunst im »Tristan«« (Kern 1998, S.-186). Weiterhin S. 192: »Eros ist im »Tristan« eine zutiefst künstlerische Kategorie«. Außerdem Kern 2000, S.-15: »Es ist bekannt, dass Kunst und insbesondere Musik ein zentrales Thema des Tristanromans darstellen und dass dieses ursächlich mit dem Thema der Liebe verbunden ist.« Auch Wandhoff liest den »Tristan« als »a narrative meditation on the relationship of love and art, lovers and artists, negotiating the crucial question of how to hide and find love in art and literature.« (Wandhoff 2012, S. 43) Er versteht ›Kunst‹ dabei in einem weiten, mittelalterlichen Sinn, der neben den schönen Künsten und dem Kunsthandwerk unter anderem auch die Kriegskunst umfasse: »Art, of course, must be understood here in the medieval, rhetorical sense of the Latin ars, which besides music and poetry, literature and languages, also includes hunting and dancing, fighting and singing […], in short, the arts of courtliness.« Zur Synthese von Sprache, Musik und Minne auch Sziráky 2003. 754 In der Wortform Zythêrône (v. 4808) vermischen sich die Insel Kythera (lat. Cythera) und der Berg Kithairon (lat. Cithaeron), vgl. zu Letzterem Eckart Olshausen: Art. Kithairon, in: Der Neue Pauly 6 (1999), Sp.-491. Zur Vermischung vgl. Kern 1998, S. 162, 174 f.; 2000, S. 11-16, 25 Anm. 28. Dass es sich um eine beabsichtige Kontamination der Motive handelt, nahm schon Bodo Mergell an, vgl. Bodo Mergell: Tristan und Isolde. Ursprung und Entwicklung der Tristansage des Mittelalters, Mainz 1949, S. 167f.; ebenso Chinca 1997, S. 61. Eine Parallele findet sich auch in den »Carmina Burana« (Citheronis, 65,3b,6). Die existentielle gegenseitige Abhängigkeit von Minne und Kunst an dieser Stelle betont auch Bleumer 2008, S. 44: »Minne ist auf die Lyrik angewiesen, kann sich in dieser Ausdrucksform auf ästhetisch stärkste Weise realisieren, und umgekehrt ist die ästhetische Wirkung von Lyrik auf das Thema der Minne angewiesen. Vereinfacht gesagt: Ohne Liebe keine Lyrik, ohne Lyrik keine Liebe.« 755 Als »virtuellen, musikalischen Minneraum[ ]« beschreibt die Grotte Silvan Wagner: Erzählen im Raum. Die Erzeugung virtueller Räume im Erzählakt höfischer Epik, Berlin / Boston 2015 (Trends in Medieval Philology 28), S. 151-155, Zitat S. 152. Von einer »reine[n] Kunst-Welt jenseits der baren Wirklichkeit« spricht bereits Mohr 1973, S. 272. Auch für Kellermann ist in der Minnegrotte »die Künstlichkeit der Liebe mit den Händen zu greifen« (Kellermann 2002, S. 139). Zum Künstlichkeitscharakter der Minnegrotte und seinen Implikationen jetzt Kropik 2018, S. 300-314, sowie Trînca 2019, S. 225-234. Als »cave of literature« deutet die Grotte im »Tristan« Wandhoff 2012, Zitat S. 57. Er bezieht sie dabei auf jene Höhle, in die sich Aeneas und Dido nach ihrem Jagdausflug zurückziehen und in der es zur ersten Vereinigung des Paares kommt. Diese Bezugnahme markiert für ihn schon den literarischen Charakter der Minnegrotte: »›Finding the Cave of Lovers on a hunt‹ in this context simply means finding it on the most renowned literary hunt, in the hunting episode of Dido and Aeneas, in one of the greatest love stories ever« (Wandhoff 2012, S. 52). Dieser Zusammenhang, auf den schon Wisbey 1990, S. 273, hinweist, erscheint mir allerdings schon deshalb nicht sehr zwingend, da er - wie Wandhoff selbst eingesteht - den deutschsprachigen Rezipienten nicht bekannt gewesen ist, weil sich Eneas und Dido bei Heinrich von Veldeke gar nicht in einer Höhle treffen. 756 Die Formulierung die getriuwen senedære | […] triben ir senemære | von den, die vor ir jâren | von sene verdorben wâren (vv. 17183-17185) erinnert an die erwähnte Passage in der rede von guoten minnen, wo von Erzählungen von den, die wîlent wâren | vor manegen hundert jâren, (vv. 12326 f.) die Rede ist. 757 Vgl. mit je unterschiedlichem Ansatz für den Übergang Rainer Gruenter: Das wunnecliche tal, in: Euphorion 55 (1962), S. 341-404, hier S. 391; Wessel 1984, S. 370; Kern 1998, S. 186. 758 Vgl. vv. 17225-17228: swaz aber von der fossiure | von alter âventiure | vor hin ie was bemæret. Wisbey sieht darin ein »typological fulfillment of the tales of old in the present« (Wisbey 1990, S. 274). 268 2 Annäherungen grotte zur Grundlage der Liebe. Auch in der Beschreibung und Auslegung des Ortes selbst finden sich Parallelen zur Literatur: 759 So wird das Attribut cristallîn, mit dem der Erzähler das Bett in der Mitte der Höhle beschreibt (v. 16718), das wie ein Altar für die cristallîne minne (vgl. v. 16978) steht, zuvor an prominenter Stelle auf die Dichtung Hartmanns von Aue, seine cristallînen wortelîn (v. 4629), bezogen. 760 Und wenn der Erzähler ankündigt, beschreiben zu wollen, wie die Minnegrotte betihtet (v. 16927) sei, und damit einen Ausdruck benutzt, der im »Tristan« immer zwischen kunsthandwerklicher und literarischer Produktion changiert, dann deutet er auch damit an, »dass hier keine reale Grotte, sondern ein dichterisches Konstrukt ausgelegt wird.« 761 Vor allem eine Stelle lässt sich außerdem als Ausdruck der Literarizität der Minnegrotte lesen, nämlich der sogenannte ›autobiographische‹ Kommentar des Erzählers. 762 Dieser behauptet, die Grotte seit seinem elften Lebensjahr zu kennen, obwohl er nie in Cornwall gewesen sei: ich hân die fossiure erkant sît mînen eilif jâren ie und enkam ze Curnewâle nie. (vv. 17136-17138) Offensichtlich kennt der Erzähler die Minnegrotte nicht als realen Ort. 763 Man kann das als Verweis auf ihre allegorische Funktion verstehen: Dann wäre der Erzähler mit dem-sensus spi- 759 Möglicherweise kann man schon die Allegorese als Verweis auf den literarischen Charakter der Minnegrotte verstehen, in dem Sinne, dass es sich um einen ›textlichen‹ Zugang handelt und der Erzähler die Grotte wie einen Text ›liest‹, vgl. dazu Wandhoff 2012, S. 41f., 48 (»a cave made of stone and […] a cave made of words«). Das ist allerdings nicht zwingend, da im christlichen Allegoriebegriff dem Übertragenen derselbe Wirklichkeitsgehalt wie dem zu Übertragenden zukommt: Auch das im Buchstabensinn Gesagte kann »sich wirklich und wahrhaftig ereignet« haben, vgl. Weddige 6 2006, S. 107f., Zitat S. 108. Im Verständnis des mehrfachen Schriftsinns kann die Minnegrotte zugleich ein historischer Ort in Cornwall sein und als Allegorie für das Wesen der Minne fungieren. Als realen Ort und Allegorie zugleich versteht die Grotte auch Chinca 1997, S. 87. 760 Diesen Zusammenhang bemerkt Wandhoff 2012, S. 56. Dazu bereits Nauen 1947, S. 100; Peschel-Rentsch 1991, S. 206. Auf den literarischen Charakter der gotinne Minne, der das Bett und damit die ganze Grotte geweiht sind, habe ich bereits hingewiesen. 761 Linden 2017, S. 233. - Die Artifizialität des locus amoenus zeigt sich ganz ähnlich auch dort, wo der Erzähler den Platz unter der Linde, an dem sich Tristan und Isolde ihre Liebesgeschichten erzählen, als mit Blumen b e m a l t beschreibt, vgl. vv. 17178-17181: der linden gestüele | daz was von bluomen und von grase | der baz gemâlete wase, | den ie linde gewan. Vgl. dazu Burkhard Hasebrink: Zwischen- Skandalisierung und Auratisierung. Über gemach und muoze in höfischer Epik, in: Muße im kulturellen-Wandel. Semantisierungen,-Ähnlichkeiten, Umbesetzungen, hrsg. von Burkhard Hasebrink / Peter Philipp Riedl, Berlin / Boston 2014 (linguae & litterae 35), S.-107-130, hier S. 127. 762 Zur Deutung besonders Chinca 1993, S. 82f.; 1997, S. 92-94. 763 Das wurde wiederholt betont: Haug spricht vom »nicht real aufzufassenden Charakter dieser Episode« (Haug 1989, S. 579). Ferrante zufolge besitzt die Grotte »no physical existence« ( Joan M. Ferrante: The Conflict of Love and Honor. The Medieval Tristan Legend in France, Germany and Italy, Paris 1973 (De Proprietatibus Litterarum. Series Practica 78), S. 17). Wessel spricht von einer »Entmaterialisierung der Grotte« (Wessel 1984, S. 395 Anm. 1227). Weitere Deutungen bei Haug / Scholz, Bd. 2, S. 665f., sowie Wagner 2015, S. 152: »Gottfried trennt mit dieser Erzählerrede den virtuellen Raum der Minnegrotte dezidiert vom normalen Raum ab, indem er die Paradoxie betont, dass er auch außerhalb Cornwalls Zugang zur Minnegrotte hatte.« 2.4 Minne zwischen personaler Erfahrung und literarischem Code 269 ritualis der Grotte vertraut, ohne sie im sensus litteralis besucht zu haben. 764 In der Regel wird die Aussage so gedeutet, dass sie sich auf die Liebeserfahrung des Erzählers (in der Autorrolle) bezieht. 765 Denkt man an die rede von guoten minnen, kann man sich diese Liebeserfahrung auch als eine literarische vorstellen. In diesem Sinne schreibt Chinca: Gottfried’s claim to have been visiting it [the cave] from the age of eleven can mean that he has been experiencing love through literature, through the cultivation of his own writing and that of others. Eleven is not an unusual age for a medieval schoolboy to be reading Ovid and doing exercises in Latin composition. 766 Diese Deutung hatte Ulrich Stökle schon 1915 vorgeschlagen. 767 Man kann hier auch an die Altersangabe in Hartmanns »Gregorius« denken, wo der Protagonist mit elf Jahren als grammaticus und damit als Rezipient lateinischer Literatur vorgestellt wird. 768 Im Sinne der vorangegangenen Überlegungen lässt sich auch die vielbeschworene ›Mythizität‹ der Minnegrotte 764 Als Verweis auf die allegorische Auslegung verstand die Stelle schon Paul Hermann: Zur Kritik und Erklärung von Gottfrieds »Tristan«, in: Germania 17 (1872), S. 385-407 , hier S. 403: »Die Stelle […] ist wohl einfach so zu verstehen: ich habe die Grotte kennen gelernt, d. h. das, was nach der allegorischen Auslegung in ihr enthalten ist, und dazu brauchte ich nicht nach Kurnwal zu gehen.« Auch Wünsch spricht davon, »daß die ganze Waldlebenszene weder nur als real noch nur als idyllisch, sondern auch als allegorisch, d. h. zeichenhaft, zu lesen ist« (Wünsch 1972, S. 525). 765 Haug / Scholz sprechen davon, der Exkurs »wurde und wird […] meist mit der Liebeserfahrung des Autors oder des Erzählers in Zusammenhang gebracht.« (Haug / Scholz, Bd. 2, S. 665) Immer wieder wird der Exkurs dabei direkt mit der Person Gottfried und ihren Erfahrungen verbunden, so auch bei Chinca 1997, S. 94. In diesem Sinne versteht de Boor die Deutung der Tristanliebe mit Bezug auf die vorliegende Stelle »als Frucht persönlicher Erfahrungen und Sehnsüchte« (de Boor 1940, S. 293). Zur Deutung der Grotte als Abbildung des menschlichen Innenraums Linden 2017, S. 241f. und Anm. 222. 766 Chinca 1997, S. 94. Ähnlich Hübner 2003, S. 364: »Es gibt, neben dem eigenen Erleben, einen zweiten Zugang zur Minnegrotte durch die produktive - und rezeptive - Teilhabe an der literarischen Kommunikation, durch die ästhetische Erfahrung. […] Nur die Dichtung kann, was sonst allein die Liebe vermag; als Erzähler - und als Rezipient - der Liebesgeschichte sind wir Liebende.« Vgl. auch Höfner 1982, S. 316: »Eine Kenntnis dieser Art erwirbt man […] genau über eine Klasse von Erkenntnismöglichkeiten: über Texte, über Literatur.« 767 Vgl. Stökle 1915, S. 99-101; ebenso neben Chinca auch Tomasek 1985, S. 153 Anm. 121 sowie Peschel- Rentsch 1991, S. 201f., der darüber nachdenkt, der Erzähler könnte konkret von der Grotte gelesen haben, etwa in einer anderen Tristanversion. 768 Vgl. Hartmann von Aue, »Gregorius« vv. 1181-1184: an sîm einleften jâre | dô enwas zewâre | dehein bezzer grammaticus | danne daz kint Grêgôrius. (Ausg. Mertens 2004, S. 74) Zur Verbindung von Gregorius und Gottfrieds Erzähler neben Stökle 1915, S. 99-101, auch Kästner 1981, S. 83 Anm. 163. Ohne Bezug auf Gregorius meint außerdem Mertens 1999, S. 9: »[D]as elfte Jahr galt wohl als Beginn der Liebesfähigkeit, andererseits auch als Abschluß der Lateinausbildung, so daß der Erzähler hier womöglich auf seine Lektüreerfahrung mit erotischer Literatur, den Werken Ovids, anspielt […].« Ulrich Ernst weist weiterhin darauf hin, dass es sich bei der Zahl elf um eine unperfekte Zahl handelt, die auch bei Hartmann für Sünde und Unvollkommenheit stehe, vgl. Ulrich Ernst: Gottfried von Straßburg in komparatistischer Sicht. Form und Funktion der Allegorese im Tristanepos, in: Euphorion 79 (1976), S. 1-72, hier S. 38 Anm. 214. Wagner wiederum versteht die Altersangaben als »zahlenallegorische Widerspiegelung des 1: 1-Verhältnisses, das die Kommunikationszugänglichkeit zur Minnegrotte gewährt.« (Wagner 2015, S. 152) 270 2 Annäherungen verstehen: 769 ›Mythos‹ ist die Minnegrotte in dem Sinne, dass sie ›Literatur‹ ist. 770 Die Grotte steht dabei gewissermaßen für die Minne an sich, für die im »Tristan« ganz besonders gilt: »Liebe ist Literatur.« 771 Welche Konsequenzen hat das für die Figuren? Versteht man die Liebe als Literatur, bedeutet das einerseits eine ›Motivation von hinten‹, aber nicht durch das Eingreifen einer transzendenten Instanz, sondern in Form eines narrativen Musters. Insofern kann man statt von einer finalen eher von einer kompositorischen Motivation der Minne sprechen. Die Minne erweist sich als Narrativ, das die Figuren beherrscht. Schon im Prolog wird ja ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der von Liebe bestimmten Erzählung und den Protagonisten angesprochen, wenn der Erzähler die Geschichte als ein senedes mære (vgl. v. 123) bezeichnet und die Protagonisten als ein senedære unde ein senedærîn (v. 128) einführt. Auch der Minnetrank, der auf Handlungsebene der kompositorischen Motivation und dem narrativen Gesetz ›der Beste bekommt die Schönste‹ zu ihrem Recht verhilft, obwohl er das Gegenteil tun sollte, 772 kann aus dieser Perspektive als ›literarisch‹ betrachtet werden. Darauf weist etwa die Tatsache hin, dass die Herstellung des Tranks durch die alte Isolde mit dem poetologischen Ausdruck des betihtens bezeichnet wird (vgl. v. 11432). 773 Der Trank bedeutet dabei auch eine Exklusivität: 774 Bei der Liebe von Tristan und Isolde handelt es sich eben nicht um eine allgemein-menschliche Erfahrung, sondern um ein Erleben, das nur den Protagonisten zugänglich ist - und den edelen herzen, wenn sie ihre Geschichte lesen. 775 769 Vgl. Müller 2007, S. 439: »Mythisch ist die Entstehung der Grotte durch die Riesen, vor dem Anfang der Geschichte. Mythisch ist die Struktur der Zeit dort.« Zur ›mythischen Konzeption der Minnegrotte‹ bes. Hammer 2007, S. 152-179; Schulz 2003, S. 535-547. Siehe im vorliegenden Kontext auch Burkhard Hasebrinks Überlegungen zur Minnegrotte als artifiziellem Mußeraum, vgl. Hasebrink 2014b, S. 121-128; darauf aufbauend Becker 2019, S. 382-422. 770 Vgl. zuletzt Kropik 2018, S. 300-314. 771 Fritsch-Rößler 2003, S. 187. 772 Man kann die eigentlich intendierte Funktion des Tranks, Isolde und Marke aneinander zu binden, geradezu als Versuch verstehen, die literarische Logik des Füreinanderbestimmtseins des ›Besten‹ und der ›Schönsten‹ zu durchbrechen. In Ansätzen findet sich diese Deutung bei Tomasek 2007, S. 204, wenn er davon spricht, der Trank sei eigentlich zur »Domestizierung« der Liebe gedacht und hätte damit »die Finalität des Geschehens durchkreuzt«. 773 Siehe oben, S. 124 Anm. 13. Vgl. in Bezug auf die vorliegende Stelle auch Peschel-Rentsch 1991, S. 195-197; Kellermann 2002, S. 151f.; Young 2002, S. 271f.; Trînca 2019, S. 171; Kragl 2019, S. 251. Young weist weiterhin auf die poetologischen Begriffe hin, mit denen die Trankwirkung beschrieben wird, vgl. Young 2002, S. 272f. Außerdem erzählen sich die Liebenden nach dem Trank Geschichten (si triben vil mære under in, v.-11935), was zum Bewusstwerden der Liebe führe, vgl. ebd., S. 273; zu dieser »erzählende[n] Aufbereitung der Vergangenheit« bereits Haug 1996, S. 182. Zuletzt versteht Young auch das Enträtseln des Wortspiels von lameir und damit die Erkenntnis gegenseitiger Liebe als einen Interpretationsakt, der zentrale Begriffe aus dem Herstellungsprozess des Tranks aufnehme, vgl. Young 2002, S. 273-276. Erst nach diesem hermeneutischen Prozess kommt es zur ersten Berührung der Liebenden im Kuss. 774 Bei Gottfried wird diese Exklusivität der Trankliebe auch dadurch betont, dass der Erzähler sich ausdrücklich gegen solche Versionen der Geschichte verwahrt, die davon berichten, auch Marke habe in der Hochzeitsnacht vom Minnetrank getrunken: ouch sagent genuoge mære, | daz ez des trankes wære, | von dem Tristan und Îsôt | gevielen in ir herzenôt. | nein, des trankes was nimê (vv. 12651-12655). Das bezieht sich wohl auch auf Thomas, wie das Zeugnis von »Tristramssaga« und »Sir Tristrem« nahelegt, vgl. dazu den Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 554; Hellgardt 2002, S. 186. Auch in der bildlichen Tradition findet sich diese Szene, so auf dem sogenannten ›Forrer-Kästchen‹, vgl. Ott 1975, Nr. 35, S. 158f. 775 Zur Liebe als literarischem ›Expertendiskurs‹ auch Philipowski 2014, S. 93. 2.4 Minne zwischen personaler Erfahrung und literarischem Code 271 Die exklusive Abhängigkeit von der Liebe als Literatur wird auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass Tristan und Isolde im Wortsinn als Kunstwerke der Minne erscheinen: Wenn die personifizierte Liebe in der Minnetrankszene in einigen Handschriften etwa als Minne die verwærinne (v. 11908) bezeichnet wird, 776 dann bezieht sich das einerseits auf das ›Schminken‹ der Gesichter von Tristan und Isolde, die abwechselnd bleich und rot werden, 777 andererseits aber als kunsthandwerkliche Metapher auch auf die Literaturproduktion. 778 In diesem Sinne wird der Begriff des Färbens bereits im Literaturexkurs verwendet. Wenn die anderen Autoren hier als verwære (v. 4691) bezeichnet werden, kann sich das einerseits auf die colores rhetorici beziehen; 779 andererseits erklärt sich das verwen als wichtiger Schritt der Textilproduktion über die Metapher des Textes als Gewebe. 780 Auch die Tätigkeit des strickens, mit dem die Minne immer wieder in Verbindung gebracht wird, gehört nicht nur in den Bildbereich der Gefangenschaft (als ›binden, verschnüren‹) und der Jagd (als ›Schlingen auslegen‹), 781 sondern auch in den Bereich der Textilherstellung (als ›stricken, flechten, knüpfen‹). 782 Davon aus- 776 Die Stelle ist in der Überlieferung sehr unfest, vgl. den Apparat in der Ausgabe Marold / Schröder, S. 201. Die Lesart verwærinne, für die sich Marold und Ranke entschieden haben, findet sich in den Hss. HOP. Die Hss. FWBNERS bieten hingegen verwerrerinne (von verwerren ›verwirren‹ oder ›verletzen‹, vgl. Lexer, Bd. 2, Sp. 305). 777 Vgl. vv. 11915-11920. Zum Schminken etwa den Kommentar von Okken 2 1996, Bd. 1, S. 97, der für v.-11920 (als es diu Minne in understreich) folgende Paraphrase vorschlägt: »wie die Göttin Venus für sie ein wechselhaftes Make-Up besorgte.« 778 Elke Koch spricht davon, die Körper der Liebenden erschienen in der vorliegenden Szene »als ›Leinwand‹, auf der die personifizierte Minne sich einschreibt« (Elke Koch: Trauer und Identiät. Inszenierungen von Emotionen in der deutschen Literatur des Mittelalters, Berlin 2006 (Trends in Medieval Philology 8), S. 264). 779 Zur Geschichte der Begriffsverwendung in Antike und Mittelalter Udo Kühne: Art. Colores rhetorici, in: HWR 2 (1994), Sp. 282-290. Vgl. auch den Kommentar in der Ausgabe von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 363, und die dort angegebene Literatur. Unter anderem Galfred von Vinsauf benutzt das Bild in seiner »Poetria nova«, vv. 737f.: Sit brevis aut longus, se semper sermo coloret | Intus et exterius. (Faral 1958, S. 220) ›Sie sei kurz oder lang, immer möge sich die Rede färben, innen und außen.‹ Ganz in diesem Sinne heißt es zuvor in Gottfrieds Literaturexkurs über Hartmann von Aue, dass er diu mære […] mit worten und mit sinnen durchverwet (vv. 4622-4625). 780 Zur Verbindung von textiler Metaphorik und Literaturproduktion siehe oben, S. 127 Anm. 31. - Zum verwen im »Tristan« neben Wessel 1984, S. 300-303, auch Müller-Kleimann 1990, S. 226-228. 781 Siehe oben, S. 242 Anm. 609. In diesem Sinne die Übersetzungen von strickærinne bei Haug / Scholz, Bd. 2, S. 679 (›Verstrickerin‹); Krohn, Bd. 2, S. 139 (ebenso), und Knecht, S. 145 (›Bestrickerin‹). - Ist es darüber hinaus vorstellbar, an den Bildbereich des Marionettenspiels zu denken? Dass solche Spiele im 12. Jh. bekannt waren, belegt eine Abbildung in der verlorenen Straßburger Handschrift des »Hortus deliciarum« (fol.- 215 r ), wo zwei Männer mit Stricken kleine Figuren bewegen. Für eine Verbindung der Minne mit dem Bild des Marionettenspiels gibt es jedoch, soweit ich sehe, keinen mittelalterlichen Beleg. Wenn auf dem Titelholzschnitt des 13. Kapitels von Sebastian Brants »Narrenschiff« die personifizierte buolschaft an Stricken verschiedene Gestalten hält, ist damit wohl eher der Bildbereich der Gefangenschaft gemeint. Eine Darstellung von der Liebe als Marionettenspielerin findet sich dann etwa auf dem Titelbild von Christian Weises 1708 herausgegebener Komödie »Ungleich und gleich gepaarte Liebes-Alliance«, wo die Liebe als fliegende Frauengestalt (Cupido? ) verschiedene Paare unter sich an Stricken bewegt. 782 Vgl. Lexer, Bd. 2, Sp. 1237; BMZ, Bd. 2 / 2, S. 682. Das gleiche Bild für die Minne benutzt auch Wolfram im »Titurel«, Str. 85,4: si entwirft und stricket vil spæhe, noch baz danne spelten unde drîhen. ›Sie entwirft und wirkt sehr kunstvoll, noch besser als Brettchen und Scheite.‹ Zitat und Übersetzung nach Wolfram von Eschenbach: Titurel. Mit der gesamten Parallelüberlieferung des »Jüngeren Titurel«. Kritisch hrsg., übers. und komm. von Joachim Bumke und Joachim Heinzle, Tübingen 2006, S. 59. Bei spelte und drîhe handelt es sich um Geräte, die beim Weben benutzt werden, vgl. Lexer, Bd. 1, Sp. 463 und Bd. 2, Sp. 1077; BMZ, Bd. 1, S. 391 und Bd. 2 / 2, S. 508 (mit Verweis auf die vorliegende Stelle). Die beiden Ausdrücke werden 272 2 Annäherungen gehend kann die Bezeichnung Minne diu strickærinne (v.- 12176) ebenfalls als poetologische Metapher verstanden werden. 783 Und schon vor dem Minnetrank tritt die Minne, wie bereits in anderem Kontext angedeutet, als kunsthandwerkliche Produzentin Isoldes auf. Der Erzähler spricht von der Figur als einem bilde, […] daz diu Minne an lîbe und an dem sinne sô schône hæte gedræt. (vv. 10951-10953) 784 Dass die Figur von der Minne gedrechselt (gedræt) erscheint, kann man als eine extreme Form der genetischen Abhängigkeit verstehen. 785 Damit wird die Künstlichkeit der Figur betont, und die Minne rückt in der artifiziellen Metaphorik gleichsam in die Position des Autors. 786 Wenn sich gleichzeitig die Minne selbst als das Produkt literarischer Muster erweist, ergibt sich daraus eine Spannung, bei der die Liebe und die Figuren abwechselnd als artificium und artifex erscheinen. 787 Darüber erklärt sich womöglich die oben dargestellte Ambivalenz der Minne im »Tristan«. Auf die Frage danach, was Minne im »Tristan« eigentlich ist, wurden in der Forschung bisher zwei verschiedene Antworten gegeben: Einerseits hat man die Minne als personale Erfahrung verstanden, andererseits als mythische-numinose Macht. In Bezug auf die Personifikation der Minne heißt das: Entweder erscheint sie als rhetorische Darstellung eines oft gemeinsam verwendet, wie die Belegstellen der Wörterbücher zeigen. Siehe zur vorliegenden Stelle auch den Kommentar der Ausg. Bumke / Heinzle, S. 478, sowie denjenigen in Wolfram von Eschenbach: Titurel, hrsg., übers. und mit einem Stellenkommentar sowie einer Einführung versehen von Helmut Brackert und Stephan Fuchs-Jolie, Berlin / New York 2003, S. 213f. Brackert und Fuchs-Jolie betonen dabei die Interferenzen zwischen den beiden Bildbereichen der Minnefesseln und der Weberei: »Die Minne wäre dann in diesem Vers eine Macht, die mit den Fäden, mit denen sie webt und entwirfet […], zugleich in Fesseln legt.« 783 So benutzt Brun von Schönebeck den Ausdruck in seiner Hohelied-Dichtung (1276): horet wie ichz zusamene stricke (»Das Hohe Lied«, v. 972). Zitiert nach Brun von Schonebeck, hrsg. von Arwed Fischer, Tübingen 1893 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 198) [Nachdruck Hildesheim / New York 1973], S. 30. Eine poetologische Deutung des strickens wurde besonders für den Autornamen des Strickers diskutiert, vgl. Franz-Josef Holznagel: Autorschaft und Überlieferung am- Beispiel der kleineren-Reimpaartexte des Strickers, in: Autor und Autorschaft im-Mittelalter. Kolloquium-Meißen 1995, hrsg. von Elizabeth Andersen u. a., Tübingen 1998, S. 163-184, hier S. 184. - Die Verbindung von Minne, Sprechen und Textilherstellung äußert sich auch in Bezug auf die Gespräche zwischen Tristan und Isolde, vgl. vv.-12990-12996: ir offenlîchiu mære, | mit den si wunder kunden, | diu begunden s’under stunden | mit clebeworten u n d e r w e b e n ; | mach sach dicke in ir mæren cleben | der minnen werc von worten | als golt in den b o r t e n . (Hervorhebung L.M.) Die Formulierung der minne in v. 12995 kann dabei sowohl als Genitivus objectivus als auch als Genitivus subjectivus aufgefasst werden, so dass nicht eindeutig zu bestimmen ist, ob Minne als Produzentin oder als Produkt der Worte erscheint. Zu dieser Stelle jetzt auch Trînca 2019, S. 177-182. 784 Zu dieser Stelle ausführlich Jaeger 1977, S. 105-115; weiterhin Wessel 1984, S. 303f.; Seggewiss 2012, S.- 119f., 167 f. Besonders zur artifiziellen Metaphorik neben Chinca 2009, S. 35, auch Kellermann 2002, S. 133f.; Masse 2005, S. 146f.; Philipowski 2013, S. 167f. 785 Gemäß der Ursachenlehre von Aristoteles könnte man davon sprechen, die Minne werde hier zur causa efficiens Isoldes. 786 Zum Drechseln (gr. torneuein, lat. tornare) als Metapher für literarische Tätigkeit siehe Bickert 1988, S. 10. Einen Beleg bietet etwa die Formulierung von den ›schlecht gedrechselten Versen‹ (versus male tornati) bei Horaz, »Ars poetica«, v. 441 (vgl. Ausg. Fink 2000, S. 276). 787 Vgl. ähnlich Chinca 2009, S. 24. 2.4 Minne zwischen personaler Erfahrung und literarischem Code 273 psychischen Prozesses oder als transzendente Instanz innerhalb der erzählten Welt. Dabei ist deutlich geworden, dass Gottfried offenbar unterschiedliche Möglichkeiten der Darstellung nutzt, die zu einer Vervielfältigung des Bildes der Minne im »Tristan« führen. Mit meiner Lesart der Liebe als literarischem Code möchte ich den beiden dargestellten Alternativen eine dritte hinzufügen. Diese dritte Perspektive schließt die beiden anderen Erklärungen allerdings nicht aus, da sie auf einer anderen Ebene liegt. Die Einsicht in den literarischen Charakter der Liebe als dem zentralen Diskurs des Romans hat jedoch Konsequenzen für die Wahrnehmung der Gemachtheit der Erzählung. Die Diskussion über das Wesen der Minne wird so auch zu einer Diskussion über das Verhältnis von ›Literatur‹ und ›Welt‹, ›Person‹ und ›Artefakt‹. 3.1 Isoldes Mordanschlag auf Brangäne. Das Schema im Kopf der Figur 275 3 Lektüren 3.1 Isoldes Mordanschlag auf Brangäne. Das Schema im Kopf der Figur Ich beginne meine »Tristan«-Lektüren mit der vielleicht umstrittensten Episode des Romans: Es handelt sich um Isoldes Mordanschlag auf Brangäne (vv. 12675-12948), der in der Forschung für einige Irritation und Entsetzen gesorgt hat. William T.H. Jackson sah darin sogar »one of the most unpleasant [episodes] in medieval literature« 1 . Dieses Unbehagen führte auch dazu, dass die Stelle vergleichsweise wenig untersucht worden ist. 2 Was Gottfried in der Doppelepisode von Brautunterschub und Mordanschlag erzählt, ist Folgendes: Als Tristan und Isolde in Cornwall ankommen, haben sie ein Problem: Isolde ist keine Jungfrau mehr. Um ihre fehlende Jungfräulichkeit zu verbergen, verfallen die beiden auf eine List: Sie bitten Brangäne, in der Hochzeitsnacht bei Marke zu liegen. Die Zofe stimmt widerstrebend zu (vv. 12412- 12479). Der Brautunterschub gelingt; Marke merkt nichts, als Isolde ihren Platz wieder mit Brangäne tauscht (vv.-12569-12674). Weil Isolde jedoch nach der Hochzeitsnacht befürchtet, Brangäne könne ihr Geheimnis verraten, beschließt sie, ihre Vertraute umbringen zu lassen. Zwei dafür angeheuerte knehte (v. 12713) bringen die Tat jedoch nicht übers Herz und verschonen die Zofe. Bei Isolde geben sie vor, Brangäne getötet zu haben, und präsentieren als Beweis für ihre Tat die Zunge eines Hundes. Als die Königin jetzt hört, dass ihre Vertraute sie auch im Moment ihres Todes nicht verraten hat, will sie von ihrem Befehl plötzlich nichts mehr wissen, und Brangäne wird zurück an den Hof geholt, wo sie sich mit Isolde versöhnt (vv. 12675-12948). Neben moralischen Gesichtspunkten war es vor allem der Befund einer fehlenden Handlungslogik, der die Episode »zu einem Ärgernis der Interpreten« gemacht hat. 3 Problematisch erschien in erster Linie die Motivation Isoldes: 4 Warum sollte sie ihrer treuen Dienerin gerade 1 Jackson 1971, S. 45. 2 Vgl. Jutta Eming: Ritualisierte Konfliktbewältigung. Der Mordanschlag auf Brangäne und das Gottesurteil, in: LiLi 36 (2006), S. 9-29, hier S. 9; Eming 2015, S. 98. Auch Werner Schröder spricht davon, die Szene sei von den Interpreten mit »Ignorieren, Bagatellisieren, Eliminieren« gestraft worden, weil sie ihnen »peinlich« sei (Werner Schröder: Text und Interpretation 2. Isoldes Mordanschlag auf Brangaene im »Tristan« Gottfrieds von Strassburg, Stuttgart 1989 (Sitzungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt a. M. 25 / 5), S. 148, 150). Anders Krüger 2011, S. 246. Gleichwohl existieren gerade aus jüngerer Zeit einige Interpretationen der schwierigen Episode. Vgl. neben den grundlegenden Darstellungen von Schröder 1989 und Dicke 1997a, S. 63-118, vor allem die Untersuchungen von Lienert 2006, bes, S.-259-263, 271 f.; Eming 2006, S. 18-25; 2015, S. 107-112; Dimpel 2011, S. 259-269, 278-280, 285-288; Krüger 2011, S. 245-253, sowie Kragl 2019, S. 285-316. 3 Vgl. Dicke 1997a, S. 66-71, Zitat S. 66. Auch Eming spricht davon, »dass die Episode von einem Akt der Aggression erzählt, dessen Logik schwer erklärlich ist« (Eming 2006, S. 9; wortgleich 2015, S. 98). Für »erzähllogisch unstimmig« hält Isoldes Verhalten auch Lienert 2006, S. 261. 4 Zu der »allenthalben als ungenügend empfundene[n] Motivation des ruchlosen Verbrechens« Dicke 1997a, S.- 68. Auch Schröder meint, die Episode sei grundsätzlich »psychologisch schwer verständlich« (Schröder 1989, S. 153). »[P]sychologische […] Probleme« erkennt weiterhin Huber 3 2013, S. 98. Simon 276 3 Lektüren jetzt misstrauen, nachdem sich diese trotz ihres ausdrücklichen Widerwillens 5 als falsche Braut zur Verfügung gestellt hat und obwohl sie sich bei einem Verrat als Mitverschwörerin selbst diskreditieren würde? 6 Schon Hubert Roetteken kritisierte 1890 die fehlende Figurenmotivation: Gottfried motiviert gar nichts: er erklärt uns nicht, wie der verdacht in der königin entsteht, und er erklärt uns auch nicht, wie er gleich zu einem so extremen entschlusse führt […]. [D]iese lücke in der spricht davon, die Episode erscheine »unmotiviert« (Simon 1990, S. 115), und auch Dimpel fällt es schwer, »die Plausibilität von Isoldes Mordplan nachzuvollziehen.« (Dimpel 2011, S. 261) 5 Gottfried verstärkt diesen Aspekt gegenüber seiner Vorlage deutlich: Im deutschsprachigen »Tristan« ist Brangäne nur mit maneger nôt (v. 12459) einverstanden, ihre Rolle beim Brautunterschub zu spielen, da ez ir michel nôt tete (v. 12463). Sie erklärt sich nur deshalb bereit, weil sie sich schuldig an der Verwechslung des Minnetranks fühlt (vgl. vv. 12464-12479). Dieses Zögern Brangänes hat Gottfried neu eingeführt, wie der Befund des Fragments von Carlisle zeigt. Hier ist nur davon die Rede, dass Tristran und Ysolt ihre Vertraute so lange bitten, bis sie auf die List eingeht, vgl. Fragment von Carlise, vv. 128-130: Tant enchantent […] | E prïent e font s[…] | Que la requeste lu[…]. Siehe dazu die rekonstruierende Übersetzung von Haug in Haug / Scholz, Bd. 2, S. 199: ›Sie dringen so sehr in [sie], sie bitten und [beschwören sie], so daß sie auf ihre Bitte eingeht.‹ - Eine besondere Bedeutung erhält das Zögern Brangänes, an das sie selbst in ihrer Rede an die beiden Mörder später noch einmal erinnert (vgl. vv. 12834f.: und ir’s et eines verzêch | und mich sô vil an ir vergaz), in der Interpretation von C. Stephen Jaeger: The Testing of Brangaene. Cunning and Innocence in Gottfried’s Tristan, in: Journal of English and Germanic Philology 70 (1971), S. 189-206, hier S. 193f., 198 f. Die Schuldgefühle Brangänes, die sie schließlich einlenken lassen, finden sich ebenfalls nicht bei Thomas, vgl. Nellmann 2001, S. 34f.; Keck 2002, S. 46. Man kann Gottfrieds Schilderung der Widerstände Brangänes gegen den Brautunterschub einerseits und andererseits ihrer Beweggründe, dennoch dabei mitzuwirken, als ›psychologischere‹ Darstellung der Figur und ihrer Rolle in der Episode verstehen. Zu Brangänes Schuldgefühlen als Motivation für den Brautunterschub schon William T.H. Jackson: The Role of Brangaene in Gottfried’s »Tristan«, in: The Germanic Review 28 (1953), S.-290-296, hier S. 292. Gisela Hollandt sieht darin ebenfalls die grundlegende Begründung für Brangänes fortgesetzte »selbstvergessene[ ] Loyalität« (Hollandt 1966, S. 52). Auch Lienert spricht von Brangänes »Schuldbewußtsein wegen ihres Versäumnisses« (Lienert 2006, S. 263) als etwas, das über eine rein funktionale Handlungsrolle hinausgehe. Man darf den Ausdruck ›Schuldgefühle‹ jedoch nicht vorschnell mit modernen Konzepten in Verbindung bringen: Was Brangäne motiviert, ist eher nicht ein Konzept individueller moralischer Verantwortung, sondern die Vorstellung einer auf das Kollektiv bezogenen Scham; der Text spricht an der entsprechenden Stelle von einem laster (vv. 12471, 12474), das Tristan, Isolde und Brangäne gemeinsam tragen. Der Ausdruck bezeichnet im Mittelhochdeutschen anders als heute keine individuelle Schwäche, sondern eine öffentliche Schmach (vgl. Lexer, Bd. 1, Sp. 1836), und steht daher im Kontext einer mittelalterlichen Schamkultur, vgl. Donald Ward: Honor and Shame in the Middle Ages: - An Open Letter to- Lutz Röhrich, in: Festschrift für Lutz Röhrich zum 60.-Geburtstag, hrsg. von Rolf Wilhelm Brednich / Jürgen Dittmar, Berlin 1982 / 83 ( Jahrbuch für Volksliedforschung 27 / 28), S. 1-16, hier S. 2. Zur Unterscheidung von ›Scham-‹ und ›Schuldkulturen‹ siehe unten, S. 288 Anm. 62. - Bei der Gestaltung von Brangänes Selbstvorwürfen und ihrer Motivation für den Brautunterschub hat sich Gottfried möglicherweise an Eilhart orientiert, bei dem Brangene ebenfalls ausführlich überredet werden muss, vgl. »Tristrant«, vv. 2885-2914. Dazu neben Haug / Scholz, Bd. 2, S.-818, schon der Kommentar in Tristan und Isolde von Gottfried von Straßburg. Neu bearb. von Wilhelm Hertz, 3. Aufl., Stuttgart / Berlin 1901, S. 533. Weiterhin Nellmann 2001, S. 36f.; Keck 2002, S. 55. Angesichts dessen, wie man sich die Verhältnisse zwischen ›höfischer‹ und ›spielmännischer‹ Version der Erzählung gemeinhin vorzustellen pflegt, haben wir es hier mit dem ungewöhnlichen Fall zu tun, dass Eilhart ›psychologischer‹ erzählt als die Thomas-Tradition, und Gottfried wohl aus diesem Grund seinem deutschsprachigen Vorgänger gegenüber dem französischen Roman den Vorzug gibt. Vgl. dazu Keck 2002, S. 62f. Zu Eilharts Darstellung der Episode, ausgehend von der frühen Fragmentüberlieferung, Eming 2015, S. 100-107. Die Prosa-Bearbeitung schließlich verstärkt die Darstellung von Brangels Unwillen und Ysaldes Überredung noch, vgl. Z. 1330-1393 (Ausg. Brandstetter 1966, S. 52-54). 6 Darauf hatte Brangäne selbst während der Überfahrt nach Cornwall hingewiesen, vgl. vv. 12147f.: ervert es ieman âne uns driu, | ir sît verlorn und ich mit iu. Vgl. Dicke 1997a, S. 70. 3.1 Isoldes Mordanschlag auf Brangäne. Das Schema im Kopf der Figur 277 motivierung ist recht interessant, denn in würklichkeit liess sich der mordplan recht wol motivieren. […] Es war also Gottfried ein lösbares psychologisches problem gestellt und er bleibt uns die lösung schuldig. 7 Im Anschluss an Roettekens Beobachtungen las Günther Müller den Mordanschlag dann als Beleg für die »prinzipielle Verschiedenheit mittelalterlicher und moderner Motivation« 8 . Für den »Tristan« bedeute das: »Innerhalb von Gotfrieds Dichtung hat es keinen Sinn, zu e rk l ä r e n , wie der Verdacht gegen Brangäne in Isolde entsteht, sondern es kommt nur auf die Ta t s a c h e an.« 9 In diesem Sinne meint auch Gerhard Schindele in Bezug auf die vorliegende Episode: »Das Vorurteil, welches Konsequenz und Kontinuität der Charaktere gewahrt wissen will, anstatt sie funktional zur jeweiligen Erzähleinheit zu sehen, kann sich kaum eindeutiger widerlegt finden.« 10 Und noch Christoph Huber fordert in seiner Einführung, angesichts der psychologischen Inkohärenz der Figur in der vorliegenden Episode, »von modernen Erwartungen an eine konsistente Handlungsmotivation und die Geschlossenheit eines literarischen Charakters« 11 abzusehen. Die Episode bietet sich deshalb besonders als »methodische[r] Prüfstein der Figurenanalyse« 12 an, um an diesem Beispiel grundlegende erzähltheoretische Fragen zu erproben, wie sie in den einführenden Kapiteln herausgearbeitet wurden. Das betrifft insbesondere die Motivation der erzählten Handlung und das abgerufene Rezipientenwissen. Zunächst lässt sich im »Tristan« entgegen den zitierten Positionen gerade im Vergleich mit der Stofftradition durchaus ein Bemühen erkennen, Isoldes Überlegungen nachvollziehbar zu machen. 13 In Bezug auf ihr Misstrauen gegenüber Brangäne sind dafür zwei Stellen relevant. Zum ersten Mal erfährt der Rezipient unmittelbar in der Brautnacht von den Zweifeln der Königin: sî dâhte allez wider sich: »got hêrre, nu bewar mich und hilf mir, daz mîn niftelîn 7 Hubert Roetteken: Das innere leben bei Gottfried von Strassburg, in: ZfdA 34 (1890), S. 81-114, hier S.-111f. 8 Günther Müller: Studien zum Formproblem des Minnesangs, in: DVjs 1 (1923), S. 61-103, hier S. 72. 9 Müller 1923, S. 73. 10 Schindele 1971, S. 74. 11 Huber 3 2013, S. 98. In diesem Sinne ebenfalls Christ 1977, S. 170: »Es würde schwerfallen, die Drastik der Reaktion Isoldes zur Wahrung ihrer Existenz gegen eine potentielle Verräterin mit Hilfe der Informationen, die der Roman sonst über Isolde anbietet, als ›wesensgemäß‹ darzustellen.« Auch für Kragl »ragt die Brangaene-Episode als […] singuläres Erratum« aus dem ansonsten psychologisch eindrücklich erzählten Roman heraus, so dass er die Frage stellt, ob Gottfried an dieser Episode möglicherweise »gescheitert« sei (Kragl 2019, S. 314). 12 Christ 1977, S. 170, in Anlehnung an Schindele 1971, S. 74. 13 Bédier betont überhaupt den logischen Aufbau des Brautunterschubs bei Gottfried, aus dem er entsprechend seiner Grundannahme die Überlegung ableitet, dass die Anlage schon bei Thomas in etwa derselben Weise vorhanden gewesen sein müsse, vgl. Bédier 1902-1905, Bd. 1, S. 148 Anm. 3: »Les choses devaient se passer pareillement chez Thomas, si naturelle, si logique apparait la scène«. Diese Annahme hat sich nach dem Fund des Fragments von Carlisle als falsch herausgestellt. Was Gottfried von Thomas unterscheidet (und mit Eilhart verbindet) ist vor allem die Tatsache, dass die List als umsichtig geplantes Unternehmen dargestellt wird, während es sich in der Tradition des Thomas um einen spontanen Einfall handelt. Vgl. dazu bereits Nickel 1927, S. 53f., sowie Dicke 1997a, S. 65, und den Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 818 mit weiterführender Literatur. Zur Rekonstruktion der Episode bei Bédier auch Keck 2002, S. 61-63. 278 3 Lektüren wider mich getriuwe müeze sîn! trîbet si diz bettespil iht ze lange und iht ze vil, ich vürhte, ez ir sô wol behage, daz si vil lihte dâ betage: sô werde wir alle ze spotte und ze schalle.« (vv. 12619-12628) Ob man diese Überlegung nun vernünftig findet oder nicht: Zumindest bietet der Text, anders als etwa die Darstellung von Eilhart, 14 durchaus eine psychologische Erklärung für Isoldes Argwohn. 15 Wie das Fragment von Carlisle beweist, hat Gottfried die Stelle zwar von Thomas übernommen, 16 jedoch weit ausführlicher gestaltet und von indirekter Rede in ein Soliloquium überführt. 17 Hinter Isoldes Befürchtung steht dabei möglicherweise eine anthropologische Vorstellung, nämlich die in der medizinischen Traktatliteratur des Mittelalters immer wieder erwähnte misogyne Überzeugung, dass gerade bei Frauen die einmal erlebte Lust unbedingt nach weiterer Erfüllung verlange. 18 Wenige Verse später folgt eine zweite, ganz ähnliche Erklärung, die wieder aus der Perspektive der Figur erzählt ist, diesmal in indirekter Rede. Über ihre anfängliche Sorge, Brangäne 14 Im »Tristrant« heißt es lediglich sú vorcht, daß sú sagt | waß sú von ir wiste (vv. 2989 f.). Wie mir scheint, handelt es sich also bei Emings folgender Paraphrase um eine Interpolation aus Gottfrieds Text, vgl. Eming 2015, S.-101: »Noch in der Hochzeitsnacht kommt Isalde allerdings der Gedanke, dass Brangene an der Sexualität Gefallen finden, sich in Marke verlieben und ihm schließlich alles über den Ehebruch von Tristrant und Isalde sowie über den Betrug an ihm erzählen könnte.« 15 Dicke spricht an dieser Stelle von Isoldes »einfühlsame[r] Sorge, das elementare Erlebnis der ersten sexuellen Vereinigung könne Brangäne so sehr gefallen, daß sie das Bett nicht mehr räumen wolle« (Dicke 1997a, S. 66). Für Benskin, Hunt und Short handelt es sich bei dieser »cause d’angoisse chez Yseut« um ein »détail psychologique supplémentaire« der höfischen Version (Benskin u. a. 1995, S. 313). 16 Vgl. das Fragment von Carlisle, vv. 140-144: En molt grant angu[isse] […]: | Quide que la veill[…] | E vers le rey de[…], | Que tant li plaisen[…] | Que querpir ne v[…]. Die rekonstruierende Übersetzung von Haug bietet folgendes Verständnis: ›[Die Königin] ist in größter Sorge: sie denkt, Brengvein wolle sie betrügen und dem König verraten und es [mache] ihr so viel Vergnügen, daß sie [das Bett] nicht [mehr] verlassen wolle.‹ (Haug / Scholz, Bd. 2, S. 199) Dazu Dicke 1997a, S. 66. In der »Tristramssaga« findet sich keine entsprechende Begründung. Hier heißt es lediglich ›Isönd war bekümmert und fürchtete, daß sie [Bringvet] sie hintergehen und dem König offenbaren würde, was geschehen war‹ (Kap. 46; Übers. Uecker 2008, S.-66). Vgl. dazu Keck 2002, S. 59. 17 Vgl. Keck 2002, S. 58. Der autokommunikative Charakter der Überlegung wird dabei durch die Formulierung si dâchte allez w i d e r s i c h deutlich markiert, vgl. Hübner 2003, S. 48. 18 Vgl. die Belege bei Rüdiger Schnell: Mittelalter oder Neuzeit? Medizingeschichte und Literaturhistorie. Apologie weiblicher Sexualität in-Boccaccios »Decameron«, in: Gotes und der werlde hulde. Literatur in Mittelalter und Neuzeit.-Festschrift für Heinz Rupp zum 70.-Geburtstag, hrsg. von Rüdiger Schnell, Bern / Stuttgart 1989, S. 240-287, hier S. 277-281; Rüdiger Schnell: Sexualität und Emotionalität in der vormodernen-Ehe, Köln u. a. 2002, S. 244 Anm. 233. Für Caroline Krüger, die sich im Kontext der Suche nach »außerliterarische[n] Referenzen« (Zitat aus dem Titel des fraglichen Kapitels) mit der Stelle beschäftigt hat, stehen hinter der Darstellung im »Tristan« vor allem frauenfeindliche Traditionen, vgl. Krüger 2011, S. 252: »Isolde agier[t] ganz im Sinne misogyner Vorstellungen ihrer Zeit, wie sie insbesondere in theologischen Texten zum Ausdruck kommen. Ihr Mißtrauen gegen die Untergebene[] resultiert aus der Auffassung, daß die weibliche Sexualität ausgeprägter und weniger kontrollierbar sei und zudem, wenn sie erst geweckt ist, immer nach Erfüllung strebt. Ausgelöst wird sie durch jede Art sexuellen Kontakts, auch den unfreiwilligen wie bei Brangäne.« Dass Gottfried hier misogyne Traditionen abruft, vermutet auch Keck 2002, S. 60. 3.1 Isoldes Mordanschlag auf Brangäne. Das Schema im Kopf der Figur 279 könne das bettespil mit Marke gefallen haben, hinaus, fürchtet Isolde nach der Hochzeitsnacht sogar, die Zofe könne sich in den König verliebt haben: Hie mite sô nam si in ir muot und bedâhte allez ir dinc: sît nieman ir hælinc unde ir trügeliste niuwan Brangæne wiste, enwære si danne eine, sô dörfte s’iemer cleine gesorgen umbe ir êre. si sorgete sêre und vorhte harte starke, Brangæne ob si ze Marke dekeine liebe hæte, daz si im kunt tæte ir laster unde ir mære, als ez ergangen wære. (vv. 12694-12708) Im Fragment von Carlisle ist die entsprechende Stelle nicht mehr überliefert; der Befund der »Tristramssaga« könnte aber darauf hinweisen, dass Gottfried die Begründung selbst erfunden hat, 19 denn in der altnordischen Erzählung fürchtet Isond nur ganz allgemein Bringvets ›Übelwollen‹ (illvili). 20 Worauf sich die Befürchtung Isoldes im »Tristan« bezieht, ist dabei 19 Auch in Bédiers Rekonstruktion ist die Stelle nicht aufgenommen worden, vgl. Bédier 1902-1905, Bd. 1, S.-137. 20 Ausg. Kölbing 1878, S. 58, Z. 11. Die gesamte Stelle lautet folgendermaßen: ›Eines Tages, als die Königin in ihrem Prachtkleid dasaß, kam es ihr in den Sinn, daß kein lebendes Wesen von ihrem und Tristrams Verkehr wußte außer Bringvet, ihrer Dienerin, und sie dachte nach und grübelte darüber, daß sie ihr in dieser Sache nicht treu sein könnte und daß sie das Versprechen brechen und es dem König sagen würde und daß ein böser Wille sie dazu brächte, davon zu erzählen‹ (Kap. 47; Übers. Uecker 2008, S. 67). Vera Johanterwage spricht hier von einer »kühle[n] Analyse« der Königin, während Ysolt bei Thomas »von der […] Angst beherrscht wird, Branguain könne sich im Bett des Königs vergnügen.« ( Johanterwage 2007, S. 198) Darin erkennt sie den (erfolgreichen) Versuch des nordischen Bearbeiters, den Verdacht der Königin zu plausibilisieren: Insgesamt sei die Sorge der Protagonistin in der »Tristramssaga«, anders als die irrationale Angst der Königin bei Thomas, »für das Publikum sicher gut nachvollziehbar - und so hatte Roberts Eingriff wohl auch den Zweck, Ísǫnds Verhalten, das einem kontemporären Zuhörer doch ziemlich zweifelhaft erscheinen mußte […] [,] verständlicher zu machen.« (ebd., S. 198f.) Zum Vergleich der Stellen bei Bruder Robert und Gottfried auch Keck 1998, S.-179. - Im »Sir Tristrem« wiederum fehlt jede Begründung: Hier will Ysonde ihre Zofe nur deshalb ermorden lassen, weil sie vor ihr mit Marke geschlafen hat, vgl. Str. 158,10-159,4: Now þenkeþ Ysonde to slo | Brengwain and hir to spille. || Sche þought: »Y may be wroþ: | She lay first bi þe king, | For y bihight hir cloþ, | Gold and riche wedding.« ›Nun gedenkt Ysonde Brengwain zu tödten und sie umzubringen. Sie dachte: »Ich bin berechtigt, zornig zu sein, sie lag zuerst bei dem könig, weil ich ihr kleider, gold und eine vornehme heirath versprach.«‹ (Ausg. Kölbing 1882, S. 48 und 264) Daran schließt sich zwar ebenfalls die Angst vor dem Verrat des Liebesverhältnisses an, diese bleibt aber eher diffus, vgl. Str. 159,5-11: »Tristrem and y baþe | Beþ schent for our playing; | Better is, þat we raþe | Hir o liue bring | Al stille; | Þan doute we for no þing, | Þat we ne may han our wille.« ›»Tristrem und ich, wir beide, gerathen in schande für unser liebesspiel; besser ist es, dass wir lieber sie aus de[m] leben schaffen ganz stille: dann fürchten wir uns vor nichts, dass wir nicht unseren willen haben können.«‹ (ebd.) 280 3 Lektüren womöglich wieder eine im Mittelalter geläufige anthropologische Vorstellung. Rüdiger Krohn jedenfalls erinnert die vorliegende Stelle an den »volksläufigen Aberglauben, daß eine Frau den Mann, der sie - unter welchen Umständen immer - entjungfert hat, notwendigerweise lieben müsse.« 21 Wie verbreitet dieser Glaube allerdings tatsächlich gewesen ist, lässt sich kaum nachvollziehen. 22 Der grundlegende Gedanke eines ursächlichen Zusammenhangs von sexuellem Erlebnis und emotionaler Zuneigung lässt sich in mittelalterlichen Quellen jedoch immer wieder nachweisen. 23 Die Begründung funktioniert also in beiden Textstellen dadurch, dass Isoldes Befürchtungen auf medizinisch-anthropologische Wissensbestände zurückge- 21 Krohn, Bd. 3, S. 189. 22 Krohn bezieht sich in seinem Kommentar auf Sigmund Freuds Arbeit über das »Tabu der Virginität« aus dem Jahr 1918. Darin beschreibt Freud, dass die Entjungferung bei einer Frau einen »Zustand von Hörigkeit« auslösen könne, worunter er in Anlehnung an Richard von Krafft-Ebing die Tatsache versteht, »daß eine Person einen ungewöhnlich hohen Grad von Abhängigkeit und Unselbstständigkeit gegen eine andere Person erwerben kann, mit welcher sie im Sexualverkehr steht. Diese Hörigkeit kann gelegentlich sehr weit gehen, bis zum Verlust jedes selbstständigen Willens […].« (Sigmund Freud: Gesammelte Werke. Chronologisch geordnet, Bd. 12: Werke aus den Jahren 1917-1920, Frankfurt a. M. ³1966, S. 161-180, Zitate S. 161, 162) Die Vorstellung allerdings, dass dieser Zustand notwendigerweise und ›unter welchen Umständen immer‹ eintrete, kann ich bei Freud nicht erkennen. Auch führt er keine historischen Belege für seine Beobachtung an. - Man könnte hier allerdings zumindest die mittelalterliche Vorstellung ins Feld führen, nach der das Gedächtnis und die Erinnerung an vergangene (vor allem: erste) Lust beim Geschlechtsakt eine zentrale Rolle spielen, vgl. Danielle Jacquart: Art. Sexualität. IV. Medizin, in: LexMa 7 (1995), Sp. 1816-1819, hier Sp. 1819. 23 Vgl. dazu Schnell 2002, S. 241-255. Einen Beleg dafür bietet Thomas von Aquin, wenn er davon spricht, die ›größte Freundschaft‹ (maxima amicitia) zwischen Mann und Frau entstehe (unter anderem) ›im Vollzug der fleischlichen Verbindung, die auch unter Tieren eine gewisse zärtliche Gemeinschaft bewirkt‹ (in actu carnalis copulae, quae etiam inter bestias quandam suavem societam facit, »Summa contra gentiles«, 3,123). Zitat und Übersetzung nach der Ausg. Allgaier u. a. 1974-1996, Bd. 3 / 2, S. 204f. Für Josef Fuchs »begründet« die körperliche Vereinigung bei Thomas »notwendig gegenseitige Liebe« und werde daher »als der Hauptgrund der Liebe zwischen Mann und Frau angesehen« ( Josef Fuchs: Die Sexualethik des heiligen Thomas von Aquin, Köln 1949, S. 134). Eine ganz ähnliche Position findet sich auch in der »Summa de virtutibus« (vor 1249) des Dominikaners Wilhelm Peraldus, wo es heißt, dass aus der sexuellen Vereinigung eine geistige Vereinigung (mentalis unio) folge, aufgrund derer es sich bei der ehelichen Liebe um die größte Liebe (maximus amor) handle, vgl. Wilhelm Peraldus: Summa de virtutibus, Druck: Basel o. J., fol.-215 v f., zitiert nach Schnell 2002, S. 247 Anm. 85. Und noch im spätmittelalterlichen Ehetraktat des Kartäusers Dionysius (gest. 1471) liest man in diesem Sinne: in quantum voluptas actui conjugali admixta, aliquo modo eis est licita, et ex ea magis ad invicem afficiuntur. (»De doctrina et regulis vitae Christianorum«, 2,7,3) Zitiert nach Doctoris ecstatici D. Dionysii Cartusiani opera omnia in unum corpus digesta ad fidem editionum coloniensium, cura et labore monachorum sacri ordinis Cartusiensis, Bd. 39: Opera minora 7, Tournai 1910, S. 537f. ›Sofern Lust dem ehelichen Akt beigemischt ist, ist sie ihnen [den Eheleuten] auf eine gewisse Art erlaubt; und aufgrund dieser [Lust] werden die Eheleute mehr zueinander hingezogen.‹ (Übers. Schnell 2002, S. 242f.) Insofern stelle die Lust einen ›gewissen Anreiz zu größerer Freundschaft‹ (majoris amicitiæ quoddam fomentum) dar. Solche Positionen scheinen, wie Schnell darstellt, vor allem durch die Aristoteles-Rezeption im 13. und 14. Jh. beeinflusst zu sein, vgl. Schnell 2002, S. 249. Dass sie jedoch auch schon vorher und in der Volkssprache verbreitet waren, belegt Schnell ausgerechnet mit einer späteren Stelle aus dem französischen Tristanroman des Thomas, die bei Gottfried nicht mehr erzählt worden ist. Als Tristran in der Hochzeitsnacht mit der weißhändigen Ysolt zögert, die Ehe zu vollziehen, reflektiert er hier über den Zusammenhang von Liebe und Sexualität, vgl. »Tristran«, vv. 567-576: Quant de mei n’avra sun delit, | Jo crei que m’amera petit. | Ço era a dreit qu’en haür m’ait | Quant m’astienc del naturel fait | Ki nos deit lier en amur. | De l’astenir vient la haür: | Issi cum l’amur vient del faire, | Si vient la haür del retraire; | Si cum l’amur de l’ovre vient, | Et la haür ki s’en astient. ›Wenn sie ihr Vergnügen durch mich nicht haben wird, wird sie mich, glaube ich, wenig lieben. Es ist recht und billig, daß sie mich haßt, wenn ich mich der natürlichen Handlung enthalte, die uns in Liebe verbinden soll. Vom Enthalten kommt 3.1 Isoldes Mordanschlag auf Brangäne. Das Schema im Kopf der Figur 281 führt werden. Ihr Misstrauen gegenüber Brangäne und die daraus folgenden Handlungen erscheinen deshalb - zumindest aus einer männlich-misogynen Perspektive 24 - ein Stück weit ›vernünftig‹ und kausal motiviert. Eine plausibilisierende Funktion besitzt auch die auf die zweite Textstelle direkt folgende narrator motivation, durch die Isoldes Verhalten mit der allgemeinmenschlichen Konstitution (man) erklärt und damit nachvollziehbar gemacht werden soll: diu sorchafte künigîn diu tete an disen dingen schîn, daz man laster unde spot mêre vürhtet danne got. (vv. 12709-12712) 25 Eming beschreibt die Wirkung dieses Kommentars folgendermaßen: »Der Verweis auf ein allgemeines Gesetz appelliert […] an die Rezipienten und versucht zu camouflieren, dass Isoldes Motive wenig einsichtig sind« 26 . der Haß: Ebenso, wie die Liebe vom Tun kommt, kommt der Haß vom Verzichten; wie die Liebe durch den Akt kommt, so der Haß, wenn man sich dessen enthält.‹ Vgl. zu dieser Stelle Schnell 2002, S.-247f. 24 An dieser Stelle könnte man danach fragen, wie sich eine spezifisch ›weibliche‹ Lektüre gegenüber solchen ›männlichen‹ Wissensbeständen verhalten würde. Einen Ansatzpunkt böte dafür etwa Judith Fetterleys (in Bezug auf moderne Literatur entwickeltes) Konzept des resisting readers, vgl. Judith Fetterley: The Resisting Reader. A Feminist Approach to American Fiction, Bloomington / London 1978, bes. S.-XX- XXII: »[T]he cultural reality is […] the i m m a s c u l a t i o n of women by men. As readers and teachers and scholars, women are taught to think as men, to identify with a male point of view, and to accept as normal and legitimate a male system of values, one of whose central principles is misogyny. […] Clearly, then, the first act of the feminist critic must be to become a resisting rather than an assenting reader and, by this refusal to assent, to begin the process of exorcizing the male mind that has been implanted in us.« Insofern wäre darüber nachzudenken, ob möglicherweise auch für den »Tristan« gilt, was Roberta L. Krueger für die Rezipientin des französischen »Ipomedon«-Romans Hues de Rotelande (um 1180) nahegelegt hat: »Rather than being a manipulated reader, she might have become, like Fetterley’s ›resisting reader‹, a reader who resisted identification with the texts’ male values and its subsequent devaluation of women, and reflected instead upon her own female role.« (Krueger 1993, S. 81) - Zur grundsätzlichen Geschlechtsspezifik der Abrufung kognitiv repräsentierter Wissensbestände (›Schemata‹) bei der Lektüre schon Renate von Heydebrand / Simone Winko: Geschlechterdifferenz und literarischer Kanon. Historische Beobachtungen und systematische Überlegungen, in: IASL 19 (1994), S. 96-172, hier S. 123: »Schemata stellen abstrakte Repräsentationen unserer Erfahrungen dar, werden also im Verlauf unserer Sozialisation ausgebildet. Angesichts der Unterschiede geschlechtsspezifischer Sozialisation ist es daher sehr wahrscheinlich, daß es gender-geprägte Abweichungen in der Entwicklung von Schemata gibt.« 25 Dass es sich hier um eine Sentenz handelt, glauben ebenfalls Tomasek und Eikelmann, auch wenn sie keine Parallele kennen, vgl. Eikelmann / Tomasek (Hrsg.) 2009, S. 488f. Eine ganz ähnliche Formulierung findet sich im »Lai du Fresne« der Marie de France. Hier ist es die Figur selbst, die überlegt: »Mieuz le voil vers Deu amender | Que mei hunir e vergunder« (vv. 93 f.). ›Lieber will ich dafür vor Gott büßen, als mich (vor der Welt) mit Schmach und Schande zu bedecken.‹ Zitat und Übersetzung nach Marie de France: Die Lais, übers., mit einer Einleitung, einer Bibliographie sowie Anm. vers. von Dietmar Rieger unter Mitarbeit von Renate Kroll, München 1980 (Klassische Texte des Romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben 19), S. 158f. 26 Eming 2015, S. 109; beinahe wortgleich 2006, S. 19. Kritisch gegenüber einer motivierenden Funktion allerdings bereits Roetteken 1890, S. 111: »[A]bgesehen davon, dass hier nicht nur die gottesfurcht, sondern auch die alte freundschaft zu Brangæne und überhaupt die ganze weibliche milde gefühlsweise zu überwinden ist, enthalten die worte nur die constatierung der tatsache, keine erklärung dafür […].« - Es geht mir hier lediglich um die motivationslogische Nachvollziehbarkeit und ausdrücklich nicht um die Frage, ob Isoldes Handeln damit auch m o r a l i s c h begründet wird. In diesem Sinne sah Piquet in der Sentenz den Versuch »à excuser l’acte barbare d’Isolde« (Piquet 1905, S. 239), dagegen Haug / Scholz, Bd. 2, S. 558. 282 3 Lektüren Zweimal werden bei Gottfried Denkprozesse der Figur vorgeführt (si dâhte, si bedâhte), die ihre späteren Handlungen motivieren. Auch bei Eilhart wird ein mentaler Vorgang zum Ausgangspunkt der Handlung (vgl. »Tristrant«, vv. 2983f.: dar nauch nit lang | gewan die vrauwe den gedanck…). Allerdings wirkt Isaldes Überlegung hier nicht nur einigermaßen spontan, sondern scheint auch gleichsam von ›außen‹ zu kommen, 27 während bei Gottfried der Verdacht als Produkt eines rationalen Vorgangs innerhalb der Figur dargestellt wird. Dass dieser Prozess an der zweiten Stelle ausdrücklich in ir muote stattfindet, markiert die Stelle dabei als Innensicht und erzeugt gewissermaßen einen Denkraum in der Figur. 28 Mhd. muot kann zwar sowohl für rationale als auch für affektive Vorgänge gebraucht werden, 29 durch das Verb bedenken wird der rationale Charakter der Überlegung aber deutlich zum Ausdruck gebracht. 30 Überhaupt spielen in der vorliegenden Episode menschliche Regungen (Brangänes Schuldgefühle, Isoldes Zweifel) eine zentrale Rolle. Ihre Schilderung nimmt gerade im Vergleich zu den anderen Versionen des Stoffes breiten Raum ein und wird von Gottfried mit avancierten Techniken der Innenweltdarstellung gestaltet. Dass »Gottfrieds Darstellungsweise« insgesamt »geschickt den unmittelbar folgenden Anschlag Isolts auf Brangaene« vorbereite, meint jedenfalls auch Anna Keck und spricht dabei im Vergleich mit den ›spielmännischen‹ Versionen der Stofftradition sogar von »psychologische[r] Raffinesse« 31 . Auch sonst hat es in der modernen Forschung immer wieder Versuche gegeben, Isoldes Misstrauen und ihr Attentat auf Brangäne psychologisch zu verstehen. Schon Friedrich Ranke glaubte, der Mordanschlag erkläre sich »nicht aus kompositorischer, sondern aus psychologischer Notwendigkeit« und verrate ein intimes Mitleben des Dichters mit seiner Heldin: er fühlt, daß Isold die einzige Mitwisserin ihres Verbrechens nicht auf die Länge neben sich ertragen kann: sie m u ß einmal wenigstens den Versuch machen, Brangäne zu beseitigen. 32 Psychologisch argumentiert auch Friedrich Michael Dimpel, wenn er davon spricht, »Isoldes Perspektive auf Brangäne« sei »geprägt durch die Art, wie sie sich selbst wahrnimmt: Da sie Marke selbst untreu ist, traut sie Brangäne zu, ihr gegenüber untreu zu sein.« 33 Um das Verhalten der Königin n a c h dem Mordanschlag zu erklären, zieht schließlich Jutta Eming eine 27 Es wird dann aber auch hier noch eine Begründung nachgeschoben, vgl. »Tristrant«, vv. 2988f.: sú vorcht, daß sú sagt | waß sú von ir wiste. 28 Siehe oben, S. 160 Anm. 204 und S. 168. 29 Vgl. etwa Philipowski 2013, S. 81. 30 Diese Bedeutung von bedenken zeigt sich etwa in der Negation: unbedâht ist ein unbesonnener Mensch, der nicht vernünftig überlegt, vgl. BMZ, Bd. 1, S. 346. 31 Keck 2002, S. 60. In Bezug auf Thomas meint Ferrante, »the murder follows naturally from Ysolt’s suspicions during the substitution.« (Ferrante 1973, S. 44) 32 Ranke 1925a, S. 18f. 33 Dimpel 2011, S. 279. Ähnlich Schröder 1989, S. 154: »Isolts Mißtrauen ist nichts als der Reflex ihres eigenen schlechten Gewissens.« Letztlich meint auch Dicke 1997a, S. 104: »Isolde traut ihrer engsten Vertrauten damit im Grunde ›nur‹ zu, wozu sie selbst in der Folge bereit und fähig ist: ihrer Liebe jedwede andere mitmenschliche Bindung aufzuopfern. So kommt […] mit der personalen Sicht und Deutung der Dinge vom Standpunkt der Heldin eine Perspektive in den Text, aus der sein Geschehen plausibler und ›psychologisch‹ wahrscheinlicher erscheinen kann […].« Schon Roetteken schlägt eine solche Erklärung vor, die er allerdings im Text selbst vermisst, vgl. Roetteken 1890, S. 111: »dass sie [Isolde] überhaupt auf den gedanken kommt, Brangæne könne sie verraten, muste [sic] aus ihrer eigenen untreue gegen den könig erklärt werden. eine frau, die ihren gemahl in dieser weise betrügt, kann ganz wol auf den gedanken 3.1 Isoldes Mordanschlag auf Brangäne. Das Schema im Kopf der Figur 283 Kategorie der modernen Psychologie heran, nämlich das Konzept der »Schamabwehr, in der das ›unerträgliche‹ Gefühl der eigenen Scham umschlägt in den Zorn auf andere.« 34 Der wohl weitgehendste Versuch in diese Richtung stammt vom Ranke-Schüler Emil Nickel, der 1927 den von Roetteken und Müller vermittelten Eindruck einer Inkohärenz der Figur infrage gestellt hat: Ist die Isold der Brangänenepisode wirklich eine so grundandere als die der voraufgehenden Szenen? Liegt hier wirklich ein Widerspruch in der Charakterformung vor? Denn dann hinge in der Tat die Brangäneepisode als isoliertes, unmotiviertes und unmotivierbares Glied der Erzählung gänzlich in der Luft […]. Ich glaube nun aber, Isolds Handeln gegen Brangäne fügt sich dem Bild, das wir bisher von ihr gewonnen haben, sowie den außergewöhnlichen Voraussetzungen ihrer momentanen Lage durchaus ein. 35 Im gesamten Roman diagnostiziert Nickel bei Isolde »Züge eines außergewöhnlichen, fast pathologisch zu nennenden Temperaments«, welches sich in der vorliegenden Episode zu einem »halb krankhafte[n] Seelenzustand« steigere. Dieser sei durch »das ungeheuerliche Maß an Aufregung« ausgelöst worden, dem Isolde ausgesetzt gewesen sei: die Bedrängnis durch den Truchsessen; die Katastrophe ihres inneren Lebens, die mit der Entdeckung des Moroldbesiegers im heimlich Geliebten verbunden ist; der Heiratsentschluß und der Abschied von der Heimat; das erste Erleben ihrer großen heilig-verbrecherischen Lebensleidenschaft mit Tristan; die Aufregung und Seelenpein der Hochzeitsnacht. 36 Das alles seien Gründe für die »weitgehende seelische Zerrüttung Isolds« 37 . Ob solche psychologischen Deutungen allerdings wirklich helfen, die Episode zu erklären, erscheint mir fraglich. Eine Erklärung auf einer ganz anderen Ebene deutetet jedenfalls Mark Chinca an, wenn er davon spricht, Isoldes Verhalten sei hier wie in den späteren List-Episoden nicht auf ihren Charakter zurückzuführen, sondern vielmehr auf die literarischen Traditionen, denen die Erzählung folge. 38 Dieser Überlegung möchte ich nachgehen. Tatsächlich lassen sich im Fall der kommen, alle treue sei chimaere, alle menschen könnten so wie sie betrügen; dieser gedankengang hätte uns natürlich ausführlich dargelegt werden müssen.« 34 Eming 2006, S. 20; beinahe wortgleich 2015, S. 110. Eming bezieht sich auf die Arbeit des Psychoanalytikers Léon Wurmser: Die Psychoanalyse von Schamaffekten und Schamkonflikten, 3., erw. Aufl., Berlin u. a. 1998, hier S. 318. 35 Nickel 1927, S. 52. 36 Ebd., S. 53. Auch die Deutung von Ann Marie Rasmussen erklärt den Mordanschlag mit der Situation der jungen, ›naiven‹ Königin in Cornwall: »Isolde […] as Queen of Cornwall […] is closely scrutinized by the court, without kin, protectors, or close companions aside from Brangaene, and her love affair with Tristan puts her in constant danger. This context explains, to a certain extent, what has been to many readers and scholars one of the more troubling episodes in the story: Isolde’s testing of her friend Brangaene. In her first months at court, a naive Isolde only partially comprehends her dependence on Brangaene and does not understand that female solidarity and friendship are necessary to maintaining the love affair with Tristan.« (Ann Marie Rasmussen: The Female Figures in Gottfried’s »Tristan«, in: A Companion to Gottfried von Strassburg’s »Tristan«, hrsg. von Will Hasty, Rochester (New York) / Woodbridge (Suffolk) 2003 (Studies in German Literature, Linguistics, and Culture), S.-137-157, hier S. 147) Zu dieser »psychologisierenden Entschuldigung[ ]« Lienert 2006, S. 261. 37 Nickel 1927, S. 53. 38 Chinca 1997, S. 77. 284 3 Lektüren Doppelepisode von Brautunterschub und Mordanschlag verschiedene der Handlung zugrunde liegende narrative Muster erkennen. Dazu gehört etwa der Motivkomplex der mitleidsvollen Mörder, die ihr Opfer verschonen und als Beweis für die Tat anstelle des vom Auftraggeber geforderten Körperteils das entsprechende Organ eines Tieres vorzeigen. 39 Bereits aus dem 13. Jahrhundert sind einige Erzählungen überliefert, in denen dieses heute noch von Schneewittchen bekannte Erzählmuster Verwendung findet. Neben der Lebensbeschreibung des ersten Königs Offa in den »Vitae Offarum Duorum« 40 gehört dazu die populäre Berta-Sage über die Mutter Karls des Großen, die auch das Motiv der untergeschobenen Braut enthält. 41 Einen weiteren Beleg bietet die Legende der heiligen Genovefa, die allerdings wohl erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts verschriftlicht wurde. 42 Auch die Trojasage kennt das Erzählmuster: Hier soll der junge Paris aufgrund einer Prophezeiung ermordet werden, wird aber aus Mitleid ver- 39 Siehe Mot. K 512 (›Compassionate executioner‹) bzw. K 512.2 (›Compassionate executioner: substituted heart‹), vgl. Thompson 1955-1958, Bd. 4, S. 303f.; Andreas Wild: Sisibesage und Genovefalegende, Bamberg 1970, S. 75-82; Hassan El-Shamy: Art. Tierherz als Ersatz, in: Enzyklopädie des Märchens 13 (2010), Sp. 615-618; Dicke 1997a, S. 105-111. Dabei handelt es sich noch nicht um einen »eigenständigen Erzähltyp«, sondern um ein »literarisches ›Fertigteil‹« (Dicke 1997a, S. 106), das in verschiedenen Erzähltypen Verwendung findet (zum Beispiel ATU 671, 709, 883A; für Mot. K. 512 auch ATU 920), vgl. Uther 2011, Bd. 1, S. 367, 383 f., 506 f., 540 f. - Einen Beleg für die rezipientenseitige Wirkmächtigkeit des Erzählmusters bietet ungewollt womöglich Horst Wenzel, wenn er die beiden knappen im »Tristan« wiederholt als ›Jäger‹ bezeichnet, vgl. Horst Wenzel: Die Zunge der Brangäne oder die Sprache des Hofes, in: Sammlung - Deutung - Wertung. Ergebnisse, Probleme, Tendenzen und Perspektiven philologischer Arbeit. Mélanges de littérature médiévale et de linguistique allemande offerts à Wolfgang Spiewok à l’occasion de son soixantième anniversaire par ses collègues et amis, hrsg. von Danielle Buschinger, Amiens 1988, S. 357-367, hier S. 362. Während der Text selbst höchstens durch die Erwähnung eines vogelhundes (vgl. v. 12870) einen Hinweis darauf gibt, dass es sich um Jäger handeln könnte, ist das in anderen Versionen des Erzählmusters, an die Wenzel offenbar denkt, tatsächlich der Fall (am bekanntesten bei Schneewittchen in der Version der »Kinder- und Hausmärchen«), vgl. dazu Lutz Röhrich: Art. Jagd, Jagen, Jäger, in: Enzyklopädie des Märchens 7 (1993), Sp. 394-411, hier Sp. 402. 40 Hier wird berichtet, wie der König während der Jagd im Wald auf eine schöne junge Frau trifft, die ihm erzählt, ihr Vater habe sie umbringen lassen wollen, weil sie sich seinen inzestuösen Avancen verweigert habe. Die dafür angeheuerten Mörder allerdings hätten Mitleid gezeigt und sie verschont, aber allein im Wald zurückgelassen. Das Motiv des Tierorgans als Ersatz fehlt. Zitiert nach Vitae Offarum Duorum. The Lives of Two Offas, introd., transl. and ed. by Michael Swanton, Crediton 2010, S. 23, Z. 3-23. Herkömmlicherweise werden die »Vitae Offarum Duorum« dem bekannten Chronisten Matthaeus Parisiensis (gest. 1259) zugeschrieben, der als Mönch in St. Albans lebte, wo die »Vitae« entstanden sind. Swanton stellt diese Zuschreibung infrage und datiert den Text bereits ins 12. Jahrhundert, vgl. ebd., S. XXIX-XXXVIII. 41 Vgl. Marianne Rumpf: Art. Berta, in: Enzyklopädie des Märchens 2 (1979), Sp. 155-162. Die älteste Bearbeitung findet sich in der afr. »Chronique saintongeaise« (um 1225). Im deutschen Sprachraum ist die Erzählung weniger oft bearbeitet worden; den frühesten Beleg bietet hier Strickers »Karl« (um 1230), der in der Vorgeschichte seines Epos mit dem Hinweis daz wære ze sagene ze lanc, | wie daz dinc allez ergie (vv. 132 f.), kurz erwähnt, dass die Mutter seines Protagonisten mit einer anderen Frau verwehselt (v. 127) worden sei, vgl. vv. 124-135, zitiert nach Karl der Grosse von dem Stricker, hrsg. von Karl Bartsch, Quedlinburg / Leipzig 1857 (Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur 35), S. 4. Weitere Belege finden sich in verschiedenen deutschsprachigen Chroniken des 14. und 15. Jahrhunderts, vgl. Rumpf 1979, Sp. 157. 42 Vgl. Konrad Vanja: Art. Genovefa, in: Enzyklopädie des Märchens 5 (1987), Sp. 1003-1009, hier Sp. 1004. Zumindest die Gebrüder Grimm, die die Erzählung (in einer Version des 17. Jh.s) in ihre »Deutschen Sagen« aufnahmen, sahen darin ein Zeugnis jenes mündlich tradierten Erzählkontinuums, das sie mit ihrer Sammlung dokumentieren wollten, vgl. Grimm 1816-1818, Nr. 532, Bd 2, S. 280-285. 3.1 Isoldes Mordanschlag auf Brangäne. Das Schema im Kopf der Figur 285 schont und in der Wildnis ausgesetzt. 43 In stark geraffter Form berichten davon etwa Hyginus’ »Fabulae« 44 und die mittelalterliche »Ylias« des Pariser Kanonikers Simon Aurea Capra aus dem 12. Jahrhundert. 45 Dessen Version diente wiederum als Vorlage für Konrad von Würzburg, der die Szene in seinem »Trojanerkrieg« breit ausgestaltet und das bei Hyginus und Simon fehlende Motiv des Tierorgans als Ersatz eingeführt hat. 46 Neben den ›mitleidsvollen Mördern‹ ist vor allem das für die Doppelepisode im »Tristan« zentrale Motiv der untergeschobenen Braut in zahllosen Märchenerzählungen international verbreitet. 47 In verschiedenen Erzähltypen mit unterschiedlichen Konstellationen aus Bräutigam, falscher und richtiger Braut findet es Verwendung. Dabei lassen sich Erzählungen, in 43 Die Paris-Handlung fehlt zwar bei Homer, ist aber seit dem 5. Jh. v. Chr. belegt, etwa bei Sophokles, Euripides, Ennius und Apollodor, vgl. Magdalena Stoevesandt: Art. Paris, in: Der Neue Pauly 9 (2000), S.-334-336, hier S. 334. 44 Vgl. Hyginus, »Fabulae«, Nr. 91,3: postquam Hecuba peperit | Alexandrum, datur interficiendus, | quem satellites misericordia | exposerunt. (Ausg. Marshall 2002, S. 85, Z. 7-9) ›When Hecuba bore Alexander [d. h. Paris], she handed him over to some of her men to be put to death, out of pity they only exposed him.‹ Übersetzung aus Apollodorus’ »Library« and Hyginus’ »Fabulae«. Two Handbooks of Greek Mythology. Transl., with introductions, by R. Scott Smith / Stephen M. Trzaskoma, Indianapolis 2007, S. 127. - Als Quelle für den »Tristan« wurden die »Fabulae« an anderer Stelle ins Spiel gebracht, siehe oben, S.-146 Anm. 119. 45 Vgl. Simon Aurea Capra, »Ylias«, vv. 23-28: Nam puerum natum pro iussu regis in Ydam | Serui tollentes ense necare parant. | Arridet gladio radianti paruulus, illum | Arridere putans, qui sibi tristis erat. | Quod percussurus cernens cor flectit et ictum, | Et ferus et feriens desinit esse simul. | Sub foliis linquit uiuum […]. Zitiert nach André Boutemy: La version parisienne du poème de Simon Chèvre d’Or sur la guerre de Troie (ms. lat. 8430), in: Scriptorium 1 (1946 / 47), S. 267-288, hier S. 269. Etwa: ›Als der Junge geboren ist, bringen ihn die Diener auf Befehl des Königs in das Ida-Gebirge und bereiten seinen Tod mit dem Schwert vor. Das Kleinkind lächelt dem strahlenden Schwert zu; es glaubt, dass jener lächelt, der selbst grimmig war. Als derjenige, der gerade im Begriff war, ihn zu durchbohren, dies sieht, stimmt er sich um und wendet den Stoß ab, zugleich lässt er davon ab, grausam und tötend zu sein. Unter Blättern verlässt er ihn lebendig.‹ 46 Vgl. Konrad von Würzburg, »Trojanerkrieg«, vv. 380-516 (Ausg. Thoelen / Häberlein 2015, S. 5-7). Konrads Gestaltung der Szene wird dabei als Anspielung auf den »Tristan« verstanden, vgl. Gebert 2013, S. 335; Elisabeth Lienert: Geschichte und Erzählen. Studien zu Konrads von Würzburg »Trojanerkrieg«, Wiesbaden 1996 (Wissensliteratur im Mittelalter 22), S. 36f. Darauf weise vor allem die Tatsache hin, dass »nur dort, nicht bei Simon und in keinem anderen bekannten Text, die Zahl von zwei Knechten […] und die Hundezunge […] vorgegeben sind.« (ebd., S. 37) Gebert betont, es gehe Konrad bei seiner Gestaltung auch darum, »den »Trojanerkrieg« an literarische […] Diskurse anzuschließen« und damit die »Gemachtheit« der Handlung vorzuführen (Gebert 2013, S. 334f.). Man kann das als Hinweis darauf verstehen, dass die Erzählung von den mitleidsvollen Mördern offenbar spätestens mit Gottfried ein etabliertes literarisches Muster darstellt. - Da der französische Trojaroman Benoîts de Sainte-Maure und das »Liet von Troye« Herborts von Fritzlar nichts von der geplanten Ermordung des Paris wissen, fehlt das Motiv in den volkssprachigen Versionen vor Gottfried. Es findet sich dann aber wieder in dem auf Konrad zurückgehenden »Göttweiger Trojanerkrieg« (vor 1300), vv. 1312-1367 (ohne das Motiv des Tierorgans als Ersatz), zitiert nach Der Göttweiger Trojanerkrieg, hrsg. von Alfred Koppitz, Berlin 1926 (Deutsche Texte des Mittelalters 29), S. 23f; außerdem im »Elsässischen Trojabuch« (vor 1386), Kap. 1, zitiert nach: Das Elsässische Trojabuch (»Buch von Troja I«). Kritische Ausgabe von Christoph Witzel, Wiesbaden 1995 (Wissensliteratur im Mittelalter 21), S. 3f. Vgl. Birkhan u. a. (Hrsg.) 2005-2010, Bd. 6.2, S.-203. 47 Mot. K 1911 (›The false bride (substituted bride)‹), vgl. Thompson 1955-1958, Bd. 4, S. 450-453; Kurt Ranke: Art. Braut, Bräutigam, in: Enzyklopädie des Märchens 2 (1979), Sp. 700-726, hier Sp. 717-721; Dicke 1997a, S. 71-75, sowie die trotz methodischer Probleme immer noch grundlegende materialreiche Dissertation von Paul Arfert: Das Motiv von der unterschobenen Braut in der internationalen Erzählungslitteratur. Mit einem Anhang: Über den Ursprung und die Entwicklung der Bertasage, Schwerin 1897. Dicke zufolge kennt der Erzähltypenkatalog von Aarne und Thompson über 1200 Belege für Erzählungen, in denen das Motiv verarbeitet ist, vgl. Dicke 1997a, S. 71. Zur internationalen Verbreitung auch Gédéon Huet: 286 3 Lektüren denen sich die falsche Braut selbst unterschiebt, 48 von solchen unterscheiden, in denen die richtige Braut anstelle der falschen untergeschoben wird. 49 Die Erzählung im »Tristan« gehört dagegen offenbar zu einem dritten Typ von Erzählungen, den Gerd Dicke als ›Murdered Substitute Tale‹ bezeichnet. 50 Geschichten dieses Typs liegen in verschiedenen Versionen vor, 51 deren ältester europäischer Beleg das auf frühere lateinische Quellen zurückgehende irische »Book of Leinster« aus dem 12. Jahrhundert darstellt. 52 Alle Geschichten stimmen in folgenden Grundzügen überein: Um ihre (mehr oder weniger selbstverschuldet) verlorene Jungfräulichkeit zu verbergen, lässt sich die Heldin in der Hochzeitsnacht von einer Dienerin vertreten. Als sich diese anschließend weigert, das Ehebett zu verlassen, ermordet die Heldin sie, um schließlich mit ihrem Ehemann glücklich zusammenzuleben. Die Parallelen zum »Tristan« sind offensichtlich und wurden auch schon früh erkannt. 53 Brangäne wäre also nicht die erste Stellvertreterin in der Geschichte des Motivs von der untergeschobenen Braut, die sich weigert, das Ehebett wieder zu verlassen. Vielmehr ist sie umgekehrt »die einzige Stellvertreterin in der Hochzeitsnacht, die sich dem Rücktausch der Rollen nicht verweigert und den Bräutigam nicht für sich will« 54 . »[V]öllig aus der Luft gegriffen« 55 , wie Werner Schröder meint, ist Isoldes Verdacht also nur, wenn man von der Figur als ›Person‹ her argumentiert. Ihr Misstrauen lässt sich zwar nur bedingt psychologisch verstehen, aber sehr gut mithilfe von literarischem Wissen. Kennt man das der Handlung zugrunde liegende Erzählmuster, lässt sich das Verhalten der Figur von diesem Muster her Les contes populaires, Paris 1923 (Bibliothèque de Culture générale), S. 105f.: »On retrouve ce thème de la Russie jusqu’au Zoulouland et de l’Inde jusqu’au Chili, où il a été transporté pour les colons espagnols.« 48 Vgl. ATU 403 (bes. 403C), 404, 408, 450, 533, 894; dazu die Belege bei Arfert 1897, S. 7-32, sowie Dicke 1997a, S. 77-79. 49 Vgl. ATU 870; dazu Dicke 1997a, S. 81-84, sowie die Belege bei Arfert 1897, S. 34-38. Arfert bezeichnet diesen Typ irreführend als ›Brangänemärchen‹ (vgl. ebd., S. 3), obwohl die Tristan-Tradition eigentlich einem dritten, im Folgenden von Arfert ebenfalls mit dem Titel ›Brangäneerzählungen‹ bezeichneten Typ folgt (siehe unten). 50 Vgl. Dicke 1997a, S. 92-97 und die Belege auf S. 254-259. Die Bezeichnung geht zurück auf Ernst G. Mathews: The Murdered Substitute Tale, in: Modern Language Quarterly 6 (1945), S. 187-195. Zu diesen ›Brangäneerzählungen‹ auch Arfert 1897, S. 39-43. 51 Zur Unterscheidung der orientalischen und der europäischen Version vgl. die Regesten bei Mathews 1945, S. 187f., und Dicke 1997a, S. 93f. 52 Vgl. ebd., S. 96f., 255. Die Parallelen des »Tristan« zu der irischen Erzählsammlung wurden vor allem von Vertretern der ›keltischen Herkunftsthese‹ des Stoffes hervorgehoben, vgl. James Carney: The Irish Affinities of Tristan, in: Studies in Irish Literature and History, Dublin 1955, S. 189-242, hier S. 230-232 (der eine lateinische Vorlage aus der Zeit um 700 annimmt). - Ein weiterer Beleg findet sich in der lateinischen »Compilatio singularis exemplorum« aus dem 13. Jh., vgl. dazu Dicke 1997a, S. 94f., 256. Das früheste deutschsprachige Zeugnis bietet neben dem »Tristan« die auf französische Vorlagen zurückgehende Erzählung »Die unschuldige Mörderin« Heinrich Kaufringers (1. Hälfte 15. Jh.), vgl. dazu neben Dicke 1997a, S. 257, bes. Kurt Ruh: Kaufringers Erzählung von der ›Unschuldigen Mörderin‹, in: Interpretation und Edition deutscher Texte des Mittelalters. Festschrift für John Asher zum 60. Geburtstag, hrsg. von Kathryn Smits u. a., Berlin 1981, S. 164-177. 53 Vgl. Bédier 1902-1905, Bd. 2, S. 182; Hertz 3 1901, S. 533; Zenker 1911, S. 331-333 (mit Bezug auf Eilhart); Hollandt 1966, S. 123 Anm. 21; Christ 1977, S. 171; Chinca 1997, S. 77; Lienert 2006, S. 262. 54 Dicke 1997a, S. 101. 55 Schröder 1989, S. 154. 3.1 Isoldes Mordanschlag auf Brangäne. Das Schema im Kopf der Figur 287 erklären. 56 Die Handlung ist also kompositorisch motiviert, und die Figuren erscheinen als Aktanten, die eine vom Erzählschema vorgegebene Handlungsrolle erfüllen. 57 Dabei macht es der »Tristan« dem Rezipienten allerdings erst einmal nicht besonders leicht, das entsprechende richtige Erzählschema abzurufen: Wie oben bereits erwähnt wurde, gibt es verschiedene Erzähltypen, die mit dem Motiv der untergeschobenen Braut arbeiten. Je nachdem, welche Variante aktualisiert wird, erweist sich entweder die substituierende oder die substituierte Braut als die ›richtige‹. Es gilt daher zunächst einmal, die Aktantenpositionen zu besetzen, und zu entscheiden, bei wem aus Gottfrieds Figurenpersonal es sich um die ›falsche‹ und die ›richtige‹ Braut handelt. In der binären Logik des Märchens ist diese Zuteilung eindeutig und wird oft auch auf der Textoberfläche deutlich markiert, zum Beispiel durch körperliche Attribute wie Schönheit und Hässlichkeit. 58 Im Roman erweist sich die Entscheidung - auch aufgrund der Erweiterung des Figurenrepertoires um einen weiteren Akteur, nämlich Tristan 59 - als schwierig und hängt, wie schon oft hervorgehoben wurde, vom jeweiligen Standpunkt der Betrachtung 56 Über die zugrunde liegenden Erzählmuster erklärt sich zum Beispiel auch die Tatsache, dass Isolde den Mördern befiehlt, Brangäne die Zunge herauszuschneiden. Wenn also Gottfried dieses Detail gegenüber Thomas neu eingeführt haben sollte, dann muss das nicht unbedingt die Grausamkeit der Figur betonen (so etwa Jaeger 1971, S. 189; Haug / Scholz, Bd. 2, S. 559), sondern stellt in erster Linie eine Annäherung an das Erzählmuster dar: Der entsprechende Wunsch nach dem Beweis durch ein Organ (in der Regel das Herz) ist ein fester Bestandteil des Motivkomplexes. Das schließt freilich andere Deutungen der Tatsache, dass es sich im »Tristan« ausgerechnet um eine Zunge handelt (und nicht etwa, wie bei Eilhart, um die Leber, vgl. »Tristrant«, v. 3005) nicht aus. So deutet etwa Wenzel die Zunge (lat. lingua) als Zeichen für die Sprache und Sprachfähigkeit Brangänes, vgl. Wenzel 1988b, S. 361-363. Dazu auch Marshall 2017, S. 261. 57 Chinca formuliert das folgendermaßen: »Isolde’s uncharacteristic cruelty towards Brangaene is, then, a result of her performing the role demanded of her by the scenario.« (Chinca 1997, S. 77) Ähnlich meint Dicke, Brangäne drohe »das ihrer Aktantenrolle vom Schema vorbestimmte […] Schicksal« und Isolde handle, »als gelte es, ein präformiertes Verhaltensmuster ›schemagerecht‹ zu erfüllen.« (Dicke 1997a, S. 101) Auch für Huber »zeigt sich Isoldes Initiative [zum Mord an Brangäne] nur folgerichtig aus der Brautnacht-Konstellation entwickelt. Sie ist die archaische Auseinandersetzung zwischen der falschen und der rechten […] Braut.« (Huber 3 2013, S.-98f.) 58 Ein Beispiel bietet dafür der Erzähltyp von der schwarzen und der weißen Braut (ATU 403), in dem die Rollenverteilung über den symbolischen Dualismus der Hautfarben (schwarz / weiß) zum Ausdruck gebracht wird, vgl. Marianne Rumpf: Art. Braut: Die schwarze und die weiße B., in: Enzyklopädie des Märchens 2 (1979), Sp. 730-738, hier bes. Sp. 731. Im »Tristan« hingegen wird Brangäne zwar explizit als valsch (v. 12612) und trügeheit (v. 12613) bezeichnet und als messinc dem guldînen teidinc Isolde gegenübergestellt (vgl. v. 12607 f.), aber der Erzähler betont auch, dass es für Marke keinen Anlass zur Klage gebe, da er bei Brangäne alles finde, swes er hin z’ir gegerte, | mit messing und mit golde, | als wol alse er wolde (vv.-12602- 12604). Das heißt: Es gibt zwar einen Unterschied zwischen der richtigen und der falschen Braut (vgl. dazu Wessel 1984, S. 430 Anm. 1421, und mit weiterer Literatur den Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 552f.), nur kann ihn Marke nicht erkennen, wie später noch einmal deutlich gemacht wird: in dûhte wîp alse wîp | […] | an ietwederre vand er | golt unde messinc (vv.- 12666-12671). Das kann man einerseits als Kritik an Marke lesen, dem aufgrund seines rein sexuellen Interesses die Wirklichkeit verborgen bleibt (so Schnell 1992, S. 136f.). In der Logik des Romans zeigt sich damit, wie in der folgenden Gandin-Episode, aber andererseits auch, dass er nicht der richtige Partner für Isolde ist, vgl. Dicke 1997a, S. 88. 59 Auch in den orientalischen Versionen des Erzähltyps (und in der europäischen Version des »Book of Leinster«) tritt ein Geliebter der Protagonistin auf, der allerdings zu Beginn der Handlung bei einem Rendezvous auf tragische Weise ums Leben kommt. Genauer sollte man also davon sprechen, dass die Komplikationen der Figurenkonstellation im »Tristan« dadurch zustande kommen, dass der Geliebte der Heldin (d. h. Tristan) gegen das Erzählschema am Leben bleibt und sich der Text damit einer einfachen Lösung der Geschichte verweigert. Ähnliches lässt sich bereits zuvor am Beispiel des Erzähltyps von der ›Jungfrau mit den goldenen Haaren‹ (siehe oben, S. 181 Anm. 298) beobachten, wo der Tristanstoff entgegen dem Schema König Marke am Leben lässt. 288 3 Lektüren ab. 60 Schon hier zeigt sich, dass es einige Unterschiede zwischen den ›märchenhaften‹ Varianten des Erzähltyps und der Handlung des »Tristan« gibt. Dazu gehört auch, dass es im »Tristan« anders als in den anderen Versionen nicht zu einem Happy End kommt und sich der Text (wie so oft) der vorgesehenen Lösung verweigert. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass es sich bei den Protagonistinnen der anderen europäischen Versionen des ›Murdered Substitute Tale‹ um »streng büßende Exempelheldin[nen]« handelt, die am Ende »ihr Seelenheil über den Erhalt ihrer weltlichen Ehre stell[en]« 61 - während bei Isolde, wie der Text ja ausdrücklich hervorhebt, das Gegenteil der Fall ist. Die Erklärung des Erzählers, diu sorchafte künigîn beweise mit ihrem Verhalten, daz man laster unde spot | mêre vürhtet danne got (vv. 12709-12712), kann man so beinahe als (›realistischen‹) Kommentar auf die literarische Tradition lesen. 62 Die vielleicht zentralste Abweichung vom Erzählschema betrifft schließlich Brangäne, denn es ist offensichtlich, dass sie sich n i c h t rollengerecht verhält. Der Erzähler macht das ganz deutlich, indem er direkt nach der Schilderung von Isoldes oben zitierter Befürchtung seine Dissonanz zum Ausdruck bringt: nein, ir gedanke und ir muot | die wâren lûter unde guot (vv.- 12629 f.). 63 Damit wird offensichtlich, dass Isoldes Spekulationen, so berechtigt sie mit 60 Dabei geht es weniger um die Frage, ob Brangäne die richtige Braut für Marke sein könnte, sondern darum, in welcher Hinsicht Isolde jeweils die richtige oder falsche Braut für Marke bzw. Tristan ist, vgl. zusammenfassend Dicke 1997a, S. 87f. Insofern sich Brangäne generell und Isolde von einem bestimmten Standpunkt aus als falsche Braut für Marke erweisen, kann man davon sprechen, im »Tristan« habe »man es also […] mit einer falschen Braut zu tun, die eine falsche unterschiebt« (ebd., S. 88). 61 Ebd., S. 96. 62 Hier wird zum Ausdruck gebracht, dass es in der erzählten Welt nicht zugeht wie in den religiösen Exempelgeschichten der Erzähltradition, sondern wie in der ›Realität‹ der höfischen Kultur, wo ›man‹ mehr um sein gesellschaftliches Ansehen fürchtet als um sein Seelenheil. Diese Differenz lässt sich auch als Gegenüberstellung einer christlichen ›Schuldkultur‹ und einer höfischen ›Schamkultur‹ verstehen. Zu dieser Unterscheidung grundlegend Ruth Benedict: Chrysantheme und Schwert. Formen der japanischen-Kultur.-Aus dem- Englischen von- Jobst-Mathias- Spannagel, Frankfurt a. M. 2014 [zuerst im englischen Original 1946]. Schamkulturen funktionieren demnach durch »externe Sanktionen, um richtiges Verhalten zu erzielen«, während Schuldkulturen »auf eine von innen kommende Überzeugung der Sündhaftigkeit« setzen (ebd., S. 196). Ausgehend von Benedicts kulturrelativierendem Ansatz, der Scham und Schuld synchron als Differenzmerkmal zwischen verschiedenen Kulturen etablierte, wurde die Unterscheidung auch im Sinne einer diachronen Entwicklung von der mittelalterlichen Schamzur modernen Schuldkultur in Anschlag gebracht. Schon Norbert Elias spricht zwar vor allem über Scham, geht aber im Kontext des von ihm beschriebenen Zivilisationsprozesses von einer »Verwandlung zwischenmenschlicher Fremdzwänge in einzelmenschliche Selbstzwänge« aus (Norbert Elias: Über den- Prozeß der Zivilisation.- Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, Bd. 1: -Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen-Oberschichten des Abendlandes, Bd. 2: Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation, 2., um eine Einl. verm. Aufl., Bern / München 1969, Bd. 2, S. LXI). Bei der einseitigen Charakterisierung des Mittelalters als ›Schamkultur‹ handelt es sich freilich um eine unzulässige Vereinfachung, vgl. David N. Yeandle: Shame in- Middle- High German- Literature. The Emotional Side of a Medieval- Virtue, in: Euphorion 99 (2005), S. 295-321, hier S. 296. Dazu sowie zur literaturgeschichtlichen Hypothese einer Entwicklung »von der Schamkultur der Heldenepik zur Schuldkultur des Romans« Peter von Moos: Einleitung. Fehltritt,-Fauxpas und andere-Transgressionen im-Mittelalter, in: Der-Fehltritt. Vergehen und Versehen in der-Vormoderne, hrsg. von Peter von Moos, Köln u. a. 2001 (Norm und Struktur 15), S. 1-96, hier S. 12. Gerade das Beispiel aus dem »Tristan« zeigt, dass wir es im Mittelalter mit einem synchronen Nebeneinander von christlicher Schuld- und höfischer Schamkultur in vielfach »paradoxe[n] Überkreuzungen« zu tun haben, vgl. ebd., S. 65-67, Zitat S. 66. Siehe mit Verweis auf die vorliegende Stelle weiterhin Ward 1982 / 83, S. 10. 63 Mir ist nicht klar, warum Eming meint, es hier mit einer »›Unzuverlässigkeit‹ des Erzählers« zu tun zu haben (Eming 2015, S. 108 Anm. 327). Die Stelle ist aber insofern markiert, da der Erzähler zuvor vorgibt, keinen Einblick in Brangänes Gefühle während der Hochzeitsnacht zu besitzen, vgl. vv. 12596f.: ine weiz, 3.1 Isoldes Mordanschlag auf Brangäne. Das Schema im Kopf der Figur 289 Blick auf den Erzähltyp sein mögen, nicht mit der Realität der erzählten Welt übereinstimmen. Wie sich im »Tristan« immer wieder beobachten lässt, 64 scheint hier ein traditionelles Erzählmuster aufgerufen und dann wieder fallen gelassen zu werden. Genau genommen ist das Schema jedoch auf Handlungsebene zu keinem Zeitpunkt aktiv. Was sich in den anderen Versionen des Erzähltyps »in auserzählter Handlung manifestiert«, wird im »Tristan« ins Innere der Figur verlegt: »Die im Schema obligate Illoyalität der Stellvertreterin ist dadurch hier nurmehr als entsprechender Verdacht der Braut präsent, als Deutung des erzählten Geschehens aus der Perspektive der Heldin« 65 . D a s S c h e m a e x i s t i e r t ›i m K o p f d e r F i g u r‹ . Auch wenn das keineswegs so deutlich gemacht wird, hat es beinahe den Anschein, als kenne Isolde andere Erzählungen von der illoyalen Stellvertreterin, verfüge also über literarisches Wissen. 66 Man kann dieses Erzählverfahren der Verinnerlichung des Erzählmusters als eine Form der Psychologisierung verstehen, weil hier Annahmen über das Innere der Figur getroffen werden. 67 Die Interpretation der erzählten Wirklichkeit durch die Figur rückt gegenüber der eigentlichen Handlung in den Vordergrund. Die Handlung wird dadurch allerdings nicht wirklich psychologisch nachvollziehbar, da sich die Erzählung nicht von den zugrunde liegenden literarischen Mustern löst, sondern weiterhin eng auf diese bezogen bleibt; Isolde ist »mehr als nur bloße Aktantin in einem vorgeprägten narrativen Schema« 68 , aber trotzdem keine autonome ›Person‹ im modernen Sinne. Auch in Bezug auf Brangäne trägt die Erzählung dazu bei, die Figur ›persönlicher‹ erscheinen zu lassen. Zunächst wirken die psychologischen Probleme, die die Deutung der Episode in Bezug auf Brangäne aufwirft, nicht weniger gravierend als bei Isolde. Die Zofe scheint sich mindestens ebenso unplausibel zu verhalten wie ihre Herrin. So fragt etwa Werner Schröder: »Kann Brangäne vergessen, daß Isolt sie ermorden lassen wollte? […] Muß nicht das Mißtrauen wachsen und die bis dahin ungetrübte Freundschaft vergiften? « 69 Man kann das zunächst mit Verweis auf das episodische Erzählen des »Tristan« erklären: Brangänes Gedächtnis wird ›auf Null gestellt‹, damit sie im nächsten Erzählabschnitt wieder die Handlungsrolle der loyalen Vertrauten einnehmen kann. Eine andere Antwort auf die Fragen findet sich, wie Schröder wie ir der anevanc | geviele in dirre sache. Zu dieser ›externen Fokalisierung‹ auch Dimpel 2011, S. 279: »Das vorgebliche Nicht-Wissen des Erzählers über Brangänes Erleben in der Hochzeitsnacht korrespondiert mit dem Nicht-Wissen von Isolde in der Frage, ob sie Brangäne weiterhin vertrauen darf.« Anders dagegen Hübner, für den die »Unwissenheitsbekundungen des Erzählers ironischen Charakter« besitzen (Hübner 2003, S. 370). 64 Siehe dazu oben meine Ausführungen in Bezug auf das ›episodische Erzählen‹ im »Tristan«, S. 143. 65 Dicke 1997a, S. 101f. Auch Krohn spricht, ohne weitere Schlüsse daraus zu ziehen, davon, die »Befürchtungen Isoldes« erschienen als »eine Reminiszenz an die Tradition des Motivs« (Krohn, Bd. 3, S. 187). Bédier spekulierte, es habe ehemals eine heute verlorene Version des Tristanstoffes existiert, in der die Vertraute das Hochzeitsbett gemäß dem Erzähltyp tatsächlich nicht habe verlassen wollen, vgl. Bédier 1902-1905, Bd. 2, S.-182. Folgt man dieser Annahme, für die es allerdings keine Anhaltspunkte gibt, dann wäre die ›Verlagerung‹ des Erzählmusters von der Handlungsebene in das Figureninnere als konkreter Prozess im Verlauf der Stoffgeschichte zu verstehen. 66 Ähnliches scheint Dimpel für die beiden knehte anzunehmen, wenn er argumentiert, sie könnten Brangänes Hemden-Gleichnis verstanden haben, weil »Erzählungen über Brautunterschiebungen […] in vielen Kulturen weit verbreitet« seien (Dimpel 2011, S. 265). 67 Dicke nennt das mit einem Zitat von Ralf Simon eine »erzähltechnische Simulation von Psychologie« (Simon 1990, S. 124), vgl. Dicke 1997a, S. 102. 68 Ebd., S. 103. 69 Schröder 1989, S. 153. Vgl. auch Lienert 2006, S. 262f. 290 3 Lektüren weiter ausführt, in dem Teil des Romans, den Gottfried nicht mehr erzählen konnte. Wir wissen zwar nicht genau, wie er die Geschichte zu Ende geführt hätte, folgen wir jedoch dem Zeugnis von Thomas, so hätte der Mordanschlag auf Brangäne noch einmal eine Rolle gespielt. 70 Sehr viel später, im Kontext der Rückkehrabenteuer, kommt es im französischen Roman zu einer Entzweiung von Brengvein und Ysolt. Anlass dafür ist die Tatsache, dass Brengvein auf Bitte der Königin mit Kaherdin geschlafen hat, den sie nun aufgrund eines Missverständnisses für einen Feigling hält, weshalb sie sich entehrt fühlt. 71 Das führt zu einem mehrere hundert Verse lang geschilderten Streit zwischen den beiden Frauen (»Tristran«, vv.- 1265-1618), an dessen Ende sich Brengvein von Ysolt lossagt und droht, die Liebenden beim König zu verraten. Der eigentliche Grund für den Konflikt jedoch liegt, wie uns der Text verrät, tiefer: Es sind der Brautunterschub und vor allem der Mordversuch, die Brengvein der Königin jetzt vorwirft und die, wie sie ausführt, zwar vergeben und vergessen waren, nun aber durch die neuerlichen Ereignisse wieder an die Oberfläche gekommen (›aufgefrischt‹, renovelé) sind: 72 »Dame«, dit Brengvain, »morte sui. Mar vi l’ure que vus cunui, E vus e Tristran vostre ami! Tut mun païs pur vus guerpi, E pus, pur vostre fol curage, Perdi, dame, mun pucelage. Jol fiz, certes, pur vostre amur: Vus m’en pramistes grant honur, E vus e Tristran le parjure, Ki Deu doinst ui male aventure E dur encunbrer de sa vie! Par li fu ge primer hunie. Membre vus e vus m’enveiastes: A ocire me cummandastes; Ne remist en vostre franchise Que par les sers ne fui ocise; Melz me valuit la lur haür, Ysolt, que ne fist vostre amur. 70 Vgl. Schröder 1989, S. 162f. Dass Gottfried hier ganz anders erzählt hätte, glaubt indes Cynthia B. Caples, weil die im Folgenden beschriebene Szene nicht zu der von ihr angenommenen ethisch-moralischen Entwicklung Isoldes passt, vgl. Cynthia B. Caples: Brangaene and Isold in Gottfried von Strassburg’s »Tristan«, in: Colloquia Germanica 9 (1975), S. 167-176, hier S. 172. Kritisch auch Lienert 2006, S. 260, die davon ausgeht, Gottfried wäre womöglich Eilhart gefolgt und hätte Brangäne im zweiten Teil der Erzählung nicht mehr auftreten lassen. Im »Tristrant« nimmt in der fraglichen Episode mit Gymele eine andere Zofe Brangenes Platz in der Handlung ein, vgl. dazu Schröder 1989, S. 156. Mittelalterliche Rezipienten lasen den »Tristan« in jedem Fall ohne die entsprechende Szene, weil auch Gottfrieds Fortsetzer Heinrich von Freiberg (vgl. vv. 4793-5003) und Ulrich von Türheim (vgl. vv. 1589-1881) hier Eilhart folgen, und damit zumindest alle überlieferten »Tristan«-Codices nicht davon berichten. 71 Vgl. Thomas, »Tristran«, vv. 1295-1319. Die entsprechende Vorgeschichte ist im Torso des französischen Romans (Fragment Douce, zweites Turiner Fragment) nicht überliefert, die Handlung setzt hier mit dem Streit der Frauen ein. Siehe dazu das Zeugnis der »Tristramssaga«, Kap. 87 f. (Ausg. Kölbing 1878, S. 100-102). 72 Für Schröder zeigt sich hier, dass Brengvein die Vorfälle »verdrängt« habe (Schröder 1989, S. 158), womit er (unbewusst) ein Konzept aus der Psychoanalyse bemüht. 3.1 Isoldes Mordanschlag auf Brangäne. Das Schema im Kopf der Figur 291 Chetive et maleoite fui Quant puis icel ure vus crui, Que unques vers vus amur oi, Pus ke ceste mort par vus soi. Pur quei n’ai quis la vostre mort, Quant me la queïestes a tort? Cel frofez fud tut pardoné, Mès ore est il renovelé. (Thomas, »Tristran«, vv. 1269-1294) ›»Madame«, sagt Brengvain, »ich bin tot! Zu meinem Unglück sah ich die Stunde, in der ich Euch kennenlernte, Euch und Tristran, Euren Freund! Mein Land verließ ich ganz und gar Euretwegen, und dann verlor ich wegen Eures Wahnsinns, Madame, meine Jungfernschaft. Gewiß, ich machte es aus Liebe zu Euch. Ihr verspracht mir dafür große Ehre, Ihr und auch Tristran, der Meineidige, dem Gott heute ein böses Geschick und in seinem Leben schweres Unglück bereiten möge! Seinetwegen wurde ich zum ersten Mal entehrt. Erinnert Euch, wo Ihr mich hinschicktet: Mich zu töten, befahlt Ihr! Nicht Eure höchstadlige Gesinnung hat es verhindert, daß ich von den Knechten getötet wurde; ihre Feindschaft war mir nützlicher, Ysolt, als Eure Liebe. Elend und verflucht war ich, daß ich Euch nach jener Stunde (noch) glaubte, daß ich für Euch jemals (noch) Liebe hatte, da ich ja wußte, daß jener Mordanschlag von Euch kam. Warum habe ich nicht Euren Tod gesucht, nachdem Ihr ungerechterweise den meinen suchtet? Diese Schandtat wurde ganz und gar vergeben, aber jetzt ist das wieder aufgefrischt worden.«‹ 73 Hier wird deutlich, dass Brengvein den Mordanschlag keineswegs vergessen hat, sondern sich immer noch - bei Gottfried wären mindestens 10.000 Verse vergangen - daran erinnert. Die Figur verfügt also über eine Vergangenheit und ein ›autobiographisches Gedächtnis‹, was, wie oben ausgeführt wurde, in modernen Persönlichkeitstheorien als zentrales Merkmal personaler Identität angesehen wird. 74 Der Mordanschlag wird damit gewissermaßen zu einem ›persönlichkeitsbildenden‹ Ereignis für Brengvein. Damit wird im Nachhinein auch der Eindruck einer psychologischen Inkohärenz der Figur im Kontext des Mordanschlags korrigiert. Erzähltechnisch gesehen nutzt Thomas die Erinnerung an den Mordanschlag, um den (vorübergehenden) Rollenwechsel der Figur von der klugen Ratgeberin zur Antagonistin zu motivieren und ihn als charakterliche Entwicklung darzustellen. 75 Zumindest in den Augen Schröders scheint das offenbar auch gelungen zu sein, denn er spricht in Bezug auf die vorliegende Szene von »einer glänzenden psychologischen Studie« 76 , die auch »der große 73 Interessant ist die Tatsache, dass Brengvein im Verlauf des Streits auch eine intertextuelle Referenz einfließen lässt, wenn sie Ysolt vorwirft, (so wie) Richolt (»Tristran«, v. 1322) zu sein. Das bezieht sich wohl auf Richeut, die Protagonistin eines französischen Fabliaus aus dem 12. Jh. über eine Prostituierte, die Verhältnisse zu verschiedenen Männern pflegt, die sie alle zu ihrem Vorteil ausnutzt. Zitiert nach Richeut, éd. critique avec introd., notes et glossaire par Philippe Vernay, Bern 1988 (Romanica Helvetica 103). Auch Brengvein verfügt offenbar über literarisches Wissen, mit dessen Hilfe sie das Verhalten ihrer Mitmenschen interpretiert. 74 Siehe oben, S. 142 Anm. 98. 75 Haug spricht von einem »personalen Umschlag in den Widerspruch« (Haug 2009, S. 231). 76 Schröder 1989, S. 157. 292 3 Lektüren Menschenkenner Gottfried« ähnlich erzählt hätte, um »die wirklichen Verhältnisse und die menschlichen Leidenschaften« zum Ausdruck zu bringen. 77 Für Schröder besteht, genauso wie schon für William T.H. Jackson, in der Vorbereitung des späteren Bruchs die entscheidende Funktion des Mordanschlags auf Brangäne. 78 Andere Interpretationen, die in der Forschung für die schwer erklärbare Episode diskutiert wurden, 79 verstehen den Mordanschlag etwa als Prüfung Brangänes, 80 die die Grundlage für das spätere Verhältnis der beiden Frauen bilde; vor allem die in den folgenden Listepisoden zentrale Fähigkeit zum zweideutigen Sprechen werde hier zum ersten Mal unter Beweis gestellt. 81 Eine andere Deutung bietet Horst Brunner, für den die Szene »strukturell die Aufgabe hat, die grundsätzliche Bedenkenlosigkeit Isoldes […] sichtbar zu machen.« 82 Für Gert Hübner wiederum demons- 77 Ebd., S. 163. Hübner hält dieser Interpretation Thomas’ ›dialektisches Arrangement‹ entgegen, vgl. Hübner 2003, S. 309 Anm. 107. Stattdessen betont er, dass Brengveins antagonistischer Standpunkt auf einem Irrtum beruhe (nämlich der Annahme, Kaherdin sei ein Feigling), und aufgegeben werde, sobald sie diesen Irrtum einsehe. Damit werde letztlich die Relativität moralischer Standpunkte vorgeführt, vgl. ebd., S.-309-311. Zu Schröders Deutung auch Kragl 2019, S. 310f., der von einer »etwas kühn psychologisierende[n] Lektüre« spricht (S. 310). - Auch für William T.H. Jackson erscheint Brangäne als »a normal human character«: »Brangaene is a person in her own right and all her actions are capable of explanation on purely human grounds.« ( Jackson 1953, S. 293) 78 Vgl. Schröder 1989, S. 154, 162; Jackson 1953, S. 294. 79 Mitunter hat man die Episode auch mit Stoffzwang begründet. In diesem Sinne spricht Hertz im Kommentar seiner Übersetzung von einem »Erbstück aus der wilderen Jugendzeit der Sage« (Hertz 1877, S. 492). Diese Erklärung greift aber zu kurz: So ist Eilhart offenbar um eine sanftere Darstellung bemüht, vgl. Dicke 1997a, S. 67 Anm. 9. Im »Tristrant« wird etwa (zumindest in der Perspektive des mit der Ermordung beauftragten Ritters) die aufrichtige Reue Isaldes betont, vgl. vv. 3124-3127: so groͮ ß tet sú ir ungemach, | do der ritter daß vernam, | daß eß von r e h t e m l a i d kam, | dú rúw, die sú habt. (Hervorhebung L.M.) Bei Gottfried dagegen ist »[v]on Reue keine Spur« (Klein 2000, S. 81). Die ›höfischen‹ Versionen scheinen die Grausamkeit der Episode vielmehr noch zu verstärken, vgl. Jaeger 1971, S. 189; Dicke 1997a, S. 68; Lienert 2006, S. 260; Schröder 1989, S. 155f.: »Eilhart ist in dieser Beziehung höfischer als seine Nachfolger. Die Gewissenlosigkeit und Brutalität, mit der sich deren Isolt einer gefährlichen Mitwisserin zu entledigen sucht, ist nicht spielmännisches Erbe, sie ist erst von den höfischen Bearbeitern des Stoffes so auf die Spitze getrieben worden.« Neu ist hier etwa Isoldes Befehl, Brangäne den Kopf abschlagen zu lassen, vgl. Gottfried, »Tristan«, v. 12732; »Tristramssaga«, Kap. 47 (Ausg. Kölbing 1878, S. 58, Z. 16 f.). - Für Keck tritt in der Episode eine »untergründige Misogynie der Tristantradition« zutage, die sich »der ältesten Schicht der Erzählung« verdanke (Keck 1998, S. 40). 80 Vgl. Jaeger 1971, der auch auf die literarische Tradition der geduldigen verfolgten Unschuld verweist, die vor allem in späteren Erzählungen, besonders in Boccaccios Griseldis-Novelle, verarbeitet ist, vgl. ebd., S. 200-202. Als Test der (spezifisch weiblichen) Freundschaft zwischen den beiden Frauen versteht die Episode Rasmussen 2003, S. 148. Eine regelrechte »transformation« Brangänes erkennt Richardson 1996, S. 105. - Grundsätzlich gegen eine Funktion als »bewußte ›Prüfung‹ durch Isolde« (oder wie bei Jaeger durch die personifizierte Minne) argumentiert Lienert 2006, S. 261. Der »Gedanke der Prüfung« werde vielmehr »erst im Nachhinein auf die Episode projiziert« (ebd.). 81 Vgl. Jaeger 1971, S. 203-206. Die Episode etabliere das Muster des zweideutigen Sprechens im Text und bereite Brangäne auf ihre Rolle in den folgenden Listepisoden vor: »At her purification ceremony she learns to practice the art which will be most valuable to her, the art of perfectly stifling conflict and concealing deception.« (S. 206) Ähnlich Caples 1975, S. 171. Die Ausrichtung auf die Zweideutigkeit der Sprache betont auch Dimpel, sieht darin aber weniger »eine Prüfung, die von Isolde durchgeführt würde«, sondern vielmehr »eine Demonstration, die auf den Rezipienten als Adressaten zielt.« (Dimpel 2011, S. 272) Rasmussen verweist auf Brangänes grundsätzliche Verbindung zum Bereich der Sprache, die auch in ihren ersten Worten im Roman zum Ausdruck komme, in denen sie die giftige Drachenzunge identifiziert, vgl. v. 9422: »ez ist ein zunge, dunket mich«. Dazu Rasmussen 2003, S. 146. 82 Brunner 2018 [2011], S. 40. 3.1 Isoldes Mordanschlag auf Brangäne. Das Schema im Kopf der Figur 293 triert die Episode die Loyalität Brangänes, die als Vorbild den Rezipienten dazu anhalten solle, ebenfalls unerschütterlich auf der Seite von Tristan und Isolde zu bleiben. 83 Peter Kern schließlich sieht im Mordanschlag eine Art Ablenkungsmanöver im Rahmen der Sympathiesteuerung des Textes: Der Betrug an Marke, der »eigentlich Hauptthema sein müßte«, werde durch das Nebenthema um Isolde und Brangäne überspielt, da dieses »all unsere mitfühlende Aufmerksamkeit auf sich zieht und uns das eigentlich virulente Thema des Betrugs vergessen macht.« 84 Ohne diese Erklärungen grundsätzlich infrage stellen zu wollen, möchte ich eine alternative Deutung vorschlagen und die Episode p o e t o l o g i s c h lesen: Ein zentrales Thema des Erzählabschnitts sind das Erkennen und Verkennen der Intentionen anderer Akteure. 85 Am Beispiel von Isolde führt der Text vor, wie eine Figur versucht, die Handlungen und Motive ihres Gegenübers zu antizipieren. Damit thematisiert er zugleich das hermeneutische Verfahren des Rezipienten. Isolde handelt so, wie es womöglich auch die Leser und Hörer des Romans tun, wird also zu einer Art Modellrezipientin: 86 Sie ruft literarisches Wissen ab, antizipiert Erzählschemata und Aktantenrollen und stellt auf dieser Basis Vermutungen über die zukünftigen Verhaltensweisen von Brangäne an. Insofern wird hier auf der Ebene der erzählten Welt ein Prozess abgebildet, der sonst auf der Ebene der Rezipienten stattfindet. Mit Bezug auf Ralf Schneiders Theorie vom mentalen Modell der Figur kann man davon sprechen, dass Isolde hier eine ›Kategorisierung‹ vornimmt. Sie versucht, das Verhalten ihrer Zofe zu verstehen, indem sie »zuvor gespeicherte Wissensstrukturen aktiviert« 87 und Brangäne einer bereits bekannten Kategorie (der ›illoyalen Stellvertreterin‹) zuordnet. Anders als Isolde erfährt der Rezipient jedoch sofort, dass es sich dabei um eine Fehleinschätzung handelt. Die neuen Informationen des Erzählers erweisen sich als inkongruent mit der Figurenkategorie und lassen sich nicht in das gerade erst gebildete mentale Modell integrieren. Da die Aussagen des Erzählers größeres Gewicht haben als die Überlegungen Isoldes, kommt es zu einer ›Entkategorisierung‹: 88 Der Rezipient wird gezwungen, die Kategorie aufzugeben und das mentale Modell umzugestalten. Wie Schneider darlegt, führt eine solche Entkategorisierung 83 Vgl. Hübner 2003, S. 355 Anm. 164. 84 Kern 1988, S. 214. 85 Das wird auch durch den fehlenden Einblick des Erzählers in Brangänes Bewusstsein unterstrichen, von dem oben bereits die Rede war (siehe oben, S. 288 Anm. 63). - Dass es in der Episode um »Probleme rund um das Thema ›Verstehen‹« gehe, meint auch Dimpel 2011, S. 279. Dazu weiterhin ebd., S. 271. Dimpel liest die Episode ebenfalls poetologisch, aber mit einem anderen Fokus, nämlich auf Brangänes Erzählung von den beiden Hemden, vgl. ebd., S. 270: »Die Hemden-Parabel ist zugleich eine Geschichte darüber, wie der Grad und Erfolg des textinternen Verstehens offen gehalten werden kann. Sie birgt eine Sinnsicht, die Grundprobleme literalen und allegorischen Sprechens berührt - implizit eine Allegorie auf allegorische Rede, die auf Handlungsebene entfaltet wird.« 86 Der Begriff der ›Modellrezipientin‹ ist an Konzepte wie Umberto Ecos ›Modell-Leser‹ angelehnt (siehe oben, S. 26f.). Meine Verwendung des Begriffs weicht jedoch insofern davon ab, als mit Ecos Modell-Leser (vor allem in der Rezeption des Konzepts) oft die Vorstellung einer idealen, gelungenen Rezeption verbunden ist, während der ›Modellrezipientin‹ Isolde ganz offensichtlich eine Fehlinterpretation unterläuft. Aber auch Eco weist darauf hin, dass der Autor den Leser bei der Lektüre nicht immer ›gewinnen‹ lassen wolle, vgl. Eco 1987, S. 66. - In der »Tristan«-Forschung ist vor allem Brangäne verschiedentlich als ›Modellrezipientin‹ beschrieben worden, vgl. Hübner 2003, S. 322; Lienert 2006, S. 266; Dimpel 2011, S. 281f. 87 Schneider 2000, S. 142. 88 Vgl. ebd., S. 160: »Unter Entkategorisierung kann der Vorgang verstanden werden, bei dem der Rezipient mit Informationen über eine zuvor kategorisierte bzw. individualisierte Figur konfrontiert wird, welche die bisherige Ausgestaltung des Modells auf Grundlage der Kategoriemerkmale einschließlich der damit verbundenen Inferenzen und Hypothesen als inadäquat erscheinen lassen.« 294 3 Lektüren nicht nur zur Individualisierung der Figur, sondern lenkt auch grundsätzlich die Aufmerksamkeit auf die vorangegangene Kategorienbildung und die daraus abgeleiteten Inferenzen: »[D]urch ihr Scheitern« können »dem Rezipienten seine zuvor unbewußt erstellten Inferenzen […] bewußt werden, so daß nun aufmerksam neue Inferenzen erstellt werden müssen.« 89 Durch das Vorführen des Scheiterns der Kategorisierung werde also eine unterschwellige Kritik am Prozess der Kategorienbildung geäußert. 90 In diesem Sinne zeigt sich an Isolde, was auch im Schwalbenhaar-Exkurs deutlich wurde: Einfache Erzählschemata greifen hier nicht mehr; bilden sie die Grundlage der Deutung, wird der hermeneutische Vorgang prekär. Da eine Kategorisierung Brangänes gemäß dem literarischen Figurentyp der ›illoyalen Stellvertreterin‹ nicht funktioniert, könnten sich die Rezipienten bei der Bildung neuer Inferenzen diesmal stattdessen auf realweltliche Wissensbestände beziehen und versuchen, die Figur als ›Person‹ wahrzunehmen. Aber auch das ist nicht ohne Weiteres möglich, denn ohne literarisches Wissen und einen Bezug auf den Erzähltyp von der untergeschobenen Braut lässt sich die vorliegende Episode ebenfalls nicht angemessen verstehen. Brangäne verhält sich zwar nicht wie eine ›illoyale Stellvertreterin‹, bleibt aber auf diesen Figurentyp bezogen. Insofern befindet sich die Figur zwischen ›Artefakt‹ und ›Person‹. 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema Bei seiner Ankunft in Cornwall vernimmt er [Tristan], dass dort Morolt, ein hünenhafter Mann, eingetroffen ist, der im Auftrag seines Schwagers, des irischen Königs Gurmun, von Marke einen schmachvollen Tribut fordert. Tristan beschimpft die Adeligen des Markereichs, die aus Feigheit gewillt sind, den Menschenzins zu zahlen, und erklärt sich, obwohl er selbst von der Tributforderung nicht betroffen ist, zum Zweikampf gegen Morolt bereit. Auf dem Kampfplatz, einer Insel, gelingt es dem an Kraft unterlegenen Tristan, seinen Gegner niederzuwerfen und zu töten. 91 Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass diese Episode (vv. 5867-7230) starke Ähnlichkeiten mit einer bekannten Erzählung der Weltliteratur aufweist, nämlich der biblischen Auseinandersetzung von David und Goliath, von der im 1. Buch Samuel berichtet wird. 92 Schon 89 Ebd., S. 161. 90 Vgl. ebd. 91 Tomasek 2007, S. 79. 92 Vgl. bereits Stökle 1915, S. 71f. Ausführlich Alexander J. Denomy: Tristan and the Morholt: David and Goliath, in: Medieval Studies 18 (1956), S. 224-232 (mit einem problematischem Bezug auf den von Bédier rekonstruierten Text); weiterhin Ernst 1976, S. 14-18; in Auseinandersetzung damit Hans Unterreitmeier: Tristan als Retter, Perugia 1984 (Centro Internazionale di Studi di Filosofia della Religione 13), S. 51-53, 98; außerdem Alois Wolf: Tristan-Studien. Untersuchungen zum Minnegedanken im Tristan Gottfrieds von Straßburg, Diss. masch. Innsbruck 1953, S. 92; Walther Fuchs: Der Tristanroman und die höfische Liebesnovelle, Diss. Zürich 1967, S. 37; Langer 1974, S. 1; Kästner 1981, S. 58-60; Clausen-Stolzenburg 1995, S. 124-144 (mit Bezug auf Eilharts »Tristrant«); Richardson 1996, S. 90-92; Vickie L. Ziegler: Points of Law at the Point of a Sword. Tristan’s Duel with Morolt in the North Sea World, in: The North Sea World in the Middle Ages. Studies in the Cultural History of North-Western Europe, hrsg. von Thomas R. Liszka / Lorna E.M. Walker, Dublin 2001, S. 33-51, bes. S. 42; Vickie L. Ziegler: Trial by Fire and Battle in Medieval German Literature, Rochester (New York) / Woodbridge (Suffolk) 2004 (Studies in German Literature, Linguistics, and Culture), S. 121; Horst Wenzel: Schwert, Saitenspiel und Feder, in: Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters. Festschrift für Volker Mertens zum 65. 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema 295 in der kurzen Paraphrase dürften die Bezüge deutlich geworden sein. Weitere Übereinstimmungen mit der alttestamentlichen Erzählung ließen sich mühelos anfügen. Ich beschränke mich zunächst auf ein Detail: Nachdem Tristan seinem Gegner mit einem mächtigen Hieb den Schädel spaltet, sinkt Morolt besiegt zu Boden. Als er so âne craft und âne wer (v.-7062) vor ihm liegt, verhöhnt ihn Tristan zuerst und schlägt ihm dann unversehens den Kopf ab (vv. 7081-7085). Diese Enthauptung des wehrlosen Gegners sorgte in der Forschung für einige Irritation und provozierte verschiedene Erklärungsversuche. 93 Peter K. Stein sprach etwa von der »ärgste[n] Verfälschung ritterlichen Kämpfens im »Tristan«« 94 und sah darin ein Indiz für eine realistisch-abwertende Darstellung ritterlicher Auseinandersetzung, 95 mit der sich Gottfried vom Artusroman distanziere. Tristans ›unritterliches‹ Verhalten lässt sich aber auch mit dem Bezug auf David und Goliath erklären, da der biblische Protagonist ebenfalls seinen bereits besiegten Kontrahenten enthauptet. 96 Einen Beleg dafür, dass mittelalterliche Rezipienten bei der Enthauptung Morolts an die biblische Erzählung gedacht haben könnten, bietet die Münchener Tristan-Handschrift Cgm 51, deren Illustrator sich möglicherweise am ikonographischen Muster der Enthauptung Goliaths orientierte, um Tristans Kampf mit Morolt in Szene zu setzen (vgl. Abb. 1 und 2). 97 Geburtstag, hrsg. von Matthias Meyer / Hans-Jochen Schiewer, Tübingen 2002, S. 852-870, hier S. 867; Chinca 2003, S. 327; Detlef Goller: wan bî mînen tagen und ê hât man sô rehte wol geseit. Intertextuelle Verweise zu den Werken Hartmanns von Aue im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg, Frankfurt a. M. u. a. 2005 (Kultur, Wissenschaft, Literatur 7), S. 110; Barandun 2009, S. 130; Huber 3 2013, S. 74f.; Becker 2019, S. 125, sowie besonders Müller 2014, auf dessen Darstellung ich mich unten beziehe. - Die einzige kritische Stimme stammt, soweit ich sehe, ohne weitere Begründung von Nauen 1947, S. 51 Anm. 206: »Naiv scheint es zu sein, in dem Moroldkampf einen [sic] Pendant zum Kampf David-Goliath zu sehen […].« 93 Vgl. etwa die Nacherzählung bei Tax 2 1971, S. 42: »Morolt stürzt zusammen, Tristan aber verhöhnt den Todgeweihten noch (7065 ff.), tritt darauf näher an ihn heran und schlägt ihm g r a u s a m e r w e i s e noch Haupt mit Haube ab.« (Hervorhebung L.M.) Die Irritation ist auch bei Andreas Hammer zu spüren, wenn er nach der Intention des Protagonisten fragt: »Sollte Tristan etwa befürchten, Isoldes Kräfte reichten gar soweit, einen Toten zum Leben erwecken zu können und schlägt Morold deswegen den Kopf ab? « (Hammer 2007, S.-94) Hammer überlegt weiter, ob es sich um das Erbe eines ›keltischen Kopfkultes‹ handeln könnte, vgl. ebd., S. 94-105. Außerdem verweist er auf die Funktion des Kopfes in der Drachentöter-Erzählung ATU 300, zu der er auch den Moroltkampf rechnet, vgl. ebd., S. 182-191; zum Erzähltyp Uther 2011, Bd. 1, S. 174-176. Dort dient der Schädel aber als Beweismittel, was hier nicht der Fall ist, wie Hammer selbst erkennt. Auch ansonsten halte ich die Parallele zwischen Moroltkampf und ATU 300 für nicht sehr zwingend. 94 Stein 1977, S. 340. Zu dieser Deutung auch Ziegler 2004, S. 116. Sie versteht die Brutalität als Verweis auf realhistorische Zweikämpfe und erkennt darin kein kritisches Potential, vgl. Ziegler 2001, S. 39; 2004, S. 119. Auch Neumann führt die Enthauptung auf die mittelalterliche Rechtspraxis zurück, vgl. Sarah Neumann: Der gerichtliche Zweikampf. Gottesurteil - Wettstreit - Ehrensache, Ostfildern 2010 (Mittelalter-Forschungen 31), S. 80f. Keck sieht darin ein heldenepisches Moment, vgl. Keck 1998, S. 205f. 95 Auch Jackson meint, der Moroltkampf sei »probably far closer to a real thirteenth-century fight than anything in Chrétien’s work« ( Jackson 1971, S. 151f.). 96 Vgl. 1. Sam 17,50f.: praevaluitque David adversus Philistheum in funda et in lapide percussumque Philistheum interfecit cumque gladium non haberet in manu David | cucurrit et stetit super Philistheum et tulit gladium eius et eduxit de vagina sua et interfecit eum praeciditque caput eius. ›So überwand David den Philister mit Schleuder und Stein und traf und tötete ihn. David aber hatte kein Schwert in seiner Hand. | Da lief er hin und trat zu dem Philister und nahm dessen Schwert und zog es aus der Scheide und tötete ihn und hieb ihm den Kopf damit ab.‹ (Lutherbibel 2017) - Ob es sich bei dem Motiv im »Tristan« möglicherweise um ein Erbe des David-Goliath-Kampfes handelt, fragt auch Müller 2014, S. 56 Anm. 46, und bereits Combridge spricht von »einer an David erinnernden Geste« (Combridge 2 1964, S. 53). 97 Vgl. Kästner 1981, S. 100: »Die Szene zeigt deutliche Parallelen zur Ikonographie des David-Goliath-Kampfes«. Vergleichbare Illustrationen der biblischen Geschichte bieten neben der abgebildeten Darstellung aus 296 3 Lektüren Abb. 1: Tristan enthauptet Morolt (1225-1250) München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 51, fol. 46 r (Detail) Abb. 2: David enthauptet Goliath (um 1233) »Bible moralisée«, Oxford, Bodleian Library, Ms. Bodl. 270b, fol. 137 v (Detail) Die Enthauptung Morolts wäre dann nicht unbedingt psychologisch von den Figuren her zu begründen - etwa im Sinne einer Verfehlung Tristans -, sondern vielmehr vom Erzählmuster, welches dem Zweikampf durch die Parallele zu David und Goliath zugrunde liegt. 98 Das möchte ich im Folgenden weiter ausführen. der Oxforder »Bible moralisée« etwa die sogenannte Kreuzfahrer-Bibel (New York, Morgan Library, MS M.638, fol. 28 v , um 1240) oder eine 1383 für den Trierer Erzbischof Cuno von Falkenstein hergestellte Handschrift der »Weltchronik« Rudolfs von Ems (Stutt gart, Württ embergische Landesbibliothek, Cod. bibl. 2° 5, hier fol. 130 v ), weiterhin der frühe Beleg des Stutt garter Psalters aus dem 9. Jh. (Stutt gart, Württ embergische Landesbibliothek, Cod. bibl. 2° 23, fol. 158 v sowie 165 r als Illustration zu Psalm 143 bzw. 151). Eine parallele Darstellung fi ndet sich außerdem am Portal der Kathedrale von St. Gilles (Dép. Gard, Frankreich) aus dem 12. Jh. (Abb. bei Kästner 1981, S. 57). - Die »Tristan«-Handschrift München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 51 stammt aus der ersten Hälft e des 13. Jh.s; die fragliche Abbildung fi ndet sich auf fol. 46 r unten rechts. Zu den Bearbeitungstendenzen der Handschrift in Bild und Text siehe Baisch 2006, zum Illustrationszyklus S. 133-145. Baisch betont dabei, dass sich die Bebilderung der Handschrift auch sonst an religiösen Bildtypen orientiert, was für die Illustrationen weltlicher mitt elalter Texte grundsätzlich nicht ungewöhnlich ist, vgl. ebd. S 136. Die grundlegende Abhängigkeit des Bildprogramms der Handschrift Cgm 51 vom David-Zyklus eines Bamberger Psalmenkommentars, etwa in Bezug auf die Einteilung in Bildstreifen mit Überschrift en, hebt ohne Bezug auf die vorliegende Illustration Michael Stolz hervor, vgl. Michael Stolz: Sichtweisen des Mitt elalters. König David im Bilderzyklus eines Bamberger Psalmenkommentars aus dem 12. Jh. (Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Bibl. 59), in: König David - biblische Schlüsselfi gur und europäische Leitgestalt. 19. Kolloquium (2000) der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaft en, hrsg. von Walter Dietrich / Hubert Herkommer, Freiburg (Schweiz) 2003, S. 497-530, hier S. 520-522. Eine vergleichbare Abbildung bietet der zweite Wienhausener Tristan-Teppich (um 1330), Abb. bei Stephanie Cain Van D’Elden: Tristan and Isolde. Medieval Illustrations of the Verse Romances, Turnhout 2016, S. 444, Szene 4. 98 Auch Kästner meint in diesem Sinne, die Enthauptung wäre »beim wehrlosen Morolt ein gänzlich unritt erliches, unentschuldbares Verhalten Tristans, wenn man eben die biblische Parallele nicht sieht« (Kästner 1981, S. 58). Richardson hält die Tat ebenfalls für »explainable only in view of David’s beheading of Goliath.« (Richardson 1996, S. 91) Ähnlich weiterhin Martin H. Jones, der zunächst eine psychologische Deutung vorschlägt (»[t]his act accords well with what we have seen of Tristan’s character«), dann aber doch auf die biblische Parallele verweist (»[t]here is evoked here the memory of David’s confrontation with Goliath, which ends in the decapitation of the Philistine enemy of God«). Vgl. Martin H. Jones: Th e Depiction of Military Confl ict in Gott fried’s »Tristan«, in: Gott fried von Strassburg and the Medieval Tristan Legend. Papers from an Anglo-North American Symposium, hrsg. von Adrian Stevens / Roy Wisbey, Cambridge 1990 (Arthurian Studies 23 / Publications of the Institute of Germanic Studies 44), S. 45-65, hier S. 59f. 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema 297 3.2.1 ›David gegen Goliath‹ als Erzähltyp Der »Tristan« ist nicht der einzige mittelalterliche Text, der Ähnlichkeiten zu der Erzählung von David und Goliath besitzt. 99 In der Literatur des Mittelalters finden sich nicht nur immer wieder einzelne motivische Parallelen, 100 sondern es existiert auch eine Reihe von Episoden, deren Handlungsverlauf im Ganzen mehr oder weniger genau mit dem der biblischen Geschichte übereinstimmt. Ein Beispiel dafür bietet etwa das »Rolandslied« des Pfaffen Konrad (um 1172). 101 Auch hier wird von einem Zweikampf erzählt, bei dem ein körperlich unterlegener Kämpfer seinen Gegner gegen alle Erwartungen überwindet (vv. 8785-8992): 102 Im 99 Vgl. dazu die Übersicht bei Reinhard Hahn: Got selbe gap ime di craft. David und Goliath in erzählenden Texten des deutschen Mittelalters, in: Deutsche Sprache und Literatur in Mittelalter und früher Neuzeit, bearb. von Heinz Endermann / Rudolf Bentzinger, Jena 1989 (Veröffentlichungen der Friedrich-Schiller- Universität Jena), S. 145-152. Weniger typisch erscheinen mir die Belege bei Wulf-Otto Dreeßen: Goliaths Schwestern und Brüder, in: Röllwagenbüchlein. Festschrift für Walter Röll zum 65. Geburtstag, hrsg. von Jürgen Jaehrling u. a., Tübingen 2002, S. 369-389. Zum verbreiteten Motiv Mot. L 311 (›Weak (small, young) hero overcomes large fighter‹), das integraler Bestandteil des vorliegenden Erzähltyps ist, vgl. Thompson 1955-1958, Bd. 5, S. 18; Birkhan u. a. (Hrsg.) 2005-2010, Bd. 6.2, S. 230; Inger M. Boberg: Motif-Index of Early Icelandic Literature, Kopenhagen 1966 (Bibliotheca Arnamagnæana 27), S. 189; Anita Guerreau-Jalabert: Index des motifs narratifs dans les romans Arthuriens français en vers (XII e -XIII e siècles), Genf 1992 (Publications romanes et françaises 202), S.-129, sowie Felix Hunger: Art. David und Goliath, in: Enzyklopädie des Märchens 3 (1981), Sp. 365-367, hier Sp. 365 f. Uther 2011 kennt keinen vergleichbaren Erzähltyp. Siehe auch die Übersicht über die Darstellungen gerichtlicher Zweikämpfe in der deutschen Dichtung des Mittelalters bei Rüdiger Schnell: Rechtsgeschichte, Mentalitätsgeschichte und Gattungsgeschichte. Zur literarischen Autonomie im Mittelalter, in: Literarische Interessenbildung im Mittelalter. DFG-Symposion 1991, hrsg. von Joachim Heinzle, Stuttgart / Weimar 1993 (Germanistische Symposien. Berichtsbände 14), S. 401-430, hier S. 402-404, zu Gottfrieds »Tristan« außerdem S. 409, 419, 421, 422 f. Äußerst reich auch an literarischem Belegmaterial ist die geschichtswissenschaftliche Darstellung von Neumann 2010, hier bes. S. 94 Anm. 432 und S. 188-191. Dass auch der »Tristan« eine Parallele zum Kampf von David gegen Goliath bietet, erkennt sie allerdings nicht, vgl. S. 78-80. 100 Man kann wohl Benjamin Utter nicht widersprechen, wenn er behauptet, »that almost any medieval tale involving giants owes at least something to Goliath and his young challenger« (Benjamin D. Utter: Gawain and Goliath. Davidic Parallels and the Problem of Penance in »Sir Gawain and the Green Knight«, in: Comitatus 44 (2013), S. 121-155, hier S. 127). Zum ubiquitären Goliath-Bezug mittelalterlicher Riesen- Darstellungen auch Jeffrey Jerome Cohen: Of Giants. Sex, Monsters, and the Middle Ages, Minneapolis / London 1999 (Medieval Cultures 17), passim. Vgl. etwa die Formulierung von Hartmanns Erzähler in Bezug auf Erecs Kampf gegen den Riesen: er sluoc sô manegen grimmen slac | daz uns wol wundern mac | daz Êrec vor im genas, | wan daz der mit im was | der Dâvîde gap die kraft | daz er wart sigehaft | an dem risen Gôlîâ: | der half ouch im des siges dâ | daz er in mit gewalte | volle gevalte | und im daz houbet abe sluoc (»Erec«, vv. 5558-5568; Ausg. Gärtner 2006, S. 165). Das Ambraser Heldenbuch hat für v. 5562 stattdessen-der dawider gab die kraft, vgl. den Apparat ebd. und die Ausg. Hammer u. a. 2017, S. 332f., die in diesem Sinne übersetzt: ›der die Kraft dazu schenkte‹. Eine »Stilisierung […] nach dem Muster des Kampfes Davids gegen Goliath« erkennt Hasebrink außerdem in der Beschreibung des Krieges der Arimaspier gegen die Giganten im »Herzog Ernst B«, vgl. Hasebrink 2000, S. 253. 101 Vgl. auch die spätmittelalterlichen Bearbeitungen des »Rolandsliedes«: Neben Strickers »Karl«, vv. 11782- 12079 (Ausg. Bartsch 1857, S. 311-319), findet sich das Erzählmuster auch in der »Karlmeinet«-Komposition, zitiert nach Karl Meinet. Zum ersten Mal hrsg. durch Adelbert von Keller, Stuttgart 1858 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 45), S. 802, Z. 52-S. 815, Z. 16. Hier ist auch das Motiv der eigenhändigen Ausrüstung durch den König (ebd., S. 810, Z. 56-67) umgesetzt, welches im »Rolandslied« fehlt. 102 Zitiert nach Das Rolandslied des Pfaffen Konrad, hrsg. von Carl Wesle, 3., durchges. Aufl. bes. von Peter Wapnewski, Tübingen 1985 (ATB 69), S. 308-316. Zu den Parallelen zwischen dem Kampf von Tirrich und Binabel im »Rolandslied« und Tristan und Morolt im »Tristan« siehe Ziegler 2001, S. 34, 40-42; 2004, S. 191-121, 131f. 298 3 Lektüren Zuge der abschließenden Verhandlung gegen Genelun fordert dessen Verwandter Binabel, ein furchterregender Krieger, ein Gottesurteil durch Zweikampf. Keiner der Ritter Kaiser Karls ist bereit, die Herausforderung anzunehmen, mit Ausnahme eines gewissen Tirrich, bei dem es sich um einen Verwandten Rolands handelt. Tirrichs Erfolg scheint allerdings ausgeschlossen, so unterschiedlich sind die körperlichen Voraussetzungen der Kontrahenten: Binabel was ain starc man: des nehete nieman nehein wan, daz im Tirrich uor gehabete oder dehain wile gelebete: an dem libe was er chranc. (Paffe Konrad, »Rolandslied«, vv. 8873-8877) Doch wider Erwarten kann sich der scheinbar Unterlegene durchsetzen: Nachdem Tirrich ein Versöhnungsangebot Binabels ausgeschlagen hat, gelingt es ihm, seinen Gegner erst am Kopf zu verwunden und ihn dann zu enthaupten. Offensichtlich liegt dem »Rolandslied« dasselbe Erzählmuster zugrunde wie dem »Tristan«. Schon die äußerliche Gegenüberstellung der ungleichen Kämpfer weist darauf hin. 103 Auch die Feigheit der anderen Krieger oder die Enthauptung sind Motive, die uns sowohl bei Gottfried als auch im 1. Buch Samuel begegnen. Die Parallele zu David und Goliath ist freilich keine Erfindung Konrads, sondern findet sich bereits in seiner französischen Vorlage, der »Chanson de Roland«. 104 Neu ist aber, dass Konrad der Figur Tirrich einen ausdrücklichen Verweis auf die biblische Auseinandersetzung in den Mund legt: 105 Tirrich dar fur trat, ainer stille er bat; er sprach: […] »din uobermuot scol dir gescaden. du uersihest dich ze diner sterke; da bi sculn wir merke: 103 Vgl. Florian Kragl: Das ›verstrickte‹ Gottesurteil. Praktische Überlegungen zur mittelalterlichen ›Präsenzkultur‹, in: ZfdPh 127 (2008), S. 15-33, hier S. 18: »Tirrich, der als eher schmächtige Figur beschrieben wird, verweist selbst gleichnishaft auf den Kampf David vs. Goliath«. 104 Vgl. »Chanson de Roland«, vv. 3780-3933, zitiert nach Das altfranzösische Rolandslied, übers. und komm. von Wolf Steinsieck. Nachwort von Egbert Kaiser, Stuttgart 1999 (RUB 2746), S. 288-300. Gegenüber seiner Vorlage intensiviert Konrad die körperliche Unterlegenheit des Helden. Thierry im französischen Text erscheint eher durchschnittlich: Heingre out le cors | e graisle e eschewid, | Neirs les chevels e alques bruns [le vis]; | N’est gueres granz ne trop nen est petiz. (vv. 3820-3822) ›Er war von dürrer Gestalt, hager und dünn, hatte schwarze Haare und ein eher bräunliches Gesicht, war nicht zu groß, aber auch nicht zu klein.‹ (ebd., S. 292f.) Für Ralf Junkerjürgen charakterisiert die Beschreibung Thierry als Melancholiker, vgl. Ralf Junkerjürgen: Haarfarben. Eine Kulturgeschichte in Europa seit der Antike, Köln u. a. 2009 (Literatur, Kultur, Geschlecht. Große Reihe 52), S. 97. Afr. bruns heißt nicht nur ›braun‹, sondern auch ›düster‹ und ›verhängnisvoll‹ sowie ›ängstlich, unglücklich, schwermütig‹, vgl. Godefroy 1880-1895, Bd. 1, S. 747f. 105 Überhaupt spielt die Figur König Davids im deutschen »Rolandslied« eine besondere Rolle, da der mutmaßliche Auftraggeber Heinrich der Löwe vielfach mit David in Verbindung gesetzt wird, vgl. dazu auch Karl Bertau: Das deutsche Rolandslied und die Repräsentationskultur Heinrichs des Löwen, in: Der Deutschunterricht 20 / 2 (1968), S. 4-30, hier S. 10f. Marianne Derron: Heinrich der Löwe als reuiger Büsser und Realpolitiker. Die Bedeutung der Psalmen im »Rolandslied« und eine neue These zu dessen Entstehung, in: Germanistik in der Schweiz 9 (2012), S. 1-26, erwähnt ebenfalls den Zweikampf, zieht aber keine weiteren Schlüsse daraus. 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema 299 Dauid was uil lutzeler gescaft, got selbe gap ime di craft daz er Golie daz houbit abe slůc unt fur den chůnc Saulen trůc. got hat inoch di selben gewonhait: ez wirdet dir huite uil lait daz du wider gote hîe stast unt der warhait uerlougint hast.« (Pfaffe Konrad, »Rolandslied«, vv. 8821-8854) 106 Diese Stelle, die in der »Chanson de Roland« fehlt, kann man als Beleg dafür verstehen, dass der deutschsprachige Bearbeiter das dem Zweikampf zugrunde liegende Erzählmuster erstens als solches identifiziert hat und es zweitens auf der Textoberfläche explizit macht. Auch im »Reinfried von Braunschweig« (nach 1291) gibt es eine explizite Anspielung auf die biblische Erzählung, wenn der Erzähler einen zinsfordernden Riesen, gegen den der Protagonist bestehen muss, zu einem Nachkommen Goliaths macht. 107 Sonst finden sich hier zwar nicht alle Merkmale der Erzählung aus dem Alten Testament, aber der Zweikampf ist ebenfalls als Sieg über scheinbar übermächtiges Unrecht markiert (vgl. vv. 18729-19187). Weitere Beispiele stammen aus dem späteren Mittelalter. Dazu gehört etwa die Eleonore von Österreich zugeschriebene Fassung A des Prosaromans »Pontus und Sidonia« (vor 1465, Erstdruck 1485), der als Volksbuch bis in die Neuzeit populär blieb. 108 Hier besiegt der Protagonist, obwohl junckh vn̅ nicht starckh 109 einen heidnischen Ritter, dessen Herausforderung sonst niemand anzunehmen gewagt hatte, und verhindert damit eine muslimische Invasion. Deutliche Parallelen zu David und Goliath besitzt auch der etwas ältere »Herzog Herpin« Elisabeths von Nassau-Saarbrücken (1437), in dem die als Küchenjunge verkleidete Herzogin Alheit den heidnischen Riesen Luciant tötet, gegen den sich kein Ritter zu kämpfen traut (Z. 1492-2224). 110 Weiterhin gehört noch der 106 Vgl. auch die Rezeption dieser Anspielung in Strickers »Karl«, vv. 11824-11835: »du bist der untriwen geselle,« | sprach er Pinabelle zuo. | »ob got wil, swie ich daz getuo, | ich mache dich drumbe schadehaft. | du verlâst dich ûf dîne kraft. | Dâvît was ouch ein kleine man, | got schuof iedoch, daz er gewan | an Goliâ die obern hant. | dâ wart daz unreht geschant: | also wirt ez an dir hiute hie. | got liez daz unreht vallen ie, | daz ist ouch iemer sîn site.« (Ausg. Bartsch 1857, S. 312) 107 Vgl. »Reinfried von Braunschweig«, vv. 18912-18915: Golîas, der erworfen wart | von dem werden reinen | Davîden dem kleinen | was ouch von dem geslehte. Zitiert nach Reinfried von Braunschweig, hrsg. von Karl Bartsch, Tübingen 1871 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 109), S. 551. Zur Erzählweise des »Reinfried von Braunschweig«, in der überhaupt »die Anspielung auf einzelne prägnante, durch die literarische Tradition vertraute Motive und Motivfolgen« eine wichtige Rolle spielt, (ohne Bezug auf das vorliegende Erzählmuster) Klaus Ridder: Erzählstruktur und Schemazitate im »Reinfried von Braunschweig«, in: Erzählstrukturen der Artusliteratur. Forschungsgeschichte und neue Ansätze, hrsg. von Friedrich Wolfzettel unter Mitwirkung von-Peter Ihring, Tübingen 1999, S. 331-345, Zitat S. 343. 108 Ich zitiere die handschriftliche Fassung nach folgender Ausgabe: »Pontus und Sidonia« in der Eleonore von Österreich zugeschriebenen Fassung (A) nach der Gothaer Handschrift Chart. A 590, hrsg. von Reinhard Hahn, Göppingen 2005 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 726), hier S. 17, Z. 27-S. 21, Z. 13. Für die Drucküberlieferung siehe Eleonore von Österreich: Pontus und Sidonia, hrsg. von Reinhard Hahn, Berlin 1997 (Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 38), S. 60, Z. 29-S. 64, Z. 5. Zur Textstelle auch Neumann 2010, S. 189-191. Als der König an Pontus’ Erfolgsaussichten zweifelt, verweist auch dieser auf ein Exemplum des Alten Testaments: wisset ir nicht, das Daniel ain kind was, vn̅ halff got Susanna durch jn (Ausg. Hahn 2005, S. 19, Z.-4f.), dazu auch den Kommentar in der Ausg. Hahn 1997, S. 149. 109 Ausg. Hahn 2005, S. 18, Z. 26. 110 Zitiert nach Herzog Herpin. Kritische Edition eines spätmittelalterlichen Prosaepos, hrsg. von Bernd Bastert unter Mitarbeit von Bianca Häberlein u. a., Berlin 2014 (Texte des späten Mittelalters und der frühen 300 3 Lektüren »Malagis«, eine um die Mitte des 15. Jahrhunderts entstandene rheinfränkische Bearbeitung einer niederländischen Erzählung, in die Reihe: Hier tötet der Jüngling Vivien mit Gottes Hilfe einen heidnischen Riesen, um die Brautwerbung des Sultans von Persien abzuwehren (vv. 3845-4340). 111 Auch in historiographischen Texten lateinischer Sprache findet das Erzählmuster von David und Goliath Verwendung. Ein gutes und zudem recht frühes Beispiel bietet dafür die Chronik der Grafen von Anjou. Hier wird berichtet, wie der Stammvater Ingelgerius als Jugendlicher seine Taufpatin in einem gerichtlichen Zweikampf gegen den Vorwurf des Ehebruchs verteidigt. 112 Eine Redaktion der Chronik, die durch die Handschriftengruppe C vertreten wird und wohl um 1170 im Auftrag Heinrichs II. angefertigt wurde, 113 schmückt den knappen chronikalen Bericht zu einer legendenhaften Erzählung aus. Der Bearbeiter, bei dem es sich um Johannes von Marmoutier handeln soll, greift dafür in zum Teil wörtlichen Anklängen 114 auf das Modell des David-Goliath-Kampfes zurück. Die Erzählung bietet damit zugleich einen Beleg für die spätestens mit dem New Historicism kaum mehr überraschende Erkenntnis, dass auch nicht-fiktionale Texte, und zwar offenbar nicht selten, 115 mit literarischen Mustern arbeiten. Neuzeit 51), S. 83,3-120,12. Der Text bietet eine weitere Parallele zur Tristantradition, indem das Schema mit dem Motiv des überführten Betrügers (Mot. H 105.1.1) kombiniert wird, das im »Tristan« in der Drachenkampf-Episode erzählt wird: Alheit schneidet dem toten Luciant die Zunge aus dem Mund und kann so später beweisen, dass sie den Riesen getötet hat. Clausen-Stolzenburg hält die Episode im »Herzog Herpin« für ein direktes Rezeptionszeugnis des Tristanstoffes, dessen spätmittelalterliche Bekanntheit sie geltend macht, vgl. Clausen-Stolzenburg 1995, S. 131f. Zur Textstelle auch Neumann 2010, S. 201-212. Zum Mot. H 105.1 (›Dragon-tongue proof‹) bzw. H 105.1.1 (›False dragon-head proof‹) vgl. Thompson 1955-1958, Bd. 3, S. 385. 111 Zitiert nach Der deutsche Malagis. Nach den Heidelberger Handschriften Cpg 340 und Cpg 315 unter Benutzung der Vorarbeiten von Gabriele Schieb und Sabine Seelbach hrsg. von Annegret Haase u. a., Berlin 2000 (Deutsche Texte des Mittelalters 82), S. 95-108. 112 »Gesta consulum andegavorum«, zitiert nach Chroniques des Comtes d’Anjou et des Seigneurs d’Amboise, publ. par Louis Halphen / René Poupardin, Paris 1913 (Collection de textes pour servir à l’étude et à l’enseignement de l’histoire), S. 29. 113 Vgl. Ausg. Halphen / Poupardin 1913, S. 135-139. Zur Redaktion 4 siehe ebd., S. VIIf., XXXIX-XLVI, LXXII-LXXVI. 114 So wird der Gegner hier vom Erzähler sowie vom König in wörtlicher Übereinstimmung mit der »Vulgata« als vir bellator ab adolescentia sua (Ausg. Halphen / Poupardin 1913, S. 137, Z. 8 f. =-1. Sam 17,33; vgl. S. 137, Z.-22f.) bezeichnet. Weiterhin werden beinahe wörtlich zwei der im Mittelalter David zugeschriebenen Psalmen zitiert: Ps 40,2f. (vgl. Halphen / Poupardin 1913, S. 138, Z. 1-3: Beatus qui intelligit super egenum et pauperum. In die mala liberabit eum Dominus et non tradet eum Dominus in manus inimici ejus) sowie Ps 5,7 (vgl. ebd., S. 139, Z. 2f.: Perdes omnes qui loquuntur mendacium). 115 Eine ›Schwundstufe‹ des Erzähltyps findet sich auch im »Chronicon« Galfreds le Baker (nach 1356): Am Beginn der Schlacht von Halidon Hill (1333) zwischen Schotten und Engländern tritt ein riesenhafter Schotte zwischen die beiden Heere. Dieser ›zweite Goliath‹ (alter Golias) ist von sehr großem Wuchs und besitzt mehr Vertrauen in seine Körperkraft als in Gott. Er fordert die Engländer zum Zweikampf heraus, und der Ritter Robert von Benhall bittet den König, die Herausforderung annehmen zu dürfen. Der Engländer tötet erst den Hund des Schotten, hackt diesem dann die Hand und schließlich den Kopf ab: In principio certaminis exercituum super Halidon Heol, obviorum quidam satelles magne stature et ut alter Golias, in magna virtute corporali maiorem quam in Deo habens confidenciam, medius inter exercitus consistens, singulos Anglicos ad monomachiam provocavit; qui ab effectu »Tauri versor«, Anglice »Turnebole«, vocabatur. E contra dominus Robertus de Venale, miles quidam Northfolchiensis, petita genuflectendo regis benediccione, cum gladio et pelte gigantem aggressus, cuiusdam nigri molosi, qui adversarium comitabatur et ipsum iuvit, rapidissime gladio precidit lumbos a dorso dividendo. Acrius proinde set vecordius instetit occisi canis magister, cuius pugnum sinistrum et postea capud amputavit miles. Zitiert nach Chronicon Galfridi le Baker de Swynebroke, ed. with notes by Edward Maunde Thompson, Oxford 1889, S. 51. Auch im »Dialogus miraculorum« (1219-1223) des Caesarius von Heisterbach findet sich eine Erzählung, in der ein ›Schwächling‹ (vir gracilis, nec mul- 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema 301 Diese Beispiele ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit mögen genügen, um die Produktivität des Erzählmusters im Mittelalter zu demonstrieren. Vor allem die Tatsache, dass wir mit Eilharts »Tristrant«, dem »Rolandslied« und der »Gesta consulum andegavorum« immerhin drei mehr oder weniger voneinander unabhängige 116 Zeugnisse bereits aus dem 12. Jahrhundert besitzen, verdeutlicht die Verfügbarkeit des Erzähltyps. Womöglich existierte neben den schriftlichen Versionen auch eine weitere, mündliche Verbreitung des Musters. 117 Schon der biblische tum fortis) im Zweikampf über einen ›zweiten Goliath‹ (alter Goliath) triumphiert, vgl. Caesarius von Heisterbach: Dialogus Miraculorum. Dialog über die Wunder, Teilbd. 2, eing. von Horst Schneider, übers. und komm. von Horst Schneider und Nikolaus Nösges, Turnhout 2009 (Fontes Christiani 86 / 2), Kap. 3,18, S. 569. Einen eher peripheren Vertreter des Typs stellt weiterhin die Erzählung von Uffas Zweikampf gegen zwei Gegner in den »Gesta Danorum« (nach 1202) des Saxo Grammaticus dar (Teil 4, Kap. 4). Zitiert nach Saxo Grammaticus: Gesta Danorum. The History of the Danes, ed. by Karsten Friis-Jensen, transl. by Peter Fisher, Oxford 2015, Bd. 1, S. 234-243. Deutlicher werden die strukturellen Parallelen zum Erzähltyp dann in Ludwig Uhlands Bearbeitung der Uffa-Erzählung in der Ballade »Der blinde König« herausgearbeitet, zitiert nach Ludwig Uhland: Gedichte, Stuttgart / Tübingen 1815, S. 165-167. Ist Uhland, der sich zeitlebens für mittelalterliche Literatur interessierte, ein (unbewusstes) Verständnis des Erzähltyps zuzutrauen? 116 In einen Zusammenhang lassen sich die drei Texte allerdings über ihre mutmaßlichen Auftraggeber bringen: Sowohl der Pfaffe Konrad als auch Eilhart dichteten vermutlich am Welfenhof Heinrichs des Löwen, welcher mit Mathilde verheiratet war, der Tochter des englischen Königs Heinrich II., Graf von Anjou und möglicher Auftraggeber der fraglichen Redaktion der »Gesta consulum andegavorum«. Die Identifikation des im Epilog des »Rolandslieds« genannten herzog hainrich mit Heinrich dem Löwen gilt als einigermaßen sicher, vgl. dazu Bernd Bastert: wie er das gotes rîche gewan… Das »Rolandslied« des Klerikers Konrad und der Hof Heinrichs des Löwen, in: Courtly Literature and Clerical Culture. Selected papers from the Tenth Triennial Congress of the International Courtly Literature Society, Universität Tübingen, Deutschland, 28. Juli-3. August 2001, hrsg. von Christoph Huber / Henrike Lähnemann. Redaktionelle Mitarbeit Sandra Linden, Tübingen 2002, S. 195-210. Die Verortung Eilharts im Umkreis Heinrichs ist umstrittener, vgl. Volker Mertens: Eilhart, der Herzog und der Truchseß: der »Tristrant« am Welfenhof, in: Tristan et Iseut, mythe européen et mondial. Actes du Colloque du Centre d’Études Médiévales de l’Université de Picardie, Amiens, 10., 11. et 12. janvier 1986, hrsg. von Danielle Buschinger, Göppingen 1987 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik-474), S.-262-281. Sie wurde zuletzt mit guten Gründen von Martina Backes vertreten, die einen urkundlich bezeugten Hildesheimer Kanonikus Eilardus als Verfasser des »Tristrant« vorgeschlagen hat, vgl. Martina Backes: Aus der Feder eines Klerikers? Ein neuer Vorschlag zu Eilharts »Tristrant«, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 43 (2002), S. 373-380. Zur Auftraggeberschaft Heinrichs II. für die fragliche Redaktion 4 der »Gesta consulum andegavorum« siehe das Vorwort der Ausg. Halphen / Poupardin 1913, S.-VIIf. 117 Darauf, dass die Erzählung von David und Goliath auch unabhängig von der Bibel einen Platz in der (mündlichen) Erzählkultur des mittelalterlichen Laienadels besaß, verweist eine Stelle im provenzalischen »Roman de Flamenca« aus dem 13. Jh., wo im Rahmen eines höfischen Festes neben vielen anderen Geschichten, unter anderem der von Tristan, auch jene von David und Goliath erzählt wird: l’autre comtet de Philisteu | Golias, consi fon aucis | ab tres peiras que.l trais Davis. (vv. 650-652) Zitiert nach Wandhoff 1996, S. 355. ›Ein anderer erzählte vom Philister Goliath, wie er getötet wurde von drei Steinen, die David auf ihn schoss.‹ Die Erzählung steht hier zusammen mit anderen biblischen Geschichten (Samson und Delila, Judas Makkabäus) zwischen antik-mythologischen (u. a. Trojastoff, Orpheus, Narziss) und antik-historischen Stoffen ( Julius Caesar); darauf folgt die matière de Bretagne. - Schon ein um 1100 unter dem Pseudonym Sextus Amarcius vermutlich in der Gegend von Speyer wirkender Satirendichter berichtet von einem Spielmann (iocator), zu dessen Repertoire die Geschichte eines Hirten gehört, der Goliath mit der Schleuder niederstreckt: Ille fides aptans crebro diapente canoras, | Straverit ut grandem pastoris funda Goliath (Sextus Amarcius, »Sermones«, 1,416f.). Zitiert nach Sextus Amarcius: Sermones, hrsg. von Karl Manitius, Weimar 1969 (MGH. Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters 6), S. 75. Etwa: ›Die melodischen Saiten immer wieder eine Quinte anpassend, [erzählt] jener, wie die Schleuder des Hirten den großen Goliath niedergestreckt hat.‹ Dazu Henkel 2017, S. 38 Anm. 29. - Dagegen geht Maren Clausen-Stolzenburg aufgrund des großen Einflusses von Bibel und Prosa-»Tristrant« von einer direkten schrift-literarischen Abhängigkeit der von ihr untersuchten Texte aus, vgl. Clausen-Stolzenburg 1995, S. 131, 144 f. Von den hier betrachteten Texten betrifft das neben der Tristan-Tradition allerdings nur den »Herzog Herpin«. Ohnehin besitzt 302 3 Lektüren Bericht aus dem 1. Buch Samuel weist Merkmale folkloristischen Erzählens auf und stellt möglicherweise selbst ein Zeugnis einer älteren mündlichen Erzähltradition dar. 118 Letztlich bleibt die Beantwortung dieser Frage aber einer erzählkundlichen Untersuchung vorbehalten und ist für den vorliegenden Zusammenhang auch von untergeordnetem Interesse. In jedem Fall kann man in den verschiedenen Erzählungen Vertreter eines gemeinsamen Erzähltyps im Sinne Gerd Dickes verstehen, wobei die alttestamentliche Geschichte, auf die sich die Texte immer wieder direkt beziehen, sicher einen prägenden Einfluss auf die Tradition ausgeübt hat. 119 Anhand der aufgeführten Beispiele lassen sich in einem zweiten Schritt die narrativen Spielräume des Erzähltyps ausloten, vor deren Hintergrund erst die spezifische Gestaltung Gottfrieds deutlich wird. Im Vergleich der Texte zeigt sich, dass das Erzählmuster zwar in verschiedenen narrativen Traditionen je unterschiedlich umgesetzt wird, einige Motive aber immer wieder auftauchen. Dazu gehören, wiederum ohne Anspruch auf Vollständigkeit, die folgenden: 120 1. Der Zweikampf erscheint als Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse, Recht und Unrecht. Oft geht es um die Abwendung von unrechtmäßiger Fremdherrschaft. 2. Der Herausforderer ist so stark, dass er unbesiegbar zu sein scheint. In der Regel wird das durch riesenhafte Größe zum Ausdruck gebracht. 3. Niemand außer dem Helden (der Heldin) wagt es, sich dem Zweikampf zu stellen. 4. Der Held ist so jung (schwach), dass sein Erfolg im Zweikampf ausgeschlossen erscheint. 5. Der Herrscher, in der Regel ein König, möchte den Helden daher vom Zweikampf abhalten. 6. Der Herrscher stattet den Helden persönlich für den Kampf aus. Oft übergibt er ihm seine eigenen Waffen (Schwert, Rüstung). 7. Der Held benutzt ungewöhnliche oder unritterliche Waffen. 8. Zunächst scheint der Held zu unterliegen. Oft wird das durch eine schwere Verletzung zum Ausdruck gebracht. 9. Der Kontrahent unterbreitet dem Helden ein Angebot zur gütlichen Einigung. Der Held schlägt das Angebot aus. 121 10. Der Held verwundet den Kontrahenten so stark, dass dieser kampfunfähig wird. im vorliegenden Kontext die Konstatierung der Verfügbarkeit literarischer Muster Vorrang vor einer Beschreibung genetischer Abhängigkeiten. Das lässt sich mit Stephen Greenblatts Begriff der ›Zirkulation‹ beschreiben, der Fragen nach den Hierarchien, Ursprüngen und Richtungen der Bezüge suspendiert, vgl. dazu Harald Neumeyer: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft (Diskursanalyse, New Historicism, ›Poetologien des Wissens‹). Oder: Wie aufgeklärt ist die Romantik, in: Kulturwissenschaftliche Literaturwissenschaft. Disziplinäre Ansätze - Theoretische Positionen - Transdisziplinäre Perspektiven, hrsg. von Ansgar Nünning / Roy Sommer unter Mitarbeit von Stella Butter, Tübingen 2004, S. 177-194, hier S.-181f. 118 Vgl. Hedda Jason: The Story of David and Goliath. A Folk Epic? , in: Biblica 60 (1979), S. 36-70, hier S.-61: »Therefore, as our text can be measured by such [folkloristic] tools, it is reasonable to assume that, in its original, it was a work of oral literature, or an exceptionally successful imitation of such work«. So lasse sich die Erzählung etwa mit dem strukturalistischen Modell von Propp beschreiben, vgl. ebd., S. 41-45. Zum märchenhaften Charakter der Erzählung auch Hunger 1981, Sp. 365: »Man braucht nur die Namen und die geschichtlichen Schauplätze aus der Erzählung zu entfernen, um die Märchenvorstellungen deutlich zu erkennen […]. Man erkennt ferner die im Volksmärchen gängigen Handlungsschemata […].« 119 Das ließe sich mit der Prototypentheorie erklären, der zufolge prototypisch organisierte Kategorien über zentrale Vertreter memoriert und aktualisiert werden, siehe oben, S. 89f. 120 Vgl. auch das Regest des Zweikampfs aus »Pontus und Sidonia« bei Hahn 1989, S. 149. 121 Die Schemaposition dieses Elementes ist offenbar variabel. In Eilharts »Tristrant«, dem »Reinfried von Braunschweig« und in »Pontus und Sidonia« erfolgt das Angebot zur gütlichen Einigung vor Beginn des Kampfes, in der »Tristramssaga« und bei Gottfried nach der Verwundung des Helden, im »Rolandslied« 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema 303 11. Der Held enthauptet seinen kampfunfähigen Gegner. Oft benutzt er dafür dessen eigenes Schwert. 12. In der Folge des Sieges steigt der Held im Ansehen von Hof und Herrscher. Das kann dadurch zum Ausdruck gebracht werden, dass ihm die Hand der Königstochter angetragen wird. Betrachtet man die Verteilung der Merkmale in den berücksichtigten Erzählungen, so fällt auf, dass keiner der Texte alle Merkmale in sich vereint (vgl. Tabelle 2). Dieser Befund überrascht jedoch nicht und lässt sich mit der erweiterten Prototypentheorie erklären, der zufolge kein Mitglied der Kategorie über alle Merkmale des gedachten Prototyps verfügen muss. 122 Einige Motive sind selbst in der biblischen Erzählung (noch? ) nicht vorhanden, tauchen aber in späteren Versionen regelmäßig auf. Dazu gehört etwa das Versöhnungsangebot des Kontrahenten, das sich in beinahe allen mittelalterlichen Zeugnissen findet. Einige Motive lassen sich in so gut wie jedem der untersuchten Texte nachweisen, nämlich die Darstellung des Kampfes als Auseinandersetzung von Recht und Unrecht, Gut und Böse (1.), die beeindruckende Erscheinung des Gegners (2.), die Feigheit der anderen Krieger (3.) sowie die für das Schema zentrale Jugendlichkeit beziehungsweise Schwäche des Helden (4.), bei der es sich auch um ein bekanntes Märchenmotiv handelt. 123 Ein eher peripheres Motiv ist dagegen etwa die Benutzung ungewöhnlicher oder unritterlicher Waffen, welcher in der biblischen Erzählung (und ihren bildlichen Darstellungen) noch eine große Bedeutung zukommt. 124 Im höfischen Roman waren die Bearbeiter wohl darum bemüht, die Auseinandersetzung zumindest protagonistenseitig nach den Regeln ritterlicher Zweikämpfe zu gestalten - unritterliche Waffen haben hier keinen Platz. 125 und im »Herzog Herpin« nach der Verwundung des Kontrahenten. Damit werden jeweils unterschiedliche Effekte in der Charakterisierung des Kontrahenten erreicht. 122 Siehe oben, S. 89f. 123 Vgl. Katalin Horn: Art.-Jüngste,-Jüngster, in: Enzyklopädie des Märchens 7 (1993), Sp. 801-811, und Mot. L 100 (›Unpromising hero (heroine)‹), dazu Thompson 1955-1958, Bd. 5, S. 8; weiterhin Mot. L 101-199, ebd., S. 8-16. Die weite Verbreitung des Motivs lässt sich auch grundlegend anthropologisch-psychologisch begründen. So meint Max Lüthi, das Motiv des Jüngsten »entspricht nicht nur einem Wunschtraum und auch nicht nur dem Streben, das Achtergewicht herzustellen […], es spricht sich darin auch ein Bild des Menschen aus, der letztlich immer irgendwie ein solcher ›Jüngster‹ ist […], ein Schwacher und Kleiner, dem es doch gegeben ist, Mächtiges zu besiegen und Großes zu erreichen.« (Max Lüthi: Volksliteratur. Menschenbild --Thematik - Formstreben, Bern / München 1970, S. 99) Im vorliegenden Zusammenhang hat das Motiv die strukturelle Funktion, die transzendentale Macht als verantwortlich für den Ausgang des Kampfes zu zeigen, worin Rüdiger Schnell eine zentrale Intention des gottesgerichtlichen Zweikampfes sieht: »Nur der Sieg des Schwachen evoziert den Gedanken an Gottes Eingreifen für Recht und Wahrheit« (Schnell 1993, S. 420). Im Gegensatz zur Dichtung ist in der realhistorischen Rechtspraxis des Zweikampfes die Tendenz zu beobachten, zunehmend gleiche Bedingungen herzustellen (vgl. ebd., S. 418). Siehe auch Jason 1979, die mit Blick auf David betont, dass der Held im Märchenschema nicht nur stets jung, sondern auch fremd sein müsse: »Only the young man coming from another place (world) is able to confront [the marvelous villain]« (ebd., S. 44). - Dass in der »Tristramssaga« dieses Element fehlt, zeigt womöglich, dass das Schema nicht mehr richtig verstanden wurde. Hier wurde die Schemaposition wohl der heroischen Charakterisierung des Helden geopfert. In der Folge fehlt auch das nächste Motiv, das mit diesem zusammenhängt. Im »Reinfried von Braunschweig« erscheint der Held nur in in den Worten seines Gegners als kint (v. 18951; Ausg. Bartsch 1871, S. 552). 124 Nach Jason 1979, S. 44, handelt es sich auch hier um ein typisches Märchenmotiv: nur unkonventionelle Hilfsmittel können dem Märchenhelden zum Sieg verhelfen. 125 Eine Ausnahme bildet Parzivals Tötung von Iders mit einem Wurfspieß, die Guerreau-Jalabert 1992, S.-129, als Hinweis auf das Mot. L 311 ansieht. 304 3 Lektüren 1. Sam 17 Bruder Robert Eilhart Gottfried 1. Zweikampf als Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse x x x x 2. Scheinbar unbesiegbarer Kontrahent (oft: riesenhafte Größe) x x x x 3. Niemand wagt es, sich dem Zweikampf zu stellen x x x x 4. Junger (schwacher) Held, Erfolg erscheint ausgeschlossen x - x x 5. Herrscher möchte den Helden vom Zweikampf abhalten x - x x 6. Ausstattung des Helden durch den Herrscher (oft: mit dessen eigenen Waffen) x x x x 7. Held benutzt ungewöhnliche (unritterliche) Waffen x - - - 8. Held scheint zunächst zu unterliegen - x x x 9. Angebot des Kontrahenten zur gütlichen Einigung - x x x 10. Schwere Verwundung macht Kontrahenten kampfunfähig x x x x 11. Enthauptung des kampfunfähigen Kontrahenten (oft: mit dessen eigener Waffe) x - - x 12. Folge: Gunstgewinn des Helden x x x x Tab. 2: Merkmale des Erzähltyps ›Gerechter Sieg des Jüngsten (Schwächsten) über einen scheinbar undass ein Motiv entweder uneindeutig, uneigentlich oder anspielungshaft verwendet wird. 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema 305 »Rolandslied« »Herzog Herpin« »Pontus und Sidonia« »Gesta« »Reinfried« x x x x x x x x x x x x x x x x x x x (x) - (x) x x - - (x) x - (x) - x - - - - x - (x) (x) x x x - x x x x x x x x x x (x) - x x x x überwindbaren Gegner‹ im Alten Testament und in mittelalterlichen Erzählungen. Klammern deuten an, 306 3 Lektüren Besonders interessant sind Erzählungen, in denen auf ein Motiv angespielt wird, ohne dass dieses tatsächlich umgesetzt wird. Das lässt sich etwa im »Herzog Herpin« beobachten: Hier wird das Schema ironisch gebrochen, wenn die Schemaposition des Königs, der den Helden mit seinen eigenen Waffen ausrüstet (6.), von einem armen heidnischen Leichenwäscher vertreten wird. 126 Damit die Rezipienten diese Anspielung verstehen, müssen sie mit dem Erzähltyp vertraut sein. Ein vergleichbares Arrangement findet sich in einem Beispiel aus der gegenwärtigen Populärkultur: In George R.R. Martins populärem Fantasy-Roman »A Song of Ice and Fire« wird von einem gerichtlichen Zweikampf nach dem Muster von David und Goliath erzählt, bei dem es zunächst schemakonform danach aussieht, als ob sich der körperlich unterlegene Held gegen seinen riesenhaften Gegner durchsetzen könne. Allerdings ist Martin dafür bekannt, die Erwartungen seiner Leser gezielt zu brechen, und so wird auch hier schließlich nicht der Gegner, sondern der Held getötet - was von den modernen Rezipienten häufig als ein ›Realitätseffekt‹ wahrgenommen wurde. 127 Gerade das Motiv der Enthauptung des Gegners mit dessen eigener Waffe (11.) stellt dabei den Moment dar, an dem das Schema abgebrochen und in sein Gegenteil verkehrt wird. Das Motiv selbst ist dabei weiterhin präsent, nämlich in Form einer abgewiesenen Alternative: Prince Oberyn […] put a foot on the Mountain’s chest and raised the greatsword with both hands. Whether he intended to hack off Gregor’s head or shove the point through his eyeslit was something, Tyrion [die Fokalfigur der Episode] would never know. 128 Auch im »Reinfried von Braunschweig« wird die Enthauptung als abgewiesene Alternative erzählt: Hier möchte der Held seinem Gegner den Kopf abschlagen, es gelingt ihm aber nicht. 129 Offenbar handelt es sich auch bei der Enthauptung des wehrlosen Gegners um ein zentrales Motiv des Erzähltyps. 130 Es kommt jedenfalls in beinahe allen untersuchten Texten vor. Auch 126 Vgl. »Herzog Herpin«; Ausg. Bastert, S. 92,1-7. Neumann 2010, S. 211, interpretiert den schelmschinder als Henker, Lexer gibt als Bedeutung aber lat. pollinctor (›Leichenwäscher‹) an, vgl. Lexer, Bd. 2, Sp. 695. 127 So schreibt der Journalist Benji Wilson im »Daily Telegraph«: »[I]n the real world, this exquisite fantasy tells us, always bet on Goliath.« (Benji Wilson: Game of Thrones, The Mountain and the Viper. Review: ›Superlative Theatre‹, in: Daily Telegraph (02.01.2014), online verfügbar unter: www.telegraph.co.uk/ tv/ 0/ game-thrones-mountain-viper-review-superlative-theatre/ (20.02.2020)) Dass die Brechung vorgängiger (›idealtypischer‹) Erzählmuster einen Realitätseffekt bewirke, spielt auch im Realismus-Konzept von Kragl eine zentrale Rolle, vgl. Kragl 2019, S. 187-202. Siehe dazu unten, S. 406 Anm.-7. - Dieser Gedanke ist auch mittelalterlichen Quellen nicht fremd. Im »Tractatus de bello, de repressaliis et de duello« (1306) des italienischen Juristen Giovanni da Legnano etwa heißt es in Bezug auf gerichtliche Zweikämpfe: Nam naturale est quod fortior et ingeniosior vincat minus fortem, et minus ingeniosum. Nec, contra, fieri potest ordine naturali, sed aliquando minus fortis et minus ingeniosus […] victoriam obtineat. Zitiert nach Elmar Mittler: Das Recht in Wittenwilers »Ring«, Diss.-Freiburg i.Br. 1967, S. 108. ›Es ist nämlich natürlich, dass der Stärkere und Geschicktere den weniger Starken und weniger Geschickten besiegt. Dagegen ist es nach der natürlichen Ordnung nicht möglich, dass einmal ein weniger Starker und weniger Geschickter den Sieg davonträgt.‹ Dazu auch Schnell 1993, S. 408f. 128 George R.R. Martin: A Storm of Swords, New York 2011, S. 975. 129 Vgl. »Reinfried von Braunschweig«, vv. 19135-19145: von Brûneswîc der fürste spranc | zuo im, als ich hôrte sagen, | und wolt im volle hân geslagen | das houbet mit dem swerte dan. | dô hât der ungefüege man, | der lasterhafte tiufels trût, | an sich ein hürnîn wurmes hût | über diu wâfen schôn geleit, | daz nie kein swert sô wol gesneit | daz sî wolte snîden. (Ausg. Bartsch 1871, S. 557f.) 130 Vgl. auch Jason 1979, S. 44f. Dass die Enthauptung des Gegners ein in der Literatur überhaupt häufig anzutreffendes Ende von Zweikämpfen darstellt, erwähnt auch Neumann 2010, S. 80 und Anm. 369 (mit Ver- 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema 307 die zum Erzähltyp gehörenden Illustrationen wählen oft ausgerechnet diesen Moment, um die jeweilige Erzählung ins Bild zu fassen, was auf einen besonders hohen Wiedererkennungswert des Motivs hinweisen könnte. 131 Es handelt sich womöglich um ein Moment von besonderer erzählerischer Intensität, das daher für die Memorierung des Erzähltyps von herausgehobener Bedeutung ist. 132 Darauf verweist auch die Tatsache, dass das Motiv in Tirrichs knapper Paraphrase der biblischen Geschichte im »Rolandslied« herausgegriffen wird. 133 Auffällig ist vor diesem Hintergrund, dass ausgerechnet die »Tristan«-Tradition in diesem Punkt vom Erzähltyp abweicht: Sowohl bei Eilhart als auch in der »Tristramssaga« und im »Sir Tristrem« fehlt die Enthauptung. 134 Gottfried hat das Motiv also womöglich neu in die Stofftradition eingeführt und damit seine Erzählung dem Prototypen des Erzähltyps angenähert, was sein Verständnis für das dem Text zugrunde liegende Muster nahelegen würde. Zugleich bestätigt sich damit noch einmal, was eingangs bereits angenommen wurde: dass sich die brutale Tötung des wehrlosen Gegners vor allem dem Erzählschema verdankt. Sie ist damit in erster Linie kompositorisch motiviert. 135 Diese Beobachtung lässt sich verallgemeinern: Die Wirkmächtigkeit des Erzähltyps legt nahe, dass auch die Rezipienten der Zeit um 1200 den Moroltkampf als gerechte Auseinandersetzung eines Jünglings mit einem scheinbar unweis u. a. auf den »Tristan«, »Pontus und Sidonia«, »Herzog Herpin« sowie das »Rolandslied«). - Auch in der allegorischen Auslegung der David-Goliath-Geschichte bei Bernhard von Clairvaux (siehe unten, S. 316 Anm. 193) wird die Enthauptung hervorgehoben. 131 So etwa in der »Pontus und Sidonia«-Handschrift der Heidelberger Universitätsbibliothek, Cpg 142, fol. 22 r (Werkstatt Ludwig Henfflin, um 1475) sowie im »Herzog Herpin«, Berlin, Staatsbibliothek, mgf 464, fol. 47 v (1487). Auch in Darstellungen, die Davids Sieg über Goliath typologisch mit der Befreiung der Gerechten aus der Unterwelt verbinden, wird oft dieses Motiv gewählt, so noch im Bamberger Druck der »Biblia pauperum« von Albrecht Pfister (um 1462), vgl. GW 04325; siehe das Exemplar Manchester, University Library, John Rylands Library Incunable Collection 9402, Bl. 31. In der Abbildungstradition des »Speculum humanae salvationis« wird die Enthauptung Goliaths neben Christi Sieg über den Teufel gestellt, vgl. etwa die Handschrift Darmstadt, Universitäts- und Landesbibliothek, Hs. 2505, fol. 27 r (um 1360). 132 Björn Reich beschreibt solche Momente etwas unglücklich mit dem Begriff der ›Ekphrasisstelle‹, worunter er Momente des verdichteten und lebendigen Erzählens versteht. Es handle sich um »Memorierpunkte«, die »die Geschichte in sich tragen und jederzeit neu entfaltet werden können.« Vgl. Björn Reich: Name und maere. Eigennamen als narrative Zentren mittelalterlicher Epik. Mit exemplarischen Einzeluntersuchungen zum »Meleranz« des Pleier, »Göttweiger Trojanerkrieg« und »Wolfdietrich D«, Heidelberg 2011, Zitat S. 61. 133 Siehe oben, S. 298f. Ähnlich spricht auch der Marner in seinem 11. Meisterlied von kůng david, der goliam herslůg | und ym da trůg | sin heůp wislich genůg (Str. 3,15-17). Zitiert nach Der Marner: Lieder und Sangsprüche aus dem 13. Jahrhundert und ihr Weiterleben im Meistersang, hrsg., eing., erl. und übers. von Eva Willms, Berlin / New York 2008, S. 339f. 134 Vgl. Eilhart, »Tristrant«, vv. 959-965; »Tristramssaga«, Kap. 28 (Ausg. Kölbing 1878, S. 36, Z. 4-11); »Sir Tristrem«, Str. 99 (Ausg. Kölbing 1882, S. 31). Bédier hält die Variante ohne Enthauptung daher wohl zurecht für ursprünglich, vgl. Bédier 1902-1905, Bd. 2, S. 203. Entsprechend findet das Motiv in seiner Rekonstruktion von Thomas’ Text keine Berücksichtigung, vgl. ebd., Bd. 1, S. 88. Dass es sich um eine Erfindung Gottfrieds handelt, meint auch Jones 1990, S. 59. Auf dem Illustrationszyklus von Chertsey Abbey (um 1270), dem der Roman des Thomas zugrunde liegt, fehlt die Enthauptung ebenfalls, vgl. Ott 1975, S. 146 (mit weiterer Literatur). Das mag als weiteres Indiz dafür gelten, dass sie bei Thomas tatsächlich nicht vorhanden war. - Diese Tatsache spricht auch gegen eine Erklärung als keltisches Erbe, wie sie Hammer diskutiert, vgl. Hammer 2007, S. 94-105. 135 Uttenreuther spricht davon, die Darstellung des Kampfes trage »vielfach als unhöfisch kritisierte martialische Züge, die erst im Kontext der Feengeschichte nachvollziehbar und motiviert erscheinen.« (Uttenreuther 2009, S. 251) 308 3 Lektüren überwindbaren Gegner gelesen haben. Für die Figuren bedeutet das, dass bei der Bildung ihres mentalen Modells literarisches Wissen abgerufen wird. Tristan und Morolt stehen in einer Reihe mit David und Goliath, Tirrich und Binabel, Alheit und Luciant, Ingelgerius und dessen Gegner Guntrandus. Sie alle sind Vertreter einer Figurenkategorie. Im »Reinfried von Braunschweig« wird diese Verbindung, wie bereits angedeutet, in ein biologisches Bild überführt: Reinfrieds riesenhafter Gegner stammt nämlich von dem geslehte Goliaths (v. 18915). Während die Beziehung hier konkret genealogisch ausgedrückt wird, handelt es sich im »Tristan« um eine narratologische Verwandtschaft, die erst von den Rezipienten hergestellt werden muss. Mittelalterliche Leser und Hörer könnten hier auch eine typologische Verbindung gesehen haben, schließlich erscheint Tristan in der bildlichen und textlichen Stofftradition immer wieder als (typologisches) Pendant zu König David. 136 Im vorliegenden Fall besitzt die Episode allerdings nicht nur punktuelle Ähnlichkeiten, sondern weitreichende strukturelle Parallelen zum Erzähltyp vom ›Sieg des Jüngsten‹. Insofern wird hier ein Erzählschema aktualisiert, dass sich mit strukturalistischen Modellen beschreiben lässt. 137 Die Figuren erscheinen als Aktanten dieses Schemas und erfüllen Handlungsrollen, die es für sie vorgesehen hat. Die Frage, warum eine Figur so handelt, wie sie es tut, erscheint damit zweitrangig. Ihr Handeln ist, wie schon in Bezug auf die Enthauptung angedeutet, weniger kausal-psychologisch als vielmehr kompositorisch motiviert. Besonders gut lassen sich die Implikationen des Erzähltyps in Bezug auf die Figur Morolt demonstrieren. Für ihn hat das Schema die Rolle des Widersachers vorgesehen. Bei der Bildung des mentalen Modells der Figur orientieren sich die Rezipienten deshalb an der entsprechenden Figurenkategorie. Bereits Morolts außergewöhnliche Stärke dient als argumentum ad personam 138 nicht nur der äußerlichen Beschreibung, sondern fungiert auch als Trigger für die Typisierung der Figur und die Abrufung der Handlungsrolle im Erzählschema. So paradox das zunächst klingt: Für einen mit dem Erzählschema vertrauten Leser oder Hörer dient die übergroße Stärke eher als Hinweis darauf, dass Morolt im Kampf u n t e rl i e g e n wird, als dass er den natürlichen Erwartungen entsprechend als Sieger daraus hervorgeht. 139 Die Erzählung unterliegt eben nicht ›natürlichen‹ Gesetzmäßigkeiten, sondern ›literarischen‹. Dass die Figur gemäß der Figurenkategorie aus dem Erzählmuster wahrgenommen wird, zeigt sich auch in der Forschung. So lesen wir etwa in der Einführung von Christoph Huber, 136 Vgl. etwa Kästner 1981, S. 74f. u. ö.; Richardson 1996, S. 90-93. 137 Vgl. mit Bezug auf die biblische Erzählung Jason 1979. Kritisch bezieht sich im vorliegenden Zusammenhang Unterreitmeier auf das Aktantenmodell, wenn er feststellt, man könne »sich als Literaturhistoriker doch nicht begnügen mit der Feststellung, in beiden Szenen kehre dasselbe Bild wieder, beide Texte folgten demselben ›Archetyp‹ (Northrop Frye) oder Aktanten-Schema (A.J. Greimas).« (Unterreitmeier 1984, S. 52) 138 Zum argumentum ad personam vgl. Lausberg 1960, Bd. 1, §-376, S. 304-206, im vorliegenden Kontext Chinca 1993, S. 105f. Quintilian führt darunter auch die körperliche Verfassung (habitus corporis) auf: ducitur enim frequenter in argumentum […] robur petulantiae (»Institutio oratoria«, 5,10,26) Zitiert nach Marcus Fabius Quintilianus: Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher. Lateinisch und deutsch, hrsg. und übers. von Helmut Rahn, Darmstadt 5 2011, S. 556. ›Oft wird nämlich körperliche Stärke als Beweis für Übermut genommen‹. 139 Zur kompositorischen Motivation des Moroltkampfes bei Eilhart vgl. Udo Friedrich: Die ›symbolische Ordnung‹ des Zweikampfes im Mittelalter, in: Gewalt im Mittelalter. Realitäten - Imaginationen, hrsg. von Manuel Braun / Cornelia Herberichs, München 2005, S. 123-158, hier S. 153: »Der Text gibt sich einzig mit einer erzählstrukturellen Lösung zufrieden, nach der der Held handlungslogisch eben siegen muss: eine klassische finale Motivation [im Sinne einer ›Motivation von hinten‹].« 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema 309 Morolt »kämpft als Diener des Teufels für die Partei des Unrechts« 140 . Und auch für Vickie Ziegler steht fest: »Morolt represents an unjust cause and is, as we have seen, a representative of the devil« 141 . Dabei stimmt das zunächst nicht mit der Beschreibung des Erzählers überein: Morolt tritt nämlich erst einmal gar nicht als Schurke auf, sondern vielmehr als höfischer Ritter. 142 So betont er, vridelîche (v. 6397) nach Cornwall gekommen zu sein und mit rehte und ouch mit minnen (v. 6404) 143 von dort scheiden zu wollen. Anders als seine Pendants aus der Erzähltradition möchte er überhaupt nicht mit Tristan kämpfen und muss erst von diesem auf eine Vertragsklausel hingewiesen werden, die diese Möglichkeit vorsieht, bevor er sich auf den Kampf einlässt (vv. 6364-6389). 144 Gottfrieds höfische Darstellung Morolts zeigt sich besonders deutlich im Vergleich mit Eilhart, bei dem die Figur wirklich »ein Unhold ist, der die als Zins geforderten Mädchen in einem Bordell für sich arbeiten lassen will.« 145 In der ›höfischen‹ Version des Stoffes ist die Zinsforderung demgegenüber stark abgeschwächt. 146 Weiterhin ist der ›Menschentribut‹ an sich nicht unbedingt als märchenhaftes Motiv anzusehen; 147 vielmehr 140 Huber 3 2013, S. 75. 141 Ziegler 2004, S. 123. Morolts ›dämonischer‹ Charakter wurde vielfach als ›mythisches‹ Erbe der Stoffgeschichte betrachtet, vgl. etwa Schoepperle 1913, S. 338: »There are indications […] that the person from whom Tristan received the poisoned wound was originally a supernatural being, very recently rationalized by the redactors into an Irish champion, the uncle of Isolt.« Ähnlich Hammer, der Morolts »Dämonisierung, die man eher für Riesen, Drachen oder sonstige Ungeheuer vermuten würde« (Hammer 2007, S. 92), als keltisches Erbe ansieht. Vgl. auch Marshall 2017, S. 278, die wiederholt vom ›Riesen‹ Morolt spricht. 142 Vgl. Müller 2014, S. 47, und bereits Mohr 1976, S. 62. Auch Kragl hält Morolts »Schurkenstatus in der Handlung« für »alles andere als ausgemacht« (Kragl 2014, S. 25 Anm. 11; 2019, S. 361 Anm. 23). Das wird auch im »Sir Tristrem« deutlich, wo Morolt ausdrücklich als noble knight (Str. 87,2) bezeichnet wird. Vgl. auch Neumann 2010, S. 78 Anm. 354. 143 Bei der Formel ›Minne und Recht‹ (lat. per amorem et justitiam) handelt sich um eine feststehende Wendung aus dem mittelalterlichen Recht, vgl. Ziegler 2001, S. 36; dazu Christa Bertelsmeier-Kierst / Albrecht Cordes: Art.-Minne und Recht, in: HRG² 3 (2016), Sp. 1537-1541. Einen Beleg bietet etwa der »Sachsenspiegel« (um 1230), Lehnsrecht 59,4: mit minnen oder mit rechte, zitiert nach ebd., Sp. 1539. 144 Auch Anette Sosna meint, wie sehr Tristan »an der agonalen Auseinandersetzung mit Morolt interessiert ist, wird vor allem daran erkennbar, daß er den eher zurückhaltenden Gegner unter Einsatz seiner rhetorischen Künste und mit schalle (V. 6431) und drô (V. 6432) so lange herausfordert, bis dieser schließlich in den Kampf einwilligt« (Sosna 2003, S. 247f.). Combridge spricht in Bezug auf Morolt von einem »rationalistischen Zug« (Combridge 2 1964, S. 51). 145 Müller 2014, S. 47. Vgl. Eilhart, »Tristrant«, vv. 460-464. 146 Vgl. vv. 5953-5969. Mädchen sind hier sogar ausdrücklich ausgeschlossen (vgl. v. 5963: niht megede, niuwan knebelîn), was Krohn als mögliche Reaktion auf Eilhart versteht, vgl. Krohn Bd. 3, S. 125. Auch in der »Tristramssaga« werden nur Jungen (sveinborn; Ausg. Kölbing 1878, Kap. 36, S. 30, Z. 14) als Tribut verlangt. 147 Von einem »archaische[n] mythische[n] Erzählbestand« spricht etwa Huber 3 2013, S. 74, und verweist auf den griechischen Mythos von Minos, den schon Charles Bertram Lewis als »ultimate source« des Tributs im »Tristan« ansah, vgl. Charles Bertram Lewis: Classical Mythology and Arthurian Romance. A Study of the Sources of Chrestien de Troyes’ »Yvain« and Other Arthurian Romances, London 1932 (St. Andrews University Publications 32), S. 175. Siehe weiterhin bereits Rudolf Zenker: Forschungen zur Artusepik, Bd. 1: Ivainstudien, Halle a.S. 1921 (Beihefte zur Zeitschrift für französische Philologie 70), S. 305; Ernst Windisch: Das keltische Brittannien bis zu Kaiser Arthur, Leipzig 1912 (Abhandlungen der philologischhistorischen Klasse der königlich sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 29 / 6), S. 221. Im antiken Mythos werden die jungen Männer und Frauen allerdings dem Minotauros zum Fraß vorgeworfen, während die Jungen bei Gottfried lediglich am irischen Königshof dienen sollen (vgl. vv. 5959-5962). 310 3 Lektüren war das Stellen von Geiseln um 1200 noch ein gewöhnliches Instrument im Völkerrecht. 148 Man kann daher wohl nicht davon ausgehen, dass in der Perspektive zeitgenössischer Rezipienten allein schon »die Art der Zinsforderung die Zinsnehmer in Verruf bringen« 149 musste. Dass die modernen Rezipienten die Figur trotzdem als teuflischen Widersacher wahrnehmen, lässt sich mit dem Erzählmuster erklären: Morolt wird gewissermaßen in die vom Schema vorgesehene Rolle hineingezogen. 150 Lugowski würde vielleicht davon sprechen, die Figur werde von der literarischen Tradition ›überfremdet‹. 151 Fast hat es den Anschein, Gottfried wolle genau das vorführen. Wenn der Erzähler, der sich anfangs mit negativen Wertungen völlig zurückgehalten hatte, Morolt während des Zweikampfes dann doch als vâlandes man (v.-6906) bezeichnet, mag man beinahe glauben, er habe sich schließlich vom Erzählschema anstecken lassen. 152 Morolts anfänglich ritterliches Auftreten ändert dann auch nichts an seiner Rolle im Schema: Als Widersacher ist in dieser Auseinandersetzung sein Schicksal besiegelt. Entsprechend seiner Aktantenrolle muss er unterliegen. In diesem Sinne meint Tomasek, »der riesenhafte Morolt« finde »als Vertreter der hochvart (7229) sein gebührendes Ende« 153 . Und so wird auch der Rezipient am Ende der Episode zustimmen, wenn es heißt: Môrolt lac billîche tôt (v. 7224). Ein anderer Begriff, den man zur Beschreibung hier mit Lugowski anführen kann, ist die »Begrenztheit der Hindernisse«: Es gehört zum Wesen des Märchens, dass die Hindernisse auf dem Weg des Protagonisten von diesem überwunden werden. Im Sinne des märchenhaften Erzähltyps ist ein Gegner wie Morolt deshalb »geradezu dazu da, überwunden zu werden.« 154 Solange das Schema nicht gebrochen wird, gibt es keine Erzählalternative, in der Tristan von Morolt besiegt wird. Im Sinne der ›Motivation von hinten‹ ist er gewissermaßen schon überwunden, sobald er als Vertreter der Handlungsrolle erkannt wird. Für Morolt ist die Sache einigermaßen klar. Bei einer anderen Instanz, der in der Episode eine zentrale Bedeutung zukommt, liegen die Dinge allerdings wesentlich komplexer, nämlich bei Gott. Welche Rolle spielt Gott im Erzählschema? 148 Vgl. Peter Walliser: Art.-Geisel, in: LexMa 4 (1989), Sp. 1175 f.; Werner Ogris: Art.-Geisel, in: HRG² 1 (2008), Sp. 2006-2010. Auch Bernd Thum betont, allerdings mit ganz anderer Implikation: »[D]ie Staufer betrieben gegenüber dem Hochadel dieselbe Politik« (Bernd Thum: Aufbruch und Verweigerung. Literatur und Geschichte am Oberrhein im hohen Mittelalter. Aspekte eines geschichtlichen Kulturraums, Waldkirch i.Br. 1979, S. 430). 149 So Flecken-Büttner 2011, S. 186. 150 Einschränkend muss man allerdings feststellen, dass die Kontrahenten auch in vielen der anderen Versionen des Erzähltyps nicht als mythische Unholde erscheinen. So kämpfen die Riesen in der Regel nicht, wie sie es als Vertreter des Unhöfischen in mittelalterlichen Erzählungen gewöhnlich tun, mit den für sie typischen Stangen, sondern mit den Waffen eines Ritters. Das gilt schon für den biblischen Goliath, vgl. Dreeßen 2002, S.-374: »Weder Goliat noch Og [ein Riese aus dem jiddischen »Ritter Widuwilt«] sind Wilde, sondern vielmehr herausragende Krieger mit entsprechend professioneller Ausrüstung.« Auch in der mittelalterlichen Buchmalerei werden die Figuren meist als (bis auf ihre zum Teil außergewöhnliche Körpergröße) gewöhnliche Krieger dargestellt, siehe etwa die in S. 295 Anm. 97 genannten Beispiele. Eine Abweichung bietet das Stundenbuch des Gian Galeazzo Visconti, wo Goliath eine Keule anstelle der im Bibeltext genannten Waffen Schwert und Speer trägt, siehe Cohen 1999, S. 85. 151 Vgl. Lugowski 1932 [1970], S. 69. 152 Als vâlandes man wird Morolt vorher nur von Markes Baronen bezeichnet (v. 6213). 153 Tomasek 2007, S. 100f. 154 Lugowski 1932 [1970], S. 90. 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema 311 3.2.2 Gott als Figur. Mit einem Ausblick auf das Gottesurteil Das im »Tristan« vermittelte Gottesbild gehört zu den am intensivsten erforschten und zugleich kontroversesten Themen des Romans. 155 Oft wurde die Darstellung Gottes im Text zum Ausgangspunkt, um über das Verhältnis des Autors zum Christentum nachzudenken. Dabei wurden seit Lachmanns berühmtem Verdikt der »Gotteslästerung« 156 ganz unterschiedliche, nicht immer eindeutig voneinander abzugrenzende Standpunkte vertreten: 157 Mal hat man in Gottfried einen orthodoxen Christen und Kleriker gesehen, 158 mal einen Ungläubigen oder Häretiker. 159 Einige meinten, im »Tristan« trete eine ›Liebesreligion‹ an die Stelle des Christentums, 160 andere haben den Roman als Zeugnis der Säkularisierung 161 und der Aufklärung 162 , ja als »Projekt einer ›Moderne im Mittelalter‹« 163 gelesen. Verantwortlich für diese Vielfalt der Positionen 164 ist einerseits die Tatsache, dass wir keine gesicherten Informationen über 155 Vgl. Dietz 1974, S. 152. 156 Karl Lachmann: Auswahl aus den hochdeutschen Dichtern des dreizehnten Jahrhunderts. Für Vorlesungen und zum Schulgebrauch, Berlin 1820, S. VI. 157 Einen Überblick bieten Dietz 1974, S. 152-186, sowie Nigel Harris: God, Religion, and Ambiguity in »Tristan«, in: A Companion to Gottfried von Strassburg’s »Tristan«, hrsg. von Will Hasty, Rochester (New York) / Woodbridge (Suffolk) 2003 (Studies in German Literature, Linguistics, and Culture), S. 113-136. 158 Vgl. Stökle 1915, S. 104. 159 Vgl. in letzter Zeit etwa Ernst 2008. 160 Siehe dazu oben, S. 242-244. Diese Position überschneidet sich etwa bei Nauen 1947, S. 54-97, und Weber 1953, Bd. 1, S. 132, mit der Annahme einer Verweltlichung des Religiösen. Jean Fourquet beschreibt hingegen ein harmonisches Neben- und Miteinander von Minne und Gott: »[N]ous trouverions simplement que dans le »Tristan« coexistent deux principes suprêmes, le dieu chrétien et la gotinne Minne. Ce qui nous frappe, c’est que c’est une coexistence sans conflit« ( Jean Fourquet: Littérature courtoise et théologie, in: Études germaniques 12 (1957), S. 34-39, hier S. 37). 161 Vgl. Nauen 1947, der von einer »Diesseitsgesinnung« (S. 33) sowie von der »Zerstörung« (S. 40) und »Verweltlichung religiösen Gedankengutes« (S. 54) spricht. Die Weltzugewandtheit Gottfrieds beschreibt bereits Hermann Schneider: Gottfried von Straßburg, in: Elsaß-Lothringisches Jahrbuch 6 (1927), S. 136-148, hier S.-143-148. Einflussreich besonders Weber 1953, Bd. 1, S. 91-132, der im »Tristan« eine »Verflachung und Zersetzung« (S. 122) des Gottesbildes erkennt: »Der Ideeninhalt […] ist gänzlich unchristlich, weil verabsolutierte Anthropologie, genauer anthropozentrisch verabsolutierte Liebesmystik« (S. 127). Wolf bringt diese Positionen in einen Zusammenhang mit Gottfrieds von der Antike beeinflusstem ›Humanismus‹, vgl. Alois Wolf: Zur Frage des antiken Geistesgutes im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg, in: Natalicium Carolo Jax septuagenario a. d. VII. Kal. Dec. MCMLV oblatum, Teil 2, hrsg. von Robert Muth, bearb. von Johannes Knobloch, Innsbruck 1956 (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft 4), S. 45-53, bes. S. 47, 50 f. Schon Nauen fragt, ob sein »an der wesensverwandten Antike geschulte[s] humanistische[s] Bildungserbe die Glaubenskraft Gottfrieds untergraben hat? « (Nauen 1947, S. 111) 162 Diese Überlegung findet sich besonders in der sehr frühen Forschung, vgl. schon Eichendorffs Diktum von der »Vernichtung der Religion« im »Tristan« ( Joseph von Eichendorff: Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands, Erster Theil, Paderborn 1857, S. 87f.). Dann vor allem Gervinus 1871, S. 630: »Man sieht wohl, daß ein aufgeklärter Mann mit Heilthümern und Gottesgericht hier seinen Spott treibt«. So spricht auch Hermann Kurz von »Freigeisterei« und bezeichnet Gottfried als »Rationalist[en]« (Hermann Kurz: Zum Leben Gottfrieds von Straßburg, Wien 1970 [zuerst in: Germania 15 (1870), S. 207-236, 322-345], S. 7 und 43). 163 Ernst 2008, S. 434f. 164 Diese Vielfalt der in der Forschung diskutierten Positionen könnte Anlass bieten, die Vorstellung eines einheitlich christlichen Mittelalters zu hinterfragen, vgl. dazu Jan-Dirk Müller: Wie christlich ist das Mittelalter oder: Wie ist das Mittelalter christlich? Zum »Herzmaere« Konrads von Würzburg, in: PBB 137 (2015), S. 396-410; Dorothea Weltecke: Jenseits des ›christlichen‹- Abendlandes. Grenzgänge in der Geschichte der Religionen des Mittelalters, Konstanz 2010 (Konstanzer Universitätsreden 238); Dorothea Weltecke: ›Der-Narr spricht: -Es ist kein-Gott‹. Atheismus, Unglauben und Glaubenszweifel vom 12.-Jahr- 312 3 Lektüren das geistige Umfeld der historischen Person Gottfried besitzen 165 und sich die Figur des Autors so als unbeschriebenes Blatt mit allen möglichen geistesgeschichtlichen Einflüssen verbinden lässt. 166 Andererseits bietet aber offenbar auch der Text selbst ganz unterschiedliche Sinnangebote. Dem möchte ich im Folgenden nachgehen und aus erzähltheoretischer Perspektive auf das Gottesbild im »Tristan« schauen. Genauer geht es mir um Gott als Figur: Wie kann man von Gott als Figur erzählen, und wie wird im »Tristan« von Gott erzählt? Damit bewege ich mich auf einem bisher nur wenig erforschten Terrain. Nachdem man unter dem Schlagwort bible as literature in England und Nordamerika schon in den 1970er Jahren damit begonnen hatte, die Bibel verstärkt als Literatur aufzufassen, hat sich diese Auffassung mittlerweile auch im deutschsprachigen Raum etabliert. 167 Während Textkritik und Hermeneutik ja bereits zu den gemeinsamen Grundlagen von Theologie und Literaturwissenschaft gehören, werden jetzt auch spezifisch literaturwissenschaftliche Methoden als Zugang zu religiösen Texten genutzt, darunter die Narratologie. 168 Gerade die Beschäftigung mit Gott als Figur blieb aber lange Leerstelle. 169 Erst in den letzten Jahren hat hundert bis zur-Neuzeit, Frankfurt a. M. / New York 2010 (Campus historische Studien 57); Manfred Borgolte: Europa entdeckt seine Vielfalt 1050-1250, Stuttgart 2002 (Handbuch der Geschichte Europas 3). 165 Zur Suche nach dem »soziale[n], frömmigkeitsgeschichtliche[n] und politische[n] Umfeld des Autors« im vorliegenden Kontext Ernst 2008, S. 420. 166 Vgl. dazu zusammenfassend Weber / Hoffmann 1981, S. 77: »Es zeigt sich, daß Gottfried in seinem »Tristan« die wesentlichen Geisteskräfte seiner Zeit, den Augustinismus, die Lehren Bernhards von Clairvaux, der Viktoriner, Abälards, der Katharer, der Amalrikaner, der Schule von Chartres, wie in einem Brennpunkt aufgefangen hat, ohne sich doch mit einer von ihnen oder auch ihrer Summe schlechthin zu identifizieren«. 167 Vgl. dazu den Sammelband Bibel als-Literatur, hrsg. von Hans-Peter Schmidt / Daniel Weidner, München / Paderborn 2008; weiterhin Hans-Peter Schmidt: Schicksal-Gott Fiktion. Die Bibel als literarisches Meisterwerk. Mit einem Vorwort von Jan Assmann, Paderborn u. a. 2005. Assmann geht in seinem Vorwort von einem genetischen Zusammenhang von Literatur und Religion aus; der ursprünglich literarische Charakter der religiösen Basistexte sei zunächst dem Blick entzogen worden, um erst mit der Säkularisierung wieder erkannt zu werden: »In dem Maße, wie die neue Form von Schriftreligion an Gestalt und Geltung gewann, verblaßte der literarische Charakter der ›Bücher‹, die zur ›Bibel‹ geworden waren. In dem Maße aber, wie der absolute religiöse Autoritätsanspruch der Bibel verblaßte, trat auch der literarische Charakter der Bücher wieder hervor, aus denen sie besteht.« (ebd., S. 14) Weiterhin Thomas Anz: Bibel als Literatur und Gott als fiktive Figur. Vorbemerkungen zum Themenschwerpunkt dieser Ausgabe, in: literaturkritik.de 11 / 2012, online verfügbar unter: literaturkritik.de/ id/ 17280 (20.02.2020). 168 Vgl. vor allem für die deutschsprachige Forschung Helmut Utzschneider / Stefan Ark Nitsche: Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche-Bibelauslegung. Eine-Methodenlehre zur Exegese des Alten Testaments, 4., vollständig überarb. und erg.- Aufl., Gütersloh 2014, S. 140-177, zu Figuren S. 158-160. Siehe weiterhin das bereits 1979 zum ersten Mal in hebräischer Sprache erschienene Standardwerk zum biblischen Erzählen: Shimon Bar Efrat: Wie die Bibel erzählt. Alttestamentliche- Texte als literarische Kunstwerke verstehen. Aus dem Englischen übers. von Kerstin Menzel, bearb. von Thomas Naumann, Gütersloh 2006, zu den ›Personen‹ S. 57-106. 169 Vgl. Fredrik Wagener: Figuren als Handlungsmodelle. Simon Petrus, die samaritische Frau, Judas und Thomas als Zugänge zu einer narrativen Ethik des Johannesevangeliums, Tübingen 2015 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2 Reihe 408 / Kontexte und Normen neutestamentlicher Ethik 6), S.-59 Anm. 261: »Die Rede von ›Gott als Figur‹ setzte in der biblischen Figurenanalyse verzögert ein und fehlt deshalb in vielen summarischen Figurenanalysen […].« - Gerade in der Germanistische Mediävistik findet seit einigen Jahren eine Auseinandersetzung mit dem Thema statt, vgl. in Bezug auf verschiedene Textsorten Joachim Theisen: Des Helden bester Freund. Zur Rolle Gottes bei Hartmann, Wolfram und Gottfried, in: Geistliches in weltlicher und Weltliches in geistlicher Literatur des Mittelalters, hrsg. von Christoph Huber u. a., Tübingen 2000, S. 153-169; Silvan Wagner: Gottesbilder in höfischen Mären des Hochmittelalters. Höfische Paradoxie und religiöse Kontingenzbewältigung durch die Grammatik des 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema 313 sich das im Zuge der allgemeinen Konjunktur der Figurenforschung geändert. Davon zeugt etwa eine 2013 abgehaltene Tagung zu dem Thema, 170 an der sich auch die Figurenforscher Jens Eder und Fotis Jannidis beteiligt haben. 171 Bereits die etablierte Erzähltheorie von Martínez berücksichtigt besonders mit Blick auf vormoderne Texte die Rolle Gottes in der Erzählung. Gott spielt bei Martínez insofern eine Rolle, dass er im Rahmen der finalen Motivation den Verlauf der Handlung in der erzählten Welt verantworte. 172 Geht man entsprechend dem ›Realitätsprinzip‹ und dem ›Prinzip der allgemeinen Überzeugung‹ davon aus, dass sich die Rezipienten bei der Erzeugung des mentalen Modells der erzählten Welt - solange der Text keine abweichenden Informationen bietet - an der Beschaffenheit der realen Welt orientieren, 173 dann existiert in der Perspektive mittelalterlicher Leser und Hörer wohl auch in der erzählten Welt des »Tristan« ein Gott, der weiterhin Ähnlichkeit mit dem christlichen Gott außerhalb des Textes besitzt. Das umfasst auch die Annahme einer göttlichen Providenz: Oben habe ich vorgeschlagen, für das mittelalterliche Weltbild die Vorstellung einer göttlichen Vorsehung anzusetzen, die - ohne die Freiheit des menschlichen Willens aufzuheben - den Kosmos ordnet und regiert und als Erstursache hinter den Dingen steht. 174 Wenn diese Annahme richtig ist, kann man davon ausgehen, dass die göttliche Vorsehung auch einen Anteil am Zustandekommen der Ereignisse in der fiktiven erzählten Welt besitzt, diese also mit Martínez gesprochen ›final motiviert‹ sind. christlichen Glaubens, Frankfurt a. M. u. a. 2009 (Bayreuther Beiträge zur Literaturwissenschaft 31). Weniger anschlussfähig trotz des vielversprechenden Titels dagegen die Arbeit von Knaeble 2011, hier bes. S. 28-31 (in Auseinandersetzung mit Theisen) sowie S. 83-94. Vor allem die methodischen Aussagen sind eher allgemeiner Natur, sodass Helmut Beifuss in seiner Rezension sogar fragt, »womit das Kapitel die oben zitierte Überschrift [»Narrative Funktionen Gottes«] verdient hat, denn von Gott und seiner narrativen Funktion ist nicht die Rede.« (ZfdA 143 (2014), S.- 516-522, hier S. 520) Mein Ausgangspunkt ist zudem ein anderer, denn die Frage nach Gott als Figur wird von Knaeble grundsätzlich abgelehnt, wenn sie etwa davon spricht, dass ein »Figur-Werden Gottes in einem mittelalterlichen Text […] undenkbar ist.« (Knaeble 2011, S. 29) Gleichzeitig beobachtet sie aber in der Praxis doch »die Möglichkeit, dass Gott in das Höfische hereingeholt und sein Handeln damit in der Immanenz deutbar wird.« Diese »Schaffung eines höveschen gotes« wird letztlich nicht nur »aus der Perspektive eines mittelalterlichen Rezipienten […] ein Problem gewesen sein, da Gott an diesen Stellen dann quasi als Textfigur lesbar wird« (ebd., S.-94), sondern sie wird auch zu einem Problem für Knaebles theoretische Grundlegung. In der Erzählung von Wolframs »Parzival«, der ihre Untersuchung gewidmet ist, werde dieses Problem dadurch gelöst, dass Gottes Wirken nur vermittelt über die wunder des Grals in die Handlung eingreife; die »narrative Konzeption des Gralshofs« diene Wolfram dazu, »dem Dilemma zu entgehen, das beim Erzählen vom direkten Eingriff Gottes in die Welt entsteht, dass nämlich Gott als Figur verhandelbar gemacht würde.« (S. 296f.) Indem sich auch Knaeble vor allem auf die wunder des Grals bezieht und die konkrete Darstellung Gottes weitgehend unbeachtet lässt, entzieht auch sie sich diesem Dilemma, auf dessen Beschreibung es mir aber gerade ankommt. 170 Vgl. Gott als Figur. Narratologische Analysen biblischer Texte und ihrer Adaptionen, hrsg. von Ute E. Eisen / Ilse Müllner, Freiburg i.Br. u.a. 2016 (Herders Biblische Studien 82). 171 In seinem Beitrag des dazugehörigen Sammelbandes geht Eder dabei davon aus, dass sich Gott grundsätzlich mit den Kategorien beschreiben lässt, die in Bezug auf menschliche Figuren entwickelt wurden, vgl. Eder 2016. 172 Siehe oben, S. 41. 173 Vgl. Köppe / Kindt 2014, S. 144f., und siehe oben, S. 78. 174 Siehe oben, S. 41f., 65f. 314 3 Lektüren Tatsächlich beschreibt der Erzähler im »Tristan« immer wieder christliche Institutionen, also Rituale 175 , Orte 176 und Personen 177 , wie man sie auch in der mittelalterlichen Gesellschaft erwarten würde, wie sie folglich dem realweltlichen Wissen der Rezipienten entsprechen. Die christenlîche site (vgl. vv. 1633, 2044) gilt in der erzählten Welt genauso wie in der Welt von Autor und Publikum. 178 Auch »im Denkhorizont der Figuren, insbesondere der Hauptgestalten« spielt Gott »eine große Rolle« 179 : Die Figuren glauben offenbar an Gott, beziehen sich in ihrem Sprechen auf ihn, beten immer wieder und erwarten einen göttlichen Einfluss auf den Lauf ihrer Welt. 180 Das bedeutet freilich noch nicht, dass der Gott, an den die Figuren glauben, in der erzählten Welt auch wirklich existiert. 181 175 Dazu gehören die Hochzeit von Riwalin und Blanscheflur (vv. 1630-1639), die Taufe von Tristan (vv.-1955-1976), der regelmäßige sonntägliche Kirchgang am Hof von Tintajol (vv. 3881-3883), die Messe im Rahmen der Schwertleite (vv. 5012-5018) und nicht zuletzt das Gottesurteil mit allen damit verbundenen Ritualen (vv.-15518-15732). Immer wieder hebt der Erzähler dabei die Regelhaftigkeit der Ereignisse hervor, was gleichzeitig als Verweis auf die Übereinstimmung mit der außerliterarischen Erfahrungswelt gesehen werden kann (nâch christenlîchem site, v. 1633; nâch touflîcher gewonheit, v. 1976; dô man ze messe solte gân, v. 3883; des man in dâ solte pflegen, v. 5018). 176 Vgl. die kirche in Parmenien (vv. 1631, 1959, 4251) und die münster in Tintajol (vv. 3884, 5015) und Caerleon (v. 15651). 177 Vgl. etwa den bischof von Thamîse (vv. 15348, 15425 f.) und die pfaffen sowie bischove und prêlâten (vv. 15635-15637) in der Gottesurteil-Episode; auch Isoldes Hauslehrer ist ein pfaffe (v. 7697); weiterhin gehören auch die wallære (v. 2623 u. ö.), auf die Tristan in Cornwall stößt, zur christlichen Ausstattung der erzählten Welt. Harris verweist darauf, dass die Vertreter der Geistlichkeit im Roman zwar »few in number and not especially significant«, aber durchweg positiv gezeichnet seien, vgl. Harris 2003, S. 117f., Zitat S. 118. Ebenso bereits Nauen 1947, S. 33f. 178 Vgl. auch Harris 2003, S. 117f., und die Textbeobachtungen bei Nauen 1947, S. 31-38, zusammenfassend S.-31: »Gottfried bringt den Formen des christlichen Kultes und den religiösen Bräuchen ein waches Interesse entgegen, ja man kann sogar sagen, daß er sich peinlichst bemüht, allen Vorschriften der Kirche zu genügen. Das wirkt selbst bei einem mittelalterlichen Dichter auffällig […].« 179 Tomasek 2007, S. 176. Vgl. dazu auch Klaus Witteck: Welt und Kunst im Tristanroman. Ein Beitrag zur geistesgeschichtlichen Standortbestimmung Gottfrieds von Straßburg, Diss. Köln 1974, S. 80-92. 180 Vgl. Weber 1953, Bd. 1, S. 91; Flecken-Büttner 2011, S. 158-162, etwa S. 158: »Gott ist für die Figuren des »Tristan« eine Instanz, auf die sich ihr Denken und Sprechen immer wieder bezieht; von der Floskel bis zum innigen Gebet finden sich verschiedene Modulationen.« Zu unterschiedlichen Formen der Kommunikation des Protagonisten mit und über Gott jetzt auch Karin 2019, S. 51-53, 97-102, 154-156, 159, 247, zusammenfassend S. 259: »Gott ist für Tristan sehr gegenwärtig, er bezieht ihn immer wieder in sein Denken, Reden und Handeln ein und hat ein außergewöhnliches, ein inniges und konstantes Verhältnis zu Gott.« Auch formelhafte Wendungen wie weiz got und in gotes namen verweisen zumindest darauf, dass im »Tristan« »eine christliche Gesellschaft, […] eine religiös gegründete Kultur« abgebildet wird (Nauen 1947, S. 21). Zur Frage, ob solche Ausdrücke »im Mittelalter noch ihren religiösen Klang« und »Unterton« besitzen ebd., S. 20f. Es lassen sich aber auch Momente problematischer Religionsausübung beobachten. Nicht nur beim Gottesurteil sind christliche Rituale immer wieder mit Unaufrichtigkeit und Betrug verbunden, vgl. Harris 2003, S. 117, und bereits Nauen 1947, S. 34. Dass es sich bei den religiösen Formeln vor allem der Hauptfiguren um oberflächliche, inhaltsleere Floskeln handle, hinter denen kein echter Glaube stehe, glaubt neben Nauen vor allem Weber 1953, Bd. 1, S. 93-117. - Die Figur des Erzählers wird ebenfalls mit christlichen Glaubensinhalten in Verbindung gebracht, wenn sie etwa das implizite Publikum nach dem Tod von Blanscheflur bittet, es solle dem reinen wîbe genaden wünschen[ ] umbe got (vv. 1784 f.). 181 Diese Tatsache betont Theisen 2000, S. 155: »Es muß deutlich unterschieden werden: die Personen, von denen erzählt wird, können sich alles Mögliche unter Gott und dem Wirken Gottes und den Regeln des Wirken Gottes vorstellen - all das sagt nur etwas über die Personen aus, aber noch nicht über den Erzähler, der eine eigene Position zu beziehen hat«. Auf die Diskrepanzen zwischen der Figurenperspektive, in der Gott das Geschehen lenkt, und der Erzählerperspektive, die sehr viel zurückhaltender ist, verweist Schnell 2014, S. 357. - In diesem Sinne sind etwa auch die erzählten Welten in der modernen Fantasy- 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema 315 Auf eine Textstelle, an der die religiöse Praxis der Figuren und die Frage nach Gottes tatsächlicher Einflussnahme auf die erzählte Handlung auf spannungsreiche Weise enggeführt werden, hat Henrike Lähnemann hingewiesen: 182 Bei ihrer Abfahrt aus Irland bitten Tristan und Isolde nicht nur um Gottes Segen für Land und Leute, sondern beginnen auch ihre eigene Reise in seinem Namen: si zwei si nigen dem lande dô und bâten den gotes segen der liute und des landes pflegen. si stiezen an und vuoren dan; mit hôher stimme huoben s’an und sungen eines unde zwir: »in gotes namen varen wir« und strichen allez hinewart. (vv. 11528-11535) Der Vers in gotes namen varen wir verweist auf das gleichnamige Incipit eines Liedes aus dem Kontext mittelalterlicher Frömmigkeitspraxis. Zwar bietet der »Tristan« den ältesten schriftlichen Beleg für dieses »Reise-, Kampf-, Wallfahrts- und Prozessionslied« 183 , seine Bekanntheit kann aber wohl dennoch auch bei den Rezipienten der Zeit um 1200 bereits vorausgesetzt werden. 184 Durch diese »konventionalisierte kollektive Frömmigkeitsgeste« 185 stellen Tristan und Isolde 186 ihre Reise unter den Schutz Gottes. Gleichzeitig handelt es sich dabei auch um eine literarische Anspielung, denn das Liedincipit wird bei der Darstellung von Schiffsreisen vor allem in der Kreuzzugs- und Brautwerbungsepik wiederholt zitiert. Die Szene im »Tristan« gewinnt dadurch den Anschein einer abenteuerlichen, gottgefälligen Seereise. 187 Die Anspielung ist allerdings etwas pikant, wenn man bedenkt, was sich unmittelbar an die zitierte Textstelle anschließt, nämlich die gemeinsame ›zufällige‹ Einnahme des Minnetranks. Welche Rolle Gott dabei spielt, das lässt der Text offen. 188 Literatur oft stark religiös geprägt, während gleichzeitig der diskursive Status der jeweiligen transzendenten Instanzen und ihres Wirkungspotentials absichtlich verunklart wird, vgl. dazu etwa die Beiträge von Rainer Emig und Johannes Rüster in: Die Welt von »Game of Thrones«. Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf George R.R. Martins »A Song of Ice and Fire«, hrsg. von Markus May u. a., Bielefeld 2016 (Edition Kulturwissenschaft 121). 182 Vgl. Lähnemann 2007, S. 184-189. 183 Johannes Janota: Art. »In gotes namen varen wir«, in: ²VL 4 (1983), Sp. 371 f., hier Sp. 371. 184 Vgl. Lähnemann 2007, S. 187. 185 Ebd., S. 188. 186 Entsprechend seinem grundsätzlichen Eindruck, dass christliches Kulturgut in der höfischen Kultur des »Tristan« nur noch als entleerte Form existiere und nur »in niederen Gesellschaftsschichten noch echtere Lebenskraft« besitze, schreibt Weber das Lied nicht Tristan und Isolde, sondern den Schiffsleuten zu, vgl. Weber 1953, Bd. 1, S. 93f., Zitat S. 93. Der Text gibt dazu allerdings keinen Anlass. 187 Vgl. dazu Lähnemann 2007, S. 187f. 188 Für Lähnemann handelt es sich hier um eine Kontrafaktur christlicher Handlungsmuster, bei der nicht Gott, sondern die ›Göttin Minne‹ als dea ex machina in die Handlung eingreife, vgl. ebd., S. 188. Explizit macht das Hermann von Sachsenheim in der »Mörin«, wo dann tatsächlich gesungen wird »In Fenus nammen faren wir« (v. 575). Zitiert nach Hermann von Sachsenheim: Die Mörin. Nach der Wiener Handschrift ÖNB 2946, hrsg. und komm. von Horst Dieter Schlosser, Wiesbaden 1974 (Deutsche Klassiker des Mittelalters N. F. 3), S. 60. Zur ›Göttin Minne‹ siehe meine Überlegungen in Kap. 2.4, bes. S. 243f. 316 3 Lektüren An anderer Stelle verweist der Erzähler explizit darauf, dass Gott die erzählten Ereignisse verantwortet. Das geschieht zwar nicht oft, aber an zum Teil entscheidenden Stellen der Handlung, und es gibt keinen Hinweis darauf, dass es sich dabei um unzuverlässige Aussagen handelt. 189 Ein prominentes Beispiel für das göttliche Wirken in der erzählten Welt bietet die schon mehrfach erwähnte Erzählung vom Seesturm, der das Schiff der norwegischen Seeleute von ihrem Kurs abbringt. 190 Hier ist von Gott als demjenigen die Rede, der elliu dinc beslihtet, | beslihtende berihtet (vv. 2407 f.). Wie bereits im Zusammenhang mit der Rolle des Zufalls erwähnt wurde, erkennt Rüdiger Schnell darin eine generelle »Aussage des Erzählers, wonach alles was in dieser Welt geschieht, auf Gottes Lenkung zurückzuführen ist […].« 191 Gleichzeitig, darauf habe ich oben bereits hingewiesen, folgt die Erzählung hier einem bekannten Erzählmuster, und die finale Motivation wird dominiert von einer kompositorischen. Gott erfüllt offenbar eine vom Erzählschema vorgegebene Funktion in der Komposition des Textes. Es geht also um das Verhältnis von göttlicher Providenz und literarischem Muster, und das ist ein Thema, das nicht nur den »Tristan« betrifft, sondern die mittelalterliche Schemaliteratur überhaupt. Entsprechende Überlegungen, ob Gott als ›Herr über dem Schema‹ fungiere oder vielmehr in dasselbe eingebunden sei, wurden etwa in Bezug auf die Brautwerbungsepik angestellt. 192 Ich komme mit dieser Frage zurück zum Moroltkampf, der ja, wie eben dargestellt, ebenfalls einem weit verbreiteten Erzählschema folgt. Auch bei Tristans Kampf mit Morolt spielt Gott eine wichtige Rolle. Durch die Analogie zur Auseinandersetzung von David und Goliath liegt der Erzählung im »Tristan« eine ›sakrale‹ Logik zugrunde. Dem Erzähltyp entsprechend führt Gott den Erfolg des körperlich unterlegenen Helden herbei, um dem Recht zum Sieg zu verhelfen. 193 Dieser Sieg ist also final motiviert. In der Chronik der Grafen von Anjou wird das etwa durch eine Eingebung (propheticum) zum 189 Vgl. im vorliegenden Zusammenhang Flecken-Büttner 2011, S. 160: »Eine gewisse Autorität mißt man dem zu, was mit der Erzählstimme gesagt wird, solange das Vertrauen nicht durch Irritation gestört wird.« 190 Vgl. im vorliegenden Kontext auch die Deutung von Nauen 1947, S. 26. 191 Schnell 2014, S. 366. Welche Bedeutung hat es, dass die Formulierung des beslihten, beslihtende berihten an die Wirkung des Tropfens vom wahren Helikon erinnert, von dem es heißt, er würde sin und zunge des Erzählers verrihten, verrihtende beslihten (vv. 4885 f.)? Weiterhin wäre daran zu erinnern, dass rihten in der mittelhochdeutschen Literatur oft synonym (und gemeinsam) mit tihten gebraucht wird, wie auch an anderer Stelle im »Tristan« (vgl. vv. 6645f.: betihtet, bemeistert und berihtet), siehe oben, S. 124. Soll mit der Formulierung also eine ›kompositorische‹ Funktion der transzendenten Macht in der erzählten Welt angedeutet werden? 192 Vgl. Kragl 2007, S. 157-178, mit Bezug auf den »Münchner Oswald«; Seidl 2013 mit Bezug auf den »König Rother« und die Fassung A des »Ortnit«. Siehe auch die Bemerkungen zum Verhältnis von finaler, kompositorischer und kausaler Motivation bei Hasebrink 2000, S. 187-189, 225 f., 274-278. 193 Deutlich bringt das Bernhard von Clairvaux in einer Predigt über den Kampf von David und Goliath zum Ausdruck, vgl. »Sermo in dominica quarta post pentecostem«: Collatam denique caelitus victoriam, et divina manifeste patratam virtute. Zitiert nach Sancti Bernardi opera, Bd. 5: Sermones 2, ad fidem codicum recensuerunt Jean Leclerq / Henri M. Rochais, Rom 1968, S. 202, Z. 3-S. 205, Z. 23, hier S. 202, Z. 15 f. ›Der Himmel verlieh ihm, wie wir lasen, endlich den Sieg. Gottes Kraft griff sichtbar ein.‹ Übersetzung aus Die Schriften des honigfließenden Meisters Bernhard von Clairvaux, Bd. 2: Ansprachen auf die kirchliche Zeit 2. Vom Sonntag Septuagesima bis zum ersten Sonntag im November. Nach der Übertragung von Agnes Wolters hrsg. von Eberhard Friedrichs, Wittlich 1935, S. 286-290, hier S. 286. 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema 317 Ausdruck gebracht, die der Protagonist Ingelgerius vor seinem Kampf im Gebet erhält. 194 Und auch der König bestätigt nach dem Kampf diese Perspektive: Tunc rex gaudio gavisus ait ei: »Gaude, fili, quia Deus pugnavit pro te, cujus auxilium postulasti. Completum inimico tuo est quod scriptum est: ›Perdes omnes qui loquuntur mendacium‹ et ›testis falsus non erit impunitus.‹« (»Gesta consulum andegavorum«, Handschriftengruppe C) 195 ›Daraufhin freute sich der König sehr und sagte zu ihm: »Freue dich, mein Sohn, denn Gott, dessen Hilfe du verlangt hast, hat für dich gekämpft. Vollendet ist an deinem Gegner, was geschrieben steht: ›Du wirst alle vernichten, die Lügen erzählen‹ [=-Ps 5,7] und ›der falsche Zeuge wird nicht unbestraft bleiben‹ [=-Prov 9,5].«‹ In den anderen Versionen des Erzähltyps wird die göttliche Verantwortung für den Sieg ebenfalls auf die eine oder andere Weise zum Ausdruck gebracht, entweder in den Worten des Erzählers 196 oder der Figuren. 197 Auch im »Tristan« wird die sakrale Logik der Auseinandersetzung nachdrücklich betont. 198 Am deutlichsten artikuliert sich die finale Motivation hier in den Worten des Protagonisten vor dem Kampf, wenn er sich Gottes Fügung anvertrauen, durch got an âventiure geben (v. 6158) will. Der Ausgang des Zweikampfs werde, so Tristan, allein von Gott entschieden: »unser sige und unser sælekeit diu’n stât an keiner ritterschaft wan an der einen gotes craft. […] ez ergât doch niuwan, alse ez sol.« (vv. 6764-6772) ›Es kommt doch nicht anders, als es kommen muss‹ 199 - viel deutlicher kann man die finale Motivation nicht zum Ausdruck bringen. Unmissverständlich wird Tristans Einstellung auch in folgendem Kommentar: 194 Vgl. »Gesta consulum andegavorum«, Handschriftengruppe C: Venit ei in mentem propheticum illud: Beatus qui intelligit super egenum et pauperum. In die mala liberabit eum Dominus et non tradet eum Dominus in manus inimici ejus. Zitiert nach Halphen / Poupardin 1913, S. 138. ›In seinen Geist gelangt folgende Eingebung: Wohl dem, der sich dem Armen und Hilflosen verständnisvoll zeigt. Am Tag des Unheils wird ihn der Herr befreien und der Herr wird ihn nicht in die Hände seines Feindes übergeben.‹ Die Eingebung folgt Ps 40,2f. der »Vulgata« (siehe oben, S. 300 Anm. 114). Der Status des propheticum ist nicht ganz klar: Handelt es sich um eine von Gott gesandte Prophetie oder eher um eine kontemplative Erkenntnis? 195 Zitiert nach Halphen / Poupardin 1913, S. 138f. 196 So im »Rolandslied«, wo die Wendung des Kampfes zu Gunsten Tirrichs mit folgenden Worten als göttlich herbeigeführt dargestellt wird: der elliu dinc wol kan | aine gezechen, | der wolt iz anders scaffen (vv. 8926-8928; Ausg. Wesle / Wapnewski 1985, S. 314). 197 So meint der Protagonist bei Elisabeth von Österreich nach seinem Sieg: »die krafft vnsers herrn vn̅ seins gelaubens hab sich in diesem kampff erczaiget, wan̅ Jhesus Cristus hab durch mich als ein kinde geoffenwaret, das er des waren gottes sun […] ist.« (»Pontus und Sidonia«; Ausg. Hahn 2005, S. 20, Z. 34-S. 21, Z. 3, vgl. für die Drucküberlieferung Ausg. Hahn 1997, S. 64, Z. 9-11) Schon zuvor sprechen die anwesenden Christen von Gottes Beistand: Vn̅ da der künig vnnd die herrn̅ das sachn̅ , da danckten sy got vnd sprachn̅ , das Pontus wol hiet gestochn̅ vn̅ das jm got hiet geholffen. (Ausg. Hahn 2003, S. 20, Z. 9-11, vgl. Hahn 1997, S. 63, Z. 5-7) 198 Vgl dazu Huber 3 2013, S. 75: »Gottfried streut Bezüge auf Gott und Recht leitmotivisch durch die Episode«. 199 In diesem Sinne auch die Übersetzung von Haug / Scholz, Bd. 1, S. 385. Ähnlich Knecht, S. 82: ›Es wird ja doch so ausgehen, wie es ausgehen muss.‹; Krohn, Bd. 1, S. 411: ›Es kommt doch, wie es kommen soll.‹; 318 3 Lektüren »got muoz bînamen mit mir gesigen oder mit mir sigelôs beligen: der walte es unde müeze es pflegen! « (vv. 6781-6783) Und am Ende des Kampfes erklärt er seinen Sieg gegenüber Morolt rückschauend als Ergebnis eines göttlichen Entschlusses: »der rehte und der gewære got und gotes wærlîch gebot die habent dîn unreht wol bedâht und reht an mir ze rehte brâht.« (vv. 7075-7078) In der Forschung ist man dem gefolgt und hat im Moroltkampf daher eine »Art Gerichtskampf mit Gottesurteil« 200 gesehen. Ganz deutlich wird Gottes Anteil am Ergebnis des Zweikampfes auch vom Erzähler zum Ausdruck gebracht, wenn er die Auseinandersetzung von Tristan und Morolt mit einigem Aufwand als Kampf von zwei Gruppen beschreibt (vv. 6866-6892): Während Morolt über die Stärke von vier Männern verfüge, habe Tristan Gott, das Recht und die eigene Entschlossenheit, seinen- willigen muot (vgl. v. 6887), auf seiner Seite. Der Erzähler bedient sich hier des rhetorischen Mittels der Allegorie, um das abstrakte Erzählprinzip der Auseinandersetzung von Gut und Böse in ein konkretes Bild zu überführen. 201 Eine vergleichbare allegorische Deutung des Erzähltyps begegnet uns schon in einer bildlichen Darstellung des Kampfes von David und Goliath in einer byzantinischen Psalter-Handschrift aus dem 10. Jahrhundert, wo David gemeinsam mit der als geflügelte Frauengestalt dargestellten Stärke (dúnamis) gegen Goliath und den Hochmut (alazoneia) siegt. 202 Wie schon bei der personifizierten Minne kann man auch hier nach dem ›Realitätsstatus‹ der Personifikationen fragen: 203 Besitzen Gott, das Recht und der Willige Muot in der vorliegenden Textstelle eine ›reale‹ Existenz? 204 Dabei ist Hatto 1976, S. 131: ›It will fall out only as it must.‹ 200 Huber 3 2013, S. 74. Von einer »Auslegung des Kampfausgangs als Gottesurteil« spricht auch Weber 1953, Bd. 1, S. 104. Weiterhin Kellermann 2002, S. 140: »Der Kampf Tristans gegen Morolt ist ein Zweikampf in der Funktion eines Gottesurteils […].« 201 Vgl. Chinca 1993, S. 106: »An encounter between two men is made intelligible to the public as a conflict of principle, God and Justice against the brute force represented by Morold.« 202 Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms. gr. 139, fol. 4 v (10. Jh.). Vgl. Robert L. Wyss: Art.-David, in: RdK 3 (1954), Sp. 1083-1119, zur allegorischen Darstellung bes. Sp. 1107 f. Zur Tradition der allegorischen Auslegung in Spätantike und europäisch-christlichem Mittelalter siehe Stefan Ark Nitsche: David gegen Goliath. Die Geschichte der Geschichte einer Geschichte. Zur fächerübergreifenden Rezeption einer biblischen Story, Münster 1998 (Altes Testament und Moderne 4), S. 179-183, 217-221. Einflussreich ist sicher die Anspielung auf den Kampf von David und Goliath in der für die literarische Tradition personifizierter Tugenden und Laster grundlegenden »Psychomachie« des Prudentius (um 400). Hier verweist Spes im Kampf gegen Superbia auf den Sieg von David über Goliath, vgl. vv. 291-299. Zitiert nach Aurelii Prudentii Clementis carmina, cura et studio Mauricii P. Cunningham, Turnhout 1966 (CCSL 126), S.-160f. Dazu Ark Nitsche 1998, S. 181f. Siehe auch die allegorische Deutung des Konflikts als Kampf des Menschen gegen den Hochmut in der Predigt Bernhards von Clairvaux zum vierten Sonntag nach Pfingsten (siehe oben, S. 316 Anm. 193). 203 Vgl. dazu besonders Ernst 1976, S. 14-18; Christ 1977, S. 302f.; Unterreitmeier 1986, S. 96 Anm. 233; Flecken-Büttner 2011, S. 210-212. 204 Dass es sich nicht um eine Allegorie im eigentlichen Sinne handle, meint Chinca 1993, S. 106f., weil dem Bild keine Realität entspreche, sondern vielmehr der rein artifizielle Charakter der Darstellung betont 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema 319 die Stelle insofern besonders problematisch, weil hier ganz unterschiedliche Dinge wie eine psychische Eigenschaft (williger muot), ein abstraktes Konzept (reht) und eine transzendente Macht (got) gemeinsam auftreten. 205 Kann man überhaupt von Gott als ›Personifikation‹ sprechen? Lesen wir die Stelle versuchsweise einmal ganz wörtlich, dann treten der allmächtige Gott und die (göttliche) Gerechtigkeit als konkret handelnde, anthropomorphisierte Akteure auf. Man könnte sagen, sie werden zu Figuren. 206 Und als solche sind sie, wie die anderen Figuren auch, den Regeln des Erzählschemas unterworfen. Dieses sieht vor, dass sie dem Jüngling zur Seite stehen und ihm im Kampf zum Sieg verhelfen. Eine solche ›Epiphanie‹ ist vielleicht gar nicht so weit hergeholt: In mythischen Erzählungen begegnen uns immer wieder göttliche Sieghelfer, die zum Teil als konkrete Akteure in Erscheinung treten. 207 Ein bestimmter Typ frühmittelalterlicher Abbildungen setzt diese Vorstellung ins Bild. So sehen wir etwa auf der Goldscheibe von Pliezhausen aus dem 7. Jahrhundert einen Reiterkrieger, der im Kampf von einer göttlichen Figur 208 unterstützt wird, die hinter ihm auf dem Pferd sitzt und seinen Speer führt (Abb. 3). Man bezeichnet solche Figuren in der Forschung als »Sieghelfer« und geht davon aus, dass die entsprechenden Abbildungen mündlich verbreitete Mythen repräsentieren. 209 Vielleicht darf man sich die Rolle Gottes im Kampf gegen Morolt ähnlich konkret vorstellen. Als sigebære helfe (v. 6185) wird Gott jedenfalls auch von Tristan tituliert. In der Terminologie des Aktantenmodells könnte man ihn als ›Helfer‹ oder ›Adjuvanten‹ bezeichnen. 210 Durch diese Funktion Gottes im Erzählmuster ist zugleich die finale Motivation in das Schema eingebunden, werde. 205 In diesem Sinne fragt Michel 1987, S. 581: »Ist die Vermengung von transzendenten, allegorischen und realen Gestalten ein literarischer Scherz? « Blake Lee Spahr bezieht die unterschiedlichen Akteure auf die Ebenen des vierfachen Schriftsinns: Tristan auf die literale, den willegen muot auf die moralische, das reht auf die allegorische und got auf die anagogische Ebene, vgl. Spahr 1968, S. 80f. So auch Ernst 1976, S. 17. 206 Müller bezeichnet Gott ebenfalls »als ein[en] Akteur unter mehreren« (Müller 2014, S. 55). Eine Anthropomorphisierung erkennt bereits Nauen, wenn er davon spricht, »daß Gott hier völlig den Menschen gleichgesetzt wird und nur als einer unter vieren auftaucht. Selbst in einer Allegorie wirkt diese Gleichsetzung unerhört und spielerisch. Gott wird ohne Bedenken im gleichen Atemzuge mit Tristan genannt.« (Nauen 1947, S. 52) 207 Vgl. Katalin Horn: Art.-Helfer, in: Enzyklopädie des Märchens 6 (1990), Sp. 771-787, hier Sp. 773 f. Ähnlich auch Nauen, der etwa auf die fulltrui genannten Helfer-Gottheiten aus der altnordischen Mythologie verweist, vgl. Nauen 1947, S. 22. 208 Je nach Kontext wird die Figur entweder als Odin oder christlicher Gott gedeutet. Die Scheibe von Pliezhausen etwa stammt von einem eigentlich christlichen Gräberfeld. Ob man den Fund, dessen Ikonographie Parallelen nach England und ins heidnische Skandinavien besitzt, als Beleg für religiösen Synkretismus in der alemannischen Bevölkerung des 7. Jh.s werten kann, ist in der Forschung umstritten, vgl. Kurt Böhner / Dieter Quast: Die merowingerzeitlichen Grabfunde aus Pliezhausen, Kreis Reutlingen, in: Fundberichte aus Baden-Württemberg 19 / 1 (1994), S. 383-419, hier S. 388-399. Ganz ähnlich verhält es sich mit der parallelen Darstellung auf dem Helm aus dem berühmten Schiffsgrab von Sutton Hoo (England), dazu Rupert Bruce-Mitford: The Sutton- Hoo Ship-Burial, Bd. 2: - Arms,- Armour and Regalia, Cambridge 1978, S. 149 und Abb. 10b. Hier fanden sich Objekte mit traditionell als ›heidnisch‹ gedeuteter Ikonographie, darunter besagter Darstellung, neben eindeutig christlich konnotierten Gegenständen wie zwei mit saulos beziehungsweise paulos beschrifteten Tauflöffeln. 209 Vgl. grundsätzlich den Abschnitt zur ikonographischen Darstellung germanischer Heldensage bei Karl Hauck: Art. Bilddenkmäler. III.9. Bilddenkmäler zur Heldensage, in: RGA² 2 (1976), S. 590-598, hier S. 591f.; Helmut Rosenfeld / Karl Hauck: Art.-Dioskuren, in: RGA 2 5 (1984), S. 482-494. 210 Vgl. Propp 1972 [1928], S. 79; Greimas 1971 [1966], S. 163-165. 320 3 Lektüren also der kompositorischen Motivation untergeordnet. Die Sakralisierung des Moroltkampfes ist das Produkt des Erzähltyps, sie geht also einher mit einer Literarisierung der Erzählung. Abb. 3: Gött licher ›Sieghelfer‹ auf der Goldscheibe von Pliezhausen (7. Jahrhundert) (Umzeichnung) Die ›Literarisierung‹ Gott es zeigt sich auch im Bild von den zwei Gruppen. Ausdrücklich betont der Erzähler - in Übereinstimmung mit dem tatsächlichen stoff geschichtlichen Befund 211 -, dass seine Darstellung sowohl dem kollektiven Wissen (al der werlde jehen, ir aller jehe) 212 als auch der schrift lichen Überlieferung (was an dem mære stât, was er an Tristandes mære gelas 213 ) widerspricht (vgl. vv. 6866-6875). 214 Dagegen setzt der Erzähler seine eigene Autorität über die Erzählung: ich mache ez doch wârbære (v. 6876). 215 Das ist eine narrator motivation im eigentlichen Sinne: Obwohl er dabei dem Erzählschema folgt, demonstriert der Erzähler seine 211 Zum Fehlen der allegorischen Beschreibung in der »Tristramssaga« vgl. Ziegler 2001, S. 47. 212 Ist das die »kollektive Instanz der mündlichen Erzählkultur«, von der Hasebrink 2000, S. 212, spricht? 213 Der zitierte Wortlaut swie ich doch das nie gelas der Ausgabe Rankes folgt den Handschrift en MHBE. Die Ausgabe Marold / Schröder bietet dagegen swie daz doch nie kein man gelas (S. 117). 214 Zu der Stelle als Exkurs über das Erzählen besonders Christ 1977, S. 302-305; Flecken-Bütt ner 2011, S.- 210-212. Chinca zufolge charakterisiert diese Formulierung die Gegenstände der Erzählung als fi cta res, die einer zusätzlichen Bestätigung bedürfen. Dass der Erzähler die Erzählung aber plausibel machen wolle (prüeven, wârbaere machen), erweise sie als argumentum, also einer Erzählweise zwischen historia und fabula, vgl. Chinca 1993, S. 104-109; 2003, S. 326f. Vgl. zu der Stelle weiterhin Knapp 2005a, S. 246f., der in der allegorischen Auslegung den Einschub eines »integumentalen Elemente[s] aus dem Bereich der fabula« (S. 247) erkennt. 215 Zur Übersetzung des nur bei Gott fried belegten wârbære als ›der Wahrheit entsprechend, wahr‹ siehe Klaus Grubmüller: ir unwarheit warbæren. Über den Beitrag des Gott esurteils zur Sinnkonstitution in Gotfrids »Tristan«, in: Philologie als Kulturwissenschaft . Studien zur Literatur und Geschichte des Mitt elalters. Festschrift für Karl Stackmann zum 65. Geburtstag, Gött ingen 1987, S. 149-163, hier S. 154 Anm. 12. Lexer übersetzt ›wahrscheinlich‹ (Bd. 3, Sp. 688), BMZ ›der wahrheit gemäß‹ (Bd. 3, S. 520). Chinca übertragt wârbære machen als ›to show to be plausible‹ (Chinca 1993, S. 105). Kritisch dazu und zur Ansetzung von Lexer Knapp 2005a, S. 247: »Es kann […] kein Zweifel bestehen, das wârbære V. 6880 ›wahr‹ heißen soll, worunter hier ›im übertragenen Sinne wahr‹ zu verstehen ist.« 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema 321 Dominanz über die Motivation der erzählten Handlung. 216 Ausdrücklich tritt er als Schöpfer der Erzählung auf. 217 Zweimal benutzt er das Verb bilden: die viere und jene viere ûz den gebilde ich schiere zwô ganze rotte oder ahte man, als übel als ich doch bilden kan. (vv. 6889-6892) Gerade der Bescheidenheitstopos im letzten Vers lässt dabei den Autor hinter dem Werk hervortreten. 218 Die ganze Stelle hebt die Künstlichkeit der Erzählung hervor: 219 Die ›mythische‹ Sakralisierung des Moroltkampfes im Bild der zwei Gruppen erscheint ebenso wie die Figur Gottes als ›Kunstprodukt‹. 220 Diese Beobachtung lässt sich auf eine andere Episode übertragen, die gemeinhin als »Nagelprobe« 221 jeder »Tristan«-Interpretation gilt, nämlich die Erzählung vom zweideutigen Gottesurteil (vv. 15047-15764). Auch hier greift Gott direkt in die Handlung ein, indem er Isolde hilft, die Probe mit dem heißen Eisen unbeschadet zu überstehen. 222 Für die Bewertung des Gottesbildes im »Tristan« kommt dieser Episode eine besondere Bedeutung zu. 223 Dabei hat man in der Forschung vor allem nach Parallelen zur mittelalterlichen Rechtswirklichkeit gesucht. 224 Immer wieder 216 Vgl. Schultz 1987b, S. 593f.: »[T]he narrator claims the authority to motivate Tristan’s victory over Morolt however he pleases, regardless of his source or public opinion: he will ›make it true‹ merely by virtue of his authority as narrator.« 217 Vgl. Christ 1977, S. 303: »Der Erzähler tritt dabei als unumschränkter creator mundi poetici selbstbewußt hervor […].« Die Semantik des in der Stelle gebrauchten mhd. Verbs bilden ist aber insofern nicht eindeutig, da es neben dem eigentlichen schöpferischen Akt (creare) auch ›abbilden‹ oder ›gestalten‹ (fingere) meinen kann, vgl. Lexer, Bd. 1, Sp. 274. Zum Verhältnis von creatio und fictio im mittelalterlichen Verständnis von Autorschaft vgl. Kiening 2015, S. 22f. 218 Vgl. Christ 1977, S. 304. Chinca paraphrasiert entsprechend »Let’s see what I can make« (Chinca 1993, S.-107). 219 Vgl. Masse 2005, S. 153: »Der Autor reflektiert seine Arbeit als die eines bildenden Künstlers […].« Weiterhin Chinca 1993, S. 104-107. Von einer »Ästhetisierung Gottes« spricht schon Weber 1953, Bd. 1, S. 126. 220 Die Darstellung wird zusätzlich dadurch betont, dass Gott und Recht nicht von Anfang an Teil der Handlung sind, sondern erst umständlich ›herbeizitiert‹ werden müssen, als es so aussieht, als ob Tristan im Kampf unterliegen würde (vv. 6878-6995), vgl. dazu Nauen 1947, S. 52: »Es sieht so aus, als hätte Gottfried darüber zu verfügen und wäre ärgerlich, daß sie noch nicht zur Stelle sind, um ihre Pflicht zu erfüllen. […] Er steht völlig über der Sache und ist nicht im geringsten daran beteiligt.« Dabei spielt Gottfried mit den Rezeptionserwartungen, indem er einen entsprechenden Kommentar aus dem Publikum imaginiert, vgl. vv. 6978-6981: nu sprichet daz vil lîhte ein man | ich selbe spriche ez ouch dar zuo: | »Got unde Reht, wâ sint si nuo, | Tristandes strîtgesellen? « - Dabei wird nicht ersichtlich, in welchem Verhältnis die Autorität des Erzählers zur Autorität des Erzähltyps steht. 221 Walter Haug: Gottfrieds von Straßburg »Tristan«. Sexueller Sündenfall und erotische Utopie, in: Kontroversen, alte und neue. Akten des VII. Internationalen Germanisten-Kongresses Göttingen 1985, Bd. 1: Ansprachen, Plenarvorträge, Berichte, hrsg. von Albrecht Schöne, Tübingen 1986, S. 41-52, hier S. 49; bestätigend noch einmal Grubmüller 1987, S. 149, der gleichzeitig bedauert: »Die Interpretationspraxis entspricht diesem Postulat freilich nicht. […] Die Gottesurteil-Episode in Gotfrids »Tristan« ist weiterhin ungeklärt und in ihrem Interpretationspotential nicht ausgeschöpft« (ebd., S. 149f.). 222 Dass hier nicht Gott, sondern eine »andere transzendente, indes widergöttliche Macht« (Weber, Bd. 1, S.- 125), ein »in den Dämon verwandelte[r] Pseudochristus« (ebd., S. 167) handle, halte ich mit Haug / Scholz, Bd. 2, S.-605, für abwegig. 223 Vgl. Dietz 1974, S. 154f. 224 Vgl. grundlegend Hans Fehr: Kunst und-Recht, Bd. 2: -Das Recht in der Dichtung, Bern o. J. [1931], S. 141- 146; in Bezug auf Thomas und Béroul Pierre Jonin: Les personnages féminins dans les romans français de 322 3 Lektüren wurde die Episode etwa mit einem Ketzerprozess in Verbindung gebracht, den Bischof Heinrich von Veringen 1212 in Straßburg durchführte, und bei dem wie im Roman das glühende Eisen als Beweismittel eingesetzt wurde. 225 Aus dieser Verbindung hat man geschlossen, Gottfried übe entweder als aufgeklärter Theologe oder betroffener Häretiker Kritik an der Rechtspraxis der Gottesurteile. Tatsächlich waren Gottesurteile im Mittelalter als Rechtsfindungsmittel wohl einigermaßen verbreitet. Zahlreiche Quellen belegen, dass die Probe mit dem heißen Eisen (ferrum ignitum, ferrum calidum) dabei zu den geläufigsten Formen gehörte. 226 Der genaue Ablauf des Ordals wird allerdings in der Regel nicht geschildert, und auch im »Tristan« ist die Durchführung der eigentlichen Eisenprobe nur äußert knapp beschrieben. 227 Vielleicht kann man daraus schließen, dass die Rezipienten mit dem Skript ›heißes Eisen‹ vertraut waren und die fehlenden Informationen aus ihrem textexternen Wissen beisteuern konnten. Allerdings zeigt das Gottesurteil im »Tristan« eine deutliche Abweichung von der historischen Rechtspraxis, wie sie sich aus den Quellen rekonstruieren lässt. Als Isolde das heiße Eisen berührt, verbrennt sie sich ihre Hand nicht: in gotes namen greif si’z an | und truoc ez, daz si niht verbran (vv. 15731 f.). Auch wenn man zuweilen etwas anderes liest, 228 Tristan au XII e siècle. Étude des influences contemporaines, Aix-en-Provence 1958, S. 59-109; Combridge 2 1964, S. 83-113; jüngere Beispiele bieten Ziegler 2004, S. 123-132; Daniela Karner: Täuschung in-Gottes Namen. Fallstudien zur poetischen- Unterlaufung von- Gottesurteilen in- Hartmanns von Aue »Iwein«, Gottfrieds von-Straßburg »Tristan«, Des Strickers »Das heiße-Eisen« und-Konrads von-Würzburg »Engelhard«, Frankfurt a. M. 2010 (Mediävistik zwischen Forschung, Lehre und Öffentlichkeit 5), S. 57-90; Stefan Hartmann: Isoldes Gottesurteil im Kontext des zeitgenössischen Wunderdiskurses: theologische und mentalitätsgeschichtliche Überlegungen zu einer Schlüsselpassage des Gottfriedschen »Tristan«-Fragments, in: Variationen des Tristan-Stoffes in diachroner Darstellung, hrsg. von Danielle Buschinger u. a., Amiens 2012 (Médiévales 52), S. 16-38. Am Beispiel von Karner offenbart sich dabei eine methodische Crux: Wenn es ihr darum geht, nachzuweisen, »ob Literatur […] eher als Spiegel oder Zerrspiegel der Rechtsinstitution ›Gottesurteil‹ fungiert« (Karner 2014, S. 14), dann setzt sie damit voraus, dass man der Literatur eine von ihr verschiedene historische Wirklichkeit gegenüberstellen kann, ohne die Erkenntnisse von linguistic turn und New Historicism zu beachten. Vgl. dazu die Rezension von Nadine Krolla, in: PBB 137 (2015), S. 534-539, hier S. 537f. 225 Über den Prozess informieren die Annalen des Klosters Marbach, zitiert nach Annales Marbacenses qui dicuntur, recognovit Hermannus Bloch, Hannover / Leipzig 1907 (MGH. Scriptores rer. Germ. 9), S. 86, Z.-22-S. 87, Z. 6. Dazu Ernst 2008, S. 422. 226 Grundlegend zu Nachweis und Ablauf der Eisenprobe Walther Müller-Bergström: Art.- Gottesurteil (Ordal), in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens 3 (1931), Sp. 993-1063, hier Sp. 1016-1021. Nachdem das heiße Eisen schon in Sophokles’ »Antigone« vorkommt, findet es in zahlreichen Urkunden, Weistümern, Stadtrechten (darunter demjenigen aus Straßburg), Leges (darunter »Sachsenspiegel« und »Deutschenspiegel«) und Chroniken vom frühen bis späten Mittelalter Erwähnung. Vgl. die Belege bei Gerhard Köbler: Welchen- Gottes Urteil ist das- Gottesurteil des Mittelalters? , in: Vom mittelalterlichen Recht zur neuzeitlichen Rechtswissenschaft. Bedingungen, Wege und Probleme der europäischen Rechtsgeschichte. Winfried Trusen zum 70.-Geburtstag, hrsg. von Norbert Brieskorn, Paderborn u. a. 1994 (Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft. N. F. 72), S. 89-108, hier S. 90-104; daneben bereits Jacob Grimm: Deutsche-Rechtsalterthümer, Göttingen ³1881, S. 912-919. 227 Vgl. vv. 15730-15732. Dazu Combridge 2 1964, S. 99. 228 Vgl. Theisen 2000, S. 164: »[W]enn sie sich dabei verbrennt, ist sie schuldig, wenn nicht, ist sie unschuldig.« - Dass hier eine Abweichung vom »banale[n] Ordal des alltäglichen Lebens« vorliegt, erkennt dagegen Combridge 2 1964, S. 99. Deutlich auch Wolfgang Schild: Das Gottesurteil der Isolde. Zugleich eine Überlegung zum-Verhältnis von-Rechtsdenken und-Dichtung, in: Alles was Recht war. Rechtsliteratur und literarisches Recht. Festschrift für Ruth Schmidt-Wiegand zum 70. Geburtstag, hrsg. von Hans Höfinghoff u. a., Essen 1996 (Item Mediävistische Studien 3), S. 55-75, hier S. 60. 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema 323 entspricht das nicht dem erwarteten Ablauf einer Probe mit dem heißen Eisen. Die Eisenprobe galt vielmehr dann als gelungen, wenn die unvermeidliche Verbrennung nach einigen Tagen und bei sorgfältiger medizinischer Behandlung, für die die Quellen mitunter genaue Angaben machen, 229 gut verheilt war, wenn also »das Gottesurteil ein Ergebnis brachte, das den natürlichen Erfahrungen konform, jedenfalls nicht naturgesetzwidrig ist.« 230 Bei der Eisenprobe handelt es sich daher ausdrücklich nicht um einen »mit den Gesetzen des Alltags nicht erfaßbare[n]« Vorgang, der der »natürlichen Erfahrung offen widerspr[icht]« 231 , wie man nicht nur in der älteren Forschung lesen kann. Diese Vorstellung von der Irrationalität und Widernatürlichkeit der Gottesurteile ist in erster Linie ein Produkt der Aufklärung und entspricht nicht der mittelalterlichen Wahrnehmung. 232 Ein Wunder im eigentlichen 229 In einer Handschrift, die wohl im 12. Jh. in Corbie entstanden ist, lesen wir etwa folgende Bestimmung: Tunc faciat sacramentum et portet ferrum usque ad locum designatum. Quo peracto, sigillet decanus manum eius, et postea usque ad comprobationem iudicii in omni cibo et potu suo salem et aquam benedictam admiscere bonum est. Zitiert nach Formulae Merowingici et Karolini aevi. Accedunt ordines iudiciorum dei, ed. Karolus Zeumer, Hannover 1886 (MGH. Legum Sectio 5), Nr. A 10, S. 615f., hier S. 616, Z. 23-26. ›Dann soll er den Eid leisten und das Eisen bis an den festgesetzten Ort tragen. Nachdem die Handlung vollendet ist, versiegelt der Dekan seine Hand, und später bis zur Feststellung des Gerichts ist es gut, in alle seine Speisen und Getränke Salz und gesegnetes Wasser beizumischen.‹ Beinahe wortgleich die Formulierung in mehreren Handschriften seit dem 10. Jh., vgl. ebd., Nr. B III,2, S. 644f., hier S. 645, Z. 34-38. Gerade die erhöhte Zufuhr von Salz lässt sich rational begründen. Aktuelle medizinische Erkenntnisse belegen nämlich, dass Fresszellen (Makrophagen) des Immunsystems Erreger in einer natriumreichen Umgebung effektiver bekämpfen. Eine kurzfristig stark salzhaltige Diät fördert daher eine schnellere Wundheilung und verhindert bakterielle Infektionen, vgl. Jonathan Jantsch u.a.: Cutaneous Na + Storage Strengthens the Antimicrobial Barrier Function of the Skin and Boosts Macrophage-Driven Host Defense, in: Cell Metabolism 21 (2015), S. 493-501. - Auch im »Heißen Eisen« des Strickers wird die Versorgung der Wunde erwähnt: Ein wahs hâte er gebreitet | und ein tuoch dar zuo bereitet | und wolde si verbinden. (»Das heiße Eisen«, vv. 177-179) Zitiert nach Der Stricker: Verserzählungen I, hrsg. von Hanns Fischer, 5., verb. Aufl. bes. von Johannes Janota, Tübingen 2000 (ATB 53), S. 48. Allerdings ist die Hand der Frau hier so stark verbrannt, dass sie nicht an eine Heilung glaubt und damit ihre Schuld eingesteht: des bat si in erwinden. | si sprach: »waz hilfet daz bant? | mir ist diu hant sô gar verbrant, | daz si mir nu niemer mê | ze nutze werden mac als ê.« (vv.-180-184, ebd., S. 48f.) Über die mittelalterliche Rechtspraxis erklärt sich, warum der Mann erst jetzt zornig wird und nicht gleich nach der Verbrennung, weil diese eben noch kein Indiz für die Schuld der Frau ist. Eine andere Deutung dieser Tatsache bietet Kragl 2008, S. 21-24. 230 Vgl. Hans-Wolfgang Strätz: Art.-Gottesurteil II.-Mittelalter, in: TRE 14 (1985), S. 102-105, hier S. 102. 231 So die Definition von Gottesurteilen bei Müller-Bergström 1931, Sp. 997. Gerade die Elementordale, zu denen alle Formen der Feuerprobe gehören, waren auf die natürliche Wirkung des Elementes ausgerichtet. Keinesfalls ging es bei der Eisenprobe darum, dass das Feuer »als magische Kraft […] auf ihre natürliche Wirkung verzichtet« (ebd., Sp. 1016). Auch Benedicta Ward spricht davon, dass sich Feuer und Wasser in den Elementarordalen anders verhielten, als sie es normalerweise tun, vgl. Benedicta Ward: Miracles and the Medieval-Mind. Theory,-Record and Event, 1000-1215, London 1982, S. 18: »[W]ater and fire did not normally behave in this way«. 232 Vgl. Wolfgang Schild: Art.-Gottesurteil, in: HRG² 2 (2012), Sp. 481-491, hier Sp. 483. Zur Rationalität von Gottesurteilen in mittelalterlicher Perspektive auch Köbler 1994, S. 105. Ein Beispiel für die aufklärerische Wahrnehmung von Gottesurteilen bietet David Hume, wenn er im Abschnitt »Of Miracles« seines 1748 veröffentlichten »Enquiry concerning Human Understanding« die Vormoderne beschreibt als »some new world, where the whole frame of nature is disjointed, and every element performs its operations in a different manner, from what it does at present.« (David Hume: An- Enquiry Concerning Human Understanding, in: Essays and Treatises on-Several-Subjects,-Bd. 2, London 1768, S. 1-191, hier S. 138) Und wenn Ward mit diesem Zitat ihr Buch über das Wunder im mittelalterlichen Bewusstsein beginnt, dann zeigt das nur, wie unkritisch sie solchen aufklärerischen Vorurteilen folgt, vgl. Ward 1982, S. 1. 324 3 Lektüren Sinne, also ein direktes Eingreifen Gottes gegen die natürlichen Gesetzmäßigkeiten, 233 wurde von mittelalterlichen Menschen nicht erwartet und war zum Bestehen der Eisenprobe nicht notwendig. Narratologisch gesprochen heißt das: Für Gott ist im realweltlichen Skript ›Gottesurteil‹ keine aktive Handlungsrolle vorgesehen. Das mag auch erklären, warum die ausbleibende Verbrennung in den anderen Tristanversionen nicht erzählt wird. Soweit diese überhaupt von der Eisenprobe berichten, ist hier nur die Rede davon, dass Isolde sie erfolgreich besteht. 234 Um es noch einmal deutlich zu sagen: Auch mittelalterliche Rezipienten sind wohl nicht davon ausgegangen, dass man glühendes Eisen berühren kann, ohne sich die Hand zu verbrennen. Isoldes fehlende Verbrennung ist ein echtes Wunder. Und auch wenn sie immer wieder beschworen wird, hege ich Zweifel an der ›Alltäglichkeit‹ solcher Wunder in der 233 Im Frühmittelalter war man noch davon ausgegangen, dass Gott unmittelbar in alle Bereiche der Welt eingreife und auch für das Ergebnis von Gottesurteilen direkt verantwortlich sei, vgl. Angenendt 4 2009, S. 116f. Im Laufe des 12. Jh.s und unter dem Einfluss der Scholastik setzte sich im theologischen Diskurs dann zunehmend die Einsicht durch, Gott handle in der Regel nur mittelbar über Zweitursachen und im Einklang mit den Gesetzen der göttlichen Schöpfung. Als Wunder im eigentlichen Sinne verstand man jetzt, anders als etwa noch Augustinus, nur das direkte Eingreifen Gottes gegen die natürlichen Gesetze, contra uel supra naturam, wie es bei Petrus Abaelardus heißt (»Expositio in Hexameron«, §-121; zitiert nach Petri Abaelardi opera theologica, Bd.-5: Expositio in hexameron, ed. Mary Romig with David Luscombe, Turnhout 2004 (CCCM 15), S. 33, Z. 814). Zu dieser Entwicklung Ward 1982, S. 4-9; Caroline Walker Bynum: Wonder, in: American Historical Review 102 (1997), S. 1-26, hier S. 4f., 8 f.; Michael Rothmann: Zeichen und Wunder. Vom symbolischen-Weltbild zur scientia naturalis, in: Institutionalität und Symbolisierung. Verstetigungen kultureller Ordnungsmuster in Vergangenheit und Gegenwart. Im Auftrag des Sonderforschungsbereichs 537 hrsg. von Gert Melville, Köln u. a. 2001, S. 346-392, hier S. 383; Arnold Angenendt: Das-Wunder - religionsgeschichtlich und christlich, in: Mirakel im-Mittelalter. Konzeptionen, Erscheinungsformen,-Deutungen, hrsg. von Martin Heinzelmann u. a., Stuttgart 2002 (Beiträge zur Hagiographie 3), S. 95-113, hier S. 104f. So fordern Wilhelm von Conches und Adelard von Bath etwa, nur noch dann von einem Wunder zu sprechen, wenn andere Ursachen als ein direktes göttliches Einwirken ausgeschlossen seien, vgl. Ward 1982, S. 23f. Gervasius von Tilbury unterscheidet in den »Otia imperialia« (frühes 13. Jh.) zwischen mirabilia, die natürlich und potentiell erklärbar seien, und miracula, die als echte Wunder preter naturam allein der Macht Gottes zugeschrieben werden, etwa die Auferstehung des Lazarus oder die Wiederherstellung verlorener Gliedmaßen. Vgl. dazu Fritz Peter Knapp: ›Wahre‹ und ›erlogene‹ Wunder. Gervasius von-Tilbury und der höfische Roman, in: PBB 132 (2010), S. 230-244, hier S. 233f. - Inwiefern solche theologischen Überlegungen auch für die sogenannte Volksfrömmigkeit Geltung beanspruchen können, ist schwer abzuschätzen. Gegen eine Trennung von Volksfrömmigkeit und klerikaler Elitenkultur jedenfalls Walker Bynum 1997, S. 3 Anm. 9, dort auch zur grundsätzlichen Vielgestaltigkeit des mittelalterlichen Wunderdiskurses, S. 6. 234 Vgl. »Tristramssaga«, Kap. 59: [Ísond] tók hendi sínni undir járnit djarfliga ok bar svá at enginna maðr fann bleyði né hugleysi á henni, ok gaf guð henni með sínni fagri miskunn fagra skírn, sætt ok samþykki við konunginn, herra sínn ok eiginbónda, með fullri ást, sœmd ok mikilli tign. (Ausg. Kölbing 1878, S. 74, Z. 13-16) ›[Isönd] ergriff wacker das Eisen mit ihrer Hand und trug es so, daß keiner Mutlosigkeit noch Feigheit an ihr feststellte, und Gott schenkte ihr in seiner schönen Gnade schöne Reinigung, Versöhnung und Einverständnis mit dem König, ihrem Herrn und Ehegatten in voller Liebe, Ehre und Würde.‹ (Übers. Uecker 2008, S. 83) - »Sir Tristrem«, Str.- 208,1-8: Swete Ysonde haþ sworn | Hir clene, þat miri may; | To hir þai had ycorn | Hot yren, y say. | Þe knightes were biforn, | For hir þo praiden þai. | Þe yren sche hadde yborn, | Ac Mark forgaue þat day. ›Die liebliche Ysonde hat ihre reinheit beschworen, die muntere frau; für sie hatten sie das heisse eisen bestimmt in der that. Die ritter waren anwesend; für sie baten sie da. Das eisen hatte sie getragen, aber Marke vergab ihr an dem tage‹ (Ausg. Kölbing 1882, S. 62f. und 269). Auch Matsuura fallen in beiden Texten »die vagen Formulierungen« auf. Sie bräuchten »nicht unbedingt so verstanden zu werden, dass die Hand gar nicht verbrannt sei« (Matsuura 2015, S. 46). 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema 325 mittelalterlichen Erfahrungswelt. 235 Das Motiv der ausbleibenden Verbrennung halte ich vielmehr für über realweltliches Wissen nicht ohne Weiteres referenzialisierbar. 236 Wie lässt es sich dann erklären? Ich denke, die Antwort lautet: über l it e r a r i s c h e s Wissen. Es handelt sich nämlich um ein Motiv, das aus zahlreichen Heiligenlegenden bekannt ist, 237 am prominentesten aus derjenigen der heiligen Kunigunde. 238 Damit wird die verfolgte Herrschergattin der Legende zu einem Figurenmodell für Isolde. Wenn ich in diesem Zusammenhang von literarischem Wissen spreche, geht es mir ausdrücklich nicht darum, den Fiktionalitätsstatus mittelalterlicher Legenden zu diskutieren. 239 Auch wenn die Berichte 235 Zur »Alltäglichkeit des Wunderbaren in der mittelalterlichen Lebenswelt« etwa Hartmann 2012, S. 29, der auch davon spricht, »wie abwegig es wäre, […] Wunder als etwas Außergewöhnliches und Außeralltägliches zu verstehen«. Zum »supernatural as an unremarkable aspect of daily life« weiterhin Tennant 1982, S. 227. Auch Ward bezeichnet Wunder als »an integral part of ordinary life« (Ward 1982, S. 2). Etwas weniger stark Schulz 2004a, S. 270: »[G]öttliche Wunder werden im Mittelalter zwar nicht für alltäglich, aber für jederzeit möglich gehalten.« 236 In diesem Sinne beobachtet Fludernik in Bezug auf Heiligenlegenden grundsätzlich eine Abweichung von Weltwissen (›wisdom of the world‹) und realweltlicher Wahrscheinlichkeit (›human verisimilitude‹): »Religious belief (in miracles particularly) reposes precisely on the bracketing of nature and reason, and it is this central recognition of divine otherness (and of the intervention of God in this world) that constitutes the message of saints’ legends.« (Fludernik 1996, S. 97) 237 Darauf verweist Schild 1996, S. 62f.; zustimmend Dicke 1997a, S. 171 Anm. 49; von der »Anwendung eines Legendenmusters« spricht auch Tomasek 2007, S. 181. 238 Vgl. Adalbold von Utrecht, »Vita Heinrici II. Imperatori« (nach 1106), Kap. 21. Zitiert nach Vitae Heinrici et Cunegundis Impp., ed. G. Waitz, in: MGH. Scriptores 4 (1841), S. 787-828, Zitat S. 805, Z. 33-35; siehe auch die jüngere »Vita sanctae Cunegundis« (um 1200), ebd., S. 821-828, sowie die volkssprachige Version Ebernands von Erfurt (um 1220? ), Kap. 22, vv. 1487-1580, zitiert nach Heinrich und Kunigunde von Ebernand von Erfurt. Zum ersten Male nach der einzigen Handschrift hrsg. von Reinhold Bechstein, Quedlinburg / Leipzig 1860 (Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur 39), S. 61-64. - Auf Kunigunde als Vergleichsfigur für Isolde verweisen etwa Nauen 1947, S. 49; Kurz 1970, S. 40f.; Schild 1996, S. 70, sowie Thomas A. Kerth: With God on Her Side. Isolde’s ›Gottesurteil‹, in: Colloquia Germanica 11 (1978), S. 1-18, hier S. 6 (»the great tradition of the somewhat suspect Saint Kunigunde«), - meist, ohne daraus weitere Schlüsse zu ziehen. Auch Ziegler vergleicht die beiden Figuren, erkennt aber große Unterschiede in der Darstellung, vgl. Ziegler 2004, S. 123-132, zusammenfassend S. 131f. Parallele Erzählungen existieren auch in Bezug auf die heilige Richardis (gest. 861 / 862), verheiratet mit Kaiser Karl III., Theutberga (gest. nach 869), verheiratet mit König Lothar II., sowie Emma (gest. 1052), verheiratet mit Æthelred II. von England, vgl. Combridge 2 1964, S. 82f. Siehe besonders zu Richardis auch Racha Kirakosian: Wie eine Legende Geschichte macht. Das Gottesurteil der heiligen Richgard im spätmittelalterlichen Straßburg, in: Schreiben und Lesen in der Stadt. Literaturbetrieb im spätmittelalterlichen Straßburg, hrsg. von Stephen Mossmann u. a., Berlin / Boston 2012 (Kulturtopographie des alemannischen Raums 4), S. 239-276. - Es ist auffällig, dass die Eisenprobe in der Literatur oft dazu gebraucht wird, die Unschuld von des Ehebruchs bezichtigten Königinnen oder Kaiserinnen zu beweisen. Dieser Befund mag einerseits sachliche Gründe haben, zum Beispiel die Tatsache, dass Frauen nicht selbst zum Zweikampf antreten konnten, stellt aber andererseits auch und vor allem eine literarische Tradition dar, auf die sich dann auch noch der Stricker im »Heißen Eisen« bezieht. 239 Dazu Vollmann 2002, der davon ausgeht, die übergeordnete Wahrheit der Legende und die historisch verbürgte Existenz des oder der jeweiligen Heiligen würden auch eigentlich fiktionale Elemente innerhalb der Erzählung als ›faktual‹ ausweisen: »Die Legende läßt narrative Elemente zu, die aus fiktionaler Erzähltradition stammen, in der Legende jedoch sofort in den Status von ›geschichtlicher Wahrheit‹ überführt werden.« (ebd. S. 72) In Bezug auf Kunigunde, Richardis und Theutberga spricht Monika Schulz von »[h]istorische[n] Gottesurteile[n]« (Schulz 2017, S. 115). Die Bedeutung fiktionaler Elemente in Heiligenlegenden beschäftigte schon Müller-Bergström, wenn er etwa davon spricht, dass »die Berichte über den wirklichen Gebrauch der G[ottesurteil]e zum Teil auch sagenhaft sind, zumal wenn sie von wunderbaren Rettungen Unschuldiger zu erzählen wissen« (Müller-Bergström 1931, Sp. 1011). 326 3 Lektüren von Heiligen im Mittelalter als wahr geglaubt wurden - wovon man wohl ausgehen sollte -, halte ich die Formulierung für angemessen. 240 Und auch die Tatsache, dass in einer Urkunde des Bischofs von Halberstadt aus dem Jahr 1214 von einer Eisenprobe berichtet wird, bei der sich der Probant die Hand nicht verbrannt haben soll, muss die Überlegungen nicht unbedingt entkräften. 241 Abgesehen davon, dass bereits der Herausgeber an der Echtheit der Überlieferung zweifelte, 242 zeigt sich hier die Problematik, dass auch Dokumente wie Urkunden nicht einfach eine historische Wirklichkeit abbilden, sondern diese vielmehr mithilfe ›literarischer‹ Muster gestalten. 243 Ob mit dem Bezug auf die Legendentradition auch ein »Geltungsanspruch historischer Wahrheit« für den »Tristan« in Anschlag gebracht wird, wie das Gert Hübner für den ähnlichen Fall des »Engelhard« Konrads von Würzburg festgestellt hat, 244 erscheint mir unklar. Denn Isolde ist ja offensichtlich keine Heilige. 245 Der Text nutzt vielmehr die Logik des Sakralen und bezieht sich auf die Heiligenlegende als literarische Gattung. Anstatt um die reale Praxis der Gottesurteile geht es Gottfried um Erzählungen von Gottesurteilen. 246 Das betrifft nicht allein das Legendenmuster. Gerd Dicke hat anschaulich gezeigt, dass die ganze Episode dem außerordentlich weit verbreiteten Erzähltyp vom zweideutigen Eid folgt, der schon in einer indischen Erzählsammlung des 5. oder 6. Jahrhunderts belegt ist und uns noch in Spätmittelalter und Früher Neuzeit in den Erzählungen von der Bocca della verità 240 Zur Rezeption von Heiligen und Heiligenlegenden als Problemfall zwischen literarischem und realweltlichem Wissen Schneider 2000, S. 147. Dazu auch der Sammelband Sanctity as Literature in Late Medieval Britain, hrsg. von Eva von Contzen / Anke Bernau, Manchester 2015, der einen performanzorientierten Literaturbegriff vertritt, vgl. bes. die Einleitung der Herausgeberinnen, S. 1-17. - Zum Wunderdiskurs in der Legendendichtung in Abgrenzung zum theologisch-philosophischen Wunderdiskurs Walker Bynum 1997, S.-10-12. 241 In der Urkunde wird Folgendes berichtet: quod ferrum omnino candens et plane ignitum prepositi manum illud per ecclesie navem ad altare s. Marie portantis non solum nullatenus combussit, sed, ut videbatur, multo saniorem postea reliquit. Zitiert nach Urkundenbuch der Stadt Halberstadt, Teil 1, bearb. von Gustav Schmidt, Halle 1878 (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 7), Nr. 19, S. 23-25, hier S. 24. ›Dieses gänzlich glühende und sehr heiße Eisen verbrannte die Hand des Priesters, der es durch das Kirchenschiff zum Alter der heiligen Maria trug, nicht nur in keiner Weise, sondern, so schien es, es hat ihn hernach sogar noch gesünder zurückgelassen.‹ 242 Vgl. die Ausg. Schmidt 1878, S. 25. Auch falle auf, dass sich unter den 43 Zeugen kein einziger Anhänger der unterlegenen Partei befinde. 243 Es geht meiner Meinung nach am Problem vorbei, den Befund lediglich mit dem Verweis auf »menschliches Gaukelspiel« (Okken 2 1996, Bd. 1, S. 557) abzutun. 244 Blutopfer und Wunderheilung im »Engelhard« folgen dem Schema der seit dem 12. Jh. bekannten Legende von Amicus und Amelius. Dazu Hübner: »Das bedeutet freilich nicht, dass im 12. oder 13. Jahrhundert tatsächlich Kinder geschlachtet worden wären, um Aussätzige zu heiligen; es zeigt aber immerhin, dass das Wunder den Zeitgenossen nicht als märchenhafter Zug, sondern als glaubhafte Handlungsmöglichkeit Gottes in der Wirklichkeit erschien.« (Gert Hübner: Ältere deutsche Literatur. Eine Einführung, Tübingen / Basel 2006, S.-221) 245 Als »anti-Kunigunde« (Ziegler 2004, S. 132) würde ich Isolde dennoch nicht bezeichnen. 246 Zur »eigene[n] Poetik des Rechts« in der Dichtung auch Schnell 1993, S. 401-430, hier S. 421. Dazu Dicke 1997a, S. 169f.: »Der doppeldeutige Ordaleid hat solche Gesetze und Traditionen in Form festgefügter Erzählschemata im Rahmen der folkloristischen Erzählliteratur ausgebildet, auf die die rechtshistorisch orientierte Forschung jedoch nicht weiter achthatte und meinte, nicht achthaben zu müssen, weil sie die »Tristan«-Darstellung streng auf die zeitgenössische Rechtspraxis bezogen glaubte.« 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema 327 begegnet. 247 Aufgrund der außerordentlich weiten Verbreitung kann man davon ausgehen, dass auch den Rezipienten der Zeit um 1200 dieser Erzähltyp bekannt gewesen ist. Wie beim Moroltkampf liegt also der Erzählung im »Tristan« ein Erzählmuster zugrunde. Als Antwort auf die Frage, warum Gott Isolde beim zweideutigen Eid hilft, kann man daher wieder auf die kompositorische Motivation verweisen: weil das Erzählschema es so vorsieht. Gott erfüllt auch hier eine ihm vom Schema zugewiesene Handlungsrolle. Das ist aber nicht ganz unproblematisch: Die Institutionen, die in der Erzähltradition den Ausgang des Ordals verantworten, und mit denen Gott im »Tristan« also in eine Reihe gestellt wird, sind nämlich niedrige Naturgötter, magische Teiche oder zaubertätige Steinbilder. 248 Es handelt sich also durchweg um Instanzen, von denen man erwarten kann, dass sie sich von einem zweideutigen Eid mechanisch überzeugen lassen. Von einem allwissenden und allmächtigen christlichen Gott, an den mittelalterliche Rezipienten wohl geglaubt haben, kann man das nicht; er passt nicht in diese Reihe. Deutlich wird das, wenn man sich die Akkulturation des Erzähltyps im europäischen Mittelalter anschaut: Alle anderen christlichen Versionen setzen nämlich gerade nicht Gott in die Aktantenposition der Urteilsinstanz ein, sondern ein magisch-okkultes Requisit, das wie Vergils irzenes bilde zu Rome im Meisterlied zudem in einer heidnisch-antiken Vorzeit verortet wird. 249 Auch für den Tristanstoff hätte diese Möglichkeit bestanden, schließlich begegnen uns entsprechende magische Gegenstände etwa im Kontext der Tugendproben im Artusroman, zum Beispiel der Mantel aus dem »Lanzelet«, der Becher aus der »Crône« oder der Tugendstein aus dem »Wigalois«. 250 In diesem Sinne löst das Problem dann auch der Bearbeiter der italienischen Tristanversion der »Tavola ritonda« (1. Hälfte 14. Jahrhundert), wenn er das Gottesurteil mit einem magischen Wahrheitsstein namens Heliotrop in Verbindung bringt. 251 247 Vgl. Dicke 1997a, S. 176-226. Zum ›Equivocal oath‹ auch ATU 1418, vgl. Uther 2011, Bd. 2, S. 206f., und Mot. K 1513, Thomspon 1955-1958, Bd. 4, S. 399. Dass die »Geschichte vom zweideutigen Reinigungseid […] auf einen alten morgenländischen Schwank zurückgeht«, vermutete bereits Wolfgang Golther: Tristan und Isolde in der französischen und deutschen Dichtung des Mittelalters und der Neuzeit, Berlin 1929 (Stoff- und Motivgeschichte der deutschen Literatur 2), S. 45. Ablehnend Fehr 1931, S. 146, der meint, dadurch gewinne »das Gottesurteil kein anderes Gesicht. Es ist durchaus im germanischen Sinne von Gottfried verwendet worden.« Da das Erzählmuster offensichtlich eine interkulturelle Verbreitung besitzt, ist es jedoch fraglich, inwiefern sich im »Tristan«, wie noch Karner glaubt, ein »im altgermanischen Gedankengut verhaftetes Ordalverständnis« (Karner 2010, S. 74) äußert. 248 Vgl. zu den Instanzen in den unterschiedlichen Versionen im Einzelnen Dicke 1997a, S. 197f., 211, 212, 219 f., 225 f., 229f. 249 Vgl. das anonyme Meisterlied »Von filius bilde zu Rome dar ynn man swůr«, Str. 2,1, vgl. 1 Reg / 1 / 502a, RSM 5 (1991), S. 8f. Siehe weiterhin, ebenfalls anonym, »Her filius ein pilde gos« ( 1 Marn / 7 / 549, RSM 4 (1988), S. 312) und »Von einem pild zw Rom das den Eeprecherin die vinger ab payzz« ( 1 Wartb / 2 / 520, RSM 5 (1991), S. 337f.). Dieselbe Geschichte bearbeitet auch Hans Sachs, »Die kaiserin mit dem leben pild [›Löwenbild‹]« ( 2 S / 2506, RSM 10 (1987), S. 288). Einen bildlichen Beleg für die bekannte Erzähltradition bietet das um 1520 entstandene Fresko am Haus zum Weißen Adler in Stein am Rhein, vgl. Michael Curschmann: Vom- Wandel im bildlichen- Umgang mit literarischen- Gegenständen. Rodenegg, Wildenstein und das Flaarsche Haus in- Stein am- Rhein, Freiburg (Schweiz) 1997 (Wolfgang-Stammler- Gastprofessur für Germanische Philologie. Vorträge 6), S. 55-58. Dazu Dicke 1997a, S. 219f. 250 Siehe dazu Sandra Linden: Tugendproben im arthurischen- Roman. Höfische-Wertevermittlung mit mythischer Autorität, in: Höfische Wissensordnungen, hrsg. von Hans-Jochen Schiewer / Stefan Seeber, Göttingen 2012 (Encomia Deutsch 2), S. 15-38. Vgl. auch Dicke 1997a, S. 235. 251 Vgl. »La Tavola ritonda«, Kap. 44. Siehe die Übersetzung in Tristan und Isolde im europäischen Mittelalter. Ausgewählte Texte in Übersetzung und Nacherzählung, hrsg. von Danielle Buschinger / Wolfgang 328 3 Lektüren Umso auffälliger ist es, dass die übrigen Tristanversionen anders verfahren. Dadurch, dass hier Gott die Aktantenposition der mechanischen Urteilsinstanz einnimmt, kommt es zum Bruch im Gottesbild. 252 Der allmächtige Gott erscheint als »divine machine«, als »robotlike deity« 253 , und damit letztlich »gänzlich entgottet« 254 . Anders ausgedrückt: Es gelingt den Rezipienten nicht mehr, ein widerspruchsfreies mentales Modell der Figur Gott aufrechtzuerhalten, das sowohl den Bedürfnissen des Erzählmusters als auch dem außerliterarischen Wissen von Gott entspricht. Die theologischen Wissensbestände geraten mit dem literarischen Muster in Konflikt. In diese Richtung möchte ich auch den vieldiskutierten Kommentar interpretieren, in dem der Erzähler 255 Christus als wintschaffenen ermel bezeichnet (vv. 15733-15746). 256 Bisher hat man den Kommentar, wenn man ihn nicht positiv deuten wollte, 257 vor allem als Kritik an Gott 258 oder - diese Position überwiegt in der jüngeren Forschung - an der Praxis der Gottesurteile und dem damit verbundenen Gottesbild der Menschen 259 gelesen. Entscheidend sind in jedem Fall die Verse, die direkt auf Isoldes ausbleibende Verbrennung folgen. Dort heißt es: Dâ wart wol g’offenbæret und al der werlt bewæret, daz der vil tugenthafte Crist wintschaffen alse ein ermel ist: er vüeget unde suochet an, dâ man’z an in gesuochen kan, Spiewok, Stuttgart 1991 (RUB 8702), S. 99-102. Vorlage der Erzählung ist dem Kommentar von Buschinger / Spiewok zufolge Thomas, vgl. ebd., S. 97. Der Bearbeiter verzichtet dabei nicht völlig auf die Eisenprobe, die zusätzlich eingesetzt wird. Abgesichert wird das Urteil allerdings nicht direkt durch Gott, sondern über Reliquien, deren »Wunderkraft« (S. 99) man sich hier wohl eher magisch als transzendent vorzustellen hat. Weiterhin gehen die Beteiligten von Anfang an davon aus, dass sich Isolde ihre Hand nicht verbrennen wird, wenn sie wahrheitsgemäß spricht. Auch Dicke erkennt in der Erzählung ein Bemühen des Bearbeiters, »Gott aus ihr fernzuhalten und märchenhafte Wundermechanik an die Stelle eines am Rechtsbrauch orientierten Gottesgerichts treten zu lassen« (Dicke 1997a, S. 156 Anm. 4). 252 Zur ›falschen‹ Aktantenbesetzung auch ebd., S. 231, 234f. 253 Harold D. Dickerson: Language in »Tristan« as a Key to Gottfried’s Conception of God, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 3 (1972), S. 127-145, hier S. 136. 254 Weber 1953, Bd. 1, S. 112. Vgl. dazu auch Kragl 2019, S. 130-140, der im vorliegenden Zusammenhang von einer »anthropogenen Metaphysik« (S. 138) spricht. 255 Zur Überlegung, der Kommentar könnte aus der Perspektive einer Figur (Marjodo? ) oder eines Rezipienten gesprochen sein vgl. den Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 608f. 256 Welche Rolle spielt es, dass im Kommentar nicht von ›Gott‹, sondern von ›Christus‹ die Rede ist? Dazu Dembeck 2000, S. 494, der die Zwischenposition und »den medialen Charakter Christi« betont. Für Barandun grenzt Gottfried den Kommentar mit der Nennung Christi »deutlich von der Erzählung ab und kennzeichnet ihn als polemischen Einschub.« (Barandun 2009, S. 135) Siehe weiterhin auch die Deutung von Kelley Kucaba, dazu unten, S. 329 Anm. 263. 257 So Mergell 1949, S. 177f. 258 Vgl. exemplarisch Weber 1953, Bd. 1, S. 123-125; Hahn 1964, S. 176; Karl Allgaier: Der Einfluß Bernhards von Clairvaux auf Gottfried von Straßburg, Frankfurt a. M. / Bern 1983 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1: Deutsche Sprache und Literatur 641), S. 156-160. 259 So etwa mit unterschiedlichen Implikationen Stökle 1915, S. 85-89; Ranke 1925a, S. 192; Schild 1996, S.-67, 74 f.; Theisen 2000, S. 165f.; Ziegler 2004, S. 129f.; Ernst 2008, S. 427, 435 f.; Hartmann 2012, S. 38; Schnell 2014, S. 355. 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema 329 alse gevuoge und alse wol, als er von allem rehte sol. er’st allen herzen bereit, ze durnehte und ze trügeheit. ist ez ernest, ist ez spil, er ist ie, swie sô man wil. (vv. 15733-15744) Rosemary Combridge hat darauf aufmerksam gemacht, dass der Beginn des Erzählerkommentars genau an der Stelle steht, wo in den Heiligenlegenden die Unschuld der Protagonistin verkündet wird. 260 Liest man nur die ersten beiden Verse des Kommentars, wird man genau das erwarten. Mit al der werlt wären dann die Zuschauer in der erzählten Welt gemeint. Diesen wurde aber g’offenbæret, dass Isolde unschuldig sei. Von ihrer wirklichen Schuld und der vermeintlichen wintschaffenheit Christi wissen sie dagegen nichts. Der Kommentar bezieht sich daher offenbar nicht auf die intradiegetischen Zuschauer, sondern auf die Rezipienten: »Gottfried spielt also nicht auf den Effekt des Gottesurteils selbst, sondern auf die Wirkung des Erzählens vom Gottesurteil an.« 261 Insofern handelt es sich hier mit Albrecht Hausmann in erster Linie um einen metapoetischen Kommentar. So ließe sich dann auch die Aussage er ist ie, swie sô man wil (v. 15744) verstehen, also etwa im Sinne von ›Jeder kann von Gott erzählen, wie er will‹. Auch die Formulierung von ernest und spil (vgl. v. 15743) könnte auf diesen Kontext verweisen, wenn man bei spil an literarische Darstellungen denkt. 262 Vielleicht kann man diesen Eindruck eines künstlichen Gemachtseins von Gott 263 sogar mit der Rede vom wintschaffenen ermel zusammenbringen. Dabei handelt es sich nämlich wieder um einen Begriff aus dem Bildbereich der Mode, der ja immer im Verdacht steht, auf die Ebene der Poetologie zu verweisen. 264 Überhaupt ist der ganze Kommentar von einer textilen 260 Vgl. Combridge 2 1964, S. 104f. 261 Hausmann 2014, S. 84; siehe auch die Interpretation von Grubmüller 1987, S. 160-162. 262 Vgl. Hartmann 2012, S. 37; Hausmann 2014, S. 85. Auch Matsuura versteht »ernest als ›(in der) Realität‹ und spil als ›(im Spiel der) Fiktion‹« (Matsuura 2015, S. 47). Die Formulierung findet sich im »Tristan« auch an anderer Stelle, vgl. v. 2196: sô durch ernste sô durch spil. Man könnte hier auch an die auf Horaz zurückgehende Idee einer Verbindung von ›Spiel‹ (ludus) und ›Ernst‹ (serius) in der Literatur denken, auf die in verschiedenen mittelalterlichen Texten angespielt wird. So heißt es etwa bei Alanus ab Insulis, dass in der Musik des Cantus das Spiel mit dem Ernst verwoben werde: musica […] cum ludis seria texens (»Anticlaudianus«, 3,430f.; Ausg, Bossuat 1955, S. 101). Und auch Godefrid von Winchester (gest. 1107) möchte in seinen Epigrammen das Spiel mit dem Ernst verbinden, wie er in der Vorrede festhält: cum ludis seria libans, | immo per ludos seria notificans. (»Liber proverbiorum«, vv. 3 f.) Zitiert nach Hartwig Gerhard: Der Liber proverbiorum des Godefrid von-Winchester, Diss. masch. Würzburg 1974, S. 54. Etwa: ›(Ich werde) mit dem Spielerischen auch das Ernste leicht berühren, vielmehr durch das Spielerische auf das Ernste aufmerksam machen.‹ 263 Eventuell könnte man diese Deutung mit derjenigen von Kelley Kucaba zusammenbringen: Für Kucaba steht nämlich Christus im »Tristan« grundsätzlich in einem engen Zusammenhang mit dem poetischen Wort der Dichtung, vgl. Kelley Kucaba: Höfisch inszenierte Wahrheiten. Zu-Isoldes Gottesurteil bei-Gottfried von- Straßburg, in: Fremdes wahrnehmen - fremdes Wahrnehmen. Studien zur Geschichte der Wahrnehmung und zur Begegnung von-Kulturen in-Mittelalter und früher Neuzeit, hrsg. von Wolfgang Harms / C. Stephen Jaeger, Stuttgart / Leipzig 1997, S. 73-93, hier S. 90-93. Kucabas Deutung ließe sich im Übrigen durch einen Verweis auf die Tatsache stützen, dass Christus schon im Prolog des Johannesevangeliums (1,1-3, 1,14) mit dem Wort (verbum) identifiziert wird. 264 Das Adjektiv wintschaffen bezieht sich nicht auf den wint, sondern ist von wenden abgeleitet (so schon BMZ, Bd. 2 / 2, S. 69, gegen Lexer, Bd. 3, Sp. 919), vgl. dazu den Kommentar bei Haug / Scholz, Bd. 2, 330 3 Lektüren Metaphorik durchzogen. Das gilt nicht nur für das Verb ansuochen (im Sinne der Bedeutung ›anschmiegen‹), 265 sondern auch für das dreimal aufgerufene vüegen, das sich nicht nur auf die zentrale höfische Tugend der vuoge bezieht, sondern auch auf die Herstellung von Textilien sowie von Texten. 266 Der Erzählerkommentar behandelt damit nicht nur sprach- oder erkenntnistheoretische Fragen, 267 sondern auch p o e t o l o g i s c h e . Er problematisiert nicht in erster Linie das Erkennenwollen von Gott, sondern das Erzählen von Gott. 268 Es geht also, zusammengefasst, um die literarische Natur Gottes, also um den Gott im Text. Sowohl beim Moroltkampf als auch im Gottesurteil erscheint Gott als Figur, als »Konstrukt des Autors« 269 - beziehungsweise des Erzählmusters, dem der Autor folgt. Damit wird auch die finale Motivation der kompositorischen untergeordnet. 270 Am Beispiel des Gottesurteils zeigt Gottfried dabei, welche Probleme daraus entstehen, wenn der allmächtige Gott dem Handlungszwang eines Erzählschemas unterworfen ist. Aussagen über den realen Gott impliziert das alles nicht: Gottfried geht es nicht um Theologie, sondern um Erzählen. 271 Er problematisiert vielmehr das theologische Erkenntnispotential weltlichen Erzählens. Der Gott in der erzählten Welt ist nicht der Gott von Autor und Publikum, das wird im »Tristan« deutlich. Gottfried bestreitet deshalb auch nicht etwa das Wirken Gottes in der Welt. Nur kann man seine transzendente Macht im literarischen Text nicht wirklich abbilden. Wenn Gott in der Erzählung handelt, sind es der Erzähler und die Logik des zugrunde liegenden Erzählmusters, die ihn handeln lassen. 272 S. 612-616. Zur Kleidungsmetaphorik des Kommentars auch Kerth 1978, S. 10f. Zur Verbindung von Textilmetaphorik und Textproduktion siehe oben, S. 127 Anm. 31. 265 Vgl. vv. 15737, 15738. Zur Bedeutung als ›anschmiegen‹ vgl. Lexer, Bd. 2, Sp. 1320. In diesem Sinne wird es auch an anderer Stelle im »Tristan« gebraucht, vgl. vv. 10909-10912: der roc […] suohte allenthalben an. 266 Vgl. vv. 15737, 15739, 15746. Zur Bedeutung von vüegen siehe oben, S. 145 Anm. 115. 267 So Dickerson 1972; Grubmüller 1987; Schnell 1992, S. 59-75; 2014, S. 355f. Till Dembeck beobachtet im Kommentar eine Diskussion der Möglichkeiten von Sprache im Medium fiktionaler Kommunikation, vgl. Dembeck 2000, S.-493-507. 268 Vgl. auch Hausmann 2014, S. 85. Eine ähnliche Deutung erwägt Hartmann, verfolgt sie dann allerdings nicht, vgl. Hartmann 2012, S. 37. 269 Hausmann 2014, S. 86. 270 Das sind die »mechanical rather than metaphysical laws«, denen Gott Dickerson zufolge unterworfen sei, vgl. Dickerson 1972, S. 136. 271 Dass es sich beim Kommentar um »eine Reflexion über die Motivation innerhalb der a r t i f i z i e l l e n Tristan-Welt« handle, meint auch Flecken-Büttner 2011, S. 161. (Hervorhebung L.M.) 272 Damit ist nicht ausgeschlossen, dass gerade an motivationslogisch dunklen Stellen dennoch auch das Wirken des ›anderen‹ Gottes aus der realen Welt der Leser und Hörer spürbar wird. So erkennt Florian Kragl im »Münchner Oswald« »quasi tiefenstrukturell« den Verweis »auf ein kaum erkennbares und doch irgendwie manifestes Interagieren einer ephemeren göttlichen Instanz […]; ein[en] Verweis, der freilich auf einer Ebene stattfindet, die von jener der gewissermaßen oberflächenstrukturellen, personalisierten Gottesreferenzen - Gott als Auftraggeber, Gott als Helfer, der sich mit Gebeten bezahlen lässt und mit dem man handeln kann - radikal verschieden ist.« (Kragl 2007, S. 172) Dass im »Tristan« zwei Gottesbilder auftreten, hat bereits Weber beobachtet: Neben »de[m] zerstörte[n] und in ein völlig Anderes, Gegenteilig-Metaphysisches verwandelte[n] Gott« existiere immer noch »(schattenhaft) der gute und echte, der wahre Gott.« (Weber 1953, Bd. 1, S.-113) Selbst angesichts des Gottesurteils bleibe »der wahre Gott, wenngleich noch so verdunkelt und schattenhaft« in der Dichtung erhalten, »[a]ber nicht er ist es, zu dem Isoldes vergiftetes Gebet dringt und der es erhört.« (ebd., S.-125) 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema 331 3.2.3 Die Figur regiert das Schema Ich habe zu zeigen versucht, wie durch den Bezug auf den Erzähltyp vom Sieg des ›Jüngsten‹ über einen scheinbar unüberwindbaren Gegner literarisches Wissen der Rezipienten abgerufen wird. Dadurch werden die Figuren einschließlich der Figur Gottes in Handlungsrollen gedrängt, die das Schema für sie vorgesehen hat. Allerdings weist Jan-Dirk Müller in seiner jüngsten Beschäftigung mit dem Moroltkampf auf einige zentrale Abweichungen hin, die die Episode bei Gottfried gegenüber dem Erzähltyp besitzt. 273 Dazu gehöre etwa die positive Darstellung Morolts, auf die ich oben bereits eingegangen bin. Viel wichtiger ist jedoch eine andere Abweichung: Es handle sich nämlich beim Zweikampf von Tristan und Morolt überhaupt nicht um eine Auseinandersetzung von Recht und Unrecht, Gut und Böse. Das bildet aber die Grundlage für den Erzähltyp. Tatsächlich gestaltet Gottfried die Tributforderung nicht als mythischen Konflikt, sondern mit einigem Aufwand aus einem rechtlich-politischen Blickwinkel (vv. 5878-6006). 274 Schon der für das Mittelhochdeutsche ungewöhnliche Gebrauch von istôrje (v. 5880), das der Erzähler hier für seine Quelle benutzt, betont den ›historischen‹ Charakter der Erzählung. 275 Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Cornwall und Irland, das Gottfried in der britannischen Realgeschichte verortet, 276 wird als ein beiderseitiges Vertragsverhältnis angesehen und mit Ausdrücken aus dem vasallitischen Rechtssystem (triuwe, v. 6361; eit, v. 6363; gelübede und sicherheit, v. 6364) beschrieben. 277 Ganz anders ist die Situation bei Eilhart: Hier ist Cornwall nämlich noch gar nicht tributpflichtig, 273 Vgl. Müller 2014. 274 Zur »feudalrechtliche[n] Motivierung des Kampfes« im Anschluss an Müller jetzt auch Dillig 2019, S. 151f., Zitat S. 152; weiterhin Ziegler 2001, S. 34-36; 2004, S. 117f., für die der vertragliche Hintergrund des Konflikts freilich nichts daran ändert, Morolt als Vertreter des Unrechts wahrzunehmen. Anders Uttenreuther 2009, S.-121f., die von »ins Unmoralische gesteigerten und auf kein Recht, sondern reine Willkür gründenden Tributforderungen« spricht. Ähnlich Becker 2019, S. 125: »[ein] Zins, der ohne Rechtsgrundlage Jahr um Jahr willkürlich ins Unermessliche zu steigen droht.« - Der ausführliche rechtliche Exkurs wird vom Erzähler explizit als solcher gekennzeichnet, wenn er anschließend sagt Nu sul wir wider zem mære komen (v. 6007). - Was Gottfried dabei von Thomas übernommen hat, lässt sich schwer ausmachen. Der rechtlich-historische Exkurs in der »Tristramssaga« (Kap. 26; Ausg. Kölbing 1878, S. 30, Z. 4-18) ist jedenfalls kürzer als bei Gottfried und setzt zum Teil andere Akzente. So fehlt der Verweis auf Gurmun hier völlig. Siehe auch die entsprechende Erwähnung im »Sir Tristrem«, Str. 86 (Ausg. Kölbing 1882, S. 27). 275 Siehe oben, S. 195f. Zur vorliegenden Stelle Chinca 1993, S. 47-49; Stevens 2003, S. 239. Schon Schröder ging davon aus, Gottfried wolle für seine Erzählung eine »Bestätigung in historischen Quellen« in Anspruch nehmen (Schröder 1975, S. 311). Unterreitmeier sieht in der »Anknüpfung an politisch-rechtliche Zusammenhänge« eine heilsgeschichtliche Aufladung des Moroltkampfes, vgl. Unterreitmeier 1984, S. 94-96, Zitat S. 96. 276 Siehe dazu oben, Kap. 2.2.2, bes. S. 195. 277 Vgl. Ziegler 2001, S. 35f.; 2004, S. 117. Auch die Bezeichnung des Tributs als zins (vgl. vv. 5876, 5942, 5979, 6266, 6370, 6375, 6388, 6464, 6529, 6533, 6821, 6826, 6975) und der Ausdruck zinsreht (vv. 5999, 6813, 7115) gehören in diesen Zusammenhang. Zu zins von lat. census als »a well-established legal term in the Middle Ages« Ziegler 2001, S. 35; wortgleich 2004, S. 117. Karin erkennt vor allem bei Tristan im vorliegenden Textabschnitt eine ausgeprägte Benutzung von Rechtsbegriffen und Rechtsgesten, vgl. Karin 2019, S. 62f., 188-194, 201. Zur lehnsrechtlichen Grundlage der Episode weiterhin Ursula Peters: zins und gülte. Zur Ökonomie der Landleihe in der höfischen Dichtung, in: IASL 42 (2017), S. 1-50, hier S. 29-33: Die Unterwerfung Cornwalls unter Irland sei das »Ergebnis territorialer Eroberungskriege«, wie sie in mittelalterlichen Texten »in vielen Fällen in lehnsrechtliche Prozeduren von Lehnsauftragung der eigenen Länder, vasallitischer Huldigung und Lehnsinvestitur eingebunden« seien, so dass »hinter der so drückenden zins-Pflicht im Prinzip lehnsrechtliche Abgaben stehen mögen« (S. 31f.). 332 3 Lektüren sondern soll erst von Morolt unterworfen werden (vgl. »Tristrant«, vv. 388-395). Die Ausgangssituation entspricht damit deutlich stärker dem Erzähltyp, als das bei Gottfried der Fall ist. In dessen Version wird weiterhin nachdrücklich betont, dass Cornwall zwar unmittelbar von Irland, mittelbar aber von Rom abhängt (vv. 5979-6002), 278 und damit von jener Rechtsgewalt, der gemäß dem translatio-Gedanken auch Gottfried und sein Publikum unterstanden. 279 Auch das scheint eine Erfindung Gottfrieds zu sein. 280 Wenn man in dem Bezug auf Rom nicht etwa eine kritische Anspielung auf das staufische Kaisertum lesen will, 281 erscheint es kaum vorstellbar, dass diese Rechtsinstitution von den zeitgenössischen Rezipienten als böse Fremdherrschaft aufgefasst wurde, wie es den biblischen Philistern oder den heidnischen Invasoren in verschiedenen mittelalterlichen Erzählungen entspricht - geschweige denn als ›mythische‹ Macht. Zusammenfassend lässt sich im Vergleich mit der Stofftradition also erkennen, dass Gottfried den ›mythischen‹ Charakter des Konflikts zurückdrängt und die Erzählung damit ›rationalisiert‹. 282 278 Den Aufwand, den Gottfried betreibt, um die Abhängigkeit von Rom hervorzuheben, betont Stevens 2000, S. 422f. 279 Zur translatio imperii Werner Goez: Translatio Imperii. Ein Beitrag zur Geschichte des Geschichtsdenkens und der politischen Theorien im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Tübingen 1958. Dass für zeitgenössische Rezipienten »Reichspolitik als ›römische‹ Rechtspolitik« verstanden wurde, erwähnt auch Unterreitmeier 1986, S. 96. Dagegen spricht Flecken-Büttner hier von Rom als einem »ferne[n] Großreich« (Flecken-Büttner 2011, S. 186). Zum Versuch, die Gurmun-Handlung im spätantiken Imperium zu verorten, siehe Ernst Erich Metzner: Wandalen im angelsächsischen Bereich? Gormundus Rex Africanorum und die Gens Hestingorum. Zur Geschichte und Geschichtlichkeit des Gormund-Isembard-Stoffes in England, Frankreich, Deutschland, in: PBB 95 (1973), S. 219-271, hier S. 246-260. Zur Frage, ob im 5. Jh. noch ein römischer Rechtsanspruch auf die ehemaligen Provinzen des Imperiums in Britannien geltend gemacht werden konnte, ebd., S.-249. - Das rœmesch rîche wird auch an anderer Stelle des Romans erwähnt, wenn sich Tristan als Söldner dem zepter unde der crône verdingt (vv 18450 f.). Darin haben die Interpreten in der Regel einen Bezug auf das Heilige Römische Reich der Zeit um 1200 gesehen, vgl. den Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 721. Das würde zwar aus moderner Perspektive einen Anachronismus bedeuten, muss aber Gottfried nicht als Fehler angelastet werden (so Bédier 1902-1905, Bd. 1, S. 254 Anm. 1), sondern erklärt sich eben über den translatio-Gedanken. Siehe zu der Stelle auch unten, S. 392. 280 In der »Tristramssaga« wird erzählt, Irland habe Rom als Tributnehmer Englands a b g e l ö s t (Kap. 26; Ausg. Kölbing 1878, S. 30, Z. 8 f.). Im »Sir Tristrem« findet sich überhaupt kein Hinweis für eine Abhängigkeit von Rom (vgl. Str. 85 f.; Ausg. Kölbing 1882, S. 27), ebenso wenig im Bericht über Gurmun bei Geoffrey of Monmouth und Wace. Deshalb glaubt auch Stevens, dass es sich um eine Erfindung Gottfrieds handle, vgl. Stevens 2000, S. 423. Anders Bédier 1902-1905, Bd. 1, S. 76f. Anm. 1, der davon ausging, die »Saga« habe die Stelle ungenau von Thomas übernommen. 281 So Thum, der in Morolt beinahe eine Schlüsselfigur für den staufischen Pfalzgrafen Otto von Burgund (gest. 1200) sieht: »Es scheint mir […] sehr wahrscheinlich, daß sich die oberrheinischen Hörer des »Tristan« um 1210 bei Morolt des ihnen allen bekannten Pfalzgrafen erinnert haben und daß die Erinnerung an sein Handeln einen Teil ihres politisch-gesellschaftlichen Verständigungsrepertoires ausmachte, mit dem sie die Welt deuteten«, vgl. Thum 1979, S. 429-431, Zitat S. 430. Kritisch zu einer solchen Interpretation Rüdiger Krohn: Dietherus cellerarius. Mutmaßungen über den Gönner Gottfrieds von Straßburg, in: Verstehen durch-Vernunft. Festschrift für Werner Hoffmann, hrsg. von Burkhardt Krause, Wien 1997 (Philologica Germanica 19), S. 227-246, hier S. 236f. 282 Zum Begriff der Rationalisierung im vorliegenden Kontext Müller 2014, S. 50, 60 f. Eine Rationalisierung des Mythos erkannte bereits Wolfgang Mohr in Bezug auf Gottfrieds Darstellung von Morolt. Zwar seien Morolts »riesenhafte Züge« noch »Abzeichen seiner sagenhaften Vorgeschichte«, aber seine »ältere, sagenhafte Rolle« sei bei Gottfried bereits »dem modernen Roman anverwandelt« (Mohr 1976, S. 62). 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema 333 Wenn aber der Zweikampf gar keine mythische Auseinandersetzung von Recht und Unrecht ist, wie kommt dann die Assoziation mit dem Erzählschema zustande? Müller weist darauf hin, dass es Tristan selbst ist, der den Zweikampf mit Morolt in seiner Rede an die Barone dem Erzähltyp annähert. So beschreibt er sich und seinen Gegner, wie es den tradierten Rollen entspricht: »den ich eine sol bestân, als ich vil wol vernomen hân, der ist von muote und ouch von craft z’ernestlîcher ritterschaft ein lange her bewæret man: sô gân ich alrêrest an an muote und an der crefte und bin ze ritterschefte 283 niht alsô kürbære, als uns nu nôt wære.« (vv. 6173-6182) Tristan schildert Morolt als kampferprobten Krieger, 284 während er sich selbst in der Rolle des unerfahrenen (unversuohten, vgl. v. 6190) Jünglings stilisiert, obgleich er - anders als bei Eilhart - unmittelbar zuvor seinen Lehnsherrn umgebracht, sich erfolgreich gegen dessen Heer zur Wehr gesetzt hat und daher nicht gerade als »Grünschnabel ohne Kampferfahrung« 285 anzusehen ist. Diese Betonung der eigenen Schwäche ist auffällig. Doch es sind eben nicht »seine physische Stärke und die überlegene Handhabung der Waffen«, die hier über den Ausgang des Zweikampfes entscheiden. 286 Wie oben gezeigt wurde, ist es Gottes Hilfe, die den Sieg des Protagonisten herbeiführt. Auch die Rolle Gottes und die sakrale Logik der Auseinandersetzung werden zunächst von Tristan selbst zum Ausdruck gebracht. Alleine in seiner Rede an die Barone (vv. 6063-6241) fällt in 142 Versen sechzehnmal das Wort got. Zum Vergleich: Aus dem Mund des Erzählers hören wir es in der gesamten Episode (1364 Verse) nur elfmal. Es ist also nicht in erster Linie »Gottfried«, der »Bezüge auf Gott und Recht leitmotivisch durch die Episode« 287 streut, sondern vielmehr Tristan. Er ist es auch, der immer wieder die Fatalität der Auseinandersetzung betont und Gott damit gewissermaßen auf seine Seite zwingt. 288 Auch 283 Der Reim craft / ritterschaft wird später vom Erzähler in Bezug auf Morolt noch zweimal wiederaufgenommen, vgl. vv. 6879 f. und 7159f. 284 Kann man in vv. 6175-6177 eine lockere Anspielung auf die Beschreibung Goliaths als vir bellator ab adulescentia sua in der »Vulgata« (1. Sam 17,33) verstehen? 285 Chinca 2003, S. 327. Anders die psychologische Deutung von Huber, der meint, hier komme Tristans »unerprobte Jugend« zum Ausdruck: »[A]ls Ritter fühlt sich Tristan immer noch defizient« (Huber 3 2013, S.-74). Auch Sosna liest Tristans Aussage als Ausdruck seiner innerlichen Gefühle: »Er, der erst spät in das ritterliche Wertesystem eingetreten ist, fühlt sich noch immer unterlegen« (Sosna 2003, S. 247). 286 Flecken-Büttner 2011, S. 139. 287 Huber 3 2013, S. 75. 288 In diesem Sinne erkennt schon Haug 1989 [1972], S. 572, Tristan »zwingt […] Gott, für ihn Partei zu ergreifen.« Siehe auch die psychologische Deutung von Weber 1953, Bd. 1, S. 98: »[I]mmer höher ist Tristans autosuggestiver Überschwang gestiegen, immer heftiger hat er sein Gottvertrauen verkündet, da überschlägt sich sein Wortrausch, und hinter dem glänzenden Wortprunk wird nun die in Wahrheit stärkste und eigentlichste Triebkraft sichtbar: ein unbändig ehrgeiziger Wille, jugendlicher Geltungs- 334 3 Lektüren das poetische Bild des Kampfes der zwei Gruppen, mit dem der Erzähler den Konflikt als Auseinandersetzung von Gut und Böse stilisiert und Gottes aktive Handlungsrolle zum Ausdruck bringt, stammt eigentlich aus dem Mund der Figur, wenn sie von got und reht als sîgebære helfe spricht: 289 »wan daz ich aber zer vehte an gote und ouch an rehte zwô sîgebære helfe hân, die suln mit mir ze kampfe gân! dar zuo hân ich willigen muot, der selbe ist ouch ze kampfe guot; und helfent mir die selben drî, swie unversuoht ich anders sî, sô hân ich guoten trôst dar an, ich genese wol vor einem man.« (vv. 6183-6192) Der Erzähler wiederholt das später in zum Teil wörtlichen Anklängen. Wenn er dabei seine Autonomie über die Handlungsgestaltung betont, dann fällt das auf Tristan zurück. Es ist genau genommen weniger der Erzähler als vielmehr Tristan, der hier Gott ›herbeizitiert‹. Tristan macht also den Kampf zu einer Auseinandersetzung von Recht und Unrecht. Vor allem folgende Aussage nimmt erkennbar auf den Erzähltyp Bezug: »jâ ist der dinge vil geschehen; man hât des wunder gesehen, daz unrehtiu hôhvart mit cleiner craft genidert wart: daz möhte ouch vil wol noch ergân, der ez getörste bestân.« (vv. 6215-6220) 290 drang, der von aller wahren Demut fern, mindestens vom Unbewußten her die Gottheit - so wie er sie eben sieht, ausschließlich zu sehen vermag - seinerseits zwingen möchte […].« Als Teil einer Art »psychologische[n] Kriegsführung« versteht Tristans Gottesreferenzen Kragl 2019, S. 119. Vgl. dazu außerdem Karin 2019, S. 183-187, 190-192. 289 Das wurde in der Forschung bisher weitgehend vernachlässigt, vgl. Ernst 1976, S. 17; Spahr 1968, S. 73: »[I]n the instance of the combat we find an interesting vacillation between Gottfried the narrator and Tristan the hero, for it is actually Tristan who, by a chance phrasing, first suggests the idea of the allegory.« Ähnlich Ziegler 2001, S. 38; 2004, S. 118f. Auch Kragl fragt mit Bezug auf die vorliegende Stelle: »Welchen Status hat auktoriale Rede, wenn sie die Gedanken einer Figur fortführt? « (Kragl 2019, S. 127) 290 Die Stelle ist sprachlich nicht ganz klar, und die Übersetzungen weichen deutlich voneinander ab. Ich schlage folgendes Verständnis vor: ›Solche Dinge sind schon oft geschehen. Man hat an zahlreichen Beispielen gesehen, wie unrechtmäßiger Hochmut von kleiner Kraft zu Fall gebracht wurde. Das könnte sich durchaus wiederholen, wenn einer sich traute, es anzugehen.‹ - Zu der Stelle Müller 2014, S. 51. Schon Unterreitmeier meint, der Abschnitt »erinnert den Leser an die Situation des Kampfes zwischen David und Goliath« (Unterreitmeier 1986, S. 98), ebenso Uttenreuther 2009, S. 123 Anm. 455. Unerwähnt bleibt bei beiden, dass die Worte aus dem Mund Tristans kommen. Darauf verweist Mireille Schnyder, ohne weitere Schlüsse daraus zu ziehen: »Tristan zitiert auch hier, als Argument für seinen Kampf, das wunder (V. 6216) von David und Goliath« (Mireille Schnyder: Erzählte Gewalt und die Gewalt des Erzählens. Gewalt im deutschen höfischen Roman, in: Gewalt im Mittelalter. Realitäten - Imaginationen, hrsg. von 3.2 Tristans Kampf mit Morolt. Die Figur regiert das Schema 335 Die Anspielung ist umso deutlicher, wenn man beachtet, dass der kleine (lat. parvus) in der deutschsprachigen und lateinischen Literatur des Mittelalters feststehendes Beiwort Davids ist. 291 Für Müller sind spätestens mit dieser Stelle »die Kulissen für den Kampf David gegen Goliath aufgebaut. Tristan erfindet sich als neuer David, so wie er immer wieder passende Rollen für sich erfindet.« 292 In Bezug auf die Terminologie Ralf Schneiders lässt sich das folgendermaßen reformulieren: Tristan unternimmt für sich und Morolt eine Kategorisierung, der sowohl die Rezipienten als offenbar auch der Erzähler folgen. Von diesem Punkt aus lassen sich die Ergebnisse zusammenfassen: Tristan gewinnt den Kampf mit Morolt nicht aufgrund seiner »kämpferischen Qualitäten - Kampfeskraft und Waffenkunst des Heros im brutalen Kriegshandwerk.« 293 Sein Sieg erfolgt nicht »a l s mythischer Kampf des Heilsbringers mit dem Widersacher […], sondern m it H i l f e des my- Manuel Braun / Cornelia Herberichs, München 2005, S. 365-380, hier S. 370 Anm. 20); ebenso Richardson 1996, S. 90f. 291 Im »Alexander« Ulrichs von Etzenbach wird David mehrmals als Dâvît der cleine bezeichnet (vgl. vv. 12956, 12973), zitiert nach Alexander von Ulrich von Eschenbach, hrsg. von Wendelin Toischer, Tübingen 1888 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 183), S. 345 und 346; ebenso im »Reinfried von Braunschweig«: Davîden dem kleinen (v. 18915; Ausg. Bartsch 1871, S. 551); in Strickers »Karl«: Dâvît was ouch ein kleine man (v.-11829; Ausg. Bartsch 1857, S. 312); sowie beim Jungen Meißner: der cleine (Str. B,1,8, v. 9), zitiert nach Der Junge Meißner. Sangsprüche, Minnelieder, Meisterlieder, hrsg. von Günter Peperkorn, München / Zürich 1982 (MTU 79), S. 71. Siehe weiterhin die »Weltchronik« Rudolfs von Ems: den vil wênigen man (v. 9995) und das »Rolandslied«: Dauid was uil lutzeler gescaft (v. 8847; Ausg. Wesle / Wapnewski 1985, S. 311). Weitergehende Parallelen zum »Tristan« gibt es in folgender Formulierung von König Artus im »Garel von dem blühenden Tal« des Pleiers: »Davît was ein kleiner man, | dem half diu gotes kraft gesigen; | Golîâs muoste siglôs geligen | vor dem wênigen man, | ein dinc ich wol wizzen kan; - | got hât noch die selbe kraft. | er machet noch wol sigehaft, | swem er des siges günnen wil.« (vv.- 405-415) Zitiert nach Garel von dem blühenden Tal. Ein höfischer Roman aus dem Artussagenkreise von dem Pleier, hrsg. von Michael Walz, Freiburg i.Br. 1892, S. 8. - Auch die lateinischen Belege sind zahlreich. Bereits in einer Predigt von Augustinus wird David mit dem Attribut parvus belegt: Vide paruum Dauid contra Goliam. Vide paruum contra ingentem (Predigt 153,11). Zitiert nach Aurelii Augustini opera, Bd. 11-/ 7: Sermones in epistolas apostolicas I, recensuit Gert Partoens secundum praefationis caput conscripsit Josef Lössl, Turnhout 2008 (CCSL 41Ba), S. 68, Z. 268 f. Beinahe wortgleich Petrus Lombardus: Vide ergo parvum David contra magnum Goliam (»Collectanea in epistolam ad Romanos«). Zitiert nach P. Lombardi magistri sententiarum, Parisiensis episcopi opera omnia, accurante J.-P. Migne, Bd. 1, Paris 1879 (PL 191), Sp. 1419A. Dieser spricht auch an anderer Stelle vom David parvus (»Commentarium in Psalmus 143«; ebd., Sp. 1254A). Prudentius beginnt seinen Titulus zu David mit den Worten-Dauid paruus erat (»Tituli historiarium«, 19,73; Ausg. Cunningham 1966, S.- 393). Auch Bernhard von Clairvaux bezeichnet David in der bereits zitierten Predigt ebenfalls zweimal als parvulus (Ausg. Leclerq / Rochais 1968, S. 202, Z. 11, 17). Weiterhin Petrus Cantor: Dauid paruum (»Verbum adbreviatum«, Textus prior, 11). Zitiert nach Petri Cantoris Parisiensis Verbum adbreviatum. Textus prior, cura et studio Monique Boutry, Turnhout 2012 (CCCM 196A), S. 97, Z. 36. 292 Müller 2014, S. 51. In die gleiche Richtung geht bereits Haugs Lesart der Moroltepisode, wenn er schreibt, Tristan wandle den vertraglich vereinbarten Zweikampf »in ein Gottesgericht über die Rechtmäßigkeit des Vertrages um. […] Er erklärt deshalb den ganzen Vertrag für ein Unrecht, macht den Kampf zu einem Gottesgericht und zwingt damit Gott, für ihn Partei zu ergreifen« (Haug 1989 [1972], S. 572). Vgl. jetzt auch Kragl 2019, S. 122 (»Tristan erwähnt David und Goliath nicht, und doch zitiert er sie herbei«), sowie Karin 2019, S.- 186 (»Tristans Aussage muss bei den mittelalterlichen Rezipienten und so auch bei den Landbaronen die Assoziation des Kampfes Davids gegen Goliath aufrufen, zu dem sich Tristan - ohne ihn direkt anzuzitieren - in Analogie setzt«). 293 Uttenreuther 2009, S. 270. Ähnlich spricht auch Kern von »seine[r] männliche[n] Kraft und sein[em] ritterliche[n] Geschick« (Kern 1988, S. 207). 336 3 Lektüren thischen Schemas des Heilsbringers […].« 294 Das Erzählschema des David-Goliath-Kampfes, dem die Episode folgt, erweist sich als Instrument der Figur: Erst durch Tristans Sprechen wird das Schema abgerufen und auf Handlungsebene aktualisiert. Der Konflikt entwickelt sich so von einer rechtlich-›realistischen‹ Auseinandersetzung zu einem ›mythischen‹ Konflikt: Hier ist Morolt ein höfischer Ritter, dort ein mythischer Unhold, hier müsste Tristan aller Wahrscheinlichkeit nach den Zweikampf verlieren, dort gewinnt er ihn. Und billich, also ›angemessen und gerecht‹, ist Morolts Tod nicht nach der vertraglichen Ausgangssituation, 295 sondern entsprechend der ›mythischen‹ Gerechtigkeit des Erzähltyps. Gottfrieds ›Rationalisierung‹ und ›De-Mythisierung‹ des Moroltkampfes im Vergleich mit der Stoffgeschichte folgt gewissermaßen eine ›Re-Mythisierung‹ durch die Figur. Der ›Mythos‹ im Sinne des Erzähltyps liegt jetzt aber nicht mehr wie selbstverständlich der Erzählung zugrunde, sondern er wird als solcher, das heißt als literarisches Konstrukt, erkennbar. Ich würde dabei nicht davon sprechen, dass dadurch das Schema gebrochen wird: Unser David besiegt ja seinen Goliath. 296 Das Schema bleibt gültig, doch es regiert nicht mehr die Figur, sondern wird vielmehr von ihr regiert. In dem Maße, wie sich Gott der Macht des Schemas beugen muss, emanzipiert sich die Figur vom Schema und erscheint damit gewissermaßen handlungskompetenter als der schemagerecht agierende Gott - und der dem Schema folgende Erzähler. Abschließend möchte ich kurz auf die Folgen des Moroltkampfs in der Erzählung blicken. In der Tradition des Erzähltyps führt der Sieg des Jüngsten zur Erhöhung seines sozialen Status: Alheit wird zum Marschall ernannt; Ingelgerius macht sich beim Adel beliebt, vergrößert seinen Besitz und legt den Grundstein für die Herrschaft der Grafen von Anjou. David erhält zum Lohn für seinen Sieg die Hand der Tochter des Königs. Denkt man an diese Belohnung, so äußert sich in der Moroltepisode erzählstrukturell gesehen vielleicht zum ersten Mal Tristans Anspruch auf Isolde. 297 Auch erzähllogisch gesehen bildet die Episode den Auftakt einer Handlungskette, die zur Einnahme des Minnetranks führt. 298 Zugleich fällt auf, dass sich Tristans Erfolg offenbar in der erzählten Welt herumgesprochen hat. In verschiedenen Versionen der Stofftradition wird die Heldentat von unterschiedlichen Figuren in unterschiedlichen Situ- 294 Unterreitmeier 1986, S. 99. 295 Anders Ziegler 2001, S. 38: »Tristan stands unequivocally in the right.« Schon Weber erkannte dagegen, dass die Feststellung Môrolt lac billîche tôt (v. 7224), mit der der Erzähler die Episode abschließt, »ganz aus der Perspektive […] Tristans« gesprochen ist (Weber 1963, Bd. 1, S. 117). 296 Müller erkennt zumindest einen partiellen Bruch, der sich in Tristans stinkender Wunde als ›Beschädigung‹ seiner Handlungsrolle manifestiere, vgl. Müller 2014, S. 60, 62. Ähnlich Kragl 2019, S. 129: »Ein Gerichtskampf […], der mit tot gegen todgeweiht endet, krankt an einem systemischen Fehler.« 297 Vgl. Kern 1988, S. 207. Dieser Anspruch kommt auch durch die Position des Moroltkampfes im Schema des Feenmärchens zustande, vgl. dazu Simon 1990, S. 35-40, 109-111. 298 Genau diese Handlungskette bildet den Gegenstand des Wienhauser Tristanteppichs, vgl. Hausmann 2017, S. 300. 3.3 Tristans Schönheitspreis Isoldes. Werbung für die Brautwerbung 337 ationen erwähnt. 299 Bei Gottfried ist es Urgan, der selbst gewisse Ähnlichkeiten mit Morolt besitzt, 300 der Tristan daran erinnert: »jâ«, sprach der rise, »hêr Tristan, ir wænet haben bestanden Môrolden von Îrlanden, mit dem ir iuwer vehte mit grôzem unrehte umbe niht zesamene truoget und in durch hôhvart sluoget.« (vv. 15996-16002) 301 Gemeinsam mit der vorangegangenen Morganepisode markiert Tristan im Kampf mit Morolt zum ersten Mal seinen Status als heroischer Heilsbringer. Die Tötung Morolts wird so gewissermaßen zu einer »persönlichkeitsbildende[n] Heldentat« 302 . In Tristans Handlungskompetenz gegenüber dem Erzählschema zeigt sich dabei seine Exorbitanz, die gleichsam das Gegenteil eines ›Gehabtseins‹ durch das Schema darstellt. Während beim Moroltkampf die heroisch-kriegerische Seite dieser Exorbitanz im Vordergrund steht, soll es im nächsten Kapitel um eine Szene gehen, in der eher die ›künstlerischen‹ Aspekte der Figur betont werden. 3.3 Tristans Schönheitspreis Isoldes. Werbung für die Brautwerbung 303 Als Tristan von seiner ersten Irlandfahrt gesund zurück nach Cornwall kommt und dort erzählt, wie es ihm ergangen ist, bedrängen ihn die Hofleute mit Fragen nach der jungen Isolde (vv. 8226-8252). Daraufhin setzt Tristan zu einem ausführlichen Schönheitspreis an, in dem er die irische Prinzessin in den allerhöchsten Tönen lobt: Isolde sei so schön, dass sie alle anderen Frauen übertreffe. Nie zuvor habe es ein schöneres Mädchen gegeben, und niemals wieder 299 Bei Béroul wird an mehreren Stellen und von verschiedenen Figuren auf den Moroltkampf und Tristans Einsatz für Cornwall Bezug genommen, so von Isolde (v. 28) und Tristan (v. 136) im Baumgarten, von Marke in der Minnegrotte (v. 2038) sowie vom Volk von Cornwall im Kontext des Gottesurteils (vv. 848-859; Ausg. Mölk 2 1962, S. 8, 14, 46 und 102). Bei Heinrich von Freiberg ist es Gawan, der vom Moroltkampf gehört hat (vv. 1895-1900; Ausg. Bernt 1906 [1978], S. 59), und im »Tristan als Mönch« erinnert Kornewal Marke an Tristans Einsatz gegen Morolt (vv. 1490-1495). Zitiert nach »Tristan als Mönch«. Untersuchungen und kritische Edition von Betty C. Bushey, Göppingen 1974 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 119), S. 116. 300 Vgl. Lanz-Hubmann 1989, S. 134; Hammer 2007, S. 127f. Als eine »Wiederholung Morolds« und »Aktualisierung des irischen Riesen [! ]« bezeichnet Urgan auch Marshall 2017, S. 277, 278. 301 Die Stelle findet sich auch in der »Tristramssaga«, Kap. 62 (Ausg. Kölbing 1878, S. 77, Z. 1-6). Im »Sir Tristrem« hingegen verweist der Riese auf M o r g a n , der sein Bruder gewesen sei und für den er sich rächen wolle, vgl. Str. 212,1-9 (Ausg. Kölbing 1882, S. 64). Hat der Bearbeiter hier versehentlich die Namen vertauscht? - Die Interpretation der Stelle ist in der Forschung umstritten. Stein meint, dass hier nachträglich »die eigentliche Motivation Tristans [im Moroltkampf] herausgekommen ist« (Stein 1977, S. 343). Doch es erscheint fraglich, ob man Urgan in der Bewertung folgen soll, vgl. den Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 444. Zu der Stelle auch Lanz-Hubmann 1989, S. 132-136; Hammer 2007, S. 132-136. Aus psychoanalytischer Perspektive liest zuletzt Marshall den Urgan-Kampf als traumatische Wiederholung des Moroltkampfes, vgl. Marshall 2017, S. 276-281, 296-298. 302 Neumann 2010, S. 78 Anm. 353. 303 Vgl. die Kapitelüberschrift bei Kragl 2014, S. 29; 2019, S. 13. 338 3 Lektüren könne ein schöneres geboren werden. Selbst die berühmte Helena von Troja werde von ihr in den Schatten gestellt. Ihre Schönheit erleuchte die Herzen aller Menschen und kröne das ganze weibliche Geschlecht (vv. 8253-8300). Die Stelle wurde zwar selten zum Gegenstand eingehender Untersuchungen, hat aber dennoch einige Aufmerksamkeit erhalten. 304 Sie fällt umso mehr auf, da es sich bei ihr - hält man sich an das Zeugnis der altnordischen »Tristramssaga« - um eine Erfindung Gottfrieds handelt. 305 Was ist die narrative Funktion dieser merkwürdig ausführlichen und überschwänglichen laudatio, die zudem einigermaßen schlecht in den erzählerischen Kontext der Episode integriert zu sein scheint? 306 Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, die Stelle und ihre Motivation im Kontext des Romans zu erklären: Aus psychologischer Perspektive hat man die ausführliche Beschreibung der Schönheit Isoldes vor allem als Ausdruck davon gesehen, dass Tristan bereits hier in Isolde verliebt sei - rund 3000 Verse vor dem Minnetrank. In diesem Sinne spricht etwa Friedrich Ranke davon, der »begeisterte Schwung« von Tristans Beschreibung verrate deutlich »die mächtige Wirkung der schönen Jungfrau auf den Helden« 307 . Auch Gottfried Weber ist der Ansicht, »der Dichter« wolle mit der vorliegenden Szene zeigen, »daß unbewußt Tristan Isolde bereits liebt« 308 . Ausgehend von dieser Deutung fungiert die 304 Eingehend behandelt die Stelle, soweit ich sehe, nur Kragl 2014, S. 29-43, größtenteils wortgleich 2019, S.-13-28. Ansonsten ist sie vor allem im Kontext der Diskussion um den Beginn der Liebe zwischen Tristan und Isolde herangezogen worden (siehe unten). 305 Vgl. »Tristramssaga«, Kap. 32 (Ausg. Kölbing 1878, S. 40f.). Etwas ausführlicher ist dagegen Tristrems Bericht in der englischen Version der Geschichte, vgl. »Sir Tristrem«, Str. 121f.: ›[U]nd dann hat Tristrem gesprochen von Ysonde, die klug war, ganz neue kunde; wie sie strahlend schön wäre, in der liebe wäre keine so treu. […] Das war immer seine gewohnheit, wenn er von Ysonde spricht, sie zu rühmen, wie sie sanft und edel wäre, in der liebe gäbe es keine so weise.‹ (Übers. Kölbing 1882, S. 260) Es ist unklar, ob der letzte Satz auf Tristrem oder Marke zu beziehen ist, siehe dazu den Kommentar von Kölbing 1882, S. 148. Kölbing scheint jedenfalls aufgrund der Stelle im englischen Text davon auszugehen, der Schönheitspreis sei bereits bei Thomas in derselben Weise wie bei Gottfried erzählt worden, vgl. ebd., S. 147f. Dass Gottfried die Stelle neu eingeführt hat, glaubt dagegen Kragl 2014, S. 41; 2019, S. 25. Vgl. zu dieser Frage auch Bédier 1902-1905, Bd. 1, S. 104 Anm. 1; Piquet 1905, S. 181. - Im französischen Prosaroman wird ebenfalls berichtet, wie Tristan nach seiner Irlandreise (unter anderem) von Yselt la Bloie erzählt, qui set de la cirurgie et de medecines plus que totes le demoiseles dou monde; cele le gari. Aprés lor devise coment el est bele sor totes les demoiseles qu’il onque veïst. (»Tristan en prose«, §-355,5-7) Zitiert nach Le Roman de Tristan en prose, éd. par Renée L. Curtis, Bd. 1, München 1963, S. 177f. ›Isolt the Blonde, who knew more about cures and medicines than all the maidens in the world; she had healed him. After this he told them how beautiful she was, more than any young girl he had ever seen.‹ Übersetzung aus The Romance of Tristan. The Thirteenth-Century Old French »Prose Tristan«, transl. with an introd. and notes by Renée L. Curtis, Oxford / New York 1994, S. 55. 306 Vgl. Kragl 2014, S. 36: »Die Reihe unerklärlicher Tristan-Handlungen beginnt bereits mit seinem Lob Isoldes« (wortgleich Kragl 2019, S. 21). Es handle sich um eine Veränderung Gottfrieds gegenüber Thomas, von der »noch nicht einmal genau zu sagen ist, ob und wie sie sich motivational niederschlägt. Sie betrifft Tristans Isolde-Rede, die schon in ihrer Ausführlichkeit und Hypertrophie überschüssig wirkt und es ja, ›von vorne‹ gelesen, auch irgendwo ist.« (Kragl 2014, S. 41; 2019, S. 25) Die (kausale) Motivation des Schönheitspreises vermisst auch Schnell: »Die Frage nach dem WARUM bleibt unbeantwortet. […] Warum preist Tristan Isolde in vollen Tönen, wenn er doch angeblich gar nicht in sie verliebt ist? « (Schnell 2014, S. 365) 307 Ranke 1925a, S. 204. Ganz ähnlich meint Wessel 1984, S. 324: »Daß die ästhetisch-erotische Faszinationskraft der jungen Isolde nicht ohne Wirkung auf ihren Lehrmeister Tristan geblieben ist, kann an dem enthusiastischen Isoldenpreis des nach Cornwall Zurückgekehrten abgelesen werden […].« 308 Weber 1953, Bd. 1, S. 219. Schon zuvor heißt es, »[d]er überschwengliche Lobpreis […] deute[ ] beredt auf verborgenes Angerührtsein« (ebd., S. 49f.). Auch Nickel meint, hier den unterschwelligen »Geist einer 3.3 Tristans Schönheitspreis Isoldes. Werbung für die Brautwerbung 339 Stelle als ein wichtiges Argument in der Debatte um einen möglichen Liebesbeginn vor dem Minnetrank. 309 Gerade in diesem Zusammenhang ist der psychologischen Deutung des Schönheitspreises aber auch widersprochen worden. 310 Ein wesentlicher Einwand betrifft dabei die rhetorische und künstlerische Gestaltung der Szene, die einer ›authentischen Selbstaussage‹ der Figur grundsätzlich entgegenstehe. »[E]bensowenig wie die Rollenlyrik des Minnesangs persönliches Bekenntnis war,« ist es für Peter Kern deshalb »auch das rhetorische Glanzstückchen,« das Tristan »nicht mit dem Enthusiasmus des Liebenden, sondern mit der Begeisterung des sich am schönen Wort berauschenden Künstlers« 311 vortrage. Bevor ich am Ende des Kapitels auf Tristans Rolle als Künstler zurückkomme, möchte ich die laudatio deshalb aus heimlich immanenten erotischen Erregtheit und Bedeutsamkeit […] herauszuspüren« (Nickel 1927, S. 46). Weiterhin Julius Schwietering: Die deutsche Dichtung des Mittelalters, Potsdam 1932 (Handbuch der Literaturwissenschaft), S. 184; Peter K. Stein: Die Musik in Gotfrids von Strassburg »Tristan«. Ihre Bedeutung im epischen Gefüge. Vorstudie zu einem Verständnishorizont des Textes, in: Sprache - Text - Geschichte. Beiträge zur Mediävistik und Germanistischen Sprachwissenschaft aus dem Kreis der Mitarbeiter 1964-1979 des Instituts für Germanistik an der Universität Salzburg, hrsg. von Peter K. Stein / Renate Hausner, Göppingen 1980 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 304), S. 569-694, hier S. 601: Tristan »ist von Isôt so bezaubert - ist hier die minne bereits am Werk? -, daß ihm noch in Cornwall der Mund in seinem hymnischen Isôt-Preis (8257-8304) übergeht«. Uttenreuther spricht immerhin noch davon, dass sich »in Tristans hingerissener Schilderung vor dem Hof nach seiner Rückkehr nach Tintajol« die Wirkung von »Isolde als Sirene der Musik« niederschlage (Uttenreuther 2009, S. 233). Kragl fragt danach, ob die laudatio vielmehr umgekehrt die U r s a c h e für Tristans Verliebtheit sein könne, vgl. Kragl 2014, S. 42f.: »Überhaupt, warum hält Tristan eine solche Rede über eine Königstochter, die ihm in Irland nicht nahe gegangen war? Verfertigen sich seine Gedanken an sie erst dann langsam und dann immer fester, je länger er von ihr spricht, das heißt: sie nach allen Regeln der rhetorischen Kunst lobt? Ist auch sein muot ergriffen von den Worten, die er sagt? Dies würde die alte Spekulation über eine ›präpotionale‹ Liebe der Liebenden anheizen, ohne irgendeine Gewissheit zu bringen.« (wortgleich Kragl 2019, S. 27) Vgl. auch ebd., S. 241f. 309 Zu dieser Diskussion siehe oben, Kap. 2.4. 310 Zusammenfassend Wolf 1989, S. 166: »Tristans Lob Isoldens, es sei nochmals betont, darf nicht zum vordergründig-psychologischen Indiz einer sich anbahnenden Verliebtheit reduziert werden.« Weiterhin Hans Furstner: Der Beginn der Liebe bei Tristan und Isolde in Gottfrieds Epos, in: Neophilologus 41 (1957), S. 25-38, hier S. 27f.; Herbert Herzmann: Nochmals zum Minnetrank in Gottfrieds »Tristan«. Anmerkungen zum Problem der psychologischen Entwicklung in der mittelhochdeutschen Epik, in: Euphorion 70 (1976), S. 73-94, hier S. 81; Schröder 1967, hier S. 25. 311 Kern 1988, S. 208f. Zustimmend Flecken-Büttner 2011, S. 70. Die stark künstlerische Gestaltung der Szene hatte schon Furstner hervorgehoben, vgl. Furstner 1957, S. 27f. Auf die rhetorische Stilisierung der laudatio verweist im Zusammenhang mit der Frage nach einer Verliebtheit Tristans auch Rudolf Voß: Subjektive und objektive Motivation. Zur epischen Struktur und zum weltanschaulichen Problemgehalt des »Tristan« Gottfrieds von Straßburg, in: Sprache - Literatur - Kultur. Studien zu ihrer Geschichte im deutschen Süden und Westen. Wolfgang Kleiber zu seinem 60. Geburtstag gewidmet, hrsg. von Albrecht Greule / Uwe Ruberg, Stuttgart 1989, S. 321-336, hier S. 325. Es stellt sich allerdings die Frage, ob Innerlichkeit und Rhetorik auch in mittelalterlicher Perspektive als einander ausschließende Gegensätze zu verstehen sind, vgl. Kragl 2014, S.-43 Anm. 31; 2019, S. 27. Dazu bereits Jean Leclercq: Wissenschaft und Gottverlangen. Zur Mönchstheologie des Mittelalters, Düsseldorf 1963 [zuerst im französischen Original 1957], S. 148f. Die Offenheit der Stelle zwischen den Alternativen ›authentische Verliebtheit‹ und ›künstlerische Gestaltung‹ betont Young 2002, S. 265: »Die Gesamtwirkung dieser Elemente läßt sich […] nicht eindeutig erschließen. Sie deuten entweder auf die schon aufkeimende Leidenschaft Tristans für die irische Prinzessin hin oder stellen nur Versatzstücke höfischer Repräsentationskunst dar und sollen nicht auf Tristans ›wahre Gefühle‹ schließen lassen.« (Young 2002, S. 265) Schnell schließlich sieht im Schönheitspreis eine absichtliche Verunsicherung des Rezipienten: »Dass der Erzähler […] Tristan eine flammende Lobrede auf die Schönheit Isoldes in den Mund legt (8253-8300), verstärkt auf Seiten der Rezipienten die Versuchung, Tristan eine uneingestandene Verliebtheit zu unterstellen.« (Schnell 2014, S. 362) 340 3 Lektüren einer anderen als der psychologischen Perspektive erklären und dafür auf die Struktur des Romans schauen: In modernen Textausgaben bildet Tristans Schönheitspreis recht einhellig den Beginn eines Abschnitts, der als ›Brautfahrt‹ überschrieben ist. 312 Dieser Eindruck lässt sich auch auf eine zeitgenössische Lektüresituation übertragen, wenn man eine episodische Rezeption des Romans etwa im Rahmen des höfischen Festvortrags voraussetzt. 313 Wie ich darstellen möchte, bildet der Schönheitspreis aber nicht nur zeitlich, sondern auch handlungslogisch den Ausgangspunkt der Brautwerbung im »Tristan«. 314 Das zeigt sich, wenn man auf das Handlungsmuster schaut, das der vorliegenden Episode zugrunde liegt, nämlich das Erzählschema von der ›gefährlichen Brautwerbung‹, dessen Bedeutung für Gottfrieds Roman von Hugo Kuhn und Ralf Simon veranschaulicht wurde. 315 Dabei handelt es sich um »[e]ines der produktivsten literarischen Muster der mittelhochdeutschen Adelsliteratur« 316 . In diversen Kulturen exis- 312 Vgl. Gottfried’s von Strassburg Tristan, hrsg. von Reinhold Bechstein, Teil 1, Leipzig 1869 (Deutsche Classiker des Mittelalters 7), S. 275 (Kap. 12: »Die Brautfahrt«), diesem folgend Krohn, Bd. 1, S. 494; ebenso Tristan und Isolde und Flore und Blanscheflur, Teil 1: Tristan und Isolde von Gottfried von Straßburg, hrsg. von Wolfgang Golther, Berlin / Stuttgart o. J. [1888] (Deutsche National-Litteratur. Historisch kritische Ausgabe 4), S. 241. Siehe auch die Übersetzungen von Hertz 1877, S. 185 (»Die Brautfahrt«) und Hatto 1976, S. 150 (»The wooing expedition«). Ähnlich Haug / Scholz, Bd. 1, S. 462 (Kap. 10: »Die zweite Irlandfahrt«). 313 Siehe dazu oben, S. 137f. In Tomaseks Rekonstruktion eines ›Episodengerüsts‹ des »Tristan« wird die Stelle dagegen noch der vorangehenden Episode (›Die erste Irlandfahrt; Heilung‹, bis einschließlich v. 8300) zugeschlagen, vgl. Tomasek 2007, S. 88f. Die Grundlage der Rekonstruktion sind dabei Vierreimstrophen und sogenannte ›Handlungsäquilibrien‹, an denen die Erzählung auch sprachlich für den Moment zum Ausgleich kommt und die deshalb als Ausgangs- und Zielpunkt des Erzählens verstanden werden können (hier vv. 8310-8317: Der wol gemuote Tristan | der greif dô wider an sîn leben. | im was ein ander leben gegeben: | er was ein niuborner man. | ez huop sich êrste umbe in an; | er was dô geil unde vrô. | künec unde hof die wâren dô | ze sînem willen gereit). Dem Gliederungsvorschlag von Tomasek entspricht außerdem die Tatsache, dass in den meisten der archetypennahen Handschriften ein Einschnitt (wenn überhaupt) mit v. 8301 und damit n a c h dem Schönheitspreis gesetzt wird, vgl. Klein 1972, S. 59. Gegen die Kapiteleinteilung der Textausgaben ist außerdem einzuwenden, dass damit ein Reimpaar (vv. 8225 f. nach der Verszählung Rankes, der auch Haug / Scholz folgen) getrennt wird. - Einen Überlieferungsbeleg für den Schönheitspreis als Beginn der Brautwerbungsepisode bietet das (allerdings recht kleinteilige) Register der späten Hs. E (Modena, Biblioteca Estense, Ms. Est. 57, nach 1450). Hier beginnt mit der vorliegenden Stelle das 57. Kapitel: Darnach als tristan wider von yrland kam wie er dem kunig marcken riett das er die jungen ysott des kuniges tochter von yrland zur ee neme vn[d] nanch [sic] ir schikte vn[d] tristan selbs nach ir fur. Zitiert nach Marold / Schröder, S. XLVI. 314 Von der »Einleitung einer für Brautwerbungsgeschichten typischen Szene« spricht in Bezug auf den Schönheitspreis bereits Schröder 1967, S. 25. 315 Vgl. Kuhn 1980 [1973]; Simon 1990, S. 111-114. Zur Brautwerbung im »Tristan« auch die Einführungen von Huber 3 2013, S. 77f., und Schulz 2017, S. 54f. 316 Schulz 2012, S. 191. Von »dem produktivsten Erzählschema früh- und hochmittelalterlicher Literatur« spricht auch Jan-Dirk Müller: Ratgeber und Wissende in heroischer Epik, in: Frühmittelalterliche Studien 27 (1993), S. 124-146, hier S. 125. Vgl. grundlegend Christian Schmid-Cadalbert: Der »Ortnit AW« als Brautwerbungsdichtung. Ein Beitrag zum Verständnis mittelhochdeutscher Schemaliteratur, Bern 1985 (Bibliotheca Germanica 28), S. 25-100. Zur Brautwerbungsdichtung weiterhin Siefken 1967; Rolf Bräuer: Literatursoziologie und epische Struktur der deutschen ›Spielmanns‹- und Heldendichtung. Zur Frage der Verfasser, des Publikums und der typologischen Struktur des Nibelungenliedes, der Kudrun, des Ortnit-Wolfdietrich, des Buches von Bern, des Herzog Ernst, des König Rother, des Orendel, des Salman und Morolf, des St.-Oswald-Epos, des Dukus Horant und der Tristan-Dichtungen, Berlin 1970 (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache und Literatur 48); Peter Strohnschneider: Einfache Regeln - komplexe Strukturen. 3.3 Tristans Schönheitspreis Isoldes. Werbung für die Brautwerbung 341 tieren Brautwerbungserzählungen, 317 aber gerade im europäischen Mittelalter übte das Sujet offenbar eine besonders große Faszination aus. Eine ganze Reihe von Texten aus Heldenepik, höfischer Literatur und sogenannter Spielmannsdichtung arbeitet mit dem Erzählmuster. 318 Diese Erzählungen, die davon handeln, wie ein Herrscher eine ihm geziemende Braut erwirbt, um die Dynastie fortzusetzen und damit die Herrschaft zu sichern, folgen alle einem mehr oder weniger festen Muster, das Christian Schmid-Cadalbert auf Basis einer breiten Textgrundlage herausgearbeitet hat. 319 Für die Figuren sind dabei bestimmte Handlungsrollen wie ›Werber‹, ›Nenner‹ und ›Braut‹ vorgesehen, 320 die Handlung folgt einer festgelegten Struktur Ein strukturanalytisches Experiment zum »Nibelungenlied«, in: Mediävistische Komparatistik. Festschrift für Franz Josef Worstbrock zum 60. Geburtstag, hrsg. von Wolfgang Harms / Jan-Dirk Müller in Verbindung mit Susanne Köbele / Bruno Quast, Stuttgart / Leipzig 1997, S. 43-75; Schulz 2002b; 2012, S.-191-214; Sarah Bowden: Bridal-Quest Epics in Medieval Germany. A Revisionary Approach, London 2012 (Modern Humanities Research Association. Texts and Dissertations 85 / Bithell Series of Dissertations 40), bes. S. 19-25, sowie Rabea Kohnen: Die Braut des Königs. Zur interreligiösen Dynamik der mittelhochdeutschen Brautwerbungserzählungen, Berlin / Boston 2014 (Hermaea. N. F. 133), bes. S. 29-39, und zuletzt Markus Stock: Zwei Männer. ›Kurzschluss‹ und Optionalität in mittelhochdeutschen Brautwerbungserzählungen, in: Historische Narratologie, hrsg. von Eva von Contzen, Oldenburg 2019 (Beiträge zur mediävistischen Erzählforschung. Themenheft 3), S. 51-78. Zur Brautwerbung im europäischen Kontext weiterhin Volker Mertens u.a.: Art. Brautwerberepos, Brautwerbungsmotiv, in: LexMa 2 (1983), Sp. 592-595; Claudia Bornholdt: Engaging Moments. The Origins of Medieval Bridal-Quest Narrative, Berlin / New York 2005 (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 46). 317 Vgl. grundlegend zur Brautwerbung im Slawischen Theodor Frings / Max Braun: Brautwerbung. 1. Teil, Leipzig 1947 (Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse 96 / 2) sowie Friedemar Geißler: Brautwerbung in der Weltliteratur, Halle a.S. 1955. 318 Vgl. die Übersicht mittelhochdeutscher Texte bei Schmid-Cadalbert 1985, S. 79f. Als ›Brautwerbungsdichtungen‹ im engeren Sinne führt Schmid-Cadalbert »Dukus Horant«, »König Rother«, »Kudrun«, »Orendel«, »Ortnit«, »Salman und Morolf« sowie die verschiedenen Fassungen des »Oswald« auf; teilweise vom Schema der gefährlichen Brautwerbung geprägt seien neben den »Tristan«-Dichtungen außerdem das »Nibelungenlied«, »Dietrichs Flucht« und der »Wolfdietrich«. Dass auch im »Herzog Ernst«, der gewöhnlich als einziges ›Spielmannsepos‹ aus dem Kreis der Brautwerbungserzählungen ausgeschlossen wird, zumindest ›Fragmente‹ des Schemas aktualisiert sind, zeigt Hasebrink 2000, S. 208-211; zum »Herzog Ernst« auch Bräuer 1970, S. 145-147, 175, 199, 234, und Schulz 2012, S. 192. Claudia Bornholdt fordert, den Fokus nicht mehr nur auf die mittelhochdeutschen Texte zu legen, sondern auch andere europäische Brautwerbungserzählungen (zum Beispiel aus der altnordischen »Thidrekssaga«) sowie ältere, frühmittelalterliche Versionen zu berücksichtigen, vgl. Bornholdt 2005, S. 120, 204 f., 218. - Die Frage, wie verbreitet das Erzählmuster um 1200 gewesen ist, betrifft vor allem die Datierung der sogenannten ›Spielmannsdichtungen‹. Diese sind zwar in der Regel erst aus dem Spätmittelalter überliefert, werden aber aufgrund von sprachlichen und stilistischen Merkmalen sowie inner- und außerliterarischen Bezügen bereits ins 12. Jh. datiert. Kritisch zu solchen Frühdatierungen äußert sich am Beispiel des »Orendel« Kohnen 2014, S. 13-28. Zur älteren Forschung Michael Curschmann: ›Spielmannsepik‹. Wege und Ergebnisse der Forschung von 1907-1965. Mit Ergänzungen und Nachträgen bis 1967, Stuttgart 1968 (Referate aus der DVjs), bes. S. 7-45, zum »Orendel« S. 14-19. Damit hängt auch die Frage einer möglichen mündlichen Verbreitung der Texte zusammen, die letztlich aber »weder zu beweisen noch zu leugnen« (Kohnen 2014, S. 38) ist. Dass seit dem späten 6. Jh. eine mündliche Erzähltradition existiert habe, als deren Fortsetzung die mittelhochdeutschen Brautwerbungserzählungen angesehen werden können, glaubt Bornholdt 2005, S. 204, 216, 219; dagegen Kohnen 2014, S. 5 Anm. 13. 319 Vgl. Schmid-Cadalbert 1985, bes. S. 83-100. Weiterhin Siefken 1967, S. 21-35; Bräuer 1970, S. 76-258; Kuhn 1980, bes. S. 22-27; Bornholdt 2005, S. 13-15; Schulz 2012, S. 195-204. 320 Vgl. Schmid-Cadalbert 1985, S. 84-86. Zur Beschreibung der Handlungsstruktur orientiert sich Schmid- Cadalbert dabei zum Teil explizit an Propps strukturalistischem Ansatz, vgl. ebd., S. 35-38. Damit hängt 342 3 Lektüren mit distinkten Handlungsabschnitten (›Ratszene‹, ›Botenbestimmung‹, ›Kemenatenszene‹, ›Entführung der Braut‹…). 321 Allerdings äußert sich in letzter Zeit zunehmend Kritik an einem allzu schematischen Verständnis der je unterschiedlichen narrativen Aktualisierungen des Erzählmusters. Das Brautwerbungsschema sei bei weitem nicht so bestimmend für die Handlung der einzelnen Erzählungen, wie das die Arbeit von Schmid-Cadalbert nahelege. Der Haupteinwand betrifft dabei - neben der als gering eingeschätzten Verbreitung des Schemas 322 - in erster Linie die Tatsache, dass keine der fraglichen Erzählungen alle von Schmid-Cadalbert beobachteten idealtypischen Merkmale aufweise; es fehle also eine »ideal prototypical realization of the bridal-quest schema« 323 . Sarah Bowden lehnt daher den Ausdruck ›Brautwerbungsschema‹ ganz ab, because the word ›schema‹ is too all-encompassing and suggests something much more fixed and all-determining than the bridal-quest motif we find in the texts. ›Schema‹ also implies something fully realizable and clearly defined, which is not the case. 324 Ähnliche Argumente führt auch Rabea Kohnen in ihrer Auseinandersetzung mit Schmid-Cadalbert an. 325 Sie wehrt sich ebenfalls dagegen, die verschiedenen Texte einseitig auf ein narratives Muster zu reduzieren und verweist darauf, dass »[k]eine der Brautwerbungserzählungen […] das Schema in vollem Maße« erfülle. Deshalb solle »eine gewisse Vorsicht in Hinblick auf die Belastbarkeit des entwickelten Erzählmodells gewahrt werden« 326 . Dass keiner der etwa das Prinzip eines Primats der Handlung über die Figuren zusammen: »Die Personen finden [bei Propp] erst in zweiter Linie Beachtung; sie interessieren weniger als Individuen, sondern vor allem im Hinblick auf ihre Rollen als Invarianten.« (S. 35) 321 Vgl. Schmid-Cadalbert 1985, S. 87-94. 322 Gegen die ältere Forschung meint Bowden, angesichts der zeitlich wie räumlich heterogenen Überlieferung sei nicht klar, ob mittelalterliche Rezipienten überhaupt mit einem ›Brautwerbungsschema‹ vertraut gewesen sein konnten: »[I]f there is no evidence that so-called bridal-quest narratives were ever read together, is it possible to accept Schmid-Cadalbert’s argument that the audience would have a clear understanding of the schema (through other bridal-quest narratives) […]? « (Bowden 2012, S. 23) Siehe zur Verbreitung auch oben, S. 341 Anm. 318. 323 Bowden 2012, S. 23. 324 Ebd., S. 24. Die Bezeichnung als ›Motiv‹ (motif) halte ich insofern für unangebracht, da wir es durchaus mit einer »Ansammlung von Motiven« zu tun haben; nach Simon ist das die Definition eines narrativen Musters, sofern die Motive »lange genug beieinander gestanden haben« (Simon 1990, S. 172). 325 Vgl. Kohnen 2014, S. 1f., 29-38. 326 Ebd., S. 33f. Auf der Grundlage ihres deutlich größeren, nicht nur auf mittelhochdeutsche Texte beschränkten Korpus plädiert Bornholdt ebenfalls für ein offeneres Verständnis des Brautwerbungsschemas, vgl. Bornholdt 2005, S. 11f. u. ö. Auch Markus Stock betont jetzt die grundsätzliche Offenheit des Erzählschemas, angesichts derer mögliche Abweichungen »nicht als sekundärer Bruch eines vorgängigen ›einfachen‹ Handlungsmusters« (Stock 2019, S. 51) bewertet werden sollten. Vielmehr zeigten solche Varianten und Umbesetzungen die dem Muster immer schon inhärente Optionalität. Den grundsätzlichen Zusammenhang zwischen Erzählschema und Handlungsmotivation - auf den es mir im vorliegenden Kontext in erster Linie ankommt - stellt Stock dabei allerdings nicht infrage: Mit einer Formulierung von Sonja Glauch spricht er von einer »untergründige[n] kompositionelle[n] Motivierung« durch das Erzählschema: »Das Muster und die in ihm implizierten Motivierungen stiften generische Kohärenzen, ohne aber notwendig ein devianzhermeneutisches Verfahren zu erforden.« (ebd., S. 56) Gegenüber der Kritik von Bowden, Kohnen und anderen fordert er ein »narratologisches Modell einer mittleren Position, welche das Muster der gefährlichen Brautwerbung weder in verfehlter Schemarigidität als gegeben und 3.3 Tristans Schönheitspreis Isoldes. Werbung für die Brautwerbung 343 überlieferten Texte den Prototypen des von Schmid-Cadalbert rekonstruierten Erzählmusters vertritt, hatte bereits Armin Schulz betont: In der schriftlichen Überlieferung […] finden wir so gut wie nie die narrative und ideologische Norm, wie sie vor allem Christian Schmid-Cadalbert mit beeindruckender Klarheit aus dem vorhandenen Material rekonstruiert hat. Im Gegenteil: Wir finden beinahe überall nur Abweichungen vom Idealtypus. Das feudale Brautwerbungsschema ist somit nichts als ein heuristisch wertvolles Konstrukt. Es hat keinen Rückhalt in der Realität der Überlieferung. 327 Eine Möglichkeit, diesen Einwand zu entkräften, besteht darin, die idealtypische Umsetzung des Erzählschemas in der Mündlichkeit zu verorten und die schriftlichen Versionen als sekundäre Transformationsprodukte einer ›Arbeit am Muster‹ anzusehen. 328 Zu den methodischen Problemen, die das allerdings mit sich bringt, ist bereits einiges gesagt worden. 329 Ich möchte den Einwänden von Bowden und Kohnen stattdessen damit begegnen, dass ich den Prototyp - entsprechend meiner methodischen Vorüberlegungen 330 - im Sinne der erweiterten Prototypentheorie nicht als konkreten Text verstehe, sondern vielmehr als abstrakte Größe. Das idealtypische Erzählschema wäre demnach nicht in der schriftlichen Überlieferung zu suchen, sondern gewissermaßen in den Köpfen der mittelalterlichen Leser und Hörer, und zwar als mental vorliegendes Produkt einer Abstraktion aus der Lektüre von verschiedenen jeweils unvollständigen Versionen. Das kann man in Anlehnung an Schulz als ›heuristische Konstruktion‹ bezeichnen; eine solche Konstruktion wird jedoch, so meine Annahme, nicht nur von modernen Literaturwissenschaftler*innen gebildet, sondern auch von den zeitgenössischen Rezipienten der Brautwerbungserzählungen. Die Wirkung des Erzählmusters auf die Rezipienten solcher Texte räumt auch Kohnen durchaus ein: Den Elementen des Brautwerbungsmodells, wie der Konstellation Werber und Braut und der mit ihr verbundenen Gefahr, oder typischen Szenen der Beratung, Botensendung, etc., kommen [sic] meines Erachtens dabei durchaus die Funktion zu, Rezeptionserwartungen zu wecken und zu lenken […]. 331 Und um nichts Anderes als diese Rezipientenerwartungen - also das literarische Wissen der Leser und Hörer - geht es mir. Wie der »Tristan« mit den entsprechenden Wissensbeständen arbeitet, soll im Folgenden untersucht werden. unter Umständen dann devianzpoetisch begreift, noch es in eher vager Modellierung als ›Ermöglichungsrahmen‹ oder ›Typeninventar‹ vergleichsweise beliebig lässt« (S. 56f.). 327 Schulz 2002b, S. 249. 328 Vgl. dazu am Beispiel des Umgangs mit dem Erzählschema der ›gefährlichen Brautwerbung‹ im »König Rother« Haug 1988 und Kiening 2003. 329 Vgl. in der Debatte um den »König Rother« Deutsch 2003. 330 Siehe oben, S. 89f. 331 Kohnen 2014, S. 39. Auch in Siefkens Schema-Begriff spielen die Rezipientenerwartungen eine Rolle, vgl. Siefken 1967, S. 37: »Wird das Schema gestaltend in einem Werk verwendet, indem es gestaltet wird, so stimmt es den Hörer (oder Leser) ein. Seine Erwartung ist geweckt und in bestimmter Weise ausgerichtet. Das Schema lebt nur in diesem Schwebezustand zwischen allgemeiner Ausrichtung (von der her bestimmte Handlungspunkte für den Hörer geradezu Signalfunktion bekommen, so z. B. die Auslösung der Werbung), die noch nicht Gestaltung ist, und der Einzelerfüllung, in der es sich konkretisiert und damit nicht mehr Schema ist, aber als solches wirkt.« 344 3 Lektüren Legt man jedenfalls die Handlungsstruktur des Brautwerbungsschemas für Gottfrieds Roman zugrunde, so gehört Tristans Schönheitspreis in den Abschnitt ›Ratszene‹, der bei Schmid-Cadalbert folgendermaßen beschrieben wird (vgl. auch Abb. 4): Die Ratszene läßt sich unterteilen in den Rat oder den Entschluß zur Brautwerbung und den Rat zur schwer erringbaren, fernen Königstochter. Entweder entschließt sich der Brautwerber selbst zur Werbung oder seine Dienstleute, seine Eltern oder andere Ratgeber raten ihm dazu, letzteres oft aus dem Wunsch nach einem Erben. Diese erste Phase endet damit, daß man keine geziemende Frau kennt. Diese Unkenntnis ergibt sich daraus, daß der Brautwerber als mächtigster König gezeichnet wird und sich deshalb über die Grenzen seines Machtbereichs hinaus in der allen bekannten Welt keine Braut finden läßt, welche das Kriterium der Ebenburt erfüllen würde. Die Unkenntnis wird aufgehoben, indem ein Nenner auftritt, der von einer fernen, geziemenden Königstochter weiß. Ein Kundiger, der mit dem Nenner identisch sein kann, lobt die Schönheit der Königstochter, warnt aber des gefährlichen Brautvaters wegen vor dem Unternehmen oder rät gar davon ab. Der Werber besteht auf dem Vorschlag, oft durch die Beschreibung der Königstochter von Fernminne ergriffen […]. 332 Dass in der vorliegenden »Tristan«-Episode von einer ›Ratszene‹ erzählt wird, bringt der Text schon auf der Ebene der Sprache zum Ausdruck: rât und râten sind Leitwörter des Textabschnitts und werden allein in der Bedeutung ›Rat, Beratung‹ rund zwanzigmal gebraucht; 333 Tristan selbst spricht vom hoverât (v. 8443). Auf der Ebene der Handlung fällt es ebenfalls nicht schwer, das von Schmid-Cadalbert beschriebene Schema in Gottfrieds Erzählung wiederzufinden: 334 Auch hier äußern die Vasallen ihre Sorge um die Herrschaftsnachfolge und drängen den König, daz er ein wîp næme, | von der er z’erben kæme (vv. 8355 f.). 335 Sie raten Marke zu Isolde von Irland, die ihm im Hinblick auf Abstammung (geburt), Ethos (tugent) und Schönheit (lîp) ebenbürtig sei (gezæme, vgl. vv. 8455 f.). 336 Dabei fungiert das Verb gezemen in 332 Schmid-Cadalbert 1985, S. 88-90; vgl. auch Siefken 1967, S. 22-24; Bräuer 1970, S. 144-198; Bornholdt 2005, S. 13, 15; Schulz 2012, S. 197f. - Zur Inszenierung von Beratungsszenen in der mittelhochdeutschen Epik auch Hasebrink 2000, S.-149-161, 217-220; Müller 1993. Zur historischen Bedeutung von Beratungen im vasallitischen Herrschaftsverband Gerd Althoff: Colloquium familiare - Colloquium secretum - Colloquium publicum. Beratung im politischen Leben des früheren Mittelalters, in: Frühmittelalterliche Studien 24 (1990), S. 145-167. Auch Bowden nennt die »council scene, in which the protagonist asks his court for advice« (Bowden 2012, S.- 23) als eines der typisch wiederkehrenden Motive im Kontext der Brautwerbung. 333 Vgl. vv. 8350, 8351, 8354, 8377, 8420, 8443, 8452, 8458, 8492, 8523, 8535, 8544, 8578, 8590, 8644, 8645, 8647, 8648, 8651. Gerade die häufigen Wiederholungen auf engem Raum tragen eine deutliche Markierung, vgl. vv. 8350-8354: Hie mite gevielen s’an den r â t , | die Markes r â t e s pflâgen, | daz si Marke an lâgen, | beidiu vruo unde spâte | mit vlîziclîchem r â t e , | daz er ein wîp næme; und besonders ironisch-distanzierend vv. 8643-8648: si’n kunden umbe ir eigen leben | in selben keinen r â t gegeben: | si r i e t e n her, si r i e t e n hin | und enkunden nie niht under in | g e r â t e n , daz in töhte | und daz r â t heizen möhte. (Hervorhebung L.M.) Zum Verb râten als einer festen sprachlichen Wendung in Brautwerbungserzählungen Mertens u. a. 1983, Sp. 592; Siefken 1967, S. 33. 334 Vgl. Bräuer 1970, S. 196f. Siehe auch Schulz 2017, S. 63f. 335 Dass es sich bei der Formulierung wîp nemen um eine feststehende sprachliche Wendung der Brautwerbungsdichtung handelt, betont auch Volker Mertens, vgl. Mertens u. a. 1983, Sp. 592. Weiterhin Schmid- Cadalbert 1985, S. 119; Siefken 1967, S. 33. Ganz ähnlich etwa »Ortnit AW«: dô rieten im die sîne, daz er im næme ein wîp (Str.-7,2). Zitiert nach Ortnit, bearb. von Arthur Amelung, in: Deutsches Heldenbuch, Bd. 3, Berlin 1871, S. 1-77, hier S. 4. Siehe auch die in S. 345 Anm. 337 zitierten Textstellen aus »König Rother«, »Dietrichs Flucht« und »Tristrant«. 336 Vgl. auch vv. 8462-8476. Zum Kriterium der Ebenbürtigkeit, die in erster Linie in der Schönheit der Braut zum Ausdruck kommt (die wiederum für ihre Adeligkeit steht), siehe Schmidt-Cadalbert 1985, S. 86; Sief- 3.3 Tristans Schönheitspreis Isoldes. Werbung für die Brautwerbung 345 Brautwerbungserzählungen geradezu topisch als Ausdruck für die Äquivalenz der Braut. 337 Ein ›Nenner‹ 338 aus dem Kreis der Hofleute bringt den Vorschlag gegenüber Marke zur Sprache: ir einer, der ez kunde, der sprach mit einem munde ir aller willen unde ir muot: »hêrre«, sprach er, »uns dunket guot: diu schœne Îsôt von Îrlant, als al den landen ist bekant, diu uns und in gelegen sint, diu ist ein maget unde ein kint, an die wîplîchiu sælekeit alle die sælde hât geleit, die si dar gelegen kunde, als ir ze maneger stunde von ir selbe habet vernomen, diu ist sælic unde vollekomen ken 1967, S. 23; Hasebrink 2000, S. 143, 209. 337 Vgl. Siefken 1967, S. 23 Anm. 9; Bräuer 1970, S. 145f., 149, 150, 151 (vor allem zum typischen Reimpaar nemen / gezemen). Für den »Ortnit AW« Schmid-Cadalbert 1985, S. 119, der darin »die für die Brautwahl zentrale Ebenburtsforderung« zum Ausdruck gebracht sieht. Tatsächlich wird in beinahe allen Brautwerbungserzählungen in Bezug auf die Braut das Verb gezemen verwendet, vgl. »Ortnit AW«, Str. 7,2f.: ein wîp | diu im ze habene z æ m e . (Ausg. Amelung 1871, S. 4; Hervorhebungen hier und im Folgenden L.M.); »König Rother«, vv. 27f.: Daz e[r] ein wip neme, | de ime zv urowen g e z e m e (zitiert nach König Rother. Nach der Ausg. von Theodor Frings / Joachim Kuhnt, Halle a.S. 1954 (Altdeutsche Texte für den akademischen Unterricht 2), S. 2); »Herzog Ernst B«, vv. 257-261: Alsô was des keisers lîp | immer mêre ân êlîch wîp, | als ir dâ vor hât vernomen, | und hæte gerne genomen | eine diu im g e z æ m e . (zitiert nach Herzog Ernst. Ein mittelalterliches Abenteuerbuch. In der mittelhochdeutschen Fassung B nach der Ausg. von Karl Bartsch mit den Bruchstücken der Fassung A hrsg., übers., mit Anm. und einem Nachwort vers. von Bernhard Sowinski, bibliograph. erg. Ausg., Stuttgart 2006 (RUB 8352), S. 18); »Salman und Morolf«, Str. 24,3-25,4: »ein schone frauwe, | […] | [d]ie minem adel wol g e z e m e | die wolt ich gern nach uwerm rate nemen, | ein edele kunigin her, | die mir wol g e z e m e zu einer frauwen« (zitiert nach Salman und Morolf, hrsg. von Alfred Karnein, Tübingen 1979 (ATB 85), S. 8); »Orendel«, vv. 199f.: »ein wip, | die mir wol g e z e m e zu [der] minne« (Zitiert nach Orendel von Hans Steinger, Halle a.S. 1935 (ATB 36), S. 9); »Nibelungenlied« (B), Str. 48,1-3: Im rieten sîne mâge […] daz er dan eine wurbe diu im möhte z e m e n (Ausg. Bartsch / de Boor 1996, S. 13); »Nibelungenlied« (C), Str. 328,1f.: wâ ich die müge nemen, | diu mir und mîme rîche ze frouwen müge z e m e n (zitiert nach Das Nibelungenlied nach der Handschrift C, hrsg. von Ursula Hennig, Tübingen 1977 (ATB 83), S. 52); »Dukus Horant«, Str. F. 43,6: er sprach: nu rotet ale geliche beide moge unde man, | ume eine vrouen schone di ich mit eren muge gehan, | di uch alen mochte wol g e z e m e n , | di wolde ich gerne zu einer vrouen nemen. (zitiert nach Dukus Horant, hrsg. von Peter F. Ganz u. a. Mit einem Exkurs von S. A. Birnbaum, Tübingen 1964 (ATB. Ergänzungsreihe 2), S. 137); »Wiener Oswald«, vv. 35-39: do riten im alle sine man, | her solde daz mit nichte lan, | her enneme endelich | eine frouwen lobelich, | di im wol g e z e m e (zitiert nach Der Wiener Oswald, hrsg. von Gertrud Fuchs, Breslau 1920 (Germanistische Abhandlungen 52) [Nachdruck Hildesheim 1977], S. 2); »Dietrichs Flucht«, vv. 1909-1911: Da rieten im die sein, | daz er ein weyb neͣme, | die im wol g e z á m e (zitiert nach Dietrichs Flucht. Textgeschichtliche Ausgabe, hrsg. von Elisabeth Lienert / Gertrud Beck, Tübingen 2003 (Texte und Studien zur mittelhochdeutschen Heldenepik 1), S. 62). - Auch in Eilharts »Tristrant« drängen Markes Vasallen den König, daß er ain wib näm, | dú sinem namen wol g e z ä m (vv. 1407 f.). 338 Zur Handlungsrolle des ›Nenners‹ vgl. Schmid-Cadalbert 1985, S. 85: »Der Nenner nennt, meist nachdem der zur Nennung einer geziemenden Frau eingesetzte Rat versagt hat, die schwer erringbare, ferne Braut.« 346 3 Lektüren an lebene unde an lîbe: mac iu diu ze wîbe und uns ze vrouwen werden, sô’n kan uns ûf der erden an wîbe niemer baz geschehen.« (vv. 8459-8477) Dass es sich bei Isolde - entsprechend dem Exogamie-Gebot der Brautwerbung 339 - um eine Braut von jenseits des Meeres handelt, wird zwar nicht eigens hervorgehoben, ist jedoch durch die bekannte Geographie der erzählten Welt vorausgesetzt. 340 Die Gefährlichkeit des Unternehmens, die für das Schema ebenso konstitutiv ist wie die Ebenbürtigkeit der Braut, 341 wird im »Tristan« vom König selbst zum Ausdruck gebracht: Marke verweist zurecht auf den Hass, der zwischen Cornwall und Irland immer noch bestehe und vor allem vom Brautvater Gurmun gehegt werde. 342 Die Vasallen deuten die Gefahr jedoch sofort in eine Chance um und verweisen auf die Möglichkeit einer genealogischen Allianz der beiden Königreiche (vv. 8489-8504). 343 Der König stimmt daraufhin der Werbung zu, jetzt anscheinend in Fernminne zur schönen Isolde entbrannt (vv. 8505-8512) - auch das ist ein wichtiges Motiv des Brautwerbungsschemas. 344 Mehr noch: Marke schwört, er werde keine andere Frau heiraten als Isolde (vv. 8513-8516). 345 Das Unternehmen wird also verabredet und Tristan als Bote für die gefährliche Brautwerbung bestimmt. 339 Vgl. schon Geißler 1955, S. 47: »Die Bräute der mhd. Epen wohnen ›fern überm Meer‹.« Dazu auch Siefken 1967, S. 23; Schulz 2012, S. 197. 340 Die Raumstruktur der Brautwerbung, die aus den drei Räumen ›Machtbereich des Werbers‹, ›Machtbereich des Brautvaters‹ und ›Meer‹ besteht (vgl. Schmid-Cadalbert 1985, S. 83f.), lässt sich im »Tristan« mühelos erkennen. 341 Zur Schwererringbarkeit als dem »zweite[n] entscheidende[n] Kriterium« neben der Ebenbürtigkeit Hasebrink 2000, S. 210. Er spricht daher von ›Äquivalenz‹ und ›Opposition‹ als den bestimmenden Parametern der Brautwerbung, vgl. ebd., S. 143: »Es ist konstitutiv für das Schema der gefährlichen Brautwerbung, daß die Braut dem Werber gezieme (Äquivalenz), aber ebenso, daß der Brautvater die Werbung ablehnt (Opposition) […].« Zur Schwererringbarkeit der Braut auch Bräuer 1970, S. 175; Geißler 1955, S. 50-55. 342 Vgl. vv. 8478-8488: Der künic sprach: »lât, hêrre, sehen: | ob ich die gerne wolte hân, | wie solte ez iemer ergân? | wan nemet ir doch in iuwern sin, | wie’z under uns und under in | nu guote wîle sî gewant: | uns hazzet liut unde lant; | Gurmûn ist mir von herzen gram | und hat ouch reht, ich bin im sam. | wer getrüege iemer under uns zwein | sô grôze vriuntschaft inein? « Mit diesem Einwand hat Marke völlig recht, denn schließlich gilt in Irland immer noch Gurmuns Befehl, alle Menschen aus Cornwall umgehend zu töten (vv. 7204-7222), woran der Erzähler während der zweiten Irlandfahrt noch einmal erinnert (vv.- 8736-8743). Und auch die Brautwerber scheinen später zu wissen, dass sie sich auf eine lebensgefährliche Unternehmung eingelassen haben: ez gienge in sêre an den lîp (v. 8688), heißt es aus der Perspektive der Barone (vgl. auch vv.-8636-8638, 8707-8710). 343 Tatsächlich enden Brautwerbungserzählungen immer wieder (aber nicht notwendigerweise) mit der Versöhnung mit dem Brautvater, vgl. Schmid-Cadalbert 1985, S. 93. 344 Vgl. Schulz 2012, S. 194: »Das Schema der ›gefährlichen Brautwerbung‹ ist nicht denkbar ohne das Muster der Fernminne, die ihren Ausgang nicht über den Blick, sondern über das Hörensagen nimmt.« Dazu bereits Geißler 1955, S. 24-26; weiterhin Schmid-Cadalbert 1985, S. 89f. Zur Fernliebe als spezifisch literarischem Motiv grundlegend Horst Wenzel: Fernliebe und Hohe Minne. Zur räumlichen und zur sozialen Distanz in der Minnethematik, in: Liebe als Literatur. Aufsätze zur erotischen Dichtung in Deutschland. Unter Mitwirkung von Helmut Brackert u. a. hrsg. von Rüdiger Krohn, München 1983, S. 187-208. 345 Zum Eid ›die oder keine‹ Siefken 1967, S. 23; Frings / Braun 1947, S. 32, 39. 3.3 Tristans Schönheitspreis Isoldes. Werbung für die Brautwerbung 347 Was auf den ersten Blick wie eine einigermaßen mustergültige Umsetzung des Brautwerbungsschemas aussieht, basiert tatsächlich - wie bereits an anderer Stelle angedeutet 346 - auf einer Intrige der Vasallen. 347 Die Intention von keiner der beteiligten Figuren entspricht der vom Schema vorgesehenen Handlungsrolle: Den Vasallen geht es in Wirklichkeit überhaupt nicht um die Sicherung der Erbfolge, 348 sondern nur darum, Tristan ins Verderben zu stürzen. Sie schlagen dem König Isolde nicht deshalb als Braut vor, weil sie die geeignete Kandidatin ist, sondern niuwan durch Tristandes tôt (v. 8453). 349 Auf diese Weise offenbart die Beratungsszene, die eigentlich die Geschlossenheit des vasallatischen Herrschaftsverbandes vorführen sollte, 350 stattdessen den desolaten Zustand des Hofs von Cornwall. 351 Aber auch Markes Eid, keine andere Frau als Isolde heiraten zu wollen, ist nicht aufrichtig, sondern nur eine List, um der Ehe zu entgehen. 352 Wie der Erzähler direkt im Anschluss betont, will der König in Wahrheit überhaupt nicht heiraten und leistet den Schwur allein deshalb, weil er mit der Aussichtslosigkeit einer Werbung in Irland rechnet: den eit tete er niht umbe daz, daz im sîn gemüete iht baz sô hin stüende danne her: durch die kündekeit swuor er, daz es im gâr was ungedâht, daz ez iemer würde z’ende brâht. (vv. 8517-8522) In der »Tristramssaga« fehlt diese Aussage, dort scheint Marke tatsächlich heiraten zu wollen. 353 Bei Gottfried dagegen treten das Handeln der Akteure und ihre tatsächliche Intention auseinander. Die Figuren erfüllen nicht mehr einfach ihre vom Erzählschema vorgesehenen Handlungsrollen, sondern s p i e l e n diese Rollen vielmehr nur noch. 354 Das Schema wird zum Instrument des prudentiellen Handelns der Figuren, 355 wie der Text an der zitierten Stelle 346 Siehe oben, S. 172f., 182. 347 Dazu Gruenter 1964, S. 122-128. 348 Diese ist außerdem, wie Marke betont, bereits gesichert, nämlich mit Tristan, vgl. vv. 8358-8360: Marke sprach: »got der hât uns | einen guoten erben geben; | got helfe uns, daz er müeze leben! « Dazu Kragl 2014, S. 30; 2019, S.-14. 349 Zu dieser Stelle auch Chinca 1993, S. 96f. 350 Die Funktion der Beratungen, »den jeweiligen Verband (auch militärisch) als Kollektiv handlungsfähig zu machen«, betont grundlegend Hasebrink 2000, S. 63. Gerade im Kontext der Brautwerbung dienten solche Ratszenen der »Inszenierung von Konsens und Eintracht« (ebd., S. 153). 351 Stephen Jaeger interpretiert das im Kontext der literarischen Gattung der Hofkritik als Kommentar auf reale sozialgeschichtliche Entwicklungen, vgl. C. Stephen Jaeger: The Barons’ Intrigue in Gottfried’s »Tristan«. Notes Toward a Sociology of Fear in Court Society, in: Journal of English and Germanic Philology 83 (1984), S. 46-66, hier S. 54-66. 352 Von einem »strategische[n]« und »kluge[n] Schachzug« spricht Kragl 2014, S. 34; 2019, S. 18. Dazu schon Gruenter 1964, S. 127. 353 Vgl. »Tristramssaga«, Kap. 33 (Ausg. Kölbing 1878, S. 42, Z. 18-23). Dazu Kragl 2014, S. 40: »Marke will die Werbung uneingeschränkt, die Wahl von Isolde geschieht ohne Hintergedanken, Markes Sorge wegen dieser Wahl scheinen [sic] echt, die Hoffnung auf Versöhnung ist authentisch […].« (wortgleich Kragl 2019, S. 24) 354 Das geht über eine grundsätzliche Offenheit des Erzählmusters für Variationen und Umbesetzungen, wie sie zuletzt Stock 2019 betont hat, deutlich hinaus. 355 Hasebrink verbindet mit dem Begriff der Prudentialität eine spezifische Form der Klugheit, die nicht nur aufgrund ihrer Gegenstände und Kontexte als ›politisch‹ zu bezeichnen sei, sondern in Bezug auf einen 348 3 Lektüren mit dem mhd. Intellektwort kündekeit markiert, das gerade aufgrund seiner Seltenheit eine besondere Signalwirkung besitzt. 356 Diesen Umgang mit dem Erzählmuster kann man - in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Erzählers im ›Schwalbenhaar-Exkurs‹ - als eine Form der Rationalisierung verstehen. 357 Tatsächlich folgt die Handlung hier ja offenbar nicht mehr der Logik des Erzählschemas, sondern dem »politische[n] Kalkül der Figuren« 358 - auch wenn keine Partei das erreicht, was sie beabsichtigt. 359 Von einer »komplexen psychologischen Durchdringung der Figurenaktionen« spricht deshalb Florian Kragl. Die ganze Handlung sei »psychologisch fundiert«, »alles hat seinen figurenpsychologischen Grund.« 360 Die Figuren wirken auf ihn deshalb nicht wie Aktanten, die ›blind‹ ihre vom Schema vorgegebene Handlungsrolle erfüllen, sondern wie »runde, plastische, lebenswirkliche Figuren […], die man fast schon Personen nennen dürfte […].« 361 Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass sich die Figuren zwar in gewisser Weise vom Erzählschema emanzipieren, die Erzählung aber zugleich trotzdem noch eng auf das literarische Muster bezogen bleibt. Das zeigt sich etwa am heimtückischen Rat der Vasallen, der merkwürdig unentschieden zwischen der wahren Intention der Figuren und ihrer vom Schema vorgesehenen Handlungsrolle changiert. Einerseits offenbart der Erzähler zwar eindeutig die tatsächliche Intention der Barone (die gerieten […] niuwan durch Tristandes tôt, vv.-8452f.), andererseits begründen die Figuren selbst ihren Entschluss dem Erzählschema entsprechend mit der Ebenbürtigkeit der Braut (möhte ez gesîn, diu schœne Îsôt, | diu gezæme im wol ze wîbe, vv. 8454 f.) - und nicht etwa, wie es ihrer Absicht entsprechen würde, mit der Gefährlichkeit des Unternehmens. Dabei ist zu bedenken, dass es sich hier um indirekte Figurenrede handelt, die im Rahmen einer vertraulichen Beratung 362 in Abwesenheit von Marke und Tristan geäußert wird: Die Vasallen wahren den Anschein der schemagerechten Brautwerbung, ohne dass dafür eine erzählweltliche Notwendigkeit erkennbar wäre. Ihr gemeinsamer Ratschluss lässt noch die entsprechende Schemaposition des Erzählmusters erkennen, wirkt daher gleichermaßen kausal-psychologisch wie kompositorisch motiviert. Dass die Erzählung weiterhin auf das Schema bezogen bleibt, gilt besonders auch für Tristans Schönheitspreis, auf den ich noch genauer eingehen möchte. Er lässt sich, wie ich zeigen will, nicht ohne Bezug auf das Erzählmuster von der ›gefährlichen Brautwerbung‹ verstehen. Hält man sich weiterhin an das von Schmid-Cadalbert rekonstruierte Schema, nimmt er hier »Rationalitätstyp des Prudentiellen, der von der Beratung bis zur List, vom Verrat bis zur Intrige in unterschiedlichen Graden der Evidenz die Textorganisation bestimmt.« (Hasebrink 2000, S. 262) 356 Zu den Implikationen dieses Begriffs, zum Teil mit Bezug auf die vorliegende Stelle, Jost Trier: Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes. Die Geschichte eines sprachlichen Feldes, Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts, Heidelberg 1931 (Germanische Bibliothek. 2. Abteilung: Untersuchungen und Texte 31), S. 289, 308; Hasebrink 2000, S. 167 Anm. 80 und S. 217 Anm. 59. 357 Von einer »rationaleren Motivation« spricht Christ 1977, S. 301. Zur Plausibilisierung auch Chinca 1993, S.-97: »The choice of Isolde as a bride for Marke is thus not a bolt from the blue, but the plausible outcome of human aims and calculations.« 358 Christ 1977, S. 301. 359 Das beschreibt Kragl 2014, S. 35-38; 2019, S. 19-22. 360 Kragl 2014, S. 41f.; 2019, S. 26. Er spricht auch von einem »Geflecht psychologischer Figurenmotivationen« (Kragl 2014, S. 43; 2019, S. 27). 361 Kragl 2014, S. 43. Ähnlich Kragl 2019, S. 27f. 362 Einen solchen Rat in Abwesenheit des Königs kennt auch der »König Rother«, vgl. Hasebrink 2000, S.-158f. 3.3 Tristans Schönheitspreis Isoldes. Werbung für die Brautwerbung 349 die Position ›Beschreibung und laudatio- der fernen Königstochter‹ ein (vgl. Abb. 4). 363 Im »Tristan« bildet die Szene allerdings den Ausgangspunkt der Brautwerbung, es kommt also zu einer Umstellung des Schemas. Anders als in den anderen Brautwerbungserzählungen müssen die Vasallen deshalb auch nicht mehr lange überlegen, wen sie Marke als Braut vorschlagen. Die Schemaposition ›Unkenntnis einer geziemenden Braut‹ entfällt. 364 Abb. 4: Handlungsschema der Ratszene von Schmidt-Cadalbert 363 Vgl. Schmid-Cadalbert 1985, S. 89. Zur laudatio in den von Bräuer untersuchten Brautwerbungserzählungen vgl. Bräuer 1970, S. 177, 178, 179, 180, 181, 183, 188, 190, 193. 364 Diese Abweichung wird vom Erzähler explizit hervorgehoben, indem er die Geschwindigkeit betont, mit welcher der Rat die Entscheidung fällt, vgl. vv. 8450-8455: Nu diz wart schiere getân, | daz si alle wâren besant. | nu di gerieten ouch zehant. | und niuwan durch Tristandes tôt: | möhte es gesîn, die schœne Îsôt | diu gezæme im wol ze wîbe. 350 3 Lektüren Im Vorschlag der Vasallen gegenüber Marke wird dann ausdrücklich hervorgehoben, dass der König selbst schon oft von der irischen Prinzessin gehört habe (als ir ze maneger stunde | von ir selbe habet vernomen, vv. 8470 f.). 365 Dass der Herrscher die ferne Königstochter bereits kennt, gehört zwar zur »typische[n] Abfolge« 366 der Brautwerbungserzählungen, aber kausallogisch betrachtet stellt sich dennoch die Frage, woher Marke von der Vollkommenheit der irischen Prinzessin wissen soll. Darf man hier an den 200 Verse zurückliegenden Schönheitspreis denken? So kann man zumindest Marke selbst verstehen, wenn er, scheinbar durch Hörensagen in Isolde verliebt, der Brautwerbung zustimmt: 367 »Tristan der hât mich starke in gedanke durch si brâht: ich hân vil durch si gedâht, a l s e r s i l o b e t e w i d e r m i c h . von den gedanken bin ouch ich von den andern allen sô sêre an sî gevallen, si’n müge mir danne werden, sô’n wirt ûf diser erden niemer dekeiniu mîn wîp, sam mir got und mîn selbes lîp! « (vv. 8506-8516; Hervorhebung L.M.) In der »Tristramssaga« fehlt der Bezug dieser Verse, 368 da der Schönheitspreis hier nicht erzählt wird. Bei Gottfried dagegen lässt sich Markes Aussage ohne Weiteres auf die vorige 365 Auch in der »Tristramssaga« findet sich eine entsprechende Aussage, vgl. Kap. 33: »En þér hafit opt heyrt, at Írakonungr á dóttur fríða […]; þessi er hin frægasta ok hin fríðasta, hin hyggnasta ok hin kurteisasta allra kvenna at ǫllum atgørðum, er nú vitu menn í ǫllum kristnum lǫndum, ok er yðr ei ókunnug ætt hennar, at hun er dóttir konungs ok dróttningar.« (Ausg. Kölbing 1878, S. 41, Z. 32-37) ›»Ihr habt oft gehört, daß der Irenkönig eine schöne Tochter hat […]. Diese ist die berühmteste und schönste, die verständigste und feingesitte[t]ste aller Frauen in jeder Hinsicht, von der man in christlichen Ländern jetzt Kenntnis hat, und Euch ist ihre Herkunft nicht unbekannt, daß sie die Tochter eines Königs und einer Königin ist.«‹ (Übers. Uecker 2008, S. 49) 366 Schulz 2012, S. 197: »Nachdem die potentielle Braut benannt worden ist, zeigen sich der junge Herrscher und alle anderen Teilnehmer der Ratsversammlung merkwürdigerweise schon vollständig über sie informiert […]. Diese merkwürdige, aber typische Abfolge sollte man nicht an irgendwelchen Wahrscheinlichkeiten messen […].« 367 Vgl. auch Karg 1994, S. 81: »Marke erfährt von der fernen Schönen durch Tristan.« Weiterhin Chinca 1993, S. 97: »The barons’ proposal is also motivated from Marke’s perspective: Isolde’s beauty and accomplishments are already known to him from Tristan’s eulogy of her […].« 368 Vgl. »Tristramssaga«, Kap. 33: Þá segir konungr: »Ef þetta mætti með sœmdum verða fremjast ok fullgørast, þá vil ek ønga aðra eiga enn hana, þvíat Tristram hefir mjǫk lofat hœversku hennar ok vizku ok allar atgørðir, sem kvennmanni sómir. Nú hugsit um, hversu vér skulum at henni komast, því(at) aldri skal ek aðra fá, ef ek mætta henni ná! « (Ausg. Kölbing 1878, S. 42, Z. 18-23). ›Da sagte der König: »Wenn dies mit Ehren gefördert und vollendet werden könnte, dann will ich keine andere heiraten als sie, denn Tristram hat ihre Höfischkeit und ihren Verstand und alle Vorzüge, die einer Frau anstehen, sehr gelobt. Nun denkt darüber nach, wie wir sie bekommen können, denn von anderen Frauen will ich haben keine, der Sinn steht mir auf diese eine! «‹ (Übers. Uecker 2008, S. 49) - Im »Sir Tristrem« reagiert Mark unmittelbar auf Tristrems Beschreibung Ysondes mit dem Wunsch nach der Brautwerbung, worunter hier die Kohärenz der Intrige der Vasallen leidet, von der an dieser Stelle nämlich noch gar nicht die Rede ist, vgl. Str. 122,1-6.: Mark to Tristrem gan say: | […] | »Bring þou me þat may, | þat ich hir may yse! « ›Marke sprach zu Tristrem: […] »bringe du mir die jungfrau, damit ich sie sehen mag! «‹ (Ausg. Kölbing 1882, S. 38 und 260) 3.3 Tristans Schönheitspreis Isoldes. Werbung für die Brautwerbung 351 laudatio beziehen. Indem der Text performativ vorführt, wie Tristan si lobete, gestaltet er die Ratszene somit kohärenter, als das in der altnordischen Version der Fall ist. 369 Durch die Umstellung des Schemas wird der Schönheitspreis nicht nur zeitlich, sondern auch kausallogisch zum Ausgangspunkt der Brautwerbung, in dem er (vorgeblich) die obligate Fernminne des Königs auslöst und ihn zu seiner Zustimmung zum Unternehmen bewegt. 370 Auf diese Weise führt die Einführung des Schönheitspreises auch gegenüber Eilharts Version der Geschichte zu einer Rationalisierung: Im »Tristrant« bezieht sich der König ja auf das goldene Schwalbenhaar, um die Brautwerbung abzuwehren. Motivationslogisch gesehen ersetzt Tristans laudatio also das von Gottfrieds Erzähler kritisierte Märchenmotiv. 371 Auch die Barone, so könnte man argumentieren, werden von Tristans Beschreibung dazu inspiriert, Isolde als dem König geziemende Braut vorzuschlagen. 372 Schon Julius Schwietering sprach davon, es seien »Tristans hymnische Worte auf die in Irland aufgehende Sonne der Schönheit […], die Marke u n d s e i n e B e r a t e r zum Entschluß der Brautwerbung entzünden.« 373 Das darf man allerdings nicht, wie es Schwietering offenbar tut, als Kausalität auf der Ebene der erzählten Welt missverstehen; schließlich ist Marke nicht wirklich aufgrund von Tristans Beschreibung in die ferne Königstochter verliebt und schließlich schlagen die Barone sie nicht wirklich deshalb als Objekt der Brautwerbung vor, weil sie nach Tristans Beschreibung die ebenbürtige Frau für Marke ist. Der Zusammenhang zwischen Schönheitspreis und Brautwerbung ergibt sich vielmehr erst über das Erzählschema, existiert also nicht in der erzählten Welt, sondern - strukturalistisch gesprochen - auf der ›Tiefenebene‹ des Textes. Es handelt sich um einen Zusammenhang, der über das literarische Wissen der Leser und Hörer hergestellt wird. Narratologisch kann man das so beschreiben, dass durch Tristans Schönheitspreis im Text zum ersten Mal die Aktantenposition der fernen Königstochter aufgerufen und 369 Ähnlich Kragl, der daraus eine genetische Überlegung in Bezug auf den »Tristan« ableitet: »Gottfried könnte mit ihr [Tristans laudatio] eine Spur verfolgt haben, die in der Saga gelegt ist. Dort ist zwar mit keinem Wort die Rede davon, dass Tristan von Isolde erzählt hätte, aber als die Höflinge Isolde als Ziel der Werbung benennen, rekurriert Marke, dem diese Wahl (trotz seiner Sorge) einleuchtet, auf die Schilderung von Isoldes Schönheit durch seinen Neffen: ein Verweis ins narrative Off, den Gottfried mit Tristans Rede gegenständlich gemacht hat.« (Kragl 2014, S. 41 Anm. 28; beinahe wortgleich Kragl 2019, S. 25) 370 In diesem Sinne meint schon Furstner: »Das Lob Isoldens hat nicht den Zweck, uns ›offenbar zu machen‹, daß Tristans Herz schon für Isolde in Liebe entbrannt sei, sondern einzig und allein Markes Herz auf diu liehte wunnecliche (8285) hinzulenken. Als die Barone später Marke raten, die blonde Isolde zu heiraten, zeigt sich, welchen starken Eindruck die Worte Tristans auf ihn gemacht haben« (Furstner 1957, S. 27). Er übersieht dabei, dass Marke tatsächlich n i c h t in Isolde verliebt ist, sondern das nur vorgibt, um einer Heirat zu entgehen. - Im Register der »Tristan«-Handschrift E ist ebenfalls davon die Rede, dass tristan […] dem kunig marcken riett das er die jungen ysott des kuniges tochter von yrland zur ee neme (Marold / Schröder, S. XLVI). Auch Tristan selbst stellt in der Rückschau gegenüber den beiden Isolden und Brangäne sein Lob als die eigentliche Ursache für die zweite Irlandfahrt dar, vgl. vv. 10551-10570: sît mîner êreren vart, | daz ich hie generet wart, | sît sprach ich iemer mêre | iuwer lop und iuwer êre | ze mînem hêrren Marke, | unz ich ime den muot sô starke | mit râte an iuch gewante | […] | d u r c h d a z kam ich in Îrlant, | d u r c h d a z sluoc ich den serpent … (Hervorhebung L.M.) 371 Vgl. Karg 1994, S. 78f. 372 Tristans laudatio tritt also auf einer anderen Ebene neben den nît der Barone, der die Intrige kausallogisch auf der Ebene der erzählten Welt motiviert. 373 Schwietering 1932, S. 184 (Hervorhebung L.M). Ähnlich auch Bédier 1902-1905, Bd. 1, S. 104 Anm. 1: »[L]es barons prennent acte et tirent parti de son [d. h. Tristans] enthousiasme.« Deswegen sei Tristans laudatio motivationslogisch notwendig: »Il faut bien que Tristan ait dépeint à la cour de Marke la beauté et la courtoisie d’Isolt […].« 352 3 Lektüren mit Isolde besetzt wird. Die laudatio fungiert somit als Trigger, der das mental repräsentierte Skript der Brautwerbung aktiviert. Diese Überlegung lässt sich auch am Text erhärten. Schauen wir dafür zunächst auf den Beginn von Tristans Beschreibung der irischen Königstochter: »Îsôt«, sprach er, »daz ist ein maget, daz al diu werlt von schœne saget, deist allez hie wider alse ein wint. diu liehte Îsôt daz ist ein kint von gebærden und von lîbe, daz kint noch maget von wîbe als lustic unde als ûz erkorn nie wart noch niemer wirt geborn. die lûtere, diu liehte Îsolt, diu ist lûter alse arâbesch golt.« (vv. 8253-8262) Isolde wird hier mehrfach als maget und als kint bezeichnet; sie ist also unverheiratet und erfüllt damit die Grundvoraussetzung für die Rolle der Braut. Auch Markes Vasallen bezeichnen Isolde später in ihrem Vorschlag gegenüber dem König als ein maget und ein kint (v. 8466) und nehmen damit (indirekt) auf Tristans laudatio Bezug. 374 Dass Tristan die irische Prinzessin außerdem als schönste Frau der Welt präsentiert, entspricht der üblichen Hyperbolik der Beschreibung der fernen Königstocher in den Brautwerbungserzählungen, 375 wobei der Schönheitspreis bei Gottfried durch die Ausdehnung auf die Zukunft (niemer wirt geborn) noch gesteigert wird. Für einen mittelalterlichen Rezipienten, der mit dem Schema der gefährlichen Brautwerbung vertraut ist, mag bereits die Nachricht von einer unverheirateten Frau, die zudem noch im Ruf steht, die schönste Frau der Welt zu sein, ausreichen, um das Erzählschema abzurufen. 376 Es lassen sich jedoch noch weitere Parallelen zwischen Tristans Schönheitspreis und der laudatio in den Brautwerbungserzählungen beobachten. So gehört etwa der Vergleich der Königstochter mit hell leuchtendem (lûterem, liehtem) Gold zum sprachlichen Formelbestand der Brautwerbung. 377 Über die Braut im »König Rother« wird etwa gesagt, siv luchtit uor an- 374 Kragl erkennt darin eine Wiederaufnahme von Tristans Lobpreis: »Später, beim Hofrat, zitiert immerhin der Sprecher der Höflinge-Fraktion aus dieser Isolde-Rede, die wenigstens an ihm nicht spurlos vorbei gegangen scheint« (Kragl 2014, S. 42; 2019, S. 27). 375 Vgl. etwa »Kudrun«, Str. 211,3.: deheiniu lebt sô schœne ninder ûf der erde; Str. 587,2: niemen schœner wære (zitiert nach Kudrun. Nach der Ausgabe von Karl Bartsch hrsg. von Karl Stackmann, Tübingen 2000 (ATB 115), S.-48, 120); »Ortnit AW«, Str. 154: ez war nie kint sô schœne (Ausg. Amelung 1871, S. 5); »Orendel«, v. 224: die schonste ob allen wiben (Ausg. Steinger 1935, S. 10); »Dukus Horant«, F.45 Str. 4,5: nirgent lebet ir geliche (Ausg. Ganz u. a. 1964, S. 141). 376 Das deutet auch Tomasek an, bezieht sich dabei aber auf die erzählte Welt: »Da die Nachricht von einer unverheirateten Frau mit dem Ruf, die Schönste zu sein, in mittelalterlichen Erzählungen Anlaß zu einer Brautwerbung gibt (die Schönste will von dem Besten errungen werden), legt Tristan mit seinem Lob Isoldes die Grundlage für die zweite Irlandfahrt.« (Tomas Tomasek: Einführung, in: Gottfried von Straßburg: Tristan, Bd.-2: Übersetzung von Peter Knecht, Berlin / New York 2004, S. VII-XLIV, hier S. XX) 377 Vgl. Schmid-Cadalbert 1985, S. 121. Zu anderen Konnotationen von Gold im Kontext mittelalterlicher Schönheitsbeschreibungen Nancy C. Zak: The Portrayal of the Heroine in Chrétien de Troye’s »Erec et Enide«, Gottfried von Strassburg’s »Tristan«, and »Flamenca«, Göppingen 1983 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 347), S. 73. 3.3 Tristans Schönheitspreis Isoldes. Werbung für die Brautwerbung 353 deren wiben | so daz golt von der siden (vv. 73 f.); 378 ganz ähnlich heißt es im »Ortnit AW«: Si liuht ûz allen frouwen, als daz schœne golt | tuot neben krankem blîe (Str. 15,1f.). 379 Eine weitere Verbindung mit dem Brautwerbungsschema besteht im Motiv des kollektiven Begehrens: die Schönheit der Königstochter ist im Kontext der Brautwerbung nicht einfach eine individuelle Auszeichnung, »sondern […] ein Wert, den sich der Herrschaftsverband insgesamt aneignen will.« Die Braut ist »kollektiv erstrebenswertes Objekt« 380 . Dementsprechend fokussiert Tristans laudatio ebenfalls die Wirkung Isoldes auf die Gemeinschaft, »beschwört […] den kollektiven Blick auf ihre Schönheit« 381 . Das Signalwort dafür lautet alle: »a ll e gedanke und a ll e man die kapfen niuwan Îrlant 382 an: dâ nemen ir ougen wunne, sehen, wie diu niuwe sunne nâch ir morgenrôte, Îsôt nâch Îsôte, dâ her von Develîne in e lli u herze schîne! diu liehte wunneclîche si erliuhtet e lli u rîche. daz si alle lobes von wîben sagent, swaz si mit lobe ze mæren tragent, deist allez hie wider ein niht. der Îsôt under ougen siht, dem liutert’z herze unde muot, reht als diu gluot dem golde tuot: ez liebet leben unde lîp.« (vv. 8277-8293; Hervorhebung L.M.) In diesem Sinne manifestiert sich auch die Wirkung der laudatio in Form einer kollektiven Bewunderung der irischen Königstochter durch die Zuhörer in Cornwall: s w e r dô dâ bî dem mære was und ez rehte in sîn herze las, dem süezete diu rede den muot reht alse des meien tou die bluot: sie hæten a ll e muot dâ van (vv. 8305-8309; Hervorhebung L.M.) 378 Ausg. Frings / Kuhnt 1954, S. 3. 379 Ausg. Amelung 1871, S. 5. Auch der »Wigamur« verwendet eine ähnliche Formulierung für die Beschreibung der späteren Frau des Protagonisten, vgl. v. 4475: sie schein liehter danne golt. Zitiert nach Wigamur. Kritische Edition - Übersetzung - Kommentar, hrsg. von Nathanel Busch, Berlin / New York 2009, S. 183. 380 Müller 2007, S. 368, mit Bezug auf die Brautwerbung in der »Kudrun«. Zur Übereinstimmung des persönlichen Begehrens des Herrschers mit den kollektiven politischen Interessen des Herrschaftsverbandes auch Müller 1993, S. 125f. 381 Müller 2007, S. 437. 382 Die Tatsache, dass hier anstelle der irischen Prinzessin das ganze Land als Gegenstand des Begehrens (ankapfen) genannt wird, lässt umgekehrt Isolde metonymisch für das politische Kollektiv (Îrlant) eintreten. Vgl. Müller 2007, S. 437: »Es ist bezeichnend, daß an dieser Stelle der Name des Landes an die Stelle dessen der Frau tritt. Isolde repräsentiert ein Allgemeines in höchster Vollkommenheit.« 354 3 Lektüren Das Kernstück von Tristans Schönheitspreis habe ich bisher noch nicht betrachtet, nämlich den Vergleich Isoldes mit der berühmten Helena von Troja. Wie ich zeigen möchte, lässt er sich ebenfalls im Kontext der Brautwerbung deuten. Schauen wir zunächst auf den Text: »des ich ie wænende was, alse ich’z an den buochen las, diu von ir lobe geschriben sint, Aurôren tohter unde ir kint, Tyntarides diu mære, daz an ir eine wære aller wîbe schônheit an einen bluomen geleit: von dem wâne bin ich komen, Îsôt hât mir den wân benomen. ine geloube niemer mê, daz sunne von Mycêne gê; ganzlîchiu schœne ertagete nie ze Criechenlant, si taget hie.« (vv. 8263-8276) Wie bei den senemæren von Phyllis, Kanake oder Dido wird hier antikes Wissen abgerufen. 383 Der mythologische Bezug ist dabei besonders markiert, denn anstatt einfach Helenas Namen zu nennen, bezeichnet Tristan sie entsprechend dem rhetorischen Mittel der Antonomasie als Aurôren tohter und Tyntarides. 384 Während es sich bei dem Patronym Tyntarides dabei noch um eine einigermaßen gebräuchliche Form handelt, 385 ist die Bezeichnung Aurôren tohter min- 383 Dazu Kern 1998, S. 166-174; 2000, S. 5-11; Wolf 2000, S. 90-92, 96; Sziráky 2003, S. 310-313. 384 Zu dem in der lateinischen Literatur recht gebräuchlichen Mittel der antonomasia, bei der ein Eigenname durch eine Periphrase oder ein Appellativ ersetzt wird, Lausberg 1960, Bd. 1, §§-416f. und 580 f., S. 229f. und 300-302. Antonomasien dienen demnach der variatio und sollen dem jeweiligen Kenntnisstand des Publikums angepasst werden, vgl. ebd., S. 230. Die vorliegende Stelle bietet daher auch einen Hinweis darauf, dass man nicht nur Gottfried, sondern »auch seinem Publikum gar nicht so geringe Kenntnisse der antiken Mythologie zutrauen darf.« (Kern 1998, S. 167) - Wie unsicher allerdings zumindest die Überlieferung mit dem mythographischen Wissen umgeht, zeigt sich am Beispiel des Wortes Mycêne (v. 8274), das kaum jemals richtig wiedergegeben wird: Die Handschriften bieten nycene (MHB), nytene (E), mizene (F) sowie misen(e) (NRS) bzw. missene (O); W löst in me zeine auf und P macht daraus (entsprechend der Lichtmetaphorik des Schönheitspreises) vinstere. 385 Die auf Helenas Ziehvater Tyndareos zurückgehende Form bieten etwa Vergils »Aeneis« und der Kommentar des Servius sowie Ovids »Heroides«, vgl. Kern 1998, S. 167. Auch die »Ars versificatoria« des Matthäus von Vendôme bezeichnet Helena so (Kap. 56,2; Faral 1958, S. 129), vgl. Wolf 1974, S. 99 Anm. 15. Der Name findet sich außerdem in mehreren Liedern der »Carmina Burana« (Nr. 56, Str. 3,7; Nr. 99a, v. 1; Nr. 103, Str.-1,2b,1; zitiert nach Carmina Burana. Mit Benutzung der Vorarbeiten Wilhelm Meyers kritisch hrsg. von Anton Hilka / Otto Schumann, Bd. 1: Text, Teilbd. 2: Die Liebeslieder, hrsg. von Otto Schumann, Heidelberg 1941, S.-1, 134, 166), vgl. Kern 1998, S. 167 Anm. 303 (mit Verweis auf CB 56 und 103). Neben den in der Forschungsliteratur erwähnten Texten lässt sich noch eine Reihe weiterer Belege anführen, aus der Antike zum Beispiel »De rerum natura« (1. Jh. v. Chr.) des Lukrez (1,464 und 473; zitiert nach T. Lucreti Cari De rerum natura libri sex, quintum recensuit Joseph Martin, Leipzig 1969 (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), S. 18, 19); Properz’ »Elegiae« (1. Jh. v. Chr.) (3,8,30; zitiert nach Sexti Properti elegiarum libri IV, ed. Paulus Fedeli, Stuttgart 1984 (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), S.-166) sowie Martials »Epigrammata« (1. Jh. n. Chr.) (12,52,6; zitiert nach M. Valerius Martialis: Epigramme. Lateinisch-deutsch, hrsg. und übers. von Paul Barié / Winfried Schindler, 3.3 Tristans Schönheitspreis Isoldes. Werbung für die Brautwerbung 355 destens ungewöhnlich, wenn nicht mythographisch falsch. 386 Gottfried erweist sich hier - wie bereits bei der Kontamination von Kythera und Kithairon 387 - als ein ›kreativer Mythograph‹, der die antiken Bezüge seinen literarischen Absichten unterordnet und sie zugleich besonders hervorhebt. 388 Welche Funktion hat der Vergleich Isoldes mit Helena im Kontext der laudatio? Zunächst einmal kann man die Überbietung der antiken Schönheit durch die irische Prinzessin wieder einmal mit dem Denkmuster der Typologie in Verbindung bringen. 389 Darauf verweist vor allem die Bezeichnung Isoldes als niuwe sunne, denn niuwe (lat. novus) ist ein typologisches Signalwort. 390 Ich möchte diese Ebene hier jedoch zunächst außer Acht lassen und den typologisch markierten Vergleich vielmehr auf seine narrative Funktion hin befragen. Grundsätzlich ist Helena in der mittelhochdeutschen Literatur gerade im Kontext des Frauenpreises ein oft herangezogenes Vergleichsobjekt, schließlich galt sie im Mittelalter als die schönste Frau der Welt. 391 Zugleich wird in der Anspielung auf Helena immer auch ein Gefährdungspotential zum Ausdruck gebracht, wenn man das durch ihre Schönheit verursachte Leid des Trojanischen Kriegs mitdenkt. 392 Insofern kann man den Vergleich im »Tristan« wie schon 3., vollständig überarb. Aufl., Berlin 2013 (Sammlung Tusculum), S. 886). Aus dem 13. Jh. stammt eine Erwähnung des Patronyms im »Troilus« (um 1250) Alberts von Stade (6,74; zitiert nach Albert von Stade: Troilus. Mit Quellenapparat kritisch hrsg. von Thomas Gärtner, Hildesheim 2007 (Spolia Berolinensia 27), S. 259) sowie die (falsche) Etymologie des Namens in der »Historia destructionis Troiae« des Guido de Columnis (1287): vocans Tyndarim [Hs. C: Tindaridem] ipsam Helenam a quodam loco dicto Tyndare (Buch 4; zitiert nach Guido de Columnis: Historia destructionis Troiae, ed. by Nathaniel Edward Griffin, Cambridge (Mass.) 1936 (Medieval Academy of America Publications 26), S. 33). 386 Helena ist in der klassischen Mythologie eigentlich die Tochter der Leda oder der Nemesis, vgl. Ruth E. Harder: Art.-Helene 1 , in: Der Neue Pauly 5 (1998), S. 278-280, hier Sp. 279. 387 Siehe oben, S. 267 Anm. 754. 388 Von »einem Fall kreativer höfischer Mythographie« spricht Kern 2000, S. 9. Eine Verwechslung aufgrund mangelnder mythologischer Kenntnisse (so Hoffa 1910, S. 345) halte ich für eher unwahrscheinlich. Vgl. auch Okken 2 1996, Bd. 1, S. 389: »Ein Spielverderber und Pedant, wer noch einwendet, die antike Mythologie kenne Helena als Tochter der Leda oder der Nemesis und nicht als Tochter der Aurora.« Zweck der Vertauschung könnte es gewesen sein, die (typologische) Beziehung Helenas zu Isolde zu verstärken, denn deren Mutter, die alte Isolde, bezeichnet der Text wiederholt als morgenrôt (lat. aurora, vgl. im vorliegenden Textausschnitt v. 8281, außerdem vv. 7292, 9458, 10886, 10890, 11022, 11508). Dazu Schindele 1971, S. 47f.; Kern 1998, S. 167f. Sziráky formuliert das folgendermaßen: »Das exemplum (Helena) wird metaphorisch so stark von dem zu vergleichenden Ideal überstrahlt, dass sogar die gängigen mythologischen Angaben einer Mutation ausgesetzt werden.« (Sziráky 2003, S. 311) - Zu weiteren mythographischen Ungenauigkeiten (zum Beispiel der eigentlich männlichen Form Tyntarides anstatt dem korrekten Tyndaris sowie dem Verweis auf Mykene anstatt auf Helenas eigentliche Heimat Sparta) Kern 1998, S. 167 Anm. 302; 2000, S. 7. 389 Vgl. bereits Nauen 1947, S. 58: »Wie das Alte Testament seine Erfüllung im Neuen gewinnt, so die Antike im Mittelalter. Sie stehen sich gegenüber wie Verheißung und Erfüllung, Antike - Mittelalter, Helena - Isold.« Weiterhin Hahn 1963, S. 115f.; Schindele 1971, S. 47; Dietz 1974, S. 36f.; Wolf 1974, S. 99-101; 2000, S.-91f.; Kern 1998, S. 169-173; Kern / Ebenbauer (Hrsg.) 2003, S. LI, 285; Sziráky 2003, S. 310-312; Flecken- Büttner 2011, S. 130f. 390 Vgl. grundsätzlich Ohly 1977b, S. 331; mit Bezug auf die vorliegende Stelle Wolf 1974, S. 100; 2000, S. 91; Kern 1998, S. 169; 2000, S. 9f.; Sziráky 2003, S. 312; Tomasek 2007, S. 97f.; Flecken-Büttner 2011, S. 131 Anm.-315. 391 Vgl. Kern / Ebenbauer (Hrsg.) 2003, S. 287: Helena verkörpere geradezu »das Urbild der schönen Frau«. 392 Vgl. Elisabeth Lienert: Ritterschaft und Minne, Ursprungsmythos und Bildungszitat. Troja-Anspielungen in nicht-trojanischen Dichtungen des 12. bis 14. Jahrhunderts, in: Die deutsche Trojaliteratur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Materialien und Untersuchungen, hrsg. von Horst Brunner, Wiesbaden 356 3 Lektüren die Anspielungen auf die anderen antiken Frauenfiguren als erneute Vorausdeutung auf das tragische Ende der Geschichte verstehen. 393 Der Bezug zur Handlung des »Tristan« ist aber noch enger, wie sich bei einem Blick auf mittelalterliche Darstellungen des Trojastoffes zeigt. Obwohl das in der Forschung kaum beachtet wird, ist Helena nämlich ebenfalls das Objekt einer Brautwerbung: Ich meine die Entführung durch Paris, die als Auslöser des Trojanischen Kriegs fungiert. 394 Ein Beispiel dafür, dass sie auch im Mittelalter so gelesen wurde, bietet der Prolog des »Eneasromans«: Bei der Zusammenfassung der Ereignisse des der eigentlichen Romanhandlung vorausgehenden Trojanischen Kriegs fällt hier an prominenter Stelle mit wîp nemen (vgl. v. 7 f.) das zentrale Stichwort für die Brautwerbung. 395 Auch bei Wernher dem Gärtner ist auf der Haube des jungen Helmbrecht abgebildet, wie Parîs der vermezzen | dem künege ûz Kriechen nam sîn wîp (»Helmbrecht«, v. 47 f.). 396 1990 (Wissensliteratur im Mittelalter 3), S. 199-243, hier S. 204f.; Kern 2000, S. 10f.; Flecken-Büttner 2011, S. 72. 393 Gemeinsam mit den ebenfalls im »Tristan« zitierten Exempelfiguren Dido, Graland und Thisbe wird Helena in diesem Sinne etwa im »Weinschwelg« angeführt (vv. 328-339; Ausg. Fischer / Janota 1997, S. 56). 394 Die Entführung durch Paris ist nicht die einzige Brautwerbung, von der die Stofftradition in Bezug auf Helena berichtet: Schon als Mädchen wurde sie von Theseus entführt, vgl. Harder 1998, S. 279; Frenzel 8 1992, S. 316. Davon erzählen etwa Ovids »Heroides« (16,149-160; Ausg. Häuptli, 2 2001, S. 163) und die »Fabulae« des Hyginus (Nr. 79; Ausg. Marshall 2 2002, S. 76). Die Entführung durch Theseus ist auch den mittelalterlichen Versionen bekannt; bei Konrad von Würzburg spricht unter anderem Paris gegenüber Helena davon, daz Thêseus, der wîse man, | […] | iuch frefellîchen fuorte. | er nam iuch und beruorte | doch iuwer reine kiusche nie (»Trojanerkrieg«, vv. 21109-22117; Ausg. Thoelen / Häberlein 2015, S. 299). - Zur grundsätzlichen Bedeutung von Brautwerbungen in der Trojageschichte mit Bezug auf das »Liet von Troye« Cornelia Herberichs: Poetik und Geschichte. Das »Liet von Troye« Herborts von Fritzlar, Würzburg 2010 (Philologie der Kultur 3), S. 214-227. 395 Vgl. Heinrich von Veldeke, »Eneasroman«, vv. 1-8: Ir habet wol vernomen daz, | wi der kunich Menelaus besaz | Troien die rîchen | vil gewaldechlîchen, | do er sie zefûren wolde | dorch Pârîses scholde, | der im sîn w î b h e t e g e n o m e n . Zitiert nach Heinrich von Veldeke: Eneasroman. Mittelhochdeutsch / neuhochdeutsch. Nach dem Text von Ludwig Ettmüller ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Dieter Kartschoke, Stuttgart 2007 (RUB 8303), S. 6. (Hervorhebung L.M.) Zu wîp nemen als Ausdruck für die Brautwerbung siehe oben, S. 344 Anm. 335. Der Zusammenhang besteht allerdings vor allem auf der Ebene der Wortform, da sich die Verwendungsweise und Bedeutung von wîp nemen in Brautwerbungsepik und Trojastoff unterscheiden: Einmal ist von ›(sich) ein wîp nemen‹-(›heiraten‹) die Rede, einmal von ›(jemandem) sîn wîp nemen‹ (›rauben‹). Vgl. zur Semantik und Valenz von nemen auch Lexer, Bd. 2, Sp. 52-54. 396 Zitiert nach Wernher der Gartenære: Helmbrecht, hrsg. von Friedrich Panzer und Kurt Ruh, 10. Aufl. bes. von Hans-Joachim Ziegeler, Tübingen 1993 (ATB 11), S. 3. Dass in der mittelalterlichen Wahrnehmung des Trojanischen Kriegs ein entscheidender Fokus auf der Entführung Helenas liegt, zeigen auch weitere volkssprachige Anspielungen, vgl. Herberichs 2010, S. 214, und die Belege bei Lienert 1990, S. 214-243. Ein Beispiel bietet die Ekphrasis eines Wandteppichs in der »Crône« Heinrichs von dem Türlîn, vgl. vv. 524-528: dâ was von golt geworht an, | wie von Kriechen entran | mit Parîs vrou Hêlenâ. | ouch was geworht anderswâ, | wie Troye zevüeret lac (Ausg. Felder 2012, S. 14). Die Stelle steht hier freilich am Beginn einer Erzählung, die selbst von einer Entführung (von Ginover durch Gasozein) handelt, vgl. Kern 1998, S. 306. Auch die »Minnelehre« Johanns von Konstanz (um 1300) erwähnt die Entführung Helenas im Rahmen der Beschreibung des Wagens der Minne: Do stvont an der siten | die kriechen, als si striten | woͤ ltin dur di minne | vmbe ir kvͥ neginne, | die clarvn schoͤ nen Elenam, | die im kvͥ nig Paris nam, | vnd si fůrt vͥ ber mer (vv. 741-747). Zitiert nach Die Minnelehre des Johann von Konstanz. Nach der Weingartner Liederhandschrift unter Berücksichtigung der übrigen Überlieferung hrsg. von Dietrich Huschenbett, Wiesbaden 2002, S. 32. In lateinischen Kurzfassungen des Stoffes nimmt der Brautraub ebenfalls eine zentrale Position ein, so etwa in den »Etymologiae« Isidors von Sevilla, die folgende Informationen über 3.3 Tristans Schönheitspreis Isoldes. Werbung für die Brautwerbung 357 Legt man wieder das Erzählschema von Schmid-Cadalbert zugrunde, kann man den gesamten Trojanischen Krieg als Brautwerbungserzählung lesen, die mit der schemagerechten Rückgewinnung der Braut durch den Brautvater (hier: Ehemann) abbricht. 397 Ich möchte das am Beispiel des »Trojanerkriegs« Konrads von Würzburg illustrieren: 398 Hier beginnt die Episode wie schon in Konrads französischer Vorlage, dem »Roman de Troie« Benoîts de Saint-Maure, mit einer R a t s z e n e (vv. 18341-19344). Nachdem Antenor als Botschafter bei den Griechen nichts erreichen konnte, 399 fragt König Priamus seine Vasallen um Rat, wie man sich für die erste Zerstörung Trojas und die Entführung seiner Schwester Hesione rächen könne. 400 Von Paris kommt der Rat zu einer Brautwerbung um Helena (vv.-18755-18964). Die griechische Königin sei daz schoenste wîp, das möhte leben (v. 18870). 401 An dieser Stelle wird deutlich, dass die Entführung Helenas in der mittelalterlichen Troja-Tradition eher nicht als die emotional motivierte Kurzschlusshandlung gestaltet ist, als die man sie in der modernen Populärkultur kennt, sondern - im Sinne des Brautwerbungsschemas - als kollektiv geplante Aktion des Herrschaftsverbandes. 402 Dennoch wird auch hier die F e r n m i n n e von Paris herden Trojanischen Krieg bieten: Priamus regnavit Troia […]. Alexander Helenam rapuit […]. Troia capta est. (5,39,11f.; Ausg. Lindsay 1911 [1957], o.S.) ›Priamus hat in Troia regiert. Alexander [das ist ein gebräuchlicher Beiname von Paris] hat Helena entführt. Troja ist erobert worden.‹. Auch die Kurzfassung in den »Carmina Burana« erinnert an eine (unvollständige) Brautwerbungserzählung: Armat Amor Paridem, vult Tyndaridem, rapit illam | Res patet, hostis adest, pugnatur, menia cedunt. (CB 99a; Ausg. Hilka / Schumann, Teilbd. 1 / 2, S. 134) ›Amor wappnet Paris, der begehrte Tyndaridis, er raubt sie. Die Sache kommt ans Licht, der Feind ist zur Stelle, es wird gekämpft, die Mauern stürzen ein.‹ (Übersetzung Henkel 2017, S. 35) 397 Vgl. zu diesem Handlungsmotiv Schmid-Cadalbert 1985, S. 93; Schulz 2012, S. 196 Anm. 22. 398 Dass im »Trojanerkrieg« neben anderen literarischen Mustern auch das Brautwerbungsschema eine Rolle spielt, beobachtet Müller 2007, S. 453f. Schon Wolfgang Monecke erkannte hier verschiedene »gelockerte epische Grundformen«, darunter »etwas vom Wesen der Brautraubsagen« (Wolfgang Monecke: Studien zur epischen Technik Konrads von Würzburg. Das-Erzählprinzip der wildekeit. Mit einem-Geleitwort von Ulrich- Pretzler, Stuttgart 1968 (Germanistische Abhandlungen 24), S. 51). - Zu den Besonderheiten von Konrads Gestaltung der Episode im Vergleich zu seinen lateinischen und französischen Vorlagen Lienert 1996, S. 94-116. - Der Vergleich des »Tristan« mit dem »Trojanerkrieg« ist insofern methodisch problematisch, da Konrad bekanntlich immer wieder auf Gottfrieds Text Bezug nimmt. Vor allem die Figur der Helena ist stark auf Gottfrieds Gestaltung von Isolde bezogen. In diesem Sinne spricht Gebert davon, Helena werde »als Fremdreferenz auf Isolde eingeführt« (Gebert 2013, S. 131f.). Zu den Parallelen zwischen den beiden Figuren auch Kern / Ebenbauer (Hrsg.) 2003, S. 289. Konrad hat gewissermaßen Helena »als gesteigerte Isolde inszeniert - in nochmaliger Überbietung von Gottfrieds Gestaltung Isoldes als gesteigerter Helena« (Lienert 1996, S. 208). 399 Im Sinne des Brautwerbungsschemas könnte man diese erste Fahrt als der eigentlichen Werbung vorausgehende Botenfahrt lesen (vgl. dazu Schmid-Cadalbert 1985, S. 91), nur, dass es hier noch gar nicht um die Brautwerbung geht. Im Rahmen der Botenfahrt kommt es im »Trojanerkrieg« auch zu einer ›Hilfeverpflichtung der Dienstleute‹ die ausführlich beschrieben wird. Zu diesem Motiv im Brautwerbungsschema ebd., S. 90. 400 Die Abhängigkeit des Herrschers vom kollektiven Rat seiner Vasallen betonen zum Beispiel die Verse 18464-18474: »tumpheit noch witze wirt getân | von mir niemer mêre, | wan der mich iuwer lêre | und iuwer rât berihtet. | ich hân dar ûf geslihtet | mit staete willen unde muot, | swaz iu gemeine dunket guot, | daz mir daz wol gevalle. | dâ von sô sprechent alle, | waz ir wellent, daz ich tuo, | dâ kêre ich mînen willen zuo.« (Ausg. Thoelen / Häberlein 2015, S. 260f.) 401 Ausg. Thoelen / Häberlein 2015, S. 266. 402 Diese Tendenz lässt sich bereits in der Version des Dares Phrygius beobachten: Gegenüber Homer wird hier das Paris-Urteil als Motivation für den Brautraub zurückgedrängt; an seine Stelle tritt der kollektive Wunsch der Trojaner nach Vergeltung für die frühere Entführung Hesiones, vgl. Elisabeth Lienert: Deutsche Antikenromane des Mittelalters, Berlin 2001 (Grundlagen der Germanistik 39), S. 104f. Zur Bedeutung der kollektiven Rache bei Konrad vgl. Gebert 2013, S. 210-217, 221 f. In Bezug auf den »Roman 358 3 Lektüren vorgehoben (vv. 18796-18805). 403 Trotz mehrerer Einwände bezüglich der Gefährlichkeit des Unternehmens entscheiden sich die Trojaner schließlich zur Brautwerbung um die griechische Königin (vv. 19191-19344). Paris fährt mit einigen Begleitern über das Meer nach Sparta, wo er, anders als bei Benoît und Ovid, 404 eine falsche Identität benutzt und sich als Alexander aus Karthago ausgibt (vgl. vv. 20469-20482 und 20658-20665). Auch das ist ein typisches Motiv der Brautwerbungserzählungen. 405 Während einer Abwesenheit von Menelaos kommt es zur Annäherung zwischen Paris und Helena, die zumindest zum Teil in Helenas Kemenate stattfindet. 406 Dabei schlägt Paris vor, sie zu entführen: lânt mich zücken unde nemen | iuch in roubes wîse (vv. 21420 f.). 407 Dieser Vorschlag wird mit einer teilweisen Einwilligung der Braut 408 dann auch in die Tat umgesetzt. Anders als in der übrigen Troja-Tradition gelingt es Paris, Helena durch eine List in die Nähe seines Schiffes zu locken und mit ihr zu fliehen. 409 Anschließend kommt es zur ›Ve r f o l g u n g m it H e e r e s m a c h t‹ 410 durch den mittlerweile heimgekehrten Menelaos und seinen Bruder Agamemnon (vv. 23422 ff.). Der gesamte nun folgende Trojanische Krieg nimmt gewissermaßen die Schemaposition des ›Ve r f o l g u n g s k a m p f e s ‹ ein. An de Troie« betont Lienert: »Die politische Komponente - für die Trojaner die Rache für den Raub der Hesione […], für die Griechen die Schande von Helenas Entführung […] - steht entschieden im Vordergrund« (Elisabeth Lienert: Helena - thematisches Zentrum von Konrads von Würzburg »Trojanerkrieg«, in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 5 (1988 / 89), S. 409-420, hier S. 410). Dass sich die Aktion im »Trojanerkrieg« gegen Griechenland als politisches Kollektiv richtet, zeigt folgende Äußerung von Paris: »daz r î c h e wirt von mir gepfant | an êren und an ruome, | sô mir der l a n d e bluome | von dannen volget über sê« (vv. 18946-18949; Ausg. Thoelen / Häberlein 2015, S. 267; Hervorhebung L.M.). In diesem Sinne ist auch die Bezeichnung Helenas als der Kriechen rîchtum (v.-18919, ebd.) zu verstehen: Wie Isolde im »Tristan« (siehe oben) steht Helena als Braut für das gesamte Land. 403 Dass Paris vom Hörensagen in Helena verliebt ist, wird auch vorher schon thematisiert (vv. 4362-4391, 4411-4454, 5744-5747), vgl. Lienert 1996, S. 98 Anm. 275. In Anlehnung an die Darstellung Ovids erwähnt Paris seine Fernminne später selbst gegenüber Helena (vv. 21072-21079), vgl. ebd., S. 104. 404 Vgl. Lienert 1996, S. 99, 101. 405 Zu diesem Motiv als Teil der Überlistung des Brautvaters im Rahmen des Schemas der ›gefährlichen Brautwerbung‹ Schmid-Cadalbert 1985, S. 92; Geißler 1955, S. 166-173; Schulz 2012, S. 200. Noch deutlicher ist das Motiv im »Excidium Trojae« (4. / 6. Jh.) und dem »Compendium historiae Troianae-Romanae« (13. Jh.? ) gestaltet, wo sich Paris jeweils als Kaufmann ausgibt, vgl. Lienert 1996, S. 101 Anm. 285. Die ›Kaufmannslist‹ gehört zu den besonders häufig angewandten Listen der Brautwerber, vgl. Geißler 1955, S. 167; Schulz 2012, S. 200, 202, sowie mit einem Beispiel aus den »Gesta Romanorum« Jan de Vries: Die Schuhepisode im König Rother, in: ZfdPh 80 (1961), S. 129-141, hier S. 133. Freilich könnte es sich bei Paris’ Verstellung bei Konrad auch um eine »Annäherung an den »Tristan« (Tantris in Irland)« handeln (Lienert 1996, S. 101 Anm. 286). Dagegen spricht jedoch, dass das Motiv schon in den früheren Versionen der Geschichte enthalten ist. Zum Kaufmannsmotiv im Kontext der Brautwerbung im »Tristan« Okken 2 1996, Bd. 1, S. 396. 406 Vgl. »Trojanerkrieg«, vv. 20908f.: ofte sunder allen haz | gienc [er] in ir kemenâten. (Ausg. Thoelen / Häberlein 2015, S. 296) Zur ›Kemenatenszene‹ im Brautwerbungsschema Schmid-Cadalbert 1985, S. 91f.; Schulz 2012, S.-196. 407 Ausg. Thoelen / Häberlein 2015, S. 303. Paris verweist dabei auch auf Herkules und Jason, die sich vor ihm erfolgreich als Brautwerber betätigt haben, vgl. vv. 21430-21435, 21456-21461 (ebd., S. 304). 408 Vgl. »Trojanerkrieg«, vv. 22084-22104. Helena wünscht sich zuerst, daz ich des möhte mit gewalt | von iu betwungen werden (vv. 22086 f.), widerruft diesen Wunsch jedoch anschließend. Offenbar verbindet Konrad hier die Tradition von Ovid, Vergil, Dictys und dem »Excidium Trojae« (einverständige Brautwerbung) mit der gegenläufigen Tradition von Dares, Benoît und Herbort von Fritzlar (kriegerische Entführung gegen den Willen der Braut), vgl. dazu Lienert 1996, S. 114. 409 Vgl. Lienert 1996, S. 99, 101, 104. Das Motiv der Entführung durch List kann man auch als Ergebnis der Kombination aus einverständiger Werbung und kriegerischer Entführung sehen (siehe oben). 410 Vgl. Schmidt-Cadalbert 1985, S. 93. 3.3 Tristans Schönheitspreis Isoldes. Werbung für die Brautwerbung 359 seinem Ende steht die schemagemäße R ü c k e n t f ü h r u n g d e r B r a u t durch den ›Brautvater‹. 411 Damit endet die Geschichte - Paris und fast alle Trojaner leben nicht mehr, zu einer erneuten Heimführung der Braut und zum Happy End kommt es nicht. Auch wenn Konrad aus chronologischen Gründen nicht als Bezugstext für Gottfried infrage kommt, 412 zeigt das Beispiel doch, wie man den Trojanischen Krieg im 13. Jahrhundert als Brautwerbungserzählung lesen konnte. Konrad macht das besonders deutlich, indem er die motivischen Parallelen gegenüber seinen Vorlagen zum Teil gezielt herausarbeitet. Noch deutlicher werden die Bezüge zur Brautwerbung dann im »Göttweiger Trojanerkrieg« (vor 1300): Der Text macht Helena zur u n v e r h e i r a t e t e n To c h t e r des Kaisers Agamemnon und setzt diesen so vollends in die Schemaposition des Brautvaters ein. 413 Dennoch muss man die Deutung nicht übertreiben: Beide Texte weisen einige deutliche Merkmale des Brautwerbungsschemas auf, während andere Merkmale offensichtlich fehlen. Es handelt sich beim Trojanischen Krieg nicht um eine klassische Brautwerbungserzählung. Die Handlung folgt stoffgeschichtlichen Vorgaben, die dem entgegenstehen, und ist gerade bei Konrad und im »Göttweiger Trojanerkrieg« außerdem von anderen literarischen Mustern überdeckt. 414 Worauf es im vorliegenden Kontext jedoch vor allem ankommt, ist die Profilierung der Rolle Helenas. Es ist in erster Linie die kollektive Wirkung ihrer unvergleichlichen Schönheit, die die griechische Königin als ein ›kollektiv erstrebenswertes Objekt‹ erscheinen lässt. Das macht sie zu einem idealen Gegenstand der Brautwerbung und damit zu einer Vorgängerin von Isolde. Einen Beleg dafür bietet eine andere Brautwerbungserzählung, in der beide Frauenfiguren in einem Atemzug genannt werden: In dem um 1300 entstandenen »Dukus Horant« rät ein alter, weitgereister Graf als ›Nenner‹ zur Werbung um die Prinzessin Hilde und begründet seinen Rat mit einem Vergleich: Hilde sei schoner wene Isolde, des kuneges tochter von Irland, | ader wene die kunegin von Troie (»Dukus Horant«, F.44 Str. 7,1f.). 415 In erster Linie ist es 411 Vgl. in der anonymen Fortsetzung des »Trojanerkriegs«, vv. 49143-49145: diu künigîn Helenâ | in wider worden was aldâ | und si ze lande brachten die. (Ausg. Thoelen / Häberlein 2015, S. 705) 412 Im Hinblick auf eine empirische Rezeption des »Tristan« durch Rezipienten des 13., 14. oder 15. Jh.s ist das natürlich sehr wohl möglich, vgl. Schneider 2000, S. 148: »In der literaturwissenschaftlichen Intertextualitätsforschung wird zwar zumeist impliziert, daß die Prätexte historisch früheren Datums sind als die Folgetexte, doch kann es in ›natürlichen‹ Rezeptionssituationen vorkommen, daß man zuerst die Texte späteren Datums liest und erst dann die Vorlage.« 413 Vgl. »Göttweiger Trojanerkrieg«, etwa vv. 2904f.: Agmennon, […] | Der Heylennen vater was; v. 2972: Heylenna, dü magett herre; v. 3009: Heylenna, du minekliche magtt. Zitiert nach Der Göttweiger Trojanerkrieg, hrsg. von Alfred Koppitz, Berlin 1926 (Deutsche Texte des Mittelalters 29), S. 49-51. Hier wird außerdem von drei anderen Brautwerbungen (des Matribulus, des Trifon und des Bevar) berichtet, die Agamemnon als Brautvater militärisch abwehrt und die jeweils mit dem Tod des Brautwerbers enden (vv. 3307-3538, 4930-5607, 23253-24004). - Auch in einer Basler Kurzfassung der Trojageschichte (Ende 13. Jh.? ) wird der (hier namenlose) kúng von Kriechen (v. 93) als Vater Helenas angeführt. Während Menelaos kaum eine Rolle für die Handlung spielt (und auch bald schon wieder aus dem Text verschwindet), ist er es, der Helena nach dem Sieg über die Trojaner mit zurück in sein Land nimmt, vgl. vv. 318-320: der kúng sin tochtter nam | und fůr von Troy | mit grosser schrey | wider in sin lant. Zitiert nach Danielle Buschinger: Le poème de La Guerre de Troie consigné dans le manuscrit E VI,26 de la bibliothèque universitaire de Bâle, in: La représentation de l’antiquité au Moyen Âge. Actes du Colloque des 26, 27 et 28 mars 1981, hrsg. von Danielle Buschinger / André Crépin, Wien 1982 (Wiener Arbeiten zur Germanischen Altertumskunde und Philologie 20), S. 121-139, hier S. 131 und 139. 414 Vgl. in Bezug auf Konrad Müller 2007, S. 453f. 415 Ausg. Ganz u. a. 1964, S. 139. - Auch in anderen Texten werden Helena und Isolde gemeinsam als Vergleichsfiguren genannt. Zusammen mit Herzeloyde, Gyburc und Venus zählt die beiden Frauen der »Rein- 360 3 Lektüren natürlich ihre außergewöhnliche Schönheit, auf die sich der Vergleich mit Isolde und Helena bezieht. Aber schwingt in der Anspielung nicht möglicherweise auch ihre jeweilige Rolle als ›ferne Königstochter‹ mit? 416 Geht man jedenfalls davon aus, dass mittelalterliche Rezipienten bei Helena an das Thema der Brautwerbung gedacht haben, dann erscheint Isolde als Wiederholung der trojanischen Prinzessin. Helena fungiert als Modellfigur, 417 deren Erwähnung im Kontext von Tristans Schönheitspreis beeinflusst, welche Inferenzen die Leser und Hörer bei der Bildung des mentalen Modells von Isolde abrufen. Dass Tristan Isolde in eine Reihe mit der mythologischen Figur stellt, trägt dazu bei, dass die Rezipienten sie der literarischen Kategorie der ›fernen Königstochter‹ zuordnen. 418 Gleichzeitig wird auch das Erzählmuster der gefährlichen Brautwerbung abgerufen: Die Kategorisierung einer Figur ist, wie einführend dargestellt wurde, grundsätzlich mit bestimmten Erwartungen über den Fortgang der Handlung verbunden. 419 Mit der Nennung der Modellfigur werden auch das mit ihr verbundene Narrativ und die ihm zugrunde liegende »typisierte[ ] Handlungsstruktur[ ]« 420 aktualisiert. In Bezug auf die mittelalterliche Anspielungspraxis hat in diesem Sinne Timo Reuvekamp-Felber gezeigt, dass zitierte Namen zu einer Anreicherung […] mit narrativen Textwelten führen, die mit den sie verkörpernden epischen Figuren untrennbar verbunden sind. […] In einem Wort verdichten sich der gesamte plot oder die mit der Figur verbundenen Handlungselemente des Prätextes. 421 Dabei markiert der »Tristan« ausdrücklich, dass die Anspielung und der damit verbundene Prozess der Kategorisierung Isoldes auf (schrift-)literarischen Wissensbeständen beruhen: alse ich’z an den buochen las, heißt in Tristans laudatio (v. 8264). Der Vergleich mit Helena ist das fried von Braunschweig« auf: Sie alle könnten Reinfried keine würdige Gattin sein (vv. 9236-9238: lept Helên von Kriechen, | <…> | diu schœn Ysolde wære | im an wirdekeit ze swach. Ausg. Bartsch 1871, S. 270). In einem Tagelied des Marners werden zwar nicht Helena und Isolde, aber Trojageschichte und Tristanstoff erwähnt. Sie fungieren hier als Exempel für die gefährliche Macht der Liebe (Lied 2, Str. 2,7f.: troie wart zerstoͤ ret e, | tristranden von minne dur ysalden dike we; Ausg. Willms 2008, S. 100). Siehe weiterhin den Prolog zur Branche IIIa des »Roman de Renart« (um 1176), vv. 1-5: Seignors, oï avez maint conte, | Que maint contierres vos acoute, | Commen de Paris et d’Elaine, | Le mal qu’il en ot et la paine; | De Tristram qui la chievre fist. Zitiert nach Le roman de Renart, éd. d’après le manuscrit O (f. fr. 12583) par Aurélie Barre, Berlin / New York 2010 (Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie 356), S. 291. Für v. 3 bieten die übrigen Hss. Coment Paris ravi Elaine, vgl. den Apparat ebd. In Dantes »Göttlicher Komödie« werden Paris und Tristan in einem Atemzug unter den Verdammten im zweiten Kreis der Hölle genannt (Inferno, 5,61; Übers. Flasch 2013, S. 29). 416 Wulf-Otto Dreeßen sieht als verbindendes Element zwischen Helena, Isolde und Hilde dagegen die Konstellation der Frau zwischen zwei Männern (hier: Horant und Etene), vgl. Wulf-Otto Dreeßen: Hilde, Isolde, Helena. Zum literarischen Horizont deutscher Juden im 14. / 15. Jahrhundert, in: Jiddische Philologie. Festschrift für Erika Timm, hrsg. von Walter Röll / Simon Neuberg, Tübingen 1999, S. 133-155, hier S. 150. Zu der Stelle auch Walther Röll / Christoph Gerhardt: Zur literarhistorischen Einordnung des sogenannten »Dukus Horant«, in: DVjs 41 (1967), S. 517-528, hier S. 518-521. 417 Zu diesem Begriff siehe oben, S. 85 Anm. 242. 418 Zu diesem Sonderfall einer literarischen Kategorisierung, die über einen intertextuellen Verweis auf eine Figur aus einem Prätext hergestellt wird, Schneider 2000, S. 147f. Man könnte hier an die Poetik des Matthäus von Vendôme denken, wonach der Name einer Figur als ›Stellvertreter einer Gattung‹ (appellativorum vicaria) dient, vgl. »Ars versificatoria«, 1,61 (Faral 1958, S. 132), - auch wenn dort in erster Linie an anthropologische statt an literarische Kategorien gedacht ist. 419 Siehe oben, S. 111. 420 Jannidis 2004a, S. 215. 421 Reuvekamp-Felber 2011, S. 248f. 3.3 Tristans Schönheitspreis Isoldes. Werbung für die Brautwerbung 361 Produkt eines Lektürevorgangs. Wir wissen zwar nicht, welche Bücher damit gemeint sind, 422 aber es wird eindeutig auf einen Text beziehungsweise auf eine Gruppe von Texten verwiesen. Überhaupt nimmt Tristans Schönheitspreis immer wieder darauf Bezug, was anderswo über weibliche Schönheit erzählt wird: daz si alle lobes von wîben sagent, | swaz si mit lobe ze mæren tragent (vv. 8289 f.), daz al diu werlt von schœne saget (v. 8254), als maneger mære machet (v.-8296). Kann man hier an entsprechende literarische Darstellungen, etwa aus dem Bereich der Minnelyrik, denken? In Bezug auf Helena bietet der Text mit dem Verb lesen und der Erwähnung der buoche, die über sie geschriben wurden (vgl. vv. 8264 f.), jedenfalls eindeutige Indikatoren dafür, dass wir es mit einer ›thematisierten Intertextualität‹ zu tun haben, also einer besonders markierten Form der Übernahme fremder Rede. 423 Das verstärkt die Wirkung der literarischen Kategorisierung: »Die Wirksamkeit dieser Kategorisierungsform hängt einerseits davon ab, wie deutlich sich der Rezipient an die Vorlage erinnert, andererseits davon, wie deutlich die Intertextualität im Folgetext markiert ist […].« 424 Zugleich wird hier die Außenindexikalität des abgerufenen Rezipientenwissens zum Ausdruck gebracht: 425 Das Wissen um Helena, ihre Schönheit und deren Folgen im Kontext der Brautwerbung bezieht sich nicht auf die erzählte Welt des »Tristan«, sondern auf einen anderen Text - und damit auf die Welt von Autor und Publikum. 426 Hier wird also noch einmal deutlich artikuliert, was oben bereits dargestellt wurde: Die Wirkung von Tristans laudatio erklärt sich nicht über erzählweltliche, sondern über literarische Gesetzmäßigkeiten. Für Helena bedeutet das: Sie ist keine Figur der erzählten Welt des »Tristan«, sondern stammt aus einem anderen Erzähluniversum. Mit Wolfgang Müller kann man das als Interfiguralität bezeichnen. 427 Hier wird deutlich, dass die Antike bei Gottfried womöglich weniger eine ›heidnische Vorzeit‹ der erzählten Welt darstellt, sondern etwas, von dem man in Büchern lesen kann, das 422 Rezipienten der Zeit um 1200 konnten an das »Liet von Troye« Herborts von Fritzlar, an Benoîts »Roman de Troie« oder verschiedene lateinische Texte wie zum Beispiel Ovids »Heroides« denken. Nimmt man die Aussagen des Romans über Tristans literarische Kenntnisse ernst, kommen innerhalb der erzählten Welt vermutlich vor allem französische und lateinische Quellen infrage, denn beide Sprachen beherrscht der Protagonist offenkundig (vgl. v. 3628). 423 Vgl. Jörg Helbig: Intertextualität und Markierung. Untersuchungen zur Systematik und Funktion der Signalisierung von Intertextualität, Heidelberg 1996 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte. 3. Folge 141), S.-131-135. 424 Schneider 2000, S. 147. 425 Zum Begriff der ›Außenindexikalität‹ siehe oben, S. 87. 426 In Bezug auf moderne Literatur zeigt das Karin Kukkonen: Metalepsis in Popular Culture. An Introduction, in: Metalepsis in Popular Culture, hrsg. von Karin Kukkonen / Sonja Klimek, Berlin / New York 2011 (Narratologia 28), S. 1-21, hier S. 8: »[B]oth Dorothea [die Protagonistin von George Eliots »Middlemarch«] and [Charlotte Brontës] Jane Eyre are iconic characters of Victorian fiction. Simply by mentioning their names alone, this generic and discursive context of the real world is evoked. ›Jane Eyre‹ is obviously a character, no matter whether mentioned in an academic essay or any piece of fiction. This contextual dimension of the characters reminds readers of the real world.« 427 Vgl. Wolfgang G. Müller: Interfigurality. A Study on the Interdependence of Literary Figures, in: Intertextuality, hrsg. von Heinrich F. Plett, Berlin / New York 1991 (Untersuchungen zur Texttheorie 15), S. 101-121. Dabei entspricht der vorliegende Fall keinem der von Müller beschriebenen Phänomene. Am ehesten passt der Fall, in dem Figuren von anderen literarischen Figuren lesen, so dass diese anschließend als »models guiding their own lives and actions« (ebd., S. 116) fungieren - nur, dass hier nicht Isolde selbst, sondern Tristan von Helena gelesen hat. 362 3 Lektüren vor allem im Medium der Literatur existiert. Das spielt auch an anderen Stellen des Romans eine Rolle, zum Beispiel in Bezug auf die Frage nach Venus als gotinne der Minnegrotte. 428 Man kann den Vergleich der beiden Frauenfiguren in Tristans laudatio auch so lesen, dass mit Helena dem Bereich des Literarischen die sinnlich erfahrbare Wirklichkeit der erzählten Welt in Gestalt Isoldes gegenübergestellt wird. So versteht die Stelle offenbar Alois Wolf: »Die Buchautorität, als lesen gekennzeichnet, muß dem weichen, was man sehen kann, was allen sichtbarlich erschienen ist, die irische Isolde.« 429 Damit würde der Text eine Differenz zwischen ›Literatur‹ und ›Wirklichkeit‹ zum Ausdruck bringen, bei der - anders als etwa in Hartmanns »Iwein«-Prolog 430 - die Wirklichkeit als höherwertig eingeschätzt wird, schließlich überstrahlt Isolde als niuwe sunne ja die sunne von Mycêne. Helena erschiene somit als literarische Figur, Isolde dagegen (aus der Perspektive der erzählten Welt) als real existierende Person. Die aemulatio der trojanischen durch die irische Königstochter lässt sich aber auch als Zeugnis eines i n n e rl it e r a r i s c h e n Wettstreits zwischen antiker und mittelalterlicher Literatur verstehen. 431 Manfred Kern führt das folgendermaßen aus: [D]a ist schließlich Tristans Hinweis auf die Bücher, die von Helenas Schönheit berichten. Wenn Helena von der neuen Sonne Isolde überboten wird, dann können wir auch diese alten Bücher vergessen. Sie sind nicht mehr länger von Wert. Der Trojaroman wird vom Tristanroman überboten. Der Vergleich hat somit auch poetologische Bedeutung, er weist mit intertextuellen Mitteln auf die Position, die der Text innerhalb eines Konzerts von Texten einzunehmen behauptet. 432 Wie schon im Literaturexkurs ruft der Roman also eine literarische Tradition auf, um sich selbst darin zu verorten. Diese poetologische Lesart lässt sich auch durch die bildlichen Parallelen zwischen Tristans laudatio und den Ausführungen des Erzählers im Literaturexkurs bekräftigen: Wenn es im Schönheitspreis heißt, die liehte (vv. 8256, 8261, 8285) Isolde sei schön alse arâbesch golt (v. 8262) und ihr Anblick läutere demjenigen, der sie anschaue, das Herz und die Gesinnung wie die Glut das Gold (vv. 8291f.: dem liutert’z herze unde muot, | reht als diu gluot dem golde tuot), dann erinnert das auffällig an den Wunsch des Erzählers, seine Worte in einem liehten tegel (v. 4890) läutern zu lassen, auf dass sie schön werden als golt von Arâbe (v. 4895). 433 Auf der Aussageebene lassen sich die beiden Stellen nicht parallelisieren: Einmal ist von der Glut als Wirkursache des Schmelzprozesses die Rede (Isolde und ihre Schönheit), einmal von dessen Gegenstand (den Worten des Erzählers). In ihrer Bedeutung bleibt die Verbindung der beiden Stellen deshalb diffus, aber sie ist zu eindeutig, um sie zu überhören. 434 428 Siehe oben, S. 242f. 429 Wolf 2000, S. 91. Auch Sziráky meint, im Schönheitspreis »werden die literarischen Kenntnisse, wird das Gelesene durch die unmittelbare visuelle Erfahrung abgelehnt (8263-71).« (Sziráky 2003, S. 311) Einschränkend wäre in Bezug auf Wolf darauf zu hinzuweisen, dass ja nur Tristan Isolde tatsächlich gesehen hat. Die Wirkung, die Isolde auf den Hof von Cornwall ausübt, ist dagegen eine durch Tristans laudatio-literarisch vermittelte. 430 Dazu oben, S. 104 und Anm. 357. 431 Von einer »literarische[n] Typologie« spricht Kern 1998, S. 172. 432 Kern 2000, S. 11. Zustimmend Haug / Scholz, Bd. 2, S. 470. Eine ›Poetologisierung‹ erkennt in Bezug auf Tristans laudatio auch Young 2002, S. 270. 433 Auch im Literaturexkurs geht es dabei um die typologische Überbietung der Antike in Gestalt des Êlicônes (vgl. v. 4863) durch den wâren Êlîcon (vgl. v. 4897). Zur Deutung dieser Überbietung siehe oben, S. 228 Anm. 535. 434 Zur Verbindung der beiden Stellen, allerdings im Kontext einer anderen Deutung, Wolf 2000, S. 96. 3.3 Tristans Schönheitspreis Isoldes. Werbung für die Brautwerbung 363 Für die literarische Deutung der Darstellung Isoldes in der laudatio spricht weiterhin die Tatsache, dass Tristans Schönheitspreis - wie eingangs bereits erwähnt - selbst die Form eines Kunstwerks besitzt. 435 Das zeigt sich neben der starken rhetorischen Stilisierung 436 vor allem in der immer wieder hervorgehobenen Nähe der laudatio zum Frauenpreis im Minnesang. 437 Isolde erscheint daher in Tristans Beschreibung geradezu als »Kunstobjekt« 438 , als eine Figur, von der man wie von Helena liest oder hört. 439 Insofern unterscheidet sich Isolde von den anderen Figuren der vorliegenden Episode. Während sich Marke, seine Vasallen und Tristan alle mehr oder weniger vom Erzählschema der gefährlichen Brautwerbung emanzipieren und ihre eigenen Interessen verfolgen, bleibt sie auf die Aktantenrolle der ›schwer erringbaren Königstochter‹ festgelegt. Isolde kommt dabei keinerlei Handlungsmacht zu (und sie tritt im besprochenen Textausschnitt ja auch gar nicht als handelnde Akteurin auf), während die anderen Figuren im Rahmen ihrer jeweiligen Absichten mit Isoldes Handlungsrolle kalkulieren. 440 Seinen Ausgangspunkt nimmt dieser Vorgang bei Tristan: In seiner laudatio konstruiert er sich Isolde gewissermaßen als diejenige, in die er sich (gemäß den Implikationen des Gesetzes ›der Beste bekommt die Schönste‹) später verlieben wird. 441 Dabei tritt Tristan in der vorliegenden Szene wieder einmal in seiner Rolle als ›Künstler‹ auf, 442 der sich in besonderer Weise durch die Verfügung über literarische Muster auszeichnet. Das Außergewöhnliche am expliziten intertextuellen Verweis auf Helena besteht in der Tatsache, dass er nicht vom Erzähler stammt, sondern der Figur in den Mund gelegt wird. Als ›lesender Held‹ 443 verfügt Tristan über außergewöhnliche mythographische Kennt- 435 Von »Literatur in Literatur« spricht Kern 1998, S. 170. 436 Vgl. Voß 1989, S. 325. Eines »der rhetorischen Meisterstücke des Romans« nennt die Stelle auch Kern 2000, S. 9. Schindele beschreibt das folgendermaßen: »Wie eine kostbar ornamentierte Einlegearbeit - mit Gold und Edelsteinen vergleicht Gottfried in der Literaturstelle die eigene Dichtung - wirkt diese Preisrede inmitten des sprachlich verhältnismäßig schlicht gehaltenen Kontextes. Es scheint, als wollte der ›wîse meister Gotfrit‹ alle Kunst und Gelehrsamkeit aufbieten, um jedwedes Frauenlob in deutscher Zunge vor ihm zu überbieten […].« (Schindele 1971, S. 46f.) 437 Vgl. Furstner 1957, S. 27f.; Schindele 1971, S. 47f.; Peter Kern 1988, S. 209; Manfred Kern 1998, S. 167; 2000, S. 7f.; Young 2002, S. 265f.; Schulz 2017, S. 63. Es handle sich geradezu um ein »Minnelied im Roman« (Kern 2000, S.-7). Einen Hinweis darauf bietet unter anderem Tristans Beteuerung, durch die Schönheit Isoldes werde keine andere Frau herabgesetzt (vv. 8294-8230), die eine entsprechende Norm des Frauenpreises im Minnesang reflektiert. Nickel sieht darin eine Anspielung auf die Diskussion dieser Norm zwischen Reinmar dem Alten, Wolfram von Eschenbach und Walther von der Vogelweide (›Reinmar- Walther-Fehde‹), vgl. Nickel 1927, S. 6 und Anm. 2. 438 Voß 1989, S. 325. 439 Vgl. Kern 1998, 173: »Von nun an werden die Bücher, wird die Literatur von Isolde sprechen, auch das scheint Tristan sagen zu wollen.« 440 Dem entspricht Uttenreuthers gendertheoretische Beobachtung, Tristans Schönheitspreis diene einer Strategie, aus Isolde »im Einklang mit ihrer feudal-politischen Bestimmung« ein Objekt zu machen, das von Männern erworben und weggegeben werden könne, vgl. Uttenreuther 2009, S. 180. 441 Diese Deutung gewinnt an Überzeugungskraft, wenn man den ›Kurzschluss‹ zwischen Werber und Braut, von dem im »Tristan« erzählt wird, mit Stock 2019 nicht als sekundären Bruch, sondern als dem Schema immer schon inhärente Option versteht. Im vorliegenden Kontext kann man außerdem daran denken, dass auch in der Trojageschichte erzählt wird, wie der Protagonist einem König seine Frau abspenstig macht. - Rückhalt findet diese Überlegung auch in der Beobachtung, dass der Erzähler Isolde in der folgenden Episode in wörtlicher Übereinstimmung mit Tristans laudatio mehrfach als (liehte) sunne (vgl. vv. 9546, 10887, 11006, 11022) und liehte maget (vgl. v. 10889) bezeichnet. 442 Vgl. Kern 1988, S. 209; zustimmend Flecken-Büttner 2011, S. 70. 443 Vgl. zu dem Ausdruck Müller 1991, S. 116 (›reading protagonist‹). 364 3 Lektüren nisse, die eigentlich Autor und Publikum vorbehalten sein sollten, da sie sich nicht auf die erzählte Welt, sondern auf einen anderen Text beziehen. Wieder einmal werden literarische Wissensbestände auf die Figurenebene delegiert. Als ›Künstler‹ bringt Tristan ein narratives Muster in den Text ein, das dazu beiträgt, die Erzählung zu generieren. Spätestens mit der Tötung eines Drachen als der heroischen Tat par excellence 444 erweist sich Tristan im Rahmen der eigentlichen Brautwerbung dann wie bereits mit der Ermordung Morolts wiederum als kriegerischer Held und exorbitanter Heilsbringer. In welcher Beziehung die beiden Rollen von ›Künstler‹ und ›Krieger‹ im »Tristan« stehen, soll im folgenden Kapitel untersucht werden. 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 445 Schauen wir auf den Illustrationszyklus der Kölner »Tristan«-Handschrift B (1323), die Gottfrieds Roman von der Geburt des Helden bis zu seinem Tod bebildert, so begegnen uns ›künstlerische‹ Szenen - etwa Tristans Harfenspiel vor Marke (Abb. 5) 446 - neben ›kriegerischen‹ 444 Zum Kampf mit dem Drachen als der »Heldentat schlechthin und […] Kulminationspunkt in der fiktionalen Biographie zahlreicher Heroenfiguren aus der germanischen, klassisch-antiken und vorderasiatischen Erzähltradition« Matthias Teichert: Der monströse Heros oder Wenn der ungeheure Held zum Ungeheuer wird. Zur Rezeptionsgeschichte des Figuren-Typus ›Drachenkämpfer‹ in der altnordischen und altenglischen Literatur, in: Narration and Hero. Recounting the Deeds of Heroes in Literature and Art of the Early Medieval Period, hrsg. von Victor Millet / Heike Sahm, Berlin / Boston 2014 (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 87), S. 143-173, Zitat S. 146. Siehe auch Jan de Vries: Heldenlied und Heldensage, Bern / München 1961 (Sammlung Dalp 78), S. 288: »Eine der üblichsten Heldentaten ist der Kampf mit einem Drachen.« Weiterhin Uttenreuther 2009, S. 133, 270: »das heroische Motiv schlechthin«. 445 Ich bezeichne die beiden ›Teilidentitäten‹ (Sosna 2003, S. 246 und Anm. 43) des Protagonisten im Anschluss an den überwiegenden Teil der Forschung einerseits als ›Künstler‹, andererseits als ›Krieger‹ beziehungsweise ›Heros‹. Der Ausdruck ›Künstler‹ ist dabei im Sinne von mhd. kunst bzw. lat. ars zu verstehen und umfasst neben den musischen vor allem auch die intellektuellen Fähigkeiten der Figur, die bei Gottfried besonders profiliert werden (siehe unten). Dabei bin ich mir der problematischen Implikationen bewusst, die gerade der Begriff des Künstlers mit sich bringt, wenn man hier im Sinne eines modernen Verständnisses von Künstlertum an einen autonomen genialen Schöpfer denkt. Vgl. dazu etwa Gabriele Feulner: Mythos Künstler. Konstruktionen und- Destruktionen in der deutschsprachigen- Prosa des 20.- Jahrhunderts, Berlin 2010 (Philologische Studien und Quellen 222), S. 11-40, zur Vorgeschichte des Begriffs bes. S. 11-14. Im vorliegenden Zusammenhang auch Brunner 2018 [2011], S. 41f. Wie groß allerdings die Gefahr terminologischer Unklarheit wird, wenn man von etablierten Bezeichnungen abweicht, demonstrieren die beiden neueren Arbeiten von Anette Sosna und Monika Uttenreuther, die sehr unterschiedlich mit demselben Begriff operieren: Während Sosna zwischen ›Künstler‹ und ›Ritter‹ unterscheidet, differenziert Uttenreuther zwischen ›Ritter‹ und ›Heros‹; in einem Fall steht der Begriff des ›Ritters‹ also für die kriegerisch-agonalen Aspekte der Figur in Abgrenzung zu ihren »musische[n], verbal-rhetorische[n] und intellektuelle[n] Identitätsfaktoren« (Sosna 2003, S. 246 Anm. 43), im anderen Fall für die höfischen Aspekte, darunter auch der »artistisch-intellektuelle[- ] Zug der Tristanfigur«, in Abgrenzung zu einem »kriegerisch-heroischen Männlichkeitsideal[-]« (Uttenreuther 2009, S. 149, 123). 446 Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7020 (W*) 88, Bl. 47; weiterhin Bl. 164: Tristan reitet mit Isolde von Gandin weg. Hier scheint gegen den Text Gandin mit einer Harfe abgebildet zu sein; ich gehe jedoch davon aus, dass die Harfe vor allem den grundsätzlich ›künstlerischen‹ Charakter der Auseinandersetzung illustrieren soll. Dass die Gandin-Episode überhaupt aufgenommen wurde (und nicht etwa die sehr viel populärere Baumgartenepisode), deutet darauf hin, dass der Illustrator bemüht war, Tristans 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 365 - etwa dem Kampf mit Morolt (Abb. 6). 447 In der jüngeren Lauber-Handschrift R (1447-1449) wechseln ebenfalls zwei Tristanbilder einander ab, gekennzeichnet einerseits durch höfi sche Kleidung, andererseits durch Rüstung und Waff en. 448 Auch im Text selbst scheint Tristan in unterschiedlichen, sich zum Teil widersprechenden Rollen aufzutreten und sowohl als ›Künstler‹ als auch als ›Krieger‹ zu agieren. Diese ›Doppelexistenz‹ des Protagonisten zwischen ›Harfe‹ und ›Schwert‹ 449 hat die Forschung stark beschäft igt. 450 Abb. 5: Tristan harft vor Marke Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7020 (W*) 88, Bl. 47 (Detail) Abb. 6: Tristan erschlägt Morolt Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7020 (W*) 88, Bl. 89 (Detail) ›künstlerischer‹ Identität Ausdruck zu verleihen. - Zum Illustrationszyklus der Kölner Handschrift Elke Brüggen / Hans-Joachim Ziegeler: Tristan am ›Niederrhein‹. Die »Tristan«-Handschrift W* kl.F°88 des Historischen Archivs der Stadt Köln, in: Schnitt punkte deutsch-niederländischer Literaturbeziehungen im späten-Mitt elalter, hrsg. von Urban Küsters u. a., Münster u. a. 2003 (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 5), S. 237-267, hier S. 246-260, bes. S. 259f.; Elke Brüggen / Hans-Joachim Ziegeler: Textual-Worlds - Pictural-Worlds. Interpreting the Tristan-Story in-Illuminated Manuscripts, in: Visuality and Materiality in the Story of Tristan and- Isolde, hrsg. von Ann Marie Rasmussen / Kathryn Starkey, Notre Dame (Indiana) 2012, S. 223-268, hier S. 241f. 447 Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7020 (W*) 88, Bl. 89; weiterhin Bl. 112: Tristans Kampf mit dem Drachen; Bl. 197: Tristans Kampf mit Urgan. 448 Brüssel, Königliche Bibliothek, ms. 14697: Für Tristan als ›Künstler‹ etwa fol. 70 r : Tristan spielt Schach; fol.- 82 r : Tristan entbästet den Hirsch; fol. 99 v : Tristan harft vor Marke; für Tristan als ›Krieger‹ etwa fol. 147 v : Morgan wird erschlagen; fol. 179 r : Tristan reitet zum Kampf mit Morolt; fol. 238 v : Tristan tötet den Drachen. Zum Illustrationszyklus, den Text-Bild-Bezügen und dem Bezug auf bekannte ikonographische Muster Lieselott e E. Saurma-Jeltsch: Der Brüsseler »Tristan«: ein mitt elalterliches Haus- und Sachbuch, in: Tristan und Isolt im Spätmitt elalter. Vorträge eines interdisziplinären Symposiums vom 3. bis 8. Juni 1996 an der Justus-Liebig-Universität Gießen, hrsg. von Xenja von Ertzdorff unter redaktioneller Mitarbeit von Rudolf Schulz, Amsterdam 1999 (Chloe 29), S. 247-301; zu den traditionellen Bildtypen auch Brüggen / Ziegeler 2012, S. 259-261. 449 Vgl. den Titel von Kästner 1981. 450 Vgl. neben Sosnas identitätsgeschichtlicher Untersuchung (Sosna 2003, S. 219-287) in letzter Zeit vor allem die gendertheoretische Arbeit von Utt enreuther 2009, S. 106f., 117-119, 127 f., 136 f, 269 f. Im Anschluss daran spricht auch Albrecht Classen in seiner Rezension von einer »Aufspaltung Tristans in zwei Persönlichkeiten, eine, die sich durch das Kämpferische auszeichnet, eine andere, die sich durch Kunst und Liebe bestimmt« (Mediaevistik 24 (2011), S. 565-567, hier S. 566). Jetzt außerdem Dillig 2019, S. 147- 168. Einen Überblick über die ältere Forschung bietet Dietz 1974, S. 80-88. 366 3 Lektüren 3.4.1 ›Künstler‹ und ›Krieger‹ in der höfischen Kultur des Mittelalters Das Interesse der Forschung ist wohl zum Teil auch darin begründet, dass man nach der gängigen Auffassung der älteren Sozialgeschichtsforschung den Eindruck gewinnen könnte, dass die beiden Rollen der Figur mit zwei konkurrierenden Lebensformen in der höfischen Gesellschaft des Mittelalters korrespondieren: 451 Dem ›Künstler‹ entspricht danach der gebildete Geistliche, der sich wie Tristan durch die Verfügung über Schrift und Literatur auszeichnet, 452 dem ›Krieger‹ entspricht der weltliche Adlige, der sich in erster Linie als Angehöriger einer waffentragenden Kriegerkaste definiert. 453 Mit den Lebensformen von clericus und miles gehen 451 Eine sozialgeschichtliche Deutung favorisiert etwa Jaeger, wenn er Tristans ›Doppelexistenz‹ als Abbild der realen gesellschaftlichen Situation am mittelalterlichen Hof versteht, vgl. Jaeger 1984, S. 62: »[T]he amalgam of knight and cleric produced a new type not only in the fiction of court life, but also - and above all - in the reality of it. […] The hero of the Tristan romance, as Thomas of Brittany conceived him and Gottfried perfected him, is a reflection first and foremost of this social phenomenon, the courtier […].« Schon zuvor nennt er ausdrücklich »the social setting as the focus of interpretation« (ebd., S. 54). Dazu ebenfalls C. Stephen Jaeger: The Origins of Courtliness. Civilizing Trends and the Formation of Courtly Ideals 939-1210, Philadelphia 1985, S.- 104f., 106. Auch Kästners maßgebliche Arbeit zu Tristan als Spielmann untersucht den Roman »in Zusammenhang mit der Entwicklung der ›Kunstszene‹ in der mittelalterlichen Lebensrealität um 1200« (Kästner 1981, S. 2). 452 In der älteren Forschung wurde Tristans ›Künstlertum‹ vor allem mit der Rolle des höfischen Spielmanns in Verbindung gebracht. Als ›Kleriker‹ beschreibt Tristan dagegen zum Beispiel Jaeger 1984. Die grundsätzliche Bedeutung der Kleriker für den volkssprachigen Literaturbetrieb im Mittelalter wurde noch einmal nachdrücklich von Timo Reuvekamp-Felber hervorgehoben, vgl. Reuvekamp-Felber 2003, S. 102-172. Dazu bereits Jaeger 1985, S. 233-235, 242 f. u. ö.; Fleckenstein 1990, S. 315-318. Schon Kästner hat die Nähe von Hofgeistlichen und höfischen Spielleuten betont, vgl. Kästner 1981, S. 25-27, 38 f. Marija Javor Briški weist darauf hin, dass auch die Musik als Teil des Quadriviums zur gelehrten Bildung gehörte, vgl. Marija Javor Briški: Die Bildung in Gottfrieds »Tristan«. Bemerkungen zu ihrer epischen und symbolischen Funktion, in: Acta neophilologica 29 (1996), S. 13-25, hier S. 15. - In der erzählten Welt des Romans wird die Rolle des ›künstlerischen‹ Geistlichen durch den pfaffen repräsentiert, der Tristan als Isoldes Hauslehrer vorausgeht. Von ihm heißt es, dass er nicht nur list unde kunst genuoge (v. 7701) sowie vremeder sprâche vil (v. 7704) beherrsche, sondern auch an iegelîchem seitspil (v. 7703) große Geschicklichkeit besitze. Für Lutz steht er für »die Rolle des Hofklerikers« (Lutz 2002, S. 296). Jaeger geht sogar davon aus, dass er »probably comes close to representing the station and office of the poet himself.« ( Jaeger 1985, S. 220) Dass Gottfried die Figur gegenüber Thomas neu eingeführt hat, zeigt der Befund der »Tristramssaga« (Kap. 30; Ausg. Kölbing 1878, S. 37f.), vgl. den Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 450. Ebenso »Sir Tristrem«, Str. 110-115 (Ausg. Kölbing 1882, S. 34-36). 453 Vgl. grundlegend Elias 2 1969, Bd. 1, S. 269f.: »Der Krieger des Mittelalters liebte den Kampf nicht nur, er lebte darin. Er verbrachte seine Jugend damit, sich auf Kämpfe vorzubereiten. Wenn er mündig war, schlug man ihn zum Ritter, und er führte so lange Krieg, als es seine Kräfte nur irgend erlaubten, bis ins Greisenalter hinein. Sein Leben hatte keine andere Funktion.« Das gelte noch für die adligen Mitglieder der höfischen Kultur: »[A]uch der courtoise Ritter ist in erster Reihe noch ein Krieger und sein Leben eine kaum abreißende Kette von Kriegen, Fehden und Gewalttaten.« (ebd., Bd. 2, S. 355) Ähnlich die populäre Darstellung von Arno Borst: Lebensformen im- Mittelalter, Frankfurt a. M. u. a. 1979, S. 433-436. Dass Kampf und Gewalt auch im Rittertum der höfischen Literatur eine zentrale Rolle spielen, hebt Will Hasty (zum Teil in Anschluss an Elias) hervor, vgl. Will Hasty: Das prîset in, und sleht er mich. Knighthood and Gewalt in the Arthurian Works of Hartmann von Aue und Wolfram von Eschenbach, in: Monatshefte für deutschsprachige Literatur und Kultur 86 (1994), S.-7-21, etwa S. 7: »Certainly, a good part of knighthood involves courteous forms of interaction. Nevertheless, knighthood is attached in its most basic form to values, priorities, and interests of an essentially military nature.« Gerade der in der Literatur zu beobachtende positive Zusammenhang von gewalt und êre »reveals the historical values and priorities of an audience with a basically military form of self-understanding« (ebd., S.-9). Auch Fleckenstein beschreibt die beiden Rollen am mittelalterlichen Hof trotz aller Differenzierung in diesen Sinne: Die gesellschaftlichen Gruppen seien »in ihrer Lebenswirklichkeit weit voneinander geschieden«, es »erfüllt sich das 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 367 dabei auch zwei Bildungswelten einher, die man sich nach der einflussreichen Darstellung Herbert Grundmanns kaum gegensätzlicher vorstellen kann: Die Kleriker seien als litterati umfassend lateinisch gebildet, während die adligen Laien in der Regel nicht einmal lesen und schreiben können. 454 Deshalb hat Volker Mertens in Bezug auf die Autor-Figur Hartmanns von Aue, die sich im »Iwein« und im »Armen Heinrich« als miles litteratus stilisiert (vgl. »Iwein«, v. 21: ein rîter, der gelêrt was) 455 , von einem »Teilhaber zweier Welten« gesprochen: »der laikalen Kriegergesellschaft und der klerikalen Gelehrtengesellschaft.« 456 Die strikte Trennung der beiden Welten von Kriegern und Gelehrten wird auch in zeitgenössischen Quellen reflektiert. Ein Beispiel, auf das in diesem Zusammenhang Joachim Bumke hingewiesen hat, bietet die Lebensbeschreibung des Abtes Dietrich von Saint-Hubert-en-Ardennes, die kurz nach dessen Tod im Jahr 1086 verfasst wurde. Wie hier erzählt wird, will Dietrichs adliger Vater, dass sein Sohn zu dem wird, was er selbst ist, nämlich ein ›weltlicher Krieger‹ (miles terrenus). Als er herausfindet, dass die Mutter des Jungen diesen heimlich mit Buchgelehrsamkeit (litteræ) in Berührung gebracht hat, wird er deshalb außerordentlich wütend, lässt den Sohn unter Aufsicht stellen und verbietet seiner Frau bei strenger Strafe, ihm weiteren Unterricht zukommen zu lassen. 457 Gelehrsamkeit und Kriegertum scheinen einander auszuschließen. Leben der milites in Kampf und Spiel, das der clerici in Gottesdienst und Literatur« ( Josef Fleckenstein: Miles und clericus am Königs- und Fürstenhof. Bemerkungen zu den Voraussetzungen, zur Entstehung und zur Trägerschaft der höfisch-ritterlichen Kultur, in: Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfischritterlichen Kultur, hrsg. von Josef Fleckenstein, Göttingen 1990, S. 302-325, hier S. 302). Weiterhin noch Joachim Ehlers: Die- Ritter. Geschichte und Kultur, München 2006, S. 13: »[K]ein moderner Betrachter wird das Verhalten dieser Menschen und damit sie selbst begreifen, der die Gewalt, den Kampf und den Krieg zugunsten anderer Aspekte ihrer Kulturgeschichte vernachlässigt.« Schließlich auch Karl-Heinz Göttert: Die-Ritter, Stuttgart 2011, S. 150 (in Bezug auf die Gewaltdarstellung in der höfischen Epik): »Ein Ritter i s t ein Krieger, zu seinem Rittertum gehört die Teilnahme an dieser Art von Kämpfen, gehören die Grausamkeiten, die jeder aus der Realität zur Genüge kannte.« Zum Zusammenhang von Adel und Gewalt außerdem Manuel Braun / Cornelia Herberichs: Gewalt im- Mittelalter: - Überlegungen zu ihrer Erforschung, in: Gewalt im Mittelalter. Realitäten - Imaginationen, hrsg. von Manuel Braun / Cornelia Herberichs, München 2005, S. 7-37, hier S. 26f., 31f. 454 Vgl. Herbert Grundmann: Litteratus - illiteratus. Der Wandel einer Bildungsnorm vom Altertum zum Mittelalter, in: Archiv für Kulturgeschichte 40 (1958), S. 1-65, etwa S. 13f.: »[D]ie Begriffe litteratus und illiteratus unterscheiden im Mittelalter nicht verschiedene Bildungsgrade, sondern verschiedene Bildungsweisen, ja Bildungswelten, die zugleich mit- und nebeneinander bestehen […]. Diese beiden Bildungsformen und -traditionen verteilen sich - von gewissen Überschneidungen und Ausnahmen abgesehen - auf verschiedene Stände: lateinkundige litterati sind im allgemeinen nur die Kleriker und Mönche, die Männer der Kirche und des Klosters […]. Illiterati, schrift- und lateinunkundig sind im allgemeinen die Laien aller Gesellschaftsschichten«. Dazu auch Fleckenstein 1990, S. 310; Sabine Krüger: ›Verhöflichter-Krieger‹ und miles illiteratus, in: Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur, hrsg. von Josef Fleckenstein, Göttingen 1990, S. 326-349, hier S. 327-329; Green 1994b. 455 Ausg. Mertens 2004, S. 318. 456 Vgl. den Kommentar ebd., S. 902 (in Bezug auf die entsprechende Stelle im »Armen Heinrich«, v. 1). Dazu im vorliegenden Zusammenhang auch Michael Curschmann: Hören - Lesen - Sehen. Buch und Schriftlichkeit im Selbstverständnis der volkssprachlichen literarischen Kultur Deutschlands um 1200, in: PBB 106 (1984), S.-218-257, hier S. 229-231. 457 Vgl. »Vita Theoderici abbatis Andaginensis«, Kap. 4: et cum iam fere septennis esset, patre eius inscio, qui eum, quod ipse erat, fieri terrenum militem et rerum suarum disponebat heredem, mater visionis suae non immemor, primis eum litteram dedit imbuendum elementis […] Sed omnium bonorum inimicus […] patrem […] contra uxoris suae bonum propositum inflammavit. Qui filium suum a litteris abstractum domi servari iussit, interminatus uxori gravia, si posthac eum praesumeret tradere his disciplinis. Zitiert nach Vita Theoderici abbatis Andaginensis, ed. Wilhelm Wattenbach, in: MGH. Scriptores 12 (1856), S. 36-57, hier 368 3 Lektüren Obwohl dieser Gegensatz auch in neueren Überblicksdarstellungen noch zum Ausdruck gebracht wird, 458 mehren sich in der eher kulturals sozialgeschichtlich ausgerichteten Forschung seit längerem die Zweifel an einer strikten Trennung der gesellschaftlichen Gruppen. 459 Die Einwände betreffen zunächst die Tatsache, dass der Bildungsgegensatz von Laien und Klerikern womöglich nicht so groß war, wie es Grundmann angenommen hatte, und Schriftlichkeit im Laienadel eine größere Rolle spielte, als es in seiner Darstellung den Anschein hat. 460 Dass die adligen Laien zumindest aktiv am volkssprachigen Literaturbetrieb beteiligt waren, zeigt nicht zuletzt das prominente Beispiel des Codex Manesse: Wenn hier die adligen Minnesänger in ihren Autorbildern zum Teil gerade in ihrer Rolle als ›Krieger‹ inszeniert werden, 461 widerspricht das der Annahme eines Gegensatzes von Kunst und Gewalt - zumindest S. 39, Z. 10-17. Etwa: ›Und als er schon etwa sieben Jahre alt war, ließ ihn seine Mutter, ihre Vision nicht vergessend, in den Anfangsgründen der Wissenschaft unterrichten, (allerdings) ohne das Wissen seines Vaters, der ihn dazu bestimmt hatte, zu werden, was er selbst war, (nämlich) ein weltlicher Krieger, und (außerdem) der Erbe über seinen Besitz. […]. Aber der Feind alles Guten entflammte den Vater in Zorn gegen den guten Vorsatz seiner Frau. Er befahl, seinen Sohn von den Studien zu entfernen und zuhause unter Aufsicht zu stellen, und drohte seiner Frau mit strenger Strafe, wenn sie es künftig wagen sollte, ihn dem Unterricht zu übergeben.‹ Vgl. dazu Bumke 6 1992a, S. 602f., der die Stelle als Beleg dafür nimmt, »[w]ie gelehrte Bildung vom Laienadel bewertet wurde« (S. 602). Schon Wilhelm Wattenbach dachte womöglich auch an die (von ihm herausgegebene) Vita Dietrichs, als er davon sprach, »[d]ie Heiligenlegenden« zeigten »zur Genüge, dass in der Regel der Entschluss, den Sohn lesen und, was identisch war, Latein lernen zu lassen, ihn zugleich zum geistlichen Stande bestimmte.« (Wilhelm Wattenbach: Deutschlands-Geschichtsquellen im-Mittelalter bis zur Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, Berlin 1858, S. 218f.) 458 Vgl. etwa Grundmann paraphrasierend Ursula Rautenberg: Soziokulturelle-Voraussetzungen und-Sprachraum des Mittelhochdeutschen, in: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung,-Teilbd. 2, hrsg. von Werner Besch u. a., 2. vollständig neu bearb. und erw. Aufl., Berlin / New York 2000 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2 / 2), S. 1294-1304, hier S.-1298: »Die Begriffe ›litteratus‹ und ›illiteratus‹ unterscheiden weniger Bildungsgrade als vielmehr Bildungswelten. Neben der lat. Schriftkultur der Geistlichen stehen gewohnheitsmäßig funktionierende Lebens- und Erziehungsformen einer illiteraten Oberschicht, die die militärische Führung ausübt.« Gesine Lübben betont zwar die »zahlreichen Zwischenstufen«, die gerade in der ›Zwischenkultur‹ (Hugo Kuhn) der volkssprachigen Literatur existierten, hält aber grundsätzlich an Grundmanns Unterscheidung fest, vgl. Gesine Lübben: Exkurs: - Mündlichkeit - Schriftlichkeit, in: Einführung in die Literaturwissenschaft, hrsg. von Miltos Pechlivanos u. a., Stuttgart / Weimar 1995, S. 23-26, hier S. 23: »Die Träger der jeweiligen Kultur unterscheiden sich nicht nur durch ihre Fähigkeit, (Latein) lesen und schreiben zu können bzw. nicht zu können, sondern auch durch ihren Stand: es sind Kleriker, die der Schrift mächtig sind (litterati) und es sind Laien, die Analphabeten sind (illiterati) (vgl. Grundmann 1958) […]. Insbesondere im Bereich der literarischen Artikulation spielt die ständische Identität mit ihrer Bindung an den schriftlichen oder mündlichen Kulturtypus als Element der Abgrenzung und Selbstdefinition eine entscheidende Rolle.« 459 Vgl. Schausten 1999, S. 99f. 460 Vgl. Ulrich Ernst: Formen der Schriftlichkeit im höfischen-Roman des hohen und späten-Mittelalters, in: Frühmittelalterliche Studien 31 (1997), S. 252-369. Das gilt besonders im Bereich der Literatur, wo immer wieder Figuren auftreten, die wie Tristan als schriftkundige adlige Laien inszeniert werden. Dazu auch Reuvekamp-Felber 2003, S. 250: »Die fortwährende Betonung der Gelehrtheit ritterlicher Protagonisten führt in den Epen zur Destruktion altbewährter Muster der Wirklichkeitserfassung: Das traditionelle Schema laicus illiteratus versus clericus litteratus verschwimmt, die Bildungsgrenzen werden durchlässig.« Zur Frage der adligen Bildung aus historischer Perspektive Krüger 1990. 461 Siehe etwa Graf Heinrich von Anhalt (gest. 1252) im Turnier (Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 848, fol. 17 r ), Herzog Johann von Brabant (gest. 1294) in der Schlacht bei Worringen (fol.-18 r ), Graf Friedrich von Leiningen (gest. nach 1237) auf dem Kreuzzug (fol. 26 r ) sowie Graf Albrecht von Haigerloch (gest. 1298) sterbend im Kampf vor seiner Burg Leinstetten (fol. 42 r ). Ingo F. Walther beobachtet bei diesen Darstellungen eine Bezugnahme auf die ikonographische Tradition ›heroischer‹ Kampfdarstellungen etwa 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 369 in einem Bereich wie der Lyrik, wo Kunst nicht an Schriftlichkeit gebunden ist. 462 Überhaupt hat man darauf hingewiesen, dass gerade die höfische Gesellschaft der Zeit um 1200 »von einem komplexen Miteinander klerikaler und weltlicher Eliten« bestimmt gewesen sei, »die gemeinsam die Hofkultur des 12. J[ahrhundert]s und die in ihrem Rahmen entstehende Literatur formen und prägen.« 463 Ausgehend von solchen Einwänden liegt es nahe, weniger nach aus dem Bereich der Heldenepik, vgl. Walther (Hrsg.) 5 1992, S. 18: »Für seine Kampf- und Turnierszenen konnte der Maler sich an den bebilderten Epenhandschriften seiner Zeit orientieren. Eine stilistisch und von den Motiven her enge Verbindung besteht zur Münchner »Willehalm«-Handschrift des Rudolf von Ems […].« Zur Bedeutung der Darstellung kriegerischer Szenen im Codex Manesse auch ebd., S. IX, XVIIIf. und 26. 462 Die Doppelfunktion der adligen Dilettanten wird im Kontext des Frauendienstes ebenfalls in der »Rheinfränkischen Marien Himmelfahrt« (1258 / 1269) zum Ausdruck gebracht, wo von den- lip […] gewagen inturnei und gesingen nvwen rei die Rede ist (vv. 1735-1737). Zitiert nach Marien himmelfahrt, hrsg. von Karl Weigand, in: Zeitschrift für deutsches Althertum 5 (1845), S. 515-564, hier S. 561. Auch von Guillaume le Maréchal (gest. 1219), auf den Ehlers als Vorbild der Ritterschaft verweist, wird in seiner Lebensbeschreibung - entgegen der Behauptung, er habe sich nie an solchen literarischen Tätigkeiten beteiligt (Ehlers 2006, S. 55) - berichtet, wie er im Rahmen eines Turniers in Anwesenheit einiger Damen mit süßer Stimme ein Lied vorträgt, vgl. »Histoire de Guillaume le Maréchal« (vor 1227), vv. 3475-3481: Alcun demande: »Qui sera | Si corteis qu’il nos chantera? « | Li Marischals, qui bien chantout | E qui de riens ne se vantout, | Lors commensa une chansun, | O simple voiz et o doz son; | Molt lor plout a toz cels qu’i erent. ›One man asked: »Who will be kind enough to sing for us? « The Marshal, who had a good voice but who in no way boasted about it, then began to sing a song, in a pure, sweet tone. He gave much pleasure to those present.‹ Zitat und Übersetzung nach History of William Marshal, ed. by Anthony J. Holden, with English transl. by Stewart Gregory and historical notes by David Crouch, Bd. 1, London 2002 (Anglo- Norman Text Society. Occasional Publications Series 4), S. 176f. In beiden Fällen ist die Kunstausübung ebenfalls auf den Bereich der Mündlichkeit (singen, chanter) beschränkt. - Dass für den mittelalterlichen Adel überhaupt keine Trennung zwischen Kampf und Kunst bestanden habe, glaubt Joan-Lluís Marfany: Debate: -The Invention of Leisure in-Early Modern-Europe, in: Past & Present 156 (1997), S. 174-191, hier S. 176: »In practice, however, war appears to have been regarded as no different from hunting, dancing, jousting, singing, and all the other pursuits making up the leisured lifestyle which alone befitted the nobleman. […] [M]aking war, raiding rival lord’s lands, kidnapping maids and married women, hunting, carousing, and composing songs: it is all fun.« Marfany steht damit, ohne das explizit zu machen, deutlich in der Tradition von Elias, von dem die Aussage ihrem Wortlaut nach stammen könnte, vgl. etwa Elias 2 1969, Bd. 1, S. 266. 463 Martina Backes: [Rezension] Timo-Reuvekamp-Felber: Volkssprache zwischen-Stift und-Hof.-Hofgeistliche in-Literatur und-Gesellschaft des 12. und 13.-Jahrhunderts, Köln u. a. 2003 (Kölner-Germanistische-Studien.-N.F. 4), in: ZfdA 135 (2006), S. 247-250, hier S. 247. Dazu auch Dennis Howard Green: Medieval-Listening and-Reading. The Primary Reception of German-Literature 800-1300, Cambridge u. a. 1994, S. 314f.; Fleckenstein 1990, S. 311, sowie grundlegend Jaeger 1985. Auch die jeweils Einzelphänomenen gewidmeten Beiträge des Sammelbandes Pfaffen und Laien - ein mittelalterlicher Antagonismus. Freiburger Colloquium 1996, hrsg. von Eckart Conrad Lutz / Ernst Tremp, Freiburg (Schweiz) 1999 (Scrinium Friburgense 10) beschreiben das Verhältnis von clericus und miles als »ein spannungsreiches und zugleich fruchtbares Beziehungsgefüge«, das durch »vielfältige Formen der Begegnung und des Austauschs« geprägt sei (Zitat aus dem Vorwort der Herausgeber, S. 5). Der »gemeinsamen Trägerschaft von Klerikern und Laien im Bereich der höfischen Literatur« (Backes 2006, S. 250) trägt Eckart Conrad Lutz Rechnung, indem er statt von der ›höfischen Literatur‹ von einer ›Literatur der Führungsgruppen‹ spricht, an der neben adligen Laien auch Kleriker, neben Höfen auch Klöster und Stifte Anteil haben, vgl. Eckart Conrad Lutz: Literatur der-Höfe - Literatur der-Führungsgruppen. Zu einer anderen-Akzentuierung, in: Mittelalterliche Literatur und-Kunst im-Spannungsfeld von-Hof und Kloster. Ergebnisse der Berliner-Tagung, 9.-11.-Oktober 1997, hrsg. von Nigel F. Palmer / Hans-Jochen Schiewer, Tübingen 1999, S. 29-51. Den Anteil der Geistlichen an der höfischen Kultur betont auch die Arbeit von Reuvekamp-Felber 2003, hält aber letztlich an der Gegenüberstellung der beiden gesellschaftlichen Rollen fest, vgl. dazu die Rezension von Backes 2006. Sabine Krüger meint hingegen gar, die »Annäherung von-miles und clericus im höfischen Bereich« sei so weit 370 3 Lektüren der sozialen Wirklichkeit hinter den Rollen von ›Künstler‹ und ›Krieger‹ zu suchen, sondern den Blick vielmehr auf die kulturelle Gemachtheit ihres Gegensatzes zu richten. 464 Dass in der Inszenierung dieses Gegensatzes vielfach eher kulturelle Traditionen als historische Realitäten zum Ausdruck kommen, zeigt nicht zuletzt das Beispiel Dietrichs von Saint-Hubert, denn auch seine Lebensbeschreibung folgt in der zitierten Anekdote einem bekannten literarischen Muster, nämlich der Vita des heiligen Martin von Tours. 465 Trotz dieser Einwände scheint der Gegensatz von gebildeten Klerikern und adligen Laien in der kulturellen Selbstwahrnehmung der höfischen Gesellschaft des 12. und 13. Jahrhunderts durchaus eine Rolle gespielt zu haben. 466 Das lässt sich etwa am Beispiel mittelalterlicher Streitgedichte beobachten, in denen das Verhältnis von-miles und clericus verhandelt wird. 467 Zu den zahlreichen Anspielungen auf den Dualismus der Lebensformen gehört aber zum Beispiel auch Hagens gescheiterter Mordversuch am pfaffen-im »Nibelungenlied« (Str.-1574- gegangen, dass sie »fast zur Identität ihrer Lebensweise führte« (Krüger 1990, S. 331). Einen eindrücklichen Beleg dafür, dass der mittelalterliche Hof neben weltlichen auch geistliche Eliten umfasst, bietet die Dichtungstheorie des Johannes von Garlandia (gest. nach 1272), wenn er in der Gruppe der Höflinge als erstes verschiedene (hohe) Geistliche aufzählt: Curiales sunt qui curiam tenent ac celebrant, ut Dominus Papa, cardinales, legati, archiepiscopi, episcopi, et eorum suffraganei, sicut archidiaconi, decani, officiales, magistri, scolares. Item, imperatores, reges, marchiones, et duces. (»Parisiana poetria«, Kap. 1) ›Courtiers are those who dwell in or frequent courts, such as the Holy Father, cardinals, legates, archbishops, bishops, and their subordinates, such as archdeacons, deans, officials, masters, scholars; also emperors, kings, marquises, and dukes.‹ Überstzung und Zitat nach The »Parisiana Poetria« of John of Garland, ed. with introd., transl., and notes by Traugott Lawler, New Haven / London 1974 (Yale Studies in English 182), S. 10, Z. 126-130 und S. 11. Ein bekanntes Zeugnis für die Inszenierung eines Miteinanders von Rittern und Gelehrten zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit bietet weiterhin die Beschreibung des Hofes von Guines in der »Historia comitum Ghisnensium« Lamberts von Ardres, vgl. dazu Curschmann 1996. 464 Curschmann hebt in diesem Sinne den »Klischeecharakter« der Gegenüberstellung hervor, vgl. Curschmann 1984, S. 231. Auf die Gemachtheit und literarische Überformung des in historiographischen Quellen zum Ausdruck kommenden (früh-)mittelalterlichen ›Kriegerethos‹ verweist zum Beispiel Sonja Kerth: Gattungsinterferenzen in der späten Heldendichtung, Wiesbaden 2008 (Imagines Medii Aevi 21), S. 86f. Hier zeigt sich der Gewinn von Uttenreuthers Analyse gegenüber derjenigen von Sosna, da sie anders als diese die kulturelle Gemachtheit der von ihr untersuchten Männlichkeitsrollen bedenkt und die literarischen Traditionen berücksichtigt, auf denen sie aufbauen, vgl. etwa Uttenreuther 2009, S. 116f. 465 Vgl. Max Manitus: Geschichte der lateinischen- Literatur des Mittelalters, Bd. 3: - Vom-Ausbruch des Kirchenstreites bis zum Ende des 12. Jahrhunderts, München 1951, S. 566. Siehe etwa die einflussreiche »Vita sancti Martini« (um 396) des Sulpicius Severus, Kap. 2,1-5. Zitiert nach Sulpicius Severus: Vita Sancti Martini. Das Leben des heiligen Martin. Lateinisch / deutsch. Übers., Anm. und Nachwort von Gerlinde Huber-Rebenich, Stuttgart 2010 (RUB 18780), S. 12-15. Auf Martin wird auch im Text der »Vita Theoderici« selbst angespielt, indem die nox festivitatis sancti Martini als Zeitangabe fungiert (vgl. Ausg. Wattenbach 1856, S. 38, Z.-50). 466 Dass die höfische Gesellschaft grundsätzlich als aus zwei Gruppen zusammengesetzt wahrgenommen wurde, zeigt schon die topische Formulierung der pfaffen unde leien, mit der auch im »Tristan« (vgl. vv. 1632, 15312) die Gesamtheit der Hofgesellschaft bezeichnet wird. Gleichzeitig drückt sich darin gerade auch das Zusammenspiel der beiden Gruppen am Hof aus. Vgl. dazu auch Green 1994b, S. 9. Zur lateinischen Formel clerici et milites als Bezeichnung für die curiales Fleckenstein 1990, S. 314f. Auch Gottfried spricht im Kontext des Gottesurteils von pfaffen unde ritterschaft, neben die hier noch gemeines volkes michel craft (vv. 15635 f.) tritt. 467 Dazu Fleckenstein 1990, S. 303f. Auffällig ist dabei, dass die Texte in der Regel mit der Feststellung enden, »daß der clericus dem Ritter wie in der Literatur, so auch in der Liebe überlegen sei.« (S. 303) Das zeigt einerseits wieder den engen Zusammenhang zwischen Liebe und Literatur (siehe oben, Kap. 2.4), besitzt andererseits aber auch eine besondere Bedeutung im Hinblick auf Tristans Rolle als ›Künstler‹, die damit womöglich auf seine Rolle als Liebender vorausweist. 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 371 1580): 468 Während Hagen hier die Welt der Krieger verkörpert, steht der Geistliche für die Welt der Bildung und des Buchwissens. Diese muss gewissermaßen erst aus dem Text verschwinden, bevor vom gewaltsamen Untergang der Helden erzählt werden kann. 469 Dabei scheint die höfische Literatur jedoch auch und gerade an den Verschränkungen und Überschneidungen der beiden Bereiche interessiert gewesen zu sein. 470 Wenn etwa im »Daniel von dem blühenden Tal« des Strickers (vor 1250) Artus und seine Ritter mitten in der detailreichen Schilderung einer brutalen Schlacht als ›Schreiber‹ bezeichnet werden, die mit ihren Griffeln Buchstaben auf die Körper ihrer Feinde malen, dann überblendet der Text in diesem Bild die Bereiche von Gelehrsamkeit und Gewalt. 471 In dieser Spannung möchte ich im Folgenden auch Tristans Identität zwischen ›Künstler‹ und ›Krieger‹ verorten und danach fragen, wie diese beiden Rollen bei Gottfried inszeniert werden. Ich beginne dafür am Beginn des Romans, bei Tristans Erziehung und Ausbildung. 472 468 Ausg. Bartsch / de Boor 1996, S. 250f. 469 Vgl. die Deutung der Szene von Müller 1998, S. 194-199. 470 Vielleicht kann man dahinter jene für die höfische Kultur charakteristischen ›Kompromisse‹ erkennen, die Müller als ein Bemühen um Ausgleich und Ausbalancierung »antagonistische[r] Normen und Verhaltensmuster« beschreibt (Müller 2007, S. 1). 471 Vgl. Stricker, »Daniel von dem blühenden Tal«, vv. 3542-3547: sie wâren alle viere | tiurlîche schrîbære. | ir griffel wâren swære, | sie schriben soliche buochstabe | daz sie niemer nieman abe | mohte gewaschen noch geschaben. Zitiert nach Der Stricker: Daniel von dem Blühenden Tal, 3., überarb. Aufl., hrsg. von Michael Resler, Berlin / Boston 2015 (ATB 92), S. 136. Ähnliche Bilder lassen sich auch in der Heldenepik immer wieder finden: Im »Nibelungenlied« etwa werden bei der Beschreibung der Kämpfe des Spielmanns Volker seine beiden Instrumente Schwert und Fiedelbogen ineinander geblendet, so dass die Gewaltausübung als Kunst erscheint (Str. 1785, 1956, 1976, 2006 f.; Ausg. Bartsch / de Boor 1996, S. 282, 309 f., 314). Ich meine, solche Verschränkungen verlieren auch dann ihre Wirkung nicht, wenn man sie wie Müller als heroische Parodie ›klerikaler‹ Fertigkeiten versteht, vgl. Müller 1998, S. 196f. 472 Die grundsätzliche Wichtigkeit der Ausbildung für die spätere Identität wird in der mittelalterlichen Kultur immer wieder hervorgehoben. Zu diesem »Motiv der Überlegenheit einer Primärsozialisation über die Sekundärsozialisation« etwa von Moos 2004, S. 5f., Zitat S. 6. Ein Beispiel bietet der heilige Hieronymus, wenn er die Bildung eines Menschen mit der Färbung eines Kleides oder der ersten Füllung eines Gefäßes vergleicht: difficulter eraditur, quod rudes animi perbiberunt. lanarum conchylia quis in pristinum candorem reucocet? rudis testa diu et saporem retinet et odorem, quo primum imbuta est. (Brief Nr. 107,4) Zitiert nach Sancti Eusebii Hieronymi epistulae, Teil 2: Epistulae LXXI-CXX, hrsg. von Isidor Hilberg, 2., erw. Aufl., Wien 1996 (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 55), S. 295, Z. 10-12. ›Es ist schwierig, später auszumerzen, was der jugendliche Geist in sich aufgenommen hat. Wer kann der Purpurwolle ihren ursprünglichen Glanz wiedergeben? Ein ungebrauchtes Gefäß behält lange den Geschmack und den Geruch seines ersten Inhaltes.‹ Übersetzung aus Des heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus ausgewählte Schriften, Bd. 2: Des heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus ausgewählte Briefe. Aus dem Lateinischen übers. von Ludwig Schwab, Teilbd. 1, München 1936 (Bibliothek der Kirchenväter. 2. Reihe 16), S. 391. Zur bekannten Redensart des Gefäßes, das stets den Geruch seiner ersten Füllung behält, (vgl. Horaz, »Epistulae«, 1,2,69f.) im vorliegenden Zusammenhang Manfred Eikelmann / Silvia Reuvekamp: Wie lernt der Mensch? Anthropologische Betrachtungen der Lernund-Entwicklungsfähigkeit des Menschen in lateinischen und deutschen- Texten des Mittelalters, in: Lehren, Lernen und Bilden in der deutschen-Literatur des Mittelalters. XXIII. Anglo-German-Colloquium, Nottingham 2013, hrsg. von Henrike Lähnemann u. a., Tübingen 2017, S. 37-53. 372 3 Lektüren 3.4.2 Tristans Erziehung, Jugend und Schwertleite Hält man sich zunächst wiederum an das Illustrationsprogramm einer »Tristan«-Handschrift - diesmal der Münchner Handschrift M (vor 1250) -, dann ist Tristans Ausbildung geprägt von einem Nebeneinander geistiger und körperlicher Aktivitäten (vgl. Abb. 7): Einerseits sehen wir Tristan beim Stein- und Speerwurf, was zum Teil keine Grundlage im Text hat, 473 aber als gängiger Topos ›heroischer‹ Beschäftigung verstanden werden kann. 474 Gerahmt wird beides andererseits von der Zuwendung zur ›Kunst‹ in Form von Musik (Saitenspiel) 475 und Schriftliteratur (Lektüre am Lesepult) 476 . 473 Hier ist nur vom Speerwurf die Rede, vgl. v. 2115: schiezen den schaft. 474 Gerade in Kombination mit dem Speerwurf begegnet uns das Werfen von Steinen etwa an mehreren Stellen im »Nibelungenlied« (Str. 130,4, 326,4-327,1, 425,1f.; Ausg. Bartsch / de Boor 1996, S. 27, 61, 77). Auch im »Biterolf und Dietleib« gehört beides zum Zeitvertreib der helden, vgl. vv. 3378-3381: er sach dâ maneger hande spil | von helden mit vil grôzer kraft: | dicke schuzzen si den schaft, | dâ bî wurfen si den stein; vv. 5944-5946: jr genůg schussen den schafft | - die kurtzweyle was nicht klain - | sumelich wurffen den stain. Zitiert nach Biterolf und Dietleib, neu hrsg. und eing. von André Schnyder, Bern / Stuttgart 1980 (Sprache und Dichtung. N. F. 31), S. 228. Siehe weiterhin »Kudrun«, Str. 371,4: dô wurfen si die steine und begunden mit den scheften schiezen. (Ausg. Bartsch / Stackmann 2000, S. 78); »Laurin« (Ältere Vulgatversion), vv. 966-968: Si vorsuchten heldes craft. | Dar nach schuzzen sy den schaft, | dar nach wurfen sy den steyn. Zitiert nach Laurin, hrsg. von Elisabeth Lienert u. a., Berlin / Boston 2011 (Texte und Studien zur mittelhochdeutschen Heldenepik 6), Teilbd. 1, S. 98. Im Kontext der Ausbildung des Protagonisten (Str. 264-267) heißt es auch im »Wolfdietrich D«, Str. 266,1f.: Man lerte sie wie sie zu rehte solten werfen einen stein | daz si den prisz behielten: ir kraft was nit klein. Zitiert nach Der grosse Wolfdietrich, hrsg. von Adolf Holtzmann, Heidelberg 1865, S. 40. Auch in der Artusepik werden mitunter Steine geworfen, so etwa in Lanzelets Ausbildung bei Ulrich von Zatzikhoven, vv. 285-287: verre werfen steine, | beidiu grôz und kleine, | und die schefte schiezen. Zitiert nach Ulrich von Zatzikhoven: Lanzelet. Text - Übersetzung - Kommentar. Studienausgabe, hrsg. von Florian Kragl, 2. rev. Aufl., Berlin / Boston 2013, S. 18. - Eine mögliche Vorlage für die Illustration der Münchner Handschrift bietet Eilharts »Tristrant«, wo das werffen mit den stainen Erwähnung findet (v. 152), vgl. Henrike Manuwald: Der Dieb und der Fisch. Zu einer Bildbeischrift im Münchener »Tristan«-Codex Cgm 51, in: ZfdPh 127 (2008), S. 429-436, hier S. 435 Anm. 29. 475 Die Darstellung folgt deutlich dem bekannten ikonographischen Muster des Harfe spielenden Königs David, vgl. Kästner 1981, S. 100; Lähnemann 2007, S. 182. 476 Durch den Eintrag im dargestellten Buch wird die Lektüre dabei ausdrücklich auf geistliche Inhalte bezogen: Auf der linken Buchseite erkennt man mit Beatus vir den Beginn des Psalters, auf der rechten Seite mit Veni sancte spiritus reple die Antiphon der Pfingstliturgie. Damit könnte zum Ausdruck gebracht werden, dass Tristan »nicht einfach Buchwissen« anhäuft, sondern »eine Frömmigkeitserziehung« erhält (Manuwald 2008, S. 435). Für Lähnemann wird hier »nicht die Privatausbildung eines Wunderknaben vorgeführt, sondern eine typisch klösterliche Schülergruppe, die am Psalter Latein und an der Liturgie singen lernt.« (Lähnemann 2007, S. 182) Das würde also Tristans Rolle als clericus unterstreichen. Andererseits ist jedoch der Psalter auch das Buch, an dem man im Mittelalter üblicherweise lesen lernt, vgl. Felix Heinzer: Über das Wort hinaus lesen? -Der Psalter als-Erstlesebuch und die Folgen für das mittelalterliche Verhältnis zum-Text, in: Wolfram-Studien 19 (2006), S.- 147-168, hier S. 147f. Insofern handelt es sich vielleicht auch lediglich um »eine zeitgemäße Konkretisierung der Erziehung Tristans« (Manuwald 2008, S. 435). Grundsätzlich ist bei der Deutung der Bucheinträge zu bedenken, dass diese nicht zeitgleich mit der Anlage der Handschrift entstanden sind, sondern von einem späteren Bearbeiter (vermutlich aus der ersten Hälfte des 14. Jh.s) stammen, vgl. Barbara Kunerth: Der Bilderzyklus in der Münchner »Tristan«-Handschrift-Cgm 51, Diss. Cottbus 1999, S. 92 Anm. 373 (nach einer Mitteilung von Karin Schneider). 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 373 Abb. 7: Tristans Ausbildung: Lektüre, Stein- und Speerwurf, Saitenspiel München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 51, fol. 15 v (zweites Bildregister) Im Text selbst steht zunächst Tristans buchliterarische Ausbildung im Fokus (vv. 2060-2102): Die Buchgelehrsamkeit (der buoche lêre, vv. 2065, 2085), von der schon mehrfach die Rede war, kennzeichnet den Protagonisten als litt eratus, der sich neben seiner Fähigkeit in ieglîchem seitspil (v. 2096) vor allem durch seine lernunge der buoche und der zungen (vgl. vv. 2093 f.) auszeichnet. Dabei wird nachdrücklich Tristans Status als ›Wunderkind‹ hervorgehoben, wenn es heißt, daz er der buoche mêre gelernete in sô kurzer zît dan ie kein kint ê oder sît. (vv. 2090-2092) 477 477 Überhaupt wird bis zu Tristans Ankunft am Hof von König Marke immer wieder die Einzigartigkeit des Protagonisten hervorgehoben. Wie Gerok-Reiter herausarbeitet, führt diese Einzigartigkeit aber nicht zu Individualität, da sie auf der herausragenden Erfüllung traditioneller, kollektiver Normen und Fähigkeiten beruht, vgl. Gerok-Reiter 2006, S. 154-156. Diese Lesart wird auch dadurch gestützt, das es sich bei der Beschreibung des einzigartig gelehrten Kindes um ein literarisches Muster handelt, das in Beschreibungen von Ausbildungssituationen in der mitt elhochdeutschen Epik immer wieder begegnet. So lernt etwa auch Diokletian bei Hans von Bühel so viel, Das nie kein man von souil jaren | Gesach einen knaben so wol gebarn | Mit kůnst vnd lere vnd allen dingen | So wol lies er die lere jme lingen (Hans von Bühel, »Dyocletianus«, vv. 297-300). Zitiert nach Dylocletianus Leben von Hans von Bühel, hrsg. von Adelbert Keller, Qu edlinburg / Leipzig 1841 (Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur 22), S. 7. Man hat hier auch an den Figurentyp des heroischen Wunderkindes denken wollen, wie er sich vor allem in der Heldenepik fi nden lässt, vgl. etwa Kuhn 1980 [1973], S. 18. Als Teil einer typischen Heldenvita lesen Tristans Jugend und Ausbildung auch Gunhild Pörksen / Uwe Pörksen: Die ›Geburt‹ des Helden in mitt elhochdeutschen Epen und epischen Stoff en des Mitt elalters, in: Euphorion 73 (1980), S. 257-286, hier S. 261. Zum Erzählmuster Ines Köhler: Art. Erwachsen bei- Geburt, in: Enzyklopädie des Märchens 4 (1984), Sp.- 307-315. Gerok-Reiter hält dem entgegen, dass mit dem Status als Wunderkind im Heldenepos auch ein »heroische[s] Identifi kationsmuster« (Gerok-Reiter 2006, S. 156) verbunden ist, während Tristan immer wieder 374 3 Lektüren Tatsächlich hebt sich Tristans Ausbildung deutlich von dem ab, was wir gewöhnlich für die Realität des deutschsprachigen Adels im 13. Jahrhundert erwarten. 478 In einem Detail allerdings nimmt sein Erziehungsplan Bezug auf ›realweltliche‹ Erwartungen, nämlich beim Alter von sieben Jahren, in dem der Protagonist seiner Ziehmutter weggenommen und zur weiteren Ausbildung an einen wîsen man (v. 2061) übergeben wird. 479 Dass die Erziehung eines jungen Adligen in Siebenjahresschritten erfolgt, kennen wir auch aus anderen zeitgenössischen Quellen. 480 Entsprechend des anthropologischen Modells von den sechs Lebensaltern endet mit sieben Jahren die infantia; 481 nach dem römischen Recht ist damit auch eine juristisch relevante Altersgrenze erreicht. 482 Wie man bei Dietrich von Saint-Hubert sehen kann, besitzt dieses Alter außerdem eine besondere Bedeutung im Hinblick auf die Entscheidung über die spätere Lebensform - nicht zufällig findet die zitierte Anekdote statt, als der Junge etwa sieben Jahre alt ist (cum iam fere septennis esset 483 ). Mit sieben Jahren entscheidet sich, ob ein junger Adliger als Page eine ritterliche Ausbildung beginnt oder in die Klosterschule geht, um lesen und schreiben zu lernen. 484 Dass mit dem Ende der infantia die Entscheidung über die gerade nicht identifiziert wird. Tristan unterscheidet sich von den übrigen jungen Heilsbringern aber auch durch den G e g e n s t a n d seiner außergewöhnlichen Begabung: Während andere Helden über exzeptionelle Körperkräfte verfügen, sind es bei Gottfrieds Protagonisten vor allem die intellektuellen Fähigkeiten, die hervorgehoben werden. Diese Form des Wunderkind-Motivs ist (in Anlehnung an Lk- 2,41-47) eher in Heiligenlegenden zu finden. Indem ein ›heroisches‹ Erzählmuster durch ein klerikales ersetzt wird, findet also auch auf dieser Ebene eine Verschiebung vom ›Krieger‹ zum ›Gelehrten‹ statt. 478 Vgl. Uttenreuther 2009, S. 88-92. Bumke erklärt diesen Umstand damit, Tristan solle »als ein französischer Herr« charakterisiert werden, da die französischen Adligen als den deutschen in Bezug auf ihre Bildung weit überlegen bekannt gewesen seien, vgl. Bumke 6 1992a, S. 436. Daran anschließend Briški 1996, S. 15f. 479 Vgl. vv. 2056-2061: Nu si daz mit im hæte | getriben u n z a n s î n s i b e n d e j â r, | […] | sîn vater der marschalc in dô nam | und bevalch in einem wîsen man. (Hervorhebung L.M.) 480 Vgl. Rudolf Limmer: Bildungszustände und Bildungsideen des 13.- Jahrhunderts. Dargestellt unter besonderer-Berücksichtigung der lateinischen-Quellen, München / Berlin 1928, S. 21f. Auch das Ende von Tristans Ausbildung entspricht dieser Einteilung, vgl. vv. 2131f.: Nu sîn v i e r z e h e n d e j â r vür kam, | der marschalc in hin heim dô nam. (Hervorhebung L.M.) Siehe zu solchen Altersstufen-Modellen in der Vormoderne auch den Sammelband Alterszäsuren. Zeit und Lebensalter in Literatur, Theologie und Geschichte, hrsg. von Thorsten Fitzon u. a., Berlin / Boston 2012 und darin besonders den Beitrag von Udo Friedrich: Altersstufen als Narrative und Metaphern in mittelalterlichen Wissens- und Erziehungsdiskursen, S. 49-79. 481 Zur Orientierung der Ausbildung an diesem anthropologischen Modell Okken 2 1996, S. 136f.; Lutz Fenske: Der Knappe: - Erziehung und Funktion, in: Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur, hrsg. von Josef Fleckenstein, Göttingen 1990, S. 55-127, hier S. 77; Beate Baier: Die Bildung der Helden. Erziehung und-Ausbildung in mittelhochdeutschen-Antikenromanen und ihren-Vorlagen, Trier 2006 (Bochumer Altertumswissenschaftliches Colloquium 68), S. 52-54. 482 Vgl. Bruno Primetshofer / Wilhelm Brauneder: Art.-Alter, in: LexMa 1 (1980), Sp. 470 f., hier Sp. 471; Deutsches Rechtswörterbuch.- Wörterbuch der älteren deutschen- Rechtssprache, hrsg. von der- Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Bd. 1-13, Weimar 1932-2014, Bd. 13, Sp. 479 und 489. Als pueri galten minderjährige Jungen vom siebten bis zum vierzehnten (Mädchen bis zum zwölften) Lebensjahr als eingeschränkt juristisch handlungs- und geschäftsfähig, etwa im Hinblick auf Verlobungen. 483 Ausg. Wattenbach 1856, S. 39, Z. 10. 484 Vgl. Baier 2006, S. 53. Dafür lassen sich weitere Beispiele aus der mittelhochdeutschen Literatur anführen: In der »Kudrun« markiert der Zeitpunkt, an dem Hagen gewahsen ze siben jâre tagen ist, den Moment, von dem an er zu einem recken erzogen wird (Str. 24,1; Ausg. Bartsch / Stackmann 2000, S. 7), während in »Des Mönches Not« der Junge mit sieben Jahren ins Kloster geschickt wird (vgl. v. 14: ez was wan siben jare alt; Novellistik des Mittelalters, Ausg. Grubmüller 1996, S. 666). Siehe zum Beispiel auch die Legende des hl. Johannes Chrysostomus in »Der Heiligen Leben« (um 1400): Vnd do das kint siben iar alt was, do ließ man es zu schul. Zitiert nach Der Heiligen Leben, Bd. 2: Der Winterteil, hrsg. von Margit Brand u. a., 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 375 spätere Lebensform verbunden ist, zeigt sich auch in zeitgenössischen Rechtsquellen. So heißt es im »Schwabenspiegel« (um 1275), dass ein Junge, der v o r seinem siebten Lebensjahr ins Kloster gesteckt werde, wieder in seine alte Lebensform als Adliger zurückkehren könne. 485 Ist das Kind beim Klostereintritt dagegen älter als sieben Jahre, besteht diese Möglichkeit offenbar nicht; die Entscheidung über die Lebensform ist dann (zumindest der Theorie nach) unumstößlich. 486 Legt man solche Wissensbestände auch für Gottfrieds Roman zugrunde, dann scheint Tristan in seiner Ausbildung zunächst (für etwa 50 Verse) auf die Laufbahn eines clericus festgelegt zu werden. Allerdings erhält er, wie der Erzähler dann nachschiebt, neben der buoche lêre durchaus auch Unterricht in körperlichen Fertigkeiten wie Reiten, Speerwurf und Schwertkampf (vv. 2103-2116). 487 Doch allein die Tatsache, dass die Beschreibung dieser ritterlichen Aktivitäten nachgeordnet passiert, 488 wird als eine »Verschiebung von Priori- Tübingen 2004 (Texte und Textgeschichte 51), S.- 435, Z.- 10. Ähnlich wie im »Tristan« funktioniert die Kindheitsgeschichte im »Alexander« Rudolfs von Ems, vv. 1352f.: als er siben jâr alt wart, | man tet in ze schuole sâ. (Ausg. Junk 1928-1929, Bd. 1, S. 50) 485 Vgl. »Schwabenspiegel«, Landrecht 27: Mvnchet man ein chint, daz vnder siben iarn ist, vnd vert ez vnder vierzehen iarn vz dem closter, ez behabet an lantrehte vnd an lehenrehte vnd allez daz ez behaben sol, als ob ez nie gemvnchet were. Zitiert nach Der Schwabenspiegel oder Schwäbisches Land- und Lehen-Rechtbuch. Nach einer Handschrift vom Jahr 1287 hrsg. von F.L.A. von Lassberg mit einer Vorrede von A.L. Reyscher, Tübingen 1840, S. 17. Ganz ähnlich die Formulierung im etwas älteren »Deutschenspiegel«, Landrecht 29 §-2: Muͤnchet man chint daz vnder siben iarn ist. vert ez vnder viertzechen iarn auz es behalt lehen recht vnd alles daz erben solte. ob ez sich nie gemuͤnchet hete. Zitiert nach Studia Iuris Teutonici. Deutschenspiegel, tractavit Karl August Eckhardt, Aalen 1971 (Bibliotheca Rerum Historicarum. Studia 3), S. 239. Auf solche Bestimmungen verweist, was den Austritt aus dem Kloster angeht, möglicherweise auch der Abt in Hartmanns »Gregorius«, nennt dabei aber eine Frist bis zum 12. Lebensjahr, vgl. vv. 1547-1553: »Sun, mir saget vil maniges munt | dem ze rîterschaft ist kunt: | swer ze schuole belîbe | unz er dâ vertrîbe | ungeriten zwelf jâr, | der müeze iemer vür wâr | gebâren nâch den pfaffen.« (Ausg. Mertens 2004, S. 94) Es existieren jedoch auch Modelle, die die pueritia grundsätzlich mit dem zwölften Lebensjahr enden lassen, so etwa bei Wilhelm von Conches in »De philosophia mundi«, vgl. Baier 2006, S. 52f. Die Tatsache, dass sich mit dem Beginn der pueritia der weitere Bildungs- und Lebensweg eines Jungen entscheidet, könnte auch erklären, dass der junge Willehalm bei Rudolf von Ems zwar zunächst an bůchen lesen (v. 2765) lernt, aber nur bis er das sibende jar vertraip (v. 2770), worauf er eine ritterliche Ausbildung beginnt. Zitiert nach Rudolfs von Ems Willehalm von Orlens, hrsg. aus dem Wasserburger Codex der fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek in Donaueschingen von Victor Junk, Berlin 1905 (Deutsche Texte des Mittelalters 2), S. 46. 486 Anders Fenske 1990, S. 91f.: »[D]er wichtigste Kreuzungspunkt, der den weiteren Lebensweg richtungsweisend beeinflußte, war sicherlich der Übergang von der Altersphase der pueritia zur adolescentia, wenn ein Knabe ungefähr 14 Jahre alt war, vielleicht auch noch ein wenig jünger. Jetzt mußte endgültig darüber befunden werden, ob er seine Erziehung mit dem Ziel einer weltlichen oder geistlichen Laufbahn fortsetzen sollte, […] denn zu diesem Zeitpunkt konnten in Aussicht gefaßte Karrieren noch problemlos in eine andere Richtung umgelenkt werden.« 487 Zur Frage, inwieweit besonders die waidmännische Erziehung (birsen unde jagen, v. 2118) dem Bereich der ›Kunst‹ zugeordnet werden kann, vgl. Hermann 2006, S. 117, und siehe oben, S. 207f. 488 Wie das Verhältnis der beiden Bildungsbereiche sprachlich bestimmt ist, hängt von der Deutung der Formulierung über diz allez (v. 2103) ab, mit der der Erzähler von den geistigen zu den körperlichen Aktivitäten überleitet. Für Stein erscheint die ritterliche Bildung durch diesen Anschluss »gar nicht abgewertet« (Stein 1980, S. 587 Anm. 28). Georg Zappert las die Stelle sogar als Beleg dafür, der »Löwentheil« der adligen Ausbildung sei den »ritterlichen Übungen« gewidmet (Georg Zappert: Über ein für den Jugendunterricht Kaiser Maximilian’s I. abgefasstes lateinisches Gesprächsbüchlein, in: Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Classe 28 (1858), S. 193-280, hier S. 231). Von einer »Beiläufigkeit der ritterlich-militärischen Ausbildung« spricht dagegen Ruh 1980, Bd. 2, 376 3 Lektüren täten« 489 angesehen. Für die Interpreten zeigt sich hier zum ersten Mal die »Ersetzung des Rittertums durch das Künstlertum« 490 . So bemerkt Weber mit Verweis auf Tristans Ausbildung, dass von Anfang an […] Rittertum keineswegs im Mittelpunkt von Tristans Wesen und Erziehung steht, sondern nur eines von vielen Bildungselementen ist, zudem nicht das erste und wichtigste, sondern das dritte unter sechs (vgl. 2104 ff.). Schon hier übertönt die Anlage zum Künstlerischen das Rittertum; die von der Kunst ausstrahlende Wesensart ist auch für den Gereiften kennzeichnender als ritterliche Neigungen und Fähigkeiten. 491 Diese Tendenz offenbart sich besonders im Vergleich mit Eilharts Protagonisten, dessen Ausbildung zwar ebenfalls mit Kunst (harpffen und singen, »Tristrant«, v. 142 492 ) beginnt, den Fokus dann aber ganz entschieden auf ritterliche Tätigkeiten legt (vv. 143-180). 493 Bei Gottfried überwiegt auch nach der Ausbildung in Tristans Jugend zunächst seine ›künstlerische‹ Identität: Im Schachspiel mit den norwegischen Händlern, im kunstgerechten S. 226. Welche Beziehung durch mhd.-über diz ausgedrückt wird, lässt sich nicht eindeutig bestimmen. Die Wörterbücher machen dazu keine Angaben. Die Übersetzungen bieten ›neben alldem‹ (Haug / Scholz, Bd. 1, S. 127); ›daneben‹ (Krohn, Bd. 1, S.-133) sowie ›zu alldem‹ (Knecht, S. 27). Eine Vergleichsstelle findet sich in der Predigtsammlung des sogenannten Sankt Georgener Predigers (14. Jh.), Predigt Nr. 57: also leret úns sant Paulus in der selben epistel wie wir úns beklaident mit tugenden: »ir sont an legen«, sprichet er, »daz klait der tugend. lieben kint! flissent úch miltekait, erbarmhertzkait, kúnschkait, demuͤtkait, gedultekait, senftekait«, won diese tugent sint aller der selen klait. und ú b e r d i z tugent a l l e sont ir úch flissen der minne. Zitiert nach Der sogenannte St. Georgener Prediger aus der Freiburger und Karlsruher Handschrift hrsg. von Karl Rieder, Berlin 1908 (Deutsche Texte des Mittelalts 10), S. 241, Z. 5-9. (Hervorhebung L.M.) Die Formel findet sich außerdem wiederholt im Rahmen von Aufzählungen in Urkundentexten, ohne das eine Hierarchie erkennbar wäre. So heißt es etwa am Ende einer Esslinger Urkunde aus dem Jahr 1317 nach der Aufzählung der Zeugen: U b e r d i z a l l e z ist diser brief besigelt mit der stet insigel ze Esselingen. Zitiert nach Urkundenbuch der Stadt Esslingen, Bd. 1, bearb. von Adolf Diehl unter Mitwirkung von Karl H.S. Pfaff, Stuttgart 1899 (Württembergiche Geschichtsquellen 4), Nr. 472, S. 223, Z. 2 f. (Hervorhebung L.M.) 489 Sosna 2003, S. 225. Vgl. auch Schausten 1999, S. 156f. 490 So die Kapitelüberschrift bei Dietz 1974, S. 80. Von einer »Verdrängung der militärischen Funktion« spricht in Anlehnung an Erich Köhler Ruh 1980, S. 226. Genauso Hermann 2006, S. 117. Auch Langer beobachtet, »daß sich […] der Schwerpunkt der Erziehung von einer Einübung ins Ritterhandwerk verschoben hat in Richtung auf Entfaltung und Disziplinierung der intellektuellen und musischen Potenzen« (Langer 1974, S. 7). Zur »Vernachlässigung der ritterlichen Ausbildung im engeren Sinne, also im Kämpfen, Reiten und dergleichen,« weiterhin Briški 1996, S. 14. 491 Weber 1953, Bd. 2, S. 80. 492 Gerade Saitenspiel und Gesang sind als nicht auf Schriftlichkeit angewiesene Formen künstlerischer Produktion für den mittelalterlichen Laienadel wohl längst nicht so ungewöhnlich wie die buchliterarische Ausbildung, die Tristan bei Gottfried erhält, vgl. Bumke 6 1992a, S. 438. Siehe dazu auch meine Ausführungen in S. 369 Anm. 462. Hier zeigt sich eine Verschiebung des ›Künstlertums‹ von ›spielmännisch‹-mündlichen Fähigkeiten bei Eilhart hin zu eher intellektuell-schriftlichen Kompetenzen bei Gottfried. Sie lässt sich auch in den anderen ›höfischen‹ Versionen beobachten: In der »Tristramssaga« (Kap. 17) wird der Protagonist nicht nur in den verschiedenen Arten der Musik ausgebildet (strengleika; Ausg. Kölbing, S. 17, Z. 3), sondern erhält auch Unterricht in der Buchwissenschaft (bókfrœði; S. 16, Z. 29), wobei explizit die ›sieben Hauptkünste‹ (hǫfuðvélum bzw. hǫfuðlistum [Hs. a]; S. 17, Z. 1 f.) hervorgehoben werden. Auch im »Sir Tristrem« spielt zwar Musik eine wichtige Rolle, aber auch hier studiert Tristrem in Büchern (in bok […] [h]e stodieþ, Str. 26,4f.; Ausg. Kölbing 1882, S. 10). 493 Vgl. dazu Jackson 1971, S. 37: »In Eilhart’s version the boy’s training is the standard upbringing of a knight, with a stress on physical prowess, and in this respect there is clear evidence of a shift in emphasis by Thomas, for he - and still more Gottfried - stresses those features of good manners, learning, and training in the arts […].« 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 377 Zerteilen des Hirsches und im Liedvortrag am Hof von König Marke erweist sich die kulturelle Überlegenheit des Protagonisten. Ausgehend von Tristans Ausbildung und Jugendgeschichte wurden die musischen und intellektuellen Fähigkeiten immer wieder als bestimmend für die Identität der Figur beschrieben: Tristan sei in erster Linie ein ›Künstler‹. 494 Doch nur kurze Zeit später zeigt der junge Mann, dass auch eine ganz andere Seite in ihm steckt: Im Streit mit seinem Lehnsherrn Morgan greift er kurzerhand zum Schwert und tötet den Wehrlosen, indem er ihm den Schädel spaltet (vv. 5309-5458). Vor dem Hintergrund seiner Jugendgeschichte erscheint diese plötzliche Hinwendung zu gewalttätig-agonalen Handlungsweisen geradezu als Bruch, und entsprechend irritiert wurde sie in der Forschung aufgenommen. 495 Aber Tristan ist eben nicht nur ein vollendeter Künstler, sondern auch ein Krieger, der sich hier zur grausamen Rache berechtigt fühlt. Versucht man zu erklären, wie es zu dieser Veränderung der Figur vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ kommt, gerät die der Morgan-Episode unmittelbar vorausgehende S c h w e r t l e it e (vv.-4333-5068) in den Blick: 496 Im Kontext der mittelalterlichen Adelskultur ist die Schwertleite Ausdruck der »Wehrhaftmachung« junger Männer. 497 Das Schwert symbolisiert das Gewaltpotential des Adels, seine Verleihung leitet deshalb im Roman den agonalen Handlungsmodus 494 Vgl. Bertau 1983, S. 137: »In der Tat ist Tristan für einen Ritter, der er ja auch sein soll, fast ein bißchen zu sehr clericus«; Jaeger 1984, S. 62: »[I]n »Tristan« the clerical elements tend to step forward boldly and take command in the delineation of character«; Jaeger 1985, S. 5: »He is above all an artist and intellectual«; weiterhin S.- 102: »In this romance clerical, courtier values provide the basis for the hero’s character and destiny and far outweigh in their importance chivalric ones. The talents in the foreground are social, artistic, and intellectual.« Siehe auch Jackson 1973 [1962], S. 286f.; Kern 1998, S. 173; Hermann 2006, S. 116-119; William C. McDonald: Gottfried von Straßburg: -»Tristan« and the Arthurian Tradition, in: in hôhem prîse. A Festschrift in Honor of Ernst S.- Dick,- Presented on the Occasion of his Sixtieth Birthday,-April 7, 1989, hrsg. von Winder McConnell, Göppingen 1989 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 480), S. 243-266, hier S. 247 und 263: »The exemplary quality of his life as artist and lover leaves scant room for conventional knighthood or the observance of an heroic code.« Zu Tristan als ›Künstler‹ grundlegend Mohr 1973; Jackson 1973 [1962]; Lange 1974; Ferrante 1979; Kästner 1981. Zusammenfassend Tomasek 2007, S. 108, 222 f. Auch Karl-Heinz Göttert widmet in seiner Einführung in das mittelalterliche Rittertum Tristans Künstlertum ein eigenes Kapitel, vgl. Göllert 2011, S.- 204-210. - Die Dominanz des ›Künstlertums‹ über das ›Kriegertum‹ bringt der Text im Zusammenhang mit der ersten Irlandfahrt auch anhand der den beiden Identitäten zugeordneten Attribute zum Ausdruck: Bei Eilhart nimmt Tristrant auf die Reise Harfe und Schwert mit, was seiner Doppelrolle als ›Künstler‹ und ›Krieger‹ entspricht, vgl. »Tristrant«, vv. 1186-1189: do batt der herr nicht mer | zů im in sin schiff tragen | wann ain harpff - hort ich sagen - | und ain schwert, deß er begert. Bei Gottfried ist dagegen ausdrücklich nur von der Harfe die Rede, vgl. »Tristan«, vv. 7359-7361: sîne harphen er besande; | die vuorte er ouch von lande | und sînes dinges nie niht mê. Möglicherweise hat schon Thomas die Stelle so gestaltet, denn im »Sir Tristrem« wird ebenfalls ausschließlich die Harfe genannt (Str. 105,4; Ausg. Kölbing 1882, S. 33). In der »Tristramssaga« (Kap. 30; Ausg. Kölbing 1878, S. 37f.) ist dagegen überhaupt nicht von den Instrumenten des Protagonisten die Rede. 495 Vgl. etwa Stein 1977, S. 339. 496 Die Episodeneinteilung folgt Josef Klein, der sich sowohl auf kodikologische Beobachtungen als auch den ›Erzähleinsatz‹ in v. 4333 bezieht, vgl. Josef Klein: Die- Schwertleite in- Gotfrids »Tristan und Isold« als ›epische-Einheit‹, in: Euphorion 64 (1970), S. 1-22, hier S. 8 und Anm. 15. 497 Bumke 6 1992a, S. 318; vgl. auch Joachim Bumke: Studien zum- Ritterbegriff im 12. und 13. Jahrhundert, Heidelberg 1964 (Beihefte zum Euphorion 1), S. 102-112, zum Aspekt der Wehrhaftmachung S. 107f.; zur Schwertleite weiterhin Elsbeth Orth: Formen und Funktionen der höfischen-Rittererhebung, in: Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur, hrsg. von Josef Fleckenstein, Göttingen 1990, S. 128-170, hier bes. S.-154f. 378 3 Lektüren ritterlicher Auseinandersetzung ein. 498 Es lohnt sich, näher auf diese Episode zu schauen und einen Blick darauf zu werfen, wie es im »Tristan« zur Schwertleite kommt, weil Gottfried hier maßgeblich in die Stofftradition eingegriffen hat. 499 In Eilharts ›spielmännischer‹ Version geht alles ganz schnell: Tristrant wächst am Hof von König Marke heran, bis er alt genug ist, um das Schwert zu empfangen. 500 Einen Bruch gibt es hier nicht: Der Protagonist ist von Anfang an als Heros angelegt, und als Morolt nach Cornwall kommt, bittet er selbst um die Schwertleite, weil er gegen ihn kämpfen will (der Morgan-Kampf wird nicht erzählt). 501 Aber auch die erhaltenen ›höfischen‹ Versionen des Stoffes betreiben keinen großen Aufwand, um die Schwertleite zu motivieren. Als der Protagonist in der »Tristramssaga« von seiner wahren Abstammung als Landesherr von Parmenien erfährt, will er sofort dorthin reisen, um den Tod seines Vaters an Morgan zu rächen, woraufhin ihm Marke das Schwert verleiht: ›Als der König diesen Nachrichten [über die Herkunft von Tristram] aufmerksam zugehört hatte, da rief er Tristram mit liebevollen Worten zu sich und umarmte ihn mit herzlichem Kuß als seinen Adoptivsohn und wahren Schwestersohn. Dann schritt er zum König, seinem Onkel, und fiel vor ihm auf die Knie und sprach zu ihm: »Herr«, sagte er, »nun möchte ich, daß Ihr mir eine Rüstung gebt, und ich will mein Vaterland und Erbe aufsuchen und den Tod meines Vaters rächen, denn nun bin ich alt genug, daß ich imstande bin, mein rechtmäßiges Eigentum wiederzugewinnen.« Da sprachen alle Fürsten, die zu beiden Seiten des Königs saßen, daß es ihm wohl anstünde, dies zu tun, und dann bewilligte ihm dies auch der König und sprach, man solle ihm eine Rüstung zurechtmachen. […] König Markis selbst gürtete ihm das Schwert um und versetzte ihm einen gewaltigen Schlag auf den Nacken.‹ (»Tristramssaga«, Kap. 24) 502 498 Sosna spricht vom Schwert als »Symbol der Adelsherrschaft und der legitimen Gewaltanwendung, mithin […] des agonalen Modus der Identitätsmodifikation« (Sosna 2003, S. 242). Dass diese Symbolik des Schwertes auf einer langen kulturellen Tradition beruht, zeigt der Sammelband Das- Schwert - Symbol und Waffe. Beiträge zur geisteswissenschaftlichen-Nachwuchstagung vom 19.-20.-Oktober 2012 in-Freiburg / Breisgau, hrsg. von Lisa Deutscher u. a., Rahden-(Westf.) 2014 (Freiburger Archäologische Studien 7), siehe vor allem die Einleitung der Herausgeber*innen, S. 9-16, hier bes. S. 9, 13. Auch für Uttenreuther ist das Schwert ein »Symbol, das […] an dieser Stelle auf den Heros Tristan vorausdeutet.« (Uttenreuther 2009, S. 106) Die Schwertleite werde so zum »Ausgangspunkt für heldenepische Überblendungen des höfischen Romans.« (ebd., S. 112) Siehe auch Kästner 1981, S. 62-65, sowie Dillig 2019, S. 147-149. In der (späteren) Beischrift zur Illustration der Schwertleite in der »Tristan«-Handschrift M wird der Protagonist in diesem Sinne als Tristran der swertdegen bezeichnet (München, Bayerische Staatsbiblitohek, Cgm 51, fol. 30 r , unteres Bildregister). 499 Vgl. Stein 1977, S. 307. 500 Vgl. Eilhart, »Tristrant«, vv. 364-370: also wůchß der júngeling | zů eren und zů groͮ ssem lob | in des kúngeß Marcken hoff, | biß er dar zů toͮ gte, | daß er wol niemen mochte | daß swert, wenn er wolt | daß niemen, so er solt. 501 Vgl. Eilhart, »Tristrant«, vv. 536-540: »mir ist zů dem swerte | worden so recht lieb: | ich lauß eß ungenomen nit. | möcht ich eß volbringen | ich wölt nach eren ringen.« Vgl. dazu auch Stein 1977, S. 307 Anm. 34: »Damit steht Gottfried auch gegen seinen deutschsprachigen Vorgänger Eilhard, der auch Tristan […] selbst und ziemlich ungestüm um das Schwert bitten läßt, und bei dem Marke nicht nur den Ritterschlag nicht anbietet, sondern Tristan sogar für zu jung erklärt.« Noch kürzer erzählt der Prosaroman, in dem Tristrant sofort das Schwert erhält: Also was er ein zeit in des küniges hof das in bedauchte er waͤre nun wol darzů das er ritter werden moͤ cht. vnd man jm das schwert geben soͤ llt. als auch das kurczlichen geschahe. (»Tristrant und Isalde«; Ausg. Brandstetter 1966, S. 6f., Z.-137-141) 502 Übers. Uecker 2008, S. 34. Entsprechend erzählt auch »Sir Tristrem«: Nachdem Rohand Tristrems wahre Identität offenbart hat, heißt es hier: ›Tristrem trat in aller eile vor den könig: »Nach Ermonie, herr, ver- 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 379 Bei Gottfried dagegen wird das Motiv der Rache ausgespart. 503 Die Entscheidung des Protagonisten, Ritter werden zu wollen, entspringt nicht länger einem spontanen Entschluss, sondern wird durch einen Vorschlag Ruals 504 von außen an ihn herangetragen und erst nach langen, zögerlichen Überlegungen von Tristan akzeptiert (vgl. vv. 4390-4445). In der Forschung hat man in Tristans auffälligem Zaudern eine gewisse Distanz gegenüber dem Rittertum gespürt, 505 die Weber damit erklärt hat, dass auch »des Dichters eigene Liebe nicht eben ritterlicher Art und Gesinnung gehört« 506 . Man kann die gegenüber der Stofftradition neu eingeführte 507 und zwar nicht im eigentlichen Sinne psychologisch erzählte, aber dennoch eindrückliche 508 Schilderung von Tristans Zögern allerdings auch als Versuch verstehen, den in der Episodenstruktur des Romans angelegten Rollenwechsel vorzubereiten und auf der Textoberfläche als charakterliche Entwicklung darzustellen, um so den Bruch in der Erzählung zu kaschieren und die Figur kohärenter zu gestalten. 509 langt es mich jetzt; dorthin will ich ziehen, ich nehme abschied von dir, um schleunigst mit Morgan zu fechten, ihn zu erschlagen oder er mich eigenhändig; früher soll niemand mich in England wiedersehen! « […] Zu den waffen liess der könig rufen das volk seines ganzen landes; um Tristrem zu helfen, schlug er (ihn) eigenhändig zum ritter.‹ (Str. 70-72; Übers. Kölbing 1882, S. 254f.) 503 Dabei hätte es auch hier einen Anknüpfungspunkt gegeben, wenn Rual am Hof von Marke davon berichtet, waz Canêl [Riwalin] unde Morgân | ein ander hæten getân (vv. 4343 f.). Vgl. dazu den Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 354: »Hier wäre die Gelegenheit gewesen, das Rachemotiv einzuführen.« Gottfried spare offenbar »dieses Moment bewußt aus«. So bereits Stein 1977, S. 307 Anm. 32. Siehe auch Jones 1990, S. 56f. 504 Offenbar plant auch der Markehof bereits Tristans Schwertleite: Der alte Hofmann, dem Rual in Cornwall begegnet, spricht von Tristan als ein[em] knappe[n] […], der sol schiere nemen swert (vv. 3914 f.). Vgl. dazu den Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 350. 505 Vgl. Bertau 1972-1973, Bd. 2, S. 942: »Nicht blindlings, sondern mit Wenns und Abers ist er in den neuen Ritterstand getreten.« Die Auffälligkeit dieser »seltsame[n] Rede«, in der Tristan »sich in Selbstanklage und Bescheidenheit« übe, erkannte schon Hans Fromm: Tristans- Schwertleite [1967], in: Arbeiten zur deutschen Literatur des Mittelalters, Tübingen 1989, S. 155-172, hier S. 156. 506 Weber 1953, Bd. 2, S. 83. 507 Vgl. Klaus Morsch: schœne daz ist hœne. Studien zum Tristan Gottfrieds von Straßburg, Erlangen 1984 (Erlanger Studien 50), S. 152, und den Kommentar von Krohn, Bd. 3, S. 87. 508 Von einer »Psychologisierung der Tristangestalt« spricht Fromm 1989 [1967], S. 157. Allerdings arbeitet die Erzählung, wie Hübner gezeigt hat, wie in der gesamten Jugendgeschichte nur wenig mit Innensichten, weshalb er von einer »kaum entfalteten Seelenlage« (Hübner 2003, S. 379) des Protagonisten spricht. Stattdessen stammen die Informationen über Tristans Innenleben vor allem aus den eigenen Aussagen der Figur. Gleichwohl ermöglicht die Episode durchaus Aufschluss über seelische Zustände und Prozesse, etwa wenn Tristans Trauer um seine Eltern dadurch Ausdruck verliehen wird, dass er sich gerade nicht dem repräsentativen Klagegestus der restlichen Hofgemeinschaft anschließen kann (vv. 4266-4269). Vgl. zu der Stelle Urban Küsters: Klagefiguren. Vom höfischen Umgang mit der Trauer, in: An den- Grenzen höfischer Kultur. Anfechtungen der Lebensordnung in der deutschen-Erzähldichtung des hohen Mittelalters, hrsg. von Gert Kaiser, München 1991 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 12), S. 9-75, hier S. 36f. Auch vorher schon ist von Tristans inneclîcher swære (vgl. v. 4228) die Rede. Als psychologisch glaubhafte Charakterisierung liest die Stelle jedenfalls Schwartzkopff, wenn er davon spricht, die Darstellung bringe »allein durch die Komposition den eigentümlich klugen, diplomatisch abwartenden Tristan lebendiger heraus, als es eine beschreibende Charakterschilderung tun würde« (Werner Schwartzkopff: Rede und Redeszene in der deutschen-Erzählung bis Wolfram von-Eschenbach, Berlin 1909 (Palaestra 74), S. 67). 509 Vgl. auch Morsch 1984, S. 152: »[E]s ging Gottfried aber auch hier wohl um Stimmigkeit in der Darstellung des Zusammenhangs von Gefühl und Verhalten«. - Grundsätzlich wurde die Szene ausgesprochen häufig zum Gegenstand psychologisierender Interpretationen, vielleicht gerade weil das Innenleben des Protagonisten über weite Strecken nicht zugänglich ist (siehe oben). Dazu gehört etwa die psychoanalyti- 380 3 Lektüren In diesem Sinne liest die vorliegende Szene Anette Sosna, die Tristans Rollenwechsel aus ›identitätsanalytischer‹ Perspektive beschrieben hat: 510 Die Ankunft seines Ziehvaters Rual und die Enthüllung seiner wahren Abstammung würden in der Figur einen Reflexionsprozess in Gang setzen, der schließlich zur »Umstrukturierung von Tristans Identitätskoordinaten« 511 führe. Tristan wende sich vom ›Künstlertum‹ ab und dem ›Kriegertum‹ zu, weil er sich seiner neuen gesellschaftlichen Rolle als Landesherr und der damit verbundenen sozialen Erwartungen bewusstwerde. Selbstzweifel und eine selbstkritische Betrachtung seiner Jugend führten zu einem Wertewandel, 512 der in der folgenden Äußerung des Protagonisten zum Ausdruck komme: »daz ich mîn unversuohte jugent ûf werdekeit unde ûf tugent sô rehte selten g’üebet hân, daz ist vil sêre missetân und hân es an mich selben haz.« (vv. 4421-4425) Sosnas Erklärung geht dabei unkritisch von der Figur als ›Person‹ aus und greift auf realweltliche Wissensbestände zurück. Das betrifft einerseits die feudale Gesellschaftsordnung des Mittelalters und daraus resultierende soziale Rollenerwartungen, 513 andererseits aber auch Vorstellungen über seelische Zustände und Prozesse, 514 für deren Beschreibung sich Sosna (ohne das bewusst zu machen) zum Teil auf (popularisierte) Konzepte aus der modernen Psychologie bezieht. 515 Die artifizielle Dimension literarischer Figuren und mögliche narrative Traditionen werden dabei außer Acht gelassen. sche Lektüre von Schwertleite und Moroltkampf als Emanzipation Tristans aus einer homoerotischen Beziehung zu Marke und Etablierung einer selbstbestimmten Heterosexualität bei Craig Palmer: A Question of Manhood. Overcoming the Paternal Homoerotic in Gottfried’s »Tristan«, in: Monatshefte für deutschsprachige Literatur und Kultur 88 (1996), S. 17-30, der sich allerdings nicht auf die Psyche der Figuren beziehen will (vgl. ebd., S. 20), sondern - im Anschluss an Bruno Bettelheims Märchenanalysen - auf einen psycho-symbolischen Subtext der Erzählung rekurriert. 510 Vgl. Sosna 2003, S. 238-243. 511 Ebd., S. 243. 512 Die selbstkritische Haltung des Protagonisten beobachtet auch Fromm, erklärt sie jedoch mit dem Ritual der Schwertleite: »[A]ls gleichsam erster purifizierender Akt« gehöre »die Selbstbezichtigung« zum »rite de passage der Schwertleite« (Fromm 1989 [1967], S. 157). 513 Vgl. dazu die theoretischen Überlegungen bei Sosna 2003, S. 26f. Dass es in der vorliegenden Szene um die Verhandlung von »sozialen Identitäten« gehe, meint auch Schulz 2017, S. 47. 514 Diese zweifache Bezugnahme entspricht Sosnas Verständnis von Identität »als psychische[m] wie auch als soziale[m] Organisationsprinzip« (Sosna 2003, S. 17). 515 Das betrifft etwa die Rede von einem »traumatisierende[n] Effekt« (Sosna 2003, S. 239) der Enthüllung von Tristans wahrer Identität: Das Konzept des Traumas ist vor allem in der Psychoanalyse geprägt worden, vgl. Beate Lorke: Art.- Trauma, in: Dorsch.- Lexikon der Psychologie, hrsg. von Markus Antonius Wirtz unter Mitarbeit von-Janina Strohmer, 16., vollst. überarb. Aufl., Bern 2013, S. 1575f. Die Formulierung einer »Internalisierung höfisch-ritterlicher Wertvorstellungen« (Sosna 2003, S. 243) greift auf das vorrangig in der Sozialpsychologie gebrauchte Konzept der Verinnerlichung / Internalisierung zurück, vgl. dazu Jochen Gerstenmaier: Art. Verinnerlichung, in: Psychologische Grundbegriffe. Mensch und Gesellschaft in der Psychologie. Ein Handbuch, hrsg. von Siegfried Grubitzsch / Günter Rexilius, Reinbek bei Hamburg 1987, S. 1181f. Auch Barandun betrachtet Tristans »Selbstanklage« vor allem aus einer psychologischen Perspektive, vgl. Barandun 2009, S. 56: »Sollte Tristan, der sich als Jägermeister und geselle des Königs an seinem Platz fühlt, tatsächlich Hemmungen haben, sich zum Ritter schlagen zu lassen? Oder ist er enttäuscht, weil seine Karriere für einen junchêrre [sic] eine reine Selbstverständlichkeit ist, für einen fremden Kaufmannssohn aber ein imposanter Triumph gewesen wäre? « - Kritisch zu solchen Ansätzen, 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 381 Ich möchte deshalb eine alternative Deutung der Szene vorschlagen und dafür auf die Verse schauen, die der von Sosna zitierten Textstelle unmittelbar folgen und die eigentliche Begründung für Tristans kritische Betrachtung seiner Jugend enthalten: 516 »nu weiz ich doch nu lange daz: senfte und ritterlîcher prîs diu missehellent alle wîs und mugen vil übele samet wesen. ouch hân ich selbe wol gelesen, daz êre wil des lîbes nôt; gemach daz ist der êren tôt.« (vv. 4426-4432) Mit den Ausdrücken senfte und vor allem gemach wird hier ein Diskurs aufgerufen, der die höfische Literatur der Zeit um 1200 intensiv beschäftigt hat: Es geht um die Rolle der Muße in der Lebensform des adligen Ritters. 517 Schon vorher nimmt Tristan auf diesen Zusammenhang Bezug, wenn er davon spricht, er wolle seine m ü e z i g e jugende […] | üeben unde kêren | ze werltlîchen êren (vv. 4414-4416; Hervorhebung L.M.). Dass die Muße in der vorliegenden Textstelle als der Ritterschaft entgegengesetzt aufgefasst wird, entspricht dem kulturellen Konsens: Das höfische Rittertum der Zeit um 1200 gilt als geprägt von einer »Ideologie der arbeit« 518 , verstanden als kämpferische Auseinandersetzung mit dem Ziel, Ansehen (mhd. êre) zu erwerben. In diesem Konzept der arbeit umbe êre (»Iwein«, v. 7213 519 ) hat Muße keinen Platz. Dass sich Gottfrieds Roman explizit auf solche Prätexte bezieht, in denen dieses Konzept verhandelt wird, zeigt besonders der Schluss der zitierten Textstelle (vv. 4430-4432): Alois Wolf hat meines Wissens als erster darauf hingewiesen, dass die Erkenntnis, dass Ansehen körperliche die von der Figur als ›Person‹ her argumentieren (ohne Bezug auf Sosna oder Barandun) im vorliegenden Zusammenhang auch Uttenreuther 2009, S. 116f.: »[D]ie Argumentation mit dem ›Charakter‹ ist hinsichtlich dieses Bruchs [in der Konzeption der Figur] wenig ergiebig. Denn bei aller ›Modernität‹, die der Tristanfigur durch ihre nicht in Abrede zu stellende psychische Komplexität bescheinigt wird, ist sie doch nicht das, was man einen durchgängigen Charakter nennt. Die Zuflucht zu anachronistisch-neuzeitlichen Psychologisierungen, um ihre Inkohärenzen zu reduzieren, muss daher fehlschlagen.« 516 Dieselben Verse führt Morsch 1984, S. 153, an. Auch Karl-Heinz Göttert hebt sie in seinem Einführungsband hervor, vgl. Göttert 2011, S. 74. Auf die Stelle beziehen sich weiterhin Penn / Tubach 1972, S. 330, und sehen darin einen Ausdruck für die von Riwalin ererbte fortitudo des Protagonisten. Siehe jetzt auch Becker 2019, S. 206f. Ansonsten ist die Stelle, so weit ich sehe, kaum Gegenstand näherer Betrachtung geworden. 517 Vgl. dazu Hasebrink 2014b sowie jetzt Becker 2019. In diesem Diskurs verortet auch Wenzel seine Überlegungen zum Verhältnis von ›Künstler-‹ und ›Kriegertum‹, wenn er sie in Beziehung zur Diskussion um die Lebensformen von vita contemplativa und vita activa setzt, vgl. Wenzel 2002, S. 853, 870. 518 Dazu Wolfgang Haubrichs: Das- Wortfeld von ›Arbeit‹ und ›Mühe‹ im Mittelhochdeutschen, in: Arbeit im- Mittelalter. Vorstellungen und Wirklichkeiten, hrsg. von Verena Postel, Berlin 2006, S. 91-106, hier S. 97-99; zur arbeit umbe êre als »Lebensform des Ritters« jetzt außerdem Becker 2019, bes. S. 107-122. Diese Gegenüberstellung wird auch in lateinischen Texten kommuniziert, wenn sich etwa Petrus von Blois in einem Brief darüber auslässt, dass die Ritter müßiggehen (otio vacare), anstatt ihre Kräfte im Kampf gegen die Feinde des Kreuzes Christi zu beweisen (contra inimicos crucis Christi vires suas exercere, Brief Nr. 94; Ausg. Migne 1855, Sp.-294C). Petrus erteilt hier einem befreundeten Archidiakon Ratschläge darüber, welche Lebensform dessen Neffen einschlagen sollen. Diese hatten sich für den Kriegerstand entschieden, Petrus rät davon ab. 519 Ausg. Mertens 2004, S. 712. 382 3 Lektüren Anstrengung erfordert und Müßiggang zum Tod des Ansehens führt, 520 eine intertextuelle Anspielung auf die Romane Hartmanns von Aue darstellt. 521 Die Gegenüberstellung von gemach und êre findet sich an prominenter Stelle im »Erec« und im »Gregorius«. 522 Worauf der »Tristan« hier also anspielt, ist das seit dem »Erec« extrem bekannte literarische Programm der Artusromane. 523 Die Erzählung bezieht sich damit auch auf ein konventionelles Figurenmodell, nämlich die ›Heilsbringerrolle‹ des arthurischen Protagonisten. 524 Damit wird - das ist meine zentrale These - literarisches Wissen zur Grundlage von Tristans ›Identitätswechsel‹. 525 Was Sosna eine ›Umstrukturierung von Tristans Identitätskoordinaten‹ nennt, lässt sich narratologisch als Neuorganisation des mentalen Modells der Figur beschreiben. Für einen Rezipienten, der die Anspielung versteht, bildet dabei das literarische Figurenmodell des Artusritters eine entscheidende Bezugsgröße. Tristan wird einer neuen Figurenkategorie zugeordnet, die den Ausgangspunkt für seine ritterlichen Aktivitäten bildet. Oder anders ausgedrückt: Die Gewalt, die Tristan im Anschluss an die Schwertleite ausüben wird, nimmt ihren Ausgangspunkt beim Programm der arbeit umbe êre, auf das er sich vorher bezieht. 520 Vgl. die Übersetzung der Verse 4431 f. bei Krohn, Bd. 1, S. 273. 521 Vgl. Wolf 1953, S. 17; weiterhin Wolf 1989, S. 101f. Zu den intertextuellen Bezügen im Kontext der Schwertleite ausführlich Goller 2005, S. 104-109. Siehe auch Eikelmann / Tomasek (Hrsg.) 2009, S. 448-451. 522 Vgl. »Erec«, vv. 2966-2970: Êrec wente sînen lîp | grôzes g e m a c h e s durch sîn wîp. | die minnete er sô sêre | daz er aller ê r e | durch si einen verphlac (Ausg. Gärtner 2006, S. 87; Hervorhebung L.M.); »Gregorius«, vv. 1677f.: »wolde ich g e m a c h vür ê r e , | sô volgete ich iuwer lêre.« (Ausg. Mertens 2004, S. 100; Hervorhebung L.M.) 523 Vgl. Goller 2005, S. 106. In einer ganzen Reihe späterer Texte wird die Gegenüberstellung von- gemach und êre aufgegriffen. George Fenwick Jones spricht vom »contrast of êre and gemach« daher zurecht als »a favorite topos in courtly literature« (George Fenwick Jones: Honor in German-Literature, Chapel-Hill o. J. [1959] (University of North Carolina Studies in the Germanic Languages and Literatures 25), S. 73). So heißt es in Hartmanns »Iwein« in Bezug auf Keie: ze g e m a c h e âne ê r e stuont sîn sin. (v. 76; Ausg. Mertens 2004, S. 322; Hervorhebungen hier und im Folgenden L.M.) Aus dem Bereich der höfischen Epik weiterhin Wirnt von Grafenberg, »Wigalois«, vv. 2874f.: mit g e m a c h nieman mac | grôze ê r e erwerben. (Ausg. Seelbach / Seelbach 2014, S. 69); »Mauritius von Craûn«, vv. 443f.: swer nâch ê r e n wil streben, | er mac g e m a c h ûfgeben (Zitiert nach Mauritius von Craûn, hrsg. von Heimo Reinitzer, Tübingen 2000 (ATB 113), S. 23); Rudolf von Ems, »Alexander«, vv. 14979f.: si [die êre] kumt den ê r e gernden man | mit g e m a c h e selten an. (Ausg. Junk 1928-1929, Bd. 2, S. 517) Für die didaktische Literatur »Winsbecke«, 42,1-7: »Sun, wil dir lieben guot g e m a c h , | sô muostû ê r e n dich bewegen: | an jungen man ich nie gesach | diu zwei gelîcher wâge wegen. | waz touc ein junger lîp verlegen, | der u n g e m a c h niht lîden kan | noch sinneclîch nâch ê r e n stegen? « (Zitiert nach Winsbeckische Gedichte nebst Tirol und Fridebrant, hrsg. von Albert Leitzmann. 3., neubearb. Aufl. von Ingo Reiffenstein, Tübingen 1962 (ATB 9), S. 24); Freidank, »Bescheidenheit«, 92,3-10: Der werlt ist niht mêre | wan strît umbe êre. | Mit s e nf t e nieman ê r e hât, | als nû diu werlt stât. (Zitiert nach Fridankes Bescheidenheit, hrsg. von Heinrich Ernst Bezzenberger, Halle 1872, S. 151) Außerdem Frauenlob, Str. 5,30, vv. 7-9: Ein ieslich orden hat g e m a c h bi e r e n wol; | ein ritter sol g e m a c h durch e r e miden. (Ausg. Stackmann / Bertau 1981, S. 406) 524 Vom »Rittertyp […] des gewöhnlichen, ehrenhaften, aber unkomplizierten Ritters« spricht Jackson 1973 [1962], S. 289 Anm. 10. Zur ›Heilsbringerrolle‹ bei Eilhart und Gottfried grundsätzlich Unterreitmeier 1984. 525 Dass das Programm der arbeit umbe êre als ein originär literarisches Konzept verstanden werden kann, belegt ausgerechnet ein Beispiel aus dem Bereich der didaktischen Literatur, nämlich das prominente Zeugnis des »Welschen Gasts«: Thomasin von Zerklære reflektiert offenbar ebenfalls die literarische Kodierung des Verhältnisses von Muße und Rittertum, wenn der Erzähler - ganz ähnlich wie Tristan - auf seine eigene Lektüre-Erfahrung verweist, vgl. vv. 7769-7774: gedenket, rîtr, an iuwern orden: | zwiu sît ir ze rîter worden? | durch slâfen, weizgot ir ensît. | dâ von daz ein man gerne lît, | sol er dar umbe rîter wesen? | i c h n h â n z g e h œr e t n o c h g e l e s e n . (Ausg. Rückert 1852, S. 211; Hervorhebung L.M.) Dass sich diese Stelle »intertextuell auf Erecs gemach beziehen lässt«, beobachtet auch Hasebrink 2014b, S. 119. 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 383 Dass sich der Roman im Zusammenhang mit der Figurenkonzeption des Protagonisten auf die Artusepik bezieht, ist an sich nicht erstaunlich, denn auch in den anderen Versionen des Tristanstoffes spielen das Figurenmodell des arthurischen ›Heilsbringers‹ und das Programm der arbeit umbe êre eine zentrale Rolle. Bei Eilhart etwa motivieren ganz ähnliche Gedanken den Aufbruch des Protagonisten zum Markehof, wie Tristrant gegenüber seinem Vater betont: er sprach: »lieber vatter, gerůch laussen riten mich. lenger baitten ist mir schädlich. […] eß dörft mir nicht wesen laid, ob ich nun hett a r b e it .« (Eilhart, »Tristrant«, vv. 216-228; Hervorhebung L.M.) In der Prosa-Bearbeitung bezieht sich Tristrants Lehrer Kurneval sogar explizit auf die aus dem »Erec« bekannte Problematik des verligens: Als nun Tristrant darczů warde das er in hertt vnd nott sich auch geleyden mocht. Riet jm sein meyster kurnewal. das er vrlaub begert von dem herren seynem vatter Ribalin. auf mainung dz er andre land vnnd sitten auch sehen. erfaren. vnd erlernen moͤ chte. vnd sich nitt also in seinem aygen heymat v e r l aͤ g e . (»Tristrant und Isalde«, Prosaroman, Z. 79-84; Hervorhebung L.M.) 526 Auch die ›spielmännischen‹ Erzählungen arbeiten also mit intertextuellen Bezügen auf die Artusliteratur. Der Protagonist folgt in beiden Texten demselben Figurenmodell wie bei Gottfried, allerdings nicht erst in Folge eines ›Identitätswechsels‹, sondern von Anfang an. Das Besondere an Gottfrieds Darstellung besteht jedoch darin, dass der intertextuelle Verweis als literarisches Wissen im engeren Sinne markiert ist: ouch hân ich selbe wol gelesen, heißt es im zitierten Textausschnitt. Die Stelle steht damit in einer Reihe mit dem Vergleich von Isolde und Helena oder Tristans Ovid-Kenntnissen: Wieder handelt es sich um das Produkt eines Lektürevorgangs. 527 Man kann auch hier von einer Außenindexikalität des abgerufenen Wissens sprechen, das sich - anders als die von Sosna bemühten Wissensbestände - nicht auf die fiktive erzählte Welt des »Tristan« bezieht, sondern auf einen anderen Text und damit auf die Welt von Autor und Publikum. Bevor ich auf die weiteren narratologischen Konsequenzen dieser Deutung zu sprechen komme, möchte ich auf einen möglichen Einwand eingehen: Man könnte der Interpretation entgegenhalten, dass zum Beispiel auch Hartmanns Gawein offenbar mit dem literarischen Programm der Artusepik vertraut ist, wenn er Iwein davor warnt, Erecs Fehler zu wiederho- 526 Ausg. Brandstetter 1966, S. 4. Vgl. dazu Dorothee Ader: Prosaversionen höfischer Epen in Text und Bild. Zur Rezeption des »Tristrant« im 15. und 16. Jahrhundert, Heidelberg 2010 (Beiträge zur älteren Literaturgeschichte), S. 92f.: »Der Anklang an das Vergehen Erecs, zu lange ohne Bewährung zu Hause zu bleiben, ist hier mitgedacht. […] Die Anklänge an Erec, Parzival und die Tafelrunde parallelisieren Tristrant mit diesen Ritterfiguren und ordnen ihn dem höfischen Rittertum zu. Das Rittertum Tristrants steht also auch in der Prosaversion noch eindeutig unter dem Einfluss der großen Vorbilder, die als Artus-Ritter Werte wie Ehre und Frauendienst suchen«. 527 Vgl. Goller 2005, S. 106 Anm. 62. Zu Isolde und Helena siehe oben, bes. S. 360f., zu Tristans Ovid-Lektüren S. 166f. 384 3 Lektüren len - ohne dass man von einem externen Wissensbezug sprechen würde. 528 Noch deutlicher zeigt sich das bei den zahlreichen Wissensreferenzen in der Heldenepik: 529 Im Epos ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Held die Geschichte eines anderen kennt. Wenn Dietrich von Bern im »Biterolf« (um 1250? ) von Siegfrieds Jugendtaten gehört hat, dann unterstellt man ihm dafür, soweit ich sehe, kein literarisches Wissen - auch wenn im Text immerhin von einem mære die Rede ist. 530 Das gleiche gilt für Hagen im »Nibelungenlied«, der ebenfalls mit Siegfrieds Biographie vertraut ist, ohne irgendwelche Texte gelesen zu haben. 531 Dietrich, Hagen und Siegfried sind Teil einer kollektiven Erzählwelt, an der neben den Figuren, wie Jan-Dirk Müller gezeigt hat, auch Erzähler und Rezipienten teilhaben. 532 Deshalb greift die Kategorie der Außenindexikalität hier nicht. Wie zu zeigen sein wird, gilt das in ähnlicher Weise auch für Gawein, Erec und die erzählte Welt des Artusromans. Dass sich Gottfrieds erzählerisches Arrangement davon deutlich unterscheidet, offenbart ein Blick auf den grundsätzlichen Umgang mit der Artusliteratur im »Tristan«. Um Gottfrieds spezifisch eigene Position herausarbeiten 528 Vgl. Hartmann von Aue, »Iwein«, vv. 2791-2794: »kêrt ez niht allez an gemach; | als dem herren Êreke geschach, | der sich ouch sô manigen tac | durch vrouwen Ênîten verlac.« (Ausg. Mertens 2004, S. 468) Dass damit eine »falsche »Erec«-Interpretation« vorgeführt werden soll, meint Walter Haug: Lesen oder Lieben? Erzählen in der-Erzählung: vom »Erec« bis zum »Titurel«, in: Brechungen auf dem-Weg zur Individualität. Kleine-Schriften zur-Literatur des Mittelalters, Tübingen 1995, S. 153-167, hier S. 164f. Dazu auch Manfred Kern: Iwein liest ›Laudine‹. Literaturerlebnisse und die ›Schule der Rezeption‹ im höfischen Roman, in: Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters. Festschrift für Volker Mertens zum 65. Geburtstag, hrsg. von Matthias Meyer / Hans-Jochen Schiewer, Tübingen 2002, S. 385-414, hier S. 409f. 529 Dazu grundlegend Kerth 2008, bes. S. 95-115. 530 Vgl. »Biterolf und Dietleib«, vv. 7810-7823: dauon gezweiuelt im der můt, | daz man im saget die maͣ re, | daz der recke [d. h. Siegfried] waͣ re | komen in ein reich lant, | da er zwen edel kunig vandt | bei manigem stoltzem ritter gůt. | […] | ditz maͣ re was Diettrich bekannt, | daz er die kuͣ nige bede slůg. (Ausg. Schnyder 1980, S. 275) 531 Vgl. »Nibelungenlied«, Str. 86-100 (Ausg. Bartsch / de Boor 1996. S. 20-22). Aber auch hier wird das Wissen zweimal an vorgängiges Erzählen zurückgebunden, vgl. Str. 88,2: daz ist mir wol geseit (ebd., S. 20); Str. 92,1: sô wir hœren sagen (S. 21). Für Kerth wird an solchen Stellen »nicht auf einen schriftlich überlieferten Prätext, sondern auf die Stofftradition der Nibelungen-, Dietrich- und Walthersage« (Kerth 2008, S. 97) verwiesen; es handle sich »um ein Erzählen am Rande der Intertextualität« (ebd., S. 100). Zur Funktion der vorliegenden Stelle, Hagens »mythisches Wissen« zu demonstrieren, auch Volker Mertens: Hagens Wissen - Siegfrieds Tod. Zu Hagens Erzählung von Jungsiegfrieds Abenteuern, in: Erzählungen in Erzählungen. Phänomene der Narration in Mittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Harald Haferland / Michael Mecklenburg, München 1996 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 19), S. 59-69, Zitat S. 65. Die Stelle steht im Zusammenhang mit der spezifisch heldenepischen Form des Erkennens, die Jan-Dirk Müller beschrieben hat, vgl. Jan-Dirk Müller: Woran erkennt man einander im-Heldenepos? Beobachtungen an-Wolframs »Willehalm«, dem »Nibelungenlied«, dem »Wormser Rosengarten-A« und dem »Eckenlied«, in: Symbole des Alltags, Alltag der-Symbole. Festschrift für Harry Kühnel zum 65.- Geburtstag, hrsg. von Gertrud Blaschitz u. a., Graz 1992, S. 86-111, hier S. 94-97. Gerok-Reiter hat, wie bereits angedeutet, gezeigt, dass diese Identifikation des Helden im »Tristan« gerade nicht funktioniert: »Genau dieser selbstverständliche Raum des Immer-schon-bekannt-Seins als Korrelat heroischer Identität fehlt Tristan jedoch konsequent, ja er wird ihm bei Gottfried, sobald er sich auftut, geradezu programmatisch wieder entzogen: Geboren im eigenen Land, wächst er doch incognito auf. Kaum hat er sich unter Ruals Söhnen als vornehmster hervorgetan, wird er entführt. In Unkenntnis über seine Herkunft zieht er durch Cornwall. Unerkannt lebt er am Hof Markes.« (Gerok-Reiter 2006, S. 156) 532 Vgl. Müller 1992, S. 110f. Den »Versuch, eine übergreifende heldenepische Welt herzustellen«, beschreibt auch Kerth 2008, S. 359f., Zitat S. 359. 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 385 zu können, ist es nötig, zunächst auf das generelle Verhältnis der beiden Stofftraditionen sowie auf den Umgang mit der Artusliteratur in den anderen Tristanversionen zu schauen. 533 3.4.3 Tristan und Artus Zwischen Tristanstoff und Artussage besteht grundsätzlich eine enge Verbindung. Beide gehören zur matière de Bretagne 534 und werden in zeitgenössischen Quellen immer wieder in einem Atemzug genannt. 535 Es kann mir hier nicht darum gehen, die Frage zu klären, wie alt die Verbindung der beiden Stoffe ist; 536 sie zeigt sich jedenfalls seit dem Beginn der höfi- 533 Das Verhältnis von Tristansage und Artusliteratur ist aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlichem Erkenntnisinteresse immer wieder beschrieben worden, vgl. Ulrich Mölk: Die Figur des Königs Artus in-Thomas’ Tristanroman, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift. N. F. 12 (1962), S. 96- 101; Stein 1977; Höfner 1982; McDonald 1989; William C. McDonald: Arthur and Tristan. On the Intersection of Legends in- German- Medieval Literature, Lewiston (New York) u. a. 1991; Haug 1990; Volker Mertens: Der arthurische-Tristan. die fabelen, die hier under sint, die sol ich werfen an den wint, in: Tristan - Tristrant. Mélanges en l’honneur de Danielle Buschinger à l’occasion de son 60ème anniversaire, hrsg. von André Crépin / Wolfgang Spiewok, Greifswald 1996 (Wodan 66), S. 365-379; Cora Dietl: Artus - ein Fremdkörper in der Tristantradition? , in: Arthurian Literature 24 (2007), S. 33-49; Stefan Seeber: Arthurische Sonderwege. Zur Rolle der Artuswelt bei Eilhart und in den »Tristan«-Fortsetzungen, in: Artusroman und Mythos, hrsg. von Friedrich Wolfzettel u. a., Berlin 2011 (Schriften der Internationalen Artusgesellschaft. Deutsch-österreichische Sektion 8), S. 145-164; Christian Buhr: Arthurische Vermittlung. »Tristan« von den Rändern her gelesen (2012), online verfügbar unter: - urn: / / nbn: de: bvb: 20-opus-78765 (20.02.2020); Schulz 2017, S. 186-190. 534 Bei Lambert von Ardres gehört die Erzählung de Tristanno et Hisolda gemeinsam mit derjenigen de Merlino et Merchulfo in die (allerdings relativ bunt gemischte) Gruppe der Anglorum gestis et fabulis, für die am Hof von Guines der Ritter Walther LeClud zuständig ist, vgl. Lambert von Ardres, »Historia comitum Ghisnensium«, Kap. 96 (Ausg. Heller 1879, S. 607, Z. 20 f.). Artus selbst wird hier allerdings in die Reihe der Figuren aus der ›historischen‹ chanson de geste-Dichtung gestellt, die zum Repertoire Roberts von Coutance zählen (de Romanis imperatoribus et Karlomanno, de Rolando et Olivero et de Arthuro Britannie rege, ebd., Z. 15 f.). 535 Vgl. Petrus von Blois, »Liber de confessione sacramentali«: de Arturo et Gangano et Tristanno […] fabulosa quædam referunt histriones (Ausg. Migne 1855, Sp. 1088D). ›Von Artus und Gawein (? ) und Tristan erzählen die Spielleute manches Märchenhafte.‹ Eine ähnliche Stelle findet sich im französischen »Roman de Renart« (Branche Ic, um 1190), wo Renart erklärt, als jongleur könne er del roi Artu et de Tristam singen (v. 2389). Ausg. Barre 2010, S. 203 (Lesart der Hss. ACH, während B Lartu bietet und die Leiths. O Hector). Dazu Höfner 1982, S.-289: »Das Problem liegt in der Interpretation des ›et‹: hat man es bei Tristan und Artus mit Stoffen zu tun, die gleichwertig und gleichberechtigt nebeneinander stehen, möglicherweise als Varianten eines Systems aufzufassen sind, oder handelt es sich um gegensätzliche, um inkompatible Stoffe, die zueinander in ein Verhältnis der ›Konkurrenz‹ treten? « 536 Zu dieser Diskussion McDonald 1991, S. 1-3. Für eine frühe und grundlegende Verbindung der beiden Stoffkreise plädiert etwa Eisner 1969, S. 5-19: »The Tristan story is and always has been an Arthurian tale. Wherever the Tristan story was told, Arthur was mentioned.« (S. 19) Als Beleg zitiert er unter anderem eine Erzählung aus den sogenannten »Walisischen Triaden« (»Trioedd Ynys Prydein«), in der Drystan zusammen mit March und Arthur auftritt (»Drei mächtige Schweinehirten«). Dieser Text ist zwar erst aus dem 13. Jh. überliefert, sei aber nicht »influenced by any extant French Arthurian literature« (ebd., S. 7). Dazu auch McCann 1990, S.-25. Schoepperle dagegen sah in der Integration von Tristan in die Artuswelt die bewusste Leistung von Bearbeitern des 12. Jh.s, vgl. Schoepperle 1913, S. 222f: Keine der fraglichen Stellen zeige »marks of survival from a primitive period of the tradition […]. It would seem, therefore, that we owe them to French redactors. The purpose of introducing them into the narrative seems to have been to associate Tristan with a popular cycle with which his story had a certain affinity.« Auch Erich Köhler hält die Verbindung der Tristanerzählungen mit dem Artusstoff für »sekundär« und ihre Zuordnung zu den ›arthurischen Romanen‹ daher für fraglich, vgl. Erich Köhler: Einleitung, in: Der alt- 386 3 Lektüren schen Literatur. Schon im ersten Artusroman, Chrétiens »Erec et Enide« (um 1170), gehört Tristan zu den Mitgliedern des Artushofes, 537 und er bleibt es etwa in Hartmanns »Erec« (um 1180), 538 im »Lanzelet« Ulrichs von Zatzikhoven (nach 1194) 539 und im »Gauriel von Muntabel« Konrads von Stoffeln (um 1250). 540 Tristan ist im Mittelalter (und weit darüber hinaus 541 ) eine feste Größe des arthurischen Heldenzeitalters. Auch Wolfram verbindet im »Parzival« (nach 1203) die beiden Erzählwelten von Tristan und Artus, indem er auf dem Turnier von Kanvoleiz in der Vätergeneration der Artusritter neben Utherpendragon, König Lac und Lot von Norwegen (den Vätern von Artus, Erec und Gawein) auch Rîwalîn und Môrholt von Yrlant auftreten lässt. 542 Diese Tendenz zur Verbindung der narrativen Welten lässt sich auf die grundsätzliche Intertextualität der Artusliteratur zurückführen: In allen Artusromanen wird durch Anspielungen, Verwandtschaftsbeziehungen oder das Auftreten bekannter Figuren die Anknüpfung an andere Texte der Gattung gesucht. 543 Ein anschauliches Beispiel für dieses Verfahren bietet wiederum Wolfram, wenn er zwei Söhne von Parzivals Mentor Gurnemanz zu Opfern der beiden Hauptgegner von Erec macht: Der eine wurde beim Sperberpreis von Iders getötet, der andere im Rahmen der Joie de la Court von Mabonagrin. 544 Durch solche Anspielungen wird in der Imagination der Rezipienten die Abgeschlossenheit der erzählten Welt durchbrochen. 545 französische-höfische Roman, hrsg. von Erich Köhler, Darmstadt 1978 (Wege der Forschung 425), S. 1-15, hier S. 1 Anm. 1. Louis Hammerich äußert die These, dass sich umgekehrt Geoffrey of Monmouth in Teilen seiner »Historia regum Britanniae« auf eine verlorene Stufe der Tristansage bezogen hätte, vgl. Louis Hammerich: Rationalismus und Irrationalismus im Tristan-Roman. Beobachtungen zur Vorgeschichte, in: Mitteilungen Universitätsbund Marburg 1 / 2 (1959), S. 4-15, hier S. 10. Dafür scheint es aber, so weit ich sehe, keine belastbaren Hinweise zu geben. 537 Bei der Aufzählung der Artusritter nennt der Erzähler ihn als Tristanz qui onques ne rist (v. 1687; ›Tristan, der niemals lachte‹). Zitat und Übersetzung nach der Ausg. Gier 1987, S. 96f. 538 Vgl. Hartmann, »Erec«, v. 1650 (als Tristram; Ausg. Gärtner 2006, S. 48). 539 Vgl. Ulrich von Zatzikhoven, »Lanzelet«, vv. 6234, 6394, 6521 u. ö. (als Tristrant bzw. Tristant / Trystant; Ausg. Kragl 2013, S. 252, 360, 366). 540 Vgl. Konrad von Stoffeln, »Gauriel von Muntabel«, vv. 1341-1347, 5263 (Ausg. Achnitz 1997, S. 293-295, 465). Die Handschriften verwenden die Namensformen Tristram bzw. Tristrant, obwohl sich Konrad im Text ausdrücklich auf Gottfried bezieht, vgl. den Kommentar von Achnitz, S. 526f. 541 Noch in Jerry Bruckheimers Hollywood-Produktion »King Arthur« aus dem Jahr 2004 gehört Tristan (gespielt von Mads Mikkelsen) neben Lancelot und Gawain zu den Gefährten von Artus. 542 Vgl. Wolfram von Eschenbach, »Parzival«, vv. 67,19, 73,14-28 (Ausg. Nellmann 1994, Bd. 1, S. 118, 126- 128). Morolt wird schon zuvor im Kampf vor Patelamunt erwähnt, vgl. v. 49,5 (ebd., S. 88). Zur vorliegenden Stelle Ulrike Draesner: Wege durch erzählte Welten. Intertextuelle- Verweise als Mittel der Bedeutungskonstitution in- Wolframs »Parzival«, Frankfurt a. M. u. a. 1993 (Mikrokosmos 36), S. 178-184. - Auch der Pleier sucht im »Garel von dem blühenden Tal« (nach 1240) Anschluss an die erzählte Welt des »Tristan«: Garel kämpft hier gegen Gilan, den Tristran von grôzem kumber lôste, weil er einen Riesen für ihn erschlug und dafür das Hündchen Petitcriur erhielt (vv. 2456-2466; Ausg. Walz 1892, S. 38). 543 Dazu Bernd Schirok: Als dem hern Êrecke geschach. Literarische Anspielungen im klassischen und nachklassischen deutschen Artusroman, in: LiLi 18 (1988), S. 11-25. Außerdem Marjolein Hogenbirk: Intertextuality, in: Handbook of Arthurian-Romance. King Arthur’s Court in Medieval-European Literature, hrsg. von Leah Tether / Johnny McFadyen in Zusammenarbeit mit Keith- Busby / Ad Putter, Berlin / Boston 2017, S. 183-198. 544 Vgl. Wolfram von Eschenbach, »Parzival«, vv. 178,11-26 (Ausg. Nellmann 1994, Bd. 1, S. 298). Zu dieser Stelle Draesner 1993, S. 235-245. Dass Wolframs intertextuelles Verfahren komplexer ist als das der anderen Artusromane, wird kaum überraschen. Dazu Draesner 1993, zusammenfassend S. 432-454. In Bezug auf den Fiktionalitätsstatus des Erzählens auch Glauch 2005, S. 61f. 545 Vgl. Schirok 1988, S. 12. 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 387 Den Endpunkt dieser Bemühungen um eine »Globalisierung der arthurischen Erzählwelt« 546 stellen schließlich Texte wie Ulrich Füetrers »Buch der Abenteuer« (1473-1483) oder Thomas Malorys »Morte Darthur« (Erstdruck 1485) dar, die den Anspruch einer umfassenden Synthese des Artusstoffes vertreten. Doch schon die ersten Artusromane sind geprägt von der »Idee einer werkübergreifenden Erzählwelt« 547 . Entgegen der modernen narratologischen Annahme, dass »[j]eder fiktionale Text […] seine eigene Welt« 548 entwirft, bewohnen in der zeitgenössischen Wahrnehmung »Erec und Iwein […] von Anfang an dieselbe Erzählwelt wie Artus, Gawein und die anderen Ritter und Damen des Artusstoffes.« 549 Wenn also Hartmann im »Iwein« auf den »Erec« anspielt, besitzt dieser Bezug keine Außenindexikalität, da hier nicht auf eine andere erzählte Welt rekurriert wird. Für Heiko Wandhoff handelt sich bei den interarthurischen Anspielungen deshalb auch nicht um ein textuelles Phänomen im eigentlichen Sinne: Es werden keine Texte miteinander verknüpft, sondern Personen [! ], die offenbar nur lose an die Erzählungen gebunden sind, in denen erstmals von ihnen berichtet wird. Die Bande, die die skriptographisch dokumentierte Artuswelt zusammenhalten, sind nicht textueller und auch nicht intertextueller, sondern p e r s o n e l l e r Art. Werkgrenzen und -identitäten verlieren ebenso wie Textstrukturen an Bedeutung gegenüber dem familialen, freundschaftlichen und statusmäßigen Verbund des Personals. 550 Folgt man dieser Annahme, unterscheiden sich die Artusromane, was den Status der jeweiligen erzählten Welt (und ihrer Bewohner) angeht, offenbar nicht wesentlich von der Heldenepik. 551 546 Wandhoff 1996, S. 298. 547 Peter Kern: Die Artusromane des Pleier. Untersuchungen über den Zusammenhang von Dichtung und literarischer Situation, Berlin 1981 (Philologische Studien und Quellen 100), S. 146. In diesem Sinne auch Glauch 2005, S. 60: »Die Artusromane zeigen schon seit ihrem frühesten Auftreten in deutscher Sprache die Tendenz, sich zu einer Einheit zusammenzuschließen.« Sie spricht von einem »Erzähluniversum« (ebd.). 548 Martínez / Scheffel 10 2016, S. 134. Womöglich ist die Abweichung auch damit zu erklären, dass es sich bei den Artusromanen eben nicht um fiktionale Texte im engeren Sinne moderner narratologischer Bestimmungen handelt. Legt man etwa das Fiktionalitätskonzept von Danneberg und Spoerhase zugrunde, wonach ein Text dann als fiktional angesehen wird, wenn er den einzigen Zugang zu der von ihm erzählten Welt bietet, müsste man die Artusromane als nicht-fiktional einschätzen: Sie geben vor, dass ihre Figuren »eine vorgängige Existenz besitz[en]« (Danneberg 2006, S. 66). Zur Diskussion der Anwendbarkeit dieses Konzepts auf vormoderne Erzählungen siehe oben, S. 200-202. Auch Glauch geht davon aus, dass die Artusromane zumindest von einer eingeschränkten Fiktionalität geprägt seien, vgl. Glauch 2005, S. 61: »Wenn das Wesen von Fiktionalität auch darin liegen sollte, daß der Autor die Autorität über seine Figuren und Weltentwürfe hat, also keinen vorgegebenen autoritativen Entwürfen folgen muß, dann ist klar, daß die Artuswelt eine deutliche Einschränkung dieser Freiheit bedeutet.« 549 Wandhoff 1996, S. 343. 550 Ebd., S. 342. In dieser Form des Erzählens erkennt Wandhoff ein Merkmal mündlich geprägter Dichtung: »Das Speicherprinzip ›Körper / Handlung‹ löst festumrissene Textgrenzen auf und entläßt die Figuren in den inter- oder besser: ü b e r t e x t u e l l e n Kosmos, wie ihn die orale Datenverarbeitung benutzt.« (ebd., S.- 350) Auch Müller versteht das kollektive Wissen der Heldenepik vor dem Horizont einer oralen Gedächtniskultur, vgl. Müller 1992, S. 110. 551 Auch Schulz vergleicht das Erzähluniversum der Artusliteratur mit demjenigen der Heldenepik. Die höfischen Romane schrieben grundsätzlich eine »imaginäre Welt fort, besonders in der Artusepik, wo im 13. Jahrhundert immer wieder der genealogische Anschluß neuer Figuren an bereits bekannte gesucht wird (in der Heldenepik gibt es einen solchen narrativen Kosmos bereits).« (Schulz 2012, S. 126) 388 3 Lektüren Diese Tradition bietet die Folie, vor der Gottfrieds Umgang mit der Artusliteratur zu bewerten ist. Davor möchte ich aber noch einen kurzen Blick auf den Umgang mit Artus in der Stofftradition des »Tristan« werfen: Vor allem die sogenannten ›spielmännischen‹ Versionen knüpfen mit unterschiedlichen Implikationen an die Artusliteratur an. Schauen wir beispielhaft auf Eilhart: 552 Nachdem der Protagonist im »Tristrant« aus Cornwall verbannt worden ist und bevor er Isolde Weißhand heiratet, verbringt er einige Zeit am Hof von König Artus (»Tristrant«, vv. 5235-5718), dessen Reich Eilhart in unmittelbarer geographischer Nachbarschaft zu dem seines frúndeß (v. 5377) Marke verortet. 553 Am Artushof tritt Tristrant wie der typische Protagonist eines Artusromans auf: 554 Er sichert sich die Freundschaft Gaweins (vv. 5240-5242) und besteht ein ganz ähnlich auch in anderen Texten erzähltes Abenteuer, wenn er unerkannt ein bisher unbesiegtes Mitglied des Hofes aus dem Sattel stößt (vv.-5271- 5312). 555 Die Beschreibung der Gepflogenheiten der Artushofes, die der Erzähler in diesem Kontext bietet, erinnert an Bekanntes, nämlich die berühmte âventiure-Definition aus dem (jüngeren) »Iwein«: 556 Die Artusritter erscheinen im »Tristrant« als eine Gruppe von Jünglingen, die bewaffnet ausreiten, um einen Ritter zu finden, der mit ihnen kämpft, damit sie lob und ere erhalten (vv. 5258-5270). 557 Das Stichwort für diese Tätigkeit lautet wie im Artusroman nauch aubentúr riten (vgl. v. 5259). 558 Bei Eilhart sind Artus und Tristrant Bewohner einer erzählten Welt, in der offenbar dieselbe ›Ritterideologie‹ gilt wie in der Artusliteratur. Es verwundert also nicht, wenn sich Tristrant, wie oben ausgeführt, am arthurischen Konzept der arbeit umbe êre orientiert. 552 Vgl. McDonald 1991, S. 7-11, 35-52; Mertens 1996b, S. 369-371; Seeber 2011, S. 151-155. 553 Martínez und Scheffel verweisen darauf, dass zuweilen auch auf »derselben diegetischen Ebene […] Welten unterschiedlichen Typs« existieren können (Martínez / Scheffel 10 2016, S. 140). Als Beispiel dient ihnen das »Nibelungenlied« mit der ›heroischen‹ Welt auf Island und der ›höfischen‹ Welt in Worms, die ganz unterschiedlichen Regeln folgen. Die Tatsache, dass sich Marke und Artus bei Eilhart sogar einen Wald teilen (vgl. »Tristrant«, vv. 5374-5377), verstehe ich allerdings als Signal dafür, dass ihre Herrschaftsbereiche als Teil ein- und derselben Sphäre dargestellt werden sollen. Zur (›mythischen‹) Raumordnung von Artus- und Marke-Reich im »Tristrant« auch Seeber 2011, S. 152f. 554 Von einem »prototypical knight of the Round Table« spricht McDonald 1991, S. 38f. »Tristan has assumed the full mantle of the Arthurian knight familiar from the classical romance« (S. 39). 555 Dass es sich dabei um ein typisches Motiv der Artusliteratur handelt, beobachtet auch Mertens 1996b, S.-369. Vgl. weiterhin McDonald 1991, S. 39: »This encounter is a celebration of the values and rituals of Arthurian life and is riddled with what we recognize as narrative clichés […]. In a single scene, Eilhart […] sketches terrain which recurs in numerous tales.« Es handle sich um eine Passage, »which could have been lifted from any Arthurian romance« (ebd., S. 50). Der Name Delekors (»Tristrant«, v. 5273 u. ö., in Hs. H als Dalkorß, in Hs. D. als Deleko, vgl. den Apparat bei Buschinger / Spiewok, S. 139) lässt dabei die Typenhaftigkeit des Gegners erkennen (von fr. de la court ›vom Hof‹, vgl. Mertens 1996b, S. 369). 556 Vgl. William Henry Jackson: Chivalry in Twelfth-Century Germany: The Works of Hartmann von Aue, Cambridge 1994 (Arthurian Studies 34), S. 262. Zu der Beschreibung des »martial ethos […] of the Arthurian knights« auch McDonald 1991, S. 38. 557 In der Hs. H des »Tristrant« fehlen die Verse 5267 f., und die Verse 5269 f. sind anders gestaltet. Buschinger / Spiewok weichen deshalb von ihrer Leithandschrift ab und folgen hier D. 558 Dieser âventiure-Logik folgt auch Tristrant in der Delekors-Episode, vgl. vv. 4286f.: ainest rait der wygand | uff abinture in den walt (v. 4287 nach Hs. D). An beiden Stellen ist das Wort aubentúr / abinture textkritisch nicht gesichert; möglicherweise handelt es sich um die Zutat eines späteren Redaktors, vgl. Buhr 2012, S. 12 Anm. 30, und siehe oben, S. 213 Anm. 451. Dann wäre die Nähe der Handlung des »Tristrant« zur âventiure-Logik des Artusromans zwar nicht vom Autor selbst markiert, jedoch immerhin von einem Rezipienten (nämlich dem Redaktor) wahrgenommen worden, was den Aussagewert nur verschiebt. 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 389 Die Verbindung der beiden Erzählwelten ist bereits für die Estoire anzunehmen 559 und wird sich auch in der Geschichte des Tristanstoffes durchsetzen: Der französische Prosaroman ist ebenfalls darum bemüht, »die Biographie des tapferen Ritters Tristan in den Kosmos der arthurischen Welt einzuordnen« 560 , und Gottfrieds Fortsetzer Heinrich von Freiberg macht aus seinem Protagonisten sogar einen Verwandten von Gawein und Artus, sippt seine Erzählung damit also genealogisch an die Artuswelt an. 561 In den ›höfischen‹ Versionen dagegen spielt Artus kaum noch eine Rolle. 562 Thomas hat ihn weitgehend aus der Geschichte entfernt. Er taucht aber auch im französischen Roman noch auf: Nachdem Tristran aus Cornwall fliehen muss, erlebt er hier eine Reihe von Abenteuern. Dazu gehört unter anderem der Kampf mit einem Riesen, bei dem es sich um den Neffen jenes Riesen namens Orguillos handelt, den König Artus einst getötet habe. Jener Orguillos hatte, so erfahren wir vom Erzähler, die Angewohnheit, Könige im Zweikampf zu töten, um sich aus ihren Bärten einen Mantel zu machen. Als er von dem mächtigen König Artus hörte, habe er auch dessen Bart für seinen Mantel gewollt, sei aber stattdessen von Artus getötet worden (vgl. Thomas, »Tristran«, vv. 713-807). 563 Der Bärte sammelnde Riese ist nun keine 559 Vgl. Bédier 1902-1905, Bd. 2, S. 158f., 265; Mölk 1962, S. 97f. 560 Peter K. Stein: Tristan-Studien, hrsg. von Ingrid Bennewitz, Stuttgart 2001, S. 259, in Anlehnung an Emmanuèle Baumgartner: Le »Tristan en prose«. Essai d’interpretation d’un roman médiéval, Genf 1975 (Publications romanes et françaises 133). Vgl. auch Schulz 2017, S. 190: Tristan sei hier »der Prototyp eines höfischen Artusritters.« 561 Vgl. Heinrich von Freiberg, »Tristan«-Fortsetzung, vv. 1865, 1887, 1936, 2287 (Ausg. Bernt 1906 [1978], S.-58, 60, 71). Zu Heinrichs Umgang mit Artus siehe McDonald 1991, S. 113-164; Mertens 1996b, S. 371- 374; Seeber 2011, S. 155-159. Für Buhr handelt es sich bei der »Tristan«-Fortsetzung um den »Text des hohen Mittelalters, der sich am vehementesten an einer […] Verschränkung der Erzählwelten versucht« (Buhr 2012, S. 5). Wenn Gawein hier Tristan erkennt und über alle seine Abenteuer Bescheid weiß, ohne ihn jemals gesehen zu haben, (vgl. vv. 1887-1907; Ausg. Bernt 1907 [1978], S. 58f.) dann ist derselbe Modus des Erkennens aktiv, wie ihn Müller für die Heldenepik beschrieben hat (siehe oben, S. 384 Anm. 531). Damit zeigt sich wieder die Ähnlichkeit der narrativen Universen von Artus- und Heldenepik. - Ganz anders verfährt Ulrich von Türheim, der Artus überhaupt nicht vorkommen lässt. 562 Eine Ausnahme bildet das niederfränkische »Tristan«-Fragment, dessen Vorlage der Roman des Thomas bildet. Auch hier taucht der Artushof auf, vgl. vv. 30f.: Di hoge koning artus | heft degene in sinen hus. Zitiert nach Johan H. Winkelmann: Zu den Wiener »Tristant«-Fragmenten, in: Ir sult sprechen willekomen. Grenzenlose Mediävistik. Festschrift für Helmut Birkhan zum 60. Geburtstag, hrsg. von Christa Tuczay u. a., Bern u. a. 1998, S.-821-838, hier S. 823. Zur Deutung des Auftauchens von Artus im niederfränkischen Text ebd., S.-834f.; Seeber 2011, S. 163. Dass es sich beim »Niederfränkischen Tristan« um eine Fortsetzung von Gottfrieds Fragment handelt, glaubt Tomas Tomasek: Das niederfränkische Tristanfragment, in: Der »Tristan« Gottfrieds von Straßburg. Symposion Santiago de Compostela, 5. bis 8. April 2000, hrsg. von Christoph Huber / Victor Millet, Tübingen 2002, S. 75-85. 563 Zu der Stelle und ihrer Deutung Stevens 2000, S. 409-416. Das erzählerische Arrangement ist kompliziert: Wir erfahren von den Ereignissen nur in einer Rückschau aus der Perspektive der in Cornwall zurückgebliebenen Ysolt, die sich fragt, was Tristran in diesem Moment macht. Der Riesenkampf ist offenbar das letzte, was sie von ihm gehört hat. Ob Thomas die Auseinandersetzung an der entsprechenden früheren Stelle bereits erzählt hatte, lässt sich nicht sagen. Der Befund der »Tristramssaga« spricht eher dagegen: Hier wird zuvor nur ganz allgemein angedeutet, Tristram habe verschiedene Abenteuer (atburða) bestanden, die ihn unter anderem nach Spanien geführt hätten (vgl. Kap. 68; Ausg. Kölbing 1878, S. 83). Später weiß dann auch der Riese Moldagog, von dem Tristram den Statuensaal erwirbt, von den Heldentaten des Protagonisten in Spanien, wo er einen seiner Verwandten erschlagen habe (vgl. Kap. 76; ebd., S. 90). Im »Sir Tristrem« heißt es nach dem Abschied des Protagonisten aus Cornwall ebenfalls ganz allgemein: ›Spanien hat er durchsucht, drei riesen erschlug er.‹ (Str. 234; Übers. Kölbing 1882, S. 272) Auch aus Gründen der Erzählökonomie wäre es verwunderlich, wenn Thomas dieselbe Geschichte zweimal erzählt 390 3 Lektüren Erfindung von Thomas, sondern begegnet uns (unter anderem Namen) bereits bei Geoffrey of Monmouth und im »Roman de Brut«. 564 Thomas nimmt also ein bekanntes Motiv der Artustradition auf. 565 Indem er Tristrans Riesen zu einem Neffen des Riesen von König Artus macht, inszeniert er die Artusgeschichte als Vergangenheit seiner Erzählung. Diese ›Historisierung‹ von Artus wurde gerade im Vergleich zu den ›spielmännischen‹ Versionen als Verfahren der Distanzierung wahrgenommen. 566 Die Distanz zum Artusstoff wird bei Thomas auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass der Erzähler betont, die Geschichte von Artus und Orguillos gehöre eigentlich nicht zu seiner matière (vgl. v. 781: a la matire n’afirt mie). 567 Andererseits verknüpft die genealogische Verbindung der Riesen die beiden narrativen Welten: Tristan und Artus sind offenbar auch im französischen Roman die Bewohner derselben Erzählwelt, wenn auch auf verschiedenen Zeitebenen. Im deutschen »Tristan« taucht Artus dagegen zumindest auf Handlungsebene nicht mehr auf. 568 Es ist allerdings nicht ganz einfach, Gottfrieds Umgang mit der Riesen-Episode seiner hätte. - Die »Tristramssaga« bietet einen weiteren Verweis auf Artus: In der Höhle des Statuensaals lebte früher ein Riese, der ebenfalls von Artus erschlagen worden sei (vgl. Kap. 78; Ausg. Kölbing 1878, S. 91f.). Das bezieht sich auf die bei Geoffrey und Wace überlieferte Erzählung von Artus’ Kampf mit dem Riesen vom Mont-Saint-Michel, vgl. Mertens 1995, S. 41; Stevens 2000, S.-409. 564 Vgl. Geoffrey of Monmouth, »Historia regum Britanniae«, 10,165 (zitiert nach Geoffrey of Monmouth: »The History of the Kings of Britain«. An Edition and Translation of »De gestis Britonum« [»Historia regum Britanniae«]. Ed. by Michael D. Reeve. Transl. by Neil Wright, Woodbridge (Suffolk) 2007 (Arthurian Studies 69), S.-227-229, Z. 95-164); Wace, »Roman de Brut«, vv. 11561-11592 (zitiert nach Wace’s Roman de Brut, a History of the British. Text and transl. by Judith Weiss, rev. ed., Exeter 2002 (Exeter Medieval English Texts and Studies), S. 290). 565 Mertens verweist darauf, dass sich Thomas damit gerade nicht an den ›höfischen‹ Artus chrétienscher Prägung anschließt, sondern an den kämpfenden Artus der chronikalen Tradition, vgl. Mertens 1996b, S. 368. Dazu auch McDonald 1991, S. 61-63, sowie Dietl 2007, S. 43: »Der hochhöfische Artusroman, der als zeitgenössisch mit dem »Tristan« des Thomas anzusetzen ist, kennt keinen aktiven Artus mehr, der gegen Riesen kämpfen würde, er kennt eher einen König, der […] seine Ritter für sich kämpfen lässt. Dies bedeutet aber, dass Thomas und Robert Artus absichtlich archaisch darstellen; sie beschreiben nicht den Artus der Romane, sondern den der Chroniken und der keltischen Dichtung.« 566 Buhr spricht etwa davon, Thomas »entzieht sich dem Erzählen von Artus, indem er diesen historisiert und […] vom realen Herrscher zur Gestalt der Vergangenheit macht« (Buhr 2012, S. 3). Weiterhin McDonald 1991, S. 57; Dietl 2007, S. 43. Für Mertens wird durch den Bezug auf Artus Tristan in einem »nacharthurischen Zeitalter fixiert«, das »durch Unglück und Verlust des höfischen und ritterlichen Heils gekennzeichnet« ist (Mertens 1996b, S. 368). Ähnlich Stevens 2003, S. 225f. Green sieht in der zeitlichen Verschiebung von Artus in erster Linie die Lösung eines chronologischen Problems, das durch die Einführung der historischen Figur Gurmun entstanden sei, vgl. Green 2002, S. 143f. Fourrier verweist auch darauf, dass nach Wace zur Zeit von Artus bereits ein Herzog namens Cador über Cornwall geherrscht habe. Außerdem habe Thomas die Erzählung näher an die eigene Gegenwart heranholen wollen, vgl. Fourrier 1960, S. 44. 567 Diese Aussage findet sich noch in der »Tristramssaga«, Kap. 71: Nú þóut þetta falli ei við sǫguna, þá vil ek þetta vita láta. (Ausg. Kölbing 1878, S. 86, Z. 5 f.) ›Obwohl dies nun nicht zur Geschichte gehört, will ich es doch mitteilen‹ (Übers. Uecker 2008, S. 96). 568 Sein Name wird allerdings an zwei Stellen erwähnt, wenn der Erzähler die Gemeinschaft der Liebenden in der Minnegrotte mit der Festfreude am Artushof vergleicht (vv. 16859-16865, 16896-16901). Zur Deutung der Stelle McDonald 1989, S. 252-257; 1991, S. 86-89. In jedem Fall bezieht sich die Stelle nicht auf die erzählte Welt. Ohnehin ist die ganze Minnegrottenepisode »durchtränkt mit Mythos« (Müller 2009, S. 343); es handelt sich um einen explizit literarischen Kontext (siehe oben, S. 267-270). Für Dietl verweist das Adjektiv sælic, mit dem Artus hier ausgezeichnet wird (vgl v. 16861) darauf, dass er in der erzählten Welt bereits gestorben sei, vgl. Dietl 2007, S. 45f. Die Bedeutung von mhd. sælic als ›verstorben‹ scheint allerdings selten und eher spät belegt zu sein. Lexer kennt je einen Beleg aus Johannes Rothes »Thürin- 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 391 Vorlage zu beschreiben, weil die fragliche Stelle bei ihm nicht mehr erzählt wird. 569 Von der Handlungschronologie her entspricht ihr jedoch der Abschnitt der Erzählung, der auf Tristans Abschied aus Cornwall folgt. Der Erzähler fasst hier die Abenteuer zusammen, die Tristan in seinem Exil erlebt haben soll, bevor er nach Arundel und zu Isolde Weißhand gelangt. Er weigert sich allerdings, sie alle zu erzählen, und will die ›Märchen‹ (fabelen), die sich darunter befänden, nicht beachten. Die Grundlage für die Ablehnung solcher Geschichten bildet wie schon im Schwalbenhaar-Exkurs das Kriterium der wârheit: 570 gelückes unde linge an manlîchem dinge und âventiure erwarp er vil, der ich aller niht gewehenen wil; wan solte ich alle sîne tât, die man von ime geschriben hât, rechen al besunder, des mæres würde ein wunder. die fabelen, die hier under sint, die sol ich werfen an den wint: mir ist doch mit der wârheit ein michel arbeit ûf geleit. (vv. 18455-18466) Darauf, dass man die vorliegende Stelle als Absage an das arthurische Erzählen verstehen kann, verweist schon der Ausdruck âventiure. 571 Zu den tâten, die man von ime geschriben hât, gischer Weltchronik« (1421) und dem Freiburger Urkundenbuch (Urkunde von 1388), vgl. Lexer, Bd. 2, Sp. 581 f. Siehe auch BMZ, Bd. 2 / 2, S. 38f. Die Übersetzungen bieten ›glückselig‹ (Knecht, S. 197; Haug / Scholz, Bd. 1, S. 937) und ›vortrefflich‹ (Krohn, Bd.-2, S. 419). In diesem Sinne versteht den Ausdruck hier auch McDonald 1989, S. 253: »saelic (16861), that is, ›happy‹, ›blessed‹, ›kind‹ or ›bliss-bestowing‹.« 569 Die Überlegung Rudolf Simeks, Gottfried habe den Riesenkampf zur Urgan-Episode umgestaltet, halte ich für unplausibel, da in der »Tristramssaga« sowohl der Riesenkampf in Spanien als auch die Urgan-Episode erzählt werden. Vgl. Rudolf Simek: Artus-Lexikon. Mythos und Geschichte, Werke und Personen der europäischen Artusdichtung, Stuttgart 2012, S. 344. 570 Chinca weist darauf hin, es seien »mehrere Kriterien für diese Weigerung festzustellen.« Neben der Forderung nach Faktentreue achte der Erzähler auch darauf, die Proportionen der Erzählung nicht unangemessen auszudehnen. Unter den abgelehnten Erzählungen befänden sich deshalb »sowohl historische Wahrheit […] als auch Fabeln«. Es gehe darum, »die ›überbordenden‹ Fakten, für die Gottfried keinen Platz hat« zu vermeiden (Chinca 2003, S. 324). Für Krohn zeigt sich hier wieder einmal »[d]es Dichters Abneigung gegenüber den gar zu grellen Effekten der üblichen Ritterdichtung« (Krohn, Bd. 3, S. 262). - Auf den ›Schwalbenhaar-Exkurs‹ verweist auch die Wiederaufnahme des Verbs rechen (v. 18461), siehe oben, S. 181 und Anm. 299. 571 Auch Stein liest die Stelle so, dass Gottfried hier »seine Geschichte und seinen Helden Tristan von den Aventiure-Romanen der Artusdichtung« absetzt, »weil er der Ansicht ist, daß es unmöglich ist, […] den Artusstoffkreis mit seinem Zentralbegriff der Aventiure als Sujet ›wahrer‹ Dichtung heranzuziehen.« (Stein 1977, S. 334) Kritisch zu Stein Keck 1998, S. 22-26. Peschel geht ebenfalls davon aus, an der vorliegenden Stelle werde der »Aventiure-Roman […] absichtlich übergangen.« (Peschel 1976, S. 166) Tristans nicht erzählte âventiuren im Exil lassen ihn außerdem an das Programm von Hartmanns »Erec« und »Iwein« denken, vgl. ebd., S.-172f. Vgl. auch Dennis Howard Green: Irony in the-Medieval-Romance, Cambridge u. a. 1979, S. 73f., der die Stelle mit der Absage an die Beschreibung des Turniers nach der Schwertleite vergleicht (vgl. vv. 5054-5068). Schröder sieht hier den im »Tristan« selten benutzten »ritterliche[n] âventiure-Begriff« aktualisiert (Schröder 1975, S. 326), erkennt darin aber keine negative Konnotation. 392 3 Lektüren gehören auch Thomas’ Bericht vom Kampf gegen den Riesen und Eilharts Erzählung vom Aufenthalt am Artushof. Es ist dabei nicht ganz klar, ob Thomas’ Riesen-âventiure das Kriterium der wârheit erfüllt oder zu den märchenhaften fabelen gezählt und daher ausgesondert wird. 572 Gottfried erzählt sie jedenfalls nicht, und Tristan gelangt bei ihm auch gar nicht nach Spanien, wo die Episode stattgefunden haben soll. 573 Stattdessen berichtet der Erzähler - ohne Vorlage in der Stofftradition -, Tristan sei nach Deutschland (z’Almânje) gegangen, um dort für Zepter und Krone des römischen Kaisers zu kämpfen (vv. 18443-18454). In der grôz urliuge (v. 18444) des Reiches, von der hier die Rede ist, hat man dabei eine Anspielung auf den staufisch-welfischen Thronstreit in der Gegenwart (oder unmittelbaren Vergangenheit) des Autors gesehen. 574 Dieser Anachronismus ist ganz erstaunlich. Hier werden offenbar die Ebenen der Erzählung überschritten: Anstatt in der Märchenwelt des Artusromans auf Riesenjagd zu gehen, ist Tristan bei Gottfried in der realen Welt von Autor und Publikum unterwegs. 575 Gottfried gibt sich alle Mühe, Artus aus der Erzählwelt des »Tristan« herauszuhalten. Während der Artushof in den ›spielmännischen‹ Versionen des Stoffes einen selbstverständlichen Teil der erzählten Welt bildet und bei Thomas immerhin noch als deren Vergangenheit existiert, verbannt ihn Gottfried in den Bereich der Literatur, der âventiuren, die geschriben sind. 576 572 Vgl. Mertens 1996b, S. 368: »Ob die Erschlagung des Riesen zu den wahren Geschichten oder den Fabeln gehört, ist schwer zu sagen«. Glauch bezieht die Stelle auf Eilhart und geht davon aus, sie könnte so ähnlich bereits bei Thomas vorhanden gewesen sein, vgl. Glauch 2004, S. 55. 573 Vgl. Piquet 1905, S. 303. 574 Vgl. den Kommentar von Krohn, Bd. 3, S. 261. Schon Piquet ging davon aus, Gottfried habe diese Änderung bewusst eingeführt »pour moderniser son histoire« (Piquet 1905, S. 303). Zur Diskussion darüber, ob man die Stelle als Parteinahme Gottfrieds für die Staufer zur Beantwortung der Frage nach seinen Gönnern heranziehen kann, siehe den Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 721. 575 Für diese Deutung ließe sich eventuell auch fruchtbar machen, dass sich Tristan, bevor er nach Almânje kommt, zuerst in der Schampânje (v. 18447) aufhält. Eine besondere Pointe bekäme die Stelle, wenn man Gottfried und seinen Rezipienten ein Wissen darüber unterstellen könnte, dass es sich bei der Champagne um das Herkunftsland des Artusromans (chrétienscher Prägung) handelt. Das würde bedeuten: Tristan hält sich nicht in derselben Welt wie Erec auf, sondern wie sein Erfinder, Chrétien de Troyes (in der Schampânje), und dessen Bearbeiter (in Almânje). Er nimmt dabei gewissermaßen denselben Weg wie die Artusliteratur: von der Bretagne über Nordfrankreich in den deutschen Sprachraum. 576 Ähnlich hat McDonald davon gesprochen, die Rolle von Artus und dem Artushof wandle sich in der Stoffgeschichte des Tristanromans »from the participation of the Arthurian court as actual players (Beroul, Eilhart), and as background figures (Thomas), to rhetorical schema and a manipulation of masks (Gottfried).« (McDonald 1989, S. 266; 1991, S. 107) Zur vorliegenden Stelle auch die Deutung von Stein 1977, S. 332-334. - Dietl verweist allerdings darauf, dass mit Isoldes Vater Gurmun auch bei Gottfried eine Figur auftauche, die über ihre Erwähnung in der »Historia regum Britanniae« (dazu auch oben, S. 194f.) in einer chronologischen Beziehung mit Artus steht: Bei Geoffrey of Monmouth gehört Gurmun in die Zeit von Ceredic, der fünf Generationen nach Artus in Britannien regiert hat, vgl. Dietl 2007, S. 44. Dazu auch Stevens 2000, S. 420. Seeber spricht ebenfalls davon, Gottfried habe Artus wie Thomas »in die vortristanische Zeit verbannt« (Seeber 2011, S.-159). Ähnlich Schulz 2017, S. 186: »Artus gehört bei Gottfried […] offenbar der Vergangenheit an, Tristan der postarthurischen Zeit«. 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 393 3.4.4 Literarisches Rittertum Gottfrieds Absage an die âventiuren unterstützt den Eindruck, dass es sich auch bei dem intertextuellen Verweis auf die Artusromane im Kontext der Schwertleite um einen externen Bezug handelt, der sich explizit auf einen anderen Text (oder eine Gruppe von Texten) bezieht. Genau wie König Artus und Tristans arthurische âventiuren stammt auch das Ideal der Ritterschaft, auf das sich die Figur des Protagonisten im Rahmen ihrer Schwertleite bezieht, aus dem Bereich der Literatur und muss - anders als bei Eilhart, wo Tristrant selbst Teil des Artushofes ist - von außen in den Text hineingeholt werden. Diese Überlegung lässt sich weiterhin anhand der Beschreibung der Schwertleite selbst erhärten: Wenn sich der Erzähler weigert, von der Vorbereitung des Rituals zu berichten, weil bî [s]înen tagen und ê (v. 4600) schon so viel über Ritterschaft erzählt, ritterlîchiu zierheit bereits sô manege wîs beschriben (vv. 4616 f.) worden sei, dann wird damit die Konventionalität des Rituals deutlich gemacht. Gerade die Formulierung, ritterliche Beschreibungen seien mit rede […] zetriben (v. 4618) kann als Ausdruck der Abgedroschenheit des Themas verstanden werden. 577 Die ritterlîchiu zierheit erscheint hier vor allem als Gegenstand des Erzählens. Auch die Tatsache, dass Gottfrieds Erzähler anstatt die Schwertleite zu beschreiben in einem breit ausgeführten Exkurs zum ersten Mal so etwas wie eine Geschichte der deutschsprachigen Literatur entwirft (vv. 4621-4820), lässt sich in diesen Zusammenhang einordnen: 578 An die Stelle von Ritterschaft (Tristans Schwertleite als zentraler rite de passage der mittelalterlichen Kriegergesellschaft) 579 tritt hier das Erzählen von Ritterschaft. 580 Damit wird gewissermaßen - wie in Tristans Ausbildung - Ritterschaft durch ›Kunst‹ ersetzt. 581 Dass in der Dichterschau dann als erstes literarisches Vorbild Hartman der Ouwære (v. 4621) genannt wird, lässt in 577 Die Textausgaben übersetzen mit rede zetrîben hier als ›zerreden‹ (vgl. Knecht, S. 47; Krohn, Bd. 1, S. 285; Haug / Scholz, Bd. 1, S. 265). Die Wörterbücher bieten mit Verweis auf die vorliegende Stelle die Ansetzungen ›breit treten‹ (Lexer, Bd. 3, Sp. 1090) sowie ›abnutzen‹ (BMZ, Bd. 3, S. 88). Siehe auch meine Ausführungen zur zetribenen minne in der kurzen rede von guoten minnen, S. 265. Eine Verbindung zwischen den beiden Stellen erkennt auch Peschel 1976, S. 173 und Anm. 185. 578 Einen Überblick über die Forschungsdiskussion bietet neben dem Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 361-389, auch Huber 3 2013, S. 65-72. 579 Auch die Beschreibung des an die Schwertleite anschließenden Turniers verweigert der Erzähler, vv. 5054-5068. 580 Vgl. Jackson 1962, S. 365: »Gottfried wished to discuss not knightliness but the literature of knighthood«. - Kann man hier schon Vorzeichen einer Differenzierung von âventiure-Handeln und âventiure-Erzählen erkennen, wie sie Strohschneider als spezifisch für die (schriftliche) Textualität der späten Artusliteratur beschrieben hat, welche die Voraussetzung dafür bilde, dass sich »von der metonymischen Substituierbarkeit der Handlung durch die Erzählung […] sprechen lässt« (Strohschneider 2004, S. 382)? 581 Vgl. McDonald 1989, S. 246: »[B]oth figuratively and literally, art replaces knighthood« (wortgleich McDonald 1991, S.-74). Dazu weiterhin Wolf 2000, S. 87. Schon Weber meint, in der Schwertleite werde das Ritterliche »insgesamt stark ins Intellektualistisch-Ästhetische gewandelt.« (Weber 1953, Bd. 2, S. 81) Jackson hat die Ersetzung der Schwertleite durch den Literaturexkurs mit Tristans künstlerischer Identität begründet: »Tristan is, for Gottfried, a literary figure«, deshalb wäre die Schwertleite »an offense against his nature« (William T.H. Jackson: The Literary Views of-Gottfried von Strassburg, in: Publications of the Modern Language Association 85 (1970), S. 992-1001, hier S. 992). Tristans Fähigkeiten »will not be those of a knight, so there is no point in stressing investiture, but of an artist - hence the literary excursus.« (ebd., S. 1000) Tomasek spricht mit Blick auf den Autor Gottfried davon, es sei »nicht auszuschließen, dass im Literaturexkurs eine kritische Distanz des Klerikers und Künstlers gegenüber der Sprache des militärischen Rituals mitschwingt« (Tomasek 2007, S. 143). - Dass die Schwertleite durch den Literaturexkurs freilich nicht völlig ersetzt wird und das Ritual auf Handlungsebene gleichwohl stattfindet, betont 394 3 Lektüren Bezug auf die nur wenige Verse zuvor geäußerte Kritik an der Konventionalität ritterlicher Beschreibung in erster Linie an den Artusroman denken. 582 In der Schwertleite wird also, wie schon in Tristans ›Selbstreflexion‹, der Blick auf die kulturelle Gemachtheit von Ritterschaft gelenkt. Das Modell des tätigen Ritters, auf das sich die Figur bezieht, erweist sich damit noch einmal als vor allem vom Artusroman vermitteltes literarisches Konstrukt. Dieses Ergebnis lässt sich mit der Tatsache in einen Zusammenhang bringen, dass man bei Gottfried immer wieder eine ›realistische‹ Distanz zum verklärten Ideal höfischer Ritterschaft gespürt hat. So meint Weber, »an der Stelle einer absterbenden, uninteressant gewordenen Ritterideologie« stünden im »Tristan« »die Anfänge eines scharf-nüchtern beobachtenden, ins Politische weisenden Realismus« 583 . Vor allem die brutalen Zweikampf-Darstellungen Patrizia Mazzadi: Autorreflexionen zur Rezeption: Prolog und Exkurse in Gottfrieds »Tristan«, Triest 2000 (Quaderni di Hesperides. Serie Saggi 2), S. 90. 582 In diesem Sinne fragt auch Peschel 1976, S. 173 Anm. 185: »Gehört nicht Hartmann […] vielleicht zu denen, die mit rede zetriben haben, was Gotfrit dann nicht mehr dichten kann? « Vgl. auch McDonald 1989, S.-246. Dass bei der Formulierung der ritterlichen zîrheit ohnehin an Hartmann zu denken sei, meint Jackson 1970, S.-993: »[I]t is what Hartmann von Aue can do perfectly.« Im Anschluss daran weiterhin Stein 1977, S. 314: »Gottfried hat sich betont auf die Ebene der klassischen Artusdichtung begeben«. - Zu den Ausführungen über Hartmann im Literaturexkurs, auf die ich nicht näher eingehen werde, Müller- Kleimann 1990, S. 10-79. Bumke betont grundsätzlich die große Bedeutung Hartmanns für die literarische Darstellung von Ritterschaft, wenn er davon spricht, dass der »erste Höhenflug adligen Rittertums das Werk eines Dichters, das Werk Hartmanns ist« (Bumke 1964, S.-92f.). 583 Weber 1953, Bd. 2, S. 84. Vgl. schon Preuss 1883, S. 66: »Unbefriedigt von der Schaalheit der höfischen Romane, die Abenteuer über Abenteuer häuften, ergriff er [Gottfried] einen Stoff, der den Menschen mit seinen Verirrungen und Leidenschaften, den inneren Menschen zum Gegenstand hatte.« In Bezug auf die Zweikämpfe im »Tristan« Stein 1977, S. 339f.: Bei Gottfried liege »eine Einbettung des Geschehens in eine ›realere‹ Umgebung vor, d. h. es handelt sich nicht um mehr oder weniger märchenhafte, ›politisch‹ eher irrelevante Notsituationen als literarischer Hintergrund des Kampfes, sondern um ein grundsätzlich anderes Verhältnis zur Realität bzw. um eine grundsätzlich andere Einarbeitung dieser. […] Kampf ist bei Gottfried eben Kriegshandwerk, aus einer bestimmten politisch nachvollziehbaren Situation sich ergebende, stark praxis- und nicht ethosbezogene Verteidigung oder - auch wieder ›realitätsnäher‹ - Angriff aus welchem Grund immer.« Ähnlich erkennt auch McDonald »Gottfried’s willingness to accord (brutal) realism to scenes of conflict […], thus rejecting the fairy tale element characteristic of popular fiction« (McDonald 1991, S. 77). Er spricht von einem »clash between reality and fiction, between theory and practice« (ebd., S. 78). Die Funktion liege in der Entzauberung der Ritterschaft: »[T]he poem demystifies knighthood and undermines heroic pride.« (S. 105) In Bezug auf die Brutalität des Kampfes mit Morgan Morsch 1984, S. 158: »Die Lebenspraxis hat die Schönfärberei und die harmonisierende Wertgläubigkeit des Hofes, wie sie etwa in der Zeremonie rund um die Schwertleite zum Ausdruck gekommen ist, überholt.« Mit Bezug auf Thomas grundsätzlich Sarah Kay: »Tristan and Isolt are much too ›real‹ to fit into the disconcertingly homogeneous world of a Chrétien romance.« (Sarah Kay: The Tristan- Story as Chivalric Romance,- Feudal- Epic and Fabliau, in: The Spirit of the Court. Selected Proceedings of the Fourth Congress of the International-Courtly Literature Society (Toronto 1983), hrsg. von Glyn S. Burgess / Robert A. Taylor, Cambridge 1985, S. 185-195, hier S. 187) Auch Krohn beobachtet, bei Gottfried erhalte »die ideale Welt der beim zeitgenössischen Publikum so populären Artus-Dichtung […] einen bislang unbekannten realistischen Akzent.« (Krohn, Bd. 3, S. 323) Er begründet das mit dem soziologischen Kontext des ›bürgerlichen‹ Romans: »[D]ie bürgerliche Tugend absichtsvoller Vernunft und kaufmännischer Nüchternheit […] weiß mit der rein ritterlichen Vorstellung heroischen Tuns und kämpferischer Bewährung allein um Ruhm und Ehre nichts anzufangen.« (ebd.) Zu diesem Interpretament siehe oben, S. 26. Im vorliegenden Zusammenhang kritisch Stein 1977, S. 304 Anm. 33; Briški 1996, S. 14. Solche Deutungen finden sich aber auch noch in neueren Arbeiten, etwa bei Krause 1996, S. 166: »Des Stadtbürgers Gottfried sinnenrîcher Held ist längst nicht mehr der in einem in vielen seiner Züge archaischen Umfeld Lebende der arthurischen Ritterepen […].« 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 395 wichen deutlich vom ritterlichen Ideal der Artusliteratur ab. 584 Wenn also Gottfried, wie ich vorgeschlagen habe, diese konventionelle Ritterideologie als literarisch konstruiert ausstellt, könnte das im Sinne dieser Positionen dazu beitragen, seine eigene, ›realistische‹ Darstellung von Ritterschaft zu profilieren. Oberflächlich betrachtet passt diese Beobachtung ebenfalls gut zu meiner Lektüre der Absage an die ›märchenhaften‹ âventiuren im Exkurs des Erzählers, insofern ja auch hier die Wahrheit der eigenen Erzählung gegenüber den fabelen in Anschlag gebracht wird. 585 Aber das ist nur die halbe Wahrheit, 586 denn es ist nicht so, dass die Artusliteratur im »Tristan« überhaupt keine Rolle mehr spielen würde. Als literarischer Bezugspunkt ist sie vielmehr weiterhin von großer Bedeutung. Neben Brautwerbungsepik oder Heiligenlegende stellt auch der Artusroman narrative Muster bereit, mit und an denen der Roman arbeitet. 587 So dient etwa König Artus in verschiedenen Teilen des Romans als Modellfigur für Marke. 588 Tristan bezieht sich ebenfalls nicht nur rhetorisch auf das Figurenmodell des arthurischen Protagonisten, sondern tritt auch tatsächlich als ›Heilsbringer‹ in Erscheinung, wenn er in den 584 Vgl. neben der oben genannten Literatur zuletzt auch Becker 2019, S. 124, 128, 194 f.; Karin 2019, S. 178, 199, 210. - Dass allerdings durchaus auch in der Artusliteratur brutal und zuweilen ›unritterlich‹ gekämpft wird, ohne dass damit notwendigerweise eine kritische Bewertung verbunden ist, betont Hasty 1994. Vgl. auch die Belege bei Jones 1990, S. 58f., 62f. 585 Vgl. Stein 1977, S. 334. 586 Auch die Tatsache, dass der Roman die Verbindung zur Artuswelt kappt, ist nur bedingt als ›Realitätseffekt‹ zu beurteilen: Man kann darin auch ein Bemühen erkennen, in Abgrenzung zum ›multivialen‹ und deshalb pseudo-historischen Artusuniversum die ›Univialität‹ der erzählten Welt des »Tristan« herauszustellen. Legt man das Fiktionalitätskonzept von Danneberg und Spoerhase zugrunde (siehe oben, S. 200f.), kann das gerade als Hinweis auf die Fiktionalität des Textes gewertet werden. 587 Vgl. McDonald 1989, S. 258: »To assume, however, that Arthur ›plays no role‹ on the basis of verbal categories alone is to ignore the subtle parallels Gottfried constructs«. Weiterhin S. 265: »From beginning to end […] the schematic construction of »Tristan« rests on elaborate interconnections with Arthurian romance.« Von einem »bewußte[n] Spiel mit narrativen Mustern« spricht in diesem Zusammenhang auch Haug 1990, S. 64. Vgl. außerdem Langer 1974, S. 39f. Sarah Kay betont insbesondere die Parallelen zwischen Thomas’ »Tristran« und Chrétiens »Chevalier de la charette«, vgl. Kay 1985, S. 187-190. Zu Gottfrieds »intensive[m] intertextuellen Dialog mit der Artusepik« außerdem Barandun 2009, S. 36-71, Zitat S. 42. - Dagegen die Deutung von Martin H. Jones, der den oft hervorgehobenen Bezug des »Tristan« auf die Artusliteratur relativiert und deswegen, anders als die frühere Forschung, auch keine Kritik am Artusroman erkennen möchte. Stattdessen folge Gottfried historiographischen Erzähltraditionen und biete ein realistisches Abbild von Krieg und Kampf im Mittelalter, vgl. Jones 1990. 588 Vgl. Maria Bindschedler: Die Dichtung um- König Artus und seine- Ritter, in: DVjs 31 (1957), S. 84-100, hier S. 97; Hahn 1963, S. 138f.; Stein 1977, S. 330; Haug 1990, S. 63f.; McDonald 1989, S. 244; 1991, S. 71f., 80-84, 92-95; Karg 1994, S. 72; Goller 2005, S. 115-125; Hauenstein 2006, S. 14-20; Tomasek 2007, S. 105; Barandun 2009, S. 36-38; Huber 3 2013, S. 51; Stefan Seeber u.a.: Rex mutabilis. Wandlungen des Königs Marke in den deutschen Fassungen des Tristanstoffs (2013), online verfügbar unter: - www.freidok.unifreiburg.de/ volltexte/ 9229 (08.02.2020), hier S. 12f. Weiterhin den Kommentar von Krohn, Bd. 3, S. 43f. Die Parallele zeigt sich am deutlichsten im Kontext von Markes Maifest in der Vorgeschichte, aber auch die Gandin-Episode, in der der König durch einen rash boon seine Ehefrau verliert, folgt einem Erzählschema, das ausgesprochen häufig mit Artus assoziiert ist, vgl. Dicke 1997a, 127f.: »Daß sich spätestens die Leser Gottfrieds im Gandin-Kapitel auf die parallele artusepische Episode (etwa in der Version des so erfolgreichen Hartmannschen »Iwein«) zurückverwiesen und zu Vergleichen veranlaßt sahen, kann als sicher gelten.« - Die Frage, inwieweit auch Riwalin entsprechend dem Figurenmodell des Artushelden gestaltet ist, wird in der Forschung kontrovers beantwortet, vgl. zustimmend McDonald 1989, S. 243f.; 1991, S. 71 (»[a]n Arthurian hero in all but the name«); Schausten 1999, S. 148; ablehnend Hauenstein 2006, S. 15. Vgl. auch Goller 2005, S. 92-97. 396 3 Lektüren auf die Schwertleite folgenden Kämpfen gegen Morolt und den Drachen die Länder Cornwall und Irland von ihrer jeweiligen Bedrohung befreit - wobei freilich, wie wir beim Moroltkampf gesehen haben, der Bezug zur Artusliteratur von zahlreichen anderen Mustern überdeckt wird. 589 Auch in Arundel wird er sich später als artusgemäßer »Retter von Frau und Land« erweisen. 590 Selbst wenn man davon ausgeht, dass sich der »Tristan« insgesamt kritisch vom Artusroman absetzt, bleibt er doch immer wieder auf diesen bezogen. 591 So ist auch das mit der Artusepik verbundene Ideal tätiger Ritterschaft als Ausgangspunkt für den Rollenwechsel der Figur im Kontext der Schwertleite weiterhin mit seiner kriegerischen Identität verknüpft - unabhängig von der Frage, ob sich Tristan in seinen Zweikämpfen dann auch tatsächlich im Sinne eines ritterlichen Ideals verhält. 589 Dass das Figurenmodell des arthurischen Protagonisten in der auf die Schwertleite folgenden Erzählung tatsächlich eine Rolle spielt, beobachtet neben Wolf 1953, S. 92-95, vor allem Goller 2005, S. 109-112, 126- 137, mit Blick auf den Moroltkampf S. 109f.: »Gemäß dem Schema der Heldenvita und des Artusromans wird durch den ritterlichen Neuling ein bedrohtes Land befreit.« Weiterhin S. 132: »Tristan wird mit den hier aufgezeigten Prätextbezügen deutlich in die Reihe der ritterlichen Protagonisten Hartmannscher Werke eingereiht und hinsichtlich seiner Ritter-Kampfestugenden darin positioniert.« Zusammenfassend S. 136: »Tristan wird in seinen Kämpfen analog zu den Protagonisten der anzitierten Prätexte eine Heilsbringerrolle zugeschrieben«. Auch Haug erkennt im Moroltkampf eine »Überlagerung durch das arthurische Strukturmuster […]. Tristan spielt […] eine Rolle, die der des arthurischen Protagonisten entspricht, der im Namen des Hofes auf eine Provokation von außen antwortet. Es schließt sich schemagerecht eine Aventürenfahrt an, die den Helden in Todesgefahr bringt, und er begegnet, ebenfalls schemagemäß, einer Frau, die ihn rettet.« (Haug 1990, S. 63) Ähnlich bereits Haug 1986, S. 46f. Siehe auch Keck 1998, S. 205f.; Barandun 2009, S. 60-65. Anders Stein 1977, S. 339: »Tristans Zweikampf gegen Morold wird von Gottfried ganz deutlich von einem Aventiure-Kampf abgehoben. Zu dem schon öfter betonten unritterlichen Charakter der Begegnung treten hier noch weitere Momente, die deutlich aus dem Bereich etwa der Hilfestellungs-Aventiure hinausführen.« Grundsätzlich und mit Blick auf die Tristansage im Allgemeinen Jackson 1960, S. 137: »Tristan is, in every respect, a peer of the knights of the Round table.« Mit Bezug auf Thomas ebd., S. 151: »Thomas of Britain is concerned to make Tristan an ideal Arthurian knight.« Ebenso Jackson 1970, S. 1000: Tristan »is, after all, the hero of a romance whose external form follows that of Hartmann and others. He fights in tournaments and wins a lady.« Zu dem berechtigten Einwand, dass Jackson die Figur angesichts der Vielzahl ihrer sich überlagernden Rollen zu einseitig auf das Figurenmodell des Artusritters reduziere, McDonald 1991, S. 69. - Eine andere Form von Bezugnahme auf die Weisheit daz êre wil des lîbes nôt erkennt Wiebke Freytag im Kontext des Moroltkampfes in Tristans Rede an die Barone, vgl. Wiebke Freytag: Das Oxymoron bei Wolfram, Gottfried und anderen Dichtern des Mittelalters, München 1972 (Medium Aevum. Philologische Studien 24), S. 219. 590 Müller 2007, S. 259. Peschel empfindet zwar die Darstellungen des Krieges in Arundel als für einen Artusroman untypisch realistisch, fragt dann aber trotzdem: »Lässt Gotfrit Tristan hier nicht wie einen Ritter aus einem Aventiureroman erscheinen? […] Tristan sucht Ritternot, doch Gotfrit gewährt sie kaum.« (Peschel 1976, S. 177f.) Auch Bittner spricht davon, Tristan trete »mit der Hinwendung zu Isolde Weißhand […] ein weiteres Mal ins Artusschema ein.« (Bittner 2019, S. 365) Zu Arundel als »quasi-arthurische[r] Welt« auch Gerok-Reiter 2006, S. 180-182, 187 (Zitat). 591 Das hat vor allem McDonald hervorgehoben. Er spricht von einer »evocative exploitation of Arthurian romance« (McDonald 1991, S. 92) und beobachtet zahlreiche »hidden links among characters and situations in order to situate them in relation to Arthurian conventions. Gottfried, we have argued, invites the closer examination of the interaction of literary traditions. Using Arthurian motifs, he engenders perceptions and connections which set his »Tristan« in contradistinction to Arthurian romance, exposing, in the process, the assumptions of said romance as inadequate for his protagonists.« (ebd., S. 108) Besonders Hartmanns »Iwein« erweise sich als »a key text against which »Tristan« begs to be compared« (S. 90). Vgl. außerdem Barandun 2009, S. 58f.: »Bevor er [Gottfried] die arthurische Ordnung […] verwirft, überprüft er noch einmal ihre Möglichkeiten und zeigt ihre Grenzen auf.« 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 397 Worauf es ankommt, ist die Tatsache, dass die Muster, mit denen der Roman arbeitet, als solche kenntlich gemacht werden. Wenn sich Tristan im Kontext der Schwertleite auf ein Figurenmodell bezieht, das über einen expliziten intertextuellen Verweis in den Text hineingeholt wird, dann wird damit das Muster gewissermaßen an die Textoberfläche geholt. Besonders deutlich zeigt sich das wiederum im Vergleich mit Eilhart, dessen Protagonist - wie wir gesehen haben - ebenfalls auf das Muster des arthurischen ›Heilsbringers‹ bezogen ist, diesem aber anders als Tristan nicht nur von Anfang an, sondern auch völlig selbstverständlich und gleichsam ›blind‹ folgt. Dagegen hat man bei Gottfrieds Protagonisten eine gewisse Distanz zwischen Figur und Rolle wahrgenommen, die Klaus Morsch dazu veranlasst hat, von Tristan als einem »Retortenritter« 592 zu sprechen. Bereits Weber meint mit Blick auf die Schwertleite, die Figur spreche zwar glatt und elegant, wohltemperiert und altklug von seiner Ritterbejahung […], ohne doch irgendwie vom echten Rittertum ergriffen zu sein. Rittersein gehört als gewichtiges Element zum höfischen Menschen und so wird es Tristan nicht minder virtuos handhaben als alles andere; sein inneres Wesen [! ] bleibt von der Gesinnung des Ritterlichen gleichwohl nahezu unberührt und sein Mittelpunkt wird es nie werden, gerade weil er auf Anhieb so wortreich davon zu sprechen versteht. 593 Tristan folgt zwar dem Figurenmodell des arthurischen Protagonisten, aber der Text inszeniert gewissermaßen eine weitere Ebene, auf der die Figur über das literarische Muster reflektiert. Das ändert allerdings nichts an der tatsächlichen kriegerischen Exorbitanz der Figur: Tristan kann nicht nur gut von Ritterschaft sprechen, sondern ist bei Gottfried nicht anders als bei Eilhart auch ein außergewöhnlicher Held, der seine ritterliche Geschicklichkeit in den Kämpfen mit Morgan, Morolt oder dem Drachen tatkräftig unter Beweis stellt. Aber die Rolle des Rittes ist nur eine unter vielen, die er im Laufe des Romans einnimmt (und perfekt erfüllt). Schon Haug hat dieses ›Rollenspiel‹ des Protagonisten wahrgenommen und hervorragend auf den Punkt gebracht: So wird, was im Artusroman sich schemagemäß vollzieht, im »Tristan« zu einem reflektiert-rollenhaften Akt. Der Held ist mit den Rollen, in die er eintritt, also nicht mehr identisch, sondern er wird ihrer bewußt, und so kann er sie nur noch spielen. 594 Schon in der Analyse der Morolt-Episode haben wir gesehen, dass Tristans kämpferische Exorbitanz nicht zuletzt in seiner Verfügung über literarische Muster begründet ist. Dieser Zusammenhang bestätigt sich auch mit Blick auf die Schwertleite. 595 Für die grundlegende 592 Morsch 1984, S. 154. 593 Weber 1953, Bd. 2, S. 80f. An anderer Stelle spricht Weber von einem »geringen Gewicht[ ] des Ritterlichen in der Seele des Helden« (ebd., S. 79). 594 Haug 1990, S. 65. Vgl. auch Haug 1986, S. 47: »Der Aventiuren-Ritter ist für ihn nur eine Rolle, die er spielt«. Ähnlich bereits McDonald 1989, S. 264: »Tristan’s knight-errantry is preeminently a costume and the actions of one engaged in game-playing.« (wortgleich 1991, S. 105) Vgl. auch Stein 1977, S. 310 Anm. 51: »Tristan beweist, daß er die rechte Haltung gegenüber dem Rittertum kennt, gelernt hat und auch formulieren kann.« Das zeigten insbesondere »die Autoritätsberufungen Tristans an dieser Stelle (4417, 4426 und 4430).« 595 Einen Hinweis darauf bietet auch das Illustrationsprogramm der Brüsseler »Tristan«-Handschrift R (Brüssel, Königliche Bibliothek, ms. 14697): Wenn der Protagonist hier im Kontext der Schwertleite (nach v. 4829) im Gespräch mit einem Schreiber dargestellt wird (fol. 131 r ), verweist das auf seine »Aura eines mit Schrift Vertrauten« (Saurma-Jeltsch 1999, S. 298). Saurma-Jeltsch erkennt in der Abbildung vor allem 398 3 Lektüren Frage nach Tristans ›Identität‹ zwischen ›Künstler‹ und ›Krieger‹ bedeutet das: Nimmt man das Ergebnis der Interpretation ernst und bezieht Tristans literarisches Wissen über die Ritterschaft (ouch hân ich selbe wol gelesen) auf die lêre der buoche in seiner Ausbildung, 596 dann zeigt sich hier, dass die Buchgelehrsamkeit der Figur und ihre Rolle als ›Künstler‹ geradezu die Basis für die Rolle als ›Krieger‹ bilden. Eine besondere Pointe der Stelle besteht darin, dass der Text damit zugleich den postulierten Widerspruch von Muße und Ritterschaft überschreitet, wenn eine Lektüresituation des Protagonisten zum Ausgangspunkt für seine kämpferische Aktivität wird. Diese Überlegung lässt an eine andere Figur aus der mittelhochdeutschen Literatur denken, für die, wenn auch in etwas anderer Art und Weise, ebenfalls Buchliteratur zum Ausgangspunkt für einen ›Identitätswechsel‹ wird: Ich meine Gregorius, der bei Hartmann von Aue vom buchgelehrten Klosterschüler zum ritterlichen ›Heilsbringer‹ avanciert. 597 Als er - wie Tristan - von seiner wahren Abstammung erfährt, will Gregorius Ritter werden, worauf sich ein Disput zwischen ihm und seinem Abt entspinnt, bei dem die alternativen Lebensformen pfaffen bilde (»Gregorius«, v.-1517) und rîterschaft-(v.-1519) 598 zur Diskussion stehen. Als der Abt dabei auf die fehlende ritterliche Erziehung seines Schülers verweist, entwirft dieser das Konzept einer Art imaginierten kriegerischen Ausbildung: Immer wenn er sich mit Buchliteratur beschäftigte, habe er im Geiste (âne des lîbes arbeit, v. 1610) turniert (vv. 1583-1620). 599 In der Forschung hat man die Tatsache, dass sich Gregorius (zunächst) außerordentlich erfolgreich für das Rittertum entscheidet, meist als ein Sich-Durchsetzen seiner adligen Veranlagung gesehen. 600 Aber es ist nicht nur seine Abstammung, die den ›Identitätswechsel‹ des Protadie ikonographische Tradition eines handwerklichen Schreibers im Gespräch mit einem Kunden. Aber könnte man nicht auch an mittelalterliche Autorbilder wie das Konrads von Würzburg im Codex Manesse denken, auf dem der Autor einem Schreiber diktiert (Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 848, fol. 383 r )? 596 So offenbar Morsch 1984, S. 151, der außerdem davon spricht, dass Tristan in der Schwertleite als »Schulbuchgelehrter« (ebd., S. 154) auftrete. Auch Stein meint, hier würden vor allem die »Wohlgebildetheit« des Protagonisten und »seine Kenntnis konventioneller ritterlicher Ideale« zum Ausdruck gebracht (Stein 1977, S.-308). 597 Zu den zahlreichen intertextuellen Parallelen zwischen »Gregorius« und »Tristan« im Kontext der Jugendgeschichte siehe Goller 2005, S. 98-114; Pörksen / Pörksen 1980, S. 260f.; Ursula Schwab: Lex et gratia. Der literarische Exkurs Gottfrieds von Strassburg und Hartmanns Gregorius, Messina 1967 (Pubblicazioni dell’Istituto di lingue e letterature straniere 1), S. 96-98; vor allem mit Bezug auf die Ausbildung Wolf 1953, S. 58f. Gerade den Ausdruck der buoche lêre und ir getwanc im Kontext von Tristans Ausbildung (v. 2085) hat man als Anspielung auf eine ähnliche Formulierung im »Gregorius« verstanden (vgl. »Gregorius«, vv. 1582f.: sô man mich sêre […] ze den buochen twanc; Ausg. Mertens 2004, S. 94). Dazu den Kommentar in der Ausg. Mertens 2004, S.-857f. Die Beziehungen zwischen Gregorius und Tristan hat offenbar auch Thomas Mann erkannt und in seiner Bearbeitung des mittelalterlichen Stoffes hervorgehoben (mit Bezug auf die Erwähnung Tristans bei Chrétien): Seine Mitschüler im Kloster nennen den Protagonisten hier nämlich »den ›Trauerer‹, oder wenn sie vom normannischen Festlande waren, so nannten sie ihn ›Tristanz, der Sorgsame, qui onques ne rist‹.« (»Der Erwählte«; Ausg. de Mendelssohn 1980, S. 90) 598 Ausg. Mertens 2004, S. 92. Die Opposition der Lebensformen wird auch durch die jeweiligen Instrumente griffel und sper, veder und swert zum Ausdruck gebracht (vgl. vv. 1591 f., ebd., S. 96). Zu diesem Bild Wenzel 2002, S. 864: »Die Bereiche des Schwertes (vita activa) und der Feder (vita contemplativa) galten lange Zeit als verschiedene Welten; die Schrift sollte dem Klerus vorbehalten bleiben wie die Waffenführung umgekehrt dem Adel.« 599 Ausg. Mertens 2004, S. 94-96. 600 Vgl. den Kommentar in der Ausg. Mertens 2004, S. 848. Zuletzt Steinke 2015, S. 163: Der ›Identitätswechsel‹ sei die »offensichtliche Darstellung des Durchbruchs seiner inneren, genealogisch ererbten adligen 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 399 gonisten so mühelos gelingen lässt: Wenn Gregorius nach seinem Weggang aus dem Kloster zufällig zur belagerten Burg einer schönen, unverheirateten Landesherrin gelangt, die er aus ihrer Zwangslage befreit, indem er ihren Feind im Zweikampf besiegt, um anschließend die Frau zu heiraten, dann erkennt man darin unschwer ein weit verbreitetes Erzählmuster, das den Erfolg des Protagonisten garantiert. 601 Die Handlung folgt offensichtlich nicht realweltlichen Gesetzmäßigkeiten, sondern ist in erster Linie kompositorisch motiviert. 602 Erkennt man das Erzählmuster als literarische Konvention, 603 wird es - so könnte man schlussfolgern - gleichsam für die buchgelehrte Figur verfügbar, wenn sie sich mit griffel und veder in die literarische Rolle des ›Heilsbringers‹ hineinimaginiert. 604 Thomas Mann hat dieses Deutungsangebot in seiner Bearbeitung des mittelalterlichen Stoffes explizit gemacht, indem er die nicht näher bestimmten buoche, von denen bei Hartmann die Rede ist (v. 1585), als »Bücher der Mären und Aventuren, von Roland und Artus« 605 identifiziert. In der modernen Bearbeitung wird weiterhin erzählt, wie sich der Protagonist bei der Lektüre dieser Bücher vorstellt, dass er als Artusritter eine Quelle im Wald begießt, Identität gegen die bisherige, bei aller Perfektion nur widerwillig ausgeführte Eingliederung in die kollektive Identität des Klosters.« - Auch die adlige Abstammung ist bei Hartmann nicht zuletzt schriftlich kodiert, nämlich im Text auf der Tafel des Gregorius. In diesem Sinne sprechen Edith und Horst Wenzel davon, die ritterliche Identität sei »nicht nur von der Tafel abzulesen, sondern auch ihm [d. h. Gregorius] selbst ›urschriftlich‹ eingeschrieben« (Wenzel / Wenzel 1996, S. 108). 601 Vgl. Peter Strohschneider: Inzest-Heiligkeit. Krise und Aufhebung der Unterschiede in Hartmanns »Gregorius«, in: Geistliches in weltlicher und Weltliches in geistlicher Literatur des Mittelalters, hrsg. von Christoph Huber u. a., Tübingen 2000, S. 105-133, hier S. 114, 119, 123-125. Strohschneider stellt dabei implizit auch eine Verbindung zum »Tristan« her, wenn er sich auf die Untersuchungen von Unterreitmeier 1984 und Kuhn 1980 [1973] bezieht (ebd., S. 114 Anm. 22). 602 Sonst würde wohl kaum ein jugendlicher Klosterschüler im Zweikampf gegen einen Gegner gewinnen, der stärker ist als die meisten anderen Männer und in allen Ländern als der beste Ritter gilt (vgl. »Gregorius«, vv.-1999-2008). Allerdings lässt sich bei Hartmann durchaus der zaghafte Versuch einer Plausibilisierung erkennen, wenn sich Gregorius vor seinem Zweikampf immerhin immer wieder an rîterschaft beteiligt, und zwar so lange, daz er wesen kunde | rîter swie man gerte, | ze sper und ze swerte. […] | und er benamen weste, | daz er wære der beste, | daz er hæte ellen unde kraft | und ganze kunst ze rîterschaft (vv. 1986-1994; Ausg. Mertens 2004, S. 116-118). 603 Die Artifizialität des gewählten Figurenmodells kommt auch dort zum Ausdruck, wo Gregorius gegenüber dem Abt davon spricht, als er sich vorstellte, wie er geritten sei, habe er ausgesehen als ich wære gemâlet dar (»Gregorius«, v. 1607; Ausg. Mertens 2004, S. 96). 604 Mein Ansatz berührt sich mit der Interpretation von Bent Gebert, der sich zur Erklärung von Gregorius’ Identitätswechsel auf Bourdieus Konzept des Habitus bezieht und damit gegenüber anderen Ansätzen (siehe oben) die ritterliche Identität weniger als angeboren denn als erworben versteht, vgl. Bent Gebert: Poetik der Tugend. Zur Semantik und Anthropologie des Habitus in höfischer Epik, in: Text und Normativität im deutschen Mittelalter. XX. Anglo-German Colloquium, hrsg. von Elke Brüggen u. a., Berlin / Boston 2012, S. 143-168, hier S. 164-167. Mit dem Begriff des Habitus geht außerdem eine Spannung zwischen Strukturlogik und Intentionalität einher (vgl. ebd., S. 163), die ich für anschlussfähig halte, um den Moment des ›Hineinimaginierens‹ zu fassen, den ich zu beschreiben versucht habe: Einerseits schreibt sich Gregorius (aktiv) in die Rolle des Helden ein, um dann andererseits (passiv) der Logik des Schemas unterworfen zu sein. Zum Habitus zwischen Finalität und Kausalität auch Pierre Bourdieu: Meditationen. Zur Kritik der scholastischen Vernunft. Aus dem Französischen von Achim Russer unter Mitwirkung von-Hélène Albagnac / Bern-Schwibs, Frankfurt a. M. 2001 [zuerst im französischen Original 1997], S. 177. Um im Bild der Abwägung zwischen Biologie / Körper und Kunst / Literatur zu bleiben, wäre hier auch an Bourdieus Formulierung vom Habitus als einer ›unauslöschlichen Tätowierung‹ zu denken, vgl. ebd., S. 181; dazu auch Bernhardt 2016, S. 42f. 605 Thomas Mann, »Der Erwählte«; Ausg. de Mendelssohn 1980, S. 89. 400 3 Lektüren damit ein Unwetter auslöst und den Herrn der Quelle tötet, um sich danach dessen Witwe anzunehmen. 606 Es ist ganz offensichtlich die Protagonistenrolle des »Iwein«, in die sich der junge Klosterschüler hier hineinträumt. Im mittelalterlichen Text lesen wir davon freilich nichts. Doch das Rezeptionszeugnis des modernen Schriftstellers bietet einen Hinweis auf das transgressive Potential, das Figuren wie Tristan und Gregorius besitzen: Als ›Künstler‹ und ›Krieger‹ überschreiten sie Grenzen. Dabei handelt es sich nicht nur um die vermeintlichen Grenzen der höfischen Gesellschaft, sondern auch (oder vor allem) um die Grenzen der Erzählung. Ich möchte das am Beispiel der eingangs angesprochenen Autorfigur Hartmanns von Aue (ein rîter, der gelêret was) zeigen, für die Timo Reuvekamp-Felber vor einigen Jahren eine neue Deutung vorgeschlagen hat: 607 Er plädiert dafür, die Figur des miles litteratus nicht mehr biographisch zu lesen und auf die sozialen Rollen der mittelalterlichen Gesellschaft zu beziehen. Vielmehr entwerfe Hartmann »auf der Ebene des discours- eine Erzählergestalt, die sich dem Protagonisten der histoire in ihrem Status angleicht.« 608 Der ›kriegerische‹ Anteil der Autorfigur steht in dieser Deutung für die (ritterlichen) Gegenstände des Erzählens, der ›intellektuelle‹ Anteil für das Erzählen selbst, also die künstlerische Produktion. Die Verbindung von Gelehrsamkeit und Ritterschaft stelle so den Versuch dar, »die Ebenen der histoire, der erzählten Geschichte, und des discours, der Erzählinstanz, in einem raffinierten literarischen Spiel zu verschränken.« 609 In diesem Sinne hatte schon Haug die Gegenüberstellung von wort und werc in Hartmanns »Iwein«-Prolog mit der Opposition von »clergie gegenüber chevalerie« 610 in Verbindung gebracht. Im »Tristan« liegt gewissermaßen der zu Reuvekamp-Felbers Deutung von Hartmanns Autorbild komplementäre Fall vor: Hier wird nicht die Autorrolle den Gegenständen der Erzählung angenähert, sondern die Figur umgekehrt der Ebene von Autor und Rezipienten. 611 Ich möchte also das ›Kriegertum‹ von Tristan und Gregorius in eine Korrelation mit der erzählten Welt stellen und ihr ›Künstlertum‹ mit dem Erzählen selbst. Folgt man dieser Überlegung, dann bieten solche Figuren, die als miles litteratus Anteil an beiden ›Welten‹ haben, vielleicht weniger ein Abbild 606 Ebd. 607 Vgl. Reuvekamp-Felber 2003, S. 127-135. 608 Ebd., S. 128. 609 Ebd., S. 170. Diese Deutung passt besonders gut, wenn man wie Reuvekamp-Felber davon ausgeht, dass es sich bei dem biographischen Autor-Subjekt Hartmann (wie bei Gottfried) um einen Kleriker handelt. 610 Vgl. Haug 2 1992, S. 127. Weiterhin S. 128f.: »Die Opposition Artus-âventiure / mære spiegelt sich wider im Gegenüber von chevalerie und clergie und damit im Gegenüber des Ritters Hartmann und des Gelehrten Hartmann.« Ausgehend von der Beobachtung einer »constant tension between chevalerie and clergie« in Chrétiens Lancelot-Roman hat auch Simon Gaunt die höfischen Romane als geprägt von einem Aufeinandertreffen ritterlicher Gegenstände und klerikaler Autoren beschrieben, vgl. Simon Gaunt: Gender and Genre in Medieval French Literature, Cambridge 1995 (Cambridge Studies in French 53), S. 93. 611 Eben nicht »Gottfried states that gemach is the death of êre« ( Jones 1959, S. 73), sondern erst einmal die Figur Tristan. Diese Fehlzuschreibung weist aber darauf hin, dass die Ausführungen der Figur ihrer Form und ihrem Inhalt nach die Ebene der erzählten Welt verlassen und offenbar an Erzählerrede erinnern. Das bemerkt auch Stein 1977, S. 314: »Von hier aus ist der Schritt zum Erzählerexkurs […] nur mehr klein, und die völlige Absonderung von der Handlungsrealität […] ist nur mehr der letzte, konsequente Schritt in dieser Entwicklung.« Eine tatsächliche, soziologische Annäherung des Protagonisten an den biographischen Autor vermutet grundsätzlich Jaeger 1984, S. 62: »[T]here is a direct connection between Gottfried’s social standing [als clericus] and his representation of his hero.« 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 401 realer sozialer Phänomene am hochmittelalterlichen Hof, 612 als vielmehr den Ausgangspunkt für ein anspruchsvolles Spiel mit den Ebenen der Erzählung. 613 Die Identität der Figur lässt sich deshalb nicht mehr einfach mithilfe sozialer oder psychologischer Kategorien auf der Ebene der erzählten Welt bestimmen, sondern wird gleichsam erst in der Verschränkung der Ebenen greifbar. Zum Abschluss möchte ich auf eine weitere Romanfigur blicken, die ebenfalls von der Lektüre zum Rittertum gelangt und sich dabei am literarischen Programm der arbeit umbe êre orientiert: Ich meine Don Quijote, der sich rund 400 Jahre nach Tristan über die Lektüre von Artusromanen in die Rolle des Ritters hineinträumt. 614 Bei Miguel de Cervantes wird dabei die Buchliteratur ganz konkret zum Ausgangspunkt für die Handlung. 615 Anders als im »Tristan« hat das um 1600 bekanntlich absurde Folgen: Die Erzählmuster der märchenhaften Artusliteratur passen nicht mehr in die erzählte Welt des »Don Quijote«. Darin unterscheidet sich der neuzeitliche Roman von der mittelalterlichen Literatur, in der Thomas Klinkert zufolge noch »die imitatorische Umsetzung von Handlungsmodellen, welche aus Texten stammen, ein durchaus möglicher Rezeptionsmodus war.« 616 Norbert Elias - und damit schließt sich der Kreis der Analyse - hat im »Don Quijote« in erster Linie eine Reaktion auf soziokulturelle Veränderungen gesehen. Die »Welle der mo- 612 Dazu Fleckenstein 1990, S. 319f.; Krüger 1990. Siehe auch die Deutung von Jaeger 1984 (dazu oben, S. 366 Anm.-451). 613 Das gilt auch für das angesprochene Beispiel aus dem »Daniel von dem blühenden Tal« (siehe oben, S.-371): Wenn der Stricker hier ein Bild aus dem Bereich der Schriftproduktion wählt, um das kriegerische Tun seiner Protagonisten zu beschreiben, dann überblendet er nicht nur ›Kunst‹ und ›Gewalt‹, sondern auch die fiktionale Handlung seiner Figuren und die Produktion des Textes durch den schreibenden Autor. 614 Darauf verweist schon Fuchs, wenn er mit Referenz auf Tristans ›Selbstreflexion‹ davon spricht, dieser werde »wie Don Quijote […] vom Ritterwesen durch Bücher belehrt (V. 4430)« (Fuchs 1967, S. 36). - Auf die Diskussion um das Verhältnis von Muße und Ritterschaft spielt auch Don Quijote selbst mit Verweis auf die Artusliteratur an, vgl. Miguel de Cervantes Saavedra, »Don Quijote«, Kap. 13: ›»Wohlbefinden, Fröhlichkeit und Müßiggang (el reposo) trifft man bei den weichlichen Höflingen, aber Beschwer, Unruhe und Waffenlast (trabajo, inquietud y las armas) werden bei denjenigen gefunden, die die Welt die irrenden Ritter heißt, als zu welchen ich Unwürdiger mich zu den niedrigsten zähle. […] Habt Ihr niemals […] die Annalen und Historien von England gelesen, in denen die berühmten Thaten des K ö n i g s A r t h u r u s erzählt werden […]? Zu den Zeiten dieses edlen Königs wurde der berühmte Ritterorden der Ritter von der Tafelrunde gestiftet […]. Diese [Ritter], meine Herren, sind irrende Ritter, und wie ich ihn beschrieben, so ist der Orden dieser Ritterschaft, den auch ich Unwürdiger ergriffen, und so wie jene Genannten lebten, so gleichermaßen lebe auch ich. Deshalb suche ich mir in diesen Wüsteneien und Einöden A b e n t e u e r (auenturas) […].«‹ Übersetzung aus Leben und Thaten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha von Miguel de Cervantes Saavedra, übers. von Ludwig Tieck, Berlin / New York 1868, Bd. 1, S. 63. (Hervorhebung L.M.) Originalzitate nach dem Erstdruck El ingenioso hidalgo don Quixote de la Mancha. Compuesto por Miguel de Cervantes Saavedra, Valencia 1605, S.-118, 120. Zur grundsätzlichen Bedeutung des Muße-Diskurses im »Don Quijote« Thomas Klinkert: Muße und Erzählen: ein poetologischer Zusammenhang. Vom »Roman de la Rose« bis zu Jorge Semprún, Tübingen 2016 (Otium 3), S. 83-98. 615 Vgl. Müller 2004b, S. 304: »Don Quijote ist eine Romanfigur, die sich - in der Fiktion - nach anderen Romanfiguren, genauer nach dem in ihnen repräsentierten Bild der Realität, modelliert. Der Held eines fiktionalen Textes interpretiert die Alltagswelt nach dem Modell fiktionaler Textwelten.« Jauß formuliert, dass Don Quijote »die Realität […] nach den Gesetzen der Fiktion uminterpretieren will«. Damit sei Cervantes’ Roman das erste Werk, »das die Scheidung von Fiktionalität und Realität selbst zum Thema gemacht hat«, weshalb Jauß von einem »Grundtext der Moderne« spricht ( Jauß 1983, S. 430). 616 Klinkert 2016, S. 93. 402 3 Lektüren dischen Ritterromane des 16. Jahrhunderts, denen Cervantes mit seiner großen Satire den Garaus zu machen suchte,« seien ein Symptom der zunehmenden Verhofung der Krieger. Die Gestalt des großen Amadis und die gesamte Ritterromantik […] zeigt das stolze mittelalterliche Kriegertum im Abendrot der Sehnsucht nach dem freieren selbstherrlicheren Ritterleben, das im Zuge der wachsenden Zentralisierung der Staaten und damit auch der Heeresorganisation schon im Untergehen ist. 617 Was Elias als ›Welle der modischen Ritterromane‹ bezeichnet, lässt sich aber nicht nur auf den Verlust der militärischen Funktion des spätmittelalterlichen Adels zurückführen. Die Vervielfältigung literarischer Muster, die den Ausgangspunkt für die Parodie arthurischen Erzählens im »Don Quijote« bildet, ist in erster Linie das Ergebnis veränderter Erzählgewohnheiten und medialer Möglichkeiten (Prosaroman und Buchdruck). 618 Ansätze zu einer solchen Vervielfältigung lassen sich jedoch bereits im »Tristan« beobachten, wenn der Erzähler im Literaturexkurs die Konventionalität des Erzählens von Ritterschaft beklagt. Insofern handelt es sich vielleicht um den ersten Schritt einer Entwicklung, die vom arthurischen Erzählen zum »Don Quijote« führen wird. Immerhin unterscheidet sich das intertextuelle Arrangement des »Tristan«, wie ich anschaulich zu machen versucht habe, ja durchaus vom kollektiven Erzähluniversum der Artusromane. Hier zeigen sich bereits Ansätze zu jener ›Selbstreflexion der Literatur‹, die Klinkert als für den »Don Quijote« entscheidend beschrieben hat. 619 Allerdings werden die überkommenen literarischen Muster bei Gottfried zwar als solche kenntlich gemacht, verlieren aber nicht ihre Gültigkeit: Anders als Don Quijote gelingt Tristan der Schritt vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹; in seiner Welt existieren noch Drachen und Riesen, die der Protagonist besiegen und damit (zumindest vorerst) als ritterlicher ›Heilsbringer‹ reüssieren kann. Wie sich weiterhin die Ergebnisse der einzelnen Beobachtungen in Bezug auf eine erzählgeschichtliche Verortung von Gottfrieds »Tristan« fruchtbar machen lassen, ist eine der Fragen, die im abschließenden Teil der Untersuchung noch einmal aufgegriffen werden sollen. 617 Vgl. Norbert Elias: Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Mit einer Einleitung: Soziologie und Geschichtswissenschaft, Frankfurt a. M. 7 1994, S.-322. 618 Zur komplexen medialen Situation des »Don Quijote« auf dem Weg zu einer »Kultur neuzeitlicher Schriftlichkeit«, die im Text über fünf Vermittlungsstufen inszeniert wird, Klinkert 2016, S. 90. 619 Vgl. ebd.: »Es geht nicht nur darum, dass ein dem Wahn verfallener Leser nicht mehr zwischen Fiktion und Wirklichkeit unterscheiden kann, weil er zu viele Ritterromane gelesen hat, sondern es geht ganz grundsätzlich um die Selbstreflexion der Literatur. In vielfacher Weise werden Fragen gestellt, die sich mit Lektüreverhalten, Interpretation, Konstruktion von Wirklichkeit, Fiktion, Imagination, mit dem Verhältnis zwischen literarischen Modellen und Handlungsmustern, Werten und Normen, mit der Relation zwischen Fiktion und Wissen, dem Aufschreibesystem der frühen Neuzeit usw. beschäftigen.« 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 403 Kontextualisierung und Ausblick Jeder literarische Text erzählt (mehr oder weniger deutlich) zwei Geschichten parallel: Die Geschichte seiner Figuren in der erzählten Welt und die Geschichte seiner eigenen Entstehung. Das lässt sich bereits bei einem der frühesten deutschsprachigen Textzeugnisse beobachten: Im althochdeutschen »Hildebrandslied« berichtet das Erzähler-Ich nicht nur vom tragischen Zweikampf eines Vaters mit seinem Sohn, sondern nimmt auch seine eigene Vermittlung des tradierten Stoffes in den Blick (vgl. v. 1: Ik gihorta đat seggen) 1 . Wie die vorangegangenen Überlegungen gezeigt haben, gibt es wohl kaum einen mittelalterlichen Text, der das Wechselspiel dieser beiden Ebenen so gekonnt inszeniert wie der »Tristan«. Betrachtet man zunächst die Ebene der erzählten Welt, so zeigt sich hier ein ernsthaftes Bemühen des Erzählers, die dargestellten Figuren wie reale Personen erscheinen zu lassen. Der Anspruch auf eine ›rationale‹ Erzählweise, die sich gemäß dem poetologischen Gebot der verisimilitudo an der Erfahrungswelt der Leser und Hörer orientiert, wird prominent im ›Schwalbenhaar-Exkurs‹ zum Ausdruck gebracht. Diese Erzählweise gewinnt weiterhin dort an Profil, wo der Erzähler versucht, die Handlung mithilfe anthropologischer Gesetzmäßigkeiten zu begründen und die Erzählung implizit oder explizit an realweltliche Wissensbestände der Rezipienten anzubinden. Ein Beispiel dafür bietet die Entstehung der Liebe zwischen Riwalin und Blanscheflur, die in Übereinstimmung mit bekannten anthropologischen Modellen (Ovid, Andreas Capellanus) beschrieben wird. Wie nicht zuletzt die modernen Interpretationen demonstrieren, lädt diese Erzählweise immer wieder dazu ein, die Figuren aus einer ›mimetischen‹ Perspektive zu betrachten und in ihren Gefühlen und Überlegungen den Ausgangspunkt für die erzählte Handlung zu suchen. Besonders im Vergleich mit der ›spielmännischen‹ Version von Eilhart wird deutlich, wie sehr Gottfried darum bemüht ist, die Erzählung insgesamt im Sinne kausallogischer Erwartungen kohärenter zu gestalten. Die Gegenüberstellung der verschiedenen Versionen des Stoffes lässt dabei auch erkennen, dass der »Tristan« in dieser Hinsicht selbst über die ›höfische‹ Version des Thomas hinausgeht. So führt Gottfried an verschiedenen Stellen psychologische Begründungen ein, die - soweit sich das rekonstruieren lässt - in seiner Vorlage noch nicht vorhanden waren. Dazu gehören etwa Brangänes Schuldgefühle im Kontext der Hochzeitsnacht oder Isoldes nach mittelalterlichen Gesichtspunkten nicht unbedingt abwegige Überlegung, ihre Zofe könne sich in Marke verliebt haben. 2 Ein eindrückliches Beispiel für das gegenüber Thomas rationalere Erzählen 1 Zitiert nach Die kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler, hrsg. von Elias von Steinmeyer, Berlin 1916, S. 1. Vgl. dazu etwa die Formulierung bei Matthias Wermke: Von alter und neuer Bescheidenheit. Eine Gedankenspielerei, in: Ex Praeteritis-Praesentia. Sprach-, literatur- und kulturwissenschaftliche-Studien zu Wortund-Stoffgeschichten. Festschrift zum 70.-Geburtstag von-Theo Stemmler, hrsg. von Matthias Eitelmann / Nadyne Stritzke, Heidelberg 2006 (Anglistische Forschungen 370), S. 69-78, hier S. 76: »In der epischen Eingangsformel […] beruft sich der Dichter auf der A u t o r- P u b l i k u m - E b e n e auf Zeugen, die ihm das Ereignis berichtet haben sollen.« (Hervorhebung L.M.) 2 Dieser Befund ist auch als Warnung vor einer Überbewertung der ohnehin in der Forschung zuletzt eher kritisch bewerteten Labels ›spielmännisch‹ und ›höfisch‹ zu verstehen. Wie wir anhand der Darstellung Brangänes im Kontext des Brautunterschubs gesehen haben, erzählt Eilhart an einzelnen Stellen sogar 404 Kontextualisierung und Ausblick bietet weiterhin die ›Entmythifizierung‹ des imram im Zusammenhang mit der ersten Irlandfahrt. 3 Solche mehr oder weniger subtilen Änderungen gegenüber der Stofftradition liefern auch einen Hinweis auf Gottfrieds Bewusstsein für das im »Tristan« praktizierte Erzählverfahren. Sie belegen damit, dass entgegen modernen Vorurteilen kausal-psychologisches Erzählen und eine ›mimetische‹ Figurenkonzeption weder außerhalb der ästhetischen Konventionen noch der narrativen Möglichkeiten des Mittelalters liegen. Aber das ist nur eine Seite: Gottfrieds Erzähler gibt sich zwar große Mühe, die dargestellten Figuren wie reale Personen erscheinen zu lassen, lässt aber zugleich keinen Zweifel daran, dass sie es nicht sind. Immer wieder fokussiert der Roman die Künstlichkeit der erzählten Welt. Das betrifft nicht nur die Figuren: Es gibt keinen anderen höfischen Roman, in dem auf Kommentar-, Deutungs- und Darstellungsebene die Erzählwelten so dezidiert und konsequent als gemachte, als konstruierte, als künstliche vorgeführt werden wie Gottfrieds »Tristan«. Sie sind das Artefaktum des Künstlers, der materielle, sprachliche und körperliche Zeichen bedeutungsvoll arrangiert. 4 Der Erzähler präsentiert gewissermaßen die ›Bausteine‹, aus denen die Erzählung besteht, und lässt die Leser und Hörer daran teilhaben, wie aus ihnen - mit Vladimir Nabokov - »unversehens ein prächtiges Schloß mit Türmen und Zinnen wird.« 5 Oder, um auf ein Bild zurückzugreifen, das Gottfried mehr entspricht: Der Erzähler führt die gesammelten Blüten und Zweige vor, aus denen er vor unseren Augen seinen Blumenkranz flicht. Bei diesem floralen Material handelt es sich in erster Linie um jene auch unabhängig vom »Tristan« überlieferten Erzählmuster, die im Laufe der Stoffgeschichte in den Roman gelangt und gewissermaßen mit der Geschichte von Tristan und Isolde verwachsen sind. Darauf beschränkt sich die Blütenlese allerdings nicht: Gottfried sammelt weiteres literarisches Material, um es in seine Erzählung zu integrieren. Dazu gehört etwa der Verweis auf Helena im Kontext der Brautwerbung, durch den die antike Königin zu einer Modellfigur für Isolde wird. Die Leser und Hörer sind immer wieder dazu aufgefordert, solche Bestandteile im Geflecht des Romans zu identifizieren. Erkennt man die jeweiligen literarischen Parallelen, rückt die künstliche Gemachtheit der erzählten Welt in den Vordergrund. Die Handlung folgt wiederholt tradierten Erzählmustern, ist also kompositorisch motiviert. Dabei lässt sich beobachten, dass der »Tristan« den narrativen Mustern zum Teil stärker entspricht, als das in den anderen Versionen des Stoffes der Fall ist. So führt Gottfried im Moroltkampf das für den Erzähltyp vom ›Sieg des Jüngsten‹ zentrale Motiv der Enthauptung des wehrlosen Gegners neu in die Erzählung ein und beweist damit sein Verständnis für das literarische Muster. Für die Akteure sind in solchen Erzählmustern, die sich mithilfe strukturalistischer Modelle beschreiben lassen, bestimmte Handlungsrollen und Figurenkategorien vorgesehen, die bei der Bildung des mentalen Modells abgerufen werden. Die Figuren erscheinen dann als Wiederholung ›psychologischer‹ als Thomas (siehe oben, S. 276 Anm. 5). Dass Gottfried hier offenbar seinem deutschsprachigen Vorgänger gegenüber dem französischen Roman den Vorzug gegeben hat, entspricht dem Befund des Fragments von Carlisle, wonach Gottfried grundsätzlich sowohl Thomas als auch Eilhart als Vorlage benutzt hat, vgl. Nellmann 2001. 3 Siehe dazu noch einmal unten, S. 407. 4 Kellermann 2002, S. 151. Auch Kropik beobachtet, »dass die Künstlichkeit von Gottfrieds Weltdarstellung […] bemerkt werden will« (Kropik 2018, S. 299). 5 Nabokov 1991, S. 31. von etwas, das schon einmal erzählt wurde. Wie der Tristanstoff insgesamt, so sind auch die Figuren ›aus Literatur‹ verfertigt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Gottfrieds Roman - nicht überall in gleichem Maße - auf beiden Ebenen funktioniert und den Rezipienten unterschiedliche Perspektiven auf die Figuren erlaubt: Man kann Tristan und Isolde als Abbilder realer Personen wahrnehmen, die vor einigen hundert Jahren in Cornwall gelebt haben, - oder als literarische Kunstwerke. Ihre Schönheit und Vortrefflichkeit verdanken die Protagonisten entweder einem christlichen Schöpfergott - oder dem Erzähler, der sie mit seinen Worten erschaffen hat. Angesichts der vielen Vorfälle, die sich im Roman ›zufällig‹ ereignen, kann man darauf verweisen, dass sich im Zufall die göttliche Ordnung der erzählten Welt manifestiert - oder die literarische Komposition des Textes. Man kann die Entstehung der Liebe zwischen Tristan und Isolde trotz des Minnetranks mit der ovidianischen Liebesanthropologie erklären - oder mit dem ›märchenhaften‹ Gesetz, nach dem der Beste und die Schönste zusammengehören. Den Moroltkampf kann man als rechtlichen Konflikt zwischen zwei politischen Kollektiven betrachten (und in Morolt einen höfischen Ritter sehen) - oder als ›mythische‹ Auseinandersetzung von Recht und Unrecht (und Morolt als teuflischen Widersacher wahrnehmen). Die Liste solcher Gegenüberstellungen ließe sich fortsetzen. Der »Tristan« bietet immer wieder Anreize für beide Perspektiven, das demonstrieren auch die unterschiedlichen Interpretationen der Forschung. Am Beispiel des Moroltkampfs lässt sich dabei besonders gut das Zusammenspiel der beiden gegenläufigen Tendenzen beobachten: Einerseits gestaltet der Text die Auseinandersetzung mit einigem Aufwand aus einem rechtlich-politischen Blickwinkel, andererseits nähert er sie an das zugrunde liegende Erzählschema an. Bei der Lektüre werden so realweltliche und literarische Wissensbestände abgerufen; die Erzählung ist sowohl kausal-psychologisch als auch kompositorisch (und final) motiviert. Das entspricht der narratologischen Grundannahme, wonach die verschiedenen Motivationsarten einander nicht ausschließen, sondern vielmehr überlagern. Indem Gottfried die Handlung einerseits auf der Ebene der erzählten Welt rationalisiert, andererseits aber auf der ›Tiefenstruktur‹ dem Erzähltyp annähert, gestaltet er die Erzählung auf beiden Ebenen kohärenter, als es seine Vorgänger tun. Dieses Nebeneinander von künstlicher Gemachtheit der Erzählung und Lebenswirklichkeit der erzählten Welt hat Cordula Kropik jüngst als hervorstechendes Merkmal der Ästhetik des »Tristan« beschrieben. Die erzählte Welt des Romans sei eine Welt, die mit der Hilfe beider, der Kunstfertigkeit ihrer Gestaltung ebenso wie der Lebensechtheit des in ihr Gestalteten, zu einem Imaginations- und Reflexionsraum der Liebe wird. Dabei ist der Aspekt der Kunst dafür zuständig, den Gegenstand des Erzählens quasi ins Licht zu rücken […]. Die Lebensechtheit der Darstellung hingegen sorgt dafür, dass der Text-Raum für seine Besucher ›bewohnbar‹ wird: Sie führt den Hörer so dicht an seiner eigenen Wirklichkeitserfahrung entlang, dass er in die erzählte Welt eintauchen, sie trotz ihrer andersartigen Künstlichkeit als seine eigene akzeptieren, sich in ihr niederlassen und sich ganz der Beobachtung des in ihr ausgestellten (thematischen) Gegenstandes widmen kann. 6 In diesem Nebeneinander, bei dem die Gemachtheit der Figuren nicht mit ihrer ›Lebensechtheit‹ verrechnet wird, kann man womöglich den Ausdruck einer Erzählkultur erkennen, in 6 Kropik 2018, S. 298. Kontextualisierung und Ausblick 405 der ›Wirklichkeit‹ nicht einfach abgebildet, sondern vielmehr mit den Mitteln der Kunst hergestellt wird, so dass sich Künstlichkeit und ›Wirklichkeit‹ nicht nur überlagern, sondern regelrecht bedingen. 7 Das lässt sich im Anschluss an die Diskussion des Verhältnisses von wort und werc in Hartmanns »Iwein« auch im viel diskutierten Schluss des »Tristan«-Prologs beobachten (vv. 211-240). 8 Hier geht es um das Verhältnis zwischen der realen Existenz der Protagonisten und der Erzählung davon (ir name, ir geschiht, v. 215). Dabei etabliert der Prolog eine komplexe Beziehung, bei der sich die einzelnen Elemente gegenseitig voraussetzen: Leben und Tod von Tristan und Isolde in der Vergangenheit bilden die Basis für die Rezeption der Erzählung in der Gegenwart (noch hiute, v. 218). Die Rezeption der Geschichte (v. 230: swâ man noch hœret lesen…) wird wiederum zur Bedingung für eine neue Lebendigkeit der Protagonisten (v. 234: …sô lebet ir beider tôt). Ganz deutlich wird dieses Verhältnis in den beiden parallel aufgebauten Versen 235 und 238 zum Ausdruck gebracht: wir lesen ir leben, wir lesen ir tôt … sus lebet ir leben, sus lebet ir tôt. 9 Damit wird nicht gesagt, dass es Tristan und Isolde als Personen nie gegeben habe (im Gegenteil scheint der Prolog genau das zu implizieren), 10 aber ihr Leben ist jetzt nur noch im Medium der Literatur zugänglich. ›Wirklichkeit‹ ist gleichzeitig die Voraussetzung und die Wirkung der Lektüre. Dadurch, dass der Erzähler aus Tristan und Isolde literarische ›Artefakte‹ macht, erhalten sie eine neue Wirklichkeit in den Herzen der Rezipienten. 11 Um dieses literaturtheoretisch anspruchsvolle Programm sprachlich zum Ausdruck zu bringen, benutzt Gottfried Bilder aus dem Bereich des Religiösen, die wiederum auf verschiedenen Ebenen verstanden werden können. 12 7 Das geht über ein Denken in Gegensätzen hinaus, wie es Haferland als bestimmend für das Erzählprogramm des »Tristan« beschrieben hat, vgl. Haferland 2000b. - Hier wäre danach zu fragen, wie sich diese Beobachtung zum jüngst skizzierten Realismus-Konzept von Florian Kragl verhält (vgl. Kragl 2019, S. 180-223), wenn dieser ›Realismus‹ als »Antipode[n] der Artifizialiät« (S. 201) auffasst und davon ausgeht, realistisches Erzählen komme in erster Linie durch eine Absetzbewegung von vorgängigen (›idealtypischen‹) Erzählmustern zustande, indem also (mit einem Zitat von Rosemarie Zeller) »der literarische Charakter« der Dichtung »verleugnet« werde (S.- 192). So sehr Kragls Überlegungen in Bezug auf die moderne (Populär-)Kultur zu überzeugen vermögen, erscheint doch unklar, ob sie auch für Beispiele aus einer vormodernen Erzählkultur Geltung beanspruchen können, die möglicherweise auf ganz anderen Vorstellungen von ›Wirklichkeit‹ beruht. 8 Einen Überblick über die verschiedenen Interpretationsansätze zu diesem anspruchsvollen Textabschnitt bietet der Kommentar von Haug / Scholz, Bd. 2, S. 264-272. - Zur Anknüpfung an Hartmann etwa Huber 3 2013, S. 45: »Gottfried paraphrasiert hier Hartmanns rationalisierende Hinweise auf das Weiterleben des Königs Artus im Namen, d. h. in der Literatur, aus dem Prolog des »Iwein««. Noch deutlicher Schulz 2017, S. 28: »Gottfried ersetzt Artus durch Tristan und Isolde, die Aussage ist in beiden Prologen dieselbe«. Dagegen meint Köbele, Gottfried beziehe sich nicht nur auf Hartmann, sondern ü b e r b i e t e die Aussage des »Iwein«-Prologs, vgl. Köbele 2004, S. 224. Dazu auch Haug 2 1992, S. 126f. 9 Vgl. zur Interpretation von mhd. lesen zwischen ›lesen‹ und ›erzählen‹ an der vorliegenden Stelle den Überblick über die verschiedenen Positionen bei Haug / Scholz, Bd. 2, S. 259f. 10 Vgl. Keck 1998, S. 196f. 11 Vgl. Linden 2017, S. 202f.: »Die gedankliche Vergegenwärtigung in der Lektüre bringt Tristan und Isolde in der Vorstellungswelt des Rezipienten wieder zum Leben. Es kommt zu einer Verlebendigung in der literarischen Erfahrung […]. Im wiederholten Lesen werden die Protagonisten immer wieder zum Leben erweckt […]. So haben die Romanfiguren, auch wenn sie in ihrer Existenz auf die erzählte Welt beschränkt sind, in der Rezeption durchaus eine reale Wirkung, die angesichts der Kategorisierung als aller edelen herzen brôt (V. 233), als Brot für alle edelen Herzen, nicht hoch genug veranschlagt werden kann.« 12 Vgl. bes. Köbele 2004, S. 223-229. Zur poetologischen Funktion der religiösen Bildlichkeit Haug 2 1992, S.-217: »Rezeptionstheoretisch gesehen versucht Gottfried mit der Eucharistie-Metaphorik Vorgänge zu 406 Kontextualisierung und Ausblick Die Bezeichnung der Erzählung als brôt (v. 232 u. ö.) lässt sich zunächst auf die etablierte Metapher vom Essen eines Brotes für die Lektüre eines Textes beziehen. 13 Es handelt sich dabei aber auch um eine kaum zu überhörende Anspielung auf die christliche Eucharistie. Das kann man als Extremform eines identifikatorischen Rezeptionsmodells verstehen, bei dem der Text eine ›Realpräsenz‹ seiner Figuren in Anspruch nimmt, so dass (literarische) Repräsentation und lebendige Wirklichkeit gleichsam zusammenfallen. 14 Damit geht Gottfried deutlich über das in der Einleitung erwähnte Repräsentationsmodell Thomasins von Zerklære hinaus, demzufolge künstliche bilde lediglich zeichenhaft auf Personen verweisen (einen man bezeichen). 15 Die verschiedenen Sinnangebote des »Tristan«-Prologs lassen sich nicht völlig auflösen, machen aber ganz deutlich, dass lesen und leben im Roman so eng aufeinander bezogen sind, dass man fast schon von einer »Ineinssetzung von Literatur und Leben« 16 sprechen kann. Betrachtet man nur eine der beiden Ebenen, verfehlt man diesen Anspruch des Textes. Im Folgenden soll deshalb noch einmal hervorgehoben werden, wie der Roman zwischen den beiden Ebenen vermittelt. Besonders gut lässt sich das am Umgang mit den zugrunde liegenden Erzählmustern beobachten, den man in zweierlei Hinsicht als ›Arbeit am Muster‹ charakterisieren kann: Zunächst handelt es sich dabei um einen Vorgang der Rationalisierung und ›Entmythifizierung‹ vorgängiger Erzählschemata. Wo Eilharts Protagonist analog zur Situation des keltischen imram durch einen Zufall nach Irland gelangt, der sich offensichtlich der kompositorischen Motivation des Schemas verdankt, ist die ganze Reise bei Gottfried das Ergebnis zielgerichteten Figurenhandelns. Die kompositorische Motivation wird so in eine kausal-psychologische überführt. Zur ›Arbeit am Muster‹ gehört jedoch auch, dass die Erzählschemata, auf die sich der Roman bezieht, immer wieder an die Oberfläche des Textes geholt und damit in ihrem »Bausteincharakter« 17 sichtbar gemacht werden. So spielt das Erzählmuster des imram im »Tristan« weiterhin eine erkennbare Rolle - allerdings nicht mehr auf der ›Tiefenebene‹ des Textes, sondern in Form einer Inszenierung des Protagonisten. Es geht Gottfried offensichtlich um mehr als eine geschickte Überdeckung oder Kaschierung der kompositorischen Notwendigkeiten. Darin unterscheidet er sich von Thomas. In dem Maße, wie die Erzählmuster im »Tristan« auf die Ebene der erzählten Welt verlagert werden, sind sie auch für die Figuren verfügbar (und umgekehrt). Nicht zuletzt sind es immer wieder Figuren, die selbst literarische Muster in den Roman einbringen. Hier ist etwa an die Aufführung der leiche und senemære durch Tristan und Isolde zu denken. Die fassen, für die ihm, wie schon Hartmann und Wolfram, die Terminologie fehlt.« 13 Ausgehend von dieser etablierten Metapher betont Ulrich Ernst die »strenge Bindung an die lectio« (Ernst 1976, S.-6). 14 Köbele spricht von einem »(geistlich inspirierten, aber singulär gesteigerten) identifikatorischen Rezeptionsmodell[-]« (Köbele 2004, S. 225). Als »Eucharistieanspielung« evoziere »die Brot-Metapher […] das alte Repräsentationsparadox - das Zusammenfallen von Repräsentation (hoc significat) und fehlender Repräsentation (hoc est)« (ebd., S. 226). Kaminski meint, im Eucharistie-Vergleich würde »das Buch […] wieder körperliche Kontur annehmen« (Kaminski 2009, S. 21). 15 Siehe oben, S. 21f. 16 Schausten 1999, S. 192. Eine »vom Prolog gesteuerte […] Gleichschaltung von innerliterarischer und außerliterarischer Welt« erkennt auch Kragl 2019, S. 281. 17 Kiening 2003, S. 137. Kontextualisierung und Ausblick 407 408 Kontextualisierung und Ausblick Verfügbarkeit der Erzählmuster zeigt sich jedoch auch an weniger offensichtlichen Stellen. Wenn zum Beispiel Markes Jägermeister in Isolde eine Fee aus dem Schema der ›gestörten Mahrtenehe‹ erkennt, dann interpretiert die Figur ihre eigene Umwelt mithilfe literarischen Wissens. Eine vergleichbare Situation liegt in der Episode vom Mordanschlag auf Brangäne vor: Wenn sich Isolde bei ihrem Verdacht gegenüber der Zofe auf die Figurenkategorie der ›illoyalen Stellvertreterin‹ bezieht, dann wird auch hier das Erzählschema in die erzählte Welt verlagert - und zwar ›in den Kopf der Figur‹. Wie solche Deutungen auf die Handlung übergreifen können, haben wir am Beispiel des Moroltkampfs gesehen: Hier scheint der Erzähler gewissermaßen Tristans Interpretation der Auseinandersetzung zu folgen, wenn er den Zweikampf entsprechend dem ›mythischen‹ Erzählschema vom ›Sieg des Jüngsten‹ in der Niederlage Morolts enden lässt. Es ist in erster Linie Gottfrieds Protagonist, der sich - gemäß seiner Identität als ›Künstler‹ - immer wieder durch die Verfügung über literarische Muster auszeichnet. Besonders deutlich ist das im Fall von Tristans Ovid-Lektüren, seinem Vergleich von Isolde mit Helena und dem Verweis auf das dem Artusroman entnommene Programm der arbeit umbe êre. Aus erzähltheoretischer Perspektive sind solche Stellen, an denen die Figuren offenbar über literarisches Wissen verfügen, besonders interessant, weil wir es dabei mit einem Verstoß gegen die Regeln der Erzählung zu tun haben. Bei den Erzählmustern, die im »Tristan« auf die Ebene der erzählten Welt delegiert werden, handelt es sich um literarische Wissensbestände, die eigentlich Autor und Rezipienten vorbehalten sind. 18 Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Erklärungen, die auf literarischem Wissen beruhen, den fiktiven Bewohnern der erzählten Welt nicht zur Verfügung stehen. 19 Das gilt für den Jägermeister und seine Kenntnis vom Schema der ›gestörten Mahrtenehe‹ genauso wie für Tristans Lektüre der Trojageschichte. Wird diese Regel gebrochen, werden die Ebenen der narrativen Kommunikation überschritten. Mit Gérard Genette spricht man dann von einer M e t a l e p s e . 20 Dieses ursprünglich als spezifisch modern angesehene Phänomen ist erst in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der historischen Narratologie gerückt. 21 Vor allem auf dem Gebiet der antiken Literatur konnten solche narrativen Grenzüberschreitungen bereits in großer Zahl nachgewiesen werden. 22 Aber auch mit Blick auf mittelalterliche Erzählungen hat jüngst Eva von Contzen 18 Auch Bittner beobachtet, dass Tristan immer wieder über ›auctoriales Wissen‹ verfüge, das für ihn eigentlich nicht zugänglich sein sollte, kommt davon ausgehend jedoch zu ganz anderen Schlussfolgerungen, vgl. Bittner 2019, S. 370-374. Zum Begriff des ›auctorialen Wissens‹ ebd., S. 65-69, 82f. 19 Vgl. Köppe / Kindt 2014, S. 151: »[S]olche Erklärungen beziehen sich auf den Artefakt-Charakter fiktionaler Erzählungen, der sich nur uns, den Hörern oder Lesern der Erzählung, darbietet.« 20 Vgl. Gérard Genette: Die Erzählung. Aus dem Französischen von Andreas Knop, mit einem Nachwort hrsg. von Jochen Vogt, München ²1998 [zuerst im französischen Original 1973 bzw. 1983], S. 167-169, 251 f.; Sonja Klimek: Paradoxes Erzählen. Die Metalepse in der phantastischen Literatur, Paderborn 2010 (Explicatio); Kukkonen 2011; Köppe / Kindt 2014, S. 177-179. 21 Vgl. etwa John Pier: Art.-Metalepsis, in: -the living handbook of narratology (erstellt am 11.06.2011; zuletzt überarb. am 14.07.2016), online verfügbar unter: - www.lhn.uni-hamburg.de/ article/ metalepsis-revisedversion-uploaded-13-july-2016 (08.02.2020), §-6: »It is important to bear in mind that […] narrative metalepsis is a recent concept in the history of poetics, with the practice itself, under different denominations, or none at all, reaching back to antiquity in both literary and visual forms«. 22 Vgl. Irene de Jong: Metalepsis in-Ancient Greek-Literature, in: Narratology and Interpretation. The Content of Narrative Form in Ancient Literature, hrsg. von Jonas Grethlein / Antōnios Renkakos, Berlin / New York 2009 (Trends in Classics. Supplementary Volumes 4), S. 97-115; Irene de Jong: The Shield of Achilles. From-Metalepsis to-Mise En Abyme, in: Ramus 40 (2011), S. 1-14, sowie den Sammelband Über die Grenze. die Auseinandersetzung mit »Phänomene[n] […], die als Metalepsen interpretiert werden können«, als zentrale Aufgabe einer künftigen historischen Narratologie bezeichnet. 23 Eine eingehende Beschäftigung mit Metalepsen in der Literatur des Mittelalters steht allerdings noch aus. Gottfrieds »Tristan« würde dafür einen hervorragenden Untersuchungsgegenstand abgeben, weil im Roman immer wieder auf verschiedene Art und Weise die narrativen Ebenen miteinander verbunden und ineinander gespiegelt werden. 24 Das gilt nicht nur für die angesprochenen Stellen: Ein weiteres Beispiel für das Spiel mit den Ebenen der Erzählung bietet etwa die mise en abyme des edelen leichs Tristanden, mit dem die Figur gewissermaßen zum Autor ihrer eigenen Geschichte wird. 25 Eine wieder andere Form der Verknüpfung unterschiedlicher Erzählebenen stellt das Akrostichon dar, mit dem sich der Autor Gotefrit so in seine Geschichte einschreibt, dass sein Name gleichsam mit denen seiner Figuren verflochten wird. 26 Auf ein Rezeptionszeugnis der Metalepse im »Tristan« hat außerdem Anina Barandun aufmerksam gemacht. 27 Es handelt sich um das berühmte Autorbild des Meisters Gottfried von Straßburg im Codex Manesse (Abb. 8). Gewöhnlich geht man davon aus, dass hier der Autor im Kreise von Zuhörern aus seinem Werk vortrage und mit ihnen darüber diskutiere. 28 Barandun schlägt eine alternative Deutung vor und geht dafür von einem Detail Metalepse in-Text- und Bildmedien des Altertums, hrsg. von Ute E. Eisen / Peter von Möllenhoff, Berlin / Boston (Narratologia 39). 23 von Contzen 2018a, S. 30. Zur Häufigkeit von Metalepsen in der mittelalterlichen Literatur weiterhin von Contzen 2014, S. 10: »Metalepsis, among others, is a common feature; its analysis can shed light on the conceptualization of narrative levels and their permeability.« Ohne den Begriff der Metalepse zu benutzen, spricht auch Philipowski davon, »die Grenzüberschreitung, durch die es seine Machart entblößt,« sei »für das höfische Epos konstitutiv.« (Katharina Philipowski: Die Grenze zwischen histoire und discours und ihre narrative Überschreitung. Zur Personifikation des Erzählens in späthöfischer Epik, in: Grenze und Grenzüberschreitung im Mittelalter. 11. Symposium des Mediävistenverbandes vom 14. bis 17. März 2005 in Frankfurt an der Oder, hrsg. von Ulrich Knefelkamp / Kristian Bosselmann- Cyran, Berlin 2007, S. 270-284, hier S. 283) - Auch im Bereich der mittelalterlichen Kunst lassen sich wiederholt Phänomene der Metalepse und mise en abyme beobachten, zum Beispiel in Form von Stifterbildern, vgl. dazu Marion Grams-Thieme / Klaus Wessel: Art.-Stifterbild, in: LexMa 8 (1997), Sp. 173-177. In Bezug auf die Literatur wäre hier etwa an Dedikationsbilder in mittelalterlichen Handschriften zu denken. 24 Vgl. Köbele 2004, S. 244. 25 Zur mise en abyme als Phänomen der Metalepse Köppe / Kindt 2014, S. 178f. Klimek sieht zwar ebenfalls eine gewisse Überschneidung zwischen den beiden Phänomenen, möchte aber nicht jede mise en abyme als Metalepse verstehen, vgl. Klimek 2010, S. 50-53. 26 Zur Überschreitung der Ebenen im Akrostichon etwa Kaminski 2009, S. 23: »Damit […] begibt sich die Autorinstanz zeichenhaft i n die Fiktion, i n die Geschichte«. Weiterhin Chinca 1997, S. 7: »[T]he acrostic interweaves all the primary elements of literary communication, author, story (represented by its main characters) and audience (represented by the work’s most important adressee).« Für die Ebene der Rezeption stehe dabei der männliche Name Dieterich, der auf den Auftraggeber des »Tristan« verweisen solle, vgl. dazu auch ebd., S. 44. Einschränkend muss allerdings festgestellt werden, dass Dieterich im Akrostichon zwar mit Gotefrit verbunden wird, nicht aber mit Tristan und Isolde(n). Die entsprechenden Initialen sind außerdem auf die Strophen 2-9 des Prologs (vv. 4-40) beschränkt, in denen es noch unabhängig von der erzählten Geschichte um allgemeine Fragen der Rezeption geht. Mit der Ebene der erzählten Welt hat Dieterich somit genau genommen nichts zu tun. 27 Vgl. Barandun 2009, S. 215-218. 28 Zur Deutung der Darstellung und zu ihren ikonographischen Traditionen vgl. Walther (Hrsg.) 5 1992, S. 246; Tomasek 2007, S. 20-24; Gerda Sälzer: Studien zu- Gottfried von- Straßburg, Diss. Bochum 1975, S. 52-59, 83 f. Eine andere Interpretation geht aufgrund der Parallelen zur Illustration vom Sängerkrieg Kontextualisierung und Ausblick 409 410 Kontextualisierung und Ausblick aus, das bisher übersehen wurde: Es handelt sich um die Berührung der Hände der beiden vom Betrachter aus gesehen ganz links sitzenden Gestalten. Nicht irgendwelche Zuhörer seien hier abgebildet, sondern die Figuren des Romans: Tristan, Isolde und Marke. Damit würden in der Abbildung des Codex Manesse (Abb. 8) die Handlungsebene des Romans und die Ebene der Kommunikation zwischen Autor und Publikum ineinander geblendet, die Figuren gewissermaßen zu Rezipienten ihrer eigenen Geschichte. Zwar lassen sich aus ikonographischer Perspektive gewisse Zweifel an dieser Deutung anmelden, 29 sie nimmt aber ein Bild auf, das Gottfried selbst in seinem Roman entworfen hat: Die ideale Gemeinschaft der edelen herzen, die im Prolog des »Tristan« skizziert wird, umfasst neben dem Autor und den Rezipienten ja ausdrücklich auch die Protagonisten Tristan und Isolde. 30 Damit ist die Überblendung der narrativen Ebenen bereits an dieser prominenten poetologischen Stelle des Romans vorgezeichnet. Wenn man Gottfrieds Figurenkonzeption verstehen möchte, kommt dem Phänomen der Metalepse eine zentrale Bedeutung zu. Wie wir im vorigen Kapitel gesehen haben, lässt sich vor allem die Identität des Protagonisten nur im Zusammenspiel der verschiedenen Erzählebenen fassen. Welche Wirkung solche narrativen Grenzüberschreitungen besitzen, bei denen eine Figur der erzählten Welt über literarische Wissensbestände verfügt, die eigentlich Autor und Rezipienten vorbehalten sind, wird in einer Fabel des Literaturwissenschaftlers Helmut Arntzen auf den Punkt gebracht: Der Wolf kam zum Bach. Da entsprang das Lamm. Bleib nur, du störst mich nicht, rief der Wolf. Danke, rief das Lamm zurück, ich habe im Äsop gelesen. (Helmut Arntzen) 31 auf der Wartburg (fol.-219 v ) davon aus, dass hier Gottfried in einem Kreis von Dichterkollegen dargestellt sei. Bereits Johannes Matthias Watterich stellte aufgrund der Anzahl der dargestellten Personen eine Verbindung zum Literaturexkurs des »Tristan« her und ging davon aus, hier seien Heinrich von Veldeke, Hartmann von Aue, Bligger von Steinach, Walther von der Vogelweide und die Nachtigall von Hagenau dargestellt, vgl. Johannes Matthias Watterich: Gottfried von-Strassburg, ein-Sänger der-Gottesminne, Leipzig 1858, S. 17f. 29 So werden in der Regel alle dargestellten Figuren als Männer interpretiert (vgl. Sälzer 1975, S. 53; Walther (Hrsg.) 5 1992, S. 246). Dafür spricht besonders die Darstellung der Füße, die bei den Frauen im Codex Manesse in der Regel nicht sichtbar sind. 30 Freilich werden die Protagonisten nie ausdrücklich als edele herzen bezeichnet, vgl. etwa Mazzadi 2000, S.-72. Im Prolog selbst ist von edelen senedæren die Rede. Haug und Scholz gehen jedoch davon aus, diese Bezeichnung sei »wegen der Nachbarstellung zum edelen herzen (v. 117) mit diesem gleichzusetzen oder präzisiert dieses« (Haug / Scholz, Bd. 2, S. 258). Zur Verbindung der Erzählebenen mit dem Begriff des edelen senedæres im vorliegenden Zusammenhang bes. vv. 121-126: der edele senedære | der minnet senediu mære. | […] | ich wil in wol bemæren | von edelen senedæren. Dazu Köbele 2004, S.-225: »Gottfried kündigt an, erzählt werde ein senemære v o n edelen senedæren (das ist der Gegenstand) f ü r edele senedære (das sind die Adressaten), von einem Erzähler, der sich seinerseits als Liebender und Liebeserfahrener aus dem Kreis der edelen senedære vorstellt […]. So eng ist das Modell geklammert, dass es die Erzählperspektiven (›ich, sie, wir‹) ständig ineinanderschieben kann«. 31 Zitiert nach Helmut Arntzen: Kurzer Prozeß. Aphorismen und Fabeln, München 1966, S. 64. Auf die Fabel verweist im Zusammenhang mit König Marke in der Brautwerbungsepisode schon Karg 1994, S. 77 Anm.-17. Abb. 8: Autorbild Gott frieds von Straßburg im Codex Manesse (1300-1340) Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg. 848, fol. 364 r Bei den Beispielen aus dem »Tristan« handelt es sich um vergleichbare Phänomene, die zum Teil auch mit einer ganz ähnlichen Sprache zum Ausdruck gebracht werden: ouch hân ich selbe wol gelesen, alse ich’z an den buochen las und ich hân doch dicke daz gelesen (vv. 4430, 8264, 19432), heißt es in den Worten des Protagonisten. Sowohl in der modernen Fabel als auch im mitt elalterlichen Roman ist die Metalepse ein Eff ekt des literarischen Wissens der Figur. Bei Arntzen wird dabei deutlich, dass mit der Verfügbarkeit des literarischen Wissens eine gewisse Autonomie der Figur einhergeht: Sobald das Erzählschema nicht mehr auf der ›Tiefenebene‹ des Textes abläuft , verliert es off enbar seine Autorität über die Akteure und bestimmt nicht mehr unweigerlich den Fortgang der Erzählung. Die Handlung wird optional. Zu einem solchen Bruch mit dem Schema, wie er in der modernen Fabel zum Th ema gemacht wird, kommt es im »Tristan« allerdings nie. Eine vergleichbare Situation läge zum Beispiel dann vor, wenn sich Morolt weigern würde, gegen Tristan anzutreten, weil er im Alten Testa- Kontextualisierung und Ausblick 411 412 Kontextualisierung und Ausblick ment gelesen hat, dass der körperlich überlegene Kontrahent in dieser Art von Auseinandersetzung unterliegen muss. Das geschieht jedoch nicht, und Tristan besiegt seinen Gegner ganz im Sinne des Erzählschemas. Die Abrufung der literarischen Wissensbestände durch die Figur des Protagonisten hat im Moroltkampf - im Gegensatz zur modernen Fabel - vielmehr die Wirkung, dem literarischen Muster überhaupt erst zur Durchsetzung zu verhelfen. 32 In der Tatsache, dass das funktioniert, erweist sich die erzählte Welt des »Tristan« als eine literarisch konstruierte, in der die Gesetze des ›Märchens‹ ihre Geltung grundsätzlich nicht verloren haben - auch wenn es in Folge der Kombination unterschiedlicher narrativer Muster mitunter zu Inkongruenzen kommt und einzelne Erzählschemata nicht an ihr vorgesehenes Ende gelangen. Trotzdem sind Gottfrieds Figuren mehr als bloße Aktanten im Dienste des Erzählschemas. Einen deutlichen Hinweis darauf bietet die Episode vom Mordanschlag auf Brangäne: Dass sich die Zofe eben nicht rollengerecht verhält, legt nahe, dass es in der erzählten Welt doch nicht so zugeht wie im Märchen. 33 Zu den Konsequenzen des Erzählens in der epischen Großform des Romans gehört, dass die Figuren bei Gottfried nicht in der episodischen Identität der aneinandergereihten Erzählmuster aufgehen, sondern eine Vergangenheit entwickeln, so dass sich die verschiedenen Handlungsrollen in der Figur überlagern. Das zeigt 32 Einen Zusammenhang zwischen dem literarischen Wissen einer Figur und dem Funktionieren eines Erzählmusters nimmt - vielleicht nicht ganz ernst gemeint - auch Bleumer mit Blick auf die mittellateinische Alexander-Geschichte des Archipresbyters Leo (10. Jh.) an. Hier wird erzählt, wie der Magier Nectanebus in Gestalt eines Drachen mit Alexanders Mutter schläft, die deshalb - in Übereinstimmung mit einem aus der antiken Mythologie bekannten Erzählmuster - glaubt, sie sei von einem Gott geschwängert worden. Circa autem primam vigiliam noctis cepit Nectanebus per magicas incantationes transfigurare se in figuram draconis et sibilando cepit ire contra cubiculum Olimpiadis ingressusque cubiculum, ascendens in lectum eius cepit osculari eam et concumbere cum illa. Cum autem surrexisset a concubitu eius. […] Taliter decepta est Olimpiadis, concumbens cum homine quasi cum deo. (Archipresbyter Leo, »Historia Alexandri Magni«, Redaktion J 1 , 1,7) Zitiert nach Historia Alexandri Magni (Historia de preliis). Rezension J 1 , hrsg. von Alfons Hilka und Karl Steffens, Meisenheim am Glan 1979 (Beiträge zur klassischen Philologie 107), S. 14, Z. 12-19. ›Um die erste Nachtwache nahm Nektanebus durch zauberische Beschwörungen die Gestalt eines Drachen an. Zischend bewegte er sich zum Gemach der Olympias, betrat es, stieg in ihr Bett, küßte sie und wohnte ihr bei. […] Also ward Olympias betrogen, da sie einem Menschen beiwohnte und glaubte, es sei ein Gott.‹ Übersetzung aus Historie von Alexander dem Großen. Aus dem Mittellateinischen. Übers., Nachwort und Anm. von Wolfgang Kirsch, 2., erw. Aufl., Leipzig 1978 (RUB 625), S. 11f. Bleumer kommentiert: »Dieser Trug künstlich fingierter Göttlichkeit funktioniert problemlos, offenbar hat Olympia genug griechische Mythen gelesen, um an das Muster einer derartigen Empfängnis glauben zu können. Für sie ist die Fiktion jedenfalls wahr und bleibt gerade damit in ihrem Fiktionscharakter verdeckt. Dagegen wird sie für den Leser, der das berühmte poetische Muster leicht erkennt, gerade als Fiktion durchschaubar gemacht.« (Hartmut Bleumer: Alexanders- Welt. Geschichte und Bild zwischen historia und-Roman, in: Geschichtsentwürfe und-Identitätsbildung am-Übergang zur-Neuzeit, Bd. 1: -Paradigmen personaler Identität, hrsg. von Ludger Grenzmann u. a., Berlin / Boston 2016 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. N. F. 41 / 1), S. 193-219, hier S. 203) Auf die Figur Olympias hätte das literarische Wissen also eine ganz andere Wirkung als auf die Rezipienten. Man könnte allerdings auch umgekehrt argumentieren, dass Olympias n i c h t g e n u g griechische Mythen gelesen hat (was übrigens, soweit ich sehe, im Text mit keinem Wort erwähnt wird), weil sie sonst die Künstlichkeit des Musters erkennen würde. Spannend ist die Stelle in jedem Fall, da wir es auch hier mit der Inszenierung eines Erzählmusters durch eine Figur (Nectanebus) zu tun haben, das zwar nicht der Wirklichkeit der erzählten Welt entspricht (Nectanebus ist ja kein Gott), aber dennoch innerhalb dieser literarischen Welt funktioniert. 33 Und, wie sich mit Blick auf Isoldes Verhalten in der entsprechenden Episode ergänzen lässt, schon gar nicht wie in einer religiösen Exempelgeschichte. sich etwa, wenn Isolde vom Jägermeister als Fee wahrgenommen wird, obwohl das entsprechende Erzählschema der ›gestörten Mahrtenehe‹ auf der Handlungsebene schon längst abgeschlossen ist. Für Wolfgang Mohr werden auf diese Weise hinter den verschiedenen Rollen der Figuren »die Menschen sichtbar, von denen erzählt wird.« 34 Aber auch das ist nur die halbe Wahrheit, weil sich die Erzählung - wie wir immer wieder gesehen haben - eben nicht von den literarischen Mustern emanzipiert, sondern weiterhin eng auf diese bezogen bleibt. Das lässt sich auch am Beispiel von Isolde als Fee erkennen, da der Jägermeister die Figur ja schließlich mit ihrer Rolle im Erzählschema identifiziert. Isoldes Vergangenheit ist also eine literarische. In diesem Sinne befindet sich der »Tristan« gewissermaßen zwischen ›Märchen‹ und ›Roman‹. Von diesem Punkt aus möchte ich noch einmal auf die Wirkung der Metalepsen blicken. Grundsätzlich gelten Metalepsen in der narratologischen Forschung als einigermaßen verstörendes Phänomen, weil sie die Eigenschaft besitzen sollen, die Grenze zwischen Fiktion und Realität aufzuheben. So spürt Genette bei solchen Grenzüberschreitungen eine Unruhe, die Borges so richtig benannt hat: ›Solche Spiegelungen legen die Vermutung nahe, daß, sofern die Figuren einer Fiktion auch Leser und Zuschauer sein könnten, wir, ihre Leser und Zuschauer, fiktiv sein könnten.‹ Das Verwirrendste an der Metalepse liegt sicherlich in dieser inakzeptablen und doch so schwer abweisbaren Hypothese, wonach das Extradiegetische vielleicht immer schon diegetisch ist und der Erzähler und seine narrativen Adressaten, d. h. Sie und ich, vielleicht auch noch zu irgendeiner Erzählung gehören. 35 Ich möchte dem entgegenhalten, dass Grenzüberschreitungen immer auch die Wirkung haben, die Grenze, die sie überschreiten, zugleich sichtbar zu machen. 36 Allerdings stellt auch von Contzen die Metalepsen in der mittelalterlichen Literatur in einen Zusammenhang mit der grundsätzlichen »Durchlässigkeit der Erzählebenen« 37 . Ein Beispiel, an dem sich diese in der Forschung immer wieder beobachtete Durchlässigkeit besonders gut illustrieren lässt, bietet der »Parzival«. Auch auf die Gefahr hin, Wolframs anspruchsvollem narrativen Programm damit nicht gerecht zu werden, möchte ich kurz darauf eingehen, um vor dem 34 Mohr 1976, S. 79. 35 Genette 2 1998 [1973 / 1983], S. 169. Das im Zusammenhang mit dem Phänomen der Metalepse immer wieder angeführte Zitat stammt aus Borges’ 1952 erschienenen »Befragungen«, zitiert nach Jorge Luis Borges: Gesammelte Werke, Bd. 5 / 2: Essays, 1952-1979, übers. von Karl August Horst u. a., München 1981, S. 57 (anstelle von ›Figuren‹ steht in der Ausgabe ›Charaktere‹). In Bezug auf Genette auch Plotke 2017a, S. 56f. Zur ›subversiven‹ Wirkung von Metalepsen weiterhin Kukkonen 2011, S. 10: »›Transgression‹ seems to be something subversive, a kind of rupture, and indeed metalepsis is generally considered as such.« 36 Zur gegenseitigen Bedingtheit von Grenzüberschreitung und Grenzziehung etwa Michel Foucault: Vorrede zur Überschreitung [zuerst im französischen Original 1963], in: Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, Bd. 1: 1954-1969, hrsg. von Daniel Defert / François Ewald unter Mitarbeit von Jacques Lagrange. Aus dem Französischen von Michael Bischoff u. a., Frankfurt a. M. 2001, S. 320-342, hier S. 325: »Die Grenze und die Überschreitung verdanken einander die Dichte ihres Seins: Eine Grenze, die absolut nicht überquert werden könnte, wäre inexistent; umgekehrt wäre eine Überschreitung, die nur eine scheinbare oder schattenhafte Grenze durchbrechen würde, nichtig. Doch existiert die Grenze überhaupt ohne die Geste, die sie stolz durchquert und leugnet? « Vgl. in anderem Zusammenhang Glauch 2005, S. 33: »Auch das Spielen mit Grenzen ist ein Phänomen der Errichtung von Grenzen«. Weiterhin Philipowski 2007, S. 282. 37 von Contzen 2018a, S. 30; zur »permeability« mittelalterlicher Erzähltexte im vorliegenden Zusammenhang auch von Contzen 2014, S. 10. Kontextualisierung und Ausblick 413 414 Kontextualisierung und Ausblick Hintergrund dieser Vergleichsfolie die Eigenheiten von Gottfrieds metaleptischer Erzählweise sichtbar werden zu lassen. Das Beispiel stammt aus dem dritten Buch des »Parzival« (vv. 143,21-144,4): 38 Der Protagonist ist gerade am Artushof angekommen. Wolframs Erzähler bittet in dieser Situation Hartmann von Ouwe, er möge dafür sorgen, dass seine Figuren Ginover und Artus (frou Ginovêr iwer frouwe | und iwer hêrre der künc Artûs, vv. 143,22f.) den jungen Ritter vor Spott bewahren. Andernfalls werde er, der Erzähler, sich an Enite und ihrer Mutter rächen. Wenn hier nicht nur Figuren aus einem anderen Text (Hartmanns »Erec«) auftreten, sondern auch dessen Autorfigur, handelt es sich ganz eindeutig um eine Metalepse. Martin Przybilski hat in dieser Grenzüberschreitung den Versuch der Etablierung einer umfassenden arthurischen Erzählwelt gesehen. 39 Von der Tendenz zur »Konstruktion einer übergreifenden Artus-Welt […], der viele Figuren angehören,« 40 war im vorigen Kapitel bereits die Rede. Im »Parzival« betrifft sie offenbar nicht nur die Figuren, sondern auch die Erzähler der jeweiligen Romane. 41 Wolfram ist anscheinend darum bemüht, jegliche Grenzen innerhalb des »großen arthurischen Narrativ[s]« 42 einzureißen. Die Metalepsen wären so nicht als Grenzüberschreitungen im eigentlichen Sinne zu verstehen, sondern vielmehr als Merkmal einer kollektiven imaginierten Erzählwelt, an der neben den Figuren auch die Erzähler (und die Rezipienten) teilhaben. Eine Unterscheidung verschiedener narrativer Ebenen, wie sie die moderne Narratologie voraussetzt, würde damit außer Kraft gesetzt. Auch wenn im »Tristan« mit den edelen herzen ebenfalls eine Gemeinschaft aus Autor, Rezipienten und Figuren beschworen wird, funktionieren die Grenzüberschreitungen hier ganz anders. Ein maßgeblicher Unterschied zum »Parzival« liegt in der medialen Rahmung der Metalepsen. Es ist bekannt, dass Wolfram sein Erzählen durch einen expliziten Verzicht auf die Bindung an schriftliche Muster charakterisiert. Einen vielzitierten Beleg bietet dafür die sogenannte ›Selbstverteidigung‹ zwischen dem zweiten und dritten Buch des »Parzival« (vv. 115,27-30). 43 Przybilski liest diese Stelle als weiteren Hinweis auf den Anspruch einer umfassenden arthurischen Erzählwelt, die unabhängig von einzelnen schriftlichen Texten existiert. 44 Überhaupt wird die ›globalisierte Welt‹ der Artusliteratur als ein Phänomen der Mündlichkeit wahrgenommen. 45 Dagegen gilt Gottfrieds »Tristan« als ausgesprochen ›schriftliche‹ Erzählung: »[K]eine der um 1200 entstandenen deutschsprachigen Dichtungen ist so wesentlich von schriftlichen Techniken geprägt wie dieser Text.« 46 Gerade die im Zu- 38 Ausg. Nellmann 1994, Bd. 1, S. 242. 39 Vgl. Przybilski 2011, S. 45f. 40 Michael Dallapiazza: Wolfram von- Eschenbach: - Parzival, Berlin 2009 (Klassiker-Lektüren 12), S. 141. Wolfram scheine damit (zumindest auf den ersten Blick) »eine Realität fingieren zu wollen, die über dem Roman selbst steht.« 41 Przybilski spricht in Bezug auf Hartmann und Wolfram im »Parzival« von geradezu »homodiegetischen Erzähler[n]« (Przybilski 2011, S. 46). 42 Ebd., S. 50. 43 Ausg. Nellmann 1994, Bd. 1, S. 196. 44 Vgl. Przybilski 2011, S. 46: »Die Fiktion des arthurischen Narrativs, in Wolframs Worten die âventiure, bedarf […] der Orientierung an Buchwissen nicht, weil sie nämlich ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten außerhalb des Textes unterworfen ist, die sozusagen außertextlich fortexistieren, auch wenn gerade einmal nicht erzählt wird.« 45 Siehe oben, S. 386f. und Anm. 550. 46 Glauch 2009, S. 337. Zu »Gottfrieds extreme[r] Schriftlichkeitsposition« auch Wolf 1989, S. 7. Zur Rolle von konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit im »Tristan« außerdem Schausten 1999, S. 185-200. sammenhang mit den Metalepsen abgerufenen literarischen Wissensbestände werden immer wieder explizit als schriftlich markiert. Das zeigt sich besonders an den drei zitierten Stellen, an denen Tristans literarisches Wissen thematisiert wird (vv. 4430, 8264, 19432). Hier ist jeweils von einem Lektüreprozess (lesen) die Rede, für den in einem Fall ausdrücklich Bücher (buoch) als Quelle genannt werden. Das entspricht Tristans Ausbildung, die als buoche lêre ebenfalls deutlich schriftliterarisch geprägt ist. Doch selbst die im ›Schwalbenhaar-Exkurs‹ kritisierten ›märchenhaften‹ Erzählvarianten sind offenbar, wenn meine Lesart der Stelle richtig ist, aus Büchern gesammelt worden (vgl. v. 8622: waz rach er an den b u o c h e n). 47 Auch im zweiten quellenkritischen Exkurs handelt es sich bei den Versionen, die Gottfrieds Erzähler nicht berücksichtigen möchte, um Erzählungen, die man von ime g e s c h r i b e n hât (v.-18460). 48 Literarisches Wissen wird im »Tristan« grundsätzlich eng mit Schriftlichkeit in Verbindung gebracht. Der Verweis auf die Schriftliteratur hat dabei auch die Funktion, die Außenindexikalität der entsprechenden Wissensbestände zum Ausdruck zu bringen. Vereinfacht gesagt: Wovon man in anderen Büchern lesen kann, das gehört nicht in die erzählte Welt des »Tristan«. Bei den verschiedenen Anspielungen handelt es sich um intertextuelle Bezüge im engeren Sinne, also Verweise auf andere Texte, die von außen und a l s Te x t e in die erzählte Welt des Romans hineingeholt werden. Darin unterscheidet sich der »Tristan« vom »Parzival«, bei dem die fremden Erzählungen so in das eigene Narrativ integriert werden, dass man - wie schon Wandhoff festgestellt hat - eigentlich gar nicht mehr von intertextuellen Anspielungen sprechen kann. 49 Gottfried schafft dagegen eine abgeschlossene Erzählwelt, in der andere Erzählungen nur als Literatur existieren. 50 Der »Tristan« ist damit ein Metaroman im eigentlichen Sinne. 51 47 Gottfried berichtet hier von einem zweistufigen Prozess, der auf beiden Ebenen schriftlich konnotiert ist: Einerseits spricht er von der schriftlichen Aufzeichnung der abweichenden Erzählungen (der diz hiez schrîben unde lesen) - das könnte sich unter anderem auf Eilharts »Tristrant« beziehen -, andererseits von den schriftlichen Quellen dieser Erzählungen (waz rach er an den buochen). 48 Es fällt auf, dass Gottfrieds Erzähler hier nicht die naheliegende Möglichkeit nutzt, sich im Modus des gelehrten Autors von den Unwahrheiten mündlicher Erzähler zu distanzieren. Das tut etwa Béroul, wenn er von dem berichtet, was die ›Erzähler sagen‹ (li contor dïent, v. 1265; Ausg. Mölk, S. 66). Auch Thomas grenzt sich nicht nur von der schriftlichen Überlieferung ab (ço qu’il unt mis en escrit), sondern vor allem von dem, was er gehört habe (ço qie j’ai oï), was man von Tristan zu erzählen und zu sprechen pflege (cunter, parler) und was von ihm gesagt werde (que chescun en dit, vgl. vv. 2113-2120). - Selbst die Erklärung für die wilden mæren der ›Geschichtenwilderer‹ findet man bei Gottfried in swarzen buochen (v. 4690). 49 Siehe oben, S. 387. 50 Ich möchte deshalb Wenzel widersprechen, wenn er »Tristan« und »Parzival« gleichermaßen als Teil einer »›Ruhmeshalle‹ kollektiver Erinnerung« ansieht, in der »[d]ie Autonomie des Einzeltextes« nur eingeschränkt gelte, weil »sich in jedem Textzeugnis das kollektive Gedächtnis manifestiert, in dem alle Texte einer spezifischen Tradition verbunden sind« (Wenzel 1995, S. 374). Auf Wolfram scheint das aber durchaus zuzutreffen: Im »Parzival« wird der ›multiviale‹ Zugang zur erzählten Welt auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass nach der zitierten Textstelle offenbar sowohl Hartmann als auch Wolfram Einfluss auf die erzählte Welt ausüben können. 51 Zum Phänomen der ›Metaisierung‹ als »Verfahren der Selbstreferenz bzw. Rückbezüglichkeit, mit dem ein semiotisches System (ein Werk, eine Gattung oder ein Medium) über die eigene Fiktionalität und / oder Medialität im Sinne von ›Erfundenheit‹ oder ›Künstlichkeit, Gemachtheit‹ reflektiert« einführend Janine Hauthal: Art. Metaisierung, in: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze - Personen - Grundbegriffe, hrsg. von Ansgar Nünning, 5., aktual. und erw. Aufl., Stuttgart / Weimar 2013, S. 514f., Zitat S. 514. Zu Bedingungen, Formen und Funktion solcher ›Überkunstwerke‹ außerdem Susanne Köbele: Ironische Heterochronien. Dichtertotenklagen im Spannungsfeld von Topik und Novation (Des Strickers »Frauenehre«, Walthers Reinmar-Nachruf, Frauenlobs Konrad-Nachruf), in: DVjs 92 (2018), Kontextualisierung und Ausblick 415 416 Kontextualisierung und Ausblick Auch wenn der Untersuchung keine primär literaturhistorische Fragestellung zugrunde lag, lassen sich von diesem Punkt aus einige literaturbeziehungsweise erzählgeschichtliche Überlegungen anstellen, die Gottfrieds Figurenkonzeption innerhalb der volkssprachigen Literatur des hohen Mittelalters verorten. Im Sinne des in der Einleitung formulierten Interesses möchte ich darüber nachdenken, welche Faktoren die Erzählweise des Romans beeinflussen und sie möglicherweise mit derjenigen anderer höfischer Erzählungen verbinden oder von ihr trennen. Es geht darum, abzuschätzen, inwiefern sich ähnliche Phänomene womöglich auch in anderen mittelhochdeutschen Texten erwarten lassen. Einen ersten Ansatzpunkt liefert dafür die mediale Situation des »Tristan«, also seine Verortung jenseits der Schwelle von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Einerseits gilt die Schrift als Voraussetzung für eine ›mimetische‹ Figurenkonzeption. 52 Insofern ließe sich die ›rationale‹ Darstellung des »Tristan« mit der schriftlichen Konzeption des Romans begründen und - mit Verweis auf die Übereinstimmung mit Kategorien aus der lateinischen Rhetorik - als ausgesprochen gelehrte Erzählweise charakterisieren. 53 Andererseits wird aber auch die Wahrnehmung der Figuren als ›Artefakte‹ mit dem Medienwechsel in Verbindung gebracht: Orale Erzählkulturen seien nicht in der Lage, »zwischen literarischen Figuren und lebenden Personen« zu unterscheiden, weil sich dort noch keine »ästhetische Differenz von Literatur und Leben« etabliert habe. 54 Dazu passt, dass etwa die ›Arbeit am Muster‹, durch die im »König Rother« die »Konstruiertheit des Erzählens […] sichtbar« gemacht werde, von Haug und Kiening als Folge der Verschriftlichung des Stoffes verstanden worden ist. 55 Allerdings beruhen solche Überlegungen immer auf methodisch problematischen Annahmen, da sich über die vorgängige Mündlichkeit nicht viel mehr sagen S. 429-462, hier S. 455-460. Kritisch zur literaturwissenschaftlichen Denkfigur der Selbstreflexivität und ihren Implikationen Eva Geulen / Peter Geimer: Was leistet Selbstreflexivität in Kunst, Literatur und ihren Wissenschaften? , in: DVjs 89 (2015), S. 521-533. Neben der inflationären Verwendung des Begriffs ist es vor allem die damit verbundene Modernitätsunterstellung, die Geulen und Geimer kritisieren, vgl. ebd., S. 525-527. Zur Frage der mutmaßlichen Modernität des »Tristan« siehe unten. 52 Vgl. Ong 2 2016, S. 143-147. Das betrifft in erster Linie das psychologische Erzählen. Vor allem die in der christlichen Tradition zu beobachtende fortschreitende »Verinnerlichung des Bewusstseins« korrespondiere »in eindeutiger Weise mit der Entwicklung des Schreibens« (S. 144). Ong spricht deshalb von einer »psychischen Wende nach innen, die mit dem Schreiben begann« (S. 146). Eine Ursache für diese »durch die Schrift begünstigte Wende zur Innerlichkeit« (S. 144) erkennt er in der individualistischen Form des Schreibens und Lesens, wie wir sie aus der Moderne gewohnt sind. Die Übertragung dieses Zusammenhangs auf mittelalterliche Gegebenheiten erscheint aus zwei Gründen problematisch: Erstens ist ›Lesen‹ im semi-oralen Literaturbetrieb des Mittelalters nicht ohne Weiteres mit privater Einzellektüre gleichzusetzen. Zweitens beruht die vorausgesetzte Verbindung von Individualität und Innerlichkeit auf einem modernen Individualitätsbegriff (siehe oben, S. 107). Differenzierter argumentiert Ursula Schaefer (in Anlehnung an den historischen Individualitätsbegriff von Walker Bynum, siehe oben, S. 108 Anm.-379), wenn sie den Medienwandel als Grundlage für die ›Entdeckung des Selbst‹ im 11. und 12. Jh. beschreibt, vgl. Ursula Schaefer: Individualität und Fiktionalität. Zu einem mediengeschichtlichen- und mentalitätsgeschichtlichen-Wandel im 12. Jahrhundert, in: Mündlichkeit - Schriftlichkeit - Weltbildwandel. Literarische Kommunikation und Deutungsschemata von Wirklichkeit in der Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, hrsg. von Werner Röcke / Ursula Schaefer, Tübingen 1996 (ScriptOralia 71), S. 50-70, hier S. 52-60. 53 Das betrifft auch die Bezugnahme auf geistliche Denkmuster, wenn zum Beispiel narrative Wiederholungsstrukturen mit typologischem Vokabular zum Ausdruck gebracht werden. 54 Reuvekamp-Felber 2003, S. 362, mit Bezug auf Wenzel 1995, S. 12 (zur Aufhebung der »ästhetischen Differenz von Kunst und Leben«), und Wandhoff 1996, S. 389. 55 Vgl. Haug 1988; Kiening 2003, Zitat S. 137. lässt, als die Texte selbst in Form einer Negativfolie entwerfen. 56 Das angesprochene Beispiel des »Parzival« macht weiterhin deutlich, wie wichtig die Unterscheidung zwischen medialer und konzeptioneller Mündlichkeit ist: 57 Bei Wolframs Roman handelt es sich offensichtlich um einen schriftlichen Text, der an gelehrten Diskursen partizipiert, sich aber - zum Beispiel was den Status der erzählten Welt angeht - vordergründig in eine orale (beziehungsweise illiterate) Erzähltradition einschreibt. 58 Überhaupt bietet die höfische Kultur der Zeit um 1200 einen Rahmen, der »sowohl durch Oralität als auch durch Literalität gekennzeichnet war« 59 . Geht man davon aus, dass ein Großteil der mittelhochdeutschen Dichtungen von klerikal gebildeten Autoren verfasst wurde, müssten sich vergleichbare Effekte wie im »Tristan« - wenn auch womöglich in geringerem Ausmaß - ebenfalls in anderen Texten der höfischen Literatur nachweisen lassen. 60 Ausgehend von den klerikalen Autoren ist grundsätzlich zu bedenken, dass wir es im Mittelalter eben auch mit einer ausgesprochenen Schriftkultur zu tun haben. 61 56 Dazu in Bezug auf Haug und Kiening Deutsch 2003. 57 Zu diesen linguistischen Kategorien Peter Koch / Wulf Oesterreicher: Sprache der Nähe - Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im-Spannungsfeld von-Sprachtheorie und Sprachgeschichte, in: Romanisches Jahrbuch 36 (1985), S. 15-43. Dass sich das Konzept eignet, um Effekte einer ›sekundären‹ oder ›fingierten‹ Oralität in mittelalterlichen Erzählungen zu beschreiben, zeigt Schausten 1999, S. 106- 113, 185-200. 58 Zusammenfassend Heiko Hartmann: Einführung in das Werk Wolframs von Eschenbach, Darmstadt 2015 (Einführungen Germanistik), S. 36-39. Zur Doppelbödigkeit dieser Inszenierung etwa Hartmut Bleumer: Autor und Metapher. Zum Begriffsproblem in der germanistischen Mediävistik am Beispiel von Wolframs »Parzival«, in: Autorschaft und Autorität in den romanischen Literaturen des Mittelalters, hrsg. von Susanne Friede / Michael Schwarze, Berlin / Boston 2015 (Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie 390), S. 13-40, bes. S. 26-30. 59 Schausten 1999, S. 96. Zu diesem Nebeneinander von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in Bezug auf die höfische Romanpoetik ebd., S. 94-106. Einen Überblick über die grundsätzlichen Probleme einer polaren Gegenüberstellung von schriftlichen und mündlichen Kulturen und den daraus abgeleiteten (zum Beispiel geistesgeschichtlichen) Implikationen Nancy Hornberger: Oral and Literate Cultures, in: Schrift und Schriftlichkeit.-Ein interdisziplinäres-Handbuch internationaler Forschung.-Zusammen mit Jürgen-Baurmann u. a. hrsg. von-Hartmut Günther / Otto-Ludwig,-Halbbd. 1, Berlin / New York 1994 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 10 / 1), S. 424-431. 60 Tatsächlich kann man auch in anderen Romanen der Zeit um 1200 beobachten, wie durch die Lektüre von Figuren schriftliterarisches Wissen in die erzählte Welt hineingeholt wird: So berichtet der »Wigalois« von einer Tochter des persischen Königs, die aus einem buoche von der Zerstörung Trojas, Eneas Flucht und seiner Aufnahme durch Dido vorgelesen bekommt, als ez iu ofte ist geseit (vv. 2710-2722; Ausg. Seelbach / Seelbach 2014, S. 66). Im »Iwein« trifft der Protagonist im Baumgarten der Burg zum Schlimmen Abenteuer auf ein Mädchen, das ihren Eltern mit wälsch lesen die Zeit vertreibt (vv. 6440-6470; Ausg. Mertens 2004, S. 666-668). Den bei Hartmann nicht näher bestimmten romanischen Text hat man zuweilen mit Chrétiens »Yvain« identifiziert, womit hier eine Form der mise en abyme vorliegen würde. Vgl. zu beiden Stellen Kern 2002, S. 395-398. Einen interessanten Beleg bietet außerdem Wolframs »Willehalm«: Hier beweist ausgerechnet der heidnische Großkönig Terramer, dass er die Bibel gelesen hat, wenn er den Konflikt mit seiner Tochter Arabel mit der Auseinandersetzung von David und Absalom vergleicht: ich hân gelesen, daz Dâvît | gein sîme kinde ouch hete strît. | Dâvît smaehen sig erkôs: | dô Absalôn den lîp verlôs, | dô waere er gerne vür in tôt. | nû ist künftec mir diu selbe nôt. (Wolfram von Eschenbach, »Willehalm«, vv. 355,13-18; Ausg. Heinzle 1991, S. 600-602) Die Formulierung bezieht sich wörtlich auf 2. Sam 18,33: ut ego moriar pro te Absalom fili mi fili mi (›Wäre doch ich an deiner Stelle tot! Absalom, mein Sohn, mein Sohn! ‹; Zürcher Bibel). 61 Zusammenfassend Brigitte Schlieben-Lange: Geschichte der Reflexion über Schrift und Schriftlichkeit, in: Schrift und Schriftlichkeit.- Ein interdisziplinäres- Handbuch internationaler Forschung.- Zusammen mit Jürgen- Baurmann u. a. hrsg. von- Hartmut Günther / Otto- Ludwig,- Halbbd. 1, Berlin / New York 1994 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 10 / 1), S. 102-122, hier S. 108: »Weiterhin Kontextualisierung und Ausblick 417 418 Kontextualisierung und Ausblick Dafür spricht schon der Status des geschriebenen (Bibel-)Wortes in der Buchreligion des Christentums. 62 Bestimmte Phänomene der Verbindung von ›Literatur‹ und ›Welt‹ lassen sich womöglich eher auf Modelle dieser elitären Schriftkultur zurückführen als auf die orale Kultur des Laienadels. Ich denke dabei etwa an die Vorstellung einer textuellen Gemachtheit der Erfahrungswelt, wie sie in der mittelalterlichen Zwei-Bücher-Lehre zum Ausdruck kommt. 63 Die Grundlage für die Figurenkonzeption des »Tristan« und das elaborierte Spiel mit den Erzählmustern bildet in jedem Fall eine Vervielfältigung und Wiederholung literarischer Muster, die Gottfrieds Erzähler selbst an verschiedenen Stellen des Romans zum Thema macht. Ob diese Vervielfältigung wie im Fall des »Don Quijote« auf mediale Veränderungen zurückzuführen ist, sei dahingestellt. Mit einiger Sicherheit kann man darin jedoch ein Merkmal des etablierten Literaturbetriebs in der Volkssprache sehen: Als Gottfried seinen Roman schreibt, kann er bereits auf einige Jahrzehnte höfischer Literaturtradition zurückblicken, seit Heinrich von Veldeke (spätestens 1190) sein Reis auf den Baum der Dichtung pfropfte. Mit dem Literaturexkurs schreibt sich Gottfried in diese Tradition höfischen Erzählens ein. Er verbindet seine Erzählweise auch an anderer Stelle mit dem ausdrücklichen Anspruch, ›höfische‹ Literatur zu produzieren, rede, diu […] des hoves sî (v. 7954), wie es in den Worten des Erzählers heißt. 64 Im Spiel mit den literarischen Bezügen drückt sich die Souveränität eines (klerikal gebildeten) Autors aus, der - nicht anders als Wolfram - gekonnt die verschiedenen narrativen Traditionen überblickt und beherrscht. Eine vergleichbare Souveränität im Umgang mit den literarischen Mustern wird auch bei den Rezipienten des Romans vorausgesetzt: Mit dem Begriff der edelen herzen verbindet sich so der Anspruch einer elitären Gemeinschaft, die sich nicht nur durch ethische Qualitäten auszeichnet, sondern auch durch ihre literarische Kennerschaft. 65 zwingt uns die Forschung der letzten Jahre dazu, das stereotype Bild des oral geprägten Mittelalters gegenüber der schriftkulturorientierten Renaissance zu revidieren. Es scheint fast das Gegenteil der Fall zu sein: das Mittelalter entwickelte eine dezidiert schriftorientierte Kultur […].« 62 Vgl. Arnold Angenendt: Grundformen der Frömmigkeit im-Mittelalter, 2., durchges. Aufl., München 2004 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 68), S. 87-89. 63 Vgl. dazu die Überlegungen Peter von Moos’, der das mittelalterliche Verständnis von Literarizität grundsätzlich aus der Theologie herleitet, vgl. von Moos 1993. Besonders gut beschreibt den skizzierten Zusammenhang von ›Literatur‹ und ›Wirklichkeit‹ das Bild, mit dem von Moos seine Überlegungen zusammenfasst: »Der Satz, daß die notwendig unwahre Form dichterischer Sprache das einzige Glas sei, durch das die Strahlen der Natur zu uns gelangen, könnte jenseits der verschiedenen denkbaren Naturbegriffe von einem poeta theologus des 12. Jh.s oder von Goethe stammen. Daß aber dieses Glas nicht vom Himmel fällt, sondern von Meisterhand geschliffen werden muß, in der Werkstatt der Sprache […], dies ist eine weitere, vielleicht zugleich ältere und neuere Erkenntnis.« (ebd., S. 450) 64 Dieser Anspruch weist den Eindruck eines »gegenhöfischen Protest[s]« (Hermann Kunisch: edelez herze - edeliu sêle. Vom-Verhältnis höfischer Dichtung zur Mystik, in: Mediævalia litteraria. Festschrift für Helmut de Boor zum 80. Geburtstag, hrsg. von Ursula Hennig / Herbert Kolb, München 1971, S. 413-450, hier S. 449) im »Tristan« deutlich zurück. Kritisch dazu mit Blick auf die edelen herzen auch Mazzadi 2000, S. 74f. 65 Von einem »kultivierten Publikum[ ], das sich auf ästhetischer wie ethischer Ebene von der ›Normalität‹ unterscheidet und eine Elite bildet«, spricht in Bezug auf die edelenen herzen Mazzadi 2000, S. 67. Zur Bedeutung der ästhetischen Bildung der edelen herzen weiterhin Dallapiazza 1990, S. 88. Im Literaturexkurs werden die edelen herzen auch als Bezugsgröße für die wilden mære der ›Geschichtenwilderer‹ (an denen sie keine Freude finden) und für den Gesang der Nachtigallen angeführt, vgl. vv. 4682, 4769. - Jaeger sieht in der elitären Gemeinschaft einen Verweis auf die Gruppe der mittelalterlichen Hofkleriker, vgl. Jaeger 1977, S. 97f. Das ist zwar im Hinblick auf die konkrete sozialgeschichtliche Eingrenzung problematisch, da sich wohl jeder Leser und Hörer des Romans potentiell als edelez herze angesprochen fühlen soll (vgl. Das avancierte Spiel mit den narrativen Mustern lässt sich aber nicht nur als literarisches Elitenphänomen charakterisieren, es gilt in der Forschung auch als ausgesprochen moderne Form des Erzählens. 66 Tatsächlich erscheint Gottfrieds Figurenkonzeption geradezu postmodern, 67 wenn man mit Jens Eder als zentrales Merkmal postmoderner Figuren ihre intertextuelle Gemachtheit ansieht: Die Rückbindung an literarische Traditionen sei hier wichtiger als die Übereinstimmung mit realweltlichen Vorstellungen. Ein zentraler Aspekt der Ästhetik liege im Erkennen intertextueller Anspielungen, durch das sich die Aufmerksamkeit der Rezipienten auf die Künstlichkeit der Erzählung richte. Überhaupt werde der Artefakt-Charakter der Figuren in postmodernen Medien durch Selbstreferenzialität und Intertextualität stets bewusst gehalten. 68 Das alles kann man auch im »Tristan« beobachten, und doch existiert ein fundamentaler Unterschied zwischen dem mittelalterlichen und dem postmodernen Erzählen, wie sich über den zentralen Begriff der Intertextualität zeigen lässt: 69 Während bei Julia Kristeva Intertextualität mit einer großen Offenheit des Textes verbunden wird, 70 ist Gottfrieds intertextuelles Erzählen eher von einer bestimmten Geschlossenheit geprägt. Um noch einmal die florale Metaphorik des Literaturexkurses in Anspruch zu nehmen: Der Ort, an dem Gottfried die Blumen für seinen Kranz pflückt, ist nicht das Dickicht eines diffusen texte général (Derrida), sondern vielmehr ein kultivierter Garten. Der Text bezieht seine narrativen Bausteine aus dem Fundus dessen, was um 1200 an Erzählmustern verfügbar war. Neben einigermaßen ubiquitär verbreiteten Motivkomplexen, die in ganz verschiedenen Textsorten Verwendung finden, gehört dazu vor allem der Kanon des höfischen Erzählens: Antikenliteratur, Artusroman, Brautwerbungsepik, Feenmärchen oder Heiligenlegende. Lediglich das nicht näher bestimmbare mündlich überlieferte Kontinuum mehr oder weniger ›märchenhafter‹ Haug / Scholz, Bd. 2, S. 254; Tomasek 1985, S. 126), hebt aber ebenfalls die intellektuelle Komponente des Konzeptes hervor. 66 So spricht Przybilski in Bezug auf das Ebenen überschreitende Erzählen bei Wolfram von einem »neuen und neuartigen, in seiner Zeit letztlich als modern zu qualifizierenden Umgang mit der Textualität des arthurischen Narrativs.« (Przybilski 2011, S. 46) Gerade Gottfrieds Gestaltung des Tristanstoffes wird immer wieder eine besondere Modernität unterstellt, vgl. etwa Tomasek 2007, S. 136. Ein Beispiel dafür bietet auch Käte Hamburger, die davon spricht, dass »Gottfrieds »Tristan« wie kein anderer Roman des deutschen Mittelalters es erlaubt, ihn […] von einem modernen […] Gesichtspunkt zu betrachten«, was »auf dem einzigartigen, nahezu an sich selbst modernen Charakter dieses Epos« beruhe (Hamburger 1989, S. 165). Daran anküpfend jetzt Kragl 2019, S. IX-XI, zur möglicherweise »unerhörte[n] Modernität Gottfrieds« auch S. 33. 67 Vgl. zur Einschätzung von Gottfrieds Poetik als postmodern auch Tomasek 2007, S. 247: »Einige Forscher […] verweisen neuerdings auf eine Nähe ihrer Auffassungen zur Ästhetik der Postmoderne […]. Über die weitreichenden methodischen Konsequenzen […] und den Erkenntnisgewinn solcher Inanspruchnahmen postmoderner Ästhetik bzw. des Dekonstruktivismus für den mittelalterlichen Tristanroman wird die zukünftige Gottfriedforschung zu urteilen haben.« 68 Vgl. Eder 2 2014, S. 409-412. 69 Zur Notwendigkeit einer Historisierung des Intertextualitätsbegriffs grundsätzlich Ridder 1999, S. 344f. In expliziter Auseinandersetzung mit der postmodernen Intertextualitätsdebatte Jan-Dirk Müller: Texte aus Texten: zu intertextuellen Verfahren in frühneuzeitlicher Literatur, am Beispiel von Fischarts »Ehzuchtbüchlein« und »Geschichtklitterung«, in: Intertextualität in der Frühen Neuzeit. Studien zu ihren theoretischen und praktischen Perspektiven, hrsg. von Wilhelm Kühlmann / Wolfgang Neuber, Frankfurt a. M. u. a. 1994 (Frühneuzeit-Studien 2), S. 63-109, bes. S. 63-72. 70 Vgl. einführend Matías Martínez: Dialogizität, Intertextualität, Gedächtnis, in: Grundzüge der Literaturwissenschaft, hrsg. von Heinz Ludwig Arnold / Heinrich Detering, München ²1997, S. 430-445, hier S. 441f. Kontextualisierung und Ausblick 419 420 Kontextualisierung und Ausblick (›wilder‹) Erzählungen lässt sich hier nicht ohne Weiteres einordnen. Ein zweiter Unterschied mittelalterlicher Intertextualität besteht im Verhältnis zur literarischen Tradition: Im Gegensatz zum (post-)modernen Erzählen wird die Geltung der abgerufenen literarischen Muster hier nicht in Frage gestellt. 71 Das gilt auch für den »Tristan«: Wenn Helena von der niuwen sunne Isolde überstrahlt wird, dann kann man das zwar im Sinne der lateinischen Rhetorik als æmulatio verstehen, bei der die literarische Tradition durch den neuen Text überboten wird; 72 das Muster bleibt dabei aber stets präsent und behält grundsätzlich seine Gültigkeit: Der ältere [Text] ist als Muster präsent, das noch da, wo es überboten werden soll, nicht ausgelöscht werden darf, sondern sich als Muster behauptet. Der Prätext muß präsent gehalten werden, damit über das Gelingen von imitatio und aemulatio überhaupt geurteilt werden kann. 73 Der »Tristan« ist ein Metaroman, der den Anspruch vertritt, das gesamte höfische Erzählen zu integrieren und zu überbieten, ohne sich dabei von den zugrunde liegenden Mustern zu emanzipieren oder diese zu zerstören. Insofern handelt es sich bei Gottfrieds Roman vielleicht um einen Höhepunkt höfischen Erzählens 74 - aber sicher auch um einen mittelalterlichen Text, der sich zwar graduell, aber nicht grundsätzlich von anderen höfischen Erzählungen unterscheidet. Wie sich die Figurenkonzeption dort allerdings im Einzelfall gestaltet, ist weiteren Untersuchungen vorbehalten. Ganz zum Schluss bleibt noch zu fragen, wie gut sich ein solches spezifisch mittelalterliches Erzählen, das möglicherweise auf alteritären Vorstellungen vom Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit beruht, mithilfe moderner narratologischer Kategorien beschreiben lässt. Dass das im Großen und Ganzen gut gelingt, haben die vorangegangenen Analysen hoffentlich zu zeigen vermocht. Was mithilfe des modernen Beschreibungsinventars allerdings weitgehend unscharf bleibt, sind die Bedeutung und Funktion s a k r a l e r L o g i k e n in mittelalterlichen Texten. Solche Logiken, in denen vielleicht am deutlichsten die Alterität der mittelalterlichen Literatur zutage tritt, erweisen sich als blinder Fleck einer modernen, an ›säkularen‹ Texten entwickelten Narratologie. Das betrifft etwa die Rolle Gottes: Insofern es sich um eine Instanz der erzählten Welt handelt, lässt sich sein Einfluss auf die Erzählung mithilfe von Martínez’ Kategorie der finalen Motivation beschreiben - auch wenn sich schon hier, etwa in Bezug auf 71 Vgl. Müller 1994, S. 70; Ridder 1999, S. 344f. Zur Dekonstruktion als Merkmal postmoderner Figurenkonzeption auch Eder 2 2014. Ein Beispiel für die destruktiven Tendenzen postmoderner Intertextualitätstheorien bietet Harold Blooms Konzept einer anxiety of influence, das davon ausgeht, jeder Text befinde sich in einem stetigen Kampf mit seinen literarischen Vorbildern, vgl. Harold Bloom: Einflußangst. Eine Theorie der Dichtung. Aus dem amerikanischen Englisch von Angelika Schweikhart, Basel / Frankfurt a. M. 1995 [zuerst im englischen Original 1973] (Nexus 4). Bloom selbst hat die Vormoderne allerdings als »titanische[s] Zeitalter vor der Flut, bevor die Angst vor Einfluß zentral für das dichterische Bewußtsein wurde« (ebd., S. 14) bereits ausdrücklich aus seiner Betrachtung ausgenommen. 72 Dazu Barbara Bauer: Art.- Aemulatio, in: HWR 1 (1992), Sp. 141-187, zur Literatur des Mittelalters Sp.-150-164; in Bezug auf das Beispiel von Isolde und Helena bes. Sp. 150 (zum Zusammenhang zwischen æmulatio und Typologie) sowie Sp. 153 f. (zur novitas als Ausdruck der æmulatio). 73 Müller 1994, S. 68f. Auch für Kragl ist der »Tristan« trotz aller Modernität »kein Roman des ›langen‹ 19. Jahrhunderts. Man erkennt dies zum einen daran, dass Gottfrieds ironisches Erzählprinzip die ›alten‹ Strukturmuster, auch die zaubrischen, viel präsenter hält, als ein späteres realistisches Erzählen dies täte.« (Kragl 2019, S. 267) 74 In diesem Sinne spricht etwa Tomasek davon, dass Gottfrieds Roman »in der an Höhepunkten reichen Geschichte des deutschen Romans einen bevorzugten Platz ein[nimmt]« (Tomasek 2007, S. 11). das Verhältnis von göttlicher Providenz und freiem menschlichen Willen, eine starke Tendenz zur Vereinfachung der komplexen theologischen Diskussion zeigt. Ganz anders sieht es mit Blick auf die Beschreibung von Textphänomenen aus, in denen sich ein Wirken des anderen, ›außertextlichen‹ Gottes offenbart, der - wie ich zu zeigen versucht habe - zumindest im »Tristan« nicht mit dem ›Gott im Text‹ gleichgesetzt werden sollte. Bei Gilbert von Poitiers (gest. 1154) lesen wir etwa, dass Gott der eigentliche Urheber (auctor) aller vom Menschen künstlich hergestellter Dinge sei: De artificialibus quaeritur utrum a Deo facta sunt, sicut caseus, et sotulares, et hujusmodi quae dicuntur esse opera hominis non Dei. - Omnia quidem a Deo facta sunt tanquam ab auctore. (Gilbert von Poitiers, »Notae super Johannem«) 75 ›Bei künstlichen Dingen wird gefragt, ob sie von Gott geschaffen sind, etwa ein Käse, Schuhe und andere Dinge dieser Art, die wir als Werke der Menschen und nicht Gottes bezeichnen. - Alle Dinge freilich sind von Gott wie von einem Urheber geschaffen worden.‹ Müsste das nicht auch für den Tristanroman gelten? Auf welcher Ebene kann man diese göttliche Autorschaft im Modell der narrativen Kommunikation verorten? Wie verhält sich eine transzendente Instanz, die ihrer Natur nach Grenzen übersteigt, überhaupt gegenüber einem wissenschaftlichen Beschreibungsmodell, das auf der Unterscheidung verschiedener Ebenen beruht? In welchem Verhältnis steht die göttliche zur menschlichen Autorschaft? 76 In der Fortsetzung Heinrichs von Freiberg erfahren wir, dass Gott den Fragmentstatus von Gottfrieds »Tristan« verantwortet, weil er den Tod des Autors veranlasst habe: got unser schepfer daz gebôt, | daz in genumen hât der tôt (»Tristan«-Fortsetzung, vv. 31 f.). 77 Wie lässt sich dieser Einfluss auf die Erzählung narratologisch beschreiben? Grundsätzlich wäre hier auch an die verschiedenen Formen von Inspirationsbitten in der mittelalterlichen Literatur zu denken. 78 75 London, Lambeth Palace Library, MS 360, fol. 32 rb , zitiert nach Chenu 1997, S. 40 Anm. 87. 76 Für Gilbert bedeutet das Gesagte ausdrücklich nicht, dass man den menschlichen Künstler nicht ebenfalls als Urheber bezeichnen könne, wie er mit einem Bild aus dem Baugewerbe ausführt: alterum homo dicitur auctor, alterum vero Deus. Similiter usualiter dici solet de aliquo divite quod multa fecit edificia, quae eadem singulariter fecit et carpentarius, sed alter auctoritate sola et jussu, alter ministerio. (Chenu 1997, S. 40 Anm. 87) ›Einerseits wird der Mensch Urheber genannt, andererseits jedoch Gott. Auf ähnliche Weise pflegen wir von einem Reichen gewöhnlich zu sagen, dass er viele Gebäude gebaut hat, die dennoch alleine der Zimmermann gebaut hat, aber der eine (hat sie) durch seine alleinige Anordnung (a u c t o r itas) und auf sein Geheiß (gebaut), der andere durch (seine) Dienstleistung.‹ Wilhelm von Conches beschreibt das als eine Hierarchie der Urheberschaft von Gott, Natur und Mensch: ille, id est Creator, est actor maximus, quia magnus actor est homo, maior nature, maximus Creator (»Glosae super Platonem«, 1,44; Ausg. Jeauneau 2006, S. 79, Z. 25 f.) ›Jener, das ist der Schöpfer, ist der größte Urheber, da der Mensch ein großer Urheber ist, ein größerer die Natur, und der größte der Schöpfer.‹ 77 Ausg. Bernt 1906 [1978], S. 2. 78 Vgl. Haug 2 1992, S. 23f.; Christian Thelen: Das Dichtergebet in der deutschen Literatur des Mittelalters, Berlin / New York 1989; Klein 2006b. Dass gerade im Sprechen mit Gott das Ich eine Stimme gewinnt und als Autor hervortritt, zeigt Monika Unzeitig: Göttlich autorisiertes- Sprechen mit Gott, in: Sprechen mit Gott. Redeszenen in mittelalterlicher Bibeldichtung und Legende, hrsg. von Nine Miedema u. a., Berlin 2012 (Historische Dialogforschung 2), S. 217-228. - Die Frage, ob auch der Erzähler im »Tristan« um göttliche Inspiration bittet, hängt vor allem von der Deutung des Musenanrufs im Literaturexkurs ab (vgl. vv. 4859-4928). In erster Linie geht es dabei um die Frage, ob man in der Instanz des wâren Êlicônes (v. 4897) den christlichen Gott erkennen möchte (siehe dazu oben, S. 228 Anm. 535). Eine vergleichbare Ablösung der Musen durch Gott bzw. die göttliche Trinität als Quelle der Inspiration lässt sich zumindest auch bei Alanus ab Insulis sowie in einer nach 1118 entstandenen Bearbeitung des Kreuzfahrtgedichtes Gilos von Kontextualisierung und Ausblick 421 422 Kontextualisierung und Ausblick Wenn etwa bei Alanus ab Insulis im fünften Buch des »Anticlaudianus« der Erzähler sagt, er wolle von nun an keine Verantwortung mehr für die Erzählung tragen, sondern vielmehr zum Griffel und schweigenden Blatt in der Hand des göttlichen Schreibers werden - was ist dann die kompositorische Motivation der Erzählung? 79 Moderne narratologische Modelle verhalten sich gegenüber solchen Fragen größtenteils indifferent. Eine Narratologie nicht-säkularer Texte gehört deshalb weiterhin zu den Aufgaben der mediävistischen Erzählforschung. Die skizzierten Fragen mögen dafür als Anregung verstanden werden. Paris beobachten, vgl. Jaeger 1977, S. 142-145. Grundsätzlich ist zu bedenken, dass die gesamte Stelle bei Gottfried im Konjunktiv gehalten ist: Der Erzähler berichtet nur von seiner Absicht, um Inspiration zu bitten, und spekuliert über die Konsequenzen. Die Bitte um Inspiration bleibt also Gedankenspiel, vgl. Chinca 1997, S. 65; Ursula Schulze: Literarkritische Äußerungen im Tristan Gottfrieds von Straßburg, in: PBB 88 (1967), S. 285-310, hier S. 306f., 309. Auch hier scheint Gottfried das Verhältnis von göttlicher und menschlicher Autorschaft bewusst offenzulassen. 79 Vgl. Alanus ab Insulis, »Anticlaudianus«, 5,273-275: Carminis huius ero calamus, non scriba uel actor, | Es resonans, reticens scriptoris carta, canentis | Fistula, sculptoris scalprum […]. (Ausg. Bossuat 1955, S. 133) ›Ich werde ein Griffel dieses Gedichtes sein, kein Schreiber oder Urheber, (sondern) wiedertönendes Erz, schweigendes Blatt des Schreibers, Flöte des Musikers, Meißel des Bildhauers…‹ Zu der Stelle auch Michael Stolz: stilus - calamus - griffel - stift. Zur metonymischen Metaphorik des Stilbegriffs in der mittellateinischen und mittelhochdeutschen Literatur, in: Literarischer Stil. Mittelalterliche Dichtung zwischen Konvention und Innovation. XII. Anglo-German Colloquium Düsseldorf, hrsg. von Elizabeth Andersen u. a., Berlin / Boston 2015, S. 39-59, S. 46f.; Eckart Conrad Lutz: Rhetorica divina. Mittelhochdeutsche-Prologgebete und die rhetorische-Kultur des Mittelalters, Berlin / New York 1984 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker 82), S. 77; Grünkorn 1994, S. 69. Dass der Wechsel des Autorschaftskonzepts an der vorliegenden Stelle mit einem Wechsel des Erzählgegenstandes zusammenhängt, zeigt Christel Meier: nova verba prophetae. Evaluation und Reproduktion der prophetischen Rede der Bibel im Mittelalter. Eine Skizze, in: Prophetie und Autorschaft. Charisma, Heilsversprechen und Gefährdung, hrsg. von Christel Meier / Martina Wagner-Egelhaaf, Berlin 2014, S. 71-104, hier S. 71. 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 423 Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Tristan enthauptet Morolt (1225-1250) München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 51, fol. 46 r (Detail). Abb. 2: David enthauptet Goliath (um 1233) Oxford, Bodleian Library, Ms. Bodl. 270b, fol. 137 v (Detail). Abb. 3: Göttlicher ›Sieghelfer‹ auf der Goldscheibe von Pliezhausen (7. Jahrhundert) Helmut Rosenfeld / Karl Hauck: Art. Dioskuren, in: RGA 2 5 (1984), S. 482-494, Abb. 52: Einzeldioskur als Sieghelfer aus Pliezhausen. Abb. 4: Handlungsschema der Ratszene von Schmid-Cadalbert Christian Schmid-Cadalbert: Der »Ortnit AW« als Brautwerbungsdichtung. Ein Beitrag zum Verständnis mittelhochdeutscher Schemaliteratur, Bern 1985 (Bibliotheca Germanica 28), S. 89. Abb. 5: Tristan harft vor Marke Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7020 (W*) 88, Bl. 47 (Detail). Abb. 6: Tristan erschlägt Morolt Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7020 (W*) 88, Bl. 89 (Detail). Abb. 7: Tristans Ausbildung: Lektüre, Stein- und Speerwurf, Saitenspiel München, Bayerische Staatsbiblitohek, Cgm 51, fol. 15 v (zweites Bildregister). Abb. 8: Autorbild Gottfrieds von Straßburg im Codex Manesse (1300-1340) Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg. 848, fol. 364 r . 3.4 Die Schwertleite. Tristans ›Identitätswechsel‹ vom ›Künstler‹ zum ›Krieger‹ 425 Siglen und Abkürzungen ATB Altdeutsche Textbibliothek BMZ Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearb. von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke, Bd. 1-3, Leipzig 1854-1861. CCCM Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis CCSL Corpus Christianorum. Series Latina DVjs Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte DWB Jacob Grimm / Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 1-16, Leipzig 1854-1954. Enzyklopädie des Märchens Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, begr. von Kurt Ranke. Mit Unterstützung der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen hrsg. von Rolf Wilhelm Brednich u.a., Bd. 1-14, Berlin u.a. 1977-2014. HRG 2 Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. 2., völlig überarb. und erw. Aufl., hrsg. von Albrecht Cordes u. a., Bd. 1-3, Berlin 2008-2016. HWPh Historisches Wörterbuch der Philosophie. Unter Mitwirkung von mehr als 1500 Fachgelehrten in Verbindung mit Günther Bien u. a. hrsg. von Joachim Ritter u. a. Völlig neubearb. Ausg. des »Wörterbuchs der Philosophischen Grundbegriffe« von Rudolf Eisler, Basel 1971-2007. HWR Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hrsg. von Gert Ueding, mitbegr. von Walter Jens, bearb. von Gregor Kalivoda / Andreas Hettiger, Bd. 1-9, Tübingen 1992-2009, Bd. 10-12, Berlin / New York 2012-2015. IASL Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur Killy 2 Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraums, 2. vollst. überarb. Aufl., hrsg. von Wilhelm Kühlmann in Verbindung mit Achim Aurnhammer u. a., Bd. 1-13, Berlin u. a. 2008-2013. Lexer Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Zugleich als Supplement und alphabetischer Index zum Mittelhochdeutschen Wörterbuche von Benecke-Müller-Zarncke, Bd. 1-3, Leipzig 1872-1878. LexMa Lexikon des Mittelalters, hrsg. von Robert Auty u. a., Bd. 1-9, München / Zürich 1980-1998. LiLi Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik LThK 2 Lexikon für Theologie und Kirche, begr. von Michael Buchberger, 2., völlig neu bearb. Aufl., hrsg. von Josef Hofer / Karl Rahner, Bd. 1-11, Freiburg i.Br. u. a. 1957-1966. 426 Siglen und Abkürzungen LThK 3 Lexikon für Theologie und Kirche, begr. von Michael Buchberger, 3., völlig neu bearb. Aufl., hrsg. von Walter Kasper mit Konrad Baumgartner u. a., Bd. 1-11, Freiburg i.Br. u. a. 1993-2001. MGH Monumenta Germaniae Historica MTU Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters MWB Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Im Auftrag der Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen hrsg. von Kurt Gärtner u. a., Bd. 1-2 / Lieferung 4, Stuttgart 2013-2016. Der Neue Pauly Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, hrsg. von Hubert Canzik u. a., Bd. 1-16, Stuttgart / Weimar 1996-2003. PBB Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur PL Patrologia Latina RdK Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte. Begonnen von Otto Schmidt, hrsg. vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte München, Bd. 1-9, Stuttgart / München 1937-2003. RGA 2 Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, begr. von Johannes Hoops, 2., völlig neu bearb. und stark erw. Aufl. unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrter unter redaktioneller Leitung von Rosemarie Müller hrsg. von Heinrich Beck u. a., Bd. 1-35, Berlin / New York 1973-2007. RLW Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, hrsg. von Harald Fricke u. a., Bd. 1-3, Berlin / New York 1997-2003. RSM Repertorium der Sangsprüche und Meisterlieder des 12. bis 18. Jahrhunderts, hrsg. von Horst Brunner / Burghart Wachinger unter Mitarbeit von Eva Klesatschek u. a., Bd. 1-16, Tübingen 1986-2009. RUB Reclams Universal-Bibliothek TPMA Thesaurus Proverbiorum Medii Aevi. Lexikon der Sprichwörter des romanischgermanischen Mittelalters, begr. von Samuel Singer, hrsg. vom Kuratorium Singer der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, Bd. 1-13, Berlin / New York 1995-2002. TRE Theologische Realenzyklopädie, hrsg. von Gerhard Krause u. a., Bd. 1-36, Berlin / New York 1977-2004. 2 VL Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, begr. von Wolfgang Stammler, fortgeführt von Karl Langosch, 2., völlig neu bearb. Aufl., hrsg. von Kurt Ruh u. a., Bd. 1-14, Berlin / New York 1978-2008. ZfdA Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur ZfdPh Zeitschrift für deutsche Philologie Textausgaben und Übersetzungen 427 Literaturverzeichnis Textausgaben und Übersetzungen Accessus ad auctores. Bernard d’Utrecht. Conrad d’Hirsau, Dialogus super auctores. Édition critique entièrement revue et augmentée par R.B.C. Huygens, Leiden 1970. [Ælred von Rievaulx: ] Aelredi Rievallensis opera omnia, Bd. 1: Opera ascetica, ed. A. 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Textgeschichtliche Ausgabe mit Abdruck sämtlicher Fragmente und der Bruchstücke des mitteldeutschen »Erek«, hrsg. von Andreas Hammer u. a. unter Mitarbeit von Lydia Merten u. a., Berlin / Boston 2017. Hartmann von Aue: Gregorius. Der arme Heinrich. Iwein, hrsg. und übers. von Volker Mertens, Frankfurt a. M. 2004 (Bibliothek deutscher Klassiker 189 / Bibliothek des Mittelalters 6). [Hartmann von Aue: ] Iwein. Eine Erzählung von Hartmann von Aue. Mit Anm. von Georg Friedrich Benecke und Karl Lachmann, 5. Ausg. durchg. von Ludwig Wolff, Berlin / Leipzig 1926. Der Heiligen Leben, Bd. 2: Der Winterteil, hrsg. von Margit Brand u. a., Tübingen 2004 (Texte und Textgeschichte 51). Heinrich von dem Türlin: Diu Crône. Kritische mittelhochdeutsche Leseausgabe mit Erläuterungen, hrsg. von Gudrun Felder, Berlin / Boston 2012. Heinrich von Freiberg. 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Das Porträt in der Frühneuzeit zwischen Repräsentation und Realpräsenz, in: Abwesenheit beobachten. Zu Kommunikation auf Distanz in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Mark Hengerer, Zürich u. a. 2013 (Vita Curialis. Form und Wandel höfischer Herrschaft 4), S. 41-78. Nicola Zotz: Vaterverlust oder Vatergewinn? Rual zwischen Riwalin und Marke, in: Das Abenteuer der Genealogie. Vater-Sohn-Beziehungen im Mittelalter, hrsg. von Johannes Keller u. a., Göttingen 2006 (Aventiuren 2), S. 87-103. Paul Zumthor: Die Stimme und die Poesie in der mittelalterlichen Gesellschaft. Aus dem Französischen von Klaus Thieme, München 1994 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 18). Textstellen 501 Register Textstellen Die Einteilung der Episoden beruht auf der Ausgabe von Haug / Scholz und der rekonstruierten Episodenstruktur bei Tomasek 2007, S. 88f. 1. Prolog (vv. 1-244) 28, 30, 32 Anm. 116, 55 Anm. 105, 151, 154, 157, 166 Anm. 232, 167 Anm. 234, 184, 197f., 202f., 205 Anm. 414, 211f., 232, 256 Anm. 688, 263 Anm. 729, 266, 270, 406f., 409 Anm. 26, 410 2. Vorgeschichte: Riwalin und Blanscheflur (vv. 245-1790) 75 Anm. 206, 118 Anm. 431, 126, 167 Anm. 234, 169, 176 Anm. 282, 177, 195f., 203 Anm. 406, 212, 217, 219, 242, 244, 246, 247f., 252, 255f., 314, 370 Anm. 466, 395 Anm. 588, 403 3. Tristans Kindheit und Jugend (vv. 1791-2148) 15, 17 Anm. 35, 32 Anm. 116, 220f., 233f., 314, 371-376, 398, 415 4. Tristans Entführung und sein Weg zu König Marke (vv. 2149-3378) 66-68, 82, 86, 207-212, 219, 227, 236, 314 Anm. 177, 316, 329 Anm. 262, 376f. 5. Tristan als Jägermeister und Spielmann am Hof König Markes (vv. 3379-3756) 93, 138 Anm. 79, 144f., 146f., 152 Anm. 153, 208 Anm. 423, 361 Anm. 422, 377, 407 6. Die Enthüllung von Tristans Identität und die Schwertleite (vv. 3757-5068) 123 Anm. 9, 123 Anm. 10, 124 Anm. 13, 124 Anm. 14, 125 Anm. 20, 126 Anm. 27, 127 Anm. 31, 137 Anm. 73, 145 Anm. 115, 147 Anm. 121, 152 Anm. 153, 208 Anm. 424, 209 Anm. 431, 209 Anm. 432, 210 Anm. 437, 228 Anm. 535, 241 Anm. 604, 243f., 244 Anm. 628, 256 Anm. 691, 263, 265, 267 Anm. 754, 268, 271, 314 Anm. 175, 314 Anm. 176, 316 Anm. 191, 362, 377-383, 391 Anm. 571, 393f., 397f., 402, 408, 409 Anm. 28, 411, 415, 415 Anm. 48, 418, 418 Anm. 65, 421 Anm. 78 7. Die Heimkehr nach Parmenien, der Kampf mit Morgan und die Rückkehr nach Cornwall (vv.-5069-5866) 152 Anm. 153, 212, 337, 377, 397 8. Der Kampf mit Morolt (vv. 5867-7230) 32 Anm. 116, 46 Anm. 54, 121-126, 126 Anm. 25, 127 Anm. 29, 129 Anm. 38, 137, 138, 176, 195f., 208 Anm. 424, 209 Anm. 433, 222 Anm. 502, 224, 227 Anm. 531, 231 Anm. 550, 240f., 294-297, 304, 307-310, 316-321, 331-337, 346 Anm. 342, 364, 379 Anm. 509, 396, 397, 404, 405, 408, 411f. 9. Die erste Irlandfahrt (vv. 7231-8225) 67 Anm. 165, 138 Anm. 79, 176 Anm. 283, 231f., 247 Anm. 645, 256, 314 Anm. 177, 355 Anm. 388, 366 Anm. 452, 377 Anm. 494, 403f., 407, 418 10. Die zweite Irlandfahrt: Aufbruch und Überfahrt (vv. 8226-8896) 25 Anm. 85, 82 Anm. 234, 172f., 179-183, 208 Anm. 424, 227 Anm. 531, 256, 294, 337-340, 344-356, 360-364, 383, 391, 403, 404, 408, 411, 415, 420 11. Die zweite Irlandfahrt: Drachenkampf (vv. 8897-9982) 32 Anm. 116, 75 Anm. 208, 138 Anm. 79, 196 Anm. 372, 222f., 292 Anm. 81, 299 Anm. 110, 355 Anm. 388, 363 Anm. 441, 364, 396, 397 502 Register 12. Die zweite Irlandfahrt: Die Entdeckung von Tristans Identität (vv. 9983-10802) 222f., 225 Anm. 521, 351 Anm. 370 13. Die zweite Irlandfahrt: Die Entlarvung des Truchsessen (vv. 10803-11366) 75 Anm. 208, 122 Anm. 4, 122 Anm. 6, 126f., 130, 208 Anm. 424, 272, 330 Anm. 265, 355 Anm. 388, 363 Anm. 441 14. Der Minnetrank (vv. 11367-12182) 124 Anm. 13, 128 Anm. 35, 138 Anm. 79, 213, 217, 227 Anm. 531, 230 Anm. 542, 235, 237, 242, 244-247, 252, 253 Anm. 672, 255, 270-272, 276 Anm. 6, 315, 355 Anm. 388, 405 15. Der Brautunterschub in der Hochzeitsnacht (vv. 12183-12674) 262-266, 267 Anm. 756, 269, 270 Anm. 774, 275-278, 282-284, 285-290, 293f., 393 Anm. 577, 403, 412 16. Isoldes Mordanschlag auf Brangäne (vv. 12675-13096) 168 Anm. 239, 272 Anm. 783, 275-294, 403, 408, 412 17. Die Gandin-Episode: Rotte und Harfe (vv. 13097-13450) 127 Anm. 32, 144, 151, 156 Anm. 176, 287 Anm. 58, 364 Anm. 446, 395 Anm. 588 18. Verleumdung des Paares durch Marjodo (vv. 13451-14234) 177 Anm 288, 222 Anm. 502 19. Erste Baumgartenepisode: Das belauschte Stelldichein (vv. 14235-15046) 138, 141 Anm. 92, 153 Anm. 158, 204f., 364 Anm. 446 20. Das Gottesurteil (vv. 15047-15764) 314 Anm. 175, 314 Anm. 177, 321-330, 370 Anm. 466 21. Petitcrü und der Kampf mit Urgan (vv. 15765-16402) 136 Anm. 71, 196 Anm. 372, 337, 391 Anm. 569 22. Die Minnegrotte (vv. 16403-17816) 124 Anm. 13, 135-137, 141, 145f., 147 Anm. 121, 151, 155 Anm. 165, 156f., 173f., 177f., 207 Anm.-421, 212, 222 Anm. 502, 241 Anm. 600, 243f., 266 Anm. 751, 267-270, 354, 362, 390 Anm. 568, 407f., 412f. 23. Zweite Baumgartenepisode: Entdeckung und Abschied (vv. 17817-18404) 85 Anm. 246, 128f., 142 Anm. 98, 151f., 168 Anm. 239, 222 Anm. 502 24. Tristan in Arundel: Isolde mit den weißen Händen (vv. 18405-19548) 155f., 160-167, 168 Anm. 239, 170f., 181 Anm. 299, 193, 196 Anm. 372, 212, 256, 332 Anm. 279, 383, 391f., 395, 396, 409, 411, 415 Autoren und Werke 503 Autoren und Werke »Der Abendgang« 150 Anm. 139 »Accessus ad Ovidium« 152 Anm. 151 Adalbold von Utrecht »Vita Heinrici II. Imperatori« 325 Anm. 238 Adelard von Bath 324 Anm. 233 Ælred von Rievaulx »De speculo caritatis« 9 Anm. 3, 12 »Ain hüpscher spruch von ainer bulschafft« 258 Anm. 702 Alanus ab Insulis 129 Anm. 38, 264 Anm. 735 »Anticlaudianus« 124f., 329 Anm. 262, 421 Anm. 78, 422 »De planctu naturae« 251 Anm. 667 Albert von Stade »Troilus« 354 Anm. 385 Albertus Magnus »Commentarii in secundum librum Sententiarum« 235 Anm. 575 Albrecht von Haigerloch (und Hohenberg) 368 Anm. 461 Albrecht von Halberstadt »Metamorphosen«-Übersetzung 148f., 149 Anm. 136, 150 Anm. 140 Alexander von Hales »Summa theologica« 226 Anm. 525 »Ältere deutsche Habichtslehre« 82 Anm. 232 Ambraser Heldenbuch 126 Anm. 25, 225 Anm.-519, 297 Anm. 100 Andreas Capellanus »De amore« 246, 248, 253, 403 »Annales Marbacenses« 322 Anm. 225 Anselm von Laon Lukan-Kommentar 185 Anm. 325 Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel »Die durchleuchtige Syrerinn Aramena« 54 Anm. 99 Apollodor 285 Anm. 43 Aristoteles 37, 39, 43, 56, 187 Anm. 333, 216, 272 Anm. 785, 280 Anm. 23 »Metaphysik« 230 Anm. 543 »Nikomachische Ethik« 216 Anm. 468 »Physik« 216 Anm. 468, 217 Anm. 469 »Poetik« 35f., 51, 139 Anm. 84, 187 Anm. 334, 229 Anm. 541 »Rhetorik« 70f. »Aristoteles und Phyllis« 242 Anm. 610 Arntzen, Helmut »Der Wolf und das Schaf« 410f. Augustinus, Aurelius 41 Anm. 30, 56 Anm. 108, 102 Anm. 346, 161 Anm. 206, 324 Anm. 233 »De civitate Dei« 224 »De vera religione« 20 Anm. 59 Predigt 130 211 Anm. 447 Predigt 153 335 Anm. 291 Predigt 288 216 Anm. 462 Austen, Jane »Mansfield Park« 86 Bamberger Psalmenkommentar 295 Anm. 97 Bartholomäus Anglicus »De rerum proprietatibus« 80 Anm. 227 »Basler Trojanerkrieg« 359 Anm. 413 Benoît de Sainte-Maure »Roman de Troie« 285 Anm. 46, 357, 358, 358 Anm. 408, 361 Anm. 422 Berliner Kommentar zu Martianus Capella, »De nuptiis Philologiae et Mercurii« 72 Anm. 191 Bernart de Ventadorn 132 Anm. 51 »Chantars no pot gaire valer« 264 Anm. 739 »Tant ai mo cor de joya« 240 Anm. 597 Bernger von Horheim »Nu enbeiz ich doch des trankes nie« (MF-112,1) 240 Anm. 597 Bernhard von Clairvaux »Sermo in dominica quarta post pentecostem« 306 Anm. 130, 316 Anm. 193, 318 Anm. 202, 335 Anm. 291 Béroul »Tristran« 30 Anm. 107, 31, 131 Anm. 44, 135 Anm. 67, 156, 159 Anm. 193, 321 Anm. 224, 337 Anm. 299, 415 Anm. 48 Bertran de Borne »Domna, puois de me no·us chal« 240 Anm.-597 Bertrand de Bar-sur-Aube »Girart de Vienne« 118 Bibel 127 Anm. 31, 210, 226 Anm. 527, 301 Anm.-117, 312, 411f., 418 Gen 3,6 85 Anm. 246 Lev 1,6 210 504 Register Lev 18,14 152 Anm. 152 Lev 20,20 152 Anm. 152 1. Sam 17 294, 298, 301f., 303, 304, 308 Anm.-137, 310 Anm. 150, 336 1. Sam 17,33 300 Anm. 114, 333 Anm. 284 1. Sam 17,50f. 295 Anm. 96 2. Sam 18,33 417 Anm. 60 Ps 5,7 300 Anm. 114, 317 Ps 40,2f. 300 Anm. 114, 317 Anm. 194 Prov 9,5 317 Koh 1,10 105 Sir 15,11-15 65 Anm. 159 Jes 6,9f. 65 Anm. 159 Jes 29,16 130 Anm. 39 Jer 18,6 130 Anm. 39 Jon 1,4-16 67 Mt 10,29 215 Anm. 460 Mt 19,5 152 Anm. 152, 225 Anm. 515 Lk 2,41-47 373 Anm. 477 Joh 1,1-3 329 Anm. 263 Joh 1,14 329 Anm. 263 Röm 9,20f. 130 Anm. 39 »Bible moralisée« 295 Anm. 97, 296 »Biblia pauperum« 307 Anm. 131 »Biterolf und Dietleib« 372 Anm. 474, 384 Bligger von Steinach 126 Anm. 27, 208 Anm. 424, 209, 409 Anm. 28 Boccaccio, Giovanni »Decameron« 240 Dec. 10,10 292 Anm. 80 »Genealogia deorum gentilium« 201 Anm.-398 Bodel, Jean 198 Anm. 384 Boethius, Anicius Manlius Severinus »Commentaria in Ciceronis Topica« 235 Anm. 575 »Consulatio philosophiae« 215-217, 225 Anm.-518, 226 »Book of Leinster« 286, 287 Anm. 59 Borges, Jorge Luis »Befragungen« 413 Anm. 35 »Die böse Frau« 150 Anm. 140 Brant, Sebastian »Narrenschiff« 67 Anm. 166, 226 Anm. 524, 271 Anm. 781 »Bremberger« 94 Anm. 295 Breri 184 Anm. 322, 198 Anm. 381 Brontë, Charlotte »Jane Eyre« 86 Brun von Schönebeck »Das Hohe Lied« 272 Anm. 783 Caesarius von Heisterbach »Dialogus miraculorum« 300 Anm. 115 Calcidius »Commentarius in Platonis Timaeum« 40 Anm. 26 »Carmina Burana« Nr. 56 354 Anm. 385 Nr. 65 267 Anm. 754 Nr. 99a 354 Anm. 385, 356 Anm. 396 Nr. 100 148 Anm. 127 Nr. 103 354 Anm. 385 Cervantes Saavedra, Miguel de »Don Quijote« 142 Anm. 98, 401f., 418 »Chanson de Roland« 298f. Chaucer, Geoffrey »Canterbury Tales« 113 Chrétien de Troyes 94 Anm. 298, 188 Anm. 337, 250 Anm. 659, 390 Anm. 565, 392 Anm. 575 »Le Chevalier de la charette« 54 Anm. 99, 395 Anm. 587, 400 Anm. 610 »D’Amour, qui m’a tolu a moi« 240 Anm. 597 »Erec et Enide« 129 Anm. 38, 225, 386, 398 Anm. 597 »Perceval ou Le Conte du Graal« 46 Anm. 51 »Yvain« 417 Anm. 60 »Chronique saintongeaise« 284 Anm. 41 Cicero, Marcus Tullius »De divinatione« 59 Anm. 125 »De inventione« 56 Anm. 109, 57, 182 Anm.-303, 220 Anm. 491 Codex Manesse 125, 368, 397 Anm. 595, 409-411 »Compendium historiae Troianae-Romanae« 358 Anm. 405 »Compilatio singularis exemplorum« 286 Anm.-52 Constantinus Africanus »De melancolia« 162 Anm. 214 Dante Alighieri »Die göttliche Komödie« (»Divina commedia«) 240 Anm. 598, 261, 359 Anm. 415 »Vita Nova« 252 Anm. 669 Autoren und Werke 505 Dares Phrygius »Historia de excidio Troiae« 357 Anm. 402, 358 Anm. 408 »Deutschenspiegel« 322 Anm. 226, 375 Anm. 485 Dickens, Charles »Bleak House« 86 Dictys Cretensis »Ephemeris belli Troiani« 358 Anm. 408 Dietmar von Aist »Slâfest du, vriedel ziere? « (MF 39,18) 259 Anm. 707 »Dietrichs Flucht« 341 Anm. 318, 344 Anm. 335, 345 Anm. 337 Dionysius der Kartäuser »De doctrina et regulis vitae Christianorum« 280 Anm. 23 »Diz ist ein krig ob mynnen beßer sie oder geselleschafft« siehe »Minne und Gesellschaft« Dostojewski, Fjodor »Die Sanfte« 86 Anm. 249 »Drei mächtige Schweinehirten« 385 Anm. 536 »Dukus Horant« 341 Anm. 318, 345 Anm. 337, 352 Anm. 375, 359 Ebernand von Erfurt »Heinrich und Kunigunde« 325 Anm. 238 »Edda« (»Lieder-Edda«) 153 Anm. 154 Eike von Repgow »Sachsenspiegel« 309 Anm. 143, 322 Anm.-226 Eilhart von Oberg 301 Anm. 116 »Tristrant« 14 Anm. 22, 24 Anm. 75, 30 Anm.-107, 30f., 37, 45, 60 Anm. 129, 82 Anm.-234, 95 Anm. 302, 135 Anm. 67, 137 Anm. 78, 143 Anm. 105, 153 Anm. 158, 156, 159 Anm. 193, 160, 169 Anm. 243, 175 Anm.-277, 179f., 182, 195 Anm. 365, 202 Anm. 401, 213 Anm. 451, 230f., 232 Anm.-559, 233 Anm. 562, 237, 239, 240 Anm.-598, 243 Anm. 615, 253, 258 Anm.-702, 261 Anm. 717, 276 Anm. 5, 277 Anm. 13, 278, 282, 286 Anm. 53, 287 Anm. 56, 290 Anm.-70, 292 Anm. 79, 294 Anm. 92, 301, 302 Anm. 121, 304, 307, 308 Anm. 139, 309, 331f., 333, 344 Anm. 335, 345 Anm. 337, 351, 372 Anm. 474, 376, 377 Anm. 494, 378, 382 Anm. 524, 383, 388, 392, 393, 397, 403, 407, 415 Anm. 47 Einhard »Vita Caroli Magni« 92 Eleonore von Österreich »Pontus und Sidonia« (A) 299, 302 Anm.-120, 302 Anm. 121, 305, 306 Anm. 130, 307 Anm.-131, 317 Anm. 197 Elisabeth von Nassau-Saarbrücken »Herzog Herpin« 299, 301 Anm. 117, 302 Anm. 121, 305, 306, 306 Anm. 130, 307 Anm.-131, 336 »Elsässisches Trojabuch« 285 Anm. 46 Engelbert von Admont »Speculum moralium virtutem« 175 Ennius, Quintus 285 Anm. 43 Estoire 131 Anm. 44, 142f., 389 »Eulenspiegel« (»Ulenspiegel«) 140 Anm. 87 Euripides 285 Anm. 43 »Excidium Trojae« 358 Anm. 405, 358 Anm. 408 Exzerpt zur Ursachenlehre (Bern, Burgerbibliothek, Cod. 371) 56 Anm. 109 FitzStephen, William »Miraculorum gloriosi martyris Thomæ« 215, 225 Fleck, Konrad »Flore und Blanscheflur« 149, 149 Anm. 136, 150 Anm. 140, 261 Folkwin von Lobbes »Gesta abbatum Lobbiensium« 42, 224 Anm.-514 »Formulae Merowingici et Karolini aevi« 323 Anm. 229 »Fortunatus« 22 Anm. 68 Frauenlob (Heinrich von Meißen) 125 »Ja tun ich als ein wercman« (Lied 5,13) 123 Anm. 12 »Kein orden herter mac gesin denn ritterschaft« (Lied 5,30) 382 Anm. 523 Freidank »Bescheidenheit« 80 Anm. 227, 174 Anm. 267, 191 Anm. 349, 382 Anm. 523 Friedrich von Leiningen 368 Anm. 461 Füetrer, Ulrich »Buch der Abenteuer« 387 506 Register Galfred le Baker of Swinbrook »Chronicon« 300 Anm. 115 Galfred von Vinsauf 57 »Documentum de arte versificandi« 170 Anm.-250 »Poetria nova« 21 Anm. 60, 58f., 64, 125, 170 Anm. 250, 175 Anm. 276, 250 Anm. 658, 271 Anm. 779 »Galmy« (»Ritter Galmy«) 140 Anm. 89, 141 Anm. 93 Geoffrey of Monmouth »Historia regum Britanniae« 194 Anm. 362, 195, 198 Anm. 384, 244 Anm. 627, 332 Anm.-280, 385 Anm. 536, 389 Anm. 563, 390, 392 Anm. 576 Gerbert de Montreuil »Roman de la Violette« 240 Anm. 597 Gervasius von Tilbury »Otia imperialia« 324 Anm. 233 »Gesta consulum andegavorum« 300f., 305, 316f., 336 »Gesta Romanorum« 358 Anm. 405 Gide, André 163 Anm. 219 Gilbert von Poitiers »Notae super Johannem« 421 Gilo von Paris »Historia vie Hierosolimitane« 421 Anm. 78 Giovanni da Legnano »Tractatus de bello, de repressaliis et de duello« 306 Anm. 127 Der von Gliers 150 Anm. 140 »Kunde ich mit fuoge mînen muot« (Lied 3) 147 Anm. 126 »Si prîsent alle sunder strît« (Lied 2) 154 Godefrid von Winchester »Liber proverbiorum« 329 Anm. 262 »Göttweiger Trojanerkrieg« 285 Anm. 46, 359 »Grelentz saga« 147 Anm. 126 Grimm, Jakob und Wilhelm »Deutsche Sagen« 284 Anm. 42 »Kinder- und Hausmärchen« 95, 96 Anm. 313, 284 Anm. 39 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von »Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch« 102 Anm. 346 Guibert von Nogent »Gesta Dei per Francos« 188 Anm. 337 Guido de Columnis »Historia destructionis Troiae« 354 Anm. 385 Guillaume de Lorris / Jean de Meun »Roman de la Rose« 249 Anm. 655 Guillaume le Maréchal siehe »Histoire de Guillaume le Maréchal« »Guruns strengleicr« 147 Anm. 126 Hans von Bühel »Dyocletianus« 373 Anm. 477 Hartmann von Aue 123 Anm. 9, 210 Anm. 437, 268, 271 Anm. 779, 382, 393f., 400, 409 Anm. 28 »Der arme Heinrich« 367 »Erec« 12f., 75, 97 Anm. 314, 126 Anm. 25, 149 Anm. 136, 150, 150 Anm. 140, 152 Anm. 149, 201, 225, 297 Anm. 100, 382, 383, 386, 387, 391 Anm. 571, 414 »Gregorius« 67, 126 Anm. 26, 160 Anm. 201, 232 Anm. 554, 269, 375 Anm. 485, 382, 398f. »Iwein« 84, 104, 126 Anm. 25, 162 Anm. 214, 191 Anm. 347, 191 Anm. 349, 201, 205f., 266, 362, 367, 381, 382 Anm. 523, 383f., 387, 388, 391 Anm. 571, 396 Anm. 591, 400, 406, 417 Anm. 60 Hartmann von Starkenberg 125 Hätzlerin, Klara Liederbuch 124 Anm. 13 »Die Heidin« 150 Anm. 140 »Der Heiligen Leben« 374 Anm. 484 Heinrich von Anhalt 368 Anm. 461 Heinrich von dem Türlin »Diu Crône« 125 Anm. 20, 147 Anm. 126, 149, 149 Anm. 136, 150 Anm. 140, 154, 191 Anm.-347, 327, 356 Anm. 396 Heinrich von Freiberg »Tristan«-Fortsetzung 24 Anm. 75, 31 Anm.-113, 153 Anm. 158, 238, 254 Anm. 683, 258 Anm. 702, 290 Anm. 70, 337 Anm. 299, 389, 421 Heinrich von Mügeln »Da Demophon genam« (Lied 254) 149 Heinrich von München »Weltchronik« 188 Anm. 337 Heinrich von Neustadt »Apollonius von Tyrland« 150 Anm. 140, 154 Heinrich von Veldeke 409 Anm. 28, 418 »Eneasroman« 149, 149 Anm. 136, 191 Anm.-347, 267 Anm. 755, 356 Autoren und Werke 507 »Tristran muose sunder sînen danc« (MF-58,35) 240 Anm. 597, 255 »Her filius ein pilde gos« 327 Anm. 249 Herbort von Fritzlar »Liet von Troye« 285 Anm. 46, 356 Anm. 394, 358 Anm. 408, 361 Anm. 422 Hermann von Sachsenheim »Die Mörin« 315 Anm. 188 »Des Spiegels Abenteuer« 259f. Herodot 66 Anm. 162 Herrad von Landsberg »Hortus deliciarum« 271 Anm. 781 »Herzog Ernst« 80 Anm. 229, 117 Anm. 427, 230 Anm. 543, 297 Anm. 100, 341 Anm. 318, 345 Anm. 337 Hieronymus, Sophronius Eusebius Brief 107 371 Anm. 472 »Hildebrandslied« 60 Anm. 128, 403 Pseudo-Hippokrates »Über die Kunst« (»De arte«) 214f. »Histoire de Guillaume le Maréchal« 369 Anm.-462 »Histori von Tristrant und Ysalden« siehe »Tristrant und Isalde« (Prosaroman) Homer 104, 119 »Ilias« 54 Anm. 97, 285 Anm. 43, 357 Anm.-402 »Odyssee« 67, 256 Anm. 691 Horaz (Quintus Horatius Flaccus) 113, 329 Anm.-262 »Ars poetica« 111, 124f., 272 Anm. 786 »Epistulae« 371 Anm. 472 Hue de Rotelande »Ipomedon« 281 Anm. 24 Hugo von Sankt Viktor »Didascalion« 40 Anm. 26, 102f. Hugo von Trimberg »Der Renner« 9 Anm. 3, 14 Hyginus »Fabulae« 146 Anm. 119, 285, 356 Anm. 394 »In gotes namen varen wir« 315 Isidor von Sevilla »Etymologiae« 187, 188 Anm. 337, 198 Anm.-382, 250 Anm. 658, 356 Anm. 396 Jean de Meun siehe Guillaume de Lorris / Jean de Meun Johann von Brabant 368 Anm. 461 Johann von Konstanz »Minnelehre« 356 Anm. 396 Magister Johannes »Tractatus de dictamine« 175 Johannes von Garlandia »Parisiana poetria« 369 Anm. 463 Johannes von Marmoutier 300 Johannes von Salisbury »Policraticus« 20 Anm. 59, 28 Der junge Meißner 150 Anm. 140 »Saul der den risin hette, der der krefte wielt« (Lied B,1,8) 335 Anm. 291 »Kaiserchronik« 45 Anm. 44, 226 Anm. 524 »Karlmeinet«-Kompilation 297 Anm. 101 Kaufringer, Heinrich »Die unschuldige Mörderin« 286 Anm. 52 »Der Knappe und die Frau« 259 »König Rother« 60 Anm. 129, 62 Anm. 140, 80 Anm. 229, 117 Anm. 427, 316 Anm. 192, 341 Anm. 318, 343 Anm. 328, 343 Anm. 329, 344 Anm. 335, 345 Anm. 337, 348 Anm. 362, 352f., 416 Pfaffe Konrad 301 Anm. 116 »Rolandslied« 80 Anm. 229, 86, 90, 118, 191 Anm. 347, 297-299, 301, 302 Anm. 121, 305, 306 Anm. 130, 307, 317 Anm. 196, 335 Anm.-291 Konrad von Megenberg »Buch der Natur« 80 Anm. 227 Konrad von Stoffeln »Gauriel von Muntabel« 136 Anm. 71, 386 Konrad von Würzburg 26, 26 Anm. 90, 397 Anm.-595 »Alexius« 103 Anm. 351 »Engelhard« 326 »Die Goldene Schmiede« 125 »Got gewaltec, waz du schickest« 130 Anm.-40 »Herzmære« 222 Anm. 501, 261f. »Partonopier und Meliur« 122 Anm. 6, 140 Anm. 87 »Silvester« 228 Anm. 534 »Trojanerkrieg« 122 Anm. 6, 126 Anm. 26, 126 Anm. 27, 149, 150 Anm. 140, 154, 188 Anm.-337, 242f., 285, 356 Anm. 394, 357-359 508 Register Kreuzfahrer-Bibel (New York, Morgan Library, MS M.638) 295 Anm. 97 »Kudrun« 341 Anm. 318, 352 Anm. 375, 353 Anm. 380, 372 Anm. 474, 374 Anm. 484 »Lai de Graelant« 147, 151 »Lai de Guirun« 147, 151 Laktanz (Lucius Caecilius Firmianus Lactantius) »Divinae institutiones« 41 Anm. 30 Lambert von Ardres »Historia comitum Ghisnensium« 92, 93 Anm. 291, 369 Anm. 463, 385 Anm. 534 »Lancelot en prose« 54 Anm. 99 »Laurin« 372 Anm. 474 Archipresbyter Leo »Historia Alexandri Magni« 412 Anm. 32 Lukan (Marcus Annaeus Lucanus) 203 Anm. 408 Lukrez (Titus Lucretius Carus) »De rerum natura« 354 Anm. 385 Luther, Martin »De servo arbitrio« / »Daß der freie Wille nichts sei« 66 Anm. 163 »Mai und Beaflor« 126 Anm. 25 »Malagis« 299f. Malory, Thomas »Le Morte Darthur« 238, 387 Mann, Thomas »Der Erwählte« 47f., 398 Anm. 597, 399f. »Tod in Venedig« 230 Anm. 543 Marbod von Rennes »Liber de ornamentis verborum« 175 Marie de France 162 Anm. 217 »Lai du Fresne« 281 Anm. 25 »Lai de Guigemar« 231 Anm. 548 »Lanval« 136 Anm. 72 Der Marner »Ave, dů liehter hymmel van« (Meisterlied 11) 307 Anm. 133 »Gůt wahter wis« (Lied 2) 359 Anm. 415 Martial (Marcus Valerius Martialis) »Epigrammata« 354 Anm. 385 Martin, George R.R. »A Song of Ice and Fire« 306 Matthaeus Parisiensis 284 Anm. 40 Matthäus von Vendôme 57 »Ars versificatoria« 22, 58, 113f., 220 Anm.-491, 250 Anm. 658, 354 Anm. 385, 360 Anm. 418 »Piramus et Thisbe« 148 Anm. 127, 153 Anm.-157 »Mauritius von Craûn« 382 Anm. 523 »Minne und Gesellschaft« 258 Anm. 702, 260f. »Die Minneburg« 122 Anm. 6 »Des Mönches Not« 104, 374 Anm. 484 Moritz, Karl Philipp »Anton Reiser« 51 Die Nachtigall von Hagenau 409 Anm. 28 »Nibelungenlied« 61 Anm. 136, 75f., 79, 341 Anm. 318, 345 Anm. 337, 370f., 371 Anm. 471, 372 Anm. 474, 384, 388 Anm. 553 »Niederfränkischer Tristan« 389 Anm. 562 Notker III. von Sankt Gallen »Die Hochzeit der Philologie und des Merkur« 180 Anm. 297 »Orendel« 341 Anm. 318, 345 Anm. 337, 352 Anm. 375 Origenes »De principiis« 65 »In Leviticum homiliae« 210f. »Ortnit« 316 Anm. 192, 341 Anm. 318, 344 Anm.-335, 345 Anm. 337, 352 Anm. 375, 353 »Oswald« 341 Anm. 318 »Münchner Oswald« 316 Anm. 192, 330 Anm.-272 »Wiener Oswald« 345 Anm. 337 Oswald von Wolkenstein 91 Anm. 280 Otfrid von Weißenburg »Evangelienbuch« 92 Otte »Eraclius« 174 Anm. 267 Ottokar von Steiermark »Steirische Reimchronik« 14 Anm. 21 Ovid (Publius Ovidius Naso) 56 Anm. 108, 146 Anm. 119, 148, 166, 246, 383, 403, 405, 408 »Heroides« 148 Anm. 127, 152 Anm. 149, 354 Anm. 385, 356 Anm. 394, 358, 358 Anm. 403, 358 Anm. 408, 361 Anm. 422 »Metamorphosen« 58, 148, 150 Anm. 142, 153 Anm. 158, 157 Anm. 185 »Remedia amoris« 166 Paulus 210 Anm. 437 Petrarca, Francesco 201 Anm. 398 Petrus Abaelardus 55 Anm. 105 Autoren und Werke 509 »Expositio in Hexameron« 324 Anm. 233 Petrus Cantor »Verbum adbreviatum« 335 Anm. 291 Petrus Lombardus »Collectanea in epistolam ad Romanos« 335 Anm. 291 »Commentarium in Psalmus 143« 335 Anm.-291 Petrus von Blois Brief 94 381 Anm. 518 »Liber de confessione sacramentalis« 9, 11, 23, 385 Anm. 535 Pius XI. (Achille Ambrogio Damiano Ratti) »Mit brennender Sorge« 224 Anm. 512 Platon 20 Anm. 59, 40 Anm. 26 »Ion« 104 »Phaidros« 210 Der Pleier »Garel von dem blühenden Tal« 335 Anm.-291, 386 Anm. 542 »Meleranz« 147 Anm. 126 Plotin 20 Anm. 59 Properz (Sextus Aurelius Propertius) »Elegiae« 354 Anm. 385 Prosa-»Lancelot« 140 Anm. 87 Prosa-»Tristrant« siehe »Tristrant und Isalde« (Prosaroman) Prudentius (Aurelius Prudentius Clemens) »Psychomachie« 318 Anm. 202 »Tituli historiarium« 335 Anm. 291 Quintilian (Marcus Fabius Quintilianus) »Institutio oratoria« 166 Anm. 230, 308 Anm.-138 »Rabbi Jochanan« 181 Anm. 298 Raimbaut d’Orange »Non chant per auzel ni per flor« 240 Anm.-597 Regenbogen 125 Anm. 19 »Reinfried von Braunschweig« 149, 149 Anm.-136, 150 Anm. 140, 299, 302 Anm. 121, 303 Anm. 123, 305, 306, 308, 335 Anm. 291, 359 Anm. 415 Reinmar der Alte 363 Anm. 437 Reinmar von Zweter »Tristram der leit vil grôze nôt« (Lied 25) 240 Anm. 597 Renaut de Beaujeu »Lai d’Ignaure« 94 Anm. 295 Rezept für einen Liebestrank (Hattem, Bibliotheek van de Stichting Oud-Hattem, Hs. C 5) 254 Anm. 683 »Rheinfränkische Marien Himmelfahrt« 369 Anm. 462 »Rhetorica ad Herennium« 57f., 174f., 182 Anm.-303, 185 Anm. 325, 187 Anm. 334 »Richeut« 291 Anm. 73 Bruder Robert »Tristrams saga ok Ísondar« 30 Anm. 107, 31, 67 Anm. 164, 129 Anm. 36, 135 Anm. 67, 146 Anm. 119, 147 Anm. 126, 154 Anm. 158, 157, 172 Anm. 258, 183 Anm. 312, 231, 231 Anm. 549, 231 Anm. 550, 233 Anm. 562, 247 Anm. 645, 263 Anm. 729, 270 Anm. 774, 278 Anm. 16, 279, 290 Anm. 71, 292 Anm. 79, 302 Anm. 121, 303 Anm. 123, 304, 307, 309 Anm. 146, 320 Anm. 211, 324 Anm. 234, 331 Anm. 274, 332 Anm. 280, 337 Anm. 301, 338, 347, 350 Anm. 365, 350f., 366 Anm. 452, 376 Anm. 492, 377 Anm. 494, 378, 389 Anm. 563, 390 Anm. 567, 391 Anm. 569 »Roman de Flamenca« 149 Anm. 134, 301 Anm.-117 »Roman de Renart« 359 Anm. 415, 385 Anm. 535 »Roman d’Eneas« 149 Rothe, Johannes »Thüringische Weltchronik« 390 Anm. 568 Rudolf von Ems »Alexander« 14, 126 Anm. 27, 197 Anm. 379, 374 Anm. 484, 382 Anm. 523 »Barlaam und Josaphat« 67 Anm. 165 »Weltchronik« 295 Anm. 97, 335 Anm. 291 »Willehalm von Orlens« 375 Anm. 485 Rupert von Deutz »Commentariorum in Genesim libri novem« 127 Anm. 31 Sachs, Hans »Die kaiserin mit dem leben pild« 327 Anm.-249 »Sächsische Weltchronik« 191 Anm. 349 »Salman und Morolf« 341 Anm. 318, 345 Anm.-337 510 Register Sankt Georgener Prediger Predigt 57 375 Anm. 488 Saxo Grammaticus »Gesta Danorum« 300 Anm. 115 Schnitzler, Arthur 16 »Schwabenspiegel« 375 Seneca, Lucius Annaeus »De providentia« 246 Anm. 637 »Epistulae morales« 245f. Servius (Maurus Servius Honoratus) »Aeneis«-Kommentar 354 Anm. 385 Sextus Amarcius »Sermones« 301 Anm. 117 Simon Aurea Capra »Ylias« 285 »Sir Tristrem« 30 Anm. 107, 31, 67 Anm. 164, 135 Anm. 67, 172 Anm. 258, 183 Anm. 312, 231, 263 Anm. 729, 270 Anm. 774, 279 Anm. 20, 307, 309 Anm. 142, 324 Anm. 234, 331 Anm. 274, 332 Anm. 280, 337 Anm. 301, 338 Anm. 305, 350 Anm. 368, 366 Anm. 452, 376 Anm. 492, 377 Anm. 494, 378 Anm. 502, 389 Anm. 563 Snorri Sturluson »Snorra Edda« 153 Anm. 154 Sophokles 285 Anm. 43 »Antigone« 322 Anm. 226 »Speculum humanae salvationis« 307 Anm. 131 »Straßburger Alexander« 117 Anm. 427 Straßburger Stadtrecht 322 Anm. 226 Der Stricker 272 Anm. 783 »Daniel von dem blühenden Tal« 371, 401 Anm. 613 »Das heiße Eisen« 323 Anm. 229, 325 Anm.-238 »Karl« 188 Anm. 337, 284 Anm. 41, 297 Anm.-101, 299 Anm. 106, 335 Anm. 291 Stundenbuch des Gian Galeazzo Visconti 310 Anm. 150 Stuttgarter Psalter 295 Anm. 97 Sulpicius Severus »Vita sancti Martini« 370 Anm. 465 Der Tannhäuser 150 Anm. 140 »La tavola ritonda« 327 Terenz (Publius Terentius Afer) 28 »Thidrekssaga« 76 Anm. 212, 341 Anm. 318 Thietmar von Merseburg »Chronicon« 224 Thomas von Aquin »In Aristotelis Physicorum« 235 Anm. 575 »Summa contra gentiles« 65, 216f., 226, 280 Anm. 23 »Summa theologiae« 42 Thomas von Cantimpré »Liber de natura rerum« 80 Anm. 227 Thomas von England (von Britannien, d’Angleterre) 30, 198, 203 »Tristran« 30 Anm. 107, 30f., 93, 127 Anm.-29, 128f., 135 Anm. 67, 146 Anm. 119, 147, 151, 153 Anm. 158, 156, 157, 159, 161 Anm. 207, 162 Anm. 213, 166, 168f., 170 Anm. 253, 172 Anm. 258, 183-185, 195, 197 Anm. 379, 197f., 199 Anm. 386, 202, 205 Anm. 414, 213 Anm. 452, 217 Anm. 473, 230 Anm. 542, 230 Anm. 544, 231 Anm. 550, 232 Anm.-555, 243 Anm. 616, 244 Anm. 627, 245, 256 Anm.-691, 263 Anm. 729, 270 Anm. 774, 276 Anm.-5, 277 Anm. 13, 278, 279, 280 Anm.-23, 282 Anm. 31, 287 Anm. 56, 290-292, 307 Anm.-134, 321 Anm. 224, 327 Anm. 251, 331 Anm. 274, 332 Anm. 280, 338 Anm. 305, 338 Anm. 306, 366 Anm. 452, 377 Anm. 494, 389f., 392, 394 Anm. 583, 395 Anm. 587, 396 Anm. 589, 403f., 407, 415 Anm. 48 Thomasin von Zerklære »Der Welsche Gast« 9-11, 17 Anm. 35, 21f., 23, 27, 80 Anm. 227, 174 Anm. 267, 180 Anm. 297, 191 Anm. 347, 382 Anm. 525, 407 Transmund von Clairvaux »Introductionis dictandi« 175 »Trioedd Ynys Prydein« siehe »Drei mächtige Schweinehirten« »Tristan als Mönch« 137 Anm. 78, 337 Anm. 299 »Tristan en prose« 238, 338 Anm. 305, 389 »Tristrant und Isalde« (Prosaroman) 31 Anm.-113, 202 Anm. 401, 213 Anm. 451, 230 Anm. 545, 237f., 239, 276 Anm. 5, 301 Anm.-117, 378 Anm. 501, 383 Uhland, Ludwig »Der blinde König« 300 Anm. 115 »Ulenspiegel« siehe »Eulenspiegel« Ulrich von Etzenbach »Alexander« 188 Anm. 337, 335 Anm. 291 Ulrich von Türheim Autoren und Werke 511 »Tristan«-Fortsetzung 24 Anm. 75, 25 Anm.-86, 31 Anm. 113, 69, 137 Anm. 78, 153 Anm. 158, 258 Anm. 702, 290 Anm. 70, 389 Anm. 561 Ulrich von Zatzikhoven »Lanzelet« 105 Anm. 365, 106 Anm. 369, 191 Anm. 347, 327, 372 Anm. 474, 386 Vergil (Publius Vergilius Maro) 201 Anm. 398, 327 »Aeneis« 67, 354 Anm. 385, 358 Anm. 408 »Vie du pape saint Grégoire« 230 Anm. 544, 232 Anm. 555 Vinzenz von Beauvais »Speculum naturale« 80 Anm. 227 »Vita sanctae Cunegundis« 325 Anm. 238 »Vita Theoderici abbatis Andaginensis« 367, 370, 374 »Vitae Offarum Duorum« 284 »Vocabularius Ex quo« 235 Anm. 575 »Völsunga saga« 153 Anm. 154 »Von der Stampeney« 209 Anm. 436 »Von einem pild zw Rom das den Eeprecherin die vinger ab payzz« 327 Anm. 249 »Von filius pilde zu Rome dar ynn man swůr« 327 Anm. 249 »Von Pyramo und Thisbe, den zwein lieben geschach vil wê« 150, 153 Anm. 158 Wace »Roman de Brut« 194 Anm. 362, 195, 244 Anm. 627, 332 Anm. 280, 389 Anm. 563, 390 »Walisische Triaden« siehe »Drei mächtige Schweinehirten« »Waltharius« 165 Anm. 225 Walther von der Vogelweide 244, 363 Anm. 437, 409 Anm. 28 »Die mir in dem winter vröide hânt benomen« (L 73,23) 165 Anm. 225 »Uns hât der winter geschadet über al« (L-39,1) 263 Anm. 732 »Vil wundern wol gemaht wîp« (L 53,25) 130 Anm. 43 »Der Weinschwelg« 147 Anm. 126, 149 Anm.-136, 150 Anm. 140, 209 Anm. 436, 356 Anm. 393 Weise, Christian »Ungleich und gleich gepaarte Liebes-Alliance« 271 Anm. 781 Bruder Wernher »Nû schouwet an den sumer guot, wie er al der werlde vreude gît« (Lied 18) 130 Anm.-40 Wernher der Gärtner »Helmbrecht« 356 Wernher der Schweizer »Marienleben« 173 Anm. 261 Wickram, Georg »Metamorphosen«-Übersetzung 149 Anm.-130 »Wiener Genesis« 130 Anm. 40 »Wigamur« 353 Anm. 379 Wilhelm Peraldus »Summa de virtutibus« 280 Anm. 23 Wilhelm von Conches 324 Anm. 233 »De philosophia mundi« 375 Anm. 485 »Glosae super Platonem« 40 Anm. 26, 421 Anm. 76 Wilhelm von Poitou 258 Anm. 700 »Winsbecke« 382 Anm. 523 Wirnt von Grafenberg »Wigalois« 124 Anm. 14, 126 Anm. 27, 194 Anm. 361, 201, 219 Anm. 487, 327, 382 Anm.-523, 417 Anm. 60 »Wîs und Râmîn« 133 »Wolfdietrich« 341 Anm. 318, 372 Anm. 474 Wolfram von Eschenbach 62, 127 Anm. 31, 128 Anm. 34, 198 Anm. 382, 363 Anm. 437, 418 »Den morgenblic« (MF 3,1) 128 »Parzival« 21 Anm. 63, 46, 75, 81f., 91 Anm.-282, 107, 108 Anm. 379, 119, 139 Anm.-82, 140 Anm. 90, 149 Anm. 136, 160 Anm. 201, 177 Anm. 287, 191 Anm. 349, 195 Anm. 365, 234, 263 Anm. 732, 303 Anm. 125, 312 Anm. 169, 386, 413-415, 417, 419 Anm.-66 »Titurel« 271 Anm. 782 »Willehalm« 48 Anm. 66, 259 Anm. 707, 417 Anm. 60 Wrmonoc »Vita des hl. Paulus Aurelianus« 194 Anm.-363 Zola, Émile 83 Anm. 237 512 Register Erzähltypen und Motive Aufgenommen sind literarische Motive und Erzähltypen, die im Register von Thompson 1955- 1958 (Mot.) beziehungsweise Uther 2011 (ATU) aufgeführt sind. Erzähltypen ATU 300 ›The dragon-slayer‹ 295 Anm. 93 ATU 403 ›The black and the white bride‹ 286 Anm. 48, 287 Anm. 58 ATU 403C ›The substituted bride‹ 286 Anm. 48 ATU 404 ›The blinded bride‹ 286 Anm. 48 ATU 408 ›The three oranges‹ 286 Anm. 48 ATU 450 ›Little brother and little sister‹ 286 Anm. 48 ATU 531 ›The clever horse‹ 172 Anm. 260, 181 Anm. 298, 287-Anm. 59 ATU 533 ›The speaking horsehead‹ 286 Anm. 48 ATU 671 ›The three languages‹ 284 Anm. 39 ATU 709 ›Snow White‹ 284 Anm. 39 ATU 870 ›The princess confined in the mound‹ 286 Anm. 49 ATU 883A ›The innocent slandered maiden‹ 284 Anm. 39 ATU 885 ›The facetious wedding‹ 97 Anm. 318 ATU 894 ›The goulish schoolmaster and the stone of pity‹ 286 Anm. 48 ATU 920 ›The son of the king and the son of the smith‹ 284 Anm. 39 ATU 973 ›Man as sacrifice to the storm‹ 67 Anm. 166 ATU 992 ›The eaten heart‹ 94 Anm. 295 ATU 1418 ›The equivocal oath‹ 327 Anm. 247 Erzähltypen und Motive 513 Motive Mot. H 105.1 ›Dragon-tongue proof‹ 299 Anm. 110 Mot. H 105.1.1 ›False dragon-head proof‹ 299 Anm. 110 Mot. H 911 ›Task assigned at suggestion of jealous rivals‹ 172 Anm. 259, 172 Anm. 260 Mot. H 1213.1 ›Quest for princess caused by sight of one of her hairs dropped by a bird (or floating on river)‹ 181 Anm. 298 Mot. K 512 ›Compassionate executioner‹ 284 Anm. 39 Mot. K 512.2 ›Compassionate executioner: substituted heart‹ 284 Anm. 39 Mot. K 1371.1 ›Lover steals bride from wedding with unwelcome suitor‹ 97 Anm. 318 Mot. K 1513 ›The wife’s equivocal oath‹ 327 Anm. 247 Mot. K 1911 ›The false bride (substituted bride)‹ 285 Anm. 47 Mot. L 100 ›Unpromising hero (heroine)‹ 303 Anm. 123 Mot. L 311 ›Weak (small) hero overcomes large fighter‹ 97 Anm. 318, 297 Anm. 99, 303 Anm. 125 Mot. R 111.1 ›Princess (maiden) rescued from captor‹ 97 Mot. S 264.1 ›Man thrown overboard to placate storm‹ 67 Anm. 166 Mot. Z 65.1 ›Red as blood, white as snow‹ 46 Anm. 53 Trotz ihrer unbestrittenen Bedeutung bildeten literarische Figuren lange eine Leerstelle der mediävistischen Erzählforschung. Am Beispiel des »Tristan« Gottfrieds von Straßburg unternimmt es die vorliegende Untersuchung, Antworten auf bislang ungeklärte Fragen in diesem Bereich zu finden. Dafür werden zunächst zentrale narratologische Kategorien - die Handlungsmotivation, die Frage des Rezipientenwissens, das Verhältnis von Typik und Individualität - diskutiert, um anschließend in exemplarischen Analysen des Romans hermeneutisch fruchtbar gemacht zu werden. Die Lektüren arbeiten heraus, wie sich die vermeintliche Lebenswirklichkeit der Figuren zu ihrer artifiziellen Inszenierung verhält, und bieten damit neben einem Beitrag zur Historischen Narratologie zugleich neue Interpretationsansätze für Gottfrieds Text. ISBN 978-3-7720-8707-3 Möllenbrink Person und Artefakt BIBL. GERM. 72 Linus Möllenbrink Person und Artefakt Zur Figurenkonzeption im »Tristan« Gottfrieds von Straßburg 38707_Umschlag.indd 2-3 38707_Umschlag.indd 2-3 16.10.2020 14: 51: 11 16.10.2020 14: 51: 11