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Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien

2020
978-3-7720-5742-7
A. Francke Verlag 
Matthias Klinghardt

Die Studie beschreibt den Ursprung und den Weg der Evangelientradition vom Anfang bis zum kanonischen Vier-Evangelienbuch. Sie legt dar, dass das marcionitische Evangelium das älteste Evangelium ist, das von allen kanonischen Evangelien benutzt und bearbeitet wurde. Die Folge dieser sehr genau begründeten These ist ein neues Bild von der Entstehung der Evangelien. Es unterscheidet sich grundlegend von allen anderen Modellen (z.B. der Zwei-Quellentheorie) - mit weitreichenden Konsequenzen für viele wichtige Bereiche der neutestamentlichen Wissenschaft. Die erste Auflage hatte eine intensive Diskussion ausgelöst. Diese ist in der überarbeiteten und erweiterten Neuauflage berücksichtigt worden und hat zu vielen verbesserten Rekonstruktionsentscheidungen geführt. Ein ausführliches Nachwort setzt sich kritisch mit Einwänden und der neueren Forschung auseinander.

Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien Band 1 und 2 T A N Z TEXTE UND ARBEITEN ZUM NEUTESTAMENTLICHEN ZEITALTER 60/ 1 und 2 herausgegeben von Matthias Klinghardt, Günter Röhser, Stefan Schreiber und Manuel Vogel Matthias Klinghardt Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien Band I: Untersuchung 2., überarbeitete und erweiterte Auflage Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb. dnb.de abrufbar © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0939-5199 ISBN 978-3-7720-8737-0 (Print) ISBN 978-3-7720-5737-3 (ePDF) ISBN 978-3-7720-0125-3 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Aus dem Vorwort zur 1. Auflage »Wir sind wie Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen, so dass wir mehr und weiter als sie sehen können - allerdings nicht vermöge der eigenen Sehschärfe oder Körpergröße, sondern weil wir durch die riesenhafte Größe in die Höhe emporgehoben und erhöht werden.« 1 Ein älterer Kollege gab mir vor etlichen Jahren dieses Wort Bernhards von Chartres als freundliche Mahnung zu Bescheidenheit und Respekt mit auf den wissenschaftlichen Weg. Dass die eigene wissenschaftliche Erkenntnis immer auf dem Wissen unserer Vorgänger aufruht, erschien mir damals so selbstverständlich, dass ich Bernhards Diktum bald vergessen hatte. Erst die Arbeit an der vorliegenden Untersuchung hat es wieder in Erinnerung gerufen. Denn ihr Gegenstand, die Entstehung der neutestamentlichen Evangelienüberlieferung, reicht weit in die Forschungsgeschichte zurück und erfordert in zentralen Fragen die Auseinandersetzung mit Positionen, die bereits vor rund 150 Jahren entwickelt wurden und bis heute weithin in Geltung stehen. Sie haben schon seit langer Zeit eine magnitudo gigantea erreicht. Aber zunehmende Zweifel an den methodischen Grundentscheidungen und den zentralen Ergebnissen dieser Forschungsperiode machten die Frage unabweisbar: Was, wenn die Riesen der neutestamentlichen Wissenschaft des 19. und 20. Jh. schon seit geraumer Zeit in eine falsche Richtung gegangen waren? Der Verdacht gegenüber der Richtigkeit des eingeschlagenen Weges ließ es nicht geraten erscheinen, sich auf den Riesenschultern noch ein kleines Stück weiter in die Höhe zu recken, ut possimus plura eis et remotiora videre. Es war vielmehr geboten, die durchaus komfortable Huckepackposition in umeris gigantum zu verlassen, um auf den eigenen Beinen selbst nach dem richtigen Weg zu suchen. Diese Suche erwies sich als mühsames Geschäft. Dass die eigenen Schritte nach den Riesen-Fortschritten früherer Generationen oft entmutigend zwergenhaft wirkten, war dabei das geringste Problem. Aber die Notwendigkeit, einen eigenen ______________________________ 1 Johannes von Salisbury, Metalogic. III 4 (ed. J. A. G ILES , Oxford 1848, 131): Dicebat Bernardus Carnotensis nos esse quasi nanos gigantum umeris insidentes, ut possimus plura eis et remotiora videre, non utique proprii visus acumine, aut eminentia corporis, sed quia in altum subvehimur et extollimur magnitudine gigantea. - Anmerkung: Dieses Zitat Bernhards war etwa gleichzeitig mit der ersten Aufl. in einem ganz ähnlichen Zusammenhang erschienen: John Kloppenborg hatte es als Motto der Sammlung seiner Studien zum Synoptischen Problem vorangestellt (J. S. K LOPPENBORG , Synoptic Problems, Tübingen 2014, v). Das Zitat ist Teil der Widmung, die dem Gedächtnis »dreier Riesen der Synoptikerforschung« gilt: William R. Farmer, Michael D. Goulder und Frans Neirynck. Aufgrund seiner eigenen Beiträge zum Synoptischen Problem ist es keine Frage, dass Kloppenborg selbst als vierter in diese Reihe gehört. VI Vorwort Weg durch das unübersichtliche Gestrüpp der Literar-, Redaktions- und Textgeschichte bahnen zu müssen, war eine qualitativ neue Erfahrung. Dabei lag die Herausforderung nicht nur in der Heterogenität des Materials und der schier unübersehbaren Datenmenge, die zu berücksichtigen war. Es stellte sich vor allem als unumgänglich heraus, diese häufig getrennt behandelten Bereiche gleichzeitig ins Auge zu fassen und in einem integralen Modell zu erklären: Dies erfordert eine erhebliche Akkomodation des proprii visus acumen. Andererseits hat sich das häufig tastende Gehen als ebenso unersetzlich wie fruchtbar erwiesen: Aus der Bodenperspektive stellt sich das Terrain in vielen Fällen anders dar als aus der gewohnten Schulterposition. Am vorläufigen Ende des Weges bin ich der zuversichtlichen Überzeugung, dass die veränderte Blickrichtung nicht nur Anderes, sondern tatsächlich plura et remotiora zu erkennen gibt. Der hier dargelegte Vorschlag zur Entstehung und zum Verlauf der neutestamentlichen Evangelienüberlieferung ist kaum mehr als eine erste kartographische Skizze. Sie enthält nicht nur etliche unsichere Urteile, die man mit Gründen auch anders fällen könnte, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit auch manche Fehler und Versehen. Beides wird Korrekturen, vielleicht auch Modifikationen erfordern. Davon unberührt bleibt aber die grundlegende Frage, ob die veränderte Blickrichtung in der Lage ist, die Überlieferungsgeschichte der Evangelien mit ihren ineinander verschränkten Fragen der Text-, Literar- und Redaktionskritik plausibler zu erklären, als dies bisher der Fall war: Ob der hier vorgeschlagene Weg auch für andere gangbar ist, muss die zukünftige Diskussion erweisen. Viele haben bei der Erstellung dieser Skizze geholfen, allen voran die geduldigen und kritischen Gesprächspartner. Besonderer Dank gebührt David Trobisch (Springfield, MO - Nussloch), Ulrich B. Schmid (Birmingham - Wuppertal), Joseph B. Tyson (Dallas), Günter Röhser (Bonn) und Markus Vinzent (London - Erfurt): Ihre Einsichten und Einwände waren auch dann hilfreich, wenn wir über Ziel und Richtung uneins waren. Im Lauf der letzten Jahre konnte ich mich auf die Hilfe einer ganzen Reihe fleißiger Helferinnen und Helfer stützen: Mein Dank für ihre zuverlässige Mitarbeit gilt Claudia Ritschel, Marie-Luise Schmidt, Ivonne Rösler und Tobias Flemming. Am Ende haben sich Oliver John, Adriana Zimmermann und Jan Heilmann große Verdienste um die Korrekturen erworben. Ich danke ihnen allen, dass sie nicht nur die Aufregungen der Entdeckungen, sondern auch die Mühen der Ebene mit mir geteilt haben. Vorwort VII Vorwort zur 2. Auflage Wissenschaft ruht nicht, schon gar nicht in dynamischen, sich rasch verändernden Forschungsfeldern. Aus diesem Grund lege ich eine überarbeitete und erweiterte Neuauflage dieses Buches vor. Die Veränderungen gegenüber der ersten Auflage betreffen mehrere Aspekte. Zum ersten musste eine erhebliche Zahl von Fehlern und Versehen korrigiert werden; sie waren in einem unvertretbaren Ausmaß stehen geblieben und hatten teilweise sogar zu Irritationen geführt. Obwohl zahlreiche Versehen korrigiert und unzählige Details (vor allem im Bereich der textkritischen Daten) überprüft wurden, hege ich die Befürchtung, dass immer noch Ungenauigkeiten stehen geblieben sind; hier kann ich die geneigten Leser nur um Nachsicht bitten. Neben der Fehlerkorrektur waren auch zahlreiche sachliche Anpassungen nötig. Von Beginn an hatte ich damit gerechnet, dass manche Rekonstruktionsentscheidungen revidiert werden müssten. Ich hatte dabei vor allem an diejenigen Fälle gedacht, in denen die Rekonstruktion unsicher blieb, weil sie auf ambivalenten oder widersprüchlichen Bezeugungen beruhte. Dieser Verdacht hat sich erhärtet, und ich habe etliche Rekonstruktionsentscheidungen revidiert. In einigen Fällen hatte ich meine eigenen methodischen Prinzipien nicht konsequent angewandt (vgl. beispielsweise die Rekonstruktion zu *9,22 oder zu *11,2), in anderen habe ich von Kritikern und Kollegen gelernt und ihre besseren Vorschläge dankbar aufgegriffen. So hat beispielsweise die Berücksichtung zusätzlicher häresiologischer Quellen die Rekonstruktion verbessert (vgl. etwa zu *9,60), an anderer Stelle hat die genauere Interpretation der Quellen zu einer Präzisierung der Argumentation geführt (z. B. zu *22,19), und schließlich haben mich Einwände von Kritikern auch dazu veranlasst, an einer wichtigen Stelle den methodischen Zugriff zu präzisieren (vgl. u. S. 451f). Im übrigen hat mich die Lektüre der Arbeiten anderer auf ein peinliches Versehen aufmerksam gemacht, das hier korrigiert werden soll: Dem eigenen, besseren Wissen zum Trotz hatte ich nicht berücksichtigt, dass das marcionitische Evangelium einen Titel trägt. Zur Bezeichnung dieses Textes sollte konsequenterweise dieser Titel benutzt werden, nicht aber die künstliche Bezeichnung, die ich ursprünglich verwendet hatte. Die Änderung der Bezeichnung, die sich aus dieser Einsicht ergibt, hat zwar keinen Einfluss auf die Substanz der Argumentation oder auf den rekonstruierten Text, aber sie ist doch geeignet, die Wahrnehmung des Ganzen zu verändern (vgl. dazu ausführlicher unten S. 26ff). Zusätzlich zu diesen Korrekturen, Ergänzungen und Änderungen bin ich zu der Überzeugung gelangt, am Ende auch auf die Einwände der Kritiker reagieren VIII Vorwort zu sollen. Dazu hat mich vor allem der Umstand veranlasst, dass das wissenschaftliche Interesse an den hier verhandelten Fragen sehr viel größer war, als ich bei Beginn meiner Arbeit annehmen konnte: Im vergangenen Jahrzehnt hat das Marcionitische Evangelium ein erstaunlich großes Interesse auf sich gezogen und mehrere Forscher beschäftigt. Die meisten haben gleichzeitig und unabhängig voneinander gearbeitet, zumindest ohne eine genauere Kenntnis der methodischen Zugänge und Lösungen der anderen zu haben. Dabei wurden teilweise identische Fragestellungen von verschiedener Seite behandelt - in diesem Ausmaß eine forschungsgeschichtliche Rarität. Knapp 100 Jahre nach Harnacks Marcion-Buch sind auf diese Weise fast gleichzeitig drei verschiedene Rekonstruktionen des Marcionitischen Evangeliums erschienen. Allerdings weichen ihre Ergebnisse auf verstörende Weise voneinander ab. Mehr noch als die ungezählten Unterschiede bei einzelnen Rekonstruktionsentscheidungen irritiert dabei die tiefgreifende methodische Divergenz: Die Inkompatibilität der jeweiligen Voraussetzungen macht einen Vergleich dieser Rekonstruktionen fast unmöglich und behindert eine fruchtbare Diskussion in diesem komplexen und wichtigen Forschungsfeld. Aus diesem Grund habe ich darauf verzichtet, die abweichenden Rekonstruktionen von Fall zu Fall aufzuführen oder gar zu diskutieren; eine endlose Kette von Abgrenzungsmarkierungen hätte den Text unlesbar gemacht, ohne zusätzliche Erkenntnisse zu generieren. Statt dessen schien es mir sinnvoller, die grundlegenden (oft nur stillschweigend implizierten) methodischen Unterschiede aufzudecken und zu analysieren. Ich hoffe, dass dies dem Interesse der Leser entgegenkommt und dazu hilft, die wirklich kritischen Probleme in den Fokus der Diskussion zu rücken. Diese Diskussion voranzubringen ist meine Absicht. Aus diesem Grund danke ich allen Gesprächspartnern und Kritikern. Viele haben die hier vorgelegte Lösung begleitet, unterstützt, durch eigene Beobachtungen ergänzt, aber auch in Frage gestellt. In Dresden waren für mich die kritischen Einwände von Nathanael Lüke, Jan Heilmann und Kevin Künzl von unschätzbarem Wert. Viele andere, die ich nicht einzeln aufführen kann, haben mir durch ihre mündlichen und schriftlichen Reaktionen sehr geholfen. Ich bin ihnen allen für ihre Hinweise und Einwände sehr dankbar. In diesen Dank beziehe ich ausdrücklich auch diejenigen Kritiker mit ein, deren Einwänden ich meinte nicht folgen zu können: Sie alle haben mich genötigt, meine Argumentation zu überdenken und, wenn nötig, sie zu schärfen oder zu korrigieren. Dresden, im Oktober 2020 M. K. Inhalt Bd. I: Untersuchung Aus dem Vorwort zur 1. Auflage .............................................................................................. V Vorwort zur 2. Auflage ............................................................................................................ VII I. Fragestellung und Thema ............................................................................................... 1 § 1 Evangelienforschung im 19. Jh. ....................................................................................... 3 1. Der Diskurs über das Synoptische Problem .............................................................. 4 2. Der Diskurs über Lk und das marcionitische Evangelium .................................... 13 § 2 Fragestellung und These ................................................................................................... 20 1. Einige Ergebnisse und offene Fragen ........................................................................ 20 2. Thesen und Anlage der Untersuchung ..................................................................... 24 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche ................... 31 § 3 Die Bezeugung von *Ev durch die Häresiologen .......................................................... 33 1. Die Struktur der Vorwürfe gegen Marcion ............................................................ 33 2. Die Hauptzeugen für *Ev ............................................................................................ 46 3. Das methodische Problem der widersprüchlichen Bezeugungen ........................ 62 § 4 Umfang und Sprache des marcionitischen Evangeliums ........................................... 68 1. Nicht-lk Texte in Tertullians *Ev-Exemplar? .......................................................... 68 2. Die Sprache von Tertullians *Ev-Exemplar ............................................................. 74 § 5 Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung ......................................... 79 1. Die These eines Einflusses von *Ev auf den »Westlichen Text« ........................... 80 2. *Ev und der Text des ältesten, vorkanonischen Evangeliums ............................... 85 3. Zum Verhältnis von Überlieferungs- und Textgeschichte: Schlussfolgerungen ....................................................................................................... 102 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk ................................................ 125 § 6 Die Aporien der Lk-Priorität ....................................................................................... 127 1. Die Inkonsistenz der angeblichen Redaktion Marcions ..................................... 127 2. Der Umfang von *Ev und die »Überschüsse« in *Ev .......................................... 134 3. *Ev und das Problem des Kanons .......................................................................... 144 4. Der Ausweg aus den Aporien: Die *Ev-Priorität ................................................. 147 § 7 Der Anfang von *Ev und seine lk Bearbeitung ......................................................... 154 1. Der Anfang von *Ev: Bezeugung und literarische Struktur ............................... 154 2. Das redaktionelle Profil des Lk-Prologs (Lk 1,1-4) .............................................. 161 3. Die lk Redaktion der Nazarethperikope (Lk 4,16-30) ......................................... 173 X Inhalt § 8 Das Ende von *Ev: Tradition und Redaktion in Lk 24 ............................................ 177 1. Bezeugung .................................................................................................................. 177 2. Das redaktionelle Konzept von Lk 24 .................................................................... 179 § 9 Die *Ev-Priorität: Ergebnisse und weitere Fragen ................................................... 190 IV. Vom ältesten Evangelium zum kanonischen Vier-Evangelienbuch: Eine überlieferungsgeschichtliche Skizze ........................................................................ 197 § 10 *Ev und die Überlieferung der kanonischen Evangelien ........................................ 199 1. Offene Fragen zur Überlieferungsgeschichte der Evangelien ............................ 199 2. *Ev im Horizont der kanonischen Evangelien: Eine Arbeitshypothese ........... 206 § 11 Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk ................................................... 212 1. Auf dem Weg nach Jerusalem: *9,51-19,28 und Mk 8,(22-26)27-10,52 ........... 213 2. Mk 6,45-8,26: »Große Auslassung« oder »Große Ergänzung«? ........................ 221 3. Die »Mk-Q Overlaps«: Mk 9,41-10,12 und die Entsprechungen in *Ev .......... 233 4. Die *Ev-Priorität vor Mk: Anfang und Ende des Evangeliums ......................... 245 § 12 Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev .......................................... 253 1. Methodische Grundfragen ...................................................................................... 253 2. Die mt-lk »Minor Agreements« .............................................................................. 255 3. Die Redaktion des Materials der Doppelüberlieferung bei Mt und Lk ............ 267 4. Die Komposition der mt Vorgeschichte: Eine Problemanzeige ........................ 280 § 13 Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk ....................................... 297 1. Voraussetzungen und Fragestellung ......................................................................... 297 2. Lk-joh Übereinstimmungen gegen Mk: Passions- und Osterüberlieferung .... 301 3. Die Abhängigkeit der joh Passionsüberlieferung von *Ev .................................. 309 4. Die Rezeption von Joh durch Lk ............................................................................ 314 5. *Ev und die kanonischen Evangelien ..................................................................... 332 § 14 Die Kanonische Redaktion der Evangelien ............................................................... 339 1. Methodische Voraussetzungen ............................................................................... 339 2. Die Kanonische Redaktion von *Mk ..................................................................... 341 3. Die Kanonische Redaktion von *Mt ....................................................................... 350 4. Joh als Kanonische Redaktion von *Joh ................................................................ 358 5. Die Entstehung des kanonischen Vier-Evangelienbuches ................................. 373 V. Ausblick ......................................................................................................................... 379 § 15 Antworten und Fragen ................................................................................................. 381 1. Die *Ev-Priorität vor Lk ........................................................................................... 381 2. Zur Überlieferungsgeschichte der Evangelien ...................................................... 393 3. Text- und Überlieferungsgeschichte: Die Kanonische Ausgabe ........................ 403 4. Datierungen ............................................................................................................... 406 5. Marcion, *Ev und die Kanonische Ausgabe ......................................................... 413 Das marcionitische Evangelium in der Diskussion: Ein Nachwort zur Methodologie ......................................................................................... 427 1. Das zentrale Problem: Die Bearbeitungsrichtung und ihre Implikationen.................. 430 2. Einige Folgeprobleme ......................................................................................................... 449 Inhalt XI Literatur ................................................................................................................................... 467 1. Bibliographische Abkürzungen ......................................................................................... 469 2. Quellen und Hilfsmittel ...................................................................................................... 470 3. Sekundärliteratur .................................................................................................................. 483 Abbildungen Abb. 1: Die synoptischen Hauptrelationen: *Ev - Lk und Mk - Mt ............................ 206- Abb. 2: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev und den Synoptikern .............. 208- Abb. 3: Die Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk ...................................................... 210- Abb. 4: Die Synoptischen Relationen nach der Zwei-Quellentheorie unter Berücksichtigung der Abhängigkeit Mk von Q ................................................. 243- Abb. 5: Die *Ev-Priorität vor Mk im Rahmen der synoptischen Beziehungen .......... 253- Abb. 6: Die Beziehungen zwischen *Ev, Mt und Lk im Rahmen der *Ev-Priorität .. 253- Abb. 7: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk ............................... 297- Abb. 8: Zwei-Quellentheorie und joh Passionsüberlieferung (Hans Klein) ............... 308- Abb. 9: Zwei-Quellentheorie und joh Passionsüberlieferung (Frank Schleritt) ......... 308- Abb. 10: Weitere Beziehungen zwischen den kanonischen Evangelien ........................ 332- Abb. 11: Die Überlieferungsgeschichte der Evangelien von *Ev bis Lk ......................... 339- Abb. 12: Die Kanonische Redaktion der Evangelien ........................................................ 341- Abb. 13: Protokanonische Sammlung (? ) und Kanonische Ausgabe der Evangelien 402- XII Inhalt Inhalt Bd. II: Rekonstruktion - Übersetzung - Varianten Anhang I Rekonstruktion: Der Text des ältesten Evangeliums ............................................ 525 Einführung .............................................................................................................................. 527 1. Grundlagen der Rekonstruktion ....................................................................................... 527 2. Hinweise zur Textgestaltung ............................................................................................. 528 3. Literatur ................................................................................................................................ 531 Rekonstruktion ....................................................................................................................... 533 *Titel ................................................................................................................................. 533 1,1-2,52; Prolog. Geburtsgeschichten des Täufers und Jesu ....................................... 534 *3,1a; Datierung. *4,31-37 Exorzismus in der Synagoge von Kapharnaum ............................................. 535 3,1b-4,13 Täuferüberlieferung. Taufe. Stammbaum. Versuchung ............................. 542 [ 4,14f Summar über Heilungen in Galiläa ] ................................................................ 543 *4,16-30 Ablehnung in Nazara ......................................................................................... 543 [ 4,38-39 Heilung der Schwiegermutter des Petrus ] ...................................................... 552 *4,40-41 Exorzismen am Abend. Messiasbekenntnis der Dämonen .......................... 554 *4,42-43 Jesu Rückzug in die Einsamkeit und Verweis auf seine Sendung ............... 555 *4,44 Summar - Verkündigung in den Synagogen von Galiläa ............................ 558 *5,1-11 Wunderbarer Fischzug. Berufung des Petrus und der Zebedaiden ............ 559 *5,12-16 Heilung des Aussätzigen. [ Rückzug Jesu ] ....................................................... 566 *5,17-26 Heilung des Gelähmten ..................................................................................... 572 *5, 27-32 Berufung des Levi. Zöllnermahl ....................................................................... 580 *5,33-39 Fastenfrage ........................................................................................................... 583 *6,1-5 Ährenraufen am Sabbat. {Sabbatarbeiter} ...................................................... 594 *6,6-11 Heilung der verkrüppelten Hand ..................................................................... 602 *6,12-16 Auswahl der Zwölf ............................................................................................. 610 *6,17-19 Abstieg vom Berg. Andrang der Menge .......................................................... 614 *6,20-26 Feldrede I: Makarismen und Weherufe .......................................................... 622 *6,27-38 Feldrede II: {Talio.} Feindesliebe. Zinsverbot. Barmherzigkeit ................... 630 *6,39-49 Feldrede III: Paränetische Sentenzen und Bildworte. [ Gleichnis vom Hausbau ] .................................................................................. 643 *7,1-10 Der Centurio in Kapharnaum und sein Sklave .............................................. 650 *7,11-17 Auferweckung des Jünglings in Nain .............................................................. 661 *7,17-23 Anstoß und Frage des Täufers .......................................................................... 664 *7,24-28 Belehrung über Johannes .................................................................................. 674 [ 7,29-35 Die Kinder der Weisheit ] .................................................................................. 678 *7,36-50 Salbung durch die Sünderin .............................................................................. 681 *8,1-3 Unterstützung durch vornehme Frauen ......................................................... 695 Inhalt XIII *8,4-17 Gleichnis vom Sämann. Parabeltheorie und Deutung .................................. 696 *8, 19 ‐21 Jesu Mutter und seine Brüder ........................................................................... 703 *8,22-25 Stillung des Seesturms ........................................................................................ 707 *8,26-39 Austreibung des Dämons Legion ..................................................................... 711 *8,40-56 Tochter des Jairus. Blutflüssige Frau ............................................................... 719 *9,1-6 Aussendung der Zwölf ....................................................................................... 726 *9,7-9 Urteil des Herodes über Jesus und Johannes ................................................. 732 *9,10-17 Rückkehr der Apostel und Speisung der Fünftausend ................................. 736 *9,18-22 Bekenntnis des Petrus. Ankündigung von Leiden und Auferstehung ....... 742 *9,23-27 Die Bedingungen der Nachfolge ...................................................................... 753 *9,28-36 Verklärung Jesu ................................................................................................... 758 *9,37-45 Tadel der ungläubigen Generation. Exorzismus des epileptischen Knaben. Erneute Leidensankündigung .................................. 765 *9,45-50 Rangstreit der Jünger. Fremder Exorzist ......................................................... 774 *9,51-56 Mission in Samaria ............................................................................................. 782 *9,57-62 Nachfolgesprüche ............................................................................................... 789 *10,1-16 Aussendung der 72 Apostel .............................................................................. 798 *10,17-24 Rückkehr der Zweiundsiebzig. Dankgebet Jesu ............................................. 811 *10,25-37 Die Frage nach den Bedingungen des Lebens [ Samaritanergleichnis ] ....... 823 *10,38-42 Maria und Martha .............................................................................................. 836 *11,1-4 Vaterunser ........................................................................................................... 840 *11,5-13 Belehrung über das Beten .................................................................................. 859 *11,14-32 Exorzismus des stummen Dämons. Beelzebulkontroverse. Rückkehr der Dämonen. Seligpreisung der Hörer des Wortes Gottes. Verweigerung eines Zeichens. Zeichen des Jona ....................................... 866 *11,33-36 Das Auge als Leuchte des Körpers ................................................................... 877 *11,37-48 Pharisäerrede I: Reinheit. Verzehntung. Prophetenmord ............................ 880 *11 , 49-54 Pharisäerrede II: Sendung und Mord der Propheten und Apostel. Abschluss ............................................................................................................. 890 *12,1-12 Warnung vor der Heuchelei der Pharisäer. Aufforderung zu furchtlosem Bekenntnis ...................................................... 894 *12,13-21 WarnungvorHabgier.Derreiche Kornbauer .................................................. 904 *12,22-34 Vom Sorgen. Streben nach der Herrschaft Gottes ........................................ 908 *12,35-48 Belehrung über Wachsamkeit und Zuverlässigkeit ....................................... 917 *12,49-53 Frieden und Zwietracht ..................................................................................... 924 *12,54-59 Beurteilung dieses Kairos. Versöhnung mit dem Prozessgegner ................ 931 13,1-9 Mahnung zur Umkehr. Gleichnis vom Feigenbaum .................................. 936 *13,10-17 Heilung einer Abrahamstochter am Sabbat ................................................... 939 *13,18-21 Die Gleichnisse vom Senfkorn und vom Sauerteig ....................................... 942 *13,22-30 Die enge und die verschlossene Tür. Erste und Letzte im Reich Gottes 945 13,31-35 Warnung vor Herodes. Klage über Jerusalem .............................................. 952 *14,1-6 Heilung eines Wassersüchtigen während eines Sabbatmahls ...................... 955 *14,7-24 Paränesen zum Thema Mahleinladungen ...................................................... 961 XIV Inhalt *14,25-35 Bedingungen für das Jüngersein ...................................................................... 970 *15,1-32 Gleichnisse vom verlorenen Schaf und von der verlorenen Drachme. Gleichnis vom verlorenen Sohn ................................................................... 976 *16,1-13 Gleichnis vom betrügerischen Verwalter. Von der Zuverlässigkeit im Umgang mit Kleinem und Großem ........................................................... 988 *16,14-18 Gegen die Pharisäer: Geldgier. Gesetz und Propheten. Ehescheidung und Wiederheirat ...................................................................... 997 *16,19-31 Gleichnis von dem armen Lazarus und dem reichen Neves ...................... 1005 *17,1-10 Rede an die Jünger über Verführung und über die Macht des Glaubens 1012 *17,11-19 Heilung von zehn Aussätzigen ....................................................................... 1025 *17,2021 Vom Kommen der Gottesherrschaft ............................................................. 1030 *17,22-37 Von der Parusie des Menschensohns ............................................................ 1032 *18,1-8 Gleichnis von der bittenden Witwe ............................................................... 1038 *18,9-14 Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner im Tempel ....................................... 1040 *18,15-17 Segnung der Kinder .......................................................................................... 1043 *18,18-23 Die Frage nach den Bedingungen des ewigen Lebens ................................. 1045 *18,24-30 Reichtum und Nachfolge ................................................................................. 1054 18,31-34 Dritte Leidensankündigung .......................................................................... 1060 *18,35-43 Blindenheilung in Jericho ................................................................................ 1062 *19,1-10 Bekehrung des Zachäus ................................................................................... 1068 *19,11-28 Gleichnis von den anvertrauten Minen. Ankunft in Jerusalem ................ 1073 19,29-48 Auffindung des Reittiers. Akklamation am Ölberg. Dominus flevit. Tempelreinigung. [ Lehre im Tempel. Tötungswunsch ] ........................... 1080 *20,1-8 Vollmachtsfrage ................................................................................................ 1092 20,9-18 Gleichnis von den Weingärtnern ................................................................. 1096 *20,19 Verhaftungswunsch ......................................................................................... 1101 *20,20-26 Frage nach den Steuern für den Kaiser ......................................................... 1102 *20,27-40 Frage nach der Auferstehung .......................................................................... 1108 *20,41-44 Der Messias ist Davids Herr, nicht sein Sohn .............................................. 1117 *20,45-47 Warnung vor den Schriftgelehrten ................................................................ 1124 *21,1-4 Die Gabe der Witwe ......................................................................................... 1126 *21,5-19 Endzeitrede I ..................................................................................................... 1128 *21,20-36 Endzeitrede II .................................................................................................... 1135 *21,37-38 Abschließendes Summar: Lehre in Jerusalem .............................................. 1146 *22,1-6 Tötungsplan des Hohen Rats. Verrat des Judas ........................................... 1148 *22,7-13 Vorbereitung des Passamahls ......................................................................... 1152 *22,14-23 Das letzte Passamahl. Ankündigung des Verrats ......................................... 1155 *22,24-34 Mahlgespräche: Rangstreit der Jünger. Ankündigung der Verleugnung des Petrus .................................................. 1168 22,35-38 Stunde der Entscheidung. [ Zwei Schwerter ] .............................................. 1177 *22,39-46 Gebet am Ölberg ............................................................................................... 1179 *22,47-53 Begegnung mit dem Verhaftungstrupp ........................................................ 1183 *22,54-65 Verleugnung des Petrus. Verspottung Jesu durch die Wachen ................ 1190 Inhalt XV *22,66-71 Verhör vor dem Hohen Rat ............................................................................ 1197 *23,1-5 Prozess Jesu I: Überstellung an Pilatus. Verhör. Erstes Urteil des Pilatus 1202 *23,6-12 Prozess Jesu II: Überstellung an Herodes. Verhör. Verspottung .............. 1212 *23,13-25 Prozess Jesu III: Wiederholung der Unschuldserklärung Barabbas. Verurteilung ...................................................................................................... 1217 *23,26-32 Kreuzweg: Simon von Kyrene. Die Frauen von Jerusalem. Zwei Übeltäter 1224 *23,33-49 Kreuzigung und Tod Jesu ................................................................................ 1231 *23,50-56 Begräbnis Jesu ................................................................................................... 1250 *24,1-12 Auffindung des leeren Grabes. Engelbotschaft. Mitteilung an die Jünger 1260 *24,13-35 Erscheinung des Auferstandenen vor Emmaus/ Amaus und Kleopas ...... 1276 *24,36-49 Die Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern ............................. 1294 *24,50-53 Sendung der Jünger. Abschied Jesu. [ Himmelfahrt. ] Rückkehr der Jünger nach Jerusalem ............................................................ 1312 Anhang II Das älteste Evangelium (Übersetzung) .................................................................... 1319 Anhang III Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Varianten der Lk-Handschriften ..................................................................................................... 1363 Einführung ............................................................................................................................. 1365- Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Varianten der kanonischen Lk-Handschriften ................................................. 1371- I. Fra g e stellung und Thema § 1: Evangelienforschung im 19. Jh. Im zweiten Drittel des 19. Jh. führte die neutestamentliche Wissenschaft in Deutschland zwei grundlegende Debatten zur Literargeschichte der Evangelien. Es handelt sich einmal um die Diskussion des sog. »Synoptischen Problems«, also um die Frage nach den literarischen Beziehungen zwischen den drei ersten Evangelien. Dieser Diskurs fand bekanntlich mit der Entwicklung der Zwei-Quellentheorie 1 eine grundlegende und bis heute weithin akzeptierte Antwort. Die andere, sehr intensiv geführte Diskussion kreiste um die Frage nach dem literarischen Verhältnis zwischen dem kanonischen Lk-Evangelium und dem Evangelium, das seit der Mitte des 2. Jh. als Teil der Schriftensammlung Marcions bezeugt ist. Das Ergebnis dieser Debatte war die Annahme, dass dieses marcionitische Evangelium eine aus theologischen Gründen redigierte und verkürzte Fassung des kanonischen Lk- Evangeliums darstellte - eine Vorstellung, die ihren klassischen und forschungsgeschichtlich äußerst wirkungsvollen Ausdruck in Adolf von Harnacks großem Marcion-Buch 2 fand. Beide Diskurse fanden nicht nur in einem vergleichsweise überschaubaren akademischen Umfeld beinahe gleichzeitig statt, sie weisen auch eine ganze Reihe inhaltlicher Gemeinsamkeiten auf: Beide Fragestellungen wurden zwar schon in der Alten Kirche diskutiert, erhielten ihr volles theologisches Gewicht aber erst durch das Aufkommen der historischen Kritik in der Exegese und standen seit dem letzten Drittel des 18. Jh. auf der wissenschaftlichen Tagesordnung. Beiden Diskursen gemeinsam war das theologische Interesse an historisch zuverlässigen Jesusüberlieferungen. Beide nahmen dazu die historische Genese und die literargeschichtlichen Beziehungen zwischen den Evangelien in den Blick, um den ältesten und mutmaßlich zuverlässigsten Bericht zu identifizieren, und beide arbeiteten dabei mit dem gleichen methodischen Instrumentarium, nämlich einer extensiv ______________________________ 1 Obwohl es im Trend der Zeit zu liegen scheint, ist es aus methodologischen Gründen angezeigt, von der Zwei-Quellentheorie zu sprechen antatt von einer Zwei-Quellenhypothese,. Denn die Zwei- Quellentheorie verbindet eine ganze Reihe hypothetischer Annahmen (Mk-Priorität; Existenz von ›Q‹; Unabhängigkeit von Mt und Lk usw.) zu einem komplexen Modell, das sehr viel mehr zu erklären beansprucht als nur die literarischen Beziehungen zwischen den ersten drei Evangelien. Eine valide Theorie muss etliche Kriterien erfüllen, darunter Extension, Widerspruchsfreiheit, Sparsamkeit und Falsifizierbarkeit. Was eine Theorie wissenshaftstheoretisch von einer Hypothese unterscheidet, ist nicht ein höherer Grad an Gewissheit, sondern der Umstand, dass sie aus formalen Gründen widerlegt werden kann (vgl. u., S. 10 Anm. 25). 2 A. VON H ARNACK , Marcion. Das Evangelium vom fremden Gott, Leipzig 2 1924 (= Ndr. Darmstadt 1996); in der Folge nur als H ARNACK zitiert. 4 I. Fragestellung und Thema durchgeführten Quellenkritik. Und schließlich fanden die Lösungen der beiden Debatten, die um die Mitte des 19. Jh. entwickelt wurden, gegen Ende des Jahrhunderts prominente Protagonisten, die ihre Ergebnisse aufgriffen und ihnen in kurzer Zeit zu einer sehr weitreichenden, allgemeinen Akzeptanz verhalfen. Deren Positionen bestimmten - wiederum in beiden Fällen - die gesamte Evangelienforschung durch das 20. Jh. bis heute auf das Nachhaltigste. Erst angesichts dieser engen Entsprechungen zwischen den beiden Fragekreisen erhält ein letztes, höchst erstaunliches Phänomen sein volles Gewicht: Die Fragestellungen beider Diskurse und ihre Ergebnisse wurden zu keinem Zeitpunkt zueinander in Beziehung gesetzt. Die Debatten verliefen vielmehr teils nacheinander, teils nebeneinander her, ohne sich je zu beeinflussen. Es ist das Ziel der vorliegenden Untersuchung, diese beiden Fragestellungen wie die zwei Brennpunkte einer Ellipse aufeinander zu beziehen und zu zeigen, dass zwischen ihnen über die thematischen Berührungen hinaus ein unmittelbarer und unauflöslicher, sachlicher Zusammenhang besteht. In Anbetracht der forschungsgeschichtlichen Bedeutung dieser beiden Diskurse sowie der Tatsache, dass sie bereits vor 150 Jahren zu längst klassisch gewordenen Grundentscheidungen in der neutestamentlichen Wissenschaft geführt haben, erscheint es angezeigt, den folgenden Untersuchungen als Einleitung eine kurze forschungsgeschichtliche Skizze an den Anfang zu stellen. Sie soll nicht nur die Ursachen dafür andeuten, warum diese beiden Diskurse sich nicht gegenseitig beeinflusst haben, sondern auch die weiteren sachlichen Fragestellungen erkennen lassen, die sich aus ihrer inneren Beziehung zueinander ergeben. 1. Der Diskurs über das Synoptische Problem Die Diskussion des Synoptischen Problems behandelt die Frage, wie die erkennbar engen Beziehungen zwischen den drei ersten Evangelien literargeschichtlich zu erklären seien. 3 Obwohl diese Frage sehr viel älter ist, wurde sie erst im letzten Drittel des 18. Jh. zu einer zentralen Aufgabe der Exegese. Das theologische Interesse, das ihre Klärung motivierte und vorantrieb, war durch das gesamte 19. Jh. hindurch die historische Frage: Welches der kanonischen Evangelien hat am ehesten Anspruch darauf, historisch zuverlässig über Jesus zu berichten? Die Lösungsansätze, die seit dem Ende des 18. Jh. diskutiert wurden, verstanden sich daher immer - zumindest: auch - als Beiträge zur historischen Jesusforschung, und sie korrelierten dem- ______________________________ 3 Für die ältere Forschungsgeschichte vgl. die immer noch unverzichtbaren Klassiker: A. S CHWEITZER , Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, Tübingen 9 1984; W. G. K ÜMMEL , Das Neue Testament. Geschichte der Erforschung seiner Probleme, Freiburg - München 2 1970, 88-104.177-200. § 1: Evangelienforschung im 19. Jh. 5 entsprechend auch immer mit bestimmten Jesusbildern: Ein nicht zu unterschätzender Aspekt für die Akzeptanz und Durchsetzung einzelner Modelle war daher immer auch die Akzeptanz des dadurch gestützten Jesusbildes. Den entscheidenden Vorstoß zu einer historisch-kritischen Bewertung der Quellen stellte die Veröffentlichung einer Evangeliensynopse durch Johann Jakob Griesbach dar, die erstmals den Text der synoptischen Evangelien in Spalten nebeneinander abdruckte und so die Übereinstimmungen, vor allem aber die Unterschiede zwischen den drei Evangelien sichtbar machte: Beide Phänomene verlangten nach einer historisch plausiblen Erklärung. 4 Die wichtigsten Modelle, die in der Folge diskutiert wurden, sind bekannt und gehören in jeder Einleitung zum NT zu dem festen Grundlagenstoff: Neben den Theorien, die mit der Annahme gemeinsamer, aber unterschiedlich verarbeiteter Vorlagen operierten (Urkunden-, Diegesen-, Traditionshypothese) und dabei auch mündliche Überlieferungen mit einbezogen, standen die sog. Benutzungsmodelle, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Synoptikern dadurch erklärten, dass zwischen ihnen ein direkter literarischer Zusammenhang bestand: Sie haben sich gegenseitig benutzt. Grundlegend für alle Benutzungsmodelle wurde eine Beobachtung des Berliner Philologen Karl Lachmann, 5 der 1835 in seiner berühmten Untersuchung über die Reihenfolge des Erzählmaterials in den synoptischen Evangelien gezeigt hatte, dass die Übereinstimmungen in der Perikopenfolge zwischen Mt und Lk nur so weit gingen, als sie auch mit Mk übereinstimmen: Mk ist die gemeinsame Mitte von Mt und Lk. 6 Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen ist die Annahme, dass Mk die gemeinsame Quelle von Mt und Lk darstellt. Lachmann hatte diese Folgerung, die unter der Bezeichnung »Lachmann-Trugschluss« in die Diskussion eingegangen ist, 7 jedoch gar nicht gezogen. Sie ist auch nicht zwingend, da sich dieses Phänomen (wie die meisten literarkritischen Beobachtungen) auf verschiedene Weisen erklären lässt. Aber die mögliche Konsequenz, dass Mk durch Mt und Lk benutzt wurde, lag gleichsam in der Luft. Denn nur kurze Zeit später - und offensichtlich ohne Kenntnis von Lachmanns Arbeit - begründete Christian Gottlob ______________________________ 4 Synopsis Evangeliorum Matthaei, Marci et Lucae ed. J. J. G RIESBACH , Halle 1776. 5 Lachmann ist für die Erforschung des NT vor allem deshalb von Bedeutung, weil er als erster die Notwendigkeit eines zuverlässigen, kritischen Textes erkannt und eine Ausgabe vorgelegt hatte: Novum Testamentum Graece et Latine. Carolus Lachmann recensuit … I/ II, Berlin 1842/ 50. 6 Vgl. C. L ACHMANN , De ordine narrationum in evangeliis synopticis, ThStKr 8 (1835), 570-590. Eine engl. Übersetzung des Hauptteils dieser Abhandlung bei N. H. P ALMER , Lachmann’s Argument, NTS 13 (1967), 368-378: 370ff. 7 Vgl. dazu W. R. F ARMER , Lachmann Fallacy, NTS 14 (1968), 441-443; B. C HR . B UTLER , The Lachmann Fallacy, in: A. J. Bellinzoni et al. (eds.), The Two-Source Hypothesis, Macon 1985, 133-142; C HR . M. T UCKETT , The Argument from Order and the Synoptic Problem, ThZ 36 (1980), 338-354; F R . N EIRYNCK , The Argument(s) from Order, in: ders., Evangelica III, Leuven 2001, 363-370. 6 I. Fragestellung und Thema Wilke 8 in einer umfangreichen Arbeit die Mk-Priorität ausführlich: »Markus ist der Urevangelist. Sein Werk ist’s, das den beiden andern Evangelien des Matthäus und Lukas zum Grunde liegt. Dieses Werk ist nicht die Kopie eines mündlichen Urevangeliums, sondern es ist künstliche Komposition.« 9 Gleichzeitig mit Wilkes Nachweis der Mk-Priorität (und ebenfalls unabhängig von Lachmann) formulierte der Leipziger Philosoph Christian Hermann Weiße zum ersten Mal das Grundgerüst der Zwei-Quellentheorie: Mt und Lk hätten nicht nur das Mk-Evangelium, sondern daneben noch eine »Spruchsammlung« verwendet, und zwar unabhängig voneinander. 10 Für Weiße war die Wahrnehmung dieser zweiten Quelle abhängig von der vorangehenden Einsicht in die Priorität des Mk vor den Seitenreferenten. 11 Diese Lösung fand aber zunächst keine Befürworter. Als Weiße 18 Jahre später auf das Thema zurückkam, beklagte er sich, dass niemand den »durch die Untersuchungen Schleiermachers und Lachmanns angebahnten Weg gegangen ______________________________ 8 Dass Wilke ein »ehemaliger sächsischer Pfarrer« war, ist seit Albert Schweitzers kurzem biographischen Hinweis bekannt, demzufolge Wilke seine Pfarrstelle in Herrmannsdorf im Erzgebirge im Jahr 1837 niederlegte, »um seinen gelehrten Studien zu leben, vielleicht auch schon innerlich uneins mit sich selbst« (S CHWEITZER , a. a. O. 158). Diese letzte Andeutung bezieht sich auf Wilkes Konversion zur katholischen Kirche im Jahr 1846. Jedoch hat er sein Pfarramt nicht freiwillig aufgegeben, sondern wurde 1836 aus dem Dienst entlassen (allerdings nicht wegen katholisierender Tendenzen, sondern aus disziplinarischen Gründen: Aktenkundig wurden seine Grobheit im Umgang mit Gemeindegliedern und Kollegen sowie am Ende und entscheidend ein unerlaubtes Verhältnis zu seiner Haushälterin). Vgl. H. M ULERT , Zur Lebensgeschichte Chr. G. Wilkes, ThStKr 90 (1917), 198-206: 200f. Wilke lebte seit 1837 in Dresden, nach seiner Konversion im Jahr 1846 in Würzburg. 9 C HR . G. W ILKE , Der Urevangelist oder exegetisch kritische Untersuchung über das Verwandtschaftsverhältniß der drei ersten Evangelisten, Dresden - Leipzig 1838, 684. 10 C HR . H. W EISSE , Die evangelische Geschichte: Kritisch und philosophisch bearbeitet I, Leipzig 1838, 83: »Wir haben bereits angemerkt, daß wir dieses Verhältniß (sc. zwischen Mt und Lk) für ein unabhängiges erkennen, unabhängig nämlich in der Benutzung der gemeinschaftlichen Quellen durch jeden der beiden, nicht aber in dem Sinne, als ob jeder von beiden, durchgehends oder dem größern Theile nach, andere Quellen, als der andere, benutzt hätte. Nicht nur Marcus ist beiden gemeinschaftliche Quelle, sondern, unserer bestimmtesten Überzeugung nach, auch die Spruchsammlung des Matthäus« (Hervorhebung M. K.; da Weiße das Nebeneinander zweier Quellen anhand der zahlreichen »Doubletten« vor allem bei Mt entdeckt hatte, sprach er von der »Spruchsammlung des Mt«). 11 »Mich selbst hat nur die unwiderstehliche Evidenz, mit welcher sich dieselbe (sc. die Zwei- Quellenhypothese) mir bei anhaltender selbständiger Benutzung der Quellen aufdrang, bewegen können, sie aufzunehmen und mich ihr hinzugeben. Als ich zuerst das punctum saliens, von wo aus sich mir die Hypothese entwickelte, - die Originalität und Priorität des Marcusevangeliums vor den übrigen - gewahr ward, fand ich mich dadurch überrascht, ja erschreckt; ich mistraute meinem Funde lange Zeit und sträubte mich fast gewaltsam dagegen, da mir dasselbe keineswegs zu der in mir bereits festgestellten Grundansicht über den Inhalt dieser Urkunden zu passen schien, die sich, wie man leicht erachten wird, auch mir zunächst aus der unter den Theologen dieser Zeit fast allgemein geltenden Traditionshypothese entwickelt hatte« (W EISSE , a. a. O. V). § 1: Evangelienforschung im 19. Jh. 7 wäre.« 12 Die allgemeine Akzeptanz der Zwei-Quellentheorie begann erst mit Heinrich Julius Holtzmanns Arbeit über »Die synoptischen Evangelien«. 13 Holtzmann nahm eine Grundschrift (mit dem Sigel A bezeichnet) an, eine Art Ur- Markus, die von allen drei Evangelisten redaktionell bearbeitet worden sei, etablierte daneben die zweite Quelle, die er mit dem Sigel Λ (für λόγια) bezeichnete, und fügte eine Reihe von Exkursen an, in denen er das redaktionelle Verfahren der Evangelisten plausibel machte. Später gab er die Differenzierung zwischen A und Mk auf, sodass als Quellen für Mt und Lk tatsächlich nur Mk und die zusätzliche Quelle mit Jesuslogien übrig blieben. 14 Entscheidend für den Erfolg dieser Lösung war Holtzmanns Annahme, dass die beiden »ältesten Quellen« A und Λ (letztere in der Abfolge, wie sie in Lk aufgenommen ist) den Ablauf der Ereignisse im Leben Jesu übereinstimmend und zuverlässig darstellten. Vorausgesetzt ist dabei eine doppelte Unabhängigkeit: Einerseits seien die beiden Quellen (also: der »Urmarkus« A bzw. Mk und die »Logienquelle« Λ) unabhängig voneinander entstanden. 15 Holtzmann wertete die von ihm bemerkten Analogien im Aufriss als Zeichen für die historische Zuverlässigkeit der Berichte - ein Argument, das noch bis in die allerjüngste Zeit eine entscheidende Rolle in der historischen Jesusforschung spielt. Andererseits hätten Mt und Lk unabhängig voneinander auf diese beiden Quellen zurückgegriffen; diese Unabhängigkeit der redaktionellen Arbeit von Mt und Lk fungiert dabei als conditio sine qua non für die Rekonstruktion von Λ, denn wenn es eine direkte Beziehung zwischen Mt und Lk gegeben hätte, ließe sich das gemeinsame nicht-mk Material nicht auf eine gemeinsame Quelle zurückführen. Auch dieses Argument spielt in den Diskussionen um »Q« bis heute eine zentrale Rolle. Das Jesusbild, das sich auf diese Weise ergab, stellte die exegetische Grundlage für die zahlreichen Leben Jesu gegen Ende des 19. Jh. dar: Es war liberal, frei von allem Mythologischen und Eschatologischen, und es war psychologisch plausibel: Nach Holtzmanns Zwei-Quellentheorie entwickelte Jesus ein zunehmendes Bewusstsein seiner Messianität, offenbarte diese den Jüngern sukzessive bis hin zum Messiasbekenntnis in Cäsarea Philippi und scheiterte am Ende auf tragische ______________________________ 12 C HR . H. W EISSE , Die Evangelienfrage in ihrem gegenwärtigen Stadium, Leipzig 1856, 85. 13 H. J. H OLTZMANN , Die synoptischen Evangelien, Leipzig 1863. Zur forschungsgeschichtlichen Würdigung vgl. auch W. B AUER , Heinrich Julius Holtzmann (geb. 17. Mai 1832). Ein Lebensbild, in: ders., Aufsätze und kleine Schriften, Tübingen 1967, 285-341: 298-302. 14 H. J. H OLTZMANN , Lehrbuch der historisch-kritischen Einleitung in das Neue Testament, Freiburg/ Brsg. 3 1892, 351ff; vgl. K ÜMMEL , a. a. O. 185. 15 Das für die Logienquelle gebräuchliche Sigel Q wurde vermutlich zuerst im Jahr 1880 von Eduard Simons und dann 1890 von Johannes Weiß verwendet. Vgl. Fr. N EIRYNCK , The Symbol Q (Quelle), in: ders., Evangelica I, Leuven 1982, 683-689; und DERS ., Note on the Siglum Q, in: ders., Evangelica II, Leuven 1991, 474. 8 I. Fragestellung und Thema Weise. Mit der Zwei-Quellentheorie hatte Holtzmann ein Modell präsentiert, das die methodischen Engführungen der Tübinger Tendenzkritik ebenso überwand, wie es die verstörenden Aspekte von David Friedrich Strauß’ Jesusbild vermied. 16 Dieser Befund erklärt die Ambivalenz von Albert Schweitzers Urteil über seinen Straßburger Lehrer Holtzmann. Auf der einen Seite hatte er für Holtzmanns historisches Urteil wegen dessen psychologisierenden Jesusbildes nur Spott übrig, auf der anderen Seite erkannte er seine Leistung bei der literarischen Analyse der Evangelien uneingeschränkt an: »Gesiegt hat nicht die reine Markushypothese, sondern die Markushypothese in liberal-psychologisierender Anwendung.« 17 Aber immerhin sei diese Markushypothese »durch Holtzmann auf einen solchen Grad der Evidenz gebracht, dass sie nicht mehr eine Hypothese genannt werden kann« 18 - die literarische und die historische Fragestellung beginnen auseinander zu treten. Schweitzers Einschätzung der Validität der Zwei-Quellentheorie ist, zumindest mit Blick auf die deutschsprachige Forschung im 20. Jh., sicher zutreffend: Auch, wenn es notwendige Differenzierungen und Weiterentwicklungen gab, wurde die Grundannahme doch nur selten wirklich in Frage gestellt. Schon 1904 konstatierte Richard Adolf Hoffmann angesichts der synoptischen Frage »ein gewisses Gefühl von Behaglichkeit«: »Endlich einmal ein gelöstes Problem nach den mannigfachen Irrgängen theologischer Forschung, ein ruhender Pol in der Erscheinungen Flucht.« 19 Es verwundert daher nicht, dass Willi Marxsen ziemlich genau 100 Jahre nach Holtzmann Schweitzers Einschätzung der Sache nach wiederholen konnte: »Diese Zwei-Quellentheorie hat sich in der Forschung so sehr bewährt, dass man ______________________________ 16 D. F R . S TRAUSS , Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet I/ II, Tübingen 1835/ 36. Klassisch ist die Darstellung von Inhalt und Wirkung dieses grundlegenden Werks bei A. S CHWEITZER , Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, Tübingen 9 1984, 106-154. 17 S CHWEITZER , a. a. O. 229. Mit dem Stichwort »Markushypothese« bezeichnet Schweitzer die Markuspriorität als wesentliches Merkmal der Zwei-Quellentheorie. Es ist einigermaßen charakteristisch, dass Schweitzer noch am Anfang des 20. Jh. Holtzmanns Leistung weniger in der Etablierung von Λ (oder Q) sah, als in der Begründung der Markuspriorität. Die rasche Etablierung der Markuspriorität und der Erfolg von Holtzmanns Propagierung der Zwei-Quellentheorie werden vor dem zeit- und geistesgeschichtlichen Hintergrund der Bismarckära verständlich, auch wenn man kaum sagen kann, dass das politische und geistige Klima im protestantischen Preußen diese Theorie erst hervorgebracht habe. Vgl. W. R. F ARMER , State Interesse and Markan Primacy: 1870- 1914, in: ders., H. Graf Reventlow (eds.), Biblical Studies and the Shifting of Paradigms, 1850-1914, Sheffield 1995, 15-49; D. B. P EABODY , H. J. Holtzmann and his European Colleagues. Aspects of the Nineteenth-century European Discussion of Gospel Origins, ebd. 50-131; D. L. D UNGAN , A History of the Synoptic Problem, New York 1999, 326ff. 18 S CHWEITZER , a. a. O. 227. 19 R. A. H OFFMANN , Das Marcusevangelium und seine Quellen, Königsberg 1904, 1. Dieser Fund bei A. F UCHS , Schrittweises Wachstum, in: ders., Studien zu Deuteromarkus II, Münster 2004, 115- 170: 115. § 1: Evangelienforschung im 19. Jh. 9 geneigt ist, die Bezeichnung ›Theorie‹ (im Sinn von Hypothese) dafür aufzugeben. Man kann sie in der Tat als ein gesichertes Ergebnis ansehen.« 20 Die englischsprachige Forschung, für welche die Verknüpfung von historischer und literarischer Fragestellung nicht in dem Maß prägend war wie für die deutschsprachige, hat die Zwei-Quellentheorie jedoch immer wieder grundsätzlich in Frage gestellt und alternative Modelle entworfen. Neben einer Reihe von flankierenden Argumenten ist dafür vor allem ein gewichtiges sachliches Problem verantwortlich, das sich nicht ohne weiteres im Rahmen der Zwei-Quellentheorie erklären lässt: Die sog. »Minor Agreements«. 21 Dieser Begriff, der sich nicht von ungefähr auch in der deutschsprachigen Forschung in seiner englischen Form eingebürgert hat, bezeichnet eine Vielzahl kleinerer Übereinstimmungen zwischen Mt und Lk gegenüber Mk innerhalb des allen drei Evangelien gemeinsamen Textbestandes: Sei es, dass beide übereinstimmende, aber von Mk abweichende Formulierungen verwenden; sei es, dass beide in den mit Mk gemeinsamen Erzählzusammenhängen zusätzliche identische bzw. sehr ähnliche Informationen liefern; sei es, dass in beiden die gleichen Aussagen aus Mk nicht enthalten sind. Unter der für die Entwicklung der Zwei-Quellentheorie grundlegenden Annahme, dass Mt und Lk ihre redaktionelle Zusammenfügung der beiden Hauptquellen unabhängig voneinander unternommen haben, stellen diese »Minor Agreements« eine schwere Beeinträchtigung für das Modell dar: Sofern sie einen direkten Zusammenhang zwischen Mt und Lk belegen, dürfte es sie eigentlich gar nicht geben. Die Vertreter der Zwei-Quellentheorie haben im Lauf der Zeit eine Reihe von hilfsweisen Lösungen angeboten, um die problematische Inkonsistenz zwischen dem Textbefund und der sie erklärenden Theorie zu beseitigen. 22 So gibt es die Annahme, dass Mt und Lk nicht das kanonische Mk-Evangelium benutzt hätten, sondern entweder eine ältere Fassung (also einen »Ur-Markus« analog zu Holtzmanns Quelle A) oder eine redaktionell bearbeitete Fassung von Mk (»Deutero-Markus«). 23 ______________________________ 20 W. M ARXSEN , Einleitung in das Neue Testament, Gütersloh 1963, 106. 21 Zu den »Minor Agreements« vgl.: F. G. D OWNING , Disagreements of Each Evangelist with the Minor Close Agreements of the Other Two, ETL 80 (2004), 445-469; A. E NNULAT , Die »minor agreements«, Tübingen 1994; M. D. G OULDER , Two Significant Minor Agreements (Mat. 4: 13 Par.; Mat. 26: 67- 68 Par.), NT 45 (2003), 365-373; F R . N EIRYNCK , Goulder and the Minor Agreements, in: ders., Evangelica III, Leuven 2001, 307-318; DERS ., The Minor Agreements and Q, ebd. 245-266; G. S TRECKER (Hg.), Minor Agreements, Göttingen 1993; R. B. V INSON , The Significance of the Minor Agreements as an Argument Against the Two-Document Hypothesis, Diss. theol. Duke Univ., 1984. 22 Vor allem Frans Neirynck hat sich darum bemüht, die »Minor Agreements«, deren Zahl (über die keine Einigkeit besteht) er für sehr viel geringer hält als andere, als identische, aber voneinander unabhängige redaktionelle Änderungen der Seitenreferenten zu erklären (vgl. F R . N EIRYNCK , The Minor Agreements and the Two-Source-Theory, in: ders., Evangelica II, Leuven 1991, 3-42). 23 Die Ur-Markus Hypothese wurde gegen Ende des 19. Jh. verschiedentlich vertreten, u. a. von R. A. Hoffmann (s.o., Anm. 19) und wird gegenwärtig wieder propagiert von D. B URKETT , The Case for 10 I. Fragestellung und Thema Erwogen wurde auch, dass diese Übereinstimmungen auf den Einfluss mündlicher Überlieferung zurückgehen oder aber sich einer späteren Angleichung der Textüberlieferung verdanken. Und schließlich wird überlegt, ob diese Übereinstimmungen nicht dadurch erklärt werden könnten, dass es eben doch - wenigstens gelegentlich - eine direkte Beziehung zwischen Mt und Lk gegeben haben könnte. 24 All diese Überlegungen sind zwar theoretisch denkbar, aber nicht unbedingt wahrscheinlich: Von einem Ur- oder Deutero-Markus fehlt jede handschriftliche Spur; es handelt sich um ein bloßes Postulat, das aus der Erklärungsnot geboren ist. Auch der Einfluss mündlicher Überlieferung auf Mt und Lk ist ein ungeeignetes Konstrukt; abgesehen von der prinzipiellen Unbeweisbarkeit, die mit der Kategorie der Mündlichkeit gegeben ist, werden so die kleinen und kleinsten Übereinstimmungen in den Formulierungen, die sich semantisch nur geringfügig oder überhaupt nicht auswirken, nicht erklärt. Genauso wenig plausibel ist die Annahme von Veränderungen in der handschriftlichen Überlieferung, die die Formulierungen von Mt und Lk aneinander angleichen: Wieso sollten diese Angleichungen nur in Mt und Lk, nicht aber auch in Mk geschehen sein? Die Überlegung schließlich, dass Mt und Lk zwar grundsätzlich unabhängig voneinander gearbeitet hätten, der eine den anderen aber eben doch gelegentlich zu Rate gezogen haben könnte, würde das Ende methodisch kontrollierter Arbeit bedeuten: Man kann nicht eine Theorie auf eine bestimmte Annahme gründen (hier: die prinzipielle Unabhängigkeit von Mt und Lk), dann aber genau diese Annahme preisgeben, weil die Theorie nicht alle Phänomene hinreichend zu erklären in der Lage ist. 25 ______________________________ Proto-Mark, Tübingen 2018 (mit einem forschungsgeschichtlichen Kapitel, das die wichtigsten Vorläufer auflistet: 7-24). Die Deutero-Mk-Theorie wurde in den letzten Jahren vor allem von Albert Fuchs in zahlreichen Beiträgen vertreten, die jetzt gesammelt vorliegen: A. F UCHS , Spuren von Deuteromarkus I-V, Münster 2004-2007; zur Rezeption vgl. beispielsweise U. S CHNELLE , Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 4 2002, 194f. 24 Als Beispiel kann dienen, was Chr. M. Tuckett auf M. D. G OULDER , On Putting Q to the Test, NTS 24 (1977/ 78), 218-234, antwortete, der eine Reihe von »Minor Agreements« als Argument gegen die Zwei-Quellentheorie angeführt hatte: »If one of his examples were established, this would indicate that Luke knew Matthew, but this would not of itself prove that the whole Q hypothesis was invalid. It might be that Luke used Q for most of the ›double tradition‹ but that he also knew Matthew’s gospel and used it occasionally« (C HR . M. T UCKETT , On the Relationship Between Matthew and Luke, NTS 30 [1984], 130-142: 130). Vgl. ähnlich auch F R . N EIRYNCK , Recent Developments in the Study of Q, in: ders., Evangelica II, Leuven 1991, 409-464; M. S. Goodacre, The Case Against Q, Harrisburg 2001, 165ff. 25 Vgl. M. K LINGHARDT , The Marcionite Gospel and the Synoptic Problem: A New Suggestion, NT 50 (2008), 1-27: 3f; J. K IILUNEN , »Minor Agreements« und die Hypothese von Lukas’ Kenntnis des Matthäusevangeliums, in: I. Dunderberg, Chr. M. Tuckett (eds.), Fair Play, Leiden u. a. 2002, 165-202. - Da die »Minor Agreements« eine literarische Beziehung zwischen Mt und Lk belegen, heben sie die theoretischen Grundlagen der Zwei-Quellentheorie auf (Unabhängigkeit von Mt und Lk): Die Zwei- Quellentheorie scheitert am Kriterium der Widerspruchsfreiheit, sie ist also formal falsifizierbar. § 1: Evangelienforschung im 19. Jh. 11 Angesichts dieser recht hilflos wirkenden Versuche zur Rettung der Zwei- Quellentheorie wird verständlich, dass man immer wieder auch grundsätzliche Alternativen erwogen hat. Vor allem drei Modelle wurden und werden ernsthaft diskutiert. Das erste ist die Wiederaufnahme des Modells, das bereits Griesbach vertreten hatte: Seit den 1960er Jahren haben William R. Farmer und andere in seiner Folge die Annahme der Mk-Priorität preisgegeben und stattdessen eine Theorie entwickelt, die unter der Bezeichnung Two-Gospel- (oder auch »Neo- Griesbach«-) Hypothesis firmiert. 26 Dieses Modell verzichtet auf die Annahme einer weiteren Quelle und erklärt die synoptischen Beziehungen durch ein reines Benutzungsmodell: Lk hat Mt benutzt und bearbeitet, Mk hat sowohl Lk als auch Mt benutzt. Im Unterschied zur Zwei-Quellentheorie (oder, in der älteren Terminologie, zur »Markushypothese«) ist Mk hier nicht der Ausgangs-, sondern der Endpunkt der synoptischen Überlieferungsgeschichte. Diese Überlegung bringt Lachmanns (prinzipiell neutrale) Charakterisierung von Mk als der Mitte von Mt und Lk nicht dadurch in ein diachrones Verhältnis zu den Seitenreferenten, dass er ihnen als Quelle vor-, sondern dass er ihnen als Epitome nachgeordnet ist. Die Dreifachüberlieferung erscheint nach diesem Modell als Ergebnis eines Extrakts, den Mk aufgrund der Gemeinsamkeiten von Mt und Lk hergestellt hätte. Zumindest auf dieser sehr abstrakten Ebene leuchtet ein, dass die für die Zwei-Quellentheorie so ärgerlichen »Minor Agreements« nach der Two-Gospel-Hypothesis kein Problem darstellen. Zugleich ist deutlich, dass die Annahme einer doppelten Abhängigkeit - Lk von Mt, Mk von Lk und von Mt - sowohl den notwendigen Spielraum für Veränderungen innerhalb der Überlieferung als auch die Möglichkeit einer treuen Bewahrung einräumt. Die andere Alternative zur Zwei-Quellentheorie rechnet ebenfalls mit einer doppelten Benutzung, hält jedoch an der Mk-Priorität fest, sodass Mt von Mk abhängig ist, Lk von Mk und von Mt. Dieses Modell ist mit einiger Zähigkeit im Lauf der Jahrzehnte wieder und wieder in die Diskussion eingebracht worden 27 und hat de facto die synoptische Frage als solche wirklich offen gehalten. Obwohl ______________________________ Darin unterscheidet sie sich von allen anderen Hypothesen zur Erklärung des Synoptischen Problems, deren Richtigkeit anhand des Grades ihrer (historischen) Plausibilität bewertet werden kann. 26 W. R. F ARMER , The Synoptic Problem, New York 1964 (= 2 1976); DERS ., The Present State of the Synoptic Problem, in: R. P. Thompson, Th. E. Phillips (eds.), Literary Studies in Luke-Acts, Macon 1998, 11-36; D. L. D UNGAN , A History of the Synoptic Problem, New York 1999; A. J. M C N ICOL et al. (eds.), Beyond the Q Impasse, Valley Forge 1996; A. J. M C N ICOL , Jesus’ Directions for the Future, Macon 1996. 27 A. F ARRER , On Dispensing with Q, in: D. E. Nineham (ed.), Studies in the Gospels, Oxford 1955, 55-88; M. D. G OULDER , Luke: A New Paradigm, Sheffield 1989; M. S. G OODACRE , Goulder and the Gospels, Sheffield 1996; DERS ., The Case Against Q, Harrisburg 2001. 12 I. Fragestellung und Thema dieses Modell, das auch unter der Bezeichnung »Markan-Priority-without-Q« Hypothese firmiert, im Unterschied zur Two-Gospel Hypothesis an der Mk- Priorität festhält, hat es mit ihr zwei wichtige Aspekte gemein: Beide rechnen damit, dass der letzte Bearbeiter zwei Evangelien vorliegen hatte, und beide gehen davon aus, dass Lk von Mt abhängig sei. Im Horizont eines reinen Benutzungsmodells bereitet vor allem dieser letzte Aspekt Schwierigkeiten, weil er zu der Annahme nötigt, dass Lk die mt Redekompositionen (vor allem die Bergpredigt) in kleinere Einheiten zerlegt und diese an sehr verschiedenen Stellen in seine Erzählung eingefügt hätte. 28 Dieser Einwand ist wohl hauptsächlich dafür verantwortlich, dass auch in der englischsprachigen Forschung, trotz der traditionell kritischeren Haltung, die Zwei-Quellentheorie heute de facto die mit Abstand am weitesten verbreitete Erklärung für das Synoptische Problem ist - mit allen Implikationen und Folgen für die damit zusammenhängenden historischen Fragen, die bei ihrer Entwicklung in der Mitte des 19. Jh. Pate standen. Ein letzter Versuch, den ärgerlichen »Minor Agreements« beizukommen, soll hier kurz erwähnt werden, nämlich die in den letzten Jahrzehnten (wieder) in die Diskussion eingebrachte Deuteromarkus-Hypothese. 29 Sie rechnet damit, dass das Mk-Evangelium in verschiedenen Textgestalten vorgelegen habe: Die Seitenreferenten hätten nicht die kanonische Mk-Fassung, sondern eine als Deuteromarkus bezeichnete Überarbeitung benutzt. In diesem Fall werden also die gemeinsamen Differenzen von Mt und Lk gegenüber Mk nicht auf einen älteren, sondern auf einen jüngeren (allerdings nicht erhaltenen und auch nicht bezeugten) Text zurückgeführt. Die »Minor Agreements« in Mt und Lk erscheinen hier also als Bestandteile einer sekundären Bearbeitung des Mk. Ob dieser Versuch »der Widerspenstigen Zähmung« 30 allerdings gelungen ist, erscheint fraglich. Denn dazu ist es nötig, die angenommenen Unterschiede zwischen dem kanonischen Mk und dem hypothetischen »Deutero-Markus« auf ein redaktionelles Konzept in »Deutero-Markus« zurückzuführen: Dieses Unterfangen ist zumindest problematisch. ______________________________ 28 Dieser Einwand hatte Burnett Streeter zu dem berühmten Urteil veranlasst, eine Theorie, die einen Autor eines solchen Verfahrens für fähig hält, sei nur dann haltbar, wenn es auch andere Gründe für die Annahme gäbe, er sei ein »Spinner« (»crank«: B. H. S TREETER , The Four Gospels, London 1924, 183). 40 Jahre später hat Reginald Fuller für dieses Verfahren die drastische (aber unübersetzbare) Metapher »unscrambling the egg with a vengeance« geprägt (R. H. F ULLER , The New Testament in Current Study, London 1963, 87). 29 Vor allem vertreten von Albert Fuchs, dessen einschlägige Untersuchungen zusammen mit zwei Beiträgen von H. Aichinger gesammelt vorliegen: A. F UCHS , Spuren von Deuteromarkus I-V, Münster 2004-2007. 30 Diese Bezeichnung bei A. F UCHS , Durchbruch in der Synoptischen Frage, in: ders, Spuren von Deuteromarkus I, Münster 2004, 101-115: 102. § 1: Evangelienforschung im 19. Jh. 13 2. Der Diskurs über Lk und das marcionitische Evangelium Im Unterschied zur Diskussion des Synoptischen Problems, das der neutestamentlichen Forschung zumindest als Fragestellung immer (wieder) präsent war, ist die Frage nach dem literarischen Verhältnis zwischen dem kanonischen Lk-Evangelium und dem marcionitischen Evangelium fast vollständig aus dem Bewusstsein der Forschung verschwunden. Dieser Diskurs spielt in der neutestamentlichen Forschung überhaupt keine Rolle mehr: Das Problem wird in der einschlägigen Literatur zum Lukasevangelium - also in Einleitungen und Kommentaren - noch nicht einmal als interessante forschungsgeschichtliche Fußnote erwähnt, geschweige denn ernsthaft diskutiert. Die literarische Verwandtschaft zwischen Lk und dem marcionitischen Evangelium findet allenfalls in der (patristischen) Literatur zu Marcion und zur Geschichte des Kanons gelegentlich Erwähnung. Als Problem war diese Fragestellung der patristischen Forschung durch die altkirchlichen Häresiologen - allen voran Irenaeus und Tertullian - aufgegeben: Sie hatten die große Ähnlichkeit der beiden Texte erkannt und übereinstimmend und vehement die Ansicht vertreten, dass der »Erzketzer« Marcion im 2. Jh. das kanonische Lk-Evangelium gemäß seiner theologischen Ansicht redaktionell bearbeitet und »verfälscht« habe. Diese Bestimmung der literarischen Abhängigkeit wurde erst am Ende 18. Jh. durch die historische Kritik in Frage gestellt. Johann Salomo Semler hatte als erster die Historizität von Tertullians Behauptung einer marcionitischen Redaktion des Lk angezweifelt. 31 In den folgenden Jahren wurde diese Sicht verschiedentlich aufgegriffen. 32 Eine entscheidende Rolle spielte dabei die Einsicht, dass sich die Differenzen zwischen Lk und dem marcionitischen Evangelium nicht wirklich aus einem redaktionellen Interesse Marcions erklären lassen: Auf der einen Seite enthält sein Evangelium Aussagen, die im Widerspruch ______________________________ 31 Vgl. J. S. S EMLER , »Vorrede«, in: Thomas Townsons Abhandlungen über die vier Evangelien. Mit vielen Zusätzen und einer Vorrede über Marcions Evangelium von J. S. S., Leipzig 1783 (62 S., unpag.). Semler, der das Problem nicht im Einzelnen diskutierte, störte sich vor allem an dem bloßen Behauptungscharakter von Tertullians Altersbeweis (Tert. 4,4,4): »Ich habe schon seit langer Zeit einen ernstlichen Unwillen wider dergleichen deklamatorische Stellen im Tertullian. … er hült sich ganz in Deklamationen; ehrliche Historie hatte er nicht, oder wollte sie nicht anwenden« (a. a. O. 26). Vgl. DERS ., Neuer Versuch, die gemeinnützige Auslegung und Anwendung des neuen Testaments zu befördern, Halle, 1786, 162f. Zur Forschungsgeschichte bis um 1840 vgl. A. R ITSCHL , Das Evangelium Marcions und das kanonische Evangelium des Lucas. Eine kritische Untersuchung, Tübingen 1846, 5-20. 32 Vgl. H EINRICH C ORRODI , Versuch einer Beleuchtung der Geschichte des jüdischen und christlichen Bibelkanons I/ II, Halle 1792 (= Berlin - Stet[t]in 1788); J OSIAS F R . C HR . L ÖFFLER , Marcionem Paulli epistulas et Lucae evangelium adulterasse dubitatur, in: Commentationes theologicae vol. I, Leipzig 1795, 180-218; J OHANN E RNST C HRISTIAN S CHMIDT , Das ächte Evangelium des Lucas, eine Vermuthung, Magazin für Religionsphilosophie, Exegese und Kirchengeschichte 5 (1796) 468-520. 14 I. Fragestellung und Thema zu seiner mutmaßlichen Theologie stehen und daher eigentlich »bereinigt« sein müssten, andererseits sind aber auch vollkommen unverdächtige Aussagen für Marcions Evangelium eindeutig anders überliefert als im kanonischen Lk: Die seit Irenaeus angenommene redaktionelle Tätigkeit Marcions lässt sich nicht mit seinen theologischen Interessen erklären. Dass man gleichwohl an dieser Erklärung festhielt, war der Grund für den empörten Einwand, dem Johann Ernst Christian Schmidt typographischen Ausdruck verlieh: »Aber! - - - ein vorsätzlicher Veränderer des Evangeliums, der sich einmal erlaubte, wegzuschneiden, was nicht für seinen Zweck diente, würde doch nicht so inconsequent verfahren haben, wie dieser gethan zu haben scheint. Nicht genug, daß viele seiner Aenderungen zwecklos sind; - - - er ließ judaisierende Stellen in Menge stehen, - - - er änderte seinem Zwecke entgegen! « 33 Johann Gottfried Eichhorn begründete 1804 die Semler’sche These erstmals im Zusammenhang. 34 Nachdem August Hahn 1823 die traditionelle Theorie der Lk- Priorität verteidigt und in diesem Zug zum ersten Mal eine Rekonstruktion von Marcions Evangelientext unternommen hatte, 35 nahm die Debatte in den 1840er Jahren plötzlich Fahrt auf: In kurzer Folge erschienen eine ganze Reihe von Monographien und größeren Aufsätzen in den »Theologischen Jahrbüchern« zu diesem Problem. 36 Den Anfang machte Albert Schwegler mit dem Nachweis, dass die traditionelle Annahme einer marcionitischen Redaktion von Lk in unübersehbare Schwierigkeiten führe und unhaltbar sei; stattdessen liege die umgekehrte Bearbeitungsrichtung nahe, auch wenn dies nicht nachweisbar sei. 37 Diesen Nachweis zu ______________________________ 33 S CHMIDT , a. a. O. 483. 34 J. G. E ICHHORN , Einleitung in das Neue Testament I, Leipzig 1 1804, 40-78. Aus den Jahren nach Eichhorns Einleitung vgl. etwa L. B ERTHOLDT , Historisch-kritische Einleitung in sämmtliche kanonische und apokryphische Schriften des alten und neuen Testaments III, Erlangen 1813, 1294ff; J. C. L. G IESELER , Historisch-kritischer Versuch über die Entstehung und die frühesten Schicksale der schriftlichen Evangelien, Leipzig 1818, 112f. 35 A. H AHN , Das Evangelium Marcions in seiner ursprünglichen Gestalt, Königsberg 1823. Die Rekonstruktion ebd. 132-223. 36 Zu dem Diskurs über das Verhältnis zwischen Lk und Marcions Evangelium in dem Jahrzehnt zwischen 1843-1852 vgl. M. K LINGHARDT , Markion vs. Lukas: Plädoyer für die Wiederaufnahme eines alten Falles, NTS 52 (2006), 484-513: 487-490; D. T. R OTH , Marcion’s Gospel and Luke: The History of Research in Current Debate, JBL 127 (2008) 513-527. 37 A. S CHWEGLER , Rez. W. M. L. de Wette, Lehrbuch der historisch-kritischen Einleitung in die kanonischen Bücher des Neuen Testaments, 4. Aufl., ThJb 2 (1843), 544-590; in größerem Zusammenhang, aber insgesamt weitgehend identisch: A. S CHWEGLER , Das nachapostolische Zeitalter in den Hauptmomenten seiner Entwicklung I, Tübingen 1846, 260-284. Vgl. die Schlussfolgerung, das marcionitische Evangelium sei »eine von unserem dritten Evangelium unabhängige Evangelienschrift; dass es geradezu Quelle und Grundlage des Lucas war, näher, dass der Verfasser des dritten Evangeliums es katholisirt, und durch Beimischung judenchristlicher Stücke ein Gleichgewicht seiner Elemente herzustellen versucht hat, im Interesse einer Vermittlung zwischen der § 1: Evangelienforschung im 19. Jh. 15 führen unternahm dann Albrecht Ritschl. 38 Er ging über seine Vorgänger insofern methodisch hinaus, als er ein literarkritisches Kriterium für die Bestimmung der Bearbeitungsrichtung einführte: Er verglich den Zusammenhang der Perikopenfolge in beiden Texten und stellte fest, dass das Material, das Lk über das marcionitische Evangelium hinaus besitzt, einen ursprünglichen Zusammenhang störe und daher später eingefügt sei. 39 Ritschls Schlussfolgerung, dass das marcionitische Evangelium »nicht eine Verstümmelung des Evangelium des Lucas, sondern der Grundstamm desselben« sei, 40 wurde von Ferdinand Christian Baur positiv aufgegriffen. 41 Obwohl Baur nicht mit allen literarkritischen Entscheidungen Ritschls einverstanden war, passte das Ergebnis gut in sein Gesamtbild der Geschichte des frühen Christentums und erlaubte es ihm, die lk Redaktion als Ausdruck der judenchristlichen Antithese zum heidenchristlichen Paulinismus zu verstehen. 42 Als Reaktion auf diese Arbeiten erschienen 1850 fast gleichzeitig die Monographie des damaligen Jenaer Privatdozenten Adolf Hilgenfeld über die Geschichte der frühen Evangelienliteratur 43 und ein Beitrag des Fuldaer Gymnasialprofessors Gustav Volckmar in den Theologischen Jahrbüchern. 44 Obwohl beide im Ergebnis sehr dicht beieinander liegen, ist ihre Argumentation durchaus verschieden. Vor allem Volckmars Argumentation ist ein Lehrstück für die methodische Komplexität des Ganzen: ______________________________ paulinischen und petrinischen Richtung - diese weitere Annahme ist zwar nicht streng erweislich, aber, wenn doch einmal das marcionitische Evangelium als eine unabhängige Quellenschrift, und das Lucasevangelium seinerseits als Zusammenstellung paulinischer und petrinischer Stücke sich ausweist, im höchsten Grade wahrscheinlich« (I 284; Hervorhebung M. K.). 38 A. R ITSCHL , Das Evangelium Marcions und das kanonische Evangelium des Lucas. Eine kritische Untersuchung, Tübingen 1846. 39 »Die Merkmale, wodurch sich Ueberarbeitungen zu erkennen geben, sind in den meisten Fällen Verstösse gegen den Zusammenhang mit den Abschnitten, zwischen oder in welche Anderes, Fremdartiges eingeschoben ist. Denn ein Ueberarbeiter, welcher nicht das Ganze neu reproducirt, sondern nur geringe Veränderungen und Vermehrungen anbringt, kann der Gefahr kaum entgehen, den Zusammenhang bisher gut geordneter Stücke zu zerreissen oder einander widersprechende Stücke nebeneinander zu stellen« (R ITSCHL , a. a. O. 56; der entsprechende Nachweis im Einzelnen ebd. 73-130). 40 R ITSCHL , a. a. O. V. 41 F. C HR . B AUR , Der Ursprung und Charakter des Lukas-Evangeliums, ThJb 5 (1846), 413-615. 42 F. C HR . B AUR , Kritische Untersuchungen über die Kanonischen Evangelien, ihr Verhältnis zueinander, ihren Charakter und Ursprung, Tübingen 1847 (= Ndr. Hildesheim u. a. 1999). 43 A. H ILGENFELD , Kritische Untersuchungen über die Evangelien Justin’s, der clementinischen Homilien und Marcion’s. Ein Beitrag zur Geschichte der ältesten Evangelien-Literatur, Halle 1850. 44 G. V OLCKMAR , Über das Lukas-Evangelium nach seinem Verhältniss zum Evangelium Marcion’s und seinem dogmatischen Charakter mit besonderer Rücksicht auf die kritischen Untersuchungen Ritschl’s und Baur’s, ThJb 9 (1850), 110-138.185-235. Der Nachname »Volckmar« taucht in der Literatur gelegentlich in der Schreibweise »Volkmar« auf, vermutlich weil seine spätere Arbeit über die Evangelien (1870) mit dieser Autorenangabe erschien (vgl. R OTH , a. a. O. 519 Anm. 36). 16 I. Fragestellung und Thema Wichtig ist zunächst, dass Volckmar im ersten Teil seines Beitrags den (unstrittig bezeugten) Anfang des Evangelientextes Lk (1f)3f behandelte (Lukas-Evangelium 125-137): Er wählte einen methodisch gesicherten Ausgangspunkt, um von da aus dann auch die anderen, weniger sicheren Passagen zu beurteilen (a. a. O. 125.138). Für seine Analyse legte er ausdrücklich Ritschls literarkritisches Kriterium des integren bzw. gestörten Zusammenhangs zugrunde (a. a. O. 123) und erkannte auch ohne weiteres, dass der lk Zusammenhang in Lk 3f erheblich gestört ist. 45 Aber im Unterschied zu Ritschl und Baur, die daraus die Ursprünglichkeit der marcionitischen Textanordnung gefolgert hatten, zeigte Volckmar im Folgenden, dass auch der marcionitische Text nicht unproblematisch war: *4,24 sei im Rahmen der marcionitischen Fassung unpassend, vor allem, wenn die Vv. 25-27 gefehlt hätten; die Frage, was den Tötungsversuch motiviere, bleibe offen usw.: Unter der methodischen Prämisse Ritschls ließ dies auf eine Bearbeitung auch des marcionitischen Textes schließen. Vor allem aber sei nicht nachvollziehbar, inwiefern der lk Text als eine Bearbeitung des marcionitischen entstanden sein solle: Die Suche nach der redaktionellen Intention, die Baur und Ritschl im Ganzen als »katholisirend« bzw. judenchristlich beschrieben hatten, fände bei einer detaillierten Betrachtung keine rechte Lösung. Volckmar folgerte: »So steht das Marcion- Evangelium schon nicht mehr zu unserm Lukas im Verhältnis des in sich ganz Einigen (oder Ursprünglichen) zum Zusammenhanglosen, sondern es verhält sich dazu höchstens wie das minder Ungehörige und Corrumpirte zu dem mehr Unmotivirten« (a. a. O. 132). Am Ende stand für ihn daher die Erkenntnis, dass beide Texte Bearbeitungsspuren zeigten und daher nicht ursprünglich sein könnten, auch wenn diese Spuren in Marcions Evangelium geringer seien als im kanonischen Lk. Hilgenfeld, der eine neue Textrekonstruktion unternahm, kam in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass Lk zwar an einigen Stellen später überarbeitet wurde, im Verhältnis zum marcionitischen Evangelium aber als dessen Quelle angesehen werden müsse. 46 Obwohl Hilgenfelds und Volckmars Kritiken an Baur und Ritschl methodisch durchaus unterschiedlich argumentierten und auch in etlichen Einzelheiten divergierten, hatte ihre Annahme, dass das marcionitische Evangelium auf einer Quelle beruhe, von der auch Lk abhängig sei, der These der Priorität des marcionitischen Evangeliums die Spitze genommen. Baur und Ritschl haben auf Volckmars und Hilgenfelds Einwände repliziert, sind dabei aber zu recht unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. 47 Baur räumte vor allem unter dem Eindruck von Hilgenfelds Argumentation ein, dass das marcionitische Evangelium in der Tat an einigen Stellen eine Bearbeitung von Lk ______________________________ 45 A. a. O. 125: »Dass hier kein Zusammenhang durchgreifend ist, ist längst aufgefallen und drängt sich auch für eine oberflächliche Betrachtung alsbald auf. Jesus ist bei Lukas vor diesem Auftreten in Nazareth noch gar nicht nach Capernaum gebracht worden, geschweige denn, dass er da Wunder gethan hätte, und doch wird in Nazareth davon schon geredet (V. 23).« 46 H ILGENFELD , a. a. O. 469-474 (Rekonstruktion: 398-442). 47 F. C HR . B AUR , Das Markusevangelium nach seinem Ursprung und Charakter, nebst einem Anhang über das Evangelium Marcion’s, Tübingen 1851; A. R ITSCHL , Über den gegenwärtigen Stand der Kritik der synoptischen Evangelien, ThJb 10 (1851), 480-538. § 1: Evangelienforschung im 19. Jh. 17 sei, hielt aber gerade für den Anfang die Priorität des marcionitischen Evangeliums fest: Lk 4,16-30 habe seine jetzige Gestalt erst durch diejenige spätere Redaktion erhalten, die auch Lk 1f dazugesetzt habe: Baur identifizierte den Bearbeiter mit dem Verfasser der Apostelgeschichte. 48 Da Baur sowohl in Lk als auch im marcionitischen Evangelium deutliche redaktionelle Spuren sah, postulierte er einen Ur-Lukas, der einerseits durch die »judenchristliche« Redaktion in Lk-Act ergänzt, andererseits durch Marcion aus theologischem Interesse redaktionell verkürzt worden sei. 49 Im Unterschied zu Baur, der seine ursprüngliche Position nur teilweise preisgab, reagierte Ritschl auf die Kritik mit einer umfassenden retractatio. Er akzeptierte vor allem Volckmars methodische Einwände: Einerseits habe Volckmar gezeigt, dass der Zusammenhang der Perikopen im marcionitischen Evangelium keineswegs integer und daher auch nicht ursprünglich sei: Seinem eigenen methodischen Kriterium zufolge müsse es als Bearbeitung eines älteren Textes verstanden werden. Andererseits überzeugte ihn auch der Einwand gegen sein Argument, das auf der Inkonsistenz zwischen Marcions Theologie und seiner mutmaßlichen Redaktion beruht: Denn dass Marcion konsequent redigiert habe, sei nicht unbedingt zu erwarten. 50 Am Ende akzeptierte Ritschl die Lk-Priorität fast auf der ganzen Linie und hielt die marcionitische Fassung nur im Text des Vater Unser für ursprünglicher als die kanonische Fassung. Nach dem turbulenten Verlauf der Debatte fasste Volckmar schon zwei Jahre später die Ergebnisse in dem Bewusstsein zusammen, dass »nun auch wohl im Wesentlichen sowol als hinsichtlich der meisten Einzelnheiten, über die man jetzt noch sehr different oder schwankend war«, ein sichereres Urteil möglich sei. 51 Wichtig ist, dass er in dieser Zusammenfassung der Debatte auch seine eigene Sicht korrigierte, dass sowohl Lk als auch das marcionitische Evangelium tiefgreifende ______________________________ 48 Vgl. B AUR , Markusevangelium 212ff. 49 Vgl. B AUR , Markusevangelium 225: »Es bedarf daher, um die verschiedenen Erscheinungen, welche am Evangelium Marcion’s vor uns liegen, in ihrer Einheit zu begreifen, nur der einfachen Annahme, daß es ein älteres Lukasevangelium war, das die Vorgeschichte und einige andere Stücke noch nicht hatte, und über das jene redigirende, Evangelium und Apostelgeschichte zusammenstellende Hand noch nicht gegangen war, die sich uns selbst in dem Vorwort des Evangeliums als eine zu den Arbeiten anderer erst hinzugekommene, dem ganzen Verlauf der Urgeschichte von Anfang an folgende ankündigt. So betrachtet stehen das marcionitische und das kanonische Lukasevangelium, dem ursprünglichen gegenüber, in gleicher Linie neben einander, beide haben es verändert, das eine hat hinwegethan, das andere hinzugethan …« 50 R ITSCHL , Stand der Kritik 530. 51 G. V OLCKMAR , Das Evangelium Marcions. Text und Kritik mit Rücksicht auf die Evangelien des Märtyrers Justin, der Clementinen und der Apostolischen Väter. Eine Revision der neuern Untersuchungen nach den Quellen selbst zur Textbestimmung und Erklärung des Lucas-Evangeliums, Leipzig 1852, VI. 18 I. Fragestellung und Thema Spuren einer redaktionellen Bearbeitung zeigten: Jetzt hielt er das marcionitische Evangelium insgesamt für eine redaktionelle Bearbeitung des kanonischen Lk: »Ja bei dem nähern, auf Erreichung von Gewissheit auch über die Einzelnheiten gerichteten Eingehen muss ich meine eignen frühern Annahmen, beziehentl. Zugeständnisse, dass vielleicht Manches, was Marcion nicht bietet … schon ursprünglich bei Lucas gefehlt haben möge, dahin genauer gestalten, dass in der That auch dies nicht der Fall ist. […] Kurz unser Lucas-Evangelium zeigt sich … wenigstens seinem ganzen Umfang nach als das ursprüngliche, so schon von Marcion vorgefunden und von ihm nur nach seiner speciellen Tendenz verkürzt u. verändert.« 52 De facto kehrte Volckmar damit zu Hahns Position mit der Begründung der traditionellen Sicht zurück, auch wenn er sich von diesem in seiner Begründung und in Einzelheiten der Textrekonstruktion unterscheidet. Auch Hilgenfeld kam noch einmal auf das Problem zurück und hielt die doppelte Position fest: Marcions Evangelium sei eine Redaktion des Lk, aber das kanonische Lk-Evangelium sei ebenfalls anti-marcionitisch bearbeitet worden, auch wenn sich diese sekundären Zusätze i. W. auf Lk 1f beschränkten. 53 Obwohl Hilgenfeld sich damit doch nicht unerheblich von Volckmars Position unterschied, ist dessen Arbeit als eine Art »letztes Wort« in der Frage nach dem literarischen Verhältnis zwischen Lk und dem marcionitischen Evangelium im kollektiven Gedächtnis der Forschung haften geblieben. Als Theodor Zahn sich im Rahmen seiner kanongeschichtlichen Fragestellung erneut damit beschäftigte, ging er gar nicht mehr auf das unübersichtliche Hin und Her dieses Diskurses ein. Seine eigene Rekonstruktion, die er in der für ihn typischen Weise mit umfangreichem Material untersetzte, ist zwar nicht von Volckmars abschließender Position abhängig, stimmt aber sachlich mit ihr überein: Marcions Evangelium sei eine redaktionelle Verkürzung des kanonischen Lk. Es ist diese Position, von der Harnack ohne weitere Begründung ausging und damit die Forschung des 20. Jh. nachhaltig bestimmte: »Daß das Evangelium Marcions nichts anderes ist[,] als was das altkirchliche Urteil von ihm behauptet hat, nämlich ein verfälschter Lukas, darüber braucht kein Wort mehr verloren zu werden.« 54 Wenn die neuere Forschung bei gelegentlichen Rückgriffen hinter Harnack auf die Debatte um 1850 sich mancherlei Ungenauigkeit hat zuschulden kommen lassen, 55 ist dies angesichts des Umfangs und der Komplexität der Auseinandersetzung nicht wirklich verwunderlich: In weniger ______________________________ 52 V OLCKMAR , a. a. O. 256 (Hervorhebungen im Original). 53 Vgl. A. H ILGENFELD , Das marcionitische Evangelium und seine neueste Bearbeitung, ThJb 12 (1853), 192-244. 54 H ARNACK 240*. 55 Vgl. dazu R OTH , a. a. O., der nicht nur die wichtigsten Schritte der Debatte zwischen 1843 bis 1853 beschreibt, sondern auch ihre Verwendung in den Arbeiten vor allem von J. K NOX , Marcion and the New Testament, Chicago 1942 (=1980) und, von diesem abhängig, von J. B. T YSON , Marcion and Luke-Acts, Columbia 2006. § 1: Evangelienforschung im 19. Jh. 19 als einem Jahrzehnt haben sich die fünf wichtigsten Protagonisten (Schwegler, Baur, Ritschl, Hilgenfeld und Volckmar) auf rund 2000 Seiten zur Sache geäußert und dabei in Kritik und Gegenkritik auch die jeweils eigene Position revidiert. Der Ertrag ihres Diskurses erscheint im Rückblick (nicht nur aufgrund der dominanten Position Harnacks) einheitlicher, als er tatsächlich ist: Auch die Diskutanten haben gelegentlich den Überblick verloren. § 2: Fragestellung und These 1. Einige Ergebnisse und offene Fragen Trotz seiner Kürze ermöglicht dieser Überblick über die Evangelienforschung in der Mitte des 19. Jh. einige weiterführende Einsichten. 1. Die erste betrifft den Zeitrahmen, denn er liefert eine erste Erklärung dafür, warum die beiden Evangeliendiskurse im 19. Jh. nebeneinander her verliefen und ihre Ergebnisse nie aufeinander bezogen wurden. Die Zwei-Quellentheorie war zwar schon 1838 durch Chr. H. Weiße in Grundzügen entwickelt worden, wurde von der Forschung aber erst seit 1863 mit Holtzmanns Erklärung der synoptischen Beziehungen wissenschaftlich wirksam. Als zwischen 1843 und 1852 das Verhältnis zwischen Lk und dem marcionitischen Evangelium diskutiert wurde, spielte die Zwei-Quellentheorie noch keine Rolle, und auch die Markuspriorität war zu dieser Zeit nur eines unter mehreren diskutierten Modellen. Als dann Holtzmann 1863 sein Zwei-Quellen-Modell erstmals vorstellte, war der Marcion-Lk-Diskurs bereits Vergangenheit: Zu dieser Zeit lag Schweglers erste Kritik an der traditionellen Lk- Priorität bereits 20 Jahre zurück. Als Holtzmann 1892 die für die Rezeption der Zwei-Quellentheorie so einflussreiche 3. Aufl. seines »Lehrbuchs« veröffentlichte, waren schon 40 Jahre seit Volckmars abschließendem Votum in der Marcion-Lk- Debatte vergangen. Die Zwei-Quellentheorie wurde also erstmals zu einem Zeitpunkt auf breitem Raum rezipiert und diskutiert, als das Verhältnis zwischen dem marcionitischen Evangelium und Lk schon längst im Sinn der Lk-Priorität entschieden zu sein schien: In den 1890er Jahren galt als ausgemacht, dass das marcionitische Evangelium als Bearbeitung des Lk-Evangeliums erst in das 2. Jh. gehöre und daher für die Vorgeschichte des Lk oder für die synoptischen Beziehungen irrelevant sei. In den für die weitere Evangelienforschung so formativen zwei Dezennien zwischen 1843 und 1863 hatte die von Weiße selbst beklagte mangelnde Rezeption seiner Hypothese weitreichende Folgen: Die Grundlagen der Zwei- Quellentheorie waren eigentlich schon bekannt, als das Marcion-Lukas-Problem diskutiert wurde. Dass in der Mitte des 19. Jh. die beiden Fragestellungen nie aufeinander bezogen wurden, ist ein erstes gravierendes Versäumnis, das im Ergebnis zur Dominanz der Zwei-Quellentheorie geführt und die neutestamentliche Forschung durch das 20. Jh. hindurch nachhaltig beeinflusst hat. 2. Eine zweite Einsicht betrifft die literarkritische Methodik. Denn ein eindeutiges literarkritisches Urteil über das diachrone Verhältnis zweier Texte, die literarisch voneinander abhängig sind, ist auf der Basis dieser Texte allein grundsätzlich nicht möglich. Dies hat vor allem Volckmars Kritik an Ritschl und dessen Replik im § 2: Fragestellung und These 21 Diskurs über das literarische Verhältnis zwischen Lk und dem marcionitischen Evangelium sehr deutlich gezeigt: Die Beobachtungen, die an beiden Texten gemacht wurden, also die Wahrnehmung der Textdifferenzen und das Urteil über die jeweiligen (mehr oder weniger integren) Zusammenhänge, sind synchrone Beobachtungen, aus denen sich noch kein diachrones Gefälle für eine historische Zuordnung der beiden Texte ableiten lässt: Synchrone Beobachtungen sind hinsichtlich ihrer diachronen Einordnung in der Regel ambivalent. Um zwei Texte in ein diachrones Verhältnis setzen zu können, bedarf es zusätzlicher Informationen, die eine bestimmte Bearbeitungsrichtung eher angezeigt sein lassen als eine andere. Im Unterschied zu Ritschls Einführung des synchronen Kriteriums der integren Perikopenakoluthie für die Bestimmung des Bearbeitungsgefälles (und der Konsequenz, mit der er daran auch dann festhielt, als es ihn zu einer Kehrtwendung in der Beurteilung des Verhältnisses zwischen Lk und dem marcionitischen Evangelium nötigte), hatte Baur sehr klare Vorstellungen von dem geschichtlichen Rahmen, in dem die »evangelische Geschichte« sich entfaltete. Dementsprechend hielt er gegen Hilgenfelds Kritik daran fest, dass die Kombination von Lk und Act zu wesentlichen Teilen auf eine antimarcionitische Redaktion zurückzuführen sei. Die starke Evidenz, die ein diachrones Gesamtbild der geschichtlichen Entwicklung für das literarkritische Urteil besitzt, ist auch für die synoptische Debatte deutlich geworden: Es ist fraglich, ob sich Holtzmanns Zwei-Quellentheorie so deutlich durchgesetzt hätte, wenn sie nicht mit seinem liberalen Bild des historischen Jesus verbunden gewesen wäre, das den Erfordernissen der Zeit so sehr entgegenkam. Es ist zwar weder möglich noch wünschenswert, diachrone Theorien ohne ein solches historisches Gesamtverständnis zu entwickeln. Aber zur Vermeidung zirkulärer Begründungen ist es notwendig, die Wechselwirkung zwischen der historischen Einordnung der Quellen und dem Bild, das sie zu zeichnen vermögen, im Auge zu behalten. 3. Für diese Wechselwirkungen zwischen den synchronen Daten und dem Entwicklungsschema, in dem sie diachron erklärt werden, sind zwei Perspektiven zu unterscheiden. Denn die literarischen Beobachtungen an den Evangelien wurden einerseits auf das Bild des »historischen« Jesus, also auf die geschichtliche Wirklichkeit des in den Evangelien Berichteten, bezogen. Andererseits lassen sie sich in die Geschichte der nachapostolischen Zeit einordnen und so auf die geschichtliche Wirklichkeit der Abfassungszeit der Berichte beziehen. Für die rückwärtsgewandte Perspektive der Rekonstruktion der allerfrühesten Jesusüberlieferung gibt es über die Evangelien hinaus keine belastbaren - d. h. vor allem: von den zu erklärenden Evangelien unabhängigen - Daten: Hier ist also die Gefahr zirkulärer Argumentation besonders hoch. Für die andere Perspektive jedoch stehen solche Daten durchaus zur Verfügung: Vor allem die Textgeschichte des NT (deren Rekonstruktion 22 I. Fragestellung und Thema heute auf einem sehr viel breiteren und festeren Fundament beruht als am Ende des 19. Jh.) sowie die Entdeckung und Erschließung außerkanonischer Quellen haben das Bild von der Entwicklung des Christentums im 2. Jh. gegenüber den Vorstellungen im 19. Jh. erheblich verändert. So hat vor allem die Entstehung der Sammlung der neutestamentlichen Schriften - also das, was man gemeinhin unter das Stichwort »Kanongeschichte« fasst - bei den Untersuchungen zum Synoptischen Problem bzw. in der Lk-Marcion-Frage überhaupt keine Rolle gespielt. Gerade für dieses Problem steht aber mit David Trobischs These der Endredaktion der Kanonischen Ausgabe 1 ein Modell zur Verfügung, das ein ungeheures, bislang noch nicht ausgelotetes Erklärungspotential besitzt. 4. Schließlich gibt die forschungsgeschichtliche Skizze zu erkennen, dass wichtige Fragen unbeantwortet geblieben sind. Diese Fragen betreffen vor allem die Diskussion des Synoptischen Problems. Die »Minor Agreements« stellen ein grundsätzliches, aber ungelöstes Problem für die Zwei-Quellentheorie dar: Auf der Grundlage der Prinzipien, nach denen sie entwickelt wurde, funktioniert sie nicht. Dass die (vor allem deutschsprachige) neutestamentliche Forschung diesen Selbstwiderspruch so weithin unbeeindruckt in Kauf genommen hat, lässt sich nur durch den Mangel an plausiblen Alternativen erklären. Denn auch die Benutzungsmodelle, die teilweise in direkter Auseinandersetzung mit der Zwei-Quellentheorie entwickelt wurden, lösen die Probleme nicht wirklich: Sie werden der Komplexität der synoptischen Beziehungen nicht wirklich gerecht. Neben die problematische These einer Benutzung des Mt durch Lk, die hier exemplarisch genannt wurde, treten dann noch weitere Phänomene. Denn in der Verarbeitung des Materials der mt-lk Doppelüberlieferung (also das, was unter der Geltung der Zwei-Quellentheorie unter »Q« subsumiert wird), fällt auf, dass in manchen Fällen Mt, in andern Lk den ursprünglicheren Wortlaut bewahrt zu haben scheint. 2 Dieses Phänomen einer alternierenden Ursprünglichkeit 3 lässt sich nicht durch einfache Benutzungsmodelle erklären, stellt aber umgekehrt für die Zwei-Quellentheorie kein Problem dar, wenn Mt und Lk unabhängig voneinander auf dieses »Q«-Material zurückgegriffen haben könnten. Aber gegen einen solchen unabhängigen Zugriff auf »Q« stehen die »Minor Agreements«. So bleibt hier am Ende eine offene Frage. ______________________________ 1 D. T ROBISCH , Die Endredaktion des Neuen Testaments, Fribourg - Göttingen 1996. 2 Die umfangreiche Dokumentation der Diskussion dieses »Q«-Materials aus den letzten 100 Jahren in den Bänden »Documenta Q« zeigt dieses Phänomen mit wünschenswerter Deutlichkeit. 3 M. S. G OODACRE , The Case against Q, Harrisburg 2001, 61-66, nennt dieses Phänomen ‘alternating primitivity’, H. F LEDDERMANN , Q: A Reconstruction and Commentary, Leuven 2005, 60-65, spricht von ‘priority discrepancy’. § 2: Fragestellung und These 23 5. Für beide Diskurse fällt aus der zeitlichen und sachlichen Distanz auf, mit welcher Leichtigkeit man in der Mitte des 19. Jh. auf zusätzliche »Quellen« schloss, um die komplexen literarischen Phänomene erklären zu können. Das gilt zunächst für das Synoptische Problem, das wegen der Komplexität der Beziehungen ohne die Annahme zusätzlicher Quellen überhaupt nicht lösbar ist: Ein reines Benutzungsmodell wurde ja wiederholt diskutiert, hat den Anforderungen jedoch erkennbar nicht genügt. Die zwingende Konsequenz dieses Befunds dient bis heute dazu, die Existenz von »Q« als Dokument zu rechtfertigen und die Einschätzung zurückzuweisen, es handle sich dabei um eine »hypothetische Quelle«. 4 Die Frage, wieso es weder ein direktes noch ein indirektes Zeugnis für diese »Quelle« gibt, ist für »Q« genauso wenig beantwortbar wie für andere hypothetische Quellen, die - von »Urmarkus« über »Deuteromarkus« bis zu »Protolukas« - zur Erklärung herangezogen wurden. Das vollständige Fehlen aller externen Hinweise beeinträchtigt zwar nicht die methodische Notwendigkeit, eine zusätzliche Quelle in das Gefüge einzubeziehen, wohl aber die Selbstsicherheit, mit der die Existenz der jeweils angenommenen Zusatzquellen behauptet wurde. Auch für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem kanonischen Lk- und dem marcionitischen Evangelium meinte man ohne die Annahme weiterer Quellen nicht auszukommen: Von Gustav Volckmar bis Andrew Gregory wird für das Verhältnis zwischen dem marcionitischen Evangelium und Lk eine weitere, unbekannte Fassung angenommen - sei es, dass beide auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen, sei es, dass ein Bearbeitungsschritt zwischen ihnen liegt. 5 Auch diese zusätzliche »Quelle« ist kein leichtfertiges Postulat: Sie scheint dann unumgänglich zu sein, wenn man das marcionitische Evangelium als Bearbeitung des kanonischen Lk-Evangeliums erweisen will. Weil sich das nicht befriedigend zeigen lässt, scheint die Annahme einer vermittelnden Instanz gerechtfertigt zu sein, auch wenn sie methodisch problematisch ist. 6 Dass es in diesem Bereich nicht noch andere, neuere Quellenhypothesen gibt, liegt wohl nur daran, dass man das literarische Verhältnis zwischen Lk und dem marcionitischen Evangelium nicht in dem Maß als offenes Problem wahrgenommen hat, wie dies bei den synoptischen Evangelien der Fall ist. Als Problemanzeige bleibt daher für beide der genannten Fragekreise die Aufgabe, die jeweiligen literarischen Verhältnisse nach Möglichkeit ohne die ungeschützte Annahme zusätzlicher, aber gänzlich verlorener Quellen zu rekonstruieren. ______________________________ 4 Vgl. z. B. J. S. K LOPPENBORG , On Dispensing with Q? : Goodacre on the Relation of Luke to Matthew, NTS 49 (2003), 210-236: 211f. 5 Vgl. G. V OLCKMAR , Das Evangelium Marcions, Leipzig 1852; A. G REGORY , The Reception of Luke and Acts in the Period Before Irenaeus, Tübingen 2003; zum Problem vgl. u. S. 146f. 6 Vgl. zuletzt W OLTER , Lk 2f, zu Gregorys Argumentation. 24 I. Fragestellung und Thema 6. Die beiden Diskurse zum Synoptischen Problem und zum Verhältnis zwischen Lk und dem marcionitischen Evangelium sind Ausdruck der lebendigen und intensiven Forschung vor allem seit der Mitte des 19. Jh. Neben den überlieferungsgeschichtlichen Fragen stand ein weiterer, wichtiger Bereich, der jedoch nie einen nennenswerten Einfluss auf die überlieferungsgeschichtlichen Fragen besaß: Die Textkritik des Neuen Testaments machte in den fraglichen Jahrzehnten zwischen 1840 und 1890 ungeahnte Fortschritte, die ihren Niederschlag in den großen wissenschaftlichen Textausgaben von Lachmann, Tischendorf, Westcott/ Hort und anderen gefunden haben. Mit Blick auf die textgeschichtlichen Theorien, die in dieser Phase der Forschung entwickelt wurden, wird man einräumen, dass die umfangreichen Papyrusfunde des 20. Jh. noch nicht zur Verfügung standen. Gleichwohl ist festzustellen, dass sowohl die handschriftliche Basis als auch die wesentlichen Beobachtungen (vor allem zum »Westlichen Text«) bekannt waren, als Theodor von Zahn und Adolf von Harnack ihre maßgeblichen Rekonstruktionen vorlegten. Dass die textkritischen Beobachtungen gleichwohl keinen Eingang in die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte der kanonischen Evangelienüberlieferung fanden, erscheint im Rückblick als ein weiteres methodisches Versäumnis, das in seiner Auswirkung nicht weniger folgenreich war als das zuerst genannte. 2. Thesen und Anlage der Untersuchung Die offenen Fragen und die methodischen Probleme lassen sich jedoch lösen, wenn die Fragestellungen der beiden Evangeliendiskurse aufeinander bezogen werden. Denn wenn man die Verhältnisbestimmung zwischen Lk und dem marcionitischen Evangelium gegenüber der (durch Volckmar de facto repristinierten) traditionellen Abfolge umkehrt, erhält man mit dem marcionitischen Evangelium einen zusätzlichen Text, der für das Geflecht der synoptischen Beziehungen höchste Relevanz besitzt. Diese Umkehrung des Bearbeitungsverhältnisses zwischen dem marcionitischen Evangelium und Lk bildet den Kern der vorliegenden Untersuchung. a. Die Hauptthesen Die Hauptthesen lassen sich in drei relativ einfachen Einsichten zusammenfassen: 1. Die erste betrifft die Priorität des marcionitischen Evangeliums vor Lk: Nicht Marcion hat das kanonische Lk-Evangelium redigiert und verkürzt, sondern Lk ist eine redaktionelle Bearbeitung (und zwar im Wesentlichen: eine Erweiterung) des Evangeliums, das von Marcion, aber auch von vielen anderen benutzt wurde. 2. Das marcionitische Evangelium ist jedoch nicht nur ein vorlukanischer, sondern ein vorkanonischer Text: Marcions Evangelium lag allen kanonischen Evangelien als Quelle vor und wurde von ihnen auf unterschiedliche Weise (und in verschiedener Intensität) benutzt. Das von Marcion rezipierte Evangelium ist § 2: Fragestellung und These 25 folglich die älteste literarisch greifbare Schilderung des Lebens Jesu. Damit ist noch nichts über die Datierung ausgesagt, aber es spricht vieles dafür, dass die Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n. Chr. bereits vorausgesetzt ist. 3. Der Text des Lk-Evangeliums in den gängigen kritischen Ausgaben (NA 27/ 28 bzw. GNT 4 ) enthält in ungezählten textkritischen Einzelentscheidungen nicht die Formulierungen des Lk als Teil der Kanonischen Ausgabe des »Neuen Testaments«, sondern Lesarten dieses ältesten vorkanonischen Evangeliums. Für die Rekonstruktion des ältesten Evangeliums sind daher neben den literar- und redaktionskritischen Einsichten in die Überlieferungsgeschichte der Evangelientradition auch textkritische Beobachtungen zur Geschichte der Textüberlieferung entscheidend wichtig. b. Die Anlage der Untersuchung Diese Haupteinsichten sollen in der Untersuchung so weit als möglich in einzelnen, aufeinander aufbauenden Schritten entfaltet werden. Einzusetzen ist mit der Analyse der Bezeugung für das marcionitische Evangelium in der Alten Kirche (Teil II). Zunächst ist nach den Zeugnissen der altkirchlichen Häresiologen zu fragen (§ 3): Ihren Referaten verdanken wir die wichtigste Kenntnis des ansonsten verlorenen Textes. Es ist daher notwendig, sowohl das theologische Interesse als auch die methodischen Voraussetzungen der Häresiologen zu untersuchen, weil sich nur so die Zuverlässigkeit ihrer Referate einschätzen lässt. Neben der Behandlung von zwei kleinen Sonderproblemen (§ 4) ist darüber hinaus zu erkunden, welche Aufschlüsse die handschriftliche Überlieferung des kanonischen Lk-Textes für die Rekonstruktion von Marcions Evangelium bietet (§ 5). Dazu werden die Analogien zwischen dem durch die Häresiologen bezeugten Text dieses Evangeliums und den Varianten des kanonischen Lk-Textes untersucht. Die Komplexität dieses Abschnittes der Untersuchung macht jedoch die Berücksichtigung von Erkenntnissen erforderlich, die erst im weiteren Verlauf genauer erläutert und entfaltet werden können. In einem weiteren Kapitel ist dann die These der Priorität des marcionitischen Evangeliums vor dem kanonischen Lk genauer zu begründen (Teil III). Dafür sind zunächst die methodischen Voraussetzungen zu klären, unter denen sich die Bearbeitungsrichtung zwischen diesen beiden Texten bestimmen lässt (§ 6). An zwei herausragenden Beispielen, nämlich dem Anfang (§ 7) und dem Ende (§ 8), ist dann die Priorität von Marcions Evangelientext vor Lk zu zeigen. Ein letztes Kapitel zieht die überlieferungsgeschichtlichen Konsequenzen aus dieser Einsicht und skizziert die Geschichte der kanonischen Evangelienüberlieferung unter der Voraussetzung der Priorität des macionitischen Evangeliums (Teil IV). Dieser Abschnitt ist nicht mehr als eine Modellskizze. Sie erhebt gleichwohl den Anspruch, die wesentlichen Schritte der Überlieferungsgeschichte vom ältesten 26 I. Fragestellung und Thema Evangelium bis zum kanonischen Vier-Evangelienbuch gültig zu beschreiben. Nach der knappen Skizze einer Arbeitshypothese (§ 10) werden die wichtigen Relationen zwischen dem marcionitischen Evangelium und Mk (§ 11) bzw. Mt (§ 12) untersucht, außerdem das einigermaßen komplexe Verhältnis zwischen dem marcionitischen Evangelium, Joh und Lk im Rahmen des kanonischen Vier-Evangelienbuches (§ 13). Im Anschluss ist zu zeigen, dass und wie diese Texte im Rahmen der Kanonischen Ausgabe des Neuen Testaments einer Schlussredaktion unterzogen wurden (§ 14). Am Ende steht eine knappe Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse, verbunden mit der Frage, welche weitergehenden Fragestellungen sie eröffnen (§ 15). Die überlieferungsgeschichtlichen Untersuchungen in den Teilen III und IV haben jeweils nur Modellcharakter. Aber für die Bestimmung der Abhängigkeits- und Bearbeitungsverhältnisse ist es nicht erforderlich, alle Einzeltexte zu analysieren: Das Bearbeitungsgefälle, das sich aus exemplarisch untersuchten Textteilen ergibt, gilt auch für das jeweilige Textganze. Gleichwohl beruht das überlieferungsgeschichtliche Modell nicht nur auf den wenigen, hier behandelten Beispielen, sondern wird für alle Einzeltexte des marcionitischen Evangeliums durchgespielt. Dazu dient die Rekonstruktion (Anhang I). Ihre primäre Funktion besteht darin, die direkten Zeugnisse der häresiologischen Referate zu evaluieren. Aber die Berücksichtigung von Erkenntnissen, die sich aus der handschriftlichen Überlieferung des kanonischen Lk-Evangeliums ergeben, ermöglicht darüber hinaus in vielen Fällen ein begründetes Urteil auch für unbezeugte Textpassagen. Der auf diese Weise rekonstruierte Text des marcionitischen Evangeliums lässt dann auch (in vielen Fällen: sehr eindeutig) das Bearbeitungsgefälle zwischen diesem und dem kanonischen Lk-Evangelium erkennen, das den exemplarischen Analysen in Teil III entspricht und diese in großer Breite stützt. Ganz analog dazu generiert die Textrekonstruktion aber auch weitere überlieferungsgeschichtliche Erkenntnisse für die anderen Evangelien. Auch, wenn auf diese Weise nicht der gesamte Stoff der vier kanonischen Evangelien analysiert wird, bestätigt sich in vielen Fällen der Überlieferungsgang von Einzeltexten nach dem Modell, das in Teil IV vorgestellt wird. c. Terminologische Vereinbarungen Am Ende der Einleitung ist es sinnvoll, die wichtigsten terminologischen Entscheidungen zu erläutern. Auch, wenn sie in den meisten Fällen selbsterklärend sind, könnten sie doch ungewohnt erscheinen und Anlass für Missverständnisse bieten. 1. Am wichtigsten ist die Bezeichnung des marcionitischen Evangeliums mit dem Kürzel »*Ev«. Die Verwendung dieser Bezeichnung unterscheidet sich von der 1. Auflage. § 2: Fragestellung und These 27 Ursprünglich hatte ich die Abkürzung »Mcn« benutzt. Da dieses Evangelium nicht eine redaktionelle Bearbeitung des kanonischen Lk-Evangeliums, sondern dessen wichtigste Quelle ist, und da seine Benutzung (nicht nur, aber) in allererster Linie für Marcion und seine Anhänger gesichert ist, sollte das Sigel »Mcn« eine eindeutige Zuordnung erlauben. Aber wie ich schon damals befürchtete, gab diese Abkürzung Anlass zu dem Missverständnis, dass Marcion als »Namengeber« dieses Evangeliums auch sein Urheber sei, also etwa so, wie die altkirchliche Tradition die in den Evangelientiteln genannten Gewährsleute des »Evangeliums nach Matthäus, Markus usw.« als Autoren verstanden hatte. Obwohl ich dies ausdrücklich nicht gemeint hatte, ließ sich das Missverständnis kaum vermeiden, zumal die Idee, dass Marcion tatsächlich der Autor dieses Evangeliums ist, gegenwärtig auch vertreten wird. 7 Wegen fehlender Alternativen hatte ich (der mangelhaften Eindeutigkeit zum Trotz) an dieser Abkürzung festgehalten. Denn alle anderen und durchaus sinnvollen Bezeichnungen, die ich in Erwägung gezogen hatte, haben sich schon seit langer Zeit als Elemente ganz anders gearteter überlieferungsgeschichtlicher Modelle in der Fachterminologie eingebürgert: Inhaltlich wären die Bezeichnungen »Urevangelium« oder »Protevangelium« gut denkbar, die aber seit dem ausgehenden 18. Jh. ihren festen terminologischen Platz in den Diskursen über den Anfang der Evangelienüberlieferung besitzen. Auch die Bezeichnungen »Protolukas« oder »Protomarkus« wären angemessen, weil sie die überlieferungsgeschichtliche Position von *Ev im Verhältnis zu den kanonischen Evangelien angemessen beschreiben. Aber auch diese Bezeichnungen haben schon lange einen festen Platz im Diskurs über das Synoptische Problem: Sie sind »besetzt« und gehören in vollkommen andere Theoriemodelle. Aus diesem Grund war die Wahl des Sigels »Mcn« eher eine Notlösung. Unerklärlicherweise hatte ich dabei völlig übersehen, dass dieses marcionitische Evangeliem ja tatsächlich einen Titel hat: Es heißt εὐαγγέλιον, Evangelium. 8 Die Abkürzung dieses Titels (*Ev) hat einige Vorteile vor »Mcn« und soll deshalb hier eingeführt werden. Ganz eindeutig bezieht sich *Ev auf den Text und nicht auf den (angenommenen) Autor oder Rezipienten des Textes. »*Ev« verweist auf den individuellen Titel »Evangelium« und unterscheidet sich darin von der Gattungsbezeichnung, die in seiner Folge entstanden ist. Wie jeder andere Titel auch, werden »Evangelium« und die Abkürzung (*Ev) artikellos verwendet, also ganz entsprechend zu Mk, Mt, Joh usw. Dabei entspricht die Latinisierung (evangelium) des griechischen Titels (εὐαγγέλιον) der wissenschaftlichen Konvention für die Form antiker Werkbezeichnungen (und Autorennamen). Der beigegebene Asterisk ist ebenfalls konventionell: wie auch sonst markiert er die mutmaßlich ältere, aber verlorene Fassung eines Textes und bezieht sich deswegen auf eine Rekonstruktion. »*Ev« bezeichnet daher das Evangelium (εὐανγγέλιον), das als Teil der marcionitischen Schriftensammlung bezeugt ist, ohne damit Marcions Autorschaft oder auch ______________________________ 7 Vgl. M. V INZENT , Marcion and the Dating of the Synoptic Gospels, Leuven 2014; DERS ., Tertullian’s Preface to Marcion’s Gospel, Leuven 2016. 8 Vgl. dazu die Rekonstruktion, u. Bd. II, S. 533f; zur patristischen Diskussion über den Titel (bzw. dessen Fehlen) vgl. § 3 (u. S. 35f). 28 I. Fragestellung und Thema nur seine aktive Rolle bei der Zusammenstellung oder Promulgation dieser Sammlung zu implizieren. Im Unterschied zu »Mcn« lässt sich diese Abkürzung auch aussprechen. 2. Kapitulation und Verseinteilung von *Ev folgen denen des kanonischen Lk. Zur Unterscheidung der Angaben steht den Stellenangaben aus *Ev ein * voran (z. B. *3,1a), während Verweise auf den kanonischen Lk-Text wie gewohnt durch Lk eingeleitet sind (z. B. Lk 3,1b). Da auch die anderen Evangelien in einer vorkanonischen Fassung existiert haben, deren Gestalt an manchen Stellen noch sichtbar ist, wird auf den vorkanonischen Text dieser Evangelien auf entsprechende Weise verwiesen, also: *Mk; *Mt; *Joh. Die ausdrückliche Unterscheidung zwischen den vorkanonischen und den kanonischen Fassungen dieser Texte wird jedoch nur an denjenigen (wenigen) Stellen explizit gemacht, an denen sie für die Text- und Überlieferungsgeschichte von Bedeutung ist. Das zugrunde liegende Modell der Unterscheidung zwischen den vorkanonischen und den kanonischen Evangelien sowie der dazwischen liegende Schritt der Kanonischen Redaktion sind in § 14 erläutert. 3. Das hier entwickelte Modell der Entstehungsgeschichte der kanonischen Evangelienüberlieferung berührt zahlreiche Fragestellungen, deren Diskussion im methodischen Horizont anderer Modelle, vor allem in dem der Zwei-Quellentheorie, schon seit langem ihren festen Platz hat. Es schien nicht sinnvoll, auf die seit langem vertraute Terminologie (Q; Minor Agreements; Mk-Q Overlaps usw.) ganz zu verzichten. Da die methodischen Grundlagen, die zur Ausbildung dieser Terminologie geführt haben, hier jedoch nicht geteilt werden, werden diese in der Fachsprache eingebürgerten Abkürzungen in Anführungszeichen verwendet (also »Q«, »Minor Agreements« usw.) Unabhängig von bestimmten Erklärungsmodellen soll Dreifachüberlieferung das Material bezeichnen, das allen drei Synoptikern gemeinsam ist. Mit Doppelüberlieferung sind in aller Regel (und meist auch so angegeben) die mt-lk Doppelüberlieferungen gemeint, also i. W. das Material, das im Rahmen der Zwei- Quellentheorie als »Q«-Stoff bezeichnet wird. 4. Ein wesentlicher Teil der Untersuchung widmet sich den Fragen der Überlieferungsgeschichte. Überlieferungsgeschichte bezieht sich immer auf die Geschichte der Evangelienüberlieferung vom ältesten Evangelium über die verschiedenen Bearbeitungsstufen und revidierten Fassungen bis hin zur Vollendung des kanonischen Vier-Evangelien-Buches. Überlieferungsgeschichte bezieht sich daher immer auf schriftliche Texte und ist in erster Linie an dem Traditionsvorgang (traditio) interessiert, der sich in der Überlieferung und Rezeption konkreter Texte äußert. Davon unterschieden wird »Traditionsgeschichte«: Sie ist § 2: Fragestellung und These 29 in erster Linie an dem Überlieferungsinhalt (traditum) interessiert, der nicht an eine bestimmte Textgestalt gebunden ist. 5. Auch textgeschichtliche Fragen spielen eine wesentliche Rolle. Da die Textkritik des Neuen Testaments in den letzten über 100 Jahren sehr unterschiedliche Bezeichnungen für Textgruppen und -familien verwendet hat, hat sich keine durchgängige Terminologie entwickelt. Die für unsere Untersuchung wichtigen Handschriften(gruppen) D it sy zeigen eine lange Reihe von specifica differentia und werden deshalb seit dem ausgehenden 18. Jh. unter der Bezeichnung »Westlicher Text« zusammengefasst. Diese schon lange etablierte Bezeichnung ist gelegentlich übernommen, allerdings ohne dass damit ein textgeschichtliches Urteil verbunden wird; aus diesem Grund werden die Bezeichnungen »Westlicher Text« oder »Westliche Handschriften« immer in Anführungszeichen geboten. Die Siglen für die Handschriften folgen den Konventionen der kritischen Ausgaben (NA 27 / GNT 4 ), ebenso die übrigen textkritischen Zeichen und Kürzel. Alle typographischen Elemente und Siglen, die für die Textrekonstruktion, die Testimonienlisten und die textkritischen Abschnitte sowie für die Angaben der synoptischen Parallelen verwendet werden, sind in der Einleitung zu Anhang I erläutert (Bd. II, S. 530f). Weitere Siglen und Abkürzungen, vor allem zu den Varianten der handschriftlichen Überlieferung, sind in der Einleitung zu Anhang III (Bd. II, S. 1366ff) aufgeführt. II. Da s marcionitis che Evang elium und s ein Text in der Alten Kirche § 3: Die Bezeugung von *Ev durch die Häresiologen Von dem Evangelium, das neben der Sammlung von zehn Paulusbriefen Teil von Marcions Bibel war, haben sich keine Handschriften erhalten. Es lässt sich nur aus den Zeugnissen der altkirchlichen Häresiologen rekonstruieren. Deren Mitteilungen sind nicht nur ungenau, unvollständig und an etlichen Stellen widersprüchlich. Sie sind vor allem geprägt von der durchgehenden Polemik, mit der sich die entstehende katholische Kirche von den Marcioniten, ihrer Theologie und ihrer Schriftgrundlage abgrenzte. Vor dem Versuch einer Rekonstruktion von *Ev sind daher einige Vorüberlegungen notwendig: Zunächst ist (1.) die Struktur der Vorwürfe gegen Marcion zu skizzieren, weil sich daraus das argumentative Interesse ergibt, das die *Ev-Referate veranlasste. Im Anschluss muss (2.) die jeweilige Argumentationsstruktur und das Vorgehen der Häresiologen daraufhin befragt werden, welchen Aufschluss die Referenzen auf *Ev tatsächlich zu geben vermögen: Welcher Grad an Vollständigkeit und welches Maß an Zuverlässigkeit lassen die Referate erwarten? In diesem Zusammenhang ist (3.) ein methodisches Problem wenigstens anzuzeigen: In einer erstaunlich großen Zahl von Fällen bezeugen die Hauptreferenten unterschiedliche Textgestalten für *Ev: Die Widersprüche in der Bezeugung scheinen die Zuverlässigkeit der Referenten erheblich zu beeinträchtigen, werfen aber auch grundsätzliche Fragen nach dem Text von *Ev auf. Die Untersuchung beschränkt sich dabei auf die Hauptzeugen: Es sind dies an erster Stelle Tertullian, dessen viertes Buch von Adversus Marcionem ganz der Auseinandersetzung mit dem marcionitischen Evangelium gewidmet ist. Neben Tertullian tritt Epiphanius, der die Häresie der Marcioniten im 42. Buch seines Panarion ausführlich behandelt und in diesem Zug eine Liste mit 77 (78) Zitaten bzw. Paraphrasen aus *Ev liefert. Von den weiteren Zeugen, die Harnack am vollständigsten verzeichnet hat, 1 verdienen nur noch die ersten beiden Bücher des Adamantiusdialogs De recta in deum fide Erwähnung. 1. Die Struktur der Vorwürfe gegen Marcion In der uns interessierenden Frage nach dem Verhältnis zwischen dem kanonischen Lukasevangelium und *Ev sind sich die altkirchlichen Häresiologen trotz aller Differenzen hinsichtlich der Beurteilung der marcionitischen Theologie und seinem Text, den sie bezeugen, erstaunlich einig. Sie werfen Marcion nicht nur eine ______________________________ 1 H ARNACK 40*ff. 34 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche falsche Theologie, sondern auch die Verstümmelung des kanonischen Lukasevangeliums vor: Die »pontische Ratte« habe »die Evangelien zernagt«. 2 Wegen dieses engen Bezugs zwischen der »häretischen« Theologie und der »gefälschten« Bibel nimmt Marcion im Urteil der altkirchlichen Häresiologen eine Sonderstellung ein. Im Unterschied zu allen anderen gnostischen bzw. gnostisierenden Häretikern des 2. und 3. Jh. mit ihrer deutlich spekulativeren Theologie haben die Häresiologen Marcions Art der theologischen Argumentation als besondere Bedrohung wahrgenommen, weil sie der eigenen, auf Schriftauslegung beruhenden theologischen Urteilsbildung so ähnlich war. Bis heute gilt Marcion daher als »Bibeltheologe«. 3 Der enge Zusammenhang zwischen Marcions »falscher« Theologie und seiner damit korrelierenden Schriftgrundlage bestimmt daher die gesamte häresiologische Auseinandersetzung mit Marcion. Die antimarcionitische Argumentation besitzt - von Irenaeus über Tertullian bis Epiphanius - eine feste Struktur. 4 Dabei lassen sich fünf stereotype Argumentationsschritte voneinander unterscheiden. a. Marcion hat das kanonische Lukasevangelium verfälscht Damit ist eine redaktionelle Tätigkeit gemeint, die i. W. in Kürzungen bestand: Marcion habe Lk »zerschnitten«, »verdreht«, »verkürzt« und »verstümmelt« 5 bzw. Passagen daraus »gestrichen«. 6 Wichtig ist dabei die Feststellung, dass die Häresiologen von Anfang an keinerlei Zweifel daran ließen, dass es das kanonische Lk- ______________________________ 2 Tertullian, Adv. Marc. 1,1,5: quis tam comesor mus Ponticus quam qui evangelia corrosit? Vgl. Epiphanius 42,11,3 (u. S. 35 Anm. 7). 3 Besonders nachdrücklich T H . Z AHN , Geschichte des Neutestamentlichen Kanons I, Erlangen - Leipzig 1889, 586f; H ARNACK 35ff. 4 Die engen Entsprechungen zwischen der antimarcionitischen Argumentation bei Irenaeus und Tertullian sowie die Struktur von Irenaeus’ Marcionreferat haben zu der Vermutung Anlass gegeben, dass schon Irenaeus von einer Quelle abhängig war, die man in Justins verlorenem »Syntagma gegen alle Häresien« (vgl. Euseb, H.E. 4,18,9) zu sehen gemeint hat (zuerst ausführlich: Z AHN , a. a. O. 599f); vgl. z. B. G. M AY , Markion in seiner Zeit, in: ders., Markion. Gesammelte Aufsätze, Mainz 2005, 1-12: 3. 5 Iren., Haer. 3,12,12: Die gnostischen Häretiker »haben sich eingebildet, sie selbst hätten mehr als die Apostel gefunden, da sie noch einen Gott hinzu erfanden (alterum deum adinvenientes) … Deshalb sind Marcion und seine Anhänger hingegangen und haben die Schriften zerschnitten (unde et Marcion et qui ab eo sunt ad intercidendas conversi sunt scripturas); einige lehnen sie überhaupt ab, das Lukasevangelium und die Paulusbriefe kürzen sie dagegen, und als authentisch erkennen sie nur das an, was sie selbst verstümmelt haben (quasdam quidem in totum non cognoscentes, secundum Lucam autem evangelium et epistulas Pauli decurtantes, haec sola legitima dicunt esse quae ipsi minoraverunt).« S. auch Iren., Haer. 1,27,4; 3,14,4 (»Sie prahlen … mit dem Besitz eines Evangeliums, dabei verstümmeln [decurtantes] sie nur dasjenige des Lukas«). 6 Vgl. z. B. Tert., Adv. Marc. 1,1,5; 4,6,2 (»Sicherlich aus diesem Grund hat er, was seiner Lehre entgegensteht, gestrichen [erasit] … aber zurückbehalten, was mit seiner Lehre übereinstimmt«); 4,3- 5. Die wichtigsten von Tertullian verwendeten Ausdrücke sind: adulterare (z. B. 2,1,1; 4,2,1; 4,4,1; 4,5,1; Praescr. 38 uö.); emendare (Adv. Marc. 4,5,1; 4,4,5); interpolare (5,3,2); inferre (Paescr. 18; § 3: Die Bezeugung von *Ev durch die Häresiologen 35 Evangelium war, das Marcion bearbeitet hatte. So vergleicht Epiphanius das marcionitische Evangelium mit einem »Spiegel des Lukasevangeliums«, wenn auch mit dem Zusatz, dass ihm Anfang, Mitte und Ende fehlten: Es habe Löcher wie ein von Motten zerfressenes Hemd. 7 Der Hinweis, dass Marcion das kanonische Lk- Evangelium bearbeitet habe, interessierte die Häresiologen aus zwei Gründen: Auf der einen Seite werteten sie die enge Affinität von Lk und *Ev als Ausdruck dafür, dass Marcion eine bewusste Auswahl aus dem kanonischen Neuen Testament getroffen habe: Marcion hat weder die anderen kanonischen Evangelien (die mit ihren Verfasserangaben genannt werden) noch die Apokalypse rezipiert 8 - er hat folglich das kanonische Vier-Evangelienbuch emendiert. 9 Wichtig ist aber vor allem die Titellosigkeit des marcionitischen Evangeliums. Denn die Titel der kanonischen Evangelien mit ihren Verfasserangaben belegten ihre Herkunft von Aposteln bzw. Apostelschülern, mithin also ihren apostolischen Ursprung und damit sowohl die auf Jesus zurückgeführte Autorität als auch das höhere Alter (Tert. 4,2,1): Die Apostel Johannes und Matthäus hätten den Glauben geweckt, die Apostelschüler Markus und Lukas ihn erneuert, wobei es zwischen allen Vieren eine Übereinstimmung in den wesentlichen Aussagen gebe. Verständlicherweise bestimmt Tertullian diese Übereinstimmung zwischen den kanonischen Evangelien in einer Weise, die die wichtigsten Differenzen zur marcionitischen Theologie markiert: Der katholische Glaube beziehe sich auf den einen Gott und Schöpfer und auf seinen Christus, der von einer Jungfrau geboren wurde und die Erfüllung von Gesetz und Propheten ist. Tertullian folgert: Solange über diese Hauptstücke Einigkeit bestehe, fielen die Abweichungen in der literarischen Anlage (narrationum dispositio) nicht ins Gewicht - aber Marcion stimme gerade mit ______________________________ 38); inicere (Adv. Marc. 4,9,15); intexere (4,6,2); addere (4,25,18). - Epiphanius, Haer. 42,9,1; 10,2. Die Bezeichnung, die Epiphanius stereotyp für diese »Streichungen« verwendet, ist παρακόπτειν; s. u. 7 Epiph. 42,11,3: ὁ μὲν γὰρ χαρακτὴρ τοῦ κατὰ Λουκᾶν σημαίνει τὸ εὐαγγέλιον. ὡς ἠκρωτηρίασται μήτε ἀρχὴν ἔχον μήτε μέσα μήτε τέλος, ἱματίου βεβρωμένου ὑπὸ πολλῶν σητῶν ἐπέχει τὸν τρόπον. 8 Tert. 4,5,2f: Habemus et Ioannis alumnas ecclesias. Nam etsi A p o c a l y p s i n eius Marcion respuit, ordo tamen episcoporum ad originem recensus in Ioannem stabit auctorem … [3] Eadem auctoritas ecclesiarum apostolicarum ceteris quoque patrocinabitur evangeliis, quae proinde per illas et secundum illas habemus, I o a n n i s dico et M a t t h a e i , licet et M a r c u s quod edidit Petri affirmetur, cuius interpres Marcus. 9 Tert. 4,4,5: Nisi quod humanae temeritatis, non divinae auctoritatis, negotium est haeresis, quae sic semper emendat evangelia dum vitiat. 36 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche diesem caput fidei nicht überein (4,2,2). 10 Im Folgenden stellt Tertullian die Titellosigkeit von Marcions Evangelium dem vom Apostelschüler (apostolicus) Lukas verfassten kanonischen Evangelium gegenüber. Die gleiche Argumentation begegnet dann auch bei Adamantius, hier mit einer höchst aufschlussreichen Wendung (Dial. 1,5 [805b-d]). Der Marcionit Megethius eröffnet diesen Abschnitt des Dialogs mit der Ankündigung, die kanonischen Evangelien als gefälscht zu erweisen (ἐγὼ δύναμαι δεῖξαι ϕάλσα ἐστὶ τὰ εὐαγγέλια), und zwar auf der Grundlage eben dieser Evangelien. Als Adamantius ihn fragt, ob er denn auch seinen Gegenbeweis akzeptiere, dass die kanonischen Evangelien echt seien, stimmt Megethius zu, will aber die Namen der Verfasser der Evangelien wissen - an dieser Stelle entsteht der Konflikt, weil Megethius Markus und Lukas nicht als Jünger akzeptiert (Matthäus, dessen Name sich ja nur in der mt Jüngerliste findet, nicht aber im marcionitischen Evangelium, bereitet dem Marcioniten offen-sichtlich kein Problem! ). Als Adamantius ihm aus Kol 4 zeigen will, dass Markus und Lukas zu den 72 gehören, lehnt Megethius diesen Beweis mit Hinweis darauf ab, dass die kanonische Apostolossammlung (also auch Kol) gefälscht sei. 11 Das heißt: Die Verfasserangabe »Lukas« im Titel des kanonischen Evangeliums, die der katholischen Seite als Beweis für die Apostolizität und Ursprünglichkeit dient, wird von den Marcioniten als Beleg für seine Fälschung genommen. Der Konflikt über das »richtige« Evangelium ist zugleich der Konflikt über die kanonische Sammlung insgesamt. Wichtiger ist aber schon hier der Hinweis, dass die eindeutig bezeugte Anonymität von *Ev die Vertreter der Lk-Priorität vor große Schwierigkeiten stellt. 12 Denn wegen der engen Verbindung von Lk-Act, die vor allem durch die beiden aufeinander verweisenden Prologe sichergestellt wird, müssen sie postulieren, Marcion hätte (1) ein zweiteiliges Werk getrennt, (2) den einen Teil verworfen, den anderen dagegen rezipiert, (3) den Titel dieses älteren Werkes unterschlagen ______________________________ 10 Tert. 4,2,2: Denique nobis fidem ex apostolis Ioannes et Matthaeus insinuant, ex apostolicis Lucas et Marcus instaurant, isdem regulis exorsi, quantum ad unicum deum attinet creatorem et Christum eius, natum ex virgine, supplementum legis et prophetarum. Viderit enim si narrationum dispositio variavit, dummodo de capite fidei conveniat, de quo cum Marcione non convenit. 11 Adam., Dial. 1,5 (806d): τῷ σῷ ϕάλσῳ οὐ πιστεύω ἀποστολικῷ. Diese Weigerung ist aufschlussreich, weil Kol ja zu den zehn Briefen der marcionitischen Apostolos-Sammlung gehörte. Zwar bezeugen weder Tertullian noch Epiphanius Kol 4,14 mit der für die Argumentation wichtigen Erwähnung des Lukas, aber Adamantius’ eigener Text enthält diesen Hinweis: Denn als Adamantius ihm anbietet, den Beweis aus Megethius’ eigenem Apostolos-Exemplar zu führen, willigt er ein. Jedoch enthält auch sein Exemplar die Wendung ἀσπάζεται ὑμᾶς Λουκᾶς καὶ Δημᾶς (807a): Er wird prompt überführt (auf das Fehlen der Worte [Λουκᾶς] ὁ ἰατρὸς ὁ ἀγαπητός bei Adamantius ist nicht viel zu geben). 12 Vgl. etwa H ARNACK 249* Anm. 3: »Daß er das Ev. namenlos, d. h. ohne den Namen des Lukas, von der Überlieferung empfangen hat, ist ganz unwahrscheinlich: menschliche Autoritäten will M., Paulus ausgenommen, den Christus erweckt hat, nicht gelten lassen. Man darf daher nicht etwa folgern, daß unser 3. Ev. ursprünglich ohne den Namen des Lukas überliefert worden sei, weil M. diesen Namen nicht bietet« - das ist eine klassische petitio principii. § 3: Die Bezeugung von *Ev durch die Häresiologen 37 und (4) die mit Sicherheit zu postulierende Verfasserangabe getilgt - und dies alles ohne irgendwelche Hinweise im Text! 13 b. Marcion hat das kanonische Lk-Evangelium aus theologischen Gründen redigiert Am deutlichsten hat Tertullian diesen Aspekt auf den Punkt gebracht: Da Marcion das eine Ziel verfolge, einen Widerspruch zwischen dem Alten und dem Neuen Testament, zwischen dem Schöpfer und dem Gott Christi usw. zu etablieren, habe er das, »was seiner Lehre entgegensteht, gestrichen, … aber zurückbehalten, was mit seiner Lehre übereinstimmt.« 14 Dieses Argument ist deshalb von größter Bedeutung, weil es die Korrelation der marcionitischen Theologie mit seiner Schriftgrundlage behauptet. Dabei fungiert die »Trennung von Gesetz und Evangelium« als Haupt- und Oberhäresie. 15 In Tertullians Verständnis kennzeichnen die Begriffe »Gesetz« und »Evangelium« dabei in gleicher Weise einerseits theologische Kategorien, andererseits aber auch die Schriftgrundlage aus denen sie sich ergeben: Marcions theologischer Antinomismus korrespondiert mit der Ablehnung der alttestamentlichen Schriften. 16 Wann immer Tertullian Marcion die destructio legis et prophetarum vorwirft, hat er diesen doppelten Aspekt im Blick. 17 Tertullians Verstümmelungsvorwurf hat daher eine kanonische Dimension: Die marcionitische Redaktion des Lk-Evangeliums sei Teil einer Bearbeitung der gesamten kanonischen Bibel, aus der Marcion alle Hinweise auf eine Verbindung von Altem und Neuem Testament, von Schöpfer- und Erlösergott getilgt habe. Erst vor diesem Hintergrund sind dann die weiteren theologischen »Irrlehren« Marcions verständlich. Epiphanius hat sie in seinem methodischen Vorgehen der Behandlung von Marcions Bibelausgabe vorangestellt (42,3-5). ______________________________ 13 Vgl. B OVON , Lk I 33. Bovon sieht diese Probleme für das angenommene vorkanonische Doppelwerk und konzediert, dass ihm das Fehlen des Verfassernamens »rätselhaft« bleibe. Für die Titellosigkeit postuliert er, dass ein ursprünglicher Titel als subscriptio am Ende von Apg bei der Trennung des ursprünglich angeblich zweiteiligen Werkes weggefallen sei - allerdings ohne irgendeine Spur in der handschriftlichen Überlieferung. 14 Tert. 4,6,2: … certe propterea contraria quaeque sententiae suae erasit … competentia autem sententiae suae reservavit. Vgl. auch Iren., Haer. 3,12,12 (o. S. 34 Anm. 5). 15 Tert. 1,19,4: separatio legis et evangelii proprium et principale opus est Marcionis. 16 Z. B. Tert. 4,6,1: »Mit Sicherheit hat er nämlich sein ganzes Werk, das er ausgearbeitet hat, auch durch die Voranstellung der ›Antithesen‹ zu dem Zweck unternommen, um einen Widerspruch zwischen dem Alten und den Neuen Testament aufzustellen (ut veteris et novi testamenti diversitatem constituat), um seinen Christus vom Schöpfer zu trennen, gerade so, als gehöre er einem anderen Gott an und sei dem Gesetz und den Propheten fremd (alienum legis et prophetarum).« 17 Tert. 4,36,11 (ed. Evans diff. Kroymann): Ab illo deo descendisse Iesum ad deiectionem creatoris, ad destructionem legis et prophetarum? Zur destructio legis et prophetarum vgl. auch 4,15,1; 4,25,7; 4,33,9. 38 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche Im Einzelnen zählt er auf: Der Dibzw. Tritheismus, also die Unterscheidung zwischen einem höchsten Prinzip, dem bonus deus, und dem Schöpfer bzw. Demiurgen; 18 Sexualaskese und Sabbatfasten; 19 Leugnung der resurrectio carnis; 20 deviante Taufpraxis (Taufwiederholungen und Taufe durch Frauen); 21 Ablehnung von Gesetz und Propheten sowie der himmlischen Herkunft Christi. 22 Wie charakteristisch diese Liste ist, muss offenbleiben. Immerhin ist deutlich, dass Epiphanius durchaus ein Interesse an den devianten Formen kirchlichen Lebens hat (Taufe; Sakramentsverwaltung; Askese). Harnacks ganz anders gelagertes Interesse bei der Zusammenstellung der Motive, die Marcion zu seinen Textänderungen veranlasst haben könnten, führt dazu, dass er ausschließlich dogmatische Überlegungen zum Ditheismus und seinen Konsequenzen (Antinomismus; Christologie) anführt. 23 Schließlich ist wenigstens noch darauf hinzuweisen, dass Tertullian sich - nach Ausweis seiner Argumentation in Buch 4 - vor allem am Doketismus Marcions stört; aber vielleicht hat ihm der Text des Evangeliums auch nur dafür die besten Anknüpfungspunkte geboten. Epiphanius’ Liste führt die Ablehnung von Gesetz und Propheten nur als einen Irrtum unter anderen auf: Seine Charakterisierung der marcionitischen Häresie entbehrt durchaus der »eindrucksvolle(n) Konsequenz und Geschlossenheit«, 24 die man Marcions Theologie des Gesetzes bescheinigt hat. Es ist möglich, wenn nicht wahrscheinlich, dass Epiphanius’ Sicht historisch zutreffender ist, als Tertullians Darstellung es zu erkennen gibt, der die gesamte marcionitische Irrlehre auf dieses eine proprium et principale opus Marcions zurückführt. So könnte am Ende Tertullians Darstellung der eigentliche Grund für den Eindruck der systematischen Geschlossenheit der marcionitischen Theologie sein. ______________________________ 18 Epiphanius, Haer. 42,3,1; das dritte Prinzip ist der Teufel als Ursprung des Bösen. Zu Marcions Gotteslehre vgl. auch: Epiph. 42,6,1-8,7; Euseb, H.E. 5,13,4; Hippolyt, Refut. 7,31,1f; Athanasius, Decr. Nic. 26,3f (22,10ff ed. Opitz = 464b MPG); Adam., Dial. 1,2 (805a); Cyrill, Cat. Illum. 16,4.7. 19 Epiph. 42,3,3f. Zur marcionitischen Askese vgl. Hippolyt, Refut. 7,30,3; Clemens Alex., Strom. 3,12,1f; 3,25,2; Tert., Adv. Marc. 1,14,5; 1,29,1. 20 Epiph. 42,3,5; vgl. dazu auch Iren., Haer. 1,27,3; Hipp., Refut. 10,19,3; Adam., Dial. 2,7 (825a-e). Dass nur die Seelen auferweckt werden, sagt Epiphanius ein Stück weiter (42,4,6-5,7); vgl. Hipp., Refut. 7,30,4. 21 Zur Taufwiederholung s. Epiph. 42,3,6-10. In diesem Zusammenhang teilt Epiphanius die polemische Notiz über Marcions Verführung einer christlichen Jungfrau mit (vgl. PsTert., Haer. 6 [CSEL 47, 223,2-5]: Marcion habe die dreifache Taufe als Freibrief nach seinem schweren Vergehen betrachtet). Zur Taufe durch Frauen und anderen liturgischen Abweichungen s. Epiph. 42,4,5; vgl. Tertullian, Praescr. 41. 22 Epiph. 42,4,2f; an dieser Stelle findet sich kein Hinweis auf den impliziten Doketismus - Christus ist aus dem Himmel emaniert, nicht aber geboren worden -, der sonst so wichtig ist (vgl. z. B. 42,1,7f). 23 H ARNACK 64f. 24 So z. B. W. A. L ÖHR , Die Auslegung des Gesetzes bei Markion, den Gnostikern und den Manichäern, in: G. Schöllgen, C. Scholten (Hg.), Stimuli, Münster 1996, 77-95: 80. § 3: Die Bezeugung von *Ev durch die Häresiologen 39 c. Die Marcioniten bestreiten den Fälschungsvorwurf und geben ihn an ihre katholischen Gegner zurück Wenn Irenaeus Marcions Anspruch mitteilt, seine Lehre sei »näher an der Wahrheit« als die der Apostel, dann bezieht sich dies auf »sein« Evangelium im Vergleich zum kanonischen (Lk)Evangelium. 25 Vor allem Tertullian lässt erkennen, dass der Vorwurf der Verfälschung des Evangeliums wechselseitig war. So erläutert er seinen eigenen Vorwurf, die Marcioniten hätten alle Hinweise auf die Zusammengehörigkeit der beiden Testamente gestrichen, durch die entgegengesetzte Behauptung der Marcioniten, es seien genau diese Elemente von den Befürwortern dieser Verbindung allererst interpoliert worden. 26 Tertullians Argumentation an dieser Stelle ist besonders aufschlussreich. Sie beginnt mit dem Hinweis auf den paulinischen Vorwurf, »gewisse Lügenapostel hätten das Evangelium Christi verfälscht«, 27 weswegen Marcion die Schriften der anderen Apostel verwerfe (Tert. 4,3,2). Tertullian löst das Problem, das der antiochenische Zwischenfall für die Integrität der apostolischen Verkündigung insgesamt aufwirft, auf gut wissenschaftliche Weise - er macht eine Unterscheidung: Die »Lügenapostel« seien zwar in der Tat von Paulus kritisiert worden, allerdings nur wegen ihres gewohnten Umgangs (conversatio), den Tertullian als Festhalten an Beschneidung und Kalenderobservanz spezifiziert. Dies sei aber etwas völlig anderes als ein Irrtum »in Bezug auf den Schöpfer und seinen Christus: Folglich sind die einzelnen Irrtümer zu unterscheiden.« 28 Dies ist eine gekonnte Volte, mit der Tertullian nachweist, dass nicht jede Kritik, die Paulus an anderen Aposteln übt, zu deren vollständiger Disqualifikation führe: Dieses Urteil treffe nur eine Abweichung in so zentralen Fragen, wie sie die marcionitische Häresie und der von ihr reklamierte Paulinismus darstellten. Erst nachdem die grundsätzliche Einheit der apostolischen Verkündigung auf diese Weise nachgewiesen ist, kommt Tertullian auf den wechselseitig erhobenen Vorwurf der Verfälschung des Evangeliums zu sprechen. Er zeigt zunächst, dass sowohl das marcionitische als auch das kanonische Evangelium den Anspruch erheben, mit dem ursprünglichen, apostolischen Evangelium identisch zu sein. 29 ______________________________ 25 Iren., Haer. 1,27,2: »Seinen Schülern redete er ein, er selbst sei näher an der Wahrheit als die Apostel, die das Evangelium überliefert haben (semetipsum veraciorem esse quam sunt hi qui evangelium tradiderunt apostoli). Dabei überlieferte er ihnen gar nicht das Evangelium, sondern nur einen kleinen Teil davon (non evangelium, sed particulam evangelii tradens eis).« 26 Tert. 4,6,2: quasi ab assertoribus eius intexta. 27 accusantis pseudapostolos quosdam pervertentes evangelium Christi. 28 Tert. 4,3,4: … si quid de deo creatore aut Christo eius errassent. Igitur distinguenda erunt singula. 29 Tert. 4,4,5 (ed. Moreschini diff. Evans): Aut si ipsum erit verum, id est apostolorum, quod Marcion habet solus, et quomodo nostro consonat, quod non apostolorum, sed Lucae refertur? Aut si non statim Lucae deputandum est quo Marcion utitur, quia nostro consonat, scilicet adulterato etiam 40 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche Um den Wahrheitsanspruch gibt es folglich ein »unentschiedenes Tauziehen«: »Ich behaupte, dass mein Evangelium wahr ist, Marcion, dass seines wahr ist; ich versichere, dass Marcions gefälscht ist, er dagegen, dass meines gefälscht ist.« 30 In wenigstens einem Fall wird aus Tertullians Argumentation ein solcher marcionitischer Vorwurf gegen die katholische Fälschung noch sichtbar: Strittig ist, ob der Gesetzeslehrer in *10,25 nach den Bedingungen des ewigen Lebens (so der katholische Text) oder - sine aeternae mentione - nur nach den Bedingungen des Lebens (so *Ev) gefragt habe (4,25,14). Nach einer längeren theologischen Abhandlung konzediert Tertullian die Möglichkeit, dass der marcionitische Text ursprünglich sei, setzt dann aber hinzu, es spiele letztlich gar keine Rolle, ob »die Unseren das Wort ›ewig‹ dazugesetzt« hätten. 31 Aber Tertullian beschränkt sich nicht nur auf die Feststellung der wechselseitigen Fälschungsvorwürfe, sondern teilt im Zuge seiner Argumentation auch Genaueres über die marcionitische Position mit: Marcion habe »in seinen ›Antithesen‹ argumentiert, das Evangelium sei von den Verteidigern des Judentums mit dem Gesetz und den Propheten zu einer Einheit verbunden worden, durch welche sie Christus auch von dorther erdichten.« 32 Diese Information ist höchst aufschlussreich. Denn Marcions Behauptung, die Tertullian zweifellos zutreffend referiert, lässt immerhin erkennen, dass er den katholischen Christen nicht einfach eine redaktionelle Bearbeitung seines Evangeliums vorwarf, sondern darüber hinaus dessen Integration in eine Bibelausgabe, die neben dem Evangelium auch Gesetz und Propheten (also wohl: das Alte Testament) enthielt: Die Verfälschung, die Marcion seinen Gegnern vorwarf, zielte daher nicht - oder doch nicht nur - auf judaisierende Veränderungen am Textbestand »seines« Evangeliums, sondern (zumindest: auch) auf den Interpretationsrahmen, den dieses Evangelium durch die Aufnahme in den katholischen Kanon gefunden hatte. Auf diese Darstellung der marcionitischen Position ist noch zurückzukommen (u. S. 148ff). Dass sie nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigt auch eine Beobachtung, die Kelsos um 180 n. ______________________________ circa titulum, ceterum apostolorum est. Iam ergo et nostrum, quod illi consonat, aeque apostolorum est, sed adulteratum de titulo quoque. Die Schwierigkeit dieser Argumentation hat Evans (wohl zu Unrecht) zu einer Konjektur veranlasst. Tertullian will hier nur zeigen, daß Marcions und nostrum evangelium beide den Anspruch erheben, das apostolische zu sein. Dabei wertet Tertullian die Verfasserzuschreibung des Titels an einen apostolicus als Beleg für die katholische Ansicht. 30 Tert. 4,4,1: Funis ergo ducendus est contentionis, pari hinc inde nisu fluctuante. Ego meum dico verum, Marcion suum. Ego Marcionis affirmo adulteratum, Marcion meum. Zum marcionitischen Fälschungsvorwurf gegenüber den katholischen Christen vgl. Adam., Dial. 1,5 (805b-d), s. o. S. 39. 31 Tert. 4,25,18: Viderit nunc si aeternam nostri addiderunt. Die Argumentation besagt: Selbst wenn der Gesetzeslehrer nur nach den Bedingungen eines langen (irdischen) Lebens gefragt habe, habe ja doch »jener« (also der marcionitische) Christus zu einem Verhalten geraten, das zum ewigen Leben führe. Impliziert ist: Sachlich sei an einem solchen additum eigentlich nichts auszusetzen. 32 Tert. 4,4,4: … Marcion per Antitheses suas arguit ut interpolatum a protectoribus Iudaismi ad concorporationem legis et prophetarum. § 3: Die Bezeugung von *Ev durch die Häresiologen 41 Chr. 33 als Einwand gegen die Christen vorbrachte. Er verwies auf innerchristliche Auseinandersetzungen, denen zufolge einige Christen »das Evangelium nach seiner ersten schriftlichen Fassung dreifach und vierfach und vielfach umprägen und umformen, um kritische Einwände abstreiten zu können.« 34 Dies entspricht ziemlich genau dem Vorwurf der Marcioniten, die katholischen Christen hätten »das Evangelium« verfälscht und es in die Kanonische Ausgabe des NT integriert, hier zusätzlich garniert mit der Umkehrung des Vorwurfs gegenüber der katholischen Seite, die Veränderung des Textes sei ein Mittel der theologischen Auseinandersetzung. Kelsos’ Hinweis auf die drei- und vierfache Veränderung des Evangeliums gibt recht genau zu erkennen, dass er das kanonischen Vier- Evangelienbuch im Visier hat - und dies just zu der Zeit, zu der sich Irenaeus genötigt sieht, die Vierfalt des kanonischen Evangeliums um jeden Preis zu begründen. Als Origenes etwa 70 Jahre später Kelsos’ Verfälschungsvorwurf referierte und zu widerlegen suchte, hat er ihn ohne große Umstände auf die Häretiker umgeleitet: Er glaube nicht, dass andere das Evangelium verändert hätten als »die von Marcion und die von Valentinus und vielleicht die von Lukanus«. 35 Zunächst ist jedoch festzuhalten, dass nach Tertullians Zeugnis Fälschungsvorwurf gegen Fälschungsvorwurf bzw. Echtheitsanspruch gegen Echtheitsanspruch stand. Dabei ist bezeichnend, dass Tertullian diesen Antagonismus nicht ohne weiteres beseitigen konnte: Die relative Offenheit in dieser Frage markiert die besondere Problematik der häresiologischen Auseinandersetzung mit den Marcioniten. d. Das höhere Alter des kanonischen Evangeliums ist durch die apostolische Tradition gesichert Angesichts der Wechselseitigkeit der Fälschungsvorwürfe impliziert die Behauptung der Echtheit, dass das »unverfälschte« Evangelium älter sein muss als seine redaktionelle Bearbeitung. Tertullian hat dieses Argument, das bei Irenaeus mit dem »Verstümmelungsvorwurf« immer mitgesetzt ist, direkt begründet. Er führt aus, dass nur das Argument des höheren Alters (temporis ratio) die Autorität des kanonischen Evangeliums sicherstellen könne: »Denn im gleichen Ausmaß, in dem das Falsche eine Korruption des Wahren ist, muss die Wahrheit notwendigerweise dem Falschen vorangehen: Eine Sache muss früher sein als das, was mit ihr geschieht, und der Grundstoff früher als seine Nachäffung. Wie absurd wäre es anders: Dass nämlich - wenn wir unser Evangelium als älter bewiesen haben, Marcions aber später ist - unseres als gefälscht gilt, bevor es seine Grundlage von der Wahrheit hatte; oder dass Marcions ______________________________ 33 Zur Datierung vgl. H. E. L ONA , Die »Wahre Lehre« des Kelsos, Freiburg/ Brsg. u. a. 2005, 55-57. 34 Origenes, Cels. 2,27 (GCS 2, 156,1-5): μεταχαράττειν ἐκ τῆς πρώτης γραϕῆς τὸ εὐαγγέλιον τριχῇ καὶ τετραχῇ καὶ πολλαχῇ καὶ μεταπλάττειν, ἵνα ἔχοιεν πρὸς τοὺς ἐλέγχους ἀρνεῖσθαι. 35 Origenes, Cels. 2,27. 42 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche Evangelium eine Nachahmung durch unseres erfahren haben sollte, noch bevor jenes (sc. Marcions) veröffentlicht war; und wie absurd wäre es schließlich, wenn das für wahrer gehalten würde, das später ist, nachdem doch schon so viele und so umfangreiche Werke und Dokumente im Zeitalter der christlichen Religion veröffentlicht wurden, welche schlechterdings nicht hätten veröffentlicht werden können ohne die Wahrheit des Evangeliums, und das heißt: vor der Wahrheit des Evangeliums.« 36 De facto besagt dieser Altersbeweis: Erstens ist das Wahre immer älter als das Gefälschte, beides kann immer nur in einem Depravationsschema aufeinander bezogen sein. Denn umgekehrt kann Wahrheit nicht als Korrektur von Falschem entstehen, weil sie offenbarungstheologisch begründet ist. 37 Und zweitens stellt die schiere Existenz so vieler christlicher opera et documenta - wer denkt hier nicht an das Neue Testament! - das höhere Alter und damit die Wahrheit des kanonischen Evangeliums sicher. Am Ende behauptet Tertullian das höhere Alter der kanonischen Überlieferung mit dem historisierenden Argument, dass Marcion ja - bevor er mit seinem eigenen Evangelium an die Öffentlichkeit getreten sei - Glied der römischen Gemeinde gewesen wäre: Er hätte den Vorwurf der Interpolation durch die katholische Kirche gar nicht vertreten können, wenn er das (kanonische) Evangelium nicht schon vorgefunden hätte. 38 Für diese Argumentation ist der Gedanke zentral, dass Marcion seinen Evangelientext überhaupt erst dadurch erhalten habe, dass er ihn von den angeblichen judaistischen Zusätzen gereinigt habe. Die Möglichkeit, dass Marcion den älteren, unbearbeiteten Evangelientext zu Recht für sich beansprucht haben könnte, zieht Tertullian nicht einmal von ferne in Erwägung - verständlicherweise, denn er ist ja nicht nur von dem höheren Alter des kanonischen Evangeliums, sondern auch von dessen originärer theologischer Wahrheit ohne jeden Zweifel überzeugt. Aber angesichts des thetischen Charakters seiner Argumentation versteht man Semlers ______________________________ 36 Tert. 4,4,1f: In quantum enim falsum corruptio est veri, in tantum praecedat necesse est veritas falsum. (2) Prior erit res passione, et materia aemulatione. Alioquin quam absurdum, ut, si nostrum antiquius probaverimus, Marcionis vero posterius, et nostrum ante videatur falsum quam habuerit de veritate materiam, et Marcionis ante credatur aemulationem a nostro expertum quam et editum, et postremo id verius existimetur quod est serius, post tot ac tanta iam opera atque documenta Christianae religionis saeculo edita, quae edi utique non potuissent sine evangelii veritate, id est ante evangelii veritatem. 37 Dieselbe Denkfigur verwendet Tertullian auch an anderer Stelle: »Jede Veränderung (interpolatio) ist aber für das Spätere zu halten und geht auf die Nachäffung (aemulatio) zurück, die niemals früher existiert oder vertraut ist mit dem, was sie nachäfft. Daher ist es für jeden Verständigen ebenso unglaublich, daß wir, die wir doch die ersten sind und aus uns selbst, den fälschenden Griffel an die Schrift gelegt haben sollen« (Praescr. 38,6). 38 Tert. 4,4,4: utique non potuisset arguere nisi quod invenerat. § 3: Die Bezeugung von *Ev durch die Häresiologen 43 »Unwillen wider dergleichen deklamatorische Stellen« und den Mangel an »ehrlicher Historie« in Tertullians Argumentation. 39 e. Die Bekämpfung der Marcioniten wird als Nachweis von Widersprüchen zwischen Marcions Text und seiner Theologie geführt Da die Reklamation des höheren Alters - und damit: des apostolischen Ursprungs - auf Seiten der katholischen Häresiologen kaum weiterführte als der wechselseitige Fälschungsvorwurf, musste die Auseinandersetzung mit Marcions Theologie und seiner Schriftgrundlage andere Wege gehen. Für die Häresiologen stellte sich damit ein doppeltes Problem: Auf der einen Seite geriet eine formale Argumentationsstrategie (also der Nachweis der Echtheit und des höheren Alters des kanonischen Evangeliums) immer zu kurz, weil sie die behauptete Korrelation zwischen Marcions Theologie und seiner Bibel gar nicht erreichen konnte. Auf der anderen Seite ließ sich eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Marcion (also die Widerlegung seiner theologischen Ansichten) nicht dadurch führen, dass man die eigene Position als schriftkonform erwies, weil zwischen beiden Parteien ja die Schriftgrundlage selbst strittig und ein zentraler Teil des Problems war. Die Häresiologen lösten dieses Dilemma dadurch, dass sie von Marcions eigenem Bibeltext ausgingen und darin Widersprüche zu seiner Theologie identifizierten. Der Nachweis des Selbstwiderspruchs wurde deswegen zur zentralen Strategie der Widerlegung Marcions, weil sich auf diese Weise die beiden aufeinander bezogenen Pole der bekämpften Position - Marcion hat eine falsche Schriftgrundlage und eine falsche Lehre - in einem einzigen Arbeitsgang diskreditieren ließen: Die hermetische Zirkularität, die den Häresiologen in der antimarcionitischen Argumentation so große Schwierigkeiten bereitete, sollte auf diese Weise von innen aufgesprengt werden. Bereits Irenaeus hatte diese Strategie angekündigt, auch wenn sich von der Durchführung keine Zeugnisse erhalten haben. 40 Erst von Tertullian ist die Realisierung dieses Programms in aller Ausführlichkeit im 4. (und 5.) Buch von Adv. Marc. erhalten. Wie sehr Tertullians Vorgehen von diesem Nachweis der Selbstwidersprüche zwischen Marcions Evangelium und seiner Theologie bestimmt ist, zeigt noch die ______________________________ 39 J. S. S EMLER , Vorrede zu: Thomas Townsons Abhandlungen über die vier Evangelien (vgl. o. S. 13 Anm. 31). 40 Z. B. Iren., Haer. 1,27,4: »Aber weil er als einziger in aller Offenheit gewagt hat, an den Schriften herumzuschneiden (circumcidere spcripturas) und schamloser als alle anderen gegen Gott zu arbeiten, werden wir ihm in einer gesonderten Abhandlung widersprechen (seorsum contradicemus); mit Gottes Hilfe widerlegen wir ihn aus seinen eigenen Schriften und erledigen ihn aufgrund derjenigen Worte des Herrn und des Apostels, die er nicht gestrichen hat und selbst gebraucht (ex eius scriptis arguentes eum, ex his sermonibus qui apud eum observati sunt, domini et apostoli, quibus ipse utitur, eversionem eius faciemus).« Vgl. auch 3,12,12: »Ich werde sie (sc. die Marcioniten) aber mit Gottes Hilfe in einem anderen Buch (in altera conscriptione) sogar noch aus den Teilen widerlegen, die sie beibehalten haben.« Falls es dieses eigene Buch gegeben hat, hat es sich nicht erhalten. 44 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche triumphierende Schlussbemerkung am Ende seiner Analyse von *Ev: »Ich bemitleide dich, Marcion, du hast dich vergeblich abgemüht: Denn der Christus Jesus in deinem Evangelium ist meiner! « 41 Deutlicher lässt sich die Behauptung, dass der Text von Marcions Evangelium seine Theologie nicht trägt, kaum vertreten. Aber auch noch im 4. Jh. ist Epiphanius’ methodisches Vorgehen durch diesen Nachweis des Selbstwiderspruchs geprägt: »Ausgehend von genau dem Kanon, den er behält, dem Evangelium und den paulinischen Briefen, kann ich mit Gottes Hilfe beweisen, dass Marcion ein Betrüger ist und sich im Irrtum befindet, und ich kann ihn aufs wirksamste widerlegen. (6) Denn er wird aus genau denjenigen Werken widerlegt werden, die er ohne Einspruch anerkennt (ἐξ αὐτῶν γὰρ ἀναμϕιβόλως τῶν παρ’ αὐτοῦ ὁμολογουμένων ἀνατραπήσεται).« 42 Dieses für die antimarcionitische Argumentation so charakteristische Vorgehen ist der Grund dafür, dass wir durch die Häresiologen so gut über Umfang, Gestalt und Text von Marcions Bibel informiert sind. f. Konsequenzen Diese kurze Übersicht über die Struktur der altkirchlichen Auseinandersetzung mit Marcion erlaubt einige wichtige Schlussfolgerungen. Zunächst wird die Sonderstellung, die Marcion im Rahmen der altkirchlichen Ketzerbekämpfung einnimmt, verständlich. Sie beruht weniger darauf, dass Marcion eine besonders »falsche« Lehre vertreten hätte, als vielmehr auf dem Umstand, dass diese eng mit dem Text von Marcions Bibel zu korrelieren schien und die Häresiologen dazu zwang, ihre eigene kanonische Schriftgrundlage zu verteidigen und zu begründen. Diese Nähe und zugleich die Differenz der kanonischen zur marcionitischen Bibel macht zweitens auch die stereotype Beweisführung verständlich: Selbst, wenn bereits Irenaeus auf einer Quelle (z. B. Justins »Syntagma«) beruhen und diese auch noch die späteren Zeugen beeinflusst haben sollte, so hat doch schon diese kurze Problemanzeige deutlich werden lassen, dass es kaum Alternativen zu dieser argumentativen Strategie mit dem Aufweis der Selbstwidersprüche zwischen Marcions Bibeltext und seiner Theologie gab. Drittens nötigt diese spezifische Beweisführung dazu, die Mitteilungen der Zeugen über den Text von Marcions Bibel - in unserem Fall: seines Evangeliums - ernst zu nehmen. Denn im Unterschied zu den polemischen ______________________________ 41 Tert. 4,43,9: misereor tui, Marcion, frustra laborasti: Christus enim Iesus in evangelio tuo meus est. 42 Epiph. 42,9,5f. Vgl. auch 42,10,3: »Und so bin ich (all das) durchgegangen, worin offenkundig wird, dass er in seiner Einfalt diese übrig gelassenen Logien des Heilands und des Apostels zu seinem eigenen Nachteil beibehält (ἐν οἷς ϕαίνεται ἠλιθίως καθ’ ἑαυτοῦ ἔτι ταύτας τὰς παραμεινάσας τοῦ τε σωτῆρος καὶ ἀποστόλου λέξεις ϕυλάττων).« Zwar seien von ihm einige Worte gefälscht und in einer vom kanonischen Wortlaut abweichenden Form eingefügt worden (10,4), aber »anderes war ursprünglich, wie es auch das Evangelium und der Apostel hat: von ihm unverändert, und doch geeignet, seinen ganzen Fall zu widerlegen« (42,10,5). Vgl. auch 42,11,2.14. § 3: Die Bezeugung von *Ev durch die Häresiologen 45 Verzerrungen in der Darstellung von Marcions Theologie, und anders auch als bei der mit bösartigen Unterstellungen üppig angereicherten Schilderung seines Lebenswandels, konnten die Häresiologen es sich kaum leisten, in der Besprechung des marcionitischen Bibeltextes bewusst falsche Angaben zu machen, ohne dadurch ihr eigenes Beweisverfahren von vornherein zu desavouieren: Weil der marcionitische Bibeltext die Basis ihrer Argumentation liefert, sind sie zur korrekten Wiedergabe genötigt. Die wichtigste Einsicht ergibt sich allerdings aus dem Beweisverfahren selbst. Denn die Häresiologen wurden bei ihrer Suche nach Widersprüchen zwischen Marcions falscher Theologie und dem Text seines Evangeliums auf Schritt und Tritt fündig. Das bedeutet jedoch, dass die behauptete Korrelation zwischen Text und Theologie Marcions gar nicht existiert. Im Gegenteil: Die Inkongruenz zwischen diesen beiden Bezugsgrößen bildet sogar die Grundlage des gesamten Verfahrens! Dieses Phänomen ist ebenso verblüffend wie aufschlussreich, denn es verweist auf ein systemimmanentes und letztlich unlösbares Problem: Zwischen dem Vorwurf gegen Marcion (Fälschung des Evangeliums gemäß der Irrlehre) und der gegen ihn gerichteten Argumentationsstrategie (sein Bibeltext trägt seine Theologie überhaupt nicht) klafft ein Widerspruch, der erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Angaben über Marcions Redaktion des kanonischen Bibeltextes weckt. Denn da die Beweisführung ja durchaus gelingt, kann der Widerspruch nur dahingehend aufgelöst werden, dass die Ausgangsbehauptung - »Marcion hat den Text des Evangeliums gemäß seiner Irrlehre verfälscht! « - unzutreffend ist. Der Versuch, die wechselseitige, zirkuläre Beziehung zwischen Marcions Theologie und seinem Evangelientext durch den Aufweis von Selbstwidersprüchen gleichsam von innen her aufzusprengen, ist also um den Preis eines logischen Selbstwiderspruchs erkauft, der auf die Häresiologen zurückfällt und ihre Behauptung diskreditiert, Marcion habe das kanonische Evangelium aus theologischen Gründen verstümmelt. Mit dem ihm eigenen Scharfsinn hat Tertullian die Inkonsequenz des Verfahrens - und damit: die Gefährdung seiner gesamten Beweisführung! - bemerkt. Er erklärt dazu: »Marcion wollte - wie ich glaube, mit Absicht - bestimmte Dinge, die seiner Ansicht entgegenstehen, nicht aus seinem Evangelium herausstreichen, um aufgrund dessen, was er hätte streichen können, aber nicht gestrichen hat, den Eindruck zu erwecken, er habe das, was er gestrichen hat, entweder gar nicht oder aber mit gutem Grund gestrichen. Er verschont (sc. von seinen Streichungen) allerdings nur, was er durch eine andere Interpretation (aliter interpretando) nicht weniger verdreht als durch eine Streichung.« 43 ______________________________ 43 Tert. 4,43,7: Et Marcion quaedam contraria sibi illa, credo industria, eradere de evangelio suo noluit, ut ex his quae eradere potuit nec erasit, illa quae erasit aut negetur erasisse aut merito erasisse dicatur. Nec parcit nisi eis quae non minus aliter interpretando quam delendo subvertit. 46 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche Mit anderen Worten: Die methodische Inkonsequenz des häresiologischen Beweisganges ist in Wahrheit ein hinterhältiges Vertuschungsmanöver des Häretikers, mit dem dieser seinen Widersachern das Leben schwer macht! Diese Erklärung, die im 19. Jh. wieder aufgegriffen wurde, 44 ist mehr als gesucht. Denn wenn Marcion sein Ziel einer Übereinstimmung von Bibeltext und Lehre auch aliter interpretando hätte erreichen können, stellt sich die Frage, warum er dann überhaupt die Mühe einer redaktionellen Bearbeitung des kanonischen Lk auf sich genommen haben sollte. In jedem Fall stellt die Inkonsequenz, mit der Marcion die postulierte Redaktion des kanonischen Lk-Evangeliums durchgeführt haben würde, ein zentrales Problem von größtem methodischem Gewicht dar: Es entzieht der Annahme einer solchen Redaktion die Grundlage. Darauf ist unten (§ 6) noch ausführlicher einzugehen. Zunächst ist zu klären, wie die Referate von Marcions Bibeltext insgesamt einzuschätzen sind. 2. Die Hauptzeugen für *Ev a. Tertullian Der wichtigste Zeuge für das marcionitische Evangelium ist Tertullian. Die fünfbändige Abhandlung Adversus Marcionem, Tertullians umfangreichstes Werk, ist klar strukturiert. Die ersten drei Bücher enthalten eine systematische Auseinandersetzung mit Marcion, nämlich die Widerlegung des marcionitischen Ditheismus aufgrund philosophisch-systematischer Implikationen in Buch 1, die Darstellung der (katholischen) Gotteslehre im Gegenüber zu der von Marcion behaupteten Diskontinuität zwischen dem Schöpfer und dem Vater Jesu Christi anhand alttestamentlicher Aussagen in Buch 2, sowie eine christologische Entfaltung der unterschiedlichen Ansätze in Buch 3. 45 Erst auf der Grundlage dieser systematischen Auseinandersetzung behandelt Tertullian, wie schon im ersten Buch angekündigt, 46 die Widersprüche zwischen Marcions Lehre und seinem Evangelium (Buch 4) bzw. seiner Sammlung der zehn Paulusbriefe (Buch 5). ______________________________ 44 A. H AHN , Das Evangelium Marcions in seiner ursprünglichen Gestalt, Königsberg 1823, 263. A. R ITSCHL , Das Evangelium Marcions und das kanonische Evangelium des Lucas, Tübingen 1846, 19, verweist außerdem auf: J. L. H UG , Einleitung in die Schriften des NT I, Stuttgart 3 1826; P. A. G RATZ , Kritische Untersuchungen über Marcions Evangelium, Tübingen 1818; H. O LSHAUSEN , Die Echtheit der vier canonischen Evangelien aus der Geschichte der zwei ersten Jahrhunderte erwiesen, Königsberg 1823; W. L. M. DE W ETTE , Lehrbuch der historisch-kritischen Einleitung in die kanonischen Bücher des Neuen Testaments, Berlin 1830. 45 Vgl. dazu U. B. S CHMID , Marcion und sein Apostolos, Berlin - New York 1995, 35. 46 Tert. 1,29,9: ipsarum scriptarum examinatio. § 3: Die Bezeugung von *Ev durch die Häresiologen 47 Die vorliegende Ausgabe von Adv. Marc. stellt Tertullians dritten Anlauf zu diesem Unternehmen dar. Eine erste Ausgabe, ein primum opusculum, zog er später zurück: Sie sei überhastet abgefasst und sollte durch eine zweite, vollständigere Ausgabe ersetzt werden. Diese jedoch wurde vor der endgültigen Fertigstellung gestohlen und zirkulierte in einem unautorisierten und fehlerhaften Exzerpt. Tertullian sah sich daher zu einer dritten Auflage gezwungen, die er mit Korrekturen und umfangreichen Zusätzen versah. 47 Angesichts dieser Entstehungsgeschichte ist es zweifelhaft, dass das uns interessierende Buch 4 bereits in dem opusculum der ersten Ausgabe enthalten war. 48 Wahrscheinlicher gehören die Bücher 4 und 5 zu den Zusätzen der Ausgabe letzter Hand, die mit hoher Wahrscheinlichkeit erst im Jahr 207/ 208 n. Chr. erschien. 49 Tertullians Vorgehen in Buch 4 (ganz ähnlich in Buch 5) ist deutlich: Er geht den marcionitischen Text von Anfang durch, um Marcion aus dem Text seiner eigenen Bibel zu widerlegen (s. o.). Wie wichtig ihm der methodische Ansatz bei Marcions eigenem Bibeltext war, zeigt seine Diskussion von *16,18. Zunächst war Tertullian an dem Nachweis gelegen, dass Jesus - entgegen der marcionitischen Askese - die Ehe voraussetze. Aber das eigentliche Problem stellte für ihn die Verbindung zwischen der Unauflöslichkeit der Ehe gemäß *16,18 und dem Scheidungsrecht aus Dtn 24,1 dar (das Marcion ja gar nicht hatte). Um beides in Einklang bringen zu können, greift er auf Mt 19 zurück, denn dort wird sowohl die göttliche Stiftung der Ehe (Mt 19,5 mit Zitat Gen 2,7) als auch das Argument der Herzenshärte (Mt 19,8) erwähnt, mit dessen Hilfe das Scheidungsgesetz eingeschränkt und die Unauflöslichkeit der Ehe in der Lehre Jesu bestätigt wird. Dieser Rückgriff auf Mt - und also über Marcions Evangelientext hinaus - war Tertullian deutlich bewusst: Er machte eine gesonderte Begründung erforderlich. 50 Dieses ausgeprägte Bewusstsein für die methodische Begrenztheit seines Verfahrens ist auch sonst zu beobachten. 51 Tertullians Durchsicht des marcionitischen Evangeliums folgt dem Text Schritt für Schritt von Anfang bis Ende. Dass er dabei tatsächlich den marcionitischen ______________________________ 47 Tert. 1,1,1f: Si quid retro gestum est nobis adversus Marcionem, iam hinc viderit. Novam rem aggredimur ex vetere. Primum opusculum quasi properatum pleniore postea compositione rescideram. Hanc quoque nondum exemplariis suffectam fraude tunc fratris, dehinc apostatae, amisi, qui forte descripserat quaedam mendosissime et exhibuit frequentiae. [2] Emendationis necessitas facta est. Innovationis eius occasio aliquid adicere persuasit. Ita stilus iste nunc de secundo tertius et de tertio iam hinc primus hunc opusculi sui exitum necessario praefatur, ne quem varietas eius in disperso reperta confundat. 48 R. B RAUN , Tertullien, Contre Marcion I, Paris 1990, 40. 49 Vgl. Tert. 1,15,1 mit der Parallelisierung zwischen dem 15. Jahr des Tiberius und dem 15. Jahr des Sept. Severus. 50 Tert. 4,34,2: »Denn du hast das andere Evangelium nicht überliefert und seine Wahrheit und seinen Christus, in dem er Scheidung verbietet und die damit verbundene Frage löst.« 51 Vgl. etwa Tert. 5,4,2 zu *Gal 4,1f, wo er in seiner Begründung auf die nicht in Marcions Text enthaltenen Vv. Gal 3,15f verweist, diese Abweichung von seinem Verfahren aber ausdrücklich vermerkt (vgl. S CHMID , a. a. O. 37). 48 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche Text - nicht aber eine Exzerptensammlung o. ä. - in der Hand hatte, wird durch die Beobachtung erhärtet, dass er den vom kanonischen Text stark abweichenden Beginn von *Ev nicht eigens thematisierte, sondern einfach und konsequent an dem ihm vorliegenden Text von *Ev entlangging. 52 Dabei zog Tertullian aus *Ev heran, was ihm für seine leitende Fragestellung - Nachweis der Widersprüche zwischen Marcions Theologie und Bibeltext - geeignet erschien und referierte diese Passagen in seinem argumentativen Rahmen: Der Gesamtduktus seiner Widerlegung ist an der systematischen Geschlossenheit interessiert, nicht aber an einer vollständigen Wiedergabe von Marcions Bibeltext. Dieser literarische Grundcharakter erklärt einige Eigenheiten von Tertullians *Ev-Referat. 1. Die Referenzbezüge, mit denen Tertullian Texte aus *Ev in seine Argumentation einbindet, sind sehr unterschiedlich. In rund 50 Fällen liefert Tertullian ein genaues Zitat aus dem marcionitischen Text, das er durch die Zitationsformel inquit als solches kennzeichnet und einführt. Daneben finden sich wörtliche Zitate, die nicht als solche gekennzeichnet sind und häufig nur Satzteile oder gar nur einzelne Begriffe umfassen. Neben diesen (Teil-)Zitaten gibt es eine Fülle von Allusionen und Paraphrasen, mit denen Tertullian mitunter auch größere Zusammenhänge einfach sehr kurz zusammenfasst. 53 Dabei sind diese verschiedenen Arten der Textreferenz immer in den größeren argumentativen Zusammenhang eingebunden und meistens syntaktisch in ihn integriert. Ein Beispiel soll das Verfahren erläutern: In seiner Besprechung von *4,31f will Tertullian zeigen, dass der Jesus, den Marcions Evangelium darstellt, in der Tat zum Schöpfergott des Alten Testaments gehört. Er belegt dies gleich zu Beginn durch den Verweis auf die Erzählung von der Lehre Jesu in der Synagoge von Kapharnaum. 54 »Mir genügen die Taten anstelle der Worte. Nimm du ruhig die Worte meines Christus fort, seine Taten sprechen doch! Sieh, wie er in die Synagoge kommt: Natürlich zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel (ecce venit in synagogam; certe ad oves perditas domus Israelis)! Sieh, wie er das Brot seiner Lehre als ersten den Israeliten anbietet (ecce doctrinae suae panem prioribus offert Israelitis): Natürlich zieht er sie als Söhne vor! Sieh, wie er es anderen noch nicht gewährt: Natürlich übergeht er sie wie Hunde! Wem hätte er es aber eher zugeteilt als denen, die dem ______________________________ 52 Analog dazu wird auch die von der Kanonischen Ausgabe abweichende Reihenfolge der paulinischen Briefe (mit Gal zu Beginn) nicht als Problem thematisiert. S CHMID , a. a. O. 38f, ist aufgrund dieser und anderer Beobachtungen zu demselben Schluss gekommen, dass Tertullian wohl nur Marcions Bibelausgabe zur Hand hatte. 53 So verweist Tertullian beispielsweise mit den Worten ovem et dragmam perditam quis requirit? (Tert. 4,32,1) erkennbar auf die beiden Gleichnisse vom Verlorenen *15,3-10, wobei völlig offenbleibt, welche sprachliche Gestalt *Ev an dieser Stelle hatte (vgl. u. die Rekonstruktion z. St.). 54 Zum Wechsel zwischen den Namensformen Kapharnaum (in *Ev) und Kapernaum (in den kanonischen Evangelien) s. die Rekonstruktion zu *3,1a; *4,31-37. § 3: Die Bezeugung von *Ev durch die Häresiologen 49 Schöpfer fremd sind, wenn er selbst nicht in besonderer Weise dem Schöpfer gehört hätte? [7] Aber wie konnte er trotzdem in die Synagoge zugelassen werden, so plötzlich, so unbekannt, wo doch bis dahin niemand sicher war über seinen Stamm, sein Volk, sein Haus, oder schließlich auch den Census des Augustus, den die römischen Archive immer noch als treuestes Zeugnis für die Geburt des Herrn bewahren? Sie hatten doch sicher daran gedacht, dass sie ihm keinen Zutritt zu dem Allerheiligsten gewähren durften, es sei denn, sie kannten ihn als Beschnittenen. Aber auch, wenn die Synagoge allenthalben betreten werden durfte, dann war es doch nicht erlaubt zu lehren, es sei denn für jemanden, der bestens bekannt, überprüft und bestätigt war, der entweder schon für diese Gelegenheit selbst oder von anderswo her für dieses Amt empfohlen war. Aber ›alle staunten über seine Lehre‹ (stupebant autem omnes ad doctrinam eius). Natürlich. Denn, so heißt es, ›seine Predigt war in Vollmacht‹, denn schließlich lehrte er ja nicht gegen Gesetz und Propheten (quoniam, inquit, in potestate erat sermo eius, non quoniam adversus legem et prophetas docebat)« (Tert. 4,7,6f). Folgende Beobachtungen zeigen, auf welche Weise Tertullian auf *Ev Bezug nahm und welche Schwierigkeiten sein *Ev-Referat für die Rekonstruktion aufwirft: a. Die Argumentation ist stringent: In *Ev fand sich keine Entsprechung zu Mt 10,6; 15,24, was Tertullian mit der Bemerkung quittiert »Nimm die Worte meines Christus (aus deinem Evangelium ruhig) fort«, um danach die in *Ev enthaltene Erzählung von Jesu Lehre und Heilung in der Synagoge von Kapharnaum als Beleg für die entsprechende Haltung zu nehmen: »… die Taten sprechen doch.« Ähnliches gilt für die Erzählung von der Heilung der Tochter der Syrophönizierin (Mt 15,21-28), die ebenfalls nicht in *Ev enthalten ist, 55 auf die aber hier durch die Stichworte ut filios praefert bzw. ut canes praeterit deutlich erkennbar angespielt wird, ohne dass ein Zitat (in diesem Fall: aus Tertullians Bibel) vorliegt. b. Der Anfang von 4,7,7 verweist mit den Stichworten tribus, populus, domus und census Augusti auf die lk Geburtsgeschichte (Lk 2,1-21) und den Stammbaum Jesu (Lk 3,23-38), die in *Ev fehlten, wodurch sich für das erste Auftreten Jesu ein Legitimationsproblem ergibt. Die implizite Logik besagt: Einerseits fehlen in *Ev grundlegende Informationen über Jesus, andererseits setzt das Profil der Erzählung genau diese fehlenden Passagen sachlich voraus. c. Mit stupebant autem omnes ad doctrinam eius liefert Tertullian ein wörtliches Zitat aus *Ev (*4,32a: καὶ ἐξεπλήσσοντο ἐπὶ τῇ διδαχῇ αὐτοῦ), das allerdings nicht als solches gekennzeichnet ist. Die Weiterführung zeigt, wie Tertullian den Text von *Ev stückweise in seine Argumentation integriert und nutzt: Die Feststellung des Erstaunens liefert die Grundlage der Argumentation und ist Anlass für einen Kommentar Tertullians (plane), der dann wiederum eine Begründung erheischt. Diese gibt Tertullian wiederum aus *Ev - aber diesmal ist das Zitat als solches gekennzeichnet (quoniam, i n q u i t , in potestate erat sermo eius = *4,32b: ὅτι ἐν ἐξουσίᾳ ἦν ὁ λόγος αὐτοῦ). d. Am Ende des Zitats steht ein Zusatz Tertullians, der nicht als solcher kenntlich gemacht ist, sondern nur aus dem argumentativen Duktus als Tertullians eigene Deutung identifiziert werden kann: non quoniam adversus legem et prophetas docebat ist ein antimarcionitisches Argument, denn Marcions Jesus hätte - seiner Theologie zufolge - ja wohl gegen Gesetz und Propheten lehren müssen, dann aber kaum den Beifall der Menge erhalten. Schon dieses eine Beispiel zeigt deutlich die Dominanz des argumentativen Duktus, dem die unterschiedlichen Referenzen auf den Text dienstbar gemacht werden. ______________________________ 55 S. dazu u. S. 68f. 50 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche Erkennbar ist aber auch, wie schwierig es im Einzelfall ist, aus Tertullians Referat belastbare Rückschlüsse auf Wortwahl und Wortstellung in *Ev zu ziehen: Seine Art, Allusionen und Paraphrasen neben gekennzeichneten und ungekennzeichneten Zitaten in seine Argumentation einzubinden, setzt einer genauen Rekonstruktion des Textes von *Ev enge Grenzen. 2. Diese Art der Verwendung des Textes von *Ev erklärt auch, warum Tertullian Abweichungen vom kanonischen Text nur selten ausdrücklich vermerkt. Zwar lässt das genannte Beispiel aus Tert. 4,7,6f zu *4,31f erkennen, dass *Ev den Stoff von Lk 2f nicht enthielt, auch wenn das Profil von *Ev an dieser Stelle noch recht unklar bleibt. Vor allem aber spricht Tertullian das Fehlen gar nicht eigens an: Er thematisiert Marcions »Verstümmelung« des kanonischen Textes nicht. Es ist daher höchst unwahrscheinlich, dass Tertullian neben dem marcionitischen auch den kanonischen Text vor sich hatte und beide verglich: Wenn Tertullian Belege (vor allem aus dem AT) aus seiner kanonischen Bibel angibt, scheint er diese aus dem Gedächtnis einzubringen. Dies zeigt sich vor allem an den Stellen, an denen Tertullian Marcion Änderungen des kanonischen Textes vorwirft, die dieser aber gar nicht hergibt: Tertullian hat sich an verschiedenen Stellen nachweislich über den kanonischen Wortlaut in Lk geirrt. 56 Tertullian setzt also die Abweichungen zwischen dem kanonischen Text und *Ev voraus, begründet und erklärt sie aber nicht. Seine Argumentation ist nicht textkritisch orientiert: Sein Interesse gilt nicht den Widersprüchen zwischen dem marcionitischen und dem kanonischen Text, sondern den Selbstwidersprüchen zwischen Marcions Bibeltext und seiner Theologie. 3. Ein besonderes Problem stellt die Vollständigkeit dar, mit der Tertullian auf den Text von *Ev referiert. Da er die Texte aus *Ev nie um ihrer selbst willen heranzieht, sondern sie (nur) als Belege für seine Argumentation nutzt, lässt sich nur sehr schwer bestimmen, in welchen Fällen er eine Passage in *Ev entweder gar nicht gelesen oder aber - aus Desinteresse oder aus anderen Gründen - in seinem Referat einfach übergangen hat. So bleibt rund ein Fünftel des gesamten Umfangs des Lk-Evangeliums für *Ev unbezeugt; misst man die unbezeugten Passagen nicht am kanonischen Lk-Text, sondern an *Ev (in dem ja der Stoff von Lk 1,1-4,15 komplett fehlte), erhöht sich der Anteil der unbezeugten Passagen auf rund ein Viertel. Diese unbezeugten Passagen stellen ein besonderes Problem dar: Harnacks Rekonstruktion hat sie sehr großzügig aufgefüllt und sich dabei vom dem inhaltlichen Gesichtspunkt leiten lassen, welche Aussagen für die (von ihm rekonstruierte) Theologie Marcions akzeptabel bzw. inakzeptabel gewesen seien. Zwar ist dieses Verfahren grundsätzlich legitim und sinnvoll - jedenfalls solange die Konjekturen ______________________________ 56 Vgl. die Rekonstruktion zu *12,51; *23,34. § 3: Die Bezeugung von *Ev durch die Häresiologen 51 als solche deutlich erkennbar sind (was bei Harnack nicht immer der Fall ist) und ein insgesamt plausibles Gesamtbild ergeben. Gleichwohl ist die Abhängigkeit einer Rekonstruktion von »inneren Gründen« äußerst misslich und stellt eine erhebliche Belastung für die Genauigkeit der Textrekonstruktion dar. Zur Einschätzung der unbezeugten Passagen ist die Beobachtung von Bedeutung, dass die mutmaßlichen Lücken in Tertullians Referat nicht gleichmäßig auftreten, sondern gegen Ende hin immer stärker zunehmen. Es könnte natürlich sein, dass *Ev im Vergleich zu Lk gegen Ende hin größere Lücken aufwies als zuvor. Aber es ist wahrscheinlicher, dass Tertullian *Ev mit weiterem Fortschreiten seiner Arbeit großzügiger referierte als zu Beginn. Diese Vermutung lässt sich durch Erwägungen zur Länge des Buches und zur quantitativen Disposition des Gesamtwerks stützen: Tertullians Behandlung des marcionitischen Evangeliums in Adv. Marc. 4 hat den gleichen Umfang wie die ersten drei Bücher zusammengenommen und ist immerhin noch fast doppelt so lang wie Buch 5. 57 Angesichts dieser deutlichen quantitativen Unterschiede erhält die eingangs erwähnte planvolle Anlage des Gesamtwerks Gewicht: Tertullian wollte offensichtlich vermeiden, die Behandlung von Marcions Evangelium auf zwei Bücher aufzuteilen, musste dann aber darauf achten, dass der Umfang nicht über Gebühr anwuchs. Eine solche Berücksichtigung quantitativer Überlegungen, die ja auch sonst bezeugt ist, 58 könnte für die Zunahme der unbezeugten Passagen gegen Ende des vierten Buches verantwortlich sein. Zumindest ist für Tertullians Verfahren in Rechnung zu stellen, dass eine vollständige Bearbeitung von *Ev auf keinen Fall zu erwarten ist. b. Epiphanius Auch Epiphanius, der zweite Hauptzeuge für das marcionitische Evangelium, hat ebenfalls nicht gezielt nach Textdifferenzen zwischen *Ev und dem kanonischen Evangelium gesucht. Im Rahmen seiner Darstellung der Häresien seiner Zeit und ihrer Widerlegung zielte Epiphanius auf die marcionitische Theologie, die er zusammenfassend präsentiert und anschließend seiner Kritik aussetzt. Um den Wert von Epiphanius’ Bezeugung des Textes von *Ev einschätzen zu können, ist es unerlässlich, sich die Entstehungsgeschichte seines Marcionitenkapitels vor Augen zu führen. Denn nach einer Einführung, in der Epiphanius Allgemeines zu Biographie und Lehre Marcions mitteilt und den marcionitischen Apostolos kurz ______________________________ 57 In Evans’ Ausgabe umfassen die ersten drei Bücher zusammen, genau wie Buch 4, 250 Druckseiten, während das fünfte Buch 132 Seiten umfasst. 58 Vgl. dazu T H . Z AHN , Studien zu Justinus Martyr, ZKG 7 (1886), 1-84: 44f (zu Justin, Dial.); besonders aufschlussreich T H . B IRT , Das antike Buchwesen in seinem Verhältniss zur Litteratur, Berlin 1882, 147ff (mit einer Fülle von Beispielen). 52 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche beschreibt (42,1-9), erwähnt er ein eigenes früheres Werk (πραγματεία) gegen Marcion, aus dem er später zitiert. Über dieses Buch teilt er mit: »Um die lügenhafte Erfindung und die lächerliche Lehre dieses Marcion aufzuspüren, habe ich vor etlichen Jahren die Bücher des zuvor Erwähnten [, die er erworben/ gefälscht/ in Gebrauch hat,] 59 selbst zur Hand genommen, nämlich das von ihm sogenannte Evangelium und das bei ihm Apostolikon geheißene Buch. Aus den genannten zwei Büchern habe ich zusammengestellt und der Reihe nach ausgewählt, was ihn zu widerlegen in der Lage ist; so habe ich eine Art Leitfaden für eine Abhandlung (ἐδάϕιόν τι συντάξεως) angefertigt, die Abschnitte der Reihe nach geordnet und jedes einzelne Wort aufgelistet: Erstens, zweitens, drittens. [3] Und so bin ich bis zum Ende alles durchgegangen; darin macht er seine Dummheit offenkundig, denn er behält seiner eigenen Intention entgegen (καθ᾿ ἑαυτοῦ) auch die restlichen Worte des Heilands und des Apostels bei. [4] Von diesen wurden einige von ihm manipuliert (παρηλλαγμένως ὑπ᾿ αὐτοῦ ἐρρᾳδιουργήθησαν): Der Text des Lukasevangeliums enthält sie so nicht, und so ist es auch nicht die Bedeutung des apostolischen Kanons. 60 [5] Anderes aber ist genauso, wie es das Evangelium und der Apostel ursprünglich (ϕύσει) haben: Es ist von ihm nicht verändert und kann ihn (doch) widerlegen. Dadurch lässt sich zeigen, dass das Alte Testament mit dem Neuen übereinstimmt und das Neue mit dem Alten« (Haer. 42,10,2-5). Epiphanius führt im Folgenden noch einige zentrale Stichworte seiner Theologie an, die sich aus dem Text Marcions nachweisen lassen (Inkarnation; Auferweckung der Toten; Gott als Schöpfer) und leitet am Ende über: »Und dies ist im Folgenden die Abhandlung, die ich zusammengestellt habe; sie sieht folgendermaßen aus« (42,10,8). Epiphanius hat diesen »Leitfaden« komplett als elftes Kapitel in Haer. 42 übernommen. Es enthält 77 (78) Exzerpte aus dem marcionitischen Evangelium, danach 40 aus dem Apostolos. Im Anschluss hat er diese Exzerpte, die er als Scholien bezeichnet, noch einmal abgeschrieben und ihnen jeweils eine Widerlegung (ἔλεγχος) beigegeben. Diese zweite Liste der Scholien mit den Widerlegungen (Haer. 42,11,10-15) ist demnach das Werk, das Epiphanius um 375 n. Chr. im Rahmen seiner Abfassung des Panarion geleistet hat. Diese Vorgeschichte von Haer. 42,10-12 ist vor allem für die Rekonstruktion des marcionitischen Apostolos von Bedeutung, da Epiphanius die Briefe in verschiedenen Reihenfolgen bietet. 61 Für die Rekonstruktion des Evangeliums sind die Probleme geringer; folgende Gesichtspunkte sind jedoch von Bedeutung. ______________________________ 59 Statt κέκτηται konjiziert H OLL (mit J ÜLICHER ) περιέκοπται. S CHMID , , a. a. O. 151 Anm. 4, schlägt unter Verweis auf 42,9,3 (ταύταις δὲ ταῖς δυσὶ βίβλοις κέχρηται) vor, den Relativsatz insgesamt zu emendieren. 60 Oder: »Und dies ist auch nicht die Bedeutung der Schrift des Apostolikon« (οὔτε ἡ τοῦ ἀποστολικοῦ χαρακτῆρος ἔμϕασις). 61 Vgl. dazu S CHMID , a. a. O. 153ff. § 3: Die Bezeugung von *Ev durch die Häresiologen 53 1. Ganz analog zu Tertullian will Epiphanius Marcion durch den Nachweis von Widersprüchen zwischen seiner Theologie und seinem eigenen Bibeltext widerlegen: Er bemüht sich um eine Zusammenstellung »aus seinem eigenen Evangelium zur Widerrede gegen den tückischen Betrug, um denen, die sich mit seiner Arbeit auseinandersetzen wollen, ein Übungsgelände für ihren Scharfsinn zur Widerlegung seiner fremden Gedanken zu geben.« 62 Im Unterschied zu Tertullian beschränkt er sich dabei auf die mehrere Jahre zuvor angelegte Liste seiner Exzerpte aus dem marcionitischen Evangelium, das er, wie er selbst ausführt, direkt für diese Exzerpte benutzt hatte. 2. Bei der Abfassung von Haer. 42 stand Epiphanius offensichtlich kein *Ev- Exemplar zur Verfügung: Er stützt sich ausschließlich auf seine ältere Scholienliste. Dies wird durch die auffällige Genauigkeit belegt, mit der er die Scholienliste in der Elenchus-Liste wiederholt. Im Unterschied zu den Apostolosscholien, bei denen es in zwei Fällen erhebliche Differenzen zwischen der ursprünglichen Liste in 42,11 und der zweiten Liste mit der Ausarbeitung der Widerlegungen gibt, 63 entsprechen sich die Evangelienscholien bei nur wenigen minimalen Abweichungen sehr genau. 64 Die Frage, ob für die Evangelienscholien eine ähnlich komplizierte Entstehungsgeschichte anzunehmen ist wie für die Apostolosscholien, ist daher für unsere Fragestellung unerheblich. Wie mechanisch Epiphanius mit seiner eigenen Liste umgegangen ist, zeigt ein offensichtliches Versehen bei der Zählung: Die Scholien 56 und 57 (mit der Auslassungsnotiz zu Lk 20,37f) sind identisch; aus dieser Doppelung ergibt sich die unterschiedliche Zählung von 77 bzw. 78 Evangelienscholien. Epiphanius hat dieses Versehen (und die daraus resultierende irrtümliche Zählung) erst im zweiten Durchgang bemerkt, es dabei aber nicht korrigiert, sondern stattdessen die doppelte ______________________________ 62 Haer. 42,11,2: ἐκ γὰρ τοῦ παρ’ αὐτῷ εὐαγγελίου τὰ πρὸς ἀντίρρησιν τῆς πανούργου ῥᾳδιουργίας σπουδάσαντες παρεθέμεθα, ἵν’ οἱ τῷ πονήματι ἐντυχεῖν ἐθέλοντες ἔχωσι τοῦτο γυμνάσιον ὀξύτητος, πρὸς ἔλεγχον τῶν ὑπ’ αὐτοῦ ἐπινενοημένων ξενολεξιῶν. 63 S CHMID , a. a. O. 159-175. 64 In zwei Fällen sind Singular und Plural vertauscht: Schol. 15 zu *9,16: ἀναβλέψας εἰς τὸν οὐρανόν (42,11) - τοὺς οὐρανούς (42,12); Schol. 29 zu 12,6f (in einem Auslassungsvermerk: Epiphanius zitiert den kanonischen Text! ): Οὐχὶ πέντε στρουθία ἀσσαρίων δύο πωλοῦνται (42,11) - πωλεῖται (42,12). In Schol. 69 liegt ein Zeitwechsel vor: εὕρομεν (42,11) - ηὕραμεν (42,12, p. 151,18) bzw. ηὕρομεν (42,12, p. 151,27). In zwei Fällen wird ein anderer Ausdruck verwendet: Schol. 7 weicht die Formulierung von Elench. 7 ab (τοσαύτην - τοιαύτην [πίστιν]; daneben bietet Elench. 7 eine andere Wortstellung als Schol. 7, vgl. dazu die Rekonstruktion zu *7,9); Schol. 27 zu *11,47: οἰκοδομεῖτε τὰ μνήματα τῶν προϕητῶν (42,11) - τὰ μνημεῖα τῶν προϕητῶν (42,12). Ebenfalls semantisch unerheblich sind die Abweichungen in Schol. 38 (zu 13,4, wieder in eine Auslassungsnotiz: δεκαοκτώ in 42,11; δέκα καὶ ὀκτώ in 42,12) sowie in Schol. 52: Überflüssiges Schluss-ν in der Auslassungsnotiz zu 18,31-34 (παρέκοψε[ν], 42,12). 54 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche Anführung eigens begründet. 65 Unter diesen Bedingungen muss die ältere Scholienliste als zuverlässiger gelten und wird deshalb auch dann zugrunde gelegt, wenn es Abweichungen zwischen den beiden Listen gibt. 3. Das Ziel der Scholiensammlung ist in der Beschreibung der Abfassung des Leitfadens kurz umrissen. Epiphanius nennt zwei Kategorien von Scholien, nämlich einmal die Passagen mit einem veränderten Wortlaut und daneben »die restlichen Worte des Heilands«, die Marcion entgegen seinem eigenen Interesse beibehalten habe. Tatsächlich lassen die Scholien selbst jedoch drei verschiedene Kategorien erkennen: Neben veränderten und identischen Passagen steht eine ganze Reihe von Auslassungsvermerken. Für die Einschätzung des Verfahrens ist die Verteilung aufschlussreich. Identischer Wortlaut Als »gestrichen« bezeichnet Abweichender Wortlaut 2 3 5 6 7 12 22 25 28 29 1 4 8 19 26 9 10 11 13 14 31 38 40 41 42 30 34 35 48 50 15 16 17 18 20 47 52 53 55 56 69 70 21 23 24 27 32 (57) 58 59 63 64 33 36 37 39 43 67 72 77 44 45 46 49 51 54 60 61 62 65 66 68 71 73 74 75 76 78 Von den 77 (78) Scholien vermerken 43 die Übereinstimmung zwischen Lk und *Ev, in 22 (23) Fällen werden Passagen als »gestrichen« bezeichnet, und für zwölf Fälle zitiert Epiphanius aus *Ev einen vom kanonischen abweichenden Wortlaut. Dass mehr als die Hälfte der Scholien die Übereinstimmung von *Ev mit dem kanonischen Text bezeugt, macht einmal mehr deutlich, dass Epiphanius’ Ziel nicht in der Überführung von *Ev als Fälschung bestand, sondern in der Aufdeckung von Selbstwidersprüchen zwischen Text und Theologie Marcions. 4. Gerade die zahlreichen positiven Belege sind wichtig, weil sie die relative Genauigkeit in Epiphanius’ Textreferenzen zeigen. Für die Einschätzung der Genauigkeit der *Ev-Exzerpte gibt auch der Listencharakter der Scholiensammlung wichtige Aufschlüsse. Denn Epiphanius zitiert die Texte aus *Ev häufig nicht vollständig, sondern charakterisiert und bezeichnet sie durch kurze (und exakte) Zitate der Anfänge bzw. der Anfänge und Schlüsse längerer Passagen: Er geht also davon aus, dass der Text von *Ev ohnehin über weite Strecken mit dem kanonischen Lk identisch ist. Diese Abkürzungen bei den Zitaten begegnen vor allem in den Auslassungsvermerken: In einigen Fällen zitiert er nur die ersten Worte und verweist ______________________________ 65 Vielleicht hat Epiphanius auch nur deshalb auf eine Korrektur verzichtet, weil er in der Gesamtzahl seiner Scholien (78 + 40) eine göttliche Fügung sah (vgl. Haer. 42,13,3). § 3: Die Bezeugung von *Ev durch die Häresiologen 55 mit »und das Folgende (καὶ τὰ ἑξῆς)« auf den Rest. 66 An anderen Stellen teilt er nur die Anfänge der Verse mit, ohne die Auslassung des Restes genau zu vermerken. 67 Nur in wenigen Streichungsnotizen verzichtet Epiphanius vollständig auf ein Zitat und fasst stattdessen den Inhalt einer Passage paraphrasierend zusammen. 68 Epiphanius hat seine Zitierpraxis nicht ganz konsequent durchgeführt; in einer Reihe von Fällen hat er auf die etcetera-Formel verzichtet, 69 in anderen hat er den Inhalt ungenau oder doch mindestens missverständlich kontrahiert. 70 Trotz dieser Einschränkungen unterscheidet sich Epiphanius’ relativ mechanisches Verfahren bei der Erstellung der Scholiensammlung deutlich von dem Tertullians. Denn während dieser die Formulierungen aus *Ev in seine Argumentation eingepasst und dabei in Wortstellung, Syntax, Kasus usw. ohne weiteres verändert hat, liefert Epiphanius - bei allen Einschränkungen hinsichtlich seiner Konzentration und Genauigkeit - doch insgesamt belastbare Zitate, die aufs Ganze gesehen als Zeugnisse erster Ordnung gelten müssen. 5. Allerdings können Epiphanius’ Scholien keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Zwar ist deutlich, dass Epiphanius seine Liste »der Reihe nach« erstellt ______________________________ 66 Vgl. z. B. in Schol. 5; 59; 64. Als Beispiel vgl. Schol. 38: »Gestrichen war von dem ›Einige kamen und berichteten ihm über die Galiläer, deren Blut Pilatus mit dem der Opfer vermischt hatte‹ bis dahin, wo er von den Achtzehn, die im Turm von Siloah starben, spricht. Und das ›Wenn Ihr nicht umkehrt‹ und das Folgende (καὶ τὰ ἑξῆς) bis zu dem Gleichnis vom Feigenbaum, über den der Bauer sagte: ›Ich grabe (ihn) um und dünge ihn, aber wenn er nicht trägt, werde ich ihn umhauen‹.« Hier sind die verschiedenen Referenzarten - wörtliches Zitat, paraphrasierende Zusammenfassung, Verweis auf Folgendes - sehr schön nebeneinander aufgeführt. 67 Vgl. z. B. Schol. 41: »Wieder hat er gestrichen das ›Sie werden kommen von Osten und von Westen und werden sich in der Herrschaft Gottes niederlassen‹ und das ›Die Letzten werden die Ersten sein‹ und das ›Die Pharisäer kamen zu ihm und sagten: Auf, gehe fort, denn Herodes will dich töten! ‹ Auch das ›Er sagte: Geht und sagt diesem Fuchs …‹« usw. Hier ist deutlich, wie Epiph. durch die Satzanfänge jeweils größere Gefüge durch ein Teilzitat markiert. 68 Vgl. z. B. in Schol. 42 zu Lk 15,11-32 (»Wiederum hat er das ganze Gleichnis von den zwei Söhnen gestrichen, von dem einen, der sein Erbteil nahm und es mit Ausschweifung durchbrachte, und von dem anderen«) oder in Schol. 67 zu Lk 22,50 (»Er strich, was Petrus tat, als er zuschlug und dem Sklaven des Hohenpriesters das Ohr abschnitt«). 69 Vgl. zu Schol. 14; 21; 29; 43; 51. In Schol. 5 hat er καὶ τὰ ἑξῆς in der Elenchus-Liste nachgetragen, also das Fehlen in der ersten Scholienliste bemerkt. 70 Vgl. etwa Schol. 16 zu *9,22, wo die durch Tert. 4,21,7 gesicherten Worte καὶ ἀποδοκιμασθῆναι ἀπὸ τῶν πρεσβυτέρων καὶ ἀρχιερέων καὶ γραμματέων fehlen. - Schol. 51 fasst *18,35-43 in einem Satz zusammen, obwohl Epiphanius ganz sicher mehr als das von ihm Bezeugte gelesen hat (ἐγένετο δὲ ἐν τῷ ἐγγίζειν αὐτὸν τῆ ᾿Ιεριχὼ τυϕλὸς ἐβόα· ᾿Ιησοῦ, υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με. καὶ ὅτε ἰάθη, ϕησίν· ἡ πίστις σου σέσωκέ σε). - Schol. 74 (παρέκοψε τό Λέγετε ὅτι ἀχρεῖοι δοῦλοί ἐσμεν. ὃ ὠϕείλομεν ποιῆσαι πεποιήκαμεν) ist schwierig: Z AHN II/ 2, 481 hielt die Auslassungsnotiz zu Lk 17,10 für ungenau und vermutete, dass das ganze Gleichnis gefehlt habe. H ARNACK *223 erwog dagegen, dass in *Ev (wie im Sinaisyrer) nur das Wort ἀχρεῖοι gefehlt habe. Aber Epiphanius war vermutlich korrekt, vgl. u. die Rekonstruktion. 56 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche hat, 71 sodass die »Zählung für jeden einzelnen Eintrag« tatsächlich dem Verlauf von *Ev folgt. Dabei entspricht die Abfolge der Referenzen in *Ev der Struktur des Lk, was nicht überraschend ist, wenn Marcion (der häresiologischen Ansicht zufolge) den lk Text i. W. durch Kürzungen redigiert hat und ihn daher »wie ein Spiegel« reflektiert. 72 Nur in wenigen Fällen weicht die Abfolge seines Referats von der Perikopenakoluthie des Lk ab. Diese Abweichungen sind unterschiedlich zu beurteilen: In drei Fällen scheint es sich um Nachlässigkeiten zu handeln, weil der Ort der Perikopen in *Ev durch Tertullian als mit Lk übereinstimmend gesichert ist. 73 Eine wirkliche Abweichung der Perikopenakoluthie zwischen *Ev und Lk ist nur ein einem einzigen Fall bezeugt: Es handelt sich um die Umstellung von 4,16-31 und 4,31-37, die auch von Epiphanius als Problem vermerkt wird und die durch die anderen Zeugnisse für *Ev gesichert ist. 74 Ähnlich ist der unterschiedliche Ort von *4,27 (in *Ev im Kontext von *17,10ff) zu beurteilen: Auch, wenn Epiphanius dieses Phänomen nicht eigens thematisiert, ist die gegenüber Lk abweichende Stellung in *Ev durch Tertullians Zeugnis über jeden Zweifel erhaben. 75 Dass die Abfolge von Epiphanius’ *Ev-Scholien der Akoluthie des Lk-Evangeliums fast durchgängig genau entspricht, bedeutet aber nicht, dass er den Text vollständig referierte: Epiphanius hat keine Vollständigkeit angestrebt und hätte sie mit seinem Verfahren auch nicht erreicht. Denn dazu hätte es eines Vergleichs zwischen dem marcionitischen und dem kanonischen Text bedurft. Die Scholienliste stellt daher nur eine Auswahl derjenigen Passagen dar, die Epiphanius bei seiner früheren Durchsicht als für eine Widerlegung geeignet aufgefallen waren. Trotz des Eindrucks eines textkritischen Vergleichs, den seine Scholienliste manchmal hervorruft, ist seine Zusammenstellung, analog zu Tertullians Verfahren, inhaltlich orientiert und führt keinen Textvergleich durch. ______________________________ 71 Haer. 42,10,2: ἀκολούθως τάξας κεϕάλαια. 72 Epiph. 42,11,3: ὁ μὲν γὰρ χαρακτὴρ τοῦ κατὰ Λουκᾶν … τὸ εὐαγγέλιον. 73 Schol. 21 (zu *6,3) müsste eigentlich zwischen Schol. 2 und 3 stehen, steht aber zwischen Schol. 20 (*9,44) und 22 (*10,21). In den Schol. 51 (*18,35.38.42) und 52 (*18,31-33) sowie in Schol. 54 (*20,19) und 55 (*20,9) ist die Abfolge jeweils vertauscht. In keinem dieser Fälle deutet die Scholienfolge auf eine veränderte Abfolge des *Ev-Textes gegenüber Lk, wie Tertullians Referenzen in der aus Lk bekannten Abfolge belegen. Eine andere Erklärung als Nachlässigkeit bei der Erstellung der Liste (die sich ja auch in der Doppelung von Schol. 56 und 57 zeigt) habe ich nicht. 74 Haer. 42,11,6: »Er bleibt nicht bei der Abfolge (οὐ καθ’ εἱρμὸν πάλιν ἐπιμένει). Vielmehr schneidet er, wie gesagt, manches weg, anderes stellt er kopfüber um (τὰ δὲ προστίθησιν ἄνω κάτω) und schreitet nicht in der gewohnten Ordnung fort (οὐκ ὀρθῶς βαδίζων) …«. Unmittelbar zuvor stellt Epiphanius den Anfang von *Ev dar; die Umstellung ist gut gesichert, s. unten die Rekonst. z. St. 75 Epiphanius, Schol. 48; Tert. 4,35,6. § 3: Die Bezeugung von *Ev durch die Häresiologen 57 c. Adamantius Neben Tertullian und Epiphanius treten noch die ersten beiden Bücher des Dialogs De recta in deum fide, der unter dem Namen Adamantius verfasst wurde. 76 Im Unterschied zu Tertullian, der den ganzen Text des marcionitischen Evangeliums auf Selbstwidersprüche hin durchging, und anders auch als Epiphanius, der seine eigene Scholienliste mit Widerlegungen versah, ist der Dialog dramatisch angelegt, obwohl ihm ein narrativer Rahmen fehlt. In den ersten beiden Büchern führen der orthodoxe Christ Adamantius (= Origenes) und die beiden Marcioniten Megethius und Markus einen philosophischen Lehrdisput, bei dem der Nichtchrist 77 Eutropius als Schiedsrichter fungiert. Thema des ersten Gesprächsganges ist die Anzahl der göttlichen Prinzipien, wobei Adamantius ausweislich der verwendeten Terminologie eine erkennbar nicänische Position vertritt, während sich die beiden Marcioniten in der Annahme von zwei bzw. drei Archai unterscheiden. 78 Ab dem dritten Buch treten ein Bardaisanit namens Marinus sowie die als Valentinianer gekennzeichneten Droserius und Vales als Gesprächspartner auf und behandeln die Frage nach dem Ursprung des Bösen, der Inkarnation sowie der (leiblichen) Auferstehung. Der griechische Text der Adamantius-Dialoge geht auf nur eine einzige Handschrift zurück, die noch dazu durch eine Lagenvertauschung beeinträchtigt ist. 79 Daneben existiert noch eine Übersetzung Rufins aus der Zeit nach 400, deren Vorlage zwar noch intakt war, die aber gegenüber dem griechischen Text teilweise erhebliche redaktionelle Veränderungen vornimmt und daher als Zeuge für *Ev ausfällt. 80 ______________________________ 76 Zu Adamantius vgl. einleitend T H . Z AHN , Geschichte des Neutestamentlichen Kanons I, Erlangen - Leipzig 1889, 419-426; H ARNACK 56*-63*; S CHMID , a. a. O. 197-207; K. T SUTSUI , Die Auseinandersetzung mit den Markioniten im Adamantios-Dialog. Ein Kommentar zu den Büchern I-II, Berlin - New York 2004, 1-109. 77 Am Ende des ersten Gesprächsganges bezeichnet sich Eutropius als noch nicht zur Kirche gehörig (Dial. 2,22 [833e]): Als Noch-nicht-Christ an der Schwelle der Konversion ist er der ideale, unparteiische Schiedsrichter. 78 Dial. 1,2 (805c). Wie das Konzept der drei Prinzipien christologisch entfaltet werden konnte, zeigt der Fihrist des Ibn an-Nadīm (F LÜGEL 160): »Die Marcioniten behaupten, dass die beiden ewigen Principien das Licht und die Finsterniss seien und dass es ein drittes Wesen gebe, welches sich jenen beigemischt habe … Sie sind aber verschiedener Meinung darüber, was das dritte Wesen sei. Einige sprechen sich dahin aus, dass es das Leben d. i. ‘ Îsâ (Jesus) sei, andere behaupten, dass ‘ Îsâ (Jesus) der Gesandte dieses Wesens sei, der die Dinge auf dessen Befehl und vermittelst dessen Macht geschaffen habe. Alle dagegen stimmen darin überein, dass die Welt etwas Neuerschaffenes sei und dass die schaffende Hand sich darin nicht verkennen lasse.« 79 Der Zusammenhang nach 2,18 erscheint erst nach 5,28. Das Problem ist eingehend erörtert von T H . Z AHN , Die Dialoge des »Adamantius« mit den Gnostikern, ZKG 9 (1888), 193-239: 196ff. Vgl. auch T SUTSUI , a. a. O. 27-34. 80 Vgl. V. B UCHHEIT , Rufinus von Aquileija als Fälscher des Adamantiosdialogs, ByzZ 51 (1958), 314- 328. Zum Zeugniswert der Übersetzung Rufins vgl. auch S CHMID , a. a. O. 201f. 58 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche Der Zeugniswert des Adamantius ist zunächst abhängig von der Einschätzung, ob der Verfasser ein Exemplar von Marcions Bibel eingesehen haben konnte oder nicht. Dafür wiederum ist die Abfassungszeit zu bestimmen. Der terminus post quem ergibt sich aus der Abhängigkeit (vor allem des zweiten Teils) von Methodius von Olymp 81 sowie aus einigen inhaltlichen Beobachtungen, die am ehesten in die 30er Jahre des 4. Jh. weisen. 82 Diese relativ späte Abfassungszeit und mehr noch der Umstand, dass der Verfasser des Dialogs in den Büchern 3-5 seine Kenntnisse der bardaisanitischen bzw. valentinianischen Theologie aus Quellen geschöpft hat, lassen Zweifel daran aufkommen, ob die Hinweise auf Marcions Bibel wirklich auf Autopsie beruhen. Kenji Tsutsui hat zuletzt überzeugend nachgewiesen, dass Adamantius eine Quellenschrift (»Streitschrift A«) aus der zweiten Hälfte des 2. Jh. benutzte, die später noch einmal in einer Überarbeitung (»Streitschrift B«) modifiziert wurde. 83 Ausschlaggebend ist dabei die Beobachtung, dass die Zitate aus *Ev in Testimoniensammlungen erscheinen, die auf diese Quellenschrift(en) zurückgehen. 84 Damit verschiebt sich die Frage nach dem Quellenwert der Adam.-Belege für *Ev auf die Zuverlässigkeit dieser Testimoniensammlung(en). Angesichts des hypothetischen Charakters der Rekonstruktion ist das auf den ersten Blick eine höchst missliche Situation, denn die ausdrückliche Behauptung, dass Adamantius für seine Widerlegung des Megethius dessen eigene Bibel benutzt habe, 85 kann unter diesen Umständen nicht als Argument dienen. Allerdings lässt sich der Quellenwert der Adamantiusbelege nicht durch eine Rekonstruktion der literarischen Vorgeschichte des Textes bestimmen, sondern nur durch eine Analyse der *Ev-Zitate selbst. Für die Beurteilung sind folgende Beobachtungen entscheidend: 1. Gegen die Zuverlässigkeit der *Ev-Belege aus Adam. scheint zunächst zu sprechen, dass die Marcioniten bei den Zitaten aus ihrer Bibel wiederholt einen Text bieten, der dem kanonischen Mt entspricht: Wenn *Ev auf Lk beruhte, dann dürfte es diese Mt-Zitate gar nicht geben. Ich gebe dafür nur zwei Beispiele. Adam. 1,12 (812d) zitiert das Gebot der Feindesliebe in einer Form, die Mt 5,44 entspricht: ἀγαπᾶτε τοὺς ἐχθροὺς ὑμῶν καὶ εὔχεσθε ὑπὲρ τῶν διωκόντων ὑμᾶς. Zu erwarten wäre eigentlich eine ______________________________ 81 Zum literarischen Verhältnis zwischen Adam., Dial. und Methodius, de autoex. und de resurr. vgl. jetzt T SUTSUI , a. a. O. 44ff. 82 Vgl. S CHMID , a. a. O. 202-207. Durch diese Annahme werden dann die Änderungen in Rufins Übersetzung erklärbar: Sie versucht, Züge, die für die nachnicänische Zeit charakteristisch sind, zu tilgen, um so die Abfassung durch Origenes plausibel zu machen (vgl. B UCHHEIT , a. a. O.). T USTSUI , a. a. O. 105-108, datiert den Dialog in die zweite Hälfte des 4. Jh. 83 T SUTSUI , a. a. O. 78-91. 84 A. a. O. 93f. 85 Adam., Dial. 1,5 (806d); o. S. 36 Anm. 11. § 3: Die Bezeugung von *Ev durch die Häresiologen 59 Fassung, die Lk 6,28a entspricht, wo sich die zusätzliche Wendung εὐλογεῖτε τοὺς καταρωμένους ὑμᾶς findet, wie sie im Übrigen auch Tertullian für *Ev bezeugt. 86 In dem Zitat aus dem »Kinderevangelium« gibt Adam. 1,16 (814c) einen Wortlaut, der genau Mt 19,14 entspricht (τῶν γὰρ τοιούτων ἐστὶν ἡ βασιλεία τ ῶ ν ο ὐ ρ α ν ῶ ν ); der lk Text, der hier zu erwarten wäre (Lk 18,16), liest dagegen βασιλεία τ ο ῦ θ ε ο ῦ . Dieses Phänomen der »matthäischen« Form der *Ev-Zitate ist von großer Bedeutung - nicht nur für die Einschätzung der Zuverlässigkeit der Adamantiusbelege, sondern auch für die weitere Frage nach der Textgeschichte von *Ev sowie für das Problem der mt-lk Doppelüberlieferungen im Horizont der Geschichte der synoptischen Überlieferung. An dieser Stelle soll der Hinweis genügen, dass Adam. mit der »matthäischen« Form seiner *Ev-Zitate nicht alleine steht, sondern durch eine Reihe von Handschriften gestützt wird. So wird die »mt« Auslassung der Wendung εὐλογεῖτε τοὺς καταρωμένους ὑμᾶς in Lk 6,28a durch einige Minuskeln gestützt, 87 wie umgekehrt eine Reihe von Minuskeln sowie drei altlateinisch Handschriften für Lk 18,16 ebenfalls die »mt« Formulierung ἡ βασιλεία τ ῶ ν ο ὐ ρ α ν ῶ ν/ regnum c a e l o r u m bieten. 88 Die mt Textformen stellen schon deswegen keinen Einwand gegen die Zuverlässigkeit der Adamantiusbelege dar, weil die gleiche Beobachtung auch auf die *Ev-Zitate bei Tertullian und Epiphanius zutrifft. 89 Es wird zu zeigen sein, dass hier keine sekundäre Konformierung aufgrund einer Beeinflussung des Textes der synoptischen Parallelen vorliegt, wie sie der Apparat von NA 27 durch p) signalisiert. Vielmehr handelt es sich dabei um originäre Lesarten, die sich nicht nur in unterschiedlichen Handschriften erhalten haben, sondern auch in den *Ev- Exemplaren, wie sie unseren drei Hauptzeugen vorlagen. 2. Ein Sonderfall dieser »mt« Zitate aus *Ev ergibt sich aus Adam. 2,18 (830e): Dem Marcioniten Markus zufolge habe Christus nicht gesagt »Ich bin nicht gekommen, um das Gesetz aufzuheben, sondern um es zu erfüllen« (Mt 5,17), sondern genau das Gegenteil vertreten: »Ich bin nicht gekommen, um das Gesetz zu erfüllen, sondern um es aufzulösen«. 90 Dieses Beispiel gehört wegen der ersten Behauptung - dass Mt 5,17 in *Ev nicht enthalten sei - in den Zusammenhang der ______________________________ 86 Tert. 4,16,1: sed vobis dico, qui auditis, diligite inimicos vestros, e t b e n e d i c i t e e o s q u i v o s o d e r u n t , et orate pro eis qui vos calumniantur. 87 ευλογειτε … υμας και fehlt auch in den Minuskeln 115 477 517 544 1216 1675 2766 (s. Anhang III). 88 βασιλεια των ουρανων/ regnum caelorum: 157 472 579 983 1009 1187 1241 1604 2487 a b c vg 1ms . Vgl. dazu die Liste der Varianten (Anhang III). 89 Nur drei von sehr viel mehr Beispielen: *9,41a: Auslassung von [ὦ γενεὰ ἄπιστος] καὶ διεστραμμένη wie Mt 17,17 || Mk 9,19 auch bei Tert. 4,23,1 und Epiph., Schol. 19 sowie den beiden altlat. Handschriften a e. - *12,24: Auslassung von [οἷς οὐκ ἔστιν] ταμεῖον οὐδέ wie Mt 6,16 auch bei Tert. 4,29,1 sowie in e. - *21,8b: Der Zusatz [ἐγώ εἰμι] ὁ Χριστός wie Mt 24,5 auch bei Tert. 4,39,1-3 sowie in 157 1247 c aur c e ſſ 2 gat i l q r 1 s vg mss . 90 Adam. 2,18 (830e): τοῦτο οἱ Ἰουδαϊσταὶ ἔγραψαν, τό Ὀυκ ἦλθον καταλῦσαι τὸν νόμον ἀλλὰ πληρῶσαι. οὐχ οὕτως δὲ εἶπεν ὁ Χριστός, λέγει γάρ, ᾿Ουκ ἦλθον πλῆρωσαι τὸν νόμον ἀλλὰ καταλῦσαι. 60 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche angeblich »mt« Belege aus *Ev, unterscheidet sich aber dadurch von den genannten Beispielen, dass es für dieses Logion keine lk Parallele gibt. Dieses Beispiel ist notorisch: Tertullian hat mehrmals auf das Fehlen dieses Logions abgehoben (s. dazu u. S. 70ff), und noch Anfang des 5. Jh. taucht der entsprechende Vorwurf bei Isidor von Pelusium auf: »Sie (sc. die Marcioniten) lassen nämlich das Wort des Herrn weg, das besagt: ›Ich bin nicht gekommen, um das Gesetz oder die Propheten aufzulösen‹ und setzen stattdessen ›Glaubt ihr, dass ich gekommen bin, um das Gesetz und die Propheten zu erfüllen? Ich bin gekommen, um aufzulösen, nicht zu erfüllen‹.« 91 Verräterisch ist an dieser Aussage der Anfang: Denn Isidor konnte am Anfang des 5. Jh. schlechterdings keinen Lk-Text kennen, der die Aussage »Ich bin nicht gekommen, um das Gesetz oder die Propheten aufzulösen« enthalten hätte. Dementsprechend konnten die Marcioniten diese Aussage auch nicht »tilgen« (ἀμείψαντες) und an ihrer Stelle »etwas anderes dafür setzen« (ἐποίησαν). Isidors Bemerkung ist folglich kein Beweis für einen entsprechenden *Ev-Text zu Beginn des 5. Jh. Er belegt vielmehr eine feste antimarcionitische Tradition. 92 Die Frage, wie diese Tradition zustande kam, wird später zu beantworten sein (u. S. 83f). Für den Moment soll genügen, dass die entsprechende Behauptung des Marcioniten Markus den Quellenwert der Adamantiusdialoge nicht grundsätzlich einschränkt. 3. Die Frage nach der Zuverlässigkeit der *Ev-Zitate in Adamantius kann am Ende nur durch einen Vergleich mit den Belegen aus Tertullian und Epiphanius geklärt werden. Und in diesem Zusammenhang ist es entscheidend, dass Adamantius an zahlreichen Stellen Eigentümlichkeiten aus *Ev referiert, die so auch aus den anderen Referaten bekannt sind. Diese Übereinstimmungen beziehen sich sowohl auf größere, charakteristische Differenzen gegenüber dem kanonischen Text als auch auf kleinere Abweichungen. Sie sind hier nur kurz aufgeführt; für weiteres vgl. die Liste der Varianten in *Ev (Anhang III): 1. Übereinstimmungen zwischen Adam. und Tert.: *6,43a Auslassung von γαρ: Tert. 4,17,11 || Adam. 1,28 (821a). - *9,18: homines/ οι ανθρωποι anstelle von οι οχλοι: Tert. 4,21,6 || Adam. 2,13 (829c/ d). - *16,23a: Auslassung von και/ et: Tert. 4,34,12 || Adam. 2,10 (827a) (durch diese Auslassung wird der Anfang von *16,23 zum Ende des vorangehenden Satz gezogen: εταϕη εν τω ______________________________ 91 Isidor von Pelusium, ep. 1,371 (MPG 78, 393A): ἀμείψαντες γὰρ τὴν τοῦ κυρίου ϕωνήν ›᾿Ουκ ἦλθον, λέγοντος, καταλῦσαι τὸν νόμον ἢ τοὺς προϕήτας‹ ἐποίησαν ›Δοκεῖτε ὅτι ἦλθον πληρῶσαι τὸν νόμον ἢ τοὺς προϕήτας; ἦλθον καταλῦσαι, ἀλλ’ οὐκ πληρῶσαι‹. Zu den Verweisen auf Marcion bei Isidor vgl. R. R IEDINGER , Zur antimarkionitischen Polemik des Klemens von Alexandreia, VigChr 29 (1975), 15-32, der sich um den Nachweis bemühte, dass diese Stellen auf ein verlorenes Werk des Clemens Alex. zurückgehen; das ist möglich, für unsere Argumentation aber irrelevant: Auch, wenn die Echtheit dieser »Briefe« angezweifelt wird, so wurden sie doch (erst) im 5. Jh. dem Werk Isidors beigefügt. 92 Dies hat T SUTSUI , a. a. O. 253, zu Recht gegen H ARNACK 369* hervorgehoben. § 3: Die Bezeugung von *Ev durch die Häresiologen 61 αδη/ sepultus est in inferno). - *18,20b (Reihenfolge der Dekaloggebote: töten, ehebrechen usw.): Tert. 4,36,5 || Adam. 2,17 (832a). - *22,53b: καινω μνημειω/ sepulcro novo anstelle von εν μνηματι λαξευτω: Tert. 4,42,7 || Adam. 5,12 (857d). - *24,25: (locutus est) ad vos/ (ελαλησα) προς υμας anstelle von (ελαλησαν) οι προϕηται: Tert. 4,43,4 || Adam. 5,12 (857d). 2. Übereinstimmungen zwischen Adam. und Epiph.: *5,36: ρακους αγναϕου an Stelle von ιματιου καινου: Epiph. 42,2,1 || Adam. 2,16 (831b). - *5,36: ιματιω παλαιω anstelle von ιματιον παλαιον: Epiph. 42,2,1 || Adam. 2,16 (831b). - *16,25b: οδε anstelle von ωδε: Epiph., Schol. 45 || Adam. 2,10 (827b). - *16,31: ακουσουσιν αυτου anstelle von πιστευσουσιν: Epiph., Schol. 46 || Adam. 2,10 (827c). - *18,20a: οιδα anstelle von οιδας: Epiph., Schol. 50 || Adam. 2,17 (832a). - *23,51: Auslassung von ουτος ουκ ην συγκατατεθειμενος τη βουλη: Epiph., Schol. 74 || Adam. 5,12 (857d). - *23,53a: Auslassung von (ενετυλιξεν) αυτο: Epiph., Schol. 74 || Adam. 5,12 (857d). - *22,53b: Auslassung von (εθηκεν) αυτον: Epiph., Schol. 74 || Adam. 5,12 (857d). 3. Übereinstimmungen zwischen Adam., Tert. und Epiph.: *5,36: Umstellung von *5,36 nach *5,37f (vgl. dazu die Rekonstruktion, Anhang I). - *9,22: μετα τρεις ημερας/ post tertium diem anstelle von τη τριτη ημερα: Tert. 4,21,7 || Epiph., Schol. 16 || Adam. 5,12 (857c). - *23,50: Auslassung von βουλευτης υπαρχων και ανηρ αγαθος και δικαιος: Tert. 4,42,8 || Epiph., Schol. 74 || Adam. 5,12 (857d). - *23,51: Auslassung von και τη πραξει αυτων. απο αριμαθαιας πολεως των ιουδαιων ος προσεδεχετο την βασιλειαν του θεου: Tert. 4,42,8 || Epiph., Schol. 74 || Adam. 5,12 (857d). - *22,53b: Auslassung von ου ουκ ην ουδεις ουπω κειμενος: Tert. 4,42,7 || Epiph., Schol. 74 || Adam. 5,12 (857d). - *24,39b: Auslassung von ψηλαϕησατε με και ιδετε: Tert. 4,43,6-8 || Epiph., Schol. 78 || Adam. 5,12 (857e). Diese Beispiele zeigen zunächst mit hinreichender Deutlichkeit, dass Adamantius eine Reihe wesentlicher Eigentümlichkeiten bestätigt, die auch Tertullian und Epiphanius für *Ev bezeugen. Dies gilt insbesondere für die Übereinstimmungen mit den beiden anderen Zeugen in der dritten Gruppe, unter denen einige weitreichende Differenzen gemeinsam bezeugt sind: Adamantius muss daher in gleicher Weise wie Tertullian oder Epiphanius als ernstzunehmender Zeuge für *Ev gelten. Darüber hinaus wird deutlich, dass sich die Übereinstimmungen keineswegs nur auf große, inhaltliche Differenzen beziehen. Interessanterweise gibt es (vor allem in den beiden ersten Gruppen) auch Übereinstimmungen in den Abweichungen vom kanonischen Text, die sich semantisch kaum auswirken und eher stilistischen Charakter haben. Dass solche »kleinen« Übereinstimmungen wie die zweimalige Auslassung von αὐτό in *23,53a.b (gemeinsam mit Epiph.) oder die Ersetzung von οἱ ὄχλοι durch οἱ ἄνθρωποι (*9,18) bzw. die kleine, aber folgenschwere Auslassung von καί (*16,23a; jeweils gemeinsam mit Tert.) durch Adam. bezeugt sind, stellt die Zuverlässigkeit der Adam.-Belege unter Beweis. Denn an der Mehrheit der hier genannten Übereinstimmungen hatten die Referenten von *Ev gar kein inhaltliches Interesse: Falls diese Zitate aus *Ev eine längere Literargeschichte - von *Ev über mögliche Quellenschriften bis hin zur Endredaktion der Adamantiusdialoge - durchlaufen haben sollten, dann hat sich dies jedenfalls nicht auf die Genauigkeit ausgewirkt. 62 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche Diese Beobachtungen beziehen sich jedoch nur auf den griechischen Text, nicht auf Rufins Übersetzung, die an zahlreichen Stellen erheblich von der griechischen Vorlage abweicht. Vor allem durch Viktor Buchheits Untersuchungen ist deutlich geworden, dass Rufin gerade bei den Bibelzitaten nicht den griechischen Text übersetzt, sondern den ihm bekannten lateinischen Text einfügt. 93 Im Unterschied zum griechischen Adamantiustext entfällt daher Rufins lateinische Übersetzung als belastbares Zeugnis für die Rekonstruktion von *Ev. 3. Das methodische Problem der widersprüchlichen Bezeugungen Neben diesen drei Hauptzeugen gibt es noch eine ganze Reihe patristischer Quellen, die - mehr oder weniger deutlich - auf das Evangelium Marcions verweisen. 94 Es ist kompliziert, diese Zeugen einzuschätzen und ihre Zuverlässigkeit zu bestimmen. Auf der einen Seite geben die eingestreuten und vereinzelten Bemerkungen keine Zusammenhänge zu erkennen. In vielen Fällen ist unklar, ob sie sich überhaupt auf *Ev beziehen, in anderen ist nicht erkennbar, warum und mit welcher Absicht sie auf diesen Text verweisen. Ich hatte deswegen ursprünglich (in der ersten Auflage) geschlossen, dass sich wegen des fehlenden Zusammenhangs in einem größeren Kontext die Zuverlässigkeit nicht aus den Zeugnissen selbst begründen ließe. Aus diesem Grund hatte ich zwar etliche dieser Zeugnisse im Zusammenhang der Rekonstruktion mit angeführt, sie aber nicht systematisch ausgewertet - zu Unrecht, wie die kritischen Einwände gezeigt haben, von denen ich mich gern habe belehren lassen. 95 Tatsächlich lässt sich die Zuverlässigkeit aller Bezeugungen (das schließt die drei Hauptzeugen ausdrücklich mit ein) nicht durch Sekundärphänomene begründen, also durch Erwägungen zu Fragen wie: Hatte ein Autor Kenntnis von *Ev durch Autopsie oder (nur) durch die Vermittlung Dritter? Spricht die Übereinstimmung der Bezeugung für *Ev mit dem Lk-Text für Zuverlässigkeit? Begründet die Abweichung einer Bezeugung vom Lk-Text Zuverlässigkeit? Sprechen mt Formulierungen in den Zeugnissen für *Ev für oder gegen deren Zuverlässigkeit? All dies können Hilfsargumente für die Einschätzung der Zuverlässigkeit sein. Wirklich begründen lässt sich diese ausschließlich aufgrund der tatsächlichen Übereinstimmung mit *Ev. ______________________________ 93 Vgl. B UCHHEIT , Rufinus von Aquileia, 314-328; DERS ., Tyranni Rufini librorum Adamantii Origenis adversus haereticos interpretatio (STA 1), München 1966, XXXV-XXXVIII. 94 Dazu gehören vor allem: Justin, Irenaeus, Origenes, Ephraem, Isidor von Pelusium, Filastrius, Eznik von Kolb sowie Rufins Adamantius-Übersetzung. Die umfangreichste Sammlung der Belege findet sich bei H ARNACK 314*-433*. Diese Belege sind in den Ausgaben von R OTH und B E D UHN (in unterschiedlicher Weise) berücksichtigt. 95 J. B E D UHN , New Studies of Marcion’s Evangelion, ZAC 21 (2017), 8-24: 12f. Zu diesem Problem vgl. ausführlicher die methodologischen Überlegungen, die ich im »Nachwort« dazu angestellt habe (s. u., S. 450ff). § 3: Die Bezeugung von *Ev durch die Häresiologen 63 Weil *Ev aber erst rekonstruiert werden muss, bedarf es zusätzlicher Kriterien, die nicht einfach auf der Hand liegen, sondern aus dem Gesamtbild entwickelt werden müssen. Für die Hauptzeugen Tertullian, Epiphanius und Adamantius lassen sich (im Unterschied zu den diversen Einzelzeugnissen) solche hilfsweisen Gesichtspunkte für ihre Zuverlässigkeit anführen. Auch, wenn ihre Bezeugungen keine vollständige Rekonstruktion des *Ev-Textes zulassen, liefern sie doch verlässliche Informationen: Ihre Bezeugung verdient - aus durchaus unterschiedlichen Gründen - Vertrauen. Tertullian ist durch die komplizierte Diskussionslage, die ihm selbst sehr deutlich bewusst war, zur Genauigkeit seiner *Ev-Referate gezwungen: Da weder die inhaltliche Kritik an Marcions Theologie noch der formale Nachweis des höheren Alters des kanonischen gegenüber *Ev geeignet sind, die spezifische Gefahr des Marcionitismus zu bannen und die exegetische Begründung seiner Theologie zu widerlegen, darf Tertullian seinen Nachweis von Selbstwidersprüchen zwischen der marcionitischen Theologie und dem sie begründenden Evangelium nicht durch Ungenauigkeiten oder gar wissentlich falsche Zitate gefährden. Will Tertullian sein argumentatives Ziel nicht verfehlen, kann ihm der Nachweis, dass »der Christus Jesus in deinem Evangelium meiner« ist, nur dann gelingen, wenn er den Wortlaut dieses Evangelium so akkurat wiedergibt, dass ihn auch seine marcionitischen Kontrahenten als den ihren anerkennen können. Epiphanius’ Zeugnis verdient Vertrauen vor allem wegen der mechanischen Pedanterie, mit der er seine Scholienliste erstellt hat: Er hat nicht einmal seine eigenen, offenkundigen Versehen bei der älteren Zusammenstellung der Scholien korrigiert, sondern sie lieber in den Elenchi begründet. Auch, wenn die ursprüngliche Scholienliste keineswegs wertneutral war, so ist doch deutlich, dass die eigentliche Widerlegung der Marcioniten im Rahmen der Abfassung des Panarion sich vollständig und peinlich genau auf diese ursprüngliche Scholienliste verlassen hat. Die Zuverlässigkeit der Zeugnisse des Adamantius ist schwieriger darzulegen, weil sie durch die Abhängigkeit von Testimonien in älteren Quellen beeinträchtigt ist. Jedoch erweisen die Übereinstimmungen seiner Belege mit den anderen Bezeugungen - und zwar sowohl hinsichtlich der wichtigen und charakteristischen Differenzen, als auch bei den kleineren und semantisch unauffälligen - die hohe Zuverlässigkeit der *Ev-Zitate bei Adamantius. Adamantius’ *Ev-Referate beruhen nicht auf »Hörensagen«, sondern sind ausweislich der Übereinstimmungen mit Tertullian und Epiphanius nur durch die direkte Abhängigkeit von *Ev zu erklären. Für die Bewertung der Zuverlässigkeit spielt es keine Rolle, wenn diese Autopsie nicht für Adamantius selbst, sondern nur für seine Quellen angenommen werden kann. Aber gerade die Beobachtung weitreichender und spezifischer Übereinstimmungen zwischen den einzelnen Zeugen lenkt den Blick auf ein grundsätzliches Problem, das bisher noch gar nicht angesprochen wurde. Denn den Übereinstimmungen stehen 64 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche zahlreiche Widersprüche gegenüber: In vielen Fällen weichen die Bezeugungen für einzelne Texte nicht unerheblich voneinander ab. Ausmaß und Bedeutung dieser widersprüchlichen Bezeugungen erschließen sich jedoch nur durch den Größenvergleich mit den übereinstimmenden Zeugnissen. Als Grundlage für diesen Vergleich dient die Liste der Varianten aus *Ev in Anhang III: Diese Liste ist zwar nicht unproblematisch, 96 liefert aber die gemeinsame und überprüfbare Bezugsgröße. Diese Liste verzeichnet 566 Varianten in dem für *Ev bezeugten Text gegenüber dem Text der kritischen Ausgaben (NA 27 / GNT 4 ). In drei Vierteln dieser Varianten (nach der Liste: in 431 Fällen) wird *Ev nur durch einen einzigen der drei Hauptgewährsleute bezeugt. Für ein weiteres Viertel (in 135 Fällen) liegt eine Mehrfachbezeugung durch zwei oder alle drei der Hauptreferenten vor. Diese Mehrfachbezeugungen verteilen sich folgendermaßen: In 50 Fällen (also 37 %) stimmen die Bezeugungen überein, dagegen widersprechen sie sich in 62 Fällen (46 %). In 23 weiteren Fällen (rund 17 %) stimmen je zwei Referenten gegen den dritten überein. Wertet man diese Fälle als widersprüchliche Bezeugungen, dann hat dies das überraschende Ergebnis zur Folge, dass der größere Teil (nämlich 85 Belege oder 63 %) der insgesamt 135 Mehrfachbezeugungen widersprüchlich bezeugt ist: Die Widersprüche 97 überwiegen die Übereinstimmungen deutlich. Bei diesen widersprüchlichen Bezeugungen kommen alle Kombinationen vor: Tertullian gegen Epiphanius, Tertullian gegen Adamantius, Epiphanius gegen Adamantius. In etlichen Fällen steht ein Zeuge gegen die beiden anderen, 98 gelegentlich widersprechen sich sogar alle drei Zeugen. 99 ______________________________ 96 Die Liste ist erstens unvollständig: Sie enthält nicht alle Bezeugungen für *Ev. Vor allem das Fehlen einiger größerer Einheiten in *Ev gegenüber Lk (z. B. Lk 1f; 3,2-4,15; 15,11-32 usw.) ist hier gar nicht erfasst, das ja teilweise durch alle drei Referenten bezeugt ist. Zum anderen enthält diese Liste auch kleine und kleinste Abweichungen, die nicht in allen Fällen zwingend auf einen abweichenden Text zurückgeführt werden müssen. Die Liste dient daher nur als Orientierung für die Größenordnung. Die Verteilung der Bezeugung ist jeweils in der letzten Zeile der Einträge angegeben: EZ = Einzelzeugnis; ÜZ = Übereinstimmendes Zeugnis; WZ = Widersprüchliches Zeugnis. 97 Es handelt sich um die Bezeugungen zu: 4,27. - 5,14b (2). - 6,23c. - 6,27. - 6,28a. - 6,28b. - 6,29a. - 6,43a. - 7,9. - 7,19 (2). - 7,20. - 7,27 (3). - 7,38. - 8,20. - 9,20. - 9,22 (2). - 9,41b. - 10,1. - 10,21. - 10,22. - 10,28. - 11,11. - 11,13b. - 12,4 (2). - 12,5. - 12,30b. - 12,31 (2). - 12,51b. - 16,16c. - 16,29 (3). - 16,31 (2). - 17,14. - 18,18. - 18,19 (3). - 18,20a. - 18,38. - 22,15. - 23,34b. - 23,46. - 23,51. - 23,53a. - 23,53b (2). - 24,6a (2). - 24,7. - 24,25 (3). - 24,38 (2). - 24,39a (2). - 24,39b. Die jeweils abweichende Bezeugung ist aus der Variantenliste (Anhang III) leicht zu ersehen. 98 Unter den Dreifachbezeugungen gibt es insgesamt 23 Fälle, in denen jeweils zwei der drei Hauptzeugen gegen den dritten übereinstimmen; diese Fälle sind als ÜZ/ WZ verzeichnet. 99 Vgl. *9,22 ἀπὸ τῶν πρεσβυτέρων καὶ ἀρχιερέων καὶ γραμματέων: Während Tert. 4,21,7 und Adam. 5,12 (857c) unterschiedliche Wortfolge bieten, bezeugt Epiph., Schol. 16 Auslassung. § 3: Die Bezeugung von *Ev durch die Häresiologen 65 Diese widersprüchlichen Bezeugungen wiegen schwer und werfen ein grundsätzliches methodisches Problem auf, denn ihr großer Anteil an den Mehrfachbezeugungen stellt auch die Zuverlässigkeit der großen Masse der Einzelbezeugungen in Frage. Denn wenn der Faktor von 63% Widersprüchen bei den Mehrfachbezeugungen auf die Einzelbezeugungen hochgerechnet wird, dann müsste man annehmen, dass es zu rund 270 der über 430 Einzelzeugnise auch eine widersprüchliche Bezeugung geben müsste, die sich nur zufällig nicht erhalten haben. Muss man angesichts einer Quote von 63% Widersprüchen nicht schlussfolgern, dass die Bezeugung für *Ev, den oben genannten Argumenten für ihre Zuverlässigkeit zum Trotz, insgesamt so wenig vertrauenswürdig ist, dass eine auch nur halbwegs verlässliche Rekonstruktion gar nicht möglich ist? Eine methodische Konsequenz, die sich aus diesem Sachverhalt ziehen ließe, bestünde darin, nur die übereinstimmenden Bezeugungen als Grundlage für eine Rekonstruktion heranzuziehen. Dies hat David S. Williams getan, der sich nur auf die »explicit correlated readings« konzentriert. Da er seine Untersuchung auf Tertullian und Epiphanius beschränkt, bleiben 23 Passagen, von denen nur fünf ohne jede Abweichung übereinstimmen. 100 Aber ein solches Vorgehen wäre dem Gesamtbefund nicht angemessen, zu dem eben auch diese Widersprüche gehören. Denn bereits die altkirchlichen Häresiologen haben sie sehr klar wahrgenommen und als Zeugnis für die argumentative Schwäche der marcionitischen Position gewertet: Die Marcioniten würden ihr eigenes Evangelium »täglich verändern, je nachdem, wie sie von uns täglich widerlegt werden.« 101 Dieser Vorwurf steht nicht allein: Auch Adamantius und Origenes haben das so gesehen. 102 Was hier als polemischer Vorwurf der Inkonsequenz und Inkonsistenz aufgrund argumentativer Schwäche erscheint, ist nichts anderes als die Beobachtung der erheblichen Textabweichungen ______________________________ 100 D. S. W ILLIAMS , Reconsidering Marcion’s Gospel, JBL 108 (1989), 477-496. Allerdings intendiert Williams keine Textrekonstruktion, sondern untersucht nur die Frage, ob *Ev »einfach eine systematische Verkürzung des kanonischen Lk-Evangeliums« sei (478), die er verneint. Zu Williams’ Vorgehen s. R OTH 37-40. 101 Tert. 4,5,7: nam et cotidie reformant illud, prout a nobis cotidie revincuntur. 102 Adam. 2,18 (867a): καὶ οὗτοι μέχρι τοῦ δεῦρο περιαιροῦσιν ὅσα ἂν μὴ συντρέχῃ τῇ αὐτῶν γνώμῃ. Orig., Cels. 2,27: Marcioniten, Valentinianer und Anhänger des Lukanus würden den Text des Evangeliums verändern. Mit dieser Erklärung reagiert Origenes auf Kelsos’ Vorwurf, das Evangelium sei »nach seiner ersten schriftlichen Niederlegung (ἐκ τῆς πρώτης γραϕῆς)« aus Gründen theologischer Beweisnot »dreifach, vierfach und vielfach« verändert worden. Aber dieser Vorwurf richtet sich erkennbar nicht gegen die Marcioniten, sondern gegen die Evangelien der Kanonische Ausgabe des NT, die von den katholischen Christen verwendet wurden - und als solcher sieht sich Origenes ja auch zur Reaktion veranlasst (vgl. o. S. 41 mit Anm. 34). Vgl. außerdem den Fihrist des Ibn an- Nadīm aus dem 10. Jh.: »Die Berichte, die dem Marcion zugeschrieben werden, weichen sehr voneinander ab und sind vielen Schwankungen unterworfen« (F LÜGEL 160). Es gibt wenig Zweifel, dass die hier notierten Schwankungen dasselbe Phänomen reflektieren. 66 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche und Widersprüche zwischen einzelnen *Ev-Exemplaren. Harnack hat die Veränderungen und Widersprüche in der Textbezeugung dagegen auf die »fortgesetzten Arbeiten der Schüler Marcions am Bibeltext« zurückgeführt. 103 Das Phänomen der Widersprüche ist für sich genommen ebenso erstaunlich wie die Erklärungen, die dafür gegeben werden. Beides verlangt nach Erklärungen, die vermutlich aufs Engste miteinander zusammenhängen. Zunächst zeigen die patristischen Bemerkungen die große Verbreitung der marcionitischen Ausgaben: Nicht nur Tertullian, sondern ja zumindest auch Origenes und Adamantius mussten Kenntnis mehrerer *Ev-Exemplare haben, um auf die Textvarianten aufmerksam werden zu können. Es handelt sich mithin nicht um vereinzelte Abweichungen, sondern um ein Gesamtphänomen, das die Überlieferung des marcionitischen Evangeliums kennzeichnet. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass wir Mehrfachbezeugungen, die solche Widersprüche zu erkennen geben, nur für einen geringen Teil von *Ev besitzen: Die Dunkelziffer der Widersprüche zwischen den einzelnen *Ev-Exemplaren lässt sich nicht einmal grob schätzen, aber sie wird nicht unerheblich sein: Legt man das Verhältnis zwischen Übereinstimmungen und Widersprüchen bei den Mehrfachbezeugungen zugrunde, müsste man damit rechnen, dass zu rund 270 der insgesamt 431 Einzelzeugnisse noch eine abweichende Bezeugung existiert haben könnte. Die patristischen Erklärungen für diesen Befund setzen durchweg voraus, dass diese Veränderungen an *Ev sukzessive vorgenommen wurden, geben aber nicht zu erkennen, an welchen Merkmalen sie den prozessualen Charakter festmachen. Dass die Wahrnehmung der Textvarianten eine lebendige, andauernde Diskussion unter Marcioniten voraussetzt, wäre für Tertullian und Origenes wenigstens vorstellbar: Sie könnten das Problem aus eigener Erfahrung kennengelernt haben. Bezieht man aber das Zeugnis des Epiphanius in die Überlegung mit ein, dann ist diese Erklärung wenig überzeugend: In diesem Fall müsste man ja annehmen, dass dieser Diskurs zwischen der entstehenden katholischen Kirche und den Marcioniten sich nicht über einige wenige Jahrzehnte, sondern über mindestens 200 Jahre hingezogen und (in diesem Zeitraum! ) zu sukzessiven Änderungen von *Ev geführt hätte. Die patristische Deutung der Veränderungen von *Ev als Eingeständnis der theologischen Unterlegenheit durch die Marcioniten ist daher zwar als antihäretisches Argument nachvollziehbar, taugt aber nicht als historische Erklärung für dieses umfassende Phänomen. Aber auch Harnacks Erklärung, die Schüler Marcions hätten dessen »Textkritik« weitergeführt, erklärt nichts. Zunächst trifft die Vorstellung einer rein philologisch verfahrenden »Textkritik«, wie Harnack sie für ______________________________ 103 H ARNACK 241*; Harnack gibt (ebd. Anm. 2) nur wenige Beispiele und merkt an, dass sich »eine einheitliche Richtung oder Tendenz in den späteren Korrekturen (…) nicht nachweisen« lasse. § 3: Die Bezeugung von *Ev durch die Häresiologen 67 Marcion annahm, den Sachverhalt der angeblichen marcionitischen Redaktion gar nicht. 104 Davon abgesehen, müsste man in diesem Fall annehmen, dass die Marcioniten ihren Evangelientext durch die Konformierung mit dem kanonischen Text um genau diejenigen »judaistischen Interpolationen« wieder angereichert hätten, die Marcion angeblich durch sorgsame Korrektur gerade erst ausgeschieden hatte: Nicht erst die anzunehmende Geringschätzung für die Arbeit ihres Meisters führt diese Annahme ad absurdum. Im Blick auf die Liste der widersprüchlichen Bezeugungen stellen jedoch nicht die theologisch gehaltvollen, sondern die zahlreichen »kleinen«, semantisch unauffälligen Varianten ein Problem dar: Es ist schlechterdings nicht nachvollziehbar, dass sich die Marcioniten durch theologische Diskurse zu Korrekturen genötigt gesehen haben sollten, die in der Ersetzung durch Synonyme (*18,18), der Einfügung klärender Pronomina (*12,4) bzw. Adverbien (*12,31) oder der Ersetzung eines Pronomens durch Renominalisierung (*16,29) bestanden. 105 An dieser Stelle bleibt also zunächst ein offenes Problem zu konstatieren. Seine Lösung hat zunächst zu berücksichtigen, dass die Hauptzeugen den Text der ihnen jeweils vorliegenden *Ev-Exemplare weder schlampig noch großzügig, sondern ganz überwiegend korrekt referiert haben werden. Da sich die Divergenzen zwischen den Bezeugungen nicht auf eine absichtsvolle (also: redaktionelle) Angleichung von *Ev an den Text des kanonischen Lk-Evangeliums zurückführen lassen, weisen sie auf ein Phänomen der Textüberlieferung. Die widersprüchlichen Bezeugungen verlangen am Ende nicht nach einer literar- oder redaktionskritischen Antwort, sondern nach einer textgeschichtlichen. Das wichtigste Phänomen, das eine Erklärung der Divergenzen aus der Geschichte der Textüberlieferung von *Ev zu berücksichtigen hat, ist das Ausmaß der anzunehmenden Veränderungen: Es ist vielleicht nicht völlig singulär, aber doch ohne Zweifel in hohem Maß auffällig. Die Antwort ist unten (§ 5) ausführlich zu erörtern. ______________________________ 104 Vgl. dazu u. S. 130ff ausführlicher. 105 Derselbe Sachverhalt spricht auch gegen Harnacks Erklärung: Die angebliche »Reinigung« des Evangeliums von verfremdenden Zusätzen lässt sich an solchen Kleinigkeiten ja nur dann durchführen, wenn ein Vergleichstext vorliegt; aber den haben wir nicht. § 4: Umfang und Sprache des marcionitischen Evangeliums Die Beobachtungen zur Eigenart und Arbeitsweise der einzelnen Zeugen für das marcionitische Evangelium haben zwar insgesamt wahrscheinlich gemacht, dass die jeweiligen *Ev-Referate grundsätzlich zuverlässig sind und eine solide Basis für die Rekonstruktion abgeben. Einige speziellere Fragen bezüglich der *Ev-Referate und ihrer Zuverlässigkeit bleiben jedoch noch zu klären. Zur Behandlung dieser Fragen nötigt auch die Forschungsgeschichte, die hier durchaus kontroverse Ansichten vertreten hat. Zunächst sind zwei kleinere Probleme zu besprechen, die sich in erster Linie aus der bisherigen Forschungsgeschichte ergeben. In einem ersten Schritt muss geklärt werden, wie Tertullians Hinweise zu verstehen seien, dass Marcion angeblich Texte aus dem kanonischen Evangelium gestrichen habe, die sich überhaupt nicht in Lk finden (1.). Ein weiteres Problem ist (2.) vor allem durch Harnacks These auf die Tagesordnung gekommen, dass Tertullian einen lateinischen *Ev-Text vorliegen hatte; diese Annahme würde die Einschätzung seiner *Ev-Referate direkt tangieren. 1. Nicht-lk Texte in Tertullians *Ev-Exemplar? Wie bereits gezeigt, war Tertullian fest davon überzeugt, dass Marcion seiner Bearbeitung das kanonische Lukasevangelium zugrunde gelegt und alle anderen Evangelien verworfen habe; das ist der Grund für seinen methodisch begründeten Rückgriff auf Marcions eigenen Evangelientext. In Anbetracht dieser Ausgangslage müsste man postulieren, dass alle von Tertullian notierten Differenzen in *Ev Abweichungen gegenüber dem Text des kanonischen Lk darstellen. Dies ist aber nicht der Fall: Tertullian wirft Marcion mehrfach vor, Aussagen gestrichen zu haben, die sich jedoch gar nicht im kanonischen Lk-Evangelium, sondern in Mt finden. Dieses Problem wurde schon kurz für Adamantius angesprochen (o. S. 59f); es hat hier aber insofern ein eigenes Gepräge, als es sich nicht auf einzelne, matthäisch klingende Formulierungen innerhalb der mt-lk Doppelüberlieferung bezieht, sondern auf Aussagen, die sich nur in Mt finden. 1 Die nächstliegende Erklärung für dieses Phänomen ist die Annahme, dass Tertullian sich geirrt hat, wenn er Marcion die Streichung von Passagen vorwirft, die sich nicht in Lk, sondern nur in den anderen Evangelien finden. Diese Lösung, die unter anderem von Zahn und Harnack zu den fraglichen Stellen vorgeschlagen ______________________________ 1 Vgl. dazu D. T. R OTH , Matthean Texts and Tertullian’s Accusations in Adversus Marcionem, JTS NS 59 (2008), 580-597. § 4: Umfang und Sprache des marcionitischen Evangeliums 69 wurde, 2 ist grundsätzlich denkbar, weil Tertullian mit einiger Wahrscheinlichkeit keinen Textvergleich durchgeführt hat (s. o.). Aber abgesehen davon, dass die Annahme eines Irrtums nur die ultima ratio der Erklärung sein kann, konstituiert die Bestimmtheit, mit der Tertullian das Fehlen bestimmter Aussagen behauptet, eine Schwierigkeit, wenn die methodische Überlegung zutrifft, dass gerade bei den Zitaten aus Marcions Text Genauigkeit zu erwarten ist. 3 Der jüngste Erklärungsversuch nimmt daher an, dass Tertullians Lk-Text ganz anders als unser kritischer Text ausgesehen habe: Er hätte in der Tat diejenigen Passagen enthalten, deren Streichung Tertullian Marcion unterstellt. 4 Dieser Vorschlag setzt voraus, dass der kanonische Text der Evangelien noch zu Beginn des 3. Jh. starken Veränderungen unterworfen war: Die Variationsbreite innerhalb der so angenommenen kanonischen Textform(en) hätte ein Ausmaß besessen, das nur als Nebeneinander deutlich verschiedener Rezensionen bezeichnet werden kann. Obwohl diese Möglichkeit nicht von vornherein auszuschließen ist, kollidiert sie mit vielen grundlegenden Einsichten zur Textgeschichte, die man ungern um des begrenzten Erklärungswertes dieser Theorie willen preisgeben möchte. In Anbetracht dieser Schwierigkeiten ist es sinnvoll, die fraglichen Stellen noch einmal genau anzusehen. Es handelt sich insgesamt um drei Mt-Logien (15,24.26; 5,17), die Tertullian in *Ev vermisst. 1. Die beiden ersten finden sich in Tertullians bereits erwähnter 5 Diskussion des Anfangs von *Ev (Tert. 4,7,5f). Hier ist impliziert, dass *Ev keine Entsprechung zu Mt 15,24 bzw. 15,26 (|| Mk 7,27) enthielt: »(5) Aber vergeblich wird er (= Marcion) leugnen, dass Christus etwas (mit Worten) gesagt habe, was er sogleich teilweise tut (frustra negabit Christum dixisse quod statim fecit ex parte). Denn inzwischen erfüllt er die Prophezeiung 6 in Bezug auf den Ort: Vom Himmel sogleich in die Synagoge ______________________________ 2 H ARNACK 216* und 252* Anm. 2; T H . Z AHN , Geschichte des Neutestamentlichen Kanons I, Erlangen - Leipzig 1889, 604; II 477 (zu Lk 12,51). Diese Vermutung ist jedoch schon älter und wurde sowohl von den Vertretern der *Evals auch der Lk-Priorität angestellt. Vgl. J. G. E ICHHORN , Einleitung in das Neue Testament I, Leipzig 2 1820, 46f und 76f; A. H AHN , Das Evangelium Marcions in seiner ursprünglichen Gestalt, Königsberg 1823, 174; G. V OLCKMAR , Das Evangelium Marcions, Leipzig 1852, 31 u. a. (vgl. R OTH , a. a. O. 582 Anm. 4). 3 S.o. Vgl. auch B. M. M ETZGER , New Testament Studies, Leiden 1980, 167f. 4 D. S. W ILLIAMS , On Tertullian’s Text of Luke, Second Century 8 (1991), 193-199: 196ff. Neben den gleich zu diskutierenden Stellen begründet Williams diese Sicht mit zwei Justin-Stellen, die einen Mischtext aus Mt/ Lk bezeugen (Dial. 96,3b || Mt 5,45b || Lk 6,35b; (1)Apol. 15,13 || Mt 5,45 || Lk 6,36). 5 S. o. S. 48f. 6 Tertullian bezieht sich auf sein Zitat von Jes 8,23; 9,1 (LXX) in 4,7,3 (hoc primum bibito, cito facito, regio Zabulon et terra Nephthalim, et ceteri qui maritimam et Iordanis, Galilaea nationum, populus qui sedetis in tenebris …): Der Anfang von Marcions Evangelium schildere ja den Beginn im Γαλιλαία τῶν ἐθνῶν. 70 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche (de caelo statim ad synagogam). Wir kommen, wie man zu sagen pflegt, zum Punkt! Auf, Marcion, nimm doch auch jenes aus dem Evangelium fort (aufer etiam illud de evangelio): ›Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt‹ (Mt 15,24) und ›Es geht nicht an, das Brot den Kindern wegzunehmen und es den Hunden zu geben‹ (Mt 15,26), damit es nicht so aussieht, als gehöre Christus den Israeliten. (6) Mir genügen die Taten anstelle der Worte (sufficiunt mihi facta pro dictis). Nimm ruhig die Worte meines Christus fort (detrahe voces Christi mei), seine Taten (res) sprechen doch. Sieh, wie er in die Synagoge kommt: Natürlich zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel (ecce venit in synagogam; certe ad oves perditas domus Israelis)! Sieh, wie er das Brot seiner Lehre den Israeliten als ersten anbietet (ecce doctrinae suae panem prioribus offert Israelitis): Natürlich; er zieht sie als Söhne vor ...« (Tert. 4,7,5f). Vom Kontext her ist es völlig ausgeschlossen, dass Tertullian die beiden Logien Mt 15,24.26 an dieser Stelle in *Ev gelesen haben konnte: Sie sind nicht Teil des *Ev-Referats, sondern gehören zu Tertullians Argumentation. Deren Pointe zielt daher auch nicht darauf, dass Marcion diese Passagen aus dem kanonischen Lk- Evangelium gestrichen habe, sondern auf den Umstand, dass Marcions Evangelium, obwohl es die entsprechenden (mt) Aussagen gar nicht enthielt, ihren sachlichen Gehalt bezeugt. Die Wortwahl, mit der Tertullian Marcions Vorgehen beschreibt (negare; detrahere; auferre), scheint zwar dessen redaktionelle Streichungen nahezulegen, impliziert zunächst aber doch nur den Vorwurf, dass Marcion aus der kanonischen Bibel nur das »verstümmelte« Lk-Evangelium beibehalten habe. Darauf weist auch die Formulierung »Worte meines Christus« hin: Denn diese »Worte« finden sich nicht in Tertullians Lk-Exemplar, sondern in seinem eigenen Vier-Evangelienbuch, das erst in der Zusammenschau aller vier kanonischen Evangelien den von Tertullian propagierten Christus der entstehenden katholischen Kirche präsentiert. Die Argumentation zeigt: Tertullian hat die fraglichen Mt-Verse nicht nur nicht in *Ev gelesen, sondern ist sich auch darüber im Klaren, dass sie dort gar nicht gestanden haben können: Er ist sich deutlich bewusst, dass Marcion das Matthäusevangelium, »jenes andere Evangelium - mit derselben Wahrheit, demselben Christus - nicht übernommen« hat. 7 Der implizite Vorwurf zielt genau auf diese Nicht-Rezeption des Mt. 2. Auf der gleichen Linie ist auch der wichtigste Beleg für die »nicht-lk« Texte in *Ev zu verstehen: Gleich mehrfach 8 behauptet Tertullian, dass Marcion aus seinem Evangelium die Aussage »Ich bin nicht gekommen, das Gesetz (und die Propheten) aufzulösen, sondern um sie zu erfüllen« gestrichen habe. Diese findet sich bekanntlich nicht in Lk, sondern nur in Mt 5,17. Der erste von drei Belegen, ______________________________ 7 Tert. 4,32,2: Non enim recepisti illud quoque evangelium eiusdem veritatis et eiusdem Christi. 8 Vgl. außer den hier aufgeführten Belegen noch Tert. 4,36,6; 5,14,14; in diesen Fällen handelt es sich um freie Zusammenfassungen des Logions im Rahmen von Tertullians Argumentation ohne den Vorwurf der »Streichung«. § 4: Umfang und Sprache des marcionitischen Evangeliums 71 an denen das Logion ausdrücklich erwähnt wird, gehört in den gerade besprochenen Kontext der Diskussion des Anfangs von *Ev (Tert. 4,7,4ff). Christus habe »gleich bei seinem ersten Auftreten gezeigt, dass er nicht gekommen sei, um Gesetz und Propheten aufzulösen, sondern sie vielmehr zu erfüllen. Dies nämlich hat Marcion wie einen Zusatz gestrichen.« 9 Diese Bemerkung steht wie eine Überschrift über dem folgenden Nachweis mit der Argumentation »facta pro dictis«: Der marcionitische Christus stelle durch sein Verhalten (also durch seine res) faktisch genau das unter Beweis, was der marcionitische Bibeltext als Aussage Jesu (voces) nicht hergibt. Die Lösung ist hier natürlich die gleiche wie zuvor: Tertullian will Marcion - trotz der Formulierung ut additum erasit! - nicht unterstellen, seine lk Textvorlage um dieses Logion bereinigt zu haben: Es hätte an dieser Stelle (ganz analog zu Mt 15,24.26) überhaupt keine Funktion besessen. Vielmehr argumentiert er gegen den marcionitischen Antinomismus: Die Nicht-Rezeption des Mt mit seinen klaren, positiven Aussagen über das Verhältnis Jesu zum Gesetz des Schöpfergottes schützt Marcion nicht davor, dass sein Christus in seinem Verhalten genau dieses positive Verhältnis bezeugt. 3. Hat man einmal die Struktur von Tertullians Argumentation erfasst, stellen die beiden anderen Belege kein Problem mehr dar: Sie liegen durchweg auf der gleichen Linie. Im Zusammenhang seiner Besprechung der Heilung des Leprösen *5,12-14 nutzt Tertullian den Befehl Jesu *5,14 (vade, ostende te sacerdoti, et offer munus quod praecepit Moyses) zu einer längeren Widerlegung des marcionitischen Antinomismus und zeigt, dass Jesus in vollständiger Übereinstimmung mit den Forderungen des Gesetzes steht (Tert. 4,9,14f): »(14) Es macht natürlich überhaupt keinen Unterschied, auf welche Weise er das Gesetz bekräftigt hat - sei es als der Gute, als der Desinteressierte, sei es als der Geduldige, sei es als der Wankelmütige, solange ich nur dich, Marcion, aus deiner Position vertreibe! So hat er also befohlen, dass das Gesetz erfüllt werde. (15) Auf welche Weise auch immer er diesen Befehl gegeben hat, er konnte auf dieselbe Weise auch jenen Satz aufgestellt haben: ›Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, sondern es zu erfüllen.‹ Was also war dir daran gelegen, das aus dem Evangelium zu streichen, das doch Gültigkeit besitzt? « 10 Die Argumentationsstruktur ist wieder die gleiche: »Es steht fest, dass er jenes Wort gesagt hat, weil er entsprechend gehandelt hat.« 11 Mit der Aufforderung *5,14 habe Jesus de facto die Befolgung des Gesetzes verlangt und dadurch dessen Gültigkeit bestätigt. Die Wendung potuit etiam illam praemisisse sententiam zeigt, dass diese ______________________________ 9 Tert. 4,7,4: … ostendentem in primo ingressu venisse se non ut legem et prophetas dissolveret, sed ut potius adimpleret. Hoc enim Marcion ut additum erasit. 10 Tert. 4,9,15: Quocunque modo praecepit, eodem potuit etiam illam praemisisse sententiam, Non veni legem dissolvere sed adimplere. Quid ergo tibi fuit de evangelio erasisse quod salvum est? 11 Tert. 4,9,15: Constat ergo dixisse illum, quia et fecit. 72 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche sententia gerade nicht in Tertullians Lk-Exemplar stand: Der Ausdruck erasisse für die Nichtbezeugung von Mt 5,17 meint daher auch hier nicht Marcions Korrektur am Lk-Text, sondern seine »Verwerfung« des Mt. Der letzte Beleg findet sich im Zusammenhang von Tertullians Besprechung der Sabbatkonflikte *6,1-10. Tertullian interpretiert das Sabbatgebot von seiner lebensrettenden Intention her und zeigt, dass Jesus pro anima gehandelt habe, als er den hungernden Jüngern Speise gewährte (*6,1ff) bzw. als er die verkrüppelte Hand heilte (*6,6ff). Auch hier steht wieder die Tat Jesu als Beleg für das, was er hätte sagen können (Tert. 4,12,14): »Überall zeigt er durch seine Taten: ›Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, sondern es zu erfüllen‹ - auch, wenn Marcion ihm für dieses Wort den Mund verbietet.« 12 Auch hier impliziert die umständliche Formulierung (os obstruere) nicht »Streichung« aus dem kanonischen Lk-Text, sondern die »Unterschlagung« von Mt in Marcions Bibel. In keinem der besprochenen Fälle hat Tertullian Mt 5,17 in seinem Lk-Exemplar gelesen. Schon der jeweilige Kontext schließt diese Annahme aus, es sei denn, man nähme an, dass dieses Logion in Tertullians Lk-Text an drei unterschiedlichen Stellen enthalten war. Aber einen solchen Lk-Text hat es nicht gegeben. Wie einzelne Elemente der Argumentation zeigen, erhebt Tertullian seinen Vorwurf der Streichung »nicht-lk« Texte auch nicht irrtümlich: Er wusste genau, was in seinem eigenen Lk-Exemplar und was in *Ev stand. Tertullian wirft Marcion die Tilgung einer Mt 5,17 entsprechenden Aussage immer dann vor, wenn ihn der Kontext zu einer Stellungnahme über Jesu Verhältnis zum Gesetz nötigt. 4. Auffällig bleibt immerhin die Wortwahl (negare; detrahere; auferre; eradere ut additum), mit der Tertullian die Nichtbezeugung von Mt 5,17 in *Ev moniert: Man zögert, sie allein durch Marcions Nicht-Rezeption des Mt - non recepisti illud evangelium (4,32,2) - zu erklären. Ein zweites kommt hinzu: Wie oben schon deutlich wurde (o. S. 59f), begegnet der Vorwurf der Streichung von Mt 5,17 auch bei Adamantius und Isidor von Pelusium. Aber in diesen beiden Fällen steht neben der negativen Aussage - Marcion habe das Logion gestrichen - die Behauptung, dass *Ev die positive Aussage enthalten habe: »Ich bin gekommen, um das Gesetz aufzulösen« 13 - dies geht weit über Tertullians monita hinaus. Die Erklärung für diesen starken Vorwurf ergibt sich aus der *Ev-Fassung von *23,2: Im Zusammenhang des Verhörs Jesu vor Pilatus erheben die Ankläger den Vorwurf gegen Jesus: »Wir haben gefunden, dass dieser das Volk verführt und dass ______________________________ 12 Tert. 4,12,14: factis ubique ingerens, Non veni dissolvere legem, sed adimplere, si Marcion hac voce os ei obstruxit. 13 S. o. S. 59 Anm. 90f. § 4: Umfang und Sprache des marcionitischen Evangeliums 73 er das Gesetz und die Propheten auflöst.« 14 Im Unterschied zum Verhör Jesu vor dem Hohen Rat nach Mk 14,56-59 || Mt 26,60f, in dem die Vorwürfe gegen Jesus ausdrücklich falschen Zeugen in den Mund gelegt werden, fehlt ein solcher Hinweis in dem nur bei Lk bzw. Joh bezeugten Verhör vor Pilatus: Dass die Anklagen gegen Jesus (Verführung des Volkes, Verbot des Steuerzahlens, Auflösung von Gesetz und Propheten) falsch sind, müssen die Leser selbst erschließen - gesagt wird es nicht. Der Grund dafür liegt auf der Hand, weil ja keineswegs alle Anklagepunkte falsch sind: Der letzte Vorwurf lautet, Jesus habe »gesagt, dass er der Christus sei«. Darauf nimmt Pilatus Bezug und fragt Jesus direkt: »Bist du der Christus? «, worauf dieser antwortet: »Du sagst es! « (*23,3). Die eigentümliche Gestalt dieser Perikope mit der Reihe von falschen und zutreffenden Anklagen enthielt also ein ausdrückliches Geständnis Jesu. Natürlich bezog sich dieses Geständnis nur auf die Pilatusfrage, also auf den letzten - und aus Sicht des Textes: eindeutig zutreffenden - Anklagepunkt, dass Jesus der Christus sei. Aber wenn man diesen abschließenden Vorwurf als Zusammenfassung der vorangehenden - und aus Sicht des Textes: ebenso eindeutig unzutreffenden - Anklagepunkte verstand, dann bedurfte es weder besonderer Phantasie noch einer ausgesprochen böswilligen Unterstellung, hier die Behauptung Jesu herauszulesen, »er löse das Gesetz und die Propheten auf«: Sofern die marcionitische Theologie durch die kritische Distanz zum jüdischen Gesetz geprägt war, die die Häresiologen ihr durchweg vorgeworfen haben, dann lag eine solche Interpretation in der Tat nahe. Zumindest wird auf diese Weise verständlich, wie Adamantius und Isidor zu der Behauptung gelangen konnten, dass dem marcionitischen Evangelium nicht nur ein Mt 5,17 entsprechendes Logion fehlte, sondern dass es auch umgekehrt die positive Aussage der Auflösung von Gesetz und Propheten enthalten habe. Diese auf den ersten Blick absurd erscheinende Behauptung Jesu stellt also die Zuverlässigkeit der Zeugen nicht in Frage, sondern bestätigt sie sogar. Angesichts des antimarcionitischen Antinomismusvorwurfs wäre (aus Sicht der katholischen Gegner Marcions) eine klare Distanzierung Jesu von dem Vorwurf der Auflösung von Gesetz und Propheten, wie sie in Mt 5,17 vorliegt, durchaus wünschenswert gewesen. Aber sie war in *Ev nicht enthalten. Mit dieser Erklärung wird zweierlei deutlich: Zum einen enthielt Tertullians *Ev-Exemplar gar keine »nicht-lk« Texte - jedenfalls keine mt Texte und auch kein Logion im Sinn von Mt 5,17. Zum anderen erklärt die Gestalt von *23,2 in *Ev mit dem Vorwurf der Auflösung von Gesetz und Propheten und dem nachfolgenden ______________________________ 14 Nach Epiph., Schol. 69: Προσέθετο μετὰ τό Τοῦτον εὕραμεν διαστρέϕοντα τὸ ἔθνος· Καὶ καταλύοντα τὸν νόμον καὶ τοὺς προϕήτας. Schon hier sei darauf hingewiesen, dass dieser »Zusatz« - mit geringfügigen Erweiterungen - auch in der altlateinischen Überlieferung breit bezeugt ist: et solventem legem nostram (om nostram: c vg) et prophetas: b c e ſſ 2 gat i l q vg (4 mss) . 74 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche Geständnis Jesu das starke Unbehagen, das Tertullian angesichts des Fehlens einer eindeutigen Versicherung im Sinn von Mt 5,17 empfunden haben mochte. Denn sein Christus, der Christus des Vier-Evangelienbuches, hatte eine solche Klarstellung in Mt 5,17 ja ausdrücklich gegeben. Für den Christus in Marcions Evangelium konnte Tertullian dagegen nur auf dessen Taten (facta, res) verweisen, weil sich hier keine eindeutige Distanzierung Jesu vom Vorwurf der Auflösung von Gesetz und Propheten durch seine Worte (dicta, voces) fand. An dieser Stelle wird erkennbar, dass Tertullian, so sehr er bei dem Nachweis von Widersprüchen zwischen Marcions Theologie und Evangelium methodisch vom Wortlaut in *Ev ausgeht, doch sachlich die Christologie des kanonischen Vier-Evangelienbuches voraussetzt. Insofern ist die hier vertretene Lösung des Problems der »nicht-lk« Texte in *Ev dem alten Vorschlag durchaus verwandt, demzufolge Tertullians Vorwürfe, Marcion habe mt Texte aus seinem Evangelium getilgt, nicht auf redaktionelle Veränderungen Marcions am Lk-Text zu beziehen seien, sondern auf Differenzen gegenüber dem gesamten (kanonischen) Evangelienbestand. 15 Da Tertullian davon überzeugt war, dass Marcion nicht nur den Text des kanonischen Lk-Evangeliums redaktionell bearbeitet, sondern dieses auch aus dem Kontext der kanonischen Bibel herausgelöst hatte, konnte er den Vorwurf der Verstümmelung - in der für ihn charakteristischen Terminologie - auch mit Blick das Vier-Evangelienbuch erheben: Marcion habe eben nicht nur Lk, sondern die Evangelien insgesamt »zernagt« bzw. »emendiert«. 16 Die komplexe Argumentationslage, die sich aus *23,2 ergibt, macht darüber hinaus deutlich, inwiefern der theologische Antagonismus zwischen der marcionitischen und der katholischen Christologie gerade an dieser Stelle so pointiert als Vorwurf der redaktionellen »Streichung« von Mt 5,17 erscheinen musste - obwohl Tertullian sehr genau wusste, dass dieses Logion auch in Marcions »Vorlage« nicht enthalten war. 17 2. Die Sprache von Tertullians *Ev-Exemplar Eine weitere Schwierigkeit, die die Zuverlässigkeit von Tertullians Bezeugung von *Ev in Zweifel ziehen könnte, liegt in dem Umstand, dass Epiphanius und Adamantius *Ev auf Griechisch referieren, Tertullian dagegen auf Lateinisch. Es gibt keinen Zweifel daran, dass Epiphanius ein griechisches *Ev-Exemplar vor sich hatte, und ______________________________ 15 Z. B. W. R. C ASSELS , Supernatural Religion II, Boston 1875, 100f. Ähnlich auch B. F. W ESTCOTT , A General Survey of the History of the Canon of the New Testament, New York 1896, 321 Anm. 1. 16 Vgl. etwa Tert. 1,1,5 (quis tam comesor mus Ponticus quam qui e v a n g e l i a corrosit? ); 4,4,5 (negotium est haeresis, quae sic semper emendat e v a n g e l i a dum vitiat). 17 Das erklärt den diesbezüglichen Einwand von D. S. W ILLIAMS , On Tertullian’s Text of Luke, SC 8 (1991), 193-199: 194f. § 4: Umfang und Sprache des marcionitischen Evangeliums 75 im 19. Jh. ist man auch durchweg davon ausgegangen, dass das gleiche für Tertullian zuträfe: Er habe einen griechischen Text ausgewertet, den er - gebildet, redegewandt und zweisprachig 18 - bei der Lektüre ad hoc ins Lateinische übersetzt hätte. Nun gibt es einige philologische Auffälligkeiten, die darauf hindeuten könnten, dass Tertullian ein lateinisches *Ev-Exemplar vorliegen hatte. Harnack hatte zum ersten Mal umfassend zu begründen versucht, dass Tertullian eine lateinische Ausgabe der marcionitischen Bibel hatte; 19 andere sind ihm in dieser Einschätzung gefolgt. 20 Harnack war vom marcionitischen Apostolos ausgegangen, für den er einen lateinischen Text als erwiesen ansah. Als er von da aus zur Behandlung von *Ev überging, benötigte er für die entsprechende These nur noch flankierende Argumente. Neben einer Reihe von sprachlichen Beobachtungen zur unterschiedlichen Wortwahl in Tertullians *Ev-Zitaten und seiner eigenen Darlegung zählte für Harnack vor allem ein textgeschichtliches Argument, nämlich die häufigen Übereinstimmungen zwischen *Ev und dem sog. »Westlichen Text« (also i. W. D it sy): Da Tertullians *Ev-Exemplar nicht nur Übereinstimmungen mit dem (griechischen) Text von D und dem lateinischen der Vetus-Latina-Handschriften zeige, sondern gelegentlich auch mit diesen gegen D stehe, müsse ihm ein lateinischer Text zugrunde gelegen haben. 21 Diese Begründung setzt die grundsätzliche Einheitlichkeit eines »Westlichen Texttyps« voraus, die heute nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Es ist daher ratsam, die beiden Fragen nach der Sprache von Tertullians *Ev-Ausgabe und seiner Beziehung zum »Westlichen Text« zu unterscheiden und sie getrennt zu behandeln. Da die komplexen Beobachtungen zu den Analogien zwischen *Ev und dem »Westlichen Text« methodische Implikationen von großer Tragweite besitzen, sollen sie gleich etwas ausführlicher gesondert behandelt werden (§ 5). Hier ist also nur die Frage nach der Sprache der Vorlage zu besprechen. Tatsächlich ist Harnacks diesbezügliche Argumentation ausgesprochen dünn. Im Unterschied zu Tertullians Behandlung des Apostolos, die einen relativ großen Anteil an direkten Zitaten aufweist und daher verlässlichere Daten für einen Vergleich zwischen dem zitierten Text und der eigenen Argumentation liefert, ist seine Behandlung des Evangeliums insgesamt freier gehalten: Die *Ev-Referenzen ______________________________ 18 Dass Tertullian zweisprachig war, ergibt sich aus Adv. Prax. 3,2; mindestens eines seiner Werke ist auch auf griechisch erschienen (vgl. Cor. 6,3). 19 H ARNACK 47*-55*; 149*ff; 178*ff. 20 Vgl. H. VON S ODEN , Der lateinische Paulustext bei Marcion und Tertullian, in: Festgabe für Adolf Jülicher, Tübingen 1927, 229-281; K. T H . S CHÄFER , Die Überlieferung des altlateinischen Galaterbriefs I, Braunsberg 1939, 17; E. C. B LACKMAN , Marcion and his Influence, London 1948 (passim); H. V OGELS , Handbuch der Textkritik des Neuen Testaments, Bonn 2 1955, 79; H. Z IMMERMANN , Untersuchungen zur Geschichte der altlateinischen Überlieferung des Zweiten Korintherbriefes, Bonn 1960, 116f; T. P. O’M ALLEY , Tertullian and the Bible, Nijmegen 1967, 37-63. 21 H ARNACK 179*. 76 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche sind sehr viel stärker in Tertullians eigene Argumentation hinein verwoben und lassen oft nur schwer erkennen, was genau aus dem *Ev-Text stammt und was Tertullians eigene Formulierungen sind. Harnacks Rückschluss von seinen Beobachtungen zu Tertullians Apostolos-Text auf sein Referat des Evangeliums ist daher verständlich, methodisch aber nicht tragfähig. Denn nachdem bereits Gilles Quispel die These eines lateinischen Marciontextes erschüttert hatte, 22 hat die genaue Untersuchung von Ulrich Schmid ergeben, dass Tertullian mit hoher Wahrscheinlichkeit einen griechischen Apostolos-Text besaß. 23 Für das marcionitische Evangelium ist die Ausgangslage schwieriger, wenn anhand der Sprachverwendung gezeigt werden soll, dass sich die *Ev-Zitate »lexikalisch, syntaktisch und stilistisch scharf von der eigenen Sprache« Tertullians abheben. 24 Argumente, die auf Wortschatz- und Stilfragen beruhen, sind notorisch problematisch, wenn damit literarkritische Urteile begründet werden sollen (und darum handelt es sich ja bei der Erschließung einer lateinischen Quelle der *Ev-Zitate): Sie würden eine vollständige Analyse der Zitierpraxis Tertullians in allen seinen Schriften erfordern, denn nur so ließe sich eine verlässliche stilkritische Vergleichsbasis für die fraglichen Belege zum Beweis einer lateinischen Quelle etablieren. Eine solche Analyse kann hier auch nicht ansatzweise geleistet werden. Gleichwohl lässt sich bereits an Harnacks eigener, sehr überschaubarer Liste 25 zeigen, wie wenig überzeugend seine Argumentation ist. Neben dem generellen Verweis auf Tertullians eigene Sprache (der, wie gesagt, wenig aussagekräftig ist) nennt Harnack fünf Stellen, an denen sich die Unterscheidung von Zitat und Tertullians eigener Sprache zeigen lasse. Im Hintergrund steht die Überlegung, dass Tertullian bei einer eigenen Übersetzung aus dem griechischen Text Marcions von vornherein die ihm sinnvoll erscheinende Übersetzung geboten hätte: Der Wechsel zwischen Zitat und Tertullians eigener Formulierung belege daher, dass Tertullian die zitierte Formulierung (auf Lateinisch) bereits in seinem *Ev-Exemplar vorgefunden habe. 1. Im Referat zum Bildwort vom Flicken *5,36 äußert sich Tertullian zur Form der Gleichnisrede: »Auch die Redeform ist bei Christus nicht neu. Wenn er bei der Beantwortung von Fragen Bilder verwendet (similitudines obicit), dann kommt dies von Psalm 77: ›Ich werde‹, heißt es, ›meinen Mund für ein Gleichnis (parabola) öffnen‹, das heißt: für ein Bild (similitudo). ›Ich werde Dunkles reden (eloquar problemata)‹, das heißt: Ich werde Strittiges erörtern (edisseram quaestiones)« (Tert. ______________________________ 22 G. Q UISPEL , De bronnen van Tertullianus’ Adversus Marcionem, Utrecht 1943, 118-139. 23 U. B. S CHMID , Marcion und sein Apostolos, Berlin - New York 1995, 40-59. Auch andere sind in den letzten Jahren von der These einer lateinischen Apostolosausgabe abgerückt (ebd. 40 Anm. 32). 24 H ARNACK 49* (zum Apostolos). Dass Harnacks Kategorie des »Stilistischen« nicht durch belastbare stilkritische Argumente untersetzt ist, sondern nur sein eigenes Geschmacksurteil reflektiert, hat S CHMID , a. a. O. 41 Anm. 35, zu Recht hervorgehoben. 25 H ARNACK 179ff*. § 4: Umfang und Sprache des marcionitischen Evangeliums 77 4,11,12; Ps 78,2). Harnack folgerte daraus, dass Tertullian in *5,36 nicht ἔλεγεν δὲ καὶ παραβολήν gelesen hätte, sondern eine lateinische Übersetzung mit dicebat autem et similitudinem, weil Tertullian sich sonst seine Erklärung id est similitudo hätte schenken können. Aber da Tertullian selbst sowohl similitudo als auch parabola häufig benutzt, ist ihm nicht daran gelegen, hier zwanghaft die Brücke von similitudo zu parabola zu schlagen. Vielmehr geht es ihm darum, anhand des Psalmbeispiels die Vielfalt der Formen dunkler Rede herauszustellen (problemata, quaestiones, parabolae, similitudines): Dieses Beispiel stützt die These eines lateinischen *Ev-Textes nicht. 2. Tertullian referiert *6,24b ὅτι ἀπέχετε τὴν παράκλησιν ὑμῶν mit den Worten quia receperunt scilicet advocationem suam (4,15,9). Dies sei, so Harnack, »doch des Guten in wörtlicher Wiedergabe zu viel«, weswegen Tertullian in der eigenen Einleitung (4,15,8) lieber divites solatio iuvantur formuliere. Auf den ersten Blick überzeugend, wird dieses Argument schon wenige Zeilen später widerlegt, wenn Tertullian (4,15,11) - in seiner eigenen Interpretation! - genau die inkriminierte Formulierung wiederholt: Qui magis quam divites? quia receperunt scilicet advocationem suam, gloriam et honorem, sublimitatem ex divitiis (4,15,11). 3. Ähnliches gilt von Tertullians Referat von *9,24 (ὃς γὰρ ἂν θέλῃ τὴν ψυχὴν αὐτοῦ σ ῶ σ α ι , ἀπολέσει αὐτήν): Im Zitat (4,21,8) formuliert er animam suam s a l v a m f a c e r e , in seiner eigenen Deutung (4,21,9) dagegen qui animam suam … s e r v a t . Aber der Wechsel von salvam facere zu servare ist kein hinreichender Beleg, denn bereits vorher verwendet Tertullian die Wendung animam salvam facere in seiner eigenen freien Zusammenfassung der Erzählung von den Jünglingen im Feuerofen (Dan 3). 26 4. Besonders schlagend scheint Tertullians Zitat von *9,41 zu sein, wo er ῏Ω γ ε ν ε ὰ ἄπιστος durch O g e n i t u r a incredula wiedergibt (4,23,1). Dieses »stümpernd wörtliche und in der gebildeten Sprache hier unstatthafte ›genitura‹ … ersetzt er aber sofort, indem er zehn Zeilen darauf gut lateinisch schreibt …: O n a t i o incredula.« 27 Aber der Kontext zeigt, dass Tertullian sich hier nicht um die »gebildete Sprache« bemüht. Vielmehr ist der Wechsel des Vokabulars offensichtlich durch den biblischen Hintergrund bestimmt. Denn die beiden Ausdrücke γενεά/ genitura und ἔθνος/ natio stehen in Dtn 32,20f (LXX) nebeneinander und werden von Tertullian (4,31,6) auch so zitiert. 5. Das letzte Beispiel ist Tertullians Referat von *6,20 mit dem Wechsel von (beati) mendici - pauperes (4,14,1f). Tatsächlich spricht dieses Beispiel, wie Harnack selbst bemerkt, nicht für, sondern gegen seine Annahme einer lateinischen *Ev-Vorlage. Tertullian führt aus: »Selig sind die Armen (m e n d i c i ) - denn so erfordert es die Übersetzung des Wortes, das im Griechischen steht (sic enim exigit interpretatio vocabuli quod in Graeco est) -, denn ihrer ist das Reich Gottes« (4,14,1). Klarer lässt sich eigentlich nicht zeigen, dass Tertullians *Ev-Vorlage griechisch war. 28 Von diesen fünf Beispielen Harnacks lässt sich bestenfalls das erste als Beleg für einen lateinischen *Ev-Text in Erwägung ziehen, die folgenden drei legen dagegen ______________________________ 26 Tert. 4,21,8: salvas facit animas trium fratrum, qui eas pro deo perdere conspiraverant, Chaldaeorum vero perdidit, quas illi per idololatriam salvas facere maluerant. 27 H ARNACK 180*, mit Verweis auf Tert. 4,23,2. 28 H ARNACK 180f* (mit der Erklärung zu *6,20, warum Tert. eben doch einen lateinischen *Ev-Text hatte). Vergleichbare Hinweise auf den griechischen Bibeltext gibt Tertullian in Buch 4 noch zweimal in Bezug auf das AT: 4,8,4 (zu Jes 53,4); 4,11,8 (zu Cant 4,8). 78 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche eher eine griechische Vorlage nahe, wie sie dann im letzten Beispiel auch direkt vorausgesetzt ist: Harnacks Argumentation erscheint mehr als gesucht. Damit ist nicht gesagt, dass es keinen lateinischen *Ev-Text gegeben habe, sondern nur, dass Tertullian einen solchen nicht benutzte und dass Harnacks Belege seine anders lautende These nicht tragen. Für ein begründetes Urteil müssten alle Hinweise - über Adv. Marc. 4 hinaus - untersucht werden. 29 Aber immerhin lässt sich mit guten Gründen vertreten, dass die Beweislast nach wie vor bei der Annahme eines lateinischen *Ev-Textes liegt. Denn das direkte Zeugnis in Adv. Marc. 4 setzt neben 4,14,1f an mindestens einer weiteren Stelle eindeutig ein griechisches *Ev-Exemplar voraus: In seiner Besprechung von *9,41 zitiert Tertullian aus *Ev (*7,19 σὺ εἶ ὁ ἐρχόμενος) - und zwar auf Griechisch. 30 Tertullian hat also auf jeden Fall einen griechischen *Ev-Text besessen; dass er daneben auch einen lateinischen Text kannte, ist zweifelhaft und lässt sich nicht nachweisen. Angesichts dieser Lage spricht dann doch einiges für Zahns Urteil, der Tertullians Übersetzungsvarianten rechtfertigt: »Aber was sollte ihn, der besser griechisch verstand als Einer von uns, der selbst als griechischer Schriftsteller aufgetreten war, und der bei seinen Übersetzungen aus Mrc. häufig nach dem zutreffendsten Ausdruck sucht, verführt haben, ›fälschlich zu übersetzen‹? « 31 Bis zum Erweis des Gegenteils (der eine systematische und vollständige Analyse von Tertullians Zitierpraxis und seiner Mehrfachzitate erfordern würde) ist es daher geboten, für die Rekonstruktion von *Ev auf die Annahme eines lateinischen *Ev- Textes zu verzichten: Ich gehe davon aus, dass Tertullian - genau wie Epiphanius und Adamantius - einen griechischen *Ev-Text hatte. ______________________________ 29 A. J. B. H IGGINS , The Latin Text of Luke in Marcion and Tertullian, VigChr 5 (1951), 1-42, hat eine Liste mit ca. 60 Wortschatzvarianten zwischen Zitaten aus *Ev und Tertullians eigenen Formulierungen aufgestellt, aus denen er auf eine lateinische Vorlage schließt. Wie vollständig diese Liste ist (und ob sie tatsächlich den fälligen Beweis erbringt), habe ich nicht geprüft; immerhin ist zu notieren, dass Higgins angesichts der von Quispel beigebrachten Gegenargumente sich auf von Sodens Liste der Belege beschränkt (H IGGINS , a. a. O. 9f; vgl. H. VON S ODEN , Der lateinische Paulustext bei Marcion und Tertullian, in: Festgabe für Adolf Jülicher, Tübingen 1927, 229-281: 229ff). 30 4,23,1: Quisquis es, ἐπερχόμενε, prius ede quis sis, et a quo venias, et quod in nobis tibi ius, vgl. 4,25,7. S. auch Tert. 4,9,3 mit einem Zitat, das möglicherweise aus den Antithesen stammt. 31 T H . Z AHN , Geschichte des Neutestamentlichen Kanons II, Leipzig 1892, 452 (hier bei der Behandlung von *6,36 gegen A. H ILGENFELD , Kritische Untersuchungen über die Evangelien Justin’s, Halle 1850, 406). § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung Das größte Problem, das der für *Ev bezeugte Text aufwirft, besteht allerdings in der erstaunlich großen Zahl von Übereinstimmungen mit dem Text der Handschriften des sog. »Westlichen Textes« für das kanonische Lk-Evangelium. 1 Harnack gab ihre Zahl mit 200 bis 300 an 2 und lag mit dieser Schätzung noch zu niedrig. Die absolute Zahl dieser Übereinstimmungen ist, für sich genommen, jedoch wenig aussagekräftig: Die Größe des durch die Übereinstimmungen aufgeworfenen Problems ist zum einen abhängig von der Vergleichsbasis, zum anderen von der Gesamtzahl der für *Ev bezeugten Varianten. Beide Größen sind allerdings relativ: Einerseits enthalten alle Textausgaben, die als Vergleichsbasis in Frage kommen (also vor allem: Tischendorf, NT VIII ; der Textus Receptus von 1873, der der IGNTP-Ausgabe zugrunde liegt; NA 27 / GNT 4 ), einen eklektischen Text, dessen Gestalt von den Entscheidungen der jeweiligen Herausgeber abhängig ist. Andererseits ist das Größenverhältnis natürlich davon abhängig, was genau als Variante definiert wird. Zur Umgehung dieser Unsicherheiten liegt den weiteren Überlegungen der Befund der Variantenliste in Anhang III zugrunde: Sie verzeichnet die Varianten des von Tertullian, Epiphanius und Adamantius bezeugten *Ev- Textes gegenüber dem Text der gängigen kritischen Ausgaben (NA 27 / GNT 4 ), 3 und zwar nicht, weil deren Text »besser« ist als der anderer Ausgaben, sondern weil er sehr viel weiter verbreitet ist und sich daher als Arbeitsgrundlage anbietet. Die Variantenliste gibt darüber hinaus zu erkennen, welche Varianten genau als solche gerechnet sind: Für dieses Urteil gibt es keine objektiven Kriterien, weil die Trennlinie zwischen »echten«, semantisch relevanten, und kleineren, semantisch ______________________________ 1 Dass der »Westliche Text« weder wirklich »westlich« ist, wie die zahlreichen Berührungen zur syrischen (und ägyptischen) Textüberlieferung zeigen, noch eine einheitliche Größe darstellt, wie die Unterschiede vor allem zwischen Codex Bezae, der altlateinischen sowie der altsyrischen Überlieferung belegen, ist in der Textforschung längst ebenso anerkannt wie der Umstand, dass Lesarten, die noch vor 100 Jahren als distinkt »Westlich« galten, in zahlreichen anderen Texten bezeugt sind, vor allem im P 75 . Vgl. nur J. N. B IRDSALL , The Western Text in the Second Century, in: W. L. Petersen (ed.), Gospel Traditions in the Second Century, Notre Dame - London 1990, 3-17; K. A LAND , Die Bedeutung des P 75 für den Text des Neuen Testaments, in: ders., Studien zur Überlieferung des Neuen Testaments und seines Textes, Berlin 1967, 155-172; J. D UPLACY , P 75 (Pap. Bodmer XIV- XV) et les formes les plus anciennes du texte de Luc, in: Fr. Neirynck (ed.), L’Évangile de Luc, Leuven 2 1989, 111-128. Ich benutze die Bezeichnung »Westlicher Text« (und das Sigel W ) daher in erster Linie als etablierten Sammelbegriff (für D it sy), ohne damit eine bestimmte textkritische Theorie zu verbinden; bei der Behandlung textkritischer Fragen sind die Handschriften einzeln aufgeführt. 2 H ARNACK 243* (gegen den Text von Tischendorf, NT VIII als Vergleichsgrundlage). Dass das gleiche Phänomen (in geringerem Umfang) auch für den marcionitischen Paulustext vorliegt, sei hier nur erwähnt (vgl. H ARNACK 152* Anm. 1). 3 NA 28 (2012) bietet für Lk denselben Text wie NA 27 , aber einen umgestalteten Apparat mit deutlich weniger Informationen. Die gelegentlichen Verweisungen auf den Apparat beziehen sich daher immer auf NA 27 . 80 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche unwirksamen oder unerheblichen Varianten häufig unscharf ist und verschieden beurteilt werden kann. Auf der Grundlage dieser Variantenliste stellt sich das Problem der Übereinstimmungen zwischen dem für *Ev bezeugten Text und dem Text der kritischen Ausgaben folgendermaßen dar: Von den insgesamt 566 Varianten, die einer oder mehrere der Hauptzeugen für *Ev gegenüber dem Text von NA 27 belegen, besitzen 338, also rund 60 %, eine Entsprechung in einer oder mehrerer Handschriften, die üblicherweise dem »Westlichen Text« zugerechnet werden (D it sy). In weiteren 75 Fällen (also rund 13 %) gibt es Entsprechungen in den griechischen Handschriften bzw. in den Zeugen der orientalischen, vor allem der koptischen und äthiopischen Versionen. Nur 153 aller Varianten in *Ev gegenüber den kritischen Lk-Ausgaben (knapp 27 %) besitzen überhaupt keine Entsprechung innerhalb der kanonischen Textüberlieferung. 4 Dass deutlich mehr als die Hälfte der Varianten von *Ev gegenüber dem Lk-Evangelium Entsprechungen in der »Westlichen« Handschriftenüberlieferung besitzen, ist einigermaßen erstaunlich. Harnack zog aus diesem Phänomen den naheliegenden Schluss: »M.’s griechischer und lateinischer Text des LukasEv. … ist ein reiner W - Text«. 5 Für Harnack besagte diese Einsicht in Berührungen zwischen *Ev und dem »Westlichen Text«zunächst nur, dass der Text, den Marcion seiner angenommenen Revision zugrunde legte, ein Exemplar der Familie des W -Textes gewesen sein musste. In der Tat ist das Ausmaß der Berührungen so groß, dass für Harnack eine andere Erklärung kaum denkbar war: »Wo kämen wir hin, wenn wir alle Sonderlesarten des westlichen Textes dem Marcion als Urheber zuwiesen? « 6 1. Die These eines Einflusses von *Ev auf den »Westlichen Text« Harnacks Annahme, dass Marcion seiner angeblichen Revision des kanonischen Lk eine Handschrift des »Westlichen Textes« zugrunde legte und von dort eben auch »Westliche« Lesarten übernahm, ist im Rahmen seiner methodischen Grundannahme der Lk-Priorität ohne weiteres nachvollziehbar. Allerdings hatte Harnack darüber hinaus auch einen Einfluss von *Ev auf den »Westlichen Text« behauptet. Für Harnack spielten die engen Berührungen zwischen *Ev und den »Westlichen« Handschriften deshalb eine so große Rolle, weil er darin die Möglichkeit sah, Lücken in der Bezeugung von *Ev aus dem W -Text zu interpolieren: Harnacks zu ______________________________ 4 In der Liste in Anhang III ist die Zuordnung der Varianten zu einer dieser Gruppen markiert: ❶ zeigt das Fehlen von Analogien an, ❷ die Übereinstimmung mit D it sy, ❸ mit den orientalischen Versionen (sy co aeth georg), ❹ mit der griechischen Überlieferung. 5 H ARNACK 242* (Hervorhebung im Original). 6 H ARNACK 162*. § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 81 Recht häufig kritisierte Großzügigkeit bei der Rekonstruktion von Marcions Bibel geht zu einem guten Teil auf diese Interpolationen zurück. Ein charakteristisches Beispiel ist Harnacks Vorgehen zu Lk 5,39. Das Logion von der Bevorzugung des alten Weins ist für *Ev unbezeugt: Aus Tertullians und Epiphanius’ Referaten allein lässt sich daher kein Urteil darüber fällen, ob sie diesen Vers nur übergangen oder ob sie ihn gar nicht in *Ev gelesen hatten. Da Lk 5,39 in einer Reihe »Westlicher« Handschriften fehlt (D a b c d e ſſ 2* l; außerdem Euseb; Iren), schloss Harnack, dass der Vers auch in *Ev gefehlt haben müsse: »Er ist echt und von Marcion gestrichen, und dies ist in die abendländische Überlieferung eingedrungen.« 7 Dieses Verfahren lässt sich bei Harnack häufig beobachten; in etlichen Fällen wird in seiner *Ev-Rekonstruktion nicht einmal deutlich, ob sein Urteil über einen Text von Tertullian und Epiphanius gestützt wird oder nur auf einer Interpolation per Analogieschluss aus der »Westlichen« Textüberlieferung beruht. Diese großzügige Interpolationspraxis belastet Harnacks Rekonstruktion des marcionitischen Textes in erheblichem Ausmaß und wurde in jüngster Zeit verschiedentlich kritisiert. 8 Die methodische Voraussetzung für dieses Verfahren bildete Harnacks Unterscheidung zwischen »neutralen« und »tendenziösen« Übereinstimmungen zwischen *Ev und dem »Westlichen« Text: Während die große Masse der übereinstimmenden »neutralen« Abweichungen vom Mehrheitstext einfach auf Marcions Benutzung einer »Westlichen« Vorlage beruhe, gebe es auch andere Übereinstimmungen, die auf die »absichtlichen und tendenziösen Korrekturen« 9 Marcions zurückgingen. Harnack rechnete also nicht nur damit, dass Marcion (unwillkürlich) »Westliche« Lesarten aus der Vorlage seiner Bearbeitung übernahm, sondern postulierte außerdem, dass der von Marcion redigierte Text seinerseits einen Einfluss auf die kanonische Textüberlieferung ausgeübt habe, sodass einige seiner »tendenziösen« Änderungen ihren Niederschlag in den entsprechenden Handschriften (vor allem des »Westlichen Textes«) gefunden hätten, also z. B. in *5,39. In dieser Ansicht sind auch andere Harnack gefolgt. 10 Allerdings ist diese Unterscheidung zwischen »neutralen« und ______________________________ 7 H ARNACK 190*. 8 Zu Recht kritisiert von U. B. S CHMID , How Can We Access Second Century Texts? The Cases of Marcion and Tatian, in: C.-B. Amphoux, J. K. Elliott (eds.), The New Testament Text in Early Christianity, Lausanne 2003, 139-150: 142f: »This is simply creating positive evidence … out of no evidence at all.« Diese Kritik ist berechtigt, trifft aber auch andere: So rechnet Kurt Aland *Ev ohne weiteres zu den Zeugen für die Auslassung von *5,39: Vgl. K. A LAND , Die Bedeutung des P 75 für den Text des Neuen Testaments, in: ders., Studien zur Überlieferung des Neuen Testaments und seines Textes, Berlin 1967, 155-172: 159 (vgl. dazu u. S. 120 mit Anm. 89f). 9 H ARNACK 246* (Hervorhebung M. K.). 10 Vgl. etwa H. L IETZMANN , Rm 14f: In der Mitte bzw. in der zweiten Hälfte des 2. Jh. hätten marcionitische Prediger »ihren« Paulustext ins Lateinische übersetzt; »diese Übersetzung hat dann die katholische Kirche übernommen und ihrem Text angeglichen, aber doch nicht überall die Spuren des Ursprungs verwischen können.« Ähnlich auch H. V OGELS , Der Einfluß Marcions und 82 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche »tendenziösen« Übereinstimmungen in hohem Maß problematisch, denn sie ist methodisch nicht kontrollierbar: Was unterscheidet beide voneinander, wenn nicht eine sehr bestimmte Vorstellung von der spezifischen marcionitischen Theologie, die zu den angeblichen Emendationen in *Ev geführt habe? Vor allem ist aber die zugrunde liegende Vorstellung, dass der von Marcion emendierte Text einen nennenswerten Einfluss auf die kanonische Textüberlieferung ausgeübt haben soll, nachgerade halsbrecherisch. Denn sie setzt voraus, dass ausgerechnet die »tendenziösen« Änderungen des Erzketzers den kanonischen Text beeinflusst haben sollen, obwohl doch von Justin und Irenaeus an nicht nur die Theologie, sondern vor allem der Text Marcions im Fokus der Häresiologen stand und Marcion wie kein zweiter wegen der »Verstümmelung« und »Verfälschung« seines Textes auf das heftigste bekämpft wurde! Wie schon Theodor Zahn sehr richtig gesehen hatte, ist dies völlig undenkbar. 11 Dass Harnack sich überhaupt auf eine derartig gewagte These eingelassen hat, ist nur aus seinem Interesse an den theologischen Emendationen Marcions zu erklären. Dies zeigt seine eigene (erstaunlich kurze) Liste der »tendenziösen« Übereinstimmungen zwischen *Ev und dem »Westlichen Text«. 12 Interessanterweise sind von den sieben Beispielen gleich fünf für *Ev überhaupt nicht bezeugt; in diesen Fällen handelt es sich um die für Harnacks Verfahren charakteristischen Interpolationen aus dem »Westlichen Text«: 5,39 καὶ οὐδεὶς πιὼν παλαιὸν θέλει νέον· λέγει γάρ, ῾Ο παλαιὸς χρηστός ἐστιν: om D a b c d e ſſ 2 l r 1 . Für *Ev nicht bezeugt. 24,12 ὁ δὲ Πέτρος ἀναστὰς ἔδραμεν ἐπὶ τὸ μνημεῖον, καὶ παρακύψας βλέπει τὰ ὀθόνια μόνα· καὶ ἀπῆλθεν πρὸς ἑαυτὸν θαυμάζων τὸ γεγονός: om D a b d e l r 1 g 1 gat. Für *Ev nicht bezeugt. 24,40 καὶ τοῦτο εἰπὼν ἔδειξεν αὐτοῖς τὰς χεῖρας καὶ τοὺς πόδας: om D a b d e ſſ 2 l r 1 sy s.c . Für *Ev nicht bezeugt. 22,43f (der Engel und die Agonie in Gethsemane): om P 69.75 א 1 A B N R T W 0211 69 124 158 543 579 713 788 1071* ℓ 844 f sy s.h sa bo. Für *Ev nicht bezeugt. 13 9,54b ὧς καὶ ᾿Ηλίας ἐποίησεν: om P 45.75 א B L Ξ 157 579 700 1241 1342 aur e g 1 gat l vg sy s.c sa bo mss . Durch Tert. 4,23,8 für *Ev bezeugt. ______________________________ Tatians auf Text und Kanon des Neuen Testaments, in: ders. (Hg.), Synoptische Studien, München 1953, 278-289; A LAND , a. a. O. 11 T H . Z AHN , Geschichte des Neutestamentlichen Kanons I, Erlangen - Leipzig 1889, 638. Vgl. ebd. 681: »Der bewußte Haß der Kirche gegen den Antichristen und Schriftenverfälscher Marcion macht es undenkbar, daß man in kirchlichen Kreisen dem marcionitischen Bibeltext einen positiven Einfluß auf die Gestaltung des kirchlichen einräumte.« 12 H ARNACK 247*f. 13 Diese Überlieferung ist »sicher echt, und M. hat sie aus dogmatischen Gründen getilgt. Ob der alexandrinische Text durch ihn beeinflußt worden ist oder die Alexandriner spontan Anstoß genommen haben, läßt sich nicht entscheiden; ersteres ist mir wahrscheinlich« (H ARNACK , ebd.). § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 83 9,55b.56a καὶ εἶπεν· οὐκ οἴδατε οἵου πνεύματός ἐστε ὑμεῖς. ὁ γὰρ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου οὐκ ἦλθεν ψυχὰς τῶν ἀνθρώπων ἀπολέσαι, ἀλλὰ σῶσαι: om P 45.75 א A B C E G H L V W X Δ Ξ Ψ Ω 028 047 0211 mult lectt g 1 gat l sy s sa aeth mss . Die Bezeugung für 9,55b ist unklar (s. die Rekonstruktion z. St.); 9,56 ist für *Ev nicht bezeugt. 14 23,34a ὁ δὲ ᾿Ιησοῦς ἔλεγεν, Πάτερ, ἄϕες αὐτοῖς, οὐ γὰρ οἴδασιν τί ποιοῦσιν: om P 75 א c B D* W Θ 0124 579 1241 a b c d sy s sa bo (mss) . Für *Ev nicht bezeugt. 15 Diese Liste ist uneinheitlich: Die drei letzten Beispiele, von denen wenigstens eines für *Ev bezeugt ist, sind außer durch »Westliche« noch durch eine Reihe anderer Handschriften belegt. Diese Beispiele belegen also keine spezifisch »Westlichen« Lesarten. Unter Harnacks Annahme eines Einflusses von *Ev auf den W -Text hätte dieser Einfluss einen Großteil der gesamten Handschriftenüberlieferung betroffen, was insgesamt noch weniger wahrscheinlich ist als ein Einfluss (nur) auf den W - Text. Die ersten drei Belege sind dagegen Beispiele für die klassischen Western Non- Interpolations. Allerdings sind sie, genau wie 22,43f und 23,34a, für *Ev überhaupt nicht bezeugt: Hier hat Harnack also seine Theorie schlicht in einer Weise verallgemeinert, dass ihm ein tatsächlicher Beleg aus dem Text von *Ev verzichtbar erschien. Die methodische Kritik an diesem Verfahren ist bereits erwähnt (s. o. Anm. 8). Dass Harnack einen positiven Einfluss von *Ev auf die katholische Handschriftenüberlieferung postulierte, ist - sofern man seine Annahmen für die angeblich dogmatisch induzierten, tendenziösen Änderungen teilt - zwar vom Inhalt dieser Passagen her nachvollziehbar, lässt sich aber nicht methodisch absichern: Im einen Fall handelt es sich nicht um distinkt »Westliche« Lesarten, im anderen Fall gibt es keine Bezeugung für *Ev. Dies ist anders bei *23,2, dem letzten Beispiel aus Harnacks Liste, das schon für die Frage der »nicht-lk« Texte in *Ev eine wesentliche Rolle gespielt hat. Denn die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den »Westlichen« Zeugen sind für *23,2 durch Epiphanius eindeutig bezeugt. Dieses Beispiel ist in mehrfacher Hinsicht von größter methodischer Bedeutung. Denn im Unterschied zu den anderen Belegen, die ja durchweg »negative« Übereinstimmungen zwischen *Ev und W gegen den Mehrheitstext erweisen, handelt es sich hier um »positive« Übereinstimmungen: *Ev bietet zusammen mit wichtigen W -Handschriften einen längeren als den ______________________________ 14 »Da die Stücke höchstwahrscheinlich bei M. standen und ausgezeichnet zu seiner Lehre passen, sind sie von ihm hinzugefügt und nun in die katholischen Mss. gedrungen. Wahrscheinlich gilt dies auch von dem Satz 9,56 […] leider fehlt uns hier der Marcion-Text; aber angesichts der überwältigenden Zahl von Zeugen gegen diesen Vers, kann er nicht ursprünglich sein. Wer aber sollte ihn hinzugefügt haben, wenn nicht M.? « (H ARNACK 248*). 15 Harnack hielt diese Passage für einen marcionitischen Zusatz, der in vielen Handschriften enthalten ist (darunter: A B D c d f ſſ 2 l vg). Denn dass dieses Stück, »obgleich ursprünglich, getilgt worden ist, ist ganz undenkbar« - folglich ist es »von M. hinzugesetzt« und von da in einen Teil der Handschriften eingedrungen (H ARNACK 248*). 84 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche kanonischen Mehrheitstext. Epiphanius hat diese Differenzen im Horizont der Lk- Priorität als »Zusätze« Marcions zum kanonischen Text aufgefasst. Die Bezeugung stellt sich folgendermaßen dar. Im Verhör Jesu vor Pilatus bezeugt Epiphanius für die Anklage gegen Jesus gleich zwei solcher »Zusätze«: »Er setzte aber nach dem ›Wir haben gefunden, dass dieser das Volk verführt‹ hinzu: ›Und dass er das Gesetz und die Propheten auflöst‹. - »Zusatz nach dem ›Er hat befohlen, keine Steuern zu zahlen‹: ›Und er machte die Frauen und Kinder abspenstig‹.« 16 Diese »Zusätze« sind auch in der altlateinischen Handschriftenüberlieferung bezeugt. Der erste erscheint mit kleineren Abweichungen in b c e ſſ 2 gat i l q vg, der zweite ist in c und e mit einer zusätzlichen Begründung in 23,5 belegt, stammt aber ursprünglich mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der Reihe der Vorwürfe gegen Jesus in *23,2. 17 Diese positive Übereinstimmung wiegt schwer. Denn auf der einen Seite beweist sie, dass es in der Tat eine sehr enge Beziehung zwischen der altlateinischen Überlieferung und *Ev gibt, die über die kleinen oder »neutralen« Übereinstimmungen hinausgeht. Auf der anderen Seite ist dieses Beispiel vor allem deswegen aufschlussreich, weil die Abweichung gegenüber dem Mehrheitstext nicht nur nicht zu der angenommenen redaktionellen Intention Marcions passt, sondern dieser diametral widerspricht. Denn wenn Marcion tatsächlich daran interessiert gewesen wäre, seinen Jesus in Distanz zu »Gesetz und Propheten« zu bringen, dann hätte er natürlich den Vorwurf, Jesus habe Gesetz und Propheten aufgelöst, unter keinen Umständen unter die falschen Anklagen einreihen dürfen, sondern ihn positiv besonders herausstellen müssen; Adamantius und Isidor von Pelusium haben dies in ihrer Marcionrezeption ja auch sehr pointiert getan. Harnack und andere haben diesen Umstand, der ihrer These der Lk-Priorität und der damit verbundenen marcionitischen Redaktion so deutlich entgegensteht, nicht kommentiert. Harnacks Bestimmung des Verhältnisses zwischen *Ev und dem W -Text führt also am Ende in ein Dilemma, weil sich die einzelnen Beobachtungen im Horizont der traditionellen Theorie der Lk-Priorität nicht bruchlos aufeinander beziehen lassen: (a) Es gibt eine Vielzahl von kleineren und größeren Berührungen zwischen *Ev und dem »Westlichen Text«, die sich in etlichen Fällen durch die Bezeugung nachweisen, in anderen wenigstens vermuten lassen. (b) Dabei gibt es keine methodisch belastbare Möglichkeit der Distinktion zwischen den kleineren »neutralen« und den größeren »tendenziösen« Übereinstimmungen. Damit entfällt auch die Möglichkeit, zwischen dem Einfluss des W -Textes auf *Ev und dem Einfluss von *Ev auf den W -Text zu unterscheiden. (c) Gleichwohl bestand Harnack auf der ______________________________ 16 Epiph., Schol. 69: Προσέθετο μετὰ τό Τοῦτον εὕραμεν διαστρέϕοντα τὸ ἔθνος· Καὶ καταλύοντα τὸν νόμον καὶ τοὺς προϕήτας. Schol. 70: Προσθήκη μετὰ τό Κελεύοντα ϕόρους μὴ δοῦναι· Καὶ ἀποστρέϕοντα τὰς γυναῖκας καὶ τὰ τέκνα. 17 Vgl. im Einzelnen die Rekonstruktion z. St. (Anhang I). § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 85 Annahme »tendenziöser« Eingriffe, weil er an dem entsprechenden Marcionbild der häresiologischen Literatur und der Lk-Priorität ohne jeden Zweifel festhalten wollte. Aber erst die Interpolationen aus der »Westlichen« Überlieferung verbreitern die Textbasis für die »tendenziösen« Emendationen in einer solchen Weise, dass für Marcions Redaktion ein erkennbares theologisches Profil sichtbar wird. (d) Allerdings ist ausgerechnet für die einzig nachweisbare Berührung zwischen *Ev und dem »Westlichen Text« in Harnacks Liste eine dogmatisch induzierte Interpolation durch Marcion völlig unwahrscheinlich. An dieser Stelle bleibt also ein Dilemma, das weitaus gravierender ist als die Frage nach den Berührungen zwischen *Ev und dem »Westlichen Text«. Es macht auf ein Problem aufmerksam, das die Textkritik der letzten 50 Jahre unter dem Einfluss der Entdeckung des P 75 ganz weitgehend hinter sich gelassen zu haben glaubte: Die Frage nach dem Ursprung der »Westlichen« Lesarten. 2. *Ev und der Text des ältesten, vorkanonischen Evangeliums »Wo kämen wir hin, wenn wir alle Sonderlesarten des westlichen Textes dem Marcion als Urheber zuwiesen? « 18 Mit dieser rhetorischen Frage glaubte Harnack die Notwendigkeit einer Unterscheidung von neutralen und tendenziösen Änderungen hinreichend begründet zu haben. Seine Denkfigur ist nachvollziehbar: Wäre man auf diese Distinktion zu verzichten genötigt, erschiene die übergroße Zahl Übereinstimmungen zwischen *Ev und den »Westlichen« Handschriften gegen den Mehrheitstext als einheitliches Phänomen, das nach Harnacks methodischer Überzeugung nur in Marcions Redaktion des kanonischen Textes liegen konnte, die dann in größter Breite den »Westlichen Text« beeinflusst hätte. Dies ist in der Tat nicht denkbar. a. *Ev als vorkanonischer Text Die folgenden Überlegungen nehmen Harnacks rhetorische Frage ernst, wenn auch unter veränderten methodischen Vorzeichen. Zu fragen ist daher: Wo käme man hin, wenn alle Sonderlesarten des »Westlichen Textes« ein Kennzeichen von *Ev wären? Für die Antwort sind an dieser Stelle im Vorgriff auf später darzulegende Ergebnisse zwei wesentliche methodische Voraussetzungen zu nennen. Die erste Voraussetzung betrifft das literarkritische Verhältnis zwischen *Ev und Lk: Die Bearbeitungsrichtung verläuft nicht (wie Harnack ganz selbstverständlich annahm) von Lk zu *Ev. Vielmehr hat das kanonische Lk-Evangelium das ältere *Ev redaktionell bearbeitet und ergänzt. Diese *Ev-Priorität vor Lk wird im folgenden Teil III begründet und dann in der Rekonstruktion (Anhang I) für jede Einzelperikope ______________________________ 18 H ARNACK 162*. 86 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche detailliert untersucht und nachgewiesen. Die zweite Voraussetzung besagt: *Ev ist nicht nur ein vorlukanischer, sondern ein vorkanonischer Text. Er lag allen vier kanonischen Evangelien voraus und wurde auch von allen benutzt. Diese These greift auf Ergebnisse voraus, die in der überlieferungsgeschichtlichen Skizze (Teil IV) begründet und durch zahlreiche Einzelbeobachtungen der Rekonstruktion (Anhang I) gestützt werden. Diese beiden Voraussetzungen verändern die Rahmenbedingungen, innerhalb derer die textgeschichtlichen Beobachtungen zu interpretieren sind. Denn in dieser Perspektive erscheint *Ev als eine Art »Urevangelium«. Seine textliche Gestalt scheint in den Varianten der Handschriften (vor allem, aber nicht nur) des »Westlichen Textes« noch durch. Diese These, die erst durch die weiteren Untersuchungen besser zu begründen ist, eröffnet den Raum für zwei Überlegungen: Zunächst bietet sie eine Erklärung für die zahlreichen Analogien zwischen dem Text der altlateinischen und der altsyrischen Überlieferung, die ja bis in die Textgestalt von Tatians Diatessaron hineinreichen. Denn sofern es eine breite, wenn auch variable, vorkanonische Textbasis für dieses Evangelium gegeben hat, müssen diese Gemeinsamkeiten der Vetus Latina und der Vetus Syra nicht durch das Nadelöhr einer Transmission durch Tatian vermittelt worden sein, um eine so breit gestreute Wirkung entfalten zu können. Auch der Umstand, dass Tatians Diatessaron auf eine Sammlung aus vier Evangelien reagierte und durch die redaktionelle Zusammenführung wieder ein Evangelium herstellte, lässt sich leichter erklären, wenn es (auch in Syrien) schon die lange und feste Tradition von einem Evangelium gab, das weite Verbreitung gefunden hatte. Die frappierende Beobachtung, dass schon sehr früh (nämlich bereits im 2. Jh.) die distinkt »Westlichen« Lesarten sowohl im lateinischen Westen als auch im syrischen Osten begegnen, findet auf diese Weise eine einfache Erklärung. Zu der Annahme, dass dieses urtümliche Evangelium schon früh große Verbreitung gefunden hatte, passt sodann die Beobachtung des Origenes, dass kein anderes Evangelium so intensiv von den Häretikern genutzt wurde wie das Lk- Evangelium: »Es gibt nämlich zahllose Häresien, die das Evangelium nach Lukas rezipieren.« 19 Dass diese Häretiker jedoch das kanonische Lk-Evangelium benutzt haben, ist wenig wahrscheinlich: Sie müssten es ja - ganz analog zu dem antimarcionitischen Vorwurf seit Irenaeus und Tertullian - als mit ihrer spezifischen Theologie korrespondierend erkannt und aus dem kanonischen Vier-Evangelienbuch herausgelöst haben. Dass aber außer den Marcioniten noch innumerabiles haereses ______________________________ 19 Origenes, Hom. in Lc 16,5: innumerabiles quippe haereses sunt, quae evangelium secundum Lucam recipiunt (GCS 49, 97,12f = FC 4/ 1, 188,6f). Vgl. dazu Iren., Haer. 3,15,1f: Irenaeus führt als Beispiel für Häretiker, die nur Lk, nicht aber Act rezipieren, die Valentinianer an. § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 87 ihre je eigene, spezifische Theologie gerade durch das kanonische Lk-Evangelium repräsentiert gesehen haben sollen, ist schon deswegen wenig wahrscheinlich, weil ihre (aus katholischer Sicht: häretische) Theologie dem kanonischen Text ja keineswegs entsprochen haben wird. Es ist daher wenig überraschend, dass Origenes gegen »alle Häretiker, die das Evangelium nach Lukas benutzen« den Vorwurf des Selbstwiderspruchs zwischen ihrer Theologie und ihrer Textgrundlage erhebt, der aus der antimarcionitischen Kritik bekannt ist: Sie »verachten, was in ihm geschrieben ist.« 20 Es gibt also eine weitreichende Parallelität der häresiologischen Kritik gegenüber Marcion und den Marcioniten auf der einen Seite und »allen anderen Häretikern«, die Origenes erwähnt, auf der anderen: Alle Häretiker benutzen das Lk-Evangelium, und alle »verachten« seine kanonische Gestalt, was aus der Sicht der katholischen Häresiologen besagt: Sie verändern seinen Text. Will man nicht annehmen, dass Origenes mit dem Hinweis auf innumerabiles haereses und omnes haeretici nur die Marcioniten im Blick hat und maßlos übertreibt, dann belegen seine Äußerungen ein verbreitetes und über die Marcioniten hinausreichendes Phänomen: Die »Häretiker« sind (vermutlich nicht ausschließlich, aber doch in erster Linie) dadurch charakterisiert, dass sie nicht das kanonische Vier-Evangelienbuch lesen, sondern ein anderes, dem kanonischen Lk weitgehend ähnliches Evangelium. Das katholische Christentum der Häresiologen von Irenaeus über Tertullian bis zu Origenes und darüber hinaus ist wesentlich ein kanonisches Christentum, das sich in erster Linie über die gemeinsame Schriftgrundlage definiert und darin von anderen Gruppen mit einem anderen Evangelium unterscheidet: Die »Häretiker« haben die Bearbeitung von *Ev durch die lk Redaktion nicht mitvollzogen, sondern an dem ihnen bekannten Evangelium festgehalten und es weiter rezipiert. Der von Tertullian mitgeteilte Vorwurf der Marcioniten gegenüber den katholischen Christen, diese hätten das Evangelium verfälscht, erhält von hier aus eine weitere Bestätigung. 21 b. Interferenzen zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Überlieferung Unter der methodischen Prämisse, dass das marcionitische Evangelium einen älteren, vorkanonischen Evangelientext repräsentiert, erhalten die zahlreichen Übereinstimmungen zwischen *Ev und dem »Westlichen Text« ein neues Gewicht und erlauben eine Reihe von weiterführenden Einsichten. Die erste und wichtigste bezieht sich auf das bereits vermerkte Phänomen, dass es in der Bezeugung für *Ev teilweise erhebliche Unterschiede und Widersprüche gibt: In knapp zwei Dritteln ______________________________ 20 Orig., Hom. in Lc 20,2: erubescant omnes haeretici qui evangelium recipiunt secundum Lucam et, quae in eo sunt scripta, contemnunt (GCS 49, 120,7ff = FC 4/ 1, 224,24ff). Ein Beispiel ist Lk 20,38: Origenes bezeugt, dass dieser Vers außer in der marcionitischen Bibel auch bei den Valentinianern gefehlt habe (Hom. in Lc, fr. 91, FC 4/ 2 = fr. 242, GCS 49). 21 Vgl. dazu o. S. 39ff. 88 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche der Zeugnisse für *Ev referieren die Hauptzeugen einen unterschiedlichen Text. 22 Für die Mehrzahl dieser widersprüchlichen Bezeugungen gibt es allerdings Entsprechungen innerhalb der kanonischen Textüberlieferung. Dieses Phänomen und seine Bedeutung sind an einigen Beispielen zu illustrieren: 1. Im Zusammenhang der Heilung des Aussätzigen bezeugt Epiphanius (Schol. 1) für *5,14b den kanonischen Mehrheitstext: προσένεγκε π ε ρ ὶ τ ο ῦ κ α θ α ρ ι σ μ ο ῦ σ ο υ κ α θ ὼ ς προσέταξεν Μωϋσῆς. Tertullian hat dagegen die kürzere Formulierung προσένεγκε τ ὸ δ ῶ ρ ο ν ὃ προσέταξεν Μωϋσῆς (4,4,9: offer munus quod praecepit Moyses). Diese Lesart findet sich auch innerhalb der kanonischen Textüberlieferung, und zwar in X 213 2487 b c sy p(mss) . Die Unterschiede in der Bezeugung für *Ev durch Epiphanius und Tertullian besitzen also in den Unterschieden der kanonischen Textüberlieferung ein genaues Pendant. Der semantische Unterschied der Varianten ist nur auf den ersten Blick geringfügig: Die von Epiphanius bezeugte Mehrheitslesart fordert zur Darbringung des Reinigungsopfers (καθαρισμός) auf, wie Mose vorgeschrieben hatte, nach der von Tertullian it sy usw. bezeugten Variante soll der Geheilte dagegen das Opfer darbringen, das Mose vorgeschrieben hat: In beiden Fällen kann es sich nur um das Reinigungsopfer nach Lev 14,1ff handeln. Die Lesart des Mehrheitstextes ist jedoch erkennbar spezifischer und setzt mit dem term. techn. καθαρισμός nicht nur die Kenntnis der Sache, sondern wohl auch des Textes von Lev 14 voraus (vgl. 14,32 LXX καθαρισμός). 2. In der Erzählung von der Salbung durch die Sünderin fasst Tertullian die Liebeserweise der Frau *7,38 dadurch zusammen, dass sie die Füße Jesu mit ihren Tränen genetzt und dann mit ihren Haaren abgetrocknet habe; 23 er setzt also die aus dem kanonischen Text bekannte Formulierung ἤρξατο βρέχειν τοὺς πόδας αὐτοῦ κ α ὶ τ α ῖ ς θ ρ ι ξ ὶ ν τ ῆ ς κ ε ϕ α λ ῆ ς α ὐ τ ῆ ς ἐ ξ έ μ α σ σ ε ν voraus. Epiphanius berichtet dagegen nur davon, dass sie die Füße mit den Tränen genetzt, gesalbt und geküsst habe: Er hat also das Abtrocknen der Füße mit den Haaren offensichtlich nicht gelesen. 24 Genau diese Fassung ist auch in der Afra-Handschrift (e) bezeugt: lacrimis suis lababat pedes eius et unguebat unguento. In diesem Fall ist der semantische Unterschied zwischen beiden Lesarten erheblich. Denn die Nichterwähnung der Trocknung der Füße mit den Haaren impliziert offensichtlich, dass die folgende Salbung keine Fuß-, sondern eine Kopfsalbung war: Auf diese Weise ergibt sich dann ein aufschlussreicher Einblick in die Überlieferungsgeschichte der kanonischen Salbungserzählungen (vgl. dazu die Rekonstruktion). 3. In *9,22 ist die Weissagung der Auferstehung Jesu unterschiedlich bezeugt: Epiphanius liest mit der großen Mehrheit der kanonischen Handschriften das Verb im Pass. Div. (ἐγερθῆναι). Tertullian und Adamantius bezeugen dagegen das Verb im Akt.: ἀναστῆναι/ resurgere. Auch diese Lesart wird von einer ganzen Reihe von kanonischen Handschriften gestützt, neben D it treten hier auch einige Majuskeln ( A C D K Π ) und zahlreiche Minuskeln sowie einige patristische Belege. In semantischer Hinsicht ist dieser Unterschied geringfügig, weil in jedem Fall klar ist, dass Gott das logische Subjekt der Auferstehung/ Auferweckung Jesu ist; aber in der Passivformulierung ______________________________ 22 Es handelt sich um 85 von insgesamt 135 Fällen. Vgl. o. S. 62ff (mit Anm. 97). 23 Tert. 4,18,9: ut cum pedes domini osculis figeret, lacrimis inundaret, c r i n i b u s d e t e r g e r e t , unguento perduceret … 24 Epiphanius, Schol. 10: ἔβρεξε τοῖς δάκρυσι τοὺς πόδας καὶ ἤλειψεν καὶ κατεϕίλει. Vgl. auch Schol. 11 (zu *7,44): αὕτη τοῖς δάκρυσιν ἔβρεξεν τοὺς πόδας μου καὶ ἤλειψεν καὶ κατεϕίλει. § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 89 des auch von Epiphanius bezeugten Mehrheitstextes kommt dies deutlicher zum Ausdruck als in der Aktiv-Variante. 4. Am Ende des Gesprächs Jesu mit dem Gesetzeslehrer über die Bedingungen des Lebens (*10,25-28) bezeugt Epiphanius die Reaktion Jesu wie im kanonischen Mehrheitstext: ὀρθῶς ἀπεκρίθης· τοῦτο ποίει καὶ ζήσῃ. 25 In Tertullians Referat dieser Stelle sowie in einem Hinweis bei Origenes 26 fehlt jedoch jeder Hinweis, dass die letzten Worte (τοῦτο ποίει καὶ ζήσῃ) in *Ev enthalten waren. Nun belegt ein negativer Befund bei der Bezeugung das Fehlen in *Ev nicht zwingend: Die Referenten, in diesem Fall also Tertullian und Origenes, hätten diese Worte auf genau die gleiche Weise mit Stillschweigen übergangen haben können, wie sie ja auch den größeren Teil des vorangegangenen Gesprächs nicht erwähnen - das negative Zeugnis ist zunächst nicht zwingend. Auch, wenn die (direkte) Bezeugung auf den ersten Blick nicht konkludent erscheint, ist sie aussagekräftig. Denn nach Tertullians Zeugnis hat Lk 10,26.27a mit der Gegenfrage Jesu in *Ev gefehlt, sodass nicht der Gesetzeslehrer, sondern Jesus die Antwort auf die Ausgangsfrage gibt: Jesus selbst nennt das Gebot der Gottesliebe als Bedingung des Lebens. Eine Reaktion auf diese Antwort kann dann nur von dem Gesetzeslehrer stammen. Allerdings kann dessen Bestätigung sinnvollerweise nur lauten: ὀρθῶς ἀπεκρίθης, nicht aber auch: τοῦτο ποίει καὶ ζήσῃ. Diese letzte Aufforderung kann also tatsächlich nicht in Tertullians *Ev-Exemplar gestanden haben: Die unbezeugte Wendung (τοῦτο ποίει καὶ ζήσῃ) muss in *Ev gefehlt haben, wo die Perikope ein vollkommen anderes Gepräge besaß als in der kanonischen Fassung. Die Überlegung zum Fehlen von τοῦτο ποίει καὶ ζήσῃ in *Ev wird dadurch gestützt, dass diese letzte Wendung des Gesprächs auch in einigen (wenigen und entlegenen) Handschriften fehlt (1194 ℓ 1074 g 1 ). Dieser Befund ist insofern aufschlussreich, als diese Handschriften - im Unterschied zu Tertullians *Ev- Text - das vorangehende Gespräch zwischen Jesus und dem Gesetzeslehrer in der kanonischen Fassung enthalten, also in der Abfolge von Frage des Gesetzeslehrers - Gegenfrage Jesu - Selbstbeantwortung des Gesetzeslehrers (Gebot der Gottesliebe) - Aufforderung Jesu zum Tun: Sie bieten die Konformierung zweier deutlich verschiedener Fassungen. Die hier genannten Beispiele stehen für das irritierende Phänomen, dass fast zwei Drittel (! ) der Mehrfachbezeugungen für *Ev einen abweichenden Text referieren. 27 Neben größeren und semantisch auffälligen Abweichungen steht eine große Zahl von kleineren Differenzen: Das sind die von Harnack als »tendenziös« bzw. als »neutral« bezeichneten Varianten. Die Beobachtung der Entsprechung zwischen ______________________________ 25 Epiph., Schol. 23: καὶ ἀποκριθεὶς μετὰ τὴν ἀπόκρισιν τοῦ νομικοῦ εἶπεν Ὀρθῶς εἶπες. τοῦτο ποίει καὶ ζήσῃ. 26 Tert. 4,25,14. Vgl. Origenes, Hom. in Lc, fr. 166, GCS 49 = fr. 70, FC 4/ 2: »Diese Worte (sc. ὀρθῶς ἀπεκρίθης) richten sich gegen die Anhänger des Valentinus und des Basilides und auf die des Marcion, denn auch sie haben diese Stelle in ihrem Evangelium …« 27 Nämlich 85 von insgesamt 135 Belegen: 4,27. - 5,14 (3). - 6,23. - 6,27. - 6,28 (2). - 6,29. - 6,38 (3). - 6,43a (5). - 7,9. - 7,19 (2). - 7,20. - 7,27 (3). - 7,38. - 8,20. - 9,16. - 9,20. - 9,22 (2). - 9,35 (2). - 9,41. - 9,60 (2). - 10,1. - 10,21. - 10,22 (3). - 10,28. - 11,11. - 11,13. - 12,4 (2). - 12,5. - 12,30. - 12,31 (2) 12,51. - 16,16. - 16,29 (3). - 16,31 (2). - 17,14. - 18,19 (3). - 18,20 (2). - 18,38. - 22,15. - 23,34. - 23,46. - 23,51. - 23,53 (3). - 24,6 (2). - 24,7 (4). - 24,25 (3). - 24,38 (2). - 24,39 (3). Vgl. im Einzelnen die Variantenliste (Anhang III). 90 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche den Varianten in der kanonischen Textüberlieferung und der widersprüchlichen Bezeugungen für *Ev erlaubt dann einige weiterführende Schlussfolgerungen. 1. Diese Entsprechungen zu den widersprüchlichen Bezeugungen für *Ev in den Varianten der kanonischen Lk-Handschriften (vor allem, aber nicht nur, im sog. »Westlichen Text«) zeigen zunächst, dass die Bezeugung für *Ev grundsätzlich keine größere Disparität aufweist als die kanonische Textüberlieferung. Der gegenteilige Eindruck legt sich nur aufgrund der unterschiedlichen Zahl der jeweils verfügbaren Zeugen nahe. Die grundsätzliche Gleichartigkeit der Abweichungen innerhalb der direkten Bezeugung für *Ev auf der einen Seite und in der Kanonischen Handschriftenüberlieferung des Lk auf der anderen lässt sich dann eigentlich nur noch so erklären, dass *Ev in seiner charakteristischen Textgestalt das älteste bezeugte Beispiel eines sehr alten Evangeliums darstellt. Dessen Text musste bereits vor der Mitte des 2. Jh. weit über die ja schon sehr bald als häretisch bekämpften marcionitischen Gemeinden hinaus verbreitet gewesen sein. Denn der Umstand, dass die altlateinischen Evangelien und *Ev sich einerseits auf charakteristische, aber übereinstimmende Weise von den katholischen Zeugen des (i. W. »alexandrinischen«) Mehrheitstextes unterscheiden, zugleich aber untereinander in einem Ausmaß variieren, wie es in den anderen Textfamilien nicht der Fall ist, erklärt sich am leichtesten, wenn dieser urtümliche Texttyp eine vorkanonische Gestalt repräsentiert, die nicht durch eine gemeinsame Edition vereinheitlicht und dadurch in ihrer textlichen Gestalt weitgehend geschützt war. Das Phänomen der auffälligen Entsprechung zwischen den für *Ev bezeugten Widersprüchen und dem Kanonischen Mehrheitstext gegenüber den Varianten des »Westlichen Textes« usw. belegt daher eine wechselseitige Beeinflussung zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Textüberlieferung: Für die Handschriftenüberlieferung der Kanonischen Ausgabe ist diese Interferenz in den Varianten gegenüber dem Mehrheitstext ersichtlich, für die Überlieferung des vorkanonischen *Ev schlägt sie sich in der widersprüchlichen Bezeugung für *Ev nieder. Diese beiden analogen Beobachtungen lassen sich leicht erklären und aufeinander beziehen: Einerseits haben die Häresiologen die Widersprüche in der Überlieferung des *Ev-Textes registriert, sie als Versuch einer sukzessiven Angleichung des »häretischen« an den kanonischen Text interpretiert und sie auf diese Weise ihrer antimarcionitischen Argumentation dienstbar gemacht. Wenn Tertullian den Marcioniten vorwirft, sie würden ihr eigenes Evangelium »täglich verändern, je nachdem, wie sie von uns täglich widerlegt werden«, oder wenn Adamantius sie kritisiert, sie § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 91 würden »noch bis jetzt« Änderungen vornehmen, 28 dann bezeugen sie einen lange anhaltenden Prozess der Konformierung von *Ev an den kanonischen Text des Lk. Auf der anderen Seite sind die Handschriften des vorkanonischen Evangeliums mit dem Aufkommen der Kanonischen Ausgabe und ihres redaktionell gestalteten Vier- Evangelienbuches nicht einfach verschwunden, sondern haben - offensichtlich: noch eine lange Zeit - im Raum der entstehenden katholischen Kirche weiter existiert. Bei der Produktion von Kopien des kanonischen Vier-Evangelienbuches sind dann die Handschriften des vorkanonischen Evangeliums genutzt, aber nicht immer konsequent nach dem kanonischen Text korrigiert worden. 2. Die Annahme einer Interferenz zwischen den Textüberlieferungen des vorkanonischen und des kanonischen Evangeliums setzt voraus, dass beide durch eine tiefgreifende Redaktion voneinander unterschieden sind: Es handelt sich um verschiedene Ausgaben. Für das Verhältnis zwischen *Ev und dem kanonischen Lk-Evangelium bzw. für die signifikanten Varianten in der handschriftlichen Überlieferung des Lk lässt sich das methodische Postulat, bei der neutestamentlichen Textkritik stärker auf unterschiedliche Ausgaben zu achten, 29 jetzt ohne große Probleme untersetzen: Der grundlegende Bearbeitungsschritt, der eine neue Ausgabe geschaffen hat, ist in der lk Redaktion von *Ev zu sehen. Damit findet zunächst die Beobachtung eine einfache Erklärung, dass sich in der Überlieferung des Lk- Textes besonders viele und besonders deutliche Varianten finden, wie sich zunächst an den sog. Western Non-Interpolations zeigt: Von den insgesamt neun Western Non-Interpolations, die Westcott/ Hort in ihren Text aufgenommen hatten, finden sich acht in Lk. 30 Diese Liste ist allerdings wenig aussagekräftig: Ihr liegen die textkritischen Entscheidungen von Westcott/ Hort zugrunde, die i. W. auf inhaltlichen Überlegungen beruhen und (vor weit über 100 Jahren) von einem textgeschichtlichen Modell ausgegangen sind, das so kaum noch tragfähig ist. Neben diesen Western Non-Interpolations sind noch andere Auffälligkeiten im Lk-Text zu nennen: Die Einfügung der Perikope vom »Sabbatarbeiter« Lk 6,5 (D). - Der Text des Vater- Unser Lk 11,1-4, für den die charakteristischen Varianten nicht durch D it sy, sondern durch ______________________________ 28 Vgl. Tert. 4,5,7: nam et cotidie reformant illud, prout a nobis cotidie revincuntur ; Adam. 2,18 (867a): καὶ οὗτοι μέχρι τοῦ δεῦρο περιαιροῦσιν ὅσα ἂν μὴ συντρέχῃ τῇ αὐτῶν γνώμῃ; Orig., Cels. 2,27. Zum Problem o. S. 65 mit Anm. 101 und 102. 29 Vgl. dazu D. T ROBISCH , The Need to Discern Distinctive Editions of the New Testament in the Manuscript Tradition, in: K. Wachtel, M. W. Holmes (eds.), The Textual History of the Greek New Testament, Atlanta 2011, 43-48. 30 B. F. W ESTCOTT , F. J. A. H ORT , The New Testament in the Original Greek II, Cambridge - London 2 1896, 175-177: Lk 22,19b-20; 24,3; 24,6; 24,12; 24,36; 24,40; 24,51; 24,52. Daneben nur noch Mt 27,49. 92 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche andere Zeugen 31 überliefert sind. - Der sog. »Kurztext« des lk Mahlberichts mit den besonderen Problemen: Lk 22,19cd.20 fehlen in D a d ſſ 2 i l, während b e sy s.c.p Konformierungen zwischen Kurz- und Langtext bieten. - Die Erwähnung des Engels, der Jesus in seiner Agonie stärkt (Lk 22,43f), ist zwar in D it (sy) enthalten, fehlt aber in anderen wichtigen Zeugen. 32 - Auch das Fehlen von Lk 24,51 mit der Himmelfahrtsnotiz in א * D (it sy) Augustin usw. gehört zu den deutlichen Varianten der Handschriftenüberlieferung des Lk. Die textkritischen Entscheidungen zu all diesen Auffälligkeiten sind in der Rekonstruktion diskutiert und begründet. 3. Die Überlegung, dass die Existenz von zwei verschiedenen Ausgaben für diese Varianten verantwortlich ist, muss allerdings in doppelter Hinsicht erweitert werden. Denn zum einen sind hier nur die besonders deutlich bezeugten Varianten aufgeführt: Die Zahl der distinkt »Westlichen« Lesarten ist sehr viel größer als die eher zufällige Auswahl der neun Western Non-Interpolations, die Westcott/ Hort in ihren Text aufgenommen hatten. Aber für die textkritische Beurteilung einer Lesart sind weder die Zahl noch das ansonsten angenommene »Gewicht« der Zeugen für sich genommen ein ausreichendes Kriterium für die Beurteilung: Oft genügt ein einziger und gegebenenfalls entlegener Zeuge als Hinweis für eine Variante. Anstatt also einzelne Lesarten nach dem »Textwert« einzelner Handschriften zu beurteilen, ist es sehr viel sinnvoller, nach der möglichen Redaktion - und das heißt: nach der Passgenauigkeit in einer Ausgabe - zu fragen. Unter diesem Gesichtspunkt lassen sich dann noch sehr viel mehr charakteristische Lesarten identifizieren, für die in jedem Einzelfall zu klären ist, ob sie eher dem vorkanonischen *Ev oder dem kanonischen Lk angehören. Zum anderen ist das Verhältnis zwischen der Textüberlieferung von *Ev und Lk wohl nur ein Ausschnitt: Wie noch genauer erläutert wird (s. u. § 14), ist die lk Redaktion von *Ev ein wesentlicher Teil der Redaktion der Kanonischen Ausgabe des Neuen Testaments. Man wird also damit rechnen müssen, dass die Redaktion der Kanonischen Ausgabe ähnliche Bearbeitungsspuren in denjenigen Texten hinterlassen hat, die bereits in einer vorkanonischen Fassung vorlagen. Das sind nicht alle neutestamentlichen Schriften, aber doch ein signifikanter Teil, nämlich wenigstens die anderen synoptischen Evangelien und ein Teil der Paulusbriefe: Zumindest für die handschriftliche Überlieferung in diesen Bereichen liegen ja bekanntlich ebenfalls charakterisch »Westliche« Lesarten vor. Für die Annahme der Bearbeitung vorkanonischer Einzeltexte für die Kanonische Ausgabe gibt es ein herausragendes Paradebeispiel, nämlich den sog. »sekundären Markusschluss« Mk 16,9-20: Er setzt ______________________________ 31 Neben zwei Minuskeln (162 700) sind vor allem die Bezeugung durch Gregor von Nyssa (De orat. domin. 3,5; GNO VII/ 2, 39,18f) und Maximus Confessor (Expos. orat. domin. 350; PG 90, 894B) zu nennen. 32 P (69) 75 א 1 A B N R T W 579 1071* pc lectt f sy s sa bo pt georg. Dazu kommt eine Reihe patristischer Zeugen: Clemens Alex.; Origenes (mss); Hieronymus (mss); Athanasius; Ambrosius; Cyrill Alex.; Johannes Damasc. § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 93 nicht nur die Kenntnis der gesamten Kanonischen Ausgabe voraus (kann also erst auf dieser Ebene der Überlieferung Teil des Mk-Textes geworden sein), sondern ist zugleich in einer so überwältigenden Zahl von Handschriften bezeugt, dass er kaum eine nachträgliche Einfügung in die (fertige) Kanonische Ausgabe darstellt (wie dies beispielsweise für Joh 7,53-8,11 der Fall ist), 33 sondern durch und für die Kanonische Ausgabe ergänzt sein wird. 34 c. Methodische Kontrolle: Auktoriales (ὁ) κύριος bei Lk Wenn die Differenzen zwischen *Ev und Lk einerseits und die Varianten innerhalb der kanonischen Textüberlieferung andererseits in diesem Sinn als Interferenzen zwischen der Textüberlieferung zweier Ausgaben interpretiert werden, dann dürfte es für diejenigen Passagen, die aufgrund der häresiologischen Angaben in *Ev eindeutig gefehlt haben und nach diesem Modell sekundär durch die lk Redaktion eingefügt wurden, eigentlich keine nennenswerten Lesarten innerhalb der kanonischen Überlieferung geben. Dies ist, aufs Ganze gesehen, auch der Fall, wie schon eine kursorische Durchsicht der Varianten zu denjenigen größeren Passagen zeigt, die in Lk gefehlt haben. 35 Dass diese für *Ev als fehlend bezeugten Passagen in den »Westlichen« Handschriften durchweg enthalten sind, spricht nicht gegen die These der Interferenz zwischen den beiden Ausgaben, sondern bestätigt nur, dass diese Handschriften eine Konformierung zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Ausgabe darstellen. Anders gesagt: Gerade die größeren, in *Ev fehlenden Passagen werden ohne große Probleme aus der kanonischen Überlieferung eingetragen bzw. beibehalten worden sein. Für die Überprüfung der These der Interferenz besitzen kleinere Abweichungen daher größere Signifikanz. Was damit gemeint ist, lässt sich an einem begrenzten, aber strukturell aufschlussreichen Phänomen zeigen. Wie verschiedentlich aufgefallen ist, wird Jesus innerhalb der synoptischen Evangelien nur in Lk von der Erzählstimme als κύριος bezeichnet. Da die entsprechenden Beispiele jeweils in Kontexten begegnen, die im Horizont der Zwei-Quellentheorie als lk »Sondergut« gelten, gilt dieser Sprachgebrauch schon länger als »typisch lukanische« Eigenheit. 36 Diese Einschätzung gilt ______________________________ 33 Vgl. dazu H. T HYEN , Jesus und die Ehebrecherin (Joh 7,53-8,11), in: A. von Dobbeler et al. (Hg.), Religionsgeschichte des Neuen Testaments, Tübingen 2000, 433-445. 34 Allerdings wird es auch andere Beispiele für die redaktionelle Ergänzung und Bearbeitung vorkanonischer Texte durch die Kanonische Ausgabe geben. In der Rekonstruktion wird an einigen, wenigen Stellen für Mk und Mt auf die Möglichkeit hingewiesen, dass bestimmte Lesarten den vorkanonischen Text (*Mk; *Mt) repräsentieren. 35 Vgl. zu Lk 1,1-2,52; 3,1b-4,15; 13,29-35; 15,11-32; 18,31-34; 19,29-35.41-46; 20,9-18.37f; 22,35- 37(38). 36 Vgl. I. DE LA P OTTERIE , Le titre KYRIOS appliqué à Jésus dans l’évangile de Luc, in: A. Descamps (ed.), Mélanges Bibliques, Gembloux 1970, 117-146; K. R OWE , Early Narrative Christology, Berlin - New York 2006, 119f. 94 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche jedoch auch unter der methodisch anderen Annahme der *Ev-Priorität: In keinem Fall ist absolutes, auktoriales (ὁ) κύριος als Bezeichnung Jesu in *Ev belegt. Es handelt sich also tatsächlich um ein Gestaltungselement der lk Redaktion. Dies ist umso auffälliger, als in mehreren Fällen jeweils der engere oder weitere Kontext für *Ev bezeugt ist: Die jeweiligen Perikopen waren im vorkanonischen Text enthalten, allerdings ohne das redaktionelle Gestaltungsmerkmal des distinkten Sprachgebrauchs. Interessanterweise gibt die handschriftliche Überlieferung an den meisten Stellen die entsprechenden redaktionellen Änderungen noch zu erkennen: In vielen Fällen zeigt vor allem die »Westliche« Überlieferung die typischen Spuren der uneinheitlichen und inkonsequenten Korrekturen des vorkanonischen nach dem kanonischen Text. Es handelt sich um folgende Belege. Lk 7,13 καὶ ἰδὼν αὐτὴν ὁ κ ύ ρ ι ο ς : Der Vers ist für *Ev unbezeugt, aber das handschriftliche Zeugnis ist deutlich: Während a aur b c ſſ 2 l q r 1 mit dem Mehrheitstext κυριος/ dominus lesen, haben D W f 1 700 1241 1242 pc d f gat vg mss sy s.j.p Tat arab.pers bo georg II armen ms Chrys GregNyss das vermutlich ursprüngliche ιησους/ Iesus bewahrt (in entfernteren Versionen findet sich dann auch die Konflation beider Lesarten). Lk 7,19 ἔπεμψεν πρὸς τ ὸ ν κ ύ ρ ι ο ν λέγων: 7,19 ist für *Ev nicht bezeugt. Allerdings zeigt die uneinheitliche Handschriftenüberlieferung die Veränderung der lk Redaktion an. Der vorkanonische Text ist mit hoher Wahrscheinlichkeit in D d (e) enthalten; er teilte den Sendungsauftrag in direkter Rede des Täufers mit: πορευθέντες εἴπατε α ὐ τ ῷ . Die lk Redaktion hat den Sendungsauftrag dagegen der Erzählstimme zugewiesen und dabei den Adressaten als den »Herrn« bezeichnet: ἔπεμψεν πρὸς τ ὸ ν κ ύ ρ ι ο ν λέγων. Während D d (e) diese Korrektur überhaupt nicht mitvollzogen und den vorkanonischen Text bewahrt haben, zeigt eine ganze Gruppe anderer Handschriften eine Konformierung der beiden Fassungen: Hier wird der Sendungsauftrag (wie in der Mehrheit der Zeugen) von der Erzählstimme mitgeteilt, aber die Eintragung von τὸν κύριον ist nicht mitvollzogen. 37 Lk 10,1 ἀνέδειξεν ὁ κ ύ ρ ι ο ς ἑτέρους ἑβδομήκοντα (δύο): Tertullian und Adamantius haben in *10,1 kein nominales Subjekt gelesen; es war wohl nur in der finiten Verbform enthalten. 38 Diese Überlegung zeigt sich auch an der handschriftlichen Überlieferung, bei der die Altlateiner wieder einmal in sich uneinheitlich sind: Mit Tertullian fehlt in D a c d e ein nominales Subjekt ganz, während b f r 1 Iesus ergänzen. Dagegen korrigieren aur l q vg nach dem ganzen Rest der Überlieferung dominus . Die Uneinheitlichkeit bestätigt auch hier, dass ὁ κύριος/ dominus auf die lk Redaktion zurückgeht. Lk 10,39 παρακαθεσθεῖσα πρὸς τοὺς πόδας τ ο ῦ κ υ ρ ί ο υ . - 10,41 ἀποκριθεὶς δὲ εἶπεν αὐτῇ ὁ κ ύ ρ ι ο ς . Die Perikope von Maria und Martha ist unbezeugt. Aufgrund der charakteristischen Lücke in 10,41f in der »Westlichen« Überlieferung (D a b d e ſſ 2 i l r 1 sy s ) lässt sich aber folgern, dass *Ev diese Episode (in genau diesem Umfang, also ohne 10,41f μεριμνᾷς … χρεία) enthielt (vgl. im Einzelnen die Rekonstruktion). Auffällig ist dabei, dass die handschriftliche Überlieferung ______________________________ 37 א A W Θ Ψ f 1 aur b c f l q r 1 lesen an dieser Stelle τὸν Ἰησοῦν/ Iesum. 38 Tert. 4,24,1: Adlegit et alios septuaginta apostolos super duodecim. Adam. 1,5 (806d): πρώτους ἀπέστειλε ιβ’ καὶ μετὰ ταῦτα οβ’ εὐαγγελίσασθαι. § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 95 in beiden Fällen uneinheitlich ist: In 10,39 haben P 3 א B 2 D L Ξ 579 892 pc it vg sy c.p.hmg sa ms bo του κυριου, während P 45.75 A B* C 2 Θ Ψ f 1.13 33 M vg ms sy s.h sa mss bo mss (του) ιησου lesen. In diesem Fall gehen also D it (sy) mit dem (sekundären) Mehrheitstext, während die wahrscheinlich vorkanonische Lesart in *Ev sich auch in P 45.75 usw. findet. In 10,41 ist das Bild ganz entsprechend uneinheitlich: Das kanonische ὁ κύριος/ dominus ist nur in einem Teil der altlateinischen Handschriften enthalten ([a] aur ſſ 2 i l vg), während D b c d f q r 1 stattdessen Ἰησοῦς/ Iesus lesen. Es spricht alles dafür, dass der vorkanonische Text hier Ἰησοῦς hatte. Lk 11,39 εἶπεν δὲ ὁ κ ύ ρ ι ο ς πρὸς αὐτόν: Tertullian hat hier offensichtlich Ἰησοῦς anstelle von κύριος gelesen. 39 Diese Lesart hat sich auch in einer Reihe von Handschriften (U 16 472 1071 ℓ 10 ℓ 1642 e vg ms sy s.c Tat arab bo ms aeth mss ) erhalten. Auch diese Bezeugungslage ist auffällig: D und die Mehrheit der Altlateiner gehen mit dem kanonischen Mehrheitstext. Lk 12,42 καὶ εἶπεν ὁ κ ύ ρ ι ο ς : Der Kontext ist durch Tertullian bezeugt, der an dieser Stelle möglicherweise mit der Mehrheit der handschriftlichen Überlieferung (darunter auch einige Altlateiner: aur c d f ſſ 2 l q r 1 ) ὁ κύριος/ dominus gelesen hat. 40 Wenn diese Vermutung zutrifft, läge hier einer der Fälle vor, in denen Tertullians *Ev-Exemplar nicht den ursprünglichen, sondern bereits den nach der kanonischen Fassung korrigierten Text enthielt. Denn die Abweichungen in einigen Altlateinern (e [b] i) machen wahrscheinlich, dass ὁ κύριος/ dominus eine redaktionelle Änderung ist, die in diesen drei Handschriften nicht korrigiert wurde. 41 Lk 13,15 ἀπεκρίθη δὲ αὐτῷ ὁ κ ύ ρ ι ο ς : Der Vers ist unbezeugt, der Kontext jedoch gesichert. In diesem Fall ist die handschriftliche Überlieferung so gespalten, dass man ein ursprüngliches ὁ Ἰησοῦς anstelle von ὁ κύριος annehmen muss: ὁ Ἰησοῦς/ Iesus ist bezeugt von D F U Γ Θ mult lectt gat vg mss sy s.c.p.h(mg) Tat arab.pers bo mss armen mss georg II.III , während der Rest der Überlieferung ὁ κύριος/ dominus hat. Neben D gat ist die breite syrische Überlieferung an dieser Stelle bemerkenswert. Lk 16,8 καὶ ἐπῄνεσεν ὁ κ ύ ρ ι ο ς : Während der Kontext (*16,1-7.9) gut bezeugt ist, gibt es ernsthafte Zweifel, ob 16,8 in *Ev enthalten war. Die Zweifel sind vor allem redaktionsgeschichtlich begründet und basieren auf der Spannung zwischen Lk 16,8 und dem (gut bezeugten) V. *9 (s. dazu die Rekonstruktion). Wenn der gesamte Vers 16,8 redaktionell ist, dann steht zu erwarten, dass die handschriftliche Überlieferung - im Unterschied zu den anderen hier genannten Belegen für ὁ κύριος in der Erzählstimme - an dieser Stelle keinerlei Irregularitäten aufweist, die als Spuren einer inkonsequent durchgeführten Angleichung an den kanonischen Text zu verstehen sind: Die Handschriften enthalten den kompletten Vers, und es gibt keinen Anlass für Korrekturen an einzelnen Elementen. Dies ist tatsächlich der Fall, weswegen die einheitliche Überlieferung von ὁ κύριος 16,8 als Argument für den redaktionellen Charakter des ganzen Verses zu werten ist (s. auch gleich zu 24,34). Lk 17,5 καὶ εἶπαν οἱ ἀπόστολοι τ ῷ κ υ ρ ί ῳ . - 17,6 εἶπεν δὲ ὁ κ ύ ρ ι ο ς : Die Chrie über das Vermögen des Glaubens *17,5f ist zwar unbezeugt, aber aus text- und überlieferungsgeschichtlichen Gründen lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit folgern, dass sie in *Ev enthalten war (s. die Rekonstruktion). Dabei zeigen gerade die beiden Einleitungen mit dem absoluten, auktorialen ὁ ______________________________ 39 Tert. 4,27,2: Iesus autem etiam interpretatus est ei legem. 40 Vgl. die Zusammenfassung von *12,41-46 in Tert. 4,29,9 (… qui vero secus egerit, reverso d o m i n o qua die non putaverit, hora qua non scierit, … segregabitur). 41 e i: om ο κυριος/ dominus; b: add ο ιησους/ Iesus. 96 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche κύριος die typische Irregularität der handschriftlichen Überlieferung, die Kennzeichen für redaktionelle Eingriffe in einen durch *Ev vorgegebenen Kontext ist: In *17,5 fehlt τῷ κυρίῳ entweder ganz (l Tat pers ) oder es ist durch ein Pronomen vertreten (αυτω/ illi/ ei: 828* 1241 b c ſſ 2 l λ q r 1 vg ms georg II ) oder es taucht als Anrede in der unmittelbar folgenden Frage der Jünger auf (κυριε/ domine: 1241 ℓ 1016 e b c ſſ 2 1 g 1 gat λ q r 1 vg 7 mss ). In *17,6 sind anstelle der Wendung εἶπεν δὲ ὁ κύριος im Mehrheitstext folgende Alternativen bezeugt: ο δε ειπεν αυτοις (D a d e); και ειπεν αυτοις (b c ſſ 2 i q vg ms ); και ειπεν αυτοις ο ιησους (r 1 ); και ειπεν ο ιησους (vg ms ) usw. Für beide Fälle ist der redaktionelle Eingriff sehr wahrscheinlich. Lk 18,6 εἶπεν δὲ ὁ κ ύ ρ ι ο ς : Das Gleichnis von der bittenden Witwe ist durch Tertullians Zusammenfassung bezeugt, aber von 18,6 finden sich keine Spuren. Ein Urteil über den Ursprung des Verses hängt von der handschriftlichen Bezeugung von ὁ κύριος ab. Die geringfügige, aber charakteristische Abweichung (ιησους an Stelle von κυριος in 713 ℓ 524 sy s ) entspricht dem redaktionellen Konzept und ist als Zeichen zu werten, dass der Vers in *Ev enthalten war und bearbeitet wurde. Lk 19,8 σταθεὶς δὲ Ζακχαῖος εἶπεν π ρ ὸ ς τ ὸ ν κ ύ ρ ι ο ν : Während das Zachäuswort *19,8b wörtlich bezeugt ist, fehlt von der Redeeinleitung V. *8a jede Spur. Allerdings ist die handschriftliche Bezeugung derart uneinheitlich, dass man sich die breite Bezeugung von τὸν ᾿Ιησοῦν (G K M Π 063 mult lectt e vg mss sy Tat) wohl nur durch die Annahme erklären kann, dass dies die ursprüngliche, vorkanonische Lesart darstellt, die von der lk Redaktion durch τὸν κύριον ersetzt, aber nicht völlig aus der Überlieferung verdrängt wurde. Lk 22,31 (v. l.): Die Einleitung der Ankündigung der Verleugnung des Petrus stellt nur insofern eine Besonderheit dar, als NA 27 / GNT 4 die Wendung εἶπεν δὲ ὁ κ ύ ρ ι ο ς ( א A D W Θ Ψ f 1.13 lat sy (c.p).h bo mss M ) nicht in den Text aufgenommen haben; sie folgen hier der Lesart von P 75 B L T 1241 2542 c sy s co, die die vermutlich ein Relikt des vorkanonischen Textes darstellt. Die kritischen Ausgaben haben die Einleitungswendung komplett ausgelassen; kaum zu Recht. Zum Problem vgl. die Rekonstruktion zu *22,31. Lk 22,61 καὶ στραϕεὶς ὁ κ ύ ρ ι ο ς ἐνέβλεψεν τῷ Πέτρῳ καὶ ὑπεμνήσθη ὁ Πέτρος τοῦ ῥήματος τ ο ῦ κ υ ρ ί ο υ : *22,61 ist unbezeugt, aber aus Gründen der narrativen Logik muss die Verleugnungsszene in *Ev enthalten gewesen sein (s. zu *22,54-65). Dass auch *22,61 enthalten war, zeigt einmal mehr die uneinheitliche Handschriftenüberlieferung, die an den beiden Belegen für absolutes, auktoriales κύριος weit auseinandergeht. 42 Ganz offensichtlich sind ὁ κύριος bzw. τοῦ κυρίου redaktionelle Ersetzungen von ὁ ᾿Ιησοῦς bzw. τοῦ ᾿Ιησοῦ. Lk 24,3 εἰσελθοῦσαι δὲ οὐχ εὗρον τὸ σῶμα τ ο ῦ κ υ ρ ί ο υ ᾿Ιησοῦ: Auch in diesem Beispiel für auktoriales ὁ κύριος ist der nähere Kontext bezeugt, allerdings hat *Ev die Worte τοῦ κυρίου ᾿Ιησοῦ nach Tertullians Zeugnis nicht enthalten. 43 Interessanterweise stellt diese Abweichung ______________________________ 42 Im ersten Fall (καὶ στραϕεὶς ὁ κύριος) haben ιησους/ Iesus: D 063 0211 1 21 118 124* 131 205 209 472 903 1195 1241 1582 1604 1630 2631 d vg ms sy s.h.p Tat arab.pers bo mss aeth mss Ambr (Lc); Origenes läßt es ganz aus; κυριος/ dominus in: [a] aur b c e f ſſ 2 i l q r 1 sowie in der restlichen Überlieferung. - Im zweiten Beleg (τοῦ ῥήματος τοῦ κυρίου) steht κυριου/ domini in D und der gesamten altlateinischen Überlieferung; dagegen haben ιησου/ Iesu: N 13 346 472 543 826 828 1071 2643 sy s.p(ms) aeth mss . 43 Tert. 4,43,2: Corpore autem non invento. § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 97 eine der klassischen »Western Non-Interpolations« dar, die in den »Westlichen« Zeugen ebenfalls fehlt. 44 Dieses Beispiel zeigt sehr deutlich das Phänomen der redaktionellen Erweiterung eines für *Ev belegten Kontextes, der in der weiteren Handschriftenüberlieferung seine Spuren behalten hat. Lk 24,34 λέγοντας ὅτι ὄντως ἠγέρθη ὁ κ ύ ρ ι ο ς : In diesem Fall liest die gesamte handschriftliche Überlieferung ausnahmelos ὁ κύριος, die ansonsten bezeugten charakteristischen Varianten fehlen. Allerdings ist es aus redaktions- und überlieferungsgeschichtlichen Gründen sehr wahrscheinlich, dass die vier Verse Lk 24,32-35 insgesamt eine redaktionelle Ergänzung darstellen (s. die Rekonstruktion z. St.). Die Erklärung für dieses Phänomen ist die gleiche wie für 16,8: Die lk Redaktion hat nicht ein vorkanonisches ὁ ᾿Ιησοῦς o. ä. durch auktoriales ὁ κύριος ersetzt oder ergänzt, sondern den gesamten Kontext neu geschaffen. Das Phänomen der Interferenz konnte also wegen des Fehlens einer »Alternativlesart« gar nicht auftreten: Die einheitliche Textüberlieferung passt daher vollständig in das textgeschichtliche Modell und bestätigt zugleich, dass Lk 24,34 als Teil der redaktionellen Einheit 24,32-35 in *Ev fehlte. Diese Belege für absolutes κύριος in der Erzählstimme und ihre Bezeugung in der Handschriftenüberlieferung besitzen grundsätzliche methodische Bedeutung für die Rekonstruktion des vorkanonischen *Ev-Textes und für die Art seiner redaktionellen Bearbeitung durch Lk. 1. Die Beobachtung, dass auktoriales ὁ κύριος ein charakteristisches Kennzeichen der lk Sprache ist, ist korrekt. 45 Von den insgesamt 15 Belegen ließ sich nur in einem Fall (18,6) der entsprechende redaktionelle Eingriff nicht mit der gewünschten Deutlichkeit nachweisen, in allen anderen ist er sehr wahrscheinlich und hat die erwartbaren Spuren in der handschriftlichen Überlieferung hinterlassen. Der Umstand, dass dieser spezifisch lk Sprachgebrauch nur in sog. »Sonderguttexten« begegnet, ist allerdings kaum ausschlaggebend. Denn wenn die lk Redaktion an der Eintragung von ὁ κύριος für Jesus interessiert war, dann hätte dies auch an anderer Stelle geschehen können. Die Frage, warum dies nicht auch in Texten geschehen ist, die gemeinhin der Dreifach- oder der mt-lk Doppelüberlieferung (»Q«) zugerechnet werden, ist aus methodischen Gründen nicht beantwortbar; es ist nicht ratsam, ihr zu viel Gewicht aufzubürden. 2. Viel zu wenig ist bisher beachtet worden, dass die meisten der genannten κύριος-Belege (mit Ausnahme von 16,8; 24,34) in der Textüberlieferung eine große ______________________________ 44 του κυριου Ιησου: om Tert D a b d e ſſ 2 l r 1 ¦ του κυριου Ιησου/ Domini Iesu: add aur c f q vg M ¦ του Ιησου 579 1071 1241 sy s.c bo ms . 45 Gegen J. J EREMIAS , Die Sprache des Lukasevangeliums, Göttingen 1980, 158, der absolutes ὁ κύριος als Tradition, nicht als Redaktion einstuft. Gerade mit Blick auf die »redaktionellen« Elemente im Nicht-Mk-Stoff liefert *Ev erstmals Kriterien, die diese Zuordnung einigermaßen sicher erlauben (zum Problem vgl. K. R OWE , Early Narrative Christology, Berlin - New York 2006, 117f Anm. 118). 98 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche Uneinheitlichkeit aufweisen. 46 Dies ist insofern ohne weiteres nachvollziehbar, als der Apparat von NA 27 nicht zu allen der hier genannten Belege die Varianten notiert. 47 Um das Phänomen in seiner Bedeutung zu erfassen, reicht es allerdings auch nicht aus, nur die Varianten im Codex Bezae (D) zur Kenntnis zu nehmen. 48 Denn dabei finden diejenigen Belege keine Berücksichtigung, an denen D mit dem Mehrheitstext κύριος liest. 49 Aber vor allem entsteht bei dieser engen Perspektive der Eindruck, dass die Varianten zu auktorialem κύριος sich entweder nur in D finden oder auf D zurückgehen. Bei dieser Betrachtung läge der Schluss nahe, dass D die »hohe« Christologie durch die Ersetzung von auktorialem κύριος durch Streichung oder Ersetzung durch ὁ Ἰησοῦς korrigiert hätte. Die Folge ist die Annahme, dass die D-Varianten gegenüber dem Mehrheitstext sekundär und Ausdruck eines spezifischen, theologischen Programms dieser Handschrift seien. Dieser Eindruck ist jedoch irrig, wie schon die ganz andere Verwendung von auktorialem κύριος im D-Text von Act zeigt. 50 3. Diese Beobachtung ist von erheblicher Bedeutung, weil sie deutlich macht, dass die charakteristischen Varianten im D-Text von Lk und Act auf unterschiedliche textgeschichtliche Phänomene zurückgeführt werden müssen. Die charakteristische Gestalt des D-Textes von Act, die das große Interesse der Forschung geweckt hat, erlaubt keine Rückschlüsse auf den D-Text von Lk. 51 Dessen Eigenheiten müssen also eine andere Erklärung finden. Die hier vorgestellten D-Varianten und ihre Einbettung in eine beachtliche, wenn auch uneinheitliche Gruppe von anderen Handschriften legen vielmehr nahe, dass in diesen Handschriften der vorkanonische Text noch durchscheint: ______________________________ 46 Vgl. G. D. K ILPATRICK , ΚΥΡΙΟΣ in the Gospels, in: J. K. Elliott (ed.), The Principles and Practice of New Testament Textual Criticism, Leuven 1990, 207-212; außerdem die Autoren bei R OWE , a. a. O. 142 mit Anm. 58f. 47 NA 27 verzeichnet keine Varianten zu: Lk 11,39; 12,42; 17,5f; 18,6; 19,8. 48 So bei R OWE , a. a. O. 234-236 (Appendix II: Κύριος in Codex Bezae’s Version of Luke). 49 Also 10,39; 11,39; 12,42; (16,8; ) 17,5; 18,6; 19,8; 22,61b. 50 Vgl. J. R EAD -H EIMERDINGER , The Bezan Text of Acts. A Contribution of Discourse Analysis to Textual Criticism, London 2002, 273: In Act verwendet der Codex Bezae κύριος für Jesus »more frequently than do the Alexandrian MSS.« Die »Tendenz« der Varianten im D-Text von Lk und von Act scheint sich also direkt zu widersprechen. 51 Vgl. C H . K. B ARRETT , Is There a Theological Tendency in Codex Bezae? , in: E. Best, R. McL. Wilson (eds.), Text and Interpretation, Cambridge 1979, 15-27; G. E. R ICE , The Alteration of Luke’s Tradition by the Textual Variants in Codex Bezae (Ph. D. Case Western Reserve University 1974); DERS ., Is Bezae a Homogeneous Codex? , Perspectives in Religious Studies 11 (1984), 39-54. Zuletzt (und mit umfassender Bibliographie): D. C. P ARKER , Codex Bezae. An Early Christian Manuscript and Its Text, Cambridge 1991, sowie D. C. P ARKER , C.-B. A MPHOUX (eds.), Codex Bezae, Leiden u. a. 1996, darin vor allem die Beiträge von: B. D. E HRMAN , The Text of the Gospels at the End of the Second Century, ebd. 95-122; M. W. H OLMES , Codex Bezae as a Recension of the Gospels, ebd. 123- 160; J.-M. A UWERS , Le texte latin des Évangiles dans le Codex de Bèze, ebd. 183-216. § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 99 Nicht der Codex Bezae hat die Verwendung von auktorialem ὁ κύριος redaktionell eingearbeitet, sondern die lk Redaktion hat verschiedentlich ὁ κύριος gesetzt, wo vorher entweder ὁ ᾿Ιησοῦς stand oder gar kein nominales Subjekt genannt war. Im Unterschied zum sekundären Charakter des D-Textes von Act zeigt der D-Text von Lk deutliche Spuren des vorkanonischen Evangeliums. 4. Das erkennbar redaktionelle Interesse, das in diesen Varianten sichtbar wird, ist das der lk Redaktion. Damit ist zunächst die grundlegende Frage nach der Herkunft der zahlreichen redaktionellen Eingriffe innerhalb der Textüberlieferung beantwortet: Zugrunde liegen nicht Schreibversehen oder redaktionelle Eigenmächtigkeiten einzelner Kopisten (dies ist ohnehin eine sehr problematische Vorstellung), sondern eine regelrechte Redaktion - und zwar, so weit erkennbar, tatsächlich nur eine Redaktion. Denn die uneinheitliche Vielfalt der Textüberlieferung spiegelt nicht vielfache Eingriffe in den Text wider, sondern nur die Unachtsamkeit bei der Korrektur des vorkanonischen nach dem kanonischen Evangelientext: Die Konformierung zweier verschiedener Ausgaben. 5. Die Behandlung der κύριος-Varianten hat außerdem deutlich gemacht, dass die Textüberlieferung auch an denjenigen Stellen Hinweise auf den vorkanonischen Text zu geben in der Lage ist, für die es keine Bezeugung für *Ev gibt. Besonders die Erwägungen zu *17,5f sind hier einschlägig: Wenn die lk Redaktion verändernd in Kontexte eingegriffen hat, die in *Ev vorhanden waren, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Textüberlieferung an genau diesen Stellen die charakteristischen Irregularitäten zeigt. Umgekehrt haben die Beispiele von 16,8 und vor allem 24,34 gezeigt, dass längere und eigenständige redaktionelle Einfügungen komplett - und das heißt: ohne die signifikanten Varianten - übernommen werden: In diesen Fällen gibt es keinen Anlass für Variationen in der handschriftlichen Überlieferung. Diese Phänomene entsprechen daher dem Umgang mit den großen Passagen, die Lk redaktionell eingefügt hat und die ebenfalls keine nennenswerten Textvarianten in der kritischen Gruppe der »Westlichen« Handschriften aufweisen. Die Alternative zu der einheitlichen Rezeption redaktioneller Passagen in der Handschriftenüberlieferung ist ihre einheitliche Auslassung: Dieses Phänomen lässt sich an den sog. Western Non-Interpolations - am deutlichsten vielleicht an Lk 5,39 - beobachten. 6. Wenigstens hinzuweisen ist auf einige Besonderheiten, die der hier vorgeschlagenen Erklärung auf den ersten Blick zu widersprechen scheinen: An einigen Stellen lesen D it sy usw. gegen den Mehrheitstext κύριος, und zwar in Passagen, die in *Ev mit Sicherheit gefehlt haben. Beides dürfte es eigentlich nicht geben, sofern man erstens davon ausgeht, dass diese Interferenzen nur dort begegnen, wo ein älterer, vorkanonischer Text vorlag, aber durch die lk Redaktion verändert wurde. Zweitens wäre in diesen Fällen außerdem zu erwarten, dass der Befund genau 100 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche umgekehrt aussehen müsste und κύριος im Mehrheitstext, nicht aber in D it sy auftaucht. Jedoch ist an den fraglichen Stellen nicht Jesus als κύριος bezeichnet, sondern Gott: 1. Lk 1,68 Εὐλογητὸς κ ύ ρ ι ο ς ὁ θεὸς τοῦ Ἰσραήλ. κυριος: om P 4 W a b β c ſſ 2 l r 1 vg mss sy co mss Euseb (Ps 88; PG 23, 1101) Iren (3,10,3) Cypr (Test 2,7; CSEL 3/ 1, 72) Prisc (Tract 1,39; CSEL 18, 32) PsVig (Varim. 3,41; CCL 90, 114) ¦ κυριος: add D M . 2. Lk 2,9 καὶ ἄγγελος κ υ ρ ί ο υ ἐπέστη αὐτοῖς. κυριου: om Γ 60 118 205 209 1194 1452 ℓ 184 e Tat arab.pers Orig vid (Joh 1,12; GCS 10,17) ¦ θεου: א 2 sy p.hmg (lac sy s ) ¦ κυριου: add D M (nicht in NA 27 verzeichnet). 3. Lk 2,9 καὶ δόξα κ υ ρ ί ο υ περιέλαμψεν αὐτούς. κυριου: om D ℓ 547 (b) β d ſſ 2 g 1 l ¦ θεου: א 2 Ξ Ψ 892 aur c e gat sy p.hmg (lac sy s ) Tat pers Euseb (Dem 7,2,6; GCS 23, 329) ¦ κυριου add: M . 4. Lk 3,6 ὄψεται πᾶσα σὰρξ τὸ σωτήριον τοῦ θ ε ο ῦ . κυριου: D d ¦ θεου: it M . Die textkritische Entscheidung der Herausgeber gegen ὁ κύριος in D (it sy) und für ὁ θεός im Mehrheitstext ist an diesen Stellen wohl gerechtfertigt. 52 Man muss das Phänomen dann so verstehen, dass D it sy hier ὁ κύριος für »Gott« setzen konnten, weil sie aufgrund des vorkanonischen Textbestandes ὁ κύριος nie für Jesus verwendeten. Dies ist im letzten Beispiel anders: In Lk 22,49 fügen D 0171 (it) gegen den Rest der Handschriften τῷ κυρίῳ für Jesus ein. 53 Da diese Handschriften aber den folgenden Vokativ der Anrede (κύριε) nicht enthalten, wird man an dieser Stelle wohl davon ausgehen müssen, dass die Anrede (aus der Figurenrede) versehentlich in die auktoriale Redeeinleitung gewandert ist: Das spricht nicht gegen die generelle Erklärung der Interferenzen, die sich durch die redaktionelle Einfügung von auktorialem ὁ κύριος in Lk ergeben haben. 7. Wenigstens hinzuweisen ist an dieser Stelle auf den joh Sprachgebrauch. Da Joh verschiedentlich auktoriales (ὁ) κύριος verwendet, scheint hier ein analoger Sprachgebrauch vorzuliegen. Neben der überwiegenden Mehrzahl der Verwendung von κύριος für Jesus im Mund der handelnden Personen stehen einige wenige auktoriale Verwendungen: Joh 4,1; 6,23; 11,2; 20,20; 21,7.12. In Joh 4,1 Ὡς οὖν ἔγνω ὁ Ἰ η σ ο ῦ ς ὅτι ἤκουσαν οἱ Φαρισαῖοι … stehen sich zwei Lesarten gegenüber: Die kritischen Ausgaben haben ὁ Ἰησοῦς (wie P 66 * א D Θ 086 f 1 565 1241 al lat sy c.p.h bo; Epiph). Daneben steht aber in der Mehrheit der Handschriften ὁ κύριος ( P 66c.75 A B C L W s Ψ 083 f 13 33 f q sy s.hmg sa bo ms M ). 54 Dieses Phänomen ist aus der lk Redaktion von *Ev bekannt, die das vorkanonische ὁ Ἰησοῦς durch ὁ κύριος ersetzt. Sollte diese Ersetzung an dieser Stelle auf ______________________________ 52 Zu vernachlässigen ist wohl die Bezeugung für *8,45 κύριος (teste Epiph., Schol. 14: καὶ εἶπεν ὁ κύριος· τίς μου ἥψατο; ). Da die Aussage im vorkanonischen Evangelium mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich anders ausgesehen hat, ist Epiphanius’ Zeugnis nur als recht freie Zusammenfassung zu verstehen, obwohl seine Erwähnung von κύριος durch zwei Lektionare (ℓ 253 ℓ 859) gestützt wird; vgl. die Begründung der Rekonstruktion z. St. 53 Lk 22,49 ἰδόντες δὲ οἱ περὶ αὐτὸν τὸ ἐσόμενον εἶπαν· κύριε …: (ειπαν) αυτω: 0171 vid ¦ (ειπαν) τω κυριω: D d (sed κυριε: om D 0171 d l! ). 54 Vgl. M ETZGER , Textual Commentary 205f z. St., der annimmt, dass ein nominales Subjekt zu ἔγνω ursprünglich fehlte und auf verschiedene Weise ergänzt wurde. § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 101 die gleiche Weise zustande gekommen sein, müsste man die Minderheitslesart der kritischen Ausgaben für die vorkanonische Lesart halten, wogegen ὁ κύριος auf eine redaktionelle Änderung zurückginge, die schwerlich anders zu beurteilen wäre als im kanonischen Lk-Evangelium: Wahrscheinlich ist dieselbe Hand sichtbar. Dass die Herausgeber der kritischen Ausgaben sich bei ihrer Textherstellung immer wieder für eine wahrscheinlich vorkanonische Lesart entscheiden, fällt ja verschiedentlich auf 55 und sollte den Befund nicht trüben. Wenn diese Beobachtung stimmt, ergeben sich Folgerungen für die Beurteilung der »doppelte(n) Brückenfunktion« 56 von Joh 4,1-3: Diese Verse verbinden Joh 4,4-42 mit der vorausgehenden Täuferszene, zum anderen stiften sie die Verbindung zwischen den beiden σημεῖα in Kana (Joh 2,1-11; 4,43-54 mit dem ausdrücklichen Verweis 4,54). Die hohe narrative Kohärenz ist dann möglicherweise ein sekundäres Merkmal. Auch der nächste Beleg ist aufschlussreich: Joh 6,23 ἄλλα ἦλθεν πλοιάρια ἐκ Τιβεριάδος ἐγγὺς τοῦ τόπου ὅπου ἔϕαγον τὸν ἄρτον ε ὐ χ α ρ ι σ τ ή σ α ν τ ο ς τ ο ῦ κ υ ρ ί ο υ . Der abschließende Gen. abs. mit dem auktorialen ὁ κύριος ist wiederum zwar von der Mehrheit der Überlieferung bezeugt, fehlt aber wohl nicht zufällig in einigen wenigen Handschriften, vor allem den »üblichen Verdächtigen«. 57 Die Verteilung ist so charakteristisch, dass man kaum an einen Zufall zu denken wagt. Näher liegt daher, dass auch hier eine vorkanonische Lesart durch dieselbe redaktionelle Hand korrigiert wurde, wie es für Lk so deutlich geworden ist. Ferner fällt auf, dass die Notiz mit dem auktorialen ὁ κύριος ein starkes Kohärenzmerkmal liefert, das sich über den joh Erzählrahmen hinaus auch auf Mk 6 par. erstreckt. Joh 11,2 ἦν δὲ Μαριὰμ ἡ ἀλείψασα τ ὸ ν κ ύ ρ ι ο ν μύρῳ καὶ ἐκμάξασα τοὺς πόδας αὐτοῦ ταῖς θριξὶν αὐτῆς, ἧς ὁ ἀδελϕὸς Λάζαρος ἠσθένει: Dieser Vers ist ohne Varianten überliefert, und das scheint gegen die Überlegung zu sprechen, dass auktoriales ὁ κύριος immer auf dieselbe redaktionelle Hand (und das identische redaktionelle Interesse) zurückzuführen ist. Allerdings fällt auf, dass die identifikatorische Notiz Joh 11,2 die explizite Verbindung zwischen den »bethanischen Geschwistern« herstellt und dabei auf verschiedene synoptische Prätexte rekurriert. 58 Auch hier liegt also wieder ein stark ausgeprägtes Kohärenzsignal vor, das Joh mit den Synoptikern verbindet. Joh 20,20 ἐχάρησαν οὖν οἱ μαθηταὶ ἰδόντες τὸν κύριον ist ohne Varianten überliefert. Die Ursprünglichkeit von ὁ κύριος in der Erzählstimme ist in diesem Fall allerdings durch die v. l. der unmittelbar folgenden Notiz 20,21 εἶπεν οὖν αὐτοῖς [ὁ Ἰησοῦς] πάλιν· εἰρήνη ὑμῖν nicht ganz sicher: Die für Interferenzen zwischen den beiden Überlieferungen so anfälligen Zeugen 59 bieten gar kein nominales Subjekt. Die beiden letzten Belege für auktoriales κύριος geben keine weiteren Aufschlüsse: Joh 21,7 Σίμων οὖν Πέτρος ἀκούσας ὅτι ὁ κ ύ ρ ι ό ς ἐστιν und 21,12 εἰδότες ὅτι ὁ κ ύ ρ ι ό ς ἐστιν sind ohne Varianten überliefert. ______________________________ 55 Vgl. u. S. 121ff. 56 T HYEN , Joh 238. 57 D 091 pc a d e sy s.c . 58 Vgl. T HYEN , Joh 512f; DERS ., Die Erzählung von den bethanischen Geschwistern (Joh 11,1-12,9) als Palimpsest über synoptischen Texten, in: ders., Studien zum Corpus Iohanneum, Tübingen 2007, 182-212. 59 In diesem Fall handelt es sich um: א D (L W Ψ 050 pc) lat sy s co. 102 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche Der joh Befund ist also nicht einheitlich: Zwingende Schlussfolgerungen sind nicht möglich. Aber für Joh 4,1 v. l.; 6,23; 11,2 ist die Analogie zum Verfahren der lk Redaktion vielleicht doch zu eng, um gänzlich ignoriert zu werden. Die voranstehenden Bemerkungen haben daher lediglich die Funktion, das Phänomen zu markieren: Unter der Voraussetzung eines veränderten Bildes der Textgeschichte könnten sich auch für die Joh-Exegese überraschende Einsichten in den Redaktionsprozess ergeben. Ein Erklärungsansatz dafür ist unten vorgeschlagen (s. § 14.4). 3. Zum Verhältnis von Überlieferungs- und Textgeschichte: Schlussfolgerungen Wo käme man hin, wenn man die Sonderlesarten des »Westlichen Textes« ihren Ursprung in *Ev hätten? Unter den hier genannten Voraussetzungen heißt die Antwort: Man gelangt zum ältesten erreichbaren Text eines Evangeliums. Auch, wenn diese Voraussetzungen - die *Ev-Priorität vor den kanonischen Evangelien sowie die Identifizierung der lk Redaktion von *Ev als Teil der Kanonischen Redaktion - noch genauer zu begründen und zu entfalten sind, eröffnet diese Antwort weitere Einsichten für die Textkritik insgesamt und für die Rekonstruktion der Textgeschichte im Besonderen. Diese Schlussfolgerungen erstrecken sich (a.) auf die verschiedenen Beziehungen, die zwischen dem für *Ev bezeugten Text und der kanonischen Handschriftenüberlieferung existieren: Hier ist das Bild, das sich für die »Westlichen« Lesarten ergeben hat, für die weiteren Bereiche der Überlieferung anzudeuten. In dem Maß, in dem es gelingt, die kanonische Handschriftenüberlieferung und *Ev zueinander in Beziehung zu setzen, werden (b.) weitere Möglichkeiten zur Rekonstruktion des ältesten Evangeliums sichtbar. Das Gesamtbild für das Zustandekommen eines großen Teils der kanonischen Lesarten hat dann auch (c.) Auswirkungen für die textkritische Rekonstruktion des kanonischen Textes. a. Zum Text des ältesten Evangeliums und den Lesarten der Kanonischen Ausgabe Unter der Voraussetzung, dass die »Westlichen« Lesarten auf das vorkanonische Evangelium zurückgehen, das auch von den Marcioniten und anderen, als häretisch bezeichneten Gruppen benutzt wurde, ergeben sich zunächst einige Beobachtungen zum Verhältnis der »Westlichen« zu den anderen Varianten des Mehrheitstextes. Die Phänomene sind zunächst einmal getrennt für sich zu betrachten. 1. Die »Western Non-Interpolations« und der »Westliche Text«: Im Licht der engen Berührungen zwischen *Ev und den »Westlichen« Lesarten gewinnen an erster Stelle die sog. »Western Non-Interpolations« Bedeutung. Dass die Auswahl dieser Non-Interpolations, die Westcott/ Hort 1881 in ihrem Text des »New Testament in the Original Greek« berücksichtigt hatten, eher zufällig ist, wurde schon deutlich gemacht. Denn Westcott/ Hort waren erstens davon ausgegangen, dass nur § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 103 diejenigen »Westlichen« Lesarten Anspruch auf Ursprünglichkeit haben konnten, die einen kürzeren Text als die Mehrheit der Handschriften boten, und zweitens hatten sie sich auf diejenigen Varianten beschränkt, in denen tatsächlich eine deutliche Mehrheit der »Westlichen« Handschriften die kürzere Variante bot. Da sie (und in ihrer Folge: die ganz überwiegende Mehrheit der Textkritiker) die Non- Interpolations immer nur als ein Phänomen der Überlieferung eines fertig existierenden Textes betrachteten, ist diese Einschränkung ebenso nachvollziehbar wie die Einschätzung, dass es sich dabei um Non-Interpolations handele. Diese Prämisse ist jedoch nicht haltbar, wenn zwischen den »Westlichen« Varianten und dem Mehrheitstext der redaktionelle Schritt der lk Bearbeitung liegt, und wenn diese Varianten Zeugnisse einer inkonsistenten und inkonsequent durchgeführten Korrektur des vorkanonischen nach dem kanonischen Text darstellen. Denn in diesem Fall stellen diese Varianten keine Nicht-Interpolationen dar, sondern repräsentieren Elemente des älteren Textes, wogegen die entsprechenden Abweichungen im kanonischen Mehrheitstext als »positive Interpolationen« der lk Redaktion erscheinen. Diese »Westlichen« Varianten belegen daher die textgeschichtliche Interferenz zweier Ausgaben. Aus diesem Grund ist die Zufälligkeit, mit der sie erhalten blieben, ein wesentlicher Teil der Erklärung für ihr Zustandekommen. Anders gesagt: Die Existenz der Varianten ist notwendigerweise ein Kontingenzphänomen: Man kann sein Zustandekommen zwar ohne weiteres nachvollziehen, aber es lässt sich nicht auf diejenigen Fälle beschränken, in denen alle oder auch nur eine signifikante Mehrzahl der »Westlichen« Zeugen übereinstimmen. Obwohl diese Varianten Ausdruck ein und desselben Phänomens sind, konstituieren sie keine klar abgrenzbare »Textfamilie«. Die acht lk »Western Non-Interpolations« von Westcott/ Hort gehören daher in die Kategorie der 338 Fälle, in denen der für *Ev bezeugte Text mit einer oder mehrerer Handschriften aus der Gruppe D it sy zusammengeht. 60 Sieht man diese Fälle insgesamt an, dann ist die Grundannahme, dass der »Westliche Text« nur bei Nicht-Interpolationen ursprünglicher als der Mehrheitstext sei, nicht zu halten. Denn in vielen Fällen bestehen die analogen Abweichungen darin, dass kleinere bis größere Veränderungen vorliegen, die nicht als »Lücke« im W -Text erscheinen, sondern einfach als abweichende Formulierungen. Daneben gibt es aber auch eine ganze Reihe von Beispielen, in denen der »Westliche Text« mehr Text bietet als der kanonische Mehrheitstext. 2. *Ev und die Varianten der Vetus Latina und der Vetus Syra: Nun gehörten bereits für Westcott/ Hort neben D nicht nur die Altlateiner, sondern auch die Altsyrer zu der Handschriftengruppe, die den »Westlichen Text« konstituierten: ______________________________ 60 In der Variantenliste Anhang III sind dies die Varianten der Gruppe ❷. 104 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche In den charakteristischen »Non-Interpolations« gehen diese mit jenen zusammen. Die Beobachtung der Zusammengehörigkeit der Vetus Latina und der Vetus Syra erlaubt zunächst, auch diejenigen (alt-)syrischen Varianten mit in das Bild einzubeziehen, die keine Entsprechung in D oder den Altlateinern besitzen. Einige dieser 37 Belege 61 sind in besonderer Weise aufschlussreich: So ist beispielsweise die Vater-unser-Bitte um die Erfüllung des Willens Gottes Lk 11,2d (γενηθήτω τὸ θέλημά σου, ὡς ἐν οὐρανῷ καὶ ἐπὶ γῆς) in D und den Altlateinern bezeugt, aber sie fehlt im Sinai- und im Curetonsyrer (daneben noch in einer Reihe weiterer Zeugen, darunter auch P 75 ). Die Bitte ist auch in Tertullians *Ev-Referat nicht bezeugt. Da Tertullian die einzelnen Bitten in *Ev durchgeht, hat diese Bitte mit großer Wahrscheinlichkeit in seinem *Ev-Exemplar gefehlt: Genau dies wird auch durch die Altsyrer (gegen D it! ) bestätigt. Besonders charakteristisch ist Lk 20,19c ἔγνωσαν γὰρ ὅτι πρὸς αὐτοὺς εἶπεν τὴν παραβολὴν ταύτην: Epiphanius hat diese Aussage zwar nicht als »gestrichen« gekennzeichnet, übergeht sie aber in seinem Referat, das *20,19a.b bezeugt (Schol. 54). Ohne weitere Hinweise wäre es schwierig, nur aufgrund der Nichterwähnung ein positives Urteil zu fällen. Aber da die Aussage auch im Sinaisyrer fehlt, kann man davon ausgehen, dass sie nicht im vorkanonischen Evangelium stand, sondern erst von der lk Redaktion in den Text eingefügt wurde. In diesem Fall besitzt die Einsicht in den sekundären Charakter von Lk 20,19c deshalb eine besondere Bedeutung, weil die Begründung des Verhaftungswunsches auf das Winzergleichnis Lk 20,9-18 zurückweist, das aber in *Ev sicher gefehlt hat. Der Verhaftungswunsch *20,19a.b war daher ursprünglich auf das Problem der Vollmachtsfrage *20,1-8 bezogen: Der Befund ist eindeutig und vollständig konsistent mit den anderen redaktionellen Beobachtungen, wird aber, außer durch Epiphanius, ausschließlich durch den Sinaisyrer bezeugt. Vermutlich aus diesem Grund ist diese Variante auch in NA 27 nicht im Apparat aufgeführt. Lk 21,18 καὶ θρὶξ ἐκ τῆς κεϕαλῆς ὑμῶν οὐ μὴ ἀπόληται hat nach Epiphanius (Schol. 58) in *Ev gefehlt. In der griechischen Handschriftenüberlieferung ist der Vers durchweg bezeugt, fehlt allerdings komplett im Sinaisyrer. In diesem Fall ist die Variante im Apparat von NA 27 aufgeführt, bezeichnenderweise mit dem Hinweis auf die synoptische Parallelüberlieferung, wie das Sigel p) anzeigt: Die Aussage fehlt in den entsprechenden Kontexten Mk 9,13 || Mt 24,13, und dieses Fehlen hätte dann auch die (sekundäre) Auslassung in Lk 21,18 angeregt bzw. beeinflusst. Aber die Vermutung einer negativen Beeinflussung ist äußerst unwahrscheinlich. Der Text von sy s bestätigt dagegen das Zeugnis des Epiphanius und zeigt: Lk 21,18 hat im vorkanonischen Evangelium gefehlt, dessen Text dagegen von Mk 9,13 || Mt 24,13 rezipiert wurde. Dazu passt dann die Beobachtung, dass das in mancher Hinsicht analoge Doppelbildwort von den Sperlingen und den Haaren auf dem Kopf in Lk 12,6f (wiederum nach dem Zeugnis des Epiphanius) in *Ev sicher gefehlt hat: Die Verheißung des besonderen Schutzes auch des Allergeringsten erweist sich als Anliegen der lk Redaktion. Umgekehrt ist kein theologischer Grund erkennbar, aus dem Marcion gerade diesen Aspekt hätte beseitigt haben sollen. Diese Beispiele zeigen, dass die Altsyrer nicht nur dann von großer textkritischer Bedeutung sind, wenn sie mit D it zusammengehen, sondern auch dann, wenn sie ______________________________ 61 In der Variantenliste Anhang III sind dies die Varianten der Gruppe ❸. § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 105 jeweils für sich stehen. Denn die Varianten der Vetus Syra belegen (zumindest in der großen Mehrheit der Fälle) das identische textgeschichtliche Phänomen, das auch für den »Westlichen Text« insgesamt (D it sy) angenommen wurde: Es handelt sich um Spuren des vorkanonischen Evangeliums, die in die Überlieferung des kanonischen Textes eingedrungen sind und sich dort erhalten haben. In diesem Fall lässt sich auch die geographische Verteilung der Handschriften, die diesem »Westlichen Texttyp« seinen irreführenden Namen gab, gut nachvollziehen. Denn die Varianten aus dem vorkanonischen Evangelium haben sich insbesondere im lateinischen Westen (also wohl vor allem in Gallien, aber auch in Nordafrika) und im syrischen Osten erhalten und dort ihren Einfluss auf die kanonische Textüberlieferung ausgeübt. Das ist am leichtesten zu erklären, wenn das vorkanonische Evangelium schon vor der Redaktion der Kanonischen Ausgabe in Versionen existierte. Denn in diesem Fall musste sich nicht einfach die neue Kanonische Ausgabe gegen eine ältere Ausgabe durchsetzen, sondern die neue griechische Ausgabe musste auch die älteren Versionen verdrängen. Für die fraglichen Bereiche im Westen und in Syrien ist dies bekanntlich erst mit der Vulgata bzw. der Peshitta geschehen. 62 Da die Herstellung der Peshitta und ihre Durchsetzung gegenüber der Vetus Syra in einem länger andauernden und weniger einheitlichen Prozess verliefen, als dies bei der Vulgata gegenüber der Vetus Latina der Fall war, ist es auch wenig überraschend, dass die Peshitta insgesamt oder wenigstens in einzelnen Handschriften häufiger vorkanonische Lesarten der Vetus Syra enthält, als dies bei der Vulgata gegenüber der Vetus Latina der Fall ist. 63 3. *Ev und die Varianten der griechischen Überlieferung: Die Beobachtung, dass das charakteristische Phänomen der Interferenz zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Textüberlieferung nicht nur dann anzunehmen ist, wenn D it sy in der Mehrzahl ihrer Zeugen gegen den Mehrheitstext übereinstimmen, sondern auch dann, wenn die Varianten nur von einzelnen Handschriften geboten werden, lenkt den Blick auf diejenigen Varianten, die nicht von D it sy bezeugt sind ______________________________ 62 Vgl. dazu die Beiträge in K. Aland (Hg.), Die alten Übersetzungen des Neuen Testaments, die Kirchenväterzitate und Lektionare, Berlin - New York 1972, insbesondere: B. F ISCHER , Das Neue Testament in lateinischer Sprache. Der Gegenwärtige Stand seiner Erforschung und seine Bedeutung für die griechische Textgeschichte, ebd. 1-92; M. B LACK , The Syriac Versional Tradition, ebd. 120-159; H. J. F REDE , Die Zitate des Neuen Testaments bei den lateinischen Kirchenvätern. Der gegenwärtige Stand ihrer Erforschung und ihre Bedeutung für die griechische Textgeschichte, ebd. 455- 478. Außerdem die Beiträge in B. D. Ehrman, M. W. Holmes (eds.), The Text of the New Testament in Contemporary Research, Grand Rapids 1995, insbesondere: J. H. P ETZER , The Latin Version of the New Testament, ebd. 113-130; T. B AARDA , Syriac Versions of the New Testament, ebd. 97-112. 63 In den textkritischen Abschnitten der Rekonstruktion (s. Anhang I, jeweils Abschnitt B. des Kommentars) bzw. in der Variantenliste (Anhang III) ist dieses Phänomen daran zu erkennen, dass sy p häufiger mit dem sicher oder mutmaßlich vorkanonischen Text geht als vg. 106 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche und die daher nie als Teil des »Westlichen Textes« verstanden wurden. Dies gilt zunächst für die 38 Entsprechungen zu dem für *Ev bezeugten Text, zu denen Varianten ausschließlich in Handschriften der griechischen Überlieferung (ohne D) vorliegen. 64 Das Phänomen ist wieder an nur wenigen Beispielen zu illustrieren: Adamantius (2,16; 831b) bezeugt für *5,36 ἐπίβλημα ῥάκους ἀγνάϕου ἐπὶ ἱματίῳ παλαιῷ anstelle des kanonischen ἐπίβλημα ἀ π ὸ ἱματίου καινοῦ σ χ ί σ α ς ἐπιβάλλει ἐπὶ ἱμάτιον παλαιόν. Das Fehlen von ἀπὸ … σχίσας sowie die Umstellung der Wortfolge ist auch durch eine einzige Majuskel (047) belegt. Diese Variante ist im Apparat von NA 27 gar nicht verzeichnet. Für *6,28 ist die direkte Bezeugung widersprüchlich: Tertullian hat offensichtlich die Aufforderung εὐλογεῖτε τοὺς καταρωμένους ὑμᾶς wie im kanonischen Mehrheitstext gelesen, 65 Adamantius (1,12; 812d) bezeugt dagegen die Aufforderung zur Feindesliebe (ἀγαπᾶτε τοὺς ἐχθροὺς ὑμῶν), wie sie auch aus Mt 5,44 bekannt ist (ἐγὼ δὲ λέγω ὑμῖν, ἀγαπᾶτε τοὺς ἐχθροὺς ὑμῶν). Dass Adamantius hier nicht irrtümlich die beiden kanonischen Fassungen durcheinander bringt, ist durch eine Reihe griechischer Minuskeln (115 477 517 544 1216 1675 2766) sichergestellt, die denselben Text lesen. Diese Bezeugung ist aufschlussreich für den Umgang mit den widersprüchlichen Zeugnissen für *Ev, darüber hinaus für das Phänomen der sog. »Synoptischen Paralleleinflüsse«, die im Apparat von NA 27 durch das Sigel p) ausgewiesen sind; auf beides ist gleich zurückzukommen. Ähnliches gilt für das Bildwort vom Leuchter: Tertullian bezeugt zwar Teile von *8,16a οὐδεὶς δὲ λύχνον ἅψας καλύπτει αὐτὸν (σκεύει ἢ ὑποκάτω κλίνης τίθησιν), scheint aber die positive Bestimmung der Nutzung des Leuchters in Lk 8,16b.c ἀλλ’ ἐπὶ λυχνίας τίθησιν ἵνα οἱ εἰσπορευόμενοι βλέπωσιν τὸ ϕῶς nicht in *Ev gelesen zu haben. 66 Dass Lk 8,16b.c tatsächlich in *Ev gefehlt hat (und nicht nur in Tertullians Referat übergangen wurde), zeigt wiederum die handschriftliche Überlieferung: Lk 8,16b fehlt in 472 903* 1009 1229 1355 1542* ℓ 253, Lk 8,16c in P 75 B, zwei Handschriften der »Top-Kategorie«. 67 Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass der vorkanonische Text nur *8,16a enthielt, und zwar ohne das Ende (σκεύει ἢ ὑποκάτω κλίνης τίθησιν), das jeweils in b und e in (verschiedenen) Teilen ergänzt wurde, und vor allem ohne Lk 8,16b.c. In diesem Fall lässt sich noch zeigen, woher die in *Ev fehlenden Teile der Aussage stammen: Das (für die Logik von *8,16 verzichtbare) Ende von Lk 8,16a und der Anfang von V. 16b (ὑποκάτω κλίνης τίθησιν ἀλλ’ ἐπὶ λυχνίας τίθησιν) stammen aus *11,33 (s. die Rekonstr.); der abschließende Finalsatz ist, wie die entsprechende und ebenfalls redaktionelle Formulierung in Lk 11,33 zeigt, eine lk Bildung auf der Grundlage von Mt 5,15. Für Lk 13,29 καὶ ἥξουσιν ἀπὸ ἀνατολῶν καὶ δυσμῶν καὶ ἀπὸ βορρᾶ καὶ νότου καὶ ἀνακλιθήσονται ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ bezeugt Epiphanius (Schol. 41) eine »Streichung« durch Marcion. Da ______________________________ 64 In der Variantenliste (Anhang III) sind dies die Varianten der Gruppe ❹. 65 Tert. 4,16,1: et benedicite eos qui vos oderunt, et orate pro eis qui vos calumniantur. 66 Tert. 4,19,5: miror autem cum lucernam negat abscondi solere … cum omnia de occulto in apertum repromittit. 67 W OLTER , Lk 310 z. St. Der Apparat der IGNTP-Ausgabe verzeichnet noch andere (in NA 27 nicht angegebene) Lücken, die hier die uneinheitlich durchgeführten Korrekturen anzeigen: σκευει: om e; η υποκατω κλινης τιθησιν: om b; επι λυχνιας τιθησιν ινα: om E* usw. § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 107 der Vers auch in einigen griechischen Handschriften fehlt (13 69 349 543* 544 788 826 1241), 68 hat das vorkanonische Evangelium diesen Vers nicht enthalten: Er ist sekundär und geht auf die Einfügung durch die lk Redaktion zurück, in deren literarisches Konzept er sich nahtlos einfügt. Als letztes Beispiel sei auf Lk 16,16c καὶ πᾶς εἰς αὐτὴν βιάζεται verwiesen. Während Epiphanius (Schol. 43) diese Wendung für *Ev bezeugt, fehlt sie in Tertullians Referat. 69 Hier liegt also eine der charakteristischen widersprüchlichen Bezeugungen vor. Da die Möglichkeit besteht, dass Tertullian hier nur unvollständig zitiert und den Schluss de Aussage einfach übergangen haben könnte, ist das entsprechende Zeugnis der handschriftlichen Überlieferung wichtig, weil der Vers in einigen wenigen - aber wichtigen - Zeugen fehlt ( א * G 115 716 788 1542): Tertullian referiert den ursprünglichen Wortlaut, während Epiphanius’ *Ev-Exemplar durch die kanonischen Handschriften beeinflusst ist. Diese Beispiele zeigen mit hinreichender Deutlichkeit, dass die Berührungen zwischen dem für *Ev bezeugten Text und den Varianten des Kanonischen Textes nicht auf die »Westlichen« Zeugen beschränkt sind: Das gleiche umfassendere Phänomen, das schon für die Berührungen mit den Varianten in D it sy sichtbar wurde, findet sich auch im Rest der handschriftlichen Überlieferung. Das Phänomen unterscheidet sich weder hinsichtlich des semantischen Gehalts noch hinsichtlich der Gesamtzahl der Varianten von den »Westlichen« Beispielen. In der Mehrzahl der Fälle - die hier gar nicht besprochen sind, sich aber leicht aus der Variantenliste ergeben - handelt es sich um unauffällige Abweichungen, die Harnack ohne weiteres als »neutrale« Varianten eingestuft und daher auf die »Westliche« Vorlage zurückgeführt hätte, die Marcion angeblich zu seiner Revision benutzte. Daneben finden sich aber auch gehaltvolle und (in Harnacks Terminologie) »tendenziöse« Varianten, wie sie zu Lk 13,29 oder 16,16 deutlich wurden: Textkritisch lässt sich zwischen diesen Varianten nicht unterscheiden, sie repräsentieren das gleiche Phänomen, das schon für die Varianten der »Westlichen« Zeugen sichtbar wurde. 4. *Ev und die Varianten in weiteren Versionen: Berücksichtigt man die Überlegung zur Durchsetzung der Kanonischen Ausgabe gegenüber den alten Versionen des vorkanonischen Evangeliums (it sy), dann sind hier noch diejenigen Varianten zu nennen, die nicht in der Vetus Latina und der Vetus Syra, sondern in anderen Versionen bezeugt sind: Es lässt sich ohne weiteres zeigen, dass die charakteristischen Berührungen zwischen dem für *Ev bezeugten Text und den Zeugen für das kanonische Lk-Evangelium nicht nur in D it sy, sondern auch in der koptischen, äthiopischen, armenischen, georgischen und gotischen Überlieferung auftauchen. Die entsprechenden Zeugnisse sind nicht vollständig verzeichnet, und sie sind in der Variantenliste (Anhang III) auch nicht als eigene Gruppe aufgeführt. Für die Varianten in den genannten Versionen vgl. daher die folgenden Belege. ______________________________ 68 Diese Variante ist im Apparat von NA 27 nicht verzeichnet. 69 Tert. 4,33,7: Lex et prophetae usque ad Ioannem, ex quo regnum dei annuntiatur. 108 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche copt: (sa und bo sind hier nicht unterschieden) 4,32.34. - 6,3.7.20.29.36f.43. - 7,27. - 8,18.25. - 9,6.18.24.26.33.35.54. - 10,1.9.11.19. - 11,2f.11.13.39.41. - 12,1f.9 (! ).10.31.39 (! ).56. - 13,10. - 16,9.19.22. - 18,16 (! ).20. - 20,44; 21,28. - 22,8.14f.16 (! ). aeth: 6,20.23.26.43. - 7,38. - 9,18.20. - 10,28. - 11,3.28.39.41. - 13,19. - 16,29. - 21,9. - 23,56. armen: 6,21. - 9,(30).33. - 11,28. - 21,19. - 24,6 (! ). georg: 9,33. - 11,2. - 21,7.19. - 22,67. - 23,56. - 24,6 (! ).9. got: 9,20. - 20,44. Auch für diese Zeugnisse gilt, dass bereits eine äußerst schmale Bezeugung aussagekräftig ist. Zur Illustration sollen wenige Beispiele genügen: In *18,16 fehlen die Worte καὶ μὴ κωλύετε αὐτά in zwei Minuskeln (1338 1352) sowie in einer einzigen bohairischen Handschrift. Die Bezeugung dieser Variante ist so schwach, dass sie nicht in den Apparat von NA27 aufgenommen ist. Aber da Adamantius (1,16; 814c) das Fehlen dieser Worte in *Ev belegt, wird man davon ausgehen, dass die Varianten in den drei Handschriften tatsächlich das Phänomen der Interferenz zwischen dem vorkanonischen und dem kanonischen Text belegt. Noch schmaler ist die Bezeugung zu Lk 22,16 λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ ϕάγω αὐτὸ ἕως ὅτου πληρωθῇ ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ: Der ganze Vers fehlt in nur einer einzigen bohairischen Handschrift, die verständlicherweise in NA 27 wegen Geringfügigkeit nicht verzeichnet ist. Aber Epiphanius bezeichnet diesen sog. eschatologischen Vorbehalt als »gestrichen« (Schol. 63). Die vereinzelte koptische Handschrift hat hier also den Wortlaut des vorkanonischen Textes bewahrt. In textkritischer Hinsicht unterscheidet sich diese Variante allerdings in nichts von den Varianten, die Westcott/ Hort mit Blick auf den »Westlichen Text« als »Non-Interpolations« bezeichnet haben. Die Bedeutung der Varianten in diesen sekundären Versionen ist anders zu beurteilen als im Fall der Altlateiner und (Alt-)Syrer, weil sie i. W. von der Vulgata abhängig sind: Ihre Spuren des vorkanonischen Evangeliums setzen bereits den Text der Kanonischen Ausgabe voraus. Sie bezeugen das vorkanonische Evangelium also nicht direkt; stattdessen sind sie Zeugen zweiter Ordnung für die Textgeschichte der griechischen Kanonischen Ausgabe. Für sie gilt daher die gleiche Einschätzung wie für die kanonischen Lk-Handschriften: Sie belegen die starke Einwirkung der Textgestalt des vorkanonischen Evangeliums auf die kanonische Überlieferung. Denn nimmt man alle Variantengruppen - also die Lesarten der »Westlichen« Zeugen in D it sy, in der griechischen Überlieferung sowie in den davon abhängigen Versionen - zusammen, dann ergibt sich das schon genannte Phänomen, dass beinahe drei Viertel der Abweichungen von *Ev gegenüber Lk Entsprechungen in den Lesarten der kanonischen Textüberlieferung besitzen. 5. *Ev Varianten ohne Entsprechungen in der kanonischen Überlieferung: Mit Blick auf diese große Zahl der Entsprechungen zwischen *Ev und den Varianten der kanonischen Textüberlieferung lassen sich dann auch die restlichen Abweichungen in dem für *Ev bezeugten Text gegenüber dem kanonischen Text einschätzen: In über 150 Fällen, also in gut einem Viertel aller für *Ev direkt bezeugten Varianten, § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 109 gibt es keine Entsprechungen in der Textüberlieferung des kanonischen Textes. 70 Man wird nicht fehlgehen in der Annahme, dass diese Varianten in *Ev deshalb ohne Entsprechung in der kanonischen Textüberlieferung sind, weil sie konsequent nach dem kanonischen Text korrigiert wurden: Sie haben keine Spuren hinterlassen. Diese Varianten entsprechen daher den eindeutig als fehlend bezeugten, längeren Passagen, also etwa Lk 1f; 3,1b-4,15; 15,11-32 usw., die ja ebenfalls keine Analogien in der kanonischen Textüberlieferung besitzen. Die Erklärung hatte sich bereits im Zusammenhang der Besprechung der Belege für auktoriales κύριος (o. S. 93ff) als Kennzeichen der lk Redaktion nahegelegt: Wenn die Handschriften des vorkanonischen Evangeliums nach dem kanonischen verglichen und korrigiert wurden, dann sind längere Passagen komplett aus den kanonischen Vorlagen übernommen worden. Die charakteristischen Interferenzen ergeben sich nur dort, wo die redaktionellen Abweichungen kleine Elemente auf der Ebene eines Satzes oder darunter betreffen. Alle umfangreicheren Änderungen sind korrekt nach den kanonischen Vorlagen korrigiert. Für die Varianten ohne Entsprechung in der kanonischen Textüberlieferung bedeutet dies, dass sie den anderen Gruppen grundsätzlich nicht widersprechen und Ausdruck des gleichen Phänomens sind: Sie belegen den Text des vorkanonischen Evangeliums. 6. *Ev und die sog. innersynoptischen Konformierungen: Zu den Eigenheiten dieses vorkanonischen Textes gehörte offensichtlich ein Phänomen, dessen textkritische Signifikanz sich verändert, wenn man von der Möglichkeit der Interferenz zwischen vorkanonischem und kanonischem Text ausgeht: Es gibt eine lange Reihe von Beispielen, in denen einige der kanonischen Lk-Handschriften Formulierungen und kürzere Passagen enthalten, die im Mehrheitstext fehlen, aber enge (und häufig wörtliche) Entsprechungen in den synoptischen Paralleltexten (Mk und Mt) besitzen. Der methodische Zugriff der kritischen Ausgaben behandelt diese Entsprechungen als sekundäre Konformierungen durch die synoptischen Parallelen auf der Ebene der Textüberlieferung: Sie haben diese Parallelen durch das Sigel p) markiert und durchweg in den Apparat verbannt. Angesichts der großen Breite, in der dieses Phänomen auftritt, ist dies auch nicht verwunderlich. Methodisch setzt dieses textkritische Urteil allerdings nicht nur voraus, dass die Passagen der Dreifachüberlieferung bzw. der mt-lk Doppelüberlieferung eine jeweils distinkte Textgestalt besaßen, sondern auch, dass diese Distinktion sekundär und gewissermaßen »eigenmächtig« durch die Kopisten beseitigt wurde. Aber unter der methodischen Prämisse der *Ev-Priorität verändert sich der Befund. Denn für etliche dieser »innersynoptischen Konformierungen« existiert ______________________________ 70 In der Variantenliste (Anhang III) sind dies die Varianten der Gruppe ❶. 110 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche eine entsprechende Bezeugung für *Ev. Auch dies sei wieder an einigen, wenigen Beispielen illustriert. In der Verklärungsszene lautet die Prädikation Jesu durch die Himmelsstimme im kanonischen Mehrheitstext von Lk 9,35: οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἐ κ λ ε λ ε γ μ έ ν ο ς . 71 Andere Handschriften haben dagegen das aus Mk 9,7 bekannte ὁ ἀγαπητός bzw. wie Mt 17,5 ὁ ἀγαπητός, ἐν ᾧ εὐδόκησα. 72 Die textkritische Einschätzung, dass hier eine der genannten Konformierungen durch die synoptischen Parallelen vorliegt, wird im Apparat von NA 27 durch p) angezeigt und von Metzger ausdrücklich begründet. 73 Jedoch wird die ἀγαπητός-Lesart durch Tertullian und Epiphanius auch für *Ev bezeugt. 74 Es liegt daher nahe, dass dies die Formulierung des vorkanonischen Evangeliums war, die dann zuerst von Mk 9,7 übernommen, von Mt 17,5 geringfügig erweitert (ἐν ᾧ εὐδόκησα) und schließlich von der lk Redaktion in ὁ ἐκλελεγμένος geändert wurde: Die lk Erwählungsaussage ist sekundär und Kennzeichen der lk Redaktion. Sie besitzt in der Verspottung des Gekreuzigten durch das Volk (Lk 23,35) eine Entsprechung: … σωσάτω ἑαυτόν, εἰ οὗτός ἐστιν ὁ χριστὸς τοῦ θεοῦ ὁ ἐ κ λ ε κ τ ό ς . Dies ist allerdings nur im Mehrheitstext der Fall, zu dem es folgende Varianten gibt: ο χριστος ο υιος του θεου: P 75 (070) f 13 ℓ 844 pc sy h co Eus ¦ ει υιος εστιν ο χριστος του θεου: B ¦ ει υιος ει του θεου, ει χριστος ει: D c d. Das bedeutet jedoch: Dass Jesus der Erwählte Gottes war, ist durch die lk Redaktion an zwei Stellen in den sicher bzw. mutmaßlich vorkanonischen Text eingetragen worden. Lk 9,35 v. l. ist daher keine sekundäre Angleichung an die synoptischen Parallelen durch einen Kopisten, sondern ein ursprüngliches Kennzeichen des vorkanonischen Textes. Das Logion über das Ziel der Sendung Jesu nach Lk 12,51 endet im Mehrheitstext mit den Worten: οὐχί, λέγω ὑμῖν, ἀλλ’ ἢ δ ι α μ ε ρ ι σ μ ό ν , unterscheidet sich daher von der Parallele Mt 10,34: οὐκ ἦλθον βαλεῖν εἰρήνην ἀλλὰ μ ά χ α ι ρ α ν. In einer einzigen Minuskel (1242*) findet sich diese Wortwahl auch für Lk 12,51 (οὐχί, λέγω ὑμῖν, ἀλλ’ ἢ μ ά χ α ι ρ α ν ). Die Bezeugung ist zu geringfügig, um im Apparat von NA 27 verzeichnet zu sein, aber es besteht wenig Zweifel, dass diese Begründung im Hintergrund der Herausgeberentscheidung stand. Allerdings bezeugt Adamantius genau diese Variante für *Ev, 75 die in 1242* folglich nicht sekundär ist, sondern eine ausnahmsweise nicht getilgte Interferenz zwischen dem vorkanonischen und dem kanonischen Text anzeigt. ______________________________ 71 So bezeugt von P 45.75 א B L Ξ (579) 892 1241 pc (a) aur ſſ 2 l vg sy s.hmg . Θ pc bieten: εκλεκτος. 72 αγαπητος/ dilectus: A C* W f 13 33 b (c: dilectissimus) d e f l q r 1 vg, vgl. Mk 9,7 ¦ αγαπητος εν ω ηυδοκησα: C 3 D Ψ bo ms . Vgl. Mt 17,5. 73 B. M. M ETZGER , A Textual Commentary on the Greek New Testament, Stuttgart 2 1994, z. St.: »The original Lukan reading is undoubtedly ἐκλελεγμένος, which occurs in a somewhat technical sense only here in the NT. The other readings, involving more usual expressions, are the results of copyists changing the word to agree with other passages (ἐκλεκτός, 23: 35; ἀγαπητός, Mark 9: 7; Luke 3: 22; ἀγαπητός ἐν ᾧ εὐδόκησα, Matt 17: 5)« (Hervorhebung M. K.). 74 Tert. 4,22,1: Hic est filius meus d i l e c t u s; Epiph., Schol. 18: οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀ γ α π η τ ό ς. 75 Adam. 2,5 (824c): οὐκ ἦλθον, ϕησί, βαλεῖν εἰρήνην, ἀλλὰ μ ά χ α ι ρ α ν . Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass Tertullian die Formulierung des Mehrheitstextes bietet: non, dico vobis, sed s e p a r a t i o n e m (4,29,13). § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 111 Ein gutes Beispiel für den angeblichen »Paralleleinfluss« aus Mt ist die typisch mt Formulierung βασιλεία τῶν οὐρανῶν, die einige Male auch in der Textüberlieferung des kanonischen Lk belegt ist. Die entsprechenden Beispiele sind so »schwach« bezeugt und erscheinen so eindeutig als synoptischer »Paralleleinfluss«, dass sie im Apparat von NA 27 gar nicht aufgeführt sind. So lesen etliche Zeugen in Lk 6,20b ὑμετέρα ἐστὶν ἡ βασιλεία τ ῶ ν ο ὐ ρ α ν ῶ ν anstelle von ὑμετέρα ἐστὶν ἡ βασιλεία τ ο ῦ θ ε ο ῦ im Mehrheitstext. 76 Interessanterweise bezeugt Tertullian beide Lesarten in seinem *Ev-Referat. 77 Da die Seligpreisung der Armen eindeutig auf den Lk- (und nicht den Mt-) Text der Makarismen verweist, stammt eine der beiden Formulierungen aus dem Text, die andere geht auf Tertullians eigene (und ungenaue) Wiedergabe des Textes zurück. Da Tertullian immer regnum dei sagt, wenn er selbst formuliert und nicht zitiert, muss man folgern, dass *Ev tatsächlich die »mt« Formulierung βασιλεία τῶν οὐρανῶν enthielt. Diese ist auch in Lk 13,18f v. l. bezeugt. Dieses Beispiel ist instruktiv, weil das Stichwort im Mehrheitstext nur in Lk 13,18 (τίνι ὁμοία ἐστὶν ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ …) auftaucht, nicht aber in Lk 13,19 (ὁμοία ἐστὶν κόκκῳ σινάπεως …). In Lk 13,18 steht in einigen Handschriften βασιλεία τῶν οὐρανῶν, wogegen der Rest der Überlieferung das vertrautere βασιλεία τοῦ θεοῦ bietet. 78 In 13,19 fehlt das Stichwort - verständlicherweise: die unschöne Wiederholung ist vermieden - in der Mehrheit der Handschriften ( a a 2 aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 M ), wogegen einige τοῦ θεοῦ lesen ( c gat aeth ), das auch Tertullian für *Ev bezeugt (Tert. 4,30,1: simile est regnum dei … grano sinapis). Nur Petrus Chrysologus ( Serm. 98, PL 52, 475 ) bezeugt hier das Mt 13,31 entsprechende Syntagma βασιλεία τ ῶ ν ο ὐ ρ α ν ῶ ν . Am leichtesten lässt sich diese disparate Überlieferungslage verstehen, wenn bereits in *Ev in beiden Versen βασιλεία τῶν οὐρανῶν stand, das von der lk Redaktion in Lk 13,18 durch βασιλεία τοῦ θεοῦ ersetzt und in Lk 13,19 vollständig gestrichen wurde. Das letzte Beispiel ist die Begründung des »Kinderevangeliums« Lk 18,16 γὰρ τοιούτων ἐστὶν ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ bzw. die dazugehörige Warnung 18,17 ὃς ἂν μὴ δέξηται τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ ὡς παιδίον. Auch hier ist die Überlieferung wieder gespalten. 79 Während *18,17 für *Ev nicht bezeugt ist, referiert Adamantius für *18,16 wieder das »mt« βασιλεία τῶν οὐρανῶν ( 1,16; 814c ). Die Beispiele, an denen für solche »synoptischen Paralleleinflüsse« eine direkte Bezeugung für *Ev vorliegt, ließen sich noch deutlich vermehren. Die folgende Liste enthält die jeweiligen Stellenangaben mit dem Text des kanonischen Lk, die abweichende Bezeugung für *Ev, deren Entsprechung zu den Varianten der kanonischen Textüberlieferung sowie die Angabe der synoptischen Parallele. Die ______________________________ 76 Lk 6,20b (βασιλεια) των ουρανων/ caelorum: X* 69 118 157 179 205 109 265 489 517 544 903 954 1200 1219 1241 1342 1424 1654 1675 2487 2757 lectt c f sy s.j(1 ms) georg II got slav Basil (Moral. 48,3; PG 31, 769) Aphr (Dem. 20,17; 22,24; PS 1, 921.1037); (βασιλεια) του ουρανου: sa bo mss aeth ¦ (βασιλεια) του θεου/ (regnum) Dei: Tert [4,14,1] a aur b d e ſſ 2 l q r 1 M . 77 Tert. 4,14,1: beati mendici quoniam illorum est regnum d e i ¦ 4,14,13: beati mendici quoniam illorum est regnum c a e l o r u m . 78 Lk 13,18 βασιλεια των ουρανων: N U 179 472 827 903 1009 2766 aeth mss slav 2 mss ¦ βασιλεια του θεου: it M . - Lk 13,19 η βασιλεια του θεου/ regnum dei: Tert c gat aeth ¦ η βασιλεια των ουρανων: Petr. Chrys. (Serm. 98, PL 52, 475) ¦ om a a 2 aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 M . 79 Lk 18,16 βασιλεια των ουρανων/ regnum caelorum: 157 472 579 983 1009 1187 1241 1604 2487 a b c vg 1 ms ¦ βασιλεια του θεου/ regnum Dei: aur d e f ſſ 2 i l q r 1 M . - Lk 18,17 των ουρανων: sy s ¦ του θεου: it M . 112 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche Liste ist nicht vollständig, und sie enthält nicht für alle Beispiele auch Entsprechungen in der kanonischen Textüberlieferung. Trotz dieser Einschränkungen sollten das charakteristische Phänomen und die Breite der Belege deutlich werden; im Einzelnen ist die Rekonstruktion (Anhang I) zu vergleichen. Nach der Stellenangabe wird der kanonische Mehrheitstext nach NA 27 geboten. Durch ≠ getrennt, folgt die abweichende direkte Bezeugung, die alle Unterschiede (abweichende Formulierung; kürzerer oder längerer Text) umfasst. Anschließend zeigt = die handschriftliche Bezeugung (soweit vorhanden) sowie die entsprechende synoptische Parallele. 5,24a: ἐπὶ τῆς γῆς ἀϕιέναι ἁμαρτίας ≠ Epiph., Schol. 2 = sy s Chrys (Hom.) = Mk 2,10. - 5,24b: καὶ ἄρας ≠ Tert. 4,10,1 = א D 0211 115 157 726 1424 1542* [a] aur b c d f ſſ 2 l q r 1 sy s.p Tat pers = Mk 2,11. - 5,24b: τὸ κλινίδιον ≠ Tert. 4,10,1: grabattum = D 517 954 1424 1675 c d r 1 = Mk 2,11. - 5,34: δύνασθε τοὺς υἱοὺς … ποιῆσαι νηστεῦσαι ≠ Tert. 4,11,6 = א * D a b c d e ſſ 2 g 1 gat = Mk 2,19. - 5,36: ἱματίου καινοῦ ≠ Epiph. 42,2,1(ῥάκους ἀγνάϕου) = Adam. 2,16 (831b) = 443* = Mk 2,21. - 5,36b: καινὸν σχίσει ≠ Epiph. 42,2,1 (πλήρωμα αἶρει) = Mk 2,21. - 5,36b: τὸ ἀπὸ τοῦ καινοῦ ≠ Epiph. 42,2,1 (μείζον γὰρ σχίσμα γενήσεται) = Mk 2,21. - 6,28a: εὐλογεῖτε τοὺς καταρωμένους ὑμᾶς  Tert. 4,16,1 (et benedicite eos qui vos oderunt) ≠ Adam. 1,12 (812d) = 115 477 517 544 1216 1675 2766 = Mt 5,44. - 6,28b: περὶ τῶν ἐπηρεαζόντων = Tert. 4,16,1 ≠ Adam. 1,12 (812d) = (e) Hieron = Mt 5,44. - 8,21: πρὸς αὐτούς ≠ Tert. 4,19,11 = Mk 3,33. - 9,35 (s. o.). - 9,41a: καὶ διεστραμμένη = Mt. 17,17 ≠ Tert. 4,23,1 = Epiph., Schol. 19 = a e = Mk 9,19. - 10,24: καὶ βασιλεῖς ≠ Tert. 4,25,12 = D a d ſſ 2 i l  Mt 13,17. - 11,2d: γενηθήτω τὸ θέλημά σου, ὡς ἐν οὐρανῷ καὶ ἐπὶ γῆς ≠ Tert. 4,26,4 = P 75 B L 1 pc vg sy s.c Orig = Mt 6,10. - 11,3: δίδου ≠ Tert. 4,26,4 = א D 2 27 28 71 115 472 1009 1010* 1071 1195* 1242* 1355 1458 1654 1675 2542 2613 2757* Orig (Sel. Ps 71; PG 12, 1525) = Mt 6,11. - 11,3: τὸ καθ’ ἡμέραν = Tert. 4,26,4 (= Orig? ) ≠ D 2542 a aur b c d e f ſſ 2 g 1 i l r 1 vg cl sy h bo mss aeth Ambr (Sacr. V 4,18; CSEL 73, 66) August (Ep. 130, 21f; CSEL 44, 63.65) Hilar (fr. 3; CSEL 65, 231) = Mt 6,11. - 11,4: τὰς ἁμαρτίας = Tert. 4,26,4 (! ) ≠ D 2542 b c d (e) ſſ 2 vg mss = Mt 6,12. - 11,13b: ὑπάρχοντες ≠ (Epiph., Schol. 24) = Adam. 2,20 (870f) = א D K M X Π mult it = Mt 7,11. - 11,42: τοῖς Φαρισαίοις ≠ Tert. 4,27,1 = Mt 23,23. - 12,24: οἷς οὐκ ἔστιν ταμεῖον οὐδὲ ἀποθήκη ≠ Tert. 4,29,1 = 907  157 e = Mt 6,26. - 12,39: οὐκ ἂν ἀϕῆκεν = Tert. 4,39,7 ≠ א 1 A B L Q W Θ Ψ 070 33 2542 f 1.13 33 M aur b c f ſſ 2 l q r 1 sy p.h sa mss bo = Mt 24,43. - 12,51b (s. o.). - 13,19: ἔβαλεν ≠ Tert. 4,30,1 = aeth = Mt 13,31. - 13,27: ἀπόστητε ἀπ’ ἐμοῦ, πάντες ἐργάται ἀδικίας ≠ Tert. 4,30,4 = c d (ſſ 2 ) M 27 71 1194 1485; πορευετε Cyr. (Ador. 15; PG 68, 981); πορευεσθε Dionys. Areop. (Ep. 8; PG 3, 1089) = Mt 7,23. - 17,2: λυσιτελεῖ ≠ Tert. 4,35,1= D d (e) = Mt 18,16. - 18,16b (s. o). - 20,41: Πῶς λέγουσιν τὸν Χριστὸν εἶναι Δαυὶδ υἱόν ≠ Tert. 4,38,10 = e = Mt 22,42. - 20,44: Δαυίδ ≠ Tert. 4,38,10 = 2372 = Mk 12,37. - 21,8b: ᾿Εγώ εἰμι ≠ Tert. 4,39,1-3 = 157 1247 c aur c e ſſ 2 gat i l q r 1 s vg mss = Mt 24,5. - 22,64: περικαλύψαντες αὐτὸν ἐπηρώτων ≠ Epiph., Schol. 68 = Mk 14,65. - 23,45: τοῦ ἡλίου ἐκλιπόντος ≠ Epiph., Schol. 71 = A C 3 D W Θ Ψ f 1.13 M it sy s.c.j.p Orig latmss = Mk 15,33; Mt 27,45. Ein Großteil dieser Varianten für das Phänomen der »synoptischen Konformierungen« ist in den gängigen kritischen Ausgaben (NA 27 / GNT 4 ) gar nicht verzeichnet. Die hier gebotene Erklärung könnte deshalb als lässliche Fingerübung und unnötige Kümmelspalterei erscheinen. Ihre methodische Bedeutung liegt jedoch darin, dass sie die Überlieferungs- und Entstehungsgeschichte der Evangelien in die Erklärung § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 113 der Transmission des Textes miteinbezieht und dadurch die weithin übliche Abkoppelung der Theoriebildung zur neutestamentlichen Textgeschichte von den Modellen zur Überlieferungsgeschichte der Texte als unzureichend erweist: Beide Bereiche, die Entstehung der neutestamentlichen Texte und die Geschichte ihrer handschriftlichen Überlieferung, sind sehr viel enger aufeinander zu beziehen, als dies gemeinhin geschieht. b. Zur Rekonstruktion des Textes der vorkanonischen Ausgabe Die Berücksichtigung dieser komplexen methodischen Einsicht ermöglicht eine Reihe weiterführender Schlussfolgerungen für die Rekonstruktion der jeweiligen Textgestalt der beiden Ausgaben, des vorkanonischen *Ev und des kanonischen Lk. Die Einsichten verteilen sich dabei recht unterschiedlich: Im Rahmen dieser Untersuchung stehen naturgemäß diejenigen Fragen im Zentrum, die für die Herstellung des vorkanonischen Evangeliums wichtig sind. Aber die Einsichten, die sich daraus für die Beurteilung des kanonischen Textes ergeben, sollen wenigstens angedeutet werden, weil sie über die Frage des Verhältnisses von *Ev und Lk hinaus grundsätzliche Bedeutung für die neutestamentliche Textkritik und ihre Theoriebildung besitzen. 1. Die erste und wichtigste Einsicht aus der Interferenz zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Textüberlieferung betrifft den ziemlich umfangreichen Textbestand von *Ev, für den keine direkte Bezeugung vorliegt. Aus diesem Grund ist noch einmal auf die Größenverhältnisse der einzelnen Variantengruppen zurückzukommen: Rund drei Viertel der für *Ev bezeugten Abweichungen vom kanonischen Text besitzen Entsprechungen in der kanonischen Textüberlieferung. Für das letzte Viertel liegt daher nahe, dass in diesen Fällen die abweichenden Formulierungen im kanonischen Text konsequent korrigiert wurden und nur aufgrund der Konsequenz dieser Korrektur keine Spuren in der handschriftlichen Überlieferung hinterlassen haben. Kehrt man die Perspektive um, dann geraten die Varianten der handschriftlichen Überlieferung derjenigen Passagen in den Blick, für die wir keine Bezeugung besitzen, aber aus verschiedenen Gründen annehmen können, dass sie in *Ev enthalten waren. Denn die grundsätzliche Überlegung, dass die Varianten vor allem des »Westlichen Textes« Spuren der Interferenz zwischen der Überlieferung des vorkanonischen und des kanonischen Textes darstellen, erlaubt dann die Schlussfolgerung, dass entsprechende Varianten auch dann als Zeugnis für *Ev herangezogen werden können, wenn eine direkte Bezeugung fehlt. Es geht also um das Problem, das im Zusammenhang von Harnacks großzügigen Interpolationen bereits angesprochen wurde (o. S. 80ff): Ist es möglich, aus den handschriftlichen 114 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche Varianten der kanonischen Textüberlieferung auf den Text von *Ev zurückzuschließen? In dem von Harnack und anderen zugrunde gelegten methodischen Rahmen ist dies nicht möglich. Denn unter der Annahme, dass Marcion das kanonische Lk-Evangelium bearbeitet habe, lässt sich nicht erklären, wieso - und: an welchen Stellen! - der von Marcion angeblich redigierte Evangelientext die kanonische Handschriftenüberlieferung beeinflusst haben sollte. Das von Harnack angewendete Interpolationsverfahren ist daher zu Recht kritisiert worden: »This is simply creating positive evidence … out of no evidence at all.« 80 Unter der Annahme der *Ev-Priorität gilt dieser Einwand jedoch nicht. Denn jetzt sind die Analogien zwischen den (überwiegend »Westlichen«) Varianten des kanonischen Lk-Texts und *Ev als Ausdruck ein und desselben Phänomens erweisbar: Die Varianten der kanonischen Überlieferung zeigen Spuren des vorkanonischen Evangeliums, das die Häresiologen direkt bezeugen. So ergibt sich die einigermaßen erstaunliche Folgerung, dass Harnacks Verfahren zwar methodisch unhaltbar ist, im Ergebnis aber in vielen Fällen zutrifft. Harnack war davon ausgegangen, dass die nachweislichen Berührungen des »Westlichen Textes« mit dem für *Ev bezeugten Text eine so große Nähe zwischen beiden Texten konstituierten, dass er dieses Phänomen auch für die unbezeugten Passagen annahm. Auch, wenn seine Begründung sich als unhaltbar erwiesen hat, ist es sinnvoll, unter dem Gesichtspunkt der Interpolation zunächst von den ganz charakteristischen »Western Readings« auszugehen. Unter Zugrundelegung der Liste mit den »Western Non-Interpolations« von Westcott/ Hort sind dies in erster Linie folgende Beispiele: 5,39 vs. om D a b c d e ſſ 2 l r 1 (lac sy s.c ) Iren Eus (*Ev non test.). - 10,41b.42a μεριμνας και θορυβαζη περι πολλα ενος δε εστιν χρεια: om D d (θορυβαζη) a b e ſſ 2 i l r 1 sy s Ambr Possidius (*Ev non test.). - 12,19b κειμενα εις ετη πολλα αναπαυου ϕαγε πιε: om D a b c d e ſſ 2 (*Ev non test.). - 12,21 vs. om D a b d (*Ev non test.). - 12,39 εγρηγορησεν αν και: om P 75 א * D d e i sy s.c sa mss achm armen (*Ev non test.). - 22,19b.20 το υπερ υμων διδομενον … το υπερ υμων εκχυννομενον: vss. om D a (b e in der Folge: 19a, 17, 18) d ſſ 2 i l (in sy c fehlt nur V. 20; die Reihenfolge ist: V. 19, 17, 18; sy s hat eine modifizierte Form von V. 19, 20a, 17, 20b, 18; sy pesh lässt V. 17f aus, hat aber V. 19, 20) (*Ev non test.). - 22,43f vss. om P 75 א 1 A B T W 1071* lectt f sy s sa bo georg (Clem Orig Athan Ambr Cyr JohDamasc) (*Ev non test.). - 22,62 vs. om 0171 vid a b e ſſ 2 i l r 1 (*Ev non test.). - 24,3 (ουχ ευρον το σωμα) του κυριου ιησου: om D a b d e ſſ 2 l r 1 Eus [579 1071 1241 sy s.c.pesh : του ιησου] *Ev teste Tert. 4,43,2 (corpore autem non invento). - 24,6 ουκ εστιν ωδε αλλα: om D a b d e ſſ 2 l r 1 georg II *Ev teste Epiph., Schol. 76; Tert. 4,43,5. - 24,9 απο του μνημειου: om D a b c d e ſſ 2 l r 1 (*Ev non test.). - 24,12 vs. om D a b d e l r 1 (*Ev non test.). - 24,36b και λεγει αυτοις ______________________________ 80 U. B. S CHMID , How Can We Access Second Century Texts? The Cases of Marcion and Tatian, in: C.-B. Amphoux, J. K. Elliott (eds.), The New Testament Text in Early Christianity, Lausanne 2003, 139-150: 142f. § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 115 ειρηνη υμιν: om D a b d e ſſ 2 l r 1 (*Ev non test.). - 24,40 vs. om D a b d e ſſ 2 l r 1 sy s.c (*Ev non test.). - 24,51b και ανεϕερετο εις τον ουρανον: om א * D a b d e ſſ 2 l (lac r 1 ) sy s (lac sy c ) (*Ev non test.). - 24,52 προσκυνησαντες αυτον: om D a b d e ſſ 2 l (lac r 1 ) sy s (lac sy c ) (*Ev non test.). Für keine dieser »Westlichen« Lesarten bietet *Ev einen abweichenden, dem Mehrheitstext entsprechenden Text: In der Mehrheit der Fälle fehlt zwar für diese Stellen eine Bezeugung für *Ev. Aber in zwei Fällen (24,3.6) entspricht der für *Ev bezeugte Text exakt den »Westlichen« Lesarten: Da sich die »Westlichen« Lesarten im Horizont der *Ev-Priorität auf ein nachvollziehbares, redaktionelles Phänomen zurückführen lassen, ist es methodisch statthaft, sie auch dann heranzuziehen, wenn eine Bezeugung für *Ev fehlt. Die hier angeführten Beispiele - sie ließen sich ohne große Schwierigkeiten vermehren - lassen sich darüber hinaus insofern für *Ev plausibilisieren, als der davon abweichende kanonische Text in allen Fällen Elemente der lk Redaktion aufweist, die in der Begründung für die jeweilige Textrekonstruktion (s. Anhang I) im Einzelnen besprochen sind. Für die Rekonstruktion des Textes spielen neben den textgeschichtlichen auch die überlieferungsgeschichtlichen Einsichten eine Rolle. Im Unterschied zum Vorgehen Harnacks und anderer, die eine marcionitische Bearbeitung des kanonischen Lk annahmen, ohne ein entsprechendes redaktionelles Konzept für *Ev zeigen zu können, liegt die plausibilisierende Einheit der Abweichungen im redaktionellen Konzept der lk Bearbeitung von *Ev. 2. Die genannten Beispiele enthalten durchweg »Non-Interpolations«, bezeugen also einen geringeren Textumfang als der Mehrheitstext. Die Annahme, dass die beiden Ausgaben durch die lk Redaktion voneinander unterschieden sind, legt auch nahe, dass diese Redaktion eher Text hinzufügt (und darin ihr redaktionelles Konzept zum Ausdruck bringt) als streicht. Aber sicher ist dies nicht. Man muss auch damit rechnen, dass die lk Redaktion den vorausliegenden Text geglättet und dabei überflüssig oder verzichtbar Erscheinendes gestrichen hat: Die oben genannten Beispiele, an denen *Ev Passagen und Formulierungen enthielt, die aus den synoptischen Parallelen bekannt sind (o. S. 109ff), machen dies ja auch wahrscheinlich. In Verbindung mit der methodischen Einsicht, dass sich die Textgestalt des vorkanonischen Evangeliums aufgrund der charakteristischen Varianten auch für diejenigen Passagen rekonstruieren lässt, für die keine direkte Bezeugung vorliegt, bedeutet dies zunächst, dass auch alle positiven Varianten der kanonischen Textüberlieferung für die Rekonstruktion in Erwägung zu ziehen sind. Allerdings nimmt hier der Grad der Sicherheit erheblich ab, mit der sich von den Varianten der kanonischen Textüberlieferung auf den vorkanonischen Text schließen lässt. Dies liegt in erster Linie daran, dass die positiven Beispiele mit einem gegenüber dem Mehrheitstext »überschießenden« Textbestand, an vielen Stellen tatsächlich als sekundäre Konformierungen aufgrund der synoptischen 116 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche Parallelen zu beurteilen sind: Dies verrät bereits ein kursorischer Blick in die Varianten zu denjenigen Passagen, die im vorkanonischen Evangelium sicher gefehlt haben und die zugleich die für das Synoptische Problem charakteristische Mischung aus Entsprechung und Unterschied der synoptischen Parallelen aufweisen 81 - hier sind die Varianten (vor allem des »Westlichen Textes«) sicher als sekundäre Konformationen zu verstehen. In anderen Fällen, in denen insbesondere die narrativen Einleitungen von Perikopen aus den synoptischen Parallelen in einzelnen Zeugen des kanonischen Lk- Textes auftauchen, ist dies jedoch nicht so sicher: Gerade die Perikopenanfänge sind anfällig für redaktionelle Eingriffe, die gelegentlich den narrativen Anschluss zum Vorangehenden herstellen und so zur Kohäsion der Gesamterzählung beitragen. Auch hier gilt die Beobachtung, dass solche redaktionellen Eingriffe ihre Spuren in der handschriftlichen Überlieferung eher dann hinterlassen haben, wenn es sich um geringfügige Veränderungen handelt, wogegen größere und deutlichere Bearbeitungen komplett übernommen wurden und daher keine Interferenzmerkmale aufweisen. 82 Für die Rekonstruktion bedeutet dies, dass die Lesarten der kanonischen Textüberlieferung, die keine Entsprechungen in der Bezeugung für *Ev haben, zwar eine mögliche, aber keine sichere Bearbeitung anzeigen: Hier ist in jedem Einzelfall die Wahrscheinlichkeit zu prüfen und abzuwägen, mit der ein Rückschluss auf den vorkanonischen Text möglich ist. 3. Diese fallweise Abwägung ist auch dann angezeigt, wenn die Varianten der kanonischen Textüberlieferung eine Abweichung des kanonischen vom vorkanonischen Text nahelegen, obwohl die Häresiologen einen dem Mehrheitstext entsprechenden Wortlaut bezeugen. Denn die hier angenommene Interferenz zwischen der Überlieferung der beiden Ausgaben bedeutet zunächst, dass es in den jeweiligen Überlieferungsbereichen zu Abweichungen kommen kann, die sich dann innerhalb der kanonischen Textüberlieferung als charakterische Varianten niederschlagen, innerhalb der direkten häresiologischen Bezeugung für *Ev als widersprüchliches Zeugnis äußern. Diese Beobachtung ist hier also durch die Überlegung zu erweitern, dass diese Abweichungen erstens auch zwischen den beiden Bereichen möglich sind und dass sie auch dann identifizierbar sind, wenn die direkte Bezeugung nur durch einen einzigen Referenten sichergestellt ist. Anders ______________________________ 81 Dies ist beispielsweise der Fall bei den Varianten zu der in *Ev sicher fehlenden Täuferüberlieferung (Lk 3f) und ihren mt Entsprechungen, s. etwa zu: Lk 3,8.16f.19; 4,1.3f.5-12 usw. 82 Kleinere Veränderungen, die Spuren in der handschriftlichen Überlieferung hinterlassen haben, sind beispielesweise für *5,14.17.27.33 zu erwägen. Dagegen hat z. B. die mit hoher Wahrscheinlichkeit sekundäre Einfügung von Lk 15,1f, die das ganze Kapitel zu einer kohärenten Einheit mit einem klaren redaktionellen Konzept macht, keinen Niederschlag in den Handschriften gefunden: Sie war so dominant, dass sie durchweg rezipiert wurde (zur Begründung vgl. jeweils die Rekonstruktion z. St.). § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 117 gesagt: Sofern eine (direkte) häresiologische Bezeugung mit dem Mehrheitstext geht, ihr aber eine charakteristische Variante der Textüberlieferung entgegensteht, ist die Möglichkeit zu prüfen, ob die Variante den ursprünglichen Textbestand repräsentiert und der direkt bezeugte Text bereits durch die kanonische Formulierung kontaminiert ist. Einige Beispiele machen das Problem deutlich. Für *11,4 bezeugt Tertullian (4,26,4: quis mihi d e l i c t a dimittet) mit der Mehrheit der Handschriften (a aur f g 1 gat i l q r 1 M [f 1 ]) die Bitte: (καὶ ἄϕες ἡμῖν) τ ὰ ς ἁ μ α ρ τ ί α ς . Dageben haben D 2542 b c d ſſ 2 vg mss die auch aus Mt 6,12 bekannte Formulierung (καὶ ἄϕες ἡμῖν) τ ὰ ὀ ϕ ε ι λ ή μ α τ α . In diesem Fall stimmen das direkte Zeugnis und die sich aus dem Handschriftenbefund nahelegende Rekonstruktion also nicht überein. Da die Möglichkeit einer sekundären Beeinflussung der Lesart von D it usw. durch die synoptische Parallele Mt 6,12 unwahrscheinlich ist, wird Tertullians *Ev-Exemplar an dieser Stelle bereits durch die Überlieferung des kanonischen Textes beeinflusst sein, sodass die vorkanonische Formulierung mit D it usw. - und das heißt: gegen Tertullians Zeugnis! - τὰ ὀϕειλήματα gelautet haben wird. Ganz ähnlich liegt der Fall auch in *12,24: Tertullian (4,29,1: c o r v i non serunt …) las in *Ev die vom Mehrheitstext überlieferte Formulierung (κατανοήσατε) τ ο ὺ ς κ ό ρ α κ α ς , wogegen wieder D it (d e [f] l r 1 ) das aus Mt 6,26 bekannte τ ὰ π ε τ ε ι ν ὰ τ ο ῦ ο ὐ ρ α ν ο ῦ bieten. Auch hier ist die »mt« Formulierung ein Hinweis auf den ursprünglichen, vorkanonischen Text, wie in diesem Fall P 45 beweist, der die klassische Konflation bietet (τὰ πετεινὰ τοῦ οὐρανοῦ κ α ὶ τοὺς κόρακας): Das ist das charakteristische Verfahren, das sich beim Vergleich von Handschriften unterschiedlicher Ausgaben ergibt. Für *23,45 bezeugt wiederum Tertullian 83 mit fast der gesamten handschriftlichen Überlieferung das Zerreißen des Tempelvorhangs nach dem Tod Jesu. Nur der Cod. Bezae (D d) berichtet dieses Ereignis (in geringfügig anderer Formulierung) unmittelbar vor dem Tod Jesu, also in der der gleichen Ereignisfolge wie Mk 15,37f || Mt 27,50f. Auch in diesem Fall spricht alles für die Ursprünglichkeit der stärker abweichenden Fassung von D d: Denn wenn diese Abfolge die Vorlage für Mk (und Mt) war, ist deren Text gut erklärbar. Erst die lk Redaktion hat diese Aussage hinter die Mitteilung des Todes Jesu verschoben. Diese Maßnahme lässt sich auch gut nachvollziehen, weil sie Hand in Hand geht mit der ebenfalls redaktionellen Einfügung des Sterbewortes Jesu (Lk 23,46: πάτερ, εἰς χεῖράς σου παρατίθεμαι τὸ πνεῦμά μου). Auch diese Beispiele stehen für eine deutlich größere Zahl von Fällen, an denen die Rekonstruktionsentscheidung aufgrund des handschriftlichen Befundes gegen die direkte Bezeugung durch die Häresiologen zu fällen ist. 84 Mit Blick auf die methodische Grundannahme der Interferenz zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Textüberlieferung wird man noch nicht einmal sagen können, dass die Rekonstruktionsentscheidung für diese Fälle schwächer begründet ist als in den Fällen, für die eine widersprüchliche Bezeugung vorliegt. Denn in beiden ______________________________ 83 Tert. 4,42,5: et contenebrabit super terram. Scissum est et templi velum … 84 Vgl. beispielsweise noch die Rekonstruktion zu: *6,3; *8,45; *12,5.41.51.58; *21,26.37; *22,4; *23,46; *24,1.7.9.31 usw. 118 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche Fällen beruht die Entscheidung auf der gleichen methodischen Einsicht: Wenn es in der Bezeugung - für *Ev durch die direkten Referate, für den kanonischen Text durch die Handschriftenvarianten - signifikante Abweichungen gibt, dann spricht in der Regel alles dafür, dass die am weitesten vom Wortlaut des Mehrheitstextes entfernte Fassung den vorkanonischen Text repräsentiert. Diese Überlegung dient als Faustregel. Wie alle Faustregeln vor allem für textkritische Entscheidungen gibt sie eine generelle Richtung vor, darf aber nicht gepresst werden: Sie gilt nicht automatisch und nicht in allen Fällen. In den hier vorgestellten Beispielen ist ihre grundsätzliche Richtigkeit jeweils durch flankierende Beobachtungen gestützt, die nach Möglichkeit auch in den sonstigen Fällen Anwendung finden: In *11,4 ist die Lesart τὰ ὀϕειλήματα (D it usw.) durch die überlieferungsgeschichtliche Beobachtung zu der ersten Rezeption dieses vorkanonischen Wortlauts in Mt 6,12 gestützt. Für die Ursprünglichkeit von τὰ πετεινὰ τοῦ οὐρανοῦ in *12,24 (D it) gegen Tertullian spricht die textkritische Berücksichtigung der Konflation in P 45 . Und im letzten Beispiel lässt sich die Ursprünglichkeit der D- Variante gegen die direkte Bezeugung redaktionsgeschichtlich plausibilisieren. Erst der Verbund der verschiedenen methodischen Voraussetzungen erlaubt also eine halbwegs gesicherte Rekonstruktionsentscheidung. Da nicht in allen Fällen von abweichender Bezeugung solche hilfsweisen Beobachtungen zur Absicherung zur Verfügung stehen, besitzt das Urteil in diesen Fällen einen geringeren Grad an Zuverlässigkeit. c. Zur Rekonstruktion des Textes der Kanonischen Ausgabe Eine letzte Folgerung, die sich aus der grundsätzlichen Einsicht in die Interferenzen zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Textüberlieferung ergibt, bezieht sich auf die kritische Herstellung des kanonischen Textes als Teil des Neuen Testaments. Dies liegt vor allem an der grundsätzlichen Einsicht, dass tatsächlich zwei deutlich distinkte Textgestalten sichtbar werden, die durch eine Redaktion voneinander getrennt (oder: miteinander verbunden) sind: Die beiden Texte gehören unterschiedlichen Ausgaben an. 85 Die grundsätzliche Einsicht in die *Ev-Priorität vor dem kanonischen Lk-Evangelium macht daher die Folgerung unabweisbar, dass der Mehrheitstext von Lk im Rahmen der kanonischen Ausgabe des »Neuen Testaments« jünger ist als der Text von *Ev. Dies verändert die Grundlage für das textkritische Urteil zur Herstellung des kanonischen Textes in ganz entscheidender Hinsicht. Denn im Unterschied zu den Bemühungen der Textkritik des Neuen Testaments in den letzten 200 Jahren ______________________________ 85 Vgl. D. T ROBISCH , The Need to Discern Distinctive Editions of the New Testament in the Manuscript Tradition, in: K. Wachtel, M. W. Holmes (eds.), The Textual History of the Greek New Testament, Atlanta 2011, 43-48. § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 119 muss die Untersuchung nicht den ältesten erreichbaren, sondern den kanonischen Text aus der Fülle der Varianten herausfiltern. Dies ist beim Text der gängigen, kritischen Ausgaben jedoch nicht der Fall. Denn die textkritische Entscheidungsfindung basierte grundsätzlich auf der Überlegung, welche Lesarten sich als sekundäre Korrekturen oder Fortschreibungen anderer Lesarten plausibilisieren lassen und diese gegenüber jenen als »ursprünglich« erweisen. Dieses Vorgehen war solange völlig unproblematisch, als man die Identifizierung verschiedener Ausgaben des Textes nur als spätes Folgephänomen in den Blick nahm, die »den« Text des Neuen Testaments bereits voraussetzten. 86 Die Berücksichtigung verschiedener Ausgaben gewinnt jedoch dann größte textkritische Bedeutung, wenn man mit der Existenz einer vorkanonischen Ausgabe rechnet, die durch die kanonische Ausgabe bearbeitet und ersetzt wurde. Denn in diesem Fall führt die Identifizierung der jeweils ältesten Varianten nicht zum ursprünglichen kanonischen Text, sondern zu dessen vorkanonischer Gestalt. Dies ist in den kritischen Ausgaben des NT ganz offensichtlich der Fall: In vielen Beispielen haben die Herausgeber ihre Entscheidung nicht für die kanonischen, sondern für die »ursprünglichen« Varianten getroffen. Da hier nicht der Ort ist, die Grundlagen der neutestamentlichen Textkritik im Einzelnen zu besprechen, sollen einige allgemeine Überlegungen genügen. 1. Die erste betrifft die Korrelation zwischen der textgeschichtlichen Theoriebildung und den wichtigen kritischen Ausgaben sowie den Funden, auf denen sie beruhen. Tischendorfs große kritische Ausgabe (NT VIII ) 87 war wesentlich beeinflusst von seiner starken Berücksichtigung des Cod. Sinaiticus, der an vielen Stellen einen älteren Text zeigte, als ihn der Textus Receptus enthielt. Der Text von Westcott/ Hort 88 brachte demgegenüber insofern eine wichtige Neuerung, als hier zum ersten Mal an einigen wenigen, aber theologisch wichtigen Stellen die »Western Non-Interpolations« Berücksichtigung fanden, die dann auch in das »Novum Testamentum Graece« von Eberhard und Erwin Nestle (1898/ 1927) übernommen wurden, deren Text bis zur 25. Auflage (1963) bestimmend blieb. Eine der wesentlichen Neuerungen des seit der 26. Auflage gebotenen Textes (jetzt des »Nestle-Aland« von 1979) betraf wieder die »Western Non-Interpolations« und beruhte auf dem Bekanntwerden des P 75 : Die eckigen Doppelklammern , ______________________________ 86 Dies ist beispielsweise (und vollkommen unproblematisch) bei der »Byzantinischen Ausgabe« des NT der Fall. Vgl. etwa K. W ACHTEL , Der byzantinische Text der Katholischen Briefe, Berlin - New York 1995. 87 Novum Testamentum Graece ad antiquissimos testes denuo rec. etc. C. de Tischendorf I-III/ 3. Editio Octava Critica Maior, Leipzig 1869-1894. 88 B. F. W ESTCOTT , F. J. A. H ORT , The New Testament in the Original Greek I-II, Cambridge - London 1881. 120 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche die den darin eingeschlossenen Text als mutmaßlich sekundär gekennzeichnet hatten, verschwanden wieder. Denn P 75 (= P. Bodmer XIV/ XV; Ende 2./ Anfang 3. Jh.) repräsentiert einen Text, der sehr eng mit dem »alexandrinischen« Text, wie er vor allem durch den Vaticanus repräsentiert ist, zusammengeht und folglich diesen »Texttyp« schon für die Zeit um 200 n. Chr. sicherstellt. Vor allem Kurt Aland hatte daraus die grundsätzliche Überlegenheit des »alexandrinischen« über dem »Westlichen« Text gefolgert und sich bemüht, anhand innerer Kriterien den sekundären Charakter der Western Non-Interpolations darzulegen. 89 Dass diese Schlussfolgerung so einfach nicht ist, zeigen zunächst diejenigen Stellen, an denen P 75 mit dem »Westlichen Text« zusammen geht (z. B. 12,39; 22,43f). P 75 belegt also das Nebeneinander von »Westlichen« und »alexandrinischen« Lesarten. Unter der von Aland geteilten Prämisse der »Ursprünglichkeit« des kanonischen Textes (in seiner »alexandrinischen« Form) ließ sich dieses Phänomen nur als »buntes Gemenge« derjenigen Lesarten verstehen, »die später die ›Rezensionen‹ charakterisierten«. 90 Aland verstand also gerade die Disparatheit der »Westlichen« Überlieferung als Argument für ihren sekundären Charakter. Alands Urteil trifft daher zwar im Ergebnis zu, ist aber in der Begründung problematisch. Denn es lässt sich so gut wie nie plausibel machen, dass die »Western Non- Interpolations« auf sekundäre Streichungen zurückgehen sollten: Aus den von Aland geltend gemachten »inneren Gründen« spricht alles für ihre Ursprünglichkeit. Andererseits ist in fast allen Fällen die handschriftliche Bezeugung des Mehrheitstextes (vor allem seit dem Bekanntwerden des P 75 ) so breit und »gut«, dass man nicht an erst sekundäre Ergänzungen der durch die »Westlichen« Handschriften bezeugten Varianten glauben mag. Diese widersprüchliche Ausgangslage hat sich in den uneinheitlichen Voten des Editorial Committee von NA 26/ 27 und GNT 3/ 4 niedergeschlagen. 91 Tatsächlich haben in der Regel beide Voten - für und gegen die Ursprünglichkeit der »Westlichen« Lesarten - Recht: Auf der einen Seite sind die »Westlichen« Lesarten Relikte des älteren, vorkanonischen Evangelientextes, die in den Handschriften des kanonischen Lk-Textes nicht konsequent getilgt wurden: Sie zeigen den vergleichsweise älteren und in diesem Sinne »ursprünglichen« Text. Auf der anderen Seite sind die Lesarten des Mehrheitstextes demgegenüber zwar sekundär, im Rahmen der Kanonischen Ausgabe aber in der Tat »ursprünglich«: Sie sind ein originaler Teil des kanonischen Neuen Testaments. Da die kritischen Ausgaben den Anspruch haben, diesen kanonischen Text zu rekonstruieren, gehören diese »sekundären« Lesarten zu Recht in den Text. ______________________________ 89 K. A LAND , Die Bedeutung des P 75 für den Text des Neuen Testaments, in: ders., Studien zur Überlieferung des Neuen Testaments und seines Textes, Berlin 1967, 155-172: 162ff. 90 A LAND , a. a. O. 155. 91 Vgl. B. M. M ETZGER , A Textual Commentary on the Greek New Testament, Stuttgart 2 1994, der für nahezu alle »Westlichen« Lesarten neben der Einschätzung der Mehrheit der Herausgeber auch ein abweichendes »minority vote« registriert. § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 121 2. Sofern man nicht mit der Möglichkeit einer vorkanonischen Ausgabe rechnet, hat die Suche nach dem ältesten Text eine Konsequenz, die in der textkritischen Arbeit der letzten Jahrzehnte eine große systemimmanente Bedeutung gewonnen und sich besonders in der »lokalgenealogischen Methode« niedergeschlagen hat. Denn die Suche nach den relativ ältesten Lesarten hat das Profil einzelner Handschriften innerhalb der Gesamtüberlieferung sichtbar werden lassen, das ihren »Textwert« zu bestimmen versprach: Wenn einzelne Handschriften eine signifikante Zahl »älterer« Lesarten enthielt, stieg ihr relativer Textwert gegenüber anderen Handschriften, die deutlich weniger oder gar keine »älteren« Lesarten enthielt. Der Apparat von NA 26/ 27 zeigt die Früchte der umfassenden und äußerst mühseligen Variantenanalyse in der Auswahl der »ständigen Zeugen« und in vielen einzelnen textkritischen Einzelentscheidungen. Das auf diese Weise entstandene Bild des »ältesten« Textes einer eklektischen Ausgabe ist jedoch irreführend, wenn die Gesamtüberlieferung durch die Spuren eines vorkanonischen Textes kontaminiert ist: Die methodische Annahme der Interferenz zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Überlieferung hebt die Grundlagen der »Textwertbestimmung« auf und führt gerade bei den wichtigsten Zeugen zu einer wesentlichen Korrektur. Denn die relativ »ältesten« Lesarten sind häufig genug Ausdruck nicht des kanonischen Textes, sondern des vorkanonischen. Wenige Beispiele verdeutlichen das Problem. In Lk 12,25 ist (πῆχυν) ἕ ν α wahrscheinlich eine sekundäre Ergänzung der lk Redaktion (s. dort). Diese Lesart wird von der Mehrheit der Handschriften ( א 1 A L Q W Θ Ψ 070 f 1.13 33 a aur b c e f q r 1 sy M ) vertreten, während wenige andere Zeugen ( P 45.75 א * B D d ſſ 2 i l) den weniger spezifischen Text (ohne ἕνα) bieten. NA 27 / GNT 4 folgen der Lesart dieser Zeugen mit hohem »Textwert«. Sie repräsentieren damit jedoch sehr wahrscheinlich nicht den kanonischen, sondern den vorkanonischen Text. Lk 12,39 ἐγρηγόρησεν ἂν καί fehlt in P 75 א * D it sy, wird aber ansonsten von der gesamten Überlieferung bezeugt. Da die kurze Lesart durch Tertullian und Epiphanius bereits für *Ev bezeugt ist, ist sie tatsächlich älter als die des Mehrheitstextes, gehört aber dem vorkanonischen, nicht dem kanonischen Text an. Es ist wohl dem P 75 und א * zugeschriebenen »Textwert« geschuldet, dass NA 27 / GNT 4 die kürzere, aber vermutlich vorkanonische Fassung in den Text aufgenommen haben und den Mehrheitstext als mt Paralleleinfluss erklären. Lk 20,23 τί με πειράζετε, ὑποκριταί ist von der Mehrheit der Handschriften bezeugt. Die zahlenmäßig schwächer bezeugte Lesart ohne diese Wendung ( א B L e usw.) ist in den Text von NA 27 / GNT 4 aufgenommen: Die längere Lesart lässt sich gut als Bearbeitung der kürzeren verstehen, kaum aber umgekehrt. Sie beruht auf einer Anpassung an die synoptischen Parallelen (Mt 22,18 || Mk 12,15), zeigt also genau das ansonsten durch p) angezeigte Phänomen der »Synoptischen Konformierungen«, das jedoch nicht auf die Aktivität einzelner Kopisten zurückzuführen ist, sondern auf die lk Redaktion im Rahmen der Kanonischen Ausgabe. 122 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche Lk 22,31 v. l. stellt das umgekehrte Beispiel dar: Die Einleitung der Ankündigung der Verleugnung des Petrus enthält in der Mehrheit der Handschriften die Wendung εἶπεν δὲ ὁ κύριος ( א A D W Θ Ψ f 1.13 lat sy (c.p).h bo mss M ). NA 27 / GNT 4 haben diese Variante jedoch nicht in den Text aufgenommen und folgen hier dem Text von P 75 B L T 1241 2542 c sy s co ohne die Einleitung. Dass diese Wendung auf die lk Redaktion zurückgeht, ist wegen der auktorialen Verwendung von ὁ κύριος sehr wahrscheinlich. Ein auch nur kursorischer Blick in den Apparat von NA 27 genügt, um eine große Zahl entsprechender Belege zu Tage zu fördern: Die hohe Wertschätzung der Herausgeber für die jeweiligen Minderheitslesarten (vor allem von P 75 , Sinaiticus, Vaticanus und anderen) ist offenkundig. In den meisten Fällen ist das textkritische Urteil als Entscheidung für den mutmaßlich älteren Text auch ohne weiteres nachvollziehbar. Aber der auf diese Weise erstellte Text entspricht nicht dem des Lk-Evangeliums, das Teil der Kanonischen Ausgabe des Neuen Testamentes ist, sondern dem des vorkanonischen *Ev: Unter der Annahme, dass dem kanonischen Text eine vorkanonische Ausgabe zugrunde lag, die in der kanonischen Textüberlieferung ihre Spuren hinterlassen hat, ist der Textus Receptus (Oxford 1873) mit seinen vielen Mehrheitslesarten dem ältesten kanonischen Text aufs Ganze gesehen näher als der Text der kritischen Ausgaben. Dass die hier verwendete Bezeichnung »Mehrheitstext« (sowie die Sigle M in der Rekonstruktion und der Variantenliste) einigermaßen unscharf bleibt, ist dabei durchaus beabsichtigt: Weder das genaue Profil seines Textbestandes noch die wichtigsten Handschriften, die ihn repräsentieren, lassen sich eindeutig bestimmen; in beiden Aspekten werden nur Annäherungen möglich sein, aber auch die erfordern ein großes Maß an analytischer Arbeit, die erst noch zu leisten wäre. 3. Diese Überlegungen beziehen sich zunächst nur auf den vorkanonischen *Ev-Text und seine Einwirkung auf die handschriftliche Überlieferung des kanonischen Lk. Es lässt sich aber ohne weiteres vorstellen, dass Entsprechendes auch für andere Überlieferungsbereiche zutrifft. Denn es ist ja schon deutlich geworden, dass sowohl das Mkals auch das Mt-Evangelium in vorkanonischen Fassungen existierten (s. u. § 14). Deren Textüberlieferung enthält ebenfalls zahlreiche »Westliche« und andere Minderheitslesarten, zu deren prominentesten der Mk-Schluss in 16,8 gehört. 92 Sehr viel wichtiger ist vermutlich, dass das Verhältnis zwischen der marcionitischen Apostolosausgabe und den kanonischen Paulusbriefen auf eine Weise zu bestimmen ist, die dem Verhältnis *Ev-Lk entspricht. Sofern sich die Priorität der marcionitischen Apostolosausgabe gegenüber den kanonischen Paulusbriefen erweisen lässt, steht zu erwarten, dass es eine ähnliche Interferenz zwischen ______________________________ 92 Die Zurückhaltung der Herausgeber gegenüber Mk 16,9-20, die sich in der Kennzeichnung durch eckige Klammern zeigt, ist also unangebracht: Es handelt sich um einen Teil des kanonischen Mk. § 5: Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung 123 der vorkanonischen und der kanonischen Überlieferung der Paulus-Handschriften gibt: Hier eröffnet sich ein ungeahnt weites Feld für die neutestamentliche Textkritik. 93 * Die hier angedeuteten textkritischen Überlegungen gewinnen ihre Plausibilität allerdings ausschließlich unter den Voraussetzungen, dass *Ev erstens tatsächlich ein vor-lk Text ist und dass zweitens der für *Ev bezeugte Text sich tatsächlich in großem Umfang in (den Varianten der) kanonischen Textüberlieferung niedergeschlagen hat. Die erste Voraussetzung der *Ev-Priorität vor Lk ist daher zunächst eingehend zu begründen (§§ 6-8). Die zweite muss im Durchgang der Rekonstruktion von *Ev (Anhang I) auf Schritt und Tritt überprüft und nachgewiesen werden. In dem Maß, in dem dieser Nachweis gelingt, gewinnt eine zentrale methodische Grundeinsicht an Plausibilität: Die Felder der Textkritik auf der einen Seite und der Überlieferungs- und Redaktionskritik auf der anderen, die in den letzten 100 Jahren faktisch getrennt bearbeitet wurden, müssen aus zwingenden methodischen Gründen enger aufeinander bezogen und wieder zusammengeführt werden. ______________________________ 93 Zwei aktuelle Dissertationen spezifizieren dieses Modell und stützen die Priorität der marcionitischen Sammlung vor der kanonischen Ausgabe für den Rm und den Eph, vgl. A. G OLDMANN , Über die Textgeschichte des Römerbriefs, Tübingen 2020; T. F LEMMING , Die Textgeschichte des Epheserbriefes. Eine neue Perspektive auf den Laodicenerbrief der 10-Briefe-Sammlung (Diss. phil. TU Dresden 2019; demnächst in der TANZ-Reihe). III. Da s literaris che Verhältnis zwis chen *Ev und Lk § 6: Die Aporien der Lk-Priorität Die bisherigen Überlegungen zu *Ev, zu seiner Bezeugung durch die altkirchlichen Häresiologen und zu seinem Text haben ein komplexes Dilemma offenbar gemacht: Einerseits bekräftigen die Häresiologen übereinstimmend, dass Marcion das kanonische Lk-Evangelium redaktionell nach seinen theologischen Vorstellungen bearbeitet - es also »verfälscht«, »beschnitten« und »verstümmelt« - habe. Andererseits impliziert ihre eigene Beweisführung, dass die dafür anzunehmende Korrelation von Text und Theologie Marcions gar nicht zu erweisen ist. Vielmehr stellen Irenaeus, Tertullian und Epiphanius pointiert fest, dass Marcions Evangelium geeignet sei, seine eigene Theologie zu widerlegen. Ein ähnliches Bild zeigen die Überlegungen zum Text von *Ev. Denn die weitreichenden Affinitäten zwischen *Ev und dem »Westlichen Text« (D it sy) und darüber hinaus stellen unter der Annahme einer marcionitischen Redaktion des kanonischen Lk ein unlösbares Problem dar: Auf der einen Seite ist es unvorstellbar, dass der von Marcion redigierte, »verfälschte« Text in über 400 Fällen die »katholische« Textüberlieferung beeinflusst haben soll. Auf der anderen Seite versagt Harnacks Lösung einer Unterscheidung zwischen einer großen Zahl »neutraler« Übereinstimmungen (die auf einen gemeinsamen, vormarcionitischen Text zurückgehen) und einigen wenigen »tendenziösen« Änderungen, mit denen *Ev die »Westlichen« Zeugen beeinflusst haben sollte: Sie ist nicht nur methodisch undurchführbar, sondern würde auch voraussetzen, dass der heftig bekämpfte Text des »Häretikers« gerade mit den ihm vorgeworfenen Textveränderungen auf den katholischen Text eingewirkt haben sollte. Beiden Aporien liegt dieselbe, in der Regel nicht weiter begründete Annahme zugrunde, dass Marcion das kanonische Lk-Evangelium aus theologischen Gründen bearbeitet habe. Doch führt die Annahme der Lk-Priorität noch zu weiteren Schwierigkeiten. Wenigstens die wichtigsten dieser Aporien sind hier kurz zu besprechen, weil sie deutlich machen, welche Aspekte eine Lösung zu berücksichtigen hat. 1. Die Inkonsistenz der angeblichen Redaktion Marcions Es ist oben (S. 44f) schon deutlich geworden, dass die Häresiologen bei ihrem Versuch, Marcion durch den Nachweis von Widersprüchen zwischen seinem Bibeltext und seiner Theologie zu widerlegen, selbst einen fundamentalen Widerspruch produziert haben: Auf der einen Seite bescheinigen sie Marcion, dass er alles, was seiner Lehre entgegensteht, gestrichen und nur zurückbehalten habe, was mit seiner Lehre 128 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk übereinstimmt. 1 Auf der anderen Seite widerlegen sie seine Theologie auf der Basis seines eigenen Evangelientextes. Tertullian hatte die Inkonsequenz dieser Argumentation selbst bemerkt und erklärt: Marcion habe absichtlich manches stehen lassen, was seiner Theologie zuwiderlief, um durch diese Inkonsistenz den Eindruck zu erwecken, er habe überhaupt keine Bearbeitung vorgenommen (Tert. 4,43,7). Diese höchst gewundene Erklärung löst das Problem aber nicht, sondern stellt es nur in aller Schärfe heraus: Das Beweisverfahren hebt seine eigenen Grundlagen auf. Die Polemik von Tertullians Erklärung ist zwar aus seiner Situation der aktuellen Auseinandersetzung mit den Marcioniten gut verständlich. Aber ihre argumentative Schwäche ist deshalb ja nicht aufgehoben. Sie wurde erst mit dem Aufkommen der historischen Kritik offenkundig und gewann eine grundsätzliche, methodische Bedeutung in der frühen wissenschaftlichen Diskussion der literarischen Beziehung zwischen Lk und *Ev. 2 Johann Salomo Semlers frühe Nachfolger haben ihre Kritik an der Lk-Priorität vor allem mit dem Fehlen eines entsprechenden redaktionellen Konzeptes begründet: Fast gleichzeitig und unabhängig voneinander haben Heinrich Corrodi und Josia Fr. Chr. Löffler als erste diese Inkonsequenz zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen gemacht. Corrodi argumentierte, dass Marcion diejenigen Passagen nicht hätte stehen lassen, die Tertullian und Epiphanius zu seiner Widerlegung heranziehen. 3 Aus diesem Grund (und weil Joh der Tendenz des Marcion viel eher entsprochen hätte als Lk) folgerte er, dass Marcion die kanonischen Evangelien überhaupt nicht gekannt habe, und dass das marcionitische Evangelium eine ältere (heidenchristliche) Schrift sei, die dem kanonischen Lk zugrunde liege und in diesem durch judaisierende Stücke ergänzt sei. Bereits kurz zuvor hatte Löffler den Verdacht geäußert, »dass Marcion nicht das Lukas-, sondern ein anderes Evangelium benutzt habe, dem gleichwohl in weiten Teilen ______________________________ 1 Tert. 4,6,2. 2 S. o. S. 13f. 3 H. C ORRODI , Versuch einer Beleuchtung der Geschichte des jüdischen und christlichen Bibelkanons I/ II, Berlin/ Stet[t]in 1788 - Halle 1792: »Wer nun alles, was beide Kirchenväter (sc. Tertullian und Epiphanius) von diesem Aufsatz zu melden für gut befunden haben, ganz unparteyisch prüft, kann unmöglich wahrscheinlich finden, daß dieser Aufsatz des Marcion das Evangelium Lucas gewesen, welches Marcion zu seinem Zweck umgearbeitet und verstümmelt habe. Wenn Marcion diese Veränderungen gemacht hätte, so würde er, um diesen Aufsatz zur Begünstigung seiner Meinungen brauchbar zu machen, weit mehrere und zum Theil ganz andere Stücke weggeschnitten haben, als darin wirklich mangelten. Er würde seinen Gegnern nicht so viel Waffen übrig gelassen haben, die sie aus seinem Evangelium holten, und wider ihn gebrauchten. Er ließ ja so vieles stehen, daß wider seine Meinungen stritt« (II 169). § 6: Die Aporien der Lk-Priorität 129 eine große Ähnlichkeit mit jenem gemeinsam ist; von daher ist er vom Verbrechen der Verfälschung des Evangeliums freizusprechen.« 4 Löffler hatte die marcionitische Redaktion des Lk bezweifelt, weil in Marcions Evangelium auch solche Passagen fehlten, die seiner Position gar nicht widersprächen: »Am Ende schließlich darf man wohl nicht an dem vorübergehen, was in dieser Sache beinahe am schwersten wiegt, dass nämlich der Grund gerade nicht erkannt werden kann, aus dem Marcion dazu bewegt wurde, sich den Büchern des Lukas und des Paulus zur Interpolation zu nähern. Denn das, was von den kirchlichen Schriftstellern berichtet wird, dass dieser nämlich alles weggeschnitten und verändert hätte, was seinem System entgegen war, aber hinzugefügt habe, was ihm günstig war - das verflüchtigt sich bei einigermaßen genauer Erörterung fast ganz.« Löffler fasste seine Beobachtungen zusammen: »Erstens nämlich hat er (sc. Marcion) offenbar so viele Stellen intakt gelassen, dass sowohl Tertullian als auch Epiphanius in ihnen selbst ausreichend viel Material fanden, das sie als übriggelassen bezeichnen, um ihn zu widerlegen. Sodann sehen wir anderes von seinem Evangelium fehlen, von dem nicht einsichtig ist, warum er es in seiner Zusammenstellung ausgelassen hat, z. B. Luc. 15 das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Schließlich soll er anderes hier dazugetan haben, was ihm entgegengesetzt ist, z. B. Luc 17,14.« 5 Genau diese Überlegungen ließen Johann Ernst Chr. Schmidt nur wenig später urteilen, unter der Annahme der Lk-Priorität müsste Marcion ja »seinem Zwecke entgegen! « geändert haben. Er äußerte als erster die »Vermuthung«, dass das marcionitische Evangelium »das ächte Lukasevangelium« sei, aus dem durch weitere Zusätze das kanonische Lk-Evangelium entstanden wäre 6 - das ist die Theorie der *Ev-Priorität, die später von Albrecht Ritschl ausführlich begründet wurde. 7 Das Problem der Inkonsistenz der angenommenen Redaktion Marcions wurde jedoch von den Vertretern der Lk-Priorität nie gelöst: Es geriet bereits in der Mitte des 19. Jh. in Vergessenheit und wurde seither nur am Rande behandelt. Gleichwohl ist es methodisch von größtem Gewicht. Denn wenn *Ev das redaktionelle Konzept nicht erkennen lässt, das überhaupt erst zu seiner Herstellung geführt haben soll, dann ist die Annahme einer entsprechenden redaktionellen Bearbeitung insgesamt obsolet: Es gibt keinen Grund mehr, überhaupt eine Bearbeitung des kanonischen Lk-Evangeliums durch Marcion zu postulieren - abgesehen natürlich von den diesbezüglichen Beteuerungen der Häresiologen. Aber denen steht zumindest der umgekehrte Vorwurf Marcions entgegen. ______________________________ 4 J. F R . C HR . L ÖFFLER , Marcionem Paulli epistulas et Lucae evangelium adulterasse dubitatur, in: Commentationes theologicae I, Leipzig 1795, 180-218: 205); Löfflers Untersuchung erschien zuerst 1788 in Frankfurt/ O. 5 L ÖFFLER , a. a. O. 216f. 6 J. E. C HR . S CHMIDT , Das ächte Evangelium des Lucas, eine Vermuthung, Magazin für Religionsphilosophie, Exegese und Kirchengeschichte 5 (1796) 468-520: 483. 7 A. R ITSCHL , Das Evangelium Marcions und das kanonische Evangelium des Lucas, Tübingen 1846 (passim). Zur Reaktion auf Ritschl vgl. o. S. 15ff. 130 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk Nun lässt sich argumentieren, dass Marcion bei seiner angenommenen Redaktion nicht so sorgfältig und konsequent vorgegangen sein musste, wie man es ihm aufgrund der häresiologischen Kritik zu unterstellen geneigt ist. Dieses Argument, das schon vor 150 Jahren in der Auseinandersetzung zwischen Volckmar und Ritschl eine Rolle gespielt hatte, 8 tauchte 70 Jahre später bei Harnack wieder auf: Er räumte für Marcions redaktionelles Verfahren einen Mangel an Konsequenz ein und zog zugleich in Erwägung, dass Marcion später noch eine genauere Revision seiner textkritischen Arbeit geplant haben könnte. 9 Es ist Harnack gar nicht aufgefallen, dass er sich mit diesem Eingeständnis die methodische Grundlage seiner eigenen Rekonstruktion der Theologie Marcions und der damit begründeten Redaktion des kanonischen Evangeliums entzogen hatte. 10 Tertullian hatte in dieser Frage methodisch klarer gedacht: Ihm war der implizierte Selbstwiderspruch nicht entgangen, auch wenn er ihn kaum befriedigend auflösen konnte. Neben den methodischen Defiziten gibt Harnacks Hinweis auf die curae repetitae zu erkennen, dass er Marcions Redaktion primär als Interpolationskritik verstand, die - anders, als es ihm die Häresiologen durchweg vorwarfen - gar nicht auf einem theologisch begründeten Konzept beruhte: Marcion habe seine Bearbeitung nicht als theologischer Überzeugungstäter und als »Enthusiast« durchgeführt, sondern »auf innere Gründe sich stützend, lediglich mit den Mitteln der Philologie« 11 - Harnacks Marcion war als Reformator in erster Linie ein wissenschaftlich arbeitender Restaurator des ursprünglichen Textes. Dieses Bild Marcions (das Harnack selbst keineswegs konsequent voraussetzt! ) sieht auf den ersten Blick wie ein Selbstporträt des erfahrenen Herausgebers und Textkritikers Harnack aus; aber das muss ja nicht notwendig gegen seine Richtigkeit sprechen. Seine Bedeutung liegt prima facie darin, dass die Annahme einer »rein philologischen« Interpolationskritik ein konsistentes, redaktionelles Konzept überflüssig zu machen ______________________________ 8 Vgl. A. R ITSCHL , Über den gegenwärtigen Stand der Kritik der synoptischen Evangelien, ThJb 10 (1851), 530 (vgl. o. S. 17, Anm. 50). 9 H ARNACK 44 Anm. 1: »Wäre M. bei seiner Textkritik stets konsequent verfahren, so ließen sich ex analogia unter den von Tert. übergangenen Abschnitten und Versen nicht wenige bezeichnen, die gefehlt haben müssen. Allein diese Schlüsse sind unsicher, da M. nicht immer konsequent gewesen ist, wie nicht wenige Stellen beweisen, die ihm deutlich ungünstig sind und die er doch stehen gelassen hat. Vielleicht hatte er auch curae repetitae sich vorbehalten« (Hervorhebung M. K.). 10 Ähnlich J. M. L IEU , Marcion and the Synoptic Problem, in: P. Foster (ed.), New Studies in the Synoptic Problem, Leuven u. a. 2011, 731-751: 747, die davor warnt, das Argument der »consistency in ancient authors« zu strapazieren. Abgesehen davon, dass es zu allen Zeiten bessere und schlechtere Texte gab, ist das Argument wenig tragfähig. Denn die Häresiologen behaupten ja nicht, dass Marcion der Autor seines Evangeliums ist, sondern dass er alles daraus beseitigte, was ihm daran nicht passte: Für diese Art von Autorschaft wäre eine etwas größere inhaltliche Kohärenz im produzierten Text schon zu erwarten - und zwar auch in der Antike. 11 H ARNACK 42f (Hervorhebung im Original). § 6: Die Aporien der Lk-Priorität 131 scheint, das einer inhaltlichen Redaktion zugrunde liegen und sich daran auch erweisen lassen müsste. Harnacks These, dass Marcions angebliche Redaktion eine rein philologische Interpolationskritik gewesen sei, ist bis in die Gegenwart rezipiert und wiederholt worden. 12 Schon länger hatte Robert M. Grant das dafür angenommene Verfahren ausführlich begründet, weswegen sich die Besprechung sinnvollerweise auf ihn bezieht. 13 Grant argumentiert, Marcion habe seine Rezension im Horizont und mit den Mitteln der philologischen Wissenschaft seiner Zeit durchgeführt: Ein solches wissenschaftliches Verfahren sei vielleicht nicht objektiv, aber doch frei von dem Geruch eigenmächtiger Manipulationen des kanonischen Textes. Bei diesem Bild methodisch kontrollierter Wissenschaftlichkeit stand die alexandrinische Philologie Pate. Deren Methode der »inneren Textkritik«, die in der aristarchischen Maxime »Homer (allein) aus Homer (interpretieren)« ihren prononcierten Ausdruck gefunden hat, 14 liefert die erkenntnisleitende Analogie. Denn gemäß der an Homer und anderen Klassikern erprobten Methode ließen sich Texte auch dann von späteren Zusätzen »reinigen«, wenn dafür - wie im Fall Marcions - keine Vergleichstexte zur Verfügung standen. Grants Übertragung des alexandrinischen Verfahrens auf Marcion setzt das seit Harnack bekannte Modell voraus, demzufolge Marcion der Ansicht war, das eine, ursprüngliche Evangelium durch Beseitigung der »judaistischen Zusätze« wiederherstellen zu müssen. Aus diesem Grund seien - ganz analog zu zahlreichen Homerinterpolationen - vor allem die »legendarischen Erweiterungen« (z. B. in den Kindheitsgeschichten) und anderes zu streichen gewesen. 15 Es ist Grant zweifellos gelungen, das für Marcion angenommene Verfahren in den weiteren Rahmen antiker Interpolationskritik einzuordnen und ihm auf diese ______________________________ 12 Zuletzt C HR . M ARKSCHIES , Kaiserzeitliche christliche Theologie und ihre Institutionen, Tübingen 2007, 245-261; bes. 254f. Markschies’ Behauptung, Marcion habe nach Tertullians Ansicht »also eine philologische Maßnahme an einem Text vorgenommen, nämlich Einfügungen (interpolationes)« (ebd. 252), beruht auf einem Irrtum, denn Tertullian geht im Gegenteil davon aus, dass Marcion das kanonische Evangelium verkürzt und es »wie eine Ratte zerfressen« habe (Tert. 1,1,5 u. ö.). Das Stichwort der »Interpolation« stammt aus dem von Markschies unmittelbar zuvor erwähnten Vorwurf der Marcioniten (! ) gegen das katholische Evangelium (Tert. 4,4,4: interpolatum a protectoribus Iudaismi ad concorporationem legis et prophetarum; s. dazu u. S. 149f). Kritisch gegen diese Vorstellung der angeblichen Redaktion Marcions »in der Tradition alexandrinischer Editionsphilologie« äußert sich B. A LAND , Was heißt »Kanonisierung des Neuen Testaments«? , in: E.-M. Becker, S. Scholz (Hg.), Kanon in Konstruktion und Dekonstruktion, Berlin - Boston 2012, 519-545: 523f. Sie verortet Marcion »eher in der Tradition handwerklicher, beruflich solider Kopisten des Neuen Testaments«: Sein Vorgehen entspreche in der Tendenz »durchaus der Methode von Schreibern«, was am Ende die mangelnde Systematik solcher ad hoc-Änderungen erkläre (ebd. 524). 13 R. M. G RANT , Marcion and the Critical Method, in: P. Richardson, J. C. Hurd (eds.), From Jesus to Paul, Waterloo 1984, 207-215; DERS ., Heresy and Criticism, Louisville 1993, 33-46. 14 G RANT , Marcion and the Critical Method 212f. Vgl. dazu R. P FEIFFER , History of Classical Scholarship from the Beginnings to the End of the Hellenistic Age, Oxford 1968, 225ff. 15 G RANT , Marcion and the Critical Method 213f; DERS ., Heresy and Criticism 36-41. 132 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk Weise historische Plausibilität zu verleihen - ganz abgesehen davon, dass er dabei zahlreiche hellenistische Belege für das exegetische Prinzip scriptura sui ipsius interpres zusammenstellt. Allerdings ist damit für das Problem der fehlenden Konsistenz von Marcions angenommener Bearbeitung nichts gewonnen. Zwei methodische Überlegungen zu dieser Lösung sind in dieser Hinsicht wichtig. Zunächst fällt Grants höchst eigenwilliger Umgang mit dem Zeugnis der Häresiologen auf: Auf der einen Seite akzeptiert er ihre grundsätzliche Aussage, dass Marcion eine Rezension des kanonischen Lk-Evangeliums hergestellt habe. Denn dass Marcion überhaupt die Bearbeitung eines Evangeliums unternahm, weiß auch Grant nur aus den entsprechenden häresiologischen Hinweisen der patristischen Quellen. Auf der anderen Seite aber verwirft er die Erklärung genau derselben Quellen, dass diese Bearbeitung theologisch begründet gewesen und auf ein inhaltliches Konzept zurückzuführen sei. Da die Häresiologen diese beiden Aspekte immer als zwei Seiten einer Medaille unmittelbar miteinander verbunden haben, stellt ihre widersprüchliche Bewertung ein gravierendes Problem dar. Wohlgemerkt: Der Einwand gegen Grants Argumentation richtet sich nicht gegen seine Kritik der patristischen Quellen, sondern darauf, dass er in diesen Quellen zwischen glaubwürdigen und unglaubwürdigen Informationen differenziert - und dabei durchaus unkritisch verfährt, weil er nicht zeigt, auf welchen Kriterien diese Unterscheidung eigentlich beruht. Anders gesagt: Wer den Häresiologen die eine Seite ihres Vorwurfs bestreitet, sollte doch angeben können, warum er die andere Seite so ohne weiteres akzeptiert. Eine zweite Beobachtung wiegt schwerer. Denn das philologische Verfahren der alexandrinischen Interpolationskritik ist, unbeschadet seiner Bezeichnung als Textkritik und auch unabhängig von dem wissenschaftlichen Selbstverständnis der Kritiker, genau das, was die moderne Exegese nicht als Text-, sondern als Quellen- oder Literarkritik bezeichnet. Denn die Beseitigung von Interpolationen gemäß der aristarchischen Maxime »Homer allein aus Homer« (oder, auf Marcion gewendet: »Das Evangelium allein aus dem Evangelium«) zu interpretieren, setzt eine Unterscheidung von Ursprünglichem und späteren Zusätzen voraus, die nicht auf einem Vergleich von Texten basiert. Die Identifizierung von Ursprünglichkeit ist vielmehr vollständig von denjenigen »inneren Gründen« abhängig, die schon Harnack dafür geltend gemacht hatte. Die Kritik beruht folglich auf nichts anderem als dem Bild, das sich der Interpolationskritiker (in unserem Fall also Marcion) von dem ursprünglichen Text gemacht hätte: Genau dieses »Bild des Ursprünglichen« aber wäre ein redaktionelles Konzept, wobei es keine Rolle spielt, ob dieses Bild philologisch, theologisch oder noch auf andere Weise konstituiert ist. Da jede Interpolationskritik eine solche Projektion des Ursprünglichen voraussetzt, § 6: Die Aporien der Lk-Priorität 133 lässt sie sich nur in dem Maß nachweisen, in dem ein konsistentes Bearbeitungskonzept mit einem klar erkennbaren Profil plausibel gemacht werden kann. Auch Grants Behandlung der marcionitischen Bearbeitung substituiert ein solches Konzept, das jedoch, seinem eigenen Ansatz entgegen, nicht durch sprachlich-formale, sondern ganz selbstverständlich durch theologisch-inhaltliche Kriterien konstituiert ist. 16 Aber der Nachweis genau dieses Konzeptes gelingt für *Ev notorisch nicht. Dies sieht im Ergebnis auch Grant nicht anders. Denn wenn er Marcions »philologische« Konjekturen als »durchaus unglücklich« bewertet und seinem philologischen Verfahren bescheinigt, keine »signifikanten Resultate« hervorgebracht zu haben, 17 dann bestätigt er genau dieses Defizit: Der Text von *Ev lässt kein Konzept erkennen, das Marcions interpolationskritische Bemühungen angeleitet haben könnte. Oder umgekehrt: Die einzelnen Änderungen, die Marcion vorgenommen haben soll, fügen sich nicht zu einem plausiblen Gesamtbild. Die Annahme einer philologischen Rezension (deren grundsätzliche Möglichkeit Grant für Marcions Zeit gezeigt hatte) besitzt daher die gleiche Voraussetzung wie die häresiologische Behauptung einer theologisch begründeten Manipulation des kanonischen Textes. Und sie scheitert aus dem gleichen Grund wie diese: Dem marcionitischen Evangelium fehlt die für beide Rezensionsverfahren erforderliche Konsistenz. Die von Harnack, Grant und anderen vertretene Vorstellung einer philologischen Interpolationskritik löst das Problem der inkonsistenten Bearbeitung nicht, sondern verschiebt es lediglich. Und selbst dies gelingt nur, wenn dafür das einmütige Zeugnis der Häresiologen großzügig übergangen wird. Man wird also daran festhalten müssen, dass Lk und *Ev tatsächlich durch eine Redaktion mit einem entsprechenden kohärenten, inhaltlichen Profil miteinander vermittelt waren. Hält man sich vor Augen, um welche Differenzen es sich eigentlich handelt, sollte der Nachweis einer solchen Redaktion auch möglich sein. ______________________________ 16 Vgl. G RANT , Heresy and Criticism 36-42. Dazu gehören z. B. die Distinktion im Gottesbild (36f), Protest gegen ein vierfaches Evangelium (38), Doketismus (38), negative Sicht von Gesetz und Propheten (40f). 17 G RANT , Marcion and the Critical Method 214: »None of this suggests … that his conjectures were in any way fortunate.« Vgl. ebd. 213: »This is not to say that in Marcion’s hands this method produced significant results« bzw. 215: »It is … hard to suppose that his philology really produced any valuable results« - diese Bewertung von Marcions angeblichem Verfahren konzediert die gleiche Inkonsequenz, die schon Harnack ihm eingeräumt hatte. Grants Einschätzung, dass Marcion »unglücklich konjiziert« habe, impliziert jedoch den Anspruch, besser als Marcion einschätzen zu können, was dieser eigentlich hätte verändern müssen: Dieses Verfahren entzieht jeder Rekonstruktion die kontrollierbare Grundlage. 134 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk 2. Der Umfang von *Ev und die »Überschüsse« in *Ev Der Umfang des für *Ev sicher bezeugten Textbestandes wirft eine weitere grundlegende Schwierigkeit für die Theorie der Lk-Priorität auf. Es ist methodisch von größter Bedeutung, dass sich in *Ev so gut wie keine nicht-lk Texte finden. Dass die angeblichen Zitate aus Mt - vor allem der notorisch schwierige Vers Mt 5,17 - nicht in *Ev enthalten waren, ist oben (o. S. 68ff) bereits gezeigt geworden. Gleichwohl wäre zu erwarten, dass eine inhaltliche Redaktion, wie sie die Häresiologen Marcion unterstellen, ihren Ausdruck in klärenden und vereindeutigenden Zusätzen gefunden hätte. Dies ist aber nicht der Fall: Nach der herrschenden Ansicht hätte Marcion nur gestrichen, aber so gut wie nichts hinzugefügt. a. Nicht-lk Texte in *Ev: Die angeblichen »Zusätze« Nun gibt es in der Tat eine Reihe kleinerer Differenzen im Textbestand, die für *Ev mehr Text ausweisen als für Lk. Aus Sicht der Lk-Priorität erscheinen diese Differenzen als marcionitische »Zusätze«. Harnack hielt ihre Zahl für »so verschwindend gering, daß man skeptisch gegenüber den wenigen Fällen wird, in denen solche angenommen werden müssen.« 18 Dementsprechend stiefmütterlich hat er sie auch behandelt: Seine Liste ist sehr kurz 19 und enthält überdies irrtümlich auch Beispiele, für die gar nicht für *Ev bezeugt sind. 20 Tatsächlich gibt es jedoch mehr Beispiele, als Harnack annahm. Die nachstehende Liste führt neben der Bezeugung für *Ev jeweils auch die Analogien aus der Handschriftenüberlieferung mit auf: 4,32 καὶ {πάντες} ἐξεπλήσσοντο ἐπὶ τῇ διδαχῇ αὐτοῦ: παντες/ omnes add Tert. 4,7,7 r 1 sy h sa 4,34 [῎Εα] τί ἡμῖν καὶ σοί {ἐστιν}, ᾿Ιησοῦ Ναζαρηνέ: εστιν/ est add Tert. 4,7,9 a 5,10b ἀπὸ τοῦ νῦν {γὰρ} ἀνθρώπους ἔσῃ ζωγρῶν: γαρ/ enim add Tert. 4,9,1 sy s (mss) 5,24 ἔγειρε καὶ ἆρον τὸν κράβαττὸν σου {καὶ} πορεύου εἰς τὸν οἶκόν σου: και/ et add Tert. 4,10,1 א D 0211 mult lectt it vg sy s.pesh Tat pers sa bo 6,27 {ὀϕθαλμὸν ἀντὶ ὀϕθαλμοῦ καὶ ὀδόντα ἀντὶ ὀδόντος}: add Tert. 4,16,2.4; Adam. 1,15 (814a) 6,27 ἀγαπᾶτε τοὺς ἐχθροὺς ὑμῶν {καὶ} καλῶς ποιεῖτε τοῖς μισοῦσιν ὑμᾶς: και/ et add Tert. 4,16,1 W gat 8,21 ὁ δὲ ἀποκριθεὶς εἶπεν πρὸς αὐτούς, {Τίς ἐστιν ἡ μήτηρ μου καὶ οἱ ἀδελϕοί μου}: add Tert. 4,19,11 8,21 εἰ μὴ οἳ ἀκούουσιν τοὺς λόγους μου {καὶ ποιοῦσιν αὐτούς}: και ποιουσιν αυτους add Tert. 4,19,11 ______________________________ 18 H ARNACK 61; ebd. 62 eine Aufzählung der Stellen. 19 H ARNACK 62 nennt: Lk 9,41; 9,54; 9,55 (οὐκ οἴδατε οἵου πνεύματός ἐστε ὑμεῖς); 16,28.29 (ἐκεῖ); 18,19; 18,20 (ὁ δὲ ἔϕη); 21,13; 23,2(5). 20 Nicht bezeugt ist 9,55 (οὐκ οἴδατε οἵου πνεύματός ἐστε ὑμεῖς); in 18,20 ist der angebliche »Zusatz« (ὁ δέ) vermutlich nur eine überleitende Einfügung des Epiphanius, mit der er den Einsatz der Antwort Jesu markiert (Schol. 50). § 6: Die Aporien der Lk-Priorität 135 9,41a ἀποκριθεὶς δὲ ὁ ᾿Ιησοῦς εἶπεν {πρὸς αὐτούς}, Ὦ γενεὰ ἄπιστος: add προς αυτους Epiph., Schol. 19 9,54 Κύριε, θέλεις εἴπωμεν πῦρ καταβῆναι ἀπὸ τοῦ οὐρανοῦ καὶ ἀναλῶσαι αὐτούς {ὧς καὶ ᾿Ηλίας ἐποίησεν}: ως και Ηλιας εποιησεν add Tert. 4,23,8 A C D W Θ Ψ f 1.13 a b c q r 1 10,1 ἀπέδειξεν δὲ ὁ κύριος καὶ ἑτέρους ἑβδομήκοντα δύο {ἀποστόλους ἐπὶ τοὺς δώδεκα}: αποστολους επι τους δωδεκα add Tert. 4,24,1 (Adam. 1,5; 806d) 10,4 μὴ βαστάζετε βαλλάντιον, μὴ πήραν, {μὴ ῥάβδον} μὴ ὑποδήματα …: μη ραβδον add Tert. 4,24,1 [12,30 ὑμῶν δὲ ὁ πατὴρ οἶδεν ὅτι χρῄζετε τούτων {τῶν σαρκικῶν}: των σαρκικων add Epiph., Schol. 32; Epiphanius bezeugt hier nicht einen längeren *Ev-Text, sondern präzisiert sein eigenes Zitat; s. dazu die Rekonstruktion z. St.] 16,29 ἔχω γὰρ {ἐκεῖ} πέντε ἀδελϕούς: εκει add Adam. 2,10 (827b) 16,31 οὐδ’ ἂν τις ἐκ νεκρῶν ἀπέλθῃ {πρὸς αὐτοὺς} ἀκουσούσιν αὐτοῦ: προς αυτους add D d r 1 (vgl. Adam) 17,1 οὐαὶ {ἐκεῖνῳ} δι’ οὗ {τὸ σκάνδαλον} ἔρχεται: το σκανδαλον add Adam (l) 17,2 συμϕέρει αὐτῷ εἰ {μὴ γεννηθῇ ἢ} λίθος μυλικὸς περιέκειτο …: μη γεννηθη η add Tert a b c ſſ 2 i l λ r 1 q 17,18 = 4,27: {καὶ πολλοὶ λεπροὶ ἦσαν ἐν τῷ ᾿Ισραὴλ ἐπὶ ᾿Ελισαίου τοῦ προϕήτου, καὶ οὐδεὶς αὐτῶν ἐκαθαρίσθη εἰ μὴ Ναιμὰν ὁ Σύρος}: vs. add Tert. 4,35,6; Epiph., Schol. 48 18,19 Τί με λέγεις ἀγαθόν; οὐδεὶς ἀγαθὸς εἰ μὴ εἷς ὁ θεός {ὁ πατήρ}: ο πατηρ add Epiph., Schol. 50 18,42 καὶ {ἀποκριθεὶς} ὁ ᾿Ιησοῦς εἶπεν αὐτῷ, ᾿Ανάβλεψον …: αποκριθεις add Adam. 5,14 (858d). 21,7 ᾿Επηρώτησαν δὲ αὐτὸν c {οἱ μαθηταὶ} c λέγοντες, Διδάσκαλε …: οι μαθηται add οι μαθηται: Tert. 4,39,13 D georg (d vg 1 ms ) 21,8 πολλοὶ ἐλεύσονται ἐπὶ τῷ ὀνόματί μου λέγοντες, ᾿Εγώ εἰμι {ὁ Χριστός}: ο Χριστος add Tert. 4,39,2; 5,1,3 157 1247 c aur c e ſſ 2 gat i l q r 1 s vg mss (vgl. Mt 24,5: ἐγώ εἰμι ὁ Χριστός) 21,13 ἀποβήσεται ὑμῖν εἰς μαρτύριον {καὶ εἰς σωτηρίαν}: και εις σωτηριαν add Tert. 4,39,4 22,8 καὶ ἀπέστειλεν Πέτρον  ? καὶ ᾿Ιωάννην?  {καὶ τοὺς λοιπούς} εἰπών …: και τους λοιπους add Epiph., Schol. 61 22,14 Καὶ ὅτε ἐγένετο ἡ ὥρα, ἀνέπεσεν καὶ οἱ {δώδεκα} ἀπόστολοι σὺν αὐτῷ: δωδεκα add Epiph. Schol 62 23,2 Τοῦτον εὕραμεν διαστρέϕοντα τὸ ἔθνος [ἡμῶν] {καὶ καταλύοντα τὸν νόμον καὶ τοὺς προϕήτας}: και καταλυοντα τον νομον και τους προϕητας add Epiph., Schol. 69 b c e ſſ 2 gat i l q (vg) 23,2 καὶ κελεύοντα ϕόρους [Καίσαρι] μὴ δοῦναι {καὶ ἀποστρέϕοντα τὰς γυναῖκας καὶ τὰ τέκνα}: και αποστρεϕοντα τας γυναικας και τα τεκνα add Epiph., Schol. 70 c e (ad 23,5) 23,52 καθελὼν {τὸ σῶμα} ἐνετύλιξεν: το σωμα add Epiph., Schol. 74 c d (a ſſ 2 ) 24,5 {οἱ ἐν ἐσθῆτι λαμπρᾷ} εἶπαν πρὸς αὐτάς: οι εν εσθητι λαμπρα add Epiph., Schol. 76 Die Liste enthält in rund der Hälfte aller Fälle Übereinstimmungen mit einem Teil der Handschriftenüberlieferung, vor allem den Altlateinern. Dies ist nach dem oben (S. 85ff) Ausgeführten nicht weiter verwunderlich und bestätigt die hohe Affinität zwischen *Ev und den »Westlichen« Zeugen. Die Nachlässigkeit, mit der Harnack diese Beispiele überging, ist Ausdruck seines nachvollziehbaren (aber 136 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk ungerechtfertigten) Desinteresses an diesen »kleineren« Varianten: Sie bewirken keine oder nur sehr geringe textsemantische Veränderungen und sind deshalb mit Blick auf die Bearbeitung, der Marcion das kanonische Evangeliums unterzogen haben soll, irrelevant. Genau in dieser semantischen Unauffälligkeit liegt jedoch ihre Relevanz: Weil diese »kleinen« Varianten kein theologisches Konzept zu erkennen geben, sind sie im Modell der umgekehrten Abhängigkeit des Lk von *Ev sehr viel leichter verständlich. Denn unter der klassischen Voraussetzung der Lk- Priorität müsste man erklären, wieso der *Ev-Text in so unwesentlichen Dingen einen so breiten Einfluss auf die katholische Handschriftenüberlieferung gewinnen konnte. Im umgekehrten Fall handelt es sich um Änderungen der lk Redaktion, die bei der Korrektur der vorkanonischen Manuskripte nicht konsequent eingetragen wurden. Nach den Überlegungen, die o. (S. 85ff) zu den Berührungen zwischen dem für *Ev bezeugten Text und den Varianten der kanonischen Handschriftenüberlieferung angestellt wurden, ist darauf hinzuweisen, dass *Ev mit großer Wahrscheinlichkeit noch an anderen Stellen solche überschießenden Elemente enthielt: Auch, wenn sie nicht direkt bezeugt sind, ist ihre Existenz aufgrund textgeschichtlicher Beobachtungen und überlieferungsgeschichtlicher Erwägungen wahrscheinlich. Die folgende Liste enthält die wichtigsten dieser nicht direkt bezeugten Überschüsse, die dann von der lk Redaktion gestrichen wurden. Da es für diese Beispiele keine direkte Bezeugung gibt (hier gilt jeweils: »*Ev non test.«), bleibt das Urteil naturgemäß unsicher. Aus diesem Grund ist jeweils die Begründung der Rekonstruktionsentscheidung zu vergleichen. *4,31 τὴν παραθαλάσσιον ἐν ὁρίοις Ζαβουλὼν καὶ Νεϕθαλίμ: D d (vgl. Mt 4,13) *5,14 ὁ δὲ ἐξελθὼν ἤρξατο κηρύσσειν καὶ διαϕημίζειν τὸν λόγον, ὥστε μηκέτι δύνασθαι αὐτὸν ϕανερῶς εἰς πόλιν εἰσελθεῖν, ἀλλ’ ἔξω ἦν ἐπ’ ἐρήμοις τόποις· καὶ συνήρχοντο πρὸς αὐτὸν καὶ ἦλθεν πάλιν εἰς Καϕαρναούμ: D d (vgl. Mk 1,45; 2,1a) *5,21 ἐν ταῖς καρδίαις αὐτῶν: D b d ſſ 2 g 1 l q (vgl. Mk 2,6) *5,27 καὶ ἐλθὼν πάλιν παρὰ τὴν θάλασσαν καὶ ἐπακολουθοῦντα αυτῷ ὄχλον ἐδίδασκεν· καὶ παράγων εἶδεν Λευὶ τὸν τοῦ ῾Αλϕαίου: D d *5,33 καὶ οἱ μαθηταὶ τῶν Φαρισαίων: D d (vgl. Mk 2,18) *6,4 τῇ αὐτῇ ἡμέρᾳ θεασάμενός τινα ἐργαζόμενον τῷ σαββάτῳ εἶπεν αὐτῷ· ἄνθρωπε, εἰ μὲν οἶδας τὶ ποιεῖς, μακάριος εἶ· εἰ δὲ μὴ οἶδας, ἐπικατάρατος καὶ παραβάτης εἶ τοῦ νόμου: D d *6,14 τὸν ἀδελϕὸν αὐτοῦ οὓς ἐπωνόμασεν Βοανηργές, ὅ ἐστιν υἱοὶ Βροντῆς: D d (vgl. Mk 3,17) *6,15 τὸν ἐπικαλούμενον Δίδυμον: D d (vgl. Joh 11,16; 20,24; 21,2) *7,19 λέγει· πορευθέντες εἴπατε αὐτῷ: D d (e) *8,18 οὐ δέδοται εἰ μή: e g 1 (sy s.c.p ) *8,45 ὁ δὲ Ἰησοῦς γνοὺς τὴν ἐξελθοῦσαν ἐξ αὐτοῦ δύναμιν ἐπηρώτα: D a d *9,56 ὁ γὰρ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου οὐκ ἦλθεν ψυχὰς τῶν ἀνθρώπων ἀπολέσαι, ἀλλὰ σῶσαι: K Γ Θ f 1.13 579 700 2542 mult a aur b c e f q r 1 vg mss sy (c.p.)h bo mss *11,2 ἐλθέτω τὸ πνεῦμά (σου) τὸ ἅγιον (ἐϕ’ ἡμᾶς) (καὶ καθαρισάτω ἡμᾶς): (Tert) 162 700 GregNyss MaxConf *11,43 καὶ τὰς πρωτοκλισίας ἐν τοῖς δείπνοις: C (D f 13 ) pc b d l q r 1 § 6: Die Aporien der Lk-Priorität 137 *14,35 καὶ καταπατήται ὑπὸ τῶν ἀνθρώπων: l (vgl. Mt 5,13) *16,16 ἐπροϕήτευσαν: D (Θ) 1223 c 1579 ℓ 950 d vg ms sy c ; προεϕητευσαν 577 1675 2643 *17,5 τῷ ὄρει τούτῳ, Μετάβα ἐνθεύθεν ἐκεῖ, καὶ μετέβαινεν· καί: D d sy s (  Ambr, Ps 36,77,2) *17,9 αὐτῷ; οὐ δοκῶ: D f 13 pc a d f sy p *19,27 καὶ τὸν ἀχρεῖον δοῦλον ἐκβάλετε εἰς τὸ σκότος τὸ ἐξώτερον· ἐκεῖ ἔσται ὁ κλαυθμὸς καὶ ὁ βρυγμὸς τῶν ὀδόντων: D d *19,38 Εὐλογημένος ὁ βασιλεύς: D a c d e f ſſ 2 g 1 gat i l s; ευλογημενος ο βασιλευς ισραηλ: 157 r 1 sy h (cum asterisco; mg: non in omnibus exemplaribus invenitur); ευλογημενος ο βασιλευς θεου: Tat pers *21,6 ἐν τοίχῳ ὧδε: D a d; εν τοιχω: l s; ωδε εν τοιχω: c ſſ 2 i q r 1 vg 2 mss *23,37 περιτίθεντες αὐτῷ καὶ ἀκάνθινον στέϕανον: D (c) d *24,1 ἐλογίζοντο δὲ ἐν ἑαυταῖς· τίς ἄρα ἀποκύλισει τὸν λίθον: D c (  D*: 1-6 αποκαλυπτει 8 9) 070 c d sa mss ; (1-7 + ημιν 8 9): 0124 sa 2mss (vgl. Mk 16,3) *24,13 καὶ Κλεοπᾶς: e ſſ 2 r 1vid ; cleofas et ammaus: b; cleopa et ammau: Ambst (Rm 1,4); cleopas cum socio suo amaus: Ambst (1Cor 15,5); cleop(h)as et e(m)maus; cleophas et amaus: Ambst (Quaest. 77,2) ¦ ουλαμμαους: D d *24,43 καὶ τὰ ἐπίλοιπα ἔδωκεν αὐτοῖς: K Π* f 13 ℓ 844 ℓ 2211 al r 1 sy c bo pt armen slav August (Spec. 242,2,2); και λαβων τα επιλοιπα εδωκεν αυτοις: 161* 713; λαβων τα επιλοιπα εδωκεν αυτοις: Θ aur c vg sy h* bo pt ; και εδωκεν αυτοις: August (Ps 147,17); και τα επιλοιπα ελαβεν και εδωκεν αυτοις: r 1 aeth mss Obwohl diese Liste unvollständig ist und obwohl das Urteil weniger sicher ist als in den Fällen, für die eine direkte Bezeugung vorliegt, lässt sie doch das Verfahren der lk Redaktion ahnen: Sie hat keineswegs nur Text hinzugefügt, sondern auch gestrichen und umformuliert. Einige dieser Beispiele sind für die Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte von erheblicher Bedeutung. Neben diesen »kleinen« Zusätzen enthält *Ev allerdings auch in mindestens drei Fällen gewichtige und semantisch in hohem Maß relevante »Überschusstexte« gegenüber Lk. Es ist wohl Ausdruck von Harnacks generellem Desinteresse an diesen »Zusätzen«, dass er keinen Versuch einer Erklärung unternommen hat. Zwei der drei Beispiele widersprechen der für Marcion angenommenen Theologie und stellen das Bild einer theologisch begründeten Redaktion des kanonischen Lk in Frage. In einem Fall jedoch hätte der für Marcion bezeugte Befund sehr gut in das Erklärungsmodell Harnacks und anderer gepasst, sodass das Fehlen einer Erklärung einigermaßen verwunderlich ist. 1. Dies ist das erste Beispiel: Für *6,27 ist die aus Mt 5,38 bekannte Talionsregel bezeugt. Harnack nimmt sie in seine Textrekonstruktion zu *6,29 auf 21 und kommentiert, dass »M.(arcion) einen aus Luk. und Matth. gemischten Text befolgt« habe. 22 Dies passt zwar zu seiner These, dass Marcion mit der Bearbeitung des Lk eine ______________________________ 21 Zur genauen Stellung der Talio im Kontext von *6,27ff vgl. die Rekonstruktion. 22 H ARNACK 193*. In dem Abschnitt »Der Weltschöpfer als der Judengott; die Gerechtigkeit als das Moralische; Gesetz, Propheten, Messias und h. Schrift des Judengottes« (a. a. O. 106ff), in dem eine Diskussion des Problems zu erwarten wäre, fehlt jeder Hinweis. 138 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk Auswahl aus allen Evangelien getroffen hätte, widerspricht aber der durch die Häresiologen sehr gut bezeugten Ansicht, dass Marcion ganz ausdrücklich nur das Lk-Evangelium bearbeitet habe. Die Bezeugung ist durch Tertullian und Adamantius sichergestellt. Im Kontext des ersten Adamantius-Dialogs will der Marcionit Megethius nachweisen, dass das Evangelium dem Gesetz entgegengesetzt ist und wertet dies als Beleg, dass der Demiurg nicht »gut« sei, da er sich selbst widerspricht. 23 Adamantius wendet ein: Widersprüchliche Gesetze seien kein Zeichen dafür, dass der Schöpfer nicht gut sei; denn auch Christus (dessen bonitas ja für Marcion vollständig außer Frage steht) habe einerseits geboten, die Feinde zu lieben, andererseits aber schicke er die »Feinde des Glaubens« in die äußerste Finsternis (Mt 8,12; 22,13; 25,30). Darauf Megethius: »Im Gesetz heißt es: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Aber der Herr, der gut ist, sagt im Evangelium: Wenn dich einer auf die Backe schlägt, halte ihm auch die andere hin! « 24 Megethius’ Hinweis auf das Gesetz lässt sich so verstehen, dass er auf das kirchliche Alte Testament anspielt. In diesem Fall würde er einen Gegensatz zwischen den beiden Teilen der katholischen Bibel etablieren. Da er aber das Alte Testament gar nicht anerkennt, und da sich alle Gesprächspartner darauf geeinigt hatten, ihre Diskussion auf der Grundlage von Megethius’ eigener, marcionitischer Bibel zu führen, liegt es sehr viel näher, dass das, was »das Gesetz sagt«, tatsächlich in Megethius’ eigenem Evangelium stand, und zwar am ehesten so, dass der »gute Herr« im Evangelium auf diesen Gegensatz hingewiesen habe. Nicht von ungefähr erinnert dies an die mt Form der Antithesen. Auch Tertullian deutet an, dass er die Talionsregel in einer entsprechenden Weise in *Ev gelesen hatte: »Christus lehrt offensichtlich eine neue Duldsamkeit, wenn er sogar die Vergeltung von Unrecht einschränkt, obwohl sie der Schöpfer erlaubt hat mit der Forderung: Auge um Auge, Zahn um Zahn.« 25 Das stärkste Argument für die Existenz der Talio in *Ev ist jedoch, dass Tertullian für *Ev in *6,27 mit dem anaphorischen ἀλλά/ sed den Gegensatz zu einer vorangehenden Aussage bezeugt. Dieser adversative Einsatz ist noch in der kanonischen Fassung enthalten, hat dort aber zu Beginn der neuen Einheit keine sinnvolle syntaktische Funktion mehr - ganz im Unterschied zu *Ev, sofern sich dort ἀ λ λ ὰ ὑμῖν λέγω gegen eine vorangehende Aussage wendet, wie sie in den mt Antithesen enthalten ist. Ich gehe daher davon aus, dass *Ev die Talio an dieser Stelle enthielt. Für Tertullian liegt das eigentliche Problem natürlich nicht darin, dass *Ev die Talio und eine Antithese Jesu enthielt (das kannte er ja aus dem kanonischen Mt), sondern in dem möglichen Widerspruch zwischen Ex 21,24 und dem Vergeltungsverbot Jesu; er löst es durch Verweis auf die Intention der Regel: Sie wolle nicht ein zweites Unrecht erlauben, sondern das erste einschränken. 26 ______________________________ 23 Adam. 1,15 (814a): δείξω ὅτι ἠναντίωται τὸ εὐαγγέλιον τῷ νόμῳ. 24 Adam. 1,15 (814a): ἐν τῷ νόμῳ λέγει Ὀϕθαλμὸν ἀντὶ ὀϕθαλμοῦ καὶ ὀδόντα ἀντὶ ὀδὸντος, ὁ δὲ κύριος, ἀγαθὸς ὤν, λέγει ἐν τῷ εὐαγγελίῳ Ἐάν τις σε ῥαπίσῃ εἰς τὴν σιαγόνα, παράθες αὐτῷ καὶ τὴν ἄλλην. 25 Tert. 4,16,2: Novam plane patientiam docet Christus, etiam vicem iniuriae cohibens permissam a creatore, oculum exigente pro oculo et dentem pro dente. 26 Tert. 4,16,4: In quantum ergo fidem non capit ut idem videatur et dentem pro dente, oculum pro oculo, in vicem iniuriae exigere qui non modo vicem, sed etiam ultionem, etiam recordationem et recogitationem iniuriae prohibet, in tantum aperitur nobis quomodo oculum pro oculo et dentem § 6: Die Aporien der Lk-Priorität 139 *Ev besaß an dieser Stelle eine große Affinität zu Mt, die einen wichtigen Hinweis auf den Gang der Überlieferungsgeschichte gibt: Die rhetorische Figur der Antithese zwischen den Aussagen des Gesetzes und der Lehre Jesu ist keine mt Erfindung, sondern lag bereits in *Ev vor. Während dieser »Überschuss« in *Ev gegenüber dem kanonischen Text sehr gut zu dem Bild passen würde, das die Häresiologen von der marcionitischen Theologie zeichnen, ist dies in anderen Fällen durchaus anders. 2. Daher ist das nächste Beispiel zentral, obwohl es auf den ersten Blick unscheinbar wirkt: Epiphanius las in *18,19 (οὐδεὶς ἀγαθὸς εἰ μὴ εἷς ὁ θεός) ὁ π α τ ή ρ . 27 Dass Jesus den Gott der Gebote als »Vater« bezeichnet, hat weitreichende Implikationen, wenn man *Ev mit den Augen etwa Tertullians liest. Denn nach Tertullians Darstellung basierte die marcionitische Gotteslehre auf der konsequenten Differenzierung zwischen dem deus bonus, dem Vater Jesu Christi, und dem creator als dem Gott der Gebote. Wenn *Ev hier beide miteinander identifiziert, wird das Problem unabweisbar, das die gesamte Perikope - mit der Erfüllung der Gebote als Bedingung der Rettung - für die ihm unterstellte Theologie ohnehin schon konstituiert. In seine Rekonstruktion hatte Harnack ὁ πατήρ mit der Einschränkung »[oder nur ὁ θεός]« aufgenommen; im Kommentar zur gesamten Perikope notiert er nur die Unsicherheit (wohl wegen der unterschiedlichen Bezeugungen), kommentiert aber nicht. 28 Dabei hätte hier eine Erklärung nahegelegen, da Harnack unter den Motiven für Marcions »Streichungen und Korrekturen« gleich an erster Stelle notiert: »Der Weltschöpfer und Gott des AT darf nicht als Vater Jesu Christi erscheinen.« 29 Im Unterschied zu Harnack hat sich Tsutsui um eine Erklärung bemüht, die jedoch nur das Dilemma offenbart: Denn einerseits habe Marcion den Dekalog akzeptiert, wie seine Rezeption von Rm 13,19a zeige. Auf der anderen Seite liege die Besitzverzichtsforderung *18,22 nicht auf der gleichen Ebene wie die Dekaloggebote. Deswegen ist es für Tsutsui wichtig, dass die Bezeugung von *18,22 (Tert. 4,36,4; Adam. 2,17 [832b]) keine Spur des ἔτι (ἕν σοι λείπει)/ noch (eines fehlt dir) zeige: »Das Adverb muss von Marcion absichtlich gestrichen worden sein, um die falsche Interpretationsmöglichkeit zu beseitigen: als ob das Dekaloggebot eine essentielle, ______________________________ pro dente censuerit, non ad secundam iniuriam talionis permittendam, quam prohibuerat interdicta ultione, sed ad primam coercendam, quam prohibuerat talione opposito, ut unusquisque respiciens licentiam secundae iniuriae a prima semetipsum contineret. 27 Epiph., Schol. 50: προσέθετο ἐκεῖνος ›ὁ πατήρ‹ καὶ ἀντὶ τοῦ ›τὰς ἐντολὰς οἶδας‹ λέγει ›τὰς ἐντολὰς οἶδα‹. 28 H ARNACK 226*. 29 H ARNACK 64. 140 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk integrale Vorstufe zur Erlösung sei. Es steht keineswegs auf derselben Ebene wie das darauffolgende, von Jesus selbst stammende Gebot.« 30 Diese Erklärung ist scharfsinnig gedacht und passt zu dem vorausgesetzten Bild der marcionitischen Redaktion. Aber sie übersieht, dass *Ev den Gott der Gebote mit dem Vater Jesu identifiziert und daher die beiden Forderungen tatsächlich auf einer Ebene versteht: Tsutsui hat Epiphanius’ Zeugnis an dieser Stelle überhaupt nicht erwähnt. Auch Harnack spielt es herunter: Er hält die Formulierung ὁ πατήρ für »zweifelhaft« und »unsicher«. 31 Das ist insofern unverständlich, als er zu Recht Epiphanius’ Zeugnis für das marcionitische Evangelium für noch »wichtiger als für das Apostol.(ikon)« hielt und seinen Angaben »unschätzbaren Wert« bescheinigt. 32 Die Bezeugung wird unterschlagen, weil sie dem intendierten Gesamtbild nicht entspricht: Bei der Annahme der Lk-Priorität hätte Marcion den kanonischen Lk- Text in einer Weise verändert, die seiner Theologie an einem zentralen Punkt direkt widersprochen hätte. 3. Dieses Phänomen ist noch sehr viel deutlicher im letzten Beispiel, nämlich in den »Überschüssen«, die *Ev in *23,2(5) gegenüber Lk aufweist, auf die oben bereits hingewiesen wurde. 33 Epiphanius bezeugt für das Verhör Jesu durch Pilatus zwei »Zusätze« (προσθήκαι): Epiph., Schol. 69: »Er setzte aber nach dem ›Wir haben gefunden, dass dieser das Volk verführt‹ hinzu: ›Und dass er das Gesetz und die Propheten auflöst‹. - Schol. 70: »Zusatz nach dem ›Er hat befohlen, keine Steuern zu zahlen‹: ›Und er machte die Frauen und Kinder abspenstig‹.« 34 Dass diese »Zusätze« auch in der altlateinischen Überlieferung bezeugt sind, wurde ebenfalls schon gezeigt (o. S. 84 mit Anm. 16): Der erste erscheint mit kleineren Abweichungen in b c e ſſ 2 gat i l q vg, der zweite ist in c e mit einer zusätzlichen Begründung für 23,5 belegt. Der unterschiedliche Ort, an dem die altlateinischen Evangelienhandschriften diese »Zusätze« enthalten, könnte Zweifel an der Korrektheit von Epiphanius’ Zeugnis aufkommen lassen, der beide in *23,2 gelesen hat. Vor allem drei Beobachtungen sprechen dafür, dass Epiphanius hier doch korrekt zitiert, und zwar den ursprünglichen Text, der noch nicht durch den kanonischen Text kontaminiert war: Seine Beschreibung von *Ev ist (1) ausgesprochen präzise: Er bezeichnet den Ort dieser »Zusätze« sehr genau innerhalb der Reihe der Vorwürfe von *23,2. Dazu stimmt (2), dass die von ihm zitierte partizipiale Form der beiden Überschüsse nur zu *23,2 passt: ______________________________ 30 K. T SUTSUI , Das Evangelium Marcions. Ein neuer Versuch der Textrekonstruktion, AJBI 18 (1992), 67-132: 116. Das lk Konzept zeigt, wie beide Aspekte problemlos zusammenpassen. Vgl. M. K LINGHARDT , Gesetz und Volk Gottes, Tübingen 1988, 132-135. 31 H ARNACK 62. Vgl. ebd. 226*: »Die übrigen Abweichungen … übergehe ich, da das, was M. selbst aufgenommen hat, unsicher ist.« 32 H ARNACK 180*. 33 Vgl. o. S. 73 Anm. 14. 34 Epiph., Schol. 69: Προσέθετο μετὰ τό Τοῦτον εὕραμεν διαστρέϕοντα τὸ ἔθνος· Καὶ καταλύοντα τὸν νόμον καὶ τοὺς προϕήτας. Schol. 70: Προσθήκη μετὰ τό Κελεύοντα ϕόρους μὴ δοῦναι· Καὶ ἀποστρέϕοντα τὰς γυναῖκας καὶ τὰ τέκνα. § 6: Die Aporien der Lk-Priorität 141 (τοῦτον εὕραμεν) διαστρέϕοντα … καταλύοντα … κελεύοντα … ἀποστρέϕοντα … λέγοντα. In *23,5 würde der Kontext dagegen eine finite Verbform erfordern (λέγοντες ὅτι Ἀ ν α σ ε ί ε ι …), wie sie in den altlat. Zeugen c und e denn auch vorliegt. 35 Und schließlich ist (3) dem Vorwurf der Verführung von Söhnen und Frauen in c e eine Begründung beigegeben, die Epiph. nicht in *Ev gelesen hatte: non enim baptizatur (e: baptizantur) sicut (e: et) nos (e: nec se mundant). Es ist sehr viel leichter vorstellbar, dass die Begründung für den Vorwurf - der sich ja aus der bisherigen Lektüre des Evangeliums nicht unbedingt nahelegt! - als Lesehilfe dazugestellt wurde, als dass sie gestrichen wurde. Für eine Erklärung dieser Differenzen zwischen Epiphanius auf der einen Seite und *23,5 (c e) auf der anderen ist zu beachten, dass der von Epiphanius bezeugte Text der problematischere ist: Er bietet alle fünf Vorwürfe in einer langen, überladen wirkenden Reihe, während die Wiederholung des Vorwurfs der Volksverhetzung in *23,5 (c e) nur dann eine wirkliche Bekräftigung (ἐπισχύω/ invalesco) darstellt, wenn sie auch inhaltlich weiter ausgeführt wird. Damit deutet alles darauf hin, dass *23,5 in der Fassung von c e gegenüber der von Epiphanius bezeugten Form redaktionelle Spuren aufweist und wohl sekundär ist. Dass dies sehr gut denkbar ist, zeigt die starke Variabilität innerhalb der altlateinischen Evangelienüberlieferung. Es ist oben schon deutlich geworden, dass diese »Zusätze« eine schwere Hypothek für die These der Lk-Priorität darstellen. Denn ein Vergleich zwischen der für *Ev bezeugten und der kanonischen Fassung von 23,1-5 zeigt noch weitere Bearbeitungsspuren im kanonischen Text, die in *Ev fehlen, vor allem die Pilatusfrage und die Antwort Jesu mit dem messianischen Bekenntnis. Für *Ev ist das primär religiös zu verstehende messianische Bekenntnis »Bist du der Christus? « bezeugt. 36 Die lk Fassung liest dagegen die nur politisch zu verstehende Frage: »Bist du der König der Juden? « Vermutlich ist die lk Fassung durch die synoptischen Parallelen (Mk 15,2 || Mt 27,11) beeinflusst: Auf jeden Fall hat die lk Redaktion durch diese Ersetzung einen schier unüberbrückbaren Gegensatz zwischen V. 3 und V. 4 geschaffen. Denn Pilatus’ Urteil in *23,4, er finde an Jesus keine Schuld, klingt schon als Reaktion auf das messianische Bekenntnis nur bedingt wahrscheinlich. Aber auf das nur politisch zu verstehende Geständnis Jesu hin, er sei in der Tat der König der Juden, ist das Urteil des Pilatus schlechterdings unmöglich: Die lk Redaktion hat hier eine höchst unwahrscheinliche, wenn nicht unmögliche Zusammenstellung produziert - ein typisches Zeichen von »redactional fatigue«! 37 Sehr viel schwerer als die überlieferungsgeschichtlichen Beobachtungen wiegt aber der unübersehbare Umstand, dass der - aus Sicht von *Ev eindeutig falsche - Vorwurf der Auflösung von Gesetz und Propheten der für Marcion angenommenen Theologie diametral widerspricht: Wenn Marcion eine theologisch induzierte ______________________________ 35 23,5 (c): at illi invalescebant dicentes quoniam c o n t u r b a t … et filios nostros et uxores a v e r t i t . 23,5 (e): ad illi invaliscebant dicentes c o m m o v e t populum … et … a v e r t i t … 36 Tert. 4,42,1. 37 Zu diesem Phänomen vgl. M. S. G OODACRE , Fatigue in the Synoptics, NTS 44 (1998), 45-58, DERS ., The Synoptic Problem, Sheffield 2001, 71ff. 142 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk Bearbeitung des Lk vorgenommen haben sollte, dann hätte er an dieser Stelle in der Tat »seinem Zwecke entgegen« geändert! 38 Im Horizont des altkirchlichen Verstümmelungsvorwurfs ist es schlechterdings undenkbar, dass Marcion diese Art von Sympathie für »Gesetz und Propheten« an den Tag gelegt haben soll. Aufschlussreich ist dabei nicht nur das Phänomen selbst, sondern auch seine Behandlung durch die Vertreter der Lk-Priorität: Sie haben diesen redaktionellen Unterschied nur nebenhin zur Kenntnis genommen, die gravierenden Folgen, die er für ihre eigene Theorie aufwarf, aber weder vermerkt noch gar zu lösen versucht. 39 Die Skepsis gegenüber marcionitischen »Zusätzen«, die vor allem Harnack geäußert hat, ist daher am ehesten Ausdruck der Verlegenheit, dass diese Beobachtungen sich nicht mit der (unbefragt vorausgesetzten) Lk-Priorität vereinbaren lassen: Im Rahmen des Gesamtmodells dürfte es diese »Zusätze« gar nicht geben! 40 b. Das Fehlen »redaktioneller Verstärkungen« als methodisches Problem Gleichwohl bleibt eine grundlegende Beobachtung Harnacks richtig und wichtig: Sieht man einmal von den hier angeführten drei Beispielen ab, an denen *Ev einen längeren Text hatte als Lk, hätte Marcion die für ihn angenommene Redaktion nicht durch die Einfügung weiterer Texte gestützt. 41 Ein solches Verfahren wäre in der Tat einzigartig. Denn alles, was wir über die redaktionelle Bearbeitung von Texten im nächsten Umfeld wissen, deutet darauf hin, dass inhaltliche Interessen (also: ein redaktionelles Konzept! ) außer durch Korrekturen vor allem durch Ergänzungen und Zusätze Ausdruck finden. Das nächstliegende und hinreichend deutliche Beispiel ist das Verhältnis von Mk und Mt: Unter der Voraussetzung der Mk-Priorität (etwa nach der Zwei-Quellentheorie oder dem Farrer-Goodacre- Modell) ist Mt eine erweiternde Redaktion von Mk, in dessen narrativen Rahmen er weiteres Material eingebaut hat. Die redaktionsgeschichtliche Forschung hat sich daher, mit einigem methodischen Recht, zunächst auf diejenigen mt Texte gestützt, die Mt über Mk hinaus hat (also das mt Sondergut und die Texte der mt-lk Doppelüberlieferung), um das redaktionelle Profil des Mt zu erheben. Weitere Beispiele, die nicht weniger schlagend sind, wären das Verhältnis zwischen Jud und 2Pe bzw. zwischen Kol und Eph: Für alle diese Beispiele ist ganz weithin akzeptiert, dass die Bearbeitungsrichtung vom kürzeren zum längeren Text verläuft, und dass die ______________________________ 38 J. E. C HR . S CHMIDT , Das ächte Evangelium des Lucas, eine Vermuthung, Magazin für Religionsphilosophie, Exegese und Kirchengeschichte 5 (1796), 468-520: 483. 39 Vgl. H ARNACK 235* (»Es sind also in v. 2 zwei Zusätze M.’s zu konstatieren, die im Abendland Aufnahme gefunden haben«) und T SUTSUI , a. a. O. 125 (»Die Zusätze, die die entsprechenden Lesarten nur in Itala-Handschriften finden, stammen wohl von Marcion«). 40 Deswegen ist Harnacks Annahme charakteristisch, die »Zusätze« seien von Marcions Schülern interpoliert worden; dafür gibt es keinerlei Hinweis (H ARNACK 44 Anm. 2). 41 Vgl. H ARNACK 61. § 6: Die Aporien der Lk-Priorität 143 für die Bearbeitung wichtigen inhaltlichen Elemente vor allem in den Überschüssen zu identifizieren sind. Eine Redaktion, die keinerlei Zusätze macht, um ihr redaktionelles Konzept positiv zum Ausdruck zu bringen, wäre mithin völlig singulär und ist von daher höchst unwahrscheinlich. 42 Dies gilt insbesondere dann, wenn man Marcions angebliche Redaktion neben die anderen Beispiele einer Fortschreibung der Evangelienüberlieferung im 2. Jh. stellt, die so reich an apokryphen Erweiterungen sind. Dass dies bei *Ev gerade nicht der Fall ist, haben die Vertreter der Lk-Priorität auch ganz zu Recht mit großer Verwunderung zur Kenntnis genommen 43 - ohne jedoch daraus Konsequenzen für ihre Grundthese der Lk-Priorität zu ziehen. Sieht man diese Beobachtungen zum Umfang des Textbestandes von *Ev zusammen, dann führt auch hier die Annahme der Lk-Priorität in eine Sackgasse. Drei Überlegungen sind wichtig. 1. Die »Zusätze« in *Ev gegenüber Lk (in *18,19; *23,2.5) stellen ein gravierendes Problem für die These der Lk-Priorität dar, dessen Behandlung durch die Vertreter der Lk-Priorität eine gewisse Betriebsblindheit offenbart: Sie konnten diese Zeugnisse nur entweder ignorieren oder ihrer Theorie eine wesentliche Grundlage entziehen. Denn wenn diese Texte von Marcion stammten, hätte er damit das ihm unterstellte (theologische) redaktionelle Konzept torpediert. Vor allem für *23,2 ist schlechterdings nicht erkennbar, welches Interesse Marcion an dieser Aussage hätte haben sollen. 2. In methodischer Hinsicht bleibt dieses Problem selbst dann bestehen, wenn man (mit Grant und anderen) keine theologische, sondern eine rein »philologische« Interpolationskritik annimmt. Denn diese kann - im besten Fall, wie die Beispiele aus der Homer- und Hippokratesexegese zeigen - nur interpolierte Zusätze wieder ausscheiden, nicht aber Verlorenes ergänzen: Woher sollten solche Wiederherstellungen auch stammen, wenn nicht aus einem anderen Text, den es aber nicht gibt und dessen Existenz aus methodischen Gründen ausgeschlossen ist? Die Annahme, dass Marcion eine Interpolationskritik nach Maßgabe der alexandrinischen Philologie durchgeführt habe, scheitert also nicht nur aus den genannten methodischen ______________________________ 42 Gegen diese Überlegung hat C HR . M. H AYS , Marcion vs. Luke: A Response to the Plädoyer of Matthias Klinghardt, ZNW 99 (2008), 213-232: 216, eingewandt, dass sich unter den Qumrantexten Beispiele für die redaktionelle Verkürzung von Texten fänden. Die Diskussion der betreffenden Texte durch E. T OV , Excerpted and Abbreviated Biblical Textes from Qumran, RdQ 16 (1995), 581-600, zeigt jedoch, dass die Analogie keineswegs so klar ist: Denn es behauptet ja niemand, dass Marcion den Versuch unternommen haben sollte, das kanonische Lk-Evangelium zu exzerpieren. Abgesehen davon sind die genannten Analogien in keinem Fall geeignet, die - für das Problem *Ev-Lk ja sehr viel näher liegenden - neutestamentlichen Beispiele zu entkräften. 43 Vgl. H ARNACK 35f; 61; 68-70; 253f* usw.; H. VON C AMPENHAUSEN , Die Entstehung der christlichen Bibel, Tübingen 1968, 188f. 144 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk Gründen, sondern auch daran, dass sie die »Überschüsse« in *Ev gegenüber Lk nicht erklären kann. 44 3. Schließlich wäre die redaktionelle Bearbeitung eines Textes, die keinerlei Zusätze und Ergänzungen im Sinn des redaktionellen Konzeptes vornimmt, schlicht singulär: Dafür gibt es in der nächsten kulturellen Umgebung des frühen Christentums keine auch nur halbwegs plausiblen Analogien. So wirft die Annahme der Lk- Priorität auch hier am Ende nur offene Fragen auf. 3. *Ev und das Problem des Kanons Eine letzte gravierende Aporie, in die die Annahme der Lk-Priorität führt, ergibt sich aus dem Verhältnis von Lk und Act. Dass hier ein Problem lag, wurde offenkundig, nachdem Harnack Marcions Bedeutung für die Entstehung des neutestamentlichen Kanons etabliert hatte: Dadurch war ein neuer Fragehorizont für die Diskussion um *Ev eröffnet, der seither bestimmend blieb. 45 Denn mit Harnacks These, dass Marcions zweiteilige Bibel die Entstehung des Neuen Testaments entscheidend befördert habe, musste geklärt werden, ob Marcion außer Lk noch andere Schriften des NT oder zumindest andere kanonische Evangelien gekannt hatte. Für unser Problem der Bearbeitungsrichtung zwischen Marcion und Lk scheiden sich an dieser Stelle die Geister: Unter der Semler-Eichhorn’schen Prämisse der *Ev-Priorität ist bereits die Frage nach Marcions möglicher Kenntnis anderer neutestamentlicher Schriften erkennbar obsolet: Sie stellt sich gar nicht. Unter der umgekehrten Voraussetzung der Lk-Priorität sind dagegen theoretisch viele Antworten denkbar, denn hier ist ja eine dogmatisch begründete Selektionsentscheidung Marcions vorausgesetzt: Ob Marcion für seine Auswahl nur das Lk- Evangelium oder das lk Doppelwerk oder die Vier-Evangeliensammlung oder das vollständige NT oder irgendwelche Zwischenformen kannte und nutzte, ist für eine Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte des Neuen Testaments von erheblicher Bedeutung; dieses Problem wurde und wird dementsprechend auch kontrovers diskutiert. 46 ______________________________ 44 Schon Campenhausen hatte zu Recht gefolgert: »Wer eine verlorene Urkunde zurückgewinnen will, muß es mit dem Entfernen der Einschübe und winzigen Korrekturen notgedrungen genug sein lassen, will er nicht zum Fälscher werden« (C AMPENHAUSEN , a. a. O. 189). 45 Wichtig vor allem: J. K NOX , Marcion and the New Testament, Chicago 1942; H. VON C AMPEN - HAUSEN , a. a. O.; vgl. jetzt aber J. B. T YSON , Marcion and Luke-Acts, Columbia 2006. 46 T H . Z AHN , Geschichte des Neutestamentlichen Kanons I, Erlangen 1889, 653ff und H ARNACK 21f; 40ff; 78ff usw. sind dafür eingetreten, dass Marcion die Vier-Evangeliensammlung und Act gekannt und verworfen habe. C AMPENHAUSEN , a. a. O. 184ff, hat diese Behauptung widerlegt. Zuletzt hat Ulrich Schmid dessen Position bestätigt und mit guten Gründen gezeigt, dass Marcions Kenntnis der kanonischen Evangelien nicht nachweisbar ist, obwohl er ihre Möglichkeit vom Alter der Handschriftenüberlieferung her einräumt: Vgl. U. B. S CHMID , Marcions Evangelium und die § 6: Die Aporien der Lk-Priorität 145 Während die Frage nach den Beziehungen zwischen *Ev und den anderen Evangelien in Teil IV dieser Untersuchung im Mittelpunkt steht, 47 muss die Frage, ob Marcion Act kannte, hier angesprochen werden. Denn das Verhältnis zwischen *Ev und Act erhält aufgrund der engen Zusammengehörigkeit von Lk-Act eine besondere Brisanz. Die deutlichsten Signale, die diese Zusammengehörigkeit konstituieren, sind die aufeinander bezogenen Prologe (Lk 1,1-4; Act 1,1-3), die narrative Anbindung von Act 1 an Lk 24 (Erscheinung in Jerusalem; Himmelfahrt) sowie zahlreiche weitere inhaltliche Bezüge. Zugleich ist aber deutlich, dass Act nicht nur nicht in Marcions Bibelausgabe enthalten war, sondern der marcionitischen Theologie auch deutlich widersprochen haben würde: Neben der zentralen Bedeutung Jerusalems und des Tempels sind vor allem der Apostelbegriff, die Bedeutung der Jerusalemer Apostel in Act 1-15 sowie die insgesamt positive Zeichnung des Judentums kaum mit der für Marcion bezeugten Theologie vereinbar. Nimmt man diese beiden Aspekte zusammen, dann ist die Folgerung, dass Marcion Act gezielt verworfen haben musste, im Horizont der Lk-Priorität naheliegend und kaum vermeidbar. 48 Dafür allerdings gibt es keine belastbaren Belege. 49 Für Harnack und andere in seiner Folge wurde an dieser Stelle ein gravierendes Problem unabweisbar: Einerseits hatte er im Horizont seiner Kanonstudien mit guten Gründen die kanongeschichtliche Priorität von Marcions Bibelausgabe vor dem kanonischen NT angenommen. Auf der anderen Seite war die Lk-Priorität - und das heißt: Marcions Kenntnis auch von Act - ein grundlegendes Element seiner Marcion-These. Beides zugleich geht aber nicht. Harnacks Lösung lautet daher notgedrungen, dass Marcion Lk-Act zwar als eigenständiges Doppelwerk, jedoch noch nicht als Teil des kanonischen NT kannte. Aber eine eigenständige, vorkanonische Existenz von Lk-Act ist aus einer Reihe von Gründen äußerst unwahrscheinlich. In allen Handschriften erscheinen Lk und Act verteilt auf zwei unterschiedliche Teilsammlungen des NT (Evangelien; Praxapostolossammlung), die jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit erst ein Produkt der Kanonischen Ausgabe des NT darstellen. 50 Die Zusammengehörigkeit von Lk-Act ______________________________ neutestamentlichen Evangelien. Rückfragen zur Geschichte der Kanonisierung der Evangelienüberlieferung, in: G. May, K. Greschat (eds.), Marcion und seine kirchengeschichtliche Wirkung, Berlin - New York 2002, 67-77: 69-74. 47 Ein wesentliches Element dieser Frage besteht in den zahlreichen mt-lk »Konformationen«, die für *Ev bezeugt sind. Vgl. L. E. W ILSHIRE , Was Canonical Luke Written in the Second Century? A Continuing Discussion, NTS 20 (1974), 246-253. 48 Vgl. H ARNACK 172*ff; 249*; 256*f u. ö. 49 Der einzige Hinweis, der diese These aber kaum zu tragen vermag, ist die kurze Bemerkung PsTert., Haer. 6: Acta Apostolorum et Apocalypsim quasi falsa reicit (CSEL 47, 223,1f). 50 Vgl. D. T ROBISCH , Die Endredaktion des Neuen Testaments, Fribourg - Göttingen 1996, 40ff; 122ff. 146 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk ergibt sich also nur durch die aufeinander Bezug nehmenden Prologe (Lk 1,1-4; Act 1,1-3). Allerdings enthalten diese Prologe keine Verfasserangabe, obwohl diese vor allem für den ersten Band aus Gattungsgründen dringend erforderlich wäre und angesichts der Abgrenzung von den »Versuchen« der vielen Vorgänger sowie des betonten historiographischen »Ich« geradezu zwingend postuliert werden müsste. 51 Während die Identität des Verfassers für die Leser eines isolierten, vorkanonischen »Doppelwerkes« Lk-Act verborgen bliebe, ergibt sie sich für die Leser der Kanonischen Ausgabe ganz problemlos: Sie ist aus der Überschrift des Lk unmittelbar ersichtlich und lässt sich von da aus, aufgrund der Entsprechung der Prologe, problemlos auch auf Act übertragen. Genau dieser kanonische Zusammenhang fehlt aber bei der Annahme einer (vorkanonischen) selbständigen Existenz des lk »Doppelwerks«. Eine Lösung dieses Dilemmas stellt die alte, von Gustav Volckmar 52 zuerst ausführlich entwickelte Theorie dar, dass Marcion gar nicht das kanonische - und das heißt: das mit Act verbundene - Lk-Evangelium redigiert habe, sondern einen vor-lk Text, der Lk zwar ähnlich gesehen habe, aber mit diesem nicht identisch war. Diese These wurde zuletzt von Andrew Gregory differenziert aufgegriffen. 53 Für unseren Zusammenhang ist an Gregorys Behandlung des Problems vor allem wichtig, dass sich seine Fragestellung von der seiner Vorgänger aus der *Ev- Forschung deutlich unterscheidet. Denn Gregory ist nicht an einer positiven Rekonstruktion von Marcions »Vorlage« interessiert: Da er nach der frühesten Bezeugung des Lk in der Zeit vor Irenaeus fragt, nimmt er *Ev nur unter der Fragestellung in den Blick, ob dessen »Vorlage« hinreichend genau als das kanonische Lk-Evangelium identifiziert werden könne. Gregory verneint diese Frage: Der von Marcion redigierte Text sei Lk zwar ähnlich, ließe sich aber nicht mit Bestimmtheit als das Lk-Evangelium in seiner kanonischen Gestalt erweisen. 54 Diese vorsichtige Antwort hält an der grundlegenden Annahme der Häresiologen fest, dass Marcion einen Text redigiert habe, vermeidet aber alle diejenigen text-, redaktions- und überlieferungsgeschichtlichen Aporien, die durch die Lk-Priorität aufgeworfen ______________________________ 51 Vgl. F R . B OVON , Lk I 33: Bovon sieht das Problem, gesteht aber, dass ihm das Fehlen des Verfassernamens »rätselhaft« bleibe und postuliert einen ursprünglichen Titel als subscriptio am Ende von Act, der bei der Trennung des zweiteiligen Werkes weggefallen sei. Dies bleibt rein hypothetisch, weil es dafür keinerlei Spuren in der handschriftlichen Überlieferung gibt. 52 G. V OLCKMAR , Das Evangelium Marcions. Text und Kritik, Leipzig 1852; s. o. S. 17f. 53 A. G REGORY , The Reception of Luke and Acts in the Period Before Irenaeus, Tübingen 2003, 173-210. 54 Gregory argumentiert »that Marcion neither drew on canonical Luke as we would recognise it in a modern eclectic text, nor that Luke was derived from Marcion’s Gospel, which best fits the evidence that we have for the relationship of Marcion’s Gospel and that known to us as Luke. It seems rather that Marcion drew on a text similar to Luke, a text containing material shared with Mark and also much but not all the Lukan single tradition« (G REGORY , a. a. O. 193). § 6: Die Aporien der Lk-Priorität 147 werden. Der Preis für diese vermittelnde Lösung ist allerdings hoch: Er besteht in dem Postulat eines zusätzlichen und vollständig unbekannten Textes, der notwendigerweise so konturenlos bleiben muss, dass man von ihm auf die offenen Fragen der Lk-Priorität gar keine Antworten erwarten kann. 55 Gregorys Antwort ist in den engen Grenzen seiner Fragestellung, die ja Marcions angebliche Redaktionstätigkeit überhaupt nicht in Frage stellt, korrekt: Die altkirchliche Bezeugung von *Ev, die ja ohne jeden Zweifel von der Lk-Priorität ausgeht, lässt in der Tat nicht zwingend darauf schließen, dass die Quelle der marcionitischen Redaktion (genau) das kanonische Lk-Evangelium gewesen sei; insofern bedeutet Gregorys ausgewogenes Urteil (unter der Voraussetzung der Lk-Priorität! ) in der Tat einen methodischen Fortschritt gegenüber Harnack und anderen. Allerdings bleibt Gregorys Urteil die Begründung für die wichtigste Annahme schuldig: Dass Marcion überhaupt eine Bearbeitung vorgenommen hat, begründet auch Gregory lediglich mit dem Verweis auf die entsprechenden häresiologischen Behauptungen. Sein vermittelndes Postulat eines Textes, der *Ev und Lk vorauslag und der von Lukas und von Marcion bearbeitet worden sei, ist demnach ein Konstrukt, das dazu dient, die offenkundigen Aporien der Lk-Priorität zu vermeiden. Dieses Ergebnis ist mit der Annahme der *Ev-Priorität leichter zu haben. So wirft also die kanonische Gestalt von Lk in der Verbindung mit Act eine weitere Aporie für die Annahme der Lk-Priorität auf. Ihre methodische Bedeutung wird vor allem mit Blick auf zwei zentrale Thesen Harnacks erkennbar, die jeweils weite Zustimmung gefunden haben: Zum einen hatte Harnack aus zahlreichen, sehr guten Gründen wahrscheinlich gemacht, dass Marcions »Bibel« dem neutestamentlichen Kanon vorausging und einen wesentlichen Anlass zur dessen Entstehung darstellte. Andererseits soll das marcionitsche Evangelium, das ja Teil seiner vorkanonischen Schriftensammlung war, eine Bearbeitung des kanonischen Lk- Evangeliums gewesen sein. Dieser fundamentale Widerspruch, den Harnack selbst offensichtlich gar nicht wahrgenommen hatte, lässt sich auch nicht durch die Annahme beseitigen, dass Marcion ein vorkanonisches Evangelium bearbeitet habe, das nicht mit Act verbunden war: Das ungeschützte Postulat eines ansonsten überhaupt nicht bezeugten Textes wäre ein viel zu hoher Preis für den Versuch, Marcions von den Häresiologen behauptete Redaktion des Lk wahrscheinlich zu machen. 4. Der Ausweg aus den Aporien: Die *Ev-Priorität Die Inkonsistenz der angenommenen marcionitischen Bearbeitung des kanonischen Lk, die »Überschüsse« in *Ev sowie das Verhältnis von Lk-Act sind hier lediglich ______________________________ 55 Vgl. dazu die berechtigte Kritik an Gregorys Vorgehen bei W OLTER , Lk 2f. 148 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk als Beispiele ausgewählt, um daran deutlich zu machen, in welche grundsätzlichen Schwierigkeiten die Annahme der Lk-Priorität führt. Tatsächlich lässt sich diese Grundaporie noch an vielen weiteren Beispielen zeigen: Das Problem der Inkonsistenz der angeblichen Redaktion wird am Vergleich der meisten Einzeltexte aus *Ev und Lk deutlich, die im weiteren Fortgang der Untersuchung besprochen werden. 56 Vor allem wird die Untersuchung zur Überlieferungsgeschichte der synoptischen Tradition und zur Entstehung des Vier-Evangelienbuches das gleiche Bild ergeben: All diese (und eine Reihe weiterer) Fragen lassen sich nicht befriedigend klären, solange die Lk-Priorität in Anlehnung an die Vorstellungen der Häresiologen die Voraussetzung für die Verhältnisbestimmung von Lk und *Ev darstellt. Die Hartnäckigkeit, mit der sich die These der Lk-Priorität allen ihr entgegenstehenden Beobachtungen zum Trotz bis heute gehalten hat, erklärt sich zum einen aus der zeitlichen Abfolge der wichtigen Forschungsergebnisse (vgl. o. S. 20): Denn als am Ende des 19. Jh. (in gerade einmal einem Jahrzehnt! ) die großen, bahnbrechenden und dauerhaft wirkungsvollen Untersuchungen zur Textgeschichte, 57 zum Synoptischen Problem 58 und zur Entstehung des Kanons 59 erschienen, war die These der Lk-Priorität vor *Ev schon lange etabliert. Daneben ist der sachliche Grund für das Festhalten an der Lk-Priorität im Zeugnis der Häresiologen zu sehen: Die große Einhelligkeit, mit der sie eine marcionitische Bearbeitung des kanonischen Lk bezeugen, hat keine Zweifel an dem Gesamtbild mehr aufkommen lassen, und die ihr tendenziell entgegenstehenden Einsichten (vor allem zur Textgeschichte und zum Kanon) wurden, mit mehr oder weniger überzeugenden Argumenten, in dieses Ausgangsbild integriert. Eine Kritik an diesem gesamten Komplex muss daher noch einmal bei dem Zeugnis der Häresiologen einsetzen. Wie schon hinreichend deutlich geworden ist, haben die Häresiologen Marcion die Verfälschung des kanonischen Lk-Evangeliums aus theologischen Gründen vorgeworfen. Ihr ganzes Interesse gilt dabei dem Nachweis des Widerspruchs zwischen Marcions Evangelium und seiner Theologie. Über die Motive, die Marcion zu seiner Redaktion veranlasst haben könnten, äußern sie sich nicht weiter: Ihnen genügt die Annahme, dass Marcion seiner Theologie durch die Manipulation des apostolischen Textes Ausdruck verleihen wollte. Das profilierte Bild einer Interpolationskritik, mit der Marcion das ursprüngliche Evangelium von den verfälschenden Zusätzen der Judaisten reinigen und auf diese Weise wiederherstellen ______________________________ 56 Vgl. dazu durchweg die Begründungen in der Rekonstruktion (Anhang I). 57 B. F. W ESTCOTT , F. J. A. H ORT , The New Testament in the Original Greek, Cambridge - London 1881. 58 H. J. H OLTZMANN , Lehrbuch der historisch-kritischen Einleitung in das Neue Testament, Freiburg/ Brsg. 3 1892. 59 T H . Z AHN , Geschichte des Neutestamentlichen Kanons I/ II, Erlangen - Leipzig 1889-1892. § 6: Die Aporien der Lk-Priorität 149 wollte, findet sich bei den Häresiologen allerdings nicht. Dass Marcion für seine angenommene Redaktion ein nachvollziehbares Motiv besaß und der Überzeugung war, dass er das »wahre« Evangelium durch die Beseitigung von judaistischen Interpolationen überhaupt erst herstellen müsse, ist jedoch nicht Teil der antiken Argumentation, sondern erst der modernen: Das Bild Marcions als Restaurator und Interpolationskritiker geht erst auf Harnack und seine Nachfolger zurück. Sieht man genau hin, dann beruht diese Vorstellung fast ausschließlich auf einem einzigen Hinweis Tertullians auf die »Antithesen«: »Wenn nämlich das Evangelium, das bei uns dem Lukas zugeschrieben wird, … genau das ist, das Marcion durch seine Antithesen beschuldigt, es sei von den Verteidigern des Judentums zu einem mit Gesetz und Propheten verbundenen Corpus verfälscht worden, sodass sie Christus auch von dorther erdichten könnten, dann hätte er schlechterdings nur (das) beschuldigen können, was er (dort) vorfand.« 60 An der Richtigkeit dieser Information zu zweifeln gibt es keinen Anlass. Aber sie lässt sich auf zweierlei Weise verstehen. Die Schwierigkeit liegt in der Verbindung, die Tertullian zwischen Marcions Fälschungsvorwurf gegen das kanonische Evangelium und der Reklamation des höheren Alters des kanonischen Evangeliums vornimmt. Harnack hatte diese Äußerung auf den Akt der Herstellung von Marcions Evangeliums bezogen: Marcion habe den Text seines Evangeliums überhaupt erst dadurch erhalten, dass er die angenommenen judaistischen und sonstigen Verfälschungen aus dem kanonischen Lk-Evangelium wieder beseitigte; Marcions Evangelium sei daher gegenüber Lk sekundär. Dagegen steht die von Tertullian mitgeteilte Behauptung der Marcioniten, dass die protectores Iudaismi »das Evangelium« - also: das von ihnen benutzte *Ev - »judaistisch interpoliert« hätten. Für Tertullian geht es hier nur um die Frage, welcher der beiden Texte der ältere sei. Die Schlussfolgerung, dass das marcionitische Evangelium das Resultat einer entsprechenden Interpolationskritik und Ausdruck der Wiederherstellung des ursprünglichen Evangeliums sei, zieht Tertullian nicht: Das haben erst Harnack und in seiner Folge die moderne Marcionforschung getan. 61 Die Unklarheit beruht folglich darauf, dass der von Tertullian mitgeteilte marcionitische Fälschungsvorwurf gegenüber der katholischen Position nicht auf den ersten Blick zu erkennen gibt, ob er sich auf spätere (kanonische) Änderungen an Marcions Evangelium bezieht ______________________________ 60 Tert. 4,4,4: si enim id evangelium quod Lucae refertur penes nos … ipsum est quod Marcion per Antitheses suas arguit ut interpolatum a protectoribus Iudaismi ad concorporationem legis et prophetarum, qua etiam Christum inde confingerent, utique non potuisset arguere nisi quod invenerat. 61 Charakteristisch ist, dass der Beweis ausschließlich an dem entsprechenden Verständnis von Tert. 4,4,4 hängt. Zwar behauptet H ARNACK 41 Anm. 4: »so auch die anderen Zeugen«, kann diese Angabe jedoch nicht spezifizieren: Das Bild, das er auf den vorangehenden Seiten entwickelt hatte, ist sein eigenes, nicht das der Häresiologen. 150 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk oder auf vorausgegangene Interpolationen, die er zuerst einmal hätte beseitigen müssen, um auf diese Weise überhaupt zu »seinem« Text zu gelangen. Wer - wie Tertullian oder Harnack - ohne jeden Zweifel vom höheren Alter der kanonischen Evangelienüberlieferung überzeugt ist, kann nur die zweite Option wählen. Doch der Wortlaut, in dem Tertullian Marcions Vorwurf referiert, spricht entschieden dagegen. Denn dass das ursprüngliche *Ev von den »Verteidigern des Judentums« ad concorporationem legis et prophetarum interpoliert worden sei, lässt sich nur gewaltsam auf »judaisierende« oder »nomistische« Zusätze zu einem angeblich ursprünglichen Evangelium beziehen: Denn in diesem Fall müsste man ja annehmen, dass die concorporatio legis et prophetarum in der judaistischen Interpolation genau derjenigen Passagen bestanden hätte, die Marcion dann wieder gestrichen habe - also genau in den Textdifferenzen zwischen Lk und *Ev. Wie immer man diese Differenzen betrachtet: Als concorporatio legis et prophetarum lassen sie sich nicht bezeichnen. Der marcionitische Vorwurf bezeichnet vielmehr - vielleicht nicht vollständig, aber in der Sache doch ganz treffend - die Integration des (kanonischen) Lk-Evangeliums in ein corpus, das auch Gesetz und Propheten enthielt. Damit kann aber nach Lage der Dinge nur die kanonisch gewordene Bibel des Alten und Neuen Testaments gemeint sein. 62 Der marcionitische Fälschungsvorwurf bezieht sich demnach nicht in erster Linie auf die Differenzen zwischen »seinem« und dem kanonischen Evangelium - ein Problem, das die Häresiologen beschäftigt hat -, sondern auf dessen redaktionelle Einbindung in eine umfangreichere kanonische Bibel. Diese Interpretation von Tert. 4,4,4 ist ausdrücklich aufrechtzuerhalten gegen den Einwand philologischer Ungenauigkeit, concorporatio bedeute nicht die Einfügung des Evangeliums in ein (materiales) corpus mit Gesetz und Propheten (also die Herstellung eines Buches), sondern bezeichne deren »Harmonie« im Sinn von inhaltlicher »Übereinstimmung«. 63 Der Einwand basiert auf einer ungenauen und viel zu schmalen lexikalischen Basis. 64 Denn tatsächlich zeigt gerade Tertullians Sprachgebrauch, dass er unter dem Lexem concorporaimmer die Herstellung einer konkreten, physisch gedachten Einheit versteht. In Pud. 5,9 behauptet Tertullian, die Schrift verbinde (concorporauit) im Dekalog die Vergehen Ehebruch, Mord und Götzendienst. Wie physisch-konkret Tertullian sich diese Einheit vorstellte, zeigt seine Metapher, dass die Buchstaben ______________________________ 62 Wenn Tertullian behauptet, Marcions »ganzes Bemühen (totum quod laboravit)« ziele darauf, »einen Unterschied zwischen dem Alten und dem Neuen Testament zu errichten (ut veteris et novi testamenti diversitatem constituat)« (4,6,1), so ist dies aus seiner Perspektive nachvollziehbar. Dass dann allerdings eine »antijudaistische Bearbeitung« ausgerechnet des kanonischen Lk-Evangeliums das geeignete Instrument gewesen sein soll, um genau diesen Widerspruch zu markieren, ist schwer zu glauben. 63 C HR . M. H AYS , Marcion vs. Luke: A Response to the Plädoyer of Matthias Klinghardt, ZNW 99 (2008), 213-232: 219: »(the gospel) was altered … into harmony with the Law and Prophets.« 64 C. T. L EWIS , C. S HORT , A Latin Dictionary, Oxford 1879, 403 (s. v. concorporatio) geben an: »a union, harmony (eccl. Lat.)« und belegen dies mit Tert., Adv. Marc. 4, 4; Bapt. 8. § 6: Die Aporien der Lk-Priorität 151 der Kitt (glutina) seien, der sie zusammenhält! Ganz analog ist das Verständnis in Pud. 15,6 (von der Wiederaufnahme des Blutschänders aus 1Kor 5 in das corpus der Gemeinde: i llo enim c o n c o r p o r a t o rursus ecclesiae) oder in Adv. Valent. 23,2 (die physischen Elemente des Kosmos sind zu einem Körper verbunden [concorporificatus]). Auch in dem einen, von Hays selbst für seine Deutung herangezogenen Beleg (Bapt. 8,1) heißt concorporatio nicht Harmonie, sondern bezeichnet die Verbindung von Luft und Wasser in der Wasserorgel (Hydraulis) zu der physischen Einheit einer Drucksäule. Auch die weiteren lexikalischen Belege 65 für den Wortstamm concorporaentsprechen diesem Befund: In allen Fällen geht es nicht einfach um eine innere (harmonische) Übereinstimmung, sondern um die Einbindung unterschiedlicher Elemente in ein gemeinsames corpus. Die kritisierte Interpretation erweist sich in dieser Hinsicht keineswegs als »etymologically fallacious« (ebd. 219), sondern wird durch die breitere lexikalische Basis nur erhärtet. Auch Otto Zwierlein hat der hier vorgestellten Deutung von Tert. 4,4,3-5 widersprochen. 66 Strittig ist der Satz »evangelium … Lucae … interpolatum a protectoribus Iudaismi ad concorporationem legis et prophetarum.« Zwierlein behauptet, es könne »nicht zweifelhaft« sein, dass diese Wendung »im Sinne von … interpolatum …, ut ei legem et prophetas con-corporarent zu verstehen« sei, also: »von den Verteidigern des Judaismus interpoliert, um ihm [dem Lukasevangelium] Gesetz und Propheten einzugliedern.« 67 Dass diese Deutung dann doch durchaus zweifelhaft ist, wird schon daran erkennbar, dass Zwierlein die präpositionale Wendung ad concorporationem legis et prophetarum in einen finalen Nebensatz umwandeln muss, um ihr die gewünschte Eindeutigkeit zu geben: ut ei legem et prophetas con-corporarent. Denn nur aufgrund der beim Verb concorporare stehenden Dativ- und Akkusativobjekte werden die strittigen Beziehungen eindeutig. Aber weil Tertullian das Verb gar nicht verwendet, 68 halte ich dieses Problem allein aufgrund philologischer Erwägungen für nicht entscheidbar. Ich weise deshalb den »Beziehungsfehler«, den mir Zwierlein »im Jargon der Elementargrammatik« vorwirft, 69 aus sachlichen Gründen zurück. Denn der Doppelausdruck »Gesetz und Propheten« bezeichnet die Gesamtheit des Alten Testaments als Schrift. Man kann zwar einzelne Aussagen aus dem Gesetz oder aus den Propheten in das Evangelium einfügen, aber nicht das Alte Testament selbst. Was dagegen möglich ist, ist die Verbindung des Evangeliums mit Gesetz und Propheten zu einer Einheit, nämlich der christlichen Bibel aus Altem und Neuem Testament. Wenn Marcion seinen katholischen Kontrahenten vorwarf, dass sie »das Evangelium« durch die Integration in die Bibel aus Altem und Neuem Testament verfälscht hätten, können die protectores Iudaismi auch nicht die Judaisten sein, mit denen ______________________________ 65 Vgl. Eph 3,6 Vg (esse gentes coheredes et c o n c o r p o r a l e s et conparticipes promissionis in Christo Iesu per evangelium) oder Amm. Marc. 21,12,15; 28,5,7 (c o n c o r p o r a l e s als Waffenbrüder im corpus einer militärischen Einheit) u. ö. 66 O. Z WIERLEIN , Die antihäretischen Evangelienprologe und die Entstehung des Neuen Testaments, Mainz/ Stuttgart 2015, 79-83. Diesen Hinweis verdanke ich Kevin Künzl, Dresden. 67 A. a. O. 80 (Hervorhebungen im Original). 68 Aus diesem Grund ist Zwierleins Hinweis auf die häufig belegte »Konstruktion con-corporare aliquem/ aliquid mit Dat. sociativus« (ebd.) ebenso richtig wie unerheblich: Beim Verb concorporare sind die Beziehungen eindeutig, beim Nomen concorporatio dagegen nicht - und für diesen Sprachgebrauch führt Zwierlein keine Belege an. 69 A. a. O. 81, Anm. 174. 152 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk sich Paulus im Gal auseinandersetzen musste; Marcion hat vielmehr die »katholischen« Herausgeber der Kanonischen Ausgabe des NT im Visier. Die von Tertullian mitgeteilte Kritik der Marcioniten am kanonischen Evangelium zielte auf die kanonische Bibelausgabe aus Altem und Neuem Testament. Sie setzt daher voraus, dass die Textdifferenzen zwischen *Ev und Lk erweiternde Interpolationen darstellen, die im Zuge der Komposition der zweiteiligen Bibel an dem älteren Evangelium vorgenommen wurden, das Marcion und seine Anhänger benutzten. Diese Deutung von Tert. 4,4,4 setzt also die *Ev-Priorität vor Lk voraus. Für sie spricht zunächst, dass sie den zentralen Text, an dem sich die These der marcionitischen Interpolationskritik festmacht, besser erklärt als diese. * Die Bestimmung des Bearbeitungsgefälles zwischen *Ev und Lk als *Ev-Priorität ist zunächst nur eine Option. Immerhin zeigt der von Tertullian berichtete marcionitische Einwand gegen die katholische Bibel die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Einwand historisch eher zutreffen könnte als die von den Häresiologen behauptete Lk-Priorität. Die Richtigkeit dieser Interpretation lässt sich jedoch nur begründen, wenn sich die Differenzen zwischen *Ev und Lk insgesamt als redaktionelle Erweiterungen des Lk an diesem älteren Text erweisen lassen. Zur Charakterisierung des Verfahrens genügen vorab drei kurze Hinweise. 1. Die methodische Prämisse ist denkbar einfach: Die Differenzen zwischen Lk und *Ev besitzen eindeutig redaktionellen Charakter. Dies bestreitet letztlich auch niemand. Wenn sich die Differenzen aber nicht als Marcions redaktionelle Kürzungen und »Verstümmelungen« des kanonischen Lk-Evangeliums erweisen lassen, bleibt nur der umgekehrte Weg: Es ist nachzuweisen, dass und wie diese Differenzen sich als lk Ergänzungen zu *Ev zu einem konsistenten, redaktionellen Ganzen zusammenfügen. Methodisch ist dieser Schritt gerade wegen der Ambivalenz bei der Deutung literarkritischer Befunde von Bedeutung, die sich eben in verschiedener Richtung interpretieren lassen: So, wie die These einer marcionitischen Redaktion des Lk nur überleben konnte, weil sie in das redaktionelle Konzept der marcionitischen Theologie zu passen schien, ist jetzt die Gegenprobe für ein lk Konzept der redaktionellen Erweiterung des marcionitischen Evangeliums zu prüfen. 2. Damit ist auch deutlich, welche Anforderungen dieser Ansatz erfüllen muss, um als gelungen zu gelten: Für den Nachweis einer lk Redaktion müssen mindestens diejenigen Beobachtungen befriedigend erklärt werden, die als Einwände gegen die These der Lk-Priorität angeführt wurden: Konsistenz der Redaktion; Erklärung der »Überschüsse« in *Ev; Verhältnis von Lk-Act. Darüber hinaus bleibt die Aufgabe, die *Ev-Priorität für jede einzelne Abweichung zwischen den beiden Texten wahrscheinlich zu machen. § 6: Die Aporien der Lk-Priorität 153 3. Methodisch ist es geboten, von der einfachsten Beziehung zwischen *Ev und Lk auszugehen: Das ist die Annahme einer direkten literarischen Abhängigkeit, in diesem Fall des Lk von *Ev. Die vielfältigen Überlegungen, die von Volckmar bis Gregory über mögliche Vor- und Zwischenglieder in der literarischen Beziehung zwischen Lk und *Ev angestellt wurden, waren sämtlich aus der Verlegenheit geboren, dass die Annahme der Lk-Priorität ohne solche hypothetischen Zwischenstufen in unübersehbare Aporien führte: Die Theorie der Lk-Priorität »funktioniert« nicht ohne solche Zusatzhypothesen. Methodisch ist jedoch ein Erklärungsmodell zu bevorzugen, das mit möglichst wenigen ungesicherten Annahmen in der Lage ist, die vorliegenden Daten zu erklären. Solange also keine sachliche Notwendigkeit die Annahme vermittelnder Zwischenstufen zwingend erforderlich macht, bleibt eine direkte literarische Abhängigkeit das methodisch gebotene Erklärungsmodell. Sofern die Hypothese der *Ev-Priorität eine plausible Erklärung für das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk bietet, ohne dafür auf zusätzliche Hypothesen angewiesen zu sein, ist dies schon ein deutlicher Beleg für ihre Richtigkeit. Die Begründung der *Ev-Priorität durch den Nachweis der redaktionellen Kohärenz der lk Redaktion soll zunächst nur für ausreichend charakteristische und unstrittige Beispiele geführt werden. Die Auswahl folgt Epiphanius, der gleich zwei Mal mitteilt, dass Marcion das kanonische Evangelium am Anfang, in der Mitte und am Ende »beschnitten« habe. 70 Tatsächlich bieten sich die redaktionellen Differenzen zwischen *Ev und Lk am Anfang und am Ende des Evangeliums besonders an: Für diese Passagen ist nicht nur die Bezeugung ziemlich klar, sondern hier sind auch am ehesten redaktionelle Eingriffe zu erwarten. ______________________________ 70 Epiph. 42,9,2: οὐ μόνον δὲ τὴν ἀρχὴν ἀπέτεμεν … ἀλλὰ καὶ τοῦ τέλους καὶ τῶν μέσων πολλὰ περιέκοψε. Vgl. 42,11,3: ὡς δὲ ἠκρωτηρίασται μήτε ἀρχὴν ἔχον μήτε μέσα μήτε τέλος, ἱματίου βεβρωμένου ὑπὸ πολλῶν σητῶν ἐπέχει τὸν τρόπον. § 7: Der Anfang von *Ev und seine lk Bearbeitung Im Folgenden ist die Priorität von *Ev vor dem kanonischen Lk-Evangelium durch den Nachweis zu begründen, dass die von den Häresiologen bezeugten bzw. durch die textgeschichtlichen Beobachtungen wahrscheinlichen Differenzen zwischen diesen beiden Texten sich zu einem kohärenten, redaktionellen Konzept in Lk-Act zusammenfügen: Die Plausibilität der *Ev-Priorität steigt in dem Maß, in dem sich diese redaktionellen Differenzen als Elemente einer integrierenden lk Redaktion erweisen lassen. Da der Text von *Ev nicht einfach vorliegt, sondern erst aus den häresiologischen Referaten rekonstruiert werden muss, ist es sinnvoll, zunächst von solchen Beispielen auszugehen, für die der Textbestand in *Ev unstrittig ist, um die Gefahr einer zirkulären Argumentation zu reduzieren. Gleichzeitig sollen diese Beispiele charakteristische Elemente des redaktionellen Konzeptes von Lk- Act zu erkennen geben. Die Auswahl der hier zu besprechenden Beispiele folgt Epiphanius’ Charakterisierung, dass Marcion das kanonische Evangelium am Anfang, in der Mitte und am Ende »beschnitten« habe. Tatsächlich bieten sich die redaktionellen Differenzen zwischen *Ev und Lk am Anfang und am Ende des Evangeliums in besonderer Weise an: Für diese Passagen ist nicht nur die Bezeugung ziemlich klar, sondern hier sind auch am ehesten redaktionelle Eingriffe zu erwarten. Bei den hier besprochenen Texten handelt es sich allerdings nur um Beispiele, an denen die Bearbeitungsrichtung modellhaft zu demonstrieren ist. Neben ihnen steht eine große Zahl weiterer Texte, die in der Rekonstruktion (Anhang I) besprochen sind und die das gleiche Phänomen erkennen lassen. 1. Der Anfang von *Ev: Bezeugung und literarische Struktur a. Die Bezeugung für den Anfang von *Ev Der Anfang von *Ev bietet sich in besonderer Weise für eine Untersuchung an, weil die Differenzen zwischen *Ev und Lk hier ebenso eindeutig wie charakteristisch sind. Einzusetzen ist mit der Bezeugung durch die Häresiologen, die hier, anders als sonst häufig, vollständig übereinstimmen. Epiphanius teilt zum Beginn von *Ev mit: »Denn gleich zu Beginn hat er (sc. Marcion) die ganze Abhandlung bei Lukas am Anfang weggeschnitten, das ist, wo es heißt ›Nachdem es viele unternommen hatten‹ sowie das über Elisabet; über die Verkündigung des Engels an die Jungfrau Maria; über Johannes und Zacharias; über die Geburt in Bethlehem, die Genealogie und den Gegenstand der Taufe. (5) Dies alles schnitt er weg und überging es (ταῦτα πάντα περικόψας ἀπεπήδησεν) und stellte folgendes an den Anfang des Evangeliums: ›Im fünfzehnten Jahr des Tiberius Caesar‹ und so weiter. (6) Von da an also beginnt § 7: Der Anfang von *Ev und seine lk Bearbeitung 155 er, aber er bleibt wieder nicht bei der Ordnung (ἐντεῦθεν οὖν οὗτος ἄρχεται καὶ οὐ καθ’ εἱρμὸν πάλιν ἐπιμένει). Vielmehr schneidet er, wie gesagt, manches weg, anderes stellt er kopfüber um (τὰ μὲν ὡς προεῖπον παρακόπτει, τὰ δὲ προστίθησιν ἄνω κάτω) und fährt nicht in der gewohnten Ordnung fort (οὐκ ὀρθῶς βαδίζων), sondern schweift überall leichtsinnig umher.« 1 Auch Tertullian macht deutlich genug, dass die Kindheitsgeschichten und die Täuferüberlieferung in *Ev komplett fehlten. Er verweist insgesamt drei Mal auf den Anfang von *Ev 2 und setzt dabei jedes Mal *3,1a als Anfang voraus. Im Rahmen seiner sukzessiven Auseinandersetzung mit *Ev in Buch 4 spricht er nach *3,1a als nächstes *4,16-30 an (Tert. 4,8,1). Dass Tertullian auch Lk 3,1b-4,15 nicht in *Ev gelesen hat, erhellt auch aus seiner spöttischen Kritik, dass Marcion Jesus »vom Himmel sofort in die Synagoge« gehen ließ (4,7,5), also *4,31-37 in direktem Anschluss an *3,1a bot. Abgesehen von einigen Einzelheiten zum Wortlaut, 3 über die ______________________________ 1 Epiph. 42,11,4-6. 2 Tert. 1,15,1; 1,19,2; 4,7,1. 3 Tertullian hat verschiedentlich den Hinweis, dass Jesus de caelo nach Kapharnaum herabgekommen sei (4,7,1; vgl. 4,39,10 zu *21,27, wo Tertullian in *Ev et tunc videbunt filium hominis venientem d e c a e l i s anstelle von τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου ἐρχόμενον ἐ ν ν ε ϕ έ λ ῃ las). Das ist für ihn ein dogmatisches Problem, weil der Himmel ja der Himmel des Schöpfergottes ist, und dementsprechend möchte er von Marcion »auch die übrige Ordnung des Abstiegs« wissen (4,7,2). Dem entspricht auch die Wiedergabe von *3,1a in 1,19,2 (anno xv Tiberii Christus Iesus de caelo manare dignatus est, spiritus salutaris). Aber es ist zweifelhaft, wie genau Tertullian hier auf *Ev referiert: Da er sich im Anschluss an die Formulierung spiritus salutaris (πνεῦμα σωτήριον) über Marcion lustig macht, scheint nahezulegen, dass er diese Formulierung bei Marcion gelesen hat, aber dafür gibt es ansonsten nicht den geringsten Hinweis. Es ist daher denkbar, dass der Himmel als Ausgangspunkt des »Herabkommens« Jesu ein interpretatment Tertullians ist, das er dann durch den spiritus salutaris erläutert. Darauf scheint auch die Wiedergabe bei Hippolyt, Refut. 7,31,5 hinzuweisen, demzufolge Marcion »durchaus die Geburt unseres Erlösers verwarf« und behauptete, »er sei ohne Geburt (χωρὶς γενέσεως) im 15. Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius von oben herabgekommen (κατεληλυθότα αὐτὸν ἄ ν ω θ ε ν ).« Auch Adamantius lässt den Marcioniten Markus auf seine Frage, wann Christus herabgekommen sei, um die Menschen zu retten (πότε κατῆλθε σῶσαι τοὺς ἀνθρώπους), antworten: »Wie es im Evangelium enthalten ist: Zur Zeit des Kaisers Tiberius und des Pilatus« (Dial. 2,3 [823b = 64,14f]); die Diskussion des christologischen Problems in Adam. 2,19 (868a-869c) begründet die himmlische Herkunft Christi ausgehend von der Entsprechung zwischen dem ersten und dem zweiten Menschen nach 1Kor 15,45.47; der als Schiedsrichter fungierende Eutropius wendet gegen den Marcioniten Markus ein (868c = 100,24f): »Der Apostel sagt: Der zweite, der vom Himmel, ist nach eurer Ansicht der Herr (ὁ ἀπόστολος ἔϕη· ὁ δεύτερος, ἐξ οὐρανοῦ, καθ’ ὑμᾶς κύριος).« Hätte Adamantius’ *Ev-Exemplar in *3,1a von einem Herabkommen Jesu vom Himmel berichtet, wäre hier ein entsprechender Hinweis mit größter Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Aber wenn Adamantius selbst nur wenige Zeilen später auf *3,1a verweist, ist von dem Herabkommen vom Himmel nichts zu lesen: ἐπὶ Τιβερίου κατελθὼν ἐϕάνη ἐν Καϕαρναούμ (Adam. 2,19 [869a = 102,23]). So ist es also denkbar, wenn nicht wahrscheinlich, dass *Ev eine Wendung wie κατέρχεσθαι ἄ ν ω θ ε ν enthielt, wogegen der Hinweis auf das κατέρχεσθαι κ α τ ’ ο ὐ ρ α ν ο ῦ (o. ä.) unwahrscheinlich ist und eher auf die marcionitische Theologie zurückgeht als auf den Text von *Ev. 156 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk man mit Gründen verschiedener Meinung sein kann (ebenso zum Umfang von *3,1a), 4 ist es unstrittig, dass Marcions Evangelium mit *3,1a begann, den Rest von Lk 3 aber ebenso wenig kannte wie die Versuchungsgeschichte (Lk 4,1-13). Auch Epiphanius’ kritische Bemerkung über die Unordnung, in der *Ev nach den »Streichungen« am Anfang fortgefahren sei, ist gut rekonstruierbar. Noch die sehr allgemein gehaltene Notiz bei Adamantius, die das »Herabkommen« im 15. Jahr des Tiberius (*3,1) unmittelbar mit der »Erscheinung« in Kapharnaum (*4,31) verbindet, 5 lässt erkennen, dass *4,31-37 in *Ev vor *4,16-30 enthalten war. Diese Erkenntnis wird durch Tertullian (4,7f) gestützt, dessen Wiedergabe dieses Zusammenhangs mit Anklängen und Zitaten hinreichend genau ist. Nach Tert. 4,7,5-7 führte Marcion die Datierung *3,1a unmittelbar mit *4,31b fort: Seine Hinweise de caelo statim ad synagogam (4,7,5) und ecce venit in synagogam (4,7,6) sind wegen des Singulars von synagoga auf *4,31.33 zu beziehen, nicht auf die summarische Notiz Lk 4,14f; das gleiche gilt für den Hinweis, dass Jesus ad docendum in die Synagoge gekommen sei (4,7,7). 4,7,7 verweist mit stupebant autem omnes ad doctrinas eius … quoniam in potestate erat sermo eius auf *4,32. Ebenso eindeutig sind die Referenzen 4,7,9 auf den Exorzismus *4,33f (exclamat ibidem spiritus daemonis, Quid nobis et tibi est, Iesu? venisti perdere nos. scio qui sis, sanctus dei), sowie das Zitat aus *4,35 in 4,7,13 (atquin, inquis, increpuit illum Iesus). Tertullian hat also in *Ev im Anschluss an *3,1a die Perikope vom Exorzismus in der Synagoge in Kapharnaum *4,31-37 gelesen. Der Textbestand am Anfang des marcionitischen Evangeliums lässt sich aufgrund dieser Angaben recht genau erfassen: Es begann (1.) mit einem Hinweis auf den Anfang der Tätigkeit Jesu im 15. Jahr des Kaisers Tiberius, der mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Form von κατέρχεσθαι (ἄνωθεν? ) enthielt. Ob Jesus dabei »vom Himmel« (wie es Tertullian versteht) oder dem judäischen Gebirge oder - am wahrscheinlichsten - von Nazareth im galiläischen Hügelland in die tektonische Depression am See Genezareth nach Kapharnaum »herabkam«, bleibt unklar und kann hier auf sich beruhen. Als nächstes hatte *Ev jedenfalls (2.) den Stoff von Lk 4,31-37 (Exorzismus in der Synagoge von Kapharnaum), gefolgt (3.) ______________________________ 4 Unklar ist, ob Marcions Text neben dem 15. Jahr des Tiberius auch noch einen Hinweis auf Pontius Pilatus enthielt: Tertullian nennt ihn in keinem der drei Referenzbelege (1,15,1; 19,2; 4,7,1), ebenso wenig Epiphanius, wohl aber Irenaeus (1,27,2: temporibus Pontii Pilati praesidis, qui fuit procurator Tiberii Caesaris) und Adamantius (nur Dial. 2,3 [823b], nicht aber 2,19 [869a]). In jedem Fall kann die Pilatus-Erwähnung bei den Häresiologen auf Kenntnis des kanonischen Textes zurückgehen. Ziemlich sicher ist dagegen, dass die anderen Datierungen des Synchronismus Lk 3,1f (Herodes; Philippus; Lysanias; Hannas; Kaiphas) sich nicht in *Ev fanden. 5 Adam., Dial. 2,19 (869a): τότε πρῶτον, ὥς ϕασιν, ἐπὶ Τιβερίου κατελθὼν ἐϕάνη ἐν Καϕαρναούμ. Unklar ist dagegen Hippolyt, Refut. 7,31,5: Jesus sei »von oben herabgekommen, … um in den Synagogen zu lehren (κατεληλυθότα αὐτὸν ἄνωθεν … διδάσκειν ἐν ταῖς συναγωγαῖς).« Hier ist nicht deutlich, ob der Hinweis auf die Lehre in den Synagogen eher auf *4,15 oder *4,31.33 referiert. § 7: Der Anfang von *Ev und seine lk Bearbeitung 157 von der Erzählung der Ablehnung Jesu in seiner Heimatstadt Nazara/ Nazareth, 6 die wenigstens im äußeren Handlungsrahmen mit Lk 4,16-30 übereinstimmte. (4.) Im weiteren Verlauf bot *Ev dann den Stoff von Lk 4,40ff. Von Lk 4,38f findet sich keine Spur. b. Bezeugung und literarische Struktur von *4,16-30 Lk hat den Anfang von *Ev allerdings nicht nur ergänzt, sondern ihn durch die Umstellung von 4,16-30 vor 4,31-37 auch interpretiert. Darüber hinaus besitzt der Text von *4,16-30 in der Bezeugung für *Ev auch eine erheblich andere Gestalt als in Lk, der *Ev redaktionell erweitert und ihm so eine neue Sinndimension verliehen hat. Tert. 4,8,1f liefert dafür folgende Informationen: Die ganze Szene spielt apud Nazareth. 7 Dabei muss von der Lehre Jesu die Rede gewesen sein, denn Tertullian teilt mit, dass in seiner Predigt nichts Neues war (nihil novi notatur praedicasse) außer unum proverbium (4,8,2). Das referiert auf τὴν παραβολὴν ταύτην (*4,23). Auf jeden Fall enthielt *Ev mit Sicherheit einen Hinweis auf den Tötungsversuch der Nazarener, der dem kanonischen Text zumindest sehr ähnlich gewesen sein muss. Denn Tertullian berichtet, dass Jesus verjagt (eiectus) und an den Abhang gebracht wurde (4,8,2: captus … ad praecipitium usque protractus; vgl. *4,29: ἐξέβαλον αὐτὸν … ἤγαγον αὐτὸν ἕως ὀϕρύος τοῦ ὄρους), aber durch die Mitte entwich (4,8,3: per medios evasit; vgl. *4,30: διελθὼν διὰ μέσου … ἐπορεύετο). Neben den Entsprechungen zwischen Tertullians *Ev-Referat und dem kanonischen Text gibt es auch Unterschiede: So fehlen die Hinweise auf die Prophetenlektion (Lk 4,17-19 mit dem Mischzitat Jes 61,1f; 58,6), auf die Applikation auf Jesus und auf die Reaktion der Hörer (Lk 4,20- 22). Auch die Elia- und Elisabeispiele (1Kön 17,7-24; 18,1; 2Kön 5,1-14; Lk 4,25-27) sind nicht bezeugt. Unter der klassischen Prämisse der Lk-Priorität wird die Nichtbezeugung dieser Referenzen auf die Prophetentradition ohne weiteres der marcionitischen Redaktion zugerechnet. 8 Für die Frage der Bearbeitungsrichtung ist ein weiteres Element der Bezeugung in höchstem Maß aufschlussreich: Denn Tertullian und Epiphanius belegen eindeutig, dass *Ev das Beispiel des Syrers Naeman nicht im Kontext der Nazarethperikope hatte (hier ist 4,27 unbezeugt), sondern im Kontext der Heilung der zehn Aussätzigen in *17,11-19, am ehesten wohl im Anschluss an *17,18. 9 Die narrative Funktion ist in beiden Fällen ähnlich: Das Beispiel dient als Beleg aus der Schrift für den Antagonismus von Juden und Fremden und für die Bevorzugung des Fremden vor den Juden. 1. Aus diesen Angaben ergibt sich zunächst folgendes Bild für die Gestalt der Perikope in *Ev. ______________________________ 6 Zum Wechsel der Namensform Nazara (in *Ev) und Nazareth (in den kanonischen Evangelien) vgl. die Rekonstruktion zu *4,16-30. 7 Das ist von Bedeutung, weil Mk an dieser Stelle den Namen der Stadt nicht erwähnt (Mk 6,1: εἰς τὴν πατρίδα αὐτοῦ). Die eigenartige und für das Synoptische Problem so schwierige Namensform Ναζαρά (Lk 4,16 || Mt 4,13) stand also schon in *Ev; zu diesem Problem vgl. M. D. G OULDER , Two Significant Minor Agreements (Mat. 4: 13 Par.; Mat. 26: 67-68 Par.), NT 45 (2003), 365-373: 366-368. 8 Z. B. T SUTSUI 77f: Die Streichung dieser Verse sei »aufgrund der antialttestamentlichen Tendenz Marcions sicher.« 9 Tert. 4,35,6; Epiph., Schol. 48. 158 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk a. Die Nichtbezeugung der Prophetenlektion Lk 4,17-19 ist mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht auf Tertullians großzügiges Referat zurückzuführen, sondern darauf, dass er diese Verse nicht in *Ev gelesen hatte. In diesem Fall hätte er sie kaum übergangen, weil er an dieser Stelle seine grundsätzliche Tendenz, den marcionitischen Jesus in Verbindung mit Gesetz und Propheten zu bringen, explizit macht: Marcions Christus müsse »der Christus der Propheten sein, wo immer er in Übereinstimmung mit den Propheten gefunden werde«. 10 Wenn Tertullian das Mischzitat aus Jes 61; 58 hier gefunden hätte, hätte er sich diesen Hinweis kaum entgehen lassen. b. Die Applikation des Zitats in Lk 4,20f verweist zurück auf die Geistbegabung Jesu bei der Taufe (Lk 3,21f), die in seinem Rückzug in die Wüste (4,1: πλήρης πνεύματος ἁγίου) sowie in der Rückkehr nach Galiläa (4,14: ἐν τῇ δυνάμει τοῦ πνεύματος) sichtbar wird. Da diese Stellen sicher nicht in *Ev enthalten waren, wird Entsprechendes auch für die nicht bezeugten Vv. 4,(18)21 gelten: Die fünf Aussagen lassen die Kohärenz der Erzählung erkennen, die die pneumatische Qualität der Sendung Jesu am Anfang betont herausstellt. c. Die Reaktion und Verwunderung der Zuhörer (4,22) ist ebenfalls nicht bezeugt. Aber da *4,23 mit dem »Sprichwort« sicher bezeugt und am ehesten als Reaktion auf die ungläubige Verwunderung (»Ist das nicht der Sohn Josephs? «) zu beziehen ist, kann auch *4,22 für *Ev angenommen werden (möglicherweise ohne 4,22aα: καὶ πάντες ἐμαρτύρουν αὐτῷ). Dass ein Erzählzusammenhang mit diesem Profil denkbar ist, zeigen ja die synoptischen Parallelen Mk 6,1-3 || Mt 13,53-56. d. Für *4,23 gewährleistet Tertullians Hinweis auf unum proverbium, dass der ganze Vers in *Ev enthalten war. Denn das Sprichwort vom Arzt, der sich selbst heilen soll, hat nur dann eine Funktion, wenn damit zugleich der Hinweis verbunden war, dass Jesus in Nazara keine Wundertaten wie in Kapharnaum vollbrachte (vgl. dazu Mk 6,55 || Mt 15,38). e. *4,24 ist unbezeugt. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass *Ev eine Aussage über die prophetische Identität Jesu enthielt, weil Tertullian an dieser Stelle Jesus ausdrücklich mit Nazareth und den Propheten in Verbindung bringt (4,8,2; vgl. Anm. 10). Auch, wenn Tertullians Bemerkung kaum als direktes Zeugnis gewertet werden kann, setzt sie voraus, dass er in *Ev eine Information fand, die zumindest in diesem Konnex *4,24 entsprach. f. Für die beiden Beispiele aus 1Kön 17; 2Kön 5 in Lk 4,25-27 gilt im Prinzip das gleiche wie für das Jes-Zitat in 4,18f. Sie sind unbezeugt, obwohl eine Bezugnahme Tertullians zu erwarten wäre, wenn er diese Verse in *Ev gelesen hätte: Sie waren nicht in *Ev enthalten. Wichtiger ist, dass Lk 4,27 für *Ev in einem ganz anderen ______________________________ 10 Tert. 4,8,2: ceterum prophetarum erit Christus ubicunque secundum prophetas invenitur. § 7: Der Anfang von *Ev und seine lk Bearbeitung 159 Kontext bezeugt ist: Hätte *Ev die Aussage über den Syrer Naeman an dieser Stelle enthalten, würde es sich um eine kaum erklärbare Dublette handeln: Die Stellung von 4,27 im Kontext von *17,11-19 bestätigt die Vermutung, dass Lk 4,25-27 insgesamt gefehlt haben. g. Obwohl erst wieder die Vv. *4,29f bezeugt sind, wird *Ev auch eine *4,28 entsprechende Aussage über die Wut der Nazarener enthalten haben; sie motiviert den Tötungsversuch, der ja zweifelsfrei bezeugt ist, und zwar in einer sprachlichen Gestalt, die große Ähnlichkeiten zur kanonischen aufweist: Der Tötungsversuch wird in *Ev und Lk auf die gleiche charakteristische Weise geschildert. 2. Für die Frage nach dem Bearbeitungsgefälle sind diese Einsichten wichtig. Denn eine Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte dieser Perikope bereitet im methodischen Rahmen der gängigen Modelle zum Synoptischen Problem (die ja durchweg die Lk-Priorität vor *Ev implizieren) komplexe und viel diskutierte Probleme. 11 Die Schwierigkeiten resultieren daraus, dass Lk 4,16-30 einerseits enge Analogien zu Mk 6,1-6a || Mt 13,53-58 besitzt, die sicherstellen, dass in allen drei Texten von demselben Ereignis die Rede ist. 12 Im Horizont der Zwei-Quellentheorie werden diese Entsprechungen als Abhängigkeit der lk und mt Parallelen von Mk 6,1ff im Rahmen der Dreifachüberlieferung gedeutet, dessen Text bei Lk allerdings stark erweitert worden wäre. 13 Auf der anderen Seite konstituiert die auffällige aramäische Namensform Ναζαρά (Lk 4,16 || Mt 4,13) ein wichtiges mtlk Minor Agreement, 14 das es im Modell der Zwei-Quellentheorie eigentlich nicht geben dürfte, ganz abgesehen davon, dass Mt diesen charakteristischen Namen im selben Zusammenhang des ersten Auftretens Jesu in Galiläa bietet, nicht aber in dem mit Mk 6 gemeinsamen Zusammenhang der Ablehnung Jesu in seiner Heimatstadt in Mt 13,53ff. Daher wird auch erwogen, dass der Grundstock von 4,16-30 aus »Q« stammt; dies würde aber nicht nur einen der methodisch schwierigen ______________________________ 11 R. C. T ANNEHILL , The Mission of Jesus According to Luke IV 16-30, in: E. Grässer (Hg.), Jesus in Nazareth, Berlin 1972, 51-75: 53: »a patchwork of materials.« Zu den diversen Lösungsversuchen vgl. den Forschungsüberblick bei C. J. S CHRECK , The Nazareth Pericope. Luke 4,16-30 in Recent Study, in: Fr. Neirynck (ed.), L’Évangile de Luc - The Gospel of Luke, Leuven 1989, 399-471. 12 Die Analogien sind: Zeit und Ort (Sabbat; Synagoge), wobei der Name »Nazareth« nur in Lk genannt wird (Lk 4,16 || Mk 6,1f || Mt 13,54); das Staunen der Synagogenbesucher über die Rede Jesu (Lk 4,22 || Mk 6,2 || Mt 13,54); die daraus resultierende Frage nach seiner familiären Identität (»Ist dieser nicht …? «: Lk 4,22b || Mk 6,3 || Mt 13,55f); das Wort vom Propheten, der in seiner Heimatstadt nicht anerkannt ist (Lk 4,24 || Mk 6,4 || Mt 13,57). 13 Außer den Komm. (F ITZMYER ; R ADL ) vgl. z. B. M. R ESE , Alttestamentliche Motive in der Christologie des Lukas, Gütersloh 1969, 143ff. 14 Die Namensform Ναζαρα Mt 4,13 nur in א 1 B* Z 33 k mae. Sehr viel weiter verbreitet ist Ναζαρετ (B 2 L Γ 565 700 892 1241 1424 pm aur) bzw. Ναζαρεθ ( א * D K W Θ 0233 f 1.13 579 pm lat sa bo) und Ναζαραθ (C P Δ pc). 160 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk »Mk-Q Overlaps« voraussetzen, sondern auch weitere Unklarheiten mit sich bringen. 15 Dieser kurze Überblick zeigt, wie verworren die Lage im Rahmen der Zwei- Quellentheorie ist: Der Befund lässt sich unter der Annahme, dass Lk 4,16-30 nur von Mk 6,1-6 abhängig sei, nicht hinreichend erklären, sondern erfordert zusätzlich die hypothetische Erweiterung der (Grundannahmen der) Zwei-Quellentheorie durch die »Mk-Q Overlaps«. Aber selbst dann bleibt immer noch ein »Minor Agreement« unerklärt. Im umgekehrten Fall der *Ev-Priorität entfallen diese Schwierigkeiten, weil dann Mk 6,1-6a || Mt 13,53-58 von *4,16-30 abhängig wären, nicht umgekehrt. Diese Lösung kann hier jedoch nur angedeutet, nicht aber umfassend begründet werden: Dazu ist es notwendig, alle synoptischen Beziehungen einzubeziehen (u. Teil IV). Aber schon hier ist evident, dass die Annahme der *Ev- Priorität das traditionelle Bild der literarischen Beziehungen zwischen den Evangelien erheblich verändert und seine Komplexität deutlich verringert. 3. Wenigstens für ein kleines Element, nämlich für die Umstellung der Perikopen Lk 4,16-30 und 4,31-37, lässt sich dies verdeutlichen. Unter der Annahme der *Ev- Priorität geht diese Umstellung auf die lk Redaktion zurück. Sie ist aufschlussreich, weil sie die narrative Logik erheblich beeinträchtigt: Denn der Verweis auf das, »was in Kapharnaum geschehen war« (4,23), ist in der kanonischen Perikopenfolge nicht mehr durch eine vorangehende Erzählung gedeckt, wie sie *Ev mit *4,31-37 hatte und wie sie auch von Mk 1,21f (|| Mt 4,13) und 1,23-28 bezeugt wird. Zwar versucht Lk diesen Bruch durch die Einfügung des Summars 4,14f zu kaschieren, 16 aber nur mit mäßigem Erfolg. Denn dass die Lehre von 4,15 auch Heilungen und Wunderzeichen mit einschließt, wie sie in 4,23.(25-)27 vorausgesetzt sind, ist nicht unmittelbar einsichtig. Wenn Lk 4,16-30 programmatisch Jesu erstes öffentliches Auftreten erzählen sollte, hätte sich der narrative Bruch nur durch Streichung von *4,23 wirklich vermeiden lassen; aber diese Aussage ist für die Intention der Nazarethperikope in Lk unverzichtbar, der narrative Widerspruch folglich systembedingt und unvermeidbar. Dass Lk hier die Perikopenfolge um der programmatischen Herausstellung der Nazarethperikope willen redaktionell verändert und dafür eine schwere Beeinträchtigung der narrativen Kohärenz in Kauf genommen hat, ist schon immer gesehen ______________________________ 15 Z. B. C HR . M. T UCKETT , Luke 4,16-30, Isaiah and Q, in: J. Delobel (ed.), Logia, Leuven 1982, 343- 354. Tuckett schlägt vor, Lk habe 4,16-21.23.25-27 aus Q übernommen, während Mt diese Passagen wegen der ihm unpassend erscheinenden prophetischen Christologie ausgelassen hätte (ebd. 354) - da Q nicht existiert, kann dieser Vorschlag weder bestätigt noch widerlegt werden: eine wohlfeile Lösung. 16 Charakteristischer Weise ist hier distanziert von »ihren« Synagogen die Rede (4,15 diff. Mk 1,14b.21 || Mt 4,17). Dieser Distanzierung entspricht später die Rede von der »Synagoge der Juden« (Act 13,5.42; 14,1; 17,1.10) - m.E. ist hier der Redaktor Lk zu hören. § 7: Der Anfang von *Ev und seine lk Bearbeitung 161 worden. 17 Allerdings hat Lk in 4,16-30 nicht Mk 1,21-28 18 und/ oder Mk 6,1-6a bearbeitet, sondern *Ev: Wie Tertullians Referat mit wünschenswerter Deutlichkeit zeigt, 19 enthielt *Ev über Mk 6,1-6a hinaus Hinweise auf die Feindseligkeit der Nazarener Juden, ihr Tötungsvorhaben »am Abhang« und Jesu Entkommen. Lk 4,16-30 ist demnach nicht eine redaktionelle Erweiterung von Mk 6,1-6a, sondern von Marcions Evangelium, das zwar (im Unterschied zu Mk 6) einen Hinweis auf den erfolglosen Tötungsversuch enthielt, aber weder das Jesajazitat mit seiner Deutung noch die Verweise auf Elia und Elisa als Beispiele für das Wirken von Propheten außerhalb Israels kannte. Damit lassen sich damit die Veränderungen der lk Redaktion folgendermaßen beschreiben: Lk ergänzte (1.) den Prolog (Lk 1,1-4) und (2.) die komplette sog. Kindheitsgeschichte mit den Verheißungen und Berichten von den Geburten des Täufers und Jesu, mit den Erzählungen von der Darstellung Jesu und dem Zwölfjährigen im Tempel (1,5-2,52). Außerdem komplettierte er (3.) die Datierung des ersten Auftretens Jesu im 15. Jahr des Tiberius (und - möglicherweise - zur Zeit des Pilatus) durch einen (vierbzw.) fünffachen Synchronismus, und er fügte (4.) die umfangreiche Täuferüberlieferung mit Taufe und Versuchung Jesu einschließlich seines Stammbaumes (3,1b-4,13) ein. Schließlich stellte Lk außerdem (5.) die Geschichte vom Exorzismus in der Synagoge in Kapernaum (4,31-37) um und zog die Nazarethperikope (4,16-30) betont an den Anfang und bearbeitete sie intensiv durch die Einfügung 4,25-27 (6.). Mit Lk 4,14f schuf die lk Redaktion (7.) darüber hinaus in Angleichung an *4,31f; *4,33 ein überleitendes Summar, das für die Aufforderung von Lk 4,23b und die weiterführende Pointe von Lk 4,25-27 erzählnotwendig war. Für den Nachweis dieser redaktionellen Erweiterungen ist es an dieser Stelle nicht nötig, alle Differenzen im Einzelnen zu erklären (dazu gleich). Ich beschränke mich darauf, die Plausibilität einer lk Redaktion des marcionitischen Evangeliums mit einigen Bemerkungen zum Prolog und zur Nazarethperikope zu skizzieren. 2. Das redaktionelle Profil des Lk-Prologs (Lk 1,1-4) Dass Lk 1,1-4 in Marcions Evangelium fehlte, ist durchweg akzeptiert, aber nie wirklich gedeutet worden, obwohl hier ein zentraler Schlüssel für das Verständnis von Lk-Act liegt. Die Bedeutung des Prologs bezieht sich weniger auf die immer ______________________________ 17 Außer den Komm. vgl. U. B USSE , Das Nazareth-Manifest Jesu, Stuttgart 1978, 19f. 18 Dies ist schon dadurch ausgeschlossen, dass Tertullian bei *Ev ja *4,31-37 || Mk 1,21-28 vor *4,16ff las. Die Hinweise auf *4,31ff in Tert. 4,7,5ff (z. B. das Zitat *4,32 in 4,7,7) sind ebenso eindeutig wie das Referat von *4,16ff in 4,8,1ff. 19 Tertullian erwähnt, dass Jesus »verjagt«, »gefangen« und »an den Abhang gebracht wurde,« aber »durch die Mitte entwich« (4,8,2f). 162 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk zahlreicher vermerkten gattungsgeschichtlichen Parallelen, die das Werk in den Kontext hellenistisch-römischer Historiographie stellen und seinen literarischen Anspruch deutlich machen, 20 als auf die Leserlenkung durch die einzelnen Angaben zu Anlass, Verfahren und Ziel der Unternehmung als ganzer. 21 Entscheidend für unsere Fragestellung ist jedoch, dass erst der Prolog Lk und Act als zwei Teile eines zusammengehörigen Werkes ausweist. Ich skizziere zuerst diese grundsätzliche Bedeutung und komme dann auf einige inhaltliche Aspekte zu sprechen. a. Die Zusammengehörigkeit von Lk und Act Erst der Prolog konstituiert die Zusammengehörigkeit von Lk und Act als Teile eines Werkes: Beide »Bände« sind in der handschriftlichen Überlieferung ausnahmslos auf unterschiedliche Sammlungseinheiten (das Vierevangelienbuch und die Apostolossammlung) verteilt, und wegen der festen Reihenfolge der vier Evangelien (Mt - Mk - Lk - Joh) stehen sie selbst dann nie unmittelbar nacheinander, wenn die Praxapostolossammlung unmittelbar auf die Evangelien folgt. 22 David Trobisch ______________________________ 20 Vgl. für die ältere Forschung: W. C. VAN U NNIK , Remarks on the Purpose of Luke’s Historical Writing (Luke I 1-4), in: ders., Sparsa Collecta I, Leiden 1973, 6-15; zuletzt und ausführlich: L. A LEXANDER , The Preface to Luke’s Gospel, Cambridge 1993. Bereits G. Klein hatte darauf aufmerksam gemacht, dass die Sammlung von Analogien nicht von der Aufgabe der Interpretation der spezifischen Angaben des Prologs suspendiert, sondern diese erst in ihrer Schärfe hervortreten lässt: G. K LEIN , Lukas 1,1-4 als theologisches Programm, in: G. Braumann (Hg.), Das Lukas- Evangelium, Darmstadt 1974, 170-203: 170. 21 Das Potential des Prologs zur Steuerung der Lektüre hat zuletzt R. D ILLMANN , Das Lukasevangelium als Tendenzschrift. Leserlenkung und Leseintention in Lk 1,1-4, BZ NS 38 (1994), 86-93, hervorgehoben. Daneben sind vor allem die redaktionsgeschichtlichen Arbeiten zum Prolog zu nennen; vgl. außer K LEIN (a. a. O.) vor allem: S. B ROWN , The Role of the Prologues in Determining the Purpose of Luke-Acts, in: Ch. Talbert (ed.), Perspectives on Luke-Acts, Danville 1978, 99-111; J. K ÜRZINGER , Lk 1,3 … ἀκριβῶς καθεξῆς σοι γράψαι, BZ NS 18 (1974) 249-55; E. L OHSE , Lukas als Theologe der Heilsgeschichte, EvTh 14 (1954), 256-74; G. S CHNEIDER , Zur Bedeutung von καθεξῆς im lukanischen Doppelwerk, ZNW 68 (1977), 128-33; M. V ÖLKEL , Exegetische Erwägungen zum Verständnis des Begriffs καθεξῆς im lukanischen Prolog, NTS 20 (1973/ 74), 289- 99. 22 D. T ROBISCH , Die Endredaktion des Neuen Testaments, Fribourg - Göttingen 1996, 40ff. Zu den Teilsammlungen e, a, p und r vgl. Nestle-Aland 27 (40*) sowie die Angaben zum Umfang der Handschriften in Appendix I (683-718). Abgesehen von fragmentarischen Handschriften, die den Text von nur noch einer neutestamentlichen Schrift enthalten, zählt Trobisch 19 Handschriften (Papyri, Majuskeln, Minuskeln), die Reste von mehr als einer Schrift enthalten, aber zu fragmentarisch sind, um daraus genaue Rückschlüsse auf Umfang und Anordnung ziehen zu können (Endredaktion 45f). Nur fünf (! ) der vorbyzantinischen Handschriften weisen eine abweichende Reihenfolge auf. Von denen sind für unser Problem (Lk - Act) nur zwei von Bedeutung: P 45 aus der Chester-Beatty-Sammlung enthält die vier Evangelien und Act (bis 17,17); wenn auf Act die katholischen Briefe folgten, hätte der Kodex einmal 60 Doppelblätter (= 240 Seiten) besessen (Endredaktion 52f); er würde also die Teilsammlungen e und a komplett repräsentieren und genau in das postulierte Bild passen, auch stehen Lk und Act nicht nebeneinander. Eine wirkliche Ausnahme § 7: Der Anfang von *Ev und seine lk Bearbeitung 163 hat gezeigt, dass die Teilsammlungen und die Reihenfolge der in ihnen enthaltenen Schriften nicht auf zufälliges Wachstum zurückgehen können, sondern sich einer einheitlichen Redaktion verdanken müssen, die er als Kanonische Ausgabe bezeichnet. 23 Mit Blick auf die Zusammengehörigkeit von Lk-Act wird das einheitliche redaktionelle Konzept dieser Ausgabe vor allem in denjenigen Handschriften deutlich, die nur Lk oder Act enthielten, also entweder die Vierevangeliensammlung ohne den Praxapostolos oder den Praxapostolos ohne die Evangelien. 24 Diese These hat weitreichende Konsequenzen für die Entstehung der kanonischen Sammlung. Für unser Problem des Verhältnisses von Lk und Marcion stellt sie in methodischer Hinsicht die entscheidende, neue Einsicht dar: Denn sie belegt, dass die patristischen Nachrichten über Marcions Bibel die einzige wirklich alternative Ausgabe zum kanonischen NT bezeugen, für die wesentlich ist, dass sie neben den zehn Paulusbriefen das Evangelium ohne Act enthielt. Unter der hier vertretenen Prämisse der *Ev-Priorität ergibt sich daher für die lk Redaktion als erstes und wesentliches Ergebnis, dass durch die redaktionelle Hinzufügung des Prologs Lk und Act als zwei zusammengehörige Bände eines Werkes konstituiert werden. Wegen der Aufteilung beider Schriften auf verschiedene Teilsammlungen kann dies nur in großer zeitlicher und sachlicher Nähe zur Endredaktion der Kanonischen Ausgabe geschehen sein. Während die Zusammengehörigkeit von Lk-Act unter der Annahme der Lk- Priorität unübersehbare Schwierigkeiten aufwirft, 25 gewinnt sie im Rahmen der *Ev-Priorität eine hohe Plausibilität, weil sie als wichtiges Element der lk Bearbeitung von *Ev verständlich wird: Indem die lk Redaktion dem Evangelium den Prolog voranstellte, schuf sie zusammen mit dem komplementären Act-Prolog überhaupt erst das »lk Doppelwerk.« Dieses hat demzufolge nie als eigenständiges Werk unabhängig von der Kanonischen Ausgabe existiert. Der fehlende Titel dieses Werkes ist ein Problem nur für diese angenommene unabhängige Existenz, denn im Rahmen der Kanonischen Ausgabe tragen beide Bücher Titel, die auf den Herausgeber der Kanonischen Ausgabe zurückgehen. 26 Wichtiger ist, dass der Titel des kanonischen Evangeliums ja auch den Verfasser »Lukas« nennt und so ______________________________ stellt der Codex Bezae Cantabrigiensis (D 05, 5. Jh.) dar, der die Evangelien (in abweichender Reihenfolge: Mt, Joh, Lk, Mk) gefolgt von 3Joh und Act bietet; wegen der Zweisprachigkeit und der uneinheitlichen Stichometrie stellt D einen nicht repräsentativen Sonderfall dar (Endredaktion 51). 23 Vgl. die Zusammenfassung, Endredaktion 122ff. 24 Das betrifft also vor allem folgende Kombinationen von Teilsammlungen ohne a (e, e p, e r, e p r) bzw. solche ohne e (a, a p, a r, a p r); vgl. dazu K. A LAND , B. A LAND , Der Text des Neuen Testaments, Stuttgart 2 1989, 90f. 25 S. o. S. 144. 26 T ROBISCH , a. a. O. 58ff. 164 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk die ursprüngliche Anonymität, die *Ev und die frühe kanonische Evangelienüberlieferung insgesamt auszeichnet, auf dezente Weise rückgängig macht. Man muss also folgern, dass die lk Redaktion nicht nur - durch den Prolog - Lk und Act miteinander verband, sondern dem ursprünglich anonymen Evangelium und zugleich der Apostelgeschichte durch den Evangelientitel einen Verfasser zuschrieb. 27 b. Der Lk-Prolog und der Joh-Epilog Das Profil dieser lk Redaktion im kanonischen Horizont wird daran deutlich, dass sie den fiktiven Autor des Prologs »Ich« sagen lässt (ἔδοξε κἀμοί, 1,3), was innerhalb der Evangelienüberlieferung höchst ungewöhnlich ist: Ein vergleichbares Phänomen liegt nur in der Schlussnotiz Joh 21,25 vor, wo sich ebenfalls eine 1. Pers. Sg. zu Wort meldet (οἶμαι). 28 In beiden Fällen wird außerdem neben der 1. Pers. Sg. noch eine weitere Gruppe in der 1. Pers. Pl. genannt: In Lk 1,1f schließt sich der fiktive Autor mit seinem Widmungsträger Theophilos gleich zweimal zu einem »wir« zusammen (τὰ πεπληροϕορημένα ἐ ν ἡ μ ῖ ν πράγματα; καθὼς παρέδοσαν ἡ μ ῖ ν οἱ ἀπ’ ἀρχῆς αὐτόπται); und in Joh 21,24 stehen »wir« für die Richtigkeit des Überlieferungsgehaltes ein (οἴδαμεν). Diese Übereinstimmungen zwischen dem Lk-Prolog und dem Joh-Epilog sind kaum zufällig. In der synchronen Leserperspektive der Kanonischen Ausgabe sind sie vielmehr miteinander verschränkt und verweisen aufeinander: Die grundlegende Bewahrheitung der Richtigkeit der Tradition ist die Funktion einer Gruppe: »Wir haben unsere Kenntnis von Augenzeugen empfangen« bzw. »Wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist« - das kollektive Zeugnis besitzt eine größere Glaubwürdigkeit als das eines Einzelnen. Die Autorität für die Richtigkeit der Überlieferung liegt bei der Gruppe, in die sich die individuellen Gewährsleute einordnen. In beiden Fällen ______________________________ 27 Die Anonymität von Marcions Evangelium war für Harnack ein Problem: »Daß er das Ev. namenlos, d. h. ohne den Namen des Lukas, von der Überlieferung empfangen hat, ist ganz unwahrscheinlich: menschliche Autoritäten will M., Paulus ausgenommen, den Christus erweckt hat, nicht gelten lassen. Man darf daher nicht etwa folgern, daß unser 3. Ev. ursprünglich ohne den Namen des Lukas überliefert worden sei, weil M. diesen Namen nicht bietet« (H ARNACK 249* Anm. 3) - das ist eine klassische petitio principii, die überdies durch Tertullian (4,2,2) eindeutig widerlegt ist: »Marcion schreibt seinem Evangelium keinen Verfasser zu (evangelio … nullum adscribit auctorem) - gerade so, als hätte es ihm, der es nicht für ein Verbrechen hielt, das ganze Werk selbst zu ruinieren, nicht auch freigestanden, dazu auch noch einen Titel zu erfinden (quasi non licuerit illi titulum quoque affingere).« Vgl. auch Adam. 1,5 (806b-807b): Der Vorwurf des Marcioniten Megethius gegen Adamantius, dass Markus und Lukas keine Apostel Jesu seien (weil ihre Namen in den Jüngerlisten nicht begegnen), setzt voraus, dass *Ev keine Verfasserzuschreibung besaß. 28 T ROBISCH , a. a. O. 125f, versteht Joh 21,25 als »Editorial« der Kanonischen Ausgabe. Das betonte »Ich« des Visionärs Johannes (Apc 1,9), das in diesem Zusammenhang bisweilen erwähnt wird (Apc 1,1. 4. 9; 22,8), ist wegen des brieflichen Charakters und der mehrfachen Nennung des Namens im Text nicht unmittelbar vergleichbar, gehört aber in denselben Kontext der Traditionssicherung. Zu diesem Urteil vgl. auch u. § 14. § 7: Der Anfang von *Ev und seine lk Bearbeitung 165 bezieht sich die Funktion der Gruppe (»wir«) für die Richtigkeit der Tradition eher auf die inhaltlichen Aspekte der Überlieferung (traditum) als auf die formalen des Überlieferungsprozesses (traditio). Im Unterschied dazu äußert sich in beiden Fällen das »Ich« zu dem Problem der schriftlichen Abfassung der Evangelien. Hier geht es weniger um den Nachweis, dass der Inhalt korrekt ist und mit den Ereignissen übereinstimmt, als um die Frage, warum es dann mehrere voneinander abweichende Evangelien gibt, die gleichwohl den Anspruch auf Richtigkeit erheben. Dabei besitzt die Aussage des Lk-Prologs in der joh Schlussnotiz ein Widerlager, dessen Notwendigkeit sich erst auf der Ebene der Evangeliensammlung erweist: Beide Aussagen über das »Ich« reflektieren auf unterschiedliche Weise das Problem der Vielfalt - genauer: der Vierfalt - der Evangelien: Während der Lk-Prolog die Notwendigkeit der Abfassung einer zusätzlichen Evangelienschrift begründet, obwohl es doch schon andere gibt (»Ich habe, wie andere vor mir, ein Evangelium verfasst«), hat die Bemerkung Joh 21,25 - die ja wohl im Sinn von »Ich glaube, vier sind genug! « zu verstehen ist - die Funktion, diese Vielfalt zu begrenzen. Joh 21,25 setzt also die Lk 1,1-4 begründeten Vielfalt voraus und erkennt sie an, begrenzt sie aber auf die vier kanonischen Evangelien, und zwar in Verbindung mit dem Votum für den Lieblingsjünger, dessen »Zeugnis wahr« ist. 29 Die Zwillingstexte können die Glaubwürdigkeit der Tradition allerdings nicht anonym vertreten: Das »Ich«, mit dem der fingierte Autor des gesamten »Doppelwerks« Lk-Act sich für die Zuverlässigkeit seiner eigenen διήγησις verbürgt, ist nur dann wirksam, wenn den Leserinnen und Lesern seine Identität bekannt ist. Damit gilt für ihn das gleiche wie für den Jünger von Joh 21,24, der »über diese Dinge Zeugnis abgelegt und geschrieben hat«: Beide sind über die Evangelientitel mit den Verfasserzuschreibungen durch die Leser als »Lukas« bzw. als »Johannes« identifizierbar. Im Blick auf den Lk-Prolog muss man daher sagen, dass seine Beziehung zum Evangelientitel mit der Verfasserzuschreibung für die redaktionell intendierte Wirkung konstitutiv ist: Für Leser eines vorkanonischen, eigenständigen lk Doppelwerks bliebe das »Ich« des Prologs anonym und nichtssagend, für die Leser der Kanonischen Ausgabe gewinnt der fingierte Verfasser »Lukas« durch seine Identität (als Apostelschüler und Paulusbegleiter) Glaubwürdigkeit und Autorität. 30 Dass die Kanonische Redaktion des marcionitischen Evangeliums die ______________________________ 29 Die kanonische Pespektive von Joh 21,25 lässt sich auch aufgrund weiterer Beobachtungen wahrscheinlich machen. S. dazu u. § 14.4. 30 Zum Konzept der Autorisierung der neutestamentlichen Schriften durch die (pseudonymen) Verfassernamen vgl. T ROBISCH , a. a. O. 73ff; M. K LINGHARDT , Die Wahrheit der Fälschung, ZGP 22 (2004/ 4) 2-4. Unabhängig davon, wie man das literarische Phänomen der Wir-Berichte in Act deutet, ist klar, dass die 1. Pers. Pl. aus Leserperspektive auf den fingierten Autor »Lukas« bezogen wird und ihn als Begleiter des Paulus ausweist. 166 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk Versicherung der Überlieferung nun gerade dem Paulusschüler Lukas zuschreibt, ist sicher kein Zufall: Die Verbindung zwischen Marcions Evangelium und Paulus wurde ja seit Irenaeus gesehen. Dabei spielte die Tatsache, dass das Evangelium des Paulusanhängers Marcion (im Gefolge der Anonymität, die die vorkanonische Evangelienabfassung auszeichnet) keinen Verfasser nennen konnte, das kanonische Lk-Evangelium aber gerade vom Paulusbegleiter »Lukas« stammte, für die katholischen Gegner Marcions eine wichtige Rolle: Der argumentative Triumph fiel noch beeindruckender aus, wenn man zeigen konnte, dass Lukas und Markus als Apostel des irdischen Jesus Paulus gewissermaßen »überlegen« waren. 31 Als Teil der lk Redaktion von *Ev gewinnt der Lk-Prolog sein Profil und seine Wirkung also erst im Rahmen der Kanonischen Ausgabe, nicht in einem davon unabhängigen Doppelwerk. Und nur in diesem Rahmen werden die Einwände der Titellosigkeit und der fehlenden Verfasserangabe gegenstandslos. Die wiederholt angestellten Überlegungen, ob denn der Lk-Prolog sich nur auf das Lk-Evangelium oder auf das Gesamtwerk Lk-Act beziehe, 32 lassen sich von daher präzisieren: Zwar leitet Lk 1,1-4 zunächst nur das Evangelium ein und bezieht sich mit der Abgrenzung von den »Vielen« erkennbar auf andere (aber defizitäre) Evangelien, nicht jedoch auf andere »historiographische« Werke, die bis in die eigene Gegenwart reichen. Aber obwohl der Prolog mit seiner strukturierenden Funktion den Inhalt des Evangeliums von Act abgrenzt, 33 blickt er auf das »lk Gesamtwerk« ______________________________ 31 Vgl. Adam. 1,5 (806b/ 807b): Adamantius widerlegt den Vorwurf des Megethius, dass die kanonischen Evangelien falsch seien (weil Markus und Lukas nicht in den Jüngerlisten der Evangelien auftauchen) mit dem Hinweis, dass Christus noch andere Apostel hatte: »[Ad.] Er sandte zuerst die Zwölf und danach die 72 aus, um das Evangelium zu verkünden. Markus und auch Lukas, die zu diesen 72 gehörten, haben zusammen dem Apostel Paulus das Evangelium verkündet. - [Meg.] Das ist unmöglich, denn wann hätten sie Paulus gesehen? - [Ad.] Ich werde dir beweisen, dass der Apostel (sc. Paulus) selbst für Markus und Lukas Zeugnis ablegt! - [Meg.] Ich glaube deinem falschen Apostolikon nicht! - [Ad.] Dann nimm dein Apostolikon, auch wenn es sehr verstümmelt (περικεκομμένον) ist, und ich werde beweisen, dass Markus und Lukas Mitarbeiter des Paulus waren. - [Meg.] Zeige es! - [Ad.] Ich lese am Ende des Kolosserbriefs des Paulus … (folgt Zitat von Kol 4,10.14 mit der Nennung des Markus und des Lukas). Ich habe die Beweise des Briefes dargelegt! Du siehst, dass der Apostel selbst für sie Zeugnis ablegt! - [Eutr., der Schiedsrichter] Der Beweis für sie ist offenkundig.« 32 Vgl. S. B ROWN , The Role of the Prologues in Determining the Purpose of Luke-Acts, in: Ch. Talbert (ed.), Perspectives on Luke-Acts, Danville 1978, 99-111: 101f, der diese Frage für nicht beantwortbar hält. Zumindest dürfte klar sein, dass sie sich - angesichts des redaktionellen Charakters von 1,1-4 - nicht »aus dem Einzelwortlaut des Proömiums selbst im Vergleich mit dem Inhalt der folgenden beiden Schriften« lösen lässt (so W. R ADL , Lk I 26): Das wäre nur dann eine naheliegende Option, wenn der Prolog mit dem gesamten Text von Lk und Act gleichursprünglich wäre. 33 J. S CHRÖTER , Lukas als Historiograph. Das lukanische Doppelwerk und die Entdeckung der christlichen Heilsgeschichte, in: ders., Von Jesus zum Neuen Testament, Tübingen 2007, 223-246: 230f. § 7: Der Anfang von *Ev und seine lk Bearbeitung 167 voraus, da seine Einfügung von derselben redaktionellen Hand stammt, die Lk und Act zu einem Ganzen kombiniert hat. Nimmt man die neueren Beobachtungen hinzu, dass die Zusammengehörigkeit von Lk-Act sich auf der Ebene des Inhalts, nicht aber auf der der Erzählform realisiert und daher von den Lesern selbst bei der Rezeption zu konstituieren ist, 34 dann verstärkt sich das Gewicht der Beobachtung zur handschriftlichen Überlieferung, dass Lk und Act nie in unmittelbarer Folge und nie in einer Sammlungseinheit bezeugt sind: Die literarische Einheit, innerhalb derer der Lk-Prolog seine Funktion gewinnt, ist die gesamte Kanonische Ausgabe. 35 c. Antimarcionitische Elemente im Lk-Prolog Mit der Erkenntnis, dass der Prolog - und damit: die redaktionelle Verbindung von Lk und Act zu ihrer jetzigen literarischen Gestalt - auf die Ebene der Kanonischen Redaktion (oder wenigstens in ihre unmittelbare Nähe) gehört, gewinnen auch die meisten Einzelfragen, die zu fast jedem einzelnen Wort des Prologs kontrovers diskutiert werden, ihr eigenes Profil. Ich greife nur einiges heraus. Der ἵνα-Satz 1,4 beschreibt die redaktionelle Intention der Verbindung von Lk und Act sehr betont in Achterstellung als Vermittlung von »Sicherheit über die Worte, über die du unterrichtet wurdest.« 36 Vorausgesetzt ist dabei, dass der fingierte Leser Theophilos 37 zwar einerseits eine christliche (und vom fingierten ______________________________ 34 Vgl. z. B.: M. C. P ARSONS , R. I. P ERVO , Rethinking the Unity of Luke and Acts, Minneapolis 1993, 45-83; D. M ARGUERAT , Luc-Actes: une unité à construire, in: J. Verheyden (ed.), The Unity of Luke-Acts, Leuven 1999, 57-81. 35 Die Forschung hat in der Frage des Bezugs von Lk 1,1-4 stark divergierende Lösungen angeboten (vgl. die kurze Übersicht bei R ADL , Lk I 30 Anm. 1). Ich werte diesen Umstand als Indikator dafür, dass die literarischen Beziehungen zwischen den Prologen bzw. zwischen Lk und Act am Ende doch weniger klar sind, als sie im Horizont der Lk-Priorität weithin schienen. 36 Es ist verschiedentlich aufgefallen, dass der Wortstamm ἀσϕαλin Act mehrfach auftaucht, und zwar verschiedentlich im Sinn der Zuverlässigkeit der Tatsachen (vgl. Act 2,36; 5,23; 16,23f; 21,34; 22,30; 25,26), s. I. J. DU P LESSIS , Once More. The Purpose of Luke’s Prologue (Lk I 1-4), NT 16 (1974) 259-271: 267f. Je näher diese ἀσϕαλ-Aussagen dem redaktionellen Konzept kommen, desto stärker stehen sie selbst im Verdacht, Teil dieser Redaktion zu sein. 37 Unter der Perspektive der Leserorientierung erweist sich die Frage, ob »Theophilos« vielleicht eine reale Person sei, als obsolet: Die Leser von Lk-Act im Rahmen der Kanonischen Ausgabe sollen ihn nicht identifizieren, sondern sich in ihm wiederfinden. Die altkirchliche Rezeption hat diese »Leseanweisung« auch so verstanden. Vgl. etwa Origenes, Hom. in Lc 1,6 (FC 4/ 1, 69): »Vielleicht meint jemand von euch, Lukas habe sein Evangelium für einen bestimmten ›Theophilos‹ geschrieben. Ihr alle jedoch, die ihr uns reden hört, seid ›Freunde Gottes‹, wenn ihr so seid, dass ihr von Gott geliebt werdet.« Ähnlich auch Ambrosius, Expos. Ev. Luc. 1,11 (CSEL 32, 4,18); vgl. dazu R. D ILLMANN , Das Lukasevangelium als Tendenzschrift. Leserlenkung und Leseintention in Lk 1,1-4, BZ NS 38 (1994), 86-93: 89; M. K LINGHARDT , Erlesenes Verstehen. Leserlenkung und implizites Lesen in den Evangelien, ZNT 21 (2008), 27-37: 36f mit Anm. 22. 168 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk Autor »Lukas« akzeptierte) Unterweisung erhalten hat, zugleich aber über deren Richtigkeit verunsichert ist. Die Frage, wodurch diese Verunsicherung entstanden sein könnte, ist komplex und kann nicht unter Absehung des redaktionellen Charakters von Lk 1,1-4 beantwortet werden. Die nächstliegende Antwort verweist auf die »vielen Versuche«, auf die der Prolog Bezug nimmt. Jedoch ist die Wendung »Viele haben den Versuch unternommen (πολλοὶ ἐπεχείρησαν)« alles andere als eindeutig. Der Hinweis, dass vergleichbare Aussagen gattungstypisch 38 sind, klärt weder, ob ἐπιχειρέω neutral oder in malam partem zu verstehen ist, 39 noch worauf (oder auf wen) πολλοί eigentlich referiert. Da »viele« mindestens zwei sind, verweist man meistens auf Mk und Q. 40 Die traditionelle Ansicht, die mit einer (von der Kanonischen Ausgabe) unabhängigen Existenz des Doppelwerks Lk-Act rechnet, gerät hier in eine Zwickmühle: Wenn man πολλοὶ ἐπεχείρησαν nicht als Kritik versteht und aus der Wendung ἔδοξε κἀμοί (Lk 1,3) die Kontinuität mit den Vorgängern herausliest, in deren »Versuche« sich der Prolog einreiht, 41 dann bleibt das Problem, warum durch diese akzeptablen »Versuche« der Vorgänger eine solche Verunsicherung entstanden sein sollte, die am Ende die Abfassung eines neuen Evangeliums notwendig macht: Die »Worte, über die du unterrichtet worden bist« (Lk 1,4), wären in diesem Fall mit den »Versuchen« der Vielen identisch, und es müsste an sich genügen, deren Richtigkeit nachzuweisen - ein weiterer, alternativer Versuch könnte da eigentlich nur störend wirken. Wenn man dagegen aus ἐπεχείρησαν einen Antagonismus gegenüber den Vorgängern heraushört und πολλοί als Referenz auf die anderen (kanonischen) Evangelien versteht, dann wäre die »Verunsicherung« Defiziten geschuldet, die aus der kanonischen Evangelienüberlieferung resultieren: Der Prolog würde diese Evangelien (Q? Mk? Mt? ) nicht stützen, sondern ihnen mit exklusivem Geltungsanspruch (»erst meine kritische Überprüfung der gesamten Überlieferung ermöglicht Sicherheit«) die Legitimation entziehen. Für diesen Fall bliebe unklar, worauf sich eigentlich die katechetische Unterweisung des Theophilos ______________________________ 38 Vgl. zuletzt L. A LEXANDER , The Preface to Luke’s Gospel, Cambridge 1993, 107. 39 Die Kritik an den Vorgängern ist einer der festen Topoi vergleichbarer Proömien (vgl. nur Josephus, c. Ap. 1,6ff; 14ff; Polybios 12,28,1ff). Dass die Konventionalität des Topos keinerlei Rückschlüsse auf das Verständnis von Lk 1,1 mehr zulasse (so A LEXANDER , a. a. O. 110), bedeutet die Kapitulation der Interpretation vor der Analogiensuche. Verschiedentlich ist vermerkt und betont worden, dass Lk auf direkte Kritik an seinen Vorgängern verzichtet (Belege bei R ADL , Lk I 27 Anm. 36). 40 Z. B. B OVON , Lk I 34. Das setzt (im Rahmen der Zwei-Quellentheorie) voraus, dass Mt und Lk unabhängig voneinander entstanden sind; das gilt jedoch gerade für diejenigen Partien nicht, die (wie der Prolog) redaktionell eingearbeitet wurden: Der Redaktor des Prologs hat z. B. auch Lk 3,1b-4,15 eingefügt und kannte Mt mit Sicherheit. 41 Vgl. nur R ADL , Lk I 27 mit den Anm. 36f genannten Autoren. § 7: Der Anfang von *Ev und seine lk Bearbeitung 169 gestützt haben könnte, denn die wird ja durchaus positiv gesehen. Schwierig ist an dieser Erklärung aber vor allem der Umstand, dass eine solche Kritik an anderen Evangelien bzw. an der Vielfalt der Evangelienüberlieferung im Rahmen der Kanonischen Ausgabe stehen geblieben sein sollte: Sie ist eigentlich nur unter der Voraussetzung einer von der Kanonischen Ausgabe unabhängigen Publikation von Lk-Act denkbar, die aber aus anderen Gründen auszuschließen ist. Für das Verständnis des Prologs sind also zwei Momente festzuhalten: Auf der einen Seite ist die grundsätzlich positive Bewertung der Evangelienüberlieferung unaufgebbar, die »Worte, in denen du unterrichtet wurdest« (und die ja Jesusüberlieferung enthalten haben müssen), werden bestätigt und gutgeheißen. Auf der anderen Seite impliziert die »Verunsicherung«, gegen die der Prolog angeht, kritische Distanz; es ist schon von der Konstruktion dieses Satzgefüges her kaum möglich, sie auf etwas anderes als auf die »Versuche der Vielen« zu beziehen. Wie der Prolog die »Worte, in denen du unterrichtet wurdest« positiv bewerten und sich zugleich kritisch von den Versuchen der »Vielen« absetzen kann, zeigt vielleicht am ehesten Origenes; er behauptet, dass Lk 1,1 »eine versteckte Anklage gegen diejenigen enthält, die ohne Inspiration durch den heiligen Geist sich erkühnt haben, Evangelien zu schreiben.« 42 Davon sind natürlich die anderen kanonischen Evangelien ausgenommen. 43 Nimmt man noch Origenes’ Beobachtung dazu, dass »Lk« das von den Häretikern am intensivsten rezipierte Evangelium war, 44 dann ist das ein schöner Hinweis, der perfekt auf Marcion passt. Tatsächlich lässt sich der ἵνα-Satz Lk 1,4 unter den geschilderten Bedingungen im Rahmen der Kanonischen Ausgabe ja auch kaum anders verstehen: Wenn das kanonische Lk-Evangelium die Zuverlässigkeit der »Worte, in denen du unterrichtet wurdest« vermitteln will, dann können diese nicht sehr viel Anderes enthalten haben als das, was Lk dann tatsächlich bietet. Die Verunsicherung ist also nicht durch die sachlichen Unterschiede zwischen den kanonischen Evangelien hervorgerufen worden, sondern durch andere »Versuche«, die eine große Ähnlichkeit mit Lk haben mussten. Sofern die »Worte, in denen du unterrichtet wurdest« auf Mk und Mt verweisen, blickt der Prolog also durchaus positiv auf diese Evangelien zurück, die dem kanonischen Lk nicht nur in der Anlage der Vier-Evangelien- Sammlung, sondern (wie der Redaktor mit Sicherheit weiß) auch zeitlich vorangehen. Aber so wenig, wie die anderen kanonischen Evangelien die beklagte Verunsicherung geschaffen haben, so wenig können sie diese beseitigen. Wie der Prolog erkennen ______________________________ 42 Origenes, Hom. in Lc 1,1: hoc quod ait: ›Conati sunt‹, latentem habet accusationem eorum, qui absque gratia Spiritus sancti ad scribenda evangelia prosiluerunt. 43 »Allerdings haben Matthäus, Markus, Johannes und Lukas nicht ›den Versuch unternommen‹ zu schreiben, sondern sie schrieben Evangelien voll des Heiligen Geistes« (ebd.). 44 Origenes, Hom. in Lc 16,5; 20,3 (o. S. 86f Anm. 19f). 170 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk lässt, sind sie dazu schon deshalb nicht in der Lage, weil sie die »unter uns 45 zur Vollendung gelangten Ereignisse« ja überhaupt nicht schildern: Dieses Element ist dem (neu entstandenen) Doppelwerk Lk-Act vorbehalten. Mit πολλοὶ ἐπεχείρησαν umschreibt der Prolog daher am einfachsten das Evangelium Marcions, das er natürlich nicht beim Namen nennen kann, ohne sein eigenes Konzept zu diskreditieren. Die Verunsicherung, der das kombinierte Doppelwerk Lk-Act wehren soll, ist ebenso einfach wie plausibel auf die Irritationen zurückführen, die durch die Diskrepanz zwischen *Ev gegenüber dem eigenen »Versuch« im Rahmen der Kanonischen Ausgabe entstehen mussten. Der Prolog fungiert hier folglich als selffulfilling prophecy: Er verspricht eine Lösung für genau diejenigen Schwierigkeiten, die erst durch die redaktionelle Überarbeitung (zu der auch die Abfassung des Prologs gehört) und ihre Einbindung in die Kanonische Ausgabe entstehen: Die Verunsicherung des »Gottesfreundes« resultiert aus der Diskrepanz zwischen dem vorkanonischen *Ev, das ja - wie die Untersuchung zum »Westlichen Text« ergeben hatte - weit verbreitet war, und der abweichenden kanonischen Fassung des Lk, wogegen die Zuverlässigkeit der kanonischen Ausgabe auf Elementen beruht, die der Prolog anpreist. Dazu passt, dass der Prolog die »Unsicherheit« ja auch nicht durch Verweis auf die Apostolizität der anderen kanonischen Evangelien beseitigen will. Vielmehr reklamiert er die Überlegenheit von Lk-Act gegenüber den »Versuchen der Vielen« aufgrund der bekannten Elemente: Übereinstimmung mit denen, die »von Anfang an Augenzeugen« waren; genaues und umfassendes »Nachgehen von ganz vorne an«; Abfassung in der richtigen Reihenfolge (καθεξῆς). Diese drei Elemente hängen eng miteinander zusammen: Erstens bezieht sich die Berufung auf »die Augenzeugen von Anfang an (οἱ ἀπ’ ἀρχῆς αὐτόπται)« bekanntlich auf »alles, was Jesus gesagt und getan« hatte (Act 1,1). Nach den Kriterien von Act 1,21f stellt die Johannestaufe den Beginn (ἀρχή) dieser Augenzeugenschaft dar. 46 An dieser Stelle zeigt sich die redaktionelle Verklammerung von Lk und Act besonders deutlich, denn *Ev besaß ja überhaupt keine Taufüberlieferung: Die redaktionelle Erweiterung von *Ev um die Tauf- und Versuchungstradition (Lk 3,1b-4,13) wird hier durch Act 1,1f.21f gestützt. Denn ______________________________ 45 Dieses »wir« (ἐν ἡμῖν 1,1) fingiert den impliziten Leser und seine Zeit: Der Lk-Prolog erweckt den Eindruck, als gehörten der Verfasser »Lukas« und der implizite Leser »Theophilus« der zweiten apostolischen Generation an, wogegen der reale Autor sein Werk erst im zweiten Drittel des 2. Jh. verfasst hat. Auf diese Weise wird das (im Vergleich zu Marcions Tätigkeit) größere Alter von Lk- Act festgeschrieben, das Tertullian gegen die Authentizität von Marcions Evangelium ins Feld führt. Tertullian hat diese Fiktion der Abfassungszeit so wenig durchschaut wie viele seiner Nachfolger. 46 Auch nach Act 13,24 ist die Umkehrtaufe des Johannes die εἰσόδος Jesu, von der Act 1,21 spricht. § 7: Der Anfang von *Ev und seine lk Bearbeitung 171 wenn »Diener des Wortes« nur werden kann, wer »angefangen von der Johannestaufe« »in der ganzen Zeit« (ἐν παντὶ χρόνῳ) mit uns gegangen ist, weil er nur so »über alles« (περὶ πάντων) orientiert ist, was Jesus gesagt und getan hat, dann verfehlt *Ev schon aufgrund seiner defizitären Kürze die Voraussetzungen für diese Legitimation. Der betonte Verweis auf die Vollständigkeit ist hier unbeschadet seiner gattungstypischen Analogien 47 sachlich notwendig, weil die umfangreichere Überlieferung im kanonischen Lk selbst zum Nachweis der Überlegenheit wird. Die Wirkung dieses Nachweises ist allerdings auf die Zusammengehörigkeit von Lk-Act angewiesen: Sie setzt das redaktionelle Konzept der Kanonischen Ausgabe voraus und bestätigt es zugleich. Die Begründungsfunktion der umfangreicheren Überlieferung in Lk 1-4 ist - zweitens - davon abhängig, dass sie inhaltlich zuverlässig ist. Ihre Glaubwürdigkeit wird dadurch sichergestellt, dass »ich von Anfang an allem sorgfältig nachgegangen bin (παρηκολουθηκότι ἄνωθεν πᾶσιν ἀκριβῶς).« Da πᾶσιν maskulinisch oder neutrisch verstanden werden kann, ist nicht klar, ob παρακολουθέω hier »hinter jemandem hergehen« oder »eine Sache verfolgen« bedeutet. In der Regel nimmt man unter Verweis auf die historiographischen Analogien das sorgfältige Quellenstudium des »Historikers« Lk an, wofür auch ἄνωθεν und ἀκριβῶς sprechen: Wenn ἄνωθεν hinter die durch Autopsie gesicherten Ereignisse »von Anfang an (ἀπ’ ἀρχῆς)« zurückgreift, dann könnten damit die Kindheitsgeschichten Lk 1f gestützt worden sein. 48 Aber wie kann man sich den sorgfältigen Zugang zur vollständigen Information vorstellen, solange schriftliche Quellen nicht als solche etabliert waren, wenn nicht als direkten Kontakt zu den Augenzeugen? Gerade unter dem Gesichtspunkt, dass die lk Redaktion eine ältere Quelle verdrängen will, ist der Gedanke nicht von der Hand zu weisen, dass παρακολουθέω auf dezente Weise an den unmittelbaren Kontakt des fingierten Verfassers »Lukas« zu Paulus anspielt, der sich aus der Perspektive der Leser zwingend aus den Wir-Passagen in Act ergibt. 49 Drittens ist schließlich für die Überlegenheit des kanonischen Evangeliums von Bedeutung, dass der fingierte Autor »Lukas« seinen Bericht »folgerichtig« abgefasst hat. Die genaue Bedeutung von καθεξῆς ist bekanntlich umstritten und viel debattiert, 50 weil die nächstliegende Bedeutung (»der Reihe nach«) hier nicht ______________________________ 47 Vgl. L. A LEXANDER , The Preface to Luke’s Gospel, Cambridge 1993, 109 (zur Abgrenzung von den »vielen« Vorgängern). 48 Vgl. G. K LEIN , Lukas 1,1-4 als theologisches Programm, in: G. Braumann (Hg.), Das Lukas- Evangelium (WdF 280), Darmstadt 1974, 170-203: 191. 49 Vgl. z. B. A. J. B. H IGGINS , The Preface to Luke and the Kerygma in Acts, in: W. W. Gasque (ed.), Apostolic History and the Gospel, Exeter 1970, 78-91: 79-83. 50 Vgl. S. B ROWN , The Role of the Prologues in Determining the Purpose of Luke-Acts, in: Ch. Talbert (ed.), Perspectives on Luke-Acts, Danville 1978, 99-111; J. K ÜRZINGER , Lk 1,3 … ἀκριβῶς καθεξῆς 172 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk zu passen scheint: Das Programm deckt sich »nicht mit der Folge der Ereignisse, wie sie Lukas von seinen Vorgängern überliefert und sicher auch von ihm selbst erkundet worden ist.« 51 In der Tat lässt sich die Anlage der Erzählfolge gerade in dem wichtigen Fall der Täufertradition kaum anders beurteilen denn als »Freiheit, Späteres vorwegzunehmen« und »ganze Erzählstücke entgegen dem tatsächlichen Verlauf umzustellen.« 52 Aber diese »Freiheit« hat Lk sich nicht gegenüber Mk oder Mt genommen, sondern gegenüber *Ev. Vor allem aber hat er es peinlich vermieden, den Eindruck zu erwecken, sich irgendwelche »Freiheiten« in der Präsentation seines Stoffes zu erlauben. Wollte man nämlich die »sorgfältige Nachforschung« auf die Übereinstimmung des Lk mit Mt, Mk oder gar mit »Q« beziehen, wäre es um sein Ziel der Vermittlung von Sicherheit in der Tat schlecht bestellt: Lk hätte im Vergleich zu diesen Texten ja sehr viel mehr Differenzen produziert als beseitigt. Aber die historisch-kritische Dimension der Rekonstruktion der synoptischen Überlieferungsgeschichte trifft nicht das redaktionelle Verfahren. Denn wenn Verunsicherung überhaupt erst durch die Diskrepanzen zwischen *Ev und Lk entsteht, genügt es für die intendierte Etablierung von »Zuverlässigkeit«, das marcionitische Evangelium durch den Nachweis einer falschen Reihenfolge zu diskreditieren, die ja bereits durch die Umstellung von Lk 4,16-30 vor 4,31-37 evident ist. Die redaktionelle Funktion von καθεξῆς ist also im Rahmen des literarischen Konzeptes von Lk-Act rein negativ zu verstehen: Sie richtet sich gegen einen Evangelientext, der dem kanonischen Lk sehr ähnlich ist, die Ereignisse aber in einer anderen Abfolge erzählt: *Ev. Fragt man nach dem redaktionellen Interesse des Prologs und nach der Kohärenz, die der Prolog im Gesamtzusammenhang von Lk-Act besitzt, dann ist deutlich: Das redaktionelle Interesse, das der Prolog in allen seinen Bestandteilen zu erkennen gibt, ist seine deutliche anti-marcionitische Tendenz. Diese bezieht sich nicht so sehr in materialer Hinsicht auf die dogmatische Kritik an der Theologie Marcions und der Marcioniten, sondern ist eher formal zu verstehen und auf die literarische Diskreditierung des älteren (auch von Marcion benutzten) Evangelientextes zu beziehen, der durch den redaktionell erweiterten (und kanonisch gewordenen) ersetzt werden soll. Die im engeren Sinn theologische Intention dieser Redaktion lässt sich daher weniger dem Prolog selbst entnehmen als dem gesamten redaktionellen Verfahren, mit dem das ältere marcionitische Evangelium bearbeitet, erweitert, mit Act zu einem »Doppelwerk« verbunden und ______________________________ σοι γράψαι, BZ NS 18 (1974) 249-55; G. S CHNEIDER , Zur Bedeutung von καθεξῆς im lukanischen Doppelwerk, ZNW 68 (1977), 128-33; M. V ÖLKEL , Exegetische Erwägungen zum Verständnis des Begriffs καθεξῆς im lukanischen Prolog, NTS 20 (1973/ 74), 289-99. 51 R ADL , Lk I 32. 52 R ADL (ebd.) mit Verweis auf Lk 3,19f (diff. Mk 6,21-29) und 4,16-30 (diff. Mk 6,1-6a). § 7: Der Anfang von *Ev und seine lk Bearbeitung 173 in die Kanonische Ausgabe integriert wurde: Dies ist zwar nicht exakt eine Interpolation ad concorporationem legis et prophetarum, wie sie Marcion seinen katholischen Gegnern vorgeworfen hatte, 53 aber sie kommt ihr doch auf eindrückliche Weise nahe. 3. Die lk Redaktion der Nazarethperikope (Lk 4,16-30) Es gibt kaum einen besser geeigneten Text als die Nazarethperikope, um die lk Bearbeitung von Marcions Evangelium im Rahmen eines stringenten, Lk und Act verbindenden redaktionellen Konzeptes zu erweisen: In Lk 4,16-30 sind zahlreiche, längst erkannte redaktionelle Linien wie in einem Knoten geschürzt, die als Ausdruck der programmatischen Gestaltung zu gelten haben. 54 Für das hier zu klärende Problem der Bearbeitungsrichtung zwischen *Ev und Lk besitzen diese Elemente insofern grundlegende Bedeutung, als sie nur durch Lk, nicht aber durch *Ev bezeugt sind. Ich begnüge mich mit einigen kurzen Hinweisen auf das Offensichtliche. 1. Das erste programmatische Auftreten Jesu in der Öffentlichkeit besitzt eine enge Parallele im ersten Auftreten des Paulus in Act. 55 Die Schilderung des ersten Auftretens des Paulus nach seiner Berufung in der Synagoge von Damaskus (Act 9,19-25) ist von der Struktur Lk 4,16-30 sehr ähnlich. a. Lk lässt Jesus wie Paulus ihr öffentliches Auftreten damit beginnen, dass sie »in den Synagogen« verkündigen bzw. lehren (Lk 4,15; Act 9,20). b. Der Inhalt der jeweiligen Verkündigung ist christologisch akzentuiert und impliziert im lk Kontext eine universale Dimension: Jesus ist der Gesalbte Gottes (Lk 4,21 unter Bezug auf das Mischzitat Jes 61,1f; 58,6) bzw. der Sohn Gottes (Act 9,20b, was sogleich dahingehend präzisiert wird, dass er der Gesalbte ist: 9,22). c. In beiden Fällen reagiert die Menge in der Synagoge mit Staunen bzw. Entsetzen (Lk 4,22; Act 9,21), das d. in ähnlich formulierten Fragen nach der wahren Identität des Sprechers konkretisiert wird (Lk 4,22: Sohn Josephs; Act 9,21: Christenverfolger). e. In beiden Fällen gibt es einen Tötungsversuch bzw. -beschluss (Lk 4,28f; Act 9,23), aber beide entkommen (Lk 4,30; Act 9,25). Neben dieser Szene steht noch die erste ausgeführte Paulusrede im pisidischen Antiochia (Act 13,14-52). Auch zu dieser Rede gibt es offenkundige Parallelen, 56 die weit über strukturelle Entsprechungen hinausgehen. ______________________________ 53 Tert. 4,4,4, o. S. 149 Anm. 60. 54 Vgl. zuletzt zusammenfassend F R . N EIRYNCK , Luke 4,16-30 and the Unity of Luke-Acts, in: J. Verheyden (ed.), The Unity of Luke-Acts, Leuven 1999, 357-395. 55 Vgl. P H . E SLER , Community and Gospel in Luke-Acts, Cambridge 1987, 235 mit Anm. 39. 56 Vgl. vor allem W. R ADL , Paulus und Jesus im lukanischen Doppelwerk, Bern - Frankfurt/ M. 1975, 82-100; M. K ORN , Die Geschichte Jesu in veränderter Zeit, Tübingen 1993, 56-85. 174 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk Einleitung der Perikope mit der Ankunft in der Stadt; Eingangswendung (Hineingehen in die Synagoge am Sabbat); 57 Lesung aus (Gesetz und) Propheten; Lehre im Sitzen bzw. Stehen; erste positive Reaktion durch die Hörer; Thema der Heidenmission; daraufhin Eifersucht der Juden mit Ablehnung und Verfolgung; Jesus bzw. Paulus und Barnabas gehen einfach ungehindert fort. Die strukturellen Entsprechungen, vor allem der Wechsel von anfänglicher Zustimmung und folgender Ablehnung, sind kein Zufall: Es handelt sich um das bekannte Schema, das sich in anderen wichtigen Texten in Act fortsetzt. 58 Unabhängig davon, wie man dieses Schema interpretiert, ist doch offenkundig, dass hier das für Lk zentrale Thema des Verhältnisses von Juden und (Heiden- )Christen diskutiert wird - und dass diese Verhältnisbestimmung bereits in Lk 4,25-28 im Mund Jesu antizipiert wird. Dabei wird der Akzent der biblischen Beispiele in Lk 4,25-27, dass das Heil nicht Israeliten, sondern Fremden zukommt, erst durch die Act-Erzählung realisiert. Diese Beobachtung ist von größter Bedeutung für die Frage der Bearbeitungsrichtung. Denn im Horizont der Lk-Priorität müsste man annehmen, dass Marcion peinlich genau all diejenigen Elemente aus Lk gestrichen hätte, die eine konzeptuelle Fortsetzung in Act besitzen und so die beiden Bücher als ein Doppelwerk in zwei Bänden konstituieren. Diese Vorstellung ist völlig unwahrscheinlich: Marcion hatte überhaupt keine Probleme mit der Heidenmission oder mit ihrer theologischen Begründung durch Jesus oder durch die Propheten. Im Zusammenhang der Nazarethperikope wird dies am Beispiel des Syrers Naemans deutlich, das *Ev nicht in 4,27, wohl aber in *17,18 enthielt (vgl. die Rekonstruktion): Wieso sollte er dieses Beispiel in Kap. 4 gestrichen, es dann aber in Kap. 17 eingefügt haben? Ein theologisches Argument für Marcions angebliche Eingriffe in Lk 4,16-30 gibt es also nicht. Die Wahrnehmung der übergreifenden redaktionellen Linien fügt dem inhaltlichen Argument aber auch ein formales hinzu: Denn während Marcions angebliche Redaktion mit Blick auf die Beseitigung theologisch missliebiger Inhalte vollkommen inkonsequent verfahren wäre, hätte er es geschafft, alle Spuren komplett zu tilgen, die eine kompositionelle Verbindung zwischen Lk und Act konstituieren - obwohl er sich an den entsprechenden Aussagen inhaltlich überhaupt nicht gestört haben dürfte. Diese Annahme ist völlig unglaubhaft. 2. Auch für die zwei wichtigen Petrusreden Act 2 und 10 lassen sich Verbindungen zu Lk 4,16-30 ziehen. Zur Pfingstrede Act 2,17-40 fällt zunächst wieder der analoge ______________________________ 57 Zu Lk 4,16 vgl. außerdem Act 17,1f. Die engen Entsprechungen in der Formulierung verraten dieselbe gestalterische Hand auch in den anderen Paulusreden in Synagogen. 58 Zu Act 13,(42-)46; 17,4f; 18,6; 28,28 usw. vgl. (mit Lit.! ) J. B. T YSON , The Jewish Public in Luke- Acts, NTS 30 (1984) 574-583; DERS ., Jews and Judaism in Luke-Acts: Reading as a Godfearer, NTS 41 (1995) 19-38. § 7: Der Anfang von *Ev und seine lk Bearbeitung 175 Aufbau der jeweiligen Szenen auf. 59 Sodann ist die vergleichbare Funktion der Prophetenzitate 60 zu nennen: Beide setzen einen pneumatologischen Akzent und implizieren, dass die Gabe des Geistes die Brücke darstellt, die es einmal erlaubt, dass Jesus die Verheißungen nach Jes 61 und 58 durch die Elia- und Elisabeispiele in der Erstreckung auf Nicht-Israeliten konkretisiert; im anderen Fall gilt die Verheißung des Geistes nach Joel 3,1-5 eben nicht nur den anwesenden Israeliten und ihren Nachkommen, sondern auch »allen in der Ferne« (Act 2,39). Noch deutlicher ist die Entsprechung zu Lk 4,18f in Act 10,38: Hier wird die Folge der Geistesgabe in einer Formulierung ausgedrückt, die erkennbar von Jes 61,1f par. Lk 4,18f geprägt ist (ἰώμενος πάντας τοὺς καταδυναστευομένους ὑπὸ τοῦ διαβόλου). Es ist daher kein Zufall, dass der explizite Hinweis auf die Johannestaufe in Act 10,37, der seine nächste Parallele in Act 1,22 und 13,24 besitzt, nur im Horizont der Täuferüberlieferung Lk 3 verständlich wird, die ja erst durch die Redaktion von *Ev Teil des Lukasevangeliums wurde. 3. Ein letzter Hinweis bezieht sich auf das Ende der Apostelgeschichte: Hier legt Paulus den angesehenen römischen Juden ausgehend »vom Gesetz des Mose und den Propheten« (28,23) das Evangelium dar und reflektiert dann mit dem Zitat des Verstockungsauftrags aus Jes 6,9f die geteilte Reaktion der Juden. Die Ansage der Verstockung Israels mündet hier ausdrücklich in die Sendung zu den Heiden. Die Entsprechungen zwischen Lk 4,16-30 und Act 28,23-30, die (mit Unterschieden in Einzelheiten) schon häufig vermerkt wurden, 61 sind deshalb wichtig, weil ihre Stellung am Anfang und am Ende von Lk-Act das kompositionelle Interesse deutlich macht: Ohne Act 28,23-30 würde der Hinweis auf die Fremden in Lk 4,25-27, an denen sich das Heil Gottes erfüllt, ohne erzählerisches Gegenstück bleiben. 4. Die Überlegungen zur lk Redaktion der Nazarethperikope dienen hier lediglich dem Nachweis, dass die lk Redaktion von Marcions Evangelium in der Tat ein konsistentes redaktionelles Konzept erkennen lässt. Während der umgekehrte Versuch einer Rekonstruktion der marcionitischen Theologie aus dem Text seines Evangeliums auf der ganzen Linie gescheitert ist, bereitet es überhaupt keine Schwierigkeiten, aus den redaktionellen Erweiterungen wesentliche Aspekte der lk Theologie zu erheben. Die hier vorgeschlagene Redaktion des älteren Evangeliums ______________________________ 59 Zuletzt A. L INDEMANN , Einheit und Vielfalt im lukanischen Doppelwerk, in: J. Verheyden (ed.), The Unity of Luke-Acts, Leuven 1999, 225-253: 225-237 mit der Übersicht 228. 60 Vgl. H. B AARLINK , Die Bedeutung der Prophetenzitate in Lk 4,18-9 und Apg 2,17-21 für das Doppelwerk des Lukas, in: Verheyden, a. a. O. 483-491. 61 R. M ADDOX , The Purpose of Luke-Acts, Göttingen 1982, 2ff; J. T. S ANDERS , The Jewish People in Luke-Acts, SBL 1986 Seminar Papers, 110-29; F R . N EIRYNCK , Luke 4,16-30 and the Unity of Luke- Acts, in: ders., Evangelica III, Leuven 2001, 167-205 u. a. 176 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk (*Ev) in Zusammenhang mit der Komposition bzw. Redaktion von Act durch »Lk« erlaubt es zudem, die notorisch schwierige Verhältnisbestimmung von Lk und Act zu klären. 62 I. H. Marshall hatte die unterschiedlichen Möglichkeiten für dieses Verhältnis in vier grundlegenden Modellen beschrieben. (1) Es besteht keine Verbindung zwischen Lk und Act, beide stammen von unterschiedlichen Autoren. (2) Der Verfasser von Lk hat auch Act abgefasst, entweder (a) als zwei eigenständige Werke mit je eigenem Thema oder (b) mit einer zunehmenden Assimilierung während der Abfassung. (3) Lk und Act sind von einem Autor von Anfang an als ein Werk in zwei Bänden geplant. (4) Lk-Act war als ein Werk geplant, das später auf zwei Bände aufgeteilt wurde. 63 Die Lösung, die sich durch unsere Überlegungen nahegelegt, ist nicht enthalten: Dass nämlich zwei unabhängige Werke (von denen wir über das eine in groben Zügen informiert sind, während die Gestalt des zweiten weitgehend im Dunkel bleibt) erst durch eine tief greifende Redaktion miteinander verbunden wurden. Auf diese Weise lassen sich sowohl die Brüche und Unterschiede zwischen Lk und Act erklären, als auch die unbestreitbaren Verbindungslinien. Diese Lösung stellt die communis opinio 64 zum Verhältnis von Lk und Act in Frage, eröffnet aber neue Perspektiven für die Diskussion, die es erlauben, ohne allzu komplizierte Modelle 65 ein Maximum an Phänomenen zu erklären. ______________________________ 62 Diese Frage war das Thema des 47. Colloquium Biblicum Lovaniense, das seinen Niederschlag in dem von J. Verheyden hg. Sammelband gefunden hatte; zur Sache vgl. vor allem den einleitenden Beitrag von J. V ERHEYDEN , The Unity of Luke-Acts. What Are We Up To? , in: ders., The Unity of Luke-Acts, Leuven 1999, 3-56. In grundsätzlicher Weise war das Problem in den letzten Jahren aufgeworfen worden durch M. C. P ARSONS , R. I. P ERVO , Rethinking the Unity of Luke and Acts, Minneapolis 1993. 63 I. H. M ARSHALL , Acts and the »Former Treatise«, in: B. W. Winter, A. D. Clarke (eds.), The Book of Acts in Its Ancient Literary Setting, Grand Rapids - Carlisle 1993, 163-182. 64 »Today, the discussion on the common authorship of Lk and Acts … is closed.« Diese Bemerkung von V ERHEYDEN (a. a. O. 6 Anm. 13) charakterisiert die Diskussionslage treffend. Sie ist, was mindestens genauso charakteristisch ist, Teil seiner Darlegung, warum weder die Verfassernoch die Kanonfrage für Lk-Act ein Problem darstellen: Nach meiner Überzeugung lässt sich die Frage nach der Abfassung bzw. Redaktion von Lk-Act gar nicht unabhängig von der Kanonfrage lösen. 65 Vgl. z. B. das bidirektionale Schichten-Modell von M.-É. B OISMARD , A. L AMOUILLE , J. T AYLOR , Les Actes des deux apôtres I-III, Paris 1990, das mit einer wechselseitigen Beeinflussung zwischen Lk und Act rechnet. § 8: Das Ende von *Ev: Tradition und Redaktion in Lk 24 1. Bezeugung Ein letzter für unsere Fragestellung wichtiger Textkomplex ist das Ende von *Ev, das ganz sicher anders aussah als die kanonische Fassung, wenn auch nicht ganz klar ist, wie. Epiphanius berichtet zweimal summarisch Kürzungen Marcions auch am Ende des Evangeliums, 1 gibt aber in seiner (sicherlich unvollständigen) Scholienliste am Schluss keine ausdrücklichen Auslassungsvermerke. 2 Auch Tertullians Referat, das gegen Ende ohnehin immer großzügiger wird, erlaubt keinen eindeutigen Aufschluss. Die Argumentation muss daher von den eindeutigen Bezeugungen ausgehen, daneben aber auch weitere Kriterien für die Beurteilung der Ursprünglichkeit in Rechnung stellen. Aus Lk 24 sind folgende Aussagen für *Ev bezeugt: Aus 24,1-12 hat Tertullian bei Marcion *24,1.3f.6f.9-11 3 gelesen (4,43,1-5), *24,4-7 ist auch durch Epiph., Schol. 76 sichergestellt. Von 24,2.8.12 gibt es dagegen keine Spuren. Während 24,2 unproblematisch ist und sehr wahrscheinlich vorhanden war, sind die Zweifel für V. 8 gut begründet, für V. 12 sehr gut: V. 8 ist mit einiger, V. 12 mit größter Wahrscheinlichkeit redaktionell in den Kontext von *Ev eingefügt wurden. Daneben sind einige kleinere, aber wichtige redaktionelle Veränderungen an dem schon für *Ev bezeugten Text anzunehmen: Auf der einen Seite scheint die lk Redaktion aus *24,1b die Worte ἐλογίζοντο δὲ ἐν ἑαυταῖς· τίς ἄρα ἀποκύλισει τὸν λίθον gestrichen zu haben. Wichtiger sind auf der anderen Seite die sehr wahrscheinlichen Ergänzungen gegenüber *Ev: Lk 24,2.9 (ἀπὸ τοῦ μνημείου); 24,3 (τοῦ κυρίου Ἰησοῦ); 24,6a (οὐκ ἔστιν ὧδε, ἀλλὰ ἠγέρθη); 24,7 (εἰς χεῖρας ἀνθρώπων ἁμαρτωλῶν); 24,9 (ἕνδεκα καὶ πᾶσιν τοῖς λοιποῖς); 24,10 (καὶ αἱ λοιπαὶ σὺν αὐταῖς). Diese kleineren Textabweichungen sind in der Rekonstruktion (s. zu *24,1-12) im Einzelnen erörtert und begründet. Die folgende Episode mit den »Emmaus«-Jüngern ist gut belegt: Aus Lk 24,13-35 ist durch Tertullian *24,13-16.25 für *Ev gesichert (4,43,3f), *24,18.25f.30f durch Epiph., Schol. 77, *24,25f darüber hinaus durch Adam. 5,12 (857d). Von den nicht belegten Passagen sind Aussagen, die *24,17.28f inhaltlich entsprechen, aus Gründen der narrativen Logik für *Ev zu postulieren, ebenso eine wenigstens kurze Angabe über das Unverständnis der beiden Jünger (in Entsprechung zu Lk 24,19-23), das Jesus in *24,25 aufgreift (Tert. 4,43,4); Epiph. hat für die Reaktion Jesu dagegen eine Auslassung vermerkt, 4 die sich vermutlich nicht auf die von ihm zitierten Worte in V. *25 ______________________________ 1 Epiph. 42,9,2; 11,3 (o. S. 153 Anm. 70). 2 Schol. 76 bezeugt *24,5-7 (vgl. dazu Tert. 4,43,5); Schol. 77 vermerkt für *24,25 eine andere Lesart; Schol. 78 bezeugt mit anderer Lesart *24,38f (vgl. dazu auch Tert. 4,43,6; Adam. 5,12 [857e]) - danach bricht die Liste ab. 3 Anstelle der ἕνδεκα (24,9) und der ἀπόστολοι (24,9f) erwähnt Tertullian nur discipuli, hat also wohl μαθηταί gelesen (4,43,3: incredulitas discipulorum perseverabat). Allerdings hatte *10,1 die Siebzig als ἀπόστολοι bezeichnet (Tert. 4,24,1: adlegit et alios septuaginta apostolos super doudecim), die Lk nur als ἑτέρους ἑβδομήκοντα bezeichnet (vgl. den Hinweis von T SUTSUI 71ff). 4 Schol. 77: παρέκοψε τὸ εἰρημένον πρὸς Κλεοπᾶν καὶ τὸν ἄλλον, ὅτε συνήντησεν αὐτοῖς τό Ὦ ἀνόητοι καὶ βραδεῖς τοῦ πιστεύειν … 178 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk bezieht, sondern am ehesten auf Lk 24,26b.27: Der Hinweis auf das christologische Verständnis von »Mose und allen Propheten« geht (vornehmlich: aus inneren Gründen) auf die lk Redaktion zurück. 5 Die Erzählung über die Rückkehr der beiden Jünger nach Jerusalem und ihr Bericht vor den dort Versammelten (*24,33.35) war im Kern vorhanden, ist aber (neben weiteren, kleineren Änderungen) mit größter Wahrscheinlichkeit vor allem durch die Einfügung von Lk 24,34 ergänzt worden. Die für unsere Fragestellung mit Abstand interessanteste Frage, ob Lk 24,27 mit der Erwähnung von »Gesetz und Propheten« bereits in *Ev enthalten war, lässt sich leider nicht mit der gewünschten Sicherheit beantworten, 6 obwohl es Gründe für die Annahme gibt, dass dieser Vers redaktionell (= lk) ist. Der Bericht von der Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern (Lk 24,36-44) war in *Ev ebenfalls im Kern enthalten: Für die Vv. *37-39.41 gibt es zwar keine vollständige, aber doch eine hinreichende Bezeugung. 7 Die Erscheinung Jesu *24,36 ist daher zwingend vorausgesetzt. 8 Von *24,42f findet sich eine Spur bei Eznik von Kolb, demzufolge die Marcioniten ihre (Fleisch-) Askese damit begründet hätten, dass Jesus hier Fisch statt Fleisch gegessen habe. 9 Angesichts der dichten Bezeugung für *24,36-43 ist die Nichtbezeugung von Lk 24,44-49 mit der Belehrung durch den Auferstandenen und der Ankündigung der Zeugenschaft »vor allen Heidenvölkern, angefangen von Jerusalem« (V. 47f) sowie der Verheißung des Geistes (V. 49), in hohem Maß auffällig: Vor allem der erste Teil über die christologische Prophezeiung der Schriften hätte den Häresiologen hochwillkommene Anhaltspunkte für den Nachweis von Selbstwidersprüchen zwischen der marcionitischen Theologie und ihrem Evangelientext geboten. Lk 24,44-49 haben mit großer Wahrscheinlichkeit in *Ev gefehlt. Für die abschließende Szene Lk 24,50-53 gibt es nur den Hinweis, dass der Auferstandene die Apostel aussandte, »damit sie allen Völkern verkündigen« (Tert. 4,43,9). 10 Die knappen Notizen über die Entrückung Jesu (Lk 24,51c) und die Anbetung durch die Jünger (V. 52) haben mit größter Wahrscheinlichkeit gefehlt, ebenso der letzte Satz über den Lobpreis im Tempel ______________________________ 5 Für die Begründung im Einzelnen vgl. die Rekonstruktion (Anhang 1). 6 Für die Vertreter der Lk-Priorität ist klar, dass Marcion diese Aussage gestrichen haben musste, weil sie nicht in das ihm unterstellte Konzept passt. Vgl. H ARNACK 239* (»27 unbezeugt und sicher gestrichen«); T SUTSUI 128f. 7 Vgl. Tert. 4,43,6-8; Adam. 5,12; Epiph. Schol 78. 8 In der Literatur heftig diskutiert wird *24,37, wo *Ev mit hoher Wahrscheinlichkeit ϕάντασμα statt πνεῦμα hatte (Tert. 4,43,6: phantasma; Adam. 5,12 [857e]: ϕαντασία), weil in *24,39 ebenso sicher πνεῦμα stand. Die möglichen oder tatsächlichen theologischen Implikationen, die hier diskutiert werden, sind für unsere Fragestellung nur insofern von Belang, als sie nur bei Annahme der Lk- Priorität das (dann in der Tat kaum lösbare) Problem aufwerfen, aus welchen inhaltlichen Gründen *Ev so inkonsistent formuliert haben sollte; eine kleine Auswahl von Versuchen, mit diesem Problem zu Rande zu kommen bei H ARNACK 239*; T SUTSUI 129ff; M. V INZENT , Der Schluß des Lukasevangeliums bei Marcion, in: G. May, K. Greschat (Hg.), Marcion und seine kirchengeschichtliche Wirkung, Berlin - New York 2002, 79-94. 9 H ARNACK 240*; Eznik, De Deo IV 12 (W EBER 171). 10 Tert. 4,43,9 zu *24,47: et apostolos mittens ad praedicandum universis nationibus. Dass ἀρξάμενοι ἀπὸ ᾿Ιερουσαλήμ nicht in *Ev enthalten war, leuchtet mir ein (wenn auch aus anderen Gründen als H ARNACK 240* dafür geltend macht; s. die Rekonstr.). Schleierhaft ist mir dagegen, mit welcher Begründung H ARNACK (ebd.) annimmt, dass in *24,47 die Worte (κηρυχθῆναι) μετάνοιαν εἰς ἄϕεσιν ἁμαρτιῶν enthalten gewesen seien. Offensichtlich von hier aus ist diese Vermutung weiter gewandert, z. B. zu V INZENT , a. a. O. 84. § 8: Das Ende von *Ev: Tradition und Redaktion in Lk 24 179 (24,53). Dagegen lässt sich - allerdings nur aus inneren Gründen - wahrscheinlich machen, dass die Lokalisierung der letzten Szene in Bethanien (*24,50) bereits in *Ev enthalten war. Dieser Rekonstruktion zufolge hat *Ev mit dem Hinweis geendet, dass Jesus »wegging« (ἀπέστη) und die Jünger nach Jerusalem zurückkehrten. Legt man diese Rekonstruktion für *Ev zugrunde, dann ergeben sich im Gegenzug die Elemente der lk Redaktion. Lk hat demnach (1.) die Erzählung von der Auffindung des leeren Grabes in *Ev vorgefunden, sie aber vermutlich durch 24,8.12 ergänzt und bearbeitet. Dass Tertullian diese Verse in seinem Referat nicht übergangen hat, sondern dass sie tatsächlich in *Ev fehlten und auf das Konto der lk Redaktion gehen, bedarf noch der genaueren Begründung. (2.) Lk 24,12 hat mit hoher Wahrscheinlichkeit in *Ev gefehlt und ist durch Lk nachgetragen. Dafür sprechen nicht nur redaktionelle Gründe, sondern auch die fehlende Bezeugung im »Westlichen Text«. 11 (3.) Lk hat die sog. »Emmaus«-Perikope, die in *Ev in einer kürzeren Fassung enthalten war, durch die Vv. 24.27.34.35a ergänzt und sie an einigen weiteren Stellen redaktionell bearbeitet. (4.) Ganz ähnlich hat die lk Redaktion auch die Erzählung von der Erscheinung Jesu vor den Jüngern (*24,36- 43) um charakteristische Elemente in den Vv. 36 (καὶ λέγει αὐτοῖς· εἰρήνη ὑμῖν), 38 (διὰ τί διαλογισμοὶ ἀναβαίνουσιν ἐν τῇ καρδίᾳ ὑμῶν) und 39 (ἐγώ εἰμι αὐτός; ψηλαϕήσατέ με καὶ ἴδετε, ὅτι; σάρκα καί) erweitert; wie die handschriftliche Bezeugung nahelegt, ist auch V. 40 wohl erst eine lk Ergänzung. 12 Vor allem aber hat Lk (5.) die folgende Belehrung 24,44-49 über die prophetische Funktion der Schrift und die Ankündigung der Geistesgabe und Sendung der Jünger neu geschaffen. (6.) Die letzte Szene mit der Sendung der Apostel und dem Abschied Jesu hat Lk intensiv bearbeitet: Er hat die Notiz über das Weggehen Jesu in *Ev durch die Einfügung von καὶ ἀνεϕέρετο εἰς τὸν οὐρανόν als seine Entrückung in den Himmel interpretiert (Lk 24,51) und deren grundlegende Bedeutung durch die Proskynese der Jünger (24,52: προσκυνήσαντες αὐτόν) herausgestellt. Auch das Ende des Evangeliums mit der Mitteilung über den Lobpreis der Jünger ἐν τῷ ἱερῷ ist, zumindest in dieser Gestalt, mit größter Wahrscheinlichkeit eine Ergänzung der lk Redaktion. 2. Das redaktionelle Konzept von Lk 24 Die grundlegende methodische Frage lautet: Sind diese Differenzen zwischen dem sicher bezeugten bzw. sehr wahrscheinlichen Text, der für *Ev rekonstruiert wurde, und dem des kanonischen Lk eher Streichungen, die Marcion am kanonischen Text ______________________________ 11 24,12: vs. om D a b d e l r 1 . Diese Bezeugung konstituiert also ein typisches Beispiel für eine »Western Non-Interpolation« nach Westcott/ Hort. 12 Vgl. dazu 24,36 καὶ λέγει αὐτοῖς, Εἰρήνη ὑμῖν: om D a b d e ſſ 2 l r 1 . - 24,40 καὶ τοῦτο εἰπὼν ἔδειξεν αὐτοῖς τὰς χεῖρας καὶ τοὺς πόδας: vs. om D a b d e ſſ 2 l r 1 sy s.c . 180 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk vorgenommen hat, oder aber Ergänzungen des vorkanonischen Evangeliums durch die lk Redaktion? In diesem Fall lässt sich die Bearbeitungsrichtung sehr zuversichtlich bestimmen. Die Annahme der *Ev-Priorität liegt insgesamt sehr viel näher als die Vorstellung, dass Marcion das kanonische Evangelium um die strittigen Elemente »bereinigt« hätte: Das Kriterium der größeren redaktionellen Plausibilität spricht ganz eindeutig für die *Ev-Priorität. a. Die Protophanie vor Petrus Zunächst hat die lk Redaktion eine Reihe von szenischen Verknüpfungen vorgenommen und aus der eher episodischen Reihung von vier Einzelperikopen in Marcions Evangelium (*24,1-11.13-35.36-43.49-52) eine narrative Einheit von hoher Komplexität und Kohäsionskraft geschaffen. Zwischen Grab- und Emmausszene hat Lk Petrus’ Gang zum Grab und Autopsie eingefügt (24,12). Dass die charakteristisch »Westlichen« Lesarten als Hinweise auf die Interferenz zwischen der kanonischen und der vorkanonischen Überlieferung zu verstehen sind, ist oben (§ 5) ausführlich begründet. In diesem Fall ist die textkritische Beurteilung von Lk 24,12 in den vergangenen Jahrzehnten besonders intensiv und strittig diskutiert worden. Da der Vers in D it ( a b d e l r 1 ) fehlt, wurde er vor dem Aufkommen des P 75 ganz weitgehend in der Folge der Westcott/ Hort’schen Theorie über die Western Non-Interpolations für eine sekundäre Einfügung gehalten. 13 Die Einschätzung, dass P 75 ein sehr alter und sehr zuverlässiger Zeuge sei, hat dieses Urteil in den letzten Jahrzehnten weitgehend umgekehrt. 14 Bedeutung gewinnt das textkritische Urteil vor allem wegen der offenkundigen und bis in die Formulierungen hineinreichenden Beziehung zwischen Lk 24,12 und Joh 20,3.5.10. Sofern man diese Beziehung nicht durch gemeinsame Abhängigkeit von einer »lk-joh Sonderquelle« für die Passions- und Ostererzählungen erklären will, bleibt für das Verhältnis zwischen Lk und Joh nur die Alternative, dass Lk 24,12 entweder ein knapper Querverweis auf Joh 20 ist und diesen Text also voraussetzt oder aber dass die Wettlauferzählung Joh 20 aus der »unbeholfenen, beinahe hölzernen« Notiz Lk 24,12 herausgesponnen wurde. 15 Aber Lk 24,12 erweckt nur ______________________________ 13 Vgl. nur die Lit. bei A. D AUER , Lk 24,12 - Ein Produkt lukanischer Redaktion? , in: Fr. Van Segbroeck et al. (eds.), The Four Gospels II, Leuven 1992, 1697-1716: 1713f, bzw. bei R. J. D ILLON , From Eye-Witnesses to Ministers for the Word, Rom 1978, 60 Anm. 174. 14 Vgl. F R . N EIRYNCK , John and the Synoptics, in: L’Évangile de Jean, Gembloux - Leuven 1977, 73- 106, 98: »The recent trend is now clearly in favor of the authenticity of the verse in Luke, and with good reason.« Vgl. auch die von D AUER , a. a. O. 1713-1716, genannte Lit. 15 So z. B. K. A LAND , Die Bedeutung des P 75 für den Text des Neuen Testaments, in: ders., Studien zur Überlieferung des Neuen Testaments und seines Textes, Berlin 1967, 155-172: 168: »Die komplizierte Erzählung bei Joh. (sc. Joh 20) ist ohne weiteres als aus der unbeholfenen, beinahe hölzernen Notiz bei Luk. herausgesponnen zu erklären.« Vgl. ansonsten die Komm. zu Joh 20. § 8: Das Ende von *Ev: Tradition und Redaktion in Lk 24 181 dann einen kryptischen Eindruck, wenn man das Lk-Evangelium ohne weiteren Kontext liest. Im Rahmen der kanonischen Ausgabe des NT ist die Bemerkung dagegen ein unübersehbares Konhärenzsignal, das die Kenntnis von Joh 20 voraussetzt und abruft. In dieser Spannung gewinnt dann die Annahme der *Ev-Priorität Gewicht. Denn wollte man das Fehlen von Lk 24,12 (D it) als Zeugnis für Marcions sekundäre Streichung des Verses aus Gründen der narrativen Plausibilität verstehen, müsste man ja wohl postulieren, dass diese Leseerleichterung auch andere »unbeholfene und hölzerne« Passagen getilgt haben würde. Unter dieser Voraussetzung wäre damit zu rechnen, dass nicht nur schwierige und »dunkle« Aussagen redaktionell geglättet, sondern auch alle textexternen Referenzen beseitigt sein müssten, in denen der Text über sich selbst hinaus weist. Das ist jedoch erkennbar nicht der Fall: Hätte Marcion dunkle, textexterne Referenzen tilgen wollen, hätte er dazu in ungezählten anderen Fällen mehr Anlass gehabt als in Lk 24,12. Aber im umgekehrten Fall der *Ev-Priorität ergibt eine sekundäre Eintragung von Lk 24,12 in den Kontext von *Ev einen sehr guten Sinn. Denn der Hinweis auf Petrus’ Autopsie des leeren Grabes bereitet den Bericht der Jerusalemer über seine Protophanie des Auferstandenen in Lk 24,34 vor. Diese Aussage ist mit hoher Wahrscheinlichkeit sekundär, wie die v. l. λέγοντ ε ς anstelle von λέγοντ α ς in D (it) sy usw. zeigt: In den »Westlichen« Handschriften sind als Subjekt dieser Aussage nicht die Jerusalemer Jünger, sondern die beiden zurückgekehrten »Emmaus«- Jünger vorausgesetzt; da sie diese Information über die Protophanie jedoch gar nicht geben konnten, ist der gesamte Vers nachgetragen: Der Nominativ λέγοντες ist hier versehentlich stehen geblieben - ein typischer Fehler, der bei sekundären, redaktionellen Bearbeitungen häufig begegnet. Das aber heißt, dass das Fehlen von Lk 24,12 (D it) dem von 24,34 (D it sy) korrespondiert: Beide Verse sind sekundär ergänzt worden. Das redaktionelle Interesse für eine solche Einfügung ist ohne weiteres erkennbar: Es geht um die Beseitigung von Widersprüchen, die sich ansonsten auf der Ebene der Kanonischen Ausgabe ergeben würden. Denn die Protophanie des Auferstandenen vor Petrus ist in 1Kor 15,5 (ὤϕθη Κηϕᾷ) vorausgesetzt: Indem die lk Redaktion die Protophanie durch den Bericht in 24,34 sicherstellt, entspricht die Abfolge von Lk 24,12.34.36ff der paulinischen Vorgabe: Der Auferstandene erschien zuerst dem Petrus, dann den Zwölfen (1Kor 15,5: ὤϕθη Κηϕᾷ ε ἶ τ α τοῖς δώδεκα). Dabei ist eine Unausgewogenheit zwischen 24,12 und 24,34 erhalten geblieben: 24,12 spricht nicht von der Erscheinung vor Petrus, sondern - nur - davon, dass er das Grab leer fand. Die lk Redaktion konnte die Protophanie in dem durch *Ev vorgegebenen narrativen Rahmen nicht als Erzählung unterbringen, sondern nur in dem Bericht von Dritten mitteilen lassen. Aber die Notwendigkeit, Petrus zum ersten Zeugen des Auferstandenen zu machen, 182 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk ergab sich erst in dem Moment, in dem die Kanonische Ausgabe das Interesse hatte, die einzelnen Elemente und Schriften zu einem möglichst widerspruchsfreien Ganzen zu verbinden - und dadurch ihre inhaltliche Überlegenheit gegenüber der älteren marcionitischen Ausgabe zu erweisen. Das gilt nicht nur mit Blick auf die ausdrückliche Protophanie vor Petrus, sondern auch für die Entsprechung zwischen Lk 24,12 und Joh 20. Der Nachweis, dass 24,12 von dem joh Bericht über den Wettlauf zwischen Petrus und dem geliebten Jünger abhängt, ist relativ leicht zu führen. 16 Denn das Nebeneinander der beiden, das hier zur Konkurrenz wird, ist ein durchgängiges Merkmal des Joh und strukturell in ihm verankert: Es ist für das redaktionelle Konzept des Joh konstitutiv. 17 Lk war dagegen nur an Petrus interessiert, weil der Gang zum Grab die Protophanie zwar nicht gewährleistet, sie aber doch vorbereitet. Aus diesem Grund lässt 24,12 Petrus allein zum Grab gehen, aber nach dem Bericht der beiden »Emmaus«-Jünger sind »einige von uns« zum Grab gelaufen (24,24: ἀπῆλθόν τινες τῶν σὺν ἡμῖν …). Hier ist noch unmittelbar erkennbar, wie beabsichtigt die ungenaue Referenz von Lk 24 auf Joh 20 ist: Die lk Redaktion nutzt Joh 20,3-10 als Ausgangspunkt für die Plausibilisierung der (nirgends erzählten) Protophanie vor Petrus: Sie gibt zu erkennen, dass nicht nur Petrus, sondern auch andere, wenigstens aber ein anderer, mit ihm zum Grab gelaufen sind (Lk 24,24), erzählt aber nur von Petrus (24,12). Alle drei Referenzen - Lk 24,12.24.34 - konstituieren daher eine narrative Isotopie und gehören auch literarkritisch auf dieselbe Ebene der lk Redaktion: Lk 24,12 ist gegenüber dem vorkanonischen *Ev sekundär. 18 Durch die redaktionelle Einfügung von Lk 24,12.34 werden die Ereignisse des Ostertags mit der Auffindung des leeren Grabs durch die Frauen (*24,1-11), der Offenbarung des Auferstandenen vor den beiden Jüngern »als sie das Brot nahmen« (*24,13-35) und seine Erscheinung »in ihrer Mitte« (*24,36-43) szenisch sehr eng aufeinander bezogen. Wie das Fehlen von ἐν αὐτῇ τῇ ἡμέρᾳ *24,13 in einem kleinen Teil der Überlieferung zeigt, war das vermutlich nicht immer so. 19 Die ______________________________ 16 Zu den Entsprechungen s. im Einzelnen die Rekonstruktion. 17 Vgl. H. T HYEN , Noch einmal: Johannes 21 und der »Jünger, den Jesus liebte«, in: ders., Studien zum Corpus Iohanneum, Tübingen 2007, 252-293; DERS ., Der Jünger, den Jesus liebte, ebd., 603- 622. 18 So auch R. M AHONEY , Two Disciples at the Tomb, Frankfurt/ M. - Bern 1974, 41ff; D AUER , a. a. O. 1697-1716; DERS ., Zur Authentizität von Lk 24,12, ETL 70 (1994), 294-318; B. S HELLARD , The Relationship of Luke and John - A Fresh Look at an Old Problem, JThS 46 (1995), 71-98: 93-96. Zum textkritischen Problem von Lk 24,12 s. die Rekonstruktion z. St., zu der Frage des Verhältnisses zwischen Lk und Joh vgl. ausführlicher u. § 13. 19 Die Wendung fehlt im Cod. Vercellensis (a) und bei Amphilochios von Ikonion (Exerc. 189a; F ICKER , Amphilochiana I 75). Eine Spur der redaktionellen Eingriffe zeigt sich noch im apokryphen EvJoh (arab.), das die Emmausepisode konsequent auf den zweiten Tag nach der Auferstehung datiert § 8: Das Ende von *Ev: Tradition und Redaktion in Lk 24 183 Konzentrierung der Ereignisse in Lk 24 auf den Ostertag stellt also ein wichtiges, aber redaktionell verstärktes Element dar. 20 So ergeben die sicheren bzw. sehr wahrscheinlichen Differenzen zwischen dem kanonischen Lk gegenüber dem vorkanonischen *Ev bezüglich der Erwähnung des Petrus als Zeugen des leeren Grabes bzw. der Auferstehung Jesu ein gutes, konsistentes Bild. In der umgekehrten Perspektive der Lk-Priorität ist dies dagegen nicht der Fall. Denn sie müsste ja annehmen, dass die Petrusreferenzen absichtlich gestrichen worden sind. Angesichts der paulinischen Kritik an Petrus als einem Judaisierer wäre das verständlich - wenn denn Petrus tatsächlich als Erstzeuge der Auferstehung erwähnt wäre. Aber Tertullian erwähnt als Differenz zwischen Paulus und Petrus lediglich die Auseinandersetzung in Gal 2 um die Frage der Beschneidung. 21 Hätte Marcion dagegen die auf der Protophanie beruhende Autorität des Petrus in Zweifel gezogen, hätte er wohl 1Kor 15,5 ändern müssen. Das ist, so weit wir wissen, nicht der Fall gewesen. 22 Dagegen wissen wir, dass Marcion sich offensichtlich überhaupt nicht an der herausragenden Stellung des Petrus gestört hat, wie seine Rezeption von *5,1-11 beweist. 23 Die These, dass die Petrusaussagen 24,12.24.34 sekundär gestrichen wurden, ist aus Gründen der redaktionellen Plausibilität unhaltbar. b. Die Schrift als hermeneutische Referenz Der umfangreichste und am intensivsten bearbeitete inhaltliche Komplex, der sich aus den Differenzen zwischen *Ev und dem kanonischen Text von Lk 24 ergibt, betrifft das Wissen 24 um die Identität Jesu und die Notwendigkeit seines Leidens. Dieses Thema dominiert das gesamte Kapitel und zeigt zugleich, dass diese Differenzen ein umfassendes, intentionales Konzept erkennen lassen, sofern man sie als Zusätze des kanonischen Textes versteht. a. In der Grabszene (24,1-9) ist Lk 24,8 nachgetragen worden, was sehr gut dazu passt, dass der belehrende Dialog zwischen Jesus und den beiden Jüngern für *Ev ebenfalls nicht bezeugt ist (24,19-24). Tatsächlich wird hier gleich mehrfach auf die Leidensankündigung Jesu referiert: In 24,6 fordern die Engel die Frauen ja nicht nur auf, sich an die Leidensankündigungen zu ______________________________ (50,1: ut dies s e c u n d u s fuit ex quo surrexit Christus Deus ex sepulcro; G ALBIATI I 305); s. im Einzelnen die Rekonstruktion (Anhang I) zu *24,13. 20 Vgl. etwa W OLTER , Lk 777. 21 Die Differenzen zwischen Paulus und den Jerusalemer Aposteln beziehen sich allein auf die Frage der Beschneidung aufgrund der Verteidigung des Gesetzes (Tert. 5,3,2: s o l a m circumcisionis quaestionem). 22 1Kor 15,1-11 sind unbezeugt. Nach der summarischen Behandlung von 1Kor 11-14 in Tert. 5,8 kommt Tertullian direkt auf 1Kor 15,12ff zu sprechen (Tert. 5,9,1). 23 Vgl. Tert. 4,9,1f und die Rekonstruktion. 24 S. bes. K. L ÖNING , Das Geschichtswerk des Lukas I, Stuttgart u. a. 1997, 19-57. 184 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk erinnern, sondern sagen ihnen den Inhalt auch noch direkt vor (24,7), worauf der Erzähler in 24,8 das Einsetzen der Erinnerung ausdrücklich feststellt. b. In Lk 24,20 wird der sachliche Gehalt (zumindest der ersten Hälfte) der Ankündigung noch einmal im Mund der beiden Jünger wiederholt. Da die lk Redaktion besonders intensiv daran interessiert ist, was es über Jesus zu wissen gibt, wird man geneigt sein, ihr auch die Einfügung von 24,27 (ἀρξάμενος ἀπὸ Μωϋσέως καὶ ἀπὸ πάντων τῶν προϕητῶν ...) zuzuschreiben: Neben dem Erinnern an die Worte Jesu, das von den Lesern ein Zurückblättern im Evangelienbuch verlangt, werden hier die Schriften als hermeneutische Referenz eingeführt (διερμήνευσεν αὐτοῖς ἐν πάσαις ταῖς γραϕαῖς). c. Das gleiche Thema ist auch in die Szene mit der Erscheinung Jesu vor den Jüngern in Jerusalem (24,36-49) eingefügt worden, die dadurch ein vollständig neues Profil erhält. Gleich mehrere Aspekte, die in den ersten beiden Szenen ergänzt wurden, werden aufgegriffen und im Mund Jesu vor allen Jüngern wiederholt: Die Leidensankündigung (die 24,46 zum dritten Mal innerhalb des Kapitels inhaltlich mitgeteilt wird! ), die Schrift als Grundlage des Verstehens (24,45, mit Rückbezug auf 24,27) sowie das Verstehen, das durch die Verbindung von beidem als »Öffnung der Augen« erwähnt wird. 25 Die hier implizierte Hermeneutik enthält zwei für unsere Fragestellung wichtige Aspekte: Dass zunächst die Engel am Grab und später der Auferstandene selbst inhaltlich gar nichts Neues mitteilen, sondern nur auf Bekanntes verweisen, an das sich die Leser erinnern müssen, macht zunächst deutlich, dass die lk Redaktion hier nicht in erster Linie an dem materialen Gehalt eines »christlichen Wissensbestandes« interessiert ist, sondern an der Frage, auf welche Weise man verlässlichen Zugang zu diesem Wissen erhalten kann. Genau diese Vermittlung von Zuverlässigkeit (ἀσϕάλεια) hinsichtlich der Überlieferung, in der Theophilos, der ideale Leser, unterrichtet wurde, ist dem Prolog zufolge die Absicht der Abfassung des Lk und ein wesentliches Element des redaktionellen Konzeptes. Die Antwort, die der Prolog auf diese Frage gab, war der selbstreferentielle Verweis auf dieses, das vorliegende Lk-Evangelium: Gemeint ist, in erkennbarem Gegensatz zu den früheren Versuchen, die »viele unternommen haben«, der lk redigierte Evangelientext. Er wird, vermittelt durch den fingierten Autor, durch die drei Elemente Augenzeugenschaft, Nachforschung »ganz von Anfang an« und Genauigkeit des Verfahrens autorisiert (Lk 1,2f). Die Antwort von Lk 24 schlägt einen weiteren Bogen: Das verlässliche Zeugnis ist in den Schriften Israels enthalten, die allerdings richtig gelesen werden müssen. Den Schlüssel zu dieser richtigen Lektüre vermittelt erst die Belehrung durch Jesus. ______________________________ 25 Der Öffnung der Schrift (24,45: διήνοιξεν … τὰς γραϕάς) korrespondiert die Öffnung der Augen (24,31: διηνοίχθησαν οἱ ὀϕθαλμοί), die zuvor »gehalten« waren (24,16: οἱ δὲ ὀϕθαλμοὶ αὐτῶν ἐκρατοῦντο) und deshalb nicht »sahen« (vgl. 24,24, über die Frauen am Grab: αὐτὸν δὲ οὐκ εἶδον): Wem die »Augen geöffnet« werden, so dass er den Auferstandenen »sieht«, dem ist auch der »νοῦς geöffnet«, so dass er die Schrift richtig versteht - und umgekehrt. § 8: Das Ende von *Ev: Tradition und Redaktion in Lk 24 185 Das hermeneutische Konzept, das hier entfaltet wird, enthält also zwei Elemente, die sich wechselseitig bedingen: Die heiligen Schriften Israels enthalten alle Informationen, von denen aus sich das richtige Verständnis Jesu und seines Geschicks erschließt; umgekehrt eröffnet erst Jesus das richtige Verständnis der Schrift. Sofern erst diese wechselseitige Verweisung das volle Verstehen Jesu und der Schriften Israels ermöglicht, dient sie auch zur Legitimation der beiden Pole. Diese Strategie der wechselseitigen Autorisierung - des Geschicks Jesu durch die Schrift und der Schriften Israels durch Jesus - ist einigermaßen erstaunlich. Denn das Gefälle der Erzählung verlangt zwar nach einer Erklärung für die Notwendigkeit der Passion und der Auferstehung Jesu (die hier durch die Schriften gegeben wird), nicht aber nach einer Legitimation von Mosegesetz, Propheten und Psalmen: Diese Referenz erfüllt offenkundig eine Begründungsfunktion, die außerhalb der Erzählung liegt, gleichwohl für die Redaktion eine unverzichtbare Bedeutung besaß. Von hier aus wird der andere aufschlussreiche Aspekt dieser spezifischen Hermeneutik deutlich. Denn die durch den Auferstandenen vermittelte »Öffnung des Verstandes zum Begreifen der Schriften« (Lk 24,45) setzt ja einen fest umrissenen Bestand von Texten voraus. Er wird hier, bekanntlich zum ersten Mal überhaupt, mit den großen Teilsammlungen des AT exakt benannt: Gesetz des Mose, Propheten, Psalmen (24,44). 26 Die hermeneutische Argumentation ist reflektiert und von nahezu hermetischer Geschlossenheit: Nur der richtige (und das heißt natürlich: der lk) Jesus »öffnet« die Schrift; nur die richtige Schrift (und das heißt hier: die Sammlung von Mosegesetz, Propheten und Psalmen) ermöglicht den Zugang zu diesem Jesus. Der Verweis auf die »Schriften« ist demnach selbstreferentiell zu verstehen und auf das christliche Alte Testament zu beziehen: Das hermeneutische Konzept intendiert nicht, Außenseitern durch eine praeparatio evangelica den Zugang zum Christentum über die jüdischen Schriften zu eröffnen, sondern will den christlichen Lesern »Mose, Propheten und Psalmen« als den heuristischen Horizont ihrer eigenen Christologie vermitteln. Der Jesus der lk Redaktion ist in der Tat ein kanonischer Jesus. Die beiden Pole dieses hermeneutischen Konzeptes unterscheiden sich diametral von Marcions zweiteiliger Bibel: Marcion kannte keine Sammlung alttestamentlicher Schriften, und sein Evangelium schildert auch keinen Jesus, der Augen und Verstand zum Verstehen des Alten Testaments öffnen würde. So entspricht die redaktionelle Ausgestaltung am Ende des Lk dem Prolog am Anfang. In beiden Fällen wird auf das Problem reflektiert, wie Zugang zu relevantem Wissen auf sichere Weise möglich ist, und in beiden Fällen enthält die Antwort Elemente, die am ehesten ______________________________ 26 Auch 24,27 ist durch die Formulierung ἐν π ά σ α ι ς ταῖς γραϕαῖς eine abgeschlossene Sammlung vorausgesetzt. 186 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk antimarcionitisch zu verstehen sind: Im Prolog sind dies die Verweise auf die Augenzeugen von Anfang an (οἱ ἀπ’ ἀρχῆς αὐτόπται), die richtige Reihenfolge der Darstellung (καθεξῆς), die Traditionskette von Jesus über die Augenzeugen bis auf den fingierten Verfasser usw. Am Ende des Evangeliums ist es der Verweis auf »das Gesetz des Mose, Propheten und Psalmen«, die allererst das richtige und verlässliche Verstehen Jesu sicherstellen. Dieses hermeneutische Konzept ist jeder synchronen Lektüre von Lk 24 zugänglich und hängt nicht von diachronen Erwägungen zum Verhältnis zwischen *Ev und Lk ab. Aber die Tatsache, dass dieses Konzept gerade durch die redaktionellen Elemente in Lk 24 konstituiert wird, die ihm ein kohärentes, durchaus antimarcionitisch zu verstehendes Profil verleihen, bestätigt die methodische Voraussetzung auf überraschende Weise. Denn der marcionitische Vorwurf, das (kanonische Lk-) Evangelium »sei, verfälscht von den Verteidigern des Judentums, mit dem Gesetz und den Propheten zu einer Einheit verbunden worden, durch welche sie Christus auch von dorther erdichten«, 27 wird angesichts dieses hermeneutischen Konzeptes unmittelbar nachvollziehbar: Er klingt wie ein direktes Echo auf die redaktionellen Interpolationen in Lk 24,27.44-46. 28 Auch für diesen thematischen Komplex bestätigt die Gegenprobe die methodische Grundannahme der *Ev-Priorität. Denn während sich die hier besprochenen Differenzen ohne weiteres zu einem sinnvollen und umfassenden Konzept fügen, ist dies für das umgekehrte Modell der Lk-Priorität nicht der Fall. In diesem Fall müsste man ja annehmen, dass Marcion die Hinweise auf die Schrift als Referenzrahmen für das Verständnis Jesu, seiner Passion und Auferstehung aus denjenigen theologischen Gründen getilgt hätte, die seit der Alten Kirche für seine »Verstümmelung« des kanonischen Lk angenommen werden: Sein »Antinomismus« und die Ablehnung des Alten Testaments. Das wäre zwar grundsätzlich denkbar, scheitert jedoch daran, dass *Ev ja sehr eindeutige positive Bewertungen der Schrift als »Wort Gottes« und deren ewige Geltung enthält. 29 Die Inkonsistenz der angeblichen Redaktion Marcions spricht auch für die hier genannten Elemente ganz eindeutig für eine Bearbeitungsrichtung, die von *Ev zu Lk verläuft, nicht aber umgekehrt. ______________________________ 27 Tert. 4,4,4. 28 Die katholische interpolatio bestünde dann nicht nur in der redaktionellen Verbindung von (Lk-) Evangelium mit Gesetz und Propheten in der Kanonischen Ausgabe (concorporatio legis et prophetarum), sondern auch in der Verfälschung des Textes, das diese concorporatio begründet. 29 *8,21; *16,17.29; *21,33; vgl. auch *23,2 (als Aussage der falschen [! ] Zeugen). Vgl. zum Ganzen M. K LINGHARDT , »Gesetz« bei Markion und Lukas, in: D. Sänger, M. Konradt (Hg.), Das Gesetz im frühen Judentum und im Neuen Testament, Göttingen - Fribourg 2006, 99-128: 112ff. § 8: Das Ende von *Ev: Tradition und Redaktion in Lk 24 187 c. Die Himmelfahrt in Bethanien und die Rückkehr der Jünger in den Tempel Auch die letzte Szene mit dem Gang nach Bethanien, der Himmelfahrt sowie der Rückkehr der Jünger nach Jerusalem in den Tempel weist einige wichtige Differenzen zwischen *Ev und dem kanonischen Text auf, und auch hier spricht alles für sekundäre Erweiterungen durch die lk Redaktion, nicht aber für »Streichungen« durch Marcion. Die Korrespondenz von Lk 24,50-53 mit Act 1,9-11 schafft (trotz der Unterschiede) 30 eine beabsichtigte Brücke zum »zweiten Buch«. Das zeigen einige gemeinsame Elemente deutlich genug: Die Belehrung beim gemeinsamen Mahl (Lk 24,43ff; Act 1,4); der Hinweis auf die Zeugenschaft vor allen Völkern bzw. bis an die Grenzen der Erde (Lk 24,48; Act 1,8); die Aufforderung, Jerusalem nicht zu verlassen sowie die Verheißung der Gabe des Geistes (Lk 24,49b; Act 1,4); der Lobpreis der Jünger ἐν τῷ ἱερῷ (Lk 24,53; Act 2,46f). Dabei dienen die theologisch zentralen Aussagen der Belehrung durch Jesus (Lk 24,46-49) nicht nur als programmatische Ankündigung dessen, was dann in Act erzählt wird, sondern schlagen mit dem Stichwort »Umkehr zur Sündenvergebung für alle Völker« (Lk 24,47) den Bogen zurück zu den programmatisch redigierten Aussagen der Täuferschilderung und der Nazarethperikope: Die Formulierung μετάνοια ε ἰ ς ἄ ϕ ε σ ι ν ἁ μ α ρ τ ι ῶ ν (εἰς πάντα τὰ ἔθνη) ist typisch für die lk Redaktion von *Ev. 31 Dabei stellen die rekurrenten Belege in Act die Kohärenz und Zusammengehörigkeit der beiden Bücher sicher. 32 Der Gang nach Bethanien und die Rückkehr der Jünger nach Jerusalem (*24,50-53), den die lk Redaktion vermutlich im Tempel enden ließ, markiert dabei ein weiteres, wichtiges Kompositionssignal. Denn der Weg von Bethanien über den Ölberg nach Jerusalem in den Tempel wiederholt den Weg Jesu beim Einzug nach Jerusalem mit der Königsproklamation durch die Jünger (Lk 19,29ff mit 19,37f) und der Tempelreinigung (Lk 19,45-48), die den Tempel als Ort des ______________________________ 30 Die Unterschiede beziehen sich eher auf den Termin (Lk 24,50: in derselben Nacht; Act 1,3: nach 40 Tagen) als auf den Ort (Lk 24,50: in der Nähe von Bethanien; Act 1,12: Ölberg), weil Lk sich offensichtlich Betanien, Bethphage und den Ölberg als eine geographische Einheit denkt (19,29). Zur Art der Beziehung der beiden Himmelfahrtsszenen vgl. M. C. P ARSONS , The Departure of Jesus in Luke-Acts, Sheffield 1987, der darauf hinweist, dass die Differenzen eine Folge der jeweiligen narrativen Funktion darstellen. 31 Lk 1,77; 3,3 vom Täufer (κηρύσσων βάπτισμα μετανοίας εἰς ἄϕεσιν ἁμαρτιῶν) bzw. 4,18f im Mischzitat mit den Stichworten πνεῦμα (κυρίου) - ἄϕεσις - κηρύξαι ἐνιαυτὸν κυρίου δεκτόν. 32 Act 2,38; 5,31; 10,43; 13,38; 26,18. Zu 13,38 vgl. M. K LINGHARDT , Gesetz und Volk Gottes, Tübingen 1988, 99ff. Von dem Versuch, die Formulierung ἄϕεσις ἁμαρτιῶν … (καὶ) ἀπὸ πάντων ὧν οὐκ ἠδυνήθητε ἐν νόμῳ Μωϋσέως δικαιωθῆναι (Act 13,38) als von Paulus unabhängig zu erweisen, würde ich in der Zwischenzeit deutlich abrücken. Vgl. K LINGHARDT , »Gesetz« (s. Anm. 29). 188 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk Gebets und der Lehre qualifiziert. Wie Epiphanius’ Bezeugung zeigt, hat der gesamte Abschnitt (τὸ κεϕάλαιον) Lk 19,19-48 in *Ev gefehlt. 33 Die lk Redaktion hat an dieser Stelle also die Einzugserzählung aus Mk 11,1b-10 || Mt 21,1b-9 eingefügt; gegen die beiden synoptischen Parallelen hat sie auch die aus Ps 118,26 stammende Proklamation um den Königstitel ergänzt (Lk 19,38a: εὐλογημένος ὁ ἐρχόμενος ὁ β α σ ι λ ε ὺ ς ἐν ὀνόματι κυρίου). Das lk Interesse, Jesus als König zu porträtieren, war bereits für die Pilatusfrage 23,3 aufgefallen: Hier hatte die lk Redaktion das »Bist du der Christus? « aus *Ev durch »Bist du der König der Juden? « ersetzt und für diese Änderung eine schwere Beeinträchtigung der narrativen Logik in Kauf genommen, weil Jesus die Frage bejaht und Pilatus ihn daraufhin für unschuldig befindet (23,4). Lk lässt die Jünger ihren Weg nach Jerusalem hinein und zum Tempel (Lk 19,29ff) in 24,50ff wiederholen und macht auf diese Weise sein redaktionelles Interesse deutlich: Das Königtum Jesu muss proklamiert werden. Wenn die Jünger dies nicht tun, werden die Steine schreien, und dies haben sie, in der Perspektive der lk Redaktion, ja auch unüberhörbar getan: Die Zerstörung Jerusalems und des Tempels wird zum Wahrheitsbeweis für das Königtum Jesu. Analog zu diesem Zeugnis der Steine steht die Proklamation der Jünger. Dass ihre Königsproklamation gerade auf dem Weg vom Ölberg zum Tempel verortet wird, verweist dann auf die Entsprechung in Act 1,4-14. Denn auch hier wird das Königtum Jesu thematisiert (Act 1,6-8), jetzt aber mit der Zuspitzung, dass Jesu βασιλεία τ ῷ ᾿ Ι σ ρ α ή λ (die erkennbar auf Lk 23,3 red. zurückweist) gerade dadurch realisiert wird, dass die Jünger dieses Königtum »bis an die Enden der Erde« proklamieren, und zwar ausgehend von Jerusalem (genauer: vom Tempel, Act 22,17f), in dem die Jünger im Gebet verharren (Lk 24,53; Act 2,46; vgl. 1,14). Damit ist für die lk Redaktion deutlich: (1) Das Königtum Jesu ist ein wesentliches Element des redaktionellen Konzeptes, das dementsprechend in der Proklamation der Jünger (Lk 19,38) sowie im Pilatusverhör (Lk 23,3) nachgetragen wird. - (2) Jesu Königtum ist zunächst seine βασιλεία τῷ ᾿Ισραήλ. Aber die Herrschaft über Israel realisiert sich gerade darin, dass sie nicht auf Israel beschränkt bleibt, sondern sich auch auf die Heiden erstreckt. Dies entspricht der zentralen Aussage des (redaktionellen) Nunc dimittis. Das Heil, das Simeon gesehen hat, besteht darin, dass Jesus das ϕῶς εἰς ἀποκάλυψιν ἐθνῶν und darin zugleich die δόξα λαοῦ ᾿Ισραήλ ist (Lk 2,32): Jesu Königtum über Israel ist universal. 34 - (3) Gleichwohl ______________________________ 33 Vgl. die Rekonstruktion z. St. Epiphanius’ Auslassungsvermerk (Schol. 53) fasst einen größeren Kontext (τὸ κεϕάλαιον) zusammen und referiert auf die Einzugserzählung Lk 19,29-38, auf die Dominus-flevit-Szene Lk 19,41-44 sowie auf die Tempelreinigung mit der dazugehörigen Reaktion (Lk 19,45-48). 34 Auch von Lk 2 - in *Ev mit Sicherheit nicht enthalten - lassen sich weitere kompositionelle Linien in das Gesamtwerk Lk-Act ausziehen; vgl. dazu W. R ADL , Die Beziehungen der Vorgeschichte zur § 8: Das Ende von *Ev: Tradition und Redaktion in Lk 24 189 ist das universale Königtum Jesu angemessen als βασιλεία τ ῷ ᾿ Ι σ ρ α ή λ bezeichnet, denn die Bewegung, die die Heiden mit in diese Königsherrschaft einbezieht, nimmt ihren Anfang im Jerusalemer Tempel (Lk 24,47; Act 1,6ff; 22,17f) und erweist so ihre Übereinstimmung mit den Verheißungen Israels. - (4) Die Wiederholung des Wegs der Jünger vom Ölberg zum Tempel (Lk 19,29ff; 24,50ff) ist dabei als narrative Entfaltung dieses Aspekts der Universalisierung einer nationalen Erwartung zu verstehen: Sie erzählt das Konzept von Jesu universaler Königsherrschaft über Israel und bildet das narrative Widerlager zu den programmatischen Aussagen in Lk 1f. - (5) Dass Jesus der König ist, der »Israel erlösen« werde (*24,21), ist daher richtig, aber nur die halbe Wahrheit, weil diese Qualifizierung den universalen Zug dieser βασιλεία nicht unmittelbar erkennen lässt. Dieses Verständnis bedarf daher der Hermeneia Jesu, der erklärt »was von Mose und den Propheten in allen Schriften über ihn geschrieben ist« (Lk 24,27). Die Zusammenhänge zwischen dem universalen Königtum Jesu und dem Tempel, die über Lk hinaus auch die Komposition von Act mitbestimmen, sind allesamt nicht neu und wiederholt gesehen und bearbeitet worden. 35 Aber sie gewinnen doch angesichts der Tatsache ein neues Gewicht, dass die für dieses Konzept konstitutiven Elemente durchweg redaktionell sind: Keines von ihnen war in *Ev vorhanden. Angesichts der hohen literarischen Komplexität und der Verknüpfung so vieler wichtiger Kompositionslinien in Lk 24, die allesamt in Marcions Evangelium fehlten, fällt es sehr schwer, die traditionelle Sicht der Lk-Priorität aufrecht zu erhalten. Unter der Annahme der *Ev-Priorität erhalten alle diese lk-redaktionellen Elemente einen sinnvollen Platz in einem reflektiert komponierten, konsistenten theologischen Konzept. ______________________________ Apostelgeschichte dargestellt an Lk 2,22-39, in: J. Verheyden (ed.), The Unity of Luke-Acts, Leuven 1999, 297-312. 35 Zum Tempel allgemein s. M. B ACHMANN , Jerusalem und der Tempel, Stuttgart etc. 1980, 315ff; zum Tempel speziell als Ort von Lehre und Gebet sowie in Verbindung mit Heidenmission s. K LINGHARDT , Gesetz und Volk Gottes, Tübingen 1988, 276ff. Zu Lk 24 und dem Übergang zu Act vgl. auch G. W ASSERBERG , Aus Israels Mitte - Heil für die Welt, Berlin - New York 1998, 191ff. § 9: Die *Ev-Priorität: Ergebnisse und weitere Fragen Am Ende dieses Kapitels ist es angezeigt, die Ergebnisse, die sich unter der Annahme der *Ev-Priorität für die wichtigsten Differenzen zwischen *Ev und Lk ergeben haben, auf ihre methodischen Prämissen zurück zu beziehen, die oben (S. 152f) als Kriterien für eine tragfähige Lösung genannt waren, wenn die Aporien der Lk- Priorität überwunden werden sollten. 1. Das Kriterium der redaktionellen Kohärenz Die wichtigste Einsicht bezieht sich auf das grundlegende Problem der Kohärenz der Redaktion. Die seit Irenaeus traditionelle Annahme einer marcionitischen Redaktion des kanonischen Lk-Evangeliums scheitert durchweg an der Beobachtung, dass die für diesen Fall anzunehmenden Veränderungen kein kohärentes Bearbeitungskonzept in *Ev erkennen lassen: Dieses Phänomen ist nicht erst von der älteren kritischen Forschung unter dem Einfluss von Joh. Salomo Semler (z. B. von Johann Ernst Christian Schmidt oder Albrecht Ritschl) hervorgehoben worden, es hat seinen Niederschlag schon bei den antiken Häresiologen gefunden: Sie mokieren sich darüber, dass Marcion die ihm unterstellte Redaktion derart fehlerhaft durchgeführt habe, dass ihnen die Widerlegung seiner Theologie auf der Grundlage seines eigenen Evangelientextes ohne weiteres gelingt. Die umgekehrte Annahme der *Ev-Priorität vor Lk resultiert dagegen in dem schlüssigen Konzept der lk Redaktion: Die Differenzen zwischen beiden Texten konstituieren ein durchweg konsistentes Bild, und zwar gerade an den für redaktionelle Eingriffe besonders anfälligen Passagen am Anfang und am Ende. Damit ist jedoch sehr viel mehr gewonnen als nur die Bestätigung der generellen Einsicht, dass eine inhaltlich motivierte Überarbeitung von Texten tendenziell eher dazu neigt, Erweiterungen anstelle von Kürzungen vorzunehmen, wie im nächsten Umfeld am Verhältnis von Mk - Mt, Kol - Eph oder Jud - 2Pe erkennbar wird. Denn im Unterschied zu diesen Beispielen lässt sich die Bearbeitungsrichtung von *Ev zu Lk noch deutlich besser begründen, weil die kompositionellen Linien, die das inhaltliche Profil der Bearbeitung konstituieren, über Lk hinaus auch in Act zu identifizieren sind: Die lk Redaktion von *Ev zeigt die umfassende Kohärenz der Theologie von Lk-Act, die bis in die kompositionellen Grundstrukturen von Act hineinreicht. Methodisch ist diese Beobachtung von großer Tragweite. Denn der synchrone Vergleich zwischen literarisch voneinander abhängigen Texten kann ja nur die Differenzen und Übereinstimmungen verzeichnen. Dieser Befund bleibt notgedrungen ambivalent und erlaubt in aller Regel keine eindeutige diachrone Zuordnung § 9: Die *Ev-Priorität: Ergebnisse und weitere Fragen 191 in einem Bearbeitungsgefälle. Die Beobachtungen konstituieren häufig eine »Kippfigur«, die je nach Perspektive ein unterschiedliches, aber jeweils in sich stimmiges Bild zu erkennen gibt. Dieses Phänomen liegt denn auch der Kritik 1 an dem hier vorgestellten Ansatz der *Ev-Priorität vor Lk zugrunde: Wegen des ambivalenten Charakters der Bearbeitungsrichtung sei die hier vertretene Umkehrung der traditionellen Bearbeitungsrichtung aus inneren Gründen gar nicht widerlegbar. 2 Die Schlussfolgerung, unter diesen Bedingungen dann doch lieber bei der alten Theorie zu bleiben, ist zwar verständlich, am Ende aber nicht nur unhaltbar, 3 sondern auch unnötig: Die Bestimmung der Bearbeitungsrichtung zwischen *Ev und Lk ist nicht auf ambivalente »innere« Kriterien angewiesen, sondern kann sich auf zusätzliche externe Argumente stützen. Die Bestimmung des redaktionellen Gefälles zwischen *Ev und Lk ist also alles andere als ein Vexierbild, das je nach Blickwinkel ein anderes, aber jeweils plausibles Bild zu erkennen gibt. Die traditionelle Ansicht der Lk-Priorität war von der bereits im 2. Jh. behaupteten Korrelation zwischen Marcions häretischer Theologie und seinem Bibeltext ausgegangen und musste daher aus methodischen Gründen eine konsistente Bearbeitung postulieren: Wie anders als durch die konsequente »Korrektur« des Bibeltextes hätte Marcion sein Ziel sonst erreichen können? Dass der Befund diese Konsistenz nicht erkennen lässt, ist erkannt und durchweg zugestanden: Dieses Problem hatte ja bereits Tertullian zu seiner gewundenen Erklärung veranlasst. 4 Für die umgekehrte Annahme redaktioneller Erweiterungen und Veränderungen von *Ev durch die lk Redaktion wäre ein entsprechendes Postulat durchgängiger Konsistenz dagegen erkennbar unsinnig: Für diese Annahme genügt es, dass Lk- Act ein plausibles und i. W. widerspruchsfreies Konzept zu erkennen gibt - also genau das, was die redaktionskritische Forschung in zahlreichen Untersuchungen zu Tage gefördert hat. Am Ende ist der Vorwurf der »Nichtfalsifizierbarkeit« der *Ev-Priorität nichts anderes als das Eingeständnis, die für diese Ansicht vorgebrachten Argumente nicht widerlegen zu können. ______________________________ 1 C HR . M. H AYS , Marcion vs. Luke: A Response to the Plädoyer of Matthias Klinghardt, ZNW 99 (2008), 213-232. 2 So bescheinigt Christopher Hays der These der *Ev-Priorität eine »internal unfalsifiability« (H AYS , a. a. O. 228). 3 So hält Hays (mit Blick auf Lk 4,16-30) die Begründung der *Ev-Priorität für so »zwingend«, dass sie sich letztendlich selbst unterminiere: »Ein etwas nachlässigerer Redaktor besitzt mehr Plausibilität als ein brillianter« (H AYS , a. a. O. 228). Die Annahme, dass eine schlechter begründete Theorie wahrscheinlicher sei als eine schlüssig begründete, ist methodisch abenteuerlich und bedeutet das Ende jeder rationalen Exegese; sie wird nur aus dem Bestreben heraus verständlich, um jeden Preis an der traditionellen Theorie festzuhalten. 4 Tert. 4,43,7, o. § 3, S. 45 Anm. 43. 192 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk 2. Der Umfang der lk Redaktion Wie umfassend diese Redaktion verfahren ist, zeigt sich auch daran, dass sie die großen Linien nicht nur durch die Einfügung größerer Textkomplexe herausstellt, sondern auch kleinere Änderungen in dieses Bild integriert. Ein Beispiel dafür ist die geringfügig wirkende Veränderung von *23,3 mit der Ersetzung von Χριστός durch βασιλεὺς τῶν ᾿Ιουδαίων. Diese eher unscheinbare Änderung ist Teil einer großen redaktionellen Linie, die das Königtum Jesu herausstellen will und in Lk 19 und 24 zu umfangreichen redaktionellen Erweiterungen geführt hat. Obwohl die lk Formulierung von Lk 23,3 die narrative Wahrscheinlichkeit aufs Äußerste strapaziert (wogegen die für *Ev bezeugte Fassung erkennbar weniger problematisch ist), zeigt das redaktionelle Gesamtbild, dass diese Probleme um der theologischen Kohärenz willen in Kauf genommen wurden. Ähnliches hat sich auch für die Umstellung von Lk 4,16-30 vor 4,31-37 gezeigt: Der redaktionelle Gestaltungswille (in diesem Fall: die programmatische Herausstellung der Nazarethszene) war so stark, dass er durch diese Umstellung eine Reihe von Unwahrscheinlichkeiten produzierte, die (durch Lk 4,14f) nur ansatzweise kaschiert werden konnten. Diese Beobachtungen lassen sich nur unter der Annahme der *Ev-Priorität plausibel machen, nicht aber im Rahmen der klassischen Annahme der Lk-Priorität. Die hier skizzierten Beispiele für die lk Redaktion am Anfang und am Ende des Evangeliums sind zunächst nur erste Hinweise: Sie sollen die Bearbeitungsrichung grundsätzlich plausibilisieren. Der Umfang der redaktionellen Eingriffe geht über diese Beispiele selbstverständlich weit hinaus und wird in der Rekonstruktion (Anhang I) sichtbar: Hier werden alle kleineren und größeren Veränderungen analysiert und im Einzelnen begründet. Die Frage, welche Erkenntnisse diese Veränderungen im Umkehrschluss für das literarische und theologische Profil von *Ev bedeuten, ist allerdings offen: Ihre Beantwortung muss späteren Untersuchungen vorbehalten bleiben. 5 3. Das Konzept der lk Redaktion Der redaktionelle Gestaltungswille als Teil eines umfassenden Gesamtkonzeptes kommt vor allem im Prolog (Lk 1,1-4) zum Ausdruck. Denn etliche Elemente des Prologs sind am ehesten verständlich als der Versuch, genau diejenigen Schwierigkeiten zu lösen, die sich überhaupt erst aus der Differenz zwischen diesem älteren Evangelium und der redaktionellen Erweiterung in Lk ergeben. Der Lk-Prolog hat daher (zumindest: auch) das Ziel, dieses ältere, von Marcion und den Marcioniten benutzte Evangelium zu diskreditieren und zu ersetzen - jetzt allerdings nicht allein durch Lk, sondern durch das kanonische Vier-Evangelienbuch. ______________________________ 5 Vgl. dazu den knappen Ausblick u. S. 390ff. § 9: Die *Ev-Priorität: Ergebnisse und weitere Fragen 193 Denn das hermeneutische Konzept, das durch die redaktionellen Elemente vor allem in Lk 1 und 24 konstituiert wird, zeigt nicht nur eine hohe systematische Geschlossenheit, sondern impliziert auch den kanonischen Rahmen, in dem Lk verstanden werden will. Zu diesem Rahmen gehören nicht nur die anderen (kanonischen) Evangelien, sondern mindestens auch Act sowie das christliche AT mit seinen Bestandteilen Gesetz, Propheten und Psalmen. Vor diesem Hintergrund gewinnt die marcionitische Replik des gegen sie gerichteten Verfälschungsvorwurf unmittelbare Konkretion: Die als protectores Iudaismi bezeichneten Vertreter der entstehenden katholischen Kirche haben das (marcionitische) Evangelium tatsächlich interpoliert und in ein corpus mit Gesetz und Propheten integriert. 6 Das Verfahren der lk Redaktion und der marcionitische Vorwurf gegen die katholischen Christen in der Mitte des 2. Jh. entsprechen sich also sehr genau. Auch diese Entsprechung ist als ein textexternes Argument zu verstehen, das die Bearbeitungsrichtung festschreibt. Auch diese Hinweise auf die inhaltlichen Komponenten der lk Redaktion sind nur Beispiele. Sie sollen in ausgewählten Passagen die Kohärenz des redaktionellen Konzeptes erkennen lassen. Aber das inhaltliche Konzept der Redaktion erschöpft sich nicht in der Einbindung des Lk in die Kanonische Ausgabe: Eine monokausale Erklärung greift, wie immer in diesen Fällen, zu kurz. Aus diesem Grund sind alle weiteren redaktionellen Änderungen, die sich aus der Rekonstruktion ergeben, mit in das Bild einzubeziehen. Wie die redaktionskritische Forschung im Zusammenhang des Synoptischen Problems schon lange gezeigt hat, lässt sich das redaktionelle Konzept allerdings auch nicht allein auf die redaktionellen Änderungen reduzieren: Das literarische Konzept erweist sich am Gesamttext, also an dem Ineinander von »Redaktion« und »Tradition«. Die Leistungsfähigkeit einer literarischen Analyse des kanonischen Lk unter der methodischen Prämisse der *Ev-Priorität muss sich dann daran erweisen, ob sie die verbleibenden Inkonsistenzen und Brüche besser zu erklären in der Lage ist, als dies unter der Annahme etwa der Zwei-Quellentheorie möglich ist. 4. Direkte literarische Beziehung Die Unmittelbarkeit, mit der sich die lk Redaktion auf das marcionitische Evangelium beziehen lässt, hat die methodisch gewichtige Konsequenz, dass eine Suche nach möglichen Vor- oder Zwischengliedern im literarischen Verhältnis zwischen *Ev und Lk sich erübrigt. Die Frage, ob Lk und *Ev direkt voneinander abhängig sind oder ob ihre Beziehung durch einen dritten Text vermittelt ist, hatte bereits die ältere Diskussion in den 1840er Jahren intensiv beschäftigt (o. S. 15ff); die Ansicht einer solchen Vermittlung ist durch John Knox’ Abhandlung bis in die Gegenwart ______________________________ 6 Tert. 4,4,4; s. o. S. 149f. 194 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk hinein lebendig geblieben. 7 Die gründlichen, methodischen Überlegungen von Andrew Gregory 8 zu dieser Frage zeigen, dass eine solche Vermittlungsinstanz (in Form einer gemeinsamen Quelle für Lk und *Ev) nur für die Annahme der Lk- Priorität eine gewisse Plausibilität besitzt: Sie dient zur Erklärung genau derjenigen Probleme, die unter der methodischen Prämisse der Lk-Priorität unbeantwortbar bleiben. Für die Annahme der *Ev-Priorität hat die Konsistenz der lk Redaktion dagegen deutlich werden lassen, dass eine solche Vermittlungsinstanz überflüssig ist und deswegen auch nicht ohne Not postuliert werden darf. Auch dieser Aspekt ist bei der literarkritischen Analyse aller Einzeltexte im Auge zu behalten. Der Verzicht auf die Annahme einer Vermittlungsinstanz zwischen *Ev und Lk wirkt sich nicht in erster Linie auf die Fragen der literarischen Beziehungen zwischen *Ev und Lk aus, sondern auf das Bild, das man sich von der historischen Gestalt Marcion zu machen hat. Denn wenn es keine gemeinsame Quelle für *Ev und Lk gibt, dann ist - unter der Prämisse der *Ev-Priorität - die Annahme obsolet, dass Marcion überhaupt einen Evangelientext bearbeitet hat. Die Konsequenzen dieser Einsicht betreffen in erster Linie historische Fragen im Bereich der Patristik: Die Bewertung Marcions als »Reformer«, die Einschätzung der Zuverlässigkeit der historischen Angaben in der häresiologischen Literatur; die Existenz eines vor- und außerkanonischen Evangeliums. Diese Fragen werden hier zunächst nicht weiter verfolgt: Auf sie ist am Ende zurückzukommen. 9 5. Folgerungen Die These der *Ev-Priorität, für die sich hier einige erste, grundlegende Einsichten ergeben haben, hat jedoch noch weitere Folgen. Denn wenn *Ev die wichtigste Quelle des kanonischen Lk-Evangeliums war, dann stellt sich die Frage nach dem Gang der synoptischen Überlieferung völlig neu. Es ist daher verständlich, dass eine erste Reaktion auf diese These vor allem bemängelt, dass der für *Ev bezeugte Text auch Einflüsse durch Mk, »Q« und S Lk zeige. 10 Dieser Einwand widerlegt zwar die These der *Ev-Priorität nicht, aber er macht deutlich, dass die Frage der literarischen Beziehung zwischen *Ev und Lk nicht unabhängig von einem neuen ______________________________ 7 Vgl. G. V OLCKMAR , Über das Lukas-Evangelium nach seinem Verhältniss zum Evangelium Marcion’s, ThJb 9 (1850), 110-138.185-235; J. K NOX , Marcion and the New Testament, Chicago 1942 (= 1980); A. G REGORY , The Reception of Luke and Acts in the Period Before Irenaeus, Tübingen 2003; J. B. T YSON , Marcion and Luke-Acts, Columbia 2006; J. M. L IEU , Marcion and the Synoptic Problem, in: P. F OSTER et al. (eds.), New Studies in the Synoptic Problem, Leuven u. a. 2011, 731-751: 747. 8 G REGORY , a. a. O. 173ff, mit der Annahme einer gemeinsamen Quelle, die Lk 3-24 ohne Act enthalten habe. Zur Kritik vgl. auch M. W OLTER , Lk 2. 9 Vgl. u. S. 413ff. 10 W OLTER , Lk 3. § 9: Die *Ev-Priorität: Ergebnisse und weitere Fragen 195 Bild der literarischen Beziehungen zwischen allen kanonischen Evangelien zu beantworten ist: Dass es dafür in der Tat großen Bedarf gibt, ist zu Beginn (§ 1) schon deutlich geworden. Dieses Problem steht im Zentrum von Teil IV dieser Untersuchung. Wenn *Ev aber ein vorlukanischer Text war, dann ist auch die historische Frage neu zu stellen, welche Bezeugung es für dieses Evangelium gibt. Im Zusammenhang der textgeschichtlichen Überlegungen (o. § 5) ist bereits deutlich geworden, dass die engen Affinitäten zwischen dem Text von *Ev und den altlateinischen Evangelien die große Verbreitung eines solchen »urtümlichen« Evangeliums nahelegen. Auch die Hinweise auf die vielfältige Rezeption (nur) des Lk durch Häretiker wären dann in dieser Richtung zu verstehen. 11 Es wird also zu fragen sein, ob dieses Evangelium außerhalb des durch das kanonische NT bestimmten katholischen Bereichs bezeugt ist. ______________________________ 11 Origenes, Hom. in Lc 16,5; 20,3 (o. S. 86f Anm. 19f); vgl. auch Iren., Haer. 3,15,1f. IV. Vom älte sten Evang elium zum kanonis chen Vier-Evang elienbuch: Eine überlieferung sg e s chichtliche Skizz e § 10: *Ev und die Überlieferung der kanonischen Evangelien Die These der *Ev-Priorität vor Lk, die sich durch die Analyse des Bearbeitungsgefälles zwischen beiden Texten bestätigt hat, besitzt wesentliche Konsequenzen für das Bild der Überlieferungsgeschichte der kanonischen Evangelien. Dies ist zunächst evident für das sog. Synoptische Problem, weil die komplexen, aber überwiegend engen literarischen Beziehungen zwischen den synoptischen Evangelien nur quellenkritisch erklärt werden können: Da *Ev älter ist als Lk und von diesem als seine Hauptquelle benutzt und redaktionell bearbeitet wurde, liegt für die Überlieferungsgeschichte der synoptischen Evangelien erstmals eine zusätzliche Quelle vor, deren Existenz außer Frage steht - im Unterschied zu der aufgrund eines methodischen Postulats im Horizont der Zwei-Quellentheorie nur hypothetisch erschlossenen Quelle »Q«. Die Aufgabe dieses letzten Kapitels besteht darin, ein Bild der Überlieferungsgeschichte der kanonischen Evangelien unter Einzeichnung von *Ev zu skizzieren. Wegen der großen Nähe zwischen den drei ersten Evangelien betrifft dies zunächst das Synoptische Problem, für das sich eine Lösung anbietet, die sich von den großen, bis heute kontrovers diskutierten Modellen unterscheidet. Wie zu zeigen sein wird (s. § 13), hat die Einzeichnung von *Ev in die literarischen Beziehungen allerdings auch Auswirkungen auf den überlieferungsgeschichtlichen Ort des Joh. Am Ende sollte der komplette Verlauf der Evangelienüberlieferung von den ältesten, literarisch greifbaren Anfängen bis zum kanonischen Vier-Evangelienbuch deutlich werden. Es ist daher sinnvoll, sich vorab über die Fragen klar zu werden, die in diesem Zusammenhang zu beantworten sind: Die Tauglichkeit des Modells ist daran zu messen, ob es in der Lage ist, diese offenen Fragen befriedigend zu beantworten. 1. Offene Fragen zur Überlieferungsgeschichte der Evangelien a. Das Scheitern der klassischen Lösungen für das Synoptische Problem Die offenen Fragen betreffen in erster Linie das sog. Synoptische Problem, das durch die Komplexität der literarischen Beziehungen der ersten drei Evangelien konstituiert ist. Der Umstand, dass dieses Problem trotz der faktischen Dominanz der Zwei-Quellentheorie bis heute kontrovers diskutiert wird, ist ein erstes Indiz für die Insuffizienz dieses und anderer gängiger Modelle. Die jüngste Debatte im Anschluss an Mark Goodacres prononciertes Votum für die Farrer-Goulder-Theorie hat die Aporien dieser Modelle deutlich werden lassen. 1 Denn das Ergebnis dieses ______________________________ 1 Vgl. M. S. G OODACRE , The Case Against Q, Harrisburg 2001. Aus der sich anschließenden Diskussion vgl. etwa: J. S. K LOPPENBORG , On Dispensing with Q? : Goodacre on the Relation of 200 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Diskurses lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass die beiden wichtigsten in diesem Zusammenhang diskutierten Theorieansätze - also die Zwei-Quellentheorie und die Markan-Priority-Without-Q-Hypothese - in ihrer kritischen Bewertung des jeweils anderen Modells vollkommen überzeugend sind, in ihrem jeweils eigenen Lösungsvorschlag aber erkennbare Schwächen enthalten. Geht man von diesem jüngsten Diskurs aus, dann ergeben sich die folgenden offenen Fragen, die eine positive Antwort verlangen. 1. Wie seit langem bekannt ist, stellen die sog. mt-lk »Minor Agreements« in der Tat ein gravierendes Argument gegen die Zwei-Quellentheorie dar. Da dieses Modell von der prinzipiellen Unabhängigkeit von Mt und Lk ausgeht, belegen diese Übereinstimmungen eine literarische Beziehung, die es gar nicht geben dürfte. Die Diskussionen, die seit langem über das Ausmaß dieses Phänomens und sein methodisches Gewicht geführt wurden, sind überhaupt nur verständlich als der (letztlich) unzureichende Versuch, die Zwei-Quellentheorie zu »retten«. Insbesondere die Ansicht, dass die Unabhängigkeit von Mt und Lk zwar prinzipiell, aber eben nicht zwingend auch für jeden Einzelfall anzunehmen sei, erweist sich ohne weiteres als ein methodisches non liquet: Es ist aus methodischen Gründen grundsätzlich ausgeschlossen, eine Theorie auf bestimmten, prinzipiellen Einsichten zu fundieren und dann genau diese Prinzipien preiszugeben, weil die Theorie am Ende nicht alle Phänomene zu erklären in der Lage ist. Die »Minor Agreements« sind daher in der Tat »fatal« für die Zwei-Quellentheorie. Ein tragfähiges Modell der Überlieferungsgeschichte der Evangelien muss das Phänomen der »Minor Agreements« plausibel - und das heißt: nicht nur unter der Konzession von Ausnahmen - erklären können. 2. Das Gegenstück zu dieser Einsicht liegt in der Kritik an dem auf James Ropes zurückgehenden Modell, das nach seinen Hauptvertretern als Farrer-Goulder- Theory oder (sachlich genauer, wenn auch umständlicher) als »Markan-Priority- Without-Q-Theory« bezeichnet wird. 2 Diese Theorie erklärt die synoptischen Beziehungen in einem reinen Benutzungsmodell, verzichtet also auf die Annahme zusätzlicher hypothetischer Quellen wie »Q«. Die angenommene Abhängigkeit des Mt von Mk sowie des Lk von Mk und Mt hat erkennbar keine Schwierigkeiten mit den »Minor Agreements«, wirft aber andere Probleme auf. ______________________________ Luke to Matthew, NTS 49 (2003), 210-236; P. F OSTER , Is it Possible to Dispense with Q? , NT 45 (2003), 313-337; F. G. D OWNING , Dissolving the Synoptic Problem Through Film? , JSNT 84 (2001), 117-119; E. C. S. E VE , The Synoptic Problem without Q? , in: P. Foster et al. (eds.), New Studies in the Synoptic Problem, Leuven 2011, 551-570 u. a. 2 G OODACRE , a.a.O.; vgl. auch J. H. R OPES , The Synoptic Gospels, Cambridge (MA) 2 1960; M. E NSLIN , Christian Beginnings, New York 1938; A. F ARRER , On Dispensing with Q, in: D. E. Nineham (ed.), Studies in the Gospels, Oxford 1955, 55-88; M. D. G OULDER , Luke: A New Paradigm, Sheffield 1989 (dazu auch M. S. G OODACRE , Goulder and the Gospels, Sheffield 1996). § 10: *Ev und die Überlieferung der kanonischen Evangelien 201 Das erste dieser Probleme ist die redaktionelle Unwahrscheinlichkeit des Modells. Diese Schwierigkeit zeigt sich an vielen Beispielen der mt-lk Doppelüberlieferung, an denen eine lk Abhängigkeit von Mt ausgesprochen problematisch erscheint. Das Paradebeispiel für dieses Problem ist das Verhältnis zwischen der Bergpredigt Mt 5-7 und dem entsprechenden lk Material, das sich ja nicht nur in der Feldrede Lk 6,20-49 findet, sondern darüber hinausgeht: Lässt sich mit Blick auf dieses Material wirklich ernsthaft behaupten, dass die Bearbeitungsrichtung von Mt zu Lk verläuft? Dazu müsste man annehmen, dass Lk die mt Komposition der Bergpredigt aufgelöst, einen erheblichen Teil ihres Materials übergangen und den Rest auf rund ein Dutzend verschiedener Kontexte in Lk 6 und 11-16 verteilt hätte. 3 Schon Burnett Streeter hatte mit Blick auf dieses Phänomen die berühmte Wendung geprägt, dass ein solches redaktionelles Verfahren nur einem literarischen »crank« zuzutrauen wäre. 4 Die Komposition der Bergpredigt ist zwar nicht das einzige Beispiel, das gegen die lk Abhängigkeit von Mt spricht, aber an dieser Stelle bündeln sich die entsprechenden Beobachtungen auf besonders deutliche Weise. Dass die Vertreter der Farrer-Goulder-Hypothese diese Einwände zu entkräften versucht und dafür auch Argumente angeführt haben, 5 hebt ihr Gewicht nicht auf. Für eine Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte der Evangelien ist daher in Rechnung zu stellen, dass die postulierten Bearbeitungen jeweils auch in ein plausibles redaktionelles Konzept münden müssen. Mit Blick auf die Bearbeitungsrichtung zwischen Mt und Lk stellt das Material der mt Bergpredigt einen wesentlichen Prüfstein für die Tauglichkeit des Modells dar. 3. Die Annahme der lk Abhängigkeit von Mt wirft noch ein weiteres, gravierendes Problem auf, nämlich die alternierende Ursprünglichkeit im Material der mt-lk Doppelüberlieferung. Gemeint ist damit das Phänomen, dass das Material, das im Rahmen der Zwei-Quellentheorie zu »Q« gerechnet wird, an manchen Stellen in Lk, an anderen aber in Mt ursprünglich zu sein scheint. Zu den Paradebeispielen, die in diesem Zusammenhang immer wieder diskutiert werden, gehört die erste Seligpreisung: Lk 6,20 Μακάριοι οἱ πτωχοί erscheint gegenüber Mt 5,3 Μακάριοι οἱ πτωχοὶ τ ῷ π ν ε ύ μ α τ ι ohne weiteres als die ursprünglichere der beiden ______________________________ 3 Zum methodischen Problem vgl. M. K LINGHARDT , The Marcionite Gospel and the Synoptic Problem: A New Suggestion, NT 50 (2008), 1-27: 17f. 4 B. H. S TREETER , The Four Gospels, London 1924, 183. 5 Zum Problem vgl. nur G OODACRE , a. a. O. 105-120. Die narratologischen Argumente, die Goodacre gegen dieses Argument vorgebracht hat, sind insgesamt nicht überzeugend. Vgl. M. S. G OODACRE , The Synoptic Jesus and the Celluloid Christ. Solving the Synoptic Problem Through Film, JSNT 80 [2000], 31-4); kritisiert etwa von F. G. D OWNING , Dissolving the Synoptic Problem Through Film? , JSNT 84 (2001), 117-119. 202 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Fassungen. 6 Dasselbe gilt beispielsweise für die Zahl der Vaterunser-Bitten: Die kürzere Reihe der fünf lk Vaterunser-Bitten (Lk 11,2-4) wird im Vergleich zu den sieben mt Bitten (Mt 6,9-13) durchweg für ursprünglich gehalten. Auf der anderen Seite gibt es einen breiten Konsens darüber, dass etliche Formulierungen der mt Vaterunser-Bitten älter sind als die der lk Bitten. 7 Die Überlieferung des Vaterunser ist ein herausragendes Beispiel für dieses Phänomen der alternierenden Ursprünglichkeit auf engstem Raum. Dieses Phänomen, für das es noch ungezählte weitere Beispiele gibt, ist eines der stärksten Argumente für die Zwei-Quellentheorie, denn diese setzt ja methodisch voraus, dass Mt und Lk »Q« von unabhängig voneinander rezipiert und bearbeitet haben. Auch dieses Argument der alternierenden Ursprünglichkeit scheint auf den ersten Blick keine harten, unwiderlegbaren Argumente gegen die lk Abhängigkeit von Mt zu liefern. Denn die Bestimmung, welche der beiden Fassungen am ehesten den Anschein der größeren Ursprünglichkeit erweckt, ist in den seltensten Fällen eindeutig: Die umfangreiche Materialsammlung zur Geschichte der »Q«-Forschung in den Bänden »Documenta Q« mit ihren Pro- und Contra-Listen zeigt dies auf eindrückliche Weise. Aber das kumulative Gewicht der Beobachtungen, die hier aus einer über 100-jährigen Forschungsgeschichte zusammengetragen sind, wiegt schwer. Es widerlegt die von der Farrer-Goulder-Hypothese angenommene Abhängigkeit des Lk von Mt genauso deutlich wie die Umkehrung einer einfachen Abhängigkeit Mt von Lk: Wenn man die Texte der mt-lk Doppelüberlieferung nicht von vornherein in ein bestimmtes Überlieferungsmodell pressen will, sondern sich locker auf die Beobachtungen am Text einlässt, dann liegt die Lösung einer gemeinsamen Vorstufe, wie sie »Q« darstellt, in der Tat nahe: Das Phänomen der alternierenden Ursprünglichkeit ist kaum bestreitbar, obwohl dies natürlich verschiedentlich versucht wurde. Der Anspruch der Zwei-Quellentheorie, »Q« sei keine hypothetisch erschlossene Quelle, sondern eine zwingende Konsequenz aus den textlichen Beobachtungen, ist daher gut nachvollziehbar. 8 Denn die Alternative zur ______________________________ 6 Vgl. C HR . M. T UCKETT , Q and the History of Early Christianity, Edinburgh 1996, 223: »In the first beatitude, most would agree that the object of the beatitude in Q is the ›poor‹, and that Matthew’s ›poor in the spirit‹ is due to his redactional change, ›spiritualizing‹ the beatitude in the same way as he has modified the ›hungry‹ of Matt 5: 6 to refer to those who ›hunger and thirst for righteousness‹.« Zum Problem vgl. auch G OODACRE , a. a. O. 133-151 (mit Lit.). 7 Vgl. z. B. F R . N EIRYNCK , Documenta Q: Q 11,2b-4, in: ders., Evangelica III, Leuven 2001, 432-439, sowie die eindrucksvolle Liste mit den Voten für die Ursprünglichkeit der mt Formulierungen bei S H . C ARRUTH , A. G ARSKY , Q 11: 2b-4, 128-144. 8 Vgl. nur als Beispiel K LOPPENBORG , a. a. O. 211, der sich gegen den hypothetischen Charakter von »Q« verwahrt: Die Logienquelle sei nicht »a hypothesis on its own, despite those who tirelessly refer to ›the Q hypothesis‹. Rather, Q is a corollary of the hypotheses of Markan priority and the § 10: *Ev und die Überlieferung der kanonischen Evangelien 203 Annahme der gemeinsamen (aber unabhängigen) Benutzung von »Q« durch Mt und Lk wäre ja eine wechselseitige Abhängigkeit: Dass Mt von Lk und zugleich Lk von Mt abhängig sei, ist logisch ausgeschlossen. Angesichts dieser Überlegungen avanciert dieses Phänomen der alternierenden Ursprünglichkeit im Material der mt-lk Doppelüberlieferungen ohne weiteres zu einem Zentralproblem für die Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte der Evangelien. Ein Hauptkriterium, an dem die Tauglichkeit eines solchen Modells zu messen ist, besteht darin, ob und wie dieses Phänomen erklärbar wird. 4. Ein letztes Problem für die Theorien zum Synoptischen Problem stellen die sog. »Mk-Q Overlaps« dar. Diese Doppelüberlieferungen bzw. Überlagerungen in dem Material, das Mk und die mt-lk Doppelüberlieferung gemeinsam haben, ist zunächst eine Schwierigkeit für die Zwei-Quellentheorie: Die »Overlap«-Texte belegen eine literarische Beziehung zwischen Mk und »Q«, für welche die Zwei- Quellentheorie keine überzeugende, systemimmanente Lösung anbietet, sich auch lange Zeit gar nicht darum bemüht hat. Tatsächlich unterscheidet sich das Phänomen der »Mk-Q Overlaps« nur graduell von dem der »Minor Agreements«: In beiden Fällen geht es um mt-lk Übereinstimmungen gegen Mk. 9 Von daher überrascht es kaum, dass die »Mk-Q Overlaps« für die Farrer-Goulder-Theorie kein Problem darstellen. Irritierend ist eher, dass die Vertreter der Zwei-Quellentheorie dieses Problem erst spät zu lösen versucht haben. 10 Die in diesem Zusammenhang zuletzt vertretene Ansicht, dass Mk von »Q« abhängig sei, 11 hebt die für die Zwei-Quellentheorie ursprünglich wichtige Voraussetzung eines doppelten Ursprungs der Evangelienüberlieferung in Mk und »Q« auf. Die literarischen Beobachtungen, welche diese Ansicht stützen, sind für ein überlieferungsgeschichtliches Modell zu berücksichtigen. Sieht man die offenen Fragen zum Synoptischen Problem zusammen, bleibt eine letzte Überlegung wichtig, nämlich die methodische Nötigung zu einem ökonomischen Umgang mit Postulaten. Diese als »Occam’s Razor« bekannte methodologische Forderung wurde wiederholt kritisch gegen die Zwei-Quellentheorie eingewandt: Deren wichtigstes Element, die Existenz von »Q«, stellt ein solches Postulat dar, für das es abgesehen von theorieimmanenten Notwendigkeiten keine unabhängigen Hinweise gibt. Ähnliche Einwände sind dann auch gegen die Deutero-Markus- ______________________________ independence of Matthew and Luke, since it is then necessary to account for the material that Matthew and Luke have in common but wich they did not take from Mark.« 9 Vgl. M. S. G OODACRE , A Monopoly on Markan Priority? Fallacies at the Heart of Q, SBL.SP 39 (2000), 538-622; DERS ., The Case Against Q, Harrisburg 2001, 163ff. 10 Vgl. etwa R. L AUFEN , Die Doppelüberlieferungen der Logienquelle und des Markusevangeliums, Königstein/ Ts. 1980; H. T. F LEDDERMANN , Mark and Q, Leuven 1995 (vgl. dazu F R . N EIRYNCK , Mark and Q: Assessment, in: ders., Evangelica III, Leuven 2001, 505-545). 11 F LEDDERMANN , a. a. O. (passim). 204 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Hypothese und andere Erklärungsmodelle geltend zu machen. Es mag Fragestellungen geben, die ohne solche Postulate nicht zu lösen sind. Aber bevor man zusätzliche Erklärungselemente postuliert, ist in jedem Fall eine Überprüfung der Fragestellung angezeigt: Wenn Generationen von Gelehrten mit großer Mühe und viel Scharfsinn ein Problem nicht befriedigend zu lösen vermögen, sind vielleicht die Bedingungen für die Formulierung der Ausgangsfrage zu korrigieren. b. Synoptiker und Joh Die Dominanz des Synoptischen Problems hat in den letzten rund 150 Jahren die Frage nach den überlieferungsgeschichtlichen Beziehungen zwischen Joh und den Synoptikern in den Hintergrund treten lassen. Obwohl diese Beziehung immer wieder reflektiert wurde, haben sich für ihre Klärung keine Lösungen herausgebildet, die denen zum Synoptischen Problem hinsichtlich der inhaltlichen Präzision oder der methodischen Reflexion entsprechen. Das liegt vor allem am literarischen Charakter des Joh, der sich deutlich von den Synoptikern unterscheidet: Nur in wenigen Fällen sind die literarischen Beziehungen zwischen Joh und den Synoptikern so erkennbar eng wie diejenigen zwischen den Synoptikern, was dazu geführt hat, dass immer wieder die literarische Unabhängigkeit des Joh von den Synoptikern vertreten wurde. Diese Debatte ist hier nicht zu darzustellen. Allerdings betreffen die johsynoptischen Beziehungen in erster Linie literarische Phänomene, die Joh und Lk gegen Mk und Mt gemeinsam haben. Vor allem die Passions- und Osterüberlieferung zeigt solche Berührungen, die dann auch zu spezifischen überlieferungsgeschichtlichen Theorien geführt haben. 12 Da sich Lk als redaktionelle Bearbeitung von *Ev erwiesen hat, stellen diese joh-lk Berührungen eine besondere Aufgabe dar. Die Tauglichkeit eines überlieferungsgeschichtlichen Modells muss sich daher auch daran messen lassen, wie gut es in der Lage ist, diese spezifisch joh-lk Beziehungen zu erklären. Denn die gelegentlich vertretene Ansicht, dass die joh und die lk Passionserzählungen auf einem (natürlich verlorenen) älteren »Passionsbericht« basieren, ist ja nur ein weiteres ungeschütztes Postulat: Das sollte tunlichst vermieden werden. c. Zum Verhältnis von Überlieferungs- und Textgeschichte Ein weiteres Problem, das in einem Modell für die Überlieferungsgeschichte der Evangelien berücksichtigt werden muss, hat in der Vergangenheit so gut wie keine ______________________________ 12 Vgl. etwa A. D AUER , Die Passionsgeschichte im Johannesevangelium, München 1972; H. K LEIN , Die lukanisch-johanneische Passionstradition, ZNW 67 (1976), 155-186; M. A. M ATSON , The Influence of John on Luke’s Passion: Toward a Theory of Intergospel Dialogue, in: P. L. Hofrichter (Hg.), Für und wider die Priorität des Johannesevangeliums, Hildesheim 2002, 183-194; F R . S CHLERITT , Der vorjohanneische Passionsbericht, Berlin u. a. 2007. § 10: *Ev und die Überlieferung der kanonischen Evangelien 205 Rolle gespielt, nämlich die Textgeschichte des Neuen Testaments. Zwar sind immer wieder textkritische Einzelfragen im Zusammenhang der Diskussion des Synoptischen Problems behandelt worden, 13 und für bestimmte überlieferungsgeschichtliche Fragen ist die Bedeutung der Textkritik ohne weiteres evident. 14 Aber diese Überlegungen wurden nie zu einem einheitlichen Modell verbunden und schon gar nicht systematisch für die überlieferungsgeschichtlichen Fragen fruchtbar gemacht. Dagegen hat die Analyse der Berührungen des für *Ev bezeugten Textes mit den Varianten der kanonischen Lk-Überlieferung (o. § 5) zu dem vorläufigen Ergebnis geführt, dass ein erheblicher Teil der Varianten des kanonischen Lk- Textes nicht auf sekundäre Änderungen (Kopistenversehen oder absichtliche Eingriffe) zurückgeht, sondern die Spuren einer vorkanonischen Ausgabe zeigt: Dies ist das Phänomen, das hier als Interferenz zwischen der Textüberlieferung der vorkanonischen (*Ev) und der kanonischen Ausgabe (Lk) bezeichnet ist. Die neue Einsicht, die für die Überlieferungsgeschichte Berücksichtigung finden muss, ist die Differenzierung zwischen zwei Ausgaben des gleichen Textes. Dieses Phänomen, das für das Verhältnis zwischen *Ev und Lk beschrieben wurde, ist grundsätzlich auch für die anderen Evangelien anzunehmen. Denn wenn es eine Kanonische Ausgabe des Neuen Testaments gab, in der die einzelnen Schriften (in diesem Fall: die Evangelien) planmäßig bearbeitet und zusammengeführt wurden, dann ist dieses Phänomen auch für die anderen Evangelien in Anschlag zu bringen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die einzelnen Evangelien bereits existiert haben, bevor diese Kanonische Ausgabe erstellt wurde: Die Alternative wäre die Überlegung, dass einzelne Evangelien überhaupt erst für diese Ausgabe verfasst wurden. Methodisch liegt diese Überlegung auf einer anderen Ebene als die zuvor genannten Kriterien für ein überlieferungsgeschichtliches Modell, weil die Fragen der Textgeschichte bisher noch nicht systematisch für die Entstehung der Evangelien ausgewertet wurden: Dieses Kriterium ist davon abhängig, dass es eine solche Kanonische Ausgabe des Neuen Testaments tatsächlich gab. Insofern verstehen sich die diesbezüglichen Überlegungen (u. § 14) als integraler Teil eines umfassenden Modells: Es hat den Anspruch, einen erheblichen Teil der handschriftlichen ______________________________ 13 Z. B. J. K. E LLIOTT , The Relevance of Textual Criticism to the Synoptic Problem, in: D. L. Dungan (ed.), The Interrelations of the Gospels, Leuven 1990, 348-359; P. M. H EAD , Textual Criticism and the Synoptic Problem, in: P. Foster et al. (eds.), New Studies in the Synoptic Problem, Leuven 2011, 115-156 (mit Lit.). 14 Vgl. beispielsweise A. D AUER , Lk 24,12 - Ein Produkt lukanischer Redaktion? , in: Fr. Van Segbroeck et al. (eds.), The Four Gospels II, Leuven 1992, 1697-1716; DERS ., Zur Authentizität von Lk 24,12, ETL 70 (1994), 294-318; B. S HELLARD , The Relationship of Luke and John - A Fresh Look at an Old Problem, JThS 46 (1995), 71-98 u. a. 206 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Varianten des kanonischen Evangelientextes für die Rekonstruktion der Vorgeschichte des Neuen Testaments fruchtbar machen zu können. 2. *Ev im Horizont der kanonischen Evangelien: Eine Arbeitshypothese Das diachrone Modell zur Überlieferungsgeschichte der Evangelien geht von zwei Voraussetzungen aus, die hier nicht ausführlich zu begründen sind. Dies ist zum einen die *Ev-Priorität vor Lk, zum anderen die Mk-Priorität vor Mt. Die erste Relation ist oben (§§ 6-8) nachgewiesen worden und bedarf keiner weiteren Erklärung mehr. Aber auch die Mk-Priorität vor Mt wird hier nicht in Frage gestellt. Denn die umgekehrte Annahme der Mk-Posteriorität spielt nur im Rahmen der »Neo-Griesbach«- oder »Two-Gospel«-Hypothese (William Farmer u. a.) zur Klärung der komplexen synoptischen Beziehungen eine Rolle: Hier erscheint Mk als Epitome aus Mt und Lk. Sieht man jedoch von diesem weiteren Erklärungsinteresse einmal ab, ist die Mk-Posteriorität im direkten Vergleich zwischen Mk und Mt äußerst unwahrscheinlich: Sie wird daher unabhängig von der Two-Gospel-Hypothesis auch gar nicht ernsthaft diskutiert. Andererseits setzen sowohl die Zwei-Quellentheorie als auch das von Farrer, Goulder u. a. vertretene Modell zu Recht die Mk- Priorität vor Mt voraus. Deren Argumente müssen hier nicht wiederholt werden: Dass Mt eine erweiternde Bearbeitung von Mk darstellt, wird nicht in Zweifel gezogen. Dies ergibt sich nicht nur aus der grundsätzlichen Übereinstimmung in der Akolouthie, sondern auch aus einer Fülle weiterer Beobachtungen; am deutlichsten sind die mt Zusätze zu den mit Mk gemeinsamen Überlieferungen. Als Beispiel dafür sei auf Mt 14,28-31 verwiesen: Mt fügt die Petrusepisode in den aus Mk 6,45-52 stammenden Kontext ein (Mt 14,22-27.32f || Mk 6,45-52 || Joh 6,16-21). Da diese gesamte Seewandelerzählung in *Ev gefehlt hat und auf die mk Redaktion von *Ev zurückgeht (s. u. S. 221ff), belegt diese redaktionelle Einfügung die mt Abhängigkeit von Mk. a. *Ev und die Synoptiker Die Rekonstruktion der literarischen Beziehungen zwischen den synoptischen Evangelien hat daher von diesen beiden grundlegenden Bearbeitungsverhältnissen auszugehen. *Ev-------------- -- - - Mk- - ----- ① - ---- - - - --- ② - --Lk-- - - ----- - Mt- Abb. 1: Die synoptischen Hauptrelationen: *Ev - Lk und Mk - Mt § 10: *Ev und die Überlieferung der kanonischen Evangelien 207 Diese beiden Hauptrelationen ① zwischen *Ev und Lk und ② zwischen Mk und Mt konstituieren den diachronen Rahmen und markieren zugleich die eigentliche Aufgabe: Auf welche Weise sind die Beziehungen zwischen diesen beiden Bearbeitungslinien zu erklären? Um eine Arbeitshypothese für den Gang der synoptischen Überlieferung formulieren zu können, die eine Antwort auf diese Frage liefert, sind vorab drei Überlegungen wichtig. 1. Zum einen haben die textgeschichtlichen Überlegungen (s. o. § 5) bereits erkennen lassen, dass *Ev sehr wahrscheinlich nicht nur ein vor-lk Text ist, sondern das älteste Evangelium überhaupt: Die große Zahl der gemeinsamen Varianten von *Ev und den »Westlichen« Handschriften (D it sy) hat die Vermutung nahegelegt, dass dieses Evangelium vor der Erstellung und Verbreitung der Kanonischen Ausgabe bereits in Versionen, der Vetus Latina und der Vetus Syra, rezipiert wurde. Unter dieser Voraussetzung gehören *Ev und Mk nicht auf dieselbe Überlieferungsebene: Es ist zu vermuten, dass *Ev vor dem kanonischen Mk angesiedelt werden muss. Aufgrund des umfangreichen gemeinsamen Materials und wegen der zahlreichen, bis in den Wortlaut hineinreichenden Analogien zwischen *Ev und Mk ist daher die erste Verbindung zwischen den beiden zugrunde gelegten Bearbeitungslinien ① und ② als Einfluss von *Ev auf Mk zu fassen. 2. Da *Ev nachweislich einen großen Teil des Stoffes der mt-lk Doppelüberlieferung enthielt (also das Material, das im Rahmen der Zwei-Quellentheorie als »Q«-Stoff bezeichnet wird), ist darüber hinaus auch ein Einfluss von *Ev auf Mt wahrscheinlich: Dies ist die zweite Verbindung zwischen den beiden Hauptrelationen. Mt erscheint demzufolge als redaktionelle Ergänzung von Mk durch Material aus *Ev, wobei Mk das narrative Grundgerüst vorgibt, in das die Ergänzungen aus *Ev eingefügt sind. 3. Da schließlich viele der redaktionellen Linien, die in der lk Bearbeitung von *Ev sichtbar wurden, auch die redaktionelle Gestalt von Act beeinflussen, liegt es nahe, Lk als die jüngste Bearbeitung des Evangelienstoffes innerhalb der drei ersten Evangelien anzusehen. Während die Zwei-Quellentheorie aus prinzipiellen Gründen damit rechnen musste, dass Mt und Lk unabhängig voneinander auf Mk und »Q« zurückgriffen, ist diese Einschränkung im methodischen Horizont der *Ev- Priorität nicht gerade wahrscheinlich. Nach Lage der Dinge bedeutet dies, dass Lk (auch) von Mt abhängig ist: Dies wäre die dritte Verbindung zwischen den beiden Hauptrelationen ① und ② . Diese anfänglichen Überlegungen resultieren in einer Arbeitshypothese für die Überlieferungsgeschichte, deren einzelne Elemente sich diachron folgendermaßen aufschlüsseln lassen: 208 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch *Ev-------------- --- - - - ----------- ③--- --- - - - - - Mk- ----------- ---------------------- -------------④--- ------------ ① - ---- - - - ---- ②- - ------------ - - - ----- - - Mt- -- - ------ ⑤- - -- - --Lk- --------- Abb. 2: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev und den Synoptikern Dieses Modell legt sich nach den bisherigen Überlegungen als Arbeitshypothese nahe, ist jedoch alles andere als gesichert. Insbesondere die drei wichtigen »Querverbindungen«, also die Relationen ③ , ④ und ⑤ , bedürfen einer eingehenderen Untersuchung, die vor allem jeweils die Bearbeitungsrichtung begründen soll. Dies gilt zunächst für die Beziehung ③ zwischen *Ev und Mk. Die hier angenommene *Ev-Priorität vor Mk versteht sich nicht von selbst 15 und ist unten (s. § 11) ausführlich zu begründen. Ähnliches gilt für die Relationen ④ zwischen *Ev und Mt sowie ⑤ zwischen Mt und Lk. Sie sind insofern komplementär, als sie i. W. das Material der mt-lk Doppelüberlieferung enthalten. Allerdings erscheint dieses Material hier auf zwei verschiedene Bearbeitungsgänge verteilt, die ihren gemeinsamen Schnittpunkt in der mt Redaktionsarbeit besitzen: Die Relation ④ zwischen *Ev und Mt wird zum größten Teil durch Material konstituiert, das Mk übergangen und das Mt aus *Ev nachgetragen hat. Die Relation ⑤ zwischen Mt und Lk besteht dagegen aus Texten, die nicht aus *Ev stammen, sondern erst durch Mt geschaffen wurden und die Lk von da übernommen hat. In dem Maß, in dem es gelingt, diese beiden Bearbeitungsschritte ④ und ⑤ wahrscheinlich zu machen, wird auch die Priorität des Mt vor Lk und damit der gesamte Verlauf der Entwicklung von *Ev bis Lk plausibel (dazu u. § 12). Dass damit noch nicht alle Bearbeitungsrelationen genannt sind, die sich nachweisen lassen oder wenigstens sehr wahrscheinlich sind, sei hier schon angedeutet; sie sind unten kurz erläutert. 16 b. *Ev, Joh und die Synoptiker Dieses Bild ist jedoch unvollständig: Es beschränkt sich auf die synoptischen Evangelien. Die Rekonstruktion der kanonischen Evangelienüberlieferung wäre ______________________________ 15 In einem früheren Versuch, die synoptischen Beziehungen unter Berücksichtigung von *Ev zu skizzieren, hatte ich die Bearbeitungsrichtung zwischen *Ev und Mk zwar ausdrücklich offen gelassen (M. K LINGHARDT , The Marcionite Gospel and the Synoptic Problem: A New Suggestion, NT 50 [2008], 1-27, 22: »a mere guess«), jedoch im Diagramm den Pfeil, ebenso konservativ wie inkonsequent, von Mk zu *Ev verlaufen lassen (ebd. 21). Dieses Bild ist hier ausdrücklich zu korrigieren. 16 Zu den weiteren Bearbeitungsschritten ⑧ (zwischen Mk und Lk) s. u. § 12.1 mit Abb. 6; zu ⑨ (zwischen Mt und Joh) sowie ⑩ (zwischen Mk und Joh) s. u. § 13.5 mit Abb. 8. § 10: *Ev und die Überlieferung der kanonischen Evangelien 209 jedoch ohne den Einschluss des Johannesevangeliums nicht vollständig: Die in den letzten 20 Jahren wieder intensiv verhandelte Fragestellung »Johannes und die Synoptiker« 17 gehört also auf jeden Fall mit in das zu erstellende Bild. Es liegt auf der Hand, dass nicht alle Modelle, die für die joh-synoptischen Beziehungen diskutiert werden, in gleicher Weise geeignet sind, das hier zu erstellende Bild der kanonischen Evangelienüberlieferung zu komplettieren. Aus diesem Grund bleiben diejenigen Modelle außer Betracht, die literarkritische Schichtungen innerhalb von Joh annehmen und mit der literarischen Abhängigkeit einer vor-joh Schicht von den Synoptikern rechnen. 18 Auch die Annahme einer Beziehung auf der Ebene der mündlichen Tradition hilft hier wenig weiter. 19 Angesichts der vor allem im deutschen Sprachraum vorherrschenden Ansicht einer literarischen Abhängigkeit des Joh von allen drei Synoptikern 20 ist jedoch im Auge zu behalten, dass in den letzten Jahren verstärkt die umgekehrte Perspektive einer Abhängigkeit der Synoptiker von Joh vertreten wurde. Dies ist besonders für die Frage nach dem Verhältnis zwischen Lk und Joh von Bedeutung. 21 Die Bestimmung der literarischen Beziehung zwischen Joh und den Synoptikern ist also von einem Konsens denkbar weit entfernt. An dieser Stelle hilft zunächst die Beobachtung, dass der Lukasprolog Lk 1,1-4 und der Johannesepilog Joh 21,24f aufeinander verweisen. Dies legt nahe, dass ______________________________ 17 Die Frage ist natürlich älter, wurde aber seit den 1990er Jahren verstärkt diskutiert. Vgl. etwa A. D ENAUX (Hg.), John and the Synoptics, Leuven 1992; M. H ENGEL , Die johanneische Frage, Tübingen 1993; J. F REY , Das Vierte Evangelium auf dem Hintergrund der älteren Evangelientradition. Zum Problem Johannes und die Synoptiker, in: Th. Söding (Hg.), Das Johannesevangelium, Freiburg/ Brsg. u. a. 2003, 60-118; P. L. H OFRICHTER , Modell und Vorlage der Synoptiker. Das vorredaktionelle Johannesevangelium, Hildesheim 2 2002; M. L ANG , Johannes und die Synoptiker, Göttingen 1999. Vgl. auch den Literaturbericht von S. S CHREIBER , Kannte Johannes die Synoptiker? Zur aktuellen Diskussion, VuF 51, 2006, 7-24. 18 Vgl. etwa A. D AUER , Spuren der (synoptischen) Synedriumsverhandlung im 4. Evangelium. Das Verhältnis zu den Synoptikern, in: A. Denaux (Hg.), a. a. O., 307-339; ähnlich auch H. W EDER , Von der Wende der Welt zum Semeion des Sohnes, in: ebd. 127-145. 19 Vgl. nur als Beispiele in dem Sammelband von Denaux (a. a. O.) die Beiträge von B. L INDARS , Rebuking the Spirit: A New Analysis of the Lazarus Story of John 11, ebd. 542-547; M. J. J. M ENKEN , The Quotations from Zech 9,9 in Mt 21,5 and in Jn 12,15, ebd. 571-579; C. B REYTENBACH , MNHMONEYEIN. Das »Sich-Erinnern« in der urchristlichen Überlieferung. Die Bethanienepisode (Mk 14,3-8 / Jn 12,1-8) als Beispiel, ebd. 548-557. 20 Vgl. etwa M. L ABAHN , M. L ANG , Johannes und die Synoptiker, in: J. Frey, J. Schlegel (Hg.), Kontexte des Johannesevangeliums, Tübingen 2004, 443-515, außerdem die neueren Kommentare, z. B. U. W ILCKENS , Joh; H. T HYEN , Joh, u. a. 21 Vgl. besonders M. A. M ATSON , In Dialogue with Another Gospel? , Atlanta 2001; DERS ., The Influence of John on Luke’s Passion: Toward a Theory of Intergospel Dialogue, in: P. L. Hofrichter, Für und wider die Priorität des Johannesevangeliums, Hildesheim 2002, 183-194; R. M ORGAN , The Priority of John over Luke, in: Hofrichter (Hg.), a. a. O., 195-211; B. S HELLARD , The Relationship of Luke and John - A Fresh Look at an Old Problem, in: Hofrichter (Hg.), a. a. O., 255-280; DIES ., New Light on Luke, London u. a. 2004. 210 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch beide Texte auf ein und derselben redaktionellen Ebene zusammengehören; für die beiden Evangelien gilt dies dann zumindest für ihre kanonische Endgestalt. 22 Im Rahmen der üblichen Zuordnungen zwischen den Synoptikern auf der einen und Joh auf der anderen Seite ist dieses Phänomen nicht wirklich deutbar. Aber wenn man Joh in die überlieferungsgeschichtliche Rekonstruktion einzeichnet, werden zahlreiche Beobachtungen erklärbar, die bislang in stark divergierenden Modellen eine wichtige Rolle spielten. Die überlieferungsgeschichtliche Arbeitshypothese ist daher um zwei weitere Bearbeitungsrelationen zu erweitern. -- *Ev-------------- --- - - ------------- ③--- --- - - - - Mk- ------------------- -------------------------------④---------- -------------⑥- -----①- - ---- - ----②- - ------------ - - --------- ⑧ ----- - -Mt- -- - - - - - Joh- -- -- - ---------- ⑤ - ---------------- -------⑦- -- - - - -- ---Lk Abb. 3: Die Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk Die Bearbeitungsrelationen ⑥ zwischen *Ev und Joh sowie ⑦ zwischen Joh und Lk erlauben es, eine Fülle von Beobachtungen als Ausdruck literarischer Abhängigkeit zu verstehen, die sich ansonsten in direkt antagonistischen Modellen unvereinbar gegenüberstehen: Während ⑥ die grundsätzliche Abhängigkeit des Joh von einem guten Teil des Stoffes plausibel macht, der für die Synoptiker charakteristisch ist, erlaubt die Relation ⑦ das Verständnis der komplexen Beziehungen zwischen Lk und Joh vor allem in den Passions- und Osterberichten. Auch diese Erweiterung der Arbeitshypothese ist unten noch ausführlich zu begründen (§ 13). * Das hier skizzierte Modell dient als Arbeitshypothese in erster Linie dazu, den folgenden Untersuchungen einen Rahmen zu geben und die Einordnung der literarischen Beobachtungen zu erleichtern, die sich mit der Einzeichnung von *Ev in das Gesamtbild der kanonischen Evangelienüberlieferung ergeben. Modelle reduzieren Komplexität. Dies trifft auch hier zu: Das Modell ist ein Ideal, und die Wirklichkeit könnte viel verwirrender aussehen. Auf der anderen Seite besteht der ______________________________ 22 Für die Zusammengehörigkeit des Lk-Prologs mit dem Joh-Epilog vgl. o. S. 164 sowie M. K LINGHARDT , Markion vs. Lukas: Plädoyer für die Wiederaufnahme eines alten Falles, NTS 52 (2006), 484-513: 499-503; für die Zusammengehörigkeit der kanonischen Endgestalt des Lk und des Joh s. u. § 14.4. § 10: *Ev und die Überlieferung der kanonischen Evangelien 211 Anspruch, die Bearbeitungsrelationen gültig zu beschreiben: Die Bearbeitungsrichtung zwischen zwei redaktionell miteinander verbundenen Texten kann nicht für einen Textteil stimmen, für einen anderen aber nicht. Inwieweit dieses Modell die zuvor genannten Kriterien erfüllt, muss die Durchführung im Einzelnen ergeben. § 11: Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk Es steht außer Frage, dass *Ev und Mk literarisch miteinander zusammenhängen. Ob direkt oder indirekt, ist zunächst offen. Aber die Tatsache, dass zwischen beiden Texten eine literarische Beziehung besteht, lässt sich nicht zu bezweifeln: Dies ergeben die zahlreichen und teilweise wörtlichen Übereinstimmungen, die im Rahmen der Zwei-Quellentheorie die Abhängigkeit des kanonischen Lk von Mk begründen. Diese Übereinstimmungen sind, jedenfalls grosso modo, auch für das Verhältnis zwischen Mk und *Ev anzunehmen. Für die Bestimmung der Bearbeitungsrichtung zwischen *Ev und Mk ist im Folgenden als Arbeitshypothese die *Ev-Priorität vor Mk vorausgesetzt. 1 Wenn *Ev, wie sich aus den textgeschichtlichen Beobachtungen nahegelegt hatte, schon vor der Erstellung der Kanonischen Ausgabe in Versionen weite Verbreitung gefunden hatte (Vetus Latina; Vetus Syra), ist die Vermutung sinnvoll, dass dieser Text auch älter ist als Mk. Als Arbeitshypothese ist daher davon auszugehen, dass Mk die erste Bearbeitung dieses mutmaßlich ältesten Evangeliums darstellt. Unter dieser Annahme der *Ev-Priorität vor Mk sind dann die Differenzen zwischen beiden Texten daraufhin zu überprüfen, ob sie sich tatsächlich als Ergebnis der mk Redaktion von *Ev wahrscheinlich machen lassen. Das vermutete Bearbeitungsgefälle von *Ev zu Mk ist dabei für unterschiedliche Phänomene zu erweisen. Zunächst sind die großen Unterschiede im Materialbestand zwischen *Ev und Mk zu erklären. Sie beziehen sich zum einen auf diejenigen Texte, die in *Ev vorhanden sind, aber in Mk keine Entsprechung besitzen. Das herausragende Beispiel dafür ist die (im Rahmen der Zwei-Quellentheorie für den Vergleich zwischen Mk und Lk so genannte) »große Einschaltung«: Die Texte von *9,51-18,14 besitzen kein Pendant in Mk. Vor dem Hintergrund der angenommenen *Ev-Priorität müsste sich für diese Texte zeigen lassen, dass es wahrscheinlicher ist, dass Mk sie übergangen hat, als dass *Ev sie sekundär gegenüber Mk ergänzt hat (1.). Allerdings ist das Urteil über den negativen Bestand (also die Nichtberücksichtigung von Material aus *Ev durch Mk), das hier zu erwarten ist, weniger aussagekräftig, als es im umgekehrten Fall möglich wäre. Daher rücken (2.) diejenigen längeren mk Passagen in den Fokus, die kein Gegenstück in *Ev besitzen. Das Paradebeispiel für dieses Phänomen ist die (wiederum im Rahmen der Zwei- Quellentheorie) sog. »große Auslassung«: Im Modell der Arbeitshypothese handelt es sich bei Mk 6,45-8,26 um eine redaktionelle Ergänzung, die Mk nach *9,17 einer ______________________________ 1 Dies ist die Relation ③ in Abb. 2 (o. S. 208). Bei dieser Verhältnisbestimmung ist zunächst nicht zwischen dem kanonischen Mk und dem vorkanonischen *Mk unterschieden. Vgl. dazu u. § 14.2. § 11: Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk 213 Quelle *Ev hinzugefügt hat. Für diese dürfte der positive Nachweis der Bearbeitungsrichtung leichter fallen, weil sich diese »Zusätze« zu einem einheitlichen redaktionellen Konzept in Mk fügen lassen müssten. Neben diese Beobachtungen zu den Unterschieden im Gesamtmaterial treten dann noch die redaktionellen Differenzen an dem Material, das *Ev und Mk gemeinsam ist. Außer zahlreichen Einzelbeobachtungen, die hierfür am Material der sog. Dreifachüberlieferung zu machen sind (sie sind in der Rekonstruktion jeweils vermerkt), stellen die sog. »Mk-Q- Doppelüberlieferungen« ein besonderes Problem dar (3.): Hier ist auf einige wenige Beispiele zu verweisen, durch welche sich die Bearbeitungsrichtung an kleineren Veränderungen zeigen lässt. Die Methodik der Überlieferungsanalyse ist für das Verhältnis zwischen *Ev und Mk die gleiche wie für das Verhältnis zwischen *Ev und Lk (§§ 6-8): Das Kriterium für die Bestimmung der Bearbeitungsrichtung ist die jeweils größere redaktionelle Plausibilität. Ebenfalls analog zur Verhältnisbestimmung zwischen *Ev und Lk ist dabei die Annahme, dass die jeweils einfachste Beziehung einer direkten Abhängigkeit (A von B oder B von A) der Vermittlung von A und B durch einen dritten Text (A und B abhängig von C) solange vorzuziehen ist, als nicht eindeutige Hinweise zu der Annahme einer solchen Vermittlung zwingen. 1. Auf dem Weg nach Jerusalem: *9,51-19,28 und Mk 8,(22-26)27-10,52 Der erste große Bereich, der für die Bestimmung des Bearbeitungsgefälles zu untersuchen ist, ist das Material von Mk 8,(22-26)27-10,52 bzw. von *9,51-19,28: Es handelt sich um die Texte, die Jesus auf dem Weg von Galiläa nach Jerusalem zeigen. Dieses Material bietet sich aus verschiedenen Gründen für die Bestimmung des literarischen Verhältnisses zwischen Mk und *Ev an. Zum einen ist der größte Teil dieser Texte für *Ev bezeugt, besitzt aber keine Entsprechung in Mk. Es handelt sich um das überlieferungsgeschichtliche Phänomen, das im Rahmen der Zwei-Quellentheorie als »große Einschaltung« bekannt ist: Unter der Annahme der Zwei-Quellentheorie, die Lk im Wesentlichen auf Mk beruhen lässt, hätte Lk den mk Erzählfaden nach der Perikope vom »fremden Wundertäter« (Mk 9,40 || Lk 9,50: »wer nicht gegen uns ist, ist für uns«) verlassen und ihn erst wieder mit dem »Kinderevangelium« in Lk 18,15 || Mk 10,14 aufgenommen, allerdings umfangreiches Material dazwischen »eingeschaltet«. Für die Bestimmung der Bearbeitungsrichtung lautet die generelle Fragestellung: Ist es leichter vorstellbar, dass Mk diese Texte seiner Vorlage übergangen oder dass *Ev sie sekundär in die mk Vorlage eingefügt hat? Nach der als Arbeitshypothese angenommenen *Ev-Priorität vor Mk muss die erste Option wahrscheinlich gemacht werden. Allerdings ist die Begründung eines 214 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch negativen Überlieferungsbefundes ein methodisches non liquet: Warum der Redaktor (hier also Mk) eines älteren Textes (hier also *Ev) bestimmte Aussagen oder Passagen nicht rezipiert hat, lässt sich nie mit der gleichen Zuverlässigkeit darlegen wie der umgekehrte positive Fall der redaktionellen Ergänzung. Gleichwohl lässt sich die mk Auslassung des fraglichen Materials wenigstens ansatzweise wahrscheinlich machen. a. Der sog. »Reisebericht« in *Ev Das Problem ist allerdings differenzierter und komplexer, als diese einfache Alternative erkennen lässt. Denn der Stoff von Mk 9,41-10,12 besitzt zwar keine genauen Entsprechungen in *Ev, aber zu einigen, wenigen Einzellogien aus Mk 9,41-10,12 gibt es eben doch Entsprechungen in *Ev. Es handelt sich um das Logion vom Salz *14,34 || Mk 9,50 || Mt 5,30; das Wort über Ehescheidung und Wiederheirat *16,18 || Mk 10,11f || Mt 5,32; 19,9; sowie die Warnung vor der Verführung »eines dieser Kleinen« *17,(1)2 || Mk 9,42 || Mt 18,(7)6. Da diese Berührungen jeweils auch Parallelen in Mt besitzen, gehören sie im Rahmen der Zwei-Quellentheorie zu den sog. »Mk-Q Overlaps«, die unten (S. 233ff) behandelt werden. Darüber hinaus ist die Frage der Bearbeitungsrichtung durch den Umstand erschwert, dass ja sowohl *Ev als auch Mk eine je eigene Geschichte erzählen und dabei naturgemäß auch unterschiedliche kompositionelle Schwerpunkte und Gliederungssignale setzen. Dies hat zur Folge, dass sowohl der Umfang dieser großen Erzähleinheiten in *Ev und in Mk als auch ihre Abgrenzung vom jeweiligen Kontext unterschiedlich zu bestimmen sind. Gerade diese kompositionsanalytischen Probleme sind für den sog. »lk Reisebericht« notorisch, der zum größten Teil durch das Material der »großen Einschaltung« gebildet wird. Da der lk Reisebericht gegenüber *Ev nur geringfügige Erweiterungen aufweist, lassen sich die Beobachtungen, die zu Lk 9,51-19,28 gemacht wurden, ceteris imparibus auch für *Ev in Anschlag bringen: Neben der Bestreitung, dass sich dieser Reisebericht überhaupt als eine abgegrenzte literarische Einheit in Lk feststellen lässt, 2 ist vor allem fraglich, wo das Ende dieses Berichts zu sehen wäre. 3 Entgegen einigen älteren Annahmen 4 ist sich die Forschung allerdings ______________________________ 2 So pointiert: R. VON B ENDEMANN , Zwischen ΔΟΞΑ und ΣΤΑΥΡΟΣ, Berlin - New York 2001. 3 Vgl. VON B ENDEMANN , a. a. O. 65-70 (mit Lit.). Als Ende wurden vorgeschlagen: 18,30 (z. B. T H . Z AHN , Lk 397); 18,35 (N OLLAND , Lk II); 19,10 (z. B. M ARSHALL , Lk 400ff; E. M AYER , Die Reiseerzählung des Lukas, Frankfurt/ M. 1996, 178); 19,27 (A. D. B AUM , Lukas als Historiker der letzten Jesusreise, Wuppertal - Zürich 1993, 189 und passim; B OVON , Lk I 15; G RUNDMANN , Lk 198); 19,44 (B ROCK , Lk II 957ff); zu weiteren Vorschlägen s. VON B ENDEMANN , a. a. O. 4 Z. B. B. H. S TREETER , The Four Gospels, London 1924, 203; K LOSTERMANN , Lk 110; A. D ENAUX , The Delineation of the Lukan Travel Narrative within the overall Structure of the Gospel of Luke, in: C. Focant (Hg.), The Synoptic Gospels, Leuven 1993, 357-392 u. a. § 11: Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk 215 darin weitgehend einig, dass die »große Einschaltung« und der »Reisebericht« nicht kongruent sind: Der literarkritische Befund deckt sich nicht mit dem redaktionskritischen. Dies gilt jedoch zunächst für das Verhältnis für Lk zu Mk. Für die Verhältnisbestimmung zwischen *Ev und Mk ist dagegen in Rechnung zu stellen, dass in *Ev einige Elemente gefehlt haben, die für die lk Komposition als wichtig erachtet werden: Die Unterschiede zwischen *Ev und Lk erstrecken sich auch auf die Texte des Reiseberichts bzw. der »großen Einschaltung«. Für die mit der Rekonstruktion des Reiseberichts verbundenen Probleme sind daher einige Eigenheiten von *Ev im Auge zu behalten. Zwar sind die Reisenotizen *9,57 und *17,11 für *Ev wahrscheinlich bzw. bezeugt (wenn auch in geringfügig anderer Form, s. Rekonstr. z. St.), nicht aber das Summar in Lk 13,22, das vermutlich in *Ev gefehlt hat und erst durch die lk Redaktion eingefügt wurde (s. Rekonstr.). Wichtiger ist schon, dass die Erwähnung von Jerusalem als Ziel der Reise schon für *9,51 mehr als fraglich ist (s. Rekonstr.) und die wichtige Aktualisierung dieses Ziels in Lk 13,33 mit Sicherheit nicht in *Ev stand. Am wichtigsten sind jedoch die redaktionellen Eingriffe der lk Bearbeitung am Ende des angenommenen Reiseberichts: Das »Kinderevangelium« *18,15-17 ist für *Ev bezeugt. Im Modell der Zwei-Quellentheorie würde an dieser Stelle die Wiederaufnahme des mk Erzählfadens durch Lk liegen. Auch die folgende Perikope mit der Frage nach den Bedingungen des ewigen Lebens (*18,18-23) ist bezeugt, ebenso (mit großer Wahrscheinlichkeit) die sich daran anschließende Belehrung über Reichtum und Nachfolge *18,24-30. Dagegen hat die sog. dritte Leidensankündigung Lk 18,31-33(34) mit Sicherheit in *Ev gefehlt und ist durch die lk Redaktion nachgetragen. Die zwei in Jericho lokalisierten Perikopen, die Blindenheilung (*18,35-43) und die Zachäuserzählung (*19,1-10), sind für *Ev gesichert, auch das nachfolgende Gleichnis von den anvertrauten Minen (*19,11-28). Dieses wurde allerdings intensiv bearbeitet und erweitert. Zu diesen Erweiterungen gehört auch die für die kompositionelle Struktur des Reiseberichts nicht unwichtige Bemerkung, dass Jesus zu diesem Gleichnis veranlasst wurde, weil er sich Jerusalem genähert hatte (Lk 19,11b: διὰ τὸ ἐγγὺς εἶναι ᾿Ιερουσαλὴμ αὐτόν). Von der kanonischen Fassung der Einzugserzählung Lk 19,29-48 war mit größter Wahrscheinlichkeit nur der knappe Einzugsbericht *19,36-40 in *Ev enthalten. Damit geht die eng geführte Reihe der Mitteilungen über die schrittweise Annäherung an Jerusalem auf die kanonische Redaktion zurück: In *Ev war nur der Hinweis *19,37 enthalten, dass sich Jesus dem Abstieg von Bethanien näherte (ἐγγίζοντος δὲ αὐτοῦ ἤδη πρὸς τῇ καταβάσει τοῦ ὄρους τῶν ἐλαιῶν). Die anderen »Annäherungsnotizen« stammen von der lk Redaktion: Nach Lk 19,29 kam Jesus »nahe an Bethphage und Bethanien am sog. Ölberg«. Nachdem er den Abstieg erreicht hatte (*19,37, schon in *Ev), »näherte er sich der Stadt« (Lk 19,41) und »ging in den Tempel« (Lk 19,45). Mit den hier genannten redaktionellen Elementen fehlten in *Ev die wichtigsten Signale, die für Lk die Annahme eines kompositionell strukturierten Reiseberichts begründen: *Ev gibt in *9,51-19,28 gibt noch weniger zu erkennen, was für Lk 9,51-19,28 neuerdings angezweifelt wird, nämlich die Existenz einer literarisch abgrenzbaren Einheit »Reisebericht«. Allerdings ist die Einsicht in die redaktionellen 216 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Erweiterungen durch Lk in der Lage, die Schwierigkeiten bei der Identifizierung der kompositorischen Struktur des »Reiseberichts« und seinem theologischen Profil zu erklären: Die »kleinen« Reisenotizen *10,38, *14,25, *17,11 waren (genau wie die Annäherungsnotiz *19,37) bereits in *Ev enthalten. Die kompositorisch wichtigen Signale in Lk 9,51; 13,22.33 sind dagegen erst Zutaten der lk Redaktion. Darin entsprechen sie den letzten »Annäherungsnotizen« (Lk 19,29.41.45), die Jesus dann tatsächlich nach Jerusalem und bis in den Tempel gelangen lassen. Für die kanonische Fassung des Reiseberichts wird daher die sehr uneinheitliche Diskussionslage verständlich: Auf der einen Seite bestätigen die kompositionellen Signale Lk 9,51; 13,22.33 das relative Recht, von einem lk »Reisebericht« zu sprechen. Auf der anderen Seite erklärt ihr redaktioneller Charakter den Eindruck, dass erstens die solcherart hervorgehobene »Reise« Jesu keinen (geographischen oder sachlichen) Fortschritt verzeichnen kann,5 und dass zweitens Jesus ab Lk 9,51 ja gar nichts anderes tut, als er schon ab Lk 8,1 getan hat: »Er wandert verkündigend umher« 6 und richtet seine Belehrung abwechselnd an Jünger und an Außenstehende. Die Schlussfolgerung aus diesen Beobachtungen, dass die These eines tiefen narrativen Einschnitts in Lk 9,51 nicht wirklich trägt, 7 hat daher auf der einen Seite richtig gesehen, dass das Kompositionskonzept nicht durchgehalten ist, muss aber auf der anderen Seite die Bedeutung genau derjenigen kompositionellen Signale leugnen, die Lk tatsächlich gesetzt hat: Diese Erklärung für den uneinheitlichen Befund konnte unter der heuristischen Prämisse der Zwei-Quellentheorie gar nicht in den Blick kommen, nach der Lk von Mk abhängig ist. An dieser Stelle besitzt die These der *Ev-Priorität vor Lk eine wichtige Konsequenz: Die ganz weitgehende Strukturlosigkeit des Materials des »Reiseberichts« ist ein Kennzeichen bereits von *Ev. Die lk Redaktion hat sich darum bemüht, durch wenige Einfügungen deutlich zu machen, dass sich Jesus auf dem Weg nach Jerusalem befindet: Jerusalem ist als Ziel (Lk 9,51) so wichtig, weil Propheten nur dort ums Leben kommen können (Lk 13,33) und weil das eigentliche Ziel Jesu der Tempel in Jerusalem ist (Lk 19,29. 41.45), in dem sich nach der Himmelfahrt Jesu die Jünger dann versammeln (Lk 24,52f; Act 2,46). Mehr, als diese gelegentlichen Signale zu setzen, war der lk Redaktion nicht möglich, wenn sie *Ev nicht tiefgreifend umgestalten wollte. ______________________________ 5 Vgl. dazu schon die Beobachtung von K. L. S CHMIDT , Der Rahmen der Geschichte Jesu, Berlin 1919, 269, dass Jesus zwar »immer nach Jerusalem reist, aber auf dieser Reise gar nicht recht weiterkommt.« Es sei daher »die Eigenart dieser Überlieferung, daß sie Einzelperikopen herausstellt, die nicht nur ortlos, sondern auch zeitlos sind« (270). 6 W OLTER , Lk 367. 7 Vgl. R. VON B ENDEMANN , a. a. O. 132-138; K LOSTERMANN , Lk 95; Z AHN , Lk 396. § 11: Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk 217 b. Der mk Bericht über den »Weg« nach Jerusalem 8,22-10,52 Auch, wenn der größte Teil des Materials aus *9,51-18,14 in Mk fehlt 8 und die wichtigen Signale für einen kompositorisch abgesetzten »Reisebericht« (Lk 9,51; 13,22.33) erst auf die lk Redaktion zurückgehen, schildert Mk den Weg Jesu von Galiläa nach Jerusalem und hat diese »Reise« auch durch kompositorische Signale sehr deutlich von dem vorangehenden und dem nachfolgenden Kontext als eigenen Erzählabschnitt abgesetzt: Der mk »Reisebericht« findet sich in dem Abschnitt Mk 8,22-26 bzw. 8,27 bis 10,52. Dieser Abschnitt ist bekanntlich durch zwei kompositorische Merkmale strukturiert und als literarische Einheit konzipiert: Auf der einen Seite dienen die drei Leidensweissagungen Mk 8,31; 9,31; 10,33f als sehr deutliche Gliederungssignale, auf der anderen Seite konstituiert die wiederholt aktualisierte Mitteilung, dass sich Jesus und die Jünger »auf dem Weg« (ἐν τῇ ὁδῷ) befinden, ein Wortfeld, das der ganzen Einheit ein hohes Maß an Kohärenz verleiht. 9 Der strukturierende Einschnitt, den Mk 8,27 setzt, ist so deutlich empfunden worden, dass die kritischen Ausgaben an dieser Stelle eine (natürlich unkommentierte) Leerzeile einschießen. 10 Diese Strukturierung ist längst erkannt und vielfach so ausführlich begründet worden, dass sich eine Wiederholung erübrigt. Für die Bestimmung der Bearbeitungsrichtung zwischen *Ev und Mk genügt daher der Hinweis auf zwei Phänomene. Das erste ist die kompositionelle Entsprechung zwischen den beiden Blindenheilungen Mk 8,22-26 und 10,46-52. Sie bilden einen Rahmen um den großen Abschnitt über den »Weg« Jesu mit den Jüngern (Mk 8,27-10,45) und liefern daher wesentliche Einsichten in das Gesamtverständnis. Denn am Ende des »Weges«, in Jericho als der letzten Station vor Jerusalem, folgt der geheilte Bartimäus Jesus auf seinem »Weg«, obwohl der dann nur noch die vergleichsweise kurze Strecke bis Jerusalem umfasst. Sowohl die Heilung der Blindheit des Bartimäus als auch seine Nachfolge (10,52: ἠκολούθει αὐτῷ ἐν τῇ ὁδῷ) sind symbolisch zu verstehen und aufeinander zu beziehen: Bartimäus erkennt die (zuvor für die Leser narrativ entfaltete) Notwendigkeit der Leidensbereitschaft und folgt Jesus auf dem Weg in ______________________________ 8 Ausnahmen sind nur die genannten »Mk-Q-Doppelüberlieferungen« in diesem Abschnitt *14,34 || Mk 9,50 || Mt 5,30; *16,18 || Mk 10,11f || Mt 5,32; 19,9; *17,(1)2 || Mk 9,42 || Mt 18,(7)6. Vgl. dazu u. S. 233ff. 9 Vgl. Mk 8,27 (ἐ ν τ ῇ ὁ δ ῷ ἐπηρώτα τοὺς μαθητὰς αὐτοῦ …); 9,33 (τί ἐ ν τ ῇ ὁ δ ῷ διελογίζεσθε; ); 9,34 (πρὸς ἀλλήλους γὰρ διελέχθησαν ἐ ν τ ῇ ὁ δ ῷ τίς μείζων); 10,17 (καὶ ἐκπορευομένου αὐτοῦ ε ἰ ς ὁ δ ὸ ν …); 10,32 (ἦσαν δὲ ἐ ν τ ῇ ὁ δ ῷ ); 10,46 (καὶ ἐκπορευομένου αὐτοῦ […] τυϕλὸς … ἐκάθητο π α ρ ὰ τ ὴ ν ὁ δ ό ν ); 10,52 (καὶ ἠκολούθει αὐτῷ ἐ ν τ ῇ ὁ δ ῷ ). Zur literarischen Funktion vgl. B. M. F. VAN I ERSEL , Locality, Structure, and Meaning in Mark, LingBibl 53 (1983), 45-54; DERS ., Markus - Geographie und Bedeutung, in: ders., Mk 272-300. 10 Z. B. im alten »Nestle« bis zur 25. Auflage und im »Nestle-Aland« seit der 26. Auflage. 218 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch die Passion nach. Die Intentionalität dieser symbolischen Konnotationen ergibt sich aus dem narrativen Widerlager dieser Erzählung, der Heilung eines Blinden in Bethsaida (Mk 8,22-26). Auch bei ihm ist die Blindheit symbolisch konnotiert und auf sein (mangelndes) Verstehen bezogen, wie die enge Entsprechung zu der Taubstummenheilung Mk 7,31-36 sowie zu dem als »Taubheit« und »Blindheit« gefassten Unverständnis der Jünger zeigt. 11 Diese beiden Blindenheilungen belegen daher, wie wohlüberlegt die literarische Anlage der ganzen Einheit konzipiert ist: Während Jesus den Geheilten von Bethsaida wieder nach Hause zurück schickt (Mk 8,26: καὶ ἀπέστειλεν αὐτὸν εἰς οἶκον αὐτοῦ), folgt der geheilte Bartimäus Jesus auf dem Weg in die Passion (Mk 10,52): Die Beseitigung der Blindheit des Bartimäus verkörpert für die Leser seine Einsicht auf einer Ebene, die über das Sehen des Geheilten in Mk 8,26 hinausgeht. Der Unterschied zwischen den beiden Heilungen von »Blindheit« wird narrativ entfaltet. Denn die erste Blindenheilung in Bethsaida geht nur schrittweise vonstatten: Weil die Sehfähigkeit nach der ersten Handauflegung nur sehr unvollkommen ist (8,24), muss Jesus nachbessern und seine Hände nochmals auflegen (8,25 πάλιν). Bartimäus wird dagegen »sofort« geheilt (10,52 καὶ εὐθὺς ἀνέβλεψεν). Vielleicht darf man auch verstehen: Bei dem Blinden von Bethsaida kommt die Heilung von außen durch die Handauflegung und die magischen Praktiken, bei Bartimäus beruht die Wiederherstellung seiner Sehfähigkeit auf seinem Glauben (10,52: ἡ πίστις σου σέσωκέν σε). Das verbindet ihn nicht nur mit der »blutflüssigen Frau« (Mk 5,34), sondern vor allem mit der Syrophönizierin, deren theologische Einsicht zur Heilung ihrer Tochter führt. 12 Der eigentliche Grund für die plötzliche und vollständige Wiederherstellung der Sehfähigkeit des Bartimäus, die ihn zur Nachfolge befähigt, liegt allerdings in der Einsicht all dessen, was Mk durch das zwischen den beiden Heilungserzählungen platzierte Erzähl- und Redematerial deutlich macht: Wer verzichtet und zum Verzicht auch auf das Leben bereit ist, wird das Leben erlangen. Diese sehr klaren und absichtsvollen Kompositionssignale in der Rahmung des mk »Reiseberichts« gewinnen ihre überlieferungsgeschichtliche Bedeutung im Vergleich mit *Ev. Denn für die erste mk Blindenheilung (Mk 8,22-26) gibt es weder in den Seitenreferenten noch in *Ev eine Entsprechung. Dagegen besitzt die zweite Blindenheilung Mk 10,46-52 ein Gegenstück in *18,35-43. Für diese Fassung der Blindenheilung in *Ev lässt sich wahrscheinlich machen, dass die Nachfolgenotiz in V. 43 (καὶ ἠκολούθει αὐτῷ δοξάζων τὸν θεόν) ursprünglich gefehlt hat und erst durch die lk Redaktion eingefügt wurde. Abgesehen davon, dass δοξάζειν τὸν θεόν eine lk Vorzugswendung ist, stößt sich diese Reaktion mit derjenigen der Menge (Lk 18,43c): Diese doppelte Reaktion ist ausgesprochen ungewöhnlich. 13 Für die ______________________________ 11 Vgl. M. K LINGHARDT , Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19 (2002), 183- 202: 188f mit Anm. 24f sowie 199f. 12 Zu διὰ τοῦτον τὸν λόγον Mk 7,29 vgl. K LINGHARDT , a. a. O. 196f. 13 Zu weiteren, überlieferungsgeschichtlichen Gründen für den redaktionellen Charakter von Lk 18,43b καὶ ἠκολούθει αὐτῷ δοξάζων τὸν θεόν s. die Rekonstruktion z. St. § 11: Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk 219 Frage der Bearbeitungsrichtung weisen die mk Kompositionsmerkmale sehr eindeutig auf die *Ev-Priorität hin. Denn im umgekehrten Fall müsste man annehmen, dass *Ev exakt diese kompositorischen Klammern sehr präzise beseitigt und einen überlegt strukturierten Text literarisch verstümmelt hätte. Das Argument für die *Ev-Priorität ist daher das gleiche, das Burnett Streeter mit Blick auf das Material der Bergpredigt bei Lk gegen die These einer lk Abhängigkeit von Mt vorgebracht hatte: Ein solches Vorgehen wäre nur einem literarischen »crank« zuzutrauen. 14 Die zweite Beobachtung an Mk 8,22-10,52 zur Bestimmung des Bearbeitungsgefälles zwischen *Ev und Mk bezieht sich auf die drei mk Leidensankündigungen und ihre Entsprechungen in *Ev. Während Mk 8,31 || *9,22 und Mk 9,31 || *9,43 eindeutig belegte Entsprechungen in *Ev besaßen, bezeugt Epiphanius ebenso eindeutig, dass die dritte Ankündigung Mk 10,33f || Lk 18,31-33 in *Ev gefehlt hat: Sie ist erst durch die lk Redaktion eingefügt worden. Diese Beobachtung ist höchst aufschlussreich. Denn Lk hatte offensichtlich die symbolischen Konnotationen der mk Aussagen über die »Blindheit« der Jünger durchaus richtig verstanden: Er fügt in Lk 18,34 gegenüber seiner mk-mt Vorlage eine entsprechende Notiz über das Unverständnis der Jünger ein: Jesu »Rede war vor ihnen verborgen.« Die kryptische Qualität der Leidensankündigung liegt für Lk darin, dass die Jünger πάντα τὰ γεγραμμένα διὰ τῶν προϕητῶν (Lk 18,31 ÷ Mk 10,33 || Mt 20,18) nicht verstehen. Die hier erwähnte Verborgenheit der Rede Jesu und ihr Zusammenhang mit »allem, was durch die Propheten geschrieben ist«, wird erst durch den Auferstandenen beseitigt (Lk 24,27.44-46 red., s. dort). Damit löst Lk eine Verheißung ein, die sich nur aus der Zusammenschau der Leidensankündigungen und der Unverständnisnotizen in Mk ergibt, dort aber gar nicht entfaltet wird. Denn für Mk enthält das Verbot Jesu, die Jünger sollten vor der Auferstehung des Menschensohns nicht über die Verklärung reden (Mk 9,9f || Mt 17,9), auch das Moment ihres Unverständnisses: Wie die Reaktion der Jünger auf die zweite Leidensankündigung bei Mk zeigt (οἱ δὲ ἠγνόουν τὸ ῥῆμα Mk 9,32a ≠ καὶ ἐλυπήθησαν σϕόδρα Mt 17,23c), konnten die Jünger die Verklärung Jesu solange gar nicht angemessen verstehen, als ihnen der Zusammenhang zwischen Verklärung und Auferstehung verborgen blieb. Allerdings erzählt Mk das Einsetzen des Verstehens nicht. Was für Mk ein wesentlicher Teil seines literarischen Konzeptes ist, hat Lk als Mangel empfunden: Die Auflösung des Unverständnisses der Jünger innerhalb der Erzählung. Die Einfügung der dritten Leidensankündigung mit dem erweiternden Hinweis, dass das Nichtverstehen der Leidensankündigung seinen Grund im Nichtverstehen der prophetischen Schriften hat, beseitigt ______________________________ 14 B. H. S TREETER , The Four Gospels, London 1924, 183: »A theory which would make an author capable of such a proceeding would only be tenable if, on other grounds, we had reason to believe he was a crank.« 220 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch demnach ein Defizit, das Lk an der mk Erzählung wahrgenommen hatte: Lk füllt eine narrative Leerstelle, die sich gar nicht aus Lk (und schon gar nicht aus *Ev) ergibt, sondern nur aus Mk. Dieses Verfahren setzt nicht nur die literarische Abhängigkeit (Lk von Mk) voraus, sondern zeigt auch, dass Lk neben Mk gelesen werden will. Denn diese Art der Kohärenzstiftung ist überhaupt nur dann sinnvoll, wenn die solcherart verknüpften Texte nicht als autarke »Einzeltexte« existieren, sondern als Teiltexte einer Sammlung nebeneinander rezipiert werden: Das ist die Kanonische Ausgabe. So, wie die dritte Leidensankündigung Lk 18,31-34 sich gegenüber Mk 9,30-32 als sekundär erweist, so ist auch Mk 9,30-32 gegenüber *Ev eine sekundäre Ergänzung. Vergleicht man die beiden »Reiseberichte« in Mk 8,22-10,52 und *9,51-18,14 unter dem Gesichtspunkt der Schlüssigkeit ihrer jeweiligen kompositionellen Konzepte, spricht alles deutlich für die *Ev-Priorität vor Mk. In diesem Fall lässt sich dann auch die schrittweise Entstehung der Idee eines solchen »Reiseberichts« nachvollziehen. In *Ev waren schon ab *8,1 verschiedentlich kleinere Hinweise enthalten, dass Jesus unterwegs war (*9,57; *10,38; *14,25; *17,11). An keiner Stelle haben sie eine strukturierende Funktion oder lassen eine umfassende kompositionelle Absicht erkennen: Sie begegnen ebenso planlos und zufällig wie andere szenische Einleitungen, die ebenfalls ohne Ortsangabe auskommen. Aber sie führen am Ende tatsächlich nach Jerusalem, wie die Annäherungsnotiz *19,37 zeigt, auch wenn die Ankunft Jesu in Jerusalem in *Ev nicht so deutlich herausgestellt war wie in Lk. Immerhin zeigen die beiden Erzählungen, die in Jericho spielen (*18,35-43; *19,1-10), dass *Ev durchaus zutreffende geographische Vorstellungen besaß. Mk hat die Bemerkungen über das Unterwegssein Jesu aus *Ev rezipiert, sie aber zu einem planvollen Konzept ausgearbeitet. Dieses Konzept ist ja schon daran kenntlich, dass auch der mk Jesus bereits vor Mk 8,22 unterwegs ist und sich dabei auch weit von seinem Ausgangspunkt in/ um Kapernaum entfernt. Aber diese mk »Reisenotizen« (Mk 3,7.13.20; 4,1; 5,1.21; 6,1.45.53; 7,24.31; 8,4) sind anders besetzt als die Erwähnung des »Weges« in Mk 8,27-10,52: Mk hat aus den kontingenten Reisenotizen in *Ev ein Netz geknüpft, das erstens die Nachfolge der Jünger ins Leiden thematisiert (in Mk: zum ersten Mal); das zweitens die darin implizierten Einsichten über das Verhältnis von Leiden und Herrlichkeit, von Groß und Klein planvoll entfaltet; und das drittens insgesamt durch die drei Leidensankündigungen strukturiert ist. Erst in Mk 8,27-10,52 - und nicht schon in *Ev - bezeichnet der geographische Fortschritt von Caesarea Philippi nach Jerusalem einen Erkenntnisfortschritt. Die Metaphorik des Unterwegs-Seins und ihre theologische Konnotation zeigt sich bekanntlich vor allem darin, dass die Metaphorik des »Nachfolgens« (ἀκολουθεῖν) in diesem Abschnitt mit der Bereitschaft zu § 11: Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk 221 Verzicht und Leiden verbunden ist. 15 Die didaktische Absicht dieser Planmäßigkeit ist in der überbietenden Entsprechung der beiden Blindenheilungen (8,22-26; 10,46-52) noch gut zu beobachten: Am Ende zeigt das Verhalten des Bartimäus, wie die Jünger ihr Unverständnis über die Notwendigkeit der Leidensbereitschaft schrittweise überwunden haben, das sie in Mk 8,14-21 noch gezeigt hatten und das in der Blindenheilung in Bethsaida durch die Zurücksendung des Geheilten »in sein Haus« (Mk 8,26) zum Ausdruck kommt. Für die narrative Gestaltung dieses Konzeptes war der Großteil des Materials aus *9,51-18,14 wenig oder gar nicht geeignet. Obwohl es methodisch kaum möglich ist, die Gründe dafür zu benennen, warum ein Autor bestimmte Dinge nicht erzählt, liefert die Einsicht in die maßgeblichen Strukturelemente der Komposition von Mk 8,27-10,52 doch eine plausible Erklärung dafür, dass Mk das Material der irrtümlich so genannten »großen Einschaltung« übergangen hat. Lk hat dieses mk Konzept der Koppelung von räumlichem und epistemischem Fortschreiten jedoch durchaus verstanden und aufgegriffen. Aber weder konnte er *Ev mit dem Material in *9,51-18,14 übergehen, noch verstand er das Unverständnis der Jünger und seine Überwindung auf genau die gleiche Weise wie Mk: Während Mk in erster Linie an dem Nachweis interessiert ist, dass die »Nachfolge« der Jünger ihre eigene Leidensbereitschaft erfordert, weil sie die unvermeidliche Voraussetzung für die daraus resultierende Herrlichkeit ist, geht es Lk um die Einsicht in die Unvermeidlichkeit des Leidens Jesu, die er durch die Kongruenz zwischen dem Geschick Jesu und »allem, was durch die Propheten über den Menschensohn geschrieben ist« (Lk 18,31), belegt: Erst das Verstehen der »Schrift« gewährleistet die Einsicht in den heilsgeschichtlichen Plan und seine Erfüllung, weswegen dieses Ziel auch erst mit der entsprechenden Belehrung durch den Auferstandenen (Lk 24,27.44-46) erreicht wird. Gleichwohl hat Lk einzelne Elemente des mk Konzeptes des Erkenntnisweges aufgegriffen und in das ihm in *Ev vorliegende Material eingefügt (Lk 9,51; 13,22.33 red.). 2. Mk 6,45-8,26: »Große Auslassung« oder »Große Ergänzung«? Im Unterschied zum »Reisebericht« aus *Ev, dessen narratives Material Mk zum großen Teil übergangen hat, liegt in Mk 6,45-8,26 ein großer Erzählabschnitt vor, der in *Ev (und in Lk) kein Gegenstück besitzt. Im methodischen Horizont der Zwei-Quellentheorie mit ihrer Annahme der lk Abhängigkeit von Mk wird dieses ______________________________ 15 Vgl. Mk 8,34 (vgl. aber die v. l. ελθειν in א A B C 2 K L Γ f 13 33 579 892 1241 2452 al aur c d l bo; sowie die Konflation ελθειν και ακολουθειν in Δ sa mss ); 9,38; 10,21.28.32 (om D K f 13 700 al a b! ). Die Lesarten ohne das zentrale Stichwort ακολουθειν sind möglicherweise Spuren des vorkanonischen *Mk-Textes, der durch die Kanonische Redaktion von *Mk bearbeitet und vereinheitlicht wurde (s. dazu § 14.2). 222 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Phänomen als »große Auslassung« bezeichnet. Für die hier vorausgesetzte Bearbeitungsrichtung zwischen *Ev und Mk ist dieser Abschnitt dagegen eine »große Ergänzung«, die Mk gegenüber dem Material aus *Ev hinzugefügt hat. Wenn diese Arbeitshypothese zutrifft, müsste sich die mk Redaktion tatsächlich anhand seines redaktionellen Konzeptes nachweisen lassen. Dieser positive Nachweis ist nicht nur viel einfacher zu führen, sondern besitzt eine deutlich größere Plausibilität als die Erklärung eines negativen Überlieferungsbefundes. a. Szenische Verknüpfungen in Mk 6,45-8,26 Der fragliche Abschnitt Mk 6,45-8,26 schließt an die erste Speisungserzählung Mk 6,30-44 an und verknüpft die Seewandelperikope mit der typisch mk Einleitungswendung (6,45: καὶ εὐθύς) szenisch unmittelbar mit dieser. Tatsächlich sind die folgenden Perikopen (vielleicht mit Ausnahme von Mk 7,1ff) jeweils durch szenische Verbindungen und durch Übergangsnotizen sehr eng miteinander verknüpft: Die narrative Kohärenz zwischen den einzelnen Erzählabschnitten ist charakteristisch für die Anlage der gesamten Einheit Mk 6,45-8,26. Mk 6,53f schließt mit der Notiz über die Ankunft in Gennesaret die Seewandelerzählung ab und leitet zugleich zu dem summarischen Bericht über die Heilungen über (καὶ διαπεράσαντες ἐπὶ τὴν γῆν … καὶ ἐξελθόντων αὐτῶν ἐκ τοῦ πλοίου …): Die Verbindung wird durch die Bootsfahrt und durch die Ausstiegsnotiz gesichert. Da dem summarischen Bericht über die Heilungen in Gennesaret 6,53-56 »jegliche erzählerische Substanz« fehlt, 16 ist eine isolierte Tradierung unvorstellbar: Der Abschnitt ist auf den vorliegenden Zusammenhang der mk Komposition hin formuliert. 17 Die Exposition des Gesprächs über Reinheit und Unreinheit Mk 7,1-23 wirkt abrupt: Es gibt keine szenische Verbindung bezüglich der Zeit oder dem Ort der erzählten Handlung zum Vorangehenden. Allerdings verweist die auffällige Formulierung ἐσθίουσιν τοὺς ἄρτους (7,2) über 6,45-56 hinweg auf die Speisungserzählung zurück (6,31.36f) und belegt auf diese Weise die kompositionelle Zugehörigkeit von 7,1-23 zu der ganzen Einheit. Die folgende Exposition der Erzählung von der syrophönizischen Frau bezieht sich sachlich direkt auf diese Belehrung über rein und unrein. Die szenische Verbindung ist durch den expliziten Ortswechsel an (Mk 7,24: ἐ κ ε ῖ θ ε ν δὲ ἀναστὰς ἀπῆλθεν …) gewährleistet, der aus inhaltlichen Gründen notwendig ist: Das Gespräch mit der Griechin, einer »Syrophönizierin von Geburt« (7,26), muss in einer paganen Umwelt angesiedelt sein. Die Exposition der folgenden Taubstummenheilung stellt mit den geographischen Angaben der ungewöhnlichen Reiseroute 18 eine explizite Verbindung mit der vorangehenden Perikope ______________________________ 16 L ÜHRMANN , Mk 123. 17 D. A. K OCH , Die Bedeutung der Wundergeschichten für die Christologie des Markusevangeliums, Berlin 1975, 169. 18 »Eine Route von Tyrus über Sidon (! ) an (! ) den See Galiläa mitten (! ) in das Gebiet der Dekapolis ist auf den ersten Blick kaum verständlich« (J. S CHREIBER , Theologie des Vertrauens, Hamburg 1967, 171; Hervorhebungen im Original). Die Route weist nicht auf geographische Unkenntnis, sondern auf redaktionelle Absicht. Vgl. T H . S CHMELLER , Jesus im Umland Galiläas. Zu den § 11: Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk 223 her: Mk 7,31 (καὶ πάλιν ἐξελθὼν ἐ κ τ ῶ ν ὁ ρ ί ω ν Τ ύ ρ ο υ ) verweist zurück auf 7,24 (ἀπῆλθεν ε ἰ ς τ ὰ ὅ ρ ι α Τ ύ ρ ο υ ). Die Exposition Mk 8,1 (ἐν ἐκείναις ταῖς ἡμέραις …) zeigt auf den ersten Blick keine szenische Verbindung mit dem Vorangehenden, aber in der Abfolge von 7,31-36 und 8,1-10 wird man die Bemerkung über die Anwesenheit des πολὺς ὄχλος wohl als Anschluss an die Erwähnung der Menge (ὄχλος 7,33) und ihrer großen Verwunderung (7,37) verstehen dürfen: Es handelt sich um eine andere, aber analoge »Menge«. Der Abschluss der zweiten Speisungserzählung Mk 8,9f entspricht in mancher Hinsicht dem des ersten Berichts in 6,44f: Zunächst sind die Zahlenangaben, die jeweils die Speisungserzählungen abschließen, parallel formuliert (6,44: καὶ ἦσαν οἱ ϕαγόντες τοὺς ἄρτους πεντακισχίλιοι ἄνδρες; 8,9a: ἦσαν δὲ ὡς τετρακισχίλιοι). An sie schließt in beiden Fällen die Aufbruchsnotiz mit der Erwähnung des Bootes und der Zielangabe an (6,45: καὶ εὐθὺς … ἐμβῆναι εἰς τὸ πλοῖον καὶ προάγειν εἰς τὸ πέραν …; 8,10: καὶ εὐθὺς ἐμβὰς εἰς τὸ πλοῖον … ἦλθεν εἰς τὰ μέρη …). Der knappe Bericht über die Begegnung mit den Pharisäern in Dalmanuta und ihrer Zeichenforderung (Mk 8,11-13) lässt sich nur mit Mühe als eigenständiger Abschnitt ausmachen: Die Lokalisierung ist durch den Schluss von 8,10 gegeben, die Aufbruchsnotiz in 8,13 (καὶ ἀϕεὶς αὐτοὺς ἐμβὰς πάλιν εἰς τὸ πλοῖον ἀπῆλθεν) wird sofort im Anschluss wieder aufgegriffen (8,14: ἐν τῷ πλοίῳ): Dass sich Jesus und die Jünger »in dem Boot« befinden, stiftet eine schon fast übertrieben erscheinende szenische Klammer. 19 Das Ende der letzten Bootsfahrt ist in der Exposition der letzten Perikope der »großen Auslassung«, der Blindenheilung in Bethsaida, noch zu spüren (Mk 8,22: καὶ ἔρχονται εἰς Βηθσαϊδάν): Mit dieser letzten Bootsfahrt erreichen die Jünger das Ziel, das Jesus für sie bereits in Mk 6,45 ins Auge gefasst hatte, das sie jedoch zunächst verfehlt hatten. Angesichts der oft bemerkten episodischen Erzählweise des Mk, die Einzelperikopen häufig ohne erkennbare szenische Verbindung nebeneinander stellt, 20 sind die hier notierten Übergänge und Verbindungen bemerkenswert und als Hinweis intentionale Komposition zu werten. Insbesondere die penetrant wirkende Erwähnung des Bootes (Mk 6,54; 8,10.13.14) deutet auf die gestalterische Absicht hin. b. Die Komposition von Mk 3,7-6,44 Allerdings ist mit dieser Einsicht die kompositionelle Struktur noch nicht erklärt, die gerade für den weiteren Kontext dieses Abschnitts ab Mk 4,35 immer wieder ______________________________ markinischen Berichten vom Aufenthalt Jesu in den Gebieten von Tyros, Caesarea Philippi und der Dekapolis, BZ 38 (1994), 44-66. 19 Die Doppelung der Erwähnung des Bootes in 8,13.14 (εἰς τὸ πλοῖον - ἐν τῷ πλοίῳ) ist schon in der handschriftlichen Überlieferung beseitigt worden. Ich halte die v. l. 8,13 (mit εἰς τὸ πλοῖον) in A f 1 sy (s).h sa (P 45 D W Θ f 13 579 892 1241 1424 2427 2542 pc it vg bo pt ) usw. für ursprünglich; die von NA 27 im Text gebotene Minderheitslesart ( א B C L Δ: ohne εις το πλοιον) hat diese ungeschickt erscheinende, aber beabsichtigte Doppelung der Erwähnung des Bootes gestrichen. Die modernen Übersetzungen haben dasselbe Problem auf analoge Weise gelöst und unterschlagen die Erwähnung des Bootes entweder in der Wiedergabe von 8,13 (z. B. Elberfelder; New American Standard Bible; New Jerusalem Bible usw.) oder in 8,14 (z. B. Einheitsübersetzung). 20 Vgl. C. B REYTENBACH , Das Markusevangelium als episodische Erzählung, in: F. Hahn (Hg.), Der Erzähler des Evangeliums, Stuttgart 1985, 139-169. 224 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch als problematisch angesehen wird. 21 Nimmt man jedoch die Erwähnung des Bootes als kompositionelles Signal, dann erschließt sich die narrative Kohärenz eines übergreifenden Zusammenhangs von Mk 3,7-8,21: Hier entfaltet Mk, was Jüngerschaft bedeutet und wie sie durchgeführt wird. 22 Neben der Erwähnung des Bootes liefern die beiden erkennbar parallelen Bestimmungen über das Jüngersein Mk 3,14f; 6,7 die entscheidende strukturelle Klammer: Nach 3,14f hat Jesus die Zwölf »gemacht«, damit sie »mit ihm seien und damit er sie aussende« (ἵνα ὦσιν μετ’ αὐτοῦ καὶ ἵνα ἀποστέλλῃ αὐτούς), wobei das Ziel der Sendung als Verkündigung (κηρύσσειν) und Übertragung der Vollmacht zum Austreiben von Dämonen (ἔχειν ἐξουσίαν ἐκβάλλειν τὰ δαιμόνια) spezifiziert wird. Mk 6,7ff greift die zweite Hälfte dieser Bestimmung wieder auf: Nach 6,7 sendet Jesus die Zwölf aus (τοὺς δώδεκα; ἀποστέλλειν) und gibt ihnen die Vollmacht über die unreinen Geister (ἐξουσία τῶν πνευμάτων τῶν ἀκαθάρτων). Der folgende summarische Bericht zeigt die Jünger dann bei der Befolgung genau dieses Auftrags: Sie verkündigten und trieben viele Dämonen aus (6,12f: ἐκήρυξαν … καὶ δαιμόνια πολλὰ ἐξέβαλλον). Die doppelte Bestimmung der Jüngerschaft als »Mit-ihm-Sein« und »Aussendung zur Verkündigung und Exorzismus« liefert die grobe Struktur der Einheit: Zu Beginn müssen die Jünger bei Jesus sein. Mk erzählt diese qualifizierte Nähe dadurch, dass er die Jünger von anderen absetzt, die in größerer Distanz bleiben (3,13): Er lässt sie mit Jesus in ein Haus gehen (3,20), wo sie - im Unterschied zu den »draußen Stehenden« (3,31f) - seine Lehre hören (3,34f). Und er platziert die Jünger bei Jesus im Boot (4,1), wo sie - im Unterschied zu »jenen draußen« (4,11: ἐκεῖνοι οἱ ἔξω) - nicht nur die Gleichnisse, sondern auch deren Deutung zu hören bekommen. 23 Das bevorzugte Vehikel, das dieser qualifizierten Nähe zwischen Jesus und den Jüngern Ausdruck verleiht, 24 ist das Boot. 25 Die Nähe des »Mit-ihm-Seins« ermöglicht den Jüngern zunächst, die Lehre Jesu zu hören, die ihnen das Geheimnis der Basileia erschließt (4,10-12). Nach diesem eher kognitiven »Unterricht im Jüngersein« bricht Jesus mit den Jüngern auf und lässt sie bei seiner eigenen missionarischen Tätigkeit »hospitieren«. Von Mk 4,35-6,6a sind die Jünger zwar dauernd »mit ihm«, treten aber nicht aktiv ______________________________ 21 Vgl. F. M. B. VAN I ERSEL , Mark 123: »The structure of the third section of the first main part (i. e. 4,35-8,21) is less transparent than the reader would wish.« Zu den Problemen der Kompositionsanalyse vgl. auch E. K. W EFALD , The Separate Gentile Mission in Mark: A Narrative Explanation of Markan Geography, the Two Feeding Accounts and Exorcisms, JSNT 60 (1995), 3-26. 22 Vgl. dazu und zum Folgenden ausführlicher: M. K LINGHARDT , Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19 (2002), 183-202. 23 Zur Entsprechung von »Haus« und »Boot« vgl. F. M. B. VAN I ERSEL , Concentric Structures in Mark 2,1-3,6 and 3,7-4,1, in: C. Focant (ed.), The Synoptic Gospels, Leuven 1993, 521-530: 523f. 24 Vgl. 4,10: κατὰ μόνας; 4,34; 6,31f; 7,33: κατ ʼ ἰδίαν. 25 Vgl. 3,9; 4,36; 6,31f; 6,45; 6,54. § 11: Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk 225 in Erscheinung: Sie werden auf beiden Seiten des Sees Zeugen von großer exorzistischer Vollmacht (5,1-20.21-43), aber auch von Ablehnung (5,14-17; 6,1-6a). Sie erfahren auf diese Weise, was sie erwartet, wenn sie selbst ausgesandt werden - das ist ja die zweite Bestimmung des Jüngerseins nach Mk 3,14f; 6,7. Der innere Grund für diese Aussendung ist in der kompositionell sorgfältig gestalteten Entsprechung von 4,10-12 und 4,21-25 sichtbar. Denn wenn »alles Verborgene offenbar« werden soll (4,22), dann gilt das auch für das Verborgen-Sein vor »jenen draußen« (4,12): Ihr Nicht-Verstehen ist also zeitlich begrenzt, sie sollen jetzt noch nicht, später aber sehr wohl verstehen. Diese zeitliche Differenzierung hat ihren Grund darin, dass die Jünger die Funktion übernehmen sollen, »jene draußen« zu belehren. Aus diesem Grund müssen sie gut aufpassen (4,24: βλέπετε τί ἀκούετε), weil sie das, was sie »haben« (4,25: ὃς γὰρ ἔχει), später ihrerseits weitergeben sollen: Der Erfolg, den die Jünger bei der (späteren) Belehrung »derer draußen« haben, ist das Kriterium ihrer eigenen Belohnung (4,25). In diese Funktion, andere zu belehren, werden die Jünger ab Mk 6,6b eingewiesen: Sie sollen jetzt (nicht allein, sondern jeweils zwei und zwei) selbst tun, was sie zuvor ab 4,35 als beobachtende Hospitanten von Jesus lernen konnten: Verkündigung und Exorzismus. Bei allem Erfolg, den die Jünger dabeihaben (6,12f), ist doch gleich zu Beginn angedeutet, dass die ihnen aufgetragene Lehre gefährlich werden und sie äußerstenfalls auch den Kopf kosten kann (6,14-29). Aber zunächst offenbart der Erfolg ihrer Mission ein anderes Problem. Denn er führt dazu, dass so »viele Menschen kommen und gehen«, dass die intime Gemeinschaft der Jünger mit Jesus gestört ist; sie haben nicht einmal Gelegenheit zum Essen und sollen deshalb an einen einsamen Ort fahren, wo sie mit Jesus κατ’ ἰδίαν sein können (6,31): Mk rekurriert hier auf die zuvor entfaltete Vorstellung der privilegierten Nähe. Aber die Menge will auf die Gegenwart Jesu und der Jünger nicht verzichten, sondern eilt ihnen voraus und kommt so in den Genuss der Lehre (6,34): Die Menge der ersten Speisungserzählung (»an die 5000«) besteht aus denjenigen, die als Folge der Aussendung der Jünger »kommen und gehen«. Das Problem, dass die Jünger wegen des Andranges der Menge keine Gelegenheit mehr haben, κατ’ ἰδίαν mit Jesus zu sein und zu essen, ist daher nicht nur nicht gelöst, sondern deutlich größer geworden, denn jetzt muss auch die Menge gesättigt werden. Da der Andrang der Menge als Reaktion auf die Verkündigung der Jünger erscheint, ist es nur konsequent, dass Jesus die Sättigung der Menge als Aufgabe der Jünger versteht (6,37). Allerdings scheint sein Auftrag (»Gebt ihr ihnen zu essen! «) die erste Bestimmung des Jüngerseins aufzuheben. Denn wenn die Jünger »weggehen« müssen, um für die Menge »Brote« zu kaufen (6,37), würden sie ja die Gemeinschaft mit Jesus verlassen und nicht mehr »mit ihm sein.« Jesus erweist sich als geduldiger Lehrer (in erster Linie der Jünger, nicht der Menge) und zeigt, 226 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch dass sie seine Gegenwart überhaupt nicht verlassen müssen, um die Menge zu sättigen: Er hält an der Verantwortung der Jünger als »Gastgeber« fest, lässt sie das Mahl der Menge organisieren und teilt ihre Brote aus. Die Speisungserzählung thematisiert also keine Brotvermehrung, sondern illustriert, was den Jüngern und den Lesern schon zuvor im Senfkorngleichnis verheißen war: Aus dem geringen Anfang resultiert erstaunliches Wachstum. Dass dieses Wachstum hier als Suffizienz der Brote der Jünger gefasst wird, setzt ganz selbstverständlich die längst schon usuell gewordene Speisemetaphorik für die Lehre voraus. 26 Vergleicht man die hier angedeuteten Kompositionsentscheidungen in Mk 3-6 mit der entsprechenden literarischen Anlage in *Ev (*6,12-9,17), dann kann es über die Bearbeitungsrichtung kaum zwei Meinungen geben. Die mk Erzählung ist sehr viel stringenter angelegt als *Ev, die Signale ihrer Komposition sind teilweise überdeutlich sogar gegen das normale Sprachempfinden 27 gesetzt, die entscheidenden semantischen Felder sind kohärent und über einen sehr umfangreichen Kontext hinweg entwickelt und mit großer Präzision entfaltet. Hätte *Ev diese kunstvolle Komposition einfach so zerstört, wäre er der seit Streeter sprichwörtlich gewordene Sonderling. Zwar muss man grundsätzlich mit der Möglichkeit rechnen, dass der Bearbeiter eines Textes dessen Qualitäten entweder gar nicht erkennt und ihn durch seine redaktionellen Eingriffe »verschlimmbessert« oder aber an ihnen kein Interesse zeigt. Aber das würde in diesem Fall voraussetzen, dass *Ev exakt die entscheidenden mk Kompositionssignale getilgt hätte, ohne etwas Entsprechendes an ihre Stelle zu setzen, wie ein Vergleich der jeweiligen Akoluthie der Perikopen zeigt. An dieser Stelle ist es ausreichend, die Abweichungen zwischen *Ev und Mk in den Blick zu nehmen, um daran deutlich zu machen, welche der komplexen mk Kompositionssignale *Ev zerstört hätte, wenn denn die Bearbeitungsrichtung von Mk zu *Ev verlaufen würde. 1. Die erste Abweichung ist die unterschiedliche Abfolge von Mk 3,7-12 || *6,17-19 und Mk 3,13- 19 || *6,12-16. Unter der Annahme der Mk-Priorität hätte *Ev diese beiden Perikopen umgestellt. Er hätte dabei den Rückzug Jesu an den See (Mk 3,7: ἀνεχώρησεν) nach dem Todesbeschluss der Pharisäer und Herodianer (Mk 3,6 || *6,11) zu einem einfachen Hinabsteigen »zu dem ebenen ______________________________ 26 Vgl. B ORGEN , Bread from Heaven, Leiden 2 1981, 99-146; M. K LINGHARDT , Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft, Tübingen 1996, 433-441. 27 Das zeigen diejenigen Erwähnungen des Bootes vor allem in den Ein- und Ausstiegsnotizen, die für den Fortgang des Plots überflüssig sind und störend wirken. Mt hat sie daher etliche Male ausgelassen. Vgl. (τὸ) πλοῖον Mk 4,38 ÷ Mt 8,24; Mk 5,2 ÷ Mt 8,28; Mk 5,18 ÷ Mt 8,34; Mk 5,21 ÷ Mt 9,18; Mk 6,54 ÷ Mt 14,35; Mk 8,13 ≠ Mt 16,4; Mk 8,14 ÷ Mt 16,5. Analoges gilt auch für die überbetonte Formulierung »die Brote essen« in Mk 3,20 (ὥστε μὴ δύνασθαι αὐτοὺς μηδὲ ἄ ρ τ ο ν ϕαγεῖν) und 6,44 (καὶ ἦσαν οἱ ϕαγόντες τ ο ὺ ς ἄ ρ τ ο υ ς πεντακισχίλιοι ἄνδρες): Normal und erwartbar wäre in beiden Fällen der Gebrauch von ἐσθίειν/ ϕαγεῖν ohne Objekt. Mt 14,21 hat dies im Übrigen genauso gesehen und das ihm verzichtbar erscheinende Objekt gestrichen. § 11: Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk 227 Ort« (*6,17: καταβὰς … ἐπὶ τόπου πεδινοῦ) geändert, ohne deutlich zu machen, von wo Jesus »herabkam«, denn er erzählt zunächst vom »Aufstieg auf den Berg«, auf dem Jesus die Zwölf berief (*6,12: καὶ ἀναβαίνει εἰς τὸ ὄρος). Zugleich hätte *Ev den Hinweis gestrichen, dass der Andrang der Menge Jesus zur Bereitstellung des später benötigten (und kompositionell zentralen) Bootes veranlasste (Mk 3,9 ÷ *6,18). In der Perikope von der Auswahl der Zwölf Mk 3,13-19 || *6,12-16 hätte *Ev die für die mk Gesamtanlage wichtige Bestimmung der Jüngerexistenz (Mk 3,14f: ἵνα ὦσιν μετ’ αὐτοῦ καὶ ἵνα ἀποστέλλῃ αὐτοὺς κηρύσσειν) und damit den entscheidenden Strukturhinweis für die ganze Einheit beseitigt: Dass Jüngerschaft in erster Linie »Mit-ihm-Sein« bedeutet, wird bei *Ev gar nicht sichtbar. 2. Unter der Voraussetzung der Mk-Priorität hätte *Ev sodann die Ringkomposition Mk 3,20-35 über die Lehre Jesu »im Haus« mit der Beelzebulkontroverse und der Distanzierung von der Mutter und den Brüdern Jesu übergangen. Mit μὴ δύνασθαι αὐτοὺς μηδὲ ἄρτον ϕαγεῖν Mk 3,20 hätte *Ev ein weiteres wichtiges Gliederungssignal ersatzlos gestrichen. Allerdings hätte *Ev das Wort von den wahren Verwandten, die seine Worte hören, aus diesem mk Kontext herausgelöst und an das Ende der Gleichnisrede gestellt (*8,20f; s. Rekonstr.). Anstelle dieser Einheit aus Mk 3,20-35 hätte *Ev im Anschluss an Mk 3,19 einen langen Erzählzusammenhang eingefügt, der im Rahmen der Zwei-Quellentheorie bisweilen als »kleine Einschaltung« bezeichnet wird. Dieser Abschnitt umfasst die Feldrede (*6,20-46), die Erzählungen über den Centurio und seinen Sklaven (*7,1-10) und den Jüngling von Nain (*7,11-17), die Täuferfrage und die Belehrung Jesu über den Täufer (*7,17-23.24-28), die Erzählung von der Salbung durch die Sünderin (*7,36-40.44-50) sowie die Notiz über die Unterstützung durch die Frauen (*8,2f). Da die Kontextverklammerungen nur in wenigen Fällen narrativ plausibilisiert sind (etwa am Übergang von *7,17-23 zu *7,24-28), müsste man unter der Voraussetzung der Mk- Priorität annehmen, dass *Ev den kohärenten Erzählzusammenhang aufgelöst und stattdessen eine weitgehend ungeordnete Folge von Einzeltexten geboten hätte. 3. Die Abfolge der einzelnen Elemente der Gleichnisrede Mk 4,1-25 || * 8,4-18 ist im Großen und Ganzen in *Ev und Mk parallel und belegt den engen literarischen Zusammenhang: Einleitung; Gleichnis vom Sämann; Parabeltheorie; Deutung des Sämanngleichnisses; Logion vom Verborgenen und Offenbaren. Aufschlussreich sind die Unterschiede, wie sie sich unter der Annahme der Mk- Priorität darstellen würden: Zunächst hätte *Ev die für die mk Komposition ganz entscheidende Szenerie »am See« aufgegeben, die für die differenzierte Belehrung von Menge und Jüngern im Boot konstitutiv ist und die auch den weiteren Kontext (Mk 4,35ff) bestimmt. Anstelle dieser Einleitung hätte *Ev schlicht mitgeteilt, dass Jesus »ein solches Gleichnis zu ihnen sagte« (*8,4 εἶπεν παραβολὴν τοιαύτην πρὸς αὐτούς). Sodann müsste man annehmen, dass *Ev die Aufforderung zum rechten Hören (*8,18) aus dem mk Kontext im Wort vom Offenbarwerden des Verborgenen (Mk 4,24a.25) herausgelöst und es zwischen Mk 4,11 || *8,10a und Mk 4,12 || *8,10b gestellt hätte. An dieser Stelle ist es zwar nicht funktionslos, 28 aber es zerstört die kunstvolle Bedeutung, die Mk diesem Logion im Zusammenhang der gesamten Einheit gibt. ______________________________ 28 Dies zeigt ja die mt Parallele Mt 13,10-13: Mt folgt an dieser Stelle nicht Mk, sondern *Ev. Allerdings entsteht dadurch ein statischer Gegensatz zwischen den Jüngern auf der einen Seite und den Juden auf der anderen: Die redaktionelle Intention, die Mt dazu veranlasst, diesen Gegensatz 228 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch 4. Unter der Annahme der Mk-Priorität hätte *Ev auch den Abschluss der Gleichnisrede empfindlich gestört: Er hätte das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 4,30-32) übergangen, das für die metaphorische Wirkung der ersten Speisungserzählung mit dem Gegenüber von wenigen Broten am Anfang und vielen Körben übriger Brote am Ende so wichtig ist. Auch die zusammenfassende Charakterisierung der Gleichnisrede (Mk 4,33f) hätte *Ev ersatzlos gestrichen und damit das mk Konzept ruiniert, nach dem die Jünger durch die nachhaltige Instruktion durch Jesus auf ihre Multiplikatorenfunktion vorbereitet werden. 5. Die folgende narrative Sequenz Mk 4,35-6,44 besitzt, aufs Ganze gesehen, wieder eine Entsprechung in *Ev (*8,22-9,17; zu *8,19-21 s. o.). Allerdings sind auch hier wichtige Unterschiede im Einzelnen zu verzeichnen, die für die Bestimmung der Bearbeitungsrichtung von Bedeutung sind. Zunächst unterscheidet sich Akoluthie von *Ev darin von Mk, dass die Erzählung von der Ablehnung Jesu in seiner Heimatstadt (Mk 6,1-6a) keine Entsprechung in diesem Erzählzusammenhang besitzt. Vielmehr enthielt *Ev zu Beginn der ganzen Erzählung in *4,16-30 einen entsprechenden Bericht, der sich jedoch von Mk 6,1-6a dadurch unterscheidet, dass er den Aspekt des gewaltsamen Vorgehens der Nazarener gegen Jesus enthält (s. dazu o. § 7) und der damit von Anfang an die Gegnerschaft gegen Jesus deutlich macht. Für die mk Komposition ist jedoch wichtig, dass erstens die Jünger die Ablehnung Jesu beobachten (das spielt für *4,16-30 überhaupt keine Rolle) und dass zweitens das Moment der tödlichen Bedrohung erst in der Folge (ab Mk 8,11-13) aufgebaut und als eigenes Problem entfaltet wird. Unter der Annahme der Mk- Priorität vor *Ev hätte *Ev diesen für die mk Komposition wichtigen Gesichtspunkt zerstört. Dieser kompositionelle Zusammenhang zeigt sich auch im Verhältnis von Mk 6,14-29 zu der knappen Notiz *9,7-9: Das Urteil des Herodes über Jesus und Johannes besitzt bei *Ev keine erkennbare Verbindung zum näheren Kontext, zumal der Tod des Täufers nur im (inneren? ) Monolog des Herodes (*9,9: εἶπεν δὲ ῾Ηρῴδης, ᾿Ιωάννην ἐγὼ ἀπεκεϕάλισα) vorkommt, aber nicht erzählt wird; die entsprechende Notiz Lk 3,19f hat ja in *Ev mit Sicherheit gefehlt. Sieht man diese Differenzen zusammen, ist deutlich, dass die Bearbeitungsrichtung sehr viel eher von *Ev zu Mk verlaufen ist als umgekehrt. Denn in diesem Fall hätte *Ev entscheidende Strukturmerkmale aus der mk Komposition herausgelöst, ohne sie durch andere Kompositionssignale zu ersetzen. c. Die Komposition von Mk 6,45-8,26 Dies gilt umso mehr, als die kompositionellen Linien, die seit Mk 3,7 angelegt und entfaltet wurden, von 6,45 an höchst kunstvoll weitergeführt werden: Die »große Auslassung« erweist sich als »große Ergänzung«, die Mk gegenüber dem aus *Ev stammenden Material hinzugefügt hat, wobei die bereits redaktionell angelegten Linien weitergeführt wurden. Dies wird leicht erkennbar, wenn man die ganze Einheit Mk 3,7-8,26 unter dem Gesichtspunkt der Einweisung der Zwölf in die Jüngerschaft versteht: Nach der anfänglichen Instruktion der Jünger durch Jesus, die durch die qualifizierte Nähe des Mit-ihm-Seins gekennzeichnet war (Mk 3,7- ______________________________ dadurch herauszustellen, dass er *Ev und nicht Mk folgt, ist gut erkennbar: Mt hat die Grundsätzlichkeit dieses Gegensatzes durch das Reflexionszitat Jes 6,9f und den Makarismus 13,16f begründet. § 11: Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk 229 4,34), erzählt Mk von einer Hospitationsphase, in der die Jünger Jesus bei Lehre, Exorzismus und Heilung beobachtet haben (5,1-43). Dabei konnten sie auch lernen, dass zur Verkündigung der Basileia auch der Aufbruch zu neuen Ufern gehört, der Unbill mit sich bringt (4,35-41), dass selbst die unbestreitbare Vollmacht über Dämonen nicht zwangsläufig zum Erfolg der Verkündigung führt (5,17-19), und dass solcher Erfolg auch vom Glauben der Empfänger abhängig ist (6,5). Nach dieser Phase sollen die Jünger ab 6,6b selbständig tun, worauf Jesus sie vorbereitet hat und wobei sie ihn selbst beobachtet haben: Missionarische Verkündigung, Exorzismus und Heilung. Ein erstes Hindernis für diese selbständige Aussendung besteht in der scheinbaren Unvereinbarkeit von »Mit-ihm-Sein« und Aussendung/ Weggehen von Jesus (Mk 6,37: ἀπελθόντες ἀγοράσωμεν … ἄρτους; ). Nachdem die Jünger in der ersten Speisungserzählung gelernt hatten, dass sie zur Erfüllung ihres Auftrages die Gegenwart Jesu gar nicht zu verlassen brauchen (6,32-44), lässt Jesus sie jetzt allein über den See fahren: Die Jünger wiederholen, was sie zuvor mit Jesus zusammen erlebt hatten. Die Erfahrung, dass die Präsenz Jesu sie vor der Unbill des Sturms bewahrt hatte (4,35-41), wird jetzt auf die Probe gestellt, weil sich Jesus nicht physisch bei ihnen befindet. Die Jünger versagen: Obwohl Jesus zu ihnen kommt, und obwohl sich der Sturm daraufhin legt, fürchten sich die Jünger. Der Erzählerkommentar (6,52: »Denn sie hatten bei den Broten nicht verstanden«) stellt einen Zusammenhang zwischen der ersten Speisungserzählung und der Seewandelperikope her, der für die Gesamtanlage von großer Bedeutung ist. Dieser Zusammenhang bestätigt die »didaktische« Intention der Speisungserzählung (und damit: die konnotative Symbolik der »Brote« als Lehre), wird aber nicht erläutert: Die Leser, auf die der Erzählerkommentar ja zielt, wissen (noch) nicht, welche Einsicht die Jünger »bei den Broten« hätten gewinnen können, die sie dann vor der Furcht auf dem See bewahrt haben würde. Mk lässt das Boot mit Jesus und den Jüngern nicht am intendierten Ziel Bethsaida ankommen (vgl. 6,45), sondern in Gennesaret (6,53). Wie 8,22 zeigen wird, ist dies kein Versehen, sondern kompositionelle Absicht: Erst in Mk 8,22 haben die Jünger ihr vorläufiges »Lernziel« erreicht. Zuvor aber erzählt Mk von der Kontroverse über Reinheit und Unreinheit (7,1-23). Obwohl sich der Widerspruch der Pharisäer und Schriftgelehrten an der Mahlpraxis der Jünger entzündet (7,2), nehmen diese an dem Gespräch gar nicht teil. Sie hören die Antwort Jesu, die wiederum der Erzähler als Reinerklärung aller Speisen deutet (7,19), und bekommen anschließend die Bedeutung der Antwort Jesu erläutert (7,18-23): Verunreinigung passiert nicht durch Speise, sondern durch Taten. Mit Blick auf die zuvor intensiv verwendete Metaphorik »Speise für Lehre« bleibt diese ganze Abhandlung vollständig im semantischen Bereich des zuvor Entfalteten. 230 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Was es jedoch in diesem Sinn bedeutet, dass Jesus »alle Speisen für rein erklärt«, bleibt zunächst offen. Erst die folgende Erzählung von der Frau, die als Ἑλληνίς und Συροϕοινίκισσα auf doppelte Weise als Nichtjüdin gekennzeichnet wird, klärt dieses Problem. Denn die erbetene und von Jesus zunächst abgelehnte Heilung der Tochter wird in dem Dialog metaphorisch als »Sättigung durch Brot« verhandelt: Jesus begründet seine Verweigerung der Heilung, weil dies bedeute, das »Brot der Kinder den Hündchen vorzuwerfen« (7,27). Die Frau kontert, dass Hündchen und Kindchen (beide Male Diminutiv) von ein und demselben Brot essen. Auf die so formulierte Einsicht (λόγος) hin erklärt Jesus die Tochter für geheilt (7,29), und die Frau findet »das Kindchen« gesund (7,30). Im Licht der seit 6,32 vorbereiteten Metaphorik »Speise/ Brot für Lehre« wird jetzt deutlich: Es gibt nur eine heilsame Lehre für Juden und für Heiden - das ist die Bedeutung der Reinerklärung aller Speisen. Die Jünger waren in dieser Episode aus gutem Grund nicht zugegen; sie werden erst Mk 8,1 im Zusammenhang der »Speisung der 4000« (8,1-9) wieder in die Erzählung eingeführt. Diese zweite Speisungserzählung ist keine Dublette der vormk Überlieferung, 29 sondern wurde erst von Mk geschaffen, und zwar in Entsprechung zu 6,32-44 und in gezielter Weiterentwicklung von 7,24-30. Denn jetzt wird die Menge »mitten im Gebiet der Dekapolis« (7,31) durch dezente, aber deutliche Hinweise als heidnisch gekennzeichnet. 30 Als Jesus sich der Menge »erbarmt«, 31 begreifen die Jünger sofort, dass die Sättigung der Menge ihre Aufgabe ist und stellen damit ihren Lernerfolg seit 6,32-44 unter Beweis: Sie wissen sich verantwortlich und haben auch die falsche Alternative »Mit-ihm-sein« oder ______________________________ 29 So z. B. P. J. A CHTEMEIER , Toward the Isolation of Pre-Markan Miracle Catenae, JBL 89 (1970), 265-291; DERS ., The Origin and Function of the Pre-Markan Miracle Catenae, JBL 91 (1972), 198-221. 30 Vgl. M. K LINGHARDT , Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19 (2002), 183-202: 197: Die Menschen haben nichts zu essen (8,2: οὐκ ἔχουσιν τί ϕάγωσιν), und einige von ihnen sind von weither gekommen (8,3: τινες αὐτῶν ἀπὸ μακρόθεν ἥκασιν). Darin entsprechen sie der Tochter der Syrophönizierin, die ebenfalls »kein Brot zu essen« bekommen soll und die weit entfernt wohnt. 31 Mk 8,2 σπλαγχνίζομαι ἐπὶ τὸν ὄχλον entspricht Mk 6,34 εἶδεν πολὺν ὄχλον καὶ ἐσπλαγχνίσθη ἐπ ʼ αὐτούς. Allerdings hat das Erbarmen in beiden Fällen unterschiedliche Gründe, die in der unterschiedlichen Charakterisierung der beiden Gruppen liegen: Wenn die Menge in 8,2 eine Menge von Heiden ist, ist die Notwendigkeit, dass sie von Jesus belehrt und dann auch gesättigt wird, unmittelbar einsichtig. Dagegen wird das Erbarmen Jesu in 6,34 dadurch erläutert, dass sie »wie Schafe waren, die keinen Hirten haben«: Diese traditionelle Metapher für Führungs- und Orientierungslosigkeit (vgl. Num 27,27; 1Kön 22,17; Jud 11,19; Ez 34,5.8; 2Chron 18,16 usw.) setzt voraus, dass diese »Schafe« von ihren »Hirten« vernachlässigt und eben nicht angemessen »gesättigt« wurden. Aus diesem Grund kann die Menge auch nicht εἰς τοὺς κύκλῳ ἀγροὺς καὶ κώμας geschickt werden, um sich von dort her zu verpflegen (6,36): Im Unterschied zu 8,3 steht dem nicht der lange Heimweg entgegen, sondern der Umstand, dass der Mangel der Menge an orientierender Lehre ja in genau diesen »Weilern und Dörfern« entstanden ist. Vgl. dazu K LINGHARDT , a. a. O. 193f. § 11: Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk 231 »weggehen« hinter sich gelassen, die bei der ersten Speisung der Durchführung ihres Auftrags im Wege gestanden hatte. Dagegen liegt ihre Schwierigkeit jetzt darin, dass sie Heiden satt machen sollen: »Von woher (πόθεν) kann jemand diese hier (τούτους) sättigen mit Broten in der Wüste? « (8,4). 32 Die Jünger bleiben also hinter der von der Syrophönizierin formulierten Erkenntnis zurück, dass es nur ein Brot - und das heißt in diesem Kontext ja schon längst: nur eine Lehre - für Juden und Heiden gibt. Aber die Jünger waren bei diesem Gespräch ja auch nicht zugegen: Ihr Unverständnis gibt den Lesern Gelegenheit, ihr eigenes (größeres) Verstehen ins Spiel zu bringen. 33 Am Ende erfahren die Jünger, dass ihre eigenen Brote für die Sättigung auch von »diesen hier in der Wüste« mehr als ausreichend sind (8,5-8): Jetzt darf man auch bei ihnen die Erkenntnis der Syrophönizierin voraussetzen, dass es nur eine Lehre für »Kindchen« und für »Hündchen«, für Juden und Heiden, gibt. In den beiden rahmenden Heilungsgeschichten (Mk 7,31-37; 8,22-26) ist dieses Unverständnis der Jünger narrativ gefasst. Beide behandeln auf jeweils ganz analoge Weise die Beseitigung von Wahrnehmungshindernissen. 34 Dass die Heilung von Taubheit und Blindheit auf die Überwindung des Unverständnisses (der Jünger) zielt, zeigt der entsprechende Vorwurf Jesu in Mk 8,17f.21. Aber das Nichtverstehen ist hier gegenüber der mangelnden Einsicht bei der zweiten Speisung schon wieder weiterentwickelt. Denn als Folge der Sättigung der Heidenmenge verlangen die Pharisäer von Jesus ein Zeichen. Man darf verstehen: Dieser Legitimationsausweis wird notwendig, weil und sobald die Jünger Jesu mit ihrer Lehre auch Heiden »sättigen«. Dass die Zeichenforderung nicht nur ein Problem theologischer Einsicht thematisiert, zeigt die letzte Überfahrt (8,13-21) mit Jesu Warnung vor »vor dem Sauerteig der Pharisäer und dem Sauerteig des Herodes« 35 (8,15). Vor dem Hintergrund der Speise/ Lehre-Metaphorik bezieht sich diese Warnung vor der ______________________________ 32 Mt 15,33 verändert mit dem Satzbau die Logik und macht aus einem qualitativen ein quantitatives Problem: »Woher gibt es für uns in der Wüste so viele Brote (ἄρτοι τοσοῦτοι), um eine so große Menge (ὄχλον τοσοῦτον) satt zu machen? « 33 Zur hermeneutischen Funktion der Unverständnisnotizen vgl. M. K LINGHARDT , Erlesenes Verstehen. Leserlenkung und implizites Lesen in den Evangelien, ZNT 21 (2008), 27-37. 34 Die Eingangswendungen Mk 7,33 (καὶ ϕέρουσιν αὐτῷ κωϕὸν καὶ μογιλάλον καὶ παρακαλοῦσιν αὐτὸν ἵνα ἐπιθῇ αὐτῷ τὴν χεῖρα) und Mk 8,22 (καὶ ϕέρουσιν αὐτῷ τυϕλὸν καὶ παρακαλοῦσιν αὐτὸν ἵνα αὐτοῦ ἅψηται) entsprechen sich fast aufs Wort genau. Außerdem wird nur in diesen beiden Geschichten von einer magischen Handlung im Zusammenhang der Heilung berichtet (7,33; 8,23.25). 35 Auch hier zeigt die v. l. wahrscheinlich den vorkanonischen *Mk-Text. Anstelle von Ηρωδου (M) lesen P 45 W Θ f 1.13 28 565 2542 pc i k sa mss : των Ηρωδιανων. Die Herodianer sind in Mk 3,6 neben den Pharisäern genannt als diejenigen, die den Todesbeschluss fassen. Herodes ist in Mk 6,24-26 für den Tod des Täufers verantwortlich. Zum Problem s. u. § 14.2. 232 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch ζύμη auf die Lehre der Pharisäer, 36 die jedoch in Verbindung mit den Herodianern bzw. mit Herodes auch ein Gefährdungspotential sichtbar macht. Dass die Jünger bei dieser letzten Seeüberquerung vergessen hatten Brote mitzunehmen und »außer dem einen Brot keines bei sich hatten« (8,14) und dass sie sich darüber Gedanken machen (8,16), kennzeichnet ihr Bewusstsein, dass sie sich einer realen Gefahr aussetzen, wenn sie die zuletzt gewonnene Einsicht des Einen Brotes für Juden und Heiden in ihrer missionarischen Verkündigung realisieren. Auf genau diese διαλογισμοί (8,16f) bezieht sich die harsche Kritik Jesu (8,17-21): Den Jüngern fehlt noch die Einsicht in die Notwendigkeit ihrer eigenen Leidensbereitschaft. Wenn Jesus von der Lehre der Pharisäer und der durch sie heraufbeschworenen Gefahr redet, die Jünger sich dagegen Gedanken um ihre »Brote« machen, dann reden sie nicht aneinander vorbei, 37 sondern benennen das gleiche Problem aus unterschiedlicher Perspektive. Der von Jesus kritisierte Mangel an Einsicht in die Notwendigkeit der Leidensbereitschaft der Jünger wird anschließend behoben: Diese Einsicht werden die Jünger in der Nachfolge Jesu »auf dem Weg« nach Jerusalem lernen, wie die Heilung der Blindheit des Bartimäus und seine unmittelbare Bereitschaft zur Nachfolge gegenüber der Heilung des Blinden in Bethsaida deutlich macht (Mk 8,22-10,52, vgl. o. S. 213ff). * Diese etwas ausführlichere Paraphrase von Mk 6,45-8,26 hat die Funktion, die narrative Stringenz und die kompositionelle Kohärenz der gesamten Erzähleinheit Mk 3,7-8,22(26) deutlich zu machen: Die durch die semantischen Leitbegriffe »Boot« und »Brot« gekennzeichneten Erzähllinien waren in 3,7-6,44 angelegt und werden in diesem Abschnitt konsequent weitergeführt. Dabei hat Mk die symbolischen Konnotationen kunstvoll weiterentwickelt und die μαθηταί Jesu als seine lernwilligen (und lernfähigen! ) Schüler proträtiert: Ihr »Unverständnis« ist keine bleibende Dummheit oder gar Verstocktheit, sondern verlagert sich schrittweise in dem Maß, in dem sie neue Erfahrungen in das je und je neu Erlernte integrieren müssen. Die kompositionelle Kohärenz, die für diesen Abschnitt sichtbar wird, hat wichtige überlieferungsgeschichtliche Konsequenzen, weil sie die Frage der ______________________________ 36 Dass die Lehre der Pharisäer gerade als Sauerteig(brot) gefasst wird, beinhaltet die feine Ironie, dass nicht die einheitliche Lehre der Jünger für Juden und Heiden verunreinigt, sondern die Lehre der Pharisäer: Sauerteig ist nicht nur »ansteckend«, sondern auch weniger rein als Ungesäuertes (vgl. Ex 12,15; 13,3-7; Dtn 16,3f). Der Hinweis auf die ζύμη der Pharisäer verweist daher zurück auf Jesu Belehrung über Reinheit und Unreinheit (Mk 7,1-23). 37 Vgl. M. D. H OOKER , Mk 195: »why are you discussing the lack of bread, when I am talking about something quite different? « Daher ist auch die literarkritische Lösung obsolet, dass V. 15 ein aus einem anderen Zusammenhang stammender Einschub sei (a. a. O. 194). § 11: Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk 233 Bearbeitungsrichtung zwischen *Ev und Mk klärt. Denn wäre Mk 6,45-8,26 (unter der Annahme der Mk-Priorität vor *Ev) tatsächlich von *Ev »ausgelassen« worden, müsste man annehmen, dass *Ev diese große Komposition zerstört hätte, ohne etwas wenigstens ansatzweise Vergleichbares an ihre Stelle zu setzen. Der umgekehrte Prozess ist daher sehr viel wahrscheinlicher: Mk hat die Anregung zum Thema Jüngerschaft aus dem Bericht *6,12-9,17 bezogen. Aber er hat dieses Thema durch einige kleinere redaktionelle Änderungen in Mk 3,7-6,44 in ein stimmiges Konzept gegossen, das er dann ab Mk 6,45 selbständig weiterentwickelt hat. Die »große Auslassung« ist in Wahrheit eine »große Ergänzung« durch Mk. Nach dem Kriterium der je größeren redaktionellen Plausibilität kann kein Zweifel an der *Ev-Priorität vor Mk bestehen. 3. Die »Mk-Q Overlaps«: Mk 9,41-10,12 und die Entsprechungen in *Ev Die im Horizont der Zwei-Quellentheorie als »Mk-Q Overlaps« bezeichneten Texte stellen ein besonderes überlieferungsgeschichtliches Problem dar, weil sie eine Beziehung zwischen zwei Überlieferungsbereichen konstituieren, die nach den Grundannahmen der Theorie eigentlich gar nicht vorgesehen war, nämlich zwischen Mk und »Q«. 38 Schon früh hatte man die Möglichkeit einer (mündlichen oder schriftlichen) Beziehung zwischen Mk und »Q« in Erwägung gezogen 39 und daraus dann weitreichende Schlussfolgerungen für die Historizität des Materials abgeleitet. Es ist an dieser Stelle weder nötig, das Problem der »Mk-Q Overlaps« für die Zwei-Quellentheorie zu diskutieren, noch gar deren angenommene Bedeutung für die historische Jesusforschung zu behandeln: Durch den Nachweis der *Ev- Priorität vor Lk ist die Annahme von »Q« obsolet und die Zwei-Quellentheorie hinfällig geworden. Daher soll hier nur untersucht werden, welchen Aufschluss diese »Doppelüberlieferungen« für die Frage nach dem Bearbeitungsverhältnis zwischen *Ev und Mk zu geben vermögen, und dazu lassen sich auch Beobachtungen nutzbar machen, die im Rahmen der Zwei-Quellentheorie gemacht wurden. Als Beispiele für die Behandlung der »Mk-Q-Doppelüberlieferungen« sind hier nicht die »klassischen« Fälle ausgewählt: Es gibt eine Reihe von Überlieferungsbereichen, an denen die Überschneidungen zwischen »Q« und Mk besonders ______________________________ 38 Diese Sicht hat sich dementsprechend bei zahlreichen Autoren gehalten. Vgl. nur die Liste bei H. T. F LEDDERMANN , Mark and Q, Leuven 1995, 13f Anm. 49. 39 Vgl. nur (mit jeweils unterschiedlicher Abhängigkeitsvermutung) B. W EISS , Lehrbuch der Einleitung in das Neue Testament, Berlin 1886, 506ff; J. W ELLHAUSEN , Einleitung in die drei ersten Evangelien, Berlin 1905, 64-79; W. S CHENK , Der Einfluß der Logienquelle auf das Markusevangelium, ZNW 70 (1979), 141-165 u. a. 234 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch deutlich sind, z. B. die Täufertradition mit der Taufe Jesu, die sog. Beelzebulkontroverse, die Aussendungsrede und anderes. 40 Für diese Beispiele genügt der Verweis auf die unterschiedlichen Bearbeitungsrelationen, die sich in diesem Modell der *Ev-Priorität ergeben. Stattdessen sollen hier nur die Belege aus Mk 9,41-10,12 zur Sprache kommen. Sie sind für die überlieferungsgeschichtliche Analyse besonders aufschlussreich, weil dieses mk Material keine genaue Entsprechung in Lk besitzt und natürlich auch in *Ev fehlt; im Rahmen der »Zwei-Quellentheorie« wird es daher auch als »kleine Auslassung« bezeichnet. Für die Bestimmung der Bearbeitungsrichtung zwischen *Ev und Mk wirft dieser Befund auf den ersten Blick die gleiche Alternative auf wie die »große Auslassung« (Mk 6,45-8,26): Sofern Mk von *Ev abhängig ist, hätte er dieses Material selbständig in seinen Text eingefügt. Im umgekehrten Fall der Mk-Priorität müsste man annehmen dass *Ev diese mk Texte übergangen hat. Es ist jedoch schon deutlich geworden, dass diese Alternative so einfach nicht ist, weil einzelne Elemente aus Mk 9,41-10,12 durchaus Entsprechungen in *Ev besitzen: *14,34 || Mk 9,50 || Mt 5,13; *16,18 || Mk 10,11f || Mt 5,32; 19,9; *17,(1)2 || Mk 9,42 || Mt 18,(7)6. Diese Berührungen sind allerdings in Mk und Mt jeweils breiter entfaltet als in *Ev und ermöglichen daher weitere Aufschlüsse für die Überlieferungsgeschichte. a. Das Logion vom Salz *14,34f || Mk 9,50 || Lk 14,34f || Mt 5,13 Das erste dieser Beispiele von »Mk-Q-Doppelüberlieferungen« innerhalb der »Kleinen Auslassung« ist das Logion vom Salz, das in den drei kanonischen Fassungen jeweils in unterschiedlichem Kontext begegnet und daher besondere überlieferungsgeschichtliche Probleme aufwirft. ______________________________ 40 Vgl. zum Problem s. R. L AUFEN , Die Doppelüberlieferungen der Logienquelle und des Markusevangeliums, Königstein/ Ts. 1980; H. T. F LEDDERMANN , Mark and Q, Leuven 1995. § 11: Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk 235 *14,34f 41 Lk 14,34f Mt 5,13 Mk 9,50 καλὸν οὖν τὸ ἅλα· καλὸν οὖν τὸ ἅλας· ὑμεῖς ἐστε τὸ ἅλας τῆς γῆς· καλὸν τὸ ἅλας· ἐὰν δὲ καὶ τὸ ἅλα μωρανθῇ, ἐὰν δὲ καὶ τὸ ἅλας μωρανθῇ, ἐὰν δὲ τὸ ἅλας μωρανθῇ, ἐὰν δὲ τὸ ἅλας ἄναλον γένηται, ἐν τίνι ἐν τίνι ἐν τίνι ἐν τίνι ἀρτυθήσεται; ἀρτυθήσεται; ἁλισθήσεται; αὐτὸ ἀρτύσετε; οὔτε εἰς γῆν οὔτε εἰς κοπρίαν εὔθετόν ἐστιν· οὔτε εἰς γῆν οὔτε εἰς κοπρίαν εὔθετόν ἐστιν, εἰς οὐδὲν ἰσχύει ἔτι ἔχετε ἐν ἑαυτοῖς ἅλα καὶ εἰρηνεύετε ἐν ἀλλήλοις. ἔξω βάλλεται ἔξω βάλλουσιν αὐτό. εἰ μὴ βληθὲν ἔξω καὶ καταπατήται ὑπὸ τῶν ἀνθρώπων. καταπατεῖσθαι ὑπὸ τῶν ἀνθρώπων. ὁ ἔχων ὦτα ἀκούειν ἀκουέτω. Sofern man das Logion als eine selbständige Einheit betrachtet, lässt sich kaum ein begründetes Urteil fällen, ob die »Q«-Fassung, die hinter Lk 14,34f || Mt 5,13 vermutet wird, älter ist als Mk oder umgekehrt. 42 In diesem Fall muss man sich damit begnügen, die Abweichungen der Fassungen zu notieren. Denn die Feststellung, dass das mk ἄναλον γένηται eine Präzisierung des weniger eindeutigen μωρανθῇ (etwa »dumm werden«) darstelle (und deswegen sekundär sei), macht unhaltbare linguistische Voraussetzungen. 43 Aber im Horizont der *Ev-Priorität muss die Frage der ursprünglichen Kontextstellung nicht offenbleiben: Der Kontext in *Ev, dem Lk (wie fast immer) folgt, liefert hier das maßgebliche Vergleichskriterium für Mk 9. Das Logion *14,34f beschließt die Nachfolgebelehrungen mit den Bedingungen für das Jüngersein (*14,25-35; unbezeugt, aber vermutlich vorhanden). Die Metaphorik des Salzes bezieht sich hier auf die Funktion der Jünger, die alles verlassen haben bzw. ihr Kreuz auf sich nehmen (*14,25): Im Blick ist die Radikalität der Jüngerexistenz, die der Würzigkeit des Salzes entspricht. Darum gilt dann umgekehrt: Eine Jüngerexistenz ohne diesen radikalen Verzicht hat keine würzende Qualität mehr und ist obsolet. Diese Begründungsfunktion des Salzlogions ist ziemlich klar und wird nur dadurch ein wenig verstellt, dass die Gleichnisse vom Turmbau bzw. von der Kriegsplanung zwischen den eigentlichen Aufforderungen *14,25-27 und ______________________________ 41 Zum Wortlaut, insbesondere zur Begründung für die letzte Zeile, vgl. die Rekonstruktion z. St. 42 Für die Priorität der Mk-Fassung votierte R. S CHNACKENBURG , »Ihr seid das Salz der Erde, das Licht der Welt«, in: ders., Schriften zum Neuen Testament, München 1971, 177-200: 180; für die »Q«-Fassung argumentierte F LEDDERMANN , a. a. O. 166-169. 43 So das wesentliche Argument von F LEDDERMANN , a. a. O. 168. Vgl. dagegen zu Recht W OLTER , Lk 520 z. St. 236 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch ihrer Begründung stehen, aber die Aufforderung zum Verzicht *14,26 wird in *14,33 mit der Spezifierung auf den Besitz ja wiederholt: Der semantische Zusammenhang ist klar. In Mk 9,50 steht das Logion vom Salz dagegen nach der Warnung vor Verführungen (Mk 9,42-48). Dafür bildet Mk 9,49 πᾶς γὰρ πυρὶ ἁλισθήσεται einen Übergang, der eine gegenüber *14,34f ganz anders geartete semantische Verwendung anzeigt. Deren Sinn ist jedoch alles andere als klar: Die Schwierigkeiten, den semantischen Gehalt von Mk 9,49 zunächst für sich bestimmen zu können, belasten die Bestimmung der Bearbeitungsrichtung in erheblichem Maße. Erschwerend kommt hinzu, dass für Mk 9,49 drei Hauptlesarten bezeugt sind: (1) πᾶσα γὰρ θυσία ἁλὶ ἁλισθήσεται: D b c d ſſ 2 i (2) πᾶς γὰρ πυρὶ ἁλισθήσεται: B C L Δ 0274 f 1.13 28* 565 700 pc sy s sa bo pt (3) πᾶς γὰρ πυρὶ ἁλισθήσεται καὶ πᾶσα θυσία ἁλὶ ἁλισθήσεται: A C K Θ Π Ψ 2427 al lat sy p.h bo pt M . Die Variante (3) stellt eine offensichtliche Konflation aus den beiden Lesarten (1) und (2) dar und ist diesen gegenüber sekundär. Daher bleibt nur die Frage, welche von diesen am ehesten ursprünglich ist. Die gängige Erklärung, dass die Lesart (1) in D (it) mit dem Zitat aus Lev 2,13 als Marginalglosse zu dem ansonsten kaum verständlichen Text der kritischen Ausgaben (B C L Δ 0274 usw.) angeführt und von dort in den Text eingedrungen sei, 44 ist wenig wahrscheinlich: Zum einen bietet Lev 2,13 kaum eine akzeptable Erklärung für den Text von (2) in B C L usw., zum anderen legt die Bezeugung von (1) in D it nahe, dass dies der Text des vorkanonischen *Mk war (s. § 14.2). Diese mutmaßlich vorkanonische D-Lesart (1) besitzt eine noch schwach erkennbare Verbindung mit der vorangehenden Warnung vor Verführung. Sie betrachtet Salz im Sinn von Lev 2,13 LXX (ἅλα διαθήκης) als positives Zeichen des Bundes, das bewahrt werden muss, und zwar, wie der Gleichklang der Imperative in 9,50c zeigt, durch die Bewahrung des Friedens untereinander: Dies wäre ein Verhalten, das der Verführung »eines dieser Kleinen, die an mich glauben« (9,42), entgegengesetzt ist. Die mutmaßlich kanonische Lesart (2) in B C L usw. hat die Beziehung zwischen dem Salzwort und der vorangehenden Warnung vor Verführung auf andere Weise verstanden: »Jeder wird mit Feuer gesalzen« besagt dann, dass niemand der Überprüfung durch das Gericht entgeht. Das gemeinsame Stichwort πῦρ in 9,42.48 auf der einen Seite und in 9,49 auf der anderen wäre dann die semantische Brücke, die jedoch nicht ganz glatt anschließt, denn das Feuer von 9,49 wird ja ausdrücklich als etwas Positives gewürdigt (9,50: καλὸν τὸ ἅλας), wogegen die Feuermetapher in 9,42-48 weniger die Funktion der Überprüfung als die der Strafe kennzeichnet. Diese Überlegung besagt für die Bestimmung der Bearbeitungsrichtung zwischen *Ev und Mk, dass der primäre Vergleichstext für das Salzlogion *14,34f in *Mk 9,49f (D it) zu sehen ist. Die wesentliche Gemeinsamkeit ist dann die positive ______________________________ 44 Vgl. etwa. M ETZGER , Textual Commentary z. St.: »At a very early period a scribe, having found in Lv 2.13 a clue to the meaning of Jesus’ enigmatic statement, wrote the Old Testament passage in the margin of his copy of Mark.« § 11: Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk 237 Bewertung des Salzes (*14,24a || Mk 9,50a: καλὸν οὖν τὸ ἅλα): Im Kontext von *Ev bezeichnet sie die Radikalität des für die Jüngerexistenz notwendigen Verzichts, im vorkanonischen *Mk dagegen die Vermeidung der Verführung als Kennzeichen der Bewahrung des Bundes. Die genaue Bearbeitungsrichtung zwischen beiden Texten lässt sich wegen der semantischen Unklarheiten nicht mit der gewünschten Sicherheit feststellen. Allerdings deutet die Rezeption des Salzlogions in Mt 5,13 auf die überlieferungsgeschichtliche Priorität von *14,34f vor *Mk 9,49f (D it) hin. Denn Mt folgt hier nicht der mk Komposition, sondern hat - darin *Mk/ Mk entsprechend - ein einzelnes Logion aus dem Kontext von *Ev herausgelöst und ihm in der Komposition der Bergpredigt einen neuen Kontext gegeben. b. Von Ehescheidung und Wiederheirat (*16,18 || Mk 10,11f || Mt 5,32; 19,9) Für die Frage der Bearbeitungsrichtung ist das nächste Beispiel aufschlussreicher: Das Verbot von Ehescheidung und Wiederheirat (*16,18 || Mk 10,11f || Mt 5,32; 19,9) hat in *Ev als Einzellogion die Funktion, die ewige Geltung des Gesetzes zu verdeutlichen (*16,17). Mk 10,11f || Mt 19,9 enthalten das Logion im Rahmen des Gespräches Jesu mit den Pharisäern über die Ehescheidung (Mk 10,2-12 || Mt 19,3-9), die Jesus in versucherischer Absicht fragen (πειράζοντες αὐτόν Mk 10,2 || Mt 19,9); in Mt 5,32 begegnet es ohne diesen Kontext in den Antithesen. *16,18 Mt 5,32 Mt 19,9 Mk 10,11f ἐγὼ δὲ λέγω ὑμῖν ὅτι λέγω δὲ ὑμῖν ὅτι 11 καὶ λέγει αὐτοῖς· ὃς ἂν ἀπολύσῃ πᾶς ὁ ἀπολύων ὃς ἂν ἀπολύσῃ ὃς ἂν ἀπολύσῃ τὴν γυναῖκα τὴν γυναῖκα αὐτοῦ τὴν γυναῖκα αὐτοῦ τὴν γυναῖκα αὐτοῦ παρεκτὸς λόγου πορνείας μὴ ἐπὶ πορνείᾳ καὶ ἄλλην γαμήσῃ, ποιεῖ αὐτὴν καὶ γαμήσῃ ἄλλην καὶ γαμήσῃ ἄλλην μοιχεύει, μοιχευθῆναι, μοιχᾶται. μοιχᾶται ἐπ’ αὐτήν· καὶ ὃς ἂν καὶ ὃς ἐὰν 12 καὶ ἐὰν αὐτὴ ἀπὸ ἀνδρὸς ἀπολελυμένην ἀπολελυμένην ἀπολύσασα τὸν ἄνδρα αὐτῆς γαμήσῃ, γαμήσῃ, γαμήσῃ ἄλλον ὁμοίως μοιχός ἐστιν. μοιχᾶται. μοιχᾶται. Die Rekonstruktion der Fassung von *Ev beruht auf Tertullians Zitat. 45 Sie weicht in mancher Hinsicht von der kanonischen Lk-Fassung ab, die dann auch für die Erkundung der »Q«-Fassung ______________________________ 45 Tertullian referiert das Logion zweimal in geringfügig unterschiedlicher Fassung. Die Rekonstruktion folgt dem (durch inquit angezeigten) wörtlichen Zitat in 4,34,4, das sich von der etwas freieren Wiedergabe in 4,34,1 in wenigen Einzelheiten unterscheidet: uxorem + suam; committit anstelle von commisit; qui dimissam a viro anstelle von qui a marito dimissam. 238 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch eine Rolle gespielt hat. Die Beobachtungen, die in diesem Zusammenhang diskutiert wurden, 46 sind daher für die weitere Fragestellung obsolet. Das gleiche gilt auch für die Schlussfolgerungen, die für das Verhältnis der mutmaßlichen »Q«-Fassung und Mk 10,11f gezogen wurden. 47 Da Mt einerseits die »Unzuchtsklausel« (παρεκτὸς λόγου πορνείας bzw. μὴ ἐπὶ πορνείᾳ) erkennbar eigenständig einfügt und ebenso sicher für die kausative Formulierung ποιεῖ αὐτὴν μοιχευθῆναι (Mt 5,32) verantwortlich ist, und da andererseits die partizipiale Fassung von Lk 16,18 erst auf die lk Redaktion zurückgeht, wird die große Ähnlichkeit zwischen *Ev und Mk deutlich: Der jeweilige Wortlaut lässt überhaupt keine redaktionellen Anzeichen erkennen, die sich für die Bestimmung der Bearbeitungsrichtung auswerten ließen. 48 Aus diesem Grund ist wieder der unterschiedliche Kontext zu berücksichtigen, in dem das Logion in *Ev und in Mk erscheint. Unter der Voraussetzung der *Ev- Priorität vor Mk hätte dieser das Logion im Zusammenhang von *16,16-31 vorgefunden, also als Teil einer Abhandlung, in der es durchweg um die positive Bewertung des Gesetzes und seine andauernde Geltung geht. Die unmittelbare Abfolge von *16,17 und *16,18 stellt daher ein Problem dar: Zu den »Häkchen der Worte des Herrn« gehört dann eben auch die Scheidungsregelung von Dtn 24,1-4, sodass die Kontextverbindung in *Ev an dieser Stelle einen Gegensatz konstituiert, der nicht ohne weiteres aufzulösen ist. Die Abfolge der Vv. *17 und *18 läge bestenfalls vor dem Hintergrund der Ehebruchsmetaphorik von Hos 2 nahe; dies ist denkbar, aber der Text lässt diesen Zusammenhang nicht einmal ansatzweise erkennen. Auch Tertullian hat einen solchen metaphorischen Zusammenhang nicht gesehen, obwohl er ihm durchaus gelegen gekommen wäre. An dieser Stelle bleibt also ein unlösbarer Widerspruch. Umgekehrt bieten Mk und Mt das Logion im Rahmen der Pharisäerfrage Mk 10,2-12 || Mt 19,3-9. Deren Stellung im Zusammenhang des mk Berichts über den »Weg« Jesu nach Jerusalem (Mk 8,27-10,52) ist einigermaßen überraschend. Denn in diesem Erzählabschnitt behandelt Mk ansonsten ausschließlich Fragen der Jüngerexistenz, zu der die Auseinandersetzung mit den Pharisäern nicht gut passt: Diese wollen Jesus aufs Glatteis führen (πειράζοντες αὐτόν) und fragen nach dem ______________________________ 46 Vgl. dazu G. S CHNEIDER , Jesu Wort über die Ehescheidung in der Überlieferung des Neuen Testaments, in: ders., Jesusüberlieferung und Christologie, Leiden u. a. 1992, 187-209. 47 Vgl. dazu F LEDERMANN , a. a. O. 172-174; R. L AUFEN , Die Doppelüberlieferungen der Logienquelle und des Markusevangeliums, Königstein/ Ts. 1980, 343-347. 48 L AUFEN , a. a. O. 347, setzt voraus, dass die partizipiale (lk) Fassung älter ist als der konditionale Relativsatz bei Mk (und Mt) und schließt daraus, dass die mk Fassung eine ältere »Q«-Fassung bearbeitet habe. Dagegen geht F LEDDERMANN , a. a. O. 173f, davon aus, dass die älteste Fassung »palästinische Verhältnisse« spiegele, nach denen nur der Mann das Recht zur Scheidung habe, wogegen die mk Fassung auch der Frau die Möglichkeit der Scheidung einräume und daher gegenüber der »Q«-Fassung sekundär sei. Ich halte beide Überlegungen für methodisch unzulässig: Selbst wenn die jeweiligen Implikationen zutreffen sollten (was fraglich ist), lässt sich daraus kein überlieferungsgeschichtliches Urteil ableiten. § 11: Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk 239 Erlaubtsein (εἰ ἔξεστιν) der Scheidung. Schon diese Einleitung »ist merkwürdig, weil für den Juden diese Frage durch Dt 24,1-4 hinreichend geklärt ist.« 49 Die feindselige Haltung der Fragesteller ist also evident, und deswegen würde man diese Perikope eher im Kontext der Jerusalemer Streitgespräche ab Mk 11,27 || Mt 21,23 erwarten. Der für die mk Komposition des Abschnitts Mk 8,27-10,52 charakteristische Aspekt der Jüngerbelehrung findet jedoch darin Ausdruck, dass der mk Jesus im Anschluss an das Streitgespräch mit den Pharisäern den Jüngern eine spezielle Belehrung über diesen Sachverhalt »im Haus« zuteilwerden lässt (Mk 10,10-12) und in diesem Kontext das Ehescheidungslogion mitteilt. Das Problem der ungewöhnlichen Stellung der Perikope würde sich also gut erklären, wenn Mk das Logion in *Ev vor den Jerusalemer Auseinandersetzungen ab *20,1ff vorgefunden hätte (nämlich in *16,18) und er die für sein redaktionelles Konzept typische Jüngerbelehrung (Mk 10,10-12) dadurch geschaffen hätte, dass er ihm eine öffentliche Szene (Mk 10,2-9) voranstellte. Dass Mk dafür als Gesprächspartner die Pharisäer (und nicht etwa die Schriftgelehrten) wählte, ergibt sich ebenfalls aus *Ev, denn hier ist die ganze Einheit *16,14-31 als Rede gegen die Pharisäer konzipiert. 50 Auch in inhaltlicher Hinsicht ist es plausibel, dass Mk 10,2-12 die Fassung in *Ev voraussetzt. Denn Mk lässt Jesus die Ausgangsfrage der Pharisäer ja nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten. Da die Pharisäer nach dem Erlaubtsein der Scheidung im Sinn einer gesetzlichen Regelung fragen, zielt die mk Komposition der Einheit von Anfang an auf das Problem der hermeneutischen Differenzierung der Geltung des Gesetzes: Es geht nicht um die Scheidung, sondern um die Geltung des Gesetzes. Die Kritik, dass die Regelung der Ehescheidung nur πρὸς τὴν σκληροκαρδίαν ὑμῶν erlassen worden sei, 51 greift die aus *Ev vorgegebene Rahmenthematik auf, entwickelt sie aber weiter, indem sie durch die (von Jesus freigelegte) Schöpfungsordnung eingeschränkt wird. Der mk Kontext löst also ein Problem, das überhaupt nur durch die widersprüchlich erscheinende Abfolge von *16,17 und *16,18 vorgegeben war und das Mt durch die Einfügung der Unzuchtsklausel (Mt 5,32; 19,9) noch weiter zu reduzieren bemüht ist. Unter der umgekehrten Annahme der Mk-Priorität vor *Ev müsste man annehmen, dass *Ev die hermeneutische Einschränkung der Geltung des Gesetzes durch die Schöpfungsordnung beseitigt hätte: Er hätte genau den Widerspruch geschaffen und durch die Komposition von *16,17f in aller Schärfe herausgestellt, für den die mk Komposition des Streitgesprächs bereits eine Lösung bietet. Da eine ______________________________ 49 S CHNEIDER , a. a. O. 198. 50 Der Gegensatz zu den Pharisäern in *16,14 ist durch Tertullian eindeutig gesichert (Tert. 4,33,2: irridebant denique pharisaei pecuniae cupidi …), s. die Rekonstr. z. St. 51 Vgl. zu diesem Topos K. B ERGER , Hartherzigkeit und Gottes Gesetz. Die Vorgeschichte des antijüdischen Vorwurfs in Mc 10,5, in: ders., Tradition und Offenbarung, Tübingen - Basel 2006, 1-43. 240 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch solche Ungeschicklichkeit nicht anzunehmen ist, begründet auch dieses Beispiel die *Ev-Priorität vor Mk. c. Die Warnung vor dem σκάνδαλον (*17,1f || Mk 9,42 || Mt 18,6f) Für die Warnung vor dem Anstoß gegenüber »einem dieser Kleinen« ist weniger deutlich, dass hier eine der sog. »Mk-Q-Doppelüberlieferungen« vorliegt, als dies in den vorangehenden Beispielen der Fall ist: Im Rahmen der Zwei-Quellentheorie bleibt strittig, ob es eine »Q«-Fassung des Logions überhaupt gab. 52 *17,1f Mk 9,42 Mt 18,7b.a.6 1 Εἶπεν δὲ πρὸς τοὺς μαθητὰς αὐτοῦ, ἀνένδεκτόν ἐστιν τοῦ 7b ἀνάγκη γὰρ ἐλθεῖν τὰ σκάνδαλα μὴ ἐλθεῖν, τὰ σκάνδαλα, πλὴν οὐαὶ ἐκεῖνῳ πλὴν οὐαὶ τῷ ἀνθρώπῳ δι’ οὗ τὸ σκάνδαλον ἔρχεται· δι’ οὗ τὸ σκάνδαλον ἔρχεται. 7a Οὐαὶ τῷ κόσμῳ ἀπὸ τῶν σκανδάλων· Καὶ ὃς ἂν σκανδαλίσῃ 6 Ὃς δ’ ἂν σκανδαλίσῃ ἕνα τῶν μικρῶν τούτων τῶν πιστευόντων εἰς ἐμέ, ἕνα τῶν μικρῶν τούτων τῶν πιστευόντων εἰς ἐμέ, 2 συμϕέρει αὐτῷ εἰ καλόν ἐστιν αὐτῷ μᾶλλον εἰ συμϕέρει αὐτῷ ἵνα μὴ γεννηθῇ ἢ λίθος μυλικὸς περιέκειτο περίκειται μύλος ὀνικὸς κρεμασθῇ μύλος ὀνικὸς περὶ τὸν τράχηλον αὐτοῦ περὶ τὸν τράχηλον αὐτοῦ περὶ τὸν τράχηλον αὐτοῦ καὶ ἐρρίπτετο καὶ βέβληται καὶ καταποντισθῇ εἰς τὴν θάλασσαν εἰς τὴν θάλασσαν. ἐν τῷ πελάγει τῆς θαλάσσης. ἢ ἵνα σκανδαλίσῃ ἕνα τούτων τῶν μικρῶν. Der im Rahmen der Zwei-Quellentheorie fragliche literarische Zusammenhang zwischen Mt 18,6 und Lk 17,2 ist durch die Verbindung mit dem Wehe-Ruf Mt 18,7 || Lk 17,1 allerdings sehr wahrscheinlich. Auffällig sind jedoch die mk-lk Gemeinsamkeiten gegen Mt, die sich bei näherem Zusehen als Gemeinsamkeiten ______________________________ 52 Häufig wird Mt 18,6 || Lk 17,2 nicht zum Bestand von »Q« gerechnet. Vgl. D. L ÜHRMANN , Die Redaktion der Logienquelle, Neukirchen-Vluyn 1969, 116; S. S CHULZ , Q. Die Spruchquelle der Evangelisten, Zürich 1972, 7-9; P. H OFFMANN , Studien zur Theologie der Logienquelle, Münster 2 1972, 5. Aus diesem Grund verzichtet R. Laufen darauf, das Logion unter den Beispielen für die Mk- Q-Doppelüberlieferungen zu behandeln (L AUFEN , a. a. O. 87). F R . N EIRYNCK , Recent Developments in the Study of Q, in: ders., Evangelica II, Leuven 1991, 409-464: 432, hält nur Lk 17,1b für einen Bestandteil von »Q« und schreibt Lk 17,2 komplett der lk Redaktion von Mk zu. § 11: Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk 241 von *Ev und Mk erweisen. 53 Für unsere Fragestellung nach der Bearbeitungsrichtung zwischen *Ev und Mk stellt sich dieses Problem anders dar, weil das Logion in der hier rekonstruierten Form durch Tertullian und Adamantius für *Ev bezeugt ist. Wiederum ist die jeweilige Stellung im Kontext aufschlussreicher als der Vergleich des Wortlauts in beiden Fassungen. *Ev enthielt die Warnung vor der Verführung »eines dieser Kleinen« als erstes einer Reihe von Einzellogien, die nach dem an die Pharisäer gerichteten Lazarusgleichnis (*16,19-31) gegenüber den Jüngern neue Themen anschneiden. Nur mit dem folgenden Logion über die Vergebungspflicht gegenüber dem Bruder (*17,3f) besteht ein gut nachvollziehbarer Zusammenhang, aber diese Einheit ist weder nach hinten noch gar nach vorne erkennbar sinnvoll in den Kontext eingebunden. 54 Immerhin ist für diese kleine Einheit (*17,1-4) der textsemantische Zusammenhang klar. Der Anstoß, der unweigerlich kommen wird (*17,1) und trotzdem zu vermeiden ist (*17,3a), besteht darin, dem Bruder, »der gegen dich sündigt«, die Vergebung zu verweigern, obwohl er Reue zeigt und Besserung verspricht (*17,4). Das Demonstrativum εἷς τῶν μικρῶν τ ο ύ τ ω ν *17,2 verweist kataphorisch auf ὁ ἀδελϕός σου *17,3b voraus: Er ist ein »Kleiner«, weil er sich »an dir versündigt«. Hier sind also ganz betont die Verhältnisse innerhalb derselben Gruppe im Blick. Im Unterschied dazu ist die Warnung vor dem Anstoßgeben bei Mk und Mt in eine längere Belehrung an die Jünger eingebettet, deren sachliche Zusammengehörigkeit auch durch die raum-zeitliche Einheit der Szene zum Ausdruck kommt (Mk 9,33-50). Mk 9,42 schließt dabei direkt an das vorangehende Wort über den »fremden Wundertäter« (9,39-41) an: Das Demonstrativpronomen (ἕνα τῶν μικρῶν τ ο ύ τ ω ν ) verweist anaphorisch auf den Wundertäter zurück und qualifiziert ihn als einen »dieser Kleinen«. Man versteht dann zweierlei: Zum einen ist der Wundertäter ein »Kleiner«, weil er nicht zu denjenigen gehört, die »mit uns nachfolgen«, 55 und darin ähnelt er dem Kind aus Mk 9,36f. Zum anderen wird der Versuch der Jünger, den fremden Jesusanhänger am Exorzismus zu hindern (Mk 9,38), mit der Verführung eines »dieser Kleinen« parallelisiert, ohne damit identisch sein zu können. Wenn also εἷς τῶν μικρῶν τούτων als gemeinsamer Referent für das Kind und den Wundertäter dient, versteht man τῶν πιστευόντων εἰς ἐμέ als präzisierenden Zusatz, der sinnvoll ist, weil die (an Alter, Körpergröße ______________________________ 53 Drei mk-lk Gemeinsamkeiten gegen Mt sind zu notieren: (1) περίκειται Mk || Lk ≠ κρεμασθῇ Mt (das lk Präsens geht allerdings auf Mk zurück; *Ev bietet Aor.). (2) εἰ Mk || Lk ≠ ἵνα Mt. (3) εἰς τὴν θάλασσαν Mk || Lk ≠ ἐν τῷ πελάγει τῆς θαλάσσης Mt. 54 Mit Bezug auf den Lk-Text bemerkt Wolter resignierend das Fehlen einer szenischen Einbettung dieser Jüngerrede: »Lukas macht sich nicht einmal mehr die Mühe, sie von der vorangegangenen Rede an die Pharisäer zeitlich und räumlich zu distanzieren« (W OLTER , Lk 564). 55 Mk 9,38 (D). Die handschriftliche Überlieferung ist disparat, die D-Lesart (ος ουκ ακολουθει μ ε θ η μ ω ν και εκωλυομεν αυτον) repräsentiert möglicherweise die vorkanonische *Mk-Fassung. 242 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch oder sozialem Ansehen) »Kleinen« nicht notwendig Angehörige derselben Gruppe sind. Diese Unterschiede haben dann zur Folge, dass auch das in *Ev und Mk gemeinsame Wort vom Mühlstein eine jeweils unterschiedliche semantische Funktion besitzt. *Ev drückt damit die Schwere des Gerichts über diejenigen aus, die einem ihrer geringen Brüder die Vergebung verweigern. Die für *Ev bezeugte Parallelisierung des Bildes vom Mühlstein durch »(es wäre besser,) er wäre nicht geboren« macht deutlich: Das Schicksal, das einen solchen treffen wird, ist schlimmer als tot bzw. überhaupt nicht geboren zu sein. Die Logien über die Selbstverstümmelung, die bei Mk mit dem Wort vom Mühlstein verbunden sind (Mk 9,43.45.47), basieren zunächst auf der gleichen Kontrastierung: Es ist besser, »verstümmelt in das Leben einzugehen« als mit allen Gliedern in der Hölle zu schmoren. Aber die darin implizierten Aufforderungen, sich von denjenigen Gliedern zu trennen (ἀπόκοψον/ ἔκβαλε), die Anlass zum Anstoß bieten, ist hier doch deutlich mehr gesagt als ein Vergleich zwischen Tod/ Nicht-Geborensein und den drohenden Höllenqualen. Denn der paränetische Aspekt bezieht sich dann auch auf den Umgang mit solchen Vergebungsverweigerern: Sie haben keinen Platz bei denen, die Jesus nachfolgen. Diese Unterschiede erweisen die mk Fassung gegenüber *Ev als sekundär. Dies wird noch deutlicher, wenn man den weiteren kompositorischen Rahmen in Mk 9,33-50 beachtet. Denn Mk hat hier aus verstreuten und gerade nicht direkt miteinander verbundenen Logien eine einheitliche Szene geschaffen und diese durch die Einleitungsnotizen in 9,33 und 10,1 auch deutlich von weiteren Kontext abgesetzt. Würde man den mk Kontext für ursprünglich, *Ev dagegen für sekundär halten, müsste man annehmen, dass *Ev einen Teil dieser Komposition (nämlich den Stoff von Mk 9,41-10,12) redaktionell getilgt und sie auf diese Weise zerstört hätte, was schon für sich genommen wenig Wahrscheinlichkeit hat. Darüber hinaus hätte *Ev aus diesem (ansonsten ausgelassenen) Zusammenhang aber zwei Einzellogien (Mk 9,42 || *17,2; Mk 9,50 || *14,34f) an anderer Stelle, ohne den jeweiligen Kontext und in anderer semantischer Verwendung rezipiert. Das ist nicht wahrscheinlich. Sehr viel näher liegt, dass Mk den ihm in *Ev vorliegenden Zusammenhang ergänzt und daraus eine in sich weitgehend stimmige Komposition geschaffen hat, die einen wichtigen ekklesiologischen Beitrag zum Thema »Präferenz der sozialen Niedrigkeit« leistet. Dieser Abschnitt wird kompositionell durch die zweite Leidensankündigung (Mk 9,30-32) eingeleitet, die ihn auch theologisch bestimmt. § 11: Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk 243 d. Methodische Folgerungen In methodischer Hinsicht eröffnen die hier erwähnten Beispiele für die »Mk-Q- Doppelüberlieferungen« wichtige Einsichten. Zunächst bestätigen sie die *Ev- Priorität vor Mk, die allerdings auch sonst durch den Vergleich kompositionskritischen Vergleich von *Ev und Mk deutlich geworden ist: *Ev hat nicht nur Lk als Quelle vorgelegen, sondern auch Mk. Die sog. »Mk-Q Overlaps«, die eine schwere methodische Beeinträchtigung für die Zwei-Quellentheorie darstellen, sind daher eine Folge der mk Redaktion seiner Quelle *Ev: Sie zeigen gerade in denjenigen Aspekten, in denen Mk und *Ev sich unterscheiden, die ordnende und planvoll gestaltende Hand von Mk. Dies gilt auch für andere »Mk-Q-Doppelüberlieferungen«, die hier nicht eigens besprochen sind. Vor allem der Vergleich der jeweiligen sprachlichen Gestalt hatte Harry Fleddermann dazu veranlasst, in den »Overlap«-Texten jeweils die mk Fassung gegenüber »Q« für sekundär zu halten und die Unterschiede zwischen beiden Fassungen auf mk Redaktion zurückzuführen. 56 Die Berücksichtigung der Kontextanalyse und die Beachtung kompositioneller Kriterien hat in diesen Beispielen die mk Redaktionstätigkeit bestätigt - mit dem entscheidenden Unterschied natürlich, dass der Vergleichstext für Mk nicht »Q« ist, sondern *Ev. Gleichwohl bleibt Fleddermanns Einsicht methodisch wichtig. Da er im Rahmen der Zwei-Quellentheorie operiert, rechnet er mit einer doppelten Abhängigkeit der Seitenreferenten (Mt; Lk) von ihrem Ausgangstext »Q«: Zum einen gibt es die direkte Rezeption von »Q« durch Mt und Lk in den Schritten ② und ③ , zum anderen die durch Mk vermittelte in den Relationen ④ und ⑤ . Das Diagramm, dessen Aussagekraft von Frans Neirynck durch die veränderte Darstellung noch hervorgehoben wurde, macht diesen doppelten Einfluss deutlich. - - - -- Q- - - - ---------Q- ---------- ①- Mk- - --------------- ② - - --- - ---------- ---------①- --------③ - ---- ④ ------ - - -- ③ - ------------ ----------------- ② --------------Mk-------------------- ----------------------- ⑤ --------------------------------------- - - -- ④------⑤ - Mt- - - - Lk- - -------------Mt- - ----------------Lk- Abb. 4: Die Synoptischen Relationen nach der Zwei-Quellentheorie unter Berücksichtigung der Abhängigkeit Mk von Q 57 Über die hier zu klärende Frage nach dem Bearbeitungsverhältnis zwischen *Ev und Mk hinaus hat die in diesem Diagramm sichtbar werdende doppelte Abhängigkeit ______________________________ 56 H. T. F LEDDERMANN , Mark and Q, Leuven 1995 (passim und die Zusammenfassung 209ff). 57 Das linke Diagramm nach F LEDDERMANN , a. a. O. 215, das rechte nach Neiryncks »Assessment« zu Fleddermanns Untersuchung (F R . N EIRYNCK , Mark and Q: Assessment, in: Fleddermann, a. a. O. 263-307: 300 = F R . N EIRYNCK , Evangelica III, 505-545: 542). 244 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch der Seitenreferenten von dem Ausgangstext der Überlieferung einige Konsequenzen, von denen nur drei kurz zu nennen sind. Zum ersten fällt die strukturelle Ähnlichkeit dieses überlieferungsgeschichtlichen Modells mit dem oben skizzierten ins Auge (s. S. 208): Die neutestamentliche Evangelienüberlieferung hat sich nicht aus zwei voneinander unabhängigen Überlieferungssträngen heraus entwickelt, sondern geht auf einen einheitlichen Ursprung zurück. Dass dieser eine gemeinsame Ursprung nicht in »Q«, sondern in *Ev zu finden ist, erhärtet dieses Urteil. Denn in diesem Fall wird eine zentrale Frage beantwortet, die in Fleddermanns Modell offenbleibt: Läge der Ursprung der Evangelienüberlieferung in »Q«, müsste man annehmen, dass die älteste Jesusüberlieferung ganz weitgehend ohne Erzählmaterial und vor allem ohne Passionstradition ausgekommen ist. Das hinter Fleddermanns Modell stehende Bild der Entwicklung der Jesustradition verläuft von einem weisheitlich-charismatischen Propheten hin zu einem Märtyrer, von der Sammlung seiner Worte hin zum Bericht über sein Schicksal. 58 Wenn dagegen der gemeinsame Ursprung nicht »Q«, sondern *Ev ist, trifft dieses Bild der frühesten Entwicklung nicht zu: Die älteste, schriftliche Jesusüberlieferung war nicht überwiegend durch (weitgehend selbständiges) Redematerial charakterisiert, sondern enthielt dieses von Anfang an eingebettet in den narrativen Rahmen einer biographischen Erzählung über Jesus. Diese Unterschiede sind hier nicht weiter auszuführen. Es ist aber leicht erkennbar, dass sie eine Reihe von Fragestellungen betreffen, die für die Rekonstruktion der frühesten Geschichte des Christentums von entscheidender Bedeutung sind, also etwa zur Entwicklung der frühesten Christologie oder zu den Trägern der frühen Jesusüberlieferung. Eine zweite Folge dieses Modells eines einheitlichen Ursprungs der Evangelienüberlieferung bezieht sich auf die historische Jesusforschung und die Einschätzung der Möglichkeit, im Gesamtbestand der Evangelien »authentische« Überlieferungen zu identifizieren. Will man den gemeinsamen Ursprung nicht einfach für »historisch« erklären, lässt sich die Identifizierung »authentischer« Traditionen jedenfalls nicht mehr mit überlieferungsgeschichtlichen Argumenten stützen. Für die Feststellung der Historizität bleiben also nur noch »innere« Kriterien. Da diese notwendigerweise immer zirkulär sind, unterliegt die Unterscheidung zwischen »authentischen« und »sekundären« Traditionen, aufs Ganze gesehen, einem methodischen non liquet. Die Suche nach verlässlichen Jesusüberlieferungen, die im ausgehenden 18. und im 19. Jh. die Evangelienforschung und ihre quellenkritischen Bemühungen motivierte, bleibt ohne ein methodisch valides Ergebnis. ______________________________ 58 Dieses Entwicklungsmodell wurde insbesondere seit den 1960er Jahren angeregt durch H. K OESTER , J. M. R OBINSON , Entwicklungslinien durch die Welt des frühen Christentums, Tübingen 1971. § 11: Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk 245 Eine dritte Einsicht zu dem gemeinsamen Ursprung der Evangelienüberlieferung bezieht sich auf das Zustandekommen der »Mk-Q Overlaps«. Denn für diese gilt auf der Ebene größerer redaktioneller Eingriffe das gleiche, was auch schon für die »Minor Agreements« auf der Ebene kleiner und kleinster Veränderungen zu beobachten war: Sie können auf zwei grundsätzlich verschiedene Weisen entstanden sein. Die oben besprochenen Beispiele (*14,34 || Mk 9,50; *16,18 || Mk 10,11f; *17,(1.)2 || Mk 9,42) gehen durchweg auf die redaktionellen Erweiterungen von *Ev durch Mk zurück. Die Entsprechungen dazu in Mt und Lk waren durchaus unterschiedlich, sodass, zumindest im Fall von *17,1f, die Zugehörigkeit des Logions zum Bestand von »Q« strittig ist (vgl. o. S. 240 Anm. 52). Aber es ist ebenso gut denkbar, dass solche »Mk-Q Overlaps« dadurch entstehen, dass Mt redaktionelle Änderungen an Mk vornimmt, denen Lk folgt: Im Unterschied zur Zwei-Quellentheorie, die aus methodischen Gründen prinzipiell auf die Unabhängigkeit von Mt und Lk setzen muss, ist für das vorgeschlagene Modell der Überlieferungsgeschichte eine solche Abhängigkeit ohne weiteres vorstellbar (s. u. § 12). 4. Die *Ev-Priorität vor Mk: Anfang und Ende des Evangeliums Ein letzter Bereich, in dem die Bearbeitungsrichtung von *Ev zu Mk deutlich wird, betrifft den kompositionellen Rahmen der jeweiligen Gesamterzählungen. Wie bereits im Verhältnis von *Ev und Lk, ist es auch für das Verhältnis von *Ev zu Mk besonders aufschlussreich, die jeweilige Gestaltung von Anfang und Ende der Erzählungen miteinander zu vergleichen. Dieser letzte Abschnitt soll die Bearbeitungsrichtung von *Ev zu Mk anhand der literarischen Konzepte der jeweiligen Gesamterzählung illustrieren. a. Der Anfang des Evangeliums in *Ev und Mk Der Beginn von *Ev ist vergleichsweise schlicht erzählt: Nach der Datierung lässt *Ev Jesus »nach Kapharnaum herabkommen« und schildert in der dortigen Synagoge seine Lehre »in Vollmacht« und einen ersten Exorzismus (*3,1a; *4,31-37). Die erste Aussage über die Identität Jesu ist dem Dämon in den Mund gelegt: »Ich weiß, wer du bist: Der Heilige Gottes« (*4,34). Nach *4,36f (möglicherweise in *Ev enthalten, s. dort) hat die Menge diese Identifikation gehört. Aber sie reagiert nicht auf das Bekenntnis des dämonischen Geistes, sondern auf den λόγος … ἐν ἐξουσίᾳ καὶ δυνάμει, der sie in Entsetzen stürzt. Auf diese Weise bleibt das Bekenntnis des Dämons die Grundlage der religiösen Qualifizierung Jesu in der weiteren Erzählung. Das dämonische Bekenntnis wird kontrastiert durch die folgende Erzählung von der Ablehnung Jesu in seiner Heimatstadt: Die Identifizierung Jesu durch die Synagogenbesucher (*4,22c: »Ist dieser nicht der Sohn Josephs? «) drückt erkennbar eine Distanzierung und unzureichende Qualifizierung aus. Aber wer Jesus wirklich 246 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch ist, sagen danach wieder die Dämonen: »Du bist der Sohn Gottes« (*4,41). Dass die zutreffende Identifizierung Jesu ausgerechnet im Mund der Dämonen begegnet, ist misslich. Zwar könnte man sich vorstellen, dass die Opposition zwischen den Dämonen mit der richtigen und den Menschen mit der falschen Identifizierung beabsichtigt ist. Dies ist jedoch nicht wahrscheinlich: Die Zeugen der Exorzismen in Kapharnaum bringen die Kranken und Besessenen zu ihm (*4,40) und bedrängen ihn später am See Genezareth, »um das Wort Gottes zu hören« (*5,1): Ihnen scheint unmittelbar einzuleuchten, dass Jesus die βασιλεία τοῦ θεοῦ zu verkündigen hat (*4,43). Im Unterschied zu den Nazarener Synagogenbesuchern hat die Menge das Urteil der Dämonen ohne weiteres übernommen. *Ev rechnet also von Anfang an mit dem Wissen der Leser, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und dass ihm daraus die Aufgabe der Verkündigung der Basileia zuwächst. Auffällig ist daran weniger, dass *Ev bei seinen Lesern zentrale Kenntnisse über Jesus voraussetzt, sondern vielmehr, dass er sich keine Mühe gibt, diese Kenntnisse in irgendeiner Weise narrativ einzubetten und zu plausibilisieren. Ganz im Unterschied dazu zeigt Mk gleich zu Beginn das Bemühen, das erste Auftreten Jesu in einen Rahmen zu stellen, der das entscheidende Wissen über Jesus auf nachvollziehbare Weise mitteilt. Die zentrale Funktion der Eingangssequenz Mk 1,1-15 ist schon lange gesehen und insbesondere im Zusammenhang der neueren literaturwissenschaftlichen Auslegungen gewürdigt worden. Die wesentlichen Elemente dieses Anfangs zur Steuerung des Leseverhaltens müssen hier nicht im Einzelnen erörtert werden; es genügt, sie kurz aufzuzählen. 1. Die Tatsache, dass Mk einen Titel trägt, ist aufschlussreich, und zwar unbeschadet der strittigen Frage, ob Mk 1,1 ein grammatikalisch autarkes incipit über dem Rest der Erzählung darstellt oder eine syntaktische Einheit mit 1,2ff darstellt und dann als Beginn (nur) dieser Einleitungssequenz über den Täufer fungiert. In jedem Fall zeigt Mk 1,1 ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, dass die Überschrift die Leseerwartungen kanalisiert und steuert. 2. Dass der Titel das Stichwort Evangelium enthält, ist von größter Bedeutung. Denn einerseits ist mit εὐαγγέλιον Mk 1,1 und 1,15 eine Klammer um die Eingangssequenz gelegt, die sie als Einheit konstituiert und von der weiteren Erzählung absetzt. Auf der anderen Seite zeigt diese Verwendung die unterschiedlichen semantischen Elemente von εὐαγγέλιον, zunächst als Kennzeichnung des narrativen Berichts über Jesus (Mk 1,1: Ἀρχὴ τοῦ εὐαγγελίου Ἰησοῦ Χριστοῦ), danach als Zusammenfassung seiner Verkündigung (1,15: πιστεύετε ἐν τῷ εὐαγγελίῳ). Die theologische Bedeutung dieser doppelten Perspektive, in der Jesus einmal als Verkündiger, einmal als Inhalt des εὐαγγέλιον erscheint, ist schon lange gesehen worden. Allerdings hat Mk εὐαγγέλιον nicht zum ersten Mal als Gattungsbezeichnung für den Bericht über Jesus verwendet: So weit wir sehen können, trug *Ev den Titel εὐαγγέλιον, offensichtlich ohne weitere Spezifizierung, wie sie Mk 1,1 vornimmt oder wie sie in dem sekundären Titel mit der § 11: Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk 247 Tradentenangabe sichtbar wird. 59 Die Bezeichnung Εὐαγγέλιον ist jedenfalls für *Ev als Teil der vorkanonischen Ausgabe Marcions neben dem Ἀποστολικόν gesichert: Alle Häresiologen erwähnen *Ev als »Evangelium«, und wenn sich etwa Tertullian über die Titellosigkeit von *Ev mokiert (Tert. 4,2,1ff), dann zielt er nur auf das Fehlen einer Verfasserangabe, wie sie die kanonischen Evangelien in ihren sekundären Zuschreibungen besitzen. Ansonsten ist immer klar, dass der Text, auf den sich die Häresiologen beziehen, einfach Εὐαγγέλιον heißt. Das bedeutet jedoch, dass Mk 1,1 auf den Titel von *Ev zurückgreift: Die doppelte Bedeutung von εὐαγγέλιον zum einen als Bezeichnung des Berichts über Jesus (also beinahe schon in der Funktion einer Gattungsbezeichnung) und als Kennzeichnung des Inhalts der Verkündigung Jesu (Gen. subj.) zum anderen ist also keine mk Erfindung, sondern geht schon auf *Ev zurück. Im Unterschied zu *Ev zeigt die mk Verwendung ein hohes Maß an theologischer Reflektion. 3. Dass dieses εὐαγγέλιον einen Anfang (ἀρχή) besitzt, der erzählt werden kann, ist ebenfalls aufschlussreich: Der betonte Hinweis auf den »Anfang« kennzeichnet das gleiche Bewusstsein für den geschichtlichen Ursprung des Evangeliums, den *Ev mit der Datierung *3,1a zum Ausdruck bringt. Aber während die Datierung in *Ev zusammen mit dem Hinweis auf das Auftreten Jesu in der Synagoge von Kapharnaum nur die raum-zeitliche Verortung der Erzählung absteckt, hat Mk das theologische Problem gesehen und gelöst, dass diese für die Geschichte des gesamten Kosmos so entscheidende Begebenheit, kontingent - irgendwann und irgendwo - passiert sein soll: Er stellt den »Anfang« des Evangeliums in den großen heilsgeschichtlichen Rahmen, der durch die Prophezeiung Mal 3,1; Jes 40,3 (LXX) aufgespannt ist, und erklärt auf diese Weise auch den Ort des Anfangs »in der Wüste«. Wie *Ev setzt Mk damit ein umfangreiches religiöses Wissen voraus, im Unterschied zu *Ev macht er aber diese textexternen Bezüge explizit. 4. Das Wissen um Johannes den Täufer in Mk 1,4.6.14 bezog Mk wohl aus *Ev: In *7,17b (s. dort) ist Johannes als »der Täufer« bezeichnet (ὁ βαπτιστής). Dass er von Herodes (eingekerkert und) enthauptet wurde (Mk 1,15; 6,14-29), konnte Mk aus *9,9 wissen. Was aber in *Ev nur allgemeine und unverbundene Andeutungen über Johannes sind, ist bei Mk zu einem kohärenten Bild verbunden. Dazu gehört vor allem der Bericht über die Tauftätigkeit, für die Mk in *Ev (abgesehen von dem Titel ὁ βαπτιστής) keinen Ansatzpunkt finden konnte. Wenn diese Information nicht auf allgemein zugängliches »Weltwissen« zurückgeht, konnte Mk davon etwa aus Josephus wissen, der nicht nur vom Ende des Täufers, sondern auch von seiner Tauftätigkeit (im Zusammenhang ihrer sündentilgenden Wirkung) berichtet. 60 5. Der mk Bericht über die Taufe Jesu stellt den Beginn des Evangeliums nicht nur in einen heilsgeschichtlich-historischen Rahmen, sondern gibt auch die Gelegenheit, Gott selbst die wahre ______________________________ 59 Die Titel der Evangelien in der Kanonischen Ausgabe (»Nach Markus« usw.) sind ausweislich ihrer einheitlichen, aber weithin unableitbaren Gestalt ([εὐαγγέλιον] κατὰ + n. pr.) ein wesentliches Merkmal der Kanonischen Redaktion und daher ein wichtiges Element des kanonischen Neuen Testaments, s. D. T ROBISCH , Die Endredaktion des Neuen Testaments, Fribourg - Göttingen 1996, 59-61. Zum Problem s. auch u. § 14.5. 60 Jos., Ant. XVIII 116-119. Johannes habe die Juden aufgefordert, sich »einer Taufe anzuschließen« (βαπτισμῷ συνιέναι; a. a. O. 117). Wenn Josephus ausdrücklich festhält, dass diese βάπτισις »nicht zur Beseitigung irgendwelcher Sünden« (μὴ ἐπί τινων ἁμαρτάδων παραιτήσει) gedient habe, sondern zur Heiligung des Körpers, dann ist dies vermutlich seine interpretatio Romana genau dieser Funktion der Taufe: Ant. XVIII 117 stellt keinen Widerspruch zu Mk 1,4 dar. Zu der in diesem Fall vorausgesetzten Datierung des Mk s. u. § 15. 248 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Identität Jesu als »mein geliebter Sohn« kundtun zu lassen (Mk 1,11). Im Vergleich zu der Identifizierung Jesu durch die Dämonen am Anfang von *Ev ist dies eine sehr gekonnte Weiterentwicklung. Sie bereitet die Zusammenfassung der Botschaft Jesu vor, nachdem dieser seine Sohnschaft dadurch unter Beweis gestellt hat, dass er in der Wüste den Versuchungen des Satan widerstanden hatte (Mk 1,12f). Diese Zusammenfassung greift das Titelstichwort εὐαγγέλιον gleich doppelt auf und macht damit deutlich: Das Evangelium, dessen Anfang hier erzählt wird, ist das Evangelium Gottes (1,14), sein entscheidender Inhalt ist die Erfüllung der Zeit(en) und die Nähe der βασιλεία τοῦ θεοῦ. 6. Dass Jesus der Sohn Gottes ist, als den ihn die Himmelsstimme identifiziert hat, ist dann offensichtlich auch in den Titel eingedrungen: Ἀρχὴ τοῦ εὐαγγελίου Ἰησοῦ Χριστοῦ υ ἱ ο ῦ θ ε ο ῦ . An dieser Stelle ist auf den schon mehrfach vermerkten Umstand hinzuweisen, dass der Bearbeitungsschritt der Kanonischen Redaktion nicht nur zwischen *Ev und Lk liegt, sondern auch zwischen dem vorkanonischen *Mk und dem kanonischen Mk. In diesem Fall ist die v. l. ohne die Erwähnung der Gottessohnschaft (vielleicht sogar: ohne den Namen Ἰησοῦ Χριστοῦ) 61 mit großer Wahrscheinlichkeit die vorkanonische Fassung in *Mk. Wenn das zutrifft, hätte erst die kanonische Redaktion die etwas überladene Folge der Genitive durch den Zusatz von ( Ἰησοῦ Χριστοῦ) υἱοῦ θεοῦ geschaffen. Diese Beobachtungen sind allesamt nicht neu. Im Zusammenhang der Frage nach der Bearbeitungsrichtung erhalten sie jedoch Gewicht, weil sie deutlich machen, in welchen Redaktionsschritten diese theologisch zentrale Erzähleinheit geschaffen wurde. Dass sie eine entscheidende Funktion für die Gesamtanlage von Mk 1,1- 16,8 besitzt, ist ebenfalls verschiedentlich aufgezeigt worden und muss hier nicht wiederholt werden. 62 b. Das Ende des Evangeliums in *Ev und Mk Zusammen mit dem Anfang liegt der wichtigste Schlüssel für das literarische Konzept der beiden Evangelien in der literarischen Gestaltung ihres Endes. Die unterschiedlichen narrativen Lösungen für das Ende von *Ev und Mk sind ein wichtiger Indikator ihrer jeweiligen Geschlossenheit und erlauben daher Schlussfolgerungen für die Bearbeitungsrichtung. Das Ende von *Ev ist in mancher Hinsicht recht uneinheitlich: Am Ostermorgen haben die Frauen das Grab leer gefunden, dafür die Engelbotschaft von der Auferstehung gehört, die sie den Jüngern weitererzählen, ohne jedoch Glauben zu finden (*24,1-11). Anschließend erzählt *Ev von der Begegnung des Auferstandenen mit den beiden Jüngern Emmaus und Kleopas (*24,13-35; s. dort). 63 Nach der Erscheinung vor den Zwölfen (*24,36-43) führt der Jesus in *Ev die Jünger nach Bethanien. Er segnet sie, sendet sie aus und beauftragt sie »allen Völkern zu ______________________________ 61 υιου θεου: om א * Θ 28 ℓ 2211 pc sa ms Orig ¦ Ιησου Χριστου υιου θεου: om Iren Epiph. 62 Vgl. VAN I ERSEL , Mark 88-108; C. H. G IBLIN , The Beginning of the Ongoing Gospel (Mk 1,2-16,8), in: Fr. Van Segbroeck et al. (eds.), The Four Gospels II, Leuven 1992, 975-985. 63 Zu den Namen und zum Profil der Erzählung in *Ev s. die Rekonstruktion. § 11: Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk 249 verkündigen«; danach geht er fort, die Jünger kehren zurück nach Jerusalem und loben Gott (*24,50-53). An diesem Erzählzusammenhang stimmt wenig zusammen: Seine Kohärenz ist lückenhaft. Nachvollziehbar ist, dass die Jünger der Botschaft der Frauen nicht glauben (*24,11). Der Bericht, den die beiden Jünger auf dem Weg Jesus geben, bezieht sich auf diese Episode (*24,23). Aber obwohl die beiden den Auferstandenen am Ende erkennen, beziehen sie diese Einsicht nicht auf den Unglauben gegenüber der Botschaft der Frauen, sondern darauf, dass ihr Herz auf dem Weg verdeckt war (*24,32): Dass die Erscheinung des Auferstandenen vor den beiden auch die Frauen ins Recht gesetzt hat, muss sich der Leser selbst ausdenken. Ähnliches gilt auch für die Zwölf, die in Jerusalem geblieben sind. Sie hören den Erscheinungsbericht von Emmaus und Kleopas (*24,34f), 64 gelangen aber selbst dann nicht zum Glauben, als der Auferstandene mitten unter sie tritt und ihnen seine Hände und Füße zeigt (*24,39). Obwohl der Auferstandene als Reaktion auf den bleibenden Unglauben (*24,41: ἔτι δὲ ἀπιστούντων αὐτῶν) vor ihren Augen etwas isst, wird nie erzählt, dass die Jünger zum Glauben kommen: Das müssen die Leser selbst erschließen. Auch die Sendung der Apostel »zu allen Völkern« produziert einen Mangel an narrativer Kohärenz: Die Jünger gehen gar nicht, wie ihnen aufgetragen ist, zu allen Völkern, sondern kehren nach Jerusalem zurück und loben dort Gott »allezeit« (*24,52f). Keine dieser narrativen Inkonsistenzen schafft unlösbare Widersprüche: Jeder Leser kann sich ohne große Schwierigkeiten vorstellen, dass und wie die beiden Jünger angesichts ihrer Erkenntnis des Auferstandenen beim Mahl zum Glauben kommen. Auch der bleibende Unglaube der Jerusalemer Apostel lässt sich problemlos als ungläubiges Staunen vor lauter Freude - und darin eben doch: als Glauben - verstehen. Noch nicht einmal bei der narrativ nicht eingelösten Aussendung der Apostel wird die Phantasie der Leser überfordert, wenn sie sich vorstellen, dass die Jünger dann doch irgendwann nach der erzählten Zeit von Jerusalem »zu allen Völkern« aufgebrochen sind und ihren Auftrag erfüllt haben. Aber all das wird nicht erzählt. *Ev hat sich keine große Mühe gegeben, dem Ende seiner Erzählung eine kohärente Textur zu verleihen, obwohl dies ohne weiteres möglich gewesen wäre. Das einzige Kohärenzsignal ist die lapidare Bemerkung, dass Jesus von den Jüngern wegging (*24,51: ἀπέστη ἀπ’ αὐτῶν). In ihrer Schlichtheit entspricht diese Bemerkung der Eingangswendung (*3,1a; 4,16): So unspektakulär, wie Jesus in die Erzählung eingeführt wird, indem er am Anfang »nach Kapharnaum hinab kommt« und dann einfach da ist, so lapidar vermerkt der Schluss, dass er weggeht und dann einfach fort ist. Dagegen hat Mk das Ende seiner Erzählung bekanntlich sehr viel enger gestrickt und reflektierter gestaltet. 65 Die Episode von der Auffindung des leeren Grabes mit dem Auftrag des Jünglings an die Frauen endet zwar abrupt, aber nicht unüberlegt. ______________________________ 64 *24,34f hatte in *Ev eine dezidiert andere Gestalt als in Lk, weil der Bericht der Jerusalemer Jünger über die Erscheinung vor Petrus gefehlt hat; s. dort. 65 Vgl. dazu VAN I ERSEL , Mark 492-506; D. H. J UEL , A Master of Surprise, Minneapolis 1994, 115ff. 250 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Denn der Jüngling wiederholt erkennbar genau das, was Jesus selbst zuvor den Jüngern verheißen hatte (Mk 14,28): Nach seiner Auferstehung werde er ihnen in 66 Galiläa vorangehen. Die Wiederholung der Verheißung Jesu durch den Jüngling am Grab ist beabsichtigt, wie der ausdrückliche Hinweis zeigt (16,7: καθὼς εἶπεν ὑμῖν). Obwohl die Frauen die ihnen aufgetragene Botschaft nicht ausrichten, fehlt den erzählten Jüngern keine Information: Dass Jesus ihnen vorangehen werde, wussten sie schon zuvor, denn sie hatten ja allen Grund, den Verheißungen Jesu zu trauen. Die Wiederholung des Hinweises, dass Jesus den Jüngern in Galiläa vorangehen werde, zielt daher auch nicht auf die erzählten Jünger, sondern auf die impliziten Leser, die sich hier als die μαθηταί Jesu angesprochen fühlen sollen. Wenn Jesus ihnen »vorangeht« (προάγειν), heißt das, dass sie hinter ihm hergehen: Die im Auftrag des Jünglings intendierten Jünger sollen also genau das tun, was zuvor Simon und Andreas (Mk 1,18), die Zebedaiden (1,20), 67 Levi (2,14) und andere getan hatten: Jesus »nachfolgen« (ἀκολουθεῖν). Was sich auf der Ebene der Akteure der Erzählung als Wiederholung darstellt, ist in Wahrheit eine Verheißung an die Leser: Wenn sie sich in die Schuhe der erzählten Jünger stellen und hinter Jesus hergehen, werden sie »ihn sehen«. Die Verortung dieses Geschehens »in Galiläa« weist sie zurück auf den Anfang der Erzählung (1,14: ἦλθεν ὁ Ἰησοῦς εἰς τὴν Γαλιλαίαν): Die impliziten Leser sollen sich (genau wie die erzählten Jünger) als Jesu »Nachfolger« verstehen und Schritt für Schritt den literarisch vorgezeichneten Weg von Galiläa nach Jerusalem zurücklegen, den die erzählten Jünger gegangen sind und der ja über weite Strecken deren Erkenntnisfortschritt abgebildet hat (s. o.). Wenn dies geschieht, werden die Leser Jesus so sehen, wie ihn die Jünger der Erzählung gesehen haben, und dann werden die Leser-Jünger verstehen, wie die Jünger der Erzählung zum Verstehen gelangt sind. Das Ende der mk Erzählung bezieht sich daher nicht nur auf den Anfang in Galiläa zurück, sondern erweist sich durch die auktorialen Aufforderungen zum »Verstehen« (6,52; 13,14; im Mund Jesu: 8,17-21) als ein integraler Teil des literarischen Konzeptes. Dieses Konzept ist anspruchsvoll und setzt zwingend eine Mehrfachlektüre voraus, wenn die symbolischen Konnotationen denn vollständig entschlüsselt werden sollen. 68 Zur Umsetzung dieses Konzeptes musste Mk jedoch das Ende von *Ev neu fassen. Er konnte die Erscheinungsberichte aus *Ev gar nicht übernehmen, wenn er sein ______________________________ 66 Zur syntaktischen Verwendung von εἰς anstelle von ἐν s. BDR § 205 (vgl. z. B. Mk 10,10: εἰς τὴν οἰκίαν … ἐπηρώτων αὐτόν); zum vorliegenden Problem s. B. M. F. VAN I ERSEL , »To Galilee« or »in Galilee« in Mark 14,28 and 16,7? , ETL 58 (1982), 365-370. 67 Zu Mk 1,20 vgl. die v. l. ἠκολούθησαν αὐτῷ: D W 1424 it vg, die hier (wie andernorts häufig) den vorkanonischen Text in *Mk repräsentiert. Die Lesart des Mehrheitstextes (ἀπῆλθον ὀπίσω αὐτοῦ) vermeidet die Wiederholung gegenüber 1,18. 68 Vgl. M. K LINGHARDT , Erlesenes Verstehen. Leserlenkung und implizites Lesen in den Evangelien, ZNT 21 (2008), 27-37. § 11: Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk 251 literarisches Konzept nicht unterlaufen und sein eigenes textpragmatisches Ziel nicht verfehlen wollte: Die Aufforderung an die impliziten Leser, den Weg der erzählten Jünger zu wiederholen und sich auf diese Weise deren Erkenntnisfortschritt anzueignen. Dieses Verständnis des Mk-Schlusses eröffnet eine Reihe von Einsichten, von denen hier nur zwei zu nennen sind. Zum ersten wird auf diese Weise verständlich, wie es zur Ausbildung von Erscheinungstraditionen in Jerusalem (*24,36ff; Joh 20,11-29; Lk 24,34.36ff) und in Galiläa (Mt 28,9f.16-20; Joh 21) kommen konnte. Überlieferungsgeschichtlich ist die Lokalisierung der Erscheinungen in Jerusalem älter als die in Galiläa: Die Jerusalemer Erscheinungstradition stand schon im vorkanonischen Evangelium. Die galiläische Erscheinungstradition geht dagegen auf die *mk Redaktion von *Ev zurück: *Mk kannte die Darstellung der Jerusalemer Erscheinungen Jesu aus *Ev, hat sie aber aus den genannten kompositionellen Gründen unterschlagen. Sein Hinweis, dass Jesus den Jüngern in Galiläa vorangehen werde und sie ihn dort sehen würden (Mk 16,7: ἐ κ ε ῖ αὐτὸν ὄψεσθε), war jedoch weder als Ersatz für die Jerusalemer Erscheinungen gedacht noch als autorisierende Begründung eines galiläischen Christentums. Die Verheißung Mk 16,7 zielt vielmehr auf die literarische Imagination der impliziten Leser, nicht jedoch auf die »Erscheinung« des Auferstandenen im Sinn einer »historischen« Christophanie vor den Jüngern. Die Verheißung Mk 14,28; 16,7 kann daher auch nicht als Ankündigung einer Autorisierung der Visionsempfänger verstanden werden. Daneben wird jedoch auch erkennbar, dass der sog. »Lange Markusschluss« (Mk 16,9-20) sehr wahrscheinlich erst durch die kanonische Redaktion geschaffen wurde. 69 Das uneinheitliche Bild der Handschriftenüberlieferung ist bekannt und muss hier ebenso wenig dargestellt werden wie die zahlreichen Einzelelemente des »Langen Schlusses«, die als gezielte Querverweise in andere Texte und Teilsammlungen der Kanonischen Ausgabe wesentliche Kohärenzsignale setzen. 70 Die hier angestellten Überlegungen zur Überlieferungsgeschichte der Evangelien und zur Geschichte der kanonischen Textüberlieferung zeigen jedoch, auf welche Weise diese Uneinheitlichkeit entstanden ist: Der »lange Markusschluss« ist ein redaktionelles Element der Kanonischen Ausgabe und gehört daher auf dieselbe Ebene wie die lk Redaktion von *Ev. Dass sich auch Handschriften erhalten haben, ______________________________ 69 Vgl. dazu ausführlicher u. S. 341ff. 70 Vgl. K. A LAND , Der wiedergefundene Markusschluß? Eine methodologische Bemerkung zur textkritischen Arbeit, ZThK 67 (1970), 3-13; DERS ., Der Schluß des Markusevangeliums, in: M. Sabbe (ed.), L’Évangile selon Marc, Gembloux 2 1988, 435-470. 573-575. Zur Redaktion des kanonischen Schlusses vgl. J. A. K ELHOFFER , Miracle and Mission, Tübingen 2000. 252 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch die diesen Schluss nicht enthalten, 71 wird vor dem Hintergrund des oben (§ 5) zu den Interferenzen zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Handschriftenüberlieferung Ausgeführten verständlich: Das Verhältnis zwischen dem vorkanonischen *Mk (*1,1-16,8) und dem kanonischen Mk (1,1-16,20) entspricht recht genau dem Verhältnis zwischen *Ev und Lk. Das bedeutet, dass der Text, der zu Recht in eine Ausgabe des (kanonischen) »Neuen Testaments« gehört, der »lange« Mk-Text bis 16,20 ist, wogegen *Mk 16,8 das Ende des vorkanonischen Evangeliums darstellt, das sicher noch nicht die Überschrift »Evangelium nach Markus« trug. Mit der redaktionellen Anfügung von Mk 16,9-20 hat die kanonische Redaktion das ursprüngliche literarische Konzept von *Mk allerdings verdeckt. ______________________________ 71 Es sind vor allem א B 304; zu den weiteren Zeugen (Versionen und patristische Zeugnisse) s. u. § 14.2, S. 341f. § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 1. Methodische Grundfragen Wenn *Ev die einzige oder doch wenigstens die eine grundlegende Quelle von Mk (genauer: des vorkanonischen *Mk-Evangeliums) war, ist neben den beiden Hauptrelationen ① zwischen *Ev und Lk sowie ② zwischen Mk und Mt ein weiterer Bearbeitungsschritt der synoptischen Überlieferung gesichert: Die mk Rezeption und Bearbeitung von *Ev ③ konstituiert eine erste Verbindung zwischen den beiden grundlegenden Hauptrelationen *Ev - Lk und Mk - Mt, durch welche zumindest ein Teil der engen Entsprechungen zwischen den drei synoptischen Evangelien erklärbar wird: - -- ----------*Ev-- - - - - ------------------------③--- --- - - -- - -- ---------Mk- ----------------------------------- ①---------------------- ---------- -- - ---- - - - --------------②- - - ------------ - - - - ----- - - -- - - - - - - -- ------------Lk- --------- - ---------Mt- Abb. 5: Die *Ev-Priorität vor Mk im Rahmen der synoptischen Beziehungen Was dieses einfache Modell nicht leistet, ist die Erklärung der mt-lk Übereinstimmungen gegen Mk, also im Wesentlichen das Material, das in der Zwei-Quellentheorie als »Q«-Stoff erscheint, aber auch etwa die »Minor Agreements«. Es muss also weitere Verbindungen zwischen den beiden Hauptrelationen ① und ② geben, die eine mindestens teilweise von Mk unabhängige Beziehung zwischen Mt und Lk konstituieren. *Ev-------------- --- - - - - - -③--- --- - - -------------④ - - - Mk- ---------- - --------------①---------------------- ---------- -- - ---- - - - - ----②- - - ---------- - ----------⑧- - - - - - ----- - - Mt- -- - - - - - --⑤- - -- - --Lk- --------- Abb. 6: Die Beziehungen zwischen *Ev, Mt und Lk im Rahmen der *Ev-Priorität 254 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Diese zusätzlichen Berührungen sind am einfachsten entlang der Bearbeitungslinien ④ von *Ev zu Mt und ⑤ von Mt zu Lk vorstellbar. Bei dem durch diese beiden Relationen angezeigten Material handelt es sich um Überlieferungen, die Mt und Lk über Mk hinaus gemeinsam haben. Im methodischen Rahmen der Zwei- Quellentheorie konstituiert dieses Material die sog. mt-lk Doppelüberlieferungen der Logienquelle »Q«, auf die Mt und Lk jeweils unabhängig voneinander und ergänzend zu ihrer jeweiligen Mk-Rezeption zurückgegriffen haben würden. Die methodischen Anforderungen an eine valide Erklärung dieser mt-lk Doppelüberlieferungen unter Berücksichtigung von *Ev sind bereits genannt (vgl. § 10.1): Sie muss in der Lage sein, das Phänomen der alternierenden Ursprünglichkeit zu erklären, mit der dieses Material einmal bei Mt, einmal bei Lk erscheint. Mit Blick auf das Material der Dreifachüberlieferung muss die Zuordnung von Mt- und Lk- Evangelium darüber hinaus erkennen lassen, auf welche Weise die für die Zwei- Quellentheorie so problematischen (mt-lk) »Minor Agreements« zustande kommen. Das hier vorgeschlagene Modell der *Ev-Priorität verteilt dieses Material dagegen auf zwei sukzessive Überlieferungsschritte und schlägt sie einmal der mt Redaktion von *Ev, das andere Mal der lk Redaktion von Mt zu. Die Nachvollziehbarkeit dieser beiden Schritte setzt jeweils die Unterscheidbarkeit zwischen dem für *Ev rekonstruierten Evangelium und dem kanonischen Lk voraus: Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und Mt gegen Lk in diesem Material der Doppelüberlieferungen zeigen daher die getreue Rezeption des älteren Materials aus *Ev durch Mt an, während Lk dieses Material redaktionell verändert hat. Umgekehrt sind Übereinstimmungen an diesem Material zwischen Mt und Lk gegen *Ev durch die lk Rezeption von mt Veränderungen an *Ev zu erklären. Die Begründung für dieses Modell muss also in erster Linie die Mittelstellung von Mt zwischen *Ev und Lk deutlich machen: Hier liegt der wesentliche Fortschritt des Modells der *Ev- Priorität gegenüber dem reinen Benutzungsmodell »Markan Priority without Q« (Farrer, Goulder u. a.), das mit der einfachen Abhängigkeit des Lk von (Mk und) Mt rechnet. Die Erklärung dieser beiden Bearbeitungsschritte ④ und ⑤ kann knapp ausfallen und sich auf eine grobe Skizze beschränken. Denn die meisten relevanten Beobachtungen sind im Rahmen der Zwei-Quellentheorie schon lange notiert, auch wenn sie häufig unterschiedlich beurteilt wurden: Diese Ambivalenz lässt sich durch die Einzeichnung von *Ev in das Gesamtbild - genauer: durch die Unterscheidung zwischen dem (vor-mt) *Ev und dem (nach-mt) Lk - fast durchweg beseitigen. Die Aufgabe beschränkt sich daher auf die Illustration der beiden Bearbeitungsrelationen ④ und ⑤ anhand ausgewählter Beispiele. Da es dabei um die Unterscheidbarkeit der einzelnen Bearbeitungsschritte geht, kommt vor allem solches Material der mt-lk Doppelüberlieferung in Betracht, für das sich diese Unterschiede § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 255 zeigen lassen. Dieser Nachweis ist auf drei verschiedenen Ebenen zu führen. Auf der untersten Ebene der kleinen und kleinsten Einheiten sind die sog. »Minor Agreements« in das Modell einzuzeichnen (2.). Da das Modell mit einer Abhängigkeit des Lk von Mt rechnet, stellen diese mt-lk Übereinstimmungen gegen Mk zwar kein grundsätzliches Problem dar, aber mit Blick auf die Bedeutung dieses Phänomens im Rahmen der Zwei-Quellentheorie ist eine knappe Behandlung angezeigt. Daneben soll die Plausibilität der mt »Mittelstellung« zwischen *Ev und Mk auf der einen Seite und Lk auf der anderen anhand der redaktionellen Bearbeitung von Einzelversen bzw. -perikopen gezeigt werden (3.). Dieses Feld, das in der Vergangenheit am intensivsten für den synoptischen Vergleich bearbeitet wurde, soll anhand des prominentesten Beispiels untersucht werden: Der Komposition der Bergpredigt. Allerdings erstrecken sich die Einsichten dieses überlieferungsgeschichtlichen Modells auch auf Texte, die bisher so gut wie gar nicht in den Blick gekommen sind, weil sie sich dem Modell der Zwei-Quellentheorie zu entziehen scheinen, nämlich die sog. »Kindheitsgeschichten« (4.). Anhand von Mt 1f und Lk 1f ist also zu untersuchen, ob sich die angenommene lk Abhängigkeit von Mt entlang der Bearbeitungsrelation ⑤ auch jenseits des klassischen »Q«-Materials plausibel machen lässt. 2. Die mt-lk »Minor Agreements« Die sog. mt-lk »Minor Agreements« im Material der Dreifachüberlieferung sind an dieser Stelle zu behandeln, weil sie eine literarische Beziehung zwischen Mt und Lk konstituieren, die nicht über Mk vermittelt ist. In dem hier vorgeschlagenen Modell können diese Übereinstimmungen auf zweierlei Weise entstanden sein: (a) Mt und Lk können gegen Mk übereinstimmen, wenn beide ihren Prätext *Ev unverändert übernommen haben (also in den Bearbeitungsrelationen- ① - zwischen *Ev und Lk bzw.- ④ zwischen *Ev und Mt), während Mk in der Bearbeitungsrelation- ③- Änderungen an *Ev vorgenommen hat. (b) Das gleiche Ergebnis der mt-lk Übereinstimmungen gegen Mk wird aber auch erzielt, wenn Mt in der Bearbeitungsrelation ② den mk Text geändert hat, Lk aber in seiner Mt-Rezeption ⑤ von diesem und nicht von *Ev ① oder von Mk ⑧ abhängig ist. Beide Phänomene zusammen konstituieren die »Mittelstellung« des Mt zwischen Mk und Lk, und für beide gibt es Beispiele. a. Mt und Lk rezipieren *Ev unverändert, Mk ändert *Ev: *Ev || Mt || Lk ≠ Mk *5,12-14: Die Perikope von der Heilung des Leprösen enthält eine ganze Reihe von »Minor Agreements«, 1 von denen zwei auch für *Ev bezeugt sind. Tertullian hat in *5,12 ganz offensichtlich ______________________________ 1 Vgl. dazu F R . N EIRYNCK , The Minor Agreements of Matthew and Luke Against Mark with a Cumulative List, Leuven 1974, 64ff; DERS ., The Minor Agreements in a Horizontal-Line Synopsis, Leuven 1991, 17f; A. E NNULAT , Die »minor agreements«, Tübingen 1994, 50-58. 256 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch die Anrede κύριε gelesen. 2 Diese Anrede findet sich auch in Mt 8,2b (λέγων, κύριε, ἐὰν θέλῃς …), nicht aber in Mk 1,40 (λέγων αὐτῷ ὅτι ᾿Εὰν θέλῃς …). Dass Mt und Lk *Ev rezipieren, während Mk redaktionelle Änderungen vollzieht, ist auch *5,13a || Mt 8,3a ≠ Mk 1,41 zu beobachten: Lk hat wie Mt die Wortfolge ἐκτείνας τὴν χεῖρα ἥψατο α ὐ τ ο ῦ aus *Ev übernommen. Mk 1,41 ἐκτείνας τὴν χεῖρα α ὐ τ ο ῦ ἥψατο stellt demgegenüber um: Hier ist das Pronomen αὐτοῦ Attribut zum Objekt: Er streckte seine Hand aus. Bei Mt und Lk ist das Pronomen das Objekt zum Prädikat: Er berührte ihn. Dieses Verständnis ist bereits für *Ev sichergestellt, dessen Text Tertullian zusammenfasst (4,9,4: tetigit leprosum). *8,20f: In der kurzen Perikope von Jesu Mutter und Brüdern stimmen Mt 12,47 ἑστήκασιν ἔξω || Lk 8,20 gegen Mk 3,32 überein, der für diese Formulierung keine Entsprechung bietet. 3 Der mt-lk Wortlaut ist durch Tertullian schon für *Ev sichergestellt. 4 Dieses Beispiel ist für die fragliche »Mittelstellung« des Mt zwischen Mk und Lk aufschlussreich. Denn Mt folgt, wie auch sonst durchweg, in erster Linie seiner mk Vorlage, wie hier insbesondere die rhetorische Frage Mk 3,33 || Mt 12,48b oder die Entsprechung von Mk 3,34 || Mt 12,49 ÷ Lk 8,21 zeigt. In der Exposition hat Mt den Hinweis, dass die Mutter und Brüder Jesu »draußen standen«, von Mk übernommen. Aber anders als Mk, der in 3,32 die Wiederholung dieser Formulierung umgeht (Mk 3,32: nur ἔξω), hat Mt 12,47 sie aus *8,20 übernommen und dadurch eine unschöne Doppelung geschaffen (Mt 12,46f: εἱστήκεισαν ἔξω … ἔξω ἑστήκασιν). In diesem Fall lässt sich gut erklären, warum Mk 3,31 diese Bemerkung gegen seine Quelle *Ev in die Exposition gezogen hat: Er ist in besonderer Weise an dem Gegensatz von Außen und Innen interessiert, den er auch an anderer Stelle kompositionell ausgestaltet. 5 Die redaktionelle Änderung von Mk 3,31 gegenüber *Ev lässt sich also kompositionskritisch begründen. Die unschöne Doppelung, die Mt 12,46f geschaffen hat, geht dagegen möglicherweise erst auf die Kanonische Ausgabe zurück: Es ist gut möglich, dass Mt 12,47 im vorkanonischen *Mt nicht enthalten war. 6 *8,24: Die Erzählung von der Stillung des Sturms Mk 4,35-41 || Mt 8,23-27 || Lk 8,22-25 enthält eine lange Reihe von mt-lk Übereinstimmungen gegen Mk, die es mehr als unwahrscheinlich machen, dass Mt und Lk ihren mk Prätext unabhängig voneinander geändert haben sollten. Eine Erklärung für diesen Befund stellt die Deuteromarkus-Hypothese dar. 7 Aber die wenigen für *Ev bezeugten Beispiele zeigen, dass die mt-lk Übereinstimmungen auf die gemeinsame Quelle *Ev zurückgehen: Mk 4,39 ἐπετίμησεν τῷ ἀνέμῳ κ α ὶ ε ἶ π ε ν τῇ θαλάσσῃ ≠ Mt 8,26 ἐπετίμησεν τοῖς ἀνέμοις καὶ τῇ θαλάσσῃ || Lk 8,24 ἐπετίμησεν τῷ ἀνέμῳ καὶ τῷ κλύδωνι [τοῦ ὕδατος]. ______________________________ 2 Tert. 4,9,4: Itaque d o m i n u s volens altius intellegi legem per carnalia spiritalia significantem (…) tetigit leprosum … 3 Vgl. dazu A. E NNULAT , Minor Agreements 111-114; F R . N EIRYNCK , Minor Agreements 1974, 85ff; DERS ., Minor Agreements 1991, 30. 4 Tert. 4,19,7: quod mater et fratres eius f o r i s s t a r e n t quaerentes videre eum. 5 Zur kompositionellen Entsprechung von Mk 3,20-35 und 4,1-34 s. o. S. 227; vgl. M. K LINGHARDT , Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19 (2002), 183-202: 188-190. 6 Der V. fehlt in א * B L Γ pc ſſ 1 k sy s.c sa. Dass die Wiederholung in Mt 12,47 auf mt Redaktion zurückgehen soll (so U. L UZ , Mt II, 286 Anm. 3, z. St.), ist daher ganz unwahrscheinlich. 7 A. F UCHS , Die Seesturmperikope Mk 4,35-41 parr im Wandel der urkirchlichen Verkündigung, in: ders., Studien zu Deuteromarkus II, Münster 2004, 53-93, hat zu zeigen versucht, dass die mtlk Übereinstimmungen Ausdruck einer theologisch konsistenten und gegenüber Mk sekundären Bearbeitung seien (ebd. 80-88). § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 257 Epiphanius bezeugt die Formulierung mit nur einem Verb (Schol. 13: ἐπετίμησε τῷ ἀνέμῳ καὶ τῇ θαλάσσῇ); sie ist mit geringen Veränderungen von Mt (Pl. τοῖς ἀνέμοις anstelle des Sg. τῷ ἀνέμῳ) und Lk (τῷ κλύδωνι [τοῦ ὕδατος] anstelle von τῇ θαλάσσῇ) übernommen worden. *20,1-8: Auch in der Perikope von der »Vollmachtsfrage« Mk 11,27-33 || Mt 21,23-27 || Lk 20,1-8 gibt es deutliche mt-lk Übereinstimmungen gegen Mk, 8 auch hier wurde zur Lösung der Schwierigkeiten für die Zwei-Quellentheorie die Deuteromarkus-Hypothese bemüht. 9 Auch wenn Tertullians sehr knappe Bezeugung (4,38,1f) den genauen Wortlaut von *Ev nicht zu erkennen gibt, lassen sich doch aufgrund der kompositionellen Gestaltung Rückschlüsse auf das Zustandekommen wenigstens zweier dieser Übereinstimmungen ziehen. Zunächst fällt in der Exposition der mt-lk Hinweis auf die Lehre Jesu auf (διδάσκοντος Lk 20,1 || διδάσκοντι Mt 21,3 ÷ Mk 11,27). Im Rahmen der Zwei-Quellentheorie ist dieser Hinweis schwierig, weil zuvor von der Tempelreinigung (Mk 11,15-17 || Mt 21,12-13 || Lk 19,45f) sowie von dem darauf reagierenden Tötungsbestreben der Hohenpriester und Schriftgelehrten (Mk 11,18f || Lk 19,47f ÷ Mt 21) berichtet wurde: Dass Jesus nach der drastischen Tempelreinigung ungehindert im Tempel lehrt und von den Jerusalemer Führungskräften, die ihn eigentlich töten wollen, lapidar nach seiner Vollmacht (zum Lehren! ) gefragt wird, ist wenig wahrscheinlich. Das Problem entsteht durch eine Reihe von redaktionellen Änderungen, die auf verschiedenen Überlieferungsstufen an *Ev vollzogen wurden: In *Ev haben Tempelreinigung und Tötungsbestreben der Jerusalemer Führer gefehlt (Lk 19,45-48; s. in der Rekonstr.); hier ist die Lehre Jesu *20,1 die erste Tätigkeit Jesu im Tempel. Mk hat gegenüber *Ev die Tempelreinigung ergänzt und sie von der Vollmachtsfrage szenisch getrennt, indem er die Erklärung für den verdorrten Feigenbaum an dieser Stelle einfügt (Mk 11,20-26 || Mt 21,20-22). Von daher ist es sehr wahrscheinlich, dass der Hinweis auf die Lehre Jesu im Tempel *20,1 in *Ev enthalten war und bei Mt und Lk stehengeblieben ist, während Mk ihn gestrichen hat. Noch deutlicher ist die doppelte Aufforderung zur Antwort in Mk 11,29.30: ἀποκρίθητέ μοι Mk 11,29 ≠ εἴπατέ μοι Lk 20,3c || εἴπητέ μοι Mt 21,24; ἀποκρίθητέ μοι Mk 11,30 ÷ Lk 20,4 || Mt 21,25. Der mk Text ist sehr viel griffiger und pointierter als die Fassungen bei Mt und Lk. Denn Mk schafft durch die doppelte Einfügung von ἀποκρίθητέ μοι ein prononciertes Gegengewicht zu dem schon für *Ev wahrscheinlichen ἀπεκρίθησαν μὴ εἰδέναι πόθεν *20,7 (καὶ ἀ π ο κ ρ ι θ έ ν τ ε ς τῷ Ἰησοῦ λέγουσιν/ εἶπαν· οὐκ οἴδαμεν Mk 11,33 || Mt 21,27). *22,41: Im Gebet Jesu am Ölberg ist - neben anderen Beispielen 10 - eine negative mt-lk Übereinstimmung gegen Mk zu verzeichnen: ἵνα εἰ δυνατόν ἐστιν παρέλθῃ ἀπ’ αὐτοῦ ἡ ὥρα Mk 14,35b ÷ Mt 26,39 || Lk 22,41. Da Epiphanius *22,41 genau referiert (Schol. 65), ist der kurze Text für *Ev gesichert, dem Mt und Lk folgen. Die indirekt mitgeteilte Bitte um das »Vorübergehen ______________________________ 8 Vgl. N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 148ff; DERS ., Minor Agreements (1991), 65f; E NNULAT , Minor Agreements 258-263. 9 A. F UCHS , Die Frage nach der Vollmacht Jesu, in: ders., Spuren von Deuteromarkus IV, Münster 2004, 195-233; vgl. E NNULAT , a. a. O. 262f; K LEIN , Lk 621 Anm. 1. 10 πάτερ Lk 22,42 || Mt 26,39 ≠ Mk 14,36b (Αββα ὁ πατήρ). - πλήν Lk 22,42c || Mt 26,39c ≠ Mk 14,36d (ἀλλ’). - πρὸς τοὺς μαθητάς Lk 22,45a || Mt 26,40a ÷ Mk 14,37. - εἰσέλθητε Lk 22,46d || Mt 26,41b ≠ ἔλθητε Mk 14,38b. - πλὴν μὴ τὸ θέλημά μου ἀλλὰ τὸ σὸν γινέσθω Lk 22,42c || γενηθήτω τὸ θέλημά σου Mt 26,42c ≠ ἀλλ’ οὐ τί ἐγὼ θέλω ἀλλὰ τί σύ Mk 14,36d; vgl. dazu N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 173ff; DERS ., Minor Agreements (1991), 79f; E NNULAT , Minor Agreements 346-352. 258 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch dieser Stunde« Mk 14,35 ist also eine redaktionelle Verstärkung, die Mk gegenüber seiner Quelle *Ev hinzugefügt hat. Sie hat dann Eingang gefunden in die joh Gestaltung der letzten öffentlichen Rede Jesu (Joh 12,27). Dieser Hinweis erklärt dann auch die weiteren Elemente der mk Ausgestaltung der Szene, die Mt übernommen hat: die dreimalige Aufforderung zum Wachen sowie die namentliche Nennung der drei herausgehobenen Jünger Petrus, Jakobus und Johannes. *22,64: Als letztes Beispiel für diese Art der mt-lk Übereinstimmungen ist eines der wichtigsten »Minor Agreements« zu nennen: In der Verspottungsszene Mk 14 par. fehlen die bei Mt und Lk überlieferten Worte τίς ἐστιν ὁ παίσας σε (Lk 22,64 || Mt 26,68 ÷ Mk 14,65). Diese positive mtlk Übereinstimmung gegen Mk ist so gewichtig, dass sie schon längst zu einem Testfall für das Problem der »Minor Agreements« geworden und dementsprechend intensiv diskutiert worden ist. 11 Die verschiedenen (insgesamt kaum überzeugenden) Lösungsversuche, die im Rahmen der Zwei-Quellentheorie dafür angeboten wurden, sind jedoch überflüssig. Denn Epiphanius bezeugt genau diese strittigen Worte schon für *Ev (Schol. 68; s. in der Rekonstruktion z. St.). Das bedeutet, dass Mk diese Worte gestrichen hat, während Mt und Lk sie aus *Ev übernommen haben. Im Rahmen der oben begründeten *Ev-Priorität sowohl vor Lk als auch vor Mk sind diese Beispiele für sich genommen wenig aufregend. Sie bestätigen zunächst in kleiner Münze, was insgesamt bereits erkennbar war: Dass nämlich *Ev die Hauptquelle des Lk war, der er in aller Regel folgt, und dass *Ev außerdem durch Mk redaktionell bearbeitet wurde. Darüber hinaus geben diese kleinen Übereinstimmungen zu erkennen, dass Mt, dessen Abhängigkeit von Mk außer Frage steht, diesem nicht blind gefolgt ist, sondern verschiedentlich auch auf *Ev zurückgegriffen hat. b. Mt redigiert Mk; Lk folgt Mt gegen *Ev und Mk: *Ev || Mk ≠ Mt || Lk Methodisch interessanter ist das komplementäre Gegenstück zu dieser Annahme: So, wie Mt sich gelegentlich von seiner Hauptquelle Mk entfernt und *Ev rezipiert, hat auch Lk seine Hauptquelle *Ev nicht bedingungslos übernommen, sondern ist gelegentlich den Änderungen gefolgt, die Mk und/ oder Mt an *Ev vorgenommen haben. Auch hier sollen wenige Beispiele zur Illustration genügen. *5,17-26: Für die Erzählung von der Heilung des Gelähmten sind etliche »Minor Agreements« zu verzeichnen, die im Rahmen der Zwei-Quellentheorie keine befriedigende Antwort finden. 12 ______________________________ 11 Vgl. M. D. G OULDER , Two Significant Minor Agreements (Mat. 4: 13 Par.; Mat. 26: 67-68 Par.), NT 45 (2003), 365-373: 371-373; F R . N EIRYNCK , ΤΙΣ ΕΣΤΙΝ Ο ΠΑΙΣΑΣ ΣΕ: Mt 26,68 / Lk 22,64 (diff. Mk 14,65), in: ders., Evangelica II, Leuven 1991, 95-138; J. K IILUNEN , »Minor Agreements« und die Hypothese von Lukas’ Kenntnis des Matthäusevangeliums, in: I. Dunderberg, Chr. M. Tuckett (eds.), Fair Play, Leiden u. a. 2002, 165-202 u. a. Zu den verschiedenen Lösungsvorstellungen s. die Rekonstruktion (Anhang I), z. St. 12 Vgl. ἰδού Lk 5,18 || Mt 9,2a ÷ Mk 2,3. - ἐπὶ κλίνης Lk 5,18 || Mt 9,2a ÷ Mk 2,3. - αἰρόμενον ὑπὸ τεσσάρων Mk 2,3 ÷ Lk 5,18 || Mt 9,2. - τῷ παραλυτικῷ Mk 2,9 ÷ Lk 5,23 || Mt 9,5. - καὶ ἆρον τὸν κράβαττόν σου Mk 2,9 ÷ Lk 5,23 || Mt 9,5. - εἰς τὸν οἶκον αὐτοῦ 5,27 || Mt 9,7 ÷ Mk 2,12. Zur Diskussion vgl. E NNULAT , Minor Agreements 58-68; F R . N EIRYNCK , Les accords mineurs et la § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 259 Eine der Übereinstimmungen besteht darin, dass Mk an drei Stellen das Bett des Gelähmten als ὁ κράβαττος bezeichnet (Mk 2,4.11.12), dieser Ausdruck sich aber weder bei Lk noch bei Mt findet: ὁ κράβαττος Mk 2,4 ≠ τὸ κλινίδιον Lk 5,19 ÷ Mt 9,2. - ὁ κράβαττος Mk 2,11 ≠ τὸ κλινίδιον Lk 5,24 || Mt 9,6. - ὁ κράβαττος Mk 2,12 ≠ ἐϕ’ ὃ κατέκειτο Lk 5,25 ÷ Mt 9,7. Der mk Ausdruck κράβαττος findet sich nicht nur einigen altlateinischen Lk-Handschriften, 13 sondern ist von Tertullian auch für *Ev bezeugt (4,10,1: exsurge et tolle grabattum tuum). In diesem Fall entsteht das »Minor Agreement« dadurch, dass Mk seiner Vorlage *Ev folgt, während Mt und in seiner Folge Lk das seltene Wort meiden und es entweder durch τὸ κλινίδιον (Lk 5,24 || Mt 9,6) ersetzen, es umschreiben (Lk 5,25) oder es ganz übergehen (Mt 9,2.7). *6,5: Von den zahlreichen »Minor Agreements« in der Perikope vom Ährenraufen am Sabbat 14 ist in diesem Zusammenhang nur die vergleichsweise unauffällige Wortstellung am Ende von Interesse: Κύριός ἐστιν τοῦ σαββάτου ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου Lk 6,5b || Mt 12,8 ≠ κύριός ἐστιν ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου καὶ τοῦ σαββάτου Mk 2,28. Wie der D-Text von Lk 6,5 zeigt, hat Mk die Wortstellung mit großer Wahrscheinlichkeit aus *Ev übernommen, die von Mt und in seiner Folge von Lk verändert wurde. *9,7-9: Im Urteil des Herodes über Jesus findet sich ein bekanntes und für die »Mittelstellung« des Mt instruktives »Minor Agreement«: ῾Ηρῴδης ὁ τετραάρχης Lk 9,7 || Mt 14,1 ≠ ὁ βασιλεὺς ῾Ηρῴδης Mk 6,14. Zwar ist der Text von *9,7 nicht bezeugt, aber er lässt sich in diesem Fall mit überlieferungsgeschichtlichen Argumenten rekonstruieren: Allen drei synoptischen Fassungen ist gemeinsam, dass sie nicht nur den Namen, sondern auch den Titel des Herodes nennen; der war daher vermutlich schon im vorkanonischen *Ev enthalten. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass *Ev den auch von Mk 6,14 bezeugten König (ὁ βασιλεύς) enthielt, nicht aber den von Mt und Lk bezeugten Tetrarchen (ὁ τετραάρχης). Das Argument für diese Annahme ist weniger, dass Herodes Antipas tatsächlich »nur« Tetrarch war, sodass ὁ τετραάρχης historisch zutreffend ist und die ungenaue (wenn nicht falsche) mk Königstitulatur korrigiert: Mk könnte ja durchaus Gründe für seinen »historischen« Irrtum gehabt haben. Aber im folgenden Bericht ______________________________ rédaction des évangiles: L’épisode du paralytique (Mt., IX,1-8 / Lc., V,17-26, par. Mc., II.1-12), ETL 50 (1974), 215-230; A. F UCHS , Offene Probleme der Synoptikerforschung. Zur Geschichte der Perikope Mk 2,1-12 par Mk 9,1-18 par Lk 5,17-26, in: ders., Spuren von Deuteromarkus II, Münster 2004, 19-52. 13 Lk 5,18 haben die Altlateiner durchweg in lecto/ super lectum für ἐπὶ κλίνης, das hier mit einiger Wahrscheinlichkeit ursprünglich ist. Dagegen findet sich grabattus in Lk 5,19 c d e; in Lk 5,25 a c d e. Die Disparität der altlateinischen Handschriften geht zurück auf die inkonsequent durchgeführte Korrektur des vorkanonischen nach dem kanonischen Text: Es gibt noch weitere Mischformen (vgl. dazu die Rekonstruktion z. St.). 14 Vgl. ὁδὸν ποιεῖν Mk 2,23 ÷ Lk 6,1 || Mt 12,1. - καὶ ἤσθιον Lk 6,1c || καὶ ἐσθίειν Mt 12,1 ÷ Mk 2,23. - εἶπαν Lk 6,2a || Mt 12,2a ≠ ἔλεγον Mk 2,24a. - εἶπεν Lk 6,3a || Mt 12,3a ≠ λέγει Mk 2,25a. - ὃ οὐκ ἔξεστιν τοῖς σάββασιν/ ἐν σαββάτῳ Lk 6,2b || Mt 12,2 ≠ τοῖς σάββασιν ὃ οὐκ ἔξεστιν Mk 2,24b. - χρείαν ἔσχεν καί Mk 2,25c ÷ Lk Lk 6,3 || Mt 12,3. - ἐπὶ ᾿Αβιαθὰρ ἀρχιερέως καί Mk 2,26a ÷ Lk 6,4 || Mt 12,4. - ἔδωκεν τοῖς μετ’ αὐτοῦ Lk 6,4c || Mt 12,4c ≠ τοῖς σὺν αὐτῷ οὖσιν Mk 2,26d. - μόνους Lk 6,4d || μόνοις Mt 12,4d ÷ Mk 2,26. - τὸ σάββατον διὰ τὸν ἄνθρωπον ἐγένετο καὶ οὐχ ὁ ἄνθρωπος διὰ τὸ σάββατον Mk 2,27b ÷ Lk 6,5 || Mt 12,6. Zum Problem vgl. T. S CHRAMM , Der Markus-Stoff bei Lukas, Cambridge 1971, 111f; E NNULAT , Minor Agreements 77-84; H. A ICHINGER , Quellenkritische Untersuchung der Perikope vom Ährenraufen am Sabbat Mk 2,23-28 par Mt 12,1-8 par Lk 6,1-5, in: A. Fuchs, Spuren von Deuteromarkus I, Münster 2004, 199-244. 260 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch über die Enthauptung des Täufers (Mk 6,17-29 || Mt 14,3-12), den Mt wie auch sonst häufig gegenüber Mk ausdünnt, hat Mt die Notwendigkeit zu dieser Korrektur allerdings aus den Augen verloren: Er folgt versehentlich dem mk ὁ βασιλεύς (Mk 6,26 || Mt 14,9). Lk bezeichnet dagegen Herodes Antipas konsequent als Tetrarchen (Lk 3,1.19; 9,7), nie als König. Das mt-lk »Agreement« ist daher aus der mt Korrektur an (*Ev und) Mk entstanden, die Lk noch konsequenter als Mt übernommen hat. *22,62: Am Ende der Szene von der Verleugnung des Petrus stellt die Bemerkung über das Weinen des Petrus ein bemerkenswertes »Minor Agreement« dar: καὶ ἐπιβαλὼν ἔκλαιεν Mk 14,72d ≠ καὶ ἐξελθὼν ἔξω ἔκλαυσεν πικρῶς Lk 22,62 || Mt 26,75c. 15 Das Zustandekommen dieser Übereinstimmung ist aufschlussreich, weil Lk 22,62 in einem Teil der altlateinischen Zeugen fehlt: Der Vers sieht aus wie eine »Western Non-Interpolation«, auch wenn Westcott/ Hort dieses Beispiel nicht in ihren Text aufgenommen hatten. 16 Diese handschriftliche Bezeugung hat das Problem zum Vexierspiel gemacht: Auf der einen Seite hat man erwogen, ob Lk 22,62 erst sekundär aus Mt 26,75 interpoliert worden sei, 17 weil es für eine sekundäre Streichung dieses Verses keine erkennbaren Anhaltspunkte gibt. Auf der anderen Seite ist die Liste der Zeugen mit diesem Vers doch so beeindruckend, dass eine textkritische Lösung des überlieferungsgeschichtlichen Problems als »in keiner Weise vertretbar« und als »Wunschdenken« abgelehnt wurde. 18 Die disparate Bezeugung von Lk 22,62 und ihre uneinheitliche Beurteilung lassen sich jedoch lösen, wenn man das Phänomen der Interferenz zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Handschriftenüberlieferung berücksichtigt: Unter dieser Voraussetzung repräsentieren die Altlateiner a b e ſſ 2 i l r 1 den vorkanonischen, der Rest der Überlieferung den kanonischen Text. Das bedeutet, dass Lk 22,62 erst durch die lk Redaktion eingetragen wurde - und zwar in Anlehnung an Mt 26,75, wie die identische Formulierung beweist. Unter dieser Voraussetzung ist klar, dass das »Minor Agreement« Lk 22,62 || Mt 26,75 ≠ Mk 14,72 durch die einzelnen Schritte der Überlieferungsgeschichte entstanden ist: *Ev hatte das »Weinen« des Petrus überhaupt nicht erwähnt; Mk 14,72 lässt Petrus erstmals »anfangen zu weinen« (ἤρξατο κλαίειν bzw. ἐπιβαλὼν ἔκλαιεν); 19 Mt 26,75 hat diese schlichte Formulierung verstärkt und lässt Petrus hinausgehen und »bitterlich« weinen - und genau diese Formulierung hat Lk 22,62 von Mt übernommen. Diese Beispiele erklären das Zustandekommen der für die Zwei-Quellentheorie so problematischen »Minor Agreements« auf noch einem anderen überlieferungsgeschichtlichen Weg. Die Bedeutung dieser (und zahlreicher weiterer) Belege liegt ______________________________ 15 Vgl. außerdem: οὐκ οἶδα Lk 22,57b || Mt 26,70b ≠ οὔτε οἶδα οὔτε ἐπίσταμαι σὺ τί λέγεις Mk 14,68b. - Der Hahn kräht nur einmal Lk 22,60 || Mt 26,74, Mk 14,68.72 dagegen zweimal (nach der ersten und der dritten Verleugnung). - [ὑπ]εμνήσθη ὁ Πέτρος τοῦ ῥήματος Lk 22,61 || Mt 26,75 ≠ καὶ ἀνεμνήσθη ὁ Πέτρος τὸ ῥῆμα Mk 14,72. Zur Diskussion vgl. E NNULAT , Minor Agreements 364-378. 16 Lk 22,62: om a b e ſſ 2 i l r 1 ¦ add aur c d f l q vg sy c.s.h.p M . 17 Vgl. die Vertreter bei E NNULAT , a. a. O. 378 Anm. 92. 18 L UZ , Mt IV 213. 19 Mit einiger Wahrscheinlichkeit lautete die vormk Formulierung *Mk 14,72 »er begann zu weinen« (ἤρξατο κλαίειν: D Θ 565 it vg sa mss ). In diesem Fall ist das stärkere »er warf sich nieder und weinte« im Mehrheitstext (ἐπιβαλὼν ἔκλαιεν: א 2 A B L W [Δ] Ψ 0250 f 1.13 33 2427 sy h M ) eine Veränderung der Kanonischen Redaktion unter Einfluss von Mt 26,75 || Lk 22,62. § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 261 in dem Nachweis, dass Lk tatsächlich auch von Mt abhängig ist: Diese Möglichkeit ist gegenüber der Zwei-Quellentheorie neu. c. Komplexe Beispiele Die beiden hier genannten Möglichkeiten für das Zustandekommen der »Minor Agreements« sind lediglich Modelle für die verschiedenen überlieferungsgeschichtlichen Bearbeitungsrelationen. Die modellhafte Gegenüberstellung dieser Bearbeitungswege lässt jedoch nur unzureichend erkennen, auf wie engem Raum beide Varianten nebeneinander begegnen und wie genau sich kleine und kleinste Veränderungen nachweisen oder wahrscheinlich machen lassen. Auch dafür seien nur wenige Beispiele genannt. *6,6-11: In der überschaubaren Perikope von der Heilung der verdorrten Hand Mk 3,1-6 || Mt 12,9-14 || Lk 6,6-11 liegen die beiden Möglichkeiten für das Zustandekommen von »Minor Agreements« unmittelbar nebeneinander. Auf der einen Seite stehen Beispiele für mk Veränderungen von *Ev, z. B.: ἐξηραμμένην Mk 3,1 ≠ ξηρά Mt 12,10 || Lk 6,6. Zwar ist der Text von *6,6 nicht direkt bezeugt, aber die handschriftliche Überlieferung legt nahe, dass das mt-lk ξηρά bereits in *Ev stand (s. die Rekonstruktion). Ähnlich zu beurteilen ist auch συλλυπούμενος ἐπὶ τῇ πωρώσει τῆς καρδίας αὐτῶν Mk 3,5 ÷ Mt 12,13 || Lk 6,10: Es handelt sich um eine redaktionelle Ergänzung, die Mk gegenüber *Ev vorgenommen hat, die aber weder Mt noch Lk mit vollzogen haben. Unmittelbar daneben finden sich Beispiele dafür, dass Mt den Text von *Ev geändert hat und Lk ihm darin gefolgt ist: οἱ δὲ ἐσιώπων *6,9 || Mk 3,4c ÷ Lk 6,9 || Mt 12,12. - ἐν ὀργῇ *6,10 || μετ’ ὀργῆς Mk 3,5a ÷ Lk 6,10 || Mt 12,13. - λέγει *6,9a || Mk 3,4a ≠ εἶπεν Mt 12,11a || Lk 6,9a. *13,18f: Das Gleichnis vom Senfkorn Mk 4,30-32 || Mt 13,31f || Lk 13,18f enthält einige so deutliche mt-lk Übereinstimmungen gegen Mk, dass man im Rahmen der Zwei-Quellentheorie mit einem »Mk-Q Overlap« gerechnet hat. 20 Maßgeblich für dieses Urteil ist vor allem, dass das in Mt und Lk unmittelbar folgende Gleichnis vom Sauerteig in Mk fehlt (Mt 13,32 || Lk 13,20f ÷ nach Mk 4,32): Das wäre ein »Major agreement«. Eine Durchsicht der einzelnen Agreements ergibt folgendes Bild. a. Eine Reihe von Übereinstimmungen folgt dem ersten Überlieferungsweg: Mt und Lk rezipieren *Ev unverändert, Mk greift mit redaktionellen Änderungen ein. Dazu gehört zunächst die Übereinstimmung ὃν λαβὼν ἄνθρωπος Lk 13,19b || Mt 13,31c ÷ Mk 4,31. Sie geht bereits auf *Ev zurück, 21 dessen Text Mt und Lk übernehmen, während Mk diesen Aspekt auslässt. Auch die Nuance, dass der Sämann den Samen »in seinen Garten/ auf sein Feld« aussät, ist bereits für *Ev bezeugt. 22 Auch hier hat Mk den Wortlaut von *Ev geändert: εἰς κῆπον ἑαυτοῦ *13,19b || ἐν τῷ ἀγρῷ αὐτοῦ Mt 13,31c || Lk 13,19b ≠ ἐπὶ τῆς γῆς Mk 4,31. Tatsächlich ist die mt-lk Entsprechung noch größer, weil die v. l. Lk 13,19 ( P 45 א D F K L X Θ Ψ Π) usw. nahelegt, dass der vorkanonische Text nicht das ἑαυτοῦ des kanonischen Mehrheitstextes enthielt, sondern das auch von Mt bezeugte αὐτοῦ. Zu diesem Überlieferungsweg gehört dann auch das Gleichnis vom Sauerteig ______________________________ 20 Vgl. dazu R. L AUFEN , Die Doppelüberlieferungen der Logienquelle und des Markusevangeliums, Königstein/ Ts. 1980, 174-200; H. T. F LEDDERMANN , Mark and Q, Leuven 1995, 90-99. 21 Bezeugt durch Tert. 4,30,1: quod accepit homo … 22 Tert. 4,30,1: … et seminavit in horto suo. 262 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch (Mt 13,33 || Lk 13,20f ÷ Mk 4,32). Tertullian stellt es in einer sehr allgemeinen Formulierung für *Ev sicher, 23 Mt und Lk haben es von dort übernommen, Mk hat es ausgelassen. b. Ein anderes Phänomen zeigt sich an μικρότερον ὂν πάντων τῶν σπερμάτων Mk 4,31 || ὃ μικρότερον μέν ἐστιν πάντων τῶν σπερμάτων Mt 13,32 ÷ Lk 13: Die Betonung der Kleinheit des Senfkorns, die den Vergleich mit dem großen Baum hervorhebt, geht erst auf die mk Bearbeitung zurück, der das Wachstum des Senfkorns stark herausstellt (μ ι κ ρ ό τ ε ρ ο ν ὂν πάντων τῶν σπερμάτων - γίνεται μ ε ῖ ζ ο ν πάντων τῶν λαχάνων - ποιεῖ κλάδους μ ε γ ά λ ο υ ς ). Mt ist dieser Ergänzung gefolgt. Aber der Gegensatz zwischen dem kleinen Senfkorn und der großen Staude ist von der lk Redaktion aufgegriffen worden: Wie die uneinheitliche Handschriftenüberlieferung zeigt, hat sie das ἐγένετο εἰς δένδρον aus *Ev entlang der von Mk und Mt vorgegebenen Linien präzisiert: ἐγένετο εἰς δένδρον μ έ γ α . 24 c. Eine Reihe weiterer mt-lk Übereinstimmungen gegen Mk bleibt wegen der mangelnden Bezeugung für *Ev unklar: ηὔξησεν *13,19c || αὐξηθῇ Mt 13,32b ≠ ἀναβαίνει Mk 4,32. - καὶ ἐγένετο εἰς δένδρον *13,19d || καὶ γίνεται δένδρον Mt 13,32c ≠ καὶ ποιεῖ κλάδους μεγάλους Mk 4,32. - ἐν τοῖς κλάδοις αὐτοῦ *13,19e || Mt 13,32e ÷ nach Mk 4,32. Die Vermutung, dass diese Übereinstimmungen auf die gleiche Weise zustande gekommen sind wie die zuvor genannten, liegt nahe, ist aber nicht beweisbar. d. Die einleitende Frage ist unbezeugt: ὁμοία ἐστὶν ἡ βασιλεία Lk 13,18b || Mt 13,31b ≠ πῶς ὁμοιώσωμεν τὴν βασιλείαν Mk 4,30. Allerdings ist es aufgrund der handschriftlichen Überlieferung sehr wahrscheinlich, dass *13,18b wie Mt 13,31 von der βασιλεία τ ῶ ν ο ὐ ρ α ν ῶ ν sprach, nicht von der βασιλεία τ ο ῦ θ ε ο ῦ . Mit dieser Änderung von τῶν οὐρανῶν in τοῦ θεοῦ hat die lk Redaktion gewissermaßen ein weiteres »Minor Agreement« getilgt, das im Mehrheitstext gar nicht mehr sichtbar ist. Ein ähnliches Phänomen liegt in Lk 13,19 vor: Wie Tertullians Referat zeigt (4,30,1: seminavit), stand in *13,19 wohl das auch in Mt 13,31 enthaltene ἔσπειρεν, das noch in σπαρῇ Mk 4,31 durchscheint. Die lk Redaktion hat ἔσπειρεν in ἔβαλεν geändert: Die große Nähe der einzelnen Fassungen ist im Mehrheitstext weniger deutlich als im vorkanonischen Text. *9,43-47: In der Erzählung vom Exorzismus des epileptischen Knaben Mk 9,14-29 || Mt 17,14-21 || Lk 9,37-43 lassen sich die verschiedenen Wege für das Zustandekommen von mt-lk Übereinstimmungen gegen Mk auf engstem Raum beobachten. Auf der einen Seite ist οὐκ ἴσχυσαν Mk 9,18 ≠ οὐκ ἠδυνήθησαν *9,40 || Mt 17,16 zu nennen. Der semantische Unterschied zwischen dem mk ἰσχύω und dem mt-lk δύναμαι ist marginal; gerade deshalb stellt dieses »Agreement« ein Problem für die Zwei-Quellentheorie dar: Es lässt sich kaum begründen, wodurch Mt und Lk bei einer so wenig relevanten Formulierung unabhängig voneinander zu einer gleichlautenden Änderung gekommen sein sollten. In diesem Fall ist das mt-lk οὐκ ἠδυνήθησαν durch Epiphanius (Schol. 19) für *Ev sichergestellt: Mk hat den Text aus *Ev geändert, den Mt und Lk unverändert übernehmen. Gleich im nächsten Vers liegt ein weiteres Agreement vor: καὶ διεστραμμένη Lk 9,41b || Mt 17,17 ÷ Mk 9,19. In diesem Fall ist der kürzere Mk-Text (nur ὦ γενεὰ ἄπιστος) durch das übereinstimmende Zeugnis Tertullians (4,23,1f) und Epiphanius’ ______________________________ 23 Tert. 4,30,3: fermento enim comparavit illud, non azymis quae familiariora sunt creatori. 24 μεγα: add P 45 0303 A W Θ Ψ f (1).13 33 aur c f q sy p.h bo pt M ¦ om P 75 א B D L 070 892 1229 1241 2542 a a 2 b d e ſſ 2 i l r 1 sy s.c.j sa bo mss armen georg. § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 263 (Schol. 19) jedoch bereits für *Ev bezeugt. 25 Die mt-lk Übereinstimmung gegen Mk geht also darauf zurück, dass Mk *Ev unverändert übernimmt, wogegen Mt ergänzt: ὦ γενεὰ ἄπιστος *9,41b || Mk 9,19 ≠ ὦ γενεὰ ἄπιστος καὶ διεστραμμένη Lk 9,41b || Mt 17,17. Lk folgt an dieser Stelle also nicht seiner Hauptquelle *Ev, sondern der Ergänzung von *Ev durch die mt Redaktion. Dass es neben diesen beiden »Agreements« noch weitere Beispiele gibt, sei hier nur angemerkt. 26 Vor allem sind natürlich die umfangreichen Elemente der mk Erzählung gegenüber Mt und Lk zu nennen (Mk 9,14.20b-24.25b-27.29b): Sie machen eine Erklärung des überlieferungsgeschichtlichen Befundes nach der Deuteromarkus-Hypothese gänzlich unwahrscheinlich. 27 Denn in diesem Fall müsste man annehmen, dass die Erzählung sekundär durch »Deuteromarkus« gekürzt worden wäre, dessen Text Mt und Lk folgen. Stattdessen sind diese »Überschüsse« Ergänzungen, die Mk gegenüber dem knappen *Ev-Text vorgenommen hat. Versucht man, sich das Zustandekommen dieses Befundes hinsichtlich des formalen Verfahrens konkret vorzustellen (zu den inhaltlichen Fragen vgl. u. die Rekonstr. zu *9,37-45), gelangt man zu einem einigermaßen erstaunlichen Resultat. Relativ leicht verständlich ist die erste Bearbeitung des Ausgangstextes *Ev durch Mk: Neben einigen »kleineren« Änderungen, die am ehesten als stilistisch zu beurteilen sind, stehen die umfangreichen Ergänzungen, die ein »Major Agreement« konstituieren. Mk hat aus der *Ev-Erzählung mit der Belehrung über die knappe Zeit bis zum Ende eine Erzählung über die Jünger gemacht: Das passt genau in sein redaktionelles Profil, das sich auch sonst nachweisen lässt. 28 Aus diesem Grund fügt Mk eine spezielle Jüngerbelehrung κατ’ ἰδίαν an (9,28f): Jesus versetzt die Jünger in die Lage, auch diese besondere Dämonenart austreiben zu können. Mit dieser Pointe hat Mk der Erzählung eine Richtung gegeben, zu welcher der Schluss der Erzählung in *Ev mit der zweiten Leidensankündigung (*9,43b-45) nicht mehr passte: Mk hat sie szenisch abgetrennt (Mk 9,30), aus der Belehrung über das nahe Ende des Menschensohns eine Weissagung über sein Leiden und seine Auferstehung gemacht (Mk 9,31) und auf diese Weise das für Mk 8-10 programmatische Verhältnis von Niedrigkeit und Hoheit zur Geltung gebracht. ______________________________ 25 Dass einige Handschriften (P 45vid [W] f 13 2542 pc) in Mk 9,19 die längere (mt-lk) Formulierung ὦ γενεὰ ἄπιστος καὶ διεστραμμένη bieten, ist in diesem Fall tatsächlich als sekundäre Konformierung unter Einfluss der synoptischen Parallelen zu verstehen, die in NA 27 durch p) angezeigt ist. 26 λέγων *9,38 || Mt 17,15 ÷ Mk 9,17. - ᾿Ιησοῦς εἶπεν *9,41a || Mt 17,17 ≠ αὐτοῖς λέγει Mk 9,19. - ὧδε *9,41d || Mt 17,17 ≠ πρός με Mk 9,19. - ὁ ᾿Ιησοῦς *9,42c || Mt 17,18 ÷ Mk. - καὶ ἰάσατο τὸν παῖδα *9,42d || καὶ ἐθεραπεύθη ὁ παῖς Mt 17,18 ÷ Mk 9,27. - μέλλει (…) παραδίδοσθαι *9,44 || Mt 17,22 ≠ παραδίδοται Mk 9,31. Vgl. außerdem N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 126ff; DERS ., Minor Agreements (1991), 53ff; E NNULAT , Minor Agreements 208-213. 27 Vgl. den Versuch von H. A ICHINGER , Zur Traditionsgeschichte der Epileptiker-Perikope, in: A. Fuchs, Spuren von Deuteromarkus I, Münster 2004, 245-280. 28 Die umständliche Doppelung der Schilderung der Besessenheit des Sohnes (Mk 9,18: durch den Vater; Mk 9,20b-26: durch den Erzähler) erklärt, dass die Jünger (nachdem sie ja schon längst problemlos Dämonen ausgetrieben hatten: Mk 6,13) hier in der Tat auf ein sehr spezielles dämonisches γένος gestoßen sind. Im Übrigen ließ der vermutlich vorkanonische *Mk-Text Jesus zusammen mit den Jüngern, die mit auf dem Berg waren, »zu den Jüngern« kommen und sehen (ελθοντες … ειδον: א B L W Δ Ψ 892 2427 pc k sa). Die kanonische Redaktion hat dies geändert: Sie lässt Jesus allein zu den Jüngern kommen (ελθων … ειδεν: A C D Θ 067 vid f 1.13 lat sy p.h bo M) und reiht Petrus, Jakobus und Johannes in die zu belehrende Jüngerschar ein. Die kritischen Ausgaben haben einmal mehr den vorkanonischen Text übernommen. 264 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Mt hatte demnach zwei deutlich verschiedene Fassungen der gleichen Erzählung vorliegen: Die knappe Erzählung in *Ev über das bald bevorstehende Ende und die ausführlichere mk Fassung. Obwohl Mt grundsätzlich der mk Akoluthie folgt (wie die Entsprechung von Mk 9,2-32 || Mt 17,1-32 zeigt), legt er seiner Erzählung von der Heilung des epileptischen Knaben in erster Linie die Fassung von *Ev zugrunde. Aber er vergleicht sie mit Mk 9,14-29 und arbeitet Elemente der mk Redaktion in die Grundfassung in *Ev ein: Mt 17,15 greift auf den zweiten Bericht des Vaters Mk 9,22 zurück, 29 integriert die Schilderung der Besessenheit aber in die Heilungsbitte aus *9,39 am Anfang. In der Exposition Mt 17,14 finden sich Elemente sowohl aus *Ev 30 als auch aus Mk. 31 Am Ende fügt Mt 17,19-21 die aus Mk 9,28f stammende Jüngerbelehrung κατ’ ἰδίαν ein und gibt ihr mit dem Hinweis auf die ὀλιγοπιστία der Jünger eine charakteristisch mt Wendung, indem er aus *Ev das Logion über die Größe des Glaubens (*17,6, s. dort) hier einfügt. Der sorgfältige und souveräne Vergleich der beiden Prätexte - Mk und *Ev - ist ohne weiteres deutlich. Lk ist i. W. an der *Ev-Fassung der Erzählung orientiert. Aber er kennt und nutzt auch die mt Version, wie die aus Mt 17,17 stammende Ergänzung in Lk 9,41b (καὶ διεστραμμένη) belegt. Ob Lk auch die mk Fassung verglich, bleibt offen. Deutlich ist jedenfalls, dass der Rezeptionsvorgang auf allen Stufen ein hohes Maß redaktioneller Sorgfalt und die Kenntnis jeweils aller zur Verfügung stehenden Quellen zeigt. *19,36-40: Ein letztes Beispiel ist die Rezeption der Einzugserzählung mit der folgenden Tempelreinigung Mk 11,1-17 || Mt 21,1-17 || Lk 19,28-46. Da von diesem großen Erzählzusammenhang nur *19,36-40 in *Ev enthalten waren, lassen sich die meisten der mt-lk Übereinstimmungen gegen Mk ohne weiteres erklären (Mt 21,1-7.10-17 || Lk 19,29-35.(41-44)45f ≠ Mk 11,1-7.11-17): Sie kommen dadurch zustande, dass Mt seine mk Quelle bearbeitet hat und Lk diese mt Bearbeitungen kennt und übernimmt. 32 Für den bereits in *Ev enthaltenen Abschnitt *19,36-40 sind zwei Übereinstimmungen zu notieren: εἰς τὴν ὁδόν Mk 11,8 ≠ ἐν τῇ ὁδῷ Lk 19,36 || Mt 21,8. - λέγοντες Lk 19,38 || Mt 21,9 ÷ Mk 11,9. - εὐλογημένη ἡ ἐρχομένη βασιλεία τοῦ πατρὸς ἡμῶν Δαυίδ Mk 11,10 ÷ Lk 19,38 || Mt 21,9. Die erste Übereinstimmung ist nicht konklusiv. Aber da Mk wiederholt εἰς + Akk. für das ______________________________ 29 Vgl. πολλάκις γὰρ πίπτει εἰς τὸ πῦρ καὶ πολλάκις εἰς τὸ ὕδωρ Mt 17,15c || καὶ πολλάκις καὶ εἰς πῦρ αὐτὸν ἔβαλεν καὶ εἰς ὕδατα Mk 9,22a. 30 Jesus trifft auf die Menge, nicht die Jünger: καὶ ἐλθόντων πρὸς τ ὸ ν ὄ χ λ ο ν Mt 17,14 || συνήντησεν αὐτῷ ὄ χ λ ο ς πολύς *9,37 ≠ καὶ ἐλθόντες πρὸς τ ο ὺ ς μ α θ η τ ά ς Mk 9,14. 31 Jesus kommt nicht allein, sondern mit den Jüngern, die bei der Verklärung dabei waren: καὶ ἐλθόντων Mt 17,14 || καὶ ἐλθόντες *Mk 9,14 ≠ ἐλθών Mk 9,14 || καθελθόντα αὐτόν *9,37. 32 αὐτοῦ Mk 11,1b ÷ Lk 19,29b || Mt 21,1b. - ἀποστέλλει … καὶ λέγει Mk 11,1f ≠ ἀπέστειλεν … λέγων Lk 19,29f || Mt 21,1f. - λύσατε … καὶ ϕέρετε Mk 11,2 ≠ λύσαντες … ἀγάγετε Lk 19,30e || Mt 21,2. - εἴπατε Mk 11,3 ≠ ἐρεῖτε ὅτι Lk 19,31 || Mt 21,3. - καὶ ἀπῆλθον Mk 11,4 ≠ ἀπελθόντες δὲ οἱ ἀπεσταλμένοι Lk 19,32 || πορευθέντες δὲ οἱ μαθηταί Mt 21,6. - καθὼς … αὐτοῖς Lk 19,32 || Mt 21,6 ÷ Mk 11,4. - ἀϕῆκαν αὐτούς Mk 11,6 ÷ Lk 19,34 || Mt 21,6. - ϕέρουσιν Mk 11,7 ≠ ἤγαγον Lk 19,35 || Mt 21,7. - καὶ ἐδίδασκεν Mk 11,17 ÷ Lk 19,46 || Mt 21,13. - Mk 11,17 ÷ 19,46 || Mt 21,13. - πᾶσιν τοῖς ἔθνεσιν Mk 11,17 ÷ Lk 19,46 || Mt 21,13. - οὐ γέγραπται … ; (Frage) Mk 11,17 ≠ γέγραπται (Aussage) Lk 19,46 || Mt 21,13. - ὑμεῖς δὲ πεποιήκατε αὐτόν Mk 11,17 ≠ ὑμεῖς δὲ αὐτὸν ἐποιήσατε (1 2 4 3) Lk 19,46 || ὑμεῖς δὲ αὐτὸν ποιεῖτε Mt 21,13. Vgl. dazu Vgl. außerdem N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 143ff; DERS ., Minor Agreements (1991), 63ff; E NNULAT , Minor Agreements 245-252. § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 265 lokale ἐν + Dat. verwendet, 33 könnte dieses Agreement auf seinen Sprachgebrauch zurückgehen, sodass ἐν τῇ ὁδῷ Mt 21,8 || Lk 19,36 wohl den Text von *Ev reflektiert. Wichtiger ist die zweite Übereinstimmung mit der Akklamation der Menge (Mk 11,10 ÷ Lk 19,38 || Mt 21,9). Da es keine direkte Bezeugung für *Ev zu diesem Abschnitt gibt, muss der dessen Text, der die Grundlage des Agreements bildet, aufgrund der handschriftlichen Bezeugung rekonstruiert werden. Wie unten ausführlicher dargelegt ist (vgl. die Rekonstruktion z. St.), ist der Text von *Ev mit großer Wahrscheinlichkeit in den beiden Altlateinern e l enthalten. Damit stellt sich die Überlieferungssituation folgendermaßen dar. *19,38 e l Mk 11,9f Mt 21,9 Lk 19,38 ῾Ωσαννά· ῾Ωσαννὰ τῷ υἱῷ Δαυίδ· Εὐλογημένος Εὐλογημένος Εὐλογημένος Εὐλογημένος ὁ ἐρχόμενος ὁ ἐρχόμενος ὁ ἐρχόμενος ὁ βασιλεύς· ὁ βασιλεὺς ἐν ὀνόματι κυρίου· ἐν ὀνόματι κυρίου· ἐν ὀνόματι κυρίου· Εὐλογημένη ἡ ἐρχομένη βασιλεία τοῦ πατρὸς ἡμῶν Δαυίδ· εἰρήνη εἰρήνη ἐν οὐρανῷ ἐν οὐρανῷ καὶ δόξα ῾Ωσαννὰ ῾Ωσαννὰ καὶ δόξα ἐν ὑψίστοις ἐν τοῖς ὑψίστοις ἐν τοῖς ὑψίστοις ἐν ὑψίστοις Am Anfang der Überlieferung enthielt *Ev eine einfache Königsakklamation (εὐλογημένος ὁ βασιλεύς), gefolgt von einer doppelten Doxologie: Friede im Himmel, Herrlichkeit in der Höhe! Mk hat die erste Doxologie gestrichen, die zweite in eine Hosanna-Doxologie umgewandelt und an den Anfang einen absoluten Hosanna-Jubelruf gestellt und dadurch die ganze Einheit durch das doppelte Hosanna gerahmt. Außerdem hat er die Akklamation des Königs durch die des »Kommenden im Namen des Herrn« geändert, eine Akklamation der kommenden Basileia ergänzt und die Friedens-Doxologie gestrichen. Mt hat seine beiden Prätexte verglichen. Zwar hat er i. W. den Mk-Text rezipiert, aber daran zwei Änderungen vorgenommen: Zum einen hat er den absoluten Hosanna-Jubelruf am Anfang in eine Akklamation für den Sohn Davids umgewandelt (das passt sehr genau zur mt Christologie), zum andern hat Mt die von Mk gegenüber *Ev ergänzte Basileia-Akklamation ausgelassen. Lk wiederum zeigt, dass er sowohl von *Ev als auch von Mk/ Mt abhängig ist: In der Gesamtstruktur hat er die Form der Akklamation aus *Ev rezipiert, aber die einfache Königsakklamation mit der mk/ mt Akklamation des Kommenden konformiert: εὐλογημένος ὁ ἐρχόμενος, ὁ βασιλεὺς ἐν ὀνόματι κυρίου. Da Lk wie Mt die von Mk ergänzte Basileia-Akklamation nicht übernimmt, entsteht hier ein »Minor Agreement«. ______________________________ 33 Vgl. BDR § 205 Anm. 2: Mk ist der einzige nt.liche Autor, der häufiger εἰς + Akk. als ἐν + Dat. verwendet. 266 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch d. Zur methodischen Bedeutung der »Minor Agreements« Die Untersuchung der »Minor Agreements« hat in diesem Zusammenhang eine sehr begrenzte Funktion: Sie soll zeigen, in welchen Überlieferungsschritten die für die Zwei-Quellentheorie so problematischen mt-lk Übereinstimmungen gegen Mk entstanden sind. 34 Die genannten Beispiele sollten für den Nachweis genügen, dass ihnen entweder der von Mt und Lk gemeinsam rezipierte *Ev-Text zugrunde liegt, den Mk redaktionell verändert hat, oder aber die lk Rezeption von mt Veränderungen gegenüber *Ev und Mk. Im Rahmen der Frage, wie sich Mt in das überlieferungsgeschichtliche Bild einfügt, hat sich die »Mittelstellung« des Mt für diejenigen Beispiele erhärten lassen, die eine literarische Abhängigkeit des Lk von Mt belegen. Dieses Bild der Überlieferungsgeschichte wird durch zahlreiche weitere Beispiele gestützt. Sie werden in der Rekonstruktion jeweils in Auswahl aufgeführt und teilweise besprochen. Eine vollständige Erfassung ist weder angestrebt noch sinnvoll, weil das Modell als solches ja Bestand hat. Aber die methodische Bedeutung der »Minor Agreements« geht über die Bestätigung dieses Modells hinaus. Es lässt sich forschungsgeschichtlich leicht zeigen, dass die »Minor Agreements« immer nur im Zusammenhang der Kritik an der Zwei- Quellentheorie Interesse gefunden haben. Das ist insofern ein Glücksfall, als die anhaltende Diskussion des Synoptischen Problems zu einer zunehmenden Verfeinerung der Analyse und zur genauen Registrierung auch kleinster Phänomene geführt hat: Die »Minor Agreements« sind häufig wirklich »kleiner« und besitzen in vielen Fällen nur eine geringe oder gar keine semantische Auswirkung. Im Unterschied zu der gelegentlich geäußerten Ansicht, die »Minor Agreements« seien zu gering, um überlieferungsgeschichtliches Gewicht zu tragen, 35 hat die Diskussion des Synoptischen Problems in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt, dass eine Theorie nicht nur in groben Zügen überzeugen, sondern auch im Detail standhalten muss. Für das vorgeschlagene überlieferungsgeschichtliche Modell ist daher wesentlich, dass es in diesen kleinen und kleinsten Aspekten »funktioniert«. Dass dies auch für die großen Einheiten gilt, ist gleich zu zeigen. Daneben geben die »Minor Agreements« einen wesentlichen und durchaus erstaunlichen Einblick in den literarischen Entstehungsprozess der Evangelien. Denn sie erweisen die Überlieferungsgeschichte tatsächlich als ein in höchstem Maß ______________________________ 34 Da es in diesem Zusammenhang (nur) um den Nachweis der mt »Mittelstellung« geht, reicht es aus, die klassischen mt-lk »Agreements« zu besprechen. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass es solche kleinen und kleinsten Übereinstimmungen auch zwischen Mk und Mt gegen Lk bzw. zwischen Mk und Lk gegen Mt gibt. 35 Vgl. Chr. M. T UCKETT , Q and the History of Early Christianity, Edinburgh 1996, 28: »The fact that the Minor Agreements are so minor makes it very hard to believe that Luke has been (…) influenced positively by Matthew’s text in such (substantively) trivial ways …«; s. auch M. S. G OODACRE , The Case Against Q, Harrisburg 2001, 163ff. § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 267 literarisches Phänomen. Gerade mit Blick auf die zuletzt genannten komplexeren Beispiele, in denen die verschiedenen Bearbeitungsrelationen auf engstem Raum unmittelbar nebeneinander wirksam werden, lässt sich der Überlieferungsprozess nur als sehr sorgfältige »Schreibtischarbeit« mit genauestem Textvergleich verstehen. Denn diese Beobachtungen setzen voraus, dass die späteren Bearbeiter ihren Prätext bzw. ihre Prätexte nicht nur sehr genau kannten (und in der Disposition ihres Materials sehr souverän damit umgehen konnten), sondern dass sie diese Texte auch durchweg vorliegen hatten und offenkundig Schritt für Schritt vergleichend zu Rate zogen. Diese Erklärung kommt nicht nur ohne die Annahme einer fest geprägten mündlichen Überlieferung aus, sondern schließt diese letztlich aus. Damit ist nicht gesagt, dass es eine solche mündliche Überlieferung nicht gegeben haben kann, wohl aber, dass sie auf die Gestaltung der Texte keinen erkennbaren Einfluss ausgeübt hat. 3. Die Redaktion des Materials der Doppelüberlieferung bei Mt und Lk Über die »Minor Agreements« hinaus lassen sich die fraglichen Bearbeitungsrelationen ④ (zwischen *Ev und Mt) sowie ⑤ (zwischen Mt und Lk) allerdings auch auf andere Weise belegen: In der für die Zwei-Quellentheorie üblich gewordenen Terminologie steht hier das Material der mt-lk Doppelüberlieferung zur Debatte, also diejenigen Texte, die üblicherweise zum Bestand von »Q« gerechnet werden. In methodischer Hinsicht besteht die Aufgabe folglich darin, innerhalb dieses »Q«- Materials beide in Frage stehenden Relationen zu identifizieren: Es muss sich nachweislich auf die beiden Bearbeitungsschritte verteilen lassen. Diese Differenzierung innerhalb der mt-lk Doppelüberlieferung ist ohne weiteres möglich. Als exemplarischer Ausgangspunkt ist dabei die Komposition der Bergpredigt gewählt. Denn das Verhältnis zwischen dem gemeinsamen Material von Mt 5-7 und Lk hat in der Vergangenheit eine erhebliche Rolle in der Diskussion des Synoptischen Problems gespielt. Die überlieferungsgeschichtliche Analyse der Bergpredigt besitzt paradigmatischen Charakter: Ihre Ergebnisse besitzen Gültigkeit auch für den Rest der Komposition des Mt. Die folgende Übersicht zeigt, wie sich die synoptischen Parallelen zu dem Material von Mt 5-7 einerseits auf Lk, andererseits auf *Ev verteilen. 36 ______________________________ 36 Die Stellenangaben für *Ev in Klammern ( ) zeigen an, dass diese Passagen nicht direkt bezeugt sind; zu diesen Stellen ist jeweils die Begründung der Rekonstruktionsentscheidung zu vergleichen (Anhang I). Die mk Parallelen sind in der rechten Spalte mit Unterstreichung angegeben. 268 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Mt Lk *Ev Inhalt 5,1 5,2 — 6,20a — *6,20a Einleitung (vgl. Mk 3,13a) Makarismen: 5,3-12 5,3 6,20b-21 *6,20b-21 Arme 5,4-5 — — Leidtragende, Trauernde 5,6 6,21a *6,21a Hungernde — 6,21b *6,21b Weinende 5,7-10 — — Barmherzige, die reinen Herzens sind, Friedfertige, Verfolgte 5,11 6,22 *6,22 Geschmähte 5,12a 6,23a — Aufforderung zur Freude 5,12b 6,23b *6,23b So haben sie die Propheten verfolgt Salz der Erde, Licht der Welt: 5,13-16 5,13a — — Ihr seid das Salz der Erde 5,13b-d 14,34-35 (*14,34-35) Bildwort vom Salz (vgl. Mk 9,49-50) 5,14 — — Ihr seid das Licht der Welt; Stadt auf dem Berg 5,15 Bildwort vom Licht 5,15a 8,16; 11,33a *8,16a *11,33a Niemand verbirgt Licht … (vgl. Mk 4,21a) 5,15b 8,16b 11,33b — *11,33b … unter einem Gefäß … (vgl. Mk 4,21b) 5,15c 8,16c 11,33c — *11,33c … sondern setzt es auf einen Leuchter … (vgl. Mk 4,21c) 5,15d 8,16d 11,33d — *11,33d … damit es allen leuchtet 5,16 — — Lasst euer Licht leuchten Gesetz und Propheten - die bessere Gerechtigkeit: 5,17-20 5,17 — [*23,2.5! ] Jesus ist nicht gekommen, Gesetz und Propheten aufzulösen, sondern zu erfüllen 5,18 16,17 *16,17 Himmel und Erde vergehen eher als Gesetz (vgl. *21,33; Mt 24,35; Mk 13,31; Lk 21,33) 5,19-20 — — Kleine im Himmelreich; größere Gerechtigkeit Antithesen: 5,21-48 5,21-26 Vom Töten 5,21-22 — — Töten und Zürnen 5,23 — — Versöhnung mit dem Gegner v. d. Altar 5,24-26 12,57-59 *12,57-59 Versöhnung mit dem Prozessgegner 5,27-32 Von Ehebruch 5,27-28 — — Verbot von Ehebruch und Begehren 5,29-30 — — Verführung zum Abfall; Amputation des § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 269 (18,8-9) (17,1-2) (*17,1-2) anstoßgebenden Gliedes (vgl. Mk 9,43-48) 5,31.32 Von Ehescheidung und Wiederheirat 5,31 — — Gebot der Ehescheidung 5,32 16,18 *16,18 Ehescheidung und Wiederheirat (vgl. Mk 10,11f) 5,33-37 — — Vom Schwören 5,38-42 Von der Vergeltung 5,38 — *6,27a Talio 5,39-42 6,29-30 *6,29-30 Verzicht auf Vergeltung (Backe; Mantel) 5,43-48 Von der Feindesliebe 5,43 — — Nächstenliebesgebot 5,44 6,27-28 *6,27-28 Aufforderung zu Feindesliebe und Fürbitte für Verfolger 5,45 — — Die Sonne über Bösen und Guten 5,46-47 6,32-33 — Was ist der Lohn, wenn ihr die liebt, die euch lieben/ denen Gutes tut, die euch Gutes tun? 5,48 6,36 *6,36 Seid vollkommen/ barmherzig wie der Vater Frömmigkeitsregeln: 6,1-18 6,1-4 — — Almosen 6,5-15 Beten 6,5-6 — — Nicht in der Öffentlichkeit beten 6,7-8 — — Nicht plappern wie die Heiden — 11,1 *11,1 Bitte um Gebetsbelehrung 6,9-13 11,2-4 *11,2-4 Vater Unser 6,14-15 — — Vergebung durch Gott, wenn ihr Menschen vergebt (vgl. Mk 11,25-26) 6,16-18 — — Fasten Paränetische Konkretionen: 6,19-7,11 6,19-21 12,33-34 (*12,33-34) Sammelt unvergängliche Schätze! 6,22-23 11,34-36 (*11,34-36) Das Auge als Licht des Leibes 6,24 16,13 *16,13 Niemand kann zwei Herren dienen! 6,25-34 12,22-32 *12,22-27 *12,29-32 Vom Sorgen 7,1-5 Vom Richten 7,1 6,37a *6,37a Richtet nicht! 7,2a — — Ihr werdet nach eurem Recht gerichtet … 7,2b 6,38c *6,38c … und nach euren Maß wird euch zugemessen (vgl. Mk 4,24a) 7,3-5 6,41-42 *6,41-42 Splitter und Balken im Auge 7,6 — — Entweihung des Heiligen/ Perlen vor die Säue 7,7-11 11,9-13 *11,9-13 Belehrung über Gebetserhörung 7,12 6,31 *6,31 Zusammenfassung: Goldene Regel 270 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Warnung vor Nichterfüllung: 7,13-28 7,13-14 13,23-24 (*13,23-24) Von den zwei Wegen 7,15-20 An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! 7,15 — — Warnung vor falschen Propheten 7,16-18 6,43-44 *6,43(-44) Der gute und der schlechte Baum 7,19-20 — — Schlechte Bäume werden verbrannt; an den Früchten sollt ihr sie erkennen 7,21-23 Herr-Herr-Sagen 7,21 6,46 *6,46 Nicht alle Herr-Herr-Sager werden in das Reich kommen 7,22-23 13,25-27 *13,25-27 Abweisung der Übeltäter 7,24-27 6,47-49 (—) Haus auf dem Felsen Abschluss der Rede: 7,28-29 7,28 7,1 *7,1 Abschluss der Rede 7,29 4,32 *4,32 Lehre in Vollmacht (vgl. Mk 1,21-22) Die folgenden Überlegungen zur mt Komposition nehmen ihren Ausgangspunkt bei Beobachtungen an dieser Übersicht zur Bergpredigt. a. Die mt Integration von *Ev in Mk Eine erste Beobachtung ist wenig aufregend, weil sie die als unkritisch eingestufte Bearbeitungsrelation ② zwischen Mk und Mt bestätigt: Mk stellt die Hauptquelle dar, in die Mt weiteres Material eingearbeitet hat. 37 Für die große Redekomposition Mt 5-7 38 ist das an den Übergängen zu Beginn (Mt 4,25-27; 5,1 || Mk 3,7-13a || Lk 6,17-19) und am Ende (Mt 7,28f || Mk 1,21f) kenntlich. Dass die Bergpredigt nicht allein aus Stoffen der mt-lk Doppelüberlieferung komponiert ist, zeigen die sehr wenigen mk Parallelen. Unter ihnen nimmt das Logion über das Gebet ohne Groll gegen den Mitmenschen (Mt 6,14f || Mk 11,25f) eine Sonderstellung ein: Im methodischen Rahmen der Zwei-Quellentheorie gehört dieses Wort nicht zur Dreifachüberlieferung: Lk hat es nicht. 39 ______________________________ 37 Vgl. als Beispiel für viele: U. L UZ , Matthäus und Q, in: R. Hoppe, U. Busse (Hg.), Von Jesus zum Christus, Berlin 1998, 201-216, 207: Mt kann »als Neuausgabe des Markusevangeliums verstanden werden … Die Logienquelle dagegen hat Matthäus ›ausgeschlachtet‹ und dabei ihren Aufbau zerstört.« Vgl. DERS ., Das Matthäusevangelium: Ein neues Evangelium oder ein neu redigiertes Evangelium? , in: S. Chapman u. a. (Hg.), Biblischer Text und theologische Theoriebildung, Neukirchen-Vluyn 2001, 53-76. 38 Zur inhaltlichen Gliederung vgl. den Vorschlag von C HR . B URCHARD , Versuch, das Thema der Bergpredigt zu finden, in: ders., Studien zur Theologie, Sprache und Umwelt des Neuen Testaments, Tübingen 1998, 27-50. 39 Die textkritische Besonderheit der Überlieferung von Mk 11,26 (om א B L W Δ Ψ 565 700 892 2427 pc k l sy s sa bo pt ) legt es nahe, dass Mk 11,26 nicht bereits im vorkanonischen *Mk enthalten war, sondern erst auf der Ebene der Kanonischen Redaktion in Analogie zu Mt 6,15 eingefügt wurde. § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 271 Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die mt Rezeption von Mk durchaus in das überlieferungsgeschichtliche Bild unter Einzeichnung der *Ev-Priorität auch vor Mk passt. Dass Mk die Hauptquelle des Mt ist, lässt sich anhand der Bergpredigt (mit der kleinen Ausnahme Mt 6,14 || Mk 11,25) gerade nicht zeigen. Denn die weiteren Parallelen zwischen Mt 5-7 und Mk gehen auf Texte zurück, die bereits in *Ev enthalten waren, sodass sich die direkte Abhängigkeit des Mt von Mk an dieser Stelle weniger gut zeigen lässt als an den zahlreichen weiteren Beobachtungen, zu denen vor allem die Übernahme der mk Akolouthie durch Mt ab Mk 2,23 || Mt 12,1 gehört. b. Mt rezipiert Material aus *Ev, das Lk redaktionell verändert Neben der Bearbeitungsrelation ② zwischen Mk und Mt belegt die Übersicht zu Mt 5-7 vor allem die Bearbeitungsrelation ④ zwischen *Ev und Mt. Auch diese Beobachtung ist auf den ersten Blick wenig aufregend, sie ähnelt den Erklärungen der Zwei-Quellentheorie: Der Großteil des Stoffes der Bergpredigt gehört der mt-lk Doppelüberlieferung an, den Mt in den durch Mk konstituierten Erzählrahmen integriert. Unter der Prämisse der *Ev-Priorität lag dieses Material allerdings nicht in »Q« vor, sondern in *Ev, von dem Mt abhängig ist. Dass Mt (in diesem Stoff) nicht von Lk, sondern entlang der Bearbeitungsrelation ④- von *Ev abhängig ist, lässt sich an einer ganzen Reihe von Beispielen zeigen, nämlich immer dann, wenn Mt den Wortlaut von *Ev rezipiert hat, Lk ihn aber (oft nur geringfügig) verändert. Dieses Phänomen ist gegenüber der Behandlung der »Minor Agreements« neu: Diese werden durch die Übereinstimmungen von Mt und Lk im Rahmen der Dreifachüberlieferung konstituiert. Hier geht es dagegen um mt-lk Differenzen im Rahmen der Doppelüberlieferung. Mt 5,3-10: In den ersten acht Makarismen bietet Mt 5,3-10 die Apodosis in der 3. Pers. und unterscheidet sich darin von den drei ersten Makarismen der lk Feldrede (Lk 6,20f), deren Apodosis, analog zum letzten Makarismus, in der 2. Pers. gehalten ist. Diese Inkongruenz ist bereits ein Merkmal der Makarismen in *Ev, wie Tertullians Referat zeigt (s. die Rekonstr. zu *6,20f). Die Formulierung der ersten drei Makarismen Lk 6,20f in der 2. Pers. im kanonischen Lk-Text ist also das Ergebnis einer redaktionellen Angleichung aller vier (lk) Makarismen. In der handschriftlichen Überlieferung zu Lk 6,20f (it sy usw.) haben sich die Spuren von *Ev noch erhalten. Das bedeutet, dass Mt 5,3-9 von *Ev abhängig ist: Er hat *6,20f so bearbeitet, dass er ein Glied (*6,21b: Weinende) gestrichen, sechs weitere ergänzt (Mt 5,4f.7-10: Leidtragende; Trauernde; Barmherzige; die reinen Herzens sind; Friedfertige; Verfolgte) und die restlichen beiden (*6,20b.21b) »spiritualisierend« bearbeitet hat. Mt 5,3b: In der Apodosis des ersten Makarismus findet sich die typisch mt klingende Formulierung vom »Reich der Himmel« (βασιλεία τ ῶ ν ο ὐ ρ α ν ῶ ν ). Die lk Entsprechung bietet dafür das in Lk sehr viel breiter bezeugte (Lk 6,20b: βασιλεία τ ο ῦ θ ε ο ῦ ). Allerdings bezeugt Tertullian (4,14,13) die »mt« Formulierung βασιλεία τῶν οὐρανῶν bereits für *Ev. Auch diese Lesart hat sich noch in einigen Zeugen der handschriftlichen Überlieferung erhalten (darunter sowohl Altlateiner 272 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch als auch Altsyrer). 40 Obwohl Mt eine deutlich erkennbare Vorliebe für die Formulierung βασιλεία τ ῶ ν ο ὐ ρ α ν ῶ ν besitzt, hat er sie nicht erfunden. Vielmehr hat er sie bereits *Ev vorgefunden 41 und sich dadurch zu seinem charakteristischen Sprachgebrauch anregen lassen, den er redaktionell ziemlich konsequent beibehalten hat, sowohl in eigenen Formulierungen als auch in Änderungen der Formulierung βασιλεία τοῦ θεοῦ aus Mk und *Ev. Mt 5,26: In der ersten Antithese vom Töten und vom Zürnen bringt Mt 5,24-26 die Aufforderung zur Versöhnung mit dem Prozessgegner, die Lk in dem ganz anderen Kontext über die Notwendigkeit der Erkenntnis der Zeichen der Zeit enthält (Lk 12,57-59). Dieser Kontext ist ursprünglich, wie die Bezeugung für *Ev belegt (Tert. 4,29,15f). Auch in diesem Fall hat Mt den älteren *Ev- Wortlaut genauer bewahrt als Lk: Der »letzte Heller«, von dem das Beispiel spricht, ist in Mt 5,26 ein κοδράντης (ein quadrans im Wert von einem ¼ As), in Lk 12,59 dagegen ein λεπτόν (im Wert von ½ As). Der mt κοδράντης ist nicht nur durch Tertullian für *Ev bezeugt, sondern hat sich auch noch in Lk 12,59 in einer Reihe von Handschriften (D it) erhalten. Mt 5,38-42: In der Antithese über die Vergeltung findet sich Mt 5,39 die Aufforderung, auch die andere Backe hinzuhalten, die Lk im gleichen Kontext der Feldrede bietet: Mt 5,39 ὅστις σε ῥαπίζει εἰς τὴν δεξιὰν σιαγόνα || Lk 6,29 τῷ τύπτοντί σε ἐπὶ τὴν σιαγόνα. Beide Fassungen unterscheiden sich nicht nur in der syntaktischen Form (konditionaler Relativsatz bei Mt, Partizipialsatz bei Lk), sondern auch in drei weiteren Formulierungen: σε ῥαπίζει Mt ≠ τύπτοντί σε Lk; εἰς Mt ≠ ἐπί Lk; Mt δεξιάν ÷ Lk. Alle Merkmale der mt Fassung einschließlich der syntaktischen Form sind bereits für *Ev bezeugt. Auch hier übernimmt Mt den ursprünglichen Wortlaut unverändert, während Lk ihn stilistisch verändert. Die hier genannten mt-lk Differenzen im Material der Doppelüberlieferung gehen also auf den unterschiedlichen Umgang mit der gemeinsamen Quelle *Ev zurück: Lk hat geringfügige Änderungen vorgenommen, die sich häufig genug als kleine stilistische Glättungen bzw. Präzisierungen verstehen lassen, Mt hat dagegen *Ev unverändert übernommen. Von besonderer semantischer Signifikanz sind diese Differenzen nicht: Darin gleichen sie den »Minor Agreements«. Aber es gibt auch Beispiele von großer inhaltlicher Bedeutung. In dieser Hinsicht ist eine doppelte Beobachtung von größtem Gewicht. Zunächst bezeugen sowohl Tertullian als auch Adamantius für *6,27 die Talio-Regelung (Ex 21,24; Dtn 19,21; Lev 24,20), die auch Mt 5,38 enthalten ist. Mit großer Wahrscheinlichkeit besaß sie in *Ev nicht nur eine Einleitung, die ausdrücklich auf das Gesetz verwies (ἐν τῷ νόμῳ λέγει …), sondern auch die Fortführung mit der typisch mt Einleitung der Antithesen (ἀλλὰ ὑμῖν λέγω τοῖς ἀκούουσιν …). 42 Mt hat also 5,38 i. W. aus *Ev übernommen, während Lk den Wortlaut verändert hat. Die inhaltliche Bedeutung ergibt sich allerdings erst aus der schon mehrfach ______________________________ 40 βασιλεια των ουρανων: X* mult lect c f sy s.j(1 ms) georg II got slav Bas Aphr; βασιλεια του ουρανου: sa bo mss aeth. 41 Vgl. außerdem zu *13,18f; *18,16f; *19,27. 42 Tert. 4,16,1.2.4; Adam. 1,15 (814a). Zum genauen Wortlaut und zur Stellung im Kontext vgl. die Rekonstruktion z. St. § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 273 angesprochenen Beobachtung zur Anklage Jesu vor Pilatus: *23,2 enthielt unter den falschen Anklagen auch den Vorwurf, Jesus würde »das Gesetz und die Propheten auflösen.« 43 Dieser Vorwurf ist im Kontext von *Ev gerade mit Blick auf *6,27 ἐν τῷ ν ό μ ῳ λέγει … ἀ λ λ ὰ ὑμῖν λέγω nicht ganz von der Hand zu weisen, obwohl im Gesamtzusammenhang deutlich ist, dass *Ev fraglos davon überzeugt war, dass eher Himmel und Erde als nur »ein einziges Häkchen der Worte des Herrn« vergehen (*16,17). Die inhaltliche Spannung zwischen Mt 5,17-20 auf der einen Seite und den Antithesen (Mt 5,21-48) auf der anderen war der Sache nach also schon in *Ev enthalten. Die Entstehung dieser Spannung, die durch die gesamte Rezeptionsgeschichte hindurch kreative hermeneutische Lösungen produziert hat, 44 lässt sich jetzt einigermaßen nachvollziehen. Denn die ewige Geltung von »Gesetz und Propheten«, die Mt 5,17-20 mit starker Betonung vor die Antithesen stellt, liest sich wie eine direkt auf *23,2 bezogene Klarstellung: Der Vorwurf in der Anklage vor Pilatus, dass Jesus Gesetz und Propheten auflöse, ist eine lügenhafte Unterstellung der Synhedristen. Vielleicht hat Mt sich zu dieser Klarstellung veranlasst gefühlt, weil die Reihe der Vorwürfe gegen Jesus in *23,2 neben den falschen Anklagen ja auch den einen zutreffenden Aspekt enthielt (»er ist der gesalbte König«), den Jesus auf die Rückfrage des Pilatus hin ausdrücklich bestätigt (*23,3). Wenn Mt nicht nur allegemeine Kenntnisse von *Ev besaß, sondern so souverän über seinen Inhalt verfügte, dass er ohne Schwierigkeiten auch entfernte Texte in den Kontext der Bergpredigt integrieren konnte, dann ist es eine naheliegende Vermutung, dass er die lügenhafte Anklage (»er löst das Gesetz und die Propheten auf! «) durch Jesus selbst entkräften ließ: »Glaubt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzulösen. Nicht zum Auflösen bin ich gekommen, sondern zum Erfüllen! « Ob die Vv. 5,17-20 bereits eine antimarcionitische Tendenz verfolgen, lässt sich nicht ausmachen. Aber dass sie das durch Marcion sehr deutlich problematisierte Verhältnis der entstehenden Kirche zum Judentum anhand einer theologischen Klärung der Geltung des »Gesetzes« thematisieren, lässt sich nicht bestreiten. Mt hat den seiner Ansicht nach falschen Gegensatz zwischen dem Gesetz und der Lehre Jesu nicht nur dadurch zu beseitigen versucht, dass er den Antithesen Mt 5,17-20 programmatisch vorangestellt hat. Er hat auch den expliziten Hinweis auf das Gesetz aus *6,27 getilgt: Die Lehre Jesu richtet sich nicht gegen das Gesetz, ______________________________ 43 Epiph., Schol. 69: Προσέθετο μετὰ τό Τοῦτον εὕρομεν διαστρέϕοντα τὸ ἔθνος· Καὶ καταλύοντα τὸν νόμον καὶ τοὺς προϕήτας. 44 Eine kleine Auswahl bei L UZ , Mt I 247ff. 274 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch sondern gegen das, was »zu den Alten gesagt ist«. 45 Diese theologische Korrektur ist verantwortlich für das Problem, dass sich nicht genau unterscheiden lässt, ob der mt Jesus sich gegen Bestimmungen der Tora oder gegen (aufweichende) Interpretationen richtet. 46 Lk hat das gleiche sachliche Problem auf andere Weise gelöst: Er hat sowohl den Hinweis auf das, »was im Gesetz gesagt ist«, als auch die antithetische Einleitung der Lehre Jesu gestrichen (*6,27 ἐν τῷ νόμῳ λέγει … ἀλλὰ ὑμῖν λέγω). Der Preis dieser Lösung ist der Verzicht auf den expliziten Hinweis auf das Neue der Lehre Jesu. Diese hier genannten Beispiele für die mt Rezeption von *Ev entlang der Bearbeitungsrelation ④ im Unterschied zur lk Rezeption von *Ev in der Relation ① bestätigen zunächst nur das Phänomen, dass Mt auf *Ev (und nicht auf »Q«) zurückgegriffen hat, um die aus Mk stammende Jesuserzählung zu ergänzen. Da auch Lk *Ev ausschreibt, entstehen hier die als mt-lk Doppelüberlieferungen bekannten Entsprechungen. Die hier vorgestellten Beispiele zeigen eine erste Möglichkeit für das Zustandekommen dieser Entsprechungen, und sie zeigen auch, auf welchem Wege die kleineren Differenzen in diesem Material zustande kommen konnten. c. Mt ergänzt und redigiert Material aus *Ev, Lk übernimmt die mt Änderungen Die große Ähnlichkeit zwischen *Ev und Lk bei der gleichzeitigen Unterscheidung ihrer Positionen im Verlauf der Überlieferungsgeschichte konstituiert die Differenz zwischen den beiden Bearbeitungsrelationen ① auf der einen Seite sowie ④ und ⑤ auf der anderen. Aus diesem Grund können die mt-lk Differenzen im Material der Doppelüberlieferung auf verschiedene Weise entstanden sein: Nicht nur dann, wenn Mt den Wortlaut aus *Ev bewahrt, Lk ihn aber redaktionell verändert hat, sondern auch dann, wenn Mt redaktionelle Änderungen bzw. Ergänzungen gegenüber *Ev vorgenommen hat und Lk diese mt Änderungen übernimmt. Da Lk diesen mt Änderungen nicht blind folgt, sondern sie seinerseits bearbeitet, ergibt sich eine zweite Möglichkeit für das Zustandekommen der kleineren Differenzen im Material der mt-lk Doppelüberlieferung. Auch dieser Überlieferungsweg lässt sich am Material der Bergpredigt zeigen. Mt 5,12: Am Ende der Makarismen haben Mt und Lk eine Aufforderung zur Freude, die anschließend begründet wird (Mt 5,12a.b || Lk 6,23a.b). Im Rahmen der Zwei-Quellentheorie steht die Zuweisung dieses Verses an »Q« außer Frage. 47 Aber die Aufforderung zur Freude Mt 5,12a || Lk 6,23a hat in *Ev gefehlt (zur Begründung s. die Rekonstruktion): Erst Mt hat sie nachgetragen, und Lk ist ihm ______________________________ 45 Mt 5,21.31.33: ἠκούσατε ὅτι ἐρρέθη τοῖς ἀρχαίοις (vgl. jedoch 5,31 v. l. τοις αρχαιοις: om k sy s Iren lat ; dies ist wahrscheinlich der vorkanonische Wortlaut in *Mt); 5,27.38.43: ἠκούσατε ὅτι ἐρρέθη. 46 Vgl. dazu C HR . B URCHARD , Versuch, das Thema der Bergpredigt zu finden, in: ders., Studien zur Theologie, Sprache und Umwelt des Neuen Testaments, Tübingen 1998, 27-50: 40-44. 47 Vgl. als Beispiel für viele L UZ , Mt I 202: »Wahrscheinlich ist, daß der Spruch in der Gemeinde (…) gebildet wurde, sicher, daß er in Q stand.« § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 275 darin gefolgt. Für mt Redaktion spricht der charakteristische Sprachgebrauch. 48 Lk übernimmt ihn teilweise, aber auch er ändert die Formulierung. 49 Die redaktionelle Einfügung von Mt 5,12a ist dadurch veranlasst, dass Mt die unterschiedliche Formulierung der drei ersten Makarismen (in *Ev ) in der 3. Pers. (*6,20b.21) für Mt 5,3-10 übernommen hat, den letzten Makarismus aber (wie *6,22) in der 2. Pers. formuliert. Da Mt die Weherufe *6,24-26 übergeht, leitet die direkte Anrede im letzten Makarismus direkt zu 5,13 ὑμεῖς ἐστε τὸ ἅλας τῆς γῆς über. Die Begründung, die Mt 5,12b ergänzt, passt nicht besonders gut und wird daher als »Anhang« beurteilt: »Inwiefern die Verfolgung der alttestamentlichen Propheten die Verheißung des himmlischen Lohns begründet, bleibt unklar.« 50 In *Ev ist die begründende Funktion von *6,23b (im Anschluss an *6,22) etwas klarer (obwohl die kausale Konjunktion fehlte): *Ev sprach nicht von »ihren«, sondern von »euren Vätern« und kontrastiert das Verhalten der Väter (die Unrecht zugefügt haben) und das der Söhne (die Unrecht erleiden). Mt 5,46f: Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Logion über die Reziprozität der guten Taten in der letzten Antithese über die Feindesliebe (Mt 5,46f || Lk 6,32f). Auch, wenn letzte Sicherheit wegen der fehlenden direkten Bezeugung nicht zu erlangen ist, spricht vieles dafür, dass Lk 6,(30b)32f(34b) in *Ev fehlte (vgl. im Einzelnen die Rekonstruktion). Das würde bedeuten, dass diese aufeinander Bezug nehmenden Passagen über die Überwindung des Prinzips der Reziprozität der Gaben erst auf die lk Redaktion zurückgehen, die dann durch die redaktionelle Einfügung von Mt 5,46f angeregt worden wäre. Das bleibt allerdings unsicher. Mt 6,30: In dem längeren Abschnitt über das Sorgen (Mt 6,25-34 || Lk 12,22-32) hat Lk 12,28 || Mt 6,30 in *Ev gefehlt, wie Epiphanius vermerkt (Schol. 31). Der restliche Kontext war i. W. (allerdings ohne Lk 12,33a) in *Ev enthalten. Das heißt: Mt fand die Abhandlung über das Sorgen in *Ev vor, hat sie von dort in die Bergpredigt übernommen und verschiedentlich geringfügig bearbeitet. Vor allem hat er die Schlussfolgerung mit dem Schluss a minore ad maius in Mt 6,30 ergänzt und dadurch die Parallelität zu οὐχ ὑμεῖς μᾶλλον διαϕέρετε αὐτῶν Mt 6,26 || πόσῳ μᾶλλον ὑμεῖς διαϕέρετε τῶν πετεινῶν *12,24d geschaffen. Das Stichwort ὀλιγόπιστοι erweist die mt Diktion dieses Verses, den Lk 12,28 aus dem Kontext der mt Bergpredigt übernommen hat. Beide Ergänzungen - zuerst entlang der Relation ④ von *Ev zu Mt und dann entlang der Relation ⑤ von Mt zu Lk - belegen, wie genau auch Lk seine Vorlagen verglichen hat: Er hatte bei der Bearbeitung von *12,22ff auch Mt 6,25ff vorliegen und hat *Ev nach Mt komplettiert. Mt 7,24-26: Am Ende der Bergpredigt hat das Gleichnis von dem auf Fels bzw. auf Sand gebauten Haus Mt 7,24-27 || Lk 6,47-49 mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls in *Ev gefehlt (vgl. die Rekonstruktion). Es wird im Rahmen der Zwei-Quellentheorie ohne weiteres »Q« zugeschlagen. 51 ______________________________ 48 ὁ μισθός ist ein mt Vorzugswort (vgl. die Liste bei L UZ , Mt I 45). Auch der Plural ἐν τοῖς οὐρανοῖς ist typisch mt, Lk ändert ihn in den Singular. 49 Vgl. σκιρτήσατε anstelle von ἀγαλλιᾶσθε; die Wendung ἰδοὺ γάρ ist typisch lk (vgl. etwa K LEIN , Lk 249 Anm. 45). 50 L UZ , Mt I 215, der exemplarisch für viele andere steht. Dasselbe Problem stellt sich für Lk 6,23b: es »bleibt unklar, was dieser Satz begründen soll; die Konjunktion γάρ geht irgendwie ins Leere« (W OLTER , Lk 251 z. St.). 51 Vgl. L UZ , Mt 1 412; K LEIN , Lk 265. Wegen der geringen Übereinstimmung zwischen den beiden Texten wurden auch zwei verschiedene Fassungen erwogen. Vgl. H.-T H . W REGE , Die Überlieferungsgeschichte der Bergpredigt, Tübingen 1968; N OLLAND , Lk 310. 276 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Aber vermutlich ist dieses Gleichnis erst eine mt Bildung, die Lk - an der entsprechenden Stelle der Feldrede, aber in eigener Formulierung - von Mt übernommen hat. Das Phänomen, dass spezifische Entsprechungen zwischen Mt und Lk gegenüber Mk auch dadurch zustande kommen können, dass Lk redaktionelle Änderungen und Ergänzungen von Mt übernimmt, die dieser gegenüber seinen Quellen Mk und *Ev vorgenommen bzw. eingefügt hat, ist schon zu den »Minor Agreements« aufgefallen: Das Phänomen ist nicht weiter erstaunlich, es ist auch nicht auf die Bergpredigt beschränkt. Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe weiterer Texte, die im methodischen Horizont der Zwei-Quellentheorie »Q« zugerechnet werden, die unter der Prämisse der *Ev-Priorität aber auf die mt Redaktion von *Ev zurückgehen und die Lk aus Mt übernommen hat. Nur zwei Beispiele sollen das Verfahren illustrieren. Mt 11,16-19: Die Belehrung über die »Kinder der Weisheit« (Mt 11,16-19) ist Teil der mt Belehrung über den Täufer. Dieser ganze Abschnitt geht auf *Ev zurück: Mt hat die Anfrage des Täufers und die Antwort Jesu bereits in *Ev gefunden (*7,18-28) und sie von dort übernommen (Mt 11,2- 11), wobei er einige wichtige Änderungen vornahm. Vor allem hat Mt den Aspekt gestrichen, dass der Anlass für die Frage des Johannes darin lag, dass er, als er von den Taten Jesu (Auferweckung des Jünglings in Nain! ) hörte, Anstoß an ihm nahm (*7,18: ἀκούσας τὰ ἔργα αὐτοῦ ἐσκανδαλίσθῃ, vgl. die Rekonstruktion). Dementsprechend ist auch der abschließende Makarismus der Antwort Jesu (Mt 11,6 ≠ *7,23) nicht in der 2. Pers. gehalten (»Selig bist du, wenn du an mir keinen Anstoß nimmst! «), sondern in der 3. Pers. An die aus *Ev stammende Belehrung der Menge (*7,24-28 || Mt 11,7-11) hat Mt zunächst ad vocem Johannes den sog. »Stürmerspruch« (Mt 11,12f || *16,16) angefügt und am Ende eine eigene, redaktionelle Erklärung geliefert, dass Johannes der verheißene Elia sei (Mt 11,14f). Der Sache nach geht diese Erklärung sehr wahrscheinlich auf Mk 9,13 zurück, aber Mt lässt es nicht auf einer Andeutung beruhen, sondern schafft Eindeutigkeit. An diese Identifizierung hat Mt die Kritik an »diesem Geschlecht« angefügt, das nicht auf die Ansprüche des Täufers und Jesu reagiert hat, obwohl diese doch ganz verschieden waren (Mt 11,16-19). Ob Mt dieses Gleichnis von den spielenden Kindern selbst gebildet oder aus einer (welcher? ) Quelle übernommen hat, bleibt offen. Lk hat die ganze Einheit bei Mt gelesen, sie in den ihm vorliegenden Kontext *7,18-28 eingearbeitet und dabei auch einige der mt Veränderungen gegenüber *Ev mit übernommen (z. B. Lk 7,23 || Mt 11,6 ≠ *7,23). An der Stelle, an der Mt die Identifizierung des Täufers mit dem verheißenen Elia vornimmt und aus *Ev das Urteil über Johannes aus *16,16 einfügt (Mt 11,12- 14), ist Lk von beiden Quellen abgewichen: Er hat mit Lk 7,29f einen eigenen Rückverweis auf die Täuferüberlieferung eingefügt (vgl. Lk 7,29 mit 3,7-14! ), der seinerseits durch die mt Täuferkomposition beeinflusst ist (Mt 11,2 || Lk 3,20: Johannes im Gefängnis). Diese Einfügung bildet die Überleitung zu dem aus Mt 11,16-19 stammenden Gleichnis der spielenden Kinder (Lk 7,31-35). Die Spuren dieser beiden redaktionellen Einfügungen in den Kontext von *Ev sind noch sichtbar: (1) Indem Lk mit 7,29f einen eigenen (von Mt 11,12-15 abweichenden) Übergang vom Urteil Jesu über den Täufer zu dem Gleichnis von den spielenden Kindern (Lk 7,31-35) schafft, hat er die Belehrung Jesu unterbrochen, die bei Mt als durchgehende Jesusrede gestaltet ist (Mt 11,7b-19). Die Konsequenz ist, dass die Wiederaufnahme der Jesusrede in Lk 7,31 gar § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 277 nicht erkennen lässt, dass nicht der Erzähler, sondern Jesus das Subjekt von ὁμοιώσω ist (Lk 7,31). (2) Durch die Einfügung von Lk 7,31-35 kommt der Vorwurf, Jesus sei ein »Fresser und Weinsäufer« unmittelbar vor der Erzählung über seine Einladung zum Essen zu stehen (*7,36ff). Auch, wenn Jesus sich in dieser Episode tatsächlich als ϕίλος τελωνῶν καὶ ἁμαρτωλῶν (Lk 7,34) erweist, ist es doch einer der gerade kritisierten Pharisäer (Lk 7,30), der ihn zum Essen einlädt (*7,36). Mt 12,39-42: Eine entsprechende Überlieferungsgeschichte ist auch für Mt 12,39-42 || Lk 11,29- 32 anzunehmen. Die Zeichenforderung (Mt 12,38 || Lk 11,29) war bereits in *Ev enthalten (*11,29), allerdings (ganz analog zu Mk 8,12) ohne die letzten Worte mit dem Hinweis auf Jona: *11,29 Mk 8,12 Mt 12,39 Lk 11,29 (…) ἤρξατο λέγειν· ὁ δὲ … εἶπεν αὐτοῖς· (…) ἤρξατο λέγειν· ἡ γενεὰ αὕτη γενεὰ πονηρά ἐστιν· τί ἡ γενεὰ αὕτη γενεὰ πονηρὰ καὶ μοιχαλὶς ἡ γενεὰ αὕτη γενεὰ πονηρά ἐστιν· σημεῖον ζητεῖ, ζητεῖ σημεῖον; σημεῖον ἐπιζητεῖ, σημεῖον ζητεῖ, καὶ σημεῖον οὐ δοθήσεται αὐτῇ. ἀμὴν λέγω ὑμῖν, εἰ δοθήσεται τῇ γενεᾷ ταύτῃ σημεῖον. καὶ σημεῖον οὐ δοθήσεται αὐτῇ καὶ σημεῖον οὐ δοθήσεται αὐτῇ εἰ μὴ τὸ σημεῖον Ἰωνᾶ τοῦ προϕήτου. εἰ μὴ τὸ σημεῖον Ἰωνᾶ. Nach dem Zeugnis des Epiphanius (Schol. 25) fehlte in *Ev der abschließende Hinweis auf Jona sowie die folgenden Vv. Lk 11,30-32. Sie haben eine Parallele in Mt 12,40-42, nicht aber in Mk. Auch, wenn die Mehrheit der Exegeten den Ursprung des Doppellogions über Jona und über die Königin des Südens in »Q« vertritt, ist die Überlieferungsgeschichte vor allem wegen der Entsprechung zu Mk alles andere als klar: Die Zeichenforderung Mt 12,38-42 || Lk 11,29-32 hat zwar die Entsprechung in Mk 8,11f, aber im unmittelbaren mt-lk Kontext finden sich die Beelzebulthematik (Mt 12,22-30 || Lk 11,14-23 || Mk 3,22-27) sowie die Warnung vor Rückfall (Mt 12,43-45 || Lk 11,24-26): Im einen Fall fehlt eine mk Entsprechung, im anderen hat sie einen ganz anderen Kontext. Aus diesen Gründen nehmen manche eine »Mk-Q-Doppelüberlieferung« an, 52 andere rechnen mit dem Einfluss mündlicher Überlieferung. 53 Diese Schwierigkeiten lösen sich problemlos, weil Mk die Beelzebuldiskussion (*11,14ff || Mk 3,22ff) aus kompositionellen Gründen nach vorne gezogen hat, die Zeichenforderung aus *Ev aber in den ebenfalls aus inhaltlichen Gründen stark bearbeiteten Zusammenhang in Mk 8 übernommen hat. Mt hat den Exorzismus des »stummen Dämons« mit der Beelzebuldebatte (*11,14-23 || Mt 12,22-30) übernommen, die in *Ev unmittelbar folgende Belehrung über die Rückkehr der Dämonen (*11,24-26 || Mt 12,43-45) aber hinter die Zeichenforderung (*11,29 || 12,[38]39) umgestellt und dazwischen die eigene redaktionelle Bildung über das Jonazeichen und die Königin des Südens (Mt 12,40-42) eingefügt. Lk ist wie immer der Akoluthie von *Ev gefolgt, hat aber die mt Ergänzung (Mt 12,40-42) bemerkt und sie mit einigen Veränderungen übernommen (Lk 11,30-32): Die Umstellung der Vv. ______________________________ 52 Vgl. H. T. F LEDDERMANN , Mark and Q, Leuven 1995, 130-133: Mk kannte »Q«. 53 Beispielsweise J. S CHRÖTER , Erinnerung an Jesu Worte, Neukirchen-Vluyn 1997, 274: Es handele sich um zwei verschiedene literarische Ausprägungen derselben mündlichen Tradition. 278 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch 32.31 gegenüber Mt 11,41.42 ist sein Werk. Die komplizierten Rekonstruktionsversuche zur »Q«- Fassung von Lk 11,29-32 sind daher obsolet. 54 Für das Phänomen, dass Mt das aus *Ev übernommene Material durch redaktionelle Einschübe ergänzt, die Lk von ihm übernommen (und dann seinerseits redaktionell bearbeitet und angepasst) hat, gibt es eine Reihe weiterer Beispiele. 55 Das bedeutet: Nicht alle Texte, die im Rahmen der Zwei-Quellentheorie zu »Q« gerechnet werden, haben einen einheitlichen Ursprung. Ein Teil dieses Materials geht auf *Ev als gemeinsame Quelle zurück, ein anderer Teil auf mt Redaktion. Die Voraussetzung dieser Unterscheidung liegt in der überlieferungsgeschichtlichen Differenzierung zwischen den Bearbeitungsrelationen ④ (zwischen *Ev und Mt) und ⑤ (zwischen Mt und Lk). Sie bestätigt die Abhängigkeit des Lk auch von Mt. d. Mt ergänzt *Ev um redaktionelle Passagen Daneben ist auch das Phänomen zu beobachten, dass Mt eigenständig redaktionelle Ergänzungen gegenüber dem Material aus *Ev vornimmt, die Lk jedoch nicht rezipiert: Das ist das Material, das im Rahmen der Zwei-Quellentheorie als »mt Sondergut« bezeichnet wird. Dass dieses Material in einer Quelle vorlag, wie sie Burnett Streeter vorgeschlagen hatte, 56 ist unwahrscheinlich: Diese mt »Sondergutpassagen« weisen alle Merkmale der mt Redaktion auf und dürften von Mt selbst gebildet worden sein. 57 Über die Gründe, aus denen Lk diese mt Passagen nicht übernommen hat, kann man bestenfalls Vermutungen anstellen: Warum etwas nicht vorhanden ist, lässt sich aus grundsätzlichen methodischen Gründen nicht erklären. Innerhalb der Bergpredigt gehören zu diesen redaktionellen Einfügungen: Die Ergänzung der Makarismen in *Ev durch Mt 5,4f.7-10; die Einleitung des Wortes über das Salz (5,13a) sowie die analoge Bildung des Wortes vom »Licht der Welt« (5,14-16); die Forderung nach der »größeren Gerechtigkeit« (5,19f); der Anfang der ersten Antithese über das Töten mit der Aufforderung zur Versöhnung am Altar (5,2-23); die Einleitung zur zweiten Antithese vom Ehebruch (5,27f); in der dritten Antithese das Gebot der Ehescheidung (5,31); die vierte Antithese vom Schwören komplett (5,33-37); in der sechsten Antithese das Nächstenliebesgebot (5,43) sowie 5,45; die Passagen über das Almosengeben (6,1-4) und über das Fasten (6,16-18) ganz, im Abschnitt über ______________________________ 54 Vgl. nur die knappe Übersicht bei L UZ , Mt II 273. 55 Vgl. z. B. den Abschnitt über den Prophetenmord in der Weherede (Mt 23,34-36 || Lk 11,49-51); die Versicherung, dass die Jünger mehr wert sind als die Sperlinge (Mt 10,29-31 || Lk 12,6f); die Verheißung, dass von Osten und Westen Gäste zum Mahl kommen werden (Mt 8,12 || Lk 13,29); die Weissagung über Jerusalem (Mt 23,37-39 || Lk 13,34-35). 56 B. H. S TREETER , The Four Gospels, London 1924, bes. 249-261, mit der Annahme einer Sondergutquelle »M«. 57 Das zeigen vor allem die Untersuchungen zum distinkten Sprachgebrauch in denjenigen mt Passagen, die weder auf Mk noch auf »Q« (bzw. *Ev) zurückgeführt werden können, vgl. L UZ , Mt I 31ff. § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 279 das Beten die Einleitung zum Vater-Unser (6,5-8); das Logion über das Gericht nach den eigenen Maßstäben (7,2a) in Analogie zu dem Wort vom Maß; die Warnung vor der Entweihung des Heiligen (7,6); die Warnung vor den falschen Propheten (7,15); und die Gerichtsdrohung, dass schlechte Bäume verbrannt werden (7,19f). Schon eine kursorische Durchsicht macht deutlich, dass diese sehr unterschiedlichen und überwiegend kleinen Passagen nicht Teile einer literarischen Quelle gewesen sein können: Es handelt sich um eigenständige Bildungen, die überwiegend durch den (in *Ev bzw. Mk vorgegebenen) Kontext angeregt waren und von Mt zur Klärung und zur Präzisierung eingearbeitet wurden. Solche Erweiterungen haben alle Evangelien vorgenommen. e. Wechselnde Ursprünglichkeit im Material der mt-lk Doppelüberlieferung Ein letztes Phänomen, das gegen das Modell der »Mk-Priorität ohne Q« (Farrer; Goulder; Goodacre u. a.) die methodischen Grundlagen der Zwei-Quellentheorie zur Geltung zu bringen scheint, ist die wechselnde Ursprünglichkeit, die das Material der mt-lk Doppelüberlieferungen einmal bei Mt, einmal bei Lk zu besitzen scheint: Bei einem großen Teil des Materials der mt-lk Doppelüberlieferungen zeigen die Fassungen bei Mt und Lk uneinheitliche Bearbeitungsspuren: In manchen Fällen sind diese Bearbeitungsspuren bei Mt sehr viel deutlicher, sodass (in der Terminologie der Zwei-Quellentheorie) der »Q-Wortlaut« eher in der Lk-Fassung vorliegt, in anderen Fällen aber in der Mt-Fassung. Dieses Phänomen schließt eine direkte literarische Abhängigkeit mit einer einheitlichen Bearbeitungsrichtung - sei es Mt von Lk, sei es Lk von Mt - aus: Im literarkritischen Vergleich zweier Texte nötigt die Beobachtung der »alternierenden Ursprünglichkeit« zur Annahme, dass beide Texte durch eine dritte Instanz miteinander vermittelt sind: als unabhängige Bearbeitung derselben Quelle. Im Rahmen der Zwei-Quellentheorie ist dies das stärkste methodische Argument für »Q«, und die umfangreichen Debatten um den »ursprünglichen Q-Wortlaut«, die in den Bänden der »Documenta Q« gesammelt sind, bestätigen dieses Phänomen. Aber es ist ohne weiteres einsichtig, dass die Annahme, Mt und Lk würden (neben Mk) auf eine weitere Quelle zugreifen und diese eben in unterschiedlicher Weise redaktionell bearbeiten, nicht zwingend auf »Q« schließen lässt, sondern genauso auch für *Ev zutrifft. Da *Ev im Unterschied zu »Q« rekonstruiert werden kann, lässt sich die unterschiedlich genaue Rezeption durch Mt und Lk auch nachweisen. Zum Nachweis für dieses Phänomen genügt es, hier auf die Beobachtungen zu den Makarismen zu verweisen: Die Reihe der neun mt Makarismen ist schon immer gegenüber den vier lk Seligpreisungen für eine sekundäre Bearbeitung des Mt gehalten worden - zu Recht, wie die Rekonstruktion für *Ev zeigt. Analog dazu ist auch die mt Formulierung des Makarismus der Armen (Mt 5,3: μακάριοι οἱ πτωχοὶ τ ῷ π ν ε ύ μ α τ ι ) gegenüber dem einfacheren lk (Lk 6,20: μακάριοι οἱ πτωχοί) sekundär. Da die lk Fassung *Ev entspricht, wie Tertullian (4,14,1.13) belegt, 280 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch ist diese Beobachtung zutreffend. Umgekehrt hat die Bezeugung für *6,20b ergeben, dass die Apodosis des ersten Makarismus in *Ev nicht das lk βασιλεία τ ο ῦ θ ε ο ῦ enthielt, sondern die angeblich typisch mt Formulierung βασιλεία τ ῶ ν ο ὐ ρ α ν ῶ ν . Auch diese Beobachtung bestätigt die Differenzierung zwischen *Ev und Lk: Obwohl beide Texte sehr ähnlich sind, gehören sie zwei verschiedenen Ebenen der Überlieferungsgeschichte an: Die alternierende Ursprünglichkeit der Mt und Lk gemeinsamen Überlieferungen bestätigt das Nebeneinander der Bearbeitungsrelationen ① , ④ und ⑤ ---und damit die »Mittelstellung« von Mt zwischen *Ev und Lk. 4. Die Komposition der mt Vorgeschichte: Eine Problemanzeige Ein letzter Aspekt der Entstehung des Mt in Abhängigkeit von Mk und *Ev kann hier nur angedeutet werden, obwohl er in inhaltlicher Hinsicht ein großes Gewicht besitzt. Denn wenn Mt nicht nur von Mk abhängig ist, wie nach den meisten überlieferungsgeschichtlichen Modellen angenommen wird, sondern auch von *Ev, und wenn Lk und Mt nicht unabhängig voneinander sind, sondern dieser durch jenen benutzt wurde, dann hat dies weitreichende Konsequenzen für die Einschätzung der überlieferungsgeschichtlichen Einflüsse auf die Gestaltung des Anfangs der mt Erzählung. a. Die mt Vorgeschichte und ihre lk Redaktion Im Unterschied zu *Ev, das Jesus in seine Erzählung einführt, indem es ihn lapidar »nach Kapharnaum herunterkommen« lässt (*3,1a; *4,31-37), und anders auch als Mk, der Jesus durch das Zeugnis des Täufers und durch die Himmelsstimme bei der Taufe (Mk 1,7-11) grundlegend charakterisiert, bevor er ihn als Handlungsträger entwickelt, bietet Mt eine umfangreiche Vorgeschichte mit dem Stammbaum, der komplexen Erzählung von (der Verheißung und) der Geburt Jesu, der Verfolgung, Flucht und Rückkehr nach Nazareth, sowie der umfangreichen Tauf- und Versuchungserzählung. Auf die literarische Gestaltung und die darin zum Ausdruck gebrachten theologischen Urteile dieser mt Vorgeschichte ist hier nicht einzugehen: Sie sind gut erforscht und bekannt. Eine Schwierigkeit des umfangreichen Textkomplexes Mt 1-2 liegt jedoch im Verhältnis zu Lk 1-2: Trotz der starken Eigenständigkeit der beiden Erzählkomplexe über die Geburt Jesu besitzen sie eine ganze Reihe von Entsprechungen, die eine literarische Beziehung nahelegen, ohne dass diese Beziehung im Rahmen der Zwei-Quellentheorie befriedigend zu klären wäre - wenn denn das methodische Basiskriterium der Zwei-Quellentheorie auch für diese Vorgeschichten konsequent beachtet wird, dass Mt und Lk unabhängig voneinander entstanden sind. Zu diesen Gemeinsamkeiten zählen: § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 281 1. Die sog. Stammbäume (Mt 1,2-17 || Lk 3,23-28) sowie die sich daraus ergebende Davidssohnschaft Jesu (Mt 1,1.20 || Lk 1,27.32f); 2. die Tatsache, dass Jesus in Bethlehem geboren wurde (Mt 2,1; vgl. 2,6 || Lk 2,4-21), aber in Nazareth aufwuchs (Mt 2,23 || Lk 1,26; 2,51); 3. die Datierung der Geburt Jesu durch die Einbettung in die große, politische Geschichte (Mt 2,1.19-23 || Lk 1,5.26; 2,1ff). Besonders eng sind die lk Parallelen zu Mt 1,18-25: 4. Joseph und Maria sind verlobt, nicht verheiratet (Mt 1,18 || Lk 1,5); 5. Joseph ist Davidide (Mt 1,20 || Lk 1,27); 6. die Geburt wird durch einen Engel angekündigt (Mt 1,20 || Lk 1,30-35); 7. Maria ist Jungfrau (Mt 1,18.23 || Lk 1,34); 8. die Zeugung geschieht durch den Geist (Mt 1,18.20 || Lk 1,35); 9. die Aufforderung zur Namensgebung (Mt 1,21 || Lk 1,31); 10. die Charakterisierung Jesu als Retter (Mt 1,21 || Lk 2,11); 11. die Gottessohnschaft Jesu (Mt 1,23 || Lk 1,32.35; 3,38). Diese Übereinstimmungen werden in den verschiedenen Modellen zum Synoptischen Problem sehr unterschiedlich beurteilt: Für die »Markan-Priority-without-Q« Hypothese stellen sie überhaupt kein Problem dar. Da sie grundsätzlich mit der lk Abhängigkeit von Mt rechnet, ist hier eine deutlich größere Bereitschaft zu erkennen, diese Abhängigkeit auch im Vergleich von Mt 1f und Lk 1f zu entdecken. 58 Im Einflussbereich der Zwei-Quellentheorie ist dies naturgemäß ganz anders: Hier hat die Forschung die literarkritische Analyse dieser Übereinstimmungen ausgesprochen stiefmütterlich behandelt. Sofern man die Berührungen als literarkritisches Problem nicht schlicht ignoriert, 59 wird ihre Bedeutung heruntergespielt. 60 Mit Blick auf die ungeheure Zahl der Beiträge zu kleinen und kleinsten Beobachtungen im Kontext der Rekonstruktion von »Q« ist diese Zurückhaltung erstaunlich und nur aus der faktischen Dominanz der Zwei-Quellentheorie erklärbar, die ja eine direkte literarische Beziehung zwischen Mt und Lk a priori ausschließt. Aus diesem Grund müssen dann die Unterschiede zwischen den beiden Erzählungen als ______________________________ 58 Vgl. etwa: J. D RURY , Tradition and Design in Luke’s Gospel, London 1976, 122-127; A. F ARRER , On Dispensing with Q, in: D. E. Nineham (ed.), Studies in the Gospels, Oxford 1955, 55-88: 79f; M. D. G OULDER , Luke: A New Paradigm, Sheffield 1989, 205-264; H. B. G REEN , The Credibility of Luke’s Transformation of Matthew, in: Chr. M. Tuckett (ed.), Synoptic Studies, Sheffield 1984, 131-156: 143-145; E. F RANKLIN , Luke: Interpreter of Paul, Critic of Matthew, Sheffield 1994, 353-366. 59 Z. B. W OLTER , Lk, der die möglichen Quellen nur zum Magnificat und zum Benedictus erörtert, ansonsten die Frage der verwendeten Quellen aber erst in der Kommentierung ab Lk 3 berücksichtigt. 60 Z. B. L UZ , Mt I 87: »Die Berührungen (sc. von Mt 1-2) mit der lukanischen Geburtsgeschichte sind minimal … An manchen Punkten sind beide Überlieferungen nicht nur verschieden, sondern unvereinbar.« 282 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch »Indiz dafür gelten, daß die klassische Annahme der literarischen Unabhängigkeit des Mt und des Lk nach wie vor richtig ist.« 61 Aber die Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte unter der Prämisse der *Ev-Priorität macht das methodische Postulat dieser Unabhängigkeit im Rahmen der Zwei-Quellentheorie obsolet: Lk kannte Mt. Unter dieser Voraussetzung ergeben sich dann Gesichtspunkte für die Interpretation der Berührungen. Die Mt- Priorität vor Lk ist für diesen Bereich nur knapp anzudeuten, mehr als anfängliche Vermutungen können hier nicht angestellt werden. b. Die Differenz zwischen Nazareth und Bethlehem Ausgangspunkt ist die in Mt und Lk gemeinsame Differenz zwischen Bethlehem als Geburtsort Jesu und Nazareth als Ort seiner Herkunft. Dass Jesus aus Nazareth stammte, war durch *Ev vorgegeben: Nach *4,16 kam Jesus nach Nazara (! ), und dieser Ort wird dann als seine πατρίς identifiziert (*4,23). Mk hat diesen Hinweis aufgegriffen: Er hat die Ablehnung Jesu in seiner πατρίς in Mk 6,1-6 erzählt, sie allerdings um den misslungenen Anschlag (*4,29f) 62 gekürzt; das Pendant dazu hat Mk 3,1-6 mit dem Tötungsbeschluss der Pharisäer und Herodianer, ähnlich prominent wie *4,16-30, an den Anfang der Erzählung gerückt. Die Schlussfolgerung, dass Jesus ἀπὸ Ναζαρὲτ τῆς Γαλιλαίας stammte (Mk 1,9), konnte Mk ohne Schwierigkeiten ziehen. Mt und Lk sind ihm darin gefolgt. Da sie aber Jesu Geburt in Bethlehem erzählen (Lk) bzw. auf sie verweisen (Mt), müssen sie die Differenz zwischen dem Herkunfts- und dem Geburtsort narrativ ausgleichen. Mt tut dies durch die gesamte Anlage der Geburtserzählung: Maria und Joseph stammten aus Bethlehem, mussten aber vor Herodes fliehen und sind erst nach seinem Tod zurückgekehrt - und zwar nach Nazareth in Galiläa, das jetzt zu dem Ort wird, an dem Jesus aufwächst. Lk leistet den Ausgleich zwischen Nazareth und Bethlehem auf andere Weise: Er hält grundsätzlich an Nazareth als Herkunftsort 63 fest und lokalisiert nur die Geburt in Bethlehem, und zwar als Folge des Census zur Zeit des Quirinius. Da Nazareth als Herkunftsort durch *Ev (und Mk) vorgegeben war, lautet die entscheidende Frage: Woher kam eigentlich das gemeinsame Wissen um die bethlehemitische Geburt Jesu, die Mt und Lk gleichermaßen zu so verschiedenen Ausgleichsmanövern nötigte? Die Antwort liefert Mt 2,5f mit dem Reflexionszitat aus Mi 5,1: Aus eigener schriftgelehrter Reflexion - denn auf anderem Wege konnte man nicht von Bethlehem als Herkunftsort des Messias wissen. ______________________________ 61 L UZ , ebd. 62 Zu *4,29f und zur mk Rezeption vgl. o. S. 157ff und die Rekonstruktion z. St. 63 Vgl. die redaktionelle Einfügung οὗ ἦν τεθραμμένος Lk 4,16. § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 283 Bethlehem wird als Herkunftsort Davids außer in Mi 5 noch in 2Sam verschiedentlich erwähnt, kommt aber in den messianischen Traditionen des hellenistischen Judentums überhaupt nicht vor. Auch das rabbinische Judentum hat diese Beziehung so gut wie nicht hergestellt: Der wichtigste der seltenen Hinweise, die talmudische Erzählung von der Geburt des Messias namens Menahem in pBer 2,4 (5a,12), 64 ist verdächtig. Denn er setzt die Geburt des Messias in Bethlehem in Beziehung zur Tempelzerstörung und reagiert erkennbar auf christliche Traditionen. Dass »in ntl. Zeit die Erwartung eines Messias ›aus dem Hause David‹ mit dem Ort (sc. Bethlehem) verbunden war«, 65 gilt bestenfalls in der Folge der von Mt 2 || Lk 2 ausgehenden und sich rasch verbreitenden Ansicht, nicht aber unabhängig davon: Bethlehem ist als Geburtsort des Messias erst durch die mt-lk Geburtsgeschichte bekannt geworden. Die schriftgelehrte Reflexion, die es erlaubt, Bethlehem als Geburtsort Jesu zu identifizieren, hat Mt 2,5f geleistet, und zwar erstmalig: Für Mt besitzt der Geburtsort Bethlehem eine wesentliche theologische Bedeutung, wogegen Lk zwar die Lokalisierung der Geburt in Bethlehem übernimmt, im Unterschied zu Mt damit aber keine weitergehenden theologischen Aussagen verbindet. 66 c. Die Davidssohnschaft Jesu Die theologische Funktion Bethlehems in der Komposition der mt Vorgeschichte besteht darin, durch das narrative Setting die Davidssohnschaft Jesu zu erweisen. Mt hat auf diesen christologischen Aspekt größten Wert gelegt, wie er bereits im Titel seiner Erzählung deutlich macht (Mt 1,1: Βίβλος γενέσεως Ἰησοῦ Χριστοῦ υ ἱ ο ῦ Δ α υ ὶ δ υἱοῦ Ἀβραάμ); das Bethlehem-Reflexionszitat stellt die gleiche Intention sicher. Lk hat die Davidssohnschaft Jesu auf andere Weise zum Ausdruck gebracht, namentlich in Lk 1f durch das Benedictus (Lk 1,69), aber für ihn besitzt die Geburt Jesu ἐν πόλει Δαυίδ (Lk 2,11) keine Beweiskraft dafür, dass er der υἱὸς Δαυίδ ist. Die Frage, ob Jesus ein oder gar der Sohn Davids sei, wurde in der Geschichte der Überlieferung der Evangelien unterschiedlich beantwortet: An dieser Stelle wirft die überlieferungsgeschichtliche Rekonstruktion Licht auf die Entwicklung der Christologie. Denn die alte Ansicht, dass Jesus am Anfang der Überlieferung nicht als Davidssohn gesehen wurde, 67 lässt sich jetzt nicht nur für Mk, sondern schon für *Ev bestätigen. ______________________________ 64 Die rabbinische Rezeption der bethlehemitischen Geburt des Messias setzt erst im 4. Jh. ein (C H . H. D ODD , The Interpretation of the Fourth Gospel, Cambridge 8 1969, 90); B ILL . I 83 (zu Mt 2,5) kann neben diesem Text und dem davon abhängigen Midrash Ekha Rabbati 1,16 (58b) nur noch auf Pirqe R. Eliezer 3 (2b) verweisen. 65 A. S TROBEL , Art. Βηθλέεμ, EWNT I 513-515: 514. 66 Mt erwähnt Bethlehem in 16 Versen vier Mal (Mt 2,1.5.6.8.16). Den Kern der Aussage bildet Mt 2,4-6, weil das Zitat aus Mi 5,1 im Mund der Magier die Herodesfrage beantwortet, »wo der Messias geboren wird« (2,4: ποῦ ὁ χριστὸς γεννᾶται). In Lk 2,4 ist Bethlehem der Herkunftsort Josephs und nur deshalb der Geburtsort Jesu (Lk 2,15). 67 Vgl. W. W REDE , Jesus als Davidssohn, in: ders., Vorträge und Studien, Tübingen 1907, 147-177. 284 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Am deutlichsten wird dies in *20,41-44: Jesus weist die Ansicht der Schriftgelehrten zurück, dass der Christus der Sohn Davids sei (zum Text vgl. die Rekonstruktion). Die weiteren Hinweise auf die Davidssohnschaft Jesu gehen auf die lk Redaktion zurück: In der Einzugserzählung (*19,36-40) enthielt die Akklamation *19,38 keinen Hinweis auf David. Erst Mk 11,10 (mit dem Hinweis auf die »kommende Herrschaft Davids«) bzw. Mt 21,9 (mit der Hosanna-Doxologie τῷ υἱῷ Δαυίδ) führen das Thema der Davidssohnschaft in diesen Kontext ein. Der einzige Hinweis auf die Davidssohnschaft Jesu in *Ev ist daher der Hilferuf des Blinden in Jericho (*18,38). Im Unterschied zur kanonischen Fassung hat die verstärkende Wiederholung dieses Hilferufs (Lk 18,39) in *Ev gefehlt. Mk hat diese kritische Sicht aus *Ev übernommen: Auch er versteht die Auseinandersetzung mit den Schriftgelehrten Mk 12,35-37 als Widerlegung der Ansicht, dass der Messias der Sohn Davids sei. Ganz analog zu *Ev fehlte im vorkanonischen *Mk mit großer Wahrscheinlichkeit die Wiederholung der Bitte des blinden Bartimäus (Mk 10,48), wie die uneinheitliche Textüberlieferung anzeigt. 68 Der einzige über *Ev hinausgehende Hinweis auf David ist die Ergänzung der Akklamation in Mk 11,10 (εὐλογημένη ἡ ἐρχομένη βασιλεία τοῦ πατρὸς ἡ μ ῶ ν Δαυίδ). Aber dass »die Jesus begleitende Menge von der ›Herrschaft unseres Vaters David‹ gesprochen hatte, bezeichnete Jesus gerade nicht als ›Sohn Davids‹.« 69 Es ist für den hier interessierenden Zusammenhang von Davidssohnschaft und bethlehemitischer Geburt in Mt von Bedeutung, dass Mk in der Bartimäuserzählung die nazarenische Herkunft und die Davidssohn-Adressierung unmittelbar nebeneinander stellen konnte (Mk 10,47: Ἰησοῦς ὁ Ναζαρηνός … υἱὲ Δαυὶδ Ἰησοῦ). Für Mt war dies eine contradictio in adiecto, die er durchgängig vermeidet: Jesus war der Davidssohn, und diese Davidssohnschaft hängt wegen Mi 5,1 aufs Engste mit der bethlehemitischen Geburt zusammen. Daher beseitigt Mt konsequent die Bezeichnung Jesu als ὁ Ναζαρηνός, soweit ihm diese Verbindung durch *Ev oder Mk vorgebeben war. 70 Angesichts der großen Rolle, die der Davidssohntitel bei Mt spielt, 71 kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Auseinandersetzung um die Davidssohnschaft des Messias (Mt 22,41-46) anders zu verstehen ist als in *20,41-44 bzw. Mk 12,35-37: Zwar erschöpft sich für Mt die Identität Jesu als Gesalbter (Mt 1,16) nicht darin, dass er der verheißene Sohn Davids ist (9,27; 15,22; 20,30f; 21,9); viel wichtiger ist natürlich, dass Jesus als der Gesalbte der »Sohn des lebendigen Gottes« ist (Mt 16,16). Aber für Mt ist er dies nur als der verheißene Davidide. Aus Sicht des Mt konstituiert die aus *20,41-44 rezipierte Alternative daher eine falsche Antinomie, da sie in Jesus überwunden ist: Er ist sowohl der Sohn Davids als auch sein »Herr«. ______________________________ 68 Vgl. dazu die Rekonstruktion zu *18,39. 69 L ÜHRMANN , Mk 208 (zu Mk 12,35). Nur angemerkt sei, dass βασιλεία τοῦ πατρὸς ἡμῶν Δαυίδ in Spannung zu der ansonsten bei Mk vorkommenden βασιλεία τοῦ θεοῦ steht: Die ungenaue Einschätzung, welche βασιλεία mit dem Einzug Jesu in Jerusalem ihren Anfang nimmt, zeigt »ein nur halbwegs richtiges Verständnis dessen, wer Jesus ist« (L ÜHRMANN , a. a. O. zu Mk 11,10). 70 Mt übergeht den Exorzismus in der Synagoge von Kapernaum Mk 1,23-28 || *4,33-37 ganz (und damit auch Mk 1,24 || *4,34); auch zu *24,19 gibt es keine mt Entsprechung. In den beiden mt Rezeptionen der Blindenheilung ist der Hinweis jeweils ausgelassen (ἀκούσας ὅτι Ἰησοῦς ὁ Ν α ζ α ρ η ν ό ς ἐστιν Mk 10,47 || *10,47 ≠ ἀκούσαντες ὅτι Ἰησοῦς παράγει Mt 20,30; 9,27), ähnlich auch in der Engelbotschaft am Grab ( Ἰησοῦν ζητεῖτε τ ὸ ν Ν α ζ α ρ η ν ὸ ν τὸν ἐσταυρωμένον Mk 16,6 ≠ Ἰησοῦν τὸν ἐσταυρωμένον ζητεῖτε Mt 28,5). In der Verleugnungserzählung formuliert Mt die Anklage der Magd um (σὺ ἦσθα μετὰ Ἰησοῦ τοῦ Γαλιλαίου Mt 26,69 ≠ καὶ σὺ μετὰ τ ο ῦ Ν α ζ α ρ η ν ο ῦ ἦσθα τοῦ Ἰησοῦ Mk 14,67). 71 Vgl. C HR . B URGER , Jesus als Davidssohn, Göttingen 1970, 72-106. § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 285 Die Zurückhaltung des Mt gegenüber der Herkunft Jesu aus Nazareth kommt ausgerechnet an dem Punkt zum Ausdruck, an dem Mt den Ausgleich zwischen den beiden Ortstraditionen leistet, nämlich im Reflexionszitat Mt 2,23 im Zusammenhang mit der Rückkehr aus Ägypten. Mt kommentiert den neuen Wohnort Nazareth: ὅπως πληρωθῇ τὸ ῥηθὲν διὰ τῶν προϕητῶν ὅτι Ν α ζ ω ρ α ῖ ο ς κληθήσεται. Mit dieser Erklärung hat Mt den Exegeten ein Interpretationsproblem aufgebürdet, für das jetzt eine Lösung sichtbar wird: Erstens findet sich ein entsprechendes Zitat gar nicht, was vielleicht die ungenaue Angabe »durch die Propheten« erklärt. Vor allem aber gibt es keine etymologische Brücke zwischen Ναζωραῖος und Ναζαρηνός: Mt liefert eine falsche Erklärung, weil er aus der Herkunft Jesu aus Nazareth gerade nicht den Schluss gezogen haben möchte: »Daß Jesus Nazarener genannt werden würde, war in der Schrift geweissagt.« 72 Lk hat angesichts dieser unterschiedlichen Verhältnisbestimmungen zwischen Jesus und David erkennbar für die mt Lösung der Überbietung optiert: Auch er hält Jesus für den Davidssohn und macht diese Davidssohnschaft verschiedentlich in redaktionellen Passagen deutlich (Lk 1,32.69; 3,31). Seine Gestaltung der Pfingstrede des Petrus (Act 2,29-36) lässt erkennen, wie er sich den semantischen Gehalt von Lk 20,41-44 denkt: Obwohl Jesus eine »Frucht der Lenden« und daher der »Sohn« Davids ist (Act 2,30), ist er aufgrund seiner Auferstehung (Act 2,31) und Erhöhung (Act 2,34) David überlegen und von Gott zum κύριος und zum Χριστός gemacht worden (Act 2,36). Genau dieses Verhältnis wird Lk 1,26-38 narrativ geklärt: »Der ›Messias‹ und ›Kyrios‹ Jesus ist Davidssohn, weil Gott selbst ihn … dazu gemacht hat.« 73 Diese überlieferungsgeschichtliche Rekonstruktion zeigt nicht nur die Entwicklung christologischer Ansichten, sie macht auch deutlich, dass die entscheidende Innovation von der mt Redaktion in Szene gesetzt wurde: Sein Interesse an der Davidssohnschaft Jesu ist erkennbar größer als das des Lk. Vor allem hat erst Mt die wesentliche Bedingung geschaffen, die eine Übertragung des Davidssohntitels auf Jesus ermöglichte: Die bethlehemitische Geburt. Die kritische Haltung gegenüber der Davidssohn-Identifizierung in *20,41-44 || Mk 12,35-37 und die Bedeutung der bethlehemitischen Geburt zu ihrer Überwindung sind bei Joh noch gut zu erkennen, der hier mit seinen Prätexten spielt. Auch, wenn Joh Nathanael distanziert fragen lässt, was »denn aus Nazareth Gutes kommen« könne (Joh 1,46), ist doch die Kenntnis der bethlehemitischen Geburt immer vorausgesetzt, wie Philippus’ Hinweis auf »Jesus, den Sohn Josephs aus Nazareth« (Joh 1,45) deutlich zeigt, der die Kenntnis von Mt 1f bzw. Lk 2 voraussetzt. Das Problem wird dann in Joh 7,41f aufgegriffen. Als in der Menge die Meinung aufkommt, Jesus sei der Christus (7,41a), kontern andere mit dem ______________________________ 72 So L UZ , Mt I 131 (Hervorhebung M. K.). Aus diesem Grund ist es sehr viel einfacher und näher liegend, dass Mt dieses Reflexionszitat nicht in irgendeiner Quelle gefunden, sondern selbst gebildet hat. 73 W OLTER , Lk 662 (zu Lk 20,44). 286 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Hinweis auf die galiläische Herkunft Jesu und stellen dem entgegen, dass die Schrift sagt, dass der Christus aus dem Samen Davids und aus Bethlehem, »dem Dorf, wo David war«, herkomme: Hier sind alle Elemente wieder zusammen, die erst Mt 2,5f mit dem Reflexionszitat aus Mi 5,1 in die Debatte um die Identität Jesu eingeführt hatte. Die joh Rezeption ist ohne Kenntnis der mt Geburtsgeschichte schlechterdings undenkbar. Denn sie setzt bei den Lesern voraus, dass ihnen einerseits die Herkunft Jesu aus Nazareth geläufig ist, sie andererseits aber wissen, dass Jesus sowohl ἐκ τοῦ σπέρματος Δαυίδ ist, als auch ἀπὸ Βηθλέεμ kommt. Dieses »intertextuelle Spiel« 74 können allerdings die Leser nur des Joh gar nicht verstehen, sondern nur die Leser der ganzen Kanonischen Ausgabe, die neben Joh eben auch Mt und Lk enthält. d. Die Geschichte Jesu und die »große Geschichte« Obwohl Mt und Lk sehr verschiedene Lösungen für den Ausgleich zwischen der auf *Ev zurückgehenden Nazarethüberlieferung und der bethlehemitischen Geburt präsentieren, entsprechen sich beide darin, dass die notwendige Ortsveränderung durch die Einflüsse der großen politischen Geschichte veranlasst ist. Auch dieser Aspekt ist aufschlussreich, weil er Eingang in die jeweils weitere Komposition gefunden hat. Mt motiviert die Ortsveränderung durch die Erzählung von der Nachstellung durch Herodes, die sehr eng mit der Magiererzählung verbunden ist (Mt 2,1-12). Beide Elemente werden in 2,13-23 aufgegriffen, indem Herodes die Täuschung durch die Magier erkennt (2,16) und sich daher zu dem Mord an den bethlehemitischen Kindern veranlasst sieht (2,16-18). Zusammen mit der Traumoffenbarung an Joseph (Mt 2,13) und ihren engen Entsprechungen (1,20-23; 2,12) entsteht auf diese Weise ein enges narratives Geflecht, das die hohe Kohärenz von Mt 1,18-2,21 erweist. Die beiden Schlussverse der mt Geburtserzählung mit der Notiz von der Rückkehr aus Ägypten (Mt 2,22f) sind alles andere »als bloße geographische Überleitung«, 75 sie bilden den Zielpunkt der gesamten Komposition. Die Rückkehr der »heiligen Familie« aus Ägypten wird wiederum durch politische Veränderungen motiviert: Herodes ist tot, sein Sohn Archelaos regiert 76 in Judäa, sodass eine Rückkehr denkbar ist - wenn auch nicht nach Judäa, sondern nach Galiläa. Dass das Ausweichen nach Galiläa durch Josephs Furcht vor Archelaos »wegen seines Vaters Herodes« (Mt 2,22) veranlasst war, ist ein kleiner Schönheitsfehler, denn Mt hat gewusst, dass in Galiläa ______________________________ 74 Vgl. T HYEN , Joh 410: »Dabei besteht die Ironie dieses Spiels darin, daß es jetzt ahnungslose Juden sind, die gegen die Messianität Jesu und das bessere Wissen des impliziten Lesers geltend machen, daß er nicht in Bethlehem geboren sei.« 75 L UZ , Mt 1 131. 76 Wenn auch nicht als König, sondern als Ethnarch (Jos., Bell. II 1-13). Insofern ist βασιλεύειν Mt 2,22 ungenau. § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 287 ebenfalls ein Herodessohn regierte. 77 Aber das spielt für Mt keine Rolle, ihm ist nicht an historischer, sondern an narrativer Plausibilität gelegen, und für diese genügt es, die Ortswahl Nazareth zu motivieren. Entsprechendes trifft für den König Herodes (d. Gr.) zu. In die Schilderung Mt 2 mögen historische Reminiszenzen an die Ermordung seiner eigenen Söhne aus Gründen der Dynastiesicherung eingeflossen sein, die spätestens seit Josephus’ Werken im letzten Viertel des 1. Jh. allgemein bekannt waren. 78 Auch wäre es grundsätzlich möglich, 79 dass die Erzählung von der Huldigungsreise der Magier angeregt oder beeinflusst war von der prunkvollen Reise, die Tiridates unter der Begleitung von Magoi im Jahr 66 n.Chr. zu Nero unternahm. 80 Für das Verständnis von Mt 2,1ff ist die Annahme solcher Einflüsse jedoch nicht notwendig: Mt hätte diese Elemente auch aufgrund allgemeiner kultureller Kenntnisse selbst erfinden können. Sehr viel wichtiger ist die Beobachtung, dass Mt mit Herodes’ Versuch, den neugeborenen König zu beseitigen, ein kompositionelles Strukturmerkmal geschaffen hat, das seine Erzählung in einem weiten Bogen bis Mt 28 prägt: Die jüdischen Machthaber versuchen, Jesus zu beseitigen, scheitern damit aber. Am Ende sind es die Hohenpriester (und Pharisäer), die erst das Grab bewacht haben wollen (Mt 27,62-66), dann aber die Wächter zu ihrer Falschaussage bestechen (Mt 28,11-13) und sich auf diese Weise selbst des Betrugs schuldig machen, den verhindern zu wollen sie vorgeben (Mt 27,64). In der großen narrativen Komposition erzählt Mt, wie der Versuch, die Ausübung der von Jesus beanspruchten ἐξουσία zu vereiteln (Mt 28,18), gescheitert ist. Lk hat an der Erwähnung der bekannten Gestalten der großen Politik ein anderes Interesse: Ihm ist an dem Nachweis gelegen, dass sich die Geschichte Jesu und der Kirche »nicht in irgend einem Winkel« zugetragen hat (Act 26,26). Aus diesem Grund stellt er immer wieder Verbindungen zu allgemein bekannten Ereignissen her. So lässt er die bethlehemitische Geburt Jesu durch eine Anordnung des Kaisers Augustus zu dem Census unter der Statthalterschaft des Quirinius veranlasst sein. Noch deutlicher ist der Beginn der öffentlichen Wirksamkeit durch den sechsfachen Synchronismus datiert: Lk setzt dadurch »eine eindrucksvolle Markierung im Lauf der Geschichte, die den Zeiger der Weltenuhr gewissermaßen für einen Augenblick ______________________________ 77 Dass Herodes Antipas kein König, sondern ein Tetrarch ist, hat Mt an anderer Stelle zu Recht gegenüber Mk korrigiert (῾Ηρῴδης ὁ τετραάρχης Mt 14,1 || Lk 9,7 ≠ ὁ βασιλεὺς ῾Ηρῴδης Mk 6,14), wenn auch inkonsequent (vgl. ὁ βασιλεύς Mk 6,26 || Mt 14,9). 78 Zur Hinrichtung der Mariamne-Söhne Alexander und Aristobul in Sebaste im Jahr 7 v. Chr. vgl. Jos., Bell. I 538-551; Ant. XVI 361-394; zum Verfahren gegen den Doris-Sohn Antipatros und zu seiner Hinrichtung im Jahr 4 v. Chr. vgl. Jos., Bell. I 620-640.661-664; Ant. XVII 93-132.182-187. 79 Gegen L UZ , Mt I 115, der dies »aus zeitlichen Gründen« für unwahrscheinlich hält. 80 Diese Vermutung geht zurück auf A. D IETERICH , Die Weisen aus dem Morgenland, ZNW 3 (1902), 1-14. 288 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch innehalten läßt«. 81 Genannt sind das 15. Jahr der Herrschaft des Tiberius; 82 die Statthalterschaft des Pontius Pilatus; die Tetrarchie der Herodessöhne Herodes (Antipas) in Galiläa sowie Philippus in Ituräa und Trachonitis; die Tetrarchie des Lysanias in Abilene sowie die Hohepriesterschaft des Hannas und des Kaiaphas. Auch, wenn diese Angaben weniger genau sind, als der Historiker, der gerne eine breitere Quellenbasis hätte, sich wünscht, sind sie doch sehr präzise oder - vielleicht genauer - sehr präzise gemeint. 83 Ein schwieriges, aber aufschlussreiches Problem stellt in diesem Synchronismus das Nebeneinander von Hannas und Kaiaphas dar. Lk setzt den Singular, nennt aber zwei Pesonen: »Als Hannas Hoherpriester war und Kaiaphas« (ἐπὶ ἀρχιερέως Ἅννα καὶ Καϊάϕα). Beide haben das Amt nacheinander ausgeübt: Hannas von 6-15 n. Chr. (Jos., Ant. XVIII 26.33-35), sein Schwiegersohn Kaiaphas von 18-36 oder 37 n. Chr. (Jos., Ant. XVIII 35.95; vgl. Joh 18,13). Dass Hannas zu Beginn der Wirksamkeit Jesu als Hoherpriester amtierte, ist also ausgeschlossen, wenn Jesus im 15. Jahr von Tiberius’ Prinzipat »etwa 30 Jahre alt« war (Lk 3,23). Allerdings haben die zahlreichen Ernennungen und Absetzungen der amtierenden Hohenpriester vor allem seit der Zeit der judäischen Praefektur (6 n.Chr.) dazu geführt, dass es immer eine ganze Reihe ehemaliger Hoherpriester gab, denen aufgrund ihrer Amtsführung eine bleibende Sonderstellung zukam. 84 Aus diesem Grund erwähnt das NT die Hohenpriester (οἱ ἀρχιερεῖς) fast durchgängig als einflussreiche Gruppe, auch Josephus spricht gelegentlich von mehreren (namentlich genannten) Hohenpriestern. 85 Dass Hannas-Ananos eine besondere Rolle unter diesen ehemaligen Hohenpiestern ______________________________ 81 R ADL , Lk 150. 82 Die Tiberius-Datierung ist eindeutig und bezieht sich auf das Jahr 14 n. Chr. (vgl. D. K IENAST , Römische Kaisertabelle, Darmstadt 3 2004, 76ff). Die technische Formulierung von der ἡγεμονία Τιβερίου Καίσαρος ist korrekt und verweist auf den Beginn des Prinzipats des Tiberius (am 19. August 14 n. Chr.); gegen A. S TROBEL , Plädoyer für Lukas, NTS 41 (1995), 466-469, der aufgrund einer Angabe bei Clemens Alex. an Tiberius’ Mitregentschaft ab 11/ 12 n. Chr. denkt. 83 Vgl. K. L. S CHMIDT , Der Rahmen der Geschichte Jesu, Berlin 1919, 23: »Dieser Synchronismus sieht sehr viel gelehrter aus, als er wirklich ist.« Alle Angaben sind ansonsten zwar nicht auschließlich, aber doch ganz überwiegend, durch Josephus bekannt (über Tiberius und Pontius Pilatus verraten auch andere Quellen etwas). Vgl. Jos., Ant. XVII 188.318 (zu Herodes Antipas); Jos., Ant. XVII 189; Bell. I 668; II 95 (zu Philippus). Zu Lysanias (über den ansonsten fast gar nichts bekannt ist) vgl. Jos., Ant. XIX 275 (Ἄβιλα Λυσανίου); XX 138 (Claudius hat Agrippa II. eine Tetrarchie namens Abela geschenkt, die vorher Lysanias gehörte); Bell. II 215.247. 84 Vgl. mHor III 4b: »Und zwischen dem diensttuenden [Hohen]priester ( שׁ ֵ מּ ַ שׁ ְ מ ַ ה ן ֵ ה ֹ כּ ) und dem zurückgetretenen [Hohen]priester ( ן ֵ ה ֹ כּ ר ַ ב ָ ﬠ ֶ שׁ ) besteht kein Unterschied, außer dem Jungstier am Versöhnungstage und dem Ephazehntel. Dieser und jener sind gleich[berechtigt] beim Dienst am Versöhnungstage« (ÜS W. Windfuhr). 85 Z. B. Jos., Bell. II 243 (»die Hohenpriester Jonathan und Ananias«); Vit. 193 (Ananos und Jesus, Sohn des Gamala); Bell. IV 151 (Ananos, der Älteste der Hohenpriester); Bell. IV 160 (Gamala, Sohn des Jesus, Ananos, Sohn des Ananos, die geachtetsten der Hohenpriester) usw. § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 289 spielt, ist leicht verständlich, weil ihm mindestens fünf seiner Söhne in diesem Amt nachgefolgt sind. 86 Diese Situation erklärt zwar das Phänomen einer einflussreichen Gruppe von Hohenpriestern in Jerusalem, nicht aber das Nebeneinander von Hannas und Kaiaphas in Lk 3,2: »Wenn einer von beiden Ende der 20er / Anfang der 30er Jahre Hoherpriester war, dann war es Kaiaphas.« 87 Die Erwähnung von Hannas als Hoherpriester im 15. Jahr des Tiberius ist also ein Irrtum. Dessen Zustandekommen lässt sich auch gut nachvollziehen. Denn *Ev hatte keinen der beiden namentlich genannt, auch bei Mk tauchen sie nicht auf. Zum ersten Mal hat Mt Kaiaphas als denjenigen Hohenpriester genannt, in dessen Palast zunächst »die Hohenpriester und die Ältesten des Volkes« den Plan zur Beseitigung Jesu fassen (Mt 26,3) und in dem dann das nächtliche Verhör mit den falschen Anklagen gegen Jesus stattfindet (Mt 26,57): Erst Mt hat, darin über Mk 14,60ff hinausgehend, Kaiaphas als denjenigen identifiziert, der das Unrechtsurteil gegen Jesus gefällt hat (Mt 26,62ff). Diese Information hat Eingang in Joh gefunden. Die Szene mit dem Tötungsbeschluss aus Mt 26,3 hat Joh 11,47ff aufgegriffen und ausgebaut, indem er dem Kaiaphas die Begründung in den Mund legt, es sei besser, dass »ein Mensch für das Volk stirbt, als dass das ganze Volk zugrunde geht« (Joh 11,50). In der Verhörszene greift Joh 18,13ff auf Mt 26,57 zurück: Der Hohepriester Kaiaphas wird noch einmal als derjenige identifiziert, der den Tötungsbeschluss begründet hatte. Dieser explizite Rückverweis auf Joh 11,49f ist (gegenüber Mt 26,3.57ff) sinnvoll, weil die joh Disposition der Erzählung die umfangreichen Abschiedsreden (Joh 12-17) dazwischen gestellt hatte. Nach der Verhaftung wird Jesus zuerst zu Hannas gebracht (Joh 18,13a: καὶ ἤγαγον πρὸς Ἅνναν π ρ ῶ τ ο ν ): Bei Joh führt, jetzt im Unterschied zu Mt, nicht Kaiaphas, sondern sein Schwiegervater Hannas das nächtliche Verhör (18,13b) und schickt Jesus daraufhin zu Kaiaphas weiter (Joh 18,24: οὖν), der ihn am kommenden Morgen in das Prätorium zu Pilatus bringen lässt (18,28). In der Verhörszene wird Hannas allerdings nicht durch seinen Namen, sondern durch die Amtsbezeichnung ἀρχιερεύς nominalisiert (Joh 18,19.22). Da unmittelbar zuvor Kaiaphas als der ἀρχιερεύς in diesem Jahr genannt war (18,13f), bleibt unklar, mit welchem Hohenpriester (Hannas oder Kaiaphas) der »andere Jünger« bekannt war (18,15f), der Petrus den Zugang zum Hof des hohepriesterlichen Palastes ermöglichte. Vor allem aber erscheint Hannas hier als der Hohepriester, der Jesus verhörte. ______________________________ 86 Als erster folgte Eleazar seinem Vater Hannas im Jahr 16/ 17 n. Chr. nach (Jos., Ant. XVIII 34), danach: Jonathan (36/ 37 n. Chr.; Jos., Ant. XVIII 95.123; XIX 213 usw.); Theophilos (nach 37 n. Chr.; Jos., Ant. XVIII 123); Matthias (nach 41 n. Chr.; Jos., Ant. XIX 316); Ananos-Hannas d. J. (62 n. Chr.; Jos., Ant. XX 197-203; Bell. II 563.648-653; Vit. 193-196 usw.). 87 W OLTER , Lk 156. 290 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Das bedeutet: Indem Joh das nächtliche Verhör durch Hannas, »die graue Eminenz innerhalb der tonangebenden Priesterschaft Jerusalems«, 88 führen lässt und ihn dabei als ἀρχιερεύς bezeichnet, hat er die Grundlage für die problematische Kombination ἐπὶ ἀρχιερέως Ἅννα καὶ Καϊάϕα Lk 3,2 geschaffen. Diese Erklärung funktioniert allerdings nur, wenn man für Lk 3,2 die Kenntnis von Joh 18 voraussetzen kann: Diese Option ist erst noch darzulegen (s. u. § 13). Auf jeden Fall versteht man auf diese Weise, inwiefern Lk auch in Act Hannas von Kaiaphas abhebt und ihm - als ἀρχιερεύς! - eine Führungsrolle in dem Vorgehen gegen Petrus und Johannes zuschreibt (Act 4,5f): Hannas war im Vergleich mit Kaiaphas mit Sicherheit die wichtigere und historisch einflussreichere Persönlichkeit. Wenn Lk also schon in der Erzählung von der Geburt Jesu die Großen der Geschichte nennt, dann ist dies ein durchgehender Zug seiner redaktionellen Intention, die sich in Act noch weiter fortsetzt. e. Die lk Rezeption von Mt 1f Mt und Lk haben also ihre redaktionellen Interessen sehr deutlich in die Komposition der »Kindheitsgeschichten« einfließen lassen: Sie sind integrale Bestandteile der jeweiligen Gesamtkompositionen. Für Mt war dies nie strittig, für Lk 1f hat dies die redaktionsgeschichtliche Forschung gegen anfängliche Skepsis gezeigt. 89 In der Konsequenz der Einsicht, dass die Evangelisten eher die Autoren ihrer Kindheitsgeschichten sind als die Rezipienten ihrer Quellen, hat die jüngere Forschung die literarkritische Frage nach den Quellen weitgehend aus den Augen verloren. Sofern man (im Horizont der Zwei-Quellentheorie) mit der prinzipiellen Unabhängigkeit von Mt und Lk rechnete, war die Perspektive ohnehin ausgeschlossen, dass beide literarisch miteinander verbunden sind. Aber die eingangs genannten engen Übereinstimmungen auch in Details (o. S. 280f) machen die eine solche Unabhängigkeit völlig unwahrscheinlich: Die grundsätzliche Möglichkeit der Mt-Priorität vor Lk, die sich in erster Linie aus den methodisch ganz anders gelagerten Beobachtungen zu der »Mittelstellung« des Mt zwischen *Ev bzw. Mk und Lk ergab, eröffnet die Perspektive, auch für die Komposition der Kindheitsgeschichten damit zu rechnen, dass Lk 1f die Kenntnis von Mt 1f voraussetzt. Die entscheidende Frage ist natürlich, wie die gelegentlich vermerkten Unterschiede zwischen beiden Erzählungen sich zueinander verhalten. Zur Beantwortung hilft die folgende Übersicht. ______________________________ 88 T HYEN , Joh 712. 89 Vgl. die wichtigen Arbeiten von P. S. M INEAR , Die Funktion der Kindheitsgeschichte im Werk des Lukas, in: G. Braumann (Hg.), Das Lukas-Evangelium (WdF 280), Darmstadt 1974, 204-235; W. B. T ATUM , Die Zeit Israels: Lukas 1-2 und die theologische Intention der lukanischen Schriften, ebd., 317-366; R. C. T ANNEHILL , The Narrative Unity of Luke-Acts. A Literary Interpretation I, Philadelphia 1986, 15-44. Diese redaktionsgeschichtlichen Arbeiten bezogen sich auf die einflussreiche These von H. C ONZELMANN , Die Mitte der Zeit, Tübingen 6 1977, der Lk 1f für »un-lk« hielt. § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 291 Mt Lk 1,2-17 Geschlechtsregister Jesu (mit charakteristischen Änderungen in Lk 3,23-38) 1,5-25 Ankündigung der Geburt des Täufers Erscheinung eines Engels »in den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa« (1,5) 1,18-24 Ankündigung der Geburt Jesu Erscheinung des Engels vor Joseph Maria ist Jungfrau Empfängnis durch den Geist Kind ist Sohn Gottes/ Retter Aufforderung zur Namensgebung Joseph bekundet sein Einverständnis (»tat, was der Engel … befohlen hatte«) 1,26-38 Ankündigung der Geburt Jesu Erscheinung des Engels bei Maria Maria ist Jungfrau Empfängnis durch den Geist Kind ist »Sohn des Höchsten« Aufforderung zur Namensgebung Rückverweis des Engels auf Elisabeth Maria bekundet ihr Einverständnis (»Ich bin die Magd des Herrn«) 1,39-56 Maria besucht Elisabeth Aufbruch Marias »in diesen Tagen« Elisabeth begrüßt Maria als »Mutter meines Herrn« Magnificat Rückkehr »nach drei Monaten« (1,56) 1,57-80 Geburt des Täufers Benedictus Notiz über das Wachstum des Täufers Ausblick auf das Auftreten in Israel 2,1-21 Vor der Geburt Jesu »in jenen Tagen« veranlasst Augustus den Census (2,1) Joseph und Maria reisen von Nazareth nach Bethlehem (2,4) 1,25a Jesu Geburt … Jesu Geburt (2,6f) Angelophanie; Huldigung und Rückkehr der Hirten (2,8-20) und Namensgebung (1,25b) Namensgebung (2,21) 2,22-39 Darstellung Jesu im Tempel nach der »Reinigung« (= nach 40 Tagen) Simeon (Nunc dimittis); Hanna 2,1-12 Nach der Geburt Jesu Nach der Geburt in Bethlehem »in den Tagen des Königs Herodes« kommen die Magier zu Herodes; Huldigung und Rückkehr der Magier 2,13-18 Flucht nach Ägypten; Kindermord 292 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch 2,19-23 Nach dem Tod Herodes’ d. Gr.: Rückkehr nach Nazareth 2,40-52 Der Zwölfjährige Jesus im Tempel Pilgerreise von Nazareth nach Jerusalem Wie schon angedeutet, sind die Entsprechungen zwischen Mt 1,18-25 und Lk 1,36-38 besonders eng: Die Ankündigung der Geburt Jesu wird einmal als Erscheinung eines Engels vor Joseph κατ’ ὄναρ erzählt (Mt 1,20), das andere Mal als direkte Erscheinung Gabriels vor Maria (Lk 1,28: καὶ εἰσελθὼν … εἶπεν). Diese Ankündigung der Geburt ist das einzige Ereignis, das in beiden Fassungen erzählt wird. Da sich die Ankündigung einmal an Joseph richtet und der Engel ihm Anweisungen gibt, das andere Mal an Maria, ist dieses Nebeneinander als komplementäre Ergänzung zu verstehen. Im Licht der schon deutlich gewordenen Mt-Priorität vor Lk wäre zu präzisieren: Als lk Ergänzung zu der Geburtsankündigung vor Joseph bei Mt. Auch die anderen lk Passagen der Geburtsgeschichte sind solche komplementären Ergänzungen: Lk füllt die narrativen Lücken der mt Erzählung auf. Besonders deutlich ist dies bei der mageren Notiz von der Geburt Jesu, die Mt 1,25 nur knapp erwähnt, um im Anschluss daran mitteilen zu können, dass Joseph den Befehl zur Namensgebung (Mt 1,21) ausgeführt hatte (Mt 1,25b: καὶ ἐκάλεσεν τὸ ὄνομα αὐτοῦ Ἰησοῦν). Lk dagegen erzählt die bekannte Weihnachtsgeschichte und bringt zwischen der Mitteilung der Geburt Jesu (Lk 2,7) und der Namensgebung (Lk 2,21: καὶ ἐκλήθη τὸ ὄνομα αὐτοῦ Ἰησοῦς) nicht nur die Windeln und die Krippe unter, sondern auch die Hirten bei ihren Herden, die himmlischen Heerscharen mit ihrem Lobpreis, die Huldigung durch die Hirten und ihre Rückkehr. Für die literarische Gestaltung sind die anderen Ergänzungen aufschlussreicher. Denn Lk ergänzt die Erzählung von der Geburt des Kindes »aus dem Haus und Geschlecht Davids« (Lk 2,4) um die Ankündigung (Lk 1,5-25) und die Geburt des Johannes (1,57-80), der aus (hohe-) priesterlichem Geschlecht ist (1,5). Die Kunstfertigkeit, mit der er dies tut und mit der er die beiden Erzählstränge in Lk 1,39-56 miteinander verknüpft, ist häufig beschrieben worden. Unmittelbar nach der Erzählung von der Geburt Jesu berichtet Lk von der Darstellung Jesu im Tempel (2,22-39), die man sich, die übliche Frist für den καθαρισμός vorausgesetzt, 40 Tage nach der Geburt vorstellen muss. Die folgende Erzählung (Lk 2,40-52) macht demgegenüber einen Zeitsprung von zwölf Jahren: Wo Jesus und seine Eltern in der Zwischenzeit waren und was in dieser Zeit geschehen ist, lässt Lk im Dunkeln, deutet aber an, dass sie κατ’ ἔτος nach Jerusalem zum Passafest nach Jerusalem pilgerten (2,41). Lk hat also einerseits die Lücken der Erzählzeit in der mt Geburtserzählung gefüllt und sie zugleich in der entscheidenden Erzählung von der Ankündigung der Geburt durch die Perspektive der Maria ergänzt. Die Unterschiede zwischen Mt 1f und Lk 1f sind folglich das Resultat dieser Ergänzung: Lk erzählt andere Ereignisse, aber die gleiche Geschichte. Trotz der Unterschiede kann die Identität der beiden Geschichten ohne weiteres erschlossen werden: Generationen von Lesern haben das auch verstanden und beide Erzählungen (bis in die Krippenspieltradition) ohne jedes Problem miteinander verbunden und als eine Geschichte wahrgenommen. Sofern Lk bei den Lesern die Kenntnis der mt Erzählung voraussetzt, kann sein § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 293 Evangelium jedoch nicht für sich stehen: Es ist neben Mt Teil der Kanonischen Ausgabe und für diese konzipiert. Gegen diese Annahme der literarischen Abhängigkeit des Lk von Mt 1f scheinen aber zwei Grunddifferenzen zu sprechen, die als Zeichen ihrer Unvereinbarkeit 90 gewertet wurden: Ort und Zeit scheinen nicht zusammen zu passen. a. Das Orts-Problem ist relativ leicht zu klären. Es besteht darin, dass die mt Anlage des Erzählzusammenhangs die Differenz zwischen Nazareth als dem Herkunfts- und Bethlehem als dem Geburtsort Jesu mit der Flucht vor den Nachstellungen durch Herodes erklärt, wogegen Lk davon ausgeht, dass Joseph und Maria schon vor der Geburt in Nazareth wohnten und nach der Geburt auch dahin zurückkehrten. Das Gefälle der mt Erzählung legt zwar nahe, dass Joseph und Maria schon vor der Geburt Jesu in Bethlehem lebten und daher nach der Rückkehr aus Ägypten als Exulanten zum ersten Mal nach Nazareth kamen, aber dieser Umstand wird an keiner Stelle explizit gemacht. So bleibt hier eine Unbestimmtheit, die Lk (auf seine Weise) vereindeutigt hat: Er gibt zu verstehen, dass Maria und Joseph nur zur Geburt Jesu in Bethlehem waren, ursprünglich aber aus Nazareth stammten und (nach der Reinigungsfrist und der Vorstellung Jesu im Tempel) auch dorthin zurückkehrten (Lk 2,39). Für Lk ist dies wichtig wegen des Tempels, der für seine theologische Topographie entscheidend ist: Die geographische Nähe von Nazareth zu Jerusalem ermöglicht es ihm, Jesus und seine Eltern jährlich zum Passafest nach Jerusalem pilgern zu lassen (Lk 2,41), auch, wenn er nicht ausführt, von welchem Ort aus sie diese Reisen antraten. Nur für die Zeit, als Jesus zwölf Jahre alt war, macht Lk deutlich, dass die Familie in Nazareth lebt und von dort aus zur Pilgerreise aufbricht (Lk 2,43.51). Da Lk jedoch an keiner Stelle explizit macht, dass die Familie ununterbrochen in Nazareth lebte, eröffnet diese Unbestimmtheit die Möglichkeit eines zeitweiligen Ägyptenaufenthalts, wie ihn Mt 2,14.22 voraussetzt. Allerdings ist das topographische Setting der mt Erzählung erkennbar kohärenter und bestimmter als bei Lk. Denn Mt 2,14 spricht davon, dass Joseph noch in der Nacht der zweiten Traumoffenbarung (und das heißt offensichtlich: von Bethlehem aus) nach Ägypten aufbricht (Mt 2,13f). Unter der Annahme einer direkten literarischen Beziehung lässt sich dieses Phänomen nur so verstehen, dass Mt die Grundlage für die lk Erzählung liefert, nicht aber umgekehrt. b. Das größere Problem stellt die Frage der Chronologie dar: Mt datiert die Geburt Jesu in die Zeit Herodes’ d. Gr., also spätestens vor 4 v. Chr., Lk datiert sie in die Zeit der judäischen Praefektur, setzt also einen Zeitpunkt frühestens nach 6. n. Chr. voraus, sodass beide Datierungen durch einen Zeitraum von wenigstens zehn Jahren getrennt sind. Das ist jedenfalls die absolute Chronologie, wie sie sich für den ______________________________ 90 Vgl. z. B. L UZ , Mt I 87, Anm. 6. 294 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch kritischen Historiker darstellt. Ob diese Differenz auch antiken Autoren bewusst war, die 100 oder mehr Jahre nach den geschilderten Ereignissen schrieben, ist zwar nicht sicher, aber doch sehr wahrscheinlich. Das gilt vor allem dann, wenn man das Interesse an historiographischer Genauigkeit bei Lk (und seine Kenntnis der Schriften des Josephus) voraussetzt. Allerdings enthält die Chronologie von Lk 1f weitere Probleme. Die Differenz der Datierung taucht nicht nur im Vergleich zwischen Mt und Lk gegenüber der absoluten Chronologie auf, sondern auch innerhalb der relativen Chronologie bei Lk. Lk datiert die Ankündigung der Geburt des Täufers in die »Tage des Herodes, des Königs von Judäa« (Lk 1,5). Elisabeth wird μετὰ δὲ ταύτας τὰς ἡμέρας schwanger (Lk 1,24): Auch, wenn hier kein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen der Ankündigung der Geburt und der Schwangerschaft der Elisabeth hergestellt wird, wird man den Zeitraum eher nach Tagen oder Wochen als nach Monaten oder Jahren denken, wie die beiden folgenden Zeitangaben zeigen: Elisabeth war etwa fünf Monate lang schwanger (1,25), im sechsten Monat erschien Gabriel bei Maria (1,26), um ihr die Geburt Jesu anzukündigen. Dass Marias Besuch bei Elisabeth ἐν ταῖς ἡμέραις ταύταις (1,39) in unmittelbarem Zeitabstand zu Gabriels Erscheinung zu denken ist, wird daran deutlich, dass Maria ὡς μῆνας τρεῖς bei ihr blieb (1,56), bevor Elisabeth mit Johannes niederkam (1,57ff): Bis hierher ist der Zeitrahmen von der Ankündigung »in den Tagen des Herodes« bis zu der Geburt des Johannes exakt abgesteckt. Die Spannung entsteht dadurch, dass Lk den zeitlichen Rahmen der Geburt Jesu durch den Befehl des Augustus zum Census »in jenen Tagen« (2,1) datiert. Fraglich ist, worauf ἐν ταῖς ἡμέραις ἐκείναις referiert: Wenn sich diese Angabe auf die Notiz über das Heranwachsen des Johannes und seinen Wüstenaufenthalt (Lk 1,80) bezieht, könnten zwischen der Geburt des Täufers und der Geburt Jesu mehrere Jahre liegen. 91 Dazu muss man jedoch voraussetzen, dass Maria bei ihrem Besuch bei Elisabeth noch gar nicht schwanger war, dass also Elisabeth über den zukünftigen καρπὸς τῆς κοιλίας Marias jubelt (1,42) und in Maria nicht die werdende, sondern die zukünftige μήτηρ τοῦ κυρίου μου (1,43) sieht. Demnach setzt Lk den Beginn der Schwangerschaft Marias in den unbestimmten Zeitraum, den er für das Aufwachsen des Johannes angibt (1,80). 92 Diese Lösung wirft aber zwei Fragen auf: Warum hat Lk den Zeitpunkt der Schwangerschaft Marias nicht deutlicher markiert? Und warum datiert er, wenn er denn an der Datierung der Geburt Jesu im Zusammenhang mit dem Census des Quirinius interessiert war, die Ankündigung der Geburt des Täufers überhaupt »in die Tage des Herodes, des Königs von Judäa«? Die Annahme, dass Lk die mt Kindheitserzählung voraussetzt, gibt die Antwort auf beide Fragen. Denn die »Tage des Königs Herodes« waren als chronologischer Rahmen für die Geburt Jesu durch Mt 1,5 vorgegeben. Lk reserviert diesen Hintergrund für die Geburt des ______________________________ 91 Vgl. K. H AACKER , Erst unter Quirinius? Ein Übersetzungsvorschlag zu Lk 2,2, BN 38/ 39 (1987), 39-43: 40. 92 So der Vorschlag von M. W OLTER , Wann wurde Maria schwanger? Eine vernachlässigte Frage und ihre Bedeutung für das Verständnis der lukanischen Vorgeschichte (Lk 1-2), in: R. Hoppe, U. Busse (Hg.), Von Jesus zum Christus, Berlin - New York 1998, 405-422. § 12: Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev 295 Täufers, will aber die Geburt Jesu nicht in dem durch die Erwähnung der »Tage des Königs Herodes« markierten Horizont Judäas verorten, sondern gibt ihr einen weltgeschichtlichen Rahmen (Lk 2,1f). Diese Differenz zwischen Johannes und Jesus, zwischen der judäischen Wirkung des einen und der weltweiten des anderen, macht »bereits zu Beginn des lukanischen Doppelwerks jene Spannung erkennbar, die sich bis zu seinem Ende durchhalten wird.« 93 Die Differenz gegenüber der mt Datierung der Geburt Jesu hat also redaktionelle Gründe. Lk war daran gelegen, diese redaktionelle Intention zum Ausdruck zu bringen, konnte und wollte aber der mt Chronologie nicht offen widersprechen. Er hat diese Spannung dadurch gelöst, dass er den Zeitpunkt, zu dem Maria schwanger wurde, im Unklaren ließ. Nur eine sehr sorgfältige Lektüre wird herausfinden, dass sich ἐν ταῖς ἡμέραις ἐκείναις Lk 2,1 nicht auf die »Tage des Herodes, des Königs von Judäa« (1,5) bezieht, sondern auf den unbestimmten Zeitraum, in dem Johannes »an Geist zunahm und in der Wüste war« (1,80). * Die literarkritische Analyse der Beziehungen zwischen Mt 1f und Lk 1f bestätigt also grundsätzlich die Bearbeitungsrelation ⑤ : Lk ist abhängig von Mt und hat dessen Erzählung von der Geburt Jesu ergänzt und bearbeitet. Damit ist klar, dass Lk 1f nicht auf eine Sonderquelle zurückgeht, die Lk als ganze vorgefunden hätte. 94 Auch die verbreitete, auf Martin Dibelius zurückgehende kompositionskritische Ansicht lässt sich nicht bestätigen, dass Lk 1f in Form eines »Diptychons« gestaltet sei. 95 Die narrative Konzentration auf Johannes in Lk 1 und auf Jesus in Lk 2 verknüpft zwar beide Geburtserzählungen miteinander, gestaltet sie aber nicht in spiegelbildlicher Entsprechung. Diese kompositionsanalytische Einsicht 96 lässt sich unter der Voraussetzung der lk Abhängigkeit von Mt jetzt auch literarkritisch untersetzen. Die literarkritische Analyse des überlieferungsgeschichtlichen Ortes des Mt hat dessen »Mittelstellung« zwischen *Ev bzw. Mk und Lk bestätigt, die durch zwei Bearbeitungsschritte konstituiert wird: Auf der einen Seite haben zahlreiche Beobachtungen zur Bearbeitungsrelation ④- zwischen *Ev und Mt eine Grundannahme der Zwei-Quellentheorie bestätigt: Mt hat neben Mk auch auf eine weitere Quelle ______________________________ 93 W OLTER , a. a. O. 439. 94 Gegen W. R ADL , Der Ursprung Jesu, Freiburg/ Brsg. u. a. 1996. 95 M. D IBELIUS , Die urchristliche Überlieferung von Johannes dem Täufer, Göttingen 1911, 67ff. Diese Ansicht besitzt eine »Tenazität, die innerhalb der neutestamentlichen Forschung nicht eben häufig anzutreffen ist« (W OLTER , a. a. O. 420, der Anm. 56 einige Vertreter auflistet). 96 W OLTER , a. a. O. 416ff; DERS ., Lk 71f 296 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch zurückgegriffen, die einen großen Teil des Materials der mt-lk Doppelüberlieferung enthielt, und zwar in der aus Lk bekannten Akoluthie. Diese zusätzliche Quelle ist allerdings nicht »Q«, sondern *Ev. Auf der anderen Seite korrespondiert die Bearbeitungsrelation ⑤ zwischen Mt und Lk mit vielen Beobachtungen der zuletzt von Michael Goulder und Mark Goodacre wieder ins Spiel gebrachten »Markan-Priority-without-Q«-Hypothese, die ja mit einer Abhängigkeit des Lk von Mt rechnet. Für die sog. »Kindheitserzählungen« eröffnet die Annahme der lk Abhängigkeit von Mt ein Feld von Einsichten und Fragestellungen, die im methodischen Rahmen der Zwei-Quellentheorie gar nicht in den Blick kommen konnten. § 13: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk 1. Voraussetzungen und Fragestellung Mit der Einzeichnung des Mt in die Überlieferungsgeschichte der kanonischen Evangelien sowie dem Nachweis, dass Lk neben *Ev und Mk auch Mt kannte und bei seiner Redaktion berücksichtigt hat, sind die literarischen Beziehungen zwischen den synoptischen Evangelien komplett. Allerdings ist damit die Bedeutung von *Ev und der *Ev-Priorität vor Lk, Mk und Mt in den Bearbeitungsrelationen ① , ③ und ④- noch nicht vollständig erfasst: Zu klären bleibt, ob und wie Joh und *Ev miteinander verbunden sind. Nach dem vereinfachten Schaubild geht es also um die Bearbeitungsrelationen ⑥ zwischen *Ev und Joh sowie ⑦ zwischen Joh und Lk. Beide sind nur komplementär sinnvoll und basieren auf der grundsätzlichen Unterscheidbarkeit zwischen *Ev und Lk. *Ev-------------- --- - - ------------- ③--- --- - - - - Mk- ----------- ①---------------------④----------- --- ⑥ - -- - ---- - - ---- ② - - ----------- - - - - ----- - Mt- -- - - - - - Joh- -- -- - -------- ⑤ - --------- ⑦ - ---- --Lk- ------ Abb. 7: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk Die Verbindung von Joh und den Synoptikern in einem auf literarischer Abhängigkeit basierenden Modell der Überlieferungsgeschichte bedarf allerdings vorab einer Begründung, die wenigstens die Grundlagen des eigenen Vorgehens sichtbar machen sollte. Denn das Verhältnis zwischen Joh und den Synoptikern ist ein seit langem intensiv diskutiertes Problem. Seine bleibende Virulenz scheint weniger in grundsätzlichen methodischen Defiziten überlieferungsgeschichtlicher Erklärungsmodelle zu liegen, wie es etwa im Diskurs über das Synoptische Problem der Fall ist. Die große Disparatheit der Erklärungsansätze beruht eher auf dem (im Vergleich zu den Synoptikern) so anders gearteten literarischen Erscheinungsbild des Joh: Die narrative Gesamtanlage, die sich von der weitgehend einheitlichen Anlage der Synoptiker unterscheidet; die auf den ersten Blick erkennbare Komposition großer Szenen anstelle der kleinteiligen Gliederung in (semi-)autark erscheinende Perikopen; 298 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch die distinkt joh Sprache mit ihrer reflektierten Begrifflichkeit und anderes mehr markiert eine literarische Eigenständigkeit des Joh, die offensichtlich auch auf die überlieferungsgeschichtlichen Beziehungen übertragen wurde: Für die an den synoptischen Beziehungen geschulte literarkritische Analyse und das daraus gewonnene Modell der »Redaktion« scheint Joh eine eigene Welt darzustellen, für die literarische Beziehungen zu den Synoptikern schwer vorstellbar sind. Dabei gibt es eine große Zahl von thematischen Überschneidungen zwischen Joh und den Synoptikern, die von spezifischen Einzelheiten (etwa die »dienende Martha« Joh 12,2 || Lk 10,40; πτύω Joh 9,6 || Mk 8,23) über umfangreiches gemeinsames Material der Erzähl- und der Logienüberlieferung bis hin zu kompositionellen Analogien reichen. Die Frage der joh-synoptischen Beziehungen ist überlagert durch die vor allem seit Rudolf Bultmann vorgebrachten Thesen zur joh Literarkritik, die in den letzten Jahrzehnten in verschiedenen Spielarten rezipiert und weiterentwickelt wurden. Wenn man mit der Verarbeitung spezifisch joh Quellen (etwa der Semeia-Quelle) oder mit der Bearbeitung eines vorkanonischen Joh durch eine kirchliche Redaktion usw. rechnet, dann verlagert sich die Frage der möglichen Beziehung zwischen Joh und den Synoptikern auf überlieferungsgeschichtliche Stadien vor den jeweiligen Endtexten: An die Stelle der Kenntnis und Verarbeitung von Texten tritt dann die Rezeption allgemeiner Traditionen, die nicht mehr mit konkret identifizierbaren Texten in Zusammenhang gebracht werden (können). Die überlieferungsgeschichtliche Frage der literarischen Abhängigkeit hängt aufs engste mit der literarkritischen Beurteilung der literarischen Integrität des Joh zusammen. 1 Diese Ausgangslage ist verantwortlich dafür, dass die joh-synoptischen Beziehungen bis in die Gegenwart sehr unterschiedlich beurteilt werden: Neben der These der literarischen Unabhängigkeit 2 gibt es eine breite Palette unterschiedlicher Modelle der literarischen Abhängigkeit, die von der Joh-Priorität vor den Synoptikern 3 bis ______________________________ 1 Die Identifizierung von vor-joh »Quellen« (unabhängig von den Synoptikern) wurde seit Bultmann vor allem für die sog. Semeia-Quelle und für den Passionsbericht erwogen. Vgl. dazu die Komm. und R. F. F ORTNA , The Fourth Gospel and its Predecessor, Edinburgh 1989. 2 Z. B. M. T HEOBALD , Herrenworte im Johannesevangelium, Freiburg/ Brsg. 2002; J. B ECKER , Das vierte Evangelium und die Frage nach seinen externen und internen Quellen, in: I. Dunderberg et al. (Hg.), Fair Play, Leiden 2002, 203-241; DERS ., Joh I 42ff. In diesem Fall werden die Übereinstimmungen auf gemeinsame mündliche Überlieferung zurückgeführt. Auf das artifizielle Modell »sekundärer Mündlichkeit« (z. B. M. L ABAHN , Jesus als Lebensspender, Berlin - New York 1999, 195 mit Lit.) ist hier nicht einzugehen. 3 Z. B. K. B ERGER , Im Anfang war Johannes, Gütersloh 3 2004; P. L. H OFRICHTER , Modell und Vorlage der Synoptiker, Hildesheim 2 2002; DERS . (Hg.), Für und wider die Priorität des Johannesevangeliums, Hildesheim 2002. § 13: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk 299 zu verschiedenen Möglichkeiten der literarischen Abhängigkeit des Joh (gelegentlich auch: vor-joh Überlieferungen) von den Synoptikern (oder auch von vorsynoptischen Überlieferungen) reichen. 4 Dieses disparate Bild der Forschungslandschaft soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den vergangenen Jahrzehnten eine sehr deutliche Mehrheit für die literarische Abhängigkeit des Joh von den Synoptikern votiert. 5 Auch, wenn Meinungen nicht gezählt, sondern gewichtet werden müssen, ist dies der Punkt, an dem die Auseinandersetzung beginnen muss. Diese Einschätzung hängt ganz wesentlich mit der Einsicht in die literarische Integrität des Joh zusammen: Dass Joh (in seiner kanonischen Gestalt! ) am besten verstanden wird, wenn man auf die literarkritische Identifizierung von Vorstufen oder joh Sonderquellen verzichtet, hat zuletzt Hartwig Thyen sehr eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Dieses Urteil geht Hand in Hand mit der Annahme, dass Joh alle drei synoptischen Evangelien kannte. Thyens umfangreicher Kommentar hat die joh Bezugnahmen auf die Synoptiker nicht nur durchweg plausibel gemacht, sondern sogar zum Strukturprinzip erhoben: Joh »ist ein Text über ihre Texte, ein Spiel mit ihnen, in das er seine Leser verwickeln möchte«. 6 Aber obwohl ______________________________ 4 Z. B. A. D AUER , Die Passionsgeschichte im Johannesevangelium, München 1972. 5 Ich verweise hier nur auf die Arbeiten von F R . N EIRYNCK (z. B. in: ders., Evangelica III, Leuven 2001, 549-628), M. S ABBE (in: ders., Studia Neotestamentica, Leuven 1991, 331-513) sowie den Forschungsbericht von S. S CHREIBER , Kannte Johannes die Synoptiker? Zur aktuellen Diskussion, VuF 51, 2006, 7-24. Seither z. B. Z. G ARSKÝ , Das Wirken Jesu in Galiläa bei Johannes, Tübingen 2012; S. A. H UNT , Rewriting the Feeding of Five Thousand, New York 2012. 6 H. T HYEN , Die Erzählung von den bethanischen Geschwistern (Joh 11,1-12,9) als Palimpsest über synoptischen Texten, in: ders., Studien zum Corpus Iohanneum, Tübingen 2007, 182-212: 183; vgl. DERS ., Joh (passim); DERS ., Johannes und die Synoptiker, in: ders. Studien zum Corpus Iohanneum, Tübingen 2007, 155-181. Das literarische und hermeneutische Verfahren ist beschrieben in: ders., Das Johannesevangelium als literarisches Werk, ebd., 351-369. - An dieser Stelle sei wenigstens angemerkt, dass die (von G. G ENETTE , Palimpseste, Frankfurt/ M. 1993, entlehnte) Metapher »Palimpsest« gerade nicht zur Beschreibung des literarischen Verfahrens der intertextuellen Bezugnahme eignet, das sich Thyen für das Verhältnis von Joh und den Synoptikern vorstellt (für Genette gilt Analoges): Das Palimpsest ist ja dadurch ausgezeichnet, dass der ältere Text abgewaschen wird und idealerweise vollkommen verschwunden ist. Aus diesem Grund gibt es keine innere Verbindung zwischen dem älteren und dem wiederbeschrifteten Text: Ausgangstext und Palimpsest stehen hinsichtlich Alter und Autor, Gattung und Inhalt, Sprache und Umfang höchstens zufällig in einer Beziehung. Abgesehen von der Tatsache, dass sie nacheinander auf denselben Schriftträger aufgetragen wurden, haben sie nichts gemein (wie beispielsweise das berühmteste neutestamentliche Palimpsest, der Ephraemi Rescriptus C 04 sehr deutlich zeigt). Tatsächlich geht es Thyen, seiner anderslautenden Bemerkung zum Trotz, gar nicht darum, die älteren Texte »durch seine (sc. des Palimpsests) hier und da hindurchschimmernde Originalbeschriftung zu entziffern« (Die Erzählung von den bethanischen Geschwistern, 182). Vielmehr setzt er - mit gutem Grund! - die synoptischen Prätexte (in ihrem bekannten Wortlaut) für seine Intertextualitätsanalyse jeweils voraus. Die auf den Beschriftungsvorgang bezogene paläographische Metapher des Palimpsests verfehlt daher per definitionem das intendierte Erklärungspotential für literarische Bezugnahmen. Anstelle der für Palimpseste konstitutiven Unabhängigkeit zwischen Ausgangs- und Folgetext gilt 300 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Thyen, so konsequent und ertragreich wie kein anderer, die diachrone Perspektive der literarischen Bezugnahme für seine Interpretation des Joh fruchtbar zu machen versteht, und obwohl er außerdem davon überzeugt ist, dass »Johannes nicht nur die von unseren synoptischen Evangelien bezeugte Tradition, sondern diese Evangelien selbst in ihrer literarischen Endgestalt gekannt und auf seine Weise benutzt hat«, 7 unternimmt er keinen Versuch einer überlieferungsgeschichtlichen Zuordnung. Seine Weigerung, sich mit der historischen Frage der Textentstehung und den konkreten Voraussetzungen der Textproduktion auseinanderzusetzen, ist vor dem Hintergrund der älteren Literarkritik gerade zu Joh zwar verständlich, zahlt aber einen hohen Preis: Die historische Dimension gerät aus dem Blick, die gerade für die Bestimmung der Situation der Leser wichtig wäre, die ja doch dieses intertextuelle »Spiel« mitspielen sollen. Anders gesagt: Gerade, wenn Joh die Synoptiker nicht nur als Quelle seiner eigenen Kenntnis über die Geschichte Jesu voraussetzt, sondern wenn diese Kenntnis auch für seine Leser konstitutiv ist, weil sie sich nur so in das intertextuelle Spiel verwickeln lassen können, gewinnt die Frage, in welcher Form diese vier Evangelien den Lesern vorlagen, eine zentrale Bedeutung. Das von Thyen entfaltete Verständnis von Joh impliziert daher als heuristischen Horizont das Vier-Evangelienbuch: Der überlieferungsgeschichtliche Weg, auf dem dieses Vier-Evangelienbuch zustandekam, ist das Ziel des hier vorgestellten Modells. Die Frage nach den joh-synoptischen Beziehungen lässt sich jedoch präzisieren, weil es eine ganze Reihe von joh-lk Gemeinsamkeiten gegen Mk und Mt gibt. 8 Diese spezifisch joh-lk Übereinstimmungen begegnen besonders auffällig in der Passionsgeschichte; sie bildet daher den Ausgangspunkt der Analyse (2.). Aufgrund der Unterscheidbarkeit zwischen *Ev und Lk lassen sich diese spezifischen Berührungen ______________________________ für das Phänomen der Intertextualität: »In der Regel brauchen Prä- und Posttext einander wechselseitig, so daß von einer Verdrängungsabsicht gar keine Rede sein kann« (T HYEN , Johannes und die Synoptiker 172). Genau diese vollständige Verdrängung des einen (früher aufgetragenen) durch den anderen (später aufgetragenen) Text macht jedoch das Wesen des Palimpsests aus. 7 T HYEN , Johannes und die Synoptiker 169 (Hervorhebungen im Original); vgl. DERS ., Die Erzählung von den bethanischen Geschwistern 184. 8 Vgl. beispielsweise J. S CHNIEWIND , Die Parallelperikopen bei Lukas und Johannes, Darmstadt 3 1970; F R . R EHKOPF , Die lukanische Sonderquelle, Tübingen 1959; J. A. B AILEY , The Traditions Common to the Gospels of Luke and John, Leiden 1963; P. P ARKER , Luke and the Fourth Evangelist, NTS 9 (1963), 317-336; F. L. C RIBBS , St Luke and the Johannine Tradition, JBL 90 (1971), 422-45; DERS ., The Agreements that Exist Between Luke and John, SBL.SP 1 (1979), 215-251; A. D AUER , Johannes und Lukas, Würzburg 1984; M. M YLLYKOSKI , The Material Common to Luke and John, in: P. Luomanen (Hg.), Luke-Acts, Helsinki - Göttingen 1991, 115-156; B. S HELLARD , The Relationship of Luke and John - A Fresh Look at an Old Problem, JThS 46 (1995), 71-98; DIES ., New Light on Luke, London u. a. 2004; G. B LASKOVIC , Johannes und Lukas, St. Ottilien 1999; M. A. M ATSON , In Dialogue with Another Gospel, Atlanta 2001 u. a. § 13: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk 301 zwischen Lk und Joh auf zwei verschiedene Bearbeitungsschritte verteilen, nämlich auf die komplementären Relationen ⑥ zwischen *Ev und Joh (3.) sowie ⑦ zwischen Joh und Lk (4.). Am Ende soll ein Gesamtbild der überlieferungsgeschichtlichen Verhältnisse zwischen *Ev und den vier kanonischen Evangelien stehen (5.). In methodischer Hinsicht beruht die überlieferungsgeschichtliche Analyse zwischen *Ev, Joh und Lk auf den gleichen Voraussetzungen, die sich schon zuvor für die Verhältnisbestimmung zwischen *Ev und Mk (§ 11) bzw. für die Positionierung von Mt (§ 12) als verlässlich erwiesen haben. Dies ist zum einen die Bevorzugung des einfachsten Modells direkter literarischer Abhängigkeit vor der Annahme vermittelnder Zwischenstufen: Solange solche Zwischenstufen vom Befund her nicht unumgänglich notwendig sind, ist ihre Annahme methodisch unzulässig. Zum anderen liegt der Analyse der lk-joh Beziehungen die Unterscheidbarkeit von *Ev und Lk zugrunde. Die wesentliche Aufgabe für die Analyse besteht also in der Differenzierung der Bearbeitungsrelationen ⑥ zwischen *Ev und Joh und ⑦ zwischen Joh und Lk. 2. Lk-joh Übereinstimmungen gegen Mk: Die Passions- und Osterüberlieferung Die Beobachtung, dass die lk-joh Berührungen (gegen Mk und Mt) in der Passions- und Osterüberlieferung besonders charakteristisch sind, ist nicht neu. 9 Sie konstituieren ein Problem, das sich nicht erst für die Frage der joh-synoptischen Beziehungen stellt, sondern auch für die Überlieferungsgeschichte des Lk-Evangeliums. Um das Phänomen in seiner Tragweite zu erfassen, ist es daher sinnvoll, die Auflistung der wichtigsten literarischen Beobachtungen an Lk zu orientieren. a. Lk-joh Übereinstimmungen gegen Mk/ Mt am Material von Lk 22-24 Es erscheint zunächst angebracht, sich wenigstens die charakteristischsten Daten vor Augen zu führen, die das überlieferungsgeschichtliche Problem konstituieren. Die wichtigsten Übereinstimmungen 10 sind daher kurz zusammengefasst; sie beziehen sich sowohl auf strukturelle Beobachtungen (Zusätze bzw. Fehlen von Erzähleinheiten; unterschiedliche Abfolge einzelner Ereignisse) als auch auf enge Berührungen im Wortlaut. ______________________________ 9 Vgl. z. B. A. D AUER , Die Passionsgeschichte im Johannesevangelium, München 1972; H. K LEIN , Die lukanisch-johanneische Passionstradition, ZNW 67 (1976), 155-186; M. A. M ATSON , The Influence of John on Luke’s Passion: Toward a Theory of Intergospel Dialogue, in: P. L. Hofrichter (Hg.), Für und wider die Priorität des Johannesevangeliums, Hildesheim 2002, 183-194; F R . S CHLERITT , Der vorjohanneische Passionsbericht, Berlin u. a. 2007 (vgl. auch die Forschungsübersicht, S. 3-63) u. a. 10 Vgl. die Übersichten von K LEIN , a. a. O.; W OLTER , Lk 689ff; M ATSON , Dialogue 94-117; S CHLERITT , a. a. O. 110f. 302 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Der Verrat des Judas, mit dem die Passionsüberlieferung beginnt, wird von Mk 14,1 datiert: Das Passafest und das Fest der Ungesäuerten Brote ist »nach zwei Tagen« (μετὰ δύο ἡμέρας). Der lk Passionsbericht datiert die folgenden Ereignisse anders: ἤ γ γ ι ζ ε ν δὲ ἡ ἑορτὴ τῶν ἀζύμων Lk 22,1 || ἦν δὲ ἐ γ γ ὺ ς τὸ πάσχα τῶν Ἰουδαίων Joh 11,55. Nach Lk und Joh hat der Verrat des Judas darin seinen Ausgangspunkt, dass »Satan in ihn fuhr« (εἰσῆλθεν δὲ σατανᾶς εἰς Ἰούδαν Lk 22,3 || εἰσῆλθεν εἰς ἐκεῖνον ὁ σατανᾶς Joh 13,27). Mk 14,10 || Mt 26,14 lassen Judas dagegen einfach zu den Hohenpriestern gehen und Jesus verraten. Allerdings bringen Lk und Joh die Rolle Satans beim Verrat an unterschiedlichen Stellen im Erzählablauf unter: Nach Lk 22,3 motiviert Satans Besitzergreifung von Judas dessen Gang zu den Hohenpriestern, den Lk analog zu Mk 14,10 || Mt 26,14 erzählt, nach Joh 13,27 fährt der Satan beim letzten Mahl »zusammen mit dem Bissen« in Judas. 11 Auf Judas’ Besessenheit durch Satan hatte bereits Joh 6,70f (καὶ ἐξ ὑμῶν εἷς δ ι ά β ο λ ό ς ἐστιν. ἔλεγεν δὲ τὸν Ἰούδαν Σίμωνος Ἰσκαριώτου) und 13,2 (τοῦ δ ι α β ό λ ο υ ἤδη βεβληκότος εἰς τὴν καρδίαν ἵνα παραδοῖ αὐτὸν Ἰούδας Σίμωνος Ἰσκαριώτου) proleptisch hingewiesen. Die Bezeichnung des Verräters: Lk 22,21-23 || Joh 13,21-30 stimmen gegen Mk/ Mt darin überein, dass sie die Ankündigung des Verrats und die Bezeichnung des Verräters im Anschluss an das letzte Mahl erzählen (Lk 22,15-20; Joh 13,27 beendet den Bericht vom Mahl, das nach der Fußwaschung zu denken ist, mit dem »Satansbissen«, den Judas zu sich nimmt). Mk 14,18-21 || Mt 26,21-25 lassen ihre Mahlberichte (Mk 14,22-25 || Mt 26,26-29) dagegen mit der Bezeichnung des Verräters beginnen. Die Ankündigung der Verleugnung durch Petrus: Lk 22,31-34 || Joh 13,36-38 platzieren die Ankündigung der Verleugnung in unmittelbarem Anschluss an das letzte Mahl, also noch vor dem Gang zum Ölberg (Lk 22,39 || Joh 18,1). Mk und Mt enthalten die Ankündigung (Mk 14,29- 31 || Mt 26,33-35) nach der Mitteilung, dass Jesus und die Jünger zum Ölberg gegangen waren (Mk 14,26 || Mt 26,30). Lk und Joh teilen die Ankündigung der Verleugnung in dem gleichen von Mk und Mt abweichenden Wortlaut mit, wenn auch in unterschiedlicher Wortfolge: οὐ ϕωνήσει … ἀλέκτωρ ἕως … Lk 22,34 || Joh 13,38 ≠ ταύτῃ τῇ νυκτὶ πρὶν … ἀλέκτορα ϕωνῆσαι Mk 14,30 || Mt 26,34. In Lk 22,61 erinnert sich Petrus dann allerdings an die Ankündigung in der mk-mt Formulierung: πρὶν ἀλέκτορα ϕωνῆσαι σήμερον ἀπαρνήσῃ με τρίς. Für *Ev ist dagegen folgender Wortlaut wahrscheinlich: πρὶν ἀλέκτορα ϕωνῆσαι τρὶς ἀπαρνήσῃ με μὴ εἰδέναι με (s. die Rekonstruktion z. St.). Lk 22,61 ist also redaktionell an Mk/ Mt angepasst. Im Zusammenhang der Ankündigung der Verleugnung sind noch weitere Übereinstimmungen zu vermerken: Lk 22,33 (μετὰ σοῦ ἕτοιμός εἰμι … πορεύεσθαι) und Joh 13,37 (δύναμαί σοι ἀκολουθῆσαι) verwenden für das Treuebekenntnis des Petrus das Bild der Nachfolge bzw. des Mitgehens. Dagegen behauptet Petrus nach Mk 14,29 || Mt 26,33, er werde »keinen Anstoß nehmen« (σκανδαλίζεσθαι). Außerdem fehlt bei Lk und Joh die bekräftigende Wiederholung von Petrus’ Treuebekenntnis sowie der Hinweis, dass »alle (Jünger) das gleiche sagten« (Mk 14,31 || Mt 26,35 ÷ Lk || Joh). Die Verhaftungsszene weist gleich mehrere lk-joh Berührungen gegen Mk-Mt auf. Zunächst stimmen Lk und Joh gegen Mk und Mt darin überein, dass Judas den Ort für den Verrat kannte, weil Jesus sich dort schon mehrfach aufgehalten hatte (ἐπορεύθη κατὰ τὸ ἔθος εἰς τὸ ὄρος τῶν ______________________________ 11 Beachte jedoch Joh 13,27 v. l.: μετὰ τὸ ψωμίον om D d e bo ms . § 13: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk 303 ἐλαιῶν Lk 22,39 || πολλάκις συνήχθη Ἰησοῦς ἐκεῖ μετὰ τῶν μαθητῶν αὐτοῦ Joh 18,2). Sodann erzählen Mk 14,46 || Mt 26,50 die Festnahme vor dem Schwertstreich, Lk 22,54 || Joh 18,12 berichten sie erst danach. Dadurch erhält die Schwertstreichepisode eine unterschiedliche Bedeutung: Bei Lk und Joh ist sie als Widerstand gegen die Festnahme Jesu zu verstehen, bei Mk und Mt entsteht der Eindruck einer versuchten Gefangenenbefreiung. Auch das Verb, mit dem die Festnahme Jesu ausgesagt wird, ist unterschiedlich: συλλαμβάνω Lk 22,54 || Joh 18,12 ≠ κρατέω Mk 14,46b || Mt 26,50. Im Unterschied zu Mk 14,50 || Mt 26,56 berichten Lk und Joh nichts von einer Flucht der Jünger, obwohl sie sachlich vorausgesetzt ist: Petrus folgt (offensichtlich als einziger der Jünger) dem Trupp nur mit großem Abstand (Lk 22,54: μακρόθεν), in Joh 18,15 ist neben Petrus nur noch der ἄλλος μαθητής zugegen. Am wichtigsten ist in diesem Zusammenhang, dass Lk und Joh gegen Mk und Mt darin übereinstimmen, dass dem Sklaven des Hohenpriesters das rechte Ohr abgetrennt wurde: καὶ ἀϕεῖλεν τὸ οὖς αὐτοῦ τ ὸ δ ε ξ ι ό ν Lk 22,50 || καὶ ἀπέκοψεν αὐτοῦ τὸ ὠτάριον τ ὸ δ ε ξ ι ό ν Joh 18,10 ≠ ἀϕεῖλεν αὐτοῦ τὸ ὠτάριον Mk 14,47 || ἀϕεῖλεν αὐτοῦ τὸ ὠτίον Mt 26,51. Diese Gemeinsamkeit kann nicht auf Zufall beruhen, sondern setzt eine literarische Beziehung voraus. Das Verhör im hohepriesterlichen Palast: Mk 14,53 || Mt 26,57 berichten von einer nächtlichen Synhedrialversammlung der (Hohenpriester,) Ältesten und Schriftgelehrten, die als Gerichtsverfahren zu verstehen ist: Es werden nicht nur Zeugen gehört (wenn auch falsche: Mk 14,55-59 || Mt 26,59- 61), sondern am Ende steht auch ein Urteil (Mk 14,64 || Mt 26,66). Lk 22,66 lässt das Synhedrium dagegen erst am nächsten Tag zusammentreten (ὡς ἐγένετο ἡμέρα); es findet kein Verfahren gegen Jesus statt, sondern eine Befragung, die der Hohepriester vornimmt (vom Synhedrium oder seinen Mitgliedern wird nichts gesagt) und zu der weder Zeugen noch ein Urteil gehören. Erst am folgenden Morgen wird als Folge der Befragung eine Anklage vor Pilatus erhoben (Lk 23,2 || Joh 18,29). Die Frage nach der Messianität Jesu, die Lk im Rahmen dieses Verhörs berichtet, hat eine enge Entsprechung in der Auseinandersetzung zwischen Jesus und den Juden während des Tempelweihfestes in Joh: εἰ σὺ εἶ ὁ χριστός, εἰπὸν ἡμῖν Lk 22,67 || εἰ σὺ εἶ ὁ χριστός, εἰπὲ ἡμῖν παρρησίᾳ Joh 10,24. Der erste Teil der Antwort Jesu auf diese Frage bei Lk entspricht dabei ihrer Fortführung in Joh: ἐὰν ὑμῖν εἴπω, οὐ μὴ πιστεύσητε Lk 22,67 || εἶπον ὑμῖν καὶ οὐ πιστεύετε Joh 10,25. Beides hat bei Mk/ Mt keine Entsprechung. Mit diesem Verhör/ Verfahren ist in allen Evangelien die Verleugnung des Petrus verbunden, auch wenn sie an verschiedenen Stellen erzählt wird. Dabei stimmen Lk und Joh darin überein, dass sie die Verleugnung direkt auf die Gefangennahme Jesu folgen lassen (Lk 22,54-62 || Joh 18,12-18.25-27), während Mk 14,53-64 || Mt 26,57-66 zuerst das nächtliche Verfahren mit dem Schuldspruch berichten und danach noch die Verspottung Jesu mitteilen (Mk 14,65 || Mt 26,67f), bevor sie die Verleugnung berichten (Mk 14,66-72 || Mt 26,69-75). Innerhalb Verleugnungsszene stimmen Lk und Joh im Wortlaut, mit dem die Verleugnung ausgedrückt wird, gegen Mk und Mt überein: καὶ σὺ ἐξ αὐτῶν εἶ - οὐκ εἰμί Lk 22,58 || σὺ ἐκ τῶν μαθητῶν αὐτοῦ εἶ … οὐκ εἰμί Joh 18,(17.)25 ≠ ὁ δὲ ἠρνήσατο […] λέγων· οὔτε οἶδα […] σὺ τί λέγεις. Umgekehrt ist im Auge zu behalten, dass Joh mit Mk und Mt in der Einleitung der zweiten Verleugnung gegen Lk übereinstimmt: ὁ δὲ Πέτρος ἔϕη Lk 22,58 ≠ πάλιν οὖν ἠρνήσατο Πέτρος Joh 18,27 || ὁ δὲ πάλιν ἠρνεῖτο Mk 14,70 || καὶ πάλιν ἠρνήσατο Mt 26,72. 304 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Jesus vor Pilatus: Da Jesus nach Mk 14,64 || Mt 26,66 bereits in der nächtlichen Synhedrialversammlung verurteilt wurde, ist gar nicht klar, welche Form das Verfahren vor Pilatus (Mk 15,1-15 || Mt 27,11-26) eigentlich besaß. Von einem Urteil des Pilatus ist jedenfalls nichts berichtet. Dagegen fällt Pilatus bei Lk und Joh sein Urteil gleich dreimal und stellt die Unschuld Jesu fest, und zwar jeweils in sehr ähnlichen Formulierungen: οὐδὲν εὑρίσκω αἴτιον ἐν τῷ ἀνθρώπῳ τούτῳ Lk 23,4 (vgl. 23,14.22) || ἐγὼ οὐδεμίαν εὑρίσκω ἐν αὐτῷ αἰτίαν Joh 18,38 (vgl. 19,4.6). Nur bei Lk und Joh taucht der Vorwurf auf, Jesus würde sich als König ausgeben, und nur hier wird der daraus resultierende Gegensatz zum Kaiser thematisiert: κωλύοντα ϕόρους Κ α ί σ α ρ ι διδόναι καὶ λέγοντα ἑαυτὸν χριστὸν β α σ ι λ έ α εἶναι Lk 23,2 || πᾶς ὁ β α σ ι λ έ α ἑαυτὸν ποιῶν ἀντιλέγει τ ῷ Κ α ί σ α ρ ι Joh 19,12. In der Abfolge der einzelnen Teilszenen gibt es folgende Übereinstimmungen zwischen Lk 23,13-18 || Joh 18,38-19,1: Nachdem Pilatus die Unschuld Jesu erklärt hat (Lk 23,14 || Joh 18,38 ÷ Mk || Mt), will er ihn freigeben (Lk 23,16 || Joh 18,39b ≠ Mk 15,9 || Mt 27,17). Dabei wird die flagellatio vor dem Urteil erwähnt 12 (Lk 23,16 || Joh 19,1) und hat die Funktion, die Unschuld Jesu deutlich zu machen: Pilatus will sie anstelle der Hinrichtung durchführen lassen. In Mk 15,15b || Mt 27,26 ist die Geißelung dagegen die Folge des Urteils und Teil des Exekutionsverfahrens. Die im Zusammenhang des Verfahrens vor Pilatus berichtete Barrabasepisode ist in allen Evangelien enthalten. Aber in der eigenartigen Abfolge, in der sie erzählt wird, stimmen Lk und Joh gegen Mk und Mt überein: Sie berichten zuerst die Forderung der Menge nach Freigabe des Barrabas und erklären später, wer er ist und was er getan hatte. Mk und Mt liefern diese Information bereits zu Beginn in der Exposition der Barrabasepisode (Lk 23,18f || Joh 18,39f ≠ Mk 15,11.7 || Mt 27,21f.16f). 13 Dabei stimmen Lk und Joh wieder in einer Kleinigkeit gegen Mk und Mt überein, nämlich in der Geminatio des Crucifige-Rufs der Menge: σταύρου σταύρου Lk 23,21 || σταύρωσον σταύρωσον Joh 19,6 ≠ σταύρωσον Mk 15,13 || σταυρωθήτω Mt 27,22. Ganz ähnlich entsprechen sich Lk und Joh in der Wortwahl und verwenden αἴρω in der Bedeutung »hängen, hinrichten« (αἶρε τοῦτον Lk 23,18 || ἆρον ἆρον Joh 19,15 ÷ Mk || Mt). Die Kreuzigung: Im Unterschied zu Lk und Joh berichten Mk und Mt, dass die Soldaten Jesus gemischten Wein anboten, bevor sie ihn kreuzigten, den Jesus aber ablehnte: καὶ ἐδίδουν αὐτῷ ἐσμυρνισμένον οἶνον Mk 15,23 || ἔδωκαν αὐτῷ πιεῖν οἶνον μετὰ χολῆς μεμιγμένον Mt 27,34 ÷ Lk 23,33 || Joh 19,17. Im Rahmen der Verspottung durch die Soldaten stimmen alle vier Evangelien darin überein, dass diese dem Gekreuzigten sauren Wein (ὄξος) anbieten; hier stimmen Lk und Joh in der Wortwahl für die Darreichung (προσϕέρω) überein (προσϕέροντες αὐτῷ Lk 23,36 || προσήνεγκαν αὐτοῦ τῷ στόματι Joh 19,29 ≠ ἐπότιζεν αὐτόν Mk 15,36 || Mt 27,48). Allerdings stimmen Mk, Mt, und Joh gegen Lk darin überein, dass die Soldaten dazu einen Schwamm benutzen, den sie auf ein Rohr (Ysop) stecken. Zu Beginn der Kreuzigungsszene berichten Lk und Joh von den beiden Übeltätern (und dem Spott des einen: Lk 23,32f || Joh 19,18). Mk 15,27-30 || Mt 27,38-40 teilen diese Begebenheit erst später mit (Mk 15,27 || Mt 27,38) und berichten davor noch die Teilung der Kleider Jesu (Mk 15,24 || Mt 27,35). 14 Nur Lk und Joh berichten, dass in der Menge auch die Frauen unter dem Kreuz »standen« (εἱστήκεισαν Lk 23,49 || Joh 19,27 ≠ ἦσαν δὲ … γυναῖκες Mk 15,40 || Mt 27,55). ______________________________ 12 Vgl. M YLLYKOSKI , a. a. O. 122. 13 Vgl. D AUER , a. a. O. (Passionsgeschichte) 157. 14 Vgl. S CHNIEWIND , a. a. O. 78; D AUER , a. a. O. 222. § 13: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk 305 Begräbnis und Auffindung des leeren Grabes: Während der mk Bericht gleich zu Beginn das Datum der Kreuzigung am »Rüsttag« (παρασκευή) mitteilt (Mk 15,42), liefern Lk 23,54 || Joh 19,42 diese Information erst am Ende des Berichts von der Grablegung. 15 Am Ostermorgen finden die Frauen bei Lk und Joh im Unterschied zu Mk und Mt zwei Männer/ Engel (ἰδοὺ ἄνδρες δύο Lk 24,4 || δύο ἀγγέλους Joh 20,12 ≠ νεανίσκον Mk 16,5 || ἄγγελος Mt 28,2ff). Allerdings treten die beiden Männer Lk 24,4 herzu, wogegen die drei anderen Evangelisten den Jüngling bzw. den oder die Engel sitzend schildern (νεανίσκον καθήμενον Mk 16,5 || ἄγγελος … καὶ ἐκάθητο Mt 28,2ff || δύο ἀγγέλους … καθεζομένους Joh 20,12). Eine höchst charakteristische Übereinstimmung findet sich überhaupt nur bei Lk und Joh: Sie lassen Petrus (Joh: Petrus und den »anderen Jünger«) zum leeren Grab gehen (Lk 24,12 || Joh 20,3-10 ÷ Mk || Mt). Die Aktion am Grab, die einmal von Petrus, das andere Mal vom Lieblingsjünger berichtet wird, ist fast identisch formuliert: καὶ παρακύψας βλέπει τὰ ὀθόνια μόνα Lk 24,12 || καὶ παρακύψας βλέπει κείμενα τὰ ὀθόνια Joh 20,5. Auch diese Entsprechung setzt eine enge literarische Beziehung voraus. Erscheinung des Auferstandenen in Jerusalem: Nur Lk und Joh erzählen die Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern in Jerusalem (Lk 24,36-49 || Joh 20,19-22), wogegen Mk überhaupt keine Erscheinungen in Jerusalem berichtet, Mt 28,9f immerhin das Erscheinen vor den Frauen. Die lk-joh Erscheinungstradition weist eine Reihe sehr enger Beziehungen auf: Jesus tritt »in ihre Mitte« (ἔστη ἐν μέσῳ αὐτῶν Lk 24,36 || ἔστη εἰς τὸ μέσον Joh 20,19), grüßt die Jünger (καὶ λέγει αὐτοῖς· εἰρήνη ὑμῖν Lk 24,36 || Joh 20,19). Dann zeigt er ihnen seine Hände und Füße bzw. seine Seite (καὶ τοῦτο εἰπὼν ἔδειξεν αὐτοῖς τὰς χεῖρας καὶ τοὺς πόδας Lk 24,40 || καὶ τοῦτο εἰπὼν ἔδειξεν τὰς χεῖρας καὶ τὴν πλευρὰν αὐτοῖς Joh 20,20); daraufhin wird die Freude der Jünger mitgeteilt (ἀπὸ τῆς χαρᾶς 24,41 || ἐχάρησαν Joh 20,20). Am Ende sendet Jesus die Jünger aus (Lk 24,45-48 || Joh 20,21), und verheißt ihnen dazu den Geist (Lk 24,49 || Joh 20,22). Diese Übereinstimmungen erhalten ihre überlieferungsgeschichtliche Signifikanz dadurch, dass Lk neben diesen Übereinstimmungen mit Joh noch eine ganze Reihe weiterer Besonderheiten gegenüber Mk aufweist. Besonders wichtig sind dabei die strukturellen Differenzen, also Überschüsse, Lücken und Umstellungen. 16 1. Lk Überschüsse gegenüber Mk betreffen zunächst zwei ganze Szenen: Die Überstellung Jesu an Herodes Antipas Lk 23,6-12 hat überhaupt keine Entsprechung in den anderen Evangelien und wird daher üblicherweise zum lk Sondergut gerechnet. Anders ist dies bei dem Gespräch, das Jesus mit den Jüngern im Anschluss an das letzte Mahl führt (Lk 22,24-38). Die darin enthaltene Belehrung über Herrschen und Dienen hat eine Entsprechung in Mk 10,41-45 in einem ganz anderen Kontext. Das Logion über den Lohn der Nachfolge Lk 22,28-30 hat keine Entsprechung in Mk, wohl aber in Mt 19,28 (und wird daher zum »Q«-Bestand gerechnet). Das Gespräch über die Schwerter (22,35-38) ist ohne Parallele, genauso auch das Wort an Petrus (22,31f), dessen Abschluss (22,33f) aber wieder bei Mk und Mt belegt ist, wo es den Übergang zur Ankündigung der Verleugnung bildet (Mk 14,29f || Mt 26,33f). Daneben gibt es aber lk Überschüsse auch innerhalb von szenischen Settings, die in Mk (und Mt) enthalten sind: In der Szene im Garten Gethsemane den Bericht über die Agonie Jesu und den Stärkungsengel (Lk 22,43f). In der Verhandlung vor Pilatus: die Anklage der Synhedristen ______________________________ 15 Vgl. M YLLYKOSKI , a. a. O. 135. 16 Die folgende, ausgesprochen instruktive Übersicht bei W OLTER , Lk 688f. 306 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch (Lk 23,2-5) sowie das dreimalige Urteil des Pilatus (Lk 23,4.14.22), das ja eine der lk-joh Übereinstimmungen konstituiert. In der Kreuzigungsszene: die Klage der Frauen von Jerusalem (23,27-31); die Vergebungsbitte (23,34); die Verspottung durch die Soldaten (23,36f); das Gespräch mit den Übeltätern (23,39-45); das letzte Wort (23,46). 2. Im Vergleich zu Mk weist der lk Bericht aber auch Lücken auf. Dazu gehören: Die Salbung in Bethanien (Mk 14,3-9), die aber eine entfernte Entsprechung in Lk 7,36-50 besitzt; die Jüngerflucht und der »nackte Jüngling« (Mk 14,50-52; vgl. oben zu den lk-joh Übereinstimmungen), ebenso die Ankündigung der Jüngerflucht (Mk 14,27f); im Synhedrialverfahren fehlen die (falschen) Zeugen und das Urteil (Mk 14,55-61.64); die Verspottung Jesu durch die Soldaten (Mk 15,16-20); der Versuch der Soldaten, Jesus bei der Kreuzigung Wein zu geben (Mk 15,23) und die Verspottung durch die Passanten (Mk 15,29f). 3. Die wichtigsten Umstellungen sind schon genannt, weil Lk sie mit Joh gemeinsam hat: Die Bezeichnung des Verräters wird nicht wie in Mk 14,17-20 vor dem letzten Mahl erzählt, sondern erst danach (Lk 22,21-23). Und Lk erzählt die Verleugnung des Petrus (22,56-62) sowie die Misshandlung Jesu (22,63-65) vor dem Verhör durch das Synhedrium, nicht danach wie in Mk 14,65-72). 4. Daneben ist auch noch auf spezifische lk-mt Übereinstimmungen zu verweisen, die sich in den »Minor Agreements« zeigen, insbesondere Lk 22,62 || Mt 26,75; Lk 22,64 || Mt 27,68. b. Erklärungsmodelle Dieses Syndrom von lk Abweichungen gegenüber Mk, mt-lk Gemeinsamkeiten gegen Mk und lk-joh Gemeinsamkeiten gegen Mk (und Mt) resultiert für die überlieferungsgeschichtlichen Bedingungen von Lk 22-24 in einer Komplexität, die vor schier unüberwindliche Hindernisse stellt: »Ein überlieferungsgeschichtliches Modell, das das Zustandekommen dieses Befundes so erklären könnte, dass keine offenen Fragen zurückblieben, gibt es nicht.« 17 Nach den Überlegungen zu den synoptischen Beziehungen im Rahmen der *Ev-Priorität reduziert sich die Komplexität allerdings erheblich. Denn in diesem überlieferungsgeschichtlichen Modell lassen sich die Übereinstimmungen zwischen je zwei der drei synoptischen Evangelien gegenüber dem dritten ja durchaus verstehen. Zu erklären bleiben daher die charakteristischen lk-joh Berührungen. Wie immer, gibt es drei Möglichkeiten, die literarische Abhängigkeit zwischen Texten überlieferungsgeschichtlich zu verstehen: A ist von B abhängig; B ist von A abhängig; A und B sind durch eine dritte Instanz C miteinander vermittelt. Alle drei denkbaren Modelle wurden für die lk-joh Übereinstimmungen diskutiert. 1. Joh setzt die Synoptiker insgesamt - und eben auch Lk - voraus. In diesem Fall gehen die lk-joh Übereinstimmungen gegen Mk (und Mt) auf die Rezeption und Bearbeitung von Mk 14,1-16,8 durch Lk zurück: Die lk-joh Berührungen beruhen auf der Abhängigkeit des Joh von Lk. Diese Lösung setzt also voraus, dass Joh genau an denjenigen Stellen von der mk Erzählfolge abweicht, an denen auch ______________________________ 17 W OLTER , Lk 691. § 13: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk 307 Lk davon abweicht. Das ist grundsätzlich denkbar, aber nicht sehr wahrscheinlich. Denn diese Erklärung ist methodisch dadurch belastet, dass sie die prinzipiell auf die Quellenverwendung abzielende Literarkritik an den entscheidenden Stellen verlässt und die lk-joh Abweichungen gleich in doppelter Hinsicht redaktionskritisch erklären muss: Denn zum einen müssten sich (unter der durchweg vertretenen Mk- Priorität) die mk-lk Differenzen als redaktionelle Änderungen des Lk an Mk erklären und zugleich (! ) die lk-joh Übereinstimmungen als joh Rezeption von Lk (gegen Mk) kompositionell plausibilisieren lassen. Dieser Wechsel der grundlegenden methodischen Perspektiven ist deshalb wenig überzeugend, weil die (insgesamt sehr zahlreichen) Vertreter dieses Modells für die Erklärung der innersynoptischen Beziehungen in aller Regel die Zwei-Quellentheorie voraussetzen: Deren literarkritische Orientierung erklärt die gemeinsame Abweichung zweier Texte gegenüber einem dritten durchweg mit der Annahme einer gemeinsamen Quelle. 2. Eine andere Lösung, die nach älteren Vorarbeiten in den letzten Jahren wiederholt vertreten wurde, geht davon aus, dass Lk nicht nur von Mk, sondern auch von Joh abhängig ist. 18 In einigen Fällen ist diese Annahme der Joh-Priorität vor Lk sehr überzeugend: Etliche strukturelle Phänomene und einige Berührungen im Wortlaut lassen sich tatsächlich leichter erklären, wenn das Bearbeitungsgefälle von Joh zu Lk anstatt von Lk zu Joh verläuft. Der methodische Preis dieser Lösung ist allerdings hoch. Denn zum einen wird die auffällige Koinzidenz zwischen den lkmk Differenzen und den lk-joh Übereinstimmungen in überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht nur auf Joh verlagert, dem Lk dann (immer wieder: gegen Mk) folgt. Zum anderen ist diese Lösung nur für Teile der joh Passionsgeschichte plausibel, nicht aber für den Rest des Evangeliums, also etwa für die lk-joh Berührungen in der Salbungserzählung (Lk 7,36-50 || Joh 12,3-8) oder in der Erzählung vom wunderbaren Fischfang (Lk 5,1-11 || Joh 21,1-14): In diesen Überlieferungen lässt sich die Joh- Priorität vor Lk nur sehr gezwungen zeigen. 3. Die dritte Möglichkeit rechnet damit, dass die lk-joh Berührungen auf die literarische Abhängigkeit von einer gemeinsamen Vorlage zurückgehen, die dann als eigenständige Passionsgeschichte oder als gemeinsame »Sonderquelle« oder auch als die Quelle des lk Sonderguts identifiziert werden kann. 19 ______________________________ 18 B. S HELLARD , The Relationship of Luke and John - A Fresh Look at an Old Problem, JThS 46 (1995), 71-98; M. A. M ATSON , In Dialogue with Another Gospel, Atlanta 2001. Vgl. aber schon P. P ARKER , Luke and the Fourth Evangelist, NTS 9 (1963), 317-336; F. L. C RIBBS , St Luke and the Johannine Tradition, JBL 90 (1971), 422-450; DERS ., The Agreements that Exist Between Luke and John, SBL.SP 1 (1979), 215-251. 19 F R . B OVON , The Lukan Story of the Passion of Jesus (Lk 22 - 23), in: ders., Studies in Early Christianity, Tübingen 2003, 74-105; J. B. G REEN , The Death of Jesus, Tübingen 1988; M. M YLLYKOSKI , The Material Common to Luke and John, in: P. Luomanen (Hg.), Luke-Acts, Helsinki - Göttingen 1991, 308 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Schon Friedrich Rehkopf hatte auf die lk-joh Berührungen in der Passions- und Osterüberlieferung hingewiesen und eine lk »Sonderquelle« postuliert. 20 Eine solche gemeinsame lk-joh Überlieferung nimmt auch Hans Klein an: Er rechnet mit einer »Grundschicht« (G), von der die gemeinsamen Vorlagen der joh und der lk Passionsgeschichte abhängig seien (JV; LV). Diese Grundschicht »G« gehe auf eine mk Vorlage zum Passionsbericht (MkV) zurück, die dann wiederum (neben einer »heidenchristlichen Passionstradition«) die Grundlage für Mk bilde. 21 Die angenommene Überlieferungsgeschichte lässt sich dann folgendermaßen schematisieren: Heidenchristliche- Passionstradition- - - - MkV- - - - - - - --Mk- - - -----------G- - - - - - - - - LV- - - -----JV- - - - - - --------Lk- - - - - -------------------Joh--- Abb. 8: Zwei-Quellentheorie und joh Passionsüberlieferung (Hans Klein) Etwas anders stellt sich Frank Schleritt die Entwicklung der Passionsüberlieferung vor: Er geht von der Grundschicht eines Passionsberichts (PB G ) aus, von der einerseits die Vorlage für Mk (PB Mk ) und andererseits die gemeinsame Vorstufe des lk-joh Passionsberichtes (PB Lk/ Joh ) abhängig sind. Letztere sei dann von einem vor-lk (PB Lk ) und von einem vor-joh Passionsbericht (PB Joh ) benutzt worden, auf die jeweils Lk und Joh zurückgingen. 22 - - ----- -----------PB G -- - - PB Mk - - - - - -------------PB Lk/ Joh - - - - - - ----------PB Lk - - - - ------PB Joh - - Mk- - - - - - - -----------Lk- - - - -------Joh- Abb. 9: Zwei-Quellentheorie und joh Passionsüberlieferung (Frank Schleritt) Bei allen Unterschieden im Einzelnen entsprechen sich beide Modelle darin, dass sie für die Erklärung der Beziehung zwischen den drei kanonischen Passionserzählungen (die hier jeweils hervorgehoben sind) nicht weniger als vier bzw. fünf zusätzliche Überlieferungsstufen ins Spiel ______________________________ 115-156; F R . R EHKOPF , Die lukanische Sonderquelle, Tübingen 1959; V. T AYLOR , The Passion Narrative of St Luke, Cambridge 1972 u. a. 20 R EHKOPF , a. a. O. 84 u. ö. Diese Theorie hatte vor allem B. H. S TREETER , B. The Four Gospels, London 1924, 199-222, entwickelt. 21 K LEIN , a. a. O. 156. 22 S CHLERITT , a. a. O. (passim; das Diagramm ebd. 114). § 13: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk 309 bringen, deren Existenz lediglich hypothetisch erschlossen ist und für die es keine weiteren Hinweise gibt. Unter dem Gesichtspunkt der methodisch gebotenen Ökonomie bei der Erstellung überlieferungsgeschichtlicher Stemmata ist dieses Modell nicht eben überzeugend. Die Annahme einer gemeinsamen Quelle für Lk und Joh ist daher zwar attraktiv, aber wohlfeil: Denn da das literarische Profil einer solchen hypothetischen Quelle nicht zu eruieren ist, dient sie - ähnlich wie »Q« im Rahmen der Zwei-Quellentheorie - lediglich als Lückenbüßer im heuristischen Rahmen der Theorie und zeigt deren Insuffizienz an. Angesichts des komplexen überlieferungsgeschichtlichen Befundes der lk-joh Berührungen in der Passions- und Osterüberlieferung wird die Einschätzung verständlich, dass sich »neuere Äußerungen zum Thema durch eine zunehmende Unschärfe und Diffusität« auszeichnen. 23 Aber für die Erklärung der überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhänge der lk-joh Passionsüberlieferung sollten die gleichen methodischen Kriterien gelten wie für das Synoptische Problem: Ein Modell darf nicht nur in großen Zügen plausibel sein, sondern muss auch im Detail standhalten. Es ist an dieser Stelle zwar nicht nötig, die einzelnen Modelle mit ihren Stärken und Schwächen genauer zu besprechen. Aber unter der Voraussetzung der *Ev-Priorität ergeben sich Gesichtspunkte, die zu einer genaueren Analyse derjenigen Beobachtungen nötigen, die den beiden letztgenannten Modellen zugrunde liegen. Denn die Unterscheidbarkeit zwischen *Ev und Lk ermöglicht es, sowohl die lk-joh Abhängigkeit von einer gemeinsamen Quelle als auch die lk Abhängigkeit von Joh in einem integralen Modell zu erklären: Im ersten Fall ist die gemeinsame lk-joh Abhängigkeit von *Ev zu zeigen, im zweiten Fall die lk Abhängigkeit von Joh. Die Aufgabe besteht folglich darin, die oben genannten Bearbeitungsrelationen ⑥ und ⑦ innerhalb des hier vorgestellten Materials zu identifizieren. 3. Die Abhängigkeit der joh Passionsüberlieferung von *Ev Aus methodischen Gründen bietet es sich an, für diese Differenzierung zunächst die joh Abhängigkeit von *Ev plausibel zu machen. Das methodische Potential der *Ev-Priorität ist mit Blick auf das letzte der zuvor genannten Modelle leicht erkennbar, nach dem die Gemeinsamkeiten der lk und der joh Passionsüberlieferung auf die Abhängigkeit von einer gemeinsamen Quelle zurückgeführt werden: Die Notwendigkeit für die Annahme hypothetischer Zwischenstufen - also bei Klein: G, LV und JV; bei Schleritt: PB G , PB Lk/ Joh , PB Lk und PB Joh - beruht auf der Voraussetzung, dass der Ursprung der gemeinsamen Passionsüberlieferungen in Mk (bzw. dessen Vorlage) zu sehen sei. Geht man dagegen von der *Ev-Priorität vor Mk aus (o. § ______________________________ 23 W OLTER , Lk 691, der daraus konsequent folgert: »Das ist wohl auch der einzige Darstellungsmodus, der dem Sachproblem einigermaßen gerecht wird.« 310 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch 11), lässt sich zunächst die hier erschlossene vor-mk Passionsüberlieferung (also: MkV bzw. PB G ) identifizieren: Es handelt sich um die Passionsgeschichte von *Ev. Darüber hinaus wäre zu zeigen, dass die lk-joh Gemeinsamkeiten nicht auf einer zusätzlichen Bearbeitung beruhen (hier also: G bzw. PBLk/ Joh), sondern direkt auf *Ev zurückgehen. Die Differenzen zwischen der mk(-mt) und der lk-joh Überlieferung (hier: G gegenüber Mk bzw. PB Mk / Mk gegenüber PB Lk/ Joh ) müssen daher nicht auf eigens postulierte Zwischenschritte verteilt werden, sondern lassen sich durch die mk Redaktion von *Ev erklären. Anders gesagt: Das Gros der lk-joh Übereinstimmungen gegen Mk/ Mt geht auf den gemeinsamen Bestand in *Ev zurück. Dies lässt sich zunächst an den großen strukturellen Gemeinsamkeiten zeigen, die durchweg für *Ev bezeugt bzw. wahrscheinlich sind. Der Nachweis, der hier anhand nur weniger Beispiele geführt werden soll, beruht auf der kompositionellen Plausibilisierung der mk Redaktion; methodisch entspricht er dem Verfahren zum Nachweis der *Ev-Priorität vor Mk (s. o. § 11). 1. Die Lokalisierung der Bezeichnung des Verräters im Anschluss an den Bericht vom letzten Mahl (Lk 22,21-23 || Joh 13,21-30) ist so schon für *Ev bezeugt (vgl. Tert. 4,40,4; 41,1). Diese Gemeinsamkeit geht also auf eine Änderung der Erzählfolge durch Mk zurück. Dessen redaktioneller Eingriff lässt sich auch kompositionskritisch plausibilisieren (s. die Rekonstruktion z. St.). Denn der Mahlbericht in *Ev, in dem der lk Nachtischbecher und seine Deutung (Lk 22,19cd.20) fehlte, ging direkt von der Deutung des Brotes (*22,19a) zur Bezeichnung des Verräters V. *21 über. Mk hat dagegen (möglicherweise unter Einfluss von 1Kor 11,23-25) in Parallelität zum Brotwort den (Nachtisch! -)Becher und seine Deutung eingefügt; dies hatte dann auch die Verschiebung des sog. »eschatologischen Vorbehalts« an das Ende der Einheit zur Folge (Mk 14,25 || Mt 26,29 ≠ *21,18). Gleichwohl hat Mk daran festgehalten, die Bezeichnung des Verräters in engem Zusammenhang mit dem eigentlichen Mahl zu berichten und so den Gegensatz zu der von Jesus proklamierten Einheit des Leibes (τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου *22,19a || Mk 14,22b) beim Essen her-vorzuheben: Dass die »Hand (χείρ) meines Verräters mit mir auf dem Tisch« ist (*22,21), lässt sich vom gemeinsamen Trinken während des Symposions weniger gut sagen als vom gemeinsamen Essen. Sowohl Mk als auch Mt haben diesen Aspekt sehr genau gesehen und ihn dadurch zum Ausdruck gebracht, dass der Verräter seine Hand (χείρ) bzw. seinen Bissen (ἐμβαπτόμενος) mit Jesus in dieselbe Schüssel taucht (Mt 26,23 || Mk 14,20). Diese Umstellung der Ankündigung des Verrats vor den eigentlichen Mahlbericht (Mk 14,22-25 || Mt 26,26-29) machte dann eine eigene Einleitung erforderlich, die Jesus und die Jünger bereits beim Essen zeigt (καὶ ἀνακειμένων αὐτῶν καὶ ἐσθιόντων Mk 14,18 || καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Mt 26,21). Die dadurch entstandene Störung des Erzählablaufs ist noch gut erkennbar, weil die Austeilung des Brotes, mit der das eigentliche Mahl beginnt (καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Mk 14,22 || ἐσθιόντων δὲ αὐτῶν Mt 26,26), erst berichtet wird, nachdem Jesus und die Jünger das Mahl bereits begonnen hatten (Mk 14,18 || Mt 26,21). § 13: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk 311 2. Ein weiterer Komplex, der sich für die Analyse der strukturellen Unterschiede zwischen dem lk-joh und dem mk-mt Bericht anbietet, ist die Abfolge von Festnahme, Verleugnung durch Petrus, Verhör durch den Hohenpriester und das Verfahren vor Pilatus. Da die einzelnen Elemente in der lk-joh Abfolge bereits durch *Ev bezeugt sind, müssen auch hier die Änderungen auf den Gestaltungswillen der mk Redaktion zurückgeführt werden. Sie erschließen sich am leichtesten vom Ende her. Die dreifache Unschuldserklärung im Verfahren vor Pilatus Lk 23,4.14.22 || Joh 18,38; 19,4.6 ist bereits für *Ev bezeugt (*23,4) bzw. wahrscheinlich (*23,14.22); für *23,14 ist aufgrund der handschriftlichen Überlieferung auch der charakteristische Wortlaut dieser Unschuldserklärung wahrscheinlich. 24 Diese Unschuldserklärungen strapazieren die sachliche Plausibilität aufs Stärkste. Denn unter den (falschen) Anklagen der Hohenpriester und Führer des Volkes erscheinen ja auch die eindeutig politischen Anklagen, also der Aufruf zur Steuerverweigerung gegenüber dem Kaiser und die maiestas-Anklage, Jesus habe sich zum βασιλεὺς Χριστός erklärt (*23,2): Dass in *Ev Pilatus als Reaktion auf diese Anklagen erklärt, er finde keine Schuld an Jesus, stellt eine schwere Beeinträchtigung des Verisimile des ganzen Verfahrens dar. Mk hat dieses Problem dadurch gelöst, dass er die Anklage erstens ausdrücklich falschen Zeugen in den Mund legt und diese zweitens nicht vor Pilatus, sondern im nächtlichen Synhedrialverfahren auftreten lässt (Mk 14,55-57). In diesem Rahmen war dann die antirömisch-politische Anklage gegen Jesus nicht sinnvoll: Mk hat sie daher in gewisser Weise entpolitisiert und durch primär religiöse Anklagen ersetzt, nämlich durch das »Tempelwort« (Mk 14,58) bzw. durch die von Jesus beanspruchte Gottessohnschaft (Mk 14,61). Indem Mk das eigentliche Verfahren gegen Jesus in das nächtliche Verfahren vor dem Synhedrium verlegt, bleibt das Verfahren vor Pilatus seltsam konturenlos: Die im nächtlichen Synhedrialverfahren gegen Jesus erhobenen Anklagen (Tempelwort; Gottessohnschaft) werden nicht wiederholt, Mk lässt Pilatus (auch darin noch den Einfluss von *Ev verratend) lediglich fragen, ob Jesus der »König der Juden« sei. 25 Auch, wenn dies nicht die einzigen Gründe dafür sein werden, dass Mk das Verfahren gegen Jesus nicht tagsüber vor Pilatus, sondern in krass rechtswidriger Weise nachts und vor dem Synhedrium stattfinden lässt, ist doch sein redaktioneller Gestaltungswille gut erkennbar. Eng verbunden mit dieser redaktionellen Änderung von *Ev ist die Funktion der Auspeitschung, die Lk 23,16 || Joh 19,1 vor dem eigentlichen Urteil erwähnen (für *Ev nicht direkt bezeugt, aber wahrscheinlich, s. die Rekonstruktion): Pilatus kommt der Forderung der Hohenpriester und Führer des Volkes dadurch ein Stück entgegen, dass er Jesus nicht ungeschoren lässt, obwohl er keinen Urteilsgrund gegen ihn findet. Im Kontext von *Ev, den Lk und Joh übernehmen, fungiert die auf diese Weise ins Spiel gebrachte flagellatio letztlich als Beleg der Unschuld Jesu: Sie tritt an die Stelle einer Verurteilung. Da Jesus bei Mk und Mt bereits im nächtlichen Synhedrialverfahren schuldig gesprochen wurde, ist bei ihnen die Auspeitschung durch die Soldaten des Pilatus die ______________________________ 24 Vgl. *23,22 v. l. (D it): οὐδεμίαν αἰτίαν θανάτου εὗρον ἐν αὐτῷ. 25 Vgl. Mk 15,2 (σὺ εἶ ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων; ) mit Mk 14,61 (σὺ εἶ ὁ χριστὸς ὁ υἱὸς τοῦ εὐλογητοῦ; ). Die narrative Kohärenz hat durch die redaktionellen Veränderungen des Mk erheblich gelitten: Wie hätte Pilatus auf die idee kommen können, Jesus nach seinem Königtum zu fragen, selbst wenn ihm die Anklagen vor dem Synhedrium bekannt waren? Diese Frage stammt aus *Ev. 312 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Folge des Urteils (Mk 15,15b || Mt 27,26), das dieser tatsächlich nur bestätigt und exekutiert, nicht aber selbst fällt. 3. Auch die strukturellen Abweichungen von Lk und Joh gegenüber Mk und Mt in der Kreuzigungs- und der Begräbnisszene gehen auf mk Änderungen an *Ev zurück: Die Erwähnung der beiden Übeltäter vor der Kreuzigung (Lk 23,33 || Joh 19,18 ≠ Mk 15,27-30 || Mt 27,38-40); das Angebot von Wein nach der Kreuzigung (Lk 23,36 || Joh 19,29), das Mk und Mt vor der Kreuzigung berichten (Mk 15,23 || Mt 27,34); sowie die Datierung der Kreuzigung auf den »Rüsttag« erst am Ende der Begräbnisszene (Lk 23,54 || Joh 19,42 ≠ Mk 15,42) sind schon für *Ev bezeugt bzw. wahrscheinlich. 26 Zu Beginn der Kreuzigungsszene berichten Mk und Mt anstelle der Erwähnung der beiden Übeltäter (*23,33 || Joh 19,18), dass die Soldaten Jesus vermischten Wein anbieten (ἐσμυρνισμένον οἶνον Mk 15,23 || οἶνον μετὰ χολῆς μεμιγμένον Mt 27,34). Dieses Element hat keine Entsprechung in Lk und Joh - verständlicherweise, denn dieses Element stammt aus der Verspottung durch die Soldaten (*23,36) nach der Kreuzigung, die den Königsanspruch Jesu dadurch verhöhnen, dass sie Jesus mit saurem Essig(-Wein) huldigen. 27 Da Mk und Mt keine eigene Teilszene mit der Verspottung des Gekreuzigten durch die Soldaten erzählen, haben sie dieses Element an den Anfang des Kreuzigungsberichtes gezogen (Mk 15,23 || Mt 27,34). 28 Dies hat zur Folge, dass *23,36 bei Mk und Mt doppelt rezipiert wird, nämlich einerseits in dem Weinangebot in Mk 15,23 || Mt 27,34, andererseits aber mit dem Angebot von Essig(-Wein) in Mk 15,36 || Mt 27,48. Im ersten Fall ist die Verspottungsfunktion von *23,36 deutlich erkennbar aufgegriffen, 29 im zweiten Fall ist der Bezug auf *23,36 daran kenntlich, dass die Soldaten Jesus ὄξος anbieten, also einen minderwertigen, sauren Wein. Dieses ὄξος-Angebot ist bei Mk und Mt gleichermaßen Ausdruck des Mitleids wie des Unverständnisses der Soldaten: Sie halten das Gebet Jesu für den delirierenden Ruf nach Elia (Mk 15,34f || Mt 27,46f). Obwohl Mk und Mt die Erwähnung der beiden Übeltäter am Anfang durch diesen Begrüßungstrunk ersetzen, haben sie die Struktur ihrer doppelten Erwähnung beibehalten, die ihnen durch *Ev vorgegeben war (*23,33.39-42 || Mk 15,27.32 || Mt 27,38.44), ohne allerdings den Spott des einen und die Widerrede des anderen zu übernehmen. ______________________________ 26 Für die Übeltäter zu Beginn der Kreuzigungsszene s. Tert. 4,42,4; für die Datierung auf ἡ ἡμέρα προσαββάτου s. *23,54 v. l. (D d). 27 Vgl. R. E. B ROWN , The Death of the Messiah II, New York u. a. 1994, 997. 28 Die Verspottung durch die Soldaten ist bei Mk und Mt in die Szene mit der Verurteilung Jesu vorgezogen (Mk 15,17-20 || Mt 27,28-31) und wird daher im Kontext der Kreuzigung nicht noch einmal erzählt. 29 Mk erreicht dies durch Kontrastierung, Mt durch Überzeichnung: Bei Mk bieten die Soldaten Jesus einen besonders guten Wein (nämlich den mit Myrrhe versetzten μύρρινος) an, der aufs Schärfste mit der elenden Erscheinung des Gekreuzigten kontrastiert. Mt 27,34 bringt die verhöhnende Funktion dieses Begrüßungstrunkes dadurch zum Ausdruck, dass die Soldaten Jesus nicht einfach Wein anbieten, sondern diesen durch Beimischung von Galle ungenießbar machen (οἶνον μετὰ χολῆς μεμιγμένον). § 13: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk 313 Diese strukturellen Differenzen zwischen Lk und Joh auf der einen Seite und Mk und Mt auf der anderen gehen also am ehesten auf die redaktionellen Änderungen zurück, die Mk gegenüber *Ev vorgenommen hat. Da Joh ganz eindeutig auch den mk Passionsbericht voraussetzt, bleibt unter der Prämisse der *Ev-Priorität vor Mk und Lk nur die Folgerung, dass diese joh-lk Übereinstimmungen auf die gemeinsame Abhängigkeit von *Ev zurückgehen: Das ist ihre gemeinsame und zugleich vor-mk Quelle. 4. Diese gemeinsame lk-joh Abhängigkeit von *Ev lässt sich nicht nur in den strukturellen Unterschieden auf der makrotextuellen Ebene zeigen, sondern auch in einzelnen Formulierungen. Auch hier genügen wieder wenige Beispiele. In der Ankündigung der Verleugnung stimmen Lk und Joh in der Formulierung des Bekenntnisses des Petrus gegen Mk und Mt überein: μετὰ σοῦ ἕτοιμός εἰμι … πορεύεσθαι Lk 22,33 || δύναμαί σοι ἀκολουθῆσαι Joh 13,37 ≠ εἰ καὶ πάντες σκανδαλισθήσονται, ἀλλ’ οὐκ ἐγώ Mk 14,29 || εἰ πάντες σκανδαλισθήσονται ἐν σοί, ἐγὼ οὐδέποτε σκανδαλισθήσομαι Mt 26,33. Zwar ist der Wortlaut von *22,33 nicht direkt bezeugt, aber Tert. 4,41,2 fasst die Aussage zusammen; es besteht kein Anlass, hier eine andere als die kanonische Formulierung anzunehmen. Das aber bedeutet, dass die mk-mt Metaphorik des »Anstoßnehmens« (σκανδαλίζομαι) auf die Redaktion des Mk zurückgeht, die Mt von ihm übernommen hat, wogegen Lk und Joh ausu *Ev die Metapher des »Mit-Gehens« bzw. »Nachfolgens« rezipieren. Auch in der Formulierung, mit der die Festnahme Jesu ausgesagt wird, stimmen Lk und Joh überein: συλλαμβάνω Lk 22,54 || Joh 18,12 ≠ κρατέω Mk 14,46b || Mt 26,50. Diese Entsprechung ist deshalb wichtig, weil sie mit einer strukturellen Veränderung einhergeht: *22,54 || Joh 18,12 teilen die Festnahme Jesu erst nach der Auseinandersetzung mit dem Verhaftungstrupp zu Beginn der folgenden Szene mit. Ähnlich instruktiv ist auch die übereinstimmend formulierte Frage nach der Messianität Jesu: ἐὰν ὑμῖν εἴπω, οὐ μὴ πιστεύσητε Lk 22,67 || εἶπον ὑμῖν καὶ οὐ πιστεύετε Joh 10,24.25 ≠ σὺ εἶ ὁ χριστὸς ὁ υἱὸς τοῦ εὐλογητοῦ Mk 14,61 || (ἐξορκίζω … ἵνα ἡμῖν εἴπῃς) εἰ σὺ εἶ ὁ χριστὸς ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ Mt 26,63. Dieses Beispiel ist instruktiv, weil sich zwar die Wahl der Lexeme und die Wortfolge von Lk 22,67 und Joh 10,24f aufs Engste entsprechen, nicht aber die Syntax. Vor allem aber hat Joh die Frage nach der Messianität *22,67 nicht im Rahmen der nächtlichen Befragung durch den Hohenpriester (Joh 18,19-24) rezipiert, sondern im Zusammenhang der Auseinandersetzungen während des Tempelweihfestes (Joh 10,22-39). Dies ist überlieferungsgeschichtlich aufschlussreich: Denn der im gleichen Zusammenhang berichtete Blasphemievorwurf (Joh 10,33: σὺ ἄνθρωπος ὢν ποιεῖς σεαυτὸν θεόν) hat zwar in Mk 14,63f eine Entsprechung, nicht aber in der Verhörszene in *Ev-Lk: Joh kennt Mk also. Umgekehrt reklamiert der joh Jesus für sich die Aussage υἱὸς τοῦ θεοῦ εἰμι (Joh 10,36), obwohl Joh diesen Anspruch gar 314 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch nicht mitgeteilt hat. Dagegen ist anzunehmen, dass er ihn aus der nächtlichen Befragungsszene *22,70 kennt: εἶπαν δὲ πάντες, Σὺ οὖν εἶ ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ; ὁ δὲ πρὸς αὐτοὺς ἔϕη, ῾Υμεῖς λέγετε. Wie der entsprechende Duktus zeigt, hat Joh dieses Element in leicht veränderter Form im Verhör vor Pilatus übernommen (Joh 18,37: οὐκοῦν βασιλεὺς εἶ σύ; ἀπεκρίθη ὁ Ἰησοῦς· σὺ λέγεις). Dieses Ineinander von Elementen der Passionsüberlieferung von *Ev und Mk in dem szenisch davon unterschiedenen Kontext der Auseinandersetzung auf dem Tempelweihfest ist ein weiterer Beleg für das komplexe Spiel des Joh mit seinen Prätexten. Dass es nicht auf den Versuch einer redaktionellen Harmonisierung seiner Quellen reduziert werden kann, wird gleich deutlich werden. 30 Weitere Beispiele für die lk-joh Abhängigkeit von *Ev sind: καὶ σὺ ἐξ αὐτῶν εἶ - οὐκ εἰμί *22,58 || σὺ ἐκ τῶν μαθητῶν αὐτοῦ εἶ … οὐκ εἰμί Joh 18,(17).25 ≠ ὁ δὲ ἠρνήσατο […] λέγων· οὔτε οἶδα […] σὺ τί λέγεις Mk 14,68 || Mt 26,70. - σταύρωσον σταύρωσον *23,21 || Joh 19,6 ≠ σταύρωσον Mk 15,13 || σταυρωθήτω Mt 27,22. - αἴρω *23,18 || Joh 19,15 ÷ Mk || Mt. - εἱστήκεισαν *23,49 || Joh 19,27 ≠ ἦσαν δὲ … γυναῖκες Mk 15,40 || Mt 27,55. - ἰδοὺ ἄνδρες δύο *24,4 || δύο ἀγγέλους Joh 20,12 ≠ νεανίσκον Mk 16,5 || ἄγγελος Mt 28,2ff. So erweist sich zunächst die überlieferungsgeschichtliche Annahme als zutreffend, dass die joh-lk Übereinstimmungen in der Passions- und Osterüberlieferung gegen Mk/ Mt auf der Abhängigkeit von einer gemeinsamen Quelle beruhen. Im Unterschied zu den genannten Modellen, die mit einer gemeinsamen vor-lk/ vor-joh Passionsquelle rechnen, ist von dieser Quelle jedoch auch Mk (und Mt) abhängig: Unter der Prämisse der *Ev-Priorität vor Mk (sowie Mt und Lk) wird deutlich, dass und warum die hypothetischen »Zwischenstufen« verzichtbar sind, wie sie etwa Hans Klein oder Frank Schleritt angenommen hatten: Sie sind nur dann methodisch notwendig, wenn man, etwa im Horizont der Zwei-Quellentheorie, die Mk-Priorität vor Lk als »gesetzt« ansieht, die in den genannten Modellen ja unbefragt vorausgesetzt wird. 4. Die Rezeption von Joh durch Lk Joh ist also nicht nur von Mk und Mt, sondern auch von *Ev abhängig. Um diesen Einfluss, den *Ev entlang der Bearbeitungsrelation ⑥ auf Joh ausgeübt hat, sicher nachweisen zu können, ist es allerdings notwendig, zwischen den Berührungen von *Ev und Lk zu Joh zu unterscheiden. Das Potential dieser Differenzierung hat sich für die überlieferungsgeschichtlichen Verhältnisse zwischen *Ev und allen drei synoptischen Evangelien erwiesen. Die Analyse der weiteren lk-joh Übereinstimmungen hat die Funktion, das Gefälle der Bearbeitungsrelation ⑦ zwischen ______________________________ 30 Zum ganzen Zusammenhang vgl. S CHLERITT , a. a. O. 369ff, der aus dem Befund allerdings andere überlieferungsgeschichtliche Folgerungen zieht. § 13: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk 315 Joh und Lk eindeutig zu bestimmen. In diesem Fall geht es also darum, direkt bezeugte oder doch sehr wahrscheinliche Unterschiede zwischen *Ev und Lk in dem Material zu identifizieren, das Lk und Joh gegen Mk und Mt gemeinsam haben. Da *Ev die Hauptquelle von Lk bildet, der dieser fast immer folgt, steht zu erwarten, dass makrotextuelle Beobachtungen zur Akoluthie für diese Untersuchung kaum Relevanz gewinnen können. Im Mittelpunkt stehen stattdessen kleinere Übereinstimmungen zwischen Lk und Joh: Die Berührungen der jeweiligen Formulierungen. Für die Identifizierung dieser Schnittmenge zwischen den Differenzen von *Ev und Lk und den Übereinstimmungen von Lk und Joh bieten sich zunächst diejenigen Beispiele an, für die sich *Ev in Abweichung zu Lk aufgrund der häresiologischen Referate genau rekonstruieren lässt. a. Satan und der Verrat des Judas Das erste Beispiel ist die Rolle, die Satan für den Verrat des Judas spielt. Während Judas nach Mk 14,10 || Mt 26,14 einfach zu den Hohenpriestern geht und Jesus verrät, begründet Lk diesen Verrat dadurch, dass »Satan in Judas hineinfuhr«. Die Formulierung εἰσῆλθεν δὲ σατανᾶς εἰς Ἰούδαν Lk 22,3 hat in Joh eine beinahe wörtliche Entsprechung (Joh 13,27: εἰσῆλθεν εἰς ἐκεῖνον ὁ σατανᾶς). Die große Nähe zwischen Lk 22,3 und Joh 13,27 hat schon länger nach einer Erklärung verlangt. Das Problem der Beziehung ist allerdings schwierig, weil Joh auch an anderer Stelle den Verrat des Judas mit dem Teufel in Verbindung bringt. Joh 6,70 erklärt Jesus, dass einer der Zwölf, die er erwählt hat, ein Teufel ist (καὶ ἐξ ὑμῶν εἷς διάβολός ἐστιν); der Erzähler erklärt daraufhin, dass dieser eine Judas Iskariot sei, »der ihn verraten sollte« (6,71). Zu Beginn der Mahlszene erklärt wiederum der Erzähler, dass der Teufel Judas, dem Sohn des Simon Iskariot, schon ins Herz gegeben hatte, ihn zu verraten und auszuliefern (Joh 13,2). An diesen beiden Stellen ist allerdings nicht vom Satan (σατανᾶς) die Rede, sondern vom Teufel (διάβολος). Darüber hinaus ist der syntaktische Bezug in Joh 13,2 τοῦ διαβόλου ἤδη βεβληκότος εἰς τὴν καρδίαν ἵνα παραδοῖ αὐτὸν Ἰούδας Σίμωνος Ἰσκαριώτου nicht eindeutig. Liest man mit der Mehrheit der Handschriften den Genitiv Ἰούδα, muss man übersetzen: Der Teufel hatte es in das Herz des Judas gegeben, ihn (Jesus) zu verraten. Liest man dagegen mit P 66 א B L W X Ψ 0124 1241 usw. den Nominativ Ἰούδας, muss man reflexiv verstehen: Der Teufel hatte es schon in seinem (eigenen) Herzen beschlossen, dass Judas ihn verraten solle. 31 Im ersten Fall ergibt sich eine größere Nähe von Joh 13,2 zu Lk 22,3 (der Teufel/ Satan hatte schon im Zusammenhang mit dem Verrat agiert), aber eine Spannung zu Joh 13,27 (denn dann müsste angenommen werden, dass der Teufel/ Satan zu unterschiedlichen Zeitpunkten von Judas Besitz ergriffen habe). Im zweiten Fall besteht die Spannung zu Lk 22,3. Diese Unklarheiten haben eine eindeutige überlieferungsgeschichtliche Zuordnung von Lk 22,3 und Joh 13,27 weitgehend verhindert: Alle denkbaren Lösungen ______________________________ 31 Zu den textkritischen Fragen vgl. M ETZGER , Textual Commentary z. St., der für den (schwierigeren) Nominativ votiert; so schon B ARRETT , Joh 439. 316 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch werden vertreten. 32 Aber in diesem Fall ist die Beantwortung der überlieferungsgeschichtlichen Frage nicht allein von internen Kriterien abhängig. Denn Tertullian bezeugt sehr deutlich, 33 dass Lk 22,3 in *Ev gefehlt hat: Der Vers ist eine sekundäre Ergänzung durch die lk Redaktion, das Bearbeitungsgefälle verläuft eindeutig von Joh zu Lk. Die Überlieferungsgeschichte lässt sich dann folgendermaßen nachvollziehen: Lk hatte in Joh mehrfach davon gelesen, dass der Teufel für den Verrat bzw. die Auslieferung Jesu durch Judas verantwortlich war: Diese Überlegung hat nach Joh 6,71 die Funktion zu erklären, wieso dieser Verrat aus dem engsten Kreis der Zwölf kommen konnte. Diese Klärung war notwendig, weil schon zuvor das »harte Wort« (Joh 6,60) der vorangegangenen Belehrung zum Murren und zur Spaltung der Jüngerschaft geführt hatte (6,61: γογγύζουσιν; 6,66: πολλοὶ τῶν μαθητῶν αὐτοῦ ἀπῆλθον). Zu dieser Spaltung gehört auch, wie der Erzähler erklärt, dass Judas Jesus verraten werde (6,64). Diese Ankündigung steht in hartem Kontrast zu der Erklärung desselben Zusammenhanges, dass nur diejenigen zu Jesus kommen (d. h. an ihn glauben) können, denen es vom Vater gegeben ist (6,65). Dieses erwählungstheologische Kriterium für die Jüngerschaft der Zwölf (an deren Stelle Petrus hier spricht), macht eine Erklärung erforderlich, wieso aus diesem Kreis derer, die bei Jesus bleiben, am Ende doch der Verräter hervorgeht. Genau diese Erklärung leistet 6,70f. Joh 13,2 hat diesen proleptischen Hinweis auf den Verrat des Judas (und den Anteil des Teufels daran! ) aufgegriffen. Es spricht alles dafür, dass 13,2 ein gezielter Rückverweis auf 6,70f ist. Er erklärt, wieso Jesus über den Verrat Bescheid wissen konnte, bevor der Verräter selbst es wusste: Der Satan hatte es in seinem Herzen so beschlossen. Die Minderheitenlesart ( P 66 א B L W X Ψ 0124) mit dem Nominativ Ἰούδας ist sehr wahrscheinlich ursprünglich. Joh 13,27 rekurriert auf diese beiden Ankündigungen. Der Leser weiß Bescheid, dass jetzt, im Verlauf des Mahles, die entscheidende Aktion des Teufels zu erwarten ist: Erst jetzt findet die vom Teufel schon früher beschlossene Inbesitznahme des Judas statt. Aber Jesus bleibt auf doppelte Weise Herr des Geschehens: Er löst das Geschehen durch die Bezeichnung des Verräters mit dem Bissen, den er eintaucht und dem Judas gibt, aus (13,26), und weist Judas mit der Aufforderung ὃ ποιεῖς ποίησον τάχιον in die Rolle ein, »zu der er erwählt ist« (13,27). 34 ______________________________ 32 Gemeinsame (lk-joh) Tradition: V. T AYLOR , The Passion Narrative of St Luke, Cambridge 1972, 65f; M. L. S OARDS , The Passion According to Luke, Sheffield 1987, 49. - Einfluss von Lk 22 auf Joh 13: J. A. B AILEY , The Traditions Common to the Gospels of Luke and John, Leiden 1963, 30f. - Joh Einfluss auf Lk: M. A. M ATSON , In Dialogue with Another Gospel, Atlanta 2001, 266-270; auch erwogen von B. S HELLARD , New Light on Luke, London u. a. 2004, 240-243. 33 Tert. 5,6,7 (ad 1Kor 2,8): Scriptum est enim apud me satanam in Iudam introisse. Secundum autem Marcionem nec apostolus hoc loco patitur ignorantiam adscribi virtutibus creatoris in gloriae dominum, quia scilicet non illas vult intellegi principes huius aevi. Die Differenzierung zwischen dem, was apud me und was secundum Marcionem geschrieben ist, ist exklusiv gemeint: satanam in Iudam introisse steht nur in Tertullians katholischer Bibel, nicht aber in Marcions Evangelium (s. im Einzelnen die Rekonstruktion z. St.). 34 T HYEN , Joh 602. Auch hier zeigen die Varianten, dass der Text überarbeitet wurde. Vor allem die in D it fehlenden Worte μετὰ τὸ ψωμίον sind verdächtig: In der Mehrheitslesart weiß Jesus nicht § 13: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk 317 Diesen Zusammenhang hat Lk rezipiert und in die ihm vorliegende Erzählung vom Verrat des Judas (*22,1-6) integriert. Durch die Bearbeitung hat Lk die Kohärenz zwischen den Evangelien deutlich verstärkt: Vor allem wird die Frage nach der (letzten) Verantwortung für die Auslieferung Jesu in dem Sinn geklärt, dass die joh Beteiligung des Teufels in den aus *Ev und Mk/ Mt bekannten Verratsbericht integriert wird. Indem Lk den Satan schon vor dem letzten Mahl in Judas »hineingehen« lässt (Lk 22,3), hat er allerdings auch eine Spannung zu Joh 13,26 geschaffen. Diese Spannung wird - wahrscheinlich durch dieselbe redaktionelle Hand - dadurch gemildert, dass der aus dem vorkanonischen Text von *Joh 13,2 stammende Nominativ Ἰούδας in den Genitiv Ἰούδα geändert wird, wie es in der Mehrheit der Handschriften enthalten ist: Der Teufel hatte es in das Herz des Judas gelegt, Jesus zu verraten. Aber Lk hat die Verratsszene Lk 22,1-6 nicht nur dadurch erweitert, dass er Satan von Judas Besitz ergreifen lässt. Er hat auch die am Verrat (und am Tod Jesu) interessierten Hohenpriester um die στρατηγοί ergänzt. Die gelegentlich geäußerte Vermutung, dass der überlieferungsgeschichtliche Einfluss von Joh zu Lk verläuft, lässt sich in diesem Fall also sehr nachdrücklich bestätigen. b. Die Festnahme Jesu Die Verhaftungsszene enthält ein zweites und gleichermaßen eindeutiges Beispiel: Lk und Joh stimmen gegen Mk und Mt darin überein, dass dem hohepriesterlichen Sklaven das rechte Ohr abgetrennt wurde. 35 Epiphanius bezeugt eindeutig, dass die Vv. Lk 22,49f in *Ev gefehlt haben. 36 Da die Verletzung des Ohres die Voraussetzung für die im Anschluss berichtete Heilung ist, hat Lk 22,51 ebenfalls mit Sicherheit gefehlt. Das Gefälle der Bearbeitung, die diese lk-joh Entsprechung gegen Mk und Mt produziert hat, verläuft also ganz eindeutig von Joh 18,10 hin zu Lk 22,50. Die Überlieferungsgeschichte der Verhaftungsszene lässt sich also folgendermaßen rekonstruieren: 1. *Ev berichtete von dem Eintreffen des Verhaftungstrupps auf dem Ölberg (*22,47f. 52f). Im Mittelpunkt dieses Berichts steht der Kontrast zwischen der Intimität des Begrüßungskusses, die Jesu Frage *22,48b zum Ausdruck bringt, und dem Vorwurf, den Jesus gegenüber dem Verhaftungstrupp erhebt (*22,52f): Es hätte des ganzen nächtlichen Manövers nicht bedurft, weil Jesus täglich im Tempel war. Der letzte Satz Jesu bringt zum Ausdruck, dass er sich der Androhung von Gewalt beugt: »Diese Stunde und die Macht der Finsternis gehört euch« (*22,53). Mit dieser Bemerkung, die sachlich dem kurz zuvor mitgeteilten Gebet (*22,42) entspricht, lässt sich Jesus ______________________________ nur, wen sich der Teufel schon ausgeguckt hatte, sondern er macht ihn dadurch zum Verräter, dass er ihm den Bissen gibt, mit dem »Satan in ihn hineingeht.« 35 καὶ ἀϕεῖλεν τὸ οὖς αὐτοῦ τὸ δεξιόν Lk 22,50 || καὶ ἀπέκοψεν αὐτοῦ τὸ ὠτάριον τὸ δεξιόν Joh 18,10 ≠ ἀϕεῖλεν αὐτοῦ τὸ ὠτάριον Mk 14,47 || ἀϕεῖλεν αὐτοῦ τὸ ὠτίον Mt 26,51. 36 Epiph., Schol. 67: Παρέκοψεν ὃ ἐποίησε Πέτρος, ὅτε ἐπάταξε καὶ ἀϕείλετο τὸ οὖς τοῦ δούλου τοῦ ἀρχιερέως. 318 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch festnehmen und abführen, wie erst zu Beginn der folgenden Szene knapp mitgeteilt wird (*22,54). Die durch die »Schwerter und Spieße« repräsentierte Gewalt kommt nicht zum Einsatz. 2. Diese zwar nicht undramatische, aber doch handlungsarme Szene hat Mk deutlich umgestaltet. Zunächst hat er die Erklärung über das Verratszeichen vor den Begrüßungskuss gestellt (Mk 14,44) und so die ungeschickte Analepse von *22,47b geheilt. Indem Mk das Wort Jesu an den Verräter (*22,48) übergeht, entsteht die enge Handlungsfolge von Kuss und Festnahme entsprechend der vorangestellten Erklärung: »Welchen ich küssen werde, der ist es, den ergreift« (Mk 14,44). In der Folge der Festnahme (Mk 14,46: οἱ δὲ … ἐκράτησαν αὐτόν) fügt Mk erstmals die gewalttätige Intervention mit dem Schwertstreich ein, mit dem einer der Dabeistehenden dem Knecht das Ohr abtrennt. Täter und Opfer sind hier noch anonym. Durch dieses Erzählelement verliert das Wort an den Verhaftungstrupp (Mk 14,48f || *22,52f) an Gewicht. Denn während *Ev den Kontrast zwischen der bewaffneten Festnahme und der täglich sich bietenden Gelegenheit, Jesus im Tempel gewaltfrei festzunehmen, thematisierte, hat Mk durch den Schwertstreich gezeigt, dass die Bewaffnung des Trupps durchaus angebracht war: Das Wort Mk 14,48f || *22,52f stört den Handlungsablauf und wird dem dramatischen Geschehen nicht ganz gerecht, das sich in der Folge in der tumultuarischen Jüngerflucht zeigt. Mk hat auch dieses Element (zusammen mit dem Hinweis auf den »nackten Jüngling«, Mk 14,51f) zusätzlich eingefügt. 3. Mt folgt insgesamt der mk Anlage der Szene, ergänzt sie aber noch weiter. Aus *22,48 übernimmt Mt 26,50a die Entgegnung Jesu auf den verräterischen Kuss; sie ist auch hier als vorwurfsvolle Frage gestaltet (ἑταῖρε, ἐϕ’ ὃ πάρει), wenn auch in anderem Wortlaut. Wie bei Mk folgt auch hier auf die Identifizierung Jesu durch den Kuss seine Festnahme. Den mk Schwertstreich hat Mt als eigene Teilszene gestaltet: Den Schwertstreich führt nicht mehr »einer derer, die dabeistanden« (Mk 14,47), sondern einer von denen, die »mit Jesus« waren (Mt 26,51). Aber während Mk das Wort an den Verhaftungstrupp unmittelbar auf den Schwertstreich folgen lässt, belehrt der mt Jesus erst noch den schwertführenden Jünger darüber, dass er dieser Hilfe nicht bedürfe, weil der himmlische Vater ihm mehr als zwölf Legionen Engel zu Hilfe schicken könne (Mt 26,52-54). Erst danach wendet sich Jesus an den Verhaftungstrupp (26,55f || Mk 14,48f). Dass Mt dieses Wort mit einem Hinweis auf »diese Stunde« einleitet (26,55: ἐν ἐκείνῃ τῇ ὥ ρ ᾳ εἶπεν ὁ Ἰησοῦς τοῖς ὄχλοις), geht sehr wahrscheinlich auf *Ev zurück (*22,53b: αὕτη ἐστὶν ὑμῶν ἡ ὥ ρ α ). Die abschließende Jüngerflucht (26,56b || Mk 14,50) ist als Abschluss nur knapp mitgeteilt, die Episode mit dem »nackten Jüngling« übergeht Mt: Während Mk die Szene aus *Ev durch Handlungselemente angereichert hat, fügt Mt unter Rückgriff auf *Ev und durch eigene Ergänzungen zusätzliche Redeelemente ein und verlangsamt so das Erzähltempo wieder. 4. Joh greift auf die drei Prätexte *Ev, Mk und Mt zurück, erzählt aber eigenständiger: Er hat den allen drei Vorlagen gemeinsamen Judaskuss übergangen, zeigt aber doch den jeweiligen Einfluss: Aus *Ev stammt beispielsweise die Information, dass Judas den Ort am Ölberg kannte, weil Jesus sich hier häufiger aufzuhalten pflegte (Joh 18,2 || *22,39). Anstelle der Bezeichnung Jesu durch den verräterischen Kuss stellt sich Jesus dem Trupp freiwillig, weil »er alles wusste, was ihm widerfahren würde« (Joh 18,4). Indem Jesus sich selbst stellt (18,5.8), verhindert er, dass die Jünger in Mithaftung genommen werden. Der Erzähler begründet das mit dem ausdrücklichen Verweis, dass keiner der ihm Anvertrauten verloren gehen sollte (18,9): Die Bewahrung der ihm Anvertrauten ist ein wichtiges joh Thema, das vorher schon mehrfach angesprochen war (6,39; 10,28), zuletzt im »Hohepriesterlichen Gebet« (17,12). Aufgrund dieser Bewahrung der Jünger durch Jesus hat der mk-mt Bericht von der Jüngerflucht bei Joh keine Funktion. Dass Joh gleichwohl auch den mt Kontext kennt, verrät seine Rezeption von Mt 26,53f. Allerdings bringt § 13: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk 319 er den Hinweis auf die mögliche himmlische Hilfe in dem anderen Kontext des Verhörs durch Pilatus unter (Joh 18,36). Besonders aufschlussreich ist die joh Bearbeitung der Schwertstreichepisode: Joh hat die allgemeinen Informationen aus Mk und Mt konkretisiert, indem er die beiden Beteiligten namentlich identifiziert (Petrus und Malchus) und außerdem mitteilt, dass es das rechte Ohr des Sklaven war, das verletzt wurde (18,10). Die Abhängigkeit von Mt ist für die Aufforderung, das Schwert in die Scheide zu stecken, evident (ἀπόστρεψον τὴν μάχαιράν σου εἰς τὸν τόπον αὐτῆς Mt 26,52 || βάλε τὴν μάχαιραν εἰς τὴν θήκην Joh 18,11). 5. Lk setzt alle vier Prätexte voraus, auch, wenn die Abhängigkeit von Mk an dieser Stelle nicht genau erweisbar ist. Er folgt grundsätzlich der narrativen Anlage von *Ev mit dem Judaskuss und dem Wort an den Verhaftungstrupp. Dazwischen hat Lk allerdings die Schwertstreichepisode eingefügt, die Elemente der einzelnen Prätexte zeigt: Die Einleitung zeigt sich durch Joh beeinflusst ( Ἰησοῦς οὖν εἰδὼς πάντα τὰ ἐρχόμενα ἐπ’ αὐτὸν ἐξῆλθεν καὶ λέγει … Joh 18,4 || ἰδόντες δὲ οἱ περὶ αὐτὸν τὸ ἐσόμενον εἶπαν … Lk 22,49). Die Kenntnis, dass das rechte Ohr verletzt wurde, belegt diese Abhängigkeit eindeutig (Joh 18,10 || Lk 22,50). Die Reaktion Jesu gegenüber dem namenlosen Jünger bzw. Petrus (Mt 26,52-54 || Joh 18,11) hat Lk in der kurzen Bemerkung ἐᾶτε ἕως τούτου (Lk 22,51) aufgegriffen. Außerdem hat Lk noch selbständig die Information hinzugefügt, dass Jesus das verletzte Ohr wieder heilte: Mit diesem Zug geht Lk (in charakteristisch lk Wortwahl) 37 über alle seine Prätexte hinaus. Die beiden hier genannten Beispiele konstituieren aufgrund der Differenz zwischen *Ev und Lk die lk Abhängigkeit von Joh. Das charakteristische Zusammentreffen dieser Differenz von *Ev und Lk mit der joh-lk Übereinstimmung gegen Mk und Mt lässt keinen anderen Schluss zu: Die Bearbeitungsrelation ⑦ zwischen Joh und Lk verläuft eindeutig von Joh zu Lk. c. Petrus’ Gang zum leeren Grab Diese beiden Beispiele beruhen auf der direkten Bezeugung der Häresiologen für *Ev und der daraus resultierenden Differenz zwischen *Ev und Lk. Die Textbasis für die Bestimmung der Bearbeitungsrichtung lässt sich allerdings noch verbreitern, wenn man das indirekte Zeugnis der handschriftlichen Überlieferung berücksichtigt, deren Bedeutung für die Rekonstruktion von *Ev oben deutlich wurde (§ 5): Für die zahlreichen Berührungen zwischen dem für *Ev bezeugten Text und den Varianten (insbesondere, aber nicht nur) der »Westlichen« Handschriften für das kanonische Lk-Evangelium hatte sich eine doppelte Schlussfolgerung ergeben: Zum einen zeigen diese Varianten das gleiche überlieferungsgeschichtliche Phänomen wie der von Lk abweichend bezeugte *Ev-Text: Zwischen beiden liegt der Bearbeitungsschritt der lk Redaktion. Aus dieser Beobachtung ließ sich zweitens schließen, dass dieses Phänomen auch für diejenigen Passagen anzunehmen ist, für die es keine direkte Bezeugung gibt. Diese textgeschichtlichen Erwägungen ______________________________ 37 ἰάομαι ist ein lk Vorzugswort, mit dem er wiederholt seine Quelle *Ev redaktionell ergänzt, vgl. Lk 5,17; 6,19; 9,2.42 (s. jeweils dort); vgl. ansonsten nur noch die unbezeugten Belege 9,11; 14,4. 320 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch liegen den folgenden Analysen zugrunde. Obwohl sie den *Ev-Text nur indirekt bezeugen, kommt ihnen in methodischer Hinsicht kein geringeres Gewicht zu als den direkten Bezeugungen der häresiologischen Referate: Die widersprüchliche Bezeugung für *Ev durch Tertullian, Epiphanius und Adamantius hatte sich aufgrund dieser Beobachtungen als Folge des gleichen Phänomens der Interferenz zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Textüberlieferung erwiesen. Diese Varianten des kanonischen Lk-Textes sind daher ein wesentliches Kriterium für die Feststellung der Differenz zwischen *Ev und Lk. Die Bestimmung der Bearbeitungsrichtung von Joh zu Lk lässt sich mit diesen Hinweisen noch weiter stützen, wie wiederum nur anhand ausgewählter Beispiele gezeigt werden soll. Das erste Beispiel ist Petrus’ Gang zum leeren Grab (Lk 24,12) mit der Parallele Joh 20,3-10. Die Entsprechungen zwischen beiden Texten sind deutlich. Lk 24,12 Joh 20,3.5.10 ὁ δὲ Πέτρος ἀναστὰς ἔδραμεν 20,3 ἐξῆλθεν οὖν ὁ Πέτρος καὶ ὁ ἄλλος μαθητής, καὶ ἤρχοντο ἐπὶ τὸ μνημεῖον, εἰς τὸ μνημεῖον […] Καὶ παρακύψας βλέπει τὰ ὀθόνια μόνα· 20,5 καὶ παρακύψας βλέπει κείμενα τὰ ὀθόνια, οὐ μέντοι εἰσῆλθεν […] Καὶ ἀπῆλθεν πρὸς ἑαυτὸν θαυμάζων τὸ γεγονός 20,10 ἀπῆλθον οὖν πάλιν πρὸς αὐτοὺς οἱ μαθηταί Die joh-lk Berührungen sind deshalb aufschlussreich, weil sich hier verschiedene Phänomene zu einem unübersichtlichen Knoten schürzen: 1. Die Berührungen im Wortlaut legen eine literarische Beziehung nahe: Die Bezeichnung des Grabes als τὸ μνημεῖον Lk 24,12 entspricht zwar der Wortwahl von 24,9, unterscheidet sich aber von 24,1 (τὸ μνῆμα); Joh hat dagegen durchweg τὸ μνημεῖον (sieben Mal in Joh 20,1-8). Das Ptc. παρακύψας ist identisch, ebenso das Praes. hist. βλέπει. Die Kombination παρακύψας βλέπει ist so spezifisch, dass die literarische Beziehung nicht fraglich ist. Schließlich wählen beide Texte dieselbe Bezeichnung für die Leichenbinden (τὰ ὀθόνια); dies entspricht dem Sprachgebrauch von Joh 19,40, unterscheidet sich aber von dem in Lk 23,53 (ἡ σινδών). 2. Die Klärung der genauen Beziehung zwischen Lk 24,12 und Joh 20,3ff ist weiter dadurch erschwert, dass Lk 24,12 in einer Reihe von Handschriften (D a b d e l r 1 ) fehlt. Aus diesem Grund wurde die Authentizität in den vergangenen 100 Jahren sehr unterschiedlich beurteilt: Westcott/ Hort hatten den Vers 24,12 für eine »Western Non-Interpolation« gehalten und folglich aus ihrem Text ausgeschieden. Unter der Wirkung dieses Urteils war Lk 24,12 bis zur 25. Aufl. des Novum Testamentum Graece von E. und E. Nestle nicht in den Text aufgenommen. 38 Mit dem ______________________________ 38 Der Apparat des Novum Testamentum Graece von E. (und E.) Nestle führte bis zur 25. Aufl. unter den Zeugen für das Fehlen von 24,12 auch »Mcion« an. Dieses Urteil, dass Lk 24,12 ursprünglich gefehlt habe, ist verschiedentlich übernommen und begründet worden. Vgl. etwa. J. A. B AILEY , The Traditions Common to the Gospels of Luke and John (NT.S 7), Leiden 1963, 85 Anm. 3. A. D AUER , Lk 24,12 - Ein Produkt lukanischer Redaktion? , in: Fr. Van Segbroeck et al. (eds.), The Four § 13: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk 321 Bekanntwerden des P 75 , der den Vers enthält, hat sich diese Einschätzung gewandelt, sodass Lk 24,12 in den letzten Jahrzehnten fast durchgängig als ursprünglicher Bestandteil des Textes galt. 39 3. Das überlieferungsgeschichtliche Urteil darf sich allerdings nicht allein auf Lk 24,12 konzentrieren, sondern muss auch den klaren Rückverweis auf 24,12 im Bericht der beiden Jünger (Lk 24,24) mitberücksichtigen. Möglicherweise ist auch der eng verwandte Hinweis auf die Erscheinung des Auferstandenen vor Petrus Lk 24,34 relevant: Hält man 24,12 für einen sekundären Eintrag unter dem Einfluss von Joh 20,3ff, fehlt ein narratives Widerlager für Lk 24,24(34). Die Erklärung der engen Entsprechungen bedarf also einer textkritischen und zugleich einer überlieferungsbzw. redaktionskritischen Begründung. Diese erschließt sich am einfachsten vom textkritischen Befund her. Denn in der Einschätzung, dass Lk 24,12 eher sekundär ergänzt wurde, als dass der V. nachträglich »ausgefallen« oder gestrichen worden sei, hatten Westcott/ Hort durchaus Recht. Sie hielten 24,12 für eine der acht von ihnen identifizierten lk »Western Non-Interpolations«. 40 Da sich gleich drei dieser acht Beispiele im Bericht von der Auffindung des leeren Grabes finden, lässt sich das überlieferungsgeschichtliche Urteil noch zuversichtlicher fällen. 41 Diese Koinzidenz zwischen den Varianten der handschriftlichen Überlieferung des kanonischen Lk und der Bezeugung für *Ev (vgl. o. § 5.2) legt das gleiche Phänomen auch für den unbezeugten V. 24,12 nahe: Er hat in *Ev gefehlt und ist erst durch die lk Redaktion eingetragen. In diesem Fall ist aufgrund der Entsprechungen zu Joh 20,3-10 klar, dass die lk Redaktion Kenntnis von Joh 20 haben musste: Die Komplexität der Beurteilung von Lk 24,12 mit ihren texkritischen und überlieferungsgeschichtlichen Aspekten ist Ausdruck eines einfachen ______________________________ Gospels II, Leuven 1992, 1697-1716: 1713f, hat eine Liste mit den Vertretern zusammengestellt, die Lk 24,12 für einen sekundären Eintrag halten. 39 Vgl. F R . N EIRYNCK , John and the Synoptics, in: L’Évangile de Jean, Gembloux - Leuven 1977, 73-106: »The recent trend is now clearly in favor of the authenticity of the verse in Luke, and with good reason« (98). Neirynck selbst hat dieses Urteil mehrfach begründet, vgl. F R . N EIRYNCK , Le récit tu tombeau vide dans l’évangile de Luc (Lc 24,1-12), in: Evangelica I, Leuven 1982, 297-312; DERS ., Lc. XXIV 12. Les témoins du texte occidental, in: Evangelica I, Leuven 1982, 313-328; DERS ., The Uncorrected Historic Present in Lk. XXIV. 12, in: Evangelica I, Leuven 1982, 329-334; DERS ., Ἀπῆλθεν πρὸς ἑαυτόν: Lc 24,12 et Jn 20,10, in: Evangelica I, Leuven 1982, 441-455.; DERS ., John and the Synoptics: The Empty Tomb Stories, in: Evangelica II, Leuven 1991, 571-599. Die neueren Kommentare teilen diese Einschätzung. Vgl. G RUNDMANN , Lk 439f; E RNST , Lk 654; S CHMITHALS , Lk 232; S CHWEIZER , Lk 243; F ITZMYER , Lk I 131; W OLTER , Lk 773. Vgl. auch die Bibliographie bei D AUER , a. a. O., 1713-1716. Auch Harnack setzte die Ursprünglichkeit von Lk 24,12 voraus und urteilte, der Vers sei »von M. gestrichen, der Petrus hier nicht wollte« (H ARNACK 238*). 40 B. F. W ESTCOTT , F. J. A. H ORT , The New Testament in the Original Greek II, Cambridge - London 2 1896, 175-177. 41 Die beiden anderen »Non-Interpolations« sind für *Ev auch direkt bezeugt: In Lk 24,3 stimmt Tertullians Zeugnis für *Ev (4,43,2: corpore autem non invento) mit D a b d e ſſ 2 l r 1 darin überein, dass die Worte τοῦ κυρίου ᾿Ιησοῦ fehlten. In Lk 24,6 fehlt die gesamte Phrase οὐκ ἔστιν ὧδε, ἀλλὰ ἠγέρθη in *Ev (vgl. Tert. 4,43,5) sowie in D a b d e ſſ 2 l r 1 armen mss georg II . 322 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Phänomens: Lk ist von Joh abhängig. Diese Beobachtung erklärt dann auch andere Auffälligkeiten der joh-lk Berührungen in der Erzählung von der Auffindung des leeren Grabes. a. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Grab in *24,1 nicht als μνημεῖον, sondern als μνῆμα bezeichnet wird: Die μνημεῖον-Terminologie stammt dagegen aus Joh 20,3-10. Auch im Bericht vom Begräbnis Jesu ist nicht ganz klar, ob hier τὸ μνῆμα (Adamantius D u. a.) oder τὸ μνημεῖον (Epiphanius u. a.) stand. Denn in Lk 24,9 fehlt τὸ μνημεῖον wiederum in den charakteristischen Zeugen D it (Tat usw.) und erweckt den Eindruck, erst von der lk Redaktion eingetragen worden zu sein. Aufgrund dieser Beobachtungen wird dann auch μνῆμα in *23,55 (D) gegenüber μνημεῖον in der Mehrzahl der Handschriften ursprünglich sein. b. Analoges gilt dann auch für den Zusammenhang mit dem Bericht vom Begräbnis Jesu. Σινδών als Bezeichnung der Leichenbinde, in die Joseph den Leichnam wickelte (*23,53), geht mit großer Wahrscheinlichkeit auf *Ev zurück. Der davon abweichende Sprachgebrauch in Lk 24,12 (τὰ ὀθόνια) stammt dagegen aus Joh 19,40. c. Die gemeinsame joh-lk Terminologie (μνημεῖον; ὀθόνια) gegen die Formulierungen von *Ev (μνῆμα; σινδών) zeigt nicht nur den joh Einfluss auf Lk, sondern auch eine einheitliche Bearbeitung, die Lk aus einem zentralen theologischen Grund übernommen hat: Dass in dem Grab »noch niemand zuvor gelegen hatte« (Lk 23,53 || Joh 19,40 ÷ *23,53! ) ist wichtig, weil die Leichenbinden, die Petrus (Lk 24,12) bzw. Petrus und der andere Jünger (Joh 20,5-7) im leeren Grab sehen, nicht von einem anderen Leichnam, sondern nur von dem Begräbnis Jesu stammen können. Sie dienen daher als sichtbarer Beweis für die Auferstehung und wecken folgerichtig (bei dem anderen Jünger) Glauben: εἶδεν καὶ ἐπίστευσεν (Joh 20,8). Wenn Lk 24,12 von Petrus betont: βλέπει τὰ ὀθόνια μ ό ν α , dann ist genau dieser Sachverhalt impliziert: Er sieht nur die Binden, aber nicht den Leichnam. Dieser Aspekt erklärt dann auch die Bezeugung und die Überlieferungsgeschichte von *23,53. Tertullian und Adamantius bezeugen für *Ev, dass Joseph den Leichnam in ein neues Grab legte (*23,53: ἐν κ α ι ν ῷ μνημείῳ/ sepulcrum n o v u m [conditum]); Epiphanius bezeugt dagegen den Text, den auch die kritischen Ausgaben enthalten: ἐν μνήματι λαξευτῷ. Dass es sich um ein »(aus)gehauenes« Grab handelt, bildet die Voraussetzung für den Rollstein, mit dem das Grab verschlossen wird (*24,2). Mk folgt *Ev, präzisiert aber das »ausgehauene« Grab als ein »aus Felsen herausgehauenes« Grab. Dass Joseph von Arimathaia Jesus in ein neues Grab legte, sagt zum ersten Mal Mt 27,60 (ἔθηκεν αὐτὸ ἐν τῷ κ α ι ν ῷ αὐτοῦ μνημείῳ ὃ ἐλατόμησεν ἐν τῇ πέτρᾳ). Für ihn ist dies Ausdruck von Josephs Reichtum, den er Jesus zur Verfügung stellt (27,57: ἄνθρωπος πλούσιος … αὐτὸς ἐμαθητεύθη τῷ Ἰησοῦ). Dass das Grab neu war, sagt auch Joh 19,40, für den diese Qualität allerdings nicht als Indikator von Reichtum wichtig ist, sondern weil auf diese Weise sicher gestellt ist, dass »noch niemals jemand darin bestattet war« (μνημεῖον κ α ι ν ὸ ν ἐν ᾧ § 13: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk 323 οὐδέπω οὐδεὶς ἦν τεθειμένος). Da die entsprechende Formulierung Lk 23,52 (ἐν μνήματι λαξευτῷ) οὗ οὐκ ἦν οὐδεὶς οὔπω κείμενος in allen drei Zeugen fehlt, hat Lk sie (wohl aus den gleichen Gründen wie Joh) von dorther eingetragen. d. Wenn Lk 24,12 in *Ev gefehlt hat und sekundär durch die lk Redaktion eingefügt wurde, dann ist zu folgern, dass auch der Bericht, den die beiden Jünger dem unerkannten Auferstanden über das geben, was »in diesen Tagen in Jerusalem geschehen ist« (24,18), redaktionell bearbeitet ist: Ihre Mitteilung darüber, dass »einige von uns zum Grab gingen und alles so fanden, die die Frauen gesagt hatten« (Lk 24,24), kann nicht in *Ev gestanden haben und geht auf dieselbe redaktionelle Hand zurück wie Lk 24,12. Mit Blick auf die glaubensbegründende Autopsie des leeren Grabes durch den »anderen Jünger« (Joh 20,8) könnte man sogar überlegen, ob Ähnliches nicht im Hintergrund des Berichts der Jerusalemer Jünger an die beiden Emmausjünger steht: Dass der Auferstandene dem Petrus erschienen sei (Lk 24,34) hat mit allergrößter Wahrscheinlichkeit in *Ev gefehlt (s. dort). Da dieses Ereignis nur im Bericht der Jünger mitgeteilt, nicht aber erzählt wird, ist es gut denkbar, dass Lk diesen Bericht als Pendant zum Glauben des geliebten Jüngers (Joh 20,8) verstanden haben wollte. Die komplexen textkritischen und überlieferungsgeschichtlichen Fragen zu Lk 24,12 lassen sich also tatsächlich im Modell der *Ev-Priorität sehr einheitlich erklären: Der Vers ist sekundär und referiert auf die Wettlauferzählung Joh 20,3- 10. Allerdings versucht Lk gar nicht, die gleiche Geschichte noch einmal zu berichten. Vielmehr ergänzt er den joh Bericht aus anderer Perspektive: Ist Joh 20 vor allem daran interessiert zu erzählen, dass und wie der geliebte Jünger durch die Ansicht des leeren Grabes zum Glauben kam, teilt Lk 24 das Geschehen aus der Perspektive des Petrus mit. Irritierenderweise wird von ihm aber keine Reaktion - Glaube, Zweifel, Unglaube, Furcht, Freude - mitgeteilt, die dann in eine Beziehung zum weiteren Geschehen gesetzt werden könnte. Diese scheinbare narrative Funktionslosigkeit wurde dann ja auch immer wieder als Argument gegen die Authentizität des Verses angeführt. Allerdings ist Lk 24,12 nicht wirklich ohne eine übergreifende narrative Funktion. Diese erschließt sich jedoch nicht im Kontext von Lk allein, sondern erst im Miteinander von Lk und Joh. Lk 24,12 fungiert als wesentliches Kohärenzmerkmal, das diese beiden Evangelien als zusammengehörige Teile eines Textes erweist. d. Die Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern (*24,39-43 par.) Als letztes Beispiel sei hier auf die Erzählung von der Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern verwiesen: Dass der Auferstandene in Jerusalem vor den Jüngern erscheint (Lk 24,36-43[44-49]; Joh 20,19-23.24-29) ist eine weitere Gemeinsamkeit, 324 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch die Lk und Joh von Mk und Mt unterscheidet. 42 Die Überlieferungsgeschichte dieser Erscheinungstradition ist deshalb aufschlussreich, weil an dem hier zu diskutierenden Material beide Bearbeitungsrelationen wahrscheinlich gemacht werden können, die in diesem Zusammenhang wichtig sind, also die redaktionellen Schritte ⑥ zwischen *Ev und Joh sowie ⑦ zwischen Joh und Lk. 1. Ausgangspunkt ist der Bericht *24,36-43, dessen Besonderheiten im Vergleich zur kanonischen Erzählung Lk 24,36-49 hier nicht zu begründen, sondern nur kurz zusammenzufassen sind (vgl. im Einzelnen die Rekonstruktion). *Ev erzählte im Anschluss an den Bericht des Emmaus und des Kleopas, dass der Auferstandene mitten unter die Jünger trat. Sie erschraken, weil sie meinten, eine Erscheinung (ϕάντασμα) zu sehen. Jesus fragt, warum sie sich erschrecken, und fordert sie auf: »Seht meine Hände und meine Füße: Ein Geist hat keine Knochen, wie ihr sie mich haben seht.« Weil die Jünger weiterhin ungläubig sind, fragt er sie nach etwas Essbarem. Sie geben ihm ein Stück gekochten Fisch, er nimmt es und isst es vor ihren Augen. Diesen vorkanonischen Text hat die lk Redaktion um einige wichtige Elemente ergänzt: 1. Lk 24,36b ergänzt den Gruß (καὶ λέγει αὐτοῖς· εἰρήνη ὑμῖν) und wahrscheinlich auch die (in den kritischen Ausgaben fehlenden) Worte ἐγώ εἰμι, μὴ ϕοβεῖσθε. 2. In V. *37 enthielt *Ev das Stichwort ϕάντασμα. Die lk Redaktion hat dies an das auch in V. *39 bezeugte πνεῦμα angeglichen und so die disparate Begrifflichkeit beseitigt. 3. Lk ergänzt *Ev mit Frage in V. *38 (τί τεταραγμένοι ἐστέ; ) um eine zweite: καὶ διὰ τί διαλογισμοὶ ἀναβαίνουσιν ἐν τῇ καρδίᾳ ὑμῶν; 4. In V. 39 sind die Ergänzungen besonders wichtig: Nach der Aufforderung, seine Hände und Füße anzusehen, ergänzt Lk zunächst die Worte ἐγώ εἰμι αὐτός, dann die Aufforderung zur Berührung: ψηλαϕήσατέ με καὶ ἴδετε ὅτι, die auch die bereits vorangegangene Aufforderungen zum Sehen noch einmal wiederholt und die folgende Aussage kausal anschließt. In diese Begründung hat Lk die Worte σάρκα καί (ὀστέα οὐκ ἔχει … ) eingefügt. 5. V. 40 hat in *Ev ganz gefehlt und ist von der lk Redaktion ergänzt: καὶ τοῦτο εἰπὼν ἔδειξεν αὐτοῖς τὰς χεῖρας καὶ τοὺς πόδας. 6. In V. 41 stammen die Worte ἀπὸ τῆς χαρᾶς καὶ θαυμαζόντων vermutlich ebenfalls erst von der lk Redaktion. 7. Das gleiche gilt schließlich auch von der umfangreichen Belehrung Jesu in Lk 24,44-49, die für *Ev nicht bezeugt ist und die mit größter Wahrscheinlichkeit auch nicht enthalten war. Sie geht auf die lk Redaktion zurück. 2. Für die Frage nach der Beziehung zwischen Lk 24,36-49 und Joh 20f ist zunächst in Rechnung zu stellen, dass Joh den Kontext von *Ev kannte und verwendete. Dieser Aspekt bezieht sich zunächst auf die größeren, strukturellen ______________________________ 42 An dieser Stelle ist zu präzisieren: Die Erscheinung konstituiert eine Gemeinsamkeit gegenüber *Mk (und Mt); denn der kanonische Mk-Schluss verweist auf diese Texte (ὕστερον δὲ ἀνακειμένοις αὐτοῖς τοῖς ἕνδεκα ἐϕανερώθη καὶ ὠνείδισεν τὴν ἀπιστίαν αὐτῶν καὶ σκληροκαρδίαν ὅτι τοῖς θεασαμένοις αὐτὸν ἐγηγερμένον οὐκ ἐπίστευσαν). Vgl. dazu o. S. 251f. § 13: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk 325 Gemeinsamkeiten zwischen *Ev und Joh, die am Ende die distinkten Übereinstimmungen zwischen Lk und Joh gegenüber Mk und Mt konstituieren: (a) Der Auferstandene erscheint den Jüngern in Jerusalem (*24,36a || Joh 20,19). (b) Jesus tritt unvermittelt in den Kreis der Jünger. (c) Von den Jüngern wird berichtet, dass sie sich fürchten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Nach *24,37 ist die Furcht Reaktion auf die Erscheinung Jesu, weil sie ein ϕάντασμα zu sehen meinen; nach Joh 20,19 begründet die Furcht der Jünger vor den Juden, dass sie sich hinter verschlossenen Türen versammeln. (d) Jesus zeigt den Jüngern seine Hände und Füße (*24,39) bzw. seine Hände und seine Seite (Joh 20,20). Diese strukturellen Gemeinsamkeiten lassen sich ohne weiteres entlang der Bearbeitungsrichtung ⑥ als joh Rezeption von *Ev verstehen. 3. Im Vergleich zwischen *24,36-43, Joh 20,19-23 und Lk 24,36-43 gibt es jedoch eine sehr enge Berührung zwischen Lk und Joh gegen *Ev. Lk 24,36 Joh 20,26 (αὐτὸς ἔστη ἐν μέσῳ αὐτῶν) (καὶ ἔστη εἰς τὸ μέσον) καὶ λέγει αὐτοῖς, καὶ εἶπεν, Εἰρήνη ὑμῖν Εἰρήνη ὑμῖν Lk 24,40 Joh 20,20a καὶ τοῦτο εἰπὼν καὶ τοῦτο εἰπὼν ἔδειξεν αὐτοῖς τὰς χεῖρας καί (…) ἔδειξεν αὐτοῖς τὰς χεῖρας καί (…). Da beide Passagen in *Ev gefehlt haben, lässt sich die enge literarische Berührung nicht durch die Abhängigkeit von der gemeinsamen Quelle *Ev erklären. Vielmehr liegt hier eine direkte literarische Abhängigkeit vor, und zwar entlang der Bearbeitungsrichtung ⑦ von Joh zu Lk. Von einiger Bedeutung ist der Umstand, dass die enge Berührung αὐτὸς ἔστη ἐν μέσῳ αὐτῶν καὶ λέγει αὐτοῖς … Lk 24,36 || καὶ ἔστη εἰς τὸ μέσον καὶ εἶπεν Joh 20,26 sich nicht auf den ersten Erscheinungsbericht (Joh 20,19-23) bezieht, sondern auf die Thomasperikope: Dieser Erscheinungsbericht ist in Joh szenisch und zeitlich (Joh 20,26: μεθ’ ἡμέρας ὀκτώ) abgesetzt und präsentiert sich als Wiederholung der ersten Erscheinung, jetzt aber unter Einschluss von Thomas, der bei der ersten Erscheinung nicht dabei gewesen war (Joh 20,24. 26). Der Wiederholungscharakter dieses Erscheinungsberichts ist nicht nur direkt benannt (Joh 20,26: πάλιν), sondern auch durch die identischen Rahmenbedingungen deutlich gemacht: Die Jünger sind »drinnen« und die Türen sind verschlossen (20,26 || 20,19); Jesus begrüßt sie mit dem Friedensgruß; Jesus zeigt seine Nägelmale (an den Händen und Füßen) und seine Seite; am Ende wird bei den Erscheinungsempfängern der Glaube registriert: Die Jünger freuen sich und Thomas bekennt seinen Glauben. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass diese Thomasepisode eine von Joh geschaffene Verdoppelung des ersten Erscheinungsberichtes ist. Sie verstärkt seine narrative Funktion und 326 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch sein theologisches Interesse, das vor allem in der Überwindung des (bei Thomas) bleibenden Zweifels zu sehen ist: Er macht seinen Glauben von der Autopsie abhängig (Joh 20,25.28). Entscheidend ist dabei das theologische Interesse an den Wundmalen Jesu: Während Joh 20,20 lediglich sagt, dass Jesus den Jüngern seine Hände und seine Seite zeigte (ἔ δ ε ι ξ ε ν τὰς χεῖρας καὶ τὴν πλευρὰν αὐτοῖς), stellt die Thomasperikope eine Präzisierung dar. Deren theologischer Mehrwert gegenüber 20,19-23 liegt nicht darin, dass Thomas den Auferstandenen nicht nur sieht, sondern auch berührt, 43 sondern in seiner Autopsie der unverwechselbaren Wundmale Jesu (20,25.28): Sie stellen die Identität des Erscheinenden mit den Gekreuzigten sicher. Da erst die Erkenntnis dieser Identität Thomas’ Glauben hervorruft, kann man schließen, dass sich sein Zweifel (20,25) auch genau auf diesen Zusammenhang richtete: Er zweifelt nicht an der Tatsache, dass die anderen Jünger eine Erscheinung des Auferstandenen hatten, er zweifelt auch nicht daran, dass ein Toter auferweckt werden kann, sondern daran, dass dieser Erscheinende der Herr ist (20,25: ἑωράκαμεν τὸν κύριον). An der Erscheinung vor Thomas sind zwei Aspekte für unseren Zusammenhang wichtig: Zum einen ist aufgrund des Verdoppelungscharakters wichtig, dass auch Joh 20,24-29 auf *24,36-43 basiert: Joh hat also aus der einen Erscheinung vor den Jüngern eine zweite »herausgesponnen«, um daran sein theologisches Interesse deutlich zu machen, und zwar gegen den Ausgangstext in *Ev. Denn wenn in *Ev Jesus den Jüngern seine Hände und Füße zeigt, dann will er damit beweisen, dass er Knochen hat und also kein ϕάντασμα ist. Daraus erhellt zum anderen, dass die lk Redaktion genau diese semantische Intention sekundär verstärkt hat. Denn Lk fügt zur Aufforderung in *Ev zum Sehen noch die zum Anfassen hinzu: ψηλαϕήσατέ με (Lk 24,39b). Es ist leicht vorstellbar, dass dieser Aspekt angeregt ist durch die entsprechende Aufforderung Jesu in der Erscheinung vor Thomas, der mit seinem Finger »sehen« und seine »Hand in die Seite legen« soll (Joh 20,27: ϕέρε τὸν δάκτυλόν σου ὧδε καὶ ἴδε … ϕέρε τὴν χεῖρά σου καὶ βάλε εἰς τὴν πλευράν μου). Die Thomasperikope erweist daher die überlieferungsgeschichtliche »Mittelstellung« von Joh zwischen *Ev und Joh und zugleich zwischen Joh und Lk. 4. Allerdings gibt es auch Inkongruenzen zwischen *24,36-39 und Joh 20,19- 23: Dazu gehört zunächst, dass Jesus die Jünger nach etwas Essbarem fragt und vor ihren Augen »gebratenen Fisch« isst (*24,41-43). Da dieser demonstrative Akt durch den noch bleibenden Unglauben der Jünger veranlasst ist, hat er die gleiche (allerdings verstärkende) Beweisfunktion wie das Zeigen der Hände und Füße (*24,39): Jesus beweist durch das Essen, dass er kein ϕάντασμα ist. Er zeigt, dass er nicht nur Fleisch und Knochen, sondern auch Zähne habe, wie Tertullian richtig versteht. 44 Obwohl Joh an dem Aspekt der Körperlichkeit des Erscheinenden kein ______________________________ 43 Joh 20,25: ἐὰν μὴ ἴ δ ω … καὶ β ά λ ω τ ὸ ν δ ά κ τ υ λ ό ν μου … οὐ μὴ πιστεύσω. Aber nach 20,28 geht es ausschließlich darum, dass er Jesus gesehen hat (ὅτι ἑώρακάς με πεπίστευκας). 44 Tert. 4,43,8: Atquin adhuc eis non credentibus propterea cibum desideravit, ut se ostenderet etiam dentes habere. § 13: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk 327 besonderes Interesse hat, wie seine Rezeption von *24,39 in Joh 20,(20.)25-29 deutlich macht, hat er diesen Aspekt aufgegriffen und in der Erzählung vom »wunderbaren Fischfang« (Joh 21,1-14) weiter verarbeitet. Joh hat diese Erscheinung ausdrücklich als die dritte (nach 20,19-23.24-29) gekennzeichnet (21,14) und lässt mit dieser Zählnotiz erkennen, dass ihm seine »Verdreifachung« von *24,36-39 bewusst ist: Joh 21 verarbeitet gleich mehrere Prätexte aus *Ev. Evident ist zunächst der Rekurs auf *5,1-11, der durch eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten sichergestellt ist. 45 1. Gemeinsamer Handlungsort ist der See Genezareth, auch, wenn er unterschiedliche Namen trägt (*5,1: παρὰ τὴν λίμνην Γεννησαρέτ. - Joh 21,1: ἐπὶ τῆς θαλάσσης τῆς Τιβεριάδος). 2. *Ev und Joh bezeichnen Jakobus und Johannes nur in diesem Kontext als »die (Söhne) des Zebedäus« (*5,10: ὁμοίως δὲ καὶ Ἰάκωβον καὶ Ἰωάννην υἱοὺς Ζεβεδαίου. - Joh 21,2: καὶ οἱ τοῦ Ζεβεδαίου). 46 3. Der Fischfang in der vorangegangenen Nacht war erfolglos (*5,5: δι’ ὅλης νυκτὸς κοπιάσαντες οὐδὲν ἐλάβομεν. - Joh 21,3b: καὶ ἐν ἐκείνῃ τῇ νυκτὶ ἐπίασαν οὐδέν). 4. Auf Jesu Geheiß hin unternehmen die Jünger am folgenden Tag einen erneuten Versuch (*5,4: ἐπὶ δὲ τῷ ῥήματί σου χαλάσω τὰ δίκτυα. - Joh 21,6: ὁ δὲ εἶπεν αὐτοῖς· βάλετε … τὸ δίκτυον - ἔβαλον οὖν). 5. Die Folgen des wunderbaren Fischfangs betreffen zunächst die Netze, wenn auch auf unterschiedliche Weise: Sie reißen bzw. sie reißen gerade nicht (*5,6: διερρήσσετο δὲ τὰ δίκτυα αὐτῶν. - Joh 21,11: καὶ τοσούτων ὄντων ο ὐ κ ἐσχίσθη τὸ δίκτυον. 6. Die staunenswerte Größe des Fangs wird in beiden Texte doppelt demonstriert (*5,6.7: die Netze reißen; die zu Hilfe gekommenen Boote gehen unter. - Joh 21,6.11: Petrus und seine Genossen können das Netz nicht einholen, »denn es war so voller Fische«; im Netz sind 153 Fische, »und obwohl es so viele waren, zerriss das Netz nicht«). 7. Von Petrus wird eine Reaktion berichtet, wenn auch unterschiedlich (*5,8: Πέτρος προσέπεσεν τοῖς γόνασιν. - Joh 21,7b: ἔβαλεν ἑαυτὸν εἰς τὴν θάλασσαν). 8. Jesus wird als Herr angesprochen (*5,8b: ἔξελθε ἀπ’ ἐμοῦ, ὅτι ἀνὴρ ἁμαρτωλός εἰμι, κύριε. - Joh 21,7: Σίμων οὖν Πέτρος ἀκούσας ὅτι ὁ κύριός ἐστιν). 9. Beide Erzählungen münden für Petrus in eine Verheißung und eine Berufung. Beides bezieht sich auf die Funktion, die Petrus für andere besitzt, vgl. *5,11: ἀπὸ τοῦ νῦν ἀνθρώπους ἔσῃ ζωγρῶν mit Joh 21,15-18: (15) βόσκε τὰ ἀρνία μου; (16) ποίμαινε τὰ πρόβατά μου; (18) βόσκε τὰ πρόβατά μου (…) ἄλλος σε ζώσει καὶ οἴσει ὅπου οὐ θέλεις. Über *5,1-11 hinaus zeigt Joh 21,7 Kenntnis von Mt 14,28-31. Das ist plausibel, weil Joh 21 insgesamt von der Re-Institution des Petrus nach seiner Verleugnung handelt, wie die Entsprechung zwischen der dreifachen Frage Jesu (21,15-17) und der dreifachen Verleugnung (vgl. *22,57.58.60 || Joh 18,17.25.27) 47 zeigt: Da es in ______________________________ 45 R. P ESCH , Der reiche Fischfang, Düsseldorf 1969, 60-64; B OCK , Lk I 449; B ROWN , Joh II 1090; G. B LASKOVIC , Johannes und Lukas, St. Ottilien 1999, 43-87. 46 Vgl. schon P. P ARKER , Luke and the Fourth Evangelist, NTS 9 (1963), 317-336: 322. 47 In *Ev-Lk ist die Dreimaligkeit der Verleugnung deutlich herausgehoben (*22,34.61: τρίς). Der Rückgriff auf die Verleugnungsszene ist sichergestellt durch die komparativische Form der Frage 328 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Joh 21 um die »Tragfähigkeit« von Petrus’ Glauben geht, ist ein kohärenzstiftender Querverweis auf Mt 14,28ff sinnvoll, weil Petrus hier wegen seiner ὀλιγοπιστία getadelt wird und untergeht. In Joh 21,7 fehlen beide Aspekte: Petrus hat diesen Test seines Glaubens bestanden. Neben diesen Querverweisen ist die Szene am Ufer des Sees von Tiberias aber auch durch *24,41-43 beeinflusst. Der enge Bezug ist aufgrund der Parallelität der Fragen (παιδία, μή τι προσϕάγιον ἔχετε; Joh 21,5 || ἔχετέ τι βρώσιμον ἐνθάδε; *24,41) ohne weiteres ersichtlich, die den Einfluss von *Ev auf Joh zeigt. Joh motiviert mit dieser Frage den wunderbaren Fischfang: Die Jünger haben (dem noch unerkannten) Jesus nichts zu essen anzubieten und fahren infolgedessen auf den Befehl Jesu hin noch einmal hinaus. Aber als sie mit ihrem überreichen Fang zurückkehren, finden sie das Feuer mit Fisch und Brot bereits vor (Joh 21,8f): Entgegen der Lesererwartung bieten nicht die Jünger Jesus von ihren Fischen an, sondern er lädt umgekehrt sie zum Essen ein: δεῦτε ἀριστήσατε (21,12). Überraschenderweise steht dabei der Fisch, der zuvor so zentral war, gar nicht mehr im Mittelpunkt. Vielmehr nimmt Jesus »das Brot und gibt es ihnen, genauso auch den Fisch« (21,13). Dass der Auferstandene zum Gastgeber der Jünger wird, geht mit einiger Wahrscheinlichkeit ebenfalls auf *Ev zurück: Aufgrund der handschriftlichen Bezeugung (it sy u. a.) ist es wahrscheinlich, dass *24,43b am Ende die Worte καὶ τὰ ἐπίλοιπα ἔδωκεν αὐτοῖς enthielt (s. dort). Joh hat also die eine Szene mit der Erscheinung des Auferstandenen (*24,36- 43) in drei Szenen (Joh 20,19-23.24-29; 21,1-23) aufgeteilt, sie jeweils mit weiterem Material aus den Prätexten (*Ev und Mt sind nachweisbar) angereichert und zu einer großen Komposition verbunden. Das Urteil, dass Joh 21 ein integraler Bestandteil der joh Gesamtkomposition ist, 48 lässt sich auf diese Weise auch überlieferungsgeschichtlich untersetzen. 5. Unter der Voraussetzung der engen literarischen Beziehung zwischen *24,39-43 und Joh 20,19-23 fällt eine weitere Inkongruenz auf, die darin besteht, dass Joh gegenüber seinem Ausgangstext *Ev auch »Überschüsse« enthält, nämlich die Gabe des Geistes in Verbindung mit der Sendung der Jünger (Joh 20,22) sowie den Auftrag zur Sündenvergebung (Joh 20,23). a. Vergleicht man diese Elemente zunächst mit den synoptischen Parallelen in den kanonischen Evangelien, ergibt sich ein deutliches Bild: Die abschließende ______________________________ Jesu Joh 21,15 (ἀγαπᾷς με π λ έ ο ν τ ο ύ τ ω ν ; ): Im Kontext nur von Joh 21 ist sie funktionslos; in der Zusammenschau der joh Prätexte verweist sie auf Mk 14,29 || Mt 26,33 und stellt ein wichtiges Kohärenzsignal dar. 48 Vgl. z. B. H. T HYEN , Das Johannesevangelium als literarisches Werk, in: ders., Studien zum Corpus Iohanneum, Tübingen 2007, 351-369; DERS ., Noch einmal: Johannes 21 und der »Jünger, den Jesus liebte«, ebd., 252-293 (zuerst 1995). § 13: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk 329 Verheißung zur bleibenden Gültigkeit der Sündenvergebung (Joh 20,23) hat erkennbar enge Analogien in Mt 16,19; 18,18, auf die Joh hier zurückgreift. Im Kontext des Mt zielen diese Aussagen sehr deutlich auf die Entsprechung zwischen der irdischen Zusage der Sündenvergebung und ihrem Bestand sogar auch im Himmel: Das ist der wesentliche Aspekt des redaktionellen Konzeptes zur Sündenvergebung, das Mt in einer weiten kompositionellen Linie entfaltet. 49 Joh 20,23 hat zwar die Grundstruktur der bleibenden Gültigkeit der Vergebung aus diesen Logien beibehalten, den für Mt entscheidenden Aspekt der Entsprechung von Erde und Himmel aber übergangen: Das war für Joh nicht wichtig. Diese unterschiedliche Gewichtung spricht dafür, dass Joh auf Mt zurückgreift; diese Bearbeitungsrichtung wird auch durch andere (und teilweise sehr viel deutlichere) Hinweise gestützt. b. Das Syndrom von Geistbegabung, Sendung und Sündenvergebung aus Joh 20,22f begegnet allerdings auch in Lk 24,47-49, also im gleichen Kontext der Erscheinung Jesu vor den Jüngern in Jerusalem. Allerdings unterscheiden sich die lk Aussagen von Joh 20 darin, dass den Jüngern der Geist zunächst nur verheißen, nicht aber gegeben wird (ἀποστέλλω τὴν ἐπαγγελίαν τοῦ πατρός μου ἐϕ’ ὑμᾶς Lk 24,49 ≠ ἐνεϕύσησεν … λάβετε πνεῦμα ἅγιον Joh 20,22). Wie Lk 24,49b ὑμεῖς δὲ καθίσατε ἐν τῇ πόλει ἕως οὗ ἐνδύσησθε ἐξ ὕψους δύναμιν deutlich macht, hat Lk die Gabe des Geistes erst für den späteren Zeitpunkt an Pfingsten vorgesehen und kann an dieser Stelle nur proleptisch darauf verweisen. Aus dem gleichen Grund ist auch die Funktion der Jünger als Zeugen »beginnend von Jerusalem aus« ihr zukünftiger Auftrag: Er wird jetzt nur in Aussicht gestellt und erst später erteilt (Act 1,8; 9,15 usw.). Dass diese (zukünftige) Verkündigung an zentraler Stelle auch die Vergebung der Sünden enthalten soll, kündigt Jesus in Lk 24,48 zwar an, aber dieser Aspekt wird in der Erzählung von Act nicht prominent aufgegriffen. c. Auch, wenn es keine direkte Bezeugung für Lk 24,44-49 gibt, ist es aus inneren Gründen sehr wahrscheinlich, dass diese Belehrung in *Ev gefehlt hat und erst durch die lk Redaktion an dieser Stelle ergänzt wurde. Das aber heißt, dass Lk den Zusammenhang von Geistbegabung, Sendung und Verkündigung von Sündenvergebung aus Joh 20,22f übernommen und, gewissermaßen passgenau, in der Erzählung von der Erscheinung vor den Jüngern verortet hat. Die Überlegung, dass die genannten Elemente in Lk 24,44-49 von der lk Redaktion sekundär auf der Grundlage von Joh 20,22f ergänzt wurden, lässt sich zwar nicht beweisen, aber durch einige flankierende Überlegungen wenigstens plausibilisieren. 1. Die Formulierung, in der die Sündenvergebung in Lk 24,47 thematisiert wird, zeigt verschiedene typisch lk Eigenheiten: κηρυχθῆναι ἐπὶ τῷ ὀνόματι αὐτοῦ μετάνοιαν εἰς ἄϕεσιν ἁμαρτιῶν εἰς ______________________________ 49 Vgl. dazu M. K LINGHARDT , Bund und Sündenvergebung. Ritual und literarischer Kontext in Mt 26, in: ders., H. Taussig (Hg.), Mahl und religiöse Identität im frühen Christentum, Tübingen 2012, 159-190: 180-185. 330 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch πάντα τὰ ἔθνη. Hauptthema ist die die Umkehrverkündigung, die dann auch die Sündenvergebung mit einschließt. Das Abstraktnomen ἄ ϕ ε σ ι ς taucht bei *Ev nicht auf, dagegen hat die lk Redaktion es an markanten Stellen positioniert: Im Benedictus (Lk 1,77: τοῦ δοῦναι γνῶσιν σωτηρίας τῷ λαῷ αὐτοῦ ἐ ν ἀ ϕ έ σ ε ι ἁμαρτιῶν αὐτῶν) sowie gleich zwei Mal in den lk Ergänzungen der Nazarethperikope (Lk 4,18: κηρύξαι αἰχμαλώτοις ἄ ϕ ε σ ι ν … ἀποστεῖλαι τεθραυσμένους ἐν ἀ ϕ έ σ ε ι ). Besonders aufschlussreich ist die Kombination von μετάνοια und ἄϕεσις in Act 5,31 (τοῦ δοῦναι μετάνοιαν τῷ Ἰσραὴλ καὶ ἄϕεσιν ἁμαρτιῶν), die ja auch für Lk 24,47 charakteristisch ist. 2. Dass Jesus den Jüngern in Aussicht stellt, er werde die Verheißung des Vaters auf sie herabsenden (Lk 24,49: καὶ ἰδοὺ ἐγὼ ἀποστέλλω τὴν ἐπαγγελίαν τοῦ πατρός μου ἐϕ’ ὑμᾶς) zeigt das lk Konzept, dass erst der (auferstandene und) in den Himmel aufgenommene Jesus den Geist von dort aus senden kann (Act 2,33ff): Darin unterscheidet sich die lk von der joh Pneumatologie. Tatsächlich ist auffällig, dass die wichtigen lk Erwähnungen des Heiligen Geistes in *Ev gefehlt haben: *Ev erwähnt den Geist weder in christologischen Zusammenhängen noch in Bezug auf die Sendung der Apostel. 50 3. Allerdings enthielt *Ev ganz am Ende (also nach der Erscheinungsszene *24,36-43) eine Sendungsaussage. Deren Gestalt ist allerdings kaum genau zu eruieren. Tertullian referiert zu *24,50 lediglich, dass Jesus die Apostel zur Verkündigung vor allen Völkern ausgesandt habe. 51 Harnacks Überlegung zur Rekonstruktion von *24,50 entbehrt jeder Grundlage und reflektiert den charakteristisch lk Wortlaut. 52 Daher wird man nicht über Tertullians Referat hinaus näher an den Wortlaut von *Ev herankommen; er wird wohl einfach gelautet haben: καὶ αὐτὸς ἀπέστειλεν τοὺς ἀποστόλους εἰς τὸ κηρυχθῆναι πᾶσιν τοῖς ἔθνεσιν. Aber auch diese allgemeine Formulierung ist bemerkenswert, denn diese Sendung ganz am Ende von *Ev weist über den erzählten Zeithorizont hinaus in die Zukunft. Wenn man einen Referenzpunkt für diese Verheißung sucht, dann ist sie am ehesten im marcionitischen Apostolos zu sehen: Denn in den zehn Paulusbriefen der marcionitischen Apostolosausgabe war ja durchaus zu lesen, wie ein ἀπόστολος Jesu zu πᾶσιν τοῖς ἔθνεσιν geht und ihnen verkündet. Allerdings ist Paulus keiner der ἀπόστολοι, von denen *24,50 sprach. Gleichwohl wäre eine solche Verbindung, wenn sie sich nachweisen ließe, aufregend und wichtig: Sie könnte zeigen, dass *Ev durchaus im Blick auf die vorkanonische Paulusausgabe hin entworfen wurde. Aber über eine vage Vermutung kommt man vorerst nicht hinaus: Der mögliche Zusammenhang zwischen *Ev und der von Marcion verwendeten Paulusausgabe bleibt vorerst ein Desiderat. e. Das Verhältnis von Joh und Lk im Rahmen der *Ev-Priorität Diese Analysen sollten ausreichen, das literarische Verhältnis zwischen Joh und Lk zu klären. Die lk-joh Gemeinsamkeiten gegen Mk und Mt in der Passions- und Osterüberlieferung sowie die weitere Frage nach dem Verhältnis zwischen Joh und den Synoptikern lassen sich in diesem Modell ohne weiteres verstehen: Was im ______________________________ 50 Außer in der Geistbitte des Vater-Unser, die sich auf das zukünftige Kommen des Geistes richtet (*11,2), kommt der Heilige Geist nur noch im Zusammenhang der Aufforderung zum furchtlosen Bekenntnis vor: So, wie die Lästerung des Heiligen Geistes eine unvergebbare Sünde ist, so wird »τὸ ἅγιον πνεῦμα euch lehren, was ihr in dieser Stunde sagen sollt« (*12,12). 51 Tert. 4,43,9: apostolos mittens ad praedicandum universis nationibus. 52 H ARNACK 240*: »M.s Evangelium schloß wohl mit den Worten: κηρυχθῆναι … ἄ ϕ ε σ ι ν ἁ μ α ρ τ ι ῶ ν εἰς πάντα τὰ ἔθνη« (Hervorhebung M. K.). § 13: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk 331 methodischen Horizont der Zwei-Quellentheorie als überkomplexes Problem erscheint, für das eine Lösung noch nicht einmal theoretisch denkbar ist, 53 passt unter der Annahme der *Ev-Priorität nahtlos zusammen. Die Differenzierung zwischen *Ev und Lk erlaubt auf der einen Seite, vor allem die strukturellen lk-joh Übereinstimmungen gegen Mk und Mt als gemeinsame Abhängigkeit von *Ev zu verstehen, die sich eben auch auf die Bearbeitungsrelation ⑥ zwischen *Ev und Joh erstreckt. Da Mk nicht die älteste Überlieferungsschicht darstellt, von der die anderen dann abhängig sein müssen, erübrigen sich die hypothetischen Zwischenschritte, die für die Zusammenhänge zwischen der lk und der joh Passionsgeschichte verschiedentlich angenommen wurden. 54 Auf der anderen Seite haben diejenigen joh-lk Übereinstimmungen, die nicht auf *Ev zurückgeführt werden können, das Bearbeitungsgefälle ⑦ von Joh hin zu Lk wahrscheinlich gemacht. Sie bestätigen einen Teil der Beobachtungen, die zu der These der Joh-Priorität vor Lk geführt haben. 55 Dass die jüngsten Äußerungen in diese Richtung von Barbara Shellard und Mark Matson dabei auch auf textkritische Beobachtungen zurückgreifen, erweist sich in dem hier vorgeschlagenen Modell als völlig sachgerecht: Dass beispielsweise Petrus’ Gang zum leeren Grab Lk 24,12 auf Joh 20,3ff beruht, findet eine systemkonforme Erklärung in dem redaktionellen Schritt, der zwischen *Ev und Lk liegt. Die hier vorgeschlagene überlieferungsgeschichtliche »Mittelstellung« des Joh zwischen *Ev und Lk beschränkt sich nicht auf die Passions- und Osterüberlieferung, der die hier besprochenen Beispiele angehören: Sie gilt jeweils für die Gesamttexte. Dies lässt sich an wenigstens einem prominenten Beispiel auch leicht zeigen, dessen komplexe Überlieferungsgeschichte schon immer aufgefallen war, nämlich am Zusammenhang zwischen den Erzählungen von der Salbung Jesu und den »bethanischen Geschwistern« Maria, Martha und Lazarus: Auch für diese Erzählungen liegen die Ursprünge in *Ev (*7,36-50; *10,38-42; *16,19-31); auch hier gibt es eine von *Ev abweichende Rezeption in Mk und Mt (Mk 14,3-9; Mt 26,6-13), auch hier hat Joh die narrativen Grundlagen entscheidend weiterentwickelt und fortgesponnen (Joh 11,28-44; 12,1-8), und auch hier finden sich sekundäre Ergänzungen durch Lk. 56 ______________________________ 53 Vgl. das Urteil von W OLTER , Lk 691 (o. S. 306). 54 Vgl. V. T AYLOR , The Passion Narrative of St Luke, Cambridge 1972; F R . R EHKOPF , Die lukanische Sonderquelle, Tübingen 1959; H. K LEIN , Die lukanisch-johanneische Passionstradition, ZNW 67 (1976), 155-186; F R . S CHLERITT , Der vorjohanneische Passionsbericht, Berlin u. a. 2007 usw. 55 Vgl. F. L. C RIBBS , St Luke and the Johannine Tradition, JBL 90 (1971), 422-45; DERS ., The Agreements that Exist Between Luke and John, SBL.SP 1 (1979), 215-251; B. S HELLARD , The Relationship of Luke and John - A Fresh Look at an Old Problem, JThS 46 (1995), 71-98; DIES ., New Light on Luke, London u. a. 2004; M. A. M ATSON , In Dialogue with Another Gospel, Atlanta 2001. 56 Zu den überlieferungsgeschichtlichen Verhältnissen vgl. jeweils die Rekonstruktion zu *7,36-50; *10,38-42; *16,19-31. 332 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch 5. *Ev und die kanonischen Evangelien Mit diesen Überlegungen zum Verhältnis zwischen *Ev, Joh und Lk sind die literarischen Beziehungen zwischen *Ev und den kanonischen Evangelien beinahe komplett. Allerdings fehlen noch zwei weitere Bearbeitungsrelationen, die das Bild vervollständigen. Sie werden auch in anderen überlieferungsgeschichtlichen Modellen vorausgesetzt, ihr Nachweis ist insgesamt unkritisch. -- - - - - *Ev-------------- --- - - - - - ----------------------------------③--- --- - - - - ------------ ④- - - Mk- --- - - - ----------- ①---- - - - - - --- - - ---⑥- -- - ---- - - ----②- - - - - - - --- ------⑧- -- -- - - ------------⑩- - - - - -Mt- - - - - - - - - - - -- - Joh- ------------------⑨-- - - --------------⑤ - - - -- - ---------- --- - - - ⑦ - --Lk- - - - - - Abb. 10: Weitere Beziehungen zwischen den kanonischen Evangelien a. Das Verhältnis von Lk zu Mk Dass Lk von Mk literarisch abhängig ist, wird in allen überlieferungsgeschichtlichen Modellen angenommen, die eine Mk-Priorität vertreten. Die einzige Ausnahme, die in den letzten Jahrzehnten ernsthaft diskutiert wurde, ist die sog. »New-Griesbach- Hypothesis« von William Farmer und anderen in seiner Folge: Sie rechnet mit der Mk-Posteriorität (nach Mt und Lk). Dieser Annahme liegen jedoch nicht so sehr literarkritische Beobachtungen an Mk zugrunde (beispielsweise zur redaktionellen Bearbeitung von lk Texten durch Mk), als vielmehr grundlegende Erwägungen zur Erklärung der synoptischen Beziehungen überhaupt. Da für diese mit der *Ev- Priorität eine andere und plausiblere Lösung gefunden wurde, als sie im Rahmen der Zwei-Quellentheorie denkbar war, ist die lk Abhängigkeit von Mk wenig aufregend. Sie ist in der hier vorgeschlagenen Bearbeitungsrelation ⑧ leicht nachzuweisen: Es genügt, diejenigen Texte zu identifizieren, die Mk redaktionell gegenüber *Ev ergänzt hatte und die Eingang in Lk gefunden haben, ohne jedoch durch Mt entlang der Relationen ④ und ⑤ vermittelt zu sein. Zum Nachweis genügen wenige Beispiele. Den deutlichsten Aufschluss bietet das Gleichnis von den bösen Weingärtnern (Mk 12,1-12 || Mt 21,33-46 || Lk 20,9-19). Epiphanius bezeugt sehr klar, dass das gesamte Gleichnis in *Ev gefehlt hat. 57 Da es in allen drei synoptischen Evangelien enthalten ist, liegt sein Ursprung in der mk Redaktion: Unter der methodischen ______________________________ 57 Epiph., Schol. 55: Πάλιν ἀπέκοψε τὰ περὶ τοῦ ἀμπελῶνος τοῦ ἐκδεδομένου τοῖς γεωργοῖς καὶ τό· Τί οὖν ἐστι τὸ λίθον ὃν ἀπεδοκίμασαν οἱ οἰκοδομοῦντες; Vgl. auch H ARNACK 228*; T SUTSUI 119. § 13: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk 333 Annahme der Zwei-Quellentheorie gehört das Gleichnis zu der sog. »Dreifachüberlieferung«, die sich bei Mk findet und von Mt und Lk rezipiert wurde. In dieser Hinsicht stören allerdings die zahlreichen und teilweise gravierenden mt-lk »Minor Agreements«. 58 Vor allem die positive mt-lk Übereinstimmung gegen Mk (Mt 21,44 || Lk 20,18 ÷ Mk 12,11 fin.) stellt ein Problem dar, für dessen Lösung erwartungsgemäß die üblichen Hilfskonstruktionen zur Erweiterung der Zwei-Quellentheorie vorgeschlagen wurden. 59 Wie oben deutlich wurde (s. S. 258ff), gehen diese Übereinstimmungen unter der Annahme der *Ev-Priorität jedoch auf die lk Rezeption der mt Redaktion an Mk zurück. Neben diesen mt-lk »Agreements« gibt es aber auch eine Reihe mk-lk Übereinstimmungen. Sie sind von methodischer Bedeutung, weil sie die Komplexität der synoptischen Beziehungen deutlich machen und ein einfaches Benutzungsmodell ausschließen: Jeweils zwei der drei Evangelien weisen Übereinstimmungen gegen das dritte auf. Im methodischen Horizont der Zwei-Quellentheorie spielen diese mk-lk Übereinstimmungen keine besondere Rolle: Sie stellen die methodisch vorausgesetzte und jeweils unterschiedliche Rezeption von Mk durch Mt und Lk unter Beweis. Auch für die »Markan-Priority-without-Q«-Hypothese stellen diese Übereinstimmungen kein unüberwindliches Hindernis dar, denn sie rechnet ja damit, dass Lk sowohl Mk als auch Mt voraussetzt. Unter der Annahme der *Ev- Priorität belegen diese Übereinstimmungen, dass Lk neben *Ev nicht nur Mt, sondern auch Mk rezipiert hat. Zu diesen mk-lk »Agreements« gegen Mt gehören. Sendung jeweils eines Knechtes (Mk 12,2.4 || Lk 20,10.11 ≠ Mt 21,34.36). - Sendung eines dritten Knechts (Mk 12,5a || Lk 20,12 ÷ Mt 21,36). - λέγουσιν αὐτῷ Mt 21,41 ÷ Mk 12,9 || Lk 20,16). - ἐλεύσεται καὶ ἀπολέσει τοὺς γεωργοὺς [τούτους] καὶ δώσει τὸν ἀμπελῶνα ἄλλοις Mk 12,9 || Lk 20,16 ≠ κακοὺς κακῶς ἀπολέσει αὐτοὺς καὶ τὸν ἀμπελῶνα ἐκδώσεται ἄλλοις γεωργοῖς, οἵτινες ἀποδώσουσιν αὐτῷ τοὺς καρποὺς ἐν τοῖς καιροῖς αὐτῶν Mt 21,41). - ἔγνωσαν γὰρ ὅτι πρὸς αὐτοὺς τὴν παραβολὴν εἶπεν Mk 12,12b || Lk 20,19c ÷ Mt 21,46. Das Phänomen (mit positiven und negativen Übereinstimmungen) entspricht also den Erklärungen zu den mt-lk »Minor Agreements«, die in der Forschung sehr viel mehr Aufmerksamkeit gefunden haben: Dass nämlich Mt und Lk ihre Quellen nicht »sklavisch« genau rezipieren, sondern oft eigene Formulierungen einfließen lassen. Im Rahmen der *Ev-Priorität belegen diese mk-lk Übereinstimmungen gegen Mt im nicht-*Ev Material, dass Lk nicht nur *Ev und Mt, sondern auch Mk benutzt hat. Eine weitere Auffälligkeit sei hier wenigstens erwähnt: Sowohl die mt als auch die mk Fassung dieser Perikope weisen (kanonische) Überarbeitungsspuren ______________________________ 58 Vgl. die Liste der »Minor Agreements« in der Rekonstruktion z. St. 59 K. S NODGRASS , The Parable of the Wicked Tenants, Tübingen 1983, 56, hat an einen »Mk-Q-Overlap« gedacht, andere rechnen mit einem »Deuteromarkus«, z. B. A. E NNULAT , Die »minor agreements«, Tübingen 1994, 269 u. a. 334 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch auf, die sich aufgrund der Lesarten (vor allem) der »Westlichen« Handschriften wahrscheinlich machen lassen. 60 Andere Beispiele sind zwar in der Grundlage der Bezeugung nicht ganz so eindeutig, im Ergebnis aber nicht weniger klar. Im Zusammenhang der Erzählung vom Einzug Jesu in Jerusalem haben die Tempelreinigung (Lk 19,45f) sowie die Notiz über Jesu Lehre im Tempel mit dem Tötungsbeschluss der Hohenpriester und Schriftgelehrten sehr wahrscheinlich in *Ev gefehlt. 61 Die Tempelreinigung hat Mk 11,15-17 zum ersten Mal in die Überlieferung eingeführt: Sie ist Teil der von ihm geschaffenen Komposition mit der Verfluchung des Feigenbaums (Mk 11,12-14.15-19.20-25), deren Planmäßigkeit durch die Tageszählung (Mk 11,12.20) deutlich wird. Mt hat zwar wesentliche Elemente aus Mk übernommen, den Zusammenhang aber dekomponiert: Während Mk die Verfluchung des Feigenbaums und sein Verdorren zeitlich auf zwei Tage verteilt und dazwischen die Tempelreinigung erzählt, zieht Mt 21,18-22 beides zusammen: Jesus verflucht den Feigenbaum und er verdorrt sofort, und diese Plötzlichkeit ist dann auch der Grund für das Staunen der Jünger (Mt 21,19.20: παραχρῆμα). Wegen dieser Umstellungen hat Mt auch den Tötungsbeschluss der Hohenpriester und Schriftgelehrten aus Mk 11,18 nicht übernommen. In der Konsequenz findet sich die Abfolge von Tempelreinigung und Tötungsbeschluss nur bei Mk und Lk (Mk 11,15-17.18f || Lk 19,45f.47f ÷ Mt). Dieser Befund belegt, dass Lk bei der Redaktion von *Ev auch Mk benutzte und seinen Ausgangstext von hier aus ergänzte. Dieses Verfahren lässt sich auch an kleineren Ergänzungen zeigen. In der Belehrung über die Bedingungen der Nachfolge hat im Wort über die Verleugnung des Menschensohns die Terminierung in *9,26b gefehlt: ______________________________ 60 Zu diesem Phänomen vgl. u. § 14. 61 Vgl. im Einzelnen die Begründungen im Zusammenhang der Rekonstruktion (zu *19,29-48). § 13: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk 335 *9,26 Mk 8,38 Mt 16,27 Lk 9,26 ὃς ἂν ἐπαισχυνθῇ με ὃς γὰρ ἐὰν ἐπαισχυνθῇ με ὃς γὰρ ἂν ἐπαισχυνθῇ με καὶ τοὺς ἐμοὺς, καὶ τοὺς ἐμοὺς λόγους καὶ τοὺς ἐμοὺς λόγους, ἐν τῇ γενεᾷ ταύτῃ τῇ μοιχαλίδι καὶ ἁμαρτωλῷ, καὶ ἐγὼ καὶ ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου μέλλει γὰρ ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου τοῦτον ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ἐπαισχυνθήσομαι αὐτόν ἐπαισχυνθήσεται αὐτόν, ἐπαισχυνθήσεται, ὅταν ἔλθῃ ἐν τῇ δόξῃ ἔρχεσθαι ἐν τῇ δόξῃ ὅταν ἔλθῃ ἐν τῇ δόξῃ τοῦ πατρὸς αὐτοῦ τοῦ πατρὸς αὐτοῦ αὐτοῦ καὶ τοῦ πατρὸς μετὰ τῶν ἀγγέλων τῶν ἁγίων. μετὰ τῶν ἀγγέλων αὐτοῦ, καὶ τῶν ἁγίων ἀγγέλων. καὶ τότε ἀποδώσει ἑκάστῳ κατὰ τὴν πρᾶξιν αὐτοῦ. Mt übergeht die erste Hälfte dieses Logions mit der charakteristischen Lexematik des wechselseitigen »sich Schämens« (ἐπαισχύνομαι) und spricht stattdessen nur allgemein davon, dass der Menschensohn einem jeden κατὰ τὴν πρᾶξιν αὐτοῦ vergelten werde (Mt 16,27). Dass Mt 16,27 den Wortlaut aus Mk 8,38 kannte, belegt die Vorstellung vom Kommen des Menschensohns in Herrlichkeit mit den Engeln; allerdings hat Mt nur von den Engeln, nicht aber von den heiligen Engeln gesprochen: Dieses Adjektiv hat Lk von Mk übernommen. Das heißt, dass die Reziprozität des Sich-Schämens von Mk zum ersten Mal in diesen Zusammenhang eingefügt wurde, von dem Lk es übernommen hat. Vor allem aber zeigt die Formulierung des Konditionalsatzes den Einfluss von Mk auf Lk: Während *Ev (mit großer Wahrscheinlichkeit) die Formulierung enthielt »Wer sich meiner und der Meinen schämt«, hat Mk daraus gemacht: »Wer sich meiner und meiner Worte schämt«. Lk ist ihm auch darin gefolgt. Diese kurzen Hinweise sollen als Beleg für die Abhängigkeit des Lk auch von Mk in der Bearbeitungsrelation ⑧ genügen. Das letzte Beispiel zeigt einmal mehr die Kleinteiligkeit des Quellenvergleichs im Redaktionsverfahren, die bereits in anderem Zusammenhang aufgefallen ist (o. S. 266): Im Unterschied zu den Annahmen der Zwei-Quellentheorie wird deutlich, dass Lk aufgrund seiner Abhängigkeit von Mt nicht zwei Quellen (Mk und »Q«) zusammenführte, sondern vier verschiedene Texte vor sich hatte, die er Schritt für Schritt miteinander verglichen hat: *Ev, Mk Mt und Joh. 336 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch b. Joh Abhängigkeit von Mt (und Mk) Auch die Bearbeitungsrelation ⑨ zwischen Mt und Joh ist unkritisch: Dass Joh auch Mt kannte, wird in allen Modellen vorausgesetzt, die eine literarische Abhängigkeit des Joh von den Synoptikern vertreten. Für den Nachweis des mt Einflusses auf Joh genügt es an dieser Stelle, auf Mt 26,52f zu verweisen: Die mt-joh Beziehung im Rahmen der Passions- und Osterüberlieferung ist aussagekräftig, weil Joh hier ansonsten ganz weitgehend gegen (Mk und) Mt der Akoluthie von *Ev folgt. In der Verhaftungsszene ließ Mt (über Mk hinaus) Jesus das Wort an den Jünger richten, der dem hohepriesterlichen Knecht das Ohr abgetrennt hatte. Die Aufforderung, das Schwert in die Scheide zu stecken, hat eine erkennbare Parallele in Joh: ἀπόστρεψον τὴν μάχαιράν σου εἰς τὸν τόπον αὐτῆς Mt 26,52 || βάλε τὴν μάχαιραν εἰς τὴν θήκην Joh 18,11. Mit dieser Aufforderung geht Mt erkennbar über den mk Bericht hinaus; die Entsprechung in Joh 18,11 stellt daher die joh Abhängigkeit von Mt sicher, wenn man nicht umgekehrt mit der Joh-Priorität rechnen will. Gleich im nächsten Vers fügt der mt Jesus noch hinzu, dass er der Hilfe gar nicht bedürfe, weil ihm sein Vater zwölf Legionen Engel schicken würde, wenn er darum bäte (Mt 26,53): Dies wäre eine unüberwindliche militärische Hilfe, auf die Jesus verzichtet, weil anders »die Schrift nicht erfüllt« würde (Mt 26,54). Der Verzicht auf himmlische Hilfe ist Ausdruck der tatsächlichen Überlegenheit Jesu und damit ein Beweis für die Freiwilligkeit seines Gehorsams (Mt 26,39.42). Joh hat dieses Element in einem anderen Zusammenhang aufgegriffen, nämlich im Verhör vor Pilatus (Joh 18,36). Hier besitzt es die gleiche Funktion, die Freiwilligkeit der Auslieferung Jesu deutlich zu machen, die in der joh Verhaftungsszene dadurch zum Ausdruck kommt, dass Jesus selbst sich dem Verhaftungstrupp stellt (s. o.). Die letzte Bearbeitungsrelation ⑩ zwischen Mk und Joh ist nur deshalb hier eingetragen, um das Missverständnis auszuschließen, dass Joh keine Kenntnis von Mk gehabt haben könne. An dieser Stelle bleibt ein offenes Problem, weil sich aufgrund des sicher nachweisbaren Rückgriffs von Joh auf *Ev und Mt eine Abhängigkeit auch von Mk kaum positiv zeigen lässt. Mit Blick auf die ansonsten sehr engen Beziehungen zwischen allen Überlieferungsstufen fällt die Vermutung schwer, dass Joh von Mk keine Kenntnis gehabt haben sollte. Nachweisen lässt sie sich allerdings nicht. c. *Ev und die kanonischen Evangelien Mit dem Nachweis der »Mittelstellung« des Joh zwischen *Ev und Lk sowie mit dem Hinweis auf die weiteren Bearbeitungsrelationen ist die Rekonstruktion der literarischen Beziehungen zwischen den vier kanonischen Evangelien unter der Annahme der *Ev-Priorität komplett: Die Einzelbeobachtungen haben das Bild der Arbeitshypothese bestätigt. In überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht besitzt § 13: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk 337 die grundlegende Einsicht in die *Ev-Priorität vor Lk Konsequenzen, die es erlauben, eine ganze Reihe von schwierigen Fragestellungen zu klären, die in den bislang diskutierten Modellen zu kontroversen Lösungen geführt haben. 1. Mit Blick auf das Synoptische Problem ist das Modell der *Ev-Priorität dadurch ausgezeichnet, dass es zwei grundlegende Einsichten realisiert, die bislang in konkurrierenden Modellen vertreten wurden: Auf der einen Seite entsprechen die Einzeichnung von *Ev in das Gesamtbild und seine Funktion als Quelle für Mk, Mt und Lk der Grundeinsicht der Zwei-Quellentheorie: Die literarischen Beziehungen der drei Synoptiker sind zu komplex, um durch ein einfaches Benutzungsmodell erklärt zu werden. Die Beobachtung, dass jeweils zwei der drei synoptischen Evangelien Übereinstimmungen gegenüber dem dritten aufweisen, lässt sich nicht ohne die Annahme einer zusätzlichen Quelle verstehen. Diese Quelle ist *Ev. Im Unterschied zu »Q« ist die Existenz durch Testimonien eindeutig gesichert und braucht nicht hypothetisch erschlossen zu werden, auch wenn der Wortlaut in größeren Teilen nicht eindeutig gesichert ist. Auf der anderen Seite realisiert das Modell eine grundlegende Annahme der »Markan-Priority-without- Q«-Hypothese: Mt und Lk sind nicht unabhängig voneinander entstanden. Vielmehr ist Lk von Mt abhängig (§ 12). Das Verhältnis dieses Modells zu den gängigen Alternativen lässt sich jedoch auch negativ beschreiben: Im Unterschied zum methodischen Ausgangspunkt der Zwei-Quellentheorie, der prinzipiellen Unabhängigkeit von Mt und Lk, rechnet es mit einer literarischen Abhängigkeit. Im Unterschied zur »Markan-Priority-without-Q«-Hypothese geht der Großteil der mt-lk Übereinstimmungen jedoch nicht auf diese lk Abhängigkeit von Mt zurück, sondern auf *Ev, der gemeinsamen Quelle von Mt und Lk. 2. Die Überlegungen zur »Mittelstellung« des Joh zwischen *Ev und Lk sowie zur joh Rezeption von einzelnen Elementen aus Mt bestätigen die weithin vertretene Lösung zum Problemkreis der joh-synoptischen Beziehungen: Joh kannte und verwendete die synoptischen Evangelien - allerdings mit dem einen, wichtigen Unterschied, dass nicht Lk zu den joh Prätexten gehörte, sondern *Ev. Damit bestätigt sich auch die Annahme, dass die joh-synoptischen Beziehungen als literarische Rezeption zu denken sind. Wie schon für die synoptischen Beziehungen deutlich wurde, sind auch die Berührungen zwischen Joh auf der einen Seite sowie *Ev, Mk und Mt auf der anderen nicht als mündlicher Einfluss vorstellbar, sondern nur als Fortschreibung literarischer Quellen. Dies gilt auch für die lk Redaktion und ihre Rezeption der Prätexte *Ev, Mk, Mt und Joh. Das schon früher erkennbare Bild hat sich jetzt für alle Stufen der Überlieferungsgeschichte bestätigt: Die Redaktionsarbeit in den einzelnen Bearbeitungsrelationen ist nur als Bearbeitung von Texten vorstellbar. Dabei ist die Zahl der Texte, die je und je verglichen und rezipiert wurden, schrittweise gestiegen: Mk hatte nur *Ev vorliegen; Mt rezipierte *Ev und 338 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Mk; Joh verarbeitete *Ev, Mk und Mt; Lk griff auf alle vier älteren Evangelien zurück: *Ev, Mk, Mt und Joh. 3. Die hier skizzierte Überlieferungsgeschichte ergibt daher das erstaunliche Bild eines schrittweisen Wachstums der Evangelienüberlieferung, das aus einer gemeinsamen Wurzel hervorgeht. Diese gemeinsame Wurzel bleibt von der ersten Rezeption durch Mk bis zum letzten Schritt der lk Redaktion die eine, maßgebliche Bezugsgröße, an der sich alle späteren Rezeptionsschritte mehr (Mk, Mt, Lk) oder weniger (Joh) orientiert haben. Die Entwicklung der Evangelienüberlieferung war daher sehr viel einheitlicher, als die im 20. Jh. diskutierten Modelle es nahelegen. Man kann sagen: *Ev ist nicht nur die gemeinsame Wurzel, aus der alle vier kanonischen Evangelien auf die eine oder andere Art entsprungen sind, sondern auch der Baum, um den herum sie sich ranken. § 14: Die Kanonische Redaktion der Evangelien 1. Methodische Voraussetzungen Die Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte vom ältesten Evangelium bis zum kanonischen Lk skizziert grob die Entstehungsgeschichte der kanonischen Evangelien entlang der wichtigsten Bearbeitungsrelationen. Nach den bisherigen Überlegungen lässt sich die Überlieferungsgeschichte folgendermaßen darstellen. - - - - - - *Ev------------- ③ - -- - - - - ----------- --- - - - - - - - ------------Mk- ----------------- - - - -----①--------------- ---------- ----⑥- ---------- - - ④- - --②- - - ------------ - -------- - - - - ----- - - - ------------Mt- -- - - - - - -- - Joh- - - -- - ------- -------⑤- ------------- - ------------⑦- -- - - - - --Lk- Abb. 11: Die Überlieferungsgeschichte der Evangelien von *Ev bis Lk Allerdings stellt dieses Bild eine Vereinfachung der tatsächlichen Verhältnisse dar. Denn abgesehen davon, dass nicht alle Bearbeitungsrelationen eingezeichnet sind, suggeriert es, dass die hier unter den kanonischen Bezeichnungen Mk, Mt und Joh identifizierten Stationen der Überlieferungsgeschichte mit den entsprechenden kanonischen Evangelien identisch sind. Dies ist jedoch nicht der Fall, wie schon verschiedentlich deutlich wurde: Es handelt sich um ältere, nämlich um vorkanonische Fassungen der Texte, die in ihrer überarbeiteten Form als Teile des kanonischen Vier-Evangelienbuches vorliegen. Die in diesem Diagramm erfassten Stationen der Überlieferungsgeschichte zwischen *Ev und Lk sind daher genauer als *Mk, *Mt und *Joh zu bezeichnen. Das Verhältnis zwischen den vorkanonischen und den kanonischen Fassungen von Mk, Mt, und Joh ist strukturell analog zum Verhältnis zwischen *Ev und Lk. In methodischer Hinsicht beruht die Unterscheidbarkeit zwischen den vorkanonischen und den kanonischen Fassungen der Evangelien auf den Beobachtungen zum Verhältnis zwischen dem für *Ev bezeugten Text und den Varianten der handschriftlichen Überlieferung des kanonischen Lk, die oben skizziert wurden. 1 Dort hatte sich gezeigt, dass die Entsprechungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten ______________________________ 1 S. § 5, insbesondere S. 118ff. 340 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch am ehesten als Interferenz zwischen den handschriftlichen Überlieferungen zweier verschiedener Ausgaben des gleichen Textes zu verstehen sind: Die redaktionellen Varianten des kanonischen Mehrheitstextes stellen demzufolge Spuren des vorkanonischen Textes dar, die sich in verschiedenen kanonischen Lk-Handschriften niedergeschlagen und erhalten haben. Diese Überlegung hat sich für die Rekonstruktion von *Ev als ausgesprochen wichtig erwiesen. Denn in vielen Fällen, für die keine direkte Bezeugung durch die Häresiologen vorliegt, erlauben diese Varianten der kanonischen Überlieferung den Rückschluss auf die Existenz (und teilweise auch auf die Gestalt) einer vorkanonischen Ausgabe. Allerdings ist das Problem für die Rekonstruktion der anderen vorkanonischen Fassungen (also *Mk, *Mt und *Joh) deutlich größer als für die Rekonstruktion von *Ev. Für die Identifizierung einer vorkanonischen Lk-Ausgabe liegen ja nicht nur die Varianten der kanonischen (Lk-)Handschriften vor, sondern auch die häresiologischen *Ev-Bezeugungen, die eine positive Kontrollgröße darstellen: Unter der Voraussetzung der *Ev-Priorität belegen die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten, die in Anhang III zusammengestellt sind, den vorkanonischen Charakter dieser Varianten. Für die anderen Evangelien fehlt eine solche positive Kontrollinstanz. Andererseits gibt es auch in der handschriftlichen Überlieferung von Mk, Mt und Joh (in unterschiedlicher Dichte und Deutlichkeit) Varianten, die als redaktionelle Eingriffe zu beurteilen sind und die nicht auf Schreibversehen oder eigenmächtige Textänderungen durch Kopisten zurückgehen werden. Ihre genaue Identifizierung und die Abgrenzung von sekundären (das heißt in diesem Fall: nachkanonischen) Änderungen sind allerdings weniger gewiss, als dies bei den Lk-Varianten der Fall ist. Für die Identifizierung dieser Varianten gelten grundsätzlich die gleichen Einsichten, die sich oben bereits für diejenigen Lk-Varianten gezeigt haben, für die keine direkte Bezeugung vorliegt. Ausgangspunkt sind die besonders »interferenzträchtigen« Handschriften des »Westlichen Textes«. Aber da sich ja auch schon gezeigt hatte, dass das Phänomen der vorkanonischen Lesarten nicht auf diese Handschriften begrenzt werden kann, sind auch die weiteren Zeugen mit einzubeziehen. Um ein auch nur näherungsweises Bild der vorkanonischen Textgestalt von *Mk, *Mt und *Joh zu erhalten, wäre demnach eine vollständige Analyse aller Varianten vonnöten - und zwar auch solcher, die nur vereinzelt oder in entfernten Zeugen (etwa in den sekundären Versionen) belegt sind. Diese Aufgabe kann hier auch nicht ansatzweise geleistet werden. Aus diesem Grund ist dieser letzte Schritt der überlieferungsgeschichtlichen Rekonstruktion in noch höherem Maße eine unvollständige Skizze als der Nachweis der einzelnen Stationen der vorkanonischen Überlieferungsgeschichte. Die folgenden Beobachtungen haben § 14: Die Kanonische Redaktion der Evangelien 341 daher lediglich die Funktion, die grundsätzliche Wahrscheinlichkeit einer solchen Kanonischen Redaktion aufzuzeigen. Die Überlieferungsgeschichte der Evangelien ist also, über die einzelnen Stadien der vorkanonischen Entwicklung hinaus, um eine letzte Bearbeitungsstufe zu ergänzen. Im Unterschied zu den vorangegangenen, sukzessive aufeinander aufbauenden Bearbeitungen ist für diese Redaktion anzunehmen, dass sie aus einer Hand stammt. Die schematische Darstellung der Überlieferungsgeschichte ist also folgendermaßen zu ergänzen. -- - - - - *Ev--- - - - - - --- - - - - - - --③--- - - - --- - - - - - - - *Mk- - - --- - - - --------------①-- ------④- - -----------②- - -- - - -----⑥- - - - - ----- - - - - - - - - - - - - -- - - - - - - - ---- - *Mt- - -- - - - - - - - - - - -- - *Joh---- - - - - - - - - -- - - ----⑦- - - -----------⑤- Ⓓ-- - ---------------Ⓐ- - -- Ⓑ---- --------Ⓒ- - -- - --Joh-- - --- --Lk- - - -Mk- --Mt------- Abb. 12: Die Kanonische Redaktion der Evangelien Zu erwarten ist daher, dass die hier zu untersuchenden redaktionellen Eingriffe der Bearbeitungsschritte Ⓑ , Ⓒ und Ⓓ zwischen den vorkanonischen Fassungen und den kanonischen Evangelien in erster Linie eine kohärenzstiftende Funktion besitzen. Diese Kanonische Redaktion ist nur knapp anzudeuten: Ein vollständiger Nachweis ist in diesem Rahmen nicht möglich. Die Auswahl der folgenden Beispiele ist daher willkürlich und richtet sich nach der Bedeutung des offenkundigen Materials. 2. Die Kanonische Redaktion von *Mk a. Der »Lange Markusschluss« Mk 16,9-20 Es bietet sich an, für diesen Nachweis bei der Bearbeitung des vorkanonischen *Mk zu beginnen. Denn für das kanonische Mk lässt sich der Bearbeitungsschritt Ⓑ der Kanonischen Redaktion besonders deutlich zeigen, nämlich im sog. »Langen Mk-Schluss«. Es ist bereits angedeutet worden (§ 11, S. 251), dass Mk 16,9-20 mit größter Wahrscheinlichkeit auf genau die jetzt zu zeigende Kanonische Redaktion von *Mk zurückzuführen ist. 342 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Die textkritischen Besonderheiten am Ende des Mk-Evangeliums sind schon lange bekannt. 2 Für das Problem der Kanonischen Redaktion von *Mk sind hier allerdings nur die drei »Grundformen«, in denen das Ende des Mk in den Handschriften bezeugt ist, von Interesse, weil die Mischformen erkennbar sekundäre Konformationen darstellen. Als Kurzer Schluss wird hier das Ende von *Mk in 16,8 bezeichnet. Dieses Ende ist im Sinaiticus ( א 01) Vaticanus (B 02) sowie der Minuskel 304 (s. XII) bezeugt, außerdem in einigen Versionen (sy s armen mss sa ms ). Dieses Ende wird auch durch Euseb 3 und Hieronymus 4 bezeugt. Daneben gibt es etliche Handschriften, die zwischen Mk 16,8 und 9 durch Asterisken das ursprüngliche Ende andeuten oder aber direkt mitteilen, dass der Schluss Mk 16,9-20 in etlichen Handschriften fehlt (20 22 137 138 1209 mg 1582). Zu der Bezeugungslage für den Kurzen Schluss gehört auch die Debatte über das negative Zeugnis bei Clemens Alex. und Origenes. Für Origenes hätte ein Verweis auf Mk 16,9-20 in seiner Argumentation Cels. 2,56-70 sehr nahegelegen: Kelsos hatte sich darüber lustig gemacht, dass der Auferstandene nur einer einzigen Frau erschienen sei. In seiner Replik verweist Origenes jedoch nur auf Mt 28 (Cels. 2,70), nicht aber auf Mk 16,9-20. Allerdings ist das negative Zeugnis nicht belastbar. 5 ______________________________ 2 Bereits J. W. B URGON , The Last Twelve Verses of Mark, Oxford - London 1871, hatte die handschriftliche Situation umfassend dargestellt. Aus jüngerer Zeit vgl. W. R. F ARMER , The Last Twelve Verses of Mark, London 1974. Zur Diskussion vgl. außerdem K. A LAND , Der wiedergefundene Markusschluß? Eine methodologische Bemerkung zur textkritischen Arbeit, ZThK 67 (1970), 3-13; DERS ., Der Schluß des Markusevangeliums, in: M. Sabbe (ed.), L’Évangile selon Marc, Gembloux 2 1988, 435-470. 573-575; DERS ., Bemerkungen zum Schluss des Markusevangeliums, in: E. E. Ellis, M. Wilcox (Hg.), Neotestamentica et Semitica, Edinburgh 1969, 157-188; D. C. P ARKER , The Living Text of the Gospels, Cambridge 1997, 124-147. Zur Redaktion des kanonischen Schlusses vgl. J. A. K ELHOFFER , Miracle and Mission, Tübingen 2000. 3 Eusebius, Quaest. Marin. 1,1. Der Text findet sich in einer Handschrift (Cod. Vat. Palat. CCXX pulcherrimus, saec. ferme X), die Angelo Mai 1825 erstmals ediert und 1847 ein zweites Mal herausgegeben hatte (NPB IV, 219-309; darauf basiert PG 22, 937ff). Eusebius beantwortet die Frage nach dem Verhältnis von Mt 28,1 und Mk 16,9 und führt dazu aus, dass die exakten (Mk-)Handschriften (τὰ γοῦν ἀκριβῆ τῶν ἀντιγραϕῶν) mit der Botschaft des jungen Mannes an die Frauen und der Mitteilung ihrer Furcht endeten; das Folgende sei aber nur selten, in einigen, aber nicht in allen (Handschriften) berichtet (τὰ δὲ ἑξῆς σπανίως ἔν τισιν ἀλλ’ οὐκ ἐν πᾶσι ϕερόμενα): »Man könnte es für überflüssig halten, insbesondere wenn sich erweist, dass es dem Zeugnis der anderen Evangelisten widerspricht. Dies wäre eine Antwort, die eine unnötige Frage vermeidet und vollständig umgeht«. Zur Diskussion vgl. F ARMER , a. a. O. 3-13; P ARKER , a. a. O. 134. 4 Hieron., ep. 120. Hieronymus beantwortet der Gallierin Hedibia die gleiche Frage, die Marinus dem Euseb gestellt hatte. Seine Antwort ist erkennbar von Euseb abhängig (vgl. F ARMER , a. a. O. 23; P ARKER , a. a. O. 135) und besitzt daher als eigenständiger Zeuge keinen großen Wert für die angebotene Lösung (Bevorzugung des vorkanonischen Schlusses), zeigt jedoch, dass das Problem der uneinheitlichen Handschriftenlage noch zu Beginn des 5. Jh. auffällig war. 5 Vgl. F ARMER , a. a. O. 26f, der daraus folgert, dass Origenes den Langen Schluss gekannt haben könnte, und die Replik von P ARKER , a. a. O. 136: »neither can silence indicate that the Short Ending (sc. *16,8) was unknown.« Die beiden Ansichten liegen in methodischer Hinsicht nur scheinbar auf derselben Ebene, weil der positive Nachweis des Fehlens von Mk 16,9-20 in der patristischen Literatur eine ganz andere Qualität der Zeugnisse erfordern würde als der positive Nachweis der Existenz. § 14: Die Kanonische Redaktion der Evangelien 343 Als Mittlerer Schluss wird die Fassung bezeichnet, die direkt nur durch den altlateinischen Cod. Bobbiensis (k; s. V) bezeugt ist. Diese Handschrift, die außerdem zwischen 16,3 und 16,4 knapp die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu schildert, 6 lässt in 16,8 die Worte »sie sagten niemandem etwas« aus und enthält stattdessen den Schluss: »Sie berichteten alles Aufgetragene kurz dem Petrus und denen bei ihm. Danach sandte Jesus selbst durch sie von Osten bis Westen die heilige und unvergängliche Verkündigung des ewigen Heils aus. Amen.« Dieser Mittlere Schluss ist (im Einzelnen unterschiedlich) auch durch die Zeugen für die Mischformen belegt. Als Langer Schluss wird die Fassung von Mk 16,1-8.9-20 in der übergroßen Mehrheit der Handschriften (A C D Θ f 13 lat sy c.p.h bo Tat pers M ) bezeichnet. Zu den patristischen Zeugen für diesen Schluss gehören auch Irenaeus 7 und möglicherweise schon Justin. 8 Daneben gibt es noch eine Reihe von Mischformen, die Elemente aller drei Hauptformen enthalten, die also etwa zwischen Mk 16,8 und 9 bzw. zwischen Mittlerem und Langem Schluss textliche oder nichttextliche Signale auf das ursprüngliche Ende geben (Ψ L 099 0112 274 mg 579 sy h mg ℓ 1602), sowie natürlich die Fassung im Cod. Washingtonianus (W) mit dem berühmten »Freer-Logion« im Anschluss an 16,14. In methodischer Hinsicht sind diese Mischformen aufschlussreich, weil sie mit ihren unterschiedlichen Ergänzungen auch die Existenz des Kurzen Schlusses *16,8 belegen. Für das Zustandekommen der verschiedenen Fassungen hat sich längst ein stabiler Konsens herausgebildet: Sowohl der Kurze Schluss in *16,8 als auch der Lange Schluss 16,9-20 haben ausweislich der patristischen Zeugnisse bereits im 2. Jh. existiert. Der Mittlere Schluss (16,9 it k ), der auch in die Mischformen eingegangen ist, stammt ausweislich der Sprache, des Alters der Handschriften und der patristischen Bezeugung erst aus dem 4. Jh., ist also ein Sekundärphänomen. Dieses ist am leichtesten zu verstehen, wenn k (oder seine Vorlage) eine Handschrift mit dem Kurzen Schluss in *16,8 vorliegen hatte, der Kopist aber wusste, dass eigentlich noch ein längeres Ende mit dem Sendungsauftrag des Auferstandenen (also der Lange Schluss) folgen müsste und ein solches Ende selbst hinzufügte. Damit reduziert sich die Aufgabe: Zu erklären bleibt nur, wie es bereits im 2. Jh. zum Nebeneinander von Kurzem und Langem Schluss kommen konnte. Für dieses Problem ist die Forschungsgeschichte aus gut nachvollziehbaren Gründen deutlich unübersichtlicher als für die Datierung der einzelnen Varianten. Denn es liegt ohne weiteres auf der Hand, dass der Lange Schluss gegenüber dem Kurzen Schluss in *16,8 sekundär ist. Für die umgekehrte Vorstellung, dass Mk 16,9-20 ______________________________ 6 Mk 16,3 (k): subito autem ad horam tertiam tenebrae diei factae sunt per totum orbem terrae, et descenderunt ex caelis angeli et surgent (! ) in claritate vivi Dei (! ) simul ascenderunt cum eo, et continuo lux facta est. tunc illae accesserunt ad monimentum. 7 Iren., Haer. 3,10,6 zitiert Mk 16,19: In fine autem evangelii ait Marcus: Et quidem dominus Iesus, posteaquam locutus est eis, receptus est in caelos et sedit ad dexteram Dei. Zur Diskussion vgl. K ELHOFFER , a. a. O. 169f; P ARKER , a. a. O. 133 usw. 8 Justin, 1Apol. 45 (ὁ λόγος τοῦ ἰσχυροῦ) ὃν ἀπὸ Ἰερουσαλὴμ οἱ ἀπόστολοι αὐτοῦ ἐξελθόντες πανταχοῦ ἐκήρυξαν verweist auf Mk 16,20 ἐκεῖνοι δὲ ἐξελθόντες ἐκήρυξαν πανταχοῦ. Zur Diskussion vgl. K ELHOFFER , a. a. O. 170ff; P ARKER , a. a. O. 133 usw. 344 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch älter sei als das Ende in *16,8 und dass die letzten zwölf Verse sekundär gestrichen wurden, lässt sich bei bestem Willen kein denkbares redaktionelles Interesse ausmachen. Für die Annahme der Priorität des Langen Schlusses bleibt daher nur die Vermutung eines (versehentlichen) Verlustes der letzten zwölf Verse durch äußere Einfluss, also etwa durch den berüchtigten »Blattverlust«. Diese Lösung muss jedoch an der entscheidenden Stelle der Argumentation ein kontingentes Ereignis postulieren und ist darüber hinaus auch aus anderen Gründen wenig wahrscheinlich. 9 Wenn aber der Kurze Schluss in *16,8 älter ist als der Lange Schluss, stellt sich ein doppeltes Problem. Auf der einen Seite ist das textgeschichtliche Problem zu erklären, wie eine sekundäre Ergänzung in über 99 % der gesamten Überlieferung eindringen konnte. Daneben steht die theologische Frage nach dem als »verbindlich« verstandenen »Urtext«: Wenn die Kategorie »Urtext« durch das höhere Alter konstituiert ist, dann gibt es keine Möglichkeit, den sehr breit bezeugten Langen Schluss des Textus Receptus für theologisch verbindlich zu halten. Die kritischen Ausgaben lösen dieses Problem dadurch, dass sie den Mittleren und den Langen Schluss in Klammern setzen und so anzeigen, dass sie den Kurzen Schluss in Mk 16,8 für ursprünglich halten. Dass sie damit aber tatsächlich den Text des kanonischen Mk als Teil des Neuen Testaments wiedergeben, darf als mehr als fraglich gelten. Denn die Lösung dieses Dilemmas von Kurzem und Langem Schluss liegt auf der Hand und ist durch das analoge Verhältnis zwischen *Ev und Lk vorbereitet: Die beiden Schlüsse in *Mk 16,8 und in Mk 16,9-20 sind Elemente verschiedener Ausgaben. Der Kurze Schluss ist tatsächlich älter als der Lange Schluss: *16,8 ist der Schluss des vorkanonischen *Mk, der Lange Schluss 16,9-20 ist der Schluss des Mk als Teil der Kanonischen Ausgabe des Neuen Testaments. Die textkritische Einschätzung, dass der Schluss in *16,8 älter ist, wird auf diese Weise bestätigt, zugleich wird aber auch deutlich, dass das Mk-Evangelium als Teil des Neuen Testaments den Langen Schluss 16,9-20 enthielt, der daher zu Recht in die kritischen Ausgaben gehört - und zwar als originärer Bestandteil dieser Ausgabe, ohne dass seine Zugehörigkeit durch eckige Klammern oder andere Signale eingeschränkt werden darf. 10 Dieses Phänomen hat eine enge Analogie in all denjenigen Beispielen des kanonischen Lk-Textes, ______________________________ 9 Zu dieser Lösung vgl. A LAND , a. a. O. (Bemerkungen …) 158f. Gegen diese Lösung spricht, dass der Blattverlust eines in Lagen veröffentlichten Buches auch die andere Blatthälfte betroffen haben würde, abgesehen davon, dass die postulierte äußere Einwirkung den Archetypen so weit auseinanderliegender Zeugen wie Sinaiticus und Vetus Syra betroffen haben müsste. 10 Aus diesem Grund ist es aus sachlichen Gründen inakzeptabel, dass sich die Auslegung des (kanonischen) Mk »aufgrund der Textüberlieferung [...] auf 16,1-8 zu beschränken hat«, wie L ÜHR - MANN , Mk 268 ausführt: Gerade im Zusammenhang eines »Handbuchs zum Neuen Testament« wäre die Kommentierung bis Mk 16,20 sachlich angebracht. § 14: Die Kanonische Redaktion der Evangelien 345 deren sekundärer Charakter sich durch vereinzelte Spuren in der handschriftlichen Überlieferung bzw. durch die abweichende Bezeugung für das vorkanonische *Ev erwiesen hat, also etwa das Verhältnis von Kurz- und Langtext im lk Mahlbericht (Lk 22,19-21), die Abweichungen der Überlieferung des Vater-Unser (Lk 11,1-4) oder etwa das Fehlen der Himmelfahrtsnotiz in Lk 24,51 ( א * D a b d e ſſ 2 l sy s ): Der jeweils längere Text ist zwar jünger als der auch für *Ev bezeugte Text, ist aber im Kontext des kanonischen Lk-Texts als Teil der Kanonischen Ausgabe des Neuen Testaments ursprünglich. Mit dieser Einsicht lassen sich dann auch etliche Fragen zur Gattung, zur literarischen Einheit und zur narrativen Funktion von Mk 16,9-20 erklären. Denn der ganze Abschnitt lässt sich kaum als arrondierende Ergänzung der vorkanonischen *Mk-Erzählung verstehen: Dazu sind die Brüche zwischen *16,1-8 und 16,9ff zu deutlich. 11 Die vielfältigen Referenzen von Mk 16,9-20 auf die anderen kanonischen Evangelien, auf Act und möglicherweise auch auf Hebr konstituieren keine in sich kohärente Erzählung, sondern sind am besten als »cento or pastiche« 12 zu verstehen, also als Imitation, die sich überwiegend aus Teilen anderer Texte zusammensetzt. Dass diese Referenzen nicht nur auf die Evangelien, sondern auch auf Act und Hebr13 verweisen, hat die wichtige Konsequenz, dass Mk 16,9-20 auf einer Überlieferungsstufe ergänzt wurde, die wenigstens drei Teilsammlungen der Kanonischen Ausgabe voraussetzt (Evangelien; Praxapostolos; Paulusbriefe). Die primäre literarische Funktion dieses »cento« liegt jedoch nicht in der (ergänzenden oder korrigierenden) Mitteilung bestimmter Inhalte, sondern darin, dieses kanonische Mk-Evangelium als Teil einer kohärenten Ausgabe zu erweisen. Die Überlegung, dass Mk 16,9-20 als kompletter Text ein literarisches Eigenleben geführt haben könnte, bevor er redaktionell an das Ende des Mk gestellt wurde, 14 ist daher obsolet: Mk 16,9-20 ist überhaupt nur im Zusammenhang aller neutestamentlicher Texte verständlich. Der kundige Leser der gesamten Kanonischen Ausgabe ist in der Lage, diese Beziehungen ohne Probleme herzustellen und zu erkennen, dass das kanonische Mk-Evangelium durch die anderen Teile des Neuen Testaments gestützt wird und diese seinerseits stützt: Mk 16,9-20 wurde für diese Kanonische Ausgabe verfasst. ______________________________ 11 Mk 16,9-11 schließt nicht besonders gut an das vorkanonische Ende an: Dass die Frauen aus Furcht »niemandem etwas sagten« (*16,8), scheint für 16,10 keine Rolle zu spielen. Ganz entsprechend wird Maria Magdalena in 16,10 in einer Weise erwähnt, die nicht auf *16,1 rekurriert. 12 P ARKER , a. a. O. 138. 13 Vgl. die Entsprechungen zwischen Mk 16,17 und Act 2,4.11 bzw. Mk 16,19 und Act 7,55f (dazu K ELHOFFER , a. a. O. 146f), außerdem Mk 16,19f und Hebr 2,3f (vgl. ebd. 279f). 14 Vgl. S WETE , Mk 399-408. Diese These ist verschiedentlich aufgegriffen worden, etwa von P ESCH , Mk II 544-556 (vgl. I 40-47). Zusammenfassend s. K ELHOFFER , a. a. O. 158ff. 346 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch b. Weitere Beispiele für die Kanonische Redaktion von *Mk Hat man den Charakter der Kanonischen Redaktion innerhalb dieser großen Ergänzung am Ende des vorkanonischen *Mk verstanden, bereitet es keine Schwierigkeiten, weitere Instanzen dieser Bearbeitung zu identifizieren. Die Schwierigkeiten liegen vielmehr darin, sie vollständig zu erfassen. Aber Vollständigkeit ist in diesem Rahmen gar nicht anzustreben. Deshalb genügen wenige kurze Hinweise. In Mk 1,1 fehlen die letzten Worte υἱοῦ θεοῦ in einigen Handschriften. 15 Ein Versehen ist auszuschließen, obwohl wiederholt mit dieser Möglichkeit gerechnet wurde. Aber weder eine Parablepsis noch ein Homoioteleuton kommen in Frage 16 - diese Änderung ist sicherlich beabsichtigt und trägt alle Züge eines intentionalen, redaktionellen Eingriffs. 17 Da die Kette der von ἀρχή abhängigen Genitive (εὐαγγελίου Ἰησοῦ Χριστοῦ υἱοῦ θεοῦ) überladen und nicht besonders glücklich ist, hat man die kürzere Lesart als sekundäre Streichung aufgrund »der ungewöhnlichen Charakterisierung des Evangeliums« erklären wollen und damit die Ursprünglichkeit des Langtextes postuliert. 18 Dies ist nicht sehr wahrscheinlich. Bereits Konstantin von Tischendorf hatte erklärt, es sei »absurd und gegen die gesamte Geschichte des heiligen Textes, zu behaupten, dass solche Worte eher aufgrund der Bescheidenheit des Glaubens gestrichen als durch übereifrige Frömmigkeit hinzugefügt« würden. 19 Dass diese Sicht Tischendorfs hoher Wertschätzung des Cod. Sinaiticus entgegen kommt, spricht nicht gegen ihre Richtigkeit: Die Argumentation ist schlüssig. Es ist von einiger Bedeutung, dass die kurze Lesart durch etliche patristische Zeugnisse bereits für das 2. Jh. sichergestellt wird. 20 Damit ist klar, dass nicht erst Interessen im Umfeld der christologischen Streitigkeiten des (3. und) 4. Jh. für einen redaktionellen Eingriff (in der einen oder der anderen Richtung) verantwortlich waren. Andererseits ist es eine sinnvolle Überlegung, dass der betonte Hinweis auf die Gottessohnschaft Jesu gleich zu Beginn des Evangeliums ein antiadoptianisches Interesse verraten könnte. 21 Dies gilt jedenfalls dann, wenn der kurze Text älter ist und den vorkanonischen *Mk-Wortlaut repräsentiert: In diesem Fall würde der Langtext auf die Kanonische Ausgabe in der Mitte des 2. Jh. zurückgehen. Das bedeutet: Die redaktionelle ______________________________ 15 Mk 1,1 υιου θεου: om א * Θ 28 c 255 (1555*) sy j georg I armen mss . 16 Eine Parablepsis in der ersten, entscheidend wichtigen Zeile eines neuen Textes ist mehr als unwahrscheinlich. Auch ein Homoioteleuton ist wegen der anzunehmenden Schreibweise als Nomina Sacra auszuschließen. Vgl. P. M. H EAD , A Text-Critical Study of Mark 1.1 »The Beginning of the Gospel of Jesus Christ«, NTS 37 (1991), 621-629: 627ff (mit Vertretern dieser Sicht). 17 Vgl. J. S LOMP , Are the Words »Son of God« in Mark 1.1 Original? , BiTr 28 (1977), 143-150; H EAD , a. a. O.; B. D. E HRMAN , The Orthodox Corruption of Scripture, New York - Oxford 1994, 85-88. 18 Z. B. G NILKA , Mk I 43. 19 Tischendorf, NT VIII 215: »Ineptum certe totique textus sacri historiae repugnans foret, tale quid potius modica fide sublatum quam pietate male sedula illatum dicere.« 20 Der kürzere Text bei Iren gr/ lat Origen gr/ lat VictorinPatav TitusBostra Basil CyrHier Epiph Hieron (die genauen Belege bei T ISCHENDORF , NT VIII z. St.). Besonders aufschlussreich sind zwei Beobachtungen: Zum einen zitieren Origenes und Hieronymus Mk 1,1 zusammen mit dem folgenden Kontext (Mk 1,2), so dass man die Überlegung ausschließen kann, dass die fraglichen Worte in einem verkürzten Zitat weggefallen seien. Zum anderen zeigt der lateinische Irenaeustext Inkonsistenzen: Der kurze Text ist nur einmal bezeugt (3,11,8), während zweimal (3,1,6; 16,3) der längere Text auftaucht; dies ist als sekundäre Korrektur zu verstehen. 21 So B. D. E HRMAN , The Orthodox Corruption of Scripture, New York - Oxford 1994, 85-88. § 14: Die Kanonische Redaktion der Evangelien 347 Eintragung der Gottessohnschaft in Mk 1,1 trägt durchaus »orthodoxe« Züge, aber sie lässt sich nicht als »Corruption of Scripture« verstehen, wenn mit »scripture« ein quasi-kanonischer Text im Sinn einer »heiligen Schrift« gemeint ist. Vielmehr ist diese redaktionelle Veränderung an dem vorkanonischen *Mk vorgenommen worden - und zwar am ehesten im Zusammenhang der Kanonischen Redaktion, die aus diesen Einzeltexten zwar nicht die »Heilige Schrift« gemacht hat, wohl aber das »Neue Testament«. In der Pointe des Bildworts vom neuen Wein und den alten Schläuchen Mk 2,22 fehlt am Ende die Aufforderung ἀλλὰ οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς in einigen Handschriften (D 2427 it [aur d e f ſſ 2 i l q r 1 ] bo ms ). Auch hier liegt nahe, dass der längere Mehrheitstext nicht nachträglich gekürzt wurde, sondern auf eine sekundäre Ergänzung des Kurztextes zurückgeht, die sich im Übrigen sehr eng mit Lk 5,39 (red.; s. in der Rekonstruktion z. St.) berührt. Die Formulierung von Mk 6,50 ist uneinheitlich überliefert, weil die ersten Worte in einigen Handschriften fehlen. 22 Der Sinn verändert sich gegenüber dem Mehrheitstext kaum, denn auch dort ist ja berichtet (Mk 6,49), dass alle Jünger Jesus sahen. Dass diese Information in der Mehrheit der Überlieferung in V. 50 noch einmal wiederholt wird, könnte auf eine redaktionelle Einfügung zurückgehen, mit der sichergestellt werden soll, dass wirklich alle das gesehen hatten, was sie irrtümlich für ein ϕάντασμα hielten: Den über das Wasser gehenden Jesus. In der Rangstreitperikope finden sich in Mk 9,34f gleich zwei Beispiele für das hier zu besprechende Phänomen. Auf der einen Seite fehlen in Mk 9,34 die Worte ἐν τῇ ὁδῷ in einigen Zeugen. 23 Da diese Bemerkung ein wichtiges Signal der mk Redaktion dieses ganzen Abschnitts ist, ist es theoretisch denkbar, dass ein Teil der Zeugen dieses Element, das für das Verständnis der jeweiligen Einzeltexte nichts hergibt, ausgelassen haben. Aber eine solche Eigenmächtigkeit ist nicht sehr wahrscheinlich, noch dazu bei so weit auseinanderliegenden Handschriften. Aus diesem Grund liegt die Erklärung näher, dass die Redaktion, die *Mk einer Revision unterzog, das Unterwegs- Sein als Merkmal des theologischen Konzepts registriert hatte und es an dieser Stelle verstärkend eingefügt hat. Dies gilt umso mehr, als bereits aufgefallen war, dass die lk Redaktion von *Ev ganz offensichtlich von dem mk Konzept der »Reise« Jesu beeinflusst war und entsprechende »Reisenotizen« einarbeitete (Lk 13,22.33; 19,11b). 24 Sehr viel wichtiger ist, dass der größte Teil von Mk 9,35 mit dem Logion von den Ersten und Letzten in zwei Zeugen fehlte: καὶ λέγει αὐτοῖς· εἴ τις θέλει πρῶτος εἶναι, ἔσται πάντων ἔσχατος καὶ πάντων διάκονος: om D k. Für eine sekundäre Auslassung gibt es schlechterdings keinen nachvollziehbaren Grund. Da diese Aussage im mk Kontext der Rangstreitperikope keine synoptischen Parallelen besitzt, konstituiert sie ein mt-lk »Minor Agreement«. Allerdings ist das Logion von den Ersten und den Letzten in Mk 10,31 || Mt 19,30 ÷ Lk 18,30 enthalten und besitzt darüber hinaus eine Entsprechung im Abschluss des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,16) sowie im Abschluss der Belehrung von der engen und der verschlossenen Tür (Lk 13,30; red.). Das Wort ist ein typisches »Wanderlogion«: Es ist bereits in *Ev bezeugt (*22,26), wurde von den verschiedenen Stufen der Überlieferungsgeschichte von Mk 10,31 || Mt 19,30 über Mt 20,16 und Lk 13,30 rezipiert und ist schließlich auch noch von der Kanonischen Redaktion in Mk 9,35 eingefügt worden. ______________________________ 22 Mk 6,50 παντες γαρ αυτον ειδον: om D Θ 565 700 a b c d f ſſ 2 i q r 1 . 23 Mk 9,34 εν τη οδω: om A D Δ pc a aur b c d f ſſ 2 i k q r 1 sy s . 24 S. o. § 11.1. 348 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Das Gleichnis von den bösen Weingärtnern Mk 12,1-12 bietet ein besonders instruktives Beispiel. Denn dieses Gleichnis hat in *Ev mit Sicherheit gefehlt (s. die Rekonstruktion zu Lk 20,9-19), sodass der Ursprung der synoptischen Überlieferung in Mk - oder genauer: im vorkanonischen *Mk - zu sehen ist, dessen Text zuerst (*)Mt 21,33-46 und dann Lk 20,9-19 aufgegriffen haben. Interessanterweise gibt es zu Mk 12,1-12 eine ganze Reihe von Lesarten. Die meisten von ihnen sind als geringfügige sprachliche Glättungen zu beurteilen, die keine nennenswerten Änderungen der Semantik bewirken. Allerdings sind diese Varianten mit Sicherheit keine Kopistenversehen, und sie lassen sich auch nicht als Einflüsse aus den synoptischen Parallelen verstehen: Die meisten dieser kleineren Änderungen sind als stilistische Glättungen zu beurteilen, für die auch die Bearbeitungsrichtung von der jeweils schmaler bezeugten Variante hin zum Mehrheitstext meistens einleuchtet. Diese »kleinen Änderungen« sind daher am besten als Spuren der Kanonischen Redaktion zu verstehen, die im Zuge der Integration des vorkanonischen *Mk in das kanonische Vier-Evangelienbuch vorgenommen wurden: *Mk 12,1: αμπελωνα εϕυτευσεν ανθρωπος A D f 1 lat sy h ¦ Mk 12,1: αμπελωνα ανθρωπος εϕυτευσεν א B C Δ Ψ 33 579 1424 2427 pc; ανθρωπος τις εϕυτευσεν αμπελωνα W Θ f 13 565 2542 pc aur c sy p . *Mk 12,6: υστερον δε W Θ (f 13 28 700 2542) 565 aur c sy p sa mss ¦ Mk 12,6: ετι ουν א B L Δ Ψ f 1 33 892* 2472 pc b i r 1 sa ms bo; ετι A C D l q vg sy h M . *Mk 12,6: εσχατον D it b ¦ Mk 12,6: εσχατον προς αυτους א B C L Δ Θ Ψ f 13 33 579 892 1424 2427 al; προς αυτους εσχατον A W f 1 vg sy p.h M ; προς αυτους 63 pc sy s . *Mk 12,7: προς εαυτους ειπαν οτι א B C L W (Δ) Ψ f 1 33 579 892 2427 pc ¦ Mk 12,7: ειπαν προς εαυτους οτι A (D) M ; θεασαμενοι αυτον ερχομενον ειπαν προς εαυτους [= p)] Θ (N f 13 28 2542) 565 700 al (c) sy h **. *Mk 12,8: απεκτειναν αυτον א B C L Δ Ψ 892 2427 pc ſſ 2 (i q) k ¦ Mk 12,8: αυτον απεκτειναν A D W Θ f 1.(13) 33 lat M . *Mk 12,9: ουν om B L 892* 2427 pc k sy s sa mss bo ¦ Mk 12,9: add א A C D W Θ Ψ f 1.13 lat sy p.h sy mss bo ms M . Diese Beispiele sind nicht vollständig, und in Einzelheiten ist auch die Beurteilung für die Bearbeitungsrichtung nicht mit letzter Sicherheit auszumachen. Aber das kumulative Gewicht ist nicht von der Hand zu weisen und deutet auf eine durchgehende Bearbeitung hin. Eine besondere Rolle spielt die uneinheitliche Bezeugung von Mk 12,12c: Die letzten Worte sind fast durchgängig bezeugt, fehlen aber in einer Majuskel. 25 Es ist theoretisch möglich, dass diese letzte Aussage im Cod. Washingtonianus tatsächlich aufgrund eines Versehens ausgefallen ist; aber wenn man nicht mit kontingenter Schlafmützigkeit rechnen will, sondern von typischen Fehlern ausgeht, kommt dafür eigentlich nur ein Homoioarkton in Frage (ΚΑΙΑϕεντες - ΚΑΙΑποστελλουσιν), aber das ist mehr als unwahrscheinlich: Ein Schreibversehen ist auszuschließen. Verständlich wird diese Variante allerdings, wenn man ihre narrative Funktion berücksichtigt. Denn die Notiz fungiert als Klammer zu der folgenden Szene, die dadurch ihre besondere Färbung erhält: Die Adressaten des Gleichnisses wagen nicht, Hand an Jesus zu legen (Mk 12,12a.b). Aber dadurch, dass sie ihn »lassen und davongehen« (Mk 12,12c), gewinnen sie die Distanz, aus der sie in 12,13 »einige der Pharisäer und Herodianer« zu ihm schicken. Ohne diese vermittelnde Notiz 12,12c ist der Einsatz von 12,13 weniger gut vorbereitet. Die Fassung des Mehrheitstextes ______________________________ 25 και αϕεντες αυτον απηλθον: om W ¦ add it M . § 14: Die Kanonische Redaktion der Evangelien 349 bietet einen deutlich glatteren Perikopenübergang als der kurze Text in W: Es handelt sich um eine intentionale Verbesserung des vorkanonischen *Mk durch die Kanonische Redaktion. Zuletzt sei Mk 14,65 erwähnt; dieses Beispiel ist von Gewicht und in mehrfacher Hinsicht methodisch aufschlussreich. Vom Mehrheitstext weichen D it sy usw. auf charakteristische Weise ab. *24,63f *Mk 14,65 D a d sy s bo ms (Θ 565 700) Mk 14,65 M Mt 26,67f ἐνέπαιζον δέροντες καὶ ἤρξαντὸ τινες ἐμπτύειν καὶ ἤρξαντὸ τινες ἐμπτύειν αὐτῷ τότε ἐνέπτυσαν καὶ περικαλύπτειν αὐτοῦ τῷ προσώπῷ αὐτοῦ τὸ πρόσωπον εἰς τὸ πρὸσωπον αὐτοῦ καὶ τύπτοντες καὶ κολαϕίζειν αὐτὸν καὶ κολαϕίζειν αὐτὸν καὶ ἐκολάϕισαν αὐτόν, οἱ δὲ ἐράπισαν καὶ λέγοντες, καὶ λέγειν αὐτῷ· καὶ λέγειν αὐτῷ· λέγοντες προϕήτευσον, προϕήτευσον (ἡμῖν), προϕήτευσον, προϕήτευσον ἡμῖν, τίς ἐστιν ὁ παίσας σε; Χριστέ, τίς ἐστιν ὁ παίσας σε; καὶ οἱ ὑπερέται ῥαπίσμασιν αὐτὸν ἐλάμβανον ῥαπίσμασιν αὐτὸν ἔλαβον Aufschlussreich ist die zweite Zeile im Mehrheitstext mit dem Hinweis auf das Verhüllen des Gesichts (κ α ὶ π ε ρ ι κ α λ ύ π τ ε ι ν αὐτοῦ τὸ πρόσωπον). Der Apparat von NA 27 erklärt dies durch das Sigel p) als einen sekundären Einfluss aus der mt Parallele. Aber eine negative Konformation ist mehr als unwahrscheinlich. Die Entstehung der einzelnen Fassungen lässt sich auf andere Weise besser verstehen: Der älteste Text von *Mk 14,65 liegt in D it usw. vor; er sprach davon, dass sie »in sein Gesicht spuckten und ihn schlugen«. Die Aufforderung zur Prophezeiung ist ohne Objekt: Jesus soll seine prophetische Gabe unter Beweis stellen - wodurch und wie, wird nicht gesagt. Wohl schon der vorkanonische *Mt-Text hat diese Aufforderung zum Prophezeien konkreter verstanden: Jesus soll sagen, wer ihn schlug. Dies setzt voraus, dass die Knechte Jesus in einer Weise hänselten (παίζειν), die ihm nicht zu sehen erlaubte, von wem er geschlagen wurde, also etwa von hinten. Der kanonische Mk-Text enthält zwar diese konkrete Aufforderung (προϕήτευσον … τίς ἐστιν ὁ παίσας σε; ) nicht. Aber der kanonische Bearbeiter hat den entsprechenden Sinn (der ja schon in *Ev enthalten war: s. die Rekonstruktion zu *22,64! ) auf andere Weise eingearbeitet: Er lässt die Peiniger das Gesicht Jesu verhüllen, sodass er nicht sehen konnte, wer ihn schlug. Auch, wenn die Aufforderung zum Prophezeien ohne direktes Objekt bleibt, ist der Sinn zu ahnen: Wenn Jesus mit verhülltem Kopf geschlagen wird, kann die Aufforderung zum Prophezeien im selben Sinn verstanden werden, den auch *Ev, Mt und Lk substituieren - Jesus soll sagen, wer ihn geschlagen hat. *Mk hat also die Wendung τίς ἐστιν ὁ παίσας σε (*22,64 || Mt 26,68 || Lk 22,64) gestrichen und die Aufforderung zum Prophezeien grundsätzlicher verstanden. Durch diese Streichung hat 350 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch das vorkanonische *Mk, wie schon gezeigt, ein für die Zwei-Quellentheorie fatales (mt-lk) »Minor Agreement« produziert. 26 Durch die Einfügung von καὶ περικαλύπτειν αὐτοῦ τὸ πρόσωπον Mk 14,65 ( M ) hat die Kanonische Redaktion einen Aspekt der ursprünglichen Semantik wenigstens teilweise wiederhergestellt, den der vorkanonische *Mk beseitigt hatte. Diese kleine und willkürliche Auswahl von Beispielen steht für eine (vorerst) nicht genau bestimmbare Zahl von Varianten des kanonischen Mk-Textes, deren Entstehung am ehesten verständlich wird, wenn man sie einer durchgehenden Redaktion zuschreibt. Dies trifft mit Sicherheit nicht für alle Lesarten des kanonischen Mk zu, aber wohl doch für einen ganz erheblichen Teil. Diese Erklärung besagt, dass es auch in der Überlieferung des Mk-Textes zu Interferenzen zwischen der vorkanonischen (*Mk) und der kanonischen Fassung (Mk) gekommen ist. Dass diese Varianten auch für Mk vor allem in D it sy auftauchen, macht das Phänomen unmittelbar mit dem Verhältnis zwischen *Ev und Lk vergleichbar: Nicht nur der Inhalt, sondern auch die charakteristische Verteilung der Varianten mit dem Schwerpunkt in der altlateinischen und altsyrischen Überlieferung legt daher nahe, dass *Mk in einer Weise redigiert wurde, die unmittelbar mit der lk Redaktion von *Ev vergleichbar ist. Man kann daher vermuten, dass auch *Mk bereits in Versionen existierte, bevor die Kanonische Ausgabe erstellt wurde. 3. Die Kanonische Redaktion von *Mt a. Die Datierung der Auferstehungsweissagungen Für den Nachweis, dass auch das kanonische Mt das Resultat der vereinheitlichenden Redaktion einer vorkanonischen Fassung (*Mt) ist, gibt es ein herausragendes Beispiel, nämlich die Datierung der Auferstehung in den drei synoptischen Leidens- und Auferstehungsankündigungen. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die vorkanonische Formulierung der ersten Ankündigung *9,22 in *Ev: Dort bezeugen Tertullian, Epiphanius und Adamantius übereinstimmend, dass Jesus nach drei Tagen bzw. nach dem dritten Tag auferstehen werde. Gegen den Mehrheitstext von Lk 9,22, der hier das vertraute τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ liest, bieten auch D a b c d e ſſ 2 l q r 1 die für *Ev bezeugte Lesart: Diese Koinzidenz zwischen der direkten Bezeugung und den Varianten der Handschriftenüberlieferung ist ja in methodischer Hinsicht das wesentliche Kriterium für die Annahme einer Interferenz zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Überlieferung, durch welche die These zweier distinkter Ausgaben der jeweiligen Texte begründet und die vorkanonische Lesart jeweils identifizierbar wird. Die besondere Semantik der Formulierung in *Ev »nach drei Tagen« wird vor dem Hintergrund des auf Dan zurückgehenden »Wochenschemas« ______________________________ 26 S. o. S. 258 sowie die Rekonstr. zu *22,64. § 14: Die Kanonische Redaktion der Evangelien 351 verständlich (s. dazu die Rekonstruktion zu *9,22), steht allerdings in erheblicher Spannung mit der tatsächlich erzählten Ereignisfolge. Denn zwischen dem Tod Jesu am Freitagnachmittag (*23,44 || Mk 15,33 || Mt 27,45 || Lk 23,4) und der Auffindung des leeren Grabes am Ostersonntag in der Frühe (*24,1 || Mk 16,2 || Lk 24,1 || Joh 20,1) liegen gerade mal 39 Stunden: »Nach drei Tagen« ist das nicht. Entgegen verschiedenen Versuchen, diese Spannung auszugleichen oder für irrelevant zu erklären, 27 ist daran festzuhalten, dass erstens nach drei Tagen bzw. nach dem dritten Tag auf der einen Seite und am dritten Tag unterschiedliche Zeiträume bezeichnen und dass zweitens die in den Evangelien erzählte Geschehensfolge nur zu der Datierung am dritten Tag passt, nicht aber zu der Formulierung nach drei Tagen in *Ev und Mk. Die kanonische Formulierung τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ Lk 9,22 ist daher der Versuch, die erzählte und die besprochene Zeit aneinander anzugleichen: Diese gezielte Korrektur belegt, als wie beunruhigend die lk Redaktion diese Spannung empfand. Genau dieses Phänomen lässt sich auch für die mk und mt Leidens- und Auferstehungsankündigungen zeigen. Die Disparatheit der handschriftlichen Überlieferung ist in verschiedener Ausprägung erkennbar. Dieses Phänomen ist von großer methodischer Bedeutung: Es zeigt das Interesse an einer einheitlichen Formulierung, die nicht zu deutlich in Spannung zu der erzählten Zeit stehen soll. Für die einzelnen Belege der Leidens- und Auferstehungsankündigungen sieht die Bezeugung folgendermaßen aus: *Mk/ Mk: (*)Mk 8,31 καὶ μετὰ τρεῖς ἡμέρας ἀναστῆναι: M (keine Varianten bezeugt) *Mk 9,31 μετὰ τρεῖς ἡμέρας ἀναστήσεται: א B C* D L Δ Ψ 579 892 2427 pc b c d i k l r 1 (a ſſ 2 q) sy hmg co Mk 9,31 τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ ἀναστήσεται: A C 3 W Θ f 1.13 aur f l vg sy M *Mk 10,34 καὶ μετὰ τρεῖς ἡμέρας ἀναστήσεται: א B C D L Δ Ψ 579 892 pc b d ſſ 2 i k r 1 (a c q) sy hmg co Mk 10,34 τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ ἀναστήσεται: A* W Θ f 1.13 aur f l vg sy Orig M *Mt/ Mt: *Mt 16,21 μετὰ τρεῖς ἡμέρας ἀναστῆναι: D al d bo (post tertium diem: a b c e ſſ 2 r 1 ) Mt 16,21 καὶ τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ ἐγερθῆναι: f ſſ 1 g 1 l q M *Mt 17,23 μετὰ τρεῖς ἡμέρας ἐγερθήσεται: D a b c d e n q sy s bo Mt 17,23 τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ ἐγερθήσεται: M ; ~ ἀναστήσεται: B 047 f 13 892 1424 al aur f ſſ 1 ſſ 2 g 1 l Mt 20,19 τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ ἀναστήσεται: B C 2 D W Θ 085 f 1.13 33 M ; ~ ἐγερθήσεται: א C* L N Z 579 892 pc Orig (keine Varianten bezeugt) ______________________________ 27 Vgl. K. L EHMANN , Auferweckt am dritten Tag nach der Schrift, Freiburg/ Brsg. 3 2004, 113; H. K. M C A RTHUR , »On the Third Day«, NTS 18 (1971/ 72), 81-86: 85 (»the tension between these two formulations which modern scholars find puzzling would not have troubled first-century Jewish exegetes«). 352 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch *Ev/ Lk: *9,22 μετὰ τρεῖς ἡμέρας ἀναστῆναι: Adam (Tert) (Epiph); D a b c d e ſſ 2 l q r 1 Lk 9,22 τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ ἐγερθῆναι: it M ; ~ ἀναστῆναι: A C K f 13 565 pm u. a. Lk 18,33 τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ ἀναστήσεται: it M (Lk 24,7 τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ ἀναστῆναι: it M ) Die Deutung des nur auf den ersten Blick unübersichtlichen Befundes ist erstaunlich konsistent und überlieferungsgeschichtlich folgendermaßen aufzuschlüsseln: 1. Der Beginn der Überlieferung liegt in *Ev, das nur eine Leidensweissagung mit der Datierung der Auferstehung Jesu enthielt: In *9,22 erklärt Jesus den Jüngern, dass der Menschensohn nach drei Tagen auferstehen werde. Diese Formulierung der Datierung ist eine sprachliche Vereinfachung der dreieinhalb Tage aus dem auf Dan 7,25; 12,7 zurückgehenden Wochenschema, wie sie sich auch sonst in der Rezeptionsgeschichte findet - und zwar unabhängig von der Datierung der Auferstehung Jesu. 28 2. Die früheste Rezeption von *9,22 liegt im vorkanonischen *Mk vor: *Mk 8,31 hat aus *Ev μετὰ τρεῖς ἡμέρας unverändert übernommen. *Mk hat auch die zweite Leidensweissagung aus *9,44 rezipiert, die in *Ev zwar ebenfalls eine Ankündigung der Auferstehung enthielt, allerdings ohne eine Datierung. *Mk hat diese zweite Ankündigung der Auferstehung sprachlich an die erste angeglichen; auch hier wird die Auferstehung Jesu - analog zu *9,22 bzw. zu *Mk 8,31 - nach drei Tagen bzw. nach dem dritten Tag verheißen. Diese Formulierung des vorkanonischen *Mk hat sich noch in einigen Handschriften erhalten, zu denen nicht nur die für Interferenzen anfällige Gruppe D it (sy) gehört, sondern auch der Sinaiticus, der Vaticanus und andere. Über seine Hauptquelle *Ev hinaus hat *Mk die dritte Leidens- und Auferstehungsverheißung neu geschaffen (*Mk 10,34) und auch hier die vertraute Formulierung nach drei Tagen gesetzt, wie wiederum eine eindrucksvolle Liste von Zeugen belegt. 3. Das vorkanonische *Mt hat diese Formulierungen aus dem vorkanonischen *Mk rezipiert. Für zwei der aus Mk stammenden Leidensankündigungen, die eine Datierung der Auferstehung enthalten, ist dies noch ohne weiteres nachvollziehbar: In *Mt 16,21; 17,23 lesen D it sy u. a. die aus *Ev und aus *Mk vertraute Formulierung nach drei Tagen. Das textkritische Phänomen ist für diese Beispiele analog zu *Mk 9,31; 10,34. Auch hier gehören wieder D it sy zu den Zeugen für diese Lesart, auch wenn andere Handschriften hinzutreten. 4. Die Angleichung der besprochenen an die erzählte Zeit - und das heißt: die Vermeidung einer Ankündigung der Auferstehung nach drei Tagen, die durch die Erzählung nicht gedeckt ist - ist ein Kennzeichen der Kanonischen Redaktion. Sie ist zunächst für die lk Bearbeitung von *Ev aufgefallen und zeigt sich in der kanonischen Formulierung von Lk 9,22: Anstelle des μετὰ τρεῖς ἡμέρας in *Ev setzt Lk τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ. Es überrascht nicht, dass diese Formulierung auch in Lk 18,33 auftaucht: Lk 18,31-34 hat kein Gegenstück in *Ev, Lk hat diese Passage in Anlehnung an Mk 10,32-34 || Mt 20,29-34 redaktionell neu gebildet. Es ist daher wenig verwunderlich, dass es ______________________________ 28 Vgl. Lactantius, Div. inst. VII 14,3 (B RANDT 638: p o s t d i e m t e r t i u m reviviscet); Lat. Tiburtina (S ACKUR 186: p o s t t r e s d i e s a Domino suscitabuntur); Adso, Antichr. (PL 101, 1297a: p o s t t r e s d i e s a Domino suscitabuntur. Zum Ganzen vgl. K. B ERGER , Die Auferstehung des Propheten und die Erhöhung des Menschensohns, Göttingen 1976, 107ff; s. außerdem die Rekonstr. zu *9,22. § 14: Die Kanonische Redaktion der Evangelien 353 zu dieser Formulierung keine Varianten in der handschriftlichen Überlieferung gibt. Denn wenn diese charakteristischen Abweichungen als Interferenzen zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Überlieferung verstanden werden, dann kann es eine solche Interferenz an dieser Stelle nicht geben, weil Lk 18,33 keine vorkanonische Entsprechung hat. 5. Dies ist jedoch bei den synoptischen Parallelen in Mk und Mt durchaus der Fall. Und es entspricht dem Gesamtbild, dass die Formulierung nach drei Tagen durch am dritten Tag ersetzt wurde (Mk 9,31; 10,34; Mt 16,21; 17,23). Die Einheitlichkeit dieser Korrekturen ist von methodischer Bedeutung. Denn das Ziel der Angleichung der besprochenen an die erzählte Zeit wäre ja beispielsweise auch durch andere Formulierungen zu erreichen gewesen, etwa nach zwei Tagen oder am ersten Tag der Woche. Die Einheitlichkeit, mit der die Korrekturen durchgeführt wurden, ist daher ein Hinweis auf ein und dieselbe Bearbeitung: Die Kanonische Redaktion. 6. Nur in drei Fällen fehlen handschriftliche Varianten, die als Kennzeichen der Interferenz von vorkanonischer und kanonischer Überlieferung zu verstehen sind. Diese Fälle sind unterschiedlich zu beurteilen. Unproblematisch ist die einheitliche Überlieferung von Mt 20,19 τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ. Das Fehlen von Lesarten liegt mit großer Wahrscheinlichkeit an der Kontingenz, die für das Zustandekommen der Interferenzen ohnehin methodisch zu postulieren ist: Denn die Spuren der vorkanonischen Texte haben sich ja nur zufällig in den Handschriften der kanonischen Evangelien erhalten. Dass es zu Mt 20,19 keine Spur der zu postulierenden vorkanonischen Formulierung gibt, passt also vollständig in das Gesamtbild: Alle erhaltenen Handschriften zeigen den Text der Kanonischen Ausgabe. Dies ist bei der einheitlichen Überlieferung von Mk 8,31 μετὰ τρεῖς ἡμέρας anders: Hätte die Kanonische Redaktion das vorkanonische *Mk auch an dieser Stelle korrigiert, müsste man erkennbare Spuren in den Handschriften postulieren. In diesem Fall ist das Fehlen solcher Spuren daher auf die Nachlässigkeit der kanonischen Bearbeitung zurückzuführen. Analoges gilt dann wohl auch für den Bericht über die Forderung nach Bewachung des Grabes bei Mt: Die Hohenpriester und Pharisäer erinnern sich, dass Jesus gesagt habe, er werde μετὰ τρεῖς ἡμέρας auferweckt werden (Mt 27,63). Unter der Voraussetzung, dass ein textinterner Verweis kohärent sein sollte, weil er von den Lesern überprüft werden kann, wäre hier τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ zu erwarten. Dieser Mangel an narrativer Kohärenz ist am ehesten als Nachlässigkeit der Kanonischen Redaktion zu verstehen: Sie hat diesen Beleg entweder für irrelevant gehalten, weil er nur im Mund der Hohenpriester begegnet, oder, wahrscheinlicher, ihn schlicht übersehen. Ein letzter Hinweis bezieht sich auf den Erinnerungsbefehl der Engel im leeren Grab mit dem Verweis auf die Ankündigung von Leiden und Auferstehung τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ (Lk 24,7). Angesichts der Einheitlichkeit, mit der sich diese Formulierung als redaktionelle Bearbeitung erwiesen hat, erscheint es ausgeschlossen, dass sie bereits im vorkanonischen *Ev enthalten war, obwohl Tertullian sie dort gelesen hat. 29 Tertullians *Ev-Exemplar zeigt hier die Spuren der Kontaminierung durch die kanonische Überlieferung: Wie Epiphanius’ Bezeugung zeigt, hat die gesamte Auferstehungsweissagung in *24,7 gefehlt. Das Beispiel der Datierung der Auferstehung in den sog. Leidensankündigungen zeigt zunächst auch für die Textüberlieferung von Mt die Disparitäten, die sich als ______________________________ 29 Tert. 4,43,5: Nam eadem et angeli ad mulieres: Rememoramini quae locutus sit vobis in Galilaea, dicens quod oportet tradi filium hominis et crucifigi et t e r t i a d i e resurgere. 354 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch charakteristische Kennzeichen der Interferenz von vorkanonischer und kanonischer Überlieferung erwiesen haben, die daher als Beleg für die Existenz von *Mt dienen und dessen Bearbeitung durch die Kanonische Redaktion wahrscheinlich machen. Dieser letzte Gesichtspunkt ergibt sich aus der Einheitlichkeit, mit der die entsprechenden Korrekturen an der Auferstehungsdatierung in den vorkanonischen Texten (*Ev; *Mk; *Mt) vorgenommen wurde. b. Weitere Beispiele für die Kanonische Redaktion von *Mt Die Kanonische Redaktion von *Mt hat mit Sicherheit noch weitere Korrekturen vorgenommen. Im Folgenden sind einige wenige Beispiele genannt, an denen eine solche Bearbeitung wahrscheinlich ist. *Mt 5,19f: In der Belehrung über Gesetz und Propheten wird die Mahnung, auch die geringsten Gebote zu halten, in Mt 5,19 einmal negativ und einmal positiv begründet: Wer eines der geringsten Gebote auflöst und die Menschen entsprechend lehrt, wird in der Basileia der Geringste genannt werden, wer sie aber hält und entsprechend lehrt, wird groß genannt werden. Die positive Begründung Mt 5,19b fehlt in א * D W d bo ms . Der Kontext Mt 5,17-20 zielt auf das Problem der Auflösung des Gesetzes, sodass die positive Begründung hier überflüssig erscheint. Sie wird daher eine sekundäre Ergänzung sein, die möglicherweise durch die Kanonische Redaktion eingetragen ist. Wichtiger ist, dass Mt 5,20 in D d komplett fehlt. Die Forderung, dass die Gerechtigkeit der Jünger größer sein müsse als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, liegt aufgrund des unmittelbaren Kontextes nicht eben nahe: Da geht es ja nur darum, die Unauflöslichkeit von Gesetz und Propheten festzustellen. Aber im Zusammenhang mit den folgenden Antithesen gewinnt 5,20 eine entscheidende Funktion. Denn der Hinweis auf die Schriftgelehrten und Pharisäer liefert eine Lesehilfe, die erklärt, wer mit »den Alten« (τοῖς ἀρχαίοις, 5,21) gemeint ist. Erst auf diese Weise wird das zentrale hermeneutische Problem dieser Passage lösbar: Einerseits hat das Gesetz (und zwar einschließlich der »geringsten Gebote«) ewigen Bestand, andererseits wird aber die Lehre Jesu dem »zu den Alten Gesagten« entgegen gesetzt. Die Kritik an der Gerechtigkeit der Schriftgelehrten und Pharisäer Mt 5,20 macht deutlich, dass diese mit den »Alten« gemeint sind, nicht aber die Väter Israels. Erst durch 5,20 wird deutlich, dass die Antithesen als Kritik an den Pharisäern zu verstehen ist, deren religiöse Praxis hinter der Forderung des Gesetzes zurückbleibt. Es ist sehr viel leichter vorstellbar, dass dieser hermeneutisch wichtige Hinweis sekundär zu dem *mt Kontext hinzugefügt wurde, als dass er sekundär gestrichen wurde. 30 *Mt 5,30: Im Zusammenhang der Warnung vor Verführung gibt Mt 5,29f zwei Beispiele über den Umgang mit Gliedern, die zum Bösen verführen: Es ist besser, auf das rechte Auge (5,29) und auf die rechte Hand (5,30) zu verzichten, als dass der ganze Leib in die Hölle geworfen wird. 5,30 fehlt in D pc d vg ms sy s bo ms . Im Kontext 5,27-30 ist das Beispiel des Auges (5,29) sinnvoll, weil derjenige die Ehe »im Herzen« bricht, der eine Frau πρὸς τὸ ἐπιθυμῆσαι ansieht (5,28): Es geht gerade nicht um die Tatsünde mit der »Hand«, sondern um die Absicht, die sich im begehrlichen ______________________________ 30 Die zweite Erwähnung der »Alten« in den Antithesen (Mt 5,33) fehlt in k sy s Iren (lat) . Vor dem Hintergrund der Bezeugung von Mt 5,20 ist es gut denkbar, dass die ἀρχαῖοι in 5,21.33 von derselben Hand eingefügt wurden wie in 5,20; aber das ist völlig ungewiss. § 14: Die Kanonische Redaktion der Evangelien 355 »Hinterher-Schielen« erweist. Allerdings stehen beide Logien (in umgekehrter Reihenfolge) in der sog. »Gemeinderede« nebeneinander (Mt 18,8f). Sie haben außerdem eine Parallele in Mk 9,43 (Hand) und 9,47 (Auge). Man versteht Mt 5,30 daher am besten als sekundäre Ergänzung in Kenntnis der Aussagen in Mk 9 und Mt 18. Die dadurch erreichte Kohärenz der Lehre Jesu geht allerdings zu Lasten der Logik der zweiten Antithese. Die Schwierigkeiten für die Auslegung resultieren daraus, dass die »Hand« eben kein »Instrument« für den Ehebruch ἐν τῇ καρδίᾳ (5,28) ist. 31 *Mt 5,32 und 19,9: Die dritte Antithese von der Ehescheidung, die ja in Mt 19,9 eine Entsprechung besitzt, ist uneinheitlich überliefert. Die Formulierung der Protasis als partizipialer Relativsatz πᾶς ὁ ἀπολύων (5,32a) entspricht zwar Lk 16,18, nicht aber der mk Parallele (Mk 10,11), die hier einen konditionalen Relativsatz bietet, wie er auch in *Ev zu finden ist (ὃς ἂν ἀπολύσῃ Mk 10,11 || *16,18; s. dort). Überlieferungsgeschichtlich ist die konditionale Formulierung also älter als die partizipiale, und es verwundert kaum, dass sie sich auch noch Mt 5,32 in einigen Handschriften erhalten hat. Zu denen gehören einmal mehr die »üblichen Verdächtigen« (D it sy s.c ), daneben auch 0250 579 pm sa ms bo. Die Dublette in Mt 19,9 hat die Protasis, genau wie in *Ev, Mk und in *Mt 5,32a, als konditionalen Relativsatz formuliert (ὃς ἂν ἀπολύσῃ τὴν γυναῖκα αὐτοῦ). An dieser Stelle hat die vereinheitlichende Redaktion also nicht eingegriffen. Die sog. »Unzuchtsklausel«, die auch 5,32 enthalten ist, ist allerdings uneinheitlich überliefert: Während die Mehrheit der Handschriften μὴ ἐπὶ πορνείᾳ bietet, lesen D f 13 33 pc it sy s (B f 1 ſſ 1 bo) wie in 5,32: παρεκτὸς λόγου πορνείας. Es läge nahe, diese Formulierung als sekundäre Angleichung an Mt 5,32 im Verlauf der nachkanonischen Handschriftenüberlieferung zu verstehen, wäre diese Lesart nicht wieder durch D it sy (u. a.) bezeugt, die sonst so häufig Spuren des vorkanonischen Textes bewahrt haben: Der vorkanonische *Mt hat daher mit großer Wahrscheinlichkeit in 5,32 und 19,9 dieselbe Formulierung der »Unzuchtklausel« verwendet. Die Formulierung von 19,9 im Mehrheitstext geht daher wohl auf die kanonische Redaktion zurück. *Mt 6,13: Am Ende des Vater-Unser bietet die überwältigende Mehrheit der Handschriften in Mt 6,13 eine Doxologie. 32 Sie fehlt nur in wenigen Zeugen. 33 Selbst, wenn eine sekundäre Anpassung an liturgischen Brauch auch auf späterer Überlieferungsebene denkbar ist und sich in diesem Fall sogar vorstellen lässt, dass Kopisten die Doxologie eigenmächtig eingefügt haben könnten, sprechen zwei Beobachtungen dafür, dass die Doxologie (bereits) auf der Ebene der Kanonischen Redaktion an das Vater-Unser angehängt wurde: Zum einen deutet das Fehlen in D it auf die Ursprünglichkeit dieser Fassung hin, zum anderen passt der gezielte Rückgriff der Doxologie auf 1Chr 29,11-13 sehr gut zum literarischen Konzept der Kanonischen Ausgabe. *Mt 9,34: In der Erzählung von der Heilung des Stummen Mt 9,32-34 fehlt der abschließende V. 34 in einigen Zeugen. 34 Da es sich um eine Dublette aus der Beelzebulkontroverse handelt (*11,15 ______________________________ 31 Vgl. L UZ , Mt I 266f mit dem Hinweis auf Nid II 1; bNid 13b (Amputation der Hand als gerichtliche Strafe für Ehebruch) - aber um den vollendeten Ehebruch geht es ja gerade nicht. 32 Eine »trinitarische« Variante (»dein ist die Herrschaft des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes in alle Ewigkeit«: 1253 pc) setzt erkennbar spätere Entwicklungen voraus und ist gegenüber dem kanonischen Mt-Text sicher sekundär. 33 א B D Z 0170 f 1 ℓ 2211 pc a aur b c d ſſ 1 h l mae bo pt Orig. 34 Mt 9,34: vs. om D a d k sy s Hilar. 356 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch || Mt 12,24 || Mk 3,22), liegt eine sekundäre Ergänzung zur Erhöhung der Kohärenz nahe. Dass diese Ergänzung auf der Ebene der Kanonischen Redaktion erfolgte, ist mit Blick auf die charakteristischen Zeugen der kurzen Lesart wahrscheinlich (D it sy). *Mt 11,13: Im Urteil Jesu über den Täufer Mt 11,7-19 ist 11,13 πάντες γὰρ οἱ προϕῆται καὶ ὁ νόμος ἕως Ἰωάννου ἐπροϕήτευσαν in wenigen Zeugen nur verkürzt enthalten. 35 Diese Lesart ist aus überlieferungsgeschichtlichen Gründen aufschlussreich. Denn dieses Logion findet sich bereits in *Ev (*16,16a: ὁ νόμος καὶ οἱ προϕῆται ἕως ᾿Ιωάννου ἐπροϕήτευσαν), nicht aber in Mk. Der Kontext in *Ev handelt von der Geltung des Gesetzes und nennt die Propheten lediglich als Teil des traditionellen Syntagmas (s. die Rekonstr. z. St.). Mt hat dieses Logion aus *Ev in einen neuen Kontext eingefügt und an das Urteil Jesu über den Täufer angehängt (Mt 11,7-19 || *7,24-28). In diesem Kontext liegt der Ton vollständig auf der prophetischen Sendung des Johannes, wie der Vergleich mit anderen Propheten deutlich macht: λέγω ὑμῖν, καὶ περισσότερον π ρ ο ϕ ή τ ο υ (11,9b). Es ist daher gut vorstellbar, dass *Mt 11,13 das *Ev-Logion über die prophetische Verkündigung von Gesetz und Propheten bis zu Johannes bearbeitet und durch Auslassung des dafür verzichtbaren Stichwortes »Gesetz« auf den Täufer als Propheten hin zugespitzt hat. Erst die Kanonische Redaktion hat dann unter dem Einfluss von *16,16 (und in Entsprechung zu Lk 16,16) die Wendung καὶ ὁ νόμος ergänzt. *Mt 19,20: In der Perikope vom »reichen Jüngling«, die nur in der mt Fassung (Mt 19,16-22) zu Recht so bezeichnet wird, ist die Reaktion auf die Aufzählung der Dekaloggebote unterschiedlich bezeugt. Die übergroße Mehrheit der Handschriften lässt den Jüngling antworten: πάντα ταῦτα ἐϕύλαξα ἐ κ ν ε ό τ η τ ό ς μ ο υ . Die letzten drei Worte, die sich auch in der Parallele Mk 10,20 finden, fehlen allerdings in wenigen Handschriften. 36 Tatsächlich ist der Mehrheitstext von Mt 19,20 hier problematisch. Denn wie überzeugend ist es, wenn ein νεανίσκος behauptet, er habe alle Gebote ἐκ νεότητος gehalten? Für die mk Fassung passt dieser Zusatz, denn hier ist der Frager ein Mann (Mk 10,17: εἷς), 37 von dem lediglich gesagt wird, dass er reich war (Mk 10,22: ἦν γὰρ ἔχων κτήματα πολλά). Aber indem Mt 19,20 den Mann zum Jüngling macht, ist der Hinweis auf das Halten der Gebote von Jugend auf wenig sinnvoll und sehr wahrscheinlich erst ein sekundärer Nachtrag. Der Umstand, dass dieser Nachtrag in der übergroßen Mehrheit der Handschriften auftaucht, zeigt nicht nur das Interesse, zwischen den verschiedenen Fassungen einen kohärenten Ausgleich herzustellen, sondern legt auch nahe, dass dieser Ausgleich durch die Kanonische Redaktion vorgenommen wurde. Darüber hinaus könnte man auch überlegen, ob *Mt zur Qualifizierung des Reichen als νεανίσκος (*Mt 19,20) durch den Hinweis auf die νεότης (*Mk 10,20) angeregt war - ihn dann allerdings nicht sachgerecht umgesetzt hätte. Dies ist freilich reine Spekulation. *Mt 21,44: Am Ende des Gleichnisses von den bösen Weingärtnern (Mt 21,33-46) fehlt V. 44 in etlichen Zeugen. 38 Da das Gleichnis in *Ev mit Sicherheit gefehlt hat, helfen auch hier wieder überlieferungsgeschichtliche Einsichten weiter bei der Frage nach der Kanonischen Redaktion von *Mt. Denn die vor-mt Fassung des Gleichnisses in (*)Mk 12,1-12 enthält keine Entsprechung zu ______________________________ 35 Mt 11,13 και ο νομος: om sy s bo ms . 36 Mt 19,20 εκ νεοτητος μου: om א 2 C D W f 13 aur d ſſ 1 g 1 l vg cl sy co M Cyr. 37 Bzw. in der Lesart von A K W Θ f 13 28 565 700 2542 al: τις πλούσιος. Dies ist möglicherweise der vorkanonische *Mk-Text. 38 Mt 21,44: vs. om D 33 b d e ſſ 1 ſſ 2 r 1 sy s Orig Eus syr . § 14: Die Kanonische Redaktion der Evangelien 357 diesem Drohwort. Dagegen liegt bereits mit *Mt 21,43 eine Gerichtsdrohung als Abschluss vor. Lk, der i. W. der mk Fassung folgt, schließt an das Wort über den Eckstein, den die Bauleute verworfen haben (Ps 118,22 || Lk 20,17 || Mk 12,10) direkt die Gerichtsdrohung Lk 20,19 an, die Mt 21,44 sachlich (aber nicht in der genauen Formulierung) entspricht. Die überlieferungsgeschichtliche Situation ist ziemlich klar: Mk 12,1-12 enthielt keine direkte Drohung gegen die Adressaten. Mit dem Wort, dass die Herrschaft »von euch« genommen und einem Volk gegeben wird, das seine Frucht bringt, hat *Mt 21,43 zum ersten Mal eine direkte Drohung gegenüber den Adressaten des Gleichnisses in den aus *Mk stammenden Zusammenhang eingefügt. Lk 20,18 hat das Drohpotential dieses Logions als Gerichtsdrohung entfaltet: Wer auf diesen Stein fällt, wird zerschellen, auf wen er stürzt, der wird zermalmt werden. Mt 21,44 hat diese Drohung aufgenommen und damit eine erkennbare Spannung zu *21,43 geschaffen. Aufgrund der sehr breiten Bezeugung liegt nahe, dass diese Einfügung von derselben Hand stammt, die auch Lk 20,18 verfasst hat. *Mt 27,49: Geht man für die Identifizierung von Elementen der vorkanonischen Texte in der kanonischen Handschriftenüberlieferung von den klassischen »Western Non-Interpolations« aus, dann spielt die Überlieferung von Mt 27,49 für die Rekonstruktion der Gestalt des vorkanonischen *Mt eine besondere Rolle. Nach dem Psalmwort Jesu (27,46), das die Umstehenden als Ruf nach Elia verstehen, wird von diesen eine doppelte Reaktion berichtet: »Einer von ihnen« 39 holt einen mit Essig (oder billigem Wein) getränkten Schwamm und gibt Jesus zu trinken. Die anderen dagegen sagen, sie wollten sehen, ob Elia auch komme und ihm helfe (27,49). An dieser Stelle enthalten eine Reihe von Handschriften die Bemerkung: ἄλλος δὲ λαβὼν λόγχην ἔνυξεν αὐτοῦ τὴν πλευρὰν, καὶ ἐξῆλθεν ὕδωρ καὶ αἵμα. 40 Zu dieser Lanzenstich-Notiz sind zwei Besonderheiten zu notieren: Zum einen besitzt sie in Joh 19,34 eine enge Parallele, die allerdings geringfügig anders formuliert ist (Unterschiede in der Einleitung sowie in der Abfolge von Blut und Wasser). Zum anderen wird der Lanzenstich in Mt 27,49 vor dem Tod Jesu mitgeteilt, in Joh 19,34 dagegen danach (19,33): Bei Mt führt der Lanzenstich den (plötzlichen) Tod Jesu herbei, bei Joh dient er dazu, den bereits eingetretenen Tod festzustellen. Westcott/ Hort hatten diese Bemerkung ganz analog zu den anderen »Western Non-Interpolations« in eckige Klammern gesetzt und dadurch ihren Zweifel an der Ursprünglichkeit kenntlich gemacht. Im Unterschied zu den anderen »Western Non-Interpolations« sind ihnen die kritischen Ausgaben in diesem Urteil ausnahmsweise gefolgt. Ob zu Recht, ist die Frage. Denn auf der einen Seite ist es zwar denkbar, dass Mt 27,49 ( א B C usw.) eine sekundäre Einfügung mit Ziel der Kohärenzsteigerung zwischen Mt und Joh darstellt. In diesem Fall wäre die Einfügung von Mt 27,49 ( א B C usw.) allerdings ein nur mäßig geglückter Versuch, weil der Redaktor mit der genauen Position der Einfügung sehr großzügig (oder nachlässig) verfahren wäre: Als Kohärenzverweis steht er an der falschen Stelle. Umgekehrt ist es leichter denkbar, dass diese Notiz in *Mt 27,49 ursprünglich ist und dann die theologisch deutlich gewichtigere Bemerkung in Joh 19,34 mit ihren narrativen Erläuterungen (19,35.37) angeregt hätte. Für diesen Fall könnte man vermuten, dass die Kanonische Redaktion bei der Zusammenstellung der vier Evangelien die Inkonsistenz der beiden Bemerkungen (der Lanzenstich einmal als Ursache, das andere Mal als Folge des Todes) registriert hat und sie durch die Streichung von *Mt 27,49 ( א B C usw.) ______________________________ 39 Mt 26,48 εἷς ἐξ αὐτῶν; εξ αυτων: om א . 40 Mt 27,49 αλλος δε λαβων λογχην ενυξεν αυτου την πλευραν, και εξηλθεν υδωρ και αιμα: א B C L U Γ 1010 1293 vg mss sy p aeth mss ¦ om A D E F G H K M S W Δ Θ Σ 090 vg it sy c co armen georg M . 358 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch beseitigen wollte. Für beide Lösungen bleiben Reste, die nicht einfach zu klären sind. Aus diesem Grund wird man zögern, diesem einen Beispiel zu viel Gewicht als Beleg für die Kanonische Redaktion von *Mt aufzubürden. Aber dies ist auch nicht nötig: Auch unabhängig von Mt 27,49 sind die genannten Beispiele aussagekräftig. Auch, wenn sie bei weitem nicht vollständig sind und nicht alle in gleicher Weise zu überzeugen vermögen, genügt ihr kumulatives Gewicht, die Möglichkeit einer Kanonischen Redaktion von *Mt sichtbar werden zu lassen. 4. Joh als Kanonische Redaktion von *Joh Aus verschiedenen Gründen ist der Nachweis der kanonischen Bearbeitung des vorkanonischen *Joh schwieriger als bei *Mk und *Mt: Zum einen enthält die handschriftliche Überlieferung des Joh vergleichsweise mehr signifikante Varianten als die Überlieferung von Mk oder Mt, zum anderen verteilen sich diese Varianten anders auf die Handschriften(-gruppen). Für beides gibt es Gründe, über die später zu reden ist. Diese Gründe werden dann auch erklären, warum die Suche nach der vorkanonischen Gestalt des *Joh besonders spannend ist. Aber zunächst geht es nur wieder darum, die Möglichkeit einer solchen Kanonischen Redaktion des *Joh anhand von Beispielen darzulegen. a. Beispiele für die Kanonische Redaktion (*Joh) Gleich das erste Beispiel aus dem Joh-Prolog stellt ein exegetisches Schwergewicht dar, das die Exegeten seit Langem beschäftigt. Für Joh 1,13 οἳ οὐκ ἐξ αἱμάτων οὐδὲ ἐκ θελήματος σαρκὸς οὐδὲ ἐκ θελήματος ἀνδρὸς ἀλλ’ ἐκ θεοῦ ἐγεννήθησαν sind folgende Varianten zu notieren. Einige Zeugen ( P 75 A B* Δ Θ pc) lesen ἐγενήθησαν anstelle von ἐγεννήθησαν. Diese Lesart ist von geringem Gewicht, weil ihr ein offenkundiges Schreibversehen zugrunde liegt: Der Kontext macht eindeutig klar, dass es um die Zeugung (ἐκ θελήματος ἀνδρός) usw. geht. Auch das Fehlen der zweiten negativen Bestimmung (οὐδὲ ἐκ θελήματος σαρκός) in f 13(pt) bzw. der dritten (οὐδὲ ἐκ θελήματος ἀνδρός) in B* dürfte problemlos durch Homoioarkton (ΟΥΔΕΕΚΘΕΛΗΜΑΤΟΣ …) zu erklären sein. Schwierigkeiten wirft dagegen das Fehlen des einleitenden Relativpronomens (οἵ) in D* auf, weil dadurch der Bezug zum vorangehenden V. 12 unklar ist. Allerdings bietet D* das Verb (wie in den kritischen Ausgaben) in der 3. Pers. Plural (οὐκ ἐξ αἱμάτων … ἐγεννήθησαν). Diese Lesart (ohne Relativum, mit Verb im Plural) ist auch durch den Cod. Vercellensis (a; s. IV/ V) bezeugt: non ex sanguinibus … nati sunt. Das Fehlen des Relativpronomens wäre an sich nicht weiter problematisch. Aber der Cod. Veronensis (b; s. V) liest das Verb im Singular (qui non ex sanguinibus … natus e s t ) und versteht den Satz als christologische Aussage über den Logos, 41 die auf eius/ ______________________________ 41 Obwohl die semantisch auf den λόγος bezogenen pronominalen Aussagen des Joh-Prologs in den Altlateinern einen grammatischen Bezug auf das neutrische verbum erfordern würden, sind sie § 14: Die Kanonische Redaktion der Evangelien 359 αὐτοῦ (V. 12) bezogen ist. Aus diesem Grund sind auch die Varianten in der syrischen Überlieferung zu beachten: sy c.p(6 mss) lesen irritierenderweise das einleitende Relativum im Plural, das Verb aber im Singular (ο ἳ οὐκ ἐξ αἱμάτων … ἐ γ ε ν ν ή θ η ). Die durch den Cod. Veronensis gebotene (christologische) Singularlesart wird auch von Justin, 42 Irenaeus 43 und Tertullian 44 bezeugt, die Plurallesart ist durch Clemens Alex. und Origenes ebenfalls bereits für das ausgehende 2. Jh. belegt. Da die beiden Hauptlesarten (mit dem Verb im Singular und im Plural) gleichermaßen sinnvoll wie theologisch befrachtet sind, wird nicht nur verständlich, dass sich die Wissenschaft schon lange mit diesem Problem beschäftigt hat, 45 sondern auch, dass die textkritische Faustregel der lectio difficilior keine Anhaltspunkte für eine Bestimmung der Veränderungsrichtung zu erkennen gibt: Die Versuche, eine Entscheidung anhand innerer Kriterien herbeizuführen (vor allem aufgrund der literarischen Struktur des Prologs), sind nur bedingt überzeugend. Aufgrund der Bezeugung der Singularlesart durch (D) it a ist sowohl ihre Bevorzugung in den älteren Arbeiten ebenso verständlich wie ihre Bestreitung in den jüngeren: »Seit die Papyrusfunde dieses (sc. des 20.) Jahrhunderts und alle neueren Untersuchungen des Charakters des D-Textes zum endgültigen Zusammenbruch der Westcott/ Hort’schen Theorie der Western Non-Interpolations geführt haben, hat auch das Fehlen des V. 13 einleitenden Relativ-Pronomens in D alles Gewicht verloren.« 46 Genau dieses Argument kann jedoch nach den Beobachtungen zu D (it sy) usw. nicht mehr aufrechterhalten werden: Nicht nur zu *Ev, sondern auch zu *Mk und *Mt hatte sich gezeigt, dass D it (sy) häufig Spuren des vorkanonischen Textes ______________________________ durchgängig im Maskulinum gehalten. Vgl. etwa: 1,3 omnia per i p s u m / i l l u m / e u m facta sunt; 1,5 tenebrae e u m / e a m (lux! ) non comprehendunt; 1,10: mundus per i p s u m / e u m factus est; 1,11: et sui e u m non receperunt; 1,12: quotquot autem receperunt e u m / i l l u m . Das maskuline Relativpronomen (qui) zu Beginn von V. 13 kann daher nicht irritieren. 42 Justin, 1Apol. 32,7-11. Zu den weiteren Anspielungen auf Joh 1,13 vgl. J. W. P RYOR , Of the Virgin Birth or the Birth of Christians? The Text of John 1: 13 Once More, NT 27 (1985), 296-318: 308f. 43 Iren., Haer. 3,16,2: non enim ex voluntate carnis neque ex voluntate viri, sed ex voluntate Dei, verbum caro factum est. - 3,19,2 (man müsse begreifen) quoniam is »qui non ex voluntate carnis neque ex voluntate viri natus est« filius hominis, hic es Christus filius Dei vivi. Vgl. auch 3,21,5.8. 44 Tert., De carne Christi 15,3; 24,2. Besonders aufschlussreich ist 19,1-4: Hier zeigt Tertullian, dass er beide Lesarten kennt und die Plurallesart für eine absichtsvolle Veränderung der Valentinianer hält; er folgert daraus: adeo singulariter, ut de domino, scriptum est: Et ex deo natus est. 45 Zu den frühen Vertretern der Singularlesart gehören: Z AHN , Joh (Exk. II); A. VON H ARNACK , Zur Textkritik und Christologie der Schriften des Johannes, in: ders., Studien zur Geschichte des Neuen Testaments und der Alten Kirche 1, Berlin 1931, 115-127). Weiteres auch in den beiden neueren monographischen Behandlungen, die für die Singularlesart votieren: J. G ALOT , Être né de Dieu, Rom 1969; P. L. H OFRICHTER , Nicht aus Blut, sondern monogen aus Gott geboren, Würzburg 1978. 46 H. T HYEN , Das textkritische Problem von Joh 1,13, in: ders., Studien zum Corpus Iohanneum, Tübingen 2007, 418-424: 418. 360 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch enthalten, die jeweils älter sind als die entsprechenden Lesarten der kanonischen Texte. Auch, wenn dieser Befund und seine Erklärung im Rahmen der *Ev-Priorität keine Repristinierung von Westcott/ Horts Theorie über die »Western Non-Interpolations« darstellt, ist doch zweierlei deutlich: Erstens sind die sog. »Westlichen« Lesarten tatsächlich in der Regel älter als die Lesarten des Mehrheitstextes, und zweitens versagt die üblich gewordene »Textwertbestimmung« bei Zeugen wie P 66 oder P 75 : Das Erklärungsmodell, durch das etwa P 75 seine dominante Stellung für die neutestamentliche Textkritik erhalten hat, hat keinen Bestand. Damit ist die Frage nach der ursprünglichen Lesart von Joh 1,13 noch nicht entschieden. Der Befund der Altsyrer (Plural des einleitenden Relativums, Singular des Verbs) ist am besten zu verstehen als Konflation zweier älterer Lesarten, einmal im Singular, einmal im Plural. Die patristischen Zeugnisse belegen das Nebeneinander beider Lesarten bereits für das 2. Jh. Der Umstand, dass die gesamte griechische Überlieferung Plural liest, spricht allerdings für die Ursprünglichkeit der Singularlesart von D it (sy). Was das hier zugrunde gelegte Modell der Kanonischen Redaktion allerdings über die bisherigen Untersuchungen hinaus leistet, ist die Identifizierung des möglichen Bearbeitungsschrittes, das die varia lectio überhaupt erst produziert hat: Am nächsten liegt dafür die Annahme, dass die Kanonische Redaktion die Plurallesart geschaffen hat. Das gleiche Phänomen einer stark uneinheitlichen Textüberlieferung liegt noch sehr viel öfter vor. Die Kommentare fragen üblicherweise nur nach dem jeweils größeren Alter bestimmter Lesarten: Sie sind daran interessiert, die jeweils älteste Lesart zu identifizieren. Im Rahmen eines textgeschichtlichen Modells, das nicht mit der Existenz einer vorkanonischen Ausgabe rechnet, ist dies konsequent: In diesem Fall ist die älteste Lesart auch die »ursprüngliche«, jede Abweichung davon erscheint zwingend als eine sekundäre Veränderung. Wie das Verhältnis von *Ev zu Lk gezeigt hat, führt die methodische Vorgabe dieses Modells jedoch in die Irre. Denn im Vergleich dieser beiden Texte führt der ältere Text zu dem vorkanonischen *Ev, der jüngere in aller Regel zu Lk, also zu dem kanonisch gewordenen Text des Neuen Testaments. Um das gleiche Phänomen für Joh zu zeigen, genügt der Hinweis auf einige Beispiele. Joh 3,31: Ὁ ἄνωθεν ἐρχόμενος ἐπάνω πάντων ἐστίν· ὁ ὢν ἐκ τῆς γῆς ἐκ τῆς γῆς ἐστιν καὶ ἐκ τῆς γῆς λαλεῖ. ὁ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ ἐρχόμενος ἐ π ά ν ω π ά ν τ ω ν ἐ σ τ ί ν . επανω παντων εστιν: om P 75 א * f 1 565 pc a b d e ſſ 2 j l r 1 sy c sa; Hipp Orig pt Euseb ¦ add aur c f q vg M . Die letzten drei Worte von Joh 3,31c, die in 3,31a wortwörtlich identisch begegnen, fehlen in einer Reihe von Handschriften. Hartwig Thyen bemerkt dazu: »Die Frage, ob die Wendung ἐπάνω πάντων ἐστίν von den Kopisten versehentlich oder absichtlich ausgelassen oder ob sie von anderen nach dem zweiten Vorkommen von ἐρχόμενος mechanisch hinzugefügt worden ist, ist § 14: Die Kanonische Redaktion der Evangelien 361 schwer zu entscheiden.« 47 Die Entscheidung ist in der Tat schwierig, zumal Joh solche Wiederholungen liebt, wie sie die zweimalige Wendung ἐπάνω πάντων ἐστίν jeweils nach ὁ ἄνωθεν ἐρχόμενος bzw. ὁ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ ἐρχόμενος darstellt. 48 Wichtiger als die Entscheidung ist in diesem Fall die Frage, wie diese Lesart zustande gekommen ist. Denn wenn die joh Sprache derartige Wiederholungen bevorzugt, dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: Falls die Wendung ursprünglich war, ist kaum damit zu rechnen, dass sie absichtlich ausgelassen wurde; es müsste sich dann um ein Versehen handeln. Falls die Wendung aber sekundär ist, handelt es sich kaum um eine mechanische, sondern um eine intentionale Ergänzung! Der Text, den die übergroße Mehrheit der Handschriften präsentiert, beruht also nicht auf einem kontingenten Irrtum, sondern auf absichtsvoller Redaktion - das ist sehr wahrscheinlich die Kanonische Redaktion von *Joh, die durch die Wiederholung von ἐπάνω πάντων ἐστίν ein weiteres Beispiel für die breite »joh« Sprache geschaffen hat. Joh 5,3b.4 ist ein klassisches Beispiel für eine sekundäre Ergänzung: Dass die Kranken »die Bewegung des Wassers erwarteten«, 49 erläutert, zusammen mit dem ebenfalls nur teilweise bezeugten V. 4, 50 die Antwort des Gelähmten in V. 7: Dass er niemanden hat, der ihn in den Teich trägt, wenn das Wasser bewegt wird, sondern jedes Mal zu spät kommt, weil schon ein anderer vorher hineingestiegen ist, bleibt ohne den längeren Text in V. 3b.4 völlig unverständlich. Eine sekundäre Streichung der fehlenden Passagen ist daher in höchstem Maß unwahrscheinlich und der sekundäre Charakter kaum fraglich. Es spricht alles dafür, dass die schwer verständliche Kurzfassung im vorkanonischen *Joh ursprünglich ist, die Langfassung dagegen auf die Kanonische Redaktion zurückgeht, die dadurch diese »hochpoetische Passage« 51 geschaffen hat. Joh 6,23: ἄλλα ἦλθεν πλοιάρια ἐκ Τιβεριάδος ἐγγὺς τοῦ τόπου ὅπου ἔϕαγον τὸν ἄρτον ε ὐ χ α ρ ι σ τ ή σ α ν τ ο ς τ ο ῦ κ υ ρ ί ο υ . ευχαριστησαντος του κυριου om D 091 pc a d e sy s.c armen georg I ¦ add aur b c f ſſ 2 j l q r 1 M . Das Fehlen der letzten drei Worte mit dem Gen. abs. εὐχαριστήσαντος τοῦ κυρίου in D it sy ist aufschlussreich. Denn fünf der über 15 joh κύριος- Belege tauchen in der Erzählstimme auf (neben 6,23 vgl. 11,2; 20,20; 21,7.12). 52 Es ist daher sehr gut denkbar, dass das auktoriale κύριος - ganz analog zu den lk Verwendungen - ein Kennzeichen der Kanonischen Redaktion ist. Für diese Überlegung ist die Annahme nicht notwendig, dass alle der fünf genannten Vorkommen bei Joh auf Korrekturen der Kanonischen Redaktion zurückgehen: Für die drei Belege in Joh 20f könnte das auktoriale κύριος aufgrund des Kontextes (Begegnung mit dem Erhöhten) möglicherweise auch ursprünglich sein. Dies ist in Joh 6,23 wegen der entsprechenden Situation in Lk und der charakteristischen Verteilung der Zeugen höchstwahrscheinlich nicht der Fall. In methodischer Hinsicht ist das Urteil der Herausgeber der kritischen Ausgaben für diese Wendung nicht wirklich begründbar, denn deren Interesse richtet sich ja ______________________________ 47 T HYEN , Joh 232 (Hervorhebungen im Original). 48 B ARRETT , Joh 244, sieht in der joh Vorliebe für solche Wiederholungen »das stärkste Argument für die längere Lesart.« 49 Joh 5,3b εκδεχομενων την του υδατος κινησιν: om P 66.75 א A* B C* L T pc q sy c co ¦ add A c C 3 D (W s ) Θ Ψ 078 f 1.13 33 a aur b c d e f ſſ 2 j l r 1 sy p.h bo pt M . 50 Joh 5,4 vs. om P 66.75 א B C* D T W s 33 pc d f l q vg (st) sy c co ¦ add a aur b c e ſſ 2 j r 1 M . 51 T HYEN , Joh 298. 52 Diese Stellen nach dem Text der kritischen Ausgaben. Tatsächlich ist die auktoriale Verwendung von κύριος in Joh breiter bezeugt, vgl. § 5.2, o. S. 100 zu Joh 4,1; 11,2; 20,20(21): Nach der hier vorgeschlagenen Erklärung ist die κύριος-Variante jeweils Teil des kanonischen Joh-Textes. 362 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch jeweils auf den älteren Text. Aber auch die von Metzger erwähnte Alternative, die fraglichen Worte seien »a gloss that crept into the other texts«, 53 ist angesichts der überwältigenden Bezeugung wenig wahrscheinlich. Was bleibt, ist wieder die gegenüber dem vorkanonischen *Joh sekundäre Ergänzung der ganzen Wendung durch die Kanonische Redaktion. Joh 8,53: μὴ σὺ μείζων εἶ τοῦ π α τ ρ ὸ ς ἡ μ ῶ ν Ἀβραάμ. πατρος ημων: om D W a b c d e ſſ 2 j l sy s pbo ¦ add aur f q r 1 M . Dass Abraham in der übergroßen Mehrheit der Überlieferung als »unser Vater« bezeichnet wird, nicht jedoch in D it sy usw., ist vielleicht kein lässliches Versehen, als das es die Kommentare offensichtlich verstehen, die diese Variante in aller Regel gar nicht erwähnen. Wenn die Annahme zutrifft, dass vor allem in D it sy immer wieder Spuren des vorkanonischen Textes (in diesem Fall also *Joh) begegnen, dann ist der gezielte Hinweis auf »unseren Vater« Abraham sehr wahrscheinlich ein Eintrag der Kanonischen Redaktion. Dies hat enge Entsprechungen in anderen Instanzen der Kanonischen Redaktion, die offensichtlich ein gesteigertes theologisches Interesse an Abraham - bzw. genauer: am Konzept der Abrahamskindschaft - besaß und dieses Element verschiedentlich redaktionell verstärkte. Neben den eindeutig redaktionellen Erwähnungen in Lk 1,54f.73f; 3,8 vgl. die Rekonstr. zu *13,16.28; *16,29.30; *19,9; *20,37. Auf den Umstand, dass der marcionitische Apostolos in Gal 3 und Rm 4 offensichtlich keine Erwähnung Abrahams enthielt, 54 sei nur pauschal verwiesen: Eine genauere Rekonstruktion des Paulus-Textes der marcionitischen Sammlung zeigt, dass auch an diesen Stellen die mentiones Abrahae erst durch die Kanonische Redaktion Teil des neutestamentlichen Textes wurden. 55 Joh 8,59: ἦραν οὖν λίθους ἵνα βάλωσιν ἐπ’ αὐτόν. Ἰησοῦς δὲ ἐκρύβη καὶ ἐξῆλθεν ἐκ τοῦ ἱεροῦ. κ α ὶ δ ι ε λ θ ὼ ν δ ι ὰ μ έ σ ο υ α ὐ τ ῶ ν ἐ π ο ρ ε ύ ε τ ο κ α ὶ π α ρ ῆ γ ε ν ο ὕ τ ω ς . και διελθων δια μεσου αυτων επορευετο και παρηγεν ουτως: om P 66.75 א * B D W Θ* pc a aur b c d e ſſ 2 [j] l r 1 sy s ac 2 pbo bo ms ¦ add א 1(2) (A) C L N (Θ c ) Ψ 070 (f 1.13 ) 33 (579) 892 1231 al f q sy p.h bo M . Der Zusatz, den die übergroße Mehrheit der Handschriften bezeugt, stammt, wie schon lange gesehen wurde, aus Lk 4,30: Die Eintragung ist ein so offenkundiger Versuch, die Kohärenz zwischen den einzelnen Evangelien zu erhöhen, dass ihr sekundärer Charakter zweifelsfrei feststeht. Zweifel sind allerdings angebracht, wenn es um die Instanz geht, die diese Ergänzung vorgenommen hat: Waren es wirklich »Abschreiber«, die den Text hier eigenmächtig ergänzt haben? 56 Es ist wahrscheinlicher, dass diese Ergänzung auf das Konto der Kanonischen Redaktion zu verbuchen ist. In diesem Fall wäre dann auch klar, dass der Kurztext ( P 66.75 א * B D usw.) der Text des vorkanonischen *Joh ist, während der Langtext in der Kanonischen Ausgabe ursprünglich ist und in die kritischen Ausgaben des Neuen Testaments gehört. Joh 9,35.38f: In dem abschließenden Gespräch Jesu mit dem Blindgeborenen gibt es zwei textkritische Auffälligkeiten, die wahrscheinlich auf die gleiche Weise zustande gekommen sind. In 9,35 lesen P 66.75 א B D W pc d sy s co: σὺ πιστεύεις εἰς τὸν υἱὸν τοῦ ἀ ν θ ρ ώ π ο υ , die große Mehrheit der Handschriften (it M ) bietet dagegen εἰς τὸν υἱὸν τοῦ θ ε ο ῦ . Vor allem aus ______________________________ 53 M ETZGER , Textual Commentary z. St. 54 Vgl. U. B. S CHMID , Marcion und sein Apostolos, Berlin - New York 1995. 55 Cf. M. K LINGHARDT , Abraham als Element der Kanonischen Redaktion, in: J. Heilmann, M. Klinghardt (Hg.), Das Neue Testament und sein Text im 2. Jh., Tübingen 2017, 223-258; A. G OLDMANN , Über die Textgeschichte des Römerbriefs, Tübingen 2020, 72-92. 56 T HYEN , Joh 454; M ETZGER , a. a. O., z. St.: »copyists«. § 14: Die Kanonische Redaktion der Evangelien 363 formalen Gründen votieren die meisten für die Ursprünglichkeit von ἀνθρώπου: Auf der einen Seite zählt das »Gewicht der Zeugen« für diese Lesart, 57 zum anderen traut man einem Kopisten auch keine eigenmächtige Ersetzung von θεοῦ durch ἀνθρώπου zu. In diesem Fall ist der von den kritischen Ausgaben übernommene Text (ἀνθρώπου) vermutlich tatsächlich der ältere: Es ist jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit der Text des vorkanonischen *Joh. In diesem Fall liegt es nahe, dass die umfangreiche Ergänzung in 9,38.39a denselben Ursprung hat: Die Wortfolge ὁ δὲ ἔϕη· πιστεύω, κύριε· καὶ προσεκύνησεν αὐτῷ. Καὶ εἶπεν ὁ Ἰησοῦς fehlt in einigen Zeugen, ist aber in der ganz überwiegenden Mehrheit der Überlieferung enthalten. 58 In dieser Mehrheitslesart reagiert der Blindgeborene auf die Frage Jesu in V. 35 mit einem Glaubensbekenntnis und der Proskynese. προσκυνέω mit Bezug auf Jesus kommt sonst in Joh nicht vor, wohl aber in der redaktionellen Passage Lk 24,52. 59 Akzeptable Gründe für eine (ohnehin weniger wahrscheinliche) sekundäre Streichung gibt es nicht: Dass die Phrase »in the interest of unifying Jesus’ teaching in verses 37 and 39« ausgelassen wurde, wie Metzger vermutet, ist ganz unwahrscheinlich. 60 Denn tatsächlich gewinnt das Zwiegespräch mit der exakten Antwort des Blindgeborenen auf die Frage in V. 37 an Geschlossenheit. Aber wenn es sich bei dieser Antwort um eine sekundäre Einfügung handelt, dann wird der Hinweis auf die Proskynese mit Blick auf die Änderung von 9,35 durch dieselbe Hand verständlich: Wenn es um den Glauben an den Sohn Gottes (und nicht an den Menschensohn) geht, ist die Proskynese in der Tat die angemessene Reaktion. Um diese sekundäre Einfügung erklären zu können, braucht man also nicht auf den gänzlich unwahrscheinlichen Einfluss der Taufliturgie aus der joh Gemeinde zurückzugreifen, 61 die Annahme der Kanonischen Redaktion eines vorkanonischen *Joh würde völlig ausreichen. In diesem Fall wäre das redaktionelle Verfahren als »Dialogisierung« zu bezeichnen: Die Antwort Jesu (9,37.39) auf die Frage καὶ τίς ἐστιν, κύριε 9,36 gewinnt durch die weiterführende Nachfrage in 9,38.39a narrative Plastizität. Ein ganz ähnliches Verfahren ist beispielsweise bei der lk Redaktion des Gespräches Jesu mit dem Gesetzeslehrer zu beobachten (*10,26b.27; s. die Rekonstr.). Joh 12,8: τοὺς πτωχοὺς γὰρ πάντοτε ἔχετε μεθ’ ἑαυτῶν, ἐμὲ δὲ οὐ πάντοτε ἔχετε liefert ein weiteres instruktives Beispiel: Der Vers fehlt in wenigen Zeugen ganz, in weiteren zum Teil. 62 Der Hintergrund der längeren Lesart ist deutlich: Es handelt sich um eine Ergänzung aus Mt 26,11 || Mk 14,7. Was diese Erklärung so schwierig zu machen scheint, ist der Umstand, dass die kurze Lesart (D sy) fast gegen die gesamte Überlieferung steht: Ein so überwältigendes Zeugnis mag man nicht auf eine zufällige Ergänzung eines Kopisten zurückführen. Das ist auch nicht nötig, wenn für diese Ergänzung die Kanonische Redaktion verantwortlich war. In diesem Fall - wenn nämlich die einzelnen Evangelien als Teile eines gemeinsamen Buches zusammengestellt werden - ist das Interesse einer Angleichung von Joh 12 an Mk 14 und Mt 26 auch ohne weiteres nachvollziehbar. Diese Erklärung besagt, dass Joh 12,8 dem vorkanonischen *Joh hinzugefügt wurde und im kanonischen Joh ursprünglich ist. Allerdings hebt diese Ergänzung das Gewicht der Entgegnung Jesu in *Joh 12,7 in gewisser Weise auf: Die Erklärung, dass diese exzessive ______________________________ 57 Vgl. T HYEN , Joh 471; M ETZGER , a. a. O., z. St.: »The external support … is so weighty …« 58 Joh 9,38.39a: om P 75 א * W b [l] sy ms ac 2 mf ¦ add M . 59 Lk 24,52 προσκυνησαντες αυτον: om D it sy s ¦ add M (vgl. die Rekonstr. z. St.). 60 Vgl. M ETZGER , a. a. O., z. St. 61 Beispielsweise erwogen von B ROWN , Joh I 375 (»an addition stemming from the association of Joh ix with the baptismal liturgy and catechesis«). 62 Joh 12,8: vs. om D d sy s . μεθ εαυτων, εμε δε ου παντοτε εχετε: om P 75 892 s * pc; diese Lesart geht möglicherweise auf ein Versehen (Parablepsis: zweimal παντοτε εχετε) zurück. 364 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch Salbung ein Vorgriff auf die Begräbnissalbung sei, trägt hier das ganze Gewicht der Begründung und stellt daher - im Vergleich zu der Abfolge von Mk 14,7.8 || Mt 26,11.12) - eine christologische Konzentration dar, die durch die Angleichung an Mk und Mt wieder rückgängig gemacht wird. Wenn man einmal erkannt hat, auf welche Hinweise zu achten ist, bereitet die Identifizierung weiterer Spuren einer möglichen Kanonischen Redaktion keine Schwierigkeiten. In den hier genannten (sicher nicht vollständigen! ) Beispielen war der Ausgangspunkt jeweils eine Auffälligkeit in D it sy. Aber das Phänomen ist nicht auf diese Zeugen zu beschränken: Vielmehr ist, wie schon in den kanonischen Lk-Handschriften, aufgefallen, dass solche möglicherweise älteren Lesarten auch in solchen Handschriften auftauchen, denen die Textkritik in den letzten Jahrzehnten großes Vertrauen entgegenbrachte, also vor allem in P 66.75 א B usw. Die Einsicht, dass die Lesarten dieser Handschriften häufig älter sind als die der Mehrheit der Überlieferung, hat sich auch in unserem Modell bestätigt. Allerdings legt dieses Modell die Möglichkeit nahe, dass dieser »älteste Text« nicht der Text der Kanonischen Ausgabe des Neuen Testaments ist, sondern eine vorkanonische Fassung. b. Erzählerkommentare und »narrative asides« Die Möglichkeit einer Kanonischen Redaktion der vorkanonischen Evangelientexte gewinnt größtes Gewicht für die genaue Bestimmung des literarischen Profils von Joh. Bekanntlich finden sich in Joh zahlreiche Erzählerkommentare und sog. »narrative asides«. Indem der Erzähler seine Erzählung unterbricht und sich klärenderklärend direkt an den Leser wendet, gewinnt der Text eine zusätzliche kommunikative Ebene und narrative Tiefe. Interessanterweise stehen auch einige der für die literarische Anatomie des Joh so entscheidenden Erzählerkommentare unter dem Verdacht, (erst) durch die Bearbeitung einer Kanonischen Redaktion entstanden zu sein. Joh 4,9b: οὐ γὰρ συγχρῶνται Ἰουδαῖοι Σαμαρίταις om א * D a b d e j. Diese Aussage erläutert die vorausgehende Frage der Samariterin: »Wie kannst du, obwohl du ein Jude bist, von mir, die ich eine samaritische Frau bin, zu trinken erbitten? « Der kausale Anschluss (γάρ! ) stellt sicher, dass hier der Erzähler redet, nicht aber die Frau: 4,9b ist eine Glosse. 63 Wenn diese Glosse zum ältesten Text gehörte, wäre ihr Fehlen in den genannten Zeugen schwer zu begründen. 64 Sehr viel leichter ______________________________ 63 So beispielsweise schon B ULTMANN , Joh 130 Anm. 5, der hinzusetzt: »Ist sie usrpünglich im Text, stammt sie natürlich vom Ev(an)g(e)listen«. T HYEN , Joh 240, übergeht 4,9b in seiner Übersetzung, aber kommentiert: »Hier unterbricht der Erzähler seine Schilderung und klärt seine Zuhörer auf« (a. a. O. 247). 64 M ETZGER , Textual Commentary z. St., bemüht sich mit zweifelhaftem Erfolg um eine Erklärung: »The omission, if not accidental, may reflect scribal opinion that the statement is not literally exact and therefore should be deleted.« Zufall ist immer möglich, aber nie erweisbar. Dass jedoch ein Kopist diese Erklärung ausgelassen haben sollte, weil er sie für »not literally exact« hielt, wird man ausschließen müssen: Hätten Kopisten jemals dieses Kriterium an die von ihnen produzierten Texte angelegt, besäßen wir kaum zwei auch nur annähernd ähnliche Handschriften. § 14: Die Kanonische Redaktion der Evangelien 365 ist die umgekehrte Annahme, dass diese Begründung sekundär eingefügt wurde. Mit Blick auf die äußerst breite Bezeugung bietet sich für diese Ergänzung die Kanonische Redaktion an. Joh 6,4 datiert das folgende Geschehen: ἦν δὲ ἐγγὺς τὸ πάσχα, ἡ ἑορτὴ τῶν Ἰουδαίων. Diese Aussage fehlt in wenigen Zeugen (vs. om 1634 pc). Ihre Bedeutung wird klar, wenn man ihre wörtlich identischen Parallelen in Joh 2,13; 11,55 in Rechnung stellt und deren das Gesamtwerk strukturierende Funktion berücksichtigt. Diese »Passa-Gliederungsformel« 65 ist weit mehr als eine bloße Zeitangabe: Sie stellt den folgenden Bericht unter die inhaltliche Perspektive des Passa und will mit 19,14.31ff zusammen gelesen werden. Wegen der strukturierenden Funktion der Passa-Gliederungsformel und ihrer hohen theologischen Bedeutung ist das Fehlen von Joh 6,4 in sehr wenigen Handschriften kaum registriert worden: Die meisten Kommentare nehmen die Lesart nicht einmal zur Kenntnis. Vor dem Hintergrund der bisher aufgeführten Beispiele wird man jedoch zumindest die Überlegung zulassen müssen, ob an dieser Stelle nicht eben auch die Kanonische Redaktion eingegriffen und einen zusätzlichen strukturierenden Hinweis in die Erzählung eingefügt hat. Dass in diesem Fall der kürzere (und mutmaßlich: vorkanonische) Text nicht in D it sy, sondern in anderen Zeugen begegnet, spricht nicht gegen diese Erklärung: Die Spuren des vorkanonischen Textes haben sich immer nur kontingent erhalten. Joh 13,11b: διὰ τοῦτο εἶπεν ὅτι οὐχὶ πάντες καθαροί ἐστε fehlt in D d, ist aber ansonsten in allen Handschriften bezeugt. Die Bemerkung erklärt die Ausnahme, die 13,10b von der grundsätzlichen Aussage macht: καὶ ὑμεῖς καθαροί ἐστε, ἀλλ’ οὐχὶ πάντες. Die sehr schmale Bezeugung des Fehlens nur in D d scheint das textkritische Problem so geringfügig zu machen, dass es kaum je zur Kenntnis genommen wird. Allerdings steht die Erklärung 13,11b in Spannung zu 13,11a: ᾔδει γὰρ τὸν παραδιδόντα αὐτόν. Dieser typische Erzählerkommentar ist trotz seines sachgerechten kausalen Anschlusses offensichtlich weniger eindeutig als erwartet. Wenn Jesus in 13,10b sagt, dass alle Jünger rein seien (καὶ ὑμεῖς καθαροί ἐστε), aber davon den Verräter ausnimmt (ἀλλ’ οὐχὶ πάντες), dann hat 13,11a die Funktion, schon hier deutlich zu machen, dass Jesus den Verräter kannte: Das Problem der Sünde des Verräters hat Joh in erheblichem Maße umgetrieben. 66 Diese für Joh theologisch wichtige Einschränkung wird durch 13,11a offensichtlich nur unzureichend erläutert, weil der Zusammenhang zwischen dem Vorwissen Jesu über den Verräter und der Einschränkung der Aussage »Ihr alle seid rein« nicht explizit gemacht wird. Dies geschieht dann erst in 13,11b: Man versteht diese Erklärung am besten als »Kommentar zweiter Ordnung«, der nicht auf den Erzähler, sondern auf den Redaktor zurückgeht, nämlich den Bearbeiter der Kanonischen Redaktion. Diese drei Beispiele sind von unterschiedlichem Gewicht. Die verschiedenen Lesarten in Joh 4,9b und 13,11b würden gut zu der angenommenen Kanonischen Redaktion passen, berühren aber die literarisch-theologische Architektur des Joh bestenfalls am Rande. Dies ist bei der Passa-Gliederungsformel Joh 6,4 anders. Denn die hier für die Entstehung dieser Variante vorgeschlagene Erklärung würde in der Konsequenz dazu führen, dass ein zentraler Aspekt der literarischen Anlage des Joh (erst) auf eine sekundäre Bearbeitung durch die Kanonische Redaktion ______________________________ 65 W. W ILKENS , Die Entstehungsgeschichte des vierten Evangeliums, Zollikon 1958, 9ff. 66 Vgl. dazu § 13.4, o. S. 314ff. 366 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch zurückgeht. Hinreichend genau belegen lässt sich diese Konsequenz freilich nicht. Da die Spuren des vorkanonischen Textes in der kanonischen Überlieferung grundsätzlich ein kontingentes Phänomen sind, lässt sich nicht aus jeder Variante auf einen vorkanonischen Text schließen: Der Zufall folgt nun einmal keiner bestimmten Regel. Aus diesem Grund ist es wichtig, zumindest die Möglichkeit zu etablieren, dass auch zentrale Elemente des literarischen Konzepts die Folge einer sekundären Bearbeitung sein können. Dies ist der Fall in Joh 19,35 καὶ ὁ ἑωρακὼς μεμαρτύρηκεν, καὶ ἀληθινὴ αὐτοῦ ἐστιν ἡ μαρτυρία, καὶ ἐκεῖνος οἶδεν ὅτι ἀληθῆ λέγει, ἵνα καὶ ὑμεῖς πιστεύσητε. Die Aussage über das wahre Zeugnis des Todes Jesu fehlt im Evangelium Palatinum (e) und in einer Vulgatahandschrift. Joh 19,35 ist aus mehreren Gründen von zentraler Bedeutung: Erstens werden die Leser direkt (ὑμεῖς) angesprochen: Dies ist eigentlich nur denkbar, wenn sie wissen, wer hier redet. Dafür ist zweitens entscheidend, dass der Sehende (ὁ ἑωρακώς) und der Wissende (ἐκεῖνος οἶδεν) nicht identisch, sondern zwei verschiedene Personen sind. Der eine ist der 19,34 genannte εἷς τῶν στρατιωτῶν: Er hat gesehen und bezeugt, dass Blut und Wasser aus der Seite Jesu hervorströmten. Wenn der andere »weiß, dass er die Wahrheit sagt«, muss auch er ein Zeuge der Kreuzigung gewesen sein. Wie die Aufnahme dieser Aussage in 21,24 zeigt, ist dieser Zeuge des Zeugen niemand anders als der »geliebte Jünger«, der fiktionale Autor des Joh: Οὗτός ἐστιν ὁ μαθητὴς ὁ μαρτυρῶν περὶ τούτων καὶ ὁ γράψας ταῦτα. Das Konzept der doppelten Zeugenschaft (nach Dtn 19,15 usw.), das ja schon für Jesu eigenes Zeugnis über sich selbst erforderlich ist, 67 verlangt, dass die Bezeugung des Todes Jesu ihrerseits von zwei Zeugen bestätigt wird. 68 Mit der Bezeugung des Todes Jesu durch den geliebten Jünger ist daher drittens das zentrale literarische Konzept des Joh tangiert: Die enge Vernetzung der Aussagen über den geliebten Jünger bildet gewissermaßen das Skelett der literarischen Anatomie des Joh. Es ist nicht sinnvoll, die Schwierigkeiten, die durch diese Bezeugungslage entstehen, als irrelevant abzutun. Natürlich ist es möglich, dass auch dieser zentrale Satz in zwei Handschriften »zufällig« ausgelassen wurde. Wahrscheinlich ist dies jedoch nicht. Da aber eine beabsichtigte Streichung noch unwahrscheinlicher ist, spricht doch viel dafür, dass diese Aussage erst sekundär eingefügt wurde: Am ehesten durch die Kanonische Redaktion. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass das gesamte literarische Konzept mit der fiktionalen Verfasserschaft des geliebten Jüngers erst auf die Kanonische Redaktion zurückgeht. Aber diese einseitige Konsequenz ist auch nicht notwendig. Es ist auch denkbar, dass die Kanonische ______________________________ 67 Vgl. Joh 5,31; 8,16f usw. 68 Zu dieser Deutung vgl. T HYEN , Joh 748ff. § 14: Die Kanonische Redaktion der Evangelien 367 Redaktion dieses Konzept an der entscheidenden Stelle des Todes Jesu verstärkt und dabei die Zeugenschaft des geliebten Jüngers hervorgehoben hat. Ein letztes Beispiel für die Möglichkeit eines Eingriffes durch die Kanonische Redaktion des vorkanonischen *Joh von größtem Gewicht bietet der letzte Satz des Evangeliums: Joh 21,25 Ἔστιν δὲ καὶ ἄλλα πολλὰ ἃ ἐποίησεν ὁ Ἰησοῦς, ἅτινα ἐὰν γράϕηται καθ’ ἕν, οὐδ’ αὐτὸν οἶμαι τὸν κόσμον χωρῆσαι τὰ γραϕόμενα βιβλία fehlt in zwei Handschriften: In der ersten Hand des Sinaiticus ( א *) und in der Minuskel 63 (f. 474v). Solange das Fehlen des Verses nur für den Sinaiticus bekannt war, boten sich verschiedene Deutungen für das Phänomen an. Die Analyse unter UV-Licht hat gezeigt, 69 dass die Schlussmarkierung mit der subscriptio ursprünglich nach 21,24 eingetragen war, dann aber abgewaschen wurde. In den freien Raum wurde 21,25 nachgetragen und die Schlussmarkierung sowie die subscriptio erneut daruntergesetzt. Da der nachträglich ergänzte V. 25 allem Anschein nach von derselben Schreiberhand stammt, die auch den ursprünglichen Schluss notiert hatte, hat man gefolgert, dass hier ein sofort korrigiertes Versehen vorliege. 70 Da es jedoch zwei Minuskeln gibt, 71 die den Text des Joh nach 21,24 beenden und 21,25 erst auf der folgenden Seite für sich bieten, hat man auch erwogen, dass diese Kopisten Joh 21,25 als Schluss nicht des Joh, sondern des Kanonischen Vier- Evangelienbuches verstanden und den Vers aus diesem Grund auf eine neue Seite gesetzt haben. 72 Aber mit dem Auftauchen einer zweiten Handschrift ohne Joh 21,25 verändert sich das Bild: Das Fehlen des letzten Verses in Min. 63 ist eindeutig. 73 Und daher muss man damit rechnen, dass auch die Vorlage des Sinaiticus nach 21,24 endete. Da es sträflich wäre, an einer derart exponierten Stelle den Zufall als Erklärung zu bemühen, und da es auch für eine sekundäre Streichung nicht den geringsten Hinweis gibt, bleibt nur die Möglichkeit, dass das Joh auch in einer Fassung existierte, die mit 21,24 endete: Das ist das vorkanonische *Joh. Wie schon zuvor, präsentiert auch hier die Annahme der Kanonischen Redaktion eine Möglichkeit für die Ergänzung von Joh 21,25. In diesem Fall lässt sich das redaktionelle Interesse aufgrund der Zusammengehörigkeit mit dem Lk-Prolog auch noch recht genau bestimmen. 74 Denn Joh 21,25 hat erkennbar die Funktion, die Zahl der Evangelienschriften zu begrenzen. Zwar wird die Überfülle der möglichen Jesus-Überlieferungen ______________________________ 69 H. J. M. M ILNE , T. C. S KEAT , Scribes and Correctors of the Codex Sinaiticus, Oxford 1938, Abb. 3. Eine Rekonstruktion der ersten Hand bei D. T ROBISCH , Die Endredaktion des Neuen Testaments, Fribourg - Göttingen 1996, 152, Abb. 7. 70 Darauf hatte Kirsopp Lake in seiner Rez. der Arbeit von Milne/ Skeat bereits hingewiesen: »the omission of the verse has now no critical importance. It was merely a scribal error, corrected immediately« (K. L AKE , in: Classical Philology 37 [1942], 91-96: 91). 71 Dublin Trin. Coll. A.1.8.; Min. 700. Vgl. M ILNE / S KEAT , a. a. O. 12f. 72 T ROBISCH , a. a. O. 151. 73 Den Hinweis auf diese Handschrift verdanke ich David Trobisch (brieflich). 74 Vgl. dazu o. § 7, S. 164ff. 368 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch eingeräumt, dies aber gerade nicht in der Form, dass noch viele weitere Seiten oder Kapitel folgen könnten, sondern mit dem Hinweis auf weitere Bücher, die dafür notwendig wären (τὰ γραϕόμενα βιβλία). Die Schlussnotiz Joh 21,25 bezieht sich also nicht auf das Joh (und seine möglichen Weiterungen), sondern begrenzt die kanonische Sammlung der vier Evangelien. In dieser Begrenzungsfunktion entspricht 21,25 dem Lk-Prolog, der begründet, dass es mehr als ein Evangelium gibt: ἔδοξε κἀμοὶ … καθεξῆς σοι γράψαι (Lk 1,3). Die Entsprechung zwischen dem Singular, mit dem sich der Verfasser des Lk-Prologs an den »verehrten Gottesfreund« wendet (ἔδοξε κἀμοὶ … κράτιστε Θεόϕιλε) und dem Singular von Joh 21,25 (οἶμαι) ist daher kein Zufall, sondern verrät dasselbe redaktionelle Konzept und dieselbe Hand: Hier meldet sich der Bearbeiter der Kanonischen Redaktion. c. Der protokanonische Charakter des *Joh Konzediert man die Möglichkeit, dass die Kanonische Redaktion an den vorkanonischen Evangelien nicht nur kleinere Korrekturen vorgenommen, sondern auch tief in deren literarisches Konzept eingegriffen hat (wie es sich ja beispielsweise auch für den Langen Mk-Schluss nahegelegt hat), dann kommen noch weitere joh Beispiele in den Blick. Die folgenden Überlegungen unterscheiden sich allerdings darin von den zuvor erwähnten Beispielen, dass in diesem Fall der Verdacht einer sekundären Bearbeitung des vorkanonischen *Joh durch die Kanonische Redaktion keinerlei Anhaltspunkte in der handschriftlichen Überlieferung besitzt. Da man die methodische Grenze zwischen Indizien der handschriftlichen Überlieferung und der puren Spekulation aus »inneren Gründen« nicht straflos überschreiten kann, sind die folgenden Hinweise in erster Linie als Anzeige für ein offenes Problem zu verstehen, für das ein literarkritischer Lösungsvorschlag zumindest vorstellbar ist. Dieses Problem wird durch die genaue Bestimmung des diachronen Verhältnisses zwischen Lk 24 und Joh 20f konstituiert. Die überlieferungsgeschichtliche Rekonstruktion hat zunächst ergeben, dass *Joh den Erscheinungsbericht *24,36-43 entlang der Bearbeitungsrelation ⑥ rezipiert und ihn in drei Einzelszenen aufgeteilt hat. 75 Auf diesen Erzählzusammenhang Joh 20f rekurriert dann allerdings Lk 24,44-49 in der Bearbeitungsrelation ⑦ . Dass Lk 24 auf Joh 20f zurückgreift, lässt sich durch eine ganze Reihe von Beobachtungen erhärten (vgl. dazu durchweg die Rekonstr. zu *24,36-44): In Lk 24,36 stammen wahrscheinlich die Einleitung (ἔστη ἐν μέσῳ αὐτῶν), sicher aber der wortwörtlich identische Friedensgruß aus Joh (Lk 24,36 || Joh 20,19). Die Doppelung, die Joh durch Abfolge von zwei Erscheinungen vor den Jüngern geschaffen hatte (Joh 20,19-23.26-29), ______________________________ 75 Joh 20,19-23.24-29; 21,1-14; zur Begründung vgl. im Einzelnen die Rekonstruktion zu *24,36-43 sowie o. § 13.4. § 14: Die Kanonische Redaktion der Evangelien 369 ist in Lk 24,39 noch sichtbar in der Verdoppelung der Aufforderung Jesu an die Jünger (24,39: ἴδετε τὰς χεῖράς μου καὶ τοὺς πόδας μου, ὅτι …; ψηλαϕήσατέ με καὶ ἴδετε, ὅτι …). Auch die Funktion der Erscheinung als Erweis der Identität zwischen dem Gekreuzigten und dem Erscheinenden (Lk 24,39: ἐγὼ αὐτός εἰμι) fehlte in *Ev und geht erst auf den Einfluss der Thomasperikope zurück (Joh 20,24-29). Schließlich hat Lk 24,41 das Element der Freude als Reaktion auf die Erscheinung aus Joh 20,20b übernommen und es geschickt mit der Feststellung des (zunächst noch) andauernden Unglaubens verbunden: Die Jünger konnten vor lauter Freude noch nicht glauben. Dass sich der Glaube trotz der Freude noch nicht einstellt, ist für die lk Komposition entscheidend: Denn weder das Sehen des Auferstandenen (Lk 24,40), noch seine zweifelsfreie Identität (Lk 24,39), ja noch nicht einmal seine durch das Sehen von Fleisch und Knochen bzw. durch den Verzehr von Speisen sichergestellte Körperlichkeit (Lk 24,43) können den Glauben an die Auferstehung wecken. Erst die Belehrung Jesu aus dem Gesetz des Mose, den Propheten und den Psalmen (Lk 24,44) öffnet den Jüngern die Augen (Lk 24,45). Diese Öffnung des Verstandes zielt auf das Verstehen der Schriften (24,47: διήνοιξεν αὐτῶν τὸν νοῦν τοῦ συνιέναι τὰς γραϕάς). Dieses Verstehen umfasst erkennbar mehr als nur die Schriftgemäßheit der Auferstehung, nämlich die Aussendung der Jünger, die Gabe des Geistes und die Bevollmächtigung zur Sündenvergebung. Diese drei Elemente aus Lk 24,47.49 fassen in der Rede Jesu zusammen, was in Joh 20,21-23 narrativ entfaltet ist, setzen also wiederum den joh Kontext voraus. Bis dahin lassen sich die sukzessiven Weiterungen von *Ev zu Joh und von Joh zu Lk auch problemlos in das überlieferungsgeschichtliche Modell einzeichnen. Vor allem gehören die redaktionellen Elemente, die in Lk 24,44-49 auf das Verstehen der Schriften zielen, zu dem literarischen Konzept der Kanonischen Ausgabe: Sie begründen auf der letzten Stufe der Überlieferungsgeschichte die kohärente Einheit der christlichen Bibel aus Altem und Neuem Testament. Das offene Problem für die Verhältnisbestimmung zwischen Joh und Lk ergibt sich aus Joh 20,9. Im Anschluss an die Notiz, dass der geliebte Jünger das leere Grab »sah und glaubte« (Joh 20,8), kommentiert der Erzähler: »Denn sie hatten die Schrift noch nicht verstanden, dass er von den Toten auferstehen müsse« (20,9). Dieser »verwunderliche Satz« liefert eine »höchst merkwürdige Begründung«, 76 denn er steht zu 20,8 in einer doppelten Spannung: Auf der einen Seite ist in 20,8 vom Glauben (nur) des geliebten Jüngers die Rede (20,8: εἶδεν καὶ ἐπίστευσεν), während 20,9 sagt, dass »sie« - also der geliebte Jünger und Petrus - noch nicht verstanden hatten. Was hat den geliebten Jünger im Unterschied zu Petrus in die Lage versetzt, dass er zum Glauben kommt? 77 Setzt man voraus, dass der geliebte Jünger als fingierter Autor des Joh auch als Zeuge zugegen war, als Lazarus, die Füße und Hände mit Binden umwickelt und sein Gesicht mit einem σουδάριον verhüllt, aus dem Grab kam (Joh 11,44), dann könnte die Autopsie des zusammengelegten σουδάριον im Grab seinen Glauben ______________________________ 76 T HYEN , Joh 760. 77 P. S. M INEAR , »We Don’t Know Where …« John 20,2, Interpr. 30 (1976), 125-139: 127f, umgeht diese Schwierigkeit dadurch, dass er das Zum-Glauben-Kommen (20,8: ἐπίστευσεν) erstens auch für Petrus annimmt und es zweitens auf den Bericht der Maria Magdalena bezieht (20,2: οὐκ οἴδαμεν ποῦ ἔθηκαν αὐτόν): Petrus und der geliebte Jünger »now ›believed‹ in Mary’s report and thus joined in her confession of ignorance, ›we don’t know where‹.« 370 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch wecken. 78 In diesem Fall muss man allerdings annehmen, dass Petrus bei der Auferweckung des Lazarus entweder nicht zugegen war oder aber nicht die entsprechenden Schlussfolgerungen aus dem zusammengelegten Schweißtuch gezogen hatte. Entscheidend ist jedoch das »noch nicht« (20,9: οὐδέπω), das ein »später dann eben doch« impliziert. Dieses »später doch« wird in Joh allerdings nicht erzählt, und es ergibt sich auch nicht aus Joh 21, denn da spielt das »Verstehen der Schrift, dass er von den Toten auferstehen muss«, überhaupt keine Rolle. Der Erzählerkommentar 20,9 ist mithin eine (unglücklich platzierte oder formulierte) textexterne Referenz. Die Schriftkonformität der Auferstehung Jesu ist für Lk 24 und das darin ausgedrückte hermeneutische Konzept der Kanonischen Ausgabe von Bedeutung, nicht aber für das literarische Konzept (nur) des Joh. Wäre Joh 20,9 das einzige Beispiel für diese textexterne Referenz, könnte man angesichts der nicht unproblematischen Kontextverbindung geneigt sein, diesen Erzählerkommentar auf das Konto der Kanonischen Redaktion des vorkanonischen *Joh zu verbuchen. Diese Lösung scheitert jedoch daran, dass Joh 20,9 in 2,22 und 12,16 wichtige Entsprechungen besitzt. Nach dem Wort Jesu, er werde den Tempel in drei Tagen wieder errichten (2,19), heißt es, dass die Jünger sich nach der Auferstehung an dieses Wort erinnerten und ihm und der Schrift glaubten (2,22: ἐμνήσθησαν οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ ὅτι τοῦτο ἔλεγεν, καὶ ἐπίστευσαν τῇ γραϕῇ). In Joh 12,16 heißt es als Erklärung zu dem Prophetenzitat (Joh 12,15), dass die Jünger dieses Wort nicht verstanden, sich aber, nachdem er verherrlicht worden war, »daran erinnerten, dass dies über ihn geschrieben war.« 79 Diese drei Erzählerkommentare sind durch das Syndrom von drei charakteristischen Aspekten mit dem Konzept von Lk 24 verbunden. 1. Das Verstehen ist erst nach Ostern möglich: Joh 2,22 ὅτε οὖν ἠγέρθη ἐκ νεκρῶν; 12,16 ὅτε ἐδοξάσθη ᾿Ιησοῦς τότε …; 20,9 οὐδέπω. - Lk 24,25-27.45. 2. Das Verstehen setzt die Erinnerung an die Worte Jesu voraus: Joh 2,22 ἐμνήσθησαν οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ ὅτι τοῦτο ἔλεγεν (…) ἐπίστευσαν … τῷ λόγῳ ὃν εἶπεν ὁ ᾿Ιησοῦς; 12,16 ἐμνήσθησαν ὅτι … ταῦτα ἐποίησαν αὐτῷ. - Lk 24,6.8: μνήσθητε ὡς ἐλάλησεν ὑμῖν … καὶ ἐμνήσθησαν τῶν ῥημάτων αὐτοῦ; Lk 24,44: οὗτοι οἱ λόγοι μου οὓς ἐλάλησα πρὸς ὑμᾶς ἔτι ὢν σὺν ὑμῖν. 3. Das glaubende Verstehen richtet sich nicht nur auf die Worte Jesu, sondern auch auf die Schrift, welche die wesentlichen Informationen über Jesus enthält: Joh 2,22 καὶ ἐπίστευσαν τ ῇ γ ρ α ϕ ῇ ; 12,16: ἐμνήσθησαν ὅτι ταῦτα ἦν ἐπ’ αὐτῷ γ ε γ ρ α μ μ έ ν α ; 20,9: οὐδέπω γὰρ ᾔδεισαν τ ὴ ν γ ρ α ϕ ή ν. - Lk 24,45f: τότε διήνοιξεν αὐτῶν τὸν νοῦν τοῦ συνιέναι τ ὰ ς γ ρ α ϕ ά ς . καὶ εἶπεν αὐτοῖς ὅτι Οὕτως γ έ γ ρ α π τ α ι … ______________________________ 78 Dies ist die Lösung von T HYEN , Joh 761f. 79 Joh 12,16: ἀλλ’ ὅτε ἐδοξάσθη ᾿Ιησοῦς τότε ἐμνήσθησαν ὅτι ταῦτα ἦν ἐπ’ αὐτῷ γεγραμμένα … Zu diesen sog. »Parenthesen« bzw. Erzählerkommentaren in Joh vgl. G. V AN B ELLE , Les parenthèses dans l’évangile de Jean, Leuven 1985; C H . W. H EDRICK , Authorial Presence and Narrator in John, in: J. E. G OEHRING et al. (eds.), Gospel Origins and Christian Beginnings, Sonoma 1990, 74-93. § 14: Die Kanonische Redaktion der Evangelien 371 Irritierend an diesen joh Kommentaren sind dabei zwei Phänomene. Zunächst fällt auf, dass es zwar in allen drei Fällen narrative Haftpunkte für die Erinnerung an die Worte Jesu gibt: Die joh Kommentare sind ja an solche zunächst unverstanden gebliebene Jesuslogien angehängt, deren Verständnis sich dann aus der Perspektive der Auferstehung erschließen soll. Aber nur Joh 12,16 bezieht sich auf ein Schriftzitat (Jes 40,9 und Sach 9,9 in Joh 12,15), dessen Sinn die Jünger jetzt noch nicht erschließen können: In keiner der beiden anderen Stellen ist ein Schriftwort genannt, dem die Jünger hätten glauben (2,22) oder das sie später hätten verstehen (20,9) können. Sodann impliziert das »Noch nicht« ein späteres »Jetzt eben doch« des Verstehens. Im Unterschied zu Lk erzählt Joh allerdings an keiner Stelle, wie das Verstehen der Jünger einsetzt - und zwar weder mit Blick auf die Jesusworte noch mit Blick auf die Schrift. Anders als in Lk »öffnet« der joh Jesus den Jüngern weder die Augen noch den Verstand noch die Schrift. Die Hinweise auf das Nochnicht des Verstehens und ihr Bezug auf die Schrift konstituieren zwei ineinander verwobene textexterne Referenzen: Ein narrativer Haftpunkt für diese Erzählerkommentare liegt nur in Lk 24 vor. Sofern das Zusammentreffen der drei charakteristischen Elemente in Lk 24; Joh 2; 12; 20 kein Zufall ist, bieten sich zunächst zwei alternative Erklärungen an. Entweder liegt der Ursprung dieses Syndroms im redaktionellen Konzept der Kanonischen Ausgabe: In diesem Fall würden alle genannten Beispiele auf dieselbe Hand der Kanonischen Redaktion zurückgehen. Die Schwierigkeit dieser Erklärung ist bereits deutlich geworden: Für den sekundären Charakter von Joh 2,22; 12,16; 20,9 gibt es keinen äußeren Anhaltspunkt in der handschriftlichen Überlieferung. Diese Art der Literarkritik unterliegt einem methodischen non liquet, obwohl sie theoretisch denkbar ist. Deswegen ist als Alternative auch denkbar, dass die drei genannten joh Erzählerkommentare genuine Bestandteile bereits des vorkanonischen *Joh sind. In diesem Fall müsste man folgern, dass die Kanonische Redaktion sich durch die drei joh Erzählerkommentare zu einem umfassenden hermeneutischen Konzept hat anregen lassen, das die kohärenzstiftende Kongruenz zwischen der Schrift und den Worten Jesu mit dem nachösterlichen Verstehen der Jünger verbindet. Die Schwierigkeit dieser Lösung liegt in dem wiederholten und pointierten textexternen Verweis auf die Schrift als dem hermeneutischen Referenzrahmen für das Verständnis (der Worte) Jesu: Für ein isoliertes *Joh, das nicht Teil einer solcherart herausgehobenen Schrift ist, ist dieses Konzept schwer verständlich. Diese beiden Möglichkeiten markieren lediglich die extremen Positionen. Dazwischen sind weitere, eher vermittelnde Lösungen denkbar. So wäre es auf der einen Seite möglich, dass das vorkanonische *Joh die eine oder andere Referenz auf das nachösterliche Verstehen enthielt, etwa angeregt durch Mk 9,9.32 usw., 372 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch andere dagegen durch die Kanonische Redaktion ergänzt wurden. Für Joh 2,22; 20,9 wäre eine solche sekundäre Ergänzung leichter denkbar als für Joh 12,16. Für Joh 20,9 ist schon deutlich geworden, dass der Übergang von 20,8 nicht unproblematisch ist. Für Joh 2,22 könnte man ähnliche Überlegungen anstellen. Denn der nächste Kontext ab 2,13 zeigt Jesus im pointierten Gegenüber zu den Juden (2,18.20). Die Juden sind es auch, die das Tempelwort (2,19) missverstehen, wie der erste Erzählerkommentar 2,21 deutlich macht. Der zweite Kommentar (2,22) steht dazu in Spannung. Denn er thematisiert die nachösterliche Erinnerung der Jünger; von denen war jedoch gar nicht die Rede. Von daher ist es denkbar, dass 2,22 auf eine andere Hand zurückgeht. Dies ist jedoch alles andere als zwingend: Die Abfolge von 2,21.22 ist zwar nicht besonders elegant, aber selbstverständlich möglich. Im Unterschied zu Joh 2,22 und 20,9 spricht 12,16 nicht von der Auferstehung Jesu, sondern (so wie sonst auch und vor allem im Folgenden: 12,23.28) in typisch joh Diktion von seiner Verherrlichung. Vor allem ist hier die Perspektive auf das nachösterliche Verstehen der Schrift durch das vorangehende Sach-Zitat begründet. Joh 12,16 ist inhaltlich so eng mit dem Kontext verklammert, dass sich von hier aus kein Anhaltspunkt für eine mögliche redaktionelle Einfügung ergibt. Auf der anderen Seite ist die besondere Art der literarischen Bezugnahme des Joh auf seine Prätexte in Rechnung zu stellen. Im Unterschied zum Verhältnis etwa des Mk zu *Ev oder des Mt zu Mk, die ihre Prätexte als Quelle benutzen, ohne auf sie als Texte zu verweisen, wird Joh am besten verständlich, wenn man die Entsprechungen zu den Synoptikern als Anspielungen versteht, die seine Leser auch als solche durchschauen müssen, wenn sie dieses intertextuelle Spiel mit Gewinn mitspielen können sollen. Die joh Intertextualität erfordert, dass Joh neben diesen Texten gelesen wird. Im Unterschied zu *Ev, Mk und wohl auch Mt eignet dem Joh daher eine protokanonische Perspektive: Als Text (auch) über andere Texte verlangt Joh danach, als Teil einer Sammlung dieser Texte gelesen zu werden. Die Frage nach dem überlieferungsgeschichtlichen Verhältnis zwischen Lk und Joh in ihrer kanonischen Gestalt bleibt angesichts dieser Unsicherheiten offen. Die voranstehenden Überlegungen sollen lediglich andeuten, welche weitergehenden § 14: Die Kanonische Redaktion der Evangelien 373 Analysen 80 denkbar sind und welche methodischen Implikationen dafür zu bedenken wären. 81 5. Die Entstehung des kanonischen Vier-Evangelienbuches Die Unsicherheiten, mit denen alle der hier genannten Beispiele für mögliche Eingriffe der Kanonischen Redaktion behaftet sind, werfen Zweifel auf, ob sich der Umfang dieser Bearbeitung jemals hinreichend genau feststellen lassen wird. Aber dass dieser letzte Schritt der Überlieferungsgeschichte der kanonischen Evangelien stattgefunden hat, steht außer Frage. a. Die Evangelientitel Eine solche vereinheitlichende Redaktion hatte David Trobisch schon vor einigen Jahren für das Neue Testament insgesamt nachgewiesen. 82 Die hier vorgestellten Überlegungen zur Entstehung des kanonischen Vier-Evangelienbuches sind daher als grundsätzliche Bestätigung, aber auch als präzisierende Weiterführung dieser Ansicht zu verstehen. Trobischs These basiert zu einem guten Teil auf Beobachtungen, die er an den neutestamentlichen Handschriften gewonnen hat. Seine Erklärung nimmt - zum ersten Mal in dieser Gründlichkeit und Konsequenz - die Materialität der Überlieferung des Neuen Testaments ernst und versteht die Handschriften nicht nur als Träger eines davon abstrahierbaren Textes, sondern in erster Linie als Quelle für das Zustandekommen eines gleichermaßen materiellen Buches: Das ist die Kanonische Ausgabe mit dem Titel »Das Neue Testament«. Der Innovationsgehalt dieser These wird schlagartig deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass das Ganze dieser Kanonischen Ausgabe mehr ist als die Summe ihrer einzelnen Teile. Zur Bestimmung dieses textsemantischen Mehrwerts der Gesamtausgabe hatte Trobisch seine Analyse der materiellen Zeugen durch rezeptionsästhetische Beobachtungen zum literarischen Konzept dieser Ausgabe ______________________________ 80 Für die joh Erzählerkommentare gibt es dazu gute Ansätze, die allerdings methodisch noch weit auseinanderliegen. Wie weit die Forschung von einer befriedigenden Erklärung entfernt ist, zeigt sich bereits daran, dass das literarische Phänomen keineswegs klar abgrenzbar ist und schon die Zahl der entsprechenden Passagen bei den einzelnen Forschern stark differiert. Vgl. M. C. T ENNEY , The Footnotes of John’s Gospel, BS 117 (1960), 350-364 (59 Beispiele); G. V AN B ELLE , Les parenthèses dans l’évangile de Jean, Leuven 1985 (165 Beispiele); J. O’R OURKE , Asides in the Gospel of John, NT 21 (1979), 210-219 (109 Beispiele); T. T HATCHER , A New Look at Asides in the Fourth Gospel, BSac 151 (1994), 428-439 (191 Beispiele); H EDRICK , a. a. O. (121 Beispiele, ohne Joh 1,1-18). 81 Fragen der Textüberlieferung spielen in den gen. Untersuchungen keine Rolle, wären aber zu berücksichtigen, wie neben Joh 19,35 (s. o.) etwa die Bemerkung 19,28 ἵνα τελειωθῇ ἡ γραϕή zeigt (om P 66 * ac 2 bo ms ). Vgl. dazu W. K RAUS , Die Vollendung der Schrift nach Joh 19,28, in: Chr. M. Tuckett (ed.), The Scriptures in the Gospels, Leuven 1997, 629-636. 82 D. T ROBISCH , Die Endredaktion des Neuen Testaments, Fribourg - Göttingen 1996. 374 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch ergänzt und gefragt: Welche Informationen liefert die Kanonische Ausgabe als ganze, die sich aus der Lektüre aller 27 Einzelschriften so nicht erschließen? Eine wesentliche Antwort auf diese Frage liefern die Titel der Schriften, die nicht auf ihre (ursprünglichen und realen) Verfasser zurückgehen können, sondern vom Herausgeber der Gesamtausgabe stammen müssen. 83 Die fingierten Verfasserangaben der Titel verbinden die Einzelschriften zu einem Ganzen und legen ein kohärentes Beziehungsgeflecht über sie. 84 Die Bedeutung der fingierten Verfasserangaben wird (neben den Katholischen Briefen) vor allem an den Evangelien deutlich. Denn »Markus« und »Lukas«, die Gewährsleute des zweiten und des dritten Evangeliums, kommen im Text der Evangelien ja überhaupt nicht vor: Als »Apostelschüler« gehören sie der zweiten »apostolischen Generation« an, also genau derjenigen Zeit, die der Lk-Prolog ins Auge fasst (Lk 1,1: τὰ πεπληροϕορημένα ἐν ἡμῖν πράγμάτα); dabei ist klar, dass die Informationen über die Identität von »Markus« und »Lukas« nur den Lesern der gesamten Kanonischen Ausgabe zur Verfügung stehen. Andererseits: Obwohl »Matthäus« und »Johannes« im Text ihrer Evangelien vorkommen, wären sie aus den jeweiligen Texten allein nicht (oder doch nur mit größter Mühe) zu identifizieren. Keiner der vier fingierten »Autoren« würde sich vom Inhalt des auf ihn zurückgeführten Textes her nahelegen. Dass es unter den vier »Autoren« zwar einen Johannes, aber keinen Jakobus und schon gar keinen Petrus gibt, ist sicher kein Zufall, sondern Ausdruck des redaktionellen Konzepts des Herausgebers der Kanonischen Ausgabe. Die Evangelientitel sind ein zentraler Teil der Kanonischen Redaktion der Evangelien: Unabhängig von den zuvor genannten Beispielen, die von unterschiedlicher Überzeugungskraft sind, belegen sie die Kanonische Redaktion der Evangelien: Schon allein die Titel der Kanonischen Evangelien erweisen diese als sekundäre Bearbeitungen und belegen auf diese Weise die Existenz der vorkanonischen Fassungen. Diese Einsicht bedeutet unter anderem, dass man die Kenntnis der Kanonischen Ausgabe bei denjenigen patristischen Autoren zwingend voraussetzen muss, die auf die kanonischen Titel der Evangelien verweisen. 85 Über die redaktionelle Funktion der einzelnen Gewährsleute hinaus ist die Titelgebung wichtig. Denn das älteste, vorkanonische Evangelium trug bereits den Titel »εὐαγγέλιον« (s. die Rekonstr.), nannte aber keinen Verfasser: Der Ursprung ______________________________ 83 T ROBISCH , a. a. O. 73-91. 84 Zur literarischen Funktionsweise dieses intratextuellen Verweissystems vgl. M. K LINGHARDT , Inspiration und Fälschung. Die Transzendenzkonstruktion der Bibel, in: H. Vorländer (Hg.), Transzendenz und die Konstitution von Ordnungen, Berlin 2013, 331-355. 85 Dies ist beispielsweise der Fall bei den berühmten Papias-Notizen (Euseb, H.E. 2,39) oder dem Canon Muratori. Angesichts der Datierungsprobleme für beide Zeugnisse ist es hilfreich zu wissen, dass sie trotz ihres fragmentarischen Charakters die Kanonische Ausgabe (und das heißt: die Sammlung aller 27 Schriften) kannten oder kennen konnten. § 14: Die Kanonische Redaktion der Evangelien 375 dieser Titeltradition war anonym. Die Kanonische Redaktion hat diese Anonymität als gestaltendes Prinzip bewahrt, obwohl sie es selbst durch die Angabe von Gewährsleuten unterläuft. Die äußerst ungewöhnliche Titelgestaltung (εὐαγγέλιον κατά + n. pr.) reguliert das entscheidende Problem, das überhaupt erst durch die Sammlung mehrerer Evangelien entstanden war, nämlich das Verhältnis von Vielheit und Einheit: Das Evangelium der Kanonischen Ausgabe ist in Wahrheit nur ein einziges Evangelium, dessen Urheber Jesus Christus ist: Das εὐαγγέλιον Ἰησοῦ Χριστοῦ (Mk 1,1). Aus diesem Grund bezeichnen die Verfasserangaben auch nicht die Autoren im Sinn der Urheberschaft ihrer jeweiligen Evangelien, sondern (nur) deren Gewährsleute. Auf der anderen Seite gibt es eben nicht nur eine Evangelienschrift, sondern vier. Aus diesem Grund gibt es vier verschiedene Gewährsleute dieses einen Evangeliums, die dieselbe Geschichte in unterschiedlichen Fassungen übermitteln: Sie können durchaus voneinander abweichen, sich gegenseitig ergänzen und verschiedene Perspektiven einnehmen, sich aber nicht grundsätzlich widersprechen. Diese Vierfalt bedarf einerseits der namentlichen Zuschreibung, um nicht beliebig zu sein, andererseits muss diese namentliche Zuschreibung zeitlich begrenzt sein, um nicht ad infinitum fortgesetzt werden zu können. Beides leisten die Gewährsleute aus der apostolischen und der nachapostolischen Generation: Dass die fingierten Augenzeugen der Geschichte Jesu (Matthäus und Johannes) die selbst erlebten Ereignisse verlässlich berichten können, liegt auf der Hand, auch wenn der Bericht über die Ereignisse vor der ersten Jüngerberufung auf unsicherem Boden steht. Aber für dieses Problem gibt es ja die einander ergänzenden Berichte der mt und der lk »Kindheitsgeschichten«, die die gleichen Ereignisse aus verschiedener Perspektive erzählen. 86 Dass »Lukas« für sich reklamiert, »allem von Anfang an sorgfältig nachgegangen« zu sein (Lk 1,3), unterstreicht seinen Anspruch auf Historizität. Für die auf die Apostelschüler (Markus und Lukas) zurückgeführten Evangelien sieht die Kanonische Ausgabe ein anderes Autorisierungskonzept vor: Sie werden mit literarischen Referenzen aus anderen Teilsammlungen der Kanonischen Ausgabe versehen. Wer »Lukas« ist, ergibt sich nicht nur aus Kol 4,14; Phlm 23f; 2Tim 4,11, sondern auch durch die sog. »Wir- Passagen« in Act: Lukas ist ein Paulusbegleiter und war bei dessen Ende in Rom bei ihm. 87 Für »Markus« ist die neutestamentliche Belegkette breiter und interessanter: Einerseits wird er in großer Nähe zu Petrus und zugleich in Distanz zu Paulus geschildert (Act 12,12.15; 15,37ff; 1Pe 5,13), andererseits gehört auch »Markus« am Ende zu den von Paulus geschätzten Mitarbeitern ______________________________ 86 Vgl. § 12.4, o. S. 280ff. 87 C. J. T HORNTON , Der Zeuge des Zeugen, Tübingen 1991, hat alle Belege und Beobachtungen innerhalb und außerhalb des NT sorgfältig zusammengetragen, aus denen sich ergibt, dass »Lukas« der Verfasser von Lk und Act ist. Der Umstand, dass das literarische Konzept der Kanonischen Ausgabe die patristischen Quellen über die Fiktionalität dieser Angaben getäuscht hat, so dass diese und jenes ganz weitgehend übereinstimmen, verleiht den neutestamentlichen Angaben noch im Urteil der historischen Kritik die Würde der Zuverlässigkeit. 376 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch (Kol 4,10; 2Tim 4,11). Diese Informationen konstituieren das biographische Profil von »Markus« und erklären sogar, dass und warum sich das Urteil des Paulus über ihn geändert hat: Seine »Apostasie« (Act 15,38: τὸν ἀποστάντα ἀπ’ αὐτῶν) war nur vorübergehend, am Ende hält Paulus ihn für εὔχρηστος εἰς διακονίαν (2Tim 4,11). Auf diese Weise wird der Leser in die Lage versetzt, ein Metanarrativ der apostolischen Zeit aus den und hinter den wenigen, aber aussagekräftigen Informationen zu konstituieren. 88 Die berühmte Papiasnotiz ist von diesem Markusporträt genährt und hat ihm in der Folge zu historiographischer Dignität verholfen. Die namentliche Zuschreibung der Evangelien an verlässliche Gewährsleute stellt sicher, dass nicht andere »Evangelien« auftauchen. Die Kritik, die etwa Tertullian an der Anonymität des marcionitischen Evangeliums übt, zeigt die Wirksamkeit dieses Konzeptes noch zu Beginn des 3. Jh. und erweist zugleich die dezente Tradentenangabe als self-fulfilling prophecy: Indem die Kanonische Redaktion in den Evangelientiteln angibt, auf welche verlässlichen Gewährsleute diese Schriften zurückgeführt werden, diskreditiert sie das älteste, aber anonym verbreitete Evangelium, auf das sich Marcion und andere berufen haben, als defizient und unzuverlässig. Zugleich lässt der Umstand, dass die fingierten Gewährsleute des einen Evangeliums der apostolischen und der nachapostolischen Generation angehören, mit Sicherheit darauf schließen, dass dieses Konzept frühestens der dritten Generation angehört: Die Reihe dieser vertrauenswürdigen Zeugen muss zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Konzeptes definitiv beendet sein, weil sich anders nicht gewährleisten ließe, dass nicht weitere »Evangelien« auftauchen. b. Vom ältesten Evangelium zur Kanonischen Ausgabe Vor diesem Hintergrund erhält die überlieferungsgeschichtliche Skizze zur Entstehung des kanonischen Vier-Evangelienbuches gemäß dem Diagramm (Abb. 12, o. S. 341) ihr Profil. Daran werden zwei wesentliche Erkenntnisse unmittelbar deutlich: Zunächst ist klar, dass diese letzte Bearbeitungsstufe in den Relationen Ⓐ , Ⓑ , Ⓒ und Ⓓ tatsächlich nur einen Bearbeitungsschritt zeigt. Vor allem am Beispiel der Bearbeitung der Datierung der Auferstehung Jesu in den synoptischen Leidens- und Auferstehungsweissagungen wurde deutlich, dass hier nicht mehrere sukzessive Bearbeitungsschritte vorliegen, sondern die Bearbeitung einer Hand: Die Kanonische Redaktion der Evangelien. Sodann erweist sich die lukanische Redaktion des ältesten Evangeliums als Teil eben dieser Kanonischen Redaktion: Die Bearbeitungen ① und Ⓐ sind identisch. Und da die lk Redaktion auch für die literarische Anlage von Act in der kanonischen Gestalt verantwortlich ist, ist evident, dass das Vier-Evangelienbuch und seine Redaktion letzter Hand ein integraler Teil der Kanonischen Ausgabe des Neuen Testaments sind, da Act die narrative Verbindung zu den paulinischen und den Katholischen Briefen herstellt. Dieselbe ______________________________ 88 Vgl. K LINGHARDT , a. a. O. 342ff. § 14: Die Kanonische Redaktion der Evangelien 377 kanonische Dimension dieses letzten Bearbeitungsschrittes ist ja auch für den Langen Markusschluss deutlich geworden. Der Bearbeiter, der *Ev, das älteste, vorkanonische Evangelium redigiert und daraus das kanonische Lk-Evangelium gemacht sowie dieses mit Act zu einem fingierten »Doppelwerk« verbunden hat, ist demnach der Herausgeber des Neuen Testaments bzw. hat an dieser Edition mitgewirkt. Das auf diese Weise entstandene »lk Doppelwerk« ist dabei in mehrfacher Hinsicht das literarische Zentrum dieser Kanonischen Ausgabe. Denn so, wie Lk als überlieferungsgeschichtlicher Zielpunkt die gesamte kanonische Evangelienüberlieferung voraussetzt und vereinheitlicht, so leistet die Act-Erzählung die literarische Integration der Jerusalemer Apostel (Petrus, Jakobus und Johannes) und ihrer Schriften (Joh; Kath. Briefe; Apc) mit Paulus und seinen Briefen. Dass diese literarisch einheitliche Bearbeitung zugleich eine theologische Integrationsleistung darstellt, liegt auf der Hand, auch wenn die einzelnen Elemente dieses Vorgangs noch im Einzelnen zu erweisen sind. Diese Überlegungen zur Kanonischen Ausgabe und ihrer Redaktion sind nicht neu. Das gleiche gilt auch für die rezeptionsästhetische Dimension einer kanonischen Lektüre des Neuen Testaments. Neu ist in diesem Rahmen die überlieferungsgeschichtliche Rekonstruktion der Entstehung des Vier-Evangelienbuches. Ihre Bedeutung liegt darin, dass sie die schon immer aufgefallenen literarischen Beziehungen zwischen den Evangelien in einem Modell der historischen Genese ihrer Texte transparent macht. Man mag dieses Ergebnis für theologisch irrelevant halten, weil es am Ende nur wieder »das Rätsel der Urkunde« zu lösen verheißt, ohne des »Rätsels der Sache« je ansichtig zu werden. Mit diesem Rückgriff auf Karl Barths polemische Klarstellung im Vorwort zum »Römerbrief« hatte Hartwig Thyen alle Versuche abgewiesen, die Vorgeschichte des zu interpretierenden Textes (in seinem Fall: des Joh) - mithin also: die Geschichte der Textgenese - für die Erhebung des Textsinnes fruchtbar zu machen, 89 und er folgert konsequent, dass »keinerlei hypothetische Vorgeschichte von Teiltexten und das Maß von deren vermeintlich redaktioneller Bearbeitung über Bedeutung und Sinn von Passagen des Evangeliums zu entscheiden vermögen.« 90 Man kann diesem Urteil selbst dann zustimmen, wenn man die (in diesem Zusammenhang offensichtlich unvermeidliche) Bemerkung Gadamers, der historisch verstandene Text werde »aus seinem Anspruch, Wahres zu sagen, ______________________________ 89 Vgl. H. T HYEN , Das Johannesevangelium als literarisches Werk, in: ders., Studien zum Corpus Iohanneum, Tübingen 2007, 351-369: 352ff u. ö.; vgl. K. B ARTH , Der Römerbrief, München 2 1924, XIII. 90 A. a. O. 357. 378 IV. Vom ältesten Evangelium zum Vier-Evangelienbuch förmlich herausgedrängt«, 91 aus guten Gründen für unzutreffend hält. Dieses hermeneutische Urteil wird jedoch in dem Moment falsch, in dem sich der zu verstehende Text selbst als Teil eines umfassenderen Textes erweist: Die diachrone Analyse der historischen Genese der Evangelien hat diese als integrale Teile des Textes »Neues Testament« erwiesen. Die adäquate Wahrnehmung der literarischen Beziehungen zwischen den Evangelien ist gar nicht zu leisten ohne ein historisches Verständnis für die redaktionellen Prozesse, die zu diesem Gesamttext geführt haben. Wenn das Joh, wie Thyen sehr überzeugend darlegt, sein Sinnpotential nur im intertextuellen Spiel (jetzt wäre im Blick auf die Kanonische Ausgabe zu präzisieren: im intratextuellen Spiel) mit seinen Prätexten zu erkennen gibt; wenn das gleiche auch von den anderen, kanonisch redigierten Evangelien gilt, dann gehören die Fragen der Genese des kanonischen Vier-Evangelienbuches zwingend zu den Bedingungen für das Verständnis des Gesamtsinns hinzu. Vermutlich ist die theologische Aversion gegen das »historische Verstehen« von Barth bis Thyen und darüber hinaus nur ein spätes Kind der seit dem späten 18. Jh. exzessiv betriebenen Quellenkritik. Sie hat - bereits in ihren Anfängen bei Johann Salomo Semler und seiner »Abhandlung von freier Untersuchung des Canon« (1771-75) - die literarische Einheit des Neuen Testaments aufgelöst und damit erstaunlicherweise den historischen Prozess aus den Augen verloren, der diese Einheit allererst hat entstehen lassen. Die Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte vom ältesten Evangelium bis zum Vier-Evangelienbuch als Teil des Neuen Testaments hat die Funktion, das theologische Recht der kanonischen Einheit des Vier-Evangelienbuches historisch zu erweisen und literarisch nachzuzeichnen. ______________________________ 91 H. G. G ADAMER , Wahrheit und Methode, Tübingen 4 1975, 287 (bei T HYEN , a. a. O. 354). V. Ausblick § 15: Antworten und Fragen Am Ende sind die wichtigsten Ergebnisse knapp zusammenzufassen und zu bewerten. Sie betreffen nicht nur die materialen Fragen, sondern auch die damit aufs engste verbundene Methodologie: Gerade hinsichtlich der Differenz zwischen dem hier vorgestellten Modell zur Entstehung der Evangelien und den gängigen Lösungen, ist es angezeigt, diese methodischen Fragen im Auge zu behalten. Wie immer in der Wissenschaft ruft die Lösung eines Problems neue Fragen hervor. Zu den (sachlichen und methodischen) Antworten treten daher auch neue Fragestellungen: Die wichtigste Aufgabe dieses Ausblicks besteht darin, diese anzudeuten. 1. Die *Ev-Priorität vor Lk Am Anfang der Untersuchung stand der Hinweis auf die beiden Forschungsdiskurse zur Genese der kanonischen Evangelienüberlieferung und ihrem Verhältnis zueinander: Die Untersuchung des Synoptischen Problems und die Frage nach dem Verhältnis von *Ev und Lk. Der Verlauf der Untersuchung hat gezeigt, dass und wie diese beiden Diskurse aufs engste miteinander verbunden sind. Denn wenn *Ev älter als Lk und dessen wichtigste Quelle ist, dann gehört dieser Text zwingend in die Vorgeschichte der synoptischen Evangelien hinein - mit der Folge, dass die literarischen Beziehungen zwischen den Evangelien auf eine andere Weise zu erklären sind, als dies bislang der Fall war. Die erste und grundlegende Erkenntnis dieser Untersuchung ist daher die Einsicht in die literarische Priorität von *Ev vor dem kanonischen Lk-Evangelium. Da diese Frage in den letzten 150 Jahren nicht mehr auf der allgemeinen, wissenschaftlichen Tagesordnung stand und nur vereinzelt aufgegriffen wurde, liefert diese Erkenntnis Antworten auf eine Frage, die so gut wie gar nicht gestellt wurde. Aus diesem Grund lässt sich der Ertrag für die gängigen Fragestellungen nur schwer bestimmen; er liegt vor allem im methodischen Bereich. Die Auseinandersetzungen in den 1840er Jahren um das Verhältnis zwischen *Ev und Lk zeigen ein zunehmendes Bewusstsein für die damit verbundenen methodischen Fragestellungen der Literarkritik: Die Divergenz der Vorschläge, die damals diskutiert wurden, aber auch die direkte Auseinandersetzung über die Kriterien für die Identifizierung literarischer Abhängigkeit belegen sowohl dieses Bewusstsein als auch die Unsicherheiten im Ergebnis, die dabei zunächst geblieben sind. Während die literarkritische Methodik in der zweiten Hälfte des 19. Jh. in anderen Forschungsbereichen - vor allem zum Synoptischen Problem und, im Bereich des Alten Testaments, zur Pentateuchkritik - weiterentwickelt wurde, hat 382 V. Ausblick eine solche methodische Revision für die Verhältnisbestimmung zwischen *Ev und Lk nicht stattgefunden: Die Ergebnisse des Diskurses aus der Mitte des 19. Jh. wurden einfach übernommen und, am wirkungsvollsten von Theodor Zahn, ins 20. Jh. vermittelt. Dessen grundlegend konservative Ansichten in allen Einleitungsfragen (und eben auch in der Beurteilung der häresiologischen Zeugnisse über das Verhältnis zwischen dem marcionitischen Evangelium und Lk) haben eine erneute Reflexion auf die methodischen Grundlagen faktisch verhindert: Dass gerade er die traditionelle Sicht der Lk-Priorität vor *Ev bestätigte, ist kaum verwunderlich. Dass Harnack in den 1920er Jahren dieses Ergebnis aufgriff, ohne sich um eine Begründung im Einzelnen zu bemühen, hat sich als verhängnisvoll erwiesen: Sein Votum hat die weitere Forschung so stark dominiert, dass andere Ansichten 1 sich dagegen nicht durchsetzen konnten. Mit Blick auf die literarischen Phänomene, die für diese Verhältnisbestimmung zu erklären sind, ist die Einseitigkeit, mit der sich die These der Lk-Priorität im kollektiven Bewusstsein der Forschung festgesetzt hat, einigermaßen erstaunlich. Denn schon der grobe Vergleich des jeweiligen Textbestandes - also vor allem das eindeutige Fehlen großer Textkomplexe wie Lk 1,1-4,13; 15,11-32 usw. - lässt, nicht nur auf den ersten Blick, kaum eine andere Erklärung zu als die Annahme einer sekundären Einfügung. Dies ist im Rückblick natürlich leichter zu erkennen als mitten in den Debatten, die durch die zeitliche Abfolge der beiden Diskurse im 19. Jh. bestimmt waren: Dass sich im letzten Drittel des 19. Jh. die Zwei-Quellentheorie durchsetzen konnte, weil die Lk-Priorität vor *Ev gar nicht mehr zur Debatte stand, ist schon deutlich geworden. Aber auch umgekehrt hat die Geltung der Zwei-Quellentheorie eine Revision des literarischen Verhältnisses von *Ev und Lk im 20. Jh. verhindert. Auch dies ist verständlich, wenn man in Rechnung stellt, welche wichtigen methodischen Fragestellungen und sachlichen Ergebnisse auf der Basis der Zwei-Quellentheorie entwickelt wurden: Zu nennen sind nicht nur die ältere Formgeschichte seit den 1920er Jahren oder die Redaktionskritik seit den 1950er Jahren, sondern auch etwa die Fortschreibung der Zwei-Quellentheorie durch die »Q«-Forschung mit den Überlegungen zu den Trägerkreisen oder zur literarischen Schichtung von »Q«, die mittlerweile auch schon wieder zwei Generationen zurückliegt. Die sachliche Interdependenz zwischen den beiden Fragestellungen hat aufgrund der Geltung der jeweils einen das Weiterdenken der jeweils anderen blockiert: Zu den ersten Reaktionen auf die These der *Ev-Priorität 2 gehörte ______________________________ 1 Am wichtigsten: J. K NOX , Marcion and the New Testament, Chicago 1942; R. J. H OFFMANN , Marcion: On the Restitution of Christianity, Chico 1984. 2 M. K LINGHARDT , Markion vs. Lukas: Plädoyer für die Wiederaufnahme eines alten Falles, NTS 52 (2006), 484-513. § 15: Antworten und Fragen 383 daher, nicht untypisch, der Einwand, dass sie nicht mit der Zwei-Quellentheorie vereinbar sei. 3 a. Methodische Fragen zur Rekonstruktion von *Ev Anhand der Rekonstruktion von *Ev in den letzten 200 Jahren werden grundlegende methodische Probleme der Quellenkritik sichtbar. Dass die meisten Argumentationsfiguren, die in diesem Zusammenhang verwendet werden, zirkulär sind, ist eine Mahnung zur Vorsicht, aber kein grundsätzliches non liquet. Allerdings sind die Voraussetzungen ebenso im Auge zu behalten wie die Stimmigkeit des Gesamtbildes, das sich am Ende zeigt. Beides gilt auch für die hier vorgelegte Rekonstruktion. Die methodischen Voraussetzungen sind wiederholt angesprochen worden und müssen hier nicht noch einmal wiederholt werden. Es handelt sich vor allem um drei Beobachtungen, die gegen die traditionelle Annahme der Lk-Priorität vor *Ev sprechen: (1.) Die großen Unterschiede im Gesamtbestand, also das eindeutig bezeugte Fehlen von größeren Passagen wie Lk 1,1-2,52; 3,1b-4,16; 15,11-32 usw. in *Ev; (2.) die häufig beobachtete Inkohärenz der angeblichen Bearbeitung Marcions, die sich nicht zu einem erkennbaren redaktionellen Konzept fügt; und schließlich (3.) die zahlreichen Berührungen zwischen dem für *Ev durch die Häresiologen direkt bezeugten Text und den Varianten in den kanonischen Lk-Handschriften. Keine dieser Beobachtungen ist neu, sie alle haben in der Forschungsgeschichte der letzten 150 Jahre (mit unterschiedlicher Genauigkeit und Gewichtung) eine Rolle gespielt, und für alle sind auch unter den methodischen Grundannahmen der Zwei-Quellentheorie und der Lk-Priorität vor *Ev Lösungen angeboten worden, auch wenn diese insgesamt wenig überzeugend sind. 1. Die Unterschiede im Gesamtbestand bilden einen sinnvollen Ausgangspunkt 4 für die Bestimmungen der Bearbeitungsrichtung zwischen *Ev und Lk: In den meisten Fällen ist das Urteil über das literarkritische Gefälle unzweifelhaft. Diese Einschätzung setzt jedoch voraus, dass der literarkritische Vergleich zwischen *Ev und Lk nicht unter den methodischen Bedingungen der gängigen Lösungen des Synoptischen Problems, vor allem der Zwei-Quellentheorie, durchgeführt wird. Sofern deren Geltung (explizit oder implizit) vorausgesetzt wird, lässt sich die *Ev- ______________________________ 3 Die faktische Interdependenz der beiden Hauptfragen war der entscheidende Grund, diese beiden Fragestellungen in dieser Untersuchung - entgegen manchem gut gemeinten Rat! - gemeinsam zu behandeln. Der Preis für diese Entscheidung ist das Anwachsen der Untersuchung auf einen ungebührlichen Umfang. 4 Daran ist gegen den Einwand von J. M. L IEU , Marcion and the Synoptic Problem, in: P. Foster et al. (eds.), New Studies in the Synoptic Problem, Leuven u. a. 2011, 731-751: 747, festzuhalten. Dass sich die Bearbeitungsrichtung und die Rekonstruktion des Textbestandes von *Ev keineswegs auf die Feststellung dieser Bestandsunterschiede beschränkt, ist hier nicht mehr zu begründen. 384 V. Ausblick Priorität im literarkritischen Vergleich des Gesamtbestandes weniger überzeugend erweisen. Dass der methodische Verzicht auf die Geltung der Zwei-Quellentheorie sich forschungsgeschichtlich plausibilisieren lässt, hat die Untersuchung zum Verhältnis der beiden Diskurse im zweiten Drittel des 19. Jh. (o. § 1) gezeigt. Da die Zwei-Quellentheorie von der traditionellen Lk-Priorität vor *Ev abhängig ist, kann sie keine methodische Voraussetzung für die literarkritische Bestimmung des Bearbeitungsverhältnisses zwischen *Ev und Lk sein: Die Überlieferungsgeschichte der Evangelien (einschließlich der synoptischen Beziehungen) setzt die Bestimmung des Verhältnisses zwischen *Ev und Lk voraus, nicht umgekehrt. 2. In methodischer Hinsicht ist die Beobachtung der fehlenden Kohärenz der angeblichen marcionitischen Bearbeitung von Lk von größerem Gewicht, denn sie liefert die maßgebliche Begründungsfigur, um die (größeren, aber auch geringfügige) Bestandsunterschiede zwischen *Ev und Lk in ein eindeutiges diachrones Verhältnis zu bringen. Das Argument ist mit den wichtigsten Beispielen oben (§ 6) genauer beschrieben: Wenn Marcion, wie ihm von Irenaeus bis Harnack und darüber hinaus unterstellt wird, das kanonische Lk-Evangelium aus inhaltlichen Gründen bearbeitet hätte, müsste diese Bearbeitung in ein erkennbares redaktionelles Konzept münden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Im umgekehrten Fall fügen sich zahlreiche Unterschiede (vor allem: Ergänzungen) in das lk redaktionelle Konzept. Diese Beobachtung wiegt deshalb schwer, weil sich diese Ergänzungen zu umfassenden redaktionellen Linien fügen, die über Lk hinaus auch die Struktur von Act bestimmen. So erhält beispielsweise die Ergänzung der beiden Gleichnisse vom Verlorenen in *Ev (*15,3-5.7; *15,8.10) durch die Exposition (Lk 15,1f) und das allegorisierende Gleichnis von den beiden Söhnen (Lk 15,11-32) einen gerichteten Sinn: Die Einfügung des narrativen Rahmens erlaubt es, die drei Gleichnisse unter einem einheitlichen Gesichtspunkt zu verstehen, nämlich dem Konflikt mit den Pharisäern über die Annahme von Sündern. Diese Exposition fungiert daher als narrativer »Kommentar des dritten Evangelisten zu den drei Gleichnissen vom Verlorenen,« 5 und zwar unabhängig von der Herkunft der drei Gleichnisse oder von ihrem Sinn in den möglichen Prätexten. Das hier thematisierte Problem der Reaktion der Pharisäer auf die Zuwendung Jesu zu »Sündern« findet eine Fortsetzung in den »Exodusszenen« Act 13,42ff; 17,4ff; 18,12f und beherrscht die Anlage von Act bis hin zu Act 28,16-28: Die Diskussion des Verhältnisses von Juden und Christen ist für das redaktionelle Konzept von Lk-Act in hohem Maße bestimmend. Genauerhin interessieren daran zwei Fragen: Inwiefern lassen sich die Juden »ausgehend von dem Gesetz des Mose und den Propheten für Jesus gewinnen« (Act 28,23)? Und: Was bedeutet die Ablehnung der christlichen Botschaft durch die Juden für die (Mission unter) Heiden? Diese Fragestellung bestimmt den großen Rahmen der apostolischen Geschichte in Act in gleicher Weise, wie sie die redaktionellen Ergänzungen in Lk 15 motiviert. ______________________________ 5 M. W OLTER , Lk 15 als Streitgespräch, ETL 78 (2002), 25-56: 34. § 15: Antworten und Fragen 385 Da dieses inhaltliche Konzept nicht nur in redaktionellen Passagen, sondern (mit etwas anderer Schwerpunktsetzung) bereits in *Ev begegnet (*11,52b; *13,24), lässt sich an diesem Beispiel noch eine weitere Einsicht demonstrieren: Das literarkritische Kriterium der redaktionellen Kohärenz ist für die Bestimmung der Bearbeitungsrichtung zwischen *Ev und Lk nicht beliebig anwendbar. Die Differenzen zwischen *Ev und Lk bestehen im Wesecntlichen in »Überschüssen« in Lk gegenüber *Ev; je nach Bearbeitungsrichtung handelt es sich also entweder um Streichungen an Lk durch Marcion oder um redaktionelle Ergänzungen an *Ev. Allerdings ist das Ergebnis kein Vexierbild, das je nach Perspektive jeweils ein in sich stimmiges Gesamtbild ergeben muss. Denn wenn Marcion all das, »was seiner Lehre entgegensteht, gestrichen hat, [...] aber zurückbehielt, was mit seiner Lehre übereinstimmt«, 6 dann wäre eine vollständige Tilgung missliebiger Aussagen zu postulieren - genau diese Vollständigkeit ist jedoch nicht erweisbar. Im umgekehrten Fall der *Ev- Priorität gilt dieses Postulat der Vollständigkeit der Kohärenz jedoch nicht: Es wäre ein erkennbar unsinniges Postulat, dass das redaktionelle Konzept der lk Bearbeitung von *Ev nur dann kohärent wäre, wenn bestimmte Vorstellungen ausschließlich in Lk und nicht in *Ev begegnen. Vielmehr zeigt sich in vielen Fällen, dass die lk Redaktion Elemente aufgegriffen hat, die in *Ev bereits vorhanden waren und dort teilweise nur eine marginale Rolle gespielt haben, sie aber intensiviert, ergänzt und ausgebaut hat. Dieses Phänomen, das gerade anhand von *11,52b; *13,24 sowie den redaktionellen Texten (Lk 15,1f.11-32; Act) deutlich wurde, lässt sich noch an anderen inhaltlichen Zusammenhängen zeigen, für die hier nur drei Beispiele genannt seien. 1. Ein erstes Beispiel ist die Pneumatologie: Zwar kommt das Stichwort πνεῦμα/ πνεύματα in *Ev gelegentlich vor, aber der umfassende und theologisch reflektierte Gebrauch ist erst eine Folge der lk Redaktion. *Ev verwendet πνεῦμα in erster Linie dämonologisch: Es gibt beispielsweise unreine (*4,36; *6,18; *11,24), dämonische (*4,33; *9,37), schwache oder böse (*11,26) πνεύματα. Absolutes πνεῦμα kann auch den Lebensgeist bezeichnen, der in die Tochter des Jairus zurückkehrt (*8,55). Nicht ganz klar ist die Bedeutung von ἠγαλλιάσατο ἐν τῷ πνεύματι in *10,21: Am ehesten bezeichnet die Präposition den Gegenstand des Jubels (Jesus jubelt über den Geist), aber denkbar ist auch, dass er im Geist jubelt, der dann eine innere Haltung bezeichnen würde. Analog dazu versteht *Ev Ps 110 als Prophetie Davids ἐν τῷ πνεύματι - sofern die Rekonstruktion dieser Stelle zutrifft. 7 Nur zwei Mal spricht *Ev sicher vom Heiligen Geist, und zwar wohl nicht nur zufällig als einer zukünftigen Größe, von der eine Tätigkeit erwartet wird: Das Vater-Unser bittet um das ______________________________ 6 Tert. 4,6,2: … certe propterea contraria quaeque sententiae suae erasit … competentia autem sententiae suae reservavit. Vgl. auch Iren., Haer. 3,12,12 usw. 7 Die Rekonstruktion basiert hier nur auf inneren Gründen und ist abhängig von den synoptischen Parallelen: ἐν τῷ πνεύματι τῷ ἁγίῳ Mt 22,43 || Mk 12,36. Dass diese innere »Geisteshaltung« auch negativ verstanden werden kann, zeigt *9,55 οὐκ οἴδατε οἵου πνεύματός ἐστε ὑμεῖς. 386 V. Ausblick Kommen des Heiligen Geistes (*11,2) und erwartet von ihm eine »Reinigung« (καθαρισάτω ἡμᾶς). Und in der Aufforderung zum furchtlosen Bekenntnis verheißt Jesus den Jüngern, dass τὸ ἅγιον πνεῦμα sie in Verfolgungssituationen lehren werde, was sie zu sagen haben (*12,11). Über diese schmalen Belege hinaus hat die lk Redaktion die Rede vom (heiligen) Geist erheblich verbreitert und auch andere Bedeutungen implementiert. Charakteristisch ist der christologische Akzent: Weil Jesus durch den Geist gezeugt wird (Lk 1,35) kann Lk auch vom »Geist Jesu« sprechen (Act 16,7). Aber in aller Regel ist πνεῦμα bzw. πνεῦμα ἅγιον der Geist Gottes, von dem man »erfüllt« werden kann (Lk 1,15.41.67; Act 2,1-4.17-21.33) und der dann etwa das gesamte Wirken Jesu prägt (Lk 4,16-30). Auffällig ist, in wie hohem Maß die Gabe des Geistes an rituelle Vollzüge gebunden ist, also an die Taufe (Lk 3,16; Act 1,5; 2,38; 8,14-25; 9,17f; 10,44-48; 19,5f), an die Handauflegung (Act 8,17-19; 19,6) oder an das Gebet (Lk 11,13). Der Geist wird zu dem specificum Christianum, das die religiöse Identität verbürgt (Act 19,1-7) und sich vor allem in der Verkündigung und Mission auswirkt (Act 1,8; 4,8.31; 7,55; 8,29.39; 10,19; 13,9). Sehr eng damit verbunden ist die hermeneutische Funktion des Geistes: Er ermöglicht die Prophetie (Lk 1,67; 2,25-27; Act 2,17ff; 11,28) und gewährleistet die Inspiriertheit der Schriften (Act 1,16; 4,25; 28,25). Aus diesem Grund ist die Gabe des Geistes die Voraussetzung für das vollständige Verstehen der Schriften, das sich in der Wahrnehmung ihres prophetischen Zeugnischarakters auf Christus erweist: Was zuvor Jesus allein vorbehalten war (Lk 24,25-27.44-49), vermögen nach der Gabe des Geistes auch die Jünger: Die selbständige christologische Auslegung der Schrift (Act 2). Aus diesem Grund leistet die Pneumatologie eine wichtige heilsgeschichtliche Verbindung zwischen dem Alten und dem Neuen Bund - und den Schriften, die durch ihre Zusammengehörigkeit die Einheit dieser Heilsgeschichte bezeugen: Das Alte und das Neue Testament. 2. Mit der Täufertradition verhält es sich ähnlich. *Ev erwähnt den Täufer mehrfach, aber seine biographischen und theologischen Kenntnisse sind vergleichsweise schmal: *Ev kennt den Namen Johannes, er weiß, dass er ein »Täufer« war (*7,17), dass er Jünger hatte (*11,1) und dass er vom »König« Herodes geköpft wurde (*9,7-9). Darüber hinaus kennt *Ev den Täufer als prophetischen Verkünder des Gesetzes und der Propheten (*16,16) und weiß um die Anfrage des Täufers (*7,17-23) sowie das nachfolgende Urteil Jesu über ihn (*7,24-28). Allerdings lässt *Ev eine deutliche Distanz des Täufers gegenüber Jesus erkennen (*7,18.23): In *Ev hat der Täufer an Jesus Anstoß genommen (*7,18; Formulierung unsicher), weswegen Jesus ihn selig preist unter der Bedingung, dass »du an mir nicht Anstoß nimmst« (*7,23, nach Epiph.). Diese Distanz ist für die späteren Überlieferungsstadien von *Mk bis Lk kaum denkbar, denn diese lassen Jesus und Johannes zuvor im Zusammenhang ihrer Tauferzählungen aufeinander treffen (Mk 1,2-11; Mt 3,1-17; Joh 1,19-34; Lk 3,1-22) und verorten dort das positive Zeugnis des Täufers über Jesus, das Joh sogar in den Prolog integriert hat (Joh 1,6-8.15). Der Ursprung dieses positiven Zeugnisses liegt im Urteil Jesu (*7,24-28), das dem Täufer bescheinigt, »mehr als ein Prophet zu sein« (*7,26), ihn aber zugleich von dem »Kleinsten in der Basileia« absetzt, der größer ist als er (*7,28). Dieses ambivalente Zeugnis hat sich in der Fortschreibung der Überlieferung erhalten. Das bedeutet: *Ev kennt Johannes und weiß auch, dass er getauft hat. 8 Aber alle weitergehenden Informationen fehlen bei ihm und sind erst durch die weiteren Stadien der Überlieferungsgeschichte eingetragen worden. Aus der sehr knappen Notiz über die Hinrichtung durch Herodes hat schon das vorkanonische *Mk seine Inhaftierung (Mk 6,17 || Mt 4,12 || Lk 3,19f) sowie den ______________________________ 8 Diese Information auch bei Jos., Ant. XVIII 116-119. § 15: Antworten und Fragen 387 Bericht über seine Hinrichtung auf Drängen der Herodias herausgesponnen (Mk 6,18-29). Zu der Fortschreibung der Überlieferung seit *Mk gehören dann vor allem die Taufe Jesu durch Johannes; die Umkehrpredigt des Täufers; seine Verkündigung des »Stärkeren«, der nach ihm kommen werde und mit Feuer und Geist taufen werde; die Identifizierung des Täufers mit Elia; die Existenz von Johannesjüngern in der apostolischen Zeit. In dieser Fortschreibung hat sich die Ambivalenz des Urteils Jesu über den Täufer noch erhalten: Mk hat die Ankündigung des »Stärkeren« in den Bericht über die Tauftätigkeit aufgenommen (Mk 1,7f || Mt 3,11), Mt hat darüber hinaus die Überlegenheit Jesu durch die Weigerung des Täufers, ihn zu taufen, in den Taufbericht integriert (Mt 3,14f), Joh hat das differenzierte Urteil über den Täufer dadurch pointiert zum Ausdruck gebracht, dass er ihn als Zeugen charakterisiert, der »Zeugnis ablegt für das Licht«, aber »nicht selbst das Licht« ist (Joh 1,7f). Lk hat dieser differenzierten Charakterisierung den breitesten Raum gegeben durch die Synkrisis der Geburtsgeschichten (Lk 1f) und durch die Begegnung zwischen Elisabeth und Maria (Lk 1,36-45). Der Bericht von der Taufe der Johannesjünger in Ephesus (Act 19,2-7) macht deutlich, dass die Überlegenheit Jesu über Johannes bzw. der Christen über die Johannesjünger in den unterschiedlichen Wirkungen der Taufe besteht. 3. Ein letztes Beispiel für die Fortschreibung von *Ev durch die späteren Überlieferungsstadien ist das Problem der Davidssohnschaft Jesu. In diesem Fall besitzt die Fortschreibung noch deutlicher als in den anderen Beispielen eine korrigierende Funktion. Denn in *20,41-44 weist Jesus die Ansicht der Schriftgelehrten zurück, der Messias müsse ein Davidide sein: Dieses Urteil setzt möglicherweise einen entsprechenden (impliziten) Einwand der Gesprächspartner voraus, der sich auf die (schon für *Ev bezeugte) Herkunft Jesu aus Nazareth/ Nazara stützen könnte. Die kanonische Fassung der Frage (Lk 20,41: πῶς λέγουσιν τὸν χριστὸν εἶναι Δαυὶδ υἱόν; ) lässt sich entweder als echte oder als rhetorische Frage verstehen, die eine Abweisung der zitierten Ansicht impliziert. *20,41 (und wohl noch Mk 12,35) 9 haben den propositionalen Gehalt dieser Frage genau in diesem zweiten Sinn verstanden: Jesus weist mit dem Zitat aus Ps 110 die Ansicht zurück, der Messias müsse aus dem Geschlecht Davids sein. Unabhängig davon wird Jesus sowohl in *Ev (*18,38) als auch in Mk (10,47f) als »Sohn Davids« adressiert. Die Korrektur setzt in diesem Fall mit dem vorkanonischen *Mt ein: Schon in der Überschrift über den Stammbaum wird Jesus als »Sohn Davids« bezeichnet (Mt 1,1), und diese Davidssohnschaft wird dann ausführlich durch den Stammbaum (Mt 1,6.17), durch die Prodigien der Geburt Jesu (Mt 1,20) und durch den Geburtsort Bethlehem (Mt 2,1-12) mit dem (geänderten! ) Erfüllungszitat aus Mi 5,1 in Mt 2,6 entfaltet (vgl. § 12.4, o. S. 280ff). Lk hat diese Vorstellung zusammen mit dem Rahmen der Geburtsgeschichte aus Mt übernommen: Auch er lässt Jesus als Davididen in Bethlehem geboren sein, auch er führt den Stammbaum Jesu über David (Lk 3,31). Darüber hinaus verstärkt er den Aspekt der Davidssohnschaft Jesu durch die Engelsbotschaft an Maria (Lk 1,32) sowie das geisterfüllte Zeugnis des Zacharias im Benedictus (Lk 1,69). Auf diese Weise ist Jesus im Verlauf der Evangelienüberlieferung vom ältesten Evangelium bis zur Kanonischen Ausgabe von einem Nicht-Davididen zu einem Davididen geworden. Diese Tendenz der (vor-)kanonischen Evangelienüberlieferung, Ansätze aus *Ev aufzugreifen, sie weiterzuführen und dabei auch sehr deutlich zu korrigieren, ließe sich noch an vielen weiteren Einzelheiten zeigen; zu vergleichen wären etwa die ______________________________ 9 Vgl. C HR . B URGER , Jesus als Davidssohn, Göttingen 1970, 56ff; L ÜHRMANN , Mk 208, usw. 388 V. Ausblick Antithesen (vgl. *6,27 mit Mt 5,21-48), das kritische Verhältnis Jesu gegenüber seinen Jüngern, vor allem gegenüber Petrus (vgl. etwa *7,39f) oder die Erscheinung(en) des Auferstandenen vor seinen Jüngern (vgl. insbesondere *24,36-43 mit Joh 20,19-21,24). Vor diesem Hintergrund ist deutlich, dass sich das Exklusivitätspostulat für die Kohärenz der Redaktion nicht umkehren lässt. Aus diesem Grund ist auch der Einwand zurückzuweisen, die These der *Ev-Priorität scheitere schon »daran, dass sie den Textbestand ignoriert und nicht beachtet, dass Markions Evangelium an vielen Stellen Formulierungen enthält, die eindeutig der lukanischen Redaktion zuzuweisen sind.« 10 Für die Verhältnisbestimmung zwischen *Ev und Lk hat sich eine Annahme bestätigt, die an dieser Stelle wegen ihrer methodischen Bedeutung noch einmal hervorzuheben ist: Lk ist literarisch direkt von *Ev abhängig. Die Forschung hat zwar immer wieder einmal eine vermittelnde Position angenommen, sei es, dass *Ev und Lk von einer gemeinsamen Quelle abhängig sind, sei es, dass zwischen beiden eine vermittelnde Instanz anzunehmen ist. 11 Aber eine solche Vermittlung ist nur dann eine sinnvolle Annahme, wenn man das Verhältnis zwischen *Ev und Lk unter der Voraussetzung der Lk-Priorität bestimmen will: In diesem Fall lässt sich die direkte Abhängigkeit des marcionitischen Evangeliums vom kanonischen Lk tatsächlich nicht wahrscheinlich machen (und schon gar nicht sicher nachweisen). 12 Dies gilt jedoch nicht unter der Voraussetzung der *Ev-Priorität. Denn in diesem Fall gibt es keinen Hinweis darauf, dass Lk nicht direkt von *Ev abhängig ist. Eine solche gemeinsame Vorstufe lässt sich zwar nicht grundsätzlich ausschließen; aber da es weder positive Hinweise noch eine überlieferungsgeschichtliche Plausibilität oder gar eine Notwendigkeit für diese Annahme gibt, ist sie aus methodischen Gründen obsolet. Unter der Voraussetzung der *Ev-Priorität lässt sich das kanonische Lk als direkte Bearbeitung von *Ev verstehen. 3. Die dritte - und in methodischer Hinsicht gewichtigste - Beobachtung zur Begründung der *Ev-Priorität bezieht sich auf die engen Berührungen zwischen dem für *Ev direkt bezeugten Text und den handschriftlichen Varianten der ______________________________ 10 W OLTER , Lk 3, der als Beispiel das »typisch lukanische Syntagma βασιλείαν τοῦ θεοῦ κηρύσσειν/ εὐαγγελίζεσθαι« anführt. Dieses Syntagma ist eben nicht in dem Sinn »typisch lukanisch«, dass es ausschließlich im kanonischen Lk vorkäme. 11 Das war die Annahme, die am prominentesten von G. V OLCKMAR , Über das Lukas-Evangelium nach seinem Verhältniss zum Evangelium Marcion’s, ThJb 9 (1850), 110-138.185-235, vertreten wurde. Von dieser Annahme ist J. K NOX , Marcion and the New Testament, Chicago 1942, abhängig, von diesem wiederum J. B. T YSON , Marcion and Luke-Acts, Columbia 2006. Zu den forschungsgeschichtlichen Fragen vgl. D. T. R OTH , Marcion’s Gospel and Luke. The History of Research in Current Debate, JBL 127 (2008), 513-527. 12 Dies war die Fragestellung von A. G REGORY , The Reception of Luke and Acts in the Period Before Irenaeus, Tübingen 2003, 173ff; vgl. o. S. 146. § 15: Antworten und Fragen 389 kanonischen Lk-Überlieferung. Auf die grundsätzliche Bedeutung der Kombination von Text- und Überlieferungsgeschichte ist gleich noch zurückzukommen (§ 15.3, u. S. 403ff). Für die Verhältnisbestimmung zwischen *Ev und Lk genügt es daher, noch einmal auf die völlig unwahrscheinlichen Hilfskonstruktionen zu verweisen, die zur Erklärung dieser Berührungen unter der Annahme der Lk-Priorität notwendig werden. Diese Berührungen sind zwar immer wieder einmal registriert worden, aber Adolf von Harnack war der einzige, der ihre methodische Bedeutung für die Rekonstruktion des marcionitischen Evangeliums erkannt und sich um eine Erklärung bemüht hatte. 13 Harnack war als Textkritiker erfahren genug, um zu erkennen, dass die große Zahl der Berührungen auf einer gemeinsamen Grundlage beruhen musste und folgerte daher, dass Marcions Text des Lk »ein reiner W Text« gewesen sei. 14 Um die Lk-Priorität festhalten zu können, musste er allerdings annehmen, dass das von den Häresiologen so heftig verketzerte Evangelium Marcions gerade in den »tendenziösen« Änderungen den kanonischen Lk-Text beeinflusst habe. Dass und warum diese geradezu widersinnige Erklärung völlig unwahrscheinlich ist und selbst dann nur unter der methodisch nicht nachvollziehbaren Differenzierung zwischen den unauffälligen »kleinen« und den »tendenziösen« Berührungen funktioniert, muss hier nicht noch einmal gezeigt werden. Sehr viel wichtiger ist die grundsätzliche Beobachtung, dass die Überlieferungsgeschichte der Evangelien ihre Spuren in der Geschichte des (kanonischen) Evangelientextes hinterlassen hat. Dies nötigt zu der methodischen Einsicht einer wechselseitigen Interdependenz von Text- und Literarkritik: Das überlieferungsgeschichtliche Verhältnis zwischen *Ev und Lk lässt sich ohne die Berücksichtigung der handschriftlichen Varianten ebenso wenig erklären, wie das Zustandekommen der (besonders auffälligen) Varianten des kanonischen Lk-Textes ohne ein entsprechendes überlieferungsgeschichtliches Modell unverständlich bleibt. Es ist vor allem das methodische Gewicht dieses letzten Kriteriums, das eine Verhältnisbestimmung zwischen *Ev und Lk erlaubt, die über weitgehend unspezifische Beobachtungen zur theologischen Unverträglichkeit bestimmter lk Aussagen für Marcion 15 oder über die allgemeine überlieferungsgeschichtliche Einschätzung in den »sekundären Charakter« von lk Texten (etwa der Geburtsgeschichten) 16 weit hinausgeht. Jede Verhältnisbestimmung zwischen *Ev und Lk muss sich daran ______________________________ 13 H ARNACK 242*ff; vgl. dazu o. § 5.1. 14 A. a. O. 242*. 15 Das ist das Kriterium, mit dem vor allem H ARNACK und T SUTSUI die Differenz zwischen *Ev und Lk erklärt und die Lk-Priorität begründet haben. 16 Dies ist eines der wichtigsten Kriterien, das K NOX , a. a. O. 87, für die *Ev-Priorität in Anschlag brachte. 390 V. Ausblick messen lassen, ob und wie sie die Berührungen zwischen dem für *Ev bezeugten Text und den handschriftlichen Varianten des kanonischen Lk-Textes zu erklären in der Lage ist. b. Das literarische und theologische Profil von *Ev Mit der Einsicht in die *Ev-Priorität ist über die literarische Anlage dieses ältesten Evangeliums, seine Komposition und seine Theologie allerdings noch nichts gesagt. Da diese Untersuchung das Hauptaugenmerk auf die überlieferungsgeschichtlichen Fragen legt und sich in erster Linie um die Feststellung des Textbestandes bemüht, bleibt die literarische und theologische Analyse dieses ältesten Evangeliums eine Aufgabe für die Zukunft. Weil sich der Textbestand des ältesten Evangeliums aus der Differenz zum kanonischen Lk ergibt, ist es diesem in der Gesamtanlage ganz weitgehend vergleichbar. Darüber hinaus ist hier nur sehr knapp und summarisch auf einige wenige Beobachtungen zu verweisen. 1. Das älteste Evangelium hieß auch so: So weit erkennbar trug es von Anfang an den Titel »Evangelium«. Dieser Titel sagt noch nichts über die Gattung von *Ev, ist aber wohl in der Lage, etwas zur christlichen Begriffsgeschichte von εὐαγγέλιον beizutragen: Wenn bereits *Ev den Titel »Evangelium« trug, dann ist dies auch schon für Mk 17 und Mt 18 anzunehmen. »Evangelium« ist bereits in *Ev nicht nur der Inhalt der Verkündigung Jesu (dies auch, wie verschiedentlich deutlich wird), 19 sondern, wie der Titel zeigt, eben auch die Erzählung über ihn. 2. Ein neues Forschungsfeld liegt allerdings in der Frage nach der Gattung von *Ev. Denn während sich in den letzten drei Jahrzehnten die Einsicht durchgesetzt hat, dass die kanonischen Evangelien - entgegen der vehement vorgetragenen Einsprüche der älteren Formgeschichte - als Biographien anzusehen sind, 20 fehlen in *Ev wichtige Gattungsmerkmale, die diesen Text als Biographie konstituieren würden. Sofern die antike Biographie i. W. eine enkomiastische Gattung ist und eine dreiteilige Grundstruktur besitzt, 21 fehlt *Ev nicht nur ein Proömium (das wäre zur Not verzichtbar), sondern vor allem der durchweg zu beobachtende erste und ausgesprochen wichtige Teil, der die Wesensart des Protagonisten beschreibt. Dieser Abschnitt ist insofern gattungskonstitutiv, als er die unverzichtbare Grundlage für die Wertung liefert, die das Enkomion auszeichnet. Diese Beschreibung der Wesensart des Protagonisten kann auf vielfältige Weise bestimmt werden: Durch seine Herkunft, Familie oder den Namen; durch die besonderen Umstände seiner Geburt oder seine Ausbildung; durch frühe Gefährdungen oder Begabungen; durch das äußere Erscheinungsbild, das Auftreten oder durch eine qualifizierte Nähe zur ______________________________ 17 Vgl. R. G UELICH , The Gospel Genre, in: P. Stuhlmacher (Hg.), Das Evangelium und die Evangelien, Tübingen 1983, 183-219: 204-208. 18 Vgl. G. S TANTON , A Gospel for a New People, Edinburgh 1992, 16ff. 19 Vgl. *4,43; *16,16 (jeweils ἀπαγγελίζεσθαι τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ); *7,22; *9,6 (jeweils εὐαγγελίζεσθαι, ohne direktes Objekt). 20 Vgl. dazu K. B ERGER , Formgeschichte des Neuen Testaments, Heidelberg 1984, 345ff; D. F RICKEN - SCHMIDT , Evangelium als Biographie, Tübingen - Basel 1997; R. A. B URRIDGE , What Are the Gospels? , Grand Rapids u. a. 2 2004. 21 Vgl. F RICKENSCHMIDT , a. a. O. 192-350. § 15: Antworten und Fragen 391 Gottheit. Mit Blick auf die erhaltenen Beispiele von Biographien ist hier vieles möglich und bezeugt. Nur eines geht nicht: Dass dieser Abschnitt völlig fehlt. Wenn der »Schritt in die breite Öffentlichkeit und erste Höhepunkte im öffentlichen Auftreten als Neubeginn und Überleitung zum Mittelteil« der Biographie bestimmt werden, 22 dann ist unmittelbar einsichtig, dass *Ev dies gleich mit dem ersten Satz leistet (*3,1a; 4,16ff) und der Anfang fehlt. So, wie *Ev Jesus zu Beginn ohne irgendeine narrative Einführung in der Erzählung auftreten lässt, so lässt es ihn am Ende auch wieder aus der Erzählung verschwinden: Am Anfang kommt Jesus »nach Kapharnaum herab« und ist dann einfach da, am Ende verlässt der Auferstandene die Jünger und ist dann einfach fort. Wie er gleichsam aus dem Nichts auftaucht, so verschwindet er in eine narrative Unbestimmtheit. *Ev setzt voraus, dass Jesus auferstanden ist, und erzählt auch von zwei Erscheinungen vor den Jüngern (*24,13-35.36-43), verbindet damit aber keine weitergehenden theologischen Überlegungen über seine himmlische Existenz. Sieht man davon ab, dass *Ev Wert darauf legt, dass Jesus leiblich auferstanden und seine Erscheinung nicht die eines körperlosen ϕάντασμα ist, muss man wohl sagen, dass *Ev auf den Tod und die Passion Jesu ein größeres Gewicht legt als auf seine Auferstehung. Dieses Fehlen der charakteristischen Merkmale für die Gattung »Biographie« stellt aber nicht nur vor die Aufgabe einer Gattungsbestimmung, sie macht auch deutlich, dass die literaturgeschichtliche Entwicklung der Evangelienüberlieferung eine deutliche Tendenz zur »Biographisierung« erkennen lässt: Die späteren Evangelien, denen *Ev als Quelle zugrunde lag, haben dem Stoff sehr viel deutlicher eine literarische Form gegeben, die für durchschnittlich gebildete Leser als »Biographie« erkennbar war. 3. Die Bestimmung des Textbestandes ergibt sich durch die Differenz zu Lk. Die im Vergleich zu Lk fehlenden Passagen sind keine Streichungen in *Ev, sondern Ergänzungen durch Lk. Neben ungezählten kleineren Veränderungen in Kontexten, die bereits in *Ev enthalten waren, gehören dazu eine ganze Reihe von thematisch in sich relativ geschlossenen Passagen, die das kanonische Lk ergänzt hatte. Zu nennen sind hier nicht nur die von den Häresiologen sicher als in *Ev fehlend bezeugten Texte, sondern auch diejenigen, für die sich die sekundäre Ergänzung durch die lk Redaktion aufgrund verschiedener anderer Beobachtungen nahegelegt hat; für alle Einzelheiten ist die Rekonstruktion zu vergleichen. Folgende längere Passagen gehen sicher oder sehr wahrscheinlich erst auf die kanonische Redaktion zurück: Die sog. »Kindheitsgeschichten« und die gesamte Täufer- und Taufüberlieferung (Lk 1,1-2,52; 3,1b-4,15). - Die Heilung der Schwiegermutter des Petrus (Lk 4,38f). - Die »Kinder der Weisheit« (Lk 7,29-35). - Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,29-37). - Das »Zeichen des Jona« (Lk 11,30-32) und die Abhandlung über den Prophetenmord (Lk 11,49-51). - Die Umkehrforderung mit dem Gleichnis vom Feigenbaum (Lk 13,1-9). - Die Warnung vor Herodes und die Klage über Jerusalem (Lk 13,31-35). - Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32). - Die dritte Leidensweissagung (Lk 18,31-34). - Die Erzählung von der Auffindung des Reittiers beim Einzug in Jerusalem (Lk 19,29-35). - Die Dominus-flevit-Szene und die Tempelreinigung (Lk 19,41-47). - Das Gleichnis von den bösen Weingärtnern (Lk 20,9-18). - Die Belehrung über die Stunde der Entscheidung und die zwei Schwerter (Lk 22,35-38). - Die Belehrung der Jünger durch den Auferstandenen (Lk 24,44-49). Dieser negative Bestand ist in erster Linie für das Profil der lk Redaktion von Interesse, weil sie diese Texte ergänzt hat, aber er sagt wenig über das literarische Profil des ältesten Evangeliums. ______________________________ 22 Vgl. F RICKENSCHMIDT , a. a. O. 273 (Hervorhebung M. K.). 392 V. Ausblick 4. Einigermaßen auffällig ist der Umstand, dass *Ev eine Reihe von Dubletten enthielt. Auch hier ist ein generelles Urteil wenig aussagekräftig, weil nicht alle Beispiele in gleicher Weise als Dubletten erkennbar sind. Aber die Belege könnten doch einen ersten Zugang liefern: *6,6-10  *14,1-6. - *8,16  *11,33. - *8,21  *11,27. - *9,3  *10,4. - *9,24  *17,33. - *9,26  *12,28f. - *9,56  *19,10. - *12,11f  *21,12ff. - *16,16  *21,33. Welchen Aufschluss diese Dubletten zu geben vermögen, ist unklar. Auf der einen Seite könnten sie als Hinweise darauf verstanden werden, dass bereits *Ev auf eine literarische Wachstumsgeschichte zurückblickt: Das war die These von Gustav Volckmar in der Auseinandersetzung mit Albrecht Ritschl, auch wenn die Dubletten dabei nicht im Vordergrund seiner Argumentation standen. Allerdings müsste sich ein solches Urteil auf sehr viel konkretere Hinweise stützen können als auf die bloße Existenz von Dubletten. Denn andererseits ist es ohne weiteres möglich, dass diese Dubletten Ausdruck des literarischen Gestaltungswillens von *Ev sind. Denn dass *Ev wenigstens rudimentäre Spuren von literarischer Gestaltung aufweist, lässt sich kaum bestreiten, auch wenn dieser Gestaltungswille sich eher auf den Aufbau einzelner Perikopen bezieht als auf die Gesamtanlage. 5. Für den literarischen Charakter von *Ev ist es wichtig, dass die Folgerichtigkeit der Akoluthie kein vorstechendes Merkmal seiner Komposition ist. Dieses Merkmal ist noch am kanonischen Lk gut zu beobachten: Die Lk-Forschung hat sich trotz intensiver Bemühungen schon immer schwer damit getan, die innere Logik der Abfolge einzelner Szenen und Perikopen beispielsweise im sog. »Reisebericht« aufzuzeigen. Die wenig entwickelte literarische Struktur von *Ev fällt vor allem im Vergleich zu seinen wichtigsten Bearbeitungen auf: Auf der einen Seite hat *Mk trotz seiner aus *Ev beibehaltenen, stark episodischen Erzählweise durch massive Eingriffe (Auslassungen; Änderungen; Ergänzungen) einen hochgradig kohärenten Text geschaffen, der ein ganz außergewöhnliches Maß an überlegter Struktur aufweist (vgl. dazu o. § 11). Auf der anderen Seite zeigen gerade die Ergänzungen der lk Redaktion ein sehr viel höheres Maß an narrativer Stringenz, als es in *Ev zu finden ist: Die Sorgfalt der literarischen Anlage von Lk 1-4 (red.! ) setzt sich in dem nachfolgenden, bereits in *Ev vorhandenen Textbestand eben nur noch ansatzweise fort: Diese Beobachtung erklärt zwar die Unausgeglichenheit der narrativen Folgerichtigkeit des kanonischen Lk, aber für die Anlage von *Ev ist damit noch nicht viel gewonnen. Das Phänomen der gering entwickelten literarischen Struktur zeigt sich auch an etlichen Perikopenübergängen bzw. -expositionen, die von der lk Redaktion bearbeitet wurden. Leider ist das Urteil über diese Passagen unsicher, weil die Häresiologen in ihren Referaten darauf aus verständlichen Gründen keinen besonderen Wert gelegt haben: Diese Einleitungen und Übergänge sind kaum direkt bezeugt, das Urteil muss sich zumeist auf textkritische Auffälligkeiten und die daraus resultierenden Schlussfolgerungen stützen. Für die folgenden Beispiele ist daher immer die Rekonstr. zu vergleichen: 5,27. - 5,33. - 6,27 (s. auch den Abschluss 6,47-49! ). - 8,1. - 8,19. - 9,28. - 9,51f. - 11,14. - 13,22. - (14,1? ). - 15,1f. - 19,11f. - 20,19. - 23,50-52. 6. Was am positiven Textbestand auffällt, ist der Umstand, dass für das älteste Evangelium verschiedentlich Namenstraditionen anzunehmen sind, die in der späteren Überlieferung nicht mehr auftauchen. Dieses Element ist wegen des Fehlens einer direkten Bezeugung nicht ganz sicher, insgesamt aber kaum zu bestreiten: In *16,19 ist es wahrscheinlich, dass der Reiche den Namen Neves/ Naves trug. Die beiden Mitgekreuzigten in *23,32 trugen ursprünglich wahrscheinlich ebenfalls Namen, obwohl sich an dieser Stelle nicht ganz einfach herausfinden lässt, welche: Die Entscheidung für Ioathas und Maggatras (s. die Rekonstr. z. St.) lässt sich weniger gut begründen, § 15: Antworten und Fragen 393 als es wünschenswert wäre. Und schließlich war Emmaus/ Amaus (*24,13) in *Ev kein Orts-, sondern ein Personenname, nämlich der des Begleiters des Kleopas. Diese Namen sind jeweils nicht durch die direkte Bezeugung der Häresiologen gesichert, aber aufgrund der textkritischen Merkmale doch wahrscheinlich. Entgegen dem älteren Urteil, dass die Namen, die später in der Überlieferung gelegentlich auftauchen, immer als sekundäre, legendarische Eintragungen zu erklären seien, ist festzuhalten, dass sich in der Evangelientradition nicht nur die Streichung, sondern auch die Ergänzung von Namen findet: Gegenüber dem ältesten Evangelium sind Personennamen wie Bartimäus (Mk 10,46), Rufus und Alexander (Mk 15,21) oder Nikodemus (Joh 3,1 usw.) hinzugekommen. Andererseits sind die genannten Namen aus Mk 10 und 15 auch wieder aus der Überlieferung verschwunden und wurden durch die späteren Überlieferungsstadien nicht weiter rezipiert: Darin entsprechen Bartimäus, Rufus und Alexander den Personennamen, die wir nur aus *Ev kennen. Das Phänomen der Ergänzung und der Tilgung von Eigennamen bedarf aufgrund der Rekonstruktion von *Ev einer umfassenderen Untersuchung, weil sich gerade für die mk Namen eine neue Ausgangslage ergibt, wenn Mk nicht das älteste Überlieferungsstadium darstellt. Aber die hier genannten Beobachtungen sind weder vollständig noch systematisch ausgewertet. Die genauere Klärung dieser und vieler weiterer Fragen ist eine Aufgabe für zukünftige Untersuchungen. 2. Zur Überlieferungsgeschichte der Evangelien Die wichtigste Konsequenz aus der *Ev-Priorität vor Lk ergibt sich für die Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte der Evangelien, in erster Linie für das Synoptische Problem. Der Vorschlag für den Weg der Überlieferung (o. §§ 10-14) braucht hier nicht noch einmal wiederholt zu werden. Die folgenden Überlegungen sollen vielmehr den Blick auf einige allgemeinere Beobachtungen lenken und mögliche Schlussfolgerungen aus dem Befund andeuten. a. Die Evangelienüberlieferung als literarischer Redaktionsprozess Der Überlieferungsprozess, durch den nicht nur die Synoptiker, sondern alle vier Evangelien miteinander verbunden sind, ist ein durch und durch literarisches Phänomen. Für die Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte ist immer wieder aufgefallen, in wie hohem Maß ihre einzelnen Stadien sich als Ergebnis eines (je und je immer komplexer werdenden) Vergleichens von Texten verstehen lassen, das ein erhebliches Maß an redaktioneller Sorgfalt erkennen lässt: Die Produktionsbedingungen der Evangelien setzen durchweg eine gediegene und sehr gründliche »Schreibtischarbeit« voraus und lassen sich mit den Vorstellungen der älteren Formgeschichte nicht angemessen erfassen, die sich beispielsweise in den sozialgeschichtlich eher amorphen Kategorien der »Predigt« (Martin Dibelius) oder der »Gemeindebildung« (Rudolf Bultmann) spiegelt. 23 Natürlich wird man ______________________________ 23 Vgl. dazu K. B ERGER , Einführung in die Formgeschichte, Tübingen 1987, bes. 103ff. 394 V. Ausblick konzedieren, dass Ergebnisse immer in hohem Maß von den Fragen abhängen, auf die sie antworten: Wer nach literarischen Beziehungen zwischen den Evangelien sucht, wird auch literarische Beziehungen finden. Würde man von vornherein nach Spuren mündlicher Überlieferung fahnden, würde man wohl auch diese finden. Aber der Befund spricht dagegen: Die Überlieferungsgeschichte der Evangelien lässt sich in dem hier vorgestellten Modell vollständig und ohne »unerklärbare Reste« als rein literarischer Prozess erfassen. Die Suffizienz eines ausschließlich literarischen Erklärungsmodells für die Überlieferungsgeschichte der Evangelien ist methodisch von großer Bedeutung. Denn sie zeigt, dass die literarkritischen Erklärungsversuche seit dem Ende des 18. Jh. gegenüber denjenigen Modellen prinzipiell im Recht waren, die mit mündlichen Vor- oder Zwischenstufen rechneten. Dass es eine mündliche Überlieferung gab, ist zwar gut möglich. Aber zur Erklärung der Berührungen und Divergenzen zwischen den Evangelien ist die Annahme einer mündlichen Überlieferung im Sinn einer Traditionsstiftung oder -prägung nicht notwendig. Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch, dass die Überlieferungsgeschichte auch keinerlei Anhaltspunkte zu erkennen gibt, durch welche sich die Annahme einer mündlichen Überlieferung rechtfertigen ließe: Mündlichkeit ist keine Kategorie, die legitimerweise zur Erklärung der Überlieferungsgeschichte der Evangelien postuliert werden kann. b. Die Einheitlichkeit des Überlieferungsprozesses Mit der Feststellung, dass der Entstehungsprozess der Evangelien ein durchweg literarischer Vorgang war, hängen zwei weitere wichtige Einsichten zusammen. Die erste bezieht sich auf das Grundmodell: *Ev bildet als ältestes Evangelium den einen Ausgangspunkt, aus dem zunächst *Mk, dann *Mt und auch *Joh hervorgingen. Da die lk Redaktion von *Ev am Ende dieses Überlieferungsprozesses ein Teil der Kanonischen Redaktion der Evangelien ist, die auch für die kanonischen Endfassungen Mk, Mt und Joh verantwortlich ist, ergibt sich das Bild einer relativ geschlossenen und stark einheitlichen Überlieferung: *Ev ist die Grundlage dieser Überlieferung, auf welche alle weiteren vorkanonischen Fassungen unserer Evangelien in unterschiedlichem Ausmaß bezogen bleiben, und bildet schließlich die wesentliche Quelle für das kanonische Lk. Das Bild von *Ev als der einen Wurzel, aus der die kanonischen Evangelien hervorgehen und auf die alle weiteren Überlieferungsstufen bezogen bleiben, unterscheidet sich ganz wesentlich von den gängigsten Überlieferungsmodellen, der Zwei-Quellentheorie und der Two-Gospel-Hypothesis: Beide rechnen auf unterschiedliche Weise mit einem doppelten Ursprung der literarischen Evangelienüberlieferung, nämlich mit Mk und »Q« bzw. mit Mt und Lk. Vor allem die im Rahmen der Zwei-Quellentheorie ursprünglich angenommene Unabhängigkeit § 15: Antworten und Fragen 395 von Mk und »Q« besaß in der älteren Forschung eine wesentliche Funktion für die Identifizierung historischer Jesusüberlieferungen: Auf dieser Beobachtung beruhte das Bild des historischen Jesus, das sich in der Folge von Holtzmanns Arbeit zu den synoptischen Evangelien ergeben hatte. 24 Wenn eine bestimmte Überlieferung sowohl in Mk als auch in »Q« enthalten ist, dann gilt ihre Historizität aufgrund der angenommenen Unabhängigkeit dieser Bezeugung als wahrscheinlich. Dass diese ursprünglich einmal angenommene Unabhängigkeit von Mk und »Q« durch die »Mk-Q Overlaps« in Frage gestellt ist, hatte bereits Harry Fleddermann gesehen, der eine Abhängigkeit des Mk von »Q« postulierte. 25 Demgegenüber stellt das hier vertretene Modell nicht nur die Existenz von »Q« in Frage, sondern geht von einem einheitlichen Ursprung der Evangelienüberlieferung in *Ev aus: Es gibt kein Korrektiv für eine kritische Identifizierung von historischen Jesusüberlieferungen, das nicht dem Verdacht der Zirkularität unterliegt. Der Versuch einer Scheidung zwischen »historischen« und »unhistorischen« Jesusüberlieferungen, wie er für die sog. »Zweite Frage« nach dem historischen Jesus charakteristisch war, führt zu keinem Ergebnis. Es ist daher kein Zufall, dass die neueren methodologischen Überlegungen quellenbezogene Kriterien wie das Alter und/ oder die Unabhängigkeit von Überlieferungen nur noch am Rande gelten lassen; gleichwohl spielen diesbezügliche Überzeugungen für die historische Rekonstruktion eine implizite Rolle, wie die materialen Durchführungen dann ohne weiteres belegen. 26 Noch wichtiger als die Einheitlichkeit der literarischen Überlieferung ist für die Frage der Rekonstruierbarkeit des historischen Jesus die schon genannte Einsicht, dass sich aus der literarischen Überlieferung der Evangelien kein Anhaltspunkt für ______________________________ 24 H. J. H OLTZMANN , Die synoptischen Evangelien, Leipzig 1863. Vgl. dazu die Einschätzung von Holtzmanns These durch A. S CHWEITZER , Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, Tübingen 9 1984, 229 (o. S. 8 Anm. 17). 25 Vgl. H. T. F LEDDERMANN , Mark and Q, Leuven 1995; s. auch das Diagramm Abb. 4 (o. S. 243). 26 Vgl. etwa G. T HEISSEN , D. W INTER , Die Kriterienfrage in der Jesusforschung, Göttingen u. a. 1997 (passim), die gegen das Differenzkriterium das »Plausibilitätskriterium« anführen. Aber die Plausibilität wird letztlich nicht nur durch die Breite der Überlieferung gestützt, sondern auch durch die Unabhängigkeit ihrer einzelnen Stränge, wie G. T HEISSEN , A. M ERZ , Der historische Jesus, Göttingen 3 2001, 41ff zeigen: Die Ähnlichkeit bei gleichzeitiger literarischer Unabhängigkeit der vier (! ) Überlieferungsbereiche (neben »Q« und Mk auch das mt und lk »Sondergut«) sei ein wichtiges quellenkritisches Argument für die Historizität: »Wegen des hohen Alters und der Streubreite der synoptischen Traditionen […] besteht ein breiter wissenschaftlicher Konsens darüber, daß wir am ehesen über die synoptische Tradition Zugang zum historischen Jesus finden« (ebd. 42). Auch A. S CRIBA , Echtheitskriterien der Jesus-Forschung, Hamburg 2007, 89ff, geht davon aus, dass die »breite Bezeugung« kein hinreichendes Kriterium ist, entwirft dann aber sein eigenes Jesusbild ausgehend von einer genauen Rekonstruktion von »Q« (bes. 129ff). 396 V. Ausblick eine traditionsprägende mündliche Überlieferung gewinnen lässt. Die Oralitätsforschung zur Jesusüberlieferung hat sowohl Mk als auch »Q« als typische Beispiele für Texte verstanden, in denen die mündlichen Vorstufen noch durchscheinen. 27 Nach der hier vorgestellten Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte ist dies nicht haltbar: Den einen Text, »Q«, hat es gar nicht gegeben; der andere, Mk, war nicht die erste Verschriftlichung der Evangelienüberlieferung, sondern eine kunstvolle literarische Redaktion von *Ev. Diese Ergebnisse sind keine Empfehlung für die Zuversicht und die Resultate der Oralitätsforschung und stellen ihre methodische Tragfähigkeit in Frage. Mit der Einsicht in die große Einheitlichkeit der Evangelienüberlieferung hängt zweitens zusammen, dass sich die Evangelienliteratur nicht an bestimmte »Gemeinden« richtete: Diese an der neutestamentlichen Briefliteratur gewonnene Vorstellung versteht die Evangelien als Texte, die für bestimmte »Gemeinden«, also für prinzipiell definierbare Lesergruppen, verfasst wurden. Dieses Bild hat zwar weite Teile der Forschung im 20. Jh. bestimmt, aber es besitzt keinen Anhalt an den Texten und ihrer Überlieferung. Die Evangelien sind Literatur, und das impliziert, dass ihre Rezeption nicht kontrolliert werden kann: Sie stehen prinzipiell allen (möglichen) Lesern offen, auch wenn ihre Autoren bestimmte Leser implizieren oder gar intendieren. 28 Die Vorstellung, dass die Evangelien für bestimmte Gemeinden abgefasst und dann auch primär in und von diesen rezipiert wurden, besitzt eine wesentliche theologische Implikation. Denn in der Regel ist damit die Vorstellung von regional spezifischen Überlieferungen und ihrem Zusammenwachsen zu einer kanonischen Vier-Evangeliensammlung mit überregionalem Geltungsanspruch verbunden: Mk stammt aus Rom oder aus Ägypten, Mt aus Syrien, Lk aus Rom oder anderswo, Joh aus Kleinasien usw. 29 Das Vier-Evangelienbuch repräsentiert daher eine überregionale Einheit und manifestiert auf diese Weise einen umfassenden - eben: katholischen - Geltungsanspruch. ______________________________ 27 Vgl. für Mk z.B. J. D EWEY , Oral Methods of Structuring Narrative in Mark, Interpr. 53 (1989), 32-44; P. J. J. B OTHA , Mark’s Story as Oral Traditional Literature: Rethinking the Transmission of Some Traditions about Jesus, HTS 47 (1991), 304-331. S. auch mit Lit.: A. J. M. W EDDERBURN , Jesus and the Historians, Tübingen 2010, 225-273 (mit Lit. und der Diskussion neuerer Entwürfe). 28 Vgl. etwa R. B AUCKHAM , For Whom Were Gospels Written? , in: ders. (ed.), The Gospels for All Christians, Edinburgh 1998, 9-48; S T . C. B ARTON , Can We Identify Gospel Audiences? , in: ebd., 173-194; G. S TANTON , A Gospel for a New People, Edinburgh 1992, 50f. 29 Vgl. dazu B. H. S TREETER , The Four Gospels, London 1924, 12; M. B. T HOMPSON , The Holy Internet: Communication Between Churches in the First Christian Generation, in: R. Bauckham (ed.), The Gospels for All Christians, Edinburgh 1998, 49-70. Da sich für diese regionale Verteilung allerdings keine Zeugnisse finden lassen, ist die Theorie schon länger preisgegeben. Nicht ganz sachgerecht ist der Hinweis in diesem Zusammenhang, dass die regionale Zuschreibung von Handschriftenfamilien nicht mehr haltbar sei. Vgl. G. S TANTON , The Fourfold Gospel, NTS 43 (1997), 317-346: 336; D EWEY , a. a. O. 397. § 15: Antworten und Fragen 397 Ein solcher Geltungsanspruch ist zwar kaum zu leugnen: Die Rezeptionsgeschichte des kanonischen Vier-Evangelienbuches belegt auf eindrückliche Weise die Durchsetzung dieser Sammlung gegenüber den Einzeltexten und ihre »ökumenische Überlegenheit«. Dass allerdings die einzelnen Evangelienschriften regionale Ausprägungen der Jesusüberlieferung in »Kirchenprovinzen« repräsentieren, darf angesichts der Einheitlichkeit ihres Entstehungsprozesses bezweifelt werden: Die Art, in der jedes einzelne Überlieferungsstadium alle jeweils verfügbaren älteren Texte verarbeitete, ist unter den Kommunikationsbedingungen des weiten Raumes zwischen Syrien, Ägypten, Kleinasien und Rom kaum denkbar. Sehr viel wahrscheinlicher ist eine geographisch überschaubare Region, am ehesten ein großes städtisches Zentrum mit einer entsprechenden Konzentration verschiedener christlicher Gruppen. Neben dem westlichen Kleinasien mit der Metropole Ephesus kommt dafür vor allem Rom in Frage. c. Eine protokanonische Sammlung der Evangelien? Die Einheitlichkeit der Evangelienüberlieferung von *Ev bis Lk eröffnet schließlich die Perspektive auf die Vorgeschichte der kanonischen Evangeliensammlung. Im Hintergrund dieser Überlegung stehen zwei miteinander zusammenhängende Fragen: Warum gibt es im Neuen Testament nicht ein Evangelium, sondern vier? Und: Wie kann man sich vorstellen, dass die älteren Evangelien nicht von den jeweils jüngeren Fassungen verdrängt wurden, sondern »überlebt« haben? Die erste Frage ist wegen der damit zusammenhängenden und unübersehbaren theologischen Problematik vielfältig erörtert worden, 30 die zweite wird nur selten gestellt. Im methodischen Horizont der Zwei-Quellentheorie besitzen diese Fragen verständlicherweise ein spezifisches Profil. Denn unter den methodischen Prämissen der Zwei-Quellentheorie durfte es zwischen Mt und Lk ja überhaupt keine Beziehung geben: Sie konnten sich folglich gar nicht gegenseitig verdrängt haben. Dieses Problem besteht daher nur für Mt und Lk gegenüber ihren angenommenen Quellen, Mk und »Q«. Die Nichtexistenz von »Q« konnte daher als Beleg dafür gelten, dass die umfangreicheren und »verbesserten« Evangelien der »Seitenreferenten« diesen älteren, aber kürzeren und im Vergleich defizitär erscheinenden Text verdrängt hatten - und zwar so vollständig, dass sich von ihm nicht einmal mehr ein Testimonium erhalten hat. Die Frage, warum eine überarbeitete Quelle nicht ______________________________ 30 Vgl. als Beispiele für viele: P. S TUHLMACHER (Hg.), Das Evangelium und die Evangelien, Tübingen 1983; T H . K. H ECKEL , Vom Evangelium des Markus zum viergestaltigen Evangelium, Tübingen 1999; M. H ENGEL , Die vier Evangelien und das eine Evangelium von Jesus Christus, Tübingen 2008 usw. 398 V. Ausblick verdrängt wurde, stellt sich daher nur mit Blick auf Mk: »Why did it not go the way of Q? « 31 Im Rahmen der hier vorgestellten Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte vom ältesten Evangelium hin zur kanonischen Vier-Evangeliensammlung stellen sich beide Fragen auf andere Weise. Denn die starke Einheitlichkeit der Überlieferung - also die Beobachtung, dass die einzelnen Überlieferungsstufen nach *Ev jeweils alle früheren Texte benutzt haben - stellt die Frage nach der möglichen Verdrängung noch einmal in besonderer Deutlichkeit. Eine belastbare Antwort würde umfangreiche Untersuchungen erfordern. Aus diesem Grund soll wenigstens eine Vermutung skizziert werden, die zumindest erkennen lässt, welche Aspekte für die Lösung zu berücksichtigen wären. 1. Die Berechtigung der Fragestellung erweist sich zunächst am Schicksal von *Ev: Der älteste Evangelientext ist durch die nachfolgenden Bearbeitungen tatsächlich verdrängt worden. *Ev hat nicht im Überlieferungsraum der entstehenden Kirche überlebt, sondern wurde nur von Gruppen rezipiert und tradiert, die aus Sicht der katholischen Christen als häretisch ausgegrenzt waren. Das Schicksal von *Ev belegt daher sehr deutlich, dass die »Verdrängung« von Texten mit sozialen Abgrenzungsprozessen einhergehen kann, also mit der »Verdrängung« der Trägerkreise und Rezipienten. Falls es eine protokanonische Evangeliensammlung gab, war *Ev mit größter Wahrscheinlichkeit Teil dieser Sammlung. Der Verdrängungsprozess von *Ev setzte also erst mit der Erstellung des kanonischen Vier-Evangelienbuches ein. Dessen Erfolg im Rahmen der Kanonischen Ausgabe des Neuen Testaments war langfristig dafür verantwortlich, dass sich Spuren von *Ev nur in den häresiologischen Zeugnissen erhalten haben. Das Phänomen der Interferenz zwischen der Überlieferung des vorkanonischen *Ev und des kanonischen Lk hat immerhin gezeigt, dass *Ev nicht schlagartig verschwunden ist, sondern einen noch länger andauernden Einfluss auf die Überlieferung der kanonischen Evangelien ausgeübt hat. Das gleiche gilt ja im Übrigen auch für die anderen vorkanonischen Texte (also: *Mk, *Mt und *Joh), deren Existenz sich aufgrund der Uneinheitlichkeit der handschriftlichen Überlieferung nahelegt: Auch diese Texte sind durch die kanonische Evangeliensammlung verdrängt worden, aber auch diese vorkanonischen Evangelien ______________________________ 31 Z. B. J. D EWEY , The Survival of Mark’s Gospel: A Good Story? , JBL 123 (2004), 495-507: 495. Nach dem hier Ausgeführten ist die Lösung, die Joana Dewey anbietet, wenig wahrscheinlich: Mk sei wegen seiner besonderen Qualitäten als mündlicher Text weitgehend unabhängig von einer handschriftlichen Überlieferung tradiert worden und habe auf diese Weise überlebt. Dies ist möglich, aber wenig wahrscheinlich: Denn die Überlieferungsgeschichte der Evangelien hat sich insgesamt als stark literarischer Prozess herausgestellt, und gerade für Mk ist deutlich, dass sein ausgefeiltes redaktionelles Konzept Rezipienten mit einer stark entwickelten Lesekompetenz erfordert. § 15: Antworten und Fragen 399 haben die kanonische Handschriftenüberlieferung noch länger beeinflusst: Die Verdrängung ist als Prozess zu denken, dessen zeitliche Erstreckung sich kaum noch bestimmen lassen wird. 2. Gerade mit Blick auf die Verdrängung von *Ev und den anderen vorkanonischen Evangelien durch die kanonischen Evangelien im Raum der entstehenden Kirche stellt sich die Frage in aller Schärfe, wieso die vier kanonischen Fassungen dieser Evangelien »überlebt« haben: Aus welchem Grund hat die entstehende Kirche eine Sammlung von vier verschiedenen Evangelien geschaffen und tradiert und sich auf diese Weise dem theologischen Problem der Vielstimmigkeit ihres entscheidenden Gründungsdokuments ausgesetzt? Diese Formulierung der Frage impliziert, dass der (oder die) Herausgeber der Kanonischen Ausgabe der Mehrstimmigkeit der Vier-Evangeliensammlung tatsächlich ein einziges, verbindliches Evangelium vorgezogen hätte(n). In diesem Fall könnte man überlegen, dass es in der Situation der Entstehung der Kanonischen Ausgabe keine wirkliche Alternative zu der Rezeption aller vier Evangelien gab: Das setzt voraus, dass diese jeweils für sich bereits eine solche Geltung erlangt hatten, dass sie faktisch nicht mehr durch ein einziges Evangelium ersetzt werden konnten. Es könnte natürlich auch sein, dass die Herausgeber die Vielstimmigkeit der Evangelienüberlieferung gar nicht als unvermeidliches Übel akzeptiert haben, sondern sie gerade wegen der darin zum Ausdruck gebrachten Pluralität willkommen geheißen haben. Das kanonische Vier-Evangelienbuch hat dieses Problem ja durchaus wahrgenommen und durch die Entsprechung von Lk-Prolog und Joh-Epilog theologisch eingehegt: Die Bemerkung über die nicht fassbare Fülle der Taten Jesu (Joh 21,25) erweckt nicht den Eindruck, als hätte der Redaktor die Pluralität des Vier-Evangelienbuches unter dem Zwang der zufälligen Überlieferungslage nur einfach zähneknirschend akzeptiert. Gerade, wenn die kanonische Evangeliensammlung einen umfassenden, ökumenischen Geltungsanspruch vertritt, bietet die Unschärfe der pluralen Überlieferung eine Offenheit, die durchaus erstrebenswert gewesen sein kann. 3. Nun könnte diese (möglicherweise willkommene) Pluralität der Evangelienüberlieferung nicht erst ein Kennzeichen der kanonischen Evangeliensammlung gewesen sein: Es ist zumindest denkbar, dass es bereits eine vorkanonische Sammlung gab, auf welche die Kanonische Redaktion zurückgegriffen und sie um das kanonische Lk-Evangelium ergänzt hat. Die Frage lautet also: Wurden die vorkanonischen Fassungen der Evangelien (*Ev; *Mk, *Mt; *Joh) jeweils einzeln überliefert oder waren sie bereits aufeinander bezogen und zu einer Sammlung verbunden? Zur Beantwortung dieser Frage wäre es natürlich erforderlich, den genauen Textbestand dieser vorkanonischen Evangelien zu kennen: Dies ist bislang nicht der Fall. Die tentativen Überlegungen zur Rekonstruktion der vorkanonischen 400 V. Ausblick Fassungen der Evangelien (o. § 14.2-4) haben deutlich gemacht, dass für diese Frage zunächst eine vollständige und genaue Analyse der jeweiligen handschriftlichen Überlieferung notwendig wäre, und auch diese würde mit großer Wahrscheinlichkeit weniger verlässliche Ergebnisse zutage fördern, als dies bei der Rekonstruktion von *Ev, also der vorkanonischen Fassung des Lk, der Fall ist. 4. Gleichwohl lassen sich zu den möglichen intertextuellen Bezügen zwischen diesen Evangelien Überlegungen anstellen, die naturgemäß hochgradig spekulativ bleiben. Das Ziel solcher Überlegungen müsste im Nachweis bestehen, dass die jeweils jüngeren Fassungen die älteren nicht ersetzen, sondern ergänzen wollen. Für die einzelnen Stadien von *Mk bis *Joh fällt das Ergebnis wahrscheinlich sehr unterschiedlich aus. a. Versteht man *Mk als die älteste Bearbeitung von *Ev, dann lassen sich keine Elemente identifizieren, die als Verweis auf diesen ältesten Text fungieren: *Ev ist für *Mk zwar die entscheidende Quelle, nicht aber ein literarischer Bezugspunkt. Im Vergleich zwischen den beiden ältesten Evangelienschriften ist nicht erkennbar, dass *Mk mit *Ev zusammen gelesen werden will. Mit anderen Worten: *Mk will *Ev ersetzen. b. Für *Mt ist ein denkbarer literarischer Verweis auf seine beiden Prätexte (*Ev und *Mk) am schwierigsten zu fassen und eben deshalb besonders interessant. Da *Mt die *mk Erzählung als Rahmen rezipiert und das aus *Ev stammende Material (zusammen mit anderen Erweiterungen) in diesen Rahmen integriert, lässt sich die Frage auf das Verhältnis zwischen *Mt und *Mk reduzieren. Im Rahmen der Zwei-Quellentheorie ist das Verhältnis zwischen Mk und Mt nie als Ergänzung, sondern immer als Ersetzung aufgefasst worden: Das hat die Frage, warum Mk »überlebte«, ja überhaupt erst entstehen lassen. 32 Aber diese Einschätzung ist zu einem guten Teil vom Theoriedesign der Zwei-Quellentheorie abhängig: Denn wenn Mt und Lk unabhängig voneinander auf Mk zugegriffen haben (und wenn Mt älter als Lk ist, wie häufig angenommen wird), dann ist Mt als ergänzende Erläuterung neben Mk in der Tat schwer vorstellbar. Da sich diese Voraussetzung als unzutreffend erwiesen hat, ist auch die Frage nach den möglichen intertextuellen Bezügen zwischen *Mt und *Mk neu zu stellen. Anhaltspunkte für eine Beantwortung könnten diejenigen Elemente liefern, an denen *Mt narrative Leerstellen aus *Mk füllt, seine Ambivalenzen vereindeutigt und Andeutungen expliziert, ______________________________ 32 Vgl. U. L UZ , Das Matthäusevangelium: Ein neues Evangelium oder ein neu redigiertes Evangelium? , in: S. Chapman u. a. (Hg.), Biblischer Text und theologische Theoriebildung, Neukirchen-Vluyn 2001, 53-76; DERS ., Matthäus und Q, in: R. Hoppe, U. Busse (Hg.), Von Jesus zum Christus, Berlin 1998, 201-216. § 15: Antworten und Fragen 401 deren eigenständige Entschlüsselung durch den Leser einen wesentlichen Aspekt der implizierten Lesestrategie von *Mk ausmacht. 33 Diese Tendenz zur Vereindeutigung von Leerstellen zeigt sich vielfältig: So entschlüsselt *Mt 16,12 die *mk Metapher des »Sauerteigs der Pharisäer« aus *Mk 8,14-21 und beantwortet damit die Frage, die *Mk 8,21 eigentlich den Lesern aufgegeben hatte: »Versteht ihr immer noch nicht? « Ganz ähnlich ist die Erklärung *Mt 17,12 zu verstehen, dass der Täufer der wiedergekommene Elia sei (*Mk 9,13): Auch das müssen sich die Leser des *Mk selbst erschließen. Weitere Beispiele für diese Vereindeutigungen sind etwa *Mt 14,33 (in Bezug auf *Mk 6,52); *Mt 22,46 (zu *Mk 12,35-37a); die Umstellung von *Mt 13,12 || *Mk 4,25 zwischen *Mt 13.11.13 || *Mk 4,11a.b usw. Für *Mk ist die Einbeziehung der Leser in die Sinnkonstitution charakteristisch und Teil seines Lektürekonzepts: Die Leser müssen Andeutungen, Ambivalenzen und offene Fragen durch ihre eigene Lektüre klären und verstehen. Dieses elitäre Lektürekonzept erfordert nicht nur kompetente, sondern auch Mehrfachleser: Die einmalige Lektüre erlaubt die Entschlüsselung der narrativen Leerstellen nicht. Die Vereindeutigung und Explikation dieser Leerstellen durch *Mt könnte ein Hinweis darauf sein, dass diese beiden Texte zusammen gelesen werden sollen. Das ist allerdings unsicher, weil *Mt die Leerstellen ja aus *Mk übernommen hat: Ihre Explikation würde eine literarische Funktion auch dann erfüllen, wenn *Mt alleine für sich gelesen wird. c. Am deutlichsten wird die literarische Bezugnahme auf die Prätexte für *Joh: Dessen intertextuelle Bezüge, die häufig unter der Fragestellung »Joh und die Synoptiker« untersucht wurden, reichen bis in die Tiefenstruktur der gesamten literarischen Anlage hinein und beschränken sich nicht nur auf einzelne Bemerkungen, die ja möglicherweise (erst) auf den kanonischen Bearbeiter zurückgehen könnten. 34 Für diese strukturbildende Intertextualität des Joh ist es sehr gut denkbar, dass sie bereits ein Kennzeichen des vorkanonischen *Joh darstellt, das dann als Teil einer protokanonischen Sammlung konzipiert war. Auch, wenn der Umfang einer solchen hypothetischen Sammlung offenbleiben muss, ist es vorstellbar, dass *Ev ein Teil davon war. Man könnte sich also eine Sammlung aller vier vorkanonischen Evangelien vorstellen: *Ev, *Mk, *Mt und *Joh, wobei dem *Joh die Funktion eines kompositionellen Abschlusses mit den entsprechenden Kohärenzaufgaben zufiele. ______________________________ 33 Vgl. M. K LINGHARDT , Erlesenes Verstehen. Leserlenkung und implizites Lesen in den Evangelien, ZNT 21 (2008), 27-37. 34 Vgl. o. § 13. Neben Hartwig Thyens Interpretation (T HYEN , Joh; DERS ., Studien zum Corpus Iohanneum, Tübingen 2007) vgl. beispielsweise R. B AUCKHAM , John for Readers of Mark, in: ders. (ed.), The Gospels for All Christians, Edinburgh 1998, 147-171. Die konträre Position, dass Joh die Synoptiker kannte, aber ersetzen wollte, hatte H. W INDISCH , Johannes und die Synoptiker, Leipzig 1926, vertreten. 402 V. Ausblick Dieser hypothetische Gedanke lässt sich weiterspinnen. Denn eine solche vorkanonische Evangeliensammlung könnte erklären, warum gerade in den »Westlichen« Evangelienhanschriften so zahlreiche Sonderlesarten auftauchen, die sich ja immer wieder als Hinweise auf einen vorkanonischen Text erwiesen hatten: Ist es vorstellbar, dass die vorkanonischen Evangelien bereits als Sammlung zirkulierten? Und dass diese vorkanonische Sammlung bereits vor der Erstellung der Kanonischen Ausgabe in Übersetzungen (Vetus Latina; Vetus Syra) vorlag? Wenn man diese Fragen bejaht, besäße der letzte Schritt des oben entworfenen Überlieferungsmodells, also die Kanonische Redaktion, einen anderen Charakter: Die entscheidende Veränderung würde dann nicht in der Zusammenführung von vier Einzeltexten zu einer kohärenten Sammlung bestehen, sondern in der Integration einer bereits vorliegenden Sammlung in die gesamte Kanonische Ausgabe des Alten und Neuen Testaments - und in der intensiven Bearbeitung von *Ev durch die »lk Redaktion«. Geringfügig modifiziert, würde sich das überlieferungsgeschichtliche Diagramm folgendermaßen darstellen. -- - - - - ------*Ev- --- - - -------------*Mk- - -- - ---------*Mt- - - --- - ------- --*Mt- *Mk- -------*Ev-------------*Joh- - Protokanonische-- - - - - - - - - Sammlung? - - - - - - - - - - Kanonische-Redaktion- Altes- Testament- +- Mt- ----------Mk- -----Lk- Joh- +-Act-und-Kath.-Briefe; - Paulusbriefe; -ApcJoh- Abb. 13: Protokanonische Sammlung (? ) und Kanonische Ausgabe der Evangelien Diese Überlegungen zu einer protokanonischen Sammlung der Evangelien sind zugegebenermaßen rein spekulativ. Bevor nicht eine vollständige (und möglicherweise ja auch erfolglose) Analyse der handschriftlichen Überlieferung von Mk, Mt und Joh vorliegt, durch die sich die Existenz der vorkanonischen Fassungen erhärten würde, sind diese Überlegungen im besten Fall ein Gedankenexperiment: Es liefert keine belastbare Erklärung. Die Funktion dieses Experiments ist daher nicht explikativ, sondern ausschließlich heuristisch: Es soll andeuten, welche Fragestellungen sich eröffnen, wenn man die Überlieferungsgeschichte der Evangelien nicht im Modell der Zwei-Quellentheorie versteht, sondern als einen einheitlichen Prozess von *Ev zu Lk. § 15: Antworten und Fragen 403 3. Text- und Überlieferungsgeschichte: Die Kanonische Ausgabe Neben den Einsichten zum redaktionellen Verhältnis von *Ev und Lk sowie zur Überlieferungsgeschichte der Evangelien liegt ein wesentlicher Ertrag dieser Untersuchung in der Erkenntnis der Korrelation zwischen dem durch die Häresiologen für *Ev bezeugten Text und den Varianten der kanonischen Handschriftenüberlieferung. Diese Korrelation konstituiert das Phänomen, das oben (§ 5) als Interferenz zwischen der Überlieferung des vorkanonischen *Ev und des kanonischen Lk hinreichend, wenn auch nur anhand von ausgewählten Beispielen, beschrieben ist. Diese Ergebnisse müssen hier nicht noch einmal wiederholt werden. Allerdings ist es angezeigt, noch einmal auf die methodischen Konsequenzen hinzuweisen, die sich auf verschiedene Bereiche der neutestamentlichen Forschung beziehen. a. Der Text des Neuen Testaments Zunächst ist auf das methodische Vorgehen bei der Rekonstruktion des ältesten Evangeliums zu verweisen. Denn die These einer Interferenz zwischen der Überlieferung des ältesten Evangeliums und des kanonischen Lk erlaubt eine Einordnung der Widersprüche zwischen den häresiologischen Bezeugungen für *Ev: Die widersprüchlichen Bezeugungen sind weder ein Auweis der Unzuverlässigkeit der jeweiligen Referate, noch stellen sie deren Zeugniswert insgesamt in Frage. Die voneinander abweichenden Referate passen vollständig in das Bild der wechselseitigen Interferenz der beiden Überlieferungen: Das hier vorgeschlagene Erklärungsmodell erlaubt es, die Zuverlässigkeit der häresiologischen Zeugnisse auch dann zu begründen, wenn sie einander widersprechen. Die textkritische Analyse der kanonischen Lk-Varianten liefert daher eine kritische Bestätigung der häresiologischen Referate und sichert auf diese Weise die Rekonstruktion des ältesten Evangeliums methodisch ab: Es gibt neben der direkten Bezeugung durch die Häresiologen auch die indirekte durch die Varianten. Die hier vorgeschlagene Deutung der Interferenzbeispiele ist aber nicht nur in der Lage, die Rekonstruktion des ältesten Evangeliums auch für diejenigen Passagen mit einiger Zuversicht zu wagen, für die keine direkte Bezeugung vorliegt, sie liefert auch ein Kriterium für die Einschätzung der Entstehung der handschriftlichen Varianten. Die Verbindung zwischen den überlieferungsgeschichtlichen Beobachtungen zum Textbestand von *Ev und den handschriftlichen Varianten erlaubt daher erstmalig eine methodisch kontrollierbare Erklärung für das Zustandekommen der disparaten Handschriftenüberlieferung, wenn auch (zunächst) nur der Evangelien. Dieser Erklärung zufolge sind zahlreiche Varianten gegenüber dem Text der kritischen Ausgaben (NA 27/ 28 / GNT 4 ) keine sekundären Änderungen eines bereits feststehenden Textes, sondern Spuren seiner Vorgeschichte, die sich zufällig noch erhalten haben. Die Annahme, dass die Kanonische Redaktion - im Fall von *Ev ist 404 V. Ausblick dies die lk Redaktion - zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Ausgabe steht, hat eine Reihe von Konsequenzen, die bereits angesprochen wurden und deshalb nur knapp zu erwähnen sind. Am wichtigsten ist die Einsicht, dass die Suche nach dem ältesten Text unter dieser Voraussetzung keineswegs zum Text der Kanonischen Ausgabe führt, sondern zu einer vorkanonischen Fassung. Hier wird die (eklektisch verfahrende) Textkritik sehr deutlich entscheiden müssen, ob sie die jeweils älteste erreichbare Textgestalt zu eruieren sucht, oder ob sie tatsächlich den Text des Neuen Testaments herstellen will. Das hier sichtbar gewordene Phänomen ist nicht singulär: Auch in anderen Bereichen der klassischen Literatur, etwa bei der Aristoteles- oder der Ciceroüberlieferung, lässt sich beobachten, dass verschiedene Ausgaben desselben Werkes ihre Spuren in der handschriftlichen Überlieferung hinterlassen haben und daher zu der Entscheidung nötigen, welche Textgestalt eigentlich das Ziel der textkritischen Arbeit ist. Das wissenschaftstheoretische Problem, das sich hier für die neutestamentliche Textkritik ergibt, ist in mancher Hinsicht den methodischen Grundentscheidungen der alttestamentlichen Wissenschaft vergleichbar. Deren Hauptgegenstand war in der Folge von Humanismus und Reformation die hebräische Bibel. Auch hier war die Suche nach dem »Ursprünglichen« intendiert, auch hier führte sie zur mutmaßlich ältesten Textgestalt, aber auch hier repräsentiert die »älteste Textgestalt« nicht den eigentlich intendierten Forschungsgegenstand, nämlich das christliche Alte Testament, sondern eben die hebräische Bibel (und zwar wesentlich in ihrer mittelalterlichen Textgestalt). Für diese Option der alttestamentlichen Wissenschaft gibt es Gründe: Abgesehen davon, dass die historisch-kritische Wissenschaft des Alten Testaments seit der Aufklärung schon immer auf den Text der hebräischen Bibel gesetzt hat und eine dementsprechend lange Forschungstradition besitzt, lässt sich das christliche Alte Testament, das ja nicht mit der Septuaginta identisch ist, (bislang) nicht genau rekonstruieren. Unter diesen Bedingungen ist es verständlich, dass sich die alttestamentliche Wissenschaft (als theologische Disziplin) schwer damit tut, den eigentlichen Gegenstand ihrer Disziplin durch die Erkenntnisse der eigenen Forschung bestimmt sein zu lassen. Eine neue Definition des Forschungsgegenstandes »Altes Testament« ist eine komplexe und schwerfällige Unternehmung. Für die neutestamentliche Wissenschaft stellt sich dieses Problem anders dar. Denn im Unterschied zur Erforschung des Alten Testaments, deren Option für die hebräische Bibel als Textgrundlage nie wirklich strittig war (und daher die Forschung nur am Rande bewegt hat), gehörte die Textherstellung seit den Anfängen der kritischen Erforschung des Neuen Testaments zu den grundlegenden Aufgaben. Die Ergebnisse der neutestamentlichen Textkritik haben dementsprechend - vom Textus Receptus über Lachmann, Tischendorf oder Westcott/ Hort bis hin zu den gängigen Ausgaben von Nestle oder Aland - immer wieder zu gravierenden Textänderungen geführt, die dann auch ihren Niederschlag in den modernen Übersetzungen gefunden haben. Die teilweise intensiven theologischen Debatten, die alle diese kritischen § 15: Antworten und Fragen 405 Editionen begleitet haben, sind ein Indiz für die grundlegende Bedeutung der neutestamentlichen Textkritik als einer theologischen Disziplin. Die im Verlauf dieser Untersuchung sehr deutlich sichtbar gewordene Scheidelinie zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Gestalt der Evangelien eröffnet also zunächst eine Aufgabe für die Textkritik: Sofern diese darauf zielt, den Text des Neuen Testaments zu etablieren, reicht es nicht mehr aus, nach der jeweils ältesten erreichbaren Textgestalt zu suchen. Als historische Aufgabe ist die Suche nach der ältesten Textgestalt legitim, unverzichtbar und fruchtbar, weil sie wesentliche historische Einsichten für die Entstehung und Geschichte der Texte liefert. Das theologische Ziel der neutestamentlichen Textkritik und die Aufgabe einer kritischen Ausgabe des Neuen Testaments muss allerdings auch wirklich auf dessen Text zielen - und das ist der Text der Kanonischen Ausgabe. b. Die Kanonische Ausgabe des Neuen Testaments Dies bedeutet zunächst: Der Text der Kanonischen Ausgabe des Neuen Testaments ist ein Text des 2. Jh. Die zahlreichen Varianten in den Handschriften der kanonischen Evangelien belegen, dass alle vorkanonischen Fassungen einer teilweise sehr weitreichenden Redaktion unterzogen wurden. Dieser letzte Schritt der überlieferungsgeschichtlichen Rekonstruktion (s. o. § 14.5) zeigt, dass die Kanonische Redaktion in den Bearbeitungsschritten Ⓐ bis Ⓓ ein einheitliches Konzept umgesetzt hat. Dieses redaktionelle Konzept der Kanonischen Ausgabe bringt für den Bereich der Evangelien am besten zum Ausdruck, was man mit theologischem und historischem Recht als »Theologie des Neuen Testaments« bezeichnen kann. Denn die Grundfrage der Teildisziplin »Theologie des Neuen Testaments« nach der Einheit in der Vielfalt der neutestamentlichen Schriften ist ja nicht erst eine reformatorische oder moderne Frage: Die reflektierte Implementierung dieses redaktionellen Konzeptes, das sich etwa in der Kohärenz der Bearbeitung oder in den dezenten Leseanweisungen durch die Verfasserangaben der Titel zeigt, belegt ein Bewusstsein der Kanonischen Ausgabe selbst für genau dieses Problem. Bevor dieses Konzept insgesamt entschlüsselt werden kann, ist es jedoch erforderlich, die hier nur für das Verhältnis von *Ev und Lk vorgestellte Arbeit auch für den Rest des Neuen Testaments in Angriff zu nehmen. Die Voraussetzungen für diese Arbeit sind vielversprechend. Denn man kann annehmen, dass für die Kanonische Redaktion des marcionitischen Apostolos das gleiche gilt wie für die des marcionitischen Evangeliums: Es gibt Anzeichen dafür, dass die 10-Briefe-Sammlung Marcions, die von den Häresiologen in gleicher Weise kritisiert wurde wie sein Evangelium, ebenfalls keine sekundäre Verstümmelung der kanonischen Paulusbriefe darstellt, sondern eines ihrer vorkanonischen Überlieferungsstadien repräsentiert. So, wie die Analyse des marcionitischen Evangeliums, die Rekonstruktion seiner direkten 406 V. Ausblick Bezeugung durch die Häresiologen sowie die Untersuchung der indirekten Hinweise durch die handschriftlichen Varianten die Vorgeschichte der kanonischen Evangeliensammlung sichtbar gemacht hat, so könnte die entsprechende Analyse der marcionitischen Paulusbriefe auch die Vorgeschichte und die älteste Gestalt dieser Texte zu erkennen geben - mit allen Konsequenzen, die sich dann möglicherweise für die kanonische Textgestalt ziehen lassen. Neben dieser Einsicht in grundlegende Fragen der Textkritik zeigt die Korrelation zwischen dem für *Ev bezeugten Text und den kanonischen Varianten in erster Linie, dass es tatsächlich zwei verschiedene (konkurrierende) Fassungen des gleichen Textes gab: Die Rekonstruktion von *Ev hat nicht nur die Gestalt des ältesten Evangeliums sichtbar werden lassen, sondern umgekehrt auch deutlich gemacht, dass das kanonische Lk-Evangelium ein integraler Teil der Kanonischen Ausgabe des Neuen Testaments ist. Die Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte vom ältesten Evangelium bis zum kanonischen Vier-Evangelienbuch hat die heuristische Annahme der Existenz dieser Kanonischen Ausgabe in vollem Umfang bestätigt. 4. Datierungen Am Ende sind noch die historischen Fragen im Umfeld der Entstehung der kanonischen Evangeliensammlung kurz anzusprechen: Zwar zielten die Analyse des Verhältnisses zwischen *Ev und Lk sowie die Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte vom ältesten Evangelium zum kanonischen Vier-Evangelienbuch jeweils auf die literarische Gestalt, nicht auf die historischen Bedingungen, unter denen sie entstanden sind. Aber wenn der Anspruch, Literarkritik als Literaturgeschichte durchzuführen, nicht aufgegeben werden soll, dürfen diese Bedingungen natürlich nicht außer Acht bleiben. Sie sind abschließend sehr knapp zu skizzieren. Die Hinweise auf die historischen Fragestellungen sind mit Bedacht ganz an das Ende gesetzt. Denn will man nicht zirkulären Argumentationen zum Opfer fallen, ist die Bestimmung des Alters der Evangelien (und ihrer jeweiligen Überlieferungsstadien) vollständig abhängig von der Rekonstruktion der literarischen Geschichte und dem jeweiligen Platz, den die Einzeltexte darin einnehmen: Die absolute Datierung setzt die relativen Beziehungen voraus, nicht umgekehrt. a. Die Kanonische Ausgabe: Der terminus ante quem Der Ausgangspunkt aller Datierungsfragen ist die Edition der Kanonischen Ausgabe, weil die lk Redaktion von *Ev mit der letzten Bearbeitung der anderen vorkanonischen Evangelien in der Kanonischen Redaktion zusammenfällt. Die wichtigsten Kriterien für die Datierung dieser Kanonischen Ausgabe sind längst bekannt und mehrfach genannt: Der terminus ante quem des kanonischen Vier-Evangelienbuches ergibt § 15: Antworten und Fragen 407 sich aus der patristischen Bezeugung der Evangelien in ihrer kanonischen Gestalt. Zu dieser Gestalt gehören nicht nur ihr Textbestand, der ja, wie sich gezeigt hat, durchaus schwierig zu bestimmen ist, sondern vor allem die Titel mit den Verfasserangaben. Dies ist zweifellos spätestens bei Irenaeus im letzten Drittel des 2. Jh. der Fall, der die Evangelien unter ihren kanonischen Titeln kennt. Mit Ausnahme Justins (s. gleich) sind alle anderen patristischen Zeugnisse des 2. Jh. für die Rezeption der kanonischen Fassungen von neutestamentlichen Texten entweder nicht genau datierbar (z. B. EvThom; Did; 2Clem usw.), oder ihre Datierung ist so stark umstritten, dass sie für die Bestimmung des terminus ante quem entfallen. Dies gilt vor allem für die Papias-Fragmente 35 und die Ignatiusbriefe. 36 Für eine genauere Datierung der Kanonischen Ausgabe vor Irenaeus bleibt damit das Zeugnis Justins aus den 150er Jahren. Seit langem werden rund zwei Dutzend mögliche Referenzen auf die Evangelien diskutiert, und zwar durchaus kontrovers. 37 Aus diesem Grund sind wichtigsten Belege hier kurz anzusprechen. Denn die ______________________________ 35 Die Datierung der Papias-Fragmente ist völlig offen. Die von der Forschung (häufig mit mehr Zuversicht als Argumenten) angebotenen Datierungen variieren stark. Eine Frühdatierung auf die Zeit Trajans um 110 n. Chr. vertreten U. H. J. K ÖRTNER , Papias von Hierapolis, Göttingen 1983, 225f; ähnlich W. R. S CHOEDEL , Papias, in: ANRW II, 27/ 1, Berlin/ New York 1993, 235-270. Etwas später, zwischen 120 und 135, datiert M. H ENGEL , Die johanneische Frage, Tübingen 1993, 77 mit Anm. 234. Diese Versuche grenzen sich von der älteren Forschung ab. Vgl. etwa A. VON H ARNACK , Geschichte der altchristlichen Litteratur bis Eusebius II/ 1, Leipzig 2 1958, 357, der Papias in die Zeit zwischen 145 und 160 datiert. Unter den antiken Zeugnissen ist Euseb wichtig, der Papias mit dem kleinasiatischen Umfeld von Polykarp und Ignatius (in dieser Reihenfolge! ) verbindet (H.E. 3,36,1f). Die byzantinische Osterchronik datiert das Martyrium des Papias 133 Jahre nach der Himmelfahrt Jesu und verbindet sein Martyrium mit dem des Polykarp (Chron. Pasch. I 481,17ff), eine Information, die seit J. B. L IGHTFOOT , Essays on the Work Entitled Supernatural Religion, London 1889, 147-149, in aller Regel als »Fehler« interpretiert wird. Tatsächlich gibt es für Papias (abgesehen von den Angaben bei Euseb und im Chron. Pasch.) überhaupt keine konkreten Ansatzpunkte für die Datierung. Allerdings setzt Papias, wie die von ihm verwendeten kanonischen Evangelientitel zeigen, die gesamte Kanonische Ausgabe voraus. Es ist daher nicht nur leichter, sondern vor allem zuverlässiger, Papias nach der Kanonischen Ausgabe zu datieren als die Kanonische Ausgabe nach Papias. 36 Die Debatte zur Datierung der Ignatianen, die im 20. Jh. ganz überwiegend in die Zeit Trajans (110-117) datiert wurden, hat in den letzten 15 Jahren eine neue Wendung genommen; zu der neuen Ansetzung in der zweiten Hälfte des 2. Jh. vgl. R. M. H ÜBNER , Thesen zur Echtheit und Datierung der sieben Briefe des Ignatius von Antiochien, ZAC 1 (1997), 44-72; DERS ., Die Ignatianen und Noët von Smyrna, in: ders., Der paradox Eine, Leiden u. a. 1999, 131-206; T H . L ECHNER , Ignatius adversus Valentinianos? , Leiden u. a. 1999; C H . E. H ILL , Ignatius and the Apostolate, Studia Patristica 36, Leuven 2001, 226-248; T. D. B ARNES , The Date of Ignatius, ExpT 120 (2008), 119-130 usw. Die Frage der Datierung der Ignatianen spielt für die *Ev-Rekonstruktion eine Rolle. Vgl. die Rekonstr. zu *24,39. 37 Vgl. zuletzt A. G REGORY , The Reception of Luke and Acts in the Period Before Irenaeus, Tübingen 2003, 211ff (mit Diskussion der älteren Literatur). 408 V. Ausblick Ergebnisse zur Rekonstruktion von *Ev, zur Überlieferungsgeschichte der vorkanonischen Fassungen der Evangelien sowie dem letzten Bearbeitungsschritt der Kanonischen Redaktion erlauben ein genaueres und zuversichtlicheres Urteil, als dies im methodischen Horizont der Zwei-Quellentheorie möglich war. 1. Im Zusammenhang der Logiensammlung über Ehe- und Sexualaskese führt Justin aus, dass viele Christen sich erst spät in ihrem Leben der Askese zuwenden. Er rechtfertigt diese Praxis mit dem Logion Lk 5,32. Justin, 1Apol. 15,8 Lk 5,32 Mk 2,17 Mt 9,13 οὐκ ἦλθον οὐκ ἐλήλυθα οὐκ ἦλθον οὐ γὰρ ἦλθον καλέσαι δικαίους καλέσαι δικαίους καλέσαι δικαίους καλέσαι δικαίους ἀλλὰ ἁμαρτωλούς ἀλλὰ a ἁμαρτωλοὺς ἀλλὰ ἁμαρτωλούς ἀλλὰ ἁμαρτωλούς εἰς μετάνοιαν εἰς μετάνοιαν b a ασεβεις: א * b εις μετανοιαν: add C L Θ 0281 f 13 c g 1 sy s.hmg sa mae bo pt M ¦ txt: א B D N W Γ* Δ 0233 f 1 33 565 ℓ 844 ℓ 211 al lat sy p.h bo pt Die Diskussion 38 dieses Logions kreist um die Frage, ob das letzte Glied εἰς μετάνοιαν ein Kriterium für Justins Kenntnis von Lk darstellt. Da *Ev mit großer Wahrscheinlichkeit nur die positive Aussage *5,32a οὐκ ἐλήλυθα καλέσαι δικαίους enthielt (s. die Rekonstr. z. St.), ist (ἀλλὰ ἁμαρτωλούς) εἰς μετάνοιαν eine Ergänzung der lk Redaktion. Dies zeigt sich dann auch am Mehrheitstext von Mt 9,13 C L Θ usw., in dem dieselbe Ergänzung vorgenommen wurde: Die Identität der lk und der kanonischen Redaktion stellt sicher, dass Justin die Kanonische Ausgabe kannte. Die kritischen Ausgaben geben Mt 9,13 nicht in der kanonischen, sondern in der vorkanonischen Form. 2. Im Zusammenhang seiner Ausführungen über die Verpflichtung, »gegen alle geduldig, dienstfertig und sanftmütig zu sein« (1Apol. 16), zitiert Justin aus der lk Feldrede. Justin, 1Apol. 16,1 Lk 6,29 Mt 5,39f τῷ τύπτοντί σου τῷ τύπτοντί σε ἀλλ ʼ ὅστις σε ῥαπίζει τὴν σιαγόνα ἐπὶ τὴν σιαγόνα εἰς τὴν δεξιὰν σιαγόνα [σου], πάρεχε πάρεχε στρέψον αὐτῷ καὶ τὴν ἄλλην, καὶ τὴν ἄλλην, καὶ τὴν ἄλλην· καὶ τὸν αἵροντά σου καὶ ἀπὸ τοῦ αἴροντός σου καὶ τῷ θέλοντί σοι κριθῆναι τὸν χιτῶνα ἢ τὸ ἱμάτιον τὸ ἱμάτιον καὶ τὸν χιτῶνα καὶ τὸν χιτῶνά σου λαβεῖν, μὴ κωλύσῃς μὴ κωλύσῃς ἄϕες αὐτῷ καὶ τὸ ἱμάτιον Auch in diesem Fall liefert die Rekonstruktion von *Ev die Begründung dafür, dass Justin den kanonischen Lk-Text zitiert. Denn in *Ev lautet die zweite Forderung *6,29b καὶ ἐὰν τίς σου ἂρῃ τὸ ἱμάτιον καὶ ἄϕες αὐτῷ καὶ τὸν χιτῶνα. Die partizipiale Formulierung mit dem Vetativ μὴ κωλύσῃς geht erst auf die lk Redaktion zurück. Justin nutzt also auch hier den Text der Kanonischen Ausgabe. ______________________________ 38 A. J. B ELLINZONI , The Sayings of Jesus in the Writings of Justin Martyr, Leiden 1967, 76f; G REGORY , a. a. O. 254f. § 15: Antworten und Fragen 409 3. Im Zusammenhang seiner christologischen Interpretation von Ps 22 (Dial. 99ff) zitiert Justin auch das letzte Wort Jesu am Kreuz. Justin, Dial. 105,5 Lk 23,46 πάτερ, εἰς χεῖράς σου πάτερ, εἰς χεῖράς σου παρατίθεμαι τὸ πνεῦμά μου παρατίθεμαι τὸ πνεῦμά μου Dieses Wort ist im lk Passionsbericht redaktionell (s. die Rekonstr. z. St.): Sofern Justin in diesem Zusammenhang nicht direkt auf Ps 30,6 LXX zurückgreift, setzt er den kanonischen Lk-Text voraus. Die sehr zurückhaltenden Überlegungen von Andrew Gregory, Justin könne hier auch entweder auf eine Testimoniensammlung oder auf einen nicht-mk, vor-lk Passionsbericht zurückgegriffen haben, 39 sind nicht gerechtfertigt und überhaupt nur verständlich angesichts der unübersichtlichen Forschungslage: Die Existenz eines solchen zusätzlichen Passionsberichtes hat sich oben (s. S. 301ff) als überflüssig erwiesen, das letzte Wort Jesu am Kreuz ist tatsächlich lk Redaktion 40 und damit Teil der Kanonischen Ausgabe. 4. Das wichtigste Zeugnis findet sich in dem einen Hinweis, der üblicherweise für Justins Kenntnis von Act in Anspruch genommen wird: 1Apol. 50,12. 41 Justin berichtet über den Anfang der apostolischen Verkündigung: »Später aber, nach seiner Auferstehung von den Toten, als er ihnen erschienen war und sie gelehrt hatte, sich in die Weissagungen, in denen all diese Ereignisse vorhergesagt waren, zu versenken, und als sie ihn zum Himmel emporsteigen gesehen hatten (καὶ εἰς οὐρανὸν ἀνερχόμενον ἰδόντες), zum Glauben gekommen waren, die von ihm herabgesandte Kraft empfangen hatten (δύναμιν ἐκεῖθεν αὐτοῖς πεμϕθεῖσαν παρ’ αὐτοῦ λαβόντες) und zu allen Völkern der Menschheit ausgezogen waren, da haben sie uns dies alles gelehrt und wurden Apostel genannt.« Es ist ohne weiteres einsichtig, dass und warum diese Stelle als Zeugnis für Justins Kenntnis von Act so strittig ist: Sein Zeugnis könnte sich auf Act 1 beziehen, genauso gut aber auch auf Lk 24. Allerdings ist diese strittige Frage für unser Problem völlig irrelevant. Denn die Erwähnung der Himmelfahrt (noch dazu in Verbindung mit der »herabgesandten Kraft«) ist in Lk 24,51 sicher redaktionell (s. die Rekonstr. z. St.) und gehört überlieferungsgeschichtlich auf dieselbe Ebene wie Act 1. Es spielt daher keine Rolle, ob Justin hier auf Act 1 oder auf den redaktionellen Text von Lk 24 verweist: Er setzt in jedem Fall den Text der Kanonischen Ausgabe voraus. Die Möglichkeit der Differenzierung zwischen *Ev und Lk sowie die Identifizierung der lk mit der kanonischen Redaktion erlauben die Schlussfolgerung, dass Justin mit Sicherheit den Text der Kanonischen Ausgabe vor sich hatte, die demzufolge in die Zeit vor der Abfassung von 1Apol. (zwischen 155 und 157 n. Chr.) zu datieren ist. Es liegt daher nahe, das einzige Datum, das wir für die Geschichte Marcions überhaupt besitzen, mit dieser Ausgabe in Verbindung zu bringen: Die Trennung ______________________________ 39 G REGORY , a. a. O. 229. Gregory verweist auf Überlegungen von V. T AYLOR , The Passion Narrative of St Luke, Cambridge 1972, 95f und anderen zu einer möglichen Quelle für den lk Passionsbericht. 40 So auch F ITZMYER , Lk II 1512f. 41 G REGORY , a. a. O. 317ff; vgl. außerdem J. C. O’N EILL , The Theology of Acts in its Historical Setting, London 2 1970, 10ff; O. S KARSAUNE , The Proof from Prophecy, Leiden 1987, 256ff. 410 V. Ausblick Marcions von der römischen Gemeinde im Jahr 144 n. Chr. 42 Dieses Ereignis ist schon von Zahn, Harnack, Campenhausen und vielen anderen (auf durchaus unterschiedliche Weise) mit der Entstehung des Neuen Testaments in Verbindung gebracht worden. Die Frage ist, wie genau eine solche Beziehung zwischen der Erstellung der Kanonischen Ausgabe und der Trennung der römischen Gemeinde von Marcion ausgesehen haben kann: Dafür sind verschiedene Szenarien denkbar, die gleich zur Sprache kommen (u. S. 413ff). b. Die Entstehung von *Ev: Der terminus post quem Bevor diese Möglichkeiten eruiert werden, ist jedoch der Beginn dieser Entwicklung, die mit der Erstellung der Kanonischen Ausgabe endete, zu bestimmen, also der terminus post quem für die Abfassung von *Ev. Dieser terminus post quem ist schwierig zu fassen. Auch für die Datierung der davorliegenden Überlieferungsschritte, also der Entstehung der vorkanonischen Evangelien (*Mk; *Mt; *Joh), gibt es kaum Anhaltspunkte. Das älteste Evangelium blickt mit Sicherheit auf die Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n. Chr. zurück. Auch, wenn die lk Redaktion dieses Ereignis noch stärker in den Fokus gerückt und theologisch gedeutet hat, lassen sich Aussagen wie beispielsweise *21,5f.20 wohl nur so verstehen, dass die Zerstörung Jerusalems bereits zurückliegt. Die Zerstörung Jerusalems ist zwar das markanteste historische Ereignis in der Geschichte Judäas in der zweiten Hälfte des 1. Jh. und wurde daher immer wieder für die Datierung der Evangelien herangezogen, sie liefert aber nicht den einzigen Anhaltspunkt. Für die Erzählung vom besessenen Gerasener in Mk 5 habe ich an anderer Stelle gezeigt, 43 dass die Kombination der Dekapolisstadt Gerasa mit dem vielzahligen Dämon namens »Legion« sowie dem Ertrinken der Schweine im See Genezareth Verhältnisse voraussetzt, die vor Ende der 80er Jahre des 1. Jh. gar nicht denkbar sind: Erst nach dem Jüdischen Krieg ist in Palästina und seinem weiteren Umland eine römische Militärpräsenz von Kerntruppen denkbar, also von Legionären (auf die der Name des Dämons verweist) und nicht von berittenen Hilfstruppen, die von den Bundesgenossen gestellt wurden. Für Gerasa ist eine ______________________________ 42 Dieses Datum ergibt sich aus Tert., Marc. 1,19,2 (die Marcioniten setzen zwischen Christus und Marcion anni fere cxv et dimidium anni cum dimidio mensis an und datieren das Auftreten Christi mit *3,1a auf das 15. Jahr der Herrschaft des Tiberius). Vgl. H ARNACK *19-*21; J. R EGUL , Die antimarcionitischen Evangelienprologe, Freiburg/ Brsg. 1969, 192-195 usw. Dieses einzige konkrete Datum zum historischen Marcion wird man nicht ohne Not preisgeben, so zu Recht B. A LAND , Art. Marcion, TRE 22 (1991), 89-101: 90, gegen R. J. H OFFMANN , Marcion: On the Restitution of Christianity, Chico 1984, 70. Vgl. außerdem G. M AY , Markions Bruch mit der römischen Gemeinde, in: ders., Markion, Mainz 2005, 75-83. 43 M. K LINGHARDT , Legionsschweine in Gerasa. Lokalkolorit und historischer Hintergrund von Mk 5,1-20, ZNW 98 (2007), 28-48. § 15: Antworten und Fragen 411 römische Präsenz in größerem Stil erst im Zusammenhang des Stadtausbaues ab Ende der 80er Jahre epigraphisch gesichert. Da *8,26-37 mit der eigenwilligen Lokalisierung des Geschehens in Gerasa und der Präsenz von »Legions-Dämonen« die gleichen Elemente enthält wie Mk 5, sind für die Datierung von *Ev auch die gleichen Folgerungen zu ziehen: Vor dem Ende der 80er Jahre ist die Abfassung von *Ev mehr als unwahrscheinlich. Damit ist der zeitliche Rahmen für die Entstehung der vorkanonischen Evangelien abgesteckt: Er liegt (mit geringfügigen Unsicherheiten) in den Jahrzehnten zwischen 90 und 150 n. Chr. c. Die Datierung der vorkanonischen Evangelien Die Datierung der innerhalb dieses zeitlichen Rahmens liegenden Überlieferungsschritte, also die Entstehung von *Mk, *Mt und *Joh, ist kaum möglich. Wer die traditionellen Datierungen der Evangelien (mit den dazugehörigen Begründungen! ) kennt, wird auch kaum etwas anderes erwarten. Eine verbreitete Datierung vermutet Mk »um« 70, Mt zwischen 80 und 90, Lk »um« oder nach 90. Allerdings bleiben diese Datierungen nicht nur ungenau, sie sind auch abhängig von problematischen Vorentscheidungen. So ist die Datierung des Mk »um 70 n. Chr.« am ehesten als Kompromiss zwischen einer Datierung (kurz) vor oder (kurz) nach der Eroberung Jerusalems im Jahr 70 n. Chr. zu verstehen. 44 Die Datierung der »Seitenreferenten« ist nicht weniger schwierig: In der Regel wird die Zerstörung Jerusalems sowie die Datierung des Mk als terminus post quem genannt, sodass etwa als Entstehungsdatum für Mt »frühestens Mitte der 70er Jahre« gelten kann, wogegen der terminus ante quem durch die Zitierung durch Ignatius und die Did gegeben ist, die jedoch auch unsicher sind, sodass gilt: »nicht viel später als 80 n. Chr.« 45 Die Datierung des Lk schwankt noch am meisten, weil hier die wenigsten Anhaltspunkte zu finden sind. Aus inneren Gründen gelangt man dann beispielsweise auf die Regierungszeit Domitians (81-96) und datiert »zwischen 80 und 90«, 46 oder man verweist auf die Perspektive der dritten apostolischen Generation, die bereits an der christlichen Heilsgeschichte interessiert sei, und datiert wiederum »in die Zeit um 90 n. Chr.« 47 ______________________________ 44 Kurz vor 70 n. Chr. datieren u. a.: G UELICH , Mk xxxii; M. H ENGEL , Entstehungszeit und Situation des Markusevangeliums, in: H. Cancik (Hg.), Probleme des Markusevangeliums, Tübingen 1984, 1-45: 43; E. L OHSE , Die Entstehung des Neuen Testaments, Stuttgart 6 2001, 86; W. M ARXSEN , Einleitung in das Neue Testament, Gütersloh 4 1978, 189; VAN I ERSEL , Mark 51 usw. - Eine Datierung (kurz) nach 70 vertreten etwa: P H . V IELHAUER , Geschichte der urchristlichen Literatur, Berlin 1975, 347; G NILKA , Mk I, 34; P ESCH , Mk I, 14; U. S CHNELLE , Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 4 2002, 245 (»Anfang 70 n. Chr.«). - Die Kompromissdatierung »um 70 n. Chr.« beispielsweise bei W. G. K ÜMMEL , Einleitung in das Neue Testament, Heidelberg, 21 1983, 70; L ÜHRMANN , Mk 6; I. B ROER , Einleitung in das Neue Testament I, Würzburg 1989, 86 usw. 45 So (als Beispiel für viele andere) die Datierung von M. E BNER , Das Matthäusevangelium, in: ders., S. Schreiber (Hg.), Einleitung in das Neue Testament, Stuttgart 2008, 146. 46 Beispielsweise D. R USAM , Das Lukasevangelium, in: M. Ebner, S. Schreiber (Hg.), a. a. O. 199. 47 Z. B. S CHNELLE , a. a. O. 288; W IEFEL , Lk 5; B OVON , Lk I, 23; F ITZMYER , Lk I, 57, usw. 412 V. Ausblick Diese Datierungsvorschläge stellen allerdings lediglich eine Mehrheitsmeinung dar: Die tatsächliche Reichweite der ernsthaft diskutierten Datierungen ist sehr viel weiter und umfasst rund 100 Jahre von den 40er Jahren des 1. Jh. bis zur Mitte der 140er Jahre. 48 Die verbreitete Mehrheitsmeinung mit den Datierungen zwischen 70 und 90 n. Chr. ist nicht nur wenig tragfähig (was die meisten Autoren durchaus anerkennen), sondern auch wenig konsequent, wie sich vor allem an der Bestimmung des terminus ante quem zeigt: Hier ist in der Regel nicht wirklich ersichtlich, wie sich eine Datierung noch vor der Wende zum 2. Jh. begründen lässt. Denn die inneren Kriterien, die dafür in der Regel angegeben werden, erlauben diese Einschränkungen nicht wirklich. 49 Angesichts dieser Unsicherheiten ist es nicht geraten, diesen groben Schätzungen weitere hinzuzufügen: Dafür fehlen einfach die Informationen. Allerdings sind zwei methodische Hinweise angezeigt. Zunächst hat sich ergeben, dass das kanonische Lk erst im Zusammenhang der Kanonischen Ausgabe entstanden ist. Sofern diese Edition im Zusammenhang mit Marcions Trennung von der römischen Gemeinde zu sehen ist und zugleich Justin als frühester Zeuge dieser Ausgabe gelten kann, kommt man für die Entstehung von Lk etwa auf das Jahrzehnt zwischen 144 und 155 n. Chr. 50 Die Diskrepanz zwischen dieser und den traditionellen Datierungen sollte vor dem Versuch warnen, die vorkanonischen Evangelien allein aufgrund innerer Kriterien allzu präzise zu datieren. Ein zweiter Gesichtspunkt ergibt sich aus der großen Einheitlichkeit der Evangelienüberlieferung: Der enge literarische Rückgriff der einzelnen Überlieferungsstufen auf alle jeweiligen Prätexte deutet darauf hin, dass der Prozess der Entstehung der vorkanonischen Überlieferung zwischen *Ev und *Joh sich keineswegs über die ganze Zeitspanne zwischen 90 und etwa 144 n. Chr. erstreckt haben muss: Zwischen den einzelnen vorkanonischen Überlieferungsstadien liegen möglicherweise eher Monate oder wenige Jahre als Jahrzehnte. Nimmt man beide Überlegungen zusammen, dann legt sich für die Abfassung der vorkanonischen Evangelien ein Zeitraum nahe, der nicht länger als wenige ______________________________ 48 Vgl. dazu die hilfreichen Übersichten bei M. V INZENT , Marcion and the Dating of the Synoptic Gospels, Leuven u. a. 2014, 161-163 (Mk); 174f (Mt); 181-183 (Lk). 49 In diesem Sinn sind die eigenwilligen Datierungen bei K. B ERGER , C HR . N ORD , Das Neue Testament und frühchristliche Schriften, Frankfurt./ M. - Leipzig 1999 (z. B. Mt: 71 n. Chr.; Lk: 65-71 n. Chr.), ebenso unwahrscheinlich wie erhellend: Die Datierungen sind schlicht geraten. Allerdings befinden sich B ERGER / N ORD damit in großer Gesellschaft, auch wenn sie sehr viel mehr Mut beweisen als andere. 50 Diese Datierung entspricht der Tendenz jüngerer Forschungen zur Spätdatierung von Lk-Act, die teilweise auf inneren Gründen beruhen (vgl. R. I. P ERVO , Dating Acts, Santa Rosa 2006) oder aber Lk in Beziehung zu Marcion setzen. Vgl. J. B. T YSON , Marcion and Luke-Acts, Columbia 2006, 80-83: »citations and allusions to the Gospel of Luke do not require us to date the canonical version before ca. 120-125 C. E.« § 15: Antworten und Fragen 413 Jahre gedauert haben muss. Hier sind verschiedene Szenarien denkbar. Möglich ist ein kontinuierlicher Prozess, der - etwa in Analogie zu den verbreiteten Annahmen für die Entstehung der kanonischen Evangelien - jeweils mit längeren Abständen zwischen den einzelnen Überlieferungsstadien rechnet und den gesamten möglichen Zeitraum ausfüllt. Bei einer gleichmäßigen Verteilung käme man für *Ev auf die Zeit ab 90, für *Mk auf das erste Jahrzehnt des 2. Jh., für *Mt auf die Mitte der 120er Jahre und für *Joh auf die Zeit kurz vor 144. Denkbar wäre auch, dass die gesamte schriftliche Evangelienüberlieferung in nur wenigen Jahren ganz am Anfang des Zeitraumes (zwischen 90 und 100) oder aber auch erst ganz an seinem Ende (130 bis 144) entstanden wäre. Und schließlich ist es auch möglich, dass *Ev etwa seit den 90-er Jahren eine längere Zeit als einziges Evangelium existierte, dass aber die vorkanonische Fortschreibung von *Mk bis *Joh nur wenige Jahre in Anspruch nahm; eine solche Fortschreibung ließe sich bis zur Jahrhundertwende vorstellen, aber sie könnte genauso gut auch erst in den 130er Jahren stattgefunden haben. Diese Überlegungen zeigen einerseits, wie groß die große Gefahr willkürlicher Festlegungen ist, machen aber andererseits auch den Spielraum für weitere Forschungen deutlich. 5. Marcion, *Ev und die Kanonische Ausgabe Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ist am Ende noch einmal auf das Problem zurückzukommen, wie man sich die Trennung zwischen Marcion und der römischen Gemeinde vorstellen kann. Im Hintergrund dieser historischen Frage steht das theologisch zentrale Problem zur Debatte: Wie ist Marcions Rolle bei der Entstehung der Kanonischen Ausgabe zu bestimmen? Jeder Antwortversuch ist durch zahlreiche Unsicherheiten belastet. Sie betreffen zum einen die spärlichen und teilweise widersprüchlichen Zeugnisse über Marcion. Ihre Interpretation ist durch die Bedeutung erschwert, die Marcion für den Prozess der Selbstdefinition der Alten Kirche besaß und die sich in den mitunter perhorreszierenden Urteilen der altkirchlichen Ketzerpolemik spiegelt. Nicht erst seit Harnacks Marcion-Buch ist es darüber hinaus unstrittig, dass Marcions theologische Bedeutung auch sein Bild in der kritischen Forschung bestimmt: Hier ist also größte Vorsicht geboten. Neben den Schwierigkeiten bei der Interpretation der Zeugnisse über Marcion stehen die überlieferungsgeschichtlichen Unsicherheiten, die am Ende dieser Untersuchung offen geblieben sind (z. B. zur Datierung der vorkanonischen Evangelien) oder die durch sie erst aufgeworfen wurden (z. B. zur Möglichkeit einer protokanonischen Evangeliensammlung). Um angesichts dieser Unsicherheiten nicht völlig beliebig zu urteilen, ist es sinnvoll, die möglichen Erklärungen für Marcions Trennung von der römischen Gemeinde und seiner 414 V. Ausblick Rolle für die Entstehung der Kanonischen Ausgabe an der Leitfrage seiner möglichen literarischen Aktivitäten zu orientieren. a. Marcion als Bearbeiter des kanonischen Lk und als kirchlicher Reformer Die traditionelle Ansicht geht davon aus, dass Marcion das kanonische Lk aus theologischen Gründen redigierte. Diese Sicht impliziert, dass Marcion die kanonischen Evangelien (zumindest aber Lk) bereits vorfand, die dann in der römischen Gemeinde in Gebrauch gewesen sein müssten. Den klassischen Ausdruck hat diese Sicht in Harnacks Rekonstruktion gefunden, 51 der sich für die vorrömische Zeit Marcions stark auf Epiphanius verlässt und damit rechnet, dass Marcion schon in dieser Zeit Christ gewesen sei und von daher auch das Alte Testament gekannt habe: Seine »Vertrautheit mit dem AT und der, sei es auch zum Abscheu gewordene, Respekt vor seinem Buchstaben, erklären sich leichter, wenn er mit dem heiligen Buch selbst aufgewachsen« sei. 52 Sofern Marcion bereits als Christ nach Rom gekommen war, böte die Reise die Möglichkeit für die von Irenaeus berichtete Begegnung mit Polykarp, bei der dieser ihn als den »Erstgeborenen Satans« bezeichnet haben soll (Haer. 3,3,4). In diesem Verständnis hatte Marcion, als er um 140 n. Chr. 53 nach Rom kam, bereits die intensive Erfahrung seiner Ablehnung durch kirchliche Autoritäten mitgebracht. Diese Information dient Harnack zur Erklärung für den Zeitraum von vier oder fünf Jahren, in denen Marcion offensichtlich ohne größere Probleme Teil der römischen Gemeinde war. 54 Diese Phase stellt in der Tat eine Schwierigkeit für eine biographisch plausible Erklärung dar, wenn die Trennung auf theologischen Differenzen beruhte. Harnack hat diese Schwierigkeit gesehen und lässt Marcion daher in Rom zunächst behutsam auftreten: Die Gemeinde musste seine deviante Theologie nicht gekannt haben, und wenn doch, musste sie nicht sofort tätig werden; sein Geldgeschenk könnte dabei eine Rolle gespielt haben; auch gebe es »eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß M. sich zuerst in Rom noch ganz zurückgehalten hat, um in ernster Arbeit die Grundlagen seiner Lehre aufs sicherste auszubilden«, die in der Herstellung des »echten Textes« des Evangeliums und der Paulusbriefe sowie der »Abfassung des großen kritischen Werkes, ›Antithesen‹« bestand. 55 ______________________________ 51 Vgl. H ARNACK 21-30. 52 H ARNACK 23f hält die Überlieferung von Marcions bischöflichem Vater (Epiph. 42,1,4) für akzeptabel (eine »auch sonst unverdächtige Nachricht«), auch den Hinweis auf die Exkommunikation durch seinen Vater, nicht aber die dieser zugrundeliegende Nachricht von der Verführung einer christlichen Jungfrau (»polemische Topik«). 53 Das Datum ergibt sich aus Epiph. 42,1,7: Marcion sei nach dem Tod des Hyginus nach Rom gekommen (vgl. PsTert., Haer. 6). Aus dieser Nachricht ist viel herausgesponnen worden: Weil Epiphanius in diesem Abschnitt keinen Bischof erwähnt und Marcion später, bei seiner Konfrontation mit der römischen Gemeinde, nicht mit dem Bischof, sondern nur mit den Presbytern zusammentreffen lässt, hat man auf eine Sedisvakanz geschlossen. Vgl. M AY , a. a. O. (Markions Bruch …) 76 mit Anm. 12. 54 Diese anfängliche Übereinstimmung wird auch durch den von Tertullian erwähnten Brief bestätigt (Marc. 1,1,6; 4,4,3; Carn., 2,4): Marcion habe »anfänglich unseren Glauben geteilt« (1,1,6: primam illius fidem nobiscum fuisse; vgl. 4,4,3: Quid nunc, si negaverint Marcionitae primam apud nos fidem eius, adversus epistulam quoque ipsius? Quid si nec epistulam agnoverint? ). 55 H ARNACK 25f. § 15: Antworten und Fragen 415 Dies wären in der Tat »umfangreiche und gewaltige Aufgaben«; erst nachdem Marcion sie erledigt hatte, habe er die Presbyter aufgefordert, »zu dieser seiner Arbeit und damit zu seiner Lehre Stellung zu nehmen.« 56 Harnack versteht diese Auseinandersetzung als »förmliche Verhandlung« und einen »eindrucksvollen Vorgang«: »Es wird für immer denkwürdig bleiben, daß auf der ersten römischen Synode, von der wir wissen, ein Mann vor den Presbytern gestanden hat, der ihnen den Unterschied von Gesetz und Evangelium darlegte und ihr Christentum für ein judaistisches erklärte. Wer denkt hier nicht an Luther! « 57 Abgesehen von dieser »kühnen Modernisierung« 58 und den anachronistischen Eintragungen 59 fallen an Harnacks Marcion-Portät zwei Aspekte auf: Zum einen geht Harnack davon aus, dass Marcion schon als Christ nach Rom kam, und zwar mit einer »devianten« Theologie, die er allerdings zunächst verschleierte oder doch wenigstens nicht prominent vertrat. Die neuere Marcionforschung ist an dieser Stelle aufgrund der Quellenlage weniger zuversichtlich. Im Hintergrund steht die Frage, wie die beiden wichtigen Traditionen mit biographischen Informationen über Marcion sich zueinander verhalten: Neben der am ausführlichsten durch Epiphanius vertretenen (vielleicht auf Hippolyts Syntagma zurückgehenden) Überlieferung stehen die Angaben Tertullians, der davon auszugehen scheint, dass Marcion erst in Rom Christ wurde. 60 In diesem Fall könnte man annehmen, dass Marcion sich (möglicherweise unter dem Einfluss Kerdons) 61 sukzessive von der Gemeinde, ihrer Theologie und ihrer Schriftgrundlage entfernt hat. Dieses Problem beruht also auf einer kritischen Abwägung der unterschiedlichen Quellen. Daneben ______________________________ 56 A. a. O. 26. 57 A. a. O. 26f. 58 M AY , a. a. O. 79. 59 Zu diesen gehört neben der Marcion-Luther-Analogie vor allem die Auseinandersetzung mit Karl Barth in dem berühmten Briefwechsel in der »Christlichen Welt« von 1923 sowie Barths Reaktion auf Harnacks »Marcion«, der nicht ohne Eitelkeit »gewisse frappante Parallelen« einräumte (K. B ARTH , Der Römerbrief, München 2 1924, XVII). Vgl. auch B. A LAND , Marcion. Versuch einer neuen Interpretation, ZThK 70 (1973), 420-447: 421f. 60 Das scheint Tertullian zu implizieren. Vgl. Marc. 1,1,6; 4,4,3 (in primo calore fidei); Carn. 2,4; Praescr. 30,2 (in catholicae primo doctrinam credidisse apud ecclesiam Romanensem); zu dieser Deutung s. M AY , a. a. O. 76 mit Anm. 8. Die neuere Marcionforschung geht in der Folge von J. R EGUL , Die antimarcionitischen Evangelienprologe, Freiburg/ Brsg. 1969, 177-195, gegen Harnack davon aus, dass die teilweise stark legendarischen Nachrichten über die vorrömischen Differenzen zwischen Marcion und der Kirche (in Pontus und Kleinasien) allesamt aus einer Tradition hervorgehen und nur zum Teil aus Hippolyts Syntagma stammen können. 61 Die altkirchlichen Kerdonnotizen (am wichtigsten sind Iren., Haer. 1,271; 3,4,3; Tert., Marc. 1,2,3; 4,17,11; PsTert., Haer. 6; Hipp., Ref. 7,10.37; Epiph. Pan. 42,1,1-7; 3,1f) sind bei H ARNACK 31*-39* übersichtlich zusammengestellt. Sie stammen durchweg aus dem Zusammenhang der häresiologischen Marcionreferate und gehen möglicherweise auf dieselbe Quelle zurück. Dass diese Quelle Justins verlorenes »Syntagma gegen alle Häresien« sei, wurde schon lange vermutet, lässt sich aber nicht erhärten. Vgl. G. M AY , Markion und der Gnostiker Kerdon, in: ders., Markion, Mainz 2005, 63-73: 64 mit Anm. 4 und 5. 416 V. Ausblick fällt auf, dass Harnack Marcion in erster Linie als theologischen Reformer versteht, der seine theologischen Überzeugungen mitbrachte, sie reflektierte und durch seine Textherstellung absicherte. Aber nach allem, was wir wissen, haben diese im engeren Sinn dogmatischen Fragen in der Auseinandersetzung keine Rolle gespielt. Vielmehr stand (nach Epiph. 42,2) anhand der Interpretation von Lk 5,36f die Frage nach der Vereinbarkeit von Alt und Neu im Vordergrund. Harnack erklärt dazu lapidar: »M. hat den Römern nicht vom Gott des Lichts und der Finsternis[,] nicht vom Gegensatz des Geistes und der Materie o. ä. gesprochen, sondern von dem Gegensatz des AT.s und des Evangeliums, der die Annahme zweier Götter forderte.« 62 Für die Frage nach der Bedeutung Marcions für die Entstehung der Kanonischen Ausgabe sind diese beiden Aspekte im Auge zu behalten: Was war der primäre Streitpunkt zwischen Marcion und den Römern? Und: Wie kann man den sukzessiven Entfremdungsprozess zwischen beiden verstehen? Wie immer diese Fragen zu beantworten sind: Die eine entscheidende Annahme dieses Modells hat sich als obsolet erwiesen, dass nämlich Marcion zur Untersetzung seiner theologischen Ansicht das kanonische Lk bearbeitet hat. Die literarkritische Analyse (§§ 6-8) hat gezeigt, dass diese Verhältnisbestimmung zwischen *Ev und Lk nicht zutrifft und umgekehrt werden muss: Das kanonische Lk benutzt (redigiert, verändert und ergänzt) *Ev. Die Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte der Evangelien (§§ 10-13) hat darüber hinaus ergeben, dass alle kanonischen Evangelien von *Ev abhängig sind, und zwar bereits in ihrer vorkanonischen Textgestalt (*Mk, *Mt, *Joh), deren Existenz aufgrund der textgeschichtlichen Analysen durch den Nachweis der Kanonischen Redaktion (§ 14) wahrscheinlich gemacht wurde. Da Marcion das kanonische Lk-Evangelium nicht redigiert hat, fehlt Harnacks Marcionbild die entscheidende Grundlage: Marcion hat nicht versucht, die Kirche durch die Wiederherstellung der ursprünglichen Schriftgrundlage zu ihren wahren Anfängen zurückzuführen und ist folglich auch nicht der (letztlich gescheiterte) Reformer oder gar Reformator der entstehenden Kirche, als den Harnack ihn gesehen hat. b. Marcion als Autor von *Ev und Begründer der Jesusüberlieferung Auf diese Weise lässt sich Marcions historische Rolle und theologische Bedeutung also nicht bestimmen. Aber die Frage nach seinem Anteil an der Entstehung der Kanonischen Ausgabe lässt sich noch anders beantworten. Markus Vinzent hat kürzlich eine aufregende und wirklich staunenswerte These vertreten: Marcion sei der Verfasser von *Ev. 63 Vinzent geht davon aus, dass Marcion der Urheber des ältesten Evangeliums ist und dass die kanonischen Evangelien erst in Reaktion auf ______________________________ 62 H ARNACK 27 Anm. 1. 63 M. V INZENT , Marcion and the Dating of the Synoptic Gospels, Leuven u. a. 2014. § 15: Antworten und Fragen 417 dieses Evangelium Marcions entstanden sind. Während Marcion bei Harnack und vielen anderen als Redaktor des Lk ein Reformer des entstehenden Christentums ist, wird er bei Vinzent zum Autor des ältesten Evangeliums und zum eigentlichen Begründer des Christentums, der erstmalig die Jesustradition geschaffen und sie neben die Paulusüberlieferung gestellt hat. Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser These, die ihrer Tragweite und ihrer Begründung auch nur halbwegs gerecht zu werden versucht, kann an dieser Stelle nicht geleistet werden: Das muss der zukünftigen Diskussion vorbehalten bleiben. Aber ein erster Hinweis auf die Begründung und eine erste Einschätzung sind angebracht, weil die These von Marcions Urheberschaft von *Ev den thematischen Kern dieser Untersuchung aufs Engste berührt. In dieser Hinsicht sind zunächst zwei Beobachtungen zum Verhältnis zwischen *Ev und den kanonischen Evangelien zu nennen, die sich mit den Ergebnissen dieser Untersuchung decken. Vinzent weist zu Recht darauf hin, dass es für die Existenz der Evangelien aus der Zeit vor Marcion (also vor 144 n. Chr.) tatsächlich kein einziges belastbares Zeugnis gibt. Diese Beobachtung hat oben bereits im Zusammenhang der Datierung der vorkanonischen Evangelien eine Rolle bei der Bestimmung des terminus ante quem gespielt (o. S. 411ff): Das erste datierbare Testimonium für die Existenz der Evangelien überhaupt ist das Zeugnis Justins. Die Zuversicht, mit der die Entstehung der Evangelien ganz weitgehend in das letzte Drittel des 1. Jh. datiert wird, hat nicht nur keinen konkreten Anhalt, sondern hängt von einer bestimmten Vorstellung der Evangelienüberlieferung ab, die sich nicht stützen lässt. Daneben vertritt Vinzent die Annahme, dass alle kanonischen Evangelien das marcionitische Evangelium voraussetzen und am besten als Reaktion auf dieses Evangelium zu verstehen sind. Diese Überlegung deckt sich im Kern mit dem Ergebnis der überlieferungsgeschichtlichen Rekonstruktion, die ja die literarische Abhängigkeit aller Evangelien von *Ev begründet. Wichtig und weiterführend sind dann jedoch einige anschließende Beobachtungen zu patristischen Texten. Dies ist zunächst der sog. Antimarcionitische Prolog zu Joh, der einen wichtigen Hinweis auf Papias von Hierapolis enthält. 64 In Vinzents Textherstellung (und Interpunktion) lautet der Text folgendermaßen: »Das Evangelium des Johannes wurde veröffentlicht und den Kirchen von Johannes gegeben, als er noch am Leben war, wie der Hieropolitaner mit Namen Papias, der liebe Schüler des Johannes, in den Erläuterungen, das heißt in den letzten fünf Büchern berichtet. Marcion, der Häretiker, aber schrieb ein Evangelium/ beschrieb ein Evangelium [als ein falsches], wogegen Johannes das wahre korrekt diktierte. Da er [Marcion] von ihm [Johannes] widerlegt worden war, weil er ______________________________ 64 Vgl. V INZENT , a. a. O. 14ff, der eine neue kritische Ausgabe des Textes mit einer Analyse der komplizierten Überlieferungslage liefert. Zu diesem Prolog vgl. auch J. R EGUL , Die antimarcionitischen Evangelienprologe, Freiburg/ Brsg. 1969, 34 (Text) und die Diskussion, bes. 171ff. 418 V. Ausblick [Johannes] die Antithesen gegen sich zur Kenntnis genommen hatte, hat Johannes ihn zurückgewiesen. Er [Marcion] hatte tatsächlich Schriften oder Briefe zu ihm gebracht von den Brüdern, die in Pontus waren.« 65 Dieser Text wirft etliche Schwierigkeiten auf, insbesondere die unklaren grammatikalischen Beziehungen, die hier durch die eckigen Klammern vereindeutigt werden. Die ältere Forschung hatte diese Beziehungen ganz überwiegend anders bestimmt und dies durch eine andere Interpunktion deutlich gemacht. Nach dieser gängigen Deutung wäre Papias Subjekt der Aussage descripsit vero … recte verum, wogegen mit Marcion hereticus … ab Iohanne ein eigener, neuer Satz beginnt: »Er [Papias] schrieb aber das wahre Evangelium nach dem Diktat des Johannes korrekt nieder. Der Härektiker Marcion wurde aber, nachdem er von ihm wegen seiner gegensätzlichen Meinungen gerügt worden war, von Johannes abgesetzt.« Für Vinzents Deutung, die hier nicht im Einzelnen darzulegen ist, spricht vor allem, dass sie die weiteren Schwierigkeiten der Textüberlieferung mit berücksichtigt und die zahlreichen, z. T. durchaus willkürlichen Entscheidungen bei der Textherstellung anderer Ausgaben zurückweist. Nach seiner Interpretation gibt dieser Prolog zu Joh folgende Informationen: (1) Johannes hat dem Papias sein Evangelium zur gleichen Zeit diktiert, zu der Marcion sein eigenes geschrieben hat (descripsit). (2) Das wahre Evangelium ist nicht das Evangelium Marcions, sondern das Johannesevangelium. (3) Marcion und Johannes sind sich begegnet. (4) Johannes hat Marcions contraria gegen sich zur Kenntnis genommen und ihn widerlegt: Am ehesten durch sein eigenes Evangelium, das dann eine Reaktion auf Marcions Evangelium ist. An dieser Deutung ist in erster Linie wichtig, dass der Antimarcionitische Prolog behauptet, dass Marcion der Verfasser eines Evangeliums sei (descripsit), nicht der Interpolator oder Verfälscher des kanonischen Lk, als den ihn die Häresiologen ansonsten sehen. Daneben wird das Problem sichtbar, wie der Prolog sich das Verhältnis zwischen Marcion und Johannes genau vorstellt: Auf der einen Seite habe Marcion contraria gegen Johannes geäußert, also am ehesten seine »Antithesen«, die mit dem Evangelium verbunden waren; deshalb habe Johannes ihn zurückgewiesen. Auf der anderen Seite scheint Marcions Evangelium auf ______________________________ 65 Evangelium Iohannis manifestatum et datum est ecclesiis ab Iohanne adhuc in corpore constituto, sicut Papias nomine, Hierapolitanus, discipulus Iohannis carus, in exotericis, id est in extremis, quinque libris retulit. Descripsit vero Evangelium, dictante Iohanne recte verum, Marcion hereticus. Cum ab eo fuisset improbatus, eo quod contraria sentiebat, abiectus es ab Iohanne. Is vero scripta vel epistolas ad eum pertulerat a fratribus, qui in Ponto fuerant. Textgrundlage ist die Evangelienhandschrift Vat. Reg. lat. 14 (s. X). Vgl. A. W ILMART , Codices Reginenses Latini 1, Rom 1937, 37-39 (bei Vinzent »R«, bei Regul »V2«). § 15: Antworten und Fragen 419 das Johannesevangelium zu reagieren. 66 Vinzents Lösung dieser Schwierigkeit 67 setzt voraus, dass Marcion sein Evangelium in zwei Stufen publizierte. Dafür ist eine zweite Beobachtung zu Tertullians Argumentation über das Alter des kanonischen Lk im Verhältnis zu *Ev, die bereits oben (S. 42f mit Anm. 36) zur Sprache kam, von größter Bedeutung. Im Zusammenhang seines Nachweises, dass sein Lk-Evangelium älter sei als *Ev, führt Tertullian aus, dass immer das Richtige dem Falschen, das Wahre der Lüge usw. vorausgehen müsse (4,4,1) und fährt dann fort: »Denn im gleichen Ausmaß, in dem das Falsche eine Korruption des Wahren ist, muss die Wahrheit notwendigerweise dem Falschen vorangehen: Eine Sache muss früher sein als das, was mit ihr geschieht, und der Grundstoff früher als seine Nachäffung. Wie absurd wäre es anders: Dass nämlich - wenn wir unser Evangelium als älter bewiesen haben, Marcions aber später ist - unseres als gefälscht gilt, bevor es seine Grundlage von der Wahrheit hatte; oder dass Marcions Evangelium eine Nachahmung durch unseres erfahren haben sollte, noch bevor jenes (sc. Marcions) veröffentlicht war; und wie absurd wäre es schließlich, wenn das für wahrer gehalten würde, das später ist, nachdem doch schon so viele Werke und so große Dokumente im Zeitalter der christlichen Religion veröffentlicht wurden, welche schlechterdings nicht hätten veröffentlicht werden können ohne die Wahrheit des Evangeliums, und das heißt: vor der Wahrheit des Evangeliums.« 68 In Frage steht das Verständnis der hervorgehobenen Passage, »dass Marcions [Evangelium] eine Nachahmung durch unseres erfahren haben sollte, noch bevor es veröffentlicht war«. Nach dem oben dargelegten Verständnis argumentiert Tertullian zirkulär: Weil das Echte dem Verfälschten notwendigerweise vorangehen muss, ist das kanonische Evangelium das »wahre«, weil Marcions Evangelium es verfälscht. Dabei wird Marcionis [evangelium] ante quam et editum auf den (von Tertullian ganz selbstverständlich angenommenen) späteren Zeitpunkt der Bearbeitung durch Marcion bezogen. Vinzent versteht die fragliche Formulierung anders; er bezieht editum auf die Veröffentlichung von Marcions Evangelium und versteht: »Marcion’s (gospel) be ______________________________ 66 Das ist die übliche Verhältnisbestimmung, die Vinzent hier mit Verweis auf Tert. 4,3,2f usw. teilt (a. a. O. 19f). 67 A. VON H ARNACK , Die ältesten Evangelien-Prologe und die Bildung des Neuen Testaments, in: ders., Kleine Schriften zur Alten Kirche II, Leipzig 1980, 803-822: 808 [327] erklärte lapidar: »›ab Iohanne‹ nach ›abiectus est‹ ist unerträglich, da der Satz chronologisch und sachlich unsinnig ist.« 68 Tert. 4,4,1f: In quantum enim falsum corruptio est veri, in tantum praecedat necesse est veritas falsum. Prior erit res passione, et materia aemulatione. (2) Alioquin quam absurdum, ut, si nostrum antiquius probaverimus, Marcionis vero posterius, et nostrum ante videatur falsum quam habuerit de veritate materiam, et Marcionis ante credatur aemulationem a nostro expertum quam et editum, et postremo id verius existimetur quod est serius, post tot ac tanta iam opera atque documenta Christianae religionis saeculo edita, quae edi utique non potuissent sine evangelii veritate, id est ante evangelii veritatem. 420 V. Ausblick believed to have suffered plagiarism through ours, before it [= Marcion’s] was even published.« 69 Vinzent nimmt also für die Herstellung von *Ev einen Vorgang an, der dem der Publikation der zweiten Auflage von Tertullians Adversus Marcionem entsprochen hätte: Diese Auflage sei vor ihrer Fertigstellung (vor allem: ohne Tertullians Imprimatur) gestohlen und in einer unfertigen Fassung verbreitet worden, wodurch sich Tertullian zur Anfertigung der dritten (uns vorliegenden) Auflage veranlasst sah. 70 Analog dazu sei Marcions Evangelium (durch die »katholische« Rezeption) benutzt worden, »before Marcion had ›even published‹ (editum) his Gospel. It follows from this information that Marcion’s own Gospel was taken by several people, excerpted, copied, reworked, interpolated and made public, even before Marcion himself as author had published his original version.« 71 Die Bedeutung dieser Hinweise liegt darin, dass sie als Eckpunkte für die Interpretation dienen könnten, von denen aus die vielen anderen, ambivalenten Hinweise eine spezifische Richtung erhielten; also etwa, wenn Tertullian immer wieder einfach von »Marcions Evangelium« (Marcionis) spricht oder wenn er Marcion zwar mit Blick auf die paulinischen Briefe »Verfälschung« vorwirft, ihn aber im Blick auf das Evangelium als »Evangelisten« (evangelizator) bezeichnet 72 und so weiter. Dass das hier angedeutete Verständnis wesentlich auf Belegen beruht, die entweder hinsichtlich ihrer Textüberlieferung problematisch oder in ihrer Deutung mehrdeutig sind, kann nicht als Argument gegen sie angeführt werden: Es ist ratsam, die notwendige und vermutlich in vielerlei Hinsicht aufschlussreiche Diskussion nicht vorab durch den Verweis auf einen langanhaltenden Forschungskonsens zu unterdrücken. Im Licht der Ergebnisse dieser Untersuchung bleibt Vinzents These von Marcions Urheberschaft des ältesten Evangeliums ambivalent. Auf der einen Seite gibt es eine weitreichende Übereinstimmung: (1) Das marcionitische Evangelium ist das älteste Evangelium überhaupt; (2) die kanonischen Evangelien sind von diesem Evangelium literarisch abhängig; (3) in einer ganzen Reihe von inhaltlichen Aspekten lässt sich in den kanonischen Evangelien (vor allem in Lk) eine antimarcionitische Tendenz erkennen; (4) die kanonischen Evangelien lassen sich nicht begründet schon ins 1. Jh. datieren. Von daher ist die Annahme der marcionitischen Verfasserschaft von *Ev durchaus denkbar: So, wie Vinzent sich Marcions Rolle bei der Entstehung der Evangelien vorstellt, könnte es gewesen sein. ______________________________ 69 A. a. O. 95ff. 70 Tert. 1,1,1f; vgl. o. S. 47 mit Anm. 47; s. V INZENT , a. a. O. 104f, mit weiteren Belegen für die Differenz zwischen (unautorisierter) Verbreitung und regelrechter Publikation. 71 A. a. O. 98. 72 Tert. 4,4,5; vgl. 4,2,5. § 15: Antworten und Fragen 421 Auf der anderen Seite bleiben Unterschiede. Am wichtigsten ist die Existenz der vorkanonischen Fassungen der Evangelien, die sich durch die Beobachtungen zur Kanonischen Redaktion nahegelegt hat, in Verbindung mit der Interpretation von Justins Zeugnis. Vinzent geht davon aus, dass Justin ein vorkanonisches Stadium der (Evangelien-) Überlieferung bezeugt. 73 In diesem Fall lassen sich die von ihm erwähnten »Erinnerungen der Apostel« 74 auf die vorkanonischen Evangelien beziehen; die Kanonische Ausgabe wäre dann eine spätere Reaktion auf Marcion und zwischen Justin und Irenaeus zu datieren, also etwa in die Zeit zwischen (ca.) 155 und 175. Allerdings hat sich gezeigt, dass Justin bereits die Kanonische Ausgabe voraussetzt (o. S. 406ff). Daher bleibt für den von Vinzent angenommenen Prozess dann doch sehr wenig Raum. Denn in diesem Fall muss eine ganze Reihe von Entwicklungsschritten in dem einem Jahrzehnt vor der Entstehung der Ersten Apologie stattgefunden haben: Die erste (unveröffentlichte) Entstehung von Marcions Evangelium, die zum Bruch mit der römischen Gemeinde führte; die »unautorisierte« Fortschreibung diese Evangeliums durch die vorkanonischen Evangelien; Marcions Reaktion darauf mit der regelrechten Publikation »seines« Evangeliums; und schließlich auch noch die Replik darauf mit der Herstellung (und Publikation) der Kanonischen Ausgabe. Dieses Szenario ist kaum denkbar. Und es würde noch unwahrscheinlicher, falls die vorkanonischen Evangelien tatsächlich bereits zu einer protokanonischen Sammlung verbunden waren und diese möglicherweise sogar schon in Versionen weite Verbreitung gefunden hatte. Gerade angesichts der weitgehenden Übereinstimmungen zwischen Vinzents These und den Ergebnissen dieser Untersuchung ist das Gewicht der Differenzen (und der jeweils vorgetragenen Argumente) erst noch genauer auszuloten: Das ist eine Aufgabe für die Zukunft. c. Marcion als Rezipient von *Ev: Katalysator für die Kanonische Ausgabe Wenn Marcion aber weder als Redaktor eines älteren Textes noch als originärer Verfasser von *Ev in Frage kommt: Als was dann? Und wie ist die Trennung von der römischen Gemeinde dann vorzustellen? Am nächsten liegt die Vermutung, dass Marcion von den Häresiologen nur deshalb mit *Ev in Verbindung gebracht wurde, ______________________________ 73 Vgl. a. a. O. 26-45. 74 Vgl. Justin, 1Apol. 66,3; 67,3, sowie rund ein Dutzend Belege im Dialog mit Tryphon (Dial. 100,4; 105,1 usw.). Mit dem Terminus ἀπομνημονεύματα verweist Justin auf die verbreitete Gattung der memorabilia, stellt aber klar, dass diese »Erinnerungen« den Titel »Evangelien« tragen, wie 1Apol. 66,3 deutlich macht: »Die Apostel haben nämlich in den von ihnen hergestellten Erinnerungen, die Evangelien genannt werden (ἐν τοῖς γενομένοις ὑπ’ αὐτῶν ἀπομνημονεύμασιν, ἃ καλεῖται εὐαγγέλια), folgendermaßen überliefert …«. Vgl. dazu L. A BRAMOWSKI , Die »Erinnerungen der Apostel« bei Justin, in: P. Stuhlmacher (Hg.), Das Evangelium und die Evangelien, Tübingen 1983, 341-353. 422 V. Ausblick weil er dieses Evangelium rezipiert hat: Marcion wäre in dieser Sicht überhaupt nicht schriftstellerisch oder redigierend tätig geworden, sondern hätte *Ev nur einfach benutzt. Unter dieser Voraussetzung, die als heuristische Annahme der gesamten Untersuchung zugrunde liegt, lässt sich der Prozess der Trennung Marcions von der römischen Gemeinde und die »Sezession« der Marcioniten auf unterschiedliche Weise bestimmen, je nachdem, ob Marcion bereits als Christ nach Rom kam (wie es die vor allem von Epiphanius vertretene Tradition voraussetzt) oder ob er erst dort Christ wurde, wie Tertullian annimmt. 1. Im ersten Fall könnte man sich vorstellen, dass Marcion die für ihn bezeugte Schriftensammlung aus Pontus mit nach Rom brachte. Neben der Sammlung von zehn Paulusbriefen (ohne Past und Hebr), deren genaue Wachstumsgeschichte im Dunkeln liegt und hier auch nicht weiter eruiert zu werden braucht, gehörte zu dieser Schriftensammlung auch das alte, anonyme Evangelium: *Ev. Marcion hätte diese Sammlung weder erstellt noch bearbeitet, sondern sie einfach als die Grundlage akzeptiert, die ihm überkommen und die im Pontus in Gebrauch war. Man kann sich für Marcion gut ein theologisches Profil vorstellen, das schon in dieser vorrömischen Zeit Elemente seiner später als häretisch bezeichneten Theologie enthielt: Ein Desinteresse an den jüdischen Wurzeln des Christentums, vielleicht sogar deren explizite Ablehnung, sofern diese heilsgeschichtliche Verbindung zwischen Israel und der christlichen Kirche schon dort ein Gegenstand der theologischen Diskussion war. In Verbindung damit kann man auch ohne weiteres Unklarheiten im Gottesbild annehmen, die zur Annahme zweier göttlicher Prinzipien führte, die jeweils für ein »Werk«, die Schöpfung und die Erlösung, verantwortlich waren. Die Bedeutung Christi läge dann darin, diesen bonus deus als seinen Vater offenbart und diejenigen, die an ihn glauben, durch seine Selbsthingabe von der vergänglichen Welt (und der Herrschaft des creator) losgekauft zu haben. Wenn man diese Hauptpunkte der häresiologischen Kritik des 2. und 3. Jh. zusammennimmt, kommt man kaum um das Urteil herum: »Marcions Lehre ist schlicht«, 75 sie enthält nichts, was nicht auch sonst im 2. Jh. vorstellbar ist. Wenn Marcion mit der von ihm rezipierten Schriftensammlung und einer solchen Theologie nach Rom kam, muss man nicht damit rechnen, dass er sofort auf Widerspruch traf. Seine theologischen Vorstellungen müssen nicht grundsätzlich auf Ablehnung getroffen sein, und seine Schriftensammlung bot noch weniger Anstoß: Sowohl die Paulusbriefe als auch das Evangelium werden auch in Rom bekannt gewesen sein - mit dem Unterschied, dass man vielleicht in Rom daneben auch (die? ) andere(n) vorkanonische(n) Evangelien kannte. Die römische Gemeinde hätte vielleicht Marcions Theologie als etwas einseitig und seine Schriftgrundlage ______________________________ 75 B. A LAND , Art. Marcion, TRE 22 (1991), 89-101: 93. § 15: Antworten und Fragen 423 als unvollständig betrachtet, aber beides wäre kein Grund gewesen, ihm die Aufnahme zu verweigern; schon gar nicht, wenn er sie mit einer üppigen Morgengabe garnierte. Auf diese Weise lässt sich gut verstehen, dass Marcion zunächst die fides nostra geteilt hat, auf die der von Tertullian bezeugte Brief hindeutet. Sofern die Notizen über Marcions Verbindung zu Kerdon zutreffen (was hier offenbleiben kann), könnte man sich gut vorstellen, dass Marcion sich unter dessen Einfluss theologisch weiterentwickelte und dabei auf die Korrelation zwischen verschiedenen theologischen Optionen (Gotteslehre und Kosmologie) und der unterschiedlichen Schriftgrundlage aufmerksam wurde. So könnte aus dem Nebeneinander unterschiedlich umfangreicher Schriftensammlungen ein exklusiver Gegensatz geworden und Marcion in einen immer größeren Gegensatz zu der Gemeinde geraten sein, bis hin zu der Trennung im Jahr 144. In diesem Fall wäre die Kanonische Ausgabe der Versuch, in einer sich verschärfenden Debatte gegenüber der von Marcion vertretenen Theologie die jüdischen Wurzeln des Christentums und seine heilsgeschichtliche Dimension nicht nur theologisch zu behaupten, sondern sie auch durch eine erweiterte Schriftgrundlage zu begründen. Marcions Bedeutung für die Entstehung der Kanonischen Ausgabe bestünde dann darin, dass er eine Schriftensammlung mit regionaler Geltung in ein Umfeld gebracht hätte, in dem auch andere Evangelien bekannt waren: Erst die (sukzessive? ) Offenlegung der jeweiligen theologischen Implikationen hätte dann zu der Kontroverse geführt, in der materiale theologische Differenzen mit einem Streit über die richtige Schriftgrundlage verbunden waren. In dieser Perspektive erscheint die Kanonische Ausgabe des Neuen Testaments als die explizite Reaktion auf diese doppelte Kontroverse. 2. Geringfügig anders stellt sich das Problem dar, wenn man Tertullians Hinweis auf Marcions »erstes Glaubensfeuer« so versteht, dass Marcion erst in Rom Christ wurde. 76 Die Auseinandersetzung über die richtige Schriftgrundlage kann dann nicht auf das Zusammentreffen regional unterschiedlicher Schriftensammlungen zurückgeführt werden, sondern müsste als ein Phänomen innerhalb der römischen Gemeinde(n) verstanden werden. Dies ist ohne weiteres denkbar, wenn auch in einem anderen Szenario. Berücksichtigt man dafür die Vermutungen über die Existenz einer protokanonischen Evangeliensammlung (o. S. 397ff), verändert sich das Gesamtbild in einigen Zügen. ______________________________ 76 Zu Marcions primus calor fidei vgl. o. S. 415 Anm. 60. Für diese Annahme spricht, dass die i. W. durch Epiphanius bezeugten Differenzen zwischen Marcion und der Kirche in Pontus (und in Kleinasien? ) alle Elemente der Ketzerpolemik aufweisen. Sie sind verständlich als Versuch, die Abgrenzung von Marcion als ein ökumeneweites Phänomen darzustellen und ihm ein wesenhaftes Defizit an kirchlichem Gemeinsinn zu bescheinigen. 424 V. Ausblick In diesem Fall muss man davon ausgehen, dass *Ev in Rom bekannt war (und wohl auch mit und neben den zehn vorkanonischen Paulusbriefen gelesen wurde), dass aber daneben bereits eine Fortschreibung der Evangelienüberlieferung eingesetzt hatte. Marcions christliche Entwicklung in der Metropole mit einer Vielfalt (auch divergierender) theologischer Vorstellungen und der Existenz verschiedener Schriften ist leicht vorstellbar, ebenso, dass aus einer pluralen Evangelienüberlieferung zunehmend eine Konkurrenz zwischen dem einen Evangelium und einer protokanonischen Sammlung wurde. Unter diesen Voraussetzungen wäre Marcion in erster Linie als (besonders prominenter) Repräsentant in einer kontroversen Entwicklung zu verstehen, die bereits vor oder neben ihm eingesetzt haben konnte und die dann zu der öffentlichen Auseinandersetzung führte, in der Marcion die Unvereinbarkeit des einen wahren Evangeliums gegenüber anderen (vielleicht schon zu einer Sammlung verbundenen) vertrat, die mehr oder weniger deutlich eine unauflösliche Beziehung der Geschichte Jesu zur Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel behaupteten. Sofern Marcion seine theologischen Überzeugungen nicht als Einzelperson, sondern als Repräsentant einer breiteren Strömung vertrat und sein Insistieren auf dem einen wahren (und alten) Evangelium keine individuelle Option war, sondern als Parteinahme in einer weiter gefassten Auseinandersetzung zu verstehen ist, werden die Nachrichten über die große Zahl derer, die ihm folgten, 77 ohne weiteres verständlich: Was als »Exkommunikation« Marcions erscheint, war eine Spaltung der römischen Gemeinde, die letztlich alle Gemeindeglieder betraf. Dass alle Beteiligten in erster Linie an den theologisch umstrittenen Fragen interessiert waren (und sie auch in ihrer Tragweite verstanden), muss man nicht annehmen: Die Auseinandersetzung über das Profil der jeweiligen Schriften (-Sammlungen) war sehr viel konkreter erfahrbar und wird die meisten Beteiligten unmittelbarer betroffen haben. 3. In diesem Verständnis erscheint Marcion als Katalysator einer Entwicklung, die schon vor und unabhängig von ihm eingesetzt hatte: Die Erweiterung und Fortschreibung des ältesten Evangeliums durch die anderen vorkanonischen Evangelien, die vielleicht auch schon als Sammlung existierten und die (mehr oder weniger deutlich) auf die jüdischen Schriften als theologischen Orientierungspunkt bezogen waren. Nach dieser (selbstverständlich hypothetischen) Rekonstruktion der Entwicklung war Marcion weder der Reformator, der das entstehende Christentum zu seinen Ursprüngen zurückführen wollte, noch der Innovator, der die Kirche vor ganz neue Fragen stellte, sondern ein konservativer Bewahrer, der die Geltung des ______________________________ 77 Justin, der in großer zeitlicher Nähe zu Marcions Trennung von der römischen Gemeinde schreibt, erwähnt mehrfach die große Anhängerschaft: Marcion habe κατὰ πᾶν γένος ἀνθρώπων … πόλλους dazu gebracht, Lästerungen auszusprechen und Gott als Schöpfer des Alls zu leugnen« (1Apol. 26,5); vgl. 58,2: ᾧ (sc. Marcion) πολλοὶ πεισθέντες … § 15: Antworten und Fragen 425 althergebrachten Evangeliums einforderte und dies - offensichtlich als einziger oder wenigstens als besonders prominenter Vertreter - auch theologisch begründete. Diese Korrelation zwischen bestimmten theologischen Optionen und einer entsprechenden Schriftgrundlage scheint für Marcion charakteristisch gewesen zu sein. Sie erklärt auf der einen Seite, dass die Häresiologen die von Marcion verwendete Schriftensammlung so exklusiv mit ihm in Verbindung bringen, dass sie immer wieder von »seinem« Evangelium sprechen können, obwohl wir verstreute Zeugnisse besitzen, dass die Marcioniten mitnichten die einzigen waren, die dieses Evangelium benutzt haben, 78 und obwohl die Häresiologen Marcion immer wieder aus dem Text »seines« eigenen Evangeliums widerlegen können. Auf der anderen Seite scheint diese Korrelation zwischen Theologie und Schrift für die Erstellung einer Konkurrenzausgabe verantwortlich gewesen zu sein, die sich jetzt explizit von der marcionitischen Ausgabe abgrenzte, dazu auf die protokanonische Sammlung zurückgriff und die Notwendigkeit von mehreren »apostolischen« Evangelien begründete (Lk 1,1-4; Joh 21,25). In der Auseinandersetzung mit Marcion hat die entstehende Kirche vor allem die Korrelation von Schrift und Theologie gelernt: Dass legitime Theologie nur als Schriftauslegung möglich ist, ist Marcions bleibendes Erbe. * Auch, wenn anderes denkbar ist: So könnte es gewesen sein. Die Fragen, die sich in diesem Zusammenhang ergeben, liegen auf der Hand. Sie betreffen zum einen die Datierung der Evangelienüberlieferung. Denn es ist - auch ohne Vinzents These von Marcions Autorschaft des ältesten Evangeliums - gut denkbar, dass die vorkanonischen Evangelien erst seit der zweiten Hälfte der 130er Jahre (auch) als Reaktion auf den (zweiten) Jüdischen Aufstand entstanden sind: Dies ist eine Frageperspektive, die so bislang nur ganz gelegentlich (und wegen der Geltung der Zwei-Quellentheorie: ohne Aussicht auf breitere Rezeption) aufgeworfen wurde, die aber im methodischen Horizont des hier Entfalteten möglich ist. Sie würde für die Interpretation der Evangelien ungeahnte Perspektiven eröffnen. Daneben erscheint eine neue Bewertung von Marcions historischer und theologischer Bedeutung ______________________________ 78 Kelsos hatte (um 180, also etwa zu der Zeit, in der Irenaeus ganz eindeutig das kanonische Vier- Evangelienbuch bezeugt) davon gesprochen, dass Marcioniten, Valentinianer und die Anhänger des Lukanus den Text des Evangeliums verändern würden (Orig., Cels. 2,27); auch Irenaeus wirft den Valentinianern vor, nur Lk, aber nicht Act zu rezipieren (Haer. 3,15,1f; gemeint ist wohl: das ältere Evangelium ohne den Rahmen der Kanonischen Ausgabe). Vor allem Origenes führt diesen Vorwurf gegen innumerabiles haereses (Orig., Hom. in Lc 16,5) bzw. gegen omnes haeretici (Hom. in Lc 20,2) ins Feld. 426 V. Ausblick angezeigt. Die zwei Möglichkeiten, die hier knapp angedeutet wurden, sind keineswegs abschließend bewertet. Welche anderen Optionen darüber hinaus denkbar sind, muss die zukünftige Diskussion ergeben. Am wichtigsten sind die Fragestellungen im Umfeld der Kanonischen Ausgabe und ihrer Vorstufen: Lässt sich neben den vorkanonischen Evangelien auch eine protokanonische Evangeliensammlung wahrscheinlich machen? Ist auch für die in der marcionitischen Ausgabe enthaltenen Paulusbriefe eine kanonische Redaktion zu identifizieren? Und das hieße umgekehrt: Kann man mit dem hier an Marcions Evangelium erprobten methodischen Instrumentarium auch den vorkanonischen Textbestand der Paulusbriefe analysieren? 79 Lässt sich aus der Perspektive des antiken Buchwesens Genaueres über die Publikation der Kanonischen Ausgabe erfahren? 80 Die hier angedeuteten Fragestellungen lassen sich nicht (mehr) in den Grenzen der seit über 100 Jahren getrennten Disziplinen der Neutestamentlichen Wissenschaft und der Patristik beantworten: Sie erfordern eine disziplinäre Neuorientierung, weil sich aufgrund der überlieferungsgeschichtlichen Analyse der Forschungsgegenstand verändert hat. Zusammen mit der analogen Einsicht, dass auch Überlieferungs- und Textgeschichte methodisch integriert werden müssen (o. S. 403ff), markiert diese Erkenntnis den wesentlichen Ertrag der Untersuchung: Sie stellt nicht nur viele Einzelergebnisse in Frage, sondern auch die Fragestellungen, auf die sie antworteten. Diese Nötigung zu einer Weiterentwicklung der methodischen und disziplinären Gewohnheiten zeigt, wie weit der Weg von den Leistungen der exegetischen Pioniere des 19. und frühen 20. Jh. wegführt: Es gibt tatsächlich plura et remotiora zu erkunden, als diese gesehen hatten. 81 ______________________________ 79 Mehr dazu vgl. u. im Nachwort, S. 463f. 80 Diese Frage hat jetzt eine umfassende Bearbeitung erfahren: J. H EILMANN , Lesen in Antike und frühem Christentum, Tübingen 2020. 81 S. o. S. V, Anm. 1. Da s marcionitis che Evang elium in der Diskus sion: Ein Na chwort zur Methodologie Marcion und sein Evangelium haben Hochkonjunktur. Schon lange hat sich die Forschung nicht mehr so intensiv mit Marcion beschäftigt wie in den letzten Jahren, in denen in kurzer Folge mehrere große Monographien 1 und eine lange Reihe von Aufsätzen erschienen sind. Wie ein Blick in das Literaturverzeichnis zeigt, war das Interesse an Marcion nie ganz erloschen. Gleichwohl ist die dichte Folge von Untersuchungen zu Marcion, zu seiner Theologie, zum Text seiner Bibel und zu seiner Bedeutung für die Entstehung der christlichen Bibel in den letzten Jahren auffällig. So schätzt Dieter Roth, dass in den letzten zehn Jahren mehr einschlägige Arbeiten erschienen sind als in jedem beliebigen Jahrzehnt seit Harnacks Marcionbuch von 1924 oder gar »since the period of prolific Marcion scholarship in the 1840s and 1850s.« 2 Über die plötzliche Intensivierung der Forschung 3 hinaus gibt es enge Parallelen zwischen diesen beiden Forschungsphasen. Denn damals wie heute tangiert der Diskurs, in dessen Zentrum das marcionitische Evangelium steht, Grundsatzfragen wie die Entstehung der Evangelien, des Neuen Testaments, des frühen Christentums überhaupt. Und ebenfalls damals wie heute sind für die stark divergierenden Lösungsvorschläge nicht so sehr unterschiedliche Einschätzungen materialer Probleme verantwortlich als vielmehr fundamentale Differenzen im methodischen Ansatz. Der Vergleich mit dieser frühen Phase der Marcionforschung ist also durchaus angebracht. Beruhigend ist er nicht. Denn Verlauf, Rezeption und Wirkung des Diskurses im 19. Jh. sind kein Ruhmesblatt für die neutestamentliche Forschung: Viele kluge und weiterführende Beobachtungen und Überlegungen haben nicht die Würdigung erfahren, die sie verdient hätten, sondern wurden in der schnell unübersichtlich gewordenen Diskussion übersehen und sind untergegangen. ______________________________ 1 Ich denke dabei (in chronologischer Folge) an: J. B. T YSON , Marcion and Luke-Acts, Columbia 2006; V. L UKAS , Rhetorik und literarischer ›Kampf‹, Frankfurt/ M. u. a. 2008; D. T. R OTH , Towards a New Reconstruction of the Text of Marcion’s Gospel (Ph. D. thesis), Edinburgh 2009; S. M OLL , The Arch-Heretic Marcion (WUNT 250), Tübingen 2010; J. B E D UHN , The First New Testament, Salem (OR), 2013; M. V INZENT , Marcion and the Dating of the Synoptic Gospels, Leuven u. a. 2014; U. M. S. R ÖHL , Der Paulusschüler Markion, Marburg 2014; D. T. R OTH , The Text of Marcion’s Gospel, Leiden - Boston 2015; J. M. L IEU , Marcion and the Making of a Heretic, New York 2015; O. Z WIERLEIN , Die antihäretischen Evangelienprologe und die Entstehung des Neuen Testaments, Stuttgart 2015; M. V INZENT , Tertullian’s Preface to Marcion’s Gospel, Leuven 2016; P. A. G RAMAGLIA , Marcione e il Vangelo (di Luca), Turin 2017; C. G IANOTTO , A. N ICOLETTI (eds.), Il Vangelo di Marcione, Turin 2019. 2 D. T. R OTH , The Link between Luke and Marcion’s Gospel: Prolegomena and Initial Considerations, in: J. S. Kloppenborg, J. Verheyden (eds.), Luke on Jesus, Paul, and Early Christianity, Leuven 2017, 59-80: 59. 3 Allein die in Anm. 1 genannten Monographien umfassen rund 4.400 Druckseiten; dazu kommen noch einmal weit mehr als ein Dutzend Beiträge nur der hier Genannten in Zeitschriften und Sammelbänden. 430 Das marcionitische Evangelium in der Diskussion Allerdings - und das könnte ein Hoffnungsschimmer sein - hat es den Anschein, dass die aktuelle Debatte über den Kreis der Hauptakteure hinaus wahrgenommen wird. So gibt es einige verdienstvolle Versuche, die Fragen zu bündeln und die Beteiligten miteinander ins Gespräch zu bringen. 4 Dies ist umso wichtiger, als die neueren Untersuchungen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Diese Divergenz betrifft nicht nur die aktuellen Rekonstruktionen des marcionitischen Evangeliums (schon ein oberflächlicher Vergleich zeigt die deutlichen Unterschiede), sondern auch fast alle weiteren Fragen im Umfeld. Angesichts der Komplexität der Fragen und der Diversität der Lösungen ist es allerdings »obvious that neither short reviews nor statements in panel discussions can really deepen the discussion and develop it further.« 5 Für die beginnende Diskussion wäre schon viel gewonnen, wenn mehr Klarheit darüber herrschte, über welche Fragen eine Auseinandersetzung lohnt und über welche nicht. Aus diesem Grund verzichte ich in Replik und Kritik auf die Erörterung von Einzelfragen, sondern beschränke mich auf diejenigen Probleme, die nach meiner Überzeugung von grundlegender, methodischer Bedeutung sind. 1. Das zentrale Problem: Die Bearbeitungsrichtung und ihre Implikationen Ich beginne mit dem Problem der Bearbeitungsrichtung zwischen *Ev und Lk. Es ist für meine gesamte Untersuchung grundlegend und stellt ihr eigentliches Ziel dar: Am Anfang stand das Interesse, das redaktionelle Verhältnis zwischen *Ev und Lk zu bestimmen. Die Rekonstruktion des marcionitischen Evangeliums ist daher nicht die Hauptsache, sondern eher ein (unvermeidliches) Nebenprodukt. Deswegen besitzt die Bestimmung des redaktionellen Gefälles für mich Priorität vor allen weiteren Überlegungen. Die grundlegende Erkenntnis der *Ev-Priorität hat dann alle weiteren Folgefragen überhaupt erst hervorgebracht; also vor allem: Wie präsentiert sich die Überlieferungsgeschichte der Evangelien, wenn man von der *Ev-Priorität ausgeht? Und: Welchen Aufschluss kann die handschriftliche Überlieferung des NT unter der Voraussetzung der *Ev-Priorität geben? Weil die Ergebnisse auch dieser Folgefragen in meine Rekonstruktion von *Ev mit einfließen, ist die Bestimmung der Bearbeitungsrichtung für mich von grundlegender Bedeutung. Ich bin überzeugt: ______________________________ 4 Im November 2015 fand während des Annual Meeting der Society of Biblical Literature in Atlanta eine Podiumsdiskussion mit Dieter Roth, Jason BeDuhn, Ronald van den Bergh, Judith Lieu und Markus Vinzent statt. Im August 2016 wurde beim General Meeting der Society of New Testament Studies in Montreal die Quaestio Disputata »Marcion’s Gospel and the New Testament: Catalyst or Consequence? « mit drei kurzen Beiträgen von Matthias Klinghardt, Jason BeDuhn und Judith Lieu verhandelt; die Beiträge sind in NTS 63 (2017), 318-334 erschienen. Im Jahr 2017 hat die ZAC ein Themenheft unter dem Titel »Marcion and His Gospel« herausgebracht mit Artikeln von Jason BeDuhn, Dieter Roth, Daniel A. Smith, T. J. Lang, Thomas J. Bauer, Ulrich Schmid, Matthias Klinghardt, Judith Lieu und Claudio Moreschini: ZAC 21 (2017), 1-199. 5 So die realistische Einschätzung der Herausgeberin Uta Heil im Editorial, ZAC 21 (2017), 6. Ein Nachwort zur Methodologie 431 Eine Rekonstruktion von *Ev kann ohne Berücksichtigung dieses Grundproblems nicht gelingen. Der methodische Ansatz, den Dieter T. Roth für seine Rekonstruktion gewählt hat, unterscheidet sich von diesem Vorgehen diametral. Da unsere Positionen die äußersten Grenzen eines weiteren Diskussionsfelds markieren, das noch andere, vermittelnde Positionen enthält, werde ich die kritische Auseinandersetzung auf Roth konzentrieren. Dieser Fokus bietet sich schon deswegen an, da Roth die methodischen Grundlagen seiner Argumentation sehr klar begründet: Hier sollte das Gespräch anfangen. Zu dem genannten Ausgangspunkt, dem Verhältnis von Rekonstruktion und Bestimmung der Bearbeitungsrichtung, führt Roth aus: »Though I readily admit that I too was initially attracted to the study of Marcion’s Gospel due to interest in the questions surrounding the relationship between Marcion’s Gospel and canonical Luke, along with questions concerning the formation of the Fourfold Gospel and the textual history of Luke, I quickly became convinced that before any of these issues can be discussed, significant attention must once again be given to the actual text of Marcion’s Gospel.« 6 Die Konsequenz dieser Festlegung ist Roths methodische Selbstbeschränkung bei seiner Rekonstruktion: Er will sich ausschließlich auf die häresiologischen Zeugnisse stützen; alle darüber hinausgehenden Überlegungen sollen als methodisch unzulässige argumenta e silentio ausgeschlossen sein. 7 In diesem selbst auferlegten Verzicht auf alles, was nicht unmittelbar aus den Quellen evident ist, suggeriert der Positivismus seines Zugangs wissenschaftliche Objektivität und historische Angemessenheit. Damit ist das Grundproblem deutlich. Wenn ich recht sehe, bin ich in der aktuellen Debatte der einzige, der behauptet, dass (1) für die Rekonstruktion des marcionitischen Evangeliums auch Erkenntnisse aus der Text- und Überlieferungsgeschichte entscheidend sind und dass (2) die Bestimmung der Bearbeitungsrichtung zwischen *Ev und Lk die Grundlage für alle weiteren Fragen bildet. Ich fühle mich daher berechtigt und verpflichtet, Roths genau entgegengesetzten Einwand auf mich zu beziehen und darauf zu replizieren: Unsere gegensätzlichen Lösungen der ______________________________ 6 R OTH , a. a. O. (The Link …, Anm. 2), 60 (Hervorhebung M. K.). Vgl. R OTH 1: »the … debate concerning the relationship between and relative priority of Marcion’s Gospel and Luke can only take place based on some conception of the Gospel that Marcion utilized.« 7 Dies gilt vor allem für Überlegungen zu den unbezeugten Passagen: »A necessary consequence of this approach is that there is also next to no discussion of passages which are passed over in silence. Concretely stated, an initial reconstruction of Marcion’s Gospel must resist the temptation to draw firm conclusions concerning the unattested passages (…)« (R OTH 81, Anm. 88). 432 Das marcionitische Evangelium in der Diskussion methodischen Grundfragen schlagen sich in ungezählten Unterschieden der Rekonstruktion nieder. 8 Und das verlangt eine Klärung. Der Unterschied zwischen Roths und meinem Zugang kann anhand weniger Fragen leicht profiliert werden. So lässt sich das Grundproblem, ob und wie das Bearbeitungsgefälle zwischen *Ev und Lk zu berücksichtigen ist, in zwei Richtungen entfalten. Denn einerseits kann man fragen: Ist eine Rekonstruktion nicht zirkulär, wenn sie auch Einsichten aus der Bearbeitungsrichtung in Rechnung stellt, die sich jedoch ihrerseits erst aus einem solcherart rekonstruierten Text ergeben? Und andererseits: Ist es der komplexen Sachlage angemessen, das marcionitische Evangelium ohne Berücksichtigung der Bearbeitungsrichtung zu rekonstruieren? Und: Ist eine solche Rekonstruktion überhaupt möglich? Die Implikationen dieses Grundproblems werden deutlicher, wenn man die konkreten Schwierigkeiten der Rekonstruktion genauer in den Blick nimmt, die sich aus der Bezeugungslage ergeben. Zum Beispiel: Welchen Text soll man rekonstruieren, wenn sich die häresiologischen Zeugen widersprechen? Gibt es Kriterien, die eine Entscheidung für die eine, gegen die andere Bezeugung ermöglichen? Welche Voraussetzungen haben solche Kriterien? Oder: Lässt sich die handschriftliche Überlieferung des kanonischen Lk für die Rekonstruktion des marcionitischen Evangeliums nutzen? Und wenn ja: Unter welchen Bedingungen kann dies geschehen? Und schließlich: Wie lässt sich eigentlich die Zuverlässigkeit der häresiologischen Quellen bewerten? Anhand dieser Fragen will ich im Folgenden das Grundproblem der Bearbeitungsrichtung und seine Bedeutung für die Rekonstruktion schärfer ins Auge fassen. a. Ist eine Rekonstruktion ohne Berücksichtigung der Bearbeitungsrichtung sinnvoll? Es ist unbestritten, dass das marcionitische Evangelium und das kanonische Lk in einem literarischen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen und durch einen redaktionellen Prozess miteinander verbunden sind - sei es, dass *Ev eine Bearbeitung von Lk ist (wie es Harnack und viele andere vertreten), sei es, dass beide von einer gemeinsamen Quelle abhängig sind (so etwa Gregory oder BeDuhn), sei es, dass Lk eine Bearbeitung von *Ev ist (Vinzent und Klinghardt). Die häresiologischen Zeugnisse, die allen Rekonstruktionen als wichtigste Quelle zugrunde gelegt sind, bezeugen durchweg diesen redaktionellen Prozess: Sie präsentieren sich selbst als Teil der Auseinandersetzung um die Richtung, in der er verlaufen ist. Es sind daher ______________________________ 8 Roths Position ist in der beginnenden Diskussion wiederholt als Alternative zu meinem Ansatz aufgegriffen worden, ohne dass wesentliche Gesichtspunkte zur Sache beigetragen wurden. Ich erspare mir die genauen Hinweise auf die entsprechenden Rezensionen und Artikel und konzentriere mich auf die wesentlichen Fragestellungen. Ein Nachwort zur Methodologie 433 die Quellen selbst, die den Historiker vor die Aufgabe stellen, den Ort des marcionitischen Evangeliums in diesem Prozess zu bestimmen. Dies ist nicht nur eine implizite Aufgabe, wie sie immer vorliegt, wenn Historiker Texte behandeln, die in einem literarischen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. In diesem Fall ist die Aufgabe der Bestimmung der Bearbeitungsrichtung von den Quellen explizit gemacht worden. Insbesondere Tertullian hat klargestellt, dass er seine Behandlung des marcionitischen Evangeliums nicht nur zur Widerlegung der marcionitischen Theologie nutzt, sondern sie auch als Argument in dem Streit um das höhere Alter des jeweiligen Evangeliums versteht. 9 Seine Bezeugung des marcionitischen Evangeliums ist also auch ein Plädoyer in eigener Sache. Der Historiker kann in seinem kritischen Urteil den Anspruch dieses Plädoyers entweder akzeptieren oder widerlegen. Aber er sollte nicht auf seine kritische Überprüfung verzichten und die Frage nach der Bearbeitungsrichtung offen lassen. Denn in diesem Fall würde er den dynamischen Prozess, dem wir die Kenntnis des marcionitischen Evangeliums überhaupt erst verdanken, auf ein konturenloses Standbild reduzieren. Dies ist der erste Einwand gegen Roths Vorgehen: Eine Rekonstruktion ohne Berücksichtigung der Bearbeitungsrichtung ist nicht sinnvoll, weil sie die komplexen Bedingungen der häresiologischen Bezeugung unangemessen vereinfacht. b. Ist eine Rekonstruktion nicht zirkulär, wenn sie Erkenntnisse berücksichtigt, die sich aus der Bearbeitungsrichtung ergeben? Bevor ich dieser Frage weiter nachgehe, ist es sinnvoll, die Perspektive wechseln und einen Stolperstein zu beseitigen, der sich aus der umgekehrten Position zu ergeben scheint: Ist die Berücksichtigung der Bearbeitungsrichtung bei der Rekonstruktion nicht zirkulär? Es ist notwendig, dieses Problem hier zu adressieren, weil die Struktur meiner Argumentation den Eindruck der Zirkularität nahezulegen scheint. Denn ich nutze für die Rekonstruktion von *Ev tatsächlich Einsichten (aus der Überlieferungs- und Textgeschichte), die sich allererst aus der Erkenntnis der Priorität dieses Evangeliums vor Lk ergeben. Mir ist sehr deutlich bewusst, dass der Anschein der Zirkularität dadurch noch gesteigert wird, dass ich auch hinsichtlich der Überlieferungsgeschichte der Evangelien und der Geschichte des neutestamentlichen Textes eigene Wege gehe, die sich jeweils von den großen, weithin geteilten Modellen unterscheiden. Ich kann mich zur Stützung der *Ev-Priorität daher weder auf ein anerkanntes Modell zur Überlieferungsgeschichte der Evangelien berufen (etwa auf die Zwei-Quellentheorie) noch auf die verbreiteten Ansichten zur Entstehung der Varianten in der neutestamentlichen Handschriftenüberlieferung. Dass sich meine Ansichten zur Überlieferungs- und Textgeschicht überhaupt erst aus der Untersuchung des mariconitischen Evangeliums ergeben, ist dabei keine Hilfe, sondern ______________________________ 9 Vgl. Tert. 4,4,1; 4,6,2 u. ö. S. dazu o. S. 39ff. 434 Das marcionitische Evangelium in der Diskussion verschärft das Problem. Das Vorgehen mag daher manchem auf den ersten Blick als zirkulär erscheinen. 10 Ich habe mich deshalb bemüht, die sachlichen Argumente für die *Ev-Priorität nicht nur aufzuführen, sondern bereits durch die Anlage der Argumentation und die Abfolge der einzelnen Kapitel auch den Weg sichtbar zu machen, auf dem ich zu dieser Einsicht gelangt bin. Denn die fundamentale Begründung der *Ev- Priorität ergibt sich nicht aus einer detaillierten Rekonstruktion von *Ev, auch nicht aus einer Kritik an der Zwei-Quellentheorie 11 oder anderen überlieferungsgeschichtlichen Thesen, auch nicht aus textgeschichtlichen Einsichten und schon gar nicht aus allgemeinen Modellen zur Entstehung des NT. Vielmehr resultiert die *Ev-Priorität ausschließlich aus dem Vergleich zwischen Lk und *Ev. Und da dieser Vergleich sein Ergebnis (also die Rekonstruktion von *Ev) nicht voraussetzen darf, beruht er ausschließlich auf unbestreitbaren und gänzlich unstrittigen Beobachtungen, nämlich auf dem Profil von *Ev, das sich aus den großen Bestandsunterschieden ergibt. 12 Entgegen dem Anschein der Zirkularität des Verfahrens besitzt die grundlegende Einsicht in die *Ev-Priorität also einen sehr festen Ausgangspunkt. Vor allen weiteren Überlegungen zur Rekonstruktion hat die Wahrnehmung dieser einhellig bezeugten Bestandsunterschiede zunächst nur die Funktion, die grundsätzliche Perspektive zu plausibilisieren, unter der dieser Text in den Blick zu nehmen ist. Dass diese heuristische Annahme dann durch zahlreiche weitere Beobachtungen gestützt werden muss (und auch gestützt wird: dies ist die wichtigste Funktion der Rekonstruktion in Anhang I), liegt auf der Hand. Die Beobachtungen, die innerhalb dieses Rahmens möglich werden, dienen als kumulatives Argument zur Bestätigung der heuristischen Annahme. Da sich der heuristische Rahmen unabhängig von einer detaillierten Rekonstruktion erheben lässt, ist dieses Verfahren nicht zirkulär: es ist sachlich begründet und methodisch gerechtfertigt. Vor allem aber ist es unvermeidbar: ______________________________ 10 Vgl. bereits C HR . M. H AYS , Marcion vs. Luke: A Response to the Plädoyer of Matthias Klinghardt, ZNW 99 (2008), 228, der gegen die These der *Ev-Priorität den Vorwurf der »internal unfalsifiability« erhob. 11 Dieser Ansicht scheint J. B E D UHN , New Studies of Marcion’s Evangelion, ZAC 21 (2017), 16, zu sein: »this model is needed due primarily to a fatal problem for the Two-Source Hypothesis: the so-called Minor Agreements of Matthew and Luke against Mark.« Richtig ist: Die »Minor Agreements« stellen einen methodischen Selbstwiderspruch der Zwei-Quellentheorie dar und sind deswegen fatal für sie. Richtig ist auch, dass unter der Prämisse der *Ev-Priorität sowohl die Zwei- Quellentheorie als auch die »Minor Agreements« obsolet werden. Falsch wäre allerdings der Eindruck, dass das Versagen der Zwei-Quellentheorie ursächlich wäre für die Theorie der *Ev-Priorität. 12 Ich denke an die größeren Bestandsunterschiede, die für den Anfang (Lk 1-4), die Mitte (Lk 13,1-9; 15,11-32; 18,31-33; 19,29-35.42-46) und das Ende (Lk 22,49-51; *23,2.5) des Evangeliums eindeutig bezeugt sind: Sie erlauben Aufschlüsse nicht nur über den Umfang von *Ev, sondern auch über die Bearbeitungsrichtung. Ein Nachwort zur Methodologie 435 historisches Verstehen ist ohne einen solchen heuristischen Rahmen grundsätzlich unmöglich. Die heuristische Annahme, die sich aus dem Vergleich der großen Bestandsunterschiede ergibt, lässt sehr deutlich ein redaktionelles Gefälle zwischen den beiden Texten erkennen, das von *Ev zu Lk verläuft. Dies sollte für die Rekonstruktion auch berücksichtigt werden. c. Ist eine Rekonstruktion ohne Berücksichtigung der Bearbeitungsrichtung überhaupt möglich? Zurück zur Kritik an Roths Verfahren und zu seiner Rekonstruktion. Denn er liefert eine sehr detaillierte Rekonstruktion bis auf die Ebene einzelner Sätze und Wörter, die weit über die Beschreibung der großen Bestandsunterschiede hinausgeht. Allerdings ist seine Rekonstruktion, anders als behauptet, keineswegs indifferent gegenüber unterschiedlichen Bestimmungen der Bearbeitungsrichtung. Mit anderen Worten: Im Vollzug seiner Rekonstruktion präjudiziert Roth bereits die Bearbeitungsrichtung, die doch angeblich erst anschließend geklärt werden soll. Denn im Hintergrund seiner Rekonstruktion steht schon immer eine bestimmte Annahme zur Bearbeitungsrichtung (es handelt sich um die traditionelle Sicht der Lk-Priorität), die seine Rekonstruktionsentscheidungen auf Schritt und Tritt beeinflusst. Dies ist die Hauptkritik: Eine Rekonstruktion des marcionitischen Evangeliums ohne Berücksichtigung der Bearbeitungsrichtung ist aufgrund der Eigenart des Quellenbefundes gar nicht möglich. Da auch Roth diesem Problem nicht entgeht, setzt seine Rekonstruktion durchgehend eine bestimmte Bearbeitungsrichtung voraus. Roths implizites Präjudiz lässt sich an mehreren Phänomenen zeigen. Besonders deutlich wird es jeweils an den Stellen, an denen das häresiologische Zeugnis nicht eindeutig ist. Dies sind in erster Linie die widersprüchlichen Bezeugungen. Sie stellen die Rekonstruktion des marcionitischen Evangeliums vor erhebliche methodische Herausforderungen. Denn sie machen deutlich, dass die Quellen nicht einfach das marcionitische Evangelium zu erkennen geben, sondern nur unterschiedliche, mehr oder weniger deutlich voneinander abweichende Exemplare eines Grundtextes. 13 Bereits die Einschätzung, ob diese Abweichung »mehr oder weniger« ______________________________ 13 Roth zieht aus diesem Phänomen zu Recht die Konsequenz: »it is obvious that the only text that can be reconstructed is the text attested in the sources, which can heuristically be called ‘Marcion’s Gospel’ even if there is no absolute certainty that all the readings can be traced back to the version of the Gospel that Marcion held in his hand« (R OTH 78f, Anm. 78; Hervorhebung M. K.). Dass Unsicherheiten bleiben, ist unproblematisch, weil selbstverständlich und unvermeidbar. Aber der Hinweis, dass nur der von den häresiologischen Quellen bezeugte Text rekonstruiert werden kann, kaschiert das Problem, dass diese Quellen eben einen durchaus unterschiedlichen Text bezeugen - und dass Roths Verfahren bei der Rekonstruktion sich auf Erkenntnisse stützt, die aus ganz anderen »Quellen« gespeist sind. 436 Das marcionitische Evangelium in der Diskussion deutlich ist, markiert das sachliche Problem. In seiner Übersicht über den rekonstruierten Text erwähnt Roth dieses Phänomen nur ein halbes Dutzend Mal. 14 Aber dies sind nur die Belege, in denen er die abweichenden Bezeugungen nebeneinander stehen lässt, ohne zwischen ihnen zu entscheiden. In seiner Analyse der Quellen kommt das Problem sehr viel häufiger vor. Aber da er diese Widersprüche jeweils in die eine oder die andere Richtung auflöst, bleiben sie ohne Zahl. Ich verstehe: sie können ohne Zahl bleiben, weil das Phänomen für Roths methodisches Vorgehen keine grundlegende Bedeutung besitzt. In meiner eigenen Liste habe ich 85 Vorkommen notiert. Auch, wenn nicht alle Belege dieselbe Aussagekraft haben, gewinnt der kumulative Befund erhebliches Gewicht: Da fast zwei Drittel der Mehrfachzeugnisse für *Ev (nämlich 85 von 135 oder 63 %) widersprüchlich sind, erfordert dieses Problem eine systematische Lösung. Wenn die Widersprüche der Bezeugungen nicht auf Irrtümer der häresiologischen Quellen zurückgehen (dazu gleich), sondern ein Charakteristikum des bezeugten Textes sind, ist das Problem noch viel gravierender. Denn dann muss man solche Widersprüche auch für diejenigen Fälle annehmen, für die wir nur Einzelzeugnisse besitzen - oder auch gar keine. 15 In diesem Fall ist die systematische Erklärung umso wichtiger. d. Welche Methoden nutzt Roth für seine Rekonstruktion? Welche Voraussetzungen haben sie? Roth bietet für das Problem der widersprüchlichen Bezeugungen zwei methodisch begründete Lösungen an. 16 Die erste ist die vergleichende Analyse des Zitierverhaltens eines Autors. Roth folgt dabei dem Verfahren, das bereits Ulrich Schmid bei der Analyse des marcionitischen Apostolos angewandt hatte, 17 und bemerkt dazu: »In order to be able to evaluate the testimony that the church fathers offer for readings found in Marcion’s Gospel, their general handling of texts throughout their ______________________________ 14 R OTH 422-466, s. zu: 5,36-38; 6,43; 7,27; 18,19.20; 23,34; 24,25 (dazu möglicherweise noch 12,8 und 16,23). 15 Gegen die Hochrechnung dieses Phänomens auch auf die Einzelzeugnisse hat U. B. S CHMID , Das marcionitische Evangelium und die (Text-)Überlieferung der Evangelien, ZAC 21 (2017), 102ff, Einwände erhoben, auf die ich bereits repliziert habe, M. K LINGHARDT , Das marcionitische Evangelium und die Textgeschichte des Neuen Testaments, ZAC 21 (2017), 116f. Die Hochrechnung ist dann nicht nur legitim, sondern zwingend erforderlich, wenn die Varianz, die sich in den widersprüchlichen Zeugnissen spiegelt, auf den marcionitischen Text zurückgeht und nicht auf ungenaue Zitate der Häresiologen; dazu gleich mehr. 16 R OTH 78-82. 17 U. B. S CHMID , Marcion und sein Apostolos, Berlin - New York 1995, 26ff. Den methodischen Ansatz hatte zuerst B. A LAND , Die Rezeption des neutestamentlichen Texts im 2. Jh., in: J.-M. Sevrin (ed.), The New Testament in Early Christianity, Leuven 1989, 1-38, dargelegt - als Instrument, um identifizieren zu können, ob Varianten in patristischen Zitaten tatsächlich einen anderen Text oder (nur) individuelle Zitiergewohnheiten bezeugen. Ein Nachwort zur Methodologie 437 corpus, based on multiple citations, must be understood as precisely as possible.« 18 Im Grunde sollen die Zitate aus dem marcionitischen Evangelium mit den entsprechenden (Lk-)Zitaten im gesamten Schriftencorpus desselben Autors verglichen werden. Dieser Vergleich soll dann zeigen, ob sich ein Autor beim Zitieren Freiheiten nimmt (und wenn ja: welche) oder ob er bestimmte Vorlieben für eine bestimmte Formulierung zeigt. Eine solche Analyse der Zitiergewohnheiten ist verständlicherweise nur bei Autoren möglich, die ein ausreichend umfangreiches Textcorpus hinterlassen haben; von den drei Hauptzeugen für *Ev ist das in erster Linie Tertullian. Neben dieser Analyse des Zitierverhaltens führt Roth unter der Überschrift »Textual Criticism« auch die Berücksichtigung von Varianten aus der handschriftlichen Überlieferung des kanonischen Lk an. 19 »In this way, as a particular source’s testimony is evaluated, evidence in the manuscript tradition, which may at times increase or decrease the likelihood of a reading in Marcion’s text, will be kept in view.« 20 Allerdings bleibt offen, in welcher Weise die handschriftliche Überlieferung des Lk Aufschluss geben kann für die Rekonstruktion des marcionitischen Evangeliums. Zwar erläutert Roth die methodischen Implikationen dieser Verbindung nicht, aber sie werden in der Durchführung erkennbar. Ein Beispiel zeigt sein Verfahren. Für *6,23 bezeugt Tertullian: secundum haec, inquit, faciebant prophetis patres e o r u m (4,15,1; vgl. R OTH 102f), Epiphanius hat dagegen: κατὰ τὰ αὐτὰ ἐποίουν τοῖς προφήταις οἱ πατέρες ὑ μ ῶ ν (Schol. 6; vgl. R OTH 293). Folglich ist unklar, ob *Ev den possessiven Genitiv ὑμῶν (so Epiphanius) oder das Personalpronomen αὐτῶν (so Tertullian) hatte. R OTH 293 entscheidet sich für Tertullians Lesart und erklärt zu Epiphanius’ ὑμῶν: »It is noteworthy that according to IGNTP only four other witnesses for this reading exist and that Epiphanius again uses the second person pronoun in 66.42.9. Therefore, it seems more likely that this reading is due to Epiphanius than that it was found in Marcion’s text.« Die Begründung für diese Entscheidung ist kumulativ und verbindet die beiden methodischen Ansätze. Das erste Argument zieht die handschriftliche Überlieferung des kanonischen Lk für sein Urteil heran: Da das von Epiphanius gebotene ὑμῶν nur in vier Zeugen auftaucht (es handelt sich um die Minuskeln 713 1424 2643 sowie die äthiopische Handschrift Bodl. 41), sei das von Tertullian gebotene αὐτῶν, das auch in der übergroßen Mehrheit der Lk-Handschriften zu finden ist, die wahrscheinlichere Lesart in *Ev. Das zweite Argument ist die Analyse der Zitierpraxis: Da Epiphanius denselben Vers an anderer Stelle ebenfalls mit ὑμῶν zitiert, handele es sich um eine ______________________________ 18 A. a. O. 79. 19 R OTH 81f. In der Berücksichtigung der Lk-Handschriften sieht Roth eine wesentliche Verbesserung gegenüber der Rekonstruktion von Harnack, der sich nicht alle verfügbaren Daten der handschriftlichen Überlieferung für seine Rekonstruktion zu nutze gemacht hatte; demgegenüber verspricht er, dass in seiner Untersuchung »every attempt will be made to overcome this weakness« (81). Dabei geht es ihm nicht nur darum, welche Lesart bezeugt ist und wie oft sie auftaucht, sondern vor allem, in welchen Handschriften sie vorliegt. 20 R OTH 82. 438 Das marcionitische Evangelium in der Diskussion Eigenheit, die für Epiphanius typisch sei. Roth schließt daraus, dass Epiphanius (genau wie Tertullian) in *Ev αὐτῶν las, dies aber, seiner Zitiergewohnheit folgend, in seinem Referat in ὑμῶν änderte, weswegen dieses Zeugnis für den Text von *Ev nicht aussagekräftig sei. Die Analyse der Zitiergewohnheit kann ausgesprochen hilfreich für die Rekonstruktion des marcionitischen Textes sein. Roth bemerkt zu Recht, dass ich selbst darauf hingewiesen hatte. 21 Was mir vor Augen schwebte, war beispielsweise die Rekonstruktion der Versuchungsbitte (*11,4). Dazu hatte Schmids Untersuchung von Tertullians Zitiergewohnheiten einen wichtigen Beitrag geleistet und Harnacks anderslautenden Vorschlag überzeugend widerlegt. Zu *11,4 hatte H ARNACK 207f* aus Tert. 4,26,4 quis non sinet nos deduci in temptationem? für *Ev rekonstruiert: (καὶ) μ ὴ ἄ φ ε ς ἡ μ ᾶ ς ε ἰ σ ε ν ε χ θ ῆ ν α ι εἰς πειρασμόν und diese Abweichung gegenüber Lk 11,4 καὶ μ ὴ ε ἰ σ ε ν έ γ κ ῃ ς ἡ μ ᾶ ς εἰς πειρασμόν als »singulär und tendenziös« gewertet. 22 Schmid hat dagegen anhand von Tertullians Auslegung des Vaterunser (Orat. 8,1-3) gezeigt, dass der Wortlaut von 4,26,4 Tertullians eigenes theologisches Interesse spiegele. 23 R OTH 141f hat Schmids Argumentation zu Recht übernommen und sogar noch einen weiteren Beleg beigesteuert (Fug. 2,5): Nicht Marcion, sondern Tertullian hatte ein Interesse daran, Gott nicht aktiv mit der Versuchung in Verbindung zu bringen. Die Analyse des Zitierverhaltens hat hier in der Tat einen wichtigen Einfluss auf die Rekonstruktion von *Ev. Dieses Beispiel zeigt, wie das theologische Interesse die Rezeption des Neuen Testaments beeinflusst. Allerdings will Tertullian gar nicht den Wortlaut der Versuchungsbitte ändern, er will diese - nur - angemessen interpretieren (Orat. 8,1-3). Anders gesagt: Tertullians »Zitiergewohnheit« wird an dieser Stelle gerade daran erkennbar, dass er die Differenz zwischen dem Text und seiner Interpretation explizit macht. 24 Hätte Tertullian in seiner Auslegung des Vaterunser diese Differenz nicht erläutert, ließe sich nicht mit Sicherheit sagen, ob er nicht doch einen Text vor sich hatte, der die Versuchungsbitte in einer von allen Handschriften abweichenden Form enthielt. In diesem (hypothetischen) Fall wäre die Situation ganz analog zu ______________________________ 21 Vgl. M. K LINGHARDT , Markion vs. Lukas: Plädoyer für die Wiederaufnahme eines alten Falles, NTS 52 (2006), 484-513: 492, Anm. 30; vgl. R OTH 79, Anm. 80. 22 Harnack hat dem Häretiker offensichtlich dieselben theologischen Erwägungen unterstellt, die Papst Franziskus im Dezember 2017 in einem Interview äußerte und mit denen eine französischsprachige Bischofskonferenz ihre Übersetzungsänderung der Versuchungsbitte begründete; sie ist seit 2017 in allen französischsprachigen Katholischen Gemeinden in Geltung: Die Formulierung ›Et ne nous soumets pas à la tentation‹ wird ersetzt durch ›Et ne nous laisse pas entrer en tentation‹. 23 U. B. S CHMID , How Can We Access Second Century Texts? , in: C.-B. Amphoux, J. K. Elliott (eds.), The New Testament Text in Early Christianity, Lausanne 2003, 139-150: 143f. 24 Tert., Orat. 8,1: »Ne nos inducas in temptationem, i d e s t , ne nos patiaris induci, ab eo utique qui temptat.« Dass Tertullian den Text interpretiert, anstatt ihn zu schlicht an die eigenen theologischen Bedürfnisse anzupassen, unterscheidet sein Vorgehen von dem des Papstes und der franzöischen Bischöfe. Ein Nachwort zur Methodologie 439 Epiphanius’ Bezeugung von ὑμῶν in *6,23: Dieselbe Abweichung vom kanonischen Text taucht einmal in einem Zitat aus *Ev auf (Epiph., Schol. 6 zu *6,23; Tert. 4,26,4 zu *11,4) und ein weiteres Mal in einer anderen Verwendung (Epiph. 66,42,9; Tert., Fug. 2,5). Ein sicheres Urteil, das auf eigenmächtigen Zitiergewohnheiten beruht, ist also immer abhängig von zusätzlichen Informationen. In dem hier genannten Beispiel (*6,23) findet Roth diese zusätzliche Information in der handschriftlichen Überlieferung des kanonischen Lk. Er folgert aus der schmalen Bezeugung für die Lesart ὑμῶν in den Lk-Handschriften, dass Epiphanius sie wahrscheinlich nicht im Text von Marcions Evangelium gefunden habe. Dieses Beispiel macht zunächst die methodischen Grenzen der Analyse der Zitiergewohnheit deutlich. Denn auch, wenn es solche persönlichen Eigenheiten bei der Rezeption des Bibeltextes gegeben hat, versagt dieses Verfahren als Instrument für die Rekonstruktion von *Ev immer dann, wenn eine Bezeugung entweder mit dem Mehrheitstext übereinstimmt oder wenn sie (wie in dem genannten Beispiel) zwar vom Mehrheitstext abweicht, aber doch immerhin durch einen Teil der Handschriftenüberlieferung gestützt wird. Denn im ersten Fall fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass ein patristischer Autor überhaupt seinen individuellen Neigungen folgt und ungenau zitiert. Im zweiten Fall wirft die Übereinstimmung mit einem Teil der handschriftlichen Überlieferung grundsätzliche Zweifel an der Methode auf. Denn in diesem Fall lässt sich nicht entscheiden, auf welcher Ebene die Abweichung anzunehmen ist: Hat der patristische Autor, seinem idiosynkratischen »Zitierverhalten« entsprechend, den Text ungenau wiedergegeben? Oder liegt die Abweichung im Text, den der Autor dann korrekt wiedergegeben hätte? Dieses Problem lässt sich durch die Analyse des Zitierverhaltens allein nicht lösen. e. Welchen Aufschluss ermöglichen die Lk-Handschriften für die Rekonstruktion? Wichtiger und problematischer ist Roths Rekurs auf die handschriftliche Überlieferung des Lk. Denn wäre diese Übereinstimmung zwischen Epiphanius’ *Ev- Referat und einem kleinen Teil der Lk-Handschriften reiner Zufall, hätte sie keinen Nutzen für die Entscheidung zwischen den beiden unterschiedlichen Bezeugungen. Aber da solche Übereinstimmungen ja auf Schritt und Tritt zu verzeichnen sind, kann dieses breit bezeugte Phänomen kein Zufall sein. Wenn Roth diese Übereinstimmungen für seine Textrekonstruktion nutzt, dann setzt er nicht nur die enge und unbestreitbare Beziehung zwischen *Ev und (der handschriftlichen Überlieferung des kanonischen) Lk voraus, sondern bringt beide auch in eine genealogische Beziehung - denn anders ließe sich diese Beziehung für die Rekonstruktion von *Ev gar nicht fruchtbar machen. Roth impliziert folglich eine Bearbeitungsrichtung, und das ist ganz offensichtlich die traditionelle Lk-Priorität vor *Ev. 440 Das marcionitische Evangelium in der Diskussion Zwar legt Roth seine Begründung für dieses Verfahren nicht offen, aber sein implizites Argument scheint zu sein: Weil Marcion das kanonische Lk redigierte, sei es wahrscheinlich, dass der lk Wortlaut dann auch in dem darauf basierenden (redigierten) marcionitischen Evangelium durchscheint. Und falls diese Textgestalt nicht eindeutig ist (wie in diesem Fall, zu dem vier Handschriften eine varia lectio bezeugen), dann sei es wahrscheinlicher, dass das von Marcion benutzte Lk- Exemplar einen Text enthielt, der von der übergroßen Masse der Handschriften bezeugt wird, als einen, der nur in sehr wenigen, entlegenen Zeugen vorkommt. Dies bedeutet jedoch: Für Roth ist die Bestimmung der Bearbeitungsrichtung keineswegs ein zweiter Arbeitsschritt, der erst nach einer Rekonstruktion des marcionitischen Evangeliums erfolgen kann. Seine Entscheidung in dieser grundlegenden Frage geht seiner Rekonstruktion voraus und beeinflusst ungezählte Entscheidungen. Diese Voreingenommenheit für die Lk-Priorität lässt sich nicht nur bei Roths Behandlung der widersprüchlichen Bezeugungen zeigen, sondern auch bei seinem Umfang mit den Einzelbezeugungen, die ja das Gros der häresiologischen Quellen ausmachen: Auch bei diesen Bezeugungen räumt Roth dem Text der Mehrheit der Lk-Handschriften erhebliches Gewicht für seine Rekonstruktion ein. Gleich das erste Beispiel in Roths Liste zeigt das Phänomen. Tertullian bezeugt für *4,32 stupebant a u t e m o m n e s ad doctrinam eius (Tert. 4,7,7), also wohl, wie schon H ARNACK 184* richtig gesehen hatte: ἐξεπλήσσοντο δ ὲ π ά ν τ ε ς ἐπὶ τῇ διδαχῆ αὐτοῦ. Da es keine anderslautenden Bezeugungen gibt, könnte der Fall klar sein. Allerdings steht diese Bezeugung in Widerspruch zu Lk 4,32 κ α ὶ ἐξεπλήσσοντο ἐπὶ τῇ διδαχῇ in der übergroßen der Mehrheit der Handschriften. 25 Diese Differenz veranlasst Roth dazu, die Eindeutigkeit von Tertullians Zeugnis einzuschränken. Er folgert: »Since there is no compelling reason in Tertullian’s argument for him to have added the term (sc. πάντες), however, it may have been present in Marcion’s text.« 26 Dieser Zweifel drückt sich dann auch in der Druckgestaltung von Roths zusammenfassender Rekonstruktion aus: ἐξεπλήσσοντο δὲ πάντες ἐπὶ τῇ διδαχῆ αὐτοῦ … (R OTH 412). Die Druckgestaltung besagt: »Text that is set in bold reveals secure readings confirmed both by the methodological consideration of citation habit and attestation in the extant manuscript tradition«, wogegen »text set in italics reveals possible readings that are attested by a source, though ultimately no confidence can be placed in these readings being found in Marcion’s text« (R OTH 410f). Semantisch hat diese Entscheidung eine nur geringe Auswirkung. Was jedoch aufhorchen lässt, ist das Misstrauen, das Roth dieser eindeutigen Bezeugung entgegenbringt, obwohl er selbst der Ansicht ist, dass Tertullian hier nicht frei fabuliert, ______________________________ 25 Die von Tertullian für *Ev bezeugten Unterschiede zu Lk 4,32 tauchen auch als Varianten in wenigen Lk-Handschriften auf: ἐξεπλήσσοντο δέ anstelle von καὶ ἐξεπλήσσοντο findet sich in ſſ 2 , das zusätzliche πάντες ist durch r 1 sy h sa bezeugt. 26 R OTH 92 (Hervorhebung M. K.). Ein Nachwort zur Methodologie 441 sondern dicht am Text des marcionitischen Evangeliums ist. 27 Aber wieso soll eine Abweichung des für *Ev bezeugten Textes vom kanonischen Lk ein Grund dafür sein, dass »ultimately no confidence can be placed in these readings«? Das durchgängig bezeugte Hauptcharakteristikum von *Ev ist doch die von den Häresiologen angeprangerte »Verfälschung«, also die Differenz zu Lk. In dieser Argumentationsfigur, die Roths Rekonstruktion an zahlreichen weiteren Stellen zugrunde liegt, gewinnen das kanonische Lk und seine handschriftliche Überlieferung eine zentrale Funktion für die Rekonstruktion von *Ev: Sie bilden, neben den häresiologischen Quellen, eine entscheidende Stütze seiner Rekonstruktion. Diese Bedeutung können die Lk-Handschriften jedoch nur unter der Voraussetzung gewinnen, dass die handschriftliche Überlieferung des kanonischen Lk auf *Ev eingewirkt hat, d. h. wenn die Bearbeitungsrichtung eindeutig von Lk zu *Ev verläuft. f. Wie lässt sich die Zuverlässigkeit der häresiologischen Quellen bewerten? Die Auswirkung dieser Höherschätzung des kanonischen Lk-Wortlauts über die Bezeugung für das marcionitische Evangelium zeigt sich besonders dann, wenn die häresiologischen Zeugen einen Text präsentieren, der näher an der matthäischen als an der lukanischen Fassung ist. Drei kurze Beispiele sollen nur das Phänomen erläutern. *6,31: Tert. 4,16,13 referiert das Ende der Goldenen Regel in der Form … et sicut vobis fieri vultis ab hominibus, i t a e t v o s f a c i t e i l l i s . Dies entspricht ziemlich genau Mt 7,12 … οὕτως καὶ ὑμεῖς ποιεῖτε αὐτοῖς, und zwar im Unterschied zu Lk 6,31: … ποιεῖτε αὐτοῖς ὁμοίως. - *12,24: In der Belehrung über das Sorgen lautet der Vergleich mit den Raben nach Tert. 4,29,1 corvi non serunt nec metunt n e c i n a p o t h e c a s c o n d u n t . Gegen Lk 12,24 οἷς οὐκ ἔστιν ταμεῖον οὐδὲ ἀποθήκη stimmt diese Formulierung mit Mt 6,26 … οὐδὲ συνάγουσιν εἰς ἀποθήκας überein. - *12,59: In der Belehrung über die Zeichen der Zeit lautet das Ende des letzten Satzes bei Tert. 4,29,16: … nisi soluto etiam novissimo q u a d r a n t e . Wiederum entspricht dies hinreichend genau der Formulierung aus Mt 5,26 … ἕως ἂν ἀποδῷς τὸν ἔσχατον κ ο δ ρ ά ν τ η ν , und zwar ebenfalls wieder gegen Lk 12,59 … ἕως καὶ τὸ ἔσχατον λεπτὸν ἀποδῷς. Für alle drei Beispiele ist Tertullian der einzige häresiologische Zeuge; in allen drei Fällen hat Roth die fraglichen Elemente in seiner Rekonstruktion kursiv gesetzt und dadurch angezeigt, dass er »ultimately no confidence« zu Tertullians Zeugnis hat. Roth behandelt dieses Phänomen der »mt Zitate« zunächst im Zusammenhang seiner Tertullianbelege. 28 Das scheint auf den ersten Blick nachvollziehbar, weil Tertullian auch in der Rezeption seiner eigenen Bibel immer wieder erkennen lässt, dass ihm der Mt-Text näher war als der aus den anderen synoptischen Evangelien. Es ist daher nicht verwunderlich, dass diese »matthäischen Zitate« in den häresiologischen ______________________________ 27 R OTH 92: »it seems that Tertullian’s interaction with Marcion’s Gospel in 4.7.7 may well be governed by the reading in Marcion’s text.« 28 R OTH 90f. 442 Das marcionitische Evangelium in der Diskussion Zeugnissen schon seit langem als Hinweise auf die Unzuverlässigkeit der Referenten verstanden wurden. Allerdings würde diese Erklärung in der Konsequenz jeder methodisch verantwortlichen Rekonstruktion den Boden entziehen. Denn sie macht Tertullians Zeugnis insgesamt so zweifelhaft, dass man fragen müsste: Was genau erlaubt eigentlich die Annahme, dass Tertullian an anderer Stelle zuverlässiger referiert als hier? Roths Behandlung dieses Problems verweist wieder auf die Übereinstimmung mit dem kanonischen Lk: »The custom of citing from Matthew affects the analysis of Tertullian’s testimony to Marcion’s text in two ways. First, when Tertullian incontrovertibly attests a Lukan reading, there is a greater likelihood, though far from certainty, that the phrasing is arising from Marcion’s text. Conversely, when Tertullian attests a Matthean reading for Marcion’s text, though a harmonization to Matthew’s Gospel may have been present in Marcion’s text, the possibility of the phrasing being due to Tertullian’s greater familiarity with Matthew must always be kept in mind.« 29 Roth zieht hier aus den »matthäischen Zitaten« zwei Konsequenzen, die beide dieselbe problematische Voraussetzung haben. Auf der einen Seite wertet er Übereinstimmungen zwischen *Ev und Lk als Argument für die Zuverlässigkeit des Zeugnisses. Das ist insofern unbefriedigend, als ja doch die Differenz zwischen *Ev und Lk die durchweg bezeugte und völlig unbestrittene Konstitutionsbedingung für *Ev ist: Ohne diese Differenz wüssten wir nicht von diesem Text und könnten ihn nicht identifizieren. Hier macht sich, einmal mehr, die stillschweigende Voraussetzung der Lk-Priorität bemerkbar: Denn unter der Prämisse der traditionellen Lk- Priorität stünde zu erwarten, dass das marcionitische Evangelium an all den Stellen, an denen Marcion keinen Anlass zu redaktionellen Eingriffen sah, den Text des kanonischen Lk spiegeln müsse. Wenn also die Häresiologen semantisch unauffällige Unterschiede bezeugen, die sich nicht als tendenziöse Änderungen verständlich machen lassen, entstehen Zweifel an der Zuverlässigkeit der Zeugnisse. Aus diesem Grund, so muss man vermuten, erkennt Roth den Übereinstimmungen mit Lk »a greater likelihood« zu: Diese Argumentation ist Harnack pur und setzt die Lk- Priorität voraus. Die Kehrseite dieser These ist die Einschätzung, dass die »matthäischen« Formulierungen Tertullian als einen grundsätzlich unzuverlässigen Zeugen erweisen. Roth bietet zwei Erklärungen, wie diese »matthäischen« Formulierungen entstanden sein könnten. Zum einen ist das Argument der individuellen Zitierpraxis ohne weiteres erkennbar: Weil Tertullian eine »greater familiarity with Matthew« besaß, habe er dessen Formulierungen irrtümlich auch dort substituiert, wo er sie gar nicht gefunden hatte: in *Ev. Tertullian referiere folglich ungenau, sein Zeugnis sei unzuverlässig. Eine alternative Erklärung ist in einem Halbsatz angedeutet: Tertullian könnte ______________________________ 29 R OTH 91. Ein Nachwort zur Methodologie 443 korrekt referiert haben, wenn die »matthäischen Zitate« bereits als »harmonization to Matthew’s Gospel« ein Element des marcionitischen Texts waren. Aber wer könnte sie dort produziert haben? Auch, wenn Roth sich dazu nicht äußert, wird man kaum fehlgehen in der Annahme, dass hier Harnacks entsprechende Überlegungen durchscheinen: Der war der Ansicht, dass Marcion bei seiner Redaktion des kanonischen Lk sich gelegentlich (und ganz im Sinn des Modells der individuellen Zitierpraxis) von dem mt Wortlaut hat leiten lassen, so dass er am Ende einen »Mischtext« produzierte. Das heißt: Marcion hat nicht aufgepasst, als er das kanonische Lk redigierte. Auch diese Überlegung setzt die traditionelle Lk-Priorität voraus. Roths Nähe zu Harnacks Argumentation zeigt sich auch daran, dass beide von Roth genannten Erklärungen für die »matthäischen« Zitate - entweder haben sich die Häresiologen aufgrund ihrer individuellen Zitierpraxis geirrt oder Marcion hat, aus welchen Gründen auch immer, einen Mischtext produziert - sich bereits bei Harnack finden. 30 Allerdings scheint Roth die These eines von Marcion produzierten Mischtexts für eine eher theoretische Lösung zu halten; er zieht sie nur in wenigen Fällen in Betracht und hält es für wahrscheinlicher, dass nicht Marcion, sondern die häresiologischen Referenten für diese »matthäischen Zitate« verantwortlich sind, indem sie irrtümlich auf den Mt-Wortlaut rekurrierten. 31 Aber das ist wenig glaubhaft. Denn diese »matthäischen Zitate« treten ja nicht nur bei Tertullian auf, sondern auch bei den anderen Häresiologen. Insbesondere die Adamantius-Dialoge enthalten »matthäische« Formulierungen in so großer Zahl, dass Roth ihnen insgesamt die Zuverlässigkeit abspricht. Dabei ist es gleichgültig, ob diese »matthäischen Zitate« schon im Text von *Ev begegnen (also wie in Harnacks Annahme eines »Mischtexts«) oder ob sie auf einen späteren Einfluss ______________________________ 30 Beispielsweise im Kommentar zu *12,24 (H ARNACK 214*): »Tert. ist in seinem gedächtnismäßigen Referat mit den Worten ›nec in apothecam condunt‹ vom Luk-Text zum Mt.-Text abgeirrt, oder lag auch hier schon, wie so oft, dem M[arcion]-Text ein aus Matth. gemischter Text zugrunde? « Anders als Harnack will R OTH 156 diese Frage nicht offen lassen und argumentiert wieder mit der Mehrheit der Handschriften: »The fact that, according to IGNTP, only 903 attests this harmonization may make the former view more likely.« - Die Annahme eines lk-mt »Mischtexts« hat im Übrigen weitreichende Konsequenzen. Denn in diesem Fall ist eindeutig vorausgesetzt, dass das marcionitische Evangerlium nicht nur von Lk abhängig ist (wie alle antiken Quellen belegen), sondern auch von Mt. Hier häufen sich dann die Aporien (s. o. § 6). 31 Zu den wenigen Stellen, für die Roth Harmonisierungen in *Ev in Erwägung zieht, gehören *5,34f; *6,37; *12,10. Abschließend bewertet er: »Though the sources for Marcion’s Gospel do indeed attest Matthean readings in multiple places, it has been seen that a significant challenge in evaluating such readings is the possibility that the author of a source himself is responsible for the harmonization« (R OTH 439, Hervorhebung M. K.). 444 Das marcionitische Evangelium in der Diskussion auf die *Ev-Überlieferung zurückgehen 32 oder aber auf einen Irrtum des Autors (also: idiosynkratische Zitierpraxis): »the end result is that the citations in the Adamantius Dialogue are often some distance removed from the wording of Marcion’s Gospel.« 33 Diese Schlussfolgerung ist zirkulär. Denn woher kennt Roth »the wording of Marcion’s Gospel«, wenn nicht aus der Bezeugung des Adamantius? Die für Adamantius diagnostizierte »distance« scheint sich daher gar nicht auf »the wording of Marcion’s Gospel« zu beziehen, sondern auf den Wortlaut des kanonischen Lk. Dies hätte, noch einmal, die Lk-Priorität zur Voraussetzung. Sehr viel gravierender ist jedoch, dass Roth bereit ist, gleich auf mehreren Ebenen der Überlieferung Irrtümer (also: Kontingenzen) anzunehmen. Denn selbst, wenn man konzediert, dass Roths Kenntnis von *Ev tatsächlich auf einer kumulativen Sammlung aller häresiologischen Quellen beruht, ist das Problem der »matthäischen Zitate« nicht aus der Welt. Denn sie begegnen ja nicht nur bei Tertullian, sondern in allen häresiologischen Quellen für *Ev. Sollten sie sich alle in der Bezeugung von *Ev geirrt haben? Das ist mehr als unwahrscheinlich. Insbesondere die Mehrfachbezeugungen zeigen, wie gravierend Roths methodisches Defizit im Umgang mit den »matthäischen Zitaten« ist. Die Bezeugung von *6,43 liefert das deutlichste Beispiel: Das Logion vom guten und vom schlechten Baum gehörte zu den Ankertexten, die eine besondere Rolle in der Auseinandersetzung zwischen Marcioniten und ihren orthodoxen Gegnern spielten. Es ist von sechs verschiedenen häresiologischen Quellen bezeugt, von denen drei (Adamantius, Origenes und Hippolyt) sich explizit auf marcionitische Zitate dieses Logions beziehen: Deutlicher, als es hier geschieht, lässt sich der Anspruch auf Zuverlässigkeit der häresiologischen Referate kaum begründen. 34 An diesen Bezeugungen sind zwei Abweichungen gegenüber Lk 6,43 auffällig, weil sie der Formulierung der Parallele in Mt 7,18 entsprechen: Während Filastrius die Eingangswendung in der aus Lk 6,43 bekannten Formulierung referiert (»Es gibt keinen Baum, der …«), 35 bieten Adamantius, Origenes und Hippolyt die aus Mt 7,18 bekannte Formulierung »Ein Baum kann ______________________________ 32 Das hatte Tsutsui erwogen (Hinweis bei R OTH 357 Anm. 49), der »eine ›Matthäisierung‹ der Grund- Quellenschrift … im Laufe der Überlieferungs- und Überarbeitungsgeschichte« annimmt (K. T SUTSUI , Die Auseinandersetzung mit den Markioniten im Adamantios-Dialog, Berlin - New York 2004, 92). 33 R OTH 357. 34 Die Bezeugung für *6,43 findet sich in: Tertullian 1,2,1; 2,4,2; 2,24,3; 4,17,12; Adamantius 1,28 (821a.e); Origenes, Princ. 2,5,4 (GCS 22, 137); Hippolyt, Refut. 10,19,3 (GCS 26, 280); PsTertullian, Haer. 6 (CSEL 47, 223,5-7); Filastrius, Haer. 45,2 (CCL 9, 236). Als Zitate sind ausgewiesen: Adam. 1,28 (821a): Καθὼς λ έ γ ε ι τὸ εὐαγγέλιον … (bzw. [821e] ebenfalls im Munde des Marcioniten Megethius: ὀ Χριστὸς ε ῖ π ε ν ὅ τ ι …). - Origenes, Princ. 2,5,4: (Die Marcioniten) aiunt namque: s c r i p t u m est quia … - Hippolyt, Refut. 10,19,3: διὸ καὶ ταῖς παραβολαῖς ταῖς εὐαγγελικαῖς χρῶνται ο ὕ τ ω ς λ έ γ ο ν τ ε ς … (Subjekt sind die Marcioniten). 35 Lk 6,43 οὐ γάρ ἐστιν δένδρον (+ Relativsatz); vgl. Filastr., Haer. 45,2: non est arbor (+ Relativsatz). Ein Nachwort zur Methodologie 445 nicht …«. 36 Auch in der Frage, ob der Baum »Frucht« im Singular trägt oder »Früchte« im Plural, ist die Überlieferung gespalten. Tertullian und Filastrius bezeugen wie Lk 6,43 den generalisierenden Singular (καρπὸν σαπρόν/ malum fructum), die anderen Zeugen bieten stattdessen den konkreteren Plural, der sich auch in Mt 7,18 findet. 37 In seiner zusammenfassenden Rekonstruktion lässt Roth den Wortlaut dieses Logions offen und weist nur darauf hin, dass die unterschiedliche Bezeugung »den genauen Wortlaut unklar« mache (R OTH 415). Dementsprechend ist nicht erkennbar, wie er das Problem der »matthäischen Zitate« an dieser Stelle löst. Immerhin verweist er darauf, dass der matthäische Einfluss »leicht erkennbar« sei (R OTH 402). 38 Die Konsequenz dieser Bezeugung für das Problem der »matthäischen Zitate« ist offenkundig. Denn man kann nicht annehmen, dass verschiedene Autoren an derselben Stelle denselben Irrtum begehen und dieselben matthäischen Formulierungen in einen ganz anderen Text eintragen, den sie nicht frei wiedergeben, sondern aus dem sie zu zitieren behaupten. An dieser Stelle ist die Konsequenz zwingend, dass die »matthäischen Zitate« nicht auf irrtümliche Eintragungen der patristischen Zeugen zurückgehen. Sie standen bereits in *Ev. 39 Diese Schlussfolgerung hat weitreichende methodische Auswirkungen. Denn sie ist auch in allen anderen Fällen in Anschlag zu bringen, in denen »matthäische Zitate« nicht mehrfach, sondern nur von einer einzigen häresiologischen Quelle bezeugt sind: Auch in diesen (überaus zahlreichen) Fällen ist es nicht ratsam, irrtümliche Eintragungen anzunehmen. Da das Beispiel der Mehrfachbezeugungen in *6,43 belegt, dass *Ev solche »matthäischen« Formulierungen enthalten haben muss, ist es methodisch angezeigt, auch die anderen Vorkommen auf diese Weise zu erklären, anstatt eine lange Kette zufälliger Irrtümer zu postulieren: Das wäre die erkennbar voraussetzungsreichere Annahme, die Occams Rasiermesser zum Opfer fällt: Die angeblich »matthäischen Zitate« sind ein (ursprüngliches) Element des marcionitischen Evangeliums. Und dieses Phänomen erfordert eine Erklärung. Die wichtigste Konsequenz aus Roths (und Harnacks) Einschätzung der »matthäischen Zitate« ist jedoch das grundlegende Misstrauen gegen jede Bezeugung. Denn ______________________________ 36 Mt 7,18: οὐ δύναται δένδρον … (+ Inf.). Vgl. dazu: Adam. 1,28 (821a.e): οὐ δύναται δένδρον … (+ Inf.); Orig., Princ. 2,5,4: non potest arbor … (+ Inf.); Hippolyt, Refut. 10,19,3: οὐ δύναται δένδρον … (+ Inf.). 37 Die Formulierung … καρποὺς πονηρούς in Mt 7,18; Adam. 1,28 (821 a.e); Hippolyt, Refut. 10,19,3; Origenes, Princ. 2,5,4 (malos fructus). 38 Da Roth seine Untersuchung nicht nach der Textfolge in *Ev, sondern nach den häresiologischen Quellen gliedert, behandelt er dieses Logion an drei unterschiedlichen Stellen, und zwar im Tertulliankapitel (R OTH 111f), im Zusammenhang der Adamantiusbelege (S. 363) und unter den »Additional Sources« (S. 401f). Dieser Aufbau kommt einer zusammenfassenden Bewertung der Mehrfachbezeugungen nicht gerade entgegen, so dass man ihr Gewicht leicht übersehen kann. 39 Vgl. H ARNACK 195*: »Als sicher darf angenommen werden, daß M. oder seine Vorlage sich auch hier vom Matth. Text hat beeinflussen lassen.« 446 Das marcionitische Evangelium in der Diskussion wenn man den Häresiologen zutraut, dass sie in so vielen Fällen nicht nur nicht genau zitiert haben (obwohl Genauigkeit eigentlich eine Grundlage ihres Beweisverfahrens sein müsste), 40 sondern stattdessen immer wieder irrtümlich und beliebig den Text aus den synoptischen Parallelen eingetragen haben, dann weckt dies erhebliche Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit: Inwiefern taugen ihre Zeugnisse dann überhaupt als Basis für eine Rekonstruktion? Zur Einschätzung der Zuverlässigkeit der Häresiologen hilft es auch nicht, auf die Übereinstimmungen mit dem kanonischen Lk zu verweisen. Denn abgesehen davon, dass dieses Argument die Lk-Priorität voraussetzt (s. o.), bleibt der Zweifel auch gegenüber diesen Bezeugungen bestehen: Denn was spricht dafür, dass gerade diese Zeugnisse keine irrtümlichen Eintragungen sind? Roth scheint dieses Problem geahnt zu haben. Denn obwohl er den Übereinstimmungen zwischen *Ev und Lk grundsätzlich zu trauen bereit ist, äußert er auch gegenüber diesen Zeugnissen einen so deutlichen Vorbehalt, 41 dass man sich fragen muss, ob und wie eine Rekonstruktion denn überhaupt möglich ist. Auf dieses Problem ist gleich noch einmal zurückzukommen (s. u. S. 451). Das grundsätzliche Misstrauen gegenüber der Zuverlässigkeit der häresiologischen Quellen hat noch eine weitere Konsequenz. Denn je stärker sie in Zweifel gezogen werden, desto größeres Gewicht gewinnen alle Begründungselemente, die außerhalb dieser Quellen liegen. Harnack hat das gewusst. Er konnte sich großzügig über die Defizite der häresiologischen Bezeugung hinwegsetzen, weil er von Marcions theologischer Redaktion des Lk so fest überzeugt war: Harnack nutzte die Konsistenz seines theologischen Marcionbildes zur Stützung seiner Textrekonstruktion. Indem Roth aus Prinzip auf diese Art von Begründungen verzichtet, verliert seine Rekonstruktion im Vergleich zu Harnack an Plausibilität. g. Zusammenfassung: Methodische Erfordernisse der Rekonstruktion Die Hauptfrage dieses Abschnitts lautete: Ist eine Rekonstruktion des marcionitischen Evangeliums ohne die Bestimmung der Bearbeitungsrichtung sinnvoll und möglich? Ich habe versucht zu zeigen, dass beides nicht der Fall ist. 1. Eine solche Rekonstruktion ist nicht sinnvoll, weil die häresiologischen Quellen selbst dieses Problem als prominenten Gegenstand ihrer strittigen Auseinandersetzungen benennen. Die Frage der Bearbeitungsrichtung auszuklammern wäre eine unzulässige Reduktion der antagonistischen Überlieferungssituation, der wir die Kenntnis von *Ev überhaupt erst verdanken. ______________________________ 40 S. o. S. 62ff. 41 R OTH 91: »when Tertullian incontrovertibly attests a Lukan reading, there is a greater likelihood, though far from certainty, that the phrasing is arising from Marcion’s text« (Hervorhebung M. K.). Ein Nachwort zur Methodologie 447 Eine Rekonstruktion des marcionitischen Evangeliums ohne Berücksichtigung der Bearbeitungsrichtung ist aber nicht nur nicht sinnvoll, sie ist auch gar nicht möglich. Denn die Komplexität der häresiologischen Zeugnisse macht es unmöglich, ihre Texte einfach additiv auszuschreiben: Zumindest die widersprüchlichen Bezeugungen nötigen zu einer Entscheidung für das eine oder das andere Zeugnis. Vor allem erfordern sie eine Erklärung, auf welche Weise diese Widersprüche überhaupt zustande gekommen sind. Die Annahme individueller Irrtümer scheidet genauso aus wie die versehentliche Eintragung der »matthäischen« Textgestalt in die Bezeugung von *Ev. Beides würde den mehrfachen Zufall voraussetzen, dass mehrere Autoren demselben Irrtum erlegen sein müssten. Wenn sich die widersprüchlichen Bezeugungen nicht auf Irrtümer der häresiologischen Autoren zurückführen lassen, müssen sie ein Element des bezeugten Textes selbst sein. Dies ist aber nur möglich, wenn sich der Text von *Ev im Laufe seiner Überlieferung verändert hat. Da die Quellen genau dieses Phänomen auch bezeugen, hat diese Erklärung alle Wahrscheinlichkeit für sich. So stellt die spezifische Quellenlage die Anforderung an das historische Verstehen, dass eine Rekonstruktion von *Ev nur dann verlässlich gelingen kann, wenn sie als Teil des Prozesses wahrgenommen wird, dem wir überhaupt alle Kenntnisse von *Ev verdanken. Es ist daher nicht möglich, das marcionitische Evangelium ohne Rekurs auf diesen Prozess - und das heißt: ohne Berücksichtigung der Bearbeitungsrichtung - zu rekonstruieren. 2. Auch Roth gelingt dies nicht. Denn er hält seine eigene methodische Prämisse nicht durch, zuerst den Text des marcionitischen Evangeliums zu rekonstruieren und dann die Fragen im Zusammenhang der Bearbeitungsrichtung zu beantworten. Stattdessen bestimmen seine Ansichten über die Bearbeitungsrichtung zwischen Lk und *Ev durchweg seine Rekonstruktion des Textes. Das zeigen sein Umgang mit den widersprüchlichen Bezeugungen, sein Verständnis der »matthäischen« Zitate und seine Berücksichtigung der handschriftlichen Überlieferung. Mein Einspruch richtet sich nicht dagegen, dass Roth bei seiner Rekonstruktion überhaupt eine Bearbeitungsrichtung berücksichtigt, sondern dagegen, dass er dies nur implizit tut. Denn da er diese Annahme nicht offenlegt oder sie gar begründet, gewinnt die stillschweigende Voraussetzung einen methodisch unkontrollierten Einfluss. Und darin ist sie wirksamer, als es ein begründetes Urteil sein könnte. 3. Roths implizites Urteil ist der Sache nach die traditionelle Annahme der Lk- Priorität, also Harnacks Grundposition. Allerdings verzichtet Roth programmatisch auf alle Elemente, die Harnack allein mit dem Argument der »marcionitischen Tendenz« begründet hatte. Da die Forschung seit Jahrzehnten die Tendenz hat, kritisch von Harnacks theologisch angereicherter Rekonstruktion abzurücken, kommt Roths Verfahren dieser Tendenz entgegen. Man versteht dann leicht, dass und warum Rezensenten schnell bereit waren, in Roths Rekonstruktion einen gültigen 448 Das marcionitische Evangelium in der Diskussion Ersatz für Harnacks Text zu sehen: In seinen zurückhaltenden Begründungen liefert er einen »bereinigten Harnack«, der den Eindruck größerer Wissenschaftlichkeit erweckt, ohne aber Harnacks Grundposition in Frage zu stellen. 42 Allerdings bleibt Roth mit seiner Kritik an Harnack auf halbem Weg stehen. Denn da er die Lk-Priorität nur impliziert, sie aber nicht begründet, teilt er nicht nur Harnacks grundlegende Annahme, sondern auch sein fundamentales Versäumnis. Denn Harnack hatte die Lk-Priorität bekanntlich nie begründet, obwohl sie für seine gesamte Marcioninterpretation schlechterdings zentral ist: Er hielt sie einfach für selbstverständlich. 43 Anstatt seine Ausgangsthese wenigstens ansatzweise zu validieren, verließ er sich kurzerhand auf die ältere Forschung aus der Zeit um 1850, die er als 19-jähriger für seine berühmte »Preisschrift« von 1870 zur Kenntnis genommen hatte. Selbst überprüft hatte Harnack die »Ergebnisse« dieser Forschungsperiode allerdings nicht: Wie er selbst einräumt, hat er sie sich nur oberflächlich und überwiegend aus zweiter Hand angelesen. 44 Selten war eine forschungsgeschichtlich so wirkungsvolle Theorie derartig ungenügend begründet: Harnacks Bild von Marcions redaktioneller Tätigkeit hält einer kritischen Überprüfung nicht stand. Es sollte auf keinen Fall prolongiert werden; und schon gar nicht stillschweigend. 4. Am Ende steht daher die Einschätzung, dass die wesentliche Differenz zwischen Roths und meiner Rekonstruktion nicht in den ungezählten unterschiedlichen Einzel- ______________________________ 42 A. S TANDHARTINGER , in: ThRev 112 (2016), 388: Mit Roths Rekonstruktion »liegt nun endlich eine Edition von Markions Evangelium vor, die Harnacks Rekonstruktion ersetzen kann und den Standards von Schmids Rekonstruktion von Markions Apostolos folgt.« P. F OSTER , in: ExpT 127 (2015), 99: »This is a major piece of scholarship, which will be consulted widely for many decades to come.« J. B E D UHN , New Studies of Marcion’s Evangelion, ZAC 21 (2017), 9: Roths »results … will remain a standard and necessary reference on the text of Evangelion for generations to come.« 43 H ARNACK 240*: »Daß das Evangelium Marcions nichts anderes ist[,] als was das altkirchliche Urteil von ihm behauptet hat, nämlich ein verfälschter Lukas, darüber braucht kein Wort mehr verloren zu werden.« Tatsächlich kommt Harnack auf den restlichen mehr als 700 Seiten auf dieses Problem nicht mehr zu sprechen. 44 Vgl. A. VON H ARNACK , Marcion. Der moderne Gläubige des 2. Jahrhunderts, der erste Reformator; die Dorpater Preisschrift (1870), Berlin 2003, 122 Fußnote: »Ich habe die Geschichte der Untersuchungen nicht selbst so genau studirt, kann deshalb nur eine Skizze geben.« Harnack handelte die wichtige Forschungsperiode zwischen 1843 und 1852 flott auf einer halben Seite ab, lobte Volckmars monographische Untersuchung in den höchsten Tönen (»… hat das Verdienst durch peinliche Akribie und Sorgfalt die Frage auf Grund des vorhandenen Materials abgeschlossen zu haben«) und fand in dessen Schlussfolgerung den krönenden Abschluss der Debatte: »Baur u. Ritschl retractiren und der Streit endet mit dem Resultat: ›Unser Lucasevangelium ist v. M. tendentiös verkürzt und interpolirt worden‹« (ebd. 125). Diese reichlich oberflächliche Bewertung beruht, wenn überhaupt, nur zu geringen Teilen auf Autopsie: »Das durch den neusten Streit gewonnene Resultat findet man in allen HandBB. und Einleitungen in’s N.T.« (ibid.). Ein Nachwort zur Methodologie 449 urteilen liegt, sondern im unterschiedlichen Umgang mit dem einen, grundlegenden Problem der Bearbeitungsrichtung. Der Teufel steckt mitnichten »in den Details« der Rekonstruktion, wie Roth nahelegt, 45 sondern in der fundamentalen Perspektive, unter der wir das marcionitische Evangelium in den Blick nehmen und in der Rolle, die wir *Ev in der Überlieferungsgeschichte der Evangelien zuschreiben. Dieser eine, grundlegende methodische Unterschied hat dann zwangsläufig eine Vielzahl abweichender Rekonstruktionsentscheidungen zur Folge: In fast jedem einzelnen Fall, der eine Entscheidung erfordert, gelangen Roth und ich zu entgegengesetzten Lösungen. Dies gilt vor allem für die angesprochenen Fälle der unterschiedlichen Bezeugungen, für die »matthäischen« Zitate oder für die Auswertung der Varianten in den Lk-Handschriften zur Rekonstruktion auch der unbezeugten Passagen, aber auch für die Einschätzung der Einzelbezeugungen: In all diesen Fällen sind die »Details« der Rekonstruktionsentscheidungen eine unmittelbare Folge der jeweils angenommenen (oder auch nur unterstellten) Bearbeitungsrichtung. Da dieses grundlegende Problem, wie gezeigt, de facto unvermeidbar ist, halte ich es für erforderlich, alle damit zusammenhängenden Implikationen und Konsequenzen offenzulegen und sie methodisch kontrolliert zu reflektieren. Ich brauche hier die Argumente nicht zu wiederholen, die gegen die Lk-Priorität sprechen. Gleicherweise erübrigt sich der Nachweis, dass ich für die hier genannten Fragestellungen, an denen die methodischen Differenzen zwischen Roth und mir aufbrechen, mit der Prämisse der *Ev-Priorität eine systematisch kontrollierte und methodisch begründete Lösung anbiete. Das Ergebnis mag theoretisch so komplex (vielleicht auch nur: so ungewohnt) sein, dass es als »phantasievoll« erscheint. 46 Aber die Komplexität liegt nicht in der Erklärung, sondern in den zu erklärenden Sachverhalten; eine weniger komplexe oder »phantasievolle« Erklärung wäre daher eine unzulässige Vereinfachung. 2. Einige Folgeprobleme Angesichts der fundamentalen Bedeutung, die der Bestimmung der Bearbeitungsrichtung zukommt, erscheinen alle weiteren strittigen Fragen vergleichsweise irrelevant. Wenn ich recht sehe, sind alle kritischen Einwände gegen meine Lösung (ebenso wie meine Einwände gegen die Vorschläge anderer) die Folge davon, dass dieses Problem entweder anders gelöst oder nicht hinreichend berücksichtigt wird. Wenn ich doch einige wenige dieser Folgeprobleme anspreche, dann vor ______________________________ 45 Vgl. D. T. R OTH , Marcion’s Gospel and the History of Early Christianity: The Devil is in the (Reconstructed) Details, ZAC 21 (2017), 25-40. 46 Vgl. S. G ATHERCOLE , in: JEH 68 (2017), 132: Roths »method and textual commentary will be widely read, especially in the current climate of so many fanciful theories about the arch-heretic from Sinope.« 450 Das marcionitische Evangelium in der Diskussion allem, um meinen Respekt und Dank gegenüber den Kritikern zu dokumentieren: Respekt vor der Mühe der nicht ganz einfachen Lektüre; Dank für die kritischen Hinweise, die ich gerne aufgegriffen habe, Dank aber auch für das, was ich selbst an den Punkten gelernt habe, an denen ich meine, anderer Ansicht sein zu müssen. a. Die häresiologischen Quellen und die Zuverlässigkeit ihres Zeugnisses Zu meinen Versäumnissen gehört in erster Linie, dass ich nicht alle häresiologischen Quellen berücksichtigt hatte, die schon Harnack zusammengetragen hatte. Auch, wenn ich neben Tertullian, Epiphanius und den Adamantiusdialogen andere Quellen gelegentlich mit angeführt und für die Rekonstruktion genutzt hatte, habe ich sie nie systematisch bewertet - in der irrigen Annahme, dass sich die Zuverlässigkeit von Einzelaussagen nicht bestimmen ließe. Wie Jason BeDuhn zu Recht einwendet, beeinträchtigt diese Vernachlässigung den Wert meiner Rekonstruktion. 47 Sie ist überdies inkonsequent und methodisch unhaltbar. Ich habe mich bemüht, diesen Mangel zu beseitigen und an etlichen Stellen weitere häresiologische Quellen herangezogen. 48 Über die (geringfügigen) Veränderungen hinaus, die sich auf diese Weise für die Rekonstruktion ergeben, besitzt die Berücksichtigung auch von einzelnen Bezeugungen methodische Konsequenzen, die ich anhand eines Beispiels verdeutliche. Für *9,60 bezeugt Clemens von Alexandrien, dass sich das zweite Nachfolgelogion an Philippus gerichtet habe. Clemens’ Hinweis ist aus mehreren Gründen aufschlussreich. Zunächst macht er deutlich, dass die Marcioniten dieses Logion selbst in ihrer Auseinandersetzung mit den katholischen Gegnern angeführt haben; er verweist also (ganz ähnlich wie die häresiologischen Hauptzeugen) auf einen Widerspruch zwischen der Theologie der Marcioniten und ihrer Schriftgrundlage. Vor allem aber ist der Hinweis auf Philippus völlig singulär: Er taucht in diesem Zusammenhang weder in der handschriftlichen Überlieferung noch sonst irgendwo in der patristischen Literatur auf. Da weder das theologische Anliegen der Marcioniten (es geht um Askese) noch Clemens’ Entgegnung auch nur das geringste Interesse an Philippus zeigen, ist die einfachste Lösung, dass dieser Hinweis tatsächlich im marcionitischen Evangelium stand (vgl. die Begründung in der Rekonstruktion zu *9,60). An diesem Beispiel lassen sich zwei methodische Überlegungen zeigen, die auch sonst bei der Rekonstruktion zur Anwendung kommen. Zunächst entspricht diese Erklärung der »Faustregel«, dass der am weitesten von der kanonischen Fassung entfernte Text am ehesten Anspruch auf Ursprünglichkeit besitzt. Zugrunde liegt die Einsicht, dass die Differenz zum kanonischen Lk für *Ev konstitutiv ist. Diese Faustregel setzt notwendigerweise das Bearbeitungsgefälle von *Ev zu Lk voraus: Die Veränderung - in diesem Fall die Tilgung der Philippus-Erwähnung - geht ______________________________ 47 J. B E D UHN , New Studies of Marcion’s Evangelion, ZAC 21 (2017), 8-24: 12f. 48 Vgl. vor allem die Rekonstruktion zu *5,36f; *6,39-46; *7,17.23; *8,20; *9,60. Ein Nachwort zur Methodologie 451 auf die lk Redaktion zurück. Roths Entscheidung gegen Clemens’ Zeugnis passt daher zu den (impliziten) Prinzipien seiner Rekonstruktion. 49 Daneben bestätigt dieses Beispiel auch das Kriterium der größeren redaktionellen Kohärenz. Es besagt: Wenn zwischen zwei Texten ein redaktioneller Eingriff angenommen werden muss, dann ist er am ehesten für die Seite zu vermuten, für die sich ein redaktionelles Interesse an einer Änderung zeigen oder gar als Teil eines umfassenderen Konzepts wahrscheinlich machen lässt. Beides ist hier der Fall. Auf der einen Seite ist es charakteristisch für *Ev, dass Jesus in größerer Distanz zu dem Täufer und zu den Jüngern geschildert wird, als dies in den kanonischen Evangelien der Fall ist; dieses Element lässt sich ja mehrfach sehr deutlich zeigen. Auf der anderen Seite ist das Interesse der lk Redaktion erkennbar, diese Distanz und die teilweise harsche Kritik Jesu an den Jüngern zu tilgen oder abzuschwächen. Da sich dieses Interesse auch an anderen Stellen zeigen lässt, muss man es als Element des Konzepts der lk Redaktion verstehen. Die Logik dieses Kriteriums besagt, dass es nicht umkehrbar ist: Zwar lässt sich wahrscheinlich machen, dass Lk diese Art von Kritik abgemildert hat, nicht aber, dass *Ev sie gezielt eingeführt hat. Da BeDuhn das »Kriterium der redaktionellen Kohärenz« ausdrücklich gutheißt, halte ich seine Entscheidung gegen Clemens’ Zeugnis an dieser Stelle für inkonsequent. 50 Diese Überlegungen haben Konsequenzen für die Einschätzung des Quellenwertes der häresiologischen Zeugnisse überhaupt. An dieser Stelle habe ich dazugelernt und ergänze die Überlegungen, die oben (§ 3.3, S. 62ff) angestellt wurden. Denn streng genommen bemisst sich die Zuverlässigkeit der häresiologischen Quellen ausschließlich am Grad der Übereinstimmung zwischen der Bezeugung und dem tatsächlichen Text von *Ev. Aber da wir den Text von *Ev nicht haben, ist eine Bewertung der »Zuverlässigkeit« methodisch komplex und schwierig - jedenfalls unter der Prämisse der *Ev-Priorität. Dagegen legt die traditionelle Voraussetzung der Lk-Priorität die Einschätzung nahe, dass die Unterschiede zwischen *Ev und Lk weniger zuverlässig sind als die Übereinstimmungen. Wie gerade gezeigt, hat Roth diese Überlegung im Zusammenhang der »matthäischen Zitate« oder bei den ______________________________ 49 R OTH 405: »Clement’s reference to these words being spoken to Philip is curious as neither Luke, nor the Matthean parallel, mention Philip. It is not likely that this was drawn from Marcion’s Gospel.« Dieser Hinweis impliziert die traditionelle Sicht, dass *Ev von den kanonischen Evangelien abhängig ist. Die schwierige Frage, woher in diesem Fall die Philippusnotiz stammen könnte, bleibt ohne Antwort. 50 Die Einschätzung zum Kriterium der redaktionellen Kohärenz bei J. B E D UHN , New Studies of Marcion’s Evangelion, ZAC 21 (2017), 8-24: 13; zur konkreten Entscheidung vgl. B E D UHN 153: »Clement identifies Jesus’ interlocutor in this exchange as Philip, but it is unclear if this identification was made in the Evangelion or is part of the legendary material that Clement sometimes draws on to fill out gospel episodes and characters.« 452 Das marcionitische Evangelium in der Diskussion widersprüchlichen Bezeugungen angestellt und in der Folge die Zuverlässigkeit der Adamantiusbelege insgesamt stark eingeschränkt. Wenn aber die Bearbeitungsrichtung unbestimmt bleibt (dies ist de facto nirgends der Fall) oder wenn sie von *Ev zu Lk verläuft, entfällt dieses Kriterium: Die Zuverlässigkeit der Zeugnisse für *Ev lässt sich nicht durch die geringere oder größere Nähe zu Lk einschätzen. Aus diesem Grund ist es auch unmöglich, dem Wunsch von Ulrich Schmid nachzukommen. Er hatte von mir gefordert, »die behauptete Vertrauenswürdigkeit der einzelnen Quellen an jeder einzelnen Stelle neu zu überprüfen und gegebenenfalls auch in Zweifel zu ziehen.« 51 Bekanntlich hatte Schmid selbst eine solche Einzelbewertung der Quellen für den marcionitischen Apostolos durchgeführt; das Pendant für das Evangelium liegt in Roths Rekonstruktion vor, der den methodischen Ansatz von Schmid übernimmt. Dieses Verfahren setzt allerdings - zwingend! - die Priorität der kanonischen vor den marcionitischen Fassungen voraus, also im Fall des Evangeliums die Lk-Priorität. Denn nur unter dieser Voraussetzung lässt sich der für *Ev bezeugte Text jeweils mit dem kanonischen Text vergleichen und fragen, wie wahrscheinlich eine Abweichung des für *Ev bezeugten Textes vom kanonischen Lukas in jedem Einzelfall ist. Diese Art der Überprüfung weist dann - wie gezeigt - den Übereinstimmungen zwischen Lk und *Ev einen höheren Grad an Zuverlässigkeit zu als den Abweichungen. Unter der Prämisse der *Ev-Priorität gibt es dagegen schlicht keine Kriterien, die eine solche Einzelprüfung erlauben würden. Der Grund dafür ist ebenso einfach wie zwingend: Nur so lässt sich eine zirkuläre Argumentation vermeiden. Denn der *Ev-Text, der eine solche kritische Prüfung der Einzelfälle ermöglichen würde, existiert nicht, sondern ist erst das Ergebnis der Rekonstruktion. Die von Schmid geforderte kritische Evaluierung der Quellen durch Analyse jeder einzelnen Bezeugung ist folglich unmöglich, weil sie nur im Rahmen der Lk-Priorität funktionieren könnte. Aber bedeutet dies, dass meine Rekonstruktion weniger kritisch ist, weil sie die häresiologischen Quellen nicht an jeder einzelnen Stelle evaluiert? Ich glaube nicht. Denn ich setze an die Stelle von Schmids (und Roths) Beurteilung der einzelnen Bezeugungen die Kritik des Gesamtmodells. Die Umkehrung der Bearbeitungsrichtung von *Ev zu Lk ist radikaler, kritischer und plausibler, als es die Überprüfung von Einzelfällen im Modell von Schmid, Roth und anderen sein kann. Diese Umkehrung führt bei der Einschätzung der Zuverlässigkeit der Quellen zu einer wesentlichen Veränderung: Wenn eine Bezeugung für *Ev vom kanonischen Lk abweicht, spricht dies nicht gegen, sondern für die Richtigkeit des Zeugnisses. Diese Verschiebung wirkt sich insbesondere bei der Beurteilung der zahlreichen ______________________________ 51 U. B. S CHMID , Das marcionitische Evangelium und die (Text-)Überlieferung der Evangelien, ZAC 21 (2017), 98 (Hervorhebung M. K.). Ein Nachwort zur Methodologie 453 widersprüchlichen Bezeugungen aus. Gerade hier zeigt sich der methodische Vorzug dieser Lösung: Weil diese widersprüchlichen Bezeugungen ein einheitliches Phänomen konstituieren, lassen sie sich konzeptuell in einem einheitlichen Modell erklären, nämlich durch die Annahme der (historisch bezeugten) progressiven Angleichung des *Ev-Texts an Lk. Die von Schmid geforderte Einzelfallprüfung impliziert dagegen eine potentiell unbegrenzte Zahl von kontingenten Ursachen. Dies ist wenig wahrscheinlich. Diese methodischen Grundlagen gelten für alle häresiologischen Zeugen in gleicher Weise, für die drei Hauptquellen ebenso wie für die verstreuten Einzelzeugnisse. Was die Hauptzeugen vor den anderen Quellen auszeichnet, ist ihr expliziter Anspruch, die marcionitische Theologie aus dem Text der marcionitischen Bibel zu widerlegen; dies ist, wie angedeutet, auch bei dem hier angesprochenen Clemens- Zeugnis der Fall. Ich schließe aus diesem Anspruch die prinzipielle Zuverlässigkeit der Quellen. Wenn die Autoren der Einzelzeugnisse - also Irenaeus, Origenes, Hippolyt, Filastrius, Ephraem, Eznik und andere - diesen expliziten Hinweis nicht geben, bedeutet dies nicht, dass sie weniger zuverlässig wären als die Hauptquellen. Es bedeutet nur, dass sie den Widerspruch zwischen der Theologie der Marcioniten und ihrem Bibeltext nicht als explizites Argument verstanden haben. b. Die Berücksichtigung der handschriftlichen Überlieferung für die Rekonstruktion und die Konsequenzen für die Textkritik Thomas J. Bauer und Ulrich Schmid haben vor allem die textkritischen Elemente meiner Rekonstruktion kritisiert. 52 Allerdings reicht ihre Kritik nicht an die grundlegenden Beobachtungen heran. Da ich darauf schon an anderer Stelle repliziert habe, 53 kann ich mich hier kurz fassen; nur zwei Hinweise sind mir wichtig. Erstens ist, seiner großen Bedeutung wegen, das Hauptproblem noch einmal zu nennen: Die Einsicht in die *Ev-Priorität hat nach meiner Überzeugung tatsächlich eine prinzipielle Umkehr der textkritischen Fragestellungen zur Folge. Denn wenn das kanonische Lk eine Bearbeitung des älteren, marcionitischen Evangeliums ist, und wenn zugleich zahlreiche seiner distinkten Lesarten in der handschriftlichen Überlieferung des Lk begegnen, dann ist es offensichtlich nicht ausreichend, mit den üblichen textkritischen Instrumenten nach dem jeweils ältesten ______________________________ 52 T H . J. B AUER , Das ›Evangelium des Markion‹ und die Vetus Latina, ZAC 21 (2017) 73-89; U. B. S CHMID , Das marcionitische Evangelium und die (Text-)Überlieferung der Evangelien - Eine Auseinandersetzung mit dem Entwurf von Matthias Klinghardt, ZAC 21 (2017), 90-109. 53 M. K LINGHARDT , Das marcionitische Evangelium und die Textgeschichte des Neuen Testaments, ZAC 21(2017), 110-120; M. K LINGHARDT , Marcion’s Gospel and the New Testament: Catalyst or Consequence? , NTS 63 (2017), 322f. Vgl. ausführlicher M. K LINGHARDT , Die Schrift und die hellen Gründe der textkritischen Vernunft, ZNT 39/ 40 (2017), 85-104. 454 Das marcionitische Evangelium in der Diskussion Text zu suchen: Die ältesten Lesarten der Lk-Handschriften entpuppen sich als Elemente des vorkanonischen Evangeliums. Man kann sich dieses Problem an einem besonders prägnanten Beispiel leicht vor Augen führen, dem sog. »Kurztext« des lk Mahlberichts: Der Kurztext, in dem die Vv. Lk 22,19b.20 fehlen, ist auch für *Ev bezeugt (vgl. die Rekonstruktion z. St.). Wie Westcott/ Hort vollkommen zu Recht geurteilt hatten, ist der Kurztext älter als der Langtext, der sich in der übergroßen Mehrheit der Überlieferung findet: Vom Langtext führt kein denkbarer Weg zum Kurztext. Dagegen ist die umgekehrte Entwicklung völlig naheliegend. Sofern die textkritische Beurteilung dieser Lesart tatsächlich den ältesten Text rekonstruieren will, gehört der Kurztext in die kritischen Ausgaben: Genau dies war ja auch seit Westcott/ Horts »New Testament in the Original Greek« von 1881 bis weit ins 20. Jh. der Fall. Erst in den 1970er Jahren hat sich diese Einschätzung plötzlich geändert, als GNT 3 (1975) bzw. NA 26 (1979) erstmals die Langfassung der Mehrheit der Handschriften in den Text übernommen haben. 54 Insofern die modernen Ausgaben an den jeweils ältesten Lesarten interessiert sind, die nicht auf den Text des Neuen Testaments, sondern auf seine Vorstufe(n) führen, sind sie tatsächlich einer »kategorialen Verwirrung erlegen«. 55 Zu deren Korrektur bedarf die Textkritik weniger einer Verbesserung ihrer Methoden als einer Reformulierung ihrer Ziele - und der Entwicklung einer Methodik, um sie zu erreichen. Daraus resultiert - zweitens - ein vorerst offenes Problem: Wie lässt sich in den Lk-Handschriften die kanonische Textfassung identifizieren? Der erste und offensichtliche Vorschlag lautet: Sofern in der Textüberlieferung des kanonischen Lk redaktionelle Varianten vorliegen und diese der Bezeugung für *Ev entsprechen, dann zeigt die jüngere Fassung vermutlich den Text des kanonischen Lk; das ist das Verfahren, das sich aus dem angesprochenen Beispiel zu Lk 22,19b.20 ergibt. Ich gehe allerdings darüber hinaus und übernehme dieses Verfahren auch für diejenigen redaktionellen Varianten, für die keine Bezeugung des marcionitischen Evangeliums existiert: Die ältere Lesart zeigt wahrscheinlich den Text von *Ev, die jüngere den des kanonischen Lk. Dieses Verfahren liegt an allen Stellen vor, an denen eine textkritische Beurteilung mit dem Hinweis »*Ev non test.« versehen ist. Gegen dieses Verfahren ist eingewendet worden, dass nicht alle redaktionellen ______________________________ 54 Erst kurz vor dieser Änderung hatten sich 1968 die nationalen Bibelgesellschaften darauf verständigt, ihren Übersetzungen den jeweils aktuellen Text der kritischen Ausgabe des Greek New Testament zugrunde zu legen: Guiding Principles for Interconfessional Cooperation in Translating the Bible, Bible Translator 19 (1968), 101-110. Ein Zusammenhang zwischen dieser Vereinbarung und der unvermittelten Änderung der textkritischen Beurteilung von Lk 22 ist nicht bekannt: Honi soit qui mal y pense! Zu den Hintergründen vgl. M. K LINGHARDT , Die Schrift und die hellen Gründe der textkritischen Vernunft, ZNT 39/ 40 (2017), 92-95. Zum textkritischen Problem vgl. J. H EILMANN , K. K ÜNZL , Das Problem von Kurz - und Langtext in Lk 22,17-20 und das für Marcion bezeugte Evangelium, NT 62 (2020), 117-138. 55 S CHMID , a. a. O. 93. Ein Nachwort zur Methodologie 455 Varianten, die sich in den Lk-Handschriften finden, auf die Bearbeitung eines vorkanonischen Texts zurückgeführt werden können: Es gibt Varianten auch in Passagen, die erst durch die lk Bearbeitung entstanden sind (z. B. in Lk 1-3), und zwar auch in solchen Handschriften, die ansonsten besonders deutlich die Spuren des vorkanonischen Texts tragen, teilweise sogar in der besonders verdächtigen Kombination der »Westlichen« Zeugen (D it sy). 56 Der Einwand ist berechtigt und zeigt, wie schwierig es ist, hinreichend genau zwischen dem vorkanonischen und dem kanonischen Text zu unterscheiden. Aber welche Folgerungen sind aus diesem Einwand zu ziehen? Dass es (noch) nicht möglich ist, mit der gewünschten Sicherheit zwischen Elementen des vorkanonischen Textes und sekundären Veränderungen zu unterscheiden, kann kein Argument gegen die *Ev-Priorität sein. Auch wird man kaum einwenden wollen, dass die Annahme der *Ev-Priorität nicht in der Lage ist, alle textkritischen Auffälligkeiten zu erklären. Die einzige sinnvolle Konsequenz aus diesem Einwand ist die Frage: Ist es legitim, auch solche textkritischen Auffälligkeiten für die Rekonstruktion von *Ev heranzuziehen, für die keine direkte Bezeugung durch unsere häresiologischen Quellen vorliegt? Es gibt einen legitimen Ermessensspielraum für die Beantwortung dieser Frage, der im Wesentlichen davon abhängt, welche Ziele mit der Rekonstruktion von *Ev verbunden sind. Ich bejahe diese Frage. Die Begründung muss zwei Aspekte berücksichtigen, die sich auf die beiden Texte beziehen, die von diesen »unbezeugten Varianten« betroffen sind. Das ist zunächst das marcionitische Evangelium. Für dessen Rekonstruktion ist die Differenz zu Lk konstitutiv. Sie ist seine Grundsignatur und verantwortlich dafür, dass wir überhaupt Kenntnis über diesen Text haben. Denn der Verstümmelungsvorwurf von Irenaeus, Tertullian, Epiphanius und anderen bezeugt zunächst die Differenzen zwischen *Ev und Lk: Sie sind umfangreicher und weitergehend als diejenigen Abweichungen, die sich in den Varianten der Lk- Handschriften erhalten haben. Es ist daher eine sinnvolle Annahme, mit solchen Differenzen auch da zu rechnen, wo sie weniger gut begründbar sind als an den Stellen, an denen sie durch die lückenhaften häresiologischen Quellen gestützt werden. Aus diesem Grund sind diese Rekonstruktionsentscheidungen als »unbezeugt« markiert. Sie sind zwar weniger sicher als andere Rekonstruktionsentscheidungen; die Wahrscheinlichkeit, dass diese »unbezeugten Varianten« Elemente des vor- ______________________________ 56 H. S CHERER , Königsvolk und Gotteskinder, Göttingen 2016, 51, Anm. 175. Vgl. auch S CHMID , a. a. O.101 (»mit welchem Recht können wir fein säuberlich zwischen verschiedenen Typen der Harmonisierung unterscheiden, die an der Oberfläche genau gleich erscheinen? «) sowie die Replik: M. K LINGHARDT , Das marcionitische Evangelium und die Textgeschichte des Neuen Testaments, ZAC 21 (2017), 113f; die kurze Antwortet lautet: Vorerst können wir das nicht. 456 Das marcionitische Evangelium in der Diskussion kanonischen Texts sind, ist um nichts geringer als die Annahme, dass sie irgendwann später entstanden sind. Aus dieser unentscheidbaren Ambivalenz ergibt sich die Aufgabe, Kriterien zu entwickeln, die eine Entscheidung in die eine oder die andere Richtung ermöglichen. Aber die Frage nach der Berücksichtigung der »unbezeugten Varianten« ist nicht allein für die Rekonstruktion von *Ev zu entscheiden. Denn das textkritische Urteil für das marcionitische Evangelium ist ja nur die eine Seite und impliziert ein entsprechendes Urteil für den kanonischen Lk. Das Festhalten an den »unbezeugten« Varianten hat daher auch die Funktion, die »kategoriale Verwirrung« der Textkritik und die Notwendigkeit einer Neuorientierung im exegetischen Bewusstsein festzuhalten. Hier verbirgt sich ein Problem von großer methodischer Tragweite, nämlich die Frage, wie überhaupt intentionale, redaktionelle Varianten in der neutestamentlichen Handschriftenüberlieferung entstanden sind. 57 Das Interesse an der Identifizierung der jeweils ältesten Varianten, von dem die Textkritik bis heute ganz überwiegend geprägt ist, hat diese Frage in den Hintergrund gedrängt und, abgesehen von wenigen Ausnahmen, keine systematische Antwort entwickelt: Wann, wo und unter welchen Bedingungen (redaktionelle) Varianten in den Handschriften entstanden sind, bleibt fast durchweg unklar. Das textgeschichtliche Modell, das sich aus der *Ev-Priorität ergibt, rechnet dagegen mit einer einheitlichen Instanz, die für den Ursprung eines großen Teils der Varianten verantwortlich ist: Die lk Redaktion erlaubt es zum ersten Mal, die Entstehung eines großen Teils der handschriftlichen Varianten als historisches Phänomen wirklich verständlich zu machen. 58 Dass dies (noch) nicht für alle Varianten möglich ist, ist kein Einwand gegen dieses Modell, sondern ein Ansporn, die Entstehung auch der anderen Varianten historisch verständlich zu machen. 59 ______________________________ 57 Zum Folgenden vgl. ausführlicher M. K LINGHARDT , Die Schrift und die hellen Gründe der textkritischen Vernunft, ZNT 39/ 40 (2017), 85-104. 58 Vgl. dazu ausführlicher M. K LINGHARDT , a. a. O. Nur am Rand weise ich darauf hin, dass dies nicht nur für die Lk-Varianten gilt, sondern auch für die Überlieferung der anderen Evangelien und der meisten Paulusbriefe: Ein großer Teil der Varianten in den neutestamentlichen Handschriften wird als Folge dieser kanonischen Redaktion verständlich. 59 Scherer hat richtig gesehen, dass die These der kanonischen Redaktion „zu einem fundamentalen Dissens um die Regeln der Textkritik und die Leistungsfähigkeit von NA überhaupt“ führt (a. a. O. 52, Anm. 176). Verständlicherweise kann sie diesen Dissens im Rahmen ihrer Untersuchung nicht lösen und hält es „deshalb mit dem lange bewährten und weitgehend konsensfähigen NA als Textbasis“. Da »lange bewährt« und »weitgehend konsensfähig« keine sachlichen Argumente sind, bleibt die Diskussion dieses methodischen Dissenses auf der Tagesordnung. Ein Nachwort zur Methodologie 457 c. Die Überlieferungsgeschichte der Evangelien Ein weiterer Einwand gegen meine Rekonstruktion von *Ev betrifft das Modell der Überlieferungsgeschichte der Evangelien, in erster Linie das sog. Synoptische Problem, aber auch andere Fragen im weiteren Umfeld. Auch für diesen Problemkomplex steht am Anfang die zentrale Einsicht, dass die *Ev-Priorität für das Synoptische Problem gravierende Konsequenzen hat: Wenn *Ev dem kanonischen Lk vorausliegt, verändert sich die Ausgangslage für die Überlieferungsgeschichte der Evangelien in einer so grundlegenden Weise, dass alle bisher vorgetragenen Lösungsvorschläge zum Synoptischen Problem erkennbar obsolet werden. Die fundamentale Bedeutung der Bearbeitungsrichtung zwischen *Ev und Lk wird an dieser Stelle unmittelbar greifbar - mit Konsequenzen für die aktuelle Debatte in Kritik und Replik. Da ich die *Ev-Priorität für eine grundlegende Voraussetzung in dieser Frage halte, ist zweierlei deutlich: Ich kann auf der einen Seite nichts sagen zu den Versuchen, das marcionitische Evangelium für das Synoptische Problem fruchtbar zu machen, die nicht von der *Ev-Priorität ausgehen. Dabei ist es irrelevant, welche Alternativen für das Bearbeitungsverhältnis zwischen Lk und *Ev erwogen werden. Dieter Roth hatte diese Frage, wie gezeigt, zwar explizit offen gelassen, aber implizit durchgängig die Lk-Priorität substituiert. Unter dieser Prämisse ist es dann nur folgerichtig, dass er die Bedeutung von *Ev für das Synoptische Problem mehr als zurückhaltend einschätzt. 60 Allerdings sieht Roth auch in seinen Ausführungen zum Synoptischen Problem keinen Anlass, das zentrale Problem der Bearbeitungsrichtung zu diskutieren. 61 Aber auch, wenn man eine vermittelnde Position einnimmt (*Ev und Lk sind von einer gemeinsamen Quelle abhängig), 62 wenn also *Ev weder ein vornoch ein nach-lk Text ist, sondern neben Lk steht, ergibt sich ein völlig anderes Bild der synoptischen Beziehungen. 63 Dieses Bild ist allerdings notwendigerweise äußerst ______________________________ 60 D. T. R OTH , Marcion’s Gospel and the Synoptic Problem in Recent Scholarship, in: M. Müller, H. Omerzu (eds.), Gospel Interpretation and the Q-Hypothesis, London 2018, 281: »it is patently obvious that great care needs to be exercised in the use of this text and in appeals made to it.« 61 Roths Kritik an meinen Ausführungen zum Synoptischen Problem und zur Überlieferungsgeschichte (a. a. O. 273-278) ist so unterbestimmt, dass sich eine Auseinandersetzung bedauerlicherweise nicht lohnt. 62 Das scheint die Position zu sein von J. M. L IEU , Marcion and the Synoptic Problem, in: P. Foster et al. (eds.), New Studies in the Synoptic Problem, Leuven u. a. 2011, 731-751. 63 BeDuhns Einschätzung bezüglich der Bedeutung des marcionitischen Evangeliums für das Synoptische Problem hat sich unter dem Eindruck der Debatte geändert. Während er 2013 noch der Ansicht war, dass *Ev und Lk von einer gemeinsamen Quelle abhängig seien (B E D UHN 79-92, bes. 90ff) und mit der Zwei-Quellentheorie rechnete (ebd. 93), gibt er jetzt zu erkennen, dass *Ev »must necessarily be included … in investigation of the Synoptic gospel relationships, and in fresh assessments of prevailing theories about those relationships, such as the Two-Source Hypothesis« (J. B E D UHN , New Studies of Marcion’s Evangelion, ZAC 21 [2017], 8-24: 13). 458 Das marcionitische Evangelium in der Diskussion unscharf. Denn man muss innerhalb der synoptischen Beziehungen (aber an welcher Stelle genau? ) ein prä-lk Evangelium annehmen, über dessen genaue Gestalt sich fast nichts sagen lässt, weil es weder mit Lk noch mit *Ev identisch ist. Unter dieser Prämisse gibt das marcionitische Evangelium in der Tat so gut wie nichts für das Synoptische Problem her: »Even with more critical analyses of the relevant sources there will continue to be passages whose presence in or absence from (Marcion’s) Gospel will remain disputed. Where arguments rely on the choice of particular words this uncertainty is increased.« 64 Zum Glück sind die überlieferungsgeschichtlichen Fragen der Bearbeitungsverhältnisse - zwischen *Ev und Lk, zwischen den Synoptikern, zwischen allen fünf Evangelien - weder von derart vagen Überlegungen noch von der Zuverlässigkeit bestimmter Einzelformulierungen allein abhängig; sie ergeben sich vielmehr aus einem umfangreicheren Bild, das noch durch ganz andere Elemente konstituiert wird. Daneben hat Hildegard Scherer im Zusammenhang ihrer Auseinandersetzung mit neueren Einwänden gegen die Zwei-Quellentheorie auch mein Modell der Überlieferungsgeschichte der Evangelien einer detaillierten Kritik unterzogen. 65 Sie hat dafür »die rekonstruierten Textdaten dieses ›ältesten Evangeliums‹ im synoptischen Vergleich ausgewertet«, 66 also eine Überprüfung der Theorie anhand ihres materialen Erklärungswerts angestrebt. Für entscheidend hält sie dabei das Bearbeitungsverhältnis zwischen *Ev und Mk: Könnte man (wie ich es tue) »das Mk als Bearbeitung des *Ev ausweisen«, dann wäre, so ihre Folgerung, »die Traditio duplex nichts weiter als eine Restkategorie, ihr inhaltliches Profil würde bestenfalls darüber Auskunft geben, was Mk missfallen hätte.« 67 Diese Schlussfolgerung sitzt einem schwerwiegenden Missverständnis auf. Denn ob der mt-lk Doppelüberlieferung eine eigenständige überlieferungsgeschichtliche Rolle zukommt oder nicht, hängt nicht von der Bearbeitungsrichtung zwischen *Ev und Mk ab, sondern von der zwischen *Ev und Lk: Das ist das Grundproblem der *Ev-Priorität. Scherer tut es mit einem Halbsatz ab. 68 In der Einschätzung zum Verhältnis von Rekonstruktion und Bestimmung der Bearbeitungsrichtung stimmt sie mit Roth überein, dessen weitere Positionen (zur Methode; zur Verlässlichkeit der Quellen; zu den ______________________________ 64 L IEU , a. a. O. 746. 65 H. S CHERER , Königsvolk und Gotteskinder, Göttingen 2016, 50-69. 66 A. a. O. 52. 67 A. O. 60. 68 A. a. O. 55, mit dem Argument, dass eine Rekonstruktion von *Ev der Klärung der Bearbeitungsrichtung vorausgehen müsse. Dagegen »hat sich Klinghardt bereits dafür entschieden, dass dieser Text dem kanonischen Lk vorausgeht.« Wie gezeigt (s. o., S. 433), gibt es für diese Entscheidung eine gute Begründung, auf die Scherer jedoch nicht eingeht. Ein Nachwort zur Methodologie 459 »matthäischen Formulierungen« in *Ev usw.) sie ebenfalls teilt. 69 Ihre Einwände beruhen auf unhaltbaren Voraussetzungen und sind deswegen im Ergebnis ebenfalls nicht haltbar. Dies muss nicht noch einmal erläutert werden. Scherers Fehleinschätzung bezüglich der *Ev-Priorität wirkt sich dann verständlicherweise in der Durchführung ihres Vergleichs auf Schritt und Tritt aus. Diese Konsequenzen betreffen nicht nur die Einschätzungen in der Sache, sondern auch den methodischen Status ihrer Argumente. 1. Der negative Beweis ist in historischen Fragestellungen immer problematisch: Warum ein Ereignis nicht eingetreten ist, warum bei der Rezeption eines Textes bestimmte Elemente nicht übernommen wurden, lässt sich prinzipiell nicht mit derselben Sicherheit erklären, wie im positiven Fall. Dieses Phänomen betrifft z. B. das Fehlen des Stoffs *9,51-19,28 in Mk: Warum Mk bestimmte Passagen aus *Ev übergeht, lässt sich bestenfalls mutmaßen. Warum er andere rezipiert, lässt sich dagegen (in Grenzen) plausibilisieren. 70 In diesem Zusammenhang ist eine Überlegung von Bedeutung, die Benjamin Ziemer im Zusammenhang der Rezeption und Bearbeitung von biblischen und außerbiblischen Texten im Umfeld des Alten Testaments angestellt hat. 71 Von den vier Möglichkeiten der redaktionellen Bearbeitung eines Textes (Hinzufügung, Auslassung, Austausch und Umstellung) ist die Auslassung am konservativsten (denn sie bewahrt wenigstens einen Teil des Textes unverändert), die Hinzufügung dagegen am radikalsten (denn sie fügt ihm Eigenes hinzu, ohne dies kenntlich zu machen und erweist sich darin als Interpolation: als literarische Fälschung). Für unsere Frage deutet dies auf den Gestaltungswillen der lk Redaktion hin. Zugleich bestätigt diese Einschätzung die Bewertung der Aussagekraft von Auslassungen und Ergänzungen durch Mk. 2. Daneben gibt es mehrdeutige Beobachtungen, u. a. das Phänomen der Alternating Primitivity im Material der mt-lk Doppelüberlieferung. Es gehört zu den (gar nicht so wenigen) Beobachtungen, die unabhängig von dem theoretischen Rahmen, in dem sie als Begründung verwendet werden, ______________________________ 69 Scherers Forderung nach »einer unabhängigen Rekonstruktion bzw. einem kritisch gesicherten *Ev- Text« (a. a. O. 59) ist verständlich. Der erste Wunsch bezieht sich auf die Unabhängigkeit von der Bestimmung der Bearbeitungsrichtung. Wie oben gezeigt, ist er unerfüllbar. Wie ein »kritisch gesicherter *Ev-Text« aussieht, ist ja gerade strittig und von den methodischen Prämissen abhängig. Indem ich diese Prämissen diskutiere, versuche ich diesem Wunsch gerecht zu werden. 70 S CHERER , a. a. O. 61, ähnlich auch B E D UHN , a. a. O. 15; vgl. dazu o. § 11.1. Deswegen lässt sich ja auch das Vorhandensein von Mk 6,45-8,26 sehr gut erklären: das ist das Material, das im Horizont der Zwei-Quellentheorie als »Große Auslassung« bekannt ist. Man kann die redaktionellen Ziele gut nachzeichnen, die Mk mit dieser Ergänzung verfolgt hat. Das Argument, das Scherer mir in diesem Zusammenhang unterstellt (a. a. O. 61), ist allerdings unzutreffend und stellt die Argumentation auf den Kopf: Ich schließe nicht aus »ästhetischen Gründen« darauf, dass *Ev diese Passage nicht gekannt haben könnte; vielmehr folge ich dem eindeutigen Urteil der Häresiologen, dass sie in *Ev gefehlt hat - und folgere daraus, dass Mk diese Passage redaktionell ergänzt hat. Dafür gibt es, wie gesagt, gute theologische Gründe, die sich dann aufgrund der redaktionellen Kohärenz in Mk positiv zeigen lassen (im Übrigen finde ich, dass »ästhetische Gründe« eine unzureichende Begründung für so tiefreichende redaktionelle Eingriffe wären). 71 B. Z IEMER , Die Kritik des Wachstumsmodells, Leiden - Boston 2020, 537ff. 460 Das marcionitische Evangelium in der Diskussion richtig sind. 72 Dieses Phänomen lässt sich unter den Voraussetzungen der Zwei-Quellentheorie gut erklären, aber es begründet sie nicht. Das heißt umgekehrt: das Phänomen der Alternating Primitivity ist als Begründung für die Zwei-Quellentheorie dann unzulässig, wenn es eine Alternative mit demselben Erklärungswert gibt, die aber weniger Voraussetzungen macht. Die ist mit *Ev und der *Ev-Priorität gegeben. Aber auch in diesem Fall gilt: Die Alternating Primitivity ist im Rahmen der *Ev-Priorität bequem zu erklären, aber sie begründet den Rahmen nicht und kann ihn nicht begründen. 73 Analoges gilt auch für die »Minor Agreements«: Sie sind bei der Theoriebildung zu berücksichtigen und können in verschiedenen Modellen erklärt werden (z. B. Markan- Priority-Without-Q; Neo-Griesbach; *Ev-Priorität), aber sie begründen keines dieser Modelle; auch nicht die *Ev-Priorität. Umgekehrt werfen die »Minor Agreements« erhebliche Schwierigkeiten für die Zwei-Quellentheorie auf und erfordern Zusatzannahmen, die methodisch unzulässig sind, wenn es eine voraussetzungsärmere Erklärung gibt. 3. Schließlich führt Scherer noch den jeweils höheren Erklärungswert als Kriterium an. Sie nennt weitere Beobachtungen, von denen sie annimmt, dass sie im Rahmen der Zwei-Quellentheorie eine bessere Erklärung finden als im Zusammenhang der *Ev-Priorität. Ob das wirklich zutrifft, bleibt zu prüfen. 74 Aber wie sich die Einzelphänomene zu der sie erklärenden umfassenden Theorie verhalten, erfordert dann doch eine genauere Klärung. Im Horizont historischen Verstehens lassen sich Theorien nicht (positiv) beweisen, sondern nur entweder widerlegen (das leisten beispielsweise die »Minor Agreements« für die Zwei-Quellentheorie) oder durch eine mehr oder weniger große Wahrscheinlichkeit plausibilisieren. Sofern alternative Erklärungsmodelle denselben methodischen Status besitzen, also von denselben Vorannahmen ausgehen, entscheidet zwischen ihnen das Ausmaß dieser Plausibilität, also das Gewicht der erklärten Phänomene. Aber wenn konkurrierende Erklärungsmodelle einen unterschiedlichen methodischen Status besitzen und von verschiedenen Voraussetzungen ausgehen, dann entscheidet zwischen ihnen in erster Linie, welches mit weniger Zusatzannahmen auskommt. Das heißt: Eine Kritik an meinem Vorschlag zur Überlieferungsgeschichte der Evangelien, die sich nur auf einen Vergleich mit der Zwei-Quellentheorie hinsichtlich des jeweiligen Erklärungswertes stützt, ist methodisch unzureichend, weil sie die ______________________________ 72 S CHERER , a. a. O. 64. 73 N. b.: Damit entfällt auch die Beweispflicht, die Scherer mir in diesem Zusammenhang (a. a. O. 64, bei Anm. 228) aufbürden will. 74 Ein Beispiel, das Scherer zur Begründung dieses Arguments anführt, ist das Verhältnis von *5,31 ὑγιαίνοντες zu Mk 2,17 ἰσχύοντες: die mk Formulierung sei als lectio difficilior zu werten und daher im Verhältnis zu *Ev/ Lk ursprünglich (a. a. O. 62f). Mich überzeugen weder die Begründung noch das Ergebnis. Denn die (für die Textkritik entwickelte) lectio difficilior-Regel taugt (in Grenzen) zur Erklärung, wenn Unverständliches verständlich gemacht wird; für das Verständnis umfangreicherer, redaktioneller (! ) Änderungen ist die Regel allerdings wenig hilfreich. Denn sie unterstellt, dass Schwieriges bei der Redaktion immer vereinfacht werden müsste. Das trifft in vielen Fällen zu, aber keineswegs immer. Denn etwas Einfaches kann auch durch eine beabsichtigte Sinnanreicherung komplexer (und schwieriger verständlich) werden. Die redaktionellen Veränderungen in der synoptischen Überlieferung liefern dafür zahlreiche Beispiele; ich halte das mk ἰσχύοντες wegen des intendierten semantischen Überschusses (es geht eben nicht nur um Geheilte, sondern auch um Gerechtgemachte) für eines davon. Ein Nachwort zur Methodologie 461 weitergehende Frage nach der Bearbeitungsrichtung zwischen *Ev und Lk ausklammert. Die *Ev-Priorität bleibt auch für die Überlieferungsgeschichte der Evangelien die eine, entscheidende Grundlage, denn sie erweist die methodische Überlegenheit des hier entworfenen Modells der Überlieferungsgeschichte über die Zwei-Quellentheorie, die ja mit »Q« eine zusätzliche, unbezeugte Quelle postulieren muss. Eine ganz andere Frage wäre es dagegen, ob unter der Prämisse der *Ev- Priorität (! ) neben meinem Vorschlag zur Erklärung der Entstehung der Evangelienüberlieferung (§§ 10-14) auch andere Erklärungen denkbar oder plausibel wären. Aber da diese Prämisse nicht geteilt wurde, gibt es auch keine alternativen Interpretationen; ich habe keinen Anlass zu einer Revision des Modells. d. Kanonische Redaktion und Kanonische Ausgabe: plura et remotiora videre Ein allerletzter Punkt betrifft die Annahme einer Kanonischen Redaktion, also einer einheitlichen und vereinheitlichenden Bearbeitung, die über alle Evangelien gegangen ist. Ich nehme eine solche Redaktion an und identifiziere sie einerseits mit der »lk Redaktion« von *Ev, andererseits mit der editio princeps des Neuen Testaments, die (zumindest: auch) als Reaktion auf die marcionitische »Bibel« als Sammlung von 27 Einzelschriften veröffentlicht wurde. Jason BeDuhn moniert, dass dieses Szenario viel zu weit gehe, so dass ich mich derart in speziellen Annahmen, Spekulation und Widersprüchen verheddere, dass es eines eigenen Artikels bedürfe, »um all diese Probleme durchzugehen. Es genügt zu sagen, dass es nicht den Hauch eines Belegs für einen kompletten neutestamentlichen Kanon bei den christlichen Autoren des 2. Jh. gibt - abgesehen von Marcions deutlich kleinerem.« 75 Obwohl diese Frage die Diskussion um das marcionitische Evangelium ein gutes Stück verlässt und obwohl BeDuhn seine Einwände hier nur andeutet, will ich diese Kritik nicht ohne Antwort lassen. Denn zum einen kann man vermuten, dass auch andere seine Bedenken teilen, zum anderen vermute ich im Hintergrund dieser Kritik genau diejenigen methodischen Grundlagenprobleme, die in diesem Nachwort ja zur Sprache kommen sollen. 1. Was BeDuhn als Spekulation brandmarkt, ist für mich die Folge der elementarsten aller methodologischen Prämissen, nämlich »Occam’s Razor«. Denn wenn man einmal akzeptiert, dass das kanonische Lk eine redaktionelle Bearbeitung des marcionitischen Evangeliums ist (was BeDuhn ja tut), und wenn man außerdem die Spuren einer vereinheitlichenden Bearbeitung über die Einzeltexte hinweg zur Kenntnis nimmt (beispielsweise die Vereinheitlichung der Datierung der Auferstehung am dritten Tag in den Ankündigungen der Passion), 76 dann ist es tatsächlich ______________________________ 75 J. B E D UHN , New Studies of Marcion’s Evangelion, ZAC 21 (2017), 8-24: 17. 76 Vgl. dazu o. 350ff; wenn ich recht sehe, stellt BeDuhn diese Beobachtungen nicht in Frage. 462 Das marcionitische Evangelium in der Diskussion die einfachste - und deshalb die methodisch gebotene - Annahme, diese Bearbeitungen miteinander zu identifizieren: Man muss davon auszugehen, dass es nur eine solche Bearbeitung gab. Denn die Alternative zu dieser Überlegung, die im Zusammenhang der textkritischen Überlegungen bereits angeklungen ist, ist nicht gangbar: Wenn es die eine (identifzierbare) Bearbeitung nicht gäbe, müsste man für die Entstehung der Varianten in den Handschriften - also beispielsweise das Nebeneinander der unterschiedlichen Datierungen der Auferstehung - individuelle Entscheidungen beliebiger Kopisten verantwortlich machen und zahlreiche, kontingente Eingriffe postulieren. Mit anderen Worten: Ich kann die Zusammengehörigkeit der unterschiedlichen redaktionellen Maßnahmen tatsächlich nicht positiv durch ein Testimonium oder ähnliches belegen. Stattdessen begründe ich sie mit dem Gesetz der methodologischen Sparsamkeit. Dies impliziert allerdings die Umkehrung der Kritik. Der Vorwurf der Spekulation trifft folglich diejenigen, die anstelle einer einzigen (und historisch plausiblen) Bearbeitung mehrere (historisch undefinierbare) Bearbeitungsinstanzen postulieren, ohne dass sie durch die Daten wahrscheinlich oder gar notwendig gemacht würden. 2. Dasselbe Argument betrifft noch deutlicher die andere von BeDuhn monierte These: Dass es im 2. Jh. eine Kanonische Ausgabe von 27 Schriften gegeben habe. BeDuhn sieht richtig, dass die Annahme einer vereinheitlichenden Bearbeitung der Evangelien sehr gut konvergiert mit der These einer Kanonischen Ausgabe des Neuen Testaments, wie sie David Trobisch vorgetragen hat. 77 Konvergenz bedeutet: Beide Thesen sind in ihrer Begründung voneinander unabhängig, so dass eine Falsifikation der einen These nicht auch die Widerlegung der anderen nach sich ziehen würde. Gerade aufgrund dieser methodischen Unabhängigkeit bewirkt die Konvergenz für beide Thesen eine zusätzliche Plausibilisierung, die über die Summe der Begründungen beider Thesen im Einzelnen hinausgeht. BeDuhn weiß das. Seine Kritik an der Konvergenz bezieht sich daher nicht auf die Bearbeitung des marcionitischen Evangeliums durch Lk, sondern nur auf die These der Kanonischen Ausgabe, für die er »not a shred of evidence in second century Christian writers« findet. Diese Einschätzung ist weit verbreitet, aber sie ist methodisch problematisch. Denn unabhängig von allen historischen Befunden (die man so oder auch anders interpretieren kann) hält diese Einschätzung die sekundären Zeugen für wichtiger als die Sache selbst. Welcher Richter würde sein Urteil allein auf (durchaus widersprüchliche) Zeugenaussagen gründen und darauf ______________________________ 77 Vgl. D. T ROBISCH , The First Edition of the New Testament, Oxford/ New York 2 2012; zur Rezeption dieser These s. jetzt J. H EILMANN , Die These einer editio princeps des Neuen Testaments im Spiegel der Forschungsdiskussion der letzten zwei Jahrzehnte, in: J. Heilmann, M. Klinghardt (Hg.), Das Neue Testament und sein Text im 2. Jahrhundert, Tübingen 2018, 21-56. Ein Nachwort zur Methodologie 463 verzichten, das Corpus Delicti selbst in Augenschein zu nehmen? Denn wir haben ja doch Handschriften, die die fest überlieferten Teilsammlungen der kanonischen Ausgabe und damit die Existenz des Neuen Testaments bezeugen und die bis an (oder sogar bis in) das 2. Jh. zurückreichen. 78 Wenn also Justin aus dem kanonischen Lk oder aus Act zitiert; wenn Papias die Evangelien unter ihren kanonischen Bezeichnungen kennt; oder wenn Irenaeus das kanonische Vierevangelienbuch legitimiert, dann setzen sie jeweils das ganze Neue Testament voraus. Zwar belegt keiner dieser Zeugen das Neue Testament in seinem vollen Umfang. Aber dies ist auch nicht notwendig. Denn tatsächlich kennen wir in der fraglichen Zeit nur zwei christliche Schriftensammlungen: Die »marcionitische« Sammlung von elf Schriften und das Neue Testament in seiner kanonisch gewordenen Form mit 27 Schriften. Diese beiden Sammlungen sind tatsächlich bezeugt. Genauer muss man sagen: Nur diese beiden Sammlungen sind bezeugt, so dass jede Theorie beweispflichtig ist, die über diese beiden bezeugten Sammlungen hinaus zusätzliche Sammlungs- oder Entwicklungsschritte postuliert. Das lange Zeit verbreitete Modell eines schrittweisen Wachstums der Sammlung (das eine unbestimmbare Zahl einzelner Teilsmmlungen impliziert) fällt daher der Schärfe von Occams Rasiermesser zum Opfer: Die postulierten Zwischenstufen sind eine nicht notwendige Vermehrung der Voraussetzungen. Für die gibt es dann in der Tat »not a shred of evidence«. Das Postulat solcher Zwischenstufen ist nicht nur historisch überflüssig, sondern methodisch unzulässig. 3. Man kann allerdings noch ein ganzes Stück weitergehen. Denn wenn man sich einmal darauf einlässt, dass die hier begründete lk Redaktion von *Ev und die kanonische Redaktion des NT in eins fallen, wenn also die Annahme der einheitlichen Redaktion des Vier-Evangelienbuchs mit Trobischs These der Kanonischen Redaktion konvergiert, dann erhält man den heuristischen Rahmen, der weitere Fragestellungen zulässt. Die Überlieferungsgeschichte hat den Weg von *Ev, den ersten Teil der älteren Marcionitischen Sammlung, bis zur jüngeren Kanonischen Ausgabe nachgezeichnet. Dies eröffnet den Blick auf den anderen Teil der Marcionitischen Ausgabe, das sog. »Apostolikon« mit zehn Paulusbriefen. Will man die von BeDuhn in Zweifel gezogene Konvergenz zwischen der Überlieferungsgeschichte der Evangelien mit der These der Kanonischen Redaktion überprüfen, dann bieten sich dafür die häresiologischen Nachrichten über die Paulusbriefe der Marcionitischen Sammlung an: Lassen sich die Differenzen im Textbestand beider Sammlungen als redaktionelle Eingriffe verständlich machen? Ist für sie dieselbe Bearbeitungsrichtung ______________________________ 78 Vgl. zuletzt W. C LARYSSE , P. O RSINI , Christian Manuscripts from Egypt to the Times of Constantine, in: J. Heilmann, M. Klinghardt (Hg.), Das Neue Testament und sein Text im 2. Jahrhundert, Tübingen 2018, 107-114. 464 Das marcionitische Evangelium in der Diskussion von der Marcionitischen zur Kanonischen Ausgabe erkennbar? Und: Lassen sich vielleicht Kohärenzsignale finden, die eine Verbindung zwischen der Redaktion des marcionitischen Apostolos und der Redaktion von *Ev nahelegen? Die positive Antwort auf diese Fragen würde eine weitere (methodisch und sachlich unabhängige) Konvergenz etablieren. Der Hinweis auf die kanonische Bearbeitung der marcionitischen Paulusbriefe ist schon mehrfach gegeben worden. 79 Jetzt liegen die ersten und sehr überzeugenden Ergebnisse vor. 80 Trotz unterschiedlicher Lösungsansätze und Begündungen kommen sie zum selben Resultat: Die kanonischen Paulusbriefe sind eine redaktionelle Bearbeitung ihrer marcionitischen Entsprechungen. Die beiden Beispiele (Rm und Eph) haben für die Interpretation der kanonischen Briefe Konsequenzen von unterschiedlichem Gewicht. Wichtiger sind die Einsichten für die hier zur Debatte stehende Frage nach der Entstehung der Kanonischen Ausgabe: Denn die Priorität des marcionitischen Apostolos vor den kanonischen Paulusbriefen belegt dieselbe Bearbeitungsrichtung, die auch *Ev und Lk verbindet. Darüber hinaus bestätigt sich auch der sehr viel wichtigere Verdacht, dass die redaktionelle Bearbeitung von *Ev mit der des marcionitischen Apostolos zusammenhängt. So weit erkennbar, sind die redaktionellen Eingriffe in beiden Bereichen (Evangelium und Apostolos) kohärent: Es handelt sich um die eine, einheitliche Kanonische Redaktion. Die Annahme der einen Kanonischen Ausgabe liegt also nicht nur aus grundsätzlichen, methodischen Erwägungen nahe, sie lässt sich auch sehr konkret inhaltlich bekräftigen. Die heuristische Verheißung hält, was sie verspricht: Die veränderte Perspektive lässt plura et remotiora erkennen. * Methoden sind nicht um ihrer selbst willen wichtig, und es gibt auch keine absoluten Methoden. Die methodischen Instrumente sind immer abhängig von den Fragen, auf die eine plausible Antwort gesucht wird. Da sich Fragestellungen verändern (meistens in einem allmählichen Prozess), ändern sich mit ihnen auch die Instrumente, mit denen sie bearbeitet werden. Aus diesem Grund ist von Zeit zu Zeit eine methodologische Reflexion so wichtig: Sie zeigt an, ob beide Prozesse immer kongruent verlaufen, wie sich Fragestellungen verändert und Voraussetzungen verschoben haben. ______________________________ 79 Z. B. M. K LINGHARDT , Abraham als Element der Kanonischen Redaktion, in: J. Heilmann, M. Klinghardt (Hg.), Das Neue Testament und sein Text im 2. Jh., Tübingen 2017, 223-258, 225ff; s. auch o. S. 123 Anm. 93; S. 362 Anm. 55. 80 A. G OLDMANN , Über die Textgeschichte des Römerbriefs, Tübingen 2020; T. F LEMMING , Die Textgeschichte des Epheserbriefes. Eine neue Perspektive auf den Laodicenerbrief der 10-Briefe-Sammlung (Diss. phil. TU Dresden 2019; demnächst in der TANZ-Reihe). Ein Nachwort zur Methodologie 465 Im Umfeld der Diskussion um das marcionitische Evangeliums haben sich die Fragen und Voraussetzungen gegenüber der Forschungslandschaft, in der Harnack vor 100 Jahren arbeitete, ganz erheblich verändert. Diese Veränderung fällt noch gravierender aus, wenn man in Rechnung stellt, dass die letzte Begründung von Harnacks methodischer Grundlage ihrerseits schon 70 Jahre zurücklag: Volckmars Votum für die Lk-Priorität aus dem Jahr 1852 beanspruchte Plausibilität vor dem Hintergrund eines Wissensstandes, den schon Harnack längst hinter sich gelassen hatte und den wir heute noch viel weniger teilen. Die einleitende Skizze zur Forschungsgeschichte (§ 1) hat auch die Funktion, diesen zeitlichen und sachlichen Abstand deutlich werden zu lassen. Das Bewusstsein dieser Veränderungen nötigt dazu, die eigenen (häufig stillschweigend rezipierten) Voraussetzungen zu überprüfen und sie gegebenenfalls anzupassen. Über die Erklärung von (literarischen, historischen oder theologischen) Einzeldaten hinaus ist die methodologische Reflexion in der Lage, unterschiedliche Fragestellungen offenzulegen. Dadurch könnte sie Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden, die wichtigen Streitfragen identifizieren und auf diese Weise den wissenschaftlichen Diskurs befördern. Das ist jedenfalls die Hoffnung. Literatur 1. Bibliographische Abkürzungen ACO Acta Conciliorum Oecumenicorum ed. E. Schwartz et al., Berlin u. a. 1914ff BAC Biblioteca de autores cristianos, Madrid Bauer, Wb W. Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriſten des Neuen Testaments BDR Blass, Fr., A. Debrunner, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch bearb. von Fr. Rehkopf BKV Bibliothek der Kirchenväter, Kempten 1869ff CBL Collectanea Biblica Latina, Città del Vaticano 1912ff CCL Corpus Christianorum. Series Latina, Turnhout 1953ff CEQ The Critical Edition of Q ed. J. M. 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Supplementum Clementinum, Erlangen 1884 Z AHN , T H ., Studien zu Justinus Martyr, ZKG 7 (1886), 1-84 Z AHN , T H ., Geschichte des Neutestamentlichen Kanons I/ II, Erlangen - Leipzig 1889-1892 (= Z AHN I/ II) Z ELLER , D., Das Logion Mt 8,11f / Lk 13,28f und das Motiv der ‘Völkerwallfahrt’, BZ NF 15 (1971), 222-237; 16 (1972), 84-93 Z ELLER , D., Entrückung zur Ankunſt als Menschensohn (Lk 13,34f.; 11,29f), in: R. Gantoy (ed.), À cause de l’Évangile (FS J. Dupont), Paris 1985, 513-530 Z ELLER , D., Redaktionsprozesse und wechselnder ‘Sitz im Leben’ beim Q-Material, in: J. Delobel (ed.), Logia. Les paroles des Jésus. The Sayings of Jesus (BETL 59), Leuven 1982, 395-409 Z IEMER , B., Kritik des Wachstumsmodells. 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Mainz 2015/ 5), Mainz/ Stuttgart 2015 Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter (TANZ) begründet von Klaus Berger, François Vouga, Michael Wolter und Dieter Zeller herausgegeben von Matthias Klinghardt, Günter Röhser, Stefan Schreiber und Manuel Vogel Bisher sind erschienen: Frühere Bände finden Sie unter: https: / / www.narr.de/ theologie-kat/ theologiereihen-kat/ tanz/ ? ___store=narr_starter_de Band 31 Dieter Massa Verstehensbedingungen von Gleichnissen Prozesse und Voraussetzungen der Rezeption aus kognitiver Sicht 1999, 389 Seiten, €[D] 54,- ISBN 978-3-7720-2823-6 Band 32 Hanna Roose Das Zeugnis Jesu Seine Bedeutung für die Christologie, Eschatologie und Prophetie in der Offenbarung des Johannes 1999, 252 Seiten, €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2824-3 Band 33 Gabriele Faßbeck Der Tempel der Christen Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur Aufnahme des Tempelkonzepts im frühen Christentum 2000, XII, 317 Seiten, €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2825-0 Band 34 Holger Sonntag NOMOΣ ΣΩTHP Zur politischen Theologie des Gesetzes bei Paulus und im antiken Kontext 2000, XII, 376 Seiten, €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2826-7 Band 35 Markus Sasse Der Menschensohn im Evangelium nach Johannes 2001, XIV, 337 Seiten, €[D] 43,- ISBN 978-3-7720-2827-4 Band 36 Michael Labahn/ Jürgen Zangenberg (Hrsg.) Zwischen den Reichen: Neues Testament und Römische Herrschaft Vorträge auf der ersten Konferenz der European Association for Biblestudies 2002, VIII, 286 Seiten, €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2828-1 Band 37 Johannes Krug Die Kraft des Schwachen Ein Beitrag zur paulinischen Apostolatstheorie 2001, 350 Seiten, €[D] 64,- ISBN 978-3-7720-2829-8 Band 38 Byung-Mo Kim Die paulinische Kollekte 2002, 220 Seiten, €[D] 44,- ISBN 978-3-7720-2830-4 Band 39 Vincenzo Petracca Gott oder das Geld Die Besitzethik des Lukas 2003, XIV, 410 Seiten, €[D] 64,- ISBN 978-3-7720-2831-1 Band 40 Jürg Buchegger Erneuerung des Menschen Exegetische Studien zu Paulus 2003, XIV, 409 Seiten, €[D] 64,- ISBN 978-3-7720-2832-8 Band 41 Claudia Losekam Die Sünde der Engel Die Engelfalltradition in frühjüdischen und gnostischen Texten 2010, VI, 407 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8001-2 Band 42 Stefan Alkier/ Jürgen Zangenberg (Hrsg.) Unter Mitarbeit von C. Dronsch und M. Schneider Zeichen aus Text und Stein Studien auf dem Weg zu einer Archäologie des Neuen Testaments 2003, 540 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8007-4 Band 43 Alexander Mittelstaedt Lukas als Historiker Zur Datierung des lukanischen Doppelwerks 2005, 271 Seiten, €[D] 59,- ISBN 978-3-7720-8140-8 Band 44 Anja Cornils Vom Geist Gottes erzählen Analysen zur Apostelgeschichte 2006, VIII, 283 Seiten, €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8156-9 Band 45 Joel White Die Erstlingsgabe im Neuen Testament 2007, 374 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8210-8 Band 46 Jörg Michael Bohnet Die Berichte über die Himmelfahrt Jesu 2015, ca. 430 Seiten, ca. €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8216-0 Band 47 Renate Banschbach Eggen Gleichnis, Allegorie, Metapher Zur Theorie und Praxis der Gleichnisauslegung 2007, XII, 312 Seiten, €[D] 64,- ISBN 978-3-7720-8238-2 Band 48 Frank Holzbrecher Paulus und der historische Jesus Darstellung und Analyse der bisherigen Forschungsgeschichte 2007, X, 200 Seiten, €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8242-9 Band 49 Armin D. Baum Der mündliche Faktor Analogien zur synoptischen Frage aus der antiken Literatur, der Experimentalpsychologie, der Oral poetry-Forschung und dem rabbinischen Traditionswesen 2008, XVIII, 526 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8266-5 Band 50 Christian Kurzewitz Weisheit und Tod Die Ätiologie des Todes in der Sapientia Salomonis 2010, 194 Seiten, €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8349-5 Band 51 Sascha Flüchter Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit Auf dem Weg zu einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 in der neutestamentlichen Literatur 2010, XIV, 385 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8373-0 Band 52 Philipp Kurowski Der menschliche Gott aus Levi und Juda Die Testamente der zwölf Patriarchen als Quelle judenchristlicher Theologie 2010, VI, 195 Seiten, €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8384-6 Band 53 Jochen Wagner Die Anfänge des Amtes in der Kirche Presbyter und Episkopen in der frühchristlichen Literatur 2011, 358 Seiten, €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8411-9 Band 54 Stephan Hagenow Heilige Gemeinde - Sündige Christen Zum Umgang mit postkonversionaler Sünde bei Paulus und in weiteren Texten des Urchristentums 2011, 370 Seiten, €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8419-5 Band 55 Soham Al-Suadi Essen als Christusgläubige Ritualtheoretische Exegese paulinischer Texte 2011, 347 Seiten, €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8421-8 Band 56 Matthias Klinghardt/ Hal Taussig (Hrsg.) Mahl und religiöse Identität im frühen Christentum Meals and Religious Identity in Early Christianity 2012, 372 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8446-1 Band 57 Philipp F. Bartholomä The Johannine Discourses and the Teaching of Jesus in the Synoptics A Contribution to the Discussion Concerning the Authenticity of Jesus’ Words in the Fourth Gospel 2012, XIV, 491 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8457-7 Band 58 Wichard von Heyden Doketismus und Inkarnation Die Entstehung zweier gegensätzlicher Modelle von Christologie 2014, XIV, 567 Seiten, €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8524-6 Band 59 Julian Petkov Altslavische Eschatologie Texte und Studien zur apokalyptischen Literatur in kirchenslavischer Überlieferung 2015, 495 Seiten, ca. €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8531-4 Band 60 Matthias Klinghardt Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien Band I: Untersuchung | Band II: Rekonstruktion, Übersetzung, Varianten 2020, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, 2 Bände, XXVIII, 1480 Seiten, €[D] 218,- ISBN 978-3-7720-8742-4 Band 61 Jan Heilmann/ Matthias Klinghardt (Hrsg.) Das Neue Testament und sein Text im 2. Jahrhundert 2018, 322 Seiten, €[D] 118,- ISBN 978-3-7720-8640-3 Band 62 Nathanael Lüke Über die narrative Kohärenz zwischen Apostelgeschichte und Paulusbriefen 2019, 302 Seiten, €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8677-9 Band 63 Alexander Goldmann Über die Textgeschichte des Römerbriefs Neue Perspektiven aus dem paratextuellen Befund 2020, 254 Seiten, €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8709-7 Band 64 Viktor Löwen Die zwölf Jünger Jesu Exegetische Untersuchungen zum Kreis der zwölf Jünger im Matthäusevangelium 2021, ca. 700 Seiten, €[D] 128,- ISBN 978-3-7720-8724-0 Band 65 Jan-A. Bühner Jesus und die himmlische Welt Das Motiv der kultischen Mittlung zwischen Himmel und Erde im frühen Judentum und in der von Jesus ausgehenden Christologie 2020, 490 Seiten, €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8725-7 Matthias Klinghardt Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien Band II: Rekonstruktion | Übersetzung | Varianten 2., überarbeitete und erweiterte Auflage Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb. dnb.de abrufbar © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0939-5199 ISBN 978-3-7720-8741-7 (Print) ISBN 978-3-7720-5741-0 (ePDF) ISBN 978-3-7720-0126-0 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Inhalt Bd. II: Rekonstruktion - Übersetzung - Varianten Anhang I Rekonstruktion: Der Text des ältesten Evangeliums ............................................ 525 Einführung .............................................................................................................................. 527 1. Grundlagen der Rekonstruktion ....................................................................................... 527 2. Hinweise zur Textgestaltung ............................................................................................. 528 3. Literatur ................................................................................................................................ 531 Rekonstruktion ....................................................................................................................... 533 *Titel ................................................................................................................................. 533 1,1-2,52 Prolog. Geburtsgeschichten des Täufers und Jesu ....................................... 534 *3,1a; Datierung. *4,31-37 Exorzismus in der Synagoge von Kapharnaum ............................................. 535 3,1b-4,13 Täuferüberlieferung. Taufe. Stammbaum. Versuchung ............................. 542 [ 4,14f Summar über Heilungen in Galiläa ] ................................................................ 543 *4,16-30 Ablehnung in Nazara ......................................................................................... 543 [ 4,38-39 Heilung der Schwiegermutter des Petrus ] ...................................................... 552 *4,40-41 Exorzismen am Abend. Messiasbekenntnis der Dämonen .......................... 554 *4,42-43 Jesu Rückzug in die Einsamkeit und Verweis auf seine Sendung ............... 555 *4,44 Summar - Verkündigung in den Synagogen von Galiläa ............................ 558 *5,1-11 Wunderbarer Fischzug. Berufung des Petrus und der Zebedaiden ............ 559 *5,12-16 Heilung des Aussätzigen. [ Rückzug Jesu ] ....................................................... 566 *5,17-26 Heilung des Gelähmten ..................................................................................... 572 *5, 27-32 Berufung des Levi. Zöllnermahl ....................................................................... 580 *5,33-39 Fastenfrage ........................................................................................................... 583 *6,1-5 Ährenraufen am Sabbat. {Sabbatarbeiter} ...................................................... 594 *6,6-11 Heilung der verkrüppelten Hand ..................................................................... 602 *6,12-16 Auswahl der Zwölf ............................................................................................. 610 *6,17-19 Abstieg vom Berg. Andrang der Menge .......................................................... 614 *6,20-26 Feldrede I: Makarismen und Weherufe .......................................................... 622 *6,27-38 Feldrede II: {Talio.} Feindesliebe. Zinsverbot. Barmherzigkeit ................... 630 *6,39-49 Feldrede III: Paränetische Sentenzen und Bildworte. [ Gleichnis vom Hausbau ] .................................................................................. 643 *7,1-10 Der Centurio in Kapharnaum und sein Sklave .............................................. 650 *7,11-17 Auferweckung des Jünglings in Nain .............................................................. 661 *7,17-23 Anstoß und Frage des Täufers .......................................................................... 664 *7,24-28 Belehrung über Johannes .................................................................................. 674 [ 7,29-35 Die Kinder der Weisheit ] .................................................................................. 678 *7,36-50 Salbung durch die Sünderin .............................................................................. 681 *8,1-3 Unterstützung durch vornehme Frauen ......................................................... 695 VI Inhalt *8,4-17 Gleichnis vom Sämann. Parabeltheorie und Deutung .................................. 696 *8, 19-21 Jesu Mutter und seine Brüder ........................................................................... 703 *8,22-25 Stillung des Seesturms ........................................................................................ 707 *8,26-39 Austreibung des Dämons Legion ..................................................................... 711 *8,40-56 Tochter des Jairus. Blutflüssige Frau ............................................................... 719 *9,1-6 Aussendung der Zwölf ....................................................................................... 726 *9,7-9 Urteil des Herodes über Jesus und Johannes ................................................. 732 *9,10-17 Rückkehr der Apostel und Speisung der Fünftausend ................................. 736 *9,18-22 Bekenntnis des Petrus. Ankündigung von Leiden und Auferstehung ....... 742 *9,23-27 Die Bedingungen der Nachfolge ...................................................................... 753 *9,28-36 Verklärung Jesu ................................................................................................... 758 *9,37-45 Tadel der ungläubigen Generation. Exorzismus des epileptischen Knaben. Erneute Leidensankündigung .................................. 765 *9,45-50 Rangstreit der Jünger. Fremder Exorzist ......................................................... 774 *9,51-56 Mission in Samaria ............................................................................................. 782 *9,57-62 Nachfolgesprüche ............................................................................................... 789 *10,1-16 Aussendung der 72 Apostel .............................................................................. 798 *10,17-24 Rückkehr der Zweiundsiebzig. Dankgebet Jesu ............................................. 811 *10,25-37 Die Frage nach den Bedingungen des Lebens [ Samaritanergleichnis ] ....... 823 *10,38-42 Maria und Martha .............................................................................................. 836 *11,1-4 Vaterunser ........................................................................................................... 840 *11,5-13 Belehrung über das Beten .................................................................................. 859 *11,14-32 Exorzismus des stummen Dämons. Beelzebulkontroverse. Rückkehr der Dämonen. Seligpreisung der Hörer des Wortes Gottes. Verweigerung eines Zeichens. Zeichen des Jona ....................................... 866 *11,33-36 Das Auge als Leuchte des Körpers ................................................................... 877 *11,37-48 Pharisäerrede I: Reinheit. Verzehntung. Prophetenmord ............................ 880 *11,49-54 Pharisäerrede II: Sendung und Mord der Propheten und Apostel. Abschluss ............................................................................................................. 890 *12,1-12 Warnung vor der Heuchelei der Pharisäer. Aufforderung zu furchtlosem Bekenntnis ...................................................... 894 *12,13-21 WarnungvorHabgier.Derreiche Kornbauer .................................................. 904 *12,22-34 Vom Sorgen. Streben nach der Herrschaft Gottes ........................................ 908 *12,35-48 Belehrung über Wachsamkeit und Zuverlässigkeit ....................................... 917 *12,49-53 Frieden und Zwietracht ..................................................................................... 924 *12,54-59 Beurteilung dieses Kairos. Versöhnung mit dem Prozessgegner ................ 931 13,1-9 Mahnung zur Umkehr. Gleichnis vom Feigenbaum .................................. 936 *13,10-17 Heilung einer Abrahamstochter am Sabbat ................................................... 939 *13,18-21 Die Gleichnisse vom Senfkorn und vom Sauerteig ....................................... 942 *13,22-30 Die enge und die verschlossene Tür. Erste und Letzte im Reich Gottes 945 13,31-35 Warnung vor Herodes. Klage über Jerusalem .............................................. 952 *14,1-6 Heilung eines Wassersüchtigen während eines Sabbatmahls ...................... 955 *14,7-24 Paränesen zum Thema Mahleinladungen ...................................................... 961 Inhalt VII *14,25-35 Bedingungen für das Jüngersein ...................................................................... 970 *15,1-32 Gleichnisse vom verlorenen Schaf und von der verlorenen Drachme. Gleichnis vom verlorenen Sohn ................................................................... 976 *16,1-13 Gleichnis vom betrügerischen Verwalter. Von der Zuverlässigkeit im Umgang mit Kleinem und Großem ........................................................... 988 *16,14-18 Gegen die Pharisäer: Geldgier. Gesetz und Propheten. Ehescheidung und Wiederheirat ...................................................................... 997 *16,19-31 Gleichnis von dem armen Lazarus und dem reichen Neves ...................... 1005 *17,1-10 Rede an die Jünger über Verführung und über die Macht des Glaubens 1012 *17,11-19 Heilung von zehn Aussätzigen ....................................................................... 1025 *17,2021 Vom Kommen der Gottesherrschaft ............................................................. 1030 *17,22-37 Von der Parusie des Menschensohns ............................................................ 1032 *18,1-8 Gleichnis von der bittenden Witwe ............................................................... 1038 *18,9-14 Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner im Tempel ....................................... 1040 *18,15-17 Segnung der Kinder .......................................................................................... 1043 *18,18-23 Die Frage nach den Bedingungen des ewigen Lebens ................................. 1045 *18,24-30 Reichtum und Nachfolge ................................................................................. 1054 18,31-34 Dritte Leidensankündigung .......................................................................... 1060 *18,35-43 Blindenheilung in Jericho ................................................................................ 1062 *19,1-10 Bekehrung des Zachäus ................................................................................... 1068 *19,11-28 Gleichnis von den anvertrauten Minen. Ankunft in Jerusalem ................ 1073 19,29-48 Auffindung des Reittiers. Akklamation am Ölberg. Dominus flevit. Tempelreinigung. [ Lehre im Tempel. Tötungswunsch ] ........................... 1080 *20,1-8 Vollmachtsfrage ................................................................................................ 1092 20,9-18 Gleichnis von den Weingärtnern ................................................................. 1096 *20,19 Verhaftungswunsch ......................................................................................... 1101 *20,20-26 Frage nach den Steuern für den Kaiser ......................................................... 1102 *20,27-40 Frage nach der Auferstehung .......................................................................... 1108 *20,41-44 Der Messias ist Davids Herr, nicht sein Sohn .............................................. 1117 *20,45-47 Warnung vor den Schriftgelehrten ................................................................ 1124 *21,1-4 Die Gabe der Witwe ......................................................................................... 1126 *21,5-19 Endzeitrede I ..................................................................................................... 1128 *21,20-36 Endzeitrede II .................................................................................................... 1135 *21,37-38 Abschließendes Summar: Lehre in Jerusalem .............................................. 1146 *22,1-6 Tötungsplan des Hohen Rats. Verrat des Judas ........................................... 1148 *22,7-13 Vorbereitung des Passamahls ......................................................................... 1152 *22,14-23 Das letzte Passamahl. Ankündigung des Verrats ......................................... 1155 *22,24-34 Mahlgespräche: Rangstreit der Jünger. Ankündigung der Verleugnung des Petrus .................................................. 1168 22,35-38 Stunde der Entscheidung. [ Zwei Schwerter ] .............................................. 1177 *22,39-46 Gebet am Ölberg ............................................................................................... 1179 *22,47-53 Begegnung mit dem Verhaftungstrupp ........................................................ 1183 *22,54-65 Verleugnung des Petrus. Verspottung Jesu durch die Wachen ................ 1190 VIII Inhalt *22,66-71 Verhör vor dem Hohen Rat ............................................................................ 1197 *23,1-5 Prozess Jesu I: Überstellung an Pilatus. Verhör. Erstes Urteil des Pilatus 1202 *23,6-12 Prozess Jesu II: Überstellung an Herodes. Verhör. Verspottung .............. 1212 *23,13-25 Prozess Jesu III: Wiederholung der Unschuldserklärung Barabbas. Verurteilung ...................................................................................................... 1217 *23,26-32 Kreuzweg: Simon von Kyrene. Die Frauen von Jerusalem. Zwei Übeltäter 1224 *23,33-49 Kreuzigung und Tod Jesu ................................................................................ 1231 *23,50-56 Begräbnis Jesu ................................................................................................... 1250 *24,1-12 Auffindung des leeren Grabes. Engelbotschaft. Mitteilung an die Jünger 1260 *24,13-35 Erscheinung des Auferstandenen vor Emmaus/ Amaus und Kleopas ...... 1276 *24,36-49 Die Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern ............................. 1294 *24,50-53 Sendung der Jünger. Abschied Jesu. [ Himmelfahrt. ] Rückkehr der Jünger nach Jerusalem ............................................................ 1312 Anhang II Das älteste Evangelium (Übersetzung) ................................................................... 1319 Anhang III Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Varianten der Lk-Handschriften ............................................................................... 1363 Einführung ............................................................................................................................. 1365- Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Varianten der kanonischen Lk-Handschriften ................................................. 1371- Inhalt IX Inhalt Bd. I: Untersuchung Aus dem Vorwort zur 1. Auflage .............................................................................................. V Vorwort zur 2. Auflage ............................................................................................................ VII I. Fragestellung und Thema ............................................................................................... 1 § 1 Evangelienforschung im 19. Jh. ....................................................................................... 3 1. Der Diskurs über das Synoptische Problem .............................................................. 4 2. Der Diskurs über Lk und das marcionitische Evangelium .................................... 13 § 2 Fragestellung und These ................................................................................................... 20 1. Einige Ergebnisse und offene Fragen ........................................................................ 20 2. Thesen und Anlage der Untersuchung ..................................................................... 24 II. Das marcionitische Evangelium und sein Text in der Alten Kirche ................... 31 § 3 Die Bezeugung von *Ev durch die Häresiologen .......................................................... 33 1. Die Struktur der Vorwürfe gegen Marcion ............................................................ 33 2. Die Hauptzeugen für *Ev ............................................................................................ 46 3. Das methodische Problem der widersprüchlichen Bezeugungen ........................ 62 § 4 Umfang und Sprache des marcionitischen Evangeliums ........................................... 68 1. Nicht-lk Texte in Tertullians *Ev-Exemplar? .......................................................... 68 2. Die Sprache von Tertullians *Ev-Exemplar ............................................................. 74 § 5 Der Text von *Ev und die kanonische Textüberlieferung ......................................... 79 1. Die These eines Einflusses von *Ev auf den »Westlichen Text« ........................... 80 2. *Ev und der Text des ältesten, vorkanonischen Evangeliums ............................... 85 3. Zum Verhältnis von Überlieferungs- und Textgeschichte: Schlussfolgerungen ........................................................................................................ 102 III. Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Lk ................................................. 125 § 6 Die Aporien der Lk-Priorität ........................................................................................ 127 1. Die Inkonsistenz der angeblichen Redaktion Marcions ...................................... 127 2. Der Umfang von *Ev und die »Überschüsse« in *Ev ........................................... 134 3. *Ev und das Problem des Kanons ........................................................................... 144 4. Der Ausweg aus den Aporien: Die *Ev-Priorität .................................................. 147 § 7 Der Anfang von *Ev und seine lk Bearbeitung .......................................................... 154 1. Der Anfang von *Ev: Bezeugung und literarische Struktur ................................ 154 2. Das redaktionelle Profil des Lk-Prologs (Lk 1,1-4) ............................................... 161 3. Die lk Redaktion der Nazarethperikope (Lk 4,16-30) .......................................... 173 X Inhalt § 8 Das Ende von *Ev: Tradition und Redaktion in Lk 24 ............................................. 177 1. Bezeugung ................................................................................................................... 177 2. Das redaktionelle Konzept von Lk 24 ..................................................................... 179 § 9 Die *Ev-Priorität: Ergebnisse und weitere Fragen .................................................... 190 IV. Vom ältesten Evangelium zum kanonischen Vier-Evangelienbuch: Eine überlieferungs-geschichtliche Skizze ........................................................................ 197 § 10 *Ev und die Überlieferung der kanonischen Evangelien ......................................... 199 1. Offene Fragen zur Überlieferungsgeschichte der Evangelien ............................. 199 2. *Ev im Horizont der kanonischen Evangelien: Eine Arbeitshypothese ............ 206 § 11 Das literarische Verhältnis zwischen *Ev und Mk .................................................... 212 1. Auf dem Weg nach Jerusalem: *9,51-19,28 und Mk 8,(22-26)27-10,52 ............ 213 2. Mk 6,45-8,26: »Große Auslassung« oder »Große Ergänzung«? ......................... 221 3. Die »Mk-Q Overlaps«: Mk 9,41-10,12 und die Entsprechungen in *Ev ........... 233 4. Die *Ev-Priorität vor Mk: Anfang und Ende des Evangeliums .......................... 245 § 12 Das Mt-Evangelium als Kompilation von Mk und *Ev ........................................... 253 1. Methodische Grundfragen ....................................................................................... 253 2. Die mt-lk »Minor Agreements« ............................................................................... 255 3. Die Redaktion des Materials der Doppelüberlieferung bei Mt und Lk ............. 267 4. Die Komposition der mt Vorgeschichte: Eine Problemanzeige ......................... 280 § 13 Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk ........................................ 297 1. Voraussetzungen und Fragestellung .......................................................................... 297 2. Lk-joh Übereinstimmungen gegen Mk: Passions- und Osterüberlieferung ..... 301 3. Die Abhängigkeit der joh Passionsüberlieferung von *Ev ................................... 309 4. Die Rezeption von Joh durch Lk ............................................................................. 314 5. *Ev und die kanonischen Evangelien ...................................................................... 332 § 14 Die Kanonische Redaktion der Evangelien ................................................................ 339 1. Methodische Voraussetzungen ................................................................................ 339 2. Die Kanonische Redaktion von *Mk ...................................................................... 341 3. Die Kanonische Redaktion von *Mt ........................................................................ 350 4. Joh als Kanonische Redaktion von *Joh ................................................................. 358 5. Die Entstehung des kanonischen Vier-Evangelienbuches .................................. 373 V. Ausblick .......................................................................................................................... 379 § 15 Antworten und Fragen .................................................................................................. 381 1. Die *Ev-Priorität vor Lk ............................................................................................ 381 2. Zur Überlieferungsgeschichte der Evangelien ....................................................... 393 3. Text- und Überlieferungsgeschichte: Die Kanonische Ausgabe ......................... 403 4. Datierungen ................................................................................................................ 406 5. Marcion, *Ev und die Kanonische Ausgabe .......................................................... 413 Das marcionitische Evangelium in der Diskussion: Ein Nachwort zur Methodologie .......................................................................................... 427 1. Das zentrale Problem: Die Bearbeitungsrichtung und ihre Implikationen................... 430 2. Einige Folgeprobleme .......................................................................................................... 449 Inhalt XI Literatur .................................................................................................................................... 467 1. Bibliographische Abkürzungen .......................................................................................... 469 2. Quellen und Hilfsmittel ....................................................................................................... 470 3. Sekundärliteratur ................................................................................................................... 483 Abbildungen Abb. 1: Die synoptischen Hauptrelationen: *Ev - Lk und Mk - Mt ............................ 206- Abb. 2: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev und den Synoptikern .............. 208- Abb. 3: Die Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk ...................................................... 210- Abb. 4: Die Synoptischen Relationen nach der Zwei-Quellentheorie unter Berücksichtigung der Abhängigkeit Mk von Q ................................................. 243- Abb. 5: Die *Ev-Priorität vor Mk im Rahmen der synoptischen Beziehungen .......... 253- Abb. 6: Die Beziehungen zwischen *Ev, Mt und Lk im Rahmen der *Ev-Priorität .. 253- Abb. 7: Die literarischen Beziehungen zwischen *Ev, Joh und Lk ............................... 297- Abb. 8: Zwei-Quellentheorie und joh Passionsüberlieferung (Hans Klein) ............... 308- Abb. 9: Zwei-Quellentheorie und joh Passionsüberlieferung (Frank Schleritt) ......... 308- Abb. 10: Weitere Beziehungen zwischen den kanonischen Evangelien ........................ 332- Abb. 11: Die Überlieferungsgeschichte der Evangelien von *Ev bis Lk ......................... 339- Abb. 12: Die Kanonische Redaktion der Evangelien ........................................................ 341- Abb. 13: Protokanonische Sammlung (? ) und Kanonische Ausgabe der Evangelien 402- Anhang I R ekonstruktion: Der Text de s älte sten Evang eliums Einführung 1. Grundlagen der Rekonstruktion Die Rekonstruktion des Textes von *Ev setzt die zuvor (Bd. I) erarbeiteten Grundentscheidungen voraus, die jeweils zu vergleichen sind. Dies betrifft zunächst die Sprache: Wie sich gezeigt hatte (§ 4), war *Ev auf Griechisch verfasst. Die Annahme, dass Tertullian (auch) einen lateinischen *Ev-Text vorliegen hatte, hat sich als unwahrscheinlich erwiesen. Dagegen ist klar, dass Tertullian genau wie Epiphanius und Adamantius (zumindest auch) einen griechischen Text vor sich hatte. Daher muss ein griechischer Text das Ziel der Rekonstruktion sein. Die grundlegenden Informationen zum Text von *Ev stammen von den Häresiologen (s. o. § 3). Allerdings erlauben die häresiologischen Referate keine gleichermaßen vollständige und genaue Rekonstruktion: Dazu sind die Zeugnisse zu lückenhaft und zu widersprüchlich. Denn in den meisten Fällen - nämlich bei Tertullian und Adamantius - verhindert die Einbindung der Referenzen in einen größeren, von anderen (argumentativen bzw. rhetorischen) Gesichtspunkten bestimmten Zusammenhang eine genaue Rekonstruktion des Textes, weil Syntax und Formen des Ausgangstextes häufig nicht mehr erkennbar sind. Obwohl diese beiden Zeugen eine beachtliche Zahl an Informationen für eine Rekonstruktion liefern, bleiben Umfang und Genauigkeit einer solchen Rekonstruktion eingeschränkt. Obwohl Epiphanius in vielen Fällen genau zitiert, ist sein Zeugnis lückenhaft und auch in den Zitaten seiner Scholienliste nicht immer vollständig, so dass an dieser Stelle Lücken bleiben, deren Umfang jeweils im Einzelfall abzuwägen ist. Da *Ev in einer sehr engen literarischen Beziehung zum kanonischen Lk-Evangelium steht, dient der (kanonische) Lk-Text als Basis für die Rekonstruktion. Da es keine zwingenden Hinweise gibt, dass Lk und *Ev durch eine gemeinsame Vorlage miteinander verbunden waren, ist für diese Beziehung das Modell einer direkten Abhängigkeit einfacher und daher anderen Modellen vorzuziehen. Wie oben (§§ 6-8) grundsätzlich gezeigt wurde, verläuft die Bearbeitungsrichtung von *Ev zu Lk. Der im Folgenden rekonstruierte Text legt daher den kanonischen Lk-Text zugrunde und verzeichnet jeweils die für *Ev bezeugten Differenzen, die sich aus der Bezeugung durch die Häresiologen ergeben. Der Text, gegen den die für *Ev bezeugten bzw. als wahrscheinlich erwiesenen Varianten verzeichnet sind, ist der Text der kritischen Ausgaben (NA 27 / GNT 4 ), und zwar vor allem aus Gründen der Praktikabilität. Für die Rekonstruktion der unbezeugten Passagen, aber auch für die Einschätzung der widersprüchlichen Bezeugungen (vgl. § 3.3), ist das oben (§ 5) erläuterte Phänomen der Interferenz zwischen dem vorkanonischen und dem kanonischen 528 Anhang I Text von großer Bedeutung. Aus diesem Grund sind die wichtigsten Varianten des kanonischen Lk-Textes der Erörterung jeweils vorangestellt. Für die Rekonstruktion des *Ev-Textes erfordert dies eine Argumentation auf mehreren Ebenen: (1) In erster Linie ist die Bezeugung bzw. Nichtbezeugung ganzer Perikopen bzw. größerer Sinneinheiten auszuwerten. Die Beobachtungen auf dieser Ebene ergeben zwar kein vollständiges Bild von *Ev, erlauben aber doch deutliche Erkenntnisse hinsichtlich des Umfangs, der Akoluthie und der narrativen Struktur von *Ev. Das auf diese Weise erhobene literarische Gesamtprofil von *Ev bildet die entscheidende Basis für die Bestimmung des genauen Abhängigkeitsverhältnisses zwischen *Ev und Lk. (2) In zweiter Linie ist die Bezeugung von Einzelversen wichtig. Die diesbezüglichen Beobachtungen sind vor allem für die Evaluierung der konkreten redaktionellen Verschiebungen zwischen beiden Gesamttexten von Bedeutung. (3) Auf einer dritten Ebene werden die Abweichungen im genauen Wortlaut in den Blick genommen. Auch wenn diese Beobachtungen allein in der Regel kein begründetes Urteil über die Bearbeitungsrichtung zulassen, sind sie doch im Verbund der grundsätzlichen methodischen Überlegungen vor allem zu den Berührungen zwischen dem für *Ev bezeugten Text und den Varianten der kanonischen Handschriftenüberlieferung (insbesondere des sog. »Westlichen Textes«, s. o. § 5) geeignet, das grundsätzliche Urteil zu erhärten. Darüber hinaus liefern die textgeschichtlichen Überlegungen Anhaltspunkte für die Beurteilung derjenigen Passagen, die nicht für *Ev bezeugt sind. (4) Schließlich fließen auch überlieferungsgeschichtliche Beobachtungen in die Rekonstruktion ein. Denn die Plausibilität der Rekonstruktion von *Ev wächst in dem Maße, in dem sich der Überlieferungsgang in den verschiedenen (in Teil IV skizzierten) Rezeptions- und Redaktionsschritten wahrscheinlich machen lässt. 2. Hinweise zur Textgestaltung a. Zur Gestaltung des rekonstruierten Textes Die Unterscheidung dieser Begründungsebenen und ihrer methodischen Implikationen bestimmt die Anlage der Rekonstruktion: 1. In der Gestaltung der Perikopenüberschriften ist bereits der Umfang und das allgemeine Profil von *Ev erkennbar. Um die Übereinstimmung bzw. Differenz zwischen *Ev und Lk im Umfang deutlich zu machen, sind daher auch die als fehlend bezeugten bzw. die unbezeugten lk Perikopen ausgewiesen. 2. Unter der Perikopenüberschrift ist das Urteil über die betreffende Perikope kurz zusammengefasst. 3. Die typographische Gestaltung des rekonstruierten Textes reflektiert das Rekonstruktionsurteil: Wörtlich genau gesicherte Passagen sind im Text durch Fettdruck Einführung 529 und Unterstreichung gekennzeichnet. Bezeugte, aber nicht wörtlich zitierte Passagen oder Lemmata erscheinen im rekonstruierten Text in Fettdruck (aber ohne Unterstreichung). In der Aufzählung der Testimonien (in Abschnitt A.) sind die Tertullianreferate auf dieselbe Weise gekennzeichnet. Passagen, die in *Ev enthalten waren, aber in Lk fehlen, sind durch geschweifte Klammern gekennzeichnet { }. Umgekehrt erscheinen Passagen, die in *Ev sicher gefehlt haben, in eckigen Doppelklammern und Petitdruck petit . In vielen Fällen fehlt eine direkte Bezeugung, so dass die Rekonstruktionsentscheidung von anderen Beobachtungen als der häresiologischen Bezeugung abhängig ist. Das Rekonstruktionsurteil besitzt dementsprechend eine geringere Sicherheit. Die unterschiedlichen Einschätzungen sind typographisch kenntlich gemacht: Unbezeugte Passagen, die sehr wahrscheinlich in *Ev enthalten waren, erscheinen ohne weitere Kennzeichnung in Normaldruck. Unbezeugte und wahrscheinlich fehlende Passagen stehen in einfacher eckiger Klammer und Petitdruck [ petit ] . In etlichen Fällen war es jedoch noch nicht einmal möglich, eine auch nur geringe Wahrscheinlichkeit zu etablieren. In diesen Fällen bleibt das Urteil offen, die entsprechenden Passagen sind durch ¿kursiv? gekennzeichnet. Diejenigen Passagen, für welche die häresiologische Bezeugung ein widersprüchliches Bild ergibt, sind durch † † gekennzeichnet. b. Zur Gestaltung des Apparats Der Textrekonstruktion ist ein in der Regel dreigeteilter Apparat zur Begründung der Rekonstruktionsentscheidungen beigegeben. Der erste Teil (A.) führt die Testimonien für *Ev an. Sie sind für Tertullian, Epiphanius und Adamantius vollständig erfasst, weitere Testimonien sind nur in Auswahl angegeben. Für Epiphanius werden die Belege aus der Scholienliste (Haer. 42,11,6 Schol. 1-77 [78]) angegeben, nur in den wenigen Fällen von abweichender Bezeugung auch die aus der Liste seiner Elenchi (42,11,15 Elench. 1-77 [78]). Für die Tertulliantestimonien sollte der jeweilige Argumentationszusammenhang erkennbar werden. Da diese Referenzen fast durchweg Teil eines längeren, argumentativen Kontextes sind, schien es sinnvoll, die auf den Text von *Ev referierenden Passagen im Druckbild hervorzuheben, und zwar, um die unterschiedliche Verlässlichkeit anzuzeigen, bei genereller Bezeugung durch Allusion usw. durch Fettdruck bzw. bei exakter Bezeugung durch wörtliches Zitat durch Fettdruck mit Unterstreichung. Bei den griechischen Testimonien (Epiphanius und Adamantius) wurde auf diese Kennzeichnung verzichtet, da die Entsprechungen zum rekonstruierten Text jeweils offensichtlich sind. Der Abschnitt B. bietet die wichtigsten textkritischen Informationen. Dabei handelt es sich um Varianten der kanonischen (Lk-)Textüberlieferung, die mit der 530 Anhang I direkten Bezeugung für *Ev durch die Häresiologen zusammengehen oder diese ergänzen. Als methodische Basis für diesen Vergleich dient wieder der Lk-Text von NA 27 / GNT 4 . Im Unterschied zu der Variantenliste in Anhang III, die Varianten nur zu denjenigen Passagen bietet, die von den Hauptzeugen referiert werden, sind in diesen Abschnitten auch solche Varianten aufgeführt, für die es keine direkte Bezeugung gibt. Diese Varianten sind durch den Hinweis »*Ev non test.« gekennzeichnet. Die Aussagekraft dieser (Lk-)Varianten für die Rekonstruktion von unbezeugten (*Ev-) Passagen ist in § 5 diskutiert und genauer begründet. Der dritte Abschnitt C. bietet eine kritische Würdigung und Begründung der Rekonstruktionsentscheidungen. Dieser Abschnitt argumentiert in der Regel auf den genannten verschiedenen Ebenen, die auch die unterschiedliche Zuverlässigkeit des Urteils reflektieren. Die Diskussion beginnt mit der Besprechung der Testimonien und der mutmaßlichen Differenzen zwischen dem kanonischen Lk und *Ev. Sodann werden - vor allem bei fehlender direkter Bezeugung - auch die Varianten der Handschriftenüberlieferung besprochen, sofern sie als Zeugnis für *Ev verstanden werden können. In einem dritten Schritt werden außerdem überlieferungsgeschichtliche Beobachtungen diskutiert. Die daraus resultierenden Beobachtungen zur Überlieferungsgeschichte stützen in der Summe das oben skizzierte (§§ 10-14) Modell zur kanonischen Evangelienüberlieferung. Umgekehrt erlaubt dieses Modell dann jedoch auch im Einzelfall die Plausibilisierung von Rekonstruktionsentscheidungen. c. Übersicht: Siglen und typographische Gestaltungsmerkmale fett durch die Häresiologen wörtlich genau bezeugt (im rekonstruierten Text und bei den Tertulliantestimonien im Abschnitt A.) fett durch die Häresiologen sinngemäß bzw. mit denselben Wörtern bezeugt, aber nicht in exakt derselben Form (im rekonstruierten Text und bei den Tertulliantestimonien im Abschnitt A.) normal durch die Häresiologen unbezeugt, aber vermutlich vorhanden ¿kursiv? unbezeugt, ein Urteil ist nicht möglich { } für *Ev bezeugt (oder sehr wahrscheinlich), aber nicht in Lk enthalten [ petit ] unbezeugt, wahrscheinlich in *Ev nicht vorhanden petit durch die Häresiologen als fehlend bezeugt; in *Ev sicher nicht vorhanden ↑ ↓ unterschiedliche Stellung in *Ev bzw. in Lk † † für *Ev durch die Häresiologen widersprüchlich bezeugt: Abweichungen der *Ev-Referate von Tertullian, Epiphanius und Adamantius || ist parallel zu (Zeichen für synoptische Parallelen) Einführung 531 ≠ entspricht nicht, hat eine andere Formulierung. Vor allem bei synoptischen Parallelen sowie den (mt-lk) »Minor Agreements« ~ Geringfügige Umstellung  entspricht in etwa. Vor allem bei synoptischen Parallelen sowie den (mt-lk) »Minor Agreements« ÷ fehlt, hat keine Entsprechung. Vor allem bei synoptischen Parallelen sowie den (mt-lk) »Minor Agreements« ♦ trennt die Bezeugung einzelner Verse (im Testimonienabschnitt A.) ¦ trennt mehrere Zeugen zu einem Vers (im Testimonienabschnitt A.) ● trennt (im Textkritikabschnitt B.) einzelne Lesarten innerhalb einer Perikope. (Diese Verwendung unterscheidet sich also vom App. von NA 27 ) M steht für »Mehrheitstext« und bezeichnet in Abschnitt B. (Textkritik) alle weiteren (nicht einzeln aufgeführten) handschriftlichen Zeugen des kanonischen Textes. M hat also eine rein statistische, aber keine textgeschichtlich-erklärende Funktion (und ist deshalb auch nicht mit dem »Byzantinischen Text« identisch). 3. Literatur In Anbetracht der grundsätzlich neuen Ausrichtung der folgenden Rekonstruktion des Textbestandes von *Ev ist es nicht sinnvoll, an allen Stellen Abweichungen und Übereinstimmungen mit anderen Rekonstruktionsvorschlägen zu verzeichnen. Vor allem sind die unterschiedlichen Begründungen für die stark divergierenden Vorschläge aus der Debatte der 1850-er Jahre nicht im Einzelnen aufgeführt: Dafür liegen die methodischen Prämissen viel zu weit auseinander. Von den späteren Rekonstruktionen sind nur folgende gelegentlich erwähnt: B E D UHN , J., The First New Testament. Marcion’s Scriptural Canon, Salem (OR), 2013 H ARNACK , A. VON , Marcion. Das Evangelium vom fremden Gott. Eine Monographie zur Geschichte der Grundlegung der katholischen Kirche. Neue Studien zu Marcion (TU 45), Leipzig 2 1924: Beilage IV, 176*-254* R OTH , D. T., The Text of Marcion’s Gospel (NTTSD 49), Leiden - Boston 2015 T SUTSUI , K., Das Evangelium Marcions. Ein neuer Versuch der Textrekonstruktion, AJBI 18 (1992), 67-132 Z AHN , T H ., Geschichte des neutestamentlichen Kanons I/ II, Erlangen - Leipzig 1889/ 1892 Diese Titel werden jeweils nur mit Vf.-Namen und Seitenzahl zitiert (z. B. H ARNACK 204*). Die Auswahl ist an der forschungsgeschichtlichen Wirkung orientiert, und das heißt in erster Linie an Harnacks Rekonstruktion. Zahns ältere Rekonstruktion findet gelegentlich Erwähnung, weil sie eine wesentliche Vorstufe von Harnacks Arbeit darstellt: Harnack hatte in großem Umfang auf Zahn zurückgegriffen und 532 Anhang I ihm - trotz aller anderen Unterschiede, die sie trennten - in der Rekonstruktion des marcionitischen Evangeliums insgesamt ein »genügend« attestiert. 1 Mit Tsutsuis Rekonstruktion liegt ein neuerer Versuch vor, der in dem vorsichtigen Abrücken von Harnack charakteristisch für die neuere Marcion-Forschung ist. Aus Gründen, die im Nachwort genauer erläutert sind, wird auf die neueren Rekonstruktionen von BeDuhn und Roth nur sehr gelegentlich hingewiesen. Ebenfalls abgekürzt zitiert werden die folgenden Standardwerke zu den »Minor Agreements«: E NNULAT , A., Die »minor agreements«. Untersuchungen zu einer offenen Frage des synoptischen Problems, Tübingen 1994 = E NNULAT , Minor Agreements N EIRYNCK , F R . (ed.), The Minor Agreements of Matthew and Lk Against Mk with a Cumulative List, Leuven 1974 = N EIRYNCK , Minor Agreements (1974) N EIRYNCK , F R ., The Minor Agreements in a Horizontal-Line Synopsis, Leuven 1991 = Neirynck, Minor Agreements (1991) Kommentare zu biblischen Schriften werden nur mit dem Namen des Vf. und der Abkürzung der kommentierten Schrift zitiert (z. B. W OLTER , Lk). Die vollständigen Angaben finden sich im Literaturverzeichnis. ______________________________ 1 H ARNACK 178* (vgl. 249*). Rekonstruktion *Titel Bezeugt. Als superscriptio wahrscheinlich, möglicherweise auch als subscriptio. ΕΥΑΓΓΕΛΙΟΝ A. *Titel: Tert. 4,2,1: Transeo nunc ad evangelii, sane non Iudaici sed Pontici, interim adulterati demonstrationem, praestructuram ordinem quem aggredimur. ¦ 4,2,3f: Contra Marcion evangelio, scilicet suo, nullum adscribit auctorem, quasi non licuerit illi titulum quoque affingere, cui nefas non fuit ipsum corpus evertere […] (4) Porro Lucas non apostolus sed apostolicus, non magister sed discipulus, utique magistro minor, certe tanto posterior quanto posterioris apostoli sectator, Pauli sine dubio, ut et si sub ipsius Pauli nomine evangelium Marcion intulisset, non sufficeret ad fidem singularitas instrumenti destituta patrocinio antecessorum. ¦ Tert. 4,43,7: Et Marcion quaedam contraria sibi illa, credo industria, eradere de evangelio suo noluit, ut ex his quae eradere potuit nec erasit, illa quae erasit aut negetur erasisse aut merito erasisse dicatur. ¦ Adam. 1,8 (808d/ e): »(Megethius) Ich werde dir zeigen, dass es (nur) ein Evangelium gibt! - (Adamantius) Wer ist es, der dieses Evangelium geschrieben hat, von dem du sagst, dass es (nur) eines ist? - (Meg.) Christus. - (Ad.) Der Herr selbst hat geschrieben, dass er gekreuzigt wurde und am dritten Tag auferstand? Solches schreibt er? - (Meg.) Der Apostel Paulus hat das hinzugefügt.« ¦ Epiph. 42,10,2 (H OLL 106,10ff): (Ich habe) »die Bücher des zuvor Erwähnten […] 1 selbst zur Hand genommen, nämlich das von ihm so genannte ›Evangelium‹ (τό τε παρ’ αὐτῷ λεγόμενον εὐαγγέλιον) und das bei ihm ›Apostolikon‹ geheißene Buch.« ¦ Ibn an-Nadīm, Fihrist (F LÜGEL 160): »Marcion verfasste ein Buch, welches er ›Evangelium‹ nannte«. C. *Ev trug mit großer Sicherheit den einfachen Titel »Evangelium«. Da sich keine Handschriften erhalten haben, ist unklar, ob dieser Titel dem Text als superscriptio oder als subscriptio beigegeben war. Aus Gründen der Einfachheit und wegen der Analogien in den kanonischen Evangelienhandschriften ist der Titel hier (nur) als superscriptio angenommen. 1. Die deutlichsten Belege für den Titel »Evangelium« finden sich in den Zeugnissen des Epiphanius und im Kitab al-Fihrist des Ibn an-Nadīm aus dem 10. Jh.: Sie belegen den Titel direkt. Auch Tertullian referiert auf *Ev als auf »sein Evangelium« oder erwähnt nur einfach, »das Evangelium«, wenn er auf *Ev verweist. 2. Darüber hinaus zeigen die häresiologischen Diskussionen um die Autorschaft, dass dieser Titel nicht weiter durch einen Urheber oder durch einen Verfasser gekennzeichnet war. Diese Argumentationen setzen erkennbar die kanonischen Evangelientitel mit der Angabe der Gewährsleute voraus 2 und vermissen eine entsprechende ______________________________ 1 Der Relativsatz ἃς κέκτηται ist möglicherweise ganz zu emendieren, vgl. U. B. S CHMID , Marcion und sein Apostolos, Berlin - New York 1995, 151 Anm. 4 (vgl. dazu o. Bd. I, § 3, S. 52 Anm. 59). 2 Zu den Evangelientiteln in der kanonischen Handschriftenüberlieferung vgl. D. T ROBISCH , Die Endredaktion des Neuen Testaments, Fribourg - Göttingen 1996, 59 Anm. 154; M. H ENGEL , Die 534 Anhang I Titel Spezifizierung: Sie werten das Fehlen als Makel. Insbesondere Adamantius hat dieses Element dadurch aufgegriffen, dass er den Marcioniten Megethius behaupten lässt, der Verfasser des Evangeliums sei »Christus«. Diese Behauptung wird dann von Adamantius ad absurdum geführt, weil der Verfasser dieses Evangeliums ja kaum von seinem eigenen Tod und seiner Auferstehung berichtet haben könne. Auf diese Weise zwingt er Megethius zu dem Eingeständnis, dass »der Apostel Paulus« diese Passagen nachgetragen habe. Das ist natürlich der Überzeugungskraft seiner Position nicht gerade förderlich. Auch wenn diese Argumentation fiktiv ist, zeigt sie zweierlei: *Ev enthielt keine Verfasserangabe. Die häresiologischen Autoren haben diesen Umstand als Argument gegen Marcion und die Ursprünglichkeit seines Evangeliums ins Feld geführt. 3 Allerdings war eine solche Verfasserangabe überhaupt nur denkbar, wenn es einen Titel »Evangelium« gab. Adamantius’ literarischer Darstellung zu Folge ist der Marcionit Megethius seinem Gesprächspartner auf den Leim gegangen, wenn er »Christus« als den entscheidenden Inhalt des Textes mit seinem Urheber verwechselt. Diese Verwechslung setzt die etwa aus der Formulierung Mk 1,1 εὐαγγέλιον Ἰησοῦ Χριστοῦ bekannte unscharfe Bestimmung dieses Syntagmas voraus, bei der nicht unmittelbar ersichtlich ist, ob Ἰησοῦ Χριστοῦ ein Gen. subj. oder ein Gen. obj. ist. 3. Für die Überlieferungsgeschichte ist dieser Befund aufschlussreich, weil er zeigt, dass nicht Mk der »Erfinder« des Titels »Evangelium« ist. Mk 1,1 (oder genauer: schon die vorkanonische Formulierung *Mk 1,1) hat diesen Titel und seine semantische Ambiguität aus *Ev rezipiert. Aber die bei *Ev eher zufällige Zweideutigkeit, ob nämlich Jesus Christus eher Inhalt oder eher Verkündiger des »Evangeliums« sei, ist bei Mk zu einem theologischen Programm ausgebaut, wie die Rahmung der Eingangssequenz Mk 1,1-15 durch den Begriff zeigt. 1,1-2,52: Prolog. Geburtsgeschichten des Täufers und Jesu Zweifelsfrei als fehlend bezeugt: Nicht in *Ev vorhanden, erst durch die lk Redaktion eingefügt. A. 1,1-2,52 : Irenaeus, Haer. 1,27,2: »Und außerdem schnitt er (sc. Marcion) am Lukasevangelium herum und ließ alles weg, was darin über die Abstammung des Herrn steht (omnia quae sunt de generatione domini conscripta auferens).« ¦ Hippolyt, Refut. 7,31,5 (s. gleich zu *3,1a; ______________________________ Evangelienüberschriften, Heidelberg 1984. Die am häufigsten bezeugte Form ist der lange Titel εὐαγγέλιον κατὰ Μαθθαῖον usw. Im Sinaiticus ( א ) und im Vaticanus (B) sind die Titel erst von zweiter Hand nachgetragen, und zwar in א in der superscriptio in der langen, in der subscriptio dagegen in der kurzen Form (κατὰ Μαθθαῖον); die subscriptio fehlt in א zu Mt. Drei alte Papyri haben (Reste der) langen Titel: P 66 für Joh; P 75 für Lk und Joh; P 64 für Mt. 3 S. dazu o. Bd. I, S. 35f. 1,1-2,52 Rekonstruktion 535 *4,31-37) ¦ Origenes, In epist. Tit. (L OMMATZSCH 286): »quique neque de virgine natum fatentur, sed triginta annorum virum apparuisse in Iudaea.« ¦ Epiph. 42,11,4-6: »(4) Denn gleich am Anfang hat er (sc. Marcion) die ganze Abhandlung bei Lukas am Anfang weg geschnitten, also da, wo es heißt ›Nachdem es viele unternommen hatten‹ sowie das über Elisabeth; über die Verkündigung des Engels an die Jungfrau Maria; über Johannes und Zacharias; über die Geburt in Bethlehem, die Genealogie und den Gegenstand der Taufe. (5) Dies alles schnitt er weg und überging es (ταῦτα πάντα περικόψας ἀπεπήδησεν) und stellte folgendes an den Anfang des Evangeliums: ›Im fünfzehnten Jahr des Tiberius Caesar‹ und so weiter. (6) Von da an also beginnt er, aber er bleibt wieder nicht bei der Reihenfolge (ἐντεῦθεν οὖν οὗτος ἄρχεται καὶ οὐ καθ’ εἱρμὸν πάλιν ἐπιμένει). Vielmehr schneidet er, wie gesagt, manches weg, anderes stellt er kopfüber um (τὰ μὲν ὡς προεῖπον παρακόπτει, τὰ δὲ προστίθησιν ἄνω κάτω) und schreitet nicht in der gewohnten Ordnung fort (οὐκ ὀρθῶς βαδίζων), sondern schweift überall leichtsinnig umher.« ¦ Hieronymus, Ctr. Ioh. Hier. 34 (CCL 79A, 66): »numquid iuxta Marcionem dicere possumus quod et nativitas eius in phantasmate fuerit, quia contra naturam qui tenebatur elapsus est.« C. Lk 1f haben zweifellos in *Ev gefehlt, wie die genauen Auslassungsnotizen bei Irenaeus, Hippolyt, Epiphanius und Hieronymus zeigen. *3,1 ist als Beginn von *Ev außer von Epiphanius noch von anderen Quellen bezeugt (s. gleich zu *3,1a; *4,31-37). *3,1a ↑ 4,31-35 ↓ 36f: Datierung. Exorzismus in der Synagoge von Kapharnaum Der Anfang von *Ev ist zweifelsfrei bezeugt, auch wenn der genaue Wortlaut von *3,1a unklar bleibt. Umfangreiche Erweiterungen und Umstellungen durch die lk Redaktion. 3,1 Ἐν ἔτει δὲ πεντεκαιδεκάτῳ τῆς ἡγεμονίας Τιβερίου Καίσαρος [ ἡγεμονεύοντος Ποντίου Πιλάτου τῆς Ἰουδαίας ] καὶ τετρααρχοῦντος τῆς Γαλιλαίας Ἡρῴδου, Φιλίππου δὲ τοῦ ἀδελϕοῦ αὐτοῦ τετρααρχοῦντος τῆς Ἰτουραίας καὶ Τραχωνίτιδος χώρας, καὶ Λυσανίου τῆς Ἀβιληνῆς τετρααρχοῦντος 4,31 [ καὶ ] {ὁ Ἰησοῦς} κατῆλθεν εἰς a Καϕαρναοὺμ πόλιν τῆς Γαλιλαίας b {τὴν παραθαλάσσιον ἐν ὁρίοις Ζαβουλὼν καὶ Νεϕθαλίμ·} b καὶ ἦν διδάσκων αὐτοὺς ἐν τοῖς σάββασιν· 32 καὶ c {πάντες} ἐξεπλήσσοντο ἐπὶ τῇ διδαχῇ αὐτοῦ, ὅτι ἐν ἐξουσίᾳ ἦν ὁ λόγος αὐτοῦ. 33 καὶ ἐν τῇ συναγωγῇ ἦν ἄνθρωπος ἔχων d πνεῦμα δαιμόνιον ἀκάθαρτον d , καὶ ἀνέκραξεν ϕωνῇ μεγάλῃ, 34 e ῎Εα τί ἡμῖν καὶ σοί f {ἐστιν}, Ἰησοῦ Ναζαρηνέ; ἦλθες ἀπολέσαι ἡμᾶς; οἶδά g σε τίς εἶ, ὁ ἅγιος τοῦ θεοῦ. 35 καὶ ἐπετίμησεν αὐτῷ ὁ Ἰησοῦς λέγων, Φιμώθητι καὶ ἔξελθε ἀπ’ αὐτοῦ. καὶ ῥίψαν αὐτὸν τὸ δαιμόνιον εἰς τὸ μέσον h ἀνακραυγάσαν τε h ἐξῆλθεν ἀπ’ αὐτοῦ μηδὲν βλάψαν αὐτόν. 36 καὶ ἐγένετο θάμβος i μέγας ἐπὶ πάντας, καὶ συνελάλουν πρὸς ἀλλήλους λέγοντες, Τίς ὁ λόγος οὗτος, ὅτι ἐν ἐξουσίᾳ καὶ δυνάμει ἐπιτάσσει τοῖς ἀκαθάρτοις 536 Anhang I 3,1a; 4,31-37 πνεύμασιν, καὶ ἐξέρχονται; 37 καὶ k ἐξῆλθεν ἡ ἀκοὴ i περὶ αὐτοῦ εἰς πάντα τόπον τῆς περιχώρου. A. *3,1: Epiph. 42,11,5: (… ταῦτα πάντα περικόψας ἀπεπήδησεν) καὶ ἀρχὴν τοῦ εὐαγγελίου ἔταξε ταύτην Ἐν τῷ πεντεκαιδεκάτῳ ἔτει Τιβερίου Καίσαρος καὶ τὰ ἑξῆς. ¦ Tert. 1,15,1: »Aber wie geschieht es nun, dass der Herr im 15. Jahr des Tiberius Cäsar offenbart wurde, von diesem Sachverhalt bis zum 15. Jahr des Kaisers Severus 1 aber überhaupt nichts bekannt wurde (at nunc quale est ut dominus anno xv Tiberii Caesaris revelatus sit, substantia vero anno xv iam Severi imperatoris nulla omnino comperta sit)? « ¦ Tert. 1,19,2: »Im 15. Jahr des Tiberius ist Christus Jesus gewürdigt worden, vom Himmel herabzuströmen, ein heilschaffender Geist (anno xv Tiberii Christus Iesus de caelo manare dignatus est, spiritus salutaris). In welchem Jahr des älteren Antoninus der Pestgestank von Marcions Heil, der dieser Ansicht war, von seinem Pontus her ausgeatmet wurde, habe ich zu untersuchen mir die Mühe geschenkt.« ¦ Adam., Dial. 2,3 (823b): (Ad.) πότε κατῆλθε σῶσαι τοὺς ἀνθρώπους; (Mark.) καθὼς περιέχει τὸ εὐαγγέλιον ὅτι ἐπὶ Τιβερίου Καίσαρος, ἐπὶ τῶν χρόνων Πιλάτου. ¦ Adam., Dial. 2,19 (869a): ἐπὶ Τιβερίου κατελθὼν ἐϕάνη ἐν Καϕαρναούμ. ¦ Hippolyt, Refut. 7,31,5 (GCS 26, 217): »… Marcion lehnte die Geburt unseres Heilands ganz und gar ab; er hielt es für widersinnig, dass der Logos, der die Liebe - also: das Gute - unterstützen soll, als Gebilde des verderblichsten Streits entstanden sein sollte. Vielmehr sei er ohne Geburt (χωρὶς γενέσεως) im 15. Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius von oben herabgekommen (κατεληλυθότα αὐτὸν ἄνωθεν) - als Mitte zwischen dem Guten und dem Schlechten -, um in den Synagogen zu lehren.« ♦ *4,31: Tert. 4,7,1f: »Er (= Marcion) behauptet, dass dieser (= Jesus) im 15. Jahr des Tiberianischen Prinzipats in die galiläische Stadt Kapharnaum herabgekommen sei wie aus dem Himmel des Schöpfers, in den er zuvor aus seinem eigenen Himmel herabgekommen war (anno quintodecimo principatus Tiberiani proponit eum descendisse in civitatem Galilaeae Capharnaum, utique de caelo creatoris, in quod de suo ante descenderat). Wäre es da nicht an der Reihe gewesen, dass zuvor beschrieben wird, wie er aus seinem Himmel in den des Schöpfers herabgekommen ist? Denn warum sollte ich dieses nicht tadeln, was die Treue gegenüber einer ordentlichen Erzählung nicht erfüllt, sondern immer in Lüge abgleitet? Was ich schon an anderer Stelle ausgeführt habe, sei noch einmal in aller Deutlichkeit gesagt: Ob er denn, als er durch den (Himmel des) Schöpfer(s) herabkam - und zwar in Gegensatz zu ihm! - von diesem die Erlaubnis dazu erhalten und in gleicher Weise von dort auf die Erde hinübergeschickt werden konnte? (2) Jetzt aber verlange ich, wenn ich einmal davon ausgehe, dass er herabgestiegen sei, auch die übrige Reihenfolge seines Abstiegs zu wissen. Denn es macht keinen Unterschied, ob irgendwo das Wort ›erscheinen‹ benutzt wurde. Das Wort ›erscheinen‹ (apparere) deutet das plötzliche und unerwartete Sichtbarwerden an, wenn jemand einmal die Augen auf etwas richtet, das unverzüglich erscheint. Das Herabkommen aber kann man sehen, während es geschieht, und es zieht die Augen auf sich. Aus diesem Umstand ergibt sich eine Reihenfolge (ordo) und nötigt folglich danach zu fragen, mit welchem Aussehen, in welcher Anordnung, mit wie viel Drang oder Mäßigung, auch, zu welcher Tages- oder Nachtzeit er denn herabgekommen sei. Außerdem: Wer ihn denn herabkommen sah, wer es berichtet hat, wer diesen Sachverhalt bestätigt hat, der ja nicht einmal für den einfach zu glauben ist, der ihn bestätigen kann.« ¦ Tert. 4,7,4f: »Denn Marcion hat dies (sc. Mt 5,17) als Interpolation gestrichen (erasisse). (5) Aber vergeblich wird er leugnen, dass Christus etwas (mit Worten) gesagt habe, was er sogleich teilweise ______________________________ 1 Das 15. Jahr der Herrschaft des Sept. Severus ist 207 n. Chr., also das Jahr der Abfassung von Adv. Marc. 3,1a; 4,31-37 Rekonstruktion 537 tut. Denn inzwischen erfüllt er die Prophezeiung (sc. Jes 9,1f LXX) in Bezug auf den Ort: Vom Himmel sogleich in die Synagoge (de caelo statim ad synagogam). ♦ *4,31b.32: Tert. 4,7,5-7: de caelo statim ad synagogam … (6) ecce venit in synagogam; certe ad oves perditas domus Israelis. Ecce doctrinae suae panem prioribus offert Israelitis; certe ut filios praefert … (7) … Sed etsi passim synagoga adiretur, non tamen ad docendum nisi ab optime cognito et explorato et probato, iam pridem in hoc ipsum vel aliunde commendato cum hoc munere. Stupebant autem omnes ad doctrinam eius. ♦ *4,33f: Tert. 4,7,9: Atque ita aut eius erit agnoscendus secundum quem docuit, aut praevaricator iudicandus si secundum eum adversus quem venerat docuit. Exclamat ibidem spiritus daemonis, Quid nobis et tibi est Iesu? venisti perdere nos: scio qui sis, sanctus dei. ¦ Tert. 5,6,7: spiritus nequam sciebat eum sanctum dei esse et Iesum vocari et in perditionem eorum venisse. ♦ *4,35: Tert. 4,7,13: Ut Iesum et a daemone non alium doceamus agnitum et a semetipso non alium confirmatum quam creatoris. Atquin, inquis, increpuit illum Iesus. B. a (4,31) καϕαρναουμ: Tert Adam P 4 א B D W 33 372 aur b c d e f ſſ 2 g 2 gat l r 1 vg Tat pers sa bo armen georg; καϕερναουμ: X ¦ καπερναουμ: A C L Θ (Ψ) 0102 f 1.13 q M ● b (4,31) την παραθαλασσιον εν οριοις Ζαβουλων και Νεϕθαλιμ: D d (vgl. Mt 4,13) ¦ om it M (*Ev non test.) ● c (4,32) παντες/ omnes: add Tert r 1 sy h sa ¦ παντες/ omnes: om a aur b c d e f ſſ 2 l q M ● d (4,33) πνευμα δαιμονιον ακαθαρτον: D 579 Tat arab(1 ms) ; δαιμονιον ακαθαρτον: a b d e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg ¦ δαιμονιου ακαθαρτου: M (*Ev non test.) ● e (4,34) εα: om Tert D 33 2766 c a aur b c d e f ſſ 2 g 1 l q r 1 vg mss sy s sa bo ¦ add M it ● f (4,34) εστιν/ est: add Tert a c r 1 ¦ om aur b d e f ſſ 2 l q M ● g (4,34) σε/ te: om Tert 1654 r 1 August (Serm. 53,11; PL 38, 369) Hilar (Ps. 67,19; CSEL 22, 294) Quodvultdeus (Promiss. 3,1; SC 102, 500) ¦ add a aur b c d e f ſſ 2 i l q M ● h (4,35) ανακραυγασαν τε: D d; και κραξαν: 903 c ¦ om it M (*Ev non test.) ● i (4,36) μεγας: D b d r 1 g 1 gat sy p Tat arab.pers bo mss ¦ om a aur c e f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● k (4,37) εξηλθεν η ακοη: D d ¦ εξεπορευετο ηχος: it M (*Ev non test.). C. Der Anfang von *Ev ist von allen Zeugen sehr genau beschrieben und gut bezeugt. Die folgenden Beobachtungen sind wichtig: 1. Alle Zeugen stimmen darin überein, dass *Ev mit der Datierung *3,1a einsetzte. Das heißt zunächst, dass der gesamte Stoff von Lk 1f komplett fehlte. Epiphanius führt dies sehr genau aus und zählt die bei *Ev fehlenden Perikopen im Einzelnen exakt auf (42,11,4-6, vgl. o. bei 1,1-2,52). Aber auch die anderen Zeugen belegen diesen Anfang. 2. Unklar ist der Wortlaut der Datierung in *3,1a. Tertullians Referate dieses Verses im ersten Buch (1,15,1; 1,19,2) nennen nur das 15. Jahr des Kaisers Tiberius. Dass damit das 15. Jahr der Herrschaft des Tiberius gemeint ist, ist so eindeutig, dass Tertullian es an diesen beiden Stellen aus Buch 1 ebenso wenig ausführen musste wie Epiphanius und Hippolyt. Diese Datierungen sind demnach als abkürzende Hinweise auf die genauere, dem kanonischen Wortlaut entsprechende Formulierung ἐν ἔτει δὲ πεντεκαιδεκάτῳ τ ῆ ς ἡ γ ε μ ο ν ί α ς Τιβερίου Καίσαρος zu 538 Anhang I 3,1a; 4,31-37 verstehen, die Tertullian im Zusammenhang seiner Behandlung von *Ev korrekt referiert. 2 Unklar ist außerdem, ob (die Statthalterschaft des) Pilatus noch Teil der Datierung *3,1 war: Lediglich Adam. erwähnt sie (2,3), außerdem Irenaeus in einer sehr allgemeinen Referenz. 3 Die Schwierigkeiten, die diese beiden Zeugnisse jeweils aufwerfen, lassen es geraten erscheinen, die Erwähnung des Pilatus auf einen Einfluss des kanonischen Textes zurückzuführen. Falls Pilatus doch erwähnt war, dann fehlt dieser Referenz höchstwahrscheinlich das (von Irenaeus erwähnte) Nomen gentile »Pontius«: Der Gentilname Pontius findet sich in der Kanonischen Ausgabe des NT nur in solchen Texten, die mit allergrößter Wahrscheinlichkeit erst auf der Ebene der Endredaktion entstanden. 4 Demnach geht der sechsfache Synchronismus Lk 3,1f auf die lk Redaktion zurück, die Datierung in *Ev enthielt mit großer Wahrscheinlichkeit nur das »15. Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius«. 3. Diese Datierung in *3,1a bezog sich auf den Beginn der Wirksamkeit Jesu in Kapharnaum (*4,31ff). Unklar ist dabei, auf welche Weise Jesus in die Erzählung von *Ev eingeführt wurde und welches Verb hier zu substituieren ist. Tertullian referiert den Anfang von *Ev an verschiedenen Stellen unterschiedlich: Der Beginn seines fortlaufenden Referats in 4,7,1f sagt nur, dass Jesus »herabgekommen« sei und deutet dieses Herabkommen als eine Erscheinung vom Himmel her. Dieses Verständnis des Herabkommens im Sinn einer Offenbarung zeigt sich dann auch in den weniger genauen Referaten in 1,151 (revelatus est) bzw. 1,19,2 (de caelo manare dignatus est). Ganz analog dazu erwähnt Adamantius einmal nur ein unbestimmtes »Herabkommen«, 5 versteht dies aber ein Stück weiter als Erscheinung. 6 Hippolyt wiederum erwähnt, dass Jesus »von oben herabgekommen« sei. 7 Die strittige Frage ist demnach, ob die Einführung Jesu in die *Ev-Erzählung nur sein Herabkommen erwähnte, oder ob schon *Ev eine offenbarungstheologische Interpretation - also sein Erscheinen vom Himmel her - enthielt. Tertullians ausführliche Diskussion der Bedeutung des Wortes apparere (4,7,2) scheint auf den ersten Blick letzteres nahezulegen und berührt sich mit ϕαίνεσθαι bei Adamantius (2,19). Aber tatsächlich ist der Hinweis auf das Herabkommen vom Himmel nicht Teil des referierten *Ev-Textes, sondern Tertullians eigene Interpretation (4,7,1: u t i q u e de caelo creatoris, in quod de suo ante descenderat), die es ihm erlaubt, nach dem Verhältnis zwischen den Himmeln des Gottes Jesu und des Schöpfers zu fragen. Dazu passt die Unbestimmtheit, mit der Tertullian auf das »Erscheinen« verweist: »Wo immer (sicubi)« davon die Rede sei, dass Jesus erschienen (apparuisse) sei (4,7,2), impliziert, dass Tertullian an dieser ______________________________ 2 Tert. 4,7,1: anno quintodecimo p r i n c i p a t u s Tiberiani. 3 Iren., Haer. 1,27,2: temporibus Pontii Pilati praesidis, qui fuit procurator Tiberii Caesaris. 4 Pontius (Pilatus) außer in Lk 3,1 nur in Act 4,27 und 1Tim 6,13. 5 Adam. 2,3 [823b]: κατῆλθε σῶσαι τοὺς ἀνθρώπους … 6 Adam. 2,19 [869a]: κατελθὼν ἐϕάνη ἐν Καϕαρναούμ. 7 Hippolyt, Refut. 7,31,5: κατεληλυθότα αὐτὸν ἄνωθεν. 3,1a; 4,31-37 Rekonstruktion 539 Stelle keine explizite Erwähnung des »Erscheinens« fand, und dementsprechend richtet sich seine Argumentation ausschließlich auf das »Herabkommen«. Tertullian scheint also die Deutung des Herabkommens Jesu auf sein Erscheinen vom Himmel her gekannt zu haben. Der Umstand, dass auch Adamantius und Hippolyt in ihren *Ev- Referaten einen entsprechenden Sinn substituieren, deutet nur darauf hin, dass es sich hier um eine verbreitete Interpretation der marcionitischen Theologie (aber nicht notwendigerweise um ein Element seines Textes) handelt. Das heißt: Die offenbarungstheologische Interpretation des »Herabkommens« Jesu war mit größter Wahrscheinlichkeit nicht Bestandteil von *Ev. Es ist noch nicht einmal gesichert, dass *Ev ein »Herabkommen von oben (κατέρχεσθαι ἄ ν ω θ ε ν )« erwähnte. Ob *Ev davon ausging, dass Jesus vom Himmel oder von Jerusalem oder nur von den galiläischen Hügeln zum See Genezareth »herabgekommen« sei, bleibt daher offen; die letzte Möglichkeit ist allerdings die wahrscheinlichste: Das galiläische Nazareth (nach *4,16: Nazara) ist die Heimatstadt Jesu (*4,23). Für *4,31 sind zwei »Minor Agreements« zu notieren, die diese Rekonstruktion stützen: (1) κατῆλθεν Lk 4,31 || ἐλθών Mt 4,13 ≠ εἰσπορεύονται Mk 1,21. - (2) [πόλιν] τῆς Γαλιλαίας Lk 4,31 || Γαλιλαία [τῶν ἐθνῶν] Mt 4,15 ÷ Mk 1,21. Auch wenn die »Minor Agreements« auf verschiedene Weise zustande kommen können, legt die Bezeugung für κατέρχεσθαι/ descendere in *Ev nahe, dass das mt ἐλθών auf *Ev (und nicht auf Mk) zurückgeht. Wenn *3,1a und *4,31 in *Ev direkt miteinander verbunden waren, ist auch klar, dass das einleitende καί erst auf die lk Redaktion zurückgeht. In jedem Fall ist es notwendig, dass der Text ein nominales Subjekt enthalten haben musste. Aus Mk 1,14 ist zu erschließen, dass es vermutlich einfach ὁ Ἰησοῦς lautete, wie Lk es in 4,14a ebenfalls substituierte. Die Diskussionen des Anfangs von *Ev bei den Häresiologen enthalten deren eigene Formulierungen und geben keinen Hinweis auf *Ev. 8 4. Es spricht einiges dafür, dass die ursprüngliche Exposition das Ziel des »Herabkommens« Jesu anders bezeichnete, als dies in der kanonischen Fassung Lk 4,31 der Fall ist. Denn der D-Text hat eine Variante bewahrt, die alle Anzeichen der Ursprünglichkeit gegenüber dem Mehrheitstext trägt: Καὶ κατῆλθεν εἰς Καϕαρναοὺμ πόλιν τῆς Γαλιλαίας τὴν παραθαλάσσιον ἐν ὁρίοις Ζαβουλὼν καὶ Νεϕθαλίμ (*4,31 D). Der Hinweis, dass Kapharnaum »am Meer in den Bergen Sebulon und Naphatali« liegt, findet sich auch in Mt 4,13. Aus diesem Grund wird der D-Text in aller Regel als sekundäre Angleichung des Lkan den Mt-Text gewertet. 9 Allerdings ist hier (wie an vielen anderen Stellen) eine sekundäre Angleichung unter Einfluss der synoptischen Parallele äußerst unwahrscheinlich. ______________________________ 8 Vgl. Tert. 1,15,1: dominus; 1,19,2: Christus Iesus; Hippolyt, Refut. 7,31,5: (σωτήρ); λόγος. Die Hinweise bei Adam., Dial. 2,3 (823b) bzw. 2,19 (869a) enthalten kein nominales Subjekt. 9 So verstehen es die Herausgeber von von NA 27 , die im Apparat das Sigel p) zu der Variante setzen. 540 Anhang I 3,1a; 4,31-37 Denn Mt hat die Perikope von der Heilung des Gelähmten in Kapharnaum Lk 4,(31f)33-37 || Mk 1,23-28 nicht übernommen. Man müsste daher nicht nur annehmen, dass der Schreiber von D (oder seiner Vorlage) den ihm vorliegenden Bibeltext eigenständig geändert hätte, sondern dass er eine solche Angleichung auch vorgenommen hätte, ohne dass eine wirkliche Parallele vorliegt. Ein solcher Eingriff wäre kein Schreiberversehen, sondern eine gezielte, inhaltsverändernde Redaktion. Eine solcher redaktioneller Eingriff liegt in der Tat vor, aber er hat die Apposition nicht ergänzt, sondern (in Lk) gestrichen: Die Angabe war in *Ev enthalten und wurde von Mt 4,13 übernommen, nicht aber von Lk. Dies wird daran deutlich, dass Mt den Beginn der öffentlichen Tätigkeit Jesu in enger Anlehnung an *Ev gestaltet hat: Mt 4,12 ist von Mt neu gebildet worden, um von der Taufe und der Versuchung Jesu (Mt 3,1-4,11) zu der Schilderung des Beginns seiner öffentlichen Tätigkeit überzuleiten. Drei Besonderheiten machen die gemeinsame Abhängigkeit von Mt 4,13 und Lk 4,16.31 von *4,31 deutlich: Die eigenartige und singuläre Schreibweise Ναζαρά (Mt 4,13 || *4,16; s. dort), die auffällige, aber durchgehende Schreibweise Καϕαρναύμ anstelle des durch die Lutherübersetzung vertrauten Καπερναύμ, sowie das Attribut τὴν παραθαλάσσιον/ παραθαλασσίαν ἐν ὁρίοις Ζαβουλὼν καὶ Νεϕθαλίμ (Mt 4,13 || *4,31 D). Der Wechsel zwischen Καϕαρναούμ und Καπερναούμ erfordert eine Erklärung. Die Schreibweise ist in den Handschriften aller vier Evangelien durchgängig uneinheitlich. In den Belegen aus Lk stellt sich die Verteilung folgendermaßen dar: Lk 4,23 Καϕαρναουμ: א B D N* W X Ψ 33 372 a aur b c d e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg sa bo armen got ¦ Καπερναουμ: q M (*Ev non test.). - Lk 4,31 Καϕαρναουμ: Tert Adam P 4 א B D W 33 372 a aur b c d e f ſſ 2 g 1 gat l r 1 vg Tat pers sa bo armen georg Orig ¦ Καπερναουμ: A C L Θ (Ψ) 0102 f 1.13 q M . - Lk 7,1 Καϕαρναουμ: P 75 א B C* D W X Ξ 33 372 700 1241 a aur b c d e f ſſ 2 g 1 gat l r 1 vg ¦ Καπερναουμ: q M (*Ev non test.). - Lk 10,15 Καϕαρναoυμ: P 45.75 א B C D R Ξ 33 372 700 1241 a aur b c d e f g 1 gat i l r 1 vg armen ¦ Καπερναουμ: q M (*Ev non test.). Diese Verteilung ist eindeutig: Neben dem Zeugnis für *Ev (das allerdings nur zu *4,31 vorliegt) sind es vor allem die Altlateiner und einige wenige, meist ältere Zeugen, die Καϕαρναούμ bieten. Dagegen ist die Form Καπερναουμ neben einer großen Zahl älterer Handschriften durch die komplette Koine-Überlieferung belegt. Diese Namensform wurde durch die Vermittlung des Textus Receptus, der ja ganz überwiegend auf den Koine-Handschriften beruht, von den frühen modernen Übersetzungen übernommen (Luther, Tyndale, King James usw.). Die kritischen Ausgaben haben dagegen aus den »älteren« Handschriften die Form Καϕαρναουμ übernommen, und die meisten jüngeren Übersetzungen sind ihnen darin gefolgt. Das textkritische Problem scheint so offensichtlich zu sein, dass die meisten Kommentare sich nicht veranlasst sehen, es wenigstens zu diskutieren. 10 Sie lassen die Frage offen, wann und wie diese durchängige, zugleich aber uneinheitliche Veränderung eingetreten ist. Das textkritische Phänomen entspricht der durchgängig bezeugten Ambiguität der Datierung der Auferstehung Jesu in den Leidensweissagungen (μετὰ τρεῖς ἡμέρας - τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ; vgl. § 14.3). Daher bietet sich auch dieselbe naheliegende und zwanglose Erklärung an: Der Wechsel ist am ehesten auf die ______________________________ 10 Meist weisen sie einfach darauf hin, dass die »besseren griechischen Handschriften« Καϕαρναύμ bezeugen (L ÜHRMANN , Mk 49); vgl. F. C. B URKITT , Capernaum, Capharnaum, JTS 34 (1933), 385-389: 386: »Καπερναούμ belongs to the Byzantine text and to that alone: there is no sign of its existence before the 4 th century.« 3,1a; 4,31-37 Rekonstruktion 541 kanonische Redaktion zurückzuführen. Demnach ist die für *Ev bezeugte Form (Kapharnaum) vorkanonisch, wogegen der Text der kanonischen Ausgabe des Neuen Testaments »Kapernaum« enthält. 5. Die weiteren Hinweise in Tertullians Referat 4,7,5ff machen zweifelsfrei klar, dass *Ev in unmittelbarem Anschluss an die Datierung den Exorzismus in der Synagoge von Kapharnaum enthielt. Da die Ereignisse in der Synagoge von Nazara *4,16-30 erst im Anschluss daran berichtet werden (s. gleich), unterscheidet sich die Perikopenakoluthie des kanonischen Textes von der in *Ev. Auf diesen Aspekt bezieht sich Epiphanius’ Vorwurf, Marcion bleibe »wiederum nicht bei der Reihenfolge (οὐ καθ’ εἱρμὸν πάλιν ἐπιμένει). Vielmehr schneidet er manches, wie gesagt, weg, anderes stellt er kopfüber um (τὰ μὲν ὡς προεῖπον παρακόπτει, τὰ δὲ προστίθησιν ἄνω κάτω) und schreitet nicht in der gewohnten Ordnung fort (οὐκ ὀρθῶς βαδίζων), sondern schweift überall leichtsinnig umher« (Epiph. 42,11,6; s. o.). 6. Dazu passen auch die Einzelheiten aus Tertullians Referat: Wegen des Singulars von synagoga in 4,7,5 (de caelo statim ad synagogam) und 4,7,6 (ecce venit in synagogam) ist deutlich, dass Tertullian sich hier auf *4,31b.33 bezieht und nicht etwa auf die summarische Notiz Lk 4,15 (ἐδίδασκεν ἐν τ α ῖ ς σ υ ν α γ ω γ α ῖ ς ). Entsprechendes gilt für den Hinweis, dass Jesus ad docendum in die Synagoge gekommen sei (4,7,7, vgl. zu *4,31b). 7. Tertullians weitere Verweise auf *4,31-35 sind eindeutig, 11 die Vv. *36f sind dagegen unbezeugt. Das Urteil ist schwierig: Einerseits passen die redaktionelle Verbindung und die Verallgemeinerung von individuellen Ereignissen sehr gut zur Tendenz der lk Redaktion. Immerhin fällt auf, dass die Pluralformen in V. 36b (τοῖς ἀκαθάρτοις πνεύμασιν; ἐξέρχονται) ungenau zu sein scheinen, denn bis hier war ja erst ein einziger Exorzismus berichtet. Aber reicht das aus, um diese Verse der lk Redaktion zuzuschreiben? Denn auf der anderen Seite würde dieses Argument auch für die lk Fassung zutreffen. Man könnte dann argumentieren, dass die Schlussnotiz wegen ihres summarischen Charakters für Tertullians Argumentation uninteressant war, weswegen er sie gut übergangen haben könnte. Die Mitteilung, dass sich der Ruf Jesu in der ganzen Gegend verbreitete, würde dann die folgende Erzählung von der Ablehnung Jesu in Nazara/ Nazareth vorbereiten: Sie fungiert als Widerlager für die ungläubige Haltung der Menge in der Nazarener Synagoge sowie für Jesu Replik (*4,22 fin.; 23; s. dort). In diesem Fall sind die beiden »westlichen« Lesarten in *4,36f von Bedeutung, weil sie als Spuren des vorkanonischen Textes zu werten sind und auf diese Weise die Bearbeitung der lk Redaktion nahelegen: In 4,36 hat Lk das Adjektiv (θάμβος) μέγας gestrichen, in V. 37 hat er die Formulierung ______________________________ 11 Tert. 4,7,9 verweist mit dem einleitenden spiritus daemonis auf *4,33: Nur hier ist von dem πνεῦμα des Dämons die Rede; gegen R OTH 412, der 4,33 als »unattested« auflistet. 542 Anhang I 3,1a; 4,31-37 ἐξῆλθεν ἡ ἀκοή durch ἐξεπορεύετο ἦχος ersetzt. Der schlichte Satzanschluss mit einleitendem καί ist auch in Mk 1,28 erhalten, wurde dort aber in der Mehrheit der Handschriften durch das abwechslungsreichere (ἐξῆλθεν) δέ ersetzt. Vor allem aufgrund dieser textgeschichtlichen Überlegungen ist damit zu rechnen, dass die Perikope bereits in *Ev die Schlussverse *4,36f enthielt und mit der Mitteilung der Reaktion der Menge endete. 3,1b-4,13: Täuferüberlieferung. Taufe. Stammbaum. Versuchung Eindeutige Bezeugung, hat sicher gefehlt. Durch die lk Redaktion ergänzt. A. 3,1b-4,13 : Epiph. 42,11,4-6: »(4) Denn gleich am Anfang hat er (sc. Marcion) die ganze Abhandlung bei Lukas am Anfang weggeschnitten, also … die Genealogie und den Gegenstand der Taufe. (5) Dies alles schnitt er weg und überging es (ταῦτα πάντα περικόψας ἀπεπήδησεν) und stellte folgendes an den Anfang des Evangeliums: ›Im fünfzehnten Jahr des Tiberius Caesar‹ und so weiter.« ¦ Tert. 4,7,5f ¦ Hipp., Refut. 7,31,5 (GCS 26, 217) ¦ Adam., Dial. 2,3 (823b); 2,19 (869a) (s. o. zu *3,1a; *4,31-37). C. Der gesamte Text von 3,1b-4,13 hat in *Ev eindeutig gefehlt, also die komplette Überlieferung von Johannes d. Täufer mit seiner Verkündigung, der Taufe Jesu mit der Geistbegabung, dem Bericht über die Einkerkerung des Täufers, der Stammbaum Jesu sowie die Versuchungsgeschichte. Das Fehlen dieser langen Passage ergibt sich aus den Zeugnissen, die zu 1,1-2,52; *3,1a; *4,16ff gesammelt und besprochen sind (s. dort). Dies hat für die Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte weitreichende Folgen. Denn es ist klar, dass der Bericht von der unmittelbaren Begegnung zwischen Jesus und Johannes auf Mk zurückgeht. Mk wusste aus *7,17b (s. dort), dass Johannes »der Täufer« war. Offensichtlich angeregt durch diesen Hinweis, lässt er jetzt Johannes Jesus direkt taufen (Mk 1,9-11). Erst Mt und dann, von diesem abhängig, auch Lk, sind ihm darin gefolgt (Mt 3,13-17 || Lk 3,21f). Sie haben die daraus resultierende Inkongruenz in Kauf genommen, dass Johannes ja einerseits schon ein positives Urteil über Jesus abgegeben hatte (Mt 3,11f || Lk 3,15-18), andererseits aber durch seine Frage Distanz oder doch wenigstens Unsicherheit ausdrückt (Mt 11,2-6 || Lk 7,18-23). Auch die mit der Taufe direkt zusammenhängende Versuchung (Mk 1,12f || Mt 4,1-11 || Lk 4,1-13) hat in *Ev gefehlt, auch hier ist der Weg der Überlieferung von Mk über Mt zu Lk deutlich. An dieser Stelle ist nur der Hinweis wichtig, dass die Tauf- und Versuchungsüberlieferung in den synoptischen Evangelien zu den Texten gehören, die im Horizont der Zwei- Quellentheorie als »Mk-Q Overlaps« bezeichnet werden. Im Unterschied zu anderen Beispielen geht das Phänomen der Überschneidung von Mk auf der einen und Mt/ Lk auf der anderen Seite hier nicht auf die unterschiedliche Rezeption 3,1b-4,15 Rekonstruktion 543 einer gemeinsamen Quelle zurück, sondern auf die direkte Abhängigkeit der drei synoptischen Evangelien untereinander und auf das Wachstum dieser Tradition von Mk zu Mt zu Lk. [ 4,14f: Summar über Heilungen in Galiläa ] Unbezeugt, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit in *Ev gefehlt. Durch die lk Redaktion ergänzt. [ 4,14 Καὶ ὑπέστρεψεν ὁ Ἰησοῦς ἐν τῇ δυνάμει τοῦ πνεύματος εἰς τὴν Γαλιλαίαν. καὶ ϕήμη ἐξῆλθεν καθ’ ὅλης τῆς περιχώρου περὶ αὐτοῦ. 15 καὶ αὐτὸς ἐδίδασκεν ἐν ταῖς συναγωγαῖς αὐτῶν, δοξαζόμενος ὑπὸ πάντων. ] C. Das Summar ist unbezeugt. Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit eine redaktionelle Einfügung: Die Rückkehr Jesu nach Galiläa »in der Kraft des Geistes« (Lk 4,14a) bezieht sich anaphorisch auf die Bewährung der Geistgabe (Lk 3,21f) in der Wüste (Lk 4,1-13); beides war in *Ev sicher nicht enthalten (s. o.). Der summarische Verweis auf die Ausbreitung der ϕήμη Jesu und seine Lehre »in ihren Synagogen« fungiert im lk Kontext als Exposition für die beiden folgenden Perikopen (4,16-30. 31-37), die von der Lehre Jesu in Nazareth und in Kapharnaum berichten. Sachlich ist diese Exposition notwendig geworden, weil die lk Redaktion durch die Umstellung von Lk 4,16-30 vor 4,31-37 ein narratives Widerlager für 4,23 benötigte: Dass man in Nazareth von dem »Geschehen in Kapharnaum« gehört hatte, erfordert einen entsprechenden Hinweis, der der Nazarethperikope vorausgeht (s. zu *4,23). Damit gehen beide Vv. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf die redaktionellen Veränderungen des kanonischen Textes zurück. *4,16 [ 17-22 ] 23.24. [ 25f ] ↑ 27 ↓ 28.29f: Ablehnung in Nazara Gut bezeugt, aber durch die lk Redaktion verschoben und stark erweitert. 4,16 a Ἐλθὼν δὲ a εἰς Ναζαρά b [ οὗ ἦν τεθραμμένος ] b c καὶ εἰσῆλθεν d κατὰ τὸ εἰωθὸς αὐτῷ d ἐν τῇ ἡμέρᾳ τῶν σαββάτων εἰς τὴν συναγωγήν. [ καὶ ἀνέστη ἀναγνῶναι 17 καὶ ἐπεδόθη αὐτῷ βιβλίον τοῦ προϕήτου Ἠσαΐου, καὶ ἀναπτύξας τὸ βιβλίον εὗρεν τὸν τόπον οὗ ἦν γεγραμμένον, 18 Πνεῦμα κυρίου ἐπ’ ἐμέ, οὗ εἵνεκεν ἔχρισέν με εὐαγγελίσασθαι πτωχοῖς, ἀπέσταλκέν με κηρύξαι αἰχμαλώτοις ἄϕεσιν καὶ τυϕλοῖς ἀνάβλεψιν, ἀποστεῖλαι τεθραυσμένους ἐν ἀϕέσει, 19 κηρύξαι ἐνιαυτὸν κυρίου δεκτόν. 20 καὶ πτύξας τὸ βιβλίον ἀποδοὺς τῷ ὑπηρέτῃ ἐκάθισεν· καὶ πάντων οἱ ὀϕθαλμοὶ ἐν τῇ συναγωγῇ ἦσαν ἀτενίζοντες αὐτῷ. 21 ἤρξατο δὲ λέγειν πρὸς αὐτοὺς ὅτι Σήμερον πεπλήρωται ἡ γραϕὴ αὕτη ἐν τοῖς ὠσὶν ὑμῶν. 22 Καὶ πάντες ἐμαρτύρουν αὐτῷ καὶ ἐθαύμαζον ἐπὶ τοῖς λόγοις τῆς χάριτος τοῖς ἐκπορευομένοις ἐκ τοῦ στόματος αὐτοῦ, ] 544 Anhang I 4,16-30 καὶ ἔλεγον, Οὐχὶ υἱός ἐστιν Ἰωσὴϕ οὗτος; 23 καὶ εἶπεν πρὸς αὐτούς, Πάντως ἐρεῖτέ μοι τὴν παραβολὴν ταύτην· Ἰατρέ, θεράπευσον σεαυτόν· ὅσα ἠκούσαμεν γενόμενα εἰς τὴν Καϕαρναοὺμ ποίησον καὶ ὧδε ἐν τῇ πατρίδι σου. 24 εἶπεν δέ, Ἀμὴν λέγω ὑμῖν ὅτι οὐδεὶς προϕήτης δεκτός ἐστιν ἐν τῇ πατρίδι αὐτοῦ. e [ 25 ἐπ’ ἀληθείας δὲ λέγω ὑμῖν, πολλαὶ χῆραι ἦσαν ἐν ταῖς ἡμέραις Ἠλίου ἐν τῷ Ἰσραήλ, ὅτε ἐκλείσθη ὁ οὐρανὸς ἐπὶ ἔτη τρία καὶ μῆνας ἕξ, ὡς ἐγένετο λιμὸς μέγας ἐπὶ πᾶσαν τὴν γῆν, ] e [ 26 καὶ πρὸς οὐδεμίαν αὐτῶν ἐπέμϕθη Ἠλίας εἰ μὴ εἰς Σάρεπτα τῆς Σιδωνίας πρὸς γυναῖκα χήραν. ] ↑ 27 καὶ πολλοὶ λεπροὶ ἦσαν ἐν τῷ Ἰσραὴλ ἐπὶ Ἐλισαίου τοῦ προϕήτου, καὶ οὐδεὶς αὐτῶν ἐκαθαρίσθη εἰ μὴ Ναιμὰν ὁ Σύρος. ↓ 28 καὶ ἐπλήσθησαν πάντες θυμοῦ ἐν τῇ συναγωγῇ [ ἀκούοντες ταῦτα ] , 29 καὶ ἀναστάντες ἐξέβαλον αὐτὸν ἔξω τῆς πόλεως, καὶ ἤγαγον αὐτὸν ἕως ὀϕρύος τοῦ ὄρους ἐϕ’ οὗ ἡ πόλις ᾠκοδόμητο αὐτῶν, ὥστε κατακρημνίσαι αὐτόν· 30 αὐτὸς δὲ διελθὼν διὰ μέσου αὐτῶν ἐπορεύετο. A. *4,16: Tert. 4,8,1f: Christo autem appellatio Nazaraei competitura erat ex infantiae latebris, ad quas apud Nazareth descendit, vitando Archelaum filium Herodis … (2) Ceterum prophetarum erit Christus ubicunque secundum prophetas invenitur. Et tamen apud Nazareth … ♦ *4,23: Tert. 4,8,2: Hoc propterea non omisi, quia Christum Marcionis oportuerat omne commercium eierasse etiam locorum familiarium Christi creatoris, habentem tanta Iudaeae oppida non ita Christo creatoris per prophetas emancipata. Ceterum prophetarum erit Christus ubicunque secundum prophetas invenitur. Et tamen apud Nazareth quoque nihil novi notatur praedicasse, dum alio, merito unius proverbii, eiectus refertur. ♦ *4,29f: Tert. 4,8,2f: Hic primum manus ei iniectas animadvertens necesse habeo iam de substantia eius corporali praefinire, quod non possit phantasma credi qui contactum et quidem violentia plenum detentus et captus et ad praecipitium usque protractus admiserit. (3) Nam etsi per medios evasit, sed ante iam vim expertus, et postea dimissus. B. a (4,16) ελθων δε/ veniens autem: D d e (cum venisset autem) ¦ και ηλθεν/ et venit: a aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● b (4,16) ου ην τεθραμμενος: om (Tert) ¦ οπου ην D (≠ d! ) e ¦ ου ην τεθραμμενος/ ubi erat (fuit: e) nutritus (nutricatus: d): add a aur b c d (! ) e f ſſ 2 l q r 1 M ● c (4,16) και/ et: om D d e ¦ add a aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● d (4,16) κατα το ειωθος αυτω/ secundum consuetudinem suam (tuam): om (Tert) e ¦ add a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ● e (4,25) vs. om 1241¦ add it M (*Ev non test.). C. Die »Antrittspredigt Jesu« in Nazareth - bzw. genauer: in Nazara - ist im Kern bezeugt, aber Tertullians Referat lässt darauf schließen, dass die Gestalt in *Ev sich deutlich von der kanonischen unterschied: 1. Am wichtigsten ist zunächst die veränderte Akoluthie: *Ev hatte ganz eindeutig den Exorzismus in der Synagoge von Kapharnaum *4,31-37 vor der Nazareth- 4,16-30 Rekonstruktion 545 perikope *4,16-30, was Harnack zu dem Urteil »merkwürdige Umstellung« veranlasste. 1 Im Rahmen der von Harnack angenommenen Lk-Priorität ist die unterschiedliche Akoluthie tatsächlich insofern erklärungsbedürftig, als *Ev die programmatische Stellung der Nazarethperikope um eines nicht erkennbaren Gewinns willen preisgegeben hätte. Unter der Annahme der *Ev-Priorität ist die unterschiedliche Perikopenfolge jedoch alles andere als merkwürdig: Sie ist eine Folge der lk Redaktion, welche die Nazarethperikope programmatisch an den Anfang des öffentlichen Wirkens Jesu gerückt hat. Lk hat dabei einen Bruch der narrativen Logik verursacht, denn Tertullians Hinweis auf das unum proverbium *4,23 impliziert nicht nur, dass *Ev dieses »Sprichwort« (vom Arzt, der sich selbst heilen soll) enthielt, sondern auch die darauffolgende Aufforderung an Jesus, »hier in deiner Heimatstadt« - also in Nazara - das Gleiche zu tun wie in Kapharnaum. In der kanonischen Fassung der lk Redaktion besitzt dieser Hinweis keine narrative Referenz, weil der Exorzismus in Kapharnaum erst danach erzählt wird. Damit wird auch verständlich, warum Lk 4,14f für *Ev unbezeugt ist: Dieses Summar ist der Versuch der lk Redaktion, die erzählerischen Spannungen zu mindern und einen Referenzpunkt zu 4,23 zu schaffen (s. o. zu Lk 4,14b). Die Brüche in der narrativen Logik des kanonischen Textes stellen auch sicher, dass *4,23b mit dem (im lk Kontext) so problematischen Verweis auf das »Geschehen in Kapharnaum« in der Vorlage in *Ev enthalten war, obwohl es durch Tertullian nicht bezeugt ist. Der Grund für die Umstellung ist zweifellos, dass Lk das erste öffentliche Auftreten Jesu programmatisch ausgestalten wollte. 2 Die Verbindung von Geistbegabung, Erfüllung der alttestamentlichen Prophetie und Realisierung der Verheißungen Israels an Nicht-Israeliten ist daher ein zentraler Aspekt des redaktionellen Konzeptes, der die Gesamtanlage von Lk-Act nachhaltig bestimmt. 3 2. Innerhalb von *4,16-30 sind zwei Passagen des kanonischen Lk-Textes unbezeugt: Einmal Lk 4,17-21 mit der Prophetenlektion aus der Jesajarolle und der anschließenden Applikation (Lk 4,21: σήμερον πεπλήρωται ἡ γραϕὴ αὕτη ἐν τοῖς ὠσὶν ὑμῶν). Der darin enthaltene Hinweis auf die Salbung mit dem Geist (Lk 4,18) referiert im lk Kontext zunächst auf die Ankündigung des Stärkeren und seiner Taufe ἐν πνεύματι ἁγίῳ καὶ πυρί (Lk 3,16), deren Voraussetzungen dann mit Jesu Geistbegabung während seiner Taufe etabliert werden (Lk 3,22): Diese beiden Elemente im Kontext der Taufüberlieferung haben in *Ev nachweislich gefehlt und konstituieren zusammen mit Lk 4,17-21 ein wesentliches Element der ______________________________ 1 H ARNACK 186*. 2 Vgl. U. B USSE , Das Nazareth-Manifest Jesu, Stuttgart 1978 (passim); vgl. weiter C HR . M. T UCKETT , Luke 4,16-30, Isaiah and Q, in: J. D ELOBEL (Hg.), Logia, Leuven 1982, 343-354: 343 Anm. 2 (Lit.). 3 Vgl. F R . N EIRYNCK , Luke 4,16-30 and the Unity of Luke-Acts, in: ders., Evangelica III, Leuven 2001, 167-205; ausführlich o. Bd. I, § 7.3. 546 Anhang I 4,16-30 lk Theologie und daher wohl auch seiner redaktionellen Ergänzung. 4 Es spricht daher sehr viel mehr dafür, dass die Vv. 17-21 in *Ev gefehlt haben, als dass die Referenten diese Verse übergangen haben. 3. Die andere für *Ev unbezeugte Passage ist Lk 4,25-27 mit den beiden heilsgeschichtlichen Beispielen für die soteriologische Bevorzugung von Nicht- Israeliten vor Israel. Im Rahmen der lk Fassung der Perikope spielen diese Verse eine entscheidende Rolle: Sie sind »the interpretive key to the story.« 5 Nun enthielt *Ev den Hinweis auf den Syrer Naëman (2Kön 5,1ff) nachweislich an einem anderen Ort, nämlich im Kontext der Heilung der zehn Aussätzigen, und zwar am wahrscheinlichsten zwischen *17,18 und *17,19 (s. dort). In diesem Kontext besaß die Erwähnung des Syrers Naëman (mit Blick auf den geheilten und zurückgekehrten Samaritaner) eine ganz ähnliche textpragmatische Funktion wie im lk Kontext der Nazarethperikope: Sie lieferte ein Schriftbeispiel für die Höherbewertung eines Nicht-Israeliten vor einem Israeliten. Die lk Redaktion hat dieses Beispiel passgenau in die Nazarethperikope vorgezogen und damit aus den heiligen Schriften Israels programmatisch begründet, was später (z. B. in 7,1-10) exemplarisch erzählt wird: Dass Jesus bei Nicht-Israeliten »größeren« Glauben findet als in Israel. Die Schriftgelehrsamkeit, die das redaktionelle Verfahren auszeichnet, wird auch darin sichtbar, dass Lk das ganz analoge Beispiel von der Witwe im phönizischen Sarepta aus 1Kön 17,7-24 sucht, findet und als Verstärkung dazustellt. Zusammengenommen heißt das, dass die Vv. 25-27 in *Ev gefehlt haben. Tertullian belegt dies auch durch den Hinweis: nihil novi notatur praedicasse (4,8,2). 4. Die Beurteilung von 4,22 ist schwierig. Dies hängt zunächst damit zusammen, dass die erste Reaktion der Synagogenbesucher eine generelle Zustimmung zu Jesus auszudrücken scheint, 6 während die rhetorische Frage nach der Herkunft Jesu in 4,22b (οὐχὶ υἱός ἐστιν Ἰωσὴϕ οὗτος; ) eher ungläubige Distanz zu signalisieren scheint. Die textpragmatische Funktion des Verses bleibt also in der Schwebe. Schwierig ist dabei, dass das Staunen über die »Anmut der Worte« Jesu sich ganz offensichtlich auf die in *Ev höchstwahrscheinlich fehlende Selbstapplikation des ______________________________ 4 Dass 4,(16)17-22 lk Redaktion sind, ist im Rahmen des Designs der Zweiquellentheorie (und daher mit Begründungen, die hier nicht übernommen werden können) schon häufig erwogen worden, vgl. nur H. S CHÜRMANN , Zur Traditionsgeschichte der Nazareth-Perikope Lk 4,16-30, in: A. Descamps (ed.), Mélanges Bibliques, Gembloux 1970, 187-205; s. auch T UCKETT , a. a. O. 346-351. 5 J. S. S IKER , »First to the Gentiles«: A Literary Analysis of Luke 4: 16-30, JBL 111 (1992), 73-90: 83. 6 Für 4,22aα (πάντες ἐμαρτύρουν αὐτῷ) wurde erwogen, ob hier nicht ein Zeugnis gegen Jesus gemeint sei, vgl. etwa B. V IOLET , Zum rechten Verständnis der Nazareth-Perikope Lc 4,16-30, ZNW 37 (1938), 251-271: 256-258. Allerdings lässt sich die Fortführung in V. 22aβ (καὶ ἐθαύμαζον ἐπὶ τοῖς λόγοις τῆς χάριτος τοῖς ἐκπορευομένοις ἐκ τοῦ στόματος αὐτοῦ), die sich auf 4,21b mit Jesu Applikation des Schriftzitats 4,18f zurück bezieht, kaum anders denn als Anerkennung verstehen. 4,16-30 Rekonstruktion 547 Jes-Zitats (Lk 4,18-21) bezieht, zumal θαυμάζειν + ἐπί ein lk Vorzugswort ist. 7 Beide Gründe sprechen dafür, dass zumindest V. 22aβ (ἐθαύμαζον ἐπὶ τοῖς λόγοις τῆς χάριτος τοῖς ἐκπορευομένοις ἐκ τοῦ στόματος αὐτοῦ) lk Redaktion ist. Auf der anderen Seite ist der Hinweis auf die Herkunft Jesu 4,22b schwierig. Die Aussage besitzt eine Analogie in Mk 6,3 || Mt 13,55-57a, die dort die Funktion hat, die Ablehnung Jesu in seiner Heimatstadt zu begründen: Die Nazarener nehmen Anstoß an Jesus, weil ihnen die Kenntnis seiner Herkunft die Anerkennung seiner Weisheit und Krafterweise verwehrt. Da die in *Ev enthaltene Antwort Jesu in *4,23 die Reaktion auf einen Vorwurf impliziert, auf die sich syntaktisch die Einleitung (πάντως ἐρεῖτέ μοι) zurückbezieht, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Frage *4,22b in *Ev enthalten war: Das Thema der Perikope war daher - ähnlich wie in Mk 6,1-6a || Mt 13,53-58 - die (vollmächtige) Lehre Jesu in seiner Heimatstadt »Ναζαρά«, auf welche die Hörer mit der distanzierten Frage »Ist dieser nicht Josephs Sohn? « reagierten, worauf Jesus mit dem Sprichwort vom Arzt geantwortet hätte. Trotz der fehlenden Bezeugung liegt daher aufgrund der Analogie bei Mk und Mt nahe, dass *4,16 fin. (mit einem Hinweis auf die Lehre Jesu) sowie *4,22 fin. (καὶ ἔλεγον, Οὐχὶ υἱός ἐστιν Ἰωσὴϕ οὗτος; ) in *Ev enthalten waren: Beide Aussagen lassen sich direkt aufeinander beziehen. Die narrative Logik erfordert es, dass im Anschluss an *4,16 eine Bemerkung über die Lehre Jesu enthalten war, auf die sich dann die Reaktion *4,22b bezog. Diese Bemerkung muss anstelle von καὶ ἀνέστη ἀναγνῶναι gestanden haben, das seine Bedeutung ja durch die von der Redaktion eingefügte Bemerkung über die Prophetenlektion erhält. Wie dieser Bericht von der Lehre Jesu aussah, ist unklar; jedoch legt die Parallele in Mk 6,2 || Mt 13,54 nahe, dass die Bemerkung sinngemäß ἐδίδασκεν αὐτοὺς ἐν τῇ συναγωγῇ αὐτῶν, ὥστε ἐκπλήσσεσθαι αὐτούς (so Mt 13,54) o. ä. gelautet haben könnte. 5. Die Rekonstruktion von *4,16 ist komplex, weil hier die handschriftliche Bezeugung einigermaßen uneinheitlich ist. Dies ist erwartbar, weil Lk die ganze Perikope vor 4,31ff gestellt und zur Glättung 4,14f eingefügt hat (s. o.); im Zuge dieser redaktionellen Eingriffe ergab sich die Notwendigkeit, auch *4,16 umzuformulieren; ein Teil der (typisch »Westlichen«: D it) Handschriften hat diese Änderungen nicht vollständig mitvollzogen. a. Zunächst erklärt sich der Umstand, dass die eigenartige Namensform Ναζαρά nur hier und in der Parallele Mt 4,13 bezeugt ist, am ehesten aus einem Text, der sowohl Mt als auch Lk vorauslag: *Ev. 8 Dass diese ungewöhnliche Namensform in ______________________________ 7 θαυμάζειν + ἐπί begegnet innerhalb des NT nur in Lk-Act, vgl. außer 4,23 noch Lk 2,33; 9,43; 20,26; Act 3,12; keiner dieser Belege ist für *Ev bezeugt. Vgl. R. C. T ANNEHILL , The Mission of Jesus According to Luke IV 16-30, in: E. Grässer (Hg.), Jesus in Nazareth, Berlin 1972, 51-75: 54 mit Anm. 9. 8 Auch der Codex Palatinus (e) liest hier (als einzige der altlateinischen Handschriften) Nazara. 548 Anhang I 4,16-30 der handschriftlichen Überlieferung verschiedentlich an das ansonsten bezeugte Ναζαρέθ (-έτ, -έδ) angepasst wurde, liegt nahe. 9 In beiden Fällen (Lk 4,16; Mt 4,13) ist die handschriftliche Überlieferung gespalten und enthält beide Namensformen. 10 Zu Recht halten die kritischen Ausgaben (GNT 4 / NA 27 ) Ναζαρά für die ältere Fassung und übernehmen sie deswegen in den Text, dies aber sehr wahrscheinlich zu Unrecht: Ναζαρά ist Teil des vorkanonischen Texts; die lk Redaktion hat dies in Ναζαρέθ geändert. Obwohl diese Lesart jünger ist, gehört sie in den Text des kanonischen NT. b. Der Codex Bezae bietet anstelle von οὗ ἦν τεθραμμένος, καὶ εἰσῆλθεν nur ὅπου ἦν: Die Notiz über das Aufwachsen Jesu in Nazareth bezieht sich zurück auf die entsprechenden Informationen der Kindheitserzählung (Lk 2,4.39.51), die in *Ev mit Sicherheit gefehlt haben. In D scheint hier also der vorkanonische Text durch. Unklar bleibt jedoch, wie der Satz ursprünglich gelautet hat: D leitet den Satz mit Partizip (ἐλθών) ein und schließt daran, ziemlich ungeschickt, den Hauptsatz mit Konjunktion und finitem Verb an (καὶ ἀνέστη). Dies ist kaum ursprünglich, vermutlich ist in D ein erstes finites Verb ausgefallen (εἰσῆλθεν), wie auch εἰς τὴν συναγωγήν nahelegt. Am einfachsten ist daher die Annahme, dass der vorkanonische Text überhaupt keinen Relativsatz enthielt. c. Die Exposition hatte ursprünglich wohl nur mitgeteilt, dass Jesus nach Nazara/ Nazareth kam und in die Synagoge ging. Denn die Bemerkung καὶ ἀνέστη ἀναγνῶναι Lk 4,16 fin. ist nur für den kanonischen Kontext mit der folgenden Schilderung der Prophetenlektion (Lk 4,17-22) von Bedeutung, die aber in *Ev sehr wahrscheinlich fehlte. Schließlich ist die Wendung κατὰ τὸ εἰωθὸς αὐτῷ uneinheitlich überliefert: In e fehlt sie ganz, in D a c d fehlt αὐτῷ. Im kanonischen Kontext referiert diese Bemerkung auf die redaktionelle Notiz Lk 4,15, im vorkanonischen Kontext könnte sie sich immerhin auf *4,31-37 beziehen. Aber das ist unwahrscheinlich, denn die Wendung ist sowohl aus sprachlichen als auch aus inhaltlichen Gründen (vgl. Act 17,2! ) in hohem Maß verdächtig, redaktionell zu sein. Stellt man für die Textüberlieferung in D it das Phänomen der inkonsistenten Angleichung des vorkanonischen an den kanonischen Text in Rechnung, dann liegt für den vorkanonischen Text nahe: Ἐλθὼν δὲ εἰς Ναζαρά εἰσῆλθεν ἐν τῇ ἡμέρᾳ τῶν σαββάτων εἰς τὴν συναγωγήν. Diese schlichte Formulierung entspricht auch am ehesten Tertullians knappem Referat, der nur den Ortsnamen Nazareth erwähnt. ______________________________ 9 Aus diesem Grund haben die neueren Rekonstruktionen von »Q« die Ναζαρά-Lesart propagiert, vgl. dazu die Dokumentation in C HR . H EIL (ed.), Q 4: 16, 31: Nazara, Leuven 1996, 391-462. Vgl. dazu F R . N EIRYNCK , ΝΑΖΑΡΑ in Q: Pro and Con, in: J. M. Asgeirsson et al. (eds.), From Quest to Q, Leuven 2006, 159-169. 10 Lk 4,16 Ναζαρα: א B* (Δ) Ξ 33 pc e sa mss Orig. Mt 4,13 Ναζαρα: א 1 B* Z 33 k usw. 4,16-30 Rekonstruktion 549 d. Über die Rekonstruktion hinaus ist *4,16 aus methodischen Gründen interessant, weil Harnack und andere in der Folge von J. Rendell Harris die Varianten in D it bemerkt und sie als Hinweis auf das marcionitische Evangelium gewertet haben. 11 Auch wenn (hier wie sonst auch) nicht einsichtig zu machen ist, wieso der Text des Erzketzers so breit auf die katholische Handschriftenüberlieferung eingewirkt haben soll, ist die Logik, die diesem Gedanken zugrunde liegt, nachvollziehbar. Die Formulierung in D it - ohne τεθραμμένος und ohne (κατὰ τὸ εἰωθὸς) αὐτῷ - verändere den Sinn entscheidend: »Nach M. durfte ja Jesus nicht in Nazareth erzogen sein und durfte auch nicht nach seiner Gewohnheit die Synagoge besuchen.« Was Harnack hier als »ein Kabinettsstück der Textkritik M.s« preist, 12 geht allerdings auf die Redaktionsarbeit des Lk zurück. 6. Aus *4,29f referiert Tertullian die wichtigsten Stichworte und belegt so, dass das Ende der Perikope nicht sehr viel anders gelautet haben kann als in der kanonischen Fassung. Die Fassung in *Ev endete also - in deutlichem Unterschied zu Mk 6,5.6a || Mt 13,58 - mit dem Bericht über die feindselige Reaktion der Nazarener und über ihren gewalttätigen, aber erfolglosen Tötungsversuch. Dieses Ende erfordert dann auch eine Motivierung des Lynchversuchs, wie sie *4,28 liefert. Abgesehen von dem anaphorischen ἀκούοντες ταῦτα, das in *Ev wegen des Bezugs auf 4,25-27 gefehlt haben muss, gibt es keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass *4,28-30 in *Ev anders aussahen als in der kanonischen Form. 7. Damit lässt sich das Profil der Perikope in *Ev erfassen: Sie enthielt nur die Exposition *4,16 mit dem Hinweis auf Jesu Eintreffen in der Synagoge von Nazara. Die distanzierte Frage der Nazarener *4,22 fin. Οὐχὶ υἱός ἐστιν Ἰωσὴϕ οὗτος; bezog sich nicht auf die Lehre Jesu, sondern auf die Erwartung charismatischer Heiltätigkeit, wie die Reaktion Jesu in V. *23 (πάντως ἐρεῖτέ μοι τὴν παραβολὴν ταύτην …) zeigt. Es ist denkbar, aber nicht zu erweisen, dass *Ev auch einen expliziten Verweis auf den Anstoß enthielt, den die Nazarener an Jesus nahmen; Mk und Mt überliefern jedenfalls eine entsprechende Bemerkung (Mk 6,3 fin. || Mt 13,57a: ἐσκανδαλίζοντο ἐν αὐτῷ). Es folgte *4,23 mit dem Sprichwort vom Arzt 13 und der damit zusammen gehörenden Aufforderung, das in Kapharnaum Geschehene »in deiner Heimatstadt« zu wiederholen. Tatsächlich passt das Sprichwort hier nur bedingt, weil das Ansinnen der Hörer sich ja nicht auf eine Selbstheilung richtet; ______________________________ 11 J. R. H ARRIS , Codex Bezae, Cambridge 1891, 232f; H ARNACK 186*; H. J. V OGELS , Evangelium Palatinum, Münster 1926, 98f. 12 H ARNACK 186*. 13 Tertullian stellt diese παραβολή durch den Hinweis auf unum proverbium sicher. Zur Verbreitung dieses Sprichworts vgl. S. J. N OORDA , Cure Yourself, Doctor (Lk 4: 23). Classical Parallels to an Alleged Saying of Jesus, in: J. Delobel (Hg.), Logia, Leuven 1982, 459-467. 550 Anhang I 4,16-30 vielleicht haben Mk und Mt es deshalb ausgelassen. 14 Das analoge Wort vom Propheten in seiner Heimatstadt *4,24 ist unbezeugt, war aber vermutlich vorhanden, weil es die Begründung für Jesu Weigerung enthält, das Geschehen von Kapharnaum zu wiederholen. Diese Weigerung mit dem Vorwurf des Unglaubens gegenüber einem Propheten führt zu den von Tertullian referierten Handgreiflichkeiten und dem Entkommen Jesu in *4,28-30. Es ist deutlich, dass die Fassung der Nazarethperikope in *Ev sehr eng mit *4,31-37 zusammengehört; sie wiederholt die literarische Struktur der vorangehenden Perikope, allerdings mit einem negativen Ausgang. *4,23b bildet auf der semantischen Ebene eine Klammer sowohl mit *4,33-35 als auch mit *4,37. Die sehr enge, strukturelle Parallelität ist ohne weiteres ersichtlich. *4,31-37 *4,16-30 Exposition: Ortsangabe 31a: καὶ κατῆλθεν εἰς Καϕαρναοὺμ πόλιν τῆς Γαλιλαίας 16a: καὶ ἦλθεν εἰς Ναζαρά, οὗ ἦν τεθραμμένος Exposition: Situation (Lehre) 31b: ἦν διδάσκων αὐτοὺς ἐν τοῖς σάββασιν 16b: ἐν τῇ ἡμέρᾳ τῶν σαββάτων … + Lehre in Vollmacht o. ä. Erste Reaktion auf die Lehre Jesu 32: Betroffenheit aller über Lehre in Vollmacht 22: καὶ ἔλεγον, Οὐχὶ υἱός ἐστιν Ἰωσὴϕ οὗτος; Exorzismus/ kein Exorzismus zur Bestätigung der Vollmacht 33-35: Exorzismus 23b: Kein Exorzismus. Stattdessen Rückverweis auf *4,33-35 (ὅσα … γενόμενα εἰς τὴν Καϕαρναοὺμ) und *4,37 (ἠκούσαμεν) Zweite Reaktion 36: Furcht 28: Zorn der Zeugen (καὶ ἐγένετο θάμβος ἐπὶ πάντας) (καὶ ἐπλήσθησαν πάντες θυμοῦ) Folge 37: ἦχος über Jesus breitet sich aus εἰς πάντα τόπον τῆς περιχώρου (s. 4,23b) 29f: Tötungsversuch (misslingt) Es liegt auf der Hand, dass beide Perikopen als zwei Teile eines Ganzen komponiert sind, das die Spannbreite der möglichen Reaktionen auf die Verkündigung und machtvolle Tat Jesu deutlich macht. Im Licht dieser engen Zusammengehörigkeit ist dann die (ursprüngliche) Abfolge von *4,31-37 zu *4,16-30 unmittelbar einsichtig. Diese Zusammengehörigkeit belegt, dass es in *Ev (zumindest: auch! ) sehr deutlich erkennbare kompositorische Signale und Verknüpfungen über Perikopengrenzen hinweg gab. ______________________________ 14 Möglicherweise ist aber auch hier schon der gewaltsame Ausgang mit im Blick; das würde dem Logion einen Sinn in der Richtung der Aufforderung σῶσον σεαυτόν (23,37.39; für *Ev nicht bezeugt, s. dort) geben. 4,16-30 Rekonstruktion 551 8. Mit dieser Charakterisierung lässt sich die bis heute heftig umstrittene überlieferungsgeschichtliche Frage nach den Quellen von Lk 4,16-30 beantworten. 15 Hier gehen die Meinungen weit auseinander. Gegen die im Horizont der Zwei- Quellentheorie naheliegende Annahme einer Abhängigkeit von Mk 6,1-6a spricht zunächst ein gewichtiges (mt-lk) »Minor Agreement«: In Lk 4,16 und Mt 4,13 belegt die eigentümliche, ausschließlich hier bezeugte aramäische Namensform Ναζαρά eine nicht durch Mk vermittelte literarische Beziehung zwischen Mt und Lk, die es der Zwei-Quellentheorie zufolge gar nicht geben dürfte. 16 Auffälligerweise steht Mt 4,13 Ναζαρά nicht im Kontext der Ablehnung Jesu in seiner Heimatstadt (also dem mit Mk gemeinsamen Zusammenhang), sondern - ähnlich wie Lk 4,16 - direkt am Anfang des Berichts von der öffentlichen Wirksamkeit Jesu (Lk 4,1- 13 || Mt 4,1-11). Dies hat dann Anlass zu der Vermutung gegeben, dass die Erzählung von der Verwerfung Jesu in seiner Heimatstadt zu den »Mk-Q Overlaps« gehören könnte. 17 Wegen der großen Unterschiede zwischen Lk 4,16-30; Mk 6,1-6a || Mt 13,54-58; Mk 1,14f || Mt 4,12-17 || Lk 4,14f und den erkennbaren Überarbeitungsspuren innerhalb von Lk 4,16-30 hatte aber schon Heinrich Schürmann erwogen, ob Lk hier nicht einen älteren »Bericht vom Anfang« verwende, und damit eine Quelle jenseits der Optionen der Zwei-Quellentheorie ins Spiel gebracht. 18 Die vorliegende Rekonstruktion von *4,16-30 im Rahmen der Annahme der *Ev- Priorität beseitigt diese überlieferungsgeschichtlichen Aporien und erweist *Ev als die von Schürmann vermutete gemeinsame Quelle. Mk und Mt haben die Perikope in *Ev vorgefunden, aber das gewalttätige Ende daraus gestrichen. Mk hatte den Tötungsbeschluss in 3,6 als Höhepunkt an das Ende der sorgfältig komponierten Folge von Auseinandersetzungen platziert (Mk 2,1-3,6). Diese Streitgespräche erlauben es ihm, die Gegner Jesu (Schriftgelehrte, Pharisäer, Herodianer) charakterisierend in seine Erzählung einzuführen, um später auf sie zurück kommen zu können. Er erreicht dadurch eine narrative Geschlossenheit, in der die Erwähnung der Bewohner von ______________________________ 15 Zur Literarkritik und den Quellen von Lk 4,16-30 vgl. den Forschungsbericht von C HR . J. S CHRECK , The Nazareth Pericope. Luke 4,16-30 in Recent Study, in: Fr. Neirynck (ed.), L’Évangile de Luc, Leuven 1989, 399-471: 403-427. 16 Es ist vor allem Michael Goulders Verdienst, dieses Beispiel (und seine Unvereinbarkeit mit der Zwei-Quellentheorie) als offene Frage in der Diskussion gehalten zu haben, vgl. M. D. G OULDER , On Putting Q to the Test, NTS 24 (1977/ 78), 218-234: 220; DERS ., The Order of a Crank, in: Chr. M. Tuckett (ed.), Synoptic Studies, Sheffield 1984, 111-130: 113f; DERS ., Two Significant Minor Agreements (Mat. 4: 13 Par.; Mat. 26: 67-68 Par.), NT 45 (2003), 365-373: 366-371. 17 So vor allem C HR . M. T UCKETT , Luke 4,16-30, Isaiah and Q, in; J. D ELOBEL (Hg.), Logia, Leuven 1982, 343-354. 18 H. S CHÜRMANN , Zur Traditionsgeschichte der Nazareth-Perikope Lk 4,16-30, in: A. Descamps (ed.), Mélanges Bibliques, Gembloux 1970, 187-205. 552 Anhang I 4,16-30 Nazareth nur gestört hätte. Stattdessen hat er die Ablehnung Jesu in seiner Heimatstadt als anschauliches Beispiel für den Unglauben, auf den die Verkündigung Jesu trotz unbestreitbarer Erfolge stößt, in den Abschnitt integriert, in dem Jesus den Jüngern Inhalt und Tragweite ihrer Aussendung vorführt. 19 Mt zeigt zwar, dass er den Bericht über das Geschehen in Nazareth in *Ev gleich zu Beginn der öffentlichen Wirksamkeit Jesu kannte, wie die Namensform Ναζαρά in Mt 4,13 zeigt. Aber er hat ihn von dort - analog zum mk Aufriss - hinter die für ihn programmatische Bergpredigt an das Ende der galiläischen Streitgespräche verlegt (Mt 12,1-14). Dies ließ ihm die Möglichkeit, die tödlichen Nachstellungen gegen Jesus als Komplott der politisch-religiösen Autoritäten von Herodes (Mt 2,1-18) bis zu den Hohenpriestern (Mt 27,1ff) in einen denkbar weiten narrativen Rahmen einzuspannen. Lk konnte den Tötungsversuch an dieser Stelle belassen: Er hat ihn durch die Umstellung von 4,16-30 vor 4,31-37 sowie durch seine Erweiterungen in Lk 4,17-22a und 25-27 deutlich aufgewertet: Er eröffnet damit den programmatischen Zusammenhang von Geistbegabung, Sendung zu den Heiden und dem (letztendlich erfolglosen) Versuch, Jesus zu töten. [ 4,38f: Heilung der Schwiegermutter des Petrus ] Unbezeugt, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht vorhanden und durch die lk Redaktion ergänzt. [ 38 Ἀναστὰς δὲ ἀπὸ τῆς συναγωγῆς εἰσῆλθεν εἰς τὴν οἰκίαν Σίμωνος. πενθερὰ δὲ τοῦ Σίμωνος ἦν συνεχομένη πυρετῷ μεγάλῳ, καὶ ἠρώτησαν αὐτὸν περὶ αὐτῆς. 39 καὶ ἐπιστὰς ἐπάνω αὐτῆς ἐπετίμησεν τῷ πυρετῷ, καὶ ἀϕῆκεν αὐτήν· παραχρῆμα δὲ ἀναστᾶσα διηκόνει αὐτοῖς. ] A. Die Perikope ist unbezeugt. Dabei ist die Nichtbezeugung durch Epiphanius wenig aufschlussreich, da dessen Scholien erst bei *5,14 einsetzen (Epiph. 42,11,6 Schol. 1; s. u.). Anders bei Tertullian, der von seiner Behandlung von *4,16-30 (s. dort) direkt übergeht zur Wiedergabe von *4,40f (4,8,5: »und so fuhren die Geister, gleichsam nach dem Vorbild des vorangehenden Beispiels, aus, indem sie riefen …«). C. Die Schwierigkeiten bei der Beurteilung zeigen sich daran, dass die Vertreter der Lk-Priorität diese Perikope an unterschiedlichen Stellen behandeln: Harnack erwähnt sie im Anschluss an 4,36f; er vermutet sie also vor 4,16-30, weil er dem Aufriss des Lk folgt. 1 Tsutsui behandelt sie dagegen im Anschluss an 4,16-30. 2 Die ______________________________ 19 Zu diesem Abschnitt vgl. M. K LINGHARDT , Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19 (2002), 183-202. 1 H ARNACK 185*. 2 T SUTSUI 78. 4,38f Rekonstruktion 553 unterschiedliche Verortung der Perikope korrespondiert mit der Beurteilung, die sich aus der Nichtbezeugung ergibt. Ein Urteil, ob Lk die Perikope aus Mk 1,29-31 || Mt 8,14f kannte oder aus *Ev, lässt sich daher nur aus inneren Gründen fällen. Folgende Gesichtspunkte sind dabei zu beachten: 1. Am schwersten wiegt, dass die Erwähnung des Simon an dieser Stelle des lk Erzählfadens eine weitere narrative Inkohärenz bedeutet, da Simon erst in *5,3-11 in die Erzählung eingeführt wird: Da sich Jesus und Simon noch gar nicht begegnet sind, erscheint der Besuch in Simons Haus unmotiviert. 3 Andererseits sind die Synagoge und das Haus des Neubekehrten in Act die typischen Wirkungsstätten der Missionare: Hier lässt sich also ein redaktionelles Interesse des Lk ausmachen. 4 2. Im Unterschied zur lk Erzählung hat Mk mit 1,16-34 eine sinnvolle Einheit geschaffen: Berufung der ersten vier Jünger, erstes öffentliches Auftreten Jesu in der Synagoge in Kapharnaum, Heilung der Schwiegermutter des Simon, weitere Heilungen »vor ihrer Haustür« (Mk 1,33: πρὸς τὴν θύραν). Diese (mk) Erzählung ist sinnvoll komponiert und stellt jeweils komplementär gegenüber, wie sich Jesu Vollmacht (Mk 1,22) auswirkt: Dem geheilten Mann (Mk 1,23) steht die geheilte Frau (Mk 1,30) gegenüber, der öffentlichen Situation der Synagoge die private des Hauses, dem Exorzismus die Heilung. Dieser letzte Aspekt wird im summarischen Abschluss gleich doppelt aufgegriffen5 und erweist sich so als wichtiges kompositionelles Element der mk Erzählung. 3. Schließlich ist auffällig, dass Tertullians Referat nach der Behandlung von *4,16-30 direkt zu *4,40f übergeht. Dabei verweist er auf die Heiltätigkeit Jesu von *4,23 6 und erwähnt, dass er später noch andere Arten von Heilungen besprechen werde (4,8,4: veniemus tamen et ad species curationum): Die einfachste Möglichkeit, dies zu tun, wäre es gewesen, wenn er auf die Heilung der Schwiegermutter des Petrus hätte verweisen können. Dies tut er aber nicht; vielmehr bemüht er sich um den Nachweis, dass ein Exorzismus auch eine »Heilung« sei, 7 und schließt daran das Referat von *4,40f an, wo sowohl von Heilungen (mit Handauflegung) als auch von Exorzismen die Rede ist (s. gleich): »und so fuhren die Geister, gleichsam nach dem Vorbild des vorangehenden Beispiels (quasi ex forma iam ______________________________ 3 Vgl. W OLTER , Lk 203. 4 Vgl. B OVON , Lk I 224. Bovon wertet daher das Fehlen des Artikels vor dem Namen in 4,38a (εἰς τὴν οἰκίαν Σίμωνος) als Ausdruck dieser Verlegenheit und versteht »ins Haus eines gewissen Simon« (ebd. Anm. 33). Das ist nicht überzeugend. Denn Mk 1,29 hat hier dieselbe Wendung, obwohl »Simon« zuvor schon genannt war: Auch bei der ersten Erwähnung im Zusammenhang der Berufung (Mk 1,16) werden die Namen der Jünger ohne Artikel eingeführt. 5 Mk 1,32: πάντας τοὺς κακῶς ἔχοντας καὶ τοὺς δαιμονιζομένους; 1,34: ἐθεράπευσεν πολλοὺς κακῶς ἔχοντας ποικίλαις νόσοις, καὶ δαιμόνια πολλὰ ἐξέβαλεν. 6 Vgl. *4,23: Ἰατρέ, θεράπευσον σεαυτόν; Tert. 4,8,4: quodcunque curaverit Iesus, meus est. 7 4,8,5: ceterum et a daemoniis liberare curatio est valetudinis. 554 Anhang I 4,38-39 prioris exempli), aus, indem sie riefen …« Diese Verbindung von Heilung und Exorzismus, an der Tertullian interessiert ist, hätte er mit einem kurzen Hinweis auf die Heilung der Schwiegermutter des Petrus sehr viel leichter haben können: Diese Erwähnung des prius exemplum ist daher als Hinweis auf die unmittelbare Abfolge von *4,16-30 und *4,40f in *Ev zu werten. Auch wenn das Urteil unsicher bleibt, spricht doch mehr dafür, dass Lk 4,38f in *Ev gefehlt hat, als dass Tertullian diese Erzählung in seinem Referat übergangen hat. *4,40-41: Exorzismen am Abend. Messiasbekenntnis der Dämonen Gut bezeugt und sicher vorhanden, wahrscheinlich redaktionell bearbeitet. ¿Mt 4,13 καὶ καταλιπὼν τὴν Ναζαρὰ ἐλθὼν κατῴκησεν εἰς Καϕαρναοὺμ τὴν παραθαλασσίαν ἐν ὁρίοις Ζαβουλὼν καὶ Νεϕθαλίμ.? *4,40 Δύνοντος δὲ τοῦ ἡλίου ἅπαντες ὅσοι εἶχον ἀσθενοῦντας νόσοις ποικίλαις ἤγαγον αὐτοὺς πρὸς αὐτόν· ὁ δὲ ἑνὶ ἑκάστῳ αὐτῶν τὰς χεῖρας ἐπιτιθεὶς ἐθεράπευεν αὐτούς. 41 ἐξήρχετο δὲ καὶ δαιμόνια ἀπὸ πολλῶν, κραυγάζοντα καὶ λέγοντα a ὅτι Σὺ εἶ ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ. καὶ ἐπιτιμῶν οὐκ εἴα αὐτὰ λαλεῖν, ὅτι ᾔδεισαν τὸν Χριστὸν αὐτὸν εἶναι. A. *4,40: Tert. 4,8,4: ad summam, et ipse mox tetigit alios, quibus manus imponens, utique sentiendas, beneficia medicinarum conferebat, tam vera, tam non imaginaria, quam erant per quas conferebat. ♦ *4,41: Tert. 4,8,5: Ceterum et daemoniis liberare curatio est valetudinis. Itaque spiritus nequam quasi ex forma iam prioris exempli cum testimonio excedebant vociferantes, Tu es filius dei. B. a (4,41) οτι: om Tert 443 517 1223 1424 1675 a aur b c e ſſ 2 g 1 l r 1 sy s Tat arab ¦ add d f q vg M . C. Von *4,40f sind hinreichende Elemente bezeugt, die diese beiden Verse für *Ev sicherstellen. *4,40 ist für Tertullian als antidoketisches Argument wichtig, denn die Handauflegungen Jesu implizieren seine Körperlichkeit: Nur ein Körper kann berühren oder berührt werden. 1 Den unmittelbaren Anlass für dieses Argument findet Tertullian in der Bemerkung *4,30, dass Jesus »mitten durch sie hindurch gegangen« war, die ja zumindest Zweifel an der körperlichen Existenz Jesu aufkommen lassen könnte. Die Unmittelbarkeit, mit der Tertullians Referat von *4,30 auf *4,40 zu sprechen kommt, legt nahe, dass er in *Ev beide Verse in direkter Abfolge vorgefunden hatte. 1. Das Bekenntnis der Dämonen *4,41 wirft für Tertullian allerdings Probleme auf, denn es scheint Marcions Ditheismus zu bestätigen: Die Unterwerfung der ______________________________ 1 Tert. 4,8,3: tangere enim et tangi nisi corpus nulla potest res. 4,40-41 Rekonstruktion 555 Dämonen unter Jesus passt zu der marcionitischen Vorstellung, dass Jesus als Zerstörer des Schöpfergottes, des Herrn der Dämonen, erschienen sei. Tertullian muss also deutlich machen, dass die Anerkennung der Vollmacht Jesu durch die Dämonen nicht auf seinen Kampf gegen den Schöpfer zurückzuführen ist. Er tut dies durch den Hinweis, dass sich die Dämonen vor Jesus fürchten, wogegen Marcion doch leugne, dass sein deus bonus ein Grund zum Fürchten sei. 2 Aus dem furchtsamen Gehorsam der Dämonen folgt also für Tertullian die Unhaltbarkeit der marcionitischen Distinktion zwischen deus und creator. 2. Die eigentliche Schwierigkeit für die Rekonstruktion dieser Perikope liegt in der Frage, ob sie in *Ev einen narrativen Anschluss besaß. Im kanonischen Zusammenhang schließt Lk 4,40 an die in Kapharnaum berichtete Heilung der Schwiegermutter des Petrus an, die in *Ev vermutlich gefehlt hat (4,38f; s. dort). Den Ortswechsel, den die narrative Logik nach der Ablehnung in Nazara erforderlich machte, konnte Lk aufgrund der Umstellung von 4,16-30 und 4,31-37 ganz problemlos aus der Einleitung in *4,31 vom Anfang von *Ev übernehmen. Da aber *Ev eine andere Akoluthie besaß, muss an dieser Stelle ein Ortswechsel berichtet worden sein. Die enge überlieferungsgeschichtliche Zusammengehörigkeit von *4,16 || Mt 4,13, die sich aus der exklusiven Verwendung der Namensform Ναζαρά ergibt, legt es nahe, dass *Ev an dieser Stelle einen Hinweis auf die Rückkehr Jesu von Nazara nach Kapharnaum besaß, der Mt 4,13 entspricht. Sofern die Erwähnung von Sebulon und Naphtali in dieser Bemerkung erhalten war, wäre Mt durch *Ev zu dem Reflexionszitat Mt 4,14-16 angeregt worden. Die Rekonstruktion dieser Passage bleibt allerdings unsicher: Die massiven Eingriffe der lk Redaktion mit ihren Umstellungen und umfangreichen Ergänzungen machen ein zuversichtliches Urteil unmöglich, zumal die Häresiologen aus nachvollziehbaren Gründen so gut wie nie Interesse an den narrativen Rahmungen der einzelnen Perikopen zeigen und sie mit Stillschweigen übergehen. *4,42-43: Jesu Rückzug in die Einsamkeit und Verweis auf seine Sendung Gut bezeugt, sicher vorhanden. *4,42 Γενομένης δὲ ἡμέρας ἐξελθὼν ἐπορεύθη εἰς ἔρημον τόπον· καὶ οἱ ὄχλοι ἐπεζήτουν αὐτόν, καὶ ἦλθον ἕως αὐτοῦ, καὶ κατεῖχον αὐτὸν τοῦ μὴ πορεύεσθαι ἀπ’ αὐτῶν. 43 ὁ δὲ εἶπεν πρὸς αὐτοὺς ὅτι a δεῖ με καὶ ταῖς ἑτέραις πόλεσιν b ἀπαγγελίσασθαι τὴν βασιλείαν a τοῦ θεοῦ, ὅτι ἐπὶ τοῦτο ἀπεστάλην. ______________________________ 2 Tert. 4,8,7: Marcion deum suum timeri negat. 556 Anhang I 4,42-43 A. *4,42: Tert. 4,8,9: in solitudinem procedit. Solemnis et huiusmodi regio creatoris. Oportebat sermonem illic quoque videri in corpore ubi egerat aliquando et in nube. Competebat et evangelio habitus loci qui placuerat et legi. Capiat itaque iocunditatem solitudo: hoc Esaias promiserat. ♦ *4,43: Tert. 4,8,9: Detentus a turbis, Oportet me, inquit, et aliis civitatibus annuntiare regnum dei. B. a (4,43) δει με και ταις ετεραις πολεσιν ευαγγελισασθαι/ oportet me et in alias civitates evangelizare (benenuntiare: e): Tert B D W 892 d e ¦ (7 6 1-5) και ταις ετεραις πολεσιν ευαγγελισασθαι με δει: it M ● b (4,43) απαγγελισασθαι/ annuntiare: Tert ¦ benenuntiare: e ¦ ευαγγελισασθαι/ evangelizare: a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M . C. Tert. bezeugt *4,42-43 in direktem Anschluss an sein Referat von *4,41. Es spricht alles dafür, dass er bei *Ev den kanonischen Zusammenhang von 4,40-43 gelesen hat. Die beiden Zeitangaben (*4,40a.42a) sind aufeinander bezogen und gehören zusammen: Geschildert wird das Geschehen einer Nacht. Methodisch wichtig ist, dass Tertullian für *Ev die Wendung ἀπαγγελίσασθαι τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ bezeugt, denn das Syntagma (τὴν) βασιλείαν τοῦ θεοῦ + Verb des Verkündigens kommt innerhalb des NT nur in Lk-Act vor und gilt daher als feste Prägung im redaktionellen Vokabular des Lk. 1 Diese Beobachtung scheint nicht zur Annahme der *Ev-Priorität zu passen und wurde dementsprechend auch als Argument gegen die hier vorgenommene Verhältnisbestimmung von *Ev und Lk angeführt. 2 Zwar ist die Bedeutung, die das Syntagma βασιλείαν τοῦ θεοῦ κηρύσσειν/ εὐαγγελίζεσθαι für das redaktionelle Konzept in Lk-Act besitzt, unbestreitbar, wie vor allem die Belege in Act 28,23.31 zeigen. Allerdings ist die Schlussfolgerung, dass die Belege der Wendung in *Ev (*4,43; *16,16) in einem vorlk Text nicht auftauchen dürften und daher die Annahme der *Ev-Priorität grundsätzlich unterminierten, eine unzulässige petitio principii. Sie setzt nämlich voraus, dass alle Elemente, die sich zu einem redaktionellen Konzept fügen lassen, auch erst redaktionell geschaffen sein müssen. In letzter Konsequenz impliziert diese Überlegung, dass der Bearbeiter eines Textes seine eigenen redaktionellen Interessen ausschließlich in redaktionellen Zusätzen bzw. Veränderungen - und ______________________________ 1 »Lukas ist der einzige neutestamentliche Autor, der den Begriff βασιλεία τοῦ θεοῦ als Objekt von Verben der Verkündigung verwendet: Lk 4.43; 8.1; 9.2, 60; 16.16; Apg 20.25; 28.23; 31« (M. W OLTER , »Reich Gottes« bei Lukas, NTS 41 [1995], 541-563: 543). Vgl. auch A. W EISER , »Reich Gottes« in der Apostelgeschichte, in: C. Bussmann (Hg.), Der Treue Gottes trauen, Freiburg/ Brsg. u. a. 1991, 127-135: 128. 2 So hat Michael Wolter eingewandt, die These der *Ev-Priorität scheitere »vor allem daran, dass sie den Textbestand ignoriert und nicht beachtet, dass Markions Evangelium an vielen Stellen Formulierungen enthält, die eindeutig der lukanischen Redaktion zuzuweisen sind« (W OLTER , Lk 3, gegen M. K LINGHARDT , Markion vs. Lukas: Plädoyer für die Wiederaufnahme eines alten Falles, NTS 52 [2006], 484-513: 499). Als Beispiele für dieses Phänomen nennt er die Wendung βασιλείαν τοῦ θεοῦ κηρύσσειν/ εὐαγγελίζεσθαι und verweist auf *4,43 und *16,16. 4,42-43 Rekonstruktion 557 nicht auch in der übernommenen Tradition - zum Ausdruck bringen kann. Diese Bestimmung von Tradition und Redaktion entzieht aber jedem Redaktionsverfahren seine Grundlage: Ein Redaktor bearbeitet traditionelle Texte ja nur deshalb, weil ihm an dieser Tradition gelegen ist. Andernfalls würde er nicht tradierte Texte redigieren, sondern als Autor komplett neue Texte verfassen. Für das vorliegende Problem ist daher von vornherein damit zu rechnen, dass das inhaltliche Interesse eines Redaktors durch Elemente seines Prätextes angeregt sein kann, die er dann durch Weiterentwicklung und Verstärkung akzentuieren und zu einem deutlich profilierten redaktionellen Konzept ausarbeiten kann. Für den vorliegenden Fall des Syntagmas βασιλείαν τοῦ θεοῦ + Verb des Verkündigens ist diese Akzentuierung in der Tat zu beobachten. In den acht Vorkommen in Lk-Act steht als Verb in dieser Verbindung jeweils einmal διαγγέλλειν (Lk 9,60) bzw. διαμαρτυρεῖν (Act 28,23), drei Mal κηρύσσειν (Lk 9,2; Act 20,25; 28,31) und ebenfalls drei Mal εὐαγγελίζεσθαι (Lk 4,43; 16,16; 8,1, hier neben κηρύσσειν). Von den fünf Belegen aus Lk, die für den Vergleich mit *Ev allein in Frage kommen, sind vier durch Tertullian belegt (8,1 hat in *Ev sehr wahrscheinlich gefehlt, s. dort): Er gibt κηρύσσειν (Lk 9,2) durch praedicare wieder (Tert. 4,21,1), διαγγέλλειν (Lk 9,60) durch annuntiare (Tert. 4,23,1) und εὐαγγελίζεσθαι (Lk 4,43; 16,16) ebenfalls durch annuntiare. Dass Tertullian nicht das redaktionelle εὐαγγελίζεσθαι des kanonischen Textes las, wird durch die altlateinische Überlieferung gestützt, die hier nicht wie Tertullian annuntiare, sondern evangelizare (bzw. benenuntiare: e) liest: Die lateinische Übersetzung hat terminologisch zwischen εὐαγγελίζεσθαι und ἀπαγγελίζεσθαι unterschieden. Allerdings hat Tertullian ansonsten keine Schwierigkeiten, das Lehnwort evangelizare zu verwenden (vgl. Tert. 4,25; 4,4,5; 4,13,1-3; 4,14,13; 4,34,16, hier neben annuntiare); es liegt daher nahe, dass er an dieser Stelle in *Ev tatsächlich ἀπαγγελίσασθαι anstelle des kanonischen εὐαγγελίσασθαι las. Gerade weil der semantische Unterschied zwischen εὐαγγελίζεσθαι/ evangelizare und ἀπαγγελίζεσθαι/ annuntiare so minimal ist, fällt die distinkte Verwendung auf: Sie ist eine Folge der lk Redaktion, die den Sprachgebrauch vereinheitlicht hat. Im umgekehrten Fall müsste man erklären, wieso *Ev das kanonische ε ὐ αγγελίσασθαι durch ἀ π αγγελίσασθαι ersetzt haben sollte. Das gleiche Phänomen liegt auch *16,16 vor (s. dort). Die distinkte Wiedergabe von ἀπαγγελίσασθαι und εὐαγγελίσασθαι ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Redaktion das angeblich »typisch lk« Syntagma (Verb des Verkündigens + βασιλείαν τοῦ θεοῦ als Objekt) bereits in *Ev vorgefunden, gleichwohl aber redaktionell bearbeitet hat. Das redaktionelle Interesse des Lk, das sich in der Ersetzung von ἀπαγγελίσασθαι durch εὐαγγελίσασθαι erweist, ist Ausdruck des theologischen Gestaltungswillens und verstärkt die Tendenz, Jesus zum Urheber des Evangeliums zu machen, dessen zentraler Inhalt er selbst ist. 558 Anhang I 4,44 *4,44: Summar - Verkündigung in den Synagogen von Galiläa Unbezeugt, sehr wahrscheinlich vorhanden; durch die lk Redaktion bearbeitet. *4,44 καὶ ἦν κηρύσσων εἰς τὰς συναγωγὰς τῆς a Γαλιλαίας. B. a (4,44) Γαλιλαιας/ Galilaeae: A D Θ Ψ f 13 it sy p.hmg sa bo mss ¦ Ιουδαιας: P 75vid א B C L Q R W (των Ιουδαιων) f 1 mult lectt M sy s.h bo mss (*Ev non test.). C. Tertullian übergeht das Summar in seinem Referat. Auch die Vertreter der Lk- Priorität vermerken nur die Nichtbezeugung, geben aber keine Erklärungen. 1 Die Beurteilung der Summare hier und an anderen Stellen (z. B. 5,15f; 6,18.19; 7,17; 8,1) wirft ein eigenes Problem für die Rekonstruktion auf. Auf der einen Seite liegt auf der Hand, dass die Zeugen für *Ev an den summarischen Notizen nicht interessiert sind, weil diese in der Regel inhaltlich nicht besonders aussagekräftig sind: Zumeist fassen sie Geschehen zusammen, das andernorts präziser zum Ausdruck gebracht wird. Für diese Texte läge es nahe, wenn Tertullian und Epiphanius sie einfach aus Desinteresse übergangen hätten. Da auch die modernen Rekonstrukteure von *Ev ja durchweg eine inhaltliche Redaktion des kanonischen Lk-Textes voraussetzen, äußern sie sich nicht zu den Gründen für die Nichtbezeugung. So gesehen, könnten die Summare theoretisch in *Ev enthalten gewesen sein, ohne dass wir davon Kenntnis erlangt haben. Auf der anderen Seite liefern die Summare häufig narrative Verknüpfungen, die (zumindest ansatzweise) dazu dienen, die Einzelszenen zusammenfassend in einen Erzählzusammenhang zu bringen und als eine Einheit zu deuten. Angesichts des stark fragmentarischen Gesamtcharakters - der bezeugte Bestand verrät, dass *Ev häufig Perikopen einfach unverbunden nebeneinander stellte - stehen diese Summare jedoch unter dem Generalverdacht, Teil der lk Redaktion zu sein. Das gilt besonders in den Fällen, in denen ein (lk) redaktionelles Interesse zumindest wahrscheinlich ist. Für die Beurteilung der Summare ist daher besondere Vorsicht geboten. Wenn keine zusätzlichen (textkritischen, überlieferungsgeschichtlichen oder kompositionskritischen) Gesichtspunkte vorliegen, lässt sich kein einigermaßen verlässliches Urteil fällen (vgl. daher im Einzelnen u. zu 5,15f; 6,18.19; 7,17; 8,1). Dies ist jedoch für *4,44 aufgrund des textkritischen Problems der Fall: Ein beachtlicher Teil der Handschriftenüberlieferung (A D Θ Ψ f 13 it sy p.hmg sa bo mss ) liest, in enger Entsprechung zu Mk 1,39 || Mt 4,23, (καὶ ἦν κηρύσσων εἰς τὰς συναγωγὰς τῆς) Γ α λ ι λ α ί α ς anstelle von Ἰο υ δ α ί α ς (so aber P 75vid א B C L Q R W f 1 mult lectt sy s.h ). Metzger zieht die Lesart Ιουδαιας als lectio difficilior vor, weil sie der Ankündigung in 4,14 widerspreche und daher von den Kopisten nach ______________________________ 1 H ARNACK 187*; T SUTSUI 78. 4,44 Rekonstruktion 559 Mt 4,23 korrigiert worden sei. 2 Vor dem Hintergrund der Beobachtungen zu den engen Entsprechungen zwischen *Ev und dem »Westlichen Text« leuchtet weder die Entscheidung noch die Begründung ein, da die »Westlichen Hauptzeugen« (D it [sy]) hier auf überzeugende Weise zusammengehen, zugleich aber von den alten und zuverlässigen Zeugen P 75 א B abweichen: Es liegt das bekannte Phänomen vor, dass eine redaktionelle Änderung von *Ev im kanonischen Text durch einen Teil der Überlieferung nicht mit korrigiert wurde; in diesem Fall betrifft das nicht nur D it (sy), sondern auch andere Handschriften. Dazu stimmt die Beobachtung, dass die komprehensive Verwendung von Ἰουδαία als Bezeichnung des gesamten von Juden bewohnten Landes in Palästina eine typisch lk Wendung ist. 3 Die anderen Belege für dieses Verständnis 4 sind durchweg verdächtig, redaktionell zu sein: Lk hat ein ausgesprochenes Interesse an »Judäa«. 5 Auch wenn deswegen nicht alle Vorkommen von »Judäa« automatisch redaktionell sind, ist doch für die unbezeugten Stellen erhöhte Vorsicht angebracht. Dieses textkritische Urteil erlaubt dann die überlieferungsgeschichtliche Schlussfolgerung, dass Mk 1,39 || Mt 4,23 mit dem Hinweis auf die Synagogen Galiläas den Text von *Ev bewahrt haben, während Lk hier aus redaktionellen Gründen die Synagogen Judäas eingetragen hat. Die Differenz zwischen den beiden Strängen der handschriftlichen Überlieferung macht es daher sehr wahrscheinlich, dass das Logion als Abschluss von *4,41-43 in *Ev enthalten war. *5,1-2.3-6.7.8-11: Wunderbarer Fischzug. Berufung des Petrus und der Zebedaiden Bezeugt, sicher vorhanden, aber vermutlich redaktionell bearbeitet. 5,1 Ἐγένετο δὲ ἐν τῷ τὸν ὄχλον ἐπικεῖσθαι αὐτῷ καὶ ἀκούειν τὸν λόγον τοῦ θεοῦ a ἑστώτος αὐτοῦ a παρὰ τὴν λίμνην Γεννησαρέτ 2 καὶ εἶδεν δύο πλοῖα ἑστῶτα παρὰ τὴν λίμνην· οἱ δὲ ἁλιεῖς ἀπ’ αὐτῶν ἀποβάντες ἔπλυνον τὰ δίκτυα. 3 ἐμβὰς δὲ εἰς ἓν τῶν πλοίων, ὃ ἦν Σίμωνος, ἠρώτησεν αὐτὸν ἀπὸ τῆς γῆς ἐπαναγαγεῖν b ὅσον ὅσον b , c καθίσας δὲ ἐν τῷ πλοίῳ c ἐδίδασκεν τοὺς ὄχλους. 4 ὡς δὲ ἐπαύσατο λαλῶν, εἶπεν πρὸς τὸν Σίμωνα, Ἐπανάγαγε εἰς τὸ βάθος καὶ χαλάσατε τὰ δίκτυα ὑμῶν εἰς ______________________________ 2 M ETZGER , Textual Commentary 114f z. St. 3 Vgl. W OLTER , Lk 72f zu 1,5. 4 Vgl. Lk 1,5 (hat in *Ev sicher gefehlt); 6,16; 7,17; 23,5 (s. jeweils z. St.); Act 1,8. 5 Dies gilt auch für die Belege, an denen »Judäa« die römische Provinz im engeren Sinn (des ehemaligen Südreichs bzw. der persischen Provinz Jehud) bezeichnet: Lk 2,4; 3,1; 5,17; 21,21 (sowie Act 9,31) sind durchweg redaktionell (s. jeweils z. St.). Vgl. insgesamt D. P. B ECHARD , The Theological Significance of Judaea in Luke-Acts, in: J. Verheyden (ed.), The Unity of Luke-Acts, Leuven 1999, 675-691. 560 Anhang I 5,1-11 ἄγραν. 5 d ὁ δὲ Σίμων ἀποκριθεὶς d εἶπεν e αὐτῷ, Διδάσκαλε e , δι’ ὅλης νυκτὸς κοπιάσαντες οὐδὲν ἐλάβομεν, ἐπὶ δὲ τῷ ῥήματί σου f οὐ μὴ παρακούσομαι f . 6 καὶ g εὐθὺς χαλάσαντες τὰ δίκτυα g συνέκλεισαν πλῆθος ἰχθύων πολύ, h ὥστε τὰ δίκτυα ρήσσεσθαι h . 7 καὶ κατένευσαν τοῖς μετόχοις ἐν τῷ ἑτέρῳ πλοίῳ τοῦ ἐλθόντας i βοηθεῖν αὐτοῖς· καὶ ἦλθον, καὶ ἔπλησαν ἀμϕότερα τὰ πλοῖα ὥστε k παρά τι βυθίζεσθαι k . 8 l ὁ δὲ Σίμων [ Πέτρος ] l προσέπεσεν m αὐτοῦ τοῖς ποσὶν m λέγων, n {Παρακαλῶ,} ἔξελθε ἀπ’ ἐμοῦ, ὅτι ἀνὴρ ἁμαρτωλός εἰμι, κύριε· 9 θάμβος γὰρ περιέσχεν αὐτὸν o [ καὶ πάντας τοὺς σὺν αὐτῷ ] o ἐπὶ τῇ ἄγρᾳ τῶν ἰχθύων ὧν συνέλαβον. 10 p ἦσαν δὲ κοινωνοὶ αὐτοῦ Ἰάκωβος καὶ Ἰωάννης υἱοὶ Ζεβεδαίου· ὁ δὲ εἶπεν αὐτοῖς· δεῦτε καὶ μὴ γίνεσθε ἁλιεῖς ἰχθύων, ποιήσω γὰρ ὑμᾶς ἁλιεῖς ἀνθρώπων· 11 οἱ δὲ ἀκούσαντες πάντα κατέλειψαν ἐπὶ τῆς γῆς καὶ p ἠκολούθησαν αὐτῷ. A. *5,3-5.8: Tert. 4,9,1: De tot generibus operum quid utique ad piscaturam respexit, ut ab illa in apostolos sumeret Simonem et filios Zebedaei (non enim simplex factum videri potest de quo argumentum processurum erat) … ♦ *5,4-10: Tert. 4,9,1: piscatura. ♦ *5,6.9: Tert. 4,9,1: … dicens Petro trepidanti de copiosa indagine piscium. ♦ *5,8-10: Tert. 4,9,1: … dicens Petro trepidanti de copiosa indagine piscium, Ne time, abhinc enim homines eris capiens? ♦ *5,11: Tert. 4,9,2: Denique relictis naviculis secuti sunt eum, ipsum intellegentes qui coeperat facere quod edixerat. B. a (5,1) εστωτος αυτου/ stante illo: D d (e ) Tat arab ¦ om 047 ¦ add και αυτος ην εστως: M (*Ev non test.) ● b (5,3) οσον οσον: D d Tat pers ¦ ολιγον: M (*Ev non test.) ● c (5,3) καθισας δε εν τω πλοιω: א D (d e) aeth August (In Joh 122,7; CCL 36, 671) ¦ καθισας δε εκ του πλοιου: M (*Ev non test.) ● d (5,5) ο δε Σιμων αποκριθεις: D d ([1 2] om: e) ¦ και αποκριθεις ο Σιμων: M (*Ev non test.) ● e (5,5) αυτω διδασκαλε/ illi magister: D a d ¦ επιστατα/ praeceptor: it M (*Ev non test.) ● f (5,5) ου μη παρακουσομαι: D* (d); ου μη παρακουσομεν: D c (e) ¦ χαλασω τα διτκυα: it M (*Ev non test.) ● g (5,6) ευθυς χαλασαντες τα δικτυα: D (d e sy s ) August (Spec. 248; 250; 252; 270; PL 38, 1159; 1164; 1172; 1243) ¦ τουτο ποιησαντες: it M (*Ev non test.) ● h (5,6) ωστε τα δικτυα ρησσεσθαι: D (d) e armen aeth got August (In Ps 49,9; CCL 38, 582; Spec. 248; 252; 272 [s. o.]) ¦ διερρησσετο δε τα δικτυα αυτων: M (*Ev non test.) ● i (5,7) βοηθειν/ adiuvarent: D it ¦ συλλαβεσθαι (συμλαμβανεσθε, συναντιλαβεσθαι usw.): M (*Ev non test.) ● k (5,7) παρα τι βυθιζεσθαι: D c d e r 1 sy s.p.hmg Tat arab.pers armen Ambr (Lc. 4,77; CCL 14, 134) August (Spec. 249,1; PL 38, 1161) ¦ βυθιζεσθαι: a aur b f ſſ 2 l q ¦ βυθιζεσθαι αυτα: M (*Ev non test.) ● l (5,8) ο δε Σιμων: D (d); ο δε Σιμων ιδων: e; τουτο ιδων Σιμων: a b r 1 ¦ ιδων δε Σιμων Πετρος: aur c f ſſ 2 l q (vg) M (*Ev non test.) ● m (5,8) αυτου τοις ποσιν: D (1 118 131 205 209 579 1582 c d e sy s.p Tat arab.pers sa bo ¦ τοις γονασι του Ιησου: a aur b f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● n (5,8) παρακαλω: D d; παρακαλω σε: c f r 1 got; προς τον Ιησουν παρακαλω σε: e; αυτω παρακαλω σε κυριε: sy p (~ Tat arab ) ¦ om a aur b ſſ 2 l q M (*Ev non test.) ● o (5,9) και παντας τους συν αυτω: om D 179 1242* d ¦ add it M (*Ev non test.) ● p (5,10-11) ησαν δε κοινωνοι αυτου Ιακωβος και Ιωαννης υιοι Ζεβεδαιου· ο δε ειπεν αυτοις· δευτε και μη γινεσθε αλιεις ιχθυων, ποιησω γαρ υμας αλιεις ανθρωπων· οι δε ακουσαντες παντα κατελειψαν επι της γης και: D d (e) ¦ ομοιως δε και Ιακωβον και Ιωαννην υιους Ζεβεδαιου, 5,1-11 Rekonstruktion 561 οι ησαν κοινωνοι τω Σιμωνι. και ειπεν προς τον Σιμωνα (ο) Ιησους· μη ϕοβου· απο του νυν ανθρωπους εση ζωγρων. και καταγαγοντες τα πλοια επι την γην αϕεντες παντα: (Tert! ) it M . C. Tertullians Erwähnung der Perikope vom wunderbaren Fischfang und der Berufung des Petrus ist sehr sparsam: Bezeugt sind nur einzelne Elemente aus *5,(3? )4-6. 8-11. Auch wenn diese deutlich machen, dass er wenigstens die eigentliche Fischfang- und Berufungserzählung kannte (*5,4-11), bleiben Fragen zur genaueren Gestalt in *Ev. Daher sind die Lesarten vor allem in D und den Altlateinern von Bedeutung, die als Spuren der Interferenz zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Überlieferung zu deuten sind: Sie sichern auch die unbezeugten Passagen für *Ev und erlauben die Rekonstruktion des vorkanonischen Wortlauts. Ein Aspekt dieser Interferenzen scheint typisch für *Ev zu sein: Die Anrede Jesu als »Lehrer« (διδάσκαλε *5,5) anstatt als »Meister« (ἐπιστάτα) ist auch in *8,23.45; *9,33.49 sehr wahrscheinlich (s. jeweils die Rekonstr.). Der Wechsel geht dann auf die lk Redaktion zurück. Nicht ganz klar ist die Situation in *8,23, wo D d die doppelte κύριε-Anrede haben, wogegen das einfache διδάσκαλε/ magister in einigen Altlateinern (a c e r 1 ) bezeugt ist (s. dort). Der auf diese Weise rekonstruierte vorkanonische Wortlaut erlaubt eine Klärung der überlieferungsgeschichtlichen Fragen, die für die lk Fassung intensiv erörtert wurden. 1 Denn wegen der Ähnlichkeiten zwischen *5,1-3 zu Mk 1,16-20 sowie der Eigenständigkeit von *5,4-11 innerhalb der synoptischen Tradition wurde und wird hier ein breites Spektrum unterschiedlicher Optionen vertreten. 1. Im Rahmen der Zwei-Quellentheorie ist die Herkunft von *5,1-3 sowie die Verbindung mit *5,4-11 sehr unterschiedlich beurteilt worden. Dabei reichen die Überlegungen von einer Sonderquelle, die entweder für die Wundererzählung ab V. *4 oder für die gesamte Perikope angenommen wurde, 2 über eine redaktionelle Ausgestaltung der mk Vorlage(n) in Mk 1,16-20 (und 4,1f) 3 bis hin zu einer Kombination mehrerer Quellen, vor allem Mk und lk Sondergut. 4 Im Hintergrund dieser Überlegungen stand vor allem die Frage, ob der Ursprung der Fischfangerzählung in einer Überlieferung von der österlichen Ersterscheinung des Auferstandenen vor Petrus zu sehen sei, 5 oder ob sie von Anfang an mit dem Wirken des ______________________________ 1 Einen Überblick über die Forschungspositionen bei U. B USSE , Begegnung mit dem Wort, in: R. Bieringer (ed.), Luke and his Readers, Leuven 1982, 113-129: 115-119. 2 Vgl. z. B. C REED , Lk 13; I. H. M ARSHALL , Luke: Historian and Theologian, Exeter 1970, 65; R. P ESCH , Der reiche Fischfang, Düsseldorf 1969, 135. 3 Vgl. z. B. K LOSTERMANN , Lk 431; R. B ULTMANN , Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen 7 1967, 232; E. H AENCHEN , Der Weg Jesu, Berlin 2 1968, 83 Anm. 2; M. G OULDER , Characteristics of the Parables in the Several Gospels, JTS NS 19 (1968), 51-69: 68. 4 Vgl. etwa F ITZMYER , Lk I, 560; R ADL , Lk 294; B OVON , Lk I 228. 5 So vor allem G. K LEIN , Die Berufung des Petrus, in: ders., Rekonstruktion und Interpretation, München 1969, 11-49. 562 Anhang I 5,1-11 Irdischen verbunden war. 6 Hier stehen also erkennbar die unübersehbaren Beziehungen zwischen Lk 5,1-11 und Joh 21,1-19 im Hintergrund. Erschwert werden diese Überlegungen durch die sehr uneinheitliche Beurteilung der lk Textgestalt: Während auf der einen Seite eine Reihe von Auffälligkeiten - vor allem der Numeruswechsel in *5,4-6.10f; Erwähnung der Boote (ihre Zahl und unterschiedliche narrative Rolle) 7 - als Inkohärenzsignale gewertet und dann literarkritisch beseitigt wurden, konnten die gleichen Phänomene auch als Kohärenzsignale gewertet werden, die ein »dichtes Beziehungsgeflecht her (stellen), das auch über die einzelnen Abschnitte hinausgreift.« 8 2. Im Licht der *Ev-Priorität stellt sich die Überlieferungsgeschichte der ersten Jüngerberufungen jedoch ganz anders dar und lässt sich ohne Probleme klären. Da Lk 4,38f wahrscheinlich erst durch die Redaktion im Gefolge von Mk 1,29-31 eingefügt wurde, ist *5,1-11 nicht nur die erste Berufungserzählung, sondern die erste Erwähnung der Jünger in *Ev überhaupt. Nach dem summarischen Verweis auf die Tätigkeit Jesu in Kapharnaum *4,40-43 ist die Berufung an dieser Stelle auch sehr sinnvoll platziert. Für die Rekonstruktion der genauen Gestalt der Perikope gibt es neben den Interferenzspuren keine Hinweise, dass sie in *Ev wesentlich anders als in Lk ausgesehen hat. Unter der Prämisse der *Ev-Priorität verschwinden die meisten der viel diskutierten Probleme: Lk hat nicht Mk bearbeitet, sondern Mk hat *Ev bearbeitet. Dies gilt auch für die Erwähnung der Zebedaiden in *5,10, die in Lk nur an dieser Stelle (und in Joh nur an der entsprechenden Stelle 21,2) mit dem Patronym erwähnt werden. Da sie im Text »stilistisch reichlich unelegant hinten drangehängt« werden, hat man gefolgert, dass sie in der »ursprünglichen Erzählung nicht vorkamen und Lukas ihnen nur unter dem Druck von Mk 1,19f eine Rolle gegeben« habe. 9 Die Erwähnung des Namens Zebedäus ist allerdings durch Tertullians Referat für *Ev gesichert (4,9,1). Die sehr viel größere Bedeutung, welche die Zebedaiden bei Mk spielen, geht also auf dessen redaktionelle Bearbeitung zurück. Das Gleiche gilt auch die Erwähnung des Andreas Mk 1,16, der damit das Quartett der beiden Brüderpaare komplettiert. Auffällig ist, dass die eine Erwähnung des Petrus im kanonischen Text (Lk 5,8) im vorkanonischen Text sehr wahrscheinlich fehlte: Dort war durchgängig nur von »Simon« die Rede. 3. Diese Abhängigkeit des Mk von *Ev ist an einer Stelle auch unmittelbar einsichtig zu machen, und zwar anhand der Zahl der Boote. In *5,2 werden zwei Boote erwähnt, obwohl Jesus sich dann nur in eines setzt, von dort aus zunächst lehrt (V. ______________________________ 6 So vor allem P ESCH , a. a. O. 111-113; R ADL , Lk 294f. 7 Die Auffälligkeiten sind gesammelt bei K LEIN , a. a. O. 11-15. 8 R ADL , Lk 293. 9 W OLTER , Lk 215. 5,1-11 Rekonstruktion 563 *3) und dann auf den See zum Fischen hinausfährt (V. *4). Die erzählerische Funktion des zweiten Bootes wird jedoch erst in V. *7 verständlich: Das zweite Boot gehört den Gefährten Simons und ist notwendig, um die reiche Beute mit aufzunehmen; am Ende werden beide Boote an Land gezogen und verlassen (V. *11). Die Schlüssigkeit der Erzählung erfordert das zweite Boot, weil es deutlich macht, wie ungeheuer groß der Fang war. Abgesehen davon stellt man sich die Zebedaiden als Eigentümer dieses zweiten Bootes vor, ohne dass dies ausdrücklich gesagt wird. Das »Boot« spielt in Mk 3-8 eine entscheidende, kohärenzstiftende Rolle: Es ist der Ort, an dem die Jünger zunächst bei Jesus sind und ihn bei seiner Verkündigung begleiten bzw. dann (ab Mk 6,6b) selbst den Auftrag der Verkündigung übernehmen und selbständig ausführen. 10 In Mk 4,36b tauchen dann neben dem Boot, in dem Jesus und die Jünger den See während des Sturms überqueren, noch »andere Boote« auf, die hier ohne eine erkennbare narrative Funktion bleiben (καὶ ἄλλα πλοῖα ἦν μετ’ αὐτοῦ) und daher die Auslegung schon immer irritiert haben. 11 Da sich keiner der Erklärungsversuche durchgesetzt hat, schlägt die jüngste Lösung vor, das Problem mit der Annahme einer Verlesung kurzerhand zu beseitigen (von ἄλλα πλοῖα aus ἅμα πολλοί: ΑΛΛΑΠΛΟΙΑ - ΑΜΑΠΟΛΛΟΙ). 12 Unabhängig davon, wie die Entstehung dieser Variante zu erklären ist, 13 lässt sich das ἄλλα πλοῖα des Mehrheitstextes in der Tat als »Traditionssplitter« verstehen, 14 der »infolge der Redaktion unverständlich geworden ist.« 15 Im Unterschied zu überlieferungsgeschichtlichen Modellen, die mit der Mk-Priorität rechnen, lässt sich dieser Vorgang jetzt direkt zeigen: Die mk Redaktion hat diesen »Splitter« aus *Ev übernommen: Das zweite Boot bzw. die weiteren Boote stammen aus der Fischzugerzählung in *Ev, auf der Mk 4 beruht und die Mk übernommen hat, obwohl die zusätzlichen Boote jetzt ohne narrative Funktion sind und die ansonsten konzise mk Komposition stören. 16 ______________________________ 10 Vgl. M. K LINGHARDT , Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19 (2002), 183-202. 11 Vgl. dazu die Literatur, die bei K. F R . U LRICHS , »… und viele miteinander waren bei ihm.« Ein textkritischer und formgeschichtlicher Vorschlag zu Mk 4,36b, ZNW 88 (1997), 187-196: 187 Anm. 1 und 2, genannt ist. 12 U LRICHS , a. a. O.; diese Lesart ist durch W e (et simul multi erant cum eo) bezeugt. 13 Der von U LRICHS angenommene »Lesefehler« (a. a. O. 190ff: ΚΑΙΑΜΑΠΟΛΛΟΙΗΣΑΝ anstelle von ΚΑΙΑΛΛΑΠΛΟΙΑΗΣΑΝ) ist eher eine redaktionelle Änderung als ein Versehen. Wie so häufig bei der Lösung inhaltlicher Schwierigkeiten durch die Annahme eines abweichenden Textes, ist auch für diesen Vorschlag zu fragen, wie aus der Lesart 4,36b (W e) das ansonsten breit bezeugte ἄλλα πλοῖα entstanden sein soll. Für dieses Problem gilt cum grano salis, was U LRICHS selbst gegen den Vorschlag einwendet, 4,36b sei eine redaktionelle Einfügung durch Mk (a. a. O. 189): Die Probleme verschärfen sich. 14 P ESCH , Mk I, 270. 15 B ULTMANN , a. a. O. 230. 16 Entgegen U LRICHS ’ Behauptung (a. a. O. 189 Anm. 17) haben die Seitenreferenten die fragliche Notiz keineswegs »konsequent« entfernt, wie Lk 5,2.7.11 zeigt. 564 Anhang I 5,1-11 4. Damit ist deutlich: Mk hat die Berufungsgeschichte *5,1-11 zerlegt und den Bericht von der Berufung der ersten vier Jünger (Mk 1,16-20 || *5,8-11) 17 an den Anfang des öffentlichen Wirkens Jesu gesetzt. Wenigstens einer der Gründe für diese Verlagerung dürfte in der programmatischen Rolle der Streitgespräche Mk 2,1-3,6 zu sehen sein, in denen Mk den Plot bis hin zum Tötungsbeschluss vorbereitet, für die jedoch die Existenz der Jünger notwendig war. Daneben hat Mk den Anfang der Berufungsgeschichte in *Ev (*5,1-4a) auf 3,7.9; 4,1f.35f verteilt. *5,1-4a Mk 3,7.9; 4,1f.35f *5,1 Ἐγένετο δὲ ἐν τῷ τὸν ὄχλον ἐπικεῖσθαι αὐτῷ καὶ ἀκούειν τὸν λόγον τοῦ θεοῦ καὶ αὐτὸς ἦν ἑστὼς παρὰ τὴν λίμνην Γεννησαρέτ 3,7 Καὶ ὁ Ἰησοῦς … ἀνεχώρησεν πρὸς τὴν θάλασσαν· καὶ πολὺ πλῆθος ἀπὸ τῆς Γαλιλαίας ἠκολούθησεν *5,2 καὶ εἶδεν δύο πλοῖα ἑστῶτα παρὰ τὴν λίμνην· οἱ δὲ ἁλιεῖς ἀπ’ αὐτῶν ἀποβάντες ἔπλυνον τὰ δίκτυα. 3,9 καὶ εἶπεν τοῖς μαθηταῖς αὐτοῦ ἵνα πλοιάριον προσκαρτερῇ αὐτῷ διὰ τὸν ὄχλον ἵνα μὴ θλίβωσιν αὐτόν *5,2 καὶ εἶδεν δύο πλοῖα ἑστῶτα παρὰ τὴν λίμνην· οἱ δὲ ἁλιεῖς ἀπ’ αὐτῶν ἀποβάντες ἔπλυνον τὰ δίκτυα. *5,3 ἐμβὰς δὲ εἰς ἓν τῶν πλοίων, ὃ ἦν Σίμωνος, ἠρώτησεν αὐτὸν ἀπὸ τῆς γῆς ἐπαναγαγεῖν ὀλίγον, καθίσας δὲ ἐκ τοῦ πλοίου ἐδίδασκεν τοὺς ὄχλους. 4,1 Καὶ πάλιν ἤρξατο διδάσκειν παρὰ τὴν θάλασσαν. καὶ συνάγεται πρὸς αὐτὸν ὄχλος πλεῖστος, ὥστε αὐτὸν εἰς πλοῖον ἐμβάντα καθῆσθαι ἐν τῇ θαλάσσῃ, καὶ πᾶς ὁ ὄχλος πρὸς τὴν θάλασσαν ἐπὶ τῆς γῆς ἦσαν. 4,2 καὶ ἐδίδασκεν αὐτοὺς ἐν παραβολαῖς πολλά, καὶ ἔλεγεν αὐτοῖς ἐν τῇ διδαχῇ αὐτοῦ *5,4 ὡς δὲ ἐπαύσατο λαλῶν, εἶπεν πρὸς τὸν Σίμωνα, Ἐπανάγαγε εἰς τὸ βάθος (καὶ χαλάσατε τὰ δίκτυα ὑμῶν εἰς ἄγραν) 4,35 Καὶ λέγει αὐτοῖς ἐν ἐκείνῃ τῇ ἡμέρᾳ ὀψίας γενομένης, Διέλθωμεν εἰς τὸ πέραν. 36 καὶ ἀϕέντες τὸν ὄχλον παραλαμβάνουσιν αὐτὸν ὡς ἦν ἐν τῷ πλοίῳ, καὶ ἄλλα πλοῖα ἦν μετ’ αὐτοῦ. Die Verteilung von *5,1-3 auf die beiden unterschiedlichen Situationen Mk 3,7.9 und 4,1f macht es dann erforderlich, dass Mk die Einleitung (*5,2f) doppelt erzählen muss: In 3,7.9 führt die Bedrängung durch die Menge dazu, dass Jesus sich ein Boot bereitstellen lässt (3,9); als er zum See zurückkehrt, benutzt er dieses Boot, als ihn der ὄχλος πλεῖστος wieder bedrängt (4,1f). Den wunderbaren Fischfang berichtet Mk zwar nicht, aber er hat die Gefährlichkeit der Situation (die Netze drohen zu zerreißen) durch die Seesturmerzählung (Mk 4,35-41) sowie die Beauftragung der Jünger (*5,4b) durch die Sendung und Rückkehr der Jünger (Mk 6,6b-13.30) narrativ interpretiert. 5. Für das Ende der Perikope referiert Tertullian Elemente des kanonischen Mehrheitstextes: Er hat ganz offensichtlich nicht nur von der Furcht gelesen (*5,9: ______________________________ 17 Die wichtigsten Gemeinsamkeiten sind die Erwähnung der Zebedaiden neben Simon (dem Mk seinen Bruder Andreas an die Seite stellt) sowie das Menschenfischerlogion (*5,10 || Mk 1,17 || Mt 4,19). 5,1-11 Rekonstruktion 565 θάμβος), die Petrus befallen hatte, 18 sondern auch die darauf bezogene Aufforderung Jesu, er solle sich nicht fürchten. 19 Es ist allerdings zweifelhaft, dass der Text von Tertullians *Ev-Exemplar hier den vorkanonischen Wortlaut enthielt. Denn in D d (e) fehlt diese Aufforderung. Stattdessen werden die Zebedaiden Jakobus und Johannes als Simons Gefährten erwähnt, die man sich als die Besitzer oder Nutzer des zweiten Bootes denkt und die in *5,7 bereits als die μέτοχοι des Petrus in das Geschehen eingegriffen hatten. Nach dem D-Text fordert Jesus die Zebedaiden (! ) auf, Menschenfischer zu werden, die daraufhin alles ἐπὶ τῆς γῆς zurücklassen und Jesus nachfolgen. Der Text von *5,10f (D d e) weist gegen den Mehrheitstext einige Übereinstimmungen mit der Erzählung von der Berufung der ersten Jünger nach Mk 1,16-20 || Mt 4,18-22 auf, ohne doch als sekundäre Anpassung an diese synoptischen Parallelen verstanden werden zu können. Auf der einen Seite findet sich das Stichwort ἁλιεῖς ἀνθρώπων *5,10 || Mk 1,17 || Mt 4,19. Die ungewöhnliche Formulierung *5,10 μὴ γ ί ν ε σ θ ε ἁλιεῖς ἰχθύων besitzt in Mk 1,17 ποιήσω ὑμᾶς γ ε ν έ σ θ α ι ἁλιεῖς ἀνθρώπων noch einen Reflex. In dieser Formulierung (ποιήσω ὑμᾶς ἁλιεῖς ἀνθρώπων) stimmen *5,10 || Mk 1,17 || Mt 4,19 gegen Lk 5,10 (ἀπὸ τοῦ νῦν ἀνθρώπους ἔσῃ ζωγρῶν) überein. Auf der anderen Seite unterscheidet sich die mk-mt Berufungserzählung so deutlich von der Fassung in *Ev-Lk mit dem wunderbaren Fischfang, dass ein versehentlicher Eintrag von der einen (Mk-Mt) in die andere (Lk) Fassung ausgeschlossen ist: Die Differenz zwischen dem Mehrheitstext und *5,10f (D d e) ist kein Versehen, sondern ein tiefer redaktioneller Eingriff. Dieser Eingriff ist jedoch nicht einem späteren Kopisten zuzurechnen, sondern der lk Redaktion: Sie hat die Erzählung auf Petrus hin ausgerichtet, lässt seine Furcht überwunden sein und macht (nur) ihn zum Menschenfischer. Dies hat eine enge Entsprechung in Joh 21,1-19 (s. gleich). Aus diesem Grund spricht alles dafür, dass Tertullians *Ev-Exemplar in *5,10f bereits durch die kanonische Textüberlieferung (mit der Fokussierung auf Petrus und der Aufforderung »Fürchte dich nicht! «) kontaminiert war. Obwohl Tertullian hier den kanonischen Wortlaut voraussetzt, scheint auch bei ihm die ältere Fassung mit dem kausalen Anschluss des Menschenfischer-Auftrags noch durch. 20 Dass Petrus von jetzt an Menschenfischer sein soll, begründet zwar, warum er kein Fische-Fischer mehr ist, nicht aber, warum er sich nicht fürchten soll: In *Ev ist der kausale Anschluss semantisch sinnvoll, in Lk nicht. Die Spuren des vorkanonischen Textes sind in D d e noch erkennbar, und dieser vorkanonische Text hat auch die Rezeption in Mk und Mt beeinflusst. ______________________________ 18 Lk 5,9 καὶ πάντας τοὺς σὺν αὐτῷ ist ein Zusatz der lk Redaktion, wie die Interferenzlesart zeigt. 19 Lk 5,10: μὴ ϕοβοῦ; vgl. Tert. 4,9,1: dicens Petro trepidanti […] Ne time … 20 Tert. 4,9,1: Ne time, abhinc e n i m homines eris capiens. 566 Anhang I 5,1-11 6. Neben der interpretierenden Relecture von *5,1-11 in Mk 1,16-20; 3,7.9; 4,1f. 35f ist die Erzählung vom wunderbaren Fischfang mit der Beauftragung des Simon auch durch Joh 21,1-19 rezipiert worden. 21 Dass es »über die Nennung der unbedingt erforderlichen Requisiten hinaus … keinerlei Überschneidungen zwischen den beiden Texten« gebe, 22 lässt sich jedoch nur für die lexematische Ebene behaupten: In der Tiefenstruktur zeigen sich deutliche Analogien auch unabhängig von den verwendeten Begriffen. 23 Dabei ist deutlich, dass Joh 21 nicht einfach *5,1-11 wiedergibt, sondern in einem hoch komplexen Geflecht von intertextuellen Beziehungen steht (vgl. u. zu *22,31-34). Auf der einen Seite ist Joh 21 von *5,1-11 abhängig: Joh interpretiert die Bestimmung des Petrus zum »Menschenfischer« als dessen Reinstallation nach der Verleugnung. Sofern Joh nicht als autarker Text, sondern im Verbund mit seinen Prätexten gelesen werden will, müsste man sagen: Joh ergänzt den (aus *Ev) bekannten Bericht über die Berufung des Petrus durch die analog gestaltete Erzählung seiner Reinstallation als Wiederholung. Auf Joh 21 wiederum reagiert Lk 22,32 mit der (in *Ev nicht erzählten, s. dort) Ankündigung der Umkehr und der Beauftragung zur »Stärkung der Brüder«. Diese wechselseitigen Bezugnahmen schließen aus, dass Joh 21 einfach ein überlieferungsgeschichtliches Seitenstück zu *5,1-11 darstellt, das literarisch in keiner Verbindung dazu steht. So hat die Erzählung vom wunderbaren Fischfang des Petrus und seiner Einsetzung zum »Menschenfischer« für die kanonische Evangelienüberlieferung eine große Rolle gespielt. Da Joh 21 nicht auf eine gemeinsame Quelle mit *5,1-11 zurückgeht, sondern von diesem Text (und anderen) abhängig ist, liegt die früheste Bezeugung einer Sonderrolle des Petrus innerhalb der Evangelienüberlieferung tatsächlich in der Erzählung seiner Berufung in *Ev-Lk, nicht aber in der seiner Ostererscheinung, die eine Parallele in 1Kor 15,5 besitzt. Joh 21 verbindet diese beiden Traditionen und bringt auf diese Weise die Kohärenz der Kanonischen Ausgabe des NT insgesamt zum Ausdruck. *5,12-14{14 (D)} [ 15-16 ] : Heilung des Aussätzigen. [ Rückzug Jesu ] Bezeugt, sicher vorhanden, aber mit größter Wahrscheinlichkeit durch die lk Redaktion bearbeitet (Vv. 15f). 5,12 Καὶ ἐγένετο ἐν τῷ εἶναι αὐτὸν ἐν μιᾷ τῶν πόλεων, καὶ ἰδοὺ ἀνὴρ a λεπρός· ἰδὼν δὲ τὸν Ἰησοῦν b ἔπεσεν ἐπὶ πρόσωπον c [ ἐδεήθη αὐτοῦ ] c λέγων, Κύριε, ἐὰν θέλῃς δύνασαί με καθαρίσαι. 13 καὶ ἐκτείνας τὴν χεῖρα ἥψατο αὐτοῦ λέγων, Θέλω, ______________________________ 21 Vgl. dazu G. B LASKOVIC , Johannes und Lukas, St. Ottilien 1999, 43-87. 22 W OLTER , Lk 210. 23 Vgl. die Liste bei B LASKOVIC , a. a. O. 43. 5,12-16 Rekonstruktion 567 καθαρίσθητι· καὶ εὐθέως d ἐκαθαρίσθη. 14 καὶ αὐτὸς παρήγγειλεν αὐτῷ μηδενὶ εἰπεῖν, ἀλλὰ e †ἄπελθε†, δεῖξον σεαυτὸν τῷ ἱερεῖ, καὶ προσένεγκε f †τὸ δῶρον† f g †ὃ† προσέταξεν Μωϋσῆς, h ἵνα εἰς μαρτύριον ᾖ τοῦτο ὑμῖν h . i {5,14 D  Mk 1,45; 2,1a ὁ δὲ ἐξελθὼν ἤρξατο κηρύσσειν καὶ διαϕημίζειν τὸν λόγον, ὥστε μηκέτι δύνασθαι αὐτὸν ϕανερῶς εἰς πόλιν εἰσελθεῖν, ἀλλ’ ἔξω ἦν ἐπ’ ἐρήμοις τόποις· καὶ συνήρχοντο πρὸς αὐτὸν καὶ ἦλθεν πάλιν εἰς Καϕαρναούμ.} i [ 15 διήρχετο δὲ μᾶλλον ὁ λόγος περὶ αὐτοῦ, καὶ συνήρχοντο ὄχλοι πολλοὶ ἀκούειν καὶ θεραπεύεσθαι ἀπὸ τῶν ἀσθενειῶν αὐτῶν· 16 αὐτὸς δὲ ἦν ὑποχωρῶν ἐν ταῖς ἐρήμοις καὶ προσευχόμενος. ] A. *5,12-14: Tert. 4,9,3: (quae in exemplo leprosi) … (leprosi purgatio). ♦ *5,12f: Tert. 4,9,4: Itaque dominus volens altius intellegi legem per carnalia spiritalia significantem, et hoc nomine non destruens sed magis exstruens, quam pertinentius volebat agnosci, tetigit leprosum, a quo etsi homo inquinari potuisset, deus utique non inquinaretur, incontaminabilis scilicet. ♦ *5,14a: Tert. 4,9,9: vetuit eum divulgare … Vade, ostende te sacerdoti, et offer munus quod praecepit Moyses. ¦ Epiph. 42,11,6 (Schol. 1): ἀπελθὼν δεῖξον σεαυτὸν τῷ ἱερεῖ, καὶ προσένεγκε περὶ τοῦ καθαρισμοῦ σου καθὼς προσέταξεν Μωϋσῆς. ♦ *5,14b: Tert. 4,9,10: itaque adiecit, Ut sit vobis in testimonium. ¦ Epiph. 42,11,6 (Schol. 1): Ἵνα ᾖ μαρτύριον τοῦτο ὑμῖν ἀνθ’ οὗ εἶπεν ὁ σωτήρ Ἐις μαρτύριον αὐτοῖς. B. a (5,12) (ανηρ) λεπρος/ (vir) leprosus: Tert D d ¦ (ανηρ) πληρης λεπρας/ (vir) plenus lepra: [a] aur b c e f ſſ 2 l q r 1 M ● b (5,12) επεσεν: D d e q r 1 sy s.p.h ¦ πεσων: a aur b c f ſſ 2 l M (*Ev non test.) ● c (5,12) εδεηθη αυτου: om D d e r 1 ¦ add a aur b c f ſſ 2 l q M (*Ev non test.) ● d (5,13) εκαθαρισθη: D d e; αυτου η λεπρα εκαθαρισθη: 157 544 579 827 1242 2096 sy s.p armen georg aeth ¦ η λεπρα απηλθεν απ’ αυτου: a aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● e (5,14) απελθε/ vade: Tert [a] aur b c d e f ſſ 2 l r 1 ¦ απελθων/ vadens: c q M ● f (5,14) Widersprüchliche Bezeugung: (1) απελθε/ vade: Tert [a] aur b c d e f ſſ 2 l r 1 ¦ (2) απελθων/ vadens: Epiph c q M ● f (5,14) Widersprüchliche Bezeugung: (1) προσενεγκε το δωρον/ offers munus: Tert X 213 2487 b c sy p(mss) armen ¦ (2) προσενεγκε περι του καθαρισμου σου/ offer (offers; offert; offeres) pro emundatione (mundatione; purgatione; purificatione): Epiph a aur d e f ſſ 2 l q r 1 M ● g (5,14) Widersprüchliche Bezeugung: (1) ο/ quod: Tert A 3 b c e August (Faust. 6; CSEL 25/ 1, 291) Tat Ephr ¦ (2) καθως/ sicut: Epiph a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ● h (5,14) ινα εις μαρτυριον η [ην: D] υμειν τουτο/ ut sit in testimonium hoc vobis: Tert Epiph [D] D c a b c d f ſſ 2 l q r 1 ¦ εις μαρτυριον αυτοις/ in testimonium illis: aur e f l M ● i (5,14 D): ο δε εξελθων ηρξατο κηρυσσειν … και συνηρχοντο προς αυτον και ηλθεν παλιν εις Καϕαρναουμ/ ille autem exiens coepit praedicare … et conveniebant ad eum et venit iterum in Cafarnaum: D d ¦ om a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.). C. Die Perikope ist gut bezeugt und war in *Ev sicher an derselben Stelle wie im kanonischen Text vorhanden. Allerdings fallen einige Unterschiede auf. 1. Zunächst sind drei kleinere Beispiele für die uneinheitliche Anpassung des vorkanonischen an den kanonischen Text zu verzeichnen: Das Zusammengehen der Zeugen für *Ev mit einem Teil der »Westlichen« Textüberlieferung lässt sich so am einfachsten deuten: 568 Anhang I 5,12-16 a. *5,12 bezeugt Tertullian mit D d (ἀνὴρ) λεπρός/ (vir) leprosus anstelle des von dem Rest der Altlateiner und der gesamten griechischen Überlieferung bezeugten (ἀνὴρ) πλήρης λέπρας/ (vir) plenus lepra. Die Übereinstimmung von Tertullian mit D d zeigt, dass er hier nicht nachlässig referiert, sondern die genaue Formulierung bezeugt. b. In *5,14 liegt das gleiche Phänomen vor. Hier allerdings weichen die Referate Tertullians und Epiphanius’ in charakteristischer Weise voneinander ab, stimmen aber jeweils mit einem Teil der kanonischen Überlieferung überein: Der vorkanonische Text, den Tertullian und zahlreiche Altlateiner ([a] aur b c d e f ſſ 2 l r 1 ) bezeugen, las zwei asyndetische Imperative (ἄπελθε, δεῖξον). Die kanonische Redaktion hat dies in ein Partizip mit Imperativ geändert (ἄπελθὼν δεῖξον). Diese Korrektur ist nicht nur in der gesamten griechischen Überlieferung bezeugt, sie wurde auch durch zwei altlateinische Handschriften (c q) sowie in Epiphanius’ *Ev-Exemplar mitvollzogen. c. Außerdem: Während Epiphanius mit der Mehrheit der Altlateiner und fast der gesamten griechischen Überlieferung des kanonischen Textes περὶ τοῦ καθαρισμοῦ σου καθώς liest, referiert Tertullian munus quod/ τὸ δῶρον ὅ; diese Lesart ist auch für einige »Westliche« Zeugen belegt (b c sy p ). Diese vorkanonische Lesart hat auch noch drei griechische Handschriften beeinflusst (X 213 2487). d. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Interferenz auch in nichtbezeugten Passagen vorliegt und die Rekonstruktion des vorkanonischen Wortlautes erlaubt. Aus diesem Grund ist ἐδεήθη αὐτοῦ V. 12 als Ergänzung der lk Redaktion zu beurteilen, wogegen ἡ λέπρα ἀπῆλθεν ἀπ’ αὐτοῦ V. 13 eine Umformulierung aus dem vorkanonischen ἐκαθαρίσθη ist, wie die verschiedenen Konflationen in der Überlieferung belegen. Diese Beispiele sind instruktiv für die Variabilität, mit welcher der vorkanonische Text in den Altlateinern nach dem kanonischen Text korrigiert wurde: Die Varianten werden jeweils durch unterschiedliche Handschriften gestützt, was darauf hinweist, dass sie jeweils auf unterschiedliche Archetypen zurückgehen. Auch wenn die Altlateiner eindeutig eine zusammengehörige »Textfamilie« darstellen, sind sie doch nicht direkt voneinander abhängig, sondern gehen auf verschiedene Archetypen zurück. Diese Beobachtung stützt die Deutung, dass die unterschiedlichen Bezeugungen des *Ev-Textes bei Tertullian und Epiphanius als Ausdruck des gleichen Phänomens der Interferenz zu verstehen sind. 2. Wichtiger ist die Abweichung in *5,14b, die für *Ev gegen den kanonischen Text gut bezeugt und deshalb in den Text aufgenommen ist, nämlich die Formulierung ἵνα εἰς μαρτύριον ᾖ τοῦτο ὑ μ ῖ ν anstelle des kanonischen εἰς μαρτύριον α ὐ τ ο ῖ ς . Der Sinn verschiebt sich dabei nicht unerheblich: Bei *Ev sind die Jünger (die seit *5,11 hinter Jesus hergehen) diejenigen, denen die Feststellung der Reinigung durch den Priester »zum Zeugnis« gereichen soll, die also von der Tatsächlichkeit der Heilung überzeugt werden sollen. In der kanonischen Fassung (ähnlich Mk) ist dagegen unklar, wer eigentlich von der Heilung überzeugt werden muss: Die Jünger oder die Menge? Nur Mt, der diese Heilung im Anschluss an die Bergpredigt bringt und sie in der Mitte der großen Menge verortet, macht deutlich, dass sich dieses Zeugnis auf die Menge bezieht, also missionarischen Charakter 5,12-16 Rekonstruktion 569 hat; Lk lässt (wie Mk) die beiden Optionen in der Schwebe, die er in *Ev und in Mt fand. Die Synopse zeigt den Gang der Überlieferung. Tert. 4,9,9f Epiph., Schol. 1 Mk 1,44 Mt 8,4 Lk 5,14 vade ἀπελθὼν ὕπαγε ὕπαγε a ἀπελθὼν ostende te sacerdoti δεῖξον σεαυτὸν τῷ ἱερεῖ σεαυτὸν δεῖξον τῷ ἱερεῖ σεαυτὸν δεῖξον τῷ ἱερεῖ δεῖξον σεαυτὸν τῷ ἱερεῖ et offer καὶ προσένεγκε καὶ προσένεγκε καὶ προσένεγκον καὶ προσένεγκε munus περὶ τοῦ καθαρισμοῦ σου περὶ τοῦ καθαρισμοῦ σου τὸ δῶρον b περὶ τοῦ καθαρισμοῦ σου b quod καθὼς ἃ ὃ c καθὼς c praecepit Moyses προσέταξε Μωϋσῆς προσέταξεν Μωϋσῆς προσέταξεν Μωϋσῆς προσέταξεν Μωϋσῆς ut sit ἵνα ᾖ vobis μαρτύριον τοῦτο εἰς μαρτύριον εἰς μαρτύριον d εἰς μαρτύριον in testimonium ὑμῖν αὐτοῖς αὐτοῖς αὐτοῖς d a απελθε [δε και]: D [a] aur b c d e f ſſ 2 l r 1 b ο δωρον: X 213 2487 b c sy p(mss) c ο: A 3 b c e August Tat Ephr d ινα εις μαρτυριον ην [η: D] υμιν τουτο: [D] D c a b c d f ſſ 2 l q r 1 a. Die für *Ev bezeugte Abfolge der beiden einleitenden Imperative (ἄπελθε, δεῖξον, s. o.) ist auch von Mk (und in der Folge von Mt) übernommen und nur geringfügig verändert worden (ὕπαγε σεαυτὸν δεῖξον). Die stilistische Verbesserung (ἄπελθὼν δεῖξον) geht also tatsächlich auf die lk Redaktion zurück. b. Entsprechendes gilt auch für περὶ τοῦ καθαρισμοῦ σου καθώς anstelle von τὸ δῶρον ὅ: Die von Tertullian bezeugte Lesart (munus quod) ist von Mt direkt übernommen worden (τὸ δῶρον ὅ), während Mk die Bedeutung des Opfers als Reinigungsopfer herausstellt (περὶ τοῦ καθαρισμοῦ σου καθώς) und auf diese Weise den Zusammenhang mit der finalen Bestimmung (das Opfer dient als Beweis für die vollzogene Reinigung) deutlicher macht. Diese Einsicht ist insbesondere für die mt Redaktion von einiger Bedeutung, weil sie belegt, dass er seiner mk Vorlage nicht »blind« gefolgt ist, sondern ganz offensichtlich Mk und *Ev vor Augen hatte und die Doppelüberlieferungen in *Ev und Mk als solche wahrnahm. c. In der Formulierung dieser finalen Bestimmung gehen die drei kanonischen Fassungen (εἰς μαρτύριον α ὐ τ ο ῖ ς ) gegen die beiden Zeugnisse für *Ev (ut sit v o b i s in testimonium/ ἵνα εἰς μαρτύριον ᾖ τοῦτο ὑ μ ῖ ν ) sowie eine lange Reihe der »Westlichen« Zeugen zusammen. Auffällig ist dabei nicht nur die Formulierung 570 Anhang I 5,12-16 als ausgeführter Finalsatz (ἵνα), sondern der Wechsel von der 2. Pers. Pl. zur 3. Pers. Pl., der den Sinn erheblich verändert. 3. Mit diesem Verständnis der überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhänge erklären sich dann auch die hier zu notierenden (mt-lk) »Minor Agreements«, die die Zwei-Quellentheorie unterminieren. Die Perikope enthält eine ganze Reihe von »Minor Agreements«. 1 Eines davon ist auch für *Ev bezeugt und daher aufschlussreich: In *5,13a || Mt 8,3a ist αὐτοῦ Objekt von ἥψατο (καὶ ἐκτείνας τὴν χεῖρα ἥψατο αὐτοῦ), während es in Mk 1,41 Attribut von τὴν χεῖρα ist (ἐκτείνας τὴν χεῖρα αὐτοῦ ἥψατο). Das Verständnis des Pronomens als Objekt von ἥψατο ist durch Tertullians Referat (4,9,4: tetigit leprosum) gesichert. Diese Übereinstimmung der (mt-lk) »Minor Agreements« mit dem für *Ev bezeugten Text ist nach dem zugrunde liegenden Modell zwar nicht selbstverständlich, aber durchaus erwartbar. An dieser Stelle kommt ihr deswegen erhöhte Bedeutung zu, weil sie die unmittelbare Verwendung von *Ev durch Mt sicherstellt, die oben im Zusammenhang der Ersetzung von τὸ δῶρον durch περὶ τοῦ καθαρισμοῦ σου aufgefallen war. 4. Der Schluss Lk 5,15f, der in der kanonischen Fassung summarischen Charakter besitzt und mit der vorangehenden Heilungserzählung denkbar locker verknüpft ist, ist unbezeugt: Tertullian geht direkt von seiner Diskussion von *5,14 (4,9,3-15) zum Referat von *5,18ff über (4,10,1). Das Gleiche gilt für Epiphanius, dessen Schol. 2 sich auf *5,24 bezieht. Die Beurteilung ist daher auf die Varianten der handschriftlichen Überlieferung angewiesen, die hier zusätzliche Gesichtspunkte zur Beurteilung liefert, auch wenn der eigenartige Text in D d auf den ersten Blick problematisch ist. a. D d bringen im Anschluss an 5,14 mit nur geringfügigen Abweichungen 2 den Text, der für Mk 1,45; 2,1a überliefert ist, und bieten im Anschluss den Mehrheitstext von Lk 5,15f. Auf diese Weise entsteht eine unübersichtliche und widersinnige Doppelung. Auf der einen Seite steht der aus Mk bekannte Verstoß gegen das Verkündigungsverbot Jesu *5,14a || Mk 1,44a (das auf diese Weise auch für *Ev gesichert ist): Weil der Geheilte den λόγος über Jesus verbreitet und vieles »verkündigt«, kann Jesus nicht mehr in eine Stadt gehen, sondern hält sich an einsamen ______________________________ 1 Vgl. dazu N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 64ff; DERS ., Minor Agreements (1991), 17f; A. E NNULAT , Minor Agreements 50-58. 2 Abgesehen von zwei kleineren Unterschieden der Wortstellung (Mk 1,45: αυτον δυνασθαι; εξω επ ερημοις τοποις ην - *5,14 (D): δυνασθαι αυτον; ην εν εϕημοις τοποις) sind nur vier kleinere Differenzen anzuzeigen: 1. (κηρυσσειν) πολλα (Mk 1,45) fehlt in *5,14 (D). - 2. Mk 1,45 hat ηρχοντο anstelle von συνηρχοντο *5,14 (D). - Mk 2,1a hat εισελθων anstelle von ηλθεν *5,14 (D); diese Abweichung ist der unterschiedlichen syntaktischen Funktion des Verbs in Mk 2,1 geschuldet (s. gleich). - 4. παντοθεν Mk 1,45 hat keine Entsprechung in *5,14 (D). 5,12-16 Rekonstruktion 571 Orten auf. Weil ihm die Menge sogar dahin nachfolgt, kehrt er wieder nach Kapharnaum zurück. Daran schließt sich in D d der aus Lk 5,15f bekannte Text an, demzufolge sich die Kunde über Jesus weit ausbreitet, weswegen eine große Menge (ὄχλοι πολλοί) ihm folgt, um ihn zu hören und geheilt zu werden (ἀκούειν καὶ θεραπεύεσθαι ἀπὸ τῶν ἀσθενειῶν αὐτῶν); daraufhin zieht sich Jesus in die Wüste zurück, um zu beten. b. Diese offenkundige Dublette in *5,14.15f D d wird durchgängig als ein Einfluss der mk Fassung auf der Ebene der handschriftlichen Überlieferung verstanden. 3 Über die Motive, die diese Eintragung von Mk 1,45; 2,1 in den Lk-Text veranlasst haben könnten, ist dabei offensichtlich nicht wirklich nachgedacht worden. Denn die Annahme einer bewussten redaktionellen Korrektur - etwa zur Herstellung einer Konflation - ist auszuschließen: Sie würde voraussetzen, dass der Bearbeiter aus Gründen der Vollständigkeit absichtlich einen unsinnigen Text produziert hätte: Der Text von 5,14-16 (D) setzt also ein Versehen voraus. In diesem Fall muss man aber annehmen, dass 5,14 und 5,15f in seinen Vorlagen standen: Für Lk 5,15f ist dies offenkundig, es handelt sich um den kanonischen Lk-Text. Für *5,14 (D) ist dies unter der Annahme der Zwei-Quellentheorie bzw. eines anderen Modells, das mit der Mk-Priorität vor Lk rechnet, nicht der Fall: Sofern man die Dublette 5,14 (D) als Einfluss aus Mk 1,45; 2,1a versteht, muss man voraussetzen, dass der Bearbeiter den Text eines anderen als des kanonischen Lk-Evangeliums (nämlich den des Mk) verglichen hätte - was aber nur wieder zu der Annahme zwingen würde, dass er absichtlich einen unsinnigen Text produzieren wollte. Die Lösung ergibt sich leicht unter der Annahme der *Ev-Priorität, wenn man das häufig zu beobachtende Phänomen der Angleichung des vorkanonischen an den kanonischen Text in Rechnung stellt. In diesem Fall fand der Bearbeiter von D die Lesart *5,14 D || Mk 1,45; 2,1a in seiner Vorlage *Ev und verglich sie mit dem kanonischen Lk-Text. c. Diese Deutung erlaubt dann auch eine Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte: Der älteste (vorkanonische) Text enthielt *5,14 (D) als Abschluss der Erzählung von der Heilung des Aussätzigen, und zwar in der Form, die o. in die Rekonstruktion aufgenommen wurde. Mk hat diesen Text übernommen (1,45; 2,1a) und ihn nur geringfügig verändert (s. Anm. 2), wodurch er das folgende Geschehen (Mk 2,1-12) ausdrücklich in Kapharnaum lokalisiert. Mt ist ihm in dieser Akoluthie nicht gefolgt, weil er in Kap. 8-9 die lange Reihe von sog. »Wundergeschichten« zusammengestellt hat: Mt bietet im Anschluss an die Heilung des Aussätzigen (und ______________________________ 3 Vgl. die Angabe p) im Apparat von NA 27 z. St. Der Sachverhalt scheint so eindeutig, dass auch M ETZGER , Textual Commentary z. St., darauf gar nicht eingeht. 572 Anhang I 5,12-16 vielleicht angeregt durch die Eingangswendung: εἰσελθόντος δὲ αὐτοῦ εἰς Καϕαρναούμ Mt 8,5 || Mk 2,1a) die auch anderweitig bearbeitete Erzählung von der Heilung des Knechts des Hauptmanns von Kapharnaum, die *Ev nachweislich erst in einem späteren Zusammenhang enthielt (*7,1-9, s. dort). Lk hat die Formulierung des Endes der Erzählung von der Heilung des Aussätzigen in *Ev geändert: Er hat die Ausbreitung der Kunde über Jesus unpersönlich formuliert (5,15a: διήρχετο δὲ μᾶλλον ὁ λόγος περὶ αὐτοῦ) und auf diese Weise den Widerspruch gemildert, der sich bei (*Ev und) Mk dadurch ergab, dass der Geheilte gegen Jesu ausdrückliches Verbot die Kunde über ihn verbreitet. Daneben hat er das Interesse der Menge dadurch plausiblisiert, dass sie ihn hören und geheilt werden wollten (θεραπεύεσθαι ἀπὸ τῶν ἀσθενειῶν αὐτῶν); und schließlich hat er den Rückzug Jesu an einsame Orte durch sein Gebet motiviert (5,16: καὶ προσευχόμενος). Das Versehen, das dem Bearbeiter von D unterlaufen ist, besteht darin, dass er seiner Vorlage mit dem vorkanonischen Text (*Ev) folgte, ihn nach dem kanonischen Lk-Text verglich, dabei aber beide Schlüsse zu einer Konflation miteinander verband. Für die Rekonstruktion von *Ev ist daher davon auszugehen, dass der Abschluss der Perikope von der Heilung des Aussätzigen aussah, wie sie *5,14 (D) || Mk 1,45; 2,1a enthalten ist. *5,17.18-26: Heilung des Gelähmten Bezeugt, sicher vorhanden, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit redaktionell bearbeitet (5,17). 5,17 Καὶ ἐγένετο ἐν μιᾷ τῶν ἡμερῶν a αὐτοῦ διδάσκοντος συνελθεῖν τοὺς Φαρισαὶους ¿καὶ γραμματεῖς? · ἦσαν δὲ συνεληλυθότες a ἐκ πάσης κώμης τῆς Γαλιλαίας καὶ Ἰουδαίας b [ καὶ Ἰερουσαλήμ· ] b c [ καὶ δύναμις κυρίου ἦν ] c d τοῦ ἰᾶσθαι e αὐτούς. 18 καὶ ἰδοὺ ἄνδρες ϕέροντες ἐπὶ ¿κραβάττου? ἄνθρωπον ὃς ἦν παραλελυμένος, καὶ ἐζήτουν αὐτὸν εἰσενεγκεῖν καὶ θεῖναι αὐτὸν ἐνώπιον αὐτοῦ. 19 καὶ μὴ εὑρόντες ποίας εἰσενέγκωσιν αὐτὸν διὰ τὸν ὄχλον f ἀνέβησαν ἐπὶ τὸ δῶμα καὶ ἀποστεγάσαντες τοὺς κεράμους ὅπου ἦν καθῆκαν τὸν κράβαττον σὺν τῷ παραλυτικῷ f g [ εἰς τὸ μέσον ] g ἔμπροσθεν τοῦ Ἰησοῦ. 20 καὶ ἰδὼν τὴν πίστιν αὐτῶν h λέγει i τῷ παραλυτικῷ i , Ἄνθρωπε, ἀϕέωνταί σοι αἱ ἁμαρτίαι σου. 21 καὶ ἤρξαντο διαλογίζεσθαι οἱ γραμματεῖς καὶ οἱ Φαρισαῖοι k {ἐν ταῖς καρδίαις αὐτῶν} k λέγοντες, l Τὶ οὗτος l λαλεῖ βλασϕημίας; τίς m ἀϕήσει ἁμαρτίας εἰ μὴ μόνος ὁ θεός; 22 ἐπιγνοὺς δὲ ὁ Ἰησοῦς τοὺς διαλογισμοὺς αὐτῶν ἀποκριθεὶς εἶπεν πρὸς αὐτούς, Τί διαλογίζεσθε ἐν ταῖς καρδίαις ὑμῶν n πονηρά; 23 τί ἐστιν εὐκοπώτερον, εἰπεῖν, Ἀϕέωνταί σοι αἱ ἁμαρτίαι σου, ἢ εἰπεῖν, Ἔγειρε καὶ περιπάτει; 24 ἵνα δὲ εἰδῆτε ὅτι ἐξουσίαν ἔχει ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου o ἀϕιέναι ἁμαρτίας ἐπὶ τῆς γῆς o - p λέγει τῷ 5,17-26 Rekonstruktion 573 q παραλυτικῷ, r Σοὶ λέγω, r ἔγειρε s καὶ ἆρον s t τὸν κράβαττὸν t σου u {καὶ} πορεύου εἰς τὸν οἶκόν σου. 25 καὶ παραχρῆμα ἀναστὰς ἐνώπιον αὐτῶν, ἄρας v τὸν κράβαττὸν αὐτοῦ [ ἐϕ’ ὃ κατέκειτο, ] v ἀπῆλθεν εἰς τὸν οἶκον αὐτοῦ δοξάζων τὸν θεόν. w [ 26 καὶ ἔκστασις ἔλαβεν ἅπαντας καὶ ἐδόξαζον τὸν θεόν, ] w καὶ ἐπλήσθησαν ϕόβου λέγοντες ὅτι Εἴδομεν παράδοξα σήμερον. A. *5,17-20: Tert. 4,10,1: curatur et paralyticus, et quidem in coetu, spectante populo. ♦ *5,21.23: Tert. 4,10,1: Non otiose iterans, Convalescite, nec vane subiungens, Nec timete, quoniam cum redintegratione membrorum virium quoque repraesentationem pollicebatur: Exsurge, et tolle grabattum tuum, simul et animi vigorem, ad non timendos qui dicturi erant, Quis dimittet peccata nisi solus deus? Tert. 4,10,1: exsurge et tolle. ♦ *5,24a: Tert. 4,10,13: Nam cum Iudaei solummodo hominem eius intuentes, necdum et deum certi, qua dei quoque filium, merito retractarent non posse hominem delicta dimittere, sed deum solum, cur non secundum intentionem eorum de homine eis respondit habere eum potestatem dimittendi delicta, quando et filium hominis nominans hominem nominaret? ¦ Epiph., Schol. 2: ἵνα δὲ εἰδῆτε ὅτι ἐξουσίαν ἔχει ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ἀϕιέναι ἁμαρτίας ἐπὶ τῆς γῆς (die Wortstellung entspricht Mk 2,10, nicht aber der lk Fassung: ἵνα δὲ εἰδῆτε ὅτι ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ἐξουσίαν ἔχει ἐπὶ τῆς γῆς ἀϕιέναι ἁμαρτίας). die Aussage dient in Elench. 2 - wegen des Stichworts »Menschensohn« als Beleg für die Inkarnation des eingeborenen Sohns. ♦ *5,24b: Tert. 4,10,1: Exsurge, et tolle grabattum tuum. B. a (5,17) αυτου διδασκοντος συνελθειν τους Φαρισαιους και νομοδιδασκαλους· ησαν δε συνεληλυθοτες/ et factum est in una dierum (e: die) ipso docente (e: loquente) (d: et) convenire Pharisaeos et legis doctores): D c (d e) ¦ και αυτος ην διδασκων, και ησαν καθημενοι Φαρισαιοι και νομοδιδασκαλοι οι ησαν εληλυθοτες: (a) b f q M (*Ev non test.) ● b (5,17) και Ιερουσαλημ: om D d ¦ add a aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● c (5,17) και δυναμις κυριου ην: om D d 1241 ¦ add a aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● d (5,17) του: D (d: ut salbaret; c e: ut curaret); το: 1242; εν τω: 346 Cyr (Thes. 35; PG 75, 640) ¦ εις το: a aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● e (5,17) αυτους: A C D [K] Θ Ψ f 1.13 33 it ¦ παντας: K sy p bo ¦ αυτον: א B L W Ξ 579 2542 (*Ev non test.) ● f (5,19) ανεβησαν επι το δωμα και αποστεγασαντες τους κεραμους οπου ην καθηκαν τον κραβαττον συν τω παραλυτικω: D (b) d (vgl. Mk 2,4) ¦ αναβαντες επι το δωμα δια των κεραμων καθηκαν αυτον συν τω κλινιδιω εις το μεσον: it M (*Ev non test.) ● g (5,19) εις το μεσον: om 788 a georg I.III slav 1 ms ¦ add aur b c d e f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● h (5,20) λεγει: D d ¦ ειπεν: it M (*Ev non test.) ● i (5,20) τω παραλυτικω: C D 16 124 348 477 1216 1579 d f sy s.p Tat arab.pers bo Cyr (Joh 3,2; P USEY 3, 376) ¦ om א B L Θ Ξ 33 579 700 788 2542 aur ſſ 2 gat vg sa (*Ev non test.) ● k (5,21) εν ταις καρδιαις αυτων: D b d ſſ 2 g 1 l q (vgl. Mk 2,6) ¦ om (a) aur f r 1 vg M (*Ev non test.) ● l (5,21) τι ουτος: D d (vgl. Mk 2,7) ¦ τις εστιν ουτος ος: it M (*Ev non test.) ● m (5,21) αϕησει/ dimittet: Tert ¦ δυναται … αϕειναι: it M ● n (5,22) πονηρα: D d; (διαλογιζεσθε πονηρα: 828 c c e l r 1 sy j(mss) aeth Athan (Exp. Ps 33, 15; PG 27, 165) Ambr (Lc. 5,15; CCL 14, 140) Cypr (Orat. 4; CSEL 3/ 1, 268) ¦ om it M (*Ev non test.) ● o (5,24) αϕιεναι αμαρτιας επι της γης: Epiph sy s Chrys (Hom. in Joh 5,19; PG 56, 255) (vgl. Mk 2,10) ¦ επι της γης αϕιεναι αμαρτιας (4 5 1-3): M ● p (5,24) λεγει: D 1424 pc d (vgl. Mk 2,10) ¦ ειπεν: M (*Ev non test.) ● q (5,24) παραλυτικω: א C D L M N W X Θ Ξ Ψ pc it vg (vgl. Mk 2,10) ¦ παραλελυμενω: M (*Ev non test.) ● r (5,24) σοι λεγω/ tibi dico: om Tert e ¦ add a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ● s (5,24) και αρον/ et tolle: Tert א D 0211 115 157 726 1424 1542* [a] aur b c d f ſſ 2 l q r 1 sy s.p Tat pers (vgl. Mk 2,11) ¦ και αρας: M ● t (5,24) τον κραβαττον/ grabbatum: Tert 574 Anhang I 5,17-26 D 517 954 1424 1675 c d r 1 (vgl. Mk 2,11) ¦ το κλινιδιον/ lectum: [a] aur b f ſſ 2 l q M ● u (5,24) και/ et: add Tert א D 0211 mult lectt it vg sy s.p Tat pers sa bo ¦ om M ● v (5,25) τον κραβαττον (αυτου)/ grabbatum (suum): D a b r 1 b d c e (vgl. Mk 2,12) ¦ εϕ ο κατεκειτο/ in quo iacebat: aur f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● w (5,26) και εκστασις ελαβεν απαντας και εδοξαζον τον θεον: om D M W X Ψ Ω* 028 mult (z. B. , 544 59 1197 1241) lectt e d ¦ add [a] aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.). C. Die Perikope ist gut bezeugt und war sicher in *Ev enthalten, wurde aber mit hoher Wahrscheinlichkeit durch Lk redaktionell bearbeitet. Folgende Beobachtungen verdienen Erwähnung: 1. Unklar ist zunächst die Exposition der Perikope: Tertullians Referat macht zu *5,17 keine Angaben, und die synoptischen Parallelen bieten an dieser Stelle unterschiedliche Texte. Zugleich deutet die uneinheitliche Textüberlieferung in den charakteristischen »Westlichen« Zeugen D (it) an dieser Stelle auf redaktionelle Eingriffe hin. a. Der für die Exposition rekonstruierte Text *5,17a καὶ ἐγένετο ἐν μιᾷ τῶν ἡμερῶν αὐτοῦ διδάσκοντος συνελθεὶν τοὺς Φαρισαὶους καὶ γραμματεῖς folgt zunächst der Lesart in D it (c d e), die im Vergleich zum kanonischen Mehrheitstext deutlich schwieriger ist. Denn ihre Fortsetzung in *5,17b ἦσαν δὲ συνεληλυθότες … τοῦ ἰᾶσθαι αὐτούς impliziert, dass die Pharisäer und Schriftgelehrten nicht als Zeugen der Heiltätigkeit Jesu gekommen waren, sondern selbst geheilt werden wollten. Das passt nicht problemlos zum Fortgang der Erzählung, oder genauer: nicht zu der aus den kanonischen Evangelien bekannten Charakterisierung der genannten Gruppen, derzufolge sie primär Opponenten Jesu sind. Der kanonische Mehrheitstext hat dieses Problem nicht, und es liegt nahe, dass zwei wichtige Unterschiede gegenüber dem »Westlichen« Text auf die lk Redaktion zurückgehen: Zunächst charakterisiert ἦσαν καθήμενοι anstelle von ἦσαν συνεληλυθότες die Pharisäer als Hörer der Lehre Jesu. Dies passt zu ihrer Charakterisierung als distanzierte Beobachter, wie sie dann in der folgenden Erzählung entfaltet wird. Die zweite Ergänzung besteht in der Einfügung von καὶ δύναμις κυρίου ἦν εἰς τὸ ἰᾶσθαι (dazu s. gleich): Der durch diese Einfügung hervorgerufene Wechsel der Erzählperspektive trennt die Pharisäer noch weiter von denen, die zu Jesus kamen, um von ihm geheilt zu werden. Aus diesem Grund ist auch die Erklärung wenig überzeugend, die Bruce Metzger für die Ursprünglichkeit der Mehrheitslesart gibt: »The difficulty of the reading supported by the overwhelming mass of witnesses (according to which the enemies of Jesus had come from every village of Galilee, Judea, and Jerusalem) prompted some copyists to omit οἵ altogether ( א * 33) and others to replace it with δέ (D it d, e syr s ), so that it is the sick who have come from all parts to 5,17-26 Rekonstruktion 575 be healed.« 1 Der Vorgang ist genau umgekehrt zu denken: Durch die Einfügung von οἵ sowie die Ersetzung von συνεληλυθότες durch καθήμενοι ist es der lk Redaktion gelungen, die Pharisäer und Schriftgelehrten nicht mehr als Heilungssuchende darzustellen. Der Umstand, dass dieses Problem nur bei *Ev/ Lk auftaucht, hätte im methodischen Horizont der Zwei-Quellentheorie zu denken geben können: Derzufolge hätte Lk seine in dieser Hinsicht vollkommen eindeutige mk Quelle verunklart. Der semantische Vergleich zwischen der D-Lesart und dem kanonischen Mehrheitstext macht es nahezu unmöglich, den D-Text gegenüber dem kanonischen Mehrheitstext für sekundär zu halten. Die hier zugrunde gelegte Annahme der Interferenz zwischen vorkanonischer und kanonischer Textgestalt bietet dagegen eine einfache und plausible Erklärung für diese Abweichung. b. Fraglich ist weiterhin, ob *5,17 neben den Pharisäern die Schriftgelehrten (γραμματεῖς) oder die Gesetzeslehrer (νομοδιδάσκαλοι) nannte. Zwar sind die Schriftgelehrten in der handschriftlichen Überlieferung dieses Verses überhaupt nicht bezeugt. Allerdings nennt Lk 5,21 neben den Pharisäern nicht, wie in Lk 5,17, die νομοδιδάσκαλοι, sondern die γραμματεῖς. Da Mk 2,6 ebenfalls die γραμματεῖς erwähnt, liegt es nahe, dass sie bereits im vorkanonischen Text gestanden haben und in Mk 2,6 || Lk 5,21 von dort rezipiert wurden. In diesem Fall hätte die lk Redaktion sie in der Exposition Lk 5,21 durch die νομοδιδάσκαλοι ersetzt, diese Änderung aber in 5,21 nicht konsequent mitvollzogen. Diese Inkonsequenz ist ein geläufiges Phänomen bei redaktionellen Bearbeitungen. 2 Aus diesem Grund ist es wahrscheinlich, dass die Vorlage in *Ev die γραμματεῖς anstelle der νομοδιδάσκαλοι enthielt. c. In *5,17 D d (1241) fehlen die Worte καὶ Ἰερουσαλήμ· καὶ δύναμις κυρίου ἦν. Die redaktionelle Einfügung von καὶ Ἰερουσαλήμ präzisiert die schon vorkanonische Herkunft der Versammelten ἐκ πάσης κώμης τῆς Γαλιλαίας κ α ὶ Ἰ ο υ δ α ί α ς , die auch im Kontext von *Ev schwer verständlich, weil narrativ nicht vorbereitet ist: Jesus hatte sich bisher nur in Galiläa aufgehalten, weder Judäa noch Jerusalem waren zuvor erwähnt. 3 Die präzisierende Einfügung von Jerusalem als Herkunftsort der Besucher Jesu entspricht der Liste in *6,17 und ihrer Bearbeitung durch die lk Redaktion: Auch hier ist die ursprüngliche Liste der Orte, aus denen die Menge zu Jesus kam, um ihn zu hören und geheilt zu werden (*6,18), um Jerusalem ergänzt (s. dort). Das herausgehobene Interesse an Jerusalem und die ______________________________ 1 M ETZGER , Textual Commentary, z. St. Die Lesart des Mehrheitstextes wurde vom Herausgeberkommittee als »beinahe sicher ursprünglich« bewertet, wie die Kennzeichnung dieser Variante durch das Sigel {B} anzeigt. 2 Vgl. M. S. G OODACRE , Fatigue in the Synoptics, NTS 44 (1998), 45-58. 3 Ἰερουσαλήμ/ Ἱεροσόλυμα (2,22,25.41.43.45; 4,9) ist ebenso sicher redaktionell wie Ἰουδαία/ Ἰούδα (1,5.39.65; 2,4; 3,1) . 576 Anhang I 5,17-26 Absicht, den Ruf Jesu schon früh bis dorthin gedrungen sein zu lassen, ist ein Kennzeichen der lk Redaktion. Wichtiger ist der Subjektwechsel, den der kanonische Text in Lk 5,17b mit der Einfügung von καὶ δύναμις κυρίου ἦν vornimmt und dadurch einen neuen Satz beginnen lässt. Dieser Wechsel kaschiert den Heilungswunsch der zu Jesus gekommenen Pharisäer und Gesetzeslehrer. Diese Konstruktion erweist sich gegenüber dem D-Text als sekundär, wie schon deutlich wurde (s. o.). Die durch diese Einfügung entstandene Wendung Lk 5,17 fin. καὶ δύναμις κυρίου ἦν εἰς τὸ ἰᾶσθαι αὐτόν ist allerdings nicht unproblematisch. Es handelt sich um einen - nicht ganz eindeutig formulierten - finalen substantivierten Infinitiv, in dem αὐτόν als Subjekt der mit εἰς τό angeschlossenen finalen Bestimmung fungiert. 4 Die Schwierigkeit dieser Formulierung resultiert aus dem Bestreben, die in Lk 5,17a genannten Pharisäer und Gesetzeslehrer nicht als Heilungssuchende erscheinen zu lassen: Der vorkanonische Text hatte davon gesprochen, dass die Pharisäer und Schriftgelehrten zu Jesus gekommen waren, um geheilt zu werden (ἦσαν δὲ συνεληλυθότες … τοῦ ἰᾶσθαι α ὐ τ ο ύ ς ). 5 Die lk Redaktion hat durch den grammatikalischen Neueinsatz daraus eine Aussage über »die Kraft des Herrn zum Heilen« gemacht. Ihre syntaktischen Schwierigkeiten beruhen darauf, dass sie das Objekt (αὐτούς) zum Subjekt (αὐτόν) des Heilens gemacht hat. Aber dazu ist die Aussage über die »Kraft des Herrn« zu unbestimmt (δύναμις κυρίου ἦν). Erwartbar wäre entweder eine modale Bestimmung (etwa: δύναμις κυρίου ἦν ἐ π ’ α ὐ τ ῷ ) oder ein Hauptverb zu erwarten (etwa: δύναμις κυρίου ἦ λ θ ε ν ), wie es gelegentlich substituiert wird. 6 Dass eine Reihe von Handschriften (A C D [K] Θ Ψ f 1.13 33 it usw.) das Pronomen als Objekt von ἰᾶσθαι verstehen und daher Plural (αὐτούς) anstelle des Singulars (αὐτόν) lesen, ist daher nicht der Versuch, die schwierige Formulierung des kanonischen Mehrheitstextes zu erleichtern, sondern eine Spur des vorkanonischen Textes. d. Mit dieser Rekonstruktion der Exposition werden dann auch die redaktionellen Entscheidungen in der Überlieferungsgeschichte der Perikope durchsichtig. (1) Der Ausgangstext in *Ev war nicht unproblematisch, wird aber nur im Zusammenhang mit dem Schluss der vorangehenden Erzählung von der Heilung des Aussätzigen verständlich. Da Lk 5,15f fehlte und die Erzählung mit der Notiz über die Rückkehr ______________________________ 4 Zu den syntaktischen Problemen s. W OLTER , Lk 221 (»Lexik und Syntax … sind etwas undurchsichtig«). 5 Der substantivierte Infinitiv mit Artikel im Genitiv (τοῦ + Inf.) in finalem Sinn ist breit bezeugt, vgl. BDR § 400.5. 6 Vgl. R ADL , Lk 313: »Die Kraft des Herrn drängte ihn zum Heilen.« Angemessener versteht W OLTER , Lk 219: »Die Kraft des Herrn war da, so dass er heilen (konnte)«, kommt aber auch nicht ohne präzisierende Zusätze aus. 5,17-26 Rekonstruktion 577 Jesu nach Kapharnaum endete (*5,14 D, s. dort), ist die anschließende Exposition der Heilung des Gelähmten nicht »irgendwo im judäischen Land« lokalisiert, 7 sondern verlegt das Geschehen nach Kapharnaum. Schwierig ist diese Einleitung, weil *5,17b kein von *5,17a unterschiedenes Subjekt nennt, obwohl es durchaus denkbar ist, dass *Ev hier ein unbestimmtes »sie« denkt, wie es auch in *5,14 D vorausgesetzt ist (καὶ συνήρχοντο πρὸς αὐτόν). (2) Mk hat die daraus resultierenden Schwierigkeiten, dass die Pharisäer und Schriftgelehrten als Heilungssuchende zu Jesus kommen, dadurch umgangen, dass er die Notiz über die Ausbreitung der Kunde über Jesus (Mk 1,45) und die Bemerkung über die Rückkehr nach Kapharnaum (Mk 2,1) voneinander getrennt und die Rückkehrnotiz als Einleitung für die Heilung des Gelähmten verwendet hat. Dieser Eingriff hatte zur Folge, dass die mk Fassung der Erzählung von der Heilung des Aussätzigen ganz betont mit dem Hinweis endete, dass die Kunde über Jesus sich verbreitete und die Heilungssuchenden »von überall her« zu ihm kamen (Mk 1,45). Der Neueinsatz in Mk 2,1f setzt diese Situation voraus: Eine unbestimmte Menge (Mk 2,2: πολλοί) versammelt sich in seinem Haus, das (im Unterschied zu den 1,45 genannten ἔρημοι τόποι) ja für den Plot der Erzählung konstitutiv ist. Indem Mk diese »Vielen« anstelle der Pharisäer und Schriftgelehrten aus der Exposition von *Ev (*5,17) erwähnt, hat er auch das Problem beseitigt, dass diese als Heilungssuchende erscheinen könnten. (3) Da Mt die Erzählung redaktionell in einen ganz anderen Kontext stellt (Mt 9,1-8) und sie szenisch weit von der Heilung des Gelähmten (Mt 8,1-4) entfernt, sehen bei ihm die Exposition mit der Lokalisierung (Mt 9,1) und die narrative Ausgestaltung mit der überraschenden Dachabdeckung (Mk 2, 4 || *5,19 ÷ Mt 9,2) ganz anders aus als in *Ev und Mk. Die mt Redaktion ist für unseren Zusammenhang unerheblich. (4) Lk folgt allerdings sowohl *Ev als auch Mk: Aus Mk 1,45 hatte er die Notiz über die Ausbreitung der Kunde über Jesus (Lk 5,15 Mk 1,45a) und seinen Aufenthalt ἐν ταῖς ἐρήμοις (Mk 1,45b || Lk 5,16) als eigenständigen Abschluss der Heilung des Aussätzigen übernommen. Für die Exposition der Heilung des Gelähmten folgte Lk allerdings *Ev. Abgesehen davon, dass auf diese Weise eine Lokalisierung des erzählten Geschehens fehlt, verursachte die Erwähnung der Pharisäer und Schriftgelehrten (die Lk allerdings nur hier, nicht in Lk 5,21) durch die Gesetzeslehrer ersetzte, Schwierigkeiten: Um den Eindruck zu vermeiden, dass sie als Heilungssuchende zu Jesus kommen, lässt Lk sie bei Jesus »sitzen« (Lk 5,17 καὶ ἦσαν καθήμενοι). Vor allem aber trennt er die finale Bestimmung bei *Ev (τοῦ ἰᾶσθαι αὐτούς) von der Aussage, dass sie zu Jesus gekommen waren (οἳ ἦσαν ἐληλυθότες), indem er die etwas verunglückte Bemerkung über die Kraft des Herrn (καὶ δύναμις κυρίου ἦν) einfügt und das Objekt (αὐτούς) zum Subjekt (αὐτόν) macht. ______________________________ 7 W OLTER , Lk 220. 578 Anhang I 5,17-26 2. Einen weiteren, wichtigen Hinweis für die Rekonstruktion ergeben die (mtlk) »Minor Agreements«. Neben anderem 8 ist hier vor allem wichtig, dass Mk an drei Stellen das Bett des Gelähmten als ὁ κράβαττος bezeichnet (Mk 2,4.11.12). Dieses Wort findet sich weder bei Lk noch bei Mt: Mk 2,4 (ὁ κράβαττος) ≠ Lk 5,19 (τὸ κλινίδιον) ÷ Mt 9,2). - Mk 2,11 (ὁ κράβαττος) ≠ Lk 5,24 || Mt 9,6 (τὸ κλινίδιον). - Mk 2,12 (ὁ κράβαττος) ≠ Lk 5,25 (ἐϕ’ ὃ κατέκειτο) ÷ Mt 9,7. Sieht man sich diese Verteilung an, wird deutlich, dass Mt und Lk ὁ κράβαττος gemieden und entweder durch τὸ κλινίδιον bzw. ἡ κλίνη ersetzt oder anderweitig umschrieben haben. Diese Ersetzung ist verständlich, weil ὁ κράβαττος ausgesprochen selten und ungewöhnlich ist. 9 Aus diesem Grund ist die Beobachtung aufschlussreich, dass Tertullian für *Ev mit dem lateinischen Lehnwort grabbatus das aus Mk bekannte ὁ κράβαττος bezeugt. Dieser Sprachgebrauch wird auch durch die Altlateiner gestützt: In *5,18 haben die Altlateiner durchweg in lecto/ super lectum für ἐπὶ κλίνης, das hier mit einiger Wahrscheinlichkeit ursprünglich ist. grabattus findet sich *5,19 in c d e (neben lectus in a aur b f ſſ 2 l q), *5,24 in c d r 1 und *5,25 in a c d e (neben lectus in b r 1 ). An dieser letzten Stelle zeigt sich die Uneinheitlichkeit, mit der die altlateinischen Handschriften den vorkanonischen nach dem kanonischen Text korrigiert haben, besonders deutlich, weil sich hier unterschiedliche Formen erhalten haben: Neben dem (mutmaßlich vorkanonischen) grabattus ([a] c d e) findet sich der kanonische Wortlaut ἐϕ’ ὃ κατέκειτο/ in quo iacebat (aur f ſſ 2 l q) sowie der Mischtext aus beiden Formen l e c t u m in quo iacebat (b r 1 ). Das Zustandekommen dieser Varianten lässt sich nur auf höchst kompliziertem Weg als eine Beeinflussung durch den Text der mk Parallele verstehen, wird aber durch das Modell der uneinheitlichen Korrekturen ohne weiteres verständlich. Aus diesem Grund wird auch in *5,18 ursprünglich ἐπὶ κ ρ α β ά τ τ ο υ anstelle von ἐπὶ κλίνης gestanden haben, obwohl sich für diese Stelle keine Varianten in der kanonischen Überlieferung erhalten haben. Allerdings gibt Mk 2,3 v. l. einen Hinweis darauf, dass das vorkanonische *Mk an dieser Stelle ursprünglich ebenfalls κράβαττον gelesen hatte, wie die Variante im Washingtonianus zeigt (Mk 2,3 W: ἰδοὺ ἄνδρες ἔρχονται πρὸς αὐτὸν βαστάζοντες ἐν κρεβάττῷ παραλυτικόν). ______________________________ 8 ἰδού 5,18 || Mt 9,2a ÷ Mk 2,3. - ἐπὶ κλίνης 5,18 || Mt 9,2a ÷ Mk 2,3. - αἰρόμενον ὑπὸ τεσσάρων Mk 2,3 ÷ Lk 5,18 || Mt 9,2. - τῷ παραλυτικῷ Mk 2,9 ÷ Lk 5,23 || Mt 9,5. - καὶ ἆρον τὸν κράβαττόν σου Mk 2,9 ÷ Lk 5,23 || Mt 9,5. - εἰς τὸν οἶκον αὐτοῦ 5,27 || Mt 9,7 ÷ Mk 2,12. Vgl. dazu N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 67ff; DERS ., Minor Agreements (1991), 19f; E NNULAT , Minor Agreements 58-68, sowie F R . N EIRYNCK , Les accords mineurs et la rédaction des évangiles: L’épisode du paralytique (Mt., IX,1-8 / Lc., V,17-26, par. Mc., II.1-12), ETL 50 (1974), 215-230. Die Erklärung dieser Agreements bereitet im Rahmen der Zweiquellentheorie verständlicherweise größte Schwierigkeiten; ausführlich ist für eine Lösung im Sinn der Deuteromarkustheorie eingetreten A. F UCHS , Offene Probleme der Synoptikerforschung. Zur Geschichte der Perikope Mk 2,1-12 par Mk 9,1-18 par Lk 5,17-26, in: ders., Spuren von Deuteromarkus II, Münster 2004, 19-52. 9 ὁ κράβαττος (oder κράββατος), ein Lehnwort unbekannter Herkunft, kommt in LXX, bei Philo und Josephus überhaupt nicht, in der Profangräzität nur sehr selten vor; vgl. BDR § 42.4; J. H. M OULTON , Einleitung in die Sprache des Neuen Testaments, Heidelberg 1911, 60. 5,17-26 Rekonstruktion 579 3. Nach der Logik dieser uneinheitlichen Angleichungen an den kanonischen Text lassen sich dann auch diejenigen Passagen von *Ev mit einiger Wahrscheinlichkeit rekonstruieren, für die keine Bezeugung vorliegt. a. In *5,24 sind die (für *Ev nicht bezeugten) Worte σοὶ λέγω/ tibi dico von der Afra-Handschrift e ausgelassen; sie fehlen auch in Mt 9,6 ≠ Mk 2,11 || Lk 5,24. Wieder ist die Annahme leichter, dass Mt dem kürzeren, vorkanonischen (und noch in e sichtbaren) Text gefolgt ist, als dass Mt und e unabhängig voneinander diese Worte ausgelassen haben. Trifft diese Annahme zu, dann hätte Lk hier nicht auf *Ev, sondern auf Mk zurückgegriffen. b. Wichtiger ist die Auslassung von Lk 5,26a καὶ ἔκστασις ἔλαβεν ἅπαντας καὶ ἐδόξαζον τὸν θεόν in einigen Handschriften (D M W X Ψ Ω* 028 e d usw.). Hier spricht nicht nur die handschriftliche Überlieferung dafür, dass dieser Satz in *Ev fehlte, sondern auch der Umstand, dass δοξάζειν τὸν θεόν ein lk Vorzugsterminus zur Bezeichnung der Bekehrung ist, 10 sowie die eigenartige und eher unglückliche Doppelung der Wendung einmal im Mund des Geheilten (V. 24), dann V. 25 als Reaktion der Menge, die ja in der kanonischen Fassung i. W. aus Pharisäern und Schriftgelehrten/ Gesetzeslehrern besteht. Der Schluss der Perikope sah in *Ev folglich anders aus als in der kanonischen Fassung. 4. Die verschiedentlich notierten D-Lesarten häufen sich in dieser Perikope. Dieses Beispiel bietet für die überlieferungsgeschichtliche Rekonstruktion insofern Anhaltspunkte, als die D-Lesarten teilweise Entsprechungen in der mk Fassung der Perikope besitzen: αποστεγασαντες *5,19 || απεστεγεσαν Mk 2,4 ÷ Lk 5,19. - τον κραβαττον συν τω παραλυτικω *5,19 || τον κραβαττον οπου ο παραλυτικος κατεκειτο Mk 2,4 ≠ Lk 5,19 αυτον συν τω κλινιδιω. - Lk 5,19 εις το μεσον ÷ *5,19 || Mk 2,4. - εν ταις καρδιαις αυτων *5,21 || Mk 2,6 ÷ Lk 5,21. - τι ουτος *5,21 || Mk 2,7 ≠ τις εστιν ουτος ος Lk 5,21. - πονηρα *5,22 || Mt 9,4 ÷ Lk 5,22. - λεγει *5,24 || Mk 2,10 ≠ ειπεν Lk 5,24. - παραλυτικω *5,24 || Mk 2,10 ≠ παραλελυμενω Lk 5,24. - αϕιεναι αμαρτιας επι της γης *5,24 || Mk 2,10 ≠ επι της γης αϕιεναι αμαρτιας Lk 5,24. - αρον *5,24 || Mk 2,11 ≠ αρας Lk 5,24. - τον κραβαττον *5,24 || Mk 2,11 ≠ το κλινιδιον Lk 5,24. Diese Übereinstimmungen zwischen D und den synoptischen Parallelen sind nicht, wie der Apparat von NA 27 gelegentlich durch p) andeutet, sekundäre Angleichungen aufgrund der synoptischen Parallelen: Vor allem im Fall des ganz anders strukturierten V. *19 ist das nicht denkbar. Stattdessen handelt es sich um Spuren der lk Redaktion, die *Ev geändert hat, wogegen Mk (und Mt) den diesen Ursprungstext jeweils genauer bewahrt haben. 5. Dass Tertullian die Vollmacht des Menschensohns zur Sündenvergebung »auf der Erde« (ἐπὶ τῆς γῆς) nicht erwähnt, ist kein hinreichendes Indiz dafür, dass ______________________________ 10 Vgl. 2,20; 4,15; 7,16; 13,13; 17,15; 18,43; 23,47; Act 11,18. 580 Anhang I 5,17-26 *Ev diese Worte nicht hatte. Dem argumentum e silentio, dass Tertullian die Sündenvergebung »auf der Erde« erwähnt hätte, weil die »Erde« den Schöpfergott symbolisiere, 11 steht entgegen, dass Epiphanius diese Worte zitiert; auch die handschriftliche Überlieferung gibt hier keinen Anhalt für die Vermutung, dass in *Ev ein anderer als der kanonische Text vorlag. *5,{27 D} [ 27 ] 28-30.31.32: Berufung des Levi. Zöllnermahl Gut bezeugt und sicher vorhanden, mit großer Wahrscheinlichkeit durch die lk Redaktion bearbeitet. a {5,27 καὶ ἐλθὼν πάλιν παρὰ τὴν θάλασσαν καὶ ἐπακολουθοῦντα αυτῷ ὄχλον ἐδίδασκεν· καὶ παράγων εἶδεν Λευὶ τὸν τοῦ Ἁλϕαίου} a καθήμενον ἐπὶ τὸ τελώνιον, καὶ b λεγει αὐτῷ, Ἀκολούθει μοι. 28 καὶ καταλιπὼν πάντα ἀναστὰς ἠκολούθει αὐτῷ. 29 Καὶ ἐποίησεν δοχὴν μεγάλην Λευὶς αὐτῷ ἐν τῇ οἰκίᾳ αὐτοῦ· καὶ ἦν ὄχλος πολὺς τελωνῶν c καὶ ἄλλων ἀνακειμένων c . 30 καὶ ἐγόγγυζον οἱ Φαρισαῖοι καὶ οἱ γραμματεῖς αὐτῶν πρὸς τοὺς μαθητὰς αὐτοῦ λέγοντες, Διὰ τί μετὰ τῶν τελωνῶν d [ καὶ ἁμαρτωλῶν ] d ἐσθίετε καὶ πίνετε; 31 καὶ ἀποκριθεὶς ὁ Ἰησοῦς εἶπεν πρὸς αὐτούς, Οὐ χρείαν ἔχουσιν οἱ ὑγιαίνοντες ἰατροῦ ἀλλὰ οἱ κακῶς ἔχοντες· 32 οὐκ ἐλήλυθα καλέσαι δικαίους e [ ἀλλὰ f ἀσεβεῖς ] e [ εἰς μετάνοιαν ] . A. *5,27: Tert. 4,11,1: Publicanum adlectum a domino in argumentum deducit, quasi ab adversario legis adlectum, extraneum legis et Iudaismi profanum. Excidit ei vel de Petro, legis homine, et tamen non tantum adlecto, sed etiam testimonium consecuto agnitionis praestitae a patre. Nusquam legerat lumen et spem et expectationem nationum praedicari Christum … ♦ *5,31: Tert. 4,11,1: … Atquin probavit potius Iudaeos, dicendo medicum sanis non esse necessarium sed male habentibus. B. a (5,27) και ελθων παλιν παρα την θαλασσαν τον επακολουθουντα αυτω οχλον εδιδασκεν· και παραγων ειδεν Λευι τον του Αλϕαιου: D d ¦ και μετα ταυτα εξηλθεν και εθεασατο τελωνην ονοματι Λευιν: M (*Ev non test.) ● b (5,27) λεγει/ dicit: א D f 13 d (aur b f ſſ 2 l q r 1 : ait) lectt ¦ ειπεν/ dixit: [a] c e M (*Ev non test.) ● c (5,29) και αλλων ανακειμενων: D d e ¦ και αμαρτωλων: N W 1424 pc bo ms ¦ om א * q ¦ και αλλων οι ησαν μετ αυτων κατακειμενοι: aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● d (5,30) και αμαρτωλων: om C* D d 265 ¦ add [a] aur b c e f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● e (5,32) αλλα ασεβεις/ αμαρτωλους: om Ephr (Comm. Diat. 5,21) ¦ add it M (*Ev non test.) ● f (5,32) ασεβεις: א * ¦ αμαρτωλους: it M (*Ev non test.). C. Tertullian referiert mit den Stichworten aus *5,27.31 auf die gesamte Perikope. Es ist für ihn wichtig, diese Perikope bei *Ev zu finden, weil er daran zeigt, dass ______________________________ 11 So T SUTSUI 79. 5,27-32 Rekonstruktion 581 Jesus die Juden (sein Beispiel ist Petrus) eher anerkennt als die Heiden, zu denen der Zöllner zu rechnen sei. 1 1. Für die (unbezeugte) Einleitung der Perikope deutet die abweichende Überlieferung in D d darauf hin, dass die Fassung des Mehrheitstextes Redaktion ist. Denn D bietet hier einen Text, der mit Mk 2,13f große Ähnlichkeit hat, ohne damit identisch zu sein: Mk 2,13.14 *5,27 D Lk 5,27 καὶ ἐξῆλθεν καὶ ἐλθὼν καὶ μετὰ ταῦτα ἐξῆλθεν πάλιν παρὰ τὴν θάλασσαν· πάλιν παρὰ τὴν θάλασσαν καὶ πᾶς ὁ ὄχλος ἤρχετο καὶ ἐπακολουθοῦντα πρὸς αὐτόν αυτῷ καὶ ἐδίδασκεν αὐτούς. ὄχλον ἐδίδασκεν· καὶ παράγων εἶδεν καὶ παράγων εἶδεν καὶ ἐθεάσατο τελώνην ὀνόματι Λευὶν τὸν τοῦ Ἁλϕαίου. Λευὶ τὸν τοῦ Ἁλϕαίου Λευὶν καθήμενον ἐπὶ τὸ τελώνιον, καθήμενον ἐπὶ τὸ τελώνιον, καθήμενον ἐπὶ τὸ τελώνιον, καὶ λέγει αὐτῷ … καὶ λέγει αὐτῷ … καὶ εἶπεν αὐτῷ … Das Phänomen ähnelt dem von *5,14 (s. dort) und ist auch auf entsprechende Weise zu erklären: D d bieten den Text des vorkanonischen Evangeliums, der an dieser Stelle nicht nach der kanonischen Fassung korrigiert ist. Mk hat diesen vorkanonischen Text genauer bewahrt als Lk, auch in Mt finden sich noch Spuren davon. 2 Die Differenzen zwischen Mk 2,13 und *5,27 (D) machen zudem klar, dass die D-Lesart nicht durch Einfluss der mk Parallele erklärt werden kann. 3 Denn den Hinweis, dass die Menge Jesus »nachfolgte« (ἐπακολουθοῦντα αυτῷ) konnte D nicht aus Mk haben, ganz abgesehen davon, dass die parataktische Formulierung in Mk (ὁ ὄχλος ἤρχετο πρὸς αὐτόν καὶ ἐδίδασκεν αὐτούς) leichter als Auflösung der partizipialen Wendung in D (ἐπακολουθοῦντα αυτῷ ὄχλον ἐδίδασκεν) zu verstehen ist als umgekehrt. Der Text von *5,27 D stellt daher die überlieferungsgeschichtlich älteste Einleitung der Perikope von der Berufung des Levi dar. Auch wenn für *Ev an dieser Stelle kein Text bezeugt ist, spricht doch im Gesamtbild sehr vieles dafür, dass *Ev die in *5,27 D bewahrte Fassung enthielt. ______________________________ 1 Tert. 4,11,2: si enim male valentes voluit intellegi ethnicos et publicanos, quos adlegebat, sanos Iudaeos confirmabat, quibus medicum necessarium negabat. 2 Vgl. Mt 9,9: καὶ παράγων … εἶδεν. - Im Unterschied zu Lk 5,27 (ἐθεάσατο τελώνην), aber übereinstimmend mit Mk 2,14 und *5,27 (D) erwähnt Mt nicht, dass Jesus einen »Zöllner« sah; der Beruf ergibt sich nur aus der Beschreibung (καθήμενον ἐπὶ τὸ τελώνιον). Allerdings hat Mt - darin Lk 5,27 entsprechend - die nur summarisch mitgeteilte Überleitung (Rückkehr zum See Genezareth; Andrang der Menge; Lehre Jesu) - weggelassen und auf diese Weise die narrative Kohärenz gestärkt. 3 So der Hinweis im App. von NA 27 : p). 582 Anhang I 5,27-32 2. Von den Vv. 28-30.32 gibt es keine Spur. Es gibt allerdings keinen Grund für die Annahme, dass *Ev die Vv. 28-30 nicht hatte: Etwas Entsprechendes ist aus Gründen der narrativen Logik notwendig. Allenfalls könnte man in Zweifel ziehen, ob *5,20 ἐγόγγυζον, das in Lk 15,2 eine enge und sicher redaktionelle Parallele besitzt (s. dort), schon in *Ev stand: Das mk-mt ἰδόντες (Mk 2,16 || Mt 9,11) könnte darauf hindeuten, dass *Ev hier ein Verb des Sehens enthielt. Da aber die mk-mt Entsprechung auch auf anderem Weg entstanden sein könnte, bleibt diese Überlegung sehr unsicher. 3. Des weiteren deuten einige Varianten in der kanonischen Handschriftenüberlieferung auf redaktionelle Eingriffe hin, die dann im Umkehrschluss die Existenz eines vorkanonischen Textes wahrscheinlich machen. Neben dem Präs. hist. in *5,27 ( א D f 13 it) sind dies vor allem die mutmaßlichen Eintragungen von ἁμαρτωλοί (bzw. ἀσεβεῖς) in *5,29.30.32: Da die Pointe auf den Gegensatz von Sündern und Gerechten abzielt und diese Terminologie außerdem dem gängigen lk Sprachgebrauch entspricht, ist es kaum vorstellbar, dass die ἁμαρτωλ-Terminologie sekundär entweder getilgt oder ersetzt worden sein sollte: Die Varianten, die ἁμαρτωλοί o. ä. nicht enthalten, sind Spuren des vorkanonischen Textes, die sich in der kanonischen Überlieferung erhalten haben. 4. Auch *5,32 ist für *Ev wahrscheinlich. Allerdings ist fraglich, ob der V. in beiden Teilen schon in *Ev enthalten waren. a. Zweifel sind zunächst an den beiden letzten Worten εἰς μετάνοιαν angebracht. Zwar ist die Wendung in den Handschriften ohne Abweichung bezeugt, aber die synoptischen Parallelen Mk 2,17 || Mt 9,13 enthalten sie nicht. Für Mt 9,13 ist die Überlieferung allerdings nicht ganz einheitlich. א B D N W Γ* Δ 0233 f 1 33 565 al lat sy p.h bo pt bieten die kürzere Fassung ohne εἰς μετάνοιαν am Ende (οὐ γὰρ ἦλθον καλέσαι δικαίους ἀλλὰ ἁμαρτωλούς). Dagegen bieten C L Θ 0281 f 13 c g 1 sy s.hmg mae bo pt die längere Lesart mit der Wendung εἰς μετάνοιαν. Sowohl das Zustandekommen der Varianten als auch ihre Verteilung auf die Handschriften wird vor dem Hintergrund der hier angenommenen Interferenz der vorkanonischen und der kanonischen Handschriftenüberlieferung verständlich: Die kürzere Lesart wird dem vorkanonischen *Mt-Text entsprochen haben, den auch Mk 2,17 bezeugt und der dann auch für *Ev anzunehmen ist. Die Einfügung von εἰς μετάνοιαν in Mt 9,13 und Lk 5,32 ist dann eine typische Ergänzung der kanonischen Ausgabe. Auch in Lk-Act kommt μετάνοια ausschließlich in redaktionellen Passagen vor. 4 Die Rede von der Umkehr ist ein charakteristisches Merkmal der kanonischen Ausgabe. b. Daneben sind für *5,32b zwei Lesarten zu notieren, die für die Rekonstruktion des vorkanonischen Textes wichtig sein könnten. Die erste Variante findet sich im Sinaiticus, der hier anstelle der durchgängig bezeugten »Sünder« die selteneren »Gottlosen« bietet (ἀλλὰ ἀσεβεῖς: א *). Diese Lesart könnte den vorkanonischen ______________________________ 4 Vgl. Lk 3,3.8; 15,7; 24,47 (s. jeweils dort); vgl. außerdem Act 5,31; 11,18; 13,24; 19,4; 20,21; 26,20. 5,27-32 Rekonstruktion 583 Wortlaut repräsentieren, den die kanonische Redaktion dann durch die charakteristische Sünderterminologie ersetzt hätte. In diesem Fall hätte der vorkanonische Text also eine positive Aussage über die Sendung Jesu enthalten. Dagegen spricht allerdings die zweite Variante in Ephraems Diatessaron-Kommentar, der nur die erste Hälfte des Logions enthält: »Ich bin nicht gekommen, die Gerechten zu rufen.« Es ist ohne weiteres vorstellbar, dass der vorkanonische Text nur die erste, negative Bestimmung über die Sendung Jesu enthielt. Angesichts der sehr schmalen Bezeugung bleibt das Urteil sehr unsicher. Analog zu anderen Fällen wähle ich aus methodischen Gründen die am weitesten vom kanonischen Mehrheitstext entfernte Variante; dies ist die von Ephraem bezeugte Lesart ohne *5,32b. *5,33-35 [ 36a ]↑ 37a [ 37b ] 38 ↓↑ 36b ↓[ 39 ] : Fastenfrage Gut bezeugt, sicher vorhanden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die lk Redaktion bearbeitet und ergänzt. 5,33 Οἱ δὲ εἶπαν πρὸς αὐτόν, a Διὰ τί a οἱ μαθηταὶ Ἰωάννου b {καὶ οἱ μαθηταὶ τῶν Φαρισαίων} b νηστεύουσιν πυκνὰ καὶ δεήσεις ποιοῦνται, b [ ὁμοίως καὶ οἱ τῶν Φαρισαίων ] b , οἱ δὲ σοὶ ἐσθίουσιν καὶ πίνουσιν. 34 ὁ δὲ Ἰησοῦς εἶπεν πρὸς αὐτούς, Μὴ c δύνανται οἱ υἱοὶ c τοῦ νυμϕῶνος d ἐϕ’ ὅσον d e μετ’ αὐτῶν ἐστιν ὁ νυμϕίος e c νηστεύειν; 35 ἐλεύσονται δὲ ἡμέραι, καὶ ὅταν ἀπαρθῇ ἀπ’ αὐτῶν ὁ νυμϕίος τότε νηστεύσουσιν ἐν ἐκείναις ταῖς ἡμέραις. [ 36a Ἔλεγεν δὲ καὶ παραβολὴν πρὸς αὐτοὺς ὅτι ] f ↑ 37 g οὐ βάλλουσιν g οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς παλαιούς· εἰ δὲ μή γε, ῥήξει ὁ οἶνος ὁ νέος τοὺς ἀσκούς, καὶ h ὁ οἶνος ἀπόλλυται καὶ οἱ ἀσκοί. h 38 ἀλλὰ οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινοὺς i βάλλουσιν, k {καὶ ἀμϕότεροι συντηροῦνται} k . ↓ f l ↑ 36b καὶ οὐδεὶς ἐπιβάλλει ἐπίβλημα m ῥάκους ἀγνάϕου m n ἀπὸ ἱματίου καινοῦ σχίσας n ἐπὶ o ἱματίῳ παλαιῷ o · εἰ δὲ μή γε, καὶ p τὸ πλήρωμα αἴρει p καὶ τῷ παλαιῷ οὐ συμϕωνήσει. q μείζον γὰρ σχίσμα γενήσεται q ↓ . l r [ 39 καὶ οὐδεὶς πιὼν παλαιὸν θέλει νέον· λέγει γάρ, Ὁ παλαιὸς χρηστός ἐστιν. ] r A. *5,33: Tert. 4,11,5: Si enim nihil omnino administrasset Ioannes, secundum Esaiam vociferator in solitudinem et praeparator viarum dominicarum per denuntiationem et laudationem paenitentiae, si non etiam ipsum inter ceteros tinxisset, nemo discipulos Christi manducantes et bibentes ad formam discipulorum Ioannis assidue ieiunantium et orantium provocasset, quia, si qua diversitas staret inter Christum et Ioannem et gregem utriusque, nulla esset comparationis exactio, vacaret provocationis intentio. ♦ *5,34: Tert. 4,11,6: At nunc humiliter reddens rationem quod non possent ieiunare filii sponsi quamdiu cum eis esset sponsus … ♦ *5,35: Tert. 4,11,6: … postea vero ieiunaturos promittens cum ablatus ab eis sponsus esset, nec discipulos defendit, sed 584 Anhang I 5,33-39 potius excusavit … ♦ *5,37a.38.36: Tert. 4,11,9f: Errasti in illa etiam domini pronuntiatione qua videtur nova et vetera discernere. Inflatus es utribus veteribus et excerebratus es novo vino, atque ita veteri, id est priori evangelio, pannum haereticae novitatis assuisti. In quo alter creator, velim discere. Cum per Hieremiam praecepit, Novate vobis novamen novum, nonne a veteribus avertit? cum per Esaiam edicit, Vetera transierunt, et ecce nova quae ego facio, nonne ad nova convertit? Olim hanc statuimus destinationem pristinorum a creatore potius repromissam a Christo exhiberi, sub unius et eiusdem dei auctoritate, cuius sint et vetera et nova. (10) Nam et vinum novum is non committit in veteres utres qui et veteres utres non habuerit, et novum additamentum nemo inicit veteri vestimento nisi cui non defuerit et vetus vestimentum. Ille non facit quid, si faciendum non est, qui habeat unde faciat, si faciendum esset. Itaque si in hoc dirigebat similitudinem, ut ostenderet se evangelii novitatem separare a legis vetustate, suam demonstrabat et illam a qua separabat alienorum separatione non fuisse notandam, quia nemo alienis sua adiungit ut ab alienis separare possit. ¦ Epiph. 42,2,1: οὐ βάλλουσιν οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς παλαιούς οὐδὲ ἐπίβλημα ῥάκους ἀγνάϕου ἐπὶ ἱματίῳ παλαιῷ· εἰ δὲ μή γε, καὶ τὸ πλήρωμα αἶρει καὶ τῷ παλαιῷ οὐ συμϕωνήσει. μείζον γὰρ σχίσμα γενήσεται. ¦ Adam. 2,16 (831a.b): βάλλουσιν οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς νέους καὶ ἀμϕότεροι συντηροῦνται … οὐδεὶς ἐπιβάλλει ἐπίβλημα ῥάκους ἀγνάϕου ἐπὶ ἱματίῳ παλαιῷ. ¦ Filastrius, Haer. 45,2 (CCL 9, 236,6ff): nemo pannum rudem mittet in vestimentum vetus, neque vinum novum in utres veteres, alioquin rumpuntur utres, et effunditur vinum. B. a (5,33) δια τι/ qua re: א * .2 A C D R Θ Ψ f 1.13 it vg sy p.h bo pt ¦ om P 4 א 1 B L W Ξ 33 892* 1241 sa bo pt (*Ev non test.) ● b (5,33) και οι μαθηται των Φαρισαιων: D d (vgl. Mk 2,18) ¦ ομοιως και οι των Φαρισαιων: om D 115 348 1216 a aur b c d ſſ 2 l q ¦ ομοιως και οι των Φαρισαιων: add e f r 1 vg M (*Ev non test.) ● c (5,34) δυνανται οι υιοι … νηστευσαι/ possunt filii sponsi … ieiunare: Tert א * D a b c d e ſſ 2 g 1 gat (vgl. Mk 2,19) ¦ δυνασθε τους υιους … ποιησαι νηστευσαι/ potestis filios ieiunare … facere: aur f l q r 1 vg M ● d (5,34) εϕ οσον/ quamdiu: Tert D a b c d e f r 1 (cum: d e; dum: aur ſſ 2 l q) ¦ εν ω/ εως: 27 71 1194 1458 M ● e (5,34) μετ αυτων εστιν ο νυμϕιος/ cum eis esset sponsus: Tert aur b ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg ¦ ο νυμϕιος μετ αυτων εστιν: Wortstellung (3-5 1 2: μετ αυτων εστιν ο νυμϕιος/ cum eis esset sponsus) M ● f (5,37a.38a) vss. 37a.38 pon. ante vs. 5,36b: Tert Epiph Adam EvThom 47 ¦ it M ● g (5,37) ου βαλλουσιν: Epiph ¦ ουδεις βαλλει: it M ● h (5,37) ο οινος απολλυται και οι ασκοι: e (et vinum periet et utres) ¦ αυτος εκχυθησεται και οι ασκοι απολουνται/ ipse (ipsud: ſſ 2 l; ipsum: aur b r 1 vg; vinum : c f) effundetur (effunditur: a l vg) et utres peribunt: a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ¦ ο οινος απολλυται (om και οι ασκοι απολουνται): 179 ℓ854 (*Ev non test.) ● i (5,38) βαλλουσιν/ mittunt: (Epiph) Adam א * D a aur b c d (mittent) e f ſſ 2 g 1 l q r 1 sy p Tat arab.pers ¦ βλητεον/ mittendum est: vg M ● k (5,38b) και αμϕοτεροι συντηρουνται/ et utraque (utrique: b l; ambo: [a] d e) (con)servantur: Adam A C D Θ Ψ f 13 a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 sy bo mss ¦ om P 4 P 75 א B L W mult sa bo mss M ● l (5,36b) vs. 36b pon. post vs. 38: Tert Epiph Adam EvThom 47 ● m (5,36b) ρακους αγναϕου: Epiph Adam 443* (vgl. Mk 2,21) ¦ ιματιου καινου: it M ● n (5,36b) om απο, σχισας, (6 1 3 4: επιβαλλει επιβλημα ρακους αγναϕου): Adam 047 ¦ επιβλημα απο ιματιου καινου σχισας επιβαλλει: M ● o (5,36b) ιματιω παλαιω/ vestimento veteri: Epiph Adam Μ Γ 475 a (panno veteri) aur b c f ſſ 2 l q CyrAlex (Comm. in Joh 10,2; P USEY IV, 626) ¦ ιματιον παλαιον/ vestimentum vetus: e (d: tunicam veterem) r 1 M ● p (5,36b) πληρωμα αιρει: Epiph (vgl. Mk 2,21) ¦ καινον σχισει: it M ● q (5,36b) μειζον γαρ σχισμα γενησεται: Epiph (vgl. Mk 2,21) ¦ το επιβλημα 5,33-39 Rekonstruktion 585 το απο του καινου: M ● r (5,39) vs. om D a b c d e ſſ 2 l r 1 sy s.c ¦ vs. add P 4.75 א A B C K L W X Δ Θ Π Ψ f 1.13 pm lectt aur f q vg sy ph.h.p sa bo got armen georg (*Ev non test.). C. Die Perikope, die insgesamt gut für *Ev bezeugt ist, 1 zeigt einige Besonderheiten. 1. Die genaue Form der Einleitung *5,33 ist unklar: Tertullian zitiert nicht, sondern fasst den Inhalt nur zusammen. Allerdings weckt die »Westliche« Textüberlieferung auch hier Zweifel, dass die kanonische Formulierung bereits in *Ev stand. a. Nur Lk hat die Perikope durch οἱ δὲ εἶπαν sehr eng an die vorangehende Erzählung vom Zöllnermahl angeschlossen und zu einer Szene vereinigt, Mk und Mt haben für die »Fastenfrage« eine eigene Szene geschaffen: Während Mk 2,18 über die Fastenpraxis der Pharisäer und der Johannesjünger informiert und dann mitteilt, dass »sie zu ihm kommen« (καὶ ἔρχονται καὶ λέγουσιν αὐτῷ), erzählt Mt 9,14a, dass die Johannesjünger zu Jesus kommen und als Adressaten des folgenden Gesprächs fungieren. Bei Mk resultiert aus dieser Einleitung die Unstimmigkeit, dass die Pharisäer- und Johannesjünger, die zu Jesus kommen, ihn in der 3. Pers. über ihre eigene Fastenpraxis befragen (διὰ τί οἱ μαθηταὶ Ἰωάννου καὶ οἱ μαθηταὶ τῶν Φαρισαίων νηστεύουσιν; ). Mt hat diese Ungeschicklichkeit vermieden und lässt die Johannesjünger konsequenterweise fragen, warum »wir und die Pharisäer« (ἡ μ ε ῖ ς καὶ οἱ Φαρισαῖοι) fasten. Diese Brüche, die auf redaktionelle Eingriffe hindeuten, lassen sich am ehesten so erklären, dass Mk (und in der Folge Mt) die Frage nach der Fastenpraxis nicht beliebigen Dritten in den Mund legen, sondern die Betroffenen selbst zu Wort kommen lassen wollten, die in einer dementsprechenden Exposition in die Erzählung eingeführt werden mussten. Die mk Frage in der 3. Pers. ist dann ein Merkmal des vormk Textes in *Ev. Die Ungeschicklichkeit, die Mk mit der Beibehaltung der Frage in der 3. Pers. unterlaufen ist, hat Mt gesehen und korrigiert. Die lk Fassung hat diese Probleme nicht, da hier 5,27-32 und 33-36 zu einer Szene zusammengefasst sind. Man könnte daher überlegen, ob die lk Einleitung mit der engen Verknüpfung von *5,33f mit *5,27-32 bereits in *Ev stand. Allerdings ist in diesem Fall kaum verständlich, wieso Mk und Mt eine einheitliche Szene - auf verschiedene Weise - durch einen redaktionellen Eingriff zerlegt und sich auf diese Weise narrative Inkohärenzen geschaffen haben sollten. Es ist daher wahrscheinlicher, dass die ursprüngliche Exposition der Perikope in *Ev davon sprach, dass Fragesteller zu Jesus kamen. Sie könnte, analog zu Mk 2,18b, »καὶ ἔρχονται καὶ λέγουσιν αὐτῷ …« gelautet und ein unbestimmtes Subjekt (τινες) enthalten haben. In diesem Fall wäre die Fassung von *Ev in keinem der kanonischen Evangelien enthalten; aber für diese Vermutung gibt es keine positiven Hinweise. ______________________________ 1 Vgl. auch Ephr. Hymn. 44,6; 47,2f; weitere Belege bei H ARNACK 189*. 586 Anhang I 5,33-39 b. Unklar ist auch die Form des einleitenden Statements der Gesprächspartner: Mk und Mt bieten eine Frage nach dem Grund der devianten Fastenpraxis der Jünger Jesu (διὰ τί: Mk 2,18 || Mt 9,14), Lk dagegen eine Feststellung, die einen Vorwurf impliziert. Dass diese Form mit hoher Wahrscheinlichkeit sekundär ist, zeigt die handschriftliche Überlieferung, die hier die Frageform verschiedentlich bewahrt hat: Das bekannte Phänomen der uneinheitlichen Korrektur des vorkanonischen nach dem lk redigierten Text liegt nicht nur in den Zeugen des »Westlichen Textes« (D it sy) vor, sondern zeigt sich noch in weiteren wichtigen Zeugen. Da jedoch auch Gründe denkbar sind, die eine inhaltliche Korrektur der lk Fassung nahelegen, ist diese Überlegung hier weniger gut begründbar als an anderen Stellen. Gleichwohl ist es wahrscheinlich, dass *Ev die auch durch Mk und Mt bezeugte Frageform enthielt. 2 c. Auch die weitere Formulierung der Eingangsfrage ist aufgrund der handschriftlichen Überlieferung unklar. In der disparaten Überlieferung in D it tauchen die »Jünger der Pharisäer« an verschiedenen Stellen auf: 1. D d: δια τι οι μαθηται του Ιωαννου κ α ι ο ι μ α θ η τ α ι τ ω ν Φ α ρ ι σ α ι ω ν νηστευουσι πυκνα και δεησεις ποιουνται κτλ. 2. e f r 1 : δια τι οι μαθηται του Ιωαννου νηστευουσι πυκνα και δεησεις ποιουνται ο μ ο ι ω ς κ α ι ο ι τ ω ν Φ α ρ ι σ α ι ω ν κτλ. 3. a aur b c d ſſ 2 l q: δια τι οι μαθηται του Ιωαννου νηστευουσι πυκνα κ α ι τ ω ν Φ α ρ ι σ α ι ω ν και (b: om) δεησεις ποιουνται κτλ. Erklären lässt sich diese Uneinheitlichkeit am einfachsten, wenn die Pharisäerjünger schon immer Bestandteil des Textes waren, und zwar am ehesten in der auch Mk 2,18 bezeugten Formulierung von D d: »Die Jünger des Johannes und der Pharisäer fasten.« Dass sich die beiden Gruppen auch darin entsprechen, dass sie Gebete verrichten, hat Mk unterschlagen: Es ist für das Ausgangsproblem ohne Bedeutung. Mt ist Mk darin gefolgt und konzentriert sich auf die Frage der Fastenpraxis. Da er aber die Frage den Johannesjüngern selbst in den Mund legt, muss er umformulieren: διὰ τί ἡ μ ε ῖ ς καὶ οἱ Φαρισαῖοι νηστεύομεν; Lk folgt *Ev. Er hat daraus den Hinweis auf die Gebetspraxis bewahrt, dafür aber die überladene Formulierung - zwei Gruppen, zwei Frömmigkeitspraxen - dadurch entschlackt, dass er die Pharisäerschüler erst am Ende erwähnt: ὁμοίως καὶ οἱ τῶν Φαρισαίων. d. Damit ist auch klar, dass die Wendung καὶ δεήσεις ποιοῦνται, die bei Mk und Mt keine Entsprechung besitzt und deswegen in aller Regel für eine redaktionelle ______________________________ 2 M ETZGER , Textual Commentary z. St., hält die lk Fassung für ursprünglich und erklärt die Lesart in Frageform als eine Angleichung an Mk 2,18, für die »Copyists« verantwortlich seien. 5,33-39 Rekonstruktion 587 Ergänzung des Lk an seiner Mk-Vorlage gehalten wird, 3 ursprünglich ist. Die altlateinische Überlieferung bezeugt die Wendung ohne Ausnahme. 4 Der Erklärungsversuch im Rahmen der Zwei-Quellentheorie, dass Lk die Wendung redaktionell eingefügt habe, weil er damit auf die (abweichende) Gebetspraxis der Johannesjünger (11,1) vorausweisen wollte, ist wenig plausibel: Erstens ist der Zusammenhang doch recht weitläufig, zweitens ist *11,1 für *Ev gut bezeugt (s. dort), so dass diese Überlegung auch schon für *Ev zutreffen könnte. Man wird daher umgekehrt argumentieren, dass die Erwähnung der Gebetspraxis schon in *Ev enthalten war, aber durch Mk (und Mt) getilgt wurde, weil sie im Kontext, der nur an der Frage des Fastens bzw. Essens interessiert ist, funktionslos bleibt. 2. In *5,34 macht die »Westliche« Überlieferung wahrscheinlich, dass der vorkanonische Text in *Ev die Antwort Jesu (genau wie in Mk 2,19 || Mt 9,15) in der 3. Pers. enthielt: μὴ δ ύ ν α ν τ α ι οἱ υἱοὶ τοῦ νυμϕῶνος … νηστεύειν. Die 2. Pers. der lk Fassung (μὴ δ ύ ν α σ θ ε τοὺς υἱοὺς τοῦ νυμϕῶνος … π ο ι ῆ σ α ι νηστεῦσαι) geht also auf die lk Redaktion zurück und entspricht auch der Veränderung der Eingangsfrage in eine vorwurfsvolle Feststellung (s. o.). Der Sinn verschiebt sich erkennbar: Jesus stellt nicht einfach die Unvereinbarkeit von Fasten und hochzeitlicher Freude heraus, sondern wehrt das Ansinnen ab, dass seine Jünger die Fasten- und Gebetspraxis des Johannes und der Pharisäer teilen sollten. 3. *5,35 ist unbezeugt. Die Aussage über das Kommen der Tage, an denen der Bräutigam fortgenommen wird und die »Söhne des Brautgemachs« fasten werden, gehört zu den Passagen der Dreifachüberlieferung (Lk 5,35 || Mk 2,20 || Mt 9,15b), die eine besonders starke Übereinstimmung aller drei Fassungen aufweisen. Dies ist ein starkes Indiz für die Herkunft aus *Ev. Denn andernfalls müsste man annehmen, dass die Einfügung des Verses auf Mk zurückgeht, dem dann Mt und Lk ohne wesentliche Änderungen gefolgt wären, während sie doch anderweitig in den Text eingegriffen haben. Davon abgesehen, würde der Hinweis auf eine zukünftige Fastenpraxis der Jesusjünger dem narrativen Gefälle zumindest der lk Fassung kaum entsprechen. Der Ursprung von *5,35 in *Ev ist daher wahrscheinlich, auch wenn sie nicht bewiesen werden kann. 5 ______________________________ 3 Vgl. beispielsweise R ADL , Lk 331 mit Anm. 306; B OVON , Lk I 260 u. ö. 4 Wenn auch in der für die altlateinische Überlieferung charakteristischen Übersetzungsvielfalt: obsecrationes (aur b e f ſſ 2 l q), orationes (a c r 1 ), praecationes (d). *5,33f besitzt auch eine deutliche Beziehung zu EvThom 104 (auch hier die Kombination von Fasten und Beten mit dem Bild vom Brautgemach). Nach unserer Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte ist EvThom nicht notwendig von der lk Redaktion abhängig (so W OLTER , Lk 226), weil der Hinweis auf die Gebete bereits im vorlk Text (*Ev) stand. 5 H ARNACK 189* hat den Vers in seiner Rekonstruktion komplett abgedruckt, begründet diese Entscheidung aber nicht. 588 Anhang I 5,33-39 4. Die wichtigste Auffälligkeit dieser Perikope ist die gegenüber dem kanonischen Text unterschiedliche Abfolge der beiden Bildworte *5,37f.36: Alle drei Hauptzeugen setzen die Reihenfolge Wein/ Schläuche - Gewand/ Flicken voraus, die sich auch in EvThom 47 findet. 6 Dieser Beleg liefert eine weitere Bestätigung für die Annahme der *Ev-Priorität. Denn andernfalls müsste man damit rechnen, dass der als häretisch bekämpfte Text auch außerhalb der marcionitischen Kirchen intensiv gewirkt hätte. Epiphanius hat die Verse *37f.36 nicht in den Scholien referiert, sondern in der einleitenden Schilderung über die Auseinandersetzungen Marcions mit der römischen Gemeinde. Dass er sie in der Scholienliste nicht (wieder) erwähnt, zeigt einmal mehr sein mechanisches Verfahren bei der Abfassung von Buch 42, für die er die ältere Liste nur einfach kopierte und kommentierte. Darüber hinaus wird deutlich, wie wenig Epiphanius bei der Anfertigung seiner Scholien darauf aus war, Abweichungen zwischen *Ev und dem kanonischen Text vollständig zu verzeichnen. Auch in der Formulierung der beiden Bildworte in *Ev sind einige Auffälligkeiten zu notieren. a. Im Bildwort vom Wein und den Schläuchen *5,37a lautete die unpersönliche Formulierung ausweislich der Bezeugung bei Epiphanius und Adamantius οὐ βάλλουσιν … anstelle des kanonischen οὐδεὶς βάλλει (οἶνον νέον). Epiphanius zieht in seinem Referat beide Bildworte zusammen und lässt auf diese Weise auch das Wort vom Flicken vom gemeinsamen Verb abhängig sein: (οὐ βάλλουσιν) … οὐδὲ ἐπίβλημα ῥάκους ἀγνάϕου ἐπὶ ἱματίῳ παλαιῷ. Adamantius bietet für das Bildwort vom Flicken dagegen einen eigenen Satz (οὐδεὶς ἐπιβάλλει ἐπίβλημα ῥάκους ἀγνάϕου ἐπὶ ἱματίῳ παλαιῷ). Der Unterschied in der Einleitung der beiden Bildworte (οὐ βάλλουσιν … οὐδεὶς ἐπιβάλλει) ist in den kanonischen Texten beseitigt, die beide Bildworte parallelisieren und jeweils mit οὐδείς … beginnen lassen. Diese Änderung ist eine Folge der Umstellung der beiden Bildworte durch Mk (und in seiner Folge durch Mt und Lk): Die οὐδείς-Formulierung in dem in *Ev ursprünglich zweiten Bildwort vom Flicken steht jetzt am Anfang und wird im Bildwort vom Wein und den Schläuchen einfach wiederholt. b. Lk 5,37b ist, abgesehen von einem späten und nicht aussagekräftigen Beleg bei Filastrius, 7 unbezeugt. Gegen die Formulierung mit zwei Hauptsätzen Lk 5,37 ______________________________ 6 H ARNACK 189* kannte diesen Beleg noch nicht und spricht daher von einer »sonst nicht bezeugten Reihenfolge«. Da EvThom an anderer Stelle eindeutig kanonische Texte voraussetzt (vgl. EvThom 65f || Mk 12,1-12ff parr.), lässt sich diese Rezeption von *Ev als weiterer Beleg für die »Interferenz« zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Ausgabe verstehen. Anonsten zeigt EvThom verschiedentlich eine Nähe *Ev, vgl. etwa Lg. 55 || *14,26f || Mt 10,38; Lg. 64 || *14,15-24 || Mt 22,1-10; Lg. 79 || *23,29; Lg. 86 || *9,58; Lg. 95 || *6,34f. 7 Filastrius, Haer. 45,2 (CCL 9, 236,6ff): nemo pannum rudem mittet in vestimentum vetus, neque vinum novum in utres veteres, alioquin rumpuntur utres, et effunditur vinum. Dieser Beleg (vom Ende des 5,33-39 Rekonstruktion 589 (καὶ αὐτὸς ἐ κ χ υ θ ή σ ε τ α ι καὶ οἱ ἀσκοὶ ἀ π ο λ ο ῦ ν τ α ι || Mt 9,16 καὶ ὁ οἶνος ἐ κ χ ε ῖ τ α ι καὶ οἱ ἀσκοὶ ἀ π ό λ λ υ ν τ α ι ) bietet Mk 2,27 nur ein gemeinsames Verb für die Folgen, die sich ergeben, wenn junger Wein in alte Schläuche gegossen wird: καὶ ὁ οἶνος ἀ π ό λ λ υ τ α ι καὶ οἱ ἀσκοί. Diese Formulierung findet sich für Lk 5,37 auch in der Afra-Handschrift e (et vinum periet et utres). Es ist daher wahrscheinlich, dass diese Formulierung als Pointe des Bildwortes vom Wein und den Schläuchen schon in *Ev enthalten war. 8 Mk hat sie von da übernommen, Mt (und in seiner Folge Lk) haben ein zweites Verb ergänzt. Das »Minor Agreement« ist an dieser Stelle also als Abhängigkeit der lk von der mt Formulierung zu verstehen. c. V. *38 ist durch Adamantius bezeugt, wenn auch in einer Form, die an zwei Stellen von der kanonischen Gestalt abweicht, aber jeweils von einer ganzen Reihe von Handschriften gestützt wird: Zunächst haben die altlateinischen Handschriften anstelle des Verbaladjektivs der kanonischen Formulierung (βλητέον) durchweg die 3. Pers. Pl., 9 die auch in V. *37 für *Ev breit bezeugt ist. Vor allem aber ist der ebenfalls durch Adamantius bezeugte Schluss des Logions (καὶ ἀμϕότεροι συντηροῦνται) in der gesamten altlateinischen Überlieferung und einigen weiteren, wichtigen Handschriften enthalten. Dies ist insofern aufschlussreich, als sich diese Worte zwar in Mt 9,17 finden, nicht aber in Mk 2,22. 10 Damit ist dieser Abschluss ______________________________ 4. Jh.) ist wenig aussagekräftig und vermutlich von Epiphanius bzw. Irenaeus abhängig. Filastrius zitiert (! ) das Bildwort vom Wein und den Schläuchen in einer Form, die es so wohl nicht gegeben hat. Da er (a) die kanonische Abfolge der beiden Bildworte bietet und (b) für 5,37b zwei eigenständige Hauptsätze bietet (rumpuntur utres - effunditur vinum) scheint sein Text durch den kanonischen konformiert zu sein und ist als Zeugnis für den vorkanonischen Text disqualifiziert. Der Beleg bei Filastrius ist nur insofern von Bedeutung, als er über eine missverständliche Bemerkung im Apparat von IGNTP zu Lk 5,37 (I 112: »καὶ [οἱ ἀσκοὶ] ἀπολοῦνται: om. 179 ℓ854 Marcion ap FIL«) offensichtlich auch noch J. F LEBBE , Alter und neuer Wein bei Lukas. Zum Verständnis der sogenannten »Weinregel« Lk 5,39, ZNW 96 (2005), 171-187, in die Irre geführt hat: »… 179 ℓ854 und, wie es scheint, Marcion (streichen) καὶ οἱ ἀσκοὶ ἀπολοῦνται« (182 Anm. 45). Tatsächlich hat Filastrius nichts gestrichen, sondern den Vers nur ungenau wiedergegeben. 8 Die altlateinische Überlieferung zeigt an dieser Stelle sehr deutlich die Spuren der uneinheitlichen Korrektur des vorkanonischen nach dem kanonischen Text: Während e gegenüber allen anderen Zeugen die ursprüngliche Formulierung mit nur einem Verb bewahrt hat, ist das erste Subjekt des ursprünglichen Textes (ὁ οἶνος/ vinum) außer in e noch in c f erhalten, während die anderen Handschriften - mit den charakteristischen Übersetzungsvarianten - das Pronomen des kanonischen Textes bieten (αὐτός/ ipse/ ipsud/ ipsum). 9 βάλλουσιν/ mittunt/ mittent; anders vg mit der kanonischen Formulierung (mittendum est). 10 Der Apparat von NA 27 geht im Horizont der Zweiquellentheorie konsequenter Weise davon aus, dass diese Lesart auf einen Einfluss der mt Fassung zurückgeht und notiert: p). Diese Erklärung ist wenig plausibel; denn in diesem Fall hätten zahlreiche Handschriften (A C D Θ Ψ it sy bo mss etc.) diese drei Worte aus Mt zwar in Lk 5,38, nicht aber an der ganz analogen Stelle Mk 2,22 eingetragen: Würde diese Lesart auf den Einfluss der synoptischen Parallelüberlieferung zurückgehen, müsste man jedoch postulieren, dass den Kopisten der Wortlaut, den sie an dieser Stelle eintragen, so vertraut und wichtig war, dass sie ihn an allen Stellen ergänzt hätten. 590 Anhang I 5,33-39 des Bildwortes vom Wein und den Schläuchen nicht nur für *Ev gesichert, es ergeben sich auch einige Gesichtspunkte für die Überlieferungsgeschichte. Denn wenn Mk als Erster (erstmalig) die Umstellung der beiden Bildworte vorgenommen hat, dann kam die Pointe Mk 2,22 || *5,38 in betonte Achterstellung. Mk hätte daher die letzten drei Worte gestrichen und auf diese Weise die Pointe prägnanter gefasst: Die intendierte Praxis - junger Wein braucht neue Schläuche - steht für sich, ohne durch eine Rücksichtnahme auf die Integrität der »alten Schläuche« begründet zu sein. Mt folgt Mk zwar in der gegenüber *Ev veränderten Abfolge der beiden Bildworte, hält sich aber im Wortlaut an *Ev, die ja dem »Alten« ein gewisses Existenzrecht einräumt. Die lk Redaktion hat - in Übereinstimmung mit Mk, aber gegen Mt - diese letzten drei Worte ausgelassen (zu den Gründen s. gleich bei 5,39). d. Epiphanius und Adamantius bezeugen für *Ev in *5,36 übereinstimmend die Formulierung (ἐπίβλημα) ῥ ά κ ο υ ς ἀ γ ν ά ϕ ο υ , die sich auch in Mk 2,21 || Mt 9,16 findet, wogegen Lk vom (ἐπίβλημα) ἀ π ὸ ἱ μ α τ ί ο υ κ α ι ν ο ῦ spricht. Der Flicken »vom neuen Kleid« ist also eine lk Veränderung gegenüber dem Flicken »aus ungewalktem Stoff«. Lk hat den Gegensatz alt/ neu betont. Zu dieser Beobachtung passt‚ dass auch das eigenartige Bild vom Abtrennen des Flickens aus dem neuen Kleid (ἐπίβλημα ἀ π ὸ ἱματίου καινοῦ σ χ ί σ α ς ) in Lk 5,36 (÷ Mk, Mt) nicht für *Ev bezeugt ist. Die drastische Hyperbolik des Bildes geht auf lk Redaktion zurück, die Semantik passt zu den anderen Veränderungen in 5,33 (vorwurfsvolle Feststellung der devianten Frömmigkeitspraxis) und 5,34 (2. Pers. in der Antwort Jesu): Die Übernahme der »alten« Frömmigkeitspraxis würde die »neue« Gemeinschaft zerstören. 5. Die Einleitung der kanonischen Fassung des Bildwortes 5,36a ἔλεγεν δὲ καὶ παραβολὴν πρὸς αὐτοὺς ὅτι ist für *Ev unbezeugt. Vergleichbare Einleitungen gibt es als lk Eigentümlichkeiten noch öfter. 6,39: εἶπεν δὲ καὶ παραβολὴν αὐτοῖς. 12,16: εἶπεν δὲ παραβολὴν πρὸς αὐτοὺς λέγων. 13,6: ἔλεγεν δὲ ταύτην τὴν παραβολήν. 14,7: ἔλεγεν δὲ πρὸς τοὺς κεκλημένους παραβολήν … λέγων πρὸς αὐτούς. 15,3: εἶπεν δὲ πρὸς αὐτοὺς τὴν παραβολὴν ταύτην λέγων. 21,29: καὶ εἶπεν παραβολὴν αὐτοῖς. Von diesen sechs Belegen ist keiner direkt für *Ev bezeugt. In vier Fällen erwähnt Tertullian das Stichwort parabola zwar im näheren Kontext, allerdings nie als Teil 5,33-39 Rekonstruktion 591 eines Zitats. 11 Ob Tertullian das Stichwort parabola in diesen Fällen aus *Ev übernommen oder ob er es als bequeme Referenz selbständig in seine Diskussion eingeführt hat, lässt sich nicht sicher entscheiden; mit Blick auf die souveräne Weise, in der er den Text von *Ev in seine Argumentation integriert, ist das Letztere wahrscheinlich. Darüber hinaus legt der synoptische Befund nahe, dass alle diese Passagen auf die lk Redaktion zurückgehen. Denn in den Belegen aus der Dreifachüberlieferung (Lk 5,36 || Mt 9,16 || Mk 2,21; Lk 13,6 || Mt 21,18 || Mk 11,12) bzw. aus der mt-lk Doppelüberlieferung (Lk 6,39 || Mt 15,14; Lk 15,3 || Mt 18,12) fehlen die entsprechenden Einleitungen in den jeweiligen Parallelüberlieferungen. Nur die synoptischen Parallelen zu 21,29 erwähnen das Stichwort, allerdings mit dem charakteristischen Unterschied, dass es nicht als auktoriale Äußerung, sondern als Teil der direkten Rede Jesu verwendet wird. 12 Lk zeigt also eine deutliche Eigenständigkeit bei der Bildung der Einleitung von Bildworten. Diese erweist sich schließlich auch in der »Sondergutpassage« 14,7: Hier ist in die Redeeinleitung ein kohärenzstiftender Hinweis auf die rhetorische Funktion des Gleichnisses im Kontext eingefügt. In allen drei Fällen liegt die Vermutung nahe, dass die Gleichniseinleitungen lk Bildungen zur Stützung des Zusammenhanges darstellen, auch wenn dies nicht mit Sicherheit belegt werden kann. Die genannten Einleitungen zu den Gleichnissen bzw. Bildworten sind daher typisch für die lk Redaktion. Auch wenn dies nicht bedeutet, dass sie in allen Fällen zwingend in *Ev gefehlt haben müssen, 13 spricht doch vieles dafür, dass die lk Redaktion die Kontextverklammerungen der Gleichnisse entweder eingefügt oder doch zumindest verstärkt hat. 14 S. auch zu 6,39; 12,16; 13,6; 14,7; 15,3; 18,1.9; 21,29. 6. Für das abschließende Logion Lk 5,39 über die Bevorzugung des alten Weins fehlt jeder Hinweis in den Zeugen für *Ev. Harnack hatte 5,39 für ursprünglich lk gehalten und nahm an, dass Marcion diesen Vers getilgt habe. 15 Dass Harnack hier wie bei den anderen »Western Non-Interpolations« eine Begründung schuldig geblieben ist (warum »muss« 5,39 in *Ev gefehlt haben? ), ist schon länger gesehen ______________________________ 11 12,16 vgl. Tert. 4,28,11: Ab eo ergo erit et parabola divitis blandientis sibi de proventu agrorum suorum. - 15,3 vgl. Tert. 4,32,2: Ita utriusque parabolae argumentum vacat circa eum cuius non est ovis neque dragma, id est homo. - 21,29 vgl. Tert. 4,39,13: Ipsum decursum scripturae evangelicae ab interrogatione discipulorum usque ad parabolam fici. 12 Mk 13,28 || Mt 24,32: ἀπὸ δὲ τῆς συκῆς μάθετε τὴν παραβολήν ≠ Lk 21,29: καὶ εἶπεν παραβολὴν αὐτοῖς. 13 Zweifel gibt es am ehesten noch für 18,1.9 (s. dort). 14 Das ist auch die verbreitete Ansicht, vgl. die Kommentare zu den einzelnen Stellen. 15 H ARNACK 190*: »Wird für M. nicht bezeugt; der Vers muss gefehlt haben, wie er auch in D a b c e ſſ 2 * l und, wie es scheint, auch bei Euseb. gefehlt hat. Er ist echt und von Marcion gestrichen, und dies ist in die abendländische Überlieferung eingedrungen.« 592 Anhang I 5,33-39 worden. 16 Aber obwohl Harnacks generelle Annahme einer umfassenden Wirkung des marcionitisch redigierten Evangeliums auf die katholische Textüberlieferung unhaltbar ist und sein Urteil der Lk-Priorität nicht zu tragen vermag, ist ihm im Ergebnis zuzustimmen: Unter der Prämisse der *Ev-Priorität spricht alles dafür, dass Lk 5,39 (genau wie die anderen »Western Non-Interpolations«) in *Ev gefehlt hat und erst durch die kanonische Redaktion eingetragen wurde. Die »Westliche« Überlieferung, deren Handschriften nicht konsequent nach der kanonischen Redaktion korrigiert wurden, hat noch Spuren dieses älteren Textes bewahrt. Der sekundäre Charakter von Lk 5,39 lässt sich auch inhaltlich zeigen, denn die Semantik der in der Antike mehrfach bezeugten »Weinregel« passt nicht ohne Weiteres zum Skopus der Einheit. Dass hier ein Bruch der narrativen Logik vorliegt, ist häufig gesehen und auf unterschiedliche Weise erklärt worden. 17 Gegen diese Annahme wurde jüngst darauf verwiesen, dass Lk 5,39 nur die Unvereinbarkeit von Alt und Neu zum Ausdruck bringe und daher gegenüber V. 36-38 keine neuen Gesichtspunkte einführe. 18 Aber die Umkehrung dieser »Weinregel« - niemand, der jungen Wein trinkt, will alten - funktioniert nicht: Die Logik des Bildes ist nicht reziprok. Dies ist von Gewicht, weil die lk Redaktion beider Bildworte ja gerade die Reziprozität der Unvereinbarkeit herausgestellt hatte: Wer einen Flicken aus einem neuen Kleid herausschneidet und auf ein altes Kleid näht, ruiniert beide (V. 36); und wenn junger Wein in alte Schläuche gefüllt wird, zerreißen die Schläuche und der Wein wird ausgegossen (V. 37): Beide Bildworte beschreiben einen »doppelten Schaden, und das Schlimmere ist jeweils der Verlust des Neuen.« 19 Demgegenüber drückt Lk 5,39 mit dem Verweis auf eine Alltagserfahrung eine Höherbewertung des Alten aus, die im Kontext nur als Begründung dafür zu verstehen ist, dass die Menschen gewöhnlich lieber beim Alten bleiben und sich gegen das Neue sperren. Diese Deutung passt dann zu der redaktionellen ______________________________ 16 Vgl. etwa T SUTSUI 80, der aber Harnacks Urteil gleichwohl folgt; ähnlich hat auch Aland votiert, der die »Streichung« von 5,39 damit begründet, dass »auch jemand, der nicht aus theologischen und ethischen Gründen gegen den Weingenuß war, [...] an diesem Exkurs in die Weinkunde … Anstoß nehmen« konnte (K. A LAND , Die Bedeutung des P 75 für den Text des Neuen Testaments. Ein Beitrag zur Frage der »Western non-interpolations«, in: ders., Studien zur Überlieferung des Neuen Testaments und seines Textes, Berlin 1967, 155-172: 162f). Zur Kritik an dieser Schlussfolgerung vgl. o. Bd. I, S. 81f. 17 Vgl. dazu J. F LEBBE , Alter und neuer Wein bei Lukas. Zum Verständnis der sogenannten »Weinregel« Lk 5,39, ZNW 96 (2005), 171-187: 172-178 (mit Lit.). 18 F LEBBE , a. a. O. 182f: Das Ptc. Aor. πιών drücke keine andauernde Haltung oder immer wiederholte Gewohnheit, sondern eine punktuelle Handlung aus und müsse deshalb im Sinn von »jemand, der gerade dabei ist, alten Wein zu trinken, will keinen jungen Wein« verstanden werden (vgl. die analog zu verstehenden Konstruktionen οὐδείς + Ptc. Aor. + Präs. in Lk 8,16; 9,62). Ähnlich auch W OLTER , Lk 232f. 19 R ADL , Lk 333f. 5,33-39 Rekonstruktion 593 Veränderung der Eingangsfrage in einen Vorwurf (5,33): Denn wenn der Schaden, der durch die Zusammenführung von Alt und Neu hervorgerufen wird, jeweils für das Neue größer ist, wenn es an das Alte angepasst wird, dann bleibt als Alternative für die Herstellung einer Einheit von Alt und Neu nur die Anpassung des Alten an das Neue - genau dagegen aber spricht die in 5,39 zum Ausdruck gebrachte Alltagserfahrung. Zusammen mit Lk 5,33 red. impliziert die »Weinregel« also die Aufforderung an das »Alte«, die Eigenart des »Neuen« zu respektieren und sich daran anzupassen. Mit Blick auf Lk 15,11-32 ist dies in der Tat ein wichtiger Zug der lk Redaktion. 7. Der Gang der Überlieferung könnte also folgendermaßen ausgesehen haben: a. Am Anfang steht die für *Ev rekonstruierte Fassung: Sie besaß eine eigene szenische Einleitung und thematisierte die Unterschiede in der Fasten- und Gebetspraxis zwischen Johannes- und Pharisäerjüngern auf der einen und den Jüngern Jesu auf der anderen Seite. Die Antwort Jesu erklärte diese Unterschiede durch den Hinweis auf die besondere »Zeit des Bräutigams«, die ein Fasten nicht zulässt. Zur Erläuterung der Unvereinbarkeit von Fasten und hochzeitlicher Freude sind die Bildworte vom Wein und den Schläuchen bzw. vom neuen Flicken auf dem alten Gewand angefügt. b. Mk hat die Exposition dadurch »verbessert«, dass er den Hinweis auf die Gebetspraxis, die im Weiteren keine Rolle spielt, gestrichen und das Ganze auf das Problem des Fastens konzentriert hat. In der Exposition ist auch die Frage durch den Hinweis auf die Fastenpraxis der Johannesjünger und der Pharisäer plausibilisiert, die dann als Fragesteller identifiziert werden. Dadurch entstand jedoch die Inkohärenz, dass die Frager über sich selbst in der 3. Pers. sprechen. In der Antwort Jesu hat Mk 2,20b erläuternd hinzugesetzt, vor allem aber die beiden Bildworte umgestellt, um mit der markanten Pointe 2,22 schließen zu können. Dabei hat er die Formulierung (οὐδείς …) der beiden Einleitungen aneinander angeglichen. c. Mt folgt weitgehend der mk Fassung, hat aber dessen Versehen in der Exposition beseitigt, indem er die Johannesjünger die Frage in der 1. Pers. stellen lässt. Allerdings hat Mt offensichtlich auch *Ev benutzt, wie einige Unterschiede zur mk Fassung zeigen (Auslassung von Mk 2,20b; οὐδὲ βάλλουσιν 9,17; καὶ ἀμϕότεροι συντηροῦνται 9,17 fin.). d. Lk hat die Exposition verändert, indem er die szenische Einleitung gestrichen und die Perikope eng an das »Zöllnermahl« angeschlossen hat. Seine Fassung dieser Perikope zeigt neben eigenen redaktionellen Elementen (5,33: Feststellung; 5,34: δύνασθε … ποιῆσαι; 5,36: ἀπὸ ἱματίου καινοῦ σχίσας … καὶ τὸ καινὸν σχίσει; 5,39) sowohl Einfluss von *Ev (*5,33: καὶ δεήσεις ποιοῦνται) als auch von Mk/ Mt (Abfolge 5,36.37f). 594 Anhang I 6,1-5 *6,1-4.4(D) [↑ 5 ↓] : Ährenraufen am Sabbat. {Sabbatarbeiter} Alle Verse gut für *Ev bezeugt und sicher vorhanden; von der lk Redaktion durchweg bearbeitet und ergänzt. 6,1 a Καὶ ἐγένετο b αὐτὸν c [ δὲ ] ἐν σαββάτῳ d [ δευτεροπρώτῳ ] διαπορεύεσθαι διὰ e {τῶν} σπορίμων, καὶ f οἱ δὲ μαθηταὶ αὐτοῦ ἤρξαντο τίλλειν f τοὺς στάχυας ψώχοντες ταῖς χερσίν g ἤσθιον. 2 h οἱ δὲ Φαρισαῖοι h i ἔλεγον αὐτῷ i , k Ἴδε, τί ποιοῦσιν οἱ μαθηταί σου k l τοῖς σάββασιν ὃ οὐκ ἔξεστιν. l 3 m ἀποκριθεὶς δὲ ὁ n Ἰησοῦς ἔλεγεν πρὸς αὐτούς, m o Οὐδέποτε τοῦτο ἀνέγνωτε p τί ἐποίησεν Δαυὶδ q ὅτε ἐπείνασεν αὐτὸς καὶ οἱ μετ’ αὐτοῦ ὄντες; q 4 r ὡς εἰσῆλθεν εἰς τὸν οἶκον τοῦ θεοῦ καὶ τοὺς ἄρτους τῆς προθέσεως s [ λαβὼν ] ἔϕαγεν καὶ ἔδωκεν t {καὶ} τοῖς μετ’ αὐτοῦ, οὓς οὐκ u ἐξὸν ἦν u ϕαγεῖν εἰ μὴ μόνους τοὺς ἱερεῖς; v {6,4 (D) τῇ αὐτῇ ἡμέρᾳ θεασάμενός τινα ἐργαζόμενον τῷ σαββάτῳ εἶπεν αὐτῷ· ἄνθρωπε, εἰ μὲν οἶδας τὶ ποιεῖς, μακάριος εἶ· εἰ δὲ μὴ οἶδας, ἐπικατάρατος καὶ παραβάτης εἶ τοῦ νόμου.} v w [↑ 5 καὶ ἔλεγεν αὐτοῖς, κύριός ἐστιν ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου καὶ τοῦ σαββάτου. ↓] w A. *6,1-4: Tert. 4,12,5: Nunc et ad ipsam materiam disceptabo, in qua visa est destruere sabbatum Christi disciplina. Esurierant discipuli ea die; spicas decerptas manibus efflixerant, cibum operati ferias ruperant. Excusat illos Christus, et reus est sabbati laesi; accusant pharisaei, Marcion captat status controversiae (ut aliquid ludam cum mei domini veritate), scripti et voluntatis. De scriptura enim sumitur creatoris et de Christi voluntate color, quasi de exemplo David introgressi sabbatis templum et operati cibum audenter fractis panibus propositionis. ♦ *6,3f: Epiph., Schol. 21: οὐδὲ τοῦτο ἀνέγνωτε τί ἐποίησε Δαυίδ· εἰσῆλθεν εἰς τὸν οἶκον τοῦ θεοῦ. ♦ *6,5: Tert. 4,12,11: dominus sabbati dictus; ¦ Epiph., Schol. 3: Κύριός ἐστιν ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου καὶ τοῦ σαββάτου (mit der Umstellung gegenüber der lk Wortfolge: Κύριός ἐστιν τοῦ σαββάτου ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου, wie Mk 2,28). B. a (6,1) και/ et: D [a] d e got aeth ¦ om aur b c f ſſ 2 l q r 1 M ● b (6,1) αυτον/ eum: D d ¦ αυτον/ eum pon. post διαποευεσθαι: c (Iesus: r 1 ) M (*Ev non test.) ● c (6,1) δε/ autem: om D [a] d ¦ add aur b c (e: mane) f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● d (6,1) δευτεροπρωτω: om P 4.75(vid) א B L W f 1 33 579 1241 2542 pc b c e l q r 1 sy p.hmg bo pt ¦ δευτεροπρωτω/ secundo (+ a: f) primo (primum: ſſ 2 ): add A C D R 038 044 f 13 [a] aur d f ſſ 2 sy h Epiph (Haer. 51,31,1; GCS 31, 304) M (*Ev non test.) ● e (6,1) των: C D ¦ add P 4.75vid א * A B L W Δ Θ Λ* Π 047 mult (*Ev non test.) ● f (6,1) οι δε μαθηται αυτου ηρξαντο τιλλειν/ discipuli autem illius coeperunt vellere: D b d ¦ ετιλλον οι μαθηται αυτου/ vellebant (vellerent: a) discipuli eius: a aur c e f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● g (6,1) ησθιον/ manducabant (edebant: a): D a d e f q ¦ ησθιον/ manducabant (edebant: c) pon. post σταχυας και/ spicas et: aur b c ſſ 2 l r 1 M (*Ev non test.) ● h (6,2) οι δε Φαρισαιοι/ Pharisaei autem: Tert e ¦ τινες δε των Φαρισαιων/ aliqui (quidam: a c d f r 1 ) autem Pharisaeorum (ex/ de Pharisaeis: b d r 1 ): D a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ● i (6,2) ελεγον αυτω/ dicebant ei: D d ¦ ειπαν/ dicebant: [a] c e r 1 ¦ dicebant illis (ad eos: b): aur f ſſ 2 l q (*Ev non test.) ● k (6,2) ιδε τι ποιουσιν οι μαθηται σου/ ecce quid faciunt discipuli tui: D d ¦ τι ποιειτε/ quid facitis: [a] aur b c e f ſſ 2 l q r 1 vg M (*Ev non test.) ● l (6,2) τοις σαββασιν ο ουκ εξεστιν/ sabbatis quod (om ſſ 2 ) non licet: D [a] aur b c d e f ſſ 2 l r 1 ¦ ο ουκ εξεστιν τοις 6,1-5 Rekonstruktion 595 σαββασιν (4 5 1-3)/ quod non licet (facere) sabbatis: q vg M (*Ev non test.) ● m (6,3) αποκριθεις δε ο Ιησους ελεγεν προς αυτους/ respondens autem Iesus dixit ad eos: D d ¦ και αποκριθεις προς αυτους ειπεν ο Ιησους/ et respondens (respondit: q) autem Iesus (om a b l) dixit illis (ad illos: e r 1 ; ad eos: aur): [a] aur b c e f ſſ 2 l q r 1 vg M (*Ev non test.) ● n (6,3) ιησους/ Jesus: it M ¦ χριστος/ Christus: Tert ● o (6,3) ουδεποτε/ numquam: D d ¦ ουδε/ nec (neque: c): Epiph (! ) [a] aur b c e f ſſ 2 l q r 1 vg M ● p (6,3) τι/ quid: Epiph 827 ℓ1074 aur b f ſſ 2 g 1 gat l r 1 vg mss ¦ ο/ quod: D [a] c d e vg mss M ● q (6,3) οτε επεινασεν αυτος και οι μετ αυτου οντες: om Epiph Tat pers bo ms ¦ add D d it M ● r (6,4) ως: om Epiph P 4 B D d Tat pers ¦ add ως (pm: πως)/ quomodo: [a] aur b (c: et) e f ſſ 2 l q r 1 vg M (*Ev non test.) ● s (6,4) λαβων: om א D W f 1.13 mult d Iren (Haer. 4,8,3; FC 8/ 4, 64) ¦ add λαβων/ sumpsit (accepit) et: [a] aur b c e f ſſ 2 l q r 1 vg M ● t (6,4) και/ et: א A D R 038 f 13 c d sy h bo ¦ om [a] aur b e f ſſ 2 l q r 1 vg M ● u (6,4) εξον ην/ licebat: D 0211 mult b c d e f g 1 gat l q r 1 ¦ εξεστιν/ licet: a aur ſſ 2 ● v (6,4 D): τη αυτη ημερα θεασαμενος τινα εργαζομενον τω σαββατω ειπεν αυτω· ανθρωπε, ει μεν οιδας τι ποιεις, μακαριος ει· ει δε μη οιδας, επικαταρατος και παραβατης ει του νομου/ eodem die videns quondam operantem sabbato et dixit illi: Homo, siquidem scis, quod facis, beatus es, si autem nescis, maledictus et trabaricator legis: add post 6,4: D d ¦ om it M (*Ev non test.) ● w (6,5) vs. pon. post 6,10: D d (s. u. zu 6,10). C. Die Perikope vom Ährenraufen am Sabbat ist hinreichend gut bezeugt, auch wenn die Zeugen jeweils nur Stichworte bzw. Zitate von kleinen Stücken bieten: Sie war zweifellos in *Ev enthalten. Allerdings wirft die Überlieferung des »Westlichen Textes« - an dieser Stelle vor allem in D d - große Schwierigkeiten auf, die sich nicht nur auf den genauen Wortlaut von *6,1-4 beziehen, sondern auch auf die Stellung von *6,5 sowie die nur in D d mitgeteilte Perikope vom »Sabbatarbeiter«. 1. Da die gesamte Perikope (bis einschließlich *6,6-11) in D d eine besondere Gestalt aufweist, ist es sinnvoll, vor den einzelnen Abweichungen das grundsätzliche Problem ins Auge zu fassen, das durch diese besondere Fassung aufgeworfen wird. Schwierig und in der Forschung kontrovers diskutiert sind folgende Aspekte. a. Die entscheidende Frage zielt verständlicherweise auf das Apophthegma vom »Sabbatarbeiter« in 6,4 (D d). 1 Während vor allem die ältere Forschung sich in erster Linie mit dem Problem der Historizität beschäftigte, ist in den letzten Jahren verstärkt die gesamte Perikope in D (d) mit ihren textlichen und kompositionellen Besonderheiten in den Blick genommen worden; zuletzt hat Tobias Nicklas gezeigt, dass die Komposition von 6,1-11 (D) einheitlich und sinnvoll ist. 2 Der Nachweis der kompositionellen Einheitlichkeit ist natürlich noch kein ausreichendes Kriterium ______________________________ 1 Die Bezeichnung (6,5D; 6,4D) ist uneinheitlich. Klar ist dabei, dass in D d diese Chrie im Anschluss an Lk 6,4 bieten und Lk 6,5 erst später (nach 6,10) haben. Aus der Literatur ist wichtig: W. K ÄSER , Exegetische Erwägungen zur Seligpreisung des Sabbatarbeiters Lk 6,5D, ZThK 65 (1968), 414-430; E. B AMMEL , The Cambridge Pericope. The Addition to Luke 6,4 in Codex Bezae, NTS 32 (1986), 404-426; J. D ELOBEL , Luke 6,5 in Codex Bezae: The Man Who Worked on Sabbath in: R. Gantoy (ed.), À cause de l’Évangile, Paris 1985, 453-477; T. N ICKLAS , Das Agraphon vom »Sabbatarbeiter« und sein Kontext: Lk 6: 1-11 in der Textform des Codex Bezae Cantabrigiensis (D), NT 44 (2002), 160-175. 2 N ICKLAS , a. a. O., bes. 167-173. Ebd. 163f ist der Text von Lk 6,1-11 (D) ganz abgedruckt. 596 Anhang I 6,1-5 für eine sichere diachrone Einordnung der Perikope; aber sie weist darauf hin, dass hier nicht nur einfach ein »versprengtes« Apophthegma an beliebiger Stelle eingefügt wurde. b. Die textlichen Eigenheiten haben die Forschung im Rahmen der Textkritik dagegen schon länger beschäftigt. Die Besonderheit, die hier die größte Aufmerksamkeit fand, liegt in der Beobachtung, dass fast alle Abweichungen von D d gegenüber dem Mehrheitstext mehr oder weniger deutliche Anklänge an Mk 2,23-26 || Mt 12,1-5 aufweisen, 3 deren Ursprung jedoch umstritten ist: Sie lassen sich entweder als Abhängigkeit von einer harmonisierenden Quelle 4 oder als Ausdruck nachträglicher Beeinflussung durch die synoptischen Parallelen verstehen. Beide Lösungen sind wenig befriedigend: Die erste, weil sie weitgehend zirkulär argumentiert und weil die hier vorausgesetzte Evangelienharmonie ansonsten nicht nachweisbar ist, 5 die zweite, weil eine derartig umfangreiche Beeinflussung durch die synoptischen Parallelen ja nur als inhaltlich intendierte Redaktion denkbar ist, für die dann aber auch wieder weitere Hinweise fehlen. c. Beide Fragen hängen unmittelbar miteinander zusammen und lassen sich ohne weiteres erklären, sofern man die grundlegenden Beobachtungen zur Eigenart der »Westlichen« Handschriftenüberlieferung in Lk in Rechnung stellt: Die textlichen Besonderheiten von D it sy sind (uneinheitliche) Korrekturen des kanonischen Textes nach dem vorkanonischen *Ev. Die engen Affinitäten zwischen dem D- Text und Mk/ Mt sind daher nicht als sekundäre Angleichungen unter dem Einfluss der synoptischen Parallelen zu verstehen, sondern als Elemente des ursprünglichen Textes, der allerdings nicht eine ansonsten unbezeugte »Harmonie« war, sondern das vorkanonische Evangelium, das auch von Marcion und den Marcioniten genutzt wurde. Unter Zugrundelegung dieses Erklärungsmodells gilt dann auch, dass der Text, den die Häresiologen für *Ev bezeugen, in das gleiche Schema dieser uneinheitlichen Angleichungen gehört; es ist also grundsätzlich denkbar, dass das Zeugnis etwa des Epiphanius Spuren dieser Angleichung trägt, während einzelne Handschriften der Gruppe D it sy noch die ältere Textform repräsentieren. In diesem Fall kommt das Kriterium zur Anwendung, dass der am weitesten vom kanonischen Wortlaut entfernte Text höchstwahrscheinlich ursprünglich ist. ______________________________ 3 Eine Liste dieser Übereinstimmungen zwischen Lk 6,1-11 (D) und Mk/ Mt bei D ELOBEL , a. a. O. 474f. 4 So vor allem H. J. V OGELS , Die Harmonistik im Evangelientext des Codex Cantabrigiensis, Leipzig 1910 (2: »Der Evangelientext des Codex Bezae Cantabrigiensis ist durch eine Evangelienharmonie - ein Diatessaron - stark beeinflusst«); vgl. auch V OGELS , Beiträge zur Geschichte des Diatessaron im Abendland, Münster 1919. 5 Vgl. dazu A. F. J. K LIJN , A Survey of the Researches into the Western Text of the Gospels and Acts, Utrecht 1949, 49; D ELOBEL , a. a. O. 457. 6,1-5 Rekonstruktion 597 d. Diese methodische Überlegung erlaubt dann für die Rekonstruktion des Textes auch derjenigen Passagen einigermaßen zuverlässige Urteile, für die eine direkte Bezeugung fehlt: Der vorkanonische Text sah i. W. so aus, wie er in D d erhalten ist. Die Einheitlichkeit des kompositionellen Gefüges von *6,1-11 (D) ist daher ein Zeichen der Ursprünglichkeit. Dies bedeutet für die Frage nach dem Ursprung der Perikope vom Sabbatarbeiter, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit Teil dieses vorkanonischen Textes war. Dieses Phänomen passt ohne weiteres zu der oben entwickelten Theorie der synoptischen Überlieferungsgeschichte: (1) Mk hat einen großen Teil der Perikopen von *Ev übergangen. (2) Mt hat etliche dieser nicht-mk Texte aus *Ev redaktionell in den Mk-Kontext eingearbeitet. (3) Lk folgt *Ev am genauesten: Er bietet eine - fast - vollständige Ausschreibung dieses Textes. Das bedeutet: Das Phänomen, dass Texte von *Ev in der Überlieferungsgeschichte nicht rezipiert wurden, ist (wie Mk und Mt zeigen) breit bezeugt. Die Besonderheit von Lk 6,4 (D) liegt folglich nur darin, dass Lk diesen Text in seiner *Ev-Rezeption übergangen hat. Dass Lk *Ev an dieser einen Stelle nicht folgt, wird daher in dem Maße wahrscheinlicher, in dem sich zeigen lässt, dass er auch sonst bei der Formulierung eigene Wege geht; genau dies ist aber anhand der starken Affinitäten des lk D-Textes zu Mk/ Mt leicht zu zeigen. Eine zweite Überlegung tritt hinzu: Es ist wiederholt aufgefallen, dass die Zahl der Sabbatperikopen in der kanonischen Evangelienüberlieferung stark differiert.6 Ihre Verteilung auf die einzelnen Evangelien zeigt (im hier zugrunde gelegten überlieferungsgeschichtlichen Modell) eine sukzessive Abnahme, die möglicherweise auf eine geringer werdende Bedeutung des Problems hinweist. 7 Dieser Überlegung zufolge, die kaum mehr als einen kleinen Hinweis bietet, hätte Lk die Zahl der Sabbaterzählungen von *Ev weiter reduziert. Mithilfe dieser Überlegungen lässt sich der vorkanonische Text relativ problemlos rekonstruieren. Es ist an dieser Stelle nicht weiter nötig, auf alle Einzelheiten einzugehen, deren Begründung sich aus dem textkritischen Apparat ohne weiteres ergibt. Nur Weniges bedarf der Erläuterung: 2. In *6,1 ist die D-Lesart (ἐν σαββάτῳ) δ ε υ τ ε ρ ο π ρ ώ τ ῳ notorisch schwierig: Der »zweit-erste« Sabbat ist nachgerade unverständlich. Dementsprechend gibt es verschiedene Konjekturen für diese Lesart, 8 von denen die wichtigsten entweder ______________________________ 6 Vgl. z. B. D ELOBEL , a. a. O. 454 Anm. 3. 7 *Ev bietet demnach sechs Sabbaterzählungen (*4,31-37; *6,1-4; 6,4 [D]; *6,6-11; *13,10-17; *14,1-6), Mk drei (Mk 1,21-28; 2,23-28; 3,1-6), Mt und Joh jeweils zwei (Mt 12,1-8.9-14; Joh 5,1-47; 9,1-39). Dass Lk - als mutmaßlich spätester Text - immerhin fünf dieser Erzählungen enthält, liegt an der engen Beziehung zu *Ev. 8 Vgl. M ETZGER , Textual Commentary z. St.; ausführlicher zuletzt H. K LEIN , Am ersten Sabbat. Eine Konjektur zu Lk 6,1, ZNW 87 (1996), 290-293. Übersichten über die Lösungsvorschläge bei F ITZMYER , Lk I 607; B OCK , Lk I 534f. 598 Anhang I 6,1-5 auf Schreibfehler 9 oder auf sachliche Korrekturen zurückgehen. 10 Gerade mit Blick auf die Unverständlichkeit dieser Variante, über deren Bedeutung schon in der Alten Kirche gerätselt wurde, 11 ist ihre große Verbreitung von Bedeutung: Sie hat Eingang in die große Mehrheit der Handschriften gefunden (A C D R 038 044 f 13 it pt sy h M ). Dagegen fehlt diese Zählung in einigen wenigen Handschriften, die auch an anderer Stelle häufig den Text des vorkanonischen Evangeliums bieten. 12 Da die Variante des D-Textes schlechterdings keinen Sinn ergibt, kann sie nicht zum ursprünglichen Text gehört haben, sondern muss als Versehen bei einer Überarbeitung verstanden werden. Was auch immer die Einfügung der Ordinalzahl verursacht haben mag, ihre breite Bezeugung kann kaum von einem vereinzelten, späten Zeugen ausgegangen sein: Für diesen Irrtum ist nicht irgendeine beliebige Handschrift verantwortlich, sondern die Originalkopie, die der Mehrheit der handschriftlichen Überlieferung zugrunde liegt. Es ist daher am wahrscheinlichsten, dass die Variante im Zusammenhang mit der lk Redaktion von *Ev durch ein Versehen entstanden ist. Ihrer Unverständlichkeit zum Trotz gehört sie in den kanonischen Lk-Text. Das bedeutet umgekehrt, dass sie im ältesten Evangelium gefehlt hat. 3. An mehreren Stellen weicht die Bezeugung für *Ev vom D-Text ab. Dieser Befund spricht - hier wie an anderen Stellen - nicht gegen die methodisch grundlegende Annahme, dass *Ev im Wesentlichen mit dem vorkanonischen Evangelium identisch war, dessen Spuren sich noch in der »Westlichen« Überlieferung erhalten haben. Vielmehr bestätigen diese Differenzen nur den sukzessiven und uneinheitlichen Prozess, in dem der vorkanonische nach dem kanonischen Text korrigiert wurde. In diesem Fall handelt es sich um folgende Varianten. ______________________________ 9 In diesem Fall aufgrund einer Dittographie in der Vorlage: σαββατω - βατω; ein späterer Kopist hätte β α als Ordinalzahlen missverstanden und sie durch (ἐν σαββάτῳ) δ ε υ τ ε ρ ο π ρ ώ τ ῳ ausgeschrieben; dieser auf Burkitt zurückgehende Vorschlag wurde ausführlich von Skeat vertreten, der sie für »die endgültige Lösung« hielt: T. C. S KEAT , The Second-First Sabbath (Luke 6,1). The Final Solution, NT 30 (1988), 103-106. 10 Ebenfalls älter ist der Vorschlag, dass das schwierige δευτεροπρώτῳ durch eine absichtliche Korrektur entstanden sei; er wurde zuletzt von K LEIN , a. a. O, noch einmal begründet. Demzufolge hätte Lk 6 ursprünglich die Folge der Sabbat(konflikt)e gezählt: ἐν π ρ ώ τ ῳ σαββάτῳ (6,1) - ἐν ἑ τ έ ρ ῳ σαββάτῳ (6,6), bevor ein späterer Korrektor genauer nachgezählt und in 4,31ff den »allerersten« Sabbat gefunden hätte und deswegen πρώτῳ durch δευτέρῳ ersetzt hätte; diese Korrektur sei dann in den Text eingedrungen. Allerdings hat sich von der angenommenen Ursprungslesart kein Zeugnis erhalten. Die »final solution« ist vielleicht doch nicht wirklich möglich. 11 Hieronymus hatte Gregor von Nazianz darüber befragt, der aber einer Anwort auswich (Ep. 52,8: praeceptor quondam meus, Gregorius Nazianzenus rogatus a me, ut exponeret, quid sibi vellet in Luca sabbatum δευτερόπρωτον, id est ›secundumprimum‹, eleganter lusit …). Hieronymus illustriert mit dieser Episode, dass der Prediger nicht erklären soll, was er selbst nicht verstanden hat. 12 P 4.75(vid) א B L W f 1 33 579 1241 2542 pc b c e l q r 1 sy p.hmg bo pt . 6,1-5 Rekonstruktion 599 a. In *6,2 liest D mit der übergroßen Mehrheit der altlateinischen und griechischen Handschriften τινὲς δὲ τῶν Φαρισαίων, wogegen Tertullian gemeinsam mit der Afra-Handschrift e nur einfach Pharisaei/ οἱ Φαρισαῖοι bietet. Die Entscheidung für Tertullians Text, der mit Mk 2,24a identisch ist, ist in der größeren Entfernung zum kanonischen (Mehrheits-)Text begründet. Auffällig ist dabei, dass D an dieser Stelle dann einen mittleren Text bietet, wenn man das Verb dazu nimmt. Die Textentwicklung stellt sich dann folgendermaßen dar *Ev (= Mk): καὶ οἱ Φαρισαῖοι ἔλεγον αὐτῷ D: τινὲς δὲ τῶν Φαρισαίων ἔλεγον αὐτῷ Lk: τινὲς δὲ τῶν Φαρισαίων εἶπαν Ganz analog ist in *6,3 die von Epiphanius bezeugte Lesart τί (ἐποίησεν Δαυίδ) anstelle des auch von D gebotenen »kanonischen« ὃ (ἐποίησεν Δαυίδ) zu beurteilen; sie wird von einer ganzen Reihe altlateinischer Handschriften gestützt. In der Auslassung von ὡς *6,4 stimmt dagegen Epiphanius’ Zeugnis mit D (und anderen Handschriften) überein. b. Eine letzte Abweichung zwischen den Zeugen und D betrifft die Wendung ὅτε ἐπείνασεν αὐτὸς καὶ οἱ μετ’ αὐτοῦ ὄντες, für die nicht ohne weiteres klar ist, ob sie in *Ev enthalten war oder nicht: Sie ist zwar im D-Text (und der kompletten altlateinischen Überlieferung) von Lk 6,3c enthalten, fehlt aber in Epiphanius’ Zeugnis. Diese Nichtbezeugung könnte zwar auch auf Epiphanius’ abkürzendes Referat zurückgehen, aber der Umstand, dass die handschriftliche Überlieferung an dieser Stelle sehr uneinheitlich ist, scheint Epiphanius’ Zeugnis zu bestätigen: Dieselbe Lücke wie bei Epiphanius taucht auch in zwei (zugegebenermaßen eher entlegenen) Zeugen für den »Westlichen Text« auf (Tat pers bo ms ). Außerdem fehlen in einer Lektionarhandschrift die Worte ὃ ἐποίησεν Δαυὶδ ὅτε ἐπείνασεν (ℓ857), während ein Syrer ὅτε ἐπείνασεν auslässt (sy p (1 ms) ). Bei Irenaeus fehlt dagegen das Ende der Wendung (αὐτὸς καὶ οἱ μετ’ αὐτοῦ [ὄντες]). Auf der anderen Seite scheint Tertullian den Hinweis auf das »Hungern« gelesen zu haben: Er erwähnt in der Exposition der Perikope, dass die Jünger hungerten, sich deshalb die gepflückten Ähren zwischen den Händen zerrieben und sich auf diese Weise »Speise bereiteten und den Feiertag unterbrachen« (cibum operati ferias ruperant, Tert. 4,12,5). Damit parallelisiert er das Verhalten Davids und seiner Begleiter: Sie seien an einem Sabbat (! ) in den Tempel gegangen und hätten sich »frech Speise zubereitet« (operati cibum audenter), indem sie die ausgestellten Schaubrote brachen. Wie Tertullians folgende Argumentation zeigt, sieht er den Vergleichspunkt in der Frage der Zubereitung von Speisen am Sabbat (s. 4,12,6). Harnack hatte aus der Erwähnung von esuriant discipuli und cibum operati geschlossen, dass *Ev in der Exposition die Worte (οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ) ἐπείνασαν und (τοὺς στάχυας ψώχοντες ταῖς χερσίν) ἐργάσαντες τὴν βρῶσιν enthalten haben 600 Anhang I 6,1-5 musste 13 - schwerlich zu Recht: Denn Tertullians Argumentation setzt voraus, dass das Davidsbeispiel an einem Sabbat stattgefunden hätte, wovon keiner der uns erhaltenen Texte etwas sagt. Tertullians Parallelisierung von Ausgangsproblem und Davidsbeispiel ist also Teil seiner Argumentation, nicht aber des *Ev-Referats; für das »Hungern« - zuerst der Jünger, dann Davids und seiner Begleiter - wird Ähnliches gelten. Tertullian hat also das Problem, das alle synoptischen Fassungen dieser Perikope kennzeichnet, gesehen und durch Substitution des Motivs »Hunger am Sabbat« zu lösen versucht. Unter der Voraussetzung, dass weder der Hunger der Jünger noch der Davids und seiner Begleiter in *Ev erwähnt wurden, erklären sich die Unterschiede der synoptischen Parallelen als Versuche, das Problem der mangelnden Kongruenz zwischen dem vorwerfbaren Verhalten der Jünger und dem Davidsbeispiel, das ihre Praxis rechtfertigen soll, auf verschiedene Weise zu lösen: Mk verstand das Ährenraufen der Jünger als einen »Gang durch die Saatfelder«: Sie bahnen Jesus einen Weg (ὁδὸν ποιεῖν) durch das Korn und nehmen damit für ihn ein königliches Privileg in Anspruch; der Vorwurf wird dadurch verstärkt, dass dies noch dazu an einem Sabbat geschah. 14 Mit dieser Sinnänderung wurde der Aspekt obsolet, dass die Jünger »gegessen« haben (*6,1 καὶ ἤσθιον): Mk hat ihn einfach weggelassen. Sein Verständnis des Verhaltens der Jünger sieht die Kongruenz zu dem Beispiel Davids darin, dass dieser in königlicher Vollmacht ebenfalls ein Privileg für sich in Anspruch nahm. Mk motivierte dieses Verhalten durch die Erwähnung der Notsituation und fügte (zugleich mit dem - unzutreffenden - Hinweis ἐπὶ Ἀβιαθὰρ ἀρχιερέως) die Bemerkung über Davids Hunger ein (Mk 2,25: ὅτε χρείαν ἔσχεν καὶ ἐπείνασεν αὐτὸς καὶ οἱ μετ’ αὐτοῦ). Mt hat die mk Lösung nur zum Teil übernommen. Er versuchte, die Kongruenz zwischen dem Verhalten der Jünger und dem Davidsbeispiel durch den zusätzlichen Hinweis auf den Hunger der Jünger (Mt 12,1: οἱ δὲ μαθηταὶ αὐτοῦ ἐπείνασαν) zu beseitigen. Da Mt aus *Ev den Hinweis auf das Essen übernahm (ἤρξαντο … ἐσθίειν), lag diese Substitution nahe. Das dadurch entstehende Problem - Davids Eindringen in den Tempel von Nob fand nicht an einem Sabbat statt - hat er wahrgenommen und durch den Hinweis gelöst, dass auch die Priester mit ihrem Tempeldienst das Sabbatgebot brechen (12,5f). Die lk Fassung zeigt Spuren von allen drei Vorgängerversionen: Aus *Ev hat er - wie Mt, aber anders als Mk - den Hinweis auf das Essen der Jünger (in der auch durch D überlieferten Formulierung ἤρξαντο τίλλειν … καὶ ἤσθιον) übernommen. Aus Mk 2,25b dagegen stammt die Formulierung des Davidsbeispiels (Lk 6,3b: ὅτε ἐπείνασεν αὐτὸς καὶ οἱ μετ’ αὐτοῦ ὄντες). Die Disparatheit der synoptischen Fassungen mit ihren unterschiedlichen Akzentuierungen hat also ihren Grund darin, dass der vorkanonische Text, von dem sie ______________________________ 13 H ARNACK 190*: »Daher scheint dieser Ausdruck (s. Joh 6,27) bei M. gestanden zu haben. Lukas selbst dachte an eine sakramentale Handlung, und dies hat M. richtig verstanden und verstärkt.« 14 In Mk 2,23 ist das Verhältnis zwischen dem Prädikat (ἤρξαντο ὁδὸν ποιεῖν) und dem attributiven Partizip (τίλλοντες τοὺς στάχυας) eindeutig: Der Vorwurf impliziert die verbotene Schädigung des Feldes, die dadurch noch schlimmer wird, dass sie am Sabbat geschieht, vgl. A. M URMELSTEIN , Jesu Gang durch die Saatfelder, Angelos 3 (1930), 111-120. 6,1-5 Rekonstruktion 601 alle abhängig sind, an dieser Stelle Unbestimmtheitsstellen enthielt, die auf unterschiedliche Weise präzisierend gefüllt wurden. d. In *6,3 stimmt die gesamte handschriftliche Überlieferung ausnahmslos darin überein, dass das Subjekt ὁ Ἰησοῦς und nicht ὁ Χριστός heißt, wie es Tertullians Referat (Tert. 4,12,5) nahezulegen scheint: Excusat illos C h r i s t u s … ist Tertullians eigene, kommentierende Formulierung. Die Verwendung von ὁ Χριστός durch die Erzählstimme kommt dagegen in *Ev genauso wenig vor wie auktoriales ὁ κύριος. 15 4. Mit der hier angedeuteten Überlieferungsgeschichte der Perikope erklären sich dann auch die relativ zahlreichen und markanten (mt-lk) »Minor Agreements«. 16 Im Rahmen der Zwei-Quellentheorie finden sie keine plausible Erklärung und legen nahe, dass Mt und Lk nicht vom kanonischen Mk, sondern von Deutero- Markus abhängig sind. 17 (1) ὁδὸν ποιεῖν Mk 2,23 ÷ Lk 6,1 || Mt 12,1. - (2) καὶ ἤσθιον Lk 6,1c || καὶ ἐσθίειν Mt 12,1 ÷ Mk 2,23. - (3) εἶπαν Lk 6,2a || Mt 12,2a ≠ ἔλεγον Mk 2,24a. - (4) εἶπεν Lk 6,3a || Mt 12,3a ≠ λέγει Mk 2,25a. - (5) ὃ οὐκ ἔξεστιν Lk 6,2b vor der Zeitangabe (τοῖς σάββασιν bzw. ἐν σαββάτῳ) || Mt 12,2 ≠ Mk 2,24b (τοῖς σάββασιν ὃ οὐκ ἔξεστιν). - (6) χρείαν ἔσχεν καί Mk 2,25c ÷ Lk 6,3 || Mt 12,3. - (7) ἐπὶ Ἀβιαθὰρ ἀρχιερέως καί Mk 2,26a ÷ Lk 6,4 || Mt 12,4. - (8) ἔδωκεν τοῖς μετ’ αὐτοῦ Lk 6,4c || Mt 12,4c ≠ τοῖς σὺν αὐτῷ οὖσιν Mk 2,26d. - (9) μόνους Lk 6,4d || μόνοις Mt 12,4d ÷ Mk 2,26. - (10) τὸ σάββατον διὰ τὸν ἄνθρωπον ἐγένετο καὶ οὐχ ὁ ἄνθρωπος διὰ τὸ σάββατον Mk 2,27b ÷ Lk 6,5 || Mt 12,6. - (11) Κύριός ἐστιν τοῦ σαββάτου ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου Lk 6,5b || Mt 12,8 ≠ κύριός ἐστιν ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου καὶ τοῦ σαββάτου Mk 2,28. Im Rahmen der *Ev-Priorität erklären sich all diese »Minor Agreements« ohne Probleme. Gerade das letzte Beispiel - die unterschiedliche Wortstellung in Mk 2,28 diff. Lk 6,5 || Mt 12,8 - ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich. Denn die mk Fassung des Logions entspricht dem vorkanonischen Wortlaut, wie die identische Formulierung in D nahelegt. Mk hat dieses Logion also vom Ende des letzten vor-kanonischen Sabbatkonflikts an das Ende der Perikope vom Ährenraufen gezogen, und Mt und Lk sind ihm in dieser Umstellung gefolgt. Allerdings hat Mt die Wortstellung von (*Ev und) Mk verändert, die zwar sehr gut zum mk ______________________________ 15 Vgl. dazu o. § 5 (Bd. I, S. 93ff). 16 Vgl. weiter T. S CHRAMM , Der Markus-Stoff bei Lukas, Cambridge 1971, 111f; N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 74ff; DERS ., Minor Agreements (1991), 23f; E NNULAT , Minor Agreements 77-84. 17 Ausführlich vertreten von H. A ICHINGER , Quellenkritische Untersuchung der Perikope vom Ährenraufen am Sabbat Mk 2,23-28 par Mt 12,1-8 par Lk 6,1-5, in: A. Fuchs, Spuren von Deuteromarkus I, Münster 2004, 199-244; vgl. auch W OLTER , Lk 233: Mt und Lk hatten »eine überarbeitete Fassung von Mk vor sich«. 602 Anhang I 6,1-5 Verständnis der Perikope passt, 18 aber weniger gut zu der mt Fassung, der dann auch Lk folgt. 5. Mit der Umstellung von *6,5 (Mt 12,8 || Lk 6,5) hängt zusammen, dass die Vorlage in *Ev mit großer Wahrscheinlichkeit die Perikope vom Sabbatarbeiter enthielt. Die Gründe, die dafür maßgeblich waren, dass erst Mk, in seiner Folge Mt und schließlich Lk diese Perikope nicht rezipierten, sind unklar und wohl zum Teil von der Bedeutung des Jesuslogions *6,4 (D) abhängig. Einer dieser Gründe könnte auch darin bestanden haben, dass die Sabbatproblematik für das christliche Selbstverständnis zunehmend an Bedeutung verloren zu haben scheint (s. o.). Aber dies ist nicht mehr als eine Vermutung, weil sich ein negativer Befund nicht positiv begründen lässt. *6,6-10 ↑ 5 ↓ 11: Heilung der verkrüppelten Hand Teilweise für *Ev bezeugt und vorhanden; von der lk Redaktion durchweg bearbeitet. 6,6 a Καὶ εἰσελθόντος αὐτοῦ πάλιν εἰς τὴν συναγωγὴν σαββάτῳ ἐν ᾗ ἦν a b [ ἐκεῖ ] c ἄνθρωπος ξηρὰν ἔχων τὴν χεῖρα c d [ ἡ δεξιά ] d · 7 παρετηροῦντο e [ δὲ ] αὐτὸν f οἱ γραμματεῖς καὶ f οἱ Φαρισαῖοι εἰ g ἐν τῷ σαββάτῳ θεραπεύει, ἵνα h κατηγόρωσιν αὐτοῦ. 8 αὐτὸς δὲ i γινώσκων τοὺς διαλογισμοὺς αὐτῶν, k λέγει l [ τῷ ἀνδρὶ ] l τῷ m τὴν χεῖρα ἔχοντι ξηράν m , Ἔγειρε καὶ στῆθι n ἐν τῷ μέσῳ n · καὶ ἀναστὰς o ἐστάθη. 9 εἶπεν δὲ ὁ Ἰησοῦς πρὸς αὐτούς, p Ἐπερωτήσω ὑμᾶς, q εἰ ἔξεστιν τῷ σαββάτῳ ἀγαθοποιῆσαι r ἢ μή r , ψυχὴν s λῦσαι ἢ t ἀπολέσαι; u οἱ δὲ ἐσιώπων. u 10 καὶ περιβλεψάμενος αὐτοὺς πάντας v {ἐν ὀργῇ} v w λέγει x τῷ ἀνθρώπῳ x , Ἔκτεινον τὴν χεῖρά σου. y καὶ ἐξέτεινεν y , καὶ ἀπεκατεστάθη ἡ χεὶρ αὐτοῦ z {ὡς καὶ ἡ ἄλλη} z . aa ↑ 5 καὶ ἔλεγεν αὐτοῖς bb ὅτι Κύριός ἐστιν cc ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου καὶ τοῦ σαββάτου cc . ↓ aa 11 αὐτοὶ δὲ ἐπλήσθησαν ἀνοίας, καὶ dd διελογίζοντο πρὸς ἀλλήλους ee {πῶς ἀπολέσωσιν αὐτόν.} ee A. *6,6: Tert. 4,12,10: Opus autem salutis et incolumitatis non est hominis, sed dei proprium. Sicut et rursus in lege, Non facies, inquit, omne opus in ea, nisi quod fiet omni animae, id est in causa animae liberandae: quia opus dei etiam per hominem fieri potest in salutem animae, a deo tamen, quod facturus fuerat et Christus homo, quia et deus. In hunc ergo sensum legis inducere volens illos per manus arefactae restitutionem interrogat, Licetne sabbatis benefacere, an non? animam liberare, an perdere? ♦ *6,7: Tert. 4,12,9: Exinde observant pharisaei si medicinas sabbatis ageret, ut accusarent eum, certe qua sabbati destructorem, non qua novi dei professorem; fortasse ______________________________ 18 Der geht es um die Inanspruchnahme hoheitlicher Privilegien durch den Menschensohn: Er ist Herr, und zwar, wie das nachgestellte καὶ τοῦ σαββάτου herausstreicht, sogar über den Sabbat, weil der um des Menschen willen entstanden ist. 6,6-11 Rekonstruktion 603 enim hunc solum articulum ubique ingeram, alium Christum nusquam praedicatum. ♦ *6,9: Tert. 4,12,10: … interrogat, Licetne sabbatis benefacere, an non? animam liberare, an perdere? ♦ *6,5: Tert. 4,12,1: De sabbato quoque illud praemitto, nec hanc quaestionem consistere potuisse si non dominum sabbati circumferret Christus. Nec enim disceptaretur cur destrueret sabbatum, si destruere deberet. Porro destruere deberet, si alterius dei esset, nec quisquam miraretur facientem quod illi congruebat. ¦ Epiph., Schol. 3: Κύριός ἐστιν ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου καὶ τοῦ σαββάτου (s. o. zu *6,5). B. a (6,6) και εισελθοντος αυτου παλιν εις την συναγωγην σαββατω εν η ην: D d ¦ εγενετο δε εν ετερω σαββατω εισελθειν αυτον εις την συναγωγην και διδασκειν και ην: a aur b c e f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● b (6,6) εκει: om D 2766 b d aeth ¦ add a aur c e f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● c (6,6) ανθρωπος ξηραν εχων την χειρα/ qua erat homo arida habens manum: D d e f (… habens dextram manum aridam) r 1 (et erat ibi homo habens manum aridam) ¦ ανθρωπος και η χειρ αυτου η δεξια ην ξηρα/ homo et manus eius dextera erat arida: [a] aur c ſſ 2 l q M (*Ev non test.) ● d (6,6) η δεξια/ dextra (dextera): om D d e ¦ add a aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● e (6,7) δε/ autem: om D 1192 ℓ76 (c: igitur) d e sa ms bo mss georg I.III ¦ add a aur b f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● f (6,7) οι γραμματεις και: om Tert ¦ add it M ¦ γραμματεις: αρχιερεις ℓ1663 ● g (6,7) εν/ in: om D K Π mult a aur b c d e ſſ 2 g 1 l q vg mss ¦ add f M (lac. r 1 ) (*Ev non test.) ● h (6,7) κατηγορωσιν/ accusarent: Tert; κατηγωρησωσιν: Ψ 472 ℓ950 (  ℓ253) ¦ ευρωσιν κατηγορειν: D it M ● i (6,8) γινωσκων/ sciens: D b d f ¦ ηδει/ sciebat: a aur c e ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● k (6,8) λεγει/ dicit: D c d e (ait: aur b f ſſ 2 l q r 1 ) ¦ ειπεν/ dixit autem: a M (*Ev non test.) ● l (6,8) τω ανδρι: om D d CyrAlex (Lc; PG 72, 577B) ¦ add τω ανδρι (τω ανθρωπω)/ homini: a aur b c e f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● m (6,8) την χειρα εχοντι ξηραν: D d 33 ¦ (3 1 2 4): a aur b c f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg ¦ (4 3 1 2): M (*Ev non test.) ● n (6,8) εν τω μεσω/ in medio: D a aur b c d f ſſ 2 q r 1 vg mss georg slav (sy p Tat arab.pers : + της συανγωγης) ¦ εις το μεσον/ in medium: e l vg M (*Ev non test.) ● o (6,8) εσταθη/ stetit: D it ¦ εστη(ν)/ stetit: it M (*Ev non test.) ● p (6,9) επερωτησω/ interrogabo: A D Θ Ψ f 1.13 33 a b c d ſſ 2 q r 1 sa bo ms ¦ επερωτω/ interrogo: P 4 א B L W aur e f gat l vg Tat arab.pers bo (*Ev non test.) ● q (6,9) ει/ si: om Tert (vgl. Mk 3,4) ¦ add P 4 א B D L W 579 892 a aur b c d e f ſſ 2 l bo sa ¦ τι/ aliquid: A Θ Ψ f 1.13 33 q r 1 sy M ● r (6,9) η μη: Tert ¦ η κακοποιησαι/ (facere) an male: D it M ● s (6,9) λυσαι/ liberare: Tert ¦ σωσαι (σωζειν)/ salvam facere (salvare): D it M ● t (6,9) απολεσαι/ perdere: Tert P 4 א B D L W Ψ f 1.13 579 892 1241 2542 pc a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 sy p.hmg ¦ αποκτειναι/ occidere: A E K M U V Y Γ Δ Θ Λ Π Ω 028 047 0211 mult lectt e sy h ● u (6,9) οι δε εσιωπων: D Λ mult d bo mss aeth ¦ om a aur b c e f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● v (6,10) εν οργη (μετ οργης)/ in ira (iratus: c; viliabundus: e): D X Θ Λ mult aur b c d e ſſ 2 l q r 1 sy h.p armen aeth ¦ om a M (*Ev non test.) ● w (6,10) λεγει/ dicit: D d ¦ ειπεν/ dixit: a aur b c e f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● x (6,10) τω ανθρωπω/ homini: D a aur b c d e f ſſ 2 l q r 1 ¦ + illi: c e ¦ αυτω: M (*Ev non test.) ● y (6,10) και εξετεινεν/ et extendit: א D (W) f 1.13 pc it sy p.hmg bo ¦ ο δε εποιησεν: M (*Ev non test.) ● z (6,10) ως και η αλλη/ sicut et altera (sicut alia, sicut altera): A D K Q Δ Θ Ψ pc it sy h ¦ om M (*Ev non test.) ● aa (6,5) vs. 6,5 pon. post 6,10: D d ¦ vs. 6,5 post 6,4: a aur b c e f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● bb (6,5) οτι/ quia (quoniam: a d): א 2 A D L Θ Ψ f 13 33 it vg ¦ om P 4 א * B W f 1 mult armen georg (*Ev non test.) ● cc (6,5) ο υιος του ανθρωπου και του σαββατου/ filius hominis etiam (et: e) sabbati (+ ipsius: e): Tert Epiph D a aur b c d e f ſſ 2 l q r 1 ¦ (6 7 1-4) א B W 1241 sy p bo pt aeth ● dd (6,11) διελογιζοντο/ cogitabant: D d ¦ διελογιζοντο και διελαλουν: 2542 ¦ διελαλουν/ ελαλουν: a aur b c 604 Anhang I 6,6-11 e f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● ee (6,11) πως απολεσωσιν αυτον: D d ¦ τι αν ποιησαιεν τω Ιησου/ quidnam (quid: ſſ 2 l q) facerent de Iesu (illi facerent: e): it M (*Ev non test.). C. Die Perikope von der Heilung der verkrüppelten Hand ist gut für *Ev bezeugt, weist aber hinsichtlich der genauen Formulierungen und der kompositionellen Einbettung einige Eigenarten gegenüber der kanonischen Fassung auf. Beide Aspekte hängen mit den Besonderheiten des D-Textes von Lk 6 zusammen, die o. zu *6,1-5 besprochen sind. 1. Tertullian bezeugt nur Teile von *6,(6.)7.9. Allerdings sind Entsprechungen zu den Aussagen von V. 8 und 10 der narrativen Logik wegen zwingend erforderlich. Die Nichtbezeugung ist daher in diesen Fällen wohl auf das Konto der zusammenfassenden Darstellung Tertullians zu verbuchen. Ob *6,5 - sowohl von Tertullian als auch von Epiphanius in diesem Kontext vorausgesetzt - seinen ursprünglichen Ort im Rahmen von *6,6-11 hatte, bleibt zunächst unklar (s. u.). 2. Eine genauere Rekonstruktion lässt die fragmentarische Bezeugung nicht zu. Für weitergehende Aussagen ist daher die eigenständige Fassung der Perikope im D-Text heranzuziehen: Methodisch gilt hier das gleiche Modell, wie es o. zu *6,1-4 begründet wurde. Neben den grundsätzlichen Erwägungen zum Zustandekommen der charakteristisch »Westlichen« Lesarten ist hier vor allem auf die zahlreichen Analogien zwischen Mk 3,1ff bzw. Mt 12,9ff und Lk 6,6ff im D-Text zu verweisen: (1) Die Exposition καὶ εἰσελθόντος αὐτοῦ πάλιν εἰς τὴν συναγωγὴν σαββάτῳ *6,6a (D d) weist gleich mehrere Übereinstimmungen mit Mk 3,1 bzw. Mt 12,9 gegen Lk 6,6 auf (πάλιν; anstelle der typisch lk Eingangsphrase ἐγένετο δὲ ἐν + Datierung + A.c.I. bietet D wie Mk/ Mt einen Hauptsatz). - (2) ἐκεῖ Lk 6,6b (|| Mk 3,1) fehlt in Mt 12,9 || *6,6b (D). - (3) In *6,6b stimmen Mk, Mt und D mit der partizipialen Wendung ἄνθρωπος … ἔχων τὴν χεῖρα gegen Lk (ἡ χεὶρ αὐτοῦ … ἦν …) überein; dass es sich um die rechte Hand handelt, findet sich nur bei Lk, nicht aber in Mk, Mt und D. - (4) Mk 3,4 und *6,9 (D) teilen - gegen Lk (und Mt 12,12) - die Reaktion der Angesprochenen mit: οἱ δὲ ἐσιώπων. - (5) Das Gleiche gilt für die adverbiale Bestimmung der Antwort Jesu in *6,10 (D) || Mk 3,5 (ἐν ὀργῇ/ μετ’ ὀργῆς), die in Lk 6,10 || Mt 12,12 fehlt. - (6) λέγει *6,10 (D) stimmt mit Mk 3,5 || Mt 12,13 überein, während Lk 6,10 εἶπεν bietet. - (7) τῷ ἀνθρώπῳ *6,10 (D) stimmt mit Mk 3,5 || Mt 12,13 überein, während Lk 6,10 αὐτῷ hat. - (8) *6,10 (D) liest wie Mk 3,5 || Mt 12,13 καὶ ἐξέτεινεν, während Lk 6,10 die etwas unglückliche Wiederholung der Aufforderung vermeidet und stattdessen ὁ δὲ ἐποίησεν bietet. - (9) Dass die Hand ὡς (καὶ) ἡ ἄλλη wiederhergestellt wurde, sagt *6,10 (D) wie Mt 12,13, nicht aber Lk 6,10 (|| Mk 3,5). - (10) Die Reaktion der Adressaten ist in *6,11 (D) || Mk 3,6 || Mt 12,14 analog formuliert (πῶς ἀπολέσωσιν αὐτόν bzw. ὅπως αὐτὸν ἀπολέσωσιν), wogegen Lk 6,11 eine ganz andere Formulierung bietet (τί ἂν ποιήσαιεν τῷ Ἰησοῦ). Diese Entsprechungen zwischen dem D-Text von Lk und den Fassungen in Mk 3 bzw. Mt 12 lassen sich kaum als Einfluss der synoptischen Parallelen auf den lk D- Text erklären: Durch diese Erklärung werden weder ihre Häufung verständlich noch der Umstand, dass Mk und Mt ja nicht in allen Fällen mit dem lk D-Text 6,6-11 Rekonstruktion 605 übereinstimmen, sondern teilweise auch dagegen stehen. Der lk D-Text mit seinem eigenartigen Profil ist daher nicht die Folge einer sekundären Konformierung mit Mk/ Mt, sondern deren gemeinsame Quelle, die sie teilweise übereinstimmend, teilweise voneinander abweichend rezipieren. 3. Erst vor dem Hintergrund dieser Besonderheit des D-Textes lässt sich dann erklären, dass Tertullians Zeugnis auch in manchen Einzelheiten von dem D-Text abweicht. So hat Tertullians *Ev-Exemplar in *6,7 ganz offensichtlich ἵνα κατηγόρωσιν αὐτοῦ (Tert. 4,12,9: ut accusarent eum) gelesen. Dies stimmt mit Mk 3,2 || Mt 12,10 (ἵνα κατηγορήσωσιν αὐτοῦ) überein, weicht aber von ἵνα εὕρωσιν κατηγορεῖν αὐτοῦ Lk 6,7 ab. Interessanterweise bietet auch D diese Lesart. Ganz analog dazu hat Tertullian die Frage Jesu in *6,9 als direkte Frage gelesen: Licetne sabbatis benefacere? (Tert. 4,12,10). Das entspricht zwar Mk 3,4 (ἔξεστιν τοῖς σάββασιν ἀγαθὸν ποιῆσαι), nicht aber der auch von D gebotenen indirekten Frageform in Lk 6,9 (ε ἰ ἔξεστιν …). Diese Unterschiede in der Bezeugung stellen klar, dass D d sowenig durchweg den ältesten, vorkanonischen Text bietet wie Tertullian (oder die anderen Zeugen). Der D-Text zeigt das gleiche Phänomen, das auch für die Erklärung der differierenden Zeugnisse (Tertullian, Epiphanius, Adamantius) bzw. für die oft disparate Überlieferung der altlateinischen Handschriften aufgefallen war: Die Korrektur des vorkanonischen Textes nach dem kanonischen Wortlaut ist inkonsequent durchgeführt worden. Das Kriterium, das dazu berechtigt, an diesen beiden Stellen den vorkanonischen Text mit Tertullian gegen D zu rekonstruieren, ist die jeweils größere Entfernung zum kanonischen Text. 4. Unter der Maßgabe, dass die vom kanonischen Lk-Text abweichenden Formulierungen in D (it sy) Spuren des vorkanonischen Evangeliums bewahrt haben, werden dann auch die charakteristischen (mt-lk) »Minor Agreements« verständlich. Neben anderem 1 ist vor allem auf Folgendes zu verweisen. (1) ξηρά Lk 6,6c || ξηράν Mt 12,10a ≠ ἐξηραμμένην Mk 3,1b. - (2) εἶπεν δὲ ὁ Ἰησοῦς Lk 6,9a || ὁ δὲ εἶπεν Mt 12,11a ≠ λέγει Mk 3,4a. - (3) οἱ δὲ ἐσιώπων Mk 3,4c ÷ Lk 6,9 || Mt 12,12. - (4) μετ’ ὀργῆς Mk 3,5a ÷ Lk 6,10 || Mt 12,13. - (5) συλλυπούμενος ἐπὶ τῇ πωρώσει τῆς καρδίας αὐτῶν Mk 3,5 ÷ Lk 6,10 || Mt 12,13. - (6) (τὴν χεῖρά) σου Lk 6,10b || Mt 12,13b ÷ Mk 3,5b. Wie auch sonst häufig zu beobachten ist, lassen sich diese »Minor Agreements« nicht auf ein einheitliches Phänomen zurückführen; sie sind vielmehr auf verschiedene Weise entstanden: In einigen Fällen beruhen die Übereinstimmungen darauf, dass Mt und Lk gemeinsam von *Ev abhängig sind, Mk dagegen am vorkanonischen Text Änderungen oder Einfügungen vorgenommen hat, die keinen Eingang in Mt ______________________________ 1 Vgl. dazu N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 76ff; DERS ., Minor Agreements (1991), 24f; E NNU - LAT , Minor Agreements 84-93. 606 Anhang I 6,6-11 und Lk gefunden haben. Dazu gehören die Abweichung in *6,6c (ξηρά ≠ ἐξηραμμένην) sowie der mk Zusatz συλλυπούμενος ἐπὶ τῇ πωρώσει τῆς καρδίας αὐτῶν in Mk 3,5 (÷ *6,10 || Mt 12,13 || Lk 6,10). Andererseits gibt es jedoch auch gemeinsame mt-lk Änderungen - genauer: von Lk übernommene mt Änderungen - dieses vorkanonischen Wortlauts, den Mk jedoch genauer rezipiert hat. In diesen Fällen gehen die Agreements auf die Abhängigkeit des Lk von der mt Formulierung zurück, also beispielsweise die Auslassungen von οἱ δὲ ἐσιώπων *6,9 = Mk 3,4c in Lk 6,9 || Mt 12,12 bzw. von ἐν ὀργῇ *6,10  μετ’ ὀργῆς Mk 3,5a in Lk 6,10 || Mt 12,13. Auch in *6,9a (λέγει) ist die ursprüngliche Formulierung von *Ev in Mk 3,4a besser bewahrt als in Mt 12,11a || Lk 6,9a (εἶπεν). Betrachtet man die (mt-lk) »Minor Agreements« im Rahmen dieses überlieferungsgeschichtlichen Modells, das sich auch durch die mt/ mk Entsprechungen zum lk D-Text nahelegt, dann wird deutlich, in wie hohem Maß sich text- und überlieferungsgeschichtliche Fragen gegenseitig überlagern und beeinflussen. Gerade anhand der Sabbatkonflikte in Lk 6 par. wird die überaus enge Verflechtung der einzelnen Textformen deutlich: Sie geben einen Einblick in die redaktionelle Arbeitsweise, die das Zustandekommen der späteren Texte prägt. So ist es für Mt und Lk evident, dass sie nicht nur einen ihnen vorausliegenden Text rezipierten, an dem sie gelegentliche redaktionelle Änderungen vornahmen, sondern dass ihnen bei dieser Redaktion mehrere verschiedene Texte vorlagen, die sie von Fall zu Fall sehr genau verglichen haben: Mt kannte und nutzte Mk und *Ev, Lk kannte und nutzte *Ev, Mk und Mt. Das hier sichtbar werdende redaktionelle Verfahren ist in der Tat eine hoch artifizielle »Schreibtischarbeit«. 5. Im Licht der besonderen Bedeutung des D-Textes, die durch diese Beobachtungen sichergestellt ist, lassen sich dann auch die wichtigen kompositionellen Differenzen zwischen *Ev und Lk klären. Zunächst ist noch einmal auf *6,5 und seine Stellung in *Ev einzugehen. Sowohl Tertullian als auch Epiphanius bezeugen den Vers, aber keines der beiden Referate gibt zu erkennen, an welcher Stelle der Vers in *Ev enthalten war. Die Vertreter der Lk-Priorität vermuteten, dass *Ev *6,5 erst im Anschluss an *6,10 hatte, da Tertullian am Ende seiner Behandlung der Heilung der verkrüppelten Hand darauf verweist. 2 Tertullian hatte jedoch einen entsprechenden Hinweis bereits ganz zu Beginn seines Referats von Kap. 6 gegeben (4,12,1: dominum sabbati circumferret Christus) und rahmt auf diese Weise seine Behandlung aller Sabbatkonflikte durch den Hinweis, dass der Menschensohn Herr über den Sabbat sei. Seine Anspielung auf das Logion in 4,12,11 allein ist daher kein hinreichendes Indiz für eine entsprechende Stellung bei *Ev. Da auch ______________________________ 2 Tert. 4,12,11: dominus sabbati dictus, vgl. H ARNACK 190*; T SUTSUI 81. 6,6-11 Rekonstruktion 607 Epiphanius nicht zu erkennen gibt, an welcher Stelle er das Logion las, 3 gründet die Zuversicht, mit der *6,5 zwischen *6,10 und *6,11 positioniert wird, allein auf der Textgestalt von D d. 4 Dem ist im Ergebnis zuzustimmen, nicht aber in der Begründung. Denn unter der Annahme der Lk-Priorität bleibt nur die Alternative, dass *Ev diesen Vers entweder in seiner »Westlichen« Textvorlage vorgefunden oder aber ihn gezielt gegen den Lk-Text hierher geschoben hat. Im ersten Fall müsste man erklären, wieso diese »Westliche« Textüberlieferung von Lk abweicht, im zweiten Fall müsste man einen Grund für Marcions redaktionelle Entscheidung finden, was schwer fallen dürfte. 5 Aber dies ist unnötig, wenn D hier Spuren des vorkanonischen Textes zeigt, die bei der Korrektur nach dem kanonischen Text stehen geblieben sind. Die methodisch wichtige Gegenfrage, was die lk Redaktion zu der Umstellung veranlasst haben könnte, ist dagegen leicht zu beantworten (s. gleich). Mit dieser Entscheidung ist ebenfalls klar, dass auch der Wortlaut von D gegenüber dem Mehrheitstext ursprünglich ist. Neben dem ὅτι-recitativum, das in der redigierten Fassung (nach P 4 א * B W f 1 usw.) ausgefallen ist, ist vor allem die abweichende Wortstellung und das καί vor τοῦ σαββάτου signifikant: Die Lesart von D, die Mk 2,28 rezipiert hat, ist ursprünglich und stand in *Ev. 6. Ebenfalls unbezeugt ist auch der Tötungsbeschluss 6,11. Hier ist die Entscheidung schwieriger: *Ev hatte das gewaltsame Vorgehen gegen Jesus bereits im Zusammenhang der Ablehnung in Nazareth berichtet (s. o. zu *4,29). Es wäre daher denkbar, dass *Ev diesen Vers nicht enthielt. Mk bietet den Tötungsbeschluss am Ende der sehr sorgfältigen Komposition der Streitgespräche 2,1-3,6. Für ihn bestand daher später in 6,1-6a keine Notwendigkeit, die Ablehnung Jesu in seiner Heimatstadt mit einem gewalttätigen Vorgehen gegen ihn zu verbinden. Die lk Redaktion hat offensichtlich ähnlich gedacht und die Doppelung des Tötungsbeschlusses gemindert: Da Lk den Tötungsversuch der Menge in der Synagoge von Nazareth aus *Ev übernommen und ihn programmatisch an den Anfang der ______________________________ 3 Epiphanius bezeugt, dass er den Vers in *Ev las, aber nicht, an welcher Stelle. Aus seiner Scholienliste geht nicht hervor, ob *6,5 nach *6,4 oder nach *6,10 stand: Epiphanius war an diesen Vers nicht wegen seiner auffälligen Position in *Ev interessiert, sondern weil ihm die Identifizierung von κύριος τοῦ σαββάτου und υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου aus christologischen Gründen wichtig war: Jesus integriere den Sabbat in »diese Schöpfung«, weil das »Herr-Sein über den Sabbat« seine göttliche Vollmacht betone, während zugleich der Menschensohn-Titel auf die Inkarnation verweise. 4 H ARNACK 190*: »Dieser Vers steht in D erst nach v. 10; dort erst hatte ihn auch M.« Vgl. T SUTSUI 81. 5 T SUTSUI 81 hat Letzteres versucht: »Ist dies eine absichtliche Korrektur von Marcion, dann dürfen wir wohl daraus ableiten, daß VV. 6-9 (Heilung der verdorrten Hand) besser als VV. 1-4 (das Ährenraufen am Sabbat) zu seinem Christusbild paßte.« Worin diese Präferenz inhaltlich bestanden haben (und wie sie theologisch zu den ansonsten für Marcion angenommenen »Redaktionsentscheidungen« passen) könnte, bleibt allerdings offen. 608 Anhang I 6,6-11 öffentlichen Tätigkeit Jesu gerückt hat, bedarf er jetzt keiner weiteren Verabredung der Gegner Jesu, ihn zu »vernichten.« Die Formulierung von Lk 6,11 ist daher redaktionell. Die Synopse zeigt, auf welche Weise *6,11 (D) als gemeinsame »Mitte« die Grundlage für die synoptischen Fassungen bietet: *6,11 (= Lk 6,11 D) Mk 3,6 Mt 12,14 Lk 6,11 καὶ ἐξελθόντες ἐξελθόντες δὲ αὐτοὶ δὲ οἱ Φαρισαῖοι οἱ Φαρισαῖοι αὐτοὶ δὲ εὐθὺς μετὰ τῶν Ἡρῳδιανῶν ἐπλήσθησαν ἀνοίας, ἐπλήσθησαν ἀνοίας, καὶ καὶ διελογίζοντο πρὸς ἀλλήλους συμβούλιον ἐδίδουν κατ’ αὐτοῦ συμβούλιον ἔλαβον κατ’ αὐτοῦ διελάλουν πρὸς ἀλλήλους πῶς ἀπολέσωσιν αὐτόν. ὅπως αὐτὸν ἀπολέσωσιν. ὅπως αὐτὸν ἀπολέσωσιν. τί ἂν ποιήσαιεν τῷ Ἰησοῦ. Mk hat die Beteiligung der Herodianer eingefügt (εὐθὺς μετὰ τῶν Ἡρῳδιανῶν), die für ihn kompositionell wichtig waren. 6 Vor allem hat er die Überlegung der Gegner (διελογίζοντο πρὸς ἀλλήλους) zu einem formellen Entschluss umgewandelt (συμβούλιον … κατ’ αὐτοῦ), und Mt ist ihm darin gefolgt. Lk hat dagegen den Ratschlag, Jesus zu vernichten (πῶς ἀπολέσωσιν αὐτόν), inhaltlich abgemildert. 7. Mit dieser Rekonstruktion des vorkanonischen Textes ist dann die Überlieferungsgeschichte der Perikope - einschließlich der Gründe für die redaktionellen Veränderungen auf den einzelnen Stufen - durchsichtig. a. Die älteste Fassung in *Ev enthielt drei aufeinander folgende und narrativ eigenständige Erzählungen, die auf unterschiedliche Weise das Problem der Sabbatobservanz thematisieren: Auf die Erzählung vom Ährenraufen (*6,1-4) folgte (mit einer eigenen, äußerst knappen Exposition) das Apophthegma vom Sabbatarbeiter (*6,4 [D]) und abschließend die Erzählung von der Heilung des Mannes mit der verkrüppelten Hand (*6,6-10.5.11). Das Logion *6,5 bildete demnach den Abschluss primär von *6,6-10, während *6,11 am ehesten als Reaktion auf alle drei Erzähleinheiten zu verstehen ist. Dabei scheinen die Gegenspieler Jesu bzw. der Jünger in den beiden rahmenden Erzählungen ursprünglich nur einfach »die Pharisäer« gewesen zu sein (*6,1.6) - so jedenfalls nach dem Zeugnis Tertullians (s. dort). Im ersten Fall ist diese Lesart gegenüber dem kanonischen τινὲς δὲ τῶν Φαρισαίων (Lk 6,2) auch durch die Afra-Handschrift e sowie durch die synoptischen Parallelen Mk 2,24 || Mt 12,2 gesichert (s. dort). Im zweiten Fall enthält die gesamte handschriftliche Überlieferung (einschließlich D it sy) neben den Pharisäern auch die ______________________________ 6 Vgl. Mk 6,14-21; 8,15; s. dazu M. K LINGHARDT , Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19 (2002), 183-202: 198f. 6,6-11 Rekonstruktion 609 Schriftgelehrten (Lk 6,7: ο ἱ γ ρ α μ μ α τ ε ῖ ς κ α ὶ οἱ Φαρισαῖοι), die dann in 6,11 durch αὐτοί renominalisiert werden. Tertullian erwähnt - genau wie Mk 3,6 || Mt 12,14 - allerdings wieder nur die Pharisäer. So spricht einiges dafür, dass die Kontrahenten ursprünglich nur die Pharisäer waren, die durch Lk auf verschiedene Weise aus dem Fokus genommen wurden. 7 b. Mk hat *Ev an mehreren Stellen verändert. Am schwersten wiegt die Tilgung von *6,4 (D) (s. dort), die mit anderen redaktionellen Eingriffen einhergeht. So hat Mk das Wort von Jesu Herr-Sein über den Sabbat (*6,5) vom Ende der zweiten Erzählung an das Ende der ersten gezogen (Mk 2,28) und durch Mk 2,27 zusätzlich motiviert; hier hat es gut hingepasst, weil Mk den eigentlichen Konflikt, den das Ährenraufen der Jünger heraufbeschwört, in der Inanspruchnahme hoheitlicher Privilegien sieht, die durch die abschließende Proklamation Jesu als κύριος - nicht nur, aber auch! - über den Sabbat gestützt wird. In der Heilungserzählung Mk 3,1-6 hat er die Haltung der Pharisäer mit ihrer Herzensverhärtung erklärt - auch das ist ein typisch mk Aspekt. Am Ende hat Mk den Todesbeschluss der Pharisäer und Herodianer sehr pointiert als Zielpunkt der klimaktisch aufgebauten Streitgespräche seit 2,1 gesetzt und daher die Überlegung (διελογίζοντο) in einen formellen Beschluss (συμβούλιον) verändert. c. Mt hat die Perikope ganz weitgehend in der mk Fassung (also ohne *6,4 [D] und mit *6,5 als Abschluss von *6,1-4) rezipiert, dabei allerdings einige Kleinigkeiten weggelassen: Neben der Erwähnung der »Herodianer«, die nur für Mk kompositionelle Bedeutung besitzen, hat er auch die psychologisierenden Motivationen aus Mk 3,5 (μετ’ ὀργῆς; συλλυπούμενος ἐπὶ τῇ πωρώσει τῆς καρδίας αὐτῶν) sowie den Hinweis auf das beschämte Schweigen in Mk 3,4 übergangen; zwei dieser Elemente stammten bereits aus *Ev. Die Streichung der »Herodianer« durch Mt setzt voraus, dass er neben Mk auch das ältere *Ev vor sich hatte. Zugleich hat Mt durch die Einfügung von Mt 12,11f aus der Auseinandersetzung um Jesu hoheitliche Vollmacht ein Lehrgespräch gemacht und die Überlegenheit Jesu narrativ nachgezeichnet. Dieses Element stammt aus *14,5 (s. dort) und belegt, dass Mt bei der Abfassung seines Evangeliums den Text von *Ev nicht nur schriftlich als Quelle vor sich, sondern ihn auch komplett präsent hatte. d. Lk folgt zwar im Wortlaut und in den Formulierungen weitgehend *Ev, hat aber das kompositionelle Gepräge aus Mk/ Mt rezipiert (Reduktion auf zwei Erzählungen; Umstellung von 6,5). Die wichtigsten, darüber hinausgehenden Änderungen sind die Weichzeichnung der Pharisäer (in 6,2.7), die Verschärfung des Heilungskonflikts dadurch, dass es sich um die rechte Hand des Mannes handelt (6,6), und ______________________________ 7 Die Lesart οι Φαρισαιοι και αρχιερεις in ℓ1663 könnte noch ein später Reflex davon sein. 610 Anhang I 6,6-11 die Umschreibung des Tötungsbeschlusses (6,11). Neben der grundlegenden Rezeption des *Ev-Textes zeigt Lk Einflüsse sowohl von Mt als auch von Mk: Die Übereinstimmung zwischen Lk und Mt (gegen *Ev und Mk) zeigt sich z. B. an der Auslassung von οἱ δὲ ἐσιώπων (Mk 3,4c || *6,9 ÷ Mt 12,12 || Lk 6,9) bzw. von ἐν ὀργῇ (*6,10 || Mk 3,5a ÷ Mt 12,13 || Lk 6,10). Die Übereinstimmungen von Lk mit Mk (gegen *Ev und Mt) ergeben sich aus der Formulierung εἰς τὸ μέσον (Lk 6,8 || Mk 3,3 ≠ *6,8 ÷ Mt 12,10) sowie aus (ἀγαθοποιῆσαι) ἢ κακοποιῆσαι (Lk 6,9 || Mk 3,4 ≠ ἢ οὔ *6,9 ÷ Mt 12,10) und (ψυχὴν) σῶσαι Lk 6,9 || Mk 3,4 ≠ (ψυχὴν) λῦσαι *6,9 ÷ Mt 12,10. Die Rezeption der Sabbatkonflikte aus *Ev (neben *6,6-11 ist vor allem *14,1-6 zu vergleichen; s. dort) und ihre Redaktion durch Mk, Mt und Lk ist ein in hohem Maße instruktives Beispiel für die Genauigkeit, mit der die Autoren - auf allen Überlieferungsstufen - gearbeitet haben. Zugleich wird deutlich, dass die Rezeption redaktioneller Passagen aus den jeweiligen Prätexten nie »mechanisch« vor sich gegangen ist, sondern immer von einem übergreifenden Gestaltungswillen begleitet war. *6,12-16: Auswahl der Zwölf Gut bezeugt und sicher vorhanden; Spuren der lk Redaktion. 6,12 a Καὶ ἀναβαίνει εἰς τὸ ὄρος καὶ a ἦν διανυκτερεύων ἐν τῇ προσευχῇ b τοῦ θεοῦ . b 13 καὶ ὅτε ἐγένετο ἡμέρα, προσεϕώνησεν τοὺς μαθητὰς αὐτοῦ, καὶ ἐκλεξάμενος ἀπ’ αὐτῶν δώδεκα, οὓς καὶ ἀποστόλους c ἐκάλεσεν, 14 d {πρῶτον} Σίμωνα, ὃν e καὶ f Πέτρον ἐπωνόμασεν, f καὶ Ἀνδρέαν τὸν ἀδελϕὸν αὐτοῦ, καὶ Ἰάκωβον καὶ Ἰωάννην g {τὸν ἀδελϕὸν αὐτοῦ οὓς ἐπωνόμασεν Βοανηργές, ὅ ἐστιν υἱοὶ Βροντῆς} g καὶ Φίλιππον καὶ Βαρθολομαῖον 15 καὶ Μαθθαῖον καὶ ¿ Ἰούδαν? Θωμᾶν h {τὸν ἐπικαλούμενον Δίδυμον} h καὶ Ἰάκωβον Ἁλϕαίου καὶ Σίμωνα τὸν καλούμενον Ζηλωτὴν 16 καὶ Ἰούδαν Ἰακώβου καὶ Ἰούδαν i Σκαριώτην, ὃς k {καὶ} ἐγένετο προδότης. A. *6,12: Tert. 4,13,1f: Certe evangelizat Sion et Hierusalem pacem et bona omnia, certe ascendit in montem et illic pernoctat in oratione et utique auditur a patre. Evolve igitur prophetas, et ordinem totum recognosce … (folgen Beispiele). ♦ *6,13: Tert. 4,13,3: Habes nominis repraesentationem, habes actum evangelizantis, habes locum montis, et tempus noctis, et sonum vocis, et auditum patris, habes Christum prophetarum. Cur autem duodecim apostolos elegit, et non alium quemlibet numerum? ♦ *6,14: Tert. 4,13,5f: Mutat et Petro nomen de Simone, quia et creator Abrahae et Sarae et Auseae nomina reformavit, hunc vocando Iesum, illis syllabas adiciendo. Sed et cur Petrum? (6) Si ob vigorem fidei, multae materiae solidaeque nomen de suo accommodarent. An quia et petra et lapis Christus? Siquidem et legimus positum eum in lapidem offendiculi et in petram scandali. Omitto cetera. Itaque affectavit carissimo discipulorum de figuris suis peculiariter nomen 6,12-16 Rekonstruktion 611 communicare, puto propius quam de non suis. ♦ *6,16: Epiph., Schol. 4: Ἰούδαν Ἰσκαριώτην, ὃς ἐγένετο προδότης. B. a (6,12) και αναβαινει εις το ορος: Tert (vgl. Mk 3,13) ¦ εγενετο δε εν ταις ημεραις ταυταις εξελθειν αυτον εις το ορος προσευξασθαι/ factum est autem in illis diebus exire eum in montem et orare: it M ● b (6,12) του θεου: om Tert D d ¦ add a aur b c e f ſſ 2 l q r 1 M ● c (6,13) εκαλεσεν/ vocavit: D d (vgl. προσκαλεῖν Mk 3,13; Mt 10,1) ¦ ωνομασεν/ (cog)nominavit: a aur b c e f ſſ 2 l (q r 1 ) M (*Ev non test.) ● d (6,14) πρωτον/ primum: D d r 1 ¦ om a aur b c e f ſſ 2 l q M (*Ev non test.) ● e (6,14) και/ et: om 349 713 1242 aur b c e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 ¦ add D a d M (*Ev non test.) ● f (6,14) Πετρον επωνομασεν/ Petrum cognominavit: (827 ℓ184 sy s armen) D d ¦ (2 1) επωνομασεν Πετρον/ cognominavit Petrum: a aur b e f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● g (6,14) τον αδελϕον αυτου ους επωνομασεν Βοανηργες ο εστιν υιοι Βροντης/ fratrem eius quos cognominavit Boanerges, quod est filii tonitrui (vgl. Mk 3,17): D d ¦ fratrem eius: ſſ 2 ¦ om a aur b c e f l q r 1 M (*Ev non test.) ● h (6,15) τον επικαλυμενον Διδυμον/ qui cognominatus est Didymus: D d (vgl. Joh 11,16; 20,24; 21,2) ¦ om a auf b c e f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● i (6,16) Σκαριωθ/ Scarioth: D aur c e f ſſ 2 g 1 gat l q vg georg II ¦ Ισκαριωθ: P 4 א * B L 33 579 pc d ([! ]: Inscarioth) ¦ Ισκαριωτην: Epiph א 2 A Q W Θ Ψ f 1.13 vg M ¦ (+ τον: 2542) ¦ om a b r 1 ¦ Ισκαριωτου: 1654 Orig (Orat. 13,1; GCS 3, 326) ¦ alii alia (Ισκαριοτην; Ησκαριωτην) ● k (6,16) και: D d (etiam et) ¦ om Epiph P 75vid א B L W 579 892 ℓ1127 a aur b c e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg sy s.p Tat arab.pers georg slav M . C. Die Perikope war sicher in *Ev vorhanden (und zwar an dieser Stelle! ), aber Tertullians sparsame Hinweise lassen noch erkennen, dass sie eine andere Gestalt als im kanonischen Text besaß. Daran war Tertullian allerdings nicht interessiert, und er vermerkt die Differenzen auch nicht. Für Tertullian war diese Perikope in erster Linie wichtig, weil er hier die at.lichen Analogien zeigen konnte. 1 Vor allem für die Zwölfzahl der Jünger liefert er eine Reihe at.licher Typologien: die zwölf Quellen von Elim (Num 33,9), die zwölf Edelsteine in Aarons priesterlichem Gewand (Ex 28,9), die zwölf Jordansteine, die Josua in die Lade legte (Jos 4,5). Diese ausführliche Begründung stellt sicher, dass bereits *Ev das Konzept eines Zwölfer- Kreises kannte. Wichtiger für die Rekonstruktion des genauen Wortlauts von *Ev sind allerdings die bezeugten und anzunehmenden Differenzen zum kanonischen Text, die wichtige überlieferungsgeschichtliche Einsichten ermöglichen. 1. Bemerkenswert ist gleich zu Beginn das Zeugnis Tertullians für *6,12a, der anstelle der lk Einleitung der Exposition (ἐγένετο δὲ ἐν ταῖς ἡμέραις ταύταις ἐξελθεῖν αὐτὸν εἰς τὸ ὄρος προσεύξασθαι καί) eine Fassung voraussetzt, die sehr genau der Einleitung Mk 3,13a entspricht: καὶ ἀναβαίνει εἰς τὸ ὄρος καί. Obwohl sich von dieser Lesart in der Handschriftenüberlieferung keine Spur mehr findet, ist sie mit hoher Wahrscheinlichkeit im vorkanonischen Text ursprünglich - und Tertullians Referat korrekt. Dass Lk 6,12 redaktionell bearbeitet ist, lässt sich an ______________________________ 1 Tert. 4,13,2f verweist auf Jes 52,7; Nah 1,15 (Freudenboten auf dem Berg); Ps 22,2 (Gott hört bei Nacht); Ps 3,4 (Gott hört das Gebet auf dem heiligen Berg). 612 Anhang I 6,12-16 der unglücklichen Doppelung der Erwähnung des Gebets Jesu (ἐξελθεῖν αὐτὸν … προσεύξασθαι … ἐν τῇ προσευχῇ) zeigen: Wie Tertullian belegt, war die zweite Formulierung in *Ev enthalten, nicht aber die erste. Lk hat also den Aufstieg Jesu auf den Berg durch die finale Bestimmung motiviert (»um zu beten«); er könnte sich dazu durch Mk 3,13 veranlasst gesehen haben, denn bei Mk erscheint der Aufstieg auf den Berg aufgrund der Umstellung von Mk 3,7-12.13-19 (gegenüber *6,12-16.17-19) durch den Andrang der Menge motiviert, den Lk aber erst später berichtet. Aber unabhängig von den überlieferungsgeschichtlichen Fragen (dazu s. gleich zu *6,17-19) ist deutlich, dass Tertullian für *Ev einen aus Mk bekannten Wortlaut bezeugt. Ganz ähnlich wie *6,12a ist zu beurteilen, dass Tertullian die Worte (ἐν τῇ προσευχῇ) τ ο ῦ θ ε ο ῦ Lk 6,12 fin. nicht in *Ev gelesen hat: Sie fehlen auch in *6,12 (D) und sind als Zusatz der lk Redaktion zu betrachten. Diese Übereinstimmung zwischen Tertullians *Ev-Referat und einem Zeugen des »Westlichen Textes« belegt einmal mehr, dass die Eigenheiten des lk D-Textes Spuren einer älteren, vorkanonischen Vorlage darstellen, die nicht konsequent nach der lk redigierten, kanonischen Fassung korrigiert wurde. Tertullians Zeugnis für *Ev stellt also in einem Vers engste Berührungen sowohl mit Mk als auch mit dem lk D-Text sicher. Dieses Phänomen begegnet häufiger und war vor allem für *6,1-4.6-11 aufgefallen (s. dort). 2. Ebenso charakteristisch wie aufschlussreich für die Überlieferungsgeschichte sind die Namenszusätze in der Apostelliste im D-Text. a. Dass Jakobus und Johannes den Beinamen »Boanerges, das heißt Donnersöhne« tragen, ist im NT nur in *6,14 (D d) und Mk 3,17 bezeugt. Das überlieferungsgeschichtliche Modell der Zwei-Quellentheorie ließ dafür nur den Schluss zu, dass der D-Text hier sekundär durch die mk Parallelstelle beeinflusst sei. Die Alternative ist, dass die Analogie zwischen Mk und dem lk D-Text nicht auf sekundäre Beeinflussung auf der Ebene der handschriftlichen Überlieferung, sondern auf die (literarische) Abhängigkeit von derselben Quelle zurückgeht: Mk fand die Erwähnung der »Donnersöhne« im vorkanonischen Evangelium und hat sie von dort übernommen; auch der D-Text zeigt Spuren dieses Evangeliums. Dass diese Lösung im Rahmen des Modells der *Ev-Priorität die wahrscheinlichere ist, lässt sich an dieser Stelle noch gut nachvollziehen. Denn Mk kennt (im Gefolge von *5,10 || Mk 1,19f; s. dort) das Brüderpaar Jakobus und Johannes als Söhne des Zebedäus und verwendet diese ihm geläufige Bezeichnung auch dort, wo *Ev keine Vorlage bot (Mk 10,35). Wäre *6,14 (D) durch die mk Parallele beeinflusst, müsste man eigentlich auch einen Hinweis auf das Patronym »Zebedäus« erwarten, das hier aber nicht steht. Das heißt: Mk bezeichnet das Brüderpaar Jakobus und Johannes mit dem Patronym »Zebedäus« und setzt diese ihm geläufigere Bezeichnung auch in der Zwölferliste Mk 3,17 zu den Namen dazu. Auf 6,12-16 Rekonstruktion 613 diese Weise entsteht die Ungeschicklichkeit, dass Jakobus und Johannes durch zwei verschiedene Beinamen näher bestimmt werden, die insofern inkompatibel sind, als sie beide die genauere Identifizierung der Brüder durch verschiedene (sit venia verbo) »Patronyme« leisten: (Sohn des) Zebedäus - »Söhne des Donners«. Diese nur schlecht kaschierte 2 Ungeschicklichkeit ist die Folge der mk Redaktion, die den Hinweis auf »Zebedäus« in den traditionellen *Ev-Text einfügte, der bereits die Erwähnung der »Donnersöhne« enthielt. b. Ganz ähnlich ist der Beiname des Thomas zu erklären: Dass er als »Zwilling« (δίδυμος) bezeichnet wird, ist im NT außer in *6,15 (D) nur in Joh erwähnt (11,16; [14,5 D]; 20,24; 21,2). Wenn der D-Text von *6,12ff durch die parallelen Formulierungen der anderen Evangelien beeinflusst wäre, müsste man annehmen, dass hier ein Kopist eigenständig eine Vereinheitlichung der Namen aus verschiedenen (! ) Evangelien vorgenommen hätte. Der umgekehrte Verlauf ist wiederum wahrscheinlicher: Im vorkanonischen Text der Apostelliste fand sich der Namenszusatz »Didymus«, den zunächst nur Joh aufgegriffen hat und der dann Eingang in die weitere frühchristliche Literatur gefunden hat (EvThom 1 usw.). Da δίδυμος kein Eigenname, sondern die griechische Übersetzung von aram. אמואת (bzw. gräzisiert θωμᾶς) ist, und da der Eigenname dieses Jüngers später als »Judas« bekannt ist, 3 könnte man erwägen, ob dieser Name vielleicht schon in der vorkanonischen Apostelliste stand, die dann an dieser Stelle Ἰ ο ύ δ α ν Θωμᾶν τὸν ἐπικαλούμενον Δίδυμον gelautet hätte; aber das bleibt eine ungeschützte Vermutung. c. Schließlich ist auch noch auf den Beinamen des Verräters Judas hinzuweisen, der in der handschriftlichen Überlieferung auf verschiedene Weise auftaucht (s. o.). Auch wenn die Differenzen gering erscheinen, haben sie offensichtlich doch eine semantische Bedeutung besessen, die wir nicht mehr ohne weiteres nachvollziehen können, 4 die aber an anderen Stellen zu deutenden Weiterentwicklungen geführt hat, wie die joh Verwendung zeigt. 5 Ohne dieses Rätsel hier lösen zu wollen, lässt sich die Disparatheit der Überlieferung am ehesten damit erklären, dass verschiedene Namensformen schon früh und in weiter Verbreitung nebeneinander bestanden. Dies ist ein möglicher Hinweis - mehr nicht - auf redaktionelle Veränderungen, die an dem Text des vorkanonischen *Ev vorgenommen wurden. ______________________________ 2 Das Patronym τὸν τοῦ Ζεβεδαίου steht direkt nach Jakobus; Johannes wird, davon etwas abgesetzt, als dessen Bruder angeführt (τὸν ἀδελϕὸν τοῦ Ἰακώβου), bevor am Ende der aus *Ev stammende Beiname genannt wird (καὶ ἐπέθηκεν αὐτοῖς ὀνόματα Βοανηργές, ὅ ἐστιν υἱοὶ βροντῆς). Die gesamte Wendung ist überladen und wenig geschmeidig. 3 Vgl. Joh 14,22 (sy s.c ); EvThom 1 (NHC II/ 2) 1 tit.; ActThom 1; 11; LibThom (NHC II/ 7) tit. usw. 4 Zu diversen Versuchen s. R. B. H ALAS , Judas Iscariot, Washington 1946, 10-38; H. I NGHOLT , The Surname of Judas Iscariot, in: F. Hvidberg (ed.), Studia Orientalia Ioanni Pedersen … dicata, Copenhagen 1953, 152-162. 5 Zum Problem vgl. nur M ETZGER , Textual Commentary zu Mt 10,4 mit den verschiedenen Belegen. 614 Anhang I 6,12-16 Die hier rekonstruierte vorkanonische Form der Apostelliste zeigt ein für *Ev charakteristisches Phänomen, nämlich das starke Interesse an den Eigennamen (und ihrer präzisen Zuweisung) von Personen aus dem engeren und weiteren Umfeld Jesu, das ausgeprägter ist als in den anderen kanonischen Evangelien. Typisch ist dabei vor allem, dass nicht alle dieser spezifischen Informationen eine literarische Funktion im Text besitzen, sondern textexternes Wissen der Leser abrufen. Nicht alle dieser textexternen Referenzen sind in der Rezeptionsgeschichte erhalten geblieben. *6,17-19a 19b : Abstieg vom Berg. Andrang der Menge Nur teilweise für *Ev bezeugt; vorhanden; durch die lk Redaktion mit Sicherheit bearbeitet und wahrscheinlich ergänzt. 6,17 Καὶ a καταβὰς ἐν αὐτοῖς a ἔστη ἐπὶ τόπου πεδινοῦ, καὶ ὄχλος πολὺς μαθητῶν αὐτοῦ, καὶ πλῆθος πολὺ b τοῦ λαοῦ ἀπὸ πάσης τῆς Ἰουδαίας b c καὶ Ἰερουσαλὴμ c d καὶ τῆς περαίας d e καὶ ἄλλων πόλεων, e 18 οἳ ἦλθον ἀκοῦσαι αὐτοῦ καὶ ἰαθῆναι ἀπὸ τῶν νόσων αὐτῶν· καὶ οἱ ἐνοχλούμενοι ἀπὸ πνευμάτων ἀκαθάρτων ἐθεραπεύοντο 19 καὶ πᾶς ὁ ὄχλος ἐζήτουν ἅπτεσθαι αὐτοῦ f ὅτι δύναμις παρ’ αὐτοῦ ἐξήρχετο καὶ ἰᾶτο πάντας . f A. *6,17: Epiph., Schol. 4: ἀντὶ δὲ τοῦ Κατέβη μετ’ αὐτῶν ἔχει Κατέβη ἐν αὐτοῖς. ¦ Tert. 4,13,6: Conveniunt a Tyro et ex aliis regionibus multitudo etiam transmarina. Hoc spectabat psalmus: Et ecce allophyli et Tyrus et populus Aethiopum, isti fuerunt illic: Mater Sion, dicet homo: et homo factus est in illa (quoniam deus homo natus est), et aedificavit eam voluntate patris; ut scias ad eum tunc gentiles convenisse, quia deus homo natus erat aedificaturus ecclesiam ex voluntate patris, ex allophylis quoque. ♦ *6,19f: Epiph., Schol. 5: Καὶ πᾶς ὁ ὄχλος ἐζήτουν ἅπτεσθαι αὐτοῦ. καὶ αὐτὸς ἐπάρας τοὺς ὀϕθαλμοὺς αὐτοῦ καὶ τὰ ἑξῆς. B. a (6,17) κατεβη εν αυτοις: Epiph ¦ καταβας μετ αυτων: it M ● b (6,17) του λαου απο πασης Ιουδαιας: D it ¦ του λαου απο πασης της Ιουδαιας: M ¦ om Tert ● c (6,17) και Ιερουσαλημ: om Tert D d ¦ add a aur b c e f ſſ 2 l q r 1 M ● d (6,17) και της περαιας: א * W ℓ150* ¦ om D d ¦ και της παραλιου Τυρου και Σιδωνος: aur f vg M ¦ και της περαιας και της παραλιου Τυρου και Σιδωνος/ et trans fretum et maritima (maritimi: c) Tyri et Sidonis: (Tert) a b c ſſ 2 l q r 1 ¦ et de trans marinis Tyro et Sidone: e ● e (6,17) και αλλων πολεων/ et aliarum (aliorum: e) civitatum (civitatium: d): D c d e f got ¦ om a aur b ſſ 2 l q r 1 M ● f (6,19) οτι δυναμις παρ αυτου εξηρχετο και ιατο παντας: om Epiph ¦ και ιατο παντας: ℓ1627 ¦ add M (*Ev non test.). C. Während *6,17a als Abschluss des Berichts über die Einsetzung der Apostel und *6,19a gut bezeugt sind, ist der Rest der Perikope problematisch und bedarf genauerer Erörterung. 6,17-19 Rekonstruktion 615 1. Dies liegt zunächst daran, dass für 6,17b Tertullians Zeugnis und der Befund der handschriftlichen Überlieferung in D it nicht so zusammen passen, wie es die methodisch grundlegende Annahme vom Zustandekommen der »Westlichen« Lesarten in Lk (Spuren des nicht konsequent korrigierten vorkanonischen Textes) nahelegen würde. Die Übersicht mit der Liste der Herkunftsorte der Menge 6,17b in den verschiedenen Überlieferungsbereichen zeigt das Problem. M D d Tertullian a aur b c e f ſſ 2 l q r 1 καὶ ὄχλος πολὺς καὶ a ὄχλος et turba μαθητῶν αὐτοῦ, μαθητῶν αὐτοῦ, discipulorum eius καὶ πλῆθος πολὺ καὶ πλῆθος πολὺ (multitudo) et multitudo b copiosa τοῦ λαοῦ ἀπὸ πάσης τῆς Ἰουδαίας τοῦ λαοῦ ἀπὸ πάσης Ἰουδαίας c plebis ab omni Iudaea καὶ Ἰερουσαλὴμ et Ierusalem (etiam transmarina) d et trans fretum d καὶ τῆς παραλίου Τύρου καὶ Σιδῶνος, a Tyro et maritima Tyri et Sidonis καὶ ἄλλων πόλεων et ex aliis regionibus (...) e [et aliarum civitat(i)um] e 18 οἳ ἦλθον … 18 ἐληλυθότων … 18 (conveniunt) … 18 qui venerant … a turbae/ ὄχλοι: d b copiosa: aur b ſſ 2 l q r 1 ¦ ingens: a f ¦ magna: c e ¦ multa: d c populi: a c d e f d et trans fretum: a b c ſſ 2 l q r 1 ¦ om aur f vg ¦ et de trans marinis (Tyro et Sidone): e e et aliarum civitat(i)um: c d f (eras.); et aliorum civitatium: e ¦ om a aur b ſſ 2 l q r 1 Für die Uneinheitlichkeit der Bezeugung von *6,17 bei Tertullian und in der handschriftlichen Überlieferung ist zu bedenken, dass erstens die »Westliche« Überlieferung insgesamt sehr disparat ist und zweitens auch die von den Häresiologen benutzten *Ev-Exemplare das Phänomen der inkonsequenten Korrekturen aufweisen. Darum gilt hier wie an anderen Stellen die Faustregel, dass die am weitesten vom Mehrheitstext entfernte Fassung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit den ältesten, vorkanonischen Text bietet. Unter diesen Voraussetzungen lässt sich der disparate Befund folgendermaßen erklären: a. Zunächst zeigt die Form von Tertullians Referat, dass er an dieser Stelle nicht genau aus *Ev zitiert, sondern lediglich Stichworte aus dem ihm vorliegenden Text aufgreift und in seine Argumentation einbaut. 1 Sein Referat ist daher nicht exakt und wahrscheinlich auch nicht ______________________________ 1 Darauf deutet vor allem die Wortstellung von Tertullians Referat hin (conveniunt a Tyro et ex aliis regionibus multitudo etiam transmarina), die sich so kaum in *Ev gefunden haben dürfte (und deshalb in der Übersicht an die handschriftliche Bezeugung angepasst ist). 616 Anhang I 6,17-19 vollständig. 2 So legt die breite Bezeugung, die neben Tyros immer auch Sidon erwähnt, nahe, dass dies auch in Tertullians *Ev-Exemplar der Fall war: Die Nichterwähnung von Sidon geht auf das Konto von Tertullians raffendem Referat. Allerdings besagt die Tatsache, dass Tertullian mit hoher Wahrscheinlichkeit Tyros und Sidon in seiner Vorlage fand, noch nicht, dass dies auch im vorkanonischen Evangelium der Fall war. b. Der generalisierende Hinweis auf »andere Orte«, aus denen die Menge zu Jesus kam ([ἀπὸ] καὶ ἄλλων πόλεων; et ex aliis regionibus; et aliarum civitat[i]um), findet sich dagegen nur bei Tertullian sowie in D c d e f, fehlt aber in der restlichen Handschriftenüberlieferung. Diese Generalisierung ist im Mehrheitstext durch die alternative Erwähnung von Tyros und Sidon spezifiziert worden und deshalb dort ausgelassen. Das Nebeneinander von a Tyro und et ex aliis regionibus bei Tertullian (bzw. von et maritima Tyri et Sidonis und et aliarum civitatium in c d e f) ist demnach die typische, additive Konflation zweier unterschiedlicher Texte: Der vorkanonische Text enthielt nur καὶ ἄλλων πόλεων, der kanonische nur καὶ τῆς παραλίου Τύρου καὶ Σιδῶνος. c. Unklar ist dann die Erwähnung von ἀπὸ πάσης τῆς Ἰουδαίας, die in der gesamten handschriftlichen Überlieferung bezeugt ist, aber bei Tertullian fehlt. Innere Gründe - also das ansonsten belegte Interesse der lk Redaktion an Judäa 3 und an der Ausweitung der überregionalen Wirkung der Tätigkeit Jesu - könnten für einen redaktionellen Zusatz sprechen. Aber dieses Beweisverfahren wäre zirkulär und hilft an dieser Stelle nicht weiter: Dass Lk an Judäa interessiert ist und es verschiedentlich akzentuiert und einfügt, heißt nicht, dass es *Ev immer gefehlt haben muss. Da - sowohl im kanonischen als auch im vorkanonischen Text - die weiteren Herkunftsorte der Menge additiv angefügt sind (κ α ὶ τῆς παραλίου … bzw. κ α ὶ ἄλλων πόλεων), ist ein vorausgehendes Glied (ἀπό + Ortsname im Gen.) zwingend erforderlich: Die Wendung ἀπὸ πάσης Ἰουδαίας ist daher mit größter Wahrscheinlichkeit ursprünglich. d. Das Glied καὶ Ἰερουσαλήμ fehlt dagegen nicht nur bei Tertullian, sondern auch in D d. Auch bei der Erwähnung Jerusalems legen innere Gründe nahe, dass es sich um einen redaktionellen Zusatz handelt, denn die starke Akzentuierung von Jerusalem als Zentralort des Judentums ist bekanntlich eine wesentliche Komponente des redaktionellen Konzeptes von Lk-Act. In diesem Fall aber (und im Unterschied zu der Erwähnung Judäas) legt die Nichtbezeugung im D-Text nahe, dass die Worte καὶ Ἰερουσαλήμ in *Ev gefehlt haben. e. Die Erwähnung von Gebieten »jenseits des Meeres« bietet besondere Schwierigkeiten: Tertullian und ein Teil der Altlateiner (a b c ſſ 2 l q r 1 ) haben sie gelesen, aber im Mehrheitstext und auch in D d fehlt sie. Nicht ganz klar ist, welche Worte Tertullian und die Altlateiner gelesen und wie sie sie verstanden haben. Als griechischer Ursprung der Wendung kommen in Frage καὶ ἀντίπερα, καὶ ἐκ τοῦ πέραν oder καὶ τῆς περαίας, die sich alle drei sowohl durch etiam transmarina (Tertullian) wiedergeben als auch mit et trans fretum (a b c ſſ 2 l q r 1 ) übersetzen lassen. Für die letztgenannte Vermutung spricht, dass sich die Variante καὶ τῆς περαίας noch in einigen Handschriften ( א * W ℓ150*) findet. Mit größter Wahrscheinlichkeit hat sich diese Wendung auf die Gegend östlich des Sees Genezareth bzw. des Jordan bezogen. 4 ______________________________ 2 So ist völlig unwahrscheinlich, dass bei multitudo kein Adjektiv gestanden haben sollte: In allen anderen Zeugen ist die Größe der Menge (durch verschiedene Adjektive) hervorgehoben; dies war mit einiger Sicherheit schon im ältesten Text der Fall. 3 Vgl. D. P. B ECHARD , The Theological Significance of Judaea in Luke-Acts, in: J. Verheyden (ed.), The Unity of Luke-Acts, Leuven 1999, 675-691; s. auch o. zu *4,44. 4 Der Ausdruck ἡ περαία ist nicht auf die ostjordanische Toparchie »Peräa« beschränkt, sondern bezeichnet auch sonst ein Gebiet »jenseits« eines Gewässers, vgl. Appian, civ. 2,42; Livius 32,33,6; 6,17-19 Rekonstruktion 617 f. Die Afra-Handschrift e hat diesen Hinweis auf die Gegend »am anderen Ufer« dagegen mit der Meerlage (παράλιος/ maritima) von Tyros und Sidon in einer Weise zusammengezogen, die nur aus einer ostjordanischen Perspektive einen Sinn ergibt, sofern sich die Bemerkung auf den See Genezareth bezieht: et de trans marinis Tyro et Sidone. Die Tatsache, dass die altlateinische Überlieferung mehrheitlich eine contradictio in adiecto schafft, indem sie für die Lage von Tyrus und Sidon trans fretum mit maritima in einer kaum verständlichen Weise kombiniert, ist wiederum am ehesten als Konflation des vorkanonischen (καὶ τῆς περαίας) und des kanonischen Wortlauts (καὶ τῆς παραλίου Τύρου καὶ Σιδῶνος) zu erklären. Nach diesen Überlegungen zur Rekonstruktion von *6,17b hat sich der genaue Wortlaut der vorkanonischen Ortsliste in keinem der erhaltenen Zeugen genau erhalten; am nächsten kommt ihm die Fassung von D d, aus der allerdings unter dem Einfluss des kanonischen Textes der Hinweis καὶ τῆς περαίας ausgefallen ist. 2. In überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht macht diese Rekonstruktion der ursprünglichen Fassung der Ortsliste dann auch die Entstehung der einzelnen synoptischen Fassungen nachvollziehbar. In der folgenden Übersicht ist die diachrone Entwicklung von links nach rechts abgetragen. *6,17b Mk 3,7f Mt 4,25 Lk 6,17b ἀπὸ τῆς Γαλιλαίας καὶ Δεκαπόλεως καὶ Ἱεροσολύμων ἀπὸ πάσης Ἰουδαίας ἀπὸ τῆς Ἰουδαίας καὶ Ἰουδαίας ἀπὸ πάσης τῆς Ἰουδαίας καὶ ἀπὸ Ἱεροσολύμων καὶ Ἰερουσαλὴμ καὶ ἀπὸ τῆς Ἰδουμαίας καὶ τῆς περαίας καὶ πέραν τοῦ Ἰορδάνου καὶ πέραν τοῦ Ἰορδάνου καὶ περὶ Τύρον καὶ Σιδῶνα καὶ τῆς παραλίου Τύρου καὶ Σιδῶνος καὶ ἄλλων πόλεων a. Mk, nach unserer Auffassung der erste (bekannte) Bearbeiter von *Ev, ergänzte die Ortsliste einigermaßen systematisch nach geographischen Kriterien: Die bereits vorgegebene Perspektive nach Süden (Judäa) wird durch Jerusalem konkretisiert und durch das noch weiter südlich liegende Idumäa ergänzt; ebenfalls vorgegeben ist die östliche Perspektive: Mk hat aber das nicht eindeutige (ἀπὸ) τῆς περαίας (»von jenseits«; »vom anderen Ufer«) wohl ganz sachgemäß als »von ______________________________ 33,18,20; Polyb. 18,2,3; 18,6,3. Jos., Bell. III 44 verwendet die Bezeichnung für das Land jenseits des Jordan. 618 Anhang I 6,17-19 jenseits des Jordan« präzisiert. Schließlich hat Mk die Liste um die westliche Perspektive komplettiert und das am Meer gelegene Tyros und Sidon hinzugefügt. b. Auch Mt hat die Liste ergänzt, wobei davon auszugehen ist, dass ihm neben *Ev auch Mk vorlag. Dann lässt sich die mt Liste so verstehen, dass er Jerusalem und »jenseits des Jordan« aus Mk 3,7 übernahm, aber - sachlich und geographisch naheliegend - Galiläa sowie die Dekapolis ergänzte. Die gegenüber Mk stark veränderte Reihenfolge der mt Liste lässt noch erkennen, dass Mt die Erweiterungen so in die Liste von *Ev eintrug, dass die zusätzlichen Angaben vor den bereits in *Ev enthaltenen Einträgen (ganz Judäa; Peräa = »jenseits des Jordan«) zu stehen kommen. Mit diesem redaktionellen Schritt erklärt sich dann auch die sachliche Inkongruenz der mt Ergänzungen zu der älteren Liste: Die Dekapolis und das Gebiet jenseits des Jordan sind wenigstens teilweise identisch. c. Lk hat die Liste aus *Ev nur um die schon in Mk vorliegenden Glieder »Jerusalem« und »Tyros und Sidon« ergänzt, das Letztere wie schon bei Mk als Präzisierung »der anderen Städte« und, vielleicht angeregt durch καὶ τῆς περαίας, in der Form καὶ τ ῆ ς π α ρ α λ ί ο υ Τύρου καὶ Σιδῶνος. 3. Außerdem sind noch zwei kleinere Auffälligkeiten zu notieren, die sich aus Epiphanius’ Referat ergeben. Zunächst zitiert Epiphanius den Anfang von *6,17 wörtlich, aber abweichend von allen überlieferten Handschriften: Er macht ausdrücklich darauf aufmerksam, dass *Ev κ α τ έ β η (! ) ἐν αὐτοῖς anstelle von καταβὰς μετ’ αὐτῶν las. Aber eine finite Verbform ist anstelle des Partizips nirgends bezeugt. Vielleicht war Epiphanius hier ungenau, weil es ihm auf die - allerdings semantisch irrelevante - Abweichung ἐν αὐτοῖς/ μετ’ αὐτῶν ankam. Von größerer Bedeutung ist, dass Epiphanius *6,20a in unmittelbarem Anschluss an *6,19a gelesen zu haben scheint. Die abschließende Etcetera-Formel (καὶ τὰ ἑξῆς) im Anschluss an *6,20a legt jedenfalls nahe, dass das Voranstehende ein exaktes Zitat ist. In diesem Fall hätte Epiphanius’ *Ev-Exemplar 6,19bc (ὅτι δύναμις παρ’ αὐτοῦ ἐξήρχετο καὶ ἰᾶτο πάντας) nicht enthalten. 5 Der Befund ist noch komplizierter, weil 6,19b (ὅτι δύναμις παρ’ αὐτοῦ ἐξήρχετο) auch in einem späten Lektionar fehlt, das jedoch das abschließende καὶ ἰᾶτο πάντας (6,19c) enthält (ℓ1627). Die Vertreter der Lk-Priorität haben die Lücke in Epiphanius’ Referat gesehen, 6,19bc aber gleichwohl für *Ev reklamiert. 6 Als Begründung dafür muss jedoch ______________________________ 5 Zu Recht notiert von Z AHN II 460 (»also fehlte 19b«). Epiphanius’ Zitate sind üblicherweise genau; aus diesem Grund verwendet er ja auch die etcetera-Formel, wenn er nicht zitiert, sondern zusammenfasst. 6 Das Urteil von H ARNACK 191* ist unklar: Er gibt in seiner Rekonstruktion den Text nur für 19a wieder, merkt jedoch (ohne weitere Begründung) an: »Daraus, daß Epiphanius sofort 20a folgen 6,17-19 Rekonstruktion 619 wieder das angenommene, aber nicht nachweisbare Redaktionskonzept Marcions herhalten. Das ist im Rahmen dieser Untersuchung wenig plausibel. 7 Wichtiger ist die Beobachtung zu den synoptischen Parallelstellen Mt 12,15 || Mk 3,10, denen der Hinweis auf die von Jesus ausgehende Kraft und die nachfolgende Mitteilung der Heilung fehlt. Dagegen findet sich der Hinweis auf die zahlreichen Heilungen vor der Mitteilung des großen Andrangs, und zwar jedes Mal mit demselben Verb θεραπεύειν. 8 Es ist daher wahrscheinlicher, dass die ganze Wendung in *Ev fehlte und erst von Lk eingetragen wurde. Lk hat den Hinweis auf die Berührung in *Ev (den auch Mk 3,10 übernommen hat) im Sinn von *8,46 gedeutet, wo ein entsprechender Zusammenhang von Berührung und Ausströmen der Kraft Jesu vorlag. Zusammen mit der abschließenden Heilungsnotiz 6,19c hat Lk mit diesen Ergänzungen eine etwas ungeschickte Doppelung zu *6,18 geschaffen - ein weiterer Hinweis für eine redaktionelle Ergänzung von 6,19bc. Dass Tertullian diesen Halbvers nicht in *Ev gelesen hatte, lässt sich auch von seinem Referat her plausiblisieren: Denn er hatte ein starkes inhaltliches Interesse an der Vorstellung der von Jesus ausgehenden Kraft, derer die Menschen durch Berührung teilhaftig wurden. 9 Ein Hinweis wäre schon an dieser Stelle zu erwarten, sofern Tertullian eine entsprechende Bemerkung in *6,19 gefunden hätte. Aber dies war wohl nicht der Fall. 4. Die Überlegungen zum Wachstum der Ortsliste in *6,17 und zum Ende von *6,19 haben bereits Fragen der Überlieferungsgeschichte dieser Perikope berührt. Die synoptischen Parallelen zu *6,17-19 und der vorangehenden Perikope *6,12- 16 werfen eine Fülle von komplexen Problemen auf, die erkennen lassen, dass hier eine Lösung im Modell auch der erweiterten Zwei-Quellentheorie wenig plausibel ist. Nur das Wichtigste sei hier genannt: 1. Der Bericht von der Einsetzung der Apostel *6,12-16 hat eine enge Entsprechung in Mt 10,1- 4 || Mk 3,13b-19 (s. oben). 2. Die Bemerkung über den Zustrom der Menge aus verschiedenen, teilweise weit entfernten Gegenden in *6,17-19 hat dagegen Parallelen in Mt 4,24f || Mk 3,7-13a. ______________________________ läßt, folgt nicht, daß 19b gefehlt habe.« R OTH 292 stimmt diesem Urteil zu, aber auch er nimmt *6,19b nicht in seine Rekonstruktion auf. 7 T SUTSUI 82 folgt Harnacks Entscheidung, gibt aber immerhin als Begründung an, dass *Ev den »inhaltlich nahestehenden Satz 8,46 in seinem Text« beibehalten habe. Dieses Argument ist natürlich nur insofern überzeugend, als Textdifferenzen zwischen *Ev und Lk auf inhaltlich motivierte Streichungen Marcions zurückgeführt werden müssen. 8 Mt 4,24c: καὶ ἐθεράπευσεν αὐτούς; Mk 3,10a: πολλοὺς γὰρ ἐθεράπευσεν; *6,18b: οἱ ἐνοχλούμενοι ἀπὸ πνευμάτων ἀκαθάρτων ἐθεραπεύοντο. 9 Wie seine Behandlung von *8,43-46 zeigt (s. dort), sieht er darin unter anderem einen Beleg für die Körperlichkeit der Existenz Jesu, die er als antidoketisches Argument gegen Marcion ins Feld führt: Nec illud omittam, quod dum tangitur vestimentum eius, utique corpori non phantasmati inditum, c o r p u s q u o q u e d e m o n s t r a b a t u r ; non quasi iam de hoc retractemus, sed quia ad praesentem conspirat quaestionem (Tert. 4,20,13; s. auch den weiteren Kontext). 620 Anhang I 6,17-19 3. Im Unterschied zu der (auch für *Ev gut bezeugten) Abfolge von *6,12-16 (Auswahl der Apostel) und *6,17-19 (Andrang der Menge) bietet Mk 3,7-12.13-19 die umgekehrte Abfolge (erst der Bericht vom Andrang der Menge, dann die Auswahl der Zwölf). 4. Gleichzeitig besteht eine deutliche kompositionelle Nähe zwischen Mt und Lk: Mt hat die Bergpredigt (Mt 5-7) - ganz analog zur lk »Feldrede« (6,20-49) - in unmittelbarem Anschluss an den auch in Mk 3,7f berichteten Zustrom der Menge aus vielen unterschiedlichen Gegenden (Mt 4,25 || Lk 6,17). 5. Mt und Lk berichten summarisch von Heilungen, wobei Lk 6,18f nur eine sehr punktuelle Überschneidung mit Mk 3,10f aufweist (»berühren« - »unreine Geister«). 6. Dagegen berührt sich die Formulierung des Zustroms der Menge Mt 4,24bc (τοὺς κακῶς ἔχοντας; ποικίλαις νόσοις; δαιμονιζομένους; καὶ ἐθεράπευσεν αὐτούς) eng mit dem Bericht über die Heilungen am Abend in Kapharnaum Mk 1,34 (in veränderter Reihenfolge: κακῶς ἔχοντας; ποικίλαις νόσοις; δαιμόνια [πολλὰ ἐξέβαλεν]; καὶ ἐθεράπευσεν πολλούς). Das ist wichtig, weil in Lk 4,41 - dem lk Seitenstück zu Mk 1,34 - die Notiz von der Unterwerfung der Geister aus Mk 3,11f untergebracht ist, aber in der Parallele zu Mk 3,11 im Kontext von Lk 6,19 fehlt. Mt 12,16 bietet diese Bemerkung dagegen - verkürzt und mit anderer Adressierung - in direktem Anschluss an die Sabbatkonflikte (Mt 12,1-14). 7. Allerdings zeigt Mt mit der Abfolge der Sabbatkonflikte und dem Bericht vom Andrang der Menge (12,1-14.15) wiederum eine Nähe zu der lk Akoluthie (6,1-11.17-19). Jeder Versuch, diesen Befund im methodischen Rahmen der Zwei-Quellentheorie allein zu deuten, ist zum Scheitern verurteilt. 10 Selbst die hilfsweise (wenn auch methodisch reichlich problematische) Annahme eines »Mk-Q Overlaps« ist wegen der großen Disparität der jeweils miteinander zusammenhängenden Kontexte nicht in der Lage, den komplexen Befund hinreichend zu erklären. 11 So bleibt an dieser Stelle für die Zwei-Quellentheorie einschließlich ihrer diversen Hilfsannahmen eine offene Frage. 5. Allerdings stellt sich die Überlieferungsgeschichte unter der Annahme der *Ev-Priorität ganz anders dar. a. Denn in diesem Fall geht die unterschiedliche Abfolge von *6,12-16.17-19 in Mk 3,13-19.7-12 auf die mk Redaktion zurück, die hier zu Beginn des großen Abschnitts 3,7-8,21(26) eigene - aber sehr deutliche und leicht nachvollziehbare - kompositionelle Schwerpunkte gesetzt hat. 12 Außerdem hat Mk das für ihn in gleicher Weise wichtige Element der Unterwerfung der unreinen Geister mit dem ______________________________ 10 Ich verweise nur auf Wolters zutreffendes Urteil: »All dies deutet darauf hin, dass die Überlieferungsverhältnisse an dieser Stelle viel zu komplex sind, um sie durch die Annahme einer gemeinsamen mt/ lk Abhängigkeit vom uns vorliegenden MkEv (oder auch von einem DtrMk) erklären zu können« (W OLTER , Lk 241). 11 So W OLTER , ebd.: »Die Annahme, dass hier eine weitere Überlieferung im Hintergrund steht, ist mehr als nur möglich, und das wäre dann wohl Q.« Aber auch ein Q-Text »Q 6,17-19« neben Mk 3,7-10 könnte die Dubletten (Mt 4,24f; 12,15f; Lk 4,41, 6,19; Mk 1,34; 3,10f) nicht erklären. 12 Vgl. etwa M. K LINGHARDT , Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19 (2002), 183-202. 6,17-19 Rekonstruktion 621 Schweigegebot (Mk 3,11f) an die Mitteilung über die Menge, die Jesu Nähe suchte (3,7f.10), angefügt. Dieses Element stammte ursprünglich aus *4,41 (s. dort) und ist von Mk auch in dem entsprechenden Zusammenhang (Mk 1,34) übernommen worden. Mk hat 3,11f demnach als »Dublette« zu Mk 1,34 geschaffen und durch diese Wiederholung seinen Gestaltungswillen deutlich akzentuiert. b. Wie für Mk ist auch für Mt die Zerlegung der Einheit *6,12-19 verständlich; er hatte dafür andere, aber ebenso nachvollziehbare kompositionelle Gründe: Mt hat die Auswahl der Zwölf (Mt 10,1-4) in den Kontext der Aussendungskomposition gestellt, die durch Mt 9,37f (Mangel an Arbeitern in der Ernte) veranlasst ist: Vor der ersten großen Belehrung durch Jesus, die das Jüngersein und seine Funktion in der Welt generell thematisiert, 13 hätte die Auswahl und Aussendung der zwölf Apostel nur gestört. Als Folge dieser Umstellung hat *6,12 kein Gegenstück in Mt. Aber möglicherweise hat die Erwähnung des Berges doch Spuren hinterlassen und die Lokalisierung der folgenden Belehrung »auf dem Berg« (Mt 5,1) anstelle »auf der Ebene« (*6,17) angeregt. Zugleich zeigt Mt noch deutliche Spuren der Akoluthie von *Ev, wenn er unmittelbar vor dem Beginn der längeren Belehrung durch Jesus (Bergpredigt bzw. Feldrede) den starken Andrang der Menge mitteilt (4,24f || *6,17). Er hat dabei auch die Mitteilung über die Heilungen (4,24c: καὶ ἐθεράπευσεν αὐτούς || *6,18: ἐθεραπεύοντο) vor der Ortsliste (4,25 || *6,17) übernommen und als Motivation für das Zusammenströmen der dann (ab 5,3) belehrten Menge aus den verschiedenen Landesteilen verstanden. c. Lk dagegen folgt der Akoluthie von *Ev: Er nimmt keine Umstellungen vor, sondern ergänzt nur einzelne Formulierungen, also etwa die genannten Ergänzungen zu der Ortsliste (Lk 6,17). Zu diesen Ergänzungen gehört auch die Mitteilung über die von Jesus ausgehende Kraft (6,19b), die er so schon in *Ev fand (s. *8,43-46) und an den (ebenfalls schon für *Ev bezeugten) Hinweis anfügte, dass die Menge Jesus berühren wollte, sowie den abschließenden Vermerk über die tatsächlich erfolgten Heilungen (6,19c). Diese Zusätze in 6,19bc stören den ursprünglich engen Zusammenhang zwischen dem Andrang der Menge und der folgenden Belehrung (*6,19a.20a). Auf diese Weise finden die ansonsten im Rahmen der Zwei-Quellentheorie unlösbaren Fragen ebenso einfache wie befriedigende Antworten. Zumindest an dieser Stelle ist die Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte ein nicht zu unterschätzendes Argument für die *Ev-Priorität. ______________________________ 13 Immer noch am präzisesten: C HR . B URCHARD , Versuch, das Thema der Bergpredigt zu finden, in: ders., Studien zur Theologie, Sprache und Umwelt des Neuen Testaments, Tübingen 1998, 27-50. 622 Anhang I 6,20-26 *6,20-26: Feldrede I: Makarismen und Weherufe Für *Ev gut bezeugt und sicher vorhanden; nur geringfügige Bearbeitungsspuren durch die lk Redaktion. 6,20 Καὶ αὐτὸς ἐπάρας τοὺς ὀϕθαλμοὺς αὐτοῦ εἰς τοὺς μαθητὰς αὐτοῦ ἔλεγεν, Μακάριοι οἱ πτωχοί, ὅτι a αὐτῶν ἐστὶν ἡ βασιλεία b τῶν οὐρανῶν b . 21 μακάριοι οἱ πεινῶντες c νῦν , ὅτι d χορτασθήσονται. μακάριοι οἱ κλαίοντες e νῦν , ὅτι f γελάσουσιν. 22 μακάριοί g ἔσεστε ὅταν h ὑμᾶς i μισήσουσιν h οἱ ἄνθρωποι, k καὶ ὅταν ἀϕορίσωσιν ὑμᾶς k καὶ l ὀνειδίσουσιν καὶ m ἐκβάλουσι τὸ ὄνομα ὑμῶν ὡς πονηρὸν ἕνεκα τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου· 23 n χάρητε ἐν ἐκείνῃ τῇ ἡμέρᾳ καὶ σκιρτήσατε, ἰδοὺ γὰρ ὁ μισθὸς ὑμῶν πολὺς ἐν τῷ οὐρανῷ· n κατὰ τὰ αὐτὰ o γὰρ ἐποίουν τοῖς προϕήταις οἱ πατέρες p †ὑμῶν†. 24 Πλὴν οὐαὶ q ὑμῖν τοῖς πλουσίοις, ὅτι ἀπέχετε τὴν παράκλησιν ὑμῶν. 25 οὐαὶ r ὑμῖν s τοῖς ἐμπεπλησμένοις s t νῦν , ὅτι u πεινάσουσιν. οὐαί v ὑμῖν w τοῖς γελοῦσιν w x νῦν , ὅτι y πενθήσουσιν z καὶ κλαύσετε z . 26 οὐαὶ ὅταν ὑμᾶς καλῶς εἴπωσιν aa πάντες οἱ ἄνθρωποι, κατὰ τὰ αὐτὰ bb γὰρ ἐποίουν cc καὶ τοῖς ψευδοπροϕήταις οἱ πατέρες dd ὑμῶν. A. *6,20: Epiph., Schol. 5: … καὶ αὐτὸς ἐπάρας τοὺς ὀϕθαλμοὺς αὐτοῦ καὶ τὰ ἑξῆς. ¦ Tert. 4,14,1: Venio nunc ad ordinarias sententias eius, per quas proprietatem doctrinae suae inducit, ad edictum, ut ita dixerim, Christi: Beati mendici (sic enim exigit interpretatio vocabuli quod in Graeco est), quoniam illorum est regnum dei. Iam hoc ipsum, quod a benedictionibus coepit, creatoris est, qui universa, prout edidit, nulla alia voce quam benedictionis dedicavit. ¦ Tert. 4,14,13: Beati mendici, quoniam illorum est regnum caelorum. ♦ *6,21-23: Tert. 4,14,13: Igitur qui a consolatione pauperum et humilium et esurientium et flentium exorsus est, statim se illum repraesentare gestivit quem demonstraverat per Esaiam: Spiritus domini super me, propter quod unxit me ad evangelizandum pauperibus. Beati mendici, quoniam illorum est regnum caelorum; misit me curare obtritos corde: Beati qui esuriunt, quoniam saturabuntur; advocare languentes: Beati qui plorant, quoniam ridebunt; dare lugentibus Sionis gloriam, et pro cinere unguenti iocunditatem et gloriae habitum pro spiritu taedii. ♦ *6,21: Tert. 4,14,9f: Beati esurientes, quoniam ipsi saturabuntur. Possem hunc titulum in superiorem transmisisse, quod non alii sunt esurientes quam pauperes et mendici, si non et hanc promissionem creator specialiter in evangelii scilicet sui praestructionem destinasset; siquidem per Esaiam de eis quos vocaturus esset a summo terrae, utique nationes, Ecce, inquit, velociter, leviter advenient; velociter qua properantes sub finibus temporum, leviter qua sine oneribus pristinae legis. Non esurient neque sitient. (10) Ergo saturabuntur, quod utique nisi esurientibus et sitientibus non promittitur. Et rursus, Ecce, inquit, qui serviunt mihi saturabuntur, vos autem esurietis: ecce qui serviunt mihi bibent, vos autem sitietis. Videbimus et contraria ista, an Christo praeministrentur. Interim quod esurientibus saturitatem repromittit, dei creatoris est. Beati plorantes, quia ridebunt. ¦ Tert. 4,14,13 (s. o.). ♦ *6,22: Tert. 4,14,14f: Beati eritis cum vos odio habebunt homines et exprobrabunt et eicient nomen vestrum velut nequam propter filium hominis. (15) Hac pronuntiatione sine dubio ad 6,20-26 Rekonstruktion 623 tolerantiam exhortatur. Quid minus creator per Esaiam? Ne metueritis ignominiam ab hominibus, et nullificatione eorum ne minuamini … ♦ *6,23b: Tert. 4,15,1: Secundum haec, inquit, faciebant prophetis patres eorum. O Christum versipellem, nunc destructorem, nunc assertorem prophetarum … ¦ Epiph., Schol. 6: κατὰ τὰ αὐτὰ ἐποίουν τοῖς προϕήταις οἱ πατέρες ὑμῶν. ♦ *6,24: Tert. 4,15,9: Sed accidentia vitia divitiis illa in evangelio quoque Vae divitibus adscribunt, Quoniam, inquit, recepistis advocationem vestram, utique ex divitiis, de gloria earum et saecularibus fructibus. ♦ *6,25: Tert. 4,15,13: Igitur et si tantummodo dehortantem a divitiis ostenderem creatorem, non etiam praedamnantem divites etiam verbo ipso quo et Christus, nemo dubitaret ab eodem adiectam in divites comminationem per Vae Christi a quo ipsarum materiarum, id est divitiarum, dehortatio praecucurrisset. Comminatio enim dehortationis accessio est. Ingerit Vae etiam saturatis, quia esurient, etiam ridentibus nunc, quia lugebunt. His respondebunt illa quae supra benedictionibus opposita sunt apud creatorem: Ecce, qui mihi serviunt saturabuntur, vos autem esurietis, utique quia saturati estis: et ecce, qui mihi serviunt oblectabuntur, vos autem confundemini, utique ploraturi, qui nunc ridetis. Sicut enim in psalmo: Qui seminant in lacrimis in laetitia metent; ita in evangelio, qui in risu seminant, scilicet ex laetitia, in lacrimis metent. Haec olim creator simul posuit, Christus solummodo distinguendo, non mutando, renovavit. ♦ *6,26: Tert. 4,15,14: Vae, cum vobis benedixerint homines. Secundum haec faciebant et pseudoprophetis patres illorum. Aeque creator benedictionis et laudis humanae sectatores incusat per Esaiam: Populus meus, qui vos beatos dicunt, seducunt vos et vias pedum vestrorum disturbant. B. a (6,20) αυτων/ ipsorum: Tert W 903 2487 ſſ 2 sy s.j(1 ms) sa bo ms aeth Aphr (Dem. 20,17; PS 1, 921; FC 5/ 2, 472) ¦ υμετερα/ vestrum: a aur b c d e f l q r 1 M ● b (6,20) (βασιλεια) των ουρανων/ (regnum) caelorum: Tert (4,14,13) X* 69 118 157 179 205 109 265 489 517 544 903 954 1200 1219 1241 1342 1424 1654 1675 2487 2757 lectt c f sy s.j(1 ms) georg II got slav Basil (Moral. 48,3; PG 31, 769) Aphr; (βασιλεια) του ουρανου: sa bo mss aeth ¦ (βασιλεια) του θεου/ (regnum) Dei: Tert [4,14,1] a aur b d e ſſ 2 l q r 1 M ● c (6,21) νυν/ nunc: om Tert c l ¦ add [a] (  esuritis nunc: a f) aur b d e ſſ 2 q r 1 M ● d (6,21) χορτασθηςονται/ saturabuntur: Tert א * .2 X 69 213 2643 ℓ950 ℓ1074 aur b (e: satiabuntur) ſſ 2 g 1 l q r 1 sy s sa ms ¦ χορτασθησεσθε/ saturabimini: c f vg; d (saturamini) a (saturi eritis) M ● e (6,21) νυν/ nunc: om Tert e l Euseb (Dem. 1,6,15; GCS 23, 25; In Ps 29; PG 23, 264 usw.) Orig (Lam. fr. 6.10; GCS 6, 237.239) ¦ add [a] aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ● f (6,21) γελασουσιν/ ridebunt: Tert W e sy s sa ms armen aeth ¦ γελασετε/ ridebitis [gaudebitis]: a aur b c f ſſ 2 l r 1 q M ● g (6,22) εσεσθε/ eritis: Tert Θ aur b c e f ſſ 2 gat l q r 1 vg Ambr (Lc. 5,49.67; CCL 14, 152.157) Cypr (Ep. 58,2; CSEL 3/ 2, 658; Laps. 12; CCL 3, 227 usw.) ¦ εστε/ estis: a d M ● h (6,22) υμας μισησωσιν (Wortstellung): Tert aur b f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 ¦ (2 1): a c d e M ● i (6,22) μισησουσιν/ odient: Tert D P X Δ Ξ 047 477 579 1347 c ¦ μισησωσιν/ odierint: a aur b d (! ) e f (vos odio habuerint) ſſ 2 l q r 1 M ● k (6,22) και αϕορισωσιν υμας/ et separaverint (segregaverint, separabant) vos: om Tert 2* 7* 265* 2542 2757 ℓ950 ℓ1016 ¦ add D a aur b c d e f ſſ 2 l q r 1 M ● l (6,22) ονειδισουσιν/ reprobent: Tert K X Δ 265 489 1219 1313 b d ſſ 2 l g r 1 ¦ ονειδισωσιν/ exprobaverint: a aur c f M ● m (6,22) εκβαλουσι/ eicient: Tert 2766 ℓ1074 aur b d l q r 1 ¦ εκβαλωσιν/ eicerint: [a] c f vg M ● n (6,23) χαρητε εν εκεινη τη ημερα και σκιρτησατε, ιδου γαρ ο μισθος υμων πολυς εν τω ουρανω: om Tert ¦ add it M (vgl. Mt 5,12) ● o (6,23) γαρ/ enim: om Tert Epiph D 0211 517 954 1319 1424 1675 a ſſ 2 gat l ¦ add aur b c d (! ) e f q r 1 M ● p (6,23) Widersprüchliche Bezeugung: (1) υμων: Epiph 713 1424 2643 aeth ¦ (2) αυτων/ illorum (eorum): Tert it M ● q (6,24) υμιν: om Tert ¦ it M ● r (6,25) υμιν: om Tert L Θ Ξ 0147 mult Basil (Moral. 69,1; PG 31, 808) Chrys (Poenit. 1,8; PG 60, 697) ¦ add it M ● s (6,25) τοις εμπεπλησμενοις: Tert (saturatis) a (saturis) 124 174 ¦ οι εμπεπλησμενοι: D it M ● t (6,25) νυν/ nunc: om Tert A D K P Γ Ψ 0135 a aur b c d e ſſ 2 l q r 1 ¦ add 624 Anhang I 6,20-26 f M ● u (6,25) πεινασουσιν: Tert ¦ πεινασετε: it M ● v (6,25) υμιν: om Tert א B K L T W Θ Ξ 0147 f 1.13 579 700 892 1241 2542 al sy s ¦ add P 75 A D Q Ψ 33 lat sy p.h co M ● w (6,25) τοις γελουσιν: Tert ¦ οι γελωντες: D it M ● x (6,25) νυν/ nunc: om Tert 2487 b Tat pers Chrys (Exp. in Ps 140; PG 55, 434; Ecl. 43; PG 63, 878 usw.) ¦ add a aur c d e f ſſ 2 l q M ● y (6,25) πενθησουσιν: Tert ¦ πενθησετε: it M ● z (6,25) και κλαυσετε: om Tert X 158 179 213 ℓ299 ¦ add D it M ● aa (6,26a) παντες/ omnes: om Tert D L V Y Γ Δ Λ Ω 028 047 mult d sy s.p Tat arab.pers aeth ¦ add a aur b d f ſſ 2 l q r 1 M ● bb (6,26b) γαρ/ enim: om D 1319 a aur b c d e f ſſ 2 g 1 gat l q ¦ add r 1 M ● cc (6,26b) (εποιουν) και/ et: Tert b f q (r 1 ? ) Iren (Haer. 3,14,3; FC 8/ 3, 174) ¦ om a aur c d e ſſ 2 l M ● dd (6,26b) υμων: 69 472 1009 1195 Tat pers aeth Iren (a. a. O.) ¦ εκεινων/ illorum: Tert ¦ αυτων/ eorum: it M . C. Die Bezeugung des Anfangs der Feldrede ist über jeden Zweifel erhaben, er war mit Sicherheit in *Ev enthalten, auch wenn die Formulierungen im Einzelnen vom kanonischen Text abweichen. Die Tatsache, dass Tertullian *6,20-26 sehr dicht referiert und dabei etliche Zitate auch wiederholt (wenn auch nicht widerspruchsfrei; s. zu *6,20b), erlaubt auch weitergehende Schlüsse für die Überlieferungsgeschichte. Gerade bezüglich der einleitenden Makarismen haben die Differenzen zwischen der mt Bergpredigt und der lk Feldrede Anlass zu umfangreichen Debatten über den »ursprünglichen« Wortlaut in Q gegeben. 1 Der hier rekonstruierte Wortlaut ist folgendermaßen zu begründen. 1. In *6,20f bezeugt Tertullian für die Apodosis der ersten drei Makrismen die 3. Pers. Pl., während der längere vierte Makarismus bereits in der Protasis die 2. Pers. Pl. bietet. Die handschriftlichen Varianten (it sy usw.) bestätigen dieses Zeugnis. Die Form der ersten drei Makarismen in der 3. Pers. Pl. unterscheidet sich vom kanonischen Text, entspricht jedoch den ersten acht mt Makarismen (Mt 5,3-10). Harnack vermutete hier dementsprechend einen mt Einfluss auf *Ev. 2 Der Einfluss wird allerdings genau umgekehrt verlaufen sein: Mt zeigt hier den Einfluss von *Ev. In jedem Fall gilt aber, dass die Formulierungen in der 3. Pers. Pl. in *6,21 in Spannung zu der 2. Pers. Pl. in *6,22 stehen, die ja ebenfalls bei Tertullian genau bezeugt ist (beati eritis cum vos odio habebunt). Es ist daher am wahrscheinlichsten, dass Tertullian korrekt zitiert und die Formulierung der vier Makarismen in *Ev uneinheitlich war. Diese Überlegung wird gestützt durch die entsprechende Uneinheitlichkeit der mt Makarismen, der ja ebenfalls den letzten, konditional formulierten Makarismus gegen die ersten acht in der 2. Pers. Pl. hat (Mt 5,11). Auf diese Weise ergibt sich schon hier der erste Hinweis auf die Überlieferungsgeschichte: Mt ist von *Ev abhängig. Er hat die Makarismenliste aus *Ev im ersten (nominal formulierten) Teil *6,20f so bearbeitet, dass er ein Glied (*6,21b: Weinende) ______________________________ 1 Die Forschungsgeschichte ist gut dokumentiert in T H . H IEKE , Q 6: 20-21: The Beatitudes for the Poor, Hungry, and Mourning, Leuven 2001. 2 H ARNACK 191*. 6,20-26 Rekonstruktion 625 gestrichen, sechs weitere ergänzt (Mt 5,4f.7-10) und die restlichen beiden »spiritualisierend« bearbeitet hat (*6,20b.21b). Insgesamt jedoch hat er bei den nominal formulierten Makarismen die 3. Pers. Pl. beibehalten. Die lk Formulierung der drei ersten Makarismen (Lk 6,20b.21) in der 2. Pers. Pl. ist daher eine redaktionelle Angleichung an den folgenden, konditional formulierten Makarismus, der in allen Zeugen in der 2. Pers. formuliert ist. 3 Das ganz entsprechende Phänomen zeigt sich dann auch an den (in Mt fehlenden) Weherufen, in denen die lk Redaktion gegenüber dem für *Ev bezeugten Text an drei Stellen (6,24a.25a.b) in der Protasis ein (οὐαὶ) ὑ μ ῖ ν hinzugefügt und auf diese Weise deutlich gemacht hat, dass der Weheruf über die Anwesenden ergeht. Diese Einfügung hatte syntaktische Änderungen zur Folge: In *6,25 wurden die Dativ-Partizipien der Protasis in den Nominativ geändert; in einem Fall hat sich diese Änderung auch in den Handschriften niedergeschlagen. Bei den drei ersten, nominal formulierten Weherufen bezeugt Tertullian für die Apodosis die 3. Pers. Plural: Zwar zitiert (inquit! ) er in 4,15,9 die Apodosis *6,24b in der 2. Pers.; aber in 4,15,13 referiert er *6,25a.b jeweils in der 3. Pers. Die Einleitung dieser Wiedergabe mit ingerit gibt nicht zu erkennen, dass Tertullian hier frei referiert: Sofern seine Angaben genau sind, geht die Diskrepanz zwischen dem ersten Weheruf einerseits und dem zweiten und dritten andererseits auf *Ev zurück. Da aber bei den Makarismen auf jeden Fall eine entsprechende Uneinheitlichkeit für *Ev bezeugt ist (nämlich zwischen *6,20b.21 und *6,22 bzw. zwischen *6,24a und *6,26), ist das gleiche auch für die Weherufe anzunehmen: Die Apodoseis *6,25a.b waren in der 3. Person formuliert. 2. In *6,20b bezeugt Tertullian (4,14,13) für *Ev (βασιλεία) τῶν οὐρανῶν anstelle von (βασιλεία) τοῦ θεοῦ des kanonischen Textes. Da er aber in der Einleitung seiner Behandlung der Feldrede die Apodosis des ersten Makarismus mit quoniam illorum est regnum d e i wiedergibt (4,14,1), ist die Rekonstruktion nicht ganz eindeutig. 4 An dieser Stelle ist die Einsicht, dass der vorkanonische *Ev-Text sich ______________________________ 3 Damit erübrigt sich die Frage, wie der »ursprüngliche« Wortlaut der ersten Makarismen in ›Q‹ gelautet haben mag. Die Dokumentation der Forschungsgeschichte der letzten knapp 150 Jahre nur zu dem Problem, ob im ersten Makarismus ὑμετέρα oder αὐτῶν stand, umfasst knapp 60 Seiten (H IEKE , a. a. O. 141-199)! Selbst wenn sich dabei manches wiederholt, bleibt erstaunlich, mit wie viel Aufwand, Fleiß und Findigkeit eine Frage diskutiert wurde, die sich im Rahmen der *Ev-Priorität gar nicht stellt. 4 H ARNACK 191* rekonstruiert βασιλεία τοῦ θεοῦ und verweist in der Anmerkung lediglich darauf, dass Tertullian bei der »zweiten, sonst identischen Zitierung des Spruchs … nicht ›dei‹ sondern ›caelorum‹« sage. T SUTSUI 82 geht auf dieses Problem nicht ein und rekonstruiert »regnum dei«, obwohl er zu Recht feststellt, dass der ganzen Abschnitt (*6,20-36) besonders zahlreiche Lesarten enthält, die sich »weder durch Hinweise auf die Gedankentendenz Marcions noch durch Vermutungen der Einflüsse vom kanonischen Mt-Text erläutern lassen« (a. a. O. 84). 626 Anhang I 6,20-26 noch an einigen Stellen in der katholischen Handschriftenüberlieferung erhalten hat, wichtig. Denn die Lesart βασιλεία τῶν οὐρανῶν (bzw. τοῦ οὐρανοῦ) findet sich noch in etlichen Zeugen, darunter sowohl Altlateiner als auch Altsyrer. 5 Gerade der Umstand, dass die altlateinische Bezeugung hier in sich gespalten ist (c f auf der einen Seite, a aur b d e ſſ 2 l q r 1 auf der anderen), macht deutlich, dass hier nicht einfach ein sekundärer Einfluss auf der Ebene der Handschriftenüberlieferung vorliegt, sondern dass Tertullian in 4,14,13 tatsächlich exakt zitiert: In *Ev stand das ansonsten aus Mt bekannte Syntagma βασιλεία τ ῶ ν ο ὐ ρ α ν ῶ ν . 6 Damit ist nicht nur eine weitere Streitfrage aus der Debatte um den ursprünglichen Q-Wortlaut geklärt. 7 Vielmehr macht dieser Beleg darüber hinaus auch deutlich, dass *Ev auch typisch »matthäische« Formulierungen enthielt, die als sicheres Kennzeichen der mt Redaktion gelten 8 - dieses Phänomen ist ja auch an anderen Stellen noch für den Lk-Text zu beobachten. Anstatt diese typisch mt Formulierungen auf methodisch problematische, sekundäre Konformierungen auf der Ebene der Handschriftenüberlieferung zurückzuführen, zeigt der Wortlaut von *Ev, dass diese »Konformierungen« ursprünglich sind und aus der gemeinsamen Quelle des vorkanonischen Evangeliums stammen. Dies bedeutet jedoch auch, dass Mt die von ihm häufig (wenn auch nicht durchgängig! ) genutzte Formulierung βασιλεία τῶν οὐρανῶν nicht erfunden, sondern sie (wenigstens an dieser Stelle) bereits in seiner Vorlage gefunden hat. 3. Daneben fallen drei weitere Unterschiede zwischen dem von Tertullian für *Ev bezeugten und dem kanonischen Text auf, für die eine entsprechende Bezeugung in Teilen der handschriftlichen Überlieferung vorliegt: a. *6,21a.b; *6,25a.b: So uneinheitlich, wie die Makarismen und Weherufe mit dem Wechsel zwischen der 2. und 3. Person formuliert sind, erscheint auch das Zeitschema zwischen Protasis und Apodosis in den nominal formulierten Makarismen bzw. Weherufen: Während die nominale Protasis die Zeit grammatisch nicht zu erkennen gibt, sind die Verben der Apodosis regelmäßig im Futur gehalten. In vier Fällen - nämlich in den jeweils zweiten und dritten Makarismen (*6,21a.b) und ______________________________ 5 βασιλεια των ουρανων: X* mult lectt c f sy s.j(1 ms) georg II got slav Bas Aphr; βασιλεια του ουρανου: sa bo mss aeth. 6 Vgl. weiter zu den »Matthäismen« in *Ev: *13,18f; *18,16f; *19,27. 7 Vgl. H IEKE , a. a. O. 200-214. Wie kaum anders zu erwarten, votieren die meisten für βασιλεία τοῦ θεοῦ als ursprünglichen Q-Wortlaut. Zu den wenigen »Abweichlern« gehören F ITZMYER , Lk I 632, und H. J. V OGELS , der argumentierte, dass der Wechsel des allgemeineren τοῦ θεοῦ in das semitische τῶν οὐρανῶν wenig wahrscheinlich sei (Synoptische Studien zur Bergpredigt, Bonner Zeitschrift für Theologie und Seelsorge 1 [1924], 123-136: 132f). 8 Vgl. dazu zuletzt: R. F OSTER , Why on Earth Use ›Kingdom of Heaven‹? Matthew’s Terminology Revisited, NTS 48 (2002), 487-499; J. T. P ENNINGTON , The Kingdom of Heaven in the Gospel of Matthew, Southern Baptist Journal of Theology 12 (2008), 44-51. 6,20-26 Rekonstruktion 627 Weherufen (*6,25a.b) - hat die lk Redaktion die Zeitfolge durch die Einfügung eines νῦν vereindeutigt: Die Makarismen bzw. Weherufe stellen eine zukünftige Umkehrung des jetzigen Zustands in Aussicht. Der Befund ist allerdings nicht ganz eindeutig. Tertullian bezeugt in drei der vier Fälle (*6,21a.b; *6,25a), dass die aus dem kanonischen Text bekannte Betonung der Zeitfolge (νῦν/ nunc) in *Ev gefehlt hat; aber für den dritten Weheruf hat er diese Formulierung (*6,25b: ridentibus n u n c , quia lugebant). Es ist denkbar, dass diese Formulierung die entsprechenden Änderungen in den anderen drei Fällen veranlasst hat. Aber die Entsprechungen der handschriftlichen Überlieferung sprechen gegen diese Annahme: Für alle vier Stellen gibt es Zeugen, in denen das νῦν/ nunc fehlt. 9 Ich gehe deswegen davon aus, dass Tertullians Formulierung des dritten Weherufs (ridentibus nunc, quia lugebant) entweder irrtümlich den kanonischen Text einträgt oder aber Teil seiner eigenen Formulierung ist. Auf jeden Fall belegen die Entsprechungen der anderen drei Beispiele den Einfluss des vorkanonischen Textes auf die handschriftliche Überlieferung des kanonischen Lk. b. Ganz ähnlich ist auch das Fehlen von *6,22 καὶ ὅταν ἀϕορίσωσιν ὑμᾶς in Tertullians Referat zu beurteilen. Die Wendung fehlt auch in einigen wenigen Handschriften. Dies legt nahe, dass diese Abweichung (zu der dann noch die sehr uneinheitliche Textüberlieferung in den Altlateinern tritt) ein Zeichen der Interferenz zwischen den beiden Handschfriftenüberlieferungen ist und auf das Konto einer nicht konsequent durchgeführten Korrektur des vorkanonischen nach dem kanonischen Text verbucht werden muss. c. Das gleiche Phänomen wird schließlich in *6,23b vorliegen: Hier fehlt der kausale Anschluss (γάρ) des kanonischen Textes nicht nur in Tertullians Referat, sondern auch in einer langen Reihe von Handschriften. Auch hier ist die redaktionelle Eintragung als Präzisierung zu verstehen, die Protasis und Apodosis enger aufeinander bezieht. d. Während Tertullian mit der Mehrheit der Handschriften am Ende von *6,23 das Personalpronomen in der 3. Pers. Sing. bezeugt (οἱ πατέρες α ὐ τ ῶ ν ), bietet Epiphanius mit drei Minuskeln und aeth die 2. Pers. Pl. (ὑμῶν). Für *6,26b ergibt sich ein ähnliches Bild: Tertullian las hier ebenfalls die 3. Pers. Pl. (illorum/ ἐκείνων), was der Mehrheit der Handschriftenüberlieferung (eorum/ αὐτῶν) entspricht; für *6,26 fehlt eine Bezeugung durch Epiphanius, allerdings ist auch hier wieder das Pronomen in der 2. Pers. Pl. (ὑμῶν) durch einige wenige Zeugen belegt. 10 Die uneinheitliche Bezeugung für *6,23b deutet darauf hin, dass hier das bekannte Phänomen der uneinheitlichen Korrektur des vorkanonischen Textes nach dem kanonischen Wortlaut im Hintergrund steht. Gemäß der Faustregel zur ______________________________ 9 om νῦν/ nunc: *6,21a: c l (Eus). - *21,b: e l (Eus Or). - *6,25a: A D K P Γ Ψ 0135 a aur b c d e ſſ 2 l q r 1 . - *6,25b: 2487 b Tat pers (Chrys). 10 υμων: 69 472 1009 1195 Tat pers aeth Iren. 628 Anhang I 6,20-26 Beurteilung dieser widersprüchlichen Bezeugungen, der zufolge die vom kanonischen Mehrheitstext am stärksten abweichende Lesart den größten Anspruch auf Ursprünglichkeit besitzt, ist ὑμῶν vermutlich ursprünglich. In diesem Fall ist die redaktionelle Änderung in die 3. Pers. Pl. als Glättung des textsemantisch problematischen ὑμῶν ohne weiteres verständlich. Mt 5,12 hat das inhaltliche Problem an dieser Stelle dadurch entschärft, dass er (οὕτως γὰρ ἐδίωξαν τοὺς προϕήτας) τοὺς π ρ ὸ ὑ μ ῶ ν formuliert; das Pronomen ist in der 2. Pers. Pl. erhalten, aber nicht auf »eure Väter«, sondern die Propheten »vor euch« bezogen. Für *6,26 wird dann die gleiche Überlegung in Anschlag zu bringen sein, obwohl hier nur wenige Handschriften gegen Tertullians Zeugnis stehen: In beiden Fällen ist die 2. Pers. Pl. als ursprüngliche Lesart wahrscheinlich. 4. In Tertullians Referat fehlt 6,23a χάρητε ἐν ἐκείνῃ τῇ ἡμέρᾳ καὶ σκιρτήσατε, ἰδοὺ γὰρ ὁ μισθὸς ὑμῶν πολὺς ἐν τῷ οὐρανῷ. Harnack schrieb das Fehlen dieses Satzes »der Tendenz Marcions« zu, ohne allerdings deutlich machen zu können, worin diese bestanden haben könnte. 11 Das hat Tsutsui zu Recht kritisiert, obwohl er das Fehlen von V. 23a für wahrscheinlich hält. Auf der anderen Seite hat er bemerkt, dass die Parallelität zwischen den Vv. 22f und 26 ohne diesen Satz sehr viel deutlicher hervortreten würde. 12 Im Rahmen der von ihm vorausgesetzten Lk- Priorität heißt das, dass *Ev diese Parallelität durch Streichung allererst hergestellt hätte. Mit Blick auf die mt Parallele (Mt 5,12a) legt sich jedoch eine andere überlieferungsgeschichtliche Entwicklung nahe. Denn Mt hat 5,12 als paränetischen Abschluss seiner Komposition von 2 x 4 + 1 Makarismen verstanden, die sicher auf ihn selbst zurückgeht. 13 Er bedurfte der direkten Anrede an die Hörer (χαίρετε καὶ ἀγαλλιᾶσθε), weil er - im Unterschied zu *Ev und Lk - keine Weherufe an die Makarismen anfügt, sondern in 5,13 die Anrede betont weiterführt (ὑμεῖς ἐστε τὸ ἅλας τῆς γῆς …), so dass die neun Makarismen selbst keinen paränetischen Aufforderungscharakter (etwa als »Einlassbedingungen«) tragen, sondern die Angeredeten ihres bereits erreichten Zustands nach der Art von notae ecclesiae versichern (der Ton liegt jeweils nicht auf der Protasis, sondern der Apodosis! ), an die sich dann die ______________________________ 11 H ARNACK 192*: »Da Tert. hier genau dem Text folgt, aber 23a ausläßt, fehlte es (! ), und das folgt auch aus der Tendenz Marcions.« 12 T SUTSUI 82f. 13 Die Gliederung der nominal formulierten Makarismen 5,3-10 in zwei Viererstrophen ergibt sich aus dem Zusatz von δικαιοσύνη in der Protasis des vierten und achten Makarismus sowie aus der Rahmung durch die Rahmung der identisch formulierten Apodosis des ersten und achten Makaraismus (ὅτι αὐτῶν ἐστιν ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν), vgl. L UZ , Mt I 199f. 6,20-26 Rekonstruktion 629 eigentliche Paränese anschließt. 14 Demnach hat Mt diesen paränetischen Abschluss der Makarismen als Ausgleich für die Streichung der bereits für *Ev bezeugten folgenden Weherufe im Rahmen der Komposition der Bergpredigt neu geschaffen. Für diese Annahme spricht - neben dem typisch mt Plural ἐν τοῖς οὐρανοῖς - der höchst unglückliche Anschluss von Mt 5,12b: Als Begründung für die Aufforderung zur Freude ist der Hinweis »οὕτως γὰρ ἐδίωξαν …« wenig geeignet. 15 Lk hat neben *Ev, dem er in der Formulierung der Makarismen ansonsten eng folgt, Mt 5,12a übernommen und auf diese Weise eine ähnliche Unstimmigkeit zwischen 6,23a und b geschaffen wie Mt 5,12a und b. 16 Im Zuge dieser Einfügung hat Lk einzelne Formulierung geringfügig, aber eben doch charakteristisch, verändert; unter anderem 17 ist dabei die Ersetzung des mt ἀγαλλιᾶσθε durch das typisch lk σκιρτήσατε aufschlussreich. 18 Sieht man diese Änderungen zusammen, dann ergibt sich für den ursprünglichen Text *6,22.23b eine gewöhnungsbedürftige Semantik: »Selig werdet ihr sein, wenn die Menschen euch hassen und euch schmähen und euren Namen wegen des Menschensohnes wie etwas Schlechtes verwerfen. So haben eure Väter an den Propheten gehandelt.« Diese Zusammenstellung lässt sich kaum anders verstehen, als dass die Angeredeten selig gepriesen werden, weil sie das Schicksal, das ihre Väter den Propheten zugefügt haben, jetzt selbst erdulden: Auch ohne kausales γάρ besitzt *6,23 begründenden Charakter. Der Grund für die Seligpreisung ist dann entweder in einer Art Wiedergutmachung der Sünden der Väter durch das Leid der Söhne zu sehen oder (wahrscheinlicher) in der Höherschätzung des Unrecht-Leidens als des Unrecht-Tuns. 5. In den Weherufen *6,24-26a wiederholen sich die Phänomene, die bereits für die Makarismen aufgefallen waren. Charakteristisch ist hier die Vereindeutigung in der Protasis der drei nominal formulierten Weherufe als Anrede in der 2. Pers. ______________________________ 14 Vgl. zu diesem Verständnis C HR . B URCHARD , Versuch, das Thema der Bergpredigt zu finden, in: ders., Studien zur Theologie, Sprache und Umwelt des Neuen Testaments, Tübingen 1998, 27-50: 35f. 15 Vgl. z. B. L UZ , Mt I 215: »V 12b ist ein Anhang. Inwiefern die Verfolgung der alttestamentlichen Propheten die Verheißung des himmlischen Lohns begründet, bleibt unklar.« 16 Vgl. nur W OLTER , Lk 251: Es bleibe »unklar, was dieser Satz (sc. V. 23b) begründen soll; die Konjunktion γάρ geht irgendwie ins Leere.« Die Funktionslosigkeit von γάρ ist deswegen aufschlussreich, weil die Konjunktion ausweislich der Bezeugung in *Ev gefehlt hat (außer Tertullian und Epiphanius auch ein Teil der »Westlichen« und weitere Handschriften); sie stammt in Lk 6,23 also aus Mt 5,12b, der offenbar bemerkt hat, dass der Anschluss von 5,13b || *6,23b in der Luft hängt und einer Begründung bedarf. 17 Von Lk stammt die Einfügung von ἰδού in dem für ihn charakteristischen Septuagintastil, ebenso der Singular ἐν τῷ οὐρανῷ anstelle von ἐν τοῖς οὐρανοῖς. 18 σκιρτάω ist lk hapax legomenon und kommt im NT nur Lk 1,41.44; 6,23 vor - alle Belege sind redaktionell! 630 Anhang I 6,20-26 durch die Einfügung von ὑμῖν, die eine Angleichung an die Apodosis des ersten Weherufes darstellt. Dass in der Apodosis des zweiten und dritten Weherufes *6,25a.b ursprünglich die 3. Pers. gestanden haben wird, ist oben bereits ausgeführt. Hier ist nur wichtig, dass das Glied καὶ κλαύσετε in 6,25 fin. offensichtlich ebenfalls erst redaktionell ist. Tertullian erwähnt es nicht, und es wird schon in *Ev gefehlt haben. Dass die lk Redaktion sich zu der Ergänzung veranlasst sah, ist leicht nachvollziehbar als Versuch, den Weheruf an den entsprechenden Makarismus anzugleichen: *6,21b nennt den Gegensatz weinen/ lachen, die ursprüngliche Fassung von *6,25b dagegen den Gegensatz lachen/ klagen. Zur Verdeutlichung der genauen Entsprechung zwischen Makarismus und Weheruf hat Lk das καὶ κλαύσετε eingefügt, und zwar natürlich in der 2. Pers., in die er auch πενθήσουσιν in *Ev geändert hatte. In *6,26 fehlt - wie gesagt (s. o.) - eine Entsprechung zu Mt 5,12a || Lk 6,23a, und Lk hat auch keine nachgetragen. Immerhin deutet die Überlieferung (vor allem) der »Westlichen« Handschriften darauf hin, dass Lk ein ursprüngliches καί in Analogie zu 6,23a durch γάρ ersetzt hat. Auch hier ist ist Begründungsfunktion nicht unmittelbar einsichtig, obwohl der Gedanke der eschatologischen Umkehrung des irdischen Schicksals schon für *Ev gut bezeugt ist (s. zu *16,19ff). Zur Rekonstruktion von οἱ πατέρες ὑμῶν *6,26fin vgl. o. die entsprechende Formulierung in *6,23b. 6. Die Bedeutung der Rekonstruktion von *6,20-26 liegt vor allem darin, dass die redaktionellen Eingriffe, die Mt und dann Lk vorgenommen haben, ohne weiteres durchsichtig werden: Auf diese Weise geben die Einsichten zur Diachronie, die zuverlässiger als bisher möglich sind, wichtige Hinweise für die synchrone Deutung. *6,27-31 [ 32f ] 34-38: Feldrede II: {Talio.} Feindesliebe. Zinsverbot. Barmherzigkeit Gut bezeugt und wenigstens teilweise in *Ev vorhanden; sicher durch die lk Redaktion bearbeitet (Kürzung, Änderungen, Einfügungen). {6,27 Ἐν τῷ νόμῳ λέγει Ὀϕθαλμὸν ἀντὶ ὀϕθαλμοῦ καὶ ὀδόντα ἀντὶ ὀδόντος}. Ἀλλὰ ὑμῖν λέγω τοῖς ἀκούουσιν, Ἀγαπᾶτε τοὺς ἐχθροὺς ὑμῶν a καὶ εὐλογεῖτε τοὺς μισοῦντας ὑμᾶς a 28 b c καὶ εὔχεσθε ὑπὲρ τῶν διωκόντων ὑμᾶς. b 29 d ἐὰν τίς σε ῥαπίσῃ d e εἰς τὴν σιαγόνα f †{δεξίαν}† g παράθες αὐτῷ g καὶ τὴν ἄλλην, καὶ h ἐὰν τίς σου ἂρῃ h τὸ ἱμάτιον καὶ i ἄϕες αὐτῷ καὶ τὸν χιτῶνα. 30 παντὶ αἰτοῦντί σε δίδου, [ καὶ ἀπὸ τοῦ αἴροντος τὰ σὰ μὴ ἀπαίτει. ] 31 καὶ καθὼς ὑμῖν γίνεσθαι θέλετε παρὰ τῶν ἀνθρώπων, k οὕτως l καὶ ὑμεῖς l ποιεῖτε αὐτοῖς m [ ὁμοίως ] . 6,27-38 Rekonstruktion 631 [ 32 καὶ εἰ ἀγαπᾶτε τοὺς ἀγαπῶντας ὑμᾶς, ποία ὑμῖν χάρις ἐστίν; καὶ γὰρ οἱ ἁμαρτωλοὶ τοὺς ἀγαπῶντας αὐτοὺς ἀγαπῶσιν. 33 καὶ γὰρ ἐὰν ἀγαθοποιῆτε τοὺς ἀγαθοποιοῦντας ὑμᾶς, ποία ὑμῖν χάρις ἐστίν; καὶ οἱ ἁμαρτωλοὶ τὸ αὐτὸ ποιοῦσιν. ] 34 καὶ ἐὰν δανίσητε παρ’ ὧν ἐλπίζετε λαβεῖν, ποία n χάρις ἐστίν ὑμῖν n ; [ καὶ ἁμαρτωλοὶ ἁμαρτωλοῖς δανίζουσιν ἵνα ἀπολάβωσιν τὰ ἴσα. ] 35 πλὴν ἀγαπᾶτε τοὺς ἐχθροὺς ὑμῶν καὶ ἀγαθοποιεῖτε καὶ δανίζετε μηδὲν ἀπελπίζοντες· καὶ ἔσται ὁ μισθὸς ὑμῶν πολύς, καὶ ἔσεσθε υἱοὶ o θεοῦ, ὅτι αὐτὸς χρηστός ἐστιν ἐπὶ τοὺς ἀχαρίστους καὶ πονηρούς. 36 p ἔστε q [ οὐν ] οἰκτίρμονες καθὼς r [ καὶ ] ὁ πατὴρ ὑμῶν s ᾤκτειρεν ὑμᾶς s · 37 Καὶ μὴ κρίνετε, t ἵνα μὴ t κριθῆτε· καὶ μὴ καταδικάζετε, u ἵνα μὴ u καταδικασθῆτε· ἀπολύετε, καὶ ἀπολυθήσεσθε· 38 δίδοτε, καὶ δοθήσεται ὑμῖν· μέτρον καλὸν πεπιεσμένον v [ σεσαλευμένον ] ὑπερεκχυννόμενον δώσουσιν εἰς τὸν κόλπον ὑμῶν· w ᾧ x [ γὰρ ] μέτρῳ w y μετρήσετε, z μετρηθήσεται ὑμῖν. A. *6,27 (vgl. Mt 5,38): Tert. 4,16,2: Novam plane patientiam docet Christus, etiam vicem iniuriae cohibens permissam a creatore, oculum exigente pro oculo et dentem pro dente, contra ipse alteram amplius maxillam offerri iubens, et super tunicam pallio quoque cedi. Plane haec Christus adiecerit ut supplementa consentanea disciplinae creatoris. ¦ Tert. 4,16,4: In quantum ergo fidem non capit ut idem videatur et dentem pro dente, oculum pro oculo, in vicem iniuriae exigere qui non modo vicem, sed etiam ultionem, etiam recordationem et recogitationem iniuriae prohibet, in tantum aperitur nobis quomodo oculum pro oculo et dentem pro dente censuerit, non ad secundam iniuriam talionis permittendam, quam prohibuerat interdicta ultione, sed ad primam coercendam, quam prohibuerat talione opposito, ut unusquisque respiciens licentiam secundae iniuriae a prima semetipsum contineret. ¦ Adam. 1,15 (814a): Ἐν τῷ νόμῳ λέγει Ὀϕθαλμὸν ἀντὶ ὀϕθαλμοῦ καὶ ὀδόντα ἀντὶ ὀδόντος. ♦ *6,27f: Tert. 4,16,1: Sed vobis dico, inquit, qui auditis (ostendens hoc olim mandatum a creatore, Loquere in aures audientium), diligite inimicos vestros, et benedicite eos qui vos oderunt, et orate pro eis qui vos calumniantur. Haec creator una pronuntiatione clusit per Esaiam: Dicite, fratres nostri estis, eis qui vos oderunt. Si enim qui inimici sunt et oderunt et maledicunt et calumniantur fratres appellandi sunt, utique et benedici odientes et orari pro calumniatoribus iussit, qui eos fratres deputari praecepit. ¦ Adam. 1,12 (812d): ἀγαπᾶτε τοὺς ἐχθροὺς ὑμῶν καὶ εὔχεσθε ὑπὲρ τῶν διωκόντων ὑμᾶς. ¦ Tert. 4,16,6: … et non modo non remaledicendi sed etiam benedicendi (s. gleich zu *6,30) ¦ Hieronymus, Ep. 84,8: et tamen miror, cur carni detrahentes, vivant carnaliter, et inimicam suam foveant, et nutriant delicate, nisi forte implere volunt Scripturam dicentem: Amate inimicos vestros, benefacite iis, qui persequuntur vos. ♦ *6,29: Tert. 4,16,6: (patientiae pondus) non modo non repercutiendi sed et aliam maxillam praebendi, et non modo non remaledicendi sed etiam benedicendi, et non modo non retinendi tunicam sed et amplius et pallium concedendi. ¦ Adam. 1,15 (814a): ἐὰν τίς σε ῥαπίσῃ εἰς τὴν σιαγόνα, παράθες αὐτῷ καὶ τὴν ἄλλην; vgl. aber Rufin (GCS 4, 33): si quis te percusserit in dexteram maxillam, praebe ei et alteram; 1,18 (815e): ἐὰν τίς σου ἂρῃ τὸ ἱμάτιον, πρόσθες αὐτῷ καὶ τὸν χιτῶνα. Anders Rufin, der hier die Reihenfolge tunicam … pallium bietet. 632 Anhang I 6,27-38 ♦ *6,30a: Tert. 4,16,8: Omni petenti te dato, utique indigenti, vel tanto magis indigenti si etiam et abundanti. ♦ *6,31: Tert. 4,16,13: Et sicut vobis fieri vultis ab hominibus, ita et vos facite illis. In isto praecepto utique alia pars eius subauditur: Et sicut vobis non vultis fieri ab hominibus, ita et vos ne faciatis illis. ♦ *6,34: Tert. 4,17,1: Hic nunc de fenore cum interponit, Et si feneraveritis a quibus speratis vos recepturos, quae gratia est vobis? percurre sequentia Ezechielis de eodem viro iusto: Pecuniam, inquit, suam fenori non dedit, et quod abundaverit non sumet, fenoris scilicet redundantiam, quod est usura. ♦ *6,35: Tert. 4,17,4.6: et eritis filii dei … quia ipse, inquit, suavis est adversus ingratos et malos. ♦ *6,36: Tert. 4,17,8: Misericordiam quoque praecipiens, Estote, inquit, misericordes, sicut pater vester misertus est vestri. Hoc erit, Panem infringito esurienti, et qui sine tecto in domum tuam inducito, et nudum si videris tegito, et, Iudicate pupillo, et iustificate viduam. ♦ *6,37f: Tert. 4,17,9: Nolite iudicare, ne iudicemini. Nolite condemnare, ne condemnemini. Dimittite, et dimittemini. Date, et dabitur vobis, mensuram bonam, pressam ac fluentem, dabunt in sinum vestrum. Eadem qua mensi eritis mensura, remetietur vobis. Ut opinor, haec retributionem pro meritis provocatam sonant. A quo ergo retributio? ♦ *6,38: Adam. 2,5 (824c): ᾧ μέτρῳ μετρεῖτε, μετρηθήσεται ὑμῖν; 1,15 (814b): ᾧ μέτρῳ μετρεῖτε ἀντιμετρηθήσεται ὑμῖν. B. a (6,27): και ευλογειτε τους μισουντας υμας: om Adam ¦ add Tert it M ● b (6,28) και ευχεσθε υπερ των διωκοντων υμας: Adam ¦ προσευχεσθε περι των επηρεαζοντων υμας: Tert it M ● c (6,28) και/ et: (Tert) Adam W gat ¦ om a aur b c d e f ſſ 2 l q r 1 M ● d (6,29) εαν τις σε ραπιση/ qui te percutit (percusserit): Adam aur b d f ſſ 2 l q r 1 (vgl. Mt 5,39: οστις σε ραπιζει) ¦ τω τυπτοντι σε/ percutienti te: a c M ● e (6,29) εις: Adam א * D W Θ 700 892 2542 ¦ επι: M ● f (6,29) δεξιαν: Widersprüchliche Bezeugung: Adam ap. Rufin א * E* 28 579 983 1241 1675 aeth (Par. 32; Bodl. 42) Basil (Mor. 49,1; PG 31, 773) ¦ om Tert Adam (gr.) M ● g (6,29) αυτω/ ei (illi): Adam D 28 579 1424 2542 2757 a aur b e ſſ 2 l q (illi: c d f r 1 ) sy s.p sa ¦ om vg M ● h (6,29) εαν τις σου αρη: Adam ¦ qui auferet: a aur b d (qui tollit) e (qui a te auferet) f ſſ 2 l q r 1 ¦ και απο του αιροντος σου/ auferenti a te: c M ● i (6,29) αϕες/ remitte: Tert e ¦ μη κωλυσης/ noli prohibere: aur b f ſſ 2 l q r 1 c (ne prohibeas) a (vetare noli) d (ne vetueris) M ● k (6,31) ουτως/ ita: Tert (a: sic) sy p ¦ om aur b c d e f ſſ 2 l q r 1 M (vgl. Mt 7,12) ● l (6,31) και υμεις/ et vos: add Tert א A D L W Θ Ξ Ψ f 1.13 33 565 c d f vg sy h.p ¦ om P 75vid B 579 700 1241 a aur b e ſſ 2 l q (bona: r 1 ) Iren (Haer. 4,13,3; FC 8/ 4, 100) Clem (Paed. 3,11,88; GCS 12, 284) (vgl. Mt 7,12) ● m (6,31) ομοιως/ similiter: om Tert D a d e sy s.j.p Iren (4,13,3) ClemAlex (Paed. 3,11,88; GCS 12, 284) (vgl. Mt 7,12) ¦ add aur b c f ſſ 2 l q r 1 M ● n (6,34) χαρις εστιν υμιν/ gratia est vobis: Tert W a aur b ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg georg ¦ (3 1) vobis gratia: e ¦ (3 2 1) υμιν εστιν χαρις / vobis est gratia: c ¦ (1 3 2) χαρις υμιν εστιν/ gratia vobis est: D d ¦ (3 1 2 ) υμιν χαρις εστιν/ vobis gratia est (vobis retributio est: f): M ● o (6,35) θεου/ dei: Tert e (υψιστου θεου/ altissimi dei: e) ¦ υψιστου/ altissimi (excelsi): a aur b c d f ſſ 2 l q M ● p (6,36) εστε/ estote: Tert it ¦ γινεσθε: M ● q (6,36) ουν/ ergo: om Tert P 75 א B L W Y Ξ mult a b c d e ſſ 2 l q sy s Tat arab bo armen georg aeth got slav ¦ add A D Θ aur f r 1 vg sy h.p M ● r (6,36) και/ et: om Tert א B L W Ξ Ψ f 1 579 pc c d sy s co Clem (Paed. 1,8,72; GCS 12, 132; Strom. 2,19,100; GCS 52, 168) u.ö. ¦ add A D Θ f 13 33 M a aur b e f ſſ 2 l q r 1 vg sy h.p ● s (6,36) ῳκτειρεν υμας/ misertus est vestri: Tert; misericors est vobis: c Cypr (Ep. 55,16 ; CSEL 3/ 2, 635) ¦ οικτειρει/ miseretur: a b (q) ¦ οικτιρμων εστιν/ misericors est: aur c e f ſſ 2 l r 1 (d: (d: benivolus est) M ● t (6,37a) ινα μη/ ne (ut non): Tert A D W Λ Ψ 348 a c d (ut non) e f gat sy s (Tat arab.pers ) sa usw. ¦ και ου μη/ et non: aur b ſſ 2 l q r 1 vg M ● u (6,37b) ινα μη/ ne (ut non): Tert D W* a c d e ſſ 2 sy s (Tat arab.pers ) sa ¦ και ου μη/ et non: aur b f l 6,27-38 Rekonstruktion 633 q r 1 M ● v (6,38) σεσαλευμενον/ commotam: om Tert 71* 828* ℓ48 gat r 1 ¦ add aur b l q (cumulatam: a c; confersam: ſſ 2 ; inpletam: d; coagitatam: auf f vg) M ● w (6,38b) Widersprüchliche Bezeugung: (1) ῳ … μετρῳ: Adam א B D L W Ξ f 1 33 892 1241 pc c d e sy (s).p Basil (Hom. in Ps 61,5; PG 29, 481) Chrys (Hom. 77 in Joh; PG 59, 418) ¦ (2) τω … αυτω μετρω ῳ/ eadem qua … mensura: Tert P 45vid A C Θ Ψ f 13 lat sy h M ● x (6,38b) γαρ/ enim: om Tert P 45 Θ 13 69 543 700 788 826 828 983 a aur b ſſ 2 l q r 1 ¦ add c d e f vg M ● y (6,38b) Widersprüchliche Bezeugung: (1) μετρησετε/ mensi fueritis: Tert aur c d e f g 1 gat l q r 1 vg ¦ (2) μετρειτε/ metitis: Adam a b ſſ 2 M ● z (6,38b) Widersprüchliche Bezeugung: (1) μετρηθησεται: Adam (2,5) B* P 28 2643 b e q Tat arab got ¦ (2) αντιμετρηθησεται/ remetietur: Tert (Adam. 1,15) it M . C. Auch für diese Perikope gilt, dass die meisten Elemente zwar gut bezeugt sind, gleichwohl aber etliche Fragen bleiben. 1. Die mit Abstand auffälligste Besonderheit dieser Perikope ist die Bezeugung der Talionsregel in *6,27 aus Ex 21,24 durch Tertullian und Adamantius, die sich so zwar in Mt 5,38 findet, nicht aber in Lk. Die zweifache Bezeugung dieses Logions im selben Kontext schließt aus, dass es sich um eine versehentliche Eintragung aus der Kenntnis des Mt-Textes handelt: Die Talionsregel hat mit Sicherheit an dieser Stelle in *Ev gestanden. An dieser Stelle wirkt sich die Entscheidung über die Bearbeitungsrichtung zwischen *Ev und Lk unmittelbar auf die Rekonstruktion aus. Wer von der Lk-Priorität ausgeht, kann die Talio schlechterdings nicht in *Ev erwarten, weil sie in Lk nicht enthalten ist. Daher vermuteten Harnack andere in seiner Folge, dass Tertullian und Adamantius die Talio nicht in *Ev, sondern in Marcions »Antithesen« gelesen hatten. 1 Da Tertullian die lex Talionis an anderer Stelle (2,28,2) im Rahmen der Auseinandersetzung mit Marcions »Antithesen« diskutiert, ist diese Erklärung grundsätzlich möglich. Aber sie ist nicht belastbar. Denn zum einen muss man den Zufall einräumen, dass zwei Häresiologen in demselben Zusammenhang nicht aus *Ev zitieren (dem Text, den sie gerade kommentieren), sondern aus den »Antithesen« (über die wir so gut wie nichts wissen - und schon gar nicht, ob sie den Häresiologen bei der Bearbeitung von *Ev vorlagen). Und zum anderen muss man sich natürlich fragen, wie Marcion hätte registrieren können, dass es in dieser Frage einen Widerspruch gab zwischen *Ev und dem »Gesetz«, das er doch ablehnte und das für die theologische Diskussion zu nutzen er sich weigerte. Diese Lösung verschiebt das Problem in einen unkontrollierbaren Bereich und öffnet so Tor und Tür für Spekulationen. Unter der Annahme der *Ev-Priorität ist dieses Ausweichmanöver allerdings überflüssig: Tertullian und Adamantius bezeugen die Talio deshalb übereinstimmend im selben Kontext von *Ev, weil sie sie da gefunden hatten. Und wenn der Gegensatz zwischen dem Vergeltungsgebot »im Gesetz« und dem Gebot der Feindesliebe im ______________________________ 1 H ARNACK 193*: Megethius habe V. 29 »innerhalb einer Marcionitischen Antithese« erwähnt; »eben diese Antithese gibt auch Tertullian wieder.« Vgl. außerdem B E D UHN 139 (da Tertullian und Adamantius »presumably had Marcion’s Antitheses in front of them as well, they could be drawing from there«); R OTH 106 n. 95 (Tertullian »appears to be referring back to one of Marcion’s antitheses in which the lex talionis was discussed«). 634 Anhang I 6,27-38 Mund Jesu bereits in *Ev stand, wird auch verständlich, wie Marcion dieses Widerspruchs gewahr werden und ihn in seinen »Antithesen« kommentieren konnte. Auch wenn kaum zu bestreiten ist, dass die Talio in *Ev enthalten war, bleiben die genaue Formulierung und der genaue Ort unklar. Folgende Überlegungen sind dazu wichtig. a. Sowohl Tertullian als auch Adamantius erwähnen die Talio im Anschluss an ihr Referat von *6,27 ἀλλὰ ὑμῖν λέγω τοῖς ἀκούουσιν … Sofern diese Abfolge in den Referaten die Struktur von *Ev wiedergibt, müsste man postulieren, dass er zunächst die konkreten Verhaltensweisen nannte, die beispielhaft die Aufhebung des Prinzips der reziproken ethischen Reaktion verdeutlichen, und erst im Anschluss daran das Zitat der Talionsregel brachte, um durch den Kontrast das Innovative der Lehre Jesu kenntlich zu machen. Aber da sowohl Tertullian als auch Adamantius ihre Referenzen aus den jeweils behandelten Perikopen relativ frei in ihre Argumentation einfügen und *Ev nicht exakt Wort für Wort und Satz für Satz abhandeln, ist die Reihenfolge, in der Tertullian und Adamantius diese Hinweise geben, nicht belastbar. Demgegenüber legen zwei andere Beobachtungen nahe, dass die ganze Einheit über das »Prinzip der ethischen Reziprozität« 2 mit der Talio begann. Tertullian bezeugt für *Ev den adversativen Einsatz von *6,27 (ἀ λ λ ὰ ὑμῖν λέγω/ s e d vobis dico), der sich auch noch im lk Text findet, dort allerdings zu Beginn der neuen Einheit funktionslos ist und stört: Die anaphorische Konjunktion ἀλλά erfordert ein Antezedens, das deutlich macht, wogegen die Lehre Jesu sich abgrenzt, das hier jedoch fehlt. 3 Die Antithesen der mt Bergpredigt zeigen, wie ein solches Antezedens zu ἀλλὰ ὑμῖν λέγω ausgesehen haben könnte: ἠκούσατε ὅτι ἐρρέθη … ἐγὼ δὲ λέγω ὑμῖν (Mt 5,38f). Allerdings legt die relativ starre Formelhaftigkeit der Einleitungen der mt »Thesen« (und Antithesen) die redaktionell vereinheitlichende Hand des Mt nahe, so dass die Formulierung ἠκούσατε ὅτι ἐρρέθη vermutlich auf Mt zurückgeht, wie es für das betonte ἐγὼ δὲ λέγω ὑμῖν ohnehin wahrscheinlich ist. Es liegt daher nahe, dass *Ev mit einem analogen Hinweis auf die Herkunft bzw. den Geltungsanspruchs der Talio einsetzte, um darauf in gezieltem Kontrast die Lehre Jesu abzusetzen. Aus Adamantius’ Referat lässt sich entnehmen, dass er das ἐγὼ δὲ λέγω ὑμῖν Jesu als Widerspruch zu einer Forderung des Gesetzes aufgefasst ______________________________ 2 W OLTER , Lk 254. 3 »Der Übergang von 6,20-26 (sc. zu 6,27) ist hart« (K LEIN , Lk 252). Üblicherweise wird die Referenz von ἀλλά in dem Wechsel der Adressaten gesehen: Nach dem Wehe über die Außenstehenden folge jetzt die Anrede an die Jünger (z. B. R ADL , Lk 397). Tatsächlich liegt hier kein Adressatenwechsel vor, die Reichen werden als »fiktive Adressaten« (W OLTER , Lk 253, zu 6,26) angeredet. Davon unabhängig bleibt die Feststellung, dass 6,(20-23)24-26 keine Position beschreibt, von der sich 6,27 inhaltlich sinnvoll als Opposition abheben könnte. 6,27-38 Rekonstruktion 635 hat. 4 Sofern Adamantius hier nicht frei interpretiert, sondern mit dem Stichwort νόμος auf *Ev referiert, hat er in *Ev gelesen: Ἐν τῷ νόμῳ λέγει ἀντὶ ὀϕθαλμοῦ καὶ ὀδόντα ἀντὶ ὀδόντος - ἐγὼ δὲ λέγω ὑμῖν κτλ. Das λέγει in der Einleitung ist entweder »sagt er« (nämlich Gott) oder aber einfach »heißt es«; in *Ev kann nur letzteres gemeint sein. Auf jeden Fall ist klar, dass Jesus mit der Entgegensetzung ἐν τῷ νόμῳ λέγει - ἐγὼ δὲ λέγω sich direkt gegen ein at.liches Gebot positioniert. b. Wichtiger als der genaue Ort der Talionsregel sind jedoch die im weiteren Sinn redaktionsgeschichtlichen Einsichten für die *Ev-Priorität. Dass die Vertreter der Lk-Priorität mit den nicht in Lk enthaltenen Passagen von *Ev allergrößte Schwierigkeiten hatten, ist schon deutlich geworden, 5 auch, dass dies für die Talio besonders zutrifft. Wenn *Ev aber die Talio enthielt, muss Lk sie gestrichen haben. Warum? Vor allem Tertullians Argumentation lässt ein theologisches Interesse der lk Redaktion an der Streichung der Talionsregel erkennen: Tertullian sah, dass das Vergeltungsverbot Jesu in unmittelbarem Gegensatz zu Ex 21,24 als Kritik am alttestamentlichen Gesetz insgesamt verstanden werden konnte. Er sah sich daher genötigt, beides als den einheitlichen Willen des guten Schöpfergottes zu interpretieren: Die Talionsregel wolle nicht ein zweites Unrecht erlauben, sondern das erste einschränken. 6 Es bedarf keiner großen Phantasie, um zu schlussfolgern, dass bereits Lk das Problem ähnlich gesehen und eine mögliche Einschränkung der Geltung des Gesetzes in *Ev durch die Streichung der Talionsregel kurzerhand beseitigt haben konnte. c. Wie die Bezeugung der Talionsregel bei *Ev zu deuten ist, ist natürlich abhängig vom Gesamtbild der Überlieferungsgeschichte: Unter der Voraussetzung der Lk- Priorität ist die Folgerung kaum vermeidbar, dass *Ev »einen aus Luk. und Matth. gemischten Text befolgt hat.« 7 Tsutsuis Annahme einer komplizierten Überlieferung, die neben den mt und lk Elementen auch andere Eigentümlichkeiten enthalten habe, ______________________________ 4 Adam. 1,15 (814a): δείξω ὅτι ἠναντίωται τὸ εὐαγγέλιον τῷ νόμῳ. Tertullian spricht hier nicht vom Gesetz, sondern von der »Erlaubnis des Schöpfers« (cohibens permissam a creatore). Da er in erster Linie an der Kritik der marcionitischen Gotteslehre interessiert ist, greift er hier die deren Differenzierung von creator und deus bonus auf, so dass das Stichwort creator seines Referats keinen belastbaren Rückschluss auf *Ev erlaubt. 5 Vgl. o. Bd. I, S. 137ff. 6 Tert. 4,16,4: In quantum ergo fidem non capit ut idem videatur et dentem pro dente, oculum pro oculo, in vicem iniuriae exigere qui non modo vicem, sed etiam ultionem, etiam recordationem et recogitationem iniuriae prohibet, in tantum aperitur nobis quomodo oculum pro oculo et dentem pro dente censuerit, non ad secundam iniuriam talionis permittendam, quam prohibuerat interdicta ultione, sed ad primam coercendam, quam prohibuerat talione opposito, ut unusquisque respiciens licentiam secundae iniuriae a prima semetipsum contineret. Vgl. auch 2,18,1: (talio) non enim iniuriae mutuo exercendae licentiam sapit, sed in totum cohibendae violentiae prospicit. 7 H ARNACK 193*. 636 Anhang I 6,27-38 geht noch darüber hinaus. 8 Unter der Voraussetzung der *Ev-Priorität erlaubt diese Perikope dagegen einen Einblick in die unterschiedliche Redaktion des *Ev- Materials bei Mt und Lk. Am einfachsten ist die Vermutung, dass Mt die Talio in *Ev gefunden und sie in die Komposition der Antithesenreihe integriert hat; vermutlich wurde er durch diesen »Lesefund« in *Ev überhaupt erst zur Komposition der Antithesenreihe beeinflusst. Lk dagegen war an der Etablierung des Unterschieds zwischen der Lehre Jesu und dem Gesetz gerade nicht interessiert und hat die Überbietung oder Negierung der Talio hier gestrichen. Unter der Annahme, dass Mt die Struktur der Antithesen aus *6,27f übernommen hat, fällt auf, dass das einzige Beispiel, an dem die »Thesen« der mt Antithesenreihe eindeutig auf alttestamentliche Gebote verweisen, der bereits für *Ev bezeugte Hinweis auf die Talio in Mt 5,38 ist: Ansonsten ist das Verhalten, das durch die Antithesen Jesu korrigiert wird, nicht das alttestamentliche Gebot, sondern seine Relativierung durch die religiöse Praxis. 9 Mt hätte dann den Gegensatz zwischen der Forderung des Gesetzes und der Lehre Jesu, die er in *Ev vorfand, ganz analog zu Lk oder Tertullian als Problem empfunden und ihn dadurch entschärft, dass er die Erwähnung des Gesetzes durch das »zu den Alten Gesagte« ersetzte: Auf diese Weise konnte er nicht nur den direkten theologischen Gegensatz zwischen der Lehre Jesu und dem Gesetz vermeiden, sondern darüber hinaus die Forderung Jesu als Bekräftigung des Gesetzes gegen Relativierungen in der religiösen Praxis markieren: Die so begründete Gerechtigkeit ist daher größer als die der Schriftgelehrten und Pharisäer (Mt 5,20). 2. Die durch das antithetische ἀλλὰ ὑμῖν λέγω eingeleitete Lehre Jesu in *6,27f besaß nach dem Zeugnis Tertullians drei Glieder, während Adamantius nur zwei, der kanonische Text dagegen vier Glieder nennt. Gemeinsam ist allen Texten die erste Aufforderung ἀγαπᾶτε τοὺς ἐχθροὺς ὑμῶν, wogegen sich die folgenden Glieder voneinander unterscheiden. ______________________________ 8 T SUTSUI 85, der dabei voraussetzt, dass Marcion an dieser Sonderüberlieferung keine weiteren Änderungen vorgenommen, sondern sie unverändert übernommen habe - aber woher sollte sie stammen? 9 Vgl. C HR . B URCHARD , Versuch, das Thema der Bergpredigt zu finden, in: ders., Studien zur Theologie, Sprache und Umwelt des Neuen Testaments, Tübingen 1998, 27-50: 40-44. 6,27-38 Rekonstruktion 637 Adam. 1,12 (812d) Tert. 4,16,1 Lk 6,27f ἀγαπᾶτε τοὺς ἐχθροὺς ὑμῶν diligite inimicos vestros ἀγαπᾶτε τοὺς ἐχθροὺς ὑμῶν et benedicite eos qui vos oderunt καλῶς ποιεῖτε τοῖς μισοῦσιν ὑμᾶς εὐλογεῖτε τοὺς καταρωμένους ὑμᾶς καὶ εὔχεσθε ὑπὲρ τῶν διωκόντων ὑμᾶς et orate pro eis qui vos calumniantur προσεύχεσθε περὶ τῶν ἐπηρεαζόντων ὑμᾶς Die Situation ist einigermaßen unklar, weil Tertullian den Text einmal zu zitieren scheint, im Folgenden aber das Verhalten der inimici auf andere Weise anspricht und nicht durch zwei, sondern durch drei Verben spezifiziert (odisse, maledicere, calumniari). 10 Darin kommt er der kanonischen Textform recht nahe, in der das Verhalten der ἔχθροι als μισεῖν, καταρᾶσθαι und ἐπηρεάζειν angegeben wird. Es hat daher den Anschein, als habe Tertullian in *Ev den kanonischen Text gelesen und dabei das zweite und dritte Glied auf eine solche Weise zusammengezogen, dass er von dem einen die Aufforderung (εὐλογεῖτε/ benedicite), vom anderen das Objekt (τοῖς μισοῦσιν ὑμᾶς/ eos qui vos oderunt) so zu einer einzigen Aufforderung verband, dass im einen Fall die Aufforderung (καλῶς ποιεῖτε), im anderen das Objekt (τοὺς καταρωμένους ὑμᾶς) unter den Tisch fielen. Bei diesem Verständnis ist Tertullian als Zeuge für die kanonische Textform zu werten: Sein *Ev-Exemplar weist hier die charakteristischen Angleichungen an den kanonischen Text auf. Daher gewinnt das Zeugnis des Adamantius großes Gewicht: Er referiert die vom kanonischen Text am weitesten entfernte Fassung, der nach dem zugrunde liegenden Rekonstruktionsmodell die größte Wahrscheinlichkeit für die ursprüngliche Formulierung zukommt. Darüber hinaus sprechen drei Gründe für die Genauigkeit des Adamantiusreferats. Zunächst: Da die handschriftliche Überlieferung zu Lk 6,27 ganz einheitlich ist und keinerlei Spur aufweist, die auf eine Fürbitte für die Verfolger (εὔχεσθε ὑπὲρ τῶν δ ι ω κ ό ν τ ω ν ὑμᾶς) hindeutet, liegt der Verdacht nahe, dass Adamantius die Erwähnung der »Verfolger« hier irrtümlich aus Mt 5,44 eingetragen haben könnte. Allerdings wird die von Adamantius bezeugte Lesart durch eine entsprechende Spur bei Hieronymus gestützt, der in diesem Zusammenhang ebenfalls die »Verfolger« erwähnt. 11 Adamantius hat dieses Stichwort ______________________________ 10 Beide Referenzen finden sich unmittelbar nebeneinander in Tert. 4,16,1: Sed vobis dico … qui auditis ..., diligite i n i m i c o s vestros, et benedicite eos qui vos o d e r u n t, et orate pro eis qui vos c a l u m n i a n t u r - Si enim qui i n i m i c i sunt et o d e r u n t et m a l e d i c u n t et c a l u m n i a n t u r fratres appellandi sunt. 11 Hieronymus, ep. 84,8: Amate inimicos vestros: benefacite iis, qui persequuntur vos. Zwar gibt Hieronymus nicht unmittelbar zu erkennen, ob er den mt oder den lk Text assoziiert. Jedoch zeigt sein 638 Anhang I 6,27-38 folglich aus *Ev, dessen Text er genau referiert. Zweitens wird diese Lesart überlieferungsgeschichtlich durch die mt Parallele in 5,44 gestützt, die dem Adamantiuszitat fast exakt gleicht. 12 Auf diese Weise wird der Gang der Überlieferung von *Ev (= Adam) über Mt hin zur lk Fassung, die auch Tertullian zusammenfassend bezeugt, durchsichtig. *6,27f (= Adam) Mt 5,44 Lk 6,27f (  Tert) ἀγαπᾶτε τοὺς ἐχθροὺς ὑμῶν ἀγαπᾶτε τοὺς ἐχθροὺς ὑμῶν ἀγαπᾶτε τοὺς ἐχθροὺς ὑμῶν καλῶς ποιεῖτε τοῖς μισοῦσιν ὑμᾶς εὐλογεῖτε τοὺς καταρωμένους ὑμᾶς καὶ εὔχεσθε ὑπὲρ καὶ προσεύχεσθε ὑπὲρ προσεύχεσθε περὶ τῶν διωκόντων ὑμᾶς τῶν διωκόντων ὑμᾶς τῶν ἐπηρεαζόντων ὑμᾶς Und drittens spricht die Asyndese der vier Aufforderungen im kanonischen Text (6,27f) für die Annahme, dass *Ev nur zwei Aufforderungen enthielt. Denn die zwei Glieder der Aufforderung lassen sich nicht asyndetisch zusammenstellen: Sie müssen durch eine koordinierende Konjunktion verbunden sein. Diese findet sich dann auch sowohl in Adamantius’ Zeugnis (καὶ εὔχεσθε) als auch in der handschriftlichen Überlieferung. 13 Die Konjunktion ist demnach erst bei der redaktionellen Erweiterung auf die vier Glieder des kanonischen Textes ausgefallen. Nur nebenbei ist darauf hinzuweisen, dass Justin 6,27f mit der viergliedrigen Forderung zitiert: Er hatte die kanonische Lk-Fassung vor sich, nicht aber *Ev. 14 3. In *6,29a.b ist die Formulierung des Vordersatzes als konditionaler Relativsatz in *Ev (ἐὰν τίς σε ῥαπίσῃ; ἐὰν τίς σου ἄρῃ) anstelle der partizipialen Formulierung der kanonischen Fassung (τῷ τύπτοντί σε; ἀπὸ τοῦ αἴροντός σου) durch ______________________________ Stichwort benefacite anstelle des ansonsten bezeugten benedicite/ εὐλογεῖτε bzw. orate/ (προσ) εύχεσθε die Spuren der lk Bearbeitung (καλῶς ποιεῖτε aus Lk 6,27b ≠ Mt 5,44). Hieronymus kannte also das Logion in der aus *Ev-Lk bekannten Fassung mit der Erwähnung der Verfolger. Auch wenn diese Folgerung unsicher bleibt, stützen sich Adamantius und Hieronymus an dieser Stelle gegenseitig. 12 Der einzige Unterschied ist εὔχεσθε bzw. προσεύχεσθε. Die Vulgatafassung von Mt 5,44 lautet allerdings anders und zeigt einen Einfluss des kanonischen Lk-Textes: ego autem dico vobis diligite inimicos vestros benefacite his qui oderunt vos et orate pro persequentibus et calumniantibus vos. 13 W gat. Hier schimmert also wieder einmal der vorkanonische Text durch. Tertullians Referat, das ja die einzelnen Glieder mit et … et verbindet, ist an dieser Stelle allerdings wenig aussagekräftig: Er zitiert nicht, sondern fasst den ihm vorliegenden Text frei zusammen (s. o.). 14 Justin, 1Apol. 15,9: εὔχεσθε ὑπὲρ τῶν ἐχθρῶν ὑμῶν καὶ ἀγαπᾶτε τοὺς μισοῦντας ὑμᾶς καὶ εὐλογεῖτε τοὺς καταρωμένους ὑμῖν καὶ εὔχεσθε ὑπὲρ τῶν ἐπηρεαζόντων ὑμᾶς. Zu Justins Kenntnis der Kanonischen Ausgabe s. Bd. I, § 15.4. 6,27-38 Rekonstruktion 639 Adamantius gesichert. Diese redaktionelle Änderung zeigt sich noch in der Uneinheitlichkeit der handschriftlichen Überlieferung (s. o.). Schon in Mt 5,39f sind die konditionalen Formulierungen geändert. Die Formulierung von *6,29a ist weiter aufschlussreich. Denn Adam. bezeugt für *Ev das auch in Mt 5,39 bezeugte Verb ῥαπίζω anstelle von τύπτω in Lk 6,29. 15 Das heißt, dass die lk Formulierung redaktionell ist, während Mt seine Vorlage unverändert übernommen hat. Dies zeigt sich auch daran, dass es bei Mt die rechte Backe ist, die geschlagen wird (εἰς τὴν δεξιὰν σιαγόνα), wogegen Lk 6,29 nur einfach von einer Backe spricht, wie es auch Adamantius und Tertullian bezeugen. Aber die mt Formulierung ist nicht nur in einer ganzen Reihe von Lk-Handschriften enthalten, 16 sondern interessanterweise auch von Rufins Adamantiustext bezeugt: Die grundsätzlichen Überlegungen zur Überlieferungsgeschichte legen es nahe, dass hier Mt den Text von *Ev genauer bewahrt hat als Lk. Die lk Redaktion hat dabei in 6,29b die auch für *Ev bezeugte Abfolge ἱμάτιον - χιτών beibehalten, die Mt 5,40 aus Gründen der impliziten Logik geändert hatte. 17 Rufins Adamantiusübersetzung hat diese mt Abfolge gegen den griechischen Text übernommen. 18 4. 6,30b καὶ ἀπὸ τοῦ αἴροντος τὰ σὰ μὴ ἀπαίτει ist unbezeugt, ein auch nur halbwegs wahrscheinliches Urteil ist aufgrund der isolierten Betrachtung nur dieses Verses allein nicht möglich (s. u. zu 6,32-34). Zwar hat Lk die Besitzethik entlang der hier entfalteten Linien redaktionell verstärkt (vgl. etwa 3,10-14) und in dieser Ausformung der Besitzethik einen redaktionellen Schwerpunkt gesetzt, aber dies besagt nichts über die Ursprünglichkeit von *6,30b. Das Problem wird dadurch noch verschärft, dass die Ursprünglichkeit von V. 34b, der nächsten Analogie zu 6,30b im Kontext, erheblichen Zweifeln unterliegt (s. gleich). Immerhin ist klar, dass *6,29f ursprünglich in diesen Zusammenhang gehören und nicht sekundär eingefügt wurden. 19 5. Die »Goldene Regel« *6,31 ist durch Tertullian (4,16,13) gesichert, und zwar in einer Formulierung, die Berührungen zu den beiden synoptischen Fassungen aufweist. ______________________________ 15 Dass Adam. hier nicht ῥαπίζει bietet, sondern das Fut ῥαπίσει, geht vermutlich tatsächlich auf *Ev zurück, wie die v. l. für Mt 5,39 (D L Θ f 1.13 M ) nahelegt. 16 Die Bezeugung erstreckt sich weniger deutlich auf die »verdächtigen« Handschriften als sonst: א * E* 28 579 983 1241 1675 aeth (Par. 32; Bodl. 42) Basil. 17 Mt zielt im Gegensatz zu Lk darauf, dass die freiwillige, zusätzliche Leistung größer ist als das, was einem gegen seinen Willen genommen wird. Wie κριθῆναι zeigt, setzt Mt die Situation eines Pfändungsprozesses voraus (s. L UZ , Mt I z. St.). 18 Adam. 1,18 (815e): ἐὰν τίς σου ἂρῃ τὸ ἱμάτιον, πρόσθες αὐτῷ καὶ τὸν χιτῶνα - si tibi quis aufert tunicam, da ei et pallium. 19 So (als sekundäre Erweiterung des Grundstocks von »Q«) z. B. C HR . M. T UCKETT , Q and the History of Early Christianity, Edinburgh 1996, 301. 640 Anhang I 6,27-38 *6,31 Mt 7,12 Lk 6,31 καὶ καθὼς πάντα οὖν ὅσα ἐὰν καὶ καθὼς ὑμῖν γίνεσθαι θέλετε θέλητε θέλετε ἵνα ποιῶσιν ὑμῖν ἵνα ποιῶσιν ὑμῖν παρὰ τῶν ἀνθρώπων οἱ ἄνθρωποι, οἱ ἄνθρωποι, οὕτως καὶ ὑμεῖς οὕτως καὶ ὑμεῖς ποιεῖτε αὐτοῖς ποιεῖτε αὐτοῖς ποιεῖτε αὐτοῖς ὁμοίως Für die Einleitung καὶ καθὼς … θέλετε anstelle des konditionalen Relativsatzes bei Mt (πάντα οὖν ὅσα ἐὰν θέλητε) ist noch erkennbar, wie Lk von *Ev abhängig ist, auch wenn der von Mt übernommene Finalsatz ἵνα ποιῶσιν ὑμῖν οἱ ἄνθρωποι eine Umstellung erforderlich macht. In der zweiten Hälfte des Logions folgt Mt der Formulierung aus *Ev genau, während Lk eigene Wege geht. »Der Imperativ ποιεῖτε … ὁμοίως ist typisch lk«, 20 die beiden weiteren Belegstellen (3,14; 10,37) sind ebenfalls redaktionell. In einem Aspekt weichen sowohl Mt als auch Lk von dem Wortlaut in *Ev ab: Sie ersetzen die etwas umständlich wirkende Wendung ὑμῖν γίνεσθαι θέλετε παρὰ τῶν ἀνθρώπων durch den Finalsatz ἵνα ποιῶσιν usw. Eine wichtige Ergänzung ist der Aufmerksamkeit von Dieter Roth zu verdanken, der darauf hingewiesen hat, dass die von Tertullian für *Ev bezeugte Passivformulierung ὑμῖν γίνεσθαι … παρὰ τῶν ἀνθρώπων auch in der altlateinischen Überlieferung zu Mt 7,12 auftaucht. 21 Diese Bezeugung ist von besonderer methodischer Bedeutung, weil sie das hier vorausgesetzte Modell der Überlieferungsgeschichte auf überraschende Weise bestätigt. Denn Tertullians Zeugnis belegt eine literarische Beziehung zwischen dem marcionitischen Evangelium und (einer bestimmten Textgestalt von) Mt. Für eine solche Beziehung gibt es im Modell der Lk-Priorität keine sinnvolle Erklärung; man müsste ja annehmen, dass die marcionitische Bearbeitung des kanonischen Lk-Evangeliums auf die Textüberlieferung des kanonischen Mt eingewirkt hat. Dagegen bietet die *Ev-Priorität eine unproblematische und naheliegende Erklärung, wie eine solche Beziehung (also Einfluss von *Ev auf Mt) vorzustellen ist; das Modell dafür ist in § 12 skizziert. Aber dieser Einfluss von *Ev auf Mt ist ja auch wieder verschwunden: Der Hinweis der altlateinischen Überlieferung ist ein Solitär. Der Eingriff, der die Textgestalt von *Ev in Mt getilgt hat, könnte die oben (§ 14.3) postulierte kanonische Redaktion des vorkanonischen *Mt sein. ______________________________ 20 Vgl. W OLTER , Lk 258 z. St. 21 R OTH 108: Der Claromontanus (h [12]) hat in Mt 7,12: volueritis bona vobis fieri ab hominibus similiter et vos illis facite, der Bobiensis (k [1]) hat: volueritis ut fiant vobis homines bona ita et vos facite illis. Roth erklärt diesen Befund nicht. 6,27-38 Rekonstruktion 641 6. Aus 6,32-35 bezeugt Tertullian nur *6,34a und *6,35cd. Dies ist angesichts des ansonsten dichten Referats in diesem Abschnitt auffällig und lässt die Vermutung aufkommen, dass die unbezeugten Passagen in *Ev gefehlt haben könnten. Sicher ist nur, dass *Ev in V. *35c nicht die kanonische Formulierung (καὶ ἔσεσθε) υἱοὶ ὑ ψ ί σ τ ο υ hatte, sondern stattdessen υἱοὶ θ ε ο ῦ las. 22 Das passt genau zu der Beobachtung, dass metonymisches oder titulares (ὁ) ὕψιστος als Bezeichnung für Gott sich innerhalb des NT nur in lk-redaktionellen Passagen 23 findet: Die Änderung ist also programmatisch und Teil des redaktionellen Konzeptes. Da die Apodosis V. *35c eine Protasis erfordert, ist es wahrscheinlich, dass eine Wendung wie Mt 5,44 || Lk 5,35a in *Ev enthalten war. Die in V. 35a aufgeführten Imperative (ἀγαπᾶτε; ἀγαθοποιεῖτε; δανίζετε) fassen zusammen, was zuvor gefordert war: Sie haben jeweils eine Entsprechung in den für *Ev gesicherten Vv. *27.28.30a, sofern man die Fürbitte für die Verfolger als »Gutestun« im Sinn von V. 35a auffassen kann. a. Als Problem bleibt daher die Frage nach 6,32f.34b. Liest man den Zusammenhang mit diesen Passagen, dann ergibt sich eine durchsichtige und sehr sinnvolle Struktur, welche die Aufhebung des Prinzips der ethischen Reziprozität deutlich macht: Drei der Forderungen nach einem »Surplus« ethischen Verhaltens (6,27-30) werden in den Vv. 32-34 aufgegriffen und begründet: Das Prinzip der direkt proportionalen Rückerstattung ist auch bei den »Sündern« üblich und erwirkt keinen »Dank«, wobei das zentrale Stichwort χάρις in 32b.33.34b Gott als eschatologischen Dankesschuldner impliziert. Ein Verhalten, das nicht an ethischer Gegenseitigkeit orientiert ist, sondern an dem, was man sich von den Menschen wünscht (V. 31), macht die Täter zu Söhnen Gottes, weil auch Gott nicht nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit handelt, sondern auch Undankbaren und Bösen gegenüber gütig ist (35d). Diese Struktur besitzt in der Tat eine bewunderungswürdige »systematische Geschlossenheit«. 24 b. Die Frage ist jedoch, ob dieses ethische Konzept und seine Stringenz schon auf *Ev oder erst auf die lk Redaktion zurückgehen. Zwei miteinander zusammenhängende Beobachtungen legen das Letztere nahe: Zum einen ist überraschend, dass die für die inhaltliche Kohärenz konstitutiven Elemente - also die Aussagen über den zu erwartenden Dank - durchweg nicht bezeugt sind. Da diese Elemente in 6,32f.34b sich gegenseitig stützen und bedingen, ist ihre vollständige Nichtbezeugung aufschlussreich. Ganz analog dazu ist die Entsprechung zu V. *34a.35b in ______________________________ 22 Tert. 4,17,4: et eritis filii dei. Vgl. dazu Z AHN II 452. Die redaktionelle Ändeurng ist noch in der Konflation altissimi dei im Evangelium Palatinum (e) erkennbar. 23 Neben Lk 6,35 noch 1,32.35.76; 8,28 (s. dort) sowie Act 7,48. 24 W OLTER , Lk 260: »Voller Bewunderung blickt der Kommentator auf die systematische Geschlossenheit des ethischen Konzepts, das Lukas hier vorgelegt hat.« 642 Anhang I 6,27-38 EvThom 95 zu beurteilen. 25 Zunächst ist natürlich aufschlussreich, dass hier der für *Ev unbezeugte V. 34b über die Verleihpraxis »unter den Heiden« nicht auftaucht. Falls EvThom dieses Logion aus der kanonischen Fassung kannte, müsste man annehmen, dass er zufällig das schon für *Ev unbezeugte Element weggelassen hätte. Daher ist die Annahme wahrscheinlicher, dass EvThom hier den Kontext von *Ev vor sich hatte. Damit verbunden ist eine wichtige inhaltliche Frage. Denn die Formulierung in EvThom 95,2 gibt nicht eindeutig zu erkennen, ob Jesus fordert, dem zu geben, von dem man den Kredit nicht zurückerhält oder von dem man keine Zinsen zu erwarten hat. Der Vordersatz in 95,1 (Verbot von Kredit gegen Zinsen) legt das Erste nahe. Die unbezeugte (auch in EvThom 95 fehlende) Aussage von V. 34b geht dagegen davon aus, dass man denen borgen soll, von denen man nicht erwarten kann, das Geborgte zurückzuerhalten 26 - das ist gegenüber dem Zinsverbot eine deutliche Steigerung. c. Diese inhaltliche Einsicht hat dann auch Rückwirkungen auf die Beurteilung des Verbots der Rückforderung des Gegebenen V. 30b (καὶ ἀπὸ τοῦ αἴροντος τὰ σὰ μὴ ἀπαίτει): Sie beschreibt das gleiche Verhalten, das die Adressaten nach V. 34b von den Sündern unterscheiden soll. Das aber bedeutet: Alle genannten Elemente in 6,30b.32f.34b sind paränetische Isotopien: Sie gehören zusammen und bedingen sich gegenseitig - und sie alle sind für *Ev unbezeugt. Auch in EvThom 95 fehlt genau diese Deutungsebene. Da der Kontext in *Ev ohne diese Passagen einen durchaus sinnvollen, wenn auch nicht so ausgefeilten Zusammenhang wie in Lk ergibt, spricht mehr dafür, dass diese Passagen in *Ev gefehlt haben, als dass sie durch Tertullian (und durch EvThom) übergangen wurden. Auch wenn letzte Sicherheit nicht zu erlangen ist, steht doch dafür, dass die systematische Kohärenz dieses Zusammenhangs erst auf die Redaktion des Lk zurückgeht, der hier die Ausführungen aus Mt 5,46-48 aufgreift und ausbaut. 7. Die folgenden Vv. *36-38 sind mit einigen kleineren Abweichungen, die ohne großes Gewicht bleiben, 27 für *Ev gut bezeugt. ______________________________ 25 NHC II/ 2 (48,35-49,2 ÜS Schröter/ Bethge): »(1) Jesus spricht: Wenn ihr Geld habt, gebt (es) nicht gegen Zins. (2) Vielmehr gebt [es] dem, von dem ihr es nicht (zurück)erhalten werdet.« 26 Zum Verständnis der Formel ἀπολαμβάνειν τὰ ἴσα vgl. W OLTER , Lk 258 z. St. (mit hellenistischen Belegen). 27 Für *6,36 bezeugt Tertullian Perfekt (misertus est) anstelle des lk Präsens (οἰκτίρμων ἐστίν). In den beiden apotreptischen Aussagen V. *37 hatte *Ev finales ἵνα μή anstelle des konsekutiven καὶ οὐ des kanonischen Textes. In V. 38 hat die lk Redaktion die Reihe der Adjektive um σεσαλευμένον ergänzt. Ist die Vierzahl der Adjektive zur Beschreibung des Lohns (καλόν; πεπιεσμένον; σεσαλευμένον; ὑπερεκχυννόμενον) eine redaktionell intendierte Angleichung an die Vierzahl der Forderungen in 6,27f (ἀγαπᾶτε; καλῶς ποιεῖτε; εὐλογεῖτε; προσεύχεσθε)? 6,27-38 Rekonstruktion 643 Gleich mehrere von ihnen haben den Weg in die kanonische Handschriftenüberlieferung gefunden. Demnach änderte die lk Redaktion (1) ᾧ μέτρῳ … in τῷ αὐτῷ μέτρῳ ᾧ …, fügte (2) den kausalen Anschluss γάρ ein, setzte (3) das Präsens μετρεῖτε ins Futur (μετρήσετε) und ersetzte (4) das einfache μετρηθήσεται durch das Kompositum ἀντιμετρηθήσεται. Drei dieser Abweichungen sind bei Tertullian und Adamantius, den beiden häresiologischen Hauptzeugen dieser Stelle, unterschiedlich belegt. Die Rekonstruktionsentscheidungen folgen jeweils dem methodischen Grundsatz, dass für das vorkanonischen Evangelium die am weitesten vom kanonischen Mehrheitstext entfernte Fassung anzunehmen ist, die dann an diesen Text angeglichen wurde. Warum V. *38 die Thematik des bereitwilligen Gebens nach V. *30 noch einmal aufnimmt, ist nicht wirklich ersichtlich: Die »systematische Geschlossenheit« bleibt begrenzt. Das Wort vom Maß V. *38c ist das einzige Logion aus dem gesamten Kontext, das von Mk rezipiert wurde: Er hat es in Mk 4,24c auf das Verstehen der Gleichnisse bezogen. *6,39-46 [ 47-49 ] : Feldrede III: Paränetische Sentenzen und Bildworte. [ Gleichnis vom Hausbau ] Im Kern gut für *Ev bezeugt und sicher vorhanden, aber redaktionell bearbeitet und am Ende sehr wahrscheinlich ergänzt. [ 6,39 Εἶπεν δὲ καὶ παραβολὴν αὐτοῖς· ] Μήτι δύναται τυϕλὸς τυϕλὸν ὁδηγεῖν; οὐχὶ ἀμϕότεροι εἰς βόθυνον ἐμπεσοῦνται; 40 οὐκ ἔστιν μαθητὴς ὑπὲρ τὸν διδάσκαλον, ¿κατηρτισμένος δὲ πᾶς ἔσται ὡς ὁ διδάσκαλος αὐτοῦ.? 41 Τί δὲ βλέπεις τὸ κάρϕος τὸ ἐν τῷ ὀϕθαλμῷ τοῦ ἀδελϕοῦ σου, τὴν δὲ δοκὸν τὴν ἐν τῷ ἰδίῳ ὀϕθαλμῷ οὐ κατανοεῖς; 42 πῶς δύνασαι λέγειν τῷ ἀδελϕῷ σου, Ἀδελϕέ, ἄϕες ἐκβάλω τὸ κάρϕος a ἐκ τοῦ ὀϕθαλμοῦ a σου, b καὶ ἰδού, ἡ δοκὸς ἐν τῷ σῷ ὀϕθαλμῷ ὑποκεῖται b ; ὑποκριτά, ἔκβαλε πρῶτον τὴν δοκὸν ἐκ τοῦ ὀϕθαλμοῦ σοῦ, καὶ τότε διαβλέψεις τὸ κάρϕος c ἐκ τοῦ ὀϕθαλμοῦ c τοῦ ἀδελϕοῦ σου ἐκβαλεῖν. 43 d †Οὐ e † [ γάρ ] † δύναται† d δένδρον καλὸν f †καρποὺς σαπρούς† f g †ἐνεγκεῖν†, οὐδὲ h [ πάλιν ] δένδρον σαπρὸν i †καρποὺς καλούς† i k †ἐνέγκαι†. 44 ἕκαστον γὰρ δένδρον ἐκ τοῦ ἰδίου καρποῦ γινώσκεται· οὐ γὰρ ἐξ ἀκανθῶν συλλέγουσιν σῦκα, οὐδὲ ἐκ βάτου σταϕυλὴν τρυγῶσιν. 45 ὁ ἀγαθὸς ἄνθρωπος ἐκ τοῦ ἀγαθοῦ θησαυροῦ τῆς καρδίας προϕέρει τὸ ἀγαθόν, καὶ ὁ πονηρὸς ἐκ τοῦ πονηροῦ προϕέρει τὸ πονηρόν· ἐκ γὰρ περισσεύματος καρδίας λαλεῖ τὸ στόμα αὐτοῦ. 46 Τί l [ δέ με ] l m καλεῖτε, Κύριε κύριε, καὶ οὐ ποιεῖτε ἃ λέγω; [ 6,47 πᾶς ὁ ἐρχόμενος πρός με καὶ ἀκούων μου τῶν λόγων καὶ ποιῶν αὐτούς, ὑποδείξω ὑμῖν τίνι ἐστὶν ὅμοιος· 48 ὅμοιός ἐστιν ἀνθρώπῳ οἰκοδομοῦντι οἰκίαν ὃς ἔσκαψεν καὶ ἐβάθυνεν καὶ ἔθηκεν 644 Anhang I 6,39-49 θεμέλιον ἐπὶ τὴν πέτραν· πλημμύρης δὲ γενομένης προσέρηξεν ὁ ποταμὸς τῇ οἰκίᾳ ἐκείνῃ, καὶ οὐκ ἴσχυσεν σαλεῦσαι αὐτὴν διὰ τὸ καλῶς οἰκοδομῆσθαι αὐτήν. 49 ὁ δὲ ἀκούσας καὶ μὴ ποιήσας ὅμοιός ἐστιν ἀνθρώπῳ οἰκοδομήσαντι οἰκίαν ἐπὶ τὴν γῆν χωρὶς θεμελίου, ᾗ προσέρηξεν ὁ ποταμός, καὶ εὐθὺς συνέπεσεν, καὶ ἐγένετο τὸ ῥῆγμα τῆς οἰκίας ἐκείνης μέγα. ] A. *6,39f: Tert. 4,17,11f: Eligant itaque Marcionitae ne tanti sit de magistri regula excidere quanti Christum aut hominibus aut creatori docentem habere. (12) Sed caecus caecum ducit in foveam. Credunt aliqui Marcioni. Sed non est discipulus super magistrum. Hoc meminisse debuerat Apelles, Marcionis de discipulo emendator … ♦ *6,42f: Tert. 4,17,12: … eximat et de oculo suo trabem haereticus, tunc in oculo Christiani si quam putat stipulam revincat … ♦ *6,43: Tert. 4,17,12: … proinde et arbor bona non proferat malum fructum, quia nec veritas haeresim; nec mala bonum, quia nec haeresis veritatem. ¦ Tert. 1,2,1: … in homines non in deos disponentis exempla illa bonae et malae arboris, quod neque bona malos neque mala bonos proferat fructus … ¦ Tert. 2,4,2: agnoscat hinc primum fructum optimum, utique optimae arboris, Marcion. ¦ Tert. 2,24,3: quia et Marcion defendit arborem bonam malos quoque fructus non licere producere. ¦ Adam. 1,28 (821a): Καθὼς λέγει τὸ εὐαγγέλιον· οὐ δύναται δένδρον σαπρὸν καρποὺς καλοὺς ἐνεγκεῖν, οὐδὲ δένδρον καλὸν καρποὺς κακοὺς ἐνέγκαι. ¦ Adam. 1,28 (821e): ὀ Χριστὸς εῖπεν ὅτι· οὐ δύναται δένδρον σαπρὸν καρποὺς καλοὺς προενεγκεῖν οὐδὲ δένδρον καλὸν καρποὺς σαπροὺς προενέγκαι. ¦ Origenes, Princ. 2,5,4 (GCS 22, 137): (die Marcioniten) aiunt namque: scriptum est quia non potest arbor bona malos fructus facere neque arbor mala bonos fructus facere. ¦ Hipp., Refut. 10,19,3 (GCS 26, 280): (die Marcioniten) διὸ καὶ ταῖς παραβολαῖς ταῖς εὐαγγελικαῖς χρῶνται οὕτως λέγοντες· οὐ δύναται δένδρον καλὸν καρποὺς πονηροὺς ποιεῖν καὶ τὰ ἐξῆς. ¦ PsTert., Haer. 6 (CSEL 47, 223,5-7): Hic ex occasione qua dictum sit omnis arbor bona bonos fructas facit mala autem malos … ¦ Filastrius, Haer. 45,2 (CCL 9, 236): non est arbor bona quae facit malum fructum neque arbor mala quae faciat bonum fructum. ♦ *6,45: Tert. 4,17,12: Sic nec Marcion aliquid boni de thesauro Cerdonis malo protulit, nec Apelles de Marcionis. ♦ *6,46: Tert. 4,17,12f: Si ita est, quis videbitur dixisse, Quid vocas, Domine, domine? (13) Utrumne qui nunquam hoc fuerat vocatus, ut nusquam adhuc editus, an ille qui semper dominus habebatur, ut a primordio cognitus, deus scilicet Iudaeorum? Quis item adiecisse potuisset, Et non facitis quae dico? B. a (6,42) εκ του οϕθαλμου: Tert D 2643 ℓ950 it vg sy s.p Tat arab armen got aeth Cyr. Alex. (Lc; PG 72, 604) ¦ το εν τω οϕθαλμω: M ● b (6,42) και ιδου η δοκος εν τω σω οϕθαλμω υποκειται: D sy s (a aur b c d e ſſ 2 l q) ¦ αυτος την εν τω οϕθαλμω σου δοκον οψ βλεπων: f g 1 gat r 1 M (*Ev non test.) ● c (6,42) εκ του οϕθαλμου: D 16 348 472 477 1216 1579 ℓ950 it vg sy s.p Tat arab armen georg aeth Athan (Ep. cast. 2,4; PG 28, 889) Basil (Reg. br. 164; PG 31, 1192) Isid. Pel. (Ep. 1,82; PG 78, 240) Ambst (Rm 12,16,2; CSEL 81, 408f) Iren (4,30,3) ¦ το εν τω οϕθαλμω: M (*Ev non test.) ● d (6,43a) Widersprüchliche Bezeugung: (1) ου δυναται: Adam Orig Hipp; Hegem (Arch. 5; 15; GCS 16, 7; 24) ¦ (2) ου … εστιν: Filastr D it M ● e (6,43a) Widersprüchliche Bezeugung: (1) γαρ/ enim: om Adam Hipp PsTert Filastr Hegem (Arch. 5; 15; GCS 16, 7; 24) ¦ (2) γαρ/ enim: add Orig D it M ● f (6,43a) Widersprüchliche Bezeugung: (1) καρπους καλους: (Adam) Orig Tert (1,2,1; 2,24,3) (Hipp) PsTert D it sy s.p aeth Hegem (Arch. 15; GCS 16, 24) ¦ (2) καρπον σαπρον/ malum fructum: Tert (4,17,12; 2,4,2) Filastr M ● g (6,43a) Widersprüchliche Bezeugung: (1) (προ-, προσ-) ενεγκειν/ proferre: Adam Tert (4,17,12; 1,2,1) ¦ (2) ποιειν: Orig Hipp PsTert Filastr M ● h (6,43b) παλιν/ iterum: om Tert Adam Orig PsTert A C D Θ Ψ 33 M a aur c d e f ſſ 2 l r 1 vg mss ¦ add P 75 א B 6,39-49 Rekonstruktion 645 L W Ξ f 1.13 579 892 1241 2542 pc b q vg ms bo ● i (6,43b) Widersprüchliche Bezeugung: (1) καρπους καλους/ fructus bonos: (Adam) Tert (1,2,1) Orig (Hipp) PsTert D (  1010) a b c d e f g 1 q sy s.p aeth Hegem (Arch. 15; GCS 16, 24) ¦ (2) καρπον καλον/ fructum bonum: Tert (4,17,12) Filastr aur ſſ 2 gat l r 1 vg M ● k (6,43b) Widersprüchliche Bezeugung: (1) (προ-) ενεγκαι/ proferre: Adam Tert (4,17,12) ¦ (2) ποιειν: Orig M ● l (6,46) δε με: om Tert ¦ με: P 75vid 13 543 826 828 1424 sa mss bo mss georg ¦ δε με: add M ● m (6,46) καλειτε: it M ¦ καλεις/ vocas: Tert. C. Die Kombination der abschließenden Sentenzen und Bildworte von den blinden Blindenführern, vom Verhältnis zwischen Schüler und Lehrer, vom Splitter im Auge und von den Früchten des guten bzw. schlechten Baumes ist bereits für *Ev sicher bezeugt. Fraglich ist allerdings, ob und wie diese Einheit redaktionell bearbeitet wurde. 1. Die Einleitung 6,39a ist unbezeugt. Die Wendung εἶπεν δὲ καὶ παραβολὴν αὐτοῖς geht, wie die Analogien in 5,36; 12,16; 13,6; 14,7; 15,3; 18,1; 21,29 zeigen, mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die lk Redaktion zurück (s. o. zu 5,36). Auch hier besitzt die Einleitung die Funktion, die narrative Kohärenz zu verstärken: Die lk Redaktion macht aus den drei relativ unverbunden nebeneinander stehenden Sentenzen und Bildworten eine »Gleichnisrede.« 2. Während das Bildwort von den blinden Blindenführern (*6,39b) der Sache nach, das Wort vom Verhältnis von Lehrer und Schüler (*6,40a) im Wortlaut bezeugt ist, fehlt eine Bezeugung von 6,40b: Auf der einen Seite spricht Tertullian (4,17,11) die Schüler-Lehrer-Verhältnisse bei Marcion sehr deutlich an: Apelles war sein Schüler und ist zu seinem Berichtiger geworden (discipulus - emendator); Marcion hat als »Frucht vom Baum« Kerdons ebenso wenig Gutes hervorgebracht wie Apelles als »Frucht vom Baum« Marcions. Tertullian appliziert hier die Aussagen von *6,39 (Blinde), *6,40 (Schüler nicht über Lehrer) und *6,43 (Baum und Frucht) derartig geschickt miteinander, dass man den Gehalt der Sentenz Lk 6,40b (der vollkommene Schüler ist wie der Lehrer) dahinter zu hören vermeint, auch wenn sie nicht erwähnt wird. Auf der anderen Seite: Hätte Tertullian sich die Möglichkeit entgehen lassen, anhand von Lk 6,40b Apelles und Marcion jeweils als vollkommene »Schüler« ihrer häretischen Lehrer zu brandmarken? Da ein positives Argument fehlt, muss die Frage offen bleiben. 3. Unbezeugt ist auch *6,42a. Da die paränetische Funktion des Bildwortes vom Splitter und Balken im Auge ja durch die abschließende Mahnung in *6,42b direkt sichergestellt wird, ist die rhetorische Frage *6,42a für die Wirksamkeit nicht unbedingt erforderlich: Der Sinn ist auch ohne diese Frage eindeutig zu verstehen, sie könnte daher theoretisch gefehlt haben. Da Tertullian die Frage aber aus genau diesem Grund in seinem Referat auch übergangen haben könnte, bleibt das Problem unentscheidbar. Auch dieses Urteil muss offen bleiben. 646 Anhang I 6,39-49 4. Das Gleichnis von der Frucht des guten und des schlechten Baums (*6,43) ist mehrfach bezeugt: Das Logion hat in den Auseinandersetzungen zwischen Marcion bzw. den Marcioniten und ihren katholischen Gegnern eine zentrale Rolle gespielt, wie Tertullian und viele andere belegen. 1 Hier wird das Logion durch die unbezeugte Sentenz *6,44 erläutert. Auch in diesem Fall ist die Erläuterung, die auf der Bildebene bleibt, für das Verständnis verzichtbar, zumal *6,45a.b eine nichtmetaphorische Anwendung bietet, die der Sache nach schon für *Ev bezeugt ist. Die Struktur dieses Abschnitts ist daher analog zu 6,41f zu beschreiben. a. Für das Urteil zu dem unbezeugten V. 44 ist die Überlieferungsgeschichte zu beachten: Das Logion besitzt eine Parallele in Mt 7,16, geht jedoch im mt Kontext der Bergpredigt dem Wort vom guten bzw. schlechten Baum (Mt 7,17f) voraus, anstatt ihm wie in Lk 6,43.44 zu folgen. Falls 6,44 in *Ev enthalten war, hätte Mt es von dort übernommen und umgestellt; falls nicht, hätte Lk das Logion aus Mt 7,16 übernommen, ihm aber eine neue Position gegeben. Wer hat also welche Vorlage bearbeitet? Die mt Dublette in 12,33(-35) zeigt dieselbe Anordnung der Logien wie Lk 6,43-45 Mt 12 *Ev 6 Mt 7 Die Frucht vom guten/ schlechten Baum 12,33a.b *6,43 7,17f Erkenntnis des Baumes an seiner Frucht 12,33c *6,44 7,16 Anwendung: Das Herz des guten/ schlechten Menschen 12,35 *6,45a.b — Mund und Herz 12,34a *6,45c — Angesichts dieser Entsprechungen liegt es nahe, den Ursprung dieser Einheit in *Ev in Abfolge und Umfang so anzunehmen, wie sie für den kanonischen Text bezeugt ist. Diese Annahme hat dann folgende Konsequenzen für die mutmaßliche Überlieferungsgeschichte: b. Mt hätte die Abfolge aus *Ev bei seiner Rezeption in 12,33-35 weitgehend bewahrt; nur die Stellung des Logions von Herz und Mund (12,35.34a) ist gegenüber *6,45a.b umgestellt. Da Mt diese »Dublette« ohnehin durch die Verschiebung in einen neuen Kontext redigiert hat, ist es leichter anzunehmen, dass diese Veränderung auf sein Konto geht. c. Bei der Rezeption des Logions in der Bergpredigt - also in dem narrativen Rahmen, der durch *Ev vorgegeben war - hat Mt stärker redaktionell eingegriffen: Er hat die sentenzenartige Anwendung des Bildwortes auf das Herz des Menschen weggelassen und die Abfolge von 7,16-18 gegenüber *6,43f verändert. Diese mt Änderungen haben leicht durchschaubare redaktionelle Gründe. Denn Mt hat in ______________________________ 1 Tert. 1,2,1f; 2,4,2; 2,24,3; Irenaeus, Haer. 1,27,2; 3,12,12; Hippolyt, Refut. 7,29.31; Origenes, Princ. 2,5,4 usw. Die Häresiologen diskutieren anhand dieser Stelle (und vermutlich in Reaktion auf entsprechende marcionitische Thesen) das Problem des marcionitischen Ditheismus. 6,39-49 Rekonstruktion 647 7,13f das vermutlich aus *Ev stammende Logion *13,23f (s. dort) über die schmale/ weite Tür vor das Logion *6,43-45 || Mt 717f.16 gestellt und damit den dreifach gegliederten Schluss der Bergpredigt als Mahnung zu einem Verhalten gemäß der Goldenen Regel (Mt 7,12) eröffnet. Er hat dabei das Bildwort vom Baum mit der guten/ schlechten Frucht (Mt 7,16-20) in eine Warnung vor den falschen Propheten eingebaut, an die sich die Logien über die Herr-Herr-Sager (Mt 7,21-23) sinnvoll anschließen. 2 Durch die veränderte Einleitung musste *6,43 || Mt 7,17 vom Anfang der Einheit an ihr Ende verschoben werden. Mt hat daraus noch die motivierende Gerichtswarnung 7,18f gefolgert: Ihm geht es um das Problem der Erkenntnis der wahren Identität der Menschen, mit dem er in 7,16a das Problem der Falschpropheten löst und das er dementsprechend am Ende in 7,20 wiederholt. d. Nicht alle Probleme lassen sich durch diese überlieferungsgeschichtliche Annahme klären. Zur Rekonstruktion der genauen Gestalt von *6,43 sind einige Fragen aufgrund der Mehrfachbezeugung und der unklaren Verwendung des Logions bei Tertullian zu klären. Zunächst zeigen die ausdrücklich als Zitate aus der marcionitischen Rezeption gekennzeichneten Belege, 3 dass das Logion mit größter Wahrscheinlichkeit mit der aus Mt 7,18 bekannten Wendung οὐ δύναται/ non potest begann, nicht mit der noch bei Filastrius durchscheinenden Wendung aus Lk 6,43 οὐ γάρ ἐστιν/ non est. Sodann bietet das Zeugnis des Adam.-Dialogs gegenüber allen anderen Zeugen die Abfolge schlechter Baum - guter Baum. Der semantische Unterschied ist so minimal, dass er sich nur aus dem Kontext ergeben könnte. Dies ist (mit zweifelhaften Argumenten) für die angenommene marcionitische Änderung auch erwogen worden. 4 Aber es liegt näher, diesen Kontext in dem argumentativen Duktus zu sehen, in dem Megethius dieses Logion im Dialog verwendet. Denn er führt das Logion im Zusammenhang der Sündenlehre als Beleg dafür an, dass niemand zwei Herren dienen kann; von daher lässt sich der Einsatz mit dem schlechten Baum begründen. Diese Annahme ist leichter als die Unterstellung allgemeiner Ungenauigkeit 5 - abgesehen davon, dass dies die Glaubwürdigkeit seines Zeugnisses in unkontrollierbarer Weise einschränken würde. ______________________________ 2 Die Charakterisierung der falschen Propheten als Wölfe im Schafspelz (Mt 7,15b) hat Mt aus der Täuferpredigt (Mt 3,10) und wiederholt sie hier (vgl. L UZ , Mt I 401). 3 Adam. 1,28 (821a): Καθὼς λέγει τὸ εὐαγγέλιον … (bzw. [821e] ebenfalls im Munde des Marcioniten Megethius: ὀ Χριστὸς εῖπεν ὅτι …). - Origenes, Princ. 2,5,4: Der ganze Abschnitt handelt von den Marcioniten; von denen heißt es: aiunt namque: scriptum est quia … - Auch Hippolyt spricht explizit von der marcionitischen Verwendung des Logions: διὸ καὶ ταῖς παραβολαῖς ταῖς εὐαγγελικαῖς χρῶνται οὕτως λέγοντες … (Refut. 10,19,3). 4 H ARNACK 195*: Die nur durch Adam. »bezeugte Umstellung ist für M. verständlich, weil ihm (s. Orig.) der schlechte Baum das Gesetz, resp. der Weltschöpfer ist.« Abgesehen von allen anderen Unwahrscheinlichkeiten, interpretiert Harnack damit aber nicht Marcions Motiv, sondern das des Adamantius/ Origenes. 5 Z. B. R OTH 363: »It seems more likely that the Adamantius Dialogue, as is so often the case, simply contains an inaccuracy.« 648 Anhang I 6,39-49 Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, dass Adamantius als Verb ἐνεγκεῖν bzw. προενεγκεῖν (in Teilen der Handschriften auch προσενεγκεῖν) bietet, und zwar gegen die große Mehrheit der Zeugen, die fast durchweg das auch in Lk 6,43 verwendete ποιεῖν haben. Nur Tertullian bezeugt (an zwei der vier Belege) proferre. Abgesehen von der methodischen Faustregel, dass der am weitesten vom kanonischen Text entfernte Wortlaut am ehesten für *Ev in Frage kommt, lässt sich diese Entscheidung noch weiter begründen. Denn *Ev bleibt vollständig auf der Bildebene, und da ist »Früchte treiben, hervorbringen« angemessen. Schon Mt hat die Bild- und die Sachebene sehr viel stärker vermischt, wie die moralischen Aspekte der von ihm verwendeten Adjektive zeigen: er setzt ἀγαθός und πονηρός anstelle von καλός und σαπρός. Zu dieser Angleichung von Bild- und Sachebene passt »Früchte machen, tun« (καρποὺς ποιεῖν) sehr viel besser als »Früchte treiben«. Genau diese Formulierung hat Lk in die sicher redaktionelle Täuferpredigt eingetragen 6 und sie offensichtlich auch für 6,43 übernommen. Für die Frage schließlich, ob von der Frucht (Sing.) oder von den Früchten (Plural) des Baums die Rede war, sieht die Situation noch einmal ein wenig anders aus. Von den vier Hinweisen, die Tertullian in Adv. Marc. auf das Logion gibt, bieten zwei den Singular (2,4,2; 4,17,12), zwei den Plural (1,2,1; 2,24,3). Von den anderen Zeugen hat nur Filastrius den Singular, der sich auch Lk 6,43 findet - allerdings nur in der Mehrheit der Handschriften: Auffälligerweise bieten D it sy (wie Mt 7,17f) den Plural. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Lesart durch sekundären »Parallelstelleneinfluss« zustande gekommen ist (wie die Herausgeber von NA 27 durch das Sigel p) andeuten). Vielmehr wird der Plural auf das vorkanonische Evangelium zurückgehen: Mt hat dessen Text unverändert rezipiert, Lk hat ihn bearbeitet und Singular gesetzt. Methodisch ist der Hinweis wichtig, dass zwei der genannten Aspekte (nämlich die Eingangswendung οὐ δύναται … sowie der Plural »Früchte«) sich nicht in Lk 6,43, wohl aber in Mt 7,17f finden. Dies ist ein starkes Indiz sowohl für die *Ev- Priorität vor den anderen kanonischen Evangelien als auch für die Priorität des Mt vor Lk. Denn die traditionelle Annahme der Lk-Priorität würde ja die Annahme erfordern, dass gleich mehrere Zeugen gar nicht wirklich auf *Ev rekurrieren, sondern irrtümlich den Wortlaut des Mt eintragen. 7 Solche Nötigung zur Annahme multipler Kontingenz widerrät dieser Lösung: Die »Matthäismen« in den *Ev-Referaten sind keine Ungenauigkeiten, sondern Elemente dieses vorkanonischen Evangeliums. e. Wenn die Erklärung zur überlieferungseschichtlichen Nähe von *6,43-45 und Mt 12,33-35 zutrifft, dann wird auch die unbezeugte Sentenz über das Verhältnis ______________________________ 6 Lk 3,8f: ποιήσατε οὖν καρποὺς ἀξίους τῆς μετανοίας … πᾶν οὖν δένδρον μὴ ποιοῦν καρπὸν καλὸν ἐκκόπτεται. 7 Vgl. dazu Z AHN II 463: die beiden Adam.-Belege seien als Zeugnis für *Ev auszuschließen, auch weil sie »Mt. 7,18 beidemale, auch im lat. Text in umgekehrter Ordnung der Satzglieder [geben]. Orig. gibt eine Combination von Mt. 7,18 und 12,33.« - H ARNACK 195*: »Als sicher darf angenommen werden, daß M[arcion] oder seine Vorlage sich auch hier vom Matth[äus-] Text hat beeinflussen lassen.« - R OTH 363 (zu Adam.): »The two references to this verse by Megethius are quite clearly to the parallel Mt 7: 18«, bzw. R OTH 402 (zu Orig., Hipp., PsTert. und Filastrius): »the influence of the Matthean parallels (Mt 7: 17-18; 12: 33) are readily apparent, in particular in the varying verbal constructions (e.g., potest facere, δύναται ποιεῖν, and facit).« 6,39-49 Rekonstruktion 649 von »Herz und Mund« bzw. von Tun und Reden in *6,45c in *Ev enthalten gewesen sein. In diesem Fall liegt es näher, dass die unterschiedliche Reihenfolge von Mt 12,34a.35 gegenüber *6,45a.b/ 6,45c eine redaktionelle Änderung des Mt ist: Sie erlaubt ihm den besseren Anschluss in 12,36f. 8 5. Das Gleichnis vom Hausbau, das die lk Feldrede beschließt, ist nirgends bezeugt. Es ist zwar denkbar, dass alle Zeugen es in ihrem *Ev-Referat einfach übergangen haben, aber dies ist unwahrscheinlich. Vor allem Tertullian hätte in diesem Gleichnis eine Steilvorlage für seine Kritik an Marcion gefunden, die er sicherlich genutzt haben würde: Es bringt die Gerichtsdrohung durch den Christus Gottes zum Ausdruck und widerlegt auf diese Weise eines der Axiome der marcionitischen Gotteslehre, wie Tertullian sie verstand. Es ist daher wahrscheinlicher, dass das Gleichnis in *Ev gefehlt hat, als dass die Zeugen es stillschweigend übergangen haben. In diesem Fall hätte Lk das Gleichnis aus Mt 7,24-27 übernommen (und dabei geringfügig überarbeitet). Für diese Annahme sprechen eine Reihe von Hinweisen: a. In textkritischer Hinsicht fällt auf, dass es so gut wie keine ernsthaften Varianten zum Mehrheitstext in Lk gibt. Vor allem lassen sich in den charakteristischen Handschriften des »Westlichen Textes« keine Spuren einer vorkanonischen Fassung ausmachen. Die einzige Abweichung, die dafür in Frage käme, ist offensichtlich durch die mt Parallele beeinflusst: In *6,49 lassen D a c d εὐθὺς (συνέπεσεν) aus und entsprechen darin der mt Formulierung (Mt 7,27: καὶ ἔπεσεν), die auch sonst in der handschriftlichen Überlieferung rezipiert wurde. 9 Dieser Befund stützt zugleich die methodische Annahme, dass längere redaktionelle Einfügungen in aller Regel nicht zu dem Variantenreichtum in den »Westlichen« Handschriften führen, der für kleinere Änderungen in bereits vorkanonisch gesicherten Passagen charakteristisch ist. b. Ein weiteres Argument für den sekundären Charakter von 6,46-49 ergibt sich aus dem synoptischen Vergleich: Die Nähe zwischen Lk 6,46-49 und Mt 7,21.24-27 ist hier deutlich größer als in den vorangehenden Logien, die für *Ev bezeugt sind. Das legt die Vermutung nahe, dass Lk hier einfach auf Mt zurückgreift. c. Hinzu kommt, dass die Verwendung des Gerichtsmotivs als Begründung für das »Tun« bekanntlich in einer ganzen Reihe von mt Texten begegnet und einen der Schwerpunkte seines redaktionellen Konzeptes bildet. Möglicherweise intendiert die lk Rezeption des mt Logions auch eine »kanonische« Dimension, die sich in der analogen Behandlung des Problems »Hören und Tun« (Jak 1,22-26) bzw. »Glauben ohne Werke« (Jak 2,22) zeigt. In diesem Fall würde die lk Ergänzung von *Ev einen kanonischen Kohärenzverweis intendieren. ______________________________ 8 Vgl. L UZ , Mt II 258 Anm. 47. 9 Vgl. επεσεν: A C W Ψ M , anstelle von συνεπεσεν: P 45.74 א B D L Θ Ξ f 1.13 33 579 700 892 1241 2542 pc. 650 Anhang I 6,39-49 6. Wenn das Ende der lk Feldrede (6,47-49) in *Ev gefehlt hat, bildet die Sentenz *6,46 den Abschluss der Feldrede in *Ev: Die Mahnung, das Gehörte auch zu tun, bleibt zwar implizit, ist deswegen aber nicht weniger deutlich. Tertullians Referat ist an dieser Stelle unklar, weil er *46a καλεῖς/ vocas im Singular, *46b ποιεῖτε/ facite dagegen im Plural bezeugt. Es ist schwer vorstellbar, dass *Ev eine solche Inkongruenz enthalten haben sollte; obwohl es andererseits keine Erklärung für den Numeruswechsel in Tertullians Referat gibt, bleibt dies die leichtere Erklärung, auch wenn die Rekonstruktion in diesem Fall gegen das einzige Zeugnis steht. *7,1-2.3-8.9.10: Der Centurio in Kapharnaum und sein Sklave Nur in geringen Teilen bezeugt, aber im Kern sicher vorhanden. Textgestalt unklar, mit hoher Wahrscheinlichkeit ergänzt. 7,1 a Καὶ ἐγένετο ὅτε ἐτέλεσεν ταῦτα τὰ ῥήματα λαλῶν ἦλθεν a εἰς Καϕαρναούμ. 2 ῾Εκατοντάρχου δέ τινος b παῖς κακῶς ἔχων ἤμελλεν τελευτᾶν, ὃς ἦν αὐτῷ c τίμιος. 3 ἀκούσας δὲ περὶ τοῦ Ἰησοῦ ἀπέστειλεν d [ πρὸς αὐτὸν ] d πρεσβυτέρους τῶν Ἰουδαίων, ἐρωτῶν αὐτὸν ὅπως ἐλθὼν διασώσῃ τὸν δοῦλον αὐτοῦ. 4 οἱ δὲ παραγενόμενοι πρὸς τὸν Ἰησοῦν e ἠρώτων αὐτὸν σπουδαίως, λέγοντες ὅτι Ἄξιός ἐστιν ᾧ παρέξῃ τοῦτο, 5 ἀγαπᾷ γὰρ τὸ ἔθνος ἡμῶν καὶ τὴν συναγωγὴν αὐτὸς ᾠκοδόμησεν ἡμῖν. 6 ὁ δὲ Ἰησοῦς ἐπορεύετο σὺν αὐτοῖς. ἤδη δὲ αὐτοῦ οὐ μακρὰν ἀπέχοντος ἀπὸ τῆς οἰκίας ἔπεμψεν ϕίλους. ὁ ἑκατοντάρχης λέγων αὐτῷ, Κύριε, μὴ σκύλλου, οὐ γὰρ ἱκανός εἰμι ἵνα ὑπὸ τὴν στέγην μου εἰσέλθῃς· 7 f [ διὸ οὐδὲ ἐμαυτὸν ἠξίωσα πρὸς σὲ ἐλθεῖν· ] f ἀλλὰ εἰπὲ λόγῳ, καὶ ἰαθήτω ὁ παῖς μου. 8 καὶ γὰρ ἐγὼ ἄνθρωπός εἰμι ὑπὸ ἐξουσίαν τασσόμενος, ἔχων ὑπ’ ἐμαυτὸν στρατιώτας, καὶ λέγω τούτῳ, Πορεύθητι, καὶ πορεύεται, καὶ ἄλλῳ, Ἔρχου, καὶ ἔρχεται, καὶ τῷ δούλῳ μου, Ποίησον τοῦτο, καὶ ποιεῖ. 9 ἀκούσας δὲ ταῦτα ὁ Ἰησοῦς ἐθαύμασεν αὐτόν, καὶ στραϕεὶς τῷ ἀκολουθοῦντι αὐτῷ ὄχλῳ εἶπεν, g Ἀμὴν λέγω h [ δὲ ] ὑμῖν, i παρ ʼ οὐδενὶ i k †τοιαύτην† πίστιν l ἐν τῷ Ἰσραὴλ εὗρον l . 10 καὶ ὑποστρέψαντες εἰς τὸν οἶκον οἱ πεμϕθέντες m δοῦλοι εὗρον τὸν m [ δοῦλον ] ὑγιαίνοντα. A. *7,1.9: Tert. 4,18,1: Proinde extollenda fide centurionis incredibile si is professus est talem se fidem nec in Israele invenisse ad quem non pertinebatfides Israelis. Sed nec exinde pertinere poterat, adhuc cruda ut probaretur vel compararetur, ne dixerim adhuc nulla. Sed cur non licuerit illi alienae fidei exemplo uti? Quoniam si ita esset, dixisset talem fidem nec in Israele unquam fuisse: ceterum dicens talem fidem debuisse se invenire in Israele, qui quidem ad hoc venisset ut eam inveniret, deus scilicet et Christus Israelis, quam non suggillasset nisi exactor et sectator eius. 7,1-10 Rekonstruktion 651 ♦ *7,9: Epiph., Schol. 7: λέγω δὲ ὑμῖν, τοσαύτην πίστιν οὐδὲ ἐν τῷ Ἰσραὴλ εὗρον. ¦ Epiph. Elench. 7: εἰ οὐδὲ ἐν τῷ Ἰσραὴλ τοιαύτην πίστιν εὗρεν ὡς ἐν τῷ ἀπὸ ἐθνῶν ἐλθόντι ἑκατοντάρχῃ ... B. a (7,1) και εγενετο οτε ετελεσεν ταυτα τα ρηματα λαλων ηλθεν: D q sy hmg ; και εγενετο οτε ετελεσεν παντα τα ρηματα λαλων ηλθεν: a aur b c d ſſ 2 l ¦ επειδη επληρωσεν παντα τα ρηματα αυτου εις τας ακοας του λαου εισηλθεν: e f r 1 vg M (*Ev non test.) ● b (7,2) παις/ puer: D c d; τις: D* ¦ δουλος: it M (*Ev non test.) ● c (7,2) τιμιος/ carus (honoratus): D a e (d) ¦ εντιμος/ pretiosus: aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● d (7,3) προς αυτον: om D 13 69 543 700 788 826 828 983 ℓ1016 a aur b c d e ſſ 2 l q r 1 bo 1ms Tat pers armen Chrys (Cent, PG 61, 769) ¦ add f g 1 gat M (*Ev non test.) ● e (7,4) ηρωτων: א D L Ξ 1 13 69 131 346 543 579 700 788 826 828 1342 1582 2542 it vg sy s.p.h bo armen aeth ¦ παρεκαλουν: M (*Ev non test.) ● f (7,7) διο ουδε εμαυτον ηξιωσα προς σε ελθειν: om D 700* a b c d e ſſ 2 gat l r 1 sy s ¦ add f g 1 q M (*Ev non test.) ● g (7,9) αμην: D Θ Ψ f 13 2542 pc a aur c d e f l vg bo mss ; αμην αμην: ſſ 2 r 1 ¦ om b q M (*Ev non test.) ● h (7,9) δε: Epiph ¦ om it M ● i (7,9) παρ ʼ ουδενι/ in nullo: Θ a aur b c f ſſ 2 l q r 1 Ephr (Comm. Diat. 6,22; CSCO 137, 84; FC 54/ 1, 268) Ambr (Lc. 5,87; CCL 14, 163) ¦ ουδεποτε/ numquam: D d ¦ ουδε: Tert Epiph e f M ● k (7,9) Widersprüchliche Bezeugung: (1) τοιαυτην/ M talem: Tert Epiph (Elench. [! ] 7) e r 1 sy j (aeth: ος πιστευει ως ουτος) ¦ (2) τοσαυτην/ tantam: Epiph (Schol. [! ] 7) a aur b c d f ſſ 2 l q M ● l (7,9) εν τω Ισραηλ ευρον: Epiph Tert (vgl. Mt 8,10); ευρον εν τω Ισραηλ: D Θ a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 Ambr Ephr ¦ ευρον … εν τω Ισραηλ: e; εν τω Ισραηλ … ευρον: Epiph (Elench.! ) e M ● m (7,10) δουλοι: D d ¦ om: it M (*Ev non test.) ● n (7,10) δουλον: om D d ¦ add δουλον: P 75 א B L W 1 131 157 205 209 579 700 716 892* 1241 1342 1582 2542 a aur b c e ſſ 2 g 1 l q r 1 sy s.j sa bo aeth; ασθενουντα δουλον: A C Θ Ψ f 13 33 f vg sy p.h M (*Ev non test.). C. Dass *Ev die Erzählung von dem Knecht des Centurio kannte, ist gesichert durch Tertullians Erwähnung des ἑκατοντάρχης/ centurio (*7,2) sowie durch das Zitat des abschließenden Jesuswortes *7,9 bei Epiphanius, auf das auch Tertullian referiert. Aber welche genaue Gestalt die Perikope besaß, lässt sich aufgrund der direkten Bezeugung allein nicht ausmachen. In diesem Fall ist die mangelhafte Bezeugung besonders bedauerlich: Durch eine genauere Rekonstruktion ließe sich der Anteil der lk Redaktion mit größerer Sicherheit bestimmen, der nicht nur für die Rekonstruktion von »Q« im Rahmen der Zwei-Quellentheorie ein viel beackertes Forschungsfeld darstellt, 1 sondern auch für die weiteren Beziehungen von *7,1-10 zu Mt 8,5-13 und zu Joh 4,46b-53 sowie möglicherweise zu Mk 5,22-24.35-43 weitere Einsichten in die Überlieferungsgeschichte ermöglicht hätte. Aus diesem Grund ist die Rekonstruktion zunächst auf die Auswertung der handschriftlichen Bezeugung der kanonischen Fassung angewiesen. 1. Die Exposition in *7,1 stellt den Anschluss an die vorangehende Feldrede her. Im Rahmen der Zwei-Quellentheorie nimmt eine Mehrheit der Forscher schon lange an, dass »Q« eine entsprechende Überleitungsformulierung enthielt. 2 Für diese Annahme spricht, dass Mt und Lk die Akoluthie von Bergpredigt bzw. Feldrede ______________________________ 1 Vgl. dazu die Dokumentation bei S. R. J OHNSON , Q 7: 1-10. The Centurion’s Faith in Jesus’ Word, Leuven 2002. 2 Vgl. die Dokumentation der Argumente bei J OHNSON , a. a. O. 4-20. 652 Anhang I 7,1-10 und der Erzählung vom Hauptmann in Kapharnaum bereits in *Ev vorgefunden hatten. In diesem Fall wäre Mt 7,28b.29 eine aus Mk 1,21f stammende redaktionelle Ergänzung dieser ursprünglichen Redeabschlussnotiz. Dass Mt die Erzählung von der Heilung des Aussätzigen (Mt 8,1-4) selbständig aus *5,12-14 (s. dort) zwischen die Bergpredigt (Mt 5,2-7,29) und die Erzählung vom Knecht des Hauptmanns (Mt 8,5-13) gesetzt hat, ist ohnehin klar. 3 In diesem Fall wären die typisch mt Redeabschlussformeln (außer Mt 7,28 noch 11,1; 13,53; 19,1; 26,1) insgesamt durch *7,1a angeregt worden. Wenn die Redeabschlussnotiz *7,1a in *Ev enthalten war, bleibt die Frage nach der genauen Formulierung, die in Mt 7,28 und Lk 7,1 voneinander abweicht. Wie auch sonst so häufig, enthält der Text von *7,1a in D q sy hmg (it) wahrscheinlich den ursprünglichen Wortlaut. *7,1a D (it) sy hmg Mt 7,28a Lk 7,1a καὶ ἐγένετο ὅτε ἐτέλεσεν καὶ ἐγένετο ὅτε ἐτέλεσεν ἐπειδὴ ἐπλήρωσεν ὁ Ἰησοῦς ταῦτα τὰ ῥήματα λαλῶν τοὺς λόγους τούτους πάντα τὰ ῥήματα αὐτοῦ εἰς τὰς ἀκοὰς τοῦ λαοῦ Demnach haben sowohl Mt als auch Lk die Einleitung von *Ev geringfügig, aber charakteristisch bearbeitet. Die wichtigste Einsicht besteht darin, dass die »typisch mt« Redeabschlussformel auf *Ev zurückgeht, und zwar auch in der Formulierung καὶ ἐγένετο ὅτε ἐτέλεσεν …; Mt hat sie in allen Fällen identisch beibehalten, aber das Objekt jeweils an den Kontext angeglichen. 4 Lk hat die Einleitungswendung geändert (ἐπειδὴ ἐπλήρωσεν), aber sowohl die Formulierung ohne nominales Subjekt als auch das Objekt τὰ ῥήματα aus *Ev übernommen. Die lk Veränderung der Einleitungswendung und das indirekte Objekt (εἰς τὰς ἀκοὰς τοῦ λαοῦ) enthalten charakteristisch redaktionelle Stilelemente. 5 Mit dieser redaktionellen Bearbeitung von *7,1a hat Lk darüber hinaus eine narrative Inkongruenz geschaffen: Die Abschlussnotiz der Feldrede nennt als Adressaten das Volk (ὁ λαός), während die aus *Ev stammende Einleitung der Feldrede direkt die Jünger erwähnt (οἱ μαθηταί *6,20; s. dort). ______________________________ 3 Vgl. U. W EGNER , Der Hauptmann von Kafarnaum, Tübingen 1985, 102; E. S EVENICH -B AX , Israels Konfrontation mit den letzten Boten der Weisheit, Altenberge 1993, 161f. 4 Die Einleitungswendung καὶ ἐγένετο ὅτε ἐτέλεσεν ὁ Ἰησοῦς … taucht in allen fünf Belegen wörtlich gleich auf; das Objekt lautet in 7,28: τοὺς λόγους τούτους; 11,1: διατάσσων τοῖς δώδεκα μαθηταῖς αὐτοῦ; 13,53: τὰς παραβολὰς ταύτας; 19,1: τοὺς λόγους τούτους; 26,1: πάντας τοὺς λόγους τούτους. Zum Ganzen vgl. auch K LEIN , Lk 269 Anm. 2, der Lk 7,1 insgesamt für lk formuliert hält. 5 Vgl. etwa zu πληροῦν Lk 22,16 (sicher red., s. dort); zu εἰς τὰς ἀκοάς vgl. die ebenfalls red. Formulierungen 1,44 (εἰς τὰ ὦτά μου); Act 17,22. Vgl. weiter K LEIN , Lk 269 Anm. 2, der allerdings davon ausgeht, dass der Vers »ganz von Lk formuliert« sei. 7,1-10 Rekonstruktion 653 2. Das Fehlen einer direkten Bezeugung für *7,3-8 wirft das größte und folgenreichste Problem dieser Perikope auf. Denn Lk 7,1-10 weicht von Mt 8,5-13 vor allem darin ab, dass die Sendung und Fürbitte der Ältesten der Juden für den Centurio (Lk 7,3-5) und die zweite Sendung der Freunde (Lk 7,6f) kein Gegenstück in Mt hat: Die lk Fassung legt großes Gewicht darauf, dass Jesus und der Centurio sich nicht direkt begegnen: Zuerst wird seine Bitte durch die πρεσβύτεροι τῶν Ἰουδαίων vermittelt (Lk 7,3-6), die sich für ihn stark machen (7,5: παρεκάλουν αὐτὸν σπουδαίως). Als dann Jesus sich auf den Weg zum Centurio aufmacht, schickt dieser eine zweite Delegation von Freunden, die in seinem Auftrag Jesus aufhalten und um ein Machtwort bitten (Lk 7,6b-8). Den Glauben, den Jesus erstaunt (Lk 7,9: ἐθαύμασεν) registriert und der zur Heilung des Knechtes führt, hat gar nicht der Centurio selbst bekannt, sondern die ϕίλοι an seiner Stelle! Im Gegensatz dazu lässt Mt den Centurio zu Jesus kommen (Mt 8,5: προσῆλθεν) und ihn selbst direkt für den Knecht bitten (Mt 8,5f: παρακαλῶν αὐτὸν καὶ λέγων): Mt hat keine Schwierigkeiten, Jesus in direktem Gespräch mit dem heidnischen Centurio zu zeigen. Diese Differenzen werfen im Horizont der Zwei-Quellentheorie die Frage nach der ursprünglichen Gestalt dieser Erzählung auf. Auf der einen Seite gibt es den Versuch, die lk »Überschüsse« schon für »Q« zu reklamieren 6 oder sie einer vorlk Fassung zuzuschreiben. 7 Aber die überwiegende Mehrzahl erklärt die doppelte Sendung von Ältesten und Freunden (Lk 7,3.6) sowie die Charakterisierung des Centurio als Gottesfürchtiger (Lk 7,4f) als lk Redaktion: Lk habe sie in eine »Q«-Fassung eingearbeitet, die i. W. der mt Fassung entsprochen habe. 8 Aus diesem Grund sind die Varianten der Handschriftenüberlieferung von Lk 7,3-8 von großer Bedeutung: Wenn sie als Spuren der Interferenz von vorkanonischer und kanonischer Übelieferung interpretiert werden können, wäre dies ein Beleg für die Existenz der entsprechenden Passagen in dem vorkanonischen *Ev- Text. In Lk 7,3 fehlt das indirekte Objekt mit der Angabe des Zieles der Sendung der jüdischen Ältesten (πρὸς αυτόν) in einer Reihe von Handschriften, zu denen besonders die »üblichen Verdächtigen« für Spuren des vorkanonischen Textes gehören, vor allem D it. Neben einem großen Teil der Zeugen der »Ferrar Group« (f 13 ) gehört auch die Minuskel (*)700 dazu, die immer wieder »Westliche« Lesarten enthält. Die charakteristische Lücke in diesen Handschriften ist ein deutliches ______________________________ 6 Vgl. vor allem A. D AUER , Johannes und Lukas, Würzburg 1984, 39-125: 114f. 7 Mit lk Sondergut (Lk S ) rechnet etwa T. S CHRAMM , Der Markus-Stoff bei Lukas, Cambridge 1971, 40-43. Eine vorlk Sonderüberlieferung (Q Lk ) hat beispielsweise M. S ATO , Q und Prophetie, Tübingen 1988, 55, vorgeschlagen. 8 Vgl. zuletzt R. A. J. G AGNON , The Shape of Matthew’s Q Text of the Centurion at Capernaum: Did It Mention Delegations? , NTS 40 (1994), 133-142; DERS ., Luke’s Motives for Redaction in the Account of the Double Delegation in Luke 7: 1-10, NovT 36 (1994), 122-145. S. auch W OLTER , Lk 269; L UZ , Mt II 13; sowie die Dokumentation bei J OHNSON , a. a. O. (passim). 654 Anhang I 7,1-10 Signal, dass die lk Redaktion die Worte πρὸς αυτόν präzisierend ergänzt hat. Im Umkehrschluss belegt dies jedoch die Sendung der jüdischen Ältesten für den von Lk redigierten Text: *Ev. Analoges gilt für diejenigen Handschriften, die anstelle von παρεκάλουν Lk 7,4 im Mehrheitstext das deutlich schwächere ἠρώτων bieten ( א D f 1.13 it). In diesem Fall ist der Sinn der Änderung deutlich: Da die Ältesten Jesus σπουδαίως angehen, passt die durch παρακαλέω ausgedrückte intensive Bitte erkennbar besser als das einfache Fragen (ἠρώτων/ rogabant). Auch hier ist der ältere Ursprungstext vorausgesetzt. Besonders deutlich ist schließlich die Lücke in Lk 7,7a D it sy u. a.: In diesen Handschriften fehlt die Begründung des Hauptmanns für die Nutzung vermittelnder Gesandtschaften: διὸ οὐδὲ ἐμαυτὸν ἠξίωσα πρὸς σὲ ἐλθεῖν. Da die erste Gesandtschaft schon in 7,3 erwähnt war und da der Centurio außerdem in 7,6b begründet hatte, warum Jesus sich nicht zu ihm bemühen solle, wirkt diese Äußerung deplatziert. Sie ist aber nicht nachträglich gestrichen, sondern ergänzt worden: Sie erklärt die umständliche doppelte Sendung, deren narrative Schwerfälligkeit verschiedentlich vermerkt wurde. 9 Diese Beobachtungen lassen es daher geraten erscheinen, die doppelte Gesandtschaft bereits für den vorkanonischen *Ev-Text anzunehmen, auch wenn sich dieses überlieferungsgeschichtliche Urteil nicht mit der gewünschten Sicherheit begründen lässt. Insbesondere bleibt offen, ob die Charakterisierung des Centurio als Gottesfürchtiger, der die Synagoge in Kapharnaum gestiftet hat, bereits in *Ev stand. 3. Die Überarbeitungsspuren zeigen sich auch in der Inkonsequenz, mit der Lk den *Ev-Text bearbeitet hat. So fällt auf, dass Lk 7,7 vom παῖς des Centurios spricht, während in den Vv. 2.3.10 vom δοῦλος die Rede ist. Wie die Parallelen Mt 8,6 ≠ Lk 7,2 und Mt 8,13 ≠ Lk 7,10 zeigen, spricht alles dafür, dass die vorkanonische Erzählung den παῖς enthielt, 10 den die lk Redaktion durch δοῦλος ersetzte, dabei aber nicht konsequent vorging: Das vorkanonische παῖς hat sich in in *7,2 D c d erhalten. Dass sich der uneinheitliche Sprachgebrauch in der lk Fassung auf die Erzählstimme (Lk 7,2.3.10 δοῦλος) und auf die Figurenrede (Lk 7,7 παῖς) verteilt, ist daher dem Zufall der inkonsequenten Redaktion geschuldet; zu *7,10 s. gleich. Mit dieser Veränderung gehen zwei andere Eingriffe einher. Denn man wird nicht fehlgehen in der Annahme, dass Lk durch die Ersetzung des παῖς durch δοῦλος ______________________________ 9 Vgl. W OLTER , Lk 272: »Erzählerisch … nicht besonders gut gelungen.« Tatsächlich bittet die erste Gesandtschaft um Jesu Kommen (7,3b: ὅπως ἐ λ θ ὼ ν διασώσῃ τὸν δοῦλον αὐτοῦ), die zweite widerruft diesen Wunsch jedoch (7,6: οὐ γὰρ ἱκανός εἰμι ἵνα ὑπὸ τὴν στέγην μου ε ἰ σ έ λ θ ῃ ς ), vgl. R ADL , Lk 440. Dass die Botenrede (7,6b.7) in der 1. Pers. Sing. ergeht und so klingt, als ob der Centurio direkt mit Jesus spreche, ist allerdings normal und verursacht keine narrative Spannung (gegen D. R. C ATCHPOLE , The Centurion’s Faith and its Function in Q, in: Fr. Van Segbroeck et al. (eds.), The Four Gospels I, Leuven 1992, 517-540: 530f. 10 Vgl. dazu die Belege bei J OHNSON , a. a. O. 167-182 (im methodischen Horizont der Zwei-Quellentheorie). 7,1-10 Rekonstruktion 655 auf die Statusdifferenz von Herrn und Sklaven abzielte, die in der Argumentation des Centurio thematisiert wird (*7,8c: καὶ τῷ δούλῳ μου· ποίησον τοῦτο, καὶ ποιεῖ) und durch die sich dieser gegenüber dem κύριος Jesus (*7,6) selbst als δοῦλος charakterisiert. 11 Auch wenn der παῖς nicht der »Sohn« des Hauptmanns ist, 12 drückt diese Wortwahl doch die Zugehörigkeit zum Haushalt aus, was nicht für jeden Sklaven zutrifft (aber zutreffen kann). Lk hat das eher formale Statusgefälle zwischen dem Centurio und dem δοῦλος gegenüber den beim παῖς möglicherweise mitschwingenden emotionalen Aspekten durch die Veränderung in V. 2 zum Ausdruck gebracht: Im vorkanonischen Text stand, dass der Bursche dem Centurio »lieb« war (τίμιος/ carus: so noch in D it erhalten); Lk setzt stattdessen, dass der Sklave ihm »wertvoll« (ἔντιμος/ pretiosus) war. 4. Wenn Lk 7,7a redaktionell ist, dann hat Lk an dieser Stelle die Selbstbeschreibung des Centurio (οὐδὲ ἐμαυτὸν ἠ ξ ί ω σ α ) aus der Fremdbeschreibung durch die jüdischen Ältesten übernommen (*7,4: ἄ ξ ι ό ς ἐστιν ᾧ παρέξῃ τοῦτο). Dadurch ergibt sich eine doppelte Spannung. Auf der einen Seite enthielt der vorkanonische Text sicher die Bemerkung des Centurio, er sei nicht »genug« (ἱκανός *7,6 || Mt 8,7) für Jesus. Der vorkanonische Text hat dem Centurio hier eine soziale Selbsteinschätzung in den Mund gelegt, die erst durch das Votum der Ältesten mit dem Hinweis auf den Bau der Synagoge den religiösen Aspekt der Würdigkeit erhält, den Lk 7,7a redaktionell verstärkt. Auf der anderen Seite steht die Begründung der Ältesten, der Centurio sei der Zuwendung durch Jesus »würdig«, weil er »unser Volk liebt und uns die Synagoge gebaut hat« (*7,5), in Spannung zum Urteil Jesu, der auf die staunenswerte πίστις des Centurio reagiert, aber nicht auf dessen Euergetismus. Zur Debatte steht also die Zugehörigkeit von *7,5 zum vorkanonischen Text. Im Unterschied zu *7,3.4.7 gibt die handschriftliche Überlieferung keinerlei Hinweise auf eine Überarbeitung, die den Grundbestand des Verses für *Ev sicherstellen würde. Es sind verschiedene Aspekte zu bedenken: Zunächst ist die enge Parallele zwischen *7,4f und Act 10,1f deutlich. Dass Heiden aufgrund ihres faktischen Erweises von Barmherzigkeit (ἐλεημοσύναι) und Gebet ihre εὐσέβεια unter Beweis stellen und daher als ϕοβούμενοι τὸν θεόν gelten können (Act 10,2), ist im Blick auf die Komposition in Act 10f ein zentrales Anliegen der lk Theologie, wie nicht zuletzt Act 10,34f ______________________________ 11 Das Vollmachts- und Gehorsamsgefälle von *7,8 zeigt den Centurio in einer Mittelstellung einerseits als Befehlsempfänger (ἐγὼ ἄνθρωπός εἰμι ὑπὸ ἐξουσίαν τασσόμενος) und andererseits als Befehlshaber. Dass allerdings »Lk selbst δοῦλος war und einen Herren hatte, der sich in solcher Weise für seinen δοῦλος einsetzen konnte« (K LEIN , Lk 269 Anm. 1), ist zu viel gesagt. 12 So R ADL , Lk 440. Im Deutschen erfasst »Bursche« die Bedeutungsbreite von παῖς am besten: Ein Bursche kann sowohl ein Kind als auch einen Diener bezeichnen. In der Rezeption von παῖς (*7,2) hat Joh den ersten Aspekt betont (Joh 4,46: υἱός; 4,49: παιδίον), Lk (δοῦλος) den zweiten. 656 Anhang I 7,1-10 beweist. 13 Das Verhältnis der beiden Schilderungen der Hauptleute in Lk 7 und in Act 10 ist damit aber noch nicht ausgemacht: 7,5 und Act 10,1f können auf einer Ebene zusammengehören und sich der gestaltenden Hand der lk Redaktion verdanken, aber es ist ebenso gut denkbar, dass Act 10,1f in Anlehnung an eine entsprechende vorkanonische Charakterisierung in *7,5 formuliert wurde. Hier bleibt ein non liquet. Wenn *7,5 im vorkanonischen Text enthalten war, dann lässt sich dies als Hinweis auf die Entstehungszeit von *Ev auswerten. Denn da der (heidnische) ἑκατοντάρχης (wie alle anderen Hauptleute und Obersten bei Lk sonst auch) 14 vermutlich ein Römer war, kommt man mit Sicherheit in eine Zeit deutlich nach 70 n. Chr., weil es vorher keine römische Truppen in Palästina gab. 15 Dass er damit einen Anachronismus geschaffen hätte, muss *Ev nicht bewußt gewesen sein und braucht ihn, falls doch, nicht groß gestört zu haben. Seine Rezipienten haben sich jedenfalls daran nicht gestoßen, auch Mk nicht, der in Mk 5,1-20 einen ähnlichen Anachronismus übernimmt (vgl. u. zu *8,26-39). 16 Auch aus historischer Perspektive ergibt sich also kein Kriterium für die Beurteilung von *7,5. Damit bleibt die Frage der inneren Logik und des eigentlichen Grundes für die Zuwendung Jesu: Jesus hat den Knecht nicht aufgrund der *7,5 genannten Verdienste des Centurios geheilt, sondern wegen dessen staunenswerten Glaubens, wie die Abfolge von *7,9.10 erkennen lässt. 17 Die Spannung zwischen der Begründung der Würdigkeit des Centurio *7,5 und seinem Glauben *7,9 bleibt in jedem Fall für die vorkanonische Fassung erhalten, weil sich Jesus aufgrund der (für *Ev wahrscheinlich gemachten) Fürsprache der jüdischen Ältesten auf den Weg macht: Die Spannungen lassen sich nicht literarkritisch beseitigen, sondern sind ein Element des vorkanonischen Textes. Wenn Lk tatsächlich den freigebigen Erweis der Frömmigkeit des Centurio redaktionell ergänzt hätte, hätte er dies im Übrigen durch eine allgemeine und situationsabstrakte Charakterisierung wie im Fall des Kornelius (Almosen und Gebet) unverfänglicher tun können, als dies mit dem Hinweis auf den Synagogenbau der Fall ist. Obwohl sich für die Zugehörigkeit von *7,5 zur vorkanonischen Fassung keine eindeutigen Argumente finden lassen, spricht doch mehr dafür, dass dieser Hinweis schon in *Ev stand als dass es sich um einen redaktionellen Nachtrag handelt. 5. Die abschließende Pointe im Munde Jesu *7,9 ist äußerst disparat überliefert. Sieht man von einigen weiteren, kleineren Abweichungen ab, dann sind folgende Hauptformen zu unterscheiden: 1. ουδε εν τω Ισραηλ τοσαυτην πιστιν ευρον: M (= NA 27 ). 2. ουδεποτε τοσαυτην πιστιν ευρον εν τω Ισραηλ: D d. 3. τοσαυτην πιστιν ουδε εν τω Ισραηλ ευρον: Epiph (Schol.). 4. ουδε εν τω Ισραηλ τοιαυτην πιστιν ευρον: Epiph (Elench.). ______________________________ 13 Vgl. dazu M. K LINGHARDT , Gesetz und Volk Gottes, Tübingen 1988, 209-214. 14 Vgl. R ADL , Lk 440 Mit Anm. 685f. 15 Vgl. dazu M. K LINGHARDT , Legionsschweine in Gerasa. Lokalkolorit und historischer Hintergrund von Mk 5,1-20, ZNW 98 (2007), 28-48. 16 Hat Joh, der hier von einem βασιλικός und nicht von einem ἑκατοντάρχης spricht (Joh 4,46.49), dieses Problem gesehen? Vgl. T HYEN , Joh 289. 17 Gegen E. H AENCHEN , Miracle and Faith, in: K. Aland et al. (eds.), Studia Evangelica 1, Berlin 1959, 495-498: 496. 7,1-10 Rekonstruktion 657 5. τοιαυτην πιστιν ουδε εν τω Ισραηλ ευρον: Tert. 18 6. ουδε ευρον τοιαυτην πιστιν εν τω Ισραηλ: e. 7. ουδε εν τω Ισραηλ τοιαυτην πιστιν ευρον: f. 8. παρ ʼ ουδενι τοσαυτην πιστιν ευρον εν τω Ισραηλ: Θ a aur b c f ſſ 2 l q r 1 Ambr Ephr. 9. παρ ʼ ουδενι τοσαυτην πιστιν εν τω Ισραηλ ευρον: Mt 8,10. Die große Disparität erschwert bereits eine übersichtliche Darstellung der einzelnen Fassungen: Die Abweichungen zwischen den direkten Zeugen (Tertullian und Epiphanius), aber auch die Varianten innerhalb der für textgeschichtliche Interferenzen anfälligen Gruppe (D it u. a.) machen es unwahrscheinlich, dass der Grundtext in *Ev mit einer der hier aufgeführten Fassungen identisch ist. Zu unterscheiden sind drei Abweichungen, die sinnvollerweise jeweils für sich zu beurteilen sind: Die Verneinung ist in drei verschiedenen Formen bezeugt: Tertullian, Epiphanius sowie die Altlateiner e f und der Mehrheitstext ( M ) bieten einfaches ουδε. Die auch von der mt Parallele bezeugte Form παρ ʼ ουδενι ist vor allem in einigen Altlateinern (a aur b c f ſſ 2 l q r 1 ), aber auch von patristischen Zeugen (Ambrosius, Ephraem) belegt. Die temporale Variante (ουδεποτε) ist dagegen nur durch D d bezeugt. Unter Berücksichtigung der mutmaßlichen Überlieferungsgeschichte sowie der Interferenz von kanonischer und vorkanonischer Überlieferung ist es daher am wahrscheinlichsten, dass *Ev das auch von Mt bezeugte παρ ʼ οὐδενί las. Die abweichenden Wortstellungen lassen sich am einfachsten erfassen, wenn man sie als unterschiedliche Varianten der Wortfolge von Prädikat (εὗρον) und indirektem Objekt (ἐν τῷ Ἰσραήλ) versteht. Beide stehen in dieser Reihenfolge direkt nebeneinander in D it u. a. (2. und 8.), in der umgekehrten Reihenfolge (εν τω Ισραηλ ευρον) dagegen bei Tertullian (3.), Epiphanius (5.) und in der mt Parallele (9.). Daneben ist das Syntagma aber auch in getrennter Stellung bezeugt: εν τω Ισραηλ … ευρον im Mehrheitstext ( M = NA 27 ), in Epiphanius’ Elenchi und in einem Altlateiner (f). Ebenfalls durch τοσαυτην πιστιν getrennt, aber in der umgekehrten Abfolge (ευρον … εν τω Ισραηλ) liest nur der Palatinus (6.). Die Übereinstimmung der beiden direkten Zeugen mit der mt Fassung legt es nahe, dass *Ev die Abfolge ἐν τῷ Ἰσραὴλ εὗρον enthielt. Schließlich bezeugen Tertullian (bis) sowie zwei Altlateiner (e f) τοιαύτην/ talem anstelle des anonsten durchgängig belegten τοσαύτην/ tantam. Diese Variante ist am schwierigsten zu beurteilen, denn Epiphanius hat in seiner Scholienliste τοσαύτην, im unmittelbar folgenden Elench. 7 (GCS 31; 126,27) dagegen τοιαύτην. Dieses Phänomen ist schwer zu erklären. Denn es ist klar, dass Epiphanius bei der Abfassung seiner Elenchi kein *Ev-Exemplar zur Hand hatte: Er hat bei der Abfassung von Haer. 42 nur mit der älteren Scholienliste gearbeitet und diese nicht noch einmal kontrolliert. 19 Von daher müssen die Abweichungen in Elench. 7 auf seine eigene Ungenauigkeit bzw. auf eine Eintragung des vertrauten, kanonischen Wortlauts zurückgehen. Das ist möglich, weil ja der kanonischen Text vielfältig durch den vorkanonischen kontaminiert ______________________________ 18 Tertullian referiert zwei Mal auf *7,9; in beiden Fällen handelt es sich nicht genaue Zitate, sondern um Wiedergaben, die an seinen argumentativen Kontext angepasst sind. Beide Referenzen weichen in der Wortstellung geringfügig voneinander ab, vgl. talem se fidem nec in Israele invenisse mit talem fidem debuisse se invenire in Israele. 19 Die Scholienliste hatte Epiphanius etliche Jahre (ἀπὸ ἐτῶν ἱκανῶν) vor der Abfassung von Haer. 42 zu einem »Leitfaden« (ἐδάϕιον) zusammengestellt und dabei auch τὰς βίβλους Marcions benutzt (42,10,2; s. o. Bd. I, S. 52f). 658 Anhang I 7,1-10 war. Dass aber in der Scholienliste der kanonische, in der Elenchusliste der vorkanonische Wortlaut erscheint, ist kaum erklärbar. Aufgrund der entsprechenden Varianten bei Tertullian und in den »Westlichen« Zeugen ist es jedoch sehr wahrscheinlich, dass die Wortwahl τοιαύτην/ talem 20 auf *Ev zurückgeht. 6. Ein letztes Rekonstruktionsproblem betrifft die Formulierung von *7,10. Da es kein direktes Zeugnis gibt, ist das Urteil wieder auf die textgeschichtlichen Signale angewiesen: Die charakteristisch abweichende Lesart in D deutet auf den vorkanonischen Text hin. *7,10 D Lk 7,10 P 75 א B usw. Lk 7,10 A C Θ Ψ usw. καὶ ὑποστρέψαντες καὶ ὑποστρέψαντες καὶ ὑποστρέψαντες εἰς τὸν οἶκον οἱ πεμϕθέντες εἰς τὸν οἶκον οἱ πεμϕθέντες εἰς τὸν οἶκον οἱ πεμϕθέντες δοῦλοι εὗρον εὗρον εὗρον τὸν τὸν δοῦλον τὸν ἀσθενοῦντα δοῦλον ὑγιαίνοντα ὑγιαίνοντα ὑγιαίνοντα Es ist leicht erkennbar, dass der D-Text in mehrfacher Hinsicht problematisch ist: Die zurückkehrenden Abgesandten waren ja keine δοῦλοι, sondern die ϕίλοι (*7,6). Dass sie dann »den Genesenen« fanden, ist zumindest merkwürdig, weil sie einen Kranken im Haus vermuten mussten; vielleicht muss man verstehen: »sie fanden ihn als Genesenen«. Sehr viel besser ist das nicht, weil der Artikel anstelle eines Pronomens ungewöhnlich ist. Demgegenüber präzisieren die beiden Lesarten des Mehrheitstextes und beseitigen beide Schwierigkeiten, indem sie δοῦλοι/ δοῦλον nicht auf die zurückkehrenden Abgesandten, sondern auf den Sklaven - bzw. noch genauer: auf den kranken Sklaven (so A C Θ Ψ usw.) - beziehen. Dass erst die lk Redaktion den vorkanonischen παῖς zum δοῦλος gemacht hatte, ist schon deutlich geworden. In Lk 7,10 hat sich diese Bearbeitung fortgesetzt. Diese Beobachtung zur Redaktion von Lk 7,10 lässt im Umkehrschluss den D- Text als das wahrscheinliche Ende der Perikope in *Ev erkennen. Im methodischen Horizont der Zwei-Quellentheorie war die gemeinsame Vorlage von Mt 8,13 || Lk 7,10 unklar. Diese Unsicherheit ist verständlich, da einerseits Mt 8,13 deutliche Redaktionsspuren aufweist 21 und andererseits Lk 7,10 auf die für redaktionell gehaltene Gesandtschaft Lk 7,6 zurückverweist. In diesem Fall weisen beide Verse ______________________________ 20 So zu Recht T SUTSUI 86. 21 Dies zeigt vor allem die Formulierung ἐν τῇ ὥρᾳ ἐκείνῃ Mt 8,13 fin., die Entsprechungen in Mt 9,22 ([καὶ ἐσώθη ἡ γυνὴ] ἀπὸ τῆς ὥρας ἐκείνης), 15,28 ([καὶ ἰάθη ἡ θυγάτηρ αὐτῆς] ἀπὸ τῆς ὥρας ἐκείνης) und 17,18 ([καὶ ἐθεραπεύθη ὁ παῖς] ἀπὸ τῆς ὥρας ἐκείνης) besitzt; sie muss als Merkmal der mt Redaktion gelten. 7,1-10 Rekonstruktion 659 Redaktionsspuren auf, so dass die gemeinsame Vorlage nicht rekonstruierbar ist. 22 Aber die Erwähnung beider Gesandtschaften *7,3-5.6 ist für *Ev wahrscheinlich gemacht worden, und die Gestalt von *7,10 hat sich mit dem D-Text auch rekonstruieren lassen, auch wenn der Rückverweis *7,10 ὑποστρέψαντες … οἱ πεμϕθέντες δοῦλοι auf *7,6 ἔπεμψεν ϕίλους etwas ungenau ist. 7. Mit dieser Rekonstruktion lässt sich die Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte dieser Perikope gut verstehen. a. Die älteste Fassung der Erzählung vom Centurio und seinem Knecht in *Ev wies bereits die wesentlichen Brüche und Spannungen auf, die für die lk Fassung notiert wurden: Die eigenartige Selbstdistanzierung des Centurio von Jesus durch die zwei Gesandtschaften; seine Bitte, Jesus möge zu ihm kommen (*7,3: ἐρωτῶν αὐτὸν ὅπως ἐλθών) und deren Rücknahme (*7,6: οὐ γὰρ ἱκανός εἰμι ἵνα ὑπὸ τὴν στέγην μου εἰσέλθῃς); das Fehlen des »Wortes«, mit dem der Centurio die Heilung erwartet; die Spannung zwischen der Empfehlung des Centurio aufgrund seines Euergetismus, auf die hin sich Jesus zu ihm auf den Weg macht, und seinem Glauben, der Jesus zur (gar nicht mitgeteilten) Heilung veranlasst. Diese Auffälligkeiten 23 sind jedoch keine Hinweise auf sekundäre Überarbeitung, sondern Ausdruck des charakteristischen Aussagewillens, der sich in zwei miteinander zusammenhängenden Sinnlinien zeigen lässt. Dominant ist das Thema von Vollmacht und Gehorsam, das in der Botenrede *7,8 zum Ausdruck kommt: Es bestimmt die Selbstdistanzierung des Centurio, der Jesus nicht selbst aufsucht und es auch für eine Zumutung hält, dass dieser in sein Haus kommen will. Dieses Verhalten ist Ausdruck des Respekts gegenüber dem κύριος Jesus und zugleich der anerkennenden Erwartung, dass ein Befehlswort für die Heilung genügt. Diese bescheidene Selbstdistanzierung hat zunächst nichts mit der Distanz zwischen Juden und Heiden zu tun, zumal sich Jesus auf das Votum der Ältesten hin auf den Weg zu dem Heiden begibt. Gleichwohl ist das weitere Thema »Israel und die Heiden« bereits in der Sendung der jüdischen Ältesten und dann vor allem in ihrer Begründung der Bitte sehr deutlich präsent. Innerlich verbunden sind diese beiden Sinnlinien dann allerdings erst in ______________________________ 22 Vgl. I. D UNDERBERG , Johannes und die Synoptiker, Helsinki 1994, 87: »Wegen der redaktionellen Tätigkeit von Mt und Lk lässt sich das ursprüngliche Ende der Erzählung nicht mehr rekonstruieren.« Bei allen Unterschieden im Einzelnen zeigt sich dieses Urteil noch in den Evaluierungen von 7,10 durch P. Hoffmann, J. Robinson, J. Kloppenborg und S. R. Johnson (in J OHNSON , a. a. O., 362ff). 23 Zu diesen Spannungen ist ausdrücklich nicht zu rechnen, dass die Erzählung die Gattungsmerkmale einer Heilungserzählung (»Wundergeschichte«) und einer Chrie (Apophthegma; Pronouncement story) aufweist, wie die Kommentare durchgängig und zum Teil irritiert vermerken (vgl. R ADL , Lk 439f; B OVON , Lk I 344; W OLTER , Lk 268; G NILKA , Mt I 298; L UZ , Mt II 12; vgl. schon R. B ULTMANN , Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen 7 1967, 223: das Wunder sei »ganz der apophthegmatischen Pointe dienstbar gemacht«). Aber eine Gattung liegt nie »rein« vor, sondern immer nur so, wie sich ein Autor ihrer bedient. 660 Anhang I 7,1-10 der Pointe *7,9: Sie stellt eine Beziehung her zwischen dem Glauben des Centurio (im Sinn der Anerkennung der Vollmachtstruktur) und seiner paganen Herkunft: Einen Glauben solcher Art hat er in Israel nicht gefunden. Nimmt man die rekonstruierte Formulierung τοιαύτην/ talem (anstelle von τοσαύτην/ tantam) ernst, dann bezieht sich die Art des Glaubens auf die Erwartung, Jesus könne durch ein Wort aus der Ferne wirken; eine Spannung zu *5,20 besteht dann nicht. b. Mt 8,5-13 hat die Perikope aus *Ev übernommen, sie aber in mehrfacher Hinsicht bearbeitet. Die Einfügung der Heilung des Aussätzigen (Mt 8,1-4 || *5,12-14) nach dem Ende der Bergpredigt hat einige Umstellungen und die Neugestaltung der Einleitung erforderlich gemacht. Mt hat den Abschluss der Bergpredigt aus *7,1a und Mk 1,22 neu gebildet. Diese Kombination lag aufgrund des gemeinsamen Stichwortes καὶ εἰσπορεύονται εἰς Καϕαρναούμ Mk 1,21a || ἦλθεν εἰς Καϕαρναούμ *7,1a nahe. Allerdings hat Mt die distanzierenden Gesandtschaften (*7,3-6) gestrichen: Er lässt den Centurio selbst zu Jesus kommen (Mt 8,5: προσῆλθεν) und direkt mit ihm reden. Auf diese Weise entfällt der Einsatz der jüdischen Ältesten mit dem Zeugnis für die Würdigkeit des Centurio (*7,4f), und die Botenrede (*7,6b-8) wird zur direkten Rede des Centurio (Mt 8,8f). Man könnte geneigt sein, diese Eingriffe auf das Konto einer Tendenz zur Vereinfachung zu verbuchen, die bei Mt auch sonst bei narrativen Details häufig zu beobachten ist. In diesem Fall ist dies jedoch unwahrscheinlich, weil Mt den Glauben des Centurio durch die Einfügung von Mt 8,11f interpretiert. Die Anregung dazu stammte aus *13,28 || Mt 8,12 (s. dort). Das dort behandelte Thema - die Gerechten werden in die Basileia hineingehen, die Unrechttäter werden draußen gehalten werden (*13,28) - berührt sich im mt Verständnis unmittelbar mit der Erzählung vom heidnischen Centurio, der zu Jesus hingeht. Denn die Ergänzung Mt 8,11 || Lk 13,29 (nicht in *Ev; s. dort) kontrastiert das Herankommen der Heiden mit dem Ausgestoßenwerden der »Söhne der Basileia«. Mt ist also in hohem Maß daran interessiert, den Glauben des Centurio nicht nur durch seine Einsicht in die ἐξουσία Jesu (Mt 7,29; vgl. 8,9) dargestellt zu finden, sondern auch in seinem Herzukommen (Mt 8,5): Die Erwähnung der beiden Gesandtschaften (*7,3.6) hätte genau diesen Gedanken verunklart. Stattdessen nimmt Mt Jesu Wort über den Glauben des heidnischen Hauptmanns, der in Israel nicht seinesgleichen hat (*7,9b || Mt 8,10b), zum Anlass für eine grundsätzliche Bestimmung des Verhältnisses von Juden und (gläubigen) Heiden: Die von allen Enden der Erde Herbeikommenden werden in der Basileia mit den Erzvätern zu Tisch liegen, während die »Söhne der Basileia«, die Israel repräsentieren, hinausgeworfen werden. Vergleicht man die beiden redaktionellen Änderungen, dann zeigt die mt Fassung sehr viel deutlicher antijudaistische Konturen. 7,1-10 Rekonstruktion 661 c. Die joh Bearbeitung dieser Erzählung (Joh 4,46-54) setzt mit größter Wahrscheinlichkeit Mt 8,5-13 als auch *7,1-10 bzw. die kanonische Fassung Lk 7,1-10 voraus. 24 Ob die »lk« Elemente von Joh 4,46ff auf *Ev oder auf das kanonische Lk- Evangelium zurückgehen, lässt sich allerdings nicht mehr eruieren: Die Änderungen der lk Redaktion an dem Prätext *Ev betreffen nur solche Aspekte, die keinen Niederschlag in Joh 4 gefunden haben. *7,11-16.17a: Auferweckung des Jünglings in Nain Für *Ev bezeugt und sicher vorhanden; durch die lk Redaktion geringfügig bearbeitet. 7,11 Καὶ a τῇ ἑξῆς ἐπορεύθη εἰς πόλιν καλουμένην Ναΐν, ¿καὶ συνεπορεύοντο αὐτῷ οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ καὶ ὄχλος πολύς.? 12 b ἐγένετο δὲ ὡς b ἤγγισεν τῇ πύλῃ τῆς πόλεως, καὶ ἰδοὺ ἐξεκομίζετο τεθνηκὼς μονογενὴς υἱὸς τῇ μητρὶ αὐτοῦ c χήρα οὖσῃ καὶ πολὺς ὄχλος τὴς πόλεως συνεληλύθει σὺν αὐτῇ. c 13 καὶ ἰδὼν αὐτὴν ὁ d Ἰησοῦς ἐσπλαγχνίσθη ἐπ’ αὐτῇ καὶ εἶπεν αὐτῇ, Μὴ κλαῖε. 14 καὶ προσελθὼν ἥψατο τῆς σοροῦ, οἱ δὲ βαστάζοντες ἔστησαν, καὶ εἶπεν, Νεανίσκε, e νεανίσκε, σοὶ λέγω, ἐγέρθητι. 15 καὶ ἀνεκάθισεν ὁ νεκρὸς καὶ ἤρξατο λαλεῖν, καὶ ἔδωκεν αὐτὸν τῇ μητρὶ αὐτοῦ. 16 ἔλαβεν δὲ ϕόβος πάντας, καὶ ἐδόξαζον τὸν θεὸν λέγοντες ὅτι f Μέγας προϕήτης f g προῆλθεν ἐν ἡμῖν καὶ h [ ὅτι ] ἐπεσκέψατο ὁ θεὸς τὸν λαὸν αὐτοῦ. 17 καὶ ἐξῆλθεν ὁ λόγος οὗτος ἐν ὅλῃ τῇ Ἰουδαίᾳ περὶ αὐτοῦ … A. *7,11-15: Tert. 4,18,2: Resuscitavit et mortuum filium viduae. Non novum documentum. Hoc et prophetae creatoris ediderant, quanto magis filius? ♦ *7,16: Tert. 4,18,3: Adeo autem in illud usque momenti nullum alium deum Christus intulerat, ut omnes illic creatori gloriam retulerint dicentes, Magnus prophetes prodiit in nobis et respexit deus populum suum. Quis deus? B. a (7,11) τη: D d e sy s ¦ εγενετο τη: W; εγενετο εν τη: א * C K 565 892 1424 pm sy p.h ; εγενετο εν τω: M (*Ev non test.) ● b (7,12) εγενετο δε ως: D a b c d e ſſ 2 g 1 gat l q ¦ ως δε: aur f r 1 vg M (*Ev non test.) ● c (7,16) χηρα ουση και πολυς οχλος της πολεως συνεληλυθει αυτη: D d (e) ¦ και αυτη ην χηρα και οχλος της πολεως ικανος ην συν αυτη: it M (*Ev non test.) ● d (7,13) ιησους/ Iesus: D W f 1 700 1241 pc d f gat vg mss sy s.j.p Tat arab.pers bo georg II armen ms Chrys (Fil. vid., PG 61, 792) GregNyss (Hom. opif. 26; F ORBES 260) ¦ κυριος ιησους/ dominus Iesus: got aeth (Bodl. 40: + ημων) ¦ κυριος/ dominus: a aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● e (7,14) νεανισκε: D a d ſſ 2 Iren (Haer. 5,13,1) Ephr (Comm. Diat. 4,23, SC 479; CSCO 180, 76) Aphr (Dem 8,14; PS 1, 388 = FC 5/ 1, 247) ¦ om aur b c e f g 1 gat l q r 1 M (*Ev non test.) ● f (7,16) μεγας προϕητης/ magnus prophetes: Tert Chrys (Ascens; PG 52, 790) ¦ (2 1) προϕητης μεγας/ prophetes magnus: it M ● g (7,16) προηλθεν: Tert ¦ ηγερθη: it M ● h (7,16) οτι: om Tert sy s.p Tat arab.pers ¦ add it M . C. Auch von dieser Perikope ist nur eine Zusammenfassung des Inhalts sowie die Reaktion der Menge (*7,16 in wörtlichem Zitat) bezeugt, aber auch hier reicht ______________________________ 24 Vgl. T HYEN , Joh 287-293. 662 Anhang I 7,11-17a beides aus, um zumindest den Kern der Perikope für *Ev sicherzustellen. Folgende Überlegungen sind für eine Einschätzung der unbezeugten Passagen von Bedeutung. 1. Der Ortsname Nain in der Exposition *7,11a ist zwar unbezeugt, aber alles spricht dafür, dass er schon in *Ev stand: Dass die redaktionelle Überarbeitung einen Ortsnamen erfindet, der in keinerlei erkennbaren Beziehungen innerhalb des Werkes steht, ist völlig unwahrscheinlich. Die unvermittelte Erwähnung von Orts- und Personennamen ist für *Ev durchaus charakteristisch. 1 Die Einleitung der Exposition hatte in *Ev offensichtlich eine andere Gestalt, wie die v. l. in D (it) nahelegt: Hier findet sich nur die Zeitangabe τῇ ἑξῆς (sc. ἡμέρᾳ). 2 Die lk Redaktion hat die in *7,12 etwas ungeschickt platzierte Einleitungsformel ἐγένετο δὲ ὡς … an den Anfang gezogen. Die weiteren Lesarten (W: εγενετο τη; א * C K usw.: εγενετο εν τη) zeigen noch den Einfluss der Datierung in *Ev: Der fem. Artikel verlangt als Ergänzung ἡμέρᾳ, der mask. Artikel des Mehrheitstextes erfordert die Ergänzung (ἐγένετο ἐν τῷ) χρόνῳ. Der semantische Unterschied ist gering. 2. Ebenfalls in der Einleitung findet sich die Bemerkung, dass Jesus ein großes Gefolge aus Jüngern und Volk hat: συνεπορεύοντο αὐτῷ οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ καὶ ὄχλος πολύς (*7,1b). Es ist aufgefallen, dass diese Vorstellung sich bis zum Einzug in Jerusalem als lk Gestaltungsmerkmal fortsetzt. 3 Allerdings zeigen die einschlägigen Vorkommen, dass dieses Element bereits in *Ev gut bezeugt ist. 4 Es handelt sich mithin nicht um eine Eigentümlichkeit von Lk, sondern von *Ev, die Lk aufgegriffen und ausgebaut hat. In methodischer Hinsicht bedeutet dies, dass die Identifizierung von »Lukanismen« 5 allein keine zuverlässigen Indikatoren für lk Redaktion ergibt. In diesem Fall geht die »lk« Formulierung auf den vorlk Sprachgebrauch in *Ev zurück. Aus diesem Grund ist jeweils zu fragen, ob Lk bestimmte (sprachliche) Elemente in seiner Tradition aufgegriffen und ausgebaut hat, oder ob er sie komplett redaktionell in *Ev eingefügt hat. Für *7,11b spricht nichts dagegen, dass Lk diese Bemerkung bereits in *Ev gefunden hatte, auch wenn das Urteil unsicher bleiben muss. ______________________________ 1 Der Ortsname Ναΐν begegnet in der Bibel nur hier. Eusebius und Hieronymus identifizieren Nain mit einer Ortschaft südöstlich von Nazareth, etwa 40 km von Kapharnaum entfernt. Dass Lk »nicht gewusst haben wird«, um welchen Ort es sich handelte (W OLTER , Lk 274), mag sein - für *Ev gilt diese Einschätzung jedoch nicht: Bei ihm tauchen verschiedentlich Eigennamen auf, die nicht weiter erläutert sind und Leserwissen außerhalb der Textwelt abrufen. 2 Vgl. BDR § 266.1 Anm. 1b. 3 W OLTER , Lk 274. 4 Mit Sicherheit für *Ev bezeugt in *18,36; mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhanden in *5,19; *7,2.9; *9,11; auch *8,4 ist möglicherweise schon für *Ev anzunehmen. Von den einschlägigen Belegen ist nur 14,25 unbezeugt. 5 Vgl. die Untersuchung zur Sprache von 7,1-11 bei A. H ARBARTH , »Gott hat sein Volk heimgesucht«, Heidelberg 1977, 17-19; J. J EREMIAS , Die Sprache des Lukasevangeliums, Göttingen 1980, 156-160. 7,11-17a Rekonstruktion 663 3. Ein typischer und für die lk Redaktion in hohem Maß aufschlussreicher »Lukanismus« liegt dagegen in der Bezeichnung Jesu als κύριος durch die Erzählstimme vor. Es handelt sich dabei, wie verschiedentlich aufgefallen ist, um eine typische Eigenheit der lk Sprache. 6 Dass die auktoriale Verwendung von κύριος als Bezeichnung Jesu als wesentliches Distinktionsmerkmal zwischen *Ev und Lk dient, ist oben schon deutlich geworden. 7 Aus diesem Grund lässt sich mit wünschenswerter Sicherheit sagen, dass dieses Element in Lk 7,13 und an den anderen Stellen 8 auf die Bearbeitung der lk Redaktion hinweist und auch weitere Schlussfolgerungen für die Art der Interferenzen zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Textüberlieferung zulässt. Zusammen mit der Verdoppelung der Anrede 9 an den Jüngling in D (it) u. a. können daher die Vv. *13f für *Ev als sicher bzw. als sehr wahrscheinlich angenommen werden. 4. Nicht bezeugt ist das abschließende Summar *7,17. Die Ähnlichkeit zu den anderen Summaren (s. zu 4,44) scheint dafür zu sprechen, dass es auf lk Redaktion zurückgeht; in diesem Fall könnte man davon ausgehen, dass die lk Redaktion mit der (ersten) Einfügung des auktorialen κύριος den Zusammenhang mit der Totenerweckung betont und diese dann durch die summarische Notiz mit dem betonten Hinweis auf die Ausbreitung von diesem Ereignis (ὁ λόγος ο ὗ τ ο ς ) redaktionell hervorgehoben habe. In diesem Fall legt allerdings der uneinheitlich überlieferte Anschluss in *7,18 (s. dort) nahe, dass *7,17a bereits in *Ev stand und Lk nur die Wendung καὶ πάσῃ τῇ περιχώρῳ ergänzt hat. Diese redaktionelle Ergänzung mit dem Hinweis auf die »überregionale« Wahrnehmung der Taten Jesu hat dann aber weitere Schwierigkeiten für die Zusammengehörigkeit von 7,11-17 und 7,18-23 geschaffen. Die Begründung für diese Zusammengehörigkeit und der genauere Wortlaut von *7,17 ergeben sich daher erst aus der Analyse von *7,18 (s. dort). 5. Insgesamt ist deutlich, dass die Erzählung von der Auferweckung des Knaben in Nain bereits in *Ev stand: Es handelt sich also nicht um lk »Sondergut«, sondern um »Tradition«, die durch Lk redaktionell bearbeitet wurde. In überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht bedeutet dies, dass Mk und in seinem Gefolge Mt diese Erzählung übergangen haben. Die Frage, welche Gründe dafür maßgeblich waren, ist - wie immer bei negativen Fragen - nicht positiv zu beantworten. Eine Rolle könnte ______________________________ 6 Vgl. I. DE LA P OTTERIE , Le titre KYRIOS appliqué à Jésus dans l’évangile de Luc, in: A. Descamps (ed.), Mélanges Bibliques, Gembloux 1970, 117-146; K. R OWE , Early Narrative Christology, Berlin - New York 2006, 119f. 7 Vgl. dazu o. § 5 (Bd. I, S. 93ff). 8 Vgl. dazu jeweils die Rekonstruktion zu: *7,19; 10,1.39.41; 11,39; 12,42; 13,15; 16,8; 17,5f; 18,6; 19,8; 22,31 (v. l.); 22,61; 24,3.24,34. 9 Die Epanadiplosis (vgl. BDR 493.1 Anm. 2) ist für *Ev auch in *6,46; *10,41 anzunehmen (s. dort). Diese stilistische Eigenheit ist aber keine Besonderheit von *Ev, wie Lk 13,34; Act 9,4 usw. zeigen. In *22,31 liegt der Fall vermutlich anders, s. dort. 664 Anhang I 7,11-17a gespielt haben, dass in der Erzählung von der Tochter des Jairus (Mk 5,21-23.35-43 || Mt 9,18f.23-26) eine entsprechende Totenerweckung vorlag; wie zu zeigen ist, war diese Erzählung mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits in *Ev enthalten (*8,40-42a.49- 56; s. dort). Es ist daher denkbar, dass Mk eine Dublette vermeiden wollte und deshalb *7,11-17 nicht übernahm. Mt ist ihm darin gefolgt, während Lk beide Erweckungserzählungen aus *Ev übernahm. *7,17-23: Anstoß und Frage des Täufers Bezeugt, sicher in *Ev vorhanden. Vermutlich durch die lk Redaktion bearbeitet. 7,17 καὶ ἐξῆλθεν ὁ λόγος οὗτος ἐν ὅλῃ τῇ Ἰουδαίᾳ περὶ αὐτοῦ a [ καὶ πάσῃ τῇ περιχώρῳ ] a b [ ἐν οἷς καὶ ] b c μέχρι Ἰωάννου τοῦ βαπτιστοῦ c 18 ὃς ¿ἀκούσας τὰ ἔργα αὐτοῦ ἐσκανδαλίσθῃ? καὶ προσκαλεσάμενος δύο τινὰς τῶν μαθητῶν αὐτοῦ 19 d {λέγει· πορευθέντες εἴπατε αὐτῷ,} d Σὺ εἶ e †ὃς ἔρχῃ† e ἢ f ἕτερον προσδοκῶμεν; 20 παραγενόμενοι δὲ πρὸς αὐτὸν οἱ ἄνδρες εἶπαν, Ἰωάννης ὁ βαπτιστὴς ἀπέστειλεν ἡμᾶς πρὸς σὲ λέγων, Σὺ εἶ e †ὃς ἔρχῃ† e ἢ f ἕτερον προσδοκῶμεν; [ 21 ἐν ἐκείνῃ τῇ ὥρᾳ ἐθεράπευσεν πολλοὺς ἀπὸ νόσων καὶ μαστίγων καὶ πνευμάτων πονηρῶν, καὶ τυϕλοῖς πολλοῖς ἐχαρίσατο βλέπειν. ] 22 καὶ ἀποκριθεὶς εἶπεν αὐτοῖς, Πορευθέντες g εἴπατε Ἰωάννῃ ἃ h εἶδον ὑμῶν οἱ ὀϕθαλμοὶ καὶ ἃ ἤκουσαν ὑμῶν τὰ ὤτα h · τυϕλοὶ ἀναβλέπουσιν, χωλοὶ περιπατοῦσιν, λεπροὶ καθαρίζονται καὶ κωϕοὶ ἀκούουσιν, νεκροὶ ἐγείρονται, πτωχοὶ εὐαγγελίζονται· 23 καὶ i †μακάριος ¿εἶ? ἐάν μὴ σκανδαλισθῇς ἐν ἐμοί† i . A. *7,17f: Tert. 4,18,4: Sed scandalizatur Ioannes auditis virtutibus Christi, ut alterius. At ego rationem scandali priusexpediam, quo facilius haeretici scandalum explodam. Ipso iam domino virtutum sermone et spiritu patris operante in terris et praedicante, necesse erat portionem spiritus sancti quae ex forma prophetici moduli in Ioanne egerat praeparaturam viarum dominicarum, abscedere iam ab Ioanne, redactam scilicet in dominum ut in massalem suam summam. ♦ *7,19f: Tert. 4,18,6: Hoc igitur metu et Ioannes, Tu es, inquit, qui venis, an alium expectamus? simpliciter inquirens an ipse venisset quem expectabat. Tu es qui venis, id est qui venturus es, an alium expectamus? id est an alius est quem expectamus, si non tu es quem venturum expectamus? Sperabat enim, sicut omnes opinabantur, ex similitudine documentorum potuisse et prophetam interim missum esse, a quo alius esset, id est maior, ipse scilicet dominus, qui venturus expectabatur. ¦ Tert. 4,18,7: … eleganter ad superiorem sensum scandalizati Ioannis commemorans prophetiam, ut confirmans praecursorem Ioannem iam advenisse extingueret scrupulum interrogationis illius: Tu es qui venis, an alium expectamus? ¦ Adam. 1,26 (819c): σὺ εἶ ὁ ἐρχόμενος ἢ ἕτερον προσδοκῶμεν; ♦ *7,23: Epiph., Schol. 8: παρηλλαγμένον τό Μακάριος ὃς οὐ μὴ σκανδαλισθῇ ἐν ἐμοί· εἶχε γὰρ ὡς πρὸς Ἰωάννην ¦ Ephraem, Adv. Marc. I (M ITCHELL xxxix): Blessed is he, if he is not offended in me. B. a (7,17) και παση τη περιχωρω: om e ¦ add a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 : et in (om b c l vg) omni (omnem: aur f q r 1 vg) confini (confinem: l; finitima: a; circa: aur vg; om d f r 1 ) regione (confinem regionem: 7,17-23 Rekonstruktion 665 aur f q r 1 vg) M (*Ev non test.) ● b (7,17) εν οις και: D d e ¦ om a aur f ſſ 2 l r 1 M ¦ illius de eo: b; de eo: c; de illo: q (*Ev non test.) ● c (7,17) μεχρι ιωαννου του βαπτιστου: D d (e) ¦ και απηγγειλαν ιωαννη οι μαθηται αυτου περι παντων τουτων/ et nuntiaverunt (renuntiaverunt: a c) Iohanni discipuli eius: a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ¦ adnuntiaverunt ad Iohannen baptistam: e (*Ev non test.) ● d (7,19) λεγει· πορευθεντες ειπατε αυτω/ euntes dicite ei: D d (e: euntes inquirite dicentes) ¦ επεμψεν προς τον κυριον λεγων/ (et) misit ad dominum dicens: B L Ξ f 13 33 pc a ſſ 2 vg st sa bo mss M ¦ επεμψεν προς τον ιησουν λεγων/ et misit ad Iesum dicens: א A W Θ Ψ f 1 aur b c f l q r 1 (*Ev non test.) ● e (7,19.20) Widersprüchliche Bezeugung: (1) ος ερχη/ qui venis (bis): Tert e (7,20: q); qui venturus es: a aur b c d f l r 1 ¦ (2) ο ερχομενος/ qui venturus est: Adam ſſ 2 M ● f (7,19.20) ετερον (bis): Adam א B L R W X Ξ Ψ 33 579 892 1241 (V. 19: 1424 2542) ¦ αλλον: A D Θ f 13 (V. 19: f 1 ) M ● g (7,22) ειπατε: D W 579 892 d sy s.p.j Tat arab.pers Ambst (Quaest. 55,1; CSEL 50, 449) ¦ απαγγειλατε: it M (*Ev non test.) ● h (7,22) ειδον υμων οι οϕθαλμοι και α ηκουσαν υμων τα ωτα: D d (e) ¦ ειδετε και ηκουσατε: a aur b c f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 M (*Ev non test.) ● i (7,23) Widersprüchliche Bezeugung: (1) μακαριος (ει) εαν μη σκανδαλισθης εν εμοι: Epiph ¦ (2) μακαριος (εστιν) εαν μη σκανδαλισθη εν εμοι: Ephraem ¦ μακαριος (εστιν: om c CyrAlex [Arcad; PG 76, 1277]; εσται/ erit: add a d e) ος εαν ου σκανδαλισθη εν εμοι M . C. Die Anfrage des Johannes ist für *Ev gut bezeugt. Allerdings besaß die Perikope nach der Bezeugung bei Tertullian und Epiphanius in *Ev eine andere Gestalt als in der kanonischen Fassung. Auch die Uneinheitlichkeit der handschriftlichen Überlieferung verweist darauf, dass die kanonische Fassung auf redaktionelle Eingriffe zurückgeht. Allerdings lässt sich der genaue Wortlaut nicht mehr mit der gewünschten Sicherheit rekonstruieren. Folgende Beobachtungen sind wichtig: 1. Zunächst ist die Einleitung in *7,18 bzw. die Anbindung der Perikope über die Anfrage des Johannes an die vorangehende Auferweckungserzählung zu nennen (s. zu *7,17). In der kanonischen Fassung unterbricht Lk 7,18a den szenischen Zusammenhang mit dem Vorangehenden durch den Perspektivenwechsel auf Johannes, von dem zuletzt die Gefangennahme berichtet wurde (Lk 3,20 red.). Diese Information geht auf Mk 6,17f || Mt 14,3f zurück. Mt hat sie in der szenischen Einleitung (Mt 11,2 Ὁ δὲ Ἰωάννης ἀκούσας ἐν τῷ δεσμωτηρίῳ τὰ ἔργα τοῦ Χριστοῦ …) proleptisch aufgegriffen und mit einer eigenen Verbindung (Mt 11,1) hinter die Aussendungsrede gestellt. Lk und Mt machen mit dem Hinweis auf die Gefangennahme deutlich, wieso Johannes seine Frage nicht persönlich stellt, sondern Boten zu Jesus schickt. In Teilen der »Westlichen« Handschriftenüberlieferung (D d e) sind *7,17a und *7,18a zusammengezogen, wenn auch nicht einheitlich. Die Synopse verdeutlicht die Probleme. 666 Anhang I 7,17-23 Lk 7,17f ( M ) Lk 7,17f (D d) Lk 7,17f (e) καὶ ἐξῆλθεν ὁ λόγος οὗτος καὶ ἐξῆλθεν ὁ λόγος οὗτος et exivit iste sermo ἐν ὅλῃ τῇ Ἰουδαίᾳ ἐν ὅλῃ τῇ Ἰουδαίᾳ in tota Iudea περὶ αὐτοῦ περὶ αὐτοῦ ea (! ) Deo καὶ πάσῃ τῇ περιχώρῳ. καὶ πάσῃ τῇ περιχώρῳ ἐν οἷς καὶ in quibus Καὶ ἀπήγγειλαν adnuntiaverunt Ἰωάννῃ μέχρι Ἰωάννου ad Iohannem τοῦ βαπτιστοῦ baptistam οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ περὶ πάντων τούτων. καὶ ὃς καὶ qui etiam προσκαλεσάμενος προσκαλεσάμενος convocatis δύο τινὰς τῶν μαθητῶν αὐτοῦ δύο τινὰς τῶν μαθητῶν αὐτοῦ quibusdam de discentibus suis ὁ Ἰωάννης ἔπεμψεν … λέγων λέγει … dixit ... Die Schwierigkeit der Deutung dieses uneinheitlichen Befundes liegt darin, dass die »Westlichen« Handschriften nicht einfach als Zeugen für einen vorkanonischen Text herangezogen werden können: Sie weisen jeweils Spuren der inkonsequent durchgeführten, sekundären Angleichung an den kanonisch-redaktionellen Wortlaut auf. Folgende Beobachtungen sind auffällig und verdienen eine Erklärung. a. Anders als in D d fehlt in e die Wendung καὶ πάσῃ τῇ περιχώρῳ/ et in omni regione. Sie passt zur lk Tendenz, die Bedeutung Jesu über den begrenzten Raum Judäas hinaus zu erweitern und wird daher wohl redaktionell sein; in diesem Fall hätten D d im Gegensatz zu e die Wendung aus dem kanonischen Text ergänzt. b. Umgekehrt hat e (καὶ) ἀπήγγειλαν/ adnuntiaverunt aus der kanonischen Fassung übernommen und auf diese Weise (wie die kanonische Fassung, aber im Unterschied zu D d) eine neue Satzperiode eingeleitet. Dass D d hier den ursprünglicheren Text bewahrt haben, wird daran deutlich, dass die Korrektur des vorkanonischen durch den kanonischen Text in e unvollständig ist und auf diese Weise erhebliche Schwierigkeiten verursacht. Denn e hat οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ als Subjekt von ἀπήγγειλαν/ adnuntiaverunt nicht aus der kanonischen Fassung übernommen und so einen kaum verständlichen Satz geschaffen, bei dem nicht nur unklar ist, wer das Subjekt von adnuntiaverunt ist, sondern der auch die schwierige Formulierung adnuntiaverunt ad Iohannem enthält: An dieser Stelle ist das Phänomen der inkonsequent und mechanisch durchgeführten Korrekturen noch mit Händen zu greifen. c. Dies bedeutet umgekehrt, dass die ursprüngliche Fassung in *Ev den engen Anschluss von *7,18 an *7,17 in einer einzigen Satzstruktur enthielt. Das »Summar« 7,17-23 Rekonstruktion 667 *7,17a ist eine verbindende Überleitung, deren narrative Funktion eher darin liegt, die folgende Anfrage des Johannes einzuleiten als die Totenerweckungserzählung abzuschließen. d. Es ist daher kein Zufall, dass die drei hier genannten »Westlichen« Handschriften Johannes mit der Apposition »der Täufer« einführen, während die kanonische Fassung nur den Namen bietet. Die kanonische Fassung hatte von Johannes schon in Lk 3 berichtet, dass er eine »Umkehrtaufe verkündete« bzw. selbst taufte (3,3.12.21). Die lk Redaktion konnte sich diese klärende Apposition an dieser Stelle also sparen, weil die Identität des Johannes im lk Kontext eindeutig ist. Im Unterschied dazu wird Johannes in *Ev hier zum ersten Mal erwähnt und als »der Täufer« identifiziert (μέχρι Ἰωάννου τ ο ῦ β α π τ ι σ τ ο ῦ / ad Iohannem b a p t i s t a m ). Dieses Problem ist von einiger Bedeutung, weil es die Frage aufwirft, an welcher Stelle der neutestamentlichen Überlieferung Johannes zum Täufer wurde. Aus diesem Grund ist auch die Erwähnung des Täufers in *7,20a (unbezeugt) mit in die Überlegungen einzubeziehen. Denn im Cod. Veronensis (b) steht die Apposition hinter dem Prädikat. Lk 7,20 ( M ) *7,20 (b) παραγενόμενοι δὲ πρὸς αὐτὸν οἱ ἄνδρες εἶπαν, Ἰωάννης advenientes autem ad eum viri dixerunt Iohannis ὁ βαπτιστὴς ἀπέστειλεν ἡμᾶς misit nos baptista πρὸς σὲ λέγων … ad te dicens … Diese veränderte Position wäre typisch für einen sekundären Eintrag, der versehentlich an der falschen Stelle vorgenommen wurde. Da b der einzige Zeuge für textliche Unklarheiten an dieser Stelle ist, muss das Urteil unsicher bleiben. Es ist jedoch gut denkbar, dass die lk Redaktion, die in 7,18 die Identifizierung des Johannes als Täufer gestrichen hatte, sie hier in der direkten Rede der Jünger gegenüber Jesus einfügte; dies würde zu den weiteren redaktionellen Veränderungen passen (s. gleich). In jedem Fall wäre dann aber sichergestellt, dass bereits *Ev die Bezeichnung des Johannes als »Täufer« enthielt. Dementsprechend kannte *Ev auch die »Taufe des Johannes«, die Tertullian für *20,4 bezeugt (s. dort). Allerdings macht *Ev in keiner Weise deutlich, was sich hinter dem »Taufen« des Johannes verbirgt: Dass Johannes ein »Täufer« ist, spielt für *Ev (im Unterschied zu den kanonischen Evangelien) keine weitere narrative Rolle. Erst Mk hat diesen Aspekt aufgegriffen und ihm im Taufbericht Mk 1,1-11 eine narrative Funktion zugewiesen, die dann von Mt, Lk und Joh auf unterschiedliche Weise rezipiert wurde. Das 668 Anhang I 7,17-23 heißt, dass die Täuferüberlieferung im NT ihren Ausgang von der enigmatischen Erwähnung in *Ev genommen hat. e. Nicht völlig wird sich die Ursprünglichkeit von ἐν οἷς καί/ in quibus in D d e klären lassen: Auf der einen Seite ist dieser relative Anschluss nur in den drei genannten Handschriften enthalten, die an dieser Stelle, wie mit guten Gründen zu vermuten ist, Spuren des ursprünglichen, vorkanonischen Textes enthalten; von daher ist man geneigt, die Wendung ebenfalls für ursprünglich zu halten. Auf der anderen Seite ist der Plural des Pronomens (οἷς/ quibus) nur dann verständlich, wenn er sich entweder auf tota iudaea et omnis regio oder auf omnis regio bezieht. Dies ist jedoch wegen des Fehlens dieser typisch lk Wendung in e höchst unwahrscheinlich. So bleibt als - nicht vollständig überzeugende - Lösung die Annahme, dass die Wendung ἐν οἷς καί/ in quibus in D d e der Versuch ist, den durch die Korrekturen entstandenen Mischtext etwas eleganter zusammenzubinden: Die vorkanonische Fassung hätte dann nur davon gesprochen, dass sich die Rede über Jesus »in ganz Judäa bis zu Johannes dem Täufer ausgebreitet« hatte. Die Lesarten in drei weiteren Altlateinern sind offensichtlich von dieser nicht ganz glücklichen, weil unklaren Formulierung abhängig; sie versuchen, den relativen Anschluss auf Jesus zu beziehen. 1 Die Erweiterung der kanonischen Fassung durch καὶ πάσῃ τῇ περιχώρῳ/ et in omni regione ist Teil einer kompletten Umformulierung der Überleitung, die 7,17 als Abschluss von 7,11-17 und 7,18 als Exposition von 7,18-23 versteht. Der Versuch von D d, καὶ πάσῃ τῇ περιχώρῳ/ et in omni regione aus der kanonischen Textform zu übernehmen, hätte dann den relativen Anschluss notwendig gemacht, den e aus D d übernahm, obwohl e die Ausgangskorrektur nicht mitvollzogen hatte. Bei aller gebotenen Vorsicht lassen sich also durchaus Argumente für den sekundären Charakter sowohl von καὶ πάσῃ τῇ περιχώρῳ als auch von ἐν οἷς καί (in D d e) finden; mit hinreichender Sicherheit begründen lässt sich diese Annahme allerdings nicht. 2. Sieht man diese Überlegungen zusammen, dann liegt es nahe, dass der Anfang der Exposition in *7,17f ursprünglich gelautet haben könnte: καὶ ἐξῆλθεν ὁ λόγος οὗτος ἐν ὅλῃ τῇ Ἰουδαίᾳ περὶ αὐτοῦ μέχρι Ἰωάννου τοῦ βαπτιστοῦ … Unbeschadet des genauen Wortlauts ist deutlich, dass *7,17 und *18 in einem kontrahierten Satzgefüge enthalten waren. Denn sowohl Mt als auch Lk haben für die Perikope der Täuferanfrage eine neue Einleitung geschaffen. Für Mt ergab sich die Notwendigkeit dazu aus der Verschiebung der Perikope hinter die Aussendungsrede, die mit der typisch mt Redeabschlussformel endete (Mt 11,1: καὶ ἐγένετο ὅτε ἐτέλεσεν ὁ ______________________________ 1 b: illius de eo; c: de eo; q: de illo. 7,17-23 Rekonstruktion 669 Ἰησοῦς διατάσσων τοῖς δώδεκα μαθηταῖς αὐτοῦ). Diese Verschiebung ist durchdacht und zeigt die kompositorische Intention: Erst die Aussendung der Jünger sorgt für die Verbreitung der Kunde über Jesus, die dann bis zu Johannes gelangt, der von den »Werken Christi« hörte und seine Jünger zu ihm schickte (Mt 11,2: ἀκούσας … τὰ ἔργα τοῦ Χριστοῦ πέμψας …). In Lk 7,18 wendet das komprehensive περὶ πάντων τούτων die Perspektive von Jesus weg zu Johannes und unterbricht den Erzählzusammenhang. 2 Diese nicht ganz geschickte Unterbrechung könnte ihren Grund darin haben, dass Lk die Johannesfrage und ihre Antwort stärker aus ihrem unmittelbar vorangehenden Kontext lösen wollte, um sie - wie Mt - zu verallgemeinern. Der Grund für diese Disjunktion, die sowohl Mt als auch Lk vorgenommen haben, könnte darin liegen, dass *Ev den Makarismus *7,23 nach Epiphanius in einer Form enthielt, »als ob er an Johannes« gerichtet sei. Tertullian bestätigt diese Differenz, wenn er sein Referat mit dem Hinweis einleitet, dass Johannes an Jesus Anstoß genommen habe. 3 Tertullian empfindet das Unbehagen über den offenkundigen Mangel an Glauben bei Johannes und erläutert die ratio scandali, die nur auf den ersten Blick gesucht wirkt: Weil der »Herr der Tugenden« in Wort und Geist des Vaters auf der Erde wirkte, war es unvermeidlich, dass der Anteil des Geistes, der Johannes in der Form der Prophezeiung zur Wegbereitung des Herrn in die Lage versetzte, sich von ihm zurückzog und ihn als einen »bloßen Menschen« (communis iam homo, 4,18,5) zurückließ. Dieser Begründung liegt die Denkfigur zugrunde, dass die alte Prophetie in Johannes erfüllt wurde und aus diesem Grund zu ihrem Ende kam. 4 Erst im Anschluss an diese Erklärung referiert Tertullian die Frage des Johannes (4,18,6) und wendet dann das Stichwort scandalum gegen Marcion. 5 Es ist daher wahrscheinlich, dass die Exposition der ______________________________ 2 Vgl. W OLTER , Lk 278, der zu Recht darauf hinweist, dass daraus eine starke Differenz zwischen der Erzählzeit und der erzählten Zeit resultiert, die »einen langen ereignislosen Aufenthalt Jesu in Nain impliziert.« 3 Tert. 4,18,4: sed scandalizatur I o a n n e s auditis virtutibus Christi ut alterius. 4 Tertullian verwendet hier das Bild, dass der Geist von Johannes zum Herrn »wie zu seinem umfassendsten Ursprung« (ut in massalem suam summam) zurückgeführt werde (4,18,4). Diese Überlegung ist bei Tertullian noch öfter bezeugt und argumentativ weiter ausgestaltet, vgl. etwa Orat. 1,2; Bapt. 10,5; Adv. Jud. 8,14; Praescr. haer. 8,3 usw. Die Denkfigur vom Ende der Prophetie bei Johannes aufgrund ihrer Erfüllung findet sich bereits bei Justin, vgl. z. B. Dial. 51 (mit der Andwendung auf den Judasegen Gen 49,8-12 in Dial. 52). 5 4,18,4: At ego rationem scandali prius expediam, quo facilius haeretici scandalum explodam. Dass der eigentliche Anstoß nicht bei Johannes, sondern bei Marcion liegt, ergibt sich für Tertullian daraus, dass Johannes der Prophet des Schöpfers war und als Antwort auf seine Frage von den Taten des Schöpfers zu hören bekam: Die Annahme, dass eine solche Antwort von einem anderen Christus als dem des Schöpfers hätte kommen können, sei satis perversum (4,18,7). 670 Anhang I 7,17-23 Perikope sowohl den Verweis auf die zuvor berichteten virtutes als auch das Stichwort scandalum/ scandalizari enthielt. 6 Da Tertullian seine Argumentation einerseits auf dem Hinweis aufbaut, dass Johannes an Jesus Anstoß genommen habe und dies mehrfach erwähnt, 7 da aber andererseits Mt und Lk im Gefolge der mk Täuferüberlieferung Johannes positiv darstellen und insbesondere Lk mit der parallelisierenden Synkrisis zwischen dem Täufer und Jesus ein frühes, positives Band zwischen beiden geflochten hat, 8 musste der Skopus der Fassung von *7,17-23 geändert werden: Weder durfte der Täufer, der doch den nach ihm kommenden Stärkeren verheißen hatte, Zweifel an Jesus äußern, noch durfte Jesus seinem »Wegbereiter« Johannes vorwerfen, an ihm Anstoß genommen zu haben. Ein Element dieses redaktionellen Interesses ist die Disjunktion der Täuferanfrage von der vorangehenden Totenerweckungserzählung, ein anderes die bereits von Mt vorgenommene Verallgemeinerung des Makarismus in der 3. Pers. (Mt 11,6), die Lk von dort übernahm (7,23). Damit stellt sich die Frage, wie der Makarismus *7,23 genau formuliert war. Die Rekonstruktion basiert auf zwei Bezeugungen, die allerdings erstens voneinaner abweichen und zweitens nicht ganz eindeutig sind. Wie bereit erwähnt, zitiert Epiphanius das Logion nicht, sondern teilt nur mit, dass Marcion es in einer Weise »verändert« (παρηλλαγμένον) habe, »als ob es an Johannes (εἶχε γὰρ ὡς πρὸς Ιωάννην)« gerichtet sei. Wenn das Wort »an Johannes« adressiert war, musste es in der 2. Pers. Sing. formuliert sein: »Selig (bist du), wenn du an mir keinen Anstoß nimmst (μακάριος [εἶ], ἐὰν μὴ σκανδαλισθῇς ἐν ἐμοί).« Diese Rekonstruktion, die eine deutliche Distanz gegenüber Johannes zum Ausdruck bringt, ist gut denkbar angesichts der sehr kritischen Haltung, die Jesus in *Ev auch gegenüber seinen Jüngern einnimmt. Dagegen bezeugt Ephraem das Logion in seiner Auseinandersetzung mit den Marcioniten in der 3. Pers. Sing.: »Blessed is he, if he is not offended in me.« 9 In diesem Fall könnte das Logion gelautet haben: μακάριός (ἐστιν), ἐὰν μὴ σκανδαλισθῇ ἐν ἐμοί. Eine Entscheidung ist nicht leicht. Einerseits ist es denkbar, dass Epiphanius sich ungenau ausgedrückt hat, sodass »an Johannes« (πρὸς Ἰωάννην) im Sinn von »über Johannes« (περὶ Ἰωάννου) zu verstehen ist, dass also auch Epiphanius die von Ephraem bezeugte Fassung in der 3. Pers. vor Augen hatte. In diesem Fall wäre der Unterschied zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Fassung nur minimal und bestünde lediglich in der Erweiterung der Wendung ______________________________ 6 So T SUTSUI 86f. 7 Außer 4,18,4 auch 4,18,7 (… eleganter ad superiorem sensum scandalizati Ioannis commemorans) und 4,18,8 (qui non fuerit scandalizatus in Christum). 8 Vgl. M. K LINGHARDT , Gesetz und Volk Gottes, Tübingen 1988, 70f. 9 Ephraem, Adv. Marc. I (M ITCHELL xxxix). Ephraem diskutiert das angesprochene Problem, dass die Anfrage des Johannes ein ambivalentes Verhältnis zu Jesus impliziere. Er löst dieses Problem mit der Annahme, dass Jesus den Täufer hier zu festem Glauben aufgefordert habe und paraphrasiert: »John therefore was one who believed in Isu, and on that account, Isu sent (saying) ›Blessed is he if he remains steadfast and is not offended in me‹.« 7,17-23 Rekonstruktion 671 ἐὰν μή durch ὅς: μακάριός ἐστιν ὃ ς ἐὰν μὴ σκανδαλισθῇ ἐν ἐμοί). 10 »Selig ist, w e r an mir keinen Anstoß nimmt« würde keinen direkten Bezug des Makarismus auf Johannes erkennen lassen. Andererseits erfordert diese Lösung die Annahme, dass sich Epiphanius sehr undeutlich ausgedrückt hätte. Die durch ihn nahegelegte Fassung in der 2. Pers. Sing. unterscheidet sich von der für Ephraem rekonstruierten Fassung letztlich nur in einem Buchstaben, jedenfalls wenn der Makarismus ohne Kopula formuliert war, wie es für diese Gattung charakteristisch (und für Ephraems syrische Fassung ohnehin selbstverständlich) ist: μακάριος, ἐὰν μὴ σκανδαλισθ ῇ ς / σκανδαλισθ ῇ ἐν ἐμοί. Da es keine zusätzlichen Anhaltspunkte (z. B. aus den Handschriften) gibt, lässt sich diese uneinheitliche Bezeugung nur anhand methodischer Gesichtspunkte auflösen: Die Fassung in der 2. Pers. ist der in der 3. Pers. vorzuziehen, weil sie weiter vom kanonischen Text entfernt ist; dieses Urteil bleibt allerdings sehr unsicher. Sicher ist jedoch, dass der Makarismus ursprünglich zu der Chrie dazugehörte und ihr nicht erst »im Lauf der Überlieferung als generalisierende Auslegung angefügt« wurde. 11 3. Da Tertullian in seinem Referat der Exposition so betont darauf verweist, dass Johannes Anstoß an Jesus nahm, könnte sich ein entsprechender Hinweis schon in *7,18 befunden haben. Sofern die Wendung scandalizatur Ioannes auditis virtutibus Christi (Tert. 4,18,4) in Tertullians Referat nicht nur eine Zusammenfassung, sondern eine Wiedergabe von *Ev darstellt, könnte dieser gelautet haben: (καὶ ἐξῆλθεν ὁ λόγος οὗτος ἐν ὅλῃ τῇ Ἰουδαίᾳ περὶ αὐτοῦ μέχρι Ἰωάννου τοῦ βαπτιστοῦ) ὃ ς ἀ κ ο ύ σ α ς τ ὰ ἔ ρ γ α α ὐ τ ο ῦ ἐ σ κ α ν δ α λ ί σ θ ῃ καὶ προσκαλεσάμενος usw. Für diese Annahme spricht, dass Tertullian gleich mehrfach die virtutes Christi erwähnt. 12 Die virtutes sind hier im Sinn von Wundertaten verstanden, weswegen es naheliegt, dass Tertullian in *Ev nicht ἀ ρ ε τ α ὶ τοῦ Χριστοῦ las, sondern ἔ ρ γ α τοῦ Χριστοῦ. In diesem Fall hätte sich Mt bei seiner redaktionellen Neufassung der Exposition durch die Formulierung von *Ev anregen lassen und nur den für ihn theologisch anstößigen Hinweis auf den Anstoß des Johannes gestrichen sowie den Hinweis auf das Gefängnis eingefügt: ὁ δὲ Ἰωάννης ἀκούσας ἐν τῷ δεσμωτηρίῳ τ ὰ ἔ ρ γ α τοῦ Χριστοῦ … (Mt 11,2). 4. Die weiteren Entscheidungen zur Rekonstruktion des ursprünglichen Wortlauts der Perikope sind weniger problematisch. ______________________________ 10 Diesen Vorschlag haben bereits die Herausgeber von Ephraems Schrift Adv. Marc. gemacht (M ITCHELL xxxix Anm. 1). Vgl. auch B E D UHN 142f. 11 B OVON , Lk I 370. 12 Tert. 4,18,3 (zu *7,11-16): sine dubio aut non alium circumferebat deum quam quem in suis beneficiis atque v i r t u t i b u s honorari sustinebat; 4,18,4: sed scandalizatur Ioannes auditis v i r t u t i b u s Christi … Ipso iam domino v i r t u t u m sermone et spiritu patris operante in terris et praedicante. 672 Anhang I 7,17-23 a. In der Rekonstruktion von *7,19 folgt die Formulierung des Sendungsauftrags an die Johannesjünger dem Text von D d (e): Hier ist die Formulierung der Frage als direkte Rede des Johannes gefasst (πορευθέντες εἴπατε αὐτῷ). Die große Mehrheit der Zeugen hat die Frage in Oratio obliqua der Erzählstimme zugewiesen (ἔπεμψεν πρὸς τὸν κύριον λέγων). Die Ursprünglichkeit der Formulierung von D d e ergibt sich schon aus der Gegenprobe: Wer sollte diese Änderung sonst vorgenommen haben? Dabei ist auffällig, dass die Mehrheit der Handschriften den Adressaten als τὸν κύριον benennt (B L Ξ f 13 33 pc a ſſ 2 vg st sa bo mss M ), während andere hier τὸν Ἰησοῦν lesen ( א A W Θ Ψ f 1 aur b c f l q r 1 ). Wie oben gezeigt, geht τὸν κύριον in der Erzählstimme auf die lk Redaktion zurück. 13 Das Gleiche wird daher für die Formulierung des Sendungsauftrags insgesamt gelten (7,19a: ἔπεμψεν πρὸς τὸν κύριον λέγων), weswegen die Formulierung in D d e ursprünglich sein dürfte. b. Im Unterschied zu Adamantius bezeugt Tertullian die Frage des Johannes in *7,19.20 in der relativischen Form (σὺ εἶ) ὃ ς ἔ ρ χ ῃ anstelle des partizipialen ὁ ἐ ρ χ ό μ ε ν ο ς im kanonischen Text. 14 Wenn Tertullian die Formulierung ὃς ἔρχῃ/ qui venis in *Ev durch qui venturus es erläutert (4,18,6) und auf diese Weise die futurischen Aspekte der kanonischen Formulierung ὁ ἐρχόμενος zum Ausdruck bringt, dann ist dies als Hinweis darauf zu werten, dass ihm die Differenz zwischen *Ev und der kanonischen Formulierung bewusst war; sein Referat ist also nicht auf ein Versehen zurückzuführen. Die Ursprünglichkeit der von Tertullian bezeugten Formulierung ὃς ἔρχῃ/ qui venis wird auch durch die altlateinischen Handschriften e und q (in 7,20) gestützt. 15 c. In der zweiten Hälfte der Frage übernimmt die Rekonstruktion das von Adam. bezeugte ἕτερον. Tertullians Übersetzung (alium) lässt nicht erkennen, ob er in seinem *Ev-Exemplar ἕτερον oder ἄλλον gelesen hatte: Beides wird im Lateinischen durch alium wiedergegeben, wie die einheitliche Vg-Übersetzung (alium) von Mt 11,3 (ἕτερον) und Lk 7,19f (ἄλλον) zeigt. Angesichts dieser Überlieferungslage ist es nicht verwunderlich, dass die Vertreter der Lk-Priorität in der Bezeugung aus ______________________________ 13 Vgl. dazu o. § 5 (Bd. I, S. 93ff). 14 Es ist vermutlich ein Versehen, dass R OTH 113f auch für Tertullian das kanonische σὺ εἶ ὁ ἐρχόμενος substituiert (obwohl der gleich zweimal qui venis bietet); auf diese Weise übersieht er eine widersprüchliche Bezeugung. Von den Altlateinern bietet nur der Corbeiensis (ſſ 2 ) die kanonische Formulierung in der 3. Pers. (qui venturus e s t ); alle anderen haben die 2. Pers., entweder im Präsens (qui venis: e [in 7,20 auch q]) oder im Futur II (qui venturus e s : a aur b c d f l r 1 ). 15 Unklar ist B E D UHN 142, der die Formulierung von *Ev nicht nur durch e, sondern auch durch D bezeugt sieht. Aber D liest in 7,19.20 das kanonische σὺ εἶ ὁ ἐρχόμενος. Diese Variante ist weder in IGNTP noch in NA 27 verzeichnet; da sie durch keine griechische Handschrift gestützt wird, ist dies konsequent, verschleiert aber den redaktionellen Eingriff. 7,17-23 Rekonstruktion 673 Adam. eine Eintragung aus der mt Fassung sehen. 16 Aber die handschriftliche Überlieferung von Lk 7,19.20 weist in eine andere Richtung, denn hier finden sich einige Zeugen, die ἕτερον anstelle des von der übergroßen Mehrheit gebotenen ἄλλον lesen. 17 Aber diese Lösung ist ganz unwahrscheinlich, denn sie muss mit einem doppelten Versehen rechnen: Nicht nur hätten einige Lk-Handschriften versehentlich die mt Formulierung übernommen, auch der Adam.-Dialog hätte diesen Irrtum wiederholt, obwohl ihm ja ausdrücklich das marcionitische Evangelium zugrunde liegen sollte. Sehr viel einfacher ist die Überlegung, dass das vorkanonische Evangelium ἕτερον hatte, das von Mt 11,3 übernommen wurde und seinen Einfluss auch noch auf die kanonische Handschriftenüberlieferung von Lk ausgeübt hat, obwohl die lk Redaktion dieses ἕτερον durch ἄλλον ersetzt hatte. d. In der Exposition ist die Wiederholung der Täuferfrage von *7,19 in 7,20 nicht direkt bezeugt, da Tertullians Referat der Frage nicht zu erkennen gibt, ob sie sich auf *7,19 oder *7,20 bezieht. An dieser Stelle helfen nur überlieferungsgeschichtliche Erwägungen: Die Exposition der Perikope fällt in Mt 11,2-6 deutlich knapper aus als bei Lk: Bei ihm findet sich weder die ungeschickte Doppelung der Frage *7,19.20 noch der (für *Ev unbezeugte) Bericht der Erzählstimme über die Tätigkeit Jesu in *7,21. Die Forschung hat die unterschiedlichen Lösungsmöglichkeiten im Modell der Zwei-Quellentheorie diskutiert: (1) Die kurze Fassung (Mt) stamme schon aus Q. 18 (2) Der lange (= lk) Text stamme aus Q und sei durch Mt gekürzt. 19 (3) Lk 7,20 sei in Q enthalten gewesen, von Mt aber gestrichen worden; Lk 7,21 dagegen sei eine redaktionelle Ergänzung des Q-Textes. 20 Es spricht einiges dafür, dass diese letzte Variante zutrifft. Dies ist vor allem für 7,21 deutlich: Durch die redaktionelle Einfügung dieses Berichts wird erstens die von Lk intendierte Disjunktion dieser von der vorangehenden Perikope verstärkt, zum anderen liefert der summarische Verweis auf die Tätigkeit Jesu die Gelegenheit, auch Blindenheilungen anzuführen, die bei Lk bis dahin noch gar nicht erwähnt waren, aber als narratives Widerlager für *7,22 wichtig sind. 21 ______________________________ 16 Z. B. H ARNACK 196* (der Adam.-Dialog habe »V. 19 nach Matth. zitiert«). Auch R OTH 365 sieht in bei Adam. »elements in their Matthean form (cf. ἕτερον)«. 17 Neben א B usw. finden sich darunter auch einige Minuskeln, die zu den üblichen Verdächtigen für vorkanonische Lesarten gerechnet werden müssen: 33 579 892 1241 (sowie, nur in V. 19: 1424 2542). Wenig überraschend, halten die Herausgeber von NA 27 diese Lesart für einen synoptischen Paralleleinfluss, wie sie durch das Sigel p) kenntlich machen. 18 Z. B. L UZ , Mt II 164: »Lk 7,20f sind … ganz lk.« 19 Z. B. P. H OFFMANN , Studien zur Theologie der Logienquelle, Münster 2 1975, 193; D AVIES / A LLISON , Mt II 235; R ADL , Lk 460. 20 Vgl. beispielsweise jeweils z. St.: S CHÜRMANN , Lk; M ARSHALL , Lk; B OCK , Lk. 21 Wohl aus diesem Grund sind sie außerhalb der Reihe am Ende separat erwähnt und hervorgehoben, vgl. W OLTER , Lk 279. 674 Anhang I 7,17-23 5. Die Bedeutung der Rekonstruktion von *7,17-23 liegt in erster Linie darin, dass sie die Konturen der Entstehung der Täuferüberlieferung sichtbar werden lässt. Schon lange ist aufgefallen, 22 dass die Täuferfrage, bei Lk deutlicher noch als bei Mt, nicht nahtlos in das jeweils literarisch etablierte Johannesbild passt: In Lk löst die vorliegende Perikope weder die Ankündigung ein, dass der »Stärkere« kommen werde (Lk 3, 16), noch will die auch in der kanonischen Fassung sichtbare Distanz des Täufers zu Jesus so recht zu der umfangreichen Synkrisis der lk Geburtsgeschichten passen - und schon gar nicht zu dem erwartungsvollen Hüpfen des ungeborenen Johannes (Lk 1,41.44). Diese Diskrepanz geht im Kern darauf zurück, dass Mt und Lk dem vorkanonischen Text mit der kritischen Distanz des Täufers gegenüber Jesus die aus Mk stammende Tauftradition vorangestellt haben. Beide haben daher den Hinweis auf den Anstoß des Täufers an Jesus getilgt, Mk hat - aus demselben Grund? - diesen Bericht insgesamt übergangen. *7,24-28: Belehrung über Johannes Bezeugt, sicher in *Ev vorhanden, durch Lk nur geringfügig redigiert. 7,24 Ἀπελθόντων δὲ τῶν ἀγγέλων Ἰωάννου ἤρξατο λέγειν πρὸς τοὺς ὄχλους περὶ Ἰωάννου, Τί ἐξήλθατε a θεάσασθαι εἰς τὴν ἔρημον a ; κάλαμον ὑπὸ ἀνέμου σαλευόμενον; 25 ἀλλὰ τί ἐξήλθατε ἰδεῖν; ἄνθρωπον ἐν μαλακοῖς ἱματίοις ἠμϕιεσμένον; ἰδοὺ οἱ ἐν ἱματισμῷ ἐνδόξῳ καὶ τρυϕῇ b διάγοντες ἐν τοῖς βασιλείοις εἰσίν 26 ἀλλὰ τί ἐξήλθατε ἰδεῖν; προϕήτην; ναί, λέγω ὑμῖν, καὶ περισσότερον προϕήτου, c ↑ ὅτι οὐδεὶς μείζων ἐν γεννητοῖς γυναικῶν προϕήτης Ἰωάννου τοῦ βαπτιστοῦ. ↓ c 27 d †αὐτός† ἐστιν περὶ οὗ γέγραπται, Ἰδοὺ e † [ ἐγὼ ] † ἀποστέλλω τὸν ἄγγελόν μου πρὸ προσώπου σου, ὃς κατασκευάσει τὴν ὁδόν σου f † [ ἔμπροσθέν σου ] † f . 28 g Ἀμήν, λέγω ὑμῖν, h [↑ μείζων i πάντων τῶν γεννητῶν i γυναικῶν Ἰωάννου οὐδείς ἐστιν· ↓] h ὁ δὲ μικρότερος ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ μείζων αὐτοῦ ἐστιν. A. *7,24.26-28: Tert. 4,18,7f: Multo perversius, si et testimonium Ioanni perhibet non Ioannis Christus, propheten eum confirmans, immo et supra ut angelum, ingerens etiam scriptum super illo: Ecce ego mitto angelum meum ante faciem tuam, qui praeparabit viam tuam; eleganter ad superiorem sensum scandalizati Ioannis commemorans prophetiam, ut confirmans praecursorem Ioannem iam advenisse extingueret scrupulum interrogationis illius: Tu es qui venis, an alium expectamus? Praecursore enim iam functo officium, praeparata via domini, ipse erat intellegendus cui praecursor ministraverat, (8) maior quidem omnibus natis mulierum: sed non ideo subiecto ei qui minor fuerit in regno dei, quasi alterius sit dei regnum in quo modicus quis maior erit ______________________________ 22 Außer den Kommentaren z. St. vgl. zusammenfassend M. V ÖLKEL , Anmerkungen zur lukanischen Fassung der Täuferanfrage Luk 7,18-23, in: W. Dietrich (Hg.), Festgabe für K. H. Rengstorf zum 70. Geburtstag, Leiden 1973, 166-173. 7,24-28 Rekonstruktion 675 Ioanne, alterius Ioannes qui omnibus natis mulierum maior sit. Sive enim de quocunque dicit modico per humilitatem, sive de semetipso quia minor Ioanne habebatur, omnibus scilicet in solitudinem concurrentibus ad Ioannem potius quam ad Christum (Quid existis videre in solitudinem), tantundem et creatori competit et Ioannem ipsius esse maiorem natis mulierum, et Christum vel quemque modicum, qui maior Ioanne futurus sit in regno aeque creatoris, et qui sit maior tanto propheta, qui non fuerit scandalizatus in Christum, quod tunc Ioannem minuit. ♦ *7,27: Epiph., Schol. 9: αὐτός ἐστι περὶ οὗ γέγραπται· Ἰδοὺ ἀποστέλλω τὸν ἄγγελόν μου πρὸ προσώπου σου. ¦ Adam. 2,18 (867e): οὗτός ἐστι περὶ οὗ γέγραπται· Ἰδοὺ ἀποστέλλω τὸν ἄγγελόν μου πρὸ προσώπου σου, ὃς κατασκευάσει τὴν ὁδόν σου ἔμπροσθέν σου. B. a (7,24): θεασασθαι εις την ερημον/ videre in solitudinem: Tert ¦ (andere Wortstellung: 4 1-3) εις την ερημον θεασασθαι: it M ● b (7,25) διαγοντες: D K Π 265 489 544 565 726 1079 1200 1215 1219 1223 1313 1319 2643 d Clem. Alex. (Paed. II 10,109; GCS 12, 222); περισσευοντες/ superabundant: a ſſ 2 ¦ υπαρχοντες: M (*Ev non test.) ● c (7,26) οτι ουδεις μειζων εν γεννητοις γυναικων προϕητης Ιωαννου του βαπτιστου: D; d: om προϕητης; sy p aeth (Bodl. 41): των προϕητων ¦ om: M (sed vide v. 28; *Ev non test.) ● d (7,27) Widersprüchliche Bezeugung: (1) αυτος/ ipse: Epiph c (+ γαρ: U Θ Ψ mult b gat sy h.j bo (mss) ); (2) ουτος/ hic: Adam a aur (c: iste) d f ſſ 2 l q r 1 M ● e (7,27) εγω: Widersprüchliche Bezeugung: (1) add Tert M ¦ (2) om Epiph Adam P 75(vid) א B D L W Ξ mult it vg sa bo aeth ● f (7,27) εμπροσθεν σου: Widersprüchliche Bezeugung: (1) add Adam b c e f ſſ 2 q M ¦ (2) om Tert Epiph D a aur d l r 1 ● g (7,28) αμην: א L X Ξ 157 579 892 1342 1604 2542 sy j Tat arab armen aeth mss Ephr (Comm. Diat. 9,16; FC 54/ 1, 321) ¦ om it M (*Ev non test.) ● h (7,27) μειζων παντων των γεννητων γυναικων Ιωαννου ουδεις εστιν: om D d ¦ add it M (diverse Wortstellungen: it Ambr Eus Orig; *Ev non test.) ● i (7,28) παντων των γεννητων: Tert (! ) ¦ εγ γεννητης: 983 ¦ εν γεννητοις: it M . C. Die Perikope ist insgesamt gut bezeugt und hat ursprünglich mit *7,18-23 eine Einheit gebildet. 1. Die rhetorischen Fragen in 7,24c.25 sind der einzige längere Abschnitt dieser Perikope, der für *Ev nicht bezeugt ist. Sie haben in Mt 11,7-9 eine enge Parallele mit einem außerordentlich hohen Anteil wörtlicher Übereinstimmung. Diese Übereinstimmung zwischen Mt und Lk kann entweder aus der gemeinsamen Abhängigkeit von *Ev resultieren oder auf einen Einfluss von Mt auf Lk hindeuten. Aus diesem Grund ist die Abweichung in der Wortstellung in *7,24b von Bedeutung: Nach Tertullians Zeugnis bezog sich das Fragepronomen in *Ev nicht auf das Hinausgehen, sondern auf das Sehen: τί ἐξήλθατε θεάσασθαι εἰς τὴν ἔρημον. Der kanonische Text hat hier - genau wie Mt 11,7 - die Wortfolge τί ἐξήλθατε εἰς τὴν ἔρημον θεάσασθαι. 1 Dies könnte darauf hindeuten, dass Mt die ______________________________ 1 Für den kanonischen Wortlaut ist daher umstritten, ob die Frage eigentlich auf das »Sehen« zielt (so beispielsweise F ITZMYER , Lk 1 z. St.; R ADL , Lk z. St.) oder auf das »Hinausgehen« (so beispielsweise W OLTER , Lk 281, mit der Begründung, dass Fragepronomen und θεάσασθαι als mögliches Bezugswort zu weit auseinander stehen). Es sei wenigstens anmerkungsweise darauf hingewiesen, dass der Aor. εξηλθατε (P 75 א B D L Ξ 579 892 1241 usw.), den die kritischen Ausgaben im Text bieten, vermutlich die vorkanonische Formulierung ist, die durch die lk Redaktion in das Perf. εξεληλυθατε geändert wurde, wie die handschriftliche Bezeugung noch verrät (A W Θ Ψ 33 M ). 676 Anhang I 7,24-28 Formulierung von *Ev geändert und Lk sie von Mt übernommen hat; in diesem Fall könnten auch die für *Ev unbezeugten Fragen aus Mt stammen. Aber das bleibt bloße Vermutung. 2. Für *7,27 weichen die Bezeugungen (Tert. 4,18,7; Epiph.; Schol. 9; Adam. 2,18) sowohl untereinander als auch vom kanonischen Wortlaut ab. Die Differenzen erklären sich zum Teil aus dem Gang der synoptischen Überlieferung. 2 Tert. Epiph. Adam. Mk 1,2 Mt 11,10 Lk 7,27 ecce ego ἰδοὺ ἰδοὺ ἰδοὺ ἰδοὺ ἐγὼ ἰδοὺ a mitto angelum meum ἀποστέλλω τὸν ἄγγελόν μου ἀποστέλλω τὸν ἄγγελόν μου ἀποστέλλω τὸν ἄγγελόν μου ἀποστέλλω τὸν ἄγγελόν μου ἀποστέλλω τὸν ἄγγελόν μου ante faciem tuam, πρὸ προσώπου σου πρὸ προσώπου σου, πρὸ προσώπου σου, πρὸ προσώπου σου, πρὸ προσώπου σου, qui praeparabit viam tuam ὃς κατασκευάσει τὴν ὁδόν σου ὃς κατασκευάσει τὴν ὁδόν σου ὃς κατασκευάσει τὴν ὁδόν σου ὃς κατασκευάσει τὴν ὁδόν σου ἔμπροσθέν σου ἔμπροσθέν σου b ἔμπροσθέν σου b a εγω: add A Θ Φ pl b εμπροσθεν σου/ ante te: om D a aur d l r 1 a. Tertullian, Mt und Lk (A Θ Φ pl) lesen εγω/ ego, während Mk, Adamantius, Epiphanius und die große Mehrheit der Handschriften in Lk das Pronomen nicht bezeugen. Hier ist die Überlieferung in sich gespalten. Dieses Phänomen tritt auch in der handschriftlichen Überlieferung des zitierten Textes in Mal 3,1 auf, was die textkritische Beurteilung erheblich erschwert. 3 Gleichwohl lässt sich die Uneinheitlichkeit im Gang der synoptischen Überlieferung gut nachvollziehen: Der für *Ev bezeugte Text hat sich auch in einigen Handschriften 4 von Lk 7,27 niedergeschlagen, und er ist so auch von Mk 1,2 übernommen worden. Die längere Lesart mit ἐγώ ist dann erstmals in Mt 11,10 bezeugt, mutmaßlich beeinflusst durch die entsprechende LXX-Überlieferung des Mal-Textes. Von dort aus ist sie dann auch in einen Teil der handschriftlichen Überlieferung von Lk 7,27 (A Θ Φ usw.) eingedrungen und hat auch Tertullians *Ev-Text beeinflusst. Mit einiger Vorsicht lässt sich daher folgern, dass das vorkanonische Evangelium den kürzeren Text hatte. ______________________________ 2 Vgl. dazu auch D. S. W ILLIAMS , Reconsidering Marcion’s Gospel, JBL 108 (1989), 477-496: 490. 3 εγω ist in Mal 3,1 LXX bezeugt in W, fehlt aber in א * B C co sy h usw., vgl. Duodecim Prophetae (Septuaginta XIII) ed. Z IEGLER , Göttingen 1943, 335. 4 P 75(vid) א B D L W Ξ mult it vg sa bo aeth. 7,24-28 Rekonstruktion 677 b. Das Ende des Verses in *Ev scheint, im Unterschied zu Adamantius, durch Tertullians Wiedergabe genau bezeichnet zu sein (qui praeparabit viam tuam). Bei Epiphanius fehlt diese Wendung. Da er seine Zitate gelegentlich abkürzt, wenn denn der Sinn insgesamt klar ist, ist dies als Kennzeichen seiner Referatstechnik zu werten: Dass Epiphanius die Worte ὃς κατασκευάσει τὴν ὁδόν σου nicht bezeugt, besagt daher nicht, dass er sie nicht gelesen hat. Man wird davon ausgehen müssen, dass dieser Schluss, der im Übrigen ja auch der mk Fassung (Mk 1,2) entspricht, schon in *Ev enthalten war. c. Diese Überlegung bestätigt sich auch durch die uneinheitliche Bezeugung des Versendes: Das durch Tertullian bezeugte Fehlen der abschließenden Worte ἔμπροσθέν σου hat eine Analogie in der »Westlichen« Textüberlieferung, die hier wieder die charakteristische Uneinheitlichkeit aufweist, die als variierende Angleichung des vorkanonischen an den kanonischen Text zu verstehen ist. In diesem Fall repräsentiert das Fehlen von ἔμπροσθέν σου in D a aur d l r 1 den älteren *Ev- Text, während b c e f ſſ 2 l q die Korrektur nach dem kanonischen Text vorgenommen haben. Da D a aur d l r 1 aber die vorangehende Wendung ὃς κατασκευάσει τὴν ὁδόν σου/ qui praeparabit viam tuam durchweg enthalten, lässt sich die »Lücke« in *Ev mit einiger Sicherheit bestimmen. Das Fehlen der Worte ἔμπροσθέν σου im vorkanonischen Text hat sich wiederum in der mk Fassung (1,2) niedergeschlagen, die durch Mt (und in der Folge durch Lk) nach dem (an dieser Stelle eindeutigen) Mal-Text korrigiert wurde. *7,27 besaß demnach genau dieselbe Gestalt wie Mk 1,2. 3. In V. *26 und V. *28 weicht die Bezeugung in D d auf charakteristische Weise vom Mehrheitstext ab: Die Bemerkung, dass »kein Prophet unter den von Frauen Geborenen größer ist als Johannes der Täufer« findet sich hier nicht zu Beginn der abschließenden Pointe (Lk 7,28a), sondern am Ende von V. *26 und dient dort als Begründung für die Aussage, dass die Menge in Johannes »größeres als einen Propheten gesehen« hat. Die unterschiedliche Stellung des Logions im Mehrheitstext verändert das Verständnis der Perikope. Wenn mit betontem Achtergewicht ausgeführt wird, dass Johannes einerseits größer ist als jeder andere Prophet, andererseits aber geringer als der Geringste in der Basileia (Lk 7,28a.b), entsteht eine Synkrisis, die nicht auf die heilsgeschichtliche Position des Täufers zielt, sondern auf die Überbietung der Angehörigen der Basileia. Im Vergleich der unterschiedlichen Stellungen ist die Position des Logions im Mehrheitstext (Lk 7,28a) leichter als sekundäre Änderung des D-Textes zu verstehen als umgekehrt. Sofern diese Einschätzung zutrifft, ergeben sich weitere Einsichten für die Überlieferungsgeschichte. Denn die kanonische Fassung von Lk 7,28a.b entspricht der mt Formulierung (Mt 11,11). Mt hat das Urteil Jesu über den Täufer mit Sicherheit redaktionell bearbeitet, wie die Anfügung des »Stürmerspruchs« 678 Anhang I 7,24-28 Mt 11,12f || *16,16b.a (s. dort) belegt. Lk ist Mt 11,11 mit der Position von Lk 7,28a gefolgt, nicht aber in der redaktionellen Erweiterung durch *16,16 (s. gleich). 4. So erlaubt die handschriftliche Bezeugung an dieser Stelle nicht nur eine einigermaßen sichere Rekonstruktion von *Ev, sondern macht auch den Gang der synoptischen Überlieferung durchsichtig. a. In diesem Fall wird zunächst die redaktionelle Gestaltung des Beginns der mk Tauferzählung erkennbar. Mk 1,1-11 hat wesentliche Elemente aus *7,17-23.24-28 übernommen: Aus dem Hinweis auf Johannes den »Täufer« (*7,17.20) hat Mk dessen Taufpraxis gefolgert (Mk 1,4f) und Jesus als einen seiner Täuflinge in die Erzählung eingeführt (Mk 1,9). Die Lokalisierung der Taufe in der »Wüste« (Mk 1,4) stammt aus *7,24, der Hinweis auf die Tracht des Täufers (Mk 1,6) aus der Frage *7,25 (die Mk dann eigenständig um die asketische Nahrung ergänzt hätte). Vor allem aber stammt das programmatische Mischzitat aus Mal 3,1 und Ex 23,20 in Mk 1,2 aus *7,27: Die Darstellung des Johannes in den Konturen des Elia redivivus hatte ihren ersten identifizierbaren Anhalt also in *Ev. b. Lk 7,27 hat dieses Logion also aus *Ev übernommen und es folglich in der Wiedergabe des Taufberichts in Entsprechung zu Mk 1 übergangen (hier hätte es seinen Platz in Lk 3,4 gehabt). Stattdessen hat er das Zitat aus Jes 40,3 in Mk 1,3 ergänzt (Jes 40,4f in Lk 3,5f). Diese Bearbeitung macht deutlich, dass Lk sehr wohl »vorausschauend« Dubletten vermieden hat. Das hier sichtbar werdende redaktionelle Verfahren ist exakt und differenziert. Vor allem zeigt es ein erstaunliches Maß an Textorientierung: Denn die für den Redaktionsprozess relevanten Texte - in diesem Beispiel: Mk und *Ev - sind mit großer Umsicht präsent. c. Ähnliches gilt auch für Mt, der im Anschluss an das Urteil Jesu über den Täufer den sog. »Stürmerspruch« Mt 11,12 aus *16,16 anfügt. Die Kombination von Zusammengehörigem - in diesem Fall: die prophetische Funktion des Täufers im Verhältnis zu Jesus bzw. der Basileia - belegt die Übersicht, die Mt über das ihm vorliegende Material besitzt. [ 7,29-35: Die Kinder der Weisheit ] Für *Ev unbezeugt, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit gefehlt und ist durch die lk Redaktion eingefügt. [ 7,29 Καὶ πᾶς ὁ λαὸς ἀκούσας καὶ οἱ τελῶναι ἐδικαίωσαν τὸν θεόν, βαπτισθέντες τὸ βάπτισμα Ἰωάννου· 30 οἱ δὲ Φαρισαῖοι καὶ οἱ νομικοὶ τὴν βουλὴν τοῦ θεοῦ ἠθέτησαν εἰς ἑαυτούς, μὴ βαπτισθέντες ὑπ’ αὐτοῦ. 31 Τίνι οὖν ὁμοιώσω τοὺς ἀνθρώπους τῆς γενεᾶς ταύτης, καὶ τίνι εἰσὶν ὅμοιοι; 32 ὅμοιοί εἰσιν παιδίοις τοῖς ἐν ἀγορᾷ καθημένοις καὶ προσϕωνοῦσιν ἀλλήλοις, ἃ λέγει, Ηὐλήσαμεν ὑμῖν καὶ οὐκ ὠρχήσασθε· ἐθρηνήσαμεν καὶ οὐκ ἐκλαύσατε. 33 ἐλήλυθεν γὰρ Ἰωάννης ὁ βαπτιστὴς μὴ ἐσθίων ἄρτον 7,29-35 Rekonstruktion 679 μήτε πίνων οἶνον, καὶ λέγετε, Δαιμόνιον ἔχει· 34 ἐλήλυθεν ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ἐσθίων καὶ πίνων, καὶ λέγετε, Ἰδοὺ ἄνθρωπος ϕάγος καὶ οἰνοπότης, ϕίλος τελωνῶν καὶ ἁμαρτωλῶν. 35 καὶ ἐδικαιώθη ἡ σοϕία ἀπὸ πάντων τῶν τέκνων αὐτῆς. ] C. Die ganze Perikope ist unbezeugt. Angesichts des Inhalts, der hervorragend zu Tertullians Argumentation in 4,18 gepasst hätte, kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass *Ev diesen Text nicht enthielt. Es handelt sich dann offensichtlich um eine Ergänzung durch die lk Redaktion. 1 Dafür sprechen einige Indizien: 1. Lk 7,29f referiert sehr genau auf die Täuferpredigt (Lk 3,7-9), die ja in *Ev ganz sicher gefehlt hat und erst durch die lk Redaktion hinzugefügt wurde. Lk 7,29f enthalten eine Reihe von lk Spracheigentümlichkeiten: Auch im methodischen Horizont der Zwei-Quellentheorie hat man Lk 7,29f für lk Redaktion, nicht für Tradition gehalten. 2 2. Umgekehrt zeigen sprachliche Besonderheiten, dass Lk 7,31-35 ein Traditionsstück darstellt, das hier redaktionell eingefügt ist. Dazu gehören etwa die Einleitungsformel mit dem Dativ vor dem Gleichnis V. 32a. Die Reduplicatio mit ὅμοιοι am Übergang von V. 31 zu V. 32; 3 der nachgestellte Artikel mit der Funktion eines Relativpronomens in V. 32 (παιδίοις τοῖς). 4 Auch die Erwähnung der νομικοί 7,30 scheint auf die lk Redaktion zurückzugehen: Mit Ausnahme von Mt 22,35 tauchen sie nur bei Lk auf. Alle Belege sind entweder unbezeugt (11,45; 14,3) oder redaktionell: In Lk 10,25 und Lk 11,46 sind für *Ev die νομοδιδάσκαλοι anstelle der νομικοί bezeugt (s. jeweils dort); νομικοί ist ein lk Vorzugswort. 5 3. Die narrativen Isotopien in Lk 7,29.35 (πᾶς/ ἀπὸ πάντων; ἐδικαίωσαν τὸν θεόν/ ἐδικαιώθη ἡ σοϕία) erweisen die Kohärenz dieser Perikope. Die Vorstellung, dass die Weisheit als prophetisches Medium dient (das dann eben auch »gerechtfertigt« werden kann), ist typisch lk und taucht in einem ebenfalls red. Text wieder auf (Lk 11,49; s. dort). 4. Für lk Redaktion spricht dabei vor allem der Umstand, dass der Anschluss von V. 31 an V. 30 unglücklich ist, weil die Jesusrede ab V. 31 nicht als solche eingeführt ist: Abgesehen vom Fehlen einer Redeeinleitung - zu erwarten wäre etwa ὁ δὲ Ἰησοῦς εἶπεν (λέγων/ ὅτι …) o. ä. - bleibt das Subjekt von V. 31 (ὁμοιώσω) unbestimmt. Man kann daher schließen, dass V. 29f eine redaktionelle Bildung des Lk ist, die den Übergang zwischen dem aus *Ev stammenden Grundtext (*7,18-28) und dem aus Mt 11,16-19 stammenden Gleichnis von den spielenden Kindern ______________________________ 1 Zu diesem Stück vgl. H ARNACK 197f: »scheint gefehlt zu haben; es mußte dem M. anstößig sein, und Tert. hätte es schwerlich übergangen, wenn er es bei M. gefunden hätte.« 2 Z. B. F. C HRIST , Jesus Sophia, Zürich 1970, 63-82; E RNST , Lk z. St. 3 Dazu H. L AUSBERG , Handbuch der literarischen Rhetorik, München 1960, § 619. 4 Vgl. BDR § 412.3. 5 Vgl. zum Problem W OLTER , Lk 285. 680 Anhang I 7,29-35 bildet (Lk 7,31-35). Der redaktionelle Charakter ergibt sich dann auch aus Lk 11,30-32.49-51 (s. die Rekonstrukt. zu 11,49-51): Diese Zwillingstexte haben in *Ev eindeutig gefehlt, sind also lk Redaktion. 6 5. Die Abfolge von 7,29-35 und 7,36-50 in der lk Fassung beeinträchtigt die narrative Plausibilität erheblich, weil auf diese Weise der Vorwurf, Jesus sei ein ἄνθρωπος ϕάγος καὶ οἰνοπότης (Lk 7,34) und die Einladung Jesu zum Mahl durch einen Pharisäer unmittelbar nebeneinander zu stehen kommen. 7 Wenn jedoch klar ist, dass *7,36ff wenigstens im Kern in *Ev enthalten waren (s. dort), dann ist deutlich, dass die Einfügung von Lk 7,29-35 durch Lk auch die Funktion hat, die folgende Erzählung vorzubereiten, in der sich Jesus dann als ϕίλος … ἁμαρτωλῶν (7,34) erweisen wird. 6. Die Überlieferungsgeschichte lässt sich unter diesen Voraussetzungen leicht nachvollziehen: Der Ausgangspunkt liegt in der für *Ev bezeugten Abfolge von *7,24-28.36-50. Mt hat das Urteil über den Täufer (*7,24-28) übernommen (Mt 11,7-15), es bearbeitet und (ebenfalls aus *Ev: Mt 11,12f || *16,16) ergänzt. An diese Täuferperikope hat er außerdem Mt 11,14f.16-19 angefügt. Lk hat, unter Rückgriff auf seine eigene Tauferzählung Lk 3, die Vv. 29f ergänzt und dadurch die Überleitung zu dem aus Mt stammenden Traditionsstück Lk 7,31-35 || Mt 11,16-19 geschaffen. 8 Die offenen Fragen betreffen dann nicht die lk, sondern die mt Fassung: Es ist nicht klar, ob Mt 11,16-19 eine redaktionelle Bildung des Mt ist, oder ob er diese Vv. bereits vorgefunden hat. 7. Der handschriftliche Befund korrespondiert mit der überlieferungsgeschichtlichen Annahme. Denn in den »Westlichen« Handschriften gibt es keine nennenswerten Varianten, wie sie zu erwarten wären, wenn hier ein durch Lk bearbeiteter Text vorläge. Aber abgesehen von einigen typischen Übersetzungsvarianten, wie sie für die altlateinische Überlieferung charakteristisch sind, 9 gibt es keine nennenswerten redaktionellen Varianten. Die einzige Ausnahme ist in Lk 7,31 die Einfügung tunc ergo Iesus dixit im Brixianus purpureus (f): Hier wird das ______________________________ 6 Zum Konzept dieser Texte vgl. M. K LINGHARDT , ›Gesetz‹ bei Markion und Lukas, in: D. Sänger, M. Konradt (Hg.), Das Gesetz im frühen Judentum und im Neuen Testament, Göttingen - Fribourg 2006, 99-128: 111f. 7 Ob dies die »feinsinnige Ironie« des Lk belegt (W OLTER , Lk 290), sei dahingestellt. 8 Allerdings widerspricht der pauschale Vorwurf gegen τοὺς ἀνθρώπους τῆς γενεᾶς ταύτης (Lk 7,31) der Reaktion auf die Verkündigung des Täufers durch die Menge, die Zöllner und die Soldaten (Lk 3,10.12.14), vgl. W OLTER , Lk 284. Aus dem Vergleich wird erkennbar, dass es am Ende nur die Pharisäer und Schriftgelehrten (Lk 7,30) sind, denen die Gerichtsdrohung des Täufers gilt (Lk 3,7-9). 9 Ein deutliches Beispiel ist die uneinheitliche Wiedergabe von ἠθέτησαν (7,30): spreverunt: a aur b c f ſſ 2 l; dispreverunt: q; contempserunt: r 1 ; abusi sunt: d; reprobaverunt: e. 7,29-35 Rekonstruktion 681 offensichtliche Problem des Subjekts der Frage Lk 7,31 (und der nachfolgenden Rede) geklärt. *7,36-40 [ 41f ] 43.44a [ 44b-46 ] 47-50: Salbung durch die Sünderin Teilweise für *Ev bezeugt, aber durch Lk intensiv redaktionell bearbeitet. 7,36 Ἠρώτα δέ τις αὐτὸν τῶν Φαρισαίων ἵνα ϕάγῃ μετ’ αὐτοῦ· καὶ εἰσελθὼν εἰς τὸν οἶκον τοῦ Φαρισαίου κατεκλίθη. 37 καὶ ἰδοὺ γυνὴ a ἥτις ἦν ¿ἐν τῇ πόλει? a ἁμαρτωλός [ καὶ ἐπιγνοῦσα ὅτι κατάκειται ἐν τῇ οἰκίᾳ τοῦ Φαρισαίου, κομίσασα ἀλάβαστρον μύρου 38 καὶ ] στᾶσα ὀπίσω παρὰ τοὺς πόδας αὐτοῦ b [ κλαίουσα ] , τοῖς δάκρυσιν c ἔβρεξε τοὺς πόδας αὐτοῦ d † [ καὶ ταῖς θριξὶν τῆς κεϕαλῆς αὐτῆς ἐξέμασσεν καὶ κατεϕίλει τοὺς πόδας αὐτοῦ ] † d καὶ ἤλειϕεν τῷ μύρῳ. 39 ἰδὼν δὲ ὁ {Σίμων ¿Πέτρος? } εἶπεν ἐν ἑαυτῷ λέγων, Οὗτος εἰ ἦν προϕήτης, ἐγίνωσκεν ἂν τίς καὶ ποταπὴ ἡ γυνὴ ἥτις ἅπτεται αὐτοῦ, ὅτι ἁμαρτωλός ἐστιν. 40 καὶ ἀποκριθεὶς ὁ Ἰησοῦς εἶπεν e πρὸς τὸν Πέτρον e , Σίμων, ἔχω σοί τι εἰπεῖν. ὁ δέ, Διδάσκαλε, εἰπέ, ϕησίν. [ 41 δύο χρεοϕειλέται ἦσαν δανιστῇ τινι· ὁ εἷς ὤϕειλεν δηνάρια πεντακόσια, ὁ δὲ ἕτερος πεντήκοντα. 42 μὴ ἐχόντων αὐτῶν ἀποδοῦναι ἀμϕοτέροις ἐχαρίσατο. τίς οὖν αὐτῶν πλεῖον ἀγαπήσει αὐτόν; 43 ἀποκριθεὶς Σίμων εἶπεν, ῾Υπολαμβάνω ὅτι ᾧ τὸ πλεῖον ἐχαρίσατο. ὁ δὲ εἶπεν αὐτῷ, Ὀρθῶς ἔκρινας. ] 44 καὶ στραϕεὶς πρὸς τὴν γυναῖκα τῷ Σίμωνι ἔϕη, Βλέπεις ταύτην τὴν γυναῖκα; [ εἰσῆλθόν σου εἰς τὴν οἰκίαν, ὕδωρ μοι ἐπὶ πόδας οὐκ ἔδωκας ] · αὕτη f [ δὲ ] τοῖς δάκρυσιν ἔβρεξεν g τοὺς πόδας μου, g ↑ 46 h καὶ ἤλειψεν i [ τοὺς πόδας μου ]↓ i ↑ 45 καὶ κατεϕίλει. ↓ h 47 οὗ χάριν λέγω σοι, ἀϕέωνται αἱ ἁμαρτίαι αὐτῆς αἱ πολλαί, ὅτι ἠγάπησεν πολύ· [ ᾧ δὲ ὀλίγον ἀϕίεται, ὀλίγον ἀγαπᾷ. ] 48 εἶπεν δὲ αὐτῇ, Ἀϕέωνταί σου αἱ ἁμαρτίαι. 49 καὶ ἤρξαντο οἱ συνανακείμενοι λέγειν ἐν ἑαυτοῖς, Τίς οὗτός ἐστιν ὃς καὶ ἁμαρτίας ἀϕίησιν; 50 εἶπεν δὲ πρὸς τὴν γυναῖκα, Ἡ πίστις σου k σὲ σέσωκεν k · πορεύου εἰς εἰρήνην. A. *7,36-38: Epiph., Schol. 10: καὶ εἰσελθὼν εἰς τὸν οἶκον τοῦ Φαρισαίου κατεκλίθη. ἡ δὲ γυνὴ στᾶσα ὀπίσω ἡ ἁμαρτωλός παρὰ τοὺς πόδας ἔβρεξε τοῖς δάκρυσι τοὺς πόδας, καὶ ἤλειψεν καὶ κατεϕίλει. ♦ *7,37f.46.48.50: Tert. 4,18,9: Diximus de remissa peccatorum. Illius autem peccatricis feminae argumentum eo pertinebit, ut cum pedes domini osculis figeret, lacrimis inundaret, crinibus detergeret, unguento perduceret, solidi corporis veritatem, non phantasma inane, tractaverit, et ut peccatricis paenitentia secundum creatorem meruerit veniam, praeponere solitum sacrificio. Sed et si paenitentiae stimulus ex fide acciderat, per paenitentiam ex fide iustificatam ab eo audiit, Fides tua te salvam fecit, qui per Abacuc pronuntiarat, iustus ex fide sua vivet. ♦ *7,44-46: 682 Anhang I 7,36-50 Epiph., Schol. 11: καὶ πάλιν Ἁύτη τοῖς δάκρυσιν ἔβρεξεν τοὺς πόδας μου καὶ ἤλειψεν καὶ κατεϕίλει. B. a (7,37) ητις ην εν τη πολει: om Epiph ¦ εν τη πολει/ in civitate: D d ¦ add ητις ην εν τη πολει: א B L W Ξ f 1.13 700 1241 pc ¦ (Wortfolge 2-5 1): A Θ Ψ it sy h M ● b (7,38) κλαιουσα: om Tert Epiph F aur b ſſ 2 l q vg ℓ859 ¦ add a c e f (flens) d (plorans) r 1 (coepit plorare) M ● c (7,38) εβρεξε/ rigabat: Tert Epiph D b ſſ 2 l q r 1 sy s (vgl: εβρεχε/ inrigabat: a; lavit: c; implevit: d; lababat: e) Tat pers aeth ¦ ηρξατο βρεχειν/ coepit rigare: aur f vg M ● d (7,38) Widersprüchliche Bezeugung: (1) pedes domini osculis figeret, lacrimis inundaret, crinibus detergeret, unguento perduceret: Tert ¦ (2) και ταις θριξιν … εξεμασσεν/ crinibus detergeret: om Epiph., Schol. 10 (ἔβρεξε τοῖς δάκρυσι τοὺς πόδας καὶ ἤλειψεν καὶ κατεϕίλει) e; osculis figeret/ κατεϕιλει om e (lacrimis suis lababat pedes eius et unguebat unguento) ● e (7,40) προς τον πετρον/ ad Petrum: f e; προς τον σιμωνα/ Simoni: c ¦ προς αυτον/ ad illum (ad eum, illi): a aur b d ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● f (7,44) δε: om 1200* ℓ1016 Epiph., Schol. 11 ● g (7,44) τους ποδας μου/ pedes meos: Epiph aur b c f g 1 gat l q r 1 ¦ (3 1 2) μου τους ποδας/ μοι τους ποδας/ mihi pedes: a d e M ● h (7,44) και ηλειψεν και κατεϕιλει: Epiph ¦ add vss. 44b.45.46: (it) M ● i (7,46) τους ποδας μου: om Epiph D W 079 a b c d e ſſ 2 l q armen ¦ add aur M ● k (7,50b) σε σεσωκεν/ te salvavit: Tert it (te salvam fecit: a aur b d f ſſ 2 l q r 1 ; te salvavit/ salbavit: c e) Ambr (ep. 41,5; PL 16, 1114) August (Serm. 99,7 u. ö.; PL 38, 599) ¦ (2 1): σεσωκεν σε M . C. Die Perikope ist teilweise bezeugt: In der Exposition ist die Kennzeichnung des Gastgebers als Pharisäer gesichert, ebenfalls der Hinweis, dass die Frau eine Sünderin war (*7,36b.37a) sowie die Handlung der Frau in *7,38, auch wenn Umfang und Reihenfolge des Tuns nicht ganz klar sind. Auch Jesu Beschreibung des Tuns der Frau in *7,44-46 ist bezeugt, ebenso der Zuspruch der Sündenvergebung (*7,48) und der Hinweis, dass der Glaube die Frau gerettet hat (*7,50). Unbezeugt sind, neben einzelnen Elementen aus der Exposition, vor allem der (stumme) Vorwurf des Gastgebers mit der Entgegnung Jesu (Lk 7,39f) und das folgende Gleichnis von den beiden Schuldnern (Lk 7,41f). Von der Übertragung des Gleichnisses auf die Sachebene ist für *Ev jeweils nur die Beschreibung des Tuns der Frau bezeugt, nicht aber die entsprechenden Hinweise darauf, was der Gastgeber nicht getan hat (Lk 7,44: ὕδωρ μοι ἐπὶ πόδας οὐκ ἔδωκας; Lk 7,45a: ϕίλημά μοι οὐκ ἔδωκας; Lk 7,46a: ἐλαίῳ τὴν κεϕαλήν μου οὐκ ἤλειψας). Auch die systematisierende Zusammenfassung mit der Entgegensetzung viel/ wenig lieben - viel/ wenig vergeben bekommen (Lk 7,47b) ist unbezeugt. 1. Die Perikope - und die Rekonstruktion ihrer ursprünglichen, vorkanonischen Fassung - besitzt eine besondere überlieferungsgeschichtliche Bedeutung. Denn die Salbungserzählung hat in der mk-mt Salbung in Bethanien (Mk 14,3-9 || Mt 26,6-13) sowie in der Salbung der Maria (Joh 12,1-8) zwei überlieferungsgeschichtliche Seitenstücke: Dass diese Texte miteinander zusammenhängen, ist offensichtlich, nicht aber, wie. Die Schwierigkeit einer überlieferungsgeschichtlichen 7,36-50 Rekonstruktion 683 Zuordnung hat ihren Grund darin, dass jeweils zwei der drei Fassungen Elemente gegenüber der jeweils dritten gemeinsam haben. 1 a. So stimmt die lk mit der mk-mt Salbungserzählung gegen Joh 12 darin überein, dass der Gastgeber Simon heißt (Lk 7,40,43.44; Mk 14,3 || Mt 26,6) und dass die Frau ein Alabastergefäß mit Duftöl verwendet (ἀλάβαστρον μύρου Lk 7,37; Mk 14,3 || Mt 26,7). b. Mit Joh 12 stimmt Lk gegen Mk/ Mt darin überein, dass die Frau Jesu Füße (und nicht seinen Kopf) salbt (Lk 7,38; Joh 12,3), und dass sie diese mit ihren Haaren abtrocknet (Lk 7,38; Joh 12,3). c. Die mk-mt Fassung und Joh 12 stimmen gegen Lk 7 darin überein, dass die ganze Episode in Bethanien lokalisiert ist und einen engen Bezug zur Passion besitzt. Außerdem steht im Zentrum dieser Fassungen ein Vorwurf der Jünger (Verschwendung), den Jesus dann zurückweist. d. Die lk Fassung unterscheidet sich von den beiden anderen außerdem dadurch, dass hier die Frau als Sünderin bezeichnet wird (Lk 7,37: ἁμαρτωλός). Nur in Lk 7,38 wird gesagt, dass sie weint (κλαίουσα), die Füße Jesu mit ihren Tränen benetzt (τοῖς δάκρυσιν ἤρξατο βρέχειν τοὺς πόδας αὐτοῦ) und sie küsst (κατεϕίλει). Das Verhältnis dieser drei Fassungen ist gerade mit Blick auf Lk 7,36-50 schwierig und schon seit langem kontrovers diskutiert. In methodischer Hinsicht lassen sich dabei zwei verschiedene Modelle unterscheiden. Das eine rechnet streng mit literarischen Beziehungen zwischen den drei Fassungen und sieht in Lk 7,36-50 eine selbständige Um- und Ausgestaltung von Mk 14 || Mt 26. 2 Dagegen wurde eingewandt, dass in diesem Fall der Lk-Text einheitlicher sein müsste, als er tatsächlich ist. 3 Außerdem seien die Unterschiede zwischen der mk-mt und der lk Fassung zu groß, abgesehen davon, dass die lk-joh Übereinstimmungen nicht ohne zusätzliche Annahmen erklärt werden könnten. 4 Grundsätzlich anders argumentiert ein zweites Modell, das mit Variationen in der mündlichen Überlieferung rechnet. In diesem Fall sind zwei Varianten denkbar: Zum einen werden zwei verschiedene Ursprünge - eine Fußsalbung und eine mit der Passion verbundene Kopfsalbung - angenommen, von denen einzelne Elemente im Zuge der mündlichen Überlieferung von einer in die andere Fassung eingedrungen seien. 5 Alternativ dazu ist ein einheitlicher ______________________________ 1 Vgl. ausführlich A. D AUER , Johannes und Lukas, Würzburg 1984, 126-132; I. D UNDERBERG , Zur Literarkritik von Joh 12,1-12, in: A. Denaux (Hg.), John and the Synoptics, Leuven 1992, 558-570. 2 Z. B. K LOSTERMANN , Lk z. St.; F ITZMYER , Lk I z. St.; R. VON B ENDEMANN , Liebe und Sündenvergebung, BZ NF 44 (2000), 161-182. 3 R ADL , Lk 488. 4 Z. B. W OLTER , Lk 291. Wohlgemerkt: Dass sich die lk-joh Entsprechungen nicht ohne weiteres im Modell der Zwei-Quellentheorie erklären lassen und »zusätzliche Annahmen« erfordern, spricht nicht gegen den Zusammenhang der synoptischen Fassungen, sondern gegen die methodischen Grenzen der Zwei-Quellentheorie. Das Problem der lk-joh Entsprechungen, das sich bekanntlich mit besonderer Dringlichkeit im Aufriss und der Akoluthie der Passionsgeschichte stellt (s. dazu Bd. I, § 13.2 und 3), erfordert daher nicht »zusätzliche«, sondern andere Grundannahmen. 5 Vgl. N OLLAND , Lk z. St.; M ARSHALL , Lk z. St. 684 Anhang I 7,36-50 Ursprung - die Erzählung einer Salbung im Hause eines Simon, die biographisch nicht mit der Passion verbunden war - erwogen worden, der sich dann in der mündlichen Überlieferung in drei verschiedene Fassungen niedergeschlagen hat. Dies führt zu der Annahme, dass Lk die Erzählung sowohl aus Mk 14,3-9 als auch aus der mündlichen Überlieferung (die auch im Hintergrund von Joh 12 stehe) gekannt habe. 6 Die Argumentation mit der mündlichen Tradition besitzt allerdings einen nur eingeschränkten Erklärungswert, weil sie das eigentliche Problem - nämlich die Erklärung der Differenzen zwischen den einzelnen Fassungen - in einen prinzipiell nicht überprüfbaren Bereich verlagert: Die Argumentation mit der mündlichen Überlieferung erklärt letztlich nichts. Ihre methodische Funktion besteht in erster Linie darin, die offenkundigen Schwächen der Zwei-Quellentheorie zu kaschieren. 2. Vor diesem Hintergrund ist klar, dass die Rekonstruktion der nur teilweise bezeugten Perikope sehr verschiedene Gesichtspunkte berücksichtigen muss. Wichtig sind zunächst einige Beobachtungen zur handschriftlichen Überlieferung: a. In der Exposition *7,37 fehlte nach Epiphanius’ Zeugnis der Relativsatz ἥτις ἦν ἐν τῇ πόλει. Schwierig wird die Beurteilung dieser Worte, da D d zwar ἐν τῇ πόλει, nicht aber ἥτις ἦν enthalten; beide Elemente tauchen in der restlichen Überlieferung in unterschiedlicher Wortfolge auf. Die unterschiedliche Wortfolge sowie das Fehlen von ἥτις ἦν in D d könnten vermuten lassen, dass ἐν τῇ πόλει ursprünglich Teil des Textes war, aber von Epiphanius übergangen wurde. Aber es liegt näher, dass Epiphanius *Ev korrekt referiert. Die Wendung (ἡ δὲ γυνὴ στᾶσα ὀπίσω ἡ ἁμαρτωλός παρὰ τοὺς πόδας) ist aufgrund der Wortstellung alles andere als glücklich. In diesem Fall ginge die Uneinheitlichkeit der Überlieferung auf den Versuch zurück, das nachklappende ἡ ἁμαρτωλός sowohl sachlich zu erläutern als auch in der schwierigen Stellung zu glätten. Da der kanonische Text jedoch nicht wirklich flüssiger ist, wäre ein solcher Glättungsversuch nur teilweise gelungen. An dieser Stelle lässt sich über Spekulationen also nicht hinauskommen. b. Sofern Epiphanius korrekt referiert, hat auch Lk 7,37b καὶ ἐπιγνοῦσα ὅτι κατάκειται ἐν τῇ οἰκίᾳ τοῦ Φαρισαίου, κομίσασα ἀλάβαστρον μύρου καί in *Ev gefehlt. Das ist gut möglich. Denn diese Bemerkung dient der Erklärung, wieso sich die Frau mit dem Salböl im Haus des gastgebenden Pharisäers befindet. Diese Information rundet die Erzählung plausibilisierend ab, ist aber für den Plot nicht wirklich notwendig. Dies gilt vor allem, wenn der pharisäische Gastgeber und der Adressat der Belehrung Jesu nicht miteinander identisch waren (s. gleich). Wenn sich jedoch, wie es in der kanonischen Fassung der Fall ist, der Gastgeber dagegen ______________________________ 6 Z. B. G. H OLST , The One Anointing of Jesus, JBL 95 (1976), 435-446; L. O BERLINNER , Begegnungen mit Jesus, in: J. Kügler, M. Gielen (Hg.), Liebe, Macht und Religion, Stuttgart 2003, 253-278: 254- 259; vgl. auch F ITZMYER , Lk I z. St. 7,36-50 Rekonstruktion 685 verwahrt, dass Jesus die Liebeserweise einer Sünderin duldet, sollte die Anwesenheit dieser Frau in seinem eigenen Haus in irgendeiner Weise motiviert sein: Genau das leistet die von Epiphanius nicht referierte Information Lk 7,37b. Da sie nur für die kanonische Fassung eine narrative Funktion besitzt, wird sie erst auf dieser Ebene redaktionell ergänzt worden sein. c. In *7,38 fehlt der ausdrückliche Hinweis, dass die Frau geweint habe (κλαίουσα), nicht nur in den Zeugen für *Ev, sondern auch in einem Teil der handschriftlichen Überlieferung, darunter in einigen Altlateinern. 7 Gleichwohl ist in allen diesen Zeugen mitgeteilt, dass die Frau die Füße Jesu mit ihren Tränen benetzt habe. Der Hinweis auf das Weinen ist folglich eine Ergänzung der lk Redaktion zur Erklärung der unvermittelten Erwähnung der Tränen der Frau. Denn die Tränen werden in allen Zeugnissen erwähnt, auch in denen, die das »Weinen« nicht erwähnen. d. Die Schilderung der Tätigkeit der Frau ist sehr uneinheitlich überliefert. Die kanonische Fassung des Mehrheitstextes nennt vier verschiedene Handlungen der Frau, die durch die doppelte Erwähnung der »Füße« zu zwei Paaren strukturiert werden: Die Frau habe Jesu Füße (1) mit ihren Tränen benetzt und (2) mit ihren Haaren abgetrocknet; sie habe die Füße (3) geküsst und (4) sie mit Öl gesalbt. Tertullian referiert dieselben Elemente, allerdings in anderer Reihenfolge (bei ihm steht das Küssen zu Beginn). Die Reihung bei Tertullian lässt nur den Schluss zu, dass das Objekt aller Handlungen der Frau die Füße Jesu sind. Entsprechendes gilt auch für die kanonische Fassung mit der zweimaligen Erwähnung des Objekts. Epiphanius dagegen lässt das zweite Element aus und hat die beiden letzten vertauscht (zuerst Salbung, dann Küssen). Nur im ersten Fall wird gesagt, dass das Objekt der Benetzung durch Tränen die Füße sind. Auffälligerweise lässt das Evangelium Palatinum (e) die Elemente (2) »mit den Haaren trocknen« und (3) »küssen« aus. Lk 7,38 e *7,38 Epiph. *7,38 Tert. Lk 7,38 die Füße die Füße die Füße die Füße küssen, mit Tränen netzen mit Tränen netzen, sie mit Tränen netzen, mit Tränen netzen, — — sie mit Haaren trocknen, sie mit Haaren trocknen, — — die Füße küssen mit Öl salben salben, sie mit Öl salben und mit Öl salben — küssen — — Diese Übereinstimmung zwischen Epiphanius und e wiegt schwer und stellt zunächst sicher, dass das Elemente »mit den Haaren abtrocknen« mit größter Wahrscheinlichkeit in *Ev gefehlt hat. Unter der methodischen Voraussetzung, dass diejenige ______________________________ 7 F aur b ſſ 2 l q vg ℓ859. 686 Anhang I 7,36-50 Lesart die größte Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen kann, die am weitesten vom kanonischen Mehrheitstext entfernt ist, ließe sich begründen, dass das in e fehlende Element »Küssen« ebenfalls erst später nachgetragen wäre; Epiphanius und Tertullian würden dann unterschiedliche Stadien der Angleichung des vorkanonischen an den kanonischen Text repräsentieren (mit Blick auf die Erwähnung des »Weinens« der Frau gilt dies auch für e). Wenn allerdings Epiphanius’ Referat mit der Abfolge »mit Tränen netzen - salben - küssen« korrekt ist, ließe sich auch vorstellen, dass das letzte Element der Aufzählung in e ausgefallen ist. Angesichts dieser Alternativen besitzt der von Epiphanius referierte Text eine größere Wahrscheinlichkeit und ist daher in die Rekonstruktion aufgenommen. e. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass in *7,46b die Worte τοὺς πόδας μου in einer Reihe von Handschriften fehlen, darunter die Mehrheit der immer wieder auffälligen Altlateiner und D. In der kanonischen Fassung dient die Angabe des Objekts der Salbung dazu, den Gegensatz zum Vordersatz herauszustellen, der von der Salbung des Kopfes spricht. Die wichtige Konsequenz ist, dass in den »Westlichen« Zeugen von einer Salbung der Füße gar nicht die Rede war. Denn auch in *7,38 wird zwar gesagt, dass die Frau die Füße Jesu geküsst habe, aber die Salbungsaussage bleibt ohne Objekt (*7,38: καὶ κατεϕίλει τοὺς πόδας αὐτοῦ καὶ ἤλειϕεν τῷ μύρῳ). 8 Ein Teil der handschriftlichen Überlieferung enthielt also die Elemente: »Fußwaschung« durch Tränen; (Abtrocknung der Füße mit den Haaren; ) Küssen; Salben. Dass für die beiden letzten Glieder kein direktes Objekt genannt ist und die (höchst ungewöhnliche) Fußsalbung daher auch eine (durchaus verbreitete) Kopfsalbung gewesen sein könnte, ist für die Überlieferungsgeschichte von Bedeutung. f. Eine weitere und entscheidende Besonderheit weisen zwei altlateinische Handschriften auf: In der Einleitung der abschließenden Jesusrede Lk 7,40a nennen e f den Namen des Adressaten. Irritierenderweise lassen diese Handschriften die Antwort Jesu an Petrus gerichtet sein. 9 Da eine Identifizierung des pharisäischen Gastgebers mit Petrus völlig ausgeschlossen ist, liegt diesen Handschriften eine Tradition zugrunde, die zwar die Szene insgesamt im Haus eines (unbenannten) Pharisäers lokalisiert, aber das entscheidende Jesuslogion als Belehrung an Petrus versteht. Da sich diese Nennung des Petrus aus dem kanonischen Text nicht ableiten lässt, ist dies ein deutlicher Hinweis auf die ursprüngliche Gestalt der Perikope, der zugleich Einsichten für die Überlieferungsgeschichte ermöglicht. g. Die weiteren textlichen Abweichungen sind nicht von großem Gewicht und lassen sich durchweg als sprachliche Glättungen verstehen. Dies gilt insbesondere ______________________________ 8 K. W EISS , Der Westliche Text von Lc 7,46 und sein Wert, ZNW 46 (1955), 242-245. 9 et respondens (e: respondit) Iesus dixit (om e) ad P e t r u m : Simon … (vgl. c: … dixit Simoni). 7,36-50 Rekonstruktion 687 für den Anfang der Schilderung der Handlungen der Frau in *7,38. Im Unterschied zu der ingressiven Formulierung des kanonischen Textes (ἤρξατο βρέχειν/ coepit rigare) bezeugen Tertullian und Epiphanius in Übereinstimmung mit etlichen der typisch »Westlichen« Handschriften das einfache ἔβρεξε bzw. ἔβρεχε (rigabat). 10 Die ingressive Form geht auf die lk Redaktion zurück und unterstreicht die Handlungsfolge. 3. In der kanonischen Fassung stellt das Nebeneinander des Gleichnisses von den beiden Schuldnern Lk 7,41-43 und seiner Applikation auf der Sachebene *7,44-46 ein doppeltes Problem dar. Denn schon länger ist aufgefallen, dass das Gleichnis erstens eine relativierende Abstufung im Sinn eines Mehr/ Weniger vornimmt, 11 während die Beschreibung des Sachproblems in Lk 7,44-46 einen absoluten Gegensatz formuliert, der den Handlungen der Frau nicht ein geringeres, sondern gar kein Tun entgegensetzt. 12 Dementsprechend fehlt der Erzählung jeder Hinweis darauf, dass dem gastgebenden Pharisäer »wenig« vergeben worden sei. Gravierender ist allerdings, dass das Gleichnis Vergebung und Liebe so ins Verhältnis setzt, dass Liebe als Reaktion auf und als Folge von Vergebung erscheint. Diese Verhältnisbestimmung passt jedoch gerade nicht zu Erzählung, der zufolge die Liebe nicht eine Folge der Sündenvergebung ist, sondern umgekehrt deren Voraussetzung: Dass viel liebt, wem viel vergeben wurde, steht zu der Erzählung in erkennbarer Spannung. 13 Diese Spannung zwischen der Liebe einerseits als Voraussetzung und andererseits als der Folge der Sündenvergebung kennzeichnet dann auch 7,47: Die Aussage, dass der Frau ihre vielen Sünden vergeben würden, weil sie viel geliebt hat (*7,47a), passt genau zur Erzählung. Der Nachsatz Lk 7,47b (wem wenig vergeben ist, der liebt wenig) macht dagegen das Maß der Liebe vom Maß der Vergebung abhängig: Diese Folgerung passt zum Gleichnis, nicht aber zur Erzählung. Diese Inkonzinnität hat Anlass zu literarkritischen Scheidungen gegeben, sei es, dass das Gleichnis 7,41-43 als sekundär gesehen wurde, 14 sei es, dass es zwar der ______________________________ 10 D a (inrigabat) b c (lavit) d (implevit) e (lababat) ſſ 2 l q r 1 sy s Tat pers aeth. 11 Das »Mehr« wird ausdrücklich benannt (7,42: π λ ε ῖ ο ν ἀγαπήσει αὐτόν; 7,43: τὸ π λ ε ῖ ο ν ἐχαρίσατο), das »Weniger« ist nicht ausgeführt, aber zu substituieren. Erst 7,47 nimmt diese Abstufung wieder auf (πολύ/ ὀλίγον). 12 Vgl. zuletzt O. H OFIUS , Fußwaschung als Erweis der Liebe, ZNW 81 (1990), 170-177: 176f. 13 »Liebe« als Ursache von Sündenvergebung findet sich in Aussagen wie 1Pe 4,8; Jak 5,20 usw.; die zugrunde liegende Denkfigur ist beschrieben von K. B ERGER , Almosen für Israel. Zum historischen Kontext der paulinischen Kollekte, in: ders., Tradition und Offenbarung, Tübingen - Basel 2006, 207-232: 210-223. Dass K LEIN , Lk 295, in diesen Texten das Modell »Liebe als Frucht zugesprochener Sündenvergebung« sieht (Hervorhebung M.K.), stellt den Sachverhalt allerdings auf den Kopf. 14 Z. B. G. B RAUMANN , Der Schuldner und die Sünderin Lk VII 36-50, NTS 10 (1963/ 64), 487-493, der mit einem Grundstock 7,36-39.44-46.48f rechnet; das Gleichnis 7,41-43 sei sekundär, 7,47 verbinde beide Einheiten. 688 Anhang I 7,36-50 ursprünglichen Fassung angehört habe, aber durch 7,44-46 ergänzt worden sei. 15 Das literarkritische Verhältnis von Lk 7,41-43 und *7,44-46 lässt sich im Rahmen der *Ev-Priorität ziemlich klar beantworten: Die Vv. *44-46 sind wenigstens in Teilen schon für *Ev bezeugt, nicht dagegen das Gleichnis Lk 7,41-43. Es ist daher wahrscheinlich, dass das Gleichnis - vielleicht angeregt durch Mt 18,23-35? - eine Ergänzung durch die lk Redaktion ist. Die sekundäre Einfügung des Gleichnisses hatte dann zur Folge, dass dessen Beginn nicht mehr als Antwort Jesu gekennzeichnet ist: Die ursprüngliche Einleitung der Antwort Jesu an Petrus findet sich in *7,44. Allerdings sind damit die Schwierigkeiten noch nicht gelöst, weil das literarkritische Ergebnis in die komplexe Überlieferungsgeschichte eingezeichnet werden muss. 4. Für die Rekonstruktion empfiehlt es sich, von dem auffälligsten Element der handschriftlichen Überlieferung auszugehen, nämlich der Adressierung der Antwort Jesu in 7,40 (e f) an Petrus. Denn es lässt sich schlechterdings kein Grund finden, der ein nachträgliches Eindringen dieser Adressierung in die Überlieferung erklären könnte. Auch die Annahme eines Versehens, die aus methodischen Gründen ohnehin problematisch ist, ist auszuschließen: Abgesehen davon, dass dieses Phänomen in zwei Handschriften begegnet, müsste ein versehentlicher Eintrag des Namens »Petrus« anstelle von »Simon« den kompletten Kontext vollkommen außer Acht gelassen haben und rein mechanisch erfolgt sein. Das ist völlig unwahrscheinlich und methodisch problematisch: Die historische Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte darf nicht auf der kontingenten Annahme völliger Ignoranz eines Kopisten basieren. Im umgekehrten Fall ist es ausgesprochen ungewöhnlich, dass die kanonische Fassung den Namen des Gastgebers (Simon) erst im Zusammenhang der Antwort Jesu Lk 7,40 nennt: Diese Information wäre in der Exposition (7,36) sinnvoll und zu erwarten gewesen - so, wie es in Mk 14,3 || Mt 26,6 dann ja auch der Fall ist. Stattdessen spricht die Exposition der kanonischen Fassung Lk 7,36.37.39 allgemein von »einem Pharisäer«. Dieser Sprachgebrauch stammt aus *Ev, wie Epiphanius’ Zeugnis zu *7,37 sicherstellt. 16 Zu Beginn des Gesprächs in der kanonischen Fassung redet Jesus den Pharisäer als »Simon« an (Lk 7,40), 17 und der Erzähler greift diesen ______________________________ 15 Z. B. U. W ILCKENS , Vergebung für die Sünderin, in: P. Hoffmann (Hg.), Orientierung an Jesus, Freiburg/ Brsg. 1973, 394-428: 416ff (der Grundbestand habe 7,36.39-43.47 umfasst); vgl. J.-W. T AEGER , Der Mensch und sein Heil, Gütersloh 1982, 192 (7,44-46.47a seien redaktionell) u. a. 16 Epiph., Schol. 10: καὶ εἰσελθὼν εἰς τὸν οἶκον τοῦ Φαρισαίου … 17 In der kanonischen Fassung ist der Bezug des Namens durch das Relativpronomen gesichert: 7,40a (καὶ ἀποκριθεὶς ὁ Ἰησοῦς εἶπεν πρὸς αὐτόν, Σίμων) bezieht sich zurück auf 7,39 (ἰδὼν δὲ ὁ Φαρισαῖος … εἶπεν ἐν ἑαυτῷ λέγων). 7,36-50 Rekonstruktion 689 Namen in der Antwort des Pharisäers auf (Lk 7,43 ἀποκριθεὶς Σίμων εἶπεν). Dass der Gastgeber »Simon« hieß, ist für *Ev nicht bezeugt. Die vorkanonische Fassung der Salbungserzählung hätte dann die Ereignisse im Haus eines Pharisäers lokalisiert, der aber für den Fortgang der Erzählung nicht weiter konstitutiv war und deshalb auch ohne weiteres anonym bleiben konnte. Der Skopus dieser Erzählung lag nicht auf dem Gegensatz zwischen der Sünderin und dem Pharisäer, dem die entscheidende Zurechtweisung durch Jesus galt, sondern auf einer Jüngerbelehrung. Auch dieses Element ist für die überlieferungsgeschichtliche Rekonstruktion wichtig. 5. Wenn sich die Antwort Jesu in *7,44-46 ursprünglich an Petrus und nicht an den pharisäischen Gastgeber gerichtet hat, dann muss sie ganz anders ausgesehen haben als in der kanonischen Fassung: Die Vordersätze mit ihrer Kritik am Gastgeber in der 2. Pers. Sing. können nicht Teil des Textes gewesen sein. Dass sie nicht bezeugt sind, wird daher nicht an der Nachlässigkeit der Referenten liegen, sondern daran, dass sie erst von der lk Redaktion in den Text eingearbeitet wurden. Es sei wenigstens knapp darauf hingewiesen, dass sich dieses Problem auch sehr deutlich an der Überlieferung in den altlateinischen Handschriften zeigt. Während die negativen Vordersätze 7,45f über das Verhalten des Gastgebers in der 2. Pers. ohne jede nennenswerte Abweichung überliefert sind, zeigen die Aussagen über das Verhalten der Frau erstaunliche Variationen hinsichtlich der Wortstellung, der Übersetzung und der grammatikalischen Struktur. Zwei Beispiele mögen genügen: 7,44b: haec autem (l: add mulier) lacrimis suis (om a aur d l r 1 vg) rigavit pedes meos (aur b f l q r 1 ; a d: inrigavit mihi pedes; c: lavit; ſſ 2 :  pedes meos rigavit; e: lavit mihi pedes). 7,45b: haec autem, ex quo intravi (b f l q r 1 ; c d: introivi; a aur ſſ 2 vg: intravit; e: introivit) non cessavit (a: desiit; e: intermisit) osculari (a c l r 1 : osculando; d: osculans) pedes meos (d: mihi pedes; e: pedes meos osculando). Die starken Abweichungen begegnen, wie auch sonst so häufig, in denjenigen Passagen, die bereits der vorkanonischen Fassung angehören, während die Ergänzungen durch die kanonische Redaktion ohne weitere Veränderungen übernommen wurden. Wenn die Aufzählung der vom Gastgeber unterlassenen Erweise des Respekts gegenüber Jesus Lk 7,44-46 auf die lk Redaktion zurückgeht, dann bestand die Belehrung des Petrus ursprünglich nur in der Erwähnung dessen, was die Frau an Jesus getan hatte. Dass diese Aufzählung kürzer war als im kanonischen Text, ist oben deutlich geworden: Das Element der Trocknung der Füße mit den Haaren hat mit allergrößter Wahrscheinlichkeit gefehlt, vielleicht - wie die Überlegungen zu 7,38 (e) gezeigt haben - auch der Hinweis auf das Küssen; sicher bezeugt sind nur das Benetzen der Füße und das Salben. Wichtiger ist, dass sich ausweislich der handschriftlichen Überlieferung von 7,46 die Salbung nicht auf die Füße Jesu bezogen hat. Da Tertullian das feine Salböl (unguemtum/ μῦρον) und nicht das einfache 690 Anhang I 7,36-50 oleum/ ἔλαιον erwähnt, ist mit größter Wahrscheinlichkeit die für die sympotische Situation typische Kopfsalbung vorausgesetzt. Die Frage, auf die *7,44-46 mit der Antwort Jesu an Petrus reagierte, ist nicht erhalten. Sie ergibt sich möglicherweise aus dem (bezeugten) Schlusslogion *7,50, das den Glauben der Frau als Grund ihrer Rettung benennt. Es ist gut denkbar, dass Petrus die Handlungen der Frau mit Blick auf ihr Sündersein kritisiert oder abgewiesen hat, also ähnlich zu der Formulierung von 7,39b (οὗτος εἰ ἦν προϕήτης, ἐγίνωσκεν ἂν τίς καὶ ποταπὴ ἡ γυνὴ ἥτις ἅπτεται αὐτοῦ, ὅτι ἁμαρτωλός ἐστιν), und möglicherweise hatte die Frage auch die Form des stummen Einwands. Nur für die Einleitung *7,39 ist eine andere Formulierung zu postulieren: Sie muss als Subjekt Simon (oder Petrus) anstelle des Pharisäers enthalten haben, könnte also etwa gelautet haben: ἰδὼν δὲ ὁ Σ ί μ ω ν εἶπεν … (oder ὁ Σίμων Πέτρος oder nur ὁ Πέτρος). Dies bleibt allerdings unsicher. Die Entscheidung für »Simon« beruht auf der Bezeugung von *7,40 im Colbertinus (c), aber auch »Petrus« wäre aufgrund von *7,40 e f möglich. Für die Entscheidung spielt eine Rolle, dass die mutmaßlich älteste Rezeption der Erzählung (Mk 14,3ff) genau diesen Namen verwendet (Mk 14,3), sich aber genötigt sieht, diesen »Simon« von dem Simon abzusetzen, der nach der Erzählung bis dahin allein in Frage gekommen wäre: Nämlich Simon Petrus. 6. Mit diesen Überlegungen zur Rekonstruktion der vorkanonischen Fassung der Salbungserzählung lässt sich dann auch ihre Überlieferungsgeschichte skizzieren: a. Die vorkanonische Fassung der Perikope in *Ev berichtete davon, dass Jesus bei einem ansonsten anonymen Pharisäer zu Gast war, als sich ihm von hinten eine Sünderin näherte, seine Füße mit ihren Tränen wusch und (ihn) salbte. Auf einen Einwand des Simon (Petrus) hin, der sich offensichtlich darauf bezog, dass Jesus die Handlungen einer Sünderin duldete, erläutert Jesus das Handeln der Frau als Erweis ihrer großen Liebe (*7,47a: ἠγάπησεν πολύ), weswegen ihr viele Sünden vergeben würden. Die Antwort Jesu war an (Simon) Petrus gerichtet, der namentlich angesprochen war. Darauf wandte sich Jesus an die Frau und vergab ihr die Sünden (*7,48). Die Reaktion der Eingeladenen und Jesu abschließendes Wort über den rettenden Glauben (*7,49f) waren wahrscheinlich bereits in *Ev enthalten; Lk hat den Wortlaut nur minimal verändert. Diese Fassung war ganz offensichtlich in erster Linie an der Frau als Sünderin interessiert, wogegen Petrus weit weniger, der Gastgeber überhaupt kein Gewicht trägt: Der erste fungiert nur als Stichwortgeber, der zweite ist ein bloßer Statist in der Staffage der Szenerie. Die folgende Perikope *8,2f mit der Nennung der drei Frauen, die Jesus dienten (διηκόνουν, 8,3), lässt erkennen, dass *7,36-50 tatsächlich mehr an der Frau interessiert war als an dem namenlosen Pharisäer, und dass hier das Verhältnis der Jünger (insbesondere: Petrus) zu den Frauen in der Nachfolge 7,36-50 Rekonstruktion 691 das eigentliche Thema war, das Jesus mit der Vergebung und dem Hinweis auf die Liebe der Frau beantwortet. b. Die erste Rezeption dieser Erzählung in Mk 14,3-9, die von Mt mit nur geringfügigen Änderungen rezipiert wurde (Mt 26,6-13), hat einige Elemente aus der vorkanonischen Fassung übernommen, anderes aber geändert. Offensichtlich hat Mk sich durch die namentliche Anrede »Simon« (*7,40) oder durch die Erwähnung in *7,39 dazu anregen lassen, die Szenerie in das Haus eines Simon zu verlegen, der jetzt nicht mehr ein Pharisäer ist, sondern als »der Lepröse« genauer bezeichnet wird (Mk 14,3). Damit nimmt Mk eine folgenreiche Disjunktion vor, weil sich die Antwort Jesu jetzt (erstmalig in der Überlieferungsgeschichte) an den Gastgeber »Simon« und nicht mehr an (Simon) Petrus richtet. Indem Mk die Perikope in die Passionsgeschichte integriert, hat er andere redaktionelle Veränderungen vorgenommen: Die Lokalisierung in Bethanien in der Nähe von Jerusalem (Mk 14,3 || Mt 26,6) sowie die Deutung der Salbung als vorweggenommene Einbalsamierung (Mk 14,8 || Mt 26,12). Mk 14,3 vereindeutigt das objektlose »Salben mit Öl« (*7,38: ἤλειϕεν τῷ μύρῳ) als Salbung des Kopfes: κατέχεεν αὐτοῦ τ ῆ ς κ ε ϕ α λ ῆ ς . Diese semantische Präzisierung ist dann auch dafür verantwortlich, dass der von den Jüngern erhobene Einwand am Tun der Frau sich nicht auf ihr Sündersein bezieht, sondern auf die Verschwendung des kostbaren Salböls. Da die Frau in der mk-mt Fassung keine Sünderin ist, besteht auch kein Bedarf, ihre Tränen (der Reue) zu erwähnen: Die Benetzung der Füße Jesu konnte wegfallen, weil für Mk nur die (verschwenderische) Salbung wichtig war. Trotz dieser Veränderungen ist erkennbar, dass die mk Fassung auf *Ev basiert: Beide sprechen von einer Salbung Jesu, nicht seiner Füße. Dass dazu das Salböl auf den Kopf aufgetragen wurde, konnte, musste aber nicht eigens gesagt werden. In beiden Texten belegt diese Salbung die Wertschätzung Jesu im Sinn eines Liebeswerks (Mk 14,6: καλὸν ἔργον ἠργάσατο ἐν ἐμοί; *7,47: ὅτι ἠγάπησεν πολύ). Sofern *7,37 in *Ev enthalten war (was denkbar, aber unwahrscheinlich ist), stimmen beide Erzählungen in der Formulierung ἀλάβαστρον μύρου überein (*7,37 || Mk 14,3). Vor allem aber stimmen beide Fassungen darin überein, dass sie von einem Einwand aus dem Kreis der Jünger gegen die Salbung berichten, auf den Jesu Antwort dann reagiert: Da Mk die namentliche Anrede im Tadel Jesu (»Simon«) getilgt und den Namen auf den (auch in seiner Fassung ganz unwichtigen) Gastgeber übertragen hat, bleiben bei ihm die Urheber des Einwands und die Adressaten der Antwort Jesu unbestimmt. 18 Man könnte vermuten, dass Mk den in *Ev kritisierten Petrus auf diese Weise aus der Schusslinie nahm. ______________________________ 18 Mk 14,4: τινες; Mt 26,8 präzisiert immerhin: οἱ μαθηταί. 692 Anhang I 7,36-50 c. Da Mt 26,6-13 die mk Fassung (in ihrem Kontext der Passionsgeschichte) weitgehend unverändert reizipiert, ist der nächste bemerkenswerte Schritt der Überlieferungsgeschichte die höchst kreative Rezeption in Joh 12,1-8. 19 Kreativ ist die Ausgestaltung deswegen, weil Joh gleich mehrere Texte über die »bethanischen Geschwister« zu einem umfassenden Bild verwebt. Joh behält aus Mk 14,3 Bethanien als den Ort der Salbung bei, aber die Gastgeber sind weder (wie noch in *Ev) ein Pharisäer, noch (wie bei Mk und Mt) »Simon der Lepröse«, sondern die Schwestern Maria und Martha, die Joh aus *10,38-42 kannte (s. dort). Wie in *10,40 (περιεσπᾶτο περὶ πολλὴν διακονίαν) wird von Martha gesagt, dass sie Jesus »dient« (Joh 12,2: διηκόνει). Aber von Maria, die Jesus zu Füßen sitzt (*10,39: παρακαθεσθεῖσα πρὸς τοὺς πόδας), heißt es, dass sie die Füße Jesu salbte und sie mit ihrem Haar trocknete (Joh 12,3: ἤλειψεν τοὺς πόδας τοῦ Ἰησοῦ καὶ ἐξέμαξεν ταῖς θριξὶν αὐτῆς τοὺς πόδας αὐτοῦ). Die Salbung ist Anlass für den Vorwurf der Verschwendung, den in diesem Fall nicht die Jünger insgesamt erheben, sondern Judas Ischarioth (Joh 12,4), der hier bereits als geldgieriger Verräter diskreditiert wird (Joh 12,5f). d. Die joh Fassung setzt auf der einen Seite Mk 14,3-9 voraus, wie einige Details schlüssig beweisen. 20 Auf der anderen Seite setzt nicht nur die joh Textur der bethanischen Geschwistertexte die allgemeine Kenntnis von *Ev voraus. Konkret hat Joh aus *Ev das Element aufgegriffen, dass sich die Frau an den Füßen Jesu zu schaffen macht (*7,38: ἔβρεξε τοὺς πόδας αὐτοῦ; Joh 12,3: ἤλειψεν τοὺς πόδας τοῦ Ἰησοῦ καὶ ἐξέμαξεν ταῖς θριξὶν αὐτῆς τοὺς πόδας αὐτοῦ). Dass Joh 12,3 - im Rahmen der Überlieferungsgeschichte: erstmalig! - so betont von einer Salbung der Füße Jesu spricht, geht vielleicht auch darauf zurück, dass Maria nach *10,39 πρὸς τοὺς πόδας sitzt. Als neues Element fügt Joh in die Erzählung ein, dass Maria die Füße Jesu mit ihren Haaren getrocknet hat (12,5). Während die Sünderin in Lk 7,38 mit ihren Haaren die Tränen von den Füßen abtrocknet und dann erst die Füße salbt, setzt Joh 12,5 voraus, dass Maria die gesalbten Füße mit ihren Haaren getrocknet, also das überflüssige Öl abgewischt und aufgenommen hat. 21 ______________________________ 19 Vgl. dazu M. S ABBE , The Footwashing in Jn 13 and its Relation to the Synoptic Gospels, ETL 58 (1982), 279-308: 298ff; I. R. K ITZBERGER , Love and Footwashing: John 13: 1-20 and Luke 7: 36-50 Read Intertextually, Biblical Interpretation 2 (1994), 190-206. 20 Vgl. Mk 14,3 (ἀλάβαστρον) μύρου νάρδου πιστικῆς πολυτελοῦς || Joh 12,3 (λίτραν) μύρου νάρδου πιστικῆς πολυτίμου. - Mk 14,5 ἠδύνατο γὰρ τοῦτο τὸ μύρον πραθῆναι ἐπάνω δηναρίων τριακοσίων καὶ δοθῆναι τοῖς πτωχοῖς || Joh 12,5 διὰ τί τοῦτο τὸ μύρον οὐκ ἐπράθη τριακοσίων δηναρίων καὶ ἐδόθη πτωχοῖς. 21 A. D AUER , Johannes und Lukas, Würzburg 1984, 204, behauptet, es sei »ganz unwahrscheinlich, dass ein einigermaßen überlegt arbeitender Autor das Motiv vom Abtrocknen der Füße so ungeschickt - 7,36-50 Rekonstruktion 693 Aber die joh Rezeption von *7,36ff beschränkt sich nicht auf Joh 12,1-8. Denn die auffällige Besonderheit von *Ev, der zufolge sich die Belehrung Jesu über den Liebeserweis der Frau an (Simon) Petrus richtet, hat außerdem Eingang in die Fußwaschungsszene Joh 13 gefunden, wie insbesondere das Gespräch mit Simon Petrus zeigt (Joh 13,6-10). Dieses Gespräch lässt in charakteristischer Veränderung des Ausgangsproblems sehr gut die für Joh typische, assoziativ-spielerische Rezeption seiner Prätexte erkennen. Denn wenn der joh Petrus nach der Belehrung über die Notwendigkeit der Reinigung (Joh 13,8b) nicht nur seine Füße, sondern auch die Hände und das Haupt gewaschen haben will (13,9b), dann ist dies nicht einfach Ausdruck des unreflektierten Überschwangs, sondern ein gut nachvollziehbarer Verweis auf die anderen Prätexte, in denen nicht von der (Waschung und) Salbung der Füße, sondern des Hauptes Jesu die Rede war. 22 Auf diese Weise wird auch klar, inwiefern Jesus zu Petrus sagen kann, dass er jetzt (noch) nicht begreift, was Jesus tut, sondern erst μετὰ ταῦτα verstehen werde (Joh 13,7). Dieses (vorläufige) Nichtverstehen wird normalerweise auf die (noch verborgene) Erkenntnis der Leidensnotwendigkeit bezogen, wie es etwa in Mt 16,22 (ἵλεώς σοι, κύριε· οὐ μὴ ἔσται σοι τοῦτο) zum Ausdruck kommt und wie es hier zeichenhaft in der Fußwaschung angesprochen sein soll. 23 Aber in Joh 13 geht es nicht um die Einsicht in die Notwendigkeit des Leidens Jesu. Vielmehr zeigt der Rückbezug auf *7,36ff sehr viel präziser, dass Petrus erst später - nämlich in Joh 21,15-17 mit dem dreimaligen »Liebst du mich? « - den engen Zusammenhang von Vergebung und Liebe versteht. Aus diesem Grund ist auch das ἀγαπᾷς με π λ έ ο ν τούτων Joh 21,15 nachvollziehbar. Petrus hat tatsächlich allen Grund, Jesus mehr zu lieben als die anderen Jünger, denn ihm wurde mehr vergeben als ihnen, nämlich seine Verleugnung. Da diese charakteristische Verhältnisbestimmung von Vergebung und Liebe (»viel liebt, wem viel vergeben ist«) nicht schon in *Ev enthalten war, sondern erst durch die lk Redaktion eingetragen wurde (Lk 7,41-44a.47d), wird ein Bezug zwischen der lk Redaktion und Joh 21 sichtbar. Dieses Element bestätigt die Joh-Priorität vor Lk. e. Die letzte Stufe der Überlieferungsgeschichte ist die Bearbeitung durch die lk Redaktion. Lk hat der Erzählung vor allem dadurch eine neue Wendung gegeben, ______________________________ nach eben vorgenommener Salbung, unter Verwendung der Haare! - eingefügt haben sollte.« Warum? Wäre diese »Ungeschicklichkeit« denn wahrscheinlicher, wenn der Autor dieses Element aus einem anderen Text übernommen hätte? 22 Gegen T HYEN , Joh 589; aus diesem Grund ist es auch nicht überzeugend, dass die Worte εἰ μὴ τοὺς πόδας in Joh 13,10 eine »sinnstörende sekundäre Glosse« sind: Sie machen deutlich, dass über die implizierte Taufe hinaus genau dieser Liebeserweis, der durch die Fußwaschung auf das »Viel liebt, wem viel vergeben ist« hinweist, für die christlichen Leser dauerhaft vonnöten ist. 23 Vgl. z. B. T HYEN , Joh 588 z. St. 694 Anhang I 7,36-50 dass er den Einwand gegen das Verhalten der Frau nicht den Jüngern bzw. Petrus zuweist, sondern dem pharisäischen Gastgeber, den er ja schon in *Ev vorgefunden hatte. Die Identifizierung des Gastgebers mit dem Adressaten der Antwort Jesu hatten Mk und Mt durch den Hinweis auf »Simon den Leprösen« auf andere Weise auch schon angedeutet. Für Lk ist die Gegnerschaft der Pharisäer gegen die Gemeinschaft Jesu mit »Zöllnern und Sündern« ein wesentliches Gestaltungselement, das immer wieder in redaktionellen Texten aufgegriffen und behandelt wird - zuletzt in Lk 7,34 (red.). Zu dieser redaktionellen Änderung gehört auch die Einfügung des Gleichnisses Lk 7,41-43, die Erweiterung der Schilderung des Tuns der Frau durch das, was der Gastgeber nicht getan hat (Lk 7,44-46), sowie die unpassende Folgerung »wenig liebt, wem nur wenig vergeben ist« (7,47b). Da Lk daran interessiert ist zu zeigen, dass die Frau »viel geliebt hat« (7,47a: ἠγάπησεν πολύ), hat er die Reihe der Tätigkeiten der Frau aus Joh 12,3 um das Element »Abtrocknen mit den Haaren« sowie das Küssen der Füße ergänzt. 7. Die älteste Fassung der Perikope in *Ev zeigt Petrus in einer Distanz zu Jesus, die bereits Mk dadurch gemindert hat, dass er die Kritik an der Verschwendung »einigen« in den Mund legt, die ungenannt bleiben (Mk 12,4). 24 Mit Blick auf den deutlichen Tadel Jesu gegenüber Petrus versteht man, wie die Marcioniten auf die Idee kamen, dass Petrus ursprünglich das »vollkommene Verständnis« nicht hatte. 25 Die Kritik der Marcioniten und anderer »Häretiker« an der apostolischen Begründung der kirchlichen Wahrheit wird also nicht einfach auf die polemische Abwertung im Zusammenhang aktueller Distanzierungen zurückgehen, sondern bereits einen Anhalt im ältesten Evangelium besessen haben. ______________________________ 24 Dabei zeigt sich in der handschriftlichen Überlieferung von Mk 12,4 eine Entwicklung mit dem Ziel, die Jünger aus der Position der unverständigen Kritiker zu nehmen: Der vorkanonische *Mk- Text hatte »die Jünger« noch als Subjekt genannt, wie die vermutlich vorkanonische Lesart in D Θ 565 it zeigt (οἱ δὲ μαθηταὶ αὐτοῦ διεπονοῦντο καὶ ἔλεγον). Erst die kanonische Redaktion streicht jede Erwähnung der »Jünger« und macht daraus ἦσαν δέ τινες ἀγανακτοῦντες πρὸς ἑαυτούς. 25 Vgl. etwa Irenaeus, Haer. 3,12,7 (FC 8/ 3, 140): »Oder hatte Petrus damals vielleicht noch nicht die vollkommene Erkenntnis (perfectam cogitationem), die diese Leute später dann erfunden haben? Nach ihnen war Petrus also unvollkommen, und genauso unvollkommen die übrigen Apostel; und sie müssten nochmals ins Leben zurückkehrenm um ihre (sc. der Häretiker) Schüler und um auch selbst vollkommen zu werden.« 8,1-3 Rekonstruktion 695 *8, [ 1 ] 2-3: Unterstützung durch vornehme Frauen Teilweise für *Ev bezeugt und sicher vorhanden; möglicherweise geringfügig durch Lk redaktionell ergänzt. [ 8,1 Καὶ ἐγένετο ἐν τῷ καθεξῆς καὶ αὐτὸς διώδευεν κατὰ πόλιν καὶ κώμην κηρύσσων καὶ εὐαγγελιζόμενος τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ, καὶ οἱ δώδεκα σὺν αὐτῷ, ] 2 καὶ γυναῖκές τινες αἳ ἦσαν τεθεραπευμέναι ἀπὸ πνευμάτων πονηρῶν καὶ ἀσθενειῶν, Μαρία ἡ καλουμένη Μαγδαληνή, ἀϕ’ ἧς δαιμόνια ἑπτὰ ἐξεληλύθει, 3 καὶ Ἰωάννα γυνὴ Χουζᾶ ἐπιτρόπου Ἡρῴδου καὶ Σουσάννα καὶ ἕτεραι πολλαί, αἵτινες a καὶ διηκόνουν b αὐτῷ ἐκ τῶν ὑπαρχόντων αὐταῖς. A. *8,2f: Tert. 4,19,1: Quod divites Christo mulieres adhaerebant, quae et de facultatibus suis ministrabant ei, inter quas et uxor regis procuratoris, de prophetia est. Has enim vocabat per Esaiam: Mulieres divites, exsurgite et audite vocem meam: ut discipulas primo, dehinc ut operarias et ministras ostenderet: Filiae in spe audite sermones meos: diei anni mementote cum labore in spe; cum labore enim, quo sequebantur, et ob spem ministrabant. B. a (8,3) και/ et: Tert D M 16 27 71 348 1071 1216 1458 1579 a aur c d ſſ 2 l q ¦ om (e) f r 1 vg M ● b (8,3) αυτω/ ei (illi): Tert א A L Ψ f 1 33 565 579 1241 2542 a aur b l q sy h co ¦ αυτοις/ eis (illis): c d e (f) ſſ 2 r 1 M . C. Tertullians Hinweis auf die Frauen und ihre Unterstützung in *8,2f ist deutlich, auch wenn er die γυνή … ἐπιτρόπου Ἡρῴδου aus eigener Sachkenntnis zur uxor regis procuratoris macht. Unklar ist, ob Tertullian auch die Namen der Frauen gelesen hat; wenn ja, dann wäre dies ein Hinweis für die Beurteilung von *24,10a, wo eine Johanna neben Maria Magdalena unter den Frauen genannt wird, die das leere Grab fanden (s. dort). 1. Von Lk 8,1 fehlt dagegen jede Spur. Zwar ist ein sicheres Urteil über diesen Vers nicht möglich, aber einige Beobachtungen legen es nahe, dass dieser Vers erst durch die lk Redaktion geschaffen wurde: Zunächst würde diese Überlegung die Beobachtungen über die lk Summare bestätigen (s. o. zu 4,44), durch die Lk die abrupten Übergänge in *Ev glättet. Sodann weisen einige Stichworte dieses Summars recht genau auf die Sprache und die Intention der lk Theologie hin: καθεξῆς; Verkündigung in jeder Stadt und jedem Dorf; εὐαγγελίζομαι τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ als term. techn. für die Verkündigung; οἱ δώδεκα. Vermutlich aufgrund dieser und vergleichbarer Beobachtungen hat man Lk 8,1 für »eindeutig redaktionell« gehalten. 1 2. Vor allem im Licht der redaktionellen Bearbeitung von *7,36-50 ist dieses Urteil wahrscheinlich (s. dort). Die Fassung der Salbungserzählung in *Ev war ja nicht an der Kontrastierung des Pharisäers und der Sünderin interessiert, sondern ______________________________ 1 R ADL , Lk 506. 696 Anhang I 8,1-3 daran, die Größe des Liebeserweises der Frau herauszustellen und dessen Zusammenhang mit der Vergebung deutlich zu machen. Die γυνὴ ἁμαρτωλός (*7,37) präfiguriert daher die drei Frauen und ihre διακονία (*8,2f), auch wenn bei jener das Verhältnis von Vergebung und Liebe(serweis) anders bestimmt ist als das von Heilung/ Exorzismus und Dienst bei diesen, wie die Abfolge von *8,2f gegenüber *7,47f zeigt. 3. Dieser enge Zusammenhang von *7,36-50 und *8,2f lässt sich auch überlieferungsgeschichtlich plausibilisieren. Denn während die »Sünderin« aus *7,36-50 in Joh 12,1-8 das Vorbild für die Maria aus dem bethanischen Geschwistertrio abgab, hat Joh sie auch in seine Darstellung der Maria Magdalena, einer der Zeuginnen unter dem Kreuz (Joh 19,25) und der ersten Osterzeugin (Joh 20,1.18), einfließen lassen: Bei der Begegnung mit dem Auferstandenen weint Maria Magdalena (κλαίουσα Joh 20,11) wie die Sünderin in der kanonischen Fassung der lk Salbungserzählung (κλαίουσα Lk 7,38), und in beiden Fällen darf man dieses Weinen als Ausdruck der Liebe verstehen. Aus diesem Grund ist ein unmittelbarer Zusammenhang von *7,36-50 und *8,2f wahrscheinlich, der nicht durch einen situationsverändernden Szenenwechsel unterbrochen war (Lk 8,1). *8,4.5-8a.8b.9.10a ↑ 18 ↓ 10b.11-17: Gleichnis vom Sämann. Parabeltheorie und Deutung Nur teilweise bezeugt, aber vermutlich ganz in *Ev enthalten. Sehr wahrscheinlich durch Lk redaktionell bearbeitet. 8,4 Συνιόντος δὲ ὄχλου πολλοῦ καὶ τῶν κατὰ πόλιν ἐπιπορευομένων πρὸς αὐτὸν εἶπεν a παραβολὴν τοιαύτην πρὸς αὐτούς a , 5 Ἐξῆλθεν ὁ σπείρων τοῦ σπεῖραι τὸν σπόρον αὐτοῦ. καὶ ἐν τῷ σπείρειν αὐτὸν ὃ μὲν ἔπεσεν παρὰ τὴν ὁδόν, καὶ κατεπατήθη καὶ τὰ πετεινὰ b [ τοῦ οὐρανοῦ ] b κατέϕαγεν αὐτό. 6 καὶ ἕτερον κατέπεσεν ἐπὶ τὴν πέτραν, καὶ ϕυὲν ἐξηράνθη διὰ τὸ μὴ ἔχειν ἰκμάδα. 7 καὶ ἕτερον ἔπεσεν ἐν μέσῳ τῶν ἀκανθῶν, καὶ συμϕυεῖσαι αἱ ἄκανθαι ἀπέπνιξαν αὐτό. 8 καὶ ἕτερον ἔπεσεν εἰς τὴν γῆν τὴν ἀγαθήν c καὶ καλήν c , καὶ ϕυὲν ἐποίησεν καρπὸν ἑκατονταπλασίονα. ταῦτα λέγων ἐϕώνει, Ὁ ἔχων ὦτα d [ ἀκούειν ] ἀκουέτω. 9 Ἐπηρώτων δὲ αὐτὸν οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ τίς αὕτη εἴη ἡ παραβολή. 10a ὁ δὲ εἶπεν, ῾Υμῖν δέδοται γνῶναι τὰ μυστήρια τῆς βασιλείας τοῦ θεοῦ. ↑ 18 βλέπετε e [ οὖν ] πῶς ἀκούετε· ὃς ἂν γὰρ ἔχῃ, δοθήσεται αὐτῷ, f ὃς δὲ f ἂν μὴ ἔχῃ, καὶ ὃ δοκεῖ ἔχειν ἀρθήσεται ἀπ’ αὐτοῦ. ↓ 10b τοῖς δὲ λοιποῖς g {οὐ δέδοται εἰ μὴ} ἐν παραβολῇ g ἵνα βλέποντες μὴ βλέπωσιν καὶ ἀκούοντες μὴ συνιῶσιν. 8,4-18 Rekonstruktion 697 11 Ἔστιν δὲ αὕτη ἡ παραβολή· Ὁ σπόρος ἐστὶν ὁ λόγος τοῦ θεοῦ. 12 οἱ δὲ παρὰ τὴν ὁδόν εἰσιν οἱ ἀκούσαντες, εἶτα ἔρχεται ὁ διάβολος καὶ αἴρει τὸν λόγον ἀπὸ τῆς καρδίας αὐτῶν, ἵνα μὴ πιστεύσαντες σωθῶσιν. 13 οἱ δὲ ἐπὶ τῆς πέτρας οἳ ὅταν ἀκούσωσιν μετὰ χαρᾶς δέχονται τὸν λόγον, καὶ οὗτοι ῥίζαν οὐκ ἔχουσιν, οἳ πρὸς καιρὸν πιστεύουσιν καὶ ἐν καιρῷ πειρασμοῦ ἀϕίστανται. 14 τὸ δὲ εἰς τὰς ἀκάνθας πεσόν, οὗτοί εἰσιν οἱ ἀκούσαντες, καὶ ὑπὸ μεριμνῶν καὶ πλούτου καὶ ἡδονῶν τοῦ βίου πορευόμενοι συμπνίγονται καὶ οὐ τελεσϕοροῦσιν. 15 τὸ δὲ ἐν τῇ καλῇ γῇ, οὗτοί εἰσιν οἵτινες ἐν καρδίᾳ καλῇ h [ καὶ ἀγαθῇ ] h ἀκούσαντες τὸν λόγον κατέχουσιν καὶ καρποϕοροῦσιν ἐν ὑπομονῇ. 16 Οὐδεὶς δὲ λύχνον ἅψας καλύπτει αὐτόν i k σκεύει ἢ ὑποκάτω κλίνης τίθησιν i l [ ἀλλ’ ἐπὶ λυχνίας τίθησιν ] , l m [ ἵνα οἱ εἰσπορευόμενοι βλέπωσιν τὸ ϕῶς ] . m 17 οὐ γάρ ἐστιν κρυπτὸν ὃ οὐ ϕανερὸν γενήσεται, οὐδὲ ἀπόκρυϕον n ἀλλὰ ἵνα n γνωσθῇ καὶ εἰς ϕανερὸν ἔλθῃ. ↑ 18 βλέπετε οὖν πῶς ἀκούετε· ὃς ἂν γὰρ ἔχῃ, δοθήσεται αὐτῷ, καὶ ὃς ἂν μὴ ἔχῃ, καὶ ὃ δοκεῖ ἔχειν ἀρθήσεται ἀπ’ αὐτοῦ. ↓ A. *8,4.8.10: Tert. 4,19,2: Aeque de parabolis semel sufficiat probatum hoc genus eloquii a creatore promissum. At nunc illa quoque pronuntiatio eius ad populum, Aure audietis et non audietis, dedit Christo frequenter inculcare, Qui habet aures audiat: non quasi ex diversitate auditum permitteret Christus quem ademisset creator, sed quia comminationem exhortatio sequebatur. Primo, aure audietis et non audietis; dehinc, qui habet aures audiat. ♦ *8,18: Tert. 4,19,3f: Non enim audiebant ultro qui aures habebant, sed ostendebat aures cordis necessarias, quibus illos audituros negarat creator. Et ideo per Christum adicit: Videte quomodo audiatis et non audiatis, non corde scilicet audientes sed aure. Si dignum sensum pronuntiationi accommodes pro sensu eius qui auditui suscitabat, etiam dicendo, Videte quomodo audiatis, non audituris minabatur. Sane minatur mitissimus deus, quia nec iudicat nec irascitur. (4) Hoc probat etiam subiacens sensus. Ei qui habet dabitur, ab eo autem, qui non habet etiam quod habere se putat auferetur ei. Quid dabitur? Adiectio fidei vel intellectus vel salus ipsa. Quid auferetur? Utique quod dabitur. A quo dabitur et auferetur? Si a creatore auferetur, ab eo et dabitur. Si a deo Marcionis dabitur, ab eo et auferetur. ♦ *8,16f: Tert. 4,19,5: miror autem cum lucernam negat abscondi solere, qui se tanto saeculo absconderat maius et necessarius lumen, cum omnia de occulto in apertum repromittit, qui deum suum usque adhuc obumbrat, expectans, opinor, nasci Marcionem. B. a (8,4) παραβολην τοιαυτην προς αυτους/ similitudinem (parabolam: a c d) talem ad illos (eos: d): aur b l q r 1 ¦ parabolam ad illos: c ¦ similitudinem talem: e ¦ similitudinem: a f ſſ 2 vg ¦ δια παραβολης: M (*Ev non test.) ● b (8,5) του ουρανου: om D W pc a b d e ſſ 2 l q sy s.c.p Tat arab.pers ¦ add c f r 1 vg M ; vgl. p) Mk 4,4 || Mt 13,3 (*Ev non test.) ● c (8,8) και καλην: D (a: optimam et bonam) e c d r 1 sy c.p armen ¦ om aur b f ſſ 2 l q M (*Ev non test.) ● d (8,8) ακουειν: om Tert 2643 ¦ add it M ● e (8,18) ουν: om Tert 343 716 1229 a aur b c ſſ 2 l q sy s Tat pers bo (1 ms) ¦ ουν/ ergo: d e f r 1 vg M ● f (8,18) ος δε/ qui autem: Tert l sy s (2 mss) ¦ και ος/ et qui[cumque]: a aur b c d f ſſ 2 q r 1 M ● g (8,10b) ου δεδοται ει μη εν παραβολη: e g 1 (sy s.c.p ) ¦ εν παραβολαις λαλω: Λ 13 16 161 230 262 346 348 477 543 826 828 1071 1187 1216 1579 ℓ253 (b); (λαλησω εν παραβολαις: Prisc, Tract. 3; CSEL 18, 56); εν παραβολαις λεγεται: g 1 sy s.c.p (Tat arab ) ¦ om it M (*Ev non test.) ● h (8,15) και αγαθη: om a aur b c d e ſſ 2 l q r 1 ¦ add f M (*Ev non test.) ● i (8,16) σκευει η υποκατω κλινης τιθησιν: om Tert 698 Anhang I 8,4-18 b (ponit sub modio) e (operit illam neque sub lectum ponit illam) ¦ add a aur d f ſſ 2 l q r 1 M ● k (8,16) σκευει: om e ¦ add it M ● l (8,16) αλλ επι λυχνιας τιθησιν: om Tert 472 903* 1009 1229 1355 1542* ℓ253 ¦ add it M ● m (8,16) ινα οι εισπορευομενοι βλεπωσιν το ϕως: om Tert P 75 B ¦ ινα πασι λαμπη/ ut omnibus luceat: e c (omnes lumen videant: a) ¦ ινα βλεπωσιν το ϕως: Aphr (Dem. 1,10; PS 1, 24; FC 5/ 1, 88) ¦ add οι εισπορευομενοι βλεπωσιν το ϕως/ ut intrantes (qui intrant: d) videant lumen: aur b d f ſſ 2 l q r 1 M ● n (8,17) αλλα ινα/ sed ut: D d (ut: a l); nisi: aur be ſſ 2 q ¦ ο ου (μη)/ quod non: aur c e f r 1 vg M (*Ev non test.). C. Das Urteil über *8,4-18 ist schwierig, weil kein Element des eigentlichen Gleichnisses und seiner Deutung bezeugt ist. Aber während die gesamte Saatmetaphorik fehlt, ist die Gleichnisrede als solche ebenso deutlich bezeugt wie die Belehrung über die Gleichnisse und das anschließende Bildwort vom Leuchter (*8,16) und das Logion vom Offenbarwerden des Verborgenen (*8,18). Da es zwar denkbar, aber doch sehr unwahrscheinlich ist, dass *Ev diese Belehrung über den Sinn der Gleichnisse ohne irgendeine Anbindung an ein konkretes Beispiel enthalten hatte, liegt die Erklärung näher, dass Tertullian das Sämanngleichnis und seine Deutung stillschweigend übergangen hat. 1. Die Vermutung, dass dieses Gleichnis auch in *Ev an dieser Stelle vorhanden war, wird schließlich noch durch eine weitere, wichtige Beobachtung gestützt: Nach der Abfolge seines Referates von *8,4ff in 4,19,1-5 hat Tertullian das Wort vom Offenbarwerden des Verborgenen *8,18 bereits im Anschluss an *8,10a gelesen. 1 Zwar könnte Tertullian hier die Pointe seiner Argumentation vorangestellt haben, wie er es auch sonst gelegentlich tut; ein schönes Beispiel dafür ist seine Behandlung der Seesturmperikope *8,22-25, deren Referat Tertullian die abschließende Frage quis autem iste est qui et ventis et mari imperat? voranstellt (*8,25 in 4,20,1), bevor er Einzelheiten aus *8,22 mitteilt (4,20,3). Allerdings entspricht die Reihenfolge seines Referates in diesem Fall genau der mt Parallele. Es spricht daher einiges dafür, dass Mt und *Ev hier denselben (von Mk und Lk abweichenden) Zusammenhang hatten. 1. Einleitung in die Gleichnisrede (Mt 13,3 || *8,4) mit dem nachfolgenden Gleichnis vom Sämann (Mt 13,4-8; für *Ev unbezeugt, aber mit größter Wahrscheinlichkeit vorauszusetzen). Im Anschluss an das Gleichnis die Belehrung über den Zweck der Gleichnisse in der Abfolge: 2. Frage der Jünger nach der Bedeutung des Gleichnisses und die Antwort Jesu mit dem Hinweis, dass den Jüngern das Verständnis der Geheimnisse gegeben ist (Mt 13,10f || *8,9.10a); gefolgt von der 3. Mahnung, richtig zu hören (nur in *Ev: *8,18a, vgl. dazu Mt 10,26). Danach das 4. Wort vom Haben und vom Genommenwerden (Mt 13,12 || *8,18b), das hier eine andere Stellung hat als bei Mk (4,25) und Lk (8,18). 5. Es folgt die Erklärung über die verstockende Funktion der Gleichnisrede (Mt 13,13 || *8,10b), die Mt, wie er es auch sonst öfter tut, genauer erläutert, hier durch das Zitat von Jes 6,9f (Mt ______________________________ 1 Vgl. T SUTSUI 88. 8,4-18 Rekonstruktion 699 13,14f) sowie die Seligpreisung der Augen und Ohren der Jünger, die Mt aus *10,23f (s. dort) kannte. 6. Deutung des Sämanngleichnisses (Mt 13,18-23 || *8,11-15); für *Ev unbezeugt, aber mit großer Wahrscheinlichkeit vorhanden. 7. Den Abschluss der Belehrung in *Ev bildete das Wort vom Leuchter *8,16f, das Mt allerdings in ganz anderen Zusammenhängen bietet (Mt 5,15; 10,26). Die ungewöhnlich erscheinende Stellung von *8,18 zwischen *8,10a.b wird auch durch die handschriftliche Überlieferung bestätigt: Zwischen Lk 8,10a und b lag ein Einschnitt, der sich noch in den eusebianischen Kanones niedergeschlagen hat. 2 Darüber hinaus hat sich die ursprüngliche Textanordnung noch in den Lesarten zu Lk 8,10b erhalten. Denn im kanonischen Mehrheitstext schließt τοῖς δὲ λοιποῖς ἐν παραβολαῖς elliptisch an 8,10a an. Diese Ellipse ist durchaus unglücklich, weil hier ein Verbum dicendi zu ergänzen wäre (also etwa λαλῶ wie Mt 13,13 oder Lk 8,10 v. l.); aber aus der Formulierung δέδοται γνῶναι τὰ μυστήρια Lk 8,10a ergibt sich dies nicht ohne weiteres. Der Bruch in der Konstruktion ist dadurch entstanden, dass die lk Redaktion *8,18 aus der Stellung zwischen *8,10a.b heraus genommen und, darin der mk Anlage folgend, hinter das Wort vom Licht unter dem Scheffel gestellt hat (Mk 4,21-25 || Lk 8,16-18). Durch die daraus resultierende Kombination von Lk 8,10a.b als eine antithetische Aussage ist das Prädikat von *8,10b ausgefallen, hat sich aber noch verschiedentlich in den Handschriften erhalten, und zwar am ehesten in der antithetischen Formulierung von e g 1 : (τοῖς δὲ λοιποῖς) οὐ δέδοται εἰ μὴ ἐν παραβολῇ … Die enge Entsprechung zwischen *Ev und Mt ist in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Zunächst belegt die eigenartige Stellung von *8,18 einmal mehr die *Ev- Priorität, wie die Gegenprobe zeigt, denn welchen Grund sollte Marcion gehabt haben, *8,18 nach vorne zu ziehen? Sodann wirft die Entsprechung von *Ev und Mt in der Abfolge der einzelnen Elemente ein deutliches Licht auf die Überlieferungsgeschichte: Wenn *Ev als ältester Text sowohl Mk als auch Mt vorgelegen hat, sind die Übereinstimmungen und Abweichungen ohne weiteres erklärbar. Insgesamt wird deutlich, dass Mt an dieser Stelle den Wortlaut und die Textanordnung von *Ev zugrunde gelegt hat, also nicht dem Mk-Text folgt. Damit ist auch wahrscheinlich, dass das Sämanngleichnis und seine Deutung in *Ev enthalten waren und nur in Tertullians Referat übergangen wurden. Vor allem aber folgt aus dieser Überlegung, dass Mk das Logion gezielt von der ihm aus *Ev vorgegebenen Position (es hätte seinen Platz zwischen Mk 4,11 und 12 gehabt) verschoben und als Abschluss der Belehrung über die Offenbarung des Verborgenen verwendet hat (Mk 4,25 nach 4,21-24). Dass Lk 8,16-18 dem Zusammenhang Mk 4,21-24a.25 eng folgt und auch im Wortlaut mk Besonderheiten übernimmt, 3 ist ein weiterer Beleg dafür, dass die lk Redaktion neben *Ev und Mt auch Mk berücksichtigt hat. ______________________________ 2 In NA 27 ist dieser von der Typographie der Druckausgabe nicht erfasste Einschnitt durch * und die Kanonangabe 77/ I (bzw. in IGNTP durch οζ/ α) kenntlich gemacht. 3 Auffällig ist das mk-lk Agreement ἢ ὑπὸ τὴν κλίνην Mk 4,21a || ἢ ὑποκάτω κλίνης Lk 8,16a ÷ Mt 5,15. 700 Anhang I 8,4-18 2. Dass die nichtbezeugten Vv. *8,9.10a in *Ev vorhanden waren, legen schließlich noch die wichtigen »Minor Agreements« an dieser Stelle nahe. Da *Ev nicht bezeugt ist, lässt sich zwar nicht mit Sicherheit sagen, dass sie auf *Ev als die gemeinsame Quelle von Mt und Lk zurückgehen: Es könnte auch sein, dass Lk die Formulierungen hier von Mt (anstatt von *Ev) übernommen hat. Aber in jedem Fall können diese »spektakuläre(n) Minor Agreements« ohne zusätzliche Annahmen zur Zwei-Quellentheorie »nur schwer erklärt werden«. 4 (1) οἱ μαθηταί *8,9a || Mt 13,10a ≠ οἱ περὶ αὐτὸν σὺν τοῖς δώδεκα Mk 4,10. - (2) ὁ δὲ εἶπεν *8,10a || ὁ δὲ … εἶπεν Mt 13,11a ≠ καὶ ἔλεγεν αὐτοῖς Mk 4,11a. - (3) ὑμῖν δέδοται γνῶναι τὰ μυστήρια τῆς βασιλείας τοῦ θεοῦ *8,9b || ὑμῖν δέδοται γνῶναι τὰ μυστήρια τ. βας. τῶν οὐρανῶν Mt 13,11b ≠ ὑμῖν τὸ μυστήριον δέδοται τῆς βας. τ. θ. Mk 4,11b. - (4) καρδία αὐτῶν/ αὐτοῦ *8,12c || Mt 13,19c ≠ (αἴρει τὸν λόγον τὸν ἐσπαρμένον) εἰς αὐτούς Mk 4,15. 5 Besonders das dritte der genannten Beispiele in *8,9b || Mt 13,11b ≠ Mk 4,11b wiegt dabei schwer, weil die Formulierung δέδοται γ ν ῶ ν α ι τὰ μυστήρια so charakteristisch von der mk Formulierung τὸ μυστήριον δέδοται abweicht und es zugleich kaum denkbar ist, dass Mt und Lk unabhängig voneinander auf eine so spezielle Formulierung gekommen sein sollten. Aus diesem Grund wurde daher für dieses Agreement eine gemeinsame vormk Herkunft vorgeschlagen, 6 für die *Ev eine plausible Quelle darstellt. 3. Ein besonderes Problem stellt der Wortlaut des Logions vom Leuchter *8,16f dar. Die Schwierigkeit liegt zum einen darin, dass Tertullian hier erkennbar den ihm vorliegenden *Ev-Text nicht zitiert, sondern großzügig zusammenfasst. Zum anderen ist der große Variantenreichtum der handschriftlichen Überlieferung wenig hilfreich; er erklärt sich zum Teil daraus, dass dieses Wort bereits in *11,33 eine Dublette besaß (s. dort), die aber keineswegs mit *8,16 identisch gewesen sein muss. Bei aller Vorsicht lassen sich für die Rekonstruktion folgende Überlegungen anstellen: a. Tertullian gibt keinerlei Hinweis auf das Gefäß oder auf die Kline, unter der das Licht verborgen sein könnte. Die Unterschiede der Textüberlieferung an dieser Stelle legen nahe, dass in *Ev καλύπτει *8,16a ohne indirektes Objekt stand; besonders die altlat. Überlieferung in b und e, die jeweils nur eines der beiden kanonischen Glieder (σκεύει; ὑποκάτω κλίνης) haben, ist hier aufschlussreich: Sie haben jeweils ein anderes der durch die lk Redaktion eingefügten Glieder korrigierend ergänzt. b. In *8,16b ist der (von Tertullian nicht bezeugte) Adversativsatz für die narrative Logik nicht unbedingt notwendig. Dass er gleich in mehreren Minuskeln fehlt, 7 ist ______________________________ 4 W OLTER , Lk 306. 5 Vgl. dazu N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 90ff; DERS ., Minor Agreements (1991), 32f; E NNULAT , Minor Agreements 123-133. 6 V. F USCO , L’accord mineur Mt 13,11a/ Lc 8,10a contre Mc 4,11a, in: J. Delobel (ed.), Logia, Leuven 1982, 355-361, 360: »une forme plus archaïque que dans Mc.« 7 472 903* 1009 1229 1355 1542* ℓ253 (diese Variante ist in NA 27 nicht verzeichnet). 8,4-18 Rekonstruktion 701 wohl am ehesten als Hinweis auf die uneinheitlich durchgeführten Korrekturen des vorkanonischen Textes nach dem kanonischen zu verstehen. In diesem Fall geht die Nichtbezeugung auf das Fehlen der Aussage in *Ev zurück. c. Ebenfalls unbezeugt ist V. *16c. Dass dies nicht an der Großzügigkeit von Tertullians Referat liegt, sondern auf einen entsprechenden *Ev-Text verweist, zeigt die Analogie in P 75 B: Legt man das Kriterium der uneinheitlichen Korrektur des vorkanonischen an den kanonischen Text zugrunde, spricht alles dafür, dass diese beiden sonst der »Top-Kategorie« 8 zugerechneten Handschriften hier nicht die kanonische Fassung, sondern *Ev bewahrt haben. Diese Vermutung wird durch die große Uneinheitlichkeit der weiteren Überlieferung des Logions gestützt: Während ein Teil der Überlieferung - wohl in Anlehnung an Mt 5,15 (καὶ λάμπει πᾶσιν τοῖς ἐν τῇ οἰκίᾳ) - hier eine Aussage über den Leuchter ergänzt (e c), hat die lk Redaktion mit erkennbarer theologischer Absicht eine Aussage über οἱ εἰσπορευόμενοι eingefügt. 4. Diese Rekonstruktion der Perikope in *Ev und ihrer Textanordnung ist für die Überlieferungsgeschichte in mehrfacher Hinsicht bedeutsam, weil sie sehr deutlich die mk Bearbeitung des älteren *Ev erweist. Nach *8,9 fragen die Jünger Jesus aus der Menge heraus nach der Bedeutung des Gleichnisses. Die Antwort Jesu differenziert daher zwischen »euch« und »den übrigen« (ὑμῖν - τοῖς λοιποῖς). Mk hat dagegen die ganze Szenerie als Lehre »im Boot« gefasst: Die Jünger sind mit Jesus im Boot, 9 und daher werden die »übrigen« zu »denen draußen« (ἐκείνοις τοῖς ἔξω Mk 4,11). Im Unterschied zu *8,9f verrät die Abfolge von Mk 4,10-12 die sorgfältige Bearbeitung. Denn der mk Jesus belehrt die Jünger nicht nur über die Bedeutung des Sämanngleichnisses, sondern macht darüber hinaus die Multiplikatorenfunktion der Jünger deutlich: Obwohl sie das Gleichnis gar nicht verstanden hatten, ist ihnen - im Unterschied zu »jenen da draußen« - das Geheimnis der Gottesherrschaft gegeben, weil sie die Deutung zu hören bekommen (Mk 4,13-20). Aber mit dieser Erklärung hat Mk erst die Hälfte der entscheidenden Information geliefert. Denn wenn Mk im Anschluss das Wort vom Leuchter unter dem Scheffel (Mk 4,21) mit der Verheißung anfügt, dass es nichts Verborgenes gibt, das nicht offenbar werden wird (Mk 4,22), dann ist darin bereits die Überwindung des Nichtverstehens derer »da draußen« (Mk 4,12) ______________________________ 8 W OLTER , Lk 310 z. St. 9 Mk 4,10a ὅτε ἐγένετο κατὰ μόνας besagt nicht, dass Jesus und die Jünger »in ein Haus« gehen (so W OLTER , Lk 306), sondern dass Jesus seine Erklärung an die Jünger im Boot richtet, nicht aber an die am Ufer stehende Menge; aus diesem Grund nehmen ihn am Ende der Belehrung die Jünger »im Boot mit, so wie er war« (παραλαμβάνουσιν αὐτὸν ὡς ἦν ἐν τῷ πλοίῳ Mk 4,36), nämlich seit Mk 4,1; vgl. M. K LINGHARDT , Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19 (2002), 183-202: 190. 702 Anhang I 8,4-18 avisiert. Aus diesem Grund ist der Weckruf und die Ermahnung, auf das zu achten, »was ihr hört« (Mk 4,23f), auch eine folgerichtige Weiterführung: Die Jünger müssen bei der Deutung der Gleichnisse, die sie bei Jesus »im Boot« mitgeteilt bekommen, genau aufpassen, denn sie müssen sie dann ihrerseits weitergeben - natürlich an diejenigen, die jetzt noch »da draußen« sind, und zwar nach Maßgabe des Wortes vom Maß. Anders gesagt: Würden die Jünger nicht auf die Deutung der Gleichnisrede achten, hätten sie nichts weiterzugeben, und dann würde ihnen auch das genommen werden, was sie bereits durch ihr Sein bei Jesus haben. Zur Herstellung dieser kunstvollen und komplexen Komposition waren einige Eingriffe in *Ev notwendig: Zunächst musste Mk einen unmittelbaren Zusammenhang von *8,10a.b || Mk 4,11f herstellen, indem er das dazwischen stehende Logion vom Maß *8,18 || Mk 4,24f betont an das Ende dieser Lehre verschob. Den präzisen Sinn, der für die Bedeutung der ganzen Einheit konstitutiv ist, hat dieses Logion allerdings nur dadurch erhalten, dass das Wort vom Maß Mk 4,24b (ἐν ᾧ μέτρῳ μετρεῖτε μετρηθήσεται ὑμῖν …) die Aufforderung zum Hören (Mk 4,24a: βλέπετε τί ἀκούετε) und die Lohnverheißung (Mk 4,25: ὃς γὰρ ἔχει, δοθήσεται αὐτῷ usw.) miteinander verbindet. Diese entscheidende Klammer ist von Mk redaktionell eingefügt worden. Darüber hinaus lag es nahe, den adversativen Sinn des Logions vom Leuchter (*8,16) hervorzuheben; Mk hat dies dadurch geleistet, dass er gegen *8,16 zu καλύπτει (Mk 4,21a) die indirekten Objekte einfügte (ὑπὸ τὸν μόδιον τεθῇ ἢ ὑπὸ τὴν κλίνην): Die Lehre, die Jesus den Jüngern im Boot zuteil werden lässt, dient der Erleuchtung derer draußen und darf nicht unter dem Scheffel oder unter der Kline versteckt bleiben. Der Vergleich von Mk 4,10-25 und *8,9-18 erweist die mk Komposition durchweg als sekundär gegenüber *Ev. Diese überlieferungsgeschichtliche Einsicht ist dadurch etwas verdeckt, dass Mt stärker von *Ev als von der mk Anlage des Textes bestimmt ist. Allerdings hat er *Ev mit der Abfolge von *8,9.10a.18.10b || Mt 13,10-13 durch den ausdrücklichen Verweis auf Jes 6,9f ergänzt (Mt 13,14f) und diesen mit dem Makarismus Mt 13,16f kontrastiert: Die Begründung in 13,14-17 bringt gegenüber 13,10-13 keine neuen Gesichtspunkte, sondern schreibt den Gegensatz nur fest: Die Verstockten bleiben blind, taub und unverständig; die für die mk Komposition so entscheidende Dynamik ist damit verloren. Da der redaktionelle Charakter von Mt 13,14-17 ohne weiteres ersichtlich ist, hat man Entsprechendes auch für Mt 13,10-13 angenommen 10 - zu Unrecht: Hier hält sich Mt an seine Quelle *Ev. Auf der anderen Seite ist die überlieferungsgeschichtliche Analyse dadurch verdunkelt, dass Lk 8,9f der Anlage von Mk 4,10-12 folgt und wie dieser die Aufforderung zum Hören mit dem Wort von Haben und Nicht-Haben (Mk ______________________________ 10 Z. B. L UZ , Mt II 301 Anm. 7. 8,4-18 Rekonstruktion 703 4,24a.25 || Lk 8,18) erst nach der Verheißung bringt, dass alles offenbar werden muss (Lk 8,17 || Mk 4,22). Dass Lk trotz dieser engen Entsprechung das scharfe Profil der mk Komposition nicht erreicht, ist daran ersichtlich, dass er Mk 4,24b nicht übernimmt, sondern *8,18 fast unverändert rezipiert - an anderer Stelle. *8, 19 20f: Jesu Mutter und seine Brüder Gut für *Ev bezeugt, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die lk Redaktion ergänzt und bearbeitet. a 8,19 Παρεγένετο δὲ πρὸς αὐτὸν ἡ μήτηρ καὶ οἱ ἀδελϕοὶ αὐτοῦ καὶ οὐκ ἠδύναντο συντυχεῖν αὐτῷ διὰ τὸν ὄχλον. a 20 b καὶ ἀπηγγέλη b αὐτῷ, c ὅτι ἡ μήτηρ d †αὐτοῦ† καὶ οἱ ἀδελϕοί d †αὐτοῦ† ἑστήκασιν ἔξω ἰδεῖν e ζητοῦντες f αὐτόν. 21 ὁ δὲ ἀποκριθεὶς εἶπεν πρὸς αὐτούς, g {Τίς μοι ἡ μήτηρ καὶ τίνες μοι οἱ ἀδελϕοί εἰ μὴ} g οἳ ἀκούουσιν h τοὺς λόγους μου h {καὶ ποιοῦσιν αὐτούς}; A. *8,19-20: Epiph., Schol. 12: οὐκ εἶχεν Ἡ μήτηρ αὐτοῦ καὶ οἱ ἀδελϕοὶ αὐτοῦ, ἀλλὰ μόνον Ἡ μήτηρ σου καὶ οἱ ἀδελϕοί σου. ♦ *8,20: Tert. 4,19,6f: Venimus ad constantissimum argumentum omnium qui domini nativitatem in controversiam deferunt. Ipse, inquiunt, contestatur se non esse natum dicendo, Quae mihi mater, et qui mihi fratres? Ita semper haeretici aut nudas et simplices voces coniecturis quo volunt rapiunt, aut rursus condicionales et rationales simplicitatis condicione dissolvunt, ut hoc in loco. (7) nos contrario dicimus primo non potuisse illi annuntiari quod mater et fratres eius foris starent quaerentes videre eum, si nulla illi mater et fratres nulli fuissent. ¦ Ephraem, Comm. Diat. 11,9 (FC 54/ 1, 351): Deine Mutter und deine Brüder suchen dich. ♦ *8,21: Tert. 4,19,11: Atque adeo cum praemisisset, Quae mihi mater et qui mihi fratres? subiungens, Nisi qui audiunt verba mea et faciunt ea, transtulit sanguinis nomina in alios, quos magis proximos pro fide iudicaret. ¦ Tert. 4,26,13 (s. u. zu *11,27f): Immo beati qui sermonem dei audiunt et faciunt: quia et retro sic reiecerat matrem aut fratres, dum auditores et obsecutores dei praefert. Nam nec hic mater assistebat illi. Adeo nec retro negaverat natum. B. a (8,19) vs. om: Epiph ¦ vs. add it M ● b (8,20) και απηγγελη/ et nuntiatum est: A (W) Θ Ψ f 1 e f r 1 vg sy h ¦ απηγγελη δε/ nuntiatum est autem: P 75 א B D L Ξ f 13 33 579 700 892 1241 1424 a aur b c d ſſ 2 l q (*Ev non test.) ● c (8,20) οτι/ quod: Tert א D L Θ f 1 33 579 892 1241 a aur b c f ſſ 2 l q ¦ om P 75 B W Δ pc vg ¦ λεγοντων: A Ξ f 13 r 1 M ¦ λεγοντων οτι: Ψ 1424 pc sy h ● d (8,20) Widersprüchliche Bezeugung: (1) eius/ αυτου: Tert (mater et fratres eius); e (mater eius et fratres) ¦ (2) σου/ tua (tui): Epiph Ephr a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ● e (8,20) ζητουντες/ quaerentes: Tert (quaerentes videre) D d (ζητουντες/ quaerentes) ¦ θελοντες ιδειν/ volentes videre (  ): a aur b c e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 M ● f (8,20) αυτον/ eum: Tert (e [corr.]: teum) ¦ σε/ te: a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ● g (8,21) τις εστιν η μητηρ μου και οι αδελϕοι μου/ quae mihi mater et qui mihi fratres: add Tert (vgl. p) Mk 3,33) ● h (8,21) τους λογους μου/ verba mea: Tert ¦ τον λογον του θεου: it M . C. Tertullian und Epiphanius sichern diese Perikope für *Ev. Allerdings sind ihre Referate weniger klar, als auf den ersten Blick deutlich ist. 704 Anhang I 8,19-21 1. Zunächst wirft die Bezeugung des Epiphanius Schwierigkeiten auf, weil nicht klar ist, worauf genau sich seine Streichungsnotiz 1 bezieht: Im kanonischen Text taucht die Wendung ἡ μήτηρ/ οἱ ἀδελϕοί + Possessivpronomen in den Vv. 19 und 20 auf - und zwar zuerst in 8,19 in der Erzählstimme mit dem Pronomen in der 3. Pers. Sing., dann in 8,20 als direkte Wiedergabe der Botenrede in der 2. Pers. Sing. Da die Einleitung aber nicht in der 2. Pers. Sing. gestanden haben kann, bezieht sich Epiphanius’ Notiz nicht auf eine Veränderung des Textes, sondern auf ein Defizit. Zu paraphrasieren wäre: »Er (sc. *Ev) hatte nicht (V. 19 mit der Formulierung) ›seine Mutter und seine Brüder …‹, sondern nur (V. 20 mit der Formulierung in der 2. Pers. Sing.) ›deine Mutter und deine Brüder‹.« Epiphanius’ Formulierung »nicht - sondern nur« ist daher als Streichungsnotiz zu werten. Unklar bleibt dabei, ob in *Ev nur die Wendung ἡ μήτηρ αὐτοῦ καὶ οἱ ἀδελϕοὶ αὐτοῦ fehlte oder der ganze Vers 8,19. Prinzipiell sind beide Möglichkeiten denkbar: Im einen Fall fehlte in der Einleitung der Perikope das direkte Subjekt, im anderen fehlte die narrative Einleitung überhaupt; in diesem Fall wäre 8,19 erst durch die lk Redaktion ergänzt worden - sicher ist also nur, dass die narrative Anlage der Exposition bei *Ev anders aussah als in Lk. Mit Blick auf die häufig unbefriedigend gestalteten Perikopenübergänge in *Ev spricht einiges dafür, dass V. 19 insgesamt redaktionell ist und eine narrative Anbindung an den Kontext schaffen soll: Schon in *8,4 war für *Ev keine Situationsangabe gesichert. Falls die Angabe, dass »viel Volk« aus »jeder Stadt« zu ihm kam, redaktionell ist (s. dort), dann hätte Lk mit 8,19 καὶ οὐκ ἠδύναντο συντυχεῖν αὐτῷ διὰ τὸν ὄχλον einen kohärenzstiftenden Rückverweis geschaffen. Die relative Unverbundenheit der einzelnen Perikopen in *Ev spricht daher deutlich gegen die Annahme, dass Lk in 8,19-22 zum Abschluss der Szene »Mk 3,31-35 gekürzt und an diese Stelle verschoben« habe. 2 2. Irritierenderweise gibt Tertullians Referat zu erkennen, dass er - gegen fast die gesamte Handschriftenüberlieferung und gegen Epiphanius’ ausdrückliches Zeugnis - den Botenbericht in Oratio obliqua mit den Pronomina in der 3. Pers. Sing. gelesen hat: quod mater et fratres e i u s foris starent quaerentes videre e u m . Eine naheliegende Erklärung für dieses Problem könnte sein, dass Tertullian hier nicht zitiert, sondern *Ev zusammenfasst, so dass die Oratio obliqua auf ihn und nicht auf den referierten Text in *Ev zurückginge. 3 Diese Lösung scheitert jedoch ______________________________ 1 Epiph., Schol. 12: οὐκ εἶχεν Ἡ μήτηρ αὐτοῦ καὶ οἱ ἀδελϕοὶ αὐτοῦ, ἀλλὰ μόνον Ἡ μήτηρ σου καὶ οἱ ἀδελϕοί σου. 2 W OLTER , Lk 312 (z. St.) für viele andere. 3 Dies ist offensichtlich stillschweigend vorausgesetzt in den Rekonstruktionen von R OTH 418 und B E D UHN 105. V. L UKAS deutet diese Lösung in seiner Übersetzung des Tertullianreferats (4,19,7) dadurch an, dass er nur foris starent als Zitat versteht und dies in der Übersetzung durch Anführungszeichen kenntlich macht: »… dass seine Mutter und seine Brüder ›draußen standen‹ und ihn zu sehen wünschten« (FC 63/ 3, 651). 8,19-21 Rekonstruktion 705 daran, dass auch e die Pronomina in der 3. Pers. Sing. hat. Die Uneinheitlichkeit dieser Bezeugung lässt sich nicht ohne weiteres erklären. Immerhin bietet das Phänomen der inkonsistenten Angleichung des vorkanonischen an den kanonischen Text ein Modell, das diesen Widerspruch aufzulösen in der Lage ist: Demnach hätte die ursprüngliche Fassung der Perikope, wie von Tertullian und e bezeugt, *8,20 in der 3. Pers. enthalten, wogegen Epiphanius’ *Ev-Exemplar bereits Spuren der Korrektur (Änderung von *8,20 in direkte Rede) aufweist, ohne jedoch vollständig an den kanonischen Text angepasst zu sein (ohne 8,19 als neue Einleitung). Diese Lösung versucht, der komplexen Überlieferungslage gerecht zu werden, ist aber alles andere als zwingend. Falls 8,19 in *Ev gefehlt hat, dann spricht einiges dafür, dass der Anfang von *8,20 durch καὶ ἀπηγγέλη eingeleitet wurde, wie es durch eine Reihe von Handschriften bezeugt ist. 4 3. Tertullian zitiert zwei Mal die Rückfrage Jesu: quae mihi mater, et qui mihi fratres? Sie ist zwar in Mk 3,33 || Mt 12,48 enthalten, nicht aber in Lk 8. Unter Annahme der Lk-Priorität hätte *Ev diese Frage eingefügt, entweder aufgrund einer textlichen Beeinflussung durch Mt 5 oder aus dogmatischen Gründen. So wertet Tsutsui das ansonsten nicht bezeugte mihi als Hinweis auf marcionitische Redaktion: Der Dativ sei singulär und solle »darauf aufmerksam machen, dass ›mater‹ und ›fratres‹ hier im übertragenen Sinn verstanden werden müssen.« 6 Aber die Annahme einer marcionitischen Korrektur am kanonischen Text aus dogmatischen Gründen legt sich nicht vom Text her nahe, sondern ergibt sich erst aus der entgegen gesetzten Argumentation Tertullians. »Wir kommen nun zu dem beständigsten Argument all derer, welche die Geburt des Herrn bestreiten. Er selbst, behaupten sie, bestätige, dass er nicht geboren worden sei, wenn er sagt: ›Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder? ‹« (4,19,6). Wie schon Tertullians Diskussion von *3,1a zeigt (s. o.), hatten die Marcioniten (jedenfalls zur Zeit Tertullians) die Geburt und die menschliche Existenz Jesu bestritten und gegenüber den katholischen Christen zur Begründung auf das Fehlen der Geburtsgeschichte in ihrem Evangelium verwiesen. Wie Tertullian bringt auch Hieronymus diese marcionitische Ansicht in Zusammenhang mit der Frage *8,21. 7 Von daher ist verständlich, dass Tertullian hier auf das christologische Problem eingeht. Für die theologische Überfrachtung dieser Stelle ist also nicht *Ev verantwortlich, sondern erst Tertullians antimarcionitische Argumentation. Das ______________________________ 4 A (W) Θ Ψ f 1 e f r 1 vg sy h . 5 Das ist die Lösung von H ARNACK 198*. 6 T SUTSUI 89. 7 Hieronymus, Comm. in Matth. 12,49f (H URST / A DRIAEN 100): iuxta Marcionem et Manicheum matrem negavit, ut natus de fantasmate putaretur. 706 Anhang I 8,19-21 Gleiche gilt auch für die Annahme, dass die Frage Jesu einen übertragenen Sinn besitze (s. o.), die sich ebenfalls bei Tertullian findet (vgl. 4,19,10: sensum non simpliciter). Beide Erklärungen erübrigen sich unter der Annahme der *Ev-Priorität. Es spricht nichts dagegen, dass *8,21 gemäß dem Zeugnis Tertullians die Frage enthielt, die von hier aus in Mk 3,33b (|| Mt 12,48b) übernommen wurde. Mk 3,34 ist eine redaktionelle Erweiterung, die sich der umfassenden Komposition der Szene seit Mk 3,20 verdankt. Dass Mk die ganze Doppelszene in ein Haus verlegt (Mk 3,20), ist Ausdruck seines Gestaltungswillens, der in diesem Fall vermutlich dadurch angeregt wurde, dass die Innen/ Außen-Metaphorik schon in *Ev (*8,20: ἑστήκασιν ἔ ξ ω ) enthalten war; sie hat hier keine narrative Funktion, genauso wenig wie in der Parallele Mt 12,47. Indem Mk mit viel Überlegung die große Szene »im Haus« geschaffen hat, 8 hat er, nebenbei, in *8,20b ein gut bezeugtes »Minor Agreement« produziert, das den Vertretern der Zwei-Quellentheorie Kopfschmerzen bereitet: ἑστήκασιν ἔξω Mt 12,47 || Lk 8,20 stimmt mit der für *Ev bezeugten Formulierung (foris starent) gegen Mk 3,32 (keine Entsprechung) überein. 9 Da Mt der mk Vorlage folgt (wie 12,49 || Mk 3,34 zeigt), hat er die entsprechende Formulierung in der Exposition (12,46: εἱστήκεισαν ἔξω || Mk 3,31: ἔξω στήκοντες) von dort übernommen. Im Unterschied zu Mk, der die Wiederholung dieser Formulierung in der Botenrede vermeidet, folgt Mt hier *Ev und hat auf diese Weise eine stilistisch unglückliche Doppelung geschaffen. 10 4. Aus Tertullians - an dieser Stelle (4,19,11) genauem - Zeugnis geht der Wortlaut von *8,21 mit wünschenswerter Deutlichkeit hervor: Die Formulierung Nisi qui audiunt v e r b a m e a et faciunt ea entspricht keiner der drei synoptischen Fassungen und ist durch diese nicht beeinflusst. Die Synopse zeigt nicht nur die unterschiedlichen Fassungen, sondern erläutert auch das überlieferungsgeschichtliche Stemma dieser Stelle. ______________________________ 8 Mk 3,20-35: Der Gegensatz zwischen »im Haus« und »draußen« (3,31 ἔξω στήκοντες), der auch die Metaphorik von 3,23-27 bestimmt (vgl. 3,25.27), wird in der Szene 4,1-34 aufgegriffen und weitergeführt (4,11 οἱ ἔξω), vgl. die Komm. und M. K LINGHARDT , Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19 (2002), 183-202: 188-190. 9 Vgl. dazu N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 85ff; DERS ., Minor Agreements (1991), 30; E NNULAT , Minor Agreements 111-114. 10 Es ist daher sehr unwahrscheinlich, dass die Wiederholung in 12,47 auf mt Redaktion zurückgehen soll (so U. L UZ , Mt II, 286 Anm. 3, z. St.). 8,19-21 Rekonstruktion 707 *8,21 Mk 3,35 Mt 12,50 Lk 8,21 ἀκούειν ποιεῖν ποιεῖν τοὺς λόγους τὸ θέλημα τὸ θέλημα τὸν λόγον μου τοῦ θεοῦ τοῦ πατρός μου τοῦ ἐν οὐρανοῖς τοῦ θεοῦ ἀκούοντες καὶ ποιεῖν καὶ ποιοῦντες αὐτούς *Ev hatte die zweiteilige Form ἀκούειν τοὺς λόγους μου - καὶ ποιεῖν αὐτούς. Mk hat den Hinweis auf das »Hören« gestrichen (und dadurch das ποιεῖν betont); vor allem aber hat er »meine Worte« durch »den Willen Gottes« ersetzt. Mt folgt Mk und übernimmt von hier die Änderungen gegenüber *Ev (ποιεῖν + τὸ θέλημα τοῦ θεοῦ), ersetzt dabei aber ὁ θεός, wie auch sonst, durch πατὴρ ὁ ἐν τοῖς οὐρανοῖς. Lk folgt dagegen *Ev: Er übernimmt das Syntagma »Hören und Tun« (ἀκούειν καὶ ποιεῖν); auch das Objekt (τὸν λόγον) hat Lk aus *Ev (τοὺς λόγους), allerdings - analog zu Mk und Mt - im generalisierenden Singular. Dass die lk Fassung Kenntnis der mk-mt Fassung hat, wird durch das nachgestellte τοῦ θεοῦ deutlich, durch das er μου aus *Ev ersetzt. Die Ersetzung von »meine Worte« durch »Wort Gottes« durch Lk ist aus theologischen Gründen bzw. aufgrund der Beeinflussung durch die anderen Evangelien leichter zu erklären als der umgekehrte Vorgang (vgl. auch zu *16,17; *21,33). *Ev hatte hier also in *8,21 nur eine Frage (τίς μοι ἡ μήτηρ καὶ τίνες μοι οἱ ἀδελϕοί, εἰ μὴ οἳ ἀκούουσιν τοὺς λόγους μου καὶ ποιοῦσιν αὐτούς; ), die Lk unter mk-mt Einfluss in eine Aussage umformulierte, dabei »die Worte« Jesu durch »das Wort Gottes« ersetzte und außerdem den etwas ungelenken Relativsatz mit den finiten Verbformen durch die elegantere Partizipialkonstruktion verbesserte (ἀκούοντες καὶ ποιοῦντες anstelle von οἳ ἀκούουσιν … καὶ ποιοῦσιν). 5. Das heißt, dass *Ev zumindest *8,20f sicher enthielt, wenn auch in anderem Wortlaut. Sehr wahrscheinlich hat Lk (a) die Einleitung der Perikope neu erzählt (8,19), (b) die harsche Frage Jesu in *8,21 (am ehesten: aus stilistischen Gründen) gestrichen und schließlich (c) die Formulierung der Pointe als Konflation der Formulierungen aus *Ev und Mk/ Mt geändert. *8,22-25: Stillung des Seesturms Komplett für *Ev bezeugt und sicher vorhanden. 8,22 Ἐγένετο δὲ ἐν μιᾷ τῶν ἡμερῶν a ἀναβῆναι αὐτὸν a εἰς πλοῖον καὶ οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ, καὶ εἶπεν πρὸς αὐτούς, Διέλθωμεν εἰς τὸ πέραν τῆς λίμνης· καὶ ἀνήχθησαν. 708 Anhang I 8,22-25 23 πλεόντων b [ δὲ ] αὐτῶν ἀϕύπνωσεν. καὶ κατέβη λαῖλαψ ἀνέμου εἰς τὴν λίμνην, καὶ συνεπληροῦντο καὶ ἐκινδύνευον. 24 προσελθόντες δὲ διήγειραν αὐτὸν λέγοντες, c Διδάσκαλε, ἀπολλύμεθα. ὁ δὲ διεγερθεὶς ἐπετίμησεν τῷ ἀνέμῳ καὶ d τῇ θαλάσσῃ d · καὶ ἐπαύσαντο, καὶ ἐγένετο γαλήνη. 25 εἶπεν δὲ αὐτοῖς, Ποῦ ἡ πίστις ὑμῶν; ϕοβηθέντες δὲ ἐθαύμασαν, λέγοντες πρὸς ἀλλήλους, e Τίς δὲ e οὗτός ἐστιν f ὃς καὶ τοῖς ἀνέμοις ἐπιτάσσει καὶ g τῇ θαλάσσῃ g , καὶ ὑπακούουσιν αὐτῷ; A. *8,22: Tert. 4,20,3: Nam cum transfretat, psalmus expungitur: Dominus, inquit, super aquas multas (Ps 29,3). Cum undas freti discutit, Abacuc adimpletur: Dispargens, inquit, aquas itinere (Hab 3,9). Cum ad minas eius eliditur mare, Naum quoque absolvitur: Comminans, inquit, mari et arefaciens illud (Nah 1,4), utique cum ventis quibus inquietabatur. Unde vis meum vindicem Christum? de exemplis an de prophetis creatoris? ♦ *8,23-24: Epiph., Schol. 13: πλεόντων αὐτῶν ἀϕύπνωσεν· ὁ δὲ ἐγερθεὶς ἐπετίμησε τῷ ἀνέμῳ καὶ τῇ θαλάσσῇ. ♦ *8,25: Tert. 4,20,1: Quis autem iste est qui et ventis et mari imperat? nimirum novus dominator atque possessor elementorum subacti iam et exclusi creatoris? Non ita est. Sed agnorant substantiae auctorem suum, quae famulis quoque eius obaudire consueverant. B. a (8,22) αναβηναι αυτον: D (d) ¦ και αυτος ενεβη/ et ipse ascendit (ut ascenderent: e): a aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● b (8,23) δε: om Epiph ¦ add it M ● c (8,24) διδασκαλε/ magister: a c e r 1 ¦ επιστατα/ praeceptor: aur b d f ſſ 2 l ¦ κυριε κυριε/ domine domine: D d ¦ επιστατα επιστατα/ praeceptor praeceptor: q M (*Ev non test.) ● d (8,24) τη θαλασση/ maris: Epiph f slav 1 ms ¦ τω κλυδωνι/ undae: D d ¦ τω υδατι/ aquae: a aur b c e ſſ 2 l q r 1 ¦ τω κλυδωνι του υδατος: M ● e (8,25b) τις δε/ quis autem: Tert ¦ τις αρα/ quisnam ut; τις/ quis: it M ● f (8,25) ος/ qui: Tert 343 716 1229 1487 a c e f ſſ 2 r 1 vg mss Tat arab ¦ οτι/ quod: b l q (quia: aur vg; quoniam: d) M ● g (8,25) τη θαλασση/ mari: Tert 1424 aur b c f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg sy s.c Tat arab ¦ τω υδατι/ aquae: a d e M . C. Tertullians Referat an dieser Stelle ist ein Beispiel für seinen freien Umgang mit dem *Ev-Text: Er zitiert die abschließende Pointe gleich zu Beginn (4,20,1 mit *8,25) und verweist nur mit cum transfretat (4,20,3), dass er den narrativen Rahmen gelesen hat, ohne dass weitere Einzelheiten des Wortlauts von *Ev erkennbar sind. Epiphanius dagegen zitiert in Schol. 13 Teile von *8,23.24. Dabei sind ihm nicht die geringfügigen Abweichungen im Wortlaut wichtig, sondern die anthropomorphen Züge im Bild Jesu (schlafen; aufstehen) als Beleg für seine Leiblichkeit (Elench. 13). Allerdings gibt er zu erkennen, dass er in *8,24 καὶ τῇ θαλάσσῃ anstelle von καὶ τῷ κλύδωνι τοῦ ὕδατος gelesen hat. Diese geringfügige Abweichung im Wortlaut wird durch Tertullians Referat von *8,25 bestätigt: Anstelle des lk τῷ ὕδατι hat Tertullian mari/ τῇ θαλάσσῃ gelesen, das auch durch die altlateinische und altsyrische Überlieferung (sowie eine Minuskel) gestützt wird. 1 1. Die charakteristischen Interferenzen zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Übelieferung haben auch in dieser Perikope ihre Spuren hinterlassen. ______________________________ 1 Diese Variante ist im Apparat von NA 27 nicht verzeichnet. 8,22-25 Rekonstruktion 709 Soweit die Änderungen in der Rekonstruktion gegenüber dem kanonischen Mehrheitstext nicht auf die direkte Bezeugung zurückgehen, sind sie durch dieses Phänomen begründet. Dabei verdient eine Einzelheit Aufmerksamkeit, nämlich die (unbezeugte) Anrede in *8,23. Hier ist die Überlieferung einigermaßen unübersichtlich: Einige Altlateiner bieten die einfache διδάσκαλε-Anrede (a c e r 1 ), die sich auch an anderer Stelle für *Ev wahrscheinlich machen lässt (vgl. *5,5; *8,45; *9,33.49; s. jeweils die Rekonstr.). Dies entspricht der mk Parallele (Mk 4,38). Daneben findet sich das einfache ἐπιστάτα/ praeceptor, wiederum in den Altlateinern (aur b d f ſſ 2 l). Auf der anderen Seite lesen D d die doppelte κύριε-Anrede, wogegen der Mehrheitstext doppeltes ἐπιστάτα bietet. Es ist schwer vorstellbar, dass die hoheitliche κύριε-Anrede (die auch Mt 8,26 belegt ist) durch das einfache »Lehrer« verdrängt wurde; dies gilt noch mehr für den verdoppelten Vokativ. Es ist daher wahrscheinlich, dass dass die einfache διδάσκαλε-Anrede (a c e r 1 ) in *Ev ursprünglich war; Mk hat sie von dort übernommen. Mt hat, wie auch sonst häufig, in κύριε geändert, wogegen die lk Redaktion die übliche Änderung in ἐπιστάτα vorgenommen hat, aber diese Anrede (der Dringlichkeit des Anliegens wegen? ) verdoppelte. In dieser Perspektive wäre der doppelte Vokativ in D d ausnahmsweise ein Sekundärphänomen unter dem Einfluss sowohl von Mt 8,26 als auch von Lk 8,23. Diese Überlegung liegt der Rekonstruktion zugrunde. 2. Für die Perikope sind rund 25 (mt-lk) »Minor Agreements« zu verzeichnen. 2 Die wichtigsten Beispiele sind: Mk 4,35 ὀψίας γενομένης ÷ Lk 8,22 || Mt 8,23. - Mk 4,36 παραλαμβάνουσιν αὐτὸν ὡς ἦν ἐν τῷ πλοίῳ ≠ Lk 8,23 αὐτὸς ἐνέβη εἰς πλοῖον || Mt 8,22 ἐμβάντι … εἰς τὸ πλοῖον. - Lk 8,22 || Mt 8,23 οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ ÷ Mk 4,35. - Lk 8,24a || Mt 8,25 προσελθόντες … [δι]ήγειραν … λέγοντες ≠ Mk 4,39 ἐγείρουσιν … καὶ λέγουσιν. - Mk 4,39 ἐπετίμησεν τῷ ἀνέμῳ κ α ὶ ε ἶ π ε ν τῇ θαλάσσῃ ≠ Mt 8,26 ἐπετίμησεν τοῖς ἀνέμοις κ α ὶ τῇ θαλάσσῃ || Lk 8,24 ἐπετίμησεν τῷ ἀνέμῳ κ α ὶ τῷ κλύδωνι τοῦ ὕδατος. - Mk 4,39 εἶπεν … σιώπα, πεϕίμωσο καὶ ἐκόπασεν ὁ ἄνεμος ÷ Lk 8,24 || Mt 8,26. - Lk 8,25 τοῖς ἀνέμοις || Mt 8,27 οἱ ἄνεμοι ≠ Mk 4,41 ὁ ἄνεμος. - Lk 8,25 || Mt 8,27 ἐθαύμασαν λέγοντες ≠ Mk 4,41 καὶ ἔλεγον. Die große Zahl dieser Agreements macht die gängigen Erklärungen im Horizont der Zwei-Quellentheorie, vor allem die Annahme paralleler, aber voneinander unabhängiger redaktioneller Änderungen in Mt und Lk, äußerst unwahrscheinlich. Es ist daher verständlich, dass gerade zu dieser Perikope Alternativen diskutiert wurden, darunter auch die Deuteromarkushypothese: Die mt-lk Übereinstimmungen seien Ausdruck einer theologisch konsistenten und gegenüber Mk sekundären Bearbeitung. 3 Jedoch zeigen schon die spärlichen, für *Ev bezeugten Fragmente, dass die mt-lk Agreements bereits in *Ev standen: ______________________________ 2 Vgl. N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 95ff; E NNULAT , Minor Agreements 137-145. Ausführlich diskutiert diese Agreements A. F UCHS , Die Seesturmperikope Mk 4,35-41 parr im Wandel der urkirchlichen Verkündigung, in: ders., Studien zu Deuteromarkus II, Münster 2004, 53-93: 57-80. 3 F UCHS , a. a. O., 80-88. 710 Anhang I 8,22-25 Während Mk 4,39 die Aktion Jesu mit zwei Verben aussagt (ἐπετίμησεν τῷ ἀνέμῳ κ α ὶ ε ἶ π ε ν τῇ θαλάσσῃ), haben Mt 8,26 und Lk 8,24 nur das eine Verb ἐπετίμησεν und davon abhängig zwei Objekte. Genau dies ist auch für *Ev bezeugt: ἐπετίμησε τῷ ἀνέμῳ κ α ὶ τῇ θαλάσσῇ (Epiph., Schol. 13). Ähnliches gilt für Lk 8,25 || Mt 8,27, wo - im Gegensatz zu Mk 4,41 (ὁ ἄνεμος) - »die Winde« im Plural stehen; auch hier ist die mt-lk Lesart schon für *Ev bezeugt: quis autem iste est qui et v e n t i s et mari imperat (Tert. 4,20,1). Die Bezeugungen für *Ev legen also eine ganz andere überlieferungsgeschichtliche Theorie nahe. Dass die mt-lk Agreements kein gegenüber Mk sekundäres Stadium repräsentieren, legen auch die weiteren Änderungen nahe: Sie sind auf die mk Änderungen von *Ev zurückzuführen. Als solche werden sie in dem Maß plausibel, in dem sie als mk Redaktion des Ausgangstextes und als Teil einer umfassenden, über die Seesturmperikope hinausgehenden mk Komposition verständlich sind. 4 Dies sei an drei Beispielen verdeutlicht: a. So ist die ausdrückliche Einstiegsnotiz Lk 8,23 || Mt 8,22 (ἐμβαίνω + εἰς + τὸ πλοῖον Akk.) notwendig und an dieser Stelle ursprünglich. Dass Mk 4,36 (παραλαμβάνουσιν αὐτὸν ὡς ἦν ἐν τῷ πλοίῳ) sie hier nicht hat, liegt daran, dass er sie bereits in 4,1 verarbeitet hat, um die komplette Belehrung in Gleichnissen vom Boot aus zu schildern. Das redaktionelle Interesse für diese Änderung liegt nicht bei Mt-Lk (bzw. dem ihnen angeblich vorausliegenden Deuteromarkus), sondern bei Mk, der die räumliche Zuordnung der Jünger zu Jesus »im Boot« (wie schon in Mk 3 »im Haus«) gegenüber den Außenstehenden (4,11: οἱ ἔξω) deutlich machen möchte. Aus dieser Perspektive ist der Anklang an Jona 1,3 eher zufällig und kein Gestaltungsmerkmal. 5 b. Aus dem gleichen Grund werden auch, anders als Mk 4,35, die Jünger in Lk 8,22 || Mt 8,23 ausdrücklich erwähnt: Für Mk ist es nach 4,10 (οἱ περὶ αὐτὸν σὺν τοῖς δώδεκα) nicht nur selbstverständlich, sondern konstitutiv für seine Erzählung, dass die Jünger mit Jesus im Boot sind: Sie sind es, die bei dieser Überfahrt als Lernende im Zentrum stehen. Von daher geht die Folgerung an der Sache vorbei, es komme für eine »reine Seesturmgeschichte als solche wenig darauf an (…), dass die Mitfahrenden als Jünger gekennzeichnet werden.« 6 c. Die mk Terminierung des Geschehens auf den Abend ist wichtig, weil sie in erkennbarer Parallele auf die andere nächtliche Seeüberquerung Mk 6,45-52 verweist, 7 die ja in *Ev wie in Lk fehlt. Mt folgt dagegen Mk und seiner Akoluthie und hat an dieser Stelle die Zeitangabe übernommen (Mk 6,47 || Mt 14,23). Die ______________________________ 4 Vgl. dazu M. K LINGHARDT , Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19 (2002), 183-202 (mit Lit.). 5 F UCHS , a. a. O., 58f. 6 F UCHS , a. a. O., 59. 7 Vgl. die identische Formulierung ὀψίας γενομένης Mk 4,35; 6,47. 8,22-25 Rekonstruktion 711 Parallelisierung der beiden Seeüberfahrten - und damit auch der Zeitangaben - ist ein wesentliches Element der sehr sorgfältigen mk Komposition und seiner Bearbeitung von *Ev. Für Mt scheint die Zeitangabe dagegen nur in der Seewandelerzählung Mt 14 von Bedeutung, wo er sie in Entsprechung zu Mk 6,47 übernahm; trotz der mk Veränderungen an *Ev, die Mt von Mk übernahm, machen es die »Minor Agreements« wahrscheinlich, dass Mt hier auch einen *Ev-Text vorliegen hatte. Es gelingt daher nicht, die Unterschiede der mt-lk Agreements gegenüber Mk als theologisch induzierte, sekundäre Änderungen zu charakterisieren - ganz unabhängig davon, ob diese Änderungen auf einen unwahrscheinlichen Zufall oder auf eine gleichermaßen obsolete Zwischenstufe »Deuteromarkus« zurückgeführt werden: Die Abweichungen, welche die Agreements konstituieren, hat Mk aus gut nachvollziehbaren redaktionellen Gründen an *Ev vorgenommen. Mt und Lk haben ihre gemeinsame Quelle *Ev dagegen unverändert übernommen. *8,26-37 [ 38-39 ] : Austreibung des Dämons Legion Nur teilweise bezeugt; mit großer Wahrscheinlichkeit durch die lk Redaktion bearbeitet und ergänzt. 8,26 Καὶ κατέπλευσαν εἰς τὴν χώραν τῶν Γερασηνῶν, ἥτις ἐστὶν ἀντιπέρα τῆς Γαλιλαίας. 27 ἐξελθόντι δὲ αὐτῷ ἐπὶ τὴν γῆν ὑπήντησεν ἀνήρ τις ἐκ τῆς πόλεως ἔχων δαιμόνια a ἀπὸ χρόνων ἱκανῶν, ὃς a b ἱμάτιον οὐκ ἐνεδιδύσκετο b , καὶ ἐν οἰκίᾳ οὐκ ἔμενεν ἀλλ’ ἐν τοῖς μνήμασιν. ( ↑ v. 29b? ↓ ) 28 ἰδὼν δὲ τὸν Ἰησοῦν ἀνακράξας c [ προσέπεσεν αὐτῷ καὶ ] c ϕωνῇ μεγάλῃ εἶπεν, Τί ἐμοὶ καὶ σοί, d Ἰησοῦ υἱὲ e τοῦ θεοῦ e f [ τοῦ ὑψίστου ] f ; δέομαί σου, μή με βασανίσῃς. 29 παρήγγειλεν γὰρ τῷ g δαιμονίῳ τῷ ἀκαθάρτῳ h Ἔξελθε ἀπὸ τοῦ ἀνθρώπου. ↑ ¿πολλοῖς γὰρ χρόνοις συνηρπάκει αὐτόν, καὶ ἐδεσμεύετο ἁλύσεσιν καὶ πέδαις ϕυλασσόμενος, καὶ διαρρήσσων τὰ δεσμὰ ἠλαύνετο ὑπὸ τοῦ δαιμονίου εἰς τὰς ἐρήμους? ↓ 30 ἐπηρώτησεν δὲ αὐτὸν ὁ Ἰησοῦς, Τί σοι i ὄνομά ἐστιν i ; ὁ δὲ εἶπεν, Λεγιών k ὄνομά μοι· πολλὰ γὰρ ἦσαν δαιμόνια k . 31 καὶ παρεκάλουν αὐτὸν ἵνα μὴ ἐπιτάξῃ αὐτοῖς εἰς τὴν ἄβυσσον ἀπελθεῖν. 32 ῏Ην δὲ ἐκεῖ ἀγέλη χοίρων l [ ἱκανῶν ] βοσκομένη ἐν τῷ ὄρει· καὶ παρεκάλεσαν αὐτὸν ἵνα m εἰς τοὺς χοίρους εἰσελθῶσιν m καὶ ἐπέτρεψεν αὐτοῖς. 33 ἐξελθόντα δὲ τὰ δαιμόνια ἀπὸ τοῦ ἀνθρώπου n ὥρμησαν εἰς τοὺς χοίρους, καὶ ὥρμησεν ἡ ἀγέλη κατὰ τοῦ κρημνοῦ εἰς τὴν λίμνην καὶ ἀπεπνίγη. 34 ἰδόντες δὲ οἱ βόσκοντες τὸ γεγονὸς ἔϕυγον καὶ ἀπήγγειλαν εἰς τὴν πόλιν καὶ εἰς τοὺς ἀγρούς. 35 o παραγενομένων δὲ ἐκ τῆς πόλεως καὶ θεωρησάντων καθήμενον τὸν δαιμονιζόμενον σωϕρονοῦντα καὶ ἱματισμένον καθήμενον o παρὰ 712 Anhang I 8,26-39 τοὺς πόδας τοῦ Ἰησοῦ, καὶ ἐϕοβήθησαν. 36 ἀπήγγειλαν δὲ αὐτοῖς οἱ ἰδόντες πῶς ἐσώθη ὁ δαιμονισθείς. 37 p ἠρώτησαν δὲ τὸν Ἰησοῦν πάντες καὶ ἡ χώρα p τῶν Γερασηνῶν ἀπελθεῖν ἀπ’ αὐτῶν, ὅτι ϕόβῳ μεγάλῳ συνείχοντο· αὐτὸς δὲ ἐμβὰς q [ εἰς πλοῖον ] q ὑπέστρεψεν. r [ 38 ἐδεῖτο δὲ αὐτοῦ ὁ ἀνὴρ ἀϕ’ οὗ ἐξεληλύθει τὰ δαιμόνια εἶναι σὺν αὐτῷ· ] r [ ἀπέλυσεν δὲ αὐτὸν λέγων, 39 ῾Υπόστρεϕε εἰς τὸν οἶκόν σου, καὶ διηγοῦ ὅσα σοι ἐποίησεν ὁ θεός. καὶ ἀπῆλθεν καθ’ ὅλην τὴν πόλιν κηρύσσων ὅσα ἐποίησεν αὐτῷ ὁ Ἰησοῦς. ] A. *8,27.30: Tert. 4,20,4: cum invenis in uno homine multitudinem daemonum, legionem se professam, utique spiritalem, disce et Christum expugnatorem spiritalium hostium spiritaliter armatum et spiritaliter bellicosum intellegendum, atque ita ipsum esse qui cum legione quoque daemonum erat dimicaturus; ut et de hoc bello psalmus possit videri pronuntiasse, Dominus validus, dominus potens in bello. ♦ *8,28: Tert. 4,20,5: Nam cum ultimo hoste morte proeliatus per tropaeum crucis triumphavit. Cuius autem dei filium Iesum legio testata est? Sine dubio cuius tormenta et abyssum noverant et timebant. ♦ *8,30: Tert. 4,20,4: multitudo daemonum; legionem se professam. ¦ Adam. 1,17 (815d): τί σοί ἐστιν ὄνομά; ὁ δὲ, ϕησίν, εἶπε· Λεγεών. ♦ *8,31-34: Tert. 4,20,6: non enim depetunt ab alio quod meminissent petendum sibi a creatore, veniam scilicet abyssi creatoris. denique impetraverunt. B. a (8,27) απο χρονων ικανων ος: D (d) ¦ εκ χρονων ικανων και א 2 A W Θ Ψ f 13 lat sy M ¦ και χρονω ικανω: P 75vid א * .2 B L Ξ (f 1 ) 33 579 1241 pc sy hmg (*Ev non test.) ● b (8,27) ιματιον ουκ ενεδιδυσκετο: ( א 1 ) A D W Θ Ψ f 13 latt M ¦ ουκ ενεδυσατο ιματιον: P 75 א * .2 B L Ξ (f 1 ) 33 579 1241 pc (*Ev non test.) ● c (8,28) προςεπεσεν αυτω και: om D ¦ add it M (*Ev non test.) ● d (8,28) ιησου: Tert a aur b c f ſſ 2 l q r 1 M ¦ om P 75 D f 1 579 al d e bo pt ● e (8,28) του θεου: Tert a aur b c e f ſſ 2 q r 1 M ¦ om D Ξ f 1 892 1424 2542 pc d l vg mss ● f (8,28) του υψιστου/ altissimi (a: summi): it M ¦ om Tert aeth ● g (8,25) δαιμονιω: D d e ¦ πνευματι: a aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● h (8,25) εξελθε/ exi: D d e ¦ εξελθειν: a aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● i (8,30) ονομα εστιν: P 75 א B D L Ξ Ψ 1 33 118 131 157 205 209 892 954 1071 1241 1582 it vg sy ¦ 2,1 (εστιν ονομα): Adam (! ) M ● k (8,30) ονομα μοι πολλα γαρ ησαν δαιμονια: D c d ¦ οτι εισηλθεν δαιμονια πολλα εις αυτον: aur q r 1 vg M (*Ev non test.) ● l (8,32) ικανων/ multorum: om D 579 c r 1 bo pt ¦ add a aur b d f ſſ 2 l q M (*Ev non test.) ● m (8,32) εις τους χοιρους εισελθωσιν/ in porcos introirent: D c d (ſſ 2 l: in illis irent; aur b q: in illos irent; a: in eis intrarent) ¦ επιτρεψη αυτοις εις εκεινους εισελθειν: f r 1 (vg) M (*Ev non test.) ● n (8,32) ωρμησαν/ abierunt: D d ¦ εισηλθον/ intraverunt (c f: introierunt): a aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● o (8,35) παραγενομενων δε εκ της πολεως και θεωρησαντων καθημενον τον δαιμονιζομενον σωϕρονουντα και ιματισμενον καθημενον: D (  c) d ¦ εξηλθον δε ιδειν το γεγονος και ηλθον προς τον Ιησουν, και ευρον καθημενον τον ανθρωπον αϕ’ ου τα δαιμονια εξηλθεν ιματισμενον και σωϕρονουντα: it M (*Ev non test.) ● p (8,37) ηρωτησαν δε τον Ιησουν παντες και η χωρα: D d ¦ και ηρωτησεν αυτον απαν το πληθος της περιχωρου: it M (*Ev non test.) ● q (8,37) εις πλοιον: om D d l ¦ add a aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● r (8,38) εδειτο δε αυτου ο ανηρ αϕ’ ου εξεληλυθει τα δαιμονια ειναι συν αυτω: om W ¦ add M (*Ev non test.). C. Die Perikope ist nur in Teilen bezeugt, und es ist schwierig, über die nicht bezeugten Passagen ein Urteil allein auf der Grundlage der *Ev-Referate zu fällen. 8,26-39 Rekonstruktion 713 1. Die knappe Bezeugung lässt immerhin erkennen, dass folgende Elemente der Erzählung schon in *Ev vorhanden waren. a. Aus Tertullians Referat geht hervor, dass *Ev - wie Mk 5,2 und Lk 8,27 - nur von einem Besessenen sprach (in uno homine …), nicht von zwei, wie Mt 8,28. Diese »Verdoppelung« geht, wie Mt 9,27-31; 20,29-34 zeigt, mit großer Wahrscheinlichkeit auf das Konto der mt Redaktion. b. Dabei hat *Ev von der Besessenheit durch Dämonen gesprochen (*8,27[30.33]; so auch Mt 8,28.31.33), im Unterschied zu der Rede von einem »unreinen Geist« bei Mk (5,2.8.13). c. Aus der Begegnung Jesu mit dem Besessenen ist für *Ev die Anrede Jesu als »Sohn Gottes« gesichert (*8,28). d. Ebenfalls gesichert ist für *Ev die Rede von einer Vielzahl von Dämonen, ebenso der Name »Legion« (*8,30), wie Tertullian und Adamantius sicherstellen. e. Schließlich bezeugt Tertullian mit der Formulierung venia abyssi (4,20,6) sowohl *8,31 (mit dem Stichwort ἄβυσσος) als auch *8,32 (mit dem Stichwort venia: καὶ ἐ π έ τ ρ ε ψ ε ν αὐτοῖς). Wenn *Ev beide Verse enthielt, dann hat wahrscheinlich auch V. *33 mit dem Sturz der Schweine in die Tiefe dazugehört. Neben einigen Kleinigkeiten fehlen damit eine Bezeugung für die Beschreibung des Besessenen (Lk 8,27b.29) bzw. des Geheilten (8,35) sowie die Berichte über die Reaktionen zunächst der Hirten (8,34), dann der Leute aus der Stadt (8,35-37a) und schließlich des Geheilten selbst (8,38f); diese Passagen sind möglicherweise redaktionell. 2. Angesichts dieser schmalen Bezeugung gewinnen die zahlreichen Varianten aus der Gruppe der »Westlichen« Handschriften (vor allem D it) Gewicht, die hier in kleiner Auswahl mit verzeichnet sind. Denn wenn diese Lesarten als Spuren des vorkanonischen Textes zu werten sind, der nicht konsequent nach dem kanonischen Text korrigiert wurde, dann lassen sie sich als ergänzende Hinweise auf die Existenz eines entsprechenden vorkanonischen Text verstehen. Dies gilt umso mehr, als das Gros dieser Lesarten semantisch vollkommen unauffällig ist; es handelt sich fast durchweg um stilistische Änderungen (Wortwahl; Wortstellung). Stellt man diese Überlegung in Rechnung, dann sind nur 8,26.29b.34.36.38f ohne jede Bezeugung; so gesehen, spricht mehr dafür als dagegen, dass die Perikope in *Ev i. W. das gleiche narrative Profil besaß wie in der kanonischen Fassung. 3. Einige deutliche (mt-lk) »Minor Agreements« haben in der Diskussion eine Rolle gespielt. Mk 5,1 τῆς θαλάσσης ÷ Mt 8,28 || Lk 8,26. - Mk 5,2 ἐκ τοῦ πλοίου ÷ Mt 8,28 || Lk 8,27. - Mk 5,2 ἐν πνεύματι ἀκαθάρτῳ ≠ Mt 8,28 δαιμονιζόμενοι || Lk 8,27 ἔχων δαιμόνια. - Mk 5,8 τὸ πνεῦμα τὸ ἀκάθαρτον ≠ Mt 8,31 οἱ δαίμονες || Lk 8,30 τὰ δαιμόνια. - Mk 5,13 τὰ πνεύματα τὰ ἀκάθαρτα ≠ Mt 8,33 δαιμονιζομένων || Lk 8,33 τὰ δαιμόνια. Von diesen »Minor Agreements« ist vor allem die mt-lk Rede von den »Dämonen« gegenüber den »unreinen Geistern« bei Mk wichtig, weil die δαιμον-Formulierungen 714 Anhang I 8,26-39 bereits für *Ev bezeugt sind. Die mt-lk Übereinstimmungen haben ihren Grund also in der redaktionellen Veränderung, die Mk gegenüber *Ev vorgenommen hat. 1 Diese Beobachtung macht zugleich das redaktionelle Verfahren des Mt deutlich: Auch wenn er grundsätzlich dem mk Aufriss (und in aller Regel: seinem Text) sehr eng folgt, hat Mt offensichtlich doch *Ev immer dagegen verglichen. An dieser Stelle wird das außerordentlich hohe Maß der Textorientierung des redaktionellen Verfahrens deutlich. 4. Ausgesprochen schwierig ist das Bekenntnis des Besessenen in *8,28 zu rekonstruieren. Die kanonische Fassung des Mehrheitstextes liest: Ἰησοῦ υἱὲ τοῦ θεοῦ τοῦ ὑψίστου. Allerdings sind die Lesarten wichtig: Der Name Ἰησοῦ fehlt in P 75 D sowie zwei Altlateinern (d e); τοῦ θεοῦ fehlt ebenfalls in D und einer Reihe anderer Handschriften. Dafür ist τοῦ ὑψίστου nahezu durchgängig bezeugt und fehlt nur in aeth. Diese Bezeugungslage spricht eigentlich sehr deutlich dafür, dass die Adressierung ursprünglich υ ἱ ὲ τ ο ῦ ὑ ψ ί σ τ ο υ gelautet haben könnte, sofern D und die Altlateiner noch Spuren des vorkanonischen Textes aufweisen. Allerdings steht dem das Zeugnis Tertullians entgegen, der an dieser Stelle zwar nicht zitiert, sondern nur zusammenfasst, aber immerhin noch erkennen lässt, dass in seinem *Ev-Exemplar Ἰησοῦ υἱὲ τοῦ θεοῦ gelesen hat. 2 Dass Tertullians Zeugnis Vertrauen verdient, zeigt seine rhetorische Frage, als Sohn welchen Gottes der Dämon Jesus eigentlich bezeugt habe; zur Debatte steht also auch hier wieder die von den Marcioniten bestrittene Einheitlichkeit des Gottesbildes. Tertullian argumentiert (4,20,5f): Die Dämonen hätten Jesus als Sohn des Gottes bekannt, dessen Qualen und dessen Abyssos sie bereits kannten und fürchteten - das ist also der Schöpfergott. Zugleich scheint es undenkbar zu sein, dass sie nicht wussten, was die Macht des neuen und unbekannten Gottes (novi et ignoti dei virtus) bewirkte: Es habe nicht den Anschein, dass der Schöpfer diese Macht nicht kannte. Denn selbst, wenn der creator irgendwann einmal nicht gewusst hatte, dass es einen anderen Gott über ihm (alium supra se deum) gebe, so müsste er es doch aufgrund der Machterweise unter des Schöpfers eigenem Himmel gewahr geworden sein, und genau so müssten auch alle seine Diener (also die Dämonen, von denen die Erzählung spricht) gemerkt haben, dass hier eine peregrina divinitas am Werke ist. Folglich gilt: Die Dämonen kannten keinen anderen Christus als den ihres eigenen Gottes (non alium daemones sciebant quam dei sui Christum). Denn sie erbitten nicht von dem »anderen Gott«, woran sie sich erinnerten, dass sie es vom Schöpfer erbitten mussten (ab alio quod meminissent petendum sibi a creatore). Angesichts dieser Argumentation und der Umschreibung des »anderen Gottes« (novus et ignotus deus; alius deus; peregrina divinitas) ist es nicht vorstellbar, dass Tertullian die Apposition τοῦ ὑψίστου in seinem *Ev-Exemplar zwar gelesen, aber ______________________________ 1 Anders für viele: L UZ , Mt II 31 Anm. 3: Die Minor Agreements (in Mt 8,28-34) seien »sämtlich als unabhängige Red. durch Mt/ Lk erklärbar.« 2 Tert. 4,20,5: dei filium Iesum legio testata est. 8,26-39 Rekonstruktion 715 nicht darauf verwiesen haben würde: Die Bezeichnung Jesu als Sohn des höchsten Gottes im Munde des Dämons hätte seiner Argumentation so ideal in die Hand gespielt, dass er kaum darüber hinweg gegangen wäre, ohne diese Gelegenheit zu nutzen. Da die Apposition τοῦ ὑψίστου Mt 8,29 fehlt, aber in Mk 5,7 || Lk 8,28 enthalten ist, bleibt nur die Folgerung, dass Mt den Wortlaut von *Ev bewahrt hat, wogegen Mk (und in seiner Folge Lk) diese klärende Apposition eingefügt haben: In ihren Fassungen erkennen die Dämonen Jesus in der Tat als Sohn des höchsten Gottes an. Wenigstens für Lk 8,28 liegt die Vermutung nahe, dass diese Präzisierung auch eine antimarcionitische Intention verfolgt hat. 3 5. Ob die Szene mit den Schweinen *8,32f bereits in *Ev enthalten war, ist nicht ganz klar. Harnack hatte gemutmaßt, dass Marcion diese Episode aus theologischen Gründen gestrichen habe, ohne jedoch anzugeben, welche das gewesen sein könnten. 4 Das Problem liegt in Tertullians Formulierung venia abyssi, weil nicht deutlich ist, auf welche Bitte genau sich diese »Erlaubnis des Abgrunds« bezieht: Am nächsten liegt ein Bezug auf *8,31 (παρεκάλουν αὐτόν), weil an dieser Stelle das Stichwort ἄβυσσος ja genannt ist. Andererseits könnte der Hinweis auf die venia Jesu sich darüber hinaus auch auf die Bitte *8,32 (καὶ παρεκάλεσαν) beziehen, denn hier ist das Stichwort der »Erlaubnis« direkt bezeugt (καὶ ἐ π έ τ ρ ε ψ ε ν αὐτοῖς). Unter dieser Voraussetzung waren die Schweine Teil der Erzählung, deren (vorläufiges) Ende dann entsprechend der Schilderung 8,33 zu denken ist. Tertullians Formulierung venia abyssi wäre dann der (sehr) knappe Verweis darauf, dass Jesus den Dämonen zwar zunächst die Verschonung vor der Abyssos zugestanden, sie dann aber durch Gewährung des Transfers in die Schweine doch genau dahin gebracht hätte: Der Sturz über die Klippen bringt die Dämonen in den Abgrund. Gegen Harnack ist daher davon auszugehen, dass Tertullian auf *8,31-33 verweist: Die Schweineepisode war bereits in *Ev enthalten - jedenfalls in Tertullians *Ev-Exemplar. 6. Der abschließende Bericht mit der Bitte des Geheilten und seiner Verkündigung in der Stadt (Lk 8,38f) ist schwierig zu beurteilen. Da er vollständig unbezeugt ist, müssen an dieser Stelle textgeschichtliche und überlieferungskritische Gesichtspunkte hilfsweise herangezogen werden. Die Vv. 38f haben eine sachliche Parallele in Mk 5,18-20, nicht aber in Mt 8,28-34. Das Fehlen einer Ensprechung zu dieser Episode in Mt besagt auf den ersten Blick nicht viel, weil er die gesamte Perikope intensiv redaktionell bearbeitet hat: Angesichts der Abhängigkeit des Mt von Mk, ______________________________ 3 Die Rekonstruktion der Frage Jesu in *8,30 folgt - gegen das Zeugnis des Adamantius und der großen Mehrheit der Handschriften - der offensichtlich älteren (und daher vermutlich vorkanonischen) Lesart τί σοι ὄνομά ἐστιν (P 75 א B D L 1 33 118 892 954 1071 1241 1582 it vg sy u. a.). 4 H ARNACK 199*: »Ob nicht Marcion die Säue-Geschichte getilgt hat? Wahrscheinlich, da sie ihm anstößig sein musste und da Tert. einfach sagt: ›denique impetraverunt‹.« 716 Anhang I 8,26-39 hat Mt zumindest Mk 5,18-21 übergangen (und dafür die sicher redaktionelle Notiz Mt 9,1 geschaffen); ob er auch einen entsprechenden Schluss in *Ev gelesen hatte, lässt sich nicht sagen. In überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht bleiben daher zwei Fragen zu prüfen: Gab es für Mk redaktionelle Gründe für die Ergänzung von 5,18-21? Und: Lassen sich Gesichtspunkte ausfindig machen, nach denen die Abweichungen von Lk 8,38f gegenüber Mk 5,18-21 als lk Redaktion verständlich werden? Beide Fragen lassen sich vorsichtig bejahen. Denn zum einen passt die Bitte des Geheilten, er möge μετ ʼ αὐτοῦ sein (Mk 5,18), bis in die Formulierung sehr genau in das redaktionelle Konzept des Mk. 5 Obwohl Lk einige Elemente dieses Konzeptes aus Mk übernimmt, zeigt sich sein abweichender Sprachgebrauch in redaktionellen Passagen. 6 Dass Lk 8,39 die Verkündigung des Geheilten in der »Stadt« lokalisiert, während Mk 5,20 ihn ἐν τῇ Δεκαπόλει schildert, bleibt ambivalent. Der gewichtigste Unterschied zwischen Lk und Mk ist, dass Lk 8,38 die Begebenheit als Hysteron proteron anschließt, nachdem er bereits mitgeteilt hatte, dass Jesus nicht nur in das Boot gestiegen, sondern bereits zurückgekehrt war (ὑπέστρεψεν): In der lk Fassung klappt dieses Gespräch Jesu mit dem Geheilten noch deutlicher nach, als dies in Mk der Fall ist: In Mk 5,18 äußert der Geheilte seine Bitte, während Jesus in das Boot steigt (Mk 5,18 ἐμβαίνοντος αὐτοῦ εἰς τὸ πλοῖον παρεκάλει αὐτόν). In diesem Zusammenhang fällt auf, dass der (für den Plot überflüssige) Hinweis, dass Jesus in das Boot (εἰς [τὸ] πλοῖον) einstieg (Lk 5,37) in D u. a. fehlt: Dies ist ein Hinweis auf die mk Redaktion von *Ev. Es liegt daher nahe, dass die ursprüngliche Fassung der Erzählung in *8,37 damit endete, dass Jesus sich wieder »einschiffte« und zurückkehrte (αὐτὸς δὲ ἐμβὰς ὑπέστρεψεν). Unter dieser Voraussetzung wird dann auch verständlich, dass Lk 8,38a ἐδεῖτο δὲ αὐτοῦ ὁ ἀνὴρ ἀϕ ʼ οὗ ἐξεληλύθει τὰ δαιμόνια εἶναι σὺν αὐτῷ in einer Handschrift (W) versehentlich ausgelassen wurde, obwohl diese Bemerkung für das Verständnis des Kontextes zwingend erforderlich ist: Das Versehen beruht wahrscheinlich auf dem Einfluss des vorkanonischen Wortlauts. Auch wenn für das Urteil zu Lk 8,38f nicht die gewünschte Sicherheit zu erreichen ist, spricht doch mehr dafür, dass diese Verse durch die lk Redaktion in Analogie zu Mk 5,18-20 nachgetragen wurden, als dass sie von Tertullian übergangen wurden. Das Fehlen der Episode in Mt 8,34 bzw. 9,1 reflektiert daher das knappe Ende in *Ev. ______________________________ 5 Vgl. M. K LINGHARDT , Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19 (2002), 183-202: 190f. 6 Vgl. εἶναι σὺν αὐτῷ Lk 8,38 (anstelle von Mk 5,18: μετ ʼ αὐτοῦ εἶναι) mit σὺν αὐτῷ Lk 8,1 (red.; s. dort). Besagt Mk 5,19 σοι ὁ θεός (D 1241) anstelle von ὁ κύριός σοι (so auch Lk 8,39) etwas? 8,26-39 Rekonstruktion 717 7. Die Erwägungen zur Rekonstruktion der Erzählung in *Ev lassen sich durch überlieferungsgeschichtliche Überlegungen weiterführen, die in diesem Fall allerdings durch die starken Unterschiede der drei synoptischen Erzählungen belastet sind: Sie setzen an dieser Stelle jeweils eigene Akzente. a. Am auffälligsten (und am stärksten erklärungsbedürftig) ist die deutlich kürzere mt Version, die in der Exposition anstelle der ausführlichen mk Schilderung des Besessenen (Mk 5,3-5) nur den knappen Hinweis auf die Bösartigkeit der Besessenen bietet und auch den Bericht der Augenzeugen (Mk 5,15f || Lk 8,35f) weglässt. Auch die Reaktion des Geheilten und sein Gespräch mit Jesus (Mk 5,18b-20 || Lk 8,38f) fehlt bei Mt. Daneben fallen drei Besonderheiten der mt Erzählung ins Auge: (1) Mt spricht im Unterschied zu Mk und Lk von zwei Besessenen. (2) Bei ihm fehlt die Frage Jesu nach dem Namen des Dämons/ der Dämonen, der daher gar nicht mitgeteilt wird. (3) Mt lokalisiert die ganze Begebenheit im Land der Gadarener. Die »Verdoppelung« des einen Besessenen aus *Ev geht, wie sich aus dem analogen Verfahren Mt 9,27-31; 20,29-34 nahelegt, sehr wahrscheinlich auf das Konto der mt Redaktion, ohne dass der Sinn wirklich klar wird. Auch die Streichung des Namens »Legion« ist ausweislich der Bezeugung für *Ev mt Redaktion: Dieser Name ist Teil der ältesten Tradition. Die nächstliegende Erklärung für die Streichung des Namens ist, dass Mt die symbolischen Konnotationen von »Schweinen« und »Legion« nicht (mehr? ) gesehen und daher der Erzählung ein anderes Profil gegeben hat. 7 Die Lokalisierung schließlich ist bekanntlich nicht nur zwischen den drei Fassungen, sondern jeweils auch innerhalb der handschriftlichen Überlieferung umstritten. Die wichtigsten Zeugen 8 verteilen sich folgendermaßen auf die drei Fassungen der Erzählung. Γαδαρηνῶν Γερασηνῶν Γεργεσηνῶν Mt 8,28 ( א *) B C (Δ) Θ sy s.p.h it vg sy h (2 mss) sa א c C mg K L W f 1.13 bo M Mk 5,1 A C K f 13 sy p.h א * B D it vg sa M א c L Δ Θ f 1 sy s.h(mg) bo Lk 8,26 A K W Δ Ψ sy c.s.p.h M P 75 B D it vg sa א L X Θ f 1 bo Sieht man sich die Verteilung der Belege auf die Handschriftengruppen an, dann fällt auf, dass D it (mit den anderen wichtigen Zeugen P 75 א B) in Mk 5 und Lk 8 Γερασηνῶν lesen. Das ist ein starkes Argument für diese Lesart in *Ev, dem Mk gefolgt ist. Für Mt wird mit guten Gründen Γαδαρηνῶν als redaktionelle Änderung ______________________________ 7 Vgl. dazu M. K LINGHARDT , Legionsschweine in Gerasa. Lokalkolorit und historischer Hintergrund von Mk 5,1-20, ZNW 98 (2007), 28-48. Weniger wahrscheinlich ist die Furcht vor römischen Repressionen (L UZ , Mt II 32). 8 Hier nach der Zusammenstellung von M ETZGER , Textual Commentary, zu Mt 8,28. Zum Problem s. T. B AARDA , Gadarenes, Gerasenes, Gergesenes and the »Diatessaron« Traditions, in: E. E. Ellis, M. Wilcox (eds.), Neotestamentica et Semitica, Edinburgh 1969, 181-197. 718 Anhang I 8,26-39 des mk Γερασηνῶν verstanden, vermutlich in Kenntnis der topographischen Gegebenheiten, die Gerasa so wenig plausibel erscheinen lassen. 9 b. Auch die ausführliche mk Fassung ist - wie schon lange gesehen wurde - nicht ohne Probleme. Vor allem die doppelte Begegnung Jesu mit dem Besessenen (5,2.6), die Stellung des Exorzismusbefehls in 5,8, die nachklappende Position von 5,16 (zumindest aber von 5,16b) sowie die erkennbar vorausgesetzte, aber problematische Nähe von Gerasa zum Meer (5,1.13.18) sind für die »unevenness of the narrative« verantwortlich. 10 Aber einige dieser Elemente sind schon für *Ev gesichert bzw. wahrscheinlich: Da *8,27.28 durch Tertullians Referat bzw. durch die D-Varianten als gesichert zu betrachten sind, ist die Doppelung der Begegnung (*8,27: ὑπήντησεν; *8,28: ἰδών) schon in *Ev vorhanden. Sie ist in Mk wegen der Stellung von Mk 5,3-5 nur auffälliger. Wie die Entsprechungen ἐκ τῶν μνημείων Mk 5,2 || Mt 8,28 (bzw. ἐν τοῖς μνήμασιν Mk 5,3 || *8,27) und μὴ ἰσχύειν Mt 8,28 || οὐδεὶς ἴσχυεν Mk 5,4 zeigen, war die Schilderung des Zustands des Besessenen an der von Mk berichteten Stelle ursprünglich. Dies bedeutet, dass Lk 8,29b - einer der gänzlich unbezeugten Verse - erst durch die lk Redaktion an diese Stelle hinter den Ausfahrbefehl verschoben wurde. Diese Überlegung bleibt allerdings mangels einer belastbaren Bezeugung bloße Vermutung. Die verschiedentlich für problematisch gehaltene Stellung des Exorzismusbefehls Mk 5,8 hat eine Entsprechung in *8,29a, die aufgrund der D- Lesarten schon für die vorkanonische Fassung wahrscheinlich gemacht werden kann. Ein letztes Element, das die mk Fassung komplex macht, ist der abschließende Dialog zwischen Jesus und dem Geheilten Mk 5,18-20. Wie oben schon deutlich wurde, handelt es sich um eine Ergänzung der mk Redaktion, 11 der Lk 8,38f gefolgt ist, dabei aber noch weitere Probleme verursacht hat. c. Die literarischen Auffälligkeiten der mk Erzählung haben verschiedentlich zu dem literarkritischen Urteil geführt, dass Mk hier eine ältere »Schicht« bearbeitet habe. 12 Diese Sicht lässt sich vor dem Hintergrund von *Ev nicht bestätigen; nur der abschließende Dialog zwischen dem Geheilten und Jesus könnte möglicherweise auf mk Redaktion zurückgehen. Ansonsten zeigt *Ev i. W. das gleiche literarische ______________________________ 9 Vgl. L UZ , Mt II 31; nach B AARDA (a. a. O.) ist Gadara vor allem in der syrischen Überlieferung (sy p.h ; syr. Diatessaron) verbreitet. Zu den Schwierigkeiten der historischen Geographie s. K LINGHARDT , a. a. O. 31ff. 10 T AYLOR , Mk 277; entsprechende - mehr oder weniger ausführliche - Listen finden sich in den meisten Kommentaren. 11 Vgl. K LINGHARDT , a. a. O. 43-45. 12 Vgl. D. J ASPER , The Gaps in the Story: The Implied Reader in Mk 5: 1-20, SEÅ 64 (1999) 79-88; klassisch ist die Studie von F R . A NNEN , Heil für die Heiden (FThSt 20), Frankfurt/ M. 1976, 39-72, der als vormk Erzählung rekonstruierte: 5,2b.3b.4-7.9.11-14.15b.16.19b. 8,26-39 Rekonstruktion 719 Profil wie die mk Erzählung. In diesem Fall ergeben sich auch die gleichen Folgerungen für die Datierung, wie sie sich für die mk Fassung nahelegen. 13 Denn sowohl der Name »Legion« für den Multidämon als auch die ungewöhnliche, nicht gerade naheliegende Lokalisierung des Geschehens bei Gerasa sind für *Ev bezeugt. Für die Datierung des Mk-Textes hat dieses sehr spezifische Syndrom zwischen der römischen Militärpräsenz (»Legion«) und der ungewöhnlichen Lokalisierung in Gerasa ergeben, dass sie erst ab Mitte/ Ende der 80-er Jahre wirklich nachvollziehbar wird. Nach der Rekonstruktion trifft dieser zeitliche Ansatz bereits für *Ev zu: Die Voraussetzung römischer Militärpräsenz in Gerasa ist ein Indiz dafür, dass *Ev nicht vor Mitte der 80-er Jahre des 1. Jh. entstanden ist. Durch diese Überlegung wird der zeitliche Rahmen für die Ansetzung der Abfassung des vorkanonischen *Mk und *Mt eingeschränkt, wenn auch nur um wenige Jahre: Die Entstehung und Ausbildung der Evangelienschriften von *Ev bis zur kanonischen Redaktion des Vierevangelienbuches ist für die Jahrzehnte zwischen dem Ende der 80-er Jahre des 1. Jh. und der Mitte des 2. Jh. am wahrscheinlichsten. *8,40-42a.42b-48.49-56: Tochter des Jairus. Blutflüssige Frau Nur teilweise für *Ev bezeugt; mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die lk Redaktion ergänzt und bearbeitet. 8,40 a Ἐγένετο δὲ ἐν a τῷ ὑποστρέϕειν τὸν Ἰησοῦν ἀπεδέξατο αὐτὸν ὁ ὄχλος, ἦσαν γὰρ πάντες προσδοκῶντες αὐτόν. 41 καὶ ἰδοὺ ἦλθεν ἀνὴρ ᾧ ὄνομα Ἰάϊρος, καὶ οὗτος ἄρχων τῆς συναγωγῆς ὑπῆρχεν, καὶ πεσὼν παρὰ τοὺς πόδας τοῦ Ἰησοῦ παρεκάλει αὐτὸν εἰσελθεῖν εἰς τὸν οἶκον αὐτοῦ, 42 b ἦν γὰρ θυγάτηρ αὐτῷ μονογενὴς ἐτῶν δώδεκα ἀποθνήσκουσα. b c Ἐγένετο δὲ ἐν c τῷ ὑπάγειν αὐτὸν οἱ ὄχλοι συνέπνιγον αὐτόν. 43 καὶ γυνὴ οὖσα ἐν ῥύσει αἵματος ἀπὸ ἐτῶν δώδεκα, d ἦν οὐδὲ εἷς ἴσχυεν θεραπεῦσαι, d 44 προσελθοῦσα e [ ὄπισθεν ] ἥψατο f τοῦ κρασπέδου f τοῦ ἱματίου αὐτοῦ, καὶ παραχρῆμα ἔστη ἡ ῥύσις τοῦ αἵματος αὐτῆς. 45 g {ὁ δὲ h Ἰησοῦς γνοὺς τὴν ἐξελθοῦσαν ἐξ αὐτοῦ δύναμιν ἐπηρώτα}, g i Τίς μου ἥψατο; i ἀρνουμένων δὲ πάντων εἶπεν ὁ Πέτρος, k Διδάσκαλε, οἱ ὄχλοι συνέχουσίν σε καὶ ἀποθλίβουσιν. 46 ὁ δὲ Ἰησοῦς εἶπεν, ῞Ηψατό μού τις, l καὶ γὰρ ἔγνων δύναμιν m ἐξελθοῦσαν ἀπ’ ἐμοῦ. 47 ἰδοῦσα δὲ ἡ γυνὴ ὅτι οὐκ ἔλαθεν n ἔντρομος οὖσα n ἦλθεν καὶ προσπεσοῦσα αὐτῷ δι’ ἣν αἰτίαν ἥψατο αὐτοῦ ἀπήγγειλεν ἐνώπιον παντὸς τοῦ λαοῦ καὶ ὡς ἰάθη παραχρῆμα. 48 ὁ δὲ εἶπεν αὐτῇ, Θυγάτηρ, ἡ πίστις σου o σε σέσωκεν o · πορεύου εἰς εἰρήνην. ______________________________ 13 Vgl. K LINGHARDT , ebd. 720 Anhang I 8,40-56 49 Ἔτι αὐτοῦ λαλοῦντος p ἔρχονται ἀπὸ τοῦbs ἀρχισυναγώγου λέγοντες p ὅτι Τέθνηκεν ἡ θυγάτηρ σου, μηκέτι σκύλλε τὸν διδάσκαλον. 50 ὁ δὲ Ἰησοῦς ἀκούσας ἀπεκρίθη αὐτῷ, Μὴ ϕοβοῦ, μόνον πίστευσον, καὶ σωθήσεται. 51 ἐλθὼν δὲ εἰς τὴν οἰκίαν οὐκ ἀϕῆκεν εἰσελθεῖν τινα σὺν αὐτῷ εἰ μὴ Πέτρον καὶ Ἰωάννην καὶ Ἰάκωβον καὶ τὸν πατέρα τῆς παιδὸς καὶ τὴν μητέρα. 52 ἔκλαιον δὲ πάντες καὶ ἐκόπτοντο αὐτήν. ὁ δὲ εἶπεν, Μὴ κλαίετε, οὐ γὰρ ἀπέθανεν ἀλλὰ καθεύδει. 53 καὶ κατεγέλων αὐτοῦ, εἰδότες ὅτι ἀπέθανεν. 54 αὐτὸς δὲ κρατήσας τῆς χειρὸς αὐτῆς ἐϕώνησεν λέγων, Ἡ παῖς, ἔγειρε. 55 καὶ ἐπέστρεψεν τὸ πνεῦμα αὐτῆς, καὶ ἀνέστη παραχρῆμα, καὶ διέταξεν αὐτῇ δοθῆναι ϕαγεῖν. 56 καὶ ἐξέστησαν οἱ γονεῖς αὐτῆς· ὁ δὲ παρήγγειλεν αὐτοῖς μηδενὶ εἰπεῖν τὸ γεγονός. A. *8,42.44-46: Epiph., Schol. 14: ἐγένετο δὲ ἐν τῷ ὑπάγειν αὐτοὺς συνέπνιγον αὐτόν οἱ ὄχλοι. καὶ γυνὴ ἀψαμένη αὐτοῦ ἰάθη τοῦ αἵματος· καὶ εἶπεν ὁ κύριος· τίς μου ἥψατο; καὶ πάλιν· ἥψατό μου τις. καὶ γὰρ ἔγνων δύναμιν ἐξελθοῦσαν ἀπ’ ἐμοῦ. ♦ *8,43-46: Tert. 4,20,7f: Ecce aliquid et de illis pusillitatibus et infirmitatibus creatoris in Christo. Ignorantiam enim et ego adscribere ei volo. Permittite mihi adversus haereticum. Tangitur a femina quae sanguine fluitabat, et nescivit a qua. (8) Quis me, inquit, tetigit? Etiam excusantibus discipulis perseverat in ignorantiae voce: Tetigit me aliquis; idque de argumento affirmat: Sensi enim virtutem ex me profectam. ♦ *8,44: Tert. 4,20,13: Haec erit fides quae contulerat etiam intellectum: Nisi credideritis, inquit, non intellegetis. Hanc fidem probans Christus eius feminae, quae solum credebat creatorem, eius fidei se deum respondit quam probavit. Nec illud omittam, quod dum tangitur vestimentum eius, utique corpori non phantasmati inditum, corpus quoque demonstrabatur; non quasi iam de hoc retractemus, sed quia ad praesentem conspirat quaestionem. ♦ *8,48: Tert. 4,20,9: At enim, si fidem mulieris invenimus ita meruisse, cum dicit, Fides tua te salvam fecit, quis es, ut aemulationem legis interpreteris in isto facto, quod ipse dominus ex fidei remuneratione editum ostendit? B. a (8,40) εγενετο δε εν: א * .c A C D W Θ Ψ 0279 f 13 latt sy h M ¦ εν δε: P 75 א 2 B L f 1 33 579 700* 2542 pc sy s.c.p sa (*Ev non test.) ● b (8,42a) ην γαρ θυγατηρ αυτω μονογενης ετων δωδεκα αποθνησκουσα: D d ¦ οτι θυγατηρ μονογενης ην αυτω ως ετων δωδεκα και αυτη απεθνησκεν: a aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● c (8,42b) εγενετο δε εν: Epiph (και εγενετο εν: 343 716 1229 2487) ¦ εν δε it M ● d (8,43) ην ουδε εις ισχυεν θεραπευσαι: D d ¦ ουκ ισχυσεν απ ουδενος θεραπευθηναι: sy s sa ¦ ητις ουκ ισχυσεν απ ουδενος θεραπευθηναι: P 75 B 0279 ¦ ητις ιατροις προσαναλωσασα ολον τον βιον ουκ ισχυσεν απ ουδενος θεραπευθηναι: a aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● e (8,44) οπισθεν/ retro: om D d Ψ 115 209* 1071 ¦ add a aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● f (8,44) του κρασπεδου: om Tert D a d ſſ 2 l r 1 ¦ add (fimbriam [fimbrea: q]) aur c f q vg M (*Ev non test.) ● g (8,45) ο δε Ιησους γνους την εξελθουσαν εξ αυτου δυναμιν επηρωτα/ Iesus autem sciens quae exivit ab eo virtus interrogabat: D a (… quod exierit … dixit) d ¦ και ειπεν ο ιησους/ et ait Iesus: (Epiph) aur b c f ſſ 2 l q r 1 M ● h (8,45) Ιησους: it M ¦ κυριος: Epiph (! ) ℓ253 ℓ859 ● i (8,45b) τις μου ηψατο/ quis me tetigit: Tert Epiph D a aur c d q ¦ quis est qui tetigit me: b f ſſ 2 l q r 1 ¦ τις ο αψαμενος μου: M ● k (8,45) διδασκαλε/ magister: 157 a d (! ) r 1 ¦ επιστατα: D (! ) aur b c d e f ſſ 2 l q M ● l (8,46) και: Epiph ¦ εγω: it M ● m (8,46) εξελθουσαν: Epiph A C D W Θ Ξ Ψ f 1.13 M ¦ εξεληλυθυιαν: P 75 א B L 0291 33 579 892 pc ● n (8,47) εντρομος ουσα: D (b: timens) d ¦ τρεμουσα: a aur c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● o (8,48) σε σεσωκεν/ te salvam fecit: Tert a aur b c d e f ſſ 2 l q r 1 vg ¦ (2 1): σεσωκεν σε M ● p (8,49) ερχονται απο του αρχισυναγωγου λεγοντες: D 8,40-56 Rekonstruktion 721 (c: dicentes) d sy s.c ¦ ερχεται τις παρα του αρχισυναγωγου λεγων: a aur b f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.). C. Die Bezeugung der gesamten Perikope ist sehr uneinheitlich: Die Erzählung von der Heilung der blutflüssigen Frau (*8,42b-48) ist vielfältig angesprochen und gut bezeugt. Sie war sicher in *Ev enthalten, auch wenn die genaue Gestalt unklar bleibt (dazu gleich). Dagegen übergehen alle Zeugen die Erzählung von der Auferweckung der Tochter des Jairus (8,40-42a.49-56) mit Stillschweigen. Dies ist deswegen auffällig, weil Tertullian erstens im gesamten Kontext sehr dicht referiert und beinahe von Vers zu Vers weitergeht, und weil ihm dieser Erweckungsbericht zweitens eine ganze Reihe von Anknüpfungspunkten für seine antimarcionitische Argumentation hätte bieten können, z. B. die sehr dinglichen Aspekte der Heilung (Berührung/ Ergreifen der Hand; Aufforderung, dem Mädchen zu essen zu geben usw.). Das eigentliche Problem für die Rekonstruktion besteht daher in der Frage, ob 8,40-42a. 49-56 in *Ev enthalten waren oder nicht. 1. Die Heilung der blutflüssigen Frau *8,42b-48 ist durch Tertullian und Epiphanius gesichert, aber die genaue Gestalt dieser Perikope ist fraglich. Wenn Epiphanius’ Notiz (Schol. 14) ein genaues Zitat aus *Ev darstellt (was sein sonstiges Verfahren durchaus nahelegen würde), dann sind die Unterschiede zum kanonischen Text als Folge der lk Redaktion zu verstehen. Diese Unterschiede umfassen (a) den Hinweis auf die zwölfjährige Dauer der Krankheit und die vergeblichen Bemühungen um Heilung in *8,43b, (b) den Hinweis auf die Berührung des Gewandes Jesu in *8,44, (c) die Antwort der Jünger auf die Frage Jesu, wer ihn berührt habe in *8,45 sowie (d) der Schluss der Erzählung in *8,47f. Dabei ist die Nichtbezeugung von *8,47f am wenigsten problematisch, weil Epiphanius das Ende der von ihm behandelten Passagen häufig nicht mitteilt oder genauer bezeichnet. Ähnliches gilt für 8,44 als narratives Gegenstück, denn in irgendeiner Weise muss die Handlung der Frau ja erzählt worden sein. Etwas schwieriger liegen die beiden anderen Fälle: Für die zwölfjährige Dauer der Krankheit ist natürlich im jetzigen Kontext auf die Entsprechung in der Altersangabe der Jairus-Tochter zu verweisen: Die lk Komposition der beiden ineinander verwobenen Erzählungen 8,40-56 hebt die Entsprechung zwischen dem Alter der Jairus-Tochter und der Krankheit der Frau besonders deutlich hervor und bezieht das Stichwort δώδεκα ἔτη in zwei aufeinander folgenden Versen (8,42f) erkennbar eng aufeinander. Auf andere Weise, nämlich mit betontem Achtergewicht, hat Mk 5,42 das Alter des Mädchens am Ende der ganzen Perikope herausgestellt. Der Umstand, dass Mt das Alter des Mädchens weder in 9,18 || Lk 8,42 noch in 9,25 || Mk 5,42 erwähnt, geht vermutlich auf die mt Kürzung der mk Fassung zurück und erlaubt keine Schlussfolgerungen für die ursprüngliche Fassung. 722 Anhang I 8,40-56 Angesichts dieses Befundes liegt es nahe, dass bereits *Ev die zwölfjährige Dauer der Krankheit (und die vergeblichen Heilungsbemühungen) erwähnt hatte; sie hätte dann Mk zur entsprechenden Betonung des Alters des Kindes veranlaßt, die in Lk an anderer Stelle auftaucht (welche der beiden Fassungen Anspruch auf Ursprünglichkeit besitzt, lässt sich nicht ausmachen). In diesem Fall wäre Epiphanius’ Referenz kein Zitat, sondern eine Zusammenfassung. Dies ist zumindest für seine Wiedergabe von *8,45 wahrscheinlich, denn die von ihm übergangene Antwort der Jünger ist durch Tertullian gesichert (excusantibus discipulis). Die relative Ungenauigkeit von Epiphanius’ *Ev-Referat wird schließlich noch dadurch nahegelegt, dass er für *8,45 ein absolutes ὁ κύριος in der Erzählstimme bezeugt. 1 Wie oben gezeigt wurde, 2 gehört dieser Sprachgebrauch zu den charakteristischen Eigentümlichkeiten der lk Redaktion. Von daher ist es wenig wahrscheinlich, dass *Ev das auktoriale ὁ κύριος an dieser Stelle enthalten haben sollte, das dann - der ansonsten zu beobachtenden redaktionellen Praxis entgegen - von Lk in ὁ Ἰησοῦς umgewandelt sein sollte. 3 Von daher lassen sich die von Epiphanius nicht bezeugten Passagen nicht als Hinweise auf *Ev verstehen. 2. Dass Epiphanius trotz seiner freien Zusammenfassung *Ev vor sich hatte, zeigt allerdings die Wiedergabe der Frage Jesu in *8,45b: Tertullian und Epiphanius referieren den Wortlaut einheitlich, aber abweichend von der kanonischen Formulierung der Mehrheit der Handschriften: Tertullians quis me tetigit entspricht nicht nur Epiphanius’ τίς μου ἥψατο (Schol. 14) und der Formulierung in Mk 5,30 (τίς μου ἥψατο [τῶν ἱματίων]), sondern auch einigen »Westlichen« Zeugen (D a aur c d q), wogegen der Mehrheitstext τίς ὁ ἁψάμενός μου bietet. In diesem Fall ist es wahrscheinlich, dass die lk Redaktion die finite Verbform in *Ev, die auch Mk übernommen hat, durch das Partizip ersetzte: Die Bezeugung bei Tertullian und Epiphanius ist über jeden Zweifel erhaben, es handelt sich um eines der wenigen »explicit correlated readings.« 4 3. Ausgesprochen schwierig ist die Rekonstruktion von *8,45a. Von Tertullian liegt keine Bezeugung vor, aber Epiphanius hat hier ganz offensichtlich die kanonische Formulierung καὶ εἶπεν ὁ Ἰησοῦς gelesen, auch wenn er selbständig ὁ Ἰησοῦς durch ὁ κύριος ersetzt hat (s. o.). Auffällig ist jedoch, dass D a d hier in Entsprechung zu Mk 5,30 die Formulierung bieten: ὁ δὲ Ἰησοῦς γνοὺς τὴν ἐξελθοῦσαν ἐξ αὐτοῦ δύναμιν ἐπηρώτα. Dass Jesus sich der von ihm ausgegangenen Kraft bewusst ______________________________ 1 Epiphanius, Schol. 14: … καὶ εἶπεν ὁ κ ύ ρ ι ο ς · τίς μου ἥψατο; καὶ πάλιν· ἥψατό μου τις. 2 S. dazu o. § 5 (Bd. I, S. 93ff). 3 Dass ὁ κύριος/ dominus auch in zwei Lektionarhandschriften auftaucht (ℓ253 ℓ859), ist dem liturgischen Sprachgebrauch geschuldet und kann nicht für die Ursprünglichkeit dieser Lesart in Anspruch genommen werden. 4 D. S. W ILLIAMS , Reconsidering Marcion’s Gospel, JBL 108 (1989), 477-496: 483. 8,40-56 Rekonstruktion 723 war, wird im kanonischen Text in direkter Rede in der Wiederholung der Frage 8,46 gesagt (ἐγὼ γὰρ ἔγνων δύναμιν ἐξεληλυθυῖαν ἀπ’ ἐμοῦ). Diese Begründung der wiederholten Frage fand sich auch schon in *Ev: Dies wird durch die übereinstimmende Bezeugung sichergestellt. 5 Dabei ist der für *Ev bezeugte Aorist ἐξελθοῦσαν (anstelle des Perfekts ἐξεληλυθυῖαν) noch in einem großen Teil der Handschriftenüberlieferung erhalten. Es spricht alles dafür, dass diese unschöne Doppelung bereits in *Ev vorhanden war, aber in der weiteren Überlieferungsgeschichte getilgt wurde: Mk hat offensichtlich die Wiederholung in der Frage Jesu gestrichen (5,30 fin.: ἔλεγεν, Τίς μου ἥψατο τῶν ἱματίων), sie aber in der Einleitung des Erzählers beibehalten (Mk 5,30a: καὶ εὐθὺς ὁ Ἰησοῦς ἐπιγνοὺς ἐν ἑαυτῷ τὴν ἐξ αὐτοῦ δύναμιν ἐξελθοῦσαν …). Lk hat die Bemerkung dagegen nur in der direkten Rede Jesu beibehalten, sie aber in der Einleitung der Frage gestrichen. Die Doppelung, die für den vorkanonischen Text anzunehmen ist, wird noch durch die Handschriften D a d bezeugt, die den vorkanonischen Text an dieser Stelle nicht nach dem kanonischen korrigiert haben. 4. Mit diesen Bemerkungen ist die Frage nach 8,40-42a.49-56 noch nicht beantwortet. Da eine direkte Bezeugung fehlt, ist das Urteil auf innere Gründe angewiesen. a. Für das Fehlen der Erzählung von der Auferweckung der Tochter des Jairus scheint, wie angedeutet, zunächst das ansonsten sehr dichte Referat Tertullians zu sprechen, der im nächsten Kontext fast von Vers zu Vers voranschreitet, aber 8,40- 42a.49-56 nicht erwähnt. Auch müssten die dinglichen Elemente, welche die Körperlichkeit Jesu unter Beweis stellen, seiner Argumentation entgegen gekommen sein. Dies spricht dagegen, dass Tertullian diese Möglichkeit unkommentiert gelassen hat. Allerdings könnte genau dieser Aspekt dafür verantwortlich sein, dass Tertullian die Perikope übergeht. Denn für die Diskussion der Körperlichkeit Jesu bot ihm die Erzählung von der Heilung der blutflüssigen Frau viel überzeugendere Ansatzpunkte. Allerdings kommt Tertullian erst ganz am Ende seiner längeren Diskussion auf dieses Problem zu sprechen: »Auch dies soll nicht unerwähnt sein, dass, wenn sein Gewand berührt wird, auch sein Körper bewiesen ist, denn ein Gewand wird einem Körper, nicht einem Phantasma angezogen.« Denn wie hätte ein Phantasma, das ja eine res vacua ist, befleckt werden können? (4,20,13f). Der eigentliche Ansatzpunkt seiner Diskussion von *8,42b-48 ist - in direktem Anschluss an *8,26-39 - die scheinbare ignorantia Jesu (4,20,7): Dass Jesus fragen muss, wer ihn berührt habe, scheint ein Hinweis auf seine Unvollkommenheit und zumindest auf einen Mangel seiner Allwissenheit zu sein. Tertullian kontrastiert dies mit dem Vermögen der Dämonen, die wahre Identität Jesu zu erkennen (*8,28). Am Ende gilt: Alle wissen, wer Jesus ist, und Jesus selbst fragt (*8,45) nicht aus Unwissenheit, sondern um der Frau »das Bekenntnis zu ermöglichen und um ______________________________ 5 Epiph., Schol. 14: καὶ γὰρ ἔγνων δύναμιν ἐξελθοῦσαν ἀπ’ ἐμοῦ. - Tert. 4,20,8: sensi enim virtutem ex me profectam. 724 Anhang I 8,40-56 ihre Furcht unter Beweis zu stellen« - genauso, wie Gott einstmals - quasi ignorans - nach Adam gesucht habe: Adam ubi es? (4,20,8). Die Aspekte der Körperlichkeit Jesu standen für Tertullian also gar nicht im Zentrum seiner Argumentation, ein Argument für die Nichterwähnung von 8,40- 42a.49-56 lässt sich aus der Argumentationsstruktur nicht ableiten. b. Auf der anderen Seite lassen sich indirekte Hinweise auf das Vorhandensein der Erzählung von der Jairustochter finden. Zwei Beobachtungen sind methodisch von Bedeutung. Die erste betrifft die Bezeugung des (kanonischen) Textes in den typisch »Westlichen« Handschriften: In vielen Fällen sind die »Westlichen« Lesarten Hinweise auf den vorkanonischen Text, der nicht immer konsequent nach dem kanonischen Text korrigiert wurde. Zwei Beispiele für dieses Phänomen wurden gerade für die Rekonstruktion von *8,45 herangezogen. 6 In dieser Hinsicht sind drei abweichende Lesarten von Bedeutung: *8,40 εγενετο δε εν: א * .c A C D W Θ Ψ 0279 f 13 latt sy h M ¦ εν δε: P 75 א 2 B L f 1 33 579 700* 2542 pc sy s.c.p sa. Wegen der sehr uneinheitlichen Bezeugung ist dieses Beispiel nicht sehr aussagekräftig. Aber die gleiche Änderung (ἐγένετο δὲ ἐν anstelle von ἐν δέ) liegt auch in *8,42 vor, und hier ist sie auch durch Epiphanius bezeugt. *8,42a ην γαρ θυγατηρ αυτω μονογενης ετων δωδεκα αποθνησκουσα: D d ¦ οτι θυγατηρ μονογενης ην αυτω ως ετων δωδεκα και αυτη απεθνησκεν: a aur b c f ſſ 2 l q r 1 M . Die eigenartige Wortstellung in D d ist die lectio difficilior, die als Hinweis auf den ursprünglichen Text verstanden werden kann. *8,49 ερχονται απο του αρχισυναγωγου λεγοντες: D (c: dicentes) d sy s.c ¦ ερχεται τις παρα του αρχισυναγωγου λεγων: a aur b f ſſ 2 l q r 1 M . Auch Mk 5,35 bietet dieselbe Lesart wie D c d sy (ἔρχονται ἀπὸ τοῦ ἀρχισυναγώγου λέγοντες). Dieses Phänomen ist mehrfach aufgefallen: Mk übernimmt eine Formulierung aus *Ev, die noch in typisch »Westlichen« Lk-Handschriften erhalten ist, während die Mehrheit der handschriftlichen Überlieferung in Lk eine (geringfügig veränderte) Formulierung aufweist. Vor allem das letzte Beispiel bietet ein deutliches Indiz dafür, dass es für die ansonsten unbezeugte Perikope von der Auferweckung der Jairustochter einen vorkanonischen Text gegeben hat. Der zweite, wichtige Hinweis auf einen möglicherweise vorkanonischen Text sind die (mt-lk) »Minor Agreements«, die sehr häufig (wenn auch nicht durchgängig) auf mk Änderungen an *Ev zurückgehen, dem Mt und Lk wiederum gemeinsam folgen. Unter diesem Gesichtspunkt sind folgende »Agreements« 7 (der gesamten Perikope 8,40-56) interessant. ______________________________ 6 Vgl. *8,45a (D a d) ὁ δὲ Ἰησοῦς γνοὺς τὴν ἐξελθοῦσαν ἐξ αὐτοῦ δύναμιν ἐπηρώτα gegenüber dem kanonischen καὶ εἶπεν ὁ Ἰησοῦς. Die »Westliche« Lesart τίς μου ἥψατο *8,45b (D a aur c d q) ist durch Tertullian und Epiphanius für *Ev gesichert. 7 Vgl. A. F UCHS , Schrittweises Wachstum. Zur Entwicklung der Perikope Mk 5,21-43 par Mt 9,18-26 par Lk 8,40-56, in: ders., Studien zu Deuteromarkus II, Münster 2004, 115-170: 121f. 8,40-56 Rekonstruktion 725 1. ἰδού Lk 8,41 || Mt 9,18 ÷ Mk 5,22. 2. Aor. ἦλθεν Lk 8,41 || ἐλθὼν (προσεκύνει) Mt 9,18 ≠ Praes. ἔρχεται Mk 5,22. 3. Impf. (πεσὼν …) παρεκάλει Lk 8,41 || προσεκύνει Mt 9,18 ≠ Praes. hist. πίπτει Mk 5,22, παρακαλεῖ 5,23. 4. ἄρχων τῆς συναγωγῆς Lk 8,41 || ἄρχων Mt 9,18 ≠ εἷς τῶν ἀρχισυναγώγων Mk 5,22. 5. θυγάτηρ Lk 8,42 || Mt 9,18 ≠ θυγάτριον Mk 5,23. 6. ἀπέθνῃσκεν Lk 8,42 || ἐτελεύτησεν Mt 9,18 ≠ (vulg. Formulierung) ἐσχάτως ἔχει Mk 5,23. 7. προσελθοῦσα ὄπισθεν ἥψατο τοῦ κρασπέδου τοῦ ἱματίου αὐτοῦ Lk 8,44 || Mt 9,20 ≠ ἐλθοῦσα ἐν τῷ ὄχλῳ ὄπισθεν ἥψατο τοῦ ἱματίου αὐτοῦ Mk 5,27. 8. ἐλθὼν … εἰς τὴν οἰκίαν Lk 8,51 || Mt 9,23 ≠ καὶ ἔρχονται εἰς τὸν οἶκον Mk 5,38. 9. εἶπεν Lk 8,52 || ἔλεγεν Mt 9,24 ≠ λέγει αὐτοῖς Mk 5,39. 10. (Imperativ) μὴ κλαίετε 8,52 || ἀναχωρεῖτε Mt 9,24 ≠ (Frage) τί θορυβεῖσθε καὶ κλαίετε; Mk 5,39. 11. οὐ γὰρ ἀπέθανεν Lk 8,52 || Mt 9,24 ≠ οὐκ ἀπέθανεν Mk 5,39. 12. τῆς χειρὸς αὐτῆς Lk 8,54 || Mt 9,25 ≠ τῆς χειρὸς τοῦ παιδίου Mk 5,41. Die Häufung der »Minor Agreements« gerade in der Perikope von der Tochter des Jairus kann kein Zufall sein. Da Mt die gesamte Perikope bearbeitet und stark gekürzt hat, ist es ausgesprochen unwahrscheinlich, dass Lk, dessen Text sehr viel näher mit Mk zusammengeht als mit Mt, in all diesen Fällen von Mt abhängig ist. Diese Agreements sind folglich ein starkes Argument dafür, dass Mt und Lk auf denselben, aber nicht-mk Text zurückgehen. Wie sonst auch, ist dieser Text nicht »Deuteromarkus«, sondern *Ev. 5. Mit diesen Überlegungen lässt sich das Urteil über *8,40-56 mit großer Wahrscheinlichkeit fällen: Obwohl Epiphanius *8,42b-48 nur teilweise bezeugt und in seiner Zusammenfassung auch Formulierungen verwendet, die er weder in *Ev noch im kanonischen Text gelesen haben kann, ist es sehr wahrscheinlich, dass *8,42b-48 in *Ev enthalten waren. Auch die nicht direkt bezeugte Perikope von der Auferweckung der Jairustochter war mit großer Wahrscheinlichkeit bereits Teil von *Ev. In diesem Fall ginge die »Sandwich«-Anordnung (*8,40-42a.42b-48. 49-56 || Mk 5,21-24.25-34.35-43) bereits auf *Ev und nicht erst auf Mk zurück. Für die genauen Formulierungen sind nicht nur die (spärlichen) Bezeugungen Tertullians und Epiphanius’ ausschlaggebend, sondern auch die teilweise stark vom kanonischen Text abweichenden »Westlichen« Handschriften, die wiederholt Spuren des vorkanonischen Textes aufweisen. An *8,40-56 lässt sich die Bedeutung der Textgeschichte für die Überlieferungsgeschichte der Evangelien sehr gut nachvollziehen. Über den zahlreichen Einzelheiten sollte eine grundlegende Beobachtung nicht in den Hintergrund geraten: In Anbetracht des Gewichts, das Tertullian und die anderen Häresiologen in ihrer antimarcionitischen Argumentation auf die körperliche Realität der Existenz Jesu legen, muss *8,42b-48 zu denjenigen Texten gerechnet werden, für die unter der Perspektive der Lk-Priorität eine »Streichung aus 726 Anhang I 8,40-56 dogmatischen Gründen« nahe gelegen hätte; tatsächlich erwähnt Tertullian diesen Aspekt (4,20,13f; s. o.), auch wenn seine Argumentation nicht darauf aufbaut. Dass diese Perikope zweifellos in *Ev enthalten war, zeigt einmal mehr, dass für die angenommene »marcionitische Überarbeitung« kein nachvollziehbares redaktionelles Konzept erkennbar ist. Es überrascht dann auch nicht, dass die Vertreter der Lk- Priorität die Bezeugung von *8,42b-48 für *Ev i. W. zutreffend verzeichnen, aber nicht zu erkennen scheinen, wie sehr dieser Text ihrer Grundannahme zuwiderläuft. 8 Die sichere Bezeugung dieser Perikope ist ein weiteres Indiz für die *Ev-Priorität. *9,1-6: Aussendung der Zwölf Gut bezeugt und sicher in *Ev vorhanden, aber mit großer Wahrscheinlichkeit durch Lk bearbeitet. 9,1 Συγκαλεσάμενος δὲ τοὺς δώδεκα a μαθητὰς αὐτοὺς a ἔδωκεν αὐτοῖς δύναμιν καὶ ἐξουσίαν ἐπὶ πάντα τὰ δαιμόνια b [ καὶ νόσους θεραπεύειν ] b , 2 καὶ ἀπέστειλεν c τοὺς μαθητὰς c κηρύσσειν τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ d καὶ ἰᾶσθαι d e τοὺς ἀσθενεῖς e , 3 καὶ εἶπεν πρὸς αὐτούς, Μηδὲν αἴρετε εἰς τὴν ὁδόν, μήτε ῥάβδον μήτε πήραν μήτε ἄρτον μήτε ἀργύριον, μήτε ἀνὰ δύο χιτῶνας ἔχειν. 4 καὶ εἰς ἣν ἂν οἰκίαν εἰσέλθητε, ἐκεῖ μένετε καὶ ἐκεῖθεν ἐξέρχεσθε. 5 καὶ ὅσοι ἂν μὴ δέχωνται ὑμᾶς, ἐξερχόμενοι ἀπὸ τῆς πόλεως ἐκείνης τὸν κονιορτὸν ἀπὸ τῶν ποδῶν ὑμῶν ἀποτινάσσετε εἰς μαρτύριον ἐπ’ αὐτούς. 6 ἐξερχόμενοι δὲ διήρχοντο f κατὰ πόλεις καὶ κώμας f εὐαγγελιζόμενοι g [ καὶ θεραπεύοντες ] g πανταχοῦ. A. *9,1f: Adam. 2,12 (828e): συγκαλεσάμενος δὲ ὁ Ἰησοῦς τοὺς δώδεκα ἔδωκεν αὐτοῖς δύναμιν καὶ ἐξουσίαν ἐπὶ πάντα τὰ δαιμόνια καὶ νόσους θεραπεύειν, καὶ ἀπέστειλεν αὐτοὺς κηρύσσειν τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ καὶ ἰᾶσθαι. ♦ *9,2f.5: Tert. 4,21,1: Dimittit discipulos ad praedicandum dei regnum. Numquid vel hic edidit cuius? Prohibet eos victui aut vestitui quid in viam ferre. Quis hoc mandasset, nisi qui et corvos alit et flores agri vestit, qui bovi quoque terenti libertatem oris ad veniam pabuli ex opere summovendi ante praecepit, quia dignus operarius mercede sua? Haec Marcion deleat, dum sensui salva sint. At cum iubet pulverem excutere de pedibus in eos a quibus excepti non fuissent, et hoc in testimonium mandat fieri. ¦ Tert. 4,24,1f: nec virgam discipulis in viam ferre praescripsit (zu *10,4 und μήτε ῥάβδον vgl. dort). ♦ *9,6: Adam. 2,12 (829a): ἐξερχόμενοι δὲ διήρχοντο κατὰ πόλεις καὶ κώμας εὐαγγελιζόμενοι καὶ θεραπεύοντες πανταχοῦ. B. a (9,1) μαθητας αυτους: C 3 1010 al b ſſ 2 l q r 1 Euseb (Frgm. Luc.; PG 24, 544) ¦ αποστολους: א C* L Θ Ψ Ξ 0202 f 13 33 892 1241 1424 pc a aur c e f sy h bo ¦ om Adam P 75 A B D R W f 1 d sy s.c.p sa M ● b (9,1) και νοσους θεραπευειν: om 2524 ¦ θεραπευειν: Tat arab bo mss ¦ και νοσους θεραπευειν: add Adam it M ● c (9,2) τους μαθητας/ discipulos: Tert ¦ αυτους/ illos/ eos: it M ● d (9,2) και ιασθαι: om Tert ¦ add it M ● e (9,2) τους ασθενεις: om Tert Adam B sy s.c ¦ add it M ● f (9,6) κατα πολεις ______________________________ 8 H ARNACK 199*; T SUTSUI 89. 9,1-6 Rekonstruktion 727 και κωμας/ per civitates et castella: κατα πολεις και κωμας/ per civitates et castella: Adam ſſ 2 l (castella et civitates: b c g 1 q) sa ms ¦ κατα πολεις και ηρχοντο/ civitates transibant: D d ¦ κατα τας κωμας/ per castella: aur e f r 1 vg M ● g (9,6) και θεραπευοντες: om 1319 q r 1 ¦ add Adam it M . C. Alle Teile dieser Perikope sind gut bezeugt, Anfang und Ende tauchen in fast wörtlichen Zitaten bei Adamantius auf, dessen Zeugnis allein allerdings nur bedingt beweiskräftig ist. Im Einzelnen sind folgende Beobachtungen wichtig: 1. Während Tertullian in seinem Referat von *9,2 die Jünger (discipulos/ τοὺς μαθητάς) als Adressaten der Aussendung erwähnt, verweist das Pronomen bei Adamantius auf τοὺς δώδεκα *9,1. Der Unterschied ist semantisch marginal, zumal *6,12-16 die Auswahl »der Zwölf« sicherstellt (s. dort). Die Überlieferung des kanonischen Textes ist an dieser Stelle sehr uneinheitlich: Neben dem absoluten, auch durch Adam. bezeugten τοὺς δώδεκα finden sich das von einigen Altlateinern und anderen bezeugte τοὺς δώδεκα μαθητὰς αὐτοῦ sowie das von zahlreichen Zeugen vertretene τοὺς δώδεκα ἀποστόλους. Angesichts dieses Befundes ist eine Entscheidung schwierig. Da auch Mt 10,1 τοὺς δώδεκα μαθητὰς αὐτοῦ liest, 1 könnte dies die vorkanonische Lesart sein. In diesem Fall hätte die lk Redaktion in 9,1 das semantisch verzichtbare μαθητάς gestrichen: Dies ist der Text, den auch Adamantius bezeugt. Tertullian dagegen hätte in seinem Referat von *9,2 mit discipulos/ τοὺς μαθητάς das entsprechende Stichwort aus *9,1 aufgegriffen. Allerdings ist ohne eine direkte Bezeugung ein hinreichend sicheres Urteil nicht möglich. 2. Schwierig ist auch der genaue Inhalt der Bevollmächtigung der Zwölf (*9,1) bzw. des Sendungsauftrags (*9,2). Der kanonische Text nennt jeweils zwei Glieder: Bevollmächtigung über die Dämonen und zur Heilung von Krankheiten (9,1) bzw. Verkündigung der Basileia und Heilen (9,2). Auffälligerweise ist jeweils das zweite Glied schwach bezeugt: Tertullians Referat setzt einen Text von *9,2 ohne ἰᾶσθαι τοὺς ἀσθενεῖς voraus, während Adamantius mit einer Reihe kanonischer Handschriften zwar ἰᾶσθαι, nicht aber das Objekt τοὺς ἀσθενεῖς bezeugt. Die auch von Adam. bezeugte Entsprechung in der Bevollmächtigungsnotiz (καὶ νόσους θεραπεύειν) fehlt dagegen in einer Minuskel (2524). Darüber hinaus ist aber auch eine mittlere Form bezeugt, die nur das Verb θεραπεύειν, aber kein Objekt enthält (Tat arab bo mss ). Die Sachlage ist noch komplizierter, weil die abschließende Notiz über die Ausführung des Auftrags in 9,6 ebenfalls uneinheitlich überliefert ist: In zwei Altlateinern und einer Minuskel (1319 q r 1 ) fehlt der Hinweis auf die Heilung (καὶ θεραπεύοντες); hier ist nur davon die Rede, dass die Ausgesandten »überall frohbotschafteten« (εὐαγγελιζόμενοι πανταχοῦ). Damit fehlt an allen drei Stellen (9,1.2.6) der Hinweis auf die Heilungstätigkeit der Zwölf jeweils in einem Teil der handschriftlichen Überlieferung. Auch wenn es sich dabei jeweils nur um wenige ______________________________ 1 Vgl. auch Mk 6,7 (D f 1 565 pc ſſ 2 sy s ). 728 Anhang I 9,1-6 und teilweise späte Zeugen handelt, ist dieser Befund, der Tertullians Referat von *9,2 entspricht, ernst zu nehmen: Die Häufung und Konsistenz der Varianten gibt zu denken, zumal es jeweils leichter vorstellbar ist, dass das Glied »Heilung« ergänzt wurde als dass es ausgelassen wurde. Die Annahme, dass die Elemente καὶ νόσους θεραπεύειν (Lk 9,1), καὶ ἰᾶσθαι τοὺς ἀσθενεῖς (Lk 9,2) und καὶ θεραπεύοντες (Lk 9,6) ursprünglich nicht Teil des vorkanonischen Textes waren, lässt sich aufgrund überlieferungsgeschichtlicher Überlegungen weiter erhärten (s. gleich). 3. Für *9,6 bezeugt Adamantius anstelle des kanonischen κατὰ τὰς κώμας die längere Wendung κατὰ πόλεις καὶ κώμας. Die für *Ev bezeugte zweigliedrige Wendung ist auch in einigen Altlateinern (b c g 1 ſſ 2 l q) 2 belegt, die ja häufig die Spuren der Interferenz von kanonischer und vorkanonischer Textüberlieferung enthalten. Die längere Wendung wird daher dem vorkanonischen Wortlaut entsprechen. Die redaktionelle Intention, die hinter der Verkürzung der Wendung steht, ist allerdings kaum nachvollziehbar. 4. Ein besonderes Problem stellt die »Ausrüstungsanweisung« in *9,3 dar. Tertullian fasst sie mit den Stichworten victui aut vestitui quid erkennbar zusammen: Auf dieser Basis ist eine genaue Rekonstruktion des Wortlauts nicht möglich. Der kanonische Text enthält an dieser Stelle eine Liste mit fünf verbotenen Ausrüstungsgegenständen, durch welche die generelle Anweisung, nichts mit auf den Weg zu nehmen, spezifiziert wird: Stock (ῥάβδος), Tasche (πήρας), Brot (ἄρτος), Geld (ἀργύριον) sowie zwei Hemden (δύο χιτῶνες). Im synoptischen Vergleich werden Bearbeitungsrichtung und -intention im Verlauf der Überlieferungsgeschichte deutlich. ______________________________ 2 So auch in sa ms . In D d ist zwar - wie in der kanonischen Textüberlieferung - nur eine eingliedrige Wendung bezeugt, doch sie enthält wie der für *Ev bezeugte Text das Stichwort πολεις/ civitates anstelle von κωμας/ castella. 9,1-6 Rekonstruktion 729 Lk 9,3 Mk 6,8f Mt 10,9f καὶ εἶπεν πρὸς αὐτούς, Μηδὲν αἴρετε εἰς τὴν ὁδόν, καὶ παρήγγειλεν αὐτοῖς ἵνα μηδὲν αἴρωσιν εἰς ὁδὸν (8: δωρεὰν ἐλάβετε, δωρεὰν δότε) μήτε ῥάβδον εἰ μὴ ῥάβδον μόνον, Μὴ κτήσησθε χρυσὸν μηδὲ ἄργυρον μηδὲ χαλκὸν εἰς τὰς ζώνας ὑμῶν, μήτε πήραν μὴ ἄρτον, 10 μὴ πήραν εἰς ὁδὸν μήτε ἄρτον μὴ πήραν, καὶ μὴ ἐνδύσησθε μηδὲ δύο χιτῶνας δύο χιτῶνας μήτε ἀργύριον, μὴ εἰς τὴν ζώνην χαλκόν, 9 ἀλλὰ ὑποδεδεμένους σανδάλια μηδὲ ὑποδήματα μήτε ἀνὰ δύο χιτῶνας ἔχειν καὶ μὴ ἐνδύσησθε δύο χιτῶνας μηδὲ ῥάβδον a. Die Einleitungen Lk 9,3 || Mk 6,8 entsprechen sich (wenn auch nicht exakt); Mt 10,8 hat an dieser Stelle die Sentenz »Umsonst habt ihr empfangen, umsonst gebt! «, die einerseits als Einleitung zu der Liste der untersagten Ausrüstungsgegenstände in 10,9f dient, andererseits aber die Bevollmächtigung der Jünger (zu Exorzismus und Heilung) und den daraus resultierenden Auftrag (Basileia verkündigen, Kranke heilen, Tote erwecken, Aussätzige reinigen, Dämonen austreiben) sehr sinnvoll abschließt: Das, was die Apostel »haben«, ist die Vollmacht, und deshalb können sie die konkreten Ausrüstungsgegenstände entbehren. Da dieser Zusammenhang zweifellos auf mt Redaktion zurückgeht, 3 liegt die vorkanonische Einleitung vermutlich in Mk/ Lk vor. b. Ähnliches gilt für die Voranstellung (und dreifache Gliederung) des Verbots von Gold, Silber und Kupfer(-münzen) in Mt 10,9, die gelegentlich im AT erwähnt ist: Die Einleitung mit dem Prohibitiv μὴ κτήσησθε schließt direkt an das vorangehende δωρεὰν δότε an; gemeint ist nicht das Verbot von Besitz im Allgemeinen, sondern der »Erwerb« von Geld als Gegenleistung für die Verkündigung usw. Tatsächlich passt die weitere Liste bei Mt nicht zu der hier vorausgesetzten Vorstellung einer »Bezahlung« der missionarischen Aktivitäten. Aus diesem Grund wird dann die ursprüngliche Liste mit dem Stock als dem wesentlichen Ausrüstungsgegenstand von Wanderern eingeleitet gewesen sein, der jetzt in der mt Fassung am Ende steht. c. Über die weitere Reihenfolge der Gegenstände lässt sich nichts Verlässliches sagen, wohl aber über die beiden ausdrücklichen Konzessionen (Stock und Schuhe) ______________________________ 3 Vgl. L UZ , Mt II 88 und z. St.: 10,7f ist von Mt selbst formuliert. 730 Anhang I 9,1-6 der mk Liste. Während Lk und Mt den Stock verbieten, soll er nach Mk 6,8 ausdrücklich Bestandteil der Ausrüstung sein. In positiver Formulierung nimmt Mk 6,9 auch das Verbot von Schuhen aus (ἀλλὰ ὑποδεδεμένους σανδάλια), das sich zwar nicht in der Liste *9,3 findet, wohl aber in *10,4 || Mt 10,10. Die mk Bestimmungen zu Stock und Schuhen sind als erleichternde Konzessionen der Regel zu verstehen und daher gegenüber den entsprechenden Verboten sekundär. Mk fand also auch schon das Verbot von Schuhen in *Ev vor: In *10,4. Dazu passt die Aufforderung in *9,5 || Mt 10,14, dass die Boten bei Nichtaufnahme den Staub nicht von den Schuhen, sondern ἀπὸ τῶν ποδῶν ὑμῶν schütteln sollen; Mk 6,11 hat hier die etwas weniger direkte Formulierung vom »Staub unter euren Füßen« (τὸν χοῦν τὸν ὑποκάτω τῶν ποδῶν ὑμῶν), der besser zu der Annahme passt, dass die Boten Schuhe trugen. 5. *9,4 ist nicht bezeugt, aber aufgrund der Entsprechung zu *9,5 äußerst wahrscheinlich. *9,6 ist durch Adamantius bezeugt. Dass dessen Text von *Ev durch die kanonische Textüberlieferung kontaminiert ist und dass die Worte καὶ θεραπεύοντες wahrscheinlich im vorkanonischen Text nicht enthalten waren, ist oben begründet. 6. Dass *9,1-6 im Kern bereits für *Ev bezeugt ist, ist in erster Linie für die Frage der Überlieferungsgeschichte von Bedeutung. Denn *9,1-6 konstituiert zusammen mit *10,1-12; Mk 6,7-13; Mt 9,37f; 10,1-15 einen (im Horizont der Zwei-Quellentheorie sogenannten) »Mk-Q Overlap«. 4 Für die Einschätzung dieser Overlap- Texte besitzt die Aussendungstradition deshalb eine besondere Bedeutung, weil die Komplexität - Mk hat nur eine kurze Aussendungsrede, Mt hat eine sehr viel ausführlichere, Lk hat zwei - und die Verteilung der Einzeltexte innerhalb der jeweiligen Evangelien eine relativ genaue Einschätzung der Beziehungen erlauben. Da die weiteren Überlegungen zu *10,1-12 erwähnt werden, soll hier ein knapper Hinweis genügen. a. Im Unterschied zu den komplexen und bis heute widersprüchlichen Versuchen 5 einer Bestimmung des Verhältnisses von Mk und Q ergibt sich unter der Voraussetzung der *Ev-Priorität, dass der Ursprung der Überlieferung tatsächlich in zwei voneinander unterschiedenen Aussendungsreden (*9,1-6; *10,1-12) liegt; gerade mit Blick auf die »Ausrüstungsregeln« *9,3; *10,4 muss man daher annehmen, dass schon die älteste Fassung von *Ev Dubletten enthielt. ______________________________ 4 Zum Problem vgl. H. T. F LEDDERMANN , Mk and Q, Leuven 1995, 101-126; R. L AUFEN , Die Doppelüberlieferungen der Logienquelle und des Markusevangeliums, Königstein/ Ts. 1980, 201-301. 5 Vgl. außer L AUFEN , a. a. O., F LEDDERMANN , a. a. O. noch J. S CHÜLING , Studien zum Verhältnis von Logienquelle und Markusevangelium, Würzburg 1991, sowie F R . N EIRYNCK , Mk and Q: Assessment, in: ders., Evangelica III, 505-545 (zuerst in der Arbeit in F LEDDERMANN , a. a. O. 263-303). 9,1-6 Rekonstruktion 731 b. Mk 6,6b-13 hat diese »Dubletten« in eine Aussendungsrede zusammengefasst und dabei vor allem die ausführlicheren Anweisungen aus *10,1-12 zugunsten der knapperen aus *9,1-6 übergangen. Da das Nebeneinander der Aussendungen in *Ev (und Lk) wegen der Zahl der Boten (zwölf und [70]72) erkennbar auf die unterschiedliche Mission zu Juden und Heiden zu beziehen ist, war Mk aufgrund seines redaktionellen Konzeptes geradezu gezwungen, dieses Nebeneinander zu beseitigen. Denn Mk löst dieses Problem durch das Nebeneinander der zwei Speisungserzählungen und legt dabei den Ton darauf, dass dieselbe Jüngergruppe mit der Mission zu Juden und zu Nichtjuden beauftragt und - aufgrund der identischen Botschaft für beide Adressatenkreise - auch dazu befähigt ist. 6 Allerdings hat Mk einige Details aus *10,1-12 übernommen. Dazu gehört beispielsweise die Sendung in Zweiergruppen (Mk 6,7: δύο δύο), die dann auf *10,1 zurückgeht. Mit Blick auf die Rekonstruktion von *9,1-6 ist aber wichtiger, dass Mk aus *10,9 auch die enge Verbindung von Basileiaverkündigung und Krankenheilung als Teil des Sendungsauftrages gekannt und sie mit der Bevollmächtigung über die Dämonen (*9,1) und dem Auftrag zur Basileiaverkündigung (*9,2) zu der für seine redaktionelle Arbeit wichtigen Trias Verkündigung, Exorzismus und Heilung (Mk 6,12f) verbunden haben könnte. Auf der anderen Seite hat Mk die größten Härten des Sendungsauftrags - dass die Boten barfuß und ohne Stock unterwegs sein sollen - gemildert und Schuhe und Stock ausdrücklich konzediert. c. Mt hat, wie Mk, die Dublette aus *Ev getilgt und berichtet nur von einer Aussendung, die er aber, anders als Mk, enger an *10,1-12 anlehnt. Gleichwohl sind - in der Akoluthie, der Kontextverklammerung und in Einzelformulierungen - eigene redaktionelle Akzente unverkennbar. Ein Element dieser Redaktion besteht darin, dass die mt Aussendungsrede zwar i. W. auf *10,1-12 zurückgeht, daraus aber gerade den Anfang mit der Sendung der 72 (70) - also den Aspekt, der am deutlichsten für eine Sendung zu den Heiden spricht - nicht übernommen hat: Wie bei Mk gibt es bei Mt (vor Ostern) nur eine Sendung, und zwar der Zwölf. Wie *Ev unterscheidet Mt aber zwei verschiedene Sendungen; die zu den Heiden wird in Mt 28,19f durch den Auferstandenen begründet und inauguriert. d. Lk ist *Ev i. W. gefolgt und hat die doppelte Aussendung zweier verschiedener Jüngerkreise übernommen. Wenn die Überlegungen zum redaktionellen Charakter von καὶ νόσους θεραπεύειν (Lk 9,1), καὶ ἰᾶσθαι τοὺς ἀσθενεῖς (Lk 9,2) und καὶ θεραπεύοντες (Lk 9,6) zutreffen, dann stammt die Beauftragung zur »Heilung« letztendlich aus *10,9, auch wenn sie möglicherweise durch Mk 6,13 bzw. durch Mt 10,1.8 vermittelt ist. ______________________________ 6 Vgl. M. K LINGHARDT , Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19 (2002), 183-202. 732 Anhang I 9,1-6 e. Setzt man diese Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte voraus, dann lassen sich auch die zahlreichen (mt-lk) »Minor Agreements« 7 sinnvoll zuordnen: Eine erste Möglichkeit für die Entstehung von »Minor Agreements« liegt dann vor, wenn Lk und Mt dem Text von *Ev folgen, während Mk daran redaktionelle Änderungen vorgenommen hat. Dieser Fall liegt vor, wenn die mt-lk Lesart bereits für *Ev bezeugt ist, z. B.: κηρύσσειν + βασιλεία *9,2a || Mt 10,7 ÷ Mk 6,7. - τὸν κονιορτόν *9,5 || Mt 10,14 ≠ τὸν χοῦν τὸν ὑποκάτω Mk 6,11. Besonders deutlich ist dieses Phänomen für μήτε/ μηδὲ ῥάβδον *9,3 || Mt 10,10 ≠ εἰ μὴ ῥάβδον Mk 6,8: Das redaktionelle Interesse des Mk zur Änderung von *Ev ist für diesen Fall unmittelbar nachvollziehbar. Eine andere Entstehung von »Minor Agreements« liegt vor, wenn Mk seiner Vorlage *Ev folgt, aber Mt den Wortlaut von (*Ev-)Mk geändert hat und Lk nicht *Ev, sondern Mt folgt. Für *9,1ff liegt dieses Phänomen vor bei: νόσον/ νόσους θεραπεύειν *9,1 || Mt 10,1 ÷ Mk 6,7. Aufgrund der mangelnden Bezeugung bleibt das Zustandekommen einiger Agreements unerklärt, z. B.: ἐξερχόμενοι … τῆς πόλεως ἐκείνης *9,5 || Mt 10,14 ≠ ἐκπορευόμενοι ἐκεῖθεν Mk 6,11. - αἴρετε/ κτήσησθε (oratio recta) *9,3 || Mt 10,9f ≠ αἴρωσιν (Oratio obliqua) Mk 6,8. Diese Beispiele zeigen, dass die für die Zwei-Quellentheorie so belastenden »Minor Agreements« unter der Annahme der *Ev-Priorität keinerlei Schwierigkeiten aufwerfen. Darüber hinaus wird deutlich, dass zumindest die lk Redaktion eine sehr präzise »Schreibtischarbeit« war, die (an dieser Stelle) die Texte zumindest von *Ev und Mt sehr genau verglichen hat. *9,7-9: Urteil des Herodes über Jesus und Johannes Gut bezeugt, sicher in *Ev vorhanden. 9,7 a Ἀκούσας δὲ b ¿ὁ βασιλεὺς? b Ἡρῴδης b [ ? ὁ τετραάρχης ? ] b τὰ γινόμενα c ἠπορεῖτο διὰ τὸ λέγεσθαι ὑπό τινων ὅτι Ἰωάννης d ἐκ νεκρῶν ἀνέστη d , 8 ὑπό τινων δὲ ὅτι Ἠλίας ἐϕάνη, e ἄλλοι δὲ ὅτι προϕήτης f [ τις ] τῶν ἀρχαίων ἀνέστη. 9 εἶπεν δὲ Ἡρῴδης, Ἰωάννην ἐγὼ ἀπεκεϕάλισα· τίς δέ ἐστιν οὗτος περὶ οὗ ἀκούω τοιαῦτα; ¿καὶ ἐζήτει ἰδεῖν αὐτόν.? A. *9,7-8: Tert. 4,21,2: Nemo testatur quod non iudicio destinatur; inhumanitatem qui in testationem redigi iubet, iudicem comminatur. Nullum deum novum a Christo probatum illa etiam opinio omnium declaravit, qnia Christum Iesum alii Ioannem, alii Heliam, alii unum aliquem ex veteribus prophetis Herodi adseverabant. Ex quibus quicunque fuisset, non utique ob hoc est suscitatus ut alium deum post resurrectionem praedicaret. B. a (9,7) ακουσας/ audiens: D d ¦ ηκουσεν/ audivit: a aur b c e f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● b (9,7) Zum Vorschlag ὁ βασιλεὺς Ἡρῴδης anstelle von Ἡρῴδης ὁ τετραάρχης s. u. (*Ev non test.) ● c ______________________________ 7 Außer den genannten vgl. T. S CHRAMM , Der Markus-Stoff bei Lukas, Cambridge 1971, 26ff; N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 106ff; DERS ., Minor Agreements (1991), 42ff; E NNULAT , Minor Agreements 162f. 9,7-9 Rekonstruktion 733 (9,7) ηπορειτο/ confundebatur: D d ¦ παντα και διηπορει/ omnia … et consternebatur (mirabatur; haesitabat u. a.): P 75 א B C* D L Ξ f 13 579 1241 2524 pc a aur b e ſſ 2 l r 1 sy s.c co ms ¦ υπ αυτου παντα και διηπορει/ omnia … et consternebatur (mirabatur; haesitabat u. a.): A C 3 W Θ Ψ f 1 33 c f q sy p.h (*Ev non test.) ● d (9,7) εκ νεκρων ανεστη/ a mortuis resurrexit (d: surrexit): D c d e ¦ ηγερθη εκ νεκρων/ surrexit (l: resurrexit) a mortuis: a aur b f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● e (9,8) αλλοι/ alii: Tert D d e ¦ αλλων/ ab aliis: a aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● f (9,8) εις/ unus: Tert A W Θ aur b c f ſſ 2 l q r 1 sy s.c.h sa M ¦ τις: א B C L Δ Ξ Ψ f 1.13 33 579 892 1241 2542 pc ¦ om D Ω 69 ℓ211 a d e sy p.j Tat arab . C. Tertullians Referat, das *Ev sehr eng folgt, stellt *9,7f für *Ev der Sache nach sicher, nicht jedoch den genauen Wortlaut. *9,9 ist überhaupt nicht bezeugt. 1. Aufgrund der dürftigen Bezeugung lässt sich nicht viel über die Perikope sagen, weswegen die textkritischen Beobachtungen an Bedeutung gewinnen, die hier mit verzeichnet sind, obwohl für *9,7 durch Tertullians Referat nur das Stichwort »Herodes« gesichert ist. In *9,7 lesen D d partizipiales ἀκούσας anstelle des ansonsten bezeugten finiten Verbs (ἤκουσεν). Damit hängt die Formulierung ἠπορεῖτο (D d) anstelle des ansonsten bezeugten (ὑπ’ αὐτοῦ) πάντα κ α ὶ διηπόρει zusammen. Unter der Annahme der Interferenz der beiden Textüberlieferungen spricht einiges dafür, dass die vorkanonische Textgestalt in D d vorliegt. Sie ist am weitesten von der Lesart ὑπ’ αὐτοῦ πάντα καὶ διηπόρει entfernt, die daher am wahrscheinlichsten die kanonische, durch die lk Redaktion hergestellte Variante darstellt, während πάντα καὶ διηπόρει eine konformierende Mittelstellung einnimmt (gegen die Entscheidung in NA 27 / GNT 4 ). Ähnliches gilt für die Formulierung und Wortstellung von ἐκ νεκρῶν ἀνέστη (D c d e) gegenüber ἠγέρθη ἐκ νεκρῶν des Mehrheitstextes in *9,7 und für die Abweichungen in *9,8: D d lesen hier die Reihung in der Form ὑπό τινων … ὑπό τινων … ἄ λ λ ο ι gegenüber der grammatikalisch leichteren Fassung ὑπό τινων … ὑπό τινων … ἄ λ λ ω ν des Mehrheitstextes. Ebenso ist das undeterminierte προϕήτης τῶν ἀρχαίων (D a d e sy p.j Tat arab u. a.) den Varianten des Mehrheitstextes (προϕήτης εἷς/ τις τῶν ἀρχαίων) vorzuziehen. 2. Diese Beobachtungen geben nicht nur Hinweise für die Rekonstruktion des mutmaßlich vorkanonischen Wortlauts von *9,7f. An dieser Stelle könnten sie als Fingerzeig für den vollständig unbezeugten Vers *9,9 dienen. Denn hier ist die Textüberlieferung (abgesehen von zwei hinsichtlich der Semantik und der Bezeugung unauffälligen Varianten) 1 ganz einheitlich. Diese Einheitlichkeit ließe sich als Hinweis verstehen, dass dieser Vers im vorkanonischen Text gefehlt hat. Allerdings ist ein solches Urteil e silentio nicht wirklich brauchbar. ______________________________ 1 Artikel vor Herodes: B L Ξ Ψ f 1.13 33 579 700 892 1241 pc; ohne Artikel: א A C D W Θ M . Verstärkendes ἐγώ vor ἀκούω: A C 2 D W Θ Ψ f 1.13 33 lat sy h M ; ohne ἐγώ: P 75 א B C* vid L Ξ 565 579 892 pc e f l. Die Varianten sind semantisch unauffällig und als Stilvarianten zu werten. Vor allem verteilen sie sich in einer Weise über die gesamte Handschriftenüberlieferung, die der für die Beobachtung der Interferenz typischen Verteilung auf die »Westlichen« Handschriften gerade nicht entspricht. Sie sind daher nicht als Ausdruck konkurrierender Textformen zu werten. 734 Anhang I 9,7-9 Auch innere Gesichtspunkte helfen nicht wirklich weiter. Stellt man in Rechnung, dass die betonte Stellung des Herodes zu Beginn das Ganze zu einer Herodesgeschichte macht, wäre ein entsprechender Abschluss wie in *9,9ab (εἶπεν δὲ Ἡρῴδης, Ἰωάννην ἐγὼ ἀπεκεϕάλισα· τίς δέ ἐστιν οὗτος περὶ οὗ ἀκούω τοιαῦτα; ) sinnvoll, die abschließende Notiz *9,9c καὶ ἐζήτει ἰδεῖν αὐτόν wäre dagegen verzichtbar. Der nächste wichtige »Herodestext« mit der Warnung der Pharisäer vor »Herodes dem Fuchs« (Lk 13,31f) hat in *Ev sicher gefehlt (s. dort). Er ist durch die lk Redaktion ergänzt und zeigt das Interesse des Lk an Herodes, ganz passend zu den anderen Hinweisen auf Personen der Zeitgeschichte, die auch für die literarische Anlage von Act wichtig sind. Dagegen ist die eigenartige Beteiligung des Herodes am Prozess Jesu mit dem Hinweis auf seine Freude, Jesus zu sehen, gut für *Ev bezeugt (*23,8a; s. dort); unbezeugt ist jedoch der ausdrückliche Rückverweis auf *9,9, dass Herodes Jesus ἐξ ἱκανῶν χρόνων habe sehen wollen (23,8b; s. dort). Aber auch diese Beobachtung ist, für sich genommen, nicht aussagekräftig, weil diese kohärenzstiftende Entsprechung ebenso gut auf *Ev wie auf die lk Redaktion zurückgehen könnte. 3. Damit bleiben am Ende überlieferungsgeschichtliche Erwägungen, die einige Einsichten wahrscheinlich machen können. a. Die mk Akoluthie folgt *Ev: Sein Bericht über die Verwunderung des Herodes (Mk 6,14-16 || *9,7-9) ist die Reaktion auf die Aussendung der Zwölf (Mk 6,7-13 || *9,1-6). Die Umstellung des Stücks in Mt 14,1f ist Folge der mt Redaktion, die aber immerhin noch (wie in *Ev -Mk) die Nähe der Perikope zum vorangehenden Bericht über die Ablehnung Jesu in seiner Vaterstadt (Mk 6,1-6a || Mt 13,54-58) erkennen lässt. b. Wenn Mk als erster Bearbeiter von *Ev verstanden wird, löst sich ein berüchtigtes »Minor Agreement«, das für die Zwei-Quellentheorie besondere Schwierigkeiten aufwirft: Lk 9,7 || Mt 14,1 lesen Ἡρῴδης ὁ τ ε τ ρ α ά ρ χ η ς anstelle von ὁ β α σ ι λ ε ὺ ς Ἡρῴδης in Mk 6,14. In diesem Fall ist die (ohnehin vorausgesetzte) Abhängigkeit des Mt von Mk noch klar erkennbar, weil er den »König« historisch korrekt zum Tetrarchen macht. In dem folgenden Bericht über die Enthauptung des Täufers (Mt 14,3-12 || Mk 6,17-29), dessen erzählerische Details Mt wie so oft gegenüber Mk ausdünnt, hat er die Notwendigkeit zu dieser Korrektur allerdings aus den Augen verloren: Er folgt versehentlich dem mk ὁ βασιλεύς (Mk 6,26 || Mt 14,9). 2 Lk, der ja auch sonst ein Auge für historisierende Details hat, benennt die Mitglieder der herodianischen Dynastie dagegen immer korrekt: Herodes d. Gr. ist genauso »König« (Lk 1,5) wie Herodes Agrippa (Act 12,1). Dagegen bezeichnet er Herodes Antipas konsequent als Tetrarchen (Lk 3,1.19; 9,7), nie als ______________________________ 2 Das ist ein typisches Beispiel für redaktionelle Nachlässigkeit, vgl. M. S. G OODACRE , Fatigue in the Synoptics, NTS 44 (1998), 45-58: 46. 9,7-9 Rekonstruktion 735 König; nicht zufällig finden sich alle historisch korrekten Bezeichnungen in eindeutig redaktionellen Passagen. Es spricht daher einiges dafür, dass auch ὁ τετραάρχης erst auf die lk Redaktion zurückgeht. In diesem Fall hätte Mk 6,14 ὁ β α σ ι λ ε ὺ ς Ἡρῴδης aus *Ev bewahrt. Diese Überlegung liegt der Rekonstruktion des Textes zugrunde. c. Im Urteil des Herodes über Jesus (Mt 14,2 || Mk 6,16 || Lk 9,9) gibt es jeweils Elemente, in denen Mk sowohl mit Mt als auch mit Lk gegen den jeweils anderen übereinstimmt. (Dies ist im Übrigen ein häufiges Phänomen, das im Rahmen der Zwei-Quellentheorie allerdings nur selten gewürdigt wird.) So fehlt bei Mt der Hinweis ἐγὼ ἀπεκεϕάλισα aus Mk 6,16 || Lk 9,9. Dabei ist weniger die mt Fassung aufschlussreich als die mk. Denn Mt folgt Mk ja darin, dass er im Anschluss den Bericht vom Tod des Täufers nachträgt. Der ausdrückliche mk Hinweis ἐγὼ ἀπεκεϕάλισα Ἰωάννην ist im Gesamtzusammenhang eher unglücklich und zumindest überflüssig. In der lk Fassung konstituiert Ἰωάννην ἐγὼ ἀπεκεϕάλισα dagegen eine problematische erzählerische Leerstelle, weil es den entsprechenden Bericht über den Tod des Täufers nicht gibt. Es liegt von daher nahe, dass die Notiz Ἰωάννην ἐγὼ ἀπεκεϕάλισα bereits in *Ev stand: Mk hat sie übernommen, sie durch den nachgeschobenen Bericht untersetzt und auf diese Weise die etwas unschöne Doppelung geschaffen; Mt hat diesen Bericht übernommen und konnte daher die Notiz weglassen. In Mk/ Mt deutet der Hinweis auf die Enthauptung des Johannes die erschreckende Selbsterkenntnis des Mörders an, der mit seiner Tat konfrontiert wird. Wie der nachgetragene Bericht vom Tod des Täufers mit der Notiz von des Königs »Betrübung« deutlich macht (Mk 6,26 || Mt 14,9! ), ist dies Ausdruck des mk Gestaltungswillens. Das dafür notwendige Stichwort lieferte der Hinweis auf die Auferstehung des Johannes, der für *Ev wahrscheinlich gemacht wurde (*9,7 Ἰωάννης ἐκ νεκρῶν ἀνέστη; s. o.). Im Unterschied zu Mk/ Mt drückt die Notiz bei *Ev/ Lk jedoch nicht das Erschrecken, sondern die Ratlosigkeit des Herodes aus, der gerade erst einen »Propheten« beseitigt hatte und nun schon mit dem nächsten konfrontiert wird. Diese Haltung wird direkt erwähnt (*9,7: ἠπορεῖτο). Die abschließende Frage drückt daher eher hilfloses Unverständnis als neugieriges Interesse aus: τίς δέ ἐστιν οὗτος περὶ οὗ ἀκούω τοιαῦτα; d. *9,9a.b passt daher sehr gut sowohl in das narrative Profil der Perikope als auch in die angenommene Überlieferungsgeschichte. Schwierig ist nach diesem Verständnis aber Herodes’ Wunsch, Jesus zu sehen (9,9c: καὶ ἐζήτει ἰδεῖν αὐτόν): Der narrative Duktus impliziert nicht Herodes’ Interesse an Jesus, sondern seine Ratlosigkeit angesichts des »Propheten«. Auf der anderen Seite rekurriert ἦν γὰρ ἐξ ἱκανῶν χρόνων θέλων ἰδεῖν αὐτὸν διὰ τὸ ἀκούειν περὶ αὐτοῦ (23,8b; s. dort) sehr genau auf *9,9c. Damit bleiben folgende Möglichkeiten: (a) Beide Stellen gehören auf einer Ebene zusammen und bilden eine Kohärenzklammer. Diese könnte schon in *Ev vorhanden gewesen sein, aber es ist auch möglich, dass diese Kohärenz (b) erst durch die lk Redaktion geschaffen wurde. Denkbar ist schließlich (c), dass eine der beiden Notizen über Herodes’ Interesse an Jesus aufgrund der anderen geschaffen wurde. Da auch 23,8b unbezeugt ist, würde in diesem Fall die »Ergänzungsrichtung« offen bleiben; aufgrund der Doppelung von *23,8a (ἰδὼν 736 Anhang I 9,7-9 … ἐχάρη λίαν) und 23,8b (θέλων ἰδεῖν αὐτόν) legt sich jedoch nahe, dass 23,8b mit dem ausdrücklichen Verweis, dass Herodes diesen Wunsch schon ἐξ ἱκανῶν χρόνων gehegt hatte, gezielt als Kohärenzsignal auf 9,9c (καὶ ἐζήτει ἰδεῖν αὐτόν) geschaffen wurde. Über die Ursprünglichkeit dieser Aussage ist damit jedoch nichts entschieden: Da es keine weiteren text- oder überlieferungsgeschichtlichen Hinweise gibt, die diese Frage klären könnten, muss es bei einem non liquet bleiben. *9,10-17: Rückkehr der Apostel und Speisung der Fünftausend Nur teilweise bezeugt, aber vermutlich vollständig in *Ev vorhanden. Durch die lk Redaktion geringfügig bearbeitet. 9,10 Καὶ ὑποστρέψαντες οἱ ἀπόστολοι διηγήσαντο αὐτῷ ὅσα ἐποίησαν. καὶ παραλαβὼν αὐτοὺς ὑπεχώρησεν κατ’ ἰδίαν a εἰς τόπον ἔρημον ὃν καλοῦμενον Βηθσαϊδά a . 11 οἱ δὲ ὄχλοι γνόντες ἠκολούθησαν αὐτῷ. καὶ ἀποδεξάμενος αὐτοὺς ἐλάλει αὐτοῖς περὶ τῆς βασιλείας τοῦ θεοῦ, καὶ τοὺς χρείαν ἔχοντας θεραπείας b αὐτοῦ πάντας b ἰᾶτο. 12 Ἡ δὲ ἡμέρα ἤρξατο κλίνειν· προσελθόντες δὲ οἱ δώδεκα εἶπαν αὐτῷ, Ἀπόλυσον c τοὺς ὄχλους c , ἵνα πορευθέντες εἰς τὰς κύκλῳ κώμας καὶ ἀγροὺς καταλύσωσιν d [ καὶ εὕρωσιν ἐπισιτισμόν ] d , ὅτι ὧδε ἐν ἐρήμῳ τόπῳ ἐσμέν. 13 εἶπεν δὲ πρὸς αὐτούς, Δότε αὐτοῖς ὑμεῖς ϕαγεῖν. οἱ δὲ εἶπαν, Οὐκ εἰσὶν ἡμῖν πλεῖον ἢ e πέντε ἄρτοι e καὶ f δύο ἰχθύες f , εἰ μήτι πορευθέντες ἡμεῖς ἀγοράσωμεν εἰς πάντα τὸν λαὸν τοῦτον βρώματα. 14 ἦσαν γὰρ ὡσεὶ ἄνδρες πεντακισχίλιοι. εἶπεν δὲ πρὸς τοὺς μαθητὰς αὐτοῦ, Κατακλίνατε αὐτοὺς κλισίας ὡσεὶ ἀνὰ πεντήκοντα. 15 καὶ ἐποίησαν οὕτως g [ καὶ κατέκλιναν ἅπαντας ] g . 16 λαβὼν δὲ τοὺς πέντε ἄρτους καὶ τοὺς δύο ἰχθύας ἀναβλέψας εἰς τὸν οὐρανὸν h προσηύξατο καὶ h i †εὐλόγησεν† k ἐπ’ αὐτοὺς l [ καὶ κατέκλασεν ] l καὶ ἐδίδου τοῖς μαθηταῖς παραθεῖναι τῷ ὄχλῳ. 17 καὶ ἔϕαγον καὶ ἐχορτάσθησαν πάντες, καὶ ἤρθη τὸ m περίσσευμα n τῶν κλασμάτων κόϕινοι δώδεκα. A. *9,12-17: Tert. 4,21,2-4: Pascit populum in solitudine, de pristino scilicet more. (3) Aut si non eadem et maiestas, ergo iam minor est creatore, qui non uno die sed annis quadraginta, nec de inferioribus materiis panis et piscis sed de manna caelesti, nec quinque circiter sed sexcenta milia hominum protelavit. (4) Adeo autem ea fuit maiestas ut et pabuli exiguitatem non tantum sufficere, veram etiam exuberare de pristino voluerit exemplo. ♦ *9,16: Epiph., Schol. 15: ἀναβλέψας εἰς τὸν οὐρανὸν εὐλόγησεν ἐπ’ αὐτούς. ¦ Adam. 2,20 (870d): ἐὰν δὲ καὶ τὸ ἐν τῷ εὐαγγελίῳ γεγραμμένον ἀναγνῶσιν ὅτι ὁ κύριος ἀναβλέψας εἰς τὸν οὐρανὸν εὐχαριστεῖ. ♦ *9,17: Tert. 4,21,4: adeo autem ea fuit maiestas ut et pabuli exiguitatem non tantum sufficere, veram etiam exuberare de pristino voluerit exemplo. B. a (9,10) εις τοπον ερημον ον καλουμενον Βηθσαιδα/ in locum desertum quod est (dicitur: f; vocabatur: a; appelatur: e) Bethsaida: a aur b c f ſſ 2 l q ¦ εις τοπον ερημον (ερημον τοπον: A f 13 ) 9,10-17 Rekonstruktion 737 πολεως καλουμενης Βηθσαιδα: A C W Ξ mg f (1).13 sy (p).h M ¦ εις κωμην λεγομενην Βηδσαιδα/ in castellum quod est B.: D d ¦ εις ερημον τοπον (p) Mk 6,31 || Mt 14,13): א * .2 1241 sy c bo mss ¦ εις κωμην καλουμενην Βηθσαιδα εις τοπον ερημον: Θ r 1 ¦ εις τοπον καλουμενον Βηθσαιδα: Ψ ¦ εις πολιν καλουμενην Βηθσαιδα: P 75 א 1 B L Ξ* 33 2542 pc (sy s ) co ¦ om 1010 ● b (9,11) αυτου παντας/ eius omnes: D d ¦ om it M (*Ev non test.) ● c (9,12) τους οχλους/ turbas: P 75 א 2 565 1424 pc aur c d ſſ 2 vg sy s.c.p sa mss bo ¦ τον οχλον/ turbam: D a b e f (l: turba) q r 1 M (*Ev non test.) ● d (9,12) και ευρωσιν επισιτισμον: om D d ¦ add a aur b c e f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● e (9,13) πεντε αρτοι/ quinque panes: א 2 A D L (W) Θ Ξ Ψ f 1.13 33 it sy h M ¦ αρτοι πεντε: א * B 579 pc (*Ev non test.) ● f (9,13) δυο ιχθυες/ duo(s) pisces: D L N Ξ Ψ 33 892 1241 1424 2542 pc aur b c d e f ſſ 2 l q sy h r 1 ¦ ιχθυες δυο/ pisces duo: a M (*Ev non test.) ● g (9,15) και κατεκλιναν απαντας/ et discubuerunt (discumbere/ recumbere fecerunt) omnes: om D X 213 d ¦ add a aur b c e f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● h (9,16) προσηυξατο και/ oravit et: add D d ¦ om a aur b c e f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● i (9,16) Widersprüchliche Bezeugung: (1) ευλογησεν: Epiph M it ¦ (2) ευχαριστει: Adam ● k (9,16) επ/ super: add Epiph D a b d f ſſ 2 g 1 l q r 1 sy c.s ¦ om aur c e vg M ● l (9,16) και κατεκλασεν/ et (con)fregit: om D ℓ1056 d q ¦ add a aur b c e f ſſ 2 g 1 l q r 1 M (*Ev non test.) ● m (9,17) περισσευμα: D W 5 13 69 346 543 788 826 828 983 ¦ περισσευσαν/ περισσευματα/ περισσευσαντα/ περισσυεον M ● n (9,17) των: א D d e ¦ αυτοις των: W ¦ αυτων: W 579 ¦ αυτοις/ illis (eis): a aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.). C. Tertullian verarbeitet in seinem Referat der Speisungserzählung nur einzelne Stichworte, Epiphanius zitiert nur wenige Worte aus *9,16, das Zitat aus dem zweiten Adam.-Dialog ist umstritten (s. u.).Von der Einleitung der Perikope lassen sich die Mitteilung über die Rückkehr der Apostel und die summarische Notiz über Jesu Lehre nur indirekt aus Tertullians Erwähnung der solitudo erschließen. Da beide Aspekte für den Übergang von *9,1-6 zu *9,12-17 aus Gründen der narrativen Logik notwendig sind, spricht alles dafür, dass Tertullian die Einleitung in seinem Referat übergangen und sich auf die wesentlichen Stichworte der Speisungserzählung konzentriert hat. Die Speisungserzählung ist nicht in allen Einzelheiten, wohl aber im Gerüst und in den wichtigen Stichworten gut bezeugt: Einsamer Ort, etwa 5000 Menschen, Brote und Fische, Dankgebet Jesu sowie der Überfluss der Speisen. 1 Epiphanius bezeugt aus dogmatischem Interesse den Gebetsgestus *9,16 und versteht das »Aufheben der Augen« als antidoketisches Argument (Elench. 15). Obwohl der umfangreiche Text nur geringfügig bezeugt ist, war er vermutlich komplett in *Ev vorhanden und wurde durch die lk Redaktion nur geringfügig bearbeitet. 1. Dies wird zunächst an einigen Lesarten der kanonischen Textüberlieferung deutlich, die auf die Interferenzen mit der Überlieferung von *Ev zurückzuführen sind. Aus diesem Grund sind in der Rekonstruktion die Lesarten auch für Passagen eingetragen, für die es keine direkte Bezeugung gibt. Manche dieser Änderungen sind völlig unauffällig, andere lassen ein Bearbeitungsinteresse erkennen, ohne ______________________________ 1 Tertullian verwendet exuberare anstelle von superesse in Vg. 738 Anhang I 9,10-17 dass hier dogmatisch intendierte Änderungen erkennbar wären, z. B. der Zusatz in *9,12 (καὶ εὕρωσιν ἐπισιτισμόν) oder die Notiz von der Lagerung der Menge in *9,15 (καὶ κατέκλιναν ἅπαντας). Von größerem Interesse ist nur die uneinheitliche Lokalisierung des Geschehens in der Einleitung *9,10. Die ausgesprochen disparate Überlieferung kreist um die Angaben »an einen einsamen Ort« und »in die Stadt (das Dorf) mit Namen Bethsaida«. Verschiedene Zuordnungen sind bezeugt. 1. Die auch in Mk 6,31 || Mt 14,13 belegte Angabe εἰς τόπον ἔρημον bzw. εἰς ἔρημον τόπον: א * .2 1241 sy c bo mss . 2. Die Erwähnung des Dorfes bzw. der Stadt mit Namen Bethsaida: εἰς κώμην λεγομένην Βηδσαϊδά (D d) bzw. εἰς πόλιν καλουμένην Βηθσαϊδά ( P 75 א 1 B L Ξ* 33 2542 pc sy s co). Daneben gibt es verschiedene Kombinationen; sie setzen entweder voraus, 3. dass der Name des »einsamen Ortes« Bethsaida war (so die Mehrheit der Altlateiner: a aur b c f ſſ 2 l q) oder 4. dass der einsame Ort eine Stadt namens B. war (so A C W Ξ mg f (1).13 sy (p).h M ) oder 5. dass es in dem Dorf B. einen einsamen Ort gab (Θ r 1 ) oder 6. dass einfach von einem »Ort namens B.« die Rede war (Ψ), wenn sie nicht 7. die ganze Phrase auslassen (1010 [579]). Da die Kombinationen (3-6) alle Züge einer Konflation tragen, ist man geneigt, eine der beiden Einzellösungen (1, 2) für ursprünglich zu halten. Da der ἔρημος τόπος für den Fortgang der Erzählung von Bedeutung ist und direkt erwähnt wird (*9,12), weisen innere Gründe am ehesten auf Möglichkeit (2) als ursprünglichen Text hin (diese Überlegung lag offensichtlich der Entscheidung der Herausgeber von NA 27 / GNT 4 zugrunde): Ursprünglich würde nur die Stadt/ das Dorf B. erwähnt (2), der »einsame Ort« wäre sekundär entweder aus der Erzählung selbst oder aus den synoptischen Parallelen in die Lokalisierung der Einleitung eingedrungen und hätte auf diese Weise verschiedene Konformierungen verursacht (3-6) oder sogar die ursprüngliche Lokalisierung gänzlich verdrängt (1). Auch wenn diese Lösung (zumal im Horizont der Zwei-Quellentheorie) für den Lk- Text einleuchtet, ist das Problem für *Ev komplexer, weil aufgrund des veränderten überlieferungsgeschichtlichen Konzeptes ein Einfluss der synoptischen Parallelen sehr unwahrscheinlich ist. Die Lokalisierung des Geschehens in Bethsaida (Lk 9,10) stammt demnach nicht aus Mk 8,21. Vielmehr geht umgekehrt die Erwähnung von Bethsaida in Mk 6,45; 8,21 auf die Lokalisierung in *9,10 zurück. Mk hat diese Lokalisierung aufgegriffen und sie in seine eigenartige (und redaktionell beabsichtigte! ) Konstruktion eingebaut, 2 dass Jesus in Mk 6,45 den Jüngern die Überfahrt nach Bethsaida aufträgt, diese aber zunächst in Genezareth ankommen (Mk 7,53), Bethsaida dagegen erst in 8,21 erreichen. Die Erwähnung von Bethsaida wird daher ursprünglich in *9,10 gestanden haben. Auf der anderen Seite ist schwer ______________________________ 2 M. K LINGHARDT , Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19 (2002), 183-202: 199f. 9,10-17 Rekonstruktion 739 vorstellbar, dass der »einsame Ort« ausschließlich aus der Angabe in *9,12 in die Einleitung *9,10 eingedrungen sein sollte: Vor allem die Lesart, die nur den ἔρημος τόπος erwähnt (1), ist auf diese Weise kaum erklärbar, abgesehen davon, dass Tertullian die solitudo bereits in seiner einleitenden Bemerkung erwähnt. Es liegt daher nahe, dass der älteste Text das Nebeneinander beider Angaben enthielt, also wie in (3) oder (4): Ein einsamer Ort namens Bethsaida.3 Dieses Nebeneinander ist nicht unproblematisch; es läge näher zu sagen, dass ein Ort (τόπος) entweder einsam oder (als Dorf oder als Stadt) besiedelt ist. Diese Überlegung liegt den Varianten (1) und (2) zugrunde, die dieses problematische Nebeneinander durch die Auslassung jeweils einer der beiden Bestimmungen lösen. (5) und (6) suchen dagegen andere Wege des Ausgleichs bzw. der Milderung. Mk hat diese Doppelung ähnlich aufgelöst wie D d: Der ἔρημος τόπος passt zum Erzählgefälle, aber die Stadt Bethsaida ist bei ihm nicht völlig verschwunden; er hat sie als Zielangabe in Mk 6,45 und dann als Ort der ersten Blindenheilung (Mk 8,26) übernommen. 2. Die geringfügige Variante, die Epiphanius für den Text von *Ev mitteilt (εὐλόγησεν ἐ π’ αὐτούς statt εὐλόγησεν αὐτούς) ist auch in der kanonischen Handschriftenüberlieferung bezeugt, charakteristischerweise durch die Hauptzeugen des sog. »Westlichen Textes« (Epiph D a b d f ſſ 2 g 1 l q r 1 sy c.s ), die auch sonst häufig die Interferenz von kanonischer und vorkanonischer Überlieferung belegen. Damit ist der Versuch obsolet, den Text von *Ev als dogmatisch bedingte Änderung zu verstehen: Die Einfügung der Präposition habe die Funktion, die unmittelbare Verbindung von Verb und Objekt zu trennen, so dass die Brote aufhörten, »Geschöpf zu sein und durch die erfreuliche Kraft Gottes in etwas den Marcioniten Annehmbares verändert werden.« 4 Das ist sehr weit hergeholt. Auch kann die Vermutung ausgeschlossen werden, die fragliche Formulierung sei »möglicherweise ein Terminus Technicus beim Kultmahl der Kirche Marcions«. 5 Tatsächlich ist der semantische Unterschied zwischen beiden Lesarten bestenfalls marginal und zu vernachlässigen, weil beide den gleichen Gebetsgestus einmal etwas ausführlicher (»er sprach den Segen über sie«), das andere Mal etwas knapper (»er segnete sie«) zur Sprache bringen. Dies wird vor allem in der (hier in der Rekonstruktion bevorzugten) Lesart von D d deutlich: Das Nebeneinander προσηύξατο καὶ εὐλόγησεν ἐπ’ αὐτούς entspricht dem weit verbreiteten Brauch, ______________________________ 3 Ob diese Bezeichnung im Sinn einer Lokaltradition in kritischer Perspektive intendiert, lässt sich nicht sagen. Zur historischen Geographie und Archäologie vgl. Jos., Ant. XVIII 28 (Ausbau von Bethsaida durch Herodes Philippus mit dem Namen »Iulias«) sowie R. A RAV , R. A. F REUND (eds.), Bethsaida 1-4, Kirksville (MO) 1995-2009 (mit Lit.). 4 T SUTSUI 90f. 5 A. a. O. 91. 740 Anhang I 9,10-17 dass das Mahleingangsgebet als Segen über dem Brot gesprochen wird: Dies ist mit Sicherheit keine Besonderheit der marcionitischen Mahlpraxis. 6 Etwas schwieriger ist, dass Adam. εὐχαριστεῖ anstelle von εὐλόγησεν (ἐπ’) αὐτούς bezeugt. Damit steht er völlig allein, denn alle Handschriften bieten εὐλόγησεν o. ä. Obwohl alle Rekonstruktionen vermutlich zu Recht dem Epiphanius-Text folgen (εὐλόγησεν), haben sie Schwierigkeiten, das Adamantiuszeugnis zu erklären. Während Harnack es durch eine »späte Lesart« erklärt, spielt Zahn, dem Tsutsui folgt, seine Zuverlässigkeit herunter. 7 Obwohl alle Argumente problematisch sind, haben sie vermutlich das Richtige getroffen: Adamantius inferiert εὐχαριστεῖ aus dem ihm bekannten christlichen Sprachgebrauch, in dem εὐλογεῖν schon längst durch εὐχαριστεῖν ersetzt war. An dieser Stelle beruht die uneinheitliche Bezeugung also auf einer Ungenauigkeit des Adamantius-Dialogs, und nicht auf dem sonst häufig zu beobachtenden Phänomen der sukzessiven Anpassung des Wortlauts von *Ev an den des kanonischen Lk. Die anzunehmende Veränderung des Sprachgebrauchs gehört nicht zu dem, was zwischen den Marcioniten und den Häresiologen strittig war. Tatsächlich gab es wenig, was Marcion nach der für ihn angenommenen Theologie an diesem Text hätte beanstanden können, wie Tertullians Behandlung zeigt: Er weist an dieser Stelle nur auf die Entsprechungen zwischen *9,12-17 und 2Kön 4,42-44 hin (geringe Menge an Nahrung - viele Esser; Nahrung austeilen; essen; übriggebliebene Reste) und folgert, dass sogar in neuen Dingen Christus der alte sei: O Christum et in novis veterem! (4,21,5). 3. Die wichtigste Konsequenz aus der Bezeugung dieser Perikope für *Ev bezieht sich auf die Überlieferungsgeschichte, die hier noch komplexere Probleme aufwirft als sonst: Neben die (ohnehin problematischen) mt-lk »Minor Agreements« treten hier die unübersehbaren Entsprechungen in Joh 6. a. Für die klassischen mt-lk Übereinstimmungen gegen Mk sind beispielsweise zu nennen: ὑπεχώρησεν Lk 9,10 || ἀνεχώρησεν Mt 14,13 ≠ ἀπῆλθον Mk 6,32. - καὶ εἶδον αὐτοὺς ὑπάγοντας καὶ ἐπέγνωσαν Mk 6,33a ÷ Lk 9,10b || Mt 14,13. - οἱ δὲ ὄχλοι … ἠκολούθησαν αὐτῷ Lk 9,11a || Mt 14,13 ≠ πολλοί … συνέδραμον ἐκεῖ καὶ προῆλθον αὐτούς Mk 6,33. - ὅτι ἦσαν ὡς πρόβατα μὴ ἔχοντα ποιμένα Mk 6,34c ÷ Lk 9,11 || Mt 14,14. - ὄχλος Lk 9,12c.16d || Mt 14,15d.19d ≠ αὐτοί Mk 6,36a.41d. - ϕάγωσιν Mk 6,36c ÷ Lk 9,12e || Mt 14,15e. - ἀπελθόντες ἀγοράσωμεν δηναρίων ______________________________ 6 Vgl. dazu M. K LINGHARDT , Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft, Tübingen 1996, 58ff; DERS ., Der vergossene Becher. Ritual und Gemeinschaft im lukanischen Mahlbericht, EC 3 (2012), 33-58. 7 H ARNACK 200* rekonstruiert εὐλόγησεν ἐπ’ αὐτούς und setzt erläuternd dazu »(spätere LA εὐχαριστεῖ)« - aber diese »Lesart« ist völlig unbezeugt. Z AHN II 466 bemängelt, dass das Zitat »nicht als wörtlich genaues« ausgewiesen sei; aber das sind die Zitate bei Adamantius fast nie. Ähnlich argumentiert Tsutsui, der die unmittelbare Weiterführung mit dem Hinweis auf λαβὼν δὲ ἄρτον καὶ ποτήριον καὶ εὐλγήσας … 22,17.19 registriert und daraus folgert, dass an beiden Stellen »die Verben εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν regelrecht vertauscht« seien, was »jedoch bei einem freien Zitat unerheblich« sei (K. T SUTSUI , Die Auseinandersetzung mit den Markioniten im Adamantios-Dialog, Berlin - New York 2004, 287). R OTH 368 schränkt ein, dass »it is not clear that the Adamantius Dialogue is here reflecting Marcion’s text«, obwohl ja doch genau dies die Grundlage des Verfahrens ist. 9,10-17 Rekonstruktion 741 διακοσίων ἄρτους καὶ δώσομεν αὐτοῖς ϕαγεῖν; ὁ δὲ λέγει αὐτοῖς, Πόσους ἄρτους ἔχετε; ὑπάγετε ἴδετε. καὶ γνόντες λέγουσιν Mk 6,37c-38c ÷ Lk 9,13 || Mt 14,16. - βρώματα Lk 9,13e || Mt 14,15e ≠ ἄρτους Mk 6,37d. - ὡσεὶ (ἄνδρες πεντακισχίλιοι) Lk 9,14a || Mt 14,21 ÷ Mk 6,44. - συμπόσια συμπόσια Mk 6,39 ÷ Lk 9,14 || Mt 14,19. - (κατέκλασεν) τοὺς ἄρτους Mk 6,41c ÷ Lk 9,16c || Mt 14,19c. - καὶ ἀνέπεσαν πρασιαὶ πρασιαὶ κατὰ ἑκατὸν καὶ κατὰ πεντήκοντα Mk 6,40 ÷ Lk 9,15 || Mt 14,19. - καὶ τοὺς δύο ἰχθύας ἐμέρισεν πᾶσιν Mk 6,41d ÷ Lk 9,16 || Mt 14,19. - τὸ περισσεῦσαν τῶν κλασμάτων Lk 9,17b (τὸ περίσσευμα *9,17b) || Mt 14,20b ≠ κλάσματα Mk 6,43a. Die hohe Zahl dieser Übereinstimmung auf engem Raum 8 und ihr spezifischer Charakter machen eine unabhängige Entstehung der mt und der lk Fassung unmöglich. Dementsprechend diente die Perikope auch als Testfall für Lösungen, die nicht mit einer zufälligen Parallelentwicklung bei Mt und Lk rechnen. 9 b. Tatsächlich ist die Lage wegen der Übereinstimmungen mit Joh 6,1-15 noch komplizierter. Von den hier genannten »Minor Agreements« haben einige z. T. sehr deutliche Entsprechungen in Joh, die ihrerseits unterschiedliche Beziehungen zu den synoptischen Texten aufweisen: 1. Dabei gibt es mk-joh Übereinstimmungen gegen Mt-Lk/ *Ev: So hat die Aufforderung der Jünger, die Leute sollten gehen und sich kaufen τί ϕάγωσιν Mk 6,36c eine Entsprechung in Joh 6,5d (ἵνα ϕάγωσιν οὗτοι), die in Lk 9,12e || Mt 14,15e keine Entsprechung hat: Mt hat (ἀγοράσωσιν ἑαυτοῖς) βρώματα, Lk 9,12 bietet den gewählten Ausdruck (καὶ εὕρωσιν) ἐπισιτισμόν, der nach unserer Rekonstruktion in *Ev gefehlt hat. Ganz ähnlich zeigt auch Joh 6,7b mit der Erwähnung der »Brote für 200 Denare (διακοσίων δηναρίων ἄρτοι)« eine enge Berührung mit der Frage der Jünger Mk 6,37f, ob sie weggehen und δηναρίων διακοσίων ἄρτους kaufen sollten. Diese Frage ist mit durchdachter theologischer Intention von Mk hier eingefügt: Sie scheint dem zuvor entfalteten Konzept von Jüngerschaft zu widersprechen, dessen erste und wichtigste Bestimmung es ist, dass die Jünger »mit ihm sind«. 10 *Ev sowie Lk und Mt, die hier beide dem Text von *Ev folgen, haben diesen Hinweis nicht. Ebenso haben Joh 6,10d und Mk 6,40 den Hinweis des Erzählers gemein, dass sich die Menge lagerte (ἀνέπεσαν), der in Lk 9,15 || Mt 14,19 fehlt. 2. Umgekehrt gibt es jedoch auch joh Übereinstimmungen mit mt-lk Agreements gegen Mk: Joh 6,10d hat die ungefähre Mengenangabe in einer Formulierung ( ὡ ς πεντακισχίλιοι), die dem ὡ σ ε ὶ … πεντακισχίλιοι Lk 9,14a || Mt 14,21 genau entspricht, aber in Mk 6,44 kein Gegenstück besitzt. Ähnlich stimmt die Formulierung τὰ περισσεύσαντα κλάσματα (Joh 6,12c) mit τὸ περίσσευμα/ περισσεῦσαν τῶν κλασμάτων (Lk 9,17b || Mt 14,20b) gegen das einfache mk κλάσματα (Mk 6,43a) überein. 3. Um das Bild noch verwirrender zu machen, ist schließlich daran zu erinnern, dass es noch andere »Koalitionen« gibt, so z. B. die Übereinstimmung von Mt, Mk und Joh gegen *Ev/ Lk mit der Erwähnung des »Grases«, auf dem sich die Menge lagern soll (Mt 14,19 || Mk 6,39 || ______________________________ 8 B. H. S TREETER , The Four Gospels, London 1924, 313: Mk 6,30-44 par. sei »a section in which there are more minor agreements than in any other of the same length«. 9 Vgl. M.-È. B OISMARD , The Two-Source Theory at an Impasse, NTS 26 (1979-80), 1-17; A. F UCHS , Die Agreement-Redaktion von Mk 6,32-44 par Mt 14,13-21 par Lk 9,10b-17, in: ders., Spuren von Deuteromarkus III, Münster 2004, 245-271 (ähnlich E NNULAT , Minor Agreements 179, der an eine sekundäre Bearbeitung des Mk-Textes denkt, »die Mt und Lk jeweils vorgelegen hat«). Vgl. auch D. B URKETT , The Case for Proto-Mark, Tübingen 2018, 182ff. 10 Vgl. Mk 3,14: ἐποίησεν δώδεκα … ἵνα ὦ σ ι ν μ ε τ ’ α ὐ τ ο ῦ . Zum redaktionellen Konzept vgl. M. K LINGHARDT , Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19 (2002), 183-202: 193f. 742 Anhang I 9,10-17 Joh 6,10 ÷ Lk 9,14). Aber auch innerhalb der Synoptiker sind andere Konstellationen belegt, die weniger Aufmerksamkeit gefunden haben, weil sie im Horizont der Zwei-Quellentheorie weniger Schwierigkeiten verursachen, z. B. die Aufforderung zur Lagerung der Menge »in Gruppen zu 50« (Lk 9,14 || Mk 6,40 ÷ 14,19 [|| Joh 6,10]). Die Erklärung dieses komplexen Befundes sprengt die Erklärungsmöglichkeiten der Zwei-Quellentheorie: In deren Deutungshorizont bleiben daher nur entweder die Annahme, dass Mk 6,30f par. ein Gegenstück in »Q« gehabt habe (also zu den »Mk-Q Overlaps« gehörte), 11 oder die Lösung der Deuteromarkus-Theorie. Wie in den anderen Fällen der »Minor Agreements« lösen sich die Schwierigkeiten jedoch im Horizont der *Ev-Priorität ohne jedes Problem. Demnach ist *9,10-17 die gemeinsame Quelle nicht nur der drei synoptischen Fassungen, sondern auch von Joh 6. Diese Annahme hat den großen Vorteil, dass der Ursprungstext in *Ev (im Unterschied zu »Q«) immerhin bezeugt ist. In diesem Fall sind die mk Abweichungen gegenüber Mt/ Lk durchweg auf das redaktionelle Interesse des Mk zurückführbar. Dies macht dann auch die Deuteromarkusthese unwahrscheinlich. Denn in diesem Fall müsste man annehmen, dass »Deutero-Markus« genau diese für das redaktionelle Konzept von Mk wesentlichen Elemente allesamt ( versehentlich? ) beseitigt hätte: Die hier für »Deutero-Markus« anzunehmende Textgestalt wäre ein Hybrid, das alle Pointen der mk Redaktion aufgegeben hätte. *9,18-22: Bekenntnis des Petrus. Ankündigung von Leiden und Auferstehung Gut für *Ev bezeugt und sicher vorhanden, aber mit Sicherheit durch die lk Redaktion bearbeitet. 9,18 Καὶ ἐγένετο ἐν τῷ εἶναι a αὐτοὺς b [ προσευχόμενον ] b κατὰ μόνας συνῆσαν αὐτῷ οἱ μαθηταί, καὶ ἐπηρώτησεν αὐτοὺς λέγων, Τίνα με λέγουσιν c τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου c d οἱ ἄνθρωποι d e [ εἶναι ] ; 19 f λέγουσιν δὲ οἱ μαθηταί f , Ἰωάννην τὸν βαπτιστήν, ἄλλοι δὲ Ἠλίαν g ἢ ἕνα τῶν προϕητῶν. g 20 εἶπεν δὲ αὐτοῖς, ῾Υμεῖς δὲ τίνα h με λέγετε εἶναι h ; ἀποκριθεὶς δὲ Πέτρος εἶπε· i †Σὺ εἶ ὁ χριστὸς† i k ¿υἱός? l τοῦ θεοῦ l . 21 Ὁ δὲ ἐπιτιμήσας αὐτοῖς παρήγγειλεν μηδενὶ λέγειν τοῦτο, 22 εἰπὼν ὅτι Δεῖ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου πολλὰ παθεῖν m † [ καὶ ἀποδοκιμασθῆναι ἀπὸ τῶν πρεσβυτέρων καὶ γραμματέων καὶ ἀρχιερέων ] † m καὶ n †ἀποκτανθῆναι† καὶ o μετὰ τρεῖς ἡμέρας o p †ἀναστῆναι†. A. *9,18.20: Tert. 4,21,6: Haec itaque qui viderat Petrus et cum pristinis compararat, et non tantum retro facta, sed et in futurum iam tunc prophetantia recognoverat, interroganti domino quisnam illis videretur, cum pro omnibus responderet, Tu es Christus, non potest novum eum ______________________________ 11 Dazu etwa F ITZMYER , Lk I 763: »this is not impossible, but can scarcely be proved.« 9,18-22 Rekonstruktion 743 sensisse Christum, nisi quem noverat in scripturis, quem iam recensebat in factis. Hoc et ipse confirmat usque adhuc patiens, immo et silentium indicens. Si enim Petrus quidem non poterat alium eum confiteri quam creatoris, ille autem praecepit ne cui hoc dicerent, utique id noluit provulgari quod Petrus senserat. ¦ Tert. 4,22,6: Ceterum si sic nescit quasi errans, eo quod putaret illorum esse Christum, ergo iam constat et supra Petrum interrogatum a Christo quem se existimarent, ut de creatoris dixisse, Tu es Christus; quia si tunc alterius dei illum cognovisset, hic quoque non errasset. ♦ *9,18-20: Adam. 2,13 (829c/ d): τίνα με λέγουσιν οἱ ἄνθρωποι τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου; λέγουσιν δὲ οἱ μαθηταί· Ἰωάννην τὸν βαπτιστήν, ἄλλοι δὲ Ἠλίαν, ἄλλοι δὲ ὅτι προϕήτης τις τῶν ἀρχαίων ἀνέστη. εἶπε δὲ αὐτοῖς· ὑμεῖς δὲ τίνα; ἀποκριθεὶς δὲ Πέτρος εἶπε· τὸν Χριστόν. ♦ *9,21: Tert. 4,21,6: … ille autem praecepit ne cui hoc dicerent, utique id noluit provulgari quod Petrus senserat. ♦ *9,22: Tert. 4,21,7: sed aliam silentii causam dixit, quia oportet filium hominis multa pati, et reprobari a presbyteris et scribis et sacerdotibus, et interfici, et post tertium diem resurgere. ¦ Epiph., Schol. 16: λέγων, Δεῖ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου πολλὰ παθεῖν καὶ ἀποκτανθῆναι καὶ μετὰ τρεῖς ἡμέρας ἐγερθῆναι. ¦ Adam. 5,12 (857c): … δεῖ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου πολλὰ παθεῖν καὶ ἀποδοκιμασθῆναι ἀπὸ τῶν πρεσβυτέρων καὶ ἀρχιερέων καὶ γραμματέων καὶ σταυρωθῆναι καὶ μεθ’ ἡμέρας τρεῖς ἀναστῆναι. ¦ Vgl. Iren., Haer. 3,16,5: Oportet enim, inquit, filium hominis multa pati et reprobari et crucifigi et die tertio resurgere. B. a (9,18) αυτους: D d ¦ αυτον: a aur b c e f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● b (9,18) προσευχομενον/ orans: om D a c d e sy c ¦ add aur b f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● c (9,18) τον υιον του ανθρωπου: Adam (vgl. Mt 16,13) ¦ om it M ● d (9,18) οι ανθρωποι/ homines: (Tert) Adam A 579 1241 1424 pc e sa mss bo ¦ οι οχλοι/ turbae: P 75 א 2 C D W Θ Ψ f 13 33 a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ● e (9,18) ειναι: om Adam aeth (Bodl. 41) ¦ add: it M ● f (9,19) λεγουσιν δε οι μαθηται: Adam ¦ οι δε αποκριθεντες ειπαν it M ● g (9,19) η ενα των προϕητων/ unum ex prophetis (e: unum prophetarum): D d e (vgl. Mt 16,14 fin.) ¦ αλλοι δε οτι προϕητης τις των αρχαιων ανεστη: a aur b c f ſſ 2 l q r 1 M ● h (9,20) με λεγετε ειναι: om Adam 700 ¦ add it M ● i (9,20) Widersprüchliche Bezeugung: (1) συ ει ο χριστος/ tu es Christus: Tert f l (vgl. Mt 16,16) ¦ (2) τον χριστον/ Christum: Adam a aur b c d e ſſ 2 q r 1 M ● k (9,20) υιος (υιον)/ filius (filium): D 982 pc (a) d e f l r 1 bo ms ¦ om (Tert Adam) aur b c ſſ 2 q M ● l (9,20) του θεου: om Adam a ¦ add it M ● m (9,22) Widersprüchliche Bezeugung: αποδοκιμασθηναι απο των πρεσβυτερων και γραμματεων και αρχιερεων: (1) om Epiph ¦ (2) add αποδοκιμασθηναι απο των πρεσβυτερων και γραμματεων και αρχιερεων: Tert sy c ; αποδοκιμασθηναι απο των αρχιερεων και πρεσβυτερων και γραμματεων: 13 69 124 213 346 543 579 788 826 828 983 ſſ 2 g 1 l q r 1 ; αποδοκιμασθηναι απο των πρεσβυτερων: 1352; αποδοκιμασθηναι απο των πρεσβυτερων και γραμματεων: ℓ1642; αποδοκιμασθηναι απο των πρεσβυτερων και αρχιερεων και γραμματεων: Adam M ● n (9,22) Widersprüchliche Bezeugung: (1) αποκτανθηναι/ interfici: Tert Epiph it M ¦ (2) σταυρωθηναι: Adam Iren (3,16,5) ● o (9,22) μετα τρεις ημερας/ post tres dies: Epiph d ſſ 2 l q; μεθ ημερας τρεις/ post dies tres: Adam D b; post triduum: c e; μετα τριτην ημεραν/ post ter[tiu]m diem: Tert a; μετα ημεραν τριτην/ post diem tertium: r 1 ¦ τη τριτη ημερα/ tertia die: aur f vg M ● p (9,22) Widersprüchliche Bezeugung: (1) αναστηναι/ resurgere: Tert Adam A C D K Π mult it Athan (Incarn. 2,12; PG 26, 1152) Chrys (Trin. 2; PG 48, 1092) Orig (Engast. 7; GCS 6, 291) ¦ (2) εγερθηναι: Epiph M . C. Der gesamte Zusammenhang ist gut bezeugt, inhaltlich sind alle Aussagen bereits in *Ev enthalten. Die genauen Formulierungen weichen allerdings in etlichen Fällen deutlich vom kanonischen Wortlaut ab und belegen die lk Bearbeitung. 744 Anhang I 9,18-22 1. Für *9,18 sind gleich mehrere Varianten zu notieren, die jeweils sehr unterschiedlich bezeugt sind: a. Die Formulierung der Einleitung *9,18a ist in einigen Handschriften anders überliefert als im Mehrheitstext. Nach einigen Zeugen, die sich wiederholt als anfällig für die Interferenz der kanonischen und der vorkanonischen Überlieferung erwiesen haben (D a c d e sy c ), fehlt im kanonischen Text der Hinweis auf das Gebet Jesu (προσευχόμενον), der sehr gut zur sonstigen lk Theologie passt und deswegen am ehesten auf lk Redaktion zurückgeht. Die Änderung der vor allem durch D d bezeugten Lesart ist auch aus syntaktischen Gründen wahrscheinlich, weil das Nebeneinander von ε ἶ ν α ι αυτοὺς κατὰ μόνας und σ υ ν ῆ σ α ν αὐτῷ οἱ μαθηταί hart ist. Lk hat diese Härte dadurch beseitigt, dass er die Zeitangabe nur für Jesus formuliert, der »betend für sich allein« war, und dann »die Jünger bei ihm sein« lässt. Auch wenn diese beiden zusammengehörigen Varianten nicht direkt für *Ev bezeugt sind, spricht einiges dafür, dass der D-Text die ursprüngliche Formulierung wiedergibt. Mk und in seinem Gefolge Mt haben die Einleitung von *Ev geändert und die Frage Jesu an die Jünger auf den Weg in die Gegend von Caesarea Philippi verlegt (Mk 8,27 || Mt 16,13) und dafür die Erwähnung des Alleinseins ersatzlos gestrichen. b. Aufschlussreich ist auch die Formulierung der Frage Jesu *9,18: Während Tertullian den kanonischen Wortlaut (τίνα μ ε λέγουσιν) gelesen zu haben scheint (4,21,6: quisnam illis videretur; 4,22,6: quem se existimarent), hat Adamantius einen doppelten (eigentlich: dreifachen) Akkusativ: τίνα μ ε λέγουσιν οἱ ἄνθρωποι τ ὸ ν υ ἱ ὸ ν τ ο ῦ ἀ ν θ ρ ώ π ο υ . Diese syntaktisch komplizierte Fassung versteht τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου als Näherbestimmung zu με: »mich, nämlich den Menschensohn.« Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass dies eine Konflation der mk/ lk Fassung (με) und der mt (τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου) sei. Allerdings ist auch Mt 16,13 nicht einheitlich überliefert. NA 27 / GNT 4 bieten auf der Grundlage von א B 0281 579 700 pc c vg co Orig: τίνα λέγουσιν οἱ ἄνθρωποι εἶναι τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου. Allerdings fügen D L Θ f 1.13 33 pc it vg mss sy s.c Iren (lat) nach τίνα ein με ein, sodass eine Formulierung entsteht, die der durch Adam. für *Ev bezeugten bis auf den Infinitiv εἶναι genau entspricht. Auch ohne das überlieferungsgeschichtliche Konzept der *Ev-Priorität liegt das Urteil nahe, dass die Lesart mit με als die weniger leichte gegenüber dem von NA 27 / GNT 4 gebotenen Text ursprünglich ist. 1 Diese textkritische Entscheidung, die der Faustregel lectio difficilior probabilior entspricht, hat überlieferungsgeschichtliche Implikationen, weil Mt 16,13 v. l. normalerweise als Konflation aus Mk/ Lk (mit dem Akk. με) und Mt (mit dem Akk. τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου) verstanden wird. Aber die Lesart repräsentiert keine (sekundäre) Konflation, sondern die Spuren des vormt Textes. ______________________________ 1 So zu Recht L UZ , Mt II 452 Anm. 1. 9,18-22 Rekonstruktion 745 Durch den für *Ev bezeugten Text von *9,18b wird deutlich, dass erstens Adamantius an dieser Stelle genau referiert, und dass zweitens die mt Formulierung auf *Ev basiert. Der Umstand, dass für die vorkanonische Fassung *Mt 16,13 dieser ältere Text noch in der handschriftlichen Überlieferung auftaucht, geht auf das gleiche Phänomen der Interferenz der beiden konkurrierenden Handschriftenüberlieferungen zurück, die so oft für das Verhältnis von *Ev und Lk zu beobachten ist. Dass die vormt Lesart u. a. von den »Westlichen« Zeugen D it sy belegt ist, unterstreicht die Richtigkeit dieser Überlegung. c. Im Gefolge dieser Lösung sind die weiteren Änderungen von *9,18 leicht nachvollziehbar: Das von Adam. bezeugte οἱ ἄνθρωποι anstelle des lk οἱ ὄχλοι entspricht der mk-mt Rezeption von *Ev (οἱ ἄνθρωποι Mk 8,27 || Mt 16,13) und belegt damit einmal mehr die *Ev-Priorität: οἱ ὄχλοι ist lk Vorzugswort und lässt sich ohne weiteres auf das Konto der lk Redaktion verbuchen. Damit bleibt das Fehlen des Verbs (εἶναι) im Zeugnis des Adamantius. Da es durch eine - wenn auch nur entlegene - Handschrift gestützt wird (aeth Bodl. 41), ist man geneigt, Adamantius auch hierin zu folgen. 2 d. Die Antwort der Jünger mit den Identifizierungsangeboten der »Menschen« (*9,19) ist durch Adamantius mit demselben Wortlaut wie im kanonischen Text bezeugt. Die Variante ἕνα τῶν προϕητῶν (D it) anstelle des kanonischen ὅτι προϕήτης τις τῶν ἀρχαίων ἀνέστη wird wiederum durch Mt 16,14 gestützt. Die Annahme, dass Mt hier *Ev folgte, ist sehr viel einfacher als die Vorstellung, dass die Kopisten ohne erkennbaren Anlass anstelle der kanonischen Lk-Formulierung lieber den Mt- Wortlaut eingetragen haben sollten. 2. Auch das Petrusbekenntnis *9,20 ist widersprüchlich bezeugt. Während Adamantius, darin der kanonischen Formulierung entsprechend, nur das Objekt im Akkusativ nennt (τὸν Χριστόν), bezeugt Tertullian gleich zwei Mal einen eigenständigen Satz: tu es Christus/ σὺ εἶ ὁ Χριστός. Wie immer in diesen Fällen gebührt der Vorrang der Formulierung, die am weitesten von der kanonischen Fassung des Mehrheitstextes entfernt ist; das ist in diesem Fall σὺ εἶ ὁ Χριστός. Darüber hinaus entspricht diese Formulierung Mk 8,29 || Mt 16,16 und wird außerdem auch von zwei Altlateinern gestützt. Mk und Mt haben also die Formulierung aus *Ev übernommen, Lk hat sie verändert. Tertullian und Adamantius stimmen allerdings trotz dieses Unterschieds darin überein, dass das Bekenntnis des Petrus sich auf die Prädikation »Christus« beschränkte. ______________________________ 2 Aeth (Bodl. 41) geht wiederholt mit D it sy und stützt vorkanonische Lesarten, vgl. etwa zu *11,26.39; *16,29; *21,10. 746 Anhang I 9,18-22 Nimmt man zu der direkten Bezeugung noch die an dieser Stelle besonders disparate kanonische Handschriftenüberlieferung hinzu, gibt es für das Praedicativum folgende Varianten, die hier unbeschadet ihrer grammatischen Form (Nominativ bzw. Akkusativ) nur nach ihrem semantischen Gehalt unterschieden sind: 1. ὁ Χριστός: *9,20 (Tertullian; Adamantius); Mk 8,29 M 2. ὁ Χριστὸς υἱός: *9,20 D 2766 d r 1 3. ὁ Χριστὸς ὁ υἱός: *9,20 l aeth (Bodl. 41); 28 213 892 1675 ℓ70 bo 4. ὁ Χριστὸς τοῦ θεοῦ: *9,20 aur c ſſ 2 q M 5. ὁ Χριστὸς ὁ θεός: *9,20 bo mss 6. ὁ Χριστὸς ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ: *9,20 e f; Mk 8,29 א L pc r 1 7. ὁ Χριστὸς ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ τοῦ ζῶντος: *9,20 l; Mt 16,16 M ; Mk 8,29 W f 13 pc b sy p sa mss (8. ὁ Χριστὸς ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ τοῦ σώζοντος: Mt 16,16 D) Es ist nicht ganz leicht, den Ursprung dieser verzweigten Überlieferung in *Ev auszumachen. Neben dem absoluten ὁ Χριστός (1) kommen vor allem in Frage ὁ Χριστὸς (ὁ) υἱός (2) und (3). Die anderen Varianten lassen sich entweder als gezielte Bearbeitung (4, 7) oder als Mischformen auf der Ebene der handschriftlichen Überlieferung verstehen. Für absolutes ὁ Χριστός spricht das direkte Zeugnis (Tert., Adam.) sowie der Umstand, dass Mk - als mutmaßlich ältester Bearbeiter von *Ev - diese Variante ebenfalls hat. Allerdings ist die problematischste Variante die Ergänzung von ὁ Χριστός um das artikellose υἱός (2), auf die offensichtlich die Erleichterung (3) zurückgeht. Eine Entscheidung zwischen den Möglichkeiten (1) und (2) ist nicht möglich; das Druckbild der Rekonstruktion versucht, diesem Umstand Rechnung zu tragen. 3. Die genaue Rekonstruktion der sprachlichen Gestalt der Leidensankündigung *9,22 ist schwierig, aber aufschlussreich. Zur Vereinfachung dient diese Übersicht. *9,22 Tert. *9,22 Epiph. *9,22 Adam. Lk 9,22 Mk 8,31 Mt 16,21 oportet δεῖ δεῖ δεῖ δεῖ δεῖ Filium hominis τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου αὐτὸν εἰς Ἱεροσόλυμα ἀπελθεῖν καὶ multa pati πολλὰ παθεῖν πολλὰ παθεῖν πολλὰ παθεῖν πολλὰ παθεῖν πολλὰ παθεῖν et reprobari καὶ ἀποδοκιμασθῆναι καὶ ἀποδοκιμασθῆναι καὶ ἀποδοκιμασθῆναι a ἀπὸ ἀπὸ ὑπὸ ἀπὸ presbyteris τῶν πρεσβυτέρων τῶν πρεσβυτέρων τῶν πρεσβυτέρων τῶν πρεσβυτέρων et scribis καὶ ἀρχιερέων καὶ ἀρχιερέων καὶ τῶν ἀρχιερέων καὶ ἀρχιερέων 9,18-22 Rekonstruktion 747 et sacerdotibus, καὶ γραμματέων καὶ γραμματέων καὶ τῶν γραμματέων καὶ γραμματέων et interfici καὶ ἀποκτανθῆναι καὶ σταυρωθῆναι καὶ ἀποκτανθῆναι καὶ ἀποκτανθῆναι καὶ ἀποκτανθῆναι et post καὶ μετὰ καὶ μεθ’ καὶ καὶ μετὰ καὶ tertium diem τρεῖς ἡμέρας ἡμέρας τρεῖς a τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ a τρεῖς ἡμέρας c τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ resurgere ἐγερθῆναι ἀναστῆναι b ἐγερθῆναι ἀναστῆναι ἐγερθῆναι c a μετα τρεις ημερας αναστηναι: D it (Adam.; Epiph.) b αναστηναι: A C D K f 1 565 pm (Adam.) c μετα τρεις ημερας αναστηναι: D (al it) bo Folgende Einzelheiten sind strittig und bedürfen der Erörterung: (a) Die mt-lk »Minor Agreements« der Verwerfungsaussage (die Präposition ἀπό bei Mt || Lk anstelle des mk ὑπό; die mk Artikel vor allen drei Gruppen). (b) Die Reihenfolge der Gruppen in der Verwerfungsaussage. (c) Das von Adam. bezeugte σταυρωθῆναι anstelle des ansonsten bezeugten ἀποκτανθῆναι. (d) Die uneinheitliche Datierung der angekündigten Auferstehung. (e) Die Formulierung der Auferweckungsaussage mit ἀναστῆναι bzw. mit ἐγερθῆναι. a. Das erste Problem ist ein viel verhandeltes »Minor Agreement«: Mt 16,21 und Lk 9,22 stimmen gegen Mk 8,31 nicht nur in der Präposition (ἀπό anstelle des mk ὑπό) überein, sondern auch darin, dass sie nur vor der ersten Gruppe einen Artikel bieten (τῶν πρεσβυτέρων) und die weitere Aufzählung davon abhängig sein lassen, während Mk den Artikel auch für die zweite und dritte Gruppe wiederholt. 3 Da der semantische Unterschied zwischen diesen Formulierungen zu vernachlässigen ist und daher nur schwer als unabhängige Änderung der mk Formulierung durch Mt und Lk verständlich zu machen ist, dürfte es dieses Phänomen im methodischen Horizont der Zwei-Quellentheorie nicht geben. Neben anderen hatte daher Robert Gundry wiederholt begründet, 4 dass dieses Agreement nur durch die lk Abhängigkeit von Mt zu erklären sei. Diese Interpretation hat erwartungsgemäß Zuspruch aus dem Umfeld der Farrer-Goulder-Theorie erfahren, die ja genau dieses Abhängigkeitsverhältnis voraussetzt. Wenig überraschend, haben sich auch Kritiker, diesmal aus dem Lager der Zwei-Quellentheorie, zu Wort gemeldet und die mt-lk Übereinstimmung als »independent redaction« erklärt. Diese längliche Debatte 5 ist hier nicht nachzuzeichnen, da die mt-lk Übereinstimmung, wie auch sonst im Horizont der *Ev-Priorität, ohne weiteres verständlich ist. ______________________________ 3 Vgl. BDR § 276.2 (mit Anm. 2). 4 R. H. G UNDRY , Matthean Foreign Bodies in Agreements of Luke with Matthew against Mark. Evidence that Luke used Matthew, in: Fr. Van Segbroeck et al. (eds.), The Four Gospels II, Leuven 1992, 1467-1495; DERS ., The Refusal of Matthean Foreign Bodies to Be Exorcised from Luke 9,22; 10,25-28, ETL 75 (1999), 104-122. 5 Vgl. F R . N EIRYNCK , Note on Luke 9,22. A Response zu M. D. Goulder, in: Fr. Neirynck, Evangelica II, Leuven 1991, 43-48; T. A. F RIEDRICHSEN , Luke 9,22 - a Matthean Foreign Body? , ETL 72 (1996), 748 Anhang I 9,18-22 Da Tertullians lateinisches Referat für diese Fragen keinerlei Aufschlüsse über seinen griechischen *Ev-Text ermöglicht, folgt die Rekonstruktion dem Adamantiusreferat, das in den fraglichen Formulierungen dem kanonischen Lk-Text entspricht (ἀπό; Artikel nur vor dem ersten Glied). Dies passt zu den weiteren Beobachtungen zum lk Sprachgebrauch: In Lk-Act gibt es insgesamt »some twenty-one instances of Luke’s repeating the definite article in an oblique case.« 6 Die Formulierung in Lk 9,22 entspricht daher nicht dem ansonsten zu beobachtenden lk Sprachgebrauch und wird daher Tradition sein. Die Schlussfolgerung, die Gundry, Goulder und andere aus diesem Befund ziehen, dass nämlich Lk von Mt abhängig sei, ist jedoch nicht zu halten: Mt wie Lk rezipieren den Wortlaut aus *Ev, nicht aber den geringfügig veränderten aus Mk. b. Die Aussagen über das Geschick des Menschensohns einschließlich der Aufführung der Gegnergruppen in V. *22a sind unterschiedlich bezeugt. Auf der einen Seite fehlt bei Epiphanius die Verwerfungsaussage komplett. Tertullian und Adamantius bezeugen sie, unterscheiden sich aber untereinander in der Reihenfolge, in der die einzelnen Gruppen angeführt werden: Adamantius bietet dieselbe Abfolge wie die drei kanonischen Fassungen (Älteste; Priester; Schriftgelehrte), wogegen bei Tertullian die beiden letzten Gruppen in umgekehrter Reihenfolge auftauchen (Älteste; Schriftgelehrte; Priester). Auch die handschriftliche Überlieferung zeigt hier eine größere Disparität. Bezeugt sind (für Lk 9,22) folgende Reihenfolgen: 1. (1 2 3 4 5) πρεσβυτερων και γραμματεων και αρχιερεων: Tert sy c 2. (5 2 1 4 3) αρχιερεων και πρεσβυτερων και γραμματεων: 13 69 124 213 346 543 579 788 826 828 983 ſſ 2 g 1 l q r 1 3. (1 2 5 4 3) πρεσβυτερων και αρχιερεων και γραμματεων: Adam M 4. (1; om 2-5) πρεσβυτερων: 1352 5. (1-3; om 4-5) πρεσβυτερων και αρχιερεων: ℓ1642 6. om Epiph Man kann überlegen, ob die kurze Fassung bei Epiphanius auf seine Zitierweise zurückzuführen ist, die häufig Anfang und Ende von Aussagen benennt, um sie eindeutig zu charakterisieren, aber dazwischen liegende und überflüssig erscheinende Bestandteile oft auslässt; in diesem Fall wäre sein Zeugnis für die Rekonstruktion dieser Stelle zu vernachlässigen. 7 Allerdings taucht dieses Phänomen insbesondere ______________________________ 398-407; F R . N EIRYNCK , Luke 9,22 and 10,25-28. The Case for Independent Redaction, in: ders., Evangelica III, Leuven 2001, 295-306. Auf der anderen Seite vgl. M. D. G OULDER , Luke: A New Paradigm, Sheffield 1989, 48ff; DERS ., Luke’s Knowledge of Matthew, in: G. Strecker (Hg.), Minor Agreements, Göttingen 1993, 143-160: 144; M. S. G OODACRE , Goulder and the Gospels, Sheffield 1996, 96-98. 6 G UNDRY , a. a. O. (Matthean Foreign Bodies), 1476. 7 Aus inhaltlichen Gründen erwogen von R OTH 302: »Since Epiphanius appears to be focusing on the body that suffered and died being the body that was raised (cf. the elenchus), the omission is 9,18-22 Rekonstruktion 749 bei der Zusammenfassung längerer Abschnitte auf. Vor allem aber deutet die ausgesprochen diverse Überlieferung dieses Elements darauf hin, dass hier redaktionell gearbeitet wurde. Es ist daher sehr gut möglich, dass Epiphanius korrekt referiert. Diese Lösung entspricht den methodischen Grundlagen, die sich aus der *Ev- Priorität ergeben. In diesem Fall muss man davon ausgehen, dass erst Mk 8,31 die Verwerfungsaussage in die Reihe der Widerfahrnisse des Menschensohns eingefügt hat. Mt und Lk sind ihm darin gefolgt. Tertullian und Adamantius hatten dann *Ev- Exemplare, die an dieser Stelle schon durch die kanonische Überlieferung beeinflusst waren. c. Ein besonderes Problem liegt in der von Adamantius bezeugten Formulierung πολλὰ παθεῖν καὶ ἀποδοκιμασθῆναι … καὶ σ τ α υ ρ ω θ ῆ ν α ι : Dass der Menschensohn von seinen Gegnern gekreuzigt werden müsse, ist in den synoptischen Leidensweissagungen nur in Mt 20,19 erwähnt (καὶ σταυρῶσαι), taucht ansonsten aber in den zahlreichen Varianten nicht auf. Tatsächlich wäre diese Bezeugung auch aus inhaltlichen Gründen verdächtig: Es ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die konkrete Ankündigung des Gekreuzigtwerdens (σταυροθῆναι) durch die allgemeinere des Getötetwerdens (ἀποκτανθῆναι) hätte verdrängt werden können. Allerdings belegt Irenaeus die Leidensankündigung in der durch Adamantius bezeugten Formulierung. 8 Irenaeus fasst die Leidensankündigung hier nicht frei zusammen, sondern zitiert sie (inquit! ). Unklar ist allerdings, aus welchem Text. Denn die Wendung crucifigi … tertio die/ σταυροθῆναι … τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ ist für keinen der hier besprochenen Texte bezeugt: Mt und Lk (sowie die Varianten zu Mk 9,31; 10,34) haben zwar den »dritten Tag«, nicht aber das Stichwort σταυροθῆναι/ crucifigi. Umgekehrt hat der einzige andere Beleg für σταυροθῆναι/ crucifigi in der Leidensankündigung (*9,22 teste Adam.) nicht die Formulierung τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ, sondern μετὰ τρεῖς ἡμέρας. Hier bleibt also ein ungelöstes Rätsel. Allerdings ist Irenaeus’ Zeugnis als Beleg für einen Text zu werten, der die Leidensankündigung mit dem Hinweis auf die Kreuzigung enthielt. d. Das wichtigste Problem betrifft die Datierung der Ankündigung der Auferstehung, die von Adamantius und Epiphanius in übereinstimmender Abweichung von der kanonischen Fassung bezeugt wird: Entgegen dem lk τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ, das sich so auch Mt 16,21 findet, bezeugen Epiphanius und Adamantius für *Ev das auch aus Mk 8,31 bekannte μ ε τ ὰ τρεῖς ἡμέρας. Tertullians Referat (p o s t tertium ______________________________ likely due to Epiphanius himself«; ähnlich schon Z AHN II 466. Das würde allerdings voraussetzen, dass Epiphanius seine Widerlegung in den Elenchi schon bei der Abfassung der Scholienliste vor Augen gehabt hätte, die er »etliche Jahre zuvor« (ἀπὸ ἐτῶν ἱκανῶν, Haer. 42,10,2) angefertigt hatte. 8 Iren., Haer. 3,16,5: Oportet enim, inquit, filium hominis multa pati et reprobari et c r u c i f i g i et die tertio resurgere (FC 8/ 3, 196,19f). Da die Folge von πολλὰ παθεῖν καὶ ἀποδοκιμασθῆναι nur Mk 8,31 || Lk 9,22 (Mt 16,21: πολλὰ παθεῖν) begegnet, nicht aber in den beiden anderen Weissagungen Mk 9,31 || Mt 17,22 || Lk 9,44 bzw. Mk 10,33 || Mt 20 18 || Lk 18,31, bezieht sich Irenaeus’ Zitat eindeutig auf Mk 8,31 oder Lk 9,22. 750 Anhang I 9,18-22 diem) kombiniert Elemente beider Lesarten: Die Ordinalzahl wie der Mehrheitstext von Mt und Lk, die Präposition wie Mk, Epiphanius und Adamantius. In der Sache - dass nämlich die Auferstehung des Menschensohns erst nach einer Frist von drei Tagen stattfinden werde - stimmen hier alle drei Hauptzeugen überein. In diesem Fall ist der Unterschied von einigem theologischen Gewicht. Denn die Formulierung μ ε τ ὰ τρεῖς ἡμέρας aus *Ev-Mk passt nicht zu der jeweils narrativ entfalteten Chronologie von Grablegung und Auffindung des leeren Grabes am Ostermorgen: Sowohl für *Ev als auch für Mk ist klar, dass Jesus am Freitagabend begraben wurde (Mk 15,42f; *23,[54]56) und die Frauen das Grab bereits am Morgen des folgenden Sonntags leer fanden (Mk 16,1f; *24,1). Die hier vorausgesetzte Zeitspanne ist mit »nach drei Tagen« nicht angemessen beschrieben: Auch bei einer inklusiven Tageszählung kommt man bestenfalls auf »nach zwei Tagen«. Die Inkongruenz zwischen der besprochenen und der erzählten Zeit lässt sich nur vor dem Hintergrund des aus der Danieltradition stammenden apokalyptischen Wochenschemas verstehen. Demnach wird (werden) Gottes letzte(r) Prophet(en) genau zur Hälfte der letzten Jahrwoche vom Widersacher überwunden und getötet, aber »nach einer Zeit und (zwei) Zeiten und einer halben Zeit« (Dan 7,25; 12,7; Apc 12,14) wieder auferweckt. In der breiten traditionsgeschichtlichen Überlieferung ist die Angabe dieser dreieinhalb Zeiteinheiten sprachlich gelegentlich vereinfacht worden. Zu diesen Vereinfachungen gehört auch die Datierung in der Auferstehungsweissagung μετὰ τρεῖς ἡμέρας aus *Ev-Mk, nicht aber das mt-lk »am dritten Tag«. 9 ______________________________ 9 Als Vereinfachungen der komplizierten Angabe in Dan (1 + 2 + ½) sind folgende Möglichkeiten bezeugt: (a) Der Zeitraum, währenddessen die Zeugen tot sind, wird mit »drei Tage« angegeben, z. B.: ApcEsr (äth) (H ALÉVY 79: »sie werden tot bleiben drei Tage und drei Nächte«); PsApcJoh (gr) 8 (T ISCHENDORF 76: »drei Jahre wie drei Monate … wie drei Wochen … wie drei Tage … wie drei Stunden … wie drei Augenblicke«). Häufiger ist (b) die Angabe, dass die Auferstehung am vierten Tag geschieht: ApcElia (kopt) 31,30 (S CHRAGE 259: »am vierten Tag«); Commodian, Carm. apol. 861 (M ARTIN 104: illos autem Dominus q u a r t o d i e tollit in auras); Victorinus, In apoc. 11,5 (H AUSSLEITER 102: q u a r t a d i e resurgere, ne quis aequalis deo inveniatur). Daneben findet sich (c) auch die Angabe »nach drei Tagen« bzw. »nach dem dritten Tag«: Lat. Tiburtina (S ACKUR 186: p o s t t r e s d i e s a Domino suscitabuntur); Adso, Antichr. (PL 101, 1297a: p o s t t r e s d i e s a Domino suscitabuntur; Lactantius, Div. inst. VII 14,3 (B RANDT 638: p o s t d i e m t e r t i u m reviviscet). Zum Ganzen vgl. K. B ERGER , Die Auferstehung des Propheten und die Erhöhung des Menschensohns, Göttingen 1976, 107ff. Die »dreieinhalb Tage« von Apc 11,9 (ἡμέραι τρεῖς καὶ ἡμισεία) sind also schon relativ genau. Mit Blick auf diese Vereinfachungen ist ohne weiteres erkennbar, dass sich »nach drei Tagen« auf denselben Zeitpunkt beziehen kann wie »am vierten Tag«. Der in diesem Zusammenhang geläufige Hinweis auf die inklusive Zählung, bei der die angefangenen Tage ganz mitgezählt würden (vgl. als Beispiel für viele: W OLTER , Lk 345), ist daher unzutreffend: Auch in neutestamentlicher Zeit wusste man sehr genau, dass die Datierung »nach drei Tagen« und »am dritten Tag« nicht dasselbe sind: μετὰ τρεῖς ἡμέρας und τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ bezeichnen eindeutig verschiedene Zeiträume. 9,18-22 Rekonstruktion 751 Mt und Lk haben auf eine stärkere Kohärenz von erzählter und besprochener Zeit geachtet und die Inkongruenz zwischen der Passionschronologie und der Auferstehungsweissagung beseitigt. 10 Die Datierung auf den dritten Tag (τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ) 11 ist daher eine beabsichtigte Angleichung an die tatsächlich erzählte Ereignisfolge. Für diese Korrektur ist charakteristisch, dass die präpositionale Wendung durch einen temporalen Dativus locativus ersetzt und das Zahlwort als Ordinalzahl beibehalten wurde (τρεῖς/ τρίτῃ). Rein rechnerisch wäre eine entsprechende Angleichung ja auch durch die Formulierung μετὰ δ ύ ο ἡμέρας zu erreichen gewesen. In diesem Fall wären die Eingriffe in den vorgegebenen Text sogar geringer ausgefallen. Dass Mt und Lk diese Lösung nicht gewählt haben, liegt an ihrem Bemühen, die Zahl »drei« in der Formulierung beizubehalten. Dieses Bemühen ist nur vor dem traditionsgeschichtlichen Hintergrund des Wochenschemas verständlich. Insgesamt ist die Bearbeitungsrichtung von μετὰ τρεῖς ἡμέρας hin zu τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ leicht nachvollziehbar. In diesem Fall spricht alles dafür, dass Epiphanius und Adamantius korrekt zitieren: Die Formulierung μετὰ τρεῖς ἡμέρας in Mk 8,31 stammt aus *Ev; sie ist in erster Linie von der traditionsgeschichtlichen Deutung im Wochenschema abhängig, nicht aber von den tatsächlich berichteten Ereignissen. Demgegenüber ist Tertullians post tertium diem als Konformierung des ursprünglichen und des kanonischen Wortlauts aufzufassen. 12 Diesem Befund entspricht dann auch die Beobachtung, dass die analoge Aussage in Lk 13,31 καὶ τ ῇ τ ρ ί τ ῃ τελειοῦμαι eindeutig in *Ev gefehlt hat und erst auf die lk Redaktion zurückgeht (s. dort). Vor diesem Hintergrund sind Mt 16,21 || Lk 9,22 D it (u. a.) aufschlussreich: καὶ μετὰ τρεῖς ἡμέρας ἀναστῆναι anstelle von καὶ τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ ἐγερθῆναι entspricht der Fassung aus *Ev, die sich hier erhalten hat. Für Mt 16,21 D it usw. gilt daher das Gleiche wie für *9,22: Es handelt sich um die vorkanonische Fassung (*Mt 16,21). Diese Einsicht ist methodisch von großer Bedeutung, weil sie zeigt, dass die »lk« Redaktion von *Ev offensichtlich dieselbe ist, die dem vorkanonischen »Matthäus«-Evangelium (*Mt) seine kanonische Gestalt gab. 13 e. Die geringsten Schwierigkeiten wirft die uneinheitliche Bezeugung des letzten Wortes auf: Epiphanius liest ἐγερθῆναι (wie Mt 16,21; Lk 9,22), Tertullian und ______________________________ 10 Dass diese Angleichung erst auf die Kanonische Redaktion zurückgeht, ist o. (§ 14.3) gezeigt. 11 Sie findet sich im Übrigen auch als Variante zu Mk 9,31 (μετὰ τρεῖς ἡμέρας: א B C* D L Δ Ψ 579 892 pc b c d i k l r 1 (a ſſ 2 q) sy hmg co ¦ τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ: A C 3 W Θ f 1.13 aur f l vg sy M ) und zu 10,34 (μετὰ τρεῖς ἡμέρας: א B C D L Δ Ψ 579 892 pc b d ſſ 2 i k r 1 (a c q) sy hmg co ¦ τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ: A* W Θ f 1.13 aur f l vg sy Orig), nicht jedoch zu Mk 8,31. Zur Deutung s. o. § 14.3. 12 Tertullians Formulierung begegnet auch bei Lact., Div. inst. VII 14,3 (B RANDT 638: post diem tertium reviviscet). Vgl. auch Mk 9,31 (a ſſ 2 q); Mk 10,34 (a c q); Mt 16,21 (a b c e ſſ 2 r 1 ). 13 Zum Aufschluss, den die handschriftliche Überlieferung mit ihren Varianten bei der Datierung in den synoptischen Leidensweissagungen für die Annahme der Kanonischen Redaktion geben kann, vgl. o. § 14.3. 752 Anhang I 9,18-22 Adamantius bezeugen dagegen (wie Mk 8,31) ἀναστῆναι. Hier bestätigt sich, dass die am weitesten vom Mehrheitstext entfernte Variante am ehesten Anspruch auf Ursprünglichkeit hat. Denn unter den handschriftlichen Zeugen für ἀναστῆναι befinden sich wieder die üblichen Verdächtigen (D it), hier neben einer Reihe weiterer griechischer Handschriften und patristischer Zeugen. Diese Rekonstruktion stimmt mit *9,7 (ἐκ νεκρῶν) ἀνέστη überein, beide Lesarten stützen sich gegenseitig und belegen den Vorzug der lk Redaktion für das Pass. Divinum mit ἐγερθῆναι, das dann auch Epiphanius’ *Ev-Text kontaminiert hat. 4. Über die Einzelheiten hinaus besitzt diese Perikope die besondere Bedeutung, dass sie die unmittelbare Abfolge von *9,10-17 und *9,18-22 schon für *Ev sicherstellt. Tertullians Referat ist hier außerordentlich dicht, und er stellt eine unmittelbare Beziehung zwischen der Speisung der 5000 (*9,10-17: 4,21,5) und dem Petrusbekenntnis (*9,18ff) her: »Petrus, der diese Dinge (sc. die Speisung der 5000) gesehen und sie mit den früheren (sc. den Ereignissen von 2Kön 4) verglichen hatte, hatte erkannt, dass diese nicht nur in der Vergangenheit geschehen, sondern schon damals Prophezeiungen für die Zukunft gewesen waren, so dass er dem Herrn, als er fragte, wer er ihnen zu sein schiene, anstelle aller antwortete: Du bist der Christus …« (4,21,6). Tertullian hat bei *Ev also ohne Zweifel *9,18 in unmittelbarem Anschluss an *9,17 gelesen: Die sog. »Große Auslassung«, also das Fehlen des Textbestandes von Mk 6,45-8,26 zwischen Lk 9,17 und 9,18, geht daher nicht auf eine lk Redaktion des Mk-Textes zurück. Lk ist hier vielmehr der Akoluthie von *Ev gefolgt, dessen Text er mit nur kleinen Veränderungen übernimmt. Die »Große Auslassung« erscheint als solche nur im methodischen Gerüst der Zwei-Quellentheorie mit der Annahme, dass Lk von Mk abhängig sei. Unter der Prämisse der *Ev-Priorität nicht nur vor Lk, sondern auch vor Mk ist die »Große Auslassung« daher eine von Mk sehr genau durchdachte »große Ergänzung«. 14 Ihr kompositioneller Sinn liegt in dem Nachweis, dass die Jünger zur eigenständigen Verkündigung nicht nur vor Juden in der Lage sind, sondern auch vor Heiden. Die Suffizienz ihrer Verkündigung, die hier metaphorisch als »das eine Brot der Jünger« gefasst ist, wird durch die umfangreiche Belehrung Mk 7,1-23 sowie die Szene 7,24-30 narrativ vorbereitet und am Ende in ganz konsequent durchgehaltener Metaphorik wieder aufgegriffen (Mk 8,10- 12.23-21). 15 Das hier verwendete Bild vom Sauerteig der Pharisäer hatte Mk aus ______________________________ 14 Vgl. dazu ausführlicher o. § 11.2 (Bd. I, S. 221ff). 15 Zur mk Komposition vgl. M. K LINGHARDT , Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19 (2002), 183-202: 193-199. 9,18-22 Rekonstruktion 753 *12,1 übernommen (für *Ev bezeugt; s. dort). Mt 14,22-16,12 folgt dem mk Erzählfaden und hat deshalb auch diese »große Ergänzung« aus Mk 6,45-8,26 rezipiert. *9,23.24.25.26a.27: Die Bedingungen der Nachfolge Nur teilweise bezeugt, aber vermutlich ganz in *Ev vorhanden; sehr wahrscheinlich durch Lk redaktionell bearbeitet. 9,23 Ἔλεγεν δὲ πρὸς πάντας, Εἴ τις θέλει ὀπίσω μου ἔρχεσθαι, ἀρνησάσθω ἑαυτὸν a [ καὶ ἀράτω τὸν σταυρὸν αὐτοῦ ] a b [ καθ’ ἡμέραν ] b , καὶ ἀκολουθείτω μοι. 24 ὃς γὰρ ἂν θέλῃ τὴν ψυχὴν αὐτοῦ σῶσαι, ἀπολέσει αὐτήν· c καὶ ὃς c ἂν ἀπολέσῃ d αὐτὴν ἕνεκεν ἐμοῦ, e οὗτος σώσει αὐτήν. 25 τί γὰρ f ὠϕελεῖ g ἄνθρωπον h κερδῆσαι τὸν κόσμον ὅλον, ἑαυτὸν δὲ i ἀπολέσαι ἢ k ζημιωθῆναι; 26 ὃς l γὰρ ἂν ἐπαισχυνθῇ με m ¿καὶ τοὺς ἐμοὺς? λόγους m n καὶ ἐγὼ ἐπαισχυνθήσομαι αὐτόν n [ ὅταν ἔλθῃ ἐν τῇ δόξῃ αὐτοῦ καὶ τοῦ πατρὸς καὶ τῶν ἁγίων ἀγγέλων ] . 27 λέγω δὲ ὑμῖν ἀληθῶς, εἰσίν τινες τῶν αὐτοῦ ἑστηκότων οἳ οὐ μὴ γεύσωνται θανάτου ἕως ἂν ἴδωσιν o τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου ἐρχόμενον ἐν τῇ δόξῃ αὐτοῦ. o A. *9,24: Tert. 4,21,8: Certe et si non essent praedicata, eam causam indicti silentii protulit quae non Petri errorem demonstraret, obeundarum passionum necessitatem. Qui voluerit, inquit, animam suam salvam facere, perdet illam, et qui perdiderit eam propter me, salvam faciet eam. Certe filius hominis hanc sententiam emisit. ♦ *9,26: Tert. 4,21,10: Sed et zeloten deum mihi exhibet, malum malo reddentem: Qui confusus, inquit, mei fuerit, et ego confundar eius. Quando nec confusionis materia conveniat nisi meo Christo, cuius ordo magis pudendus, ut etiam haereticorum conviciis pateat, omnem nativitatis et educationis foeditatem et ipsius etiam carnis indignitatem quanta amaritudine possunt perorantibus. ¦ Tert. 4,21,12: Non poterat itaque dixisse, Qui mei confusus fuerit. Noster hoc debuit pronuntiasse, minoratus a patre modico citra angelos, vermis et non homo, ignominia hominis et nullificamen populi, quatenus ita voluit ut livore eius sanaremur, ut dedecore eius salus nostra constaret. ¦ Vgl. Orig (Mart. 12; GCS 2, 12,7ff): ἄκουε γὰρ Λοῦκα μὲν λέγοντος … Ὃς δ ἂν ἀπολέσῃ τὴν ψυχὴν ἀυτοῦ ἕνεκεν ἐμοῦ, οὗτος σώσει αὐτήν. ♦ *9,27: Vgl. Orig (Comm. in Joh 20,43; GCS 10, 386): τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου ἐν τῇ δόξῃ ἀυτοῦ. B. a (9,23) και αρατω τον σταυρον αυτου/ et tollat crucem sua: om D a d l ¦ add aur b c e f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● b (9,23) καθ ημεραν/ cottidie: om א 1 C D E G H U V X Y Γ Δ Λ Ω 028 047 mult lectt a b c d ſſ 2 l q r 1 sy s georg III ¦ add aur f vg M (vgl. Mk 8,34; Mt 16,24; *Ev non test.) ● c (9,24) και ος/ et qui: Tert a ¦ ος δε/ qui autem: c d e M ● d (9,24) αυτην/ illam: Tert e ¦ την ψυχην αυτου/ animam suam: a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ● e (9,24) ουτος/ hic: om Tert a aur c f ſſ 2 gat l vg sy s sa ¦ add b d e q r 1 M ● f (9,25) ωϕελει: א C D 700 Tat arab(mss) ¦ ωϕελειται: M (*Ev non test.) ● g (9,25) ανθρωπον: D* ¦ ανθρωπος M (*Ev non test.) ● h (9,25) κερδησαι/ lucrum facere (lucrari: c): D* 047 ℓ211 a c d ¦ εαν κερδηση/ si lucretur (lucrum feceretur: e): D c a aur b e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 ¦ κερδησας M (*Ev non test.) ● i (9,25) απολεσαι/ perdere: D* a c d ¦ απολεση/ perdat: D c aur b e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg sy s Tat arab armen ¦ απολεσας: M (*Ev non test.) ● k (9,25) ζημιωθηναι/ damnum 754 Anhang I 9,23-27 facere (c), iactum pati (d): D c d ¦ ζημιωθεις/ detrimentum (damnum: e) faciat: a aur b e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 M (*Ev non test.) ● l (9,26) γαρ: om Tert bo ms ¦ add it M ● m (9,26) και τους εμους λογους/ et meos sermones: om Tert ¦ και τους εμους/ et meos: D a d e l ¦ add aur b c f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 M ● n (9,26) και εγω επαισχυνθησομαι αυτον/ et ego confundar eius: Tert ¦ τουτον ο υιος του ανθρωπου επαισχυνθησεται: it M ● o (9,27) τον υιον του ανθρωπου ερχομενον εν τη δοξη αυτου/ filium hominis venientem in gloria sua: D d (Tert) Orig (Comm. in Joh fr. 1; GCS 10, 567) (vgl. Mt 16,26) ¦ την βασιλειαν του θεου/ regnum dei: it M (*Ev non test.). C. Tertullian bezeugt die beiden wichtigsten Aussagen der Perikope (*9,24.26a). Nicht bezeugt sind die Verse 9,23.25.26b.27, aber es gibt keinen Anlass, sie *Ev abzusprechen. Dass Marcion 9,23 aus inhaltlichen Gründen gestrichen habe, 1 ist kaum haltbar. 1. Für die nichtbezeugten Verse (*23.25.26b.27) ist wieder das häufige Phänomen der Interferenz der vorkanonischen und der kanonischen Handschriftenüberlieferung entscheidend. Denn gerade für diese Verse sind in den dafür besonders anfälligen Zeugen charakteristische Varianten bezeugt, die hier Anspruch auf Ursprünglichkeit besitzen. a. In *9,23 fehlen die Worte καὶ ἀράτω τὸν σταυρὸν αὐτοῦ in D it, das verstärkende καθ’ ἡμέραν darüber hinaus in einer langen Reihe griechischer Zeugen. Das Zustandekommen der unterschiedlichen Lesarten ist ohne weiteres nachvollziehbar: Mk 9,34 hat das aus dem vorkanonischen Evangelium stammende Wort über die Selbstverleugnung durch die Einfügung καὶ ἀράτω τὸν σταυρὸν αὐτοῦ präzisiert. Von hier aus ist es nach Mt 16,24 und am Ende nach Lk 9,23 gekommen. Bei diesem letzten Schritt hat Lk noch καθ’ ἡμέραν eingefügt, das aber in vielen Zeugen fehlt. b. Analoges gilt für den nicht bezeugten Vers *9,25. Er darf durch die abweichende Formulierung als Acc. c. Inf. in D it (sy) anstelle des konditionalen Relativsatzes wiederum als für den vorkanonischen Wortlaut gesichert gelten. Andernfalls - das ist die übliche Erklärung - müsste man hier einen außerordentlich weit verbreiteten Einfluss der synoptischen Parallelen auf der Ebene der handschriftlichen Überlieferung annehmen. Dies ist, wie meist in diesen Fällen, keine überzeugende Auskunft: Wieso sollten sich mehrere Kopisten unabhängig voneinander an derselben Stelle an der eleganteren Formulierung gestoßen haben? 2. Diese methodische Einsicht ist in besonderer Weise für die Rekonstruktion von *9,26f hilfreich. Tertullian hat *9,26 (wie *9,24) als Zitat (mit inquit eingeleitet) gekennzeichnet, und es gibt zunächst keinen Grund, an der Genauigkeit seiner Wiedergabe zu zweifeln. Demnach hätte Tertullian in der Apodosis von *9,26 die 1. Pers. Sing. gelesen (et ego confundar eius), nicht aber (wie im kanonischen Text) die 3. Pers. mit dem Menschensohn als Subjekt. Gleichwohl stellt er ausdrücklich ______________________________ 1 So die Annahme von T SUTSUI 92, mit Verweis auf Tertullians Referat von *9,57. 9,23-27 Rekonstruktion 755 fest, dass *9,24 eine Aussage des Menschensohns sei (certe f i l i u s h o m i n i s hanc sententiam emisit), der bei ihm im Kontext allerdings gar nicht vorkommt. Die Lösung ergibt sich aus den Varianten in D it, die hier wieder deutliche Spuren des vorkanonischen Textes aufweisen. In *9,26 fehlen in D it die »Worte«, deren man sich schämt: Das Logion zielt in der vorkanonischen Fassung nicht auf die Rede Jesu, sondern auf das Verhältnis, das man gegenüber ihm selbst einnimmt. Dies stimmt mit Tertullians Referat überein und erklärt auch die Formulierung in der 1. Pers. Sing., so dass eine direkte Entsprechung von Protasis und Apodosis vorliegt: Wer sich meiner schämt, dessen werde ich mich schämen. Allerdings haben D it (gegen Tertullians Zeugnis) noch »die Meinen«, in denen das Verhältnis zu »mir« sichtbar wird. Eine Entscheidung ist schwierig: Wenn Tertullian nicht nur korrekt, sondern auch vollständig zitiert, dann wäre die Formulierung »meiner und der Meinen« in D it eine (teilweise) Konformierung des vorkanonischen mit dem kanonischen Text. Dies ist grundsätzlich möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich, weil man in diesem Fall erwarten könnte, dass die kanonische Formulierung με καὶ τοὺς ἐμοὺς λ ό γ ο υ ς vollständig übernommen worden wäre. Daher liegt es näher, dass Tertullian trotz seiner Zitierformel die Aussage aus *Ev nicht vollständig wiedergibt und von der Phrase με καὶ τοὺς ἐμούς/ me et meos nur das Verhältnis zu Jesus anspricht. Dass in *Ev ursprünglich με καὶ τοὺς ἐμούς stand, legt schließlich auch die entsprechende mk Variante nahe: In Mk 8,38 ( P 45 vid W k sa) fehlte λόγους ebenfalls. 2 In diesem Fall hätte die erste Bearbeitung von *Ev durch *Mk den (kürzeren) Text übernommen, der hier wie in Lk 9,26 durch die kanonische Redaktion bearbeitet worden wäre. Aber ein sicheres Urteil ist nicht möglich. Wenn der Text von *9,26a.b in der 1. Pers. Sing. von Tertullian korrekt bezeugt ist, kann 9,26c nicht Teil von *Ev gewesen sein, weil sich ὅταν ἔλθῃ ἐν τῇ δόξῃ αὐτοῦ nur auf den Menschensohn, aber nicht auf »mich« beziehen kann. 3 In diesem Fall kann auch Tertullians Erwähnung des filius hominis (4,21,8) nicht auf *9,26 zurückgehen. Die Erklärung gibt der D-Text von *9,27, der auch hier den vorkanonischen Wortlaut bietet. Demzufolge geht es nicht um das Sehen der Basileia (Lk 9,27 ἴδωσιν τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ), sondern um das des Menschensohns (ἴδωσιν τ ὸ ν υ ἱ ὸ ν τ ο ῦ ἀ ν θ ρ ώ π ο υ ἐρχόμενον ἐν τῇ δόξῃ αὐτοῦ). 4 Mit dieser Überlegung ______________________________ 2 In Mk 8,38 liegt das gleiche Phänomen der Interferenz von vorkanonischer und kanonischer Textüberlieferung vor. Die übliche Erklärung schlägt Ausfall von λόγους aufgrund von Homoioteleuton (ΕΜΟΥΣ - ΛΟΓΟΥΣ) vor (vgl. etwa M ETZGER , Textual Commentary z. St.: Die versehentliche Auslassung von λόγους sei leichter zu erklären als das Eindringen in eine so breite Überlieferung). Wie für die anderen »Westlichen« Lesarten sieht dies anders aus, wenn die kanonische Redaktion als Bearbeitungsschritt zwischen zwei Texten liegt. Die Lesart Mk 8,38 P 45 usw. ist der Text des vorkanonischen *Mk. 3 An anderer Stelle (Carn. Chr. 5,3) erwähnt Tertullian Lk 9,26, und zwar ebenfalls in einer antimarcionitischen Argumentation und ebenfalls ohne einen Hinweis auf 9,26c. 4 Auch Origenes hat an dieser Stelle τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου anstelle von τήν βασιλείαν gelesen (Comm. in Joh 20,43; GCS 10, 386). 756 Anhang I 9,23-27 werden dann auch die überlieferungsgeschichtlichen Verhältnisse an dieser Stelle durchsichtig: *9,27 Mk 9,1 Mt 16,28 Lk 9,27 ἕως ἂν ἴδωσιν ἕως ἂν ἴδωσιν ἕως ἂν ἴδωσιν ἕως ἂν ἴδωσιν τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ ἐρχόμενον ἐληλυθυῖαν ἐρχόμενον ἐν τῇ δόξῃ αὐτοῦ ἐν δυνάμει ἐν τῇ βασιλείᾳ αὐτοῦ. Die unter anderem durch D bezeugte vorkanonische Formulierung - die Umstehenden werden »den Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommen sehen« - ist Ausdruck der Naherwartung: Noch in dieser Generation. Mk hat das Kommen des Menschensohns durch das der Basileia ersetzt, die nun nicht »in Herrlichkeit«, sondern »mit Macht« kommt. Mt 16,28 hat aus *Ev das »Kommen des Menschensohns« übernommen, aus Mk dagegen das Stichwort der Basileia aufgegriffen, das an die Stelle von ἐν τῇ δόξῃ getreten ist. Da Mt wie *Ev eine Aussage über den Menschensohn macht, kann er auch das abschließende Pronomen beibehalten. Lk hat »die Basileia Gottes« aus Mk übernommen, nicht aber, dass sie »kommt«. In allen Stadien der Rezeption ist die auf das nahe Ende bezogene Semantik des »Kommens« deutlich. 3. Wie Tertullians Referat von *9,26 zeigt, muss die Aussage über den Menschensohn und sein »Kommen in Herrlichkeit« in *Ev gefehlt haben. Sie ist erst durch Mk 8,38 hier eingefügt worden, und zwar ganz sachgerecht als Aussage über den Zeitpunkt, an dem das Gericht über diejenigen ergeht, die sich »des Menschensohns« schämen: ὅταν ἔλθῃ ἐν τῇ δόξῃ τοῦ πατρὸς αὐτοῦ μετὰ τῶν ἀγγέλων τῶν ἁγίων. Als Folge dieses Eingriffs stehen in Mk 8,38f zwei Aussagen über das »Kommen« mit jeweils unterschiedlicher Funktion nebeneinander: Nach 8,38 kommt der »Menschensohn ἐν τῇ δόξῃ τοῦ πατρὸς αὐτοῦ«, und zwar zum Gericht an denen, die sich seiner schämen; nach 8,39 kommt dagegen »die Basileia τοῦ θεοῦ … ἐν δυνάμει«, und zwar als Ausdruck der Naherwartung. Mt hat diese beiden Aussagen über das »Kommen« aus Mk übernommen. Dabei hat er den Gerichtsaspekt von Mk 8,38 || Mt 16,27 verstärkt und hinzugesetzt: καὶ τότε ἀποδώσει ἑκάστῳ κατὰ τὴν πρᾶξιν αὐτοῦ. Zugleich konformiert Mt die (Naherwartungs-)Aussage über das Kommen des Menschensohns aus *Ev (*9,27) mit der über das Kommen der Basileia aus Mk 8,39 und lässt den »Menschensohn in seiner Basileia« kommen (Mt 16,28). 5 ______________________________ 5 Zur mt Redaktion vgl. L UZ , Mt II 487: »V 28 wird nicht neu eingeleitet und wird zum Menschensohnwort, das Reich Gottes wird zum Reich des Menschensohns. So rücken V 27 und 28 zusammen.« 9,23-27 Rekonstruktion 757 Diese nicht ganz glückliche Formulierung hat Lk vermieden, indem er in 9,27 überhaupt nicht mehr vom »Kommen« (des Menschensohns in seiner Herrlichkeit: *Ev; des Menschensohns in seiner Basileia: Mt; der Basileia in Kraft: Mk) spricht, sondern vom »Sehen« der Basileia. Lk hat daher nur noch eine (aus Mk 8,38c übernommene) Aussage über das Kommen: Das des Menschensohns in Lk 9,26c. Gleichwohl zeigt seine Formulierung noch den Einfluss des Ausgangstextes *9,27 fin.: Dass der Menschensohn »in seiner Herrlichkeit und der seines Vaters und der heiligen Engel« kommen werde, ist Ausdruck der Konformierung von *Ev mit Mk (wegen der heiligen Engel). *9,27 Mk 8,38c Mt 16,27a Lk 9,26c (ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρ.) (ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρ.) ἕως ἂν ἴδωσιν ὅταν ἔλθῃ μέλλει γὰρ ὅταν ἔλθῃ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρ. ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρ. ἐρχόμενον ἔρχεσθαι ἐν τῇ δόξῃ ἐν τῇ δόξῃ ἐν τῇ δόξῃ ἐν τῇ δόξῃ αὐτοῦ αὐτοῦ καὶ τοῦ πατρὸς αὐτοῦ τοῦ πατρὸς αὐτοῦ τοῦ πατρὸς μετὰ τῶν ἀγγέλων τῶν ἁγίων μετὰ τῶν ἀγγέλων αὐτοῦ καὶ τῶν ἁγίων ἀγγέλων 4. Das Beispiel der Redaktion von *9,26f ist in mehrfacher Hinsichst instruktiv: Für das überlieferungsgeschichtliche Modell bestätigt sich hier sowohl, dass Mk von *Ev abhängig ist, dessen Text er bearbeitet, als auch, dass Mt direkt - und das heißt: »an Mk vorbei« - auf *Ev zugegriffen hat; dass Lk von *Ev abhängig ist, ist ja ohnehin vorausgesetzt. Darüber hinaus werden hier aber auch die Konturen des redaktionellen Verfahrens sichtbar. Denn es ist offensichtlich, dass die späteren Stadien der *Ev-Rezeption durch Mt und Lk nicht ohne Kenntnis der jeweils vorangehenden Bearbeitungsschritte erreicht werden konnten: Mt hatte neben *Ev auch Kenntnis der mk Fassung, und Lk hat neben *Ev auch Mk und Mt verglichen. Von methodischer Bedeutung ist dabei, dass die Rekonstruktion des *Ev- Textes auch für nichtbezeugte Passagen plausibel gemacht werden kann, wenn neben der Berücksichtigung der Varianten (hier vor allem aus D it) auch die überlieferungsgeschichtlichen Beziehungen ausgewertet werden. Für die weiteren überlieferungsgeschichtlichen Fragen ist zu beachten, dass *Ev zu *9,26 eine ungefähre Entsprechung in *12,8f enthielt (s. dort): Abgesehen von dem auch an anderer Stelle aufgefallenen Umstand, dass schon *Ev »Dubletten« enthielt, die für die Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte aufschlussreich sind (vgl. Lk 12,8f || Mt 10,32f), zeigt Lk 12,8f redaktionelle Eingriffe, die denen in Lk 9,26 entsprechen und so die Kohärenz der Bearbeitung deutlich machen. 758 Anhang I 9,23-27 Vor diesem Hintergrund sind dann auch die (mt-lk) »Minor Agreements« ohne große Schwierigkeiten verständlich, die zu dieser Perikope zu verzeichnen sind. 6 καὶ τοῦ εὐαγγελίου Mk 8,35 ÷ *9,24 || Mt 16,25. - ἐν τῇ γενεᾷ ταύτῃ τῇ μοιχαλίδι καὶ ἁμαρτωλῷ Mk 8,38 ÷ *9,26 || Mt 16,26. - καὶ ἔλεγεν αὐτοῖς Mk 9,1 ÷ *9,27 || Mt 16,28. - ἐληλυθυῖαν ἐν δυνάμει Mk 9,1 ÷ *9,27 || Mt 16,28. Im Rahmen der Zwei-Quellentheorie verursachen diese (negativen) Agreements große Schwierigkeiten, aber im Horizont der *Ev-Priorität ist deutlich geworden, dass es sich durchweg um redaktionelle Änderungen des Mk gegenüber *Ev handelt. 5. Tertullians Argumentation in 4,21,8-12 konzentriert sich völlig auf *9,26 und die Frage der irdischen Existenz Christi: Für welchen Christus könnte es einen Grund gegeben haben, sich seiner zu schämen, »wenn nicht für meinen« (nisi meo Christo, 4,21,10)? Denn nur dieser sei durch die irdische Existenz als Anlass für Beschämung ausgezeichnet - Tertullian nennt die »ganze Hässlichkeit der Geburt und Erziehung, die Würdelosigkeit des Fleisches selbst« (omnis nativitatis et educationis foeditas et ipsius etiam carnis indignitas) und führt detailliert die mit der Geburt verbundenen pudenda an (4,21,11). Dagegen sei der marcionitische Christus »vom Himmel hervorgebracht, mit einem Mal groß, mit einem Mal vollständig, sofort Christus, Geist und Kraft und Gott gewesen - und sonst nichts. Wie er im Übrigen kein wahrer (Mensch) war, dessen (Menschheit) nicht sichtbar war, so muss man auch nicht über den Fluch des Kreuzes erröten, dessen Wahrheit nicht vorhanden war, weil kein Körper vorhanden war« (4,12,11). Dieser argumentative Zusammenhang zeigt eindrücklich, wie zentral der marcionitische Doketismus für Tertullians Argumentation war. *9,28-31a [ 31b.32 ] 33-35.36: Verklärung Jesu Gut für *Ev bezeugt und sicher vorhanden; vermutlich durch Lk redaktionell bearbeitet. 9,28 a ¿Ἐγένετο δὲ μετὰ τοὺς λόγους τούτους ὡσεὶ ἡμέραι ὀκτὼ? a b καὶ παραλαβὼν Πέτρον καὶ Ἰωάννην καὶ Ἰάκωβον ἀνέβη εἰς τὸ ὄρος c [ προσεύξασθαι ] . 29 καὶ ἐγένετο ἐν τῷ προσεύχεσθαι αὐτὸν d ἡ ἰδέα d τοῦ προσώπου αὐτοῦ e ἠλλοιώθη καὶ ὁ ἱματισμὸς αὐτοῦ λευκὸς ἐξαστράπτων. 30 καὶ ἰδοὺ f δύο ἄνδρες f συνελάλουν αὐτῷ, g οἵτινες ἦσαν g h ᾿Ηλίας καὶ Μωϋσῆς h 31 i οἳ ὀϕθέντες i ἐν δόξῃ [ 31b ἔλεγον τὴν ἔξοδον αὐτοῦ ἣν ἤμελλεν πληροῦν k ἐν Ἰερουσαλήμ k . 32 ὁ δὲ Πέτρος καὶ οἱ σὺν αὐτῷ ἦσαν βεβαρημένοι ὕπνῳ· διαγρηγορήσαντες δὲ εἶδον τὴν δόξαν αὐτοῦ καὶ τοὺς δύο ἄνδρας τοὺς συνεστῶτας αὐτῷ. 33 ______________________________ 6 Für Weiteres vgl. N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 121ff; DERS ., Minor Agreements (1991), 50f; E NNULAT , Minor Agreements 196-200. 9,28-36 Rekonstruktion 759 καὶ ἐγένετο ἐν τῷ διαχωρίζεσθαι αὐτοὺς ἀπ’ αὐτοῦ ] εἶπεν ὁ Πέτρος πρὸς τὸν Ἰησοῦν, l Διδάσκαλε, καλόν ἐστιν ἡμᾶς ὧδε εἶναι, καὶ ποιήσωμεν m ὧδε n τρεῖς σκηνάς, n μίαν σοὶ καὶ o Μωϋσεῖ μίαν o καὶ p ᾿Ηλίᾳ μίαν, p μὴ εἰδὼς ὃ λέγει. 34 ταῦτα δὲ αὐτοῦ λέγοντος ἐγένετο νεϕέλη καὶ ἐπεσκίαζεν αὐτούς· ἐϕοβήθησαν δὲ ἐν τῷ εἰσελθεῖν αὐτοὺς εἰς τὴν νεϕέλην. 35 καὶ ϕωνὴ q ἐγένετο ἐκ τῆς νεϕέλης r λέγουσα Οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου s καὶ t ὁ ἀγαπητός t u μου, αὐτοῦ ἀκούετε. 36 καὶ ἐν τῷ γενέσθαι τὴν ϕωνὴν εὑρέθη Ἰησοῦς μόνος. καὶ αὐτοὶ ἐσίγησαν καὶ οὐδενὶ ἀπήγγειλαν ἐν ἐκείναις ταῖς ἡμέραις v [ οὐδὲν ] ὧν ἑώρακαν. A. *9,28.35: Tert. 4,22,1: nam et hoc vel maxime erubescere debuisti, quod illum cum Moyse et Helia in secessu montis conspici pateris, quorum destructor advenerat. Hoc scilicet intellegi voluit vox illa de caelo: Hic est filius meus dilectus, hunc audite! id est non Moysen iam et Heliam. Ergo sufficiebat vox sola sine ostentatione Moysi et Heliae. Definiendo enim quem audirent quoscunque alios vetuisset audiri. ¦ Tert. 4,22,7: tres de discentibus arbitros futurae visionis et vocis assumit. Et hoc creatoris est. In tribus, inquit, testibus stabit omne verbum. In montem secedit. ♦ *9,29: Tert. 4,22,12f: Tradidit igitur pater filio discipulos novos, ostensis prius cum illo Moyse et Helia in claritatis praerogativa, atque ita dimissis, quasi iam et officio et honore dispunctis, ut hoc ipsum confirmaretur propter Marcionem, societatem esse etiam claritatis Christi cum Moyse et Helia … (13) … et rursum idem Abacuc: Operuit caelos virtus, utique nubilo illo, et splendor eius ut luxerit, utique qua etiam vestitus eius refulsit. ¦ Vgl. Origenes, Comm. in Joh 32,27 (GCS 10, 471,29ff): ἐν τῷ κατὰ Λουκᾶν εὐαγγελίῳ … δηλοῦται· Καὶ ἐγένετο ἐν τῷ προσεύχεσθαι αὐτὸν ἡ ἰδέα τοῦ προσώπου αὐτου ἐτέρα, καὶ ἠλλοιώθη ὀ ἱματισμὸς αυτοῦ καὶ ἐγένετο λευκός. ♦ *9,30: Tert. 4,22,2: Nunc et si praesentia illorum fuit necessaria, non utique in colloquio ostenderentur, quod familiaritatis indicium est, nec in consortio claritatis, quod dignationis et gratiae exemplum est, sed in sordibus aliquibus, quod destructionis argumentum est, immo in tenebris creatoris, quibus discutiendis erat missus, longe etiam discreti a claritate Christi, qui voces et litteras ipsas eorum ab evangelio suo erat separaturus. ¦ Tert. 4,22,16: Nam et si Marcion noluit eum (sc. Moysem) colloquentem domino ostensum, sed stantem, tamen et stans os ad os stabat et faciem ad faciem cum illo, inquit, non extra illum, in gloriam ipsius, nedum in conspectu. De qua gloria non aliter illustratus discessit a Christo quam solebat a creatore, proinde tunc oculos percutere filiorum Israelis quemadmodum et nunc excaecati Marcionis, qui hoc quoque argumentum adversus se facere non vidit. ♦ *9,30-31a: Epiph., Schol. 17: καὶ ἰδοὺ δύο ἄνδρες συνελάλουν αὐτῷ, ᾿Ηλίας καὶ Μωϋσῆς ἐν δόξῃ. ♦ *9,31a: Tert. 4,22,12f. ♦ *9,33: Tert. 4,22,4: Igitur et Petrus merito contubernium Christi sui agnoscens individuitate eius suggerit consilium: Bonum est nos hic esse (bonum plane ubi Moyses scilicet et Helias), et faciamus hic tria tabernacula, unum tibi, et Moysi unum, et Heliae unum; sed nesciens quid diceret. Quomodo nesciens? Utrumne simplici errore, an ratione qua defendimus in causa novae prophetiae gratiae ecstasin, id est amentiam, convenire? ¦ Tert. 4,22,16 (s. o.). ♦ *9,34: Tert. 4,22,5: in spiritu enim homo constitutus, praesertim cum gloriam dei conspicit, vel cum per ipsum deus loquitur necesse est excidat sensu, obumbratus scilicet virtute divina … ¦ Tert. 4,22,7 (nubis). ♦ *9,35: Tert. 4,22,1 (s. o.) ¦ Tert. 4,22,8-10: Itaque nec nunc muta nubes fuit, sed vox solita de caelo, et patris novum testimonium super filio, ut qui in primo psalmo: Filius meus es tu, ego hodie genui te … (9) Itaque iam repraesentans eum, Hic est filius meus, utique subauditur, Quem repromisi. Si enim repromisit aliquando, et postea dicit, Hic 760 Anhang I 9,28-36 est, eius est exhibentis voce uti in demonstratione promissi qui aliquando promisit, non eius cui possit responderi, Ipse enim tu quis es qui dicas, Hic est filius meus, de quo non magis praemisisti quam te ipsum quod prius eras revelasti? (10) Hunc igitur audite quem ab initio edixerat audiendum in nomine prophetae, quoniam et prophetes existimari habebat a populo. Prophetam, inquit Moyses, suscitabit vobis deus ex filiis vestris, secundum carnalem scilicet censum, tanquam me audietis illum: omnis autem qui illum non audierit, exterminabitur anima eius de populo suo. Sic et Esaias: Quis in vobis metuens deum? Exaudiat vocem filii eius. Quam et ipse pater commendaturus erat. Sistens enim, inquit, verba filii sui, dicendo scilicet, Hic est filius meus dilectus, hunc audite. ¦ Epiph., Schol. 18: ἐκ τῆς νεϕέλης ϕωνή· Οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ¦ Ephraem, Hymn. 48,10 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου καὶ ὁ ἀγαπητός μου (CSCO 170, 168); Adv. Marc. I (M ITCHELL xliii): »Dies ist mein Sohn und mein Geliebter.« B. a (9,28) εγενετο δε … ημεραι οκτω: om 1247 ¦ add it M (*Ev non test.) ● b (9,33) και: om P 45vid א * B H 579 pc it sy p.h co ¦ add א 2 A C D L W Θ Ξ Ψ f 1.13 sy s.c bo ms M (*Ev non test.) ● c (9,28) προσευξασθαι: om L ¦ add it M (*Ev non test.) ● d (9,29) η ιδεα: D Orig (Comm. in Joh 32,27; GCS 10, 471) ¦ το ειδος: it M (*Ev non test.) ● e (9,29) ηλλοιωθη: D d e sy s.c co ¦ ετερον: a aur b c f ſſ 2 g 1 l q r 1 M (*Ev non test.) ● f (9,30) δυο ανδρες/ duo viri: Epiph 544 aur b d e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg sy s.c.p ¦ (2 1) ανδρες δυο/ viri duo: a c M ● g (9,30) οιτινες ησαν/ qui erant: om Epiph sy s.c ¦ ην δε/ erat autem: D a d; ησαν δε/ erant autem: aur b c e f ſſ 2 l q r 1 vg armen ¦ οιτινες ησαν/ qui erant: add M ● h (9,30) Ηλιας και Μωυσης: Epiph ¦ (3 2 1) Μωυσης και Ηλιας: it M ● i (9,30) οι οϕθεντες: om Epiph ¦ οϕθεντες/ visi: a aur b c d e ſſ 2 l q r 1 (visi in maiestate: aur b l q; in claritate: c; in gloriam: e; in maiestate visi: ſſ 2 ; visi sunt gloria (d); apparentes in maiestate (a r 1 ) ¦ οι οϕθεντες/ qui visi sunt: add f M ● k (9,31) εν Ιερουσαλημ: om e ¦ add M (*Ev non test.) ● l (9,31) διδασκαλε: P 45 X 157 213 a b d r 1 ¦ επιστατα: D (! ) aur c e f ſſ 2 l q M (*Ev non test.) ● m (9,33) ωδε/ hic: Tert d (facio hic) l r 1 vg (1 ms) sy c sa (1 ms) bo (3 mss) ¦ ωδε/ hic: om a aur b c d e f ſſ 2 l q r 1 M ● n (9,33) τρεις σκηνας/ tria tabernacula: Tert D K L Ξ mult lectt aur c d e f ſſ 2 g 1 gat l r 1 vg (1 ms) sy s.c.p.j armen georg ¦ σκηνας τρεις/ tabernacula tria: a b q M ● o (9,33) Μωυσει μιαν/ Moysi unum: Tert A C E G M V Y Π Ω 047 0211 mult ſſ 2 ¦ (2 1) μιαν Μωυσει/ unum Moysi: a aur b c d e f l q r 1 M ● p (9,33) Ηλια μιαν/ Heliae unum: Tert Ψ mult ſſ 2 sy s.c.j.p Tat arab ¦ (2 1) μιαν Ηλια/ unum Heliae: a aur b c d e f l q r 1 M ● q (9,35) εγενετο/ facta est: om Epiph (Tert) ¦ ηλθεν/ venit: D d ¦ εγενετο/ facta est: add a aur b c e f ſſ 2 l q r 1 M ● r (9,35) λεγουσα/ dicens: om Tert Epiph P 45 700 ℓ1074 ℓ1663 b c l sy s sa (1 ms) ¦ λεγουσα/ dicens: add a aur d e f ſſ 2 q r 1 M ● s (9,35) Widersprüchliche Bezeugung: (1) και: Ephraem (Hymn. 48,10; Adv. Marc. I) sy c ¦ (2) om Tert Epiph it sy s.p M ● t (9,35) αγαπητος/ dilectus: Tert Epiph Ephr A C* W f 13 33 a aur (dilectissimus: c) e ſſ 2 l vg cl.ww sy (c).p.h ¦ εκλελεγμενος/ electus: c d vg M ● u (9,35) Widersprüchliche Bezeugung: (1) μου: Ephr ¦ om Tert Epiph it sy M ● v (9,35) ουδεν/ nihil: om P 45 D b d e f l q r 1 Tat arab ¦ add b ſſ 2 l q M (*Ev non test.). C. Tertullians umfangreiche Abhandlung zeigt seinen freien Umgang mit dem Text: Die einzelnen Textbelege sind sehr eng in seine Argumentation eingebettet. Aber zusammen mit den beiden Zitaten aus Epiphanius belegt sein Referat mit wünschenswerter Deutlichkeit, dass der Grundstock dieser Perikope in *Ev vorhanden war. 9,28-36 Rekonstruktion 761 1. Zunächst zeigen die handschriftlichen Varianten in Teilen der kanonischen Textüberlieferung Spuren des vorkanonischen Textes auch in den nicht direkt bezeugten Passagen. Die Interferenz zwischen den beiden Textüberlieferungen ist auch hier als Hinweis auf den vorkanonischen Text von *Ev gewertet: a. In *9,28 fehlt die Einleitung ἐγένετο δὲ μετὰ τοὺς λόγους τούτους ὡσεὶ ἡμέραι ὀκτώ in einer Minuskel (1247), die auch an anderer Stelle den vorkanonischen *Ev- Text stützt. 1 Dass dies kein Versehen ist, sondern eine Spur des vorkanonischen Textes, ergibt sich aus dem Fehlen von καί, das sehr viel breiter bezeugt ist. 2 Die Einfügung von καί wurde notwendig, um die durch die Einfügung der Einleitungswendung entstandenen Hauptsätze (ἐγένετο … καὶ … ἀνέβη) miteinander zu verbinden. Die zeitliche Anbindung des Geschehens an die Belehrung über die Bedingungen der Nachfolge stammt daher aus Mk 9,2 || Mt 17,1. Die lk Redaktion hat dabei die Zeitangabe μετὰ ἡμέρας ἕξ durch ὡσεὶ ἡμέραι ὀκτώ verallgemeinert: In beiden Fällen handelt es sich um übliche Angaben des Zeitraums einer Woche. b. Dass im vorkanonischen Text auch (ἀνέβη εἰς τὸ ὄρος) προσεύξασθαι *9,28 fehlte, legt sich dagegen nicht nur durch die entsprechende Bezeugung in einer einzelnen Majuskel (L) nahe, sondern lässt sich darüber hinaus durch die Überlieferungsgeschichte wahrscheinlich machen. Denn der Hinweis, dass Jesus »um zu beten« mit den Jüngern auf den Berg ging, fehlt in Mk 9,2 || Mt 17,1, hat aber ein Gegenstück in *9,29 (καὶ ἐγένετο ἐν τῷ προσεύχεσθαι αὐτόν). An dieser Stelle ist der Hinweis auf das Gebet mit großer Wahrscheinlichkeit ursprünglich; es ist durchweg bezeugt und taucht auch bei Origenes in einem Zitat auf, das eine andere vorkanonische Lesart enthält. Dass die Mitteilung, die Verklärung Jesu sei ἐν τῷ προσεύχεσθαι αὐτόν geschehen, bereits in *Ev stand, wird darüber hinaus durch die entsprechende Variante in Mk 9,2c wahrscheinlich. 3 Sie ist demnach nicht als sekundäre Konformierung aufgrund der lk Fassung zu verstehen, sondern zeigt den (älteren) Einfluss der vorkanonischen Textüberlieferung. Das heißt: Mk hat den Hinweis auf die Verklärung »während des Gebets«, den er in *Ev fand, gestrichen und den Gang Jesu auf den Berg dadurch motiviert, dass er Jesus mit den Jüngern »allein« (κατ’ ἰδίαν μόνους) sein lassen wollte (Mk 9,1). Mt 17,1f ist ihm darin gefolgt. Lk hat dagegen den Hinweis auf das Gebet aufgegriffen und ihn - vermutlich in der Sache ganz zutreffend - auch als Motiv für den Gang auf den Berg in 9,1 eingetragen. c. Auch das Fehlen der doppelten Verneinung in *9,36 ist als Beleg für die textgeschichtliche Interferenz zu verstehen: Unter den Handschriften, die das Fehlen von (οὐδενὶ …) οὐδέν bezeugen, sind auffällig viele, die sich für diese Interferenz ______________________________ 1 Vgl. *12,32; *21,8 (s. Anhang III). 2 P 45vid א * B H 579 pc it sy p.h co. 3 Mk 9,2c: (και) εν τω προσευχεσθαι αυτους (αυτον: Θ 28 pc) (μετεμορϕωθη …) P 45 W Θ f 13 (565) pc. 762 Anhang I 9,28-36 häufig als besonders anfällig erweisen (außer D it Tat hier auch noch P 45 ). Dies ist als Hinweis darauf zu werten, dass *9,36 in *Ev enthalten war. 2. Eine Reihe weiterer Abweichungen, die sich aus den Referaten Tertullians und Epiphanius’ ergeben, werden außerdem durch handschriftliche Varianten gestützt. Neben diesen kleineren Varianten, die sich aus der Rekonstruktion ergeben, sind vor allem zwei Probleme erklärungsbedürftig. So ist Lk 9,31b mit der charakteristischen Aussage über Jesu »Ausgang in Jerusalem« unbezeugt. Dies ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf die Unzuverlässigkeit der Zeugen zurückzuführen, sondern auf lk Redaktion. Auffällig ist zunächst, dass Tertullians Argumentation auf das Gespräch Jesu mit Mose und Elia allergrößten Wert legt, dann aber über seinen Inhalt gar nichts mitteilt. Er erwähnt das Gespräch in der Einleitung seines Referats (4,22,2: in colloquio ostenderentur) und deutet es später ausführlich (4,22,15f), indem er auf das Gespräch des Mose mit Gott (Ex 33) verweist; für Tertullian ist daran entscheidend, dass auch Marcions Evangelium Mose und Elia im Gespräch mit Jesus zeigt, obwohl der doch - der den Marcioniten unterstellten Ansicht zufolge - als ihr »Vernichter« erschienen war. 4 Die Vertreter der Lk-Priorität sehen an dieser Stelle einen Widerspruch, den sie unterschiedlich lösen: Einerseits behauptet Tertullian, dass das marcionitische Evangelium Jesus, Mose und Elia im »im Gespräch gezeigt« habe (4,22,2: in colloquio ostenderentur), andererseits findet sich der Hinweis, dass Marcion Mose nicht im Gespräch mit dem Herrn zeigen wollte (4,22,16: nam et si Marcion n o l u i t eum [sc. Moysem] colloquentem domino ostensu). Harnack zufolge habe Tertullian Marcions wirkliche Meinung über das Gespräch Jesu mit Mose und Elia durch das noluit zutreffend wiedergegeben, während er die erste, positive Bemerkung 4,22,2(f) »versehentlich« und unter dem Eindruck seines eigenen kanonischen Textes gemacht habe. Die Folge ist, dass Harnack für *9,30 συνέστησαν anstelle des durch Epiphanius gut bezeugten συνελάλουν annimmt und auf diese Weise jeden Hinweis auf das Gespräch tilgt. 5 Tsutsui nimmt das Zeugnis des Epiphanius ernster; er kritisiert Harnacks Vorschlag einer späteren Änderung durch die Marcioniten und fragt zu Recht: »Wozu mußten sie denn ihren Jesus unmittelbar mit Moses und Elias sprechen lassen? « 6 Trotzdem hat er den Widerspruch ähnlich wahrgenommen wie Harnack, schlägt aber vor, dass die positive zweite Erwähnung des Gesprächs in 4,22,15f »ein Versehen« sei. 7 Beide übersehen, dass Tertullian dieses Gespräch sehr ausführlich (und weit über die beiden fraglichen Stellen hinaus) behandelt. Es liegt hier nicht nur kein Selbstwiderspruch vor, die beiden genannten Pole stellen vielmehr die Pointe dar. Denn die Bemerkung, dass »Marcion Mose nicht im Gespräch mit dem Herrn zeigen wollte« (4,22,16) bezieht sich ja nicht auf das Gespräch bei ______________________________ 4 Vgl. 4,22,1: … quorum destructor advenerat. 5 H ARNACK 202f*. Das von Epiphanius bezeugte συνελάλουν (Schol. 17) muss Harnack deswegen auf die »späteren Marcioniten« zurückführen (ebd. 203*). 6 T SUTSUI 93. 7 A. a. O. 94. 9,28-36 Rekonstruktion 763 der Verklärung, sondern auf Moses Unterredung mit Gott; wie der Zusammenhang zwischen gloria und Gespräch stans os ad os … faciem ad faciem deutlich zeigt, dachte Tertullian hier an Ex 33 als Analogie zu *9,28ff: Das noluit (4,22,16) impliziert daher Marcions angebliche Verwerfung des AT, nicht aber eine entsprechende Änderung seines Evangeliums. Tertullians Argument lautet daher: Hätte Marcion das AT nicht verworfen, wüsste er, dass Mose schon mit Gott gesprochen hatte. Aber gerade so, wie Mose, obwohl der doch die Herrlichkeit Gottes gesehen hatte, »die Augen der Israeliten blendete, so blendet er jetzt die Augen des blinden Marcion, der nicht erkennt, dass dieses Argument gegen ihn gerichtet ist« (4,22,16: … tunc oculos percutere filiorum Israelis quemadmodum et nunc excaecati Marcionis, qui hoc quoque argumentum adversus se facere non vidit). So bleibt festzuhalten: Das Gespräch zwischen Jesus, Mose und Elia ist für Tertullian von entscheidender Bedeutung, weil es die theologische Notwendigkeit der Verbindung des Evangeliums mit dem AT untermauert. Das aber bedeutet: Es spricht alles dafür, dass in *9,30 das durch Epiphanius bezeugte Verb συνελάλουν stand und dass die gesamte Argumentation Tertullians auf dieses Gespräch Jesu mit Mose und Elia abzielt. Angesichts dieser Bedeutung, die Tertullian dem Gespräch zumisst, ist es mehr als auffällig, dass er über seinen Inhalt - die Weissagung über die kommende Erfüllung des »Ausgangs« Jesu in Jerusalem - überhaupt nichts mitteilt. Da das Ende Jesu in Jerusalem einer der Punkte ist, die sich besonders gut in das lk Redaktionskonzept fügen, ist Lk 9,31b mit hoher Wahrscheinlichkeit lk Redaktion. Auch Ephraem hat das Gespräch Jesu mit Mose und Elia auf dem Berg mehrfach und ausführlich thematisiert. 8 Ephraems Ausführungen sind von Interesse, weil man aus ihnen geschlossen hat, sie würden implizieren »that Marcion undoubtedly included Luk. 9,30-31 in his Gospel text.« 9 Allerdings ist diese Schlussfolgerung unhaltbar. Abgesehen davon, dass nicht jede Äußerung der antimarcionitischen Polemik (im 4. Jh.) durch ein »mirror-reading-Verfahren« auf eine entsprechende Gegenposition (im 2. Jh.) oder gar auf eine entsprechende Textgrundlage schließen lässt, gibt Ephraems Text diese Schlussfolgerung nicht her. Ephraem setzt, ganz ähnlich wie Tertullian, einen Gegensatz zwischen Jesus auf der einen Seite und Mose und Elia auf der anderen voraus. Er wundert sich daher, was die drei eigentlich zu besprechen hatten. Ephraems spekulative Erwägungen über den Inhalt dieses Gesprächs lassen deutlich genug erkennen, dass weder er selbst noch die von ihm bekämpften Marcioniten eine Vorstellung über den Inhalt der Unterredung hatten. Vielmehr ist diese inhaltliche Leerstelle die Voraussetzung für die argumentativen Spekulationen. Dies bedeutet, dass Ephraem (genau wie Tertullian) zwar weiß, dass dieses ______________________________ 8 Ephraem, Comm. Diat. 14,9 (FC 54/ 2, 412f); Hymn. 48,8-10 (CSCO 170, 167f). Wichtig sind vor allem die polemischen Bemerkungen Adv. Marc. I (M ITCHELL xxxix-xliv). 9 H. J. W. D RIJVERS , Christ as Warrior and Merchant. Aspects of Marcion’s Christology (StPatr 21), Leuven 1989, 73-85: 76. Roth folgt dieser Ansicht: »Ephrem thus further confirms the presence of that part of the verse« (R OTH 405f). 764 Anhang I 9,28-36 Gespräch stattgefunden hat (wie Epiphanius’ Bezeugung von *9,30a ja belegt), nicht aber, was dabei gesprochen wurde. Tatsächlich gibt es von 9,31b gerade keine Spur. 10 In diesem Fall wird auch Lk 9,32 mit dem Hinweis auf den Schlaf der Jünger redaktionell sein. Denn der Inhalt des Gesprächs über den »Ausgang in Jerusalem« und der Schlaf der Jünger gehören sachlich zusammen: Lk »hat sie einschlafen lassen …, damit sie von Jesu Gespräch mit Mose und Elia nichts mitbekommen« 11 und er sie ahnungslos auf den Weg nach Jerusalem mitschicken kann. Da der ganze Zusammenhang mit dem Inhalt des Gesprächs, dem Schlaf der Jünger, ihrem Erwachen und dem Abschied von Mose und Elia (Lk 9,31b.32.33a) in den synoptischen Parallelen fehlt (er wäre zwischen Mk 9,4.5 || Mt 17,3.4 zu erwarten), liegt es nahe, dass es sich um einen Eintrag der lk Redaktion handelt. Dies lässt sich freilich nicht beweisen. 3. Tertullian, Epiphanius und Ephraem bezeugen übereinstimmend, dass die Himmelsstimme *9,35 vom »geliebten« Sohn sprach. 12 Ein Teil der kanonischen Handschriftenüberlieferung (A C D W lat sy (c)p usw.) bezeugt ebenfalls ἀγαπητός anstelle des besser bezeugten ὁ ἐκλελεγμένος. 13 Angesichts der einheitlichen Bezeugung ist ὁ ἀγαπητός die ursprüngliche Lesart in *Ev. Das mehrheitlich bezeugte ὁ ἐκλελεγμένος ist also lk Redaktion, die an dieser Stelle um so schwerer wiegt, als sie nicht nur von *Ev, sondern auch von den synoptischen Parallelen (Mk 9,7 || Mt 17,5) abweicht. Die verschiedentlich bezeugte Lesart ὁ ἀγαπητός ist an dieser Stelle also gerade nicht von den synoptischen Parallelen beeinflusst, wie der Apparat von NA 27 nahelegt, 14 die textgeschichtliche Entwicklung verläuft genau umgekehrt: *Ev hatte ἀγαπητός, das sich noch in einer Reihe von Lk-Handschriften erhalten hat, und von dort haben es Mk 9,7 || Mt 17,5 übernommen; erst die lk Redaktion hat daraus ἐκλελεγμένος gemacht. Allerdings weicht der Text, den Ephraem für die Marcioniten bezeugt, in zwei Kleinigkeiten von Tertullians und Epiphanius’ Zeugnis ab: Gleich zwei Mal referiert Ephraem, dass ὁ ἀγαπητός nicht als attributives Partizip zu υἱός stand, sondern durch eine Konjunktion angeschlossen war; die Konjunktion wĕfindet sich auch in sy c , ist also wohl kein Versehen Ephraems. Daneben bietet Ephraem (und zwar als Einziger) das Suffix der 1. Pers. Sing. zwei Mal: Mein Sohn und mein Geliebter. Ob Ephraem hier einen anderen Text gelesen hat als alle (auch syrischen) Handschriften ______________________________ 10 Vorsichtig B E D UHN 151: Ob die Ephraem von Ephraem berichtete Debatte »depended specifically on the details of v. 31b remains an open question.« 11 W OLTER , Lk 353 z. St. 12 Tert. 4,22,1.10: filius meus d i l e c t u s ; Epiphanius, Schol. 18: ὁ υἱός μου ὁ ἀ γ α π η τ ό ς . Ephraem, Hymn. 48,10; Adv. Marc. I. 13 D. S. W ILLIAMS , Reconsidering Marcion’s Gospel, JBL 108 (1989), 477-496: 481 Anm. 13; 486, hat bei Tert. irrtümlich delictus anstatt dilectus gelesen und daher diese Stelle unter die Beispiele für eine abweichende Bezeugung gerechnet; tatsächlich entsprechen sich die Zeugnisse genau. 14 So auch die Begründung von M ETZGER , Textual Commentary z. St. 9,28-36 Rekonstruktion 765 oder ob er denselben Text (mit nur einem Possessivpronomen) nur anders übersetzt hat, ist schwer zu entscheiden. Auch wenn diese beiden Kleinigkeiten sich semantisch kaum auswirken, folge ich in beiden Fällen Ephraems Zeugnis nach dem methodischen Grundsatz, dass die am weitesten vom kanonischen Mehrheitstext entfernte Lesart am ehesten für *Ev in Betracht zu ziehen ist. Im ersten Fall (Konjunktion zwischen υἱός und ἀγαπητός) löst dieser Grundsatz eine widersprüchliche Bezeugung auf. 4. Schließlich: Tertullian bezeichnet die Himmelsstimme *9,35 als des Vaters neuerliches Zeugnis für den Sohn und verweist im Anschluss auf Ps 2,7. 15 Das ist auf den ersten Blick irritierend, weil das »neue Zeugnis« auf die Himmelsstimme bei der Taufe Jesu zu verweisen scheint, Lk 3,22 aber (auch nach Tertullians eigenem Zeugnis) mit Sicherheit in *Ev gefehlt hat. 16 Der Kontext zeigt jedoch, dass Tertullians Bemerkung nicht auf die Himmelsstimme bei der Taufe abzielt, sondern auf Ps 2, den Tertullian christologisch deutet: Er ist an der Identität der Himmelsstimme in *9,35 und dem Gott des Alten Testaments interessiert und sieht die Analogie zu *9,35 in Ex 19f: Die Lokalisierung auf dem Berg, die Wolke sowie die daraus hervorgehende Stimme markieren das dreifache Zeugnis, durch das stabit omne verbum (4,22,7f). *9,37-39.40f.42-43.44.45: Tadel der ungläubigen Generation. Exorzismus des epileptischen Knaben. Erneute Leidensankündigung Nur teilweise bezeugt, aber vermutlich ganz in *Ev vorhanden; geringfügig durch Lk bearbeitet. 9,37 Ἐγένετο δὲ a διὰ τῆς ἡμέρας a b κατελθόντα αὐτὸν b ἀπὸ τοῦ ὄρους c συνελθεῖν αὐτῷ ὄχλον πολύν. c 38 καὶ ἰδοὺ ἀνὴρ ἀπὸ τοῦ ὄχλου ἐβόησεν λέγων, Διδάσκαλε, δέομαί σου ἐπιβλέψαι ἐπὶ τὸν υἱόν μου, ὅτι μονογενής μοί ἐστιν, 39 d λαμβάνει γὰρ αὐτὸν ἐξαίϕνης πνεῦμα καὶ ρήσσει καὶ σπαράσσει d μετὰ ἀϕροῦ καὶ μόγις ἀποχωρεῖ ἀπ’ αὐτοῦ συντρῖβον αὐτόν· 40 καὶ ἐδεήθην τῶν μαθητῶν σου e καὶ οὐκ ἠδυνήθησαν ἐκβάλειν αὐτό. e 41 f Καὶ (εἶπεν? ) {πρὸς αὐτούς} f Ὦ γενεὰ ἄπιστος g καὶ διεστραμμένη g , ἕως πότε h † ἔσομαι πρὸς ὑμᾶς καὶ † h ἀνέξομαι ὑμῶν; προσάγαγε i [ ὧδε ] τὸν υἱόν σου. 42 ἔτι δὲ προσερχομένου αὐτοῦ ἔρρηξεν αὐτὸν τὸ δαιμόνιον καὶ k συνεσπάραξεν· ἐπετίμησεν δὲ ὁ Ἰησοῦς τῷ πνεύματι τῷ ἀκαθάρτῳ, καὶ l ἀϕήκεν αὐτὸν καὶ ἀπέδωκεν τὸν παῖδα l τῷ πατρὶ αὐτοῦ. 43a ἐξεπλήσσοντο δὲ πάντες ἐπὶ τῇ μεγαλειότητι τοῦ θεοῦ. ______________________________ 15 Tert. 4,22,8: patris n o v u m testimonium super filio, ut qui in primo psalmo: Filius meus es tu, ego hodie genui te. 16 S. o. zu *3,1a.4,31-35(36f). 766 Anhang I 9,37-45 43b Πάντων δὲ θαυμαζόντων ἐπὶ πᾶσιν οἷς ἐποίει εἶπεν πρὸς τοὺς μαθητὰς αὐτοῦ, 44 Θέσθε ὑμεῖς εἰς τὰ ὦτα ὑμῶν τοὺς λόγους τούτους, ὁ γὰρ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου μέλλει παραδίδοσθαι εἰς χεῖρας ἀνθρώπων. 45 οἱ δὲ ἠγνόουν τὸ ῥῆμα τοῦτο, [ καὶ ἦν παρακεκαλυμμένον ἀπ’ αὐτῶν ἵνα μὴ αἴσθωνται αὐτό. ] (Zu *9,46: Καὶ ἐϕοβοῦντο m ἐπερωτῆσαι αὐτὸν [ περὶ τοῦ ῥήματος τούτου ] …). A. *9,40f: Epiph., Schol. 19: Καὶ ἐδεήθην τῶν μαθητῶν σου. εἶχε δὲ παρὰ τό Ὀυκ ἠδυνήθησαν ἐκβάλειν αὐτό Καὶ πρὸς αὐτούς· Ὦ γενεὰ ἄπιστος, ἕως πότε ἀνέξομαι ὑμῶν; ♦ *9,41: Tert. 4,23,1f: Suscipio in me personam Israelis. Stet Christus Marcionis et exclamet: O genitura incredula, quousque ero apud vos? quousque sustinebo vos? Statim a me audire debebit: Quisquis es, ἐπερχόμενε, prius ede quis sis, et a quo venias, et quod in nobis tibi ius. Usque adhuc creatoris est totum apud te. Plane si ab illo venis et illi agis, admittimus increpationem (2) … Suscipio adhuc et personam discipulorum, in quos insiliit. O natio incredula, quamdiu ero vobiscum, quamdiu vos sustinebo? ♦ *9,44: Epiph., Schol. 20: ὁ γὰρ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου μέλλει παραδίδοσθαι εἰς χεῖρας ἀνθρώπων. B. a (9,37) δια της ημερας: D it sy s sa ms (της ημερας: P 45 ) ¦ τη εξης ημερα: M (*Ev non test.) ● b (9,37) κατελθοντα αυτον: D d sa ms bo ms ; κατελθοντι αυτω: 1427 Tat pers ; κατελθοντι τω Ιησου: 0115 0211 c 2766 ¦ κατελθοντων αυτων: it M (*Ev non test.) ● c (9,37) συνελθειν αυτω οχλον πολυν: D d ¦ συνηντησεν αυτω οχλος πολυς: it M (*Ev non test.) ● d (9,39) λαμβανει γαρ αυτον εξαιϕνης πνευμα και ρησσει και σπαρασσει: D d (e) ¦ και ιδου πνευμα λαμβανει αυτον και εξαιϕνης κραζει και σπαρασσει αυτον: (it) M (*Ev non test.) ● e και ουκ ηδυνηθησαν εκβαλειν αυτο: Epiph ¦ ινα απαλλαξωσιν αυτον + 1-3: D d ¦ ινα εκβαλωσιν αυτο + 1-3: it M ● f (9,41) και (ειπεν? ) προς αυτους: Epiph ¦ αποκριθεις δε ο Ιησους ειπεν/ respondens autem (c: itaque) Iesus dixit: a aur b c d f ſſ 2 l q [r 1 : 3 2 1 4]) ¦ respondit Iesus et dixit: (e) M ● g (9,41) και διεστραμμενη/ et perversa: om Tert Epiph a e ¦ add aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ● h (9,41) εσομαι προς υμας και: Widersprüchliche Bezeugung: (1) om Epiph ¦ (2) add Tert it M ● i (9,41) ωδε: om D vg mss ¦ ωδε pon. post τον υιον σου: A C W Θ Ψ 0115 f 13 33 r 1 ¦ ωδε τον υιον σου: M ● k (9,42) συνεταραξεν: D 205 1319 d ¦ συνεσπαραξεν: it M (*Ev non test.) ● l (9,42) αϕηκεν αυτον και απεδωκεν τον παιδα: D d (e) ¦ ιασατο τον παιδα και απεδωκεν αυτον: it M (*Ev non test.) ● m (9,45) επερωτησαι: C D K M Π 0211 mult ¦ ερωτησαι M (*Ev non test.). C. Von der Perikope über die Heilung des besessenen Knaben sind nur *9,40f sowie von der Jüngerbelehrung *9,44b bezeugt. Allerdings setzt die Wiedergabe der Bitte des Vaters sowie Epiphanius’ Mitteilung über das Unvermögen der Jünger eine narrative Einleitung zwingend voraus, die mindestens *9,38f entsprochen haben muss. Ebenso muss der abschließende Exorzismus bereits in *Ev enthalten gewesen sein (*9,42f). Im Unterschied zu Mk und Mt, bei denen die folgende Leidensankündigung szenisch abgetrennt ist (Mk 9,30 || Mt 17,22), gehört *9,43b-45 als Abschluss unmittelbar zu der Erzählung vom Exorzismus mit hinzu. 1. Wie immer gilt auch hier, dass auffällige Varianten (vor allem aus D it sy) als Indiz für die Interferenz von vorkanonischer und kanonischer Textüberlieferung verstanden werden können. Auch wenn sich der genaue Text damit nicht mit der 9,37-45 Rekonstruktion 767 wünschenswerten Zuverlässigkeit ermitteln lässt, machen solche Varianten immerhin die Existenz einer vorkanonischen Entsprechung an diesen Stellen wahrscheinlich. In diesem Fall gilt dies für die nicht bezeugte Einleitung der Perikope (*9,37-39) und für den Bericht von der Heilung (*9,41c.42). Der einzige Vers, für den weder die häresiologische Bezeugung noch die handschriftliche Überlieferung Hinweise geben, ist der Chorschluss in V. 43a; an dieser Stelle können nur überlieferungsgeschichtliche Erwägungen weiterhelfen. 2. Für diese sind zunächst die zahlreichen und gravierenden (mt-lk) »Minor Agreements« zu nennen. 1 Wichtig sind zunächst die umfangreichen negativen Übereinstimmungen, in denen längere mk Passagen keine mt-lk Entsprechung besitzen: περὶ αὐτοὺς καὶ γραμματεῖς … συζητεῖτε πρὸς αὐτούς Mk 9,14b-16b ÷ *9,37 || Mt 17,14. - καὶ πεσὼν ἐπὶ τῆς γῆς … ἐκ παιδιόθεν Mk 9,20d-21 ÷ *9,42 || Mt 17,17. - ἀλλ’ εἴ τι δύνῃ … ὅτι ἐπισυντρέχει ὄχλος … Mk 9,22c-25a ÷ *9,42 || Mt 17,17. - λέγων αὐτῷ … εἰσέλθῃς εἰς αὐτόν Mk 9,25c-e ÷ *9,42 || Mt 17,18. - καὶ ἐγένετο ὡσεὶ νεκρός … καὶ ἀνέστη Mk 9,26b-27 ÷ *9,42 || Mt 17,18. - καὶ οὐκ ἤθελεν ἵνα τις γνοῖ Mk 9,30 ÷ *9,43b || Mt 17,22. Diese mk »Überschüsse« konstituieren ein besonderes Problem, weil hier form- und redaktionsgeschichtliche Erwägungen zu der Frage der literarischen Abhängigkeit hinzutreten: Die scheinbare »Uneinheitlichkeit« der mk Fassung, die sich vor allem in den Doppelungen und Spannungen äußert, 2 erschwert die literarkritische Untersuchung, weil bei der üblicherweise angenommenen Mk-Priorität nicht klar ist, was an seiner Erzählung Tradition und was Redaktion ist. Dementsprechend disparat sind die Erklärungen. 3 Die relativ klare Bezeugungslage stellt sicher, dass Umfang und Profil der Perikope in *Ev der kanonischen Gestalt i. W. entsprochen haben. Die engen Übereinstimmungen zwischen Mt 17,14-21 und Lk 9,37-43a gegenüber der sehr viel ausführlicheren und auch von der narrativen Intention her deutlich anders gewichteten mk Fassung (Mk 9,14-29) sind daher als gemeinsame Abhängigkeit von *9,37-43a zu verbuchen. In der Perspektive der Zwei-Quellentheorie konstituieren diese mt-lk Gemeinsamkeiten ein besonders gravierendes »Major Agreement«, das keine ______________________________ 1 Vgl. weiter N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 126ff; DERS ., Minor Agreements (1991), 53ff; E NNULAT , Minor Agreements 208-213. 2 Vgl. H. A ICHINGER , Zur Traditionsgeschichte der Epileptiker-Perikope, in: A. Fuchs, Spuren von Deuteromarkus I, Münster 2004, 245-280: 246 Anm. 2: Doppelungen der Krankengeschichte: 9,17.20; der Erwähnung des Herbeieilens der Menge 9,14f.25. Inhaltliche Spannung: die Frage der Jünger (9,28) bezieht sich nicht auf die Antwort Jesu 9,23. Dass diese »Spannung« auch ganz anders zu beurteilen ist, wird gleich deutlich werden. 3 Vgl. etwa R. B ULTMANN , Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen 7 1967, 225f, der zwei bereits vormk verbundene Wundergeschichten (9,14-20.21-27) postulierte. K. K ERTELGE , Die Wunder Jesu im Markusevangelium, München 1970, 174-179, nahm dieselbe Zweiteilung an, hielt aber nur Mk 9,20-27 für Tradition, 9,14-19.28f dagegen für redaktionell. Noch anders W. S CHENK , Tradition und Redaktion in der Epileptiker-Perikope Mk 9,14-27, ZNW 63 (1972), 76-94, der vor allem aufgrund sprachlicher Indizien die christologischen, lehrhaften und auf den Glauben bezogenen Motive für redaktionell erklärte. 768 Anhang I 9,37-45 einfache Erklärung findet. 4 Angesichts des Befundes mit der ausgeprägten Eigenständigkeit der mk Fassung spräche im Rahmen der Zwei-Quellentheorie eigentlich alles dafür, hier eine »Mk-Q-Doppelüberlieferung« anzunehmen. Dies ist m. W. aber nicht geschehen. Neben diese umfangreichen negativen Übereinstimmungen treten allerdings auch etliche positive Übereinstimmungen, von denen hier nur die wichtigsten genannt sind. λέγων *9,38 || Mt 17,15 ÷ Mk 9,17. - οὐκ ἠδυνήθησαν *9,40 || Mt 17,16 ≠ οὐκ ἴσχυσαν Mk 9,18. - Ἰησοῦς εἶπεν *9,41a || Mt 17,17 ≠ αὐτοῖς λέγει Mk 9,19. - καὶ διεστραμμένη *9,41b || Mt 17,17 ÷ Mk 9,19. - ὧδε *9,41d || Mt 17,17 ≠ πρός με Mk 9,19. - ὁ Ἰησοῦς *9,42c || Mt 17,18 ÷ Mk 9,25. - καὶ ἰάσατο τὸν παῖδα *9,42d || καὶ ἐθεραπεύθη ὁ παῖς Mt 17,18 ÷ Mk 9,27. - μέλλει (…) παραδίδοσθαι *9,44 || Mt 17,22 ≠ παραδίδοται Mk 9,31. Wie immer eröffnet die Annahme der *Ev-Priorität zwei verschiedene Möglichkeiten für das Zustandekommen der »Minor Agreements«: Sie können entweder auf eine mk Änderung an *Ev zurückgehen, das Mt und Lk jedoch unverändert rezipiert haben (*Ev = Mt = Lk ≠ Mk), oder darauf, dass Mt *Ev redigierte, während Mk und Lk den Wortlaut von *Ev unverändert übernommen haben (*Ev = Mk = Lk ≠ Mt). Für diese Perikope sind beide Phänomene auf engstem Raum nebeneinander zu beobachten: a. Gegen οὐκ ἴσχυσαν Mk 9,18 formulieren Mt 17,16 und Lk 9,40 übereinstimmend οὐκ ἠδυνήθησαν. Diese Formulierung ist durch Epiphanius bereits für *Ev bezeugt. Die redaktionelle Änderung geht auf Mk zurück, aber sowohl Mt als auch Lk folgen nicht ihm, sondern dem Ausgangstext *Ev: *Ev = Mt = Lk ≠ Mk. b. Auf andere Weise ist das Fehlen von καὶ διεστραμμένη Lk 9,41b || Mt 17,17 in Mk 9,19 zustande gekommen. Nach dem übereinstimmenden Zeugnis von Tertullian und Epiphanius, das zudem durch zwei Altlateiner (a e) gestützt wird, haben diese Worte in *Ev gefehlt. 5 Die mt-lk Übereinstimmung geht daher auf eine mt Änderung an *Ev zurück, die Lk übernimmt. Dieses Beispiel, das besondere ______________________________ 4 Vgl. nur W OLTER , Lk 356, der eine »eine monokausale Erklärung« der genannten Agreements für unzureichend hält und stattdessen vorschlägt, sie auf »Zufall« oder auf Einfluss der mündlichen Überlieferung oder auf das Mt und Lk vorliegende Mk-Exemplar zurückzuführen. Diese Erklärung erklärt nichts, sondern ist Ausdruck der Ratlosigkeit: Das zugrunde liegende Modell ist unzureichend. Aber auch alternative Erklärungen scheitern; so muss etwa die Deuteromarkustheorie annehmen, dass die deutero-mk Redaktion von Mk ein redaktionelles Interesse an der Tilgung von Mk 9,14b-16b. 20d-21.22c-25. 26b-27 hatte (vgl. A ICHINGER , a. a. O.) 5 Zum Problem, ob die Varianten in Lk 9,41b (a e) ausreichen, um καὶ διεστραμμένη als mt Paralleleinfluss auf Lk zu erklären, vgl. B. H. S TREETER , The Four Gospels, London 1924, 371; J. S CHMID , Matthäus und Lukas, Freiburg/ Brsg. 1930, 124 Anm. 2. 9,37-45 Rekonstruktion 769 Aufmerksamkeit auf sich gezogen und verschiedene Erklärungen gefunden hat, 6 zeigt nicht nur die mk Rezeption des vorkanonischen Textes, sondern belegt außerdem die Verwendung (und Vergleichung! ) von Mt durch Lk: *Ev = Mk ≠ Mt = Lk. 3. Obwohl die handschriftlichen Varianten in der Regel semantisch unauffällig sind, haben sie hier - sofern sie tatsächlich den vorkanonischen Text repräsentieren - eine wichtige Auswirkung, deren Bedeutung allerdings erst im Horizont des hier vorausgesetzten überlieferungsgeschichtlichen Modells sichtbar wird. Denn in *9,37 lesen etliche Handschriften Singular (κατελθόντα αὐτόν) anstelle des ansonsten bezeugten Plurals (κατελθόντων αὐτῶν). Die Folge ist, dass die einzigen »erzählten« Personen Jesus, der Vater und sein Sohn sowie die zwei Mal erwähnte Menge sind. Die Jünger sind dagegen nur als »besprochene« Personen im Bericht des Vaters über das Unvermögen präsent (*9,40), kommen aber in der Erzählstimme gar nicht vor. Dies hat Folgen für das Verständnis des Scheltwortes Jesu in *9,41: Nach Epiphanius richtet es sich nur einfach πρὸς αὐτούς. Im Unterschied zur lk Fassung ist für *Ev nicht erkennbar oder gar wahrscheinlich, dass damit die Jünger gemeint sind: Das Pronomen referiert auf den Vater und die ihn umgebende Menge als Adressaten des Logions. Im Unterschied zu *Ev leitet Mk 9,19 die Reaktion Jesu mit ὁ δὲ ἀποκριθεὶς α ὐ τ ο ῖ ς λέγει ein. Nach der Einleitung Mk 9,14a (καὶ ἐλθόντες πρὸς τοὺς μ α θ η τ ά ς ) kann sich das αὐτοῖς nur auf die Jünger beziehen, mit denen die Menge im Streit liegt (Mk 9,16: τί συζητεῖτε πρὸς α ὐ τ ο ύ ς ). Zusammen mit der mk Fortführung der eigentlichen Heilungserzählung in der gesonderten Jüngerbelehrung (Mk 9,28f), die eine Entsprechung in Mt 17,19f hat, nicht aber in *Ev/ Lk, wird damit deutlich, dass Mk hier allen Ton auf Jesu Kritik (und Belehrung) der Jünger legt. Damit steht dann auch die Bedeutung der rhetorischen Frage Jesu in *9,41 zur Debatte. Der Wortlaut ist für *Ev widersprüchlich bezeugt: Während Tertullian - auf engstem Raum und in unterschiedlicher Formulierung! - wie die kanonische Fassung zwei Fragen bietet, 7 hat Epiphanius keine Entsprechung zu der ersten Frage (ἕως πότε ἔσομαι πρὸς ὑμᾶς), sondern erwähnt nur die Frage: ἕως πότε ἀνέξομαι ὑμῶν; Wie auch sonst häufig repräsentiert der am weitesten von der kanonischen Fassung entfernte Text mit einiger Wahrscheinlichkeit den vorkanonischen Wortlaut. In diesem Fall ist dies der des Epiphanius. Seine Frage bedeutet dann nicht: »Wie lange ______________________________ 6 H. S CHÜRMANN , Lk I 570 Anm. 125, hat darauf hingewiesen, dass Dtn 32,5 im Hintergrund stehen könne, der die unabhängige Ergänzung des mk Text durch Mt und Lk erklären würde; ähnlich W OLTER , Lk 358 z. St. 7 Tert. 4,23,1.2: o genitura incredula, q u o u s q u e e r o a p u d v o s , quousque sustinebo vos? - o natio incredula, q u a m d i u e r o v o b i s c u m , quamdiu vos sustinebo? 770 Anhang I 9,37-45 werde ich noch bei euch (Jüngern) sein und euch aufhelfen? «, 8 sondern richtet sich - erkennbar distanzierter und kritischer - an die Menge: »Wie lange muss ich euch und euren Unglauben noch ertragen? « Würde sich die Frage an die Jünger richten, müssten die Leser auch mithören, dass Jesus nicht mehr viel Zeit für solches »Aufhelfen« bleibt, weil er sich ja bereits auf dem Weg zu seinem Ende in Jerusalem befindet (Lk 9,31b). Aber diesen Aspekt hat nicht *Ev hervorgehoben, sondern erst Lk. 4. Die abschließende Jüngerbelehrung *9,43b-45 hat bei Tertullian keine Spuren hinterlassen. Das Zitat der Leidensankündigung bei Epiphanius stellt zumindest das zentrale Logion für *Ev sicher, und zwar in der kanonischen Form, also ohne die nachfolgende Ankündigung der Auferstehung, die sich in Mk 9,31c || Mt 17,23a findet. Da auch die Varianten der kanonischen Handschriftenüberlieferung so gut wie keinen Aufschluss ermöglichen, 9 bleiben für die Verse mit dem narrativen Rahmen der Belehrung (*9,43b.45) nur kompositionskritische und überlieferungsgeschichtliche Erwägungen. In allen drei synoptischen Fassungen weichen die narrativen Einleitungen zur Leidensankündigung mit der Zeit- und Ortsangabe voneinander ab. Während Mk 9,30a die folgende Belehrung auf der weiteren Wanderung in Galiläa lokalisiert und sie so von der vorangehenden Szene absetzt (ähnlich Mt 17,22a), stellt Lk einen Zusammenhang mit dem Exorzismus her, indem πάντων δὲ θαυμαζόντων ἐπὶ πᾶσιν οἷς ἐποίει direkt auf die vorangehende Heilung referiert. Dazu passt, dass sich die Aufforderung θέσθε ὑμεῖς εἰς τὰ ὦτα ὑμῶν τοὺς λόγους τούτους *9,44a nicht auf die folgende Leidensankündigung, sondern nur auf die zuletzt mitgeteilten Worte Jesu - also die kritische Frage Ὦ γενεὰ ἄπιστος, ἕως πότε ἀνέξομαι ὑμῶν (*9,41) - beziehen kann: Der anaphorische Charakter von τούτους *9,44a ergibt sich aus dem kausalen Anschluss (γάρ) in *9,44b, der durch Epiphanius gesichert ist. 10 In diesem Fall ist *9,44 als Belehrung über das baldige Ende Jesu zu verstehen; sie bezieht sich jetzt - und im Unterschied zu *9,41 - nicht auf die Menge, sondern richtet sich betont (ὑμεῖς! ) an die Jünger. Der Gehalt dieser Mitteilung besagt: Ich muss diese ungläubige Generation nicht mehr lange ertragen, weil der Menschensohn schon in Kürze ausgeliefert wird (μέλλει παραδίδοσθαι). In diesem Verständnis bildet *9,43b-45 einen zweiten Abschluss zur Erzählung vom Exorzismus: Da sich ______________________________ 8 So die Übersetzung von W OLTER , Lk 355, der dazu erklärt, die Formulierung ἀνέξομαι ὑμῶν sei »wie in Jes 46,4; 63,15 im Sinn von ›aufhelfen, aus einer Notlage befreien‹« zu übersetzen (a. a. O. 358 z. St.); entsprechend auch bei D. P. M OESSNER , »The Christ Must Suffer«, NT 28 (1986), 220- 256: 237. 9 Die einzige nennenswerte Variante ist επερωτησαι 9,45 (C D K M Π 0211 mult) anstelle des breiter bezeugten ερωτησαι. Das ist zu wenig spezifisch, um daraus mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Interferenz durch eine abweichende Textüberlieferung zu schließen. 10 Vgl. dazu die zutreffende Begründung und Interpretation bei W OLTER , Lk 359 z. St. 9,37-45 Rekonstruktion 771 die vorangehende Erzählung im Kern an die Menge richtet, ist es für *Ev (wie für Lk) ohne weiteres passend, noch eine Belehrung an die Jünger über die knappe verbleibende Zeit anzuhängen. Dies ist bei Mk und Mt anders, die ja bereits eine Belehrung an die Jünger über das Vermögen des Gebets bei dieser besonderen Dämonenart bzw. über ihren Kleinglauben angeschlossen hatten (Mk 9,28f || Mt 17,20f). Da diese Jüngerbelehrungen redaktionell sind (s. gleich), spricht alles dafür, dass die Einleitung *9,43b bereits in *Ev stand und von Lk übernommen wurde. Denn andernfalls müsste man postulieren, dass die lk Redaktion eine von Mk und Mt abweichende narrative Verbindung geschaffen hätte (Lk 9,43b). Demgegenüber ist die Annahme leichter, dass die lk Redaktion *9,43b schon in *Ev vorgefunden hatte: Die Adressierung von *9,41 an die Menge (und nicht an die Jünger) war für *Ev noch deutlicher als für Lk. 5. *9,45 hat eine kürzere Entsprechung in Mk 9,32 mit der Erwähnung des Unverständnisses der Jünger und ihrer Furcht, Jesus nach dem Sinn der Leidensankündigung zu fragen. Für die Überlieferungsgeschichte gibt es drei Möglichkeiten: (1) Das Logion war in der längeren lk Form schon in *Ev enthalten. Dann hätte Mk die Worte καὶ ἦν παρακεκαλυμμένον ἀπ’ αὐτῶν ἵνα μὴ αἴσθωνται αὐτό (Lk 9,45b) daraus gestrichen, die der Sache nach nichts Neues mitteilen, das über οἱ δὲ ἠγνόουν τὸ ῥῆμα (τοῦτο) 9,45a || Mk 9,32a hinausginge. (2) Das Wort war in der kürzeren mk Fassung in *Ev enthalten, Lk hat es von da übernommen und um diese Verstärkung ergänzt. (3) Das Wort hat in *Ev gefehlt und stammt in seiner kurzen Form aus Mk, die Lk ergänzt hat. Eine Entscheidung setzt die Rekonstruktion von *9,(45b)46-50 voraus (s. dort). Denn *9,45b gehörte ursprünglich nicht zum Abschluss der Leidensankündigung, sondern bildete die Einleitung der Rangstreiterzählung. Vor diesem Hintergrund legt sich nahe, dass Mk 9,32 die vorkanonische Formulierung bewahrt hat, während Lk 9,45aβ sowie 9,45bβ von den mk Unverständnistexten abhängig sind und auf die lk Redaktion zurückgehen. Mk 9,32 Lk 9,45 οἱ δὲ ἠγνόουν τὸ ῥῆμα, οἱ δὲ ἠγνόουν τὸ ῥῆμα τοῦτο, καὶ ἦν παρακεκαλυμμένον ἀπ’ αὐτῶν ἵνα μὴ αἴσθωνται αὐτό, καὶ ἐϕοβοῦντο αὐτὸν ἐπερωτῆσαι. καὶ ἐϕοβοῦντο ἐπερωτῆσαι αὐτὸν περὶ τοῦ ῥήματος τούτου 772 Anhang I 9,37-45 Die Entscheidung über die Abtrennung von *9,45b (zum folgenden Kontext der Rangstreitperikope) sowie über die Zuweisung von Lk 9,45aβ.bβ an die lk Redaktion wird unten genauer begründet. 11 6. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Überlieferungsgeschichte der gesamten Perikope skizzieren: a. *Ev hatte eine Erzählung, in deren Zentrum es um den mangelnden Glauben ging, und zwar nicht um den mangelnden Glauben der Jünger (die in der Szene selbst gar nicht präsent sind), sondern um den Glauben der Menge an die Fähigkeit der Jünger, die nach *9,1 ja die ἐξουσία ἐπὶ πάντα τὰ δαιμόνια besaßen. Die kritische Reaktion Jesu mit der distanzierenden Frage (*9,41) richtet sich an den Vater als Vertreter der Menge, aus der heraus er Jesus anruft (*9,38: ἀπὸ τοῦ ὄχλου ἐβόησεν). Die Frage Jesu (ἕως πότε ἀνέξομαι ὑμῶν; ) ist in *Ev nur als frustrierter Seufzer über den anhaltenden Mangel an Glauben zu verstehen. Das Stichwort ἕως πότε liefert dann auch den Anlass für die Belehrung der Jünger, dass der Menschensohn in Kürze ausgeliefert werde: Der Sinn dieser Belehrung liegt weniger darin, die Jünger über das gewaltsame Ende des Menschensohns zu unterrichten, als in der Mitteilung über die zur Neige gehende Zeit. b. Mk hat diese Exorzismuserzählung aufgegriffen, ihren Charakter durch seine teilweise umfangreichen redaktionellen Eingriffe allerdings erheblich verändert. Vor allem hat er sie zu einer Geschichte über den Glauben der Jünger gemacht. Dazu hat Mk die Jünger auf doppelte Weise als Beteiligte in die Szene eingeführt: Indem er Jesus mit Petrus, Jakobus und Johannes vom Berg kommen (Mk 9,9: καταβαινόντων αὐτῶν ἐκ τοῦ ὄρους) und diese Drei auf die anderen Jünger treffen lässt (Mk 9,14: ἐλθόντες πρὸς τοὺς μαθητάς). Die Thematisierung des Alles vermögenden Glaubens im Gespräch mit dem Vater (Mk 9,22f: εἴ τι δύνῃ - πάντα δυνατὰ τῷ πιστεύοντι) wird durch die Anrede an die γενεὰ ἄπιστος kontrastiert (Mk 9,19), die Mk so (also ohne den Zusatz καὶ διεστραμμένη) aus *Ev übernommen hat. Nachdem die Jünger bei Mk ja schon zuvor Dämonen ausgetrieben hatten (Mk 6,13) und sich auch ansonsten durchaus gelehrig angestellt hatten, dient die ausführliche und detaillierte Schilderung der Besessenheit des Sohns (durch den Vater: Mk 9,18; durch den Erzähler: 9,20b-26) dazu, die besondere Größe des Problems deutlich zu machen: Dieser Dämon stellt in der Tat ein eigenes dämonisches γένος dar (Mk 9,29). 12 ______________________________ 11 S. u. zu *9,46 sowie zu Lk 18,34. 12 In Mk bringt das Unvermögen der Jünger ausweislich der traditionsgeschichtlichen Analogien weniger den Vorwurf an die Jünger als vielmehr die Schwierigkeit der erbetenenen Tat zum Ausdruck. Auch in der Erzählung von Elisa und dem Sohn der Sunemitin (2Kön 4,8-37), die erkennbar im Hintergrund steht, kann der Prophetenschüler (4,25: τὸ παιδάριον) das Wunder nicht vollbringen, ohne dass er dafür gemaßregelt wird. 9,37-45 Rekonstruktion 773 Die abschließende Jüngerbelehrung Mk 9,28f zeigt, dass das Defizit des Jüngerglaubens letztendlich darin bestand, diese spezielle Dämonenart verkannt und ihrem Gebet zu wenig zugetraut zu haben. Wie auch sonst in Mk, ergeht diese Jüngerbelehrung κατ’ ἰδίαν »im Haus«. 13 Auf diese Weise wird mit dem Unverständnis der Jünger auch ihr Unvermögen zum Exorzismus eines solchen Dämons beseitigt. Der mk Schluss der Exorzismuserzählung (9,28f) passt also sehr genau zu seinem redaktionellen Konzept, demzufolge die Leser den Erkenntnisfortschritt der Jünger verfolgen und auf sich selbst beziehen sollen. 14 Es liegt folglich auch kein Gegensatz zwischen der Kritik Jesu und der abschließenden Jüngerbelehrung vor (Mk 9,19.28f). Der gegenteilige Eindruck, der für die Rekonstruktion einer deuteromarkinischen Redaktion verantwortlich gemacht wurde, 15 besteht nur scheinbar und ist darauf zurückzuführen, dass Mk seine Vorlage *Ev bearbeitet und ihr eine andere Richtung gegeben hat. Der Bezug der Jüngerbelehrung auf die vorangegangene Kritik Jesu wird schließlich darin deutlich, dass Mk in beiden Fällen das Problem thematisiert, was Jünger »vermögen« (δύναμαι: Mk 9,22f.29). Mit dieser mk Redaktionsentscheidung wurde die abschließende Belehrung in *Ev (*9,43-45) ort- und funktionslos: Mk hat sie szenisch abgetrennt und aus der Belehrung über das nahe Ende (μ έ λ λ ε ι παραδίδοσθαι) nach dem Vorbild von *9,22 || Mk 8,31 eine Ankündigung über Leiden und Auferstehung des Menschensohns gemacht (Mk 9,31: παραδίδοται … καὶ … ἀναστήσεται). c. Mt hatte erkennbar sowohl *Ev als auch Mk vorliegen: Seine Version der Exorzismuserzählung weist Elemente beider älterer Fassungen auf. In der Konzentration auf das Wesentliche folgt er dem Grundtext *Ev und lässt die mk Ergänzung der detaillierten Schilderungen der Besessenheit des Knaben aus. Dass er diese gleichwohl bei Mk gelesen hat, zeigt Mt 17,15c. 16 Mt folgt in der ganzen Einheit der mk Akoluthie (Mt 17,1-9.10-13.14-21.22f || Mk 9,2-10.11-3.14-29.30- 32), enthält also auch das Gespräch Jesu mit den drei Jüngern beim Abstieg zwischen der Verklärungserzählung und dem vorliegenden Exorzismusbericht (Mt 17,10-13). Die Wendung, mit der Mt in die Szene einführt (Mt 17,14: καὶ ἐλθόντων πρὸς τὸν ὄχλον), ist ein Mix aus *Ev und Mk: Wie *Ev, aber im Unterschied zu Mk, lässt Mt Jesus nicht auf die Jünger, sondern auf die Menge stoßen (*9,37: συνήντησεν ______________________________ 13 Vgl. Mk 3,20.31; 4,10.34; 6,31f; 9,33. Der Sinn ist nicht, dass Jesus »nach Hause kam« (so etwa EÜ 1984), sondern dass er mit den Jüngern in einem abgeschlossenen Raum allein war. 14 Vgl. dazu M. K LINGHARDT , Erlesenes Verstehen. Leserlenkung und implizites Lesen in den Evangelien, ZNT 21 (2008), 27-37. 15 So H. A ICHINGER , Zur Traditionsgeschichte der Epileptiker-Perikope, in: A. Fuchs, Spuren von Deuteromarkus I, Münster 2004, 245-280: 246. 16 πολλάκις γὰρ πίπτει εἰς τὸ πῦρ καὶ πολλάκις εἰς τὸ ὕδωρ Mt 17,15 || καὶ πολλάκις καὶ εἰς πῦρ αὐτὸν ἔβαλεν καὶ εἰς ὕδατα Mk 9,22a. Mt hat dieses Element, das in Mk im zweiten Bericht des Vaters nach dem Hinweis auf die vergebliche Heilungsbitte bietet, vorgezogen. 774 Anhang I 9,37-45 αὐτῷ ὄχλος πολύς ≠ Mk 9,14 πρὸς τοὺς μαθητάς); wie bei Mk (aber im Unterschied zu *Ev) ist Jesus nicht allein, sondern kommt mit den Jüngern, die bei der Verklärung dabei waren (Mk 9,14 καὶ ἐλθόντες ≠ *9,37 κατελθόντα αὐτόν). Wichtiger ist allerdings, dass Mt auch die anschließende Jüngerbelehrung κατ’ ἰδίαν (Mt 17,19 || Mk 9,28) und sogar die entsprechende Jüngerfrage aus Mk übernimmt (διὰ τί/ ὅτι ἡμεῖς οὐκ ἠδυνήθημεν ἐκβαλεῖν αὐτό; ). Allerdings verweist der mt Jesus nicht auf die besondere Art des Dämons, sondern führt die ὀλιγοπιστία der Jünger als Grund an und begründet dies mit dem Logion Mt 17,21, das er mit großer Wahrscheinlichkeit aus *Ev kannte (*17,6; s. dort) und hier einfügte. Wie Mk hat auch Mt die Perikope als Jüngertext verstanden, obwohl er stärker als Mk an *Ev orientiert ist. Wenn Mt am Anfang der Perikope mk Elemente in die aus *Ev stammende Erzählfolge einbaut, ist es hier umgekehrt. Beides zusammen ist charakteristisch für die mt Redaktionsarbeit. Angesichts dieser Profilierung liegt es nahe, dass die mt Fassung Mk auch darin folgt, die abschließende Belehrung über das nahe Ende szenisch abzugrenzen und sie (wie Mt 16,21) als Ankündigung von Leiden und Auferstehung des Menschensohns zu präsentieren. d. Lk ist *Ev i. W. gefolgt. Redaktionelle Änderungen sind kaum auszumachen; sie sind jedoch an wenigen Stellen eindeutig bezeugt (z. B. die Zufügung von καὶ διεστραμμένη in Lk 9,41 aus Mt 17,17), an anderen aufgrund der Varianten in der Handschriftenüberlieferung zu erschließen. Auch wenn die lk Redaktion in 9,37a den Singular der Einleitungswendung in *Ev (κατελθόντα αὐτόν) in Analogie zu Mk 9,9 || Mt 17,9 bzw. Mk 9,14 || Mt 17,14 in den Plural (κατελθόντων αὐτῶν) gesetzt und damit die drei Jünger vom Verklärungsberg mit in die Szene eingefügt hat, wird die Exorzismuserzählung bei ihm damit noch nicht zu einer Jüngergeschichte, in der es um die Größe des Glaubens o. ä. geht. Auch Lk behält die auf den ὄχλος bezogenen Elemente vor allem in der Einleitung und am Ende bei, und auch Lk hat als abschließende Belehrung an die Jünger den Hinweis auf die knappe Zeit. *9,45-47.48.49f: Rangstreit der Jünger. Fremder Exorzist Nur teilweise bezeugt, aber wahrscheinlich ganz in *Ev vorhanden; möglicherweise durch Lk geringfügig bearbeitet. 9,45b: a Καὶ ἐϕοβοῦντο ἐπερωτῆσαι αὐτὸν περὶ τοῦ ῥήματος τούτου a , 9,46 τὸ Τίς ἂν εἴη μείζων αὐτῶν. 47 ὁ δὲ Ἰησοῦς εἰδὼς τὸν διαλογισμὸν τῆς καρδίας αὐτῶν ἐπιλαβόμενος παιδίον ἔστησεν αὐτὸ παρ’ ἑαυτῷ, 48 καὶ εἶπεν b [ αὐτοῖς ] , ῝Ος ἐὰν δέξηται c τὸ παιδίον τοῦτο c ἐπὶ τῷ ὀνόματί μου ἐμὲ δέχεται, καὶ d [ ὃς ἂν ἐμὲ δέξηται 9,46-50 Rekonstruktion 775 δέχεται ] d τὸν ἀποστείλαντά με· ὁ γὰρ μικρότερος ἐν πᾶσιν ὑμῖν ὑπάρχων οὗτός ἐστιν μέγας. 49 Ἀποκριθεὶς δὲ Ἰωάννης εἶπεν, e Διδάσκαλε, εἴδομέν τινα f ἐπὶ τῷ ὀνόματί σου ἐκβάλλοντα δαιμόνια, καὶ g ἐκωλύσαμεν αὐτὸν ὅτι οὐκ ἀκολουθεῖ μεθ’ ἡμῶν. 50 εἶπεν δὲ πρὸς αὐτὸν ὁ Ἰησοῦς, Μὴ κωλύετε, h οὐ γάρ ἐστιν καθ’ ὑμῶν οὐδὲ ὑπὲρ ὑμῶν. h i {οὐδεὶς γάρ ἐστιν ὃς οὐ ποιήσει δύναμιν ἐπὶ τῷ ὀνόματί μου.} i A. *9,46-48: Tert. 4,23,4: Quis non ita iniustitiam increpationis retudisset, si eius eum credidisset qui nondum queri debuisset? Nisi quod nec ille eos insilisset, si non olim apud illos in lege, in prophetis, in virtutibus et beneficiis deversatus incredulos semper fuisset expertus. Sed ecce Christus diligit parvulos, tales esse docens debere qui semper maiores velint esse. Creator autem ursos pueris immisit, ulciscens Helisaeum propheten convicia ab eis passum. ¦ 4,23,7: At enim quanto credibilius ut eius deputetur affectio in parvulos qui benedicendo connubium in propagationem generis humani ipsum quoque fructum connubii benedicendo promisit, qui de infantia primus est? B. a (9,45b/ 46) και εϕοβουντο επερωτησαι αυτον περι του ρηματος τουτου: D d ¦ εισηλθεν δε διαλογισμος εν αυτοις: a aur b c e f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 M (*Ev non test.) ● b (9,48) αυτοις: om D 2542 it sy s.c ¦ add M (*Ev non test.) ● c (9,48) το παιδιον τουτο/ puerum istem (infantem hunc): P 75 D f 1 579 pc lat ¦ (3 1 2) it M (*Ev non test.) ● d (9,48) ος αν εμε δεξηται δεχεται: om D d ¦ add it M (*Ev non test.) ● e (9,49) διδασκαλε: P 45 C* L Ξ 157 827 892 1342 a d (! ) e r 1 bo ¦ επιστατα: D (! ) aur b c f l q M (*Ev non test.) ● f (9,49) επι: A C D W Θ ¦ εν: P 45.75 א B L Δ Ψ Ξ f 1.13 33 579 700 892 1241 2542 pc (*Ev non test.) ● g (9,49) εκωλυσαμεν/ prohibuimus (vetavimus: c; prohibus: d): A C D W Θ Ψ f 1.13 33 aur c d f q r 1 vg co ¦ εκωλυομεν/ prohibebamus (vetabamus): P 45.75 א B L Ξ 157 579 892 1241 pc a b e l armen (*Ev non test.) ● h (9,50b) ου γαρ εστιν καθ’ υμων ουδε υπερ υμων: P 45 ¦ ος γαρ ουκ εστιν καθ ʼ υμων, υπερ υμων εστιν: D it M (*Ev non test.) ● i (9,50c) ουδεις γαρ εστιν ος ου ποιησει δυναμιν επι τω ονοματι μου: c e l got ¦ ουδεις γαρ εστιν ος ου ποιησει δυναμιν επι τω ονοματι μου και δυνησεται κακολογησαι με: a b ¦ ουδεις δε εστιν ος ποιησει δυναμιν επι τω ονοματι μου και δυνησεται κακολογησαι με: r 1 ¦ om D aur d f q M (*Ev non test.). C. Die beiden zusammengehörigen Chrien sind nur sehr schwach bezeugt: Tertullian fasst *9,48 zusammen, der genaue Wortlaut lässt sich nur erahnen, aber nicht exakt rekonstruieren. Die Einleitung der ersten und die zweite Chrie sind unbezeugt. In beiden Fällen sind für die Frage, ob *Ev diese Passagen enthielt, textkritische und redaktionsgeschichtliche Überlegungen ausschlaggebend. 1. Tertullian bezieht sich, wie auch sonst häufig bei seinem Referat von Chrien, nur auf das entscheidende Logion und lässt die narrativen Elemente der eigentlichen Szene unerwähnt. Da aber *9,48 nicht allein gestanden haben kann, ist die gesamte Perikope für *Ev vorauszusetzen, auch wenn sich nichts über ihren Wortlaut sagen lässt: Mit den parvuli ist offensichtlich auf die μικρότεροι referiert, zu denen man sich τὸ παιδίον unschwer denken kann: Das Beispiel des Kindes und das Logion von der Aufnahme *9,47.48a waren in *Ev enthalten. Da auch die Formulierung qui semper maiores velint esse auf eine Situation passt, die der Ausgangsfrage entspricht, hat Tertullian wohl die gesamte Perikope bei *Ev gelesen. 776 Anhang I 9,46-50 2. Darauf deuten auch die wichtigen »Minor Agreements« hin. καὶ καθίσας ἐϕώνησεν τοὺς δώδεκα … καὶ πάντων διάκονος Mk 9,35 ÷ *9,46 || Mt 18,1. ἐ π ι (λαβόμενος) *9,47 || π ρ ο ς (καλεσάμενος) Mt 18,2 ≠ λαβών Mk 9,36a. - ἐναγκαλισάμενος Mk 9,36a ÷ *9,48a || Mt 18,3a. - ὃς ἐὰν δέξηται (Lk 9,48b || Mt 18,5) ≠ ὃς ἂν … δέχηται (Mk 9,37). - οὗτός ἐστιν μέγας/ ὁ μείζων (Lk 9,48d || Mt 18,4) hat keine mk Entsprechung. Da die »Minor Agreements« sich hier nicht nur für den sicher bezeugten Vers *9,48 finden, sondern auch für die genauere Form der Einleitung der Perikope in *9,46f par., liegt es nahe, dass sie auf das gleiche überlieferungsgeschichtliche Phänomen zurückzuführen sind: *Ev hat sowohl Mt als auch Lk beeinflusst, die hier die redaktionellen Änderungen des Mk nicht mitvollziehen. Dieser Umstand ist als Argument dafür zu werten, dass auch die Vv. *46f - i. W. in der vorliegenden Gestalt - für *Ev anzunehmen sind. 3. Die Exposition der Rangstreitperikope besitzt eine wichtige Variante in D d: Hier fehlt der ansonsten durchweg bezeugte V. 46a, demzufolge »unter ihnen eine Auseinandersetzung aufkam« (εἰσῆλθεν δὲ διαλογισμὸς ἐν αὐτοῖς). Das Fehlen dieser Einleitung setzt voraus, dass *9,45b als Einleitung zu *9,46b zu sehen ist: Die Jünger »fürchteten sich, ihn über dieses Wort zu befragen: Wer von ihnen der größte sei (καὶ ἐϕοβοῦντο ἐπερωτῆσαι αὐτὸν π ε ρ ὶ τ ο ῦ ῥ ή μ α τ ο ς τ ο ύ τ ο υ , τὸ Τίς ἂν εἴη μείζων αὐτῶν).« Auch wenn dieser Zusammenhang nicht ganz glatt ist (weil zuvor kein entsprechendes ῥῆμα genannt ist), ist dieser Sinn für D d zwingend: Will man nicht unterstellen, dass D versehentlich einen unsinnigen Text produziert (und seine Übersetzung [d] diesen einfach blind wiederholt) hat, kommt dieser Lesart erhebliche Bedeutung zu. Entsprechende syntaktische Disjunktionen, bei denen die Zuweisung eines Satzgliedes unterschiedlich bezeugt ist, sind ja mehrfach belegt. 1 Demnach geht die Abfolge in *9,45a.b (Unverständnis über das Wort - Furcht, Jesus über das Wort zu befragen) bereits auf *Ev zurück. Allerdings besaß der erste Halbsatz einen anaphorischen Bezug, der zweite einen kataphorischen. Diese wenig glückliche Formulierung wird schier unverständlich, weil beide Halbsätze von einem Wort (ῥῆμα) reden, damit aber jeweils Unterschiedliches meinen. Deutlich ist immerhin, dass Mk die Bemerkung über die Furcht der Jünger, Jesus zu befragen, als zu dem vorangehenden Kontext gehörig verstanden hat: Er hat die Rangstreitperikope von der zweiten Leidensankündigung (Mk 9,30-32) szenisch getrennt (Mk 9,33a καὶ ἦλθον εἰς Καϕαρναούμ) und ihr eine Einleitung gegeben (Mk 9,33b). Sowohl die Disjunktion von Mk 9,32b und 9,33 als auch die neue Einleitung schaffen dabei Probleme: Wieso sollten sich die Jünger »fürchten«, Jesus nach dem Sinn eines dunklen Wortes zu befragen (Mk 9,32b)? Im mk Kontext ist noch gut ______________________________ 1 Vgl. etwa *16,22.23; *24,6.7. Eine wichtige Analogie stellt auch *5,27 (D d) dar, weil auch hier eine Perikopeneinleitung betroffen ist. 9,46-50 Rekonstruktion 777 erkennbar, dass die »Furcht« sich ursprünglich nicht auf die Nachfrage zur Leidensankündigung bezog, sondern auf das folgende Gespräch, wer von den Jüngern der Größte sei: Die Peinlichkeit des Streits ist noch ohne weiteres erkennbar, wenn die Jünger auf Jesu Nachfrage (beschämt) schweigen (Mk 9,34: οἱ δὲ ἐσιώπων … γὰρ …). Mk hat also die schwer verständliche Abfolge *9,45a.b geglättet, war dafür aber zur Schaffung einer neuen Einleitung für die Rangstreitperikope genötigt, die ziemlich umständlich und unter Einfügung einer Rückblende (Mk 9,34b) das Gespräch überhaupt erst ermöglicht. Lk, der hier wie Mk die Akoluthie aus *Ev übernimmt, hat sich von der mk Lösung beeinflussen lassen: Auch er hat die Bemerkung über die Furcht der Jünger (Lk 9,45b) auf die vorangehende Leidensankündigung bezogen, sie dabei aber verstärkt, indem er das »Wort« ausdrücklich als »verborgen« herausstellt: Die Jünger »verstehen es nicht« und trauen sich deswegen nicht, Jesus »nach diesem Wort« zu fragen. Mk 9,32 Lk 9,45 οἱ δὲ ἠγνόουν τὸ ῥῆμα, οἱ δὲ ἠγνόουν τὸ ῥῆμα τοῦτο, καὶ ἦν παρακεκαλυμμένον ἀπ’ αὐτῶν ἵνα μὴ αἴσθωνται αὐτό, καὶ ἐϕοβοῦντο αὐτὸν ἐπερωτῆσαι. καὶ ἐϕοβοῦντο ἐπερωτῆσαι αὐτὸν περὶ τοῦ ῥήματος τούτου Diese zusätzlichen Formulierungen (Lk 9,45aβ) sind von den mk Unverständnistexten abhängig und gehen auf die lk Redaktion zurück und stellen das für Lk wichtige Nichtverstehen heraus: Die Bemerkung, dass »dieses Wort« über das Leiden Jesu »vor ihnen verborgen« war, ist Teil des redaktionellen Konzeptes. Wie in Lk 18,34 (ἦν τὸ ῥῆμα τοῦτο κεκρυμμένον ἀπ’ αὐτῶν, καὶ οὐκ ἐγίνωσκον τὰ λεγόμενα) wird die »Verborgenheit« dieses Wortes erst nach der Auferstehung durch die Belehrung Jesu aufgehoben, der den Jüngern »die Schriften öffnete« (Lk 24,32b; red.) und ihnen die Notwendigkeit seines Leidens »ausgehend von Mose und den Propheten« darlegte (Lk 24,27 red.; s. dort). Die finale Bestimmung ἵ ν α μὴ αἴσθωνται αὐτό ist funktional für das nachösterliche Verstehen, wenn Jesus den Jüngern den Verstand öffnet »für diese meine Worte, die ich zu euch gesprochen habe, als ich noch bei euch war« (Lk 24,44 red.; s. dort). 4. Die zweite Chrie über den fremden Exorzisten *9,49f ist komplett unbezeugt: Tertullian geht von seiner Behandlung des Zitats *9,41 (4,23,1-3) und dem Hinweis auf das Problem klein/ groß (4,23,4) direkt zu *9,51f über (4,23,8). Da *9,49f keine Parallele in Mt, sondern nur in Mk 9,38-40 hat, sieht die überlieferungsgeschichtliche Situation anders aus als für *9,46-48. Allerdings unterscheidet sich die umfangreichere mk Fassung (Mk 9,38-41) von *9,49f: Mk liefert im Anschluss an den Prohibitiv μὴ κωλύετε αὐτόν insgesamt drei Begründungen, die jeweils mit 778 Anhang I 9,46-50 γάρ (Mk 9,39b.40.41) an das Vorangehende anschließen und nicht ganz glatt zueinander passen. 2 Folgende überlieferungsgeschichtliche Alternativen sind denkbar. a. Die Chrie stammt nicht aus *Ev, sondern aus Mk. In diesem Fall hätte sie Lk im Kern von dort übernommen, aber sowohl die erste Begründung Jesu aus Mk 9,39 (οὐδεὶς γάρ ἐστιν ὃς ποιήσει δύναμιν ἐπὶ τῷ ὀνόματί μου καὶ δυνήσεται ταχὺ κακολογῆσαί με) als auch das folgende Logion über das Verhältnis der Außenstehenden zu den Jüngern Mk 9,41 weggelassen. Dieses Logion wird von Mt in dem ganz anderem Zusammenhang der Aussendungsrede rezipiert (Mt 10,42). b. Die Chrie stammt aus *Ev, und zwar in dem durch Mk bezeugten Umfang. In diesem Fall hätte Lk gestrafft und die erste und die dritte Begründung weggelassen. Das letzte Logion über das Verhalten der Außenstehenden gegenüber den Jüngern in Mt 10,42 stammte dann aus *Ev, von dem Mt ansonsten nichts mit übernommen hat. c. Die Chrie stammt aus *Ev, und zwar in dem durch Lk bezeugten Umfang. In diesem Fall hätte Mk sie von dort übernommen und redaktionell um die erste und die dritte Begründung ergänzt. Für diesen Fall müsste man annehmen, dass Mt das Logion über das Verhalten der Außenstehenden zu den Jüngern aus dem mk Kontext gelöst und es in die (aus *Ev stammende) Aussendungsrede integriert hätte. Eine Beurteilung ist aufgrund der Komplexität sehr schwierig. Sie ist vor allem abhängig von der Einschätzung der Kompetenz, mit der die jeweils angenommenen Bearbeitungen vorgenommen wurden. Unter der Annahme von Variante (a.) müsste man annehmen, dass Mt und Lk einen ursprünglich mk Zusammenhang auf jeweils unterschiedliche Weise bearbeitet haben. Das ist grundsätzlich denkbar, auch wenn diese Möglichkeit zusätzliche (und ungeschützte) Annahmen machen muss. Außerdem wird nicht wirklich erklärbar, warum Lk von den drei mk Begründungen nur eine rezipiert hätte. Variante (b.), der zufolge Mk den gesamten Zusammenhang aus *Ev übernommen hätte, ist von derselben Schwierigkeit belastet: Wieso hätte Lk den Kontext von *Ev gekürzt haben sollen? 3 Am wenigsten unwahrscheinlich ist Variante (c.), nach der Mk die kürzere Fassung von *Ev um zwei weitere Begründungen ergänzt hätte. Tatsächlich ist der mk Kontext problematisch, denn die drei Begründungen weisen jeweils eine unterschiedliche Perspektive auf: Mk 9,39b thematisiert das Verhältnis gegenüber Jesus (ἐπὶ τῷ ὀνόματί μ ο υ … κακολογῆσαί μ ε ); in Mk 9,40 sind Jesus und die Jünger zu einem »wir« zusammengeschlossen (καθ ʼ ἡμῶν … ὑπὲρ ἡμῶν); Mk 9,41 nimmt dagegen nur das Verhältnis Außenstehender gegenüber den Jüngern in den Blick (ὑμᾶς … ὑμῖν): Dieser ______________________________ 2 V. 39b: οὐδεὶς γάρ ἐστιν ὃς ποιήσει δύναμιν ἐπὶ τῷ ὀνόματί μου καὶ δυνήσεται ταχὺ κακολογῆσαί με.- V. 40: ὃς γὰρ οὐκ ἔστιν καθ’ ἡμῶν, ὑπὲρ ἡμῶν ἐστιν. - V. 41: ῝Ος γὰρ ἂν ποτίσῃ ὑμᾶς ποτήριον ὕδατος ἐν ὀνόματι ὅτι Χριστοῦ ἐστε, ἀμὴν λέγω ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ ἀπολέσῃ τὸν μισθὸν αὐτοῦ. 3 Vgl. dazu G NILKA , Mk II 59, Anm. 2, der eine (Mk) vorausliegende übergreifende Einheit erwägt. 9,46-50 Rekonstruktion 779 Perspektivenwechsel könnte sehr gut auf die redaktionelle Ergänzung durch Mk zurückgehen. 5. Diese Überlegung wird gestützt durch die eigenartige Variante zu *9,50b in P 45 : Die Erklärung, dass der fremde Exorzist »nicht gegen euch und nicht für euch« sei (οὐ γάρ ἐστιν καθ’ ὑμῶν οὐδὲ ὑπὲρ ὑμῶν), ist im Vergleich zu den mk und zu der lk Begründung am wenigsten spezifisch: Sie weicht so weit vom Mehrheitstext ab, dass man geneigt ist, hier ein Relikt des vorkanonischen Wortlautes zu vermuten. In diesem Fall wird der ursprüngliche Zusammenhang der beiden Chrien in *Ev besser deutlich, weil die zweite tatsächlich eine Begründung für die erste liefert: Das entscheidende Kriterium ist die Haltung gegenüber Jesus, also das, was ἐπὶ τῷ ὀνόματί μου (*9,48.49) getan wird. ἐ π ὶ τῷ ὀνόματι kennzeichnet die »grundlegende Referenz« einer Handlung und bedeutet soviel wie »um … willen« bzw. »mit Bezug auf …«. 4 Die Wendung ist daher kein exaktes Äquivalent zu der häufigeren Formulierung ἐ ν τῷ ὀνόματι, die stärker den Aspekt der Bevollmächtigung betont. Dieser Unterschied ist auch in den handschriftlichen Zeugen zu vermerken: Der Wechsel von ἐ π ὶ τῷ ὀνόματι zu ἐ ν τῷ ὀνόματι in *9,49 zeigt die übliche Interferenz zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Handschriftenüberlieferung an; charakteristischerweise lässt Lk ansonsten ἐ ν τῷ ὀνόματι Kranke heilen bzw. Dämonen austreiben. 5 Wenn Jesus die Jüngerfrage *9,46 nach dem sozialen Rang innerhalb der Gruppe durch den Hinweis beantwortet, dass einzig das Verhalten ἐπὶ τῷ ὀνόματί μου zählt und dies durch die Aufnahme eines Kindes veranschaulicht, dann ist der Hinweis des Johannes weiterführend: Was ist in diesem Fall mit denen, die zwar ἐπὶ τῷ ὀνόματί σου Dämonen austreiben, aber nicht mit uns zusammen nachfolgen? Jesu Antwort schneidet diesen Gedanken ab und unterstreicht die Grundsätzlichkeit der Antwort auf die Frage nach dem sozialen Rang. Die Begründung *9,50b P 45 wäre dann sinngemäß zu ergänzen: Ein solcher Exorzist ist weder für euch noch gegen euch, weil allein zählt, dass er ἐπὶ τῷ ὀνόματί μου wirkt. 6. Das Ende der Perikope scheint in *Ev anders gelautet zu haben als in Lk: Ein Teil der altlateinischen Überlieferung fügt noch eine Begründung an, die eine enge Parallele in Mk 9,39 besitzt. Allerdings variiert der Wortlaut dieser Begründung in den altlateinischen Lk-Handschriften. Der Befund stellt sich folgendermaßen dar. ______________________________ 4 Zu diesem Verständnis vgl. L. H ARTMAN , »Auf den Namen des Herrn Jesus«, Stuttgart 1992, 44; W OLTER , Lk 362 z. St. 5 Vgl. Act 3,6; 4,7.10; 16,18. Zu Lk 10,17 vgl. v. l. επι anstelle von εν (Cyrill). 780 Anhang I 9,46-50 Lk 9,50 (c e l; got) Lk 9,50 (a b) Lk 9,50 (r 1 ) Mk 9,39 οὐδεὶς γάρ οὐδεὶς γάρ οὐδεὶς δέ οὐδεὶς γάρ ἐστιν ὃς ἐστιν ὃς ἐστιν ὃς ἐστιν ὃς οὐ οὐ ποιήσει δύναμιν ποιήσει δύναμιν ποιήσει δύναμιν ποιήσει δύναμιν ἐπὶ τῷ ὀνόματί μου ἐπὶ τῷ ὀνόματί μου ἐπὶ τῷ ὀνόματί μου ἐπὶ τῷ ὀνόματί μου καὶ δυνήσεται καὶ δυνήσεται καὶ δυνήσεται ταχὺ κακολογῆσαί με κακολογῆσαί με κακολογῆσαί με Dieser Befund wirft zwei miteinander zusammenhängende Fragen auf: (a.) Geht die altlateinische Überlieferung von Lk 9,50 auf *Ev zurück oder auf Mk? (b.) Wie kommt die Varianz innerhalb der altlateinischen Überlieferung zustande? a. Die Faustregel, dass der am weitesten vom kanonischen Wortlaut entfernte Text mit großer Wahrscheinlichkeit ursprünglich ist, lässt sich durch dieses Beispiel bestätigen. Denn trotz der Abweichungen innerhalb der altlateinischen Fassungen stimmen sie in mehrfacher Hinsicht gegen Mk überein: Neben dem Fehlen von ταχύ liegt der größte Unterschied darin, dass Mk diese Begründung vor der Pointe Mk 9,40 bringt, während die Altlateiner sie danach bieten; durch die mk Abfolge erhält die abschließende Sentenz Mk 9,40 größeres Gewicht. Aus diesem Grund ist ein Einfluss der synoptischen Parallele in Mk 9,39 auf den kanonischen Lk-Text auszuschließen: der Ursprung dieser Überlieferung liegt nicht in Mk 9,39, sondern in *Ev. Diese Erklärung bestätigt das wiederholt auftretende Phänomen, dass die altlateinischen Evangelien zahlreiche Lesarten aus dem vorkanonischen *Ev enthalten. b. Unter dieser Voraussetzung werden auch die veschiedenen altlateinischen Fassungen verständlich. Am schwierigsten ist die Verbindung zweier Verneinungen, die sich gegenseitig aufheben (c e l got; a b). Obwohl die Wendung οὐδεὶς … ὃς οὐ als positive Aussage im klassischen Griechisch häufig belegt ist, 6 wurde dieses Verständnis für das NT ausgeschlossen; allerdings zu Unrecht. 7 In der kurzen Fassung (c e l got) fungiert die doppelte Negation als Verstärkung: Es ist ausgeschlossen, dass jemand eine Machttat wirken kann, es sei denn im Namen Jesu. In der mk Fassung fehlt diese doppelte Verneinung. Die zweite Negation ist semantisch durch den negativen Sinn des zweiten Satzteils ersetzt, der hier als Irrealis verstanden ist (καὶ δυνήσεται ταχὺ κακολογῆσαί με). In diesem Fall muss man verstehen, dass die doppelte Verneinung in *Ev ursprünglich war und wegfiel, als Mk 9,39 den Satz über die Unfähigkeit zur Schmähung redaktionell eingefügt ______________________________ 6 Vgl. K ÜHNER -G ERTH , Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache II 414f. 7 Vgl. BDR § 431.1 Anm. 2: »Diese Form hat im NT als 2 Sätze zu gelten«, ist also kein Beispiel für die Aufhebung zweier Negationen. 9,46-50 Rekonstruktion 781 hat. Aus diesem Grund sind die altlateinischen Fassungen, die den abschließenden Satz über die Schmähung Jesu enthalten (a b; r 1 ), als Konflation zwischen dem ältesten Text in *Ev (= Lk 9,50 c e l) und seiner Redaktion Mk 9,39 zu verstehen. 7. Von da aus lässt sich dann der Gang der Überlieferung leicht entschlüsseln. Die Semantik von *9,50 ist konsistent und passt zum Rest der Perikope. Wenn *9,50b feststellt, dass der fremde Exorzist »weder für euch noch gegen euch« ist, dann fungiert *9,50c als Begründung: Das entscheidende Kriterium ist nicht die soziale Zugehörigkeit zur Jüngergruppe, sondern allein die Aktivität »in meinem Namen«. Dieses Kriterium wird durch die abschließende Sentenz für den fremden Wundertäter sichergestellt: Es ist unmöglich, Machterweise anders als »im Namen Jesu« zu wirken. Das ist ein direkter Widerspruch zur Aussage des Johannes, der die Zugehörigkeit zur Gruppe der Jünger als zusätzliches Kriterium für die Legitimität von Exorzismen vertreten hatte: Religöses Verhalten erhält Legitimität nicht durch die Zugehörigkeit zu den Jüngern, sondern allein durch den Bezug zu Jesus. Mk 9,39f hat diese schroffe Belehrung abgemildert. An die Stelle des direkten Gegensatzes von *9,50c setzt Mk 9,39b die Unmöglichkeit, im Namen Jesu zu agieren und diesen Namen dann »leicht« zu schmähen: Weder von der Schmähung noch von einem schnellen Sinneswandel war und ist hier die Rede; dies ist eine mk adhoc-Erfindung, die durch ihre implizite Absurdität den Widerspruch von *9,50 reduziert. Durch die Umstellung von Mk 9,39.40 (gegenüber *9,50b und c) hat Mk außerdem die abschließende Sentenz hervorgehoben. Deren Sinnrichtung ist durch zwei Eingriffe deutlich verändert. Erstens hat Mk die 2. Pers. Plural der Personalpronomina (für euch; gegen euch) durch die 1. Pers. ersetzt (für uns; gegen uns): Jesus schließt sich mit den Jüngern zu einer Gruppe zusammen und hebt dadurch den Gegensatz von *9,50c (Verhältnis zu Jesus anstelle Zugehörigkeit zu den Jüngern) auf. Zweitens setzt Mk an die Stelle der Indifferenz gegenüber der Jüngergruppe (weder für euch noch gegen euch) die inklusivierende Ausdehnung der sozialen Grenzen: Alle fremden Wundertäter werden kurzerhand für die eine Jüngergruppe vereinnahmt, solange sie sich nicht durch direkte Opposition gegen Jesus (»schmähen«) als Christen disqualifizieren: »Wer nicht gegen uns ist, ist für uns.« Diese redaktionellen Veränderungen deuten auf ein gesteigertes Interesse an Legitimitätsansprüchen und sozialer Abgrenzung hin. Impliziert ist ein komplexer Anspruch: Es gibt nur eine legitimte Gruppe, die zu Jesus gehört und »in seinem Namen« agiert, und das sind »wir«. Zu »uns« gehören alle, die im Namen Jesu agieren, außer denen, die sich ausdrücklich lossagen. Weil es nur eine legitime Gruppe gibt, ist die Abgrenzung von der Gruppe identisch mit der Schmähung Jesu. Versucht man, diesen komplexen Legitimitätsanspruch auf eine historisch und sozial konkretisierbare Konstellation zu beziehen, stößt man im fraglichen Zeitraum 782 Anhang I 9,46-50 unweigerlich auf die Auseinandersetzung zwischen den Marcioniten und den Vertretern der entstehenden Großkirche. Lk hat beide Prätexte (*Ev und Mk) bearbeitet. Zwar ist die grundlegende Gestalt der Perikope an *Ev orientiert. Aber indem Lk die Aussage *9,50b übergeht, steht bei ihm (analog zu Mk 9,40) die Pointe betont am Ende. Die Formulierung hat Lk genau aus Mk 9,40 übernommen: ὃς γὰρ οὐκ ἔστιν καθ’ ἡμῶν, ὑπὲρ ἡμῶν ἐστιν. Indem Lk wie Mk die Pronomina der 2. Pers. durch die 1. Pers. ersetzt, 8 erzielt er denselben inklusivierenden Effekt wie Mk; auch der historische Hintergrund dieser Änderungen ist derselbe. Als Beitrag zum ursprünglichen Kontext des Rangstreits ist diese Aussage kaum noch verständlich. Aber ihr umfassender Anspruch sowie die Implikation, dass es Menschen gibt, die καθ’ ἡμῶν sind, würden hervorragend in den Kontext der Auseinandersetzungen in der Mitte des 2. Jh. passen, die als Hintergrund der lk bzw. der kanonischen Redaktion anzunehmen sind. *9, [ 51 ] 52.53a [ 53b ] 54ab{54c}55{55b.56a}56: Mission in Samaria Teilweise für *Ev bezeugt; mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die lk Redaktion bearbeitet. [ 9,51 Ἐγένετο δὲ ἐν τῷ συμπληροῦσθαι τὰς ἡμέρας τῆς ἀναλήμψεως αὐτοῦ καὶ αὐτὸς τὸ πρόσωπον ἐστήρισεν τοῦ πορεύεσθαι εἰς Ἰερουσαλήμ, ] a 52 καὶ ἀπέστειλεν ἀγγέλους πρὸ προσώπου αὐτοῦ. καὶ πορευθέντες εἰσῆλθον εἰς κώμην Σαμαριτῶν, ὡς ἑτοιμάσαι αὐτῷ· 53 καὶ οὐκ ἐδέξαντο αὐτόν [ ὅτι τὸ πρόσωπον αὐτοῦ ἦν πορευόμενον εἰς Ἰερουσαλήμ. ] a 54 ἰδόντες δὲ οἱ μαθηταὶ Ἰάκωβος καὶ Ἰωάννης εἶπαν, Κύριε, θέλεις εἴπωμεν πῦρ καταβῆναι ἀπὸ τοῦ οὐρανοῦ καὶ ἀναλῶσαι αὐτούς b {ὧς καὶ ᾿Ηλίας ἐποίησεν} b ; 55 στραϕεὶς δὲ ἐπετίμησεν αὐτοῖς. c {καὶ εἶπεν· οὐκ οἴδατε οἵου πνεύματός ἐστε ὑμεῖς.} c d {56 ὁ γὰρ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου οὐκ ἦλθεν ψυχὰς τῶν ἀνθρώπων ἀπολέσαι, ἀλλὰ σῶσαι.} d καὶ ἐπορεύθησαν εἰς ἑτέραν κώμην. ______________________________ 8 Die Herausgeber der kritischen Ausgaben haben hier (wie auch sonst häufig) nicht den kanonischen, sondern den vorkanonischen Text übernommen; in diesem Fall könnten Itazismem die Situation weiter verkompliziert haben. Die beiden Personalpronomina aus Lk 9,50 (NA 27 / GNT 3 : ὃς γὰρ οὐκ ἔστιν καθ’ ὑ μ ῶ ν , ὑπὲρ ὑ μ ῶ ν ἐστιν) kommen in den Handschriften in diesen Varianten vor: (1) ημων - ημων: א 2 f 1.13 M . - (2) υμων - ημων: א * A Δ pc. - (3) ημων - υμων: Θ 2542 pc. - (4) υμων - υμων: א 1 B C D K L W Ξ Ψ 33 565 700 892 1241 1424 al it vg sy co. Nach dieser überlieferungsgeschichtlichen Rekonstruktion repräsentiert die erste Variante den kanonischen Lk- Text. 9,51-56 Rekonstruktion 783 A. *9,51f.54-56: Tert. 4,23,8f: Repraesentat creator ignium plagam Helia postulante in illo pseudopropheta. Agnosco iudicis severitatem: e contrario Christi lenitatem, increpantis eandem animadversionem destinantes discipulos super illum viculum Samaritarum. Agnoscat et haereticus ab eodem severissimo iudice promitti hanc Christi lenitatem. Non contendet, inquit, nec vox eius in platea audietur: harundinem quassatam non comminuet, et linum fumigans non extinguet (Jes 42,2f). (9) Talis utique multo magis homines non erat crematurus. Nam et tunc ad Heliam, Non in igni, inquit, dominus sed in spiritu miti (1Kön 19,12). At enim humanissimus deus cur recusat eum qui se tam individuum illi comitem offert? Si quia superbe vel ex hypocrisi dixerat, Sequar te quocunque ieris, ergo aut superbiam aut hypocrisin recusandam iudicando iudicem gessit. B. a (9,52f) vss. 52, 53 om 1080 1241 1352 ¦ add M (*Ev non test.) ● b (9,54) ως και ηλιας εποιησεν: (Tert) A C D W Θ Ψ f 1.13 33 mult a b c d q r 1 sy p.h bo mss ¦ om P 45.75 B L Ξ f 1.13 157 579 700 1241 1342 aur e g 1 gat l vg sy s.c sa bo mss ● c (9,55b) και ειπεν· ουκ οιδατε οιου (ποιου: D f 1 700 al.) πνευματος εστε (υμεις: K f 1 al.): (Tert? ) D K Γ Θ f 1.13 579 700 2542 mult a aur b c d e f q r 1 vg mss sy (c.p.)h bo mss ¦ om P 45.75 א A B C E G H L V W X Δ Ξ Ω 028 047 0211 mult g 1 gat l M ● d (9,56a) ο (γαρ: K al.) υιος του ανθρωπου ουκ ηλθεν ψυχας των ανθρωπων απολεσαι (αποκτειναι: Γ 700 al.) αλλα σωσαι: K Γ Θ f 1.13 579 700 2542 mult a aur b c e f q r 1 vg mss sy (c.p.)h bo mss ¦ om P 45.75 א A B C D E G H L V W X Δ Ξ Ω 028 047 0211 mult d g 1 gat l (*Ev non test.). C. Wie auch sonst häufig, bezeugt Tertullian in den Chrien vor allem die Pointe: *9,54a.55a sind hier gut belegt. Da Tertullian vom Kontext immerhin das viculum Samaritarum und das Vorhaben der Jünger erwähnt, ist *9,52b ebenfalls gesichert. *9,53a (καὶ οὐκ ἐδέξαντο αὐτόν) ist in der Reaktion der Jünger in V. *54 vorausgesetzt und muss aus Gründen der narrativen Logik in *Ev enthalten gewesen sein. Das Urteil über den Rest ist schwierig: 1. Sowohl die sprachliche Form als auch der Inhalt von Lk 9,51 unterliegen dem deutlichen Verdacht, redaktionell zu sein. Die Formulierung der Zeitbestimmung mit ἐγένετο δὲ ἐν τῷ + Infinitiv gibt es im NT nur bei Lk (1,8; 2,6; 11,27; 18,35; vgl. 3,21; 5,1; Act 19,1). Von diesen Belegen gehen vier (1,8; 2,6; 3,21; Act 19,1) mit Sicherheit, zwei weitere (5,1; 11,27) mit großer Wahrscheinlichkeit auf die lk Redaktion zurück: Es handelt sich also tatsächlich um eine lk Stileigentümlichkeit. Ähnliches gilt von der Formulierung des »Vollwerdens« eines Zeitraums: Diese Formulierung ist ein Vorzugswort, das nur in lk (red.) Partien begegnet. 1 Das Nomen ἀνάλημψις begegnet nur an dieser Stelle. Das Verb ἀναλαμβάνω zur Bezeichnung der Entrückung Jesu in den Himmel ist ein Vorzugswort der lk Redaktion (vgl. Act 1,2.11.22) und begegnet außerdem in 1Tim 3,16 sowie im kanonischen Mk- Schluss (Mk 16,19): Das ist die Sprache der kanonischen Redaktion. Auch πορεύεσθαι ist (mit insgesamt 88 Belegen in Lk/ Act) ein lk Vorzugswort. 2 στηρίζειν begegnet außer in 9,51 noch in ______________________________ 1 Vgl. die Formulierung mit (συμ)πληροῦσθαι: Lk 2,1; 21,24; Act 7,23; 9,23 bzw. mit πιμπλάναι: Lk 1,57; 2,6.21.22. 2 Zum distinkten Sprachgebrauch vgl. R. VON B ENDEMANN , Zwischen ΔΟΞΑ und ΣΤΑΥΡΟΣ, Berlin - New York 2001, 415; J. J EREMIAS , Die Sprache des Lukasevangeliums, Göttingen 1980, 179. Im vorkanonischen *Mk taucht nur παραπορεύομαι auf (Mk 9,30), dagegen kommt πορεύομαι im 784 Anhang I 9,51-56 16,26 (für *Ev durch Adamantius bezeugt; s. dort) und in 22,32 (mit größter Wahrscheinlichkeit red.; s. dort). Das Syntagma ἀποστέλλω + πρὸ προσώπου σου ist für *Ev im Mal-Zitat *7,27 bezeugt, kommt sonst im NT nur noch in den redaktionellen Formulierungen Lk 1,10 und Act 13,24 vor. 3 Neben der aussagekräftigen Häufung sprachlicher Signale, die auf lk Redaktion hinweisen, ist in inhaltlicher Hinsicht natürlich der Verweis auf die ἀνάλημψις Jesu ein starkes Indiz für lk Redaktion. Denn der knappe Bericht über die Himmelfahrt Jesu Lk 24,51 hat in *Ev mit allergrößter Wahrscheinlichkeit gefehlt: *Ev endete mit dem knappen Hinweis, dass Jesus die Jünger verließ. 4 Für Lk ist die Himmelfahrt als Bedingung der Möglichkeit zur Sendung des Geistes (Act 2,33) dagegen von zentraler Bedeutung. 2. Ähnliches gilt für Lk 9,53b: Die Betonung von Jerusalem als Ziel der Reise und Ort der Passion Jesu ist ein wichtiges Element des Konzeptes der lk Redaktion. Dass dies auch in 9,53b der Fall sein könnte, legt sich dadurch nahe, dass V. 53b die Formulierung von 9,51b erkennbar aufgreift (τὸ πρόσωπον; πορεύεσθαι bzw. πορευόμενον; εἰς Ἰερουσαλήμ). Auf den ersten Blick scheint dies durch die Auslassung von 9,53 durch die Minuskeln 1080 1241 1352 gestützt zu werden: Denn dass Elemente der vorkanonischen Textgestalt noch in späten Zeugen Niederschlag gefunden haben, lässt sich ja häufig beobachten. In diesem Fall wird die Nichtbezeugung jedoch andere Gründe haben, da in diesen drei Minuskeln nicht nur 9,53, sondern auch 9,52 gefehlt hat; von diesem Vers ist aber zumindest die zweite Hälfte durch Tertullian für *Ev gesichert. Die Auslassung hat also andere Gründe; am ehesten ist an ein Schreibversehen (Homoioteleuton 9,51.53: εἰς Ἰερουσαλήμ) zu denken. Diese Beobachtungen zu 9,51.53b und Tertullians Bezeugung bestätigen die Rekonstruktionsversuche einer vorlk Fassung der Perikope, die auch unabhängig von der Annahme der *Ev-Priorität angestellt wurden. 5 Diese Überlegungen sind vor allem im Blick auf die Diskussion des sog. »lk Reiseberichts« von Bedeutung, den die meisten Ausleger mit Lk 9,51 beginnen lassen. Schon länger war gegen diesen tiefen Einschnitt in 9,51 eingewandt worden, dass 9,51-56 kompositionell eng ______________________________ kanonischen Mk-Schluss gleich drei Mal vor (Mk 16,10.12.15); auch hier zeigt sich die Hand des kanonischen Redaktors. 3 Vgl. M. M IYOSHI , Der Anfang des Reiseberichts, Rom 1974, 10f. 4 Zu καὶ ἀνεϕέρετο εἰς τὸν οὐρανόν Lk 24,51 s. dort. Vor allem das Fehlen dieser Wendung in א * D a b d e ſſ 2 l sy s georg I ist aufschlussreich. 5 Vgl. M IYOSHI , a. a. O. 6-15; vgl. B OVON , Lk II 25 z. St.: »Wenn wir die VV51 und 53b überspringen, haben wir, abgesehen von gewissen lukanischen Ausdrücken, die traditionelle Geschichte vor uns.« 9,51-56 Rekonstruktion 785 mit 9,37-50 zusammengehöre, weil es hier wie dort um die Korrektur von Jüngermissverständnissen gehe, 6 vor allem aber, weil es keinerlei identifizierbare Kompositionssignale für einen solchen Bericht gebe und weil schließlich das Ende dieses Reiseberichts nicht klar erkennbar sei. 7 Damit bleibt als entscheidendes Argument für die Annahme eines solchen Berichts, dass »Lukas mit der Formulierung ἐγένετο δὲ ἐν τῷ συμπληροῦσθαι τὰς ἡμέρας τῆς ἀναλήμψεως αὐτοῦ in 9,51a einen tiefen Gliederungsschnitt setzt, weil er den Blick der Leser damit in eine neue, bisher unbekannte Richtung lenkt.« 8 Da sowohl die Hinweise auf redaktionelle Gestaltung (in Lk 9,51) als auch diejenigen auf fehlende kompositionelle Strukturen zutreffend sind, entsteht hier eine unbefriedigende Situation, die sich jedoch mit Blick auf einen vorkanonischen Text und seine sekundäre Bearbeitung durch die lk Redaktion ohne weiteres löst. Denn in diesem Fall erklärt sich der ausdrückliche Hinweis in Lk 9,51a als redaktionelle Einfügung, die auf das deutlich erkennbare Konzept des »Weges« Jesu nach Jerusalem in Mk 8,27-10,52 zurückgeht. 9 Dass dem redaktionell herausgehobenen Beginn des lk Reiseberichts dann keine weiteren, gleichermaßen deutlichen Kompositionssignale folgen, ist - mit Blick auf den Umfang des Materials - ohne weiteres nachvollziehbar: Das erklärt sich auch ohne die Annahme von redaktioneller Nachlässigkeit. 10 3. Unklar ist außerdem, ob *Ev in *9,54c.55b.56a möglicherweise einen umfangreicheren Text hatte als Lk. Die handschriftliche Bezeugung 11 ist hier auffällig gespalten. a. In *9,54 fügen etliche Handschriften, darunter auch einige Altlateiner und andere Versionen, am Ende die Worte ὧς καὶ ᾿Ηλίας ἐποίησεν ein. Dies ist ein Hinweis auf 2Kön 1,9-12, der ja schon deswegen nahe liegt, weil auch die Worte der Zebedaiden der Sache nach von hier stammen. 12 Tertullians Referat macht deutlich, dass er diesen ausdrücklichen Verweis auf Elia in *Ev gelesen hat. Denn er fühlt sich zu dem Nachweis genötigt, dass die Strenge des richtenden Gottes in der ______________________________ 6 Vgl. schon T H . Z AHN , Lk z. St.; neuerdings sehr viel ausführlicher R. VON B ENDEMANN , a. a. O. 132ff. 7 Zum Für und Wider des »Reiseberichts« vgl. knapp W OLTER , Lk 364-366 (mit Lit.). 8 W OLTER , Lk 364. 9 Zur Bedeutung des »Wegs« (Mk 8,27; 9,33f; 10,17.32f.46.52) für die geographische Gliederung vgl. für viele andere: B. M. F. VAN I ERSEL , Locality, Structure, and Meaning in Mark, LingBibl 53 (1983), 45-54; DERS ., Markus - Geographie und Bedeutung, Düsseldorf 1993, 272-300. 10 Vgl. M. S. G OODACRE , Fatigue in the Synoptics, NTS 44 (1998), 45-58. 11 Schon F. C. B URKITT , St. Luke 9,54-56 and the Western »Diatessaron«, JTS 28 (1927), 48-53, hatte auf die Varianten in 9,54-56 hingewiesen. Er hielt jedoch die kürzere Fassung der Vulgatahandschriften für älter als den Langtext der Altlateiner. Anders beispielsweise J. M. R OSS , The Rejected Words in Luke 9,54-56, ET 84 (1972/ 73), 85-88, der den Langtext für ursprünglich hält. 12 2Kön 1,10.12: καταβήσεται πῦρ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ καὶ καταϕάγεταί σε. 786 Anhang I 9,51-56 Eliaepisode und die Sanftheit Jesu in seinem Tadel der Jünger 13 sich nicht widersprechen. Da Tertullian daran gelegen ist, die Einheit Gottes gegen die marcionitische Differenzierung zwischen creator und deus bonus festzuhalten, konzediert er, dass die Eliaepisode in der Tat die severitas Gottes sichtbar werden ließe, 14 fordert aber umgekehrt, dass Marcion auch seine lenitas zur Kenntnis nehmen möge, die er aufgrund von Jes 42,2f und 1Kön 19,12 ebenfalls schon für das AT belegt hält. Harnack hatte aufgrund desselben Hinweises bei Tertullian und auf derselben Grundlage der uneinheitlichen Handschriftenüberlieferung (allerdings aus anderen Gründen) geschlossen, dass das Eliawort *9,54b sicher in *Ev vorhanden war. 15 Die Einschätzung, dass Marcion dieses Wort sekundär in seinen Text eingefügt habe, weil es »ausgezeichnet zu seiner Lehre« passe, ist jedoch schwer nachvollziehbar. Offensichtlich denkt Harnack hier an den Gegensatz zwischen (strafendem) creator und deus bonus. Es ist allerdings völlig unwahrscheinlich, dass Marcion den Text seines Evangeliums eigenständig durch einen Hinweis aus dem von ihm abgelehnten Alten Testament ergänzt haben sollte. Denn er hätte damit nicht nur seine eigene Textgrundlage verlassen, sondern genau das Verfahren angewendet, das er seinen katholischen Gegnern vorwirft: Die Verfälschung des Evangeliums durch die Interpolation aus dem Alten Testament. Die Annahme, dass der Hinweis auf Elia tatsächlich in *Ev stand, ist aufgrund der direkten und der indirekten Bezeugung mehr als nur wahrscheinlich. Aber die Erklärung im Horizont der Lk-Priorität, dass er von Marcion sekundär in den kanonischen Lk-Text eingefügt worden sei, würde den methodischen Prämissen dieser Theorie diametral widersprechen: Die Elianotiz ist daher als Element des vorkanonischen *Ev-Textes zu verstehen. b. Diese Einschätzung von *9,54c ist dann auch geeignet, die ähnlich uneinheitliche Textüberlieferung von *9,55b zu klären: Teilweise dieselben Zeugen, die den Zusatz am Ende von *9,54 bieten, lesen in *9.55b: καὶ εἶπεν· οὐκ οἴδατε οἵου (ποίου) πνεύματός ἐστε (ὑμεῖς). Sehr wahrscheinlich hat Tertullian das Stichwort πνεῦμα/ spiritus an dieser Stelle in *Ev gelesen: Das würde erklären, wieso er für seinen Nachweis der Sanftheit Gottes gerade 1Kön 19,12 mit der Wendung in spiritu miti zitiert: Der »sanfte Geist«, in dem Gott dem Elia erschienen war, wäre ______________________________ 13 Der Zusammenhang des Referats von *9,54 mit *9,48 ist denkbar eng und wird durch das Stichwort von Jesu affectio in parvulos belegt. Dieser Übergang mitten im Satz begründet die Zweifel an der Existenz von 9,49f (s. dort). 14 Mit agnosco iudicis severitatem ist eindeutig auf *Ev verwiesen. 15 H ARNACK 204*: »Da die Stücke (sc. 9,54b.55b) höchstwahrscheinlich bei M. standen (das erste gewiß) und ausgezeichnet zu seiner Lehre passen, sind sie von ihm hinzugefügt und nun in die katholischen Mss. gedrungen.« T SUTSUI 94 ist hier vorsichtiger: Obwohl die »Zusätze« marcionitisch sein könnten, dürfte man nicht aus »Tertullians Bericht folgern, dass sie auch in dem von ihm benutzten Marcion-Text gestanden haben.« Warum nicht? Ohne das entsprechende Verständnis Tertullians gäbe es kaum Anlass, diese Passagen überhaupt für marcionitische Redaktion zu halten. 9,51-56 Rekonstruktion 787 die Haltung, die Jesus bei den Jüngern vermisst. Die Verbindung, die Tertullian zwischen Elias Beschwörung des »Feuers vom Himmel« (2Kön 1,10.12) und dem »sanften Geist« 16 herstellt, geht also bereits auf *Ev zurück. 17 c. Die Situation ist für das Menschensohnwort *9,56a noch weniger klar. Die textkritischen Überlegungen zum kanonischen Lk-Text setzen (wohl zu Recht) regelmäßig voraus, dass die Disparitäten der Textüberlieferung von 9,54b.55b.56a trotz leicht variierender Zeugen zusammengehören und ein einheitliches Phänomen darstellen. Mit Blick auf den kausalen Anschluss in *9,56a (ὁ γ ὰ ρ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου οὐκ ἦλθεν …) ist diese Überlegung plausibel: Das Menschensohnwort begründet den Tadel Jesu gegenüber dem Ansinnen der Jünger und erweist die Übereinstimmung der Sendung des Menschensohns mit dem Geist Gottes nach 1Kön 19. Wenn die drei Lesarten in *9,54-56 zusammengehören und ein einheitliches Redaktionsphänomen konstituieren, scheidet die übliche Erklärung - das Eindringen von Glossen auf der Ebene der handschriftlichen Überlieferung 18 - jedoch aus: Die Lesarten sind nicht dadurch entstanden, dass der Text von *9,54c.55b.56a von verschiedenen Kopisten auf verschiedenen Ebenen der Überlieferung »ergänzt« wurde, 19 sondern dadurch, dass einzelne Elemente gestrichen wurden, und zwar durch eine Hand: Die Bearbeitung der lk Redaktion. Diese Erklärung ist auch für die textkritische Beurteilung des Menschensohnwortes in *9,56a aufrecht zu erhalten, obwohl die handschriftliche Überlieferung sich hier weniger einhellig und charakteristisch als sonst darstellt. Die gegenüber *9,54c.55b breitere Bezeugung *9,56a in den Handschriften hat zu unterschiedlichen Einschätzungen geführt. 20 Unter der hier entfalteten Voraussetzung der Zusammengehörigkeit aller drei Lesarten ist daher *9,56a kein »Import aus 19,10«. 21 Es handelt sich vielmehr um eine Dublette, die bereits auf der Ebene des vorkanonischen *Ev-Textes existierte. 4. Die textkritische Entscheidung der Herausgeber von NA 27 / GNT 4 zu den genannten Lesarten 9,54ff trifft demnach im Ergebnis das Richtige: Der Hinweis auf ______________________________ 16 1Kön 19,12: οὐκ ἐν τῷ πυρὶ κύριος· καὶ μετὰ τὸ πῦρ ϕωνὴ αὔρας λεπτῆς, κἀκεῖ κύριος. 17 Vgl. B OVON , Lk II 26: »Vom Gesichtspunkt der inneren Kritik aus kann der Ausruf ›Ihr wißt nicht, welches Geistes Kind ihr seid‹ nicht lukanisch sein.« 18 Vgl. M ETZGER , Textual Commentary (zu Lk 9,54): »The reading ὡς καὶ Ἠλίας ἐποίησεν, as well as the longer readings in verses 55 and 56, had fairly wide circulation in parts of the ancient church. The absence of the clauses, however, from such early witnesses as P 45, 75 א B L Ξ 1241 it l syr s cop sa,bo suggests that they are glosses derived from some extraneous source, written or oral.« 19 W OLTER , Lk 371. 20 Der Textus Receptus von 1873 (den die IGNTP-Ausgabe präsentiert) hat das Menschensohnwort 9,56 in den Text aufgenommen, NA 27 / GNT 4 dagegen nicht. 21 So W OLTER , Lk 371 z. St. 788 Anhang I 9,51-56 Elia, der Tadel der Jünger wegen ihres falschen »Geistes« und das Menschensohnwort sind Teil des vorkanonischen *Ev und gehören nicht zum Bestand des kanonischen Lk-Textes im Rahmen des Neuen Testaments. Die Gründe, die für diese Entscheidung gelegentlich angegeben werden, sind jedoch nicht haltbar. Dass die kürzere Fassung (ohne *9,54c.55b.56a) von Zeugen geboten wird, die als »zuverlässig« gelten, vor allem P 45.75 ( א ), besagt wenig: Diese Handschriften bieten ja an anderen Stellen verschiedentlich Varianten des vorkanonischen Textes. 22 Die Kriterien für die Bewertung einzelner Handschriften als »Zeugen erster Ordnung« usw. halten den methodischen Anforderungen nicht stand, die sich unter den hier vorausgesetzten methodischen Prämissen ergeben: Dass nämlich zwischen dem vorkanonischen und dem kanonischen Text eine regelrechte (und identifizierbare) Redaktion gelegen hat und dass es im Verlauf der Textgeschichte zu Intereferenzen zwischen den beiden Textüberlieferungen gekommen ist, die nicht nur in Varianten der Handschriftenüberlieferung sichtbar sind, sondern auch durch die direkte Bezeugung der Häresiologen bestätigt werden. 5. Unter dieser Voraussetzung wird das erstaunliche Phänomen sichtbar, dass die lk Redaktion Elemente des vorkanonischen Textes gestrichen hat, um auf diese Weise ein theologisches Problem aus der Welt zu schaffen: Die theologische Begründung der Kritik Jesu an den Jüngern für ihren Eifer. Dass Jesus das Ansinnen der Jünger zurückweist, ist als Element des kanonischen Textes erhalten geblieben (Lk 9,55a: ἐπετίμησεν αὐτοῖς), nicht aber die Begründung des Vorhabens der Jünger mit dem analogen Beispiel des Elia (*9,54c), die Kritik am »falschen Geist« (*9,55b) sowie die Aussage zum Zweck der Sendung des Menschensohns (*9,56a). Die entscheidende Frage lautet, wodurch das theologische Problem, das durch die Streichung dieser Passagen gelöst werden sollte, genau konstituiert war. Mit Blick auf Lk 9,55a scheidet aus, dass die lk Redaktion eine Kritik Jesu an den Jüngern beseitigen wollte. Auch die Gerichtsandrohung als solche liefert keinen hinreichenden Grund für den redaktionellen Eingriff. Denn sowohl in *Ev als auch in Lk begegnen ja nicht nur Gerichtsaussagen über Gott (vgl. etwa *19,11-28; Lk 11,31f; 20,9-19 usw.) oder über den Menschensohn (*9,26; *12,40; *21,27 usw.), sondern auch solche über das rettende Handeln Gottes oder des Menschensohns (*6,9; *19,10 usw.), die das wechselseitige Verhältnis allererst als Problem konstituieren könnten. Mit anderen Worten: Weder die Gerichtsdrohungen als solche noch ihr Verhältnis zu Heilsverheißungen können, je für sich und zusammen, als Argument für die Streichung der fraglichen Elemente durch die lk Redaktion dienen. Der Grund für ihre Auslassung wird daher eher in dem expliziten Verweis auf Elia zu ______________________________ 22 Vgl. als Beispiele für P 45 : 6,38; 9,35; 10,21; 11,33.41.42; (12,9); 12,31.51.56.58. - Für P 75 : 8,16; 10,18; 11,2.33.46; (12,39); 24,39. - Für א : 5,24.34.38; 6,21.29.36; 7,19.37; 8,3; 11,47; 12,8.53; 16,22; 20,33; (24,51! ). 9,51-56 Rekonstruktion 789 sehen sein, genauer: in der durch den Rekurs auf 2Kön 1 implizierten Begründung der Gerichtsdrohung mit einem Beispiel aus dem Alten Testament, dem die Rettungsaussage im Menschensohnwort entgegen gesetzt wird. Wenn der implizierte Gegensatz zwischen dem alttestamentlichen Vorbild und dem Verhalten des Menschensohns für den redaktionellen Eingriff verantwortlich ist, dann lässt sich dies am ehesten als eine antimarcionitische Maßnahme verstehen. 23 Sie macht die generelle Bearbeitungsabsicht der lk Redaktion deutlich, ohne dass diese sich darauf reduzieren lässt. 6. Die Perikope war im Kern in *Ev enthalten, sie ist aber mit allergrößter Wahrscheinlichkeit redaktionell bearabeitet worden: Aus inneren Gründen spricht einiges dafür, dass 9,51.53b i. W. erst von der lk Redaktion in den Text eingefügt wurden. Im Unterschied dazu hat Lk mit größter Wahrscheinlichkeit aus theologischen Gründen den Hinweis auf Elia (*9,5c), die Kritik an den Jüngern (*9,55b) sowie das Menschensohnwort (*9,56a) gestrichen, um dadurch der vor allem von den Marcioniten vertretenen These eines Gegensatzes zwischen Altem und Neuem Testament besser begegnen zu können. *9,57.58.59-62: Nachfolgesprüche Gut bezeugt und sicher in *Ev vorhanden; nur geringfügig durch Lk bearbeitet. 9,57 a Καὶ πορευομένων αὐτῶν ἐν τῇ ὁδῷ εἶπέν τις πρὸς αὐτόν, Ἀκολουθήσω σοι ὅπου ἐὰν b ὑπάγῃς c [ κύριε ] . 58 καὶ εἶπεν αὐτῷ ὁ Ἰησοῦς, Αἱ ἀλώπεκες ϕωλεοὺς d αὐτῶν ἔχουσιν καὶ τὰ πετεινὰ τοῦ οὐρανοῦ e ἔχει κατασκηνώσεις f αὐτῶν g ποῦ ἀναπαύσηται g , ὁ δὲ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου οὐκ ἔχει ποῦ τὴν κεϕαλὴν h αὐτοῦ κλίνῃ. 59 Εἶπεν δὲ πρὸς i {τὸν Φιλίππον} i , Ἀκολούθει μοι. ὁ δὲ {Φιλίππος} εἶπεν, k [ κύριε ] ἐπίτρεψόν μοι l ἀπελθόντι πρῶτον l θάψαι τὸν πατέρα μου. 60 εἶπεν δὲ αὐτῷ, Ἄϕες τοὺς νεκροὺς θάψαι τοὺς ἑαυτῶν νεκρούς, σὺ δὲ m †ἀκολούθει μοι† m . 61 Εἶπεν δὲ καὶ ἕτερος, Ἀκολουθήσω σοι, κύριε· πρῶτον δὲ ἐπίτρεψόν μοι ἀποτάξασθαι τοῖς εἰς τὸν οἶκόν μου. 62 εἶπεν δὲ πρὸς αὐτὸν ὁ Ἰησοῦς, Οὐδεὶς n εἰς τὰ ὀπίσω βλέπων καὶ ἐπιβαλὼν τὴν χεῖρα ἐπ’ ἄροτρον n εὔθετός ἐστιν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ. ______________________________ 23 Vgl. B OVON , Lk II 25 mit Anm. 6: »Die orthodoxen Kopisten« hätten die Elianotiz 9,54c »vielleicht in antimarcionistischem Reflex« gestrichen. Das ist, wie der Hinweis auf Tert. 4,23 zeigt, insgesamt richtig gesehen, auch wenn die Änderung eher auf die lk Redaktion als auf »Kopisten« zurückzuführen ist: Die Annahme, dass hier Kopisten am Werk waren, ist der Tribut für das Festhalten an der Lk-Priorität. Allerdings hat Bovon diese Spur nicht konsequent verfolgt: Er erwägt, ob 9,55b »möglicherweise eine marcionitische Erweiterung« sei (a. a. O. 26 Anm. 8), substituiert hier also eine genau entgegengesetzte Annahme. 790 Anhang I 9,57-62 A. *9,57: Tert. 4,23,9: At enim humanissimus deus cur recusat eum qui se tam individuum illi comitem offert? Si quia superbe vel ex hypocrisi dixerat, Sequar te quocunque ieris, ergo aut superbiam aut hypocrisin recusandam iudicando iudicem gessit. ♦ *9,59f: Tert. 4,23,10: Et utique damnavit quem recusavit, non consecuturum scilicet salutem. Nam sicut ad salutem vocat quem non recusat, vel etiam quem ultro vocat, ita in perditionem damnat quem recusat. Illi autem causato patris sepulturam cum respondet, Sine mortui sepeliant mortuos suos, tu autem vade et annuntia regnum dei, utramque legem creatoris manifeste confirmavit … (folgen Hinweise auf Lev 21,1 und Num 6,6f) ♦ *9,60: Irenaeus, Haer. 1,8,3 (FC 8/ 1, 178,24): σὺ δὲ πορευθεὶς διάγγελλε τὴ βασιλείαν τοῦ θεοῦ. ¦ Clem. Alex., Strom. 3,4,25,3 (GCS 52, 207,13f): κἂν συγχρήσονται τῇ τοῦ κυρίου ϕωνῇ λέγοντος τῷ Φιλίππῷ· ἄϕες τοὺς νεκροὺς θάψαι τοὺς ἑαυτῶν νεκρούς, σὺ δὲ ἀκολούθει μοι … ♦ *9,61f: Tert. 4,23,11: Cum vero et tertium illum prius suis valedicere parantem prohibet retro respectare, sectam creatoris exequitur. Hoc et ille noluerat fecisse quos ex Sodomis liberarat. B. a (9,57) και: P 45.75 א B C L Θ Ξ 33 579 700 892 1241 pc sy s.c.p bo 1 ms ¦ εγενετο δε: A D W Ψ f 1.13 lat sy h M (*Ev non test.) ● b (9,57) υπαγης/ ieris: P 45 D 157 it vg ¦ απερχη: M (*Ev non test.) ● c (9,57) κυριε: om P 45.75 א B D L Ξ mult e a aur b c d f g 1 gat l r 1 vg sy s.c Tat pers armen georg ¦ add A C W Θ Ψ f 13 (b) f q sy p.h bo ms M (*Ev non test.) ● d (9,58) αυτων: sa Ephr (vulpibus … habitacula sua sunt) (vgl. EvThom 86) ¦ om it bo M ; s. u. den Kommentar (*Ev non test.) ● e (9,58) αυτων: sa Ephr (vulpibus … habitacula sua sunt) (vgl. EvThom 86) ¦ om it bo M ; s. u. den Kommentar (*Ev non test.) ● f (9,58) εχει: sa bo (vgl. EvThom 86) ¦ om it M ; s. u. den Kommentar (*Ev non test.) ● g (9,58) που αναπυσηται: a b f l q r 1 (nidos ubi requiescant) Ambr (Lc 7,22 [CC 14, 222]) Hieron (Adv. Pel. 2,12 [PL 23, 547]; Comm. in Is 9,28 [CC 73, 360]; Hom. in Ps [CC 78, 275]) Tert (Id. 185 [CC 2, 1119]) usw.; vgl. EvThom 86; Mt 8,20 nidos ubi requiescant: a b c ſſ 1 g 1 gig h q m (ubi requiescant); vg (E Q T: nidos ubi requiescant; F R J: tabernacula u. r.) ¦ om M ; s. u. den Kommentar (*Ev non test.) ● h (9,58) αυτου: ℓ1127 e aur r 1 sy s.c.p vg mss sa bo aeth Ephr Afrahat Tat arab.pers (Ps)Faustus Rheg., De rat. 1 (CSEL 21, 454); vgl. EvThom 86; Mt 8,20 a b g h ¦ om M ; s. u. den Kommentar (*Ev non test.) ● i (9,59) τον Φιλιππον: Clem ¦ ετερον: Tert M ● k (9,59) κυριε: om B* D V 1009 2766 d sy s ¦ add P 45.75 א B 2 C L Θ Ξ Ψ 0181 f 1.13 33 sy c.p.h co 1 ms M (*Ev non test.) ● l (9,59) πρωτον απελθοντι: א B (D: πρωτον απελθοντα) 047 mult lectt georg I.III got; πρωτον απελθειν: mult it vg Tat arab.pers ¦ (2 1) απελθοντι πρωτον: M (*Ev non test.) ● m (9,60) Widersprüchliche Bezeugung: (1) ακολουθει μοι: Clem ¦ (2) απελθε και διαγγελλε την βασιλειαν του θεου: Tert; απελθων διαγγελλε την βασιλειαν του θεου: M ● n (9,61) εις τα οπισω βλεπων και επιβαλλων την χειρα αυτου επ αροτρον: P 45vid D it Clem ¦ (6-9 10 11 5 1-4) επιβαλων (επιβαλλων: P 75 0181) την χειρα επ αροτρον και βλεπων εις τα οπισω: P 75 B 0181 f 1 ¦ (6-11 5 1- 4) επιβαλων (επιβαλλων: A L W Θ pc) την χειρα αυτου επ αροτρον και βλεπων εις τα οπισω: א C L W Θ Ξ Ψ f 13 33 vg sy M (*Ev non test.). C. Tertullian bezeugt Elemente aller drei Nachfolgeapophthegmata (*9,57b.60.61a), die er geschickt zu einer größeren Argumentation verbindet: Direkt bezeugt sind die Antworten Jesu Vv. *60.62, aber auch von den narrativen Einleitungen *9,60.61 sind noch Spuren erkennbar. Clemens referiert V. *60 in einer überraschenden Gestalt, die Einsichten zur gesamten Perikope ermöglicht. Zum ersten Logion ist nur die Einleitung durch das Zitat aus *9,57b gesichert. Die Antwort Jesu in *9,58 ist unbezeugt, wird aber wegen der strukturellen Analogie zu den beiden anderen 9,57-62 Rekonstruktion 791 Logien sicher auch in *Ev vorhanden gewesen sein. Abgesehen von Clemens’ Bezeugung zu *9,59f gibt es keinen Grund, für *Ev eine von der kanonischen abweichende Textgestalt dieser Perikope anzunehmen. 1. Die Bezeugung ist in erster Linie für die Überlieferungsgeschichte von Bedeutung, weil *9,57f.59f eine Parallele in Mt 8,19f.21f besitzen, nicht aber *9,61f. Da Mt seine Belehrung über die Bedingungen der Nachfolge in den aus Mk übernommenen Kontext der Sturmstillungsperikope (im Anschluss an Mt 8,19 || Mk 4,35) einfügt, 1 lässt sich seine Redaktionspraxis nachvollziehen. In Rahmen des überlieferungsgeschichtlichen Modells der Zwei-Quellentheorie gehören die Nachfolgelogien der »Q«-Überlieferung an. Die strittige Frage, ob Lk 9,61f ursprünglich zu »Q« gehörte, hat dabei erwartungsgemäß alle denkbaren Antworten gefunden: Das Apophthegma *9,61f sei in »Q« enthalten, aber von Mt ausgelassen worden; 2 erst Lk habe es in Analogie zu *9,59f gebildet; 3 es stamme aus einer anderen Quelle, die Lk hier vorgelegen habe. 4 Angesichts der Bezeugung durch Tertullian ist es allerdings wahrscheinlich, dass Mt das dritte Logion gestrichen hat. Das liegt nahe, weil *9,59f.60f einander sehr viel ähnlicher sind als *9,57f: In beiden Fällen bittet der Nachfolgewillige Jesus um Erlaubnis (ἐπίτρεψόν μοι …), erst noch etwas anderes tun zu dürfen (πρῶτον + Inf.); in beiden Fällen enthält die Antwort Jesu einen Verweis auf die Basileia. Die große Ähnlichkeit der beiden Logien in *Ev wird Mt dazu bewogen haben, das zweite auszulassen. Das gleiche redaktionelle Verfahren ist auch noch in seiner Rezeption der Gleichnisse vom Verlorenen zu beobachten: Er hat aus *Ev das Gleichnis vom verlorenen Schaf (*15,3-6 || Mt 18,12-14) übernommen, nicht aber das strukturell analoge Gleichnis von der verlorenen Drachme (*15,8-10; s. dort). 2. Unter dieser Voraussetzung lassen sich weitere Erwägungen über die Differenzen zwischen dem mt und dem lk Text anstellen: Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Nennung der konkreten Gesprächspartner (Mt 8,19: εἷς γραμματεύς; 8,21: ἕτερος δὲ τῶν μαθητῶν) auf die mt Redaktion zurückgeht. Denn die Anrede Jesu durch den Schriftgelehrten als »Lehrer« (διδάσκαλε Mt 8,19 ÷ *9,57) ist bei Mt sonst immer den Gegnern vorbehalten 5 und zeigt schon hier das Scheitern der positiven Bestimmung. Diese Vermutung bestätigt sich mit Blick auf die κύριε- Anrede in Mt 8,21, die mit großer Wahrscheinlichkeit in *Ev gefehlt hat (vgl. *9,59 D sy usw.): Die anzunehmende mt Redaktion bestätigt den mutmaßlich vorkanonischen Text von *Ev in beiden Fällen. ______________________________ 1 L UZ , Mt II 21: »Eine solche Perikopenverbindung ist bei Mt ungewöhnlich.« 2 So z. B. S CHÜRMANN , Lk II/ 1, 46. 3 M. M IYOSHI , Der Anfang des Reiseberichts, Rom 1974, 41ff; B OVON , Lk II 32 (»zweifellos von Lk nach dem Modell der beiden andern konstruiert«). 4 G. P ETZKE , Das Sondergut des Evangeliums nach Lukas, Zürich 1990, 104-107. 5 Vgl. G NILKA , Mt I 310. 792 Anhang I 9,57-62 3. Der ansonsten unbezeugte V. *58 hat eine Parallele in EvThom 86, die geringfügig, aber charakteristisch von Lk 9,58 || Mt 8,20 abweicht, wie ein Vergleich mit der Rückübersetzung ins Griechische deutlich macht. EvThom 86 Lk 9,58 || Mt 8,20 Λέγει Ἰησοῦς· καὶ εἶπεν αὐτῷ ὁ Ἰησοῦς, αἱ ἀλώπεκες ἔχουσιν τοὺς ϕωλεοὺς αἱ ἀλώπεκες ϕωλεοὺς ἔχουσιν a αὐτῶν καὶ τὰ πετεινὰ καὶ τὰ πετεινὰ b τ ο ῦ ο ὐ ρ α ν ο ῦ b c ἔχει d τὴν κατασκήνωσιν d a αὐτῶν, κατασκηνώσεις, ὁ δὲ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου οὐκ ἔχει ὁ δὲ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου οὐκ ἔχει ποῦ τὴν κεϕαλὴν e α ὐ τ ο ῦ ποῦ τὴν κεϕαλὴν κλίνῃ f καὶ ἀναπαύσηται. f κλίνῃ. Die Abweichungen zwischen EvThom 86 auf der einen Seite und den wörtlich identischen Fassungen bei Mt und Lk auf der anderen sind deswegen aufschlussreich, weil einige davon wichtige Analogien in der handschriftlichen Überlieferung besitzen. Das Material ergibt sich zum größten Teil nicht aus den krit. Ausgaben (und ist deshalb auch oben nicht aufgeführt), sondern nur aus entfernteren Zeugen, die August Strobel gesammelt hat. 6 Im Einzelnen ist dabei wichtig: a. Die Possessivpronomina (αὐτῶν) nach ϕωλεούς bzw. κατασκήνωσιν sind deshalb beachtenswert, weil sie außerdem in relativ entlegenen Zeugen auftauchen: Ephraem bezeugt sie (vulpibus … habitacula sua sunt) ebenso wie eine Vg-Handschrift (J = Foro-Juliensis, s. VI/ VII), die hier tabernacula sua (habent) liest, außerdem die sahidische Überlieferung (im Unterschied zur bohairischen). Gegen Strobel, der dieses Syndrom als »zufällige Gemeinsamkeit« bewerten will, 7 ist dies im Licht der häufig beobachteten Interferenzen zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Textüberlieferung wenig wahrscheinlich. b. In EvThom 86 fehlt (τὰ πετεινὰ) τοῦ οὐρανοῦ. Diese Variante ist in der handschriftlichen Überlieferung weder für Lk noch für Mt bezeugt. Die einzigen Parallelen zu dieser Lesart sind in entfernten Evangelienharmonien bezeugt (im niederländischen Tatian und der altenglischen Evangelienharmonie). Diese Variante aus EvThom 86 ist zu schwach bezeugt, um auf einen Ursprung in *Ev schließen zu lassen. c. Die Wiederholung des Verbs in der Aussage über die Vögel (ἔχει) ist außer in EvThom auch durch Tatian bezeugt, außerdem, sowohl für Mt als auch für Lk, in der koptischen Überlieferung, 8 taucht sonst aber nirgends in der Überlieferung auf. Wieder ist Strobels einzige Erklärung für diese Entsprechungen die Annahme, dass Tatian einen Einfluss auf EvThom ausgeübt habe. In diesem Fall erwägt er die Möglichkeit, dass Tatian auch die koptische Überlieferung beeinflusst habe. Aber die Annahme der *Ev-Priorität liefert eine näherliegende Verbindung zwischen diesen Zeugen. Es ist daher wahrscheinlich, dass diese wenig elegante Wiederholung des Verbs in *Ev ursprünglich ist und dann korrigiert wurde. ______________________________ 6 A. S TROBEL , Textgeschichtliches zum Thomas-Logion 86 (Mt 8,20/ Lk 9,58), VigChr 17 (1963), 211-224. 7 A. a. O. 213. Immerhin bemerkt Strobel, dass das »Zusammengehen eines östlichen Zeugen mit westlichen zweifellos beachtet sein« will. 8 bo sa; vgl. S TROBEL , a. a. O. 215f. 9,57-62 Rekonstruktion 793 d. Der Singular τὴν κατασκήνωσιν anstelle des kanonischen Plurals (κατασκηνώσεις) ist außerdem bezeugt durch: sy c.p (zu Mt 8,20 und zu Lk 9,58: mṭllʼ = umbraculum), sy s (Mt 8,20 : mṭllʼ = umbraculum ≠ Lk 9,58: qnʼ ); Tat pers (ebenso Diatess. Veneto und Toscano); aeth (zu Mt 8,20: foveam … nidum) sowie georg, die wahrscheinlich ebenfalls auf die syrische Bibel zurückgehen. In diesem Fall liegt es nahe, dass die Variante auf eine Übersetzungseigenheit zurückgeht, die durch die syrische Syntax von Possessivsätzen (mit dem Dativus possessivus) in Verbindung mit dem Kollektivsingular ( prḥt’ , ganz entsprechende dem griechischen τὰ πετεινά) verursacht ist. Es gibt dann keinen Grund, diese Variante für *Ev in Erwägung zu ziehen. e. Das Personalpronomen αὐτοῦ nach κεϕαλήν, das in der Mehrheit der Handschriften fehlt, ist verschiedentlich bezeugt: ℓ1127 e aur r 1 sy s.c.p vg mss (Ps)Faustus Rheg., De rat. 1 (CSEL 21, 454) usw., außerdem für Mt 8,20 durch die Altlateiner (a b g h). Die handschriftliche Bezeugung ist charakteristisch für das häufige Phänomen der Intereferenz zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Überlieferung. Ich halte die Variante für ursprünglich in *Ev. f. Die letzte Besonderheit von EvThom 86 ist der Zusatz καὶ ἀναπαύσηται ganz am Ende. Er ist singulär und taucht in der handhriftlichen Überlieferung nirgends auf. Trotzdem ist diese Besonderheit wichtig, weil sie auf die Entsprechungen in der Aussage über die Nester der Vögel in der lateinischen Überlieferung aufmerksam macht. Hier ist er Zusatz »wo sie ruhen« (ubi requiescant) häufig bezeugt: a b f l q r 1 Ambr (Lc 7,22 [CC 14, 222]) Hieron (Adv. Pel. 2,12 [PL 23, 547]; Comm. in Is 9,28 [CC 73, 360]; Hom. in Ps [CC 78, 275]) Tert (Id. 185 [CC 2, 1119]) usw. Er findet sich auch in der Parallelstelle Mt 8,20 nidos ubi requiescant: a b c ff 1 g 1 gig h q m (hier ohne nidos); vgl. auch in der Vulgata-Überlieferung die Handschriften E Q T (nidos ubi requiescant) F R J (tabernacula ubi requiescant). Diese weitverbreitete Bezeugung lässt sich am leichtesten erklären als Einfluss durch die Textüberlieferung von *Ev, die ihren Weg in die weitverzweigte lateinische Überlieferung durch die altlateinischen Evangelien gefunden hat. Eine Folge dieser Erklärung ist es, dass die singuläre Aussage über den Menschensohn in EvThom 86 am ehesten eine ad hoc-Adaption an diese Überlieferung über die Nester der Vögel ist; sie wird nicht auf *Ev zurückgehen. Vor diesem Hintergrund liegt die Annahme nahe, dass hinter EvThom 86 der vorkanonische Text von *9,58 steht, der sich auch noch in einer ganzen Anzahl von Seitenzweigen der handschriftlichen Überlieferung erhalten hat. Es ist daher m. E. unnötig, diese gemeinsamen Differenzen auf sprachliche Eigenheiten des syrischen Textes zurückzuführen, wie es Strobel vorschlägt: Der auffällige Zusammenhang von sy und EvThom liegt in der gemeinsamen, vorkanonischen Fassung. Unter dieser Annahme ergibt sich das anderweitig so auffällige Phänomen der Interferenzen auch für EvThom, das ansonsten ja durchaus die kanonischen Fassungen der Evangelien voraussetzt; dies aber offensichtlich nicht konsequent. Für *9,58 bedeutet dies, dass es neben den inhaltlichen Argumenten für die vorkanonische Existenz auch textliche Hinweise gibt, die diese Annahme stützen. 4. Tertullian referiert *9,60 in einer Form, die abgesehen von einer kleinen Wortumstellung genau der kanonischen Fassung entspricht. Dagegen bezeugt Clemens für *9,59 eine abweichende Gestalt, die eine ganze Reihe von Fragen 794 Anhang I 9,57-62 aufwirft und Folgen sowohl für die Rekonstruktion von *9,59f als auch für die Überlieferungsgeschichte besitzt. Kontext seiner Bezeugung ist die Kritik an der marcionitischen Askese. Clemens wirft den »Anhängern der Sekte des Marcion aus Pontus« vor, sie würden aus Widerspruch gegen den Schöpfer den »Gebrauch der weltlichen Dinge« verwerfen und widerlegt diese Enthaltsamkeit (ἐγκράτεια) durch einen Selbstwiderspruch der Marcioniten. Denn »wenn sie das Wort des Herrn anführen (συγχρήσονται τῇ τοῦ κυρίου ϕωνῇ …), der zu Philippus sagte: ›Lass die Toten ihre Toten begraben, du aber folge mir nach! ‹, so sollen sie doch zur Kenntnis nehmen, dass auch Philippus das gleiche Gebilde des Fleisches trägt, ohne einen befleckten Leichnam zu haben.« 9 Strukturell entspricht Clemens’ Widerlegung dem Vorgehen der anderen Häresiologen: Er argumentiert mit dem Widerspruch zwischen der Theologie der Marcioniten und ihrem Bibeltext - und verweist dabei sogar auf eine konkrete Verwendung des marcionitischen Bibeltexts. a. Vor allem zwei Fragen müssen geklärt werden. Zunächst irritiert die überraschende Erwähnung des Philippus im Zusammenhang der Nachfolgelogien, die überhaupt nur bei Clemens belegt ist: Wo liegt der Ursprung dieser Erwähnung des Philippus? Da keine der kanonischen Fassungen die Adressaten der Nachfolgelogien namentlich identifiziert, scheint Clemens’ Zeugnis nicht sehr zuverlässig zu sein. Jedenfalls äußert Harnack, der die von Tertullian bezeugte kanonische Gestalt des Verses rekonstruiert, seine Zweifel an Clemens’ Zeugnis, begründet sie aber nicht. 10 Clemens’ Philippus-Erwähnung ist methodisch aufschlussreich, weil sie die argumentativen Aporien der Lk-Priorität aufdeckt: (1) Die Philippus-Erwähnung ist überraschend, weil sie weder in einer der synoptischen Parallelen noch einer anderen Rezeption der Nachfolgelogien in der patristischen Literatur bekannt ist. Auch die handschriftliche Überlieferung gibt keine Aufschlüsse. (2) Clemens bezeugt diese Erwähnung sehr deutlich für den marcionitischen Bibeltext. Die Zweifel an diesem Zeugnis resultieren daraus, dass sich unter der Annahme der Lk-Priorität kein Grund dafür angeben lässt, dass Marcion den Namen hier eingefügt haben sollte. (3) Umgekehrt ist auch für Clemens keinerlei Interesse an der Einfügung des Namens erkennbar: Aus welchem Grund sollte er Philippus hier dazuerfinden? Warum gerade ihn? Warum gerade an dieser Stelle? Der Umstand, dass Philippus der Adressat dieses Logions ist, spielt weder im Kontext noch für Clemens’ Argumentation eine Rolle. (4) Die Erwägung, ob die Erwähnung des Philippus aus dem »legendenhaften Material stammen könnte, auf das Clemens manchmal zurückgreift, um Episoden und Charaktere der Evangelien anzureichern«, 11 erklärt daher nichts; sie verschiebt das Problem nur in einen völlig unkontrollierbaren Bereich. ______________________________ 9 Clemens Alex., Strom. 3,4,25,1-3. 10 H ARNACK 204*: Ob die Marcioniten das Logion »als an Philippus gerichtet bezeichnet haben, ist nicht sicher.« Ähnlich B E D UHN 153, der es offen lässt, ob die Identifizierung des Jüngers als Philippus »was made in the Evangelion …« Zuversichtlicher urteilt R OTH 405: »It is not likely that [the mention of Philip] was drawn from Marcion’s Gospel.« Keine dieser Einschätzungen begründet den Zweifel an Clemens’ Zeugnis; sie sind willkürlich. 11 B E D UHN 153. 9,57-62 Rekonstruktion 795 Angesichts dieser Lage ist es am einfachsten, Clemens beim Wort zu nehmen: Die Philippuserwähnung stand im marcionitischen Evangelium. Unter der Annahme der *Ev-Priorität ist dies auch unproblematisch und passt in das größere Bild. Denn auf der einen Seite ist es für *Ev charakteristisch, dass Jesus seine Jünger durchaus schroff zurechtweist: die Distanz zwischen Jesus und seinen Jüngern ist in *Ev deutlich größer als in den kanonischen Evangelien. Auf der anderen Seite ist es typisch für die kanonische Redaktion, dass sie solche Härten mildert und die Jünger aus der Schusslinie nimmt. Beide Aspekte hatten sich besonders deutlich an der kanonischen Bearbeitung von *7,36-50 gezeigt (s. o.). Auch die sekundäre Tilgung der Namen von Individuen durch die kanonische Redaktion begegnet ja noch häufiger. Für Lk 9,60 hat dies eine doppelte Folge. Auf der einen Seite wird die Distanz zwischen Jesus und einem der zwölf (namentlich bekannten) Apostel reduziert: Es ist keiner der Zwölf, der so unverständig fragt. Auf der anderen Seite mutet Jesus das afamiläre Ethos nicht nur einem bestimmten Jünger zu, sondern allen, die ihm »nachfolgen«. Aus dieser Sicht spricht nichts dagegen, dass Clemens korrekt referiert und im vorkanonischen Evangelium Philippus der Adressat der Belehrung Jesu war. b. Die zweite Auffälligkeit ist die sprachliche Gestalt des Logions bei Clemens, die eine Mittelstellung zwischen Mt 8,22 und Lk 9,60 einnimmt. Mit Mt 8,22 hat Clemens gemeinsam, dass Jesus den Jünger auffordert ihm nachzufolgen, wogegen Lk einen Auftrag zur Verkündigung der Basileia bietet. Dagegen teilen Lk und Clemens die parallele Struktur, die zunächst das Wort über die Toten bietet und mit dem betont eingeführten Auftrag schließt: Clem., Strom. 3,4,25,3 Mt 8,22 Lk 9,60 ἀκολούθει μοι καὶ ἄϕες τοὺς νεκροὺς θάψαι ἄϕες τοὺς νεκροὺς θάψαι ἄϕες τοὺς νεκροὺς θάψαι τοὺς ἑαυτῶν νεκρούς, τοὺς ἑαυτῶν νεκρούς τοὺς ἑαυτῶν νεκρούς, σὺ δὲ σὺ δὲ ἀκολούθει μοι ἀπελθὼν διάγγελλε τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ Dieter Roth erklärt die Entsprechung zwischen Clemens und Mt 8,22 mit einem mt Einfluss auf Clemens, also einer Ungenauigkeit. 12 Die Annahme, dass Clemens irrtümlich auf den Mt-Text zurückgegriffen habe, ist methodisch problematisch und folgenreich. Auf der einen Seite spielt sie die Zuverlässigkeit von Clemens’ Zeugnis zugunsten von Tertullian herunter, der den kanonischen Wortlaut bezeugt: ______________________________ 12 Vgl. R OTH 405: »(Clement’s) citation itself has also been influenced by Mt 8: 22 as the verb ἀκολουθεῖν is drawn from there, an influence not found in Tertullian«. Wie Harnack rekonstruieren Roth und BeDuhn die von Tertullian bezeugte Form des Logions. 796 Anhang I 9,57-62 Aus welchem Grund sollte Tertullian mehr Vertrauen verdienen als Clemens? Auf der anderen Seite rechnet diese Lösung mit der Kontingenz, dass Clemens irrtümlich die Mt-Formulierung verwendet, obwohl er explizit auf *Ev als seine Quelle verweist. Und schließlich verschleiert diese Erklärung, dass hier einmal mehr für *Ev unterschiedliche Bezeugungen vorliegen. Wie auch sonst häufig, ist die widersprüchliche Bezeugung zugunsten der am weitesten vom kanonischen Text entfernten Variante aufzulösen. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass *9,60 den Ruf in die Nachfolge enthielt (σὺ δὲ ἀκολούθει μοι). Die kanonische Formulierung - Aussendung zur Verkündigung (ἀπελθὼν διάγγελλε …) - impliziert dagegen eine Bewegung von Jesus weg, die dem Thema der ganzen Einheit widerspricht: Nachfolge (ἀκολουθεῖν in Lk 9,57. 59.61) heißt hinterhergehen, nicht weggehen. »Gehe weg und verkündige …« ist lk Redaktion. 5. Unter der Annahme der *Ev-Priorität lässt sich die Präferenz für Clemens’ Fassung überlieferungsgeschichtlich plausibilisieren, weil die einzelnen redaktionellen Veränderungen durchsichtig werden. a. Am Anfang der Überlieferung steht die von Clemens bezeugte Fassung des Logions mit der Adressierung an Philipppus und der abschließenden Aufforderung, Jesus nachzufolgen. Obwohl diesem Referat alle Informationen zum nächsten Kontext fehlen, lassen sich wenigstens einige Aspekte postulieren, die sich aus dem redaktionellen Gestaltungswillen der Rezipienten dieses Textes ergeben. b. Der erste Rezipient des von Clemens bezeugten *Ev-Texts ist Mt 8,21f. Seine Fassung zeigt das redaktionelle Interesse, die nachfolgewilligen Adressaten der Belehrungen Jesu in Mt 8,20.22 von den Jüngern zu distanzieren: Im ersten Fall macht er den Gesprächspartner zu einem Schriftgelehrten: Er tritt an Jesus heran (καὶ προσελθὼν εἷς γραμματεύς), kommt also von außen, nämlich aus der in Mt 8,18 genannten Menge. Diese distanzierende Exposition geht also auf das redaktionelle Konto des Mt. Ursprünglich wird sie nicht anders ausgesehen haben als in Lk 9,57: Auf dem Weg sagt einer (also wohl: ein Begleiter Jesu, also einer der Jünger), dass er (nicht nur jetzt mit Jesus gehen, sondern) ihm folgen wolle, wohin immer er geht. Im zweiten Fall hat Mt den Namen des Philippus in der Anrede Jesu getilgt. Allerdings scheint Mt übersehen zu haben, dass er auch die Einleitung des Logions hätte ändern müssen, denn die lässt noch erkennen, dass Jesus auf eine Bitte aus dem Jüngerkreis reagiert: »Ein anderer seiner Jünger sprach zu ihm« (Mt 8,21). Der Anschluss ἕτερος δὲ τῶν μαθητῶν widerspricht der Exposition des ersten Nachfolgelogions (Mt 8,18) und belegt, dass es sich in beiden Fällen um eine Belehrung seiner Jünger handelte. Die narrative Einleitung (Mt 8,16) gibt der ganzen Einheit einen etwas anderen Sinn. Da Jesus zum anderen Ufer aufbricht, steht die Frage seiner Begleitung zur Debatte: Der Schriftgelehrte muss sich darauf einstellen, dass er keine Unterkunft 9,57-62 Rekonstruktion 797 findet; der »andere seiner Jünger« muss gleich mitkommen und hat keine Zeit mehr, zuvor seinen Vater zu begraben. Diese Begleitung Jesu ist weniger technisch gedacht als die Nachfolge, von der die Logien in *Ev handelten. Aus diesem Grund hat Mt das letzte Logion übergangen (*9,61f). Allerdings hat er den Nachfolgebefehl in 8,22 mit übernommen. c. Lk hat beide Prätexte (*Ev und Mt) vor sich und bearbeitet sie: Im Unterschied zu Mt greift er nicht in die Exposition des ersten Logions ein und übernimmt es unverändert aus *Ev. Dafür bearbeitet er die Exposition des zweiten Logions, indem er Jesus zum Subjekt macht und ihm eine Aufforderung zur Nachfolge in den Mund legt: εἶπεν δὲ πρὸς ἕτερον (Lk 9,59a) lässt noch erkennen, dass der Adressat ursrpünglich ἕτερος δὲ τῶν μαθητῶν war (*9,59a || Mt 8,21a). Es ist gut möglich, dass auch die Voranstellung des Nachfolgebefehls Lk 9,59b durch die Struktur von Mt 8,22 beeinflusst ist; dieser Befehl hätte dann die Bitte des Angesprochenen provoziert (Lk 9,59b). Weil Lk die Aufforderung zur Nachfolge nach vorne gezogen hat, aber in seiner Vorlage in *Ev nach dem Wort über das Begraben der Toten noch eine Aufforderung vorfand, hat er den Befehl zur Verkündigung der Basileia an diese Stelle gesetzt (Lk 9,60b). Die Formulierung ist erkennbar redaktionell, weil sie in Spannung zu der vorausgesetzten Szene steht: Nach der (auf *Ev zurückgehenden) Aufforderung ἀκολούθει μοι (Lk 9,59a) wäre eine Aufforderung zum Mitkommen sinnvoll (z. B. ἔρχου oder etwas Vergleichbares), nicht aber ein Sendungsauftrag, der eine Bewegung von Jesus weg impliziert (σὺ δὲ ἀ π ε λ θ ὼ ν διάγγελλε τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ). 6. Clemens’ Zeugnis ist aufschlussreich, weil es über die klare, direkte Bezeugung von *9,60 hinaus wichtige Einsichten für die Gestalt der Perikope insgesamt bereit hält. Denn es ist aufgrund der parallelen Struktur der beiden Nachfolgeapophthegmata wahrscheinlich, dass der Adressat schon im ersten Fall ein Jünger war, der namentlich genannt wurde. Aber mehr als eine Vermutung ist dies nicht. Auch für den bezeugten V. *60 ist nicht ganz klar, an welcher Stelle Philippus genannt wurde: Zu Beginn in der Redeeinleitung (ὁ δὲ Φιλίππος εἶπεν κτλ.) oder in der Antwort Jesu (εἰπεν δὲ τῷ Φιλίππῷ κτλ.)? Hier bleiben also Unsicherheiten, auch wenn die erste Möglichkeit wahrscheinlicher ist: Sie ist einfacher. Darüber hinaus bestätigt Clemens’ Zeugnis einige grundlegende methodische Einsichten. Am wichtigsten ist die Wahrnehmung der widersprüchlichen Bezeugung durch Clemens und Tertullian. Denn so knapp Clemens’ Referat auch ist, so deutlich wird doch, dass er den »Vertretern der Häresie Marcions« ihren eigenen Evangelientext entgegenhält, auf den sie achten sollten (σκοπείτωσαν): Es gibt keinen Grund, an der Vertrauenswürdigkeit dieses Referats zu zweifeln. In diesem Fall stellt dann die widersprüchliche Bezeugung ein Problem dar, für das eine 798 Anhang I 9,57-62 methodisch nachvollziehbare Lösung nur im Rahmen eines umfassenden überlieferungsgeschichtlichen Modells möglich ist. In diesem Fall bestätigen die redaktionsgeschichtlichen Überlegungen die Annahme der *Ev-Priorität. *10,1.2-3.4-11.12-15.16: Aussendung der 72 Apostel Nur teilweise bezeugt, in größerem Umfang sicher, aber wahrscheinlich ganz in *Ev vorhanden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die lk Redaktion bearbeitet. 10,1 a ἀπέδειξεν δὲ a b ὁ κύριος b c καὶ ἑτέρους ἑβδομήκοντα d †δύο† e {ἀποστόλους ἐπὶ τοὺς δώδεκα}, e καὶ ἀπέστειλεν αὐτοὺς ἀνὰ δύο f δύο [ πρὸ προσώπου αὐτοῦ ] ¿εἰς πᾶσαν πόλιν καὶ τόπον? [ οὗ ἤμελλεν αὐτὸς ἔρχεσθαι. ] 2 ἔλεγεν δὲ πρὸς αὐτούς, Ὁ μὲν θερισμὸς πολύς, οἱ δὲ ἐργάται ὀλίγοι· δεήθητε οὖν τοῦ κυρίου τοῦ θερισμοῦ ὅπως ἐργάτας ἐκβάλῃ εἰς τὸν θερισμὸν αὐτοῦ. 3 ὑπάγετε· ἰδοὺ g ἐγὼ ἀποστέλλω ὑμᾶς ὡς ἄρνας ἐν μέσῳ λύκων. 4 μὴ βαστάζετε βαλλάντιον, μὴ πήραν, h {μήτε ῥάβδον}, h μὴ ὑποδήματα, καὶ μηδένα κατὰ τὴν ὁδὸν ἀσπάσησθε. 5 εἰς ἣν δ’ ἂν εἰσέλθητε οἰκίαν, i πρῶτον λέγετε, Εἰρήνη τῷ οἴκῳ τούτῳ. 6 καὶ ἐὰν ἐκεῖ ᾖ υἱὸς εἰρήνης, k ἐπαναπαύσεται ἐπ’ αὐτὸν ἡ εἰρήνη ὑμῶν· εἰ δὲ μή γε, ἐϕ’ ὑμᾶς l ἐπιστρέψει ἡ εἰρήνη ὑμῶν. l 7 ἐν αὐτῇ δὲ τῇ οἰκίᾳ μένετε, ἐσθίοντες καὶ πίνοντες τὰ παρ’ αὐτῶν, ἄξιος m γὰρ ὁ ἐργάτης τοῦ μισθοῦ αὐτοῦ. μὴ μεταβαίνετε ἐξ οἰκίας εἰς οἰκίαν. 8 καὶ εἰς ἣν ἂν πόλιν εἰσέρχησθε καὶ δέχωνται ὑμᾶς, ἐσθίετε τὰ παρατιθέμενα ὑμῖν, 9 καὶ θεραπεύετε τοὺς ἐν αὐτῇ ἀσθενεῖς, καὶ λέγετε αὐτοῖς, ῎Ηγγικεν n ἐϕ’ ὑμᾶς n ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ. 10 εἰς ἣν δ’ ἂν πόλιν εἰσέλθητε καὶ μὴ δέχωνται ὑμᾶς, ἐξελθόντες εἰς τὰς πλατείας αὐτῆς εἴπατε, 11 Καὶ τὸν κονιορτὸν τὸν κολληθέντα ἡμῖν ἐκ τῆς πόλεως ὑμῶν εἰς τοὺς πόδας ἀπομασσόμεθα ὑμῖν· πλὴν τοῦτο γινώσκετε ὅτι ἤγγικεν o ἐϕ’ ὑμᾶς o ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ. 12 λέγω p δὲ ὑμῖν ὅτι Σοδόμοις q ἐν τῇ ἡμέρᾳ ἐκείνῃ q ἀνεκτότερον ἔσται r ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ r ἢ τῇ πόλει ἐκείνῃ. 13 Οὐαί σοι, Χοραζίν s καὶ Βηθσαϊδά· ὅτι εἰ ἐν Τύρῳ καὶ Σιδῶνι ἐγενήθησαν αἱ δυνάμεις αἱ γενόμεναι ἐν ὑμῖν, πάλαι ἂν ἐν σάκκῳ καὶ σποδῷ καθήμενοι μετενόησαν. 14 πλὴν Τύρῳ καὶ Σιδῶνι ἀνεκτότερον ἔσται t ἐν τῇ κρίσει t ἢ ὑμῖν. 15 καὶ σύ, Καϕαρναούμ, u μὴ ἕως οὐρανοῦ ὑψωθήσῃ; u v ἢ w ἕως τοῦ ᾅδου καταβήσῃ. w 16 Ὁ ἀκούων ὑμῶν ἐμοῦ ἀκούει, καὶ ὁ ἀθετῶν ὑμᾶς ἐμὲ ἀθετεῖ· ὁ δὲ x ἐμοῦ ἀκούων ἀκούει τοῦ ἀποστείλαντός με. x A. *10,1: Tert. 4,24,1: Adlegit et alios septuaginta apostolos super duodecim. Quo enim duodecim secundum totidem fontes in Elim, si non et septuaginta secundum totidem arbusta palmarum? ¦ Adam. 1,5 (806d): πρώτους ἀπέστειλε ιβ’ καὶ μετὰ ταῦτα οβ’ εὐαγγελίσασθαι. ♦ *10,4: Tert. 4,24,1f: Profectionem filiorum Israelis creator etiam illis spoliis aureorum et argenteorum vasculorum et vestium praeter oneribus consparsionum offarcinatam educit ex Aegypto, Christus 10,1-16 Rekonstruktion 799 autem nec virgam discipulis in viam ferre praescripsit. (2) Illi enim in solitudinem promovebantur, hi autem in civitates mittebantur. Considera causarum offerentiam, et intelleges unam et eandem potestatem quae secundum penuriam et copiam expeditionem suorum disposuit, proinde per civitates abundaturam circumcidens sicut et egituram per solitudinem struxerat. Etiam calciamenta portare vetuit illos. Ipse enim erat sub quo nec in solitudine per tot annos populus calciamenta detriverat. Neminem, inquit, per viam salutaveritis. Vgl. Didym (Trin. II 8 101b; PG 39, 621C): μὴ βαστάζετε πήραν, ἢ ῥάβδον, ἢ ὑποδήματα; Epiph (Anc. 68,6; GCS 25, 83,21f; Haer. 74,5,6; GCS 37, 320,5): μὴ βαστάζετε πήραν μὴ ῥάβδον μηδὲ ὑποδήματα. ♦ *10,5: Tert. 4,24,3f: O Christum destructorem prophetarum, a quibus hoc quoque accepit! Helisaeus, cum Giezin puerum suum mitteret in viam ad filium Sunamitidis resuscitandum de morte, puto sic ei praecepit: Accinge lumbos tuos et sume bacillum meum in manum et vade: quemcunque conveneris in via, ne benedixeris eum, id est ne salutaveris, et qui te benedixerit, ne responderis ei, id est ne resalutaveris. Quae est enim inter vias benedictio nisi ex occursu mutua salutatio? (4) Sic et dominus, in quam introissent domum, pacem ei dicere. Exemplo eodem est. Mandavit enim et hoc Helisaeus, cum introisset ad Sunamitin, diceret ei, Pax viro tuo, pax filio tuo. ♦ *10,7: Tert. 4,24,4: Dignus est autem operarius mercede sua, quis magis pronuntiarit quam deus iudex? quia et hoc ipsum iudicare est, dignum facere mercede operarium. Nulla retributio non ex iudicatione constitit. ♦ *10,8: Tert. 4,24,7: Quodsi et Christus dignos pronuntiat mercede operarios, excusavit praeceptum illud creatoris de vasis aureis et argenteis Aegyptiorum auferendis. Qui enim villas et urbes operati fuerant Aegyptiis, digni utique operarii mercede, non ad fraudem sunt instructi sed ad mercedis compensationem, quam alias a dominatoribus exigere non poterant … ♦ *10,9: Tert. 4,24,5: … regnum dei neque novum neque inauditum sic quoque confirmavit, dum illud iubet annuntiari appropinquasse. Quod enim longe fuerit aliquando, id potest dici appropinquasse. ♦ *10,10f: Tert. 4,24,7: Etiam adicit, ut eis qui illos non recepissent dicerent, Scitote tamen appropinquasse regnum dei. Si hoc non et comminationis gratia mandat, vanissime mandat. Quid enim ad illos si appropinquaret regnum, nisi quia cum iudicio appropinquat, in salutem scilicet eorum qui annuntiationem eius recepissent? Quomodo, si comminatio non potest sine executione, habes deum executorem in comminatore et iudicem in utroque. Sic et pulverem iubet excuti in illos in testificationem, et haerentia terrae eorum, nedum communicationis reliquae. ♦ *10,16: Tert. 4,24,8f: … ergo in Christum inde manasse constabit communicationis interdictum ubi habet formam, Qui vos spernit, me spernit. Hoc et Moysi creator: Non te contempserunt, sed me. Tam enim apostolus Moyses quam et apostoli prophetae. (9) Aequanda erit auctoritas utriusque officii, ab uno eodemque domino apostolorum et prophetarum. B. a (10,1) απεδειξεν δε: Tert D a b c d e ſſ 2 l ¦ μετα δε ταυτα/ post haec: add aur f q r 1 vg M ● b (10,1) ο κυριος/ dominus: om Tert D 1424 1675 a c d e sy s.c ¦ Iesus: 579 669 c 1247 2069 b f r 1 sy p.j Tat arab.pers ¦ dominus: aur l q vg M ● c (10,1) και/ et: Tert A C D W Θ Ψ f 1.13 33 mult a aur b c d f l q sy c.h ¦ om P 75 B L Ξ 0181 579 892 1424 pc r 1 sy s.p ● d (10,1) Widersprüchliche Bezeugung: (1) δυο/ duo: Adam B D K Y Θ Π 0211 mult a aur c d e l vg sy h ¦ (2) δυο/ duo: om Tert א C L W Ξ Ψ f q r 1 0181 M ● e (10,1) αποστολος επι τους δωδεκα/ apostolos super duodecim: add Tert (Adam) ¦ om it M ● f (10,1) δυο/ duo: om A C D L W Ξ Ψ 0181 f 1 33 M C L ¦ add B K Y Θ Π 0211 f 13 565 ℓ2211 al sy h Eus (*Ev non test.) ● g (10,3) εγω/ ego: C D L W Θ Ξ Ψ (0181) 1 f 1.13 aur b c d f q sy s(mss).p.h sa mss ______________________________ 1 Unklar ist, was 0181 an dieser Stelle liest (non vidi): IGNTP führt 0181 als Zeugen für die Lesart ohne εγω an, der Apparat von NA 27 als Zeugen für die Lesart mit εγω. 800 Anhang I 10,1-16 bo ¦ om P 75 א A B (0181) 1 5 349 579 1195 a e l r 1 sy s(mss) georg I.III M (*Ev non test.) ● h (10,4) μητε ραβδον/ nec virgam: add Tert (Didym: πηραν η ραβδον; Epiph: μη πηραν μη ραβδον) ¦ om it M ● i (10,5) πρωτον/ primum: om Tert D c 579 pc d e r 1 Orig (Comm. in Joh 32,14; GCS 10, 448) ¦ add (πρωτον οικιαν): D* a sy s.c ; (2 1: οικιαν πρωτον) b l q M ● k (10,6) επαναπαυσεται: א 2 A B 2 C D L (W) Θ Ξ Ψ f 1.13 33 al ¦ επαναπαησεται: P 75 א * B* 0181 (579) pc (*Ev non test.) ● l (10,6) επιστρεψει η ειρηνη υμων: D (vgl. Mt 10,13: πρὸς ὑμᾶς ἐπιστραϕήτω) ¦ ανακαμψει: it M (*Ev non test.) ● m (10,7) γαρ/ enim: om Tert 131 ℓ184 c sy c ¦ γαρ/ enim: add a aur b d e f i l q r 1 M ● n (10,9b) εϕ υμας: om Tert Γ 348 475 669 2399* e (adventus regni dei) bo ms ¦ εϕ υμας/ in vos: add a b f i l q r 1 (super vos: c d; in vobis: aur) M ● o (10,11) εϕ υμας: om Tert P 4.75 א B D L Ξ 0181 mult a aur b c d e g 1 gat i q r 1 vg sy s.c bo mss ¦ add εϕ υμας/ in vos: A C W Θ Ψ f 13 f l sy p.h sa bo mss ● p (10,12) δε/ autem: א D Θ Ξ 892 1424 al a aur d f (l: enim) q vg mss bo pt ¦ om b c e f i r 1 M (*Ev non test.) ● q (10,12) εν τη ημερα εκεινη: om D d e ¦ add it M (*Ev non test.) ● r (10,12) εν τη βασιλεια του θεου: D d e ¦ om it M (*Ev non test.) ● s (10,13) και/ et: D a aur b c d e i l r 1 ¦ ουαι σοι/ vae tibi: f q vg M (*Ev non test.) ● t (10,14) εν τη κρισει: om P 45 C D 472 1009 1241 e d l georg I ¦ εν ημερα κρισεως: f 13 1424 pc c f r 1 sy c sa mss ¦ εν τη ημερα εκεινη: Ψ pc sy s ¦ εν τη κρισει: a aur b i q vg M (*Ev non test.) ● u (10,15) μη εως (του) ουρανου υψωθηση: P 45.75 א B* C D (+ του: L Ξ 579 700) pc a b d e i r 1 sy s.c sa mss bo ¦ η εως του (- C pc) ουρανου υψωθεισα (υψωθηση: B 2 f 1 ): A B 2 C W Θ Ψ 0114 f 1.13 33 a aur c f l q vg sy p.h2 M (*Ev non test.) ● v (10,15) η: C D* f 1 pc b d i (r 1 ) ¦ και P 45 pc ¦ αλλα: georg ¦ om M (*Ev non test.) ● w (10,15) καταβηση: P 75 B D 579 pc d sy s.c ¦ καταβιβασθηση: P 45 א A C L W Θ Ξ Ψ 0115 f 1.13 33 a aur b c e f i l q r 1 vg sy p.h co M (*Ev non test.) ● x (10,16) εμου ακουων ακουει του αποστειλαντος με: D a b d i l r 1 ¦ om e ¦ ο δε εμε αθετων αθετει τον αποστειλαντα με + εμου ακουων ακουει του αποστειλαντος με: Θ f 13 r 1 sy (s).c.h ¦ ο δε εμε αθετων αθετει τον αποστειλαντα με: it M (*Ev non test.). C. Die Perikope ist durch Adamantius’ sehr allgemeine Zusammenfassung sowie durch zahlreiche Einzelheiten in Tertullians Referat gesichert: Die Aussendung der 72 anderen Apostel gehört zweifelsfrei dem vorkanonischen Text an und ist keine lk Bildung, wie die meisten Ausleger mit Verweis auf eine Kombination aus Mk 6,7-13 und einer i. W. in Lk 10,1-16 erhaltenen »Q«-Version (|| Mt 9,37-10,15) folgern. 2 Allerdings sind einzelne Aussagen nicht bezeugt (10,2f.6.7a.c.9a.12). Für diese Passagen sowie für zahlreiche Einzelheiten sind daher sowohl überlieferungsgeschichtliche Erwägungen als auch die Interferenz der vorkanonischen und der kanonischen Textüberlieferung zu berücksichtigen. 1. Für die Einleitung *10,1 bezeugt Tertullian eine vom kanonischen Text abweichende Gestalt, die i. W. durch die Übereinstimmungen mit den Varianten in D it (sy) gesichert ist. Dazu gehören das Fehlen von ὁ κύριος in der Erzählstimme 3 sowie die Formulierung ἀπέδειξεν δὲ καὶ ἑτέρους anstelle des kanonischen μετὰ δὲ ταῦτα ἀνέδειξεν … ἑτέρους. Diese Übereinstimmungen verleihen dann auch der vom kanonischen Text abweichenden Formulierung des Objekts bei Tertullian ______________________________ 2 Vgl. für viele W OLTER , Lk 375. 3 Es ist oben (§ 5; Bd. I, S. 93ff) deutlich geworden, dass die Eintragung von absolutem ὁ κύριος in der Erzählstimme ein Charakteristikum der lk Redaktion darstellt. 10,1-16 Rekonstruktion 801 Gewicht: Ganz offensichtlich hatte *Ev davon gesprochen, dass die Zweiundsiebzig Apostel waren und dass sie zusätzlich zu den Zwölfen ausgesandt wurden (ἀποστόλους ἐπὶ τοὺς δώδεκα). Während Harnack dieses Problem kommentarlos übergeht, hat Tsutsui daraus weitreichende Folgerungen gezogen und den Zusatz als entscheidendes Element der angenommenen Überarbeitung des kanonischen Textes durch Marcion verstanden: Marcion habe die »zwölf und die ›siebzig‹ Apostel einander exklusiv entgegengesetzt« und in diesem »Gegensatz den Vorläufer des Verhältnisses zwischen seiner und der orthodoxen Kirche« gesehen. 4 Der Vorschlag ist scharfsinnig, aber gewaltsam: Er bürdet dem Wortlaut von *Ev mehr auf, als dieser zu tragen vermag. Denn welche zwanglose Lektüre von Lk 9f würde auf einen solchen offenbarungstheologischen Gegensatz zwischen den Zwölf und den 72 Aposteln führen, die sich dann noch dazu auf zwei verschiedene Gesalbte (nämlich den Christus des Schöpfers und den Gottes) bezögen? Abgesehen davon, dass die Zweiundsiebzig nicht in der Weise positiv herausgestellt werden, dass sie als Repräsentanten der marcionitischen Kirche plausibel werden, ist diese Deutung dadurch belastet, dass sie weithin die marcionitische Lehre direkt aus Tertullians polemischer Überzeichnung deduziert. Während Tsutsuis Lösung für eine marcionitische Einfügung der Wendung ἀποστόλους ἐπὶ τοὺς δώδεκα viele Antworten schuldig bleibt, liegt bei der Annahme der *Ev-Priorität eine Streichung durch die lk Redaktion sehr nahe, die allerdings eine inhaltliche Erklärung erfordert, die mehr bietet als lediglich den Hinweis auf eine Kombination von Mk 6 und »Q« (dazu gleich). Dass die Bezeichnung »Apostel« für diejenigen »Augenzeugen von Anfang an« (Lk 1,2) reserviert ist, die »von der Taufe durch Johannes an« bis zur Himmelfahrt »Zeugen seiner Auferstehung« waren (Act 1,22), ist Teil des redaktionellen Konzeptes von Lk-Act: Dass exklusiv die Zwölf »Apostel« sind, stellt die Lösung des literarischen Konzeptes von Lk-Act dar, das damit erklärt, warum der paulinische Apostolat von den Jerusalemer Aposteln nicht anerkannt wurde. Die lk Redaktion muss daher die Zweiundsiebzig von diesen Zwölf absetzen und ihnen vor allem die Bezeichnung »Apostel« vorenthalten. Eine lk Streichung des Syntagmas ἀποστόλους ἐπὶ τοὺς δώδεκα aus redaktionellen Gründen erklärt den Unterschied sehr viel einfacher und plausibler als eine marcionitische Hinzufügung. Darüber hinaus wirft die Rekonstruktion von *10,1 zwei weitere, miteinander zusammenhängende Probleme auf. ______________________________ 4 T SUTSUI 71. 802 Anhang I 10,1-16 a. Das erste ist die Zahl der Boten: Tertullian bezeugt 70, 5 Adamantius dagegen 72. In den Handschriften ist diese Zahl (analog dazu auch in *10,17) weithin uneinheitlich überliefert. 6 In der Überlieferung des kanonischen Textes sind beide Zahlen relativ ausgewogen belegt: Die auch von Adamantius bezeugte Zahl 72 wird von einer Reihe von Handschriften ( P 75 B D K Y Θ Π 0211 mult a aur c d e l vg sy h usw.), aber auch von weiteren patristischen Texten vertreten, z. B. Clem. Alex., Hypot. fr. 13 (GCS 17, 199); Origenes, Hom. in Ex. 7,3 (SC 321, 214,1ff); Orig., Hom. in Num. 27,11 (GCS 30, 271,12ff); Greg. Nyss., De vita Mos. 2,133f (SC 1, 188); PsClem. Recogn. 1,40,4 (GCS 51, 32,2ff); PsClem. Hom., Ep. Petri 2,1 usw. Ähnliches gilt für die von Tertullian bezeugte Zahl 70, die ebenfalls in wichtigen Handschriften ( א A C D L W Δ Λ Ξ f 1.13 33 usw.) und zahlreichen patristischen Zeugen auftaucht. Obwohl im Blick auf die hier zugrunde gelegte Annahme der *Ev-Priorität alles dafür spricht, dass diese Uneinheitlichkeit auf das Phänomen der textgeschichtlichen Interferenzen zurückgeht und dass die »üblichen Verdächtigen« für die vorkanonische Lesart (Adam D it sy) überwiegend die Zahl 72 vertreten, ist die Bezeugung zu ausgewogen, um ein Urteil allein aufgrund der äußeren Bezeugung fällen zu können. Für die weiteren Überlegungen ist der Hinweis auf die ansonsten zu beobachtenden Interferenzen wichtig, weil dieses Phänomen es ausgesprochen unwahrscheinlich macht, dass die Variante aufgrund eines äußeren Versehens zu erklären sei, etwa durch den mechanischen Ausfall von δύο. 7 Aus der relativ ausgewogenen Bezeugung der Varianten wird häufig der Schluss gezogen, dass nur »innere« Kriterien den Ausschlag für eine Entscheidung geben könnten. Dies ist jedoch aus mehreren Gründen schwierig. Denn zum einen werden diese »inneren Gründe« ja regelmäßig auf die Passgenauigkeit der jeweiligen Zahlsymbolik im Rahmen des lk redaktionellen Konzeptes bezogen; an dieser Stelle verschiebt die Annahme der *Ev-Priorität die Anforderungen an die textkritische Entscheidung, weil mit *Ev und Lk zwei verschiedene redaktionelle Konzepte vorliegen. Zum anderen ist die besondere Semantik der beiden Zahlen alles andere als eindeutig bestimmbar, wie die traditionsgeschichtlichen Analogien zeigen: Wiederholt werden beide Zahlen promiscue verwendet, 8 die Austauschbarkeit von 70 und 72 ______________________________ 5 Tertullian begründet das Nebeneinander von zwölf und siebzig ausdrücklich mit at.lichen Vorbildern, nämlich mit der Zahl der Wasserquellen und der Palmen in Ex 15,27; Num 33,9. 6 Die Bezeugung ist aufgeschlüsselt bei J. V ERHEYDEN , How Many Were Sent According to Luke 10,1? , in: R. Bieringer (ed.), Luke and his Readers, Leuven 2005, 193-238: 197ff. 7 Vgl. W OLTER , Lk 376. 8 Vgl. die Hinweise von A. P RIEUR , Die Verkündigung der Gottesherrschaft, Tübingen 1996, 211ff, z. B.: Jos., Ant. XII 49.56: 72 Übersetzer der Tora (vgl. Arist 50; nach Arist 307 wurde die Übersetzung in 72 Tagen fertiggestellt; nach Meg 9a gab es 72 Übersetzer in 72 Häusern), dagegen Jos., Ant. XII 57 (70 Übersetzer). - ApcMos 8,2: 72 Plagen nach der Vertreibung aus dem Paradies; VidAd 34,1: 70 Plagen. - hebrHen 17,8; 18,2f; 30,2 (72 Völkerengel entsprechen den 72 Sprachen); 48,9C (70 Völkerengel; 70 Sprachen: 2,3; 3,2; 29,1; 48,3D). - Num 11,16f.24 (70 Älteste); Num 11,26 (zusätzlich werden Eldad und Medad genannt: das wären dann 72). - Nach Gen 46,27; Ex 1,5; Dtn 10,22 hatte Jakob 70 Nachfahren, nach PsPhilo, LibAnt 8,11 dagegen 72. 10,1-16 Rekonstruktion 803 ist also älter und geht weit über den engen Kontext von Lk 10,1.17 hinaus. Der naheliegende Hinweis auf die Völkertafeln in Gen 10f entpuppt sich ebenfalls als schwierig: Erstens werden die Zahlen gar nicht angegeben, zweitens unterscheiden sich die Aufzählungen in MT und LXX, und drittens zeigt sich bei genauem Hinsehen, dass dort nicht 70 bzw. 72, sondern 71 bzw. 73 Völker genannt werden. 9 Diese Ambivalenz - gerade bezüglich der Zahl der Völker bzw. Sprachen - macht es ausgesprochen schwierig, eine eindeutige Bearbeitungsrichtung festzustellen: Sowohl die 72 als auch die 70 sind Zahlen, die universale Vollständigkeit andeuten, jedoch möglicherweise unterschiedlichen Bezugssystemen entstammen. 10 Dass sich die Semantik der beiden Zahlen wirklich unterscheidet, wird man mit Blick auf die ambivalenten Angaben in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen nicht sagen können: Beide Zahlen implizieren einen umfassenden, auf Vollständigkeit ausgerichteten Anspruch. 11 Für die textkritische Entscheidung bleibt daher nur die äußere Bezeugung übrig: Nur (! ) aufgrund der handschriftlichen Bezeugung in D it sy ist die Sendung von 72 Aposteln mit Adamantius (gegen Tertullian! ) für die ältere Variante zu halten, die wahrscheinlich im vorkanonischen Text gestanden hat. 12 Diese Entscheidung begründet dann auch die Rekonstruktion von *10,17 (s. dort). b. In jedem Fall ist das textkritische Problem von der Frage zu unterscheiden, ob *Ev der Sendung der Zweiundsiebzig eine symbolische Bedeutung zugeschrieben hat. Sie ist weniger von dem mutmaßlichen symbolischen Gehalt der Zahl 72 als vielmehr davon abhängig, ob in *Ev auch die finale Bestimmung πρὸ προσώπου αὐτοῦ εἰς πᾶσαν πόλιν καὶ τόπον οὗ ἤμελλεν αὐτὸς ἔρχεσθαι (10,1b) enthalten war. Denn die Sendung »vor seinem Angesicht her in alle Städte und Orte, in die er selbst kommen wollte« widerspricht dem Fortgang der Erzählung. Wie aus *10,17 zu entnehmen ist, erfüllen die Zweiundsiebzig genau die Aufgabe, zu der Jesus sie ausgesandt hatte (*10,2b-16). Sie tun daher nichts anderes als die Zwölf ______________________________ 9 Vgl. P RIEUR , a. a. O. 215-218; dort auch der Hinweis auf Augustin, der die Völker nach LXX korrekt nachgezählt und erklärt hat, es habe damals »73 oder richtiger, wie später gezeigt werden soll, 72 Völker, nicht Einzelmenschen gegeben« (CivDei XVI 3); seine Erklärung (XVI 11) besagt, dass zwei der Genannten (nämlich Heber und Thalek) dieselbe Sprache gesprochen hätten, weswegen es nicht 73, sondern (nur) 72 Sprachen gebe. 10 Die Zahl der 72 Völker bzw. Völkerengel bzw. Sprachen hat mit Sicherheit einen astrologischen Hintergrund (Dekansterne), der mindestens so alt ist wie die in jüdischem Kontext häufig bevorzugte Zahl 70. 11 Dass sich die (symbolisch befrachtete) Zahl 70 aus der (hinsichtlich ihrer symbolischen Semantik angeblich unauffälligen) Zahl 72 herleiten ließe, nicht aber umgekehrt, ist daher ein Trugschluss (vgl. P RIEUR , a. a. O. 218f). 12 Wenn (wie in den Komm. usw. in der Regel begründet) die ursprüngliche Lesart ἑβδομήκοντα δύο gelautet hat, diese aber auf die vorkanonische Fassung des Logions zurückgeht, ist die Lesart ἑβδομήκοντα im kanonischen (= lk) Text mit hoher Wahrscheinlichkeit ursprünglich. 804 Anhang I 10,1-16 (*9,1-6): Exorzismen und Heilungen. Und genau wie die Zwölf kehren die Zweiundsiebzig nach der Erfüllung dieses Auftrags zu Jesus zurück und berichten von ihrem Erfolg (*9,10; *10,17). 13 An keiner Stelle ist erkennbar, dass Jesus die Orte selbst besuchen werde, in die er Zweiundsiebzig gesandt hatte. Die Bemerkung, dass er sie dahin sandte, »wohin er selbst gehen wollte« (οὗ ἤμελλεν αὐτὸς ἔρχεσθαι), entspricht vielmehr der Aussendung der Quartiermeister in *9,52. Dass die Zweiundsiebzig πρὸ προσώπου αὐτοῦ gesandt werden und daher in alle Orte gehen, »in die er selbst kommen wollte« (Lk 10,1), gleicht sie den Boten von *9,52 an; aber die waren nicht mit Exorzismen und Heilungen beauftragt, sondern sollten das Quartier bereiten (ὡς ἑτοιμάσαι αὐτῷ). Die Darstellung der Zweiundsiebzig als Quartiermeister steht daher in Spannung mit dem folgenden Kontext. Diese Spannung ist sehr wahrscheinlich das Ergebnis der redakionellen Ergänzung von Lk 10,1b. *Ev hat daher die Sendung der Zweiundsiebzig ganz analog zu der der Zwölf erzählt, wie auch die Formulierung der Sendung der 72 Apostel »über die Zwölf hinaus« (ἐ π ὶ τ ο ὺ ς δ ώ δ ε κ α ) in *Ev zeigt. Lk dagegen unterscheidet ihren Auftrag von dem der Zwölf. Indem er die Zweiundsiebzig als Quartiermeister für Jesu Gang nach Jerusalem darstellt, fügt er ihren Auftrag in den Rahmen der Reise nach Jerusalem ein, die in Lk 9,51 (red.) begonnen hatte. Unter dieser Voraussetzung gewinnen das Nebeneinander und die analoge Gestaltung der beiden Sendungen *9,1-6; *10,1-16 in *Ev Profil. Zunächst lässt sich nur sagen, dass die Zweiundsiebzig einfach eine größere Gruppe sind und die Mission gegenüber der Sendung der Zwölf ausgeweitet wird: Sie erreichen mehr Menschen, als man es von der Sendung der Zwölf erwarten kann. Von daher ist es denkbar, dass der vorkanonische Text als Ziel der Sendung »jede Stadt und jeden Ort« (εἰς πᾶσαν πόλιν καὶ τόπον) enthalten hatte, wenn auch nicht mit der (einschränkenden) Zuspitzung »in die er selbst kommen wollte.« Aber das muss Vermutung bleiben. Wenn die Sendung der Zweiundsiebzig eine Ausweitung der Mission der Zwölf bedeutet, stellt sich die Frage, ob *Ev hier an eine Sendung (auch) zu Heiden gedacht haben kann: Das wird von einer Reihe von Auslegern behauptet, obwohl die Worte an Chorazin, Bethsaida und Kapharnaum (*10,12-15) dagegen zu sprechen scheinen. 14 Zu diesem Problem s. gleich. ______________________________ 13 Zum redaktionellen Charakter von 9,51f; 10,1 vgl. R. VON B ENDEMANN , Zwischen ΔΟΞΑ und ΣΤΑΥΡΟΣ, Berlin - New York 2001, 80-90; 138-141. 14 Zur Adressierung der Sendung *10,1ff an Heiden vgl. etwa VON B ENDEMANN , a. a. O. 140f, sowie die Kommentare von G REEN , M ARSHALL , N OLLAND , B OVON (jeweils z. St.). Pointiert anders W OLTER , Lk 377 z. St.: Es gebe »nicht den leisesten Zweifel daran, dass die Sendung der Zweiundsiebzig auf Israel beschränkt bleibt.« Zur Begründung verweist er darauf, dass εἰς πᾶσαν πόλιν καὶ τόπον ja durch οὗ ἤμελλεν αὐτὸς ἔρχεσθαι näher bestimmt sei. Das ist zutreffend - allerdings nur für die lk Fassung und gerade nicht für *Ev. 10,1-16 Rekonstruktion 805 2. Die folgenden Logien von den Erntearbeitern und der Sendung »wie Schafe unter die Wölfe« *10,2f sind unbezeugt, waren aber mit großer Wahrscheinlichkeit in *Ev enthalten. a. Das Wort von den Erntearbeitern *10,2 hat Mt 9,37f im gleichen Zusammenhang der Aussendung nahezu identisch übernommen. Die enge Entsprechung im Wortlaut legt nahe, dass sowohl Mt als auch Lk den Text von *Ev genau übernommen haben. Zu diesem gehört auch der Auftrag zur Bitte um weitere Arbeiter (*10,2b || Mt 9,38). Sie ist auffällig, weil sie die narrativ vorausgesetzte Situation übersteigt, in der die Apostel ja gerade ausgesandt werden: Hier ist also die Zeit der Rezipienten mit eingezeichnet. Dies ist allerdings kein Hinweis auf einen Ursprung »aus einem anderen Überlieferungszusammenhang«. 15 Vielmehr ist diese Inkonzinnität bereits für *Ev vorauszusetzen, und es ist völlig ungewiss, ob diese Textgestalt auf die Verarbeitung von verschiedenen Traditionen zurückgeht oder schlicht das Nebeneinander von Sendung und Bitte um weitere Arbeiter enthielt. b. Für das Bild von den »Schafen unter Wölfen« *10,3 gibt es traditionsgeschichtliche Analogien. In ihnen wird die Existenz Israels in Ägypten mit dem Bild der Schafe, die unter Wölfen wohnen, beschrieben. 16 Die traditionsgeschichtliche Prägung setzt also das Gegeneinander von dem erwähltem Volk und seinen (äußeren) Feinden voraus. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass *10,1ff die Sendung der Apostel zu Nichtjuden im Auge hatte. 3. Die Ausrüstungsregel *10,4 besitzt im Bericht von der Sendung der Zwölf eine enge Analogie (*9,3). Die beiden Listen ähneln sich, sind aber nicht identisch. Abgesehen von der Reihenfolge, in der die Gegenstände aufgezählt werden, unterscheiden sie sich auch im Umfang. *9,3 *10,4f μήτε ῥάβδον (μήτε ῥάβδον) μήτε πήραν μὴ πήραν μὴ ὑποδήματα μήτε ἄρτον μήτε ἀργύριον μὴ βαστάζετε βαλλάντιον μήτε (ἀνὰ) δύο χιτῶνας ἔχειν καὶ μηδένα κατὰ τὴν ὁδὸν ἀσπάσησθε ______________________________ 15 W OLTER , Lk 378 z. St. 16 äthHen 89,13-27; die genaue Allegorese der Erzählung vom Verkauf Josephs zuerst an die Midianiter (= Esel), dann nach Ägypten (= Wölfe; 89,13) legt nahe, warum hier pointiert von zwölf (= 11 + 1) Schafen die Rede ist. Vgl. außerdem PsSal 8,23 (ἐδικαιώθη ὁ θεὸς ἐν τοῖς κρίμασιν αὐτοῦ ἐν τοῖς ἔθνεσιν τῆς γῆς, καὶ οἱ ὅσιοι τοῦ θεοῦ ὡς ἀρνία ἐν ἀκακίᾳ ἐν μέσῳ αὐτῶν). Unklar ist, wieso dieser Bezug nach W OLTER , Lk 378 z. St., für *10,3 keine Rolle spielen soll. 806 Anhang I 10,1-16 a. Das Fehlen des Schuhverbots in *9,3 ist schon besprochen (s. dort): Es ist in unterschiedlicher Weise in die Kompilation der beiden Listen in Mk 6,8 bzw. Mt 10,10 eingegangen: Mt hat es aus *10,4 direkt übernommen, Mk hat es ausdrücklich aufgehoben (Mk 6,9). Im Rahmen der Lk-Priorität und der Zwei-Quellentheorie erscheint das Schuhverbot *10,4 für die Zweiundsiebzig als eine redaktionell beabsichtigte Verschärfung gegenüber der Ausrüstungsregel *9,3 für die Zwölf, 17 deren Sinn allerdings kaum auszumachen ist. Im Horizont der *Ev-Priorität ist eine solche Intention dagegen nicht wahrscheinlich zu machen: Die beiden Listen sind nicht aneinander angeglichen. b. Während in der kanonischen Fassung Lk 10,4 das Verbot des Stocks (ῥάβδος) fehlt, scheint es in der vorkanonischen Fassung enthalten gewesen zu sein. Jedenfalls erwähnt Tertullian das Verbot des Stocks auch für die zweite Liste *10,4. Das ist keine versehentliche Eintragung aus *9,3, wie die entsprechenden Erwähnungen bei Didymus dem Blinden und bei Epiphanius 18 zeigen: Tertullian hat den Hinweis tatsächlich in der vorkanonischen Liste gefunden, auch wenn die Textüberlieferung dafür keinerlei Auffälligkeiten zeigt. c. Auch das Grußverbot κατὰ τὴν ὁδόν war schon in der vorkanonischen Liste enthalten, wie Tertullian belegt. Das Wegmotiv ist hier also nicht aus der (redaktionell hervorgehobenen) Verortung der Sendung der Zweiundsiebzig »auf dem Weg« eingetragen worden, 19 sondern war ursprünglicher Bestandteil der Sendungsanweisung. Der Sinn des Grußverbots »auf dem Weg« ergibt sich aus der unmittelbar folgenden Grußanweisung in den Häusern und ist am ehesten als Ausdruck der Eile zu verstehen: Die Boten sollen auf dem Weg keine Zeit vergeuden. 4. Der für *Ev unbezeugte Vergleich der Adressaten der Sendung mit dem Schicksal der Sodomiter *10,12 hat die Funktion, den Gegensatz zu *10,11 zu markieren. Der betonte Neueinsatz (λέγω ὑμῖν) könnte darauf hinweisen, dass die Verbindung nicht originär ist, aber sie fügt sich inhaltlich sehr genau in das narrative Gefälle ein und ist durch das gemeinsame Stichwort πόλις auch eng auf den vorangehenden Kontext bezogen. Da ein hinreichend deutliches Urteil wegen der Nichtbezeugung unmöglich ist, führt vielleicht der Blick auf die mt Parallele weiter: Mt hat das Logion im gleichen Kontext (Mt 10,15) und fügt das Bildwort von der Sendung der Schafe unter die Wölfe (10,16a) an, das Lk 10,3 im gleichen ______________________________ 17 W OLTER , Lk 378 z. St. 18 Die Zitate (s. den Text o. unter den Testimonien) sind nicht identisch, lassen aber deutlich genug erkennen, dass aufgrund des Prohibitivs μὴ βαστάζετε mit der nachfolgenden Reihe πήραν - ῥάβδον - ὑποδήματα nicht Mt 10,10, sondern in der Tat Lk 10,4 angesprochen ist. 19 Die Wendung κατὰ τὴν ὁδόν kommt sonst nur in lk Texten vor, vgl. Act 8,36; 25,3; 26,13. Es ist denkbar, dass Lk das Weg-Motiv (zum sog. »Reisebericht« s. o. bei *9,51) nicht nur aus der Gestaltung von Mk 8,27-10-51, sondern auch aus dieser Notiz abgeleitet hat. 10,1-16 Rekonstruktion 807 Zusammenhang, jedoch an anderer Stelle erscheint. Zwei Möglichkeiten sind dafür denkbar: Entweder hat Mt das Sodomiterwort aus *Ev übernommen, und zwar, wie sich in diesem Fall nahelegt, aus der auch für Lk bezeugten Stellung nach *10,11. Oder das Logion hat in *Ev gefehlt und wurde durch Mt neu gebildet; in diesem Fall hätte Lk es von Mt übernommen und im gleichen Kontext an anderer Stelle eingefügt. Allerdings erklären sich die handschriftlichen Varianten für Lk 10,12 am ehesten aus der Interferenz des vorkanonischen mit dem kanonischen Text. Nach D d e soll es den Sodomitern ἐν τ ῇ β α σ ι λ ε ί ᾳ τοῦ θεοῦ erträglicher gehen als »jener Stadt«, nach dem Rest der Überlieferung dagegen ἐν τ ῇ ἡ μ έ ρ ᾳ ἐ κ ε ί ν ῃ . Die »Westliche« Lesart in D d e ist erkennbar problematischer, denn eigentlich ist ja das Gericht an dieser Stadt impliziert, das durch das Stichwort βασιλεία bestenfalls mittelbar ausgedrückt wird. Die Veränderung dieser βασιλεία-Lesart in D d e in ἐν τ ῇ ἡ μ έ ρ ᾳ ἐ κ ε ί ν ῃ bringt diesen Gerichtsgedanken klarer zum Ausdruck: Die redaktionelle Veränderung der »Westlichen« Variante ist leichter vorstellbar als der umgekehrte Weg. Von daher ist *10,12 für den vorkanonischen Text anzunehmen. In diesem Fall hat Mt den gesamten Kontext *10,1-12 bei *Ev gelesen, aber redaktionell bearbeitet: Er hat das Wort von der Sendung unter die Wölfe nach hinten verschoben, wo es im Anschluss an Mt 10,14 besser passt als in der Einleitung der Aussendungsrede wie bei *Ev/ Lk (*10,3), und er hat dieses Logion außerdem durch die Aufforderung an die Jünger (Mt 10,16b: seid klug wie Schlangen, arglos wie Tauben) ergänzt, die bei Lk ja fehlt. Weiteres dazu s. gleich bei *10,13-15. 5. Die Weherufe über die galiläischen Städte und ihr Vergleich mit Tyrus und Sidon werden von allen Zeugen übergangen. Tertullian geht in seinem Referat direkt von *10,11 zu der Abschlussnotiz *10,16 über (4,24,8: qui vos spernit, me spernit). Aber ist das ein hinreichendes Zeugnis dafür, dass 10,12-15 in *Ev gefehlt haben? Die Vertreter der Lk-Priorität haben aus der Nichtbezeugung auf eine marcionitische Streichung geschlossen und diese mit der angenommenen theologischen Tendenz Marcions begründet: Harnack argumentiert, dass Tertullian sich die Gelegenheit, »den Christus M.s als Rächer und Richter zu erweisen«, kaum hätte entgehen lassen und folgert für die ganze Einheit *10,13-15: »unbezeugt und gewiß getilgt«. 20 Wenn sich Marcion allerdings an Gerichtsaussagen Jesu gestört hätte, hätte er auch anderes streichen müssen (z. B. *17,22ff usw.). Ein argumentum e silentio allein reicht für die Rekonstruktionsentscheidung nicht aus. Ein Blick auf die Varianten innerhalb der kanonischen Überlieferung legt allerdings nahe, dass ______________________________ 20 H ARNACK 205*. Ähnlich auch T SUTSUI 96 (zu 10,12-15): »Aus inhaltlichen Gründen scheinen diese Verse gestrichen worden zu sein.« 808 Anhang I 10,1-16 diese Verse in *Ev enthalten waren: Sie zeigen das charakteristische Phänomen der Interferenz der Textüberlieferungen. Während die Bearbeitungsrichtung der Ersetzung von καί (D it) durch οὐαί σοι in V. *13 noch ambivalent ist, deutet das Variantenspektrum bei der Lesart ἐν τῇ κρίσει auf eine eindeutige Bearbeitungsrichtung hin: Die Wendung fehlte im vorkanonischen Text, und dies hat sich in etlichen Handschriften (darunter P 45 C D [it]) erhalten. Offensichtlich hat die lk Redaktion, ganz analog zu der Ersetzung von ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ durch ἐν τῇ ἡμέρᾳ ἐκείνῃ im Wort über die Sodomiter (*10,12), auch an dieser Stelle den Gerichtskontext präziser zum Ausdruck gebracht. Die weiteren Varianten zeigen die Beeinflussung: ἐν τῇ ἡμέρᾳ ἐκείνῃ (Ψ pc sy s ) nimmt die Änderung von 10,12 direkt auf, ἐν ἡμέρᾳ κρίσεως (f 13 1424 pc [it] usw.) zeigt dagegen die Spuren einer Konflation aus ἐν τῇ ἡ μ έ ρ ᾳ (Lk 10,12) und ἐν τῇ κ ρ ί σ ε ι (Lk 10,13). Die Entstehung dieser Varianten legt nahe, dass P 45 C D (it) den vorkanonischen Text repräsentieren. Ähnliches gilt für das Wort gegen Kapharnaum *10,15, für das die kanonischen Handschriften zwei Varianten bezeugen: Die mit Verneinung eingeleitete rhetorische Frage μὴ ἕως οὐρανοῦ ὑψωθήσῃ wird nicht nur von den »üblichen Verdächtigen« (D it sy) bezeugt, sondern auch von P 45.75 א B* u. a., wogegen die Mehrheit der Handschriften ἢ ἕως οὐρανοῦ ὑψωθείσα (-θήσῃ) bietet. Das gleiche Phänomen zeigt sich für καταβήσῃ (außer D d [sy] noch P 75 B usw.) anstelle von καταβιβασθήσῃ (so die Mehrheit der Überlieferung mit P 45 א u. a.); in der Überlieferung der synoptischen Parallele Mt 11,23 finden sich die entsprechenden Varianten (s. den App.). Daher wird die Annahme nicht fehlgehen, dass die Änderung der vorkanonischen Fassung des Logions (mit den Lesarten wie in D it sy usw.) auf Mt zurückgeht, von wo es Lk übernommen hat. In jedem Fall bestätigen die Varianten die Existenz eines vorkanonischen Textes. Die Einfügung von ἐν τῇ κρίσει in Lk 10,15 zeigt das gleiche Bearbeitungsinteresse wie die Ersetzung von ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ durch ἐν τῇ ἡμέρᾳ ἐκείνῃ in *10,13. Dass die Eintragung des Gerichtsgedankens hier durch eine antimarcionitische Tendenz veranlasst war, wird man allerdings nicht sagen können: Es handelt sich nur um die Präzisierung eines Gedankens, der schon im vorkanonischen Text vorhanden war. Methodisch ist dieses Beispiel charakteristisch für das Problem der Konsistenz des redaktionellen Konzeptes: Während die von Harnack und Tsutsui vorgeschlagene Streichung dieser Gerichtsaussagen nicht in ein konsistentes Konzept mündet, ist dies umgekehrt für Annahme einer lk Redaktion durchaus der Fall. 6. Die Logien über Kapharnaum bzw. an Chorazin und Bethsaida *10,12-15 werfen ein besonderes Problem auf. Denn der propositionale Gehalt der Worte (wer die Boten ablehnt, wird ein schlimmeres Schicksal erleiden als Sodom usw.) lässt sich nur als Drohung gegen Adressaten wie die angeredeten galiläischen Städte verstehen, die hier - neben den Boten - als Adressaten also zumindest impliziert sind. Diese doppelte Adressierung legt es nahe, den Auftrag Jesu als Sendung der Apostel in diese jüdischen Städte zu verstehen, wie der betonte Gegensatz zu den nichtjüdisch-phönizischen Städten zeigt. Aber wenn das Kriterium für das Ergehen 10,1-16 Rekonstruktion 809 »in der Basileia« das Verhalten gegenüber den Boten (also Aufnahme oder Ablehnung) ist, dann kann es Tyrus und Sidon nur dann erträglicher ergehen, wenn sie sich, wie *10,13 voraussetzt, bekehrt haben. Die Vergrößerung der Zahl der Boten von zwölf auf 72 korrespondiert mit der Multiplikation der Adressaten. Sie werden hier auf eine Weise ins Spiel gebracht, die zumindest auch an Nichtjuden denken lässt, auch wenn das in *Ev nicht programmatisch gemeint gewesen sein muss. 7. *10,16 ist durch Tertullian gesichert. Er zitiert καὶ ὁ ἀθετῶν ὑμᾶς ἐμὲ ἀθετεῖ *10,16b zu Beginn einer längeren Ausführung, die durch die einleitenden Stichworte inhumanitas et inhospitalitas sehr eng auf die Thematik von *10,8-11 bezogen ist; diese Verse werden auf diese Weise ebenfalls für *Ev gesichert. 21 Dass *10,16 in *Ev eine andere Gestalt hatte, zeigt einmal mehr die Variante *10,16c. Der vorkanonische Text wird durch D it repräsentiert: ὁ δὲ ἐμοῦ ἀκούων ἀκούει τοῦ ἀποστείλαντός με, wurde aber durch die lk Redaktion durch ὁ δὲ ἐμὲ ἀθετῶν ἀθετεῖ τὸν ἀποστείλαντά με ersetzt (so die Mehrheit der Handschriften). Die anderen Lesarten zeigen die typischen Epiphänomene: Der Palatinus (e) hat die Wendung ganz ausgelassen, eine Reihe von Zeugen konflationieren beide Lesarten. *10,16 hat in der von D it bezeugten Form den passenden Abschluss der Aussendungsrede des vorkanonischen Textes gebildet. 8. Mit Blick auf die Bearbeitungen der Aussendungsrede lässt sich dann auch der Gang der Überlieferungsgeschichte nachvollziehen: *Ev hat die beiden Sendungen - der Zwölf in *9,1-6 und der Zweiundsiebzig in *10,1-16 - hinsichtlich ihrer Reichweite und wohl auch ihrer Adressaten unterschieden. Die Zweiundsiebzig werden sehr viel mehr »Städte« erreichen als die Zwölf: Beide Sendungen zusammen ergehen an sieben mal zwölf Apostel und unterstreichen so den universalen Anspruch. Dass eine solcherart universale Sendung auch das Problem der »Heidenmission« mit umfasst, muss *Ev nicht gesehen und schon gar nicht als spezielles theologisches Problem wahrgenommen haben. Aber wie der Vergleich des sprichwörtlich sündigen Sodom bzw. der heidnischen Städte Tyrus und Sidon mit Chorazin und Bethsaida bzw. Kapharnaum zeigt, ist die Perspektive auf nichtjüdische Adressaten mit diesen Logien wenigstens implizit mitgesetzt. Auf jeden Fall haben die ersten Bearbeiter von *Ev diesen Aspekt der Sendung der Zweiundsiebzig zur Kenntnis genommen und ihn auf unterschiedliche Weise in ihr jeweils eigenes theologisches Konzept integriert. a. Mk hat das Problem der Adressaten der Jüngeraussendung sehr pointiert durch sein Konzept der beiden Speisungserzählungen behandelt und gelöst: Er hat die beiden Aussendungsreden *9,1-6 und *10,1-16 zu einer einzigen zusammen- ______________________________ 21 Tert. 4,24,8f. 810 Anhang I 10,1-16 gezogen (Mk 6,b-13). An die Stelle von zwei sukzessiven Sendungen hat er die Verdoppelung der beiden Speisungserzählungen gesetzt und dabei großen Wert darauf gelegt, dass der Inhalt der missionarischen Verkündigung (ein und derselben Jüngergruppe! ) in beiden Fällen der gleiche ist: Die Heiden werden von demselben Brot satt, das den Kindern Israel angeboten wird und von ihrem Tisch abfällt (Mk 7,24-30). Weil Mk so sehr an der Identität der Verkündigung gegenüber Juden und Heiden interessiert war, musste er auf die Rezeption der zweiten Aussendung *10,1-16 verzichten, obwohl er diesen Text gekannt und benutzt hat. 22 b. Auch Mt hat das Nebeneinander der beiden Sendungen *9,1-6; *10,1-16 und ihre Differenzierung nach den jeweiligen Adressaten bemerkt; auch er hat den universalen Anspruch in der Sendung der Zweiundsiebzig wahrgenommen und darin das theologische Problem der Heidenmission angesprochen gesehen; und auch Mt findet für dieses Problem eine eigene Lösung, die sich sowohl von der in *Ev als auch von der in Mk unterscheidet: Er lässt den Sendungsauftrag, der ja ganz weithin an der Aussendungsrede *10,1-16 orientiert ist, sehr pointiert an die Zwölf gerichtet sein (vgl. Mt 10,5 nach 10,1-4! ), denen er jedoch den Weg zu Heiden und Samaritanern verbietet (10,5) und sie exklusiv zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel schickt (10,6). Das ausdrückliche Verbot, »in eine Stadt der Samaritaner« zu gehen (10,6) impliziert, dass Mt Texte wie *9,52 (εἰς κώμην Σαμαριτῶν) oder *17,11- 19 in diesem Zusammenhang der Sendung kannte, ihre Implikationen jedoch vermeiden wollte: Die Sendung der Zwölf zu Nichtjuden. Mt hat die universale Aussendung der Jünger zu πάντα τὰ ἔθνη dem Auferstandenen vorbehalten (Mt 28,19). c. Für die lk Rezeption ergab sich an dieser Stelle ein besonderes Problem: Einerseits lässt er - ähnlich wie Mt - die Sendung zu den Heiden ganz pointiert erst nach Ostern (genauer: erst mit der Sendung des Heiligen Geistes) beginnen und weist sie in Act vor allem der pln Mission zu. Andererseits folgt seine Darstellung im Evangelium der Vorlage in *Ev mit ihren zwei komplementären Aussendungen der Zwölf und der Zweiundsiebzig. Dass sich beide Interessen nicht ganz problemlos miteinander verbinden lassen, liegt auf der Hand. Der Versuch der lk Redaktion, diese Spannung aufzulösen, besteht darin, die Zweiundsiebzig (nur) als Quartiermeister auf dem Weg Jesu nach Jerusalem zu zeichnen. Dass die Spannung damit nur kaschiert, nicht aber beseitigt ist, zeigt der folgende Bericht von der Rückkehr der Zweiundsiebzig deutlich genug, weil die ______________________________ 22 Dies zeigt sich ja deutlich an der Übernahme einzelner Elemente, also etwa die Sendung δύο δύο Mk 6,7 (|| ἀνὰ δύο *10,1) oder die ausdrückliche Einschränkung des Ausrüstungsverbots mit Schuhen (Mk 6,9 ≠ *10,4). 10,1-16 Rekonstruktion 811 Apostel in erster Linie von ihrem exorzistischen Erfolg berichten (*10,17, s. gleich). *10,17.18f.20.21-24: Rückkehr der Zweiundsiebzig. Dankgebet Jesu Größtenteils bezeugt; im Kern sicher, aber vermutlich ganz in *Ev vorhanden. Durch Lk redaktionell bearbeitet. 10,17 ῾Υπέστρεψαν δὲ οἱ ἑβδομήκοντα a δύο μετὰ χαρᾶς λέγοντες, Κύριε, καὶ τὰ δαιμόνια ὑποτάσσεται ἡμῖν ἐν τῷ ὀνόματί σου. 18 εἶπεν δὲ αὐτοῖς, Ἐθεώρουν τὸν Σατανᾶν b ὡς ἀστραπὴν πεσόντα ἐκ τοῦ οὐρανοῦ b . 19 ἰδοὺ c δέδωκα ὑμῖν τὴν ἐξουσίαν τοῦ πατεῖν ἐπάνω ὄϕεων καὶ σκορπίων, καὶ ἐπὶ πᾶσαν τὴν δύναμιν τοῦ ἐχθροῦ, καὶ οὐδὲν ὑμᾶς d [ οὐ μὴ ] ἀδικήσει d . 20 πλὴν ἐν τούτῳ μὴ χαίρετε ὅτι τὰ e δαιμόνια ὑμῖν ὑποτάσσεται, χαίρετε δὲ ὅτι τὰ ὀνόματα ὑμῶν f ἐγγέγραπται ἐν τοῖς οὐρανοῖς. 21 Ἐν ¿ἐκείνῳ τῷ καιρῷ? ἠγαλλιάσατο g ἐν τῷ πνεύματι [ τῷ ἁγίῳ ] g καὶ εἶπεν, h †Εὐχαριστῶ† σοι, i πάτερ, κύριε τοῦ οὐρανοῦ k καὶ τῆς γῆς , k ὅτι l ἅτινα ἦν κρυπτὰ σοϕοῖς l m ¿καὶ συνετοῖς? m ἀπεκάλυψας νηπίοις· ναί, ὁ πατήρ, ὅτι οὕτως εὐδοκία ἐγένετο ἔμπροσθέν σου. 22 Πάντα μοι παρεδόθη ὑπὸ τοῦ πατρός n μου , καὶ οὐδεὶς o †ἔγνω† p τὸν πατέρα εἰ μὴ ὁ υἱός, οὐδὲ τὸν υἱόν τις γινώσκει εἰ μὴ ὁ πατὴρ p q καὶ ᾧ ἐὰν ἀποκαλύψῃ ὁ υἱός q . 23 Καὶ στραϕεὶς πρὸς τοὺς μαθητὰς r [ κατ’ ἰδίαν ] r εἶπεν, Μακάριοι οἱ ὀϕθαλμοὶ οἱ βλέποντες ἃ βλέπετε. 24 λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι s πολλοὶ προϕῆται t καὶ βασιλεῖς t u οὐκ εἶδαν ἃ ὑμεῖς βλέπετε u v [ καὶ ἀκοῦσαι ἃ ἀκούετε καὶ οὐκ ἤκουσαν ] v . A. *10,18: Adam. 3,12 (839b): οὕτω γὰρ λέγει ὁ Χριστός, Ἐθεώρουν τὸν Σατανᾶν ὡς ἀστραπὴν πεσόντα ἐκ τοῦ οὐρανοῦ. ♦ *10,19: Tert. 4,24,9: Quis nunc dabit potestatem calcandi super colubros et scorpios? Utrumne omnium animalium dominus, an nec unius lacertae deus? ¦ 4,24,12: Igitur ubi medicinarum edidit beneficia, tunc et scorpios et serpentes sanctis suis subdidit, ille scilicet qui hanc potestatem ut et aliis praestaret prior acceperat a patre, et secundum ordinem praedicationis exhibuit. ♦ *10,21: Tert. 4,25,1: Quis dominus caeli invocabitur qui non prius factor ostenditur? Gratias enim, inquit, ago, et confiteor, domine caeli, quod ea quae erant abscondita sapientibus et prudentibus, revelaveris parvulis. Quae ista? et cuius? et a quo abscondita? et a quo revelata? ¦ Tert. 4,25,14: Denique ostendemus, et iam ostendimus, ea visa in Christo quae fuerant praedicata, abscondita tamen et ab ipsis prophetis, ut absconderentur et a sapientibus et a prudentibus saeculi. ¦ Epiph., Schol. 22: Εὐχαριστῶ σοι, κύριε τοῦ οὐρανοῦ. οὐκ εἶχεν δὲ Καὶ τῆς γῆς, οὔτε Πάτερ εἶχεν. ἐλέγχεται δέ· κάτω γὰρ εἶχεν Ναί, ὁ πατήρ. ♦ *10,22: Tert. 4,25,7: Et tamen usque adhuc, puto, probamus exstructionem potius legis et prophetarum inveniri in Christo quam destructionem. Omnia sibi tradita dicit a patre. Credas, si creatoris est Christus, cuius omnia: quia non minori se tradidit omnia filio creator quae per eum condidit, per sermonem suum 812 Anhang I 10,17-24 scilicet. ¦ 4,25,10: Atque ita Christus ignotum deum praedicavit. Hinc enim et alii haeretici fulciuntur, opponentes creatorem omnibus notum, et Israeli secundum familiaritatem et nationibus secundum naturam. Sed, Nemo scit qui sit pater, nisi filius, et qui sit filius, nisi pater, et cuicunque filius revelaverit. ¦ Adam. 1,23 (817d): οὐδεὶς ἔγνω (Rufin: nouit) τὸν πατέρα εἰ μὴ ὁ υἱός, οὐδὲ τὸν υἱόν τις γινώσκει (Rufin: nouit) εἰ μὴ ὁ πατήρ. Vgl. außerdem Eznik, De Deo IV 9 (W EBER 165; B LANCHARD / Y OUNG 197): »Doch wer wäre es, der solch große Dinge tun könnte, wenn nicht der Herr von allem, der gesagt hat: › Alles ist mir von meinem Vater in die Hand gegeben‹? « ♦ *10,23f: Tert. 4,25,12: Ita non proficient argumenta in fidem dei alterius quae creatori competere possunt, quia quae non competunt creatori, haec poterunt in fidem proficere dei alterius. Si et sequentia inspicias, Beati oculi qui vident quae videtis: dico enim vobis, quia prophetae non viderunt quae vos videtis, de superiori sensu descendunt, adeo neminem ut decuit deum cognovisse, quando nec prophetae vidissent quae sub Christo videbantur. B. a (10,17) δυο: P 45vid.75 B D 372 1604 (a: και δυο) aur b c d e g 1 gat l vg sy s.hmg sa bo ms Tat pers armen georg I.III ¦ om: א A C L W Θ Ξ Ψ 0115 f 1.13 33 f i q sy c.p bo Iren lat Clem Orig (*Ev non test.); vgl. dazu o. *10,1! ● b (10,18) ως αστραπην πεσοντα εκ του ουρανου: Adam P 75 1242 e got Athan (Ar. 3,40; PG 26, 408) Epiph (Haer. 66; GCS 37, 107) ¦ (4-6 1-3) εκ του ουρανου ως αστραπην πεσοντα: B pc 579 Oecum (In Apc; H OSKIER 142) ¦ (1 2 4-6 3) M ● c (10,19) δεδωκα: P 75 א B C* L W f 1 579 700 892 1241 1424 2542 pc a aur b e f i l q r 1 sy hmg sa mss bo Didym (Ps 34; PG 39, 1332) Cyr (Ador. 5; PG 68, 348; Glaph. Num; PG 69, 612) Orig (Cels. 7,70; GCS 3, 219); Tert: dabit ¦ διδωμι: P 45 A C 3 D Θ Ψ 0115 f 13 33 c d sy Iren lat M (*Ev non test.) ● d (10,19) αδικησει: א * D Didym pt (ebd.) ¦ ου μη αδικησει: א A D L W Γ Θ 1 33 1241 al Didym (ebd.) ¦ ου μη αδικηση: P 45.75 B C Ψ f 13 Orig Cyr M (*Ev non test.) ● e (10,20) δαιμονια: D f 1 565 2542 pc d e f sy s.c.p bo pt Didym Cyr ¦ πνευματα: a aur b c ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● f (10,20) εγγεγραπται: P 75 א B L (Θ) 1 33 579 1241 pc Euseb Didym ¦ εγραϕη: P 45vid A C D W Ψ 0115 f 13 M (*Ev non test.) ● g (10,21) εν τω πνευματι: P 45vid 0115 157 892 2542 pc q Clem; εν τω πνευματι τω αγιω: א D L Ξ 33 1241 al it ¦ τω πνευματι: A W Ψ f 13 f M ; τω πνευματι τω αγιω: P 75 B C K Θ f 1 579 al aur vg (*Ev non test.) ● h (10,21) ευχαριστω: Widersprüchliche Bezeugung: (1) ευχαριστω: Epiph Ephr (Comm. Diat. 10,14; FC 54/ 1, 340) Ambst (Quaest. 77,1; CSEL 50, 131) ¦ (2) ευχαριστω γαρ και εξομολογουμαι σοι: Tert ¦ εξομολογουμαι: it M ● i (10,21) πατερ: om Tert Epiph a ¦ πατερ: add M ● k (10,21) και της γης: om Tert Epiph P 45 27* a Ephr (Comm. Diat. 10,14; FC 54/ 1, 340) ¦ και της γης: add lat M ● l (10,21) ατινα ην κρυπτα σοϕοις/ ea quae erant abscondita sapientibus: Tert PsClem (Hom. 18,15,1; GCS 42, 248,9f; 18,15,3: ατινα ην κρυπτα σοϕοις ταυτα νηπιοις απεκαλυψεν ο πατηρ) ¦ απεκρυψας ταυτα απο σοϕων και συνετων και: it M ● m (10,21) και συνετοις: om ℓ1761 e PsClem (Hom. 18,15,1.3); vgl. Mt 11,25 sy s.c Tert Hil ¦ add Tert (! ) it M ● n (10,22) (υπο του πατρος) μου/ (a patre) meo: om Tert D a c d g 1 gat l vg mss sy s Tat arab ¦ μου/ meo: add aur b e f ſſ 2 i q r 1 M ● o (10,22) Widersprüchliche Bezeugung: (1) εγνω/ novit: Adam a b sy p Iren (Haer. 1,20,3; FC 8/ 1, 274) (s. u.) ¦ (2) γινωσκει/ (cog)noscit (scit): Tert aur c d e f ſſ 2 i l q r 1 Iren (Haer. 2,6,1; 4,6,1.3.7) M (weiteres s. u.) ● p (10,22) Widersprüchliche Bezeugung: (1) τον πατερα ει μη ο υιος ουδε τον υιον τις γινωσκει ει μη ο πατηρ: Adam (b: patrem nisi filius et q[uis est qui no]bit fili[um ni]si pater) Iren (Haer. 1,20,3; FC 8/ 1, 274); 2,6,1; 4,6,3 (FC 8/ 4, 48): nemo cognoscit patrem nisi filius, neque filiu nisi pater, et quibuscumque filius relevaverit ¦ Iren (Haer. 4,6,7; FC 8/ 4, 54): nemo cognoscit filium nisi pater, neque patre nisi filius, et quibuscumque filius revelaverit ¦ (2) nemo scit qui sit pater, nisi filius, et qui sit filius, nisi pater: Tert ¦ τις εστιν ο υιος ει μη ο πατηρ, και τις εστιν ο πατηρ ει μη ο υιος: it M ● q (10,22) και ω εαν αποκαλυψη ο υιος: Tert (a) Athan (Ar. 1,12.39; 4,23; PG 26, 26.93; 501) Clem. Alex. (Protr. 1,10,3; GCS 12, 10; Paed. 1,5,20; GCS 12, 101; Strom. 1,28,178; GCS 15, 109 10,17-24 Rekonstruktion 813 usw.) Origen (Cels. 6,17; 7,44; GCS 6, 88.195; Comm. in Joh 1,42; 32,18; GCS 10, 49.475 usw.) Epiph (Anc. 67; GCS 25, 82; Haer. 65,6; 74,4; GCS 37, 9.318 usw.) ¦ και οις αν ο υιος αποκαλυψη/ et quibus(cumque) filius revelaverit: Justin (Dial. 63,3.13; G OODSPEED 72) Iren (Haer. 2,6,1; 4,6,3.7; 4,7,3) ¦ και ω εαν βουληται ο υιος αποκαλυψαι: aur b c d (e) f ſſ 2 i l q r 1 Iren (Haer. 2,14,7; 4,6,1) M ● r (10,23) κατ’ ιδιαν: om D 1424 a aur b c d e ſſ 2 g 1 gat i l r 1 vg sy s.c.p Tat pers ¦ add f q M (*Ev non test.) ● s (10,24) πολλοι: om Tert 1241 ¦ add it M ● t (10,24) και βασιλεις/ et reges: om Tert D a d ſſ 2 i l ¦ et iusti: 1424 b q r 1 ¦ add: aur c f vg M - ● u (10,24) ουκ ειδαν α υμεις βλεπετε/ non viderunt quae vos videtis: Tert ¦ ηθελησαν ιδειν α υμεις βλεπετε και ουκ ειδαν: it M ● v (10,24) και ακουσαι α ακουετε και ουκ ηκουσαν: om a i l ¦ add aur b c d e f ſſ 2 q r 1 M (*Ev non test.). C. Von *10,17-20 ist die zentrale Aussage *10,19 sehr gut bezeugt, ebenso das Dankgebet Jesu (*10,21-24), für das die Bezeugung sehr dicht ist; nur der Anfang und das Ende (*10,21a.24b) sind nicht bezeugt. Damit ist die gesamte Szene von der Aussendung der Jünger über ihre Rückkehr mit der Bewertung durch Jesus schon für *Ev gesichert. Wie in den anderen Fällen, erlauben auch hier textgeschichtliche Erwägungen weitere Einsichten zu den unbezeugten Passagen sowie zum Wortlaut der vorkanonischen Fassung. 1. Die Zahl der zurückkehrenden Apostel ist in den kanonischen Handschriften hier (wie in *10,1) uneinheitlich mit 70 bzw. 72 angegeben. Die Entscheidung für 72 folgt den Gründen, die zu *10,1 angegeben sind (s. dort). 2. Für V. *18 ist die Wortfolge unterschiedlich überliefert: Die von Adamantius für *Ev bezeugte Reihenfolge ὡς ἀστραπὴν πεσόντα ἐκ τοῦ οὐρανοῦ hat sich auch in einer Reihe von Handschriften (darunter P 75 und e) erhalten, andere Zeugen (darunter B und Origenes) belegen eine vermittelnde Folge gegenüber dem von der Mehrheit gebotenen ὡς ἀστραπὴν ἐκ τοῦ οὐρανοῦ πεσόντα. Auch die anderen Varianten für V. *19f sind von Bedeutung: Zunächst fällt das abweichende Tempus im Wort über die Bevollmächtigung der Apostel auf: Die Mehrheit der Handschriften hat das Perfekt δέδωκα durch das Präsens δίδωμι ersetzt; Tertullians Zusammenfassung der Aussage im Futur (4,24,9: dabit) lässt nicht mehr erkennen, welchen Text er gelesen hat. Abgesehen von der Verteilung der handschriftlichen Bezeugung sprechen innere Gründe für die Ursprünglichkeit der Perfekt-Lesart: Die Zweiundsiebzig werden (im Unterschied zu den Zwölfen: *9,1! ) nur mit Heilung und Verkündigung beauftragt (*10,9). Wenn man die Exorzismen der Jünger (*10,17) nicht großzügig unter Heilung und Verkündigung subsumiert, verweist das Perfekt δέδωκα auf einen Auftrag, von dem nichts berichtet wurde. Das generalisierende Präsens δίδωμι beseitigt diese kleine narrative Störung. Aufschlussreich ist auch das Fehlen der doppelten Verneinung (οὐ μή) in א * D Didym pt , das die lk Redaktion eingefügt (und dabei das Verb ἀδικήσῃ in den Konj. Aor. gesetzt) hat, obwohl sich semantisch dadurch nichts ändert. Aber die Lesart mit οὐ μή + ἀδικήσει ( א A D usw.) zeigt die Konflation der beiden anderen Lesarten und bestätigt so einmal mehr die Annahme der Interferenz zweier Texttraditionen. Ganz ähnlich gibt die handschriftliche Bezeugung auch den ursprünglichen Wortlaut von V. *20 zu erkennen: Das von D it sy usw. gebotene δαιμόνια ist urprünglich und durch πνεύματα ersetzt worden, wie es die Mehrheit der Überlieferung bezeugt. Analog dazu ist auch das Perf. 814 Anhang I 10,17-24 ἐγγέγραπται ( P 75 א B L 1 33 579 1241 usw.) durch den Aor. ἐγράϕῃ im Mehrheitstext ersetzt worden. 1 Da diese Varianten auf die Interferenz der beiden Textüberlieferungen zurückgehen werden, ist auch V. *20 schon für den vorkanonischen Text anzunehmen. Da *10,20 μὴ χαίρετε … χαίρετε auf *10,17 μετὰ χαρᾶς zurückweist, erhält die ganze Einheit (*17-20) eine große Geschlossenheit, die demnach nicht erst auf die lk Gestaltung, sondern bereits auf *Ev zurückgeht. 3. Die Exposition von *10,21 ist unbezeugt. Allerdings legen innere und textgeschichtliche Beobachtungen nahe, dass sie anders ausgesehen hat als in der kanonischen Fassung. Zunächst steht die kanonische Zeitangabe ἐν αὐτῇ τῇ ὥρᾳ unter dem Verdacht, redaktionell zu sein: Sie begegnet im NT nur bei Lk, und zwar jeweils in sicher bzw. wahrscheinlich redaktionellen Formulierungen. Lk 2,38 ist insgesamt sicher redaktionell (s. dort). In Lk 12,12 fehlt die gesamte Wendung in Tat pers , der Cod. Palatinus (e) hat ἐν αὐτῇ τῇ ἡμέρᾳ; hier lesen die synoptischen Parallelen ἐν ἐκείνῃ τῇ ὥρᾳ (Mk 13,11 || Mt 10,19) - vielleicht war dies die Formulierung in *Ev. Lk 13,31 hat in *Ev sicher gefehlt (s. dort). In 20,19 hat die Zeitangabe in *Ev nach dem Zeugnis des Epiphanius gefehlt, auch e hat sie nicht. Lk 24,33 ist mit größter Wahrscheinlichkeit redaktionell (s. dort); außerdem Act 16,18; 22,13. Von daher ist es wahrscheinlich, dass die Wendung ἐν αὐτῇ τῇ ὥρᾳ auch in 10,21 redaktionell ist und die mt Formulierung ἐν ἐκείνῳ τῷ καιρῷ (Mt 11,25) den ursprünglichen Wortlaut übernommen hat. Die Formulierung der kritischen Ausgaben (ἠγαλλιάσατο ἐν τῷ πνεύματι τῷ ἁγίῳ) ist unterschiedlich bezeugt: Sowohl das modale ἐν als auch die Qualifizierung τῷ ἁγίῳ fehlen jeweils in einer Reihe von Handschriften, wenn auch vermutlich aus verschiedenen Gründen. In LXX wird durch ἀγαλλιᾶσθαι + ἐν in der Regel der Grund oder der Gegenstand des Jubels bezeichnet, 2 während die Formulierung ohne Präposition den Modus des Jubelns bezeichnet. Der Textsinn erlaubt nur diese zweite Möglichkeit; es ist daher denkbar, dass die Auslassung der Präposition in P 75 A B C M usw. eine beabsichtigte Korrektur zur Vereindeutigung des (modalen) Sinns ist. 3 Die Formulierung mit der Präposition ist daher älter, und das heißt: voraussichtlich vorkanonisch. Ganz ähnlich lässt sich τῷ ἁγίῳ als sekundärer Zusatz verstehen. Denn Lk verwendet in der Regel das Syntagma πνεῦμα (τὸ) ἅγιον, und zwar auch an Stellen, an denen die synoptischen Parallelen nur πνεῦμα oder ______________________________ 1 In diesem Fall haben die kritischen Ausgaben die vorkanonische Lesart in ihren Text übernommen und die Korrektur der lk Redaktion in den Apparat verbannt. 2 Z. B. Ps 9,3; 19,6; 32,1; 88,13.17; Hab 3,18 (jeweils LXX); 1Pe 1,6. 3 Vgl. W OLTER , Lk 387. 10,17-24 Rekonstruktion 815 πνεῦμα τοῦ θεοῦ bieten. 4 Neben der allgemeinen Überlegung, dass eine Streichung von τῷ ἁγίῳ schwer plausibel zu machen wäre, gibt es also gute redaktionelle Gründe für den sekundären Charakter: Für die lk Redaktion ist der Geist immer der heilige Geist. 4. Der Anfang des Dankgebets *10,21b ist widersprüchlich bezeugt: Epiphanius hat εὐχαριστῶ σοι, Tertullian dagegen gratias ago et confiteor/ εὐχαριστῶ καὶ ἐξομολογοῦμαι. Diese längere Wendung entpuppt sich als perfekte Konflation des von Epiphanius bezeugten und des kanonischen Textes und erweist auf diese Weise den von Epiphanius bezeugten Text als die vorkanonische Fassung: εὐχαριστῶ σοι ist also nicht »der Deutlichkeit wegen hinzugesetzt«. 5 Die Bezeichnung des Gebets als »Jubelruf« passt daher eigentlich nicht auf *Ev, sondern nur auf Lk. Da *Ev εὐχαριστῶ hatte, erübrigt sich auch die Suche nach den möglichen theologischen Gründen, aus denen Marcion das lk ἐξομολογοῦμαί σοι durch εὐχαριστῶ ersetzt haben könnte: Ein entsprechendes redaktionelles Interesse lässt sich nicht ausfindig machen. 6 Von größerem Gewicht sind zwei Abweichungen in der Anrede *10,21a: *Ev hatte weder die Anrede πάτερ noch den Zusatz καὶ τῆς γῆς nach κύριε τοῦ οὐρανοῦ. Die Vertreter der Lk-Priorität haben die Differenzen auf das theologische Interesse der marcionitischen Redaktion zurückgeführt: Harnack wertete beides als tendenziöse Streichungen 7 und hatte dabei offensichtlich die Argumentation Epiphanius’ im Sinn. »Er dankt dem Herrn des Himmels, Marcion, auch wenn du das ›und der Erde‹ übergehst und das ›Vater‹ wegschneidest, damit du nicht zeigen musst, dass Christus den Demiurgen seinen Vater nennt …« (Epiph. Elench. 22). Aber bereits Epiphanius hatte gesehen, dass der unmittelbare Kontext in *Ev die Vater-Anrede ja enthält (ναί, ὁ πατήρ …), und nahm dies zum Anlass, sich über die Vergesslichkeit (κατὰ λήθην) Marcions lustig zu machen, die einen solchen Widerspruch hat stehen lassen (ἐν λειψάνῳ, ebd.). Epiphanius’ Argumentation ist in hohem Maß aufschlussreich für das häresiologische Vorgehen und seine Schwäche, denn sein Referat zeigt das Phänomen der Inkonsistenz der angeblichen Redaktion des kanonischen Textes durch Marcion auf engstem Raum. Tatsächlich lässt sich eine redaktionelle Intention, die hier eine Streichung nahelegen würde, nicht ausmachen. 8 Allerdings fällt im kanonischen ______________________________ 4 πνεῦμα (τὸ) ἅγιον: Lk 1,15.35.41.67; 2,25f; 3,16; 11,16 sowie durchweg in Act. πνεῦμα (τὸ) ἅγιον anstelle von πνεῦμα bzw. πνεῦμα τοῦ θεοῦ: Lk 3,11 (|| Mt 3,11) ≠ Mk 1,8; Lk 3,22 ≠ Mk 1,10; Mt 3,16; Lk 4,1 ≠ Mt 4,1; Mk 1,12; Lk 12,12 ≠ Mt 10,20. 5 H ARNACK 206*. 6 T SUTSUI 96. 7 H ARNACK 206*. 8 T SUTSUI 96 fragt zu Recht: »was für eine Tendenz? « 816 Anhang I 10,17-24 Text das Nebeneinander der beiden Vokativformen auf: Neben der geläufigen Anrede πάτερ (Lk 10,21b) steht ὁ πατήρ (*10,21d); der Nominativ mit Artikel gibt den determinierten semitischen Vokativ wieder. 9 Epiphanius zufolge enthielt *Ev den semitisierenden Vokativ ὁ πατήρ, nicht aber πάτερ (Schol. 22) - das harte Nebeneinander ist eine Folge der lk Redaktion. Ähnliches gilt für den Zusatz von καὶ τῆς γῆς Lk 10,21. Auch hier scheint das Fehlen in *Ev auf eine theologisch begründete Streichung zurückzugehen (s. Epiph., Schol. 22). Die Bezeugung für *Ev ist charakteristisch, weil die von Tertullian und Epiphanius übereinstimmend bezeugte Lesart auch von einem Altlateiner (dem Cod. Vercellensis a) sowie von P 45 (und einer Minuskel) vertreten wird: Unter der Annahme der Lk-Priorität müsste sich die angeblich »häretische Streichung« auch auf die katholische Textüberlieferung ausgewirkt haben. Alle drei Änderungen - die Ersetzung von εὐχαριστῶ σοι durch ἐξομολογοῦμαι, die Einfügung des Vokativs πάτερ und der Zusatz von καὶ τῆς γῆς - finden sich bereits in Mt 11,25. Die Änderungen gegenüber *Ev sind also nicht von Lk, sondern von Mt vorgenommen worden, dem Lk hier (gegen den vorkanonischen Wortlaut in *Ev) folgt. Diese Beobachtung ist schließlich auch noch für die Begründung des Dankes aufschlussreich. Während die Mehrheit der Handschriften hier zwei parallele Aussagesätze in der 2. Pers. liest (ὅτι ἀπέκρυψας ταῦτα … καὶ ἀπεκάλυψας αὐτὰ …) fand Tertullian in *Ev eine Formulierung, nach der die erste Hälfte der Aussage als partizipales Objekt der zweiten erscheint (quod ea quae erant abscondita … revelaveris …). Diese Formulierung begegnet auch in einem patristischen Zeugnis, 10 es handelt sich daher nicht um eine von Tertullian ad hoc gebildete Formulierung, sondern um ein Zitat aus *Ev. Im Unterschied zum Mehrheitstext von Lk 10,21 (und Mt 11,25), aber auch zu Tertullians *Ev-Referat, erwähnt das Zitat in PsClem. jedoch nur die Weisen, nicht auch die Verständigen: ἅπερ ἦν κρυπτὰ σοϕοῖς, ἀπεκάλυψας … (Hom. 18,15,1). Interessanterweise fehlt dieses Glied jedoch auch in wenigen Zeugen in Lk 10,21 und in Mt 11,25. 11 Da für Tertullians Referat bereits deutlich wurde, dass sein *Ev-Exemplar an dieser Stelle durch den kanonischen Wortlaut kontaminiert war, sind in diesem Fall entgegen seinem Zeugnis Zweifel angebracht, dass καὶ συνετοῖς/ et prudentibus im ältesten Evangelium stand. 5. *10,22 || Mt 11,27 hat wegen der Verhältnisbestimmung von Sohn und Vater die besondere Aufmerksamkeit der patristischen Exegese auf sich gezogen, vor ______________________________ 9 Vgl. BDR § 147.2 (mit Anm. 5 und 6). 10 PsClem., Hom. 18,15,1.3. 11 Lk 10,21: ℓ1761 e PsClem; Mt 11,25: sy s.c Tert Hil. 10,17-24 Rekonstruktion 817 allem, aber nicht nur, im Horizont der trinitarischen Auseinandersetzungen. 12 Aufschlussreich ist der Vergleich der durch Tertullian und Adamantius bezeugten Fassungen für *Ev mit den Parallelen in Mt 11,27 und Lk 10,22 vor dem Hintergrund der verzweigten patristischen Bezeugung. Adam. 1,23 Tert. 4,25,10 Mt 11,27 Lk 10,22 omnia (mihi) tradita πάντα μοι παρεδόθη πάντα μοι παρεδόθη a patre. ὑπὸ τοῦ πατρός μου, ὑπὸ τοῦ πατρός μου, οὐδεὶς nemo καὶ οὐδεὶς καὶ οὐδεὶς ἔγνω scit ἐπιγινώσκει γινώσκει qui sit τίς ἐστιν τὸν πατέρα pater, τὸν υἱὸν ὁ υἱὸς εἰ μὴ ὁ υἱός, nisi filius, εἰ μὴ ὁ πατήρ, εἰ μὴ ὁ πατήρ, οὐδὲ et qui sit οὐδὲ καὶ τίς ἐστιν τὸν υἱόν τις filius, τὸν πατέρα τις ὁ πατὴρ γινώσκει ἐπιγινώσκει εἰ μὴ ὁ πατήρ nisi pater, εἰ μὴ ὁ υἱὸς εἰ μὴ ὁ υἱὸς et cuicunque καὶ ᾧ ἐὰν βούληται καὶ ᾧ ἐὰν βούληται filius revelaverit ὁ υἱὸς ἀποκαλύψαι ὁ υἱὸς ἀποκαλύψαι. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Fassungen sind deutlich, wenigstens vier von ihnen müssen ausführlicher besprochen werden, nämlich (a) das Tempus des Verbs in *10,22b (ἔγνω/ [ἐπι-]γινώσκει), (b) die Reihenfolge, in der Vater und Sohn genannt werden (*10,22b.c), (c) die Formulierung der letzten Aussage (*22d), sowie (d) die Formulierung von V. *22b.c als Aussagen bzw. als indirekte Fragen. Erst mit der Beantwortung dieser Fragen wird die Rekonstruktion dieser vier Zeilen verständlich: *22a Πάντα μοι παρεδόθη ὑπὸ τοῦ πατρός *22b καὶ οὐδεὶς ἔγνω τὸν πατέρα εἰ μὴ ὁ υἱός, *22c οὐδὲ τὸν υἱόν τις γινώσκει εἰ μὴ ὁ πατὴρ *22d καὶ ᾧ ἐὰν ἀποκαλύψῃ ὁ υἱός. a. Mt liest im Unterschied zu Adamantius, Tertullian und Lk gegenüber dem Simplex γινώσκει das Kompositum ἐπιγινώσκει. 13 Wichtiger ist, dass Adamantius - gegen Tertullian, Mt und Lk - Aorist (ἔγνω) bietet. Darin stimmt seine Bezeugung nicht nur mit wenigen Handschriften (a b sy p ) überein, sondern auch mit zahlreichen patristischen Zeugnissen. ______________________________ 12 Das umfangreiche patristische Material bei P. W INTER , Matthew xi 27 and Luke x 22 from the First to the Fifth Century, NT 1 (1957), 112-148. 13 ἐπιγινώσκει taucht in der patristischen Literatur zum ersten Mal bei Euseb, Contra Marc. 1,1,6; Cyrillus Hier., Cat. Illum. 4,7; 6,6 auf (vgl. L UZ , Mt II 197 Anm. 1). 818 Anhang I 10,17-24 Für die reiche patristische Bezeugung des Logions ist jedoch eine große Uneinheitlichkeit zu verzeichnen. Wie eine kleine Auswahl zeigt, sind beide Zeitformen bezeugt, häufig auch bei einem Autor und sogar in ein und demselben Werk: Der Aorist ἔγνω bzw. οἶδε (bzw. das Perfekt novit/ cognovit) ist belegt bei: Iren., Haer. 1,20,3; 4,6,1. - Justin, Dial. 63,3.13 (G OODSPEED 72). - Clemens Alex., Protr. 1,5,20; 1,10,3 (GCS 12, 10); Paed. 1,8,74; 1,9,88 (GCS 12, 101. 133. 142); Strom. 1,28,178; 5,8,84 (GCS 15, 109. 382). - Tertullian, Praescr. 21,1 (CSEL 70, 25); Prax. 8,5; 19,16; Adv. Marc. 2,27,8 (CSEL 48, 238. 262. 373). - Origenes, Cels. 2,71 (GCS 2, 193); Cels. 6,17; 7,44 (GCS 3, 88.194f); Princ. 1,1,8; 1,3,4 (GCS 22, 26. 53) u. v. ö. - PsClem. Hom. 17,4,5; 18,4,3; 18,13,1.4; 18,20,1 (GCS 42, 230. 243. 247. 250). - Euseb, H. E. 1,2,2 (GCS 9/ 1, 10); Dem. 5,1,25f (GCS 23, 214); Eccl. Theol. 1,17,7; 1,15,1; 1,16,3 (GCS 14, 72. 74. 76). - Epiphanius, Anc. 19.67.73 (GCS 25, 28. 82. 91); Haer. 54,4; 64,9 (GCS 31, 321. 418); 65,6; 69,43 (GCS 37, 9. 191). Das Präsens γινώσκει/ ἐπιγινώσκει (bzw. scit/ cognoscit) ist bezeugt durch: Justin, Dial. 100,1 (G OODSPEED 214). - Iren., Haer. 2,6,1; 4,6,1.3; 4,6,7; 4,7,4. - Clemens, Alex., Strom. 7,18,109 (GCS 17, 778); Dives (GCS 17, 164). - Tertullian, Adv. Marc. 4,25,10. - Origenes, Comm. in Rm 3 (PG 14, 949); Comm. in Cant. 2 (GCS 33, 146). - Euseb, Contra Marc. 1,1; Eccl. Theol. 1,20,7 (GCS 14, 5.85). 14 Von besonderem Interesse ist die Bezeugung bei Irenaeus, der die Lesart im Aorist/ Perfekt (Haer. 1,20,3; 2,14,7; 4,6,1) für »häretisch« hält und sie denen zuschreibt, »die erfahrener sein wollen als die Apostel« (4,6,1), während seine eigene Wiedergabe des Textes regelmäßig γινώσκει/ cognoscit voraussetzt (Haer. 2,6,1; 4,6,1.3f.7; 4,7,3f). Er sieht hier ein zentrales theologisches Problem und begründet den »häretischen« Aorist: Die sog. Gnostiker »erklären das so, als ob der wahre Gott vor der Ankunft unseres Herrn von niemandem erkannt worden wäre, und behaupten, der Gott, der von den Propheten verkündet worden ist, sei nicht der Vater Christi« (4,6,1 ÜS B ROX ). Dem stellt Irenaeus gegenüber: »Dieser ist aber der Erschaffer (fabricator) von ›Himmel und Erde‹, wie aus seinen Worten deutlich hervorgeht, und es ist eben nicht der falsche Vater, den Markion oder Valentin, Basilides, Karpokrates oder Simon Magus oder die anderen fälschlich sogenannten Gnostiker dazu erfunden haben … Sie wagen einen unbekannten Gott (incognitum deum) zu verkündigen« (4,6,4). Auch wenn es möglich ist, dass die von Irenaeus bekämpften »sogenannten Gnostiker« ihre Gotteslehre tatsächlich mit dem Hinweis auf *10,22 begründet haben, so ist es ganz unwahrscheinlich, dass sie den kanonischen Text in diesem Sinn geändert haben: Dazu taucht die angeblich »häretische« Lesart (obwohl sie in den erhaltenen Handschriften nur marginal bezeugt ist) viel zu oft und vor allem völlig unbeanstandet in patristischen Zeugnissen auf - und zwar auch bei Irenaeus selbst, der die inkriminierte »häretische« Lesart selbst wiederholt benutzt (1,20,3; 2,14,7). Das Phänomen, das diese Ambivalenz erklärt, ist die Annahme der Interferenz zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Textüberlieferung. Dies spricht dafür, dass der vorkanonische Text ἔγνω und nicht (ἐπι)γινώσκει enthielt: Aorist (anders als Lk und Mt) und Simplex (wie Lk, aber anders als Mt). ______________________________ 14 Weitere Belege bei W INTER , a. a. O. 116ff. 10,17-24 Rekonstruktion 819 b. Eng verbunden mit der Abfolge der Zeitformen ist die Reihenfolge, in der Vater und Sohn in V. *22b.c genannt werden. Adamantius und Tertullian bezeugen für *10,22b.c gegen Mt 11,27 || Lk 10,22 die Reihenfolge »niemand kennt den Vater außer dem Sohn« (V. *22b) - »und niemand erkennt den Sohn außer dem Vater« (*22c). Diese Abfolge ist auch in etlichen Handschriften für Mt bzw. Lk bezeugt (N U X a o), sie taucht auch in mehreren patristischen Belegen auf. Trotz des Tempusunterschieds (ἔγνω/ γινώσκει) stimmen die drei Zitate bei Justin (1Apol. 63,3.13; Dial. 100,1), darin überein, dass sie diese Abfolge bieten. Das Gleiche findet sich noch in einer langen Reihe weiterer Texte. 15 Auffälligerweise bietet auch Irenaeus, der den Aorist des Verbs im vorkanonischen Evangelium zum Anlass einer theologischen Kritik nahm, die nichtkanonische Abfolge, ohne dies jedoch weiter zu kommentieren (Haer. 2,6,1; 4,6,1.3f.7; 4,7,4); aber auch er kennt an anderer Stelle die kanonische Abfolge (Haer. 4,6,1). Die Ambivalenz, die schon bei den Zeitformen zu beobachten war, setzt sich also in der Struktur des Logions und der Abfolge der beiden Satzteile fort: Beide Reihenfolgen tauchen nebeneinander auf, und zwar wiederum bei denselben Autoren und sogar im selben Werk. Aus diesem Grund erscheint es ausgeschlossen, dass hier eine theologisch begründete Änderung - in welcher Richtung auch immer - vorliegt. Dies schließt natürlich nicht aus, dass aus einer bestimmten Abfolge auch theologische Schlüsse gezogen wurden, wie sich vor allem bei den (nach-)nicänischen Autoren zeigen lässt. Diese unprinzipiellen Abweichungen erklären sich sehr viel leichter durch die Interferenz zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Textüberlieferung. Die Faustregel, nach der die am weitesten von der Mehrheit der Handschriften abweichende Lesart mit hoher Wahrscheinlichkeit den vorkanonischen Text bietet, erweist sich auch in diesem Fall als plausibel: Es ist die Abfolge, die Tertullian und Adamantius bezeugen. Diese Reihenfolge legt sich auch vom Duktus der vorangehenden Aussagen *10,21.22a her nahe: Jesus preist den Vater, weil er den Unmündigen das Verborgene offenbart hat (*10,21). Nach der Rückkehr der Zweiundsiebzig (*10,17-20) kann sich das »Verborgene« sinnvollerweise nur auf das Wissen beziehen, das (erst Jesus und jetzt) die Jünger zu Verkündigung, Heilung und Exorzismen befähigt. Auf dieses Wissen bezieht sich *10,22a: Wenn Jesus »alles« übergeben wurde, dann umfasst dies im vorliegenden Zusammenhang das Offenbarungswissen über den Vater und die damit einhergehende Macht auch über die Dämonen. Die Weiterführung ______________________________ 15 Ephraem, Ev. Conc. Exp. (A UCHER / M OESINGER 117; 216): nemo novit patrem nisi filius et nemo novit filium nisi pater. - Clemens Alex., Protr. 1,10,3 (GCS 12, 10); Paed. 1,5,20; 1,8,74 (GCS 12, 101.133); vgl. aber mit der »kanonischen« Reihenfolge Paed. 1,9,88 (GCS 12, 142); Strom. 1,28,178 (GCS 15, 109). - Origenes, Cels. 2,71 (GCS 2, 193); Princ. 1,3,4 (GCS 22, 53); Hom. in Num 18,2 (GCS 30, 169), Comm. in Cant prol. (GCS 33, 74), Comm. in Mt 14 (GCS 38, 124); auch bei Origenes findet sich jedoch die kanonische Abfolge: Cels. 6,17 (GCS 3, 88); Princ. 1,1,8 (GCS 38, 124). - PsClem. Hom. 17,4,5; 18,4,3; 18,13,1.3; 18,20,1 (GCS 42, 230.243.247.250). 820 Anhang I 10,17-24 dieses Gedankens erfordert dann, dass Jesus den Zugang zu diesem Wissen hat, weil er den Vater »kennt«: »Niemand kennt den Vater außer dem Sohn« führt den Gedanken unmittelbar weiter. Die Umkehrung (»Und nicht erkennt jemand den Sohn außer dem Vater«) komplettiert die Feststellung der kognitiven Reziprozität, ist aber keine geeignete Fortsetzung des vorangehenden Gedankens. c. Die Umstellung der Abfolge von *10,22b.c in den beiden kanonischen Fassungen des Logions (Mt 11,27 || Lk 10,22) hängt eng zusammen mit der Frage, ob - und wenn ja: in welcher Form - *10,22d in *Ev enthalten war. Die Bezeugung ist unklar. Die kanonische Formulierung Lk 10,22d καὶ ᾧ ἐὰν βούληται ὁ υἱὸς ἀποκαλύψαι hat zwar eine (nicht ganz genaue) Entsprechung bei Tertullian, fehlt aber bei Adamantius. Diese widersprüchliche Bezeugung ist wohl so zu interpretieren, dass Adamantius nur einen Teil des ihm vorliegenden Textes referiert: *10,22d war vermutlich in *Ev enthalten. Dieses Urteil beruht auf zwei Beobachtungen. Zum einen stimmt Tertullians Referat (καὶ ᾧ ἐὰν ἀποκαλύψῃ ὁ υἱός/ et cuicunque filius revelaverit) nicht mit der kanonischen Formulierung überein (καὶ ᾧ ἐὰν βούληται ὁ υἱὸς ἀποκαλύψαι). Wie schon zuvor, zeigt die patristische Rezeption des Logions eine breite Ambivalenz: Beide Formulierungen werden vertreten, auch hier von denselben Autoren und auch hier innerhalb desselben Werkes. Die kanonische, auch von Mt 11,27 gebotene Wendung βούληται … ἀποκαλύψαι findet sich bei: Irenaeus, Haer. 4,6,1. - Origenes, Princ.1,3,4; 2,4,3; Hom. in Num 18,2; Comm. in Cant. 2; Hom. in Lev 7,3; Comm. in Rm 3. - PsClem., Hom. 17,4,5; 18,4,3; 18,6,3; 18,7,7 18,13,1.4; 18,20,1. - Euseb, Comm. in Ps 110 (PG 23, 1345). - Athan., In illud Omnia Mihi Tradita Sunt (PG 25, 208f). Die vorkanonische, von Tertullian für *Ev bezeugte Formulierung steht dagegen bei: Irenaeus, Haer. 1,20,3; 26,1; 4,6,3. - Justin, 1Apol. 63,3,13 Dial. 100,1. - Clem. Alex., Strom. 1,28,178; 5,13,84; 7,10,58, 7,18,109. - Tertullian, Praescr. 21,1; Adv. Marc. 4,25,10. - Origenes, Cels. 6,17; 7,44; Comm. in Joh 1,42 (38); 32,18 (28.29). - Euseb, Eccl. theol. 1,15,1. - Athan., Decr. Nic. 12; Ar. 1,12; 1,39; 4,23; Sermo maior de fide 28 (PG 26, 1281). - Epiphanius, Anc. 67; Haer. 54,4; 65,6; 74,4; 76,24.46. Die weite Verbreitung einer Formulierung, die in der kanonischen Handschriftenüberlieferung gar nicht belegt ist, stellt ein gravierendes Problem dar: Wo könnte der Ursprung dieser breiten Rezeption liegen? Da die kritischen Handausgaben (NA; GNT) nur solche Varianten verzeichnen, die (auch) handschriftlich bezeugt sind, gelangt die Frage nach dem Ursprung dieser Lesart noch nicht einmal in das exegetische Bewusstsein. Die Bezeugung des vorkanonischen Evangeliums (in diesem Fall durch Tertullian) und die Annahme einer Interferenz zwischen den Textüberlieferungen des ältesten und des kanonischen Lk-Evangeliums zeigen nicht nur das Problem, sondern legen auch seine Lösung nahe. Demnach geht die von Tertullian bezeugte Fassung auf *Ev zurück. 10,17-24 Rekonstruktion 821 Dazu kommt eine zweite Beobachtung: Der Übergang von *22c zu *22d ist problematisch, weil nicht klar ist, wen oder was der Sohn offenbart. 16 Wenn der Vater der Inhalt der Offenbarung durch den Sohn ist, kann *22d wegen des Subjektwechsels nicht an *22c anschließen: »Und es erkennt nicht jemand den Sohn außer dem Vater und wem der Sohn den Vater offenbart« ergibt keinen Sinn. 17 Wenn dagegen der Sohn der Inhalt der Offenbarung ist, muss man verstehen: »Und es erkennt nicht jemand den Sohn außer dem Vater und wem der Sohn sich selbst offenbart.« Das ist theoretisch möglich, ergibt aber wenig Sinn, denn in diesem Fall wäre die Identität des »Sohnes« sowohl die Grundlage als auch das Ziel verlässlicher Offenbarung. Man wird nicht fehlgehen in der Annahme, dass diese Zwickmühle verantwortlich ist für die Umstellung von V. *22b.c in den kanonischen Fassungen: Sowohl Mt 11,27 als auch Lk 10,22 haben die Reihenfolge »Niemand erkennt den Sohn außer dem Vater - niemand kennt den Vater außer dem Sohn und wem der Sohn es (= ihn, den Vater) offenbaren will.« Diese kanonische Fassung setzt also konsequent die kognitive Reziprozität von Sohn und Vater voraus: Die absoluten Verwendungen von »der Vater« und »der Sohn« qualifizieren sich gegenseitig und sind semantisch durch die Relation zum jeweils anderen determiniert. In diesem Verständnis spielt es dann letztlich keine Rolle mehr, ob der Vater den Sohn oder der Sohn den Vater offenbart, weil mit der Offenbarung des einen automatisch auch der andere und die Relation zu ihm offenbart wird. Irenaeus hat diese christologische Zuspitzung erstmalig ausführlich expliziert (Haer. 4,6,1-6) und bringt das Problem der Erkennbarkeit Gottes auf den Punkt: »Denn man kann den Vater nicht ohne den Logos Gottes - und das heißt: durch die Offenbarung des Sohnes - erkennen und den Sohn nicht ohne das Wohlgefallen des Vaters.« 18 Eine Entwicklung von der vorkanonischen, durch Tertullian und Adamantius bezeugten Reihenfolge von *22c.d hin zu der kanonischen Fassung ist in jedem Fall viel leichter vorstellbar als der umgekehrte Weg. Für diese vorkanonische Fassung ist dann auch zu berücksichtigen, dass sie nicht das Problem der Erkennbarkeit Gottes behandelte, sondern die Weitergabe des wirkmächtigen Wissens von Gott über Jesus an die Jünger. ______________________________ 16 Vgl. W INTER , a. a. O. 131ff; L UZ , Mt II, 211ff (zu Mt 11,27). 17 Bereits J. W EISS , Das Logion Mt. 11,25-27, in: A. Deissmann (ed.), Neutestamentliche Studien, Leipzig 1914, 120-129: 126, hatte das Problem gesehen. Er hat (zu Recht) argumentiert, dass die durch Adamantius, Tertullian, Justin u. a. bezeugte Abfolge »Vater - Sohn« älter sei als die kanonische. Allerdings gibt er als Begründung an, dass »das Subject ὁ υἱός in der vierten Zeile nicht genannt zu werden brauchte, wenn die dritte mit ὁ υἱός geschlossen hätte. Die Hervorhebung des Subjekts in Zeile 4 weist darauf hin, dass das Subjekt wechselt.« Weiß hält also eine Fassung für ursprünglich, die der von Tertullian bezeugten entspricht. 18 Irenaeus, Haer. 4,6,3: neque enim patrem cognoscere quis potest sine verbo Dei, hoc est nisi filio revelante, neque filium sine patris beneplacito. 822 Anhang I 10,17-24 d. Ein letzter Hinweis kann kurz ausfallen: Tertullian und Adamantius bezeugen unterschiedliche Formulierungen für *10,22b.c. Tertullian bietet die auch aus der kanonischen Fassung bekannte Formulierung mit einem Hauptsatz (οὐδεὶς γινώσκει), von dem zwei indirekte Fragesätze abhängig sind (τίς ἐστιν … καὶ τίς ἐστιν), wenn auch in anderer Reihenfolge als im kanonischen Text. Adamantius hat dagegen zwei parallele Aussagesätze: οὐδεὶς ἔγνω τὸν πατέρα …, οὐδὲ … τις γινώσκει, also dieselbe Struktur wie Mt 11,27. Diese Fassung steht sehr wahrscheinlich am Anfang der Überlieferungsgeschichte. Mt hat die uneinheitliche Formulierung aus *Ev (ἔγνω … γινώσκει) aneinander angeglichen und die Abfolge von Vater - Sohn vertauscht, um den Übergang zum abschließenden Relativsatz über die Offenbarung durch den Sohn zu erleichtern. Lk ist Mt in diesen beiden Veränderungen gefolgt - gegen *Ev; er hat außerdem die Aussagesätze durch die genau parallelen Fragesätze ersetzt und so die vollständige kognitive Reziprozität der Erkennbarkeit von Vater und Sohn geschaffen. 6. In *10,24 sind zwei Unterschiede zwischen *Ev und dem kanonischen Text zu notieren, die vielleicht unterschiedlich zu bewerten sind: a. Tertullian setzt voraus, dass in *Ev nur die Propheten, nicht aber auch die Könige »nicht gesehen haben, was ihr seht«. Da er an dieser Stelle genau zitiert (et sequentia inspicias), kann man davon ausgehen, dass die kanonische Formulierung (π ο λ λ ο ὶ προϕῆται κ α ὶ β α σ ι λ ε ῖ ς ) auf die lk Redaktion zurückgeht. Dies zeigt auch die handschriftliche Überlieferung, die an dieser Stelle gespalten ist. Ein Teil der für die Interferenz der beiden Textüberlieferungen besonders anfälligen »Westlichen« Zeugen (D it [a d ſſ 2 i l]) stimmt mit dem von Tertullian bezeugten Text überein, der nur προϕῆται/ prophetae bietet. Ein anderer Teil der Altlateiner bietet (zusammen mit der Minuskel 1424) anstelle des kanonischen καὶ βασιλεῖς wie Mt 13,17 καὶ δίκαιοι. Es ist denkbar, dass diese Lesart auf eine vorkanonische Änderung von *Ev zurückgeht; andernfalls müsste man davon ausgehen, dass hier ein Eintrag aufgrund der synoptischen Parallelüberlieferung vorliegt. Da π ο λ λ ο ὶ (προϕῆται) nicht nur bei Tertullian, sondern auch in einer weiteren Handschrift (1241) fehlt, ist es sehr wahrscheinlich, dass Tertullians Fassung dem vorkanonischen Text am genauesten entspricht. b. Kaum weniger klar ist der Fall bei V. 24b καὶ ἀκοῦσαι ἃ ἀκούετε καὶ οὐκ ἤκουσαν: Tertullian teilt diese Phrase nicht mit, aber er könnte sein Zitat aus *Ev vor diesen Worten abgebrochen haben. Allerdings deutet die identische Fortsetzung in Mt 13,17b darauf hin, dass diese Bemerkung über das, »was ihr hört«, erst von Mt in Analogie zu dem, »was ihr seht« hinzugefügt wurde. Denn Mt hat das Logion *10,24a über das Nicht-Sehen der Propheten aus dem Kontext des Dankgebets Jesu in *Ev gelöst und es, mit einigem redaktionellen Geschick, in die spezielle Jüngerbelehrung im Rahmen der Gleichnisrede integriert. Hier erklärt der mt Jesus in einiger Ausführlichkeit, was in *10,23f || Mt 13,16f nur kurz erwähnt wird: Dass nämlich die Jünger Adressaten einer speziellen Offenbarung 10,17-24 Rekonstruktion 823 sind, die sie in die Lage versetzt, die »Geheimnisse der Basileia« zu verstehen (γνῶναι Mt 13,11 ≠ Mk 4,11). Dies unterscheidet sie von denen, die sehen, aber nicht erkennen, und die hören, aber nicht verstehen. Mt hat hier großen Wert auf die Parallelisierung von Sehen und Hören in Angleichung an das Zitat aus Jes 6,9 LXX (vgl. Mt 13,13f) gelegt. Er hat dafür nicht nur καὶ τὰ ὦτα ὑμῶν ὅτι ἀκούουσιν 13,16b ergänzt, sondern auch in dem folgenden Vergleich mit den Propheten die entsprechende Wendung über das Hören neben die Aussage über das Sehen gestellt: καὶ ἀκοῦσαι ἃ ἀκούετε καὶ οὐκ ἤκουσαν Mt 13,17b ist redaktionell. 19 So, wie Lk den ursprünglichen Kontext des Logions im Rahmen der Aussendungsrede aus *Ev bewahrt hat, hat er auch nur den Makarismus der Augen, »die sehen, was ihr seht« (Lk 10,23b) übernommen. Der Ton liegt hier darauf, dass die Apostel zu Augenzeugen der eschatologischen Ereignisse geworden sind, während Mt 13,16 den Ton darauf legt, dass die Jünger überhaupt Empfänger der speziellen Belehrung werden, die sie zum Sehen und Hören, also zu umfassendem Verstehen, befähigt. 20 In 10,24b ist Lk - gegen seine Grundschrift *Ev - dagegen der mt Ergänzung (Mt 13,17b) gefolgt und hat καὶ ἀκοῦσαι ἃ ἀκούετε καὶ οὐκ ἤκουσαν von dort übernommen. Auf diese Weise ist eine Unausgewogenheit zwischen Lk 10,23 und 24 entstanden. Auch hier zeigt sich wieder das redaktionelle Verfahren mit seiner kleinschrittigen Textorientierung: Die lk Fassung kann nicht ohne eine synoptische Verwendung der Vorlagen *Ev und Mt entstanden sein. *10,25 [ 26 ] 27.28a [ 28b-37 ] : Die Frage nach den Bedingungen des Lebens [ Samaritanergleichnis ] Bezeugt und im Kern in *Ev vorhanden, aber durch die lk Redaktion intensiv bearbeitet und in großem Umfang ergänzt. 10,25 a [ Καὶ ] ἰδοὺ b νομοδιδάσκαλός τις ἀνέστη ἐκπειράζων αὐτὸν, λέγων c [ Διδάσκαλε, ] τί ποιήσας ζωὴν d αἰώνιον e κληρονομήσω; 26 ὁ δὲ f ἀποκριθεὶς εἶπεν g [ πρὸς αὐτόν ] g , h † Εν τῷ νόμῳ τί γέγραπται πῶς ἀναγινώσκεις; 27 ὁ δὲ ἀποκριθεὶς εἶπεν, † h Ἀγαπήσεις κύριον τὸν θεόν σου ἐξ ὅλης τῆς καρδίας σου καὶ ἐν ὅλῃ τῇ ψυχῇ σου καὶ ἐν ὅλῃ τῇ ἰσχύϊ σου i καὶ ἐν ὅλῃ τῇ διανοίᾳ σου i [ καὶ τὸν πλησίον σου ὡς σεαυτόν ] k †28 εἶπεν δὲ αὐτῷ, Ὀρθῶς l εἶπες m [ τοῦτο ποίει καὶ ζήσῃ ] m † k . ______________________________ 19 Diese überlieferungsgeschichtliche Rekonstruktion unterscheidet sich von dem gängigen Urteil im Horizont der Zwei-Quellentheorie, demzufolge Lk 10,23f || Mt 13,16f ein »Q«-Logion ist, zu dem Mt (nur) 13,16b ergänzt habe (so für viele: L UZ , Mt II 302). 20 Vgl. S. S CHULZ , Q. Die Spruchquelle der Evangelisten, Zürich 1972, 419: Mt sei daran interessiert, dass die Jünger hören und sehen, die (mutmaßliche) Fassung in »Q« dagegen, was sie hören und sehen. 824 Anhang I 10,25-37 [ 29 ὁ δὲ θέλων δικαιῶσαι ἑαυτὸν εἶπεν πρὸς τὸν Ἰησοῦν, Καὶ τίς ἐστίν μου πλησίον; 30 ὑπολαβὼν ὁ Ἰησοῦς εἶπεν, Ἄνθρωπός τις κατέβαινεν ἀπὸ Ἰερουσαλὴμ εἰς Ἰεριχὼ καὶ λῃσταῖς περιέπεσεν, οἳ καὶ ἐκδύσαντες αὐτὸν καὶ πληγὰς ἐπιθέντες ἀπῆλθον ἀϕέντες ἡμιθανῆ. 31 κατὰ συγκυρίαν δὲ ἱερεύς τις κατέβαινεν ἐν τῇ ὁδῷ ἐκείνῃ, καὶ ἰδὼν αὐτὸν ἀντιπαρῆλθεν· 32 ὁμοίως δὲ καὶ Λευίτης γενόμενος κατὰ τὸν τόπον ἐλθὼν καὶ ἰδὼν ἀντιπαρῆλθεν. 33 Σαμαρίτης δέ τις ὁδεύων ἦλθεν κατ’ αὐτὸν καὶ ἰδὼν ἐσπλαγχνίσθη, 34 καὶ προσελθὼν κατέδησεν τὰ τραύματα αὐτοῦ ἐπιχέων ἔλαιον καὶ οἶνον, ἐπιβιβάσας δὲ αὐτὸν ἐπὶ τὸ ἴδιον κτῆνος ἤγαγεν αὐτὸν εἰς πανδοχεῖον καὶ ἐπεμελήθη αὐτοῦ. 35 καὶ ἐπὶ τὴν αὔριον ἐκβαλὼν ἔδωκεν δύο δηνάρια τῷ πανδοχεῖ καὶ εἶπεν, Ἐπιμελήθητι αὐτοῦ, καὶ ὅ τι ἂν προσδαπανήσῃς ἐγὼ ἐν τῷ ἐπανέρχεσθαί με ἀποδώσω σοι. 36 τίς τούτων τῶν τριῶν πλησίον δοκεῖ σοι γεγονέναι τοῦ ἐμπεσόντος εἰς τοὺς λῃστάς; 37 ὁ δὲ εἶπεν, Ὁ ποιήσας τὸ ἔλεος μετ’ αὐτοῦ. εἶπεν δὲ αὐτῷ ὁ Ἰησοῦς, Πορεύου καὶ σὺ ποίει ὁμοίως. ] A. *10,25: Tert. 4,19,7: Ecce legis doctor adsurrexit temptans eum. ¦ Tert. 4,25,15: In evangelio veritatis legis doctor dominum aggressus, Quid faciens, inquit, vitam aeternam consequar? In haeretico vita solummodo posita est, sine aeternae mentione, ut doctor de ea vita videatur consuluisse quae in lege promittitur a creatore longaeva. ♦ *10,(26)27: Tert. 4,25,15: et dominus ideo illi secundum legem responsum dedisse, Diliges dominum deum tuum ex toto corde tuo et ex tota anima tua et totis viribus tuis, quoniam de lege vitae sciscitabatur. ♦ *10,26-28: Epiph., Schol. 23: εἶπεν τῷ νομικῷ Ἐν τῷ νόμῳ τί γέγραπται; καὶ ἀποκριθεὶς μετὰ τὴν ἀπόκρισιν τοῦ νομικοῦ εἶπεν Ὀρθῶς εἶπες. τοῦτο ποίει καὶ ζήσῃ. ¦ Origenes, Hom. in Lc, fr. 166 (GCS 49) = fr. 70, FC 4/ 3, 456): »Diese Worte (sc. ὀρθῶς ἀπεκρίθης) richten sich gegen die Anhänger des Valentinus und des Basilides und auf die des Marcion, denn auch sie haben diese Stelle in ihrem Evangelium …«. B. a (10,25) και: om Tert D b d e ſſ 2 ¦ add it M ● b (10,25) νομοδιδασκαλος/ legis doctor: Tert a c d e sy s.c ¦ γραμματευς: sy j Tat pers ¦ νομικος/ legis peritus (peritor): aur b f ſſ 2 i l q r 1 M ● c (10,25) διδασκαλε: om Tert D d Tat arab ¦ add it M ● d (10,25) αιωνιον: om Tert ¦ add it M ● e (10,25) consequar: Tert c ¦ a aur b ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 vg: possidebo (f: possideam) ¦ κληρονομησω/ hereditabo: d e M ● f (10,26) αποκριθεις: Tert (responsum [dedisse]) (vgl. 10,26a! ) ● g (10,26) προς αυτον: om Tert 16 e Tat pers ¦ add a aur b c d f ſſ 2 l i q r 1 M ● h (10,26) Widersprüchliche Bezeugung: (1) εν τω νομω … αποκριθεις ειπεν: om Tert ¦ (2) εν τω νομω … αποκριθεις ειπεν: add Epiph it M ● i (10,27) και εν ολη τη διανοια σου: om Tert D Γ ℓ524 a b c d ſſ 2 i l r 1 MacarAeg (Ep. magn. 4,3; S TAATS 120) ¦ add aur f vg M ● k (10,28) Widersprüchliche Bezeugung: (1) ειπεν δε αυτω … και ζηση: om Tert ¦ (2) ειπεν ορθως ειπες τουτο ποιει και ζηση: add Epiph; ειπεν δε αυτω ορθως απεκριθης τουτο ποιει κτλ.: it M ● l (10,28) ειπες: Epiph aeth (Bodl. 41) (ειπας) ¦ απεκριθης it M ● m (10,28) Widersprüchliche Bezeugung: (1) τουτο ποιει και ζηση: om Tert 1194 ℓ1074 g 1 ¦ (2) add Epiph a aur b c d e f ſſ 2 i l q r 1 M . C. Die Bezeugung des Streitgesprächs Jesu mit dem Gesetzeslehrer über die Bedingungen des Lebens ist sehr uneinheitlich: Während der erste Gesprächsgang *10,25-28 durch Tertullian und Epiphanius gut (wenn auch widersprüchlich) für *Ev bezeugt ist, fehlt von dem zweiten Gesprächsgang mit dem Samaritanergleichnis 10,25-37 Rekonstruktion 825 jede Spur. Die Fragen nach der genauen Gestalt von *10,25-28 und nach der möglichen Existenz von 10,29-37 in *Ev hängen unmittelbar miteinander zusammen und können nur im Horizont der mutmaßlichen Überlieferungsgeschichte geklärt werden. 1. Epiphanius’ zusammenfassendes Referat (Schol. 23) lässt erkennen, dass er *10,25-28 in der aus dem kanonischen Text bekannten narrativen Struktur las: Wie in Lk 10,25 ist der Frager bei Epiphanius ein νομικός, nicht der bei Tertullian u. a. bezeugte νομοδιδάσκαλος. Sehr viel wichtiger ist, dass Epiphanius auch die Struktur des ersten Gesprächsgangs in der kanonischen Form voraussetzt. Dabei referiert er nur jeweils die Rede Jesu, und zwar zunächst die Gegenfrage nach dem, was im Gesetz geschrieben ist, danach die abschließende Aufforderung (ὀρθῶς εἶπες, τοῦτο ποίει καὶ ζήσῃ). Dass diese Bestätigung und Aufforderung wie im kanonischen Text eine Replik auf die (unbezeugte) Beantwortung der Gegenfrage Jesu durch den Gesetzeslehrer ist, lässt sich an Epiphanius’ zusammenfassendem Referat noch eindeutig erkennen (καὶ ἀποκριθεὶς μ ε τ ὰ τ ὴ ν ἀ π ό κ ρ ι σ ι ν τοῦ νομικοῦ εἶπεν …). Tertullian, der aus *10,25.27 erkennbar wörtlich zitiert, referiert dagegen für *Ev einen vom kanonischen abweichenden Text. Abgesehen von einigen Kleinigkeiten wie der Einleitung, der Bezeichnung des Fragers (νομοδιδάσκαλος anstelle von νομικός) sowie dem Fehlen der Anrede (διδάσκαλε), liegt der mit Abstand wichtigste Unterschied darin, dass Tertullian ausdrücklich betont, dass Jesus selbst die Frage des Gesetzeslehrers gemäß dem Gesetz beantwortet habe. 1 Dementsprechend zitiert er aus *10,26a lediglich die Einleitung, dass Jesus geantwortet habe, aber weder die Gegenfrage Jesu (Lk 10,26b: ἐν τῷ νόμῳ τί γέγραπται; πῶς ἀναγινώσκεις; ) noch die Einleitung der Antwort des Nomikos mit dem Zitat aus Dtn 6,5 in 10,27a (ὁ δὲ ἀποκριθεὶς εἶπεν). Tertullians ausdrücklicher Hinweis, dass Jesus, und nicht der Gesetzeslehrer, das Gebot der Gottesliebe aus Dtn 6 zitiert habe, stellt daher sicher, dass er *Ev an dieser Stelle nicht (wie sonst häufig) verkürzend referiert. 2 Das Gespräch, das Tertullian in *Ev las, bestand nur aus der Frage des Gesetzeslehrers nach den Bedingungen des Lebens, Jesu Beantwortung dieser Frage mit dem Hauptgebot sowie der zustimmenden Bestätigung des Fragers zu dieser Antwort (zu *10,28bα s. gleich). 2. Wie auch sonst bei widersprüchlichen Bezeugungen, muss man davon ausgehen, dass der am weitesten vom kanonischen Text entfernte Wortlaut mit hoher Wahrscheinlichkeit in *Ev ursprünglich war: Das ist die von Tertullian bezeugte ______________________________ 1 Tert. 4,25,15: et d o m i n u s ideo i l l i secundum legem r e s p o n s u m d e d i s s e , Diliges dominum deum tuum ex toto corde tuo et ex tota anima tua et totis viribus tuis, quoniam de lege vitae sciscitabatur. 2 So z. B. Z AHN II 470f, der annimmt, dass Tertullian die (kanonische) Abfolge von Gegenfrage Jesu, Antwort des Gesetzeslehrers und deren Bestätigung durch Jesus in einer Antwort Jesu zusammenziehe. Diese Deutung nimmt den von Tertullian bezeugten Text nicht ernst. 826 Anhang I 10,25-37 Gesprächsstruktur. In diesem Fall ist auch die fehlende Bezeugung des Nächstenliebesgebotes Lk 10,27d (καὶ τὸν πλησίον σου ὡς σεαυτόν) aufschlussreich: Es wird, genau wie Lk 10,26b.27a, gefehlt haben (s. gleich). Allerdings legt Tertullian in seiner Argumentation keinen Wert auf die Markierung dieser Differenzen zwischen *Ev und dem kanonischen Text. Wichtig ist ihm vielmehr, dass *Ev in der Frage des Gesetzeslehrers das Adjektiv αἰώνιον/ aeternam nicht enthielt. Diese Beobachtung dient ihm als Ausgangspunkt für seine Argumentation, die dann in den erwartbaren Kategorien verläuft: Der Gesetzeslehrer frage nach den Bedingungen des Lebens - nur - in dieser Welt. Die Vertreter der Lk-Priorität haben das Fehlen des Nächstenliebesgebots und den Hinweis auf das ewige Leben aufeinander bezogen und argumentieren: a. Die Streichung von (ζωὴ) αἰώνιος sei beabsichtigt, um einen Gegensatz zu der Frage des Reichen *18,18 zu etablieren: Das »Versucherische« der Frage des Gesetzeslehrers wäre demnach daran kenntlich, dass er sich nur auf das irdische Leben bezieht, wohingegen der Archon ohne jeden Hintergedanken nach dem ewigen Leben gefragt habe. Dass *Ev die beiden Gespräche eng aufeinander bezogen habe, werde daran deutlich, dass er, in Entsprechung zu *18,19, die Antwort auf die Frage des Gesetzeslehrers durch Jesus selbst geben lasse (*10,27). 3 b. Darüber hinaus wird auch das Fehlen des Gebots der Nächstenliebe (10,27d) auf diese komplexe Rekonstruktion zurückgeführt: Marcion hätte sachlich gar nichts gegen dieses Gebot einzuwenden und es hier nur deshalb gestrichen, um den angenommenen Gegensatz zu *18,18ff deutlich zu machen. 4 c. Demnach hatte die Perikope in *Ev i. W. die von Tertullian bezeugte Gestalt, die Unterschiede zu Epiphanius gingen auf spätere Überarbeitung(en) des marcionitischen Bibeltextes zurück. 5 Diese Erklärung der Textdifferenzen im Horizont der Lk-Priorität ist alles andere als plausibel, wie zunächst die Erklärung für die widersprüchliche Bezeugung zeigt. Denn wenn es für die angenommene redaktionelle Änderung der kanonischen Fassung überzeugende, theologische Gründe gab, wieso sollten dann spätere Marcioniten sie wieder rückgängig gemacht und ihren Text an den kanonischen angeglichen haben? ______________________________ 3 H ARNACK 207*: »M. hat also tendenziös ›aeterna‹ ausgelassen und die Worte von der Liebe Jesus selbst in den Mund gelegt.« Vgl. T SUTSUI 98: »Daß Marcion diese beiden Gespräche (sc. 10,25ff; 18,18ff) absichtlich parallelisiert hat, zeigt sich ferner darin, daß nach Tertullian die Äußerung in 10,27, gerade so wie die entsprechende in 18,19f., Jesus selbst in den Mund gelegt worden ist.« 4 T SUTSUI 98: Das Nächstenliebesgebot »muß aus diesem Gespräch gestrichen worden sein sein. Marcion sympathisiert mit diesem Gebot und hat es in Gal 5,14 und Rom 13,19b stehen lassen. Eben deshalb paßte es in diesem Zusammenhang, wo […] vom irdischen Leben die Rede ist, nicht hinein.« 5 H ARNACK 207*: »Also war es ein schon korrigiertes Marcionitisches Exemplar, aufgrund dessen Epiph., Schol. 23 geschrieben hat …«; T SUTSUI 98: »Epiphanius zitiert wohl einen von den Schülern revidierten Text.« 10,25-37 Rekonstruktion 827 Die Annahme der *Ev-Priorität liefert hier sehr viel einfachere Antworten. Die Unterschiede zwischen Tertullian und Epiphanius gehen am ehesten auf die Interferenz der beiden Überlieferungsstränge zurück, die sich auch sonst durchweg beobachten lässt. In diesem Fall dürfte der von Tertullian bezeugte Text (als der am weitesten von der kanonischen Fassung entfernte) mit hoher Wahrscheinlichkeit dem vorkanonischen Text entsprechen. Die relativ schlichte Anlage des Gesprächs in der vorkanonischen Form (Frage - Antwort - Bestätigung) ist dann durch die lk Redaktion verändert worden. Diese Bearbeitung zeigt sowohl eine Angleichung als auch eine Veränderung an das in mancher Hinsicht parallele Gespräch mit dem reichen Archon Lk 18,18-23: Die Einfügung von (ζωὴν) αἰώνιον gleicht die Frage 10,25 an die von 18,18 an; umgekehrt gibt der lk Jesus in Lk 10,27 (anders als in Lk 18,20) die Antwort aus dem Gesetz nicht selbst, sondern legt sie dem Nomikos in den Mund. 6 Die Frage des Gesetzeslehrers nach den Bedingungen für »Leben« ist im Anschluss an *10,21-24 sinnvoll: Wenn die Kenntnis des »Vaters« exklusiv durch den »Sohn« vermittelt wird, drängt sich die Frage förmlich auf, ob die Bedingungen für das Leben dann durch den »Sohn« festgelegt werden. Diese Frage muss nicht notwendigerweise in malam partem gemeint sein, 7 aber der Umstand, dass Jesus dem νομικός mit dem Hauptgebot antwortet, deutet doch auf eine gewisse Distanz hin. Dabei wird das absolute, nicht durch αἰώνιος qualifizierte ζωή kaum etwas anderes gemeint haben als »ewiges Leben«. 8 Die redaktionelle Einfügung von αἰώνιος durch Lk in Analogie zu *18,18 (s. dort) verändert den Sinn nicht, sondern vereindeutigt ihn; sie geht mit anderen Angleichungen der beiden Gespräche einher. 9 Die Erklärung, dass die lk Redaktion die beiden Fragen aneinander angeglichen hat, ist sehr viel leichter als die umgekehrte Überlegung, dass Marcion sie aus theologischen Gründen verändert habe, um so die Differenz zwischen den beiden Gesprächen auszudrücken: Da dies auf andere Weise nicht nur einfacher, ______________________________ 6 Allerdings hat die Reaktion Jesu auf die Frage des Archon in *18,20 eine andere Gestalt, s. dort. 7 Ob der Gesetzeslehrer eine Scheinfrage stellt und Jesus heimtückisch aufs Glatteis locken will oder nur neugierig ist, lässt sich aufgrund der Wortbedeutung von ἐκπειράζω allein nicht entscheiden; die vorkanonische Fassung der Perikope gibt im Unterschied zur kanonischen (Lk 10,29 θέλων δικαιῶσαι ἑαυτόν) keine diesbezüglichen Hinweise. 8 Das hat im Übrigen auch Origenes so gesehen. Seine Behandlung von 10,25-28 lässt erkennen, dass er die Lesart aus *Ev (ohne αἰώνιος) kannte, aber den semantischen den Unterschied zwischen der Frage nach dem Leben bzw. nach dem ewigen Leben für unerheblich hielt: Die abschließende Aufforderung Jesu (hoc fac, et vives) bezeichne »ohne Zweifel (haud dubium) ein ewiges Leben, wonach der Gesetzeslehrer ja gefragt und worüber der Heiland gesprochen hatte« (Orig., Hom. in Lc 34,1; FC 4/ 2, 337). Zugleich ist deutlich, dass Origenes - aber auch in *Ev? - das Gespräch in der kanonischen Fassung las (also mit dem Nächstenliebesgebot und der Beantwortung der Eingangsfrage durch den Gesetzeslehrer selbst). 9 So stammt die Anrede διδάσκαλε (ἀγαθέ) aus *18,18. 828 Anhang I 10,25-37 sondern auch effektiver möglich gewesen wäre, wirft diese Überlegung nur unnötige Schwierigkeiten auf. 10 Unklar ist, welches Verb in *10,25b ursprünglich stand. Tertullian referiert consequar, das auch in c steht. Die große Mehrheit der Altlateiner bietet possidebo, nur d e haben hereditabo. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die lateinischen Übersetzungswörter sich semantisch kaum voneinander unterscheiden. Es könnte sein, dass alle dasselbe Ausgangswort κληρονομήσω vorfanden und bei der Suche nach geeigneten zielsprachorientierten Übersetzungen zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangten. Das Problem wird noch durch die Parallelstelle *18,18 erschwert: Auch hier steht in der kanonischen Fassung κληρονομήσω, auch hier begegnen dieselben Übersetzungswörter (consequar, possidebo/ possideo; hereditabo), allerdings in unterschiedlicher Bezeugung: Tertullian hat (wie die Mehrheit der Altlateiner: a aur c f [ſſ 2 ] i l q r 1 ) possidebo, e bietet consequar, und nur d hat wie in 10,25 hereditabo. Die Variabilität der Übersetzungswörter und die Uneinheitlichkeit ihrer Verwendung belegen, dass der semantische Unterschied zwischen den Überetzungswörtern zu gering ist, um halbwegs sicher auf ein bestimmtes Ausgangswort schließen zu können. Da außerdem hereditare im Lateinischen sehr viel seltener ist als κληρονομεῖν im Griechischen, gibt es keinen ausreichenden Anhaltspunkt für die Annahme, dass *Ev an beiden genannten Stellen (*10,25; *18,18) etwas anderes hatte als das kanonische κληρονομήσω. 3. Zu der Annahme, dass die widersprüchliche Bezeugung verschiedene Stadien der sukzessiven Angleichung des vorkanonischen Evangeliums an den kanonischen Text spiegelt, passen dann auch die anderen Beobachtungen zu den Gemeinsamkeiten von *Ev und den »Westlichen« Varianten gegenüber dem kanonischen Text: Der (für *Ev unbezeugte) Anfang der Perikope weist in den »Westlichen« Handschriften eine große Variationsbreite auf: et surrexit: a aur c f i l q r 1 vg; haec eo dicente ecce (om surrexit): b d ſſ 2 ; esurrexit: e. Der kanonische Wortlaut (καὶ ἰδού) ist von keinem dieser Zeugen vertreten, obwohl b d ſſ 2 ἰδού/ ecce bieten. - Wie Tertullian lasen a c d e sy s.c legis doctor/ νομοδιδάσκαλος anstelle von νομικός (vgl. legis peritus: aur b f i l q r 1 ; legis peritor: ſſ 2 ). Schwierig ist die Frage, wie die Einleitung der Antwort Jesu aussah. Tertullians Referat (4,25,15: dominus … illi … responsum dedisse) deutet darauf hin, dass die Wendung eine Form von ἀποκρίνομαι enthalten haben könnte, also etwa ὁ δὲ ἀποκριθεὶς εἶπεν, wie im kanonischen Text die Antwort des Gesetzeslehrers (! ) eingeleitet wird (Lk 10,27). Dass die Einleitung der Antwort Jesu in *10,26a nicht dem kanonischen ὁ δὲ εἶπεν πρὸς αὐτόν entsprochen hat, legt sich auch durch das Fehlen von πρὸς αὐτόν in einem (kleinen) Teil der Handschriftenüberlieferung nahe. Die Unausgewogenheiten gehen hier auf die redaktionelle Erweiterung des einfachen Gesprächs zu der komplexeren Struktur (Frage - Gegenfrage - Selbstbeantwortung - Aufforderung) im kanonischen Text zurück. ______________________________ 10 Das zeigt Tsutsuis gewundene Erklärung zu *18,18: Das Adjektiv αἰώνιος sei hier »sozusagen absichtlich« beibehalten, weil es sich hier um das ewige Leben handele, das »der Christus Marcions den Glaubenden verspricht« (T SUTSUI 115f; zu *18,18). Aber aus welchem Grund sollte Marcion die Erfüllung der Dekaloggebote als Grundlage dieses ewigen Lebens propagiert haben, wenn er die Erfüllung des Hauptgebots ablehnte? 10,25-37 Rekonstruktion 829 Diese textgeschichtlichen Phänomene werden von den Vertretern der Lk-Priorität gar nicht bedacht, finden aber eine zwanglose Erklärung im Horizont der *Ev- Priorität, die an dieser Stelle eine Perspektive auf den Überlieferungsgang der Perikope eröffnet: Sie alle passen in das Schema der sukzessiven Angleichung des vorkanonischen Evangeliums an das kanonische Lk. 4. Wichtiger als diese Einsicht ist jedoch, dass keiner der Zeugen für *Ev in diesem Zusammenhang Kenntnis des Nächstenliebesgebotes (10,27d: καὶ τὸν πλησίον σου ὡς σεαυτόν) verrät. Harnack wollte die Nichtbezeugung als bewusste Korrektur erklären, konnte jedoch keine Gründe angeben, die sie rechtfertigen würden. 11 Denn die Vermutung, dass Marcion sich aus antinomistischen Gründen am Nächstenliebesgebot gestoßen habe, wird dadurch widerlegt, dass er ja nicht nur das Hauptgebot beibehalten hat, sondern an anderer Stelle auch das Nächstengebot völlig unbeanstandet rezipiert. 12 Einmal mehr passen die für Marcion angenommenen theologischen Entscheidungen nicht zu seiner angeblichen Redaktion des kanonischen Evangeliums. Tsutsui hat das Problem bemerkt und durch einen gewagten Vorschlag zu lösen versucht: Da Marcion mit dem Nächstenliebesgebot sympathisiere, störe es in diesem Zusammenhang, der ja nicht vom ewigen, sondern (nur) vom irdischen Leben handele; es müsse aus diesem Grund »aus diesem Gespräch gestrichen worden sein.« 13 Diese Argumentation verbiegt das Kriterium des marcionitischen Antinomismus’ als Grundlage seiner angenommenen Redaktion aus theologischen Gründen bis zur Unkenntlichkeit: Tsutsuis Versuch, die Lücken in Harnacks Argumentation zu schließen, zeigt am Ende einmal mehr, dass für Marcions angebliche Bearbeitung des Lk ein redaktionelles Konzept nicht erweisbar ist. Das Urteil über καὶ τὸν πλησίον σου ὡς σεαυτόν 10,27d ist abhängig von der Rekonstruktion der gesamten Perikope, insbesondere von dem zweiten Gesprächsgang (10,29-37), der sich ganz ausschließlich auf die Bestimmung konzentriert, wer für den Frager ὁ πλησίον sei und der deswegen von der Erwähnung des Nächstenliebesgebotes in 10,27 abhängt. 5. Unklar ist auch das Ende des Gesprächs: *10,28 fehlt in Tertullians Referat ganz, Epiphanius bezeugt dagegen das abschließende Logion Jesu. Dies ist allerdings (wie gezeigt) nicht aussagekräftig, weil er ein durch den kanonischen Text bereits kontaminiertes *Ev-Exemplar benutzt. An dieser Stelle hilft Origenes’ Zeugnis weiter, auch wenn sein Verweis nicht ganz klar ist: ______________________________ 11 H ARNACK 207* »Es mag eine Tendenz dahinter stecken« - aber welche? 12 Marcions Bibel hat das Nächstenliebesgebot in Gal 5,14 (Tert. 5,4,12; Epiph. 42,11,8 Schol. Gal 5 [GCS 31, 120,15f]) sowie in Rm 13,8 (Tert. 5,14,3; Epiph. 42,11,8 Schol. Rm 8 [35]; GCS 31, 118,20) enthalten. 13 T SUTSUI 98. 830 Anhang I 10,25-37 Origenes zitiert aus *10,28 die Worte ὀρθῶς ἀπεκρίθης (! ). Da sich seine Lk-Homilien an ein katholisches Publikum richten, ist es nicht weiter verwunderlich, dass er diese Worte als Anfang der Aufforderung Jesu an den Gesetzeslehrer versteht. Aber er führt diesen Hinweis mit der Bemerkung ein, diese Worte (ταῦτα) richteten sich »gegen die Anhänger des Valentinus und des Basilides und die des Marcion, denn auch sie haben diese Worte (τὰς λέξεις) in ihrem Evangelium« (Hom. in Lc, fr. 70, FC 4/ 2, 457). »Diese Worte« scheinen jedoch die folgende Aufforderung (τοῦτο ποίει καὶ ζήσῃ) in »ihrem Evangelium« nicht zu umfassen, obwohl Origenes sie natürlich aus dem kanonischen Text kennt und in dieser Form an anderer Stelle auch zitiert (Hom. in Lc 34,1; FC 4/ 2, 337). Es ist daher gut denkbar, dass das Gespräch in der vorkanonischen Fassung damit schloss, dass der Gesetzeslehrer die Antwort Jesu mit dem Hauptgebot zustimmend akzeptierte: Ὀρθῶς εἶπες. Ohne eine solche Wiederaufnahme des Anfangs wäre das Gespräch auch defizient. Diese Reaktion, der dann nur die abschließende Aufforderung τοῦτο ποίει καὶ ζήσῃ fehlt, ist noch in wenigen Handschriften bezeugt (1194 ℓ1074 g 1 ). Im Unterschied zu diesen Zeugen hatte allerdings nicht Jesus die Antwort des Gesetzeslehrers für richtig befunden, sondern dieser die Antwort Jesu. 6. Alle Zeugen übergehen den zweiten Gesprächsgang mit dem Samaritanergleichnis (10,29-37), Tertullian außerdem die Aufforderung Jesu am Ende des ersten (10,28). Epiphanius behandelt nach der direkten Bezeugung von *10,28 (ὀρθῶς εἶπες, τοῦτο ποίει καὶ ζήσῃ, Schol. 23) direkt im Anschluss das Gleichnis vom bittenden Freund *11,5.9ff (Elench. 24). Da sein *Ev-Exemplar an dieser Stelle offensichtlich schon durch den kanonischen Text kontaminiert war, wie die vorausgesetzte Gesprächsstruktur gezeigt hat, besagt dies nichts für 10,29-37. Tertullian geht von dem betonten Schluss seiner Diskussion des fehlenden αἰώνιον/ aeternam (4,25,18: viderit nunc si aeternam nostri addiderunt …) unmittelbar zu *11,1 über (Tert. 4,26,1: cum in quodam loco orasset ad patrem illum superiorem …). Es ist unstrittig, dass die Frage, ob die Nichtbezeugung des Samaritanergleichnisses auf einer Lücke in *Ev oder auf unvollständigen Angaben der Zeugen beruht, sich wegen des gemeinsamen Stichwortes ὁ πλησίον nur zusammen mit dem Liebesgebot 10,27d beantworten lässt, das beide Teile der Perikope sehr eng miteinander verbindet: Entweder sind Lk 10,27d.29-37 gemeinsam durch Marcion »gestrichen« oder gemeinsam durch die lk Redaktion ergänzt worden. Während Harnack das Gleichnis ohne Kommentar übergeht, 14 vermutet Tsutsui, dass es mit der Streichung von Lk 10,27b seinen Anknüpfungspunkt verloren habe und deswegen ebenfalls getilgt worden sei. 15 Methodisch bedeutet dies, dass die Argumente für die ______________________________ 14 H ARNACK 206*. 15 T SUTSUI 98. Der Hinweis, dass die Streichung »nicht aus inhaltlichen Gründen« erfolgt sei, ist im Horizont von Tsutuis gesamter Argumentation schwer nachzuvollziehen: Welche anderen Gründe sollten dafür verantwortlich sein? 10,25-37 Rekonstruktion 831 »Streichung« des Nächstenliebesgebotes auch die Auslassung von Lk 10,29-37 tragen müssten. Dass sie dies bereits für Lk 10,27 nicht leisten, ist oben dargelegt. Im umgekehrten Fall erklärt die Annahme der lk Redaktion von *Ev die Unterschiede zwischen beiden Fassungen sehr gut. Denn Lk ist gar nicht in erster Linie daran interessiert, die fortdauernde Geltung des Gesetzes gegen den marcionitischen Antinomismus herauszustreichen. Vielmehr geht es ihm um den Nachweis, dass die von ihm propagierte positive Bewertung des Gesetzes gerade nicht gegen die Integration von Nichtjuden spricht: Die lk Redaktion ist nicht so sehr am Gebot der Gottesliebe interessiert oder an der Frage, welches Verhalten genau »Leben« zur Folge hat, sondern zielt vordringlich auf das Problem, zu wem jemand wie der Gesetzeslehrer eine πλησίον-Beziehung unterhalten soll. Dafür bot die Erwähnung des Hauptgebotes der Gottesliebe in *10,26 keine Anschlussmöglichkeit, wohl aber das Nächstenliebesgebot. Denn Lk kann daran deutlich machen, dass die Differenzen zwischen Jesus und dem Gesetzeslehrer sich nicht am Geltungsanspruch des at.lichen Liebesgebotes entzünden, sondern an der Frage, wer denn nun als ein »Nächster« zu betrachten sei: Die lk Lösung, die an der Umkehrung der Frage Lk 10,29 in Lk 10,35 deutlich wird, zielt auf die Akzeptanz von Heiden(christen) durch Juden(christen) - und zwar nicht trotz, sondern wegen der Forderung des Gesetzes. Die lk Redaktion hat daher an den beiden Liebesgeboten auch nicht primär ein paränetisches Interesse, sondern ein apologetisches: Lk will seine Leser nicht zur Nächstenliebe ermuntern, sondern ihnen demonstrieren, dass die Annahme von Nichtjuden durch Juden aufgrund des Erweises tätiger Liebe durch das jüdische Gesetz geboten ist. Das Problem, das der lk Jesus mit dem Gesetzeslehrer verhandelt, konnte erst im »Zusammenhang der jüdisch-christlichen Trennungsprozesse entstehen.« 16 Die gesamte Thematik, die hier durch das Stichwort »Nächster werden« gekennzeichnet ist, bildet unstrittig einen wesentlichen Schwerpunkt des redaktionellen Gesamtkonzeptes von Lk-Act, der sich in der literarischen Anlage des Doppelwerkes zeigt. 17 Der gesamte zweite Gesprächsgang mit dem Samaritanergleichnis Lk 10,29-37 ist also eine redaktionelle Ergänzung des Lk. Dazu passt auch das sehr einheitliche Bild der handschriftlichen Überlieferung: Das verbreitete Phänomen der inkonsistenten Angleichung des vorkanonischen an den kanonischen Text liegt hier nicht ______________________________ 16 W OLTER , Lk 394 z. St. Zu Recht hebt Wolter das Legitimationsbedürfnis hervor, das Lk an dieser Stelle verspürte, indem er das doppelte Liebesgebot als Zusammenfassung der Tora ausgerechnet einem Schriftgelehrten in den Mund legt (ebd.). 17 Vgl. M. K LINGHARDT , ›Gesetz‹ bei Markion und Lukas, in: D. Sänger, M. Konradt (Hg.), Das Gesetz im frühen Judentum und im Neuen Testament, Göttingen - Fribourg 2006, 99-128: 108. 832 Anhang I 10,25-37 vor. Tatsächlich gibt es in diesen acht Versen nur zwei Varianten, an denen die »üblichen Verdächtigen« (D it sy) aus dem Gesamtbild fallen. 18 Auch wenn man ein solches argumentum e silentio nicht in einen positiven Beleg ummünzen kann, ist die Beobachtung hilfreich, dass die Handschriftenüberlieferung der vorgeschlagenen Deutung nicht widerspricht. In diesem Fall bedeutet dies für die Rekonstruktion von *10,27, dass das Nächstengebot mit größter Wahrscheinlichkeit nicht in *Ev enthalten war, sondern ebenfalls erst durch die lk Redaktion eingefügt wurde. 7. Wenn die vorkanonische Fassung nur *10,25.27.28a enthielt (Frage des Gesetzeslehrers, Jesu Antwort und deren Bestätigung durch den Gesetzeslehrer), wird die Überlieferungsgeschichte dieser Perikope durchsichtig. Gerade wegen der lk Fassung (mit der erkennbar redaktionellen Gestaltung des zweiten Gesprächsgangs) ist die quellenkritische Rekonstruktion der Perikope und ihrer synoptischen Parallelen (Mk 12,28-34 || Mt 22,34-40) im Horizont der Zwei-Quellentheorie komplex und umstritten. 19 Die Synopse zeigt den Gang der Überlieferung. *10,25.27 Mk 12,28-34 Mt 22,35-40 Lk 10,25-28 *25 ἰδοὺ 28 Καὶ προσελθὼν 35 καὶ ἐπηρώτησεν 25 Καὶ ἰδοὺ νομοδιδάσκαλός τις ἀνέστη εἷς τῶν γραμματέων ἀκούσας αὐτῶν συζητούντων, ἰδὼν ὅτι καλῶς ἀπεκρίθη αὐτοῖς εἷς ἐξ αὐτῶν νομικὸς νομικός τις ἀνέστη ἐκπειράζων αὐτὸν λέγων, ἐπηρώτησεν αὐτόν· πειράζων αὐτόν· ἐκπειράζων αὐτὸν λέγων· 36 διδάσκαλε, διδάσκαλε, τί ποιήσας ζωὴν σχήσω; ποία ἐστὶν ἐντολὴ πρώτη πάντων; ποία ἐντολὴ μεγάλη ἐν τῷ νόμῳ; τί ποιήσας ζωὴν αἰώνιον κληρονομήσω; 26 ὁ δὲ εἶπεν πρὸς αὐτόν· ἐν τῷ νόμῳ τί γέγραπται; πῶς ἀναγινώσκεις; *27 ὁ δὲ ἀποκριθεὶς εἶπεν 29 ἀπεκρίθη ὁ Ἰησοῦς 37 ὁ δὲ ἔϕη αὐτῷ· 27 ὁ δὲ ἀποκριθεὶς εἶπεν· ὅτι πρώτη ἐστίν· ἄκουε, Ἰσραήλ, κύριος ὁ θεὸς ἡμῶν κύριος εἷς ἐστιν, ______________________________ 18 10,31 κατὰ συγκυρίαν: κατα τυχα D; κατα συντυχιαν P 75c ; om it. - 10,36 τίς τούτων τῶν τριῶν πλησίον δοκεῖ σοι: τινα ουν δοκεις πλησιον D. 19 Anstelle von Einzelnachweisen genügt es, auf die entsprechenden Partien in den Komm. zu verweisen, s. L UZ , Mt III 270 Anm. 8; W OLTER , Lk 392 u. a. 10,25-37 Rekonstruktion 833 Ἀγαπήσεις κύριον τὸν θεόν σου ἐξ ὅλης τῆς καρδίας σου καὶ ἐν ὅλῃ τῇ ψυχῇ σου καὶ ἐν ὅλῃ τῇ ἰσχύϊ σου. 30 καὶ ἀγαπήσεις κύριον τὸν θεόν σου ἐξ ὅλης τῆς καρδίας σου καὶ ἐξ ὅλης τῆς ψυχῆς σου καὶ ἐξ ὅλης τῆς διανοίας σου καὶ ἐξ ὅλης τῆς ἰσχύος σου. ἀγαπήσεις κύριον τὸν θεόν σου ἐν ὅλῃ τῇ καρδίᾳ σου καὶ ἐν ὅλῃ τῇ ψυχῇ σου καὶ ἐν ὅλῃ τῇ διανοίᾳ σου· ἀγαπήσεις κύριον τὸν θεόν σου ἐξ ὅλης καρδίας σου καὶ ἐν ὅλῃ τῇ ψυχῇ σου καὶ ἐν ὅλῃ τῇ ἰσχύϊ σου καὶ ἐν ὅλῃ τῇ διανοίᾳ σου, 38 αὕτη ἐστὶν ἡ μεγάλη καὶ πρώτη ἐντολή. 31 δευτέρα αὕτη· 39 δευτέρα δὲ ὁμοία αὐτῇ· ἀγαπήσεις τὸν πλησίον σου ὡς σεαυτόν. ἀγαπήσεις τὸν πλησίον σου ὡς σεαυτόν. καὶ τὸν πλησίον σου ὡς σεαυτόν. μείζων τούτων ἄλλη ἐντολὴ οὐκ ἔστιν. 40 ἐν ταύταις ταῖς δυσὶν ἐντολαῖς ὅλος ὁ νόμος κρέμαται καὶ οἱ προϕῆται. *28 εἶπεν δὲ αὐτῷ, 32 καὶ εἶπεν αὐτῷ ὁ γραμματεύς· Ὀρθῶς εἶπες. καλῶς, διδάσκαλε, ἐπ ʼ ἀληθείας εἶπες ὅτι εἷς ἐστιν καὶ οὐκ ἔστιν ἄλλος πλὴν αὐτοῦ· 33 καὶ τὸ ἀγαπᾶν αὐτὸν ἐξ ὅλης τῆς καρδίας καὶ ἐξ ὅλης τῆς συνέσεως καὶ ἐξ ὅλης τῆς ἰσχύος καὶ τὸ ἀγαπᾶν τὸν πλησίον ὡς ἑαυτὸν περισσότερόν ἐστιν πάντων τῶν ὁλοκαυτωμάτων καὶ θυσιῶν. 34 καὶ ὁ Ἰησοῦς 28 εἶπεν δὲ αὐτῷ· ἰδὼν ὅτι νουνεχῶς ἀπεκρίθη εἶπεν αὐτῷ· ὀρθῶς ἀπεκρίθης· οὐ μακρὰν εἶ ἀπὸ τῆς βασιλείας τοῦ θεοῦ. καὶ οὐδεὶς οὐκέτι ἐτόλμα αὐτὸν ἐπερωτῆσαι. τοῦτο ποίει καὶ ζήσῃ. 834 Anhang I 10,25-37 a. Den Anfang der Überlieferung bildete der für *Ev rekonstruierte Text: Der Gesetzeslehrer fragt nach den Bedingungen des »Lebens«, worauf Jesus ihm das Hauptgebot der Gottesliebe nach Dtn 6,5 nennt. Dieser Antwort stimmt der Gesetzeslehrer zu: »Du hast recht gesprochen.« b. Als erster Rezipient von *Ev hat Mk dieses Gespräch (*10,25.27.28a) in den Rahmen der Jerusalemer Streitgespräche integriert. Vielleicht hat Mk ἐκπειράζων *10,25 als Hinweis auf eine echte Frage verstanden, die neugieriges Interesse bekundet, nicht aber Ausdruck einer »versucherischen« Hinterlist ist: Der Frager, der bei ihm εἷς τῶν γραμματέων ist, befürwortet ja Jesu Antwort an die Sadduzäer (Mk 12,28) und wird am Ende wegen seiner Einsicht von Jesus gelobt (Mk 12,34). Wichtiger ist, dass Mk die Ausgangsfrage umformuliert hat: Der Schriftgelehrte fragt nicht nach den Bedingungen des Lebens, sondern welches die ἐντολὴ πρώτη πάντων sei. Diese Frageformulierung liegt nahe, wenn Mk von der Antwort Jesu in seiner Quelle *Ev ausging (*10,27), die ja nur das Gebot Dtn 6,5 enthielt: Da in *Ev Jesus auf die Frage nach den Bedingungen des Lebens das Hauptgebot der Gottesliebe (Dtn 6,5) zur Antwort gibt, passt Mk Frage und Antwort aneinander an und lässt den Schriftgelehrten auch genau danach fragen: ποία ἐστὶν ἐντολὴ πρώτη πάντων (Mk 12,28b). Im Unterschied zu den anderen synoptischen Fassungen gibt der mk Jesus nicht nur das Hauptgebot Dtn 6,5 (*10,27 || Mk 12,30 || Mt 22,37) zur Antwort, sondern stellt dieser Antwort noch das Bekenntnis Dtn 6,4 voran (Mk 12,29b; vgl. 12,32b). Es ist denkbar, dass Mk zu dieser Ergänzung durch das analog strukturierte Gespräch Jesu mit dem Reichen angeregt war, in dem die Einheit Gottes prominent formuliert ist (vgl. εἷς ὁ ἀγαθός *18,19b || εἷς ὁ θεός Mk 10,18b). Im Zitat von Dtn 6,5 hat Mk die drei Glieder, die er in *Ev fand (καρδία, ψυχή, ἰσχύς) um ein viertes (διάνοια) ergänzt (Mk 12,30). 20 Mk folgt der literarischen Anlage des Gesprächs in *Ev darin, dass er Jesus selbst die Frage beantworten lässt. Allerdings hat er das Hauptgebot um das Nächstenliebesgebot ergänzt (Lev 19,18; Mk 12,31) und dann beides auf die Ausgangsfrage nach dem wichtigsten Gebot hin zusammengefasst (Mk 12,31: μείζων τούτων ἄλλη ἐντολὴ οὐκ ἔστιν): Es gibt nicht eine ἐντολὴ πρώτη πάντων, sondern zwei. Neu gegenüber *Ev ist die Replik, die Mk dem Schriftgelehrten in den Mund legt und die Jesu Antwort noch einmal wiederholt (Mk 12,32f). Diese Doppelung klingt nicht sehr geschickt, aber sie markiert deutlich die große Übereinstimmung zwischen Jesus und dem Schriftgelehrten. Ebenfalls neu ist die abschließende Bemerkung, dass Jesus dem Schriftgelehrten Anerkennung für sein Verständnis zollt (Mk 12,34 ὁ Ἰησοῦς ἰδὼν ὅτι νουνεχῶς ἀπεκρίθη). ______________________________ 20 In der Replik des Schriftgelehrten 12,32 in anderer Zusammenstellung: καρδία, σύνεσις, ἰσχύς. Eine Bedeutungsverschiebung ist dabei so wenig erkennbar, wie es eine einsichtige Begründung für die Ergänzung der Liste in 12,30 gibt. Dtn 6,5 LXX hat: καρδία, ψυχή, δύναμις. 10,25-37 Rekonstruktion 835 c. Mt folgt der mk Vorlage weitgehend, aber seine Fassung zeigt gleichwohl den Einfluss von*Ev. Dies zeigen vor allem die wichtigsten mt-lk »Minor Agreements« dieser Perikope. νομικός *10,25a || Mt 22,35 ≠ εἷς τῶν γραμματέων Mk 12,28. - (ἐκ)πειράζων αὐτόν *10,25a || Mt 22,35 ÷ Mk 12,28 (vgl. aber ἐπηρώτησεν εἷς ἐξ αὐτῶν Mt 22,35 || εἷς τῶν γραμματέων … ἐπηρώτησεν αὐτόν Mk 12,28! ) - διδάσκαλε *10,25b || Mt 22,36 ÷ Mk 12,28. - καὶ εἶπεν αὐτῷ … ὅτι νουνεχῶς Mk 12,32-34a ÷ *10,27 || Mt 22,40. Alle drei genannten Agreements sind bereits für *Ev bezeugt: Hier ist klar, dass die mt-lk Gemeinsamkeit auf die gemeinsame Abhängigkeit von *Ev zurückgeht. Mt lässt den Frager (der bei ihm wie in *Ev ein νομικός ist, nicht ein γραμματεύς wie in Mk) wie in Mk 12,28 nach dem wichtigsten Gebot im Gesetz fragen und Jesus mit einer Kombination von Dtn 6,5 und Lev 19,18 antworten. Ähnlich wie in Mk 12,30f sind die beiden Gebote jeweils syntaktisch autark, stehen als komplette Zitate nebeneinander und werden durch eine gesonderte Bemerkung als gleichrangig gekennzeichnet (Mt 22,39: δευτέρα δὲ ὁμοία αὐτῇ; Mk 12,31: μείζων τούτων ἄλλη ἐντολὴ οὐκ ἔστιν). Allerdings übergeht Mt das von Mk redaktionell geschaffene Ende des Gesprächs, also die Replik des Schriftgelehrten mit der Wiederholung der Antwort Jesu sowie die Notiz der Übereinstimmung zwischen beiden (Mk 12,32-34): Die Pointe des Gesprächs liegt für Mt in der Aussage Jesu, dass ὅλος ὁ νόμος καὶ οἱ προϕῆται an diesen beiden Geboten hänge (Mt 22,40): Diese Zusammenstellung von »Gesetz und Propheten« als Summe des Willens Gottes ist typisch mt (vgl. Mt 5,17; 7,12). d. Die lk Redaktion hat das Gesamtverständnis in erster Linie durch die Anfügung des zweiten Gesprächsgangs entscheidend verändert und die Ausgangsfrage nach den Bedingungen des (ewigen) Lebens zu einer Einleitung in die Diskussion der komplexen Nächsten-Thematik umfunktioniert: Das Hauptgebot der Gottesliebe spielt für Lk keine erkennbar weitergehende Rolle. Aber die redaktionelle Gestaltung der ganzen Perikope zeigt, dass Lk nicht einfach *Ev nach eigenen theologischen Vorstellungen redigiert, sondern dabei auch dessen Einfluss auf Mk und Mt zur Kenntnis genommen hat. So hat die von Mk redaktionell ergänzte Replik des Schriftgelehrten (Mk 12,32f) vielleicht den Anlass für die neue lk Struktur gegeben, die das Gespräch in der Abfolge Frage des Gesetzeslehrers - Gegenfrage Jesu - Selbstbeantwortung durch den Gesetzeslehrer - Jesu Aufforderung zum Tun fasst. Jedenfalls entsprechen sich die lk und mk Fassung darin, dass die zentralen Gebote nicht von Jesus präsentiert werden, sondern im Mund des Gesprächspartners erscheinen. Darüber hinaus liegt die nächste Analogie zur syntaktischen Kontraktion der beiden Gebote in einen 836 Anhang I 10,25-37 Satz (Lk 10,27: ἀγαπήσεις κύριον τὸν θεόν σου … καὶ τὸν πλησίον σου) in der Parallelisierung Mk 12,33 (τὸ ἀγαπᾶν αὐτόν … καὶ τὸ ἀγαπᾶν τὸν πλησίον …). Die strukturelle Parallelität der beiden Gesprächsgänge Lk 10,25-28 und 10,29- 37 beruht also nicht darauf, dass der zweite den ersten nachahmt. 21 Vielmehr handelt es sich um eine parallele Bildung im Prozess der redaktionellen Überarbeitung von *Ev durch Lk. 22 Diese Parallelisierung ist ebenso raffiniert und wichtig wie die Umkehrung der Fragen in Lk 10,29 und 10,35, denn sie erlaubt es, die theologisch gewünschte Antwort dem Gesetzeslehrer selbst in den Mund zu legen. Auf diese Weise macht die lk Redaktion deutlich, dass die intendierte Neuakzentuierung der πλησίον-Beziehung mit dem Gesetz übereinstimmt: Unbeschadet der Reziprozität, welche die ὁ πλησίον-Beziehung auszeichnet, 23 legt Lk den Ton darauf, dass diese Beziehung nicht durch ethnische oder kultische Kategorien unverrückbar vorgegeben, sondern dynamisch veränderbar ist: Man kann durch ein bestimmtes Tun zum Nächsten werden. 24 Diese Ethisierung, durch welche die soteriologisch relevanten Sozialbeziehungen innerhalb der Gruppe der Erwählten dynamisiert werden, ist ein wesentliches Kennzeichen der lk Redaktion, wie sich insbesondere im Vergleich zu anderen (vorlk! ) Texten zeigt, in denen zwar das erwählungstheologische Kriterium der Zugehörigkeit zu Israel wichtig, aber nicht durch ein bestimmtes Verhalten veränderbar ist (s. u. zu *13,16). *10,38-42: Maria und Martha Unbezeugt, aber vermutlich in *Ev vorhanden, wenn auch durch die lk Redaktion bearbeitet. 10,38 a Ἐγένετο δὲ ἐν a τῷ πορεύεσθαι b αὐτὸν εἰσῆλθεν εἰς κώμην τινά· γυνὴ δέ τις ὀνόματι Μάρθα ὑπεδέξατο αὐτόν. 39 καὶ τῇδε ἦν ἀδελϕὴ καλουμένη Μαριάμ, ἣ καὶ παρακαθεσθεῖσα πρὸς τοὺς πόδας τοῦ c Ἰησοῦ ἤκουεν τὸν λόγον αὐτοῦ. 40 ἡ δὲ Μάρθα περιεσπᾶτο περὶ πολλὴν διακονίαν· ἐπιστᾶσα δὲ εἶπεν, Κύριε, οὐ μέλει σοι ὅτι ἡ ἀδελϕή μου μόνην με κατέλιπεν διακονεῖν; εἰπὲ οὖν αὐτῇ ἵνα μοι συναντιλάβηται. 41 ἀποκριθεὶς δὲ εἶπεν αὐτῇ ὁ d Ἰησοῦς, Μάρθα Μάρθα, e [ μεριμνᾷς καὶ ______________________________ 21 So (für viele) G. S ELLIN , Lukas als Gleichniserzähler, ZNW 66 (1975), 19-60: 48. 22 Vgl. dazu M. K LINGHARDT , Gesetz und Volk Gottes, Tübingen 1988, 136 Anm. 1. 23 Vgl. N. Y. Y OUNG , The Commandment to Love Your Neighbor as Yourself and the Parable of the Good Samaritan, AUSS 21 (1983), 265-272. 24 W OLTER , Lk 398, verweist zu Recht darauf, dass der Gesetzeslehrer in seiner Antwort V. 37a nicht einfach »der Samaritaner« sagt, sondern diesen über sein Tun qualifiziert (ὁ ποιήσας τὸ ἔλεος μετ’ αὐτοῦ). Wie Lk 3,10-14; 7,5; Act 10,2.34f und vergleichbare Aussagen zum Besitzverzicht zeigen, liegt darin ein Schwerpunkt des redaktionellen Konzepts von Lk-Act (vgl. M. K LINGHARDT , a. a. O. 41-68). 10,38-42 Rekonstruktion 837 θορυβάζῃ περὶ πολλά, 42 ἑνὸς δέ ἐστιν χρεία ] e Μαριὰμ f [ γὰρ ] τὴν ἀγαθὴν μερίδα ἐξελέξατο ἥτις οὐκ ἀϕαιρεθήσεται αὐτῆς. A. Die Perikope von Maria und Martha ist unbezeugt. Für den direkten Übergang der patristischen Zeugen von *10,28 zu *11,1 s. oben zu 10,25-37. B. a (10,38a) εγενετο δε εν: A C D W Θ Ψ f 1.13 latt sy p.h ¦ εν δε: P 45.75 א B L Ξ 33 579 892 1241 2542 pc sy s.c co (*Ev non test.) ● b (10,38a) αυτον: D (f 1 ) sa mss ¦ αυτους και αυτος: A C W Θ Ψ f 13 lat sy h M ¦ αυτους αυτος: P (45).75 א B L Ξ 33 1241 pc a sy s.c.p sa ms bo (*Ev non test.) ● c (10,39) ιησου: P 45.75 A B* C 2 Θ Ψ f 1.13 33 M vg ms sy s.h sa mss bo mss ¦ κυριου: P 3 א B 2 D L Ξ 579 892 pc it vg sy c.p.hmg sa ms bo (*Ev non test.) ● d (10,41) ο ιησους: D b c d f q r 1 ¦ om 544 sy c Ambr (Lc. 1,9; CCL 14, 11)¦ ο κυριος: P 3.75 א B* L 157 579 892 a aur ſſ 2 g 1 gat i l vg sy h(mg) sa bo mss ¦ ο κυριος ιησους: aeth (Bodl. 41) (*Ev non test.) ● e (10,41.42) μεριμνας και θορυβαζη περι πολλα ενος δε εστιν χρεια: om a b e ſſ 2 i l r 1 sy s Ambr (Lc. 1,9; CCL 14, 11) ¦ θορυβαζη: D d ¦ μεριμνας και θορυβαζη περι πολλα: c ¦ μεριμνας και θορυβαζη περι πολλα ενος δε εστιν χρεια (tw. mit kleineren Abweichungen: τυρβαζη anstelle von θορυβαζη; ολιγων anstelle von ενος; Umstellungen): P 3.4.75 A B C L K R W Δ Θ Π Ψ f 1.13 pm lectt aur f q vg sy (c).p.h usw. M (*Ev non test.) ● f (10,41.42) γαρ: om D a aur b c d e ſſ 2 gat i l r 1 vg sy s ¦ γαρ: add P 3.75 א B L Λ Ψ mult sa bo mss ¦ δε: A C W Θ f 13 f q vg mss sy p.h bo pt M (*Ev non test.). C. Die kleine Erzählung von Maria und Martha ist unbezeugt; Harnack und Tsutsui übergehen die Perikope kommentarlos. Das ist insofern verständlich, als sich ein inhaltlicher Grund für eine Streichung im Rahmen der von ihnen angenommenen Redaktion des Lk durch Marcion kaum ausmachen lässt. Umgekehrt ist es auch nicht ohne weiteres möglich, ein redaktionelles Interesse des Lk aufzuzeigen, das die Einfügung dieser Perikope erklären könnte, die ja schon wegen ihrer unklaren narrativen Einbindung in den Kontext Schwierigkeiten aufwirft. 1 1. Angesichts dieser Bezeugungslage können nur textgeschichtliche Beobachtungen ein Urteil über *10,38-42 begründen. Grundlage ist das verbreitete Phänomen der Interferenz zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Handschriftenüberlieferung, die auch hier ihre charakteristischen Spuren hinterlassen hat. Am wichtigsten ist das Fehlen des Vorwurfs gegenüber Martha in 10,41f: Die ganze Wortfolge μεριμνᾷς καὶ θορυβάζῃ περὶ πολλά, ἑνὸς δέ ἐστιν χρεία fehlt in (D) it sy. Westcott/ Hort hatten diese »Lücke« als »Western Non-Interpolation« für ursprünglich gehalten und die Wendung durch eckige Klammern als sekundären Zusatz gekennzeichnet. Interessanterweise zeigt eine Reihe weiterer Zeugen Spuren der sukzessiven, aber inkonsequenten Angleichung des vorkanonischen an den kanonischen Text, darunter die ohnehin anfälligen Handschriften D it. 2 Diese Beobachtung hilft für die Frage nach dem Ursprung der Perikope insofern weiter, als sich dieses Phänomen auf die genannte Passage 10,41b.42a beschränkt: ______________________________ 1 Ein eigener, vager Versuch bei M. K LINGHARDT , Gesetz und Volk Gottes, Tübingen 1988, 154. 2 Vgl. D d: θορυβάζῃ/ turbas te. - c: μεριμνᾷς καὶ θορυβάζῃ περὶ πολλά/ sollicita es et conturbaris in multis. 838 Anhang I 10,38-42 Wenn die gesamte Perikope im Text des vorkanonischen Evangeliums gefehlt hätte und in den »Westlichen« Zeugen von dort her nachgetragen wurde, wäre es höchst ungewöhnlich, dass die Abweichungen sich nur genau auf die Formulierung der Antwort Jesu an Martha beschränken würden. Der uneinheitliche Textbefund legt daher die Vermutung nahe, dass die Perikope in *Ev enthalten war, aber durch die lk Redaktion in Lk 10,41f ergänzt wurde, weshalb die uneinheitliche Angleichung an den kanonischen Text sich auf exakt diesen redaktionellen Einschub beschränkt. Mit dieser Ergänzung hängen dann weitere Auffälligkeiten zusammen. Denn wenn der Vorwurf gegenüber Martha in Lk 10,41b.42a sekundär von der kanonischen Redaktion eingetragen wurde, dann wirkt sich dies auch auf die Formulierung von Lk 10,42b aus: Wenn das Verhalten der Maria als Gegensatz zu dem der Martha gekennzeichnet wird, ist ein adversatives δέ zu erwarten, das in der Mehrheit der Handschriften gleich zu Beginn enthalten ist (ἑνὸς δέ ἐστιν χρεία), woran sich dann die Begründung anschließt: Μαριὰμ γ ὰ ρ τὴν ἀγαθὴν μερίδα ἐξελέξατο. Diese Begründung setzt also 10,41a (ἑνὸς δέ ἐστιν χρεία) voraus. Wenn ein Teil der Überlieferung das Wort über Maria nicht mit kausalem (γάρ), sondern mit adversativem (δέ) Anschluss bietet (A C W Θ f 13 f q vg mss sy p.h bo pt usw.), dann weist auch dies auf den Einfluss des vorkanonischen Textes hin. Dass die Hauptverdächtigen D it sy hier ganz auf eine Konjunktion verzichten können, bestätigt das ursprüngliche Fehlen des Tadels an Martha. 2. In die gleiche Richtung gehen dann auch die weiteren, im rekonstruierten Text vermerkten Auffälligkeiten der handschriftichen Überlieferung. Sie sind an dieser Stelle gesondert zu erwähnen, weil sie das Interesse der redaktionellen Überarbeitung erkennen lassen. a. Die Einleitung der kurzen Szene ist uneinheitlich überliefert: Die Mehrheit der Handschriften des kanonischen Textes hat hier (10,38a) die nicht ganz glatte Formulierung ἐν δὲ τῷ πορεύεσθαι αὐτοὺς αὐτὸς εἰσῆλθεν, wogegen ein beträchtlicher Teil der Überlieferung ἐγένετο δὲ ἐν τῷ πορεύεσθαι αὐτὸν εἰσῆλθεν bietet. Der unschöne Subjektwechsel (πορεύεσθαι αὐτοὺς - αὐτὸς εἰσῆλθεν) ist dadurch veranlasst, dass der Bearbeiter Jesus nicht alleine unterwegs sein lassen, sondern ihn zusammen mit den Jüngern auf dem Weg zeigen wollte - auch wenn die folgende Erzählung die Jünger überhaupt nicht erwähnt und benötigt. b. Wichtiger ist die Ersetzung von (ὁ) Ἰησοῦς durch (ὁ) κύριος in der Erzählstimme (10,39.41), auf die oben schon hingewiesen wurde. 3 Der vorkanonische Text hatte (ὁ) κύριος für Jesus immer nur in der Figurenrede (so wie hier in *10,40b), nicht aber in der Erzählstimme verwendet; die lk Redaktion hat dies (gelegentlich) geändert. Diese Änderungen wurden nicht konsequent mitvollzogen, eine Reihe von Handschriften bietet noch das vorkanonische (ὁ) Ἰησοῦς. Wenig überraschend handelt es sich vor allem um D it sy. Interessanterweise finden sich aber auch ______________________________ 3 S. o. § 5 (Bd. I, S. 93ff). 10,38-42 Rekonstruktion 839 andere und ansonsten völlig unverdächtige Handschriften unter den Zeugen für die vorkanonische Lesart. 4 3. Unter der Annahme, dass die Perikope in einer kürzeren Gestalt bereits in *Ev enthalten war, gewinnt die überlieferungsgeschichtliche Rekonstruktion Profil. Denn für das Verständnis der Perikope im Rahmen des Vier-Evangelienbuches ist außerdem eine Reihe von deutlich aufeinander bezogenen Texten mit zu berücksichtigen, die entweder über die Namen der Figuren (Lk 16,19-31; Joh 11,1ff; 12,1ff) oder durch das Stichwort »Salbung« (Lk 7,36-50 vgl. Mk 14,3-9 || Mt 26,6-13) erkennbar aufeinander verweisen. Die einzelnen Texte zum Komplex der »bethanischen Geschwister« lassen sich erst auf der Ebene der Evangelienredaktion einander sinnvoll zuordnen, setzen also die Kenntnis des gesamten Vier-Evangelienbuchs voraus: Es gibt wenige Beispiele, an denen die literarkritischen Versuche, die Beziehungen zwischen den Evangelien durch eine einfache Benutzung zu erklären, deutlicher an ihre Grenzen stoßen als an dieser Stelle. Sofern Lk Kenntnis (der kanonischen Gestalt) des Joh hatte, wie neuerdings verschiedentlich vertreten wird, 5 lässt sich dieses Beziehungsgeflecht als intertextuelles Verweissystem auf der Ebene der Redaktion des kanonischen Vier-Evangelienbuches verstehen. In diesem Fall stammen die Namen der Schwestern (*10,38ff) aus dem vorkanonischen Evangelium. Joh hat aus dieser Episode dann nicht nur das Charakteristikum übernommen, dass die beiden Schwestern durch ein gegensätzliches Verhalten gekennzeichnet sind, 6 sondern er hat ihnen außerdem den aus *16,19ff bekannten Lazarus als Bruder an die Seite gestellt und so die bethanische Geschwisterschar komplettiert. Auch wenn es keine direkte Bezeugung für *10,38-42 durch Tertullian, Epiphanius und Adamantius gibt, erlauben die weiteren methodischen Überlegungen zur Interferenz der vorkanonischen und der kanonischen Handschriftenüberlieferung hier ein hinreichend deutliches Urteil, das dann wichtige Erkenntnisse für den Gang der Überlieferungsgeschichte ermöglicht: Die Erzählung von Jesu Aufenthalt bei Maria und Martha war mit allergrößter Wahrscheinlichkeit in *Ev vorhanden, und sie hat Joh zur weiteren Ausgestaltung der biographischen Leerstellen veranlasst. ______________________________ 4 Vgl. zu *10,39: P 45.75 A B* C 2 Θ Ψ f 1.13 33 M vg ms sy s.h sa mss bo mss . 5 Vgl. M. A. M ATSON , In Dialogue with Another Gospel? The Influence of the Fourth Gospel on the Passion Narrative of the Gospel of Luke, Atlanta 2001; B. S HELLARD , New Light on Luke. Its Purpose, Sources, and Literary Context, London u. a. 2004. 6 Vgl. Lk 10,39b.40 mit Joh 11,20; 12,2f. Vgl. dazu J. B RUTSCHECK , Die Maria-Martha-Erzählung, Frankfurt/ M. - Bonn 1986, 148f. 840 Anhang I 11,1-4 *11,1-4: Vaterunser Gut bezeugt und sicher in *Ev vorhanden, aber durch Lk redaktionell bearbeitet und ergänzt. 11,1 Καὶ ἐγένετο ἐν τῷ εἶναι αὐτὸν ἐν τόπῳ τινὶ προσευχόμενον, a {καὶ} ὡς ἐπαύσατο, εἶπέν τις τῶν μαθητῶν αὐτοῦ πρὸς αὐτόν, Κύριε, δίδαξον ἡμᾶς προσεύχεσθαι, καθὼς καὶ Ἰωάννης ἐδίδαξεν τοὺς μαθητὰς αὐτοῦ. 2 b ὁ δὲ εἶπεν b , Ὅταν προσεύχησθε, c {μὴ βαττολογεῖτε ὡς οἱ λοιποί· δοκοῦσιν γάρ τινες ὅτι ἐν τῇ πολυλογίᾳ αὐτῶν εἰσακουσθήσονται, ἀλλὰ προσευχόμενοι} c λέγετε, Πάτερ d [ ἡμῶν ὁ ἐν τοῖς οὐρανοῖς ] d , e ἁγιασθήτω τὸ ὄνομά σου· e f { ἐλθέτω τὸ πνεῦμά (σου) τὸ ἅγιον g (ἐϕ’ ἡμᾶς) g h (καὶ καθαρισάτω ἡμᾶς) h .} f i [ ἐλθέτω ἡ βασιλεία σου· ] i k γενηθήτω τὸ θέλημά σου, ὡς ἐν οὐρανῷ καὶ ἐπὶ γῆς. k 3 τὸν ἄρτον l σου τὸν ἐπιούσιον m δὸς ἡμῖν n σήμερον 4 καὶ ἄϕες ἡμῖν o τὰ ὀϕειλήματα o p ¿ἡμῶν? , q ὡς καὶ ἡμεῖς q ἀϕίομεν r τοῖς ὀϕειλέταις ἡμῶν r · καὶ μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς εἰς πειρασμόν s ἀλλὰ ῥῦσαι ἡμᾶς ἀπὸ τοῦ πονηροῦ . s A. *11,1: Tert. 4,26,1: Cum in quodam loco orasset ad patrem illum superiorem, satis impudentibus et temerariis oculis suspiciens ad caelum creatoris, a quo tam aspero et saevo et grandine et fulmine potuisset elidi, sicut et Hierusalem suffigi ab eo potuit, aggressus eum ex discipulis quidam, Domine, inquit, doce nos orare, sicut et Ioannes discipulos suos docuit, scilicet quia alium deum aliter existimaret orandum. ♦ *11,2: Tert. 4,26,3: Cui dicam, Pater? ♦ *11,2-4: Tert. 4,26,4: A quo spiritum sanctum postulem? a quo nec mundialis spiritus praestatur, an a quo fiunt etiam angeli spiritus, cuius et in primordio spiritus super aquas ferebatur? Eius regnum optabo venire quem nunquam regem gloriae audivi, an in cuius manu etiam corda sunt regum? Quis dabit mihi panem cotidianum? qui nec milium mihi condit, an qui etiam de caelo panem angelorum cotidianum populo suo praestitit? Quis mihi delicta dimittet? qui ea non iudicando non retinet, an qui, si non dimiserit, retinebit ut iudicet? ♦ *11,3: Origenes, Hom. in Lc, fr. 75 S IEBEN (= fr. 180 R AUER ): ἐπεὶ δὲ οἱ ἀπὸ Μαρκίωνος ἔχουσι τὴν λέξιν οὕτως· τὸν ἄρτον σου τὸν ἐπιούσιον δίδου ἡμῖν τὸ καθ’ ἡμέραν … ♦ *11,4: Tert. 4,26,5: Quis non sinet nos deduci in temptationem? quem poterit temptator non timere, an qui a primordio temptatorem angelum praedamnavit? Hoc ordine qui alii deo supplicat et non creatori, non orat illum sed infamat. ¦ Tert., Orat. 8,1: adiecit ad plenitudinem tam expeditae orationis, ut non de remittendis tantum, sed etiam de auertendis in totum delictis supplicaremus, Ne nos inducas in temptationem, id est, ne nos patiaris induci, ab eo utique qui temptat. B. a (11,1) και: D M 27 71 1012 1220 1365 1458 l 950 a b c d e ſſ 2 i l q r 1 sy ¦ om aur f vg M (*Ev non test.) ● b (11,2a) ο δε ειπεν: D (d e: ad ille dixit) ¦ και ειπεν αυτοις/ et ait illis: aur b f ſſ 2 g 1 gat i l r 1 vg (dixit autem illis: a q) ¦ ειπε(ν) δε αυτοις: M (*Ev non test.) ● c (11,2b) μη βαττολογειτε ως οι λοιποι· δοκουσιν γαρ τινες οτι εν τη πολυλογια αυτων εισακουσθησονται, αλλα 11,1-4 Rekonstruktion 841 προσευχομενοι/ nolite multum loqui sicut et ceteri, putant enim quidam, quia in multiloquentia sua exaudientur. sed orantes: D d (vgl. Mt 6,7: μὴ βατταλογήσητε ὥσπερ οἱ ἐθνικοί, δοκοῦσιν γὰρ ὅτι ἐν τῇ πολυλογίᾳ αὐτῶν εἰσακουσθήσονται) ¦ om it M (*Ev non test.) ● d (11,2b) ημων ο εν τοις ουρανοις: om Tert א P 75 B 1 22 372 700 1192* 1210 1342 1582 aur g 1 vg sy s Orig (Orat. 18,2; 22,3; GCS 3, 340.347) ¦ add ημων: L 443* gat armen; add ημων ο εν τοις ουρανοις: A C D W Θ Ψ 070 f 13 33 vid a b c d f ſſ 2 i l q r 1 sy c.p.h co M ● e (11,2b) αγιασθητω το ονομα σου: om Tert ¦ it M ● f (11,2c) ελθετο το πνευμα σου το αγιον (εϕ ημας) (και καθαρισατω ημας): (Tert) 162 700 GregNyss MaxConf (s. u.) ¦ om it M ● g (11,2c) εϕ ημας: 700 GregNyss ¦ om it M ¦ εϕ ημας (ελθετω σου η βασιλεια)/ super nos (veniat regnum tuum): D d ● h (11,2c) και καθαρισατω ημας: 162 700 GregNyss (Orat. 3,5; GNO VII/ 2, 39) MaxConf (Exp. Orat. 350; PG 90, 894B) ¦ om it M (*Ev non test.) ● i (11,2d) ελθετω η βασιλεια σου: Tert it M ¦ ελθετω σου η βασιλεια εϕ ημας: D d ¦ om 62 179* 700 georg GregNyss MaxConf ● k (11,2d) γενηθητω το θελημα σου ως εν ουρανω και επι γης: om Tert P 75 B L 1 22 1192 1210 1342 1582 g 1 gat vg sy s.c armen ¦ add א * A C D W Θ Ψ 070 f 1.13 33 vid aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 vg s sy p.h bo M ¦ add γενηθητω το θελημα σου: 372 (a) sy s georg I.II ● l (11,3) σου: Orig (Hom. in Lc, fr. 75, FC 4/ 2 = fr. 180; GCS 49, 302) ¦ om 4 pc sy s.c ¦ ημων: it M (*Ev non test.) ● m (11,3) δος: א D 2 27 28 71 115 472 1009 1010* 1071 1195* 1242* 1355 1458 1654 1675 2542 2613 2757* Orig (Sel. Ps 71; PG 12, 1525) ¦ διδου: *Ev teste Orig (Hom. in Lc, fr. 75, FC 4/ 2 = fr. 180; GCS 49, 302) M ● n (11,3) σημερον: D 2542 a aur b c d e f ſſ 2 g 1 i l r 1 vg cl sy h bo mss aeth Ambr (Sacr. V 4,18; CSEL 73, 66) August (Ep. 130, 21f; CSEL 44, 63.65) Hilar (fr. 3; CSEL 65, 231) ¦ το καθ ημεραν: Orig (Orat. 26,1; 27,1.17; GCS 3, 359; 363; 374) q vg M ● o (11,4) τα οϕειληματα/ debita: D 2542 b c d ſſ 2 vg mss (e: debita et peccata) ¦ τας αμαρτιας: Tert (! ) a aur f g 1 gat i l q r 1 M ; τα αμαρτηματα: f 1 ● p (11,4) ημιν: om Tert (? ) ¦ add it M ● q (11,4) ως και ημεις: D 2542 b c d f ſſ 2 l r 1 sy s.c ; ως και αυτοι: א * a aur i q vg ¦ και γαρ αυτοι: M (*Ev non test.) ● r (11,4) τοις οϕειλεταις ημων: D 2542 b c d ſſ 2 l r 1 vg ms bo mss Ambr (Sacr. 5,4,18; CSEL 73, 66) August (Ep. 145,8; CEL 44 273); πασι τοις οϕειλεταις ημων: f sy p ¦ παντι οϕειλοντι ημιν M (*Ev non test.) ● s (11,4) αλλα ρυσαι ημας απο του πονηρου: om Tert א * .2 P 75 B L 1 22 131 372 700 1192* 1210 1342 1582 g 1 gat vg sy s sa bo mss armen georg Orig (Orat. 18,2) ¦ add it M . C. Das lk Vaterunser ist einer derjenigen Texte, bei denen die handschriftliche Überlieferung des kanonischen Textes in hohem Maß uneinheitlich und umstritten ist. Schon lange ist auch gesehen worden, dass der für *Ev bezeugte Text enge Analogien zu einigen patristischen Zeugnissen und in einem Teil der Handschriften besitzt. Die umfangreiche Diskussion 1 dieses Problems ist natürlich in erster Linie ______________________________ 1 Der eingehende Forschungsbericht von G. S CHNEIDER , Die Bitte um das Kommen des Geistes im lukanischen Vaterunser (Lk 11,2 v. l.), in: ders., Jesusüberlieferung und Christologie. Neutestamentliche Aufsätze 1970-1990 (NT.S 67), Leiden u. a. 1992, 86-115, enthält 58 Titel aus der Zeit zwischen 1889 und 1981. Aus der seither erschienen Literatur ist wichtig: C. B. A MPHOUX , Le révision Marcionite du »Notre Père« de Luc (11,2-4) et sa place dans l’histoire tu texte, in: R. Gryson, P.-M. Bogaert (eds.), Recherches sur l’histoire de la Bible Latine, Louvain-la-Neuve 1987, 105-121; J. M AGNE , La réception de la variante »Vienne ton Esprit Saint sur nous et qu’il nous purifie« (Lc 11,2) et l’origine des épiclèses, du baptême et du »Notre Père«, EphLit 102 (1988), 81- 106; J. D ELOBEL , The Lord’s Prayer in the Textual Tradition. A Critique of Recent Theories and their View on Marcion’s Role, in: J.-M. Sevrin (ed.), The New Testament in Early Christianity, Leuven 1989, 293-309; U. B. S CHMID , How Can We Access Second Century Textes? The Cases of Marcion and Tatian, in: C.-B. Amphoux, J. K. Elliott (eds.), The New Testament Text in Early 842 Anhang I 11,1-4 am lk Text interessiert, nicht an *Ev, obwohl sie wichtige Gesichtspunkte zur Rekonstruktion liefert. Die Debatte ist ausgesprochen komplex, weil hier nicht nur textkritische Gesichtspunkte einfließen, sondern aufgrund der Differenzen in der Parallelüberlieferung Mt 6,9-13 auch überlieferungsgeschichtliche und (vor allem wegen des möglichen Einflusses von Lk 11,13b ≠ Mt 7,11b) redaktionsgeschichtliche, die jeweils wieder verschiedene und durchaus kontroverse Voraussetzungen mit einbeziehen. Die folgenden Überlegungen wollen das Problem nicht vollständig aufrollen, sondern sind in erster Linie daran interessiert, welcher Text sich für *Ev rekonstruieren lässt. Die hier vorausgesetzte *Ev-Priorität und ihre methodischen Implikationen ermöglichen einige Einsichten, welche die Komplexität des Gesamtproblems erkennbar reduzieren. 1. Auszugehen ist zunächst von Tertullians Zeugnis für *Ev. 2 Wie auch sonst so häufig, zitiert er ihn nicht, sondern passt ihn in seine Argumentation ein. Beim Vaterunser hat diese Adaption die Form von Fragen nach demjenigen, von dem die Erfüllung der Bitten erwartet wird. Die rhetorische Funktion der Fragen, von wem (= von welchem Gott) die Erfüllung der Bitten erwartet werden kann, diskutiert die marcionitische Gotteslehre mit ihrer Entgegensetzung von creator und deus bonus. 3 Während die Verben der zweiten bis vierten Bitte (nach Zählung des lk Textes) in Tertullians Referat erwähnt werden (venire, dare, dimittere) und sich ohne weiteres auf den kanonischen Text zurückführen lassen, gibt die Wendung a quo spiritum sanctum postulem? nicht zu erkennen, wie in *Ev die erste Bitte um den Geist genau gelautet hat: Es könnte sich um eine Aufforderung zur Gabe (δίδου) oder um eine Invokation zum Kommen (ἐλθέτο) des Geistes gehandelt haben. 2. Die Probleme beginnen bereits in der Anrede, denn Tertullians Frage »Zu wem sollte ich ›Vater‹ sagen« (4,26,3: cui dicam ›pater‹) gibt nicht eindeutig zu ______________________________ Christianity, Lausanne 2003, 139-150. Vgl. außerdem die Komm., die Arbeiten zu Q (K LOPPENBORG , Formation of Q; C ATCHPOLE , Quest for Q) sowie die Database von C ARRUTH / G ARSKY , Q 11: 2b-4 (passim); D. T. R OTH , The Text of the Lord’s Prayer in Marcion’s Gospel, ZNW 103 (2012), 47-63. Methodisch aufschlussreich und mit wichtigen Beobachtungen jetzt auch M. V INZENT , Methodological Assumptions in the Reconstruction of Marcion’s Gospel (Mcn), in: J. Heilmann, M. Klinghardt (Hg.), Das Neue Testament und sein Text im 2. Jahrhundert, Tübingen 2018, 183-222. 2 Verschiedentlich wurde vorgeschlagen, dass Tertullian nicht den Text aus *Ev wiedergibt, sondern dass er das Vaterunser in der von Gregor von Nyssa bezeugten Form kannte und hier für seine Auseinandersetzung mit Marcion nutzte (J. R. H ARRIS , Codex Bezae, Cambridge 1891, 227; T. B AARDA , De korte tekst van het Onze Vader in Lucas 11: 2-4, een Marcionitische corruptie? , NedThT 44 [1990], 273-287); dagegen zu Recht R OTH , a. a. O. 49f: Diese Annahme widerspricht nicht nur allem, was wir über Tertullians Verfahren wissen, sie würde auch jeder Verwendung von Tertullians Referat für die Rekonstruktion von *Ev die methodische Grundlage entziehen. 3 Vgl. die strukturierte Übersicht von Tertullians Referat (4,26,3f) bei R OTH , a. a. O., 53f. 11,1-4 Rekonstruktion 843 erkennen, ob Tertullian nur die einfache Vater-Anrede gelesen hatte, oder ob in *Ev noch weitere Attribute vorhanden waren, die Tertullian hier übergangen haben könnte. Der Vergleich mit Tertullians sonstiger Zitierpraxis ist wenig ergiebig. 4 An einer Stelle verwendet Tertullian (mit Bezug auf die Versuchungsbitte) einfaches pater ohne weitere Attribute, aber hier ist der Bezug zur Anrede denkbar locker. 5 An zwei anderen Stellen referiert Tertullian die Anrede aus dem Vaterunser mit unterschiedlichen attributiven Erweiterungen, 6 aber da nicht klar ist, ob er den Mt- oder den Lk-Text vor Augen hat, sind diese Hinweise unergiebig. Bei dieser Ausgangslage gewinnt die handschriftliche Überlieferung Bedeutung. Denn der größte Teil der Überlieferung hat die aus dem mt Vaterunser bekannte Formulierung πάτερ ἡμῶν ὁ ἐν τοῖς οὐρανοῖς, während einige wenige Handschriften einfaches πάτερ lesen. 7 Auch wenn *Ev verschiedentlich die so »matthäisch« klingende Wendung βασιλεία τῶν οὐρανῶν enthielt (vgl. *6,20; *18,16f) und für *18,19 die Wendung ὁ πατήρ μου ὁ ἐν τοις οὐρανοῖς eine ernsthafte Möglichkeit darstellt (s. dort), legt die Verteilung der Zeugen für *11,2 die kurze Lesart nahe. Denn die sekundäre Kürzung der Anrede ist schwerer vorstellbar als die sekundäre Ergänzung: Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass die redaktionelle Bearbeitung eine Angleichung an die mt Anrede vorgenommen hat, als dass sie - aus welchem Grund? - einen Unterschied geschaffen haben sollte. 8 Aus diesem Grund ist die einfache Anrede πάτερ für *Ev wahrscheinlich, wogegen die erweitere Form der Anrede in Angleichung an die mt Fassung auf die kanonische Redaktion zurückgeht: πάτερ ἡμῶν ὁ ἐν τοῖς οὐρανοῖς. Diese Lesart ist daher Teil der kanonisch gewordenen Ausgabe des Neuen Testaments und gehört in den Text; der Textus Receptus enthält diese lange Anrede daher zu Recht. Die kritischen Ausgaben haben dagegen mit dem Kurztext nicht den Text Lk-Evangeliums als Teil des Neuen Testaments rekonstruiert, sondern dessen ältere Vorstufe: *Ev. 3. Wie die erste Bitte des Vaterunser in *Ev gelautet haben kann, ergibt sich aus zwei Minuskelhandschriften (700 162) sowie zwei patristischen Zeugnissen, die im Zusammenhang des Vaterunser 9 eine Geistbitte enthalten. ______________________________ 4 Vgl. R OTH , a. a. O. 54 mit Anm. 29; DERS ., The Text of Marcion’s Gospel, Leiden - Boston 2015, 138. 5 Fug. 2,5: sed in legitima oratione, cum dicimus ad patrem: Ne nos inducas in temptationem … 6 Orat. 2,1: pater qui in caelis es … ; Adv. Prax. 23,4: pater noster, qui es in caelis … 7 Die lange Lesart wird geboten von A C D W Θ Ψ 070 f 13 33 vid a b c d f ſſ 2 i l q r 1 sy c.p.h co M , die kurze von א P 75 B 700 1192* 1210 1342 1582 aur g 1 vg sy s ; sie ist auch von Origenes bezeugt (Orat. 18,2; 22,3). Eine vermittelnde Lesart (nur πάτερ ἡμῶν) in L 443* gat armen. 8 Gegen V INZENT , a. a. O. 213; für Vinzent scheint ausschlaggebend zu sein, dass unter den Zeugen für die lange Lesart auch »the obvious D it sy« sind. Auch das inhaltliche Argument, dass Tertullian mit der Formulierung orasset ad patrem illum s u p e r i o r e m (4,26,1) auf die Anrede des Vaters »im Himmel« anspiele, ist kaum überzeugend, weil es ja doch in der angenommenen Position der Marcioniten immer um die Frage der Überlegenheit von creator und deus geht. 9 Harnack hatte schon 1904 im Gefolge von A. Resch auf ein Gebet aus ActThom 27 (L IPSIUS / B ONNET II/ 2, 143,2f) hingewiesen: ἐλθὲ τὸ ἅγιον πνεῦμα καὶ καθάρισον τοὺς νεϕροὺς αὐτῶν καὶ τὴν καρδίαν (A. H ARNACK , Über einige Worte Jesu …, SPAW.PH 1904, Berlin 1904, 170-208: 197). 844 Anhang I 11,1-4 Min. 700 10 Min. 162 11 Gregor von Nyssa 12 Maximus Conf. 13 ἐλθέτω ἐλθέτω ἐλθέτω ἐλθέτω σου σου τὸ πνεῦμά σου τὸ πνεῦμα τὸ πνεῦμά σου τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον τὸ ἅγιον τὸ ἅγιον τὸ ἅγιον ἐϕ’ ἡμᾶς ἐϕ’ ἡμᾶς καὶ καὶ καὶ καὶ καθαρισάτω ἡμᾶς καθαρισάτω ἡμᾶς καθαρισάτω ἡμᾶς καθαρισάτω ἡμᾶς Die Beurteilung dieses Befundes hat eine intensive Diskussion erfahren, 14 und sie ist komplizierter, als auf den ersten Blick erkennbar ist, weil diese Geistbitte bei Tertullian und den hier genannten Zeugen in einem unterschiedlichen Verhältnis zur Reichsbitte steht. a. In Tertullians Referat ist von der ersten (kanonischen) Bitte um die Namensheiligung nichts zu erkennen. Wenn Tertullian sie gelesen hätte, wäre eine Wendung wie »cuius nomen sanctificetur? « o. ä. zu erwarten gewesen. 15 Da dies ihm die willkommene Gelegenheit gegeben hätte, auf das at.liche Konzept des Namens Gottes bzw. der Heiligung des Namens zu verweisen, 16 kann man mit einiger Wahrschein- ______________________________ Dieses Gebet kann nicht als Zeugnis für den Text des Vaterunser verstanden werden: Es handelt sich um ein völlig anderes Gebet, analog ist nur die (auch sonst in der Alten Kirche belegte) Invokation des (heiligen) Geistes. 10 Brit. Mus. cod. Egerton 2610, s. XI. Zuerst veröffentlicht von H. C. H OSKIER , A Full Account and Collation of the Greek Cursive Codex Evangelium 604, London 1890 (dort zwischen Introduction und Collation auch eine Abb. von f. 184v mit Lk 11,2-4). Hoskiers Arbeit hat schon früh Beachtung für die textkritische Erörterung des Vaterunser gefunden, vgl. F R . B LASS , Evangelium sec. Lucam, Leipzig 1897, XLIII; 51 u. a. 11 Rom; Vaticanus Barberinus graec. 449 aus dem Jahr 1153. 12 Gregor von Nyssa, Or. dom. 3,5 (GNO VII/ 2, 39,18f). Gregor bemüht sich um den Nachweis, dass die lk (! ) Geistbitte mit der Reichsbitte der mt Fassung sachlich identisch sei; in diesem Zusammenhang spricht er die Geistbitte ein zweites Mal in verkürzter Form an (GNO VII/ 2, 40,13f): ἐλθέτω τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον, ϕησί, καὶ καθαρισάτω ἡμᾶς (also ohne σου und ohne ἐϕ’ ἡμᾶς); diese verkürzende Abweichung geht auf das Konto von Gregors zusammenfassender Diktion und belegt keinen anderen Text. 13 Maximus Conf., Exp. or. dom. 350 (PG 90, 894B). Schneider weist darauf hin, dass in der Literatur Maximus Confessor verschiedentlich mit Maximus von Turin verwechselt wurde (S CHNEIDER , a. a. O. 89 Anm. 23). Es ist denkbar, dass Maximus (gest. 662) von Gregor von Nyssa abhängig ist (so vermutet von F R . H AUCK , Lk 149). 14 Neben S CHNEIDER , a. a. O., sind die Untersuchungen von J. D ELOBEL und R OTH , a. a. O., mit ihrer sorgfältigen Aufbereitung der Zeugnisse am wichtigsten. 15 Dass Tertullian die Bitte um Namensheiligung in seinem eigenen Vaterunser-Text kannte, ist durch seine Behandlung in Orat. 3 gesichert. 16 Die Bitte um die Namensheiligung besitzt besonders stark ausgeprägte traditionsgeschichtliche Wurzeln im AT sowie charakteristische jüdische Analogien z. B. aus den Bilderreden des Henoch 11,1-4 Rekonstruktion 845 lichkeit davon ausgehen, dass die Bitte um Namensheiligung tatsächlich in *Ev gefehlt hat. Unter der Voraussetzung der Lk-Priorität konnte man dagegen überlegen, ob Marcion die jüdisch klingende Bitte um Namensheiligung (ἁ γ ι α σ θ ή τ ω τὸ ὄνομά σου) durch die Bitte um den heiligen Geist (τὸ πνεῦμα τ ὸ ἅ γ ι ο ν ) ersetzt hätte. 17 Bei Tertullian folgen also die Geistbitte und an zweiter Stelle die auch aus dem kanonischen Text bekannte Reichsbitte unmittelbar aufeinander. Dies bedeutet, dass in Tertullians *Ev-Exemplar zwei Invokationsbitten um das »Kommen« (des Geistes und des Reichs) unmittelbar nebeneinander gestanden haben. 18 b. In den Minuskeln 162 700 sowie in den Zeugnissen bei Gregor und Maximus steht die Geistbitte dagegen anstelle der Reichsbitte, 19 so dass sich dort die Abfolge ergibt: (1) Vateranrede - (2) Bitte um Namensheiligung - (3) Invokation des Geistes zur Reinigung - (4) Bitte um Geschehen des Willens Gottes. c. Die Reichsbitte fehlt auch in 179* georg, und zwar ohne dass sie hier durch die Geistbitte ersetzt wird, also in der Abfolge: (1) Vateranrede - (2) Bitte um Namensheiligung - (3) Bitte um das Geschehen des Willens Gottes. d. Als letzte Auffälligkeit ist hier der Text von D d zu vermerken. Denn zwischen der Bitte um Namensheiligung und der Reichsbitte finden sich die Worte ἐϕ’ ἡμᾶς/ super nos. Die syntaktische Zuordnung ist unklar. ______________________________ und der Hekhalotliteratur (vgl. nur die Belege bei M. P HILONENKO , Das Vaterunser, Tübingen 2002, 44-50). 17 C. B. A MPHOUX , Le révision Marcionite du »Notre Père« de Luc (11,2-4) et sa place dans l’histoire tu texte, in: R. Gryson, P.-M. Bogaert (eds.), Recherches sur l’histoire des la Bible Latine, Louvainla-Neuve 1987, 105-121: 110. Diese Überlegung schon bei B. W EISS , Mk/ Lk 461 Anm.: »… von Markion an die Stelle der so stark alttestamentlich klingenden 1. Bitte gerückt.« 18 E. L OHMEYER (Das Vater-unser, Göttingen 5 1962, 186) hat das Problem gesehen, »denn nun beginnen die beiden ersten Bitten auf fast unmögliche Weise mit einem ›es komme‹«. Er hat daraus auf die Zusammenfügung von zwei verschiedenen Gebeten geschlossen, die Marcion beide aufgegriffen, nicht geschaffen habe, weil auch die Geistbitte aus dem AT verständlich sei (ebd. 187f). G RUNDMANN , Lk 232, hat aus diesem Nebeneinander den sekundären Charakter dieser Zusammenfügung geschlossen. Aber: Was hätte der Grund für die sekundäre Einfügung der Geistbitte durch Marcion sein können? Vgl. zum Problem D ELOBEL , a. a. O. 296. 19 Gregor Nyss., Or. dom. 3 (GNO VII/ 2, 39,17ff): οὕτω γὰρ ἐν ἐκείνῳ τῷ εὐαγγελίῳ ϕησίν, ἀ ν τ ὶ τοῦ Ἐλθέτω ἡ βασιλεία σου, Ἐλθέτω τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον καὶ καθαρισάτω ἡμᾶς. Maximus Conf., Exp. or. dom. 350 (PG 90, 894B): ὃ ἐνταῦθα Ματθαῖός ϕησι βασιλείαν: ἀλλαχοῦ τῶν εὐαγγελιστῶν ἕτερος πνεῦμα κέκληκεν ἅγιον, ϕάσκων Ἐλθέτω σου τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον καὶ καθαρισάτω ἡμᾶς. 846 Anhang I 11,1-4 Man kann entweder verstehen: ἁγιασθήτω τὸ ὄνομά σου ἐ ϕ ’ ἡ μ ᾶ ς sanctificetur nomen tuum s u p e r n o s ἐλθέτω σου ἡ βασιλεία uenit regnum tuum oder ἁγιασθήτω τὸ ὄνομά σου sanctificetur nomen tuum ἐ ϕ ’ ἡ μ ᾶ ς ἐλθέτω σου ἡ βασιλεία 20 s u p e r n o s uenit regnum tuum. Dieses indirekte Objekt findet sich auch in zwei der Zeugen für die Geistbitte (700 Gregor), und zwar Ende. 21 Auf diese Weise ergibt sich: GregNyss 700 MaximConf 162 Tert 179* georg D d Vater-Anrede Vater-Anrede Vater-Anrede Vater-Anrede Vater-Anrede Namensheiligung Namensheiligung Namensheiligung Namensheiligung Geistbitte Geistbitte Geistbitte + ἐϕ’ ἡμᾶς + ἐϕ’ ἡμᾶς + Reinigungsbitte + Reinigungsbitte Reichsbitte Reichsbitte Erfüllung des Willens Erfüllung des Willens Erfüllung des Willens Erfüllung des Willens Die Erklärung dieses Befundes geht sinnvollerweise von der Reichsbitte aus, die in 162 179* 700 Greg Maxim georg gefehlt hat und in D d (mit der Voranstellung des Pronomens) anders formuliert ist als in der mehrheitlichen Überlieferung des kanonischen Textes. Diese Auslassung wiegt schwer, weil es - vor allem wegen der mt Parallele und ihrer gut dokumentierten liturgischen Verwendung seit dem 2. Jh. - kaum wahrscheinlich ist, dass die Reichsbitte zufällig ausgefallen oder sogar aus theologischen Gründen absichtlich gestrichen sein sollte: Das Fehlen der Reichsbitte in den genannten Zeugen setzt eine entsprechende und frühe handschriftliche Bezeugung voraus, die am ehesten auf den vorkanonischen Evangelientext zurückgeht. ______________________________ 20 In dieser Form verzeichnet der Apparat von NA 27 die Variante: Die Herausgeber verstehen sie als eine Ergänzung der Reichsbitte. 21 D. P ARKER , The Living Text of the Gospels, Cambridge 1997, 68, erwägt, ob »this phrase (sc. in D d) is an echo of what became a commonplace of patristic interpretation«, die er an Cyprian festmacht: Die Bitte um Namensheiligung bedeute nicht, »dass wir Gott wünschen, daß er durch unsere Gebete geheiligt werde, sondern dass wir von ihm erbitten, dass sein Name in uns geheiligt werde (nomen eius sanctificetur i n n o b i s )« (Or. 12). Diese Deutung findet sich bereits bei Tertullian, Orat. 3: »Wenn wir sagen ›Geheiligt sei dein Name‹, dann bitten wir, dass er in uns geheiligt werde, die wir in ihm sind (id petimus ut sanctificetur in nobis qui in illo sumus) …« usw. Aber diese Heiligung in uns ist etwas anderes als die Heiligung auf/ über uns in D d, wie Roth zu Recht feststellt (R OTH , a. a. O. 51). 11,1-4 Rekonstruktion 847 Dies bedeutet, dass die durch Tertullian für *Ev bezeugte Doppelung von Geist- und Reichsbitte bereits eine Konformierung darstellt, durch die dann die wenig glückliche Wiederholung des Anfangs der beiden Bitten (ἐλθέτω … ἐλθέτω) zustande kam. Unter Berücksichtigung des häufig beobachteten Phänomens der sukzessiven, aber inkonsequenten Angleichung des vorkanonischen an den kanonischen Text ist dieser Vorgang auch ohne weiteres denkbar. Der älteste, vorkanonische Text des Vaterunser enthielt also - gegen Tertullians Zeugnis für *Ev und auch gegen den Text von D d - nur die Geistinvokation. Diese Überlegung ist dann auch gegenüber den neueren Rekonstruktionen des marcionitischen Evangeliums von BeDuhn, Roth und Vinzent aufrecht zu erhalten. Obwohl sie sich in den methodischen Prämissen teilweise deutlich unterscheiden, nehmen alle drei an, dass das Vaterunser im marcionitischen Evangelium nach der Anrede Geistinvokation und Reichsbitte nebeneinander enthielt. Roth 22 und BeDuhn folgen dem Zeugnis Tertullians, nehmen also an, dass die Bitte um Namensheiligung gefehlt habe und rekonstruieren dann die Abfolge von Geistbitte und Reichsbitte. Beide lehnen es (jeweils mit Verweis auf Delobel) ab, die Lesart mit der Reinigungsbitte (700 162 GregNyss MaxConf) zu berücksichtigen. Für eine Rekonstruktion, die sich ausschließlich auf die direkte Bezeugung von *Ev durch die Häresiologen stützt, ist dies ohne weiteres nachvollziehbar. Roth rekonstruiert für die erste Bitte daher nur »… τὸ ἅγιον πνεῦμα … (no further wording is clearly attested)«. 23 Auch wenn B E D UHN 158 die Lesarten aus 162 700 usw. nicht berücksichtigt, beschränkt er sich nicht konsequent auf das häresiologische Zeugnis. So versteht er die besondere Form der Geistbitte in D d mit dem Zusatz ἐϕ’ ἡμᾶς »as a fragment of the original ›May your sacred spirit come upon us‹« (dazu s. o. Anm. 21). Er setzt daher für die erste Bitte einen Text voraus der folgendermaßen gelautet haben könnte: ἐλθέτω τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιόν σου ἐϕ’ ἡμᾶς. Auch Vinzent folgt Tertullian und rekonstruiert Geist- und Reichsbitte nebeneinander. Da er die methodischen Prämissen des hier vorgelegten Vorschlags weitgehend teilt (vor allem die *Ev-Priorität vor Lk und die Berücksichtigung der Handschriftenüberlieferung), ist seine Begründung aufschlussreich. Denn einerseits rekonstruiert er die Geistbitte in der Form einer Geistinvokation mit Reinigigungsbitte (also in der aus 162 700 Greg Maxim bekannten Gestalt), andererseits übernimmt er - gegen diese Zeugen, aber mit Tertullian - die Reichsbitte. 24 Vinzents Begründung zielt demensprechend auch nicht darauf, dass die handschriftliche Tradition keinen verlässlichen Rückschluss auf den Wortlaut von *Ev zuließe. Vielmehr ist diese Entscheidung Teil seines Gesamtmodells, demzufolge Marcion zwei Fassungen des Evangeliums veröffentlicht hatte. Aus ______________________________ 22 Roth hat seine Rekonstruktion des Vaterunser im marcionitischen Evangelium ausführlich begründet: D. T. R OTH , The Text of the Lord’s Prayer in Marcion’s Gospel, ZNW 103 (2012), 47-63 (der rekonstruierte Text 62f). Diese Rekonstruktion findet sich dann auch (weniger ausführlich begründet) in der monographischen Abhandlung R OTH 421 (mit der Begründung ebd. 138-142). 23 R OTH , a. a. O. (Lord’s Prayer) 54-59. Die letzte Bemerkung wendet sich kritisch gegen die Eintragung von ἐλθέτω als Verb durch H ARNACK 207* und andere. In der Tat lässt Tertullians Frage (a quo spiritum sanctum postulem? ) nicht erkennen, welches Verb er hier gelesen hatte. 24 V INZENT , a. a. O. (Methodological Assumptions, o. Anm. 1), 208 mit der Begründung 213ff. 848 Anhang I 11,1-4 diesem Grund richtet sich Vinzents Rekonstruktionsinteresse auch nicht auf das älteste Evangelium, sondern auf Tertullians *Ev-Exemplar, das dementsprechend größeres Gewicht erhält. 25 Dieser sehr knappe Blick auf andere Rekonstruktionen macht deutlich, in wie hohem Maß die methodischen Grundlagen Einfluss auf einzelne Rekonstruktionsentscheidungen haben. Aus diesem Grund ist es auch nicht sinnvoll, die unterschiedlichen Entscheidungen im Einzelnen zu bewerten: Die Auseinandersetzung muss sich auf die methodischen Grundannahmen (und ihre konsequente Umsetzung) konzentrieren. Bei der hier vorgeschlagenen Lösung, dass *Ev (gegen Tertullians Zeugnis) nur die Geistinvokation enthielt, entfallen die großen Schwierigkeiten, das sekundäre Eindringen der Geistbitte bzw. die Verdrängung der Reichsbitte in der kanonischen Handschriftenüberlieferung zu erklären. 26 Ebenso erübrigen sich damit auch die Versuche, die Ersetzung der Reichsdurch die Geistbitte als Lösung des Problems der Parusieverzögerung theologisch plausibel zu machen 27 bzw. die Geistbitte auf das redaktionelle Interesse des Lk an der Pneumatologie zurückzuführen. 28 An dieser Stelle erweist sich die methodische Einsicht in die Interferenz zwischen der Überlieferung des vorkanonischen und des kanonischen Text als zentral: Sie ist in der Lage, die starke Variation auch innerhalb der kanonischen Überlieferung und ihrer »katholischen« Rezeption zu erklären. Umgekehrt erweist sie den von Tertullian referierten Text als bereits durch die wechselseitige Beeinflussung kontaminiert: Wie auch sonst in denjenigen Fällen, für die eine widersprüchliche Bezeugung durch die Hauptreferenten vorliegt oder in denen es eine starke Varianz innerhalb der handschriftlichen Überlieferung gibt, lassen sich diese Phänomene nur in einem diachronen Modell erklären, das einen Ausgangstext zugrunde legt, der schon vor der Entstehung der Kanonischen Ausgabe breit rezipiert wurde: Eine Rekonstruktion, die allein auf Tertullians Zeugnis basiert, muss daher notwendigerweise in die Irre führen, wenn sie auf den ______________________________ 25 V INZENT , a. a. O. 209: »The copy that Tertullian had access to, however is the one that I would like to reconstruct, hence, I am putting more weight on his witness than Klinghardt would do when there are conflicting readings between those Tertullian is suggesting compared to those of the textual tradition and the reception of the gospels.« 26 H. V . S ODEN , Die ursprüngliche Gestalt des Vaterunsers, ChW 18 (1904), 218-224: 220, hatte vermutet, »dass in jene beiden Kodices oder ihre gemeinsame Vorlage die Bitte aus der viel gelesenen Auslegung Gregors übertragen sei.« Diese Annahme löst das Problem jedoch nicht, sondern verlagert es nur in einen noch schwerer zu kontrollierenden Bereich: Denn dann müsste man klären, woher (Marcion und) Gregor die Geistbitte kannten. 27 So z. B. E. G RÄSSER , Das Problem der Parusieverzögerung in den synoptischen Evangelien und in der Apostelgeschichte, Berlin 3 1977, 107ff: »Im Zuge der Parusieverzögerung tritt die Bitte um das Reich zurück hinter die um den Geist, der das Unterpfand dafür ist, dass Gott - wenn auch mit Verzug - doch zu seiner Verheißung steht! « (ebd. 110): 28 In der Diskussion der Reichsbitte hat Lk 11,13 (ὁ πατὴρ ὁ ἐξ οὐρανοῦ) δώσει πνεῦμα ἅγιον ≠ Mt 7,11 (δώσει ἀγαθά) eine Rolle gespielt (vgl. D ELOBEL , Lord’s Prayer 298 mit Anm. 17 u. 18 [Lit.! ]). 11,1-4 Rekonstruktion 849 ältesten erreichbaren Text zielt und sich nicht damit begnügt, den Text der Tertullian vorliegenden *Ev-Ausgabe zu rekonstruieren. Auch wenn damit die Geistbitte anstelle der Reichsbitte für den ältesten vorkanonischen Text wahrscheinlich gemacht ist, bleibt ihre genauere sprachliche Gestalt noch zu klären. Da es in Tertullians Referat keine Spuren für die Erweiterung durch die Reinigungsbitte (καὶ καθαρισάτω ἡμᾶς) gibt, hat man geschlossen, dass diese in *Ev gefehlt habe. 29 Aber die Frageform, in der Terullian die Vaterunser- Bitten referiert, hätte ihm gar keine Gelegenheit gegeben, diese finale Bestimmung der Geistbitte in sein Referat einzufügen. Zwei Gesichtspunkte sprechen dafür, dass *Ev die Bitte in der durch 700 Gregor (162 Maximus) bezeugten Form enthielt: Zunächst ist die Reinigungsbitte in allen vier Zeugen (162 700 Greg Max) wortwörtlich gleich - woher, wenn nicht aus einer vorausliegenden Handschrift, sollte eine so einheitliche Ergänzung sonst kommen? Wenn es schon plausibel ist, dass *Ev die (kurze Fassung) der Geistbitte (ἐλθέτω τὸ πνεῦμά σου τὸ ἅγιον) enthielt, dann gilt dies in noch höherem Maß von der Reinigungsbitte. Die Einsicht in die *Ev-Priorität kehrt auch an dieser Stelle die Begründungen um. Ich gehe daher, entgegen Tertullians anders lautendem Referat, davon aus, dass die älteste, vorkanonische Form des Vaterunser die Geistbitte anstelle der Reichsbitte in der durch 700 Gregor bezeugten Form enthielt. In textgeschichtlicher Hinsicht müsste man daher sagen, dass die Minuskeln 162 und 700 durch das Phänomen der textgeschichtlichen Interferenz zwischen der Überlieferung des kanonischen und des vorkanonischen Textes geprägt sind: Die Varianten sind Spuren der vorkanonischen Textgrundlage, die nicht konsequent nach dem kanonischen Text getilgt wurden. 4. Die Bitte um die Durchsetzung des Willens Gottes auf der Erde ist gegenüber dem ältesten, vorkanonischen Text sekundär: Sie ist in einer Reihe von Handschriften zu Lk 11,2 bezeugt, 30 fehlt aber in anderen, wichtigen Zeugen. 31 Es handelt sich hier um eine sekundäre Ergänzung, die durch den Paralleltext Mt 6,10b.c angeregt ist und auch durch Did 8,2 für die liturgische Verwendung des Vaterunser gesichert wird. Gegen die Mehrheit der Altlateiner haben g 1 gat (zusammen mit der Vulgata und der altsyrischen Überlieferung) den ursprünglichen Text des vorkanonischen Evangeliums bewahrt; auch Tertullian erwähnt die Bitte nicht für *Ev. Es handelt sich also weder um eine Nachlässigkeit Tertullians noch um eine sekundäre »marcionitische Streichung«. Für diese gäbe es auch keine theologischen Gründe, weil *Ev im Gebet Jesu am Ölberg eine ganz genau entsprechende ______________________________ 29 D ELOBEL , a. a. O 296: »There are no grounds whatsoever to postulate these words in Marcion’s text.« 30 א * A C D W Θ Ψ 070 f 1.13 33 vid M aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 vg s sy p.h bo. 31 P 75 B L 1 22 1192 1210 1342 1582 g 1 gat vg sy s.c armen. 850 Anhang I 11,1-4 Bitte um die Durchsetzung des Willens Gottes enthielt (*22,42, s. dort). Diese Ölberg- Bitte Jesu stellt den überlieferungsgeschichtlichen Ursprung der Vaterunser-Bitte γενηθήτω τὸ θέλημά σου dar. Mt hat sie von dort in seinen Vaterunser-Text eingefügt (Mt 6,10); im Hintergrund dieser Maßnahme steht das redaktionelle Interesse an der Perspektive der Jüngerexistenz in der Welt, das auch sonst die Komposition der Bergpredigt prägt (s. gleich). Aus dem mt Vaterunser-Text hat die kanonische Redaktion diese Bitte dann auch in das lk Vaterunser eingefügt; Tertullian, der die Bitte in *Ev nicht fand, kennt sie ganz selbstverständlich aus seiner eigenen Bibel und kommentiert sie in seiner Schrift über das Vaterunser. 32 Diese Überlegung hat die Konsequenz, dass der Mehrheitstext mit der Bitte γενηθήτω τὸ θέλημά σου, ὡς ἐν οὐρανῷ καὶ ἐπὶ γῆς mit allergrößter Wahrscheinlichkeit Teil des ursprünglichen Lk-Textes in seiner kanonischen Gestalt darstellt und aus diesem Grund eine Aufnahme in die kritischen Ausgaben des Neuen Testaments finden müsste. An dieser Stelle zeigt sich einmal mehr die Problematik, dass die Textherstellung der kritischen Ausgaben ausschließlich auf die Rekonstruktion des jeweils ältesten Textes setzt und so den Text der kanonischen Ausgabe verfehlt. 5. Für die Formulierung der Brotbitte *11,4 in *Ev liefert Origenes ein direktes Zitat, das auch die abweichende Formulierung notiert: τὸν ἄρτον σου τὸν ἐπιούσιον δίδου ἡμῖν τὸ καθ’ ἡμέραν. 33 Ob diese Formulierung allerdings den ältesten Wortlaut des Ausgangstextes oder eine bereits durch den kanonischen Wortlaut kontaminierte Konformierung darstellt, muss im Einzelnen geprüft werden. Dafür sind drei Fragen von Bedeutung: Wie verhält sich das von Origenes für *Ev bezeugte Possessivpronomen σου zu dem ἡμῶν des kanonischen Textes? Hatte das vorkanonische Evangelium δίδου (wie es Origenes bezeugt) oder δός? Und richtete sich die Bitte darauf, das Brot τὸ καθ’ ἡμέραν (so Origenes) oder σήμερον zu gewähren? Für die beiden letztgenannten Fragen ist die uneinheitliche handschriftliche Überlieferung aufschlussreich. Denn in beiden Fällen gibt es eine Reihe von Zeugen, die hier die mt Formulierungen bieten. Eine lange Reihe von Handschriften bietet in Lk 11,3 den Imperativ Aor. δός anstelle des iterativen Imperativ Praes. (δίδου), den die Mehrheit der Lk-Handschriften hat. Irritierenderweise gehört auch Origenes zu den Zeugen für die Lesart δός, außerdem - wie zu erwarten - der Codex Bezae ______________________________ 32 Orat. 4. Auffällig ist dabei die Abfolge, denn nach der Anrede (Pater qui in caelis es, Orat. 2) und der Bitte um Namensheiligung (Orat. 3) kommentiert Tertullian Fiat voluntas tua in caelis et in terra vor der Brotbitte (Orat. 5). Der Grund dafür dürfte ist leicht zu erkennen: Tertullian schließt seine Erklärung der Bitte um die Namensheiligung mit dem Hinweis, dass der Name in nobis - und das heißt: in omnibus - geheiligt werden möge; und diesen Gedanken greift er zu Beginn der Erklärung der Bitte um die Erfüllung des Willens Gottes betont auf (secundum hanc formam subiungimus, Fiat voluntas tua in caelis et in terra) und folgert: in omnibus petimus fieri voluntatem eius. 33 Origenes, Hom. in Lc, fr. 75 (S IEBEN 464 = fr. 180 R AUER , GCS 49, 302). 11,1-4 Rekonstruktion 851 (D). Da die Unterscheidung der beiden Imperativformen im Lateinischen nicht möglich ist, entfallen die Altlateiner hier als zusätzliche Stütze der Argumentation; sie bieten durchweg Imper. Praesens (da). Die Bezeugung für σήμερον anstelle des τὸ καθ’ ἡμέραν im Mehrheitstext ist charakteristisch gespalten. Hier haben die »üblichen Verdächtigen« für Spuren des vorkanonischen Textes die mt Variante σήμερον: D it sy u. a. Angesichts der weiten Verbreitung der Interferenzen zwischen der Überlieferung des vorkanonischen und des kanonischen Evangelientextes wird man bezüglich der Beweiskraft von Origenes’ Zeugnis für *Ev sehr zurückhaltend sein müssen: Angesichts der handschriftlichen Bezeugung ist es sehr wahrscheinlich, dass der von ihm zitierte Text bereits durch diese Interferenzen kontaminiert war. Für die Überlieferungsgeschichte der Brotbitte bedeutet dies, dass die diesbezüglichen Differenzen zwischen der mt und der lk Fassung mit großer Wahrscheinlichkeit auf das Konto der lk Redaktion gehen: Die lk Redaktion hätte demzufolge den iterativen Imperativ Praes. δίδου anstelle des Imper. Aor. δός gesetzt und das Brot »täglich« (τὸ καθ’ ἡμέραν) anstelle des älteren »heute« (σήμερον) erbeten. Beide Änderungen sind miteinander kongruent, und beide sind dieser Bearbeitungsrichtung auch ohne weiteres nachvollziehbar. Überlieferungsgeschichtlich bedeutet dies, dass Mt die vorkanonische Formulierung bewahrt, Lk sie jedoch aus (theologisch nachvollziehbaren Gründen) geändert hat. Dies entspricht im Übrigen der ganz weithin vertretenen Ansicht im Rahmen der Zwei-Quellentheorie. 34 Angesichts dieser Rekonstruktion ist auch der Einwand gegen die These der *Ev-Priorität gegenstandslos, es müsse »erst einmal geklärt werden, wie die lukanischen Formulierungen δίδου und τὸ καθ’ ἡμέραν in einen vorlk Text geraten sein sollten.« 35 Die von Origenes (und Tertullian: quis dabit mihi panem c o t i d i a n u m ) für *Ev bezeugten »lk« Formulierungen standen gar nicht im vorkanonischen Text, sondern bezeugen die Interferenz zwischen den beiden Textüberlieferungen und sind erst sekundär in die von Origenes und Tertullian benutzten *Ev-Exemplare »hineingeraten«. 6. Sehr viel wichtiger als diese beiden Varianten ist das von Origenes bezeugte Possessivpronomen (τὸν ἄρτον) σ ο υ anstelle des kanonischen ἡ μ ῶ ν . Dieser Unterschied ist charakteristisch und aufschlussreich. Denn eine Veränderung von ἡμῶν zu σου ist angesichts der Dominanz der mt Fassung und ihrer durch Did 8,2 belegten liturgischen Verwendung seit dem 2. Jh. nicht mehr plausibel zu machen. Auch legt nichts eine marcionitische Änderung aus theologischen Gründen nahe: Prima facie spricht alles dafür, dass die vorkanonische Fassung in *Ev hier die Bitte ______________________________ 34 Vgl. dazu nur die lange Liste der Voten für die Ursprünglichkeit der mt Formulierung bei S H . C ARRUTH , A. G ARSKY , Q 11: 2b-4, 128-144, die schon mit B. W EISS , Das Matthäusevangelium und seine Lucas-Parallelen, Halle 1876, 185f, einsetzt. 35 W OLTER , Lk 3. 852 Anhang I 11,1-4 um dein Brot enthielt. Diese Überlegung entspricht auch der Faustregel, dass der am weitesten von der kanonischen Überlieferung entfernte Text am ehesten Anspruch auf Ursprünglichkeit besitzt. In diesem Fall sind die Gründe zu zeigen, aus denen Mt und - in seinem Gefolge - Lk daraus eine Bitte um unser Brot gemacht hatten. Die Annahme, dass die vorkanonische Fassung in *Ev nicht um unser Brot, sondern um dein Brot gebetet hatte, wirft ein neues Licht auf das notorische Problem der Bedeutung von ἐπιούσιος. Denn es ist davon auszugehen, dass das schwierige ἐπιούσιος mit größter Wahrscheinlichkeit bereits in *Ev stand: Andernfalls wäre es nicht zu erklären, wie Mt und Lk an dieser Stelle dazu kamen, ein derart ungebräuchliches Wort zu verwenden. 36 Denn das Adjektiv ἐπιούσιος wird sonst nur mit Zeitangaben gebraucht und ist in der hier vorliegenden Verwendung ein hapax legomenon. Bereits Origenes notierte, dass das Wort unbekannt und seine Bedeutung unklar sei: Da Griechen und »Weise« es nicht verwendeten und es auch im allgemeinen Sprachgebrauch fehle, sei es wohl eine Bildung der Evangelisten. 37 So lässt sich der semantische Gehalt des Wortes nur durch etymologische Ableitungen bestimmen - ein Verfahren, das schon die altkirchlichen Auslegungen angewandt hatten. Folgende Möglichkeiten werden erwogen: a. ἐπιούσιος wird auf οὐσία zurückgeführt. Wenn οὐσία im Sinn von substantia verstanden wird, ergibt sich aus der Kombination mit ἐπί die Bedeutung »über-substanzhaft« im Sinn von »himmlisch«. So hat die Vulgata das Adjektiv in Mt 6,11 übersetzt (panis supersubstantialis). Diese Deutung, die Hieronymus philologisch sehr genau begründet, 38 wird in der Regel abgelehnt, nicht nur, weil sie »eine verhängnisvolle Tendenz zur Spiritualisierung des Unservaters« zeige, 39 sondern auch, weil man sich ein solch spiritualisiertes Verständnis bereits im NT nicht vorstellen mag. Dieses Verständnis war weit verbreitet. Tertullian differenziert zwischen einem geistlichen und einem auf die irdischen Bedürfnisse bezogenen Verständnis der Brotbitte, wollte diese aber ______________________________ 36 W OLTER , Lk 407: Der Befund in Mt und Lk verlange es, dass »es ursprünglich nur eine einzige griechische Übersetzung (sic! ) des Vaterunsers gegeben haben muss, in der dieser Ausdruck geprägt wurde und die in seine beiden synoptischen Fassungen Eingang gefunden haben.« 37 Origenes, Orat. 27,7 (GCS 3, 366f) in der Auslegung der mt Brotbitte. 38 Hieronymus, Comm. in Mt 6,11 (H URST / A DRIAEN 37,769-787). Hieronymus zitiert Mt 6,11 (panem nostrum subersubstantialem da nobis hodie) und erklärt: »Was wir mit ›supersubstantialis‹ ausgedrückt haben, heißt auf Griechisch ἐπιούσιος. Dieses Wort haben die 70 Übersetzer durchweg mit περιούσιος übersetzt. Wir haben folglich im Hebräischen nachgesehen, und wo immer jene περιούσιος geschrieben hatten, haben wir ›sogolla‹ [ הלּגס ] gefunden, was Symmachus mit ἐξαίρετος, das heißt außerordentlich oder auserlesen (praecipuus vel egregius), übersetzt, wie es auch an diesem speziellen Ort zu verstehen ist. Wenn wir also bitten, dass Gott uns dieses Besondere oder Außerordentliche zuteilt, dann erbitten wir denjenigen als Brot, der sagt: Ich bin das Brot, das vom Himmel herabgestiegen ist.« 39 So die eigenwillige Bewertung durch L UZ , Mt I 345. 11,1-4 Rekonstruktion 853 doch »eher geistlich« verstanden wissen. 40 Vor allem Origenes 41 hat diese Deutung breit entfaltet: Die Brotbitte richte sich nicht auf »leibliches Brot«, sondern müsse geistig verstanden werden. Das entscheidende Argument sieht Origenes in der ἐπιούσιος-Qualität, durch welche das Brot eine Verbindung mit der οὐσία herstelle (27,9): Wer solche Nahrung erhält, wird zum Sohn Gottes (27,13). Ganz ähnlich kann noch Cyrill von Jerusalem formulieren: Das »gewöhnliche Brot« (ὁ ἄρτος ὁ κοινός) ist nicht ἐπιούσιος, sondern nur das »heilige Brot«, denn nur dieses ist (im »Gegensatz zu dem anderen«) »für das Wesen der Seele« bestimmt. 42 b. Versteht man οὐσία dagegen im Sinn von »Lebensunterhalt«, bedeutet die Kombination mit ἐπί etwa »für den Lebensunterhalt« im Sinn von »lebensnotwendig.« Allerdings gibt es hierfür eine Reihe von gebräuchlichen griechischen Adjektiven, z. B. ἐπιτήδειος oder ἀναγκαῖος. Warum sollte dafür ein kaum verständlicher Neologismus gebildet worden sein? Diese beiden Ableitungen 43 von ἐπί + einem Derivat von εἶναι/ οὐσία scheinen zudem mit der etymologischen Schwierigkeit belastet zu sein, dass in diesem Fall das Jota durch Elision ausfallen müsste: Zu erwarten wäre ἐπ-ούσιος anstelle von ἐπι-ούσιος. 44 c. Aus diesem Grund optieren heute die meisten Interpreten für eine Ableitung von ἐπιέναι (heran-, zukommen): ἡ ἐπιοῦσα ἡμέρα ist »der kommende Tag«. 45 Es kann durchaus sinnvoll sein, bereits »heute« (σήμερον, Mt 6,11) um das »morgige Brot« zu bitten, wenn man die Prozedur des Mahlens und Säuerns mit einrechnet. 46 Dass es dieses Verständnis auch gab, belegt wieder Hieronymus, der das entsprechende Verständnis der Bitte um das »morgige« Brot aus dem Hebräerevangelium referiert. 47 Diese Deutung, die sich dann auf die Sicherung der alltäglichen ______________________________ 40 Tert., Orat. 6,1: Zwar habe es die göttliche Weisheit sehr schön eingerichtet, dass im Vaterunser nach den caelestia (Gottes Namen, Gottes Willen, Gottes Reich) auch die terrenae necessitates bedacht seien, also ganz entsprechend der Aufforderung »Suchet zuerst das Reich Gottes, und dann wird euch auch dies hinzugegeben« (Mt 6,33; Lk 12,31). Aber er setzt hinzu: quamquam ›panem nostrum quotidianus da nobis hodie‹ s p r i t a l i t e r p o t i u s intellegamus (6,2). 41 Orig., Orat. 27,1-16; vgl. dazu W. G ESSEL , Theologie des Gebetes nach ›De Oratione‹ von Origenes, München u. a. 1975, 180ff; E. L. G RASMÜCK , Aspekte zur Auslegung des Vaterunsers in der Zeit der Alten Kirche, in: R. Hoppe, U. Busse (Hg.), Von Jesus zum Christus, Berlin - New York 1998, 485-505: 501ff. 42 Cyrillus Hier., Cat. Myst. 5,15 (FC 7, 156): ὁ δὲ ἄρτος οὗτος ὁ ἅγιος ἐπιούσιός ἐστιν, ἀντὶ τοῦ ἐπὶ τὴν οὐσίαν τῆς ψυχῆς κατατασσόμενος. 43 Wenig Befürworter hat die Lösung gefunden, ἐπιούσιος von ἐπὶ τὴν οὐσαν (ἡμέραν) abzuleiten: »Gib uns heute das Brot für diesen Tag« ist pleonastisch, abgesehen davon, dass für den »heutigen Tag« wiederum ein gebräuchliches Adjektiv (ἐϕήμερος) zur Verfügung gestanden hätte. Vor allem aber bleibt bei diesem Verständnis von ἐπιούσιος ungeklärt, wieso ἡμέρα in dieser Verbindung ausgefallen sein sollte. 44 Vgl. L UZ , Mt I 346. Allerdings hat Hieronymus, dem ja akzeptable Griechischkenntnisse nicht abzusprechen sind, dies offensichtlich anders gesehen, wenn er die Übersetzung supersubstantialis für ἐπιούσιος begründet. Wenigstens als Möglichkeit ist die Ableitung von ἐπί + εἶναι/ οὐσία jedenfalls zu erwägen; vgl. auch BDR § 124.2. 45 Vgl. Act 7,26; 16,11; 20,15; 21,18; 23,11 usw. 46 Vgl. dazu K. B ERGER , Manna, Mehl und Sauerteig, Stuttgart 1993, 75ff. 47 Hieronymus, Comm. in Mt 1,9 (zu Mt 6,11; CCL 77, 37): »In dem sogenannten Evangelium nach den Hebräern habe ich anstelle von ›zum Dasein notwendig‹ gefunden ›mahar‹, das heißt ›morgig‹ (crastinum), so dass der Sinn ist: ›Unser morgiges (crastinum)‹ - also: zukünftiges (futurum) - ›Brot gib uns heute‹.« 854 Anhang I 11,1-4 Ernährung richtet und »Brot« metonymisch als Grundnahrungsmittel versteht, ist jedenfalls dann plausibel, wenn die Beter (a) um unser Brot bitten und wenn die Bitte um das morgige Brot (b) wie bei Mt schon heute (σήμερον) ausgesprochen wird: Zugrunde liegt die bestimmende Relation heute/ morgen. Sehr viel weniger gut passt dieses Verständnis allerdings für die lk Fassung, die ja um die tägliche (καθ’ ἡμέραν) Gewährung des Brotes bittet: Die Bitte um das »morgige Brot« stört hier. Wenn die vorkanonische Fassung in *Ev hier aber die Bitte um dein Brot enthielt, stellt sich das Problem der Übersetzung von ἐπιούσιος noch einmal anders dar. In einem frühchristlichen Kontext referiert die Bitte um Gottes Brot am ehesten auf die metaphorische Bedeutung der »geistlichen Speise« im Gegensatz zu der täglichen, irdischen Nahrung. Solche »geistliche Speise« kann mit dem eucharistischen Brot in Verbindung gebracht werden, wie es ja schon sehr früh bezeugt ist. 48 Aber notwendig ist ein solcher eucharistischer Hintergrund für das Verständnis der »geistlichen Speise« keineswegs. Mit Blick auf die weite Verbreitung der konzeptuellen Metapher »Speise für Lehre« 49 kann die Bitte um »dein Brot« auch einfach auf die Gabe von Gottes Wort referieren, wie beispielsweise die Rezeption von Dtn 8,3 zeigt. Wegen dieses Gegensatzes zur täglichen Nahrung scheidet die sozialgeschichtlich plausible Deutung von ὁ ἐπιούσιος ἄρτος als »Brot von morgen« aus. Daher ist ὁ ἐπιούσιος ἄρτος genau das, was die Vulgata als panis supersubstantialis übersetzt: Das »übersubstanzhafte«, also das himmlische Brot. Zu dieser Deutung passt Tertullians Begründung, der hier auf den Gegensatz zwischen irdischer und geistlicher Nahrung abhebt und in diesem Zusammenhang das tägliche Brot der Engel vom Himmel her erwähnt. 50 7. Die mutmaßliche überlieferungsgeschichtliche Entwicklung der Brotbitte hatte ihren Ausgangspunkt in *Ev: Die Formulierung τὸν ἄρτον σ ο υ τὸν ______________________________ 48 Für den pneumatischen Charakter des eucharistischen Brotes (gerade im Gegensatz zur realen Speise) vgl. nur 1Kor 10,3f (πνευματικὸν βρῶμα; πνευματικὸν πόμα); Did 10,3 (τροϕήν τε καὶ ποτὸν ἔδωκας τοῖς ἀνθρώποις εἰς ἀπόλαυσιν … ἡμῖν δὲ ἐχαρίσω π ν ε υ μ α τ ι κ ὴ ν τ ρ ο ϕ ὴ ν καὶ ποτὸν καὶ ζωὴν αἰώνιον); Justin, 1Apol. 66,2); Iren., Haer. 4,18,5 (quemadmodum enim qui est a terra panis, percipiens invocationem Dei, iam n o n c o m m u n i s p a n i s est, sed eucharistia, ex duabus rebus constans, t e r r e n a e t c a e l e s t i s , sic et …); Ignatius, Rm 7,3 (τροϕὴ ϕθορᾶς - ἄρτος θεοῦ). 49 Vgl. Am 8,1ff; Jer 15,16; Jes 55,1ff; Prov 9,2ff (LXX); Sir 15,3 (ἄρτος συνέσεως); 24,21; Did 10,2 (γνῶσις). Philo, LegAll II 86; III 175; Sacr 86 etc. Zur Geschichte der Metapher und zu ihrem frühchristlichen Gebrauch vgl. P. B ORGEN , Bread from Heaven, Leiden 2 1981; M. K LINGHARDT , Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19 (2002), 183-202; J. H EILMANN , Wein und Blut, Stuttgart 2014, 174ff, etc. 50 Tert. 4,26,4: Quis dabit mihi panem cotidianum? qui nec milium mihi condit, an qui etiam de caelo panem angelorum cotidianum populo suo praestitit? Vgl. auch Tert., Orat. 6,2: »Gleichwohl sollten wir die Bitte ›Unser tägliches Brot gib uns heute (panem nostrum quotidianum da nobis hodie)‹ eher geistlich verstehen (spiritaliter potius intellegamus). Christus ist nämlich ›Unser Brot‹, weil Christus Leben und Brot des Lebens ist.« 11,1-4 Rekonstruktion 855 ἐπιούσιον δ ὸ ς ἡμῖν σ ή μ ε ρ ο ν bittet für »heute« um Brot, das mehr ist als reale, irdische Speise. Der spirituelle Charakter dieses panis supersubstantialis sollte nicht überraschen (und schon gar nicht als »Spiritualisierung« diffamiert werden): Er ist seit frühester Zeit (in eucharistischem und in nicht-eucharistischem Kontext) bezeugt und betont den Unterschied zwischen der realen und der geistlichen Speise. Die Stellung dieser Bitte um »himmlisches« Brot zwischen der Geistinvokation mit der Reinigungsbitte und der Bitte um Sündenvergebung passt ausgezeichnet zu diesem Verständnis. a. Mt hat diese Bitte aus dem vorkanonischen Evangelium übernommen und sie nur an einer kleinen Stelle verändert: Er hat (τὸν ἄρτον) σου durch ἡμῶν ersetzt: »Gib uns heute unser ἐπιούσιος Brot! « Diese Änderung bestimmt dann auch die Sinnrichtung für das Verständnis von ἐπιούσιος, denn die Bitte um »unser« Brot kann nur mit Schwierigkeiten auf das »himmlische Brot« (verstanden als Eucharistie oder als Lehre) bezogen werden. Sehr viel leichter ist die Annahme, dass sich die mt Bitte nicht auf die geistliche Speise, sondern auf die tägliche Versorgung mit Grundnahrungsmitteln bezieht. Dass unser Brot für heute (σήμερον) erbeten wird, qualifiziert das Verständnis von ἐπιούσιος: Es handelt sich um unser Brot »für morgen«. Dieses Verständnis ist nach Hieronymus’ Beschreibung auch vom Hebräerevangelium übernommen worden. b. Die lk Fassung der Brotbitte hat aus Mt das Possessivpronomen ἡμῶν übernommen, daneben aber δός durch δίδου und σήμερον durch τὸ καθ ʼ ἡμέραν ersetzt. Dadurch wird der iterative Sinn verstärkt, das Brot wird Tag für Tag erbeten. Unter der Voraussetzung, dass das Possessivpronomen ἡμῶν weniger gut auf die geistliche Speise als auf die Versorgung mit den täglichen Grundnahrungsmitteln referiert, würde ἐπιούσιος auch im lk Verständnis eher das Brot für »den kommenden Tag« als die geistliche Nahrung bezeichnen. Auch wenn die geistliche Nahrung die Eucharistie meinen sollte, ist dies nicht wahrscheinlich: Die Bitte um die tägliche Gewährung der Eucharistie ist erst im 3. Jh. bezeugt. 51 8. Für die Vergebungsbitte ist zweifelhaft, ob das direkte Zeugnis - in diesem Fall Tertullians - den vorkanonischen Text bietet oder eine bereits durch die kanonische Überlieferung kontaminierte Fassung darstellt: Seine Frage Quis mihi delicta dimittet? (4,26,4) setzt, genau wie der kanonische Text Lk 11,4, als Objekt der Vergebungsbitte τὰς ἁμαρτίας voraus. Allerdings haben D it u. a. an dieser Stelle das auch aus Mt 6,12 bekannte Objekt τὰ ὀϕειλήματα. Der redaktionelle Wechsel, der zwischen diesen beiden Fassungen liegt, ist von τὰ ὀϕειλήματα hin zu τὰς ἁμαρτίας sehr viel leichter vorstellbar als umgekehrt: Das spricht dafür, dass Mt diesen Wortlaut aus *Ev übernommen hat, erst Lk hätte dann die hinsichtlich ihrer ______________________________ 51 Vgl. Cyprian, Or. 18, der die Brotbitte auf den täglichen Empfang der Eucharistie bezog. 856 Anhang I 11,1-4 religiösen Qualität ambivalenten ὀϕειλήματα in eindeutige ἁμαρτίαι geändert. 52 Dieser Wechsel ist noch in der Fassung des Evangelium Palatinum (e) zu sehen, der eine perfekte Konflation aus dem vorkanonischen und dem kanonischen Text bietet (debita et peccata). Aus diesem Grund ist für die Rekonstruktion das sich aus der Textgeschichte ergebende Argument stärker zu gewichten als die direkte Bezeugung. Diese Berücksichtigung der handschriftlichen Überlieferung erlaubt dann auch die Einschätzung, dass der zweite Teil der Aussage im ältesten Evangelium enthalten war: Die Bearbeitungsspuren vor allem in D it sy sind so charakteristisch, dass sich die Annahme aufdrängt, dass dieser Satz in der aus Mt 6,12b bekannten Form in *Ev enthalten war: ὡς καὶ ἡμεῖς ἀϕίομεν τοῖς ὀϕειλέταις ἡμῶν. Daher sind die Lesarten ὡς καὶ ἡμεῖς und τοῖς ὀϕειλέταις ἡμῶν in D it sy usw. anstelle von καὶ γὰρ αὐτοί und παντὶ ὀϕείλοντι ἡμῖν nicht als Parallelstelleneinfluss zu beurteilen. Vielmehr hat Mt hier (wie auch an vielen anderen Stellen) den Wortlaut des ältesten Evangeliums übernommen, den die kanonische Redaktion dann geändert hat. Insgesamt bedeutet dies, dass der Verweis auf die eigene Vergebung in *Ev enthalten war. 9. Zu der Versuchungsbitte *11,4 hatte Harnack die Formulierung von Tertullians Referat (quis non sinet nos deduci in temptationem? ) rückübersetzt: καὶ μὴ ἄ ϕε ς ἡμᾶς ε ἰ σ ε ν ε χ θ ῆ ν α ι εἰς πειρασμόν und für diese Änderung theologische Gründe reklamiert. 53 Das theologische Interesse ist vermutlich richtig beschrieben, aber es wird kaum auf Marcion zurückgehen (und schon gar nicht auf seine mutmaßliche Textänderung), sondern auf Tertullian und dessen theologisches Interesse. Dies lässt sich leicht an Tertullians Auslegung des (kanonischen) Vaterunser zeigen: In Orat. 8,1-3 zitiert er den (kanonischen) Text der Versuchungsbitte in ihrer aktiven Form (ne nos inducas in temptationem), der er umgehend seine eigene Interpretation im Passiv folgen lässt: id est, ne nos patiaris induci, ab eo utique qui temptat. ceterum absit ut Dominus temptare videatur […] diaboli est et infirmitas et malitia. Tertullian unterstreicht hier ganz eindeutig sein eigenes Interesse, Gott nicht als denjenigen erscheinen zu lassen, der in Versuchung führt (absit, ut Dominus temptare videatur), ohne dass er dazu den Text des Vaterunser geändert hätte: Er interpretiert die aktive ______________________________ 52 Dieses überlieferungsgeschichtliche Urteil entspricht einem breiten Konsens im Horizont der Zwei-Quellentheorie, demzufolge die Zahl der Bitten bei Lk, ihre Formulierungen dagegen bei Mt der ursprünglichen »Q«-Fassung entsprechen, vgl. F R . N EIRYNCK , Documenta Q: Q 11,2b-4, in: ders., Evangelica III, Leuven 2001, 432-439; bei S H . C ARRUTH , A. G ARSKY , Q 11: 2b-4 (passim). 53 H ARNACK 208*: »ἄϕες κτλ. singulär und tendenziös.« T SUTSUI 99 präzisiert: »Absichtliche Textänderung Marcions, der meinte, dass sein Gott nicht das grammatische Subjekt der Verführung sein kann.« 11,1-4 Rekonstruktion 857 Bitte durch die passive Formulierung - und genau dies wird auch in seinem Referat des Vaterunser in *Ev der Fall sein. 54 Diese Überlegung ist von Bedeutung für die neueren Rekonstruktionen. So rekonstruiert B E D UHN 109 »And do not permit us to be brought to trial.« Zwar erkennt er Schmids Argument an, hält dann aber doch an Harnacks μὴ ἄϕες … fest, weil sich dadurch für das ganze Gebet eine chiastische Struktur ergebe: Zwei Pärchen mit dem jeweils gleichen Verb (ἐλθέτω … ἐλθέτω + ἄϕες … ἄϕες) rahmen die zentrale Brotbitte. Roth, für den die Analyse der Zitiergewohnheiten der häresiologischen Zeugen besonderes methodisches Gewicht besitzt, erkennt Schmids Argument ebenfalls an und stützt es sogar mit weiteren Argumenten, 55 erwähnt dann aber doch die Formulierung μὴ ἄϕες ἡμᾶς εἰσενεχθῆναι in seiner Rekonstruktion, wenn auch mit der Kennzeichnung, die den Zweifel ausdrückt. 56 Allerdings wurde die Versuchungsbitte in keiner einzigen Handschrift geändert, obwohl sie ja doch ein erkennbares theologisches Problem darstellte. Aber diesem Problem ist die Alte Kirche nicht mit Textänderungen, sondern mit Interpretationen begegnet. Nur unter der methodischen Prämisse, dass *Ev ein redigierter und theologisch geglätteter Text sei, konnte man auch für die Versuchungsbitte eine solche Änderung in Erwägung ziehen. Unter der Prämisse der *Ev-Priorität gibt es dagegen keinen Hinweis darauf, dass die Versuchungsbitte in *Ev anders als im kanonischen Text gelautet hatte. Tertullian, der die Bitten des Vaterunser ja einzeln durchgeht, zeigt keinerlei Kenntnis der Bitte um Erlösung von dem Bösen, die er in seiner Bibel ja selbstverständlich kennt. 57 Die handschriftliche Überlieferung dieser Bitte macht es wahrscheinlich, dass Tertullian sie in seiner Bibel nicht nur aus der mt Fassung kannte, sondern sie auch in Lk 11 fand. Wiederum legt die charakteristische Verteilung der Handschriften nahe, dass diese Bitte durch die kanonische Redaktion in den Text eingefügt wurde. Die textkritische Einschätzung, dass die Einfügung in der großen Mehrheit der Handschriften auf Parallelstelleneinfluss zurückzuführen ist (die im Apparat von NA 27 durch die Sigle p) angezeigt wird), ist dann ______________________________ 54 Auf diesen Sachverhalt hat U. B. S CHMID , How Can We Access Second Century Textes? , in: C.-B. Amphoux, J. K. Elliott (eds.), The New Testament Text in Early Christianity, Lausanne 2003, 139-150: 143f, aufmerksam gemacht. 55 R OTH , a. a. O. (Lord’s Prayer) 61f; zu den schon von Schmid beigebrachten Belegen für Tertullians Problembewusstsein fügt er noch die Deutung der Versuchungsbitte in Fug. 2,5 hinzu und verweist außerdem darauf, dass Harnack selbst schon früher diese Tendenz Tertullians erkannt hatte, sie hier aber nicht fruchtbar mache. 56 R OTH 421 setzt die Wendung kursiv und rechnet sie zu den »possible readings that are attested by a source, though ultimately no confidence can be placed in these readings being found in Marcion’s text« (R OTH 411). In dem ausführlicheren Beitrag steht die Wendung in Klammern mit dem Hinweis »… is attested, but it is uncertain whether this was the reading in Marcion’s text« (R OTH , The Text of the Lord’s Prayer, 63). 57 Tert., Orat. 8: ergo respondet clausula, interpretans quid sit Ne nos deducas in temptationem: hoc est enim, Sed devehe nos a malo. 858 Anhang I 11,1-4 insofern richtig, als die kanonische Redaktion den Lk-Text an die mt Fassung angeglichen hat; diese Angleichung ist allerdings kein sekundäres Phänomen das irgendwann in einem späteren Stadium der Textgeschichte aufgetreten ist, sondern Teil der Bearbeitung, die das NT erstellt hat. Die letzte Bitte des Vaterunser gehört also auch in der lk Fassung in den Text. 10. Eine letzte Beobachtung betrifft den narrativen Rahmen des Vaterunser. Seit über 100 Jahren werden im Horizont der Zwei-Quellentheorie Vermutungen darüber angestellt, ob »Q« eine narrative Einleitung zum Vaterunser besaß, und, wenn ja, ob diese eher Lk 11,1.2a oder eher Mt 6,7f entsprochen habe. 58 Die neuere Tendenz geht dahin, dem Vaterunser in »Q« eine Einleitung abzusprechen. 59 In diesem Fall hätte Lk hier eine Ätiologie für das Gebet geschaffen, das er aufgrund der liturgischen Verwendung seiner Zeit kannte. 60 Allerdings legt einmal mehr der Text von D d nahe, dass Jesus die Bitte »Lehre uns beten« schon im vorkanonischen Evangelium zunächst einmal mit einer Abgrenzung beantwortet hatte. 61 Dabei zeigt der D-Text seine Eigenständigkeit gegenüber der Parallele Mt 6: Ein synoptischer Parallelstelleneinfluss liegt hier kaum vor. Es lässt sich wahrscheinlich machen, dass die mt Fassung gegenüber dem D-Text von *11,2 sekundär ist. Denn wenn Mt 6,7 οἱ ἐθνικοί als negatives Beispiel für das »Plappern« anführt, dann ist dies wohl schon eine nur bedingt passende Adaption, die das von D bezeugte, ältere οἱ λοιποί in *Ev ersetzt. Das redaktionelle Interesse an dieser Änderung ist dann wohl darin zu sehen, dass οἱ ἐθνικοί Mt 6,7 die Johannesjünger aus der Schusslinie nimmt, denn nur die konnten ja mit den »übrigen« in D gemeint sein; dass οἱ ἐθνικοί hier schlecht passt, ist verschiedentlich aufgefallen. 62 Auch der Umstand, dass Mt 6,8 (im Unterschied zu *11,2 D) noch die Warnung μὴ οὖν ὁμοιωθῆτε αὐτοῖς anfügt, spricht dafür, dass Mt eine ältere Vorlage bearbeitet hat. Eine weitere kleine Änderung zeigt, dass der D-Text von *11,2 dem Gros der Handschriften vorausgeht. Denn dass Jesus im kanonischen Mehrheitstext seine Antwort an eine Gruppe richtet (εἶπεν δὲ αὐτο ῖ ς ), passt schlecht zu der Einleitung, derzufolge ja nur »einer seiner Jünger« fragt. Für *Ev fällt verschiedentlich auf, dass Jesus in deutlicher Distanz zu Jüngern und zu anderen Personen gezeigt wird, auch zum Täufer (wie sich aus *7,17-23 mit hinreichender Deutlichkeit ergibt); die kanonische Redaktion hat diese Distanz gemildert - nicht nur in *7,13ff, sondern auch hier. Das heißt: Das Vaterunser besaß schon in *Ev eine Einleitung, die der mt Fassung ähnelt und die sich in D noch gut erhalten hat. Die unvermittelte Nennung von Johannes und seinen μαθηταί stand bereits in *Ev und markierte hier eine ______________________________ 58 Vgl. das Material bei S H . C ARRUTH , A. G ARSKY , Q 11: 2b-4, 51-69. 59 In IQP 500 ist die Einleitung in der Q-Rekonstruktion ausgelassen. Dem entspricht das Urteil von Sh. Carruth und J. Robinson (in C ARRUTH / G ARSKY , a. a. O. 67-69). 60 Erwogen z. B. von W OLTER , Lk 404. 61 Diesen wichtigen Hinweis verdanke ich M. V INZENT , Methodological Assumptions in the Reconstruction of Marcion’s Gospel (Mcn), in: J. Heilmann, M. Klinghardt (Hg.), Das Neue Testament und sein Text im 2. Jahrhundert, Tübingen 2018, 183-222: 209ff. 62 V INZENT , a. a. O. 211 mit Anm. 113. 11,1-4 Rekonstruktion 859 deutliche Distanz zwischen Jesus und seinen Jüngern auf der einen Seite und Johannes und dessen Jüngern auf der anderen: Dass das Vaterunser ein überlegenes, gruppeneigenes Gebet ist, kommt in *Ev deutlicher zum Ausdruck als in den kanonischen Fassungen. Die kanonischen Fassungen haben, auf je eigene Weise, diese Distanz abzuschwächen versucht. Dieser Unterschied bestimmt dann auch die Gestalt des Gebetes. Mt hat sie in seinem paränetischen Zusammenhang ersetzt durch die Mahnung, dass sich das christliche Beten vom »Plappern« der Heiden unterscheiden soll. *11,5-13: Belehrung über das Beten Bezeugt und sicher in *Ev vorhanden, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die lk Redaktion bearbeitet. 11,5 Καὶ εἶπεν πρὸς αὐτούς, Τίς ἐξ ὑμῶν ἕξει ϕίλον καὶ πορεύσεται πρὸς αὐτὸν μεσονυκτίου καὶ a ἐρεῖ αὐτῷ, Φίλε, χρῆσόν μοι τρεῖς ἄρτους, 6 ἐπειδὴ ϕίλος μου b πάρεστιν ἀπ’ ἀγροῦ b καὶ οὐκ ἔχω ὃ παραθήσω αὐτῷ· 7 κἀκεῖνος ἔσωθεν ἀποκριθεὶς c ἐρεῖ, Μή μοι κόπους πάρεχε· ἤδη ἡ θύρα κέκλεισται, καὶ τὰ παιδία μου μετ’ ἐμοῦ εἰς τὴν κοίτην εἰσίν· οὐ δύναμαι ἀναστὰς δοῦναί σοι. 8 d {καὶ αὐτὸς εἰ ἐπιμένῃ κρούων,} d λέγω ὑμῖν, e [ εἰ καὶ ] e οὐ δώσει αὐτῷ ἀναστὰς διὰ τὸ εἶναι f αὐτὸν ϕίλον αὐτοῦ, f διά γε τὴν ἀναίδειαν αὐτοῦ ἐγερθεὶς δώσει αὐτῷ ὅσων χρῄζει. 9 κἀγὼ ὑμῖν λέγω, αἰτεῖτε, καὶ δοθήσεται g ὑμῖν · h [ ζητεῖτε, καὶ εὑρήσετε· ] h κρούετε, καὶ i ἀνοιχθήσεται ὑμῖν. 10 πᾶς γὰρ ὁ αἰτῶν λαμβάνει k [ καὶ ὁ ζητῶν εὑρίσκει ] k καὶ τῷ κρούοντι l ἀνοίγεται. 11 m ἐάν τινα ἐξ ὑμῶν αἰτήσῃ ὁ υἱὸς αὐτοῦ n ἄρτον, μὴ λίθον ἐπιδώσει αὐτῷ; n ἢ ἐὰν αἰτήσῃ ἰχθύν, μὴ ὄϕιν ἐπιδώσει αὐτῷ; 12 ἢ καὶ αἰτήσει ὠόν, μὴ ἐπιδώσει αὐτῷ σκορπίον; m 13 εἰ οὖν ὑμεῖς πονηροὶ o †ὄντες† οἴδατε δόματα ἀγαθὰ διδόναι τοῖς τέκνοις ὑμῶν, πόσῳ μᾶλλον ὁ πατὴρ p ὑμῶν ὁ ἐπουράνιος p δώσει q ἀγαθὸν δόμα q τοῖς αἰτοῦσιν αὐτόν. A. *11,5: Tert. 4,26,8: Sic et praemissa similitudo nocturnum panis petitorem amicum facit non alienum, et ad amicum pulsantem, non ad ignotum. Amicus autem, etiam si offendit, magis creatoris est homo quam dei Marcionis … ¦ Epiph., Schol. 24: καὶ εἶπεν Τίς ἐξ ὑμῶν ἕξει ϕίλον, καὶ πορεύσεται πρὸς αὐτὸν μεσονυκτίου αἰτῶν τρεῖς ἄρτους; ♦ *11,7: Tert. 4,26,8f: … Itaque ad eum pulsat ad quem ius illi erat, cuius ianuam norat, quem habere panes sciebat, cubantem iam cum infantibus quos nasci voluerat. (9) Etiam quod sero pulsatur, creatoris est tempus. Illius et serum cuius saeculum et saeculi occasus. Ad deum autem novum nemo sero pulsasset, tantum quod lucescentem … ♦ *11,8: Tert. 4,26,9: is et exsurgit et dat, etsi iam non quasi amico, non tamen quasi extraneo homini, sed quasi molesto, inquit. ♦ *11,9: Tert. 4,26,5: Proinde a quo petam ut accipiam? apud quem quaeram ut inveniam? ad quem pulsabo ut aperiatur mihi? quis habet 860 Anhang I 11,5-13 petenti dare, nisi cuius omnia, cuius sum etiam ipse qui peto? Quid autem perdidi apud deum illum, ut apud eum quaeram et inveniam? ¦ Epiph., Schol. 24: καὶ λοιπόν Ἀιτεῖτε, καὶ δοθήσεται. ♦ *11,11f: Epiph., Schol. 24: καὶ λοιπόν Ἀιτεῖτε, καὶ δοθήσεται. τίνα γὰρ ἐξ ὑμῶν τὸν πατέρα υἱὸς αἰτήσει ἰχθύν, καὶ ἀντὶ ἰχθύος ὄϕιν ἐπιδώσει αὐτῷ ἢ ἀντὶ ᾠοῦ σκορπίον; ¦ Adam. 2,20 (870f): (… λέγοντος ἐν τῷ εὐαγγελίῳ·) ἐάν τινα, ϕησίν, ἐξ ὑμῶν αἰτήσῃ ὁ υἱὸς αὐτοῦ ἄρτον, μὴ λίθον ἐπιδώσει αὐτῷ; ἢ ἐὰν αἰτήσῃ ἰχθύν, μὴ ὄϕιν ἐπιδώσει αὐτῷ; ἢ καὶ αἰτήσει ὠόν, μὴ ἐπιδώσει αὐτῷ σκορπίον; ♦ *11,13: Tert. 4,26,10: Itaque et spiritum sanctum is dabit apud quem est et non sanctus. ¦ Epiph., Schol. 24: εἰ οὖν ὑμεῖς πονηροὶ οἴδατε δόματα ἀγαθά, πόσῳ μᾶλλον ὁ πατήρ. ¦ Epiph. Elench. 24 (GCS 31, 135f): εἰ οὖν ὑμεῖς πονηροὶ οἴδατε δόματα ἀγαθὰ διδόναι τοῖς τέκνοις ὑμῶν, πόσῳ μᾶλλον ὁ πατὴρ ὑμῶν ὁ ἐπουράνιος. ¦ Adam. 2,20 (870f): εἰ οὖν ὑμεῖς πονηροὶ ὄντες οἴδατε δόματα ἀγαθὰ διδόναι τοῖς τέκνοις ὑμῶν καὶ τὰ ἑξῆς. B. a (11,5) ερει: A D K M R W Y Π 0211 Ψ f 13 892 1424 al aur b c gat i l q r 1 ¦ λεγει: d f ſſ 2 g 1 ¦ ειπη: M (*Ev non test.) ● b (11,6) παρεστιν απ αγρου/ supervenit agro: D d ¦ παρεγενετο εξ οδου προς με: a aur c f (ſſ 2 ) i l q r 1 M (*Ev non test.) ● c (11,7) ερει: D b i ¦ λεγει: d f ſſ 2 l q r 1 ¦ ειπη: M (*Ev non test.) ● d (11,8) και αυτος ει επιμενη κρουων/ et (at: c) ille si perseveraverit pulsans: aur c ſſ 2 i l r 1 ¦ και αυτος ει επιμενη: b ¦ και αυτος ει επιμενη κρουων αμην: gat ¦ om d f q vg M (*Ev non test.) ● e (11,8) ει και: om (Tert) D d (q) ¦ add a aur b c f ſſ 2 i l q r 1 M ● f (11,9) αυτον ϕιλον αυτου: D d ¦ αυτου ϕιλος: W f 13 ¦ αυτον ϕιλον: A 565 1424 pc ¦ ϕιλον αυτου: P 45.75 א B C L X Ψ it M (*Ev non test.) ● g (11,9) υμιν: om Epiph Δ* sy c ¦ add it M ● h (11,9) ζητειτε και ευρησετε: om sy c MacarAeg ¦ add Tert it M ● i (11,9) ανοιχθησεται: D E F G H U V W Y Γ Λ Ω 028 047 pm ¦ ανοιγησεται M (*Ev non test.) ● k (11,10) και ο ζητων ευρισκει: om Vita Alex. Acoem. 3,29 (679 PO 6) ¦ add it M (*Ev non test.) ● l (11,10) ανοιγεται: P 75 B D ¦ ανοιχθησεται: A E F G H K U V W Y Γ Δ Λ Π Ω 028 0211 pm ¦ ανοιγησεται: P 45 א C L Θ Ψ f 1.13 33 579 700 892 1241 2542 pm (*Ev non test.) ● m (11,11.12) Widersprüchliche Bezeugung: (1) εαν τινα εξ υμων αιτηση … μη επιδωσει αυτω σκορπιον: Adam ¦ (2) τινα δε εξ υμων τον πατερα αιτησει ο υιος: Epiph A C (W) Θ Ψ f 13 sy (p).h ¦ τις δε εξ υμων τον πατερα ο υιος αιτησει: D (33 892) ¦ τις δε εξ υμων τον πατ. αιτ.: א L (1241) pc aur c vg ¦ τινα δε εξ υμων αιτησει τον πατερα ο υιος: B; τινα … αιτησει πατ. υιος: P 75(*) ¦ τινα γαρ εξ υμ. πατ. αιτησει υιος: P 45 (f 1 ) ● n (11,11) Widersprüchliche Bezeugung: (1) αρτον μη λιθον επιδωσει αυτω: Adam א A C D L W Θ Ψ f 1.13 33 a a 2 aur b c d f q r 1 sy c.p.h bo ¦ (2) om Epiph P 45.75 B 1241 pc ſſ 2 i l sy s sa M ● o (11,13) Widersprüchliche Bezeugung: (1) οντες/ cum sitis: Adam א D K M X Π mult it (vgl. Mt 7,11) ¦ (2) om Epiph georg ¦ υπαρχοντες: M ● p (11,13) υμων ο (επ)ουρανιος/ vester caelestis: Epiph (Elench. 24) P 45 579 1424 pc l vg s ¦ om Epiph (Schol. 24) i ¦ ο εξ ουρανου: A B D W Θ f 1 sy h M ; εξ ουρανου: P 75 א L Ψ 33 892 2542 pc sa bo pt ¦ υμων ο εξ ουρανου: C (f 13 ) pc ● q (11,13) D it; δοματα αγαθα: Θ a 2 sy s ¦ πνευμα αγαθον: P 45 L pc aur vg sy hmg ¦ πνευμα αγιον: Tert M . C. Die Belehrung über das Beten stand in *Ev an der gleichen Stelle wie in Lk (also nach der Mitteilung des Vaterunser), und wie in Lk enthielt *Ev auch die zweiteilige Struktur: Das »Gleichnis vom bittenden Freund« (Vv. *5-8) mit der nachfolgenden doppelten Belehrung (*11,9.10) sowie das Gleichnis vom Vater, der von seinem Sohn um Nahrung gebeten wird (*11,11f) mit der anschließenden Belehrung in V. *13. Diese Bezeugung, die sich auf alle drei Hauptzeugen stützen kann, hat in erster Linie überlieferungsgeschichtliche Konsequenzen, wirft allerdings auch einige Fragen auf: Zum einen ist der Text teilweise widersprüchlich bezeugt, 11,5-13 Rekonstruktion 861 zum anderen lässt die an mehreren Stellen sehr disparate handschriftliche Überlieferung erkennen, dass hier der vorkanonische auf den kanonischen Text eingewirkt hat. 1. Für das erste Gleichnis vom bittenden Freund zeigt die handschriftliche Überlieferung einige Abweichungen, die sich am ehesten aus der Interferenz der vorkanonischen und der kanonischen Textüberlieferung erklären. Von geringem Gewicht sind dabei die Ersetzungen des mutmaßlich vorkanonischen (gleichwohl breit bezeugten) ἐρεῖ durch εἴπῃ in *11,5.7 sowie von πάρεστιν ἀπ’ ἀγροῦ *11,6 D d durch παρεγένετο ἐξ ὁδοῦ πρός με. Dies ist anders bei der nur in einem Teil der Altlateiner bezeugten Wendung καὶ αὐτὸς εἰ ἐπιμένῃ κρούων/ et ille si perseveraverit pulsans zu Beginn von *11,8; durch sie wird die Semantik des Gleichnisses nicht unerheblich verändert. Denn für den kanonischen Text, dem dieses Element der andauernden Störung des Schläfers fehlt, ist nicht wirklich auszumachen, warum die Bitte des nächtlichen Störers διά γε τὴν ἀναίδειαν αὐτοῦ gewährt wird (11,8b). Die Ausleger des kanonischen Lk haben dann auch sehr unterschiedliche und aufs Ganze kaum überzeugende Wege gesucht, die Qualifizierung der nächtlichen Bitte als ἀναίδεια im Sinn eines positiven Verhaltens zu verstehen. 1 Für den vorkanonischen Text ist klar: ἀναίδεια qualifiziert das Verhalten des Bittenden, es trägt eine negative Konnotation und ist auf die Persistenz des nächtlichen Störers bezogen. Wenn die Berücksichtigung dieser Wendung »die Interpreten nachhaltig in die Irre geführt habe«, 2 trifft dies nur für die kanonische Fassung zu, die den Hinweis auf das anhaltende Klopfen des Bittstellers - aus welchen Gründen auch immer - gestrichen hat. Die Zusage der Erhörungsgewissheit des Gebets hängt in dieser Form nicht allein an der Freundschaft zwischen dem Bittenden und dem Gebetenen, sondern auch an der Persistenz des Bittens. In der Sache entspricht diese Fassung des Gleichnisses der Gebetsparänese *18,1-8 (bezeugt; s. dort). In beiden Fällen ist der Erfolg des Gebetes auf Seiten der Bittenden - also des nächtlichen Störers bzw. der Witwe - davon abhängig, dass sie nicht von ihrem Bitten ablassen. In beiden Fällen ist also auch vorausgesetzt, dass die Bitte nicht sofort erfüllt wird: Das ist das ______________________________ 1 Eine Möglichkeit wurde darin gesehen, ἀναίδεια auf die Haltung des Schläfers zu beziehen: Er gewährt die Bitte, um die Beschämung zu vermeiden, die darin besteht, seinen Freundes- und Gastgeberpflichten nicht nachzukommen, vgl. etwa A. F. J OHNSON , Assurance for Man, JETS 22 (1979), 123-131; ähnlich N OLLAND , Lk II 624-626. Allerdings ist erstens ausdrücklich von der Unverschämtheit des Bittenden die Rede (διά γε τὴν ἀναίδειαν α ὐ τ ο ῦ ), zum anderen wird Beschämung in diesem Sinn immer durch Ableitungen von αἰσχυνausgedrückt: ἀναίδεια hat immer negative Konnotationen, vgl. K. S NODGRASS , Anaideia and the Friend at Midnight, JBL 116 (1997), 505-513 (dort auch weitere Lit.). 2 W OLTER , Lk 411 z. St. 862 Anhang I 11,5-13 eigentliche Thema von *18,1-8. Daneben entsprechen sich die beiden Gleichnisse darin, dass der Erfolg des Bittens nicht nur von der Persistenz des Bittenden abhängt, sondern auch davon, wie der Gebetene sie wahrnimmt. In beiden Fällen ist das nachhaltige Bitten aus Sicht des Gebetenen negativ besetzt: So, wie der ungerechte Richter die Bitte aus Furcht vor möglichen Tätlichkeiten der Witwe erfüllt (*18,5b), so erfüllt auch der nachts aufgeweckte Freund die Bitte wegen der Unverschämtheit des Bittenden. Die erste Pointe des Gleichnisses in *11,8 nimmt das Nebeneinander der beiden Motivationen auf: Die Bitte wird erfüllt wegen der Freundschaft (διὰ τὸ εἶναι ϕίλον αὐτοῦ) und wegen der ἀναίδεια des Bittenden. 2. Die zweite Pointe des Gleichnisses vom bittenden Freund *11,9f verlässt die Bildebene und spricht das Gebetsverhalten direkt an. Im kanonischen Text werden drei Glieder genannt (bitten - geben; suchen - finden; anklopfen - geöffnet bekommen), von denen aber nur das erste und das dritte eine Entsprechung auf der Bildebene besitzen: Der überraschend besuchte Freund »sucht« nicht, sondern weiß genau, wo und bei wem er um Brot nachsuchen muss: Er bittet und klopft an. Obwohl Tertullian das zweite Glied (suchen - finden) offensichtlich in seinem *Ev-Exemplar gelesen hat, 3 ist es fraglich, dass dies der vorkanonische Text war. Es fehlt in zwei (zugegebenermaßen entlegenen) patristischen Zeugen und in einigen wenigen Handschriften. Ich halte die beiden Wendungen ζητεῖτε καὶ εὑρήσετε (Lk 11,9) und καὶ ὁ ζητῶν εὑρίσκει (11,10) für redaktionelle Ergänzungen, die Lk aus Mt 7,7f übernommen hat. Die Einfügung geht also auf Mt zurück, in dessen Kontext sie auch sehr viel besser passt: Mt hat das Gleichnis vom bittenden Freund (*11,5-8) nicht aus *Ev übernommen und nur den zweiten Teil der Belehrung über das Gebet in seinen paränetischen Kontext in Mt 7 übernommen. 3. Die Rekonstruktion des zweiten Gleichnisses (*11,11f) und seiner Anwendung wirft größere Schwierigkeiten auf. Zunächst weichen die Referate des Gleichnisses *11,11f bei Epiphanius und Adamantius sowie die handschriftliche Bezeugung der (mt und) lk Fassung erheblich voneinander ab. Die folgende Übersicht macht nicht nur die Unterschiede, sondern auch den wahrscheinlichen Überlieferungsgang deutlich. ______________________________ 3 Tertullian verweist in der richtigen Reihenfolge auf die drei Glieder des kanonischen Textes (Tert. 4,26,5): Proinde a quo petam ut accipiam? apud quem quaeram ut inveniam? ad quem pulsabo ut aperiatur mihi? 11,5-13 Rekonstruktion 863 Adam. 2,20 (870f) Epiph., Schol. 24 Lk 11,11f (D) Mt 7,9f Lk 11,11f (NA 27 ) ἐάν τινα τίνα γὰρ τίς ἐστιν τίς ἐστιν τίνα δὲ ἐξ ὑμῶν ἐξ ὑμῶν ἐξ ὑμῶν ἐξ ὑμῶν ἐξ ὑμῶν τὸν πατέρα τὸν πατέρα ἄνθρωπος, τὸν πατέρα αἰτήσῃ ὁ υἱὸς αὐτοῦ υἱὸς ὁ υἱὸς αἰτήσει ὃν αἰτήσει ὁ υἱὸς αὐτοῦ αἰτήσει ὁ υἱὸς ἄρτον, ἄρτον ἄρτον μὴ λίθον ἐπιδώσει αὐτῷ; μὴ λίθον αὐτῷ ἐπιδώσει; μὴ λίθον ἐπιδώσει αὐτῷ; ἢ ἐὰν ἢ καὶ ἢ καὶ αἰτήσῃ ἰχθύν, αἰτήσει ἰχθύν ἰχθὺν αἰτήσει ἰχθὺν αἰτήσει ἰχθύν, μὴ καὶ ἀντὶ ἰχθύος μὴ ἀντὶ ἰχθύος μὴ καὶ ἀντὶ ἰχθύος ὄϕιν ἐπιδώσει αὐτῷ; ὄϕιν ἐπιδώσει αὐτῷ ὄϕιν αὐτῷ ἐπιδώσει ὄϕιν ἐπιδώσει αὐτῷ; ὄϕιν αὐτῷ ἐπιδώσει; ἢ καὶ αἰτήσει ἢ ἀντὶ ἐὰν δὲ καὶ ἢ καὶ αἰτήσει ὠόν, ᾠοῦ ᾠόν αἰτήσει ᾠόν, μὴ ἐπιδώσει αὐτῷ μὴ ἐπιδώσει αὐτῷ σκορπίον; σκορπίον; σκορπίον αὐτῷ ἐπιδώσει; σκορπίον; a. Ausgangspunkt der Erklärung dieses disparaten Befundes sind zunächst die Abweichungen in Mt und Lk bezüglich der jeweils genannten Beispiele: Mt nennt die beiden Paare Brot/ Stein und Fisch/ Schlange, die Mehrheit der Handschriften für Lk dagegen Fisch/ Schlange und Ei/ Skorpion. Der D-Text von Lk 11,11f und *Ev (nach dem Zeugnis des Adamantius) haben dagegen alle drei Elemente in der gleichen Reihenfolge (Brot/ Stein; Fisch/ Schlange; Ei/ Skorpion). Auf den ersten Blick erscheinen der D-Text und *Ev wie eine Konflation aus Mt und Lk. Aber die Uneinheitlichkeit, mit der Lk 11,11f in den Handschriften überliefert ist, spricht entschieden gegen diese Annahme: Das Glied Brot/ Stein (αρτον μη λιθον επιδωσει αυτω η και) taucht nicht nur in Mt sowie bei Adam. und in Lk 11,11 (D) an erster Stelle auf, sondern begegnet noch in einer langen Reihe weiterer Handschriften, wenn auch nicht in exakt derselben Form: א A C D L W Θ Ψ f 1.13 33 a a 2 aur b c d f q r 1 sy c.p.h bo. Die große Breite der Bezeugung spricht gegen die Eintragung der synoptischen (mt) Parallele in den Lk-Text, so dass die Annahme einer Konflation ihre Wahrscheinlichkeit verliert. Vor dem Hintergrund der *Ev-Priorität liegt dagegen nahe, dass die dreigliedrige Fassung ursprünglich war, aber sowohl von Mt als auch von Lk um jeweils ein Glied gekürzt wurden. b. Unklar ist die syntaktische Form des Gleichnisses: Die Frageeinleitung τίς ἐστιν ἐξ ὑμῶν, die in Parallele zum ersten Gleichnis *11,5 steht, findet sich im D- 864 Anhang I 11,5-13 Text sowie in Mt (der allerdings das erste Gleichnis gar nicht rezipiert hat). Diese Einleitung ist ausgesprochen schwierig, denn die Angeredeten sollen sich jetzt nicht mit dem Bittenden, sondern dem Gebetenen vergleichen. Gegenüber dem ersten Gleichnis nimmt das zweite einen Perspektivewechsel vor, der sich in einem Subjektwechsel ausdrückt: Der Gebetene, um den es jetzt geht, erscheint in dieser Frage als indirektes Objekt im Akkusativ. Diesen Akkusativ haben die anderen Fassungen direkt in der Fragen: »Wen von euch bittet sein Sohn …«, wobei Epiphanius und Lk den Gebetenen gleich als »Vater« präzisieren. In Mt 7,9 und Lk 11,11 D ist der Akkusativ nach der τίς ἐστιν-Einleitung dagegen nachgetragen: Mt tut dies mit einem nachgeschobenen Relativsatz und fügt als Referenzpunkt noch »ein Mensch« ein (ἄνθρωπος, ὃν αἰτήσει ὁ υἱὸς αὐτοῦ); D bricht dagegen alle syntaktischen Regeln, vollzieht den Subjektwechsel mitten im Satz und präzisiert den Nominativ τίς durch den Akkusativ τὸν πατέρα. Diese Fassung in D ist mit Abstand die problematischste. Aber ist sie deshalb auch die ursprüngliche? Die Existenz von Solözismen besagt für den Gang der Überlieferungsgeschichte nicht viel, denn der syntaktische Bruch kann ebenso gut zu Beginn der Überlieferung wie in einem späteren Stadium aufgetreten sein. Eine überlieferungsgeschichtliche Option lässt sich nur aus der syntaktischen Struktur der Frage ableiten. c. Denn neben der Eingangswendung ist auch die syntaktische Form der rhetorischen Fragen unterschiedlich überliefert. Auf der einen Seite (bei Adamantius in den ersten beiden Gliedern, im D-Text im letzten) findet sich die Formulierung als Konditionalsatz mit verneinter Frage (in der Funktion der rhetorischen Frage, die eine verneinte Antwort impliziert: »Wenn einen von euch sein Sohn bittet, gibt er ihm dann etwa …? «). Auf der anderen Seite folgt auf die direkte Frage ein Konsekutivsatz (»welchen von euch bittet sein Sohn … und er gibt ihm …? «), so bei Epiphanius und im Mehrheitstext von Lk. Mt hat die direkte Frage durch den nachfolgenden Relativsatz umgekehrt und lässt die verneinte (rhetorische) Frage folgen. Da die Angeredeten sich mit dem Gebetenen vergleichen sollen, ist die direkte Frage (Epiphanius, Lk und - mit Einschränkungen - Mt) die näherliegende Variante, die den Vergleichspunkt deutlicher herausstellt. Dann liegt nahe, dass die Einleitung mit Konditionalsatz (Adamantius; D) den schwierigeren vorkanonischen Text bietet, der redaktionell korrigiert wurde. 4. Die Anwendung des zweiten Bildwortes mit dem a-fortiori-Schluss ist in den Handschriften uneinheitlich überliefert und wirft zwei Fragen auf. a. Epiphanius referiert den Text in Schol. 24 und im dazugehörigen Elenchus unterschiedlich: Im ersten Fall ist der πόσῳ μᾶλλον-Schluss mit absolutem ὁ πατήρ formuliert, im Elenchus dagegen steht ὁ πατὴρ ὑ μ ῶ ν ὁ ἐ π ο υ ρ ά ν ι ο ς . 11,5-13 Rekonstruktion 865 Semantisch liegt kein Unterschied vor, weil die Anwendung sehr deutlich die Bildebene des Gleichnisses verlassen hat: Es ist klar, dass es sich um den »himmlischen Vater« handelt, den die Mehrheit der kanonischen Handschriften hier mit einer nominalen Apposition auch als solchen qualifiziert: (ὁ) ἐξ οὐρανοῦ. Die Formulierung bei Epiph., Elench. 24 (mit Possessivpronomen und Apposition mit Adjektiv) hat in der handschriftlichen Überlieferung verschiedene Spuren hinterlassen, die auf diese sehr wahrscheinlich vorkanonische Formulierung zurückgehen. 4 b. Aufschlussreicher ist dagegen die Frage, ob *11,13b eine »gute Gabe« oder den »Heiligen Geist« erwähnt hat. Auf der einen Seite hat Tertullians *Ev-Exemplar eindeutig den Heiligen Geist erwähnt. 5 Auf der anderen Seite bieten Adamantius und die für textliche Interferenzen so anfälligen Handschriften D it die »gute Gabe« (ἀγαθὸν δόμα). Da auch hier wieder ein Teil der Handschriften die klassische Konflation aus diesen beiden Lesarten bietet (πνεῦμα ἀγαθόν: P 45 L pc aur vg sy hmg ), wird Adamantius den vorkanonischen Text zitiert haben, der sich auch in den »Westlichen« Zeugen erhalten hat. Für diese Lösung spricht auch, dass Mt dieser Fassung sachlich entspricht (Mt 7,11: ἀγαθά). Die Erwähnung des Heiligen Geistes als Gabe des »Vaters aus dem Himmel« ist also eine Korrektur der lk Redaktion. Tatsächlich ist hier der Horizont der Erzählung verlassen, weil die Gabe des Geistes aus dem Himmel im redaktionellen Konzept von Lk-Act erst in Act 2 erzählt wird: Das ist eines der wesentlichen und kompositionell herausgehobenen Elemente des redaktionellen Konzeptes. Tertullians *Ev-Exemplar mit der Erwähnung des Heiligen Geistes ist demnach durch die kanonische Textüberlieferung »kontaminiert«. 5. Überlieferungsgeschichtlich ist an der Gebetsparänese *11,5-13 in erster Linie von Interesse, dass Mt Texte aus *Ev sehr selektiv übernommen hat: Das erste Gleichnis vom bittenden Freund fehlt bei ihm, weil es nicht in das kompositionelle Konzept der Bergpredigt passt. Gleichwohl hat Mt die sich in *Ev daran anschließende Belehrung übernommen: Sie ist bei ihm - auch durch die Einfügung des Satzes über das Suchen und Finden - zu einer generellen Regel geworden, die ihre Bestätigung durch das nachfolgende Bildwort erhält: Weil ein Vater seinem Sohn »gute Gaben« gibt und ihn nicht mit Steinen anstelle von Brot abspeist, sollen Jünger nur immer bitten. ______________________________ 4 Mit adjektivischer Apposition und Possessivpronomen: P 45 579 1424 pc l vg s . Eine Konflation - Possessivpronomen wie Epiphanius usw., nominale Apposition wie die Mehrheit der Handschriften - bieten C (f 13 ) pc. 5 Tert. 4,26,10: Itaque et s p i r i t u m s a n c t u m is dabit ... 866 Anhang I 11,14-32 *11,14-22.23-26.27-29 30-32 : Exorzismus des stummen Dämons. Beelzebulkontroverse. Rückkehr der Dämonen. Seligpreisung der Hörer des Wortes Gottes. Verweigerung eines Zeichens. Zeichen des Jona Teilweise für *Ev bezeugt und sicher vorhanden, aber durch die lk Redaktion bearbeitet und ergänzt. 11,14 a ταῦτα δὲ εἰπόντος αὐτοῦ προσϕέρεται αὐτῷ δαιμονιζόμενος κωϕός, καὶ ἐκβάλοντος αὐτοῦ πάντες ἐθαύμαζον. a 15 τινὲς δὲ ἐξ αὐτῶν εἶπον, Ἐν Βεελζεβοὺλ τῷ ἄρχοντι τῶν δαιμονίων ἐκβάλλει τὰ δαιμόνια· b ὁ δὲ ἀποκριθεὶς εἶπεν· πῶς δύναται Σατανᾶς Σατανᾶν ἐκβαλεῖν; b 16 ἕτεροι δὲ πειράζοντες σημεῖον ἐξ οὐρανοῦ ἐζήτουν παρ’ αὐτοῦ. 17 αὐτὸς δὲ εἰδὼς αὐτῶν τὰ διανοήματα εἶπεν αὐτοῖς, Πᾶσα βασιλεία c διαμερισθεῖσα ἐϕ’ ἑαυτὴν c ἐρημοῦται, καὶ οἶκος ἐπὶ οἶκον πίπτει. 18 εἰ δὲ καὶ ὁ Σατανᾶς ἐϕ’ ἑαυτὸν διεμερίσθη, d οὐ σταθήσεται ἡ βασιλεία αὐτοῦ. ὅτι λέγετε ἐν Βεελζεβοὺλ ἐκβάλλειν με τὰ δαιμόνια. 19 εἰ δὲ ἐγὼ ἐν Βεελζεβοὺλ ἐκβάλλω τὰ δαιμόνια, οἱ υἱοὶ ὑμῶν ἐν τίνι ἐκβάλλουσιν; διὰ τοῦτο e αὐτοὶ ὑμῶν κριταὶ ἔσονται e . 20 εἰ δὲ ἐν δακτύλῳ θεοῦ f ἐγὼ ἐκβάλλω τὰ δαιμόνια, ἄρα g ἤγγικεν ἐϕ’ ὑμᾶς ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ. 21 ὅταν ὁ ἰσχυρὸς καθωπλισμένος ϕυλάσσῃ τὴν ἑαυτοῦ αὐλήν, ἐν εἰρήνῃ ἐστὶν τὰ ὑπάρχοντα αὐτοῦ· 22 ἐπὰν δὲ ἰσχυρότερος h [ αὐτοῦ ] ἐπελθὼν νικήσῃ αὐτόν, τὴν πανοπλίαν αὐτοῦ αἴρει ἐϕ’ ᾗ ἐπεποίθει, καὶ τὰ σκῦλα αὐτοῦ διαδίδωσιν. ¿23 ὁ μὴ ὢν μετ’ ἐμοῦ κατ’ ἐμοῦ ἐστιν, καὶ ὁ μὴ συνάγων μετ’ ἐμοῦ σκορπίζει.? 24 Ὅταν i δὲ τὸ ἀκάθαρτον πνεῦμα ἐξέλθῃ ἀπὸ τοῦ ἀνθρώπου, διέρχεται δι’ ἀνύδρων τόπων ζητοῦν ἀνάπαυσιν, καὶ μὴ εὑρίσκον, k [ τότε ] λέγει, ῾Υποστρέψω εἰς τὸν οἶκόν μου ὅθεν ἐξῆλθον· 25 καὶ ἐλθὸν εὑρίσκει l σχολάζοντα σεσαρωμένον καὶ κεκοσμημένον. 26 m [ τότε ] πορεύεται καὶ παραλαμβάνει ἕτερα πνεύματα πονηρότερα ἑαυτοῦ ἑπτά, καὶ εἰσελθόντα κατοικεῖ n [ ἐκεῖ ] , καὶ γίνεται τὰ ἔσχατα τοῦ ἀνθρώπου ἐκείνου χείρονα τῶν πρώτων. 27 Ἐγένετο δὲ ἐν τῷ λέγειν αὐτὸν ταῦτα ἐπάρασά τις ϕωνὴν γυνὴ ἐκ τοῦ ὄχλου εἶπεν αὐτῷ, Μακαρία ἡ κοιλία ἡ βαστάσασά σε καὶ μαστοὶ οὓς ἐθήλασας. 28 αὐτὸς δὲ εἶπεν, Μενοῦν μακάριοι οἱ ἀκούοντες τὸν λόγον τοῦ θεοῦ καὶ o ποιοῦντες. 29 Τῶν δὲ ὄχλων ἐπαθροιζομένων ἤρξατο λέγειν, Ἡ γενεὰ αὕτη γενεὰ πονηρά ἐστιν· σημεῖον ζητεῖ, καὶ σημεῖον οὐ δοθήσεται αὐτῇ p εἰ μὴ τὸ σημεῖον Ἰωνᾶ. 30 καθὼς γὰρ ἐγένετο Ἰωνᾶς τοῖς Νινευίταις σημεῖον, οὕτως ἔσται καὶ ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου τῇ γενεᾷ ταύτῃ. 31 βασίλισσα νότου ἐγερθήσεται ἐν τῇ κρίσει μετὰ τῶν ἀνδρῶν τῆς γενεᾶς ταύτης καὶ κατακρινεῖ αὐτούς· ὅτι ἦλθεν ἐκ τῶν περάτων τῆς γῆς ἀκοῦσαι τὴν σοϕίαν Σολομῶνος, καὶ ἰδοὺ πλεῖον Σολομῶνος ὧδε. 11,14-32 Rekonstruktion 867 q 32 ἄνδρες Νινευῖται ἀναστήσονται ἐν τῇ κρίσει μετὰ τῆς γενεᾶς ταύτης καὶ κατακρινοῦσιν αὐτήν· ὅτι μετενόησαν εἰς τὸ κήρυγμα Ἰωνᾶ, καὶ ἰδοὺ πλεῖον Ἰωνᾶ ὧδε . q p A. *11,14f.19: Tert. 4,26,10: Cum surdum daemonium expulisset (ut et in ista specie curationis Esaiae occurrisset), in Beelzebub dictus eicere daemonia, Si ego, inquit, in Beelzebub eicio daemonia, filii vestri in quo eiciunt? ♦ *11,18f: Tert. 4,26,10f: Nam si putas sic accipiendum: (11) Si ego in Beelzebub filii vestri in quo, quasi illos suggillaret in Beelzebub eicientes, resistet tibi prior sensus, non posse satanam dividi adversus semetipsum. ♦ *11,20: Tert. 4,26,11: Adeo nec illi in Beelzebub eiciebant, sed, ut diximus, in virtute creatoris, quam ut intellegi faceret, subiungit: Quodsi ego in digito dei expello daemonia, ergone appropinquavit in vos regnum dei? Apud Pharaonem enim venefici illi adhibiti adversus Moysen virtutem creatoris digitum dei appellaverunt (Ex 8,19). Digitus dei est hoc quod significaret etiam modicum, validissimum tamen. ♦ *11,21f: Tert. 4,26,12: Merito igitur applicuit ad parabolam fortis illius armati, quem validior alius oppressit, principem daemoniorum, quem Beelzebub et satanam supra dixerat, significans digito dei oppressum, non creatorem ab alio deo subactum. Ceterum quomodo adhuc staret regnum eius in suis terminis et legibus et officiis quem, licet integro mundo, vel sic potuisset videri superasse validior ille deus Marcionis, si non secundum legem eius etiam Marcionitae morerentur, in terram defluendo, saepe et a scorpio docti non esse superatum creatorem? ¦ Tert. 5,6,7: etiam parabola fortis illius armati, quem alius validior oppressit et vasa eius occupavit, si in creatoris accipitur apud Marcionem, iam nec ignorasse ultra potuit creator deum gloriae dum ab eo opprimitur … ♦ *11,26: Tert. 5,6,7: etiam parabola fortis illius armati, quem alius validior oppressit et vasa eius occupavit … ♦ *11,27f: Tert. 4,26,13: Exclamat mulier de turba beatum uterum qui illum portasset, et ubera quae illum educassent. Et dominus, Immo beati qui sermonem dei audiunt et faciunt: quia et retro sic reiecerat matrem aut fratres, dum auditores et obsecutores dei praefert. Nam nec hic mater assistebat illi. Adeo nec retro negaverat natum. Cum id rursus audit, rursus proinde felicitatem ab utero et uberibus matris suae transtulit in discipulos, a qua non transtulisset si eam non haberet. ♦ *11,29: Tert. 4,27,1: Alibi malo purgare quae reprehendunt Marcionitae in creatore. Hic enim sufficit si ea in Christo reperiuntur. Ecce inaequalis et ipse, inconstans, levis, aliud docens aliud faciens, iubet omni petenti dare, et ipse signum petentibus non dat. Tanto aevo lucem suam ab hominibus abscondit, et negat lucernam abstrudendam, sed confirmat super candelabrum proponendam, ut omnibus luceat. Vetat remaledicere, multo magis utique maledicere, et Vae ingerit pharisaeis et doctoribus legis. Quis est tam similis dei mei Christus nisi ipsius? ♦ 11,30-32 : Epiph., Schol. 25: παρέκοπται τὸ περὶ Ἰωνᾶ τοῦ προϕήτου. εἶχεν γάρ Ἡ γενεὰ αὕτη, σημεῖον οὐ δοθήσεται αὐτῇ. οὐκ εἶχεν δὲ περὶ Nινευὴ καὶ βασιλίσσης νότου καὶ Σαλομῶνος. B. a (11,14) ταυτα δε ειποντος αυτου προσϕερεται αυτω δαιμονιζομενος κωϕος, και εκβαλοντος αυτου παντες εθαυμαζον: D d (a 2c c f; vgl. Mt 9,32f; 12,22f) ¦ και ην εκβαλλων δαιμονιον, και αυτο ην κωϕον· εγενετο δε του δαιμονιου εξελθοντος ελαλησεν ο κωϕος. και εθαυμασαν οι οχλοι: aur (b) e ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● b (11,15) ο δε αποκριθεις … σαταναν εκβαλειν: D X 213 349 1604; ο δε αποκριθεις … σαταναν εκβαλλειν: A M mult a 2c d sy h ; και αποκριθεις … σαταναν εκβαλειν: K Π mult r 1 ¦ om a aur b ſſ 2 i l q M (*Ev non test.) ● c (11,17) διαμερισθεισα εϕ εαυτην: א A D L 33 892 pc a 2 (μερισθ. εϕ εαυτ.: P 45 Ψ) ¦ (2 3 1) εϕ εαυτην (δια)μεριςθεισα: P 75 B f 1.13 C W Γ Θ 579 2542 al M (*Ev non test.) ● d (11,18) ου: D d ¦ om a 2 aur b c f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● e (11,19) αυτοι υμων κριται εσονται: P 75 B D 579 700 pc a 2 (c) ¦ (1 3 4 2): א pc b f ſſ 2 i l q r 1 ¦ (1 4 3 2): P 45 ¦ (3,2,1,4): Γ Δ 565 1424 pm (aur vg) ¦ (1 3 2 4): A C K L W Θ Ψ f 1.13 33 892 1241 2542 868 Anhang I 11,14-32 pm aur vg (*Ev non test.) ● f (11,20) εγω: Tert P 75 א 1 B C D L f 13 33 579 892 al c d sy h** co ¦ om P 45 A W Θ Ψ f 1 a 2 aur b f ſſ 2 i l q r 1 vg M ● g (11,20) ηγγικεν/ adpropinquavit: Tert d ¦ εϕθασεν/ praevenit (provenit, pervenit): D a 2 aur b c f ſſ 2 i l q r 1 M ● h (11,22) αυτου: om P 45.75 D 1241 d ¦ add Tert aur b c f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ αυτου εστιν: א * ● i (11,24) δε: P 45.75 D W 1241 2542 al aur b d sy h sa bo pt (vgl. Mt 12,43a) ¦ om a 2 c e f ſſ 2 q r 1 (et cum: i l) M (*Ev non test.) ● k (11,24) τοτε: om P 45 א * A C D W Ψ f 1.13 a 2 aur c d e f ſſ 2 i q r 1 sy s.c.p ¦ add P 75 א 2 B L Θ Ξ 070 33 579 892 1241 pc b l sy h co (*Ev non test.) ● l (11,25) σχολαζοντα/ vacantem: א 2 B C L Γ Ξ Ψ f 1.13 33 579 892 2542 al f l r 1 sy h** bo (vgl. Mt 12,44) ¦ om P 75 א * A D W Θ 070 a 2 aur b c d e ſſ 2 i q vg sy s.c.p sa M (*Ev non test.) ● m (11,26) τοτε: om D d sy c bo ms georg I.II aeth (Bodl. 41) ¦ και τοτε: 1242* ℓ950 aur b ſſ 2 g 1 gat i l vg ¦ τοτε: add a 2 c f q r 1 M (*Ev non test.) ● n (11,26) εκει: om C* vid D 33 a 2 b d e ſſ 2 i l q ¦ add εκει/ ibi: aur c f vg (illic: r 1 ) M (*Ev non test.) ● o (11,28) ποιουντες/ faciunt: Tert 131 2643 q sy p(1 ms).h armen mss aeth (Bodl. 40) ¦ ϕυλασσοντες/ custodiunt: a a 2 aur b c d f ſſ 2 i r 1 M ● p (11,29b-32): om Epiph ¦ add it M (zu weiteren Veränderungen s. u.) ● q (11,32) ανδρες Νινευιται αναστησονται … πλειον Ιωνα ωδε: vs. om D d ¦ add it M . C. Wie im kanonischen Text schließt in *Ev an die Belehrung über das Beten der äußerst knapp berichtete Exorzismus des stummen Dämons an, der den Anlass für die sog. Beelzebuldebatte, die nachfolgende Belehrung über die Rückkehr der Dämonen sowie den Makarismus der Hörer und Täter des Wortes Gottes bildet. Dass auch die häufig gesondert behandelte Abweisung der Zeichenforderung *11,29 in diesen Kontext gehört (und deswegen an dieser Stelle mit behandelt wird), ist im Weiteren zu zeigen. Dieser längere Zusammenhang ist im Kern für *Ev bezeugt: Tertullian teilt einige sehr allgemeine Informationen zum narrativen Setting des eigentlichen Exorzismus mit, zitiert aus den beiden zentralen Logien der Beelzebuldebatte (*11,20f) sowie die beiden nachfolgenden Makarismen (*11,27f). Dass am Schluss der ganzen Einheit die Ablehnung eines Zeichens mitgeteilt war, ist nicht nur durch Tertullian bezeugt, sondern auch durch Epiphanius, der für Lk 11,30-32 einen eindeutigen Auslassungsvermerk liefert. Das einzige längere Stück, für das keine direkte Bezeugung existiert, ist die Belehrung über die Rückkehr des exorzisierten Dämons (*11,24-26); wie zu zeigen ist, war sie wahrscheinlich ebenfalls in *Ev vorhanden. Demnach besaß die ganze Perikope in *Ev die gleiche Struktur wie im kanonischen Text. Alle weitergehenden Überlegungen sind auf die indirekten Hinweise der handschriftlichen Zeugnisse sowie auf überlieferungsgeschichtliche Erwägungen angewiesen, die für diese Perikope wegen der Überschneidungen mit Mt 9,32-34; 12,22-30.38-42.43-45 und Mk 3,22-27; 8,11f ohnehin von besonderer Bedeutung sind. 1. In der Einleitung zur Beelzebuldebatte bietet D (jeweils zusammen mit einer Reihe weiterer Zeugen) an zwei Stellen einen von der Mehrheit der kanonischen Handschriften stark abweichenden Text. 11,14-32 Rekonstruktion 869 a. In *11,14 verbindet der D-Text, nicht gerade sehr überzeugend, die Exorzismusszene mit dem Vorangehenden. 1 Gegen die Mehrheit der Handschriften stimmt die Eingangswendung in V. *14 D (προσϕέρεται αὐτῷ δαιμονιζόμενος κωϕός) mit Mt 9,32 überein, auch die Dublette Mt 12,22a zeigt noch diesen Einfluss. *11,14 D Mt 9,32f Mt 12,22f ταῦτα δὲ εἰπόντος αὐτοῦ αὐτῶν δὲ ἐξερχομένων ἰδοὺ προσϕέρεται αὐτῷ προσήνεγκαν αὐτῷ τότε προσηνέχθη αὐτῷ ἄνθρωπον δαιμονιζόμενος κωϕός, κωϕὸν δαιμονιζόμενον· δαιμονιζόμενος τυϕλὸς καὶ κωϕός· καὶ ἐκβάλοντος καὶ ἐκβληθέντος καὶ ἐθεράπευσεν αὐτοῦ τοῦ δαιμονίου αὐτόν, ἐλάλησεν ὁ κωϕός. ὥστε τὸν κωϕὸν λαλεῖν καὶ βλέπειν. πάντες ἐθαύμαζον καὶ ἐθαύμασαν οἱ ὄχλοι καὶ ἐξίσταντο πάντες οἱ ὄχλοι λέγοντες … καὶ ἔλεγον … Beide mt Fassungen zeigen enge Berührungen mit *11,14 D: Mit Mt 12,22f stimmen überein das Passiv (προσϕέρεται *11,14 || προσηνέχθη Mt 12,22), die pronominale Erwähnung des Dämons beim Exorzismus/ bei der Heilung (ἐκβάλοντος αὐτοῦ || ἐθεράπευσεν αὐτόν) sowie »alle« in der Reaktion der Menge (πάντες ἐθαύμαζον || ἐξίσταντο πάντες). Mit Mt 9,32f ist *11,14 D dagegen verbunden durch die Kennzeichnung des Besessenen (δαιμονιζόμενος κωϕός || κωϕὸν δαιμονιζόμενον anstelle von δαιμονιζόμενος τυϕλὸς καὶ κωϕός), den Hinweis auf den Exorzismus (καὶ ἐκβάλοντος || καὶ ἐκβληθέντος, anstelle von ἐθεράπευσεν αὐτόν) und ἐθαύμαζον || ἐθαύμασαν als Reaktion (anstelle von ἐξίσταντο). Dass Mt diesen Exorzismus doppelt rezipiert hat (ein Umstand, der im Rahmen der Zwei-Quellentheorie große überlieferungsgeschichtliche Problemen aufwirft, s. u.), bestätigt an dieser Stelle die Priorität der Formulierung des D-Textes in *Ev. Denn andernfalls müsste man annehmen, dass D u. a. eine höchst artifizielle, sekundäre Konflation aus zwei verschiedenen mt Erzählungen hergestellt hätten, deren vereinheitlichender Charakter aber gar nicht in den beiden mt, sondern nur in der lk Fassung sichtbar würde. Das ist mehr als unwahrscheinlich. Sehr viel näher liegt daher, dass der D-Text den vorkanonischen Wortlaut enthält: Diese Grundlage wurde dann zweimal von Mt (9,32f; 12,22f) und einmal von Lk (11,14) 2 auf jeweils unterschiedliche Weise rezipiert und verändert. ______________________________ 1 Trotz dieser Verbindung (ταῦτα δὲ εἰπόντος αὐτοῦ) ist der Wechsel unübersehbar: Waren zuvor nur die Jünger (*11,1f) Adressaten der Belehrung über das Vaterunser und über das Beten, so sind jetzt »alle« (πάντες) zugegen. Lk führt dagegen immerhin οἱ ὄχλοι als Zeugen des Exorzismus und Adressaten der folgenden Belehrung ein. 2 Die eigentliche Einleitung und Exposition, die für eine entsprechende Heilungserzählung zu erwarten gewesen wären, wurden also nicht von D usw. »in Anlehnung an Mt 12,22 nachgetragen« 870 Anhang I 11,14-32 b. Wichtiger ist, dass *11,15 D eine erste Antwort Jesu auf den Vorwurf mitteilt, er treibe die Dämonen mit Beelzebul aus: ὁ δὲ ἀποκριθεὶς εἶπεν· πῶς δύναται Σατανᾶς Σατανᾶν ἐκβαλεῖν; Im Verlauf der Diskussion ist diese Gegenfrage, die Mk 3,23b bewahrt hat, wenig geschickt, weil sie der Sache nach im Anschluss an die Zeichenforderung der ἕτεροι (*11,16) in V. *17f wiederholt wird: Man kann Satan nicht mit Satan austreiben, weil seine Herrschaft dann keinen Bestand mehr hätte. Auch hier haben D u. a. den ursprünglichen Text bewahrt, der von den drei synoptischen Fassungen auf unterschiedliche Weise geglättet ist: Mk macht die Frage aus *Ev zum Ausgangspunkt der Belehrung Jesu ἐν παραβολαῖς (Mk 3,23), nimmt dafür aber in Kauf, dass das erklärende »Gleichnis« erst nach dieser Frage folgt. Mt übergeht die Gegenfrage Jesu aus *Ev sowie die folgende Zeichenforderung der »anderen« und lässt Jesus in Mt 12,25f direkt antworten. Lk übergeht wie Mt die Frage, übernimmt aber die nachfolgende Zeichenforderung; auf diese Weise handelt er sich die Ungeschicklichkeit ein, dass er auf den von »einigen« erhobenen Vorwurf (»er treibt Dämonen mit Beelzebul aus«, Lk 11,15) direkt die versucherische Zeichenforderung der »anderen« (11,16) folgen lassen muss, ohne dass deutlich wird, was die beiden Gruppen voneinander unterscheidet bzw. welchen Fortschritt die Erzählung von der Ausgangsfrage hin zur Zeichenforderung nimmt. 2. Von der Antwort Jesu ist nur die zweite Hälfte bezeugt (*11,18-22). Sie geht, wie im kanonischen Text, auf die Frage von *11,15 ein und argumentiert wie dieser in zwei Schritten: Da ein in sich gespaltenes Reich keinen Bestand hat, kann Jesus die Dämonen nicht im Namen ihres Fürsten austreiben, wie die Gegner behaupten (*11,17b-19). Eine solche Überwindung kann nur von außen durch einen Stärkeren kommen, der den Fürsten der Dämonen überwindet: Das ist Jesus als der Bevollmächtigte Gottes (*11,20-22). Die Vv. *16f sind unbezeugt, waren aber mit hoher Wahrscheinlichkeit in *Ev enthalten. Denn die Forderung der ἕτεροι (V. *16) nach einem Beglaubigungszeichen spielt im näheren Kontext gar keine Rolle, eine Einfügung durch die lk Redaktion ist mehr als unwahrscheinlich. Offensichtlich hat Mk die Zeichenforderung an dieser Stelle gelesen, sie aber in der Beelzebuldebatte, die er nach vorne zieht, ausgelassen. 3 Darüber hinaus wird deutlich, dass die Abweichungen zwischen Lk 11,21f ≠ Mk 3,27 || Mt 12,29 auf die mk Redaktion des vorkanonischen Textes in *Ev zurückgehen, die Mt übernommen hat, während Lk dem Text von *Ev folgt: Sowohl das Element, dass der Starke bewaffnet ist (ὁ ______________________________ (so W OLTER , Lk 416); Lk hat sie vielmehr ausgelassen, weil er noch deutlicher als Mt und der vorkanonische Text den Exorzismus als Anlass für die zentrale Auseinandersetzung gesehen und daher die Handlung auf das absolut Notwendige reduziert hat. 3 Im Kontext der Zwei-Quellentheorie erscheint die Verbindung zwischen Mk 8,11 und Lk 11,16 natürlich als lk Abhängigkeit von Mk (vgl. W OLTER , Lk 417 z. St.). Im Horizont der *Ev-Priorität verschiebt sich das Verhältnis: Die Vorlage für Mk ist *Ev, dem Lk hier genau entspricht. 11,14-32 Rekonstruktion 871 ἰσχυρὸς καθωπλισμένος) als auch die Erwähnung dessen, der stärker ist als er (δὲ ἰσχυρότερος αὐτοῦ) sind durch Tertullian für *Ev gesichert; man wird also davon ausgehen können, dass auch die weiteren Bildelemente von *11,21f, die nur bei Lk bezeugt sind (αὐλή; πανοπλία; τὰ σκῦλα), schon im vorkanonischen Text enthalten waren. 3. Die abschließende Pointe (V. *23) ist unbezeugt, genauso auch die folgende Belehrung über die Rückkehr des Dämons (Vv. *24-26). V. *23 hat eine wörtlich identische Entsprechung in Mt 12,30. Wie immer in diesen Fällen, lässt sich dieses Phänomen entweder durch die gemeinsame Quelle *Ev oder durch die lk Rezeption von Mt erklären. Da es keine Hinweise gibt, wie diese Alternative aufzulösen wäre, bleibt das Urteil zu V. 23 offen. Für die kurze Belehrung über die Rückkehr des Dämons (*11,24-26) sieht die Lage allerdings anders aus. Denn trotz der fehlenden Bezeugung lässt sich hier wahrscheinlich machen, dass sie bereits in *Ev vorhanden war. Zwei miteinander zusammenhängende Beobachtungen sind dabei wichtig: Zum einen gibt es eine Reihe von charakteristischen Lesarten, die hier - wie auch sonst - als Hinweis auf die Interferenz der vorkanonischen und der kanonischen Überlieferung gewertet werden. Wegen der sehr engen mt Parallele (Mt 12,43-45) sind die kleineren Differenzen nicht besonders aussagekräftig: Wie Mt 12,43 steht in *11,24 (ὅταν) δέ in P 45.75 D W 1241 2542 al aur b d sy h sa bo pt . Die Auslassung von τότε (om D d sy c bo ms georg I.II aeth) und von ἐκεῖ (om C* vid D 33 a 2 b d e ſſ 2 i l q) erweckt den Eindruck der inkonsequent durchgeführten Korrekturen des vorkanonischen nach dem kanonischen Text: Die Zeugen sind i. W. (wenn auch nicht ausschließlich) die »verdächtigen« Handschriften D it sy. Sollte diese Überlegung zutreffen, dann stammt die semantische Präzisierung durch τότε und ἐκεῖ aus Mt 12,45, von wo aus die lk Redaktion diese Formulierung übernommen hätte. Für σχολάζοντα *11,25 || Mt 12,44 liegt der Fall allerdings etwas anders, weil Tertullian darauf anzuspielen scheint, wenn er (in ganz anderem Zusammenhang in Buch 5! ) das Gleichnis von »jenem bewaffneten Starken« erwähnt, den ein Stärkerer überwunden habe et vasa eius occupavit (Tert. 5,6,7). Da Tertullian im unmittelbaren Kontext davon spricht, dass Satan in Iudam introisse (ebd.), bezieht sich diese Bemerkung eher auf die Inbesitznahme des Leeren (also: im Sinn des leer stehenden Hauses des Starken) als auf die Erbeutung seiner Gerätschaften. 4 Tertullian hat in *Ev also wohl gelesen, dass der Dämon (τὸν οἶκόν μου) σχολάζοντα gefunden habe. Dies ist als Hinweis darauf zu werten, dass die Vv. *24-26 Teil von *Ev waren. 4. Die Vv. *27f waren sicher in *Ev enthalten, Tertullian bezeugt den engen Zusammenhang von *11,14-23.27f. Für ihn ist an den beiden Makarismen vor ______________________________ 4 So die Übersetzung von E VANS : »… has taken possession of his goods« mit Verweis auf Lk 11,21. 872 Anhang I 11,14-32 allem der Verweis auf die Mutter Jesu wichtig, weil er seine natürliche Geburt beweist. Genau deswegen stellt der Makarismus für Tertullian ein Problem dar, denn Jesus weist die Seligpreisung des »Schoßes, der ihn trug« und der »Brüste, die ihn genährt« hatten zurück und setzt an seine Stelle den Makarismus derer, die das Wort Gottes hören und tun. Weil dies der angenommenen marcionitischen Theologie in die Karten zu spielen scheint, argumentiert Tertullian, dass Jesus ja schon vorher Mutter und Brüder zurückgewiesen und die Hörer und Nachfolger Gottes bevorzugt habe. 5 Wie *8,21 und *11,27 zeigen, enthielt *Ev also Dubletten. Diese Beobachtung ist von Bedeutung im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Mk und *Ev; an dieser Stelle ist daher wichtig, dass *Ev (wie Mk 3,35) eine Aussage über das Hören und Tun des Wortes Gottes im Zusammenhang der Beelzebuldebatte überlieferte. Für die Rekonstruktion von *11,28b ist Tertullians Referat aufschlussreich: Denn er nennt im Zitat aus *Ev zunächst diejenigen, qui sermonem dei audiunt et f a c i u n t . Er hat also wohl οἱ ἀκούοντες τὸν λόγον τοῦ θεοῦ καὶ π ο ι ο ῦ ν τ ε ς gelesen. In seiner eigenen, unmittelbar folgenden Formulierung in der Argumentation spricht Tertullian dagegen von den auditores et o b s e c u t o r e s , die dem kanonischen οἱ ἀκούοντες … καὶ ϕ υ λ ά σ σ ο ν τ ε ς entsprechen. Tertullians Referat bezeugt so das Nebeneinander der kanonischen und der vorkanonischen Formulierung, die sich auch noch in einem Teil der handschriftlichen Überlieferung 6 erhalten und auf die mk Rezeption eingewirkt hat (3,35: ὃς ἂν π ο ι ή σ ῃ τὸ θέλημα τοῦ θεοῦ). 7 5. Tertullian hat bei *Ev im unmittelbaren Anschluss an *11,28 die Verweigerung des Zeichens in *11,29 gelesen. Epiphanius bestätigt, dass dieser Vers in *Ev stand; dabei zieht er Anfang (ἡ γενεὰ αὕτη) und Ende (σημεῖον οὐ δοθήσεται αὐτῇ) zusammen. Tertullians Referat stellt sicher, dass von dem fehlenden Mittelstück wenigstens der Hinweis auf die Suche nach einem Zeichen (σημεῖον ζητεῖ) enthalten war (signum petentibus), möglicherweise aber doch die ganze Aussage. Wenn Epiphanius auf diese Weise Anfang und Ende kontrahiert, dann haben mit größter Wahrscheinlichkeit auch die Worte καὶ εἰ μὴ τὸ σημεῖον Ἰωνᾶ gefehlt. Sein Auslassungsvermerk für Lk 11,30f ist eindeutig. Auch wenn Lk 11,32 nicht eigens erwähnt ist, liegt es auf der Hand, dass diese Aussage wegen der Erwähnung der ______________________________ 5 Tert. 4,26,13: quia et retro sic reiecerat matrem aut fratres, dum auditores et obsecutores dei praefert verweist zurück auf seine Behandlung von *8,19-21 (s. dort) in 4,19,6f. 6 ποιοῦντες anstelle von ϕυλάσσοντες 131 2643 q sy p(1 ms).h armen mss aeth (Bodl. 40). 7 EvThom 79 kombiniert die beiden Makarismen *11,27f mit der Seligpreisung der Unfruchtbaren und Kinderlosen *23,29 (s. dort). Für die vorlk Überlieferung ist diese Rezeption allerdings nicht weiter aufschlussreich, weil sie eine selbständige Weiterentwicklung darstellt, die EvThom aufgrund der gemeinsamen Stichworte κοιλία, μαστοί und θηλάζω (Lk 11,27 || Lk 23,29) auf sehr intelligente Weise vorgenommen hat. 11,14-32 Rekonstruktion 873 Niniviten ebenfalls in *Ev gefehlt hat; vermutlich bezieht Epiphanius diese Aussage in sein Urteil (οὐκ εἶχεν δὲ περὶ Nινευή) mit ein. 8 Dass Lk 11,31f ein redaktioneller Zusatz zum vorkanonischen Text ist, wird schließlich auch durch die uneinheitliche Überlieferung der Handschriften bestätigt. Vor allem D d zeigen die typischen Merkmale der inkonsequenten Korrektur des vorkanonischen nach dem kanonischen Text, wie vor allem das Fehlen von 11,32 belegt. Schwierig ist die Beurteilung der D-Lesart am Ende von *11,29: D (a) d (e ſſ 2 ) r 1 bieten hier: καὶ καθῶς Ἰωνᾶς ἐν τῇ κοιλίᾳ τοῦ κήτους ἐγένετο τρεῖς ἡμέρας καὶ τρεῖς νύκτας, οὕτως καὶ ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ἐν τῇ γῇ. Das entspricht - in etwa - dem Anschluss in Mt 12,40: ὥσπερ γὰρ ἦν Ἰωνᾶς ἐν τῇ κοιλίᾳ τοῦ κήτους τρεῖς ἡμέρας καὶ τρεῖς νύκτας, οὕτως ἔσται ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ἐν τῇ καρδίᾳ τῆς γῆς τρεῖς ἡμέρας καὶ τρεῖς νύκτας. Damit bleiben für die Erklärung der Lesart in D u. a. zwei Möglichkeiten: Vor dem Hintergrund der Beobachtung, dass D (it sy) häufig Spuren der Interferenz der kanonischen und der vorkanonischen Überlieferung aufweisen, wäre es denkbar, dass 11,30 D u. a. der ursprüngliche Text ist, den Mt dann nur geringfügig geändert hätte. In diesem Fall wäre Epiphanius’ Auslassungsnotiz ungenau; man könnte immerhin verstehen, dass sich seine Bemerkung, Marcion habe »das über den Propheten Jona« gestrichen (Epiph., Schol. 25: παρέκοπται τὸ περὶ Ἰωνᾶ τοῦ προϕήτου) nur auf das Ende von V. 32 (ὅτι μετενόησαν εἰς τὸ κήρυγμα Ἰωνᾶ, καὶ ἰδοὺ πλεῖον Ἰωνᾶ ὧδε) bezog. Dies würde sehr gut zum Fehlen von 11,32 in D d passen, aber dem ausführlichen Hinweis auf Jona 11,29b.30 widersprechen. Die andere Möglichkeit ist deswegen wahrscheinlicher: Denn Epiphanius lässt seinen genauen Positivvermerk unmittelbar vor der Erwähnung des Jonazeichens enden (εἶχεν γάρ Ἡ γενεὰ αὕτη, σημεῖον οὐ δοθήσεται αὐτῇ); auch der folgende Auslassungsvermerk »über Ninive und die Königin des Südens und Salomo« spricht dagegen, dass sich der Auslassungsvermerk über Jona auf das Ende von 11,32 bezog: Er geht den ihm vorliegenden Text Schritt für Schritt durch. Die nächstliegende Erklärung für den Befund in Lk 11,29b-32 in D u. a. ist daher die Annahme, dass das ganze Stück im vorkanonischen Text so gefehlt hat, wie es von Epiphanius bezeugt ist. Diese Lücke ist dann von einigen Handschriften - ungenau, unvollständig und im Verfahren inkonsequent - korrigiert worden. Im Zuge dieser Korrektur ist auch die aus Mt 12,40 stammende Bemerkung, dass so, wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Seeungeheuers verbracht hat, der Menschensohn im Schoß der Erde war, in den Text gekommen. Der vorkanonische Text enthielt keinen Hinweis auf Jona, und Mk 8,12 hat ihn da auch nicht gelesen. Die lk Redaktion hat demnach als Fortsetzung der Abweisung der Zeichenforderung die aus Mt 12,39b-42 stammenden Vv. 29b-32 hier eingefügt, sie dabei aber geringfügig verändert. ______________________________ 8 H ARNACK 209* (»Die Perikope vom Zeichen des Ionas hat M. ganz zusammengestrichen«) hat das ebenso gesehen, ohne allerdings eine Begründung für diese Ansicht zu geben. 874 Anhang I 11,14-32 6. Der hier für *Ev rekonstruierte vorkanonische Text erlaubt es, die Überlieferungsgeschichte dieser Perikope mit ihren unterschiedlichen Adaptionen nachzuvollziehen. Die Rezeption von *11,14-29a in Mt 9,32-34; 12,22-30.43-45 und Mk 3,22-27 ist besonders komplex und daher auch besonders aufschlussreich: Die Perikope gehört im methodischen Vokabular der Zwei-Quellentheorie zu den schwierigen »Mk-Q Overlaps«. 9 Die Überlieferungsgeschichte stellt sich im Rahmen der *Ev-Priorität folgendermaßen dar a. Den Ausgangspunkt bildet der hier für *Ev rekonstruierte Text: Im Anschluss an den sehr knapp berichteten Exorzismus des stummen Dämons schließt sich die längere Diskussion des Vorwurfs an, dass Jesus die Dämonen »durch Beelzebul« austreibe, gefolgt von der Belehrung über die Rückkehr des Dämons (*11,24-26) und den beiden Makarismen (*11,27f). Am Ende stand die Ablehnung der Zeichenforderung durch Jesus, die auf die versucherische Bitte der ἕτεροι (*11,16) reagiert und auf diese Weise die kompositionelle Geschlossenheit der ganzen Einheit sichtbar macht. Abgesehen von den durch D (it sy) bezeugten Varianten in *11,14f und einigen anderen, kleineren Veränderungen sowie dem Zusatz am Ende (11,29b-32) durch die lk Redaktion hatte die Perikope die kanonische Gestalt. Ihr Thema ist die Legitimität des exorzistischen Handelns Jesu. Da zwischen Jesus und seinen Gegnern strittig ist, »wodurch« (also: in wessen Vollmacht) er die Dämonen austreibt, kann die Frage nach der Legitimation seines Handelns auch nicht durch seine exorzistische Fähigkeit beantwortet werden: Diese steht nicht in Frage und wird auch als staunenswert wahrgenommen (πάντες ἐθαύμαζον *11,14 D usw.). Der literarischen Anlage mit der Rahmung der Belezebuldebatte durch die Zeichenforderung (*11,16. 29a) entspricht daher der übergeordnete Charakter des Legitimationsproblems, das nur implizit gelöst wird: Dass Jesus die Dämonen nicht ἐν Βεελζεβούλ, sondern ἐν δακτύλῳ θεοῦ austreibt, erkennen diejenigen, die das »Wort Gottes hören und tun« (*11,28). Die Einsicht in die Legitimation Jesu ist evident und kann eigentlich nur von denen bestritten werden, die durch eine vorgängige Ablehnung Jesu dazu disponiert sind. Genau dies bringt V. *23 zum Ausdruck, der schon deswegen wahrscheinlich in *Ev enthalten war. b. Mk hat diese Perikope als erster Bearbeiter aus *Ev übernommen, sie aber aus ihrem vorkanonischen Kontext gelöst und dabei entscheidend verändert. Die Perikope dient ihm dazu, nach der Vorbereitung und der »Schaffung« der zwölf Apostel (Mk 3,7-12.13-19) den Gegensatz zwischen den Jüngern, die μετ’ αὐτοῦ sind (Mk 3,14) und den Willen Gottes tun (3,35), und den Gegnern zu markieren. ______________________________ 9 Vgl. dazu R. L AUFEN , Die Doppelüberlieferungen der Logienquelle und des Markusevangeliums, Königstein/ Ts. 1980, 126-155; H. T. F LEDDERMANN , Mk and Q, Leuven 1995, 41-66. 11,14-32 Rekonstruktion 875 Mk hat dazu mehrere Texte aus *Ev zu einer größeren Komposition zusammengefügt: Er hat die aus *11,14-29 stammende Auseinandersetzung über die Vollmacht Jesu (Mk 3,22-30) gerahmt durch die redaktionell gestaltete Notiz über die Ankunft seiner Verwandten (Mk 3,21) und die aus *8,20f (s. dort) stammende Belehrung über die Mutter und die Brüder Jesu, die »draußen stehen bleiben« (ἔξω στήκοντες, Mk 3,31). Auf diese Weise verbindet Mk die beiden Gruppen der Verwandten und der Schriftgelehrten (3,22) und kennzeichnet sie durch ihre jeweilige Erklärung der staunenswerten Fähigkeiten Jesu: Die Verwandten behaupten, er sei von Sinnen (3,21: ἐξέστη) und habe ein πνεῦμα ἀκάθαρτον (3,30), die Schriftgelehrten dagegen, dass er den »Beelzebul habe« (3,22: Βεελζεβοὺλ ἔχει) und die Dämonen durch ihren Fürsten austreibe. Sachlich sind diese beiden Erklärungen als unvergebbare Sünde gegen den Geist qualifiziert (Mk 3,28f), die Mk aus *12,10 (s. dort) an dieser Stelle einfügt. Dieses Logion übernimmt die Funktion von *11,23 || Mt 12,30: Die Haltung gegenüber Jesus ist entscheidend. Das Gegenüber von Draußen und Drinnen ist sorgfältig angelegt, wie die Erwähnung des Bootes in Mk 3,9 zeigt, das später (Mk 4,1) die räumliche Trennung der Zwölf mit Jesus vom Volk am Ufer ermöglicht und den Gegensatz der kleinen Gruppe »für sich« (κατὰ μόνας, 4,10) im Boot und ἐκείνοις δὲ τοῖς ἔξω (4,11) markiert. Die Lokalisierung der ganzen Szene im Haus ist also kompositorisch sehr wichtig; sie hat jedoch zur Folge, dass Mk den einleitenden Exorzismus übergehen musste (*11,14 || Mt 12,22f ÷ Mk 3,21): Die Jerusalemer Schriftgelehrten führen eine theologische Grundsatzdebatte, die nicht durch einen konkreten Exorzismus veranlasst ist. Dementsprechend hat auch der Gegensatz zwischen dem exorzistischen Handeln Jesu und dem »eurer Söhne« (*11,19f || Mt 12,27f) bei Mk keinen Platz und ist weggelassen. Dagegen hat Mk das für die Komposition von *Ev wichtige Thema des Legitimationszeichens aus diesem Kontext herausgelöst und es - aus wiederum sehr gut nachvollziehbaren kompositionellen Gründen - in Anschluss an die zweite Speisungserzählung an das Ende der durch ihn neu geschaffenen Einheit ab 6,45 gesetzt (Mk 8,12). Dass es hier die auf Reinheit insistierenden Pharisäer sind, die ein Legitimationszeichen verlangen, ist dem Umstand geschuldet, dass die Leser die 4000 von Mk 8,1-9 unschwer als Heiden identifzieren, deren »Sättigung« ihrer Unreinheit wegen problematisch ist (Mk 7,1-30). 10 Mk hat also das aus *Ev stammende Material sehr umsichtig (und selbstverständlich vorausschauend) verwendet. Seine redaktionelle Technik, die verschiedene Texte aus *Ev zusammenzieht, sie mit eigenen Elementen »anreichert« und gelegentlich ______________________________ 10 Zum Verständnis der mk Komposition vgl. M. K LINGHARDT , Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19 (2002), 183-202: 197-199. 876 Anhang I 11,14-32 auch kürzt, weist allen Teiltexten neue und überzeugende Bedeutungsnuancen zu, die sich vor allem aus der Komposition in neuen Kontexten ergeben. c. Die mt Rezeption von *11,14-29 zeigt den »doppelten« Einfluss, den *Ev auf Mt hat: Im direkten Zugriff auf *Ev und durch Verwendung der mk Rezeption. Am einfachsten ist zu verstehen, dass Mt aus dem ihm zur Verfügung stehenden Material die knappe Exorzismusschilderung *11,14f in Mt 9,32-34 übernahm und sie in die Folge von Heilungs- und Exorzismuserzählungen in Israel (Mt 8f) integrierte. Er hat dabei die doppelte Reaktion - Verwunderung bei der Menge; Ablehnung durch die Pharisäer - hervorgehoben und deshalb den Beelzebulvorwurf beibehalten, ohne ihn hier zu begründen. Daneben hat Mt 12,22-45 die ausführlichere Fassung der Beelzebuldebatte *11,14-29 fast ganz rezipiert, sie dabei aber bearbeitet und durch anderes Material aus *Ev und Mk ergänzt. Wichtig ist dabei zunächst die Umstellung und Ergänzung der Abweisung der Zeichenforderung *11,29 || Mk 8,11f in Mt 12,38f und ihre redaktionelle Ergänzung um Mt 12,40-42: Mt hat die Zeichenforderung *11,16 und die sachlich dazugehörige Ablehnung *11,29 zusammengestellt und die Kohärenzsignale der Komposition von *Ev auf seine Weise aufgelöst. Zugleich hat er mit dem »Zeichen des Jona« eine Begründung für die Abweisung der Zeichenforderung geliefert und diese durch das Logion über die Niniviten, die Königin des Südens und Salomo ergänzt; Lk 11,29b-32 ist ihm in dieser Zusammenstellung gegen *Ev gefolgt. Durch die Zusammenführung der Zeichenforderung und ihrer Abweisung in einem eigenen Abschnitt im Anschluss an die Beelzebuldebatte ist die Belehrung über die Rückkehr des Dämons (*11,24-26 || Mt 12,43-45) weniger gut mit dem Kontext verbunden, denn eigentlich gehört sie ja zu dem Exorzismus *11,14 || Mt 12,22. In 12,43-45 bleibt Mt sehr eng an seiner Vorlage *Ev. In der Beelzebuldebatte zeigt sich allerdings, dass Mt nicht nur *Ev, sondern auch Mk verwendet hat: Aus Mk stammt das gegenüber *Ev (*11,21f) knappere Bild von der »Fesselung des Starken« (Mt 12,29 || Mk 3,27: … ἐὰν μὴ πρῶτον τὸν ἰσχυρὸν δήσῃ, καὶ τότε τὴν οἰκίαν αὐτοῦ διαρπάσει), aus *Ev - aber gegen Mk - hat Mt den Hinweis auf die Exorzismen der »Söhne« seiner Gegner und das Argument, dass mit dem Exorzismus durch Jesus die Basileia ja zu euch gekommen ist (*11,20 || Mt 12,28: ἄρα ἔϕθασεν ἐϕ’ ὑμᾶς ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ). 11 Wie souverän Mt in diesem Kontext seine beiden Quellen ineinanderarbeitet, zeigt sich auch darin, dass er das erst durch Mk in diesen Zusammenhang integrierte Logion über die unvergebbare Sünde rezipiert (Mk 3,28f || Mt 12,31f) - und unmittelbar darauf ein Stück aus der Feldrede in *Ev (*6,43f) anfügt, das er zwar auch (in erweiterter Form) in der Bergpredigt hat (Mt 7,16ff), dessen Formulierungen hier aber deutlich die Spuren von *Ev tragen; wie schon zu *11,14f || Mt ______________________________ 11 Mit großer Sicherheit ist (erst) Mt dafür verantwortlich, dass Jesus die Dämonen nicht ἐν δακτύλῳ θεοῦ, sondern ἐν πνεύματι θεοῦ austreibt (gegen F LEDDERMANN , a. a. O. 50f, der die Ansicht vertritt, dass Lk ein ihm durch Mk nahegelegtes πνεῦμα durch δάκτυλος ersetzt habe, wogegen bereits »Q« πνεῦμα enthalten habe). 11,14-32 Rekonstruktion 877 9,32f und 12,22-24 hat Mt auch an dieser Stelle durch die Verdoppelung der Rezeption (*6,43f || Mt 12,31f und 7,17ff) eine Dublette geschaffen. Mit dieser Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte werden nicht nur die zahlreichen und gravierenden mt-lk »Minor Agreements« ohne weiteres erklärbar, die für die Zwei-Quellentheorie Probleme aufwerfen. 12 Auch die entsprechenden überlieferungsgeschichtlichen Vorschläge im Konzept der Deuteromarkus-Hypothese 13 sowie die Analysen zu den »Mk-Q Overlaps« 14 finden hier eine andere - und im Ganzen überzeugendere - Lösung. *11,33.34-35 [ 36 ] : Das Auge als Leuchte des Körpers Nur teilweise für *Ev bezeugt, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit enthalten; durch Lk bearbeitet. 11,33 Οὐδεὶς λύχνον ἅψας εἰς κρύπτην τίθησιν a οὐδὲ ὑπὸ τὸν μόδιον a ἀλλ’ ἐπὶ τὴν λυχνίαν, b ἵνα πᾶσι λάμπῃ b . 34 ὁ λύχνος τοῦ σώματός ἐστιν ὁ ὀϕθαλμός σου. ὅταν ὁ ὀϕθαλμός σου ἁπλοῦς ᾖ, καὶ c πᾶν τὸ σῶμά σου ϕωτεινόν ἐστιν· ἐπὰν δὲ πονηρὸς ᾖ, καὶ τὸ σῶμά σου σκοτεινόν d ἐστιν. 35/ 36 e εἰ οὖν τὸ ϕῶς τὸ ἐν σοὶ σκότος ἐστίν, τὸ σκότος πόσον. e A. *11,33: Tert. 4,27,1: Tanto aevo lucem suam ab hominibus abscondit, et negat lucernam abstrudendam, sed confirmat super candelabrum proponendam, ut omnibus luceat. Vetat remaledicere, multo magis utique maledicere, et Vae ingerit pharisaeis et doctoribus legis. Quis est tam similis dei mei Christus nisi ipsius? B. a (11,33) ουδε υπο τον μοδιον: א A B C D W Θ Ψ f 13 it vg sy (c.p.)h Clem ¦ om Tert P 45.75 L Γ Ξ 070 0124 f 1 sy s.c sa M ● b (11,33) ινα πασι λαμπη: Tert (ut omnibus luceat) 579 (και λαμπει πασιν τοις εν τη οικια) ¦ ινα οι εισπορευομενοι το ϕως βλεπωσιν: it M ● c (11,34) παν: P 45 D d ¦ ολον: it M (*Ev non test.) ● d (11,34) εστιν: D Ω 070 0124 0211 pc d e bo ¦ εσται: P 45 K Θ f 13 1241 2542 al a aur b c f ſſ 2 g 1 gat i q r 1 sa ¦ om M (*Ev non test.) ● e (11,35/ 36) ει ουν το ϕως το εν σοι σκοτος, το σκοτος ποσον: D it (vgl. Mt 6,23b) ¦ σκοπει ουν μη το ϕως το εν σοι σκοτος εστιν. ει ουν το σωμα σου ολον ϕωτεινον, μη εχον μερος τι σκοτεινον, εσται ϕωτεινον ολον ως οταν ο λυχνος τη αστραπη ϕωτιζη σε: M (*Ev non test.) C. Das Bildwort von der Leuchte ist nur teilweise bezeugt: Tertullian referiert *11,33 hinreichend deutlich in unmittelbarem Anschluss an *11,30, wenn auch in ______________________________ 12 Vgl. N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 82-85.117f; DERS ., Minor Agreements (1991), 28-30.48; E NNULAT , Minor Agreements 114, behandelt die Perikope nicht: Er verbucht die »massiven mtlk Übereinstimmungen gegen den MkText« auf das Konto der »Mk-Q-Doppelüberlieferungen«. 13 Vgl. A. F UCHS , Das Zeichen des Jona. Vom Rückfall, in: ders., Spuren von Deuteromarkus III, Münster 2004, 181-215; DERS ., Die Sünde wider den Heiligen Geist. Mk 3,28-30 par Mt 12,31-37 par Lk 12,10, ebd. 159-180. 14 Vgl. L AUFEN , a. a. O. 126-155; F LEDDERMANN , a. a. O. 41-73. 878 Anhang I 11,33-36 anderer Form: Bei ihm, wie in der Mehrheit der (Lk-)Handschriften, fehlt die Wendung ὑπὸ τὸν μόδιον. 1 Die anthropologische Weiterführung in *11,34-36 ist unbezeugt, das Urteil muss sich in diesem Fall auf text- und überlieferungsgeschichtliche Erwägungen stützen. 1. *11,33 hat eine für *Ev gesicherte Parallele im Zusammenhang der sog. »Parabeltheorie« *8,16 (s. dort). Wie auch an anderer Stelle deutlich wird, enthielt bereits *Ev Dubletten, die möglicherweise auf eine nicht mehr greifbare diachrone Entwicklung vor dem ältesten erreichbaren Text schließen lassen. Allerdings ist die Verwendung des Bildwortes in beiden Fällen durch den Kontext unterschiedlich bestimmt (s. gleich zu *11,34-36). Wichtig sind zwei Besonderheiten der handschriftlichen Überlieferung. Die gerade erwähnte Wendung οὐδὲ ὑπὸ τὸν μόδιον ist von Tertullian nicht bezeugt und fehlt außerdem in einer langen Reihe anderer Zeugen, darunter P 45.75 . In der Regel wird sie als Angleichung unter dem Einfluss von Mt 5,15 verstanden. 2 Aber die Annahme eines solchen Einflusses auf der Ebene der handschriftlichen Überlieferung hat sich wiederholt als unwahrscheinlich erwiesen: Die Konkurrenz der Lesarten geht eher auf unterschiedliche Überlieferungen zurück. Unter dieser Voraussetzung liegt es näher, dass *Ev diese Wendung enthalten hat: *Ev ist durch Mt 5,15 genau rezipiert worden und hat auch einen Einfluss auf den kanonischen Text ausgeübt. Dies bedeutet, dass die von Tertullian, P 45.75 u. a. bezeugte Lesart ohne die Wendung auf die lk Redaktion zurückgeht. Ähnliches gilt dann wohl auch für den Schluss von *11,33: Die von Tertullian und einer Minuskel bezeugte Lesart ἵνα πᾶσι λάμπῃ ist dem ἵνα οἱ εἰσπορευόμενοι τὸ ϕῶς βλέπωσιν der Mehrheit der Handschriften vorzuziehen. Diese Wendung ist auch in *8,16 fin. redaktionell ergänzt worden (s. dort), so dass die beiden Bildworte nahezu die gleiche Gestalt erhalten haben. Aber der Hinweis auf »die Eintretenden« ist in beiden Fällen weder durch die sachliche oder metaphorische Logik noch durch den Kontext nahe gelegt. 2. Schwierig ist die Beurteilung der anthropologischen Anwendung des Bildwortes in *11,34-35(36). Dass sie nicht für *Ev direkt bezeugt ist, heißt nicht, dass sie darin nicht enthalten war. Vor allem die sehr uneinheitliche Überlieferung von *11,35f deutet auf das Phänomen der Interferenz der vorkanonischen und der kanonischen Textüberlieferung hin und macht auf diese Weise wahrscheinlich, dass es einen solchen vorkanonischen Text gegeben hat. ______________________________ 1 Harnacks Position ist unklar; er führt in seiner Rekonstruktion die Worte λύχνον εἰς κρύπτην … ὑπὸ τὸν μόδιον … ἵνα πᾶσι λάμπῃ auf, belegt dies im Kommentar jedoch nicht und zeigt nicht, worauf er sich stützt (H ARNACK 209*). 2 Vgl. für viele W OLTER , Lk 427 z. St. 11,33-36 Rekonstruktion 879 Dessen genauere Gestalt ist dann mit größter Wahrscheinlichkeit in der »Westlichen« Variante (D it) bewahrt, die den größten Unterschied zu dem von der Mehrheit der Überlieferung bezeugten Text aufweist. Die Wendung εἰ οὖν τὸ ϕῶς τὸ ἐν σοὶ σκότος ἐστίν, τὸ σκότος πόσον besitzt eine wörtliche Entsprechung in Mt 6,23b. Auch hier liegt eine überlieferungsgeschichtliche Erklärung näher als die Annahme einer sekundären Beeinflussung durch die synoptische Parallele. Demnach gehen sowohl Mt 6,23b als auch *11,35 (D it) auf denselben, vorkanonischen Text zurück, der sich dann auch noch in kanonischen Handschriften gegen die lk Redaktion erhalten hat. Diese Annahme lässt sich durch die weiteren Lesarten dieser Stelle begründen. Denn der Cureton-Syrer bietet den kanonischen Text für 11,33-35, fügt daran aber anstelle von V. 36 die für *Ev wahrscheinlich gemachte Wendung (εἰ οὖν τὸ ϕῶς τὸ ἐν σοὶ σκότος ἐστίν, τὸ σκότος πόσον) an. Das gleiche Phänomen zeigt die Minuskel 1241, die allerdings am Ende noch den kanonischen Wortlaut von V. 36 ergänzt. Beide Lesarten sind Ausdruck einer Konflation zweier unterschiedlicher Ausgangstexte; sie setzen den D-Text als (ältere) Alternative zum kanonischen Text voraus. 3. Aus diesen Beobachtungen lassen sich dann Schlussfolgerungen für die mutmaßliche Überlieferungsgeschichte ziehen: a. *Ev enthielt das Bildwort vom Licht, das man nicht anzündet, um es zu verbergen, an zwei verschiedenen Stellen; er hat es in Entsprechung zu den beiden unterschiedlichen Kontexten verschieden verwendet: Im Kontext der Gleichnisrede wird die Metaphorik auf den Gegensatz von Verborgenheit und Offenbarsein bezogen (*8,16f) und dient als Verheißung umfassender Erkenntnis. Im Anschluss an die Beelzebuldebatte mit der Belehrung über das grundlegende Verhältnis, das man Jesus gegenüber einnimmt (*11,14-29), wird das Bild dagegen anthropologisch entfaltet: Menschen, deren Auge ἁπλοῦς ist, sind erleuchtet; wessen Auge dagegen πονηρός ist, bleibt »in der Finsternis«. Der Hintergrund dieser Metaphorik in der helleinstisch-jüdischen Missionssprache ist bekannt. Er passt hier ausgezeichnet in den Kontext der vorangehenden Auseinandersetzung mit den Gegnern, der davon ja nicht - wie im kanonischen Text - durch das Logion über Jona, die Niniviten usw. abgesetzt ist: Sowohl in *11,14-29 als auch in *11,33ff geht es um eine grundsätzliche Prädisposition, der auffälligerweise eine paränetische Aufforderung zum »rechten Sehen« fehlt, wie sie in *8,18 in Bezug auf das Hören enthalten ist (βλέπετε οὖν πῶς ἀκούετε). b. Mk hat *8,16ff am gleichen Ort und im gleichen Verständnis übernommen (Mk 4,21ff), dabei den Wortlaut möglicherweise geringfügig verändert. Der Zusammenhang passt an dieser Stelle ausgezeichnet in die mk Komposition der Gleichnisrede. c. Wichtiger ist jedoch die mt Rezeption: Mt hat das Bildwort in dem durch *8,16ff || Mk 4,21ff vorgegebenen Kontext ausgelassen, obwohl es hier aufgrund der für Mt nachweislich wichtigen Parallelität von Hören und Sehen (vgl. Mt 13,13-16! ) durchaus nahe gelegen hätte. Stattdessen hat er es an zentraler Stelle in 880 Anhang I 11,33-36 die Bergpredigt integriert und auf die Jüngerexistenz bezogen (Mt 5,15). Die zweite Hälfte des Bildwortes mit der anthropologischen Deutung auf das Auge als Licht des Leibes hat dann einen Platz im Zusammenhang der Besitzparänese Mt 6,19ff gefunden (Mt 6,22f). Obwohl dieser Kontext stark paränetisch ausgerichtet ist, wie die Imperative in 6,19f.25f usw. mit wünschenswerter Klarheit zeigen, fehlt dieser Aspekt in 6,22f: Das Bildwort dient als Einleitung zum Logion über Gottesbzw. Mammonsdienst (6,24) und markiert hier (nur) die sich gegenseitig ausschließenden Verhaltensmöglichkeiten, ohne aber selbst durch eine Aufforderung paränetisch gewendet zu werden: Mt hat hier die anthropologische Prädisposition übernommen, auch wenn er das Bildwort durch seine Kontextualisierung stark ethisiert. Da Mt sowohl *8,16 im Kontext von Mt 13 übergeht als auch in *11,33ff nicht der Akoluthie von *Ev folgt, sondern *11,33ff auf Mt 5,15 und Mt 6,22f verteilt, fehlt bei ihm nicht nur die Dublette aus *Ev, sondern auch der direkte Zusammenhang von *11,33-35. d. Lk hat die Dublette *8,16 || *11,33 an beiden Stellen und im jeweiligen Kontext übernommen und das Bildwort vom Licht, das nicht verborgen ist, einmal offenbarungstheologisch als Verheißung umfassenden Verstehens auf den Erkenntnisgegenstand bezogen (*8,16f), das andere Mal auf das Auge, also - sit venia verbo - auf das erkennende Subjekt (*11,33f). Lk folgt der mt Rezeption (Mt 6,22f) darin, dass er diese anthropologische Deutung ethisiert. So, wie bereits *Ev das »Hören« ethisiert hat, versteht auch Lk durch die Redaktion von 11,35 auch das »Sehen« als eine ethische Qualität: Der Aufforderung »Seht zu, wie ihr hört! « (*8,18) entspricht die Mahnung »Achte darauf, dass das Licht in dir nicht finster wird! « (Lk 11,35 ≠ *11,35! ). Lk konnte diese Angleichung umso leichter vornehmen, als er aufgrund der Einfügung von Lk 11,30-32 die unmittelbare Weiterführung der Debatte über das grundlegende Verhältnis gegenüber Jesus ohnehin aufgegeben hatte. *11,37-42a [ 42b ] 43 ¿44f ? 46-48a.48b: Pharisäerrede I: Reinheit. Verzehntung. Prophetenmord Gut bezeugt und sicher in *Ev vorhanden, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit durch Lk redaktionell bearbeitet. 11,37 a Ἐδεήθη δὲ αὐτοῦ τις Φαρισαῖος, ἵνα ἀριστήσῃ μετ’ αὐτοῦ· a εἰσελθὼν δὲ ἀνέπεσεν. 38 ὁ δὲ Φαρισαῖος b ἤρξατο διακρινόμενος ἐν ἑαυτῷ λέγειν b c διὰ τί c οὐ πρῶτον ἐβαπτίσθη πρὸ τοῦ ἀρίστου. 39 εἶπεν δὲ ὁ d Ἰησοῦς πρὸς αὐτόν, Νῦν ὑμεῖς οἱ Φαρισαῖοι, e ὑποκριταί, τὸ ἔξωθεν τοῦ ποτηρίου καὶ τοῦ πίνακος καθαρίζετε, τὸ δὲ ἔσωθεν ὑμῶν γέμει ἁρπαγῆς καὶ πονηρίας. 40 ἄϕρονες, οὐχ ὁ ποιήσας f τὸ 11,37-48 Rekonstruktion 881 ἔσωθεν καὶ τὸ ἔξωθεν f ἐποίησεν; 41 πλὴν g τὰ ὑπάρχοντα g δότε ἐλεημοσύνην, καὶ h ἰδοὺ πάντα καθαρὰ ὑμῖν i ἔσται. 42 ἀλλὰ οὐαὶ ὑμῖν τοῖς Φαρισαίοις, ὅτι ἀποδεκατοῦτε τὸ ἡδύοσμον καὶ τὸ k ἄνηθον καὶ πᾶν λάχανον, καὶ παρέρχεσθε τὴν l κλῆσιν καὶ τὴν ἀγάπην τοῦ θεοῦ· m [ ταῦτα δὲ ἔδει ποιῆσαι κἀκεῖνα μὴ παρεῖναι. ] m 43 οὐαὶ ὑμῖν n Φαρισαῖοι, ὅτι ἀγαπᾶτε τὴν πρωτοκαθεδρίαν ἐν ταῖς συναγωγαῖς καὶ τοὺς ἀσπασμοὺς ἐν ταῖς ἀγοραῖς o {καὶ τὰς πρωτοκλιςίας ἐν τοῖς δείπνοις.} o 44 οὐαὶ ὑμῖν, p {γραμματεῖς καὶ Φαρισαῖοι,} p ὅτι q ἐστὲ μνημεῖα q ἄδηλα, καὶ οἱ ἄνθρωποι r [ οἱ ] περιπατοῦντες ἐπάνω οὐκ οἴδασιν. 45 Ἀποκριθεὶς δέ τις τῶν νομικῶν λέγει αὐτῷ, Διδάσκαλε, ταῦτα λέγων καὶ ἡμᾶς ὑβρίζεις. 46 ὁ δὲ εἶπεν, Καὶ ὑμῖν τοῖς νομικοῖς οὐαί, ὅτι ϕορτίζετε τοὺς ἀνθρώπους ϕορτία δυσβάστακτα, καὶ αὐτοὶ s {ὑμεῖς} ἑνὶ τῶν δακτύλων t ὑμῶν οὐ προσψαύετε u τοῖς ϕορτίοις . u 47 οὐαὶ ὑμῖν, ὅτι οἰκοδομεῖτε τὰ v μνήματα τῶν προϕητῶν, w καὶ οἱ w πατέρες ὑμῶν ἀπέκτειναν αὐτούς. 48 ἄρα x μαρτυρεῖτε y μὴ συνευδοκεῖν y τοῖς ἔργοις τῶν πατέρων ὑμῶν, ὅτι αὐτοὶ μὲν ἀπέκτειναν αὐτοὺς ὑμεῖς δὲ οἰκοδομεῖτε. A. *11,37f: Tert. 4,27,2: Ideo et tunc pharisaeus, qui illum vocarat ad prandium, retractabat penes se cur non prius tinctus esset quam recubuisset, secundum legem, qui deum legis circumferret. ♦ *11,39: Tert. 4,27,2: Iesus autem etiam interpretatus est ei legem, dicens illos calicis et catini exteriora emundare, interiora autem ipsorum plena esse rapina et iniquitate, ut significaret vasculorum munditias hominum esse intellegendas apud deum; quia et pharisaeus de homine, non de calice illoto, apud se tractaverat. ♦ *11,40: Tert. 4,27,2: Ideo exteriora, inquit, calicis lavatis, id est carnem, interiora autem vestra non emundatis, id est animam; adiciens, Nonne qui exteriora fecit, id est carnem, et interiora fecit, id est animam? ♦ *11,41: Tert. 4,27,3: Subiungit enim, Date quae habetis eleemosynam, et omnia munda erunt vobis. ♦ *11,42: Tert. 4,27,1: (Vae … pharisaeis et doctoribus legis). ¦ Tert. 4,27,4: Sic et holuscula decimantes, vocationem autem et dilectionem dei praetereuntes obiurgat. Cuius dei vocationem et dilectionem, nisi cuius et rutam et mentam ex forma legis de decimis offerebant? Totum enim exprobrationis hoc erat quod modica curabant, ei utique cui maiora non exhibebant, dicenti, Diliges dominum deum tuum, ex toto corde tuo, et ex tota anima tua, et ex totis viribus tuis, qui te vocavit ex Aegypto. ¦ Epiph., Schol. 26: αντὶ τοῦ Παρέρχεσθε τὴν κρίσιν τοῦ θεοῦ εἶχεν Παρέρχεσθε τὴν κλῆσιν τοῦ θεοῦ. ♦ *11,43: Tert. 4,27,5: Primatum quoque captantes locorum et honorem salutationum cum incusat, sectam creatoris administrat, eiusmodi principes Sodomorum archontas appellantis, prohibentis etiam confidere in praepositos, immo et in totum miserrimum hominem pronuntiantis qui spem habet in homine. ♦ *11,46: Tert. 4,27,6: Invehitur et in doctores ipsos legis, quod onerarent alios importabilibus oneribus, quae ipsi ne digito quidem aggredi auderent, non legis onera suggillans quasi detestator eius. Quomodo enim detestator, qui cum maxime potiora legis praetereuntes incusabat, eleemosynam et vocationem et dilectionem dei, ne haec quidem gravia, nedum decimas rutarum et munditias catinorum? Ceterum excusandos potius censuisset si importabilia portare 882 Anhang I 11,37-48 non possent. Sed quae onera taxat? ♦ *11,47: Epiph., Schol. 27: οὐαὶ ὑμῖν, ὅτι οἰκοδομεῖτε τὰ μνήματα τῶν προϕητῶν καὶ οἱ πατέρες ὑμῶν ἀπέκτειναν αὐτούς. ♦ *11,47f: Tert. 4,27,8: Cur autem Vae audiunt etiam quod aedificarent prophetis monimenta interemptis a patribus eorum, laude potius digni, qui ex isto opere pietatis testabantur se non consentire factis patrum, si non erat zelotes, qualem arguunt Marcionitae, delicta patrum de filiis exigentem usque in quartam nativitatem? B. a (11,37) εδεηθη δε αυτου τις Φαρισαιος ινα αριστηση μετ αυτου: (Tert) D d sy s.c ¦ εν δε τω λαλησαι ερωτα αυτον Φαρισαιος οπως αριστηση παρ αυτω: it M ● b (11,38) ηρξατο εν εαυτω διακρινομενος λεγειν: Tert (retractabat penes se); D 343 716 1229 a (recogitans intra se dicere); d (coepit cogitare in semetipso dicens); e (coepit apud se reputans); c (coepit secum dicere disputans); aur b f ſſ 2 i l q r 1 (coepit intra se reputans [i: putans] dicere) ¦ ιδων εθαυμασεν/ videns admiratus est: f M ● c (11,38b) δια τι/ quare: Tert (aur) b c d e ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 ¦ οτι/ quod: a f M ● d (11,39) ιησους/ Iesus: Tert U 16 472 1071 ℓ10 ℓ1642 e vg ms sy s.c Tat arab bo ms aeth mss (LA nicht in NA 27 ) ¦ κυριος/ dominus: a aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ κυριος ιησους: aeth (Bodl. 41) ● e (11,39) υποκριται: D b d ¦ om a aur c e f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● f (11,40) το εσωθεν και το εξωθεν: P 45 C D Γ 700 pc a c d e ¦ (Wortfolge: 1 5 3 4 2): Tert aur b f ſſ 2 i l q r 1 M ● g (11,41a) τα υπαρχοντα/ quae habetis: Tert f; r 1 (superest); b d q (οντα); Tat arab (οντα υμιν) ¦ τα ενοντα: e M ● h (11,41b) ιδου/ ecce: om Tert Tat arab bo (2 mss) aeth Chrys (Hom. 50 in Mt 4; Hom. 52 in Mt 4; PG 58, 510; 524) usw. ¦ add ιδου/ ecce: it M ● i (11,41b) εσται/ erunt: Tert P 45 D Γ f 1.13 pc a d Chrys (Hom. 50 in Mt 4; PG 58, 510; Hom. Lc 12,49; PG 62, 742) ¦ εστιν/ (omnia munda) sunt: aur b c f ſſ 2 i l q r 1 M ● k (11,42) ανηθον: P 45 pc e vg ms ¦ κυμινον: 2542 (vgl. Mt 23,23) ¦ ανηθον και το πηγανον: f 13 pc ¦ πηγανον: M (*Ev non test.) ● l (11,42b) κλησιν/ vocationem: Tert Epiph ¦ κρισιν/ iudicium: it M ● m (11,42) ταυτα δε εδει ποιησαι κακεινα μη παρειναι: om D d (e: pon. post vs. 41) ¦ add P 75 א 1 B* L f 13 1071 (δε: 700; - δε, μη: 1241) a aur (b) c e f ſſ 2 i l q r 1 vg sy (c).p.h sa bo armen aeth georg slav Ambr (Lc. 7,104; CCL 14, 249) August (Ench. Laur. 20,76; CCL 46, 91); αϕιεναι (vgl. Mt 23,23): B 2 C W Θ Ψ 0108 f 1 33; αϕειναι: P 45 א * 892 pc; παραϕιεναι: A 1 ● n (11,43) Φαρισαιοι: א D it vg mss sy s.c.p Clem (Paed. 3,12,93; GCS 12, 287) ¦ τοις Φαρισαιοις: M (*Ev non test.) ● o (11,43) και (τας) πρωτοκλισιας εν τοις δειπνοις: add C (D f 13 ) pc b d l q r 1 ¦ om: a aur c f ſſ 2 i M (vgl. Mt 23,6; *Ev non test.) ● p (11,44) γραμματεις και Φαρισαιοι: D d i r 1 ¦ γρ. και Φαρ. υποκριται: A W Θ Ψ f 13 b f q sy p.h bo pt ¦ om P 45.75 א B C L f 1 33 1241 2541 pc a aur c e ſſ 2 g 1 gat l vg sy s.c sa bo pt armen georg I.II (*Ev non test.) ● q (11,44) εστε μνημεια: D a b c d e ſſ 2 i l q r 1 sy s.c ¦ ως εστε μνημεια: P 45 ¦ εστε ως μνημεια τα αδηλα: W ¦ εστε ως τα μνημεια τα αδηλα: M (*Ev non test.) ● r (11,44) οι: om P 75 A D W f 1.13 ¦ add א B C L (Θ) Ψ 33 579 1241 pc (*Ev non test.) ● s (11,46b) υμεις: P 75 B 579 713 1241 ¦ om D (it) M (*Ev non test.) ● t (11,46b) υμων/ vestro: om Tert P 75 903 2643 c e vg mss ¦ add: a aur b d f i l q r 1 M ● u (11,46b) τοις ϕορτιοις: om Tert D (a) b d q sy s.c ¦ add a aur c e f ſſ 2 i l q r 1 M ● v (11,47) μνηματα: Epiph ℓ1056 Chrys (Hom. 74 in Mt 1, PG 58, 679) ¦ μνημεια: M ● w (11,47) και οι: Epiph א * C ¦ οι δε: it M ● x (11,48) μαρτυρειτε: P 75 A C D W Θ Ψ f 1.13 33 it vg sy ¦ μαρτυρες εστε: א B L 700* 892 1241 2542 Orig (Cels. 2,75; GCS 2, 196) (*Ev non test.) ● y (11,48) μη συνευδοκειν/ non consentire: Tert D d; a b q (non consentientes); e (consentitis non placere vobis facta) ¦ και συνευδοκειτε/ consentire: c i l; f (consentientes); aur vg (quod consentitis); r 1 (quia consentitis) M . C. Die Weherede ist durch Tertullian und Epiphanius größtenteils für *Ev bezeugt, und zwar auch in wörtlichen Zitaten. Für den nicht bezeugten V. *44 machen die charakteristischen Varianten wahrscheinlich, dass auch er im vorkanonischen 11,37-48 Rekonstruktion 883 Text enthalten war. Ansonsten geben die synoptischen Parallelen in Mt 23 sowie in Mk 7,1-9 || Mt 15,1-9 überlieferungsgeschichtliche Hinweise auf die genauere Gestalt des vorkanonischen Textes. 1. Zu *11,37 zeigt der Vergleich zwischen dem kanonischen Mehrheitstext und D (it) sy die Spuren der lk Redaktion; sie hat die Weherede enger an die vorangehende Belehrung im Anschluss an den Exorzismus des Stummen angeschlossen und dadurch den abrupten Szenenwechsel in das Haus eines Pharisäers im vorkanonischen Text etwas plausibler gemacht (Lk 11,37: ἐν δὲ τῷ λαλῆσαι ἐρωτᾷ αὐτὸν Φαρισαῖος …). 2. Für den Beginn der Antwort Jesu auf den stillen Einwand des Pharisäers sind aufgrund der direkten Bezeugung und der handschriftlichen Varianten einige Veränderungen des vorkanonischen Textes durch die lk Redaktion zu vermerken: a. Die Wendung *11,38a ἤρξατο διακρινόμενος ἐν ἑαυτῷ λέγειν leitet die Frage (διὰ τί) ein, die Jesus anschließend beantwortet. Demgegenüber ist die kanonische Einleitung erkennbar eleganter formuliert (ἰδὼν ἐθαύμασεν ὅτι), aber sie gibt nicht mehr zu erkennen, dass die mit διὰ τί eingeleitete Frage nach dem Händewaschen vor dem Essen außer in *11,38 auch noch in Mk 7,5 || Mt 15,2 in Bezug auf die Jünger Jesu erscheint. Für die schwierigen überlieferungsgeschichtlichen Verhältnisse wird schon hier erkennbar, dass die Belehrung über Rein und Unrein in Mk 7,1-9 || Mt 15,1-9 ihren Ursprung in der Chrie *11,37ff besitzt. Mk hat die »große Ergänzung« 6,45-8,26 ist also nicht »frei erfunden«, sondern wenigstens zum Teil aus dem vorkanonischen Material in *Ev weiter entwickelt. b. Die Ersetzung von ὁ Ἰησοῦς durch auktoriales ὁ κύριος in Lk 11,39 ist eines der typischen Merkmale der lk Redaktion und taucht verschiedentlich auf. 1 An dieser Stelle ist die vorkanonische Formulierung durch Tertullian sichergestellt, wie seine Zusammenfassung zeigt. 2 c. Auch die Qualifizierung der kritisierten Pharisäer als »Heuchler« (ὑποκριταί, *11,39) wird auf den vorkanonischen Text zurückgehen, wie die »Westliche« Lesart in D b d nahelegt. 3. Auch für *11,40f liefern die Varianten der Handschriften Gesichtspunkte, die auf den vorkanonischen Wortlaut schließen lassen. a. In *11,40f ist die Situation etwas komplizierter, weil hier der von Tertullian für *Ev bezeugte Text mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits durch die kanonische Überlieferung kontaminiert ist: Denn die von Tertullian referierte Abfolge von ______________________________ 1 S. o. § 5 (Bd. I, S. 93ff). 2 Tert. 4,27,2: I e s u s autem etiam interpretatus est ei legem, dicens illos calicis et catini exteriora emundare ... 884 Anhang I 11,37-48 Außen und Innen entspricht der Mehrheit der Handschriftenüberlieferung. 3 Andere Handschriften, unter denen sich nicht nur die üblichen Verdächtigen (D a c d e) befinden, sondern auch andere, ansonsten als »zuverlässig« geltende Zeugen ( P 45 u. a.), haben dagegen die umgekehrte Abfolge τὸ ἔσωθεν - τὸ ἔξωθεν. Dies ist im Kontext die deutlich problematischere Lesart, weil die Argumentation ja darauf abzielt, dass auch das Innere rein sein soll, das deshalb besser am Ende steht. Die lk Redaktion hat diese Ungeschicklichkeit beseitigt. b. In seinem Referat zu *11,41 setzt Tertullian für *Ev voraus, dass die kritisierten Pharisäer nicht den Inhalt (sc. der Schüsseln: τὰ ἐνόντα) als Almosen geben sollen, sondern ihre Habe (quae habetis). Da sich bei ihm auch sonst Zitat, Anspielung oder Zusammenfassung häufig nicht klar unterscheiden lassen, wäre auf diese Abweichung nicht viel zu geben, wenn sie nicht der Sache nach auch in anderen Zeugen auftauchte. Es ist dabei nicht leicht auszumachen, ob die ursprüngliche Formulierung τὰ ὑπάρχοντα, τὰ ὄντα oder ἃ ἒχετε lautete. Die Entscheidung für τὰ ὑπάρχοντα in der Rekonstruktion geht davon aus, dass diese nominale Wendung im Lateinischen am ehesten durch einen Relativsatz aufgelöst wird, wie ihn auch Tertullian bezeugt (quae habetis). Unter dieser Voraussetzung erforderte die kanonische Änderung in τὰ ἐνόντα einen nur geringfügigen Eingriff in *Ev. c. In *11,41b sind zwei kleine Änderungen zu vermerken: Von nur untergeordneter semantischer Bedeutung, gleichwohl aber aufschlussreich ist das Fehlen von ἰδού in Tertullians Referat von *11,41b. Obwohl es in der griechischen und lateinischen Überlieferung durchweg bezeugt ist, fehlt es außerdem bei Tatian, in der äthiopischen und in Teilen der bohairischen Überlieferung sowie bei Chrysostomus. Das Fehlen wird nicht auf gemeinsame Nachlässigkeit zurückgehen, sondern ist eine Spur des vorkanonischen Textes: Der Septuagintismus ist an dieser Stelle erst durch die lk Redaktion geschaffen worden. Außerdem las Tertullian am Ende konsekutives Futur (ἔσται/ erunt) anstelle des von der Mehrheit der kanonischen Handschriften bezeugten Präsens. Da diese Lesart auch in einem Teil der kanonischen Überlieferung auftaucht (darunter nicht nur die erwartbaren »Westlichen« Zeugen D a d, sondern auch P 45 u. a.), spricht einiges dafür, dass sie den ursprünglichen Text bietet. 4. Für den ersten Weheruf *11,42 sind eine Reihe von Abweichungen zu verzeichnen. Tertullian referiert, dass die Weherede sich nicht nur an die Pharisäer, sondern auch an die doctores legis richtete (4,27,1). Da für *11,44 aufgrund der handschriftlichen Bezeugung nahe liegt, dass hier ursprünglich neben den Pharisäern auch die Schriftgelehrten genannt waren (s. gleich zu *11,44), wird Tertullians ______________________________ 3 Lk 11,40: οὐχ ὁ ποιήσας τ ὸ ἔ ξ ω θ ε ν καὶ τ ὸ ἔ σ ω θ ε ν ἐποίησεν; Tert. 4,27,2: Nonne qui e x t e r i o r a fecit, id est carnem, et i n t e r i o r a fecit, id est animam? 11,37-48 Rekonstruktion 885 Erwähnung der doctores legis kein Zitat aus *11,42 sein, sondern seine eigene Zusammenfassung widerspiegeln. Daneben ist die Reihe der verzehnteten Gewürzen in *11,42 unterschiedlich überliefert. Tertullian P 45 usw. Mt 23,23 M f 13 usw. mentem τὸ ἡδύοσμον τὸ ἡδύοσμον τὸ ἡδύοσμον τὸ ἡδύοσμον καὶ τὸ ἄνηθον καὶ τὸ ἄνηθον καὶ τὸ ἄνηθον rutam καὶ τὸ πήγανον καὶ τὸ πήγανον καὶ τὸ κύμινον holuscula καὶ πᾶν λάχανον καὶ πᾶν λάχανον καὶ πᾶν λάχανον Tertullians zitiert nicht, sondern fasst zusammen, nennt aber immerhin die drei Stichworte, die auch der kanonische Text hat (ἡδύοσμον/ mentem; πήγανον/ rutam; λάχανον/ holuscula), wenn auch nicht in der gleichen Reihenfolge. Die Lesart in f 13 usw. stellt erkennbar eine Konflation aus dem mt und dem lk Text dar. In diesem Fall liegt dann auch nahe, dass die Erwähnung von Dill (ἄνηθον) in P 45 usw. auf das gleiche Phänomen zurückgeht: Die Fassung des Mehrheitstextes markiert keine Zusammenfassung älterer Formen, sondern gehört bereits an den Anfang der Überlieferungsgeschichte: Die Verzehntungsliste in *Ev enthielt zwei Gewürzkräuter (Minze und Raute) neben dem allgemeineren »Gemüse« (λάχανον). Mt hat dieses letztere durch ein weiteres Gewürz (Kümmel) ersetzt. Sehr viel wichtiger als diese Korrekturen ist die durch Epiphanius und Tertullian übereinstimmend bezeugte Lesart κλήσιν/ vocationem anstelle von κρίσιν/ iudicium im kanonischen Text. Die Änderung geht auf Lk zurück: Die kanonische Fassung parallelisiert zwei verschiedene Bereiche von Gesetzesforderungen. Diese Änderung stammt aus Mt 23,23, und hier ist sie auch sehr sinnvoll: Mt kontrastiert die Geringfügigkeit 4 der Verzehntung so seltener und in geringer Menge verwendeter Gewürze wie Minze, Dill und Kümmel mit den βαρύτερα τοῦ νόμου, die dann ebenfalls durch drei Stichworte charakterisiert werden: κρίσις, ἔλεος, πίστις. Das nachfolgende Bildwort (Mt 23,24: Mücke - Kamel) verdeutlicht die Unverhältnismäßigkeit, mit der Kleinigkeiten beachtet, schwerwiegende Vorschriften aber vernachlässigt werden. Lk 11,42 ist Mt 23,23 in der Kontrastierung verschiedener Bereiche von Forderungen des Gesetzes gefolgt und hat die gleiche Konsequenz gezogen. Allerdings hat Lk die parallele Dreierstruktur der Kontrastierung nicht übernommen, sondern nur das Stichwort κλήσιν aus *Ev in κρίσιν geändert: Er stellt der Verzehntung das Erwähltsein und die Liebe Gottes gegenüber. In diesem Fall ist die Genitivverbindung (τὴν κλῆσιν καὶ τὴν ἀγάπην) τοῦ θεοῦ ein Gen. subj. und die ganze Wendung ______________________________ 4 Oder, sofern Raute (gemäß mShev IX 1) nicht verzehntet werden muss: die Überflüssigkeit. 886 Anhang I 11,37-48 als Erwählungsaussage zu verstehen: Im Unterschied zur mt-lk Fassung, in der die ἀγάπη τοῦ θεοῦ eindeutig das von den Kritisierten vernachlässigte Verhalten ist, sprach *Ev von Gottes erwählender Liebe. Da *Ev allerdings gar nicht ausführt, worin sich die Geringschätzung des Erwähltseins äußern sollte, erscheint die redaktionelle Änderung in Mt 23,23 als naheliegend. Um das Missverständnis zu vermeiden, dass die Beachtung der βαρύτερα τοῦ νόμου an die Stelle der Verzehntung trete, hat Mt die Mahnung angeschlossen, das eine zu tun und das andere deswegen nicht zu lassen. Lk ist ihm darin gefolgt (ταῦτα δὲ ἔδει ποιῆσαι κἀκεῖνα μὴ παρεῖναι), wie die handschriftliche Überlieferung zeigt: Die Wendung fehlt in D d, in e steht sie direkt nach 11,41. Abgesehen von der handschriftlichen Bezeugung wäre eine direkte Aufforderung Jesu zur Einhaltung der Zehntbestimmungen im marcionitischen Evangelium für Tertullian ein hochwillkommenes Argument gewesen: Er hätte sich den Hinweis kaum entgehen lassen, dass Jesus selbst die Einhaltung der at.lichen Zehntbestimmungen fordert. Aus der Perspektive der Lk-Priorität ist daher Harnacks Urteil folgerichtig: »Den Schluß des Verses mußte M. tilgen«. 5 Aber umgekehrt entspricht der Inhalt - Almosen geben und gleichzeitig die Forderungen der Tora beachten - sehr genau dem theologischen Konzept der lk Redaktion. 6 5. In *11,43 ergibt sich die direkte Anrede im Vokativ (οὐαὶ ὑμῖν Φαρισαῖοι) anstelle des Dativs der kanonischen Fassung (οὐαὶ ὑμῖν τοῖς Φαρισαίοις) nur aus der abweichenden Handschriftenüberlieferung (neben D it sy auch א ). Wichtiger ist hier das durch D it u. a. bezeugte dritte Glied des Vorwurfs καὶ τὰς πρωτοκλιςίας ἐν τοῖς δείπνοις. Es taucht der Sache nach auch in Mt 23,6 auf. Allerdings machen die andere Formulierung und die andere Reihenfolge der Vorwürfe in Mt 23 es unwahrscheinlich, dass dieser Vorwurf erst auf der Ebene der handschriftlichen Überlieferung als Angleichung an Mt 23,6 in den kanonischen Lk-Text eingedrungen ist. Wie auch sonst so häufig, liegt es näher, dass Mt den Vorwurf, die Pharisäer würden sich bei den Gelagen den Ehrenplatz aussuchen, aus *Ev kannte. 7 Die abweichende Reihenfolge der Vorwürfe ergibt sich dadurch, dass Mt einen vierten Vorwurf (καὶ καλεῖσθαι ὑπὸ τῶν ἀνθρώπων, Ῥαββί) ergänzt und betont an das Ende stellt (Mt 23,7), um daran die für ihn sehr wichtige Mahnung an die Jünger anschließen zu können (23,8: ὑμεῖς δὲ μὴ κληθῆτε, Ῥαββί, εἷς γάρ ἐστιν ὑμῶν ὁ ______________________________ 5 H ARNACK 210f*. 6 Vgl. M. K LINGHARDT , Gesetz und Volk Gottes, Tübingen 1988, 29.36 u. ö. 7 Zur Sache vgl. M. K LINGHARDT , Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft, Tübingen 1996, 75ff. 11,37-48 Rekonstruktion 887 διδάσκαλος). 8 Warum Lk diesen Vorwurf nicht aus Mt übernommen hat, lässt sich nicht mehr ausmachen. 6. V. *44 ist ebenfalls unbezeugt. Er hat eine Parallele in Mt 23,27. Allein aufgrund des redaktionellen Interesses lässt sich allerdings nicht sicher entscheiden, ob Mt den Wortlaut von *Ev oder ob Lk die mt Fassung verändert hat. Allerdings deuten auch hier wieder die handschriftlichen Varianten darauf hin, dass *11,44 in *Ev enthalten war: Im Unterschied zum Mehrheitstext, der zu diesem Weheruf keine Adressaten enthält, haben D it γραμματεῖς καὶ Φαρισαῖοι, während eine Reihe anderer Handschriften noch ὑποκριταί dazusetzen. Die längere Fassung (γραμματεῖς καὶ Φαρισαῖοι ὑ π ο κ ρ ι τ α ί ) ist ein redaktionelles Merkmal der mt Fassung (Mt 23,13.15.23.25.27.29), wie besonders der Weheruf Mt 23,15 zeigt, der ohne Parallele in Lk (und *Ev) ist. Daher liegt es nahe, dass der vorkanonische Text die durch D it bezeugte Kombination γραμματεῖς καὶ Φαρισαῖοι enthielt, die dann von einem Teil der Überlieferung in Analogie zu den mt Belegen um ὑποκριταί ergänzt wurde. Für diese Lösung spricht auch das Fehlen einer Vergleichspartikel in *11,44 (D it sy); ihre Einfügung wird erst auf die lk Redaktion zurückgehen: Den ausgeführten Vergleich hat Mt betont in seine Entsprechung eingefügt (Mt 23,27: παρομοιάζετε τάϕοις) und so die harte Metapher μνημεῖα ἄδηλα erklärend aufgelöst. Der Mehrheitstext von Lk 11,44 hat immerhin ein einfaches ὡς eingefügt, das aber in unterschiedlichen Positionen begegnet und dadurch bestätigt, dass die Vergleichspartikel ursprünglich fehlte. 7. Das vierte Wehewort *11,46 ist von Tertullian durch seine Zusammenfassung bezeugt, unbezeugt ist dagegen *11,45. Ein Urteil zu V. *45 ist schwierig. Der vorkanonische Text hatte davor zwei Weherufe, die sich an die Pharisäer richten, sowie einen an die Schriftgelehrten und Pharisäer. Mit den Gesetzeslehrern ist jetzt eine dritte Untergruppe genannt. Die Einleitung V. *45 führt die Gesetzeslehrer (νομικοί) als dritte Adressatengruppe in die Weherede ein; sie sind auch für *11,46 eindeutig bezeugt. 9 Wieso ausgerechnet der Weheruf *11,44 die Entrüstung des Gesetzeslehrers provoziert, lässt sich nicht ausmachen; der Einwand wäre eher nach *11,42 erwartbar. Es ist daher denkbar, dass *11,45 durch die lk Redaktion eingefügt wurde, um den plötzlichen Adressatenwechsel zu motivieren. Aber die gleiche Überlegung lässt sich auch für den vorkanonischen Text anstellen. Da Mt ______________________________ 8 Zum Schüler-Lehrer-Verhältnis und seiner Bedeutung für das mt redaktionelle Konzept vgl. M. K LINGHARDT , Erlesenes Verstehen. Leserlenkung und implizites Lesen in den Evangelien, ZNT 21 (2008), 27-37: 27-30. 9 Tert. 4,27,6: doctores legis. Lk 11,46 D a d e (τοῖς νομικοῖς/ legis doctoribus); aur c f i l q r 1 (legis peritis). 888 Anhang I 11,37-48 die Adressaten durchweg redaktionell vereinheitlicht hat, ist auch kein überlieferungsgeschichtliches Argument möglich. Damit bleibt als einziger Fingerzeig das auch von Tertullian bezeugte einleitende καί/ et in V. *46, das einen betonten Einschluss der Gesetzeslehrer nahelegt, wie er nach dem vorangehenden Einwand zu erwarten wäre. Insgesamt spricht mehr dafür als dagegen, dass V. *45 im vorkanonischen Text enthalten war. Sehr viel leichter ist die Gestalt von V. *46 zu rekonstruieren: Abgesehen von der Bezeugung durch Tertullian sind hier wieder die Lesarten des kanonischen Textes als Hinweise auf eine vorkanonische Gestalt zu verstehen: Das betonte Personalpronomen (καὶ αὐτοὶ) ὑμεῖς ( P 75 B usw.) entspricht dem Possessivpronomen (ἑνὶ τῶν δακτύλων) ὑμῶν, das nun aber nicht nur in P 75 usw. fehlt, sondern auch in c e: Die lk Redaktion hat hier eine sprachlich elegantere Lösung gefunden. Ganz entsprechend ist das Fehlen des abschließenden τοῖς ϕορτίοις in D (it) sy mit großer Wahrscheinlichkeit ein Zeichen für die Interferenz der Überlieferung zweier Ausgaben und daher wohl ein Element des vorkanonischen Textes. 8. Die Vv. *47f sind gut bezeugt, V. *47 durch ein wörtliches Zitat bei Epiphanius sogar recht genau (Schol. 27). Die geringfügigen und semantisch unauffälligen Abweichungen vom Mehrheitstext werden dabei wiederum durch einige wenige Zeugen gestützt. Ähnliches gilt für *11,48a: Auch hier sind die Abweichungen, die sich durch Tertullians Bezeugung nahelegen, durch die Varianten der kanonischen Handschriftenüberlieferung gestützt. Von einiger Bedeutung ist dabei, dass Tertullian zusammen mit D a b d e q gegen die Mehrheit der kanonischen Überlieferung eine Negation bezeugt (μαρτυρεῖτε μ ὴ συνευδοκεῖν). Der Sinn unterscheidet sich daher erheblich von der kanonischen Fassung. Der vorkanonische Text argumentierte: Weil ihr den Propheten Grabmäler errichtet, die von euren Vätern getötet wurden, bezeugt 10 ihr, dass ihr nicht mit den Werken eurer Väter übereinstimmt. Das Errichten von Grabmalen drückt hier also die Distanzierung von den Prophetenmördern aus. Der kanonische Text - »ihr seid Zeugen, indem ihr mit den Werken eurer Väter übereinstimmt« - kritisiert dagegen die Solidarität mit den Mördern und die Distanzierung von den Opfern: Dies ist eine Aktualisierung der deuteronomistischen Prophetenmordtradition, wie sie für die lk Redaktion typisch ist. Zu den entscheidenden Belegen gehört die gleich folgende Passage Lk 11,49-51 (s. dort), aber auch Lk 13,34 red. (s. dort); Act 7,52; 8,1; 22,20. Schon diese Entsprechungen legen nahe, dass die kanonische Formulierung ein Teil des redaktionellen Gesamtkonzeptes ist. Ein ähnlicher Gedanke liegt auch *6,23 vor, hier allerdings mit dem Unterschied, dass von Schmähung usw. der Propheten bzw. Apostel die Rede ist, nicht aber von Mord: ______________________________ 10 Die verbale Formulierung μαρτυρεῖτε mit D it sy P 75 A C W Θ Ψ u. a. anstelle von μάρτυρές ἐστε. 11,37-48 Rekonstruktion 889 Ist dies ein Hinweis darauf, dass sich die Situation zwischen dem vorkanonischen Evangelium und Lk geändert hat? Die Semantik der vorkanonischen Argumentation *11,48a ist ungewohnt, wenn nicht schwierig, weil nicht recht deutlich wird, weswegen die Adressaten eigentlich kritisiert werden: Was genau ist an der Distanzierung von den Taten der Väter so falsch, dass den Adressaten deswegen das Wehe angedroht wird? Im Kontext der Weherede kann es nur um den Gegensatz zwischen dem äußeren Tun und der inneren Haltung gehen, die bereits im einleitenden Dialog zum Ausdruck kommt (außen/ innen: *11,39-41). Der erste Weheruf kontrastiert die Zehntpraxis, also äußeres Verhalten, mit der Vernachlässigung der Erwählung (*11,42). Im dritten und vierten Weheruf fehlt eine Kontrastierung. Aber die Kritik am Streben nach öffentlicher Anerkennung (*11,43) impliziert, dass solche Anerkennung unangemessen, weil nicht durch Taten gedeckt wäre. Genau dies bringt der Vorwurf zum Ausdruck, die Kritisierten seien μνημεῖα ἄδηλα: In Wahrheit sind sie tot und werden von den Menschen mit Füßen getreten. Im Gefälle dieser Vorwürfe kann das fünfte Wehe nur implizieren, dass die Gesetzeslehrer sich vorgeblich - aber nicht tatsächlich - von den Taten der Väter distanzieren: Alle Vorwürfe implizieren die Heuchelei, die den Pharisäern in der einleitenden Szene vorgeworfen wird (ὑποκριταί: *11,39). Mt hat diesen Sinn erkannt und den Vorwurf der Heuchelei durchweg in seine stereotype Anrede (γραμματεῖς καὶ Φαρισαῖοι ὑποκριταί: 23,13.15.23.25.27.29) aufgenommen. Und er hat die Kritik aus *11,48 in genau diesem Sinn verstanden, wie der erklärende Zusatz Mt 23,30 und die sarkastische Aufforderung 23,32 zeigen: Als heuchlerischen, weil nicht ernst gemeinten Versuch der Distanzierung von den Taten der Väter. 11 Mit dieser Erklärung wird *11,48a als vorkanonischer Text plausibel. Die eigenartige Wiederholung des Vorwurfs in 11,48b ist unbezeugt, war aber vermutlich in *Ev enthalten. Sie begründet das Wehe: Weil die Väter gemordet haben und ihr baut (αὐτοὶ μέν - ὑμεῖς δέ). Diese Begründung (ὅτι) stößt sich mit der folgenden Begründung in Lk 11,49 (διὰ τοῦτο), die eine Ergänzung der lk Redaktion ist (s. dort). 9. In überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht ist *11,37-48 aufschlussreich, weil auf diese Weise das Verhältnis zwischen Lk 11 und Mt 23 klarer wird. Im Horizont der Zwei-Quellentheorie ergeben sich hier unüberwindbare Schwierigkeiten. Zwar ______________________________ 11 Mt 23,29-32 hat den Erklärern seit jeher Schwierigkeiten bereitet, vgl. nur L UZ , Mt III 343ff. Mit der hier rekonstruierten Vorlage *Ev wird zwar nicht das sachliche, wohl aber das überlieferungsgeschichtliche Problem dieser Stelle lösbar: Solange der kanonischen Lk-Text als Analogie herangezogen wird, bleibt die angenommene »Q«-Vorlage problematisch (vgl. dazu P. H OFFMANN , Studien zur Theologie der Logienquelle, Münster 2 1972, 163ff). 890 Anhang I 11,37-48 ist der enge literarische Zusammenhang kaum zu leugnen, 12 aber die »Fruchtlosigkeit der bisherigen überlieferungs- und redaktionsgeschichtlichen Diskussion hat ansonsten deutlich gemacht, dass es gänzlich ausgeschlossen ist, weitergehende Aussagen über die Vorstufe(n) der beiden vorliegenden Texte zu machen, die mehr sind als konsensunfähige Vermutungen.« 13 Ohne die sich hier ergebenden Fragen im Einzelnen beantworten zu können, lässt die Rekonstruktion des vorkanonischen Textes aber immerhin erkennen, dass und wie die mt und die lk Fassung der Wehe-Rede zustande gekommen sind: Beide haben in unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlicher Intention dieselbe Grundlage bearbeitet. *11, 49-51 52.53-54: Pharisäerrede II: Sendung und Mord der Propheten und Apostel. Abschluss Nur geringfügig (*11,52) für *Ev bezeugt und vorhanden; ansonsten sicher bzw. wahrscheinlich durch die lk Redaktion ergänzt. a 11,49 διὰ τοῦτο b καὶ ἡ σοϕία τοῦ θεοῦ εἶπεν, b c Ἀποστέλλω εἰς αὐτοὺς προϕήτας καὶ ἀποστόλους, καὶ ἐξ αὐτῶν ἀποκτενοῦσιν καὶ διώξουσιν, 50 ἵνα ἐκζητηθῇ τὸ αἷμα πάντων τῶν προϕητῶν τὸ ἐκκεχυμένον ἀπὸ καταβολῆς κόσμου d ἕως τῆς γενεᾶς ταύτης, 51 ἀπὸ αἵματος ῞Αβελ e τοῦ δικαίου e ἕως αἵματος Ζαχαρίου f ὑιοῦ Βαραχίου ὃν ἐϕόνευσαν ἀναμέσον τοῦ θυσιατηρίου καὶ τοῦ ναοῦ f · ναί, λέγω ὑμῖν, ἐκζητηθήσεται ἀπὸ τῆς γενεᾶς ταύτης. a 52 οὐαὶ ὑμῖν τοῖς νομικοῖς, ὅτι g ἐκρύψατε τὴν κλεῖδα τῆς γνώσεως· h καὶ αὐτοὶ οὐκ εἰσέρχεσθε καὶ τοὺς εἰσερχομένους ἐκωλύσατε. 53/ 54 i λέγοντος δὲ ἀυτοῦ ταῦτα πρὸς αυτοὺς i k ἐνώπιον πάντος τοῦ λαοῦ ἤρξαντο οἱ Φαρισαῖοι καὶ οἱ νομικοὶ δεινῶς ἔχειν καὶ συμβάλλειν ἀυτῷ περὶ πλειόνων ζητοῦντες ἀϕορμήν τινα λαβεῖν ἀυτοῦ ἵνα εὕρωσιν κατηγορῆσαι ἀυτοῦ. k A. *11,49-51: Epiph., Schol. 28: οὐκ εἶχεν Διὰ τοῦτο εἶπεν ἡ σοϕία τοῦ θεοῦ, Ἀποστελῶ εἰς αὐτοὺς προϕήτας καὶ περὶ αἵματος Ζαχαρίου καὶ ῞Αβελ καὶ τῶν προϕητῶν, ὅτι ἐκζητηθήσεται ἐκ τῆς γενεᾶς ταύτης. ♦ *11,52: Tert. 4,27,9: Quam vero clavem habebant legis doctores nisi interpretationem legis? ad cuius intellectum neque ipsi adibant, non credentes scilicet … neque alios admittebant, utique docentes praecepta potius et doctrinas hominum. Qui ergo nec ipsos introeuntes nec aliis aditum praestantes increpabat, obtrectator habendus est legis an fautor? Si obtrectator, placere debebant et praeclusores legis; si fautor, iam non et aemulus legis. ¦ 4,28,2: Igitur quoniam hypocrisim eorum taxarat, utique celantem occulta cordis et incredulitatis secreta ______________________________ 12 Vgl. etwa D. K OSCH , Die eschatologische Tora des Menschensohns, Fribourg - Göttingen 1989, 61ff. 13 W OLTER , Lk 430. 11,49-54 Rekonstruktion 891 superficialibus officiis obumbrantem, quae clavem agnitionis habens ne ipsa introiret nec alios sineret … B. a (11,49-51) vss. 49-51: om Epiph ¦ add M ● b (11,49) η σοϕια του θεου ειπεν: om D b d Lucif (Athan. 2,12; CSEL 14, 168) ¦ add it M (*Ev non test.) ● c (11,49) αποστελλω: D Θ 579 1241 1424 2542 pc b q r 1 (Epiph) ¦ αποστελω M (*Ev non test.) ● d (11,50) εως/ ad: D a b c d i l q r 1 sy s.c Lucif ¦ απο/ in (a): a aur f vg M (*Ev non test.) ● e (11,51) του δικαιου: K M Y Π pc aur c e i r 1 vg ms sy h** bo mss (vgl. Mt 23,35) ¦ om a d f l q M (*Ev non test.) ● f (11,51) υιου Βαραχιου ον εϕονευσαν αναμεσον του θυσ. και του ναου: D d (a c) sy s.c.p sa ms bo pt (vgl. Mt 23,35) ¦ om M (*Ev non test.) ● g (11,52) εκρυψατε/ abscondistis (absconditis): D Θ pc a [b] c d e q sy s.c ¦ ηρατε/ abstulistis (tulistis): aur f i l r 1 M (*Ev non test.) ● h (11,52) και: P 45 D f 13 pc a b c d i l q r 1 vg mss ¦ om aur e f vg M (*Ev non test.) ● i (11,53) λεγοντος δε αυτου ταυτα προς αυτους: A (D) W Θ Ψ f 1.13 latt sy (bo ms ) ¦ κακειθεν εξελθοντος αυτου M (*Ev non test.) ● k (11,53/ 54) ενωπιον παντος του λαου ηρξαντο οι Φαρισαιοι και οι νομικοι δεινως εχειν και συμβαλλειν αυτω περι πλειονων ζητουντες αϕορμην τινα λαβειν αυτου ινα ευρωσιν κατηγορησαι αυτου: D (Θ it sy s.c ) ¦ ηρξαντο οι γραμματεις και οι Φαρισαιοι δεινως ενεχειν και αποστοματιζειν αυτον περι πλειονων, ενεδρευοντες αυτον θηρευσαι τι εκ του στοματος αυτου: M (*Ev non test.). C. Der Abschluss der Weherede gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten ist nur schwach bezeugt; er wirft erhebliche methodische Probleme auf, die hier eigens diskutiert werden müssen. 1. Positiv sind nur Teile von *11,52 in Tertullians zusammenfassendem Referat erwähnt, aus dem sich jedoch die genaue Gestalt dieses Verses nicht ableiten lässt. Sehr viel gewichtiger ist, dass Epiphanius für Lk 11,49-51 einen sehr genauen Auslassungsvermerk liefert, der Anfang und Ende der in *Ev fehlenden Passage benennt. Das Ende mit der Notiz der Aktionen gegen Jesus in 11,53f ist unbezeugt. 2. Das Hauptproblem liegt in Epiphanius’ eindeutiger Streichungsnotiz für Lk 11,49-51. Sie würde keine weiteren Probleme aufwerfen, wären nicht für diese Verse einige Lesarten in der handschriftlichen Überlieferung bezeugt, die alle Merkmale tragen, die ansonsten auf eine Interferenz zwischen vorkanonischer und kanonischer Textüberlieferung hinweisen und auf diese Weise die Existenz eines vorkanonischen Textes bestätigen. Ein ähnliches Problem war bereits für Lk 11,30 D (mit der Auslassungsnotiz bei Epiphanius, Schol. 25) aufgefallen (s. dort). Auch hier liegt die Lösung auf der gleichen Linie: Die auffälligen Lesarten verdanken sich dem Einfluss der mt Parallele in Mt 23,34-36. Die auffällige und typisch lukanische Vorstellung, dass die Weisheit als Instrument der göttlichen Prophezeiung dient (vgl. dazu auch 7,35 red., s. dort) fehlt in D b d (also Handschriften, die ohne weiteres zu den üblichen Verdächtigen für Interferenzen zwischen den beiden Textüberlieferungen gehören) sowie bei Lucifer von Cagliari. Mit der Einführung der Weisheit als prophetisches Medium hängt zusammen, dass die folgende Ankündigung im kanonischen Text im Futur (ἀποστελῶ) ergeht, während D b q r 1 u. a. Präsens lesen (ἀποστέλλω) und die Sendungsaussage auf Jesus in der erzählten Situation beziehen. Diese Abweichungen entsprechen jedoch genau der mt Parallelüberlieferung (Mt 23,34). Das Gleiche gilt auch für die Kennzeichnung Abels als »des 892 Anhang I 11,49-54 Gerechten« sowie der Qualifizierung des Sacharja durch das Patronym Berachja bzw. die aktive Formulierung über seine Tötung (Mt 23,35: Ζαχαρίου υἱοῦ Βαραχίου, ὃν ἐϕονεύσατε μεταξὺ τοῦ ναοῦ καὶ τοῦ θυσιαστηρίου || Lk 11,51 D it sy: Ζαχαρίου ὑιοῦ Βαραχίου ὃν ἐϕόνευσαν ἀναμέσον τοῦ θυσιατηρίου καὶ τοῦ ναοῦ ≠ Lk 11,51 M : Ζαχαρίου τοῦ ἀπολομένου μεταξὺ τοῦ θυσιαστηρίου καὶ τοῦ οἴκου). Die charakteristischen Lesarten der »üblichen Verdächtigen« sind in diesem Fall als Eintragungen aus dem mt Paralleltext zu werten. Das ist methodisch insofern ein Problem, als die entsprechenden Phänomene ansonsten als Hinweise auf einen vorkanonischen Text gewertet wurden. Dass die hier vorliegende Ausnahme die Regel nicht aufhebt, zeigen die überaus zahlreichen Entsprechungen zwischen den »Westlichen« Varianten und dem für *Ev bezeugten Text. Der methodische Preis, an dieser Stelle eine Ausnahme von dieser Regel annehmen zu müssen, erscheint im Blick auf diese sehr breite Bezeugung und auf die eindeutige Notiz bei Epiphanius gerechtfertigt. 3. Dass Lk 11,49-51 nicht in *Ev enthalten waren, sondern auf die lk Redaktion zurückgehen, passt auch inhaltlich in das Bild, das sich für das redaktionelle Konzept ergeben hatte. Einige charakteristische Elemente verbinden Lk 11,49-51 mit den ebenfalls red. Stücken Lk 7,29-35 und 11,30-32: a. Wie in 7,30 werden in 11,46ff neben den Pharisäern betont die νομικοί angeredet. b. Im Zentrum von 7,33f und 11,31f steht der überbietende Vergleich zwischen einerseits den prophetischen Zeugen (Täufer; Salomo; Jona) und andererseits dem Menschensohn. c. In 7,35 und 11,49 begegnet die Weisheit als Garantin der Erfüllung der Heilsgeschichte. d. Und schließlich ist in allen drei Texten sehr betont von »dieser Generation« (ἡ γενεὰ αὕτη) die Rede (7,31; 11,31f; 11,50f), an der das Gericht vollzogen wird. Diese wechselseitigen Beziehungen zwischen den drei Texten bringen sehr gut das gemeinsame theologische Profil der lk Redaktion zum Ausdruck. Vor dem Hintergrund dieser Interdependenzen erhellt auch, dass 7,29-35 mit großer Wahrscheinlichkeit auf die lk Redaktion zurückzuführen ist, obwohl für diese Passage kein ausdrücklicher Auslassungsvermerk vorliegt. 1 Lk 11,49-51 liefert eine Begründung für das fünfte Wehe in *11,47 und verdoppelt damit die Begründung, die bereits der vorkanonische Text in *11,48b gegeben hatte. Aus dieser Verdoppelung resultiert eine inhaltliche Spannung: *11,48b hatte kritisiert, dass die Gesetzeslehrer durch den Bau der Grabmale für die ermordeten Propheten die Morde als solche bestätigten und sich nur scheinbar von den Taten der Väter distanzierten. Lk 11,49-51 aktualisiert dagegen den Vorwurf des Propheten- und Apostelmords: Die Adressaten der Weherede werden selbst als Mörder identifiziert. Lk folgt mit dieser Aktualisierung der Prophezeiung Mt 23,34f, die ______________________________ 1 Zum Ganzen s. M. K LINGHARDT , ›Gesetz‹ bei Markion und Lukas, in: D. Sänger, M. Konradt (Hg.), Das Gesetz im frühen Judentum und im Neuen Testament, Göttingen - Fribourg 2006, 99-128: 109ff. 11,49-54 Rekonstruktion 893 auf die Verfolgungssituation der Kirche abzielt. Mt hatte allerdings die Begründung aus *11,48b übergangen und stattdessen direkt an das Wehe über die Grabmalbauer (Mt 23,29-31) die Aktualisierung angeschlossen: καὶ ὑμεῖς πληρώσατε τὸ μέτρον τῶν πατέρων ὑμῶν (23,32). Die überlieferungsgeschichtliche Rekonstruktion hat Folgen für die Identifizierung des genannten Propheten Sacharja und damit für das Verständnis der ganzen Einheit: Obwohl Abel kein Prophet war, ist er hier als der erste gewaltsam ums Leben gekommene Mensch angeführt: Die Tradition des Prophetenmordes wird bis auf die Schöpfung (11,50: ἀπὸ καταβολῆς κόσμου) zurückgeführt. Die Identifizierung des Sacharja ben Berachja ist notorisch schwierig, meist wird er mit Sacharja ben Jojada in Verbindung gebracht. 2 Dessen Schicksal - er wurde nach 2Chr 24,20ff zur Zeit des Königs Joas im Tempelvorhof gesteinigt - schließt die Vitae Prophetarum ab; nach VitProph 23,1 starb er in der Nähe des Thysiasterion »mitten« (ἀνὰ μέσον) vor der Vorhalle. 3 Wenn Lk 11,51 || Mt 23,35 diesen Sacharja aus 2Chr 24 im Blick gehabt hätten, müsste man annehmen, dass sich der Umfang der Prophetenmordtradition von der Schöpfung bis zum Ende auf die literarische Größe der hebräischen Bibel bzw. der Prophetenlegenden bezieht. 4 Mit diesem Sacharja aus 2Chr 24 konkurriert ein Sacharja S. d. Bareis (oder Baruch), von dem Josephus, Bell. 4,334-344 berichtet, er sei während des Jüdischen Kriegs im Jahr 66 n. Chr. von Zeloten ἐν μέσῳ τῷ ἱερῷ umgebracht worden (Bell. 4,343). Die Bevorzugung des Sacharja aus 2Chr vor diesem sehr viel besser passenden Kandidaten wird u. a. mit dessen Todesdatum begründet, da das »Spruchevangelium Q … mit Sicherheit vorher entstanden ist.« 5 Da die Erwähnung des Sacharja ben Berachja aber erst auf Mt und nicht auf »Q« zurückgeht, wird diese Identifikation plausibel. Demnach hätten Mt und in seiner Folge Lk die Geschichte der Morde vom Anfang der Schöpfung bis in die erzählte Gegenwart vor Augen gehabt, was die Verantwortlichkeit »dieser Generation« (Mt 23,36 || Lk 11,52) verständlich macht. 4. Das sechste Wehe in *11,52 ist zumindest rudimentär durch Tertullian bezeugt. Sind die geringen Abweichungen in der handschriftlichen Überlieferung Hinweis auf eine vorkanonische Textgestalt? Die Frage bleibt offen, ist an dieser Stelle aber ohne große semantische Relevanz. 5. Der Abschluss der Rede in *11,53f ist unbezeugt. Da der Inhalt dieser Verse für die Interessenlage der häresiologischen Referenten wenig hergibt, will das nicht viel sagen; einen wie immer gearteten Schluss wird man auch für die vorkanonische Fassung annehmen können. In diesem Fall sind wieder die deutlichen Abweichungen in der Textüberlieferung aufschlussreich: Da es keinen synoptischen Paralleltext gibt, auf den sie zurückgeführt werden könnten, sind sie als Hinweis auf eine vorkanonische Textgestalt ernst zu nehmen. Es ist daher wahrscheinlich, dass die Weherede in *Ev mit dem ______________________________ 2 Vgl. G NILKA , Mt II 301f; L UZ , Mt III 337f; W OLTER , Lk 436. 3 Zur Rekonstruktion vgl. A. M. S CHWEMER , Studien zu den frühjüdischen Prophetenlegenden Vitae Prophetarum II, Tübingen 1995, 283ff. 4 So etwa H. G. L. P EELS , The Blood »from Abel to Secharja«, ZAW 113 (2001), 583-601. 5 W OLTER , Lk 436. 894 Anhang I 11,49-54 Hinweis endete, dass die Pharisäer und Gesetzeslehrer anfingen, gewaltig auf Jesus einzudringen und noch mehr mit ihm zusammengerieten, weil sie einen Grund suchten ihn zu ergreifen, um ihn anzuklagen. *12,1-5 6f 8-12: Warnung vor der Heuchelei der Pharisäer. Aufforderung zu furchtlosem Bekenntnis Eindeutig bezeugt und zu großen Teilen sicher in *Ev vorhanden; sicher durch die lk Redaktion ergänzt. 12,1 a πολλῶν δὲ ὄχλων συμπεριεχὸντων κὺκλῳ ὥστε ἀλλήλους συμπνιγεῖν, a ἤρξατο λέγειν πρὸς τοὺς μαθητὰς αὐτοῦ, Πρῶτον προσέχετε b ἑαυτοῖς ἀπὸ τῆς ζύμης c τῶν Φαρισαίων, ἥτις ἐστὶν ὑπόκρισις c . 2 οὐδὲν d γὰρ δὲ συγκεκαλυμμένον e ἐστὶν ὃ f οὐ ϕανερωθήσεται f , g οὐδὲ κρυπτὸν ὃ οὐ γνωσθήσεται. 3 ἀνθ’ ὧν ὅσα ἐν τῇ σκοτίᾳ εἴπατε ἐν τῷ ϕωτὶ ἀκουσθήσεται, καὶ ὃ πρὸς τὸ οὖς ἐλαλήσατε ἐν τοῖς ταμείοις κηρυχθήσεται ἐπὶ τῶν δωμάτων. 4 Λέγω δὲ h †ὑμῖν† τοῖς ϕίλοις i †μου†, μὴ ϕοβηθῆτε ἀπὸ τῶν k ἀποκτενόντων τὸ σῶμα, l τὴν δὲ ψυχὴν μὴ δυναμένων ἀποκτεῖναι μηδὲ ἔχοντων περισσόν τι ποιῆσαι l . 5 ὑποδείξω δὲ ὑμῖν τίνα ϕοβηθῆτε· m [ ϕοβήθητε ] τὸν μετὰ τὸ ἀποκτεῖναι ἔχοντα ἐξουσίαν n †βάλλοντος† εἰς o τὴν γέενναν· ναί, λέγω ὑμῖν, τοῦτον ϕοβήθητε. 6 οὐχὶ πέντε στρουθία πωλοῦνται ἀσσαρίων δύο; καὶ ἓν ἐξ αὐτῶν οὐκ ἔστιν ἐπιλελησμένον ἐνώπιον τοῦ θεοῦ. 7 ἀλλὰ καὶ αἱ τρίχες τῆς κεϕαλῆς ὑμῶν πᾶσαι ἠρίθμηνται. μὴ ϕοβεῖσθε· πολλῶν στρουθίων διαϕέρετε. 8 Λέγω δὲ γὰρ ὑμῖν, πᾶς ὃς ἂν ὁμολογήσῃ ἐν ἐμοὶ p ἐνώπιον τῶν ἀνθρώπων, καὶ q ὁμολογήσω ἐν αὐτῷ r ἐνώπιον s τῶν ἀγγέλων s τοῦ θεοῦ· t 9 u καὶ πᾶς ὁ u ἀρνησάμενός με ἐνώπιον τῶν ἀνθρώπων ἀπαρνηθήσεται ἐνώπιον v τῶν ἀγγέλων v τοῦ θεοῦ. t 10 καὶ w πᾶς ὃς x εἴπῃ εἰς τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου, ἀϕεθήσεται αὐτῷ· y ὃς εἴπῃ εἰς δὲ τὸ ἅγιον πνεῦμα οὐκ ἀϕεθήσεται αὐτῷ οὔτε ἐν τῷ αἰῶνι τούτῳ οὔτε ἐν τῷ μέλλοντι. y 11 ὅταν δὲ εἰσϕέρωσιν ὑμᾶς z εἰς ¿τὰς συναγωγὰς καὶ τὰς ἀρχὰς καὶ? τὰς ἐξουσίας, μὴ aa προμεριμνᾶτε bb πῶς [ ἢ τί ] bb ἀπολογήσησθε ἢ τί εἴπητε· 12 τὸ γὰρ ἅγιον πνεῦμα διδάξει ὑμᾶς ἐν αὐτῇ τῇ ὥρᾳ ἃ δεῖ εἰπεῖν. A. *12,1: Tert. 4,28,1: Cavete, inquit discipulis, a fermento pharisaeorum, quod est hypocrisis, non praedicatio creatoris. Odit contumaces patris filius, non vult suos tales existere in illum, non in alium, in quem hypocrisis fuisset admissa, cuius exemplum a discipulis caveretur … ♦ *12,2f: Tert. 4,28,2: … ideo adicit, Nihil autem opertum, quod non patefiet, et nihil absconditum, quod non dinoscetur. ne quis existimet illum dei ignoti retro et occulti revelationem et adagnitionem 12,1-12 Rekonstruktion 895 intentare, cum subiciat etiam quae inter se mussitarent vel tractarent … in apertum processura, et in ore hominum futura, ex evangelii promulgatione. ♦ *12,4f: Tert. 4,28,3: Dehinc conversus ad discipulos, Dico autem, inquit, vobis amicis, nolite terreri ab eis qui vos solummodo occidere possunt, nec post hoc ullam in vobis habent potestatem. Sed iis erit Esaias praedicens: Vide quomodo iustus aufertur, et nemo advcrtit. Demonstrabo autem vobis quem timeatis: Timete eumqui postquam occiderit, potestatem habet mittendi in gehennam; creatorem utique significans: Itaque dico vobis, hunc timete. Et hoc in loco sufficeret mihi si quem timeri iubet offendi vetat, et quem offendi vetat demereri iubet, et qui haec mandat ipsius est cui timendo et non offendendo et demerendo procurat. ¦ Epiph., Schol. 29: Λέγω τοῖς ϕίλοις μου· μὴ ϕοβηθῆτε ἀπὸ τῶν ἀποκτενόντων τὸ σῶμα, ϕοβήθητε δὲ τὸν μετὰ τὸ ἀποκτεῖναι ἔχοντα ἐξουσίαν βαλεῖν εἰς γέενναν. ♦ 12,6f Epiph., Schol. 29: οὐκ εἶχεν δὲ Οὐχὶ πέντε στρουθία ἀσσαρίων δύο πωλοῦνται καὶ ἓν ἐξ αὐτῶν οὐκ ἔστιν ἐπιλελησμένον ἐνώπιον τοῦ θεοῦ. ♦ *12,8: Tert. 4,28,4: Sed habeo et de sequentibus sumere. Dico enim vobis, omnis qui confitebitur in me coram hominibus, confitebor in illo coram deo. Qui confitebuntur autem in Christo, occidi habebunt coram hominibus, nihil utique amplius passuri post occisionem ab illis. Hi ergo erunt quos supra praemonet ne timeant tantummodo occidi. ¦ Epiph., Schol. 30: ἀντὶ τοῦ Ὁμολογήσει ἐνώπιον τῶν ἀγγέλων τοῦ θεοῦ Ἐνώπιον τοῦ θεοῦ λέγει. ♦ *12,9: Tert. 4,28,4: ideo praemittens non timendam occisionem, ut subiungeret sustinendam confessionem: Et omnis qui negaverit me coram hominibus, denegabitur coram deo, ab eo utique qui illum confitentem confessurus fuisset. ♦ *12,10: Tert. 4,28,6: Post deterritam itaque negationem sequitur et blasphemiae formidandae admonitio: Qui dixerit in filium hominis, remittetur illi, qui autem dixerit in spiritum sanctum, non remittetur ei. ♦ *12,11f: Tert. 4,28,7: Quodsi et blasphemiam Christus a creatore avertit, quomodo adversarius ei venerit non scio. Aut si et per haec severitatem eius infuscat, non remissuri blasphemiam et occisuri etiam in gehennam, superest ut et illius diversi dei impune et spiritus blasphemetur et Christus negetur, et nihil intersit de cultu eius deve contemptu, et sicut de contemptu nulla poena, ita et de cultu nulla speranda sit merces. Perductos ad potestates prohibet ad interrogationem cogitare de responsione: Sanctus enim, inquit, spiritus docebit vos ipsa hora quid eloqui debeatis. B. a (12,1) πολλων δε οχλων συμπεριεχοντων κυκλω ωστε αλληλους συμπνιγειν: D aur d g 1 gat i l q r 1 vg (e f sy) ¦ εν οις επισυναχθεισων των μυριαδων του οχλου, ὥστε καταπατειν αλληλους: M (*Ev non test.) ● b (12,1) εαυτοις/ vobis: om Tert Θ 1203 2487 a aur g 1 gat i l q ¦ εαυτοις/ vobis: add b c d e f r 1 M ● c (12,1) των Φαρισαιων ητις εστιν υποκρισις: Tert P 45 א A C D W Θ Ψ f 1.13 33 a aur b c d f i l q r 1 vg sy bo Epiph ( M ) (vgl. Mk 8,15 || Mt 16,6) ¦ (3-5 1 2) P 75 B L 1241 e sa ● d (12,2) γαρ: D a d gat sy s.c.hmg vg 2 mss Tat arab aeth (Bodl. 41) (vgl. Mt 10,26) ¦ om א f 13 565 pc aur r 1 vg mss bo ¦ δε: b c e f i l q M ● e (12,2) εστιν/ est: om Tert 1200 1675 ℓ1663 vg (2 mss) ¦ εστιν/ est: add it M ● f (12,2) ου ϕανερωθησεται/ non patefiet: Tert D d ¦ ουκ αποκαλυϕθησεται: a aur b c e f i l q r 1 M ● g (12,2b) ουδε/ neque: Tert aur b f g 1 gat i l q r 1 vg sy s.c.p.j Tat arab bo 1 ms ¦ και/ et: a c d e M ● h (12,4) Widersprüchliche Bezeugung: (1) υμιν: om Epiph ¦ (2) add Tert it M ● i (12,4) Widersprüchliche Bezeugung: (1) μου/ meis: om Tert X 131 213 1242* a (quasi amicis) ¦ (2) μου/ meis: add Epiph aur b c d e f i l q r 1 M ● k (12,4) αποκτενοντων: Epiph D G H M W X Θ Λ Π Ω 028 047 0211 mult ¦ αποκτεινοντων: M ● l (12,4) την δε ψυχην μη δυναμενων αποκτειναι μηδε εχοντων περισσον τι ποιησαι: D d (157) ¦ και μετα ταυτα μη εχοντων περισσοτερον τι ποιησαι: M ● m (12,5) ϕοβηθητε: om א D pc a d sy p ¦ ϕοβηθητε: add Tert (! ) aur b c e f i l q r 1 M ● n (12,5) Widersprüchliche Bezeugung: (1) βαλλοντος/ mittendi: Tert a ¦ (2) βαλειν/ mittere: Epiph P 45 D 896 Anhang I 12,1-12 W aur b c d e f i l q r 1 M ● o (12,5) την: om Epiph R Ψ 157 700 903 ¦ add it M ● p (12,8a) ενωπιον/ coram: Tert a aur b c f ſſ 2 i l q r 1 ¦ εμπροσθεν/ in conspectu: d M ● q (12,8b) ομολογησω: Tert 1338 2757 (ομολογησω καγω: aeth) ¦ ο υιος του ανθρωπου ομολογησει: it M ● r (12,8b) ενωπιον/ coram: Tert Epiph a aur b c f ſſ 2 i l q r 1 ¦ εμπροσθεν/ in conspectu: d M ● s (12,8b) των αγγελων: om Tert Epiph א * ¦ add it M ● t (12,9) vs. om: P 45 2 2322 ℓ211 ℓ1642 e sy s bo 1 ms aeth (Bodl. 40) Basil (Spir 13,29; J OHNSTON 66) ¦ add Tert M ● u (12,9) και πας ο/ et omnis qui: Tert ¦ ο δε: it M ● v (12,9) των αγγελων: om Tert ¦ add it M ● w (12,10) πας: om Tert ¦ add it M ● n (12,10) ειπη/ dixerit: Tert D a c d e (dixerit sermonem) r 1 ¦ ερει λογον/ dicit verbum: aur b f ſſ 2 i l q M ● x (12,10) ειπη/ dixerit: Tert a c d e r 1 vg Athan (Ar. 1,50; PG 26, 116) ¦ ερει: aur b f ſſ 2 i l q M ● y (12,10) εις δε το πν. το αγ. ουκ αϕεθ. αυτω ουτε εν τω αιωνι τουτω ουτε εν τω μελλοντι: D d ¦ τω δε εις το αγιον πνευμα βλασϕημησαντι ουκ αϕεθησεται/ qui autem dixerit in spiritum sanctum, non remittetur ei: Tert it M ● z (12,11) εις/ in: D f 1.13 579 700 1241 2542 pc aur b d e f ſſ 2 i l q r 1 vg Heracl (Clem., Strom. 4,9,70; GCS 15, 280) ¦ επι/ ad: a c M (*Ev non test.) ● aa (12,11) προμεριμνατε: D Tat arab Heracl (ebd.) ¦ μεριμνησητε: M (*Ev non test.) ● bb (12,11) πως: D 157 ℓ859 pc it (qualiter: aur b f ſſ 2 i l q; quemadmodum: c; quomodo: a d e) sy c.p Tat arab Heracl (ebd.) Orig (Mart. 34; GCS 2, 29) CyrHier (Cat. 16,21) Ambr (Spir. I 4,60; CSEL 79, 40) ¦ τι: r 1 sy s Ambr 1 ms (ebd.) ¦ πως η τι: M (*Ev non test.). C. Der Bestand der Perikope ist insgesamt gut bezeugt: Außer den Vv. 6f, die eindeutig gefehlt haben, sind alle weiteren Bestandteile für *Ev belegt, wenn auch nur teilweise im Wortlaut; für diese Passagen geben die Varianten der handschriftlichen Überlieferung sowie überlieferungsgeschichtliche Beobachtungen weitere Aufschlüsse. 1. In der Einleitung mit der Warnung vor dem »Sauerteig« der Pharisäer *12,1-3 sind, abgesehen von der narrativen Einleitung in *12,1, alle inhaltlichen Bestandteile für *Ev bezeugt. Für den narrativen Anschluss an die vorangehende Weherede *12,1a bieten D it (sy) einen charakteristisch abweichenden Text (πολλῶν δὲ ὄχλων συμπεριεχὸντων κὺκλῳ ὥστε ἀλλήλους συμπνιγεῖν). Da dieser Vers keine synoptische Parallele besitzt, lässt sich diese Abweichung nicht auf einen Einfluss aus den Parallelen erklären; sie wird auf die Interferenz der kanonischen mit der vorkanonischen Textüberlieferung zurückgehen und diese repräsentieren: Die kanonische Formulierung der Einleitung ist lk Redaktion. Das Gleiche ist auch für die durch Tertullian bezeugte Umstellung (ἀπὸ τῆς ζύμης) τῶν Φαρισαίων, ἥ τ ι ς ἐ σ τ ὶ ν ὑ π ό κ ρ ι σ ι ς gegenüber (ἀπὸ τῆς ζύμης) ἥτις ἐστὶν ὑπόκρισις, τ ῶ ν Φ α ρ ι σ α ί ω ν anzunehmen, die nicht nur von einer langen Reihe von Handschriften gestützt wird, sondern auch den synoptischen Parallelen entspricht (Mk 8,15 || Mt 16,6): Die Änderung geht auf Lk zurück, während Mk und Mt den vorkanonischen Text übernommen haben. Die fehlende Bezeugung von *12,3b geht dabei mit großer Wahrscheinlichkeit auf Tertullians Zusammenfassung zurück, der hier den Parallelismus nicht ausführen konnte, ohne sein eigenes Satzgefüge übermäßig zu strapazieren. 12,1-12 Rekonstruktion 897 2. Für *12,4a weichen die Bezeugungen bei Tertullian und Epiphanius voneinander ab: λέγω δὲ †ὑμῖν† τοῖς ϕίλοις †μου†. Harnack hat aus dem Fehlen von μου bei Tertullian bzw. von ὑμῖν bei Epiphanius weitreichende inhaltliche Schlüsse gezogen: »Beide Korrekturen zerstören absichtlich den Gedanken, daß Jesus die 12 Jünger als seine Freunde bezeichnet.« 1 Wenn überhaupt, träfe dies jedoch nur für den Text des Epiphanius zu. 2 Aber selbst dann ist die Überlegung weit hergeholt, denn man müsste ja annehmen, dass Jesus in der Anrede gegenüber den Zwölfen Dritte erwähnte, dann aber in der 2. Pers. Pl. diese Zwölf direkt anspräche (nolite terreri). Die ganze Argumentation ist ebenso unhaltbar wie überflüssig. Denn das Fehlen von μου ist außerdem durch einige kanonischen Handschriften gestützt: Es repräsentiert den vorkanonischen Text. Dagegen wird das Fehlen von ὑμῖν in Epiphanius’ auf sein verkürzendes Referat zurückgehen. Ganz analog dazu ist auch nicht erkennbar, dass die Vv. *12,4a.5 »nach Tertullians Zeugnis grundsätzlich verändert« seien. 3 Tertullians Argumentation gibt zu erkennen, dass die von ihm bekämpfte marcionitische Ansicht davor warnt, sich aus den falschen Gründen vor dem Schöpfer zu fürchten: Er sei nicht zu fürchten, weil er die Macht zu töten hat, sondern weil er das postmortale Schicksal bestimmen kann. Tertullian hält dagegen, dass *12,4 (nolite terreri ab eis qui vos solummodo occidere possunt) sich nicht auf die Furcht vor dem Schöpfer beziehe, sondern vor den Menschen, welche die Bekenner töten können. 4 Allerdings lässt sich das, was Tertullian als marcionitische Position darstellt, nur gewaltsam aus dem Text erheben, denn in diesem Fall müsste dann der Plural *12,4 (ab eis qui … occidere possunt) auf die dem Schöpfergott unterstellten dämonischen Mächte bezogen werden, was der Text nicht gerade nahelegt. Tatsächlich ist nicht der marcionitische Text von *12,4a.5 »grundsätzlich verändert«, sondern nur die durch Tertullians Argumentation implizierte marcionitische Ansicht. 3. Für *12,4b hat D (d 157) einen abweichenden Text, der in diesem Fall deshalb von Interesse ist, weil er nicht nur das Verhältnis zwischen Mt und Lk erklärt, sondern auch die Elemente in Tertullians Referat. *12,4b D Mt 10,28 Lk 12,4b τὴν δὲ ψυχὴν μὴ τὴν δὲ ψυχὴν μὴ καὶ μετὰ ταῦτα δυναμένων ἀποκτεῖναι δυναμένων ἀποκτεῖναι μηδὲ ἔχοντων μὴ ἐχόντων περισσόν τι ποιῆσαι περισσότερόν τι ποιῆσαι Was auf den ersten Blick wie eine Konflation aus Mt 10,28 und Lk 12,4 aussieht, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit deren gemeinsame Vorlage: Mt und Lk haben ______________________________ 1 H ARNACK 211*. 2 Wie T SUTSUI 102 zu Recht bemerkt. 3 T SUTSUI 102f. 4 4,28,4: qui confitebuntur autem in Christo, occidi habebunt coram h o m i n i b u s , nihil utique amplius passuri post occisionem ab illis. 898 Anhang I 12,1-12 die überladene Formulierung des D-Textes auf jeweils verschiedene Weise gekürzt und sprachlich vereinfacht, ohne dass der propositionale Gehalt der Aussage sich dadurch verändert hätte. Tertullians Referat, das offensichtlich nicht wörtlich zitiert, sondern zusammenfasst, 5 zeigt jedoch in ullam … habent potestatem noch den Einfluss der durch D überlieferten Fassung: δυναμένων … ἔχοντων περισσόν τι ποιῆσαι. In Mt 10,28 fehlt eine Entsprechung zum zweiten Teil der Aussage (μηδὲ ἔχοντων περισσόν τι ποιῆσαι), in Lk 12,4 dagegen ein Hinweis auf die δυνάμεις (bzw. die postestas), welche die Möglichkeit haben, »etwas darüber hinaus zu tun«. 4. Das Doppelbildwort in Lk 12,6f (Sperlinge; Haare) mit dem Schluss a minore ad maius hat, wie Epiphanius’ eindeutiges Zeugnis zeigt, in *Ev gefehlt. Dass es sich dabei um eine »aus inhaltlichen Gründen obligatorische Streichung« handele, 6 legt sich nur von der vorangehenden Annahme her nahe, dass *12,4f sich auf die Furcht vor dem creator beziehe, während hier plötzlich vom »guten« Gott die Rede sei (12,6: ἐνώπιον τοῦ θεοῦ). Wenn sich jedoch *12,4a auf die Furcht vor den Menschen bezieht, ist die redaktionelle Einfügung von Lk 12,6f eine gute Verdeutlichung des Sinns. Dass hier eine solche Einfügung vorliegt, macht dann auch der kausale Anschluss in *12,8 (enim/ γάρ; s. gleich) deutlich: Er bezieht sich unmittelbar auf *12,4f zurück; bei einer Einfügung von Lk 12,6f musste er entfallen. V. *8f begründet nicht, dass oder warum die Haare auf dem Kopf gezählt sind, sondern erläutert: Wer den Menschensohn verleugnet, wird vor Gott verleugnet (V. *8f) und landet in der Hölle (V. *5). Die Logik des doppelten argumentum a comparatione - die Jünger sind mehr wert als die Spatzen, und bei ihnen ist sogar jedes einzelne Haar gezählt - begegnet so ähnlich noch einmal in der Endzeitrede (Lk 21,18: euch wird kein einziges Haar gekrümmt werden), und auch hier handelt es sich eindeutig um eine redaktionelle Ergänzung (s. dort). 5. Die eschatologische Talio *12,8f, die das Ziel der bisherigen Ausführungen bildet, ist durch Tertullians Zitat sehr gut bezeugt. Es gibt daher keine Probleme für die Rekonstruktion von *Ev, wohl aber einige Einsichten für die intensiv geführte Debatte zur Überlieferungsgeschichte. Denn die mt und die lk Fassung stimmen nicht genau miteinander überein: Während Mt 10,32f die beiden Apodoseis genau wie die jeweils vorangehenden Protaseis konsequent in der 1. Pers. Sing. formuliert und auf Jesus bezieht (»den werde ich bekennen« bzw. »den werde ich verleugnen«), formuliert Lk 12,8f in der 3. Pers. Sing.: »den wird der Menschensohn bekennen« ______________________________ 5 Tert. 4,28,3: Dico autem, inquit, vobis amicis, nolite terreri ab eis qui vos solummodo occidere possunt, nec post hoc ullam in vobis habent potestatem. Der Vetativ nolite taucht in keiner überlieferten Fassung auf. Tertullian verwendet die Zitationsformel (inquit) also durchaus frei. 6 T SUTSUI 103. 12,1-12 Rekonstruktion 899 bzw. unpersönlich »der wird verleugnet werden«. Im Horizont der Zwei-Quellentheorie ist dieses Problem intensiv verhandelt worden, 7 zumal es eine Dublette in Mk 8,38 || Lk 9,26 gibt, zu der Mt 9,27 keine wirkliche Entsprechung, sondern nur eine sehr allgemeine Zusammenfassung bietet (zu *9,26 s. dort). Das Problem wird noch durch die unterschiedliche Bezeugung zu V. *8b verschärft: Tertullian bezeugt 1. Pers. Sing. (confitebor), Epiphanius dagegen 3. Pers. Sing. (ὁμολογήσει); er setzt also wie der kanonische Text als Subjekt ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου voraus. Die Abweichung ist wie auch sonst so häufig der Interferenz der kanonischen und der vorkanonischen Handschriftenüberlieferung geschuldet: Dass Epiphanius’ *Ev- Exemplar hier durch den kanonischen Lk-Text kontaminiert ist und Tertullian den vorkanonischen Text bietet, zeigt die Synopse. *12,8f (teste Tert.) Mt 10,32f Lk 12,8f 8 λέγω δὲ γὰρ ὑμῖν, 8 λέγω δὲ ὑμῖν, πᾶς ὃς ἂν ὁμολογήσῃ ἐν ἐμοὶ 32 πᾶς οὖν ὅστις ὁμολογήσει ἐν ἐμοὶ πᾶς ὃς ἂν ὁμολογήσῃ ἐν ἐμοὶ ἐνώπιον ἔμπροσθεν ἔμπροσθεν τῶν ἀνθρώπων, τῶν ἀνθρώπων, τῶν ἀνθρώπων, καὶ καὶ ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ὁμολογήσω ἐν αὐτῷ ὁμολογήσω κἀγὼ ἐν αὐτῷ ὁμολογήσει ἐν αὐτῷ ἐνώπιον ἔμπροσθεν ἔμπροσθεν τῶν ἀγγέλων τοῦ θεοῦ· τοῦ πατρός μου τοῦ ἐν (τοῖς) οὐρανοῖς τοῦ θεοῦ 9 καὶ πᾶς ὁ ἀρνησάμενός με ἐνώπιον τῶν ἀνθρώπων 33 ὅστις δ’ ἂν ἀρνήσηταί με ἔμπροσθεν τῶν ἀνθρώπων, 9 ὁ δὲ ἀρνησάμενός με ἐνώπιον τῶν ἀνθρώπων ἀπαρνηθήσεται ἀρνήσομαι ἀπαρνηθήσεται κἀγὼ αὐτὸν ἐνώπιον ἔμπροσθεν ἐνώπιον τῶν ἀγγέλων τοῦ θεοῦ τοῦ πατρός μου τοῦ ἐν (τοῖς) οὐρανοῖς τοῦ θεοῦ Aus dieser Synopse wird der Überlieferungsweg der Perikope deutlich: a. Die wichtigste und am intensivsten diskutierte Frage, ob Jesus sich selbst oder den Menschensohn als Instanz des eschatologischen Urteils bezeichnet hat, findet hier eine deutliche Antwort: In *12,8 hatte *Ev die 1. Pers. Act. (ὁμολογήσω), in *12,9 dagegen 3. Pers. Pass. (ἀπαρνηθήσεται), die hier als Pass. Divin. das Handeln ______________________________ 7 Vgl. nur die Dokumentation der Diskussionen zur Gestalt der angenommen Q-Vorlage - nur dieser beiden Verse! - in C HR . H EIL (ed.), Q 12: 8-12: Confessing or Denying (Documenta Q), Leuven 1997, 1-425! S. auch C HR . M. T UCKETT , Q 12,8: Once again »Son of Man«, in: J. M. Asgeirsson et al. (eds.), From Quest to Q, Leuven 2006, 170-188. 900 Anhang I 12,1-12 Gottes umschreibt. Mt hat aus *12,8 die auf Jesus bezogene Aussage übernommen (Mt 10,32: ὁμολογήσω) und 10,33 analog dazu gestaltet (ἀρνήσομαι). b. Lk 12,8 hat dagegen den Menschensohn als Subjekt. Die Anregung zu dieser Änderung stammte aus Mk 8,38, wo die Protasis das Ich Jesu, die Apodosis dagegen den Menschensohn anführt. Das gleiche Maneuver hatte Lk schon in 9,26 vollzogen. *9,26 (s. dort) Mk 8,38 Lk 9,26 ὃς ἂν ἐπαισχυνθῇ με ὃς γὰρ ἐὰν ἐπαισχυνθῇ με … ὃς γὰρ ἂν ἐπαισχυνθῇ με … καὶ καὶ τοῦτον ἐγὼ ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ἐπαισχυνθήσομαι αὐτόν ἐπαισχυνθήσεται αὐτόν ἐπαισχυνθήσεται Die Eintragung des »Menschensohns« lag in Mk 3,38 wegen der ausdrücklichen Gerichtsthematik nahe, Lk ist Mk (und nicht *Ev) gefolgt. c. In *12,8f wird das Forum von Bekenntnis bzw. Verleugnung »vor den Menschen« und der entsprechenden Reaktion »vor Gott« jeweils mit ἐνώπιον eingeführt; Mt hat die Präposition viermal konsequent durch ἔμπροσθεν ersetzt, ohne dass dadurch eine entscheidende semantische Verschiebung eingetreten wäre. Lk folgt in 12,8 der mt Formulierung (ἔμπροσθεν), in 12,9 dagegen *Ev (ἐνώπιον) und hat auf diese Weise eine (eher scheinbare) Inkongruenz zwischen den beiden Aussagen geschaffen: Das ist ein vergleichsweise typisches Phänomen bei der Redaktion. d. *Ev lässt die eschatologische Reaktion jeweils »vor Gott« (ἐνώπιον τοῦ θεοῦ) stattfinden. Mt hat - seiner üblichen Tendenz entsprechend - »Gott« durch den »Vater in den Himmeln« ersetzt. Lk hat dagegen (diesmal konsequent in 12,8 und 9 gleichermaßen) das Forum des irdischen Verhaltens »vor den Menschen« durch das himmlische Forum »vor den Engeln Gottes« kontrastiert. Auch diese Ersetzung ist möglicherweise durch Mk 8,38 (ὅταν ἔλθῃ … μετὰ τῶν ἀγγέλων τῶν ἁγίων) angeregt. 6. Auch das folgende Logion von der Lästerung des Geistes und der unvergebbaren Sünde *12,10 || Mt 12,32 || Mk 3,28-30 ist überlieferungsgeschichtlich aufschlussreich: Im Rahmen der Zwei-Quellentheorie handelt es sich um einen der wichtigen Belege für die sog. »Mk-Q-Doppelüberlieferungen«. 8 Für *12,10a belegen Tertullians Referat sowie die übereinstimmenden Varianten in D it, dass Mt den vorkanonischen Text genauer bewahrt hat als Lk: Die umfangreichen Diskussionen zur Rekonstruktion des »Q«-Wortlauts erübrigen sich damit. 9 Demnach hat die lk Redaktion πᾶς eingefügt und das Verb des konditionalen ______________________________ 8 Vgl. H. T. F LEDDERMANN , Mk and Q, Leuven 1995, 66-73 (mit Lit.). 9 Vgl. die Dokumentation in C HR . H EIL (ed.), Q 12: 8-12: Speaking against the Holy Spirit, Leuven 1997, 427-568. 12,1-12 Rekonstruktion 901 Relativsatzes von Konj. Präs. in Futur geändert (εἴπῃ - ἐρεῖ), obwohl Mt das Logion in einem gegenüber *Ev neuen Kontext verwendet. Zu *12,10b verdeutlicht eine Synopse den Gang der Überlieferung. *12,10b Mt 12,32b Mk 3,29 Lk 12,10b (NA 27 ) καὶ ὃς εἴπῃ ὃς δ’ ἂν εἴπῃ ὃς δ’ ἂν βλασϕημήσῃ τῷ δὲ εἰς δὲ τὸ ἅγιον πνεῦμα κατὰ τοῦ πνεύματος τοῦ ἁγίου εἰς τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον εἰς τὸ ἅγιον πνεῦμα βλασϕημήσαντι οὐκ ἀϕεθήσεται οὐκ ἀϕεθήσεται οὐκ ἔχει ἄϕεσιν οὐκ ἀϕεθήσεται αὐτῷ αὐτῷ οὔτε ἐν τῷ αἰῶνι τούτῳ οὔτε ἐν τῷ μέλλοντι οὔτε ἐν τούτῳ τῷ αἰῶνι οὔτε ἐν τῷ μέλλοντι εἰς τὸν αἰῶνα ἀλλὰ ἔνοχός ἐστιν αἰωνίου ἁμαρτήματος Die Formulierung als konditionaler Relativsatz geht auf den vorkanonischen Text zurück. Mk 3,29 und Mt 12,32 haben ihn aufgegriffen, Lk hat den Relativsatz in eine Partizipialkonstruktion umgewandelt und erspart sich auf diese Weise, das Objekt (οὐκ ἀϕεθήσεται) αὐτῷ eigens zu nennen. Mk hat bereits schon in der Einleitung das Stichwort der Lästerungen in einer Figura etymologica deutlich herausgehoben (3,28: τὰ ἁμαρτήματα καὶ αἱ βλασϕημίαι ὅσα ἐὰν βλασϕημήσωσιν) und am Anfang von 3,29 wiederholt: Im Unterschied zu Mt, der der einfacheren Formulierung in *Ev folgt, hat Lk es von hier übernommen. Sowohl Mt 12,32 als auch Mk 3,29 haben in *Ev gelesen, dass die Sünde/ Lästerung gegen den heiligen Geist auf ewig unvergebbar ist: Mt hat die Formulierung direkt übernommen, während Mk die Lästerung gegen den Geist in Anlehnung an seine Formulierung von 3,28 als αἰώνιον ἁμάρτημα bezeichnet. Wenn man nicht annehmen will, dass D die Formulierung aus Mt 12,32 übernahm, der das Logion ja in einen ganz anderen Zusammenhang gestellt hat, dann liegt es nahe, dass D hier den vorkanonischen Text bewahrt hat. 7. Die Aufforderung zum furchtlosen Bekenntnis *12,11f ist von Tertullian bezeugt. Tertullian hat V. *12 in wörtlichem Zitat wiedergegeben, V. *11 allerdings nur zusammengefasst. Hier liegen dann auch die Schwierigkeiten der Rekonstruktion: a. Die Einleitungswendung über das Verbringen vor die Gerichtsinstanzen fehlt in den synoptischen Parallelen Mk 13,11a || Mt 10,19a, so dass von hier keine weiteren Aufschlüsse zu erwarten sind; sie setzen beide als Verb παραδίδωμι voraus, während Lk 12,11 (εἰσ)ϕέρειν hat. Die von D it u. a. bezeugte Präposition legt εἰς nahe, dass dies die ursprüngliche Formulierung war. b. Unklar ist ferner, welche Instanzen genannt wurden: Während Mk und Mt offen lassen, wem die Angeredeten »übergeben« werden, nennt Lk 12,11 συναγωγαί, ἀρχαί und ἐξουσίαι. 902 Anhang I 12,1-12 Tertullian bezeugt in seiner zusammenfassenden Wendung (perductos ad potestates) nur ἐξουσίαι und lässt damit offen, ob *Ev zwischen jüdischen und paganen Instanzen unterschieden hat. Allerdings entspricht die Verfolgung durch die »Synagogen« ziemlich genau dem redaktionellen Interesse, das sich wiederholt in Act äußert. 10 Umgekehrt bedeutet dies nicht, dass dieses Element nicht schon in *Ev enthalten gewesen sein konnte. Die Frage bleibt daher offen. c. Dagegen lässt sich mit einiger Sicherheit folgern, dass die Doppelung, πῶς ἢ τί die Jünger vor den Instanzen antworten sollten, nicht schon in *Ev stand: Die »üblichen Verdächtigen« unter den handschriftlichen Zeugen (D it sy u. a.) haben hier nur πῶς, Mk 13,11 dagegen nur τί; er fasst mit dieser Formulierung möglicherweise ein ursprüngliches πῶς ἀπολογήσησθε ἢ τί εἴπητε zusammen. Mt konflationiert die Formulierungen aus *Ev und Mk und bietet πῶς ἢ τί (λαλήσητε). Da ihm Lk darin folgt und zugleich *Ev ausschreibt, entsteht die unschöne, weil überladene Formulierung πῶς ἢ τί ἀπολογήσησθε ἢ τί εἴπητε - ein ganz typisches Phänomen bei der redaktionellen Zusammenführung mehrerer Texte: Ob Lk keinen Wert auf eine saubere Formulierung gelegt hat oder ob ihm die rezipierten Wortlaute so wichtig waren, dass er sie entgegen dem für ihn anzunehmenden Stilempfinden beibehielt, lässt sich nicht sagen. Unproblematisch ist *12,12: Der Vers lautete mit größter Wahrscheinlichkeit so wie in der kanonischen Fassung, die Tertullian in seinem wörtlichen Zitat bezeugt. Die Zeitangabe ἐν αὐτῇ τῇ ὥρᾳ ist allerdings typisch lk und darum verdächtig, redaktionell verändert zu sein (s. o. zu *10,21). Für diese Vermutung spricht, dass Mk 13,11 || Mt 10,19 hier offensichtlich in *Ev ἐν ἐ κ ε ί ν ῃ τῇ ὥρᾳ gelesen haben. 8. Die ganze Perikope ist von besonderem Interesse für die Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte: Sie enthält (in der Terminologie der Zwei-Quellentheorie) »Q«-Material, lk »Sondergut«, Dreifachüberlieferung sowie sog. »Mk-Q Overlaps«. Das überlieferungsgeschichtliche Bild wird noch komplizierter, wenn man aufgrund der (mt-lk) »Minor Agreements« nicht nur mit Mk, sondern auch mit einem veränderten Deutero-Mk rechnet. 11 Im Rahmen der Zwei-Quellentheorie zwingt dieser komplexe Befund zu der Annahme, dass Lk diese Rede »aus Bausteinen ganz unterschiedlicher Herkunft zusammengestellt« habe«. 12 Tatsächlich zeigt die Bezeugung für *Ev jedoch, dass die Komposition bereits im vorkanonischen Evangelium vorlag, so dass sich die Überlieferungsgeschichte ganz anders darstellt. a. Mk hat den Text der vorkanonischen Rede zuerst als »Steinbruch« genutzt und einzelne Elemente an verschiedenen Stellen seiner eigenen Komposition rezipiert und sie da auch im Wortlaut bearbeitet. ______________________________ 10 Vgl. die Verfolgung durch jüdische Instanzen Act 4,5-7; 5,27f; 6,9.12-15; 17,6-8; 18,12f; 22,30; 24,1- 9; 25,6-8.23-27. 11 Zur Begründung einer Deuteromarkusfassung für Mk 3,28-30 vgl. A. F UCHS , Die Sünde wider den Heiligen Geist, in: ders., Spuren von Deuteromarkus III, Münster 2004, 159-180. 12 W OLTER , Lk 439, der mit dieser Einschätzung die überwältigende Mehrheit der Forschung repräsentiert. 12,1-12 Rekonstruktion 903 Die Warnung vor der Verstellung der Pharisäer *12,1b hat Mk in die von ihm selbst geschaffene Komposition der »großen Ergänzung« (Mk 6,45-8,26) in Mk 8,15 als Einleitung der letzten Belehrung Jesu verschoben. Die ursprünglich unmittelbar damit verbundene Belehrung über das Offenbarwerden des Verborgenen (*12,2f) hat er, stark gekürzt, in seiner Gleichnisrede übernommen (Mk 4,22) und damit die Funktion der Jünger als Multiplikatoren der Lehre Jesu angesprochen. Die folgende Belehrung über die Furcht vor dem eschatologischen Gericht (*12,4f) hat Mk übergangen, ebenso das Wort über die Reziprozität von Bekenntnis bzw. Verleugnung (*12,8f); zu dieser hatte er schon das ganz ähnliche Logion *9,26 in Mk 8,38 verwendet, vielleicht hat ihm das erleichtert, die »Dublette« in *Ev zu übergehen. Dagegen hat Mk das Wort über die Unvergebbarkeit der Rede gegen den heiligen Geist aus *12,10b übernommen und es in den neuen Kontext der Lehre Jesu »im Haus« und der Beelzebulkontroverse integriert (Mk 3,29). Er hat dafür *12,10b deutlich ausgebaut und vor allem das Stichwort βλασϕημίαι eingefügt, was schon deshalb wichtig war, weil er es mit den ἁμαρτήματα parallelisiert hat, die den Menschenkindern vergeben werden. Auch hier ist die kompositionelle Gestaltung ohne weiteres ersichtlich. Die abschließende Mahnung, sich nicht um das zu sorgen, was man vor den Behörden sagen soll (*12,11f), hat Mk in seine Endzeitrede übernommen und ergänzt (Mk 13,11). Zu *12,11f bietet bereits *21,12-19 bereits in *Ev eine Entsprechung. b. Mt hatte *Ev und Mk vorliegen. Ohne Schwierigkeiten lassen sich an seinem Text noch die Probleme erkennen, die daraus resultieren, dass er Material kombinierte, das ihm in verschiedenen Kontexten und in unterschiedlicher Formulierung vorlag. Mt bietet die einleitende Warnung vor dem Sauerteig der Pharisäer *12,1, darin Mk 8,14f folgend, im Zusammenhang der letzten Seeüberquerung (Mt 16,5f). Seine Formulierung der Warnung ὁρᾶτε καὶ προσέχετε (16,6) zieht das absolute προσέχετε (ohne ἑαυτοῖς wie in Lk 12,1) aus *12,1b mit dem aus Mk 8,15a stammenden ὁρᾶτε (βλέπετε) zusammen: Schon hier wird deutlich, dass die mt Redaktion beide Texte nebeneinander vorliegen hatte. Im Unterschied zu Mk aber hat Mt das folgende Logion vom Offenbarwerden des Verborgenen - darin dem Zusammenhang von *Ev folgend - im Rahmen der Aufforderung zu furchtlosem Bekenntnis (Mt 10,26b || *12,2) innerhalb seiner Aussendungsrede. Allerdings hat Mt die Mahnung zum öffentlichen Bekenntnis (Mt 10,28 || *12,4f) um das Doppelwort von den Spatzen und den gezählten Haaren (Mt 10,29-31 ÷ *12,6f) ergänzt: Da es hier um die Sendung der Jünger und ihre potentiell gefährlichen Folgen geht, hat er für diese Mahnung eine gute Position gefunden. Den Schluss der Rede in *Ev hat Mt aufgeteilt: Zunächst folgt er für das Wort über die Unvergebbarkeit der Sünde gegen den heiligen Geist (Mt 12,31f || *12,10) der mk Akoluthie (Mk 3,28f). Im Wortlaut lehnt er sich dabei zunächst an Mk 3,28 an (|| Mt 12,31); von daher fügt er auch das Stichwort αἱ βλασϕημίαι in den Kontext ein. In 12,32 folgt er dagegen sehr eng dem Wortlaut der Vorlage (*12,10b) und übergeht daher auch Mk 3,29b.30. Die abschließende Verheißung des heiligen Geistes in Verfolgungssituationen hat in Mt 10,19f || *12,11f || Mk 13,11 einen neuen Kontext gefunden: Im Rahmen der Aussendungsrede, aber vor dem aus *12,2-4 stammenden Zusammenhang. 904 Anhang I 12,1-12 Mt hat seine beiden Vorlagen durchaus souverän gehandhabt und dabei nicht nur einzelne Elemente aus kompositionell einleuchtenden Gründen in verschiedene Kontexte »verschoben«, sondern auch den jeweils anderen Wortlaut verglichen und an manchen Stellen verändert: Dieses redaktionelle Verfahren bescheinigt Mt eine staunenswerte kompositionelle Virtuosität! c. Im Vergleich dazu nimmt sich die lk Redaktion auf den ersten Blick eher bescheiden aus, denn Lk folgt hier (wie auch sonst meitens) seiner Hauptquelle *Ev. Die redaktionellen Veränderungen belegen jedoch, dass Lk auch die beiden anderen Prätexte verglichen hat: In 12,6f hat er das Wort über die Spatzen und die abgezählten Haare aus der mt Aussendungsrede übernommen (Mt 10,29-31), nicht ohne dabei einige kleinere Veränderungen vorzunehmen. In 12,10 scheint das Verb βλασϕημεῖν dagegen auf Mk 3,29a zurückzugehen: Auch Lk hatte seine Vorlagen in ihrer Gänze im Blick. Diese überlieferungsgeschichtliche Skizze erklärt dann auch die gelegentlichen »Minor Agreements«, für die keine Sonderlösung gefunden werden muss. Auch die für die Zwei-Quellentheorie so schwierigen »Mk-Q Overlaps« finden auf diese Weise eine naheliegende und gut nachvollziehbare Lösung. *12,13f.15.16-19a [ 19b ] 20 [ 21 ] : Warnung vor Habgier. Der reiche Kornbauer Für *Ev bezeugt und vorhanden, aber sehr wahrscheinlich durch die lk Redaktion ergänzt. 12,13 Εἶπεν δέ τις a αὐτῷ ἐκ τοῦ ὄχλου a , Διδάσκαλε, εἰπὲ τῷ ἀδελϕῷ μου μερίσασθαι μετ’ ἐμοῦ τὴν κληρονομίαν. 14 ὁ δὲ εἶπεν αὐτῷ, Ἄνθρωπε, τίς με κατέστησεν κριτὴν b ἢ μεριστὴν b ἐϕ’ ὑμᾶς; 15 εἶπεν δὲ πρὸς αὐτούς, Ὁρᾶτε καὶ ϕυλάσσεσθε ἀπὸ πάσης πλεονεξίας, ὅτι οὐκ ἐν τῷ περισσεύειν τινὶ ἡ ζωὴ αὐτοῦ ἐστιν ἐκ τῶν ὑπαρχόντων αὐτῷ. 16 Εἶπεν δὲ παραβολὴν πρὸς αὐτοὺς λέγων, Ἀνθρώπου τινὸς πλουσίου εὐϕόρησεν ἡ χώρα. 17 καὶ διελογίζετο ἐν ἑαυτῷ λέγων, Τί ποιήσω, ὅτι οὐκ ἔχω ποῦ συνάξω τοὺς καρπούς μου; 18 καὶ εἶπεν, Τοῦτο ποιήσω· καθελῶ μου τὰς ἀποθήκας καὶ c ποιήσω ἀυτὰς μείζονας c , καὶ συνάξω ἐκεῖ d πάντα τὰ γενήματά μου d , 19 καὶ ἐρῶ τῇ ψυχῇ μου, Ψυχή, ἔχεις πολλὰ ἀγαθὰ e [ κείμενα εἰς ἔτη πολλά· ἀναπαύου, ϕάγε, πίε ] e εὐϕραίνου. 20 εἶπεν δὲ αὐτῷ ὁ θεός, Ἄϕρων, ταύτῃ τῇ νυκτὶ τὴν ψυχήν σου f ἀπαιτήσουσιν ἀπὸ σοῦ· ἃ δὲ ἡτοίμασας, g τινὸς ἔσται; h [ 21 οὕτως ὁ θησαυρίζων ἑαυτῷ καὶ μὴ εἰς θεὸν πλουτῶν. ] h A. *12,13: Tert. 4,28,9: Christus vero postulatus a quodam ut inter illum et fratrem ipsius de dividunda haereditate componeret, operam suam, et quidem tam probae causae, denegavit. 12,13-21 Rekonstruktion 905 ♦ *12,14: Tert. 4,28,10: Quis me, inquit, iudicem constituit super vos? ♦ *12,16-20: Tert. 4,28,11: Puto iam alibi satis commendasse nos divitiarum gloriam damnari a deo nostro, ipsos dynastas detrahente de solio, et pauperes allevante de sterquilinio. Ab eo ergo erit et parabola divitis blandientis sibi de proventu agrorum suorum, cui deus dicit, Stulte, hac nocte animam tuam reposcent; quae autem parasti, cuius erunt? B. a (12,13) αυτω εκ του οχλου: A D W Ψ f 1.13 aur vg( st.ww ) sy M ¦ (2-4 1) P 75 א B L Q (Θ) 070 33 579 2542 pc (*Ev non test.) ● b (12,14) η μεριστην/ aut divisorem: om Tert D (28 pc: δικαστην) a c d Tat pers ¦ add P 75 א B L 070 33 579 700 892 1241 2542 pc sa mss ¦ δικαστην η μεριστην: A Q W Θ Ψ aur e f ſſ 2 i l q r 1 ; b (aut dispensatorem) M ● c (12,18) ποιησω αυτας μειζονας: D d e (q) ¦ μειζονας οικοδομησω: a aur b c f ſſ 2 i l r 1 M (*Ev non test.) ● d (12,18) παντα τα γενηματα μου: א * D a b c d e f ſſ 2 i l q r 1 (sy s.c ) ¦ παντα τα γενηματα μου και τα αγαθα μου: A Q W Θ Ψ 33 vid aur f vg sy (p).h M ¦ παντα τον σιτον και τα αγαθα μου: P 75( * ) ( א * .2 ) B L 070 f 1.(13) 579 892 1241 pc co (*Ev non test.) ● e (12,19) κειμενα εις ετη πολλα αναπαυου ϕαγε πιε: om D a b c d e (ſſ 2 ) ¦ add aur f q M (*Ev non test.) ● f (12,20) απαιτησουσιν: Tert gat; c (expostulatur), e (auferetur) ¦ απαιτουσιν/ repetunt: aur b f ſſ 2 i l q r 1 ; d (petunt); a (reposcunt) M ● g (12,20) τινος/ cuius: Tert D a aur b c d e f l q r 1 ¦ τινι/ cui: ſſ 2 i M ● h (12,21) vs. om D a b d ¦ add aur c e f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.). C. Tertullian bezeugt Elemente der einleitenden Aufforderung zur Erbteilung sowie des Einwands des Bruders (*12,13f); aus seinem Referat von *12,16f.20 erhellt, dass auch das Gleichnis vom reichen Bauern in *Ev enthalten war; allerdings lässt sich der Wortlaut, abgesehen von dem ganz zitierten V. *20, nicht genau rekonstruieren. Aufschlußreich sind daher die handschriftlichen Varianten. 1. In der einleitenden Szene ist V. *14b uneinheitlich überliefert: Neben κριτὴν ἢ μεριστήν gibt es auch δικαστὴν ἢ μεριστήν bzw. μεριστὴν καὶ δικαστήν, einfaches κριτήν sowie eine Reihe anderer Lesarten. 1 Die Tatsache, dass Tertullian sowie eine Reihe der »Westlichen« Zeugen κριτήν (bzw. δικαστήν) bieten (iudicem), spricht sehr dafür, darin die ursprüngliche Lesart zu sehen. Die Erweiterung um das zweite Glied, die möglicherweise an der Formulierung aus Ex 2,14 orientiert war, 2 geht dann auf die lk Redaktion zurück. 2. V. *15 ist unbezeugt, war aber mit größter Wahrscheinlichkeit in *Ev enthalten: Er enthält die Pointe der Chrie, die allerdings, zumindest in ihrer kanonischen Formulierung, »syntaktisch entgleist« ist. 3 Problematisch sind vor allem Stellung und Verhältnis von ἐν τῷ περισσεύειν und ἐκ τῶν ὑπαρχόντων sowie das Nebeneinander des Genitivs (ἡ ζωὴ α ὐ τ ο ῦ ) und der beiden Dative (ἐν τῷ περισσεύειν τ ι ν ί ; ἐκ τῶν ὑπαρχόντων α ὐ τ ῷ ). Um den von NA 27 gebotenen Text sinnvoll zu ______________________________ 1 Z. B. δικαστήν (28); κριτὴν ἢ δικαστήν (69 sa ms ); ἄρχοντα καὶ κριτήν (LibGrad 2,2; PS 3, 29); ἄρχοντα ἢ μεριστήν (Cyril. Alex.; Eusebius Emes.); ἄρχοντα ἢ κριτὴν ἢ μεριστήν (1012) usw. Die unübersichtliche Bezeugung ist aufbereitet von T. B AARDA , Luke 12,13-14, in: J. Neusner (ed.), Christianity, Judaism and Other Greco-Roman Cults I, Leiden 1975, 107-162: 108-121. 2 Ex 2,14 LXX: ὁ δὲ εἶπεν Τίς σε κατέστησεν ἄρχοντα καὶ δικαστὴν ἐϕ’ ἡμῶν … 3 W OLTER , Lk 448. 906 Anhang I 12,13-21 verstehen, ist es erforderlich, (1) τινί auf ἐστίν zu beziehen (vgl. BDR § 190), (2) ἐκ τῶν ὑπαρχόντων αὐτῷ als Attribut zu ἐν τῷ περισσεύειν zu verstehen, wobei (3) diese ganze Wendung dann präpositionales Objekt zu τινὶ ἡ ζωὴ αὐτοῦ ἐστιν ist: »denn für jemanden ist sein Leben nicht (= besteht sein Leben nicht darin), dass er aus seinem Besitz Überfluss zieht.« 4 Das ist möglich, wenn auch einigermaßen umständlich formuliert. Die Varianten (darunter zahlreiche Wortumstellungen) in der handschriftlichen Überlieferung zeigen den Versuch, mit dieser überladenen Formulierung zu Rande zu kommen. Allerdings lässt sich nicht wirklich erkennen, dass die problematische Formulierung des Textes von NA 27 das Produkt der redaktionellen Erweiterung oder Veränderung einer syntaktisch einfacheren Fassung darstellt. Aus diesem Grund sind die verschiedenen Möglichkeiten, die für das Zustandekommen dieser Formulierung erwogen wurden, 5 von geringem Erklärungswert: An dieser Stelle bietet das sonst häufig zu beobachtende Phänomen der Interferenz der beiden Handschriftenüberlieferungen keine Hilfe. 6 Über den genauen Wortlaut von *12,15 lässt sich demzufolge nichts Genaues sagen. Es ist gut möglich, dass die vorkanonische Fassung genauso aussah wie kanonische. 3. Vom Gleichnis *12,16-21 ist außer V. *20 soviel bezeugt, dass die Ausgangssituation (*12,16) und das stille Selbstgespräch des reichen Bauern (*12,17) für *Ev als gesichert anzunehmen sind. Für die vier Handlungsoptionen, die der Monolog benennt (*12,18f), fehlt eine direkte Bezeugung; allerdings geben die handschriftlichen Varianten (D it) einen Hinweis auf die Gestalt des vorkanonischen Textes. Diese Differenzen zeigen dann auch die Veränderungen der lk Redaktion. *12,18f Lk 12,18f 18 καὶ εἶπεν, Τοῦτο ποιήσω· 18 καὶ εἶπεν, Τοῦτο ποιήσω· καθελῶ μου τὰς ἀποθήκας καθελῶ μου τὰς ἀποθήκας καὶ ποιήσω αὐτὰς μείζονας, καὶ μείζονας οἰκοδομήσω, καὶ συνάξω ἐκεῖ πάντα καὶ συνάξω ἐκεῖ πάντα τὰ γενήματά μου, τὸν σῖτον καὶ τὰ ἀγαθά μου, 19 καὶ ἐρῶ τῇ ψυχῇ μου, 19 καὶ ἐρῶ τῇ ψυχῇ μου, Ψυχή, ἔχεις πολλὰ ἀγαθά Ψυχή, ἔχεις πολλὰ ἀγαθὰ κείμενα εἰς ἔτη πολλά· ἀναπαύου, ϕάγε, πίε, εὐϕραίνου. εὐϕραίνου. ______________________________ 4 So der Vorschlag von W OLTER , Lk z. St. 5 Vgl. G. W. F ORBES , The God of Old (JSNT.S 198), Sheffield 2000, 83 Anm. 14, der einige Beispiele zur Lösung der überladenen Syntax auflistet. 6 Eine textkritische Lösung des Problems bei C. C. T ARELLI , A Note on Luke xii.15, JTS 41 (1940), 260-262, der allerdings auf andere Weise argumentiert und ein Leseversehen (Dittographie aufgrund von Homoioteleuton) annimmt. 12,13-21 Rekonstruktion 907 Wichtig sind dabei die Abweichungen in 12,18d (πάντα τὰ γενήματά μου - πάντα τὸν σῖτον κ α ὶ τ ὰ ἀ γ α θ ά μ ο υ ) und der Zusatz von κείμενα εἰς ἔτη πολλά· ἀναπαύου, ϕάγε, πίε in Lk 12,19c. Diese Abweichungen sind deshalb von Interesse, weil die redaktionellen Passagen über das in *12,17 genannte Problem weit hinaus gehen: Sofern das Problem nur in der Lagerung der zu erwartenden guten Ernte (eines Jahres) besteht, ist der ins Auge gefasste (Abriss und) Neubau der Lagerhäuser nahe liegend und sinnvoll. Dass die neuen Lagerhäuser dagegen neben der Ernte auch »alle meine Güter« aufnehmen sollen, geht ebenso über die Ausgangssituation hinaus wie die Überlegung des Bauern, jetzt »für viele Jahre« ausgesorgt zu haben. Vor dem Hintergrund der hier angenommenen Erklärung der »Westlichen« Lesarten als Spuren des vorkanonischen Textes in der Überlieferung der kanonischen Handschriften ist es auch unwahrscheinlich, dass die Variante in Lk 12,18d א * D it sy einen (sekundären) Versuch darstellt, die Spannung zwischen Ausgangsproblem und Lösung zu beseitigen. 7 Die handschriftliche Entwicklung ist vielmehr genau umgekehrt vorzustellen. Die Ergänzung in Lk 12,19 κείμενα εἰς ἔτη πολλά· ἀναπαύου, ϕάγε, πίε benennt einen weit verbreiteten Topos. Allerdings ist die Kombination von »Ausruhen« und »Essen und Trinken« spezifisch genug, um die Herkunft dieses Gedankens aus Sir 11,19 plausibel zu machen: Εὗρον ἀνάπαυσιν καὶ νῦν ϕάγομαι ἐκ τῶν ἀγαθῶν μου, καὶ οὐκ οἶδεν τίς καιρὸς παρελεύσεται καὶ καταλείψει αὐτὰ ἑτέροις καὶ ἀποθανεῖται. Es ist gut denkbar, dass dieser Text schon in *Ev den allgemeineren Hintergrund abgab, wie die Entsprechung von Sir 11,19 καταλείψει αὐτὰ ἑτέροις und *12,20 ἃ δὲ ἡτοίμασας, τίνι ἔσται; erkennen lässt. Wenn der Gedanke, dass die erworbenen Güter anderen (den Erben? ) zufallen werden und deshalb dem Sammler nichts nützen, ein Element des vorkanonischen Textes war, ist es umso leichter zu erklären, dass die lk Redaktion die Beziehung zu diesem Prätext noch deutlicher markierte: Auch die Erwähnung der ἀγαθά (Lk 12,18d) kann gut auf diesen Einfluss zurückgehen. 4. Die abschließende Pointe Lk 12,21 ist unbezeugt. Das allein will nicht viel sagen, aber da dieser Vers auch in den für Interferenzen der vorkanonischen und der kanonischen Überlieferung anfälligen Handschriften D it (a b d) fehlt, liegt es nahe, dass auch 12,21 erst von der lk Redaktion an dieser Stelle eingefügt wurde. Diese Überlegung ist insofern wahrscheinlich, als der Gegensatz von wahren und falschen Schätzen im Vorangehenden überhaupt keine Rolle gespielt hat und hier (in Schlussposition! ) einen vollkommen neuen Gedanken einführt. 8 Dabei ist nicht zu übersehen, dass die Ethisierung der Besitzparänese, die sich aus der Unterscheidung von wahrem (himmlischem) und falschem (irdischem) Reichtum ergibt, ______________________________ 7 W OLTER , Lk 449. 8 Vgl. B OVON , Lk II 288 z. St., der v. 21 für »sekundär« hält und dies inhaltlich damit begründet, dass »die Beispielerzählung (sc. 12,16-20) eine Moral bekommen müsse.« An dieser Stelle entsprechen sich inhaltliche und textgeschichtliche Argumente. 908 Anhang I 12,13-21 ein Merkmal des redaktionellen Konzeptes ist, das sich in Lk-Act auch sonst beobachten lässt. 9 5. Die Abfolge von der Chrie und der Beispielerzählung vom reichen Bauern hat schon in *Ev vorgelegen. Die lk Redaktion hat sie an verschiedenen Stellen bearbeitet, ohne ihr dadurch jedoch eine neue, konsistente Sinnrichtung zu geben: Schon in *Ev hatten die Chrie von der Bitte um Erbteilung und die Beispielerzählung unterschiedliche Akzente im Umgang mit dem Reichtum benannt. Wenn beides ursprünglich in lockerer Folge nur durch das gemeinsame Stichwort der Besitzparänese miteinander verbunden war, wird die Chrie ihre eigene Pointe in *12,15 enthalten haben, auch wenn deren genauer Wortlaut nicht sicher zu ermitteln ist. In den redaktionellen Ergänzungen zur Beispielerzählung vom reichen Bauern ist eine Ermäßigung der radikalen Besitzethik zu erkennen: Die vorkanonische Fassung hatte ihre Spitze darin, dass schon die sehr vernünftige Planung für eine reiche Ernte als »Habgier« gebrandmarkt wird. Indem Lk die Sicherung »aller Güter« einfügt und das Verhalten des Bauern als Planung »auf viele Jahre« hin versteht, wird die Kritik an seiner »Habgier« leichter verständlich. Andererseits hat Lk, ohne all zu viel auf die semantische Geschlossenheit der ganzen Einheit zu achten, durch die Anfügung des Logions vom wahren bzw. falschen Schätzesammeln eine Ethisierung der Besitzproblematik erreicht, die der vorkanonischen Fassung noch fremd war: Wenn am Ende der Schatz bei Gott entscheidend ist, dann lässt sich auch so verstehen, dass die irdischen Besitztümer für die Bedürftigen (Lk 3,10-14 red.; Act 5,1-11 usw.) aufgewendet werden sollen - was ja die Existenz solcher Besitztümer voraussetzt. Wie *16,9 zeigt, war dieser Aspekt an anderer Stelle schon in *Ev vorhanden, wie aus Lk 16,8 (red.) ersichtlich ist, hat Lk ihn auch dort zusätzlich betont (s. dort.). *12,22-24.25f.27 28 29-32.33f: Vom Sorgen. Streben nach der Herrschaft Gottes Teilweise für *Ev bezeugt; durch die lk Redaktion sicher ergänzt und vermutlich bearbeitet. 12,22 Εἶπεν δὲ πρὸς τοὺς μαθητὰς a [ αὐτοῦ ] , Διὰ τοῦτο λέγω ὑμῖν, μὴ μεριμνᾶτε τῇ ψυχῇ τί ϕάγητε, μηδὲ τῷ σώματι τί ἐνδύσησθε. 23 ἡ γὰρ ψυχὴ πλεῖόν ἐστιν τῆς τροϕῆς καὶ τὸ σῶμα τοῦ ἐνδύματος. 24 κατανοήσατε b τὰ πετεινὰ τοῦ ὀυρανοῦ b ὅτι c οὐ σπείρουσιν d οὔτε θερίζουσιν e οὔτε συνάγουσιν εἰς ἀποθήκας e , καὶ ὁ θεὸς ______________________________ 9 Vgl. M. K LINGHARDT , Gesetz und Volk Gottes, Tübingen 1988, 41-68. 12,22-34 Rekonstruktion 909 τρέϕει f αὐτά· πόσῳ μᾶλλον ὑμεῖς διαϕέρετε τῶν πετεινῶν. 25 τίς δὲ ἐξ ὑμῶν g [ μεριμνῶν ] δύναται ἐπὶ τὴν ἡλικίαν αὐτοῦ προσθεῖναι πῆχυν; 26 h καὶ περὶ τῶν λοιπῶν τί h μεριμνᾶτε; 27 κατανοήσατε τὰ κρίνα πῶς i οὔτε ὑϕαίνει οὔτε νήθει i · λέγω δὲ ὑμῖν, k ὅτι οὐδὲ Σολομὼν ἐν πάσῃ τῇ δόξῃ αὐτοῦ περιεβάλετο ὡς ἓν τούτων. l 28 εἰ δὲ ἐν ἀγρῷ τὸν χόρτον ὄντα σήμερον καὶ αὔριον εἰς κλίβανον βαλλόμενον ὁ θεὸς οὕτως ἀμϕιέζει, πόσῳ μᾶλλον ὑμᾶς, ὀλιγόπιστοι. l 29 καὶ ὑμεῖς μὴ ζητεῖτε τί ϕάγητε m ἢ τί πίητε ¿καὶ μὴ μετεωρίζεσθε? · 30 ταῦτα γὰρ n πάντα τὰ ἔθνη τοῦ κόσμου ἐπιζητοῦσιν· o †οἶδεν δὲ ὁ πατὴρ ὑμῶν† o ὅτι χρῄζετε τούτων. 31 πλὴν ζητεῖτε p †πρῶτον† τὴν βασιλείαν q τοῦ θεοῦ q , καὶ ταῦτα r † ¿πάντα? † προστεθήσεται ὑμῖν. 32 Μὴ ϕοβοῦ, τὸ μικρὸν ποίμνιον, ὅτι s ἐν αὐτῷ s εὐδόκησεν ὁ πατὴρ t ὑμῶν δοῦναι ὑμῖν τὴν βασιλείαν. [ 33 Πωλήσατε τὰ ὑπάρχοντα ὑμῶν καὶ δότε ἐλεημοσύνην· ] ποιήσατε ἑαυτοῖς βαλλάντια μὴ παλαιούμενα, θησαυρὸν ἀνέκλειπτον ἐν τοῖς οὐρανοῖς, ὅπου κλέπτης οὐκ ἐγγίζει οὐδὲ σὴς διαϕθείρει· 34 ὅπου γάρ ἐστιν ὁ θησαυρὸς ὑμῶν, ἐκεῖ u ἔσται καὶ ἡ καρδία ὑμῶν u . A. *12,22: Tert. 4,29,1: Quis nollet curam nos agere animae de victu et corpori de vestitu nisi qui ista homini ante prospexit et exinde praestans merito curam eorum tanquam aemulam liberalitatis suae prohibet? ♦ *12,23: Tert. 4,29,1: qui et substantiam ipsius animae accommodavit potiorem esca, et materiam ipsius corporis figuravit potiorem tunica … ♦ *12,24: Tert. 4,29,1: … cuius et corvi non serunt nec metunt nec in apothecas condunt, et tamen aluntur ab ipso … ♦ *12,27: Tert. 4,29,1: … cuius et lilia et foenum non texunt nec nent, et tamen vestiuntur ab ipso, cuius et Salomon gloriosissimus, nec ullo tamen flosculo cultior. ♦ *12,28a: Epiph., Schol. 31: οὐκ ἔχει τό Ὁ θεὸς ἀμϕιέννυσι τὸν χόρτον. ♦ *12,30: Tert. 4,29,3: Nam et cum subicit, Haec enim nationes mundi quaerunt, non credendo scilicet in deum conditorem omnium et praebitorem, quos pares gentium nolebat, in eundem deum modicos fidei increpabat in quem gentes incredulas notabat. Porro cum et adicit, Scit autem pater opus esse haec vobis, prius quaeram quem patrem intellegi velit Christus. ¦ Epiph., Schol. 32: ῾Yμῶν δὲ ὁ πατὴρ οἶδεν ὅτι χρήζετε τούτων, τῶν σαρκικῶν δή. ♦ *12,31: Tert. 4,29,5: Quaerite enim inquit regnum dei, et haec vobis adicientur. ¦ Tert. 3,24,8: quaerite primum regnum dei, et haec adicientur vobis. ¦ Epiph., Schol. 33: Ζητεῖτε δὲ τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ καὶ ταῦτα πάντα προστεθήσεται ὑμῖν. ♦ *12,32: Tert. 4,29,5: Ea si regno accedunt, secundo gradu restituenda, eius est secundus gradus cuius et primus, eius victus atque vestitus cuius et regnum. ¦ Epiph., Schol. 34: Ἀντὶ τοῦ Ὁ πατὴρ ὑμῶν Ὁ πατὴρ εἶχεν. B. a (12,22) αυτου: om P 45vid.75 B 1241 c e ¦ add a aur b d f ſſ 2 l i q r 1 M (*Ev non test.) ● b (12,24) τα πετεινα του ουρανου: D d e l r 1 (vgl. Mt 6,26) ¦ τα πετεινα: f ¦ τα πετεινα του ουρανου και τους κορακας: P 45 ¦ τους κορακας: Tert (! ) a aur b c f ſſ 2 i q M ● c (12,24) ουτε: א D L Q 579 892 pc d e ¦ ου: Tert (! ) P 45.75 A B W Θ Ψ f 1.13 lat M Clem ● d (12,24) ουτε: א D L Q 579 892 pc d e ¦ ουδε: P 45.75 A B W Θ Ψ f 1.13 lat M Clem (Tert: nec) ● e (12,24) ουτε συναγουσιν εις αποθηκας: Tert 907 (157: ουτε συναγουσιν εις αποθηκας + οις ουκ εστιν ταμειον ουδε αποθηκη) e (quibus non sunt apothece) (vgl. Mt 6,26) ¦ οις ουκ εστιν ταμειον ουδε αποθηκη: a aur b c d f ſſ 2 i l q M ● f (12,24) 910 Anhang I 12,22-34 αυτα/ illum (illa, ea): P 45 D f 13 d f r 1 ¦ αυτους/ illos (illas): a aur b c e ſſ 2 i l q M (*Ev non test.) ● g (12,25) μεριμνων: om D 2542 d ¦ add a aur b c e f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● h (12,26) και περι των λοιπων τι: D ℓ950 a b c e ſſ 2 i l r 1 ¦ ει ουν ουδε ελαχιστον δυνασθε, τι περι των λοιπων: aur f q M (*Ev non test.) ● i (12,27) ουτε υϕαινει ουτε νηθει: Tert a; ουτε νηθει ουτε υϕαινει: D d sy s.c Clem (Paed. 2,10,102; GCS 12, 218) ¦ αυξανει· ου κοπια ουδε νηθει αυτους: aur b c e f ſſ 2 i l q r 1 M (vgl. Mt 6,28) ● k (12,27) οτι: א A D L Ψ f 1.13 33 892 1424 al aur b c d e f ſſ 2 i l q r 1 (quoniam; quia) Clem (Paed. 2,10,102; GCS 12, 218) (vgl. Mt 6,29) ¦ om P 45.75 B W Θ 070 a vg M (*Ev non test.) ● l (12,28) ει … ολιγοπιστοι: vs. om Epiph (s. Begründung) ¦ add it M ● m (12,29) η: P 75 A D W Θ Ψ f 1.13 a aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 vg sy h sa bo pt Clem (vgl. Mt 6,31) ¦ και: P 45 א B L Q 070 33 565 579 892 pc e sy s.c.p bo pt M (*Ev non test.) ● n (12,30a) παντα/ omnia: om Tert b ſſ 2 i l q r 1 ¦ add: a aur c d e f vg M ● o (12,30b) οιδεν δε ο πατηρ υμων: Widersprüchliche Bezeugung: (1) οιδεν δε [γαρ: D] ο πατηρ υμων/ scit autem [enim: a c d e l] pater vester (1 2 3 4 [5]): Tert D a b c d e f ſſ 2 i l q r 1 ¦ (2) υμων δε ο πατηρ οιδεν (5 2 3 4 1): Epiph M ; ο πατηρ δε υμων οιδεν (Worstellung 3 4 2 1 5): aur vg ¦ (Wortstellung 5 2-4 1): M ● p (12,31) Widersprüchliche Bezeugung: (1) πρωτον/ primum: Tert (1) 13 28 69 124 346 543 788 826 983 1241 1352 2757 i Athan (Vita Anton. 45; PG 26, 909) Chrys (Exp. in Ps 127; PG 55, 369) (vgl. Mt 6,33) ¦ (2) πρωτον/ primum: om Tert (2) Epiph a aur b c d e f ſſ 2 l q r 1 M ● q (12,31) του θεου/ dei: Tert Epiph P 45 A D 1 Q W Θ 070 f 1.13 aur b d e f ſſ 2 i l q r 1 sy M ¦ αυτου/ eius: א B D* L Ψ 892 pc a c sa bo ● r (12,31) Widersprüchliche Bezeugung: (1) παντα/ omnia: om Tert P 45.75 א * B L Q W Δ 892 pm a e sy s.c sa mss ¦ (2) παντα/ omnia: add Epiph א 1 A D K N Γ Θ Ψ 070 f 1.13 33 565 579 700 1241 1424 2542 pm aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 sy p.h sa mss bo (vgl. Mt 6,33) ● s (12,32) εν αυτω: D d; εν ω: e; ω: gat Athan (Ep. cast. 1,13; PG 28, 868) ¦ om a aur b c f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● t (12,32) υμων: om Epiph 1247 ℓ524 Athan Clem (Dives 31,2; GCS 17, 180) CyrAlex (Lc; PG 72, 741) ¦ add it M ● u (12,34) εσται και η καρδια υμων: D c 827 2643 ℓ890 ℓ1761 a b d f ſſ 2 r 1 MacarAeg (Hom. 11,7; PTS 4, 100); εσται και η καρδια σου: e l (vgl. Mt 6,21) ¦ και η καρδια υμων εσται: aur c i q M . C. Die Belehrung über das Sorgen und das Streben nach der Herrschaft Gottes ist nur teilweise bezeugt: Die beiden ersten Redeteile über das »Sorgen« (*12,22-27 [28]) und über das »Suchen« (*12,29-32) sind insgesamt gesichert, teilweise sogar in wörtlichen Zitaten, der letzte Teil der Rede über den unvergänglichen Schatz (*12,33f) ist dagegen unbezeugt. Im Einzelnen ergibt sich für die bezeugten Abschnitte, dass die lk Redaktion auf jeden Fall den vorkanonischen Text verändert hat; wie weit diese Eingriffe gehen, ist jeweils im Einzelnen zu prüfen. 1. Obwohl Tertullians Referat in 4,29,1 den Text nur zusammenfasst, nicht aber wiedergibt, sind die meisten Aussagen von *12,22-24a gesichert. Der Schluss a minore ad maius in *12,24b ist zwar nicht bezeugt, gehört aber aus Gründen der inneren Logik mit dazu. Tertullians Referat wird gestützt durch eine Reihe von Auffälligkeiten in der handschriftlichen Überlieferung. Am wichtigsten ist dabei die Formulierung von *12,24: Tertullians nec in apothecas condunt stimmt mit der Formulierung der synoptischen Parallele in Mt 6,26 οὐδὲ συνάγουσιν εἰς ἀποθήκας überein, die sich gegen die überwältigende Mehrheit der Zeugen auch in wenigen Handschriften für Lk 12,24 gehalten hat. Aufschlussreich ist dabei nicht nur die direkte Bezeugung durch eine Minuskel (907), sondern vor allem die Konflation 12,22-34 Rekonstruktion 911 der vorkanonischen und der kanonischen Lesart in einer anderen (157); auch die Afra-Handschrift (e) zeigt diese Tendenz. Bei den Abweichungen handelt es sich ausweislich von Tertullians Zeugnis nicht um einen Einfluss der synoptischen Parallelen auf den kanonischen Lk-Text, sondern um das häufigere Phänomen der Interferenz der beiden Handschriftenüberlieferungen. Aus diesem Grund stellt jedoch Tertullians Erwähnung der »Raben« ein Problem dar: Er referiert damit auf τοὺς κόρακας des Mehrheitstextes von Lk 12,24, der sich darin von τὰ πετεινὰ τοῦ οὐρανοῦ Mt 6,26 unterscheidet: Entweder hat Mt in *Ev »Raben« gelesen und in »Vögel des Himmels« geändert; dann hätte Lk den Wortlaut von *Ev (gegen Mt) bewahrt. Oder *Ev enthielt das von Mt rezipierte τὰ πετεινὰ τοῦ οὐρανοῦ, das Lk dann in τοὺς κόρακας geändert hätte. Auf den ersten Blick ist dies ein Vexierproblem, zu dessen Lösung auch die typische Konflation in P 45 (τὰ πετεινὰ τοῦ οὐρανοῦ καὶ τοὺς κόρακας) wenig beiträgt. Allerdings weisen nicht nur die »üblichen Verdächtigen« (D it) auf die ursprüngliche Lesart, sondern auch der Fortgang: Die Schlussfolgerung in *12,24b greift das Stichwort τὰ πετεινά wieder auf (πόσῳ μᾶλλον ὑμεῖς διαϕέρετε τῶν πετεινῶν) und bestätigt so den ursprünglichen Wortlaut: Mt hatte τὰ πετεινὰ τοῦ οὐρανοῦ unverändert aus *Ev übernommen, erst Lk hatte daraus τοὺς κόρακας gemacht. Drückt sich darin eine Bewertung (eine Geringschätzung der »Raben«) aus, mit der die Größe des Unterschieds (διαϕέρετε) herausgestellt wird? Auf jeden Fall steht diese Korrektur in einer (geringfügigen) Spannung zum nächsten Kontext (V. *24b: τῶν πετεινῶν): Ein typisches Redaktionsphänomen. Die bedeutet zugleich, dass Tertullians Text von *12,24 einmal den vorkanonischen und einmal den kanonischen Wortlaut unmittelbar nebeneinander bezeugt. 2. Die Vv. *12,25f sind unbezeugt. Aus diesem Grund sind die Abweichungen der handschriftlichen Überlieferung wichtig und aufschlussreich. Das Fehlen von μεριμνῶν in *12,25a wird nicht nur von D d bezeugt, sondern auch von 2542: Dies ist kein Schreibversehen, sondern Einfluss des vorkanonischen Textes, den bereits Mt 6,27 (τίς δὲ ἐξ ὑμῶν μ ε ρ ι μ ν ῶ ν δύναται προσθεῖναι …) auf die Thematik des Abschnitts hin präzisiert hatte: »Wer unter euch kann durch sein Sorgen seiner Lebenszeit auch nur eine Handbreit zusetzen? « Lk hat diese naheliegende Präzisierung von Mt übernommen und dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die eine Handbreit (πῆχυν ἕ ν α ) ergänzt, die in *Ev wahrscheinlich gefehlt hat. Diese Lesart wird von der Mehrheit der Handschriften 1 vertreten, während andere Zeugen ( P 45.75 א * B D d ſſ 2 i l) den weniger spezifischen Text (ohne ἕνα) bieten. Die Herausgeber von NA 27 / GNT 4 folgen der Lesart dieser alten und »respektablen« Handschriften; sie repräsentieren damit jedoch sehr wahrscheinlich nicht den kanonischen, sondern den vorkanonischen Text. Ein analoges Phänomen liegt mit großer Wahrscheinlichkeit auch der Lesart *12,26 καὶ περὶ τῶν λοιπῶν τί μεριμνᾶτε (D it und ein Lektionar) anstelle von εἰ οὖν οὐδὲ ἐλάχιστον δύνασθε, τί ______________________________ 1 א 1 A L Q W Θ Ψ 070 f 1.13 33 a aur b c e f q r 1 sy M . 912 Anhang I 12,22-34 περὶ τῶν λοιπῶν μεριμνᾶτε im Mehrheitstext zugrunde: Mit der Betonung der Ohnmacht, auch nur »das Geringste« beeinflussen zu können, hat er die Nutzlosigkeit des »Sorgens« herausgestellt. 3. *12,27 ist wieder bezeugt, allerdings nur in einer zusammenfassenden Formulierung, die es schwer macht, den genauen Wortlaut zu rekonstruieren. Immerhin lässt non texunt nec nent (Tert. 4,29,1) erkennen, dass Tertullian nicht das kanonische (κατανοήσατε τὰ κρίνα πῶς) αὐξάνει· οὐ κοπιᾷ οὐδὲ νήθει gelesen hatte, sondern nur den kurzen Verweis, der ähnlich auch in einem Teil der Handschriften bezeugt ist: »Sie weben nicht und sie spinnen nicht.« Die andere Abfolge der Verben in D sy usw. (νήθειν - ὑϕαίνειν) stellt eine Erleichterung gegenüber der von Tertullian (und dem Cod. Vercellensis) bezeugten Fassung dar, weil Garn zuerst gesponnen, dann gewebt wird. Wenn diese Fassung (»sie weben nicht, sie spinnen nicht«) Anspruch auf Ursprünglichkeit hat, dann hat Tertullian hier den ältesten erreichbaren Text referiert. In jedem Fall ist deutlich, dass bereits Mt 6,28 πῶς αὐξάνουσιν· οὐ κοπιῶσιν οὐδὲ νήθουσιν den Text von *Ev korrigiert hat. Lk ist ihm gefolgt. *12,27 Mt 6,28 Lk 12,27 κατανοήσατε τὰ κρίνα καταμάθετε τὰ κρίνα κατανοήσατε τὰ κρίνα τοῦ ἀγροῦ πῶς πῶς αὐξάνουσιν· πῶς αὐξάνει· οὐ κοπιῶσιν οὐ κοπιᾷ οὔτε ὑϕαίνει οὔτε νήθει οὐδὲ νήθουσιν οὐδὲ νήθει 4. Lk 12,28 hat ganz gefehlt, auch wenn Epiphanius’ Auslassungsvermerk den Vers nur zusammenfasst. Mit Blick auf die mt Bearbeitung von *12,27 wird dies auch wahrscheinlich. Denn Mt 6,28 hat die Lilien näher bestimmt (τὰ κρίνα τ ο ῦ ἀ γ ρ ο ῦ ) und greift das Stichwort ἀγρός in 6,30 wieder auf (τὸν χόρτον τ ο ῦ ἀ γ ρ ο ῦ …), um anhand des Gegensatzes zwischen dem geringen »Grünzeug auf dem Acker« und den Angeredeten deren »Kleinglauben« deutlich zu machen: Der Hinweis auf den Kleinglauben ist typisch mt. Lk ist hier - gegen seine Hauptquelle *Ev - der mt Fassung gefolgt. Die geringfügigen Unterschiede von Lk 12,28 gegenüber Mt 6,30 sind dem Umstand geschuldet, dass Lk das Stichwort ἀγρός hier erstmalig aufgreift, weil er in 12,27 nicht Mt 6,28 (τὰ κρίνα τοῦ ἀγροῦ), sondern *12,27 (τὰ κρίνα) gefolgt ist: Eine lässliche Ungenauigkeit. Insgesamt wird das redaktionelle Verfahren mit seinem präzisen Textvergleich sehr gut erkennbar. 5. Der zweite Teil der Rede, der durch die Leitworte μὴ ζητεῖτε - πλὴν ζητεῖτε (*12,29.31) bestimmt wird, ist gut bezeugt: Hier liegt mit Tertullians Referat (4,29,3-5) und gleich drei Epiphanius-Scholien (Schol. 32-34) eine vergleichsweise dichte Doppelbezeugung vor. Dementsprechend interessant sind die Abweichungen der 12,22-34 Rekonstruktion 913 jeweils zugrunde liegenden Textformen: Wie auch sonst, lassen sich hier Gesichtspunkte für die Rekonstruktion des vorkanonischen Textes anhand der Varianten der kanonischen Textüberlieferung gewinnen. Dabei liegt die methodische Überlegung zugrunde, dass der am weitesten von der Mehrheitsfassung abweichende Text am ehesten Anspruch auf Ursprünglichkeit besitzt. a. In *12,30b ist die Wortfolge uneinheitlich bezeugt: Tertullian las οἶδεν δὲ ὁ πατὴρ (ὑμῶν), Epiphanius dagegen ὑμῶν δὲ ὁ πατὴρ οἶδεν. Beide Lesarten werden durch die kanonischen Handschriften gestützt: Epiphanius durch den Mehrheitstext, Tertullian durch die typische Minderheit (D it); sie gibt den Ausschlag für die Ursprünglichkeit. Offen bleibt, ob das in Tertullians Referat fehlende ὑμῶν eine Nachlässigkeit ist oder den vorkanonischen Text belegt; diese Lesart ist sonst nicht bezeugt. b. In den Referaten von *12,30 scheint bei Tertullian und Epiphanius ein unterschiedlicher Text bezeugt zu sein: Während Tertullian (bei anderer Wortstellung) mit dem kanonischen Wortlaut übereinstimmt (scit autem pater opus esse haec vobis), setzt Epiphanius am Ende dazu (χρήζετε τούτων) τ ῶ ν σ α ρ κ ι κ ῶ ν δ ή . Aber ist das wirklich ein Unterschied in der Bezeugung? 2 Das nachgeordnete δή erläutert, was mit »diesem« gemeint ist. Eine solche Erläuterung wäre auf der Ebene von *Ev kaum sinnvoll, weil hier eine Formulierung zu erwarten wäre, die das Gemeinte unmittelbar zum Ausdruck bringt und auf das anaphorische Demonstrativpronomen verzichtet, also etwa: ὑμῶν δὲ ὁ πατὴρ οἶδεν ὅτι χρήζετε τῶν σαρκικῶν o. ä. Innerhalb von Epiphanius’ Scholienliste ist die Erläuterung dagegen notwendig, weil in ihr jeder Hinweis auf den Gegenstand des Sorgens (Essen und Trinken, *12,29) fehlte, auf die sich das Pronomen des Zitats zurück bezieht. c. Für *12,31 zeigt die Synopse die Probleme der Zweibzw. Dreifachbezeugung. ______________________________ 2 So D. S. W ILLIAMS , Reconsidering Marcion’s Gospel, JBL 108 (1989), 477-496: 489; C HR . M. H AYS , Marcion vs. Luke: A Response to the Plädoyer of Matthias Klinghardt, ZNW 99 (2008), 213-232: 217 Anm. 15: Entgegen der Epiphaniusausgabe von Holl (GCS 31), der die Worte »τῶν σαρκικῶν δή« nicht zu dem *Ev-Zitat rechnete, sei »the phrase … more likely part of the quotation of Marcion’s Gospel, disambiguating τούτων«. Das ist wenig wahrscheinlich: Wenn Marcion hier Eindeutigkeit hätte schaffen wollen, wäre es einfacher gewesen, τούτων direkt durch τῶν σαρκικῶν zu ersetzen, statt eine Erklärung anzufügen. 914 Anhang I 12,22-34 Tert. 3,24,8 Tert. 4,29,5 Epiph., Schol. 33 Mt 6,33 Lk 12,31 quaerite quaerite ζητεῖτε δὲ ζητεῖτε δὲ πλὴν ζητεῖτε primum enim πρῶτον a regnum regnum τὴν βασιλείαν τὴν βασιλείαν τὴν βασιλείαν dei, dei, τοῦ θεοῦ b τοῦ θεοῦ b καὶ τὴν δικαιοσύνην αὐτοῦ c αὐτοῦ et haec et haec καὶ ταῦτα καὶ ταῦτα καὶ ταῦτα πάντα πάντα d adicientur vobis προστεθήσεται προστεθήσεται προστεθήσεται vobis adicientur ὑμῖν ὑμῖν ὑμῖν a πρωτον: add Tert 13 28 69 124 346 543 788 826 983 1241 1352 2757 i Athan Chrys (Ps 127) b του θεου: om א B k l sa bo Eus c του θεου: Epiph P 45 A D 1 Q W Θ 070 f 1.13 lat sy d παντα: add א c A D Θ 070 λ Φ al lat sy p sy pt bo In *12,31 ist unklar, ob der vorkanonische Text πλὴν ζητεῖτε τὴν βασιλείαν oder πλὴν ζητεῖτε π ρ ῶ τ ο ν τὴν βασιλείαν lautete. Die Lesart mit πρῶτον entspricht Mt 6,33 und ist von Tertullian bezeugt (4,29,5), die kürzere Lesart wird nicht nur durch Epiphanius, sondern auch durch Tertullian in anderem Zusammenhang in Adv. Marc. 3 bezeugt (3,24,8). In diesem Fall ist davon auszugehen, dass die längere und insgesamt viel schwächer bezeugte Lesart den vorkanonischen Text bezeugt, den Mt 6,33 unverändert rezipiert hat. Die lk Redaktion hat πρῶτον gestrichen und damit die Aussage grundsätzlicher gefasst; sie vertritt eine Alternative anstelle einer Rangfolge: Nicht »Erst das Reich Gottes und dann …«, sondern nur: »Sucht das Reich Gottes! « d. Ganz ähnlich ist dann auch die unterschiedliche Bezeugung von καὶ ταῦτα π ά ν τ α προστεθήσεται ὑμῖν zu beurteilen (*12,31b): Die längere Lesart findet sich auch in Mt 6,33; sie wird von Tertullian bezeugt und von etlichen wichtigen Zeugen vertreten ( P 45.75 א * B it pt ). Die kürzere Lesart ist von Epiphanius bezeugt, und auch hier gibt es eine Reihe von wichtigen Zeugen ( א 1 A D K N Γ Θ Ψ it pt usw.). Das Urteil ist schwierig und aufgrund der äußeren Bezeugung allein kaum möglich. Immerhin lässt sich vertreten, dass die beiden Lesarten in *12,31 miteinander korrespondieren: ζητεῖτε πρῶτον passt gut zu ταῦτα πάντα προστεθήσεται, während das grundsätzlichere ζητεῖτε! mit ταῦτα προστεθήσεται harmoniert - also so, wie sich NA 27 für die mt bzw. für die lk Fassung entscheidet. Von daher spricht manches dafür, dass *Ev hier die längere Lesart (ταῦτα πάντα προστεθήσεται) enthielt, ohne dass Sicherheit zu gewinnen wäre: Die Frage bleibt unentschieden. 6. *12,32 ist vor allem durch den Auslassungsvermerk von (ὁ πατήρ) ὑμῶν bei Epiphanius belegt: Hätte der Vers ganz gefehlt oder hätte er eine ansonsten andere Gestalt besessen, wäre das von Epiph. vermerkt. Auch Tertullian scheint ihn bei 12,22-34 Rekonstruktion 915 *Ev gelesen zu haben. Die Formulierung restituenda … et regnum sowie die Logik der Aussage (4,29,5) machen deutlich, dass er an dieser Stelle etwas über die Gabe der Basileia gelesen hat. Die von Epiphanius bezeugte Variante wird auch durch verschiedene handschriftliche und patristische Zeugen gestützt. Neben dieser direkt bezeugten Variante ist eine weitere aufgrund der handschriftlichen Bezeugung wahrscheinlich, nämlich der Zusatz ἐ ν α ὐ τ ῷ εὐδόκησεν ὁ πατήρ (*12,32 D it u. a.). Er hat keine synoptische Parallele und steht singulär da: Es handelt sich mit großer Wahrscheinlichkeit um den vorkanonischen Text. Denn ἐν αὐτῷ referiert auf τὸ μικρὸν ποίμνιον: Wenn εὐδόκησεν mit einem direkten Objekt konstruiert wird, müsste man nach der Anrede im Vordersatz (μὴ ϕοβοῦ) auch in der Begründung 2. Pers. Sing. (ἐν σοί) anstelle der 3. Pers. Sing. (ἐν αὐτῷ) erwarten. Dass diese kleine Inkongruenz nachträglich geschaffen wurde, ist weniger wahrscheinlich, als dass sie im Zuge der lk Redaktion beseitigt wurde, zumal εὐδοκεῖν das direkte Objekt nicht benötigt: Die Lesart in D it ist daher mit hoher Wahrscheinlichkeit vorkanonisch. 7. Ausgesprochen schwierig ist der letzte Teil der Rede mit der Aufforderung zum Almosengeben zu beurteilen: Die Vv. 33f sind unbezeugt. Tertullian behandelt (in 4,29,5) zunächst *12,31(32) und fasst dann die Bedeutung der parabolae, also der Bildworte *12,24.27, dahingehend zusammen, dass die Menschen per omnia von diesem Schöpfer abhängig sind (4,29,6). Der folgende Satz verbindet diese Einsicht mit der Metaphorik von *12,35ff: »Wir sind Sklaven, denn wir haben Gott als unseren Herrn. Wir müssen unsere Lenden schürzen …« Ist ein derart enger Zusammenhang vorstellbar, wenn 12,33f dazwischen gestanden hätte? Die Beurteilung hat von den äußeren Gesichtspunkten auszugehen und dann, wenn nötig, innere Kriterien zu berücksichtigen. a. Die handschriftliche Überlieferung gibt keine deutlichen Signale: Zwar sind für V. 33 etliche kleinere Varianten zu verzeichnen, die aber allesamt wenig aussagekräftig sind; dass der Apparat von NA 27 sie vernachlässigt, ist also gerechtfertigt. Vor allem fehlen die charakteristischen Lesarten der »üblichen Verdächtigen«. Dieses Ergebnis besagt nicht viel: Es könnte sein, dass diese Varianten gerade aufgrund des sekundären Charakters fehlen. Für *12,34 ist dagegen die Wortstellung der letzten Wendung in D it u. a. abweichend überliefert (ἐκεῖ ἔσται καὶ ἡ καρδία ὑμῶν gegenüber: ἐκεῖ καὶ ἡ καρδία ὑμῶν ἔσται) und stimmt darin mit der synoptischen Parallele Mt 6,21 genau überein. Im Rahmen der Zwei-Quellentheorie wird die mt Wortstellung ganz überwiegend als dem Text der Vorlage »Q« entsprechend gewertet. 3 Auch wenn die Grundlage der Argumentation hier anders ______________________________ 3 Vgl. die Zeugnisse und die Bewertungen in S. R. J OHNSON (ed.), Q 12: 33-34. Storing Up Treasures in Heaven, Leuven 2007, 196-199. 916 Anhang I 12,22-34 aussieht, spricht diese Einschätzung der jeweiligen redaktionellen Verfahren dafür, dass die Wortstellung von D it dem vorkanonischen Text entspricht. b. *12,33b-d.34 besitzt eine sachliche Entsprechung in Mt 6,20f, die aber in der Formulierung andere Wege geht. Dies allein ist für die Beurteilung von *12,33f wenig beweiskräftig, weil nicht erkennbar ist, ob beide Fassungen auf *Ev als gemeinsame Quelle zurückgehen oder ob Lk hier einfach von Mt abhängig ist. Die »Q«-Forschung hat sich seit 150 Jahren an der Rekonstruktion der Vorlage abgearbeitet. 4 Da die Zwei-Quellentheorie nicht mit der Möglichkeit einer lk Abhängigkeit von Mt rechnet, sind die Ergebnisse für die Frage wenig relevant, ob diese Passagen in *Ev enthalten waren oder nicht. Allerdings fällt auf, dass Mt keine Entsprechung zu der Almosenaufforderung 12,33a hat: Weder in Mt 6,2-4 (wo es allerdings nicht um das Dass, sondern um das Wie des Almosengebens geht) noch im Zusammenhang der *12,22-31 entsprechenden Belehrung über das Sorgen (Mt 6,25-33) noch in der Rezeption der vorliegenden Belehrung in 6,19-21. Wenn man sieht, dass Mt 6 verschiedene Aspekte von *12,22ff verarbeitet hat, fällt das Fehlen von Lk 12,33a durchaus auf. Dies könnte dafür sprechen, dass diese Aufforderung, die sich in Terminologie und Aussage gut in das redaktionelle Konzept von Lk-Act fügt, durch Lk an dieser Stelle ergänzt wurde. Andererseits stellt *11,41 (mit der Formulierung τὰ ὑπάρχοντα δότε ἐλεημοσύνην! ) sicher, dass *Ev die entsprechende Terminologie und das Konzept kannte. Im Horizont der Zwei-Quellentheorie stellt Lk 12,33a vor die Frage, ob dieses Logion in »Q« enthalten war und von Mt übergangen wurde, oder ob es erst von Lk redaktionell eingefügt wurde. Die Mehrheit der Ausleger votiert dafür, dass 12,33a eine lk Bildung ist und dass der »Q«-Wortlaut in Mt 6,19 zu sehen sei. 5 c. Der Sache nach verweist die Vorstellung vom »himmlischen Schatz« (*12,33bd) innerhalb der Redekomposition zurück auf Lk 12,21: Dieser Vers hatte sich als sehr wahrscheinlich redaktionell erwiesen (s. dort). Allerdings bleibt auch diese Einsicht ambivalent: Dass die lk Redaktion an einer Stelle einen Gedanken ergänzt, besagt nicht, dass dies auch an allen anderen Stellen der Fall sein muss. So bleibt das Urteil an dieser Stelle in hohem Maß tentativ und unsicher. Die Tendenz, die sich eher ahnen als schlüssig begründen lässt, geht dahin, dass 12,33a redaktionell ist, *12,33b-d.34 aber in *Ev enthalten waren. ______________________________ 4 Die Ergebnisse bei J OHNSON , a. a. O.: Die Präsentation und Diskussion der Daten zu diesen zwei Versen umfasst rd. 200 S.! 5 J OHNSON , a. a. O. 60-107. 12,35-48 Rekonstruktion 917 *12,35-48: Belehrung über Wachsamkeit und Zuverlässigkeit Gut bezeugt und sicher in *Ev vorhanden; nur geringfügige Bearbeitung durch die lk Redaktion. 12,35 a ἔστω ὑμῶν ἡ ὀσϕὺς περιεζωσμένη a καὶ οἱ λύχνοι καιόμενοι, 36 καὶ ὑμεῖς ὅμοιοι ἀνθρώποις προσδεχομένοις τὸν κύριον ἑαυτῶν πότε ἀναλύσῃ ἐκ τῶν γάμων, ἵνα ἐλθόντος καὶ κρούσαντος εὐθέως ἀνοίξωσιν αὐτῷ. 37 μακάριοι οἱ δοῦλοι ἐκεῖνοι, οὓς ἐλθὼν ὁ κύριος εὑρήσει γρηγοροῦντας· ἀμὴν λέγω ὑμῖν ὅτι περιζώσεται καὶ ἀνακλινεῖ αὐτούς b [ καὶ παρελθὼν διακονήσει αὐτοῖς ] b . 38 κἂν ἐν τῇ c ἑσπερινῇ ϕυλακῇ c ἔλθῃ καὶ εὕρῃ οὕτως, μακάριοί εἰσιν d [ ἐκεῖνοι ] . 39 τοῦτο δὲ γινώσκετε ὅτι εἰ ᾔδει ὁ οἰκοδεσπότης ποίᾳ ὥρᾳ ὁ κλέπτης ἔρχεται, e ἐγρηγόρησεν ἂν καὶ e οὐκ ἂν ἀϕῆκεν διορυχθῆναι τὸν οἶκον αὐτοῦ. 40 καὶ ὑμεῖς γίνεσθε ἕτοιμοι, ὅτι ᾗ ὥρᾳ οὐ δοκεῖτε ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ἔρχεται. 41 Εἶπεν δὲ ὁ Πέτρος, Κύριε, πρὸς ἡμᾶς τὴν παραβολὴν ταύτην λέγεις f [ ἢ καὶ πρὸς πάντας ] f ; 42 καὶ εἶπεν g [ ὁ κύριος ] g , Τίς ἄρα ἐστὶν ὁ πιστὸς οἰκονόμος ὁ ϕρόνιμος h ὁ ἀγαθός h , ὃν καταστήσει ὁ κύριος ἐπὶ τῆς θεραπείας αὐτοῦ τοῦ διδόναι ἐν καιρῷ i [ τὸ ] σιτομέτριον; 43 μακάριος ὁ δοῦλος ἐκεῖνος, ὃν ἐλθὼν ὁ κύριος αὐτοῦ εὑρήσει ποιοῦντα οὕτως· 44 k ἀμὴν λέγω ὑμῖν ὅτι ἐπὶ πᾶσιν τοῖς ὑπάρχουσιν αὐτοῦ καταστήσει αὐτόν. 45 ἐὰν δὲ εἴπῃ ὁ δοῦλος ἐκεῖνος ἐν τῇ καρδίᾳ αὐτοῦ, Χρονίζει ὁ κύριός μου ἔρχεσθαι, καὶ ἄρξηται τύπτειν τοὺς παῖδας καὶ τὰς παιδίσκας, ἐσθίειν τε καὶ πίνειν καὶ μεθύσκεσθαι, 46 ἥξει ὁ κύριος τοῦ δούλου ἐκείνου ἐν ἡμέρᾳ ᾗ οὐ προσδοκᾷ καὶ ἐν ὥρᾳ ᾗ οὐ γινώσκει, καὶ διχοτομήσει αὐτὸν καὶ τὸ μέρος αὐτοῦ μετὰ τῶν ἀπίστων θήσει. 47 ἐκεῖνος δὲ ὁ δοῦλος ὁ γνοὺς l τὸ θέλημα τοῦ κυρίου αὐτοῦ l καὶ μὴ m ἑτοιμάσας ἢ m ποιήσας πρὸς τὸ θέλημα αὐτοῦ δαρήσεται n πολλά· 48 ὁ δὲ μὴ γνούς, ποιήσας δὲ ἄξια πληγῶν, δαρήσεται o ὀλίγα. παντὶ δὲ ᾧ p ἔδωκαν πολύ, ζητήσουσιν ἀπ’ αὐτοῦ περισσότερον p , καὶ ᾧ παρέθεντο πολύ, q πλέον ἀπαιτήσουσιν q αὐτόν. A. *12,35f: Tert. 4,29,6: Sumus servi, dominum enim habemus deum. Succingere debemus lumbos, id est expediti esse ab impedimentis laciniosae vitae et implicitae. Item lucernas ardentes habere, id est mentes a fide accensas et operibus veritatis relucentes, atque ita expectare dominum, id est Christum. Unde redeuntem? si a nuptiis, creatoris est, cuius nuptiae; si non creatoris, nec ipse Marcion invitatus ad nuptias isset, deum suum intuens detestatorem nuptiarum. Defecit itaque parabola in persona domini, si non esset cui nuptiae competunt. ♦ *12,37: Tert. 4,29,6: (sumus servi ...) ♦ *12,38: Epiph., Schol. 35: Ἀντὶ τοῦ Δευτέρᾳ ἢ τρίτῃ ϕυλακῇ εἶχεν Ἑσπερινῇ ϕυλακῇ. ♦ *12,39: Tert. 4,39,7: In sequenti quoque parabola satis errat qui furem illum, cuius horam si pater familiae sciret non sineret suffodi domum suam, in personam disponit creatoris. Fur enim creator quomodo videri potest, dominus totius hominis? Nemo sua furatur aut suffodit, sed ille potius qui in aliena descendit, et hominem a domino eius alienat. ♦ *12,40: Tert. 4,39,7: Porro cum furem nobis diabolum demonstret, cuius horam etiam in primordio si homo scisset 918 Anhang I 12,35-48 nunquam ab eo suffossus esset, propterea iubet ut parati simus, quia qua non putamus hora filius hominis adveniet, non quasi ipse sit fur, sed iudex scilicet eorum qui se non paraverint, nec caverint furem. ♦ *12,41-46: Tert. 4,29,9: Itaque interroganti Petro in illos an et in omnes parabolam dixisset, ad ipsos et ad universos qui ecclesiis praefuturi essent proponit actorum similitudinem, quorum qui bene tractaverit conservos absentia domini reverso eo omnibus bonis praeponetur; qui vero secus egerit, reverso domino qua die non putaverit, hora qua non scierit, illo scilicet filio hominis, Christo creatoris, non fure sed iudice, segregabitur et pars eius cum infidelibus ponetur. ♦ *12,46: Epiph., Schol. 36: Ἥξει ὁ κύριος τοῦ δούλου ἐκείνου καὶ διχοτομήσει αὐτὸν καὶ τὸ μέρος αὐτοῦ μετὰ τῶν ἀπίστων θήσει. ♦ *12,47f: Tert. 4,29,11: Aut si nihil patientur segregati et infideles, aeque ex diverso nihil consequentur retenti et fideles. Si vero consequentur salutem retenti et fideles, hanc amittant necesse est ex diverso segregati et infideles. Hoc erit iudicium, quod qui intendit creatoris est. Quem alium intellegam caedentem servos paucis aut multis plagis, et prout commisit illis ita et exigentem ab eis, quam retributorem deum? Cui me docet obsequi nisi remuneratori? ¦ Adam. 2,21 (833a): ὁ γὰρ δοῦλος, ὁ γνοὺς καὶ μὴ ποιήσας δαρήσεται πολλά, ὁ δὲ μὴ γνούς ποιήσας δὲ ἄξια πληγων, δαρήσεται ὀλίγα. B. a (12,35) εστω υμων η οσϕυς περιεζωσμενη: D d ¦ εστωσαν υμ. αι οσϕυες περιεζωσμεναι: Tert (! ) a aur b c e f ſſ 2 i l q r 1 M ● b (12,37) και παρελθων διακονησει αυτοις: om א * ¦ add it M (*Ev non test.) ● c (12,38) εσπερινη ϕυλακη/ vespertina vigilia: Epiph a aur b e f ſſ 2 l q r 1 ; vespertina hora: i ¦ τη δευτερα καν εν τη τριτη ϕυλακη/ in (om q) secunda vigilia et si in (om q) tertia vigilia: aur f q vg M ¦ και εαν ελθη τη εσπερινη ϕυλακη και ευρησει ουτως ποιησει και εαν εν τη δευτ. και τη τριτη: D c d (f 1 sy c Iren lat [5,34,2]) ● d (12,38) εκεινοι: om א * a b ſſ 2 i l r 1 Iren lat ¦ εκεινοι: add P 75 א 1 B D L d e sy s.c bo pt ¦ οι δουλοι εκεινοι: A Q W Θ Ψ 0707 f 1.13 33 aur c f q vg sy p.h sa bo pt M (*Ev non test.) ● e (12,39) εγρηγορησεν αν και/ vigilaret et: om Tert P 75 א * D d e i sy s.c sa mss armen ¦ add: א 1 A Q Θ Ψ 070 33 2542 B L Q W f 1.13 33 M aur b c f ſſ 2 l q r 1 sy p.h sa mss bo (vgl. Mt 24,43) ● f (12,41) η και προς παντας: om D d ¦ add Tert (! ) it M ● g (12,42) ο κυριος/ dominus: om e i ¦ ο ιησους/ Iesus: b ¦ ο κυριος/ dominus: (Tert[! ]) aur c d f ſſ 2 l q r 1 M ● h (12,42) ο αγαθος: D c d e (sy c ) ¦ om aur b f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● i (12,47) το: om P 75 B D f 13 bo mss ¦ add א A L Q W Θ Ψ 070 f 1 33 M (*Ev non test.) ● k (12,44) αμην: D 1215 1229 2487 c d georg MacarAeg (Hom. 15,44; PTS 4, 153) ¦ αληθως/ vere: aur b e f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● l (12,47) το θελημα … αυτου: om Adam Basil (Reg. fus. proem.; PG 31, 900) CyrAlex (Comm. in Joh 5,2; P USEY III 706) ¦ add it M ● m (12,47) ετοιμασας η: om Adam P 45 D 69 2766 d Basil (Bapt. 1,2,9; PG 31, 1541; Mor. 7,5; PG 32, 1204) Chrys (PG 53, 54; PG 55, 73; PG 58, 693; PG 59, 458.626 u.ö.) CyrAlex (Lc; PG 72, 75 u.ö.) MacarAeg (Hom. 29,6; PTS 4, 238) Orig (Hom. in Jer. 16,7; GCS 6, 139) Iren lat (4,37,3) ¦ add M ● n (12,47) πολλα: Adam Δ 1241 Chrys (Advent; PG 59, 626; Hom. Rom. 1; 32; F IELD I 86; 484); multum: e gat q; multis: aur c f r 1 vg ¦ om ſſ 2 ¦ πολλας: aur b d i l M ● o (12,48) ολιγα: Adam 983 1241 ℓ211; paucis: aur c e f g 1 gat q r 1 ¦ ολιγας/ paucas: b d ſſ 2 i l M ● p (12,48) εδωκαν πολυ, ζητησουσιν απ αυτου περισσοτερον: D d (e ſſ 2 l) ¦ εδοθη πολυ, πολυ ζητηθησεται παρ αυτου: aur b c e f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● q (12,48) πλεον απαιτησουσιν: D (Greg. Nyss.) ¦ περισσοτερον αιτησουσιν: it M (*Ev non test.). C. Die Wachsamkeitsparänese mit dem Gleichnis vom unnützen Sklaven ist insgesamt gut bezeugt, teilweise in wörtlichen Zitaten. Diejenigen Passagen, für die keine direkte Bezeugung vorliegt (*36b.37.38b.42a.43.45), lassen sich entweder aus textkritischen oder aus inhaltlichen Gründen wahrscheinlich machen. Angesichts 12,35-48 Rekonstruktion 919 dieser Bezeugungslage liegt das Hauptinteresse auf textkritischen und überlieferungsgeschichtlichen Erwägungen. 1. In einigen Fällen setzt die Rekonstruktion einen Text gegen das entsprechende direkte Zeugnis Tertullians voraus. In allen Fällen ist das Urteil abhängig von Auffälligkeiten der kanonischen Textüberlieferung, die jeweils als Spuren des vorkanonischen Textes verstanden sind: a. *12,35 liest D d als einziger Zeuge Singular (ἔστω ὑμῶν ἡ ὀσϕὺς περιεζωσμένη) anstelle des ansonsten durchweg vertretenen und auch durch Tertullian für Marcion bezeugten Plurals (ἔστωσαν ὑμῶν αἱ ὀσϕύες περιεζωσμέναι). Eine (sekundäre) Korrektur vom Sing. in den Pl. drängt sich auf, wogegen die umgekehrte Bearbeitungsrichtung kaum vorstellbar ist. Aus diesem Grund ist die D-Lesart für den vorkanonischen Text trotz der gegenläufigen Bezeugung Tertullians zu bevorzugen. b. Am problematischsten ist das Ende von *12,41: Hier fehlen die letzten Worte ἢ καὶ πρὸς πάντας in D d. Dadurch verändert sich der Bedeutungsgehalt der Petrusfrage. Der ist (in der Mehrheitsfassung) ohnehin schwierig, denn an wen sollten sich den die Worte Jesu richten, wenn nicht an die μαθηταί, die in *12,22 zum letzten Mal als Adressaten angesprochen waren? Auch der folgende Kontext gibt nicht zu erkennen, dass er auf die implizierte Unterscheidung zwischen »uns« und »allen« reagiert: Jesus beantwortet die Frage gar nicht, 1 sondern begründet die Mahnung zur Stetsbereitschaft. Die D-Fassung (πρὸς ἡμᾶς τὴν παραβολὴν ταύτην λέγεις) enthält dann einen Einwand: »Das sagst du zu uns? « Die folgende Belehrung über die Zuverlässigkeit der Sklaven reagiert darauf durch die Verstärkung der Mahnung. Es mag sein, dass dieser Sinn nicht ohne weiteres erkennbar war; leichter wäre es, wenn am Anfang ein (διὰ) τί stünde: Warum sagst du das zu uns? Aber das steht nicht da. Da von der Fassung des Mehrheitstextes kein plausibler Weg zur D-Fassung führt, liegt es näher, in ihr den ursprünglichen Text zu sehen. Die Unsicherheit bleibt (und ist in der typographischen Gestaltung - fett und petit - festgehalten). c. In *12,42 hat das nominale Subjekt wahrscheinlich gefehlt - trotz Tertullians Zeugnis, der an dieser Stelle vermutlich mit der Mehrheit der handschriftlichen Überlieferung ὁ κύριος/ dominus gelesen hat. 2 Da einige Altlateiner (e i; b) an dieser Stelle charakteristisch vom kanonischen Text abweichen, 3 steht zu vermuten, dass ὁ κύριος/ dominus eine redaktionelle Änderung ist, die in diesen drei Handschriften nicht korrigiert wurde. In diesem Fall würde ______________________________ 1 Auch nicht in der Unterscheidung zwischen ὁ γνοὺς τὸ θέλημα (V. 47a) und ὁ δὲ μὴ γνούς (V. 48a), wie W OLTER , Lk 463, vorschlägt (ähnlich N OLLAND , Lk II z. St.); sie würde implizieren, dass die Jünger als diejenigen, die den Willen Gottes kennen, ihn auch tun; die Wachsamkeitsparänese würde sich also gerade nicht an die Jünger richten! Auch die ansonsten oft vertretene Auffassung, die Frage habe die Funktion, zwischen Gemeindeleitern und Gemeindegliedern zu unterscheiden (z. B. B OVON , Lk II 333), würde implizieren, dass nur letztere den Willen Gottes kennen. 2 Vgl. die Zusammenfassung von *12,41-46 in Tert. 4,29,9: … qui vero secus egerit, reverso d o m i n o qua die non putaverit, hora qua non scierit. 3 e i: om ο κυριος/ dominus; b: add ο ιησους/ Iesus. 920 Anhang I 12,35-48 Tertullians *Ev-Exemplar die von ihm selbst erwähnten Spuren der sukzessiven Korrektur 4 nach dem kanonischen Text aufweisen. 5 2. In *12,37 fehlen in der ersten Hand des Sinaiticus ( א *) die Worte καὶ παρελθὼν διακονήσει αὐτοῖς. Diese Fassung steht allein gegen alle anderen Zeugen. Das kann ohne weiteres auf ein Versehen zurückgehen. Allerdings ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass א * den vorkanonischen Text repräsentiert: Der nächste Kontext enthält noch weitere Beispiele dafür: In *12,38 fehlt am Ende ἐκεῖνοι außer in א * noch in einigen Altlateinern (a b ſſ 2 i l r 1 ), die immer wieder Spuren des vorkanonischen Textes aufweisen, sowie bei Irenaeus. Noch deutlicher bezeugt ist das Fehlen von ἐγρηγόρησεν ἂν καί in *12,39: Diese Lesart ist nicht nur durch Tertullian für *Ev bezeugt, sondern wird neben D it sy auch durch P 75 und א * vertreten. Die längere Lesart, die sich in der großen Mehrheit der Zeugen findet, entspricht der mt Parallele (Mt 24,43). Es ist wohl dem Gewicht von P 75 und א * geschuldet, dass NA 27 / GNT 4 die kürzere (aber vermutlich vorkanonische) Fassung in den Text aufgenommen haben und den Mehrheitstext als mt Paralleleinfluss erklären. Vor diesem Hintergrund ist es gut denkbar, dass der Sinaiticus auch in *12,37 den vorkanonischen Text bewahrt hat, dem dann die Worte καὶ παρελθὼν διακονήσει αὐτοῖς fehlten. 3. Auch sonst sind die handschriftlichen Varianten aufschlussreich für die Rekonstruktion. Die hier zu erwähnenden Beispiele lassen sich nach der Bezeugungslage unterscheiden: a. Zunächst sind Formulierungen zu nennen, für die keine direkte Bezeugung vorliegt, bei denen aber die Varianten auf den vorkanonischen Wortlaut hindeuten. Dies ist in *12,42 die zusätzliche Charakterisierung des Sklaven als ἀγαθός (D it) neben der Qualifizierung als πιστός und ϕρόνιμος (Lk 12,42 || Mt 24,45). 6 Eine sekundäre Ergänzung ist schwer vorstellbar, zumal eine entsprechende Charakterisierung für den unzuverlässigen Sklaven (etwa πονηρός) in *12,45f fehlt. Ähnlich ist das von D u. a. gebotene ἀμήν anstelle des kanonischen ἀληθῶς in *12,44 zu beurteilen: Mt 24,47 hat es unverändert aus dem vorkanonischen Text übernommen, Lk hat es übersetzt. Zu den von D it gebotenen Lesarten in *12,48 s. gleich. b. Für *12,38 bezeugt Epiphanius ausdrücklich, dass *Ev von der »abendlichen Wache« anstelle der »zweiten oder dritten Nachtwache« gesprochen hatte. Da die vespertina vigilia den ersten der vier nächtlichen Zeitabschnitte darstellt, während die »zweite und dritte Wache« die Zeit vor und nach Mitternacht bezeichnen, wird im kanonischen Text von den Sklaven eine höhere Bereitschaft zur Erwartung ihres Herrn gefordert als in *Ev. Epiphanius’ Angabe wird durch etliche Altlateiner gestützt, während D (sy u. a.) eine klassische Konflation des vorkanonischen und des kanonischen Textes bieten, die beide Zeitangaben nebeneinander setzen und dabei den Satzbau komplizieren. ______________________________ 4 Vgl. Tert. 4,5,7: nam et cotidie reformant illud, prout a nobis cotidie revincuntur. 5 Zum Problem der redaktionellen Eintragungen von κύριος in der Erzählstimme vgl. o. Bd. I, S. 93ff. 6 Die Reihe πιστός, ἀγαθός und ϕρόνιμος auch bei Ephraem, Comm. Diat. 18,18 (FC 54/ 2, 521). 12,35-48 Rekonstruktion 921 c. Für *12,47f liegt eine Bezeugung von Adamantius vor, die in einigen Kleinigkeiten vom kanonischen Mehrheitstext abweicht. In diesem Fall ist wichtig, dass der von Adamantius mitgeteilte *Ev-Text jeweils durch eine Reihe anderer Zeugen gestützt wird. Im Vergleich zu dem von Adamantius bezeugten Text hat Lk den Sinn durch kleine Zusätze klarer gemacht. Diese Zusätze - τὸ θέλημα τοῦ κυρίου αὐτοῦ und ἑτοιμάσας ἤ - verändern den Sinngehalt der Aussage genauso wenig wie die Änderung von πολλάς/ ὀλίγας in πολλά/ ὀλίγα (*47/ *48). Allerdings belegen diese auch sonst bezeugten Varianten einmal mehr, dass Adamantius als Zeuge für das vorkanonische Evangelium ernst zu nehmen ist. 4. Adamantius’ Zeugnis für *12,47.48ab ist wichtig, weil diese Verse keine (direkte) synoptische Parallele haben: Bereits in *Ev hatte der Makarismus *12,37f eine dreifache Anwendung: Die Beschreibung des »zuverlässigen, klugen und guten« Sklaven (Vv. *42-44), des ungehorsamen Sklaven, der nicht auf den Herrn wartet und seine Mitsklaven schikaniert (*45f), sowie des Sklaven, der den Willen des Herrn kennt, aber nicht tut (*47.48ab). Im methodischen Horizont der Zwei-Quellentheorie wird der letzte Teil üblicherweise als redaktioneller Zusatz aus dem lk Sondergut verstanden. 7 Die Bezeugung durch Adamantius zeigt, dass dies nicht zutrifft: Auch der dritte Teil der Anwendung war bereits Teil des vorkanonischen Textes. In diesem Fall hat Mt diesen Abschnitt in der Rezeption in Mt 24 übergangen; vielleicht hat er die Strafe im dritten Anwendungsfall (dem Sklaven, der den Willen seines Herrn nicht kennt, wird »das Fell gegerbt«: δαρήσεται πολλά) für antiklimaktisch gehalten, nachdem der ungehorsame Sklave, der die Abwesenheit des Herrn mißbraucht, »in Stücke gehauen« wird. 8 Gänzlich unbezeugt ist die abschließende Sentenz *12,48cd. Aus diesem Grund sind die Varianten in D (it u. a.) wichtig: Sie sind als Zeugnis für den vorkanonischen Text zu werten. Die Unterschiede in der Formulierung gehen daher auf die lk Redaktion zurück. *12,48cd D (it u. a.) Lk 12,48cd παντὶ δὲ ᾧ ἔδωκαν πολύ, παντὶ δὲ ᾧ ἐδόθη πολύ, ζητήσουσιν ἀπ’ αὐτοῦ περισσότερον, πολὺ ζητηθήσεται παρ’ αὐτοῦ, καὶ ᾧ παρέθεντο πολύ, καὶ ᾧ παρέθεντο πολύ, πλέον ἀπαιτήσουσιν αὐτόν. περισσότερον αἰτήσουσιν αὐτόν In der ersten Hälfte hat Lk die unpersönliche Formulierung in der 3. Pers. Pl. Akt. (sie gaben/ sie werden fordern = man gab/ man wird fordern) in die 3. Pers. Sing. Pass. umformuliert, das nur als Pass. Divin. zu verstehen ist und die Aussage leichter ______________________________ 7 Vgl. z. B. A. W EISER , Die Knechtsgleichnisse der synoptischen Evangelien, München 1971, 222-224; P. S ELLEW , Reconstruction of Q 12,35-59, SBL.SP 26 (1987), 617-668: 331-344; G. P ETZKE , Das Sondergut des Evangeliums nach Lukas, Zürich 1990, 122 u. a. 8 In dem ähnlichen Kontext *19,11-28 hat Lk eine entsprechende Bestrafung der »Feinde« redaktionell in das Gleichnis eingefügt (κατασϕάξατε αὐτούς, 19,27 red.; s. dort). 922 Anhang I 12,35-48 auf Gott hin durchsichtig macht. In der zweiten Hälfte der Sentenz ist Lk dagegen bei der Formulierung des vorkanonischen Textes geblieben und hat auf diese Weise eine Spannung zwischen den beiden Sätzen geschaffen. 5. Die ganze Perikope ist gut für das vorkanonische Evangelium bezeugt und besaß - bis auf die angeführten Änderungen - einen Wortlaut, der dem kanonischen zumindest sehr ähnlich war. Die von den Vertretern der Lk-Priorität zu diesem Text angestellten Überlegungen sind nicht nachvollziehbar. So hält Harnack die passivische Formulierung θήσεται/ ponetur in *12,46 für eine gezielte marcionitische Änderung, »damit nicht Gott als der direkte Rächer erscheine.« 9 Wenn Marcion tatsächlich die Gerichtsaussagen hätte tilgen wollen, dann wäre dieser Schritt nicht nur völlig unzureichend, sondern auch gänzlich ungeeignet gewesen. Denn die Parallelität zwischen Belohnung und Strafe durch ein und denselben »Herrn« in *12,48 lässt für V. 46 gar keine andere Interpretation zu: Hier hat sich das vermeintliche Wissen über Marcions theologische Interessen verselbständigt. Ganz abgesehen davon belegt Epiphanius den kanonischen Wortlaut. 10 Die unterschiedliche »Bezeugung« von *12,46 verweist nicht auf unterschiedliche Textfassungen bei Tertullian und Epiphanius (die es ansonsten ja in großer Zahl gibt); sie ist vielmehr darauf zurückzuführen, dass Tertullian an dieser Stelle *Ev nicht zitiert, sondern zusammenfasst und diese Zusammenfassung in seine Argumentation einfügt, was eine syntaktische Umstellung erfordert. Genauso wenig überzeugend ist auch die Deutung der Unterscheidung zwischen den guten und den schlechten Sklaven, die Tsutsui auf die Differenzierung zwischen den Zwölf und den 70 Aposteln und auf diesem Umweg auf die antiorthodoxe »Propaganda der marcionitischen Kirche« zurückführt. 11 Selbst wenn die Marcioniten diesen Text so gedeutet haben sollten (was allerdings noch nicht einmal Tertullian nahelegt), so ergibt sich daraus kein Gesichtspunkt für eine unterschiedliche Gestalt von *Ev gegenüber dem kanonischen: Tsutui interpretiert hier den Wortlaut der kanonischen Fassung! 6. Die Bezeugung dieser Perikope erhellt dann die Überlieferungsgeschichte. Sie ermöglicht interessante Aufschlüsse zur Rezeption und Verarbeitung des Gleichnisses in den anderen Evangelien, die hier wenigstens angedeutet seien: a. Mk hat *12,35-48 am Ende seiner Endzeitrede verarbeitet (Mk 13,33-37), ist dabei erkennbar auch von *19,11-28 beeinflusst: Die Exposition Mk 13,34 (ἄνθρωπος ἀπόδημος ἀϕεὶς τὴν οἰκίαν αὐτοῦ …) ist an *19,12 (ἄνθρωπός τις εὐγενὴς ἐπορεύθη εἰς χώραν) orientiert und zeigt keine Kenntnis der charakteristischen »politischen« Züge von Lk 19,12b usw., die ja erst auf die lk Redaktion zurückgehen ______________________________ 9 H ARNACK 215*. 10 Weswegen sein Text bereits »nach dem kanonischen zurückkorrigiert« sein musste (H ARNACK , ebd.). 11 T SUTUI 105f. Zum Problem s. o. zu *10,1. 12,35-48 Rekonstruktion 923 (s. dort). Zugleich ist die Vorstellung, dass der Herr seinen Sklaven »Vollmacht« übertrug (Mk 13,34: δοὺς τοῖς δούλοις αὐτοῦ τὴν ἐξουσίαν) am ehesten als Nachklang von *12,42 zu verstehen (ὃν καταστήσει ὁ κύριος ἐπὶ τῆς θεραπείας αὐτοῦ). Da Mk die Mahnung zur Wachsamkeit gezielt in die Belehrung über die Endzeit einfügt, liegt es nahe, dass er die Metapher der Ankunft des Herrn zur vespertina vigilia (*12,38) offener formulierte: Er nennt in 13,35 alle vier Nachtwachen als möglichen Zeitpunkt der Rückkehr. Schließlich hat Mk auch den Einwand des Petrus aus *12,41 (πρὸς ἡμᾶς τὴν παραβολὴν ταύτην λέγεις) aufgegriffen, um daran die Allgemeingültigkeit der Wachsamkeitsparänese in betonter Schlussposition deutlich zu machen, die über die erzählte Situation hinaus reicht: »Was ich euch sage, das sage ich allen: Wacht! « (Mk 13,37). b. Mt hat die beiden ihm vorliegenden Texte (Mk 13,33-37; *12,35-48) in 24,42- 51 und in 25,1-13 verarbeitet. Aus *12,36 stammt die Verbindung von spätem bzw. überraschendem Eintreffen und der Hochzeit in Mt 25,1ff: Hier allerdings in der charakteristischen Umkehrung, dass die Jungfrauen den Bräutigam erwarten, um mit ihm zur Hochzeit zu gehen (25,5). Es entspricht dieser Umkehrung, dass am Ende die törichten Jungfrauen vor der verschlossenen Türe stehen und Einlass begehren (25,11f). Das Motiv der verschlossenen Türe stammt dagegen aus Mk 13,34, wo die Aufforderung zum Wachen gezielt an den Türhüter ergeht. Die Verbindung von Mt 25 mit Mk 13 ergibt sich vor allem aus der zentralen Forderung beider Texte: Wacht, weil ihr den Zeitpunkt nicht kennt (Mt 25,11 || Mk 13,35). Daneben hat Mt 24,43-51 den Zusammenhang *12,39-48 rezipiert, wo er *Ev insgesamt recht eng folgt. Die wichtigsten Unterschiede sind die Auslassung des Petruseinwandes (*12,41) und des letzten Abschnitts über den Sklaven, der den Willen des Herrn kennt, aber nicht tut (*12,47f). Ist dies in Mt 21,28-32 verarbeitet? c. *12,35ff hat auch auf Joh eingewirkt, der *12,37 in der Fußwaschungserzählung rezipiert, hier aber die erzählte metaphorische Handlung (der zurückkehrende Hausherr wird sich schürzen und die Sklaven zu Tisch bitten) jetzt von Jesus selbst berichtet (Joh 13,4). Die Anklänge (δια-/ περιζώννυμι) sind deutlich und geben dem allgemeineren Gegensatz von διακονέω und ἀνάκειμαι (Lk 22,27) ein spezifisches Gepräge. d. Lk folgt natürlich in erster Linie dem vorkanonischen Text in *Ev. Gleichwohl ist der Einfluss seiner anderen Prätexte noch erkennbar und bestätigt darin einige der Entscheidungen, die der Rekonstruktion zugrunde liegen. Mk 13,37 hat die Differenzierung der Adressaten in der Petrusfrage Lk 12,41 veranlasst. Die Überlieferungsgeschichte geht also von *12,41 (πρὸς ἡμᾶς τὴν παραβολὴν ταύτην λέγεις) über Mk 13,37 (ὃ δὲ ὑμῖν λέγω, π ᾶ σ ι ν λέγω) zu Lk 12,41 (πρὸς ἡμᾶς τὴν παραβολὴν ταύτην λέγεις ἢ καὶ π ρ ὸ ς π ά ν τ α ς ). Aus der Nennung der vier Nachtwachen Mk 13,35 (ἢ ὀψὲ ἢ μεσονύκτιον ἢ ἀλεκτοροϕωνίας ἢ πρωΐ) kommt die Anregung, die Zeitangabe in *Ev ἐν τῇ ἑσπερινῇ 924 Anhang I 12,35-48 ϕυλακῇ (*12,38) in ἐν τῇ δευτέρᾳ κἂν ἐν τῇ τρίτῃ ϕυλακῇ umzuwandeln (Lk 12,38): Da Lk wie *Ev voraussetzt, dass der Herr bei der Hochzeit ist, konnte er schlecht die letzte Nachtwache mit aufnehmen, hat aber deutlich gemacht, dass es spät werden kann. Die mt Rezeptionen haben keine sichtbaren Spuren in der lk Fassung hinterlassen. Das liegt vor allem daran, dass Mt 24,42-51 *Ev recht genau rezipiert hat, so dass man die lk Quellen an dieser Stelle nicht unterscheiden kann. Ein Unterschied besteht jedoch: Während Mt 24,45-51 für die unterschiedlichen Verhaltensoptionen durchweg - und auch in 24,45 - den Sklaven (δοῦλος) als Beispiel anführt, nennt Lk an der entsprechenden Stelle (nur hier) den Verwalter (οἰκονόμος; 12,42). Es spricht einiges dafür, dass dieser Unterschied auf die lk Redaktion zurückgeht, ohne dass dies nachweisbar wäre. Schließlich scheint auch Joh (13,4 und sonst) auf die lk Redaktion eingewirkt zu haben. Wenn die Entscheidung zu *12,37 richtig war, hier den Text des Sinaiticus zu rekonstruieren (ἀμὴν λέγω ὑμῖν ὅτι περιζώσεται καὶ ἀνακλινεῖ αὐτοὺς), dann ist es leicht vorstellbar, dass die redaktionelle Ergänzung (Lk 12,27: … καὶ παρελθὼν διακονήσει αὐτοῖς) durch das Bild des dienenden Jesus in Joh 13 mit beeinflusst war. Bedauerlicherweise ist *22,27 nicht bezeugt (war aber wohl vorhanden, s. dort): Hier wäre deutlicher erkennbar, wie die Linien der gegenseitigen Beeinflussung verlaufen. Die Überlieferungsgeschichte von *12,35-48 bietet ein gutes Beispiel für das grundsätzliche Verständnis der jeweiligen Rezeptions- und Redaktionsverfahren: Die Überlieferung bleibt semantisch durchweg in der Nähe des Ausgangstextes und auf diesen eng bezogen. Mit Ausnahme von Joh (für den sich Entsprechendes nicht belegen, wohl aber vermuten lässt) ist die hohe Textorientierung in allen Rezeptionsschritten frappierend. Gleichzeitig ist deutlich, welche redaktionellen und kompositorischen Freiheiten sich die einzelnen Bearbeiter genommen haben. *12,49a [ 49b.50 ] 51.52.53: Frieden und Zwietracht Bezeugt und im Kern sicher in *Ev vorhanden, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit durch Lk ergänzt und bearbeitet. 12,49 Πῦρ ἦλθον βαλεῖν a εἰς τὴν γῆν, [ καὶ τί θέλω εἰ ἤδη ἀνήϕθη. 50 βάπτισμα δὲ ἔχω βαπτισθῆναι, καὶ πῶς συνέχομαι ἕως ὅτου τελεσθῇ. ] 51 δοκεῖτε ὅτι εἰρήνην παρεγενόμην b βαλεῖν c ἐπὶ τὴν γῆν c ; οὐχί, λέγω ὑμῖν, d ἀλλὰ e †μάχαιραν†. 52 ἔσονται γὰρ ἀπὸ τοῦ νῦν πέντε ἐν ἑνὶ οἴκῳ, f τρεῖς διαμεμερισμένοι f ἐπὶ δυσὶν καὶ δύο ἐπὶ τρισίν, 53 διαμερισθήσονται πατὴρ ἐπὶ υἱῷ καὶ υἱὸς ἐπὶ πατρί, g καὶ μήτηρ ἐπὶ τὴν θυγατέρα καὶ θυγάτηρ ἐπὶ τὴν μητέρα, h καὶ πενθερὰ ἐπὶ τὴν νύμϕην i αὐτῆς καὶ νύμϕη ἐπὶ τὴν πενθεράν. A. *12,49: Tert. 4,29,12: Proclamat Christus tuus: Ignem veni mittere in terram. Ille optimus, nullius gehennae dominus, qui paulo ante discipulos ne ignem postularent inhumanissimo viculo coercuerat, quando iste Sodomam et Gomorram nimbo igneo exussit, quando cantatum est: Ignis ante ipsum procedet et cremabit inimicos eius, quando et per Osee comminatus est: Ignem emittam 12,49-53 Rekonstruktion 925 in civitates Iudaeae, vel per Esaiam: Ignis exarsit ex indignatione mea. Non mentiatur. Si non est ille qui de rubo quoque ardenti vocem suam emisit, viderit quem ignem intellegendum contendas. ♦ *12,51: Tert. 4,29,13f: Etiam si figura est, hoc ipso quod de meo elemento argumenta sensui suo sumit meus est qui de meis utitur. Illius erit similitudo ignis cuius et veritas. Ipse melius interpretabitur ignis istius qualitatem, adiciens, Putatis venisse me pacem mittere in terram? non, dico vobis, sed separationem. Machaeram quidem scriptum est. Sed Marcion emendat; (14) quasi non et separatio opus sit machaerae. Igitur et ignem eversionis intendit qui pacem negavit. Quale proelium, tale et incendium. Qualis machaera, talis et flamma; neutra congruens domino. ¦ Adam. 2,5 (824c): οὐκ ἦλθον, ϕησί, βαλεῖν εἰρήνην, ἀλλὰ μάχαιραν, καί: οὐκ ἦλθον βαλεῖν εἰρήνην, ἀλλὰ πῦρ. ♦ *12,53: Tert. 4,29,14: Denique, Dividetur, inquit, pater in filium et filius in patrem, et mater in filiam et filia in matrem, et nurus in socrum et socrus in nurum. Hoc proelium inter parentes si in ipsis verbis tuba cecinit prophetae, vereor ne Michaeas Christo Marcionis praedicarit. B. a (12,49) εις: Tert P 45 D ΓΔ 565 pm d Meth (Symp 6,3; GCS 27, 67) ¦ επι: it M ● b (12,51) βαλειν/ mittere: Tert 1424 b gat l q r 1 sy s.p sa ms bo ¦ ποιησαι/ facere: D d e sy c ¦ δουναι/ dare: aur c f ſſ 2 i vg M ● c (12,51) επι την γην: Tert 157 1424 aur b c f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 vg Tat arab.pers ¦ εν τη γη: D d M ; επι της γης: P 45 ¦ om: e ● d (12,51b) αλλα/ sed: Tert P 45 D Θ 66c 69 71 579 700 903 1242* 1458 2643 a aur b c d e f ſſ 2 i l q r 1 Tat pers ¦ αλλ η (= ει μη/ nisi: BDR § 448.8) M ● e (12,51) Widersprüchliche Bezeugung: (1) μαχαιραν: Adam 1242* ¦ (2) διαμερισμον: Tert it M ● f (12,52) τρεις διαμεμερισμενοι: P 45 D c d e ¦ (2 1) a b aur f ſſ 2 gat i l q r 1 M (*Ev non test.) ● g (12,53) και/ et: א ℓ211 Tert Tat pers georg I ¦ om it M ● h (12,53) και/ et: add Tert 157 c e Tat pers georg I aeth ¦ om it M ● i (12,53) αυτης/ suam: om Tert א * Δ* 827 ℓ950 l Tat pers ¦ αυτης/ suam: add aur b c d e f ſſ 2 i l q r 1 M . C. Der größte Teil der Perikope (*12,49a.51.53) ist gut und überwiegend wörtlich für *Ev bezeugt. Die Schwierigkeiten bei der Einschätzung der nicht bezeugten Vv. 12,49b.50.52 sind zunächst durch Tertullians Bemerkungen zu *12,49.51 und ihre Deutung durch die Vertreter der Lk-Priorität verursacht. Erschwert wird die Rekonstruktion auch durch die widersprüchliche Bezeugung durch Tertullian und Adamantius. 1. Tsutsui hält die nicht bezeugten Vv. 12,49b.50 für gestrichen und begründet diese Ansicht mit Tertullians Argumentation (4,29,12-14). »Zu V. 51 bemerkt Tertullian (4,29,13): ›Ipse (d. i. Marcion) melius interpretabitur ignis istius (d. i. des bei V.49a erwähnten Feuers) qualitatem, adiciens, Putatis venisse me pacem mittere …‹. Damit wird bestätigt, daß Marcion V. 49b.50 gestrichen hat, und ferner, daß er V. 51 als unmittelbare Erläuterung zu V. 49a verstanden hat.« 1 Tsutsui versteht also, dass Marcion *12,51 neben V. 49a gestellt habe (adiciens), und folgert daraus die Streichung von V. 49b.50. Dieses Verständnis ist kaum korrekt. Da Tertullians Referat auch für die angebliche Emendation in *12,51 aufschlussreich ist, soll hier der weitere Zusammenhang geboten werden. Tertullian bezieht sich auf 12,49 und argumentiert: »(12) Dein Christus proklamiert doch: ›Feuer auf die Erde zu werfen bin ich gekommen.‹ Jener beste Gott, der Herr keiner einzigen Hölle, ist es, der kurz zuvor die Jünger dafür getadelt hatte, dass sie Feuer auf das ungastliche Dorf forderten. Dieser (sc. mein Gott) dagegen hat einst ______________________________ 1 T SUTSUI 106. 926 Anhang I 12,49-53 Sodom und Gomorra mit einer Feuerwolke ausgebrannt.« (Tertullian führt den Gegensatz zwischen »deinem« und »meinem« Gott durch weitere Hinweise auf die Verbindung von Gott und Feuer im AT aus 2 und fährt fort: ) »Er lügt nicht. (13) Wenn er nicht derselbe ist, der seine Stimme auch aus dem brennenden Busch hat hervorgehen lassen, wen muss man denn (sc. in *12,49) deiner Meinung nach als Feuer verstehen? Auch wenn das bildlich gemeint ist: Dadurch, dass er (sc. Jesus in *12,49) ein Element von meinem (Gott) als Argument für seinen Sinn verwendet, ist der, der das Meine benutzt, auch meiner! Das Bild des Feuers gehört zu dem (Gott), der Feuer und Wahrheit ist. Er selbst (sc. Jesus) wird eine bessere Erklärung für die Beschaffenheit dieses Feuers geben, wenn er hinzufügt: ›Glaubt ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen? Nein, ich sage euch, sondern Trennung! ‹ Zwar steht geschrieben ›(sondern) das Schwert‹, aber Marcion korrigiert - (14) als ob nicht die Trennung das Werk des Schwertes wäre. Also beabsichtigt der, der den Frieden (zu bringen) ablehnt, das Vernichtungsfeuer: Wie der Kampf, so der Brand. Wie das Schwert, so die Flamme - beides passt nicht zu (deinem) Herrn.« Tertullians Argumentation weist anhand der Rede vom Gerichtsfeuer (*12,49) nach, dass der Christus in Marcions Bibel zu dem Gott des AT gehört: Weil er das Bild vom Feuer verwendet, das ein Element »meines Gottes« ist, erweist sich der Christus in Marcions Evangelium als »meiner« - das ist ja das erklärte Ziel des gesamten Unternehmens: Christus enim Iesus in evangelio tuo meus est (4,43,9). Daher ist das Subjekt von adiciens auch nicht Marcion, der *12,51 durch Streichung der dazwischen stehenden Vv. 49b.50 an V. *49a »heranrückt«, sondern Christus, der das Feuer von V. *49a dadurch als Gerichtsfeuer präzisiert, dass er die Interpretation als Zertrennung (bzw. Schwert) *12,51 »hinzufügt«. Tsutsuis Argumentation ist also unhaltbar: Tertullians Referat gibt nicht zu erkennen, dass Marcion die Vv. 49b.50 gestrichen hat. 2. Damit ist jedoch noch nichts darüber gesagt, ob der vorkanonische Text die Vv. 49b.50 enthielt oder nicht. Einzusetzen ist bei den großen inhaltlichen Schwierigkeiten, die der (kanonische) Textzusammenhang aufwirft und die als Hinweise auf eine redaktionelle Bearbeitung zu verstehen sind: Unklar ist vor allem, wie das Feuer zu verstehen ist, das Jesus auf der Erde machen will und das Gott noch nicht entfacht hat. Am weitesten verbreitet ist das Verständnis des Feuers als eschatologisches Gerichtsfeuer, das schon in Lk 3,16 (red., s. dort) erwähnt war. 3 Allerdings bezieht sich das ἦλθον-Wort auf Jesu irdisches Wirken, nicht auf seine endzeitliche Parusie. Eine andere Deutung geht von V. 50a aus und versteht das Feuer als »Gerichtsfeuer, dem Jesus preisgegeben wird«, also als seinen Tod. 4 ______________________________ 2 Ps 97,3; Hos 8,14; Jer 15,14. 3 Paul Hoffmann, in: A. G ARSKY , C HR . H EIL , Children against Parents, in: Sh. Carruth (ed.), Q 12: 49- 59, Leuven 1997, 1-157: 28 (mit Lit.). 4 Vgl. etwa G. D ELLING , Βάπτισμα βαπτισθῆναι, in: ders., Studien zum Neuen Testament und zum hellenistischen Judentum, Göttingen 1970, 236-256: 251. 12,49-53 Rekonstruktion 927 Der wird allerdings erst in V. 50 erwähnt und geht dem Entfachen des Feuers voran. 5 Eine dritte Deutung bezieht das Feuer auf das Pfingstgeschehen (vgl. Act 2,3) bzw. die nachösterliche Verkündigung, die für die Entzweiung in den Familien sorgt. 6 Allerdings kommt das »Feuer« des Geistes nicht ἐπὶ τὴν γῆν, sondern nur auf die Zwölf, ganz abgesehen davon, dass der Zerstörungsaspekt, der mit πῦρ βάλλειν verbunden ist, weder zu V. 51 noch zu der Ausgießung des Geistes passt. Da die Verständnisschwierigkeiten entweder aus Widersprüchen zu typisch lk Elementen (Gerichtsfeuer nach Lk 3,16; Feuer des Geistes bzw. Geistausgießung Act 2) oder aus der zeitlichen Inkongruenz zwischen V. *49a auf der einen und V. 49b.50 auf der anderen Seite resultieren, spricht aus inhaltlichen Gründen einiges für die Annahme, dass die unbezeugten Vv. 49b.50 erst redaktionell eingefügt wurden. Diese Vermutung wird durch den handschriftlichen Befund gestützt. Denn obwohl der Apparat von NA 27 für 12,49f überhaupt keine Lesarten notiert, die auf einen vorkanonischen Text hinweisen könnten, fehlt V. 49b (καὶ τί θέλω εἰ ἤδη ἀνήϕθη) im Evangelium Palatinum (e) komplett. Auch diese Beobachtung bleibt zunächst ambivalent, weil V. 50 ohne Unterschied gegenüber dem kanonischen Mehrheitstext enthalten ist. Gleichwohl trägt diese Variante alle Züge, die für die Interferenz zwischen dem vorkanonischen und dem kanonischen Text charakteristisch sind. In diesem Fall ist der Befund von Lk 12,49f so zu verstehen, dass V. 49b in e (bzw. seiner Vorlage) gefehlt hat und versehentlich nicht nach dem kanonischen Text korrigiert wurde; erst der aus dem kanonischen Text stammende V. 50 wurde dann (ohne weitere Abweichungen) nachgetragen. Für diese Annahme spricht die enge Parallelisierung von v. 49b und V. 50b, die sicher beabsichtigt ist und dann auf die lk Redaktion zurückgeht: 12,49b: καὶ τί θέλω εἰ ἤδη ἀνήϕθη 12,50b: καὶ πῶς συνέχομαι ἕως ὅτου τελεσθῇ Es ist daher wahrscheinlicher, dass die Vv. 49b.50 im vorkanonischen Text gefehlt haben und durch die lk Redaktion eingefügt wurden, als dass die Zeugen diese Aussagen einfach übergangen haben. In diesem Fall sind die Verständnisschwierigkeiten eine Folge der lk Redaktion: Das vorkanonische Evangelium hat den Zweck des Kommens Jesu in der Herbeiführung des Gerichts gesehen, das hier mit der traditionellen Formulierung (πῦρ βάλλειν) angesprochen ist. Da auf *49a direkt die Vv. *51-53 folgten, muss die Entzweiung im Haus als Begleiterscheinung des endzeitlichen Gerichts verstanden werden, am ehesten als ______________________________ 5 Zu Recht W OLTER , Lk 468 z. St. 6 So schon R. B ULTMANN , Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen 7 1967, 165; G ARSKY / H EIL , a. a. O. 23f. 928 Anhang I 12,49-53 Hinweis auf den Kampf aller gegen alle, der dem Ende unmittelbar vorangeht. Diesen Sinn hat die lk Redaktion durch die Einfügung von Lk 12,49b.50 entscheidend verändert: Denn wenn Gott das Feuer noch gar nicht »entfacht« hat, weil der Tod Jesu noch aussteht, dann wird eine Verbindung zwischen dem Tod Jesu als der Bedingung der Möglichkeit für die Entzündung des Feuers und der Entzweiung im Haus hergestellt, die das Verständnis des Feuers als Ausdruck des endzeitlichen Gerichts unmöglich macht: Hier liegt dann tatsächlich nahe, das πῦρ βάλλειν auf die Ausgießung des Geistes zu beziehen, die nach lk Verständnis nur nach der Auferstehung bzw. aufgrund der Himmelfahrt Jesu möglich ist; in diesem (lk) Verständnis kann die Entzweiung im Haus nicht Ausdruck der tumultuarischen Verhältnisse vor dem Ende sein, sondern nur die unterschiedlichen Reaktionen auf die Verkündigung der christlichen Mission bezeichnen. Das heißt: Im vorkanonischen Text haben die Vv. 49b.50 gefehlt. Auch wenn Tsutsuis Argumentation, dass Marcion diese Verse gestrichen habe, in hohem Maß problematisch ist, bleibt seine Beobachtung zutreffend, dass Tertullians Referat auf eine unmittelbare Abfolge von *12.49a.51 schließen lässt: Wenn die Vv. 49b.50 dazwischen gestanden hätten, wäre es nicht so ohne weiteres möglich gewesen, das »Feuer« von *49a durch die »Entzweiung« von *51 zu interpretieren. 3. Zu diesem Verständnis passen dann zunächst auch die anderen handschriftlichen Auffälligkeiten. In *12,49a bezeugen Tertullian, D u. a. ε ἰ ς τὴν γῆν anstelle von ἐ π ὶ τὴν γῆν im Mehrheitstext; mit dem Verb βαλεῖν/ mittere ist beides möglich und semantisch kaum zu unterscheiden. In *12,51 wiederholen Tertullian it (sy) u. a. βαλεῖν/ mittere (hier allerdings mit ἐπὶ τὴν γῆν), wogegen D (it sy) ποιῆσαι/ facere bezeugen, während der Mehrheitstext δοῦναι bietet. Der Wechsel des Verbs wird am ehesten verständlich als Versuch, der geänderten Präposition zu entsprechen. Aus diesem Grund ist auch Tsutsuis diesbezügliche Argumentation 7 wenig überzeugend: Wieso sollte Marcions angeblicher Versuch, den Hinweis auf das »richtende Zornfeuer« zu unterdrücken, auch die Ersetzung von ἦλθον, βαλεῖν und ἐπὶ τὴν γῆν durch παρεγενόμην, δοῦναι und ἐν τῇ γῇ zur Folge haben? Die Semantik der Aussage verändert sich dadurch ja gar nicht. Mit Blick auf die handschriftliche Überlieferung muss man wohl sagen, dass der vorkanonische Text nur aufgrund der abweichenden Lesarten bestimmt werden kann, und zwar nach der Maßgabe, dass die am weitesten vom Mehrheitstext entfernte Textform am ehesten Anspruch auf Ursprünglichkeit erheben kann. Die Verbindung von βάλλειν und εἰρήνη ist sehr ______________________________ 7 T SUTSUI 106f: »Dazu kommt, dass Marcion das Wort ›Feuer‹ sofort (durch ›Zwiespalt‹ V. 51) paraphrasieren musste. Sonst würde es vielleicht als das richtende Zornfeuer des Schöpfergottes verstanden werden. Hierdurch erklären sich auch die Ersetzungen der Wörter in V. 51, nämlich … von ›παρεγενόμην‹, ›δοῦναι‹ und ›ἐν τῇ γῇ‹ durch jeweils ›venisse‹, ›mittere‹ und ›in terram‹, die alle mit V.49a parallelisiert worden sind.« 12,49-53 Rekonstruktion 929 ungewöhnlich 8 und am ehesten als Angleichung an V. *49 zu verstehen. Die Verbindung von δοῦναι und εἰρήνη ist dagegen mehrfach in der Septuaginta belegt und guter griechischer Sprachgebrauch, 9 der hier wohl den Text der lk Redaktion bestimmt. Der von Tertullian bezeugte *Ev-Text, der sich auch in einem Teil der kanonischen Handschriften niedergeschlagen hat, hat die Formulierung aus V. *49 wiederholt. Die Formulierung von D usw. mit dem blassen εἰρήνην ποιῆσαι gibt ausnahmsweise keinen Fingerzeig auf den vorkanonischen *Ev-Text. Auch die Abweichung in der Wortfolge (und Interpunktion) in *12,52 (τρεῖς διαμεμερισμένοι/ διαμεμερισμένοι, τρεῖς) sowie die zweimalige Konjunktion zwischen den Aufzählungsgliedern in *12,53 können aufgrund ihrer Bezeugung als typische Interferenz zwischen den beiden handschriftlichen Überlieferungen gelten. 4. Zu *12,51 notiert Tertullian eine Emendation Marcions (4,29,13: machaeram quidem scriptum est, sed Marcion emendat). Diese Bezeugung ist auf den ersten Blick unklar, da sie voraussetzt, dass Tertullians kanonischer Lk-Text an dieser Stelle das Stichwort μάχαιρα enthielt. Dies ist jedoch (mit Ausnahme einer einzigen Handschrift! ) gar nicht der Fall: Tertullians *Ev-Text und der kanonische Text sind identisch. 10 Man hat diesen Widerspruch darauf zurückgeführt, dass Tertullian irrtümlich den Text aus der mt Parallele (Mt 10,34) eingetragen habe. 11 Solange man nur Tertullian und den kanonischen Lk-Text beachtet, liegt diese Erklärung nahe. Die Situation ist allerdings komplizierter, da Adamantius für diesen Zusammenhang ganz eindeutig das »Schwert« erwähnt. 12 Hier liegt also eine der typischen widersprüchlichen Bezeugungen für den Text von *Ev vor, die auf sukzessive Angleichungen des vorkanonischen an den kanonischen (Lk-)Text zurückgehen. Dabei dürfte in diesem Fall die vorkanonische Lesart in *Ev nicht bei Tertullian, sondern bei Adamantius erhalten sein, wie ein Blick auf die mögliche Überlieferungsgeschichte wahrscheinlich macht: ______________________________ 8 L UZ , Mt II 137 (zu 10,34) hält die Verbindung unter Verweis auf B ILL . I 586 (mit LevR 9 [111 b ]) für »eine semitische Wendung«. 9 Vgl. W OLTER , Lk 470 z. St. mit Verweis auf Lev 26,6; Jer 14,13, Hag 2,9 (hier jeweils vom Handeln Gottes) sowie mit Beispielen aus der Profangräzität. 10 Auch die Handschriftenüberlieferung liefert für diese Lesart kaum einen Anhalt: Eine einzige Minuskel (1242*; s. XIII, Sinai) liest hier μαχαιραν anstelle von διαμερισμον. Allerdings ist der Evangelientext der Minuskel 1242 einigermaßen wichtig, weil er eine Fülle von bemerkenswerten Lesarten enthält (vgl. H. VON S ODEN , Die Schriften des Neuen Testaments I/ 2, Berlin 1907, 989; H. J. V OGELS , Beiträge zur Geschichte des Diatessaron im Abendland, Münster 1919, 13; im Lk-Text sind die Lesarten zu 6,36; 10,18; 11,3.26; 12,4; 18,39 wichtig; s. dazu die Liste in Anhang III). 11 So schon die Erklärung von Z AHN I 604 und H ARNACK 216*. 12 Adam. 2,5 (824c): οὐκ ἦλθον, ϕησί, βαλεῖν εἰρήνην, ἀλλὰ μάχαιραν, καί: οὐκ ἦλθον βαλεῖν εἰρήνην, ἀλλὰ πῦρ. 930 Anhang I 12,49-53 Während für *Ev sowohl διαμερισμός als auch μάχαιρα bezeugt ist, hat die mt Parallele nur μάχαιρα; ihr fehlt auch das für *Ev sehr gut bezeugte Logion vom Feuer (*12,49a) sowie die für *Ev nicht bezeugten (und vermutlich fehlenden) Vv. 12,49b.50: Mt hat das Logion als Bild für den Konflikt zwischen den Generationen verstanden, 13 wie auch die Angleichung von Mt 10,36 an das Mischzitat zeigt (vgl. Mi 7,6d). Da Mt ausschließlich an dem Gedanken interessiert war, dass die Sendung Jesu Zertrennung bedeute, hat er das dazu kaum passende Wort vom Feuer (*12,49a) nicht rezipiert. Mt konnte das gesamte Logion als Aussage über die Zertrennung (διχᾶσαι, 10,35) verstehen, weil er in der (zweiten) positiven Aussage über die Sendung Jesu (*12,51) das Stichwort μάχαιρα vorfand. Lk hat aus *Ev das Wort vom Feuer übernommen (*12,49a), es aber um Lk 12,49b.50 ergänzt. Erst diese Ergänzung wirft die o. g. Probleme auf. Wenn er in Lk 12,52f die Folgen der christlichen Verkündigung innerhalb des einen Haushalts beschreibt, dann passt die durch μάχαιρα konnotierte gewalttätige Auseinandersetzung der Gerichtsmetaphorik nicht mehr: Lk hat μάχαιρα, nicht unpassend, durch das neutralere διαμερισμός ersetzt. Diese Deutung passt sehr gut zu dem redaktionell herausgehobenen Ende des Gesamtwerks (Act 28,24f). Mt und Lk haben die durch *Ev vorgegebenen und traditionsgeschichtlich eindeutig gewalttätigen Gerichtsaspekte dieses Logions auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichem theologischen Interesse verändert: Der eine durch die Auslassung des Worts vom Feuer, der andere durch seine Deutung auf die Gabe des Geistes, die ja den Tod Jesu voraussetzt (Lk 24,29 red.; Act 2,31-33), der hier mit dem aus Mk 10,38 stammenden Bild (und der Formulierung als Figura etymologica) vom »Getauftwerden« angesprochen ist. Am Ende bleibt zu konstatieren, dass Tertullian an dieser Stelle Marcion eine »Textfälschung« vorwirft (Marcion emendat), die aber gar nicht auf das Konto Marcions oder der Marcioniten geht, sondern auf das der lk Redaktion: Ironischerweise zeigt Tertullians katholischer Lk-Text hier die Lesart des vorkanonischen Evangeliums - ein weiterer Beleg für die große Nähe zwischen den beiden Überlieferungssträngen des vorkanonischen und des kanonischen (Lk-)Evangeliums. 5. *12,52 ist unbezeugt. Die etwas umständliche Formulierung der Frontstellung von drei gegen zwei in einem Haus passt nicht besonders gut zu den in V. *53 genannten drei Paaren (Vater - Sohn; Mutter - Tochter; Schwiegertochter - Schwiegermutter). Immerhin sind mit Vater, Mutter, Sohn, Tochter und Schwiegertochter fünf Personen genannt, die sich deswegen in drei Paaren gegenüberstehen können, weil die Mutter und die Schwiegermutter ein und dieselbe Person sind. Die kleine, aber nicht unwichtige Änderung der ursprünglichen Wortfolge von P 45 D (it) durch den Mehrheitstext ist als redaktionelle Änderung zu verstehen, die dann die Existenz eines vorkanonischen Textes plausibel macht. ______________________________ 13 Vgl. die Lesarten in 28 (μαχην και μ α χ α ι ρ α ν ) und in sy c (διαμερισμον των διανοιων και μαχαιραν). Zur Deutung s. L UZ , Mt II 137f z. St. 12,54-59 Rekonstruktion 931 *12,54-55.56-59: Beurteilung dieses Kairos. Versöhnung mit dem Prozessgegner Für *Ev in Teilen gut bezeugt, aber vermutlich ganz vorhanden; durch Lk redaktionell bearbeitet. 12,54 Ἔλεγεν δὲ καὶ τοῖς ὄχλοις, Ὅταν ἴδητε τὴν νεϕέλην ἀνατέλλουσαν ἐπὶ δυσμῶν, εὐθέως λέγετε a [ ὅτι ] Ὄμβρος ἔρχεται, καὶ γίνεται οὕτως· 55 καὶ ὅταν νότον πνέοντα b ἴδητε, λέγετε c [ ὅτι ] Καύσων ἔσται, καὶ γίνεται. 56 ὑποκριταί, τὸ πρόσωπον d μὲν e τοῦ οὐρανοῦ [ καὶ τῆς γῆς ] e f δοκιμάζετε, τὸν καιρὸν δὲ τοῦτον g πῶς οὐκ h δοκιμάζετε. 57 i Τί δὲ καὶ τὸ δίκαιον ἀϕ’ ἑαυτῶν οὐ κρίνετε; i 58 ὡς γὰρ ὑπάγεις μετὰ τοῦ ἀντιδίκου σου ἐπ’ ἄρχοντα, ἐν τῇ ὁδῷ δὸς ἐργασίαν ἀπηλλάχθαι ἀπ’ αὐτοῦ, μήποτε k κατακρίνῃ σε πρὸς τὸν κριτήν, καὶ ὁ κριτής l παραδώσει σε l τῷ πράκτορι, καὶ ὁ πράκτωρ σε βαλεῖ εἰς ϕυλακήν. 59 λέγω σοι, οὐ μὴ ἐξέλθῃς ἐκεῖθεν ἕως καὶ m ἀποδῷς τὸ ἔσχατον n κοδράντην. m A. *12,56: Tert. 4,29,15: Et ideo hypocritas pronuntiabat, caeli quidem et terrae faciem probantes, tempus vero illud non dinoscentes, quo scilicet adimplens omnia quae super ipsos fuerunt praedicata nec aliter docens debuerat agnosci. Ceterum quis posset eius tempora nosse cuius per quae probaret non habebat. ♦ *12,57: Tert. 4,29,15: Merito exprobrat etiam quod iustum non a semetipsis iudicarent. Olim hoc mandat per Zachariam: Iustum iudicium et pacatorium iudicate … ♦ *12,58: Epiph. Schol. 37: μήποτε κατασύρῃ σε πρὸς τὸν κριτήν, καὶ ὁ κριτής παραδώσει σε τῷ πράκτορι. ♦ *12,58f: Tert. 4,29,16: Qui ergo docuerat ut facerent ex praecepto, is exigebat ut facerent et ex arbitrio. Qui seminaverat praeceptum, ille et redundantiam eius urgebat. Iam vero quam absurdum ut ille mandaret iuste iudicare qui deum iudicem iustum destruebat? Nam et iudicem, qui mittit in carcerem nec ducit inde nisi soluto etiam novissimo quadrante, in persona creatoris obtrectationis nomine disserunt. Ad quod necesse habeo eodem gradu occurrere. Quotienscunque enim severitas creatoris opponitur, totiens illius est Christus cui per timorem cogit obsequium. B. a (12,54) οτι: om D W 070 f 1 a aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 sy p usw. ¦ add P 45.75 א A B K L N Θ Ψ f 13 33 579 2542 al e (*Ev non test.) ● b (12,55) ιδητε: P 45 b e f ſſ 2 gat i l q ¦ om aur c d r 1 vg M (*Ev non test.) ● c (12,55) οτι: om P 45 א * D L 579 892 1241 2542 pc d r 1 sy p ¦ add aur b c e f ſſ 2 i l q M (*Ev non test.) ● d (12,56) μεν/ quidem: Tert D 903 983 1604 ℓ10 ℓ184 ℓ950 b d q ¦ μεν/ quidem: om aur c f ſſ 2 i l q r 1 M ● e (12,56) του ουρανου: Δ* 983 1424 1675 Tat pers August (Ep. 198,3.6; CSEL 57, 237.249) ¦ του ουρανου και της γης: Tert (! ) P 45.75 א 2 D K L N X Π Ψ 070 mult it sy s.c.p(mss) Tat arab sa bo; (4 5 3 1 2) M vg (terrae et caeli) ● f (12,56) δοκιμαζετε/ probantes: Tert ¦ οιδατε δοκιμαζειν/ nostis probare: it M ● g (12,56) πως: om Tert D b c d e ſſ 2 i l r 1 sy s.c sa 1 ms bo mss ¦ πως/ quomodo: add aur f q vg M ● h (12,56) δοκιμαζετε/ probatis: Tert a ur b c d f i q r 1 ¦ οιδατε δοκιμαζειν/ potestis probare: ſſ 2 l M ● i (12,57) τι δε και … κρινετε: Tert ¦ Wortfolge (1-3 6-9 4 5): aur c (e) ſſ 2 i l vg M ● k (12,58) κατακρινη/ condemnet: D b d e f ſſ 2 i l q r 1 sy s.c ¦ κατασυρη/ tradat: Epiph (! ) aur c f M ● l (12,58) παραδωσει σε: Epiph P 45 D 157 1241 d ¦ Wortstellung (2 1) σε παραδωσει: it M ● m (12,59) αποδωις τον εσχατον κοδραντην/ donec (usque quo: d; etiam: r 1 ) reddas (om r 1 ) novissimum quadrantem (minutum: aur in marg.): Tert D aur b c d e f ſſ 2 gat i l q r 1 ¦ Wortstellung 932 Anhang I 12,54-59 (2-4 1): M ● n (12,59) κοδραντην: Tert D aur b c d e f ſſ 2 gat i l q r 1 vg mss ¦ λεπτον: M (vgl. Mt 5,26). C. Die zweiteilige Belehrung über die Erkenntnis des Kairos als Entscheidungsgrundlage für das Rechte ist uneinheitlich bezeugt: Von dem einleitenden Scheltwort über die Beurteilung des Kairos ist nur die abschließende Pointe in *12,56 durch Tertullian sehr genau bezeugt, von der narrativen Einleitung und der Exposition gibt es dagegen keine Spuren. Dabei ist die Annahme, dass Tertullian diese Einleitung in seinem Referat übergangen hat, leichter als die, dass diese Verse bereits in *Ev gefehlt haben. Denn der Vorwurf der Heuchelei könnte kaum für sich allein stehen, ohne das entsprechende heuchlerische Verhalten auch zu benennen. Zudem setzt die allgemein gehaltene Begründung in *12,56 (τὸ πρόσωπον τῆς γῆς καὶ τοῦ οὐρανοῦ … δοκιμάζειν) meteorologische Phänomene wie die in V. 54f genannten voraus: Die Aufforderung, diesen Kairos richtig zu beurteilen, war daher in *Ev mit größter Wahrscheinlichkeit komplett enthalten. Die zweite Hälfte mit der Mahnung zur Versöhnung mit dem Prozessgegner (*12,57-59) ist besser bezeugt (unter anderem durch ein Zitat bei Epiphanius) und insgesamt für *Ev gesichert. Der genaue Wortlaut ist allerdings in allen Teilen unklar und muss Schritt für Schritt eruiert werden. 1. Für die nicht bezeugten Vv. *54f sind einige kleinere und semantisch unauffällige Varianten der Textüberlieferung zu verzeichnen, die hier wie sonst als Hinweise auf die Interferenz der kanonischen und der vorkanonischen Überlieferung gewertet werden, so das zweimalige Fehlen des ὅτι-recitativum sowie die Bezeugung von ἴδητε *12,55a in D it sy u. a. Hinzuweisen ist dabei auf den auch sonst verschiedentlich zu beobachtenden Umstand, dass auch P 45 Lesarten des mutmaßlich vorkanonischen Textes enthält. 2. Ähnliches gilt von den Abweichungen in *12,56 gegenüber dem Mehrheitstext, die nicht nur durch Tertullians Zitat, sondern auch durch eine Reihe von Handschriften gestützt werden. Auffällig ist dabei die von Tertullian, D it sy u. a. bezeugte Lesart τοῦ οὐρανοῦ καὶ τῆς γῆς: Der Mehrheitstext bietet die umgekehrte Abfolge (τῆς γῆς καὶ τοῦ οὐρανοῦ), während eine kleinere Gruppe von Handschriften nur τοῦ οὐρανοῦ hat. Für die Rekonstruktion des vorkanonischen Textes bieten sich folgende Überlegungen an: Im Vergleich der drei Lesarten ist es denkbar, dass die von Tertullian bezeugte Lesart eine Konflation aus den beiden anderen darstellt (τοῦ οὐρανοῦ am Anfang aus Δ* usw.; Ergänzung um καὶ τῆς γῆς aus dem kanonischen Mehrheitstext). In diesem Fall wäre der Text von Tertullians *Ev-Exemplar bereits durch den kanonischen kontaminiert; zugleich bedeutet diese Annahme, dass der kurze Text von Δ* usw. die vorkanonische Fassung repräsentiert. Für diese Annahme spricht auch die Übereinstimmung mit Mt 16,3 (τὸ μὲν πρόσωπον τοῦ οὐρανοῦ γινώσκετε διακρίνειν), in der die Worte καὶ τῆς γῆς ebenfalls fehlen. Das würde 12,54-59 Rekonstruktion 933 bedeuten, dass (a) Mt 16,2f in *Ev enthalten war (was aufgrund der schwachen Bezeugung nicht sicher ist, s. gleich) und (b) Mt die ursprüngliche Formulierung übernommen hat: Erst Lk hätte καὶ τῆς γῆς hinzugefügt, und zwar gegen den sich aus *12,54f nahelegenden Sinn, der ja nur Himmelsphänomene aufführt. In Anbetracht der Unsicherheit dieser Überlegung und weil Tertullians Zeugnis mit den »Hauptverdächtigen« D it sy übereinstimmt, bleibt das Urteil offen. 3. Tertullians *Ev-Referat belegt, dass *12,57 im vorkanonischen Text stand: Entgegen einer weithin vertretenen Ansicht 1 ist die Aufforderung, sich von selbst für das Gerechte zu entscheiden (ἀϕ’ ἑαυτῶν κρίνειν τὸ δίκαιον), keine lk Bildung, sondern Tradition: Die Verbindung von *12,54-56 mit *12,58f ist ursprünglich. Es ist im Übrigen textsemantisch auch gar nicht möglich, *12,57 eindeutig entweder dem vorangehenden oder dem nachfolgenden Kontext zuzuweisen. 4. Damit fangen die erheblichen überlieferungsgeschichtlichen Probleme allerdings erst an. Sie wurden schon immer gesehen, denn die Beobachtungen sind im Einzelnen durchaus divergent und an dieser Stelle zusätzlich belastet durch das textkritische Problem von Mt 16,2f. Auch im methodischen Horizont der Zwei- Quellentheorie bleiben hier erhebliche Schwierigkeiten. a. *12,54-56 hat eine erkennbare, aber in den einzelnen Formulierungen deutlich unterschiedene Parallele in Mt 16,2b.3: *12,54f Mt 16,2f (C D L W Θ M ) Lk 12,54f (54 Ἔλεγεν δὲ καὶ τοῖς ὄχλοις,) (2 ὁ δὲ ἀποκριθεὶς εἶπεν αὐτοῖς,) (54 Ἔλεγεν δὲ καὶ τοῖς ὄχλοις,) Ὅταν ἴδητε τὴν νεϕέλην ἀνατέλλουσαν ἐπὶ δυσμῶν, Ὀψίας γενομένης Ὅταν ἴδητε (τὴν) νεϕέλην ἀνατέλλουσαν ἐπὶ δυσμῶν, εὐθέως λέγετε λέγετε, εὐθέως λέγετε ὅτι Ὄμβρος ἔρχεται, Εὐδία, πυρράζει γὰρ ὁ οὐρανός· Ὄμβρος ἔρχεται, καὶ γίνεται οὕτως· καὶ γίνεται οὕτως· 55 καὶ ὅταν νότον πνέοντα ἴδητε, λέγετε 3 καὶ πρωΐ, 55 καὶ ὅταν νότον πνέοντα, λέγετε ὅτι Καύσων ἔσται, Σήμερον χειμών, Καύσων ἔσται, πυρράζει γὰρ στυγνάζων ὁ οὐρανός. καὶ γίνεται. καὶ γίνεται. 56 ὑποκριταί, τὸ πρόσωπον μὲν τὸ μὲν πρόσωπον 56 ὑποκριταί, τὸ πρόσωπον ______________________________ 1 G. K LEIN , Die Prüfung der Zeit (Lukas 12,54-56), ZThK 61 (1964), 373-390: 380-383; F ITZMYER , Lk II 1001 (V. *57 sei »clearly transitional«); W IEFEL , Lk 250; E VANS , Lk 543; E RNST , Lk 310; N OLLAND , Lk II 714. Allerdings argumentieren alle Genannten im Horizont der Zwei-Quellentheorie und setzen »Q« voraus; vgl. dazu die Dokumentation durch J. E. A MON , Settling Out of Court, in: Sh. Carruth (ed.), Q 12,49-59, Leuven 1997, 271-415: 274-283, sowie die Evaluationen von Amon, Johnson und Moreland (ebd. 283-285). 934 Anhang I 12,54-59 τοῦ οὐρανοῦ (καὶ τῆς γῆς) τοῦ οὐρανοῦ τῆς γῆς καὶ τοῦ οὐρανοῦ δοκιμάζετε γινώσκετε διακρίνειν, οἴδατε δοκιμάζειν, τὸν καιρὸν δὲ τοῦτον τὰ δὲ σημεῖα τῶν καιρῶν τὸν καιρὸν δὲ τοῦτον οὐκ δοκιμάζετε οὐ δύνασθε. πῶς οὐκ οἴδατε δοκιμάζειν; 57 Τί δὲ καὶ τὸ δίκαιον … __ 57 Τί δὲ καὶ ἀϕ’ ἑαυτῶν … Diese mt Parallele ist in der Mehrheit der Handschriften bezeugt (C D L W Θ f 1 M it vg sy p.h bo pt Euseb), fehlt aber in einigen wichtigen Zeugen ( א B X Γ f 13 579 al sy s.c sa bo pt Orig Hier mss ). Die überlieferungsgeschichtliche Frage ist also zunächst von einer textkritischen Entscheidung abhängig, die wegen der relativ ausgewogenen Bezeugung nicht leicht fällt. 2 Darüber hinaus zeigt die von *Ev/ Lk abweichende Metaphorik, dass hier nicht, wie es ansonsten so oft üblich ist, mit einer (sekundären) Ergänzung aus der synoptischen Parallele gerechnet werden kann. Mt 16,2f ist daher verschiedentlich für eine sekundäre Glosse gehalten worden. 3 Zu diesem Problem s. gleich. b. *12,57 hat überhaupt keine mt Parallele, weswegen der Vers (im Rahmen der Zwei-Quellentheorie) üblicherweise (wenn auch nicht ausschließlich) als lk Bildung bei der Kombination zweier ursprünglich getrennt stehender Logien aus »Q« beurteilt wird. c. *12,58f hat eine Parallele in Mt 5,25f, die aber - darin ganz ähnlich wie in *12,54f || Mt 16,2f - charakteristisch anders formuliert ist: *12,58f Mt 5,25f Lk 12,58f 58 ὡς γὰρ ὑπάγεις μετὰ τοῦ ἀντιδίκου σου ἐπ’ ἄρχοντα, 25 ἴσθι εὐνοῶν τῷ ἀντιδίκῳ σου ταχὺ 58 ὡς γὰρ ὑπάγεις μετὰ τοῦ ἀντιδίκου σου ἐπ’ ἄρχοντα, ἕως ὅτου εἶ μετ’ αὐτοῦ ἐν τῇ ὁδῷ δὸς ἐργασίαν ἐν τῇ ὁδῷ, ἐν τῇ ὁδῷ δὸς ἐργασίαν ἀπηλλάχθαι ἀπ’ αὐτοῦ, ἀπηλλάχθαι ἀπ’ αὐτοῦ, μήποτε κατακρίνῃ σε μήποτέ σε παραδῷ μήποτε κατασύρῃ σε πρὸς τὸν κριτήν, ἀντίδικος ὁ τῷ κριτῇ, πρὸς τὸν κριτήν, καὶ ὁ κριτής παραδώσει σε καὶ ὁ κριτὴς καὶ ὁ κριτής σε παραδώσει τῷ πράκτορι, τῷ ὑπηρέτῃ, τῷ πράκτορι, καὶ ὁ πράκτωρ σε καὶ καὶ ὁ πράκτωρ σε βαλεῖ εἰς ϕυλακήν. εἰς ϕυλακὴν βληθήσῃ· βαλεῖ εἰς ϕυλακήν. 59 λέγω σοι, 26 ἀμὴν λέγω σοι, 59 λέγω σοι, οὐ μὴ ἐξέλθῃς ἐκεῖθεν οὐ μὴ ἐξέλθῃς ἐκεῖθεν οὐ μὴ ἐξέλθῃς ἐκεῖθεν ἕως καὶ ἀποδῷς ἕως ἂν ἀποδῷς ἕως καὶ τὸ ἔσχατον τὸ ἔσχατον κοδράντην. τὸν ἔσχατον κοδράντην. λεπτὸν ἀποδῷς. ______________________________ 2 Zum textkritischen Problem vgl. K. A LAND , B. A LAND , Der Text des Neuen Testaments, Stuttgart 2 1989, 309; T. H IRUNUMA , Matthew 16,2b-3, in: E. J. Epp, G. D. Fee (eds.), New Testament Textual Criticism, Oxford 1981, 35-45, die beide für die Ursprünglichkeit des Kurztextes votieren. Die Komplexität des Problems wird deutlich etwa bei C.-P. M ÄRZ , Zur Traditionsgeschichte von Mk 14,3-9 und Parallelen, SNTU A 6/ 7 (1981/ 82), 89-112, der aufgrund der Text- und Überlieferungsgeschichte die Ursprünglichkeit des Langtextes vertritt. 3 Vgl. etwa A LLEN , Mt 173; K LOSTERMANN , Mt 270 (»nach Lc 12: 54-56 frei gestaltete Glosse«); B ONNARD , Mt 237. 12,54-59 Rekonstruktion 935 5. Da der gesamte Zusammenhang *12,54-59 für den vorkanonischen Text bezeugt ist, stellt sich die Überlieferungsgeschichte folgendermaßen dar: a. Auszugehen ist von den gesicherten Partien. Das ist zunächst einmal die Mahnung zur Versöhnung mit dem ἀντίδικος. Wie *12,58f zeigt, gehen die (geringfügigen) Abweichungen in Mt 5,25 gegenüber *12,58 auf die mt Redaktion zurück, denn Mt hat ja der Aufforderung zur Versöhnung mit dem Gegner in der Bergpredigt insgesamt einen neuen Rahmen gegeben. Den vorkanonischen Wortlaut von *12,59 hat Mt 5,26 dagegen unverändert übernommen und nur um die ἀμήν- Einleitung ergänzt: Die Veränderungen sowie die Ersetzung der Münzeinheit (der Leptos anstelle des Quadrans, Lk 12,59) sind lk Redaktion. Die mt Rezeption des Logions im Rahmen der Bergpredigt ist gut überlegt und passend. Da Mt die beiden Teile der Belehrung an verschiedenen Stellen seiner Komposition rezipiert hat, ist auch die originäre Verbindung (*12,57) verzichtbar geworden und ausgefallen. b. Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch, dass Mt auch das Logion über die Beurteilung des Kairos in *Ev gelesen hatte. Damit stellt sich die Frage, ob der Langtext Mt 16,2f ( M ) ursprünglich ist und später ausgelassen wurde ( א B X Γ usw.), oder ob der Mehrheitstext eine sekundäre Ergänzung darstellt. Auch abgesehen von grundsätzlichen Erwägungen über die Tendenz zu Wachstum oder zu Kürzungen von Texten spricht alles dafür, dass Mt 16,2f sekundär in den Kontext der Zeichenforderung eingefügt wurde, und zwar eher ungeschickt. Denn zwischen der Zeichenforderung und der Aufforderung, die Zeichen der Zeit 4 zu beurteilen, besteht kein innerer Zusammenhang: Die Eintragung ist eher mechanisch ad vocem σημεῖον Mt 16,1 erfolgt; dies zeigt dann auch die mt Dublette der Zeichenforderung Mt 12,38f, die nur von einem σημεῖον, nicht aber von einem σημεῖον ἐκ τοῦ οὐρανοῦ spricht. Abgesehen davon steht Mt 16,2f (es gibt durchaus Zeichen »vom Himmel«, aber ihr nehmt sie nicht zur Kenntnis) in erkennbarer Spannung zu 16,4 (das einzige Zeichen, das es gibt, ist das Zeichen des Jona). Sofern Mt 16,2f ( M ) gegenüber dem Kurztext sekundär ist, spielt das Logion auch keine Rolle für die überlieferungsgeschichtlichen Erwägungen zum Verhältnis zwischen Mt 16,1-4 und Lk 12,54-56, die sich im methodischen Horizont der *Ev- Priorität ohnehin anders darstellen als im Horizont der Zwei-Quellentheorie. c. Offen ist allerdings die Frage, auf welcher Ebene der Überlieferung Mt 16,2f eingefügt wurde. Die unspezifische mt Fassung der Wetterregel ist so allgemein ______________________________ 4 Nur in Mt 16,3 (M ) ist davon die Rede, die σ η μ ε ῖ α τῶν καιρῶν zu beurteilen. In *12,56/ Lk 12,56 fehlt das Stichwort σημεῖον, es geht (nur) um die Fähigkeit, diesen καιρός zu beurteilen. 936 Anhang I 12,54-59 und so weit verbreitet, dass (im Unterschied zu *Ev/ Lk) ein Einfluss auf jeder denkbaren Überlieferungsebene möglich ist. 5 Die kanonische Bearbeitung des vorkanonischen *Mt (s. o. § 14.3) würde für diese Eintragung eine plausible Möglichkeit darstellen. Die Zeugen für den Kurztext ( א B X Γ f 13 579 al sy s.c sa bo pt Orig Hier mss ) decken sich wohl nicht zufällig mit denen von Mt 27,49 v. l.: Auch hier liegt eine Bearbeitung des vorkanonischen *Mt durch die kanonische Redaktion nahe, die dann an dieser Stelle allerdings nicht in einer Ergänzung, sondern in einer Streichung bestanden hätte. 6 Aber das textkritische Problem von Mt 27,49 ist hier genauso wenig zu klären wie das von Mt 16,2f: Diese Fragen können ebenso offenbleiben wie die genauere Überlieferungsebene, auf der die mt Wetteregel eingefügt wurde. 13,1-9 : Mahnung zur Umkehr. Gleichnis vom Feigenbaum Eindeutige Bezeugung, hat in *Ev sicher gefehlt. Durch die lk Redaktion eingefügt. 13,1 Παρῆσαν δέ τινες ἐν αὐτῷ τῷ καιρῷ ἀπαγγέλλοντες αὐτῷ περὶ τῶν Γαλιλαίων ὧν τὸ αἷμα Πιλᾶτος ἔμιξεν μετὰ τῶν θυσιῶν αὐτῶν. 2 καὶ ἀποκριθεὶς εἶπεν αὐτοῖς, Δοκεῖτε ὅτι οἱ Γαλιλαῖοι οὗτοι ἁμαρτωλοὶ παρὰ πάντας τοὺς Γαλιλαίους ἐγένοντο, ὅτι ταῦτα πεπόνθασιν; 3 οὐχί, λέγω ὑμῖν, ἀλλ’ ἐὰν μὴ μετανοῆτε πάντες ὁμοίως ἀπολεῖσθε. 4 ἢ ἐκεῖνοι οἱ δεκαοκτὼ ἐϕ’ οὓς ἔπεσεν ὁ πύργος ἐν τῷ Σιλωὰμ καὶ ἀπέκτεινεν αὐτούς, δοκεῖτε ὅτι αὐτοὶ ὀϕειλέται ἐγένοντο παρὰ πάντας τοὺς ἀνθρώπους τοὺς κατοικοῦντας Ἰερουσαλήμ; 5 οὐχί, λέγω ὑμῖν, ἀλλ’ ἐὰν μὴ μετανοῆτε πάντες ὡσαύτως ἀπολεῖσθε. 6 Ἔλεγεν δὲ ταύτην τὴν παραβολήν· Συκῆν εἶχέν τις πεϕυτευμένην ἐν τῷ ἀμπελῶνι αὐτοῦ, καὶ ἦλθεν ζητῶν καρπὸν ἐν αὐτῇ καὶ οὐχ εὗρεν. 7 εἶπεν δὲ πρὸς τὸν ἀμπελουργόν, Ἰδοὺ τρία ἔτη ἀϕ’ οὗ ἔρχομαι ζητῶν καρπὸν ἐν τῇ συκῇ ταύτῃ καὶ οὐχ εὑρίσκω. ἔκκοψον (οὖν) αὐτήν· ἱνατί καὶ τὴν γῆν καταργεῖ; 8 ὁ δὲ ἀποκριθεὶς λέγει αὐτῷ, Κύριε, ἄϕες αὐτὴν καὶ τοῦτο τὸ ἔτος, ἕως ὅτου σκάψω περὶ αὐτὴν καὶ βάλω κόπρια· 9 κἂν μὲν ποιήσῃ καρπὸν εἰς τὸ μέλλον - εἰ δὲ μή γε, ἐκκόψεις αὐτήν. A. 13,1-9 Epiphanius, Schol. 38: ἦν παρακεκομμένον ἀπὸ τοῦ Ἦλθον τινες ἀπαγγέλλοντες αὐτῷ περὶ τῶν Γαλιλαίων, ὧν τὸ αἷμα συνέμιξε Πιλᾶτος μετὰ τῶν θυσιῶν αὐτῶν ἕως ὅπου λέγει περὶ τῶν ἐν τῷ Σιλοὰμ δεκαοκτὼ ἀποθανόντων ἐν τῷ πύργῳ, καὶ τὸ Ἐὰν μὴ μετανοῆτε καὶ τὰ ἑξῆς ἕως τῆς παραβολῆς τῆς συκῆς, περὶ ἧς εἶπεν ὁ γεωργὸς ὅτι Σκάπτω καὶ βάλλω κόπρια καὶ ἐὰν μὴ ποιήσῃ, ἐκκόψον. C. Die Perikope Lk 13,1-9 hat in *Ev eindeutig gefehlt, Epiphanius’ Streichungsnotiz erwähnt die einzelnen Elemente: Die Exposition Lk 13,1 ist fast ganz zitiert (»Einige ______________________________ 5 Zu den jeweils vorausgesetzten geographischen Bedingungen vgl. G. T HEISSEN , Lokalkolorit und Zeitgeschichte in den Evangelien, Göttingen - Fribourg 2 1992, 264-267; F R . B OVON , Wetterkundliches bei den Synoptikern (Lk 12,54-56 par.), BThZ 10 (1993), 175-186: 177-179. 6 Zur Annahme einer vorkanonischen *Mt-Fassung und ihrer Bearbeitung durch die kanonische Redaktion vgl. o. § 14.3. 13,1-9 Rekonstruktion 937 kamen, die ihm von den Galiläern berichteten, deren Blut Pilatus mit dem ihrer Opfertiere vermischte«). Durch ἕως ὅπου λέγει ist auch die Antwort Jesu in Lk 13,2f abgedeckt. Aus Lk 13,4f ist der Anfang zusammengefasst, die Antwort Jesu Lk 13,5 ist mit der Etcetera-Formel erwähnt, das Gleichnis Lk 13,6-9 ist zusammengefasst. Diesem ausdrücklichen Auslassungsvermerk entspricht Tertullians *Ev-Referat, das direkt von der Behandlung von *12,58f zu *13,10ff übergeht (s. gleich): Die Perikope hat in *Ev gefehlt und geht auf lk Redaktion zurück. Die Vertreter der Lk-Priorität notieren das Fehlen, geben aber keine Gründe für die angenommene »Streichung« an. 1 Das wäre auch schwierig, denn der Gerichtsmetaphorik des Gleichnisses, die man immerhin als für Marcion problematisch ansehen könnte, ist durch die überraschende Interzession des Winzers die Spitze genommen (Lk 13,8f): Angesichts der ansonsten für Marcion angenommenen theologischen Vorlieben dürfte er nicht nur keine Einwände gegen den Text gehabt haben, sondern müsste ihn eigentlich willkommen heißen. Dass Lk 13,1-9 durch die lk Redaktion eingefügt wurde, lässt sich durch einige kompositionskritische Überlegungen erhärten. 1. So zeigt Lk auch sonst Interesse an der Einzeichnung der Geschichte Jesu in die »politische« Ereignisgeschichte, wie nicht nur der Synchronismus Lk 3,1f deutlich macht. Dieses Interesse zeigt sich in der Erwähnung des Massakers durch Pilatus, auch wenn sich dieses Ereignis nicht problemlos durch andere Quellen identifizieren lässt. 2 Es ist denkbar, dass Lk das Massaker, das Archelaos unter den Festpilgern des Jahres 4 v. Chr. anrichtete und 3000 von ihnen umbringen ließ, irrtümlich dem Pilatus anlastete, 3 aber es kann sich auch um eine Begebenheit handeln, von der die uns erhaltenen Quellen nichts berichten. 2. Etwas klarer ist der Fall beim Gleichnis vom Feigenbaum Lk 13,6-9, denn das weitere Bildfeld hat eine Parallele in Mk 11,12-14 || Mt 21,18f: Aufgrund der Stichworte συκῆ, ἐν αὐτῇ/ ἐν τῇ συκῇ sowie καρπὸν οὐχ (οὐδὲν) εὗρεν kann eine literarische Beziehung zwischen diesen Texten angenommen werden, die darüber hinaus durch die Bestrafung des Feigenbaums miteinander verbunden sind, also die »Verfluchung« (Mk 11,12.20 || Mt 21,19b.20) bzw. die Androhung des »Abhauens« (Lk 13,7). Daneben begegnet das Bild des Feigenbaums im Zusammenhang der Belehrung über die Zeichen der Endzeit (*21,29-33 || Mk 13,28f || Mt 24,32-36). Hier sind die synoptischen Beziehungen sehr viel klarer (s. zu *21,29ff): Das »Gleichnis« (παραβολή: *21,29 || Mk 13,28 || Mt 24,32) des Feigenbaums dient hier dazu, die Unausweichlichkeit und die Nähe des Endes zu erkennen, es illustriert die zwingende Abfolge der Ereignisse ἐν ἐκείναις ταῖς ἡμέραις (Mk 13,24). ______________________________ 1 H ARNACK 217*; T SUTSUI 197. 2 Verschiedene Möglichkeiten sind erwähnt bei F ITZMYER , Lk 1006f. 3 Zu dem Massaker vgl. Josephus, Bell. II 10-13; der Bezug von Lk 13,1f auf dieses Ereignis wurde erwogen von S. E. J OHNSON , A Note on Luke 13: 1-5, AThR 17 (1935), 91-95. 938 Anhang I 13,1-9 Diese beiden Feigenbaumtexte sind nicht einfach zwei voneinander unabhängige Belehrungen, die zufällig das Bild der συκῆ in ganz unterschiedlicher Funktion verwenden. Sie gehören vielmehr überlieferungsgeschichtlich zusammen, wie sich an zwei Einzelheiten zeigen lässt: Das aus dem Gleichnis vom Feigenbaum stammende Element des Kairos, der am Wuchs der Blätter des Feigenbaums abgelesen werden kann (Mk 13,28 par.), ist in der Erzählung von der Verfluchung des Feigenbaums Mk 11,13b aufgegriffen: ὁ γὰρ καιρὸς οὐκ ἦν σύκων. Diese Begründung ist insofern aufschlussreich, als sie dem Skopus der Erzählung zuwiderzulaufen scheint: Wenn es nicht die »Zeit der Feigen« ist, kann man auch keine Früchte erwarten; Mt 21,19 hat diese Begründung daher ausgelassen. Daneben zeigt das Stichwort παραβολή (Lk 13,6 ≠ Mk 11,12 || Mt 21,18) den Einfluss von *21,29 und belegt durch die Form der Bildrede die Verbindung der Belehrung über den Zeitpunkt des Endes (*21,29-33 par.) mit der Mahnung zum Fruchtbringen (Mk 11,12-14 par.). Die Überlieferungsgeschichte des »Gleichnisses vom Feigenbaum« ist dann folgendermaßen vorzustellen: a. Am Anfang stand die Belehrung über die Wiederkunft des Menschensohns und die Nähe des Ende im Rahmen der eschatologischen Belehrung *21,(25-28) 29-33: In *Ev erklärt Jesus anhand des typischen Wachstumsvorgangs des Feigenbaums die Unausweichlichkeit und das nahe Bevorstehen des Endes: Der Feigenbaum ist ein »Gleichnis« (παραβολή) für die »Zeichen der Zeit«, an denen die Menschen etwas über das Ende »lernen« können (vgl. μάθετε Mk 13,28 || Mt 24,32). b. Mk hat diese παραβολή und die Belehrung aus *21,25-33 aufgegriffen und sie mit geringfügigen Veränderungen rezipiert (Mk 13,28f). Daneben aber hat er das Bild des Feigenbaums mit einem anderen Schwerpunkt verwendet: In Mk 11,12-14. 20f (|| Mt 21,18-22) geht es nicht um (die Beachtung der Zeichen der Zeit und) die Nähe des Endes, sondern um das Fruchtbringen als Kriterium für das Bestehen im Gericht. Der Zusammenhang mit Mk 13,28ff ist an der Erwähnung des Kairos Mk 11,13b (ὁ γὰρ καιρὸς οὐκ ἦν σύκων) noch zu erkennen. Diese »Verdoppelung« der Feigenbaum-Metaphorik unterscheidet sich darin von der Ausgangsperikope, dass das von Jesus erzählte Gleichnis in die Erzählung über Jesus integriert und zu einer Zeichenhandlung Jesu wird (Mk 11,12-14.20f || Mt 21,18-22). Die durch die prophetische Zeichenhandlung (Mk 11,12-14) und die Feststellung des Eintreffens der Verfluchung (11,20) gerahmte Erzählung von der Vertreibung der Händler aus dem Tempel (11,15-19) erhält dadurch ihren gerichteten Sinn. c. Mt hat diese Verdoppelung des Feigenbaumgleichnisses von Mk übernommen, dessen Akoluthie er in beiden Fällen folgt: Mt 21,18-22 bringt die Zeichenhandlung der Verfluchung des Feigenbaums, in Mt 24,(29-31)32-36 das Wachstumsgleichnis vom Feigenbaum als Belehrung über das Erkennen der Zeichen der Zeit, an denen er die Unausweichlichkeit des Endes deutlich macht. 13,1-9 Rekonstruktion 939 d. Lk hat zunächst das Gleichnis aus *Ev rezipiert (*21,25ff, s. dort). Daneben aber hat er offensichtlich auch die Zeichenhandlung der Verfluchung des Feigenbaums (Mk 11,12-14.20 || Mt 21,18-20) gelesen und das Gleichnis (! ) vom Fruchtbringen des Feigenbaums Lk 13,6f in den Aufruf zur Umkehr (13,1-9) integriert: Das Thema (der Baum, an dem keine Frucht zu finden ist, wird abgehauen) stammt aus Mk 11 || Mt 21), die Form (ein von Jesus erzähltes Gleichnis) aus *21,29ff. 3. Dass Lk 13,6f auf die lk Redaktion zurückgeht, lässt sich schließlich noch an dem überraschenden Schluss Lk 13,8f ablesen. Denn die Interzession des Winzers, der nach dreijähriger »Fruchtlosigkeit« noch ein weiteres Jahr Schonfrist für den Feigenbaum erwirkt, erscheint in dieser überlieferungsgeschichtlichen Perspektive als gezielte Korrektur an der unmittelbar wirksam werdenden Verfluchung in der mk-mt Fassung. 4 Der theologische Sinn dieser Interzessionsschilderung ergibt sich aus der elliptischen Form von Lk 13,9: Auf die konditionale Protasis (»Und wenn er in Zukunft Frucht bringen wird«) folgt keine Apodsosis. Der Ton liegt daher vollständig auf der Perspektive des negativen Ausgangs, der durch die Achterstellung betont wird: »Wenn aber nicht, kannst du ihn umhauen.« Für die lk Redaktion ist dieser Schluss charakteristisch. Denn aus ihrer historisierenden Perspektive ist die Frage, ob die Schonfrist noch genutzt wird oder nicht, seit der Zerstörung Jerusalems definitiv beantwortet: Israel hat die Frist nicht genutzt und sich nicht bekehrt, die Strafe ist (aus der zeitlichen Perspektive der Rezipienten) längst eingetreten. Der Schluss dieser Mahnung zur Umkehr gehört daher auf einer Ebene mit Äußerungen wie Lk 3,9; 19,41-44 (red., s. dort) oder Act 28,24-28 zusammen. *13,10-13.14-16.17: Heilung einer Abrahamstochter am Sabbat Teilweise gut für *Ev bezeugt, möglicherweise durch die lk Redaktion ergänzt. 13,10 ῏Ην δὲ διδάσκων ἐν μιᾷ τῶν συναγωγῶν a σάββατῷ. 11 καὶ ἰδοὺ γυνὴ b ἐν ἀσθενείᾳ ἦν πνεύματος b ἔτη δεκαοκτώ, καὶ ἦν συγκύπτουσα καὶ μὴ δυναμένη ἀνακύψαι εἰς τὸ παντελές. 12 ἰδὼν δὲ αὐτὴν ὁ Ἰησοῦς c [ προσεϕώνησεν καὶ ] c εἶπεν αὐτῇ, Γύναι, ἀπολέλυσαι d ἀπὸ τῆς ἀσθενείας σου, 13 καὶ ἐπέθηκεν αὐτῇ τὰς χεῖρας· καὶ παραχρῆμα ἀνωρθώθη, καὶ e ἐδόξασεν τὸν θεόν. 14 ἀποκριθεὶς δὲ ὁ ἀρχισυνάγωγος, ἀγανακτῶν ὅτι τῷ σαββάτῳ ἐθεράπευσεν ὁ Ἰησοῦς, ἔλεγεν τῷ ὄχλῳ ὅτι ῝Εξ ἡμέραι εἰσὶν ἐν αἷς δεῖ ἐργάζεσθαι· ἐν f ταύταις οὖν ἐρχόμενοι θεραπεύεσθε καὶ μὴ τῇ ἡμέρᾳ τοῦ σαββάτου. 15 ἀπεκρίθη δὲ αὐτῷ ______________________________ 4 Vgl. Mt 21,19: καὶ ἐξηράνθη π α ρ α χ ρ ῆ μ α ἡ συκῆ. 940 Anhang I 13,10-17 ὁ g Ἰησοῦς καὶ εἶπεν, h ῾Υποκριτά, ἕκαστος ὑμῶν τῷ σαββάτῳ οὐ λύει τὸν βοῦν αὐτοῦ ἢ τὸν ὄνον ἀπὸ τῆς ϕάτνης καὶ ἀπαγαγὼν ποτίζει; 16 ταύτην δὲ θυγατέρα Ἀβραὰμ i οὖσαν , ἣν ἔδησεν ὁ Σατανᾶς ἰδοὺ δέκα καὶ ὀκτὼ ἔτη, οὐκ ἔδει λυθῆναι ἀπὸ τοῦ δεσμοῦ τούτου τῇ ἡμέρᾳ τοῦ σαββάτου; 17 καὶ k [ ταῦτα λέγοντος αὐτοῦ ] k κατῃσχύνοντο l [ πάντες ] οἱ ἀντικείμενοι αὐτῷ, καὶ πᾶς ὁ ὄχλος ἔχαιρεν ἐπὶ πᾶσιν m οἷς ἐθεώρουν ἐνδόξοις ὑπ’ αὐτοῦ γινομένοις. m A. *13,10.15: Tert. 4,30,1: Quaestionem rursus de curatione sabbato facta quomodo discussit? Unusquisque vestrum sabbatis non solvit asinum aut bovem suum a praesepi et ducit ad potum? Ergo secundum condicionem legis operatus legem confirmavit, non dissolvit, iubentem nullum opus fieri nisi quod fieret omni animae, quanto potius humanae? ♦ *13,16: Epiph., Schol. 39: ταύτην δὲ θυγατέρα Ἀβραάμ, ἣν ἔδησεν ὁ Σατανᾶς. B. a (13,10) σαββατω: (Tert) D aur d i sa bo pt ¦ εν τοις σαββασιν: a b c e f ſſ 2 l q r 1 M ● b (13,11) εν ασθενεια ην πνευματος: D d ¦ πνευμα εχουσα ασθενειας: a aur b c e f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● c (13,12) προσεϕωνησεν και: om D d e sa ms ¦ add a aur b c f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● d (13,12) απο: א A D X Π 0211 33 118 265 343 489 716 892 lectt it Ambr (Lc. 8,24; CCL 14, 306) ¦ om M (*Ev non test.) ● e (13,13) εδοξασεν: P 45 D 2542 ℓ859 c sy p bo pt ¦ εδοξαζον: א * Ψ 1365 ¦ εδοξαζεν: (a) aur b d (! ) e f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● f (13,14) ταυταις: D Θ (it) ¦ αυταις: P 45.75 א A B L N W X Π Ψ 070 0211 mult lectt M (*Ev non test.) ● g (13,15) ιησους/ Iesus: D F U Γ Θ mult lectt gat vg mss sy s.c.p.h(mg) Tat arab.pers bo mss armen mss georg II.III ¦ κυριος/ dominus: [a] aur b c d e f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● h (13,15) υποκριτα: P 45 D W f 1 579 2542 al d f l sy s.c.p ¦ υποκριται: P 75 א A B E F G H K L M Y Γ Δ Θ Λ Π Ψ Ω 028 047 070 0211 mult a aur b c e ſſ 2 i q r 1 M (*Ev non test.) ● i (13,16) ουσαν: om Epiph aur b c f ſſ 2 g 1 gat i l r 1 vg ¦ add ουσαν/ cum sit: a e q (quae est) M ● k (13,17) ταυτα λεγοντος αυτου: om D d e ¦ add a a 2 aur b c f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● l (13,17) παντες: om P 45 D b d e ſſ 2 i l q r 1 ¦ add a a 2 aur c f vg M (*Ev non test.) ● m (13,17) οις εθεωρουν ενδοξοις υπ’ αυτου γινομενοις: D d e ¦ τοις ενδοξοις τοις γινομενοις υπ’ αυτου: a a 2 aur b c f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.). C. Von der Chrie über die Sabbatheilung der »gekrümmten Frau« ist vor allem der Vergleich zwischen der Hilfe für Nutztiere und der Heilung am Sabbat gut bezeugt. Da er (schon wegen der anaphorischen Pronomina in *13,15f) nicht allein überliefert worden sein kann, 1 muss auch die eigentliche Heilungserzählung *13,10-13 für *Ev angenommen werden. 1. Für die nicht direkt bezeugten Passagen können daher etliche charakteristische Varianten in der handschriftlichen Überlieferung als Hinweise auf den vorkanonischen Text gewertet werden: In der Exposition *13,10 ist die Zeitangabe im Singular σαββάτῳ in D (it) anstelle des Plurals ἐν τοῖς σάββασιν im Mehrheitstext auffällig: Der Plural verstärkt den Aspekt, der auch durch die Coniugatio periphrastica (ἦν δὲ διδάσκων) hervorgehoben wird, dass nämlich Jesus immer (noch) am Sabbat in den Synagogen lehrte. Die Sing.-Lesart wird möglicherweise auch von Tertullian bezeugt (4,30,1: de curatione sabbato facta), obwohl dieser Hinweis nicht belastbar ist. In *13,12 ______________________________ 1 Vgl. etwa W OLTER , Lk 481. 13,10-17 Rekonstruktion 941 ist ὁ Ἰησοῦς προσεϕώνησεν καὶ εἶπεν uneinheitlich überliefert: Während D (it) nur ὁ Ἰησοῦς εἶπεν bieten, haben P 45 b i nur προσεϕώνησεν καὶ εἶπεν. Ich werte die »Westliche« Lesart als vorkanonisch, die durch den Mehrheitstext ergänzt wurde. Der Text von P 45 b i zeigt die Irritation, die durch die abweichenden Vorlagen des vorkanonischen und des kanonischen Textes entstanden sind. Von den weiteren (unbezeugten) Lesarten ist vor allem ὁ Ἰησοῦς *13,15 D it sy usw. auffällig: Hier hat der Mehrheitstext ὁ κύριος, das mit großer Wahrscheinlichkeit auf die lk Redaktion zurückgeht. Die Eintragung von auktorialem ὁ κύριος ist auch sonst ein Kennzeichen der lk Redaktion. 2 Unter der Maßgabe, dass die charakteristisch »Westlichen« Lesarten Interferenzen zwischen der kanonischen und der vorkanonischen Überlieferung anzeigen und daher als Hinweise für die Existenz eines vorkanonischen Textes verstanden werden können, ist auch V. *17 für *Ev anzunehmen. 2. Von Bedeutung ist, dass Epiphanius die Erwähnung der »Abrahamstochter« in *13,16 bereits für *Ev bezeugt. Denn an anderer Stelle hat die lk Redaktion nachweislich bzw. mit großer Wahrscheinlichkeit den Hinweis auf Abraham bzw. die Abstammung von Abraham in den vorkanonischen Text eingetragen: Lk 1,54f.73f; 3,8; 13,28; 16,29.30 (teste Adam.); 19,9; 20,37 (s. jeweils an den angegebenen Stellen). In Anbetracht dieses spezifischen redaktionellen Interesses belegt *13,16, dass Lk das Konzept der Abrahamskindschaft nicht »erfunden«, sondern es aufgegriffen und ausgebaut hat. Denn die Überlegenheit der Frau über die Tiere, deren »Fesselung« man an jedem Sabbat löst, hätte hier (etwa wie in *12,7.24.28 auch) einfach durch ihr Menschsein begründet werden können. Dass schon der vorkanonische Text sie betont als θυγάτηρ Ἀβραάμ einführt, lenkt den Blick auf die Zugehörigkeit zu Israel als Grund für die ihr zuteil werdende Heilung. Lk hat also ein bereits in *Ev existierendes Konzept redaktionell erweitert und verstärkt. Insgesamt lässt sich in den redaktionellen Abraham-Zusätzen jedoch eine Tendenz beobachten, die diesem vorkanonischen Beispiel für die soteriologische Validität der Abrahamskindschaft fehlt, nämlich ihre Ethisierung. Für das Konzept der lk Redaktion ist charakteristisch, dass man zu einem Abrahamskind werden kann, ohne als Israelit(in) geboren worden zu sein oder formell (etwa durch Beschneidung) in das Volk Israel integriert zu werden: Sofern ein bestimmtes Tun zur Rettung qualifiziert, verliert die Erwählung aufgrund der Zugehörigkeit zum Volk Israel ihre exklusive soteriologische Bedeutung, wie besonders Lk 3,8 mit der folgenden »Standespredigt« (Lk 3,10-14) deutlich macht. Im Unterschied zu Zachäus, der sich durch seine Bekehrung und den damit verbundenen Besitzverzicht als »Abrahamssohn« qualifiziert, widerfährt der Frau das Heil nur einfach aufgrund ihrer primordialen Zugehörigkeit zu Israel. Das bedeutet: Die soteriologische Wirksamkeit des erwählungstheologischen Kriteriums (»Abrahamskindschaft«) hat Lk ______________________________ 2 Vgl. dazu o. § 5 (Bd. I, S. 93ff). 942 Anhang I 13,10-17 aus *13,16 übernommen, aber er hat dieses Kriterium an anderen Stellen ethisch interpretiert. 3 *13,18-21: Die Gleichnisse vom Senfkorn und vom Sauerteig Gut für *Ev bezeugt und sicher vorhanden. 13,18 Ἔλεγεν οὖν, Τίνι ὁμοία ἐστὶν ἡ βασιλεία a τῶν οὐρανῶν a , καὶ τίνι ὁμοιώσω αὐτήν; 19 ὁμοία ἐστὶν b [ ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ] b κόκκῳ σινάπεως, ὃν λαβὼν ἄνθρωπος c ἔσπειρεν εἰς κῆπον d ἀυτοῦ, καὶ ηὔξησεν καὶ ἐγένετο εἰς δένδρον e [ μέγα ] , καὶ τὰ πετεινὰ τοῦ οὐρανοῦ κατεσκήνωσεν f ὑπὸ τοὺς κλάδους f αὐτοῦ. 20 g Ἢ τίνι ὁμοία ἐστὶν ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ, καὶ τίνι ὁμοιώσω αὐτήν; g 21 ὁμοία ἐστὶν ζύμῃ, ἣν λαβοῦσα γυνὴ ἐνέκρυψεν εἰς h ἄλευρον ἕως οὗ ἐζυμώθη ὅλον. A. *13,18f: Tert. 4,30,1: Parabolarum congruentiam ubique recognoscor exigere. Simile est regnum dei, inquit, grano sinapis, quod accepit homo et seminavit in horto suo. ♦ *13,20f: Tert. 4,30,3: De sequenti plane similitudine vereor ne forte alterius dei regno portendat. Fermento enim comparavit illud, non azymis quae familiariora sunt creatori. B. a (13,18) των ουρανων: N U 179 472 827 903 1009 2766 aeth mss slav 2 mss ¦ του θεου: it M (*Ev non test.) ● b (13,19) η βασιλεια του θεου/ regnum dei: Tert c gat aeth ¦ η βασιλεια των ουρανων: Petr. Chrys. (Serm. 98, PL 52, 475) ¦ om a a 2 aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 M ● c (13,19) εσπειρεν/ seminavit: Tert aeth ¦ εβαλεν/ misit: it M ● d (13,19) αυτου: (Tert) P 45 א D F K L X Θ Ψ Π mult ¦ εαυτου: it M ● e (13,19) μεγα: om P 75 א B D L 070 892 1229 1241 2542 a a 2 b d e ſſ 2 i l r 1 sy s.c.j sa bo mss armen georg ¦ add P 45 0303 A W Θ Ψ f (1).13 33 aur c f q sy p.h bo pt M (*Ev non test.) ● f (13,19) υπο τους κλαδους: D d i r 1 sa 2 mss ¦ εν τοις κλαδοις: a a 2 aur b c e f ſſ 2 l q M (*Ev non test.) ● g (13,20) η τινι ομοια εστιν η βασιλεια του θεου, και τινι ομοιωσω αυτην: D a a 2 d r 1 ¦ και παλιν ειπεν, Τινι ομοιωσω την βασιλειαν του θεου: aur b c e f ſſ 2 i l q M (*Ev non test.) ● (13,21) αλευρον: (1187) a a 2 b c ſſ 2 i l q (e) ¦ αλευρου σατα τρια: aur d f q r 1 M (*Ev non test.). C. Die beiden Gleichnisse vom Senfkorn und vom Sauerteig waren sicher in *Ev vorhanden, Tertullian zitiert *13,19a.21a und stellt damit beide Gleichnisse sicher: Die Tatsache, dass *13,19b nicht bezeugt ist, tut dem keinen Abbruch, weil die Logik des Gleichnisses eine Weiterführung des Bildes zwingend erfordert. Für Tertullians Argumentation war die eigentliche Pointe des Gleichnisses verzichtbar: Er deutet den Menschen des Gleichnisses auf Christus, der vom Vater die Predigt des Evangeliums als Samen des Reiches erhalten habe (Christus … accepit a patre semen regni, sermonem scilicet evangelii), den er in seinem eigenen Garten, nämlich in der Welt, ausgesät habe (seminavit in horto suo, utique in mundo). »Aber wenn er ______________________________ 3 Zum redaktionellen Konzept vgl. M. K LINGHARDT , Abraham als Element der Kanonischen Redaktion, in: J. Heilmann, M. Klinghardt (ed.), Das Neue Testament und sein Text im 2. Jahrhundert, Tübingen 2017, 223-258. 13,18-21 Rekonstruktion 943 ›in seinem eigenen Garten‹ sagt, während doch weder die Welt noch der Mensch jenem (sc. Marcions Gott) gehört, sondern dem Schöpfer (creator), folgt, dass der Schöpfer als der gezeigt wird, der in sein Eigentum sät (qui in suum seminarit creator)« (4,30,2). 1. Der Ausgangspunkt, der Tertullian hier die Argumentation gegen das marcionitische Gottesbild erlaubt, ist also die Wendung in horto s u o / εἰς κῆπον α ὐ τ ο ῦ , die folglich mit Sicherheit in *Ev stand. Dies ist für die Beurteilung der Überlieferungsgeschichte von einiger Bedeutung: Das Gleichnis vom Senfkorn hat synoptische Parallelen in Mk und Mt (*13,18f || Mk 4,30-32 || Mt 13,31f), das Gleichnis vom Sauerteig dagegen nur in Mt (*13,20f || Mt 13,33). Im methodischen Horizont der Zwei-Quellentheorie nimmt man meistens an, dass beide Gleichnisse aus »Q« stammten und dass Mk 4,30-32 zu den problematischen »Mk-Q Overlaps« gehört. 1 In diesem Fall stören die mt-lk Agreements 2 gegen Mk 4,30-32: ὁμοία ἐστὶν ἡ βασιλεία *13,18b || Mt 13,31b ≠ πῶς ὁμοιώσωμεν τὴν βασιλείαν Mk 4,30. - ὃν λαβὼν ἄνθρωπος *13,19b || Mt 13,31c ÷ Mk 4,31. - εἰς κῆπον ἑαυτοῦ *13,19b || ἐν τῷ ἀγρῷ αὐτοῦ Mt 13,31c ≠ ἐπὶ τῆς γῆς Mk 4,31. - ηὔξησεν *13,19c || αὐξηθῇ Mt 13,32b ≠ ἀναβαίνει Mk 4,32. - καὶ ἐγένετο εἰς δένδρον *13,19d || καὶ γίνεται δένδρον Mt 13,32c ≠ καὶ ποιεῖ κλάδους μεγάλους Mk 4,32. - ἐν τοῖς κλάδοις αὐτοῦ *13,19e || Mt 13,32e ÷ Mk 4,32. Dieser Befund, der für die Zwei-Quellentheorie erhebliche Probleme aufwirft, stellt sich unter der Annahme der *Ev-Priorität ganz einfach dar: Alle drei synoptischen Fassungen hängen von *Ev ab. Die sog. (mt-lk) »Minor Agreements« finden dabei zwei unterschiedliche Erklärungen, die sich in diesem Fall auch jeweils nachweisen bzw. wahrscheinlich machen lassen. a. Die schon angesprochene Wendung εἰς κῆπον ἑαυτοῦ (*13,19b) ist durch Tertullian bereits für *Ev bezeugt. Die mt Entsprechung (Mt 13,31c: ἐν τῷ ἀγρῷ αὐτοῦ) ist daher ebenfalls von *Ev abhängig, auch wenn Mt das κῆπος (*Ev) in ἀγρός geändert hat. Die mk Formulierung ἐπὶ τῆς γῆς (Mk 4,31) ist demzufolge eine redaktionelle Änderung, die Mk an *Ev vorgenommen hat. Das mt-lk Agreement beruht auf dieser mk Änderung an der gemeinsamen Vorlage, die Mt und Lk unverändert übernommen haben. Tatsächlich ist die Entsprechung noch größer, weil die Lesart in *13,19 (Tert) P 45 א D F K L X Θ Ψ Π usw. nahelegt, dass der vorkanonische Text nicht das lk ἑαυτοῦ, sondern das mt αὐτοῦ enthielt. ______________________________ 1 Vgl. dazu R. L AUFEN , Die Doppelüberlieferungen der Logienquelle und des Markusevangeliums, Königstein/ Ts. 1980, 174-200; H. T. F LEDDERMANN , Mk and Q, Leuven 1995, 90-99. 2 Vgl. dazu N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 94f; DERS ., Minor Agreements (1991), 35. In dieser Perspektive ist die auch die Entsprechung von *13,20f || Mt 13,32 ÷ Mk 4 als »major agreement« zwischen Lk und Mt gegen Mk zu werten. 944 Anhang I 13,18-21 b. Ein weiteres Agreement ist aus dem gleichen Grund überhaupt nicht mehr zu erkennen, denn Lk 13,19 hat das aus *Ev stammende (und noch in Mt 13,31 erhaltene) ἔσπειρεν in ἔβαλεν geändert. Die mk Formulierung (Mk 4,31: σπαρῇ) lässt die Vorlage *Ev noch erkennen. c. Dass die synoptischen Entsprechungen auch in der Abweichung von ihrer gemeinsamen Vorlage entstehen können, zeigt die parallele Formulierung μικρότερον ὂν πάντων τῶν σπερμάτων Mk 4,31 || ὃ μικρότερον μέν ἐστιν πάντων τῶν σπερμάτων Mt 13,32, die keine Entsprechung in Lk hat: Die Betonung der Kleinheit des Senfkorns, die den Vergleich mit dem großen Baum hervorhebt, geht auf die mk Bearbeitung zurück (μικρότερον ὂν πάντων τῶν σπερμάτων - γίνεται μεῖζον πάντων τῶν λαχάνων - ποιεῖ κλάδους μεγάλους). Nicht nur Mt ist ihm darin gefolgt, sondern auch diejenigen Handschriften, die in Lk 13,19 εἰς δένδρον μ έ γ α lesen ( P 45 0303 A W Θ Ψ usw.): Diese Lesart ist demnach in der kanonischen Ausgabe ursprünglich, fehlte aber im vorkanonischen Text. 2. Für *13,19e legt die Lesart ὑπὸ τοὺς κλάδους in D (it) den ursprünglichen Wortlaut nahe. Die Vorstellung, dass die Vögel des Himmels unter den Zweigen wohnen, hat Mk 4,32 mit der Formulierung ὑ π ὸ τὴν σκιὰν αὐτοῦ aufgegriffen. 3. Eine weitere Besonderheit ist zu erwähnen, die nicht leicht aufzulösen ist. Tertullian referiert für *13,19 ἡ βασιλεία τ ο ῦ θ ε ο ῦ (4,30,1: simile est regnum d e i grano sinapis …). Dieses Zeugnis ist aus mehreren Gründen zweifelhaft: Das Stichwort ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ begegnet in der Mehrheit der Handschriften bereits in der Frage Lk 13,18: Τίνι ὁμοία ἐστὶν ἡ βασιλεία τ ο ῦ θ ε ο ῦ , καὶ τίνι ὁμοιώσω αὐτήν. Eine Reihe von Handschriften bezeugt für 13,18 jedoch das ansonsten aus Mt geläufige ἡ βασιλεία τ ῶ ν ο ὐ ρ α ν ῶ ν ; für 13,19 kommt diese Lesart nur einmal in einem patristischen Beleg vor, die übergroße Mehrheit der Handschriften (darunter D sy und fast alle Altlateiner) lassen das Syntagma weg: Tertullians Lesart für 13,19 wird nur durch c gat aeth gestützt. Nachdem das Nomen ἡ βασιλεία in *13,18a einmal direkt erwähnt und in V. *18b noch pronominal aufgegriffen wird, ist eine erneute Nennung im unmittelbar folgenden Satz *13,19 in der Tat störend und kaum vorstellbar. Für *13,18a ist aufgrund der handschriftlichen Bezeugung das Syntagma ἡ βασιλεία τ ῶ ν ο ὐ ρ α ν ῶ ν wahrscheinlich, das auch sonst für *Ev belegt ist. 3 Wenn es durch die lk Redaktion auch in Lk 6,20 und 18,16f durch ἡ βασιλεία τ ο ῦ θ ε ο ῦ ersetzt wurde, würde Tertullians *Ev-Text in *13,18 eine Beeinflussung durch den kanonischen Text aufweisen. In diesem Fall ist es dann wahrscheinlich, dass in *13,19 - wie in der Mehrheit der Handschriften - keine erneute Nennung stand. ______________________________ 3 Zu den »Matthäismen« in *Ev vgl. *6,20; *18,16f (βασιλεία τῶν οὐρανῶν) sowie *19,27 (ὁ κλαυθμὸς καὶ ὁ βρυγμὸς τῶν ὀδόντων). 13,18-21 Rekonstruktion 945 4. Im Gleichnis vom Sauerteig sind ebenfalls zwei vom kanonischen Text abweichende Formulierungen für *Ev wahrscheinlich: Die Einleitung des Gleichnisses in *13,20 wiederholte die Einleitung von *13,18 und schloss sie nur durch parataktisches »oder« an (ἢ τίνι ὁμοία ἐστὶν ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ, καὶ τίνι ὁμοιώσω αὐτήν). Diese unglückliche Doppelung haben Mt 13,33 (ἄλλην παραβολὴν ἐλάλησεν αὐτοῖς) und Lk 13,20 (καὶ πάλιν εἶπεν) auf unterschiedliche Weise beseitigt. Daneben ist für *13,20 (it u. a.) die Formulierung εἰς ἄλευρον anstelle von εἰς ἀλεύρου σάτα τρία bezeugt. Die kurze Formulierung *13,20 (it u. a.) ist wahrscheinlich ursprünglich: Sie zielt, in Analogie zu *13,19 auf den Prozess (Anfang - Ende). Mt 13,33 und Lk 13,20 fügten den Aspekt des Wachstums (klein - groß) hinzu, denn der Sauerteig durchsäuert immerhin ca. 50 kg Mehl. Sie bringen damit die Tendenz zur Geltung, die bereits Mk 4,31f gegenüber *13,19 sichtbar wurde. Lk folgt hier also nicht seiner Hauptquelle *Ev, sondern übernimmt die redaktionellen Änderungen, die Mt an *Ev vorgenommen hatte. 5. Die Überlieferungsgeschichte des Gleichnisses vom Senfkorn zeigt einmal mehr auf engstem Raum die Grenzen der Zwei-Quellentheorie: Der literarische Befund - jeweils zwei synoptische Zeugen stimmen miteinander gegen den dritten überein - ist zu komplex für die Zwei-Quellentheorie, die ja von dem unabhängigen Zugriff der Seitenreferenten auf ihre zwei »Quellen« ausgeht. Die Annahme der *Ev- Priorität erlaubt dagegen eine Rekonstruktion des Ausgangstextes und seiner Überlieferungsgeschichte, die keine unerklärten Reste lässt und darüber hinaus auch in der Lage ist, die Abweichungen der Handschriftenüberlieferung in den Gesamtbefund integrieren zu können. Das Doppelgleichnis vom Senfkorn und vom Sauerteig führt ohne Situationsveränderung die Chrie über die Sabbatheilung der Abrahamstochter (*13,10-17) fort und erweist so deren Heilung als den Anfang eines Prozesses, dessen Ende in diesem Anfang bereits gesetzt ist. Dass die heilsame Durchsetzung der Herrschaft Gottes gerade an einem Sabbat und bei einer Tochter Abrahams beginnt, also in Israel, ist dabei ein wesentliches Element, wie die folgende Perikope über die enge und die verschlossene Türe zeigt. *13, [ 22 ] 23-24.25-28 29-30 : Die enge und die verschlossene Tür. Erste und Letzte im Reich Gottes Gut für *Ev bezeugt; durch die lk Redaktion mit Sicherheit ergänzt und redaktionell bearbeitet. [ 13,22 Καὶ διεπορεύετο κατὰ πόλεις καὶ κώμας διδάσκων καὶ πορείαν ποιούμενος εἰς Ἱεροσόλυμα. ] 946 Anhang I 13,22-30 23 εἶπεν δέ τις αὐτῷ, Κύριε, εἰ ὀλίγοι οἱ σῳζόμενοι; ὁ δὲ a ἀποκριθεὶς εἶπεν [ πρὸς αὐτούς ] a , 24 Ἀγωνίζεσθε εἰσελθεῖν διὰ τῆς στενῆς b πύλης, ὅτι πολλοί, λέγω ὑμῖν, ζητήσουσιν εἰσελθεῖν καὶ οὐκ ἰσχύσουσιν. 25 ἀϕ’ οὗ ἂν ἐγερθῇ ὁ οἰκοδεσπότης καὶ ἀποκλείσῃ τὴν θύραν, καὶ ἄρξησθε c [ ἔξω ἑστάναι καὶ ] c κρούειν d [ τὴν θύραν ] d λέγοντες, Κύριε, e κύριε, ἄνοιξον ἡμῖν· καὶ ἀποκριθεὶς ἐρεῖ ὑμῖν, Οὐκ οἶδα f ὑμᾶς πόθεν ἐστέ. 26 τότε ἄρξεσθε λέγειν, g Κύριε, ἐϕάγομεν ἐνώπιόν σου καὶ ἐπίομεν, καὶ ἐν ταῖς πλατείαις ἡμῶν ἐδίδαξας· 27 καὶ ἐρεῖ λέγων ὑμῖν, Οὐκ οἶδα ὑμᾶς πόθεν ἐστέ· h ἀποχωρεῖτε ἀπ’ ἐμοῦ, πάντες ἐργάται ἀδικίας. 28 i ὅτε πάντας τοὺς δικαίους ἴδητε i k †εἰσερχομένους† l †εἰς τὴν βασιλείαν† l τοῦ θεοῦ, ὑμᾶς δὲ m κρατουμένους ἔξω. n ↑ ἐκεῖ ἐσται ὁ κλαυθμὸς καὶ ὁ βρυγμὸς τῶν ὀδόντων. ↓ n o 29 καὶ ἥξουσιν ἀπὸ ἀνατολῶν καὶ δυσμῶν καὶ ἀπὸ βορρᾶ καὶ νότου καὶ ἀνακλιθήσονται ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ.30 καὶ ἰδοὺ εἰσὶν ἔσχατοι οἳ ἔσονται πρῶτοι, καὶ εἰσὶν πρῶτοι οἳ ἔσονται ἔσχατοι. o A. *13,25-28: Tert. 4,30,4f: Quotiens adhuc se iudicem ostendit et in iudice creatorem? Quotiens utique eiecit et damnat reiciendo? Sicut hic quoque, Cum surrexerit, inquit, pater familiae; quo? nisi quo dixit Esaias, Cum surrexerit comminuere terram? et cluserit ostium; utique excludendis iniquis. Quibus pulsantibus respondebit, Nescio unde sitis. et rursus enumerantibus quod coram illo ederint et biberint et in plateis eorum docuerit, adiciet, Recedite a me omnes operarii iniquitatis. Illic erit fletus et frendor dentium. Ubi? (5) foris scilicet, ubi erunt exclusi, ostio cluso ab eo. Ergo erit poena a quo fit exclusio in poenam, cum videbunt iustos introeuntes in regnum dei, se vero detineri foris. A quo? Si a creatore, quis erit ergo intus recipiens iustos in regnum? Deus bonus? ♦ *13,28: Epiph., Schol. 40: Παρέκοψε πάλιν τό Τότε ὄψεσθε Ἀβραὰμ καὶ Ἰσαὰκ καὶ Ἰακὼβ καὶ πάντας τοὺς προϕήτας ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ· ἀντὶ δὲ τούτου ἐποίησεν Ὅτε πάντας τοὺς δικαίους ἴδητε ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ, ὑμᾶς δὲ ἐκβαλλομένους - ἐποίησε δὲ Κρατουμένους - ἔξω, ἐκεῖ ἐσται ὁ κλαυθμὸς καὶ ὁ βρυγμὸς τῶν ὀδόντων. ♦ *13,29f: Epiph., Schol. 41: Παρέκοψε πάλιν τό ῞Ηξουσιν ἀπὸ ἀνατολῶν καὶ δυσμῶν καὶ ἀνακλιθήσονται ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ καὶ τό Οἱ ἔσχατοι ἔσονται πρῶτοι … (Fortsetzung u. zu Lk 13,31-35). B. a (13,23) αποκριθεις ειπεν: D d; Ιησους αποκριθεις: Tat arab ¦ ειπεν προς αυτον: 71 827 1194 1313 1458 2766 ℓ633 sy s.c bo 1 ms ¦ ειπεν προς αυτους: it M (*Ev non test.) ● b (13,24) πυλης: A W Ψ 0303 f 13 sa M ¦ θυρας: P 45.75 א B D L Θ 070 f 1 892 1241 2543 pc (*Ev non test.) ● c (13,25) εξω εσταναι και: om (Tert) א * bo ms Basil (Bapt. 2,8,5; PG 31, 1605) ¦ add it M ● d (13,25) την θυραν: om (Tert) D 472 1009 ℓ253 a a 2 b d q sy j ¦ add c e f ſſ 2 i l r 1 M ● e (13,25) κυριε: A D W Θ Ψ 070 0303 f 1.13 b d f ſſ 2 i q r 1 sy c.p.h bo pt ¦ om P 75 א B L 892 1241 pc a a 2 aur c e g 1 gat l sy s sa bo pt (*Ev non test.) ● f (13,25) υμας/ vos: om Tert c ¦ add a a 2 aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 M ● g (13,26) κυριε: D 1604 d ¦ om a a 2 aur b c e f ſſ 2 gat i l q r 1 M (*Ev non test.) ● h (13,27) αποχωρειτε/ recedite: Tert c d (ſſ 2 ) M 27 71 1194 1485; πορευετε CyrAlex (Ador. 15; PG 68, 981); πορευεσθε DionAreop (Ep. 8,1; PTS 36, 179,9f); vgl. Mt 7,23 ¦ αποστητε/ discedite: a a 2 aur b d f ſſ 2 i l q r 1 M ● i (13,28) οτε παντας τους δικαιους ιδητε: Epiph Tert ¦ οταν οψεσθε Αβρααμ και Ισαακ και Ιακωβ και παντας τους προϕητας: it M ● k (13,28) Widersprüchliche Bezeugung: (1) εισερχομενους/ introeuntes: Tert a a 2 b c ſſ 2 i l q r 1 vg ¦ (2) εισερχομενους/ introeuntes: om Epiph aur d f M ● l (13,28) Widersprüchliche Bezeugung: (1) εις την βασιλειαν (θεου)/ in regnum (Dei): Tert a 2 c ſſ 2 q ¦ (2) εν τη βασιλεια 13,22-30 Rekonstruktion 947 (θεου)/ in regno (Dei): Epiph a aur b d e f i l r 1 M ● m (13,28) κρατουμενους: Epiph ¦ εκβαλλομενους: it M ¦ om sy s(mss) ● n (13,28) εκει εσται ο κλαυθμος και ο βρυγμος των οδοντων pon. post οταν οψεσθε … εκβαλλομενους εξω: Epiph ¦ pon. ante οταν οψεσθε … (Lk 13,28init.) it M ● o (13,29.30) vss. 29.30 om Epiph; vs. 29 om 13 69 349 543* 544 788 826 1241 ¦ add it M . C. Die Belehrung über die enge und die verschlossene Türe ist durch Tertullians Referat im Kern hinreichend genau bezeugt. Epiphanius’ Notizen über Streichungen bzw. Veränderungen (Schol. 40f) sind sehr genau; im Umkehrschluss markieren sie die Veränderungen der lk Redaktion. 1. Von der Exposition und dem Logion von der engen Tür *13,22-24 fehlt jede Spur. Dies ist jedoch nur bedingt aussagekräftig, da vor allem Tertullian die rahmenden narrativen Elemente zugunsten der Jesusworte in der Regel übergeht. Und da die Vertreter der Lk-Priorität weitgehend dem theologischen Urteil der beiden Hauptzeugen folgen und ebenfalls nur auf Elemente der marcionitischen Theologie achten, übergehen sie diese Verse kommentarlos. 1 Ein Urteil ist schwierig und hat zu berücksichtigen, dass die Erwähnung von Jerusalem im narrativen Rahmen (Lk 13,22) genau der ansonsten zu beobachtenden Tendenz der lk Redaktion entspricht. Im Unterschied zu *Ev hat Lk in der Tat ein Interesse daran, immer wieder aufs Neue hervorzuheben, dass Jerusalem das Ziel des Weges Jesu darstellt: Hier wird er gekreuzigt, auferweckt und in den Himmel entrückt, und hierher wird er dann auch seinen Geist auf seine Jünger ausgießen, damit sie von dort aus für ihn Zeugnis ablegen (vgl. 24,47 red., s. dort). Dieser inhaltliche Grund ist gewichtig genug, V. 22 für redaktionell zu halten. Auf der anderen Seite sollte *13,25ff doch irgendeine Einleitung besessen haben, die im Kern in etwa *13,24 entsprochen haben könnte. Die synoptische Parallele Mt 7,13f mit der charakteristisch unterschiedlichen Formulierung macht wahrscheinlich, dass *13,23f in *Ev stand und von Mt im Zuge der redaktionellen Einfügung dieses Logions in die Bergpredigt umformuliert wurde. Daher ist Lk 13,22 mit aller Vorsicht *Ev abzusprechen, nicht aber *13,23f. In diesem Fall ist die Belehrung über die enge und die verschlossene Türe die direkte Weiterführung von *13,10-17.18-21 in einer geschlossenen Szene, die immer noch in der *13,10 genannten Synagoge spielt. Erst die lk Redaktion hat durch die Einfügung von Lk 13,22 einen neuen szenischen Rahmen geschaffen, dadurch aber zugleich verdeckt, wie eng die Frage *13,23 (εἰ ὀλίγοι οἱ σῳζόμενοι; ) mit der Ausgangsszene und den Prozessgleichnissen *13,18-21 zusammengehört. 2. Die Bezeugung von *13,27 durch Tertullian klärt dann auch, dass *Ev anstelle des lk ἀπόστητε das aus Mt 7,23 bekannte ἀποχωρεῖτε las - ein Problem, das bei der Rekonstruktion des »Q«-Wortlauts im methodischen Rahmen der Zwei- ______________________________ 1 H ARNACK 217* stellt zu 13,22-24 lediglich fest: »nicht bezeugt.« 948 Anhang I 13,22-30 Quellentheorie diskutiert wurde. 2 Offen bleibt jedoch, ob Tertullians mit iniquitas das lk ἀδικία wiedergibt oder das mt ἀνομία ist: Beides ist philologisch möglich. 3. Wichtig und weiterführend sind die Differenzen in *13,28. Der von Epiphanius und Tertullian für diesen Vers bezeugte Wortlaut von *Ev unterscheidet sich vom kanonischen in drei wichtigen Aspekten: (a) Zunächst und am auffälligsten ist die kanonische Formulierung »Abraham und Isaak und Jakob und alle Propheten« anstelle von »alle Gerechten« in *Ev. - (b) Epiphanius bezeugt, dass in *Ev das Wort vom »Heulen und Zähneknirschen« (*13,28c) erst nach dem Wort über diejenigen, die im Reich sind, folgte. Die abweichende Reihenfolge in Tertullians Referat, der das Wort vom Heulen und Zähneknirschen vorzieht, ist erkennbar seinem argumentativen Duktus geschuldet, der die rhetorische Frage betont ans Ende stellt. 3 - (c) Und schließlich zeigt Epiph., Schol. 41 eindeutig, dass das Logion über die aus allen Himmelsrichtungen Kommenden (Lk 13,29) nicht in *Ev enthalten war. Das Fehlen dieses Logions im vorkanonischen Text hat sich noch in einer ganzen Reihe griechischer Minuskeln niedergeschlagen. Für die Vertreter der Lk-Priorität scheint die Ursache wenigstens der ersten Differenz (Erzväter und Propheten - alle Gerechten) auf der Hand zu liegen, denn sie bleiben eine Begründung schuldig. 4 Man muss sie wohl in der Annahme sehen, dass Marcion hier aus antijudaistischen Gründen einen Hinweis auf das AT gestrichen habe. Aber ein redaktionelles Interesse lässt sich auch für den umgekehrten Fall einer lk Redaktion plausibel machen: Auch sonst ist zu beobachten, dass die lk Redaktion ein Interesse an der Erwähnung Abrahams hat und die christlichen Rezipienten seines Buches in die Verheißungsgeschichte Israels einzeichnet. 4. Während sich die Unterschiede in *13,28 sowohl für *Ev als auch für Lk auf ein entsprechendes redaktionelles Interesse zurückführen lassen, liegt der Fall bei Lk 13,29 etwas anders: Dass dieser Vers in *Ev fehlte, ist unbestritten. Jedoch können die Vertreter der Lk-Priorität keine Gründe für eine Streichung angeben und notieren das Fehlen kommentarlos. 5 Da Lk 13,29 auch in einer ganzen Reihe von Minuskeln unbezeugt ist, verschärft sich dieses Problem noch. Umgekehrt ist jedoch das Hinzukommen der Heiden aus allen Himmelsrichtungen (gerade zu den Erzvätern als den Repräsentanten Israels! ) ein zentrales ______________________________ 2 Vgl. dazu C HR . H EIL , »Πάντες ἐργάται ἀδικίας« Revisited, in: R. Hoppe, U. Busse (Hg.), Von Jesus zum Christus, Berlin - New York 1998, 261-276: 270f. 3 Irrelevant ist jedoch die unterschiedliche Wortstellung bei Epiphanius und Tertullian (ὁ βρυγμὸς τῶν ὀδόντων - dentium frendor), die D. S. W ILLIAMS , Reconsidering Marcion’s Gospel, JBL 108 (1989), 477-496: 485 notiert; sie geht auf die bessere Wortstellung im Lateinischen zurück. 4 Z. B. T SUTSUI 108: »leicht verständlich.« 5 H ARNACK 218*; T SUTSUI 108. Das Problem wird dadurch verschärft, dass *Ev in *14,15-24 eine ganz entsprechende Vorstellung von der Teilnahme am eschatologischen Mahl enthält, wobei hier allerdings der Bezug auf den Antagonismus Israel - Heiden nicht zwingend ist (s. dort). 13,22-30 Rekonstruktion 949 Element der redaktionellen Konzeption des Lk. Dass die Bearbeitungsrichtung von *Ev zu Lk verläuft, lässt sich darüber hinaus auch durch überlieferungsgeschichtliche Erwägungen unter Einbezug der mt Parallele erhärten. *13,28 Mt 8,11f Lk 13,28f ἐκεῖ ἔσται ὁ κλαυθμὸς καὶ ὁ βρυγμὸς τῶν ὀδόντων, λέγω δὲ ὑμῖν ὅτι ὅτε πάντας τοὺς δικαίους πολλοὶ ἀπὸ ἀνατολῶν καὶ δυσμῶν ἥξουσιν καὶ ἥξουσιν ἀπὸ ἀνατολῶν καὶ δυσμῶν καὶ ἀπὸ βορρᾶ καὶ νότου καὶ ἀνακλιθήσονται καὶ ἀνακλιθήσονται ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ. ἴδητε εἰσερχομένους ὅταν ὄψεσθε μετὰ Ἀβραὰμ καὶ Ἰσαὰκ καὶ Ἰακὼβ Ἀβραὰμ καὶ Ἰσαὰκ καὶ Ἰακὼβ καὶ πάντας τοὺς προϕήτας εἰς τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ, ἐν τῇ βασιλείᾳ τῶν οὐρ.· ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ, ὑμᾶς δὲ οἱ δὲ υἱοὶ τῆς βασιλείας ὑμᾶς δὲ κρατουμένους ἐκβληθήσονται ἐκβαλλομένους ἔξω. εἰς τὸ σκότος τὸ ἐξώτερον· ἔξω. ἐκεῖ ἔσται ὁ κλαυθμὸς καὶ ὁ βρυγμὸς τῶν ὀδόντων. ἐκεῖ ἔσται ὁ κλαυθμὸς καὶ ὁ βρυγμὸς τῶν ὀδόντων. a. Ausgangspunkt der aufschlussreichen Überlieferungsgeschichte des Logions ist der für *13,28 rekonstruierte Text. Das Wort über das »Hineingehen« bleibt dabei völlig auf der metaphorischen Ebene des vorausgehenden Bildwortes von der engen bzw. der verschlossenen Tür und entfaltet das Gegenbild zu der Szene *13,25-27: Die Angesprochenen müssen draußen bleiben und begehren vergeblich Einlass, sie haben also den Weg διὰ τῆς στενῆς πύλης nicht gefunden und sind so als ἐργάται ἀδικίας gekennzeichnet; während die Unrechttäter vor der verschlossenen Türe stehen, sehen sie »alle Gerechten« in die Basilieia hineingehen (ἴδητε εἰσερχομένους). Schon für *Ev ist die Inkongruenz zu notieren, dass Jesus zwar dem einen Frager (*13,22: εἶπεν δέ τ ι ς ) antwortet, das Bildwort aber eine Gruppe in der 2. Pers. Pl. anredet (*13,24: ἀγωνίζεσθε; λέγω ὑ μ ῖ ν ). b. Mt hat das Logion *13,28 nicht zusammen mit der Belehrung über die enge und die verschlossene Tür überliefert, die er im Rahmen der Schlussparänese der Bergpredigt rezipiert. Da hier die Jünger angeredet und zum Tun aufgefordert werden, hätte die negative Ausrichtung des Bildwortes in *Ev, die sich ganz auf das Schicksal der Ausgeschlossenen konzentriert, nur kontraproduktiv gewirkt. Mt hat es hier ausgelassen und es stattdessen - inhaltlich sehr gut passend - in die Perikope vom Centurio von Kapharnaum eingefügt (Mt 8,11b.12): An dieser Stelle hebt es den Glauben des heidnischen Centurio (Mt 8,10: παρ’ οὐδενὶ τοσαύτην 950 Anhang I 13,22-30 πίστιν ἐν τῷ Ἰσραὴλ εὗρον) hervor und kontrastiert ihn mit dem Unglauben Israels. Dass diese Umstellung eine selbständige Leistung der mt Redaktion ist, zeigt die Parallele bei *Ev-Lk, die in diesem Kontext keine Entsprechung hat (s. o. zu *7,9): Mt 8,11f greift auf *Ev (und nicht auf Lk) zurück, wie die Abfolge der einzelnen Elemente zeigt, nach der das Wort vom Heulen und Zähneknirschen (mit *Ev, gegen Lk) am Ende der Einheit platziert ist. Gleichwohl hat Mt den Wortlaut von *Ev an mehreren Stellen verändert und ergänzt. 1. Mt hat »alle Gerechten« durch die »Vielen, die von Osten und Westen kommen werden« (Mt 8,11a) ersetzt. Das passt zum Kontext der Perikope vom Centurio, der am Gegensatz zwischen Israel und den aus der Ferne kommenden Heiden interessiert ist. 2. Da es in diesem Zusammenhang von Mt 8,5-13 nicht um das in *13,22f angesprochene Problem des Zugangs zum, sondern um die Teilhabe am Heil geht, hat er die Metaphorik des Hineingehens/ Ausgesperrtwerdens ersetzt durch das Bild des eschatologischen Mahls mit den Erzvätern (Mt 8,11b: καὶ ἀνακλιθήσονται μετὰ Ἀβραὰμ καὶ Ἰσαὰκ καὶ Ἰακὼβ ἐν τῇ βασιλείᾳ τῶν οὐρανῶν): Das Kommen der Heiden stellt die Erfüllung der Verheißungen Israels dar. 3. Mt hat auch in der Schilderung der Gegenposition die ursprüngliche Metaphorik der verschlossenen Tür verändert, die ja nicht mehr zu dem neuen Bildfeld des Mahls passte. Dementsprechend werden die υἱοὶ τῆς βασιλείας auch nicht »draußen festgehalten« (so *13,28: κρατουμένους ἔξω), sondern »in die Finsternis hinausgeworfen« (Mt 8,12); hier zeigt sich noch der Einfluss des nächsten Kontextes aus *13,27b (ἀπόστητε ἀπ’ ἐμοῦ, πάντες ἐργάται ἀδικίας). Die Rede von den »Söhnen der Basileia« macht deutlich, dass die Hinzukommenden diejenigen ersetzen, denen der Platz in der Basileia ursprünglich zugedacht war: Das Bild wird zu einer erwählungstheologischen Allegorese. c. Lk hat *13,28 in dem aus *Ev stammenden Kontext der Belehrung über das »Hineingehen« übernommen, aber den Wortlaut und die Gestalt nach der synoptischen Parallele Mt 8,11f korrigiert: Aus *Ev stammen der literarische Zusammenhang (Belehrung über die enge/ verschlossene Tür) sowie der Grundbestand des Logions, für den die 2. Pers. Pl. (ὄψεσθε) in 13,28 charakteristisch ist. Aus Mt stammen dagegen die Ersetzung von »alle Gerechten« durch die aus allen Himmelsrichtungen Hinzukommenden, sowie das Motiv des eschatologischen Mahls mit den Erzvätern (Lk 13,29). Daneben hat die lk Redaktion eigene Akzente gesetzt, indem sie die mt Korrekturen an *Ev ihrerseits veränderte: In Lk 13,28b ist die Reihe der Erzväter durch καὶ πάντας τοὺς προϕήτας ergänzt, und in Lk 13,29 sind die vier Himmelsrichtungen durch die Einfügung von »Norden« und »Süden« komplettiert. Außerdem hat Lk das Wort vom Heulen und Zähneknirschen an den Anfang gestellt. Diese Umstellung ist sinnvoll, weil auf diese Weise das Schicksal der Unrechttäter (Heulen und Zähneknirschen - werden hinausgeworfen) als Rahmen doppelt genannt und betont wird. Als Folge dieser Umstellung musste Lk das mt ἐν τῇ βασιλείᾳ τῶν οὐρανῶν (bzw. τοῦ θεοῦ) zwei Mal in direkter Folge erwähnen: 13,22-30 Rekonstruktion 951 Der doppelt redigierte Text (*Ev durch Mt; *Ev und Mt durch Lk) ist dadurch nicht glatter geworden. 5. Vor diesem Hintergrund erweisen sich alle Überlegungen zu dem möglichen theologischen Interesse Marcions bei seiner angenommenen Redaktion des lk Textes als obsolet. So hatte Tsutsui κρατουμένους in *Ev anstelle des kanonischen ἐκβαλλομένους als theologische Korrektur aufgrund des dualistischen Gottesbildes erklärt: Die Vorstellung, dass Gott die Angeredeten hinauswirft, widerspreche der »Eigenschaft seines Gottes, der niemanden straft.« 6 Aber was ist das »draußen Festgehaltenwerden« anderes als eine Strafe, wenn die Angesprochenen - so Tsutsuis Verständnis von *Ev - »in dieser Welt« festgehalten werden und nicht in das Reich Gottes eintreten dürfen? Die für die marcionitische Theologie angenommene strikt dualistische Kosmologie, die das Reich Gottes von dieser Welt »von Grund auf trennt«, ergibt sich jedenfalls nicht aus dem Text von Marcions Evangelium; Tsutsui hat dies mit Blick auf *17,21 zu Recht selbst bemerkt. 7 Die widersprüchliche Bezeugung von εἰσερχομένους in *13,28 stellt ein weiteres Problem dar: Tertullian referiert es (4,30,5) und scheint mit dieser »Korrektur« des kanonischen Textes die für Marcion angenommene dualistische Kosmologie zu bestätigen. Epiphanius bietet an dieser Stelle den kanonischen Wortlaut ohne εἰσερχομένους, weswegen sein Text »von den Schülern Marcions zurückkorrigiert« sein müsse (ebd.). Diese Annahme ist jedoch wenig überzeugend: Wieso sollten die Marcioniten einen zentralen Punkt der eigenen Theologie in der Auseinandersetzung mit den katholischen Christen so leichtfertig preisgeben und eine theologisch begründete Korrektur ihres Schulhaupts am kanonischen Text rückgängig machen? Wie die handschriftliche Bezeugung zeigt, liegt hier eine der zahlreichen Interferenzen zwischen der kanonischen und der vorkanonischen Überlieferung vor. Die Beobachtung, dass die handschriftliche Überlieferung (des kanonischen Textes der katholischen Christen wie des vorkanonischen Textes der marcionitischen »Häretiker«) ein solches Ausmaß an Variabilität zeigt, widerrät dem Versuch, aus den Textdifferenzen auf eine marcionitische Theologie und eine theologisch begründete Redaktion zu schließen. 6. Die Komposition der drei Einheiten *13,10-17.18-21.23-28 im vorkanonischen Text ist ebenso sinnvoll und nachvollziehbar wie die inhaltlichen Verschiebungen, welche die lk Redaktion daran vorgenommen hat: ______________________________ 6 T SUTSUI 108. 7 T SUTSUI 108f: Die Aussage *17,21, dass die Basileia ἐντὸς ὑμῶν sei, konstituiere einen »gewissen Widerspruch« zu *13,28; Tsutsui erklärt ihn als dialektische Spannung zwischen der Prinzipienlehre Marcions mit ihrem theologischen Dualismus und seiner »Erlösungslehre (der fremde Gott erlöst die Menschen trotz seiner Fremdheit)«. Aus *Ev ergibt sich dies alles nicht. 952 Anhang I 13,22-30 In *Ev ist die Heilung der »Abrahamstochter« (*13,10-17), wie die folgenden Prozessgleichnisse *13,18-21 zeigen, der zunächst noch unscheinbare Anfang der Ausbreitung der Herrschaft Gottes; dieser Anfang birgt bereits das umfassende Ende in sich. Die Frage von *13,23 schließt unmittelbar daran an und vertieft ein Problem, das sachlich unmittelbar mit der Einsicht in die unaufhaltsame Ausweitung der Basileia zusammenhängt, nämlich die Frage der Apokatastasis. Man müsste demnach paraphrasieren: »Wenn der unscheinbare Anfang einer Heilung in Israel nur der Anfang der unaufhaltsamen Ausbreitung der Herrschaft Gottes ist, bedeutet dies dann, dass alle gerettet werden - oder doch nur wenige? « Die Antwort Jesu stellt klar, dass die Ausbreitung der Herrschaft Gottes zwar unaufhaltsam ist, aus der Perspektive der Betroffenen jedoch keinen Automatismus darstellt: Man muss darum wetteifern (*13,24: ἀγωνίζεσθε). Das Kriterium für die Teilhabe an der Basileia ist Gerechtigkeit: Nur die Gerechten werden in die »Herrschaft hineingelangen«, die »Unrechttäter« bleiben dagegen außen vor. Lk hat diese Frage szenisch von dem Vorangehenden abgetrennt, gleichwohl aber das grundlegende Verständnis beibehalten. Denn er hat - wie seine Rezeption der Bearbeitung von *13,28 durch Mt 8,11f zeigt - die Kategorien Gerechte/ Ungerechte heilsgeschichtlich auf Israel/ Heiden bezogen: Die Heiden, die aus allen vier (! ) Himmelsrichtungen kommen werden, sind diejenigen, die mit den Erzvätern in der Basileia zu Tisch liegen werden. Eine zu enge Anbindung dieser Aussage an die Erzählung von der Rettung der Israelitin hätte da zu Missverständnissen führen können. Der szenische Neueinsatz (Lk 13,22) löst dieses Problem und verweist mit dem Motiv der Reise nach Jerusalem zugleich auf das entscheidende Versagen Israels, wie dann auch die redaktionelle Weiterführung mit dem Drohwort gegen Jerusalem (Lk 13,31-35) zeigt. 13,31-35: Warnung vor Herodes. Klage über Jerusalem Eindeutige Bezeugung, hat in *Ev sicher gefehlt. Ergänzung durch die lk Redaktion. a 13,31 Ἐν αὐτῇ τῇ ὥρᾳ προσῆλθάν τινες Φαρισαῖοι λέγοντες αὐτῷ, Ἔξελθε καὶ πορεύου ἐντεῦθεν, ὅτι Ἡρῴδης θέλει σε ἀποκτεῖναι. 32 καὶ εἶπεν αὐτοῖς, Πορευθέντες εἴπατε τῇ ἀλώπεκι ταύτῃ, Ἰδοὺ ἐκβάλλω δαιμόνια καὶ ἰάσεις ἀποτελῶ σήμερον καὶ αὔριον, καὶ τῇ τρίτῃ τελειοῦμαι. 33 πλὴν δεῖ με σήμερον καὶ αὔριον καὶ τῇ ἐχομένῃ πορεύεσθαι, ὅτι οὐκ ἐνδέχεται προϕήτην ἀπολέσθαι ἔξω Ἰερουσαλήμ. 34 Ἰερουσαλὴμ Ἰερουσαλήμ, ἡ ἀποκτείνουσα τοὺς προϕήτας καὶ λιθοβολοῦσα τοὺς ἀπεσταλμένους πρὸς αὐτήν, ποσάκις ἠθέλησα ἐπισυνάξαι τὰ τέκνα σου ὃν τρόπον ὄρνις τὴν ἑαυτῆς νοσσιὰν ὑπὸ τὰς πτέρυγας, καὶ οὐκ ἠθελήσατε. 35 ἰδοὺ ἀϕίεται ὑμῖν ὁ οἶκος ὑμῶν. λέγω δὲ ὑμῖν, οὐ μὴ ἴδητέ με ἕως ἥξει ὅτε εἴπητε, Εὐλογημένος ὁ ἐρχόμενος ἐν ὀνόματι κυρίου. a 13,31-35 Rekonstruktion 953 A. 13,31-35 : Epiph., Schol. 41 (s. o. zu Lk 13,22-30): (Παρέκοψε πάλιν …) τό Προσῆλθον οἱ Φαρισαῖοι λέγοντες, ἔξελθε καὶ πορεύου, ὅτι Ἡρῴδης σε θέλει ἀποκτεῖναι. καὶ τὸ Εἶπεν· πορευθέντες εἴπατε τῇ ἀλώπεκι ταύτῃ, ἕως ὅπου εἶπεν Οὐκ ἐνδέχεται προϕήτην ἀπολέσθαι ἔξω Ἰερουσαλήμ, καὶ τό Ἰερουσαλὴμ Ἰερουσαλήμ, ἡ ἀποκτένουσα τοὺς προϕήτας καὶ λιθοβολοῦσα τοὺς ἀπεσταλμένους, καὶ τό Πολλάκις ἠθέλησα ἐπισυνάξαι ὡς ὄρνις τὰ τέκνα σου, καὶ τό Ἀϕίεται ὑμῖν ὁ οἶκος ὑμῶν: καὶ τό Οὐ μὴ ἴδητέ με ἕως οὗ εἴπητε· εὐλογημένος. B. a (13,31-35) 13,31-35: om Epiph. C. Epiphanius’ Auslassungsvermerk ist sehr genau und belegt durch Stichworte, dass alle Aussagen von Lk 13,31-35 in *Ev fehlten. Die negative Bezeugung ist aufschlussreich für die lk Redaktion und für die Überlieferungsgeschichte der Perikope. 1. Lk 13,31-33 ist ohne synoptische Parallele und gilt daher ganz überwiegend als lk Sondergut; nur wenige Stimmen haben sich dafür stark gemacht, dass 13,31- 33 eine lk Bildung sei. 1 Da es, abgesehen von *Ev und den anderen kanonischen Evangelien, keinerlei Informationen über andere Quellen des Lk gibt, bleibt das Urteil über die Herkunft von Lk 13,31-33 spekulativ. Gleichwohl lässt sich zeigen, dass hier Topoi genannt sind, die auch sonst Kennzeichen der lk Redaktion sind: Die Zeitangabe ἐν αὐτῇ τῇ ὥρᾳ ist im NT nur bei Lk belegt, und zwar durchweg in Passagen, die sicher oder sehr wahrscheinlich redaktionell sind (Lk 2,38; 10,21; 12,12; 20,19; 24,33; Act 16,18; 22,13; vgl. o. zu *10,21). Auch der Ausdruck ἴασις ist nur für Lk bezeugt (außer Lk 13,32 noch Act 4,22.30). 2 Beide Beobachtungen werden durch Epiphanius’ Zeugnis gestützt. Neben diese stilistischen Argumente tritt noch ein inhaltlicher Aspekt. Denn die in zwei unmittelbar aufeinander folgenden Sätzen wiederholte (und dadurch stark herausgehobene) Reihe σήμερον καὶ αὔριον καὶ τῇ τρίτῃ τελειοῦμαι (13,32) bzw. σήμερον καὶ αὔριον καὶ τῇ ἐχομένῃ (13,33) ist am ehesten verständlich als Verweis auf das aus Dan stammende Wochenschema, demzufolge der letzte von Gott gesandte Prophet in der ersten Hälfte der letzten (Jahr-)Woche seine Zeichen und Wunder vollbringt, dann aber »nach zwei Zeiten und einer Zeit und einer halben Zeit« vom Widersacher getötet wird, und zwar natürlich in Jerusalem (vgl. dazu Dan 7,25; 12,7; Apc 12,14).3 Die Parallelisierung der beiden Zeitangaben in 13,32. 33 setzt dabei voraus, dass die Zeit der Wanderung mit der Vollendung in Jerusalem ihr Ende findet. Diesen Endpunkt hatte Lk schon in *22,31 vorgefunden (s. dort). Dass Lk diese Vollendung τῇ τρίτῃ (ἡμέρᾳ) datiert (und nicht »nach drei Tagen« oder »am vierten Tag«), entspricht der Formulierung über die zweite Hälfte der letzten (Jahr-)Woche, während der der Prophet tot ist, bevor er auferweckt und zu Gott entrückt wird: Lk hat in den Ankündigungen der Auferweckung Jesu den Termin gegen μετὰ ______________________________ 1 S CHMITHALS , Lk z. St.; A. D ENAUX , L’hypocrisie des Pharisiens et le dessein de Dieu, in: F R . N EI - RYNCK (ed.), L’Évangile de Luc. The Gospel of Luke, Leuven 2 1989, 155-195.316-323; M. R ESE , Einige Überlegungen zu Lukas XIII, 31-33, in: J. D UPONT (ed.), Jésus aux origines de la christologie, Leuven 2 1989, 201-225.421f. 2 Vgl. auch J. J EREMIAS , Die Sprache des Lukasevangeliums, Göttingen 1980, 233f. 3 Zum Konzept vgl. K. B ERGER , Die Auferstehung des Propheten und die Erhöhung des Menschensohns, Göttingen 1976, 107ff; vgl. dazu o. zu *9,22. 954 Anhang I 13,31-35 τρεῖς ἡμέρας in *Ev und Mk (Mk 8,31; 10,34) in τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ geändert (vgl. 9,22; 18,33 red.; s. dort). So erweist sich Lk 13,31-33 insgesamt als lk Bildung: Dieses Ergebnis der literarkritischen Frage schränkt die Möglichkeiten erheblich ein, die Historizität des Berichteten auch nur annähernd einschätzen zu können. 4 2. Lk 13,34f ist ebenfalls als sicher fehlend bezeugt, hat aber eine fast wörtliche Entsprechung in Mt 23,37-39: Die Gerichtsdrohung an Jerusalem ist demnach eine mt Bildung und erst von der lk Redaktion an dieser Stelle eingefügt worden. Damit ergibt sich eine ganz neue überlieferungsgeschichtliche Perspektive: Unter der met-hodischen Voraussetzung der Zwei-Quellentheorie war immer klar, dass das Logion (gerade aufgrund der hohen Ähnlichkeit der mt und der lk Fassung) in dieser Form aus »Q« stammen müsse. 5 Dagegen ist im Horizont der *Ev- Priorität zu postulieren, dass diese geringfügigen Differenzen auf die lk Redaktion des mt Logions zurückgehen müssen. 6 Wichtiger ist, dass der Ort dieses Logions sowohl bei Mt als auch bei Lk Fragen aufwirft. Denn die Ankündigung, dass »ihr mich nicht mehr sehen werdet, bis ihr ruft: ›Gesegnet sei, der kommt im Namen des Herrn‹ (Lk 13,35; Mt 23,39b)« scheint wegen des identischen Zitats aus Ps 118 auf die Einzugserzählung (Mt 21,1-10 || Lk 19,28-38) zu verweisen. Allerdings kann sich Mt 23,39 nicht auf den Bericht vom Einzug in Jerusalem Mt 21,1ff beziehen, der ja bereits zurück liegt. Für die lk Akoluthie ist das anders, weil die Ankündigung (Lk 13,35) dem Einzugsbericht (Lk 19,28-38) vorangeht; allerdings geht nach diesem Bericht die Huldigung ganz pointiert nicht von der Jerusalemer Bevölkerung aus, sondern nur von den Jüngern, die Jesus begleiten (Lk 19,37), wie Lk 19,39f mit wünschenswerter Deutlichkeit zeigt. Da man diese Inkongruenzen nicht für eine (gleich doppelt auftretende! ) Ungenauigkeit halten wird, kann die Ankündigung (Lk 13,35 || Mt 23,39b) sich nicht auf den Einzug Jesu in Jerusalem beziehen, sondern muss auf seine endzeitliche Parusie zielen. Für dieses Verständnis gibt es gute traditionsgeschichtliche Gründe. 7 3. Die redaktionelle Einfügung von Lk 13,31-35 im Anschluss an Lk 13,22-28 ist vor allem aufgrund des Drohwortes gegen Jerusalem plausibel, das durch die Warnung vor Herodes vorbereitet wird: Der endzeitliche Prophet Gottes »muss« in ______________________________ 4 Vgl. die zu Recht pessimistische Beurteilung von R ESE , a. a. O., 422. 5 Vgl. z. B. I. H AVENER , Q: The Sayings of Jesus, Collegeville 2 1990, 24; J. M. R OBINSON , The Sequence of Q: The Lament over Jerusalem, in: R. Hoppe, U. Busse (Hg.), Von Jesus zum Christus, Berlin - New York 1998, 225-260, listet die forschungsgeschichtlichen Stationen dieser Ansicht auf. 6 Anders beispielsweise B OVON , Lk II 446, der mit großer Zuversicht die lk Wendungen ἐπισυνάξαι; τὴν … νοσσιάν (Lk 13,34) für ursprünglich, die mt Wendungen (ἐπισυναγαγεῖν; τὰ νοσσία Mt 23,37) dagegen für mt Redaktion hält. 7 Vgl. D. Z ELLER , Entrückung zur Ankunft als Menschensohn (Lk 13,34f.; 11,29f), in: R. Gantoy (ed.), À cause de l’Évangile, Paris 1985, 513-530: 515. 13,31-35 Rekonstruktion 955 Jerusalem und von der Hand Jerusalems umkommen, also nicht in Galiläa und nicht durch Herodes. Lk hat damit die redaktionellen Veränderungen und Erweiterungen des vorangehenden Kontextes konsequent weitergeführt: Durch die Einfügung von Lk 13,22 war eine neue Szene entstanden, die den Gegensatz zwischen Israel und den Heiden betonte und deutlich machte, dass die Letzten die Ersten werden, weil sie es sind, die mit den Erzvätern zu Tisch liegen (Lk 13,29f). πρῶτοι und ἔσχατοι qualifizieren nicht eine Zeit-, sondern die Rangfolge der Würdigkeit für das eschatologische Mahl: Die »Letzten« werden nicht später, sondern gar nicht an diesem Mahl teilnehmen. Die Einsicht in die konzeptuelle Absicht der Redaktion von Lk 13,22-35 klärt dann auch das strittige Problem der Identität der »Ersten« und »Letzten«: Auch wenn das Herbeikommen aus allen Himmelsrichtungen keineswegs die Völkerwallfahrt meinen muss, sondern auch die endzeitliche Sammlung Israels bezeichnen kann, 8 und auch wenn die Semantik des Wortes (für sich genommen! ) nicht zu erkennen gibt, ob das unterschiedliche Verhalten die Unterscheidung von Israel und Heiden impliziert, so gibt es doch im Licht von Lk 13,34f wenig Zweifel, dass genau dies die Perspektive der lk Redaktion war, die diesen Zusammenhang zuallererst gestiftet hat.9 In diesem Fall hilft die Einsicht in die Diachronie des Rezeptions- und Redaktionsprozesses, die semantische Ambivalenz des Einzellogions zu präzisieren. *14, ¿1? 2-6: Heilung eines Wassersüchtigen während eines Sabbatmahls Für *Ev unbezeugt, aber vermutlich vorhanden. ¿14,1 Καὶ ἐγένετο ἐν τῷ a ἐισελθεῖν αὐτὸν εἰς οἶκόν τινος τῶν ἀρχόντων τῶν Φαρισαίων σαββάτῳ ϕαγεῖν ἄρτον καὶ αὐτοὶ ἦσαν παρατηρούμενοι αὐτόν.? 2 καὶ ἰδοὺ ἄνθρωπος b [ τις ] ἦν ὑδρωπικὸς ἔμπροσθεν αὐτοῦ. 3 καὶ ἀποκριθεὶς ὁ Ἰησοῦς εἶπεν πρὸς τοὺς νομικοὺς καὶ Φαρισαίους c [ λέγων ] , d [ εἰ ] Ἔξεστιν τῷ σαββάτῳ θεραπεῦσαι e ἢ οὔ e ; 4 οἱ δὲ ἡσύχασαν. καὶ ἐπιλαβόμενος ἰάσατο αὐτὸν καὶ ἀπέλυσεν. 5 καὶ πρὸς αὐτοὺς εἶπεν, Τίνος ὑμῶν f πρόβατον ἢ βοῦς εἰς ϕρέαρ πεσεῖται, καὶ οὐκ εὐθέως ἀνασπάσει αὐτὸν ἐν ἡμέρᾳ τοῦ σαββάτου; 6 g οἱ δὲ οὐκ ἀπεκρίθησαν g πρὸς ταῦτα. ______________________________ 8 Vgl. etwa Jes 27,13; 35,10; 51,11; Jer 3,18; 31(38 LXX), 12; Mi 7,12 u. ö.; vgl. dazu D. Z ELLER , Das Logion Mt 8,11f / Lk 13,28f und das Motiv der »Völkerwallfahrt«, BZ NF 15 (1971), 222-237: 225ff. In den traditionsgeschichtlichen Analogien zur Völkerwallfahrt ist ohnehin regelmäßig impliziert, dass die herbeiströmenden Pilger aus den Heiden zu Israel hinzukommen, nicht aber seinen Platz einnehmen. 9 Gegen W OLTER , Lk 493f z. St. 956 Anhang I 14,1-6 A. *14,1-11: Unbezeugt. Tertullian geht von der Diskussion des marcionitischen dualistischen Gottesbildes im Anschluss an *13,22-28 (4,30,6) direkt über zur Diskussion von *14,12ff (4,31,1; s. gleich); bei Epiphanius findet sich nichts. B. a (14,1) εισελθειν: D M Θ f 13 579 892 al it vg sy s.c.p ¦ ελθειν: M (*Ev non test.) ● b (14,2) τις: om D 1 124* 131 205 209 983 1452 1582 b c d ſſ 2 gat i l q sy s Tat arab ¦ add a aur f r 1 vg M (*Ev non test.) ● c (14,3) λεγων: om D a d e f r 1 vg mss sy s.c.p.j sa 2 mss armen georg ¦ add aur c ſſ 2 i l (q) vg M (*Ev non test.) ● d (14,3) ει: om P 75 א B D L Θ Ψ 213 892 1012 1200 1241 1338 2542 lectt d f vg 2 mss sa 4 mss bo mss ¦ add a aur b c e ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● e (14,3) η ου: P 75 א B D L Θ mult b d e f q r 1 (vg) sy s.c.h sa bo mss aeth ¦ om P 45 A W Ψ a aur c ſſ 2 i l M (*Ev non test.) ● f (14,5) προβατον: D d ¦ ονος: א K L Ψ f 1.13 33 579 892 1241 2542 al a aur b c f ſſ 2 i l r 1 sy s bo ¦ ονος υιος: Θ sy c ¦ υιος: P 45.75 (A) B W e f q sy p.h sa M (*Ev non test.) ● g (14,6) οι δε ουκ απεκριθησαν: D d pc ¦ και ουκ ισχυσαν αποκριθηναι: א f 1 2442 pc ¦ και ουκ ισχυσαν ανταποκριθηναι: P 45.75 B L 579 892 1241 pc ¦ και ουκ ισχυσαν ανταποκριθηναι αυτω: A W Θ Ψ f 13 sy M (*Ev non test.). C. Die Chrie von der Heilung des Wassersüchtigen während eines Sabbatmahls ist unbezeugt. Eine Beurteilung muss berücksichtigen, dass die Perikope keine erkennbaren Anhaltspunkte für eine antimarcionitische Kritik bietet; Tertullian könnte sie daher in seinem Referat einfach übergangen haben. Erst zu *14,12-14 greift er die Reihe der Armen, Lahmen, Blinden und Krüppel (*14,13) auf, weil er dies als Realisierung der Prophezeiung Jes 58,7 versteht. Umgekehrt ist jedoch auch nicht recht erkennbar, was für eine sekundäre Einfügung durch die lk Redaktion dieser Perikope sprechen könnte - noch dazu an gerade dieser Stelle. Aus diesem Grund sind vor allem textkritische und überlieferungsgeschichtliche Erwägungen hilfreich. 1. Die Abweichungen in D it (sy) legen es nahe, dass es eine vorkanonische Fassung dieser Chrie gab, die dann mit größter Wahrscheinlichkeit in *Ev stand. Allerdings sind die Lesarten weniger auffällig als sonst (s. o. Abschnitt B.). Hilfreich sind lediglich die Varianten zu den Vv. *5f, die allerdings nur im Zusammenhang der Überlieferungsgeschichte aussagekräftig sind. 2. Für die Überlieferungsgeschichte ist zunächst zu bedenken, dass *14,1-6 eine enge Dublette zu *6,6-10 darstellt (s. dort), ohne dass *14,1-6 erkennbar neue Aspekte eröffnete. Das Verhältnis zwischen *14,1-7 und *6,6-10(11) wird durchsichtig unter der Berücksichtigung der synoptischen Parallele (Mk 3,1-6; Mt 12,9- 14). Aus der folgenden Synopse (die nur die einzelnen Elemente enthält) ergibt sich dann der Gang der Überlieferung. 14,1-6 Rekonstruktion 957 *6,6-10 *14,1-6 Mk 3,1-6 Mt 12,9-14 Synagoge + Sabbat Haus + Sabbat Synagoge + Sabbat Synagoge + Sabbat + Mahl Gegner »lauern« Gegner »lauern« Gegner »lauern« Gegner »fragen« + Anklage + Anklage + Anklage Aufforderung an Kranken Aufforderung an Kranken ἔξεστιν τῷ σαββάτῳ ἔξεστιν τῷ σαββάτῳ ἔξεστιν τοῖς σάββασιν Εἰ ἔξεστιν τοῖς σάββασιν ἀγαθοποιῆσαι ἢ οὔ, θεραπεῦσαι ἢ οὔ; ἀγαθὸν ποιῆσαι ἢ κακοποιῆσαι, θεραπεῦσαι; Τίς … ἐξ ὑμῶν … πρόβατον … ὥστε ἔξεστιν τοῖς σάββασιν ψυχὴν λῦσαι ἢ ἀπολέσαι; ψυχὴν σῶσαι ἢ ἀποκτεῖναι; καλῶς ποιεῖν οἱ δὲ ἐσιώπων 4 οἱ δὲ ἡσύχασαν. οἱ δὲ ἐσιώπων. καὶ περιβλεψάμενος + ὀργή καὶ περιβλεψάμενος + ὀργή Heilung Heilung Heilung Heilung Τίνος ὑμῶν … πρόβατον ἢ βοῦς … οὐκ ἀπεκρίθησαν a. Ausgangspunkt der Überlieferung ist die Dublette der beiden Sabbatheilungen in *Ev (*6,6-10; *14,1-6). Beide Texte haben folgende Elemente gemeinsam: (1) Die Exposition liefert die für den Fortgang der Erzählung konstitutiven Angaben zu Zeit und Ort: Dass die Szene jeweils am Sabbat spielt, ist wegen des Kernproblems der Sabbatruhe klar. Die für die Konfrontation notwendige Öffentlichkeit liefert die Synagoge bzw. das Haus eines führenden Pharisäers. Hier tritt auch der Kranke auf. (2) Die Konfrontation zwischen Jesus und den Anwesenden entwickelt sich nicht, sondern ist von Beginn an gesetzt: Die Gegner »belauern« Jesus, weil sie schon mit der Heilung am Sabbat rechnen und einen Grund zur Anklage gegen ihn suchen. (3) In dieser Situation stellt Jesus die rhetorische Frage, ob es erlaubt sei, am Sabbat zu heilen oder nicht (*14,4) bzw. Gutes zu tun oder nicht, Leben zu retten oder zu vernichten (*6,9). (4) In beiden Fällen wird das Schweigen der Gegner berichtet, die der Argumentation Jesu nichts entgegenzusetzen haben. Das Ende der Erzählung unterscheidet sich in den beiden Texten: Der Sabbatkonflikt in der Synagoge *6,6ff endete mit dem Menschensohnwort und der Planung von Maßnahmen gegen Jesus. Der Konflikt im Haus eines Pharisäers endet dagegen mit der (wiederholten) Feststellung, dass die Angeredeten nichts erwiderten (*14,6). 958 Anhang I 14,1-6 b. Mk 3,1-6 hat nur die erste dieser beiden Sabbatheilungen in *6,1-6 rezipiert. Beide Texte stimmen in einer Reihe von Elementen überein: Das Setting in der Synagoge; das Interesse der Gegner, einen Anklagepunkt gegen Jesus zu finden; der Kranke (mit der verkrüppelten Hand) sowie die Aufforderung an den Kranken, demonstrativ vorzutreten. Die Übereinstimmung von Mk 3,1-6 mit *6,6ff gegen *14,1ff ist am deutlichsten in der doppelt entfalteten rhetorischen Frage Jesu. *6,9 Mk 3,4 *14,4 ἔξεστιν τῷ σαββάτῳ ἔξεστιν τοῖς σάββασιν ἔξεστιν τῷ σαββάτῳ ἀγαθοποιῆσαι ἀγαθὸν ποιῆσαι θεραπεῦσαι ἢ οὔ, ἢ κακοποιῆσαι, ἢ οὔ; ψυχὴν λῦσαι ψυχὴν σῶσαι ἢ ἀπολέσαι; ἢ ἀποκτεῖναι; Im Vergleich von Mk 3,4 mit *6,9 ist ohne weiteres deutlich, dass der genau ausgeführte mk Parallelismus ἀγαθὸν ποιῆσαι ἢ κακοποιῆσαι im Vergleich zu ἀγαθοποιῆσαι ἢ οὔ (*Ev) die weiter entwickelte (und daher mit großer Wahrscheinlichkeit: die überlieferungsgeschichlich jüngere) Fassung darstellt. Hier erweist sich die Bedeutung von Tertullians Referat des genauen Wortlautes von *6,9 (s. dort). c. Mt 12,9-14 folgt der mk Akoluthie und dem Wortlaut von Mk 3,1-6 || *6,1-6, zeigt darüber hinaus aber auch Kenntnis der Dublette *14,1-6: Neben den mit Mk 3,1-6 übereinstimmenden Elementen (Setting in der Synagoge; Krankheitsbild; Suche nach Anklagepunkten gegen Jesus usw.) gibt es auch Elemente, die gegen diese Fassung mit *14,1-6 übereinstimmen. Zunächst sind die »negativen« Entsprechungen zu nennen: Es fehlen (1) die Aufforderung an den Kranken, vorzutreten (*6,8 || Mk 3,3), (2) die Doppelung der Frage (*6,9 || Mk 3,4) und die Bemerkung, dass Jesus sich voll Zorn umsieht (*6,10 || Mk 3,5). Der Einfluss von *14,1ff auf Mt 12,9ff verrät sich in der Frage, ob es erlaubt sei »am Sabbat zu heilen« (θεραπεῦσαι: *14,3 || Mt 12,10) sowie vor allem in dem halachischen Argument Jesu *14,5 || Mt 12,11. Dass Mt auch in der Formulierung der Frage von der mk Fassung beeinflusst ist, zeigt sich darin, dass er das Element »Gutes tun« (ἀγαθὸν ποιῆσαι Mk 3,4) in der Schlussfolgerung aus dem halachischen Beispiel aufgreift (Mt 12,12: ὥστε ἔξεστιν τοῖς σάββασιν κ α λ ῶ ς π ο ι ε ῖ ν ). Mt 12,9-14 zeigt auf engstem Raum das grundsätzliche Verfahren der mt Redaktion und ihrer Berücksichtigung der beiden Prätexte, *Ev und Mk: Auf der einen Seite übernimmt Mt von Mk die grundlegende Struktur und Akoluthie; aus diesem Grund bietet er auch keine Entsprechung zu *14,1-6 ÷ Mk. Auf der anderen Seite hat Mt das aus Mk übernommene Erzählgerüst durch Material aus *Ev ergänzt, das Mk nicht rezipiert hat. d. Ob die lk Fassung des kanonischen Textes (Lk 14,1-6) *Ev nur einfach rezipiert oder daran redaktionelle Änderungen vornimmt, lässt sich wegen der fehlenden Bezeugung nicht mit Sicherheit sagen. Immerhin zeigt Lk 6,9 gleich doppelt den 14,1-6 Rekonstruktion 959 Einfluss von Mk 3,4, nämlich in der Ersetzung des vorkanonischen (ἀγαθοποιῆσαι) ἢ ο ὔ durch das mk/ mt (ἀγαθοποιῆσαι) ἢ κ α κ ο π ο ι ῆ σ α ι , sowie von (ψυχὴν) λ ῦ σ α ι durch (ψυχὴν) σ ῶ σ α ι (s. o. zu *6,6-11). Da Mt an dieser Stelle die mk Änderungen an *Ev nicht mitvollzieht bzw. eigene Formulierungen findet, ist auch gesichert, dass Lk durch Mk und nicht durch Mt beeinflusst ist. 3. Für die Frage nach möglichen redaktionellen Änderungen in Lk 14,1-6 erschwert die fehlende Bezeugung ein Urteil. Allerdings ist die Lesart in Lk 14,5 ein deutliches Signal. Hier ist die Situation verwickelt, weil zwei Lesarten deutlich miteinander konkurrieren. Die Mehrheit der Handschriften - darunter auch »zuverlässige« Zeugen - liest υ ἱ ό ς (ἢ βοῦς): P 45.75 [A] B W e f q sy p.h sa M . Eine andere, ebenfalls breite Gruppe hat dagegen ὄ ν ο ς (ἢ βοῦς): א K L Ψ f 1.13 33 579 892 1241 2542 al a aur b c f ſſ 2 i l r 1 sy s bo. Auch die charakteristische (und wenig schmeichelhafte) Konflation ὄνος υἱός ist bezeugt (Θ sy c ). Auf den ersten Blick erweist sich die Kombination υἱὸς ἢ βοῦς als problematisch und muss gegenüber ὄνος ἢ βοῦς als lectio difficilior gelten. Doch damit ist wenig gewonnen, weil weder das Zustandekommen noch die Semantik dieser Lesart hinreichend erklärbar sind. Denn der Versuch, die schwierige Lesart als missverstandenes Wortspiel in einem Teil der »aramäischsprachigen mündlichen Überlieferung« zu erklären, 1 scheitert daran, dass die lk Fassung die jüngste ist und ansonsten ein außerordentlich hohes Maß an (selbstverständlich: griechischer! ) Schriftlichkeit voraussetzt: Diese Erklärung ist gänzlich unplausibel. Für die Lösung dieses Problems sind folgende Überlegungen wichtig: 1. In *14,5 lesen D d π ρ ό β α τ ο ν ἢ βοῦς anstelle von ὄνος/ υἱὸς ἢ βοῦς. Dass das »Schaf« im vorkanonischen Text genannt war, bestätigt Mt 12,11: Hier ist es das einzige (! ) Schaf (πρόβατον ἕ ν ), das in die Grube gefallen ist. Es ist schon aus textgeschichtlichen Gründen wahrscheinlich, dass der D-Text Spuren des vorkanonischen Textes bewahrt hat, die sich an dieser wie an zahlreichen anderen Stellen zeigen. Hier lässt sich die Priorität der D-Lesart darüber hinaus inhaltlich wahrscheinlich machen. Denn die mt Lesart (πρόβατον ἕ ν ) erweist sich im Vergleich mit *14,5 (D) als weiter entwickelt, und zwar ganz unabhängig davon, dass die halachische Regel im Licht von Mt 18,12-14 nicht als Rechtstext verstanden werden darf. 2. Ein weiteres Element für die Erklärung ist in *13,15 zu finden: Nur ein Kapitel zuvor war im gleichen Zusammenhang einer Sabbatheilung davon die Rede, dass man am Sabbat τὸν βοῦν ἢ τὸν ὄνον losbindet und zur Tränke führt, und zwar verbunden mit der Argumentation, dass eine »Tochter Abrahams« mehr wert sei als das genannte Vieh. 3. Ein Einfluss von *13,15 auf Lk 14,5 ist leicht denkbar - nicht jedoch, wie er genau ausgesehen hat. Denn zwei verschiedene Möglickeiten sind denkbar: (a) Lk 14,5 hat die (durch D bezeugte) vorkanonische Wendung π ρ ό β α τ ο ν ἢ βοῦς unter dem Einfluss von *13,15 in ὄ ν ο ς ἢ βοῦς geändert und anhand der gleichen Tiere den größeren Wert des Menschen deutlich gemacht: In diesem Fall wäre zu klären, wie im Verlauf der handschriftlichen aus dem »Esel« der »Sohn« werden konnte. (b) Oder die lk Redaktion hat - unter dem Einfluss von *13,15f (πρόβατον/ ὄνος/ βοῦς - θυγάτηρ) - die Aussage auf den Geheilten bezogen ______________________________ 1 L. D OERING , Schabbat, Tübingen 1999, 458f: Ursprünglich habe das Logion von einem Lasttier ( ארעב ) gehandelt, das in eine Zisterne ( אריב ) gefallen sei, später sei der ähnlich klingende Sohn ( ארב ) dazugestellt worden. 960 Anhang I 14,1-6 verstanden und ihn gleich als »Sohn« bezeichnet. In diesem Fall müsste man postulieren, dass υἱός und ὄνος ἢ βοῦς alternative Lesarten sind, auch wenn υἱός allein gar nicht bezeugt ist. Aus diesem Grund ist dann doch leichter erklärbar, dass der »Sohn« den »Esel« (neben ἢ βοῦς) verdrängt hat. In jedem Fall ist wahrscheinlich, dass der vorkanonische Text πρόβατον ἢ βοῦς hatte und durch Lk geändert wurde. 4. Die wichtigste überlieferungsgeschichtliche Einsicht betrifft jedoch nicht den Überlieferungsweg des vorkanonischen Evangeliums über die verschiedenen Stufen der Entwicklung der kanonischen Evangelien, sondern die literarische Vorgeschichte von *Ev: Auch wenn *Ev der älteste erreichbare Evangelientext ist, über dessen Inhalt und literarische Gestalt sich überhaupt etwas sagen lässt, war *Ev möglicherweise nicht die erste schriftliche Zusammenstellung der Taten Jesu. Die Dublette der beiden Sabbatheilungen in *6,6ff und *14,1ff - es ist ja keineswegs die einzige Dublette in *Ev! - rückt zumindest die Möglichkeit in den Blick, dass *Ev bereits von anderen Quellen abhängig gewesen sein könnte, auch wenn sich diese nicht rekonstruieren lassen: Über die möglichen Quellen von *Ev kann man noch nicht einmal spekulieren. Unabhängig von der Frage, ob *14,1-6 auf einer älteren Quelle beruht, bleibt die Frage nach der Gestalt von *14,1 offen. Einerseits lässt sich argumentieren, dass der Übergang von V. 1 zu V. 2ff nicht besonders gut passt und dies ein Indiz für eine Bearbeitung sein könnte. Denn die Mahlthematik, welche die drei folgenden Perikopen (*14,7-24) szenisch mit *14,1-6 zusammenbindet und sie inhaltlich bestimmt, spielt hier überhaupt keine Rolle. Angesichts des fragmentarischen Gesamtcharakters von *Ev und des weitgehenden Fehlens von Kohärenzsignalen ist es zumindest denkbar, dass (erst) Lk 14,1 den narrativen Rahmen geschaffen hat, der die Heilung des Wassersüchtigen aus *Ev (*14,2-6) sekundär in den Kontext des Mahls mit einbezieht. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass in *14,1 zumindest die Datierung auf einen Sabbat entscheidend wichtig ist und auf jeden Fall vorhanden gewesen sein muss. Die narrative Einbindung dieser Heilungserzählung in den Kontext eines pharisäischen Symposions stellt zwanglos das Publikum bereit, das für die Beurteilung der strittigen Sabbatheilung kompetent ist. Es ist daher denkbar, dass wenigstens der Anlass für Jesu Aufenthalt im Haus (ϕαγεῖν ἄρτον) und die Charakterisierung des Gastgebers als τις τῶν ἀρχόντων τῶν Φαρισαίων 2 redaktionell sind und von Lk geschaffen wurden, um den drei ______________________________ 2 ἄρχων als Bezeichnung vornehmer oder wichtiger Personen begegnet in Lk-Act auffallend häufig. Die meisten dieser Belege sind für *Ev nicht bezeugt (8,41; 12,58; 23,13.25; 24,20), einer ist sicher durch die lk Redaktion ergänzt (18,18, s. dort). Aufschlussreich ist die Verwendung in Lk 8: ἄρχων τῆς συναγωγῆς Lk 8,41 ≠ εἷς τῶν ἀρχισυναγώγων Mk 5,22; aber παρὰ τοῦ ἀρχισυναγώγου Lk 8,49 || ἀπὸ τοῦ ἀρχισυναγώγου Mk 5,35. Die einfachste Erklärung für die Inkongruenz zwischen Lk 14,1-6 Rekonstruktion 961 folgenden paränetischen Abschnitten (*14,7-11.12-14.15-24) einen plausiblen narrativen Rahmen zu geben. Auch für diese sympotischen Paränesen fällt ja auf, dass die Mahlszenerie nur den äußeren Rahmen bildet: Sie liefert den Anlass für die Mahnung, ist mit ihnen aber nicht durch ein erzähltes Verhalten verbunden, wie es etwa für Chrien typisch wäre. Sofern der Hinweis auf das Mahl (ϕαγεῖν ἄρτον) bereits in *Ev stand, würde *14,1ff schon das dritte Pharisäersymposion nach *7,36-50 und *11,37-52 schildern. Diese häufig für Lk in Anspruch genommene Eigenheit3 geht also schon auf seine Quelle zurück. Aber es ist ebenso gut denkbar, dass Lk durch *7,36-50 und *11,37-52 dazu angeregt wurde, hier eine dritte, entsprechende Szene zu gestalten. Angesichts dieser Situation muss das Urteil über die genaue Gestalt von *14,1 offen bleiben. *14,7-10 ¿11? 12-14.15-24: Paränesen zum Thema Mahleinladungen Nur teilweise für *Ev bezeugt, aber vermutlich überwiegend vorhanden; durch die lk Redaktion geringfügig bearbeitet. 14,7 Ἔλεγεν δὲ πρὸς τοὺς κεκλημένους παραβολήν, ἐπέχων πῶς τὰς πρωτοκλισίας ἐξελέγοντο, λέγων πρὸς αὐτούς, 8 Ὅταν κληθῇς ὑπό τινος εἰς γάμους, μὴ κατακλιθῇς εἰς τὴν πρωτοκλισίαν, μήποτε ἐντιμότερός σου a ἥξει, 9 καὶ ἐλθὼν ὁ σὲ καὶ αὐτὸν καλέσας ἐρεῖ σοι, Δὸς τούτῳ τόπον, καὶ τότε b ἔσῃ μετὰ αἰσχύνης τὸν ἔσχατον τόπον κατέχειν. 10 ἀλλ’ ὅταν κληθῇς πορευθεὶς ἀνάπεσε εἰς τὸν ἔσχατον τόπον, ἵνα ὅταν ἔλθῃ ὁ κεκληκώς σε ἐρεῖ σοι, Φίλε, προσανάβηθι ἀνώτερον· τότε ἔσται σοι δόξα ἐνώπιον c [ πάντων ] τῶν συνανακειμένων σοι. ¿11 ὅτι πᾶς ὁ ὑψῶν ἑαυτὸν ταπεινωθήσεται καὶ ὁ ταπεινῶν ἑαυτὸν ὑψωθήσεται.? 12 Ἔλεγεν δὲ καὶ τῷ κεκληκότι αὐτόν, Ὅταν ποιῇς ἄριστον ἢ δεῖπνον, μὴ ϕώνει τοὺς ϕίλους σου μηδὲ τοὺς ἀδελϕούς σου μηδὲ τοὺς συγγενεῖς σου d μηδὲ τοὺς γείτονας μηδὲ τοὺς d πλουσίους, μήποτε καὶ αὐτοὶ ἀντικαλέσωσίν σε καὶ γένηται ἀνταπόδομά σοι. 13 ἀλλ’ ὅταν δοχὴν ποιῇς, κάλει πτωχούς, ἀναπείρους, χωλούς, τυϕλούς· 14 καὶ μακάριος ἔσῃ, ὅτι οὐκ ἔχουσιν ἀνταποδοῦναί σοι, ἀνταποδοθήσεται γάρ σοι ἐν τῇ ἀναστάσει τῶν δικαίων. 15 e Ἀκούσας δέ τις τῶν συνανακειμένων ταῦτα e εἶπεν αὐτῷ, Μακάριος ὅστις ϕάγεται ἄρτον ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ. 16 ὁ δὲ εἶπεν αὐτῷ, Ἄνθρωπός τις ἐποίει ______________________________ 8,41.49 liegt in der Annahme der inkonsequenten Ersetzung von ἀρχισυνάγωγος durch ἄρχων: ein typischer Fall von »redactional fatigue«, der die redaktionelle Vorliebe für ἄρχων bestätigt (vgl. dazu B OVON , Lk I 447 Anm. 34). 3 Vgl. etwa J. E RNST , Gastmahlsgespräche: Lk 14,1-24, in: R. Schnackenburg (Hg.), Die Kirche des Anfangs, Freiburg/ Brsg. u. a. 1978, 57-78; J. P. H EIL , The Meal-Scenes in Luke-Acts, Atlanta 1999, 74-96. 962 Anhang I 14,7-24 δεῖπνον f μέγα , καὶ ἐκάλεσεν πολλούς, 17 καὶ ἀπέστειλεν τὸν δοῦλον αὐτοῦ τῇ ὥρᾳ τοῦ δείπνου εἰπεῖν τοῖς κεκλημένοις, ῎Ερχεσθε, ὅτι ἤδη ἕτοιμά ἐστιν. 18 καὶ ἤρξαντο ἀπὸ μιᾶς πάντες παραιτεῖσθαι. ὁ πρῶτος εἶπεν αὐτῷ, ᾿Αγρὸν ἠγόρασα καὶ ἔχω ἀνάγκην ἐξελθὼν ἰδεῖν αὐτόν· ἐρωτῶ σε, ἔχε με παρῃτημένον. 19 καὶ ἕτερος εἶπεν, Ζεύγη βοῶν ἠγόρασα πέντε καὶ πορεύομαι δοκιμάσαι αὐτά· g διὸ οὐ δύναμαι ἐλθεῖν g . 20 καὶ ἕτερος εἶπεν, Γυναῖκα h ἔλαβον· διὸ h οὐ δύναμαι ἐλθεῖν. 21 καὶ παραγενόμενος ὁ δοῦλος ἀπήγγειλεν τῷ κυρίῳ αὐτοῦ ταῦτα. τότε i κινηθείς ὁ οἰκοδεσπότης εἶπεν τῷ δούλῳ αὐτοῦ, ῎Εξελθε ταχέως εἰς τὰς πλατείας καὶ ῥύμας τῆς πόλεως, καὶ τοὺς πτωχοὺς καὶ ἀναπείρους καὶ τυϕλοὺς καὶ χωλοὺς k ἔνεγκε ὧδε. 22 καὶ εἶπεν ὁ δοῦλος, l [ Κύριε ] , γέγονεν ὃ ἐπέταξας, καὶ ἔτι τόπος ἐστίν. 23 καὶ εἶπεν ὁ κύριος πρὸς τὸν δοῦλον m αὐτοῦ, ῎Εξελθε εἰς τὰς ὁδοὺς καὶ ϕραγμοὺς καὶ ἀνάγκασον εἰσελθεῖν, ἵνα γεμισθῇ μου ὁ οἶκος· 24 λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι οὐδεὶς τῶν n ἀνθρώπων ἐκείνων τῶν κεκλημένων γεύσεταί μου τοῦ δείπνου. A. *14,12-14: Tert. 4,31,1: Ad prandium vel ad coenam quales vocari iubet? Quales ostenderat per Esaiam: Confringe panem tuum esurienti, et mendicos, et qui sine tecto sunt, induc in domum tuam, qui scilicet humanitatis istius vicem retribuere non possint. Hanc si Christus captari vetat, in resurrectione eam repromittens, creatoris est forma, cui non placent amantes munera, sectantes retributionem. ♦ *14,16: Tert. 4,31,1: Etiam invitatoris parabola cui magis parti occurrat expende. Homo quidam fecit coenam et vocavit multos. (2) Utique coenae paratura vitae aeternae saturitatem figurat. Dico primo extraneos et nullius iuris adfines invitari ad coenam non solere, certe facilius solere domesticos et familiares. Ergo creatoris est invitasse, ad quem pertinebant qui invitabantur, et per Adam qua homines, et per patres qua Iudaici, non eius ad quem neque natura pertinebant neque praerogativa. ♦ *14,17: Tert. 4,31,3: Dehinc si is mittit ad convivas qui coenam paravit, sic quoque creatoris est coena, qui misit ad convivas admonendos, ante iam vocatos per patres, admonendos autem per prophetas, non qui neminem miserit ad monendum, nec qui nihil prius egerit ad vocandum, sed ipse descenderit subito, tantum quod innotescens iam invitans, tantum quod invitans iam in convivium cogens, eandem faciens horam coenandi et ad coenam invitandi. ♦ *14,18: Tert. 4,31,3f: Excusant se invitati. (4) Si ab alio deo, merito, quia subito invitati; si non merito, ergo nec subito. Si autem non subito invitati, ergo a creatore, a quo olim, cuius denique declinaverant vocationem, tunc primo dicentes ad Aaronem, Fac nobis deos qui praeeant nobis; atque exinde aure audientes et non audientes, vocationem scilicet dei, qui pertinentissime ad hanc parabolam per Hieremiam, Audite, inquit, vocem meam, et ero vobis in dominum et vos mihi in populum, et ibitis in omnibus viis meis, quascunque mandavero vobis. Ecce invitatio dei. Et non audierunt, inquit, et non adverterunt aurem suam. Ecce recusatio populi. Sed abierunt in iis quae concupiverunt corde suo malo. ♦ *14,18-20: Tert. 4,31,4: Agrum emi, et boves mercatus sum, et uxorem duxi. Et adhuc ingerit: Et emisi ad vos omnes famulos meos prophetas (hic erit spiritus sanctus, admonitor convivarum) die et ante lucem. Et non audiit populus meus, et non intendit auribus suis, et obduravit collum suum. ♦ *14,21: Tert. 4,31,5: Hoc ut patri familiae renuntiatum est, motus tunc (bene quod et motus, negat enim Marcion moveri deum suum, ita et hoc meus est) mandat de plateis et vicis civitatis facere sublectionem. Videamus an eo sensu quo rursus per Hieremiam: Numquid solitudo factus sum domui Israelis, aut terra in incultum derelicta? id est, Numquid non habeo quos allegam aut unde allegam? 14,7-24 Rekonstruktion 963 Quoniam dixit populus meus, Non venimus ad te. ♦ *14,22-24: Tert. 4,31,6: Itaque misit ad alios vocandos ex eadem adhuc civitate. Dehinc loco abundante praecepit etiam de viis et sepibus colligi, id est nos iam de extraneis gentibus; illa scilicet aemulatione qua in Deuteronomio: Avertam faciem meam ab eis, et monstrabo quid illis in novissimis, id est alios possessuros locum eorum: quoniam genitura perversa est, filii in quibus fides non est. Illi obaemulati sunt me in non deo, et provocaverunt me in iram in idolis suis, et ego obaemulabor eos in non natione, in natione insipienti provocabo eos in iram, in nobis scilicet, quorum spem Iudaei gerunt, de qua illos gustaturos negat dominus, derelicta Sione, tanquam specula in vinea et in cucumerario casula, posteaquam et novissimam in Christum invitationem recusavit. B. a (14,8) ηξει: D d (sy c ) ¦ η κεκλημενος: P 45vid a b c ſſ 2 i l q r 1 sy s.p bo ¦ η κεκλημενος υπ’ αυτου: aur (e) f π M (*Ev non test.) ● b (14,9) εση/ eris: D e ¦ αρξη/ incipies (incipiens, incipias): a aur b c d (! ) f ſſ 2 i l π q r 1 M (*Ev non test.) ● c (14,10) παντων: om P 97vid D W Ψ a aur b c d e f ſſ 2 i l q sy s ( M ) ¦ add P 75 א A B L N Θ f 1.13 33 579 892 1241 al π r 1 sy c.p.h (*Ev non test.) ● d (14,12) μηδε τους γειτονας μηδε τους: D a b c d e ſſ 2 vg s ¦ μη γειτονας: P 75 B ¦ μηδε τους γειτονας σου τους: Θ f 13 2542 sy ¦ μηδε γειτονας: aur f π q r 1 M (*Ev non test.) ● e (14,15) ταυτα ακουσας τις των συνανακειμενων: aur ſſ 2 g 1 i r 1 vg mss ¦ ακουσας δε τις των συνανακειμενων ταυτα: M (*Ev non test.) ● f (14,16) μεγα/ magnam: om Tert X 213 1080 e (homo quidam fecit cenam et invitavit multos) ¦ μεγα/ magnam: add a aur b c d e f ſſ 2 i l π q r 1 (homo quidam fecit cenam magnam et vocavit [invitavit: a] multos) ● g (14,19) διο ου δυναμαι ελθειν: D d l; και δια τουτο ου δυναμαι ελθειν: a b c ſſ 2 i q r 1 ¦ εχε με παρητημενον: e ¦ ερωτω σε, εχε με παρητημενον: M (*Ev non test.) ● h (14,20) ελαβον διο: D; ελαβον: sy s.c,p ¦ εγημα και δια τουτο: it M (*Ev non test.) ● i (14,21) κινηθεις/ motus: Tert ¦ οργεις: D* ¦ εγερθεις: 1654 ¦ οργισθεις: M ● k (14,21) ενεγκε: D ¦ εισαγαγε: it M (*Ev non test.) ● l (14,22) κυριε: om D 205 209 726 1071 c d e ¦ add a aur b f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● m (14,23) αυτου: P 75 * D 983 ℓ1627 a b d sy s.c.p bo ms Basil (Bapt. 1,1,4; PG 31, 1521) ¦ aur c e f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● n (14,24) ανθρωπων: א D 2542 d e sy s.c.p ¦ ανδρων: (a) aur b c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.). C. Die drei Paränesen, die sich an den Bericht von der Heilung des Wassersüchtigen anschließen, sind unterschiedlich bezeugt: Die erste (*14,7-11), die sich an die Eingeladenen richtet, ist gänzlich unbezeugt. Aus der zweiten (*14,12-14), die sich an den Gastgeber richtet, erwähnt Tertullian immerhin einige Stichworte aus *14,12.14, die sicherstellen, dass er die Perikope in *Ev gelesen hat. Am besten ist das sog. »Gleichnis vom Gastmahl« (*14,15-24) bezeugt, das sich an die Gäste richtet: Abgesehen von dem Zitat aus *14,16 gibt Tertullian ausreichend viele Hinweise auf den Text, die zwar nicht den Wortlaut im Einzelnen, aber doch die Erzählstruktur insgesamt für *Ev sicherstellen. 1. Im Unterschied zu *14,1-6 hätte die Mahlthematik des unbezeugten Abschnitts *14,7-10(11) als Bild für das Reich Gottes für Tertullian einen theologisch interessanten Ausgangspunkt für seine Argumentation ergeben können, wie sein Referat von *14,12-14.15-24 zeigt. Aber reicht der Umstand, dass Tertullian eine solche Gelegenheit nicht genutzt hat, bereits aus für das Urteil, dass er ihn in *Ev 964 Anhang I 14,7-24 nicht gefunden hat? Ein solcher Schluss würde einer rein negativen Begründung mehr aufbürden, als sie tragen kann. 2. Für die Beurteilung sind daher zunächst die auffälligen Lesarten wichtig, die als Hinweise auf einen vorkanonischen Text verstanden werden können und so die Perikope für *Ev wahrscheinlich machen. Allerdings sind die Zahl und der Charakter dieser Lesarten hier weniger aussagekräftig, als dies an anderen Stellen der Fall ist. Aus diesem Grund bleibt in erster Linie die Überlieferungsgeschichte als Grundlage für ein Urteil über *14,7ff übrig. Diese ist allerdings an dieser Stelle sehr viel komplexer als sonst. Denn die »üblichen Verdächtigen« (D it 1 sy u. a.) bieten im Anschluss an Mt 20,28 eine inhaltliche Entsprechung zu *14,7-10, die sich allerdings im Wortlaut deutlich von Lk 14,7-10 unterscheidet. »Trachtet ihr aber, aus dem Kleinen zuzunehmen und (nicht) 2 aus dem Größeren kleiner zu sein! Wenn ihr hineingeht und zum Essen eingeladen seid, legt euch nicht auf die herausgehobenen Plätze, damit nicht einer kommt, der geehrter ist als du, und dann der Einladende kommt und zu dir sagt: ›Rücke noch weiter nach unten! ‹ und du beschämt wirst. Wenn du dich aber auf einen geringeren Platz legst, und es kommt einer, der geringer ist als du, wird der Einladende zu dir sagen: ›Rücke noch hinauf! ‹, und es wird für dich vorteilhaft sein.« Mt 20,28 add. (D Φ it sy c.hmg ) Lk 14,7-10 ὑμεῖς δὲ ζητεῖτε ἐκ μικροῦ αὐξῆσαι καὶ (μὴ) 3 ἐκ μείζονος ἐλάττον εἶναι. 7 ἔλεγεν δὲ πρὸς τοὺς κεκλημένους παραβολήν, ἐπέχων πῶς τὰς πρωτοκλισίας ἐξελέγοντο, λέγων πρὸς αὐτούς, εἰσερχόμενοι δὲ καὶ παρακληθέντες δειπνῆσαι μὴ ἀνακλίνεσθε εἰς τοὺς ἐξέχοντας τόπους, 8 Ὅταν κληθῇς ὑπό τινος εἰς γάμους, μὴ κατακλιθῇς εἰς τὴν πρωτοκλισίαν, μήποτε ἐνδοξότερός σου ἐπέλθῃ μήποτε ἐντιμότερός σου ᾖ κεκλημένος ὑπ’ αὐτοῦ, καὶ προσέλθων ὁ δειπνοκλήτωρ εἴπῃ σοι· 9 καὶ ἐλθὼν ὁ σὲ καὶ αὐτὸν καλέσας ἐρεῖ σοι, ἔτι κάτω χωρεῖ, καὶ καταισχυνθήσῃ. Δὸς τούτῳ τόπον, καὶ τότε ἄρξῃ μετὰ αἰσχύνης τὸν ἔσχατον τόπον κατέχειν. ______________________________ 1 Bezeugt in: a aur b c d e ſſ 1 ſſ 2 h n (r 1 ); om f g 1 q. 2 Die Verneinung findet sich nur in sy; in diesem Fall bezieht sich ἐκ μείζονος ἐλάττον εἶναι (wie ἐκ μικροῦ αὐξῆσαι) auf das Resultat: »Trachtet danach, dass ihr nicht von dem besseren auf den geringeren Platz verwiesen werdet.« Die Lesart ohne Verneinung (D Φ it) bezieht ἐκ μείζονος ἐλάττον εἶναι dagegen auf das Verhalten bei der Platzwahl und kontrastiert die Ausgangsposition mit der zu erwartenden Statusveränderung; zu paraphrasieren wäre: »Strebt danach, aus dem Größeren (d. i. aus eurer eigentlichen Position) klein zu sein und (dann) aus dem Kleinen zuzunehmen«. Die Lesart in sy ist erkennbar glatter. 3 S. vorige Anm. 14,7-24 Rekonstruktion 965 εἂν δὲ ἀναπέσῃς εἰς τὸν ἥττονα τόπον 10 ἀλλ’ ὅταν κληθῇς πορευθεὶς ἀνάπεσε εἰς τὸν ἔσχατον τόπον, καὶ ἐπελθῇ σου ἥττων, ἵνα ὅταν ἔλθῃ ἐρεῖ σοι ὁ δειπνοκλήτωρ· ὁ κεκληκώς σε ἐρεῖ σοι, σύναγε ἔτι ἄνω, Φίλε, προσανάβηθι ἀνώτερον· καὶ ἔσται σοι τοῦτο χρήσιμον. τότε ἔσται σοι δόξα ἐνώπιον πάντων τῶν συνανακειμένων σοι. Diese Parallele wirft zwei miteinander zusammenhängende Fragen auf, nämlich die nach dem literarischen Verhältnis der beiden Fassungen zueinander und die nach dem überlieferungsgeschichtlichen Ursprung der Fassung in Mt 20,28 add. (D it sy). In Mt 20 schließt sich die Mahnung, beim Mahl den niedrigsten Platz einzunehmen, an die Perikope über den »Rangstreit« der Zebedaiden (Mt 20,20-28) an und wird dort als »sekundäre Variante zu Lk 14,8-10 mit einer neuen Einleitung« beurteilt. 4 Dass Mt 20,28 add. (D it sy) gegenüber Lk 14,8-10 sekundär ist, lässt sich mit Blick auf die Formulierungen bestätigen: Der technische Ausdruck ὁ δειπνοκλήτωρ ist deutlich eleganter als die lk Wendung ὁ σὲ καὶ αὐτὸν καλέσας bzw. ὁ κεκληκώς σε (Lk 14,9.10). Auch der Wechsel des Numerus zwischen dem Plural in der einleitenden Mahnung (ὑμεῖς δὲ ζητεῖτε; εἰσερχόμενοι δὲ καὶ παρακληθέντες δειπνῆσαι μὴ ἀνακλίνεσθε) und dem Singular in der Begründung (μήποτε ἐνδοξότερός σ ο υ ἐπέλθῃ usw.) deutet darauf hin, dass die mt gegenüber der lk Fassung sekundär ist, denn hier ist der entsprechende Numeruswechsel durch den Unterschied zwischen der Exposition als auktorialer Erzählung über Jesus (ἔλεγεν δὲ πρὸς τ ο ὺ ς κ ε κ λ η μ έ ν ο υ ς ) und der Rede Jesu im Gleichnis (ἔλεγεν … παραβολήν) unproblematisch (ὅταν κληθῇς usw.). Die Ungeschicklichkeit der mt Fassung wird verständlich, da schon die Einleitung im Modus der Rede Jesu als Mahnung an die Jünger im Plural formuliert ist und die Imperative ab Mt 20,25 nur einfach fortsetzt. Allerdings ist damit die Frage noch nicht beantwortet, auf welcher Überlieferungsstufe dieser Abschnitt in Mt 20 geraten ist. Dass eine so weitreichende Ergänzung mit so einschneidenden sprachlichen Veränderungen erst auf der Ebene der handschriftlichen Überlieferung des kanonischen Mt-Evangeliums entstanden sein soll, ist sehr unwahrscheinlich: In diesem Fall müsste man einen Lk 14,8-10 auch in der Formulierung entsprechenden Text postulieren, der in der Lage wäre, die Kohärenz zwischen den beiden Evangelien wirklich zu erhärten. Interessanterweise finden sich in *22,24-28 D ebenfalls einige sehr deutlich vom kanonischen Wortlaut abweichende Lesarten, die dafür sprechen, dass die »Rangstreitperikope« in *Ev enthalten war, wenn auch in anderem Wortlaut (s. dort). Zu den wichtigen D-Varianten gehört auch *22,28 καὶ ὑμεῖς η ὐ ξ ή θ η τ ε ἐν τῂ διακονίᾳ μου ὡς ὁ διακονῶν οἱ διαμεμενηκότες μετ’ ἐμοῦ ἐν τοῖς πειρασμοῖς μου (s. dort). Die Aussage, dass die Jünger in der διακονία zugenommen haben, verbindet das Thema von *22,24-27 mit Vv. *28- 30. Sie begründet, dass das Streben nach dem Geringeren zum Großen führen wird (vgl. die ______________________________ 4 So z. B. L UZ , Mt III 159 Anm. 2. 966 Anhang I 14,7-24 Terminologie in *22,26 D: μείζων - μικρότερος): Das Verhalten der Jünger (sie sind in den πειρασμοί Jesu bei ihm geblieben, *22,28) entspricht dem »Dienen« beim Mahl, und es wird mit der Gabe der βασιλεία belohnt werden. Dass allerdings, wie der D-Text sagt, die Jünger bereits durch ihre διακονία zugenommen haben (ηὐξήθητε), widerspricht dem paränetischen Gefälle der Perikope im kanonischen Text, obwohl auch hier die eschatologische Belohnung als etwas bereits Erreichtes im Präsens zugesagt wird (22,29 διατίθεμαι ὑμῖν … βασιλείαν); gleichwohl kann man gut verstehen, dass und warum die lk Redaktion die Aussage über das Zunehmen im Aorist gestrichen hat. Der Hinweis auf *22,28 D ist wichtig, weil die Formulierung »aus Geringem zunehmen« in der Einleitung von Mt 20,28 add. wieder begegnet (ζητεῖτε ἐκ μικροῦ α ὐ ξ ῆ σ α ι ). Mt hat also - wie es bei ihm öfter zu beobachten ist - zwei Texte aus *Ev (*14,8-10; *22,24-28), die inhaltlich miteinander zusammenhängen (Ehrenplätze beim Mahl; Mahnung zum Streben nach dem »Niedrigeren«) miteinander kombiniert und den sachlichen Gehalt des Gleichnisses *14,8-10 (nämlich die durch spätere Gäste notwendig werdende Statusveränderung beim Mahl) in den Kontext von Mt 20,20-28 || Mk 10,35-45 integriert. Dass Mt 20,28 add. gegenüber dem vorkanonischen Wortlaut von *14,8-10 sekundär ist, bedeutet nicht, dass dieser »Zusatz« erst auf der Ebene der handschriftlichen Überlieferung der kanonischen Ausgabe in den Mt-Text gekommen ist. Die grundsätzliche Einsicht, die sich aus der Erklärung der »Westlichen« Lesarten ergab, dass nämlich die Geschichte des nt.lichen Textes sehr viel stärker als bisher als Geschichte der Ausgaben verstanden werden muss, führt hier zu der umgekehrten Annahme: Die v. l. *Mt 20,28 add. ist Teil des vorkanonischen Mt und gegenüber dem »kanonischen« Text ursprünglich. Diese eine redaktionelle Kombination von Material aus Mk 10, *14 und *22 ist von der letzten Bearbeitung auf der Ebene des kanonischen Textes beseitigt worden und hat sich nur in einem kleinen Teil der handschriftlichen Überlieferung erhalten. Über die Gründe der Streichung von *Mt 20,28 add. durch die kanonische Redaktion kann man allerdings nur spekulieren. Für die Beurteilung von *14,7-11 hat diese überlieferungsgeschichtliche Überlegung die Folge, dass wenigstens die Vv. *14,8-10 im Kern in *Ev enthalten waren. Wenn diese Überlegung zutrifft, dann ist auch klar, dass sich über die genaue sprachliche Gestalt nichts Sicheres sagen lässt: Zwar scheinen einige Formulierungen in Mt 20,28 add. (D it sy u. a.) gegenüber *14,8ff sekundär zu sein, aber die Einleitung von *Mt 20,28 add. zeigt Spuren des ursprünglichen Wortlauts. Das heißt im Umkehrschluss, dass die Einleitung in Lk 14,7 redaktionell sein könnte. Hier kommt man allerdings über vage Vermutungen nicht hinaus. 3. Für 14,11 sieht die Lage allerdings etwas anders aus. Denn die gnomische Sentenz über Selbsterhöhung und -erniedrigung hat in der Parallele *Mt 20,28 add. keine Entsprechung. Dagegen gibt es eine Reihe von nt.lichen Analogien: Lk 14,11: ὅτι πᾶς ὁ ὑψῶν ἑαυτὸν ταπεινωθήσεται καὶ ὁ ταπεινῶν ἑαυτὸν ὑψωθήσεται. Lk 18,14b: ὅτι πᾶς ὁ ὑψῶν ἑαυτὸν ταπεινωθήσεται, ὁ δὲ ταπεινῶν ἑαυτὸν ὑψωθήσεται (nicht bezeugt, s. dort). Mt 18,4: ὅστις οὖν ταπεινώσει ἑαυτὸν ὡς τὸ παιδίον τοῦτο, οὗτός ἐστιν ὁ μείζων ἐν τῇ βασιλείᾳ τῶν οὐρανῶν. Mt 23,12: ὅστις δὲ ὑψώσει ἑαυτὸν ταπεινωθήσεται καὶ ὅστις ταπεινώσει ἑαυτὸν ὑψωθήσεται. 14,7-24 Rekonstruktion 967 Jak 4,10: ταπεινώθητε ἐνώπιον κυρίου καὶ ὑψώσει ὑμᾶς. 1Pe 5,6: Ταπεινώθητε οὖν ὑπὸ τὴν κραταιὰν χεῖρα τοῦ θεοῦ, ἵνα ὑμᾶς ὑψώσῃ ἐν καιρῷ. Die beiden mt Fassungen sind mit einiger Sicherheit redaktionell: Mt 18,4 ist ausweislich der Parallelen Mk 9,36 || *9,48 (s. dort) sekundär. Auch Mt 23,12 ist im Rahmen der Komposition der Pharisäerrede sekundär und hat keine Entsprechung in Mk 12,39 || *20,46 (s. dort). Natürlich ist es denkbar, dass die beiden lk Belege erst auf den kanonischen Text zurückgehen, zumal die Analogien in Jak 5 und 1Pe 4 eine Präferenz für dieses Logion in den späten Schichten des NT auf der Ebene der Kanonischen Ausgabe belegen. Aber es ist ebenso gut denkbar, dass das Wort aus *Ev stammt und von Mt (und Lk) aufgegriffen wurde. In diesem Fall wird es eher im Kontext von *14,8-10 als in dem von *18,10-13 (s. dort) gestanden haben. In diesem Fall hätte *Mt 20,28 das Wort übergangen - vielleicht, weil er es bereits im ähnlichen Kontext in Mt 18,4 (÷ Mk 9,36 || *9,48) verwendet hatte. Aber mehr als Vermutungen sind hier nicht möglich; das Urteil bleibt offen. 4. *14,12.14 sind durch Tertullians Referat sichergestellt. Da V. *14 οὐκ ἔχουσιν ἀνταποδοῦναί σοι auf V. *13 zurückverweist, hat Tertullian den ganzen Abschnitt in *Ev gelesen.5 Die Verse haben keine synoptische Parallele, aber in der Sache (Verzicht auf die irdische zugunsten einer göttlichen Erstattung) entsprechen sie dem Verzicht auf ethische Reziprozität in *6,32-34 (s. dort), hier allerdings auf die zu erwartende Gegeneinladung zum Mahl bezogen. 5. Das sog. »Gleichnis vom Gastmahl« *14,15-24 ist durch Stichworte bei Tertullian gut bezeugt, dessen Referat auch Einzelheiten (wie die Entschuldigungen in *14,18-20 bzw. die wiederholte Nachladung) zu erkennen gibt. Mehrere abweichende Lesarten (vor allem in D it sy) bestätigen diesen Befund, und zwar auch für diejenigen Passagen, für die keine direkte Bezeugung vorliegt. Schon lange ist erkannt, dass Lk 14,15-24 eine Allegorie ist. 6 Die Sachebene überlagert und bestimmt die Bildebene und produziert deshalb höchst extravagante Erzählzüge: Dass alle ursprünglich Eingeladenen ablehnen ist mehr als unwahrscheinlich, und auch der Umstand, dass der Gastgeber davon ausgeht, die ursprünglich Eingeladenen würden später noch kommen wollen (V. *24), wäre vollständig unplausibel, »wenn man nicht in Rechnung stellt, dass eigentlich eine ganz andere Geschichte erzählt wird.« 7 ______________________________ 5 Tert. 4,31,1: vicem retribuere non possint. Der Hinweis auf die Armen (mendicos) im Zitat aus Jes 58,7 (vg: egenos vagosque induc in domum tuam) kann daher als Referenz auf πτωχούς *14,13 verstanden werden. 6 A. J ÜLICHER , Die Gleichnisreden Jesu, Darmstadt 1976, 412ff. 7 W OLTER , Lk 508. 968 Anhang I 14,7-24 Strittig ist, welche dies ist. Tsutsui interpretiert den Umstand, dass *Ev diese Erzählung »beibehalten« habe im Horizont des von ihm substituierten marcionitischen Apostolatsverständnisses: Marcion habe mit den zuerst eingeladenen Gästen die Zwölf, mit den Nachgeladenen die 70 Apostel gemeint. 8 Dies hat keinerlei Anhalt am Text. Vielmehr deutet Tertullian am Ende seiner Darlegung an, dass Marcion das Gleichnis auf das himmlische Mahl bezogen habe (interea qui coenae istius vocationem in caeleste convivium interpretaris spiritalis saturitatis et iocunditatis), hält aber dagegen, dass »auch die irdischen Verheißungen von Wein, Öl, Korn und sogar der Bürgerschaft vom Schöpfer in gleicher Weise dargestellt werden« (4,31,8). Die Allegorie bezieht sich in *Ev nicht auf verschiedene Gruppen von Aposteln, sondern auf diejenigen, die Jesu Botschaft annehmen bzw. sie ablehnen. Die Schlussbemerkung *14,24, die aufgrund der handschriftlichen Varianten und durch Tertullians andeutendes Referat für *Ev gesichert ist, legt nahe, dass der Ton nicht so sehr auf dem Voll-Werden des Hauses liegt als vielmehr auf dem Ausschluss derer, die der Einladung keine Folge geleistet haben: Es geht um den verpassten Kairos. 6. Unklar ist, ob in V. *21 ὀργισθείς oder κινηθείς gestanden hat. Alle Rekonstruktionen aus der Mitte des 19. Jh. haben ὀργισθείς konjiziert. Dagegen hat Zahn mit einigem Recht darauf hingewiesen, dass Tertullians Argumentation gleich mehrfach moveri voraussetzt und einen entsprechenden Text in *Ev postuliert. 9 Harnack ist dieser Überlegung gefolgt und hat eine tendenzielle Änderung Marcions gefolgert (ὀργισθείς in κινηθείς bzw. ἐπαρθείς). 10 Die stillschweigende Voraussetzung ist dabei, dass Marcion die Aussage über den Zorn des »guten Gottes« vermeiden wolle. Auch wenn man Tertullians Referat κινηθείς/ motus anstelle von ὀργισθείς entnehmen kann, ist die Argumentation nicht zwingend: Denn zum einen entzündete sich die Diskussion um die Apathie Gottes gerade an den Aussagen über seinen Zorn, weswegen innere Bewegung bzw. Anteilnahme und Zorn durchaus zusammengehören. Zum anderen zielt Tertullians Argumentation auf Gottes Eifern nach Dtn 33 (weil hier die erwählungstheologisch wichtige Aussage über das Nicht-Volk enthalten ist). Von daher läge es nahe, wenn er aus Gründen der argumentativen Strategie ein ὀργισθείς aus *Ev in seiner Argumentation durch κινηθείς/ motus ersetzt hätte. Und schließlich zeigt die Fortführung der Perikope (auch in *Ev) überdeutlich, dass der Einladende die ursprünglichen Gäste verstößt: Die Ersetzung des Adjektivs ändert an der Charakterisierung nichts. Umgekehrt jedoch ist Lk an dem Stichwort des Zornes Gottes interessiert, wie beispielsweise seine Ersetzung von κρατουμένους ἔξω durch ἐκβαλλομένους ἔξω ______________________________ 8 So T SUTSUI 109. 9 Z AHN II 452f.478f. 10 H ARNACK 219*; zustimmend T SUTSUI 108. 14,7-24 Rekonstruktion 969 (13,28; s. dort) gut zeigt. Die Beobachtung, dass Tertullian im ganzen Kontext am Wortfeld movere usw. interessiert ist, trifft daher zu, nicht aber die implizite Begründung für die angebliche Bearbeitung durch Marcion: Lk hat das Stichwort des »Bewegtseins« in *Ev vorgefunden und daraus den »Zorn« Gottes gemacht. 7. *14,15-24 hat eine Parallele in Mt 22,1-10, die sich allerdings in mancherlei Hinsicht von *Ev-Lk unterscheidet und deswegen (im Rahmen der Zwei-Quellentheorie) nur zögerlich auf »Q« zurückgeführt wird. 11 Hinzu kommt, dass EvThom 64 eine weitere Fassung liefert, die zwar insgesamt näher an der Fassung in *Ev- Lk ist, aber auch einige Elemente mit der mt Version gemein hat. 12 Die Bezeugung für *Ev stellt sicher, dass die mt Fassung eine eigenständige Weiterentwicklung darstellt: Mt hat (hier wie auch sonst öfters, vgl. 20,1-16; 21,33-46) die Allegorisierung weitergetrieben und heilsgeschichtlich interpretiert: Die zuerst Eingeladenen stehen für Israel, das sich nicht nur nicht um die Einladung schert, sondern die Boten des einladenden Königs misshandelt und tötet - wofür der König ihre Stadt in Schutt und Asche legen lässt (Mt 22,6f). 8. Die drei paränetischen Abschnitte zu dem gemeinsamen Thema »Einladung zum Mahl« *14,7-24 sind überlieferungsgeschichtlich aufschlussreich: Sie waren bereits in *Ev miteinander kombiniert, obwohl sie inhaltlich durchaus heterogen sind. Die Mahnrede an die Eingeladenen über die Platzwahl beim Symposion *14,7-11 zielt (sofern V. 11 ursprünglich in *Ev enthalten war) auf ein Verhalten, das weit über den beschriebenen Anlass des Mahls hinausgeht. Die παραβολή (V. *7) illustriert und begründet auf diese Weise die allgemeine Sentenz von V. 11: Das empfohlene Verhalten gilt gerade nicht nur für das Mahl. Ganz analog dazu verwendet die folgende Mahnung an den Gastgeber (*14,12-14) die aus der Alltagserfahrung bekannte Praxis, dass man üblicherweise seinesgleichen einlädt. Sie wird hier allerdings theologisch unterlaufen und dadurch kontrastiert, dass die zu erwartende »Gegeneinladung« Gott überlassen wird. Im Unterschied dazu fungiert die Mahlthematik in *14,15-24 als Allegorie für die Annahme bzw. Ablehnung der Botschaft Jesu. Auch wenn in *Ev nicht erkennbar ist, dass der Unterschied zwischen ______________________________ 11 Vgl. L UZ , Mt III 233 (eine gemeinsame Grundlage in Q sei »mehr als unsicher«); ebd. Anm. 11 einige Vertreter, die zuversichtlicher sind, dass Mt 20,2ff aus einer anderen Quelle stammt. Vgl. auch R. H OPPE , Das Gastmahlsgleichnis Jesu (Mt 22,1-10/ Lk 14,16-24) und seine vorevangelische Traditionsgeschichte, in: ders, U. Busse (Hg.), Von Jesus zum Christus, Berlin - New York 1998, 277-293 (bes. 277f Anm. 3). 12 Mit der Fassung in *Ev-Lk stimmt überein, dass die ursprünglich Eingeladenen (EvThom 64 nennt vier, nicht drei verschiedene Gruppen) jeweils mit Ausreden absagen; außerdem wird nur ein Sklave nur einmal ausgesandt. Gegen Lk, aber mit Mt, stimmt EvThom 64 darin überein, dass es nur eine einzige Nachladung gibt: EvThom setzt - wie es auch sonst zu beobachten ist - die Kanonische Ausgabe voraus. Anders etwa D. O. V IA , Die Gleichnisse Jesu, München 1970, 169, der EvThom 94 für die »einfachste und primitivste« der drei Fassungen hält. 970 Anhang I 14,7-24 den zuerst eingeladenen und den nachgeladenen Gästen sich auf die Unterscheidung zwischen Israel und den Heiden bezieht, ist diese erwählungstheologische Dimension im Rahmen der lk Rezeption durch redaktionelle Ergänzungen wie Lk 13,29 nicht von der Hand zu weisen (s. dort). Dass *Ev so heterogenes Material unter die gemeinsame Thematik des Mahls zusammenstellt, könnte ein Hinweis darauf sein, dass er bereits auf älteres Material zurückgreift. *14,25-35: Bedingungen für das Jüngersein Für *Ev nicht bezeugt, aber vielleicht ganz vorhanden und geringfügig durch die lk Redaktion bearbeitet. 14,25 Συνεπορεύοντο δὲ αὐτῷ ὄχλοι a [ πολλοί ] , καὶ στραϕεὶς εἶπεν πρὸς αὐτούς, 26 Εἴ τις ἔρχεται πρός με καὶ οὐ μισεῖ τὸν πατέρα ἑαυτοῦ καὶ τὴν μητέρα καὶ τὴν γυναῖκα καὶ τὰ τέκνα καὶ τοὺς ἀδελϕοὺς καὶ τὰς ἀδελϕάς, ἔτι τε καὶ τὴν ψυχὴν ἑαυτοῦ, οὐ δύναται εἶναί μου μαθητής. b 27 ὅστις οὐ βαστάζει τὸν σταυρὸν ἑαυτοῦ καὶ ἔρχεται ὀπίσω μου οὐ δύναται εἶναί μου μαθητής b . 28 τίς γὰρ ἐξ ὑμῶν θέλων πύργον οἰκοδομῆσαι οὐχὶ πρῶτον καθίσας ψηϕίζει τὴν δαπάνην, εἰ ἔχει εἰς ἀπαρτισμόν; 29 ἵνα μήποτε θέντος αὐτοῦ θεμέλιον c μὴ ἰσχύσῃ οἰκοδομῆσαι καὶ c πάντες οἱ θεωροῦντες d μέλλουσιν 30 λέγειν d e [ ὅτι ] Οὗτος ὁ ἄνθρωπος ἤρξατο οἰκοδομεῖν καὶ οὐκ ἴσχυσεν ἐκτελέσαι. 31 ἢ τίς βασιλεὺς πορευόμενος ἑτέρῳ βασιλεῖ συμβαλεῖν εἰς πόλεμον f οὐκ εὐθέως f καθίσας πρῶτον βουλεύσεται εἰ δυνατός ἐστιν ἐν δέκα χιλιάσιν ὑπαντῆσαι τῷ μετὰ εἴκοσι χιλιάδων ἐρχομένῳ ἐπ’ αὐτόν; 32 εἰ δὲ μή γε, ἔτι αὐτοῦ πόρρω ὄντος πρεσβείαν ἀποστείλας ἐρωτᾷ τὰ πρὸς εἰρήνην. 33 οὕτως οὖν πᾶς ἐξ ὑμῶν ὃς οὐκ ἀποτάσσεται πᾶσιν τοῖς g ὑπάρχουσιν αὐτοῦ g οὐ δύναται εἶναί μου μαθητής. 34 Καλὸν οὖν τὸ h ἅλα· ἐὰν δὲ καὶ τὸ h ἅλα μωρανθῇ, ἐν τίνι ἀρτυθήσεται; 35 οὔτε εἰς γῆν οὔτε εἰς κοπρίαν εὔθετόν ἐστιν· ἔξω i βάλλεται k {καὶ καταπατήται ὑπὸ τῶν ἀνθρώπων} k . A. *14,25-35: Die gesamte Perikope ist unbezeugt. Tertullian geht von seiner Behandlung des Gastmahlgleichnisses (4,31,8) direkt zum Gleichnis vom verlorenen Schaf über (4,32,1). B. a (14,25) πολλοι: om D Θ (a) aur b c d e f ſſ 2 l sy c ¦ add q r 1 M (*Ev non test.) ● b (14,27) vs. 27 om M* R Γ 2 27 60 69 71 213 544 788 1203 1215 1351 1458 1685 g 1 vg ms sy s bo ms ¦ (a) aur b c d e f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● c (14,29) μη ισχυση οικοδομησαι και: D (a) d e (r 1 ) ¦ και μη ισχυοντος εκτελεσαι: aur b c f ſſ 2 l q M (*Ev non test.) ● d (14,29.30) μελλουσιν 30 λεγειν: D d e; λεγωσιν: c; ερουσιν: a b ſſ 2 i l q ¦ λεγωσιν εμπαιζοντες αυτω: r 1 ¦ αρξωνται αυτω εμπαιζειν λεγοντες: aur f M (*Ev non test.) ● e (14,30) οτι: om D 983 1012 1215 2096 a b c d e ſſ 2 i l Tat arab.pers aeth ¦ add aur f M (*Ev non test.) ● f (14,31) ουκ ευθεως: D d ¦ ου: P 45 ¦ om aeth ¦ ουχι M (*Ev non test.) ● g (14, 33) υπαρχουσιν αυτου: D K M Π 6 27 71 158 265 489 726 1079 1219 1220 1313 1319 1458 ℓ299 c 14,25-35 Rekonstruktion 971 a d Basil (Reg. br. 263; PG 31, 1261) Chrys (In Heb. 25) ¦ εαυτου υπαρχουσιν: M (*Ev non test.) ● h (14,34) αλα (bis): ( P 75 ) א * D W ¦ αλας (bis): M (*Ev non test.) ● i (14,35) βαλλεται: c gat; βαλληται: a; βληθησεται: aur f ſſ 2 g 1 r 1 vg ¦ βαλουσιν αυτο: b d q; βαλλουσιν αυτο: M (*Ev non test.) ● k (14,35) και καταπατηται υπο των ανθρωπων: l (vgl. Mt 5,13: καταπατεισθαι υπο των ανθρωπων) ¦ om a aur b c d e f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 M (*Ev non test.). C. Die ganze Perikope ist unbezeugt. Es gibt nur wenige Beobachtungen, die es wahrscheinlicher machen, dass Tertullian diese Perikope in seinem Referat übergangen hat, als dass sie ein seinem *Ev-Exemplar gefehlt hat. 1. Zunächst sprechen die (wenigen) Handschriftenvarianten dafür, dass es Interferenzen zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Überlieferung gegeben hat, dass die Perikope also im vorkanonischen Evangelium enthalten war. Ein besonderes Problem stellt dabei das Fehlen von V. 27 in einer ganzen Reihe von Handschriften dar (s. gleich). Umgekehrt ist die Gegenprobe wichtig: Welchen Grund sollte es für die lk Redaktion gegeben haben, diese Perikope einzufügen - noch dazu an dieser Stelle? Gelegentlich wird darauf hingewiesen, dass *14,25-35 und *18,28-30 eine Inklusion bilden, die das Material in diesem Abschnitt des sog. »Reiseberichts« zusammenfassen. 1 Gegen diese Überlegung spricht jedoch der häufig beobachtete Umstand, dass sich die Belehrung Jesu in diesem Abschnitt keineswegs nur an die Jünger richtet. Vielmehr wechseln die Adressaten zwischen den Jüngern auf der einen und den Pharisäern bzw. den Pharisäern und Schriftgelehrten u. a. auf der anderen Seite in einer Weise ab, für die eine nachvollziehbare Planmäßigkeit nur in einzelnen Passagen erkennbar ist. Abgesehen davon hatte Lk - in der Folge von *Ev - bereits in *9,57-62 bzw. in *10,1-16 Gelegenheit, die grundlegende Belehrung über die Bedingungen der Jüngerschaft unterzubringen. Warum gerade hier? Das Fehlen von halbwegs deutlich erkennbaren kompositorischen Signalen ist leichter für *Ev zu erklären als für Lk. Denn die eindeutig redaktionellen Ergänzungen in Lk gegenüber *Ev sind zwar nicht immer bruchlos in den vorgegebenen Kontext eingefügt, aber der Platz, an dem sie erscheinen, ist jeweils durch den engeren Kontext vorgegeben und lässt eine redaktionelle Planmäßigkeit erkennen, die diesem Abschnitt fehlt. 2. Dieses kompositionskritische Argument ist jedoch abhängig von der Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte dieser Perikope. Sie stellt sich ausgesprochen komplex dar, denn die einzelnen Abschnitte haben unterschiedliche Analogien in der kanonischen Evangelienüberlieferung. a. Das einleitende Wort *14,26 über das Hassen der Verwandten und das Kreuztragen hat eine Parallele in der mt Aussendungsrede. ______________________________ 1 Z. B. W OLTER , Lk 514. 972 Anhang I 14,25-35 *14,26 Mt 10,37 26 εἴ τις ἔρχεται πρός με καὶ οὐ μισεῖ 37 ὁ ϕιλῶν τὸν πατέρα ἑαυτοῦ καὶ τὴν μητέρα καὶ τὴν γυναῖκα καὶ τὰ τέκνα καὶ τοὺς ἀδελϕοὺς καὶ τὰς ἀδελϕάς, πατέρα ἢ μητέρα ἔτι τε καὶ τὴν ψυχὴν ἑαυτοῦ, ὑπὲρ ἐμὲ οὐ δύναται εἶναί μου μαθητής. οὐκ ἔστιν μου ἄξιος· καὶ ὁ ϕιλῶν υἱὸν ἢ θυγατέρα ὑπὲρ ἐμὲ οὐκ ἔστιν μου ἄξιος· Die mt Parallele folgt auf das ἦλθον-Wort über die Entzweiung in den Familien Mt 10,34-36 || *12,(49a)51-53, das schon in *Ev enthalten war (s. dort). Der kompositionelle Anschluss von Mt 10,37 an 10,35f ist erkennbar an der Störung der innerfamiliären Beziehungen orientiert. Wenn Mt das Logion *14,26 in *Ev vorfand und selbständig in den Kontext der Aussendungsrede integrierte, ist nachvollziehbar, dass er die ausführliche Reihe der Verwandten in *14,26 (Vater - Mutter - Frau - Kinder - Brüder - Schwestern) auf zwei knappe Paare (Vater - Mutter; Sohn - Tochter) verkürzte (Mt 10,37), denn er hatte unmittelbar davor schon die aus *12,53 stammende Reihe Vater - Tochter - Mutter - Schwiegertochter - Schwiegermutter (10,36): Die Verkürzung vermeidet eine ermüdende Wiederholung. Die Verbindung von Mt 10,35f mit 10,37 ist also ein Ergebnis der mt Komposition, bei der die Radikalität der impliziten Aufforderung zum »Hass« auf die Angehörigen (*14,26) durch die Priorisierung (»mehr lieben als«) gemildert wird. Mt ersetzt das οὐ μισεῖν in *Ev durch ϕιλεῖν ὑπέρ: Man kann seine Angehörigen lieben, muss aber Jesus noch »mehr lieben«. b. Wenn diese Beobachtung zutrifft, erklärt sich auch, dass in Mt 10,37 das Element (μισεῖν/ ϕιλεῖν ὑπέρ) τὴν ψυχὴν ἑαυτοῦ (*14,26) keine Entsprechung hat. Mt greift das Stichwort τὴν ψυχὴν αὐτοῦ im Wort über das Suchen/ Verlieren des Lebens (10,39) auf, das Entsprechungen in *9,24 und 17,33 hat. *9,24 Mt 10,39 (*)17,33 ὃς γὰρ ἂν θέλῃ ὁ εὑρὼν ὃς ἐὰν ζητήσῃ τὴν ψυχὴν αὐτοῦ σῶσαι, τὴν ψυχὴν αὐτοῦ τὴν ψυχὴν αὐτοῦ περιποιήσασθαι ἀπολέσει αὐτήν· ἀπολέσει αὐτήν, ἀπολέσει αὐτήν, καὶ ὃς ἂν καὶ ὁ ὃς δ’ ἂν ἀπολέσῃ αὐτὴν ἀπολέσας τὴν ψυχὴν αὐτοῦ ἀπολέσῃ ἕνεκεν ἐμοῦ, ἕνεκεν ἐμοῦ σώσει αὐτήν. εὑρήσει αὐτήν. ζῳογονήσει αὐτήν 14,25-35 Rekonstruktion 973 In *9,24 ist das Logion für *Ev gesichert, 17,33 ist dagegen unbezeugt; es ist zweifelhaft, ob das Wort in *Ev an dieser Stelle existierte (s. dort). Für die Beziehung zu Mt 10,39 liegt wegen des Elements (ἀπολέσαι τὴν ψυχὴν) ἕ ν ε κ ε ν ἐ μ ο ῦ ohnehin eine Abhängigkeit von *9,24 nahe. Mt hat also die Abfolge der Einzelworte in 10,36-39 sorgfältig aus Material komponiert, das ihm an unterschiedlichen Stellen in *Ev vorlag - dieses redaktionelle Verfahren lässt sich ja für alle großen Redekompositionen in Mt beobachten. Es spricht daher alles dafür, dass *14,26 neben den Verwandtschaftsbeziehungen auch die Wendung (καὶ οὐ μισεῖ) ἔτι τε καὶ τὴν ψυχὴν ἑαυτοῦ enthielt, Mt sie in diesem Rahmen aber überging, weil er in unmittelbarem Anschluss das Stichwort ψυχή im Wort über Leben suchen/ Leben verlieren brachte (Mt 10,39). Joh 12,25 hat in der Kombination von ὁ ϕιλῶν τὴν ψυχὴν αὐτοῦ und καὶ ὁ μισῶν τὴν ψυχὴν αὐτοῦ Elemente des Textes aus Mt und aus *Ev aufgegriffen. Auch dies ist ein Hinweis darauf, dass schon *Ev die Wendung (μισεῖν) τὴν ψυχὴν ἑαυτοῦ enthielt. 2 c. Das Wort vom Kreuztragen *14,27 wirft für die überlieferungsgeschichtliche Rekonstruktion die größten Probleme auf: Mt 10,37f hat die gleiche Abfolge der beiden Worte über die Distanzierung von der Familie und das Kreuztragen wie Lk 14,36f, wenn auch in anderen Formulierungen. Im methodischen Horizont der Zwei-Quellentheorie besteht daher kein Zweifel, dass diese Abfolge bereits aus »Q« stammt. 3 Im Rahmen der *Ev-Priorität wäre diese gemeinsame Vorlage nicht »Q«, sondern *Ev. Von daher spricht alles dafür, dass die Verbindung von V.*26 und 27 bereits in *Ev vorlag. Allerdings ist das Fehlen von *14,27 in etlichen Handschriften bis ins 15. Jh. (47 69) auffällig: Diese Lücke sieht auf den ersten Blick so aus wie die zahlreichen Interferenzen zwischen der kanonischen und der vorkanonischen Überlieferung. Allerdings findet sich unter den Zeugen (abgesehen von sy s ) keiner der »üblichen Verdächtigen«. Es ist daher wahrscheinlicher, dass das Fehlen von *14,27 in diesen Handschriften durch einen Lesefehler aufgrund von Homoioteleuton (*14,26: οὐ δύναται εἶναί μου μαθητής) entstanden ist. 4 *Ev enthielt also schon die Abfolge von *14,26 und 27. Der Ursprung des Wortes vom Kreuztragen liegt also an dieser Stelle: Mk 8,34 || Mt 16,24 haben es von hier aus rezipiert, und Lk hat es in 9,23 eingefügt, wo es ursprünglich fehlte (s. o. zu *9,23). In diesem Fall ist es auch wahrscheinlich, dass die Formulierung der Apodosis ______________________________ 2 EvThom 55 kombiniert erkennbar Elemente aus *14,26f (μισεῖ; οὐ δύναται εἶναί μου μαθητής) und aus Mt 10,38 (οὐκ ἔστιν μου ἄξιος) miteinander: »Wer nicht seinen Vater und seine Mutter hasst, wird mir kein Jünger sein können. Und wer nicht seine Brüder und Schwestern hasst und nicht sein Kreuz trägt wie ich, wird meiner nicht würdig sein.« 3 Vgl. außer dem Kommentaren R. L AUFEN , Die Doppelüberlieferungen der Logienquelle und des Markusevangeliums, Königstein/ Ts. 1980, 315. Anders z. B. J. Z MIJEWSKI , Die Eschatologiereden des Lukasevangeliums, Bonn 1972, 479-482. 4 Vgl. B. M. M ETZGER , Textual Commentary z. St. 974 Anhang I 14,25-35 *14,27b οὐ δύναται εἶναί μου μαθητής ≠ Mt 10,38 οὐκ ἔστιν μου ἄξιος bereits aus *Ev stammt und von Mt geändert wurde. Diese Einsicht ist wichtig, weil sie die ursprüngliche kompositionelle Zusammengehörigkeit von *14,26.27.33 wahrscheinlich macht. d. Die beiden Gleichnisse *14,28-30.31f haben keine synoptische Parallele. Auf den ersten Blick passen sie weder besonders gut zueinander 5 noch in den Kontext. Der kausale Anschluss von *14,28 leuchtet ebenso wenig ein (warum begründet die Kostenplanung eines größeren Bauvorhabens die Notwendigkeit, sich von seinen Verwandten zu distanzieren und sein Kreuz auf sich zu nehmen? ) wie die Schlussfolgerung in *14,33 (wieso folgt aus der Planung eines Feldzuges, dass sich Jünger von ihrem Besitz trennen müssen? ). Vor allem diese inhaltlichen Gesichtspunkte sind als Indizien für die sekundäre Entstehung dieses Zusammenhangs gewertet worden. 6 Dass dieser Zusammenhang »wohl erst durch Lukas« hergestellt wurde, 7 leuchtet allerdings nicht ein: Abgesehen von dem methodischen Problem, dass die literarkritische Lösung inhaltliche Schwierigkeiten nur (auf eine nicht mehr kontrollierbare) Vorstufe verschiebt, müsste man plausibel machen können, was Lk zur Kombination und Einfügung dieser beiden Logien veranlasst haben könnte: Die Annahme einer sekundären Gestaltung ist nicht plausibler als Ursprünglichkeit. Die Einsicht, dass die den ganzen Abschnitt strukturierende Formulierung οὐ δύναται εἶναί μου μαθητής *14,26f schon für *Ev wahrscheinlich ist (s. o.), legt nahe, dass vermutlich auch *14,33 schon Teil des vorkanonischen Textes war. 8 In diesem Fall ist die Logik der beiden Gleichnisse eher implizit und bezieht sich auf die Menge, die Jesus begleitet (*14,25 συνεπορεύοντο δὲ αὐτῷ ὄχλοι): Bereits der vorkanonische Zusammenhang hat dann den Unterschied deutlich gemacht zwischen ἔρχεσθαι πρός με (*14,26a) und ἔρχεσθαυι ὀπίσω μου (*14,27). 9 Nur wer sich von seinen Verwandten trennt, wer sein Kreuz auf sich nimmt und wer die Kosten der Nachfolge - nämlich den vollständigen Verzicht auf Besitz - genau kalkuliert, kann Jesu Jünger sein. Die gesamte Komposition *14,25-33 gehörte schon im vorkanonischen Text zusammen. e. In jedem Fall gehörte das abschließende Wort über das Salz *14,34f bereits in *Ev zu dieser Einheit; es hat synoptische Parallelen in Mk und in Mt. ______________________________ 5 Zwar zielen beide darauf, ein größeres Unternehmen sorgfältig zu planen, aber *14,28-30 warnt im Fall des Scheiterns vor dem Spott der Leute, *14,31f vor dem Verlust der Existenz; vgl. P. J. J ARVIS , Expounding the Parables. The Tower-builder and the King going to war (Lc 14,15-33), ExpT 77 (1966), 196-198: 197. 6 Vgl. M ARSHALL , Lk 594f: »The connection of thought could be smoother, and this confirms that originally independent sayings have here been joined together.« 7 W OLTER , Lk 516. 8 Gegen B OVON , Lk II 527 u. a. 9 W OLTER , Lk 517. 14,25-35 Rekonstruktion 975 *14,34f Mk 9,50 Mt 5,13 καλὸν οὖν τὸ ἅλα· καλὸν τὸ ἅλας· ὑμεῖς ἐστε τὸ ἅλας τῆς γῆς· ἐὰν δὲ καὶ τὸ ἅλα ἐὰν δὲ τὸ ἅλας ἐὰν δὲ τὸ ἅλας μωρανθῇ, ἄναλον γένηται, μωρανθῇ, ἐν τίνι ἀρτυθήσεται; ἐν τίνι αὐτὸ ἀρτύσετε; ἐν τίνι ἁλισθήσεται; 35 οὔτε εἰς γῆν οὔτε εἰς κοπρίαν εὔθετόν ἐστιν· εἰς οὐδὲν ἰσχύει ἔτι ἔξω βάλλεται εἰ μὴ βληθὲν ἔξω καὶ καταπατήται ὑπὸ τῶν ἀνθρώπων καταπατεῖσθαι ὑπὸ τῶν ἀνθρώπων. ἔχετε ἐν ἑαυτοῖς ἅλα, καὶ εἰρηνεύετε ἐν ἀλλήλοις. Im Horizont der Zwei-Quellentheorie wird das Logion in aller Regel als »Mk-Q- Doppelüberlieferung« angesehen, 10 für die einerseits die mk-lk Übereinstimmungen (καλὸν τὸ ἅλας; ἀρτύω) gegen Mt (ὑμεῖς ἐστε τὸ ἅλας τῆς γῆς; ἁλίζομαι) charakteristisch sind, andererseits die mt-lk Berührungen gegen Mk (μωρανθῇ *14,34 || Mt 5,13a ≠ ἄναλον γένηται Mk 9,50a; *14,35 || Mt 5,13b ÷ Mk 9,50). Aber die Annahme des Logions für *Ev im Zusammenhang mit *14,26f legt einen anderen Gang der Überliefung nahe; dessen Plausibilität stützt die Rekonstruktion. Demnach hat Mk das Logion aus dem in *Ev vorliegenden Zusammenhang *14,25-35 gelöst und in die aus *17,1-4 (s. dort) stammende Warnung vor der Verführung integriert, die er stark erweitert hat (Mk 9,42-50). Dieser redaktionelle Eingriff durch Mk ist plausibel und lässt sich an der weiteren mk Gestaltung der Perikope zeigen. Denn Mk hat das Logion in diesen neuen Kontext durch das Zitat aus Jes 66,24 ad vocem πῦρ eingebunden (Mk 9,49: πᾶς γὰρ πυρὶ ἁλισθήσεται) und ihm dadurch eine andere Sinnrichtung gegeben. Der neue Abschluss, den Mk 9,50b dem Logion gegeben hat, bindet den gesamten (redaktionell geschaffenen) Kontext Mk 9,33-48 zusammen: Das »Salz in euch« ist zum Bild der Eintracht unter den Jüngern (Mk 9,33-37) bzw. der Toleranz gegenüber den »fremden Exorzisten« (9,38-41) geworden: εἰρηνεύετε ἐν ἀλλήλοις. Mt hat das Wort in die Bergpredigt integriert (Mt 5,13) und dabei geringfügige Veränderungen daran vorgenommen: Die Einleitung (ὑμεῖς ἐστε τὸ ἅλας τῆς γ ῆ ς ) greift die Metaphorik von *14,35a (οὔτε εἰς γ ῆ ν … εὔθετόν ἐστιν) auf und wendet sie positiv. Ein großer Teil der altlateinischen Überlieferung von *14,35 zeigt, dass die passivische Formulierung von Mt 5,13b (εἰ μὴ βληθὲν ἔξω) bereits aus dem vorkanonischen Text stammt und erst von der lk Redaktion in das aktive ἔξω βάλλουσιν αὐτό geändert wurde. Unter diesem Gesichtspunkt ist dann auch wahrscheinlich, dass die nur vom Cod. Rehdigeranus (l) bezeugte Variante für ______________________________ 10 Vgl. H. T. F LEDDERMANN , Mk and Q, Leuven 1995, 166-169. 976 Anhang I 14,25-35 *14,35b (καὶ καταπατήται ὑπὸ τῶν ἀνθρώπων) mit großer Wahrscheinlichkeit aus *Ev stammt und von der lk Redaktion übergangen wurde. 3. Diese vorwiegend überlieferungsgeschichtlichen und kompositionskritischen Überlegungen bleiben tentativ. Denn die meisten Beobachtungen lassen sich auch anders interpretieren, wie die Rekonstruktionen, die im Rahmen der Zwei-Quellentheorie diskutiert wurden, ja deutlich belegen. Da eine direkte Bezeugung fehlt, ist die wünschenswerte Sicherheit im Urteil nicht zu erreichen, auch wenn am Ende mehr dafür spricht, dass die Einheit in *Ev enthalten war, als dass Lk sie aus verstreutem Material aus Mk und Mt selbst komponierte: Neben den geringfügigen Abweichungen in der handschriftlichen Überlieferung rechtfertigen diese Einsichten, die Perikope bei aller Vorsicht für *Ev zu reklamieren. *15, [ 1f ] 3-5 [ 6 ] 7.8 [ 9 ] 10 11-32 : Gleichnisse vom verlorenen Schaf und von der verlorenen Drachme. Gleichnis vom verlorenen Sohn Bezeugt und in *Ev vorhanden. Durch die lk Redaktion sehr wahrscheinlich intensiv bearbeitet und mit Sicherheit in großem Umfang ergänzt. [ 15,1 ῏Ησαν δὲ αὐτῷ ἐγγίζοντες πάντες οἱ τελῶναι καὶ οἱ ἁμαρτωλοὶ ἀκούειν αὐτοῦ. 2 καὶ διεγόγγυζον οἵ τε Φαρισαῖοι καὶ οἱ γραμματεῖς λέγοντες ὅτι Οὗτος ἁμαρτωλοὺς προσδέχεται καὶ συνεσθίει αὐτοῖς. ] 3 εἶπεν δὲ πρὸς αὐτοὺς τὴν παραβολὴν ταύτην λέγων, 4 Τίς ἄνθρωπος ἐξ ὑμῶν a ὃς ἔξει ἑκατὸν πρόβατα καὶ b ἀπολέσῃ ἐξ αὐτῶν ἓν c οὐκ ἀϕίησι c τὰ ἐνενήκοντα ἐννέα ἐν τῇ ἐρήμῳ καὶ d ἀπελθὼν τὸ ἀπωλολὸς ζητεῖ d ἕως εὕρῃ αὐτό; 5 καὶ ἐὰν εὕρῃ αὐτό [ ἐπιτίθησιν ἐπὶ τοὺς ὤμους αὐτοῦ χαίρων. 6 καὶ ἐλθὼν εἰς τὸν οἶκον e συγκαλεῖται τοὺς ϕίλους καὶ τοὺς γείτονας λέγων αὐτοῖς, Συγχάρητέ μοι, ὅτι εὗρον τὸ πρόβατόν μου τὸ ἀπολωλός. ] 7 ἀμὴν λέγω ὑμῖν ὅτι χαίρει ἐπ’ αὐτῷ μᾶλλον ἢ ἐπὶ τοῖς ἐνεήοντα ἐννέα. οὕτως χαρὰ ἐν τῷ οὐρανῷ ἔσται ¿ἐὰν εὑρεθῇ εἷς τῶν ἀπολωλῶν? [ ἐπὶ ἑνὶ ἁμαρτωλῷ μετανοοῦντι ἢ ἐπὶ ἐνενήκοντα ἐννέα δικαίοις οἵτινες οὐ χρείαν ἔχουσιν μετανοίας ] . 8 ῍Η τίς γυνὴ δραχμὰς ἔχουσα δέκα, f καὶ ἀπολέσασα μίαν f , οὐχὶ ἅπτει λύχνον καὶ σαροῖ τὴν οἰκίαν καὶ ζητεῖ ἐπιμελῶς ἕως g [ οὗ ] εὕρῃ; [ 9 καὶ εὑροῦσα συγκαλεῖ τὰς ϕίλας καὶ γείτονας λέγουσα, Συγχάρητέ μοι, ὅτι εὗρον τὴν δραχμὴν ἣν ἀπώλεσα. ] 10 οὕτως, λέγω ὑμῖν, γίνεται χαρὰ ἐνώπιον τῶν ἀγγέλων τοῦ θεοῦ ¿ἐὰν εὑρεθῇ εἷς τῶν ἀπολωλῶν? . 11 Εἶπεν δέ, Ἄνθρωπός τις εἶχεν δύο υἱούς. 12 καὶ εἶπεν ὁ νεώτερος αὐτῶν τῷ πατρί, Πάτερ, δός μοι τὸ ἐπιβάλλον μέρος τῆς οὐσίας. ὁ δὲ διεῖλεν αὐτοῖς τὸν βίον. 13 καὶ μετ’ οὐ πολλὰς ἡμέρας συναγαγὼν πάντα ὁ νεώτερος υἱὸς ἀπεδήμησεν εἰς χώραν μακράν, καὶ ἐκεῖ διεσκόρπισεν τὴν οὐσίαν αὐτοῦ ζῶν ἀσώτως. 14 δαπανήσαντος δὲ αὐτοῦ πάντα ἐγένετο λιμὸς ἰσχυρὰ κατὰ τὴν χώραν ἐκείνην, καὶ αὐτὸς ἤρξατο ὑστερεῖσθαι. 15 καὶ πορευθεὶς ἐκολλήθη ἑνὶ τῶν πολιτῶν τῆς χώρας ἐκείνης, καὶ ἔπεμψεν αὐτὸν εἰς τοὺς ἀγροὺς αὐτοῦ βόσκειν χοίρους· 16 καὶ ἐπεθύμει χορτασθῆναι ἐκ τῶν κερατίων 15,1-32 Rekonstruktion 977 ὧν ἤσθιον οἱ χοῖροι, καὶ οὐδεὶς ἐδίδου αὐτῷ. 17 εἰς ἑαυτὸν δὲ ἐλθὼν ἔϕη, Πόσοι μίσθιοι τοῦ πατρός μου περισσεύονται ἄρτων, ἐγὼ δὲ λιμῷ ὧδε ἀπόλλυμαι. 18 ἀναστὰς πορεύσομαι πρὸς τὸν πατέρα μου καὶ ἐρῶ αὐτῷ, Πάτερ, ἥμαρτον εἰς τὸν οὐρανὸν καὶ ἐνώπιόν σου, 19 οὐκέτι εἰμὶ ἄξιος κληθῆναι υἱός σου· ποίησόν με ὡς ἕνα τῶν μισθίων σου. 20 καὶ ἀναστὰς ἦλθεν πρὸς τὸν πατέρα ἑαυτοῦ. ἔτι δὲ αὐτοῦ μακρὰν ἀπέχοντος εἶδεν αὐτὸν ὁ πατὴρ αὐτοῦ καὶ ἐσπλαγχνίσθη καὶ δραμὼν ἐπέπεσεν ἐπὶ τὸν τράχηλον αὐτοῦ καὶ κατεϕίλησεν αὐτόν. 21 εἶπεν δὲ ὁ υἱὸς αὐτῷ, Πάτερ, ἥμαρτον εἰς τὸν οὐρανὸν καὶ ἐνώπιόν σου, οὐκέτι εἰμὶ ἄξιος κληθῆναι υἱός σου. 22 εἶπεν δὲ ὁ πατὴρ πρὸς τοὺς δούλους αὐτοῦ, Ταχὺ ἐξενέγκατε στολὴν τὴν πρώτην καὶ ἐνδύσατε αὐτόν, καὶ δότε δακτύλιον εἰς τὴν χεῖρα αὐτοῦ καὶ ὑποδήματα εἰς τοὺς πόδας, 23 καὶ ϕέρετε τὸν μόσχον τὸν σιτευτόν, θύσατε καὶ ϕαγόντες εὐϕρανθῶμεν, 24 ὅτι οὗτος ὁ υἱός μου νεκρὸς ἦν καὶ ἀνέζησεν, ἦν ἀπολωλὼς καὶ εὑρέθη. καὶ ἤρξαντο εὐϕραίνεσθαι. 25 ῏Ην δὲ ὁ υἱὸς αὐτοῦ ὁ πρεςβύτερος ἐν ἀγρῷ· καὶ ὡς ἐρχόμενος ἤγγισεν τῇ οἰκίᾳ, ἤκουσεν συμϕωνίας καὶ χορῶν, 26 καὶ προσκαλεσάμενος ἕνα τῶν παίδων ἐπυνθάνετο τί ἂν εἴη ταῦτα. 27 ὁ δὲ εἶπεν αὐτῷ ὅτι Ὁ ἀδελϕός σου ἥκει, καὶ ἔθυσεν ὁ πατήρ σου τὸν μόσχον τὸν σιτευτόν, ὅτι ὑγιαίνοντα αὐτὸν ἀπέλαβεν. 28 ὠργίσθη δὲ καὶ οὐκ ἤθελεν εἰσελθεῖν. ὁ δὲ πατὴρ αὐτοῦ ἐξελθὼν παρεκάλει αὐτόν. 29 ὁ δὲ ἀποκριθεὶς εἶπεν τῷ πατρὶ αὐτοῦ, Ἰδοὺ τοσαῦτα ἔτη δουλεύω σοι καὶ οὐδέποτε ἐντολήν σου παρῆλθον, καὶ ἐμοὶ οὐδέποτε ἔδωκας ἔριϕον ἵνα μετὰ τῶν ϕίλων μου εὐϕρανθῶ· 30 ὅτε δὲ ὁ υἱός σου οὗτος ὁ καταϕαγών σου τὸν βίον μετὰ πορνῶν ἦλθεν, ἔθυσας αὐτῷ τὸν σιτευτὸν μόσχον. 31 ὁ δὲ εἶπεν αὐτῷ, Τέκνον, σὺ πάντοτε μετ’ ἐμοῦ εἶ, καὶ πάντα τὰ ἐμὰ σά ἐστιν· 32 εὐϕρανθῆναι δὲ καὶ χαρῆναι ἔδει, ὅτι ὁ ἀδελϕός σου οὗτος νεκρὸς ἦν καὶ ἔζησεν, καὶ ἀπολωλὼς καὶ εὑρέθη. A. *15,3-5.7-9: Tert. 4,32,1f: Ovem et dragmam perditam quis requirit? nonne qui perdidit? Quis autem perdidit? nonne qui habuit? Quis vero habuit? nonne cuius fuit? Si igitur homo non alterius est res quam creatoris, is eum habuit cuius fuit, is perdidit qui habuit, is requisivit qui perdidit, is invenit qui quaesivit, is exultavit qui invenit. (2) Ita utriusque parabolae argumentum vacat circa eum cuius non est ovis neque dragma, id est homo. Non enim perdidit, quia non habuit; nec requisivit, quia non perdidit; nec invenit, quia nec requisivit; nec exultavit, quia non invenit. Atque adeo exultare illius est de paenitentia peccatoris, id est de perditi recuperatione, qui se professus est olim malle peccatoris paenitentiam quam mortem. ♦ 15,11-32 : Epiph., Schol. 42: πάλιν παρέκοψε πᾶσαν τὴν παραβολὴν τῶν δύο υἱῶν, τοῦ εἰληϕότος τὸ μέρος τῶν ὑπαρχόντων καὶ ἀσώτως δαπανήσαντος καὶ τοῦ ἄλλου. B. a (15,4) ος εξει: D; ος εχει: a aur d f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 vg ¦ εχων: M (*Ev non test.) ● b (15,4) απολεση: B* D; εαν απολεση: aur d e (οταν) g 1 gat ¦ απολεσας: M (*Ev non test.) ● c (15,4) ουκ αϕιησι: D aur d g 1 i l r 1 ; αϕησει: b c f ſſ 2 gat q ¦ ου καταλειπει: M (*Ev non test.) ● d (15,4) απελθων το απωλολος ζητει: D d (lat sy s.c.p co) ¦ και πορευεται επι το απωλολος: M (*Ev non test.) ● e (15,6) συγκαλειται: D F N Λ f 1.13 1241 al ¦ καλει: 7 267 1654 ¦ συγκαλει: it M (*Ev non test.) ● f (15,4) και απολεσασα μιαν: D 157 sy p Tat arab.pers ¦ εαν απολεση δραχμην μιαν: it M (*Ev non test.) ● g (15,8) ου: om D 69 205 343 716 892 1443 ¦ add P 75 א B L Θ f 1.13 33 579 1241 2542 al ¦ οτου; A W Ψ M (*Ev non test.). C. Von den beiden Gleichnissen vom verlorenen Schaf und der verlorenen Drachme bezeugt Tertullian in seinem zusammenfassenden Referat nur Stichworte aus *15,4.5.8 978 Anhang I 15,1-32 und kommt direkt von den beiden Gleichnissen *15,3-5.8f auf das Gleichnis vom ungerechten Haushalter (*16,1-9, s. dort) zu sprechen; er übergeht 15,11-32 kommentarlos. Darin entspricht er Epiphanius’ Zeugnis, dessen Auslassungsnotiz eindeutig ist: Das Gleichnis vom verlorenen Sohn hat mit Sicherheit in *Ev gefehlt und ist von der lk Redaktion eingefügt worden. Das Urteil über die nicht bezeugten Vv. 15,1-3.6.9 beruht vor allem auf dem redaktionellen Gestaltungswillen, der sich in der redaktionellen Einfügung von Lk 15,11-32 ausdrückt, aber auch auf der handschriftlichen Bezeugung mit ihren charakteristisch verteilten Varianten. Auf diese Weise lassen sich der genauere Umfang und das sprachliche Profil des ganzen Kapitels mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad rekonstruieren. 1. Die beiden Gleichnisse vom verlorenen Schaf und der verlorenen Drachme waren schon in *Ev parallel: Sie gehören zusammen und dienen, wie Tertullian bemerkt, 1 dem gleichen argumentativen Ziel. Interessanterweise entsprechen sich auch jeweils die bezeugten und unbezeugten Partien in den beiden Gleichnissen: Bezeugt sind die Bildelemente mit der Beschreibung der Ausgangssituation des »Verlustes« (*15,4f.8), nicht jedoch die deutenden Passagen innerhalb der Bildebene (Lk 15,6.9) bzw. die expliziten Deutungen Lk 15,7.10. Da diese Passagen die Deutungsrichtung der beiden Gleichnisse präzisieren, wiegt ihre Nichtbezeugung schwer: Es ist nicht ohne weiteres auszumachen, worauf genau die Gleichnisse zielten, weil ihnen in *Ev der nächste Kontext (Lk 15,1f.11-32) sehr wahrscheinlich bzw. sicher fehlte. 2. Aus diesem Grund sind die überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhänge ausgesprochen wichtig, die sich aus dem synoptischen Vergleich ergeben; sie werden uneinheitlich beurteilt: a. Das Gleichnis vom verlorenen Schaf (*15,4f) hat eine Parallele in Mt 18,12-14, die jedoch einige charakteristische Unterschiede zur lk Fassung aufweist. Im Unterschied zu *15,4 ist das Schaf in Mt 18,12 nicht »verloren« (*15,4: ἀ π ο λ έ σ ῃ ἐξ αὐτῶν ἕν), sondern hat sich »verirrt« (π λ α ν η θ ῇ ἓν ἐξ αὐτῶν). Tertullian spricht nicht vom »Verirren«, sondern bezeugt nur die Metaphorik verlieren - suchen - finden (4,321f: perdere - requirere - invenire): Die Metaphorik des Verirrens Mt 18,12f geht also auf die mt Redaktion zurück. 2 Sie ist durch das Bildfeld und den Kontext bestimmt, in dem Mt das Gleichnis rezipiert. Wichtiger sind die Beziehungen zwischen Mt 18,13f und Lk 15,6f: Beide Texte stimmen darin überein, dass sie die Freude bzw. Mitfreude über das Wiederfinden des Schafes auf der Bildebene des Gleichnisses erwähnen (χαίρει Mt 18,12 συγχάρητέ μοι Lk 15,6). Daneben steht die ausgeführte Anwendung auf der Sachebene (οὕτως Mt 18,14 || Lk 15,7) über die Reaktion im Himmel. Auch hier gibt es einige Unterschiede: Lk 15,6 wird die Aufforderung zur Mitfreude auf der Bildebene ______________________________ 1 Tert. 4,32,2: utriusque parabolae argumentum. 2 Anders C HR . H EIL , Lukas und Q, Berlin - New York 2003, 150-153, der (gegen den Text von CEQ 478) πλανάω als ursprüngliche Formulierung in »Q« annimmt und sich dabei vor allem auf die sonstige (aber jeweils nicht eindeutige) Wortwahl in Mt und Lk stützt. 15,1-32 Rekonstruktion 979 durch den ἄνθρωπος im Gleichnis formuliert, während Mt 18,13 den Ausdruck der Freude über das gefundene Schaf Jesus in den Mund legt (ἀμὴν λέγω ὑμῖν ὅτι …). Gemeinsam ist beiden Texten der Vergleich zwischen dem einen verlorenen und den neunundneunzig anderen Schafen; allerdings thematisiert ihn Mt 18,13a auf der Bildebene des Gleichnisses, während Lk 15,7 die Gegenüberstellung auf den einen Sünder und die neunundneunzig Gerechten bezieht, die der Buße (μετάνοια) nicht bedürfen. Diese Unterschiede der beiden (kanonischen) Fassungen werfen die Frage nach dem ursprünglichen Wortlaut der vorkanonischen Fassung auf. b. Das Gleichnis von der verlorenen Drachme *15,8(9-10) hat keine Entsprechung in Mt. Im Rahmen der Zwei-Quellentheorie wird daher die Frage diskutiert, ob dieses Gleichnis in »Q« enthalten war und von Mt übergangen wurde, oder ob Lk durch Parallelisierung mit 15,4-7 eines seiner »Doppelgleichnisse« geschaffen habe. 3 Für die überlieferungsgeschichtliche Rekonstruktion besitzt die sehr genaue strukturelle Parallelität zwischen Lk 15,4-7 und 15,8-10 große Bedeutung. Da Mt 18,12-14 keine Entsprechung zu der Aufforderung zur Mitfreude (Lk 15,6) enthält, liegt der Gedanke nahe, dass dieses Element aus einer (vorlk) Fassung von 15,8-10 stammen könnte und von dort als Analogie in 15,6 übernommen wurde. 4 In diesem Fall hätte das überlieferungsgeschichtliche Urteil über 15,4-7.8-10 Implikationen für die angenommene Vorstufe in »Q«. c. Da es zu Lk 15,11-32 keine synoptischen Entsprechungen gibt, bleibt im Horizont der Zwei-Quellentheorie nur die Alternative, dass das Gleichnis entweder von Lk selbst geschaffen oder aber aus dem lk Sondergut rezipiert wurde. Wie kaum anders zu erwarten, gibt es Befürworter für beide Positionen. 5 Die Diskussion der Frage nach der Herkunft von Lk 15,11-32 hat vor allem im Horizont einer Zuschreibung des Gleichnisses an den historischen Jesus eine Rolle gespielt. Wie zu zeigen sein wird, geht die Bildung des Gleichnisses mit großer Wahrscheinlichkeit auf die lk Redaktion zurück. Die Frage nach der »Historizität« liegt dagegen auf ______________________________ 3 Zu einer möglichen Herkunft aus »Q« vgl. James M. Robinson und John S. Kloppenborg in CEQ 484-487; anders z. B. P. H OFFMANN , Mutmaßungen über Q, in: A. Lindemann (ed.), The Sayings Source Q and the Historical Jesus, Leuven 2001, 255-288: 284 Anm. 82. Für eine Herkunft aus dem lk Sondergut votiert z. B. F ITZMYER , Lk 1073. 4 Z. B. M. W OLTER , Lk 15 als Streitgespräch, ETL 78 (2002), 25-56: 28; B OVON , Lk III 31 mit Anm. 87 (das Gleichnis könne keine »lk Erfindung« sein, sondern müsse »schon vorgängig - zweifellos im Sondergut - existiert haben«). Zurückhaltender ist Wolters Urteil zur Herkunft von 15,8-10 in seinem Kommentar (W OLTER , Lk 524): die Frage sei »natürlich unbeantwortbar«. 5 J. T. S ANDERS , Tradition and Redaction in Luke XV. 11-32, NTS 15 (1968/ 69), 433-438, hielt den zweiten Teil (15,24c-32) für eine lk Bildung. Eine komplette lk Bildung nahm z. B. L. S CHOTTROFF , Das Gleichnis vom verlorenen Sohn, ZThK 68 (1971), 27-52: 51f an. Dagegen etwa J. J EREMIAS , Tradition und Redaktion in Lk 15, ZNW 62 (1971), 171-189: 181, der aufgrund sprachlicher Indizien die Ansicht vertrat, dass das Gleichnis ganz aus dem Sondergut stamme und »vom Evangelisten nur ganz leicht stilistisch überarbeitet worden« sei. 980 Anhang I 15,1-32 einer ganz anderen methodischen Ebene und lässt sich (wenn überhaupt) sicher nicht literarkritisch beantworten. d. Unabhängig von der Frage nach der Herkunft der einzelnen Gleichnisse wird ganz überwiegend gesehen, dass ihre Einbettung in das narrative Setting der Szene (Lk 15,1f) vom Evangelisten stammt. 6 3. Tertullians Bezeugung klärt zunächst das überlieferungsgeschichtliche Problem für das Gleichnis von der verlorenen Drachme: Es stand bereits in *Ev neben dem Gleichnis vom verlorenen Schaf. Das Fehlen einer mt Entsprechung zu diesem Gleichnis hat seinen Grund folglich nicht darin, dass Lk in Analogie zu Lk 15,4-7 ein »Doppelgleichnis« geschaffen hat, sondern darin, dass Mt das Gleichnis von der verlorenen Drachme aus seiner Quelle *Ev übergangen hat. Unklar ist jedoch, ob *Ev auch die unbezeugten Passagen der beiden Gleichnisse enthielt. Dabei muss man zwischen den Aufforderungen zur Mitfreude innerhalb des jeweiligen Bildfeldes (Lk 15,6.9b: συγχάρητέ μοι, ὅτι εὗρον …) und den beiden schlussfolgernden Deutungen im Mund Jesu unterscheiden (*15,7.10: λέγω ὑμῖν ὅτι οὕτως χαρὰ ἐν τῷ οὐρανῷ ἔσται …). Die Urteile über diese beiden Aspekte stehen in einem engen Zusammenhang. Obwohl ein direkter Beleg für die Schlussfolgerungen *15,7.10 fehlt, haben die Vertreter der Lk-Priorität diese Vv. ohne weiteres für *Ev reklamiert. 7 Dies ist vor dem Hintergrund ihrer Annahmen über die theologischen Grundlagen der angeblichen marcionitischen Bearbeitung nicht ohne weiteres einsichtig: Tatsächlich passt die Sachlogik schon der Gleichnisse, mehr aber noch der in Frage stehenden Schlussfolgerungen nicht zu der angenommenen marcionitischen Theologie. Im Unterschied zu Harnack und anderen hat Tsutsui diese Spannung immerhin bemerkt: Denn die Intention der Gleichnisse und dieser Schlussfolgerungen ziele ja auf die Umkehr »der Menschen zu ihrem ursprünglichen Besitzer, d. i. dem Schöpfergott.« 8 Das Urteil Harnacks und anderer, dass die Vv. 7.10 in *Ev enthalten waren, kann sich jedoch auf Tertullians abschließendes Urteil stützen (4,32,2), wenn er das Wiederfinden des Verlorenen (perditi recuperatio) als Umkehr des Sünders deutet: Da von der paenitentia peccatoris nicht in den Gleichnissen *15,3-6.8f, sondern nur in deren Deutungen (Vv. 7.10: χαρὰ … ἐπὶ ἑνὶ ἁ μ α ρ τ ω λ ῷ μ ε τ α ν ο ο ῦ ν τ ι ) die Rede ist, wären sie hier für *Ev gesichert. Allerdings ist diese Schlussfolgerung weniger belastbar, als man sich wünschen würde. Denn das für Tertullians Deutung entscheidende Stichwort ist nicht die Umkehr, sondern der Tod des Sünders (m o r s peccatoris), der aber weder in den beiden Gleichnissen noch in den fraglichen Deutungen auftaucht, sondern erst in der Pointe des Gleichnisses vom verlorenen Sohn (15,24.32: ὁ υἱός μου ______________________________ 6 Vgl. die Kommentare und J EREMIAS , a. a. O.188. 7 H ARNACK 218*: V. 7 »braucht M. nicht geändert zu haben. Daß v. 10 τῶν ἀγγέλων vor τοῦ θεοῦ getilgt war, ist nicht zweifelhaft« (zu diesem Urteil über *15,10 vgl. u. S. 984 Anm. 13). 8 T SUTSUI 110. 15,1-32 Rekonstruktion 981 ν ε κ ρ ὸ ς ἦν καὶ ἀνέζησεν): Das aber hat in *Ev mit Sicherheit gefehlt (s. gleich). Erst dieser Zusammenhang zwischen Umkehr bzw. Tod des Sünders mit der Freude über die Umkehr erlaubt Tertullian den Verweis auf Ez 33,11 und damit den Nachweis, dass diese Freude über die Umkehr des Sünders ein Merkmal des Schöpfergottes sei. Allerdings ist der Gedanke, dass das Ausbleiben einer Umkehr des Sünders zu dessen Tod führt, keineswegs so singulär, dass Tertullian ihn nur aus Lk 15,24.32 gekannt haben könnte. Auch wenn Tertullians Hinweis auf die Umkehr des Sünders allein kaum ausreicht, um *15,7.10 für *Ev zu sichern, spricht seine Erwähnung der Freude des Finders 9 doch dafür, dass diese Bemerkungen in *Ev vorhanden waren - mit der Folge, dass hier ein weiteres Beispiel für die Inkonsequenz der angeblichen Redaktion Marcions vorliegt. 4. Da das Urteil über *15,7.10 unsicher bleibt, und da vor allem auch das Verhältnis dieser Deutungen zu 15,6.9 zu klären ist, gewinnen das Verhältnis zwischen *15,4-7 zur synoptischen Parallele Mt 18,12-14 und die daraus resultierenden überlieferungsgeschichtlichen Einsichten Bedeutung. Einige Beobachtungen geben Anhaltspunkte für die ursprüngliche Gestalt: a. Zunächst ist leicht nachvollziehbar, dass Mt das Gleichnis von der verlorenen Drachme in seinem Kontext der sog. Gemeinderede über das Problem des Umgangs mit innergemeindlichen Verfehlungen übergangen hat. Ihm geht es ja um eine Begründung für die »nachgehende Seelsorge«. Dementsprechend richtet sich das Gleichnis bei ihm auch nicht an die Pharisäer und Schriftgelehrten, sondern an die Jünger. Sein Ziel ist nicht die Begründung der (Freude über die) Umkehr von Sündern, sondern die Stärkung des Willens zur Bewahrung »eines dieser Kleinen«, wie die sehr wahrscheinlich redaktionelle 10 Deutung in Mt 18,14 sicherstellt. Sie zielt auf das in V. 12 genannte Verhalten des Hirten: Der Wille des himmlischen Vaters erfordert es, hinter den Verlorenen herzugehen und sie zu suchen. Dafür war das Bild des verirrten 11 Schafes erkennbar besser geeignet als das Beispiel einer Münze, die verlegt werden, aber sich nicht verirren kann. b. Beiden Fassungen des Gleichnisses ist außerdem der Kontrast zwischen der großen und der kleinen Zahl gemeinsam. Diese Kontrastierung begegnet bereits in der Exposition (Mt 18,12 || *15,4), wenn der Hirte die neunundneunzig anderen Schafe in den Bergen/ der Wüste zurücklässt, um das eine zu suchen. Die Kontrastierung hat die Funktion, den großen Wert des einen Schafs herauszustellen, um das der Hirte sich bemüht. Dem Gleichnis von der verlorenen Drachme fehlt ein entsprechender Hinweis auf das Zahlenverhältnis; er ist auch verzichtbar, »denn der Frau sind immerhin zehn Prozent ihres Vermögens abhanden gekommen.« 12 Im Gleichnis von der verlorenen Drachme übernimmt die Schilderung der Mühe der Frau bei ihrer Suche (*15,8: ἅπτει λύχνον; σαροῖ τὴν οἰκίαν; ζητεῖ ἐπιμελῶς) die Funktion, den ______________________________ 9 Tert. 4,32,1: is exultavit, quia invenit. 10 So L UZ , Mt III 25 Anm. 4, mit Verweis auf mt Vorzugswörter (οὕτως; θέλημα; ἔμπροσθεν; πατὴρ ὁ ἐν τοῖς οὐρανοῖς; μικροί). 11 Dass das Schaf sich verirrt hat, geht auf die mt Redaktion zurück (π λ α ν η θ ῇ ἓν ἐξ αὐτῶν Mt 18,12 ≠ ἀπολέσας ἐξ αὐτῶν ἓν *15,4). 12 W OLTER , Lk 526. 982 Anhang I 15,1-32 großen Wert des Verlorenen zu betonen. Im Gleichnis vom verlorenen Schaf wird die Kontrastierung von großer und kleiner Zahl noch einmal aufgenommen, wenn auch an unterschiedlicher Position: Mt 18,13b setzt im Gleichnis das eine verirrte Schaf den neunundneunzig anderen gegenüber; Lk 15,7b überträgt dieses Verhältnis - nicht im Gleichnis, sondern als Teil der expliziten Deutung - auf die Umkehr des einen Sünders gegenüber den neunundneunzig Gerechten. Es ist unschwer erkennbar, dass diese Formulierung der lk Fassung und ihre Position mit Achtergewicht im Vergleich zu Mt 18,13 sekundär ist: Die theologisierende Anwendung von Lk 15,7 (ἁμαρτωλός; μετανοεῖν/ μετάνοια; δίκαιοι) ist daher mit größter Wahrscheinlichkeit redaktionell. Denn sowohl das verlorene Schaf als auch die verlorene Drachme wurden gefunden, sind aber nicht umgekehrt. Die Metaphorik der Umkehr von Sündern stammt erst aus dem Gleichnis vom verlorenen Sohn, der sich selbst seiner Sünde bezichtigt (Lk 15,18.21: ἥμαρτον εἰς τὸν οὐρανὸν καὶ ἐνώπιόν σου) und der umkehrt (Lk 15,18.20: ἀναστὰς πορεύσομαι πρὸς τὸν πατέρα μου …). Erst in der Reaktion des Vaters wird diese Umkehr durch die aus den beiden ersten Gleichnissen vorbereitete Metaphorik des Verlorenseins/ Wiederfindens interpretiert (Lk 15,24.32: ἀπολωλὼ καὶ εὑρέθη). c. Auffällig ist schließlich, dass beide Fassungen die Formel (ἀμὴν) λέγω ὑμῖν ὅτι … enthalten (Mt 18,13b || Lk 15,7), die den Beginn der Deutung des Gleichnisses durch Jesus anzeigt. In Mt 18,13b bleibt diese Deutung zunächst auf der Bildebene: Der Hirte freut sich über das gefundene Schaf; in Lk 15,7 bezieht sich diese explizite Deutung auf der Sachebene auf die himmlische Freude über den umgekehrten Sünder. Die Position dieser Deutung in Lk 15,7 ist im jetzigen (kanonischen) Kontext sinnvoll, weil Lk 15,5b.6 bereits auf der Bildebene eine Reaktion auf das Finden erzählt: Der Hirte legt sich das Schaf auf die Schulter, trägt es nach Hause und fordert dort die Freunde zur Mitfreude auf. Im Vergleich zwischen Mt 18,13f und Lk 15,5b-7 erweist sich die lk Fassung als sekundär: Sie trennt sehr viel konsequenter die Bild- und die Sachebene voneinander. Aus diesem Grund ist es wahrscheinlich, dass die Amen-Einleitung der Deutung erstens bereits im vorkanonischen Evangelium stand, dort aber eher der mt als der lk Fassung entsprochen hat. 5. Diese Beobachtungen lassen dann in Umrissen erkennen, wie die gemeinsame Vorlage von Mt 18,13f und Lk 15,6f in *Ev ausgesehen haben kann: Das Gleichnis schloss mit der betont herausgehobenen Schlussfolgerung Jesu über die Freude. Ihre genaue sprachliche Gestalt ist allerdings unsicher. a. Die in das Gleichnis eingebettete Aufforderung zur Mitfreude Lk 15,6 ist wahrscheinlich eine redaktionelle Ergänzung: Sie hat keine Entsprechung in Mt 18,13f und widerspricht dem Gefälle des Gleichnisses, das an dem Kontrast der großen Zahl orientiert war und auf den großen Wert des Verlorenen zielte, nicht aber darauf, wie Dritte auf das Wiederfinden reagieren: Das Problem der Mitfreude über das Wiederfinden des Verlorenen stellt sich erst auf der Ebene der lk Redaktion. Es ist im narrativen Rahmen durch das »Murren« der Schriftgelehrten und Pharisäer über die Tischgemeinschaft Jesu mit den »Sündern« veranlasst (15,1f) und wird im zweiten Teil des Gleichnisses vom verlorenen Sohn (15,25-32) auf den Punkt gebracht: Der ältere Sohn soll die Notwendigkeit der Mitfreude über die Rückkehr seines jüngeren Bruders einsehen (15,32: εὐϕρανθῆναι δὲ καὶ χαρῆναι 15,1-32 Rekonstruktion 983 ἔδει). Auch wenn die Aufforderung zur Mitfreude nicht direkt formuliert wird, ist sie der Sache nach ohne weiteres erkennbar. Wenn Lk 15,6 redaktionell ist, wird das Gleiche auch für Lk 15,9b gelten: Beide Ergänzungen versuchen, die aus *Ev stammenden Gleichnisse durch eine Veränderung ihrer Sinnrichtung in das redaktionelle Konzept einzupassen. b. Den Abschluss des Gleichnisses vom verlorenen Schaf bildete in *Ev vermutlich das herausgehobene Jesuswort mit der (Amen,)Ich-sage-euch-Einleitung, die nicht nur in Mt 18,13, sondern auch in *15,7a.9a auftaucht. Diese Pointe beinhaltete im Gleichnis vom verlorenen Schaf den Hinweis auf das extravagante Zahlenverhältnis ἐπί … (μᾶλλον) ἢ ἐπί … Mt 18,13 || *15,7a, das für das Gleichnis konstitutiv ist. Es könnte wie Mt 18,13b formuliert gewesen sein, mit dem Unterschied allerdings, dass die letzten Worte (τοῖς μὴ πεπλανημένοις) sehr wahrscheinlich nicht in *Ev enthalten waren, weil sie der redaktionellen Tendenz der mt Fassung entsprechen. c. Im Anschluss an eine Entsprechung zu Mt 18,13b || *15,7b war mit Sicherheit noch eine Formulierung enthalten, die den Vergleich explizit machte (οὕτως …). Es spricht manches dafür, dass diese Formulierung eher Mt 18,14b als Lk 15,7a entsprach: Mt 18,14b nimmt mit dem Stichwort μικροί in der Sache das kontrastierende Zahlenverhältnis auf. Dazu passt, dass Mt entgegen seiner redaktionellen Änderungen in 18,12, hier nicht von den »verirrten«, sondern den »verlorenen« Kleinen spricht. Er hat also seine Änderung von ἀπόλλυμι/ ἀπόληται in πλανάω/ πεπλανήμενοι aus 18,12f in 18,14 nicht mitvollzogen: Ein typisches Beispiel von redaktioneller Unachtsamkeit. Ein letzter Hinweis für die Nähe zwischen *Ev und Mt 18,14 ist das Neutrum ἓν (τῶν μικρῶν τούτων): Es referiert auf die Schafe des Gleichnisses und nicht auf die »μικροί (Masc.), die an mich glauben« aus dem (redaktionellen) Kontext (Mt 18,6.10). Diese geringfügigen Inkongruenzen rechtfertigen die Annahme, dass Mt 18,13f i. W. den Wortlaut von *Ev rezipiert. d. Die mt und die lk Fassung stimmen darin überein, dass die Freude erwähnt wurde, bei Mt im Gleichnis, bei Lk in der Deutung. Vor allem setzen beide Fassungen (zusammen mit dem Gleichnis von der verlorenen Drachme) eine himmlische Reaktion voraus. 13 Es liegt daher nahe, dieses Element der himmlischen Freude schon für *Ev anzunehmen. ______________________________ 13 Dieses Element ist allen drei Fassungen gemeinsam (Mt 18,14: ἔμπροσθεν τοῦ πατρὸς ὑμῶν τοῦ ἐν οὐρανοῖς; *15,7: χαρὰ ἐν τῷ οὐρανῷ; *15,10: χαρὰ ἐνώπιον τῶν ἀγγέλων τοῦ θεοῦ) und wird deshalb bereits in der Vorlage gestanden haben. Wenig überzeugend ist Harnacks Vermutung: »Daß v. 10 τῶν ἀγγέλων vor τοῦ θεοῦ getilgt war, ist nicht zweifelhaft« (H ARNACK 218*). Diese Überlegung (wohl wegen der entsprechenden Auslassungsnotiz zu *12,8f bei Epiph., Schol. 30) findet sich schon bei Z AHN II 479; sie könnte auch durch *9,26 gestützt werden (s. jeweils dort). Auf der anderen Seite hat *Ev überhaupt keine Probleme, von den Engeln des Himmels zu reden, vgl. etwa *16,22; *20,36. 984 Anhang I 15,1-32 e. Unklar ist, worauf sich diese ausdrückliche (οὕτως …) himmlische Reaktion genau bezog: Das Gleichnis vom verlorenen Schaf wird in *15,7 und in Mt 18,14 unterschiedlich gedeutet. *15,7 bezieht (wie *15,10) die Freude aus dem Gleichnis auf die himmlische Freude über die Umkehr des Sünders (χαρὰ … ἐπὶ ἑνὶ ἁμαρτωλῷ μετανοοῦντι). Dass diese Formulierung unter dem Verdacht der Redaktion steht, wurde schon deutlich. Denn von den drei Gleichnissen in Lk 15 erzählt nur das (sicher redaktionelle) Gleichnis 15,11-32 vom jüngeren Sohn eine »Umkehr«, auch wenn sein Verhalten so nicht bezeichnet wird. Aber weder das Schaf noch gar die Drachme sind »umgekehrt«: Sie waren verloren, wurden gesucht und wieder gefunden. Die Spannung zwischen der Metaphorik der Bildebene auf der einen Seite (Verlieren/ Verlorengehen: *15,4f.8) und der Sachebene auf der anderen (Umkehr: Lk 15,7.10) deutet darauf hin, dass der Bezug auf die Freude über die Umkehr in den Deutungen sekundär ist und am ehesten auf die lk Redaktion zurückgeht. Andererseits liegt es nahe, dass auch die Deutung in Mt 18,14 sich der (mt) Redaktion verdankt. Die einigermaßen umständliche negative Formulierung οὐκ ἔστιν θέλημα ἔμπροσθεν τοῦ πατρὸς ὑμῶν … ἵνα ἀπόληται … enthält nicht nur eine Reihe von mt Vorzugswörtern (o. S. 981 Anm. 10), sie scheint auch an den mt (redaktionellen) Rahmen angepasst zu sein, der an der Aufforderung zur »Suche« des Verlorenen interessiert ist. Tertullians Referat belegt im Zusammenhang ausschließlich (und wiederholt) die Metaphorik verlieren - suchen - finden (perdere - requirere - invenire). Es ist daher gut möglich, dass die Deutung in *Ev genau dieses Element enthielt, das dann allerdings sowohl von Mt als auch von Lk im Interesse ihrer jeweiligen redaktionellen Bearbeitung verändert wurde. Dafür spricht auch, dass im Gleichnis vom verlorenen Sohn gleich zwei Mal davon die Rede ist, dass der jüngere Sohn »gefunden« (εὑρέθη) wurde (Lk 15,24.32) - obwohl der doch gar nicht »gesucht« wurde, sondern »umgekehrt« ist. Auch wenn dieses Element durch das Verhalten des Vaters, der dem Sohn entgegen eilt (Lk 15,20b), wenigstens teilweise gedeckt ist, bleibt hier eine Auffälligkeit, die sich gut erklären würde, wenn Lk dieses Element in den Deutungen der Gleichnisse vom Schaf und der Drachme vorgefunden hätte. 6. Unter dieser Prämisse könnte das Gleichnis mit seiner Deutung etwa folgendermaßen gelautet haben. 15,1-32 Rekonstruktion 985 *15,4f.7 Mt 18,12-14 Lk 15,4-7 4 Τίς ἄνθρωπος ἐξ ὑμῶν ὃς ἔξει ἑκατὸν πρόβατα 12 Τί ὑμῖν δοκεῖ; ἐὰν γένηταί τινι ἀνθρώπῳ ἑκατὸν πρόβατα 4 Τίς ἄνθρωπος ἐξ ὑμῶν ἔχων ἑκατὸν πρόβατα καὶ ἀπολέσῃ ἐξ αὐτῶν ἓν καὶ πλανηθῇ ἓν ἐξ αὐτῶν, καὶ ἀπολέσας ἐξ αὐτῶν ἓν οὐκ ἀϕίησι τὰ ἐνενήκοντα ἐννέα ἐν τῇ ἐρήμῳ καὶ ἀπελθὼν οὐχὶ ἀϕήσει τὰ ἐνενήκοντα ἐννέα ἐπὶ τὰ ὄρη καὶ πορευθεὶς ζητεῖ οὐ καταλείπει τὰ ἐνενήκοντα ἐννέα ἐν τῇ ἐρήμῳ καὶ πορεύεται τὸ ἀπωλολὸς ζητεῖ ἕως εὕρῃ αὐτό; τὸ πλανώμενον; ἐπὶ τὸ ἀπολωλὸς ἕως εὕρῃ αὐτό; 5 καὶ ἐὰν εὕρῃ αὐτό, 13 καὶ ἐὰν γένηται εὑρεῖν αὐτό, 5 καὶ εὑρὼν ἐπιτίθησιν ἐπὶ τοὺς ὤμους αὐτοῦ χαίρων, 6 καὶ ἐλθὼν εἰς τὸν οἶκον συγκαλεῖ τοὺς ϕίλους καὶ τοὺς γείτονας λέγων αὐτοῖς, Συγχάρητέ μοι, ὅτι εὗρον τὸ πρόβατόν μου τὸ ἀπολωλός. 7 (ἀμὴν) λέγω ὑμῖν ὅτι ἀμὴν λέγω ὑμῖν ὅτι 7 λέγω ὑμῖν ὅτι χαίρει ἐπ’ αὐτῷ μᾶλλον ἢ ἐπὶ τοῖς ἐνενήκοντα ἐννέα. χαίρει ἐπ’ αὐτῷ μᾶλλον ἢ ἐπὶ τοῖς ἐνενήκοντα ἐννέα τοῖς μὴ πεπλανημένοις. οὕτως χαρὰ ἐν τῷ οὐρανῷ ἔσται 14 οὕτως οὐκ ἔστιν θέλημα ἔμπροσθεν τοῦ πατρὸς ὑμῶν τοῦ ἐν οὐρανοῖς οὕτως χαρὰ ἐν τῷ οὐρανῷ ἔσται ἐὰν εὑρεθῇ ἓνα τῶν ἀπολωλῶν ἵνα ἀπόληται ἓν τῶν μικρῶν τούτων. ἐπὶ ἑνὶ ἁμαρτωλῷ μετανοοῦντι ἢ ἐπὶ ἐνενήκοντα ἐννέα δικαίοις οἵτινες οὐ χρείαν ἔχουσιν μετανοίας. Diese Rekonstruktion trägt den genannten Überlegungen zur Struktur insgesamt Rechnung. Darüber hinaus sind nur zwei kleine Einzelheiten zu beachten: a. Wenn die Aufforderung zur Mitfreude über das wiedergefundene Schaf (Lk 15,6) redaktionell ist, dann musste der Anlass dafür in der Erzählung des Gleichnisses vorgekommen sein. Dies geschieht in Lk 15,5b: Der Hirte legt sich das gefundene Schaf voller Freude (χαίρων) auf die Schulter. Da Mt 18,12 dazu keine Entsprechung hat, sondern die Deutung einfach an die Mitteilung des Findens anschließt (Mt 18,12: καὶ ἐὰν γένηται εὑρεῖν αὐτό), wird für die vorkanonische Fassung Entsprechendes gelten (*15,5a: καὶ εὑρών …). 986 Anhang I 15,1-32 b. Die Objekte der himmlischen Freude in Mt 18,14b und Lk 15,7b haben sich jeweils als redaktionell erweisen: So, wie das »Verlorengehen der Kleinen« auf die mt Redaktion zurückgeht, ist vermutlich auch die »Umkehr der Sünder« eine Formulierung der lk Redaktion. Auch wenn es nicht auszuschließen ist, dass das mt Interesse an den »Kleinen« durch eine entsprechende Formulierung des vorkanonischen Textes angeregt worden sein könnte, wählt die Rekonstruktion daher eine allgemeine Formulierung, die als Basis für beide synoptischen Posttexte in Frage kommt: ἐὰν εὑρεθῇ ἓνα τῶν ἀπολωλῶν. Diese Formulierung ist gut denkbar, bleibt aber unbeweisbar. 7. Für das Gleichnis von der verlorenen Drachme ist ein entsprechender Text in *Ev anzunehmen: *15,8 ist im Kern bezeugt, und es gibt, abgesehen von den geringfügigen Änderungen, die sich aufgrund der handschriftlichen Varianten für *Ev nahelegen, keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Text in *Ev eine wesentlich andere Gestalt hatte als in der kanonischen Fassung. In Analogie zu Lk 15,6 ist daher davon auszugehen, dass auch Lk 15,9 in *Ev gefehlt hat und eine redaktionelle Ergänzung ist. Die genauere sprachliche Gestalt von *15,10 und die genaue Deutung des Gleichnisses sind genauso offen, wie dies in *15,7 der Fall ist. Auch hier ist die Formulierung ἐὰν εὑρεθῇ ἓνα τῶν ἀπολωλῶν nur ein unbeweisbarer Vorschlag. 8. Eindeutig bezeugt ist, dass das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) komplett in *Ev gefehlt hat, und dieser Sachverhalt bereitet für die Annahme der Lk-Priorität einige Schwierigkeiten. Es lassen sich nämlich keine Gesichtspunkte finden, die eine redaktionelle Streichung des Gleichnisses durch Marcion erklären würden. Während Harnack ohne Angaben von Gründen zu dem Gleichnis nur lapidar vermerkt »getilgt«, 14 bemüht sich Tsutsui immerhin um eine Erklärung der angenommenen Streichung: Er versteht die beiden ersten Gleichnisse als »innerkirchlich orientierte Erzählungen«, die dem festen »Zusammenhalt seiner (sc. Marcions) Gemeinde dienen sollen« - eine Lösung, die dem Verständnis von Mt 18,12-14 im mt Kontext entspricht und durchaus plausibel ist, wenn beide Gleichnisse in *Ev ohne näheren und sie determinierenden Kontext für sich standen: Die Rezeption von *15,3-6 in Mt 18,12-14 belegt, dass es eine entsprechende Tendenz gab, auch wenn sie nicht ohne weiteres für *Ev angenommen werden kann (s. o.). Das Gleichnis vom verlorenen Sohn präsentiere dagegen kein Beispiel nachgehender Seelsorge: Da Marcion es nicht als »innerkirchliche Erbauung« verstehen konnte, habe er es gestrichen. 15 ______________________________ 14 H ARNACK 219*. 15 T SUTSUI 110. 15,1-32 Rekonstruktion 987 Das Beispiel des Gleichnisses vom verlorenen Sohn zeigt noch einmal das Problem der fehlenden Konsistenz des für *Ev angenommenen redaktionellen Konzeptes. Die von Tsutsui genannten Gründe passen in keiner Weise zu dem, was wir von Marcion wissen oder aufgrund der häresiologischen Angaben zu wissen glauben: Wieso sollte Marcion nicht an der Umkehr von Sündern oder an »nachgehender Seelsorge« interessiert gewesen sein? Dieses Kriterium erweitert nur einfach den Katalog der Gründe für Marcions angebliche Redaktion. Die Argumentation ist also zirkulär, weil sie die marcionitische Theologie aus seinem Text ableitet und dann die »Bearbeitung« dieses Textes mit den so gewonnenen Gründen plausibilisieren möchte. Umgekehrt jedoch ist deutlich geworden, dass 15,11-32 nicht nur sehr gut in den größeren Rahmen der Komposition von Lk-Act passt, sondern auch, dass das Gleichnis wesentliche kohärenzstiftende Elemente enthält, die den gesamten Kontext von 15,1 an (zusammen mit 15,1f.6.9) zu einem großen Ganzen verbinden (s. o. zu 15,2.6.8f). 9. Trotz aller Unsicherheit bezüglich der ursprünglichen Gestalt von *15,4-7. 8-10 sind die großen Linien der lk Rezeption der Gleichnisse *15,4-7.8-10, der Ergänzung um 15,11-32 sowie die Einbindung aller drei Gleichnisse in den durch 15,1f geschaffenen Erzählrahmen gut nachvollziehbar: Lk bemüht sich um den Nachweis, dass die (Zöllner und) Sünder, mit denen Jesus isst (15,1), durch ihre Umkehr für diese Tischgemeinschaft qualifiziert sind, dass folglich das »Murren« der Schriftgelehrten und Pharisäer (15,2) nicht nur grundlos ist (dieser Gedanke entspricht *5,27-32, s. dort), sondern außerdem die Freude Gottes über die Umkehr der Sünder missachtet und geringschätzt. Insofern ist das Problem der Mitfreude (15,6.9.24c.32) für die lk Bearbeitung des ganzen Kapitels zentral. Das im redaktionellen Rahmen angesprochene Ausgangsproblem der Mahlgemeinschaft mit Sündern (15,2: οὗτος ἁμαρτωλοὺς προσδέχεται καὶ σ υ ν ε σ θ ί ε ι αὐτοῖς) wird nicht in den aus *Ev stammenden Gleichnissen, sondern erst in 15,11-32 aufgegriffen und gelöst. 16 Sofern die Rekonstruktion der Deutungen der beiden Gleichnisse vom Verlorenen in *Ev (*15,7.10) zutrifft, hat die lk Redaktion ihnen eine neue Sinnrichtung gegeben. Sie zeigt sich im kanonischen Text noch in der semantischen Inkongruenz zwischen der Bildebene der Gleichnisse (verloren - gefunden) und der Sachebene der Deutung (Sünder - Umkehr): Schaf und Drachme kehren nicht um, sie werden gefunden. Umgekehrt entspricht das Gleichnis vom verlorenen Sohn dieser Inkongruenz ziemlich genau: Obwohl der Sohn von sich aus zum Vater zurückkehrt und auf diese Weise seine μετάνοια unter Beweis stellt, wird vom ihm zwei Mal gesagt, ______________________________ 16 Zum Zusammenhang vgl. M. K LINGHARDT , ›Gesetz‹ bei Markion und Lukas, in: D. Sänger, M. Konradt (Hg.), Das Gesetz im frühen Judentum und im Neuen Testament, Göttingen - Fribourg 2006, 99-128: 107f. 988 Anhang I 15,1-32 dass er »verloren war und gefunden wurde« (15,24b.32c). Die durch die lk Bearbeitung entstandene semantische Inkongruenz von 15,7.10 ist durch die gegenläufige Ungenauigkeit in 15,24.32 »geheilt« und im Rahmen des redaktionellen Gesamtkonzeptes aufgefangen. *16,1-7 [ 8a ] 8b.9a [ 9b ] ¿10? 11-13: Gleichnis vom betrügerischen Verwalter. Von der Zuverlässigkeit im Umgang mit Kleinem und Großem Teilweise bezeugt und im Kern sicher in *Ev vorhanden; wahrscheinlich durch die lk Redaktion bearbeitet und möglicherweise ergänzt. 16,1 ῎Ελεγεν δὲ καὶ πρὸς τοὺς μαθητάς a [ αὐτοῦ ] , Ἄνθρωπός τις ἦν πλούσιος ὃς εἶχεν οἰκονόμον, καὶ οὗτος διεβλήθη αὐτῷ ὡς διασκορπίζων τὰ ὑπάρχοντα αὐτοῦ. 2 καὶ ϕωνήσας αὐτὸν εἶπεν αὐτῷ, Τί τοῦτο ἀκούω περὶ σοῦ; ἀπόδος τὸν λόγον τῆς οἰκονομίας σου, οὐ γὰρ b δύνῃ ἔτι οἰκονομεῖν. 3 εἶπεν δὲ ἐν ἑαυτῷ ὁ οἰκονόμος, Τί ποιήσω, ὅτι ὁ κύριός μου ἀϕαιρεῖται τὴν οἰκονομίαν ἀπ’ ἐμοῦ; σκάπτειν οὐκ ἰσχύω, ἐπαιτεῖν αἰσχύνομαι. 4 ἔγνων τί ποιήσω, ἵνα ὅταν μετασταθῶ ἐκ τῆς οἰκονομίας δέξωνταί με εἰς τοὺς οἴκους αὐτῶν. 5 καὶ προσκαλεσάμενος ἕνα ἕκαστον τῶν χρεοϕειλετῶν τοῦ κυρίου ἑαυτοῦ ἔλεγεν τῷ πρώτῳ, Πόσον ὀϕείλεις τῷ κυρίῳ μου; 6 ὁ δὲ εἶπεν, ῾Εκατὸν c κάδους ἐλαίου. ὁ δὲ εἶπεν αὐτῷ, Δέξαι σου d τὰ γράμματα d καὶ e [ καθίσας ταχέως ] e γράψον πεντήκοντα. 7 ἔπειτα ἑτέρῳ εἶπεν, Σὺ δὲ πόσον ὀϕείλεις; ὁ δὲ εἶπεν, ῾Εκατὸν κόρους σίτου. f ὁ δὲ λέγει f αὐτῷ, Δέξαι σου g τὰ γράμματα g καὶ γράψον ὀγδοήκοντα. [ 8 καὶ ἐπῄνεσεν ὁ κύριος τὸν οἰκονόμον τῆς ἀδικίας ὅτι ϕρονίμως ἐποίησεν· ] h διὸ λέγω ὑμῖν h οἱ υἱοὶ τοῦ αἰῶνος τούτου ϕρονιμώτεροι ὑπὲρ τοὺς υἱοὺς τοῦ ϕωτὸς εἰς τὴν γενεὰν τὴν ἑαυτῶν εἰσιν. 9 Καὶ ἐγὼ i λέγω ὑμῖν, i ἑαυτοῖς ποιήσατε ϕίλους ἐκ τοῦ μαμωνᾶ τῆς ἀδικίας [ ἵνα ὅταν ἐκλίπῃ δέξωνται ὑμᾶς εἰς τὰς αἰωνίους σκηνά. ] ¿10 ὁ πιστὸς ἐν ἐλαχίστῳ καὶ ἐν πολλῷ πιστός ἐστιν, καὶ ὁ ἐν ἐλαχίστῳ ἄδικος καὶ ἐν πολλῷ ἄδικός ἐστιν.? 11 εἰ k οὖν ἐν τῷ l μαμωνᾷ ἀδίκῳ l πιστοὶ οὐκ ἐγένεσθε, τὸ ἀληθινὸν τίς ὑμῖν πιστεύσει; 12 καὶ εἰ ἐν τῷ ἀλλοτρίῳ πιστοὶ οὐκ m εὑρέθητε, τὸ n ἐμὸν τίς ὑμῖν δώσει; 13 Οὐδεὶς οἰκέτης δύναται δυσὶ κυρίοις δουλεύειν· ἢ γὰρ τὸν ἕνα μισήσει καὶ τὸν ἕτερον ἀγαπήσει, ἢ ἑνὸς ἀνθέξεται καὶ τοῦ ἑτέρου καταϕρονήσει. οὐ δύνασθε θεῷ δουλεύειν καὶ μαμωνᾷ. A. *16,1-7.9: Tert. 4,33,1: Quibus duobus dominis neget posse serviri quia alterum offendi sit necesse alterum defendi, ipse declarat deum proponens et mammonam. Deinde mammonam quem 16,1-13 Rekonstruktion 989 intellegi velit, si interpretem non habes, ab ipso potes discere. Admonens enim nos de saecularibus suffragia nobis prospicere amicitiarum, secundum servi illius exemplum. qui ab actu summotus dominicos debitores deminutis cautionibus relevat in subsidium sibi, Et ego, inquit, dico vobis, facite vobis amicos de mammona iniustitiae, de nummo scilicet de quo et servus ille. ♦ *16,11f: Tert. 4,33,4: Et illud itaque relucebit, quomodo dictum, Si in mammona iniusto fideles non extitistis, quod verum est quis vobis credet? in nummo scilicet iniusto, non in creatore, quem et Marcion iustum facit. Et si in alieno fideles inventi non estis, meum quis dabit vobis? alienum enim debet esse a servis dei quod iniustum est. ♦ *16,13: Tert. 4,33,1f: Quibus duobus dominis neget posse serviri quia alterum offendi sit necesse alterum defendi, ipse declarat deum proponens et mammonam. Deinde mammonam quem intellegi velit, si interpretem non habes, ab ipso potes discere. Admonens enim nos de saecularibus suffragia nobis prospicere amicitiarum, secundum servi illius exemplum. qui ab actu summotus dominicos debitores deminutis cautionibus relevat in subsidium sibi, Et ego, inquit, dico vobis, facite vobis amicos de mammona iniustitiae, de nummo scilicet de quo et servus ille. (2) cui famulatam videns pharisaeorum cupiditatem amentavit hanc sententiam: Non potestis deo servire et mammonae. ¦ Adam. 1,28 (821a, 56,20ff): οὐδεὶς, ϕησί, δύναται δυσὶ κυρίοις δουλεύειν· ἢ γὰρ τὸν ἕνα μιήσει καὶ τὸν ἕτερον ἀγαπήσει, ἢ ἕνος ἂνθέξεται καὶ τοῦ ἑτέρου καταϕρονήσει· οὐ δύνασθε θεῷ δουλεύειν καὶ μαμωνᾷ. B. a (16,1) αυτου: om P 75 א B D L R 69 788 (579) 1241 2542 d e bo pt ¦ add A W Θ Ψ f 1.13 a aur b c f ſſ 2 i l q r 1 sy bo pt M (*Ev non test.) ● b (16,2) δυνη: P 75 א B D P W Θ 012 f 1.13 2542 d e (ſſ 2 ) ¦ δυνηση: A L Ψ 33 a aur b c f i l q r 1 M (*Ev non test.) ● c (16,6) καδους: D* 1241 aur e f g 1 (l) r 1 vg; καβους: D 2 713 ℓ48 ℓ292 ¦ βαδους: א L W X Ψ Ω 070 0178 579 892 pc; βατους: P 75 A B Θ f 1.13 q vg mss M (*Ev non test.) ● d (16,6) τα γραμματα: P 75 א B D L N Ψ 070 579 pc b c d ſſ 2 gat q r 1 bo ¦ το γραμμα: A W Θ f 1.13 33 (a aur) e f l sa M (*Ev non test.) ● e (16,6) καθισας ταχεως: om D d bo ms Tat pers ¦ add a aur b c e f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● f (16,7) ο δε λεγει: D d ¦ λεγει δε: א f 13 892 pc bo mss ¦ λεγει: P 75 B L 565 579 1241 pc lat sy c.p sa bo pt ¦ και λεγει: A W Θ Ψ f 1 sy h bo ms M (*Ev non test.) ● g (16,7) τα γραμματα: P 75 א B D L N Ψ f 1 579 pc aur b c f ſſ 2 i l q r 1 bo ¦ το γραμμα: A W Θ f 13 (a) e l sa M (*Ev non test.) ● h (16,8) διο λεγω υμιν: D (a) d r 1 ¦ οτι: aur b c e f ſſ 2 i l q M (*Ev non test.) ● i (16,9) λεγω υμιν/ dico vobis: Tert a aur c d ſſ 2 vg mss sy p Tat arab sa bo ¦ (2 1) υμιν λεγω/ vobis dico: b e f l q r 1 M ● k (16,11) ουν/ ergo: om Tert 118 205 209 2487 ℓ524 Tat pers ¦ add it M ● l (16,11) μαμωνα αδικω/ mamona iniquo: Tert q ¦ αδικω μαμωνα/ iniquo (iniusto: e) mamona (2 1): a aur b c d e f ſſ 2 i l r 1 M ● m (16,12) ευρεθητε/ inventi estis: Tert sy s.p Tat arab ¦ εγενεσθε/ fuistis: it M ● n (16,12) εμον/ meum: Tert 157 e i l; ημετερον: B L pc ¦ υμετερον/ vestrum: P 75 א A D W Θ Ψ f 1.13 [a] aur c d f ſſ 2 q r 1 sy co ¦ αληθινον: 33 vid pc ¦ μεγα: 2Clem Iren lat . C. Aus dem Gleichnis vom ungerechten Verwalter fasst Tertullian nur *16,5f zusammen, ohne dass die genaue sprachliche Gestalt sicher zu greifen ist. Immerhin sind die zentralen Aussagen des Gleichnisses dadurch gesichert. Von der folgenden Belehrung über den Umgang mit dem »ungerechten Mammon« hat Tertullian *16,9a.11f.13a.c wörtlich wiedergegeben. 1. Für das Urteil über die unbezeugten Passagen helfen auch an dieser Stelle die Varianten der kanonischen Handschriftenüberlieferung. Sie sind als Indizien für die Interferenz der kanonischen und der vorkanonischen Überlieferung zu werten und machen auf diesem Weg die Existenz eines vorkanonischen Textes 990 Anhang I 16,1-13 wahrscheinlich. Die Herausgeber von NA 27 haben die meisten der wahrscheinlich vorkanonischen Lesarten in den Text aufgenommen: Sie halten sie zu Recht für älter als die jeweils anderen Lesarten; jedoch bezeugen diese Varianten nicht den kanonischen Text des Lk, sondern den vorkanonischen von *Ev. 2. Durch die Rekonstruktion der vorkanonischen Fassung lässt sich die grundlegende Schwierigkeit für die Interpretation des Gleichnisses vielleicht nicht komplett lösen, aber doch in ihrem Zustandekommen besser verstehen. Es ist zunächst nicht ohne weiteres möglich, das Ende des Gleichnisses bzw. den Übergang zu seiner Deutung eindeutig zu identifizieren. Je nachdem, ob Lk 16,8a noch zum Gleichnis gehört oder nicht, ändert sich die Identität des κύριος, der den Verwalter lobt: Wenn die Aussage noch zum Gleichnis gehört, ist der Herr der ἄνθρωπός τις πλούσιος aus *16,1. 1 In diesem Fall würde der reiche Mensch den Verwalter für genau das Verhalten loben, für das er ihn gerade zu entlassen im Begriff ist: für die Verschwendung seiner Güter (διασκορπίζω, *16,1). 2 Wenn das Gleichnis dagegen in *16,7 endet, ist der κύριος V. 8a der Gleichniserzähler, also Jesus. 3 In diesem Fall müsste man zwar die unschöne Verdoppelung der Begründung in *16,8a.b (ὅ τ ι ϕρονίμως ἐποίησεν - ὅ τ ι οἱ υἱοὶ τοῦ αἰῶνος τούτου ϕρονιμώτεροι) in Kauf nehmen, hätte dafür aber die sich widersprechende Beurteilung des Verwalters durch seinen Herrn innerhalb des Gleichnisses getilgt. Für das Grundproblem hilft dies allerdings nur wenig, denn die unterschiedliche Bewertung verlagert sich in diesem Fall in die Deutung des Gleichnisses durch Jesus: Sie legt in *16,11f den Ton auf die Zuverlässigkeit im Umgang mit dem »ungerechten Mammon« bzw. dem »fremden« Besitz. Das fünfmalige πιστός/ πιστεύειν (Vv. *10-12) zeigt sehr deutlich, dass die (gut bezeugte) Deutung den Skopus des Gleichnisses in der Kritik an der Veruntreuung des anvertrauten Besitzes sieht, nicht aber in der berechnenden Bauernschläue des Verwalters, wie *16,8b nahelegen könnte. Aus diesem Grund hat man schon länger angenommen, dass diese semantische Inkongruenz auf eine redaktionelle Ergänzung zurückgeht, und entweder V. 8a für sekundär gehalten 4 oder *8b. 5 Tatsächlich lässt sich ein redaktioneller Eingriff an dieser Stelle wahrscheinlich machen. Es ist schon verschiedentlich aufgefallen, ______________________________ 1 So etwa B OVON , Lk III 78 zu. V. 8a (»Als guter Verlierer verbeugt sich der κύριος … vor der Klasse seines Verwalters«); ähnlich K LEIN , Lk 541 u. a. 2 Zu Recht W OLTER , Lk 544 z. St. mit Lit. 3 Z. B. E RNST , Lk z. St.; S CHNEIDER , Lk II 332f u. a. 4 R. B ULTMANN , Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen 7 1967, 190: Die »Anwendung von V. 8 (durch καὶ ἐπῄνεσεν ὁ κύριος abgesetzt […]) ist sekundär.« 5 Z. B. S CHNEIDER , Lk II 333 z. St.; B OVON , Lk III 72f: Der Kommentar V. 8b »sei aus einer doppelten Verlegenheit entstanden« (und zwar der Unklarheit der Pointe des Gleichnisses und dem möglichen Missverständnis, dass das Gleichnis zu Unehrlichkeit auffordert). 16,1-13 Rekonstruktion 991 dass absolutes ὁ κύριος in der auktorialen Rede ein Kennzeichen der lk Redaktion ist und an allen Vorkommen sicher oder doch mit hoher Wahrscheinlichkeit in *Ev gefehlt hat. 6 Dies gilt auch für Lk 16,8a. In diesem Fall lässt sich der Umfang der redaktionellen Ergänzung auch noch identifizieren. Denn für die Einleitung von *16,8b zeigen die Handschriften eine für die Interferenz zwischen kanonischer und vorkanonischer Überlieferung charakteristische Variante: Gegen den gesamten Rest der Überlieferung lesen D (it) διὸ λέγω ὑμῖν anstelle von ὅτι. In diesem schmalen Zweig der Überlieferung hat sich der betonte Einsatz des deutenden Kommentars Jesu zu dem Gleichnis noch erhalten, der also schon im vorkanonischen Text stand. Durch die redaktionelle Einfügung von V. 8a wurde der betonte Neueinsatz der Erklärung des Gleichnisses überflüssig und durch ὅτι ersetzt, das jetzt als ὅτιrecitativum die Funktion hat, den »Übergang von der auktorialen Rede zu der in V. 8b beginnenden wörtlichen Rede zu markieren.« 7 Die Einfügung von V. 8a hat die Funktion, die Klugheit (ϕρονιμώτεροι) der Söhne dieser Welt (V. *8b) als etwas Positives zu markieren (ὅτι ϕρονίμως ἐποίησεν). 3. In *16,9a hat Tertullian für *Ev die Wortfolge λέγω ὑμῖν gelesen, die auch in einen Teil der kanonischen Überlieferung eingedrungen ist (it sy u. a.). Die lk Redaktion hat diese Formulierung in ὑμῖν λέγω geändert und auf diese Weise die Angeredeten (2. Pers. Pl.) durch die Anfangsstellung deutlich herausgehoben; Lk hat dafür das unmittelbare Aufeinandertreffen von zweier Personalpronomen (ἐγὼ ὑμῖν) in Kauf genommen (sonst nur *11,9; Mt 26,15). Er macht damit deutlich, dass Jesus nach der allgemeinen Einschätzung der Klugheit der »Söhne dieses Äons« jetzt den Jüngern eine direkte Aufforderung erteilt. Der Finalsatz Lk 16,9b ἵνα ὅταν ἐκλίπῃ δέξωνται ὑμᾶς εἰς τὰς αἰωνίους σκηνάς ist unbezeugt. Er verweist im kanonischen Zusammenhang auf die Überlegung des Verwalters in *16,4 ἵνα … δέξωνταί με εἰς τοὺς οἴκους αὐτῶν und interpretiert die »Aufnahme in die Häuser« mit der Aufnahme in die himmlischen Wohnungen. Durch diese Parallelisierung entsteht eine doppelte Schwierigkeit: Zum einen müsste man annehmen, dass die »Freunde« (V. *9a) das Subjekt von δέξωνται (V. 9b) sind; aber diese sind ja die Bewohner »ewiger Hütten«, entsprechen also den Heiligen und Gerechten, die nach äthHen 39,4f u. ö. himmlische Wohnungen und Ruheorte haben: Dass nicht Gott, sondern die Gerechten über die Aufnahme in die himmlischen Wohnungen entscheiden, wäre ein höchst ungewöhnlicher Gedanke. 8 ______________________________ 6 Vgl. § 5 (Bd. I, S. 93ff). 7 W OLTER , a.a.O.; vgl. B. H EININGER , Metaphorik, Erzählstruktur und szenisch-dramatische Gestaltung in den Sondergutgleichnissen bei Lukas, Münster 1991, 167. 8 Auch in äthHen können die Heiligen und Gerechten die Menschenkinder nicht einfach in ihre himmlischen Wohnungen aufnehmen - so wenig, wie Lazarus dem Reichen sein postmortales Schicksal erleichtern kann: Die Sünder werden aus den himmlischen Wohnungen vertrieben und 992 Anhang I 16,1-13 Zum anderen lässt sich die Abfolge von *16,9a und 9b eigentlich nur als Aufforderung verstehen, seinen Besitz anderen zugute kommen zu lassen, um auf diese Weise eschatologischen Lohn zu erhalten. Aber der Verwalter aus dem Gleichnis verzichtet ja gar nicht auf seinen eigenen Besitz, sondern auf den seines Herrn, den er betrügt - ein Verhalten, das durch die Vv. (10)11f gerade kritisiert wird. Das Gleichnis passt also nur unter größter Mühe zu seiner Anwendung. Dabei beruhen die unübersehbaren semantischen Inkonzinnitäten neben dem Lob des Verwalters in Lk 16,8a zu einem guten Teil auf Lk 16,9b. Denn die Parallelisierung von Lk 16,9b mit *16,4 betont die intendierte Folge des Umgangs mit dem Besitz im Sinn des sprichwörtlichen prudenter agas et respice finem, wobei das Ende entschieden auf den eschatologischen Lohn bezogen wird: Das Ziel ist die Aufnahme εἰς τὰς αἰωνίους σκηνάς. Aus diesem Grund ist es wahrscheinlich, dass neben Lk 16,8a auch der unbezeugte V. 9b in *Ev fehlte. Dadurch ergibt sich für das Gleichnis und seine Anwendung eine ganz andere (wenn auch nicht eindeutige) Sinnrichtung (s. gleich). 4. *16,10 mit der Aussage über die Treue/ Untreue im Kleinen ist unbezeugt. Es ist denkbar, dass dieser Vers nicht in *Ev stand. Dafür könnte sprechen, dass in V. *11 das anaphorische οὖν fehlte, 9 das (im kanonischen Text) die Funktion hat, die allgemeinere Regel V. 10 auf die Bedingungen des Gleichnisses hin zu konkretisieren. Dazu kommen zwei sprachliche Beobachtungen. Sie beziehen ihr Gewicht aus der starken Kohärenz dieser drei Verse, die in inhaltlicher Hinsicht durch das Wort πιστός (vier Mal in zwei Versen), in formaler durch die Anordnung (zwei Paare von synthetischen Parallelismen) konstituiert wird: Zunächst fällt der Wechsel der Personen auf. Denn während *16,9a (ποιήσατε; ὑμᾶς) und *16,11f (ἐγένεσθε; ὑμῖν; τὸ ὑμέτερον) die Jünger in der 2. Pers. Pl. ansprechen, ist *16,10 (ὁ πιστὸς … ἐστιν κτλ.) in der 3. Pers. Sing. gehalten. Er formuliert in zwei sentenzenartigen Aussagen (in der 3. Pers. Sing.) in einer a-fortiori-Argumentation die Regel, dass Ehrlichkeit bzw. Unehrlichkeit im Kleinen auch auf Ehrlichkeit bzw. Unehrlichkeit im Großen schließen lässt. Wie in V. *9a (ποιήσατε; ὑμᾶς) sind in V. *11f die Jünger direkt angesprochen (2. Pers. Pl.): In einer apotreptischen Argumentation rät Jesus ihnen Zuverlässigkeit ἐν τῷ ἀδίκῳ μαμωνᾷ bzw. ἐν τῷ ἀλλοτρίῳ an. ______________________________ haben »kein Bleiben« in ihnen (41,2). Das Kriterium für die Aufnahme in die himmlischen Wohnungen ist verständlicherweise »Gerechtigkeit und das Recht« vor Gott (39,7f). Die Bewohner der himmlischen Ruheorte können für die »Menschenkinder« nichts anderes tun, als für sie Fürbitte zu leisten, obwohl sie eine große emotionale Nähe zu ihnen unter Beweis stellen (bitten; flehen; beten; Barmherzigkeit): »So ist es unter ihnen für immer und ewig« (35,5). 9 Vgl. T SUTSUI 110. Vgl. dagegen R OTH 238: »the omission of the conjunction οὖν, also absent in a few other manuscripts and versions, could very well have been due to Tertullian.« Die von Roth vermerkte Übereinstimmung zwischen Tertullian und einem Teil der Handschriftenüberlieferung macht sein Urteil unwahrscheinlich: Wieso sollte dieselbe, semantisch unauffällige Änderung unabhängig voneinander an veschiedenen Stellen entstanden sein? 16,1-13 Rekonstruktion 993 Zusammengenommen sind diese Beobachtungen ein Indiz (mehr nicht) dafür, dass V. 10 im ursprünglichen Zusammenhang gefehlt haben könnte: Aus Sicht der Lk- Priorität gibt es keinen erkennbaren Grund, warum Marcion V. 10 gestrichen haben sollte; im umgekehrten Fall wäre eine Ergänzung durch die lk Redaktion eher wahrscheinlich. Da eine positive Bezeugung fehlt, bleibt das Urteil allerdings offen. 10 5. Die Vv. *16,11f sind aufgrund der Bezeugung Tertullians über jeden Zweifel erhaben: Sie waren schon in *Ev enthalten. Allerdings bleiben einige kleinere Beobachtungen zu notieren: a. In *16,11 las Tertullian τῷ μαμωνᾷ ἀδίκῳ/ mamona iniusto gegen die für den kanonischen Text bezeugte Wortfolge τῷ ἀδίκῳ μαμωνᾷ, die Harnack ohne Angabe von Gründen für seine Rekonstruktion übernahm. 11 Die Bezeugung im Cod. Monacensis (q: mamona iniquo) legt dagegen nahe, dass Tertullian zutreffend referiert. 12 b. Während Tertullian für *16,11 πιστοὶ οὐκ ἐγένεσθε/ fideles non extitistis bezeugt, hat er in *16,12 πιστοὶ οὐκ ε ὑ ρ έ θ η τ ε / fideles i n v e n t i non estis gelesen. Die redaktionelle Änderung in 16,12 ist ohne weiteres als Angleichung an 16,11 zu verstehen, Tertullian hat hier also exakt referiert. 13 Dies legt sich im Übrigen auch durch die Bezeugung in der syrischen Handschriftenüberlieferung nahe. c. Ein letzter Aspekt ist nicht leicht zu erklären: Tertullian bezeugt für *16,12 τὸ ἐμόν anstelle des kanonischen τὸ ὑμέτερον. 14 Die parallel formulierten rhetorischen Fragen in *16,11f sind auch inhaltlich kongruent: Sie stellen den »ungerechten Mammon - das Wahre« und »das Fremde - das Meine« einander gegenüber. 15 Die vorkanonische Lesart ist nicht unbedingt leichter, denn die rhetorische Frage Jesu, wer »euch das Meinige« (oder »das Unsere«: B L usw.) geben werde, kann ja nur die Antwort implizieren: Ich nicht. Im Licht des Gleichnisses liegt der Ton dieser ______________________________ 10 *16,10ff werden 2Clem 8,5 rezipiert, und zwar so, dass zunächst *16,11f in einem Satz zusammengefasst werden (εἰ τὸ μικρὸν οὐκ ἐτερήσατε, τὸ μέγα τίς ὑμῖν δώσει; ), danach folgt ein Zitat von *16,10 (λέγω γὰρ ὑμὶν, ὅτι ὁ πιστὸς ἐν ἐλαχίστῳ καὶ ἐν πολλῷ πιστός ἐστιν). Obwohl gelegentlich die Nähe von 2Clem zur »mündlichen Tradition« behauptet wird (z. B. H. K OESTER , Ancient Christian Gospels, Philadelphia 1990, 353ff), ist doch durchweg ganz eindeutig die Kanonische Ausgabe vorausgesetzt. Der Verweis auf das »Evangelium« in der Einleitung zu 2Clem 8,5 (λέγει γὰρ ὁ κύριος ἐν τῷ εὐαγγελίῳ) bezieht sich daher eindeutig auf das Lukasevangelium. 11 H ARNACK 219*. 12 Gegen R OTH 238 (die Wortfolge μαμωνᾷ ἀδίκῳ sei »virtually unattested in the manuscript tradition«): Es ist wiederholt deutlich geworden, dass die Irregularität der Überlieferung vor allem der altlateinischen Handschriften dazu nötigt, auch einzelne Zeugnisse ernst zu nehmen. 13 Vgl. Z AHN II 479. 14 Die anderen Lesarten - αληθινον: 33 vid pc; μεγα: 2Clem Iren lat - sind erkennbar leichter als das solide bezeugte υμετερον. 15 B OVON , Lk III 94, macht für »das abstrakte, fast philosophische Vokabular« (das, was wahrhaftig ist, das Fremde, das Eure) den »Autor der Quelle, die Lk hier benutzt«, verantwortlich. Die beiden ersten Begriffe gehen auf *Ev zurück, aber »das Eure« ist lukanisch. 994 Anhang I 16,1-13 Lesart nicht auf dem eschatologischen Lohn, den die Jünger für den treuen Umgang mit dem Geringen erhalten sollen, 16 sondern auf der Eignung der Jünger als Verwalter: Es geht um die »Verwalteraufgabe«, die den Jüngern aufgetragen ist (vgl. *12,42.48; s. dort). 17 Diesem Verständnis entspricht im Gleichnis *16,1-7 nicht die ins Auge gefasste »Aufnahme in die Häuser« (*16,4), sondern die ursprüngliche Verwaltung des Besitzes, über den der οἰκονόμος Rechenschaft abzulegen hat. Für dieses Verständnis spricht dann auch das Stichwort οἰκέτης in *16,13: Es geht um den Dienst der Jünger. 6. *16,13 ist ebenfalls bezeugt und besitzt eine Parallele in Mt 6,24. Die sehr enge wörtliche Übereinstimmung legt dann nahe, dass auch der nicht bezeugte V. *13b (ἢ γὰρ τὸν ἕνα μισήσει καὶ τὸν ἕτερον ἀγαπήσει) bereits aus *Ev stammt und nicht erst von Lk in Kenntnis der mt Parallele nachgetragen wurde. Im Rahmen der Zwei-Quellentheorie wird dieses Logion durchweg für »Q« reklamiert, und zwar in aller Regel im lk Kontext und der lk Akoluthie. 18 Der einzige redaktionelle Eingriff, den man in Lk 16,13 zu sehen meint, betrifft das (synoptische) Hapax legomenon οἰκέτης, die einzige Abweichung zwischen dem mt und dem lk Text. Aber Tertullian bezeugt diesen Ausdruck für *Ev (4,33,1: servus ille), und man fragt sich, welche Alternativen es dafür gegeben hätte, wenn denn *16,13 die Verbindung mit dem Gleichnis herstellen und die angeredeten Jünger in der Rolle des rechenschaftspflichtigen οἰκονόμος von *16,1 zeigen sollte. Die Auslassung von οἰκέτης in Mt 6,24 geht auf die mt Redaktion zurück. 7. Das Gleichnis vom betrügerischen Verwalter (*16,1-7) war bereits in *Ev mit der Deutung (*16,8b.9a.[10]11-13) zu einer Einheit verbunden. Mk hat beides ganz übergangen, Mt den größten Teil davon: Er hat nur die zusammenfassende Schlusssentenz rezipiert. 19 a. Die Rekonstruktion hat die semantischen Inkongruenzen der lk Fassung tatsächlich als eine Folge der redaktionellen Bearbeitung erwiesen. Diese hat allerdings anders ausgesehen, als sie sich im methodischen Rahmen der Zwei-Quellentheorie nahelegt. Die literarkritischen Erwägungen sind grundsätzlich dadurch ermöglicht, dass es zu *16,(1-9)10-12 keine synoptischen Parallelen gibt: Sofern man Lk 16,1-9 der lk Tradition (also in aller Regel: S-Lk) zuweist, lassen sich die Vv. 10-12 bequem als spätere Ergänzungen verstehen. Inhaltlich haben diese ______________________________ 16 So die verbreitete Deutung, z. B. K LEIN , Lk 543 z. St.: »Dieses ›Eurige‹ ist das den Christen Verheißene, das Heil, das Wahre.« 17 Vgl. S CHNEIDER , Lk II 335 z. St. (trotz seiner Bevorzugung der Lesart τὸ ὑμέτερον). 18 Vgl. C HR . H EIL , Lukas und Q, Berlin - New York 2003, 119ff (mit Lit.). 19 Nur am Rand sei vermerkt, dass *16,13 || Mt 6,24 (vermutlich wegen der sentenzenhaften Grundsätzlichkeit) immer wieder gern auf den historischen Jesus zurückgeführt wird (z. B. H EIL , a. a. O., 121; K LEIN , Lk 537); doch das lässt sich natürlich weder durch überlieferungsgeschichtliche noch durch inhaltliche Argumente erweisen. 16,1-13 Rekonstruktion 995 Überlegungen in der Regel die Funktion, die Anstößigkeit des Gleichnisses mit dem Lob des verschwenderischen Betrügers zu mildern. 20 Im Hintergrund steht dabei ein bestimmtes Entwicklungsmodell: Die Anstößigkeit (Lob des Betrügers) wird auf Jesus zurückgeführt, die moralisierende Deutung im Sinn des christlichen Almosengebens, die den Anstoß mildern soll, wird der kirchlichen Tradition zugeschrieben. 21 b. Die Rekonstruktion des vorkanonischen Textes ergibt jedoch ein anderes Bild. Denn die inhaltliche Spannung entsteht erst durch die redaktionelle Einfügung von Lk 16,8a mit dem Lob des ungerechten Verwalters sowie durch die Parallelisierung von Lk 16,9b mit *16,4. Wenn τὸ ἐμόν *16,12 nicht den eschatologischen Lohn, sondern die Aufgabe der Jünger bezeichnet, dann besaß die ganze Einheit eine andere (wenn auch nicht ganz eindeutige) Sinnrichtung, die sich am ehesten von *16,11-13 her erschließt. Die Anwendung zielt auf die Zuverlässigkeit im Umgang mit Besitz im Sinn der ehrlichen Verwaltung: Die Jünger können nur dann erwarten, dass Jesus ihnen das »Meinige« anvertraut, wenn sie sich auch im Umgang mit dem Geringen - in diesem Fall mit dem »ungerechten Mammon« bzw. mit »dem Fremden« - als zuverlässig erwiesen haben. Die Aufforderung *16,9a besagt daher nicht: »Wendet euren (oder gegebenenfalls auch fremden) Besitz für Bedürftige auf und erwerbt euch dadurch eschatologischen Lohn«, sondern: »Erweist euch als treue Verwalter und erwerbt euch durch solches ehrliches Verhalten vertrauensvolle Freundschaftsverhältnisse«. Impliziert wäre dann: Nur solcherart gewonnene ϕίλοι würden euch dann auch als Verwalter über ihren Besitz einsetzen. Auch *16,8b hatte dann eine andere Bedeutung als im kanonischen Text: Dass die »Söhne dieses Äons im Umgang miteinander klüger sind als die Söhne des Lichts« will nicht begründen, dass unehrliche Berechnung im Blick auf den eschatologischen Lohn sinnvoll ist und impliziert auch keine Aufforderung analog zu Mt 10,16b. Die größere Klugheit der Söhne dieses Äons untereinander verweist vielmehr auf die Erkenntnis des Reichen, dass jemand, der anvertrautes Gut verschwendet (*16,1), im Zweifelsfall auch ein Betrüger ist (*16,4-7) und deshalb überhaupt kein Verwalter sein kann (*16,2). Der Komparativ (ϕρονιμώτεροι ὑπέρ) warnt davor, den Umgang mit irdischen Dingen leichtfertig als Adiaphoron zu betrachten und sich damit unehrliche Großzügigkeit zu leisten: Die »Söhne dieser Welt« wissen, dass sich Ehrlichkeit am deutlichsten im Umgang mit fremdem Besitz zeigt. Das Gleichnis des betrügerischen Verwalters legt die Grundlage für diese Paränese: Der Verwalter plant zwar, sich die Schuldner seines Herrn durch seinen Betrug zu verpflichten. Aber ______________________________ 20 Vgl. etwa B OVON , Lk III 73: Die Vv. 10-12 feiere »die Redlichkeit, während die Parabel sich einer gewissen Unredlichkeit beugte.« Ähnlich K LEIN , Lk 537: Die Logien V. 9-13 »legen vom Wachstum der Tradition Zeugnis ab und zeigen das Bedürfnis an, dem Gleichnis bzw. seiner Auslegung jeweils eine neue Seite abzugewinnen. Die alte Tradition konnte man interpretieren, aber nicht mehr eliminieren.« 21 Beispielsweise K LEIN , Lk 542, der 13,9 auf das »Verschenken von Geld an Arme« bezieht und in 16,10-12 diejenigen angeredet sieht, die »mit den Spenden umgehen, … christlichen Geldverwaltern.« 996 Anhang I 16,1-13 er würde selbst im Erfolgsfall das Eigentliche verlieren: Seine οἰκονομία. 22 Das Gleichnis zeigt, dass Unzuverlässigkeit sich nicht auszahlt und Verschwendung zu Betrug führt. In der vorkanonischen Fassung war der Verwalter des Gleichnisses als Betrüger durchweg negativ konnotiert und diente als abschreckendes Beispiel. Diese Warnung bezieht ihren guten Sinn aus *16,13. Denn wenn Gottes- und Mammonsdienst grundsätzlich unvereinbar sind, dann könnte dies zu der (falschen) Annahme verleiten, dass die »Ungerechtigkeit« des Mammons auch die Unehrlichkeit im Umgang mit ihm erlauben oder gar rechtfertigen würde. Dass dies ein Trugschluss ist, zeigen die Vv. *11f. Die Vv. *16,11f bilden also die entscheidende Klammer zwischen dem Gleichnis und der Weiterführung der Besitzparänese gegenüber den geldgierigen Pharisäern (*16,14f). Diese Gedankenführung im vorkanonischen Text scheint gewisse Ambivalenzen in der Beurteilung des Mammons zu enthalten: Auf der einen Seite ist der Mammon »ungerecht« und unvereinbar mit Gott, auf der anderen Seite fordert Jesus nicht nur zum ehrlichen Umgang damit auf, sondern weiß auch, dass »die Söhne dieser Welt« dies besser zu wissen scheinen als die »Söhne des Lichts.« Die Ambivalenz wird dadurch hervorgerufen, dass die positive Wertung von ϕρονιμώτεροι *16,8b den Eindruck erweckt, sie sei auf ein Verhalten wie das des Verwalters zu beziehen. c. Die lk Redaktion hat diese (scheinbare) Ambivalenz durch die Einfügung von Lk 16,8a.9b vereindeutigt, und zwar gegen die Sinnrichtung von *Ev. Denn der lk Jesus »lobt« den Verwalter (Lk 16,8a) und fordert die Jünger zu einem entsprechenden Umgang mit dem »ungerechten Mammon« auf (*16,9a in Verbindung mit Lk 16,9b). Durch diese redaktionellen Änderungen ist der Gesamtsinn allerdings nicht einfacher geworden: Der Widerspruch zwischen der redaktionellen Einfügung von Lk 16,9b und *16,11f ist nur verschoben, aber nicht verschwunden, sondern wegen des gemeinsamen Stichwortes μαμωνᾶς τῆς ἀδικίας nur deutlicher geworden. Als Folge dieser Umdeutung hat sich auch verändert, was mit der positiven Gabe gemeint ist, von der die Deutung spricht (»das Meine geben«): In der kanonischen Fassung ist nicht mehr die Übertragung der Verwaltung auf die Jünger gemeint, sondern der eschatologische Lohn, den sie für ihren Umgang mit dem »ungerechten Mammon« erwarten können. Diesen Aspekt konnte Lk mit Leichtigkeit aus dem folgenden Gleichnis von Lazarus und dem Reichen entnehmen (s. gleich). ______________________________ 22 Die Logik von *16,11f schließt aus, dass die erstrebte Aufnahme in die »Häuser« der Schuldner darin bestehen kann, dass diese ihn nun ihrerseits als Verwalter ihres Besitzes einsetzen. 16,14-18 Rekonstruktion 997 *16,14-18: Gegen die Pharisäer: Geldgier. Gesetz und Propheten. Ehescheidung und Wiederheirat Bezeugt, sicher in *Ev vorhanden. Wortlaut wahrscheinlich durch die lk Redaktion teilweise verändert. 16,14 ῎Ηκουον δὲ a ταῦτα [ πάντα ] a οἱ Φαρισαῖοι ϕιλάργυροι ὑπάρχοντες, καὶ ἐξεμυκτήριζον αὐτόν. 15 καὶ εἶπεν αὐτοῖς, ῾Υμεῖς ἐστε οἱ δικαιοῦντες ἑαυτοὺς ἐνώπιον τῶν ἀνθρώπων, ὁ δὲ θεὸς γινώσκει τὰς καρδίας ὑμῶν· ὅτι τὸ ἐν ἀνθρώποις ὑψηλὸν βδέλυγμα ἐνώπιον τοῦ θεοῦ. 16 Ὁ νόμος καὶ οἱ προϕῆται b ἕως Ἰωάννου c {ἐπροϕήτευσαν}· d ἐξ οὗ d ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ e ἀπαγγελίζεται f † [ καὶ πᾶς εἰς αὐτὴν βιάζεται ] † f . 17 παρέλθει οὖν ὁ οὐρανὸς καὶ ἡ γῆ ταχύτερον ἢ μία κεραία g τῶν λόγων τοῦ κυρίου g . 18 h ὃς ἂν ἀπολύσῃ τὴν γυναῖκα i [ αὐτοῦ ] καὶ ἄλλην γαμήσῃ, μοιχεύει, καὶ ὃς ἂν ἀπὸ ἀνδρὸς ἀπολελυμένην γαμήσῃ, ὁμοίως μοιχός ἐστιν. A. *16,14: Tert. 4,33,2: Cui famulatam videns pharisaeorum cupiditatem amentavit hanc sententiam: Non potestis deo servire et mammonae. Irridebant denique pharisaei pecuniae cupidi, quod intellexissent scilicet mammonam de nummo dictum: ne quis existimet in mammona creatorem intellegendum et Christum a creatoris illos servitute revocasse. ♦ *16,15: Tert. 4,33,6: Si autem et iustificantes se coram hominibus pharisaei spem mercedis in homine ponebant, illo eos sensu increpabat quo et propheta Hieremias: Miser homo, qui spem habet in homine. Si et adicit, Scit autem deus corda vestra, illius dei vim commemorabat qui lucernam se pronuntiabat, scrutantem renes et corda. Si superbiam tangit, Quod elatum est apud homines perosum est deo, Esaiam ponit ante oculos: Dies enim domini sabaoth, in omnem contumeliosum et superbum, in omnem sublimem et elatum, et humiliabuntur. ♦ *16,16: Tert. 4,33,7: Possum iam colligere cur tanto aevo deus Marcionis fuerit in occulto. Expectabat, opinor, donec haec omnia disceret a creatore. Didicit ergo usque ad Ioannis tempora, atque ita exinde processit annuntiare regnum dei, dicens, Lex et prophetae usque ad Ioannem, ex quo regnum dei annuntiatur. ¦ Epiph., Schol. 43: Ὁ νόμος καὶ οἱ προϕῆται ἕως Ἰωάννου καὶ πᾶς εἰς αὐτὴν βιάζεται. ♦ *16,17: Tert. 4,33,9: Transeat igitur caelum et terra citius, sicut et lex et prophetae, quam unus apex verborum domini. ♦ *16,18: Tert. 4,34,1: Sed Christus divortium prohibet dicens, Qui dimiserit uxorem suam et aliam duxerit, adulterium committit; qui dimissam a viro duxerit, aeque adulter est. ¦ vgl. 4,34,4: Qui dimiserit, inquit, uxorem et aliam duxerit, adulterium commisit, et qui a marito dimissam duxerit, aeque adulter est. B. a (16,14) ταυτα παντα: (1) παντα om D 579 d i sa ms ¦ (1 2) ταυτα παντα: P 75 א * B L Ψ 1241 pc a aur b c e f ſſ 2 l q r 1 sy s.c.p co ¦ ταυτα παντα και: A W (Γ) Θ f 1.13 sy h M (*Ev non test.) ● b (16,16a) εως: Epiph A D W Θ Ψ mult M ¦ μεχρι: P 75 א B L f 1.13 579 892 1241 2542 pc ● c (16,16a) επροϕητευσαν: D (Θ) 1223 c 1579 ℓ950 d vg ms sy c ; προεϕητευσαν 577 1675 2643 ¦ om Tert Epiph a aur b c e f ſſ 2 i l q r 1 M ● d (16,16b) εξ ου/ ex quo: Tert a aur (ex eo) b c d (a quo) ſſ 2 gat i l r 1 ¦ απο τοτε/ de inde: f; ex inde: e; ex tunc: q M ● e (16,16b) απαγγελιζεται/ annuntiatur: Tert e (adnuntiatur) ¦ ευαγγελιζεται/ evangelizatur: a (-zantur) aur b c d (-zat) f ſſ 2 gat (-zantur) i l q r 1 M ● f (16,16c) και πας εις αυτην βιαζεται: om Tert א * G 115 716 788 1542 ¦ add Epiph it M ● g (16,17) των λογων του 998 Anhang I 16,14-18 κυριου: Tert ¦ του νομου: it M ● h (16,18) ος: Tert ¦ και πας: ℓ950 vg mss aeth ¦ πας: it M ● i (16,18) αυτου: om Tert (4,34,4) l q ¦ add Tert (4,34,1) a aur b c d e f ſſ 2 i r 1 M . C. Die ganze Rede an die Pharisäer (die sich in *16,19-31 fortsetzt, s. dort) ist sicher bezeugt: Tertullian zitiert *16,15b und greift in seinem zusammenfassenden Referat weitere Stichworte aus dem Urteil Jesu über die Pharisäer (*16,14f) auf: Er hat beide Verse ohne Zweifel an derselben Stelle wie Lk gelesen. Sein Referat ist so dicht, dass er die meisten Worte der zwei Verse in seine Argumentation einbaut, obwohl er außer V. *15b nicht direkt zitiert. Es gibt keinen Anlass, für *Ev eine andere sprachliche Gestalt zu postulieren als die kanonische. Auch die folgenden Logion über die Verkündigung von Gesetz und Propheten bzw. der Basileia, über den ewigen Bestand der Worte Gottes und über Ehescheidung und Wiederheirat sind - an dieser Stelle und in dieser Abfolge! - für *Ev gesichert. Die Schwierigkeiten und Einsichten, die sich aus der Bezeugung für diese Komposition ergeben, liegen auf verschiedenen Ebenen. 1. Die Einleitung mit dem Adressatenwechsel in *16,14f ist durch Tertullian eindeutig gesichert. 1 Die Auslassung von πάντα *16,14 (D it u. a.) ist ein Hinweis auf den abweichenden vorkanonischen Text in *Ev. Dies ist der einzige Hinweis darauf, dass die Vv. *14f in *Ev anders aussahen als im kanonischen Text. 2. *16,16 ist durch Tertullian und durch Epiphanius bezeugt, wenn auch jeweils nicht vollständig. Im Einzelnen gibt es eine Reihe von Fragen. a. Das von Epiphanius bezeugte ἕως (anstelle von μέχρι) macht keinen semantischen Unterschied; immerhin ist zu notieren, dass diese Lesart auch durch einen großen Teil der nicht-»Westlichen« Handschriftenüberlieferung gestützt wird. Da die Bezeugung der handschriftlichen Überlieferung an dieser Stelle nicht schlüssig ist, beruht das Urteil für den rekonstruierten Text allein auf Epiphanius’ Zeugnis. b. In *16,16a bezeugen D sy u. a. ein eigenes Verb (ἐπροϕήτευσαν/ προεϕήτευσαν), das aber in den Referaten Tertullians und Epiphanius’ (wie im kanonischen Text) fehlt. Dieses fehlende Verb ist schon immer als Problem gesehen worden: Es hat der Annahme eines heilsgeschichtlichen Epochenschemas für die lk Theologie Vorschub geleistet, weil es die Substitution von »reichen, gelten bis« ermöglicht. 2 Wie auch sonst ist es unwahrscheinlich, dass die Entsprechung zwischen *Ev und der mt Parallele durch eine sekundäre Angleichung an die synoptische Parallele zustande gekommen ist. ______________________________ 1 Harnacks Bemerkung, dass *16,15b »unbezeugt« sei (H ARNACK 220*), kann angesichts des direkten Zitats wohl nur ein Versehen sein, wie bereits T S UTSUI 111, zu Recht bemerkt. 2 Vgl. M. K LINGHARDT , Gesetz und Volk Gottes, Tübingen 1988, 78 Anm. 1. In jedem Fall erfordert die Weiterführung in *16,16b auch für *16,16a die Ergänzung durch ein verbum dicendi. Die Substitution von »gelten bis« verkehrt den Sinn. 16,14-18 Rekonstruktion 999 *16,16a Mt 11,13 Lk 16,16a πάντες γὰρ ὁ νόμος καὶ οἱ προϕῆται οἱ προϕῆται καὶ ὁ νόμος ὁ νόμος καὶ οἱ προϕῆται ἕως Ἰωάννου ἐπροϕήτευσαν ἕως Ἰωάννου ἐπροϕήτευσαν μέχρι Ἰωάννου Es liegt nahe, dass Mt 11,13 den Text von *Ev genauer bewahrt hat als Lk. Auf den gehen dann die geringfügigen Änderungen am Wortlaut zurück, und zwar trotz des übereinstimmenden Zeugnisses durch Tertullian und Epiphanius: Ihr Text zeigt bereits die Kontamination durch den kanonischen Wortlaut. c. Zugleich deutet Tertullians Formulierung ex quo (regnum dei annuntiatur) darauf hin, dass die viel verhandelte Frage, ob Johannes eher auf die Seite von Gesetz und Propheten oder zur Verkündigung der Gottesherrschaft gehöre, zumindest für *Ev im zweiten Sinn zu beantworten wäre: Johannes erscheint als der erste Verkündiger der Gottesherrschaft. Die entsprechende Formulierung in den altlateinischen Handschriften stellt sicher, dass ex quo/ ἐξ οὗ anstelle von ἀπὸ τότε nicht einfach eine Nachlässigkeit Tertullians ist, sondern tatsächlich auf *Ev zurückgeht. 3 d. Für *16,16b bezeugt Tertullian nicht das kanonische ε ὐ αγγελίζεται, sondern ἀ π αγγελίζεται, das er durch annuntiatur wiedergibt. Das Problem ist dem von *4,43 vergleichbar, nur dass die Afra-Handschrift e in *16,16 ebenfalls adnuntiatur bietet (während die restliche altlateinische Überlieferung das kanonische εὐαγγελίζεται übersetzt: evangeliza[n]tur). Semantisch ist der Unterschied zwischen ἀπ- und εὐαγγελίζεσθαι nur geringfügig. Aber er zeigt zum einen, dass Tertullian *Ev genau referiert und dabei so kleine Abweichungen wie die zwischen ἀπαγγελίζεσθαι und εὐαγγελίζεσθαι durchaus registriert. Zum anderen wird natürlich auch sichtbar, wie (terminologisch) genau die vereinheitlichende lk Redaktion gearbeitet hat - wenn denn diese Änderung als Teil des redaktionellen Konzeptes überhaupt intendiert war. Zum Problem s. o. zu *4,43. e. In Epiphanius’ Referat ist *16,16b (ἀπὸ τότε ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἀπαγγελίζεται) nicht erwähnt, obwohl der ganze Zusammenhang *16,16a.b durch Tertullian sichergestellt ist. Diese Differenzen in der Bezeugung belegen jedoch nicht die Existenz unterschiedlicher Formen von *Ev. 4 Das Fehlen von *16,16b bei Epiphanius geht vielmehr mit größter Wahrscheinlichkeit auf die Eigenheiten seines Referats zurück, das häufig Anfang und Schluss der Passagen benennt und dazwischen Stehendes auslässt. In diesem Fall ist dieses Verfahren durch εἰς α ὐ τ ὴ ν βιάζεται gesichert, weil das Pronomen die vorangehende Erwähnung von ἡ βασιλεία (τοῦ θεοῦ ἀπαγγελίζεται) in dem Epiphanius vorliegenden Text voraussetzt. ______________________________ 3 H ARNACK 220* kommentiert kurz: »ἐξ (ἀϕ’) οὗ fast singulär < ἀπὸ τότε«. 4 So D. S. W ILLIAMS , Reconsidering Marcion’s Gospel, JBL 108 (1989), 477-496: 487. 1000 Anhang I 16,14-18 f. Ausgesprochen schwierig ist die Bezeugungslage des sog. »Stürmerspruchs« *16,16c. Tertullian bezeugt ihn nicht, was man auf den ersten Blick auf die Unvollständigkeit seiner Wiedergabe zurückführen könnte: Er könnte sein Zitat nach *16,16b einfach abgebrochen haben. Allerdings entspricht die Lücke in seiner Bezeugung genau der Variante einiger weniger Handschriften (darunter auch א *). Warum sollten sie diese Aussage auslassen? Da es für einen Lesefehler keinen Anhalt gibt, 5 ist es in der Tat eine naheliegende Vermutung, dass Tertullian korrekt referiert und Epiphanius’ Text bereits die Konformierung mit dem kanonischen Text aufweist. Diese Erklärung lässt sich durch einen Blick auf die synoptische Parallele erhärten. *16,16b.c Mt 11,12 Lk 16,16b.c ἐξ ἀπὸ δὲ ἀπὸ οὗ τῶν ἡμερῶν Ἰωάννου τοῦ βαπτιστοῦ τότε ἕως ἄρτι ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἀπαγγελίζεται βιάζεται εὐαγγελίζεται καὶ βιασταὶ ἁρπάζουσιν αὐτήν καὶ πᾶς εἰς αὐτὴν βιάζεται Denn Mt 11,12f hat *16,16 aus dem vorkanonischen Kontext gelöst und in das Urteil Jesu über den Täufer Mt 11,7-19 integriert, wie nicht nur *7,24-28 (s. dort) zeigt, sondern auch der Kontext von *16,1-18 belegt: Lk hat die »Spruchgruppe« 16,16-18 nicht selbständig aus verstreutem Material aus »Q« komponiert, 6 sondern die Akoluthie von *Ev übernommen. Dies bedeutet umgekehrt, dass die mt Rezeption diesen Logien einen neuen, redaktionellen Ort zugewiesen hat. Für den Stürmerspruch Mt 11,12 ist dies unmittelbar einsichtig: Die Erweiterung und die Umstellung von Mt 11,12.13 gegenüber Lk 16,16a.b.c gehen aufgrund der Bezeugung für *Ev eindeutig auf das Konto der mt Redaktion. Während Lk 16,16b *Ev darin folgt, dass das Auftreten des Täufers das εὐαγγελίζεσθαι der Basileia markiert, lässt Mt 11,12 mit ihm das βιάζεσθαι beginnen. Diesen Aspekt hat Mt 11,14 durch die Identifizierung des Täufers mit Elia verstärkt, wie Mt 17,12 οὐκ ἐπέγνωσαν αὐτὸν ἀλλὰ ἐποίησαν ἐν αὐτῷ ὅσα ἠθέλησαν (im Gefolge von Mk 9,13) deutlich zeigt. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die »Stürmeraspekte« Mt 11,12b.c ἡ βασιλεία ______________________________ 5 Denkbar wäre höchstens eine Auslassung aufgrund von Homoioteleuton (ευαγγελιΖΕΤΑΙ / βια- ΖΕΤΑΙ). Doch das ist sehr unwahrscheinlich: So ähnlich sind sich die Worte nicht, und die 3. Pers. Präs. Pass. stellt eine häufige Form dar. 6 So jedoch noch K LINGHARDT , a. a. O., 15-23; s. auch P. H OFFMANN , Studien zur Theologie der Logienquelle, Münster 2 1972, 50-79; A. D. J ACOBSON , The First Gospel, Sonoma 1992, 114-120; J. S CHRÖTER , Erwägungen zum Gesetzesverständnis in Q anhand von Q 16,16-18, in: Chr. M. Tuckett (ed.), The Scriptures in the Gospels, Leuven 1997, 441-458: 443-449, u. a. 16,14-18 Rekonstruktion 1001 τῶν οὐρανῶν βιάζεται, καὶ βιασταὶ ἁρπάζουσιν αὐτήν nicht schon in *Ev standen, sondern erst auf die mt Redaktion zurückgehen: Mt hat ἡ βασιλεία … ἀπαγγελίζεται durch ἡ βασιλεία βιάζεται (καὶ βιασταὶ ἁρπάζουσιν αὐτήν) ersetzt. Lk 16,16c hat diesen Aspekt aus Mt 11,12 übernommen und ihn neben den Hinweis auf die Verkündigung der Basileia gesetzt. Das heißt: Entgegen der direkten Bezeugung durch Epiphanius hat der sog. »Stürmerspruch« aller Wahrscheinlichkeit nach in *Ev gefehlt. 7 3. Schwierigkeiten bereitet vor allem der nur durch Tertullian bezeugte V. *17. Die Formulierung seines Referats unterscheidet sich stark von allen anderen Textformen: Erstens las Tertullian anstelle des zweigliedrigen Satzes der kanonischen Fassung (εὐκοπώτερον … παρελθεῖν ἢ … πεσεῖν) nur ein Verb (παρέλθει … ταχύτερον ἤ). Zweitens bezeugt er ταχύτερον anstelle von εὐκοπώτερον. Und drittens bezieht er die ewige Dauer auf »ein Häkchen der Worte des Herrn« (unus apex v e r b o r u m d o m i n i ) anstatt auf »ein Häkchen des Gesetzes« wie bei Lk. Die Deutung dieses Befundes wird dadurch kompliziert, dass schon *Ev in *21,33 eine Dublette zu diesem Logion besaß; auch in *21,33 war ursprünglich von den »Worten des Herrn« die Rede, die sich auf den Schöpfer bezogen (s. u. zu *21,33): Erst Mk 13,31 || Mt 24,35 haben dieses Logion auf die Worte Jesu bezogen und daher betont von »meinen Worten« gesprochen. Lk 21,33 ist ihnen darin gefolgt, und diese redaktionelle Änderung hat die Rekonstruktion von *16,17 stark belastet. Diese Informationen sind im Einzelnen folgendermaßen aufzulösen: Es spricht nichts dagegen, dass Tertullian die eingliedrige Form, die er erwähnt, auch so (mit den daraus resultierenden Unterschieden) bei *Ev gelesen hat. 8 Analoges gilt dann auch für die Wortwahl (ταχύτερον anstelle von εὐκοπώτερον): Tertullians ταχύτερον/ citius passt nur zu der von ihm bezeugten eingliedrigen Aussage, nicht aber zu der zweigliedrigen des kanonischen Textes. Aufgrund dieser Entsprechungen sollte man Tertullians Referat ernst nehmen und ihm folgen. 9 ______________________________ 7 Die entsprechende Vermutung (M. K LINGHARDT , ›Gesetz‹ bei Markion und Lukas, in: D. Sänger, M. Konradt [Hg.], Das Gesetz im frühen Judentum und im Neuen Testament, Göttingen - Fribourg 2006, 99-128: 113 Anm. 59) hat sich durch die Analogien der Handschriftenüberlieferung erhärtet. 8 R OTH 240 notiert zu Recht den Unterschied zwischen Tertullians Bezeugung und Harnacks darauf beruhender Rekonstruktion. Er vermutet, dass Tertullian von Mt 24,35 par. (hier mit derselben eingliedrigen Konstruktion) beeinflust sei, sieht die Ungenauigkeit also bei Tertullian. Er rekonstruiert daher: εὐκοπώτερον … τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν γῆν παρελθεῖν ἢ τῶν λόγων μου μίαν κεραίαν παρελθεῖν (R OTH 426). In Roths Rekonstruktionen kennzeichnet fett-kursiver Druck »sehr wahrscheinliche« Lesarten, kusiver Text steht dagegen für »mögliche Lesarten, die durch eine Quelle bezeugt sind, obwohl letztlich kein Vertrauen auf diese Lesarten in Marcions Text gesetzt werden kann« (R OTH 411). Allerdings ist weder εὐκοπώτερον noch das zweite παρελθεῖν bezeugt. 9 H ARNACK 220* rekonstruiert gegen Tertullian »εὐκοπώτερον (δέ ἐστιν) τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν γῆν παρελθεῖν ἢ … (πεσεῖν)«. 1002 Anhang I 16,14-18 Damit bleibt die wichtige Frage, ob Tertullian an dieser Stelle einen Hinweis auf »das Gesetz« enthielt. Harnack und Tsutsui hielten die durch Tertullian bezeugte Formulierung »Worte des Herrn« für eine Änderung Marcions aus Gründen des ihm unterstellten Antinomismus, die er einfach aus Lk 21,33 übernommen habe. 10 Erst auf diese Weise erklärt sich, dass Harnack und Tsutsui aus den von Tertullian eindeutig bezeugten verba d o m i n i ohne weiteres verba m e a machen. 11 Gegen diese willkürliche Veränderung des von Tertullian bezeugten Textes spricht jedoch, dass die Formulierung unus apex/ μία κεραία auf Worte verweist, die Buchstaben bzw. Häkchen (apex/ κεραία) enthielten und folglich schriftlich fixiert waren. Dies schließt eine Referenz auf die Worte Jesu eindeutig aus: Die Rede von den »Häkchen« ist traditionsgeschichtlich immer mit dem (geschriebenen) Gesetz verbunden. 12 Die Vertreter der Lk-Priorität haben also durch ihre willkürliche Emendation des von Tertullian gut bezeugten Textes den Hinweis auf die ewige Geltung der (schriftlich niedergelegten) Worte Gottes in *Ev getilgt und auf diese Weise kurzerhand einen Einwand beseitigt, der ihren Vorstellungen von den theologischen Gründen der marcionitischen Redaktion im Wege stand. Dass auch schon *Ev bei diesen »Worten des Herrn« an das Gesetz dachte, ist zunächst durch den Kontext eindeutig belegt (*16,16; vgl. *16,29.31; s. gleich). Die lk Ersetzung der Worte des Herrn durch das Gesetz behält den Sinn von *Ev bei und vereindeutigt ihn: das (geschriebene) Gesetz ist Gottes ewiges Wort. 4. Damit wird dann auch Tertullians Argumentation durchsichtig, denn das Nebeneinander von *16,16 (Gesetz und Propheten bis Johannes verkündigt) und *16,17 (ewiger Bestand eines jeden »Häkchens der Worte des Herrn«) bereitet ja zumindest auf den ersten Blick Schwierigkeiten für seine antimarcionitische Argumentation. Tertullian geht im gesamten Kontext seiner Diskussion von *16,16f gar nicht auf die Frage der Geltung des Gesetzes ein. Er ist nur an dem Nachweis interessiert, dass die Begrenzung (der Verkündigung) von Gesetz und Propheten »bis Johannes« in *16,16a schon durch den Schöpfer geweissagt war, also keine Leistung von Marcions »fremdem Gott« darstelle. Seine Diskussion ist im Folgenden an den »Worten des Herrn« interessiert (verba domini, 4,33,9f), die er auf dem Umweg über Jes 40,3 als Prophetie auf Johannes versteht, so dass Johannes als Grenze zwischen der Verkündigung von Gesetz und Propheten auf der einen Seite und der Basileia auf der anderen ______________________________ 10 H ARNACK 220*: »τοῦ νόμου tendenziöse Änderung nach 21,33«; T SUTSUI 111: »Leicht verständliche Ersetzung des Wortes. Vgl. 21,33«; er rekonstruiert daher: transit caelum et terra citius quam unus apex verborum (m e o r u m). 11 Offensichtlich aufgrund von Harnacks misslicher Rekonstruktion ist diese Lesart zu Unrecht auch in den Apparat von NA 27 aufgenommen worden: »των λογων μου Mcion T «. Die IGNTP-Ausgabe verzeichnet die von Tert. bezeugte Variante nicht. 12 K. B ERGER , Die Gesetzesauslegung Jesu, Neukirchen-Vluyn 1972, 222ff; vgl. außer Philo, In Flacc 131, noch die Belege bei B ILL . I 248f. 16,14-18 Rekonstruktion 1003 bereits durch ein und denselben »Herrn« bestimmt wurde. Für Tertullian ist der dominus, dessen Worte bleiben, eindeutig Gott und nicht Jesus. Nimmt man diese Aspekte zusammen, dann liegt nahe, dass *Ev davon sprach, dass Himmel und Erde »schneller vergehen als ein einziges Häkchen der Worte des Herrn«. 5. Für *16,18 rekonstruiert Harnack die aus dem kanonischen Text bekannte partizipiale Formulierung. 13 Aber Tertullian, der sein Referat als Zitat kennzeichnet (inquit), bezeugt anstelle der Partizipialkonstruktion konditionale Relativsätze: qui dimiserit … duxerit … duxerit. 14 Diese Formulierung entspricht den synoptischen Parallelen (Mk 10,11f || Mt 19,9 || Mt 5,32b) und erweist die partzipiale Formulierung (πᾶς ὁ + Partizip) als lk Redaktion. Sie ist vielleicht durch die entsprechende Änderung in Mt 5,32a angeregt, 15 die hier freilich durch die nur von Mt belegte »Unzuchtsklausel« ergänzt ist. Dieser überlieferungsgeschichtliche Zusammenhang legt dann auch nahe, dass Tertullian mit aliam (duxerit) nicht (das lk) ἑτέραν, sondern (das mk) ἄλλην (γαμήσῃ) übersetzt. 6. In inhaltlicher Hinsicht ist es höchst aufschlussreich, dass *Ev bereits den ganzen Zusammenhang von *16,16-18 in genau der auch für Lk bezeugten Zusammenstellung und Abfolge kannte, und dass mit *16,17 auch die Aussage über die ewige Geltung der (schriftlich niedergelegten) »Worte des Herrn« enthalten war, mit denen nur das Gesetz gemeint sein konnte. Hätte Marcion die ihm unterstellte Bereinigung des kanonischen Lk-Textes aus theologischen Gründen unternommen, hätte er diese Aussage streichen oder sie (etwa durch eine geringfügige und leicht zu bewerkstelligende Korrektur des Wortlauts) verändern müssen: Es hätte schon viel geholfen, wenn er von der ewigen Geltung der »Worte des Herrn« anstatt von der eines »einzigen Häkchens der Worte des Herrn« gesprochen hätte. Dass *16,17 in *Ev vorhanden war, ist daher ein weiterer und sehr gewichtiger Einwand gegen die These der Lk-Priorität und gegen die Annahme einer theologisch begründeten Bearbeitung von Lk durch Marcion. Im umgekehrten Fall der Annahme der *Ev- Priorität ist es jedoch gut verständlich, dass die lk Redaktion die Worte des Herrn durch das Gesetz präzisierte. Damit aber waren gerade in der Abfolge der drei ______________________________ 13 H ARNACK 220*: ὁ ἀπολύων τὴν γυναῖκα αὐτοῦ καὶ γαμῶν ἑτέραν μοιχεύει, καὶ ὁ ἀπολελυμένην ἀπὸ ἀνδρὸς γαμῶν ὁμοίως μοιχεύει. T SUTSUI 111 konstatiert, der genaue Wortlaut ließe sich aus Tert. nicht feststellen - warum? 14 Tertullian referiert das Logion zwei Mal in geringfügig unterschiedlicher Fassung. Die Rekonstruktion folgt dem (durch inquit angezeigten) wörtlichen Zitat in 4,34,4, das sich von der etwas freieren Wiedergabe in 4,34,1 in wenigen Einzelheiten unterscheidet: uxorem + suam; committit anstelle von commisit; qui dimissam a viro anstelle von qui a marito dimissam; et (Anfang von *16,18b). 15 In Mt 5,32a lesen D 0250 28 1010 pm it sy s.c einen konditionalen Relativsatz anstelle der partizipialen Wendung mit πᾶς ὁ. Sofern diese Lesart auf den vorkanonischen *Mt verweist, läge hier die gleiche redaktionelle Änderung vor. 1004 Anhang I 16,14-18 Verse diejenigen Schwierigkeiten aufgeworfen, die Tertullian intensiv beschäftigt haben: Er las den ganzen Zusammenhang als Text über die Ehe und Ehescheidung und nutzte ihn zum Nachweis, dass die Ehe - entgegen der marcionitischen Askese - eine von Gott eingesetzte Ordnung sei (*16,18! ). Für Tertullians argumentatives Verfahren ist es höchst aufschlussreich, dass die *16,18 implizierte Unauflöslichkeit der Ehe mit dem Scheidungsrecht des Gesetzes (Zitat aus Dtn 24,1) kollidiert, zumal von diesem ja auch das kleinste Häkchen Bestand haben soll (*16,17). Tertullian hat sich daher in eine Position maneuvriert, in der man eher seine marcionitischen Gegner vermuten würde: Der implizite Widerspruch zwischen dem Gesetz und der normativen Aussage Jesu zwingt ihn zu einer hermeneutischen Differenzierung von Gesetz und Evangelium, die er aus *16,16a ableitet: »Siehst du den Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium, Mose und Christus? Gut! « (4,34,1f). Weil Marcion allerdings eine falsche Bibel hat, 16 kennt er weder die göttliche Stiftung der Ehe (Mt 19,5 mit Zitat Gen 2,7) noch das Argument der Herzenshärte (Mt 19,8), das auf der Grundlage der Schöpfungsordnung das Scheidungsgesetz einschränkt und die Unauflöslichkeit der Ehe in der Lehre Jesu bestätigt. Damit bleibt für ihn nur noch das Problem, unter welchen Bedingungen Scheidung dann eben doch angebracht ist. Er löst es mit Hilfe der Unzuchtsklausel Mt 5,32: Eine nicht rechtmäßig geschiedene Ehe (matrimonium non rite dirumptum) bleibe bestehen, weshalb jede Wiederheirat in diesem Zusammenhang adulterium (hier in dem geläufigen Sinn von Bigamie) und also gesetzwidrig wäre (4,34,5). 17 Da auch die Tora für diesen Fall ein Ehehindernis sieht, folgert er, dass schon Mose die grundsätzliche Unauflöslichkeit der Ehe propagiert habe, was er durch Dtn 22,28 in Verbindung mit Mal 2,15 begründet: Jesu Wiederheiratsverbot *16,18 stehe damit nicht im Gegensatz zum Gesetz, sondern lege es ganz richtig aus. Wie der weitere Argumentationszusammenhang zeigt, empfand auch Tertullian *16,18 an dieser Stelle als problematisch: Er will zeigen, dass die Thematik von Scheidung und Wiederheirat in diesem Zusammenhang sich durch die von Johannes kritisierte Ehe zwischen Herodes und Herodias nahelegte - von der allerdings in *Ev gar nichts steht, weil Lk 3,19f erst von der lukanischen Redaktion stammt. 18 ______________________________ 16 4,34,2: »Denn du hast das andere Evangelium nicht überliefert und seine Wahrheit und seinen Christus, in dem er Scheidung verbietet und die damit verbundene Frage löst.« Mit illud quoque evangelium ist natürlich Mt gemeint, die Lösung der propria quaestio ergibt sich aus dem folgenden Zitat von Mt 19,8. 17 Hier argumentiert Tertullian also entgegen seinem Ansatz nicht mit Marcions eigenem Bibeltext, sondern mit dem (kanonischen) Mt-Evangelium. 18 Zum Zusammenhang vgl. K LINGHARDT , a. a. O. (›Gesetz‹ bei Markion und Lukas) 112f. 16,19-31 Rekonstruktion 1005 *16,19-31: Gleichnis von dem armen Lazarus und dem reichen Neves Komplett bezeugt und sicher in *Ev vorhanden, durch die lk Redaktion nur geringfügig bearbeitet. 16,19 a Εἶπεν δὲ καὶ ἑτέραν παραβολήν, a Ἄνθρωπός b δέ τις ἦν πλούσιος c ¿ὀνόματι Νευής? c , καὶ ἐνεδιδύσκετο πορϕύραν καὶ βύσσον εὐϕραινόμενος καθ’ ἡμέραν λαμπρῶς. 20 πτωχὸς δέ τις ὀνόματι Λάζαρος ἐβέβλητο d εἰς τὸν πυλῶνα αὐτοῦ ἡλκωμένος 21 καὶ ἐπιθυμῶν χορτασθῆναι ἀπὸ τῶν πιπτόντων ἀπὸ τῆς τραπέζης τοῦ πλουσίου· ἀλλὰ καὶ οἱ κύνες ἐρχόμενοι e ἔλειχον f τὰ τραύματα f αὐτοῦ. 22 ἐγένετο δὲ ἀποθανεῖν τὸν πτωχὸν καὶ ἀπενεχθῆναι αὐτὸν ὑπὸ g τῶν ἀγγέλων εἰς τὸν κόλπον Ἀβραάμ· ἀπέθανεν δὲ καὶ ὁ πλούσιος καὶ ἐτάϕη h ἐν τῷ ᾅδῃ. h 23 i καὶ ἐν τῷ ᾅδῃ i ἐπάρας οὖν τοὺς ὀϕθαλμοὺς αὐτοῦ, ὑπάρχων ἐν βασάνοις, ὁρᾷ Ἀβραὰμ ἀπὸ μακρόθεν καὶ Λάζαρον ἐν k τῷ κόλπῳ k αὐτοῦ l ἀναπαυόμενον. 24 καὶ αὐτὸς ϕωνήσας εἶπεν, Πάτερ Ἀβραάμ, ἐλέησόν με καὶ πέμψον Λάζαρον ἵνα βάψῃ τὸ ἄκρον τοῦ δακτύλου m αὐτοῦ ὕδατος καὶ καταψύξῃ τὴν γλῶσσάν μου, ὅτι ὀδυνῶμαι ἐν τῇ ϕλογὶ ταύτῃ. 25 n Ἀβραάμ δὲ εἶπεν, n Τέκνον, μνήσθητι ὅτι ἀπέλαβες o σὺ τὰ ἀγαθά p σου ἐν τῇ ζωῇ σου, καὶ Λάζαρος ὁμοίως τὰ κακά· νῦν δὲ q ὅδε παρακαλεῖται σὺ δὲ ὀδυνᾶσαι. 26 καὶ r ἐπὶ πᾶσι τούτοις μεταξὺ s ὑμῶν καὶ ἡμῶν s χάσμα μέγα ἐστήρικται, ὅπως οἱ θέλοντες διαβῆναι ἔνθεν πρὸς ὑμᾶς μὴ δύνωνται, μηδὲ ἐκεῖθεν πρὸς ἡμᾶς διαπερῶσιν. 27 t εἶπεν δέ, t Ἐρωτῶ σε οὖν, πάτερ, ἵνα πέμψῃς αὐτὸν εἰς u τὴν οἰκίαν u τοῦ πατρός μου, 28 ἔχω γὰρ v ἐκεῖ πέντε ἀδελϕούς, ὅπως διαμαρτύρηται αὐτοῖς, ἵνα μὴ καὶ αὐτοὶ ἔλθωσιν εἰς w τοῦτον τὸν τόπον w τῆς βασάνου. 29 x †λέγει δὲ† x y †αὐτῷ†, ῎Εχουσι z †{ἐκεῖ}† Μωϋσέα καὶ τοὺς προϕήτας· ἀκουσάτωσαν αὐτῶν. 30 ὁ δὲ εἶπεν, Οὐχί, πάτερ aa Ἀβραάμ , ἀλλ’ ἐάν τις bb ἐκ νεκρῶν πορευθῇ πρὸς αὐτοὺς μετανοήσουσιν. 31 cc ὁ δὲ εἶπεν cc , Εἰ Μωϋσέως καὶ τῶν προϕητῶν οὐκ dd ἤκουσαν, ee †οὐδ’ ἂν† ee τις ἐκ νεκρῶν ff ἀπέλθῃ {πρὸς αὐτοὺς} ff gg ἀκουσούσιν αὐτοῦ. gg A. *16,19: Adam. 2,10 (826d/ 827a): ἄνθρωπός τις ἦν πλούσιος (827a), καὶ ἐνεδιδύσκετο πορϕύραν καὶ βύσσον εὐϕραινόμενος καθ’ ἡμέραν λαμπρῶς. ♦ *16,20: Adam. 2,10 (827a): πτωχὸς δέ τις ὀνόματι Λάζαρος ἐβέβλητο εἰς τὸν πυλῶνα αὐτοῦ ἡλκωμένος. ♦ *16,21: Adam. 2,10 (827a): καὶ ἐπιθυμῶν χορτασθῆναι ἀπὸ τῶν πιπτόντων ἀπὸ τῆς τραπέζης τοῦ πλουσίου· ἀλλὰ καὶ οἱ κύνες ἐρχόμενοι ἔλειχον τὰ τραύματα αὐτοῦ. ♦ *16,22: Epiph., Schol. 44: περὶ τοῦ πλουσίου καὶ Λαζάρου τοῦ πτωχοῦ, ὅτι ἀπενήχθη ὑπὸ των ἀγγέλων εἰς τὸ κόλπον τοῦ Ἀβραάμ. ¦ Adam. 2,10 (827a): ἐγένετο δὲ ἀποθανεῖν τὸν πτωχὸν καὶ ἀπενεχθῆναι αὐτὸν ὑπ’ ἀγγέλων εἰς τὸν κόλπον τοῦ Ἀβραάμ. ἀπέθανεν δὲ καὶ ὁ πλούσιος καὶ ἐτάϕη ἐν τῷ ᾅδῃ. ♦ *16,23: Tert. 4,34,12: Sed nec allevasset dives oculos, et quidem de longinquo, nisi in superiora, et de altitudinis longinquo per immensam illam distantiam sublimitatis et profunditatis. Unde apparet sapienti cuique, qui aliquando Elysios audierit, esse aliquam localem determinationem quae sinus dicta sit Abrahae ad recipiendas animas filiorum eius, etiam ex nationibus, patris scilicet multarum 1006 Anhang I 16,19-31 nationum in Abrahae censum deputandarum, et ex eadem fide qua et Abraham deo credidit, nullo sub iugo legis nec in signo circumcisionis. ¦ Adam. 2,10 (827a): ἐπάρας οὐν τοὺς ὀϕθαλμοὺς αὐτοῦ, ὑπάρχων ἐν βασάνοις, ὁρᾷ Ἀβραὰμ ἀπὸ μακρόθεν καὶ Λάζαρον ἐν τῷ κόλπῳ αὐτοῦ. ♦ *16,24: Adam. 2,10 (827a/ b): καὶ αὐτὸς ϕωνήσας εἶπε, Πάτερ Ἀβραάμ, ἐλέησόν με καὶ πέμψον Λάζαρον ἵνα βάψῃ τὸ ἄκρον τοῦ δακτύλου ὕδατος καὶ καταψύξῃ τὴν γλῶσσάν μου, ὅτι ὀδυνῶμαι ἐν τῇ ϕλογὶ ταύτῃ. ♦ *16,25: Epiph., Schol. 45: νῦν δὲ ὅδε παρακαλειται, ὁ αὐτὸς Λάζαρος. ¦ Adam. 2,10 (827b): Ἀβραάμ δὲ εἶπε· Τέκνον, μνήσθητι ὅτι ἀπέλαβες σὺ τὰ ἀγαθὰ ἐν τῇ ζωῇ σου, καὶ Λάζαρος ὁμοίως τὰ κακά· νῦν δὲ ὅδε παρακαλεῖται σὺ δὲ ὀδυνᾶσαι. ♦ *16,26: Adam. 2,10 (827b): καὶ ἐπὶ πᾶσι τούτοις μεταξὺ ὑμῶν καὶ ἡμῶν χάσμα μέγα ἐστήρικται, ὅπως οἱ ἐνταῦθα διαβῆναι πρὸς ὑμᾶς μὴ δύνωνται, μηδὲ οἱ ἐκεῖθεν ὧδε διαπερῶσιν. ♦ *16,27: Adam. 2,10 (827b): Ἐρωτῶ οὖν σε, πάτερ, ἵνα πέμψῃς αὐτὸν εἰς τὴν οἰκίαν τοῦ πατρός μου· ♦ *16,28: Adam. 2,10 (827b): ἔχω γὰρ ἐκεῖ πέντε ἀδελϕούς· ὅπως διαμαρτύρηται αὐτοῖς, μὴ καὶ αὐτοὶ ἔλθωσιν εἰς τὸν τόπον τοῦτον τῆς βασάνου. ♦ *16,29: Tert. 4,34,10: Nam et illud, quantum ad scripturae superficiem, subito propositum est, quantum ad intentionem sensus, et ipsum cohaeret mentioni Ioannis male tractati et suggillati Herodis male maritati, utriusque exitum deformans, Herodis tormenta et Ioannis refrigeria, ut iam audiret Herodes, Habent illic Moysen et prophetas, illos audiant; Tert. 4,34,17: Apud inferos autem de eis dictum est: Habent illic Moysen et prophetas, audiant illos, qui non credebant, vel qui nec omnino sic credebant, esse post mortem superbiae divitiarum et gloriae deliciarum supplicia annuntiata a Moyse et prophetis, decreta autem ab eo deo qui de thronis deponit dynastas, et de sterquilinis elevat inopes. Ita cum utrinque pronuntiationis diversitas competat creatori, non erit divinitatum statuenda distantia, sed ipsarum materiaram. ¦ Epiph., Schol. 46: εἶπεν Ἀβραάμ· Ἔχουσι Μωϋσέα καὶ τοὺς προϕήτας, ἀκουσάτωσαν αὐτῶν. ¦ Adam. 2,10 (827c): λέγει αὐτῷ· ῎Εχουσι Μωσέα καὶ τοὺς προϕήτας, ἀκουσάτωσαν αὐτῶν. ♦ *16,30: Adam. 2,10 (827c): ὁ δὲ εἶπεν, Οὐχί, πάτερ, ἀλλ’ ἐάν τις ἀπὸ νεκρῶν πορευθῇ πρὸς αὐτοὺς μετανοήσουσιν. ♦ *16,31: Epiph., Schol. 46: εἶπεν Ἀβραάμ· Ἔχουσι Μωϋσέα καὶ τοὺς προϕήτας, ἀκουσάτωσαν αὐτῶν, ἐπεὶ οὐδὲ τοῦ ἐγειρομένου ἐκ νεκρῶν ἀκουσούσιν. ¦ Adam. 2,10 (827c): ὁ δὲ εἶπεν· Εἰ Μωσέως καὶ τῶν προϕητῶν οὐκ ἤκουσαν, οὐδ’ ἄν τις ἐκ νεκρῶν ἀπέλθῃ ἀκούσουσιν αὐτοῦ. B. a (16,19) ειπεν δε και ετεραν παραβολην: D d (sy c ) ¦ om it M (*Ev non test.) ● b (16,19) δε/ autem: om Adam D Χ Δ* Θ 267 372 579 1604 2643 a aur d e f g 1 q vg sa (1 ms) ¦ add b c ſſ 2 i l r 1 M ● c (16,19) ονοματι Νευης: P 75 (sa) aeth (Bodl. 41) ¦ om it M ● d (16,20) εις: Adam P Γ 131 472 903 1009 1654 ℓ524 ℓ1074 ¦ προς/ ad: it M ● e (16,21) ελειχον/ lingebant: Adam D 1 118 131 205 209 1582 a aur b c f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 ¦ επελειχον/ elingebant: d, ablingebant: e M ● f (16,21) τα τραυματα/ vulnera: Adam a c e r 1 (vg) ¦ ελκη/ ulcera: aur b d f ſſ 2 i l q M ● g (16,22) των: om Adam ¦ add M ● h (16,22) εν τω αδη/ in inferno (infernum: aur; aput inferos: a i): Adam א * a aur c e ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 vg sa (1 ms) ¦ om b d f M ● i (16,23) και εν τω αδη: om Tert Adam aur c e ſſ 2 i l q r 1 ¦ και εν τω αδη: et in (a: de) inferno: add a b d f M ● k (16,23) τω κολπω/ in sinu (sinum: f ſſ 2 i l r 1 ): Adam D a aur b c f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 vg ¦ τοις κολποις/ in sinus: d e M ● l (16,23) αναπαυομενον: D Θ ℓ2211 b c d e q r 1 ¦ om a aur f ſſ 2 i l M (*Ev non test.) ● m (16,24) αυτου: om Adam ¦ add it M ● n (16,25) Αβρααμ δε ειπεν/ Abraham autem dixit: Adam e ¦ (3 2 1) ειπεν δε Αβρααμ/ et dixit illi Abraham: aur b d f ſſ 2 i l q r 1 ¦ dixit autem illi (om d) Abraham: a d M ● o (16,25) συ/ tu: Adam b ¦ om a aur c d e f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 M ● p (16,25) σου: om Adam E ℓ211 a aur b c e f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 vg ¦ add d M ● q (16,25) οδε: Epiph Adam f 1 1424 pc ¦ ωδε/ hic: it M ● r (16,26) επι/ super: Adam A D W Θ Ψ f 1.13 a e ¦ εν/ in (his omnibus): a aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 M ● s (16,26) υμων και ημων/ vos et nos: Adam N W Ψ 22 16,19-31 Rekonstruktion 1007 157 1005 1192 1194 1210 1365 1604 2372 2643 lectt b e ¦ (3 2 1) ημων και υμων/ nos et vos: a aur c d f ſſ 2 i l q r 1 M ● t (16,27) ειπεν δε: om Adam ℓ1579* ¦ add it M ● u (16,27) την οικιαν: Adam ¦ τον οικον: it M ● v (16,28) εκει: Adam ¦ om it M ● w (16,28) τουτον τον τοπον/ in hunc locum: Adam a c d e ſſ 2 l r 1 ¦ (2 3 1) τον τοπον τουτον/ in locum hunc: aur b f i q vg M ● x (16,29) Widersprüchliche Bezeugung: (1) λεγει/ dicit: Adam e ¦ (2) ειπεν δε/ dixit autem: Epiph a d ¦ και λεγει/ et ait: a aur b c d f ff g gat i l λ q r 1 M ● y (16,29) Widersprüchliche Bezeugung: (1) αυτω: Adam e (dixit illi) aeth (Bodl. 41) ¦ (2) Αβρααμ/ Abraham: Epiph a aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 M ● z (16,29) Widersprüchliche Bezeugung: (1) εκει/ illic: Tert ¦ (2) om Epiph Adam M ● aa (16,30) Αβρααμ/ Abraham: om Adam 115 2643 2757 ¦ add it M ● bb (16,30) εκ/ ex: Adam D F 063 c mult a aur b c f ſſ 2 g 1 gat i l λ q r 1 ¦ απο/ de: d e (a) M ● cc (16,31) ο δε ειπεν: Adam ¦ ειπεν δε αυτω: it M ● dd (16,31) ηκουσαν: Adam 903 Chrys Serap ¦ ακουουσιν: it M ● ee (16,31) Widersprüchliche Bezeugung: (1) ουδ αν: Adam it M ¦ (2) επει ουδε: Epiph ● ff (16,31) Widersprüchliche Bezeugung: (1) απελθη/ abierit: Adam W c e f π q ¦ ierit: a ſſ 2 ¦ ierint: b i l ¦ και απελθη προς αυτους/ et abierit ad eos (ad illos abierit usw.): D d r 1 ¦ (2) αναστη/ resurrexerit: aur M ; surrexerit: d f r 1 ● gg (16,31) ακουσουσιν αυτου/ audient eum: Adam (Epiph: ακουσουσιν) r 1 ¦ μετανοησουσιν: ℓ1056 ¦ πεισθησονται/ persuadebuntur: e M ¦ πιστευσουσιν/ credent (credunt): D a aur b d ſſ 2 g 1 gat q vg. C. Die ganze Perikope war zweifellos in *Ev enthalten. Adamantius zitiert das gesamte Gleichnis in einer Form, die nur minimale Unterschiede zum kanonischen Wortlaut erkennen lässt: V. *21 τὰ τραύματα für τὰ ἕλκη; V. *25 Ἀβραάμ δὲ εἶπεν (Wortstellung); V. *26 ohne ἔνθεν und μηδὲ οἱ ἐκεῖθεν ὧδε anstelle von μηδὲ ἐκεῖθεν πρὸς ἡμᾶς; in Vv. *29.30 Ἀβραάμ eingefügt; V. *31 ἤκουσαν … ἀκουσούσιν anstelle von ἀκούουσιν … πεισθήσονται; (τις ἐκ νεκρῶν) ἀπέλθῃ für ἀναστῇ. Diese komplette Wiedergabe durch Adamantius stellt ein eigenes Problem dar: Sind die wenigen, semantisch irrelevanten Differenzen Zeichen für ein genaues Zitat, das auch geringfügig abweichende Formulierungen verzeichnet? Oder gehen sie doch eher darauf zurück, dass Adamantius hier den kanonischen Text für *Ev substituiert? Nicht nur mit Blick auf die grundsätzlichen Erwägungen zur Zuverlässigkeit der Adamantiusreferate, sondern auch aufgrund der Übereinstimmungen der von ihm bezeugten kleineren Varianten mit einem Teil der handschriftlichen Überlieferung spricht mehr für ein korrektes Zitat aus *Ev als für die Eintragung des kanonischen Textes. Folgende Beobachtungen verdienen darüber hinaus Erwähnung: 1. Der Umstand, dass der kanonische Text gegenüber dem Adamantiuszitat den Namen Abraham an zwei Stellen zusätzlich enthält (16,29.30), ist im Blick auf die kanonische Redaktion des marcionitischen Apostolos durchaus von Bedeutung, weil auch da die Erwähnung Abrahams eine der Hauptdifferenzen zwischen dem marcionitischen und dem kanonischen Apostolos ausmacht. 1 Es ist denkbar, wenn nicht wahrscheinlich, dass die lk Redaktion hier verdeutlichend eingegriffen hat, ohne die Semantik des Gleichnisses zu verändern. ______________________________ 1 Vgl. z. B. Tert. 5,3,11 (zu Gal 3,6-9): haeretica industria eraserit: mentionem Abrahae …; s. auch Hieron., Comm. in Gal (ad Gal 3,6-9): Marcion de suo apostolo erasit (PL 26, 372 A,9-13) u. ö. 1008 Anhang I 16,19-31 2. Für *16,29 unterscheidet sich die Bezeugung von Tertullian und Epiphanius. Im Unterschied zu Epiphanius und zur kanonischen Formulierung sagt Tertullian zweimal: »Sie haben dort (illic) Mose und die Propheten …« Da Epiphanius durch den kanonischen Wortlaut gestützt wird, Tertullians Formulierung aufgrund der identischen Wiederholung in 4,34,17 jedoch nicht auf einem Versehen beruhen kann, bleibt hier nur die Annahme, dass der Text von *Ev in unterschiedlichen Rezensionen vorlag; es handelt sich also um eine der typischen Angleichungen der vorkanonischen an die kanonisch gewordene Textfassung. Wie immer in diesen Fällen gebührt der Vorzug der nicht-kanonischen Textform, in diesem Fall also dem von Tertullian bezeugten Text. 3. Wenn *Ev bereits die komplette Abfolge von *16,16-31 enthielt, verliert die Frage, ob in *16,17 auch von »Gesetz und Propheten« oder (nur) von den »Worten des Herrn« die Rede war, an Bedeutung. Denn das Lazarusgleichnis kann in diesem Zusammenhang, der von »Gesetz und Propheten« (*16,16), von der ewigen Geltung der »Worte des Herrn« (*16,17) und der Suffizienz von »Mose und den Propheten« (*16,29. 31) spricht, nur als Beispiel für die Geltung des Gesetzes verstanden werden. Das stellt die Vertreter der Lk-Priorität vor das Problem, warum Marcion, wenn er denn bei seiner Redaktion von einem antinomistischen Interesse geleitet war, dieses Gleichnis beibehalten hat. Als Antwort bleibt nur, Tertullians eigener Argumentation und seiner den Marcioniten unterstellten Ansicht zu folgen. Demnach hätten sich nicht nur der Reiche, sondern auch Lazarus in der Hölle befunden - und zwar als Strafe dafür, dass sie auf »Mose und die Propheten« gehört hätten anstatt auf den Sohn (4,34,12).2 Aber hier bleibt natürlich wieder die Frage, warum Marcion eine derart weit hergeholte Überlegung hätte anstellen sollen, wenn er den Text »seines« Evangeliums nur geringfügig hätte glätten müssen. Die Annahme der umgekehrten Bearbeitungsrichtung von *Ev zu Lk ist auch hier leichter. 4. Eine kleine, aber vermutlich wichtige Kuriosität ist der Umstand, dass P 75 in *16,19 nach πλούσιος einfügt: ὀνόματι Νευής. Diese eigenartige Namensangabe besitzt eine Reihe von Analogien. Die sahidische Überlieferung gibt für den Reichen den Namen »Niniveh« an. 3 Dieser Name taucht auch noch in zwei griechischen Kommentarhandschriften aus dem 11. bzw. 12. Jh. auf, 4 in denen es heißt, dass der Reiche zwar anonym sei, man aber in einigen Handschriften den Namen ______________________________ 2 So beispielsweise T SUTSUI 112. 3 Ed. H ORNER 314: ΝΙΝΕ ϒ Η/ Νινευης. 4 Es handelt sich um die Minuskeln 36 (Paris. Coislin Gr. 20, s. XII, f. 317 r ); 37 (Paris. Coislin Gr. 21, s. XI, f. 242 r ; dies ist vermutlich die Vorlage von 36). Vgl. dazu L. T H . L EFORT , Le nom du mauvais riche (Lc 16,19) et la tradition copte, ZNW 37 (1938), 65-72. 16,19-31 Rekonstruktion 1009 Niniveh gefunden hätte. 5 Dieser Hinweis findet sich auch bei dem byzantinischen Theologen Euthymios Zigabenos aus dem 11./ 12. Jh. 6 Daneben gibt es schon seit dem 3. Jh. im Westen verschiedene Hinweise, daß der Name Phine(h)as gewesen sei. In der ps.-cyprianischen Schrift De Pascha computus wird der Name als F i n a e u s angegeben, 7 bei Priscillian findet sich die Namensform F i n e e s . 8 In späteren Zeugen werden allerdings auch andere Namen für den Reichen angegeben. So ist in der Marginalglosse einer Handschrift aus dem 13. Jh. zu dem Gedicht »Aurora« des Petrus von Riga (12. Jh.) notiert: A m o n o f i s dicitur esse nomen divitis. 9 An anderer Stelle findet sich die unvollständige Angabe Do[…]re, also vielleicht Do[mi]ris o. ä. 10 Die Herkunft der Namensgebung für den Reichen ist nicht ganz leicht zu lösen. Harnack, der P 75 (Νευής) noch nicht kennen konnte und auch den Priscillianbeleg (Finees) nicht kannte, versuchte die Namensformen Φινεος/ Φινεες und Νινευες in eine Beziehung zu setzen und ging bei seiner Erklärung von Num 25,7.11 aus. In diesem Fall würde deutlich, dass Eleazar/ Lazarus der alte Vater des Reichen Phineas gewesen sei, was die Vernachlässigung des Armen doppelt anrüchig macht. 11 Er führt die Einfügung des Namens auf den horror vacui der frühchristlichen Legendenbildung zurück, die »nicht leicht unbenannte Personen« ertrüge. 12 Dass in der späteren Evangelienüberlieferung (und -kommentierung! ) gelegentlich Personennamen eingefügt oder geändert wurden, lässt sich kaum bestreiten, erklärt aber den Befund in diesem Fall nicht. Denn abgesehen von den vielen Personen, deren ______________________________ 5 εὗρον δέ τινες καὶ τοὺ πλουσίου ἔν τισιν ἀντιγράϕοις τοὔνομα λεγόμενον ν ι ν ε υ ΐ ς (37 = Coislin. 21; ähnlich auch Coisl. 20). 6 Euthymios Zigabenos (PG 119, 1037): ϕασὶ δέ τινες ἐκ παραδόσεως ἑβραίων ὅτι κατὰ τοὺς καιροὺς ἐκείνους καὶ ὁ πλούσιος ἐκεῖνος ἦν ν ι ν ε υ ί ς καλούμενος, καὶ ὁ πτωχὸς οὗτος λάζαρος. L EFORT , a. a. O. 69f, hat wahrscheinlich gemacht, dass dieser Hinweis auf dieselbe Quelle zurückgeht, die auch den Min. 36 37 zugrunde liegt. Die Tradition ist schmal. 7 PsCyprian, De pascha comp. 17 (CSEL 3/ 3, 265,1ff): omnibus peccatoribus a deo ignis est praeparatus, in cuius flamma uri ille F i n a e u s dives ab ipso dei filio est demonstratus. 8 Priscillian, Tract. 9 (CSEL 18, 91): requietio Abrahae sinus dicitur et F i n e e s ; inmisericordis diuitis gehennae ignis habitaculum repperitur. 9 Nach M ETZGER , Textual Commentary z. St. 10 In einer in Albigenser Handschrift (Nr. 29 Catalogue Générale des MSS des Départements; s. VIII) der auch aus St. Gallen (Codd. Sangall. 133 913) bekannten Schrift Inventiones Nominum findet sich der Hinweis: diues ad cuius ianuam iacebat Eleazar nomine D o . . r e / hoc inuenies in Iosypo (f 71a): M. R. J AMES , Inventiones Nominum, JTS 4 (1903), 218-244: 237; weder die Rekonstruktion des verderbten Namens noch der Hinweis auf den Fundort in Iosypo lassen sich klären. J AMES , a. a. O. 243, verweist außerdem auf die Collectanea Bedae, die den Namen des Reichen mit Tantalus angegeben; mit Blick auf die Höllenqualen des Reichen ist dies eine erkennbar inhaltlich begründete Namensgebung. Zu der möglichen Entstehung der Namensüberlieferung s. auch J. R. H ARRIS , On Certain Obscure Names in the New Testament. A Problem in Palaeography, Expositor VI/ 1 (1900), 161-177: 175-177. 11 A. VON H ARNACK , Der Name des Reichen Mannes in Lk 16,19, Leipzig 1895, 75-78. 12 A. a. O. 75. M ETZGER , Textual Commentary z. St. ist ihm darin gefolgt (»it was probably horror vacui that prompted more than one copyist to provide a name for the anonymous Rich Man«). 1010 Anhang I 16,19-31 Namenlosigkeit überhaupt keinen »Horror« ausgelöst hat, muss sich für die konkrete Namensgebung ja ein Anhaltspunkt ergeben. Angesichts der verschiedenen Namen ist es (mit Ausnahme der korrupten Namensform in der Albigenser Handschrift) relativ einfach, die Entwicklung zu rekonstruieren: Namen, für deren Bildung sich inhaltliche Gründe finden lassen, sind aus methodischen Gründen gegenüber unableitbaren Namen grundsätzlich als sekundäre Bildungen zu beurteilen. Dies ist aufgrund der biblischen Vorlage für die Namensform Φινεος/ Φινεες der Fall, nicht aber für Νινευες: Wenn der Name Νευης/ Νινευης durch einen Teil der Tradition vorgegeben war, ist seine Änderung in Φινεος/ Φινεες aus inhaltlichen Gründen nachvollziehbar. Eine umgekehrte Bearbeitungsrichtung - von Phine(h)as auf Νευής/ Νινευής - ist dagegen ganz unplausibel. Ähnliches gilt für das sahidische ΝΙΝΕ ϒ Η/ Νινευής im Vergleich zu Νευής in P 75 . Die Eintragung des Namens der assyrischen Stadt ist unter dem Aspekt nachvollziehbar, dass die Bürger von Niniveh, wie der Reiche im Gleichnis, vom Gericht betroffen waren. Im Blick auf die Bußbereitschaft der Niniviter Jona 3,6ff könnte die Analogie zu dem Reichen, der zu spät die Notwendigkeit der Buße einsieht, diesen Namen veranlasst haben. Allerdings gilt dies auch nur dann, wenn es bereits eine Tradition gab, die einen Namen enthielt, aus dem heraus sich Νινευής entwickelt haben könnte: Eine sekundäre Erfindung des Namens Νινευής, ohne dass irgendeine eine ältere Namensform vorlag, ist schlechterdings unverständlich. Im Vergleich zwischen Νινευής in den sahidischen Handschriften und Νευής in P 75 spricht daher alles für die Priorität des letzteren. Allerdings ist eine sekundäre Einfügung von Νευής nicht vorstellbar. Die Erklärung Harnacks und anderer, dass der horror vacui einen Kopisten zu der Erfindung und Eintragung eines Namens veranlasst haben könnte, hat alle Wahrscheinlichkeit gegen sich: Wenn der Name keine sekundäre Bildung sein kann, muss er bereits im ältesten Text gestanden haben, also vermutlich im vorkanonischen Evangelium. Die weite geographische Streuung der Namenstradition (Africa/ Spanien für P[h]inehas; Ägypten/ Griechenland für Niniveh) stützt diese Annahme: Sie geht auf die weite Verbreitung des vorkanonischen Evangeliums zurück. Der Name des Reichen wurde also im Lauf der Überlieferungsgeschichte nicht ergänzt, sondern getilgt. 13 Aufschlussreich ist daran, dass der andere Eigenname im Gleichnis, Lazarus, beibehalten wurde. 14 Aber auch dies ist im Horizont der ______________________________ 13 Vgl. dazu die Analogien mit den Namen der beiden Mitgekreuzigten *23,32 (l r 1 ) sowie die Personennamen Ammaus et Cleopas in *24,13 (b e ſſ 2 r 1vid ). 14 H ARNACK , a. a. O. 75 Anm. 1, verweist dafür auf die Erklärung der auf Titus von Bostra zurückgehenden Lukaskatene: Sie begründet anhand von Ps 15,4 LXX (μὴ μνησθῶ τῶν ὀνομάτων αὐτῶν διὰ χειλέων μου), dass der Reiche anonym bleiben musste, weil er unbarmherzig (ἀϕιλοικτίρμων) 16,19-31 Rekonstruktion 1011 Kanonischen Ausgabe erklärbar, weil Lazarus ja in Joh 11f genannt wird: Wie der Lazarus des Gleichnisses in *16,19-31 ist er krank (*16,19 || Joh 11,1f.6) und stirbt (*16,22 || Joh 11,14.17); in beiden Fällen unterscheidet sich sein postmortales Schicksal von dem anderer Menschen: Der Lazarus des Gleichnisses befindet sich im Unterschied zum Reichen in Abrahams Schoß (*16,23), der Lazarus der johanneischen Erzählung »schläft nur« und wird nach vier Tagen von Jesus »geweckt« und aus dem Grab gerufen (Joh 11,11.17.39). Wenn die joh Rezeption des Namens Lazarus in diesem intratextuellen Spiel 15 dafür verantwortlich ist, dass der Name Lazarus in Lk 16,19ff nicht wie der des Reichen getilgt wurde, dann impliziert dies, dass Joh der lk Redaktion vorlag. Ein analoges Phänomen zur sekundären Tilgung von Eigennamen liegt auch in *24,13 mit den Namen Emmaus/ Amaus und Kleop(h)as vor: Auch diese Namen sind im Verbreitungsgebiet der Itala im Westen bezeugt (s. u. zu *24,13). Es spricht daher einiges dafür, dass die Lesart in P 75 mit dem Namen auf den vorkanonischen Text zurückgeht und von da aus in den kanonischen Text des P 75 eingedrungen ist. Natürlich bleibt diese Überlegung unbeweisbar (und das Urteil offen), aber diese Erklärung ist bei weitem plausibler als alle bisher geäußerten Alternativen. In diesem Fall ist zu überlegen, ob der ansonsten unbekannte Name Νευής die Gräzisierung des semitischen הונ sein könnte: Das hebräische Naveh (also »der Schöne«, »der Prächtige«) würde für eine (wenigstens theoretisch vorstellbare) semitische Urfassung einen guten Sinn ergeben und zugleich erklären, warum der in der griechischen Überlieferung unverständlich gewordene Name ausgefallen sein könnte. 5. Aus dem Beginn der Referate dieses Gleichnisses bei Epiphanius und Tertullian hat Harnack 16 weitreichende Schlüsse gezogen: Wegen des thetischen Charakters der beiden Referate 17 meinte er, dass in *Ev die einzelnen Abschnitte mit Überschriften versehen waren. Das ist wenig überzeugend, denn in beiden Fällen dienen die wichtigen Stichworte zum Inhalt lediglich der Kennzeichnung des betreffenden Textes. Wie unwahrscheinlich die Annahme von Perikopenüberschriften in *Ev ist, zeigt auch Epiphanius’ umständliche Kennzeichnung der einzelnen Passagen von *Ev: Er hätte sich die teilweise komplizierte Zusammenfassung des Inhalts ersparen können, wenn er stattdessen einfach auf die Überschriften hätte verweisen können. ______________________________ war (J. A. C RAMER , Catenae Graecorum Patrum II: In Evangelia S. Lucae et S. Iohannis, Oxford 1841, 124). 15 Vgl. H. T HYEN , Die Erzählung von den bethanischen Geschwistern (Joh 11,1-12,9) als Palimpsest über synoptischen Texten, in: ders., Studien zum Corpus Iohanneum, Tübingen 2007, 182-212. 16 H ARNACK 221*. 17 Tert. 4,34,10: argumentum divitis apud inferos dolentis et pauperis in sinu Abrahae. - Epiph., Schol. 44: περὶ τοῦ πλουσίου καὶ Λαζάρου τοῦ πτωχοῦ, ὅτι ἀπενήχθη ὑπὸ των ἀγγέλων εἰς τὸ κόλπον τοῦ Ἀβραάμ. 1012 Anhang I 16,19-31 6. Mit Blick auf die Überlieferungsgeschichte ist festzuhalten, dass die gesamte Komposition von Kap. *16 bereits in *Ev vorlag: Die schwierige und kontroverse Beurteilung der Herkunft einzelner Verse im Rahmen Zwei-Quellentheorie und der Rekonstruktion von »Q«, vor allem von *16,16-18, erübrigt sich daher. Die inhaltliche Kohärenz ist unter dem Gesichtspunkt der Besitzparänese nachvollziehbar. Dabei zeigt sich eine schrittweise Entwicklung der Textsemantik. a. Das Gleichnis vom verschwenderischen Verwalter *16,1-7 zielte mit seiner Deutung *16,8b.9a(10)11-13 auf die Verlässlichkeit der Jünger im Umgang mit dem »Geringsten« als Voraussetzung dafür, dass Jesus sie mit dem »Wahren« betraut. Das »Meine«, das Jesus den als zuverlässig erfundenen Jüngern in Aussicht stellt, ist nicht der eschatologische Lohn, wie es die lk Redaktion durch die Einfügung des Hinweises auf die Aufnahme in die himmlischen Zelte nahelegt (Lk 16,9b), sondern der Dienst im Sinn der οἰκονομία des Gleichnisses, in den Jesus sie ruft: Dieser (fremde, zur Verwaltung übergebene) Besitz soll nicht verschwendet, sondern ehrlich verwaltet werden. b. Das Logion von der Unvereinbarkeit von Gottes- und Mammonsdienst (*16,13) ist der Anlass für den pharisäischen Einwand gegen die These von *16,13 und seine Zurückweisung in *16,14-18. Das, was bei den Menschen viel gilt (*16,15b: τὸ ἐν ἀνθρώποις ὑψηλόν), gilt vor Gott als Greuel. Dass sich Gottes- und Mammonsdienst gegenseitig ausschließen, ist keine neue Einsicht, sondern war schon immer der Inhalt der (in schriftlicher Form existierenden) »Worte des Herrn«, die ohne den geringsten Abstrich in Geltung bleiben. c. Das Lazarusgleichnis exemplifiziert die Verbindung dieser beiden Aspekte. Dass Gottes- und Mammonsdienst unvereinbar sind und dass diese These mit Gesetz und Propheten übereinstimmt, kann man am postmortalen Schicksal des Reichen sehen: Er erkennt (wenn auch zu spät), dass schon in Gesetz und Propheten die Forderung zu tätiger Nächstenliebe - und das heißt: zur Bereitschaft, sich von seinen Reichtümern zu trennen - enthalten war. *17,1-4.5-10a. 10b : Rede an die Jünger über Verführung und über die Macht des Glaubens Nur teilweise bezeugt, aber vermutlich auch in den unbezeugten Passagen in *Ev vorhanden. Durch die lk Redaktion bearbeitet und ergänzt. 17,1 Εἶπεν δὲ πρὸς τοὺς μαθητὰς αὐτοῦ, Ἀνένδεκτόν ἐστιν τοῦ τὰ σκάνδαλα μὴ ἐλθεῖν, πλὴν οὐαὶ a {ἐκεῖνῳ} δι’ οὗ b {τὸ σκάνδαλον} b ἔρχεται· 2 c συμϕέρει αὐτῷ εἰ d {μὴ γεννηθῇ ἢ} d λίθος μυλικὸς e περιέκειτο περὶ τὸν τράχηλον αὐτοῦ καὶ f ἐρρίπτετο εἰς τὴν θάλασσαν ἢ ἵνα σκανδαλίσῃ g ἕνα τούτων τῶν μικρῶν g . 3 προσέχετε 17,1-10 Rekonstruktion 1013 ἑαυτοῖς. ἐὰν ἁμάρτῃ h εἰς σὲ h ὁ ἀδελϕός σου ἐπιτίμησον αὐτῷ, καὶ ἐὰν μετανοήσῃ ἄϕες αὐτῷ· 4 καὶ ἐὰν ἑπτάκις τῆς ἡμέρας ἁμαρτήσῃ εἰς σὲ καὶ ἑπτάκις ἐπιστρέψῃ πρὸς σὲ λέγων, Μετανοῶ, ἀϕήσεις αὐτῷ. 5 i [ Καὶ ] k εἶπαν οἱ ἀπόστολοι l αὐτῷ, Πρόσθες ἡμῖν πίστιν. 6 m ὁ δέ εἶπεν αὐτοῖς m , Εἰ ἔχετε πίστιν ὡς κόκκον σινάπεως, ἐλέγετε ἂν n {τῷ ὄρει τούτῳ, Μετάβα ἐνθεύθεν ἐκεῖ, καὶ μετέβαινεν· καὶ} n ἐλέγετε ἂν τῇ συκαμίνῳ o [ ταύτῃ, Ἐκριζώθητι καὶ ] o , p μεταϕυθεύθητι q [ εἰς τὴν θαλάσσαν· ] q καὶ ὑπήκουσεν ἂν ὑμῖν. 7 Τίς δὲ r [ ἐξ ] ὑμῶν δοῦλον ἔχων ἀροτριῶντα ἢ ποιμαίνοντα, ὃς εἰσελθόντι ἐκ τοῦ ἀγροῦ s μὴ ἐρεῖ αὐτῷ, Εὐθέως παρελθὼν ἀνάπεσε, 8 t ἀλλὰ ἐρεῖ αὐτῷ, ῾Ετοίμασον u μοί τι δειπνήσω, καὶ περιζωσάμενος διακόνει μοι ἕως ϕάγω καὶ πίω, καὶ μετὰ ταῦτα ϕάγεσαι καὶ πίεσαι σύ; 9 μὴ ἔχει χάριν τῷ δούλῳ ὅτι ἐποίησεν τὰ διαταχθέντα v {αὐτῷ; οὐ δοκῶ.} v 10 οὕτως καὶ ὑμεῖς, ὅταν w ποιήσηται x [ πάντα ] y ὅσα λέγω y z [ ὑμῖν ] aa λέγετε ὅτι Δοῦλοι ἀχρεῖοί ἐσμεν, ὃ ὠϕείλομεν ποιῆσαι πεποιήκαμεν. aa A. *17,1f: Tert. 4,35,1: Conversus ibidem ad discipulos Vae dicit auctori scandalorum, expedisse ei si natus non fuisset, aut si molino saxo ad collum deligato praecipitatus esset in profundum, quam unum ex illis modicis utique discipulis eius scandalizasset. Aestima quale supplicium comminetur illi. Nec enim alius ulciscetur scandalum discipulorum eius. ♦ *17,1: Adam. 2,15 (830b): οὐαὶ ἐκείνῳ, δι’ οὗ τὸ σκάνδαλον ἔρχεται. ♦ *17,3: Tert. 4,35,2: Peccantem fratrem iubet corripi; quod qui non fecerit, utique deliquit, aut ex odio volens fratrem in delicto perseverare, aut ex acceptione personae parcens ei. ♦ *17,4: Tert. 4,35,3: Sed et veniam des fratri in te delinquenti iubet, etiam septies. ♦ *17,10: Epiph., Schol. 47: παρέκοψε τό Λέγετε ὅτι ἀχρεῖοι δοῦλοί ἐσμεν. ὃ ὠϕείλομεν ποιῆσαι πεποιήκαμεν. B. a (17,1) εκεινω: Adam ¦ om it M ● b (17,1) το σκανδαλον/ scandalum: Adam l ¦ om a aur b c d e f ſſ 2 i λ q r 1 M ● c (17,2) συμϕερει/ expediebat: Tert D d (vgl. Mt 18,6) ¦ συνεϕερεν/ expedit: e ¦ λυσιτελει/ utilius est: aur b f l q M ● d (17,2) ει μη γεννηθη η/ ne (ut non: l r 1 ; nec: λ) nasceretur aut: Tert a b c ſſ 2 i l λ r 1 q ¦ om aur d e f vg M ● e (17,2) περιεκειτο: Tert D a (impositus fuisset) d (circumdatus esset) e (circumiectus sit) ¦ περικειται/ imponatur: aur b c f ſſ 2 i l λ (alligatur) q r 1 (alligaretur) M ● f (17,2) ερριπτετο/ praecipitatus esset: Tert D* D 2 (ερριπτο) a d (proiectus esset) e (proiectus sit) r 1 (proiceretur) ¦ ερριπται/ proiciatur: aur b c f ſſ 2 i l λ q M ● g (17,2) ενα τουτων των μικρων: Tert ¦ (3 4 2 1) א 2 A D W Θ f 1.13 M ¦ (4 3 1 2) א * B L Ψ 579 892 pc ● h (17,3) εις σε: Tert D Ψ f 13 c d e q r 1 vg cl bo mss M (vgl. Mt 18,15) ¦ om א A B L W Θ Π f 1 892 1241 pc a aur b f ſſ 2 g 1 gat i l λ vg sy Tat arab sa co armen got Clem (Paed. 3,12,91; GCS 12, 286) ● i (17,5) και: om sa bo 2 mss Tat pers ¦ add it M (*Ev non test.) ● k (17,5) ειπαν: P 75vid א B D L X 1 118 205 209 213 1582 1604 ¦ ειπον: it M (*Ev non test.) ● l (17,5) αυτω/ illi: 828* 1241 b c ſſ 2 l (λ: ei) q r 1 vg ms georg II ¦ om l Tat pers ¦ τω κυριω/ domino: a aur d f i M ¦ κυριε/ domine: 1241 ℓ1016 b e c ſſ 2 1 g 1 gat λ q r 1 vg 7 mss (*Ev non test.) ● m (17,6) ο δε ειπεν αυτοις/ dixit autem illis: D e (a: quibus ille dixit; d: ad ille dixit illis) ¦ και ειπεν αυτοις/ et dixit illis: b c ſſ 2 i q vg ms ¦ ειπεν αυτοις παραβολην: Arnob (Expos. 7) ¦ ειπεν αυτοις: August (Quaest. Ev. 2,39; CCL 44B, 94) ¦ ο απεκριθη αυτοις: Hieron (Pelag. 2,15; PL 23, 577) ¦ και ειπεν αυτοις ο ιησους/ et dixit illis Iesus: r 1 ¦ και ειπεν ο ιησους/ et dixit Iesus: vg 1 ms ¦ ειπε δε ο κυριος: M (*Ev non test.) ● n (17,6) τω ορει τουτω μεταβα ενθευθεν εκει και μετεβαινεν· και: D d sy s ( Ambr, Ps 36,77,2; CSEL 64, 132) ¦ om it M (*Ev non test.) ● o (17,6) 1014 Anhang I 17,1-10 ταυτη εκριζωθητι και: om D d ¦ ταυτη: om P 75 א L X 213 579 1071 s sy c bo CyrAlex (Lc; PG 72, 833) ¦ ταυτη εκριζωθητι και: add M (*Ev non test.) ● p (17,6) μεταϕυθευθητι: D G aur b c d f ſſ 2 g 1 gat i l λ q r 1 ¦ ϕυθευθητι: a e M (*Ev non test.) ● q (17,6) εις την θαλασσαν: D 954 1424 1675 ℓ1074 ℓ1579 a aur b c d f ſſ 2 g 1 gat i q r 1 vg ¦ om l s ¦ εν τη θαλασση: e λ M (*Ev non test.) ● r (17,7) εξ: om P 75 D L 1012 1241 d; εξ υμων: om b ¦ add: a aur c e f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● s (17,7) μη: D d e l λ r 1 s sy s.c.j bo ¦ om a aur b c f ſſ 2 i 1 M (*Ev non test.) ● t (17,8) αλλα: D a b c d e f ſſ 2 i l λ q r 1 s vg ms sy s.c.p Tat arab.pers georg II Cypr (Testim. 3,51; CCL 3, 139) ¦ αλλ ουχι: aur g 1 gat M (*Ev non test.) ● u (17,8) μοι: א 1009 ℓ1016 a b d (! ) f q r 1 vg ms sy s.c.p.h* Tat arab.pers bo mss georg aeth ¦ om it M (*Ev non test.) ● v (17,9) αυτω ου δοκω: D f 13 pc a d f sy p ¦ αυτω: a ¦ ου δοκω: A E F G H K M N U V W Y Γ Δ Θ Λ Π Ψ Ω 028 047 063 0211 mult aur b c ſſ 2 i l q r 1 s ¦ αυτω ου δοκω: om P 75 א 1 B L f 1 1241 2542 pc e bo sa ● w (17,10) ποιησηται: א c L W 063 69* 579 ℓ253 ℓ1016 ℓ1074 ¦ ποιησεται: ℓ70 ¦ ποιειται: ℓ25 ¦ ποιησατε: M (*Ev non test.) ● x (17,10) παντα: om א c 579 ℓ1016 ℓ1663 a b e ſſ 2 i l r 1 s sy s.c ¦ ταυτα: ℓ254 ¦ παντα: add M (*Ev non test.) ● y (17,10) οσα λεγω/ quae dico: D d; οσα διατασσω/ quae mando: l; οσα διατεταχα: Tat pers aeth Ambst (1Cor 9,1; CSEL 81/ 2, 102) Rufin (Rm 3,3; PG 14, 933) ¦ τα διαταχθεντα: it M (*Ev non test.) ● z (17,10) υμιν: om ℓ211 a b c d i s Callin (Vit. Hypat. 92; K ARO 50,12) Orig (Comm. in Rom 5,5) ¦ τοτε: Basil (Reg. brev. 121; PG 31, 1164) Nilus (Magn. 10; PG 79, 984; Perist. 12,11; PG 79, 961) ¦ υμιν τοτε: 2643 (*Ev non test.) ● aa (17,10) λεγετε οτι δουλοι αχρειοι εσμεν ο ωϕειλομεν ποιησαι πεποιηκαμεν: om Epiph. ¦ οτι … πεποιηκαμεν: om 179 ¦ αχρειοι: om sy s . C. Die Rede an die Jünger *17,1-10 ist nur teilweise bezeugt: Tertullian referiert *17,1-4 teils in wörtlichen Zitaten, teils zusammenfassend, geht aber von der Behandlung des Wortes über die Vergebungspflicht (4,35,3) direkt zur lex leprosum über (4,35,4), mit der er sein Referat der Perikope von der Heilung der zehn Aussätzigen (*17,11ff) beginnt. Epiphanius bietet zu der ganzen Perikope nur eine Auslassungsnotiz zu *17,10b. Die Bezeugung ist daher für die einzelnen Teile ebenso uneinheitlich verteilt wie die synoptischen Parallelen und muss jeweils gesondert beurteilt werden. 1. Für die relativ gut bezeugte Passage *17,1-4 sind einige wenige Abweichungen von Intereresse. a. In *17,1b findet sich die für *Ev bezeugte, vom kanonischen Text abweichende Formulierung οὐαὶ ἐκεῖνῳ (bzw. δι’ οὗ) τὸ σκάνδαλον (ἔρχεται) auch in Mt 18,7 (πλὴν οὐαὶ τῷ ἀνθρώπῳ δι’ οὗ τὸ σκάνδαλον ἔρχεται). Mt hat *Ev hier genauer bewahrt als Lk. Dies gilt dann auch für die Stellung von ἕνα in *17,2 (|| Mt 18,6 || Mk 9,42): Nach Tertullians Referat geht die auffällige Nachstellung in Lk 17,2 auf das Konto der lk Redaktion. 1 b. Auffällig ist, dass Tertullian in *17,2 zusammen mit einer ganzen Reihe altlateinischer Handschriften das ansonsten nicht belegte Satzglied εἰ μὴ γεννηθῇ ἤ/ ne nasceretur aut (o. ä.) bietet. Diese positive Übereinstimmung belegt nicht nur einmal mehr die überaus enge Beziehung zwischen *Ev und dem »Westlichen« ______________________________ 1 Das bestätigt die Überlegungen von J. S CHLOSSER , Lk 17,2 und die Logienquelle, SNTU. A 8 (1983), 70-78: 75. 17,1-10 Rekonstruktion 1015 Text, sie macht auch deutlich, dass diese Berührungen nicht durch Harnacks Modell der doppelten Beziehung zwischen den beiden Texten erklärt werden können: Denn in diesem Fall müsste man ja die inhaltlichen Gründe aufzeigen können, die Marcion dazu bewegt haben könnten, diese Phrase in den kanonischen Text einzufügen. 2. Es gibt keinen Anlass daran zu zweifeln, dass *Ev diese Perikope - abgesehen von dieser wichtigen Berührung mit dem »Westlichen Text« - in dem auch aus der kanonischen Fassung bekannten Wortlaut enthielt. Aus dieser Bezeugung resultiert dann der Gang der Überlieferung: a. Mk hat aus dem Zusammenhang *17,1-4 nur V. *2 übernommen und die Warnung vor der Verführung eines »dieser Kleinen« Mk 9,42 stark verändert: Die beiden Teile von *17,2 erscheinen in Mk 9,42 in der gewohnteren Abfolge (Bedingung - Folge). Vor allem hat Mk das Logion selbständig um die Mahnung zur radikalen Trennung von Gliedern ergänzt, die zur Apostasie verführen (Mk 9,43-48). Das Ende der Einheit bildet das aus *14,34 stammende Wort über das Salz (9,50a), für das Mk 9,49 einen passenden Anschluss geschaffen hat. b. Mt hat in der sog. »Gemeinderede« den mk Zusammenhang ausgeschrieben und dabei auch Elemente mit aufgenommen, die aus der gemeinsamen Vorlage *Ev stammen, von Mk aber übergangen wurden. *17,2.1 Mk 9,42 Mt 18,6f Καὶ ὃς ἂν σκανδαλίσῃ ῝Ος δ’ ἂν σκανδαλίσῃ ἕνα τῶν μικρῶν τούτων τῶν πιστευόντων εἰς ἐμέ, ἕνα τῶν μικρῶν τούτων τῶν πιστευόντων εἰς ἐμέ, 2 συμϕέρει αὐτῷ καλόν ἐστιν αὐτῷ μᾶλλον συμϕέρει αὐτῷ εἰ μὴ γεννηθῇ ἢ λίθος μυλικὸς περιέκειτο εἰ περίκειται μύλος ὀνικὸς ἵνα κρεμασθῇ μύλος ὀνικὸς περὶ τὸν τράχηλον αὐτοῦ περὶ τὸν τράχηλον αὐτοῦ περὶ τὸν τράχηλον αὐτοῦ καὶ ἐρρίπτετο καὶ βέβληται καὶ καταποντισθῇ εἰς τὴν θάλασσαν εἰς τὴν θάλασσαν. ἐν τῷ πελάγει τῆς θαλάσσης. ἢ ἵνα σκανδαλίσῃ ἕνα τούτων τῶν μικρῶν. 7 οὐαὶ τῷ κόσμῳ ἀπὸ τῶν σκανδάλων· 1 Ἀνένδεκτόν ἐστιν τοῦ τὰ σκάνδαλα μὴ ἐλθεῖν, ἀνάγκη γὰρ ἐλθεῖν τὰ σκάνδαλα, πλὴν οὐαὶ ἐκεῖνῳ πλὴν οὐαὶ τῷ ἀνθρώπῳ δι’ οὗ τὸ σκάνδαλον ἔρχεται δι’ οὗ τὸ σκάνδαλον ἔρχεται Wie in Mk fehlt der Anfang aus dem Kontext von *Ev mit der Ankündigung von Verführungen und dem Wehewort (*17,1): Der Anfang der Einheit (Mt 18,6a || Mk 9,42a ÷ *17,2.1) fehlt in *Ev und stammt aus dem mk Kontext. Aber schon die Formulierung συμϕέρει αὐτῷ ist nicht aus Mk, sondern aus *Ev entnommen (συμϕέρει αὐτῷ Mt 18,6b || *17,2a ≠ καλόν ἐστιν αὐτῷ μᾶλλον Mk 1016 Anhang I 17,1-10 9,42a). Mt 18,6c geht wieder mit Mk 9,42c zusammen (μύλος ὀνικός Mt 18,6c || Mk 9,42c ≠ λίθος μυλικός *17,2), aber Mt 18,7b.c.d stammt erkennbar aus *17,1 (Mt 18,7b.c || *17,1 ÷ Mk 9,42), wobei die Wendung Mt 18,7b πλὴν οὐαὶ τῷ ἀνθρώπῳ δι’ οὗ τὸ σκάνδαλον ἔρχεται fast wörtlich aus *17,1 übernommen ist. Für die Redaktion allein dieses kleinen Abschnitts ist deutlich, in wie hohem Maß Mt textorientiert gearbeitet und seine beiden Vorlagen *Ev und Mk zu einem Text verflochten hat. 3. Die Belehrung über das Vermögen des Glaubens *17,5f ist unbezeugt. Für die Beurteilung sind die teilweise stark abweichenden Varianten der handschriftlichen Überlieferung ausgesprochen hilfreich: Sie sind als Ausdruck der Interferenz zwischen vorkanonischem und kanonischem Text zu verstehen und belegen so die Existenz eines vorkanonischen Textes. a. Zunächst fällt in beiden Versen (17,5.6) auf, dass Jesus von der Erzählstimme als ὁ κύριος bezeichnet wird. Wie oben gezeigt wurde, ist auktoriales κύριος auch sonst ein zuverlässiges Kennzeichen der lk Redaktion. 2 Für die Verwendung von ὁ κύριος in 17,5f zeigt die handschriftliche Überlieferung das uneinheitliche Erscheinungsbild, das sich immer dann ergibt, wenn redaktionelle Änderungen an einem durch *Ev vorgegebenen Kontext vorgenommen, dann aber nicht konsequent nach dem kanonischen Text korrigiert wurden. In beiden Fällen häufen sich die Variationen gerade für die κύριος-Belege im kanonischen Text. 3 b. In *17,6 haben D d sy s (sowie etliche patristische Zeugen) das aus Mt 17,20 bekannte Wort von dem sich selbst versetzenden Berg. Diese »Westliche« Lesart wird normalerweise als mt Einfluss auf den Paralleltext gewertet. 4 Aber in Anbetracht der grundlegenden Beobachtungen zum »Westlichen« Text ist diese Lösung zweifelhaft: Es ist wahrscheinlicher, dass Lk 17,6 D d sy s mit dem Doppelbildwort (Berg - Feigenbaum) den ursprünglichen, vorkanonischen Text bewahrt hat. Denn wenn das Wort vom bergeversetzenden Glauben schon in diesem vorkanonischen Evangelium enthalten war, dann erklärt sich nicht nur seine breite nt.liche Rezeption, sondern auch die außerkanonische. 5 In diesem Fall hätte *Ev ein Doppelbildwort enthalten, das Mt gekürzt hätte. Eine Analogie zu diesem Verfahren ist seine Rezeption des Doppelgleichnisses vom verlorenen Schaf und der verlorenen ______________________________ 2 Vgl. dazu o. § 5 (Bd. I, S. 93ff). 3 In 17,5 haben einige Handschriften (1241 ℓ1016 b c e ſſ 2 1 g 1 gat λ q r 1 vg) αὐτῷ aus der vorkanonischen Fassung übernommen, dafür das redaktionelle τῷ κυρίῳ in die Anrede (κύριε, …) integriert: Sie bezeugen beide Varianten, ohne eine Konflation zu sein. 4 Der Apparat von NA 27 notiert hier p). Zum Ganzen vgl. F. H AHN , Jesu Wort vom bergeversetzenden Glauben, ZNW 76 (1985), 149-169. 5 Der Bildgehalt des sich selbst versetzenden Berges ist bezeugt in Mk 11,23; Mt 17,20; 21,21; 1Kor 13,2; EvThom 48 (NHC II/ 2, 41,24-27); syrDidasc (A CHELIS / F LEMMING 345: duo si convenirent in unum et dixerint monti huic: tolle et mitte te in mari, fiet). 17,1-10 Rekonstruktion 1017 Drachme (*15,3-5.8f; s. dort): Auch hier übernimmt Mt nur das Gleichnis vom verlorenen Schaf (Mt 18,12-14). Aber während die lk Redaktion in 15,3-9 beide Gleichnisse aus *Ev übernommen hat, hat sie aus *17,6 nur das eine Beispiel (Feigenbaum) übernommen, das andere (Berg) aber übergangen. Mt ist dagegen umgekehrt verfahren und hat nur das Beispiel des Berges übernommen. c. Zur weiteren Begründung dieser überlieferungsgeschichtlichen Annahme dienen die restlichen Abweichungen zu *17,6 in der »Westlichen« Überlieferung, vor allem die weit gestreute Formulierung μεταϕυθεύθητι [εἰς τὴν θαλάσσαν] anstelle des kanonischen ἐκριζώθητι καὶ ϕυτεύθητι ἐν τῇ θαλάσσῃ: Diese Abweichung lässt sich nicht durch die Annahme eines Paralleleinflusses aus Mt erklären. In diesem Fall ist die mk Parallele von Bedeutung, weil sie den Gang der Überlieferung auch in dem Detail des sich ins Meer stürzenden Feigenbaums erhellt. *17,6 Mk 11,23 Mt 17,20 Lk 17,6 ὁ δέ εἶπεν αὐτοῖς, ὁ δὲ λέγει αὐτοῖς, εἶπεν δὲ ὁ κύριος, Διὰ τὴν ὀλιγοπιστίαν ὑμῶν· ἀμὴν λέγω ὑμῖν ὅτι ἀμὴν γὰρ λέγω ὑμῖν, Εἰ ἔχετε πίστιν ὡς κόκκον σινάπεως, ἐὰν ἔχητε πίστιν ὡς κόκκον σινάπεως, Εἰ ἔχετε πίστιν ὡς κόκκον σινάπεως, ἐλέγετε ἂν τῷ ὄρει τούτῳ, ὃς ἂν εἴπῃ τῷ ὄρει τούτῳ, ἐρεῖτε τῷ ὄρει τούτῳ, Μετάβα ἐνθεύθεν ἐκεῖ, καὶ μετέβαινεν· Ἄρθητι καὶ Μετάβα ἔνθεν ἐκεῖ, καὶ μεταβήσεται· καὶ ἐλέγετε ἂν τῇ συκαμίνῳ, ἐλέγετε ἂν τῇ συκαμίνῳ ταύτῃ, Ἐκριζώθητι καὶ μεταϕυθεύθητι· βλήθητι ϕυτεύθητι εἰς τὴν θάλασσαν, ἐν τῇ θαλάσσῃ· καὶ μὴ διακριθῇ ἐν τῇ καρδίᾳ αὐτοῦ ἀλλὰ πιστεύῃ ὅτι ὃ λαλεῖ γίνεται, καὶ ὑπήκουσεν ἂν ὑμῖν. ἔσται αὐτῷ. καὶ οὐδὲν ἀδυνατήσει ὑμῖν. καὶ ὑπήκουσεν ἂν ὑμῖν. a. Ausgangspunkt ist der für *Ev aufgrund der handschriftlichen Varianten rekonstruierte Text. Er enthielt zwei Beispiele dafür, was der Glaube vermag, selbst wenn er so klein ist wie ein Senfkorn: Er könnte durch eine bloße Aufforderung einen Berg »von hier nach dort versetzen« oder einen Feigenbaum »umpflanzen«. b. Mk 11,23 hat *17,6 rezipiert, dabei aber erheblich verändert: Er hat das Amen-Wort vorangestellt und dadurch den Verheißungscharakter betont. Da Mk das Logion über das Vermögen des Glaubens im Kontext der Verfluchung des Feigenbaumes rezipiert, der ja bereits verdorrt war (Mk 11,20f), wäre der zweite Teil des Bildes über den sich selbst verpflanzenden 1018 Anhang I 17,1-10 Feigenbaum aus *Ev hier wenig passend: Mk hat diesen Teil übergangen. Dafür hat er das Bild des sich selbst versetzenden Berges dadurch verstärkt, dass er den Berg nicht nur von einer Stelle an eine andere gehen lässt (μεταβαίνω), sondern ihn sich ins Meer stürzen lässt (βλήθητι εἰς τὴν θάλασσαν). c. Mt hat dagegen sowohl den Ausgangstext *Ev als auch dessen mk Bearbeitung vor Augen: Wie die Rezeption von εἰ ἔχετε/ ἐὰν ἔχητε πίστιν ὡς κόκκον σινάπεως (*17,6 || Mt 17,20) sowie von μετάβα ἐνθεύθεν ἐκεῖ, καὶ μετέβαινεν *17,6 || μετάβα ἔνθεν ἐκεῖ, καὶ μεταβήσεται Mt 17,20 zeigt, hat Mt den Textzusammenhang in *Ev gelesen. Wie ἀμὴν (γὰρ) λέγω ὑμῖν Mk 11,23 || Mt 17,20 zeigt, hat er daneben auch Mk rezipiert, und wie Mk hat Mt auch das Beispiel des sich verpflanzenden Feigenbaums übergangen. d. Lk schließlich kombiniert *Ev und Mk: Er übernimmt die Akoluthie und den Kontext des Logions von *Ev. Einzelne Formulierungen zeigen deutlich die Abhängigkeit von *17,6: εἰ ἔχετε πίστιν ὡς κόκκον σινάπεως; ἐλέγετε ἂν τῇ συκαμίνῳ; ϕυτεύθητι; καὶ ὑπήκουσεν ἂν ὑμῖν. Analog zu Mk 11,23 und Mt 17,20, aber im Unterschied zu *17,6 hat Lk das Doppelexempel (Berg; Feigenbaum) auf ein Einzelbeispiel reduziert. Im Unterschied zu Mk und Mt hat Lk allerdings nicht das Beispiel des sich verpflanzenden Feigenbaums ausgelassen, sondern das des sich versetzenden Berges. Dabei erweist sich Lk 17,6 darin von Mk 11,23 abhängig, dass sich bei ihm der Feigenbaum ἐν τῇ θαλάσσῃ einpflanzen soll: Mit diesem Element hatte Mk die Aufforderung zur Versetzung des Berges verstärkt (Mk 11,23: βλήθητι εἰς τὴν θάλασσαν). 4. Damit ist die Komplexität der Überlieferung von *17,1-6 innerhalb der synoptischen Tradition allerdings noch nicht hinreichend erklärt. Zwar zeigt bereits das Beispiel von *17,6, dass eine einfache Erklärung im Rahmen der Zwei-Quellentheorie an ihre Grenzen geführt wird, weil sie hier eine der methodisch problematischen »Mk-Q-Doppelüberlieferungen« annehmen muss. Die Überlieferungslage ist komplexer, weil Mt das Logion vom Vermögen des Glaubens nicht nur (wie Mk 11,23) in 17,20 im Kontext des Heilung des mondsüchtigen Knaben (Mt 17,14-21 || Mk 9,14-29 || Lk 9,37-42) rezipiert hat, sondern außerdem in Mt 21,21 || Mk 11,23 im Kontext der Verfluchung des Feigenbaums (Mt 21,18-23 || Mk 11,20-25). In beiden Fällen liegt *17,6 zugrunde: Die verschiedenen synoptischen Texte Mk 11,23; Mt 17,20; 21,21; Lk 17,5f sind aus der einen Vorlage *17,5f hervorgegangen. 6 Aus dieser komplexen Rezeption erklären sich einige Überschneidungen und Eigenheiten. Vor allem lässt der Überlieferungsgang die besondere Umsicht der einzelnen Redaktionsschritte erkennen. a. Am Anfang der Überlieferung stand in *Ev die knappe Chrie *17,5f, die das Vermögen des Glaubens thematisierte. Sie bildete den Abschluss der Belehrung ______________________________ 6 Die (methodisch problematische) Annahme einer »Mk-Q-Doppelüberlieferung« ist also unnötig. Vgl. dazu J. Z MIJEWSKI , Der Glaube und seine Macht, in: ders. (Hg.), Begegnung mit dem Wort, Bonn 1980, 81-103: 81-85; R. L AUFEN , Die Doppelüberlieferungen der Logienquelle und des Markusevangeliums, Königstein/ Ts. 1980, 78: »Dass ein Überlieferungszusammenhang zwischen den bei Q und Mk erhaltenen Texten besteht, kann nicht bestritten werden.« 17,1-10 Rekonstruktion 1019 mit der Warnung vor Verführung eines Kleinen und der Aufforderung zur Vergebungspflicht. Allerdings ist der Zusammenhang zwischen den Vv. *1-4 und *5f denkbar locker, denn das in V. *5f zentrale Stichwort πίστις taucht in *17,1-4 gar nicht auf. Den Zusammenhang muss sich der Leser selbst erschließen, und zwar am ehesten so, dass für die Realisierung der umfassenden Vergebungsforderung ein beachtliches Maß an πίστις notwendig erscheint. Darum bitten die Jünger: Πρόσθες ἡμῖν πίστιν. Wenn die Überlegungen zu den redaktionellen Eingriffen im Zusammenhang der Einfügung von ὁ κύριος zutreffen, dann hätte die lk Redaktion mit der Formulierung von 17,5a (καὶ εἶπαν οἱ ἀπόστολοι τῷ κυρίῳ) wenigstens die gröbsten Härten des Übergangs von V. *4 zu V. *5b gemildert und ein nominales Subjekt eingefügt. 7 Die Antwort Jesu bestand in *Ev aus dem genau parallel gebauten Doppelexempel vom sich selbst versetzenden Berg und vom sich selbst verpflanzenden Feigenbaum. Dabei zeigt die Formulierung εἰ ἔχετε πίστιν ὡς κόκκον σινάπεως - ἐλέγετε ἂν … *17,6 einen Irrealis an: Impliziert ist, dass die Jünger nicht geringen, sondern gar keinen Glauben haben. 8 b. Mk hat aus dem Doppelexempel für das Vermögen des Glaubens das Bild des sich versetzenden Berges rezipiert (Mk 11,23) und es in die Perikope von der Verfluchung des Feigenbaums (Mk 11,12-14.20-26) eingefügt. Das übergangene Beispiel des sich selbst verpflanzenden Feigenbaums (συκάμινος) wäre, wie gezeigt, im Kontext der Verfluchung der Feige (συκῆ) kontraproduktiv gewesen. Gleichwohl ist der Einfluss von *Ev auf Mk noch gut zu erkennen, denn Mk kombiniert den Anfang des ersten Bildwortes vom sich selbst versetzenden Berg (ἐλέγετε ἂν τῷ ὄρει τούτῳ, Μετάβα … || ὃς ἂν εἴπῃ τῷ ὄρει τούτῳ, Ἄρθητι …) mit dem Ende des zweiten Bildwortes vom sich verpflanzenden Feigenbaum (καὶ ὑπήκουσεν ἂν ὑμῖν || ἔσται αὐτῷ). Darüber hinaus hat Mk den Kontext aus *Ev vor Augen: Er hat das Wort vom Vermögen des Glaubens mit dem Problem der wechselseitigen Vergebung (Mk 11,25) verbunden, das in *17,3f im unmittelbarem Kontext stand. Allerdings hat Mk die fehlende Verbindung zwischen *17,1-4 und *17,5f bemerkt und sie durch die Einfügung der Erhörungszusage für das Gebet im Glauben theologisch überbrückt: πάντα ὅσα προσεύχεσθε καὶ αἰτεῖσθε, π ι σ τ ε ύ ε τ ε ὅτι ἐλάβετε (11,24). c. Mt hat das Logion vom Vermögen des Glaubens demnach in zwei verschiedenen Texten und Kontexten vorgefunden, in *17,5f und in Mk 11,23, und er hat es in neuen Kontexten verwendet. Er hat das Logion zunächst in der Erzählung ______________________________ 7 Die typisch lk Elemente der Einleitung (absolutes ὁ κύριος; οἱ ἀπόστολοι; προστίθημι) sind schon lange aufgefallen, vgl. für viele andere S. S CHULZ , Q. Die Spruchquelle der Evangelisten, Zürich 1972, 446. 8 W OLTER , Lk 567 z. St. 1020 Anhang I 17,1-10 von der Heilung des epileptischen bzw. mondsüchtigen Knaben rezipiert (Mt 17,14-21: 20), die er aus *9,37-42 (s. dort) || Mk 9,14-29 übernommen hatte. Dass er dabei auch den Kontext von *17,6 vor sich hatte und die von hier stammenden Formulierungen berücksichtigte, ist oben gezeigt. Die redaktionelle Ergänzung von Mt 17,20 in diesem Kontext, in dem es um den Unglauben bzw. den mangelnden Glauben der Jünger geht, ist gut nachvollziehbar. Indem Mt das Logion vom bergeversetzenden Glauben als Erklärung für die Unfähigkeit der Jünger zum Exorzismus verwendete (Mt 17,20), hat er ihm nach *17,1-6 (Vergebungspflicht; Bitte um Mehrung des Glaubens) und Mk 11,20-25 (Verfluchung des Feigenbaums) einen dritten inhaltlichen Kontext gegeben. Daneben hat Mt 21,21 das Logion in dem aus Mk 11,23 stammenden Kontext von der Verfluchung des Feigenbaums rezipiert. Wie Mk hat auch er auf das Beispiel des sich selbst verpflanzenden Feigenbaums verzichtet und nur vom sich selbst versetzenden Berg gesprochen. Dass Mt als Beispiel für das Vermögen des Glaubens nur auf das Bild des sich versetzenden Berges zurückgreift, hat auch seine Verwendung des Logions im ersten Kontext (Heilung des mondsüchtigen Knaben) geprägt: Auch in Mt 17,20 ist nur von dem sich versetzenden Berg, nicht aber von der sich verpflanzenden συκάμινος die Rede. Die mt Rezeption des Bildes vom sich versetzenden Baum ist allerdings in der Formulierung an *17,6, nicht an Mk 11,23 orientiert: Mt 17,20 spricht wie *17,6 davon, dass der Berg sich »von hier nach da versetzen« soll (μετάβα ἔνθεν ἐκεῖ), nicht aber, dass er sich »ins Meer stürzen« soll (βλήθητι εἰς τὴν θάλασσαν), wie Mk 11,23 es will. Obwohl Mt 21 den aus Mk 11,20-26 stammenden Kontext von der Verfluchung des Feigenbaums ausschreibt, hat er die Applikation des nicht zweifelnden Glaubens auf das Problem der gegenseitigen Vergebung (Mk 11,25 *17,3f) an dieser Stelle nicht übernommen: Diese Thematik hat er in Mt 6,14f; 18,15-20 aufgegriffen, ohne dabei auf das Problem des fehlenden oder zu geringen Glaubens zu sprechen zu kommen. d. Die lk Rezeption ist bereits besprochen: Sie folgt i. W. *Ev, zeigt aber in dem überraschenden Aspekt, dass der Baum sich »im Meer einpflanzen« soll, den Einfluss von Mk 11,25. Obwohl die Chrie *17,5f nicht direkt bezeugt ist, lassen die text- und überlieferungsgeschichtlichen Einsichten den gut begründeten Schluss zu, dass sie in *Ev enthalten war, und zwar in einer Gestalt, die in Teilen der »Westlichen« Handschriftenüberlieferung noch gut zu erkennen ist. 5. Das Gleichnis vom unnützen Sklaven *17,7-10, das sich ohne Übergang an das Logion vom bergeversetzenden Glauben anschließt, ist unbezeugt: Das einzige Zeugnis, das wir für die Perikope haben, ist die Auslassungsnotiz bei Epiphanius. Auf den ersten Blick wirft sie mehr Schwierigkeiten auf, als durch sie beseitigt wer- 17,1-10 Rekonstruktion 1021 den. Denn Epiphanius führt nur Lk 17,10b als »gestrichen« an, also die »Anwendung« des Gleichnisses, nicht aber das Gleichnis selbst, das gar nicht erwähnt wird. Sollte dies stricto sensu gemeint sein, hätte *Ev das Gleichnis ohne die Anwendung enthalten, was nicht ohne weiteres vorstellbar ist. Damit bleiben folgende Möglichkeiten: a. Entweder hat die ganze Perikope in *Ev gefehlt: Dann hätte Epiphanius den Umfang der marcionitischen »Streichung« ungenau angegeben bzw. die Pointe Lk 17,10b als pars pro toto für die ganze Einheit verstanden. 9 Für die Vertreter der Lk- Priorität wirft diese Lösung das Problem auf, ein redaktionelles Interesse für die Streichung identifizieren zu müssen. Dies gelingt jedoch nicht, wie Tsutsui zu Recht konstatiert. 10 Aber auch im umgekehrten Fall der *Ev-Priorität läge eine sekundäre Einfügung von Lk 17,7-10a durch die lk Redaktion weder inhaltlich noch formal nahe: Welches redaktionelle Interesse sollte dahinter stehen? Und wäre dann nicht eine deutlichere Verbindung mit dem Kon text zu erwarten? Vor allem aber spricht gegen das Fehlen der gesamten Perikope, dass sich Epiphanius’ Auslassungsvermerk so pointiert auf 17,10b bezieht: Wenn Epiphanius in Auslassungsnotizen längere Kontexte kennzeichnet, dann fasst er in der Regel die einzelnen Inhalte sehr eindeutig zusammen. Dass er es hier nicht tut, spricht dafür, dass er nur Lk 17,10b nicht in *Ev gelesen hat. b. Als Alternative hat Harnack erwogen, dass Marcion sich an der Härte des Wortes Lk 17,10b gestoßen und vielleicht nur das Wort ἀχρεῖοι gestrichen haben könnte. Epiphanius hätte sich dann allerdings sehr unklar ausgedrückt. 11 Für diesen Vorschlag könnte sprechen, dass dieses Wort auch im Sinaisyrer fehlt und durch die Altlateiner auf verschiedene Weise übersetzt ist. 12 Tatsächlich passt aber die Bewertung, dass ein Sklave, der alles Aufgetragene getan hat, »nutzlos« ist, keineswegs. Denn der Nutzen eines Sklaven für seinen Herrn besteht ja gerade darin, dass er dessen Aufträge erfüllt: Die Spannung zwischen V. 10b und dem Gleichnis ist unübersehbar. Aber da man sich für diese Lösung Epiphanius’ Referat, demzufolge eben nicht nur dieses eine Wort gefehlt habe, erst zurechtbiegen muss, ist sie wenig plausibel. ______________________________ 9 Vorgeschlagen etwa von Z AHN II/ 2, 481. 10 Erwogen von H ARNACK 223*; vgl. dazu T SUTSUI 114: Eine marcionitische Streichung sei »schwer … befriedigend zu begründen.« 11 H ARNACK 223*: »Hat Epiph. vielleicht auch nur sagen wollen, daß ἀχρεῖοι gefehlt hat und lautete sein Text ursprünglich: παρέκοψε τὸ <ἀχρεῖοι ἐν τῷ> λέγετε κτλ.? Die Refutatio steht dieser Hypothese nicht entgegen.« Dazu T SUTSUI 114: Diese Lösung komme »nicht in Frage, da eine Absicht, mit der man nur das Adjektiv streichen würde, kaum vorstellbar ist.« 12 Neben der wörtlichen Entsprechung zu ἀχρεῖοι = inutiles (a aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 ) findet sich auch die Übersetzung durch nequa (s) bzw. supervacui (e). 1022 Anhang I 17,1-10 6. Damit bleibt nur die Möglichkeit, Epiphanius’ Zeugnis ernst zu nehmen, demzufolge V. 10b komplett gefehlt habe. Da auf diese Weise die komplette Anwendung der Parabel wegfällt, gewinnen zwei Beobachtungen zur handschriftlichen Überlieferung Bedeutung. a. Zunächst fällt auf, dass ein erheblicher Teil der Überlieferung am Ende von *17,9 über den kanonischen Text hinaus die Worte οὐ δοκῶ las. 13 Mit der 1. Pers. Sing. von δοκῶ meldet sich der Gleichniserzähler Jesus, der die erwartete negative Antwort auf die rhetorische Frage des Gleichnisses selbst gibt: Schon vor der direkten Anrede an die Jünger in V. *10a markiert diese Bemerkung den Wechsel vom Gleichnis zu seiner Anwendung. Diese hat folglich gar nicht gefehlt und liegt dann in V. *10a vor: »So auch ihr …«. Eine weitere Deutung, wie sie in V. 10b vorliegt, ist nicht notwendig und könnte insofern redaktionell sein. 14 Diese Annahme 15 bleibt zwar hypothetisch, da die Lesart mit (αὐτῷ; ) οὐ δοκῶ nicht für *Ev bezeugt ist, sondern nur durch einen Teil der kanonischen Textüberlieferung gestützt wird. Aber sie würde Epiphanius’ Streichungsnotiz, die sich so pointiert auf V. 10b bezieht, verständlich machen. b. Wenn οὐ δοκῶ V. *9 nicht mehr zum Gleichnis gehört und wenn V. *10a die mutmaßlich vorkanonische Anwendung des Gleichnisses enthält, dann rücken diejenigen Varianten in den Blick, die das Verb (ποιήσητε) nicht als 2. Pers. Pl. Akt., sondern als 3. Pers. Sing. Pass. lesen. ποιησατε … υμιν: παντα τα διαχθεντα ποιησεται: ℓ32. - ποιησηται statt ποιησατε: א c L W 063 69* 579 ℓ253 ℓ1016 ℓ1074. - ποιησεται statt ποιησατε: ℓ70. - ποιειται ταυτα statt ποιησατε: ℓ254. Hinzu kommen noch die Auslassung von παντα ( א c 579 ℓ1016 ℓ1663 a b e ſſ 2 i l r 1 s sy s.c ) sowie die Auslassung von υμιν (ℓ211 a b c d i s) bzw. die Ersetzung (τοτε: Basil.). Alle diese Zeugen verstanden die Aussage von V. *10a im Sinn: »(So auch ihr,) wenn das Aufgetragene getan ist.« Dabei ist unklar, wem eigentlich etwas »aufgetragen« wird: Die 2. Pers. Pl. Akt. des kanonischen Mehrheitstextes bezieht die Ausführung des Auftrags eindeutig auf die Jünger: »Wenn ihr, so wie der Sklave des Gleichnisses, getan habt, was ich euch aufgetragen habe.« Die in it sy u. a. bezeugte ______________________________ 13 (αὐτῷ) οὐ δοκῶ ist bezeugt von allen Handschriften außer P 75 א 1 B L f 1 1241 2542 pc e bo sa. Deren Text haben die kritischen Ausgaben NA 27 / GNT 4 übernommen. M ETZGER , Textual Commentary z. St. begründet dieses Urteil, es gebe »no adequate reason that could account for the omission of αὐτῷ or οὐ δοκῶ, if either had been present originally« und hält οὐ δοκῶ »a marginal comment that found its way into the Western text«. Der »angemessene Grund« für die sekundäre Auslassung ist jedoch in der redaktionellen Neugestaltung der Pointe und in der dadurch bedingten veränderten Sinnrichtung des ganzen Gleichnisses zu sehen. 14 Dass der ganze Vers in א 3 gefehlt hat, merke ich hier nur an. 15 So auch vertreten von B OVON , Lk III 136: V. 10 sei »für das didaktische Anliegen des Sprechers nicht unentbehrlich.« Dies gilt natürlich nur bei einer bestimmten Interpretation des eigentlichen Anliegens der Parabel. 17,1-10 Rekonstruktion 1023 Variante in der 3. Pers. Sing. Pass. kann, muss aber nicht in diesem Sinn interpretiert werden. Sehr viel näher liegt die Bedeutung: »… wenn all das geschehen wird, was ich sage.« Denn das ausdrückliche »So auch ihr! « könnte die Jünger auch in der Rolle des Herrn sehen und damit der Perspektive des Gleichnisses entsprechen: Die ausdrückliche Übertragung οὕτως καὶ ὑμεῖς *17,10a bezieht sich dann nicht darauf, dass der Sklave keinen Dank erwarten kann (*9a: μὴ ἔχει χάριν τῷ δούλῳ …), sondern auf die unmittelbar davor stehende (und deswegen als Referenz viel näher liegende) Einschätzung des Gleichniserzählers Jesus (V. *9 fin.: οὐ δοκῶ), die zu teilen die Jünger aufgefordert werden. Man muss also die Vv. *9f folgendermaßen paraphrasieren: »Meint ihr etwa, dass der Herr dem Sklaven dankbar ist, weil er das getan hat, was ihm aufgetragen war? Das glaube ich nicht, und ihr solltet es auch nicht glauben! « c. Diese Einsicht hat Auswirkungen auf ein lange erkanntes Problem, denn in der kanonischen Fassung wechselt die Perspektive der Adressaten: In *17,7 waren sie ausdrücklich aufgefordert, sich mit dem Herrn des Sklaven zu identifizieren (τίς δὲ ἐξ ὑμῶν δοῦλον ἔχων …). 16 Die kanonische Fassung der Anwendung Lk 17,10 kehrt diese Perspektive um, denn die Jünger sollen sich ja der Rolle des Sklaven wiederfinden: λέγετε ὅτι Δ ο ῦ λ ο ι ἀχρεῖοί ἐ σ μ ε ν . In diesem Verständnis der kanonischen Fassung spricht das Gleichnis den Jüngern jeden Anspruch auf Dankbarkeit für ihr Tun ab, weil sie, wie jeder andere Sklave auch, nur das ausgeführt haben, was ohnehin zu ihren selbstverständlichen Aufgaben gehört; dabei bleibt allerdings die Perspektive der Exposition des Gleichnisses rhetorisch funktionslos. Wenn die Perspektive, die das Gleichnis am Anfang einnimmt (*17,7: τίς δὲ ὑμῶν δοῦλον ἔχων …), sich dagegen bis zum Schluss durchhält, verändert sich der Aussagegehalt erheblich: Die Jünger sollen sich dann überhaupt nicht in der Rolle des Sklaven sehen, sondern sich durchgängig mit dem Herrn identifizieren, der sich von dem vom Acker kommenden Sklaven zuerst einmal bedienen lässt. Das Gleichnis drückt in dieser Fassung keine Kritik an dem Anspruch auf Dankbarkeit oder auf Anerkennung des »apostolischen Status« der Adressaten aus, sondern zeigt ihnen, wie Befehlsstrukturen funktionieren: Wer selbst »Herr« ist, kann zu Recht erwarten, dass seine Anordnungen ausgeführt werden. Diese Deutung von *17,7-10a entspricht der Begründung des Centurio für seine Bitte um Heilung in *7,7f, die ja ebenfalls als Ausdruck für den »so großen ______________________________ 16 Vgl. B OVON , Lk III 136; W OLTER , Lk 569, u. a. Die Versuche, auch aufgrund dieser Spannung in Lk 17,7-10 Spuren redaktioneller Überarbeitung zu finden, sind schon älter. So wurde sekundäre Ergänzung erwogen für V. 8: A. W EISER , Die Knechtsgleichnisse der synoptischen Evangelien, München 1971, 107-110. - Für V. 10: P. S. M INEAR , A Note on Luke 17: 7-10, JBL 93 (1974), 82-87. - Für V. 8 und 10: S CHWEIZER , Lk 175. - Für V. 8-10: J. D. C ROSSAN , In Parables, New York 1973, 107f. Keiner dieser literarkritischen Vorschläge nimmt auf V. 10a v. l. Bezug. 1024 Anhang I 17,1-10 Glauben« gewertet wird (*7,9; s. dort). In diesem Verständnis gehört *17,7-10a sehr viel enger zu *17,6 und stellt den zweiten Teil der Belehrung über die Größe des Glaubens dar.17 In *Ev erklärt das Gleichnis die Selbstverständlichkeit, mit der die πίστις Dinge zu vollbringen in der Lage ist, die keineswegs als selbstverständlich erscheinen. 7. Lk hat diese Sinnrichtung des Gleichnisses und damit auch seine Stellung im Kontext durch die Einfügung der »Anwendung« V. 10b und die damit verbundene Streichung von οὐ δοκῶ V. *9 fin. entscheidend verändert. Die Gründe für diese Veränderung sind noch erkennbar, und zwar in den Varianten zu V. *10a: Auf der einen Seite steht das unpersönliche (πάντα) τὰ διαταχθέντα, das in etlichen Zeugen ohne das indirekte Objekt ὑμῖν belegt ist. 18 Diese Lesart - »So auch ihr, wenn (dann) alles Aufgetragene getan ist« - würde gut zu dem für die vorkanonische Fassung rekonstruierten Sinn des Gleichnisses passen. Daneben stehen jedoch Varianten, die hier (in verschiedener Form) die 1. Pers. Sing. lesen. 19 Obwohl die Zeugen für diese Lesart auch die »üblichen Verdächtigen« umfassen, die oft genug Spuren des vorkanonischen Textes bezeugen (D it u. a.), passt ihre Lesart weniger gut zu dem substituierten Sinn. Denn wenn das Gleichnis den Jüngern nicht die Rolle des Sklaven, sondern die des Herrn zuweist, entsteht eine Spannung, wenn die Anwendung fortfährt: »So auch ihr, wenn alles getan ist, was ich gesagt/ aufgetragen habe.« Die Uneinheitlichkeit der Varianten belegt die verschiedenen Versuche, den Text zu glätten. Dies legt umgekehrt den Schluss nahe, dass der vorkanonische Text hier nicht ganz eindeutig war. Die lk Redaktion hat diese fehlende Eindeutigkeit dadurch hergestellt, dass sie das Gleichnis entschieden als Mahnung an die Jünger verstand, keinen Dank für das zu erwarten, was ihnen (! ) durch Jesus (! ) aufgetragen war: Die Einfügung von Lk 17,10b ist eine präzisierende Vereindeutigung, für deren Sinnrichtung die Ambiguität des vorkanonischen Textes bereits Anhaltspunkte enthielt. Die lk Redaktion hat dadurch mit Lk 17,7-10 eine selbständige Einheit geschaffen, die mit dem Kontext durch die gemeinsame Intention der Kritik an den Aposteln verbunden ist und darauf zielt, eine Selbstüberschätzung der Missionare zu korrigieren. Erst für ______________________________ 17 Gegen W OLTER , Lk 569: »Dieser Perspektivewechsel darf freilich nicht zum Anlass von literarkritischen Operationen werden.« In diesem Fall ist der Anlass für die »literarkritische Operation« Epiphanius’ eindeutiges Zeugnis: Es erklärt, auf welche Weise der Perspektivewechsel zustande gekommen ist. 18 ὑμῖν: om ℓ211 a b c d i s Callin (Vit. Hypat. 92; K ARO 50,12) Orig (Comm. in Rom 5,5); τότε anstelle von ὑμῖν: Basil (Reg. brev. 121; PG 31, 1164) Nilus (Magn. 10, PG 79, 984; Perist. 12,11, PG 79, 961). 19 ὅσα λέγω/ quae dico: D d; ὅσα διατάσσω/ quae mando: l; ὅσα διατέταχα: Tat pers aeth Ambrst (1Cor 9,1; CSEL 81/ 2, 102) Rufin (Rm 3,3; PG 14, 933). 17,1-10 Rekonstruktion 1025 diese Gestalt ist dann auch die Allegorisierung der Metaphorik von 17,7f plausibel, die durch die redaktionellen Stichworte κύριος und δοῦλος evoziert wird. 20 Zusammen mit den Überlegungen zur vorlk Gestalt von *17,9 fin.10a ergibt Epiphanius’ Auslassungsnotiz einen guten Sinn: Es gibt keinen Grund, sie für ungenau oder ein Versehen zu halten. Die weiteren, nicht bezeugten Änderungen der Perikope lassen sich naturgemäß nicht mit derselben Sicherheit vertreten, auch wenn die Beobachtungen zur handschriftlichen Überlieferung sie wahrscheinlich machen. *17,11-18 ↑ 4,27 ↓ 19: Heilung von zehn Aussätzigen Gut bezeugt und sicher in *Ev vorhanden; eindeutig durch die lk Redaktion bearbeitet. 17,11 Καὶ ἐγένετο ἐν τῷ πορεύεσθαι εἰς Ἰερουσαλὴμ καὶ αὐτὸς διήρχετο a [ διὰ ] μέσον Σαμαρείας καὶ Γαλιλαίας b καὶ Ἰεριχώ b . 12 καὶ εἰσερχομένου αὐτοῦ εἴς τινα κώμην c ὅπου ἦσαν c d καὶ ἰδού, d δέκα λεπροὶ ἄνδρες e [ καὶ ] ἔστησαν πόρρωθεν, 13 καὶ f ἔκραξαν ϕωνῇ μεγάλῃ f , Ἰησοῦ ἐπιστάτα, ἐλέησον ἡμᾶς. 14 καὶ ἰδὼν εἶπεν αὐτοῖς, g Τεθεράπευσθε, h ὑπάγετε, i δείξατε ἑαυτοὺς τοῖς ἱερεῦσιν. καὶ ἐγένετο ἐν τῷ ὑπάγειν αὐτοὺς ἐκαθαρίσθησαν. 15 εἷς δὲ ἐξ αὐτῶν, ἰδὼν ὅτι k ἐκαθαρίσθη, ὑπέστρεψεν μετὰ ϕωνῆς μεγάλης δοξάζων τὸν θεόν, 16 καὶ ἔπεσεν ἐπὶ πρόσωπον παρὰ τοὺς πόδας αὐτοῦ εὐχαριστῶν αὐτῷ· καὶ αὐτὸς ἦν Σαμαρίτης. 17 ἀποκριθεὶς δὲ ὁ Ἰησοῦς εἶπεν, l Οὗτοι δέκα ἐκαθαρίσθησαν· οἱ m [ δὲ ] ἐννέα ποῦ; 18 n ἐξ αὐτῶν οὐδεὶς εὑρέθη ὑποστρέϕων ὃς δώσει n δόξαν τῷ θεῷ εἰ μὴ ὁ ἀλλογενὴς οὗτος; o {4,27 πολλοὶ λεπροὶ ἦσαν p † [ ἐν τῷ Ἰσραὴλ ] † p rq ἐν ἡμέραις q Ἐλισαίου τοῦ προϕήτου, r καὶ s οὐκ ἐκαθαρίσθη εἰ μὴ Νεεμὰν ὁ Σύρος.} o 19 καὶ εἶπεν αὐτῷ, Ἀναστὰς πορεύου· ἡ πίστις σου t σὲ σέσωκεν t . A. *17,11: Tert. 4,35,9: In Samariae regionibus res agebatur, unde erat et unus interim ex leprosis. ♦ *17,12: Tert. 4,35,4: Lex leprosorum quantae sit interpretationis erga species ipsius vitii et inspectationis summi sacerdotis nostrum erit scire, Marcionis morositatem legis opponere, ut et hic Christum aemulum eius affirmet, praevenientem sollemnia legis etiam in curatione decem leprosorum, quos tantummodo ire iussos ut se ostenderent sacerdotibus, in itinere purgavit, sine tactu iam et sine verbo, tacita potestate et sola voluntate. ♦ *17,12.14(18? ): Epiph., Schol. 48: Ὅτε συνήντησαν οἱ δέκα λεπροί. ἀπέκοψε δὲ πολλὰ καὶ ἐποίησεν Ἀπέστειλεν αὐτοὺς λέγων· δείξατε ἑαυτοὺς τοῖς ἱερεῦσι, καὶ ἄλλα ἀντὶ ἄλλων ἐποίησε, λέγων ὅτι Πολλοὶ λεπροὶ ἦσαν ἐν ἡμέραις Ἐλισσαίου τοῦ προϕήτου καὶ οὐκ ἐκαθαρίσθη εἰ μὴ Νεεμὰν ὁ Σύρος. ♦ *17,14: Tert. 4,35,7.4: Sed et quod in manifesto fuit legis praecepit, Ite ostendite vos sacerdotibus. ♦ *17,15f.18f: Tert. 4,35,11: Et ideo, ut vidit agnovisse legem illos Hierosolymis expungendam, ex fide iam iustificandos ______________________________ 20 So der Vorschlag von B OVON , Lk III 141f; die Allegorisierung bestünde dann vor allem im übertragenen Verständnis der Wortfelder ποιμαίνω/ ἀγρός/ ἀροτριῶ und διακονῶ/ ἐσθίω/ πίνω. 1026 Anhang I 17,11-19 sine legis ordine remediavit. Unde et unum illum solutum ex decem memorem divinae gratiae Samariten miratus, non mandat offerre munus ex lege, quia satis iam obtulerat gloriam deo reddens, hoc et domino volente interpretari legem. Et tamen cui deo gratiam reddidit Samarites, quando nec Israelites alium deum usque adhuc didicisset? Cui alii quam cui omnes remediati retro a Christo? Et ideo, Fides tua te salvum fecit, audiit, quia intellexerat veram se deo omnipotenti oblationem, gratiarum scilicet actionem, apud verum templum et verum pontificem eius Christum facere debere. ♦ ↑ *4,27 ↓ : Tert. 4,35,6: Nunc etsi praefatus est multos tunc fuisse leprosos apud Israelem in diebus Helisaei prophetae et neminem eorum purgatum nisi Naaman Syrum, non utique et numerus faciet ad differentiam deorum, in destructionem creatoris unum remediantis et praelationem eius qui decem emundarit. ¦ Epiph., Schol. 48: πολλοὶ λεπροὶ ἦσαν ἐν ἡμέραις Ἐλισσαίου τοῦ προϕήτου καὶ οὐκ ἐκαθαρίσθη εἰ μὴ Νεεμὰν ὁ Σύρος (s. o. zu *17,12.14) ¦ Orig (Cels. 2,49; GCS 2, 170,4-6): πολλοὶ λεπροὶ ἦσαν ἐν ἡμέραις Ἐλισαίου τοῦ προϕήτου, καὶ οὐδεὶς αὐτῶν ἐκαθαρίσθη εἰ μὴ Ναιμὰν ὁ Σύρος. ¦ Ambr (Lc. 4,49; CCL 14, 123): et multi leprosi erant temporibus Helisaei prophetae, et nemo eorum mundatus est nisi Neman Syrus. B. a (17,11) δια: om D d ¦ ανα μεσον: f 1.13 2542 ¦ δια μεσον: P 75vid א B L 124 131 579 1424 pc ¦ δια μεσου: A W Θ Ψ 33 M (*Ev non test.) ● b (17,11) και Ιεριχω: a b c e ſſ 2 i l λ q r 1 s; εις Ιεριχω: sy c ; την Ιερριχω και δια μεσου Σαμ. και Γαλ.: 28 ¦ om aur d f M (*Ev non test.) ● c (17,12) οπου ησαν: D d e λ ¦ απηντησαν αυτω: M (*Ev non test.) ● d (17,12) και ιδου: a b c ſſ 2 i l q s sy s.c ¦ om aur d e f λ M (*Ev non test.) ● e (17,12) και: om a b d e ſſ 2 i l q s (εστησαν πορρωθεν: om א *) ¦ add D d sy p bo ¦ οι: M (*Ev non test.) ● f (17,13) εκραξαν ϕωνη μεγαλη: D d e; εκραξαν: aeth ¦ ηραν ϕωνην λεγοντες: it M (*Ev non test.) ● g (17,14) τεθεραπευσθε: D c d; τεθεραπευεσθε: D* ¦ om it M (*Ev non test.) ● h (17,14) υπαγετε: Widersprüchliche Bezeugung: (1) υπαγετε/ ite: Tert 157 August (Quaest. Ev. 2,40; CCL 44B, 97) ¦ (2) om Epiph ¦ πορευθεντες: it M ● i (17,14) δειξατε: Epiph 157 1424 1675 ¦ επιδειξατε: M ● k (17,15) εκαθαρισθη: D 124 157 892 954 1424 1675 2643 ℓ253 ℓ547 aur b d f g 1 gat l λ r 1 vg sy s.c.p Tat arab.pers sa got aeth ¦ εκαθαρισθη και ιαθη: 1319 ¦ ιαθη: a c e ſſ 2 q M (*Ev non test.) ● l (17,17) ουτοι: D a b c d e ſſ 2 i q s sy s.c.p sa got ¦ ουχι δεκα ουτοι: A W Π 0211 pc sy p.h armen ¦ ουχι οι: M (*Ev non test.) ● m (17,17) δε: om A D Π 158 265 472 489* 1009 1079 1219 ℓ184 ℓ253 it vg Tat pers slav ¦ add M (*Ev non test.) ● n (17,18) εξ αυτων ουδεις ευρεθη υποστρεϕων ος δωσει: D d sy c ; εξ αυτων ουκ ην υποστρεψας: c ſſ 2 ; εξ αυτων ουδεις υπεστρεψε: sy s ; και εξ αυτων ουδεις υπεστρεψεν ελθειν και: Tat arab ; και ουδεις εξ αυτων υπεστρεψε: e; εξ αυτων ουχ ευρεθη υποστρεψας: a l; εξ αυτων ουκ εστιν υποστρεψας: b i q ¦ ουχ ευρεθησαν υποστρεψαντες δουναι: M (*Ev non test.) ● o (17,18) πολλοι λεπροι ησαν εν ημεραις ελισσαιου του προϕητου και ουκ εκαθαρισθη ει μη νεεμαν ο συρος: vs. (4,27) add post 17,18: Tert Epiph ¦ om it M ● p (4,27) εν τω Ισραηλ: Widersprüchliche Bezeugung: (1) om Epiph 579 Orig Ambr (Lc. 4,49; CCL 14, 123) ¦ (2) add Tert (apud Israelem) it M ● q (4,27) εν ημεραις: Tert Epiph e (tempore) Orig (Cels. 2,48; GCS 2, 170) Ambr (ebd.) ¦ επι/ sub: a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ● r (4,27) (εν τω Ισραηλ) επι Ελισαιου του προϕητου/ in Israhel sub (tempore: e) Heliseo propheta (prophetae: e): Tert (Epiph) a aur b c d e f ſſ 2 l q r 1 ¦ (4-7 1-3): א B C D L W X Θ Ψ mult ● s (4,27) ουκ: Epiph ¦ ουδεις αυτων: Tert it M ● t (17,19) σε σεσωκεν/ te salvum fecit (te salvabit: e): Tert a aur b c e f ſſ 2 g 1 gat i l λ q r 1 s ¦ σεσωκεν σε/ salbabit te (2 1): d M . C. Die Perikope ist durch Tertullians Zusammenfassung und Epiphanius’ genaue Vermerke sehr gut bezeugt: Die wesentlichen Elemente der Handlung, die aus dem kanonischen Text bekannt sind, waren schon in *Ev vorhanden: Die Lokalisierung 17,11-19 Rekonstruktion 1027 des Geschehens auf dem Weg durch Samaria und Galiläa; die »Reinigung« von zehn Aussätzigen durch das Wort (nicht durch eine Handlung) Jesu; die Aufforderung »Zeigt euch den Priestern! «; Umkehr und Dank des einen im Gegensatz zu den anderen neun Geheilten. Angesichts dieser Bezeugung ist Epiphanius’ Auslassungsvermerk (ἀπέκοψε δὲ πολλά) nicht klar: Man fragt sich, wo Marcion »viel« gestrichen haben soll. Vermutlich ist πολλά hier nicht wörtlich zu nehmen und durch die weiteren Veränderungen der Perikope veranlasst, die er ebenfalls anspricht (ἄλλα ἀντὶ ἄλλων ἐποίησε; s. gleich). Da Epiphanius im Anschluss an den Auslassungsvermerk *17,14a zitiert, liegt es nahe, dass sich seine Notiz auf Elemente in der Einleitung der Perikope bezieht, am ehesten wohl auf die Art der Bitte der Aussätzigen (V. 13). Denn dass die ebenfalls unbezeugte Feststellung der wunderhaften Reinigung in V. 14b in *Ev gefehlt haben soll, ist kaum vorstellbar: Sie bildet die Voraussetzung für die Pointe. 1. Dass Marcion »das eine anstelle des anderen gesetzt« habe, lässt sich für eine Änderung gut nachvollziehen: Tertullian (4,35,6) und Epiphanius (Schol. 48) stimmen darin überein, dass die Perikope von dem dankbaren Samaritaner den aus Lk 4,27 bekannten Hinweis auf die Heilung des Syrers Naëman enthielt (s. o. zu *4,27). Unklar ist, an welcher Stelle der Perikope dieses Logion stand. Harnack vermutete, dass es in V. *14 vor πορευθέντες gestanden haben müsse. 1 Aber an dieser Stelle würde das Logion die Pointe zerstören. Denn der Gegensatz zwischen Israeliten und Nichtisraeliten, den das Logion zum Ausdruck bringt, wird erst durch die Bemerkung, dass einer der Geheilten ein Samaritaner war (V. 16 bzw. 18b), mitgeteilt. Von der dramatischen Anlage der Perikope her würde das Logion als Verstärkung der Aussage von V. *18 sehr viel besser passen. Außerdem spricht die von Tertullian bezeugte Einleitung von V. *15 (εἷς δὲ ἐξ αὐτῶν …) dagegen, dass dieser eine bereits zuvor als Samaritaner gekennzeichnet war. 2. Aber auch unabhängig von der genauen Stellung dieses Logions ist dieser Befund höchst aufschlussreich, weil er die Bearbeitungsrichtung von *Ev zu Lk deutlich erkennen lässt. Die Vertreter der Lk-Priorität haben an dieser Stelle große Schwierigkeiten, die angenommene Verschiebung von Lk 4,27 aus dem Kontext der Nazarethperikope in diesen Zusammenhang zu erklären. Harnack hält sich bedeckt, 2 Tsutsui versucht eine Erklärung: »Marcion muß in dieser Perikope den deutlichsten Beweis dafür gefunden haben, daß das gute Wesen seines Gottes im exklusiven Gegensatz zur Bosheit des Schöpfergottes steht«, und daher habe er Lk 4,27 an dieser Stelle »eingesetzt, damit es hier am wirksamsten zur starken Betonung ______________________________ 1 H ARNACK 223*; so auch T SUTSUI 114. 2 H ARNACK 56: »Warum dies geschehen, ist dunkel.« Dunkel ist allerdings auch, worauf sich Harnacks Bemerkung »einiges fehlte« (ebd.) beziehen könnte. 1028 Anhang I 17,11-19 dieser Antithese beiträgt.« 3 Aber davon steht nichts da. Noch nicht einmal Tertullians Diskussion lässt erkennen, dass der marcionitische Gegensatz zwischen deus und creator an dieser Stelle irgendeine Rolle gespielt hat. Denn Tertullian diskutiert hier nur das Problem der Geltung des Gesetzes: Jesus setze es nicht außer Kraft, sondern bestätige vielmehr die sollemnia legis, wenn er die Leprösen »ganz ohne Berührung und ohne ein Wort, nur durch stille Vollmacht und allein durch den Willen geheilt hat.« 4 Es sei daher völlig unglaubhaft, dass die observatores legis sich ihre Heilung ausgerechnet von dem destructor legis verdient hätten (4,35,8). Tertullian sieht in dem Umstand, dass der Samaritaner sich in Jerusalem dem Priester gezeigt hat, die Erfüllung des Gesetzes und in seiner Umkehr die Rechtfertigung aus Glauben. Vor dem Hintergrund von Tertullians Diskussion bleibt die Erklärung, warum Marcion Lk 4,27 von der Nazarethperikope in die Erzählung von der Heilung der zehn Lepräsen verschoben haben sollte, völlig unverständlich. Tsutsui erklärt nicht den durch Marcion angeblich redigierten Text, sondern versucht (mit zweifelhaftem Erfolg), den kanonischen (! ) Text in das Gesamtbild der marcionitischen Theologie zu integrieren. Unter der Voraussetzung der *Ev-Priorität ist die Verschiebung des Logions von *17,18 nach 4,27 dagegen gut verständlich, weil Lk hier zu Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu eine programmatische Szene gestaltet, die alle Autorität der Schrift beansprucht, um deutlich zu machen, dass die Gabe des Geistes die Voraussetzung für die »Reinigung« von Heiden wie dem Syrer Naëman bzw. der sidonischen Witwe ist. Nach dem Kriterium der höheren redaktionellen Plausibilität ist die Bearbeitungsrichtung an dieser Stelle ganz eindeutig zu identifizieren: Sie verläuft von *Ev zu Lk. 3. Der explizite Verweis auf Elisa, den *Ev im Kontext von *17,10-19 hatte, bestätigt grundsätzlich die Existenz eines typologischen Bezugs auf 2Kön 5, auch wenn dieser eher für *Ev als für die kanonische Fassung evident ist. 5 Dabei muss man wohl in Rechnung stellen, dass die Samaritanerbezüge hier - wie auch in *9,52 (dort mit Bezug auf Elia: *9,54 fin.! ), jedoch im Unterschied zu Lk 10,29-37 ______________________________ 3 T SUTSUI 114f. 4 4,35,4: purgavit sine tactu iam et sine verbo, tacita potestate et sola voluntate. 5 Der Text von *Ev bestätigt die ältere Überlegung, dass im Hintergrund von Lk 17,11-19 die Erzählung von der Reinigung des Syrers Naëman (2Kön 5,1-15) stehe, auch wenn klar ist, dass diese Entsprechung nicht erst durch Lk gebildet wurde (so W. B RUNERS , Die Reinigung der zehn Aussätzigen und die Heilung des Samariters Lk 17,11-19, Stuttgart/ Würzburg 1977, 103ff; 297ff). Der Einwand, dass »die Entsprechungen zwischen den beiden Erzählungen (sc. 2Kön 5 und Lk 17) viel zu allgemein und unspezifisch sind, um 2.Kön 5,1-15 als bestimmten Prätext von Lk 17,11-19 identifizieren zu können« (W OLTER , Lk 571), trifft (vielleicht) für die lk Fassung zu, nicht aber für *Ev: Die *Ev- Fassung *17,11-19 ist das »missing link«, das als sehr bestimmter Intertext 2Kön 5 und Lk 17 miteinander verbindet. 17,11-19 Rekonstruktion 1029 - bereits in *Ev angelegt waren. Lk hat also das Element der besonderen Beziehung zwischen den Samaritanern und Jerusalem (bzw. dem Tempel oder den dort diensttuenden Priestern), das für das redaktionelle Konzept so wichtig ist, nicht »erfunden«, sondern Ansätze aufgegriffen und weiterentwickelt, die er bereits in *Ev vorfand. 4. Eine letzte Bemerkung ist zum Wortlaut von *4,27 notwendig. Denn Epiphanius bezeugt hier gegen Tertullian und fast die komplette handschriftliche Überlieferung einen Text ohne die Worte ἐν τῷ Ἰσραήλ, die in Lk 4,27 durchweg bezeugt sind. Das Fehlen dieser Wendung bei Origenes und Ambrosius sowie in der Minuskel 579 aus dem 13. Jh. ist ein deutliches Indiz, dass Epiphanius’ Referat tatsächlich eine vorkanonische Textgestalt bezeugt, während Tertullians Text schon eine Angleichung an den kanonischen Text darstellt. Diese Sicht wird bestätigt durch die unterschiedliche Reihenfolge der beiden adverbialen Bestimmungen ἐν τῷ Ἰσραήλ und ἐν ἡμέραις/ ἐπὶ Ἐλισαίου τοῦ προϕήτου in der Handschriftenüberlieferung von Lk 4,27: Die Worte ἐν τῷ Ἰσραήλ sind einmal vor, einmal nach ἐν ἡμέραις/ ἐπὶ Ἐλισαίου τοῦ προϕήτου eingefügt worden. Die Wendung ἐν τῷ Ἰσραήλ ist daher in Lk 4,27 eine redaktionelle Einfügung, die sich ausgezeichnet in das umfassende Konzept der lk Redaktion einfügt: Gegenüber der vorkanonischen Fassung hat Lk den Gegensatz zwischen Israeliten und Nichtisraeliten stark herausgestrichen. Im Zuge dieser Einfügung hat die lk Redaktion dann auch ἐν ἡμέραις durch ἐπὶ ( Ἐλισαίου) ersetzt, um so das harte Aufeinandertreffen der beiden Adverbialbestimmungen mit ἐν (τῷ Ἰσραήλ) … ἐν (ἡμέραις) zu vermeiden. 5. Gegenüber der Streichung/ Verschiebung von *4,27 fallen die anderen Änderungen kaum ins Gewicht und sind auch weniger gut bezeugt: Sie legen sich aufgrund der Eigenheiten der handschriftlichen Überlieferung nahe. Drei von ihnen verdienen Beachtung: a. Die Exposition *17,11 zeigt Jesus auf dem Weg durch Samaria und Galiläa nach Jerusalem. In einem Teil der Handschriften (it sy) taucht jedoch auch noch Jericho auf. Das ist einigermaßen verwunderlich, denn die Abfolge der drei topographischen Angaben in den Vetus-Latina-Handschriften (Samaria - Galiläa - Jericho) zeigt wegen der Abfolge Samaria - Galiläa keine plausible Reiseroute von Norden nach Süden. Die übliche Erklärung, dass die Nennung von Samaria hier die Begegnung mit einem Samaritaner vorbereiten soll, 6 ist allerdings nur bedingt überzeugend, weil der Plot der Erzählung die Nähe des Handlungsortes zu Jerusalem ______________________________ 6 Vgl. K LEIN , Lk 562: »Der Einleitungsvers ist lukanisch, er will erklären, wieso Jesus in einem Dorf sowohl Juden als auch Samaritaner trifft.« Anders von R. VON B ENDEMANN , Zwischen ΔΟΞΑ und ΣΤΑΥΡΟΣ, Berlin - New York 2001, 350: Die im Horizont eines mit 9,51 beginnenden Reiseberichtes »unsinnige Abfolge von Samaria und Galiläa« sei ein Indiz dafür, dass »sich die Erzählung nunmehr auf ihren plotkompatiblen Ausgangspunkt zurückbewegt (18,31-34)«. 1030 Anhang I 17,11-19 voraussetzt. Wenn die Angabe »und Jericho« ursprünglich an dieser Stelle enthalten war, wäre impliziert, dass Jesus und seine Entourage sich bereits in großer Nähe zu Jerusalem befanden. Dies würde erklären, dass einer der Geheilten sich erst »dem Priester zeigen«, dann aber zu Jesus zurückkehren kann: Eine größere Distanz würde die Plausibilität der Erzählung belasten. Obwohl nicht ganz einzusehen ist, warum Lk diesen topographischen Hinweis gestrichen haben sollte, ist die Bezeugung so charakteristisch, dass sie als Element des vorkanonischen Textes leichter verständlich ist als eine sekundäre Ergänzung auf der Ebene der handschriftlichen Überlieferung. b. Mit der Bearbeitung der geographischen Angaben in *17,11 hängen weitere Unklarheiten zusammen. So ist nicht eindeutig, ob Jesus διὰ μέσον (so P 75 א B L usw.), also mitten durch Samaria und Galiläa reist, oder ob er διὰ μέσου (so A W Θ Ψ usw.), also zwischen Samaria und Galiläa hindurch reist. Das Verb διέρχεσθαι erfordert gar keine Präposition, aber wenn, sollte es mit διά, nicht mit ἀνά zusammenstehen (so aber f 1.13 usw.: ἀνὰ μέσον): Geht man nur nach der textkritischen Faustregel der lectio difficilior, müsste man ἀνὰ μέσον als ursprüngliche Lesart annehmen. Der D-Text legt jedoch nahe, dass der vorkanonische Text μέσον ohne Artikel enthielt. c. In *17,14 enthielt *Ev sehr wahrscheinlich den »Heilungsbefehl« (τεθεράπευσθε), obwohl ansonsten immer »Reinigung« die Rede ist. So auch in *17,15, wo das ursprüngliche ἐκαθαρίσθη (D it sy u. a.) durch das »lk Vorzugswort« ἰάθη ersetzt wurde. *17,20f: Vom Kommen der Gottesherrschaft Gut und zum größten Teil wörtlich bezeugt und sicher in *Ev vorhanden; durch die lk Redaktion möglicherweise bearbeitet. 17,20 Ἐπερωτηθεὶς δὲ ὑπὸ τῶν Φαρισαίων πότε ἔρχεται ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἀπεκρίθη αὐτοῖς καὶ εἶπεν, Οὐκ ἔρχεται ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ μετὰ παρατηρήσεως, 21 οὐδὲ a λέγουσιν, Ἰδοὺ ὧδε, b ἤ c ἰδοὺ ἐκεῖ· d [ μὴ πιστεύσητε ] d , ἰδοὺ γὰρ ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἐντὸς ὑμῶν ἐστιν. A. *17,20f: Tert. 4,35,12: Sed nec pharisaei possunt videri de alterius dei regno consuluisse dominum quando venturum sit, quamdiu alius a Christo editus deus non erat, nec ille de alterius regno respondisse quam de cuius consulebatur. Non venit, inquit, regnum dei cum observatione, nec dicunt, Ecce hic, ecce illic: ecce enim regnum dei intra vos est. B. a (17,21) λεγουσιν/ dicunt: Tert l s ¦ ερουσιν/ dicent: a aur b c d (e: dicens) f ſſ 2 i λ q r 1 M ● b (17,21) η/ aut: om Θ Π* 063 mult ¦ add a aur b c d e f ſſ 2 i l λ q r 1 (vel: s) M ● c (17,21) ιδου: Tert 17,20f Rekonstruktion 1031 (η ιδου: A D W Ψ f 1.13 M a aur b c d f λ q sy c.p.h ) ¦ om P 75 א B L Θ 157 1241 1319 2542 2643 ℓ1761 e ſſ 2 i l s sy s Tat pers ● d (17,21) μη πιστευσητε: om Tert it M ¦ add D d. C. Tertullians Bezeugung lässt keinen Zweifel, dass er das Logion vom Kommen der Basileia i. W. in der kanonischen Form und an dieser Stelle gelesen hat. Auch die geringfügigen Varianten der handschriftlichen Überlieferung geben mit einer Ausnahme keine weitergehenden Hinweise. 1. Tertullians Zusammenfassung von *17,21: quando venturum sit (dei regnum) gibt nicht zu erkennen, dass er in *Ev Futur (ἐλεύσεται) gelesen hat: Die Wiedergabe der Frage in Oratio obliqua erfordert in jedem Fall die Wiedergabe mit venturum esse. Das kanonische ἔρχεται ist in den Handschriften ohne jede Variante belegt. In *17,21 bietet Tertullian mit dicunt/ λέγουσιν Präsens anstelle des Futurs im kanonischen Text (ἐροῦσιν). 1 Da der semantische Unterschied gering ist, 2 ist die Bezeugung des Präsens in zwei altlateinischen Handschriften aufschlussreich. Wie auch sonst in diesen Fällen, ist die Übereinstimmung des Wortlauts von *Ev mit Teilen der handschriftlichen Überlieferung leichter zu erklären, wenn *Ev auch vor und außerhalb einer als häretisch eingestuften Kirche kursierte: Es handelt sich um Spuren der Interferenz zwischen den beiden Handschriftenüberlieferungen. Die viel diskutierte Frage, ob ἐντὸς ὑμῶν *17,21 »in euch« oder »unter euch« heißt, lässt sich nicht weiter entscheiden. Tertullians Übersetzung (intra vos; so auch it vg) ist nicht klarer als das griechische ἐντὸς ὑμῶν. 2. In *17,21 fügen D d μὴ πιστεύσητε hinzu. Diese Variante ist von den kritischen Ausgaben in den App. verbannt, und zwar zu Recht. Denn im Unterschied zu den zahlreichen Beispielen, in denen D (it sy) Spuren des älteren, vorkanonischen Textes enthalten, wird es sich in diesem Fall tatsächlich um eine sekundäre Angleichung an die synoptischen Parallelen handeln: μὴ πιστεύσητε ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein sekundärer Zusatz, der aus Mk 13,21 || Mt 24,23(26) stammt und durch die ähnliche Formulierung ἰδοὺ ἐκεῖ, ἰδοὺ ὧδε (Mk 13,21) veranlasst ist. Mit dieser Angleichung der Antwort Jesu auf die Frage nach dem Kommen der Basileia an das Kommen des Menschensohnes hat der D-Text versehentlich einen unverständlichen Text produziert. Denn im Unterschied zu der Jüngerbelehrung über das Kommen des Menschensohnes *17,23 || Mk 13,21 || Mt 24,23 gibt es bei dem Kommen der Basileia ja keine falschen Identifizierungen, sondern gar keine: ο ὐ δ ὲ λέγουσιν, Ἰδοὺ ὧδε, ἰδοὺ ἐκεῖ. 3. Mit der Bezeugung von *17,20f für *Ev lässt sich dann auch der überlieferungsgeschichtliche Zusammenhang nach dem Ursprung des nur durch Lk bezeugten ______________________________ 1 Anders H ARNACK 224*, der gegen Tertullians Zeugnis ἐροῦσιν rekonstruiert. 2 Gegen T SUTSUI 115 geht es kaum darum, dass Marcion die Gegenwart der Basileia hervorheben wollte. 1032 Anhang I 17,20f Logions klären. Im methodischen Horizont der Zwei-Quellentheorie stehen sich die beiden offensichtlichen Möglichkeiten gegenüber: Entweder stammt das Logion aus »Q«, dann konnte Mk es nicht kennen und Mt hat es übergangen. Oder aber das Logion stammt aus S-Lk. Beide Möglichkeiten wurden vertreten. 3 Ein Argument, das gegen eine sekundäre lk Bildung des Logions eingewandt wurde, ist die mutmaßliche Spannung zwischen Lk 17,21 auf der einen Seite und Lk 9,27; 21,31 auf der anderen. Diese Spannung ist jedoch schon für *Ev anzunehmen: Während *17,21 voraussetzt, dass die Basileia bereits ἐντὸς ὑμῶν da ist, wird sie nach *9,27 4 und *21,31 zukünftig erwartet. 5 Man muss daher keine »lukanische Sondertradition« bemühen. Dass diese Tradition allerdings »auf den historischen Jesus zurückgeht«, 6 lässt sich weder erweisen noch widerlegen. *17,22.23f.25-29.30-37: Von der Parusie des Menschensohns Nur teilweise sicher bezeugt, aber vermutlich komplett in *Ev enthalten; zahlreiche kleinere Hinweise auf Überarbeitung durch die lk Redaktion. 17,22 Εἶπεν δὲ πρὸς τοὺς μαθητάς, Ἐλεύσονται ἡμέραι a ὅταν b ἐπιθυμήσητε c ἰδεῖν μίαν τῶν ἡμερῶν τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου c καὶ οὐκ ὄψεσθε. 23 καὶ ἐροῦσιν ὑμῖν, Ἰδοὺ d ὧδε, ἰδοὺ ἐκεῖ d · μὴ ἀπέλθητε μηδὲ διώξητε. 24 ὥσπερ γὰρ ἡ ἀστραπὴ ἀστράπτουσα ἐκ τῆς ὑπὸ τὸν οὐρανὸν e [ εἰς τὴν ὑπ’ οὐρανὸν ] e f ἀστράπτει, οὕτως ἔσται g ἡ παρουσία τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου g h [ ἐν τῇ ἡμέρᾳ αὐτοῦ ] h . 25 πρῶτον δὲ δεῖ αὐτὸν πολλὰ παθεῖν καὶ ἀποδοκιμασθῆναι ἀπὸ τῆς γενεᾶς ταύτης. 26 καὶ καθὼς ἐγένετο ἐν ταῖς ἡμέραις Νῶε, οὕτως ἔσται καὶ ἐν ταῖς ἡμέραις τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου· 27 ἤσθιον, ἔπινον, ἐγάμουν, ἐγαμίζοντο, ἄχρι ἧς ἡμέρας εἰσῆλθεν Νῶε εἰς τὴν κιβωτόν, καὶ i ἐγένετο ὁ κατακλυσμὸς καὶ ἀπώλεσεν πάντας. 28 ὁμοίως καθὼς ἐγένετο ἐν ταῖς ἡμέραις Λώτ· ἤσθιον, ἔπινον, ἠγόραζον, ἐπώλουν, ἐϕύτευον, ᾠκοδόμουν· 29 ᾗ δὲ ἡμέρᾳ ἐξῆλθεν Λὼτ ἀπὸ Σοδόμων, ἔβρεξεν πῦρ k [ καὶ θεῖον ] k ἀπ’ οὐρανοῦ καὶ ἀπώλεσεν πάντας. 30 κατὰ τὰ αὐτὰ ἔσται l ἐν τῇ ἡμέρᾳ τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου ᾗ ἀποκαλυϕθῇ l . 31 ἐν ἐκείνῃ τῇ m ὥρα ὃς ἔσται ἐπὶ τοῦ δώματος καὶ τὰ σκεύη αὐτοῦ ἐν τῇ οἰκίᾳ, μὴ ______________________________ 3 Vgl. CEQ: Paul Hoffmann votierte (mit der Wahrscheinlichkeit »B«) gegen eine »Q«-Vorlage (vgl. P. H OFFMANN , C HR . H EIL , Die Spruchquelle Q, Darmstadt - Leuven 2002, 142f), James M. Robinson und John S. Kloppenborg mit der Wahrscheinlichkeit »C« dagegen (ebd.). An anderer Stelle hat sich Kloppenborg allerdings zurückhaltender geäußert; vgl. J. S. K LOPPENBORG , The Formation of Q, Philadelphia 1987, 154f (nicht in »Q«). 4 In Lk 9,27 ist βασιλεία τοῦ θεοῦ allerdings sehr wahrscheinlich redaktionell, s. dort. 5 Vgl. C HR . H EIL , Lukas und Q, Berlin - New York 2003, 167f mit Anm. 9. 6 H EIL , a. a. O., 167. 17,22-37 Rekonstruktion 1033 καταβάτω ἆραι αὐτά, καὶ ὁ ἐν ἀγρῷ ὁμοίως μὴ ἐπιστρεψάτω εἰς τὰ ὀπίσω. 32 μνημονεύετε τῆς γυναικὸς Λώτ. 33 ὃς n ἂν θελήσῃ ζωογονῆσαι τὴν ψυχὴν αὐτοῦ n ἀπολέσει αὐτήν, ὃς δ’ ἂν ἀπολέσῃ ζῳογονήσει αὐτήν. 34 λέγω ὑμῖν, ταύτῃ τῇ νυκτὶ ἔσονται δύο ἐπὶ κλίνης o [ μιᾶς ] , p [ ὁ ] εἷς παραλημϕθήσεται καὶ ὁ ἕτερος q ἀϕίεται· r 35 ἔσονται δύο ἀλήθουσαι ἐπὶ τὸ αὐτό, ἡ μία παραλημϕθήσεται ἡ δὲ ἑτέρα ἀϕεθήσεται. r s 36 δύο ἐν ἀγρῷ· εἷς παραλημϕθήσεται καὶ ὁ ἕτερος ἀϕεθήσεται. s 37 καὶ ἀποκριθέντες λέγουσιν αὐτῷ, Ποῦ, κύριε; ὁ δὲ εἶπεν αὐτοῖς, Ὅπου τὸ σῶμα, ἐκεῖ καὶ οἱ ἀετοὶ ἐπισυναχθήσονται. A. *17,22: Epiph., Schol. 49: ἐλεύσονται ἡμέραι, ὅταν ἐπιθυμήσητε ἰδεῖν μίαν τῶν ἡμερῶν τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου. ♦ *17,25: Tert. 4,35,14: Et ne argumentetur audacia haeretica de regno creatoris, de quo consulebatur, non de suo, respondisse eis dominum, sequentia obsistunt. Dicens enim filium hominis ante multa pati et reprobari oportere, ante adventum suum, in quo et regnum substantialiter revelabitur, suum ostendit et regnum de quo responderat, quod passiones et reprobationes ipsius expectabat. ♦ *17,26-28.32: Tert. 4,35,15: Lapis, inquit, quem reprobaverunt aedificantes, iste factus est in caput anguli: a domino factum est hoc. Vanum enim, si credidimus deum de contumelia aut gloria scilicet alicuius praedicasse, ut non eum portenderet quem et in lapidis et in petrae et in montis figura portenderat. Sed si de suo loquitur adventu, cur eum diebus Noe et Loth comparat tetris et atrocibus, deus et lenis et mitis? Cur admonet meminisse uxoris Loth, quae praeceptum creatoris non impune contempsit, si non cum iudicio venit vindicandorum praeceptorum suorum? B. a (17,22) οταν: Epiph L 0211 1241 2643 ¦ οτε: M ● b (17,22) επιθυμησητε: Epiph M N Λ 0211 mult ¦ επιθυμησηται: B* ¦ επιθυμησεται: א A B c L R W X Γ Δ Ω 047 063 pc ¦ επιθυμησετε: it M ● c (17,22) ιδειν μιαν των ημερων του υιου του ανθρωπου: Epiph ¦ (8 1 [ημεραν] 4-5 6-7): a aur b c f ſſ 2 g 1 l r 1 vg ¦ (2-8 1) M ● d (17,23) ωδε ιδου εκει: D W 33 al e q (sy p ) ¦ ωδε και ιδου εκει: b f ſſ 2 i l λ ¦ ωδε η ιδου εκει: A Θ Ψ a aur c d vg mss sy h M ¦ ωδε ιδου εκει ο Χριστος: K 2542 ¦ εκει η ιδου ωδε: P 75 B 579 εκει (+ και: א ) ιδου ωδε: א L pc sy s.c ¦ ωδε η εκει: f 13 ¦ ωδε η ιδου εκει ο Χριστος: N sy h* ¦ ωδε μη διωξητε· η ιδειν εκει ο Χριστος: f 1 (*Ev non test.) ● e (17,24) εις την υπ ουρανον: om D 0211 pc lectt a c d ſſ 2 l λ r 1 ¦ add aur b (e) f i q s M (*Ev non test.) ● f (17,24) αστραπτει: D (d) ¦ λαμπει: it M (*Ev non test.) ● g (17,24) η παρουσια του υιου του ανθρωπου: c f s aeth ¦ ο υιος του ανθρωπου: M (*Ev non test.) ● h (17,24) εν τη ημερα αυτου: om P 75 B D a b c d e ſſ 2 i λ s sy s ¦ εν τη παρουσια αυτου: l; add εν τη ημερα αυτου: M (*Ev non test.) ● i (17,27) εγενετο: D (e); ην: d ¦ ηλθεν: it M (*Ev non test.) ● k (17,29) και θειον: om 475* a b e ſſ 2 i l q sy c Euseb (fr. Luc; PG 24, 584) Iren (Haer. 4,36,3) August (Doctr. III 36,54; CCL 32, 113) Tycon (Reg. 6; B URKITT 66) ¦ add aur c d f r 1 M (*Ev non test.) ● l (17,30) εν τη ημερα του υιου του ανθρωπου η ἀποκαλυϕθη: D it ¦ η ημερα ο υιος του ανθρωπου αποκαλυπτεται: M (*Ev non test.) ● m (17,31) ωρα: a aur b c ſſ 2 g 1 gat i l r 1 vg sy s.c Ambr (Lc. 8,32; CCL 14, 309) ¦ ημερα: M (*Ev non test.) ● n (17,33) αν θεληση ζωογονησαι την ψυχην αυτου: D d sy s.c.p sa ¦ εαν ζητηση την ψυχην αυτου περιποιησασθαι: P 75 B L 579 ¦ εαν ζητηση τ. ψ. α. σωσαι: א A W Θ f 1.13 (lat) sy h M (*Ev non test.) ● o (17,34) μιας: om B 1319 c gat vg mss ¦ add it M (*Ev non test.) ● p (17,34) ο: om A D E H K L M N R U V W X Y Γ Δ Λ Π Ψ Ω 028 047 0211 mult M ¦ add P 75 א B Θ f 1.13 579 892 2542 pc (*Ev non test.) ● q (17,34) αϕιεται: D K 063 1319 2757 got ¦ αϕεθησεται: it M (*Ev non test.) ● r (17,35) vs. 35 om א * 123 1034 Anhang I 17,22-37 1352 l vg 1ms Tat arab(ms).pers ¦ add it M (*Ev non test.) ● s (17,36) δυο (εσονται) εν (τω) αγρω· εις παραλη(μ)ϕθησεται και (ο) ετερος ( αλλος) αϕεθησεται: D*/ D c f 13 579 700 a aur d f gat q r 1 (b c ſſ 2 l) vg sy s.c.p(ms) (vgl. ähnlich: 7 13 60 161* 267 346 399 c 716 1194 1195 1654 1685 2613 ℓ211 usw.) ¦ om M (*Ev non test.). C. Die Perikope ist nur teilweise bezeugt: Epiphanius zitiert *17,22, um anhand der »Tage des Menschensohns« deutlich zu machen, dass Christus eine Person in Raum und Zeit sei (42,11,17 Elench. 49). Tertullians Referat enthält Allusionen zu *17,25-29.32. Unbezeugt sind damit die Vv. 23f.30f.33-37. Das Urteil über diese Verse ergibt sich vor allem aufgrund der zahlreichen und zum Teil typischen Varianten, die als Hinweise auf eine Interferenz zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Überlieferung zu werten sind. 1. V. *23 ist das Gegenstück zu dem gut bezeugten V. *21, der in Mk 13,21 || Mt 24,23 eine nicht ganz direkte Parallele besitzt (s. *17,21). Da die Entsprechung zwischen Mk und Mt an dieser Stelle sehr viel größer ist als die Übereinstimmung mit V. *23, spricht einiges dafür, dass die Entsprechung zu V. *21 bereits in *Ev enthalten war und nicht erst durch Lk unter Einfluss der synoptischen Parallelen geschaffen wurde. Denn in diesem Fall läge es nahe, dass er die Formulierung ὧδε ὁ Χριστός o. ä. ebenfalls von dort übernommen hätte. 2. Der Vergleich mit dem Blitz in V. *24 hat eine Parallele in Mt 24,27 im gleichen Zusammenhang. Auch hier ist ein Einfluss von *Ev zu Mt ebensogut denkbar wie einer von Mt zu Lk. In diesem Fall gibt es aber wiederum Indizien dafür, dass der Zusammenhang bereits in *Ev enthalten war. Denn der Anschluss in dem gut bezeugten V. *25 setzt wegen πρῶτον eine zeitliche Abfolge voraus, die im vorausgehenden Kontext eine Aktion des Menschensohns erfordert, die nach seinem Leiden stattfinden werde; etwas anderes als das eschatologische Kommen wie in V. *24 ist da kaum denkbar. Auffällig ist dabei, dass die handschriftliche Überlieferung (vor allem der Altlateiner) in V. *24 stark variiert. Aus grundsätzlichen Erwägungen zum Zustandekommen dieser Varianten ist es wahrscheinlich, dass *Ev in *17,24 erstens die Worte εἰς τὴν ὑπ’ οὐρανόν nicht enthielt, und dass er zweitens am Ende von der Parusie (παρουσία) anstatt vom Tag (ἡμέρα) des Menschensohns gesprochen hat; auch die zweimalige Erwähnung des adventus bei Tertullian (Tert. 4,35,14f) spricht dafür, dass *Ev diesen Vers in einer Form enthielt, die den »Westlichen« Zeugen entspricht. 1 ______________________________ 1 Das betrifft auch das Fehlen der attributiven Bestimmung ἐν τῇ ἡμέρᾳ αὐτοῦ am Ende des Verses in P 75 B D it sa. Ein sekundärer Ausfall in diesen Handschriften aufgrund von Homoioteleuton (so M ETZGER , Textual Commentary z. St.) ist wenig wahrscheinlich. Stattdessen handelt es sich um eine sekundäre Ersetzung von παρουσία durch ἡμέρα: παρουσία kommt sonst in Lk nicht vor. Diese Beobachtung wurde (wiederum: wohl zu Unrecht) als Argument für den sekundären Charakter aufgefasst (vgl. M ETZGER , ebd.). Mt 24,27 hat παρουσία aus *Ev übernommen. 17,22-37 Rekonstruktion 1035 3. In V. *30f ist die Sachebene des Vergleichs mit den »Tagen Lots« für *Ev nicht bezeugt, aber die Aufforderung in V. *32 μνημονεύετε τῆς γυναικὸς Λώτ ist nur dann als anaphorischer Verweis sinnvoll, wenn zwischen der V. *28f entfalteten Bildebene und diesem Rückverweis die Sachhälfte Erwähnung fand, wie das Stichwort ἐπιστρέϕω εἰς τὰ ὀπίσω sehr schön zeigt: Obwohl die Vv. *17,30f nicht bezeugt sind, muss man eine semantische Entsprechung zu dieser Aussage postulieren. 4. Das Logion *17,33 (Leben verlieren - Leben gewinnen) hat im Zusammenhang der Nachfolgelogien eine Dublette in *9,24, die durch Tertullian (4,21,8) an dieser Stelle sicher bezeugt ist (s. dort). Es ist denkbar, dass Lk dieses Logion als Erläuterung des Beispiels von Lots Frau hier eingefügt hat; genauso gut allerdings könnte es sich um eine echte Dublette in *Ev handeln. Die Variante in D sy, die wie in *9,24 θέλω anstelle von ζητέω liest, legt Letzteres in der Tat nahe. 5. *17,34-37 hat eine Entsprechung in Mt 24,40f.28, also im gleichen größeren Zusammenhang der Endzeitrede, wenn auch nicht an genau derselben Stelle. Das Logion vom Aas (*17,37 || Mt 24,28) beantwortet die Frage nach dem Ort, an dem das Kommen der Basileia und in ihrer Folge die Scheidung zwischen Geretteten und Verlorenen sichtbar werden. Die Position von Mt 24,28 ist verständlich als Parallelisierung der Fragen nach dem Zeitpunkt und nach dem Ort des Kommens der Basileia. Es ist leichter anzunehmen, dass Mt diese Angleichung vorgenommen, als dass Lk die Zusammenstellung von Mt 24,26f.28 aufgelöst hat. Demnach wäre die Stellung der Logien in *17,34f.37 ursprünglicher, was dafür spricht, dass sie bereits in *Ev stand. 6. Die genaue Gestalt der Exempel in *17,34-36 wirft Probleme auf: Die Parallele in Mt nennt als Beispiel zwei (Männer) auf dem Feld (Mt 24,40) und zwei (Frauen) an der Mühle (24,41), von denen jeweils einer mitgenommen, der andere zurückgelassen wird. Der Mehrheitstext von NA 27 nennt dagegen in Lk 17,34 zwei Männer auf der Kline 2 und in 17,35 zwei Frauen an der Mühle. *17,36 (D it sy u. a.) hat dagegen außerdem (wie Mt 24,40) zwei Männer auf dem Feld. Aufgrund der Bezeugung - der Vers fehlt in den Papyri und wichtigen Majuskeln - ist dieses Beispiel in den Apparat verbannt, so dass auch in Lk 17,34f ein »typisch lukanisches« Doppelexempel vorliegt. 3 Allerdings spricht die verzweigte Bezeugung (es gibt fast ______________________________ 2 Gedacht ist sicher nicht an ärmliche Verhältnisse, in denen sich zwei Männer (derselben Familie? ) ein Bett zum Schlafen teilen (so z. B. B OVON , Lk III 127 z. St.), sondern an die verbreitete sympotische Situation, bei der sich zwei Symposiasten dieselbe Kline teilen. 3 Vgl. 4,25-27 (Naeman der Syrer - die Witwe von Sarepta; red.); *6,44 (Feigen/ Diesteln -Trauben/ Dornen); 11,31f (Königin des Südens - Niniviter; red.); *12,24.27 (Raben - Lilien); *12,54f (Wolke - Südwind); 13,1-5 (erschlagene Galiläer - Einsturz des Turms; red.); *13,18-21 (Senfkorn - Sauerteig); *14,28-32 (Planung beim Turmbau - Kriegsvorbereitung); *15,4-10 (verlorenes Schaf - Drachme); s. auch 3,12-14 (Standespredigt an Zöllner - Soldaten; red.). Zum Phänomen vgl. R. M ORGENTHALER , Die lukanische Geschichtsschreibung als Zeugnis I, Zürich 1948, 60. 1036 Anhang I 17,22-37 20 verschiedene Fassungen) für *17,36 dafür, dass *Ev hier ein dreifaches Beispiel hatte: Zwei (Männer) auf der Kline - zwei (Frauen) an der Mühle - zwei (Männer) auf dem Feld. Die mt Rezeption hat das erste dieser Exempel übergangen, die lk Redaktion das dritte. Der für *17,36 rekonstruierte Text folgt der Mehrheit der »Westlichen« Handschriften in D it sy. 7. Auch wenn keine letzte Sicherheit zu erlangen ist, spricht alles dafür, dass *17,22-37 an dieser Stelle und in dem aus dem kanonischen Text bekannten Profil enthalten war: Ausweislich der Varianten in der handschriftlichen Überlieferung hat Lk den Text von *Ev bei der Rezeption einer Bearbeitung unterzogen, die den Textsinn jedoch nirgends entscheidend geändert hat. Da neben *17,22-37 auch die »Endzeitrede« *21,7ff in *Ev enthalten war (s. dort), lässt sich das überlieferungsgeschichtliche Verhältnis zwischen *17,22-37; *21,7-36; Mk 13,3-37; Mt 24,3-42 ziemlich genau bestimmen. Im Horizont der Zwei-Quellentheorie lassen sich die beiden lk Reden mit eschatologischem Inhalt (Lk 17,22-37; 21,7-36) grob gesagt auf die beiden angenommenen Quellen Mk und »Q« verteilen (Mk 13,3-37; »Q« 17,22-37). Im Unterschied zu Mt hätte Lk in dieser Sicht beide Quellen aufgenommen. Aber diese Erklärung vereinfacht den Befund, die einzelnen Rezeptionsstadien lassen sich nicht so einfach verteilen, wie bereits Lk 17,31 || Mt 24,17f || Mk 13,15f zeigt. *17,31 Mk 13,15f Mt 24,17f ἐν ἐκείνῃ τῇ ὥρα ὃς ἔσται ἐπὶ τοῦ δώματος 15 ὁ (δὲ) ἐπὶ τοῦ δώματος 17 ὁ ἐπὶ τοῦ δώματος καὶ τὰ σκεύη αὐτοῦ μὴ καταβάτω μὴ καταβάτω μηδὲ εἰσελθάτω ἐν τῇ οἰκίᾳ, ἆραί τι ἆραι τὰ μὴ καταβάτω ἆραι αὐτά, ἐκ τῆς οἰκίας αὐτοῦ, ἐκ τῆς οἰκίας αὐτοῦ, καὶ ὁ ἐν ἀγρῷ ὁμοίως 16 καὶ ὁ εἰς τὸν ἀγρὸν 18 καὶ ὁ ἐν τῷ ἀγρῷ μὴ ἐπιστρεψάτω μὴ ἐπιστρεψάτω μὴ ἐπιστρεψάτω εἰς τὰ ὀπίσω. εἰς τὰ ὀπίσω ὀπίσω ἆραι τὸ ἱμάτιον αὐτοῦ. ἆραι τὸ ἱμάτιον αὐτοῦ. In diesem Fall stechen nicht nur die erwartbaren mk-mt Übereinstimmungen gegen (*Ev/ )Lk ins Auge. Es gibt auch mt-lk Übereinstimmungen gegen Mk (also die typischen »Minor Agreements«): ἆραι αὐτά *17,31 || ἆραι τά Mt 24,17b ≠ ἆραί τι Mk 13,15b; ὁ ἐν (τῷ) ἀγρῷ *17,31c || Mt 24,18a ≠ ὁ εἰς τὸν ἀγρόν Mk 13,16a. Kompliziert wird die Lage dadurch, dass es auch eine mk-lk Übereinstimmung gegen Mt gibt (εἰς τὰ ὀπίσω *17,31d || Mk 13,16b ≠ ὀπίσω Mt 24,18b). Dass jeweils zwei von drei Texten gegen den dritten übereinstimmen, lässt sich mit der Zwei-Quellentheorie nicht erklären. Die Komplexität der Überlieferungsverhältnisse (für die dieser eine Vers nur ein Beispiel ist) erfordert daher andere Lösungen. Im Rahmen der New-Griesbach Hypothesis wurde vertreten, 17,22-37 Rekonstruktion 1037 dass Mt und Lk von Mk abhängig sind. 4 Daneben steht das Postulat einer gemeinsamen Quelle hinter Mk 13 || Mt 24 || Lk 17; 21. 5 a. Die Rekonstruktion für *Ev zeigt dagegen, dass *17,22-37 und *21,7-36 bereits im vorkanonischen Evangelium standen. Mk hat den Zusammenhang *17,22ff fast vollständig übergangen und nur *21,7ff rezipiert. In diesen Kontext (Mk 13,3-27) hat er *17,31 integriert (Mk 13,15f): Auch Mk hat also *Ev sorgfältig benutzt und Material, das er für zusammengehörig erachtete, zusammengestellt. Die Komposition von Mk 13 belegt, dass er seine Quelle *Ev auch »vorausschauend« genutzt und ausgeschöpft hat: Mk besaß den Überblick über das gesamte von ihm bearbeitete Material. b. Mt, der aufs Ganze der mk Akoluthie folgt, hat den i. W. aus *21,7ff stammenden Zusammenhang Mk 13,3-27 in Mt 24,3-31 rezipiert, dabei aber weiteres Material (neben *17,31 || Mk 13,15f || Mt 24,17f) aus *17,22ff integriert; Mt 24,26-28 zeigt den Einfluss von *17,23f.37: *17,23.24.37 Mk 13,21(22f) Mt 24,26-28 23 καὶ ἐροῦσιν ὑμῖν, καὶ τότε ἐάν τις ὑμῖν εἴπῃ, 26 ἐὰν οὖν εἴπωσιν ὑμῖν, Ἰδοὺ d ὧδε, ἰδοὺ ἐκεῖ d · Ἴδε ὧδε ὁ Χριστός, Ἴδε ἐκεῖ, Ἰδοὺ ἐν τῇ ἐρήμῳ ἐστίν, μὴ ἐξέλθητε· Ἰδοὺ ἐν τοῖς ταμείοις, μὴ ἀπέλθητε μηδὲ διώξητε. μὴ πιστεύετε· μὴ πιστεύσητε· 22 ἐγερθήσονται γὰρ ψευδόχριστοι καὶ ψευδοπροϕῆται καὶ δώσουσιν σημεῖα καὶ τέρατα πρὸς τὸ ἀποπλανᾶν, εἰ δυνατόν, τοὺς ἐκλεκτούς. 23 ὑμεῖς δὲ βλέπετε· προείρηκα ὑμῖν πάντα. 24 ὥσπερ γὰρ ἡ ἀστραπὴ 27 ὥσπερ γὰρ ἡ ἀστραπὴ ἀστράπτουσα ἐκ τῆς ὑπὸ τὸν οὐρανὸν ἐξέρχεται ἀπὸ ἀνατολῶν ἀστράπτει, καὶ ϕαίνεται ἕως δυσμῶν, οὕτως ἔσται ἡ παρουσία τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου. οὕτως ἔσται ἡ παρουσία τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου. 37 καὶ ἀποκριθέντες λέγουσιν αὐτῷ, Ποῦ, κύριε; ὁ δὲ εἶπεν αὐτοῖς, Ὅπου τὸ σῶμα, 28 ὅπου ἐὰν ᾖ τὸ πτῶμα, ἐκεῖ καὶ οἱ ἀετοὶ ἐπισυναχθήσονται ἐκεῖ συναχθήσονται οἱ ἀετοί. ______________________________ 4 Vgl. A. J. M C N ICOL , The Composition of the Synoptic Eschatological Discourse, in: D. L. Dungan (ed.), The Interrelations of the Gospels, Leuven 1990, 157-200. 5 Vgl. D. W ENHAM , The Rediscovery of Jesus’ Eschatological Discourse, Sheffield 1984, 355-364 und passim. 1038 Anhang I 17,22-37 Für die mt Redaktion dieser Stelle lässt sich sein sorgfältiges Verfahren genau beobachten, denn Mt hat die beiden Prätexte *Ev und Mk sehr genau »synoptisch« verwendet und rezipiert: So hat er die Herkunft von Mk 13,21 aus *17,23 registriert, zugleich aber gesehen, dass das Logion hier in *17,24(37) eine Fortsetzung besitzt, die er ebenfalls rezipiert hat. Zugleicht belegt die Erweiterung in Mt 24,26b.c gegenüber *17,23 || Mk 13,21, dass Mt in dieses Redaktionsverfahren durchaus seine eigenen Fähigkeiten eingebracht hat und eigene Schwerpunkte zu setzen vermochte: Die redaktionelle und die »schriftstellerisch-kreativen« Aspekte dieses Vorgehens lassen sich nicht auseinander dividieren und belegen in ihrer nahtlosen Verbindung die hohe Kunstfertigkeit. *18,1-8: Gleichnis von der bittenden Witwe Gut bezeugt und sicher in *Ev vorhanden, durch die lk Redaktion nur geringfügig bearbeitet. 18,1 ῎Ελεγεν δὲ παραβολὴν αὐτοῖς πρὸς τὸ δεῖν πάντοτε προσεύχεσθαι a [ αὐτοὺς ] καὶ μὴ ἐγκακεῖν, 2 b [ λέγων ] , Κριτής τις ἦν ἔν c τῇ πόλει τὸν θεὸν μὴ ϕοβούμενος καὶ ἄνθρωπον μὴ ἐντρεπόμενος. 3 χήρα δὲ ἦν ἐν τῇ πόλει ἐκείνῃ καὶ ἤρχετο πρὸς αὐτὸν λέγουσα, Ἐκδίκησόν με ἀπὸ τοῦ ἀντιδίκου μου. 4 καὶ οὐκ ἤθελεν ἐπὶ χρόνον d πολύν, μετὰ δὲ ταῦτα e ἦλθεν εἰς ἑαυτὸν καὶ λέγει e , Εἰ καὶ τὸν θεὸν οὐ ϕοβοῦμαι οὐδὲ ἄνθρωπον ἐντρέπομαι, 5 διά γε τὸ παρέχειν μοι κόπον τὴν χήραν ταύτην f ἀπελθὼν ἐκδικήσω αὐτήν, ἵνα μὴ εἰς τέλος ἐρχομένη ὑπωπιάζῃ με. 6 g ἀποκριθεὶς δὲ ὁ Ἰησοὺς εἶπεν, g Ἀκούσατε τί ὁ κριτὴς τῆς ἀδικίας λέγει· 7 ὁ δὲ θεὸς οὐ μὴ ποιήσῃ τὴν ἐκδίκησιν τῶν ἐκλεκτῶν αὐτοῦ τῶν βοώντων αὐτῷ ἡμέρας καὶ νυκτός, καὶ μακροθυμεῖ ἐπ’ αὐτοῖς; 8 λέγω ὑμῖν ὅτι ποιήσει τὴν ἐκδίκησιν αὐτῶν ἐν τάχει. πλὴν ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ἐλθὼν ἆρα εὑρήσει τὴν πίστιν ἐπὶ τῆς γῆς; A. *18,1-3.7: Tert. 4,36,1: Nam et orandi perseverantiam et instantiam mandans parabolam iudicis ponit coacti audire viduam instantia et perseverantia interpellationum eius. Ergo iudicem deum ostendit orandum, non se, si non ipse est iudex. Sed subiunxit facturum deum vindictam electorum suorum. Si ergo ipse erit iudex qui et vindex, creatorem ergo meliorem deum probavit, quem electorum suorum clamantium ad eum die et nocte vindicem ostendit … B. a (18,1) αυτους: om א 1 D f 1 1424 pm it sa bo ms ¦ add (a: deberent) M (*Ev non test.) ● b (18,2) λεγων: om D d f 1 pc sy s.c.p Tat arab.pers ¦ add it M (*Ev non test.) ● c (18,2) τη: D L X Ψ 047 063 579 pc d sy s ¦ τινι τη: 33 ¦ τινι: it M (*Ev non test.) ● d (18,4) πολυν/ multum: b sy p.h Tat arab.pers sa (πολυν χρονον/ multum tempus): aur c e f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 vg armen slav PsVigil (Varim. 1,25; CCL 90,37) PsTheoph (Ev. 3,13; PLS 3, 1318) ¦ τινα/ aliquod: D d ¦ om M (*Ev non test.) ● e (18,4) ηλθεν εις εαυτον και λεγει: D d (PsVigil., a. a. O.) ¦ ειπεν εν εαυτω it M (*Ev non test.) ● f (18,5) απελθων: D d ¦ om it M (*Ev non test.) ● g (18,6) αποκριθεις δε ο ιησους ειπεν/ respondens autem Iesus dixit: 18,1-8 Rekonstruktion 1039 PsVigil (Varim. 1,25; CCL 90, 37); ειπεν δε ο ιησους: 713 ℓ524 sy s ¦ ειπεν δε ο κυριος ημων ιησους: Tat pers ¦ ειπεν δε ο κυριος: it M (*Ev non test.) C. Tertullian referiert die wesentlichen Aspekte des Gleichnisses und die Pointe im Munde Jesu. Nicht bezeugt sind lediglich die Charakterisierung des Richters und der Witwe in den Vv. 2f, das Selbstgespräch des Richters in V. 4 sowie die Kennzeichnung des Richters als »ungerecht« in V. 6. Aber da Tertullian so ausschließlich daran interessiert ist, die Charakterisierung Gottes als Richter, der seinen Auserwählten Recht schafft, gegen die marcionitische Theologie auszuschlachten, dürfte die Nichtbezeugung auf den argumentativ-zusammenfassenden Charakter seines Referats zurückgehen. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass Tertullian die Perikope in *Ev in einer wesentlichen anderen Gestalt las, als sie im kanonischen Text vorliegt. Wie auch sonst, helfen für die unbezeugten Passagen die Varianten der handschriftlichen Überlieferung. 1. Aus der Einleitung bezeugt Tertullian die Stichworte parabola sowie orandi perseverantia; letzteres dürfte auf (τὸ δεῖν) πάντοτε προσεύχεσθαι referieren. Im Unterschied zu anderen Fällen, in denen die narrative Einbindung von Gleichnissen und Bildworten vermutlich erst durch die lk Redaktion geschaffen wurde (s. o. zu 5,36), kann man hier also davon ausgehen, dass die Einleitung bereits in *Ev vorhanden war. 2. Für den nichtbezeugten V. *4 enthalten die Handschriften zwei Varianten, die vermutlich Spuren des vorkanonischen Wortlauts belegen: Sie begegnen bei den »üblichen Verdächtigen« D it sy u. a. Neben den Altlateinern ist auch bei den alten Syrern und in einer Reihe weiterer Versionen bezeugt, dass der Richter sich »eine lange Zeit« weigerte, der Witwe zu ihrem Recht zu verhelfen; die lk Redaktion hat die Wendung ἐπὶ χρόνον πολύν abgeschwächt und in ἐπὶ χρόνον geändert. Der Grund für diese Änderung ist leicht erkennbar, da die Anwendung ja darauf abzielt, dass Gott denen, die Tag und Nacht zu ihm rufen, ἐν τάχει zu ihrem Recht verhelfen werde (*18,7): Da konnte auf der Bildebene der Hinweis auf die lange Zeit der vergeblichen Bitte nur stören. Interessanterweise taucht die Lesart ἐπὶ χρόνον πολύν/ per multum tempus, die nicht nur in den Itala-Handschriften, sondern auch in der Afra-Handschrift (e) bezeugt ist, außerdem in der dem afrikanischen Bischof Vigilius von Thapsus zugeschriebenen Schrift Contra Varimadum auf: Diese Schrift setzt also den »Westlichen« Text von *Ev voraus. Das Zeugnis des PsVigilius ist dann auch ein Argument dafür, dass die durch D d bezeugte, etwas umständliche Lesart ἦλθεν εἰς ἑαυτὸν καὶ λέγει/ in se autem reversus dixit ebenfalls auf den vorkanonischen Text zurückgehen wird. 3. Die enge Beziehung von PsVigilius zum »Westlichen« Text ist schließlich von großer Bedeutung für die Beurteilung von V. 6: Im kanonischen Text wird Jesus von der Erzählstimme als ὁ κύριος bezeichnet. Im Licht der weiteren und mit hoher Wahrscheinlichkeit redaktionellen Belege 1 für auktoriales ὁ κύριος bei Lk ______________________________ 1 S. o. § 5 (Bd. I, S. 93ff). 1040 Anhang I 18,1-8 weckt dies Zweifel, dass diese Aussage in *Ev enthalten war. Im Unterschied etwa zu 16,8 (s. dort), wo die handschriftliche Überlieferung einheitlich ist und keine Hinweise darauf gibt, dass ὁ κύριος redaktionell in einen vorhandenen Kontext eingefügt sein könnte, gibt es hier allerdings einige wenige Zeugen, die hier ὁ Ἰησούς anstelle von gelesen hatten ὁ κύριος. 2 Auch PsVigilius belegt diese Lesart. Im Umkehrschluss legt diese Bezeugung nahe, dass V. *6 auch im vorkanonischen Text stand: Die Anwendung des Gleichnisses durch Jesus enthielt also schon in *Ev erst einen Rückverweis auf das Gleichnis (V. *6), dann die Anwendung auf die Beter und Gott (V. *7f). Die Kennzeichnung des Richters aus »ungerecht« (*18,6: ὁ κριτὴς τῆς ἀδικίας) impliziert daher das a-fortiori-Argmument: Wenn schon der ungerechte Richter dem beständigen Drängen nachgibt, um wie viel mehr wird dann Gott, der selbstverständlich gerecht ist, auf das beständige Bitten reagieren. 3 Dass Gott mit der Gebetserhörung nicht ἐπὶ χρόνον πολύν wartet, sondern ἐν τάχει reagiert (*18,8), ist dann als Ausdruck seiner Gerechtigkeit zu werten. Die zugrunde liegende Logik entspricht der von *11,13 (s. dort). *18,9.10-14a ¿14b? : Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner im Tempel Gut bezeugt, sicher in *Ev vorhanden; vermutlich durch die lk Redaktion bearbeitet und vielleicht ergänzt. 18,9 Εἶπεν δὲ καὶ πρός τινας τοὺς πεποιθότας ἐϕ’ ἑαυτοῖς ὅτι εἰσὶν δίκαιοι καὶ ἐξουθενοῦντας τοὺς λοιποὺς a [ τὴν παραβολὴν ταύτην ] a · 10 Ἄνθρωποι δύο ἀνέβησαν εἰς τὸ ἱερὸν προσεύξασθαι, b [ ὁ ] εἷς Φαρισαῖος καὶ c εἷς τελώνης. 11 ὁ Φαρισαῖος σταθεὶς d καθ’ ἑαυτὸν ταῦτα d προσηύχετο, Ὁ θεός, εὐχαριστῶ σοι ὅτι οὐκ εἰμὶ ὥσπερ οἱ λοιποὶ τῶν ἀνθρώπων, ἅρπαγες, ἄδικοι, μοιχοί, ἢ καὶ ὡς οὗτος ὁ τελώνης· 12 νηστεύω δὶς τοῦ σαββάτου, ἀποδεκατῶ πάντα ὅσα κτῶμαι. 13 ὁ δὲ τελώνης μακρόθεν ἑστὼς οὐκ ἤθελεν οὐδὲ τοὺς ὀϕθαλμοὺς ἐπᾶραι εἰς τὸν οὐρανόν, ἀλλ’ ἔτυπτεν τὸ στῆθος αὐτοῦ λέγων, Ὁ θεός, ἱλάσθητί μοι τῷ ἁμαρτωλῷ. 14 λέγω ὑμῖν, κατέβη οὗτος δεδικαιωμένος εἰς τὸν οἶκον αὐτοῦ e {μᾶλλον} παρ’ ἐκεῖνον f τὸν Φαρισαῖον f · ¿ὅτι πᾶς ὁ ὑψῶν ἑαυτὸν ταπεινωθήσεται, ὁ δὲ ταπεινῶν ἑαυτὸν ὑψωθήσεται.? A. *18,10.14: Tert. 4,36,1: (…) et tamen cum templum creatoris inducit, et duos adorantes diversa mente describit, pharisaeum in superbia, publicanum in humilitate, ideoque alterum reprobatum, alterum iustificatum descendisse, utique docendo qua disciplina sit orandum, eum et hic ______________________________ 2 Ähnlich wie schon zu 16,8 gibt es die Erweiterung (κυριος) ημων (Tat arab aeth) bzw. κυριος ημων ιησους (Tat pers ); allerdings ist auch einfaches ιησους belegt (713 ℓ524 sy s ). 3 W OLTER , Lk 589 z. St. 18,9-14 Rekonstruktion 1041 orandum constituit a quo relaturi essent eam orandi disciplinam, sive reprobatricem superbiae sive iustificatricem humilitatis. B. a (18,9) την παραβολην ταυτην: om D 472 1347 d sy j ¦ add it M (*Ev non test.) ● b (18,10) ο: om B D R T X 71 213 1229 georg I BasilSeleuc (Orat. 35,2; PG 85, 377) ¦ add M (*Ev non test.) ● c (18,10) εις: D c d e ſſ 2 q Cypr (Orat. 6; CCL 3/ 1, 92) ¦ ο ετερος/ alter: aur b f l r 1 (alius: a i) M (*Ev non test.) ● d (18,11) καθ εαυτον ταυτα: D 2542 d; προς εαυτον ταυτα: A W f 13 sy h M ; προς εαυτον: sy s ¦ ταυτα προς εαυτον: P 75 א 2 B (L) T Θ Ψ 1 113 205 209 579 892 1241 1582 2766 ℓ844 c a aur g 1 gat vg ¦ ταυτα: א * ℓ828 c ℓ844* b c f ſſ 2 i l q r 1 sa georg I (*Ev non test.) ● e (18,14) μαλλον: D c d e ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 vg 3 mss sy s.c.p Tat arab.pers BasilSeleuc (Orat. 35,3; PG 85, 381) Ambr (Cain I 9,34; CSEL 32/ 1, 368) Cypr (Orat. 6; CCL 3A, 93) ¦ om a aur f vg M (*Ev non test.) ● f (18,14) τον Φαρισαιον: D a d vg ms sy p Tat arab Amphil (Haer. 180b; F ICKER I 47); ο Φαρισαιος: b c e f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 vg 3 mss sy s.c.p Tat arab.pers BasilSeleuc (Orat. 35,3; PG 85, 381) Ambr (Cain I 9,34; CSEL 32/ 1, 368) Cypr (Orat. 6; CCL 3A, 93) ¦ om a aur f vg M (*Ev non test.). C. Tertullian bezeugt wiederum nur die entscheidenden Rahmendaten des Gleichnisses vom Pharisäer und Zöllner. Die eigentliche Darstellung des unterschiedlichen Gebets in *18,11-13 braucht er nicht in Einzelheiten zu referieren, weil er mit den Stichworten superbia/ humilitas das unterschiedliche Gebet diversa mente der beiden hinreichend deutlich klar gemacht hat. Wie beim vorangehenden Gleichnis ist auch hier die Pointe im Mund Jesu (*18,14a) für *Ev gesichert. Dieser Verweis ist allerdings so allgemein gehalten, dass er keine Rückschlüsse über die genaue Formulierung zulässt. 1. Die narrative Einbindung des Gleichnisses in den Erzählkontext *18,9 ist, wie auch sonst häufig (5,36; 6,39; 12,16; 13,6; 14,7; 15,3; 21,29) nicht bezeugt. Allerdings deutet die Lesart in D (it) sy, in der die Wendung τὴν παραβολὴν ταύτην fehlt, darauf hin, dass das Gleichnis schon in *Ev eine argumentative Funktion für den weiteren Kontext besaß, der dann erkennbare kohärenzstiftende Züge trug. Diese Einsicht widerrät dem verbreiteten Urteil, dass die argumentative Einbindung des Gleichnisses erst auf die lk Redaktion zurückgehe. 1 Sie hat Folgen sowohl für das überlieferungsgeschichtliche Urteil über den weiteren Text des Gleichnisses als auch für seine Semantik. 2. In *18,11 liegt ein textkritisches Problem vor: Die handschriftliche Überlieferung bezeugt drei verschiedene Lesarten. Der (zahlenmäßig) größere Teil der Handschriften liest σταθεὶς ταῦτα π ρ ὸ ς ἑ α υ τ ὸ ν προσηύχετο, versteht also, dass der Pharisäer nicht laut, sondern leise »für sich« betete. 2 Allerdings stellt ein (kleinerer) Teil die Worte πρὸς ἑαυτόν zwischen σταθείς und ταῦτα, bezieht diese also nicht auf προσηύχετο, sondern auf σταθείς und bringt damit zum Ausdruck, dass der Pharisäer sich für sein Gebet abseits stellte (so im Textus Receptus und in NA 27 ); der ______________________________ 1 Vgl. nur J. J. K ILGALLEN , The Importance of the Redactor in Luke 18,9-14, Bib. 79 (1998), 69-75 (mit Lit.). 2 So in : P 75 א 2 B (L) T Θ Ψ 1 113 205 209 579 892 1241 1582 2766 ℓ844 c a aur g 1 gat vg. 1042 Anhang I 18,9-14 Sache nach entspricht dem die Lesart in D d (καθ’ ἑαυτὸν ταῦτα). Diese Lesart passt insofern in den Kontext, als auch das kontrastierende das Gebet des Zöllners durch dessen Lokalisierung gekennzeichnet ist: Er stellte sich für sein Gebet in einiger Entfernung hin (μακρόθεν ἐστώς). Außerdem gibt es in einem schmalen Teil der Überlieferung eine dritte Lesart, in der die Worte πρὸς ἑαυτόν ganz fehlen. 3 Sofern diese Lesart den vorkanonischen Text repräsentiert, könnte man die Einfügung als Verstärkung des Kontrasts zwischen dem Pharisäer und dem Zöllner verstehen, die dann entweder auf den Ort der Beter oder auf ihre innere Haltung bezogen wurde und so die beiden ersten Lesarten produzierte. Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass diese Lesart auf ein Versehen beim Vergleich der beiden anderen Varianten mit ihrer unterschiedlichen Stellung von πρὸς ἑαυτόν zurückgeht. Angesichts dieser Bezeugung liegt es am nächsten, dass der vorkanonische Text die unterschiedliche Haltung der beiden Beter durch ihre unterschiedliche Lokalisierung kontrastiert hat. Die Umstellung der Wendung in der Mehrheit der Überlieferung (σταθεὶς ταῦτα πρὸς ἑαυτὸν προσηύχετο) ginge demnach auf die lk Redaktion zurück. 3. Schwierig ist die Rekonstruktion von V. *14, auch hier liegen verschiedene Lesarten vor, die eine unterschiedliche Auffassung von der Bedeutung des Gleichnisses verraten: Wenn der Zöllner »eher« gerechtfertigt ist als der Pharisäer (so die Lesart in D it sy: δεδικαιωμένος … μ ᾶ λ λ ο ν παρ’ ἐκεῖνον τὸν Φαρισαῖον), wird diesem die Gerechtigkeit nicht vollständig abgesprochen. Dagegen stellt die Lesart des Mehrheitstextes (δεδικαιωμένος … παρ ʼ ἐκεῖνον) eine Alternative auf: Der Zöllner ist gerechtfertigt, der Pharisäer nicht. Mit Blick auf die charakteristische Bezeugung durch die üblichen Verdächtigen (D it sy) ist zu folgern, dass erst die lk Redaktion aus den unterschiedlichen Graden der Rechtfertigung im Vergleich zwischen dem Pharisäer und dem Zöllner eine exklusive Alternative gemacht hat. Dies entspricht auch sonst dem redaktionellen Konzept von Lk-Act. 4. In V. *14a ist das Stichwort δεδικαιωμένος für *Ev gesichert; es korrespondiert mit der Einleitung in *18,9 (nur in diesen beiden Versen begegnet das Stichwort δίκαιος/ δικαιόω) und bestätigt auf diese Weise das Urteil zu *18,9: Das Gleichnis enthielt schon in seiner vorkanonischen Gestalt die narrative Einbindung in den Kontext, welche die Textsemantik in erheblichem Maße beeinflusst. 5. Unklar ist dagegen, ob auch das abschließende Logion über Selbsterniedrigung bzw. -erhöhung vorhanden war (*18,14b): Es ist für *Ev nicht bezeugt und hat eine ebenfalls unbezeugte, fast identisch formulierte Dublette in 14,11 (s. dort). Für beide Stellen gibt es keine synoptische Parallele, aber Mt 23,12 hat eine Entsprechung in seine Weherede eingearbeitet, die im Wortlaut (ὅστις δὲ ὑψώσει ἑαυτόν …) von der partizipialen Formulierung der lk Parallelen (von πᾶς ὁ ὑψῶν ἑαυτόν …) geringfügig abweicht. Mit Blick auf die redaktionellen Anteile bei der Gestaltung ______________________________ 3 א * ℓ828 c ℓ844* b c f ſſ 2 i l q r 1 sa georg I . 18,9-14 Rekonstruktion 1043 der mt Redekompositionen liegt es nahe, dass Mt das Logion bei *Ev fand und die partizipiale Wendung (wie auch an anderen Stellen, vgl. etwa *16,18 || Mt 5,32 || 19,9) in einen Relativsatz umwandelte. Damit bleibt nur die Frage, ob *Ev das Logion an beiden Stellen (*14,11; *18,14) oder nur an einer hatte. Ein sicheres Urteil ist natürlich nicht möglich: Aber wenn das Logion nicht schon in *Ev als Dublette vorhanden war (was denkbar ist), dann spricht doch einiges dafür, dass der Ursprung eher in *18,14 als in *14,11 zu sehen ist. Obwohl manches darauf hinweist, dass *18,14b in *Ev enthalten war, bleibt das Urteil an dieser Stelle offen. *18,15-17: Segnung der Kinder Nur teilweise bezeugt, aber vermutlich ganz in *Ev vorhanden; durch die lk Redaktion geringfügig bearbeitet. 18,15 Προσέϕερον δὲ αὐτῷ a [ καὶ τὰ ] a b παιδία ἵνα αὐτῶν ἅπτηται· ¿ἰδόντες? δὲ οἱ μαθηταὶ ἐπετίμων αὐτοῖς. 16 ὁ δὲ Ἰησοῦς προσεκαλέσατο αὐτὰ λέγων, Ἄϕετε τὰ παιδία ἔρχεσθαι πρός με c καὶ μὴ κωλύετε αὐτά c , τῶν γὰρ τοιούτων ἐστὶν ἡ βασιλεία d τῶν οὐρανῶν. d 17 ἀμὴν λέγω ὑμῖν, ὃς ἂν μὴ δέξηται τὴν βασιλείαν e τῶν οὐρανῶν e ὡς παιδίον, οὐ μὴ εἰσέλθῃ εἰς αὐτήν. A. *18,16: Adam. 1,16 (814c): (ὁ δὲ ἀγαθὸς κύριος) ἄϕετε, ϕησί, τὰ παιδία ἔρχεσθαι πρός με· τῶν γὰρ τοιούτων ἐστὶν ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν. B. a (18,15) και τα: om D a b d gat l Orig (Comm. in Mt 15,6; GCS 40, 363); τα (om και): 7 60 267 399 1654 1685 sy p(2 mss) sa mss co armen mss aeth got ¦ και τα: add aur c f ſſ 2 i q r 1 M (*Ev non test.) ● b (18,15) παιδια: D ¦ βρεϕη: M (*Ev non test.) ● c (18,16) και μη κωλυετε αυτα: om Adam 1338 1352 bo (1 ms) ¦ και μη κωλυετε αυτα/ et nolite eos vetare (o. ä.): add a aur b c d e f ſſ 2 i l q r 1 M ● d (18,16) βασιλεια των ουρανων/ regnum caelorum: Adam 157 472 579 983 1009 1187 1241 1604 2487 a b c vg 1 ms ¦ βασιλεια του θεου/ regnum Dei: aur d e f ſſ 2 i l q r 1 M ● e (18,17) των ουρανων: sy s ¦ του θεου: it M (*Ev non test.). C. Das »Kinderevangelium« ist bei Tertullian nicht bezeugt: Seine Argumentation in 4,36,2f leitet in einem Atemzug von der Behandlung des Gebets in *18,9-14 direkt zum Referat von *18,18ff über: Das gemeinsame Stichwort ist der Gott, an den sich das Gebet im Tempel richtet, und damit die Frage nach dem Gott, der »allein gut« ist. Dieser Zusammenhang, in dem das Kinderevangelium gestört haben würde, legt es nahe, dass Tertullian *18,15-17 hier nur übergeht. Dies bezeugt auch Adamantius, der *18,16 in einer wörtlichen Antithese zitiert: Der Marcionit Megethius stellt einen direkten Widerspruch zwischen dem προϕήτης τοῦ θεοῦ τῆς γενέσεως und dem ἀγαθὸς κύριος bezüglich der Behandlung der Kinder fest (Gegenüberstellung der Bärenepisode aus 2Kön 2,24 und dem Kinderevangelium). Dass der Marcionit 1044 Anhang I 18,15-17 hier mit dem (kanonischen) AT argumentiert, kann nicht überraschen: Er setzt sich ja mit seinen Gegnern auseinander und muss deren Position hinsichtlich der Gotteslehre in irgendeiner Weise dingfest machen können. Schon das vorkanonische Evangelium hat folglich das »Kinderevangelium« an dieser Stelle enthalten. Das ist von Bedeutung für die Überlieferungsgeschichte, da das kanonische Lk ab 18,15 zum ersten Mal seit 9,46-50 || Mk 9,33-40 wieder mit dem mk Erzählfaden zusammengeht: Wie schon deutlich wurde (Bd. I, § 11.1), ist dieses Phänomen nicht als »große Einschaltung« von Lk 9,51-18,14 in den Mk- Stoff zu beurteilen. Vielmehr hat Mk den Erzählfaden von *9,51 bis *18,14 aus redaktionellen Gründen ausgelassen. Dieser überlieferungsgeschichtliche Hintergrund erklärt dann auch weitere Einzelheiten: 1. An zwei Stellen weicht der durch Adamantius bezeugte Text von *18,16 vom Mehrheitstext ab, wird aber durch einige Handschriften gestützt. Besonders wichtig ist dabei, dass Megethius den Befehl des »guten Herrn« mit dem von Mt 19,14 bezeugten βασιλεία τῶν οὐρανῶν anstelle des von Mk und Lk bezeugten βασιλεία τοῦ θεοῦ zitiert. Da es keinen Grund gibt, an dieser Stelle eine Ungenauigkeit des Adamantius anzunehmen, liegt hier ein Beispiel für die sog. »matthäischen Formulierungen« von *Ev vor. Sofern Adamantius’ Zeugnis für *18,16 zutrifft, liegt es nahe, die gleiche Formulierung auch für *18,17 anzunehmen, obwohl dieser Vers unbezeugt ist: Der Sinaisyrer bestätigt diese Lesart für V. *17 und macht sie für *Ev wahrscheinlich. Dass *Ev die Wendung βασιλεία τῶν οὐρανῶν anstelle von βασιλεία τοῦ θεοῦ enthielt, ist auch sonst schon aufgefallen. 1 Wenigstens an diesen Stellen folgt Mt dem vorkanonischen Text, nicht aber den Änderungen (βασιλεία τοῦ θεοῦ), die Mk daran vorgenommen hat. Daneben fehlen in Adamantius’ Zeugnis von *18,16 die Worte καὶ μὴ κωλύετε αὐτά. Auch diese Lesart wird durch einige (wenige) Handschriften gestützt. Diese Beobachtungen bestätigen einmal mehr sowohl die prinzipielle Zuverlässigkeit von Adamantius’ Zeugnis als auch das Modell zum Zustandekommen dieser Lesarten. Der kanonische Lk-Text folgt an dieser Stelle nicht *Ev, sondern Mk 10,13 || Mt 19,13. 2. Daneben sind in der handschriftlichen Überlieferung weitere Abweichungen belegt, die dafür sprechen, dass hier der vorkanonische Text sichtbar wird, obwohl eine direkte Bezeugung für *Ev fehlt: In *18,15 D it (sy) fehlt - gegen die übergroße Mehrheit der Handschriften - (προσέϕερον δὲ αὐτῷ) κ α ί . Dieser Umstand legt nahe, dass der ursprüngliche Text auch nicht βρέϕη, sondern die D-Lesart παιδία enthielt. Wie die synoptischen Parallelen zeigen (προσηνέχθησαν/ προσέϕερον ______________________________ 1 Außer in *18,16 ist βασιλεία τῶν οὐρανῶν für *Ev bezeugt bzw. wahrscheinlich in *6,20; *13,18f. 18,15-17 Rekonstruktion 1045 αὐτῷ παιδία Mk 10,13 || Mt 19,13), gehen beide Änderungen auf die lk Redaktion zurück. 3. Daneben gibt es einige Belege für mk-lk Übereinstimmungen gegen Mt, die es nahelegen, dass Mk und Lk den Wortlaut des vorkanonischen Textes genauer bewahrt haben als Mt, der hier redaktionell eingreift. In der Exposition entsprechen sich ἵνα αὐτῶν ἅπτηται Lk 18,15 || ἵνα αὐτῶν ἅψηται Mk 10,13 gegen Mt 19,13 ἵνα τὰς χεῖρας ἐπιθῇ αὐτοῖς καὶ προσεύξηται. Mt hat hier die Formulierung an die abschließende Notiz (Mt 19,15 || Mk 10,16) angeglichen. - Die Wortstellung von (ἄϕετε τὰ παιδία) ἔρχεσθαι πρός με *18,16 || Mk 10,14 ist in Mt 19,14 geändert (ἄϕετε τὰ παιδία κ α ὶ μ ὴ κ ω λ ύ ε τ ε α ὐ τ ὰ ἐλθεῖν πρός με). - Lk 18,17 || Mk 10,15 ÷ Mt 19,14f. Allerdings hat Mt eine Analogie zu diesem Logion in Mt 18,3 (ἐὰν μὴ στραϕῆτε καὶ γένησθε ὡς τὰ παιδία, οὐ μὴ εἰσέλθητε εἰς τὴν βασιλείαν τῶν οὐρανῶν). Diese mk-lk Übereinstimmungen gegen Mt gehen auf die gemeinsame Vorlage *Ev zurück, die von Mt redaktionell bearbeitet wurde, wie gerade das letzte Beispiel zeigt. Daneben ist aber auch erkennbar, wie genau Mt seinen mk Prätext verglichen hat. Denn die Feststellung, dass Jesus den Kindern dann tatsächlich die Hände aufgelegt hat (Mt 19,15), stammt aus Mk 10,16: Sie fehlt in *Ev und in Lk, der *Ev folgt. 4. Unklar bleibt dagegen, ob ἰδόντες *18,15 schon in *Ev enthalten war oder nicht: Dieser Hinweis findet sich nur in der lk Fassung. Es ist ebenso gut denkbar, dass Mk ihn gestrichen hat und Mt ihm darin gefolgt ist, wie es möglich ist, dass Mk und Mt den vorkanonischen Text genau bewahrt haben (in diesem Fall hätte *Ev also οἱ δὲ μαθηταί gelesen), den Lk dann durch die Ergänzung (und Umstellung von δέ: ἰδόντες δὲ οἱ μαθηταί) narrativ angereichert hätte. Das Urteil bleibt offen. *18,18-22.23: Die Frage nach den Bedingungen des ewigen Lebens Vielfältig bezeugt, sicher in *Ev vorhanden; sehr wahrscheinlich durch die lk Redaktion verändert und möglicherweise ergänzt 18,18 Καὶ ἐπηρώτησέν τις αὐτὸν a ἄρχων λέγων, Διδάσκαλε ἀγαθέ, τί ποιήσας ζωὴν αἰώνιον b κληρονομήσω; 19 c †ὁ δὲ†, d †μή με λέγε† d ἀγαθόν. e εἷς ἐστιν ἀγαθός e f {†ὁ πατήρ†} f . 20 g {ὁ δὲ ἔϕη} g . Τὰς ἐντολὰς h †οἶδα†· i Μὴ ϕονεύσῃς, Μὴ μοιχεύσῃς, i Μὴ κλέψῃς, Μὴ ψευδομαρτυρήσῃς, Τίμα τὸν πατέρα σου καὶ τὴν μητέρα. 21 [ ὁ δὲ εἶπεν ] Ταῦτα πάντα ἐϕύλαξα ἐκ νεότητος. 22 ἀκούσας δὲ ὁ Ἰησοῦς εἶπεν αὐτῷ, k ῎Ετι ἕν σοι λείπει· πάντα ὅσα ἔχεις πώλησον καὶ l δὸς πτωχοῖς, καὶ ἕξεις θησαυρὸν ἐν τοῖς οὐρανοῖς, καὶ δεῦρο ἀκολούθει μοι. 23 ὁ δὲ ἀκούσας ταῦτα περίλυπος m ἐγενήθη, n ὅτι ἦν [ γὰρ ] n πλούσιος σϕόδρα. 1046 Anhang I 18,18-23 A. *18,18: Tert. 4,36,4: Denique interrogatus ab illo quodam, Praeceptor optime, quid faciens vitam aeternam possidebo? ♦ *18,19: Tert. 4,36,3: Sed quis optimus, nisi unus, inquit, deus? Non quasi ex duobus diis unum optimum ostenderit, sed unum esse optimum deum solum, qui sic unus sit optimus qua solus deus … ¦ Adam. 1,1 (804b): οὐδεὶς ἀγαθὸς εἰ μὴ εἷς, ὁ πατήρ ¦ Orig., Princ. 2,5,4 : Nemo bonus nisi unus deus pater (weitere Belege, s. u.) ♦ *18,20: Tert. 4,36,5: Age, Marcion, omnesque iam commiserones et coodibiles eius haeretici, quid audebitis dicere? Resciditne Christus priora praecepta, non occidendi, non adulterandi, non furandi, non falsum testandi, diligendi patrem et matrem? an et illa servavit et quod deerat adiecit? Quamquam et hoc praeceptum largitionis in egenos ubique diffusum sit in lege et prophetis, uti gloriosissimus ille observator praeceptorum pecuniam multo cariorem habiturus traduceretur. ♦ *18,20-22: Tert. 4,36,7: Et homo (sc. der Mensch, der in Mi 6,8 angesprochen ist) enim Christus annuntians quid sit bonum; scientiam legis: Praecepta, inquit, scis; facere iudicium: Vende, inquit, quae habes; diligere misericordiam: Et da, inquit, egenis; paratum esse ire cum domino: Et veni, inquit, sequere me. ¦ Epiph., Schol. 50: Εἶπε τις πρὸς αὐτὸν· Διδάσκαλε ἀγαθέ, τί ποιήσας ζωὴν αἰώνιον κληρονομήσω; ὁ δέ· Μή με λέγε ἀγαθόν. εἷς ἐστιν ἀγαθός ὁ θεός. προσέθετο ἐκεῖνος Ὁ πατήρ, καὶ ἀντὶ τοῦ Τὰς ἐντολὰς οἶδας λέγει Τὰς ἐντολὰς οἶδα. ♦ *18,21f: Tert. 4,36,4: de praeceptis creatoris an ea sciret, id est faceret, expostulavit, ad contestandum praeceptis creatoris vitam acquiri sempiternam: cumque ille principaliora quaeque affirmasset observasse se ab adulescentia, Unum, inquit, tibi deest: omnia, quaecunque habes, vende et da pauperibus, et habebis thesaurum in caelo, et veni, sequere me. ♦ *18,22: Adam. 2,17 (832a/ b): (προσελθόντος αὐτῷ τινός·) Διδάσκαλε ἀγαθέ, τί ποιήσας, ϕησί, ζωὴν αἰώνιον κληρονομήσω; εἶπε δὲ Ἰησοῦς· Τί με λέγεις ἀγαθόν; οὐδεὶς ἀγαθὸς εἰ μὴ εἷς ὁ θεός· ὁ δὲ ἔϕη· τὰς ἐντολὰς οἶδας [sic! MSS]· Μὴ ϕονεύσῃς, Μὴ μοιχεύσῃς, Μὴ κλέψῃς, Μἠδὲ ψευδομαρτυρήσῃς, Τίμα τὸν πατέρα σου καὶ τὴν μητέρα σου. καί, ϕησίν, ταῦτα πάντα ἐϕύλαξα ἐκ νεότητος. ἀκούσας ταῦτα ὁ Ἰησοῦς εἶπεν αὐτῷ· ἕν σοι λείπει· πάντα ὅσα ἔχεις πώλησον καὶ δὸς πτωχοῖς, καὶ ἕξεις θησαυρὸν ἐν τῷ οὐρανῷ. B. a (18,18) αρχων/ princeps: om Tert Epiph a b e ſſ 2 i l q r 1 (quidam) (vgl. Mk 10,17) || Mt 19,16) ¦ τις … αρχων/ princeps: add aur c d f vg M (in NA 27 nicht verzeichnet) ● b (18,18) κληρονομησω/ hereditabo: Epiph d M ¦ possidebo: Tert a aur b c f (possideo: ſſ 2 ) i l q r 1 ¦ consequar: e ● c (18,19) Widersprüchliche Bezeugung: (1) ο δε: Epiph ¦ (2) ειπε δε ιησους: Adam ¦ ειπεν δε αυτω ο ιησους: M ● d (18,19) Widersprüchliche Bezeugung: (1) μη με λεγε: Epiph PsClem (Hom. 18,1,3) ¦ (2) τι με λεγεις: Adam it M ● e (18,19) Widersprüchliche Bezeugung: (1) εις εστιν αγαθος ο θεος: Epiph Hipp (Refut. 7,31,6; GCS 26, 217) ¦ (2) αλλ τις κρατιστος, ει μη εις ο θεος: Tert ¦ εις ο θεος: Justin ¦ ουδεις αγαθος ει μη εις ο θεος: Adam M ● f (18,19) Widersprüchliche Bezeugung: (1) ο πατηρ: Adam (Dial. 1,1 [804b]) Clem (Paed. 1,8,72.74; GCS 12, 132.133) ¦ (2) ο θεος ο πατηρ: Epiph d (≠ D! ) ¦ (3) ο πατηρ (μου) ο εν τοις ουρανοις: Justin (Dial. 101,2 G OODSPEED 216) Iren (1,20,2) PsClem (Hom. 18,1; GCS 42, 241) Ephr (Comm. Diat. 15,2; FC 54/ 2, 431; CSCO 137, 209) Hieron (Ep. 121,7,2; CSEL 56, 27) ¦ (4) ο θεος: Adam (Dial. 2,18 [832a]) D (≠ d! ) a aur b c e f ſſ 2 i l q r 1 M ● g (18,20) ο δε εϕη: Adam ¦ om D it sy M ● h (18,20) Widersprüchliche Bezeugung: (1) οιδα: Epiph ¦ (2) οιδας/ scis: Tert (Adam) it M ● i (18,20) μη ϕονευσης μη μοιχευσης: Tert Adam 1012 2096 2766c a aur b c ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 vg sy s.c.p bo 1 ms ¦ (Wortfolge: 1 4 3 2) μη μοιχευσης μη ϕονευσης: d f M ● k (18,22) ετι: om Tert Adam sy p georg Hier (Ep. 120,1; CSEL 55, 475) ¦ οτι: א * F H V 028 pc aeth ¦ add it M ● l (18,22) δος/ da: Tert Adam א A D L M N R Δ Ω 0211 f 1 33 1241 1424 al it vg ¦ διαδος: M ● m (18,23) εγενηθη: א B L 579 pc ¦ εγενετο: A D 18,18-23 Rekonstruktion 1047 W Θ Ψ 078 f 1.13 33 M (*Ev non test.) ● n (18,23) οτι (ην): aur b c f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 vg ¦ (ην) γαρ: a d e M (*Ev non test.). C. Die Erzählung mit der Frage nach den Bedingungen für das ewige Leben ist die wohl am intensivsten rezipierte und am besten bezeugte Perikope von *Ev. Außer den Hauptreferenten gehören Hippolyt (Refut. 7,31), Origenes (Princ. 2,5,1) und andere (s. u.) zu den Zeugen. Der Grund für die reichhaltige Bezeugung ist offensichtlich: Denn in diesem *Ev-Text erklärt Jesus eindeutig, dass es erstens nur einen Gott gibt (was Marcions Annahme von zwei oder drei göttlichen Prinzipien diametral widerspricht), dass zweitens dieser eine Gott gut ist (was der marcionitischen Gotteslehre mit der Unterscheidung von creator und deus bonus widerspricht) und dass drittens dieser eine, gute Gott der Gott der Gebote ist (was nicht zu dem angenommenen marcionitischen Antinomismus passt). *18,19 belegt daher für *Ev gleich drei der zentralen theologischen Aussagen, deren Beseitigung Marcions angebliche Bearbeitung des kanonischen Lk motiviert haben sollte; sie erlauben den Häresiologen die problemlose Widerlegung seiner Theologie aus dem Text seines Evangeliums. Deutlicher als hier lässt sich kaum zeigen, dass der angenommenen marcionitischen Redaktion des kanonischen Lk das dafür notwendige redaktionelle Konzept fehlt. Die eindeutige Bezeugung der Perikope und der offensichtliche Widerspruch zur marcionitischen Theologie bringen die Vertreter der Lk-Priorität in erhebliche Verlegenheit. Harnack hält sich bedeckt und versucht erst gar nicht, das Unerklärbare zu erklären. 1 Tsutsui dagegen empfindet den Erklärungsnotstand und sucht nach einer Lösung: Marcion habe nur eine kleine Änderung vorgenommen und in *18,22 ἔ τ ι (ἕν σοι λείπει) gestrichen, um auf diese Weise anzudeuten, dass die Dekaloggebote und das Gebot Jesu nicht auf einer Stufe stünden: Erst »durch diese kleine Textänderung, die die differenzierten Herkünfte der beiden Gebote andeuten soll, konnte Marcion dieses Gespräch zum akzeptierbaren Lehrmittel machen.« 2 Diese Lösung ist gesucht, und sie beseitigt auch nicht die erkennbaren Widersprüche von *18,19 gegenüber der angenommenen, marcionitischen Theologie: Für die Annahme der Lk-Priorität stellt die Perikope ein unüberwindliches Hindernis dar. Allerdings ist der Wortlaut der Perikope in *Ev trotz der relativ guten Bezeugung nicht ganz klar. Folgende Hinweise sind wichtig. 1. Die Frage nach der ζωὴ α ἰ ώ ν ι ο ς *18,18 ist durch Tertullian und Epiphanius identisch bezeugt und stimmt mit dem kanonischen Wortlaut überein: Hier liegt eine der wenigen exakten Übereinstimmungen der Bezeugung für *Ev vor. 3 Die ______________________________ 1 H ARNACK 225f*. 2 T SUTSUI 115ff. 3 D. S. W ILLIAMS , Reconsidering Marcion’s Gospel, JBL 108 (1989), 477-496: 484. 1048 Anhang I 18,18-23 komplizierten Überlegungen, nach welchen Kriterien die beiden Fragen in *10,25 und *18,18 zu unterscheiden seien, 4 erübrigen sich daher völlig: Das Adjektiv αἰώνιος ist in *Ev in *18,18 ursprünglich und von Mk 10,17 || Mt 19,16 von hier übernommen worden; Lk hat es in 10,25 (s. dort) in Analogie zu *18,18 ergänzt. Ähnlich unklar wie in *10,25 ist auch hier, ob das von Epiphanius bezeugte κληρονομήσω schon im vorkanonischen Text gestanden hat: Tertullian referiert possidebo. 5 Aber auch hier sind die alternativen Übersetzungen bezeugt (d: hereditabo; e: consequar). Die Situation wird für *18,18 noch etwas komplizierter, da hier eine synoptische Parallele existiert: Mt 19,16 bietet eine Form von ἔχω, die jedoch ihrerseits nicht einheitlich überliefert ist. 6 Da die semantischen Unterschiede zwischen den lateinischen Übersetzungswörtern so gering sind und da Epiphanius hier direkt das kanonische κληρονομήσω bezeugt, ist die Annahme am einfachsten, dass dies auch schon der Text im vorkanonischen *Ev war. 2. Alle Zeugen lassen die Identität des Fragers offen. 7 Dass es sich um einen ἄρχων - d.h. entweder um eine führende Persönlichkeit oder um einen Offiziellen des politischen oder des synagogalen Lebens 8 - gehandelt habe, stand mit Sicherheit nicht in *Ev. Diese Kennzeichnung ist eine redaktionelle Ergänzung des Lk. Sie bringt die auch sonst zu beobachtende Tendenz zum Ausdruck, Jesus (und dann die Christen) in Kontakt mit hochstehenden Personen darzustellen. 9 Mk hat die Präzisierung des Fragers auf andere Weise geleistet, er macht ihn schon in der Einleitung zu einem »Reichen«. 10 ______________________________ 4 Zu den Überlegungen, die T SUTSUI 98 dazu angestellt hat, s. oben zu *10,25. 5 Diese Wiedergabe hat Tertullian mit der Mehrheit der Altlateiner gemeinsam: a aur c f [ſſ 2 ] i l q r 1 . Im unmittelbaren Kontext (4,36,4) setzt er acquirere synonym für possidere; Tertullian hat also den Aspekt des Erwerbs durchaus gesehen. 6 Für Mt 19,16 sind folgende Lesarten zu berücksichtigen: (1) τί ἀγαθὸν π ο ι ή σ ω ἵ ν α σ χ ῶ ζωὴν αἰώνιον: B C D Θ 700* (so auch im Text der kritischen Ausgaben). (2) τί ἀγαθὸν π ο ι ή σ ω ἵ ν α ἔχω ζωὴν αἰώνιον: W f 1.13 M . (3) τί ἀγαθὸν π ο ι ή σ α ς ζωὴν αἰώνιον κ λ η ρ ο ν ο μ ή σ ω : א L 33 (579) 892 pc sy s.c.hmg sa ms bo . Die Herausgeber von NA 27 halten diese Lesart (3) für eine sekundäre Angleichung aufgrund der Parallele in Lk 18,18. Aber dies ist - wie in vielen anderen Fällen, an denen ein solcher Parallelstelleneinfluss angenommen wird - durchaus fraglich. Es ist genauso gut denkbar, dass Mt anlässlich der Einfügung von ἀ γ α θ ὸ ν (ποιήσας) auch das Verb verändert hat. Dafür sprechen jedenfalls die Handschriften, die diese Lesart (3) bieten: Unter ihnen befinden einige der »üblichen Verdächtigen« für vorkanonische Lesarten ( א 33 579 892 sy). 7 Tertullian: ille quidam; Epiphanius und Adamantius: τις. 8 Vgl. dazu M. K LINGHARDT , Gesetz und Volk Gottes, Tübingen 1988, 132ff. 9 Vgl. Lk 8,41 (red., s. dort): Jairus ist ein ἄρχων τῆς συναγωγῆς (zum Wechsel zwischen 8,41 und 8,49 s. bei 14,1). Außerdem Lk 23,13.35; 24,20; Act 3,17; 13,27; 14,5; 16,19. 10 Vgl. Mk 10,17 v. l.: ιδου τις πλουσιος … (A K W Θ f 13 al sy hmg sa mss ); diese Lesart ist wahrscheinlich im kanonischen Mk-Text ursprünglich. Dass er ein »Jüngling« war, sagt nur Mt 19,20a. 18,18-23 Rekonstruktion 1049 3. Die Antwort Jesu in *18,19 ist schwer zu rekonstruieren - hier gehen die Zeugen für *Ev, aber auch die Bezeugung für den kanonischen Text erheblich auseinander. Abgesehen von der wenig relevanten Form der genauen Redeeinleitung 11 bleiben drei Besonderheiten zu notieren: a. Im Unterschied zu der von Tertullian und Adamantius bezeugten Frageform (»Was nennst du mich gut? «) las Epiphanius einen Prohibitiv (μή με λέγε ἀγαθόν). Diese Lesart ist auch - ohne Bezug auf *Ev - durch die Wiedergabe in den ps.clementinischen Homilien belegt. Da sie sich von der kanonischen Form unterscheidet, wird dieser Formulierung der Vorzug zu geben sein. b. Auch die Begründung in der Antwort Jesu ist uneinheitlich überliefert. Die kanonische Formulierung (οὐδεὶς ἀγαθὸς εἰ μή) findet sich nur bei Adamantius. Tertullian hat eine ähnliche Formulierung, wenn auch in Frageform (»wer … wenn nicht …? «); immerhin zeigt das gemeinsame εἰ μή/ nisi eine erkennbare Nähe. Im Unterschied dazu bezeugt Epiphanius die kurze Aussage εἷς ἐστιν ἀγαθός, die für *Ev auch durch Hippolyt bezeugt ist. c. Auch das Ende der Antwort ist uneinheitlich: Anstelle des einfachen ὁ θεός, das Tertullian und Adamantius 12 bei *Ev lasen, bezeugt Epiphanius, dass Marcion zu ὁ θεός noch ὁ πατήρ dazugesetzt hätte. Für die Gestalt von *18,19 ist die patristische Bezeugung einigermaßen wichtig, weil es hier sehr enge Berührungen zu dem für *Ev bezeugten Text gibt. 1. Lk 18,19 (d): nemo bonus nisi unus Deus pater. 2. *Ev teste Epiph. (Schol. 50): εἷς ἐστιν ἀγαθός ὁ θεός, ὁ πατήρ. 3. *Ev teste Tert. (4,36,3): sed quis optimus, nisi unus deus? 4. *Ev teste Adam. (2,17 [832a/ b]); Lk 18,19 (D): οὐδεὶς ἀγαθὸς εἰ μὴ εἷς ὁ θεός. 5. Justin, Dial. 101,2: εἷς ἐστιν ἀγαθός, ὁ πατήρ μου ὁ ἐν τοις οὐρανοῖς. 6. Origenes, Princ. 2,5,4 : nemo bonus nisi unus Deus pater. 13 7. Ephraem, Comm. in Diat. 15,9: unus est bonus, Pater, qui in caelo (est). 14 ______________________________ 11 Epiphanius: ὁ δέ; Adam.: εῖπεν δὲ ὀ Ἰησοῦς gegenüber εἶπεν δὲ αὐτῷ ὀ Ἰησοῦς. 12 Adam. zitiert dieses Logion zweimal in unterschiedlicher Form. Dial. 1,1 (804b) kommt es im Munde des Marcioniten Megethius vor: οὐδεὶς ἀγαθὸς εἰ μὴ εἷς, ὁ π α τ ή ρ. Anders dann in Dial. 2,17 (832a): οὐδεὶς ἀγαθὸς εἰ μὴ εἷς, ὁ θ ε ό ς . 13 Ab Princ. 2,4 behandelt Origenes den ansonsten für Marcion bezeugten Ditheismus, ohne ihn zu nennen. In Princ. 2,5 kommt er auf die Unterscheidung zwischen den Eigenschaften »gerecht« und »gütig«, die die principes istius haeresis auf Gott anwenden. Das Argument aus Lk 18,19 wird zwei Mal vorgebracht. Im ersten Fall ist die Formulierung in den Kontext eingebunden (2,5,1 [GCS 22, 133,13]: … nemo bonus praeter unum sit deum patrem), im zweiten liegt ein genaues Zitat der principes vor: … putant, quod dixit dominus in evangelio: Nemo bonus nisi unus deus pater (Princ. 2,5,4; GCS 22, 138,11f). R OTH 407 Anm. 36 bezieht die haeresis zu Recht auf die Marcioniten. 14 Ephraem, Comm. Diat. 15,9 (syr. und armen.). Ephraem zitiert den Text aus dem Diatessaron, das er kommentiert. Gegen C HR . L ANGE (FC 54/ 2, 439 Anm. 955: »Der Kommentar [vermischt] hier 1050 Anhang I 18,18-23 8. Irenaeus, Haer. 1,20,2: εἷς ἐστιν ἀγαθός, ὁ πατὴρ ἐν τοῖς οὐρανοῖς. 15 9. Hippolyt, Refut. 5,7,25: εἷς ἐστιν ἀγαθός, ὁ πατὴρ ὁ ἐν τοῖς οὐρανοῖς. 16 10. Hippolyt, Refut. 7,31,6: εἷς ἐστιν ἀγαθός. 11. Clemens Alex., Strom. 5,10,63: εἷς ἀγαθός, ὁ πατήρ. 12. Ps.-Clem., Hom. 16,3,4: εἷς ἐστιν ἀγαθός, ὁ πατὴρ ὁ ἐν τοῖς οὐρανοῖς. Diese Übersicht macht deutlich, dass zwei Varianten gegenüber dem Mehrheitstext schon sehr früh sehr weit 17 verbreitet waren: (a) Zum einen ist die kurze, aus Mt 19,17 bekannte εἷς-ἐστιν-ἀγαθός-Formulierung sehr viel weiter verbreitet (Epiph Justin Ephraem/ Tat Iren Hipp Clem PsClem) als die auch in Mk 10,18 || Lk 18,19 bezeugte Umschreibung durch οὐδεὶς … εἰ μή (Tert Adam D d). (b) Zum anderen ist das aus dem kanonischen Text bezeugte ὁ θεός/ deus nur durch Tertullian und Adamantius (2,17) bezeugt. Alle anderen Belege bezeugen entweder einfaches ὁ πατήρ (Clem. Alex.; Adam. [1,1]), das auch in der erweiterten Form vorliegt (»der/ mein Vater im Himmel«: Justin Iren PsClem Ephraem Hipp. Ref.), oder aber die Konflation ὁ θεός ὁ πατήρ (Epiph d). Diese Bezeugung, die ja zum großen Teil gegen den kanonischen Lk-Text steht, erklärt sich relativ einfach: Mit Blick auf die häufig beobachtete inkonsequente Angleichung des vorkanonischen an den kanonischen Text ist die Bezeugung in d (≠ D! ) aufschlussreich. In diesem Fall stellt das durch Epiphanius und d bezeugte ὁ θεός ὁ πατήρ am ehesten eine Konflation zwischen dem kanonischen ὁ θεός sowie dem vorkanonischen ὁ πατήρ dar, das demnach für *Ev zu substituieren ist. Man könnte an dieser Stelle sogar erwägen, ob nicht die so »matthäisch« klingende und sehr gut bezeugte Formulierung ὁ πατὴρ (ὁ) ἐν τοῖς οὐρανοῖς in dem vorkanonischen Text stand (s. o. zu *18,16); da eine positive Bezeugung fehlt, bleibt das nur eine unbeweisbare Möglichkeit. Zum anderen gilt dann auch für die einleitende Formulierung: Das einfache, aber weit bezeugte εἷς ἐστιν ἀγαθός κτλ. verdient ganz eindeutig gegenüber dem kanonischen οὐδεὶς ἀγαθὸς εἰ μή den Vorzug, das Adamantius für *Ev bezeugt und das Origenes in einer entsprechenden Verwendung der Häretiker kennt. Methodisch sind alle Lesarten mit ὁ πατήρ (ὁ πατήρ; ὁ θεός ὁ πατήρ; ὁ πατὴρ [μου] ὁ ἐν τοῖς οὐρανοῖς) von großer Bedeutung: Sie würden dem angenommenen ______________________________ unterschiedliche biblische Vorlagen«) zeigen die Analogien, dass Ephraem hier vermutlich doch genau zitiert. 15 Irenaeus diskutiert die Auslegung von Lk 18,19 durch die Markosier, akzeptiert aber ihre Textform: »This is the ›standard text‹ for Irenaeus«, so W. L. P ETERSEN , What Text Can New Testament Textual Criticism Ultimately Reach? , in: B. Aland, J. Delobel (eds.), New Testament Textual Criticism, Exegesis, and Early Church History, Kampen 1994, 136-152: 142 Anm. 25. 16 Hippolyt behandelt die Naassener, unterscheidet aber nicht zwischen deren und seinem eigenen Text. 17 Vgl. P ETERSEN , a. a. O. 142: »What is noteworthy about this variant is its exceptionally wide dissemination at a very early date.« 18,18-23 Rekonstruktion 1051 Profil der angeblichen marcionitischen Redaktion diametral widersprechen. Die für *Ev bezeugte Lesart und ihre große Verbreitung in der patristischen Literatur stellen daher einen gravierenden Einwand gegen die Annahme der Lk-Priorität dar. 18 4. Für den Anfang von V. *20 ist die Bezeugung gespalten: Epiphanius erwähnt ausdrücklich, *Ev habe die 1. Pers. Sing. (τὰς ἐντολὰς) ο ἶ δ α anstelle der 2. Pers. Sing. (ο ἶ δ α ς ) des kanonischen Textes gehabt. Dagegen bezeugt Tertullian (4,36,7: praecepta s c i s ) die 2. Pers. Sing. des kanonischen Textes (τὰς ἐντολὰς ο ἶ δ α ς ). Kurios ist das Zeugnis des Adamantiusdialogs: Im griechischen Text der GCS-Edition steht die 1. Pers. Sing. (οἶδα). Dabei handelt es sich jedoch um eine Konjektur des Hg. VAN DE S ANDE B AKHUYZEN , der die 2. Pers. Sing. (οἶδας) der Handschriften nach der Vorgabe bei Epiphanius korrigiert hat. 19 Diese Form ist dann auch in Rufins Übersetzung vorausgesetzt (mandata nosti), so dass Epiphanius’ Zeugnis für die 1. Pers. Sing. tatsächlich allein steht. Die Konjektur geht bereits auf Tischendorf und Zahn zurück. 20 Zahns Konjektur beruht auf zwei gleichermaßen unhaltbaren Voraussetzungen: erstens geht er selbstverständlich von der Lk-Priorität aus und führt die Differenzen auf (Marcions) theologische Korrekturen am Lk-Text zurück. 21 Und zweitens nimmt er an, dass das marcionitische Evangelium, das den Adam.-Dialogen zugrundelag, dieselbe Gestalt besaß wie das Exemplar, aus dem Epiphanius seine Scholienliste erstellt hatte - dies scheitert an den zahlreichen widersprüchlichen Bezeugungen. 22 Der Befund besagt daher, dass alle drei Hauptquellen einen unterschiedlichen Text bieten: Tertullian bezeugt wie im kanonischen Text τὰς ἐντολὰς ο ἶ δ α ς . Epiphanius hat die Fassung in der 1. Pers. Sing.: τὰς ἐντολὰς ο ἶ δ α . Adamantius bietet die 2. Pers. und zusätzlich den Rednerwechsel vor V. *20: ὁ δ ὲ ἔ ϕ η τὰς ἐντολὰς οἶδας. Da es keine Kriterien gibt, die es erlauben würden, dem einen Zeugen mehr Vertrauen entgegenzubringen als dem anderen, lassen sich die drei Bezeugungen nicht gegeneinander ausspielen. Die widersprüchliche Bezeugung ist nur durch die ______________________________ 18 S. o. Bd. I, S. 139f. 19 Zum Problem vgl. J. M. L IEU , Marcion and the Synoptic Problem, in: P. Foster et al. (eds.), New Studies in the Synoptic Problem, Leuven u. a. 2011, 731-751: 736; R OTH 385f. 20 Vgl. Z AHN II 484. 21 Da Tertullians *Ev-Referat keine Unterschiede zu Lk 18,19f aufweist, macht Z AHN I 616 nicht Marcion, sondern »die späteren Marcioniten, deren Text uns der Dialog und Epiphanius aufbewahrt haben«, für die Änderungen verantwortlich. 22 Richtig ist allerdings Zahns Beobachtung, dass Rufins Übersetzung ungenau ist und den griechischen Text des Dialogs nach dem kanonischen Text korrigiert (Z AHN II 484). Rufin scheint am Anfang den betonten Rednerwechsel ὁ δὲ ἔϕη (»der aber sagte«) gelesen zu haben, ändert ihn jedoch in et adiecit dicens (»und er fügte hinzu«), so dass V. 20 als Jesusrede erscheint. Aus diesem Grund muss Rufin dann den Rednerwechsel (gegen den griech. Text) am Beginn von V. 21 einfügen (et ille ait). Diese Wendung kann im übrigen nicht die Übersetzung von ϕησίν im griechischenText sein. Gegen H ARNACK 226* (z. St.) gehört ϕησίν auch nicht in den Text, sondern ist Zitationsformel wie inquit; Subjekt ist nicht der Interlokutor (»und er sagte«; so aber B E D UHN 177), sondern der Text (»es heißt/ steht geschreiben«). 1052 Anhang I 18,18-23 Annahme zu lösen, dass sich der Text des marcionitischen Evangeliums verändert hat. Das von den Quellen bezeugte Modell für diese Veränderungen ist die progressive Angleichung des marcionitischen an den kanonischen Lk-Text. Die Textgestalt, die sich am stärksten vom kanonischen Text unterscheidet, ist daher sehr wahrscheinlich ursprünglich, die ihm am nächsten kommt, steht am Ende der Entwicklung; das ist in diesem Fall Tertullian. Der Unterschied zwischen Adamantius und Epiphanius ist einfach aufzulösen, wenn beide Abweichungen gegenüber dem kanonischen Text im ältesten Evangelium standen, also sowohl der Rednerwechsel vor V. *20 (Adamantius) als auch die 1. Pers. Sing. des Verbs (Epiphanius). Da Epiphanius nicht zu erkennen gibt, an welcher Stelle er den Rednerwechsel gelesen hat, kann es sein, dass ihm diese älteste Form vorgelegen hat, die Adamantius dann an einer Stelle an den kanonischen Text angeglichen hat (οἶδα zu οἶδας). Der Text, der mit der größten Wahrscheinlichkeit für *Ev anzunehmen ist, entspricht daher im Ergebnis (nicht in der Begründung! ) Zahns Konjektur für den Adam.-Text: »Der aber sagte: Ich kenne die Gebote« (ὁ δὲ ἔϕη· τὰς ἐντολὰς οἶδα). Diese Gestalt ergibt einen guten Sinn für die Perikope: Auf die Frage nach den Bedingungen des ewigen Lebens verweist Jesus auf den Vater, der dafür allein zuständig ist. Der Frager bestätigt, dass er diesen Hinweis verstanden hat und die Bedingungen akzeptiert: Ich kenne die Gebote des Vaters und habe sie alle gehalten. Die Frage impliziert daher den Zweifel, ob das Halten der Gebote ein hinreichendes Kriterium für ewiges Leben sei. Jesus bestätigt die Berechtigung der Zweifel, indem seine Replik ein weiteres Kriterium benennt (ohne dadurch die Gebotserfüllung in irgendeiner Weise einzuschränken): Verkauf der Güter, Almosen und Nachfolge. Die kanonische Redaktion hat diese Gestalt nur geringfügig verändert. Durch die Verlagerung des Rednerwechsels an den Anfang von V. *20 ist es Jesus, der gegenüber dem Frager die Dekaloggebote aufzählt. Indem die lk Redaktion beide Kriterien Jesus in den Mund legt, macht sie ihre Zusammengehörigkeit und Gleichwertigkeit deutlicher, als dies in der vorkanonischen Fassung erkennbar war. Die Differenz zwischen den beiden Fassungen ergibt nur für die hier angenommene Bearbeitungsrichtung von *Ev zu Lk einen plausiblen, redaktionellen Sinn. Die redaktionelle Veränderung unterstreicht, was auch schon für die vorkanonische Fassung erkennbar war: Neben die selbstverständliche Geltung der Dekaloggebote tritt das christologische Kriterium der Nachfolge. Die umgekehrte Annahme einer marcionitischen Bearbeitung des kanonischen Texts scheitert dagegen: Es kann keine Rede davon sein, dass die Marcioniten den kanonischen Text aus Gründen 18,18-23 Rekonstruktion 1053 ihres Antinomismus geändert hätten 23 - die positive Bedeutung der Deakloggebote und ihre Zusammengehörigkeit mit dem himmlischen »Vater« sind ja völlig unwidersprochen. 5. In *18,20 stimmen Tertullian und Adamantius darin überein, dass die Reihenfolge der drei ersten Dekaloggebote (töten, ehebrechen, stehlen) zwar mit Dtn 5,17-19 (MT), Ex 20,13-15 (MT) sowie den synoptischen Parallelen Mk 10,19 || Mt 19,18 übereinstimmte, wogegen die lk Fassung die auch aus Dtn 5,17-19 (LXX) und Rm 13,9 bezeugte Reihenfolge (ehebrechen, töten, stehlen) bietet. In Anbetracht der Variabilität, welche die Reihungen der Hauptgebote im hellenistischen Judentum und im frühen Christentum auszeichnet, 24 trägt diese Abweichung kein Gewicht. Schon die Überlegung, Lk könnte die Reihe nach Rm 13,9 korrigiert haben, bürdet der Variante mehr auf, als sie hergibt. 6. V. *23 ist unbezeugt. Harnack gibt zwar an, dass *18,23 »nur durch die Anspielung bei Tert. bezeugt« sei. 25 Aber da eine solche Anspielung - sei es auf den Reichtum, sei es auf die Betrübnis des Mannes - bei Tertullian nicht zu entdecken ist, wäre es denkbar, dass der Vers in *Ev gefehlt hat. Andererseits liegt Tertullians argumentatives Interesse nicht auf der Reichtumsparänese, sondern auf der Betonung des einen guten Gottes. Es ist daher wahrscheinlicher, dass Tertullian diese Aussage in seinem Referat übergangen hat: Ein entsprechender Abschluss dieser Chrie wäre durchaus sinnvoll und naheliegend. Eine Entscheidung über die Zugehörigkeit von *18,23 ist daher nur im Zusammenhang der Diskussion von 18,24ff möglich (s. dort). Immerhin deuten die handschriftlichen Varianten darauf hin, dass der V. in *Ev enthalten war. Die Herausgeber von NA 27 / GNT 4 haben das mutmaßlich vorkanonische ἐγενήθη ( א B L 579 pc) anstelle des besser und breiter bezeugten ἐγένετο des Mehrheitstextes in den Text aufgenommen. 7. Am Ende ist der Hinweis wichtig, dass Tertullian auf das »fehlende« Logion Mt 5,17 zu sprechen kommt, das er verschiedentlich in Zusammenhängen zitiert, in denen vom Gesetz die Rede ist: »So bleibt also auch dies im Evangelium (sc. *Ev! ) gültig: Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen.« 26 Dieser Beleg zeigt einmal mehr, dass Tertullian sich bewusst war, dass Marcion dieses Logion nicht aus dem kanonischen Lk gestrichen hatte, sondern dass er es wegen seiner Rezeption nur des einen Evangeliums nicht kannte: Tertullian belegt anhand ______________________________ 23 So etwa Z AHN I 616: Die Marcioniten fanden es »unbequem, daß Jesus so das Gesetz des Judengottes in den Mund genommen habe«, weswegen sie 18,20 »durch leise Textänderung in einen Ausspruch des Jünglings« verwandelten. Dies ist genauso an den Haaren herbeigezogen wie die Behauptung, dass Jesus in der marcionitischen Fassung als »Verächter des jüdischen Gesetzes« erscheine (ebd.). 24 Vgl. K. B ERGER , Die Gesetzesauslegung Jesu, Neukirchen-Vluyn 1972, 362ff. 25 H ARNACK 226*. 26 4,36,6: salvum est igitur et hoc in evangelio: Non veni dissolvere legem et prophetas, sed potius adimplere. 1054 Anhang I 18,18-23 dieser Perikope, dass der sachliche Gehalt dieses Wortes durch *Ev bestätigt wird (savlum est). *18,24 [ 25 ] 26.27.28-30: Reichtum und Nachfolge Nur sehr schlecht bezeugt, gleichwohl mit großer Wahrscheinlichkeit in *Ev vorhanden und vermutlich ergänzt. 18,24 Ἰδὼν δὲ αὐτὸν a [ περίλυπον γενόμενον ] a εἶπεν b ὁ Ἰησοῦς b , Πῶς δυσκόλως οἱ τὰ χρήματα ἔχοντες εἰς τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ εἰσπορεύονται· c [ 25 εὐκοπώτερον γάρ ἐστιν κάμηλον διὰ τρήματος βελόνης εἰσελθεῖν ἢ πλούσιον εἰς τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ εἰσελθεῖν. ] c 26 εἶπαν δὲ οἱ d ἀκούοντες, Καὶ τίς δύναται σωθῆναι; 27 ὁ δὲ εἶπεν, Τὰ ἀδύνατα παρὰ ἀνθρώποις δυνατά e ἐστιν παρὰ [ τῷ ] θεῷ e . 28 Εἶπεν δὲ ὁ Πέτρος, Ἰδοὺ ἡμεῖς ἀϕέντες f τὰ ἴδια f ἠκολουθήσαμέν σοι. 29 ὁ δὲ εἶπεν αὐτοῖς, Ἀμὴν λέγω ὑμῖν ὅτι οὐδείς ἐστιν ὃς ἀϕῆκεν οἰκίαν ἢ g γονεῖς ἢ ἀδελϕοὺς ἢ ἀδελϕὰς ἢ γυναῖκα g ἢ τέκνα h ἐν τῷ καιρῷ τούτῳ h ἕνεκεν τῆς βασιλείας τοῦ θεοῦ, 30 i ἐὰν μὴ i k λάβῃ l ἑπταπλασίονα ἐν τῷ καιρῷ τούτῳ καὶ ἐν τῷ αἰῶνι τῷ ἐρχομένῳ ζωὴν αἰώνιον. A. *18,27: Adam. 5,18 (861c): καὶ περισσὸν τὸ λέγειν τὸν σωτῆρα· τὰ παρ’ ἀνθρώποις ἀδύνατα παρὰ τῷ θεῷ δυνατά (als Aussage des Adamantius). Abgesehen von diesem (strittigen) Hinweis ist das gesamte Gespräch über Reichtum und Nachfolge unbezeugt: Tertullian geht direkt von dem abschließenden Referat von *18,22 (4,36,7: veni, sequere me) zur Einleitung seiner Diskussion der Blindenheilung *18,35-43 über; auch bei Epiphanius finden sich keinerlei Spuren. B. a (18,24) περιλυπον γενομενον: om א B L 1 131 157 205 209 589 1241 1582* 2542 sy p sa bo ¦ περιλυπον/ contristatum: a e; περιλυπον γενομενον: D it M (*Ev non test.) ● b (18,24) ο ιησους: pon. post ειπεν D b c d e ſſ 2 i l r 1 ¦ ο ιησους: pon. post αυτον a aur b f q M (*Ev non test.) ● c (18,25) vs. om: l sy p( ms) sa ms ¦ vs. add a aur b c d e f ſſ 2 i q r 1 M . Vgl. Mk 10,23 (D it) ταχιον καμηλος δια τρυμαλιδος ραϕιδος διελευσεται η πλουσιος εις την βασιλειαν του θεου (*Ev non test.) ● d (18,26) ακουοντες: D L W 1 118 131 205 209 1528 sy h sa bo ¦ ακουσαντες: M (*Ev non test.) ● e (18,27) εστιν παρα θεω: D W 157 ¦ εστι παρα τω θεω: A (P) Θ f 13 lat Iren M ¦ παρα τω θεω εστιν: א B L Ψ f 1 579 892 1241 1424 2542 pc a e (*Ev non test.) ● f (18,28) τα ιδια: א c B D L N Ψ f 1.13 579 700 892 1241 2542 al b d ſſ 2 i r 1 sa mss bo ¦ παντα τα ιδια: Θ 1 13 69 118 124 131 205 209 1582 al e a c l q sy s.c.p.h(mg) armen georg I.II Hier (Ep. 120,1; CSEL 55, 474) ¦ παντα: א * A W Ψ 33 aur f vg sy h M (*Ev non test.) ● g (18,29) γονεις η αδελϕους η αδελϕας η γυναικα: D Δ Ψ d sa ms ¦ γυναικα η αδελϕους η γονεις: א B L (579) 892 (1241) pc sa mss bo ¦ γονεις η αδελϕους η γυναικα: A W Θ f 1.13 a aur b c f ſſ 2 i l q r 1 sy M (*Ev non test.) ● h (18,29) εν τω καιρω τουτω: D d ¦ om a aur b c e f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 M (*Ev non test.) ● i (18,30) εαν μη: D d (b c i l) ¦ ος ουχι μη: א B L f 1 579 892 1241 pc; ος ου μη: A W Θ Ψ f 13 33 (a ſſ 2 q) M (*Ev non test.) ● k (18,30) λαβη: B D pc ¦ απολαβη: א A L W Θ Ψ f 1.13 33 vid M (*Ev non test.) ● k (18,30) επταπλασιονα: D aur b c d e ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 sa ms ¦ εκατονπλασιονα: 1241 pc sy s.c (vgl. Mk 10,30; Mt 19,29) ¦ πολλαπλασιονα: a f vg M (*Ev non test.). C. Die Bezeugung von *18,27 bei Adamantius - die einzige Spur dieser Perikope in den Hauptreferenten - ist unklar. Der Hinweis findet sich in einem Dialog zwischen 18,24-30 Rekonstruktion 1055 dem Marcioniten Markus und Adamantius, in dem Markus seine doketische Position zur Auferstehung begründet: Derselbe, der gestorben sei, könne nicht auferstehen (ἀνάγκη γοῦν ἄλλον ἀντ’ ἄλλου ἄνθρωπου ἀνίστασθαι). Dem entgegnet Adamantius mit dem als Zitat des Heilands bezeichneten Wort, dass bei Gott möglich sei, was bei den Menschen unmöglich ist. Dieser Hinweis ist doppelt problematisch. Zum einen zitiert Adamantius das Logion in einer Form, für die es keine einzige handschriftliche Entsprechung gibt: Trotz der Einführung als Zitat (καὶ περισσὸν τὸ λέγειν τὸν σωτῆρα) ist es nicht nachvollziehbar, dass Adamantius hier wirklich zitiert. Für die Rekonstruktion des Wortlauts versagt dieses Zitat. Zum anderen ist unklar, ob Adamantius für diesen Beweis auf seine eigene Bibel oder auf die seines marcionitischen Gesprächspartners verweist. Das ist vielleicht auch nicht so entscheidend, denn der sachliche Gehalt dieses Logions (Gott vermag, was bei den Menschen unmöglich ist) wird auch bei den »häretischen« Marcioniten völlig unumstritten gewesen sein. Aber wenn Adamantius auf eine unstrittige Selbstverständlichkeit verweist, dann ist die Beweiskraft dieses Zitats für den Text von *Ev denkbar gering. 1 Angesichts dieser Bezeugungslage kann sich eine Entscheidung über die Zugehörigkeit und die sprachliche Gestalt von *18,24-30 nur auf textkritische und überlieferungsgeschichtliche Erwägungen stützen. 1. Die kanonischen Handschriften enthalten zu Lk 18,24 zwei Lesarten: D it haben das Subjekt des Satzes (ὁ Ἰησοῦς) gegen die gesamte restliche Bezeugung erst unmittelbar vor Beginn der direkten Rede in V. *24b. Da diese Abweichung gegenüber dem Mehrheitstext semantisch überhaupt keinen Unterschied macht, ist sie umso auffälliger und als Zeichen zu werten, dass diese Einleitung mit dieser vom Mehrheitstext abweichenden Wortfolge schon im vorkanonischen Text stand. Aufschlussreicher ist das Fehlen von περίλυπον γενόμενον in einer ganzen Reihe von Handschriften, darunter der Sinaiticus und der Vaticanus, wogegen der Mehrheitstext (einschließlich D it) diese Wendung bezeugt. Die kritischen Ausgaben (NA 27 / GNT 4 ) haben sie in eckigen Klammern in den Text aufgenommen und dadurch ihre Zweifel an der Ursprünglichkeit angezeigt. 2 Tatsächlich finden sich ______________________________ 1 H ARNACK 226* misst diesem Zitat kein Gewicht zu und hält es für unwahrscheinlich, dass »Dial. V, 18 … aus M.s Ev. geflossen« sei. 2 Vgl. dazu die Erklärung von M ETZGER , Textual Commentary z. St.: »the excellent attestation for the shorter text … and the variety of positions of περίλυπον γενόμενον suggest that the words were introduced by copyists, perhaps from ver. 23 (περίλυπος ἐγενήθη)«. Umgekehrt lässt sich argumentieren, dass solche Wiederholung einzelner Phrasen ein Stilelement der lk Sprache sei, vgl. H. J. C ADBURY , Four Features of Lucan Style, in: L. E. Keck, J. L. Martyn (eds.), Studies in Luke-Acts, New York 1966, 87-102. Diese Beobachtungen sind für die Annahme eines »ursprünglichen« Lk- Textes widersprüchlich, lassen sich aber im Horizont der *Ev-Priorität ohne weiteres miteinander kombinieren. 1056 Anhang I 18,24-30 unter den Zeugen des kurzen Textes 3 auch diejenigen Minuskeln, die immer wieder mit D it (sy) zusammengehen und zu dem weiteren Kreis derjenigen Handschriften gehören, die häufig Einflüsse des vorkanonischen Textes aufweisen. An dieser Stelle spricht also viel dafür, dass das Zeugnis von D (it) ausnahmsweise nicht den vorkanonischen, sondern den kanonischen Text repräsentiert. In diesem Fall liegt nahe, dass die Einfügung von περίλυπον γενόμενον erst auf die lk Redaktion zurückgeht, die περίλυπος ἐγενήθη aus *18,23 aufgreift: Es handelt sich tatsächlich um eine lk Eigentümlichkeit, die zu Recht im kanonischen Text steht. In diesem Fall besagt die Eingangswendung ἰδὼν αὐτόν lediglich, dass Jesus die Reaktion des Reichen registriert und zum Anlass für seine weitere Belehrung genommen hatte. Mk hat diese Wendung aufgegriffen, sie geringfügig verändert (καὶ περιβλεψάμενος Mk 10,23) und dadurch den Adressatenwechsel vom Frager (Mk 10,17-22) zu den Jüngern (10,23) markiert. Da Mt 19,23 die Wendung ausgelassen hat, geht das lk ἰδὼν αὐτόν vermutlich auf *Ev zurück. 2. Ein eigenes Problem stellt das Logion vom Kamel und dem Nadelöhr Lk 18,25 dar: Der Vers fehlt in drei Handschriften (l sy p(1 ms) sa 1 ms ) ganz, von denen wenigstens die altlateinischen und syrischen Zeugen verdächtig sind. Dass ein derart einprägsames Sprichwort »vergessen« worden sein sollte, ist kaum vorstellbar; es spricht alles dafür, dass der V. in *Ev gefehlt hat und erst von der lk Redaktion nachgetragen wurde. In diesem Fall ist die Überlieferungsgeschichte komplex, aber aufschlussreich. Denn Mk 10,25 liefert eine enge Parallele, die mit Lk 18,25 dadurch verbunden ist, dass sie (gegen Mt 19,24 B D Θ 700 pc sy p ) das Verb εἰσελθεῖν erst ganz am Ende bietet. Diese Wortfolge (ἢ πλούσιον εἰς τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ εἰσελθεῖν) ist in Mt 19,24 jedoch durch C W f 13 sy h M bezeugt. Wichtiger ist die mk Redaktion dieses Gesprächs: Denn durch die Einfügung von Mk 10,24 (Erschrecken der Jünger über Jesu Wort, dass es für Reiche schwer ist, in das Reich Gottes einzugehen) hat Mk die Gelegenheit für eine Wiederholung dieses Logions und seine Ergänzung um das Wort vom Kamel und dem Nadelöhr geschaffen. Dies ist die Voraussetzung für die Steigerung von Mk 10,24 (οἱ δὲ μαθηταὶ ἐθαμβοῦντο ἐπὶ τοῖς λόγοις αὐτοῦ) zu Mk 10,26 (οἱ δὲ π ε ρ ι σ σ ῶ ς ἐξεπλήσσοντο λέγοντες …). Das Wort vom Kamel und dem Nadelöhr fungiert hier als pointierende Zuspitzung für die Ausweglosigkeit dieser Situation: καὶ τίς δύναται σωθῆναι; Allerdings ist diese beabsichtigte Komposition von Mk 10,23ff mit einiger Wahrscheinlichkeit erst das Ergebnis der Kanonischen Redaktion. Denn D it bieten das Kamellogion erstens in etwas anderer Form, und zweitens nicht nach, sondern vor Mk 10,24 (τάχιον κάμηλος διὰ τρυμαλίδος ῥαϕίδος διελεύσεται ἢ πλούσιος εἰς ______________________________ 3 om א B L 1 131 157 205 209 589 1241 1582* 2542 sy p sa bo. 18,24-30 Rekonstruktion 1057 τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ). Diese eigenartige Bezeugungslage wird vor dem Hintergrund der Überlieferungsgeschichte deutlich, die mutmaßlich folgende einzelne Stadien durchlaufen hat. 1. Am Anfang stand *18,24 mit der Feststellung, dass ein Reicher nur schwer in die Basileia eingehen wird, und zwar sehr wahrscheinlich ohne das folgende Kamellogion, wie die Bezeugung (Lk 18,25 l sy p(1 ms) sa 1 ms ) nahelegt. Falls das Logion doch schon zum ältesten Text gehörte, hätte es mit großer Wahrscheinlichkeit die Form von Mk 10,23 fin. (D it) besessen. 2. Die älteste Bearbeitung dieser Perikope im vorkanonischen *Mk besaß dann wahrscheinlich die Form, die noch in Mk 10,23 (D it) greifbar ist und die gegenüber dem mk Mehrheitstext folgende Unterschiede aufweist: τάχιον anstelle von εὐκοπώτερον; τρυμαλίς anstelle von τρυμαλιά (Mk 10,25 M ) bzw. von τρύπημα (Mt 19,24) oder τρῆμα (Lk 18,25); ῥαϕίς anstelle von βελόνη; das Verb nur in der Bildhälfte des Vergleichs, ohne Wiederholung in der Sachhälfte am Ende der Aussage. 4 *Mk 10,23 bot also das Kamellogion als Verstärkung der Aussage, wie schwer es für einen Reichen sei, in die Basileia einzugehen, die noch einmal im Bild verdoppelt wird. 3. Mt 19,23ff hatte (vermutlich schon in der vorkanonischen *Mt-Fassung) sowohl *Ev als auch *Mk vorliegen: Im Aufriss folgt er *Ev (also ohne das erste Erschrecken der Jünger aus Mk 10,24 eigens zu erwähnen), übernimmt aber aus *Mk 10,23 das verstärkende Kamellogion, das er geringfügig umformuliert und von Mt 19,23 || *18,24b || (*)Mk 10,23 durch einen Neueinsatz abrückt (Mt 19,24: πάλιν δὲ λέγω ὑμῖν). 4. Die kanonische Redaktion hat in alle Fassungen eingegriffen. Am geringfügigsten sind die Änderungen an *Mt 10,24: Sie betreffen nur einzelne Worte. 5 Deutlicher sind die redaktionellen Spuren in Mk: Hier ist in Anlehnung an Mt 19,24 das Kamellogion als eine zweite Antwort Jesu verstanden (π ά λ ι ν δὲ λέγω ὑμῖν Mt 19,24 || ὁ δὲ Ἰησοῦς π ά λ ι ν ἀποκριθεὶς λέγει αὐτοῖς Mk 10,24). Diese Änderung ist sinnvoll, wenn der kanonische Redaktor die Größe des Erschreckens deutlich machen wollte, die durch Mt 19,25b οἱ μαθηταὶ ἐ ξ ε π λ ή σ σ ο ν τ ο σ ϕ ό δ ρ α λέγοντες vorgegeben war. Die kanonische Bearbeitung von Mk ist darüber hinaus erkennbar an der Einfügung von 10,24 mit der ersten Notiz über das Erschrecken der Jünger (οἱ δὲ μαθηταὶ ἐθαμβοῦντο … ), der Wiederholung von 10,23 und der dadurch herausgestellten Zuspitzung des Kamellogions, jetzt in der Form, die i. W. in die kritischen Ausgaben aufgenommen wurde, also vor allem mit der Verdoppelung des Verbs, die schon deswegen sinnvoll ist, weil das vorkanonische διελθεῖν zwar zur Bildhälfte passt, nicht aber für die Sachhälfte: Durch ein Nadelöhr kann man hindurchgehen, in die Basileia geht man aber hinein. Außerdem hat Mk 10,26 die zweite Jüngerreaktion gesteigert (οἱ δὲ π ε ρ ι σ σ ῶ ς ἐξεπλήσσοντο …). 5. Auf diese letzte Ebene der kanonischen Redaktion gehört dann auch die kanonische Fassung von Lk 18,25: Lk übernimmt zwar die »kanonischen« Formulierungen von Mt 19,14 und Mk 10,24 (εὐκοπώτερον anstelle von τάχιον), folgt ansonsten aber der Struktur von *Ev, der Fortgang des Gesprächs zeigt keine Spuren der mk Erweiterungen: Die Jünger werden an keiner Stelle als solche erwähnt (erst in Lk 18,28 spricht Petrus); da es nur eine Reaktion der ______________________________ 4 Diese Lesart wird im textkritischen Kommentar von H. G REEVEN / E. G ÜTING , Textkritik des Markusevangeliums, Münster 2005, nicht besprochen. 5 Streichung des οτι-recitativum; Ersetzung von τρυπηματος ( א 2 D L W Z Γ Δ 892 1241 1424 u. a.) durch τρυμαλιας (C K Θ M ); Wortstellung von εισελθειν. 1058 Anhang I 18,24-30 Hörer (18,26: οἱ ἀκούσαντες) gibt, ist diese auch nicht durch gesteigertes Erschrecken o. ä. hervorgehoben: Die Hörer fragen einfach, wie dann jemand gerettet werden kann. Diese Rekonstruktion bleibt natürlich Mutmaßung und lässt sich nicht beweisen. Sie erhebt allerdings den Anspruch, das Zustandekommen der handschriftlichen Varianten - nicht nur für die lk, sondern auch für die mk Fassung - als Zeugnisse für die Überlieferungs- und Redaktionsgeschichte zu berücksichtigen. Wenn diese Rekonstruktion zutrifft, wird *18,25 eine andere Gestalt gehabt haben als im kanonischen Text. Allerdings ist diese Rekonstruktion mit Unsicherheiten behaftet. 3. Auch für zweite Hälfte des Gesprächs (*18,26-30) legen textkritische Beobachtungen nahe, dass sie komplett in *Ev enthalten war. Drei Beispiele sollen genügen, um das Phänomen zu verdeutlichen: In *18,28 gibt es drei verschiedene Lesarten bei der Bezeichnung dessen, was die Jünger verlassen haben: τὰ ἴδια, πάντα und πάντα τὰ ἴδια. Die Lesart πάντα τὰ ἴδια (Θ [it] sy) ist erkennbar eine Konflation aus den beiden anderen Lesarten und daher sekundär. Dass die Jünger »alles« verlassen haben, findet sich in den synoptischen Parallelbelegen (ἀϕήκαμεν πάντα Mk 10,28 || Mt 19,27) und einigen Lk-Handschriften ( א * [it] [sy] u. a.), dass sie ihr »Eigentum« verlassen haben, nur in einigen Handschriften ( א c D [it] u. a.). Nicht nur zahlenmäßig, sondern auch von der Bedeutung hinsichtlich der Spuren für den vorkanonischen Text ist diese Bezeugung relativ ausgeglichen. Angesichts der Bezeugung kann τὰ ἴδια in den Lk-Handschriften einen unterschiedlichen Ursprung haben: Entweder stand die Wendung (ἀϕέντες) τὰ ἴδια in *Ev und ist von Lk beibehalten, dagegen von Mk (und in seiner Folge von Mt) in (ἀϕήκαμεν) πάντα geändert worden. Oder τὰ ἴδια geht auf die lk Redaktion zurück; in diesem Fall hätten Mk und Mt den Prätext *Ev bewahrt. Beide Optionen sind gleichermaßen denkbar, die Bevorzugung von τὰ ἴδια (mit NA 27 ) misst der Bezeugung durch D (it sy) das etwas größere Gewicht zu. Entscheidend ist jedoch die Einsicht, dass das Nebeneinander von τὰ ἴδια und πάντα einen redaktionellen Eingriff wahrscheinlich macht, wie er für die lk Redaktion angenommen wird: Er belegt die Existenz eines vorkanonischen Textes. Analoges gilt für den Katalog der verlassenen Personen in *18,29, für den in Abfolge und Umfang verschiedene Fassungen bezeugt sind: D d Δ Ψ sa ms א B L (579) 892 usw. A W Θ f 1.13 (it) sy M Eltern Frau Eltern Brüder Brüder Brüder Schwestern Frau Eltern Frau Kinder Kinder Kinder Die stärkste Abweichung liegt auch hier in der Erwähnung der »Schwestern« in der von D u. a. bezeugten Lesart. Da die ἀδελϕαί auch in Mk 10,29 || Mt 19,29 aufgeführt sind, liegt die Annahme nahe, dass sie auf den vorkanonischen Text zurückgehen, aber von der lk Redaktion gestrichen wurden - und zwar aus genau dem Grund, mit dem ihr Fehlen üblicherweise erklärt wird: Dass 18,24-30 Rekonstruktion 1059 nämlich das Mask. »ἀδελϕοί als Sammelbegriff für auch die Schwestern umfassende Geschwister« verwendet werden kann. 6 Ziemlich eindeutig ist schließlich noch die nur durch D it bezeugte Lesart *18,30, die von einer siebenfachen (ἑπταπλασίονα) Erstattung der aufgegebenen Beziehungen »in diesem Äon« spricht. Dieser Beleg ist deswegen aufschlussreich, weil er weder mit dem »Hundertfachen« der synoptischen Parallelen (ἑκατονταπλασίονα Mk 10,30 || Mt 19,29) noch mit dem »Vielfachen« (πολλαπλασίονα) des lk Mehrheitstextes übereinstimmt: Dass eine solche Änderung nicht auf einen gezielten redaktionellen Eingriff zurückgehen sollte, ist mehr als unwahrscheinlich. In diesem Fall ist das ursprüngliche »siebenfach« in *Ev zunächst durch Mk (und in seiner Folge durch Mt) in »hundertfach« gesteigert worden, die lk Redaktion hat die abweichenden Formulierungen seiner Prätexte - »siebenfach« in *Ev, »hundertfach« in Mk und Mt - vereinheitlicht (»vielfach«). Insgesamt belegen diese (und die weiteren) Lesarten auch für diesen Abschnitt, dass die gesamte Perikope in *Ev enthalten war, auch wenn sich der genaue Wortlaut nicht in allen Einzelheiten rekonstruieren lässt. 4. Für die Überlieferungs- und Redaktionsgeschichte sind zwei weitere Beobachtungen wichtig. Mt 19,28 fügt in den Kontext die Verheißung an die Jünger ein, sie würden ἐν τῇ παλιγγενεσίᾳ auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten. Diese Verheißung beantwortet die (ebenfalls nur bei Mt bezeugte) Frage, was die Jünger von ihrem Verzicht auf den Besitz haben werden (τί ἄρα ἔσται ἡμῖν; Mt 19,27). Die Einfügung von Mt 19,28 geht i. W. auf *22,28 zurück, wo sie allerdings nicht den Lohn für den mit der Nachfolge einhergehenden Verzicht auf Besitztümer beschreibt, sondern für die Treue der Jünger gegenüber Jesus in dessen πειρασμοί. Da Mt insgesamt daran interessiert ist, die unverhältnismäßige Größe der eschatologischen Erstattung herauszustellen, ist diese Eintragung durchaus sinnvoll. Sie belegt, dass Mt bei der Redaktion das gesamte vorkanonische Evangelium präsent hatte und es sehr souverän als Quelle genutzt hat. In Mk 10,31 || Mt 19,30 schließt das Gespräch mit dem Logion über die Ersten und Letzten ab: Πολλοὶ δὲ ἔσονται πρῶτοι ἔσχατοι καὶ ἔσχατοι πρῶτοι. Mt 20,16 hat dieses Logion außerdem als Abschluss des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg, Lk 13,30 als Abschluss der Belehrung über die enge und die verschlossene Türe (red., s. dort), nicht aber im Anschluss an Lk 18,30. Das bedeutet, dass dieses Logion im vorkanonischen Evangelium vollständig gefehlt hat: Es ist erst durch die mk Bearbeitung der Belehrung über Reichtum und Nachfolge Mk 10,23-31 Teil der synoptischen Überlieferung geworden. Mk hat diese allgemein gehaltene eschatologische Umkehrungsregel offensichtlich aus dem Wort aus der Rangstreitperikope (Mk 9,35) »weiterentwickelt«, das seinerseits auf *22,26 basiert. Im Verlauf der Überlieferungsgeschichte lässt sich hier also studieren, wie aus einem konkreten Argumentationsbeitrag zur Sozialstruktur der Jüngergemeinschaft (*22,26; Mk ______________________________ 6 W OLTER , Lk 602 z. St. (mit Belegen). 1060 Anhang I 18,24-30 9,35) eine gnomische Sentenz über die Umkehrung im Eschaton (Mk 10,31; Mt 19,30) wird, die sich immer stärker verselbständigt (Mt 20,16) und am Ende zu einer erwählungstheologischen Faustregel wird (Lk 13,30). 18,31-34: Dritte Leidensankündigung Eindeutig als fehlend bezeugt; hat in *Ev gefehlt und ist durch die lk Redaktion ergänzt. a 18,31 Παραλαβὼν δὲ τοὺς δώδεκα εἶπεν πρὸς αὐτούς, Ἰδοὺ ἀναβαίνομεν εἰς Ἰερουσαλήμ, καὶ τελεσθήσεται πάντα τὰ γεγραμμένα διὰ τῶν προϕητῶν τῷ υἱῷ τοῦ ἀνθρώπου· 32 παραδοθήσεται γὰρ τοῖς ἔθνεσιν καὶ ἐμπαιχθήσεται καὶ ὑβρισθήσεται καὶ ἐμπτυσθήσεται, 33 καὶ μαστιγώσαντες ἀποκτενοῦσιν αὐτόν, καὶ τῇ ἡμέρᾳ τῇ τρίτῃ ἀναστήσεται. a [ 34 καὶ αὐτοὶ οὐδὲν τούτων συνῆκαν, καὶ ἦν τὸ ῥῆμα τοῦτο κεκρυμμένον ἀπ’ αὐτῶν, καὶ οὐκ ἐγίνωσκον τὰ λεγόμενα. ] A. 18,31-33 : Epiph., Schol. 52: παρέκοψε τό Παραλαβὼν τοὺς δώδεκα ἔλεγεν· Ἰδού, ἀναβαίνομεν εἰς Ἱεροσόλυμα καὶ τελεσθήσεται πάντα τὰ γεγραμμένα ἐν τοῖς προϕήταις περὶ τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου. παραδοθήσεται γὰρ καὶ ἀποκτανθήσεται καὶ τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ ἀναστήσεται. ὅλα ταῦτα παρέκοψε. B. a (18,31-33) vss. 31-33: om Epiph. C. Epiphanius notiert die Perikope als »gestrichen«; sie war also nicht in *Ev enthalten. Allerdings ist Epiphanius’ Streichungsvermerk weniger klar, als zu wünschen wäre. Denn die Notiz fasst (relativ genau) 18,31-33 zusammen, sagt aber überhaupt nichts zu 18,34. Es wäre für Epiphanius’ Zitierpraxis eher ungewöhnlich, das Ende von »gestrichenen« Passagen nicht genauer zu kennzeichnen, auch wenn seine Liste eine Reihe von Versehen enthält. 1. Die Vertreter der Lk-Prioriät haben das Problem unter der Fragestellung diskutiert, worauf sich die Notiz über das Unverständnis der Jünger in 18,34 beziehen könnte: Zahn hatte *18,30 als Referenzpunkt des »Nichtverstehens« ausgemacht und damit sowohl 18,34 als auch 18,24-30 für *Ev reklamiert. 1 Harnack und Tsutsui haben dem widersprochen: Harnack verweist generell auf Epiphanius’ »Flüchtigkeiten«; andererseits hält er es für möglich, dass 18,34 in *Ev enthalten war, sich dann »zur Not auch auf v. 18-32, bzw. auf ›den Schatz im Himmel‹ beziehen« konnte. 2 Er lässt die Frage also offen. Tsutsui schließt sich Harnacks Kritik an Zahn an, folgert daraus jedoch einen positiven Beleg dafür, dass 18,34 in *Ev enthalten ______________________________ 1 Z AHN II 485: Da Epiphanius sein Referat sehr genau begrenze (ὅλα ταῦτα παρέκοψε), sei es »ganz unerlaubt, v. 34 aus Mrc.’s Text zu streichen. Hat er diesen beibehalten, so fordert dessen Inhalt eine Unterlage, wozu v. 22 oder 23 sich nicht eignete, wohl aber V. 29 u. 30.« 2 H ARNACK 226*. 18,31-34 Rekonstruktion 1061 war. 3 Die Vertreter der Lk-Priorität kommen - aufgrund einer widersprüchlichen Beurteilung von *18,29f - zu dem gleichen Ergebnis, dass 18,34 in *Ev enthalten war. Diese Argumentation ist jedoch nicht tragfähig: Dass *18,24-30 in *Ev enthalten war, ist oben aus text- und überlieferungsgeschichtlichen Gründen deutlich geworden. Wenn Lk 18,34 in *Ev enthalten war, dann könnte sich das Nichtverstehen durchaus auf *18,29f bezogen haben. 2. Keine Rolle hat in diesen Überlegungen die narrative Funktion der Bemerkung Lk 18,34 gespielt. Denn unabhängig davon, worauf sich die Notiz bezieht, ist das betonte Nichtverstehen der Jünger (das drei Mal eigens benannt wird! ) nur dann verständlich, wenn es eine entsprechend deutlich herausgehobene Mitteilung darüber gibt, wann und wodurch das Unverständnis beseitigt wurde. In diesem Fall kommt als Inhalt des Nichtvestehens nur in Frage, was in den sicher fehlenden Versen Lk 18,31-33 genannt ist: Dass sich in Jerusalem das von den Propheten geweissagte Schicksal des Menschensohns erfüllt, dass er den Heiden ausgeliefert wird, die ihn auspeitschen und töten werden, und dass er »am dritten Tag« auferstehen werde. Die Auflösung dieses »Wortes, das vor ihnen verborgen« war, wird in den (überwiegend redaktionellen) Passagen von Lk 24 geleistet. Eine besondere Rolle spielen dabei Lk 24,27.45 mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Weissagung der Propheten (s. jeweils dort): Der starken Betonung des Nichtverstehens entsprechen die wiederholten Bemühungen des Auferstandenen, den Jüngern sein Geschick von der Schrift her verständlich zu machen. Das narrative Widerlager von Lk 18,34 ist also ein zentrales Element der lk Redaktion. Aus diesem Grund ist es völlig unwahrscheinlich, dass dieser Vers in *Ev enthalten war: Er ist zusammen mit Lk 18,31-33 durch die lk Redaktion eingefügt worden. 3. In diesem Fall kann man mit guten Gründen fragen, woher Lk diese redundante Formulierung eigentlich hatte, die das Nichtverstehen gleich dreimal mit dem ausdrücklichen Bezug auf »dies« (οὐδὲν τ ο ύ τ ω ν συνῆκαν), auf »dieses Wort« (ἦν τὸ ῥῆμα τ ο ῦ τ ο κεκρυμμένον) bzw. auf »das Gesagte« (οὐκ ἐγίνωσκον τ ὰ λ ε γ ό μ ε ν α ) benennt. Das Nichtverstehen ist bekanntlich ein zentrales Thema in Mk 6-8 und geht in den wesentlichen Passagen auf mk Redaktion zurück. 4 In Mk 8,17f.21 tadelt Jesus das Unverständnis der Jünger ebenfalls drei Mal, und zwar ähnlich intensiv wie in Lk 18,34. 5 Hier allerdings ist das Unverständnis auf die Bedeutung des »Brotes« bezogen und nicht auf die Notwendigkeit des Todes Jesu und seine Auferstehung. Das darauf bezogene Unverständnis formuliert dann Mk ______________________________ 3 T SUTSUI 116f. Seine Argumentation bezieht sich auf den Nachweis, dass 18,29f »sicher gestrichen« sei. 4 Vgl. M. K LINGHARDT , Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19 (2002), 183-202. 5 Mk 8,17: οὔπω νοεῖτε οὐδὲ συνίετε; πεπωρωμένην ἔχετε τὴν καρδίαν ὑμῶν; 8,18: ὀϕθαλμοὺς ἔχοντες οὐ βλέπετε καὶ ὦτα ἔχοντες οὐκ ἀκούετε; 8,21: οὔπω συνίετε; 1062 Anhang I 18,31-34 9,32 || *9,45 als Reaktion auf die zweite Leidensankündigung. Auch dort hatte die lk Redaktion ergänzt, dass dieses »Wort« vor den Jüngern verborgen war (Lk 9,45aβ), so dass sie es nicht verstanden. 6 Die Parallelität der Formulierungen von Lk 9,45aβ (ῥῆμα … παρακεκαλυμμένον ἀπ’ αὐτῶν; ἵνα μὴ αἴσθωνται αὐτό) und Lk 18,34 (ἦν τὸ ῥῆμα τοῦτο κεκρυμμένον; οὐκ ἐγίνωσκον τὰ λεγόμενα) erweist beide Aussagen als Teil des hermeneutischen Konzeptes der lk Redaktion, dass erst die Öffnung der Schrift durch den Auferstandenen den Jüngern die Augen für das Verständnis des Leidens Jesu öffnet (s. u. zu Lk 24,25.27.32b). Die große Kohärenz dieser (redaktionellen) Ergänzungen macht es zwingend erforderlich, dass auch Lk 18,34 redaktionell ist und in *Ev gefehlt hat: Die Nichterwähnung in Epiphanius’ Referat geht mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auf dessen Unachtsamkeit zurück. *18,35-38 39 43: Blindenheilung in Jericho Bezeugt und sicher in *Ev vorhanden, aber sicher durch die lk Redaktion ergänzt (V. 39) und bearbeitet. 18,35 Ἐγένετο δὲ ἐν τῷ ἐγγίζειν αὐτὸν εἰς Ἰεριχὼ a καί τις τυϕλὸς ἐπαιτῶν ἐκάθητο παρὰ τὴν ὁδὸν. a 36 ἀκούσας δὲ ὄχλου διαπορευομένου ἐπυνθάνετο τί b {ἂν} εἴη τοῦτο· 37 c ἀπηγγέλη δὲ αὐτῷ ὅτι Ἰησοῦς d ὁ Ναζωραῖος d παρέρχεται. 38 καὶ e ἐβόα· Ἰησοῦ, υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με. f 39 καὶ οἱ προάγοντες ἐπετίμων αὐτῷ ἵνα σιγήσῃ· αὐτὸς δὲ πολλῷ μᾶλλον ἔκραζεν, Υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με. f 40 σταθεὶς δὲ g ὁ Ἰησοῦς g ἐκέλευσεν αὐτὸν ἀχθῆναι h πρὸς αὐτόν . h ἐγγίσαντος δὲ αὐτοῦ ἐπηρώτησεν αὐτόν, 41 Τί σοι θέλεις ποιήσω; ὁ δὲ εἶπεν, Κύριε, ἵνα ἀναβλέψω. 42 καὶ h {ἀποκριθεὶς} ὁ Ἰησοῦς εἶπεν αὐτῷ, Ἀνάβλεψον· ἡ πίστις σου σέσωκέν σε. 43 καὶ παραχρῆμα ἀνέβλεψεν, [ καὶ ἠκολούθει αὐτῷ δοξάζων τὸν θεόν ] καὶ πᾶς ὁ λαὸς ἰδὼν ἔδωκεν αἶνον τῷ θεῷ. A. *18,35.37.39: Tert. 4,36,9: Cum igitur praetereuntem illum caecus audisset, cur exclamavit, Iesu, fili David, miserere mei! nisi quia filius David, id est ex familia David, non temere deputabatur per matrem et fratres, qui aliquando ex notitia utique annuntiati ei fuerant? ♦ *18,35.38.42: Epiph., Schol. 51: Ἐγένετο δὲ ἐν τῷ ἐγγίζειν αὐτὸν τῆ Ἰεριχὼ τυϕλὸς ἐβόα· Ἰησοῦ, υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με. καὶ ὅτε ἰάθη, ϕησίν· ἡ πίστις σου σέσωκέ σε. ♦ *18,35-38.40-42: Adam. 5,14 (858c/ d): (ἐπειδὴ πάρεισιν οἱ περὶ Μεγέθιον, οἱ τοῦ δόγματος Μαρκίωνος, ἐκ τοῦ αὐτῶν εὐαγγελίου ἀναγινώσκω·) ἐγένετο δὲ ἐν τῷ ἐγγίζειν αὐτὸν εἰς Ἰεριχὼ καί τις τυϕλὸς ἐπαιτῶν ἐκάθητο παρὰ τὴν ὁδὸν. ἀκούσας δὲ ὄχλου διαπορευομένου ἐπυνθάνετο τί ἂν εἴη τοῦτο. ἀπηγγέλη δὲ αὐτῷ ὅτι Ἰησοῦς παρέρχεται. καὶ ἐβόησε λέγων· Ἰησοῦ, υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με. σταθεὶς δὲ ἐκέλευσεν αὐτὸν ἀχθῆναι. ἐγγίσαντος δὲ αὐτοῦ ἐπηρώτησεν αὐτόν· Τί σοι θέλεις ποιήσω; ὁ δὲ εἶπε· κύριε, ἵνα ἀναβλέψω. καὶ ἀποκριθεὶς εἶπεν ὁ Ἰησοῦς· Ἀνάβλεψον· ἡ πίστις σου ______________________________ 6 Zur Begründung der redaktionellen Ergänzungen in Lk 9,45 vgl. o. zu *9,46. 18,35-43 Rekonstruktion 1063 σέσωκέ σε. καὶ παραχρῆμα ἀνέβλεψεν. ♦ *18,42: Tert. 4,36,12: Qui hoc se et cognovit et cognosci ab omnibus voluit, fidem hominis etsi melius oculatam, etsi veri luminis compotem, exteriore quoque visione donavit, ut et nos regulam simulque mercedem fidei disceremus. Qui vult videre Iesum, David filium credat per virginis censum. Qui non ita credet, non audiet ab illo, Fides tua te salvum fecit, atque ita caecus remanebit, ruens in antithesim, ruentem et ipsam antithesim. Sic enim caecus caecum deducere solet. ♦ *18,43: Tert. 4,37,1: Atquin adhuc in auribus erat omnium vox illa caeci, Miserere mei, Iesu fili David, et omnis populus laudes referebat deo, non Marcionis, sed David. B. a (18,35) και τις τυϕλος επαιτων εκαθητο παρα την οδον: Adam e (caecus quidam mendicus sedebat cira viam) d (caecus quidam mendicus sedebat secus viam) ¦ ([1] 3 2 5 6 7 8 4) τυϕλος τις εκαθητο παρα την οδον επαιτων/ (et: c ſſ 2 l) caecus quidam (quidam caecus: a l r 1 ) sedebat (sedens: l) secus viam mendicus (mendicabat: l; mendicans: r 1 ): a aur b c f ſſ 2 i l q r 1 M ● b (18,36) αν: add Adam D K L M Q R X Y Θ Π Ψ mult a d ¦ om aur b c e f ſſ 2 i l q r 1 M ● c (18,37) απηγγελη: Adam ℓ32 ¦ απηγγειλαν: it M ● d (18,37) ο Ναζωραιος: om Adam ¦ ο Ναζαρηνος: D 1 22 c 111 205 209 1005 1192 1210 1582 a aur g 1 gat vg ¦ ο Ναζωρηνος: 1365 2372 (e i l) ¦ ο Ναζωρεος: L 063; ο Ναζωρεως 1579 ℓ1016; ο Ναζωραιος: b (c) f ſſ 2 q r 1 M ● e (18,38) Widersprüchliche Bezeugung: (1) εβοα: Epiph ¦ (2) εβοησεν λεγων: Adam it M ● f (18,39) vs. om: Adam 60 157 1223 1242* 1352 1685 2542 ℓ1016 b vg (1 ms) ¦ add a aur c d e f ſſ 2 i l q r 1 M ● g (18,40) ο ιησους: om Adam ¦ add it M ● h (18,40) προς αυτον: om Adam a d e ſſ 2 i l s ¦ add aur b c f q r 1 M ● i (18,42) αποκριθεις/ respondens: Adam D 157 a b c d e ſſ 2 i l q r 1 s ¦ om aur f q vg M . C. Die Perikope ist durch die Notiz bei Epiphanius sowie durch das ausführliche Zitat bei Adamantius im Kern und auch weitgehend im Wortlaut gesichert. Die Formulierung von *18,38 Ἰησοῦ, υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με ist durch Tertullian (Iesu, fili David, miserere mei) und Epiphanius wörtlich identisch bezeugt. 1 Epiphanius hat hier jedoch nicht, wie sonst so häufig, genau zitiert bzw. Anfang und Ende seines Zitats kenntlich gemacht, sondern die entscheidenden Aussagen der Perikope nur zusammengefasst: Die Bezeugung bei Tertullian (und Adamantius) schließt aus, dass Schol. 51 den vollständigen Wortlaut enthält. Die genaue Bezeugung der Perikope legt jedoch auch nahe, dass die - übereinstimmend! - unbezeugten Passagen vermutlich gefehlt haben: 1. Im Unterschied zu Mk 10,46 überliefert Lk 18,35 den Namen des Blinden nicht. Die mt Parallele hat aus dem einen Blinden (wie schon in Mt 9,28-31) zwei Blinde gemacht und den Namen schon aus diesem Grund ausgelassen. Da auch *18,35 nach dem Zeugnis des Adamantius keinen Namen enthielt, und da sich auch in der handschriftlichen Überlieferung kein einziger Hinweis auf einen Namen findet, wird man davon ausgehen müssen, dass es Mk war, der erstmals »Bartimäus« als den Namen des Blinden eingefügt hat; welche Gründe ihn dazu bewogen haben, lässt sich nicht sagen. ______________________________ 1 Vgl. D. S. W ILLIAMS , Reconsidering Marcion’s Gospel, JBL 108 (1989), 477-496: 484. 1064 Anhang I 18,35-43 2. In V. *37 fehlt ὁ Ναζωραῖος im Zitat bei Adamantius und wahrscheinlich schon in *Ev. Die Vertreter der Lk-Priorität erklären die »Streichung« mit der antijudaistischen Tendenz der angenommenen Redaktion Marcions, stehen dann aber vor der großen Schwierigkeit, dass genau diese »judaistischen« Elemente in der Anrede υἱὲ Δαυίδ ja enthalten sind, die zu ihrem Erstaunen »weder gestrichen noch verändert« ist. 2 Dieses Problem entfällt aber bei der Annahme der *Ev-Priorität. Die hohe Varianz der handschriftlichen Überlieferung an dieser Stelle 3 verweist auf das sachliche Problem, dass Jesus sowohl als Nazarener als auch als Nazoräer bezeichnet wird: Auf diese beiden Grundformen lassen sich die unterschiedlichen Schreibweisen zurückführen. Hinter der unterschiedlichen Bezeichnung stehen zwei Probleme. Das erste ist die Frage der Bedeutung: Unstrittig ist, dass ὁ Ναζαρηνός auf die Herkunft Jesu aus Nazara/ Nazareth verweist. Unklar ist dagegen die Bedeutung von ὁ Ναζωραῖος u. ä. Zwei Erklärungen dominieren: »Nazoräer/ Naziräer« würde Jesus zu einem »Geweihten« ( ריזנ ) im Sinn von Ri 13,5.7; 16,17 usw. machen. 4 Eine Ableitung von רצנ (Spross) würde Jesus als Messias »aus der Wurzel Isais« (vgl. Jes 1,11) kennzeichnen und gut zu der Anrede als »Sohn Davids« passen. 5 Beides ist möglich, mit Blick auf die Bezeichnung der Christen als »Sekte der Nazoräer« (τῶν Ναζωραίων αἵρεσις, Act 24,5) ist die zweite Ableitung jedoch weniger wahrscheinlich. Damit ist aber noch nichts über die zweite Frage entschieden, wie es zu dem Nebeneinander der beiden wichtigsten Namensformen kommen konnte. Die Verteilung der Belege im NT ist aufschlussreich: Ναζαρηνός, also der Hinweis auf die Heimatstadt Jesu, findet sich nur sechs Mal; vier Belege stammen aus Mk, 6 zwei aus Lk - und zwar aus Passagen, die jeweils auch in *Ev vorhanden waren, obwohl die Bezeichnung selbst nicht direkt bezeugt ist (*4,34; *24,19; s. dort). Die deutlich größere Zahl der Belege für ὁ Ναζωραῖος verteilt sich auf Mt, Joh, Act und eben Lk 18,37. 7 Diese Verteilung ist charakteristisch: Vor allem die relativ hohe Zahl und die exklusive Verwendung von ὁ Ναζωραῖος in Act erweist diese Bezeichnung als Element der lk Redaktion, die dann mit einiger Wahrscheinlichkeit auch für Lk 18,37 verantwortlich sein wird. In diesem Fall lässt sich sowohl der redaktionelle Charakter von ὁ Ναζωραῖος als auch der überlieferungsgeschichtliche Weg dieser Bezeichnung ziemlich genau belegen. Denn unter den wenigen mk Belegen ist Mk 10,47 (die Parallelstelle zu *18,37) uneinheitlich überliefert, und die Zeugen ______________________________ 2 T SUTSUI 117. 3 Belegt sind: Ναζαρηνος; Ναζωρηνος; Ναζωρεος; Ναζωρεως; Ναζωραιος. 4 Vgl. K. B ERGER , Jesus als Nasoräer/ Nasiräer, in: ders., Tradition und Offenbarung, Tübingen - Basel 2006, 503-513. An den genannten Stellen (und nur an diesen) übersetzt LXX (A) das hebräische ריזנ mit Ναζιραῖος. 5 H. P. R ÜGER , ΝΑΖΑΡΕΘ/ ΝΑΖΑΡΑ ΝΑΖΑΡΗΝΟΣ/ ΝΑΖΩΡΑΙΟΣ, ZNW 72 (1981), 257-263. 6 Mk 1,24; 10,47; 14,67; 16,6. 7 Mt 2,23; 26,71; Lk 18,37; Joh 18,5.7; 19,19; Act 2,22; 3,6; 4,10; 6,14; 22,8; 24,5; 26,9. 18,35-43 Rekonstruktion 1065 verteilen sich auf eine ähnlich charakteristische Weise, wie sie sich häufig für unterschiedliche Lesarten in *Ev und Lk ergeben hatte: Die große Mehrheit der Handschriften liest in Mk 10,47 nämlich Ναζωραιος ( א A C f 13 ſſ 2 M ); daneben findet sich Ναζαρηνος (B 579 2427 L W Δ Θ Ψ f 1 892 it vg Orig) bzw. Ναζωρηνος (D 28 d l* q c ). Entsprechendes lässt sich auch für Lk 24,19 zeigen. Die Passage ist bereits für *Ev belegt, auch wenn das fragliche Stichwort nicht direkt bezeugt ist: Die Lesart Ναζωραιος findet sich in der Mehrheit der Zeugen (A D W Θ Ψ f 1.13 33 b d ſſ 2 l sa M ), wogegen Ναζαρηνος nur von einer Minderheit belegt ist ( P 75 א B L 070 079 2542 ℓ844 ℓ2211 a aur c e f g 1 gat i l q r 1 vg). Auch wenn D d in diesem Fall nicht die mutmaßlich vorkanonische Lesart repräsentieren, ist doch die Bezeugung durch P 75 א it u. a. aufschlussreich genug. Dieser Befund erlaubt es dann auch, die Überlieferungs- und Redaktionsgeschichte einigermaßen plausibel zu rekonstruieren. a. Am Anfang der Überlieferung stand (im vorkanonischen Evangelium) durchweg die Herkunftsbezeichnung Jesu aus Nazara (Ναζαρηνός): Auch wenn die Belege in *4,34 und *24,19 nicht direkt bezeugt sind, ist doch diese Lesart mit allergrößter Wahrscheinlichkeit anzunehmen. b. Mk hat diesen Sprachgebrauch aus *Ev übernommen (Mk 1,24 || *4,34) und Ναζαρηνός selbständig auch in diejenigen Passagen eingefügt, in denen er in *Ev nicht stand (Mk 10,47 || *18,37; Mk 14, 67 || *22,56) bzw. für die es keine Vorlage in *Ev gab (Mk 16,6): Für Mk ist Jesus dadurch gekennzeichnet, dass er aus Nazareth stammt. Besonders aufschlussreich ist dabei die mutmaßliche Einfügung von Ναζαρηνός in Mk 10,46 wegen der folgenden Anrede Jesu als »Sohn Davids« (Mk 10,47f): Falls Mk tatsächlich von der Davidssohnschaft Jesu überzeugt war, was mit Blick auf Mk 12,35-37 || *20,41-44 (s. dort) ernsthaft in Zweifel gezogen werden kann, dann hat er damit, im Unterschied zu Mt, jedenfalls nicht seine Herkunft aus Bethlehem verbunden. c. Mt hat diese Herkunft aus Nazareth durch sein Erfüllungszitat interpretiert (Mt 2,23): Obwohl er sich ausdrücklich auf die Herkunft Jesu aus Nazareth bezieht, setzt er hier nicht das erwartbare und aus Mk vorgegebene Ναζαρηνός, sondern die unerwartbare und für diese Funktion ungeeignete Bezeichnung Ναζωραῖος, die er auch an anderer Stelle übernimmt (Mt 26,71). Es ist daher wahrscheinlich, dass Mt den aus Ri 13 usw. vertrauten Sprachgebrauch assoziierte. Denn für Mt ist es sehr viel wichtiger, dass Jesus in Bethlehem geboren wurde, als dass er in Nazareth aufwuchs. 8 d. Joh hat aus Mt diesen Sprachgebrauch übernommen (Joh 18,5.7; 19,19); seine Diskussion der Herkunft Jesu aus Nazareth (Joh 1,46; 7,41f) zeigt dabei, dass diese Herkunft als problematisch erachtet wurde. Mit Blick auf Joh 6,69 (σὺ εἶ ὁ ἅγιος τοῦ θεοῦ) ist es gut denkbar, dass Joh die Bezeichnung Jesu als Ναζωραῖος als Würdebezeichnung (im Sinn eines Nasiräers wie in Ri 13 LXX A usw.) verstanden hat, ______________________________ 8 Vgl. dazu o. Bd. I, § 12.4. 1066 Anhang I 18,35-43 obwohl er diese Verbindung nicht explizit macht: Dies passiert zum ersten Mal bei Tertullian - und zwar im Zusammenhang seines Referats von *4,16ff. 9 e. Lk 24,19 hat die aus *Ev stammende Bezeichnung Ναζαρηνός durch Ναζωραῖος ersetzt; dabei hat sich die vorkanonische Formulierung noch in etlichen Handschriften ( P 75 א B it u. a.) erhalten. Die lk Redaktion hat die Ersetzung von Ναζαρηνός durch Ναζωραῖος allerdings nicht konsequent durchgeführt: Lk 4,34 hat Ναζαρηνός aus *Ev stehen lassen. Dies ist am ehesten als redaktionelles Versehen zu bewerten, weil Lk ansonsten ein durchgehend nachweisbares Interesse an Ναζωραῖος besitzt. In Act jedenfalls schreibt Lk regelmäßig ὁ Ναζωραῖος und hat sogar die Bezeichnung ἡ τῶν Ναζωραίων αἵρεσις (Act 24,5) für die christlichen Gemeinschaften geprägt. In Lk 18,37 hat dieses Interesse dazu geführt, dass Lk (gegenüber *Ev) Ναζωραῖος ergänzt hat: Da *Ev hier gar keinen Hinweis auf Jesus als Nazarener bzw. Nazoräer enthielt, ist diese Eintragung als Korrektur an dem mk Ναζαρηνός zu verstehen (Mk 10,46): Ähnlich wie Mt ist Lk von der Davidssohnschaft Jesu überzeugt (s. zu *20,41-44) und verbindet dies mit der Herkunft Josephs aus Bethlehem, der »Stadt Davids« (Lk 2,4). Diese Korrektur von Mk 10,46 in dem aus *Ev stammenden Erzählzusammenhang setzt voraus, dass Lk *Ev und Mk sehr genau verglichen hat. Von Interesse ist, dass sich das gleiche redaktionelle Interesse auch in der Bearbeitung des vorkanonischen »Mk«-Textes zeigt: In Mk *10,47 hat sich Ναζαρηνός/ Ναζωρηνός noch in D it u. a. erhalten, während die Mehrheit der Überlieferung das redaktionelle Ναζωραῖος aufweist: Hier zeigt sich einmal mehr, dass die lk Redaktion von *Ev ein integraler Teil der kanonischen Redaktion aller vorkanonischen Evangelien ist. 3. In seinem Referat der Perikope übergeht Adamantius Lk 18,39. Das ist kein Zufall: Im Setting des Dialogs liest »Adamantius« den kompletten Text direkt aus dem Evangelienexemplar des Marcioniten Megethius vor, der Vers wird daher im vorkanonischen Evangelium wohl tatsächlich gefehlt haben. Diese Überlegung wird gestützt durch den entsprechenden Text in einer Reihe von Handschriften: Adamantius referiert *Ev korrekt, Lk 18,39 ist redaktionell. Dieser Befund bestätigt sich auch mit Blick auf die handschriftliche Überlieferung der mk Parallele: Mk 10,48 fehlt wohl nicht zufällig in einigen wenigen, aber charakteristischen Zeugen, 10 die möglicherweise Spuren des vorkanonischen *Mk-Textes repräsentieren. Wenn diese Vermutung zutrifft, hätte *Mk seinen Ausgangstext *Ev hier genauer bewahrt als die redaktionelle Fassung des kanonischen Mk. ______________________________ 9 Tert. 4,8,1: Unde et ipso nomine nos Iudaei Nazarenos appellant per eum. Nam et sumus de quibus scriptum est: N a z a r a e i e x a l b a t i s u n t s u p e r n i v e m (Thren 4,7), qui scilicet retro luridati delinquentiae maculis et nigrati ignorantiae tenebris. 10 W 1241 2542 pc. 18,35-43 Rekonstruktion 1067 Der Befund für Lk 18,39 ist aufschlussreich für die Überlieferungsgeschichte der Perikope, die in Mk 10,46-52 || Mt 20,29-34 || Mt 9,27-31 gleich drei Entsprechungen besitzt. Trotz der Unterschiede, die Mt 20 gegenüber der mk und der lk Fassung aufweist, ist aufgrund der Akoluthie sowie durch die Lokalisierung des Geschehens in Jericho klar, dass diese drei Fassungen auf *18,35-43 zurückgehen. Die Bedrohung des (der) Blinden durch die Menge taucht also erstmals in Mk 10,48 auf, wo es heißt, dass der Blinde von »vielen« angefahren wurde, die man sich als Teil des ὄχλος ἱκανός Mk 10,46 denkt. Mt 20,31 hat das so gesehen (ὄχλος), während Lk 18,39 die Entourage Jesu zum Subjekt macht (Lk 18,39: οἱ προάγοντες). Während Mt 20,29-34 deutlich auf *18,35-43 || Mk 10,46-52 basiert, ist dies für die Dublette in Mt 9,27-31 nicht so ohne weiteres erkennbar: Mt 9,27-43 integriert Elemente von Mt 9,9-13 (παράγων ἐκεῖθεν 9,8 || παράγοντι ἐκεῖθεν 9,27; Thema »Nachfolge« 9,9 || 9,27; Ortswechsel ins »Haus« 9,10 || 9,28) und von Mt 8,1-4 (ἥψατο 8,3 || 9,29; Einleitung des Schweigegebots mit ὁρᾶτε μηδείς 9,30 || ὅρα μηδενί 8,4). Darüber hinaus trägt Mt 9,27-43 auch Elemente nach, die Mt 8,1-4 in der Rezeption von Mk 1,40-45 übergangen hatte (ἐμβριμόμαι; ἐξελθών + διαϕημίζω: Mk 1,43.45 || Mt 9,30f ÷ Mt 8,3f). Dass *18,35-43 tatsächlich zu den Quellen für Mt 9,27-31 zu rechnen ist, zeigt sich daran, dass hier ein retardierendes Element in Entsprechung zu Mk 10,48 || Mt 20,31 || Lk 18,39 fehlt. Mt 9,27-31 rezipiert also nicht (nur) Mk 10,46-52, sondern (auch) *18,35-43 und bemüht sich dabei, die Anklänge an die vorangehenden Geschichten aus Mt 8f deutlich zu machen. 11 Wie Mk 10,48 hat auch Lk 18,39 eine retardierende Funktion, die den Glauben des Blinden (*18,42b) dadurch herausstellt, dass er sich auch durch das Schweigegebot der Vorangehenden (οἱ προάγοντες ἐπετίμων αὐτῷ ἵνα σιγήσῃ) nicht von seiner Bitte hat abbringen lassen. 4. Das Ende der Perikope lässt sich kaum sicher beurteilen: V. *43a ist durch Adamantius bezeugt (fehlt aber in der Auslassungsnotiz bei Epiphanius), V. *43c ist durch die Wiederaufnahme der Perikope in Tert. 4,37,1 gesichert. Von der Reaktion des Geheilten mit der Nachfolgenotiz in V. 43b fehlt dagegen jede Spur. Da in der kanonischen Fassung die doppelte Mitteilung einer Reaktion - einmal des Geheilten (V. 43b) und daneben des Volkes (V. 43c) - nicht glatt zueinander passen, liegt es nahe, dass V. 43b lk Redaktion unter Einfluss der mk(-mt) Parallele ist. Für diese Annahme sprechen zwei Beobachtungen: Zum einen wird in der mt »Dublette« Mt 9,31, die mit *18,35-43 durch das Fehlen einer Entsprechung zu Lk 18,39 verbunden ist, ebenfalls keine Reaktion der Geheilten mitgeteilt; sie könnte also ohne weiteres in *Ev gefehlt haben. 12 Dazu passt zum anderen, dass der mk ______________________________ 11 Vgl. L UZ , Mt II 57. 12 Dass die beiden Geheilten die Kunde im ganzen Land verbreiteten, hat eine enge Entsprechung in Mt 9,26 und bereitet 9,33.35 vor; die Einschätzung zu Mt 9,31, Mt scheine »aus seinem Papierkorb, 1068 Anhang I 18,35-43 Schluss der Perikope mit der Nachfolgenotiz (Mk 10,52b) sehr genau in das größere redaktionelle Konzept des Mk passt, der hier mit der zweiten Blindenheilung nach Mk 8,22-26 den dazwischen liegenden großen Abschnitt rahmt: Mk versteht die »Blindheit« symbolisch. Während Jesus den Blinden von Bethsaida, dessen Sehvermögen zunächst nur unvollkommen hergestellt war, wieder nach Hause zurückschickt (Mk 8,26), zeigen die prompte Heilung des Bartimäus (Mk 10,52: εὐθὺς ἀνέβλεψεν) und seine Nachfolge ἐν τῇ ὁδῷ, was die Leser in Mk 8,27-10,45 über das in Jerusalem anstehende Leiden Jesu gelernt haben: Es ist nicht nur notwendig, sondern auch Ausdruck von Hoheit. 13 Von daher ist es wahrscheinlich, dass die Nachfolgenotiz erst von Mk stammt, und von hier aus in Mt 20,34 und Lk 18,43 rezipiert wurde. *19,1-6 [ 7 ] 8-9a [ 9b ] 10: Bekehrung des Zachäus Gut bezeugt und sicher in *Ev vorhanden, aber mit großer Wahrscheinlichkeit durch die lk Redaktion bearbeitet. 19,1 Καὶ εἰσελθὼν διήρχετο τὴν Ἰεριχώ. 2 καὶ ἰδοὺ ἀνὴρ ὀνόματι a [ καλούμενος ] Ζακχαῖος, καὶ αὐτὸς ἦν ἀρχιτελώνης b [ καὶ αὐτὸς ] b πλούσιος. 3 καὶ ἐζήτει ἰδεῖν τὸν Ἰησοῦν τίς ἐστιν, καὶ οὐκ ἠδύνατο ἀπὸ τοῦ ὄχλου ὅτι τῇ ἡλικίᾳ μικρὸς ἦν. 4 καὶ c προλαβὼν d [ εἰς τὸ ] d ἔμπροσθεν ἀνέβη ἐπὶ συκομορέαν ἵνα ἴδῃ αὐτόν, ὅτι ἐκείνης ἤμελλεν διέρχεσθαι. 5 καὶ e ἐγένετο ἐν τῷ διέρχεσθαι e f εἶδεν αὐτὸν καὶ f εἶπεν πρὸς αὐτόν, Ζακχαῖε, g σπεύσον, κατάβηθι, σήμερον γὰρ ἐν τῷ οἴκῳ σου δεῖ με μεῖναι. 6 καὶ σπεύσας κατέβη, καὶ ὑπεδέξατο αὐτὸν χαίρων. [ 7 καὶ ἰδόντες πάντες διεγόγγυζον h λέγοντες ὅτι Παρὰ ἁμαρτωλῷ ἀνδρὶ εἰσῆλθεν καταλῦσαι. ] 8 σταθεὶς δὲ Ζακχαῖος εἶπεν πρὸς τὸν i Ἰησοῦν, Ἰδοὺ τὰ ἡμίσιά μου τῶν ὑπαρχόντων, κύριε, τοῖς πτωχοῖς δίδωμι, καὶ εἴ τινός τι ἐσυκοϕάντησα k τετραπλοῦν ἀποδίδωμι. k 9 εἶπεν δὲ πρὸς αὐτὸν ὁ Ἰησοῦς ὅτι Σήμερον σωτηρία l τούτῳ τῷ οἴκῳ l ἐγένετο, καθότι καὶ αὐτὸς υἱὸς Ἀβραάμ ἐστιν· ] 10 ἦλθεν γὰρ ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου m ζητῆσαι καὶ m σῶσαι τὸ ἀπολωλός. A. *19,2.6.8: Tert. 4,37,1: Consequitur et Zachaei domus salutem. Quo merito? Numquid vel ille crediderat Christum a Marcione venisse? … Enimvero Zachaeus etsi allophylus, fortasse tamen aliqua notitia scripturarum ex commercio Iudaico afflatus, plus est autem si et ignorans Esaiam praecepta eius impleverat. Confringito, inquit, panem tuum esurienti, et non habentes tectum in domum tuam inducito: hoc cum maxime agebat, exceptum domo sua pascens dominum. Et nudum si videris, contegito: hoc cum maxime promittebat, in omnia misericordiae opera dimidium ______________________________ in den er nicht gebrauchte Markustexte warf, einen verwendbaren Zettel gezogen zu haben« (L UZ , Mt II 62), wird dem redaktionellen Interesse des Mt nicht wirklich gerecht. 13 Zum Zusammenhang vgl. M. K LINGHARDT , Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19 (2002), 183-202: 199f. 19,1-10 Rekonstruktion 1069 substantiae offerens, dissolvens violentiorum contractuum obnexus et dimittens conflictatos in laxamentum, et omnem conscriptionem iniquam dissipans, dicendo, Et si cui quid per calumniam eripui, quadruplum reddo. ♦ *19,9f: Tert. 4,37,1f: Itaque dominus, Hodie, inquit, salus huic domui. (2) Testimonium dixit salutaria esse quae praeceperat prophetes creatoris. Cum vero dicit, Venit enim filius hominis salvum facere quod periit, iam non contendo eum venisse ut salvum faceret quod perierat, cuius fuerat et cui perierat quod salvum venerat facere, sed in alterius quaestionis gradum dirigo. De homine agi nulla dubitatio est. B. a (19,2) καλουμενος: om D G 3 72 472 892 1203 1220 1241 1365 2643 a aur b c d f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 s vg sy s.c.p Tat arab.pers sa ms bo mss georg ¦ add e M (*Ev non test.) ● b (19,2) και αυτος: om D d e sa ¦ και αυτος ην: Θ pc a c ſſ 2 r 1 vg mss ¦ και ην: א L 892 1241 pc bo ¦ και ουτος ην: A (W) f M (*Ev non test.) ● c (19,4) πορλαβων: D d (antecedens ab ante) ¦ δραμων: 579 1424 q ¦ προσδραμων: L T W Γ Ψ 2542 ℓ844 pm ¦ προδραμων: א A B K Q Δ Θ f 1.13 565 700 892 1241 pm a aur b c f ſſ 2 g 1 gat i l r 1 M (*Ev non test.) ● d (19,4) εις το: om A D W Ψ f 1.13 sy c.h M ¦ א B L T Θ 892 1241 2542 pc (e: praecessit in priore) sy s (*Ev non test.) ● e (19,5) εγενετο εν τω διερχεσθαι: D it ¦ ως ηλθεν επι τον τοπον: M (*Ev non test.) ● f (19,5) ειδεν αυτον και: A (D) W (Ψ) f 13 33 vid it vg sy h M ¦ αναβλεψας ο ιησους: א B L T Θ f 1 579 1241 2542 pc sy s.c.p sa bo (*Ev non test.) ● g (19,5) σπευσον: D Λ pc d e q vg mss ¦ σπευσας: a aur b c f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 s vg mss M (*Ev non test.) ● h (19,7) λεγοντες: om D a d e ſſ 2 g 1 gat i l sy c sa mss ¦ add aur b c f q vg M (*Ev non test.) ● i (19,8) ιησουν: G K M Π 063 6 7 13 27 60 mult (49! ) lectt e vg mss sy s.p.hmg.j Tat arab(ms) Tat pers ¦ αυτον: 1242 ¦ κυριον: a aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 s M (*Ev non test.; v. l. nicht in NA 27 verzeichnet) ● k (19,8) τετραπλουν αποδιδωμι/ quadruplum reddo (reddam: a): Tert a e f ¦ (2 1: αποδιδωμι τετραπλουν/ reddo [restituo: d] quadruplum): aur b c d ſſ 2 i l q r 1 s M ● l (19,9) τουτω τω οικω/ huic domui: Tert ſſ 2 gat ¦ (2 3 1) τω οικω τουτω/ domui huic: a aur b c (d: in domo hac) e f i l q r 1 s M ● m (19,10) ζητησαι και: om Tert 1187 2757 ¦ add it M . C. Die Perikope ist durch Tertullians Referat mit seinen wörtlichen Zitaten aus *19,8-10 insgesamt gesichert. Fraglich ist jedoch, ob die Perikope schon in *Ev in der kanonischen Gestalt enthalten war. 1. Ein erstes Indiz für redaktionelle Überarbeitung bietet das (unbezeugte) Urteil Jesu, Zachäus sei ein υἱὸς Ἀβραάμ (19,9b). Es widerspricht Tertullians Charakterisierung als allophylus (4,37,1). Hätte Tertullian den Hinweis auf die Abrahamssohnschaft in *Ev gelesen, hätte er ihn nicht kommentarlos als allophylus bezeichnen können: Lk 19,9b hat mit allergrößter Wahrscheinlichkeit in *Ev gefehlt. Für die Vertreter der Lk-Priorität ist die Sache klar: Marcion habe den Hinweis auf die Zachäus’ Abrahamssohnschaft gestrichen. 1 Diese Annahme ist allerdings nicht zwingend; sie lässt sich, wie auch sonst durchweg, ebenso gut umkehren. Demnach ist es denkbar, dass Lk die Bemerkung über Zachäus’ Abrahamssohnschaft in *Ev eingefügt hat. Die theologischen Gründe, die dafür verantwortlich waren, ______________________________ 1 H ARNACK 227*: »getilgt waren die Worte καθότι καὶ αὐτὸς υἱὸς Ἀβραάμ«; dazu die Begründung: »Die Tilgung von 9 b folgt daraus, daß Tert. Zakchäus auf Grund des Textes M.s als Heiden ansieht.« Vgl. auch T SUTSUI 118: »Tertullian schreibt: ›Enimvero Zachaeus etsi allophylus …‹ (4,37,1). Also ist sicher, dass ›weil auch dieser ein Sohn Abrahams ist‹ V.9[,] gestrichen ist«. 1070 Anhang I 19,1-10 fügen sich nahtlos in das redaktionelle Konzept, das sich besonders deutlich in Lk 3,8 zeigt: Hier liegt die Pointe ja gerade darin, dass die ethnische Zugehörigkeit zum Volk Israel soteriologisch irrelevant ist und durch den Nachweis faktischer Gerechtigkeit ersetzt wird. Das heißt: Durch den Ausweis von »Früchten, die der Umkehr entsprechen« (Lk 3,8), kann man zum Abrahamssohn werden. In der kanonischen Fassung von 19,1-10 gilt für Zachäus Analoges: Er kontert den Vorwurf seines Sünderseins (Lk 19,7; unbezeugt) mit der Ankündigung seiner misericordiae opera (*19,8), worauf Jesus das »Heil für dieses Haus« konstatiert (*19,9a), Zachäus erklärend als filius Abrahae qualifiziert (Lk 19,9b; unbezeugt) und dadurch den Vorwurf seiner Gemeinschaft mit Sündern entkräftet: Nach Ausweis seiner (in Aussicht gestellten) faktischen Gerechtigkeit ist Zachäus eben ein »Sohn Abrahams«, was gleichbedeutend mit seinem Gerettetsein (*19,9a: σωτηρία; *19,10b: σῶσαι) ist. 2. Gerade dieses Nebeneinander von bezeugten und unbezeugten Elementen in der Zachäuserzählung illustriert zentrale Elemente der lk Theologie. Aus diesem Grund sind die Brüche in der Erzählung als Hinweise auf redaktionelle Überarbeitung zu werten. Denn die Zachäusepisode verbindet auffälligerweise zwei Erzählstränge miteinander, die jeweils aus unterschiedlicher Perspektive erzählt werden, verschiedene Gattungselemente enthalten und sich in ihrem Skopus unterscheiden. Die erste Erzähllinie ist die Chrie, die von Zachäus’ Begegnung mit Jesus erzählt (V. 2-6) und in V. 10 mit dem entscheidenden Jesuswort endet. Das Thema dieser Bekehrungserzählung ist die Rettung des Verlorenen. In diese Chrie ist ein Streitgespräch eingebettet, in dem Jesus für seine Gemeinschaft mit dem »Sünder« kritisiert wird (V. 7) und sich gegen diesen Vorwurf verteidigt (mindestens V. 9b). Die deutlichste Verknüpfung der beiden Erzählstränge leistet V. 7, der »alle, die dies sahen« zu Kritikern Jesu macht und sie über diese Gemeinschaft »murren« lässt. Das Thema (Jesu Gemeinschaft mit Sündern) und die Formulierungen des Streitgesprächs verbinden Lk 19,7.9 sehr eng mit den redaktionellen Erweiterungen in Lk 15,1-10.11-32 (s. dort). Gemeinsam sind: das »Murren (διαγογγύζω, 15,2; 19,7)«; das jeweils strittige Thema der (Speise-)gemeinschaft 2 Jesu mit Sündern (ἁμαρτωλοί/ ἁμαρτωλός: 15,2; 19,7); die Qualifizierung der Sünder als Verlorene; 3 sowie der Hinweis, dass sie gesucht werden (15,4.8: ζητεῖ ἐπιμελῶς; 19,10: ζητῆσαι). Für die Entstehung dieser Analogie zwischen 15,1-10 und 19,1-10 sind zwei Möglichkeiten denkbar: Entweder handelt es sich um parallele redaktionelle Erweiterungen, die dem gleichen (oder: sehr ähnlichen) theologischen Gedanken verpflichtet sind. In diesem Fall wären die unbezeugten Elemente aus Lk 19,7.9 redaktionell. Wenn ______________________________ 2 So ausdrücklich in 15,1: Οὗτος ἁμαρτωλοὺς προσδέχεται καὶ σ υ ν ε σ θ ί ε ι αὐτοῖς. In 19,5f ist das Essen nicht ausdrücklich erwähnt, wohl aber durch ἐν τῷ οἴκῳ … μ ε ῖ ν α ι und ὑ π ε δ έ ξ α τ ο αὐτόν klar genug angesprochen. 3 Vgl. 15,4.6.8.9.24.32; 19,10: τὸ ἀπολωλός. 19,1-10 Rekonstruktion 1071 dagegen die unbezeugten Elemente bereits in *Ev vorhanden waren, hätte sich Lk mit Blick auf Thema (Sündergemeinschaft), Formulierung (διαγογγύζω) und Gattung (Streitgespräch) durch 19,7.9 zu den analogen, redaktionellen Änderungen in 15,1-10 inspirieren lassen. Für diese Lösung scheint das Fehlen von λέγοντες in 19,7 (D it) zu sprechen: Es erscheint wie eine der charakteristischen Spuren, die der vorkanonische Text in gerade diesen Handschriften immer wieder hinterlassen hat, der dann 19,7 (ohne λέγοντες) enthalten hätte. 3. Diese Beobachtung bleibt allerdings unsicher: Man zögert, der semantisch so unauffälligen Erweiterung des folgenden ὅτι-recitativum durch λέγοντες so viel literarkritisches Gewicht für die Zuweisung von 19,7 zum vorkanonischen Text aufzubürden. Ein Urteil muss sich daher auf weitere Beobachtungen stützen. a. In der kanonischen Fassung bildet Lk 19,7 den Beginn des in die Chrie eingebetteten Streitgesprächs. An dieser Stelle und in dieser sprachlichen Gestalt verursacht 19,7 aber Schwierigkeiten: Die Äußerung der Kritiker erfordert einen doppelten Perspektivenwechsel vom Haus (in dem sich Jesus und Zachäus seit 19,6 fin. befinden) zurück auf die Straße; V. *8 lenkt den Blick dagegen wieder auf das Geschehen im Haus. b. Der Einwand der Kritiker wird zwar für die Leser durchsichtig, nicht aber für diese selbst: Sie tauchen nur in V. 7 als Stichwortgeber auf. Der Sache nach wird ihre Kritik durch die Ankündigung 4 des Zachäus auf Rückerstattung widerlegt: Allerdings bekommen die Kritiker (die ja gar nicht Zachäus, sondern Jesus kritisiert hatten) diese Rechtfertigung gar nicht zu hören: Sie hat eine Funktion nur für das Verständnis der Leser. c. Die Antwort Jesu in V. 9 richtet sich zwar ausweislich der Redeeinleitung (εἶπεν δὲ πρὸς α ὐ τ ὸ ν ὁ Ἰησοῦς) an Zachäus, spricht aber in V. 9b in der 3. Pers. über ihn (καὶ αὐτός). Als Adressaten sind die Kritiker aus V. 7 zu denken, die aber gar nicht anwesend sind. d. Zu dieser Beobachtung passt, dass das Streitgespräch und die Chrie in V. 9b.10 zwei abschließende Sentenzen besitzen, die wegen des doppelten kausalen Anschlusses zueinander in Spannung stehen (Lk 19,9b: καθότι; *19,10: γάρ). Diese Störungen der literarischen Integrität sind als Hinweise auf eine redaktionelle Bearbeitung mit der Ergänzung von Lk 19,7.9b zu verstehen. Aus diesen Gründen ist es ratsam, das Fehlen von λέγοντες in Lk 19,7 D it nicht als Hinweis auf den vorkanonischen Text zu verstehen. 4. Demnach hat erst Lk den jetzt vorliegenden kompositionellen Zusammenhang geschaffen, indem er die Chrie über die Bekehrung des Zachäus durch das Streitgespräch mit den »murrenden« Kritikern ergänzt hat. Unter Berücksichtigung der textkritischen Auffälligkeiten sind folgende Elemente zu dieser Bearbeitung zu rechnen: ______________________________ 4 Das Präsens von δίδωμι und ἀποδίδωμι ist wiederholt iterativ verstanden worden: Es verweise auf Zachäus’ gewohnheitsmäßige Gaben (F ITZMYER , Lk II z. St. u. a.). Mit Blick auf die vierfache Rückgabe des zuviel Erpressten ist diese Deutung allerdings unmöglich. 1072 Anhang I 19,1-10 a. In der Exposition ist der Reichtum des Zachäus dadurch hervorgehoben, dass er in einem eigenen Satz benannt wird (καὶ αὐτὸς ἦν πλούσιος/ καὶ ἦν πλούσιος/ καὶ οὗτος ἦν πλούσιος). Dem gegenüber ist die knappere Formulierung ἀρχιτελώνης πλούσιος (D it) vermutlich ursprünglich. Die Hervorhebung des Reichtums (der sich ja ohnehin aus *19,8 ergibt) korrespondiert mit der Herausstellung des Reichtums des ἄρχων in (*18,18ff) durch die vermutlich redaktionelle Ergänzung, dass er sehr (σϕόδρα) reich war (18,23; s. dort). b. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist Lk 19,7 mit dem Hinweis auf das »Murren« redaktionell: Diese Aussage verbindet Lk 19,1-10 mit Lk 15,1f und nimmt zu dem gleichen Problem Stellung: Die Kritik der Menge wird nur auf der Ebene der Leser widerlegt durch den Hinweis auf die Rückerstattung durch Zachäus: Sie belegt seine faktische Gerechtigkeit. c. Auch der begründende Hinweis auf die Abrahamssohnschaft des Zachäus (Lk 19,9b) ist mit größter Wahrscheinlichkeit redaktionell. Die Aussage fungiert als narrative Illustration dessen, was die lk Redaktion dem Täufer in Lk 3,8 (red.) in den Mund legt: Abrahamssohnschaft ist eine soteriologische Qualität, die nicht auf ethnischer Zugehörigkeit, sondern auf faktischer und durch Besitzverzicht erwiesener Gerechtigkeit beruht. 5 Tatsächlich ist die Frage, wer ein Sohn Abrahams ist und wodurch diese Abrahamssohnschaft konstituiert wird, eines der verbindenden Themen der lk Redaktion, an dem sich die Einheit der Kanonischen Ausgabe zeigen lässt. Charakteristisch ist dafür die ethisch begründete Dynamisierung: »Sünder« können durch ihr Verhalten, insbesondere durch die Gabe von Almosen, zu Abrahamssöhnen werden. 6 d. Ein weiterer redaktioneller Eingriff ergibt sich aus der uneinheitlichen Handschriftenüberlieferung in *19,8: Das kanonische τὸν κύριον in der Erzählstimme ist hier (wie an den anderen Belegen) 7 mit größter Wahrscheinlichkeit sekundär und hat ein ursprüngliches τὸν Ἰησοῦν ersetzt, das noch in einem ganz beachtlichen Teil der handschriftlichen Überlieferung bezeugt ist. 8 Wie auch sonst in diesen Fällen, zeigt diese Uneinheitlichkeit einen redaktionellen Eingriff in einen vorgegebenen Kontext an: *Ev. Die ursprüngliche Lesart hat sich hier, wie auch sonst häufig, in einem Teil der Überlieferung erhalten. ______________________________ 5 Zum größeren kompositionellen Zusammenhang, der bis in die Gestaltung von Act reicht, vgl. M. K LINGHARDT , Gesetz und Volk Gottes, Tübingen 1988, 52ff. 6 Zu diesem redaktionellen Konzept vgl. M. K LINGHARDT , Abraham als Element der Kanonischen Redaktion, in: J. Heilmann, M. Klinghardt (Hg.), Das Neue Testament und sein Text im 2. Jahrhundert, Tübingen 2018, 223-258. 7 Vgl. o. § 5 (Bd. I, S. 93ff). 8 Da die Variante in NA 27 nicht notiert ist, sei hier darauf hingewiesen, dass neben etlichen Majuskeln sowie der kompletten syrischen Überlieferung auch 49 (! ) Minuskeln an dieser Stelle τὸν Ἰησοῦν lesen. 19,1-10 Rekonstruktion 1073 5. Tertullians Bezeugung für *19,1-10 ermöglicht eine Reihe von überlieferungsgeschichtlichen Einsichten, von denen zwei hier zu nennen sind. Zunächst stellt Tertullian (zusammen mit der Bezeugung für *19,11-28, s. gleich) für das vorkanonische Evangelium die ursprüngliche Perikopenfolge von *18,35 bis *19,28 sicher: Dass Mk keine Entsprechung zu *19,1-10.11-28 hat, liegt also nicht daran, dass Lk in den mk Erzählfaden die Zachäusepisode und das Gleichnis von den Minen »eingeschoben« hätte, 9 sondern daran, dass Mk diese Texte aus dem ursprünglichen Zusammenhang übergangen hat. Über die Gründe für diese mk Redaktionsentscheidung lässt sich nur spekulieren. Allerdings hat Mk die narrative Kohärenz von Mk 10,46-52 und 11,1-10 dadurch verstärkt, dass er nach der zweimaligen Invokation Jesu als »Sohn Davids« (Mk 10,47f) das Stichwort Davidssohnschaft auch in die Einzugsperikope integriert (Mk 11,10 ÷ *19,38; s. dort). Mt ist ihm darin gefolgt (Mt 21,9); allerdings hat er (wie *Ev und Lk) nur eine akklamatorische Doxologie, in die er den Davidssohntitel einfügt. Auch Mt hat die Zachäuserzählung nicht rezipiert und folgt der mk Akoluthie. Allerdings hat Mt die Perikope in *Ev gelesen, wie ein kleines, aber wichtiges Detail zeigt: Mt hat in der Gemeinderede (Mt 18,11) das Logion über den Menschensohn, der gekommen ist, das Verlorene zu retten, in genau der Form übernommen, die sich durch Tertullians Zeugnis für *Ev ergeben hatte (*19,10: ἦλθεν γὰρ ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου σῶσαι τὸ ἀπολωλός), also ohne die redaktionelle Ergänzung ζητῆσαι καί, die Lk 19,10 dazusetzt. Auch dieses kleine Detail zeigt, wie wenig mechanisch Mt bei seiner redaktionellen Verbindung von *Ev und Mk vorgegangen ist: Er hat zusätzliches Material aus *Ev, das er aus Mk nicht kannte, nicht mechanisch nachgetragen, sondern es da rezipiert, wo er es seinen eigenen Kompositions- und Redaktionsentscheidungen dienstbar machen konnte: Dafür eignete sich das isolierbare Menschensohnlogion. *19,11-13 [ 14 ] 15-18 [ 19 ] 20-26.27f: Gleichnis von den anvertrauten Minen. Ankunft in Jerusalem Bezeugt und in *Ev vorhanden, aber mit größter Wahrscheinlichkeit durch die lk Redaktion bearbeitet und ergänzt. 19,11 Ἀκουόντων δὲ αὐτῶν ταῦτα προσθεὶς εἶπεν παραβολὴν [ διὰ τὸ ἐγγὺς εἶναι Ἰερουσαλὴμ αὐτὸν καὶ δοκεῖν αὐτοὺς ὅτι παραχρῆμα μέλλει ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἀναϕαίνεσθαι. 12 εἶπεν οὖν, ] Ἄνθρωπός τις εὐγενὴς ἐπορεύθη εἰς χώραν μακρὰν [ λαβεῖν ἑαυτῷ βασιλείαν καὶ ὑποστρέψαι. ] 13 καλέσας δὲ δέκα δούλους ἑαυτοῦ ἔδωκεν αὐτοῖς δέκα μνᾶς καὶ ______________________________ 9 Vgl. etwa K LEIN , Lk 613; W OLTER , Lk 626 usw. 1074 Anhang I 19,11-28 εἶπεν πρὸς αὐτούς, Πραγματεύσασθε ἐν ᾧ ἔρχομαι. [ 14 οἱ δὲ πολῖται αὐτοῦ ἐμίσουν αὐτόν, καὶ ἀπέστειλαν πρεσβείαν ὀπίσω αὐτοῦ λέγοντες, Οὐ θέλομεν τοῦτον βασιλεῦσαι ἐϕ’ ἡμᾶς. ] 15 Καὶ ἐγένετο ἐν τῷ ἐπανελθεῖν αὐτὸν [ λαβόντα τὴν βασιλείαν ] καὶ εἶπεν ϕωνηθῆναι αὐτῷ τοὺς δούλους τούτους οἷς δεδώκει τὸ ἀργύριον, ἵνα γνοῖ τί διεπραγματεύσαντο. 16 παρεγένετο δὲ ὁ πρῶτος λέγων, Κύριε, ἡ μνᾶ σου δέκα προσηργάσατο μνᾶς. 17 καὶ εἶπεν αὐτῷ, Εὖγε, ἀγαθὲ δοῦλε, ὅτι ἐν ἐλαχίστῳ πιστὸς ἐγένου, [ ἴσθι ἐξουσίαν ἔχων ἐπάνω δέκα πόλεων ] . 18 καὶ ἦλθεν ὁ δεύτερος λέγων, Ἡ μνᾶ σου, κύριε, ἐποίησεν πέντε μνᾶς. [ 19 εἶπεν δὲ καὶ τούτῳ, Καὶ σὺ ἐπάνω γίνου πέντε πόλεων. ] 20 καὶ ὁ ἕτερος ἦλθεν λέγων, Κύριε, ἰδοὺ ἡ μνᾶ σου ἣν εἶχον ἀποκειμένην ἐν σουδαρίῳ· 21 ἐϕοβούμην γάρ σε, ὅτι ἄνθρωπος αὐστηρὸς εἶ, αἴρεις ὃ οὐκ ἔθηκας καὶ θερίζεις ὃ οὐκ ἔσπειρας. 22 λέγει αὐτῷ, Ἐκ τοῦ στόματός σου κρίνω σε, πονηρὲ δοῦλε. ᾔδεις ὅτι ἐγὼ ἄνθρωπος αὐστηρός εἰμι, αἴρων ὃ οὐκ ἔθηκα καὶ θερίζων ὃ οὐκ ἔσπειρα; 23 καὶ διὰ τί οὐκ ἔδωκάς μου τὸ ἀργύριον ἐπὶ τράπεζαν; κἀγὼ ἐλθὼν σὺν τόκῳ ἂν αὐτὸ ἔπραξα. 24 καὶ τοῖς παρεστῶσιν εἶπεν, Ἄρατε ἀπ’ αὐτοῦ τὴν μνᾶν καὶ δότε τῷ τὰς δέκα μνᾶς ἔχοντι a [ 25 - καὶ εἶπαν αὐτῷ, Κύριε, ἔχει δέκα μνᾶς - ] a 26 λέγω ὑμῖν ὅτι παντὶ τῷ ἔχοντι δοθήσεται, ἀπὸ δὲ τοῦ μὴ ἔχοντος καὶ ὃ b δοκεῖ ἔχειν b ἀρθήσεται. c [ 27 πλὴν τοὺς ἐχθρούς μου τούτους τοὺς μὴ θελήσαντάς με βασιλεῦσαι ἐπ’ αὐτοὺς ἀγάγετε ὧδε καὶ κατασϕάξατε αὐτοὺς ἔμπροσθέν μου. ] {καὶ τὸν ἀχρεῖον δοῦλον ἐκβάλετε εἰς τὸ σκότος τὸ ἐξώτερον· ἐκεῖ ἔσται ὁ κλαυθμὸς καὶ ὁ βρυγμὸς τῶν ὀδόντων.} c 28 Καὶ εἰπὼν ταῦτα ἐπορεύετο d ¿ἀναβαίνων δὲ? d εἰς Ἱεροσόλυμα. A. *19,11.13-22.26: Tert. 4,37,4: Servorum quoque parabola, qui secundum rationem feneratae pecuniae dominicae diiudicantur, iudicem ostendit deum, etiam ex parte severitatis, non tantum honorantem verum et auferentem quod quis videatur habuisse. Aut si et hic creatorem finxerit austerum, tollentem quod non posuerit et metentem quod non severit, hic quoque me ille instruit cuius pecuniam ut fenerem edocet. Vgl. außerdem Justin, Dial. 125,2; PsClem; Hom. III 61,1-3 (GCS 42, 79); Eusebius, Theoph. 4,22 (GCS 11/ 2, 199f). B. a (19,25) vs. om D W 16 60 69 1510 lectt b d e ſſ 2 sy s.c bo ms ¦ add a aur c f i l q r 1 a M (*Ev non test.) ● b (19,26) δοκει εχειν/ videatur habuisse: Tert Θ 69 346 1654 sy c.h ¦ εχει: it M ● c (19,27) πλην τους εχθρους μου τουτους τους μη θελησαντας με βασιλευσαι επ’ αυτους αγαγετε ωδε και κατασϕαξατε αυτους εμπροσθεν μου και τον αχρειον δουλον εκβαλετε εις το σκοτος το εξωτερον· εκει εσται ο κλαυθμος και ο βρυγμος των οδοντων: D ¦ πλην τους εχθρους μου τουτους τους μη θελησαντας με βασιλευσαι επ’ αυτους αγαγετε ωδε και κατασϕαξατε αυτους εμπροσθεν μου: it M (*Ev non test.) ● d (19,28) αναβαινων δε: D de ¦ εμπροσθεν αναβαινων: it M (*Ev non test.). C. Die Perikope ist im Kern durch Tertullians Zusammenfassung hinreichend gut für *Ev bezeugt: Seine Bemerkung, dass die »Sklaven … gemäß dem anvertrauten Geld des Herrn beurteilt werden«, fasst den Bildgehalt der Vv. *13-20 zusammen, auch die Schlusspointe *19,26 ist angesprochen. 19,11-28 Rekonstruktion 1075 1. Unbezeugt sind allerdings Lk 19,27f sowie die »politischen« Elemente des Gleichnisses: Dass der Herr des Gleichnisses ein ἄνθρωπός τις εὐγενής gewesen sei, der sich im fernen Ausland um die Königswürde bemühte (V. 12); dass die ihm feindlichen Bürger eine Gesandtschaft hinter ihm herschickten (V. 14); dass der Adlige die Königsherrschaft erlangte (V. 15a); und dass schließlich die Belohnung der guten Sklaven darin besteht, dass sie über Städte gesetzt werden (V. 17b.19b) - alle diese Elemente sind für *Ev nicht bezeugt. Diese narrativ isotopen Elemente konstituieren einen Erzählstrang, der in politischer Metaphorik von einem Thronprätendenten erzählt. Diese Aspekte decken sich mit der Pointe Lk 19,27, die in charakteristischer Weise von ἔχθροι (vgl. ἐμίσουν Lk 19,14a) spricht und nicht von den δοῦλοι aus der Exposition des Gleichnisses (*19,13), sowie mit dem Bruch der Bildlogik, wenn die eine Mine, die dem schlechten Sklaven anvertraut war, dem tüchtigen Sklaven zusätzlich zu den ursprünglichen zehn Minen gegeben wird, obwohl dessen Belohnung darin bestand hatte, dass er über zehn Städte gesetzt wurde. 2. Die lk Fassung des Gleichnisses enthält also zwei Bildebenen, die in sich jeweils stimmig und kongruent sind, jedoch in einer gewissen Spannung zueinander stehen. Nur eine dieser narrativen Isotopien ist für *Ev bezeugt, und zwar diejenige, die zugleich für die mt Parallele (Mt 25,14-30) bezeugt ist: Das Gleichnis mit den anvertrauten Minen, das sich ganz auf der ökonomischen Ebene bewegt. Es liegt daher nahe, dass Mt dieses Gleichnis aus *Ev kannte und übernahm, auch wenn er es vermutlich bearbeitete. Die lk Redaktion hätte das Gleichnis dann um die zweite Bildebene mit den »politischen« Aspekten (der adlige Thronprätendent, der die Basileia erstrebt; Feindschaft der Bürger; Rückkehr des Adligen als König; Belohnung der treuen Bürger durch Herrschaft; Niedermachen der Feinde) angereichert und es auf diese Weise stark allegorisiert: Dass der Thronprätendent in ein »fernes Land« reist und »zurückzukommen« beabsichtigt (Lk 19,12), 1 verweist auf die Himmelfahrt und Parusie Jesu, das »Niedermachen« der »Feinde, die nicht wollen, dass ich über sie herrsche« (Lk 19,27), auf das Gericht. Zu diesen redaktionellen Weiterungen gehört auch die Einleitung in V. 11b mit dem Hinweis auf die (räumliche) Nähe zu Jerusalem bzw. auf das unmittelbare Bevorstehen der Erscheinung der Basileia, denn mit ἐγγύς/ παραχρῆμα bildet Lk eine erzählerische Opposition zur Reise in ein fernes Land (χώρα μακρά): Diese Elemente im Rahmen des Gleichnisses sind abhängig von ______________________________ 1 Vgl. dazu W OLTER , Lk 619 z. St.: Beide Elemente seien für den »Plot des Bildfeldes« nicht notwendig, die Erwähnung von ὑποστρέψαι sei »erzählerisch redundant (…) Es handelt sich in beiden Fällen um allegorische Bausteine, mit deren Hilfe Lukas gleich zu Beginn deutlich machen will, dass hier von Jesus die Rede ist und dass dessen Himmelfahrt und Parusie das Grundgerüst der Geschichte bilden.« 1076 Anhang I 19,11-28 seiner Allegorisierung durch die Thronprätendentenmetaphorik und werden deshalb ebenfalls redaktionell sein. 3. Der unbezeugte V. 25 wirft ein eigenes Problem auf, weil er in einer ganzen Reihe von Handschriften (D W b d e ſſ 2 sy s.c usw.) fehlt. Die Versuche, hier eine sekundäre Streichung zu begründen, verweisen in der Regel entweder auf eine Angleichung unter dem Einfluss der synoptischen Parallelüberlieferung (in Mt 25,28.29 fehlt eine Entsprechung) oder halten den Vers für eine stilistische Verbesserung, die V. 26 enger an V. 24 rücke. 2 Beide Erklärungen sind wenig überzeugend: Bisher hat noch niemand das Fehlen einer Entsprechung zu V. 25 in Mt 25 als stilistisches Problem wahrgenommen, und der Einfluss einer negativen Parallelüberlieferung wäre höchst ungewöhnlich. Aber beide Erklärungen sind überflüssig. Denn der Umstand, dass unter den Handschriften, die Lk 19,25 nicht bezeugen, sich gerade die »Westlichen« Zeugen D it befinden, lässt vermuten, dass hier die vorkanonische Textgestalt sichtbar wird, wie es auch sonst häufig der Fall ist: Lk 19,25 ist ein Zusatz der lk Redaktion, der die Pointe von *19,26 (wer hat, dem wird gegeben werden) vorbereitet und verstärkt. 4. Die redaktionelle Bearbeitung von *Ev mit der allegorisierenden Ergänzung des Gleichnisses um die politischen Aspekte lässt sich in Lk 19,27 D noch sehr gut nachvollziehen: Hier ist zuerst die aus der lk Redaktion stammende Pointe enthalten, der zufolge die Feinde, die das Königtum des Thronprätendenten verhindern wollen, niedergemacht werden sollen. 3 Danach folgt jedoch die Aufforderung, den nutzlosen Sklaven nach draußen in die Dunkelheit zu werfen; sie findet sich wortwörtlich gleich als Abschluss des Gleichnisses in Mt 25,30, weswegen man diese Lesart normalerweise als Einfluss aus der synoptischen Parallelstelle (auf der Ebene der handschriftlichen Überlieferung) versteht. 4 Diese Verdoppelung der Pointe ist jedoch nicht auf den Einfluss von Mt 25,30 zurückzuführen, sondern auf den von *19,27: D hat hier eine klassische Konflation aus *Ev und Lk geschaffen. Damit bestätigt sich einmal mehr die Überlegung einer inkonsistenten Korrektur des älteren *Ev durch das kanonische Lk, die für die meisten »Westlichen« Lesarten charakteristisch ist; in diesem Fall stehen Elemente beider Fassungen unmittelbar nebeneinander. ______________________________ 2 Z. B. M ETZGER , Textual Commentary z. St. (vgl. den Apparat bei NA 27 ); B OCK , Lk II 1544f; B OVON , Lk III 299 Anm. 102; W OLTER , Lk 624 u. a. 3 Auch wenn die drastische Vorstellung, dass die »Feinde abgeschlachtet« werden sollen, hier redaktionell ist, zeigt *12,46, dass die ganz analoge Vorstellung schon in *Ev enthalten war (s. dort): Lk hat hier nicht etwas dazu erfunden, das seiner Quelle gänzlich fremd war. 4 Vgl. dazu den Apparat NA 27 ; der Sachverhalt scheint so klar zu sein, dass M ETZGER , Textual Commentary z. St., das Phänomen nicht einmal erwähnt. 19,11-28 Rekonstruktion 1077 Diese Lösung hat dann auch zur Folge, dass die typisch »matthäisch« klingende Wendung ἐκεῖ ἔσται ὁ κλαυθμὸς καὶ ὁ βρυγμὸς τῶν ὀδόντων (*19,27d || Mt 25,30b) 5 bereits in *Ev stand. Ähnliches ließ sich schon für die »Antithese« *6,27 || Mt 5,38 (ἀλλὰ ὑμῖν λέγω τοῖς ἀκούουσιν …) bzw. für die typisch mt Wendung βασιλεία τῶν οὐρανῶν beobachten (*6,20b; s. dort). Diese »Matthäismen« zeigen, in welchem Maß Eigenheiten der mt Sprache auf Formulierungen aus *Ev zurückgehen und belegen auf diese Weise einmal mehr den Einfluss von *Ev auf Mt. 5. Die Überlegung, dass Mt 25,14-30 das Gleichnis aus *Ev genauer bewahrt hat als Lk, erklärt zunächst das Fehlen der »politischen« Aspekte in der lk Fassung, die ohne weiteres im größeren Horizont der Komposition und Theologie von Lk- Act als lk Redaktion verständlich sind; sie hebt das »Königtum« Jesu redaktionell stark hervor: Indem Lk 19,11b deutlich macht, dass die raum-zeitliche Nähe zu Jerusalem die Erzählung des Gleichnisses veranlasst hat, behandelt er ein Thema, das im nachfolgenden Bericht vom Einzug in Jerusalem (Lk 19,38 red.), im Verhör vor Pilatus (*23,2; Lk 23,3), im Gespräch mit den »Emmaus«-Jüngern (*24,21) und in der Erzählung von der Himmelfahrt und der Rückkehr der Jünger nach Jerusalem (Lk 24,51-53 red.) seine volle Gestalt gewinnt und dann noch einmal in Act 1,6-8 aufgegriffen wird. 6 Wie die Verteilung dieser Aussagen auf *Ev und auf die lk Redaktion deutlich macht, hatte Lk an der Ausgestaltung der Aussagen über das Königtum Jesu ein so ausgeprägtes Interesse, dass von daher verständlich wird, wie er das Gleichnis von den anvertrauten Minen in *Ev so ergänzte und umfunktionierte, dass am Ende eine theologische Allegorie über das Königtum Jesu daraus wurde. Darüber hinaus ist es denkbar, dass Mt in den kleineren Abweichungen in dem mit Lk gemeinsamen Bestand den Wortlaut von *Ev besser bewahrt hat als Lk. Ein kleiner Hinweis findet sich in Justins Rezeption des Gleichnisses (Dial. 125,2). Justin verweist auf die ökonomischen Aspekte des Gleichnisses, zitiert aber nicht und gibt auch nicht zu erkennen, ob ihm die mt oder die lk Fassung vorlag: Auf der einen Seite verweist ἐπὶ πᾶσαν τράπεζαν διδόντα auf Lk 19,23a (διὰ τί οὐκ ἔδωκάς μου τὸ ἀργύριον ἐπὶ τράπεζαν), auf der anderen Seite setzt ἀλλ’ οὐ … κατορύξαντα das mt ἔκρυψα τὸ τάλαντόν σου ἐν τῇ γῇ (Mt 25,25) voraus, nicht aber das lk εἶχον ἀποκειμένην ἐν σουδαρίῳ (Lk 19,20b). Es könnte also sehr gut sein, dass *Ev in *19,20 eine Formulierung mit κατορύσσω/ κρύπτω ἐν τῇ γῇ o. ä. enthielt, die Lk dann durch ἀπόκειμαι ἐν σουδαρίῳ ersetzt hätte. Aber das lässt sich nicht belegen und bleibt Vermutung. ______________________________ 5 Vgl. außerdem Mt 8,12; 13,42.50; 22,13; 24,51. 6 Hier mit dem Nebeneinander der Aspekte des Raums und der Zeit (Act, 1,6: εἰ ἐν τ ῷ χ ρ ό ν ῳ τ ο ύ τ ῳ ἀποκαθιστάνεις τὴν βασιλείαν τ ῷ Ἰ σ ρ α ή λ ; ), die auch für ἐγγύς/ παραχρῆμα (Lk 19,11 red.) bzw. für χώρα μακρά (Lk 19,12 red.) von Bedeutung ist. In Act 1 wie in Lk 19 werden falsche Erwartungen innerhalb der erzählten Welt korrigiert, vgl. W OLTER , Lk 617f. 1078 Anhang I 19,11-28 6. Unklar bleibt die ursprüngliche Gestalt der Exposition in *19,11. 7 Die Einsicht, dass Mt 25,14-30 *Ev insgesamt besser bewahrt hat als Lk, hilft an dieser Stelle nicht weiter, denn Mt hat die Akoluthie von *Ev aufgelöst und das Gleichnis von den Minen als Begründung für die Plötzlichkeit der Parusie und als Mahnung für die Stetsbereitschaft (Mt 25,13) in einen ganz neuen Kontext eingefügt (Mt 25,14: ὥσπερ γάρ …). Dass bei diesem Verfahren eine narrative Einleitung wegfallen konnte, liegt nahe. Dass das Gleichnis in *Ev an seiner ursprünglichen Position (zwischen *19,1-10 und *20,1) keine Einleitung besessen haben sollte, ist allerdings nur schwer vorstellbar. Für die Rekonstruktion ist daher die Beobachtung wichtig, dass Lk das Gleichnis gleich auf doppelte Weise in den Kontext einbindet: In Lk 19,11b liegt mit dem Hinweis auf die raum-zeitliche Nähe (διὰ τὸ ἐ γ γ ὺ ς εἶναι Ἰερουσαλὴμ αὐτὸν καὶ δοκεῖν αὐτοὺς ὅτι π α ρ α χ ρ ῆ μ α μέλλει ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἀναϕαίνεσθαι) eine mit hoher Wahrscheinlichkeit redaktionelle Begründung für den Anlass der Gleichniserzählung vor, die kataphorisch auf die im Folgenden berichteten Ereignisse in Jerusalem vorausblickt und diese deutet. V. *11a (ἀκουόντων δὲ αὐτῶν ταῦτα …) liefert dagegen eine anaphorische Verbindung zu dem vorangehenden und für *Ev bezeugten Kontext (*19,1-10). Diese doppelte Verknüpfung der kanonischen Fassung wirkt ungeschickt; vor allem stört der anaphorische Rückverweis auf *19,10, der für die redaktionell hervorgehobenen allegorischen Aspekte des Gleichnisses nichts austrägt. 8 Am leichtesten ist daher die Erklärung, dass die doppelte Kontextverklammerung durch den redaktionellen Eintrag von Lk 19,11b entstanden ist. Wenn *19,11a die ursprüngliche Einleitung des Gleichnisses darstellt, dann ist Tertullians Hinweis auf die parabola (4,37,4) nicht einfach eine zutreffende Gattungsbezeichnung für das Gleichnis *19,12ff, sondern eine Referenz auf *Ev. In diesem Fall muss man das Gleichnis wohl als weiterführende Erläuterung des Logions über das Kommen des Menschensohns (*19,10) verstehen. προσθεὶς εἶπεν παραβολήν heißt daher nicht »er erzählte ihnen ein weiteres Gleichnis«, sondern »er fügte ein Gleichnis hinzu« - und zwar zu der Deutung der Zachäusbekehrung in *19,9f. Das Gleichnis von den Minen macht dann deutlich, dass Gott zwar »das Verlorene« sucht und rettet, aber auch zuvor Anvertrautes mit Zinsen zurück ______________________________ 7 Lk 19,11 wird fast durchgängig für redaktionell gehalten, vgl. U. B USSE , Dechiffrierung eines lukanischen Schlüsseltextes (Lk 19,11-27), in: R. Hoppe, U. Busse (Hg.), Von Jesus zum Christus, Berlin - New York 1998, 423-441: 433, Anm. 43 (mit Lit.). 8 Dies gilt vor allem dann, wenn man in Lk 19,11 den Beginn eines größeren Abschnitts sieht, z. B. K LEIN , Lk 604, der zwar die verbindende Funktion von ἀκουόντων δὲ αὐτῶν ταῦτα notiert, aber dann nicht deutlich machen kann, inwiefern 19,11ff sich auf 19,1-10 zurückbezieht, vgl. ebd. 606: Nach 19,10 werde »das Heil in seiner Fülle erwartet«, in 19,11ff jedoch »soll das Gleichnis programmatisch am Anfang des neuen Hauptteiles darauf hinweisen, dass der Weg zuächst in Leiden und Auferstehung führt.« 19,11-28 Rekonstruktion 1079 fordert. Die Zachäuserzählung und ihre weiterführende Deutung im Gleichnis sind durch das aus dem Bereich der Ökonomie stammende sprachliche Material miteinander verbunden, das zunächst Teil der auktorialen Erzählung ist, dann aber im Gleichnis als Rede Jesu begegnet. 7. Die abschließende Notiz über das Hinaufgehen nach Jerusalem *19,28 ist unbezeugt. Im Unterschied zu den synoptischen Parallelen (Mk 11,1 || Mt 21,1), die sie in einer Satzkonstruktion als einleitende Bemerkung sehr eng mit dem Folgenden verbinden, gehört sie im lk Kontext deutlich enger zu *19,11-27: Sie greift den narrativen Rahmen des Gleichnisses *19,11 (ἐγγύς … Ἰερουσαλήμ) wieder auf, zugleich setzt Lk 19,29 mit dem typisch lk καὶ ἐγένετο neu ein. Hinzu kommt, dass ἀναβαίνων εἰς Ἱεροσόλυμα *19,28 auf ἀναβαίνομεν εἰς Ἰερουσαλήμ (18,31 red.) zurückzuweisen scheint. Von daher spricht einiges dafür, diese Notiz für redaktionell zu halten. Da *Ev jedoch den kompletten Einzugsbericht und die Tempelreinigung nachweislich nicht hatte (s. gleich), aber vermutlich doch in irgendeiner Weise vom Erreichen Jerusalems berichtet haben muss, ist es am wahrscheinlichsten, dass diese Mitteilung in *19,28 stand. Der unbezeugte Vers stammt daher wenigstens im Kern au *Ev, vielleicht ohne das typisch lk und deswegen der Redaktion verdächtige ἀναβαίνων, 9 das jedoch - trotz der anderen Formulierung - auch in D (it) enthalten ist. Hier kommt man ebenfalls nicht weiter. 8. In überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht ist die Bezeugung des Gleichnisses für *Ev insofern wichtig, als die kontextuelle Einbindung und die Textgestalt von Lk 19,11-27(28) und Mt 25,14-30 stark voneinander abweichen. Im Kontext der Zwei- Quellentheorie resultiert daraus das strittig diskutierte Problem, ob das Gleichnis aus »Q« stammt 10 oder ob beide Texte eine unterschiedliche Quellenbasis haben. 11 Vor dem Hintergrund der *Ev-Priorität ist diese Alternative obsolet: Das Gleichnis stammt aus *Ev, von wo es Mt in kaum veränderter Gestalt übernommen, aber in einen neuen Kontext eingefügt hat. Lk hat es dagegen an seinem Ort belassen, dafür aber die Textgestalt redaktionell verändert und erweitert. Die gegenüber Mt ______________________________ 9 Vgl. dazu Lk 2,4.42; (18,10); 18,31; 19,28; Act 11,2; 15,2; 18,22; 21,12,15; 24,11; 25,1.9. Vgl. auch R. M ORGENTHALER , Statistik des neutestamentlichen Wortschatzes, Zürich 4 1992, s. v.; A. F UCHS , Die agreements der Einzugsperikope. Mk 11,1-10 par Mt 21,1-9 par Lk 19,28-38, in: ders., Spuren von Deuteromarkus III, Münster 2004" 273-286: 274 mit Anm. 2. 10 Beispielsweise CEQ; C HR . H EIL , Lukas und Q, Berlin - New York 2003, 197-207; A. D ENAUX , The Parable of the Talents/ Pounds (Q 19,12-27). A Reconstruction of the Q Text, in: A. Lindemann (ed.), The Sayings Source and the Historical Jesus, Leuven 2001, 429-460 u. a. 11 So erwogen von A. W EISER , Die Knechtsgleichnisse der synoptischen Evangelien, München 1971, 226-272; S CHNEIDER , Lk z. St.; L UZ , Mt III 495 u. a. 1080 Anhang I 19,11-28 25,14-30 »überschießenden« Elemente, vor allem der Erzählfaden mit dem Thronprätendenten, stammen erst aus dieser Redaktion. 12 19,29-35 36-40 41-46 [ 47f ] : Auffindung des Reittiers. Akklamation am Ölberg. Dominus flevit. Tempelreinigung [ Lehre im Tempel. Tötungswunsch ] Der größte Teil des Erzählzusammenhangs hat mit Sicherheit in *Ev gefehlt und ist durch die lk Redaktion ergänzt bzw. überarbeitet. 19,29 Καὶ ἐγένετο ὡς ἤγγισεν εἰς Βηθϕαγὴ καὶ Βηθανίαν πρὸς τὸ ὄρος τὸ καλούμενον Ἐλαιῶν, ἀπέστειλεν δύο τῶν μαθητῶν 30 λέγων, ῾Υπάγετε εἰς τὴν κατέναντι κώμην, ἐν ᾗ εἰσπορευόμενοι εὑρήσετε πῶλον δεδεμένον, ἐϕ’ ὃν οὐδεὶς πώποτε ἀνθρώπων ἐκάθισεν, καὶ λύσαντες αὐτὸν ἀγάγετε. 31 καὶ ἐάν τις ὑμᾶς ἐρωτᾷ, Διὰ τί λύετε; οὕτως ἐρεῖτε ὅτι Ὁ κύριος αὐτοῦ χρείαν ἔχει. a 32 ἀπελθόντες δὲ οἱ ἀπεσταλμένοι εὗρον καθὼς εἶπεν αὐτοῖς. a b 33 λυόντων δὲ αὐτῶν τὸν πῶλον εἶπαν οἱ κύριοι αὐτοῦ πρὸς αὐτούς, Τί λύετε τὸν πῶλον; b c 34 οἱ δὲ εἶπαν ὅτι Ὁ κύριος αὐτοῦ χρείαν ἔχει. c d 35 καὶ ἤγαγον αὐτὸν πρὸς τὸν Ἰησοῦν, καὶ ἐπιρίψαντες αὐτῶν τὰ ἱμάτια ἐπὶ τὸν πῶλον ἐπεβίβασαν τὸν Ἰησοῦν. d 36 πορευομένου δὲ αὐτοῦ ὑπεστρώννυον τὰ ἱμάτια αὐτῶν ἐν τῇ ὁδῷ. 37 Ἐγγίζοντος δὲ αὐτοῦ ἤδη πρὸς τῇ καταβάσει τοῦ Ὄρους τῶν Ἐλαιῶν ἤρξαντο ἅπαν τὸ πλῆθος τῶν μαθητῶν χαίροντες αἰνεῖν τὸν θεὸν ϕωνῇ μεγάλῃ περὶ πασῶν ὧν εἶδον δυνάμεων, 38 λέγοντες, e [ Εὐλογημένος ὁ ἐρχόμενος ὁ βασιλεὺς ἐν ὀνόματι κυρίου· ] e f {Εὐλογημένος ὁ βασιλεύς} f · εἰρήνη ἐν οὐρανῷ καὶ δόξα ἐν ὑψίστοις. 39 καί τινες τῶν Φαρισαίων ἀπὸ τοῦ ὄχλου εἶπαν πρὸς αὐτόν, Διδάσκαλε, ἐπιτίμησον τοῖς μαθηταῖς σου. 40 καὶ ἀποκριθεὶς εἶπεν, Λέγω ὑμῖν, ἐὰν οὗτοι σιωπήσουσιν, οἱ λίθοι κράξουσιν. 41 Καὶ ὡς ἤγγισεν, ἰδὼν τὴν πόλιν ἔκλαυσεν ἐπ’ αὐτήν, 42 λέγων ὅτι Εἰ ἔγνως ἐν τῇ ἡμέρᾳ ταύτῃ καὶ σὺ τὰ πρὸς εἰρήνην - νῦν δὲ ἐκρύβη ἀπὸ ὀϕθαλμῶν σου. 43 ὅτι ἥξουσιν ἡμέραι ἐπὶ σὲ καὶ παρεμβαλοῦσιν οἱ ἐχθροί σου χάρακά σοι καὶ περικυκλώσουσίν σε καὶ συνέξουσίν σε πάντοθεν, 44 καὶ ἐδαϕιοῦσίν σε καὶ τὰ τέκνα σου ἐν σοί, καὶ οὐκ ἀϕήσουσιν λίθον ἐπὶ λίθον ἐν σοί, ἀνθ’ ὧν οὐκ ἔγνως τὸν καιρὸν τῆς ἐπισκοπῆς σου. 45 Καὶ εἰσελθὼν εἰς τὸ ἱερὸν ἤρξατο ἐκβάλλειν τοὺς πωλοῦντας, 46 λέγων αὐτοῖς, Γέγραπται, Καὶ ἔσται ὁ οἶκός μου οἶκος προσευχῆς, ὑμεῖς δὲ αὐτὸν ἐποιήσατε σπήλαιον λῃστῶν. [ 47 Καὶ ἦν διδάσκων τὸ καθ’ ἡμέραν ἐν τῷ ἱερῷ. οἱ δὲ ἀρχιερεῖς καὶ οἱ γραμματεῖς ἐζήτουν αὐτὸν ἀπολέσαι καὶ οἱ πρῶτοι τοῦ λαοῦ· 48 καὶ οὐχ εὕρισκον τὸ τί ποιήσωσιν, ὁ λαὸς γὰρ ἅπας ἐξεκρέματο αὐτοῦ ἀκούων. ] ______________________________ 12 Zum lk Charakter dieser Elemente vgl. W OLTER , Lk 617 (mit Lit.). 19,29-48 Rekonstruktion 1081 A. 19,29-35.41-46 : Epiph., Schol. 53: Παρέκοψε τὸ κεϕάλαιον τὸ περὶ τῆς ὄνου καὶ Βηθϕαγὴ καὶ τὸ περὶ τῆς πόλεως καὶ τοῦ ἱεροῦ, ὅτι γεγραμμένον ἦν Ὁ οἶκός μου οἶκος προσευχῆς κληθήσεται, καὶ ποιεῖτε αὐτὸν σπήλαιον λῃστῶν. B. a (19,32) vs. om G* 063 477 ¦ add it M ● b (19,33) vs. om D G* 063 477 g 1 sy c ¦ add it M ● c (19,34) vs. om G* 063 477 ¦ add it M ● d (19,35) vs. om F V ¦ add it M ● e (19,38) λεγοντες … κυριου: om e l ¦ add a aur b c d f ſſ 2 g 1 gat i q r 1 M ● f (19,38) ευλογημενος ο βασιλευς: D a c d e f ſſ 2 g 1 gat i l s; ευλογημενος ο βασιλευς ισραηλ: 157 r 1 sy h (cum asterisco; mg: non in omnibus exemplaribus invenitur); ευλογημενος ο βασιλευς θεου: Tat pers ¦ om aur f q vg M . C. Die Behandlung des großen Erzählzusammenhangs vom Einzug Jesu in Jerusalem mit der Auffindung des ungerittenen Fohlens (Lk 19,29-35), der Königsakklamation und dem Dialog mit den Pharisäern (Lk 19,36-40), der Dominus-flevit-Szene (Lk 19,41-44) sowie der knapp berichteten Tempelreinigung (Lk 19,45f) in einem Abschnitt ist gerechtfertigt durch Epiphanius’ Auslassungsvermerk, der die einzelnen Elemente als ein »Kapitel« (τὸ κεϕάλαιον) zusammenfasst und die jeweiligen Inhalte durch kurze Stichworte benennt. Dies tut er leider weniger genau, als man sich wünschen würde: Mit τὸ περὶ τῆς ὄνου καὶ Βηθϕαγή referiert Epiphanius erkennbar auf den Bericht über die Auffindung des Reittiers für Jesus in Lk 19,29-38, obwohl das Stichwort ὄνος gar nicht in Lk, sondern nur in Mt 21,2.5.7 vorkommt. Die zusammenfassende Bemerkung τὸ περὶ τῆς π ό λ ε ω ς καὶ τοῦ ἱ ε ρ ο ῦ passt sehr genau auf die Dominus-flevit-Szene Lk 19,41-44 (vgl. 19,41: ἰδὼν τὴν π ό λ ι ν ἔκλαυσεν …) und schließt aufgrund von Lk 19,46 (ὁ οἶκός μου οἶκος προσευχῆς κληθήσεται, καὶ ποιεῖτε αὐτὸν σπήλαιον λῃστῶν) auch die Tempelreinigung (Lk 19,45: καὶ εἰσελθὼν εἰς τ ὸ ἱ ε ρ ὸ ν …) mit ein, die kaum für sich stehen konnte und auf Lk 19,46 zuläuft. Umgekehrt bildet der Bericht von der Tempelreinigung mit der Begründung (Lk 19,45f) den Ausgangspunkt für die Notiz über die tägliche Lehre Jesu im Tempel (Lk 19,47a) und den darauf bezogenen Bericht vom Plan der Hohenpriester und Schriftgelehrten (Lk 19,47f), der dann ebenfalls gefehlt hätte: Weder die Tempelreinigung noch der Tötungsplan wären ohne die zentrale Aussage Lk 19,46 als Haftpunkt denkbar. Die Vertreter der Lk-Priorität vermerken die von Epiphanius bezeugte »Streichung« für Lk 19,29-46, können aber keine Gründe dafür angeben. 1 Dies wäre, angesichts der für solche Streichungen angenommenen inneren Gründe, auch kaum möglich gewesen. Denn einerseits hätte die Kontroverse anlässlich der Akklamation beim Einzug (die Harnack und Tsutsui für gestrichen halten) den angeblichen Antijudaismus Marcions durchaus unterstützt: Warum sollte er diesen Text gestrichen haben? Andererseits hätte die sicher fehlende Tempelreinigung gut in das unterstellte ______________________________ 1 H ARNACK 228* bemerkt lapidar: »(19,)28 (Weg nach Jerusalem) unbezeugt, aber schwerlich getilgt. 28-46 (Einzug in Jerusalem und Tempelreinigung) getilgt. 47-48 (Er lehrte im Tempel; die nach seinem Leben trachtenden Schriftgelehrten) unbezeugt.« Noch einfacher erläutert T SUTSUI 119: »VV. 29-46: Absichtliche Auslassung von Marcion.« 1082 Anhang I 19,29-48 Konzept der lk Redaktion gepasst, weil sie Jesus als strafenden Richter zeigt und sein Engagement für den Tempel unter Beweis stellt. 1. Durch die von Epiphanius genannten Stichworte sind also alle Einzelszenen als in *Ev fehlend sichergestellt - mit Ausnahme des eigentlichen Einzugsberichts mit der Königsakklamation Jesu durch seine Jünger (*19,36-40) und der abschließenden Notiz über die Lehre Jesu im Tempel und den Tötungswunsch der Hohenpriester und Schriftgelehrten (Lk 19,47f). Ist es denkbar, dass *Ev nicht davon berichtet hat, wie Jesus Jerusalem erreicht? Der Einzugsbericht ist in allen vier kanonischen Evangelien enthalten (Mk 11,8-10 || Mt 21,8f || Lk 19,36-40 || Joh 12,12-19). Wenn *Ev keinen Einzugsbericht enthielt, dann würde diese gesamte Überlieferung auf Mk 11 zurückgehen. Die Situation ist komplex. Auf der einen Seite ist in allen kanonischen Fassungen der eigentliche Einzugsbericht sehr eng mit der Erzählung über die Auffindung des Reittiers verbunden: Sie lassen Jesus nach Jerusalem auf dem Esel(sfüllen) einreiten. Allerdings lässt Epiphanius’ Zeugnis keine Zweifel daran zu, dass diese Auffindungserzählung (»das über den Esel«) nicht in *Ev enthalten war. Da Epiphanius die vorangehende und die nachfolgende Szene stichwortartig kennzeichnet und als fehlend bezeugt, wäre es denkbar, dass auch der Bericht über die Akklamation Jesu beim Einzug in Jerusalem in *Ev gefehlt hat und dass Epiphanius ihn stillschweigend unter das gesamte κεϕάλαιον subsumiert hat. Auf der anderen Seite spricht zunächst die Form von *19,38 in den Handschriften dafür, hier Spuren einer redaktionellen Überarbeitung zu sehen, die dann auf einen vorkanonischen Text hinweisen. Am wichtigsten ist das Fehlen von λέγοντες, Εὐλογημένος ὁ ἐρχόμενος ὁ βασιλεὺς ἐν ὀνόματι κυρίου in zwei Altlateinern: In den Codd. Palatinus (e) und Rehdigeranus (l) lautete die Akklamation nur benedictus rex, pax in caelo et gloria in excelsi(s). Diese (übereinstimmende) Lücke trägt alle Züge, die sich wieder und wieder als charakteristisch für eine Interferenz zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Textüberlieferung erwiesen haben. Die verschiedenen Fassungen lassen sich als Kombinationen aus dieser altlateinischen Fassung (e l) und den synoptischen Parallelen (Mk 11,9f || Mt 21,9 || Lk 19,38) verstehen: 19,29-48 Rekonstruktion 1083 *19,38 e l Mk 11,9f Mt 21,9 Lk 19,38 D (it) Lk 19,38 Ὡσαννά· Ὡσαννὰ τῷ υἱῷ Δαυίδ· Εὐλογημένος Εὐλογημένος Εὐλογημένος Εὐλογημένος Εὐλογημένος ὁ βασιλεύς· a ὁ βασιλεὺς a ὁ ἐρχόμενος ὁ ἐρχόμενος ὁ ἐρχόμενος ὁ ἐρχόμενος c [ὁ] βασιλεὺς c ἐν ὀνόματι κυρίου· ἐν ὀνόματι κυρίου· ἐν ὀνόματι κυρίου· ἐν ὀνόματι κυρίου· Εὐλογημένη ἡ ἐρχομένη βασιλεία τοῦ πατρὸς ἡμῶν Δαυίδ· b Εὐλογημένος ὁ βασιλεύς· b εἰρήνη εἰρήνη εἰρήνη ἐν οὐρανῷ ἐν οὐρανῷ ἐν οὐρανῷ καὶ δόξα Ὡσαννὰ Ὡσαννὰ καὶ δόξα καὶ δόξα ἐν ὑψίστοις ἐν τοῖς ὑψίστοις ἐν τοῖς ὑψίστοις ἐν ὑψίστοις ἐν ὑψίστοις a add ὁ βασιλεύς: aur f q vg b om aur f q vg c om W pc bo mss Unter der Voraussetzung, dass der Akklamationsbericht im vorkanonischen Evangelium enthalten war, erklärt sich die Vielfalt der Varianten relativ leicht als Konflationierung der altlateinischen Fassung (e l) und der durch Mk 11,9f || Mt 21,9 beeinflussten kanonischen Fassung. In diesem Fall legt sich der Gang der Überlieferungsgeschichte folgendermaßen nahe: a. Das älteste Überlieferungsstadium des vorkanonischen Evangeliums hat sich in e l erhalten: Am Anfang stand die einfache Königsakklamation im Nominativ (εὐλογημένος ὁ βασιλεύς), die für die Gattung des Epibaterios Logos charakteristisch ist. Danach folgte eine doppelte Doxologie: Friede im Himmel, Herrlichkeit in der Höhe! b. Die wichtigste redaktionelle Veränderung, die dann auch die weiteren Fassungen stark geprägt hat, geht auf Mk 11,9f zurück: Mk hat zunächst der Akklamation einen absoluten Jubelruf (ὡσαννά) vorangestellt. Vor allem aber hat er die βασιλεύς-Akklamation verändert und verdoppelt: Seine erste Akklamation gilt nicht dem König, sondern dem »Kommenden ἐν ὀνόματι κυρίου«, die zweite bezieht sich auf die kommende βασιλεία τοῦ πατρὸς ἡμῶν Δαυίδ: Das »königliche« Element (βασιλ-) ist gleichsam von der ersten in die zweite Akklamation gewandert. Am Ende hat Mk die doppelte Doxologie (εἰρήνη; δόξα) durch eine Hosannadoxologie 2 ersetzt, so dass die ganze Einheit durch die Hosannarufe gerahmt ist. c. Mt 21,9 zeigt dann den Einfluss dieser beiden älteren Fassungen in *Ev und Mk: Wie Mk 11,9 stellt Mt einen Hosannaruf an den Anfang, jetzt aber nicht als absoluten Jubelruf, sondern als Hosanna-Doxologie für den »Sohn Davids«. Dieses Stichwort stammt aus der zweiten mk ______________________________ 2 Zu der Unterscheidung von absolutem ὡσαννά als Jubelruf und ὡσαννά-Doxologie vgl. K. B ERGER , Formgeschichte des Neuen Testaments, Heidelberg 1984, 232. 1084 Anhang I 19,29-48 Akklamation für die Basileia »unseres Vaters David«, die Mt übergeht und darin dem vorkanonischen Text (e l) folgt. Zugleich hat Mt die erste mk Akklamation (εὐλογημένος ὁ ἐρχόμενος ἐν ὀνόματι κυρίου) unverändert aus Mk übernommen, so dass bei ihm das Stichwort βασιλεύς/ βασιλεία vollständig fehlt. Am Ende steht, genau wie in Mk 11,10, die Hosannadoxologie. d. Alle Handschriften von Lk 19,38 stimmen mit dem vorkanonischen Evangelium darin überein, dass die durch Mk eingefügten Hosannarufe am Anfang und am Ende fehlen; auch die abschließende doppelte Doxologie (Friede im Himmel, Herrlichkeit in der Höhe) entspricht der vorkanonischen Fassung (e l). Für die eigentliche Akklamation sind dagegen unterschiedliche Konflationen aus der vorkanonischen und der mk-mt Fassung bezeugt: D und die Mehrheit der Altlateiner bieten zunächst wie *Ev die Königsakklamation und qualifizieren den βασιλεύς durch das aus Mk stammende Attribut ὁ ἐρχόμενος ἐν ὀνόματι κυρίου. Anstelle der aus Mk bekannten zweiten Akklamation für den Kommenden wird in diesen Handschriften die ursprüngliche Königsakklamation einfach noch einmal wiederholt. Diese ungeschickte Konformierung zeigt, dass D (it) an dieser Stelle nicht, wie sonst häufig, den ältesten Text bieten. Die große Mehrheit der kanonischen Handschriften hat diese Ungeschicklichkeit vermieden und die beiden aus *Ev und aus Mk stammenden Akklamationen zu einer zusammengezogen, dies allerdings um den Preis, dass das sich eigentlich auf den »Kommenden« beziehende Attribut ἐν ὀνόματι κυρίου sich jetzt auf den »kommenden König« bezieht: Auch diese Konflation (εὐλογημένος ὁ ἐρχόμενος ὁ βασιλεὺς ἐν ὀνόματι κυρίου) ist nicht wirklich geschickt formuliert. Legt man diese textgeschichtlichen Beobachtungen zugrunde, spricht doch viel dafür, dass ein vorkanonischer Einzugsbericht mit einer Königsakklamation in *Ev enthalten war: Die Varianz innerhalb der handschriftlichen Überlieferung passt exakt auf das häufig beobachtete (und oft genug durch direkte Zeugnisse bestätigte) Phänomen. 2. In diesem Fall muss man annehmen, dass Epiphanius den Einzugs- und Akklamationsbericht *19,36-40 entweder in seinem *Ev-Exemplar übersehen oder aber aus anderen Gründen unterschlagen hat. Es ist in hohem Maße misslich, die Rekonstruktion des vorkanonischen Textes gegen Epiphanius’ ausdrückliches (wenn auch vielleicht unvollständiges) Zeugnis allein mit textgeschichtlichen Annahmen begründen zu müssen, zumal das Fehlen von *19,36-40 für die Rekonstruktion des weiteren Kontextes erhebliche Folgen hätte. In diesem Fall lässt sich jedoch die Annahme, dass die Vv. *36-40 in *Ev enthalten waren, noch auf anderem Wege wahrscheinlich machen. a. So ist zunächst der Umstand auffällig, dass in diesem für *Ev als fehlend bezeugten Zusammenhang verschiedentlich einzelne Verse in der handschriftlichen Überlieferung ausgefallen sind: In der Erzählung von der Auffindung des Reittiers fehlen in verschiedenen Zeugen einzelne Verse aus Lk 19,32-35. 3 Dieses Phänomen ist nicht singulär, an dieser Stelle jedoch besonders ausgeprägt: Will man nicht von einer unwahrscheinlichen Häufung von schlampiger Überlieferung gerade in diesem ______________________________ 3 19,32: vs. om G* 063 477. - 19,33: vs. om D G* 063 477 g 1 sy c . - 19,34: vs. om G* 063 477. - 19,35: vs. om F V. 19,29-48 Rekonstruktion 1085 Bereich ausgehen, stellen diese Lücken ein großes Problem dar. Denn wieso sollten so verschiedene Handschriften (die ja ansonsten keine besondere Nähe untereinander aufweisen) zufällig im selben Kontext einzelne Verse auslassen? Sofern der Text von *Ev (wie hier vorausgesetzt) einen breiten und lang anhaltenden Einfluss auf den Text der kanonischen Ausgabe ausgeübt hat, dann sind diese Lücken sehr viel leichter erklärbar: Sie bestätigen das Fehlen der Einzugsgeschichte in den jeweiligen Vorlagen, die sie dann (wenn auch durchaus uneinheitlich) aus einer »kanonischen« Handschrift (also: aus dem Lk-Text) ergänzt haben. In diesem Fall ist die Lücke in *19,38 (e l) ein Teil dieses Phänomens. Dies spricht eher für als gegen die Existenz eines vorkanonischen Einzugsberichts. b. Daneben lassen sich auch noch überlieferungsgeschichtliche Gründe dafür geltend machen, dass *Ev zwar keine Erzählung von der Auffindung des Reittiers (Lk 19,29-35, von Epiphanius ausdrücklich als fehlend bezeugt), wohl aber einen Einzugs- und Akklamationsbericht (*19,36-40) enthielt. Denn es ist einigermaßen auffällig, dass die explizite Verknüpfung zwischen diesen beiden Erzählungen vor allem durch die Notiz geleistet wird, dass die Jünger das Tier zu Jesus brachten, ihre Kleider darauf ausbreiteten und ihn darauf setzten (Lk 19,35 || Mk 11,7 || Mt 21,7). Diese Notiz bildet das Ende der Auffindungserzählung und liegt vor der eigentlichen Einzugserzählung; erst durch die Kombination von Lk 19,35 mit *19,36 ergibt sich die Notwendigkeit, den Beginn von *19,36 πορευομένου δὲ αὐτοῦ mit »als er aber einritt« zu übersetzen. 4 Es ist ohne weiteres denkbar, dass die Rezeption von *Ev den vorkanonischen Einzugsbericht (*19,36-40) durch die Auffindungserzählung (Mk 11,1-7 || Mt 21,1-7) ergänzt und diese davor gestellt hat. Dies ist sogar wahrscheinlich, wenn man die eigenartige Doppelung des Ausbreitens der Kleider berücksichtigt: Die Jünger breiten ihre ἱμάτια über das Reittier, die Menge breitet die ihren »auf den Weg«. 5 Das Zustandekommen dieser Doppelung ist leicht nachvollziehbar: Unter der Annahme, dass *Ev einen Einzugsbericht enthielt, hätte Mk davon gelesen, dass die »Menge der Jünger« 6 ihre Kleider auf den Weg ausgebreitet hatte (*19,36 ὑπεστρώννυον τὰ ἱμάτια αὐτῶν ἐν τῇ ὁδῷ). Im Unterschied zu *Ev legt Mk nahe, dass er sich unter den πολλοὶ … ἄλλοι δέ (Mk 11,8) die Volksmenge aus Jerusalem vorgestellt hat, die Jesus im Rahmen der typischen Hypantesis begrüßt und in die Stadt begleitet; Mt 21,8 (ὁ δὲ πλεῖστος ὄχλος) hat dies ganz sicher so verstanden. Die ______________________________ 4 Bei Joh fehlt der Bericht über das Auffinden des Reittiers in der Exposition zur Einzugserzählung; Joh 12,14 reicht diese Information nach und schließt daran die Deutung durch Sach 9,9 (wie Mt 21,4f) an. 5 ἐπιβάλλουσιν αὐτῷ τὰ ἱμάτια αὐτῶν Mk 11,7 || ἐπέθηκαν ἐπ ʼ αὐτῶν τὰ ἱμάτια Mt 21,7 (Mt geht hier wie in V. 2 in Analogie zu Sach 9,9 von zwei Reittieren aus); πολλοὶ τὰ ἱμάτια αὐτῶν ἔστρωσαν εἰς τὴν ὁδόν Mk 11,8 || ἔστρωσαν ἑαυτῶν τὰ ἱμάτια ἐν τῇ ὁδῷ Mt 21,8. 6 Im Unterschied zu Mk 11 || Mt 21 ist bei Lk die Menge, die Jesus begleitet, die Menge der Jünger (19,37: τὸ πλῆθος τῶν μαθητῶν), und es sind hier auch die Jünger, die Jesus akklamieren. 1086 Anhang I 19,29-48 Vorschaltung des Auffindungsberichtes durch Mk hatte dann die eigenartige Situation zur Folge, dass die Jerusalemer Menge ihre Kleider auf den Weg ausgebreitet hat, die Jünger in der Begleitung Jesu ihre Kleider aber anbehalten (und so hinter der Menge zurückgestanden) hätten. Dies macht dann eine entsprechende Notiz über das Verhalten der Jünger plausibel. In diesem Fall lässt sich Joh 12,12-18 als Rezeption der vorkanonischen Erzählung und ihrer kanonischen Posttexte verstehen. Die joh Erzählung weist einige Besonderheiten auf, die zu kontroversen Urteilen über die Quellenbasis geführt haben. Bei Joh fehlt der Bericht über die Auffindung des Reittiers ebenso wie die (doppelte) Notiz über das Ausbreiten der Kleider durch die Jünger (auf das Reittier) und durch die Menge (auf den Weg). Nach Joh 12,13 akklamiert die Menge (nach Joh 12,12 sind es eindeutig die nach Jerusalem gekommenen Pilger) Jesus, bevor der Erzähler die Bemerkung nachschiebt, dass er auf einem »Eselchen« reitet. 7 Für die joh Komposition ist dieses Hysteron proteron sinnvoll, weil Joh an die Reitnotiz einen ausführlichen Erzählerkommentar anschließt, der erst den Schriftbeleg (eingeleitet in 12,14b: καθώς ἐστιν γεγραμμένον) und dann die Erklärung enthält, dass die Jünger die Akklamation der Menge erst nach Ostern verstanden (12,16). Auch wenn diese Abfolge durch die joh Komposition gedeckt ist, lässt sich das Fehlen der Auffindungsgeschichte doch als Reflex des vorkanonischen Evangeliums verstehen. Darüber hinaus ist für die Akklamation von Bedeutung, dass Joh 12,13 eine Königsakklamation enthält und darin *Ev und Lk (gegen Mk und Mt) entspricht. Das Gleiche gilt für die Motivierung der Akklamation: Nach *19,37 ist sie eine Reaktion περὶ πασῶν ὧν εἶδον δυνάμεων, nach Joh 12,17f war die Pilgermenge durch die Auferweckung des Lazarus zu ihrer Königsakklamation veranlasst. 8 Die joh Einzugserzählung zeigt (neben den erwartbaren Reminiszenzen der mk-mt Fassung) eben auch die typische Nähe zu Lk bzw. zu *Ev. Auch wenn sich die joh Abhängigkeit von *Ev (und nicht von Lk) nicht beweisen lässt, ist das gemeinsame Fehlen der Auffindungserzählung aufschlussreich. 3. Auffällig ist die hohe Zahl von »Minor Agreements« zwischen Lk 19,29-48 und Mt 21,1-9 gegenüber Mk 11,1-10. αὐτοῦ Mk 11,1b ÷ Lk 19,29b || Mt 21,1b. - ἀποστέλλει … καὶ λέγει Mk 11,1f ≠ ἀπέστειλεν … λέγων Lk 19,29f || Mt 21,1f. - λύσατε … καὶ ϕέρετε Mk 11,2 ≠ λύσαντες … ἀγάγετε Lk 19,30e || Mt 21,2. - εἴπατε Mk 11,3 ≠ ἐρεῖτε ὅτι Lk 19,31 || Mt 21,3. - καὶ ἀπῆλθον Mk 11,4 ≠ ἀπελθόντες δὲ οἱ ἀπεσταλμένοι Lk 19,32 || πορευθέντες δὲ οἱ μαθηταί Mt 21,6. - καθὼς … αὐτοῖς Lk 19,32 || Mt 21,6 ÷ Mk 11,4. - ἀϕῆκαν αὐτούς Mk 11,6 ÷ Lk 19,34 || Mt 21,6. - ϕέρουσιν Mk 11,7 ≠ ἤγαγον Lk 19,35 || Mt 21,7. - εἰς τὴν ὁδόν Mk 11,8 ≠ ἐν τῇ ὁδῷ Lk 19,36 || Mt 21,8. - λέγοντες Lk 19,38 || Mt 21,9 ÷ Mk 11,9. - εὐλογημένη ἡ ἐρχομένη βασιλεία τοῦ πατρὸς ἡμῶν Δαυίδ Mk 11,10 ÷ Lk 19,38 || Mt 21,9. - καὶ ἐδίδασκεν Mk 11,17 ÷ Lk 19,46 || Mt 21,13. - Mk 11,17 ÷ 19,46 || Mt 21,13. ______________________________ 7 Der Diminutiv ὀνάριον Joh 12,14 interpretiert πῶλος ὄνου 12,15 (vgl. πῶλος νέος Sach 9,9 LXX). 8 Vgl. dazu H OSKYNS , Joh 421. 19,29-48 Rekonstruktion 1087 - πᾶσιν τοῖς ἔθνεσιν Mk 11,17 ÷ Lk 19,46 || Mt 21,13. - οὐ γέγραπται … ; (Frage) Mk 11,17 ≠ γέγραπται (Aussage) Lk 19,46 || Mt 21,13. - ὑμεῖς δὲ πεποιήκατε αὐτόν Mk 11,17 ≠ ὑμεῖς δὲ αὐτὸν ἐποιήσατε (1 2 4 3) Lk 19,46 || ὑμεῖς δὲ αὐτὸν ποιεῖτε Mt 21,13. 9 Albert Fuchs versteht diese Agreements als »Spuren von Deuteromarkus«, 10 muss dafür aber eine ganze Reihe wenig wahrscheinlicher Rekonstruktionsentscheidungen für diesen dt-mk Redaktor annehmen. 11 Allerdings stellen diese Agreements ein Problem nur für die Zwei-Quellentheorie dar, nicht für die Annahme der *Ev- Priorität. In diesem methodischen Rahmen ist dann deutlich, dass Abweichungen der Formulierungen in den Agreements auf mt Änderungen am mk Wortlaut zurückgehen, die Lk aus Mt übernommen hat: Für die eindeutig als fehlend bezeugten Passagen Lk 19,29-35.41-46 lässt sich mit wünschenswerter Klarheit nachvollziehen, dass die mt-lk Agreements gegen Mk nicht dadurch zustande gekommen sind, dass Mk den vorkanonischen Wortlaut redigiert hat, während Mt und Lk ihn unverändert rezipiert haben; sie gehen vielmehr auf mt Änderungen an Mk zurück, denen Lk gefolgt ist. Für das mt-lk Agreement gegenüber der zweiten mk Akklamation (Mk 11,10: εὐλογημένη ἡ ἐρχομένη βασιλεία τοῦ πατρὸς ἡμῶν Δαυίδ) ist auch deutlich geworden, dass Mt und Lk dem kürzeren *Ev folgen, dessen Änderung durch Mk sie nicht übernommen haben. 4. Wie der Anfang dieses Zusammenhangs in *Ev aussah, lässt sich leider nicht sicher sagen. Die lk Redaktion (also mindestens die Einfügung von Lk 19,29-35. 41-46) könnte *Ev verändert haben; aber auch das ist nicht notwendig. Wenn der gesamte Zusammenhang 19,29-48 gefehlt hat, wie es Epiphanius’ Zeugnis nahelegt, müsste man nach *19,28 eine kurze Notiz über das Erreichen Jerusalems erwarten, denn der nächste (bezeugte) Erzählzusammenhang (*20,1-8; s. dort) schildert die Lehre Jesu im Tempel. Es hat sich allerdings als wahrscheinlich herausgestellt, dass *19,36-40 - gegen Epiphanius’ Zeugnis, aber in Entsprechung zu dem variantenreichen handschriftlichen Befund - im vorkanonischen Evangelium enthalten war. In diesem Fall könnte *19,28 i. W. die aus dem kanonischen Text bekannte Gestalt gehabt haben: ἐπορεύετο ἔμπροσθεν ἀναβαίνων εἰς Ἱεροσόλυμα. Der Anfang von *19,36 (πορευομένου δὲ αὐτοῦ ≠ Mk 11,1 || Mt 21,1) berichtet dann das Erreichen des Weichbilds von Jerusalem. Wenn πορεύεσθαι hier das Gleiche bedeutet wie sonst im gesamten (vorkanonischen und kanonischen) Text, ist eher daran zu denken, dass Jesus zu Fuß in Jerusalem angekommen ist: Erst der redaktionelle Nachtrag von Lk 19,29-35 hat dies geändert. ______________________________ 9 Vgl. außerdem N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 143ff; DERS ., Minor Agreements (1991), 63ff; E NNULAT , Minor Agreements 245-252. 10 A. F UCHS , Die agreements der Einzugsperikope, in: ders., Spuren von Deuteromarkus III, Münster 2004, 273-286. 11 Zur Kritik vgl. auch W OLTER , Lk 628 (der sich allerdings selbst nicht zu den Agreements äußert). 1088 Anhang I 19,29-48 5. Schwieriger ist die Rekonstruktion des Endes der Einheit in Lk 19,47f. Wenn diese Vv. in *Ev enthalten waren, würde die Eingangswendung καὶ ἦν διδάσκων τὸ καθ ʼ ἡμέραν ἐν τῷ ἱερῷ (Lk 19,47) direkt an den Einzugsbericht anschließen. In diesem Fall hätte sich der Tötungswunsch der Hohenpriester und Schriftgelehrten (Lk 19,48) fast unmittelbar an den Widerspruch der Pharisäer (*19,39) angeschlossen. Das ist gut denkbar, aber wenig wahrscheinlich. Denn Lk hat durch die Einschaltung von Lk 19,41-46 zwei weitere Etappenziele genannt: Erst nähert sich Jesus der Stadt (Lk 19,41: καὶ ὡς ἤγγισεν …), dann geht er in den Tempel (Lk 19,45: καὶ εἰσελθὼν εἰς τὸ ἱερόν …). Die lk Redaktion hat durch diese Einfügungen die schrittweise Annäherung Jesu an Jerusalem bzw. an den Tempel sehr deutlich verstärkt: Jesus nähert sich zunächst Bethphage und Bethanien am Ölberg (Lk 19,29: ἤγγισεν εἰς Βηθϕαγὴ καὶ Βηθανίαν πρὸς τὸ ὄρος τὸ καλούμενον Ἐλαιῶν), erreicht dann den Abstieg auf der Westseite des Ölbergs (*19,37: ἐγγίζοντος δὲ αὐτοῦ ἤδη πρὸς τῇ καταβάσει τοῦ ὄρους τῶν ἐλαιῶν …), nähert sich noch einmal der Stadt (Lk 19,41: καὶ ὡς ἤγγισεν ἰδὼν τὴν πόλιν …) und betritt dann den Tempel (Lk 19,45: καὶ εἰσελθὼν εἰς τὸ ἱερόν …). In diesem Abschnitt nimmt die Erzählzeit gegenüber der erzählten Zeit zu, die Etappen werden immer kürzer. Die wichtigste Folge dieser Verlangsamung des Erzähltempos ist sicherlich, dass der Tempel als Ziel der ganzen Reise schärfer in den Fokus gerückt wird. Diese literarische Wirkung ist allerdings dadurch erkauft, dass die Unterscheidung der einzelnen Etappenziele nicht mehr wirklich plausibel ist, wie sich gerade an den redaktionell eingefügten Passagen zeigt: Da der »Ölberg« (*19,37) vorgegeben war, muss die vorgeschaltete Aussendung der Jünger zur Auffindung des Reittiers geschehen, als Jesus sich »Bethphage und Bethanien am Ölberg näherte«. Dementsprechend ist auch nicht mehr wirklich verständlich, wo Lk 19,41 lokalisiert ist, da Jesus den Abstieg vom Ölberg ja schon begonnen hatte (*19,37: κατάβασις): Lk war nicht an der historischen, sondern an der literarischen Topographie interessiert. Fraglich ist jedoch die Funktion, die Lk 19,47f in einem ursprünglichen Erzählrahmen in *Ev besessen haben könnte. Im Zusammenhang der Zwei-Quellentheorie ist unbestritten, dass Lk 19,47f auf Mk 11,18 basiert und den Abschluss der Tempelreinigung (Lk 19,45f) bildet: Die hat jedoch eindeutig in *Ev gefehlt. Dieses so drastische Element ist der Evangelienüberlieferung also erst in einem Stadium nach *Ev zugewachsen: Mk 11,15-17 hat es zuerst eingefügt. 12 Joh hat diese Szene programmatisch an den Anfang seines Berichts von der Wirksamkeit Jesu gestellt 13 und dabei die Abfolge von Mk 11,15-17 || Mt 21,12f || Lk 19,45f und Mk 11,27ff || Mt 21,23ff || Lk 20,1ff dadurch verstärkt, dass er die Frage nach der Vollmacht, in der Jesus »dies tut« (Joh 2,18: τί σημεῖον δεικνύεις ἡμῖν ὅτι ταῦτα ποιεῖς; ), unmittelbar auf die Reinigungsaktion folgen lässt. ______________________________ 12 Dies hat Folgen für das Bild des »historischen Jesus«, da das Tempelwort und die Tempelaktion häufig zu den »historischen« Begebenheiten gerechnet werden, vgl. etwa T H . S ÖDING , Die Tempelaktion Jesu, TThZ 101 (1992), 36-64; D. E. O AKMAN , Cursing Fig Trees and Robbers’ Dens, Semeia 64 (1994), 253-272. 13 Zur programmatischen Funktion von Joh 2,13-22 für den Gesamtaufriss des Joh vgl. T HYEN , Joh 165-168. 19,29-48 Rekonstruktion 1089 Wenn der Tötungswunsch der Jerusalemer Autoritäten Lk 19,47f in *Ev enthalten war, aber nicht den Abschluss der Tempelreinigung bilden konnte, müsste man ihn als Überschrift für die kommenden Jerusalemer Streitgespräche verstehen. Das ist möglich, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich. Denn in diesem Fall würde die übergreifende Komposition in *Ev Opponenten aufzählen, die erst später eine Rolle spielen: In *20,1-8 sind es nicht die Lk 19,47 genannten Hohenpriester und Schriftgelehrten, sondern die Pharisäer (s. gleich zu *20,1). Abgesehen davon bleibt der Tötungswunsch ohne die vorangehende Tempelreinigung unmotiviert. Das aber bedeutet, dass Lk 19,47 mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in *Ev enthalten war, sondern durch die lk Redaktion zusammen mit Lk 19,41-46 aus Mk 11,15-19 übernommen (und dabei umformuliert) wurde. Diese Überlegung hat zur Folge, dass *Ev das Erreichen Jerusalems gar nicht eigens erzählte: Nach dem Einzugsbericht mit der Königsakklamation (*19,36-40) folgte unmittelbar die Auseinandersetzung um die Vollmacht Jesu *20,1-8 (s. dort). In diesem Fall belegt Lk 19,47f || Mk 11,18, dass die lk Redaktion nicht nur *Ev und Mt verwendete, sondern auch Mk - falls es denn dieses Beleges überhaupt bedarf. 5. Die wichtigsten Konsequenzen aus dem Fehlen von Lk 19,29-35.41-48 ergeben sich für die Überlieferungsgeschichte. Der überlieferungsgeschichtliche Befund, zu dem auch die joh Parallele (Joh 12,12-19) gehört, ist komplex und bleibt angesichts der uneindeutigen Rekonstruktionsentscheidung ambivalent. a. Unter der Voraussetzung, dass *19,36-40 bereits im vorkanonischen Text stand, liegt hier der Ursprung der gesamten Einzugsüberlieferung: Jesus kommt (zu Fuß) nach Jerusalem und wird von der Menge seiner Jünger als messianischer König (Israels? ) akklamiert. Mk 11,1-10 stellt die erste Bearbeitung dieses Textes dar: Mk hat vor allem die Akklamation umgestaltet und ergänzt (Hosannaruf am Anfang und am Ende; βασιλεία-Akklamation). Falls *19,36-40 dagegen nicht in *Ev enthalten gewesen wäre, läge der Ursprung der Überlieferung in Mk 11,1-10. b. In jedem Fall sind neben den mt-lk »Minor Agreements« (s. o.) auch die deutlichen mk-lk Übereinstimmungen gegenüber Mt zu beachten: καὶ Βηθανίαν Mk 11,1 || Lk 19,29 ÷ Mt 21,1. - τότε Mt 21,1 ÷ Mk 11,1 || Lk 19,28. - καὶ εὐθὺς εἰσπορευόμενοι Mk 11,2 || ἐν ᾗ εἰσπορευόμενοι Lk 19,30 ÷ Mt 21,2. - πῶλον Mk 11,2 || Lk 19,30 ≠ ὄνον δεδεμένην καὶ πῶλον μετ’ αὐτῆς Mt 21,2. - ἐϕ’ ὃν οὐδεὶς οὔπω/ πώποτε ἀνθρώπων ἐκάθισεν Mk 11,2 || Lk 19,30 ÷ Mt 21,2. - τί ποιεῖτε τοῦτο Mk 11,3 || διὰ τί λύετε Lk 19,32 ÷ Mt 21,3. Vor allem ist natürlich das mk-lk »Major Agreement« mit dem Dialog zwischen den Jüngern und den Eigentümern des Esels (Mk 11,5f || Lk 19,33f ÷ Mt 21,6.7) aufschlussreich: Die Diktion mit der etwas umständlichen Wiederholung des Auftrags Jesu an die Jünger (Mk 11,2f) durch den Erzähler (11,4-6) ist ganz charakteristisch für Mk. Mt hat diese kleinteilige Erzählweise verschlankt (was wiederum für seine 1090 Anhang I 19,29-48 Redaktion von Mk charakteristisch ist) und die Doppelung mit einer knappen Notiz beseitigt (Mt 21,6: ποιήσαντες καθὼς συνέταξεν αὐτοῖς ὁ Ἰησοῦς). Diese Bemerkung wiederum hat Lk 19,32 aufgegriffen (εὗρον καθὼς εἶπεν αὐτοῖς) - und zwar ohne dazu durch eine entsprechende narrative Notwendigkeit veranlasst zu sein. Denn Lk folgt ja seiner mk Vorlage in der Doppelung von Beauftragung und Erzählung der Auffindung des Reittiers. Diese Beobachtung belegt, dass Lk sowohl den Mkals auch den Mt-Text vor sich hatte und bearbeitete: Dies ist eine der zahlreichen kleinen Auffälligkeiten, die durch die Zwei-Quellentheorie nicht erklärbar sind. c. Mt hat in einem der für ihn typischen Reflexionszitate (Jes 62,11; Sach 9,9) den Einzug als Ritt auf einer Eselin und ihrem Füllen gedeutet (Mt 21,5); auch im Rahmen der Zwei-Quellentheorie erscheint ὄνον … καὶ πῶλον μετ’ αὐτῆς (Mt 21,2) als mt Ergänzung der mk Vorlage, die diese Deutung plausibilisieren soll. 14 Diese Deutung hat Joh 12,14f von Mt übernommen: Der joh Bericht zeigt Berührungen mit allen drei synoptischen Fassungen. 15 Dabei ist vor allem das Stichwort ὁ βασιλεύς Joh 12,13 || 19,38 wichtig, das eine der zahlreichen engen lk-joh Berührungen konstituiert. Unter der Voraussetzung, dass die Perikope (gegen Epiphanius’ Zeugnis) in *Ev enthalten war, hat Joh das Stichwort aus *19,38 übernommen; dies ist ohne weiteres denkbar. Hätte 19,36-40 dagegen in *Ev gefehlt, müsste man annehmen, dass ὁ βασιλεύς Lk 19,38 direkt von Joh 12,13 abhängig ist. Auch dies wäre denkbar und passt in das Gesamtbild: Joh hatte das Stichwort ὁ βασιλεύς in dem durch Mt 21,5 angeregten Sach-Zitats in Joh 12,15 (Sach 9,9: ὁ βασιλεύς σου ἔρχεταί σοι) bereits vorliegen und könnte es von da aus in den Akklamationsruf integriert haben: εὐλογημένος ὁ ἐρχόμενος ἐν ὀνόματι κυρίου, ὁ βασιλεὺς τοῦ Ἰσραήλ (Joh 12,13). Für Lk 19,38 ist ein ähnlich deutlicher Grund für eine redaktionelle Ergänzung nicht erkennbar: Er könnte ὁ βασιλεύς entweder aus *19,38 oder aus Joh 12,13 übernommen haben. Auch hier ergibt sich also kein hinreichend belastbarer Anhaltspunkt zur Beurteilung der Einzugserzählung im vorkanonischen Evangelium. d. Unter den Veränderungen und Einfügungen der lk Redaktion spielt die Dominus-flevit-Szene (Lk 19,41-44) eine besondere Rolle, weil sie eine Querverbindung zu anderen redaktionellen Texten darstellt: Auf der einen Seite konstituiert die terminologische Nähe zu Lk 1,78f (ἐπισκέπτεσθαι/ ἐπισκοπή; εἰρήνη; ἐπιϕαίνειν/ ______________________________ 14 Z. B. G NILKA , Mt II 199; U. Luz postuliert, dass das Erfüllungszitat »sicher schon vor Mt als Weissagung des Einzugs Jesu in Jerusalem entdeckt worden« sei (L UZ , Mt III 178), bleibt aber eine Begründung dafür schuldig. 15 Vgl. H OSKYNS , Joh 421: »The Johannine narrative depends on the Marcan narrative … However, in addition to what is peculiar Johannine, it contains certain approxinations to the Lucan and Matthean versions.« 19,29-48 Rekonstruktion 1091 κρύπτεσθαι) das einheitliche redaktionelle Konzept: Die Bewohner Jerusalems haben nicht erkannt, dass Gott in Jesus sein Volk zum Heil aufsucht. 16 Dieser Rückgriff auf das Benedictus stellt eine Antiklimax dar, weil auf diese Weise Zacharias’ Verheißung ins Leere zu laufen scheint: Der λαός Gottes hat die Gabe der γνῶσις σωτηρίας (Lk 1,77) nicht angenommen, weil sie vor seinen Augen verborgen war (Lk 19,42). Das Volk von Jerusalem befindet sich daher auch nicht εἰς ὁδὸν εἰρήνης (Lk 1,79), sondern geht der brutalen Vernichtung (Lk 19,44) entgegen. Diese Antiklimax wird durch die ebenfalls redaktionelle Aussage Lk 21,24d (red., s. dort) aufgefangen: Der Kontext (*21,20) wirkt wie ein Rückgriff auf Lk 19,43, wie vor allem das Tempelwort zeigt. 17 Aber der neue Aspekt, den Lk 21,24d gegenüber Lk 19,41-44 sichtbar macht, ist die zeitliche Begrenzung der καιροὶ ἐθνῶν und damit auch der Verwüstung, die sie über Jerusalem bringen werden. Diese sehr spezifische Sicht Jerusalems ist ein wesentlicher Aspekt des redaktionellen Konzeptes. 6. Unabhängig von der genauen Textgestalt dieses Abschnitts und von der Rekonstruktion seiner Überlieferungsgeschichte bleibt auch hier festzuhalten, dass Epiphanius’ Streichungsnotiz größte Schwierigkeiten für die Annahme der Lk-Priorität aufwirft: Aus welchen Gründen hätte Marcion die ihm von Epiphanius angelasteten Streichungen vornehmen sollen? Die Häresievorwürfe der altkirchlichen Häresiologen geben nicht nur keinen Anhaltspunkt für eine theologisch begründete »Streichung« dieser Passagen, sie widersprechen der angenommenen Tilgung sogar recht präzise: Denn die Tempelreinigung hätte nicht nur zum angeblichen »Antijudaismus« Marcions gepasst, sondern auch zu seiner Gotteslehre. Welchen Grund hätte Marcion haben können, eine explizite Kritik am Tempelbetrieb im Mund Jesu zu streichen, wenn er dem häresiologischen Zeugnis zufolge so stark an der Disjunktion zwischen dem von Jesus verkündigten deus bonus und dem für die Institutionen Israels verantwortlichen creator interessiert war? Wie so häufig in diesen Fällen, in denen sich die angeblichen »Streichungen« nicht auf das angenommene redaktionelle Konzept zurückführen lassen, bleiben die Vertreter der Lk-Priorität eine Erklärung schuldig. 18 ______________________________ 16 Vgl. W OLTER , Lk 635 z. St. 17 Vgl. 19,44 οὐκ ἀϕήσουσιν λίθον ἐπὶ λίθον ἐν σοί mit *21,6: οὐκ ἀϕεθήσεται λίθος ἐπὶ λίθῳ ὃς οὐ καταλυθήσεται (s. dort). 18 H ARNACK 228*: »29-46 (Einzug in Jerusalem und Tempelreinigung) getilgt. 47-48 (Er lehrte im Tempel; die nach seinem Leben trachtenden Schriftgelehrten) unbezeugt.« Tsutsui 119: »VV. 29-46: Absichtliche Auslassung von Marcion.« 1092 Anhang I 20,1-8 *20,1-8: Vollmachtsfrage Bezeugt, war in *Ev sicher vorhanden; möglicherweise durch Lk geringfügig bearbeitet. 20,1 Καὶ ἐγένετο ἐν μιᾷ τῶν ἡμερῶν διδάσκοντος αὐτοῦ τὸν λαὸν ἐν τῷ ἱερῷ [ καὶ εὐαγγελιζομένου ] ἐπέστησαν a οἱ Φαρισαῖοι a 2 καὶ εἶπαν λέγοντες πρὸς αὐτόν, Εἰπὸν ἡμῖν ἐν ποίᾳ ἐξουσίᾳ ταῦτα ποιεῖς, b καὶ τίς ἐστιν ὁ δούς σοι τὴν ἐξουσίαν ταύτην. 3 ἀποκριθεὶς δὲ εἶπεν πρὸς αὐτούς, Ἐρωτήσω ὑμᾶς κἀγὼ λόγον, c ὃν εἴπατέ μοι· 4 Τὸ βάπτισμα d τὸ Ἰωάννου ἐξ οὐρανοῦ ἦν ἢ ἐξ ἀνθρώπων; 5 οἱ δὲ e συνελογίζοντο πρὸς ἑαυτοὺς λέγοντες ὅτι Ἐὰν εἴπωμεν, Ἐξ οὐρανοῦ, ἐρεῖ Διὰ τὶ f οὖν οὐκ ἐπιστεύσατε αὐτῷ; 6 ἐὰν δὲ εἴπωμεν, Ἐξ ἀνθρώπων, ὁ λαὸς ἅπας καταλιθάσει ἡμᾶς, πεπεισμένος γάρ ἐστιν Ἰωάννην προϕήτην εἶναι. 7 καὶ ἀπεκρίθησαν μὴ εἰδέναι g αὐτοὺς τὸ g πόθεν. 8 καὶ ὁ Ἰησοῦς εἶπεν αὐτοῖς, Οὐδὲ ἐγὼ λέγω ὑμῖν ἐν ποίᾳ ἐξουσίᾳ ταῦτα ποιῶ. A. *20,1.4: Tert. 4,38,1: Sciebat Christus baptisma Ioannis unde esset. Et cur quasi nesciens interrogabat? Sciebat non responsuros sibi pharisaeos. Et cur frustra interrogabat? An ut ex ore ipsorum iudicaret illos, vel ex corde? Refer ergo et haec ad excusationem creatoris et ad comparationem Christi, et considera iam quid secuturum esset si quid pharisaei ad interrogationem renuntiassent. ♦ *20,5: Tert. 4,38,2: Sed de caelis fuit baptisma Ioannis. Et quare, inquit Christus, non credidistis ei? ♦ *20,6: Tert. 4,38,1: … puta illos renuntiasse humanum Ioannis baptisma, statim lapidibus elisi fuissent. ♦ *20,8: Tert. 4,38,2: Certe nolentibus renuntiare quid saperent, cum et ipse vicem opponit, Et ego non dico vobis in qua virtute haec facio, malum malo reddidit. B. a (20,1) οι Φαρισαιοι/ Pharisaei: Tert ¦ οι αρχιερεις (ιερεις: A W usw.) και οι γραμματεις συν τοις πρεσβυτεροις: it M ● b (20,2) και: D 579 827 903 1187 a d e gat vg 2 mss sy p ¦ η: auf b c f ſſ 2 g 1 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● c (20,3) ον: D d ¦ om aur c g 1 gat l q vg bo mss aeth ¦ και: a f M (*Ev non test.) ● d (20,4) το: א D L N Q R GregNaz (Orat. 37,5; PG 36, 288) ¦ και: M (*Ev non test.) ● e (20,5) συνελογιζοντο: א C D W Θ 60 157 399 1010 1220 1352 1458 a aur c d f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 vg sy armen ¦ συνελογισαντο: e M (*Ev non test.) ● f (20,5) ουν: A C D K N Q f 1 33 2542 al a aur d f g 1 gat vg sy h sa mss (vgl. Mk 11,31; Mt 21,25) ¦ om c ſſ 2 i l r 1 M (*Ev non test.) ● g (20,7) αυτους το: D; αυτους: C 1071 d e vg ms ¦ το: f 13 ¦ om a aur c f ſſ 2 g 1 gat i l r 1 M (*Ev non test.). C. Die Perikope ist durch Tertullians Referat mit den wörtlichen Zitaten aus *20,5f.8 sicher bezeugt. Seine hypothetische Erwägung, wie das Gespräch ausgesehen haben würde, wenn die Pharisäer auf die Frage Jesu tatsächlich geantwortet hätten, 1 stellt die gesamte Struktur auch mit den nichtbezeugten Versen *20,6f sicher. Auch wenn der genaue Wortlaut der unbezeugten Passagen sich nicht mit der gewünschten Zuverlässigkeit eruieren lässt, sind einige weiterführende Beobachtungen möglich. ______________________________ 1 Ter. 4,38,1: et considera iam quid secuturum esset si quid pharisaei ad interrogationem renuntiassent. 20,1-8 Rekonstruktion 1093 1. Einen wichtigen Hinweis für die Einleitung der Perikope gibt Tertullian, der als Frager nicht die im kanonischen Text genannten Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten anführt, sondern, gleich zwei Mal, pharisaei nennt. Wie ist dies zu verstehen? Zwei Möglichkeiten sind denkbar. Auf der einen Seite ist in Rechnung zu stellen, dass Tertullian hier kein Zitat aus *Ev mitteilt: Direkte Zitate aus Chrien liefert Tertullian fast nur zu den abschließenden Sentenzen im Munde Jesu, während er auf die narrativen Elemente aus dem Rahmen und der Erzählung der Begebenheit in der Regel in freier Formulierung anspielt. Und da für ihn die genaue Identität der Gesprächspartner nicht wichtig ist, wäre es denkbar, dass er hier die Pharisäer irrtümlich eingefügt hat. Auf der anderen Seite lässt sich wahrscheinlich machen, dass Tertullian doch genau auf *Ev verweist. Denn eine versehentliche Eintragung der »Pharisäer« aus den synoptischen Parallelen ist nicht möglich: Sie werden auch da gar nicht genannt. Stattdessen haben Mk 11,27 οἱ ἀρχιερεῖς καὶ οἱ γραμματεῖς καὶ οἱ πρεσβύτεροι und Mt 21,23 οἱ ἀρχιερεῖς καὶ οἱ πρεσβύτεροι τοῦ λαοῦ. Die lk Formulierung folgt hier Mk, dessen »Hohenpriester, Schriftgelehrten und Älteste« als Frager einen guten, redaktionellen Sinn ergeben: Er führt die verschiedenen Gegnergruppen in den Jerusalemer Streitgesprächen nacheinander an. Für ein entsprechendes redaktionelles Interesse an einer Änderung der Gesprächspartner nach dem Mk-Text in Lk spricht außerdem, dass Lk auch sonst seit dem Einzug Jesu in Jerusalem die Pharisäer von der Beteiligung am Komplott gegen Jesus möglichst heraushält: Auch in der Frage nach der Kaisersteuer 20,20-26 hat er anstelle der in Mt 22,13 || Mk 12,13 genannten Pharisäer ὑποκρινόμενοι ἑαυτοὺς δικαίους εἶναι. Nach dem Kriterium der höheren redaktionellen Plausibilität liegt es nahe, dass *Ev die Pharisäer als Gesprächspartner Jesu nannte und Tertullian zutreffend referiert. Das bedeutet, dass bereits Mk 11,27 die »Pharisäer« in *Ev durch »die Hohenpriester und die Schriftgelehrten und die Ältesten« ersetzt hat. Diese Ersetzung ist plausibel, weil Mk ja zusammen mit der Tempelreinigung auch die Jerusalemer »Tempel«-Autoritäten in die Erzählung eingeführt hat (Mk 11,15- 19). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass *Ev beim Einzug Jesu in Jerusalem und bei der ersten von ihm geschilderten Aktivität im Tempel die Pharisäer als Jesu Gegner enthielt. 2. Die Exposition ist in den drei synoptischen Fassungen sehr unterschiedlich formuliert: Die Formulierung καὶ ἐγένετο ἐν μιᾷ τῶν ἡμερῶν διδάσκοντος … *20,1 klingt typisch »lukanisch« und unterscheidet sich von dem Bericht, dass Jesus (wieder) in die Stadt und in den Tempel kam (Mk 11,27 || Mt 21,23). Aber da Mk 11,20-26 || Mt 21,20-22 unmittelbar davor die sicher auf die mk Redaktion zurückgehende Belehrung über den verdorrten Feigenbaum einfügen und dadurch Komposition und Kontextverbindungen verändern, ist es gut denkbar, dass Lk hier die Formulierung von *Ev übernommen hat. Davon ist jedoch mit einiger 1094 Anhang I 20,1-8 Wahrscheinlichkeit die Wendung καὶ εὐαγγελιζομένου auszunehmen, die bei Mk und Mt fehlt: Die Kombination διδάσκειν καὶ εὐαγγελίζεσθαι ist typisch lk 2 und wird auch an dieser Stelle eine redaktionelle Ergänzung sein. 3. Unklar ist auch, worauf sich die kritische Frage *20,2 eigentlich bezieht: ταῦτα ποιεῖς (*20,2 || Mk 11,28 || Mt 21,23) ist anaphorisch und verlangt einen vorangehenden Bezugspunkt. Für die mk-mt Fassung scheint festzustehen, dass ταῦτα ποιεῖς auf die zuvor erzählte Tempelreinigung referiert, 3 während dieser Zusammenhang für Lk nicht so deutlich ist, denn er hat in *20,1 mit dem Hinweis auf die Lehre im Tempel ein näherliegendes Referenzobjekt, 4 das mit aller Wahrscheinlichkeit bereits in *Ev enthalten war. Indem Mk und Mt dieses Element übernehmen (Mk 11,28 || Mt 21,23), ist die Plausibilität der Geschehensfolge stark eingeschränkt: Aufgrund der Vorschaltung der drastischen Tempelreinigung ist der damit unmittelbar verbundene Tötungswunsch der Hohenpriester und Schriftgelehrten (sowie der Angesehensten des Volkes) nachvollziehbar; aber im Anschluss treten ganz lapidar beinahe die gleichen Gruppen 5 auf, um mit Jesus ein Gespräch über seine Vollmacht zu führen. Die für *Ev rekonstruierte Textfolge ist sehr viel plausibler, weil hier die Tempelreinigung fehlt und sich ταῦτα ποιεῖς (*20,2) auf die Lehre Jesu im Tempel bezieht. Der Gang der Überlieferungsgeschichte, der sich auf diese Weise für die Exposition von *20,1 par. und ihre kontextuelle Einbindung ergibt, macht dann die komplizierten Überlegungen obsolet, die beispielsweise Ennulat zu der Entstehung der Spannung angestellt hat: Wenn der Hinweis auf Jesu περιπατεῖν im Tempel (Mk 11,27) einen Bezug auf die Tempelreinigung schwierig mache, sei dies auf die mk Einfügung der Deutung des verdorrten Feigenbaus (Mk 11,20-26) zurückzuführen. Dieser Mangel an Logik gehe auf die mk Veränderung der vormk Textfolge zurück (der zufolge Tempelreinigung und Vollmachtsfrage unmittelbar miteinander verbunden gewesen seien). Mk hat den logischen Bruch geschaffen, Mt und Lk hätten ihn zwar erkannt, nun aber nicht dadurch beseitigt, dass sie den ursprünglichen Bezugspunkt wieder hergestellt hätten, sondern dadurch, dass sie »in Übereinstimmung zueinander« mit dem Hinweis auf die Lehre Jesu einen neuen Bezugspunkt geschaffen hätten. 6 Abgesehen davon, dass die analoge Einfügung ______________________________ 2 Im NT sonst nur noch Act 5,42; 15,35; vgl. dazu G. S TRECKER , Art. εὐαγγελίζω, EWNT II 173. 3 Vgl. etwa L UZ , Mt III 209 z. St.; ähnlich L ÜHRMANN , Mk 198, der jedoch zu Recht einschränkt: die Frage ziele »zumal in der Präsensform, generell auf alles, was Jesus tut.« E NNULAT , Minor Agreements 259, weist zu Recht darauf hin, dass ein direkter Bezug von ταῦτα ποιεῖς auf die Tempelreinigung wegen περιπατοῦντος Mk 11,27 »unsinnig« sei. 4 W OLTER , Lk 640 z. St.: Bezog sich ταῦτα ποιεῖς »bei Markus vor allem auf die Tempelaktion Jesu, sollen die Leser bei Lukas annehmen, dass Jesu Gegner ihn nach der Legimitiation seiner Lehrtätigkeit im Tempel fragen.« 5 Mk 11,18: οἱ ἀρχιερεῖς καὶ οἱ γραμματεῖς; 11,27: οἱ ἀρχιερεῖς καὶ οἱ γραμματεῖς καὶ οἱ πρεσβύτεροι. 6 E NNULAT , Minor Agreements 259. 20,1-8 Rekonstruktion 1095 des Lehrens (Mt 21,23: διδάσκοντι || Lk 20,1: διδάσκοντος) ja nur ein weiteres, erklärungsbedürftiges Minor Agreement produziert, 7 ist die umgekehrte Annahme sehr viel einfacher, dass die Lehre Jesu den ursprünglichen Referenzpunkt für die Vollmachtsfrage dargestellt hat und schon in *Ev enthalten war: Nur Mk hat diesen Zusammenhang durch die Einfügung der Tempelreinigung und die daraus resultierende Neuformulierung der Exposition unkenntlich gemacht. 4. Der Hinweis auf die Lehre Jesu im Tempel (διδάσκοντος Lk 20,1 || διδάσκοντι Mt 21,3 ÷ Mk 11,27) ist nur das erste Beispiel einer langen Reihe deutlicher »Minor Agreements«, die zu dieser Perikope zu verzeichnen sind. 8 λέγοντες Lk 20,2a || Mt 21,23 ≠ ἔλεγον Mk 11,28. - ἵνα ταῦτα ποιῇς Mk 11,28 ÷ Lk 20,2 || Mt 21,23. - ἀποκριθείς … εἶπεν Lk 20,3a || Mt 21,24 ≠ εἶπεν Mk 11,29. - ἐρωτήσω Lk 20,3b || Mt 21,24 ≠ ἐπερωτήσω Mk 11,29. - κἀγώ Lk 20,3b || Mt 21,24 ÷ Mk 11,29. - εἴπατέ μοι Lk 20,3c || εἴπητέ μοι Mt 21,24 ≠ ἀποκρίθητέ μοι Mk 11,29. - ἀποκρίθητέ μοι Mk 11,30 ÷ Lk 20,4 || Mt 21,25. - οἱ δέ Lk 20,5a || Mt 21,25 ≠ καί Mk 11,31. - ἐὰν δέ Lk 20,6a || Mt 21,26 ≠ ἀλλά Mk 11,32. Einmal abgesehen davon, dass diese »Minor Agreements« die Annahme schwierig machen, dass Lk 20,1-5 und Mt 21,23-27 unabhängig voneinander auf Mk 11,27-33 zurückgegriffen haben sollten, 9 lassen sich die Abweichungen gut als mk Änderungen an der älteren Fassung in *Ev verstehen, die sich bei Mt und Lk noch erhalten hat. Für den Hinweis auf die Lehre in der Exposition ist dies schon deutlich geworden. Für das doppelte ἀποκρίθητέ μοι Mk 11,29.30 ist der redaktionelle Wille leicht erkennbar, der für diese auffällige Doppelung verantwortlich ist: Im ersten Fall ersetzt Mk 11,29 die Formulierung vo *Ev (εἴπατέ μοι, *20,3), im zweiten, für das *Ev keine Entsprechung bietet, fügt Mk 11,30 es zusätzlich ein. Mk betont dadurch die Forderung Jesu nach einer Antwort, gerade weil diese ausbleibt: Die Angeredeten antworten zwar (Mk 11,33: ἀποκριθέντες … λέγουσιν), wissen aber nichts zu sagen (οὐκ οἴδαμεν). Da die klassischen mt-lk »Minor Agreements« unter der Annahme der *Ev-Priorität auf verschiedene Weise zustande kommen können, lässt sich häufig nicht entscheiden, ob Mt und Lk dem Text von *Ev folgen, nicht aber den redaktionellen Änderungen, die Mk daran vorgenommen hat, oder ob *Ev von Mk bewahrt wurde, während Mt und in dessen Folge auch Lk ihn verändert haben; beide Phänomene sind ja reichlich bezeugt. In diesem Fall ist jedoch sehr deutlich, dass die Abweichungen, die das mt-lk Agreement gegen Mk erzeugen, auf die mk Redaktion von *Ev zurückgehen, dessen Text Mt und Lk folgen. ______________________________ 7 Das wird dann wieder in erster Linie durch die Annahme einer unabhängigen mt/ lk Redaktion des mk Textes gelöst, vgl. etwa S CHNEIDER , Lk II 394; J. S CHMID , Matthäus und Lukas, Freiburg/ Brsg. 1930, 136; G. S TRECKER , Der Weg der Gerechtigkeit, Göttingen 3 1971, 127 u. a. E NNULAT selbst nimmt an, dass »das Motiv des lehrenden Jesus im Tempel … weitgehend trad[itionell] bedingt« sei (a. a. O. 259, Anm. 18). 8 Vgl. dazu N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 148ff; DERS ., Minor Agreements (1991), 65f; E NNULAT , Minor Agreements 258-263. 9 A. F UCHS , Die Frage nach der Vollmacht Jesu, in: ders., Spuren von Deuteromarkus IV, Münster 2004, 195-233; ähnlich auch E NNULAT , Minor Agreements 262f; K LEIN , Lk 621 Anm. 1 u. a. 1096 Anhang I 20,1-8 5. Ein kleines, für den literarischen Charakter von *Ev aber wichtiges Detail liegt in *20,4-6. Denn die Frage Jesu und die stille Erörterung der Antwortalternativen durch die Pharisäer setzt ja nicht nur das Wissen um die Taufe des Johannes voraus, sondern auch um die Weigerung der Pharisäer, sich ihr zu unterziehen. Beide Elemente waren nicht Bestandteil von *Ev, sind aber durch die lk Redaktion nachgetragen: Lk 3,3.7-9 und 7,30 haben sicher bzw. höchstwahrscheinlich gefehlt (s. dort). Umgekehrt ist aber deutlich, dass Tertullian in diesem Zusammenhang die entsprechenden Hinweise in *20,4-6 mindestens der Sache nach in *Ev gelesen hatte (baptisma Ioannis; quare non credidistis ei). 10 Das Phänomen entspricht der Bezeichnung des Johannes als ὁ βαπτιστής (*7,17, s. dort): *Ev setzt voraus, dass Johannes taufte und als Täufer bezeichnet wurde, erzählt aber nichts davon. Die Voraussetzung von spezifischem, textexternem Wissen konstituiert eine unübersehbare literarische Inkonsistenz. Für diesen Kohärenzmangel gibt es nur zwei Erklärungen: Entweder drückt sich darin die schlampige Unbekümmertheit des kompositionellen Verfahrens aus, oder man muss annehmen, dass der Verfasser dieses Wissen um die Tauftätigkeit des Johannes bei den intendierten Lesern als Selbstverständlichkeit voraussetzt. In jedem Fall zeigt die Täuferüberlieferung in den kanonischen Evangelien die Tendenz, diese losen narrativen Enden aufzugreifen und sie mit der Erzählung entsprechender Sachverhalte zu verknüpfen. Mk und Mt haben dies bereits durch die Einfügung ihrer Tauferzählungen getan, Lk hat darüber hinaus auch die Weigerung der Pharisäer, sich dieser Bußtaufe zu unterziehen, mitgeteilt und in einer theologischen Bewertung reflektiert. Die deutlich höhere narrative Kohärenz, die Lk im Vergleich zu *Ev besitzt, ist als Indiz für die Bearbeitungsrichtung von *Ev zu Lk zu verstehen. 20,9-18: Gleichnis von den Weingärtnern Exakter Auslassungsvermerk, hat sicher in *Ev gefehlt. Durch die lk Redaktion aus Mk und Mt ergänzt. 20,9 ῎Ηρξατο δὲ πρὸς τὸν λαὸν λέγειν τὴν παραβολὴν ταύτην· Ἄνθρωπός τις ἐϕύτευσεν ἀμπελῶνα, καὶ ἐξέδετο αὐτὸν γεωργοῖς, καὶ ἀπεδήμησεν χρόνους ἱκανούς. 10 καὶ καιρῷ ἀπέστειλεν πρὸς τοὺς γεωργοὺς δοῦλον, ἵνα ἀπὸ τοῦ καρποῦ τοῦ ἀμπελῶνος δώσουσιν αὐτῷ· οἱ δὲ γεωργοὶ ἐξαπέστειλαν αὐτὸν δείραντες κενόν. 11 καὶ προσέθετο ἕτερον πέμψαι δοῦλον· οἱ δὲ κἀκεῖνον δείραντες καὶ ἀτιμά- ______________________________ 10 Gegen die Formulierung des Mehrheitstextes von 20,5 (διὰ τί) ist mit einer Reihe von Handschriften διὰ τὶ οὖν zu lesen. Auch Tertullian hat diesen konsekutiven Anschluss gelesen, ihn allerdings nicht mit οὖν (BDR § 451.1) wiedergegeben, sondern durch das gleichbedeutende καί consecutivum (BDR § 442.2): et quare. [20,9-18] Rekonstruktion 1097 σαντες ἐξαπέστειλαν κενόν. 12 καὶ προσέθετο τρίτον πέμψαι· οἱ δὲ καὶ τοῦτον τραυματίσαντες ἐξέβαλον. 13 εἶπεν δὲ ὁ κύριος τοῦ ἀμπελῶνος, Τί ποιήσω; πέμψω τὸν υἱόν μου τὸν ἀγαπητόν· ἴσως τοῦτον ἐντραπήσονται. 14 ἰδόντες δὲ αὐτὸν οἱ γεωργοὶ διελογίζοντο πρὸς ἀλλήλους λέγοντες, Οὗτός ἐστιν ὁ κληρονόμος· ἀποκτείνωμεν αὐτόν, ἵνα ἡμῶν γένηται ἡ κληρονομία. 15 καὶ ἐκβαλόντες αὐτὸν ἔξω τοῦ ἀμπελῶνος ἀπέκτειναν. τί οὖν ποιήσει αὐτοῖς ὁ κύριος τοῦ ἀμπελῶνος; 16 ἐλεύσεται καὶ ἀπολέσει τοὺς γεωργοὺς τούτους, καὶ δώσει τὸν ἀμπελῶνα ἄλλοις. ἀκούσαντες δὲ εἶπαν, Μὴ γένοιτο. 17 ὁ δὲ ἐμβλέψας αὐτοῖς εἶπεν, Τί οὖν ἐστιν τὸ γεγραμμένον τοῦτο· Λίθον ὃν ἀπεδοκίμασαν οἱ οἰκοδομοῦντες, [ οὗτος ἐγενήθη εἰς κεϕαλὴν γωνίας; 18 πᾶς ὁ πεσὼν ἐπ’ ἐκεῖνον τὸν λίθον συνθλασθήσεται· ἐϕ’ ὃν δ’ ἂν πέσῃ, λικμήσει αὐτόν. ] A. 20,9-18 : Epiph., Schol. 55: Πάλιν ἀπέκοψε τὰ περὶ τοῦ ἀμπελῶνος τοῦ ἐκδεδομένου τοῖς γεωργοῖς καὶ τό· Τί οὖν ἐστι τὸ λίθον ὃν ἀπεδοκίμασαν οἱ οἰκοδομοῦντες; C. Epiphanius’ Vermerk ist eindeutig, er kennzeichnet die Perikope allgemein und deutet die Schlusspointe an (Lk 20,17c), um zu zeigen, wie weit die »Lücke« in *Ev reicht. Es liegt auf der Hand, dass auch der von Epiphanius nicht erwähnte Abschluss der Deutung (20,17d.18) gefehlt hat, der nicht für sich alleine stehen kann. Selbstverständlich ist das Fehlen der Perikope von den Vertretern der Lk-Priorität zuverlässig notiert worden. Sie geben allerdings keine Begründung, warum sich Marcion an dieser Perikope gestoßen haben sollte: Der negative Befund für das Evangelium Marcions passt nicht in das ihm unterstellte Bearbeitungskonzept. 1 Gleichwohl erlaubt er weiterführende Einsichten, vor allem für die Überlieferungsgeschichte: Dieses Problem wurde wegen des uneinheitlichen Befundes (mit mt-lk Übereinstimmungen gegen Mk und mk-lk Übereinstimmungen gegen Mt) in der Vergangenheit kontrovers diskutiert. 2 1. Da das Gleichnis in *Ev zweifelsfrei gefehlt hat, liegt hier eine »rein synoptische« Überlieferung vor, deren literarische Verhältnisse unabhängig von einer älteren Vorstufe zu bestimmen sind, also i. W. unter den Voraussetzungen, unter ______________________________ 1 H ARNACK 228*: »9-18 (Die schlimmen Weingärtner) war gestrichen.« T SUTSUI 119 notiert die Auslassung von 20,9-18 mit dem Hinweis, dass aus diesem Grund auch 20,19a gefehlt haben müsse. Gründe werden nicht angegeben. 2 Vgl. dazu K. S NODGRASS , The Parable oft he Wicked Tenants, Tübingen 1983, 41-71, mit Lit. und der Diskussion der diversen Vorschläge. 1098 Anhang I 20,9-18 denen die Zwei-Quellentheorie argumentiert.3 In diesem Fall stellen die zahlreichen (mt-lk) »Minor Agreements« ein gravierendes Problem dar. 4 Die wichtigsten sind: παραβολήν (Lk 20,9 || Mt 21,33) ≠ ἐν παραβολαῖς (Mk 12,1). - ἄνθρωπος ἐϕύτευσεν ἀμπελῶνα (Lk 20,9 || Mt 21,33) ≠ ἀμπελῶνα ἄνθρωπος ἐϕύτευσεν (Mk 12,1). - παρὰ τῶν γεωργῶν (Mk 12,2) ÷ Lk 20,10 || Mt 21,34. - οἱ γεωργοί (Lk 20,10 || Mt 21,35) ÷ Mk 12,2. - πρὸς αὐτούς (Mk 12,4) ÷ Lk 20,11 || Mt 21,36. - ἰδόντες (Lk 20,14 || Mt 21,38) ÷ Mk 12,7. - ὅτι-recitativum (Mk 12,7a) ÷ Lk 20,14 || Mt 21,38. - Abfolge von ἐκβαλόντες … ἀπέκτειναν (Lk 20,15 || Mt 21,39) ≠ ἀπέκτειναν … ἐξέβαλον (Mk 12,8). - αὐτοῖς (Lk 20,15b) || τοῖς γεωργοῖς ἐκείνοις (Mt 21,40b) ÷ Mk 12,9a. - Doppelbildwort vom Fallen auf den Stein/ fallenden Stein Lk 20,18 || Mt 21,44 ÷ Mk (nach 12,11). - οἱ ἀρχιερεῖς Lk 20,19a || Mt 21,34 ÷ Mk 12,12. Diese klassischen »Minor Agreements« belegen die Abhängigkeit der lk von der mt Fassung, auch wenn wiederholt der Versuch unternommen wurde, die Agreements als unabhängige redaktionelle Änderungen der mk Vorlage durch Mt und Lk zu erklären. Diese Lösung ist jedoch unwahrscheinlich; zwar ist sie für das Gros der Agreements zumindest denkbar, scheitert aber sehr eindeutig an der Parallelität von Mt 21,44 || Lk 20,18. Aus diesem Grund wurden hier die beiden wichtigsten Hilfsmodelle zur Stützung der Zwei-Quellentheorie herangezogen. Das erste ist die Annahme einer »Mk-Q-Doppelüberlieferung«. 5 Sie kann sich neben dem nicht weg zu erklärenden Agreement von Lk 20,18 auf eine Reihe charakteristischer mk-lk Übereinstimmungen gegen Mt stützen: Neben Kleinigkeiten ist vor allem die Sendung von jeweils einem Knecht (Lk 20,10.11 || Mk 12,2.4 ≠ Mt 21,34: jeweils Plural) sowie die Sendung eines dritten Knechts (Lk 20,12 || Mk 12,5 ÷ Mt 21,36) zu nennen. Der zweite Lösungsvorschlag ist, wie auch sonst so häufig, die Annahme einer »deutero-mk« Bearbeitung: Für die Erklärung dieser Übereinstimmung werde man »kaum ohne einen vormt/ lk veränderten MkText als Basistext ______________________________ 3 Das gilt auch für die Fassung in EvThom 65f. Zur Diskussion der literarischen Beziehungen zu den synoptischen Fassungen vgl. zuletzt J. K LOPPENBORG , The Tenants in the Vineyard, Tübingen 2006, 242-277, mit der Aufarbeitung der Forschungsgeschichte. Die genaue Bestimmung des Verhältnisses von EvThom 65f zu Mk 12,1-12 par. kann hier auf sich beruhen. Zum einen bleibt die Annahme verschiedener mündlicher Vorstufen (»performances«) unbeweisbar und gewinnt angesichts der deutlich literarischen Bearbeitungen innerhalb der synoptischen Überlieferungen auch keine zusätzliche Plausibilität. Zum andern stellt sich das für die Einzeichnung von EvThom 65f zentrale literarische Verhältnis zwischen der mk und der lk Fassung unter der Annahme des hier vertretenen überlieferungsgeschichtlichen Modells anders dar als für Kloppenborg, der von der Zwei-Quellentheorie ausgeht (s. 271ff). 4 Vgl. N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 150ff; DERS ., Minor Agreements (1991), 66f; E NNULAT , Minor Agreements 263-269. 5 Vorgeschlagen von S NODGRASS , a. a. O 56. Der Hinweis, dass sich diese Lösung nicht durchgesetzt habe (W OLTER , Lk 644), ist für die Zwecke eines Kommentars ausreichend, aber natürlich kein sachliches Argument. [20,9-18] Rekonstruktion 1099 für Mt und Lk auskommen können.« 6 Im Unterschied zu diesem Modell, das neben »Q« ja noch eine weitere, völlig ungedeckte Überlieferungsstufe postulieren muss, bietet die Annahme der *Ev-Priorität eine simple Lösung, weil die lk Fassung erst das Endstadium der kanonischen Überlieferung darstellt und auf beide früheren Fassungen (Mk; Mt) zurückgreift. 2. In diesem methodischen Rahmen erhält dann auch das textkritische Problem von Mt 21,44 eine Erklärung: Der ganze Vers fehlt in den charakteristischen Handschriften des »Westlichen Textes« 7 und erscheint bei Westcott/ Hort als »possible Western Non-Interpolation« in einfachen Klammern im Text. Das Phänomen entspricht auch den anderen »Western Non-Interpolations« 8 außerhalb von Lk: Sie repräsentieren die vorkanonische Textgestalt dieser Evangelien. Mit dieser textgeschichtlichen Überlegung zur Bedeutung der »Westlichen« Lesarten außerhalb des Lk lassen sich für die Überlieferungsgeschichte dieser Perikope die einzelnen Wachstumsschritte wahrscheinlich machen: a. Der Anfang der Überlieferung liegt nach den wichtigsten Modellen zu den synoptischen Beziehungen 9 in Mk 12,1-12. Analog zu dem Beispiel *Mt 21,44 (D it sy u. a.) lässt sich auch für Mk 12,1-12 die vorkanonische *Mk-Fassung noch in Grundzügen rekonstruieren, die sich neben etlichen Kleinigkeiten vor allem darin von der kanonischen Fassung unterschied, dass V. 12c mit einiger Wahrscheinlichkeit fehlte: Die Wendung καὶ ἀϕέντες αὐτὸν ἀπῆλθον fehlt im Cod. Washingtonianus (W). Verständlich wird dieses Fehlen, wenn die Wendung sekundär hinzugefügt wurde, um den Anschluss von Mk 12,13ff zu erleichtern: Da die Adressaten des Gleichnisses es nicht wagen, Jesus zu ergreifen (Mk 12,12a.b), ihn daraufhin »lassen und davongehen« (Mk 12,12c), haben sie die Möglichkeit, »einige der Pharisäer und Herodianer« zu ihm zu schicken (Mk 12,13). Ohne diese Klammer 12,12c wäre der Einsatz von 12,13 weniger gut vorbereitet. 10 b. Die zweite Stufe, die wiederum nur hypothetisch zu erschließen ist, wäre demzufolge die vorkanonische Fassung des Gleichnisses in *Mt 21,33-46. Für diese hypothetische Fassung gilt zunächst, dass *Mt 21,44 gefehlt hat und diese Form sich noch in einem Teil der Handschriften erhalten hat (D 33 a b d e ſſ 1 ſſ 2 r 1 sy s Iren lat Origen Eus syr ). Daneben gibt es nur eine weitere Lesart, die möglicherweise auf diese kanonische Redaktion des Mt zurückgehen könnte: *21,39: αυτον απεκτειναν και εξεβαλον εξω του αμπελωνος: D it Lucif; απεκτειναν αυτον και εξεβαλον εξω του αμπελωνος: Θ Iren arm ¦ 21,39: αυτον εξεβαλον εξω του αμπελωνος και απεκτειναν: M . Die Abfolge in den »Westlichen« Zeugen (töten - hinauswerfen) ______________________________ 6 E NNULAT , Minor Agreements 269. 7 Mt 21,44 vs. om D 33 a b d e ſſ 1 ſſ 2 r 1 sy s Iren lat Origen Eus syr ¦ add א B C L W Z (Θ) 0102 f 1.13 aur c f g 1 h l q vg sy c.p.h co M . 8 Vgl. dazu o. S. 964f (zu *14,7 || *Mt 20,28) und 1057f (zu *18,24 || *Mk 10,23). 9 Also alle die Modelle, die für die innersynoptischen Relationen eine Priorität des Mk vor Mt und Lk annehmen: Zwei-Quellentheorie (einschließlich der Hilfskonstruktionen: Deutero-Mk und »Mk-Q-Doppelüberlieferung«); das Modell »Markan Priority« (A. Farrer; M. Goulder; M. Goodacre usw.); *Ev-Priorität. Anders würde sich das Bild jedoch darstellen unter der Two-Gospel-Hypothesis (W. R. Farmer; D. L. Dungan; A. J. McNicol). 10 Weitere Unterschiede zwischen der vorkanonischen Fassung *12,1-12 und Mk 12,1-12 sind oben (Bd. I, § 14) aufgelistet. 1100 Anhang I 20,9-18 entspricht Mk 12,8 (auch in der vorkanonischen Fassung *12,8). Die Semantik dieser Abfolge impliziert, dass der Leichnam des Sohnes unbestattet bleibt, was die Verwerflichkeit der Handlung steigert. 11 Ansonsten ist diese vorkanonische *Mt-Fassung für die redaktionellen Änderungen gegenüber *Mk 12,1-12 verantwortlich: ὁ καιρὸς τῶν καρπῶν *Mt 21,23 ≠ τῷ καιρῷ *Mk 12,2. - τοὺς δούλους αὐτοῦ *Mt 21,34 ≠ δοῦλον *Mk 12,2. - ὃν μὲν ἔδειραν, ὃν δὲ ἀπέκτειναν, ὃν δὲ ἐλιθοβόλησαν *Mt 21,35 ≠ ἔδειραν καὶ ἀπέστειλαν κενόν *Mk 12,3. - ἄλλους δούλους πλείονας τῶν πρώτων *Mt 21,36 ≠ ἄλλον δοῦλον *Mk 12,4. - ἐποίησαν αὐτοῖς ὡσαύτως *Mt 21,36 ≠ ἐκεϕαλίωσαν καὶ ἠτίμασαν *Mk 12,4. - *Mk 12,5 ÷ *Mt 21,36f. - σχῶμεν *Mt 21,38 ≠ ἡμῶν ἔσται *Mk 12,7. - ὅταν οὖν ἔλθῃ *Mt 21,40 ÷ *Mk 12,9. - λέγουσιν αὐτῷ, Κακοὺς κακῶς ἀπολέσει αὐτούς *Mt 21,41 ÷ *Mk 12,9. - *Mt 21,43 ÷ Mk 12,11. - *Mt 21,45 ante 21,46 ≠ *Mk 12,b post *12,a. c. Die letzte Stufe ist dann in der kanonischen Redaktion des Gleichnisses zu sehen. Sie zeigt sich nicht in einem Einzeltext, sondern in allen drei synoptischen Fassungen. Nur geringfügig - und insgesamt semantisch unerheblich - sind die Änderungen in Mk 12,1-12 gegenüber der vorkanonischen Fassung *Mk 12,1-12 (s. o.). Deutlicher ist schon die Bearbeitung von *Mt 21,33-46 durch die kanonisch redigierte Fassung: Die Veränderung der Handlungsfolge in Mt 21,39 (hinauswerfen - töten) gegenüber Mk 12,8 || *Mt 21,39 D it usw. (töten - hinauswerfen) zeigt erkennbar das redaktionelle Interesse, die Tötung des Sohnes mit der Kreuzigung Jesu ἔξω τῆς πύλης (Hebr 13,12) zu parallelisieren (vgl. Mt 17,32; Joh 19,17). Mit Mt 21,44 hat die kanonische Redaktion außerdem eine zweite Strafankündigung eingefügt: Die erste Strafankündigung ist *Mt 21,43 mit der Deutung des Weinbergs auf die βασιλεία τοῦ θεοῦ, die weggenommen und einem Volk gegeben wird, das Früchte bringt; diese Ankündigung besaß bereits in der vorkanonischen Fassung ein narratives Widerlager (*Mt 21,41bc). Der Zusatz von Mt 21,44 war zwar ebenfalls vorbereitet (*21,41a: κακοὺς κακῶς ἀπολέσει αὐτούς), stört aber den jetzigen Zusammenhang: Das Logion vom Fallen auf den Stein/ fallenden Stein ist erkennbar auf Mt 21,42bc (der von den Bauleuten verworfene Stein/ der Eckstein) bezogen, aber durch V. 43 davon getrennt. Verständlich wird diese eigenartige Stellung durch die dritte kanonische »Bearbeitung« in Lk 20,9-18. Denn hier erscheint das Logion (Lk 20,18) in unmittelbarem Anschluss an Lk 21,17 || Mk 12,10. Die lk Redaktion war an diesem Bezug interessiert und hat deshalb nicht nur das Motiv des Wegnehmens/ Weggebens (Mt 21,44), sondern auch den älteren Abschluss (*Mk 12,11 || Mt 21,42d) übergangen. Die oben vermerkten Übereinstimmungen der lk Fassung sowohl mit Mt gegen Mk, als auch mit Mk gegen Mt belegen zur Genüge das bekannte Phänomen, dass das kanonische Lk die anderen Evangelien kannte und nutzte. Die Bedeutung dieser überlieferungsgeschichtlichen Rekonstruktion ist darin zu sehen, dass sie den engen Zusammenhang von Text- und Überlieferungsgeschichte deutlich zu machen vermag. Will man die Komplexität dieses überlieferungsgeschichtlichen Modells nicht übermäßig strapazieren, legt es sich nahe, die kanonische Redaktion der vorkanonischen Fassungen von *Mk und *Mt mit der lk Redaktion ______________________________ 11 So bereits T AYLOR , Mk 475. [20,9-18] Rekonstruktion 1101 von *Ev zu identifizieren: Die kanonische Fassung der vier Evangelien stammt aus einer (redaktionellen) Hand. *20,19a.b [ 19c ] : Verhaftungswunsch Gut bezeugt und in *Ev vorhanden, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit redaktionell ergänzt (20,19c). 20,19 Καὶ ἐζήτησαν a οἱ γραμματεῖς καὶ οἱ ἀρχιερεῖς a ἐπιβαλεῖν ἐπ’ αὐτὸν τὰς χεῖρας b ἐν αὐτῇ τῇ ὥρᾳ b , καὶ ἐϕοβήθησαν c τὸν λαόν c · d 19c ἔγνωσαν γὰρ ὅτι πρὸς αὐτοὺς εἶπεν τὴν παραβολὴν ταύτην. d A. *20,19: Epiph., Schol. 54: Καὶ ἐζήτησαν ἐπιβαλεῖν ἐπ’ αὐτὸν τὰς χεῖρας καὶ ἐϕοβήθησαν. B. a (20,19) οι γραμματεις και οι αρχιερεις: om Epiph ¦ add οι γραμματεις και οι αρχιερεις: A B (C) K L W Θ f 1.13 33 2542 al e sy h bo; οι αρχιερεις και οι γραμματεις: א D Ψ it vg sy s.c.p sa M ● b (20,19) εν αυτη τη ωρα: om Epiph e ¦ εν αυτη τη ωρα/ in illa hora (aur vg); ipsa hora: add aur b c d ſſ 2 i l π q); eadem hora (a); illa hora (f vg) M ● c (20,19) τον λαον: om Epiph G V Y Γ Λ Ω 028 047 mult ¦ add τον οχλον: N W Ψ 0117 al ¦ add τον λαον: it M ● d (20,19) εγνωσαν γαρ οτι προς αυτους ειπεν την παραβολην ταυτην: om Epiph sy s ¦ add it M . C. Epiphanius bezeugt *20,19a.b, wenn auch in deutlich verkürzter Form: Es fehlen das nominale Subjekt (οἱ γραμματεῖς καὶ οἱ ἀρχιερεῖς), die Zeitbestimmung (ἐν αὐτῇ τῇ ὥρᾳ) sowie das Objekt von ἐϕοβήθησαν (τὸν λαόν); 20,19c fehlt in seinem Referat komplett. Obwohl Epiphanius die in *Ev fehlenden Stücke nicht immer genau kennzeichnet und gelegentlich das Ende nicht genau angibt, an welcher Stelle eine »Lücke« endet, ist es wahrscheinlich, dass er in diesem Fall korrekt zitiert: Alle genannten Differenzen lassen sich als Ergänzungen der lk Redaktion wahrscheinlich machen. 1. Das nominale Subjekt im kanonischen Text (20,19a: οἱ γραμματεῖς καὶ οἱ ἀρχιερεῖς) wiederholt die gleichen Gruppen wie in Lk 20,1-8, die sich auch hier schon als redaktionell erwiesen hatten (s. dort). Hätte *Ev hier die Schriftgelehrten und Hohenpriester enthalten, hätten sie genannt werden müssen, weil die letzten, zuvor erwähnten Gesprächspartner die Pharisäer waren (*20,1; s. dort). Da die lk Redaktion das Gleichnis von den Weingärtnern zwischen 20,1-8 und 20,19 gestellt hatte, mussten die Gegner renominalisiert werden, weil der lk Jesus mit diesem Gleichnis einen Adressatenwechsel vorgenommen hatte (20,9: ἤρξατο δὲ π ρ ὸ ς τ ὸ ν λ α ὸ ν λέγειν τὴν παραβολὴν ταύτην). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass *20,19a ursprünglich den Abschluss des Gesprächs über die Vollmacht bildete, das Jesus mit den Pharisäern geführt hatte. Mit Blick auf den Einschub dieses Gleichnisses ist auch unzweifelhaft, dass der 1102 Anhang I 20,19 nicht bezeugte V. 19b, der sich auf dieses Gleichnis bezieht (ἔγνωσαν γὰρ ὅτι πρὸς αὐτοὺς εἶπεν τὴν παραβολὴν ταύτην), ganz sicher nicht in *Ev stand, sondern auf lk Redaktion zurückgeht. 20,19c fehlt nicht nur in Epiphanius’ Referat, sondern auch im Sinaisyrer. Dies bestätigt einmal mehr den Einfluss von *Ev auf die kanonische Handschriftenüberlieferung. 2. Das gleiche Phänomen liegt auch den beiden anderen Änderungen zugrunde, die hier zu verzeichnen sind: Epiphanius und der Cod. Palatinus (e) stimmen darin überein, dass die Wendung ἐν αὐτῇ τῇ ὥρᾳ fehlte. Sie war redaktionell, wie schon aufgrund von *10,21 zu vermuten war (s. dort). Für die Redaktion aufschlussreicher ist der Umstand, dass Epiphanius kein Objekt von ἐϕοβήθησαν (*20,19b) mitteilt. Dass dies kein Zufall ist, zeigt eine lange Reihe griechischer Handschriften (G V Y Γ Λ Ω 028 usw.). Daneben findet sich gelegentlich das aus Mk 12,12 stammende τὸν ὄχλον sowie, in der Mehrzahl der Handschriften, τὸν λαόν. Die Erwähnung des λαός in Lk 20,19 ist redaktionell und beabsichtigt, wie die Entsprechung in Lk 20,9 zeigt. 1 Die geringfügigen Veränderungen sind die Folge der Einschaltung des Gleichnisses von den bösen Weingärtnern, durch das sich der Gegensatz zwischen den Führern des Volkes und Jesus dramatisch zuspitzt, darin der ebenfalls erst auf die lk Redaktion zurückgehenden Einfügung der »Tempelreinigung« entsprechend: Vor allem durch diese beiden Veränderungen erhalten die folgenden Auseinandersetzungen in Jerusalem einen von vornherein feindseligen Zug und dienen der narrativen Vorbereitung des gewaltsamen Todes Jesu. In *Ev dagegen fehlt diese plausibilisierende Anbahnung. *20,20-26: Frage nach den Steuern für den Kaiser Nur teilweise für *Ev bezeugt, aber sicher vorhanden. 20,20 Καὶ a ἀποχωρήσαντες ἀπέστειλαν ἐγκαθέτους ¿ὑποκρινομένους ἑαυτοὺς δικαίους εἶναι? , ἵνα ἐπιλάβωνται αὐτοῦ λόγου ὥστε παραδοῦναι αὐτὸν b τῷ ἡγεμόνι b . 21 καὶ ἐπηρώτησαν αὐτὸν λέγοντες, Διδάσκαλε, οἴδαμεν ὅτι ὀρθῶς λέγεις καὶ διδάσκεις καὶ c οὐδενὸς λαμβάνεις πρόσωπον, ἀλλ’ ἐπ’ ἀληθείας τὴν ὁδὸν τοῦ θεοῦ διδάσκεις· 22 ἔξεστιν ἡμᾶς Καίσαρι ϕόρον δοῦναι ἢ οὔ; 23 d ἐπιγνοὺς δὲ αὐτῶν τὴν e πονηρίαν εἶπεν πρὸς αὐτούς, f [ Τί με πειράζετε ¿ὑποκριταί? ] f 24 Δείξατέ μοι g ¿δηνάριον? ¿τὸ νόμισμα? g · τίνος ἔχει εἰκόνα καὶ ἐπιγραϕήν; h ἀποκριθέντες εἶπαν, Καίσαρος. 25 ὁ δὲ εἶπεν πρὸς αὐτούς, i Τοίνυν Ἀπόδοτε τὰ k τοῦ Καίσαρος ______________________________ 1 ἤρξατο δὲ πρὸς τὸν λαὸν λέγειν τὴν παραβολὴν ταύτην Lk 20,9 ≠ καὶ ἤρξατο αὐτοῖς ἐν παραβολαῖς λαλεῖν Mk 12,1; ἄλλην παραβολὴν ἀκούσατε Mt 21,33. 20,20-26 Rekonstruktion 1103 k τῷ Καίσαρι καὶ τὰ τοῦ θεοῦ τῷ θεῷ. 26 καὶ οὐκ ἴσχυσαν ἐπιλαβέσθαι αὐτοῦ ῥήματος ἐναντίον τοῦ λαοῦ, καὶ θαυμάσαντες ἐπὶ τῇ ἀποκρίσει αὐτοῦ ἐσίγησαν. A. *20,24f: Tert. 4,38,3: Reddite quae Caesaris Caesari, et quae sunt dei deo. Quae erunt dei? Quae similia sunt denario Caesaris; imago scilicet et similitudo eius. Hominem igitur reddi iubet creatori, in cuius imagine et similitudine et nomine et materia expressus est. Quaerat sibi monetam deus Marcionis, Christus denarium hominis suo Caesari iubet reddi, non alieno; nisi quod necesse est, qui suum denarium non habet. B. a (20,20) αποχωρησαντες/ recessissent: D Θ (W: υποχωρησαντες) (a: discessissent) (c: recedentes) (e: recesserunt) f ſſ 2 i l q r 1 aeth ¦ παρατηρησαντες/ observantes: aur vg M (*Ev non test.) ● b (20,20) τω ηγεμονι: D a d e r 1 sy c ¦ om: i ¦ τη αρχη και τη εξουσια του ηγεμονος: aur c f ſſ 2 l q r 1 M (*Ev non test.) ● c (20,21) ουδενος: D d sy s.c georg ¦ ου: a aur c e f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● d (20,23) επιγνους/ cognoscens: D d (e: cum cognovisset) sa aeth (vgl. Mt 22,18: γνους) ¦ κατανοησας/ considerans: aur c f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● e (20,23) πονηριαν/ nequitiam (iniquitatem): C* D pc a (d) e l r 1 sy s.c.hmg ¦ πανουργιαν/ dolum: aur c f ſſ 2 i l q M (*Ev non test.) ● f (20,23) om א B L 0266 vid f 1 579 892 1241 1424 2542 pc e co M ¦ add τι με πειραζετε: A C D W Θ Ψ f 13 33 a aur c d f ſſ 2 i q r 1 vg sy; + υποκριται: C 0211 1338 2487 ℓ950 l (*Ev non test.) ● g (20,24) το νομισμα/ figuram: D d ¦ δηναριον: Tert it M ● h (20,24) αποκριθεντες: D W Γ Θ f 1 pc a aur c d ſſ 2 i l q r 1 ; + και: e ; + δε: A C Ψ f 13 f sy h M ¦ οι δε: א B L N 0266 vid 33 579 892 1241 pc sy p.hmg co (*Ev non test.) ● i (20,25) τοινυν/ ergo: om Tert D a d e ſſ 2 i l q sy s.c ¦ add aur c f r 1 vg M ● k (20,25) του … τω: D ¦ - … τω: C* L f 13 892 1241 pc ¦ om M (*Ev non test.). C. Von der Perikope sind nur Spuren aus V. *24 und die Pointe V. *25 bezeugt. Die Erwägungen zur Textgestalt von *Ev müssen sich daher auf text- und überlieferungsgeschichtliche Argumente stützen. 1. Problematisch ist die Exposition *20,20 mit der Schilderung der Aktionen der Gegner. Der kanonische Text schließt eng an Lk 20,19 an: Die Gegner sind die zuvor abgeblitzten Schriftgelehrten und Hohenpriester, die hier nicht noch einmal renominalisiert werden; sie »belauern« (παρατηρήσαντες) Jesus. Allerdings bieten einige Handschriften, darunter die immer verdächtige »Westliche« Gruppe D it, hier eine Situationsveränderung: Sie lassen die zuvor Erwähnten »weggehen« und aus der Distanz Spitzel zu Jesus schicken. Diese Situationsveränderung ist auch für *Ev anzunehmen, wie sich vor allem aus der unterschiedlichen Komposition der größeren Einheit in den synoptischen Parallelen ergibt. Tatsächlich sind die Situationsveränderungen und Adressatenwechsel einigermaßen komplex und nicht immer vollständig aus den redaktionellen bzw. kompositionellen Interessen erklärbar. In der folgenden Übersicht bezeichnet »sie« die nichtnominale Aktualisierung der jeweils zuletzt genannten Adressaten. 1104 Anhang I 20,20-26 *Ev Mk Mt Lk *20,1-8: Pharisäer 11,27-33: Hohepriester Schriftgelehre Älteste 21,23-27: Hohepriester Älteste des Volkes 20,1-8: Hohepriester Schriftgelehrte Älteste (21,28-32: »sie«) 12,1-12: »sie« 21,33-46: (»sie«) 20,9-19: 20,9: Volk *20,19: »sie« 21,45: Hohepriester Pharisäer 20,19: Schriftgelehrte Hohepriester (22,1-14: »sie«) *20,20a: »sie« ἀποχωρήσαντες ἀπέστειλαν 12,12: »sie« ἀπῆλθον 12,13: ἀποστέλλουσιν 22,15: Pharisäer πορευθέντες 22,16: ἀποστέλλουσιν 20,20a: »sie« παρατηρήσαντες ἀπέστειλαν *20,20b: Spitzel (ἐγκαθέτους) 12,13: Pharisäer Herodianer 22,16: Anhänger der Pharisäer und Herodianer 20,20b: Spitzel (ἐγκαθέτους ὑποκρινομένους ἑαυτοὺς δικαίους εἶναι) a. Die Frage nach der Vollmacht Jesu *20,1-8 war in *Ev das erste der Jerusalemer Streitgespräche, das ihn im Gegenüber zu den Pharisäern zeigte (s. dort). Da Lk 20,9-18 in *Ev fehlte, schloss *20,19 direkt an diese Perikope an: Das nicht nominalisierte Subjekt (ἐζήτησαν) referiert daher auf die in *20,1 genannten Pharisäer; das Gleiche gilt dann auch für das nachfolgende partizipiale Subjekt von *20,20a (ἀποχωρήσαντες). b. Für Mk hatten sich aufgrund der redaktionellen Einfügung von Mk 11,20-26 sowie von Mk 12,1-12 ganz andere Kontextverbindungen ergeben: Die Einfügung der Deutung des verdorrten Feigenbaums hatte in Mk 11,27 eine Situationsveränderung notwendig gemacht; die Frage nach der Vollmacht Jesu wird dementsprechend von den Hohenpriestern, Schriftgelehrten und Ältesten gestellt. Diese sind dann auch als Adressaten des Winzergleichnisses zu denken, von denen Mk 12,12b sagt, dass sie »weggingen« (καὶ ἀϕέντες αὐτὸν ἀπῆλθον). Daran schließt dann Mk 12,13 sinnvoll an: Aus der Distanz schicken diese führenden Gestalten dann »einige der Pharisäer und Herodianer« zu Jesus, um ihn »durch ein Wort zu fangen« (ἀποστέλλουσιν … τινας τῶν Φαρισαίων καὶ τῶν Ἡρῳδιανῶν ἵνα αὐτὸν ἀγρεύσωσιν λόγῳ). Diese sind dann die neuen Gesprächspartner, die Jesus die Frage nach der Kaisersteuer vorlegen. Die Kombination von Pharisäern und Herodianern ist für die mk Komposition ausgesprochen wichtig, weil die Pharisäer für die religiöse Opposition gegen Jesus stehen, wogegen Herodes bzw. die Herodianer die Macht repräsentieren, die diesen Gegensatz im Handumdrehen lebensgefährlich 20,20-26 Rekonstruktion 1105 werden lassen kann. 1 Aus Mk 12,14 D it ist dagegen noch erkennbar, dass *Mk hier nur die Pharisäer als Gegner nannte. 2 Auch das spricht für die vorkanonische Fassung in *Ev. c. Für Mt stellen sich diese Zusammenhänge deswegen anders dar, weil er nach Mt 21,23-27 (Vollmachtsfrage) eine Komposition aus drei Gleichnissen einschiebt: Das Sondergutgleichnis von den beiden Söhnen (Mt 21,28-32), das aus Mk 12,1-12 stammende Winzergleichnis (Mt 21,33-46) sowie das aus *Ev stammende Gleichnis vom Festmahl (Mt 22,1-14; vgl. *14,15-24, s. dort). Die Adressaten dieser Gleichnisse sind zunächst die Mt 21,33 genannten Hohenpriester und Ältesten, die danach in der direkten Anrede Jesu in der 2. Pers. Pl. angesprochen werden (Mt 21,28: τί δὲ ὑμῖν δοκεῖ; 21,33: ἄλλην παραβολὴν ἀκούσατε) bzw. pronominal erwähnt werden (22,1: πάλιν εἶπεν … αὐτοῖς). Obwohl es sich immer um die identischen Adressaten handeln müsste, reagieren in Mt 21,45 nicht die in Mt 21,23 eingeführten οἱ ἀρχιερεῖς καὶ οἱ πρεσβύτεροι τοῦ λαοῦ, sondern οἱ ἀρχιερεῖς καὶ οἱ Φαρισαῖοι. Das ist eine redaktionelle Nachlässigkeit, die durch die unübersichtlicher werdende Komposition entstanden ist, immerhin aber noch zeigt, dass die Pharisäer in dem verarbeiteten Quellenmaterial enthalten waren: Natürlich in *Ev (*20,1.19). Diese kaum merkliche (weil nicht hervorgehobene) Verschiebung der Adressaten setzt sich dann fort, wenn Jesus das folgende Gleichnis »ihnen« (Mt 22,1: αὐτοῖς) erzählt: Streng genommen sind die Adressaten die Hohenpriester und Pharisäer aus Mt 21,45, aber nur die Pharisäer reagieren darauf (Mt 22,15): Sie schicken ihre Anhänger zusammen mit den (aus Mk 12,13 stammenden) Herodianern zu Jesus. d. Lk lässt in 20,1 die Frage nach der Vollmacht durch die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten stellen; gegen *Ev, das nur die Pharisäer nennt, folgt er darin Mk 11,27. Auf das folgende, aus Mk 12 stammende Winzergleichnis, berichtet Lk 20,19 (analog zu Mt 21,45) die Reaktion der Schriftgelehrten und Hohenpriester. Diese sind auch - im Unterschied zu *Ev (*20,20) - das Subjekt von 20,20a (παρατηρήσαντες ἀπέστειλαν) und verantwortlich für die Fangfrage nach der Kaisersteuer. Dabei hat Lk die situationsverändernde Notiz vom »Weggehen« der Kontrahenten übergangen. Sie findet sich in unterschiedlicher Formulierung und mit unterschiedlichem Bezug in allen anderen Fassungen: In *Ev sind die ἀποχωρήσαντες (*20,20) die Pharisäer aus *20,1; die semantische Entsprechung dazu ist ἀπῆλθον Mk 12,12, Subjekt sind die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten (Mk 11,27); in Mt 22,15 sind dagegen die eigens eingeführten Pharisäer Subjekt von πορευθέντες. Erst Lk hat das »Weggehen« durch das »Belauern« ersetzt. ______________________________ 1 Vgl. M. K LINGHARDT , Erlesenes Verstehen. Leserlenkung und implizites Lesen in den Evangelien, ZNT 21 (2008), 27-37: 32; s. auch die Kommentare zu Mk 3,6. 2 Mk 12,14a: και επηρωτων αυτον οι Φαρισαιοι: D pc c d ſſ 2 k. 1106 Anhang I 20,20-26 2. Aus dieser Übersicht ergibt sich nicht nur die Bestimmung des Subjekts von *20,20, sondern auch die Identität der Abgesandten, die Jesus nach der Steuerpflicht fragen. Die Kombination von Pharisäern und Herodianern geht auf Mk zurück, für den sie aus kompositionellen Gründen wichtig ist. Diese beiden Gruppen repräsentieren hier also nicht Romfreunde (Herodianer) und Romkritiker (Pharisäer), wie gelegentlich angenommen wird, 3 sondern zeigen die gefährliche Dimension eines religiösen Gegensatzes an. Mt 22,16 hat diese Gruppen aus Mk 12,13 übernommen, auch wenn er sie aufgrund der redaktionellen Einfügung von Mt 22,15 anders bezeichnet. Damit stellt sich die Frage, ob die ἐγκάθετοι von Lk 20,20 erst eine redaktionelle Einfügung darstellen oder schon auf *Ev zurückgehen. Da ἐγκάθετοι hier nicht als »Aufpasser« zu verstehen ist, sondern Leute bezeichnet, »die unter falscher Identität agieren«, 4 ist es bedeutungsgleich mit dem folgenden ὑποκρινόμενοι, das dementsprechend keine neuen semantischen Aspekte mitteilt: Dass sich die Frager in böswilliger Absicht verstellen, zeigt der Fortgang der Erzählung zur Genüge. Möglicherweise geht daher die ganze Wendung ὑποκρινόμενοι ἑαυτοὶ δικαίους εἶναι auf lk Redaktion zurück; Lk konnte auch in 10,29 den Gesetzeslehrer dadurch charakterisieren, dass dieser sich selbst als gerecht hinstellt (θέλων δικαιῶσαι ἑαυτόν). Aber das bleibt eine unbeweisbare Vermutung und das Urteil folglich offen. Da die Ausspähaktion in *Ev eindeutig durch die Pharisäer veranlasst ist, liegt die Vermutung nahe, dass die Abgesandten ebenfalls Pharisäer waren; das einfache ἐγκάθετοι würde genau diesen Sinn nahelegen. 3. Wie auch in vielen anderen Fällen, liegen der Rekonstruktion Hinweise aus der handschriftlichen Überlieferung zugrunde, die als Merkmale der Interferenz zwischen dem kanonische und dem vorkanonischem Text gewertet sind. Abgesehen von einigen kleineren Differenzen, die sich leicht aus der Zusammenstellung der Lesarten in Abschnitt B. ergeben, verdienen zwei der Fälle größere Aufmerksamkeit. a. In *20,23 bietet die Mehrheit der Handschriften die Frage τί με πειράζετε, ὑποκριταί, die sich so auch in Mt 22,18 bzw. in Mk 12,15 findet. 5 Die zahlenmäßig schwächer bezeugte Lesart ohne diese Wendung ( א B L e usw.) ist von den Herausgebern von NA 27 / GNT 4 in den Text gesetzt worden. In der Tat lässt sich die längere Lesart gut als Bearbeitung der kürzeren verstehen, kaum aber umgekehrt. Aus diesem Grund wird die kürzere Lesart der kritischen Ausgaben auf den vorkanonischen, nicht aber auf den kanonischen Text zurückgehen. In diesem Fall hätte die lk Redaktion eine Anpassung an die synoptischen Parallelen (in Mt 22,18 || Mk 12,15) vorgenommen. ______________________________ 3 Z. B. E VANS , Mk II 244 z. St. 4 W OLTER , Lk 651 z. St., mit Belegen gegen den Vorschlag von B AUER , Wb s. v. 5 In Mk 12,15 ohne die Anrede ὑποκριταί, also wie Lk 20,23 C 0211 1338 2487 ℓ950 l. 20,20-26 Rekonstruktion 1107 b. Schwieriger ist die doppelte finale Bestimmung in Lk 20,20b. Der ἵνα-Satz 20,20c (ἵνα ἐπιλάβωνται αὐτοῦ λόγου) hat eine sachliche Entsprechung in Mk 12,13b (ἵνα αὐτὸν ἀγρεύσωσιν λόγῳ). Die folgende Bestimmung 20,20d (ὥστε παραδοῦναι αὐτὸν τῇ ἀρχῇ καὶ τῇ ἐξουσίᾳ τοῦ ἡγεμόνος) hat keine synoptischen Entsprechungen, liegt aber in D it sy in einer kürzeren Form vor, die, wie auch sonst häufig, auf Interferenzen der Handschriftenüberlieferungen zurückgehen und ursprünglich sein könnte: ὥστε παραδοῦναι αὐτὸν τῷ ἡγεμόνι. Die drei unterschiedlichen Textgestalten kommen jeweils als Ausgangspunkt der Überlieferungsgeschichte in Frage: (1) Das Fehlen des gesamten ὥστε-Satzes (Mk 12,13 || Mt 21,16). - (2) Die lange Formulierung von Lk 20,20d im Mehrheitstext. - (3) Die kurze Formulierung in Lk 20,20d D it sy. 1. Sofern 20,20d in *Ev (wie in Mk 12,13 || Mt 21,16) gefehlt hat, wäre der ὥστε-Satz komplett durch die lk Redaktion nachgetragen, dann aber sekundär durch D it sy verkürzt worden. Diese Annahme würde zwar das Zustandekommen der synoptischen Parallelen erklären, nicht aber die »Westliche« Textform. 2. Dass der ὥστε-Satz in der langen Form am Anfang der Überlieferung stand, ist unwahrscheinlich, weil dann gleich zwei offene Fragen bleiben: Warum sollten Mk und Mt ihn gestrichen haben? Und aus welchen Gründen wurde er in D it sy verkürzt? 3. Aus diesem Grund liegt es am nächsten, die kurze Fassung von D it sy (ὥστε παραδοῦναι αὐτὸν τῷ ἡγεμόνι) schon für *Ev zu postulieren. Für diese Annahme spricht zunächst, dass D it sy auch sonst sehr häufig Elemente der vorkanonischen Textgestalt aufweisen. Darüber hinaus wird die Erweiterung von τῷ ἡγεμόνι um τῇ ἀρχῇ καὶ τῇ ἐξουσίᾳ (τοῦ ἡγεμόνος) im Licht der anderen redaktionellen Bearbeitung verständlich. Denn in *23,2 wird der hier avisierte Vorwurf aufgegriffen, was vor dem Hintergrund von *20,25 eine manifeste Lüge ist. Dort lautet der Vorwurf, Jesus habe befohlen, keine Steuern zu zahlen (*23,2: καὶ κελεύοντα ϕόρους μὴ δοῦναι, s. dort); die lk Redaktion hat dies geändert (καὶ κωλύοντα ϕόρους Καίσαρι διδόναι) und dabei vor allem deutlich gemacht, dass Steuerverweigerung ein Vergehen gegenüber dem Καίσαρ ist. So entsprechen sich die Ergänzungen im Zusammenhang des Vorwurfs der Steuerverweigerung in Lk 20,20d (τῇ ἀρχῇ καὶ τῇ ἐξουσίᾳ) und in Lk 23,2 (Καίσαρι). Vielleicht war die mangelnde Kongruenz zwischen τῷ ἡγεμόνι *20,20d (D it sy) und τῷ Καίσαρι *20,25 auch ein Grund für Mk, diese Aussage gar nicht zu übernehmen. 4. Angesichts dieser Rekonstruktion fallen dann die geringfügigen »Minor Agreements«, die zu dieser Perikope zu verzeichnen sind, nicht wirklich ins Gewicht. 6 Es wäre allenfalls darauf hinzuweisen, dass Lk 20,24 D d wie Mt 22,19 τὸ νόμισμα anstelle des ansonsten bezeugten δηνάριον lesen: Diese Lesart passt so genau in das Bild der Interferenzen der vorkanonischen und der kanonischen Überlieferung, dass viel für die Ursprünglichkeit der D-Lesart im vorkanonischen Text spricht, die Mt ______________________________ 6 λέγοντες Lk 20,21 || Mt 22,16 ≠ λέγουσιν αὐτῷ Mk 12,14. - διδάσκεις Lk 20,21b || Mt 22,16 ÷ Mk 14. - δείξατέ μοι Lk 20,24 || ἐπιδείξατέ μοι Mt 22,19 ≠ ϕέρετέ μοι Mk 12,15. Vgl. dazu N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 153f; DERS ., Minor Agreements (1991), 68f; E NNULAT , Minor Agreements 269-273. 1108 Anhang I 20,20-26 dann aus *Ev übernommen hätte. Allerdings bezeugt Tertullian den »Denar«. 7 Das muss nicht viel heißen, weil Tertullians *Ev-Exemplar ja auch sonst gelegentlich die Beeinflussung durch die kanonische Handschriftenüberlieferung aufweist. Die Abwägung zwischen dem (indirekten) Zeugnis von D d und dem direkten Zeugnis Tertullians bleibt zu unsicher, als dass hier ein Urteil möglich wäre. *20,27-36 37f 39-40: Frage nach der Auferstehung Gut bezeugt und sicher in *Ev vorhanden; durch die lk Redaktion bearbeitet und erweitert. 20,27 Προσελθόντες δέ τινες τῶν Σαδδουκαίων, οἱ a ¿ἀντι? λέγοντες ἀνάστασιν μὴ εἶναι, ἐπηρώτησαν αὐτὸν 28 λέγοντες, Διδάσκαλε, Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν, ἐάν τινος ἀδελϕὸς ἀποθάνῃ b ἄτεκνος ἔχων γυναῖκα, b ἵνα λάβῃ ὁ ἀδελϕὸς αὐτοῦ τὴν γυναῖκα καὶ ἐξαναστήσῃ σπέρμα τῷ ἀδελϕῷ αὐτοῦ. 29 c ἦσαν παρ ʼ ἡμῖν ἑπτὰ ἀδελϕοί c · καὶ ὁ πρῶτος λαβὼν γυναῖκα ἀπέθανεν ἄτεκνος· 30 d καὶ ὁ δεύτερος d 31 καὶ ὁ τρίτος e [ ἔλαβεν αὐτήν ] e , ὡσαύτως f [ δὲ καὶ ] f οἱ ἑπτὰ g οὐκ ἄϕηκαν τέκνον g καὶ ἀπέθανον. 32 ὕστερον καὶ ἡ γυνὴ ἀπέθανεν. 33 h ἡ γυνὴ h ἐν τῇ ἀναστάσει οὖν τίνος i αὐτῶν k ἔσται γυνή; οἱ γὰρ ἑπτὰ ἔσχον αὐτὴν γυναῖκα. 34 καὶ εἶπεν αὐτοῖς ὁ Ἰησοῦς, Οἱ υἱοὶ l τούτου τοῦ αἰῶνος l m γεννῶνται καὶ γεννῶσιν, m 35 n οὓς δὲ κατηξίωσεν ὁ θεὸς τοῦ αἰῶνος ἐκείνου κληρονομίας n καὶ τῆς ἀναστάσεως τῆς ἐκ νεκρῶν οὔτε γαμοῦσιν οὔτε γαμίζονται· 36 οὐδὲ γὰρ ἀποθανεῖν ἔτι o μέλλουσιν, p ὅμοιοι γὰρ τοῖς ἀγγέλοις τοῦ θεοῦ p εἰσιν καὶ q υἱοί εἰσιν θεοῦ, q τῆς ἀναστάσεως υἱοὶ r ποιηθέντες. s 37 ὅτι δὲ ἐγείρονται οἱ νεκροὶ καὶ Μωϋσῆς ἐμήνυσεν ἐπὶ τῆς βάτου, ὡς λέγει κύριον τὸν θεὸν Ἀβραὰμ καὶ θεὸν Ἰσαὰκ καὶ θεὸν Ἰακώβ· 38 θεὸς δὲ οὐκ ἔστιν νεκρῶν ἀλλὰ ζώντων, s [ πάντες γὰρ αὐτῷ ζῶσιν. ] 39 ἀποκριθέντες δέ τινες τῶν γραμματέων εἶπαν, Διδάσκαλε, καλῶς εἶπας· 40 οὐκέτι γὰρ ἐτόλμων ἐπερωτᾶν αὐτὸν οὐδέν. A. *20,27-33: Tert. 4,38,4: Sadducaei, resurrectionis negatores, de ea habentes interrogationem, proposuerant domino ex lege materiam mulieris quae septem fratribus ex ordine defunctis secundum praeceptum legale nupsisset, cuius viri deputanda esset in resurrectione. ♦ *20,34: Tert. 4,38,5: Respondit igitur huius quidem aevi filios nubere … ♦ *20,35f: Tert. 4,38,5: … quos vero dignatus sit deus illius aevi possessione et resurrectione a mortuis, neque nubere neque nubi, quia nec morituri iam sint, cum similes angelorum fiant dei et resurrectionis filii facti. ¦ 4,38,7: Quos autem dignatus est deus illius aevi. Illius aevi deo adiungunt, quo alium deum faciant illius aevi; cum sic legi oporteat: Quos autem dignatus est deus, ut facta hic distinctione post deum ______________________________ 7 Tert. 4,38,3: Quae similia sunt d e n a r i o Caesaris … 20,27-40 Rekonstruktion 1109 ad sequentia pertineat illius aevi, id est, quos dignatus sit deus illius aevi possessione et resurrectione. ♦ *20,37.38a: Epiph., Schol. 56: Ἀπέκοψε τό Ὅτι δὲ ἐγείρονται οἱ νεκροὶ Μωϋσῆς ἐμήνυσε ἐπὶ τῆς βάτου, καθὼς λέγει κύριον τὸν θεὸν Ἀβραὰμ καὶ Ἰσαὰκ καὶ Ἰακώβ. θεὸς δέ ἐστι ζώντων καὶ οὐχὶ νεκρῶν. ¦ Epiph., Schol. 57: Οὐκ εἶχε ταῦτα Ὅτι δὲ ἐγείρονται οἱ νεκροὶ Μωϋσῆς ἐμήνυσε λέγων θεὸν … κτλ. ¦ Orig., Hom. in Lc, fr. 91, FC 4/ 2 (= fr. 242, GCS 49) ♦ *20,39: Tert. 4,38,9: Atque adeo scribae, Magister, inquiunt, bene dixisti. Confirmaverat enim resurrectionem, formam eius edendo, adversus sadducaeorum opinionem. Denique testimonium eorum qui ita eum respondisse praesumpserant non recusavit. B. a (20,27) αντιλεγοντες: A W f 13 a sy h M ; λεγοντες: א B C D L N Θ f 1 33 565 579 892 1241 2542 pc e d r 1 sy s.c.p co ¦ οιτινες λεγουσιν: Ψ pc (*Ev non test.) ● b (20,28) ατεκνος εχων γυναικα: D d e ¦ εχων γυναικα και ουτος ατεκνος: a aur c f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● c (20,29) ησαν παρ ημιν επτα αδελϕοι: א 1 D d q (septem fratres erant apud nos: c ſſ 2 l) sy s (vgl. Mt 22,25) ¦ επτα ουν αδελϕοι ησαν: a aur e f i r 1 vg M (*Ev non test.) ● d (20,30) και ο δευτερος: א B D L 0266 892 1241 pc d e co ¦ και ελαβεν ο δευτ. την γυναικα και ουτος απεθανεν ατεκνος: A W (Θ) Ψ f 1.13 33 a aur c f i l q r 1 sy (c) bo ms M (*Ev non test.) ● e (20,31) ελαβεν αυτην: om D a d e ¦ add aur c f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● f (20,31) δε και: om D d e ¦ add a aur c f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● g (20,31) ουκ αϕηκαν τεκνον: D a d e ¦ ου κατελιπον τεκνα: a aur c f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● h (20,33) η γυνη: B L 579 892 1241 pc sy hmg ¦ om (Tert) א ( * ) A D W Θ Ψ f 1.13 lat sy s.c co M ● i (20,33) αυτων/ eorum: om Tert א * e ſſ 2 r 1 vg mss ¦ add a aur b c d e f i l π q M ● k (20,33) εσται: א D L Θ Ψ f 1 33 892 1424 al lat ¦ γινεται: (Tert) A B W f 13 M (*Ev non test.) ● l (20,34) τουτου του αιωνος/ huius aevi (saeculi): Tert a c d f ſſ 2 i l q r 1 ¦ (2 3 1) του αιωνος τουτου/ saeculi huius: aur e M ● m (20,34) γεννωσιν και γεννωνται: e c l Orig (Comm. in Mt 17,34; GCS 40, 693) Cypr (Hab. virg. 22; CSEL 3/ 1, 203) August (Gen. litt. 3,12; CSEL 28/ 1, 78; Nupt. 1,18,20; CSEL 42, 232; Pecc. mer. 1,20,27; 2,9,1; CSEL 60, 27; 82 u.ö.); γεννωνται και γεννωσιν: ſſ 2 gat i q vg 1 ms Ambr (Virg. 1,26; C AZZANIGA 13) u. a. ¦ γεννωνται και γεννωσιν γαμουσιν και γαμισκονται: D (a) d r 1 vg 1ms (aur f vg) aeth Prisc (Tract. 6,111; CSEL 18, 81) ¦ γαμουσιν και γαμισκονται: M (*Ev non test.) ● n (20,35) ους δε κατεξιωσεν ο θεος του αιωνος εκεινου κληρονομιας/ quos vero dignatus sit deus illius aevi possessione: Tert ¦ οι δε καταξιωθεντες του αιωνος εκεινου τυχειν: it M ● o (20,36) αποθανειν … μελλουσιν/ morituri: Tert D W Θ a e (incipient mori) sy hmg ¦ morientur: ſſ 2 i l q; moriuntur: c ¦ αποθανειν … δυνανται/ mori possunt (d;  aur [c] f vg): aur (c) d f vg M ● p (20,36) ομοιοι αγγελοις θεου/ similes (similis: ſſ 2 ; aequales: [a] aur vg; equales: d; aequalis: e) angelis dei: Tert [a] aur c d e f ſſ 2 i l q vg ¦ ισαγγελοι: M ● q (20,36) και υιοι εισιν: om D a c d e ſſ 2 i l q ¦ και υιοι εισιν/ sunt (et) filii: add aur f q M (*Ev non test.) ● r (20,36) ποιηθεντες/ facti: Tert ¦ (γαρ) εισιν/ (quia) sunt: it ¦ οντες: M ● s (20,37f) vss. 37.38 om Epiph Orig ¦ add it M . C. Die Bezeugung der Perikope für *Ev ist relativ klar: Mit Ausnahme der beiden von Epiphanius’ Auslassungsvermerken genannten Vv. 20,37f gibt es Hinweise auf alle anderen Elemente, auch wenn nur kleine Teile in direktem Zitat bezeugt sind. Die Rekonstruktion der einzelnen Formulierungen ist daher auf textgeschichtliche Beobachtungen angewiesen. 1. Auffällig ist zunächst, dass Epiphanius die Auslassung von 22,37f zwei Mal vermerkt, wenn auch nicht mit dem identischen Text; diese Doppelung führt zu den unterschiedlichen Zählungen der Scholien. Dass diese Doppelung auf ein Versehen des Epiphanius bei der Erstellung der ursprünglichen Scholienliste zurückgeht, ist 1110 Anhang I 20,27-40 oben bereits gezeigt (Bd. I, S. 54 mit Anm. 65). Anstatt diesen Fehler zu korrigieren, erklärt Epiphanius lieber, warum die doppelte Behandlung sinnvoll ist: In Elench. 56 wirft er dem »Lahmhirn« (ματαιόϕρονος) Marcion vor, nicht zu sehen, dass es in *20,37f um das gleiche Problem gehe wie in den Gleichnissen von Lazarus (*16,29) bzw. von der engen und der verschlossenen Tür (*13,23ff): Er habe diese Gleichnisse und das Wort vom Heulen und Zähneknirschen (*13,28; s. o. mit Schol. 40) beibehalten und nicht gestrichen - zu seiner eigenen Beschämung: Denn wenn, wie im Lazarusgleichnis, ein ins Wasser getauchter Finger Linderung zu geben vermag, dann impliziere dies, genau wie das Heulen und Zähneknirschen, doch eine leibliche Auferstehung - auch wenn dieser »Ochse« 1 das wahre Wort Gottes über die Auferstehung gestrichen habe. Im folgenden Elench. 57 begründet Epiphanius die Doppelung seiner Streichungsnotizen: Da der Heiland das Gleichnis »verdoppelt« habe (δευτερῶσαι), wolle er sich nicht des gleichen Vergehens schuldig machen wie jener »Lumpensammler« (ἀγύρτης), der die Schrift verstümmele. Der Hinweis auf die Verdoppelung des Gleichnisses kann sich nur auf den »Gott Abrahams« in dem (in Elench. 56 angeführten) Lazarusgleichnis und in *22,37 beziehen. Abgesehen von der bemerkenswert phantasievollen Ansammlung von Schimpfwörtern zeigt diese Widerlegung zum einen, wie klar Epiphanius die Inkonsistenz der angenommenen marcionitischen Redaktion bemerkt hat. Zum anderen ist deutlich, dass für ihn gerade die Verbindung zwischen alttestamentlicher Verheißung und leiblicher Auferstehung im Zentrum der antimarcionitischen Kritik steht. 2 2. Exposition und Frage (*20,27.28-33) sind durch Tertullian nur zusammengefasst (Tert. 4,38,4), wobei nicht ganz klar ist, ob das Ende dieses Referats ein Zitat enthält (cuius viri deputanda esset in resurrectione). Die Rekonstruktion des Textes dieser ganzen Passage ist daher auf textgeschichtliche Beobachtungen angewiesen. a. Tertullian kennzeichnet die sadduzäischen Frager als negatores resurrectionis und referiert damit auf die Wendung οἱ λέγοντες ἀνάστασιν μὴ εἶναι (20,27), die sich in der Mehrheit der handschriftlichen Überlieferung findet ( א B C D L N Θ f 1 e d r 1 sy s.c.p co usw.). Daneben ist jedoch auch, deutlich schmaler, οἱ ἀντιλέγοντες … bezeugt (A W f 13 a sy h usw.). Die doppelte Verneinung (ἀντιλέγοντες … μὴ εἶναι) ist syntaktisch möglich (BDR § 492.2), aber nicht besonders elegant. NA 27 hat diese lectio difficilior daher (in Klammern) in den Text gesetzt. Mit Blick auf die Interferenzen der Handschriftenüberlieferungen liegt daher die Vermutung nahe, dass diese Lesart aus dem vorkanonischen Text stammen könnte. b. Ähnliches lässt sich für die Formulierung (ἀδελϕὸς ἀποθάνῃ) ἄτεκνος ἔχων γυναῖκα *20,28 D d e vermuten, da die semantisch entscheidende Mitteilung über die Frau nachklappt. Die Formulierung des Mehrheitstextes korrigiert diese Ungeschicklichkeit: ἀδελϕὸς ἀποθάνῃ ἔχων γυναῖκα, καὶ οὗτος ἄτεκνος ᾖ. Mk, der mutmaßlich erste Redaktor von *Ev, hat dieses Problem durch Parataxe einzelner Konditionalsätze gelöst (Mk 12,19: ἐάν τινος ἀδελϕὸς ______________________________ 1 κτηνώδης: eigentlich jemand, der »viehisch« ist. 2 Vgl. dazu auch Epiphanius’ Liste der »Irrtümer« Marcions in 42,5,1-6. 20,27-40 Rekonstruktion 1111 ἀποθάνῃ - καὶ καταλίπῃ γυναῖκα - καὶ μὴ ἀϕῇ τέκνον); auch das ist keine elegante Lösung. Es ist daher gut denkbar, dass die »Westliche« Lesart *20,28 (D d e) den vorkanonischen Text bewahrt hat. c. Das Gleiche liegt nahe für die auch Mt 22,25 bezeugte Einleitung des Beispiels ἦσαν δὲ π α ρ ’ ἡ μ ῖ ν ἑπτὰ ἀδελϕοί (*20,29 D it u. a.). Dass es diese sieben Brüder παρ’ ἡμῖν gegeben habe, geht wohl auf die Bestimmung Dtn 25,5 LXX (ἐὰν δὲ κατοικῶσιν ἀδελϕοὶ ἐπὶ τὸ αὐτό …) zurück. Dass es diese sieben Brüder »bei uns« gibt, ist ebenso unwahrscheinlich (das Beispiel ist ja erkennbar konstruiert) wie semantisch unnötig; Mk 12,20 || Lk 22,29 haben diese Bemerkung sinnvollerweise gestrichen. Da auch sonst Lesarten in D it (sy), die üblicherweise als Einfluss aus den synoptischen Parallelen gewertet werden (in NA 27 durch die Sigle p) gekennzeichnet), sich als ursprünglich herausgestellt haben, ist das auch für diese Formulierung anzunehmen. d. Einigermaßen verworren ist die Überlieferung von Lk 20,29-32 mit der Entfaltung des Beispiels. Die Beschreibung des ersten Bruders (*20,29b: καὶ ὁ πρῶτος λαβὼν γυναῖκα ἀπέθανεν ἄτεκνος) ist klar und in den Handschriften unstrittig, aber beim zweiten und dritten Bruder gibt es Abweichungen, die nicht ganz leicht zu beurteilen sind. In *20,30 lesen א B D (it) u. a. einfach καὶ ὁ δεύτερος. Dass diese Bemerkung sowohl die Heirat mit der Frau als auch Kinderlosigkeit und Tod mit einschließt, ist nicht unmittelbar zu erkennen: Das hat erst die Mehrheit der Überlieferung klargestellt (A W Θ [it] M ), deren Lesart darum wohl sekundär ist. Analog ist auch das einfache καὶ ὁ τρίτος *20,31 (D a d e) durch den Zusatz von ἔλαβεν αὐτήν in der Mehrheit der Handschriften vereindeutigt worden. e. Ähnliches gilt dann auch für *20,33a, auch hier haben die Herausgeber von NA 27 eine ältere, vorkanonische Formulierung für ursprünglich gehalten und in den Text gesetzt: Die überflüssige Erwähnung von ἡ γυνή (B L 579 892 1241 pc sy hmg ), die in der Mehrheit der Handschriften ( א A D W Θ Ψ f 1.13 lat M ) ausgelassen ist. Umgekehrt sind das Pronomen (τίνος α ὐ τ ῶ ν ) sowie das Verb (γίνεται) offensichtlich sekundäre Eintragungen. 3. Die Antwort Jesu in *20,34-36 ist durch Tertullians Zitat gut bezeugt und zeigt eine Reihe von Abweichungen gegenüber dem kanonischen Wortlaut. Hinzu kommen noch deutlich abweichende Lesarten, die auf den vorkanonischen Text verweisen. a. In *20,34 bieten einige Handschriften anstelle von »sie heiraten und werden geheiratet«, etwas überraschend, »sie werden gezeugt und zeugen«. Diese Lesart (γεννῶνται καὶ γεννῶσιν: e c l) taucht verschiedentlich in der patristischen Literatur auf, erscheint in unterschiedlicher Reihenfolge (γεννῶσιν καὶ γεννῶνται: ſſ 2 gat i q Ambr) und steht auch als perfekte Konflation neben dem kanonischen γαμοῦσιν καὶ γαμίσκονται (D it u. a.). Da »zeugen und gezeugt werden« der Zweck des Heiratens bzw. Geheiratetwerdens und vor allem der Leviratsehe zu verstehen sind, ist γεννῶνται καὶ γεννῶσιν inhaltlich vollkommen plausibel, passt aber nicht zur Beschreibung »jenes Äons« in *20,35 (οὔτε γαμοῦσιν οὔτε γαμίζονται). Die lk Redaktion hat die Inkongruenz zwischen »zeugen/ gezeugt werden« und »heiraten/ geheiratet werden« beseitigt, die sich aber noch in einigen wenigen Zeugen erhalten hat. 1112 Anhang I 20,27-40 b. Schwierig ist die genaue Formulierung in *20,35: Tertullian bezeugt anstelle des Pass. Divin. (οἱ δὲ καταξιωθέντες τοῦ αἰῶνος ἐκείνου τυχεῖν) im kanonischen Text die aktive Formulierung quos autem dignatus est deus illius aevi possessione, die er mehrfach wiederholt (4,38,5.7) und die keinerlei Spuren in der handschriftlichen Überlieferung hinterlassen hat. Die Befürworter der Lk-Priorität haben diese Differenz unterschiedlich bewertet: Am weitesten geht Tsutsui, der Tertullians illius aevi auf deus und nicht auf possessione bezieht: Subjekt ist dann der »Gott jenes Äons«. 3 Die Folge wäre dann, dass das indirekte Objekt der »Würdigung« nicht der Infinitiv τυχεῖν sein kann, der im kanonischen Text steht und den auch Harnack für seine Rekonstruktion von *Ev übernimmt, sondern nur das von Tertullian bezeugte Nomen possessio/ κληρονομία. Damit bleiben zwei Möglichkeiten: Entweder muss man possessio/ κληρονομία in einem absoluten Sinn verstehen (»Gott hat sie des ›Besitzes‹ gewürdigt«), was schwierig (weil ansonsten nicht bezeugt) ist. Oder man muss den Gen. τοῦ αἰῶνος ἐκείνου/ illius aevi syntaktisch zu possessio/ κληρονομία ziehen anstatt zu θεός/ deus (»Gott hat sie des Besitzes jenes Äons gewürdigt«). Dies ist möglich ist, legt sich wegen der Wortstellung aber nicht gerade nahe. Beide Lösungen sind demnach denkbar, aber problematisch. Aus diesem Grund stellt die von Tertullian bezeugte Wendung die deutlich schwierigere Fassung dar. Schon deswegen spricht Vieles für ihre Ursprünglichkeit. Hätte Marcion den kanonischen Text in die von Tertullian bezeugte Formulierung verändert, hätte er einen glatten Text missverständlicher, wenn nicht gar widersinnig ausgedrückt, ohne dadurch irgendeinen semantischen Gewinn zu erzielen. 4 Die kanonische Formulierung, die statt des nominalen Subjekts θεός die Umschreibung durch das Pass. Divin. wählt, hat die Missverständlichkeit beseitigt, musste dazu aber κληρορονομία durch τυχεῖν ersetzen. c. In *20,36 bezeugt Tertullian einen vom kanonischen abweichenden Text, der auch durch einen Teil der Handschriften (insbesondere D it) gestützt wird. Für die erste Variante ist die semantische Differenz gering: Das vom Mehrheitstext bezeugte (οὐδὲ ἀποθανεῖν) δύνανται bringt die Qualität »jenes Äons« intensiver zum Ausdruck als das für *Ev wahrscheinliche (οὐδὲ ἀποθανεῖν) μέλλουσιν, das Tertullian (zusammen mit D it sy sowie W Θ) bezeugt. ______________________________ 3 T SUTSUI 120. Auch H ARNACK 229* hatte offensichtlich diesen Bezug verstanden, denn er rekonstruiert τοῦ αἰῶνος ἐκείνου τυχεῖν (καὶ? ) τῆς ἀναστάσεως τῆς ἐκ νεκρῶν: Die vorgeschlagene Emendation von καί würde τυχεῖν direkt auf τῆς ἀναστάσεως τῆς ἐκ νεκρῶν beziehen (»welche der Gott jenes Äons gewürdigt hat, die Auferstehung der Toten zu erlangen«). Aber das würde Tertullians Zeugnis, von dem ja an dieser Stelle alles abhängt, widersprechen: Er hat das et/ καί gleich mehrfach bezeugt, wie Tsutsui (ebd.) zu Recht feststellt. 4 Dass hier eine theologisch beabsichtige Korrektur Marcions vorliege, hat zuletzt (mit Verweis auf Harnack) C HR . M. H AYS , Marcion vs. Luke: A Response to the Plädoyer of Matthias Klinghardt, ZNW 99 (2008), 213-232: 217, vertreten. 20,27-40 Rekonstruktion 1113 Gewichtiger ist die Einfügung von καὶ υἱοί εἰσιν durch die lk Redaktion, denn dadurch verändert sich das Gefüge der Aussage. *20,36 (D it Tert) Lk 20,36 ὅμοιοι γὰρ τοῖς ἀγγέλοις ἰσάγγελοι γάρ τοῦ θεοῦ εἰσιν καὶ εἰσιν καὶ υἱοί εἰσιν θεοῦ τῆς ἀναστάσεως υἱοὶ τῆς ἀναστάσεως υἱοὶ ποιηθέντες ὄντες *Ev enthielt die doppelte Aussage, dass die Kinder jenes Äons »den Engeln Gottes gleich sind« und dass sie »zu Söhnen der Auferstehung gemacht wurden«. Der Mehrheitstext lässt in der ersten Aussage den auf die Engel bezogenen Genitiv τοῦ θεοῦ aus, fügt aber die zusätzliche Qualifizierung υἱοί εἰσιν θεοῦ ein. Die Folge ist, dass die ursprünglich parataktische Aussage (κ α ὶ τῆς ἀναστάσεως υἱοὶ ποιηθέντες) nur noch als partizipiale Bestimmung der Gottessohnschaft fungieren kann (τῆς ἀναστάσεως υἱοὶ ὄντες). Dies erklärt dann auch den Wechsel des von Tertullian bezeugten Partizips (ποιηθέντες/ facti) zu ὄντες. 4. Epiphanius bezeugt, dass der Erzählerkommentar Lk 20,37f in *Ev gefehlt hat. Origenes stellt zu 20,38 fest: »Wir wissen, dass die Anhänger des Markion und des Valentinus auch gegen diesen Text kämpfen (καὶ πρὸς τὴν λέξιν ταύτην οἱ ἀπὸ Μαρκίωνος καὶ Οὐαλεντίνου ἔτι διαμάχονται), indem sie ihn auf die Seelen beziehen: von ihnen heiße es, dass sie lebten, und in Bezug auf sie habe der Herr gesagt, dass Gott ihr Gott sei ….« 5 Diese Bemerkung klingt auf den ersten Blick so, als würde Origenes 20,38 für *Ev bezeugen. Aber da das Zeugnis des Epiphanius hier sehr eindeutig ist, bezieht sich Origenes wohl eher auf eine These der marcionitischen Theologie im Rahmen der katholischen Auseinandersetzung mit den Marcioniten und versteht unter der marcionitischen »Bekämpfung« die ihnen unterstellte »Streichung« des Verses in ihrem Evangelium. 6 Wie zuletzt Michael Wolter gezeigt hat, bilden die Vv. 37f bilden einen enthymematischen Syllogismus, der zwar die Prämissen benennt, aber die Schlussfolgerung nicht ausführt. 7 Wenn (A) gilt, dass Gott der Gott der (schon lange verstorbenen) Erzväter ist (V. 37b.c), und wenn ______________________________ 5 Origenes, Hom. in Lc, fr. 91 S IEBEN = fr. 242 R AUER . 6 Nebenbei: Dass Origenes das Fehlen von Lk 20,38 nicht nur bei den Marcioniten, sondern auch bei den Valentinianern vermerkt, ist charakteristisch und bestätigt sein Urteil, dass »zahllose Häresien das Evangelium nach Lukas rezipiert hätten« (Hom. in Lc 16,5) bzw. dass »alle Häretiker« das Lk- Evangelium übernommen hätten, aber »verachten, was darin geschrieben« ist (Hom. in Lc 20,3). Die Analogie zwischen den Marcioniten und den Valentinianern hinsichtlich ihres Schriftgebrauchs bezeugt auch Iren., Haer. 3,15,1f. 7 W OLTER , Lk 658ff z. St.; vgl. bereits K. B ERGER , Die Auferstehung des Propheten und die Erhöhung des Menschensohns, Göttingen 1976, 386. 1114 Anhang I 20,27-40 zugleich (B) zutrifft, dass Gott ein Gott der Lebenden ist (V. 38a), dann folgt daraus (C): Die Erzväter müssen auferweckt worden sein. Diese Folgerung bleibt unausgesprochen, die Leser müssen sie »ἐν θυμῷ« selbst ziehen. Aber auf diese Folgerung bezieht sich abschließend (D) die Begründung: »Denn alle leben ihm.« Dieser Syllogismus greift die ähnlichen Argumentationen aus Mk 12,26f || Mt 22,31f auf, verändert aber deren Wortlaut und Struktur: Nach Mk/ Mt hält Jesus den Sadduzäern, die mit »Mose« argumentieren und das Gebot der Leviratsehe anführen, das der Auferstehung zu widersprechen scheint, ihr falsches Verständnis des Gesetzes vor: »Ihr kennt weder die Schrift noch die Kraft Gottes« (Mk 12,24 || Mt 22,29). Diesen Vorwurf der Unkenntnis der Schrift (Mk 12,26 || Mt 22,31: οὐκ ἀνέγνωτε [ἐν τῇ βίβλῳ Μωϋσέως]; ) konnte Lk nicht übernehmen, weil er in 22,34b mit der Kennzeichnung des Verhaltens der »Söhne dieses Äons« *Ev folgt, nicht aber der durch Mk veränderten Struktur der Antwort Jesu. Dass Lk das Argument mit den Erzvätern in einem Erzählerkommentar in *Ev einfügt, ist charakteristisch: Er berücksichtigt damit nicht nur die mk-mt Bearbeitung von *Ev, sondern verfolgt auch ein genuin eigenes theologisches Interesse, das sich verschiedentlich an der redaktionellen Einfügung Abrahams und der anderen Erzväter in *Ev gezeigt hat. 8 Die Vertreter der Lk-Priorität begründen Epiphanius’ Streichungsnotiz nicht weiter; der für Marcion angenommene Antijudaismus scheint hier als vollkommen ausreichendes Argument im Hintergrund zu stehen. 9 Da *Ev aber eindeutig einen (positiven) Hinweis auf Abraham enthielt (*13,16; s. dort), ist die lk-redaktionelle Ergänzung um dieses Element sehr viel einfacher zu verstehen als die angenommene, inkonsequente Bearbeitung des kanonischen Textes durch Marcion. 5. Diese Bezeugung für *Ev und die Rekonstruktion des Wortlauts der Perikope aufgrund des handschriftlichen Zeugnisses erlaubt einige wichtige Einsichten für die Überlieferungsgeschichte, die im Horizont der Zwei-Quellentheorie große Schwierigkeiten aufwirft. a. Zunächst sind die mt-lk »Minor Agreements« zu nennen, die mit der grundsätzlichen Annahme der Zwei-Quellentheorie nicht zu vereinbaren sind, weswegen man in der Regel von einer »deutero-mk« Fassung als Grundlage für Mt und Lk ausgeht. 10 ______________________________ 8 Abstammung von Abraham (red.): 1,54f.73f; 3,8; 13,28; 16,29.30 (teste Adam.); 19,9. Zu den Erzvätern vgl. 13,28 (red.). 9 T SUTSUI 120 erwähnt die »Auslassungsangabe bei Epiph«, erläutert die »Auslassung« aber nicht, H ARNACK 229* hält die Vv. 37f für »getilgt, weil auf die Erzväter verweisend«. 10 Vgl. ausführlich A. F UCHS , Die Sadduzäerfrage, in: ders., Spuren von Deuteromarkus IV, Münster 2004, 263-296. 20,27-40 Rekonstruktion 1115 Am wichtigsten 11 sind: προσελθόντες *20,27a || προσῆλθον Mt 22,23 ≠ ἔρχονται … πρὸς αὐτόν Mk 12,18. - λέγοντες Lk 20,27b || Mt 22,23 ≠ οἵτινες λέγουσιν Mk 12,18. - ἐπηρώτησαν *20,27c || Mt 22,23 ≠ ἐπηρώτων Mk 12,18. - ἔλαβεν αὐτήν, καὶ ἀπέθανεν μὴ καταλιπὼν σπέρμα Mk 12,21 ÷ Lk 20,30 || Mt 22,26. - ὕστερον *20,32a || Mt 22,27 ≠ ἔσχατον Mk 12,22. - ὅταν ἀναστῶσιν Mk 12,23 ÷ *20,33 || Mt 22,28. - πολὺ πλανᾶσθε Mk 12,27 ÷ *20,39 || Mt 22,33. Wie auch sonst, gibt es für das Zustandekommen dieser »Agreements« im Horizont der *Ev-Priorität verschiedene Erklärungen. In dieser Perikope werden die genannten Agreements darauf zurückgehen, dass Mk den Wortlaut von *Ev veränderte, während Mt und Lk ihn bewahrt haben; dieses Phänomen liegt offensichtlich bei der mk Einfügung von πολὺ πλανᾶσθε (Mk 12,27) in *20,39 vor, die Lk 20,39 || Mt 22,33 nicht mitvollzogen haben. Das Gleiche ist für die typisch mk Präsensformen in Mk 12,18 (ἔρχονται … πρὸς αὐτόν; οἵτινες λέγουσιν) anzunehmen. Eine Besonderheit stellt die Einleitung des Beispiels ἦσαν δὲ παρ’ ἡμῖν ἑπτὰ ἀδελϕοί *20,29 D it u. a. || Mt 22,25 dar (s. o.): Mt hat hier *Ev besser bewahrt als Mk, der die aus Dtn 25 stammende, aber ebenso unwahrscheinliche wie überflüssige Notiz gestrichen hat. Lk ist hier Mk, nicht aber *Ev (und Mt) gefolgt. b. Neben den mt-lk Agreements fallen die mt-mk Übereinstimmungen gegen Lk auf, insbesondere das Fehlen von Lk 20,34b.35a in Mk und Mt sowie, damit zusammenhängend, die ganz andere Struktur der Antwort Jesu und die unterschiedliche Funktion des »Erzväterbeweises« (s. o.). Die lk Besonderheiten gegenüber Mk und Mt haben Anlass zu der Vermutung gegeben, dass Lk hier eine weitere Quelle neben Mk verarbeitet habe. 12 Sofern *Ev als eine solche »zusätzliche Quelle« qualifiziert, trifft dieses Urteil im Rahmen der hier vorausgesetzten *Ev-Priorität zu. Im methodischen Horizont der Zwei-Quellentheorie stellt diese Eigenheit in der Tat ein Problem dar: Dass sich Lk 20,34-36 ≠ Mk 12,24f || Mt 22,29f »viel einfacher als theologische und rhetorische Bearbeitung des mk Textes interpretieren« ließe, 13 trifft jedenfalls in überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht nicht zu: Nicht Lk hat Mk interpretiert, sondern Mk (und in seiner Folge Mt) haben die lk Hauptquelle *Ev interpretierend bearbeitet. 6. Die überlieferungsgeschichtliche Situation ist im Horizont der Zwei-Quellentheorie allerdings noch sehr viel komplizierter, als die wenigen »Minor Agreements« erkennen lassen. Denn neben den mt-lk Übereinstimmungen gegen Mk gibt es eine ganze Reihe deutlicher mk-lk Übereinstimmungen gegen Mt: ἀνάστασιν μὴ εἶναι Mk 12,18 || Lk 20,27 ≠ μὴ εἶναι ἀνάστασιν Mt 22,23. - ἔγραψεν ἡμῖν Mk 12,19 || Lk 20,28 ≠ εἶπεν Mt 22,24. - ἐάν τινος ἀδελϕὸς ἀποθάνῃ Mk 12,19 || Lk 20,28 ≠ ἐάν τις ἀποθάνῃ ______________________________ 11 Vgl. ansonsten N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 155ff; DERS ., Minor Agreements (1991), 69f; E NNULAT , Minor Agreements 273-278. 12 Vgl. T. S CHRAMM , Der Markus-Stoff bei Lukas, Cambridge 1971, 170f. 13 So W OLTER , Lk 655. 1116 Anhang I 20,27-40 Mt 22,24. - ἵνα λάβῃ ὁ ἀδελϕὸς αὐτοῦ τὴν γυναῖκα καὶ ἐξαναστήσῃ σπέρμα τῷ ἀδελϕῷ αὐτοῦ Mk 12,19 || Lk 20,28 ≠ ἐπιγαμβρεύσει ὁ ἀδελϕὸς αὐτοῦ τὴν γυναῖκα αὐτοῦ καὶ ἀναστήσει σπέρμα τῷ ἀδελϕῷ αὐτοῦ Mt 22,24. - ἑπτὰ [οὖν] ἀδελϕοὶ ἦσαν Mk 12,20 || Lk 20,29 ≠ ἦσαν δὲ παρ’ ἡμῖν ἑπτὰ ἀδελϕοί Mt 22,25 (|| *20,29! ). - ἔλαβεν/ λαβὼν γυναῖκα Mk 12,20 || Lk 20,29 ≠ γήμας Mt 22,25. - ἀποθνῄσκων Mk 12,20 || ἀπέθανεν Lk 20,29 ≠ ἐτελεύτησεν Mt 22,25. - ὁμοίως Mt 22,26 ÷ Mk 12,21 || Lk 20,30. - ἔλαβεν αὐτήν Mk 12,21a || Lk 20,31 (! ) ÷ Mt 22,26 (|| *20,31! ). - καὶ οἱ ἑπτὰ οὐκ ἀϕῆκαν σπέρμα Mk 12,22 || καὶ οἱ ἑπτὰ οὐ κατέλιπον τέκνα Lk 20,31 ÷ Mt 22,26. - ἡ γυνὴ ἀπέθανεν Mk 12,22 || Lk 20,32 ≠ ἀπέθανεν ἡ γυνή Mt 22,27. - οἱ γὰρ ἑπτὰ ἔσχον αὐτὴν γυναῖκα Mk 12,23 || Lk 20,33 ≠ πάντες γὰρ ἔσχον αὐτήν Mt 22,28. Die mk-lk Übereinstimmungen sind im Horizont der Zwei-Quellentheorie ohne weiteres erklärbar durch die Annahme, dass Lk den Mk-Text an diesen Stellen unverändert übernommen hat, wogegen die mt Abweichungen Ausdruck der mt Redaktion sind. Für sich genommen, ist diese Erklärung unproblematisch; sie gewinnt ihre Bedeutung im Zusammenhang mit den klassischen (mt-lk) »Minor Agreements«, sofern diese auf eine deutero-mk Vorlage zurückgeführt werden. Denn in diesem Fall müsste man ja postulieren, dass Lk auf engstem Raum einmal auf Mk zurückgegriffen habe (wie die mk-lk Übereinstimmungen zeigen), daneben aber von »Deutero-Markus« abhängig ist, wie die mt-lk Agreements zeigen: Der Befund konstituiert ein überlieferungsgeschichtliches Dilemma, das sich im Rahmen der Zwei-Quellentheorie nicht auflösen lässt. Unter der Voraussetzung der *Ev- Priorität lässt sich dagegen nicht nur der literarkritische Befund problemlos erklären, sondern auch handschriftlichen Varianten, die in dieses überlieferungsgeschichtliche Modell integriert werden können, wie sich vor allem anhand von *20,29.31 zeigen lässt. 7. Tertullians Bezeugung von *20,39 stellt sicher, dass die Perikope in *Ev so endete wie im kanonischen Text: Mit dem Ausdruck der Anerkennung der Schriftgelehrten für die Antwort Jesu. 14 Das hat die überlieferungsgeschichtliche Konsequenz, dass die »Frage nach dem größten Gebot« (Mk 12,28-34 || Mt 22,34-40) ein mk Einschub in den Zusammenhang von *Ev ist, für den Mk das Material aus *10,25-28 (s. dort) genommen und stark erweitert (Mk 12,32-34b) hatte. Diese Einfügung bot sich an, weil sowohl die Frage des νομοδιδάσκαλος (*10,25) als auch das Gespräch mit den Sadduzäern über die Auferstehung mit der ausdrücklichen Anerkennung der jeweiligen Antwort Jesu endeten (*10,28a; *20,39b). Die Einfügung von Mk 12,28-34 || Mt 22,34-40 in den Kontext von *Ev (zwischen *20,40 und *20,41) hat die ursprüngliche Anerkennung der Antwort Jesu *10,28 immerhin noch in der Erzählstimme bewahrt (Mk 12,28b || Mt 22,34). ______________________________ 14 Tert. 4,38,9: Atque adeo scribae, Magister, inquiunt, bene dixisti. 20,27-40 Rekonstruktion 1117 Aus diesem Grund steht dann auch der Hinweis, dass niemand mehr Jesus etwas zu fragen wagte (*20,40), bei Mk nicht am Ende der Sadduzäerfrage, sondern am Ende der Frage nach dem größten Gebot (Mk 12,34c). Mt ist hier redaktionell am sorgfältigsten verfahren, indem er diese Notiz ganz am Ende der Jerusalemer Streitgespräche bietet: Zwar geht das Gespräch über die Davidssohnschaft (*20,41-44 || Mk 12,35-37a || Mt 22,41-46) nicht von einer Frage der Schriftgelehrten oder der Pharisäer aus, sondern von Jesus, aber der Hinweis auf die argumentative Überlegenheit Jesu (Mt 22,46a) und die daraus gefolgerte Notiz, dass niemand ihn mehr zu fragen sich traute (22,46b), hat ganz am Ende dieser Lehr- und Streitgespräche eine bessere Position als in *Ev (*20,40) oder in Mk (12,34c). Diese überlieferungsgeschichtliche Rekonstruktion erklärt dann auch die Veränderung der Gesprächsstruktur von *10,25-28 durch die lk Redaktion: Für *10,25-28 hatte sich die Abfolge »Frage des Gesetzeslehrers (*10,25) - Antwort Jesu (*10,27) - Bestätigung der Antwort durch den Gesetzeslehrer (*10,28a)« ergeben (s. dort). Mit der Einfügung von Mk 12,28-34 in den durch *Ev vorgegebenen Kontext hat Mk dem Schriftgelehrten eine ausführliche, bestätigende Wiederholung der Antwort Jesu (Mk 12,30f) in den Mund gelegt (Mk 12,32f), die dann Jesus seinerseits gutheißt (Mk 12,34). Die lk Redaktion hat sich offensichtlich durch diese Struktur mit Frage, Antwort und wechselseitiger Bestätigung zu der neuen Struktur in Lk 10,25-28 anregen lassen und am Ende noch die Aufforderung Jesu angefügt (10,28b: τοῦτο ποίει καὶ ζήσῃ). *20,41-44: Der Messias ist Davids Herr, nicht sein Sohn Bezeugt, sicher in *Ev vorhanden, mit großer Wahrscheinlichkeit durch die lk Redaktion stark bearbeitet. 20,41 Εἶπεν δὲ πρὸς a τοὺς γραμματεῖς a b Τί ὑμῖν δοκεῖ περὶ τοῦ Χριστοῦ; τίνος υἱός ἐστιν; λέγουσιν αὐτῷ, Τοῦ Δαυίδ. b 42 λέγει αὐτοῖς, Πῶς οὖν Δαυὶδ ἐν τῷ πνεύματι ¿τῷ ἁγίῳ? καλεῖ αὐτὸν κύριον λέγων, c Λέγει κύριος τῷ κυρίῳ μου, Κάθου ἐκ δεξιῶν μου 43 ἕως ἂν θῶ τοὺς ἐχθρούς σου d ὑποκάτω τῶν ποδῶν σου. 44 e αὐτὸς δὲ Δαυὶδ f [ οὖν ] κύριον αὐτὸν καλεῖ, καὶ πῶς αὐτοῦ υἱός ἐστιν; A. *20,41-44: Tert. 4,38,10: Si autem scribae Christum filium David existimabant, ipse autem David dominum eum appellat, quid hoc ad Christum? Non David errorem scribarum obtundebat, sed honorem Christo David procurabat, quem dominum Christum magis quam filium David confirmabat, quod non congrueret destructori creatoris. B. a (20,41) τους γραμματεις/ scribas: Tert (vgl. [πως λεγουσιν] add οι γραμματεις: sy s.c.p bo 1 ms slav) ¦ αυτους/ illos (eos): it M ● b (21,41) τι υμιν δοκει περι του χριστου τινος υιος εστιν λεγουσιν αυτω του δαυιδ: (Tert: existimabant) e (quid vobis videtur de Christo, cuius filius est? Dicunt illi: 1118 Anhang I 20,41-44 David. Dixit autem ad illos) (vgl. Mt 22,42) ¦ πως λεγουσιν τον χριστον ειναι δαυιδ υιον: a aur c d f ſſ 2 i l q r 1 M ● c (21,42) λεγει: D a c d ſſ 2 ¦ ειπεν: aur e f i l q r 1 M (*Ev non test.) ● d (21,43) υποκατω: D a c d e ſſ 2 i l q r 1 sy c.p.h (278) Tat pers bo ¦ υποποδιον: aur f vg M ¦ υποκατω του υποποδιου: sa ms (*Ev non test.) ● e (21,44) αυτος: Tert (vgl. Mk 12,37); 2372 (πως αυτος …) ¦ om it M ● f (21,44) ουν: om Tert D a c d e ſſ 2 i sa 1ms got ¦ add q M . C. Tertullians Referat mit der Zusammenfassung von *20,41a und *21,44a stellt die Perikope zumindest im Kern für *Ev sicher, ohne dass sich daraus jedoch die genaue Struktur des Gesprächs ergibt. Weitere Hinweise lassen sich aus den Handschriften und aus überlieferungsgeschichtlichen Erwägungen folgern, aber auch sie beseitigen nicht alle Fragen. Das entscheidende inhaltliche Problem hat schon Tertullians Referat hervorgehoben: Den Gegensatz, den die Abweisung der Davidssohnschaft Jesu (*20,44) gegenüber der Anrede des Blinden in Jericho (*18,38) konstituiert. »Wenn aber die Schriftgelehrten Christus für den Sohn Davids hielten, David selbst ihn aber seinen Herren nennt, was bedeutet dies für Christus? David hat nicht den Fehler der Schriftgelehrten korrigiert, sondern David hat die Ehre gegenüber Christus gewährleistet, die er dadurch bestätigt hat, dass Christus der Herr mehr ist als der Sohn Davids; dies passt nicht zu einem Zerstörer des Schöpfers. Aber wie treffend ist dieses Verständnis für unsere Sicht! Denn gerade erst wurde er von jenem Blinden als ›Sohn Davids‹ angesprochen; was er da mit Stillschweigen übergangen hat, weil keine Schriftgelehrten anwesend waren, das bringt er jetzt unveranlasst in ihrer Gegenwart vor, um zu erweisen, dass er, den der Blinde gemäß der Lehre der Schriftgelehrten nur als Sohn Davids angeredet hatte, auch sein Herr sei. So belohnt er zwar den Glauben des Blinden, mit dem er ihn als Sohn Davids geglaubt hatte, erschüttert aber die Überlieferung der Schriftgelehrten, wegen der sie nicht wussten, dass er auch der Herr ist. Was immer sich auf den Ruhm bezieht, der dem Christus des Schöpfers gebührt, kein anderer als der Christus des Schöpfers konnte es so im Auge behalten.« 1 1. Problematisch ist zunächst auch hier wieder, wer die Gesprächspartner sind: Tertullians scribae setzt γραμματεῖς voraus, von denen jedoch im kanonischen Text nichts steht, wohl aber in einigen alten Versionen (sy bo slav) in der Weiterführung des Verses. In den Parallelen hat Mt 22,41 die Pharisäer, Mk 12,35 die Schriftgelehrten, die ja in der Regel die Schriftgelehrten der Pharisäer sind. Die pronominale ______________________________ 1 Tert. 4,38,10: Si autem scribae Christum filium David existimabant, ipse autem David dominum eum appellat, quid hoc ad Christum? Non David errorem scribarum obtundebat, sed honorem Christo David procurabat, quem dominum Christum magis quam filium David confirmabat, quod non congrueret destructori creatoris. At ex nostra parte quam conveniens interpretatio! Nam qui olim a caeco illo filius David fuerat invocatus, quod tunc reticuit, non habens in praesentia scribas, nunc ultro coram eis de industria protulit, ut se, quem caecus secundum scribarum doctrinam filium tantum David praedicarat, dominum quoque eius ostenderet, remunerata quidem fide caeci, qua filium David crediderat illum, pulsata vero traditione scribarum, qua non et dominum eum norant. Quodcunque ad gloriam spectaret Christi creatoris, sic non alius tueretur quam Christus creatoris. 20,41-44 Rekonstruktion 1119 Aktualisierung der Adressaten im kanonischen Text (Lk 21,41a: εἶπεν δὲ πρὸς αὐτούς) bezieht sich zurück auf τινες τῶν γραμματέων (Lk 20,39). Auch wenn es gut möglich ist, dass Tertullian diesen engen Zusammenhang gesehen und die Schriftgelehrten aus *20,39 in seinem Referat von *20,41 renominalisiert hat, deutet die Lesart in sy bo slav darauf hin, dass die Adressaten in *20,41 eigens genannt waren. 2. Die Hauptschwierigkeit für die Rekonstruktion ergibt sich zunächst aus Tertullians Referat: Er verweist mit dem Verb existimabant für *20,41 auf eine Formulierung, die nicht mit dem kanonischen Text (λέγουσιν + Acc. c. I.) zusammen passt. Da von den synoptischen Parallelen nur die mt Formulierung τί … δοκεῖ … (Mt 22,42) ein Pendant zu Tertullians existimare bietet, folgerte Harnack, dass *Ev hier »offenbar unter dem Einfluß des Matth.« formuliert habe. 2 Diese Überlegung ist im Kontext der Lk-Priorität vor *Ev verständlich, aber kaum zutreffend. Denn der von Harnack substituierte Text findet sich nicht nur in Mt 22,42, sondern auch in Lk 20,41 (e): Τί ὑμῖν δοκεῖ περὶ τοῦ Χριστοῦ; τίνος υἱός ἐστιν; λέγουσιν αὐτῷ, Τοῦ Δαυίδ. Diese Lesart des Cod. Palatinus sieht auf den ersten Blick aus wie eine sekundäre Konformierung unter dem Einfluss der synoptischen Parallele (die NA 27 durch das Sigel p) anzeigt), stellt sich aber, wie auch sonst so häufig, als eine Spur des vorkanonischen Textes heraus. Die Annahme eines synoptischen Paralleleinflusses würde voraussetzen, dass (die Quelle von) Lk 20,41 (e) hier den mt Wortlaut aus eigener Kenntnis irrtümlich in den Lk-Text eingefügt hätte. Das ist mehr als unwahrscheinlich. An dieser Stelle stellt der mt Text nämlich nicht nur eine (beispielsweise durch intensive Nutzung vertrautere) alternative Formulierung dar: Der Umstand, dass nicht Jesus, sondern die Schriftgelehrten den Christus als Sohn Davids bezeichnen, führt zu erheblichen strukturellen Veränderungen in der Anlage des Gesprächs, die sich ohne weiteres an der mt-lk Synopse ablesen lassen. Denn in Mk 12,35b-37 || Lk 20,41-44 liegt gar kein Dialog vor, sondern nur eine Frage und deren Selbstbeantwortung durch Jesus. In Mt 12,41-46 und im Cod. Palatinus (e) stellt Jesus den Schriftgelehrten eine Frage, die sie selbst beantworten; erst danach folgt die Rückfrage Jesu (Mt 22,43-45) mit dem beweiskräftigen Schriftzitat: Nur hier liegt tatsächlich ein Dialog vor, und dementsprechend bietet Mt 22,46 als Abschluss den aus *20,40 || Mk 12,34b stammenden und überarbeiteten Hinweis, dass die Angeredeten nichts zu erwidern wussten und Jesus danach nichts mehr zu fragen wagten. Diese tiefgreifenden strukturellen Verschiebungen schließen aus, dass die Formulierung *20,41 (e) ein Versehen auf der Ebene der handschriftlichen Überlieferung darstellt: Der Unterschied zwischen dem Mehrheitstext und dem Text des Palatinus geht nicht auf ein Versehen zurück, sondern auf eine absichtsvolle redaktionelle Änderung - das ist die lk Redaktion. ______________________________ 2 H ARNACK 229* bietet im rekonstruierten Text »(τί ὑμῖν) δοκεῖ (περὶ τοῦ) Χριστοῦ; (τίνος) υἱός (ἐστιν; λέγουσιν αὐτῷ,) Δαυείδ« und merkt dazu an, dass sich »existimabant (δοκεῖ)« nur in Mt finde, und nur »dort sagen die Schriftgelehrten, daß Christus der Sohn Davids sei; bei Luk sagt I e s u s : πῶς λέγουσιν τὸν Χριστὸν εἶναι Δαυεὶδ υἱόν« (H ARNACK 230*). 1120 Anhang I 20,41-44 3. Diese Überlegung zu *20,41 hat dann die Konsequenz, dass auch *20,42 ganz anders ausgesehen haben muss als im kanonischen Mehrheitstext. Da die Aussage gänzlich unbezeugt ist, kommt man über Vermutungen im Anschluss an überlieferungsgeschichtliche Erwägungen nicht hinaus. Wenn die Rekonstruktion zu *20,41 (mit der Frage Jesu und der Antwort der Schriftgelehrten) zutrifft, kann V. *42 nicht mit dem kausalen Anschluss begonnen haben, den die kanonische Fassung enthält: αὐτὸς γὰρ Δαυὶδ λέγει … (Lk 20,42). Aus diesem Grund ist eine Entgegnung Jesu zu postulieren, die zunächst einmal die richtige Verhältnisbestimmung zwischen David und Christus enthielt. Es spricht nichts dagegen (aber vieles dafür), dass diese Entgegnung genau die von Mt 22,43 überlieferte Form der Rückfrage Jesu besaß: Mt wird an dieser Stelle *Ev einfach übernommen haben, redaktionelle Spuren sind jedenfalls nicht auszumachen. Diese Einschätzung widerspricht der üblichen Beurteilung von Mt 22,43ff: Im Horizont der Zwei- Quellentheorie ist die mt Fassung sekundär gegenüber Mk 12,35b.36, dessen Text Lk dann relativ treu bewahrt hätte: Die Unterschiede zwischen Mk 12,35-37 und Mt 22,41-46 werden auf mt Redaktion zurückgeführt. Dafür allerdings gibt es nur methodisch problematische wortstatistische Argumente, 3 abgesehen von der generellen Einschätzung, dass der »mt Text viel lebendiger« wirke. Beide Argumente sind auch umkehrbar, 4 vor allem lässt sich die geringere »Lebendigkeit« des mk-lk Monologs gegenüber dem mt Dialog ohne weiteres als vereinfachende Zusammenfassung der komplizierten syntaktischen Struktur (Frage-Antwort-Rückfrage) verstehen. Auch *20,42 muss demnach ganz anders ausgesehen haben als die kanonische Fassung des Mehrheitstextes. Auffällig sind hier mehrere kleine Übereinstimmungen zwischen zwei der drei synoptischen Fassungen gegen die jeweils dritte. (a) Mk und Lk stimmen gegen Mt sehr eng überein in der Formulierung als (kausaler) Aussagesatz (gegen die mt Frage: πῶς …; ), mit dem Verb (λέγει Lk 20,42 || εἶπεν Mk 12,36 ≠ καλεῖ Mt 22,43). (b) Mk und Mt stimmen gegen Lk darin überein, dass Davids Aussage über den Messias »im Geist« getroffen wurde (ἐν πνεύματι Mt 22,43 || ἐν τῷ πνεύματι τῷ ἁγίῳ Mk 12,36 ≠ ἐν βίβλῳ ψαλμῶν Lk 20,42). (c) Mt und Lk stimmen schließlich gegen Mk darin überein, dass sie das Verb im Präs. bieten anstatt im Aor. (καλεῖ Mt 22,43 || λέγει Lk 20,42 ≠ εἶπεν Mk 12,36). ______________________________ 3 Vgl. dazu etwa L UZ , Mt III 286 Anm. 5 mit Verweis die Liste mit mt »Vorzugsvokabular« (L UZ Mt I 35ff). Bei genauem Hinsehen sind die angeführten Beispiele (λέγων, τί ὑμῖν δοκεῖ, περί, τίνος, λέγω, πῶς, [εἰ] οὖν) nicht gerade überwältigend. 4 Die Bestimmung mt Vorzugsvokabeln ist natürlich abhängig von dem zugrunde gelegten überlieferungsgeschichtlichen Modell, in diesem Fall der Zwei-Quellentheorie. Die darauf basierende Wortstatistik wiederum als Argument für eine überlieferungsgeschichtliche Rekonstruktion zu verwenden, wäre zirkulär. Dass Mt »lebendig« erzähle, kann kaum als überlieferungsgeschichtliches Argument verwendet werden: Die mt Bearbeitung von Mk hat sehr häufig dessen »lebendige« Details zugunsten einer sachlichen Straffung der Erzählung übergangen. 20,41-44 Rekonstruktion 1121 Im Rahmen der Zwei-Quellentheorie und ihrer Erweiterungen 5 lassen sich diese Abweichungen und Übereinstimmungen nicht ohne weiteres erklären. Vor dem Hintergrund der Rekonstruktion zu *20,41 legt sich dagegen Folgendes nahe: Der Hinweis auf Davids Aussage »im Geist« stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus *Ev, wobei sich nicht entscheiden lässt, ob die längere mk (ἐν τῷ πνεύματι τ ῷ ἁ γ ί ῳ ) oder die kürzere mt (ἐν πνεύματι) Formulierung eher Anspruch auf Ursprünglichkeit besitzt. Der lk Hinweis, diese Aussage finde sich ἐν βίβλῳ ψαλμῶν (Lk 20,42a) spiegelt zu deutlich das Interesse der lk Redaktion, um Anspruch auf Ursprünglichkeit zu besitzen: Die lk Redaktion hat verschiedentlich (und oft zum ersten Mal überhaupt) die einzelnen Teile des AT genau benannt und an dieser Stelle aus der pneumatischen Prophetie einen Schriftbeweis gemacht, der die Zusammengehörigkeit der beiden Teile der christlichen Bibel voraussetzt. 6 Dass als Prädikat dieser Aussage ursprünglich καλεῖ anstelle von λέγει stand, ergibt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit aus der abschließenden Folgerung Jesu (καλεῖ *20,44 || Mt 22,45 ≠ λέγει Mk 12,37). Der Umstand, dass Mk an dieser Stelle (anders als in 12,36a) das Präs. hist. verwendet, spricht dann auch dafür, dass das Präsens von Mt 22,43 ursprünglich ist. 4. Die restlichen Rekonstruktionsentscheidungen sind unproblematisch. Im Schriftzitat *20,43 erweist sich ὑποκάτω anstelle von ὑποπόδιον aufgrund der handschriftlichen Bezeugung als ursprünglich. Diese Lesart wird nicht nur von den »üblichen Verdächtigen« für die Interferenz der beiden Textüberlieferungen (D it sy) geboten, sondern auch durch die Konflation ὑποκάτω τοῦ ὑποποδίου (sa ms ) bestätigt. Wichtiger sind die (durch Tertullian bezeugten) Änderungen für *20,44: Anstelle des konsekutiven Anschlusses (οὖν) des kanonischen Textes war der adversative Anschluss (δέ) und die Betonung, dass David selbst (αὐτός) diesen Hinweis gegeben habe, in *Ev ursprünglich. 5. Mit diesen Rekonstruktionsentscheidungen wird dann die Überlieferungsgeschichte dieser Perikope durchsichtig: (a) Die für *Ev rekonstruierte vorkanonische Fassung enthielt die von Mt bewahrte Gesprächsstruktur mit der Abfolge Frage Jesu - Antwort der Schriftgelehrten - Replik Jesu. Diese Akoluthie von *20,40.41-44 ist nachvollziehbar: Nachdem die Schriftgelehrten Jesus befragt und aufs Glatteis zu führen versucht hatten, fragen sie Jesus nichts mehr; aber er kehrt den Spieß um und befragt jetzt seinerseits die Schriftgelehrten - und erweist einmal mehr seine Überlegenheit. (b) Da die Antwort der Schriftgelehrten keine überraschende ______________________________ 5 Zur Deuteromarkushypothese vgl. A. F UCHS , Mehr als Davids Sohn, in: ders., Spuren von Deuteromarkus V, Münster 2007, 11-31. 6 Zum Problem s. M. K LINGHARDT , Inspiration und Fälschung. Die Transzendenzkonstruktion der Bibel, in: H. Vorländer (Hg.), Transzendenz und die Konstitution von Ordnungen, Berlin 2013, 331-355: 340-342. 1122 Anhang I 20,41-44 Information bot, konnte Mk diese Struktur in eine einfache, rhetorische Frage Jesu verwandeln: Er lässt die Schriftgelehrten selbst gar nicht mehr zu Wort kommen. Das war insofern sinnvoll, als Mk ja bereits in 12,34 den aus *20,40 stammenden Hinweis verwendet hatte, dass niemand mehr Jesus zu fragen wagte: Wenn die Schriftgelehrten nicht mehr als Gesprächspartner in Frage kommen, musste Mk ihnen auch nicht mehr das Wort erteilen. (c) Mt hat dagegen die Struktur von *Ev beibehalten: Er liefert am Ende der Jerusalemer Streitgespräche ein letztes Beispiel für die argumentative Überlegenheit Jesu, indem er die Pharisäer eines Selbstwiderspruchs überführt: Für Mt ist das die Klimax der Streitgespräche: Er lässt sie daher ganz passend mit dem Hinweis enden (Mt 22,46), dass die Pharisäer weder zu entgegnen hatten (καὶ οὐδεὶς ἐδύνατο ἀποκριθῆναι αὐτῷ λόγον, red.), noch ihn zu fragen wagten (οὐδὲ ἐτόλμησέν τις … ἐπερωτῆσαι αὐτὸν οὐκέτι, trad.). (d) Die lk Fassung folgt hier nicht *Ev, sondern der redaktionell bearbeiteten und verkürzten Fassung des Mk: Die Schriftgelehrten kommen gar nicht mehr zu Wort, Jesus selbst fasst im Sinn der Überbietung zusammen, dass der Messias der »Herr« und nicht der Sohn Davids sei. Trotz der Abhängigkeit von Mk lassen sich in der lk Fassung noch geringfügige Spuren der lk Redaktion ausmachen, wie vor allem der Hinweis auf das »Buch der Psalmen« zeigt (Lk 20,42 ≠ Mk 12,36 || Mt 22,43). 6. Mit dieser Skizze sind die Probleme der Textsemantik noch gar nicht benannt, die sich auf allen Ebenen der Überlieferungsgeschichte verschieden auswirken. Denn wenn (in allen Fassungen! ) die Pointe im Mund Jesu eine Gegenüberstellung von Davids Sohn und Davids Herr formuliert, dann kann dies kaum anders verstanden werden denn als Abweisung der Ansicht, der Gesalbte müsse der Sohn Davids sein. Diese alte Interpretation 7 bereitet Schwierigkeiten, weil ja alle Evangelien Jesus ansonsten durchweg als Davidssohn schildern bzw. sich große Mühe geben, ihn als solche zu charakterisieren. Am weitesten verbreitet ist die literarkritische Lösung dieser Spannung: Die Abweisung der Davidssohnschaft Jesu gehört einem älteren Überlieferungsbestand an, der in den Evangelien auf unterschiedliche Weise weiterentwickelt bzw. korrigiert wurde. 8 Die methodische Voraussetzung der *Ev-Priorität liefert dafür wesentliche Einsichten: Sie erlaubt, im Gegenüber zu *Ev die mk Redaktion genauer zu erfassen, von denen dann sowohl Mt als auch Lk abhängig sind. a. In *Ev spielt die Davidssohnschaft Jesu keine Rolle. Nach *20,41-44 ist der Gegensatz zwischen Jesus und den Schriftgelehrten, der sich schon vorher in anderen Fragen etabliert hatte, an diesem Punkt recht eindeutig: In *Ev Jesus lehnt die Ansicht ab, derzufolge der Messias ein Sohn Davids sein müsse. Auch die Einzugserzählung (*19,36-40, s. dort) enthält keine entsprechende Qualifizierung: *19,38 erwähnt David weder in der Akklamation (≠ Mk 11,10: εὐλογημένη ἡ ______________________________ 7 Vgl. W. W REDE , Jesus als Davidssohn, in: ders., Vorträge und Studien, Tübingen 1907, 147-177. 8 Grundlegend entfaltet von C HR . B URGER , Jesus als Davidssohn, Göttingen 1970. 20,41-44 Rekonstruktion 1123 ἐρχομένη βασιλεία τοῦ πατρὸς ἡμῶν Δαυίδ) noch in der Doxologie (≠ Mt 21,9: ὡσαννὰ τῷ υἱῷ Δαυίδ). Andererseits enthielt die Erzählung von der Blindenheilung in Jericho die Anrede Jesu als Davidssohn. 9 Da die Wiederholung des Bittrufes (als Steigerung) jedoch erst auf die lk Redaktion zurückgeht (Lk 18,39, s. dort), bleibt *18,38 im Mund des Blinden der einzige Beleg in *Ev für die Davidssohnschaft. b. Für Mk sieht die Situation ähnlich, wenn auch weniger eindeutig aus. Auf der einen Seite ist Mk 12,35-37 || *20,41-44 kaum anders zu verstehen als in *Ev: Auch der mk Jesus behauptet, dass der Messias nicht Davids Sohn sei. Andererseits hat Mk die Schilderung des Einzugs Jesu in Jerusalem gegenüber *Ev geändert und anstelle der Akklamation des »Königs« (*19,38 εὐλογημένος ὁ βασιλεύς) die »kommende Herrschaft unseres Vaters David« (Mk 11,10) gesetzt. Im Kontext des Mk ist dies irritierend, weil Mk ansonsten immer nur von der βασιλεία τ ο ῦ θ ε ο ῦ spricht, nicht aber von der βασιλεία τ ο ῦ π α τ ρ ὸ ς ἡ μ ῶ ν Δ α υ ί δ : Hier ist offensichtlich die auf 2Sam 7,12-16; Jes 9,5f; 11,1-10; PsSal 17,21 usw. zurückgehende Vorstellung vorausgesetzt, dass der messianische König ein Davidide sei. Bei Mk treten also die beiden Überlieferungsstränge noch deutlicher auseinander, die schon für *Ev (*18,38; *20,41-44) nebeneinander existierten: Die Reklamation der davidischen Herkunft des Messias und zugleich ihre Abweisung. c. Diese Ambivalenz ist bei Mt dann restlos beseitigt: Mt hat die ursprüngliche Alternative, dass der Messias nur entweder Davids Sohn oder Davids Herr sein kann, verändert. Denn Jesus, der ja zu Recht ὁ χριστός genannt wird (1,16), ist nicht nur der Sohn Gottes (16,16), sondern dies eben gerade nur als Nachfahre Davids (1,1.6), und als solcher wird er dann auch von den Hilfesuchenden 10 angeredet (9,27; 15,22; 20,30f) bzw. von der Menge akklamiert (21,9). Die Frage, mit der Jesus die Davidssohndebatte abschließt (Mt 22,45: πῶς υἱὸς αὐτοῦ ἐστιν; ), kann dann nur so verstanden werden, dass nur die Jünger oder diejenigen, denen es »mein Vater im Himmel offenbart hat« (Mt 16,16), die Einheit von Jesu Gottes- und Davidssohnschaft verstehen können. Gerade darin ist die substituierte Antinomie aufgehoben: Er ist sowohl Davidssohn als auch der »Herr« Davids. Aus diesem Grund wird die Bezeichnung Jesu als »Davidssohn« nur im Mund von Außenstehenden benutzt. d. Für Lk gilt dem Grunde nach das Gleiche wie für Mt, auch wenn er den Titel »Davidssohn« seltener verwendet als Mt. Aber auch für ihn ist klar, dass Jesus ein Davidide ist, wie gerade in redaktionellen Passagen deutlich wird (Lk 1,32.69; 3,31). Lk muss den propositionalen Gehalt der Frage Lk 20,42 also anders verstanden haben als sein Ausgangstext *Ev. Er hat den Aspekt, dass Jesus der κύριος Davids ist, in Act 2,34f mit demselben Zitat aus Ps 110,1 begründet: Die Überlegenheit Jesu über David gründet in seiner Auferstehung (Act 2,31) und Erhöhung zur Rechten Gottes (2,33). Allerdings ist die Pfingstrede nicht als Klärung der strittigen Frage Lk 20,42 zu verstehen: Sie »begründet das ›Kyrios‹-Sein Jesu und nicht seine Davidssohnschaft.« 11 ______________________________ 9 *18,38 ( Ἰησοῦ υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με), bezeugt durch Tert. 4,36,9; Epiph., Schol. 51; Adam. 5,14 (858c). 10 Inwiefern gerade der »Davidssohn« insbesondere für Exorzismen bzw. Heilungen qualifiziert ist, hat K. B ERGER , Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund christologischer Hoheitstitel, NTS 17 (1970/ 71), 391-425, gezeigt. 11 Von W OLTER , Lk 662, zu Recht gegen B URGER , a. a. O. 116, eingewandt. 1124 Anhang I 20,41-44 Die überlieferungsgeschichtliche Analyse erlaubt an dieser Stelle einen Blick in die Entwicklung der Christologie. Hinsichtlich der »Davidssohnschaft« Jesu ist klar, dass Mt - und nicht Lk - den entscheidenden Beitrag geleistet hat. *20,45-47: Warnung vor den Schriftgelehrten Für *Ev nicht bezeugt, aber sehr wahrscheinlich vorhanden. ¿20,45 ᾿Ακούοντος δὲ παντὸς τοῦ λαοῦ εἶπεν τοῖς μαθηταῖς a [ αὐτοῦ ] ? , 46 Προσέχετε ἀπὸ τῶν γραμματέων τῶν θελόντων περιπατεῖν ἐν στολαῖς καὶ ϕιλούντων ἀσπασμοὺς ἐν ταῖς ἀγοραῖς καὶ πρωτοκαθεδρίας ἐν ταῖς συναγωγαῖς καὶ πρωτοκλισίας ἐν τοῖς δείπνοις, 47 οἳ b κατεσθόντες τὰς οἰκίας τῶν χηρῶν c [ καὶ ] προϕάσει μακρὰ d προσεύχομενοι· οὗτοι λήμψονται περισσότερον κρίμα. A. Die Warnung vor den Schriftgelehrten ist unbezeugt. B. a (20,45) αυτου: om B D 2542 d l ¦ add a aur c e f ſſ 2 i q r 1 M (*Ev non test.) ● b (20,47) κατεσθοντες: D; κατεσθιοντες: P Χ Ψ 213 348 477 1216 1579 1604 2096 ℓ1663 ℓ1761 ¦ κατεσθιουσιν: it M (*Ev non test.) ● c (20,47) και: om D a aur c d f g 1 gat i l q r 1 s vg sy s.c.p bo 2mss Orig (Comm. in Mt 22; GCS 38, 22) August (Spec. 27; CSEL 12, 194) ¦ add e ſſ 2 M (*Ev non test.) ● d (20,47) προσευχομενοι: D P R Θ 13 69 124 213 346 472 475 543 579 788 826 828 983 1009 1071 2542 2643 ℓ547 d e q r 1 s vg ¦ προσευχονται: M (*Ev non test.). C. Die Worte gegen die Schriftgelehrten, die im kanonischen Text die Folge der Jerusalemer Streitgespräche abschließen, sind unbezeugt. Tertullians Referat (4,38,10) kommt wegen des gemeinsamen Stichwortes »Sohn Davids« noch einmal auf die Blindenheilung *18,35ff zu sprechen und fasst anschließend (4,39,1) *21,8 zusammen. Die Beurteilung muss sich daher auf text- und überlieferungsgeschichtliche Kriterien stützen. 1. Lk 20,45-47 hat eine sehr enge Parallele in Mk 12,37b-40, die im Horizont der Zwei-Quellentheorie als Grundlage angesehen wird. Mt 23,1-36 bietet an dieser Stelle dagegen die ausführliche Redekomposition gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten; die Spuren der mt Redaktion sind unbezweifelt, im Einzelnen aber durchaus schwierig. 1 Im Horizont der *Ev-Priorität ist dagegen sehr deutlich geworden, dass Mt diese Rede mit Material aus *11,39-52 (s. dort) und eigenen Einfügungen selbst redaktionell gestaltet hat. Die Frage besteht demnach nur darin, ob Mk 12,37b-40 auf einen Ursprung in *Ev zurückgeht, den auch Lk gelesen und rezipiert hat, oder ob der Anfang der Überlieferung erst in Mk liegt, ______________________________ 1 Vgl. dazu L UZ , Mt III 293, der auf die Unterschiede zwischen Lk 11,39-52 und Mt 23,2-36 aufmerksam macht und zu Recht folgert, dass die Gemeinsamkeit (ähnlich dem Verhältnis von Feldrede und Bergpredigt) sich in erster Linie auf den Makrotext bezieht, wogegen die »Weherufe kein Paradestück der Hypothese einer schriftlichen Q-Quelle« seien. 20,45-47 Rekonstruktion 1125 dem Lk dann (gegen *Ev und gegen Mt) gefolgt wäre. Die Ansicht, dass Mk und Lk hier gemeinsam auf ihrer Quelle *Ev beruhen, lässt sich anhand der (leider nur geringfügigen) redaktionellen Spuren plausibilisieren. 2. Die Exposition unterscheidet sich in allen drei synoptischen Fassungen. Während Mt 23,1 und Lk 20,45 als Adressaten der Rede das Volk und die Jünger nennen, ergeht die Warnung Jesu vor den Schriftgelehrten nur an das Volk. Dabei zeigen alle drei Eingangsverse redaktionelle Spuren: Mt 23,1 ist »unbestreitbar« 2 redaktionell. Lk 20,45 nennt, im Unterschied zu ὄχλος/ ὄχλοι (Mk 12,37b || Mt 23,1), als Adressaten zunächst den λαός, der auch sonst häufig bei ihm redaktionell ist. 3 Am schwierigsten ist Mk 12,37b zu beurteilen: Mk erwähnt nur den ὄχλος als Adressaten, während Mt und Lk darüber hinaus die μαθηταί nennen. Da die doppelte Adressierung sehr viel reflektierter (und komplizierter) ist als die einfache, spricht einiges dafür, dass Mk hier den ältesten Text bewahrt hat. Dies zeigt dann auch die vermutlich redaktionelle Einleitung der Chrie über die Gabe der Witwe (Lk 21,1; s. dort): Wenn Lk die szenische Einheit von 20,45-47 und 21,1-4 bewahrt, dann ist es gut nachvollziehbar, dass er die paränetische Ausrichtung von 21,1-4 im Gegenüber zur Warnung vor dem stolzen Verhalten der Schriftgelehrten als Mahnung an seine christliche Leserschaft (μαθηταί) verstanden haben will. Der mk Kontext trennt beide Szenen und nennt als Adressaten nur zu Mk 12,37b-40 die Volksmenge. Für eine vorkanonische Fassung dieser Perikope spricht jedoch vor allem, dass die handschriftliche Überlieferung von Mk 12,38 Spuren aufweist, die auf einen vorkanonischen Text hindeuten könnten: Anstelle des mehrheitlich bezeugten καὶ ἐν τῇ διδαχῇ αὐτοῦ ἔλεγεν lesen D (Θ 565) a d sy s : ὁ δὲ διδάσκων ἁμὰ ἔλεγεν αὐτοῖς. Ich verstehe diese Lesart als Hinweis auf den vorkanonischen Mk-Text (*Mk) und, auf diesem Umweg, als Beleg für die Existenz der Perikope in *Ev. Es ist daher sehr gut denkbar, dass die genannte Lesart von *Mk 13,28 D it sy usw. den ursprünglichen *Ev-Text enthält. Da dieses textkritische Zeugnis allein nicht in der Lage ist, eine Rekonstruktion für *Ev zu tragen, bleibt das Urteil an dieser Stelle offen. 3. Ein weiterer Hinweis auf einen vorkanonischen Text lässt sich der handschriftlichen Überlieferung von *20,47a entnehmen. Anstelle der mehrheitlich bezeugten Formulierung in zwei parataktischen Hauptsätzen (οἳ κατεσθίουσιν … καὶ … προσεύχονται) lesen D (it) u. a. zwei asyndetische Partizipien: οἳ κατεσθόντες τὰς ______________________________ 2 L UZ , Mt III 296 mit Anm. 6; sein Argument ist die Häufung der mt Vorzugswörter in diesem Vers. 3 In Lk 19,47-21,38 hat Lk verschiedentlich das mk ὄχλος durch λαός ersetzt (Lk 20,6 ≠ Mk 11,32; 20,19 ≠ Mk 12,12; 20,45 ≠ Mk 12,37b) bzw. gegen den mk Text eingefügt (Lk 20,1 ÷ Mk 11,27; 20,9 ÷ Mk 12,1; 20,26 ÷ Mk 12,17). Während 20,1.6.26 für *Ev unbezeugt sind und kein sicheres Urteil darüber zulassen, ob λαός bereits in *Ev stand oder erst durch die lk Redaktion eingefügt wurde, hat das Wort in *20,19.26 nachweislich gefehlt: hier ist der Nachtrag durch die lk Redaktion gesichert. Zur redaktionellen Bedeutung von λαός vgl. J. K ODELL , Luke’s Use of Laos, CBQ 31 (1969), 327-343; J. J ERVELL , Luke and the People of God, Minneapolis 1972, 41-74; W OLTER , Lk 638f. 1126 Anhang I 20,45-47 οἰκίας τῶν χηρῶν, προϕάσει μακρὰ προσευχόμενοι. Diese Lesart ist deutlich ungelenker, und sie taucht interessanterweise auch in Mk 12,40 D (f 1.13 pc) co auf: Sie repräsentiert den auch von *Mk rezipierten Text von *Ev, der von der Kanonischen Redaktion in beiden Fällen korrigiert wurde. 4. Auch wenn das Urteil nicht mit der wünschenswerten Sicherheit begründet werden kann, spricht doch alles dafür, dass die Warnung (der Volksmassen) vor den Schriftgelehrten an dieser Stelle in *Ev enthalten war und möglicherweise von Mk am genauesten bewahrt wurde. Mt, der hier der mk Akoluthie folgt, hat die Gelegenheit für eine weitere große Redekomposition genutzt, in die er umfangreiches Material aus *11,39ff, aber auch eigene Ergänzungen eingefügt hat. *21,1-4: Die Gabe der Witwe Unbezeugt, aber vermutlich in *Ev enthalten; geringfügig durch die lk Redaktion bearbeitet. ¿21,1 ᾿Αναβλέψας δὲ εἶδεν τοὺς βάλλοντας εἰς τὸ γαζοϕυλάκιον τὰ δῶρα αὐτῶν πλουσίους.? 2 εἶδεν δέ τινα χήραν πενιχρὰν βάλλουσαν ἐκεῖ a λεπτὰ δύο a b ὅ ἐστιν κοδράντης b , 3 καὶ εἶπεν, Ἀληθῶς λέγω ὑμῖν ὅτι ἡ χήρα c αὕτη ἡ πτωχὴ c d πλείω πάντων ἔβαλεν· 4 πάντες γὰρ οὗτοι ἐκ τοῦ περισσεύοντος αὐτοῖς ἔβαλον εἰς τὰ δῶρα e τοῦ θεοῦ e , αὕτη δὲ ἐκ τοῦ ὑστερήματος αὐτῆς πάντα τὸν βίον ὃν εἶχεν ἔβαλεν. A. Die Perikope vom »Scherflein der Witwe« ist, wie die vorangehende Warnung vor den Schriftgelehrten auch, nicht für *Ev bezeugt. B. a (21,2) λεπτα δυο: א B L Q Θ Ψ 33 579 892 1241 pc a aur c d f i l q r 1 (s: quadrantes duo) (vgl. Mk 12,42) ¦ (2 1) δυο λεπτα: A D W f 1.13 (a: duos quadrantes) e M (*Ev non test.) ● b (21,2) ο εστιν κοδραντης: D (a: duos quadrantes) d (s: quadrantes duo) ¦ om aur c e f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● c (21,3) αυτη η πτωχη: א B D L Q f 13 33 579 1241 pc aur c d f ſſ 2 i l q r 1 ¦ (2 3 1) η πτωχη αυτη: A W Θ Ψ f 1 a s M (*Ev non test.) ● d (21,2) πλειω: D Q W Θ Ψ 157 213 343 349 433 903 1195 1229 1604 1630 2613 ¦ πλειον: M (*Ev non test.) ● e (21,4) του θεου: A D W Θ Ψ 0102 f 13 33 it vg sy p.h M ¦ om א B L f 1 579 1241 2542 pc sy s.c (co) (*Ev non test.). C. Für das Urteil über die Perikope von der Gabe der Witwe gelten die gleichen Erwägungen wie für die vorangehende Warnung vor den Schriftgelehrten: Beide Perikopen hängen eng miteinander zusammen, die Entscheidungskriterien sind ähnlich, und das wahrscheinliche Urteil ist das gleiche. 1. In erster Linie helfen die Varianten der Handschriften, die an einigen wenigen Stellen das charakteristische Profil für die Interferenz der kanonischen und der vorkanonischen Überlieferung aufweisen. 21,1-4 Rekonstruktion 1127 Besonders aufschlussreich ist dabei die Erklärung ὅ ἐστιν κοδράντης zu *21,2, die sich so auch in Mk 12,42 findet. Wie in zahlreichen analogen Fällen ist es weniger wahrscheinlich, dass diese Erklärung durch den Einfluss des synoptischen Paralleltextes in die Handschriften D it usw. geraten ist. Sehr viel wahrscheinlicher ist die Annahme, dass diese Erläuterung bereits auf den vorkanonischen Text zurückgeht, den Mk an dieser Stelle besser bewahrt hat als Lk. Ähnliches gilt für die anderen hier vermerkten Lesarten, für die charakteristisch ist, dass ihre Verteilung so breit ist, dass eine zuverlässige Zuweisung nur schwer möglich ist: Der Textus receptus (nach IGNTP) hatte einige der hier genannten Lesarten noch anders beurteilt als NA 27 . Es bleibt daher durchaus unsicher, ob die Verteilung der Varianten auf den vorkanonischen bzw. den kanonischen Text auch wirklich zutreffend ist; im vorliegenden Zusammenhang ist diese Frage allerdings von untergeordneter Bedeutung: Wichtig ist, dass mit der Annahme des vorkanonischen Textes und seinem Einfluss auf die kanonische Überlieferung ein redaktioneller Schritt gesichert ist, der zwischen den beiden Textformen liegt: die lk Redaktion. 2. Schwierig und letztlich unentscheidbar bleibt die Frage, ob die narrative Einleitung in *Ev eher Mk 12,41 oder Lk 21,1 entsprochen hat. Lk hat die Szene sehr eng mit der vorangehenden Warnung vor den Schriftgelehrten verbunden, die er an das Volk und an die Jünger adressiert sein lässt. Auf diese Weise entsteht eine scharf fokussierte paränetische Szene, die das nach Anerkennung heischende Verhalten der kritisierten Schriftgelehrten in der Öffentlichkeit mit der Freigebigkeit der Witwe kontrastiert, die als Vorbild für die Jünger dient: Bei Lk sind von Anfang an betont die Reichen im Blick. Mk, der die vorausgehende Warnung vor den Schriftgelehrten an die Menge adressiert, hat einen szenischen Neueinsatz geschaffen. Seine Exposition »mit ihrer breiten Einstellung des Erzählwinkels« 1 nötigt ihn, die Jünger als Adressaten des Jesuslogions eigens anzuführen (Mk 12,43). Beide Beobachtungen sprechen dafür, dass der erzählerische Anschluss in Lk 21,1 und die nachgetragene Adressierung der Jünger in Mk 12,43 jeweils redaktionell sein könnten. Allerdings ist dieses Kriterium zu wenig belastbar, um daraus ein literarkritisches Urteil abzuleiten. 3. In überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht stellt das Fehlen einer Entsprechung zu Mk 12,41-44 par. in Mt das größte Problem dar: Dies ist eine Schwierigkeit für alle Theorien, die auf der Mk-Priorität basieren. Allerdings bietet auch die Two- Gospel-Hypothesis mit der Annahme der Mk-Posteriorität keine wirkliche Erklärung: Sie setzt voraus, dass die Perikope aus dem lk Sondergut stammt (»non-Matthean tradition«) und deswegen nicht in Mt enthalten war. 2 Mk hätte sie folglich deswegen nicht übernommen, weil er nur die gemeinsamen mt-lk Überlieferungen ______________________________ 1 W OLTER , Lk 665 zu Lk 21,1. 2 A. J. M C N ICOL (ed.), Beyond the Q Impasse, Valley Forge 1996, 257. 1128 Anhang I 21,1-4 rezipiert. Diese Erklärung bestätigt also nur im Rahmen des Theoriedesigns der Two-Gospel-Hypothesis die mk-lk Übereinstimmungen, was nicht weiter erhellend ist. Natürlich lässt sich der negative Befund für Mt nicht wirklich erklären. Aber mit Blick auf die umfangreiche Bearbeitung und Erweiterung von *20,45-47 || Mk 12,37b-40 lässt sich immerhin nachvollziehen, dass die Einfügung dieser kleinen Szene die Abfolge der beiden großen Redekompositionen (Mt 23; 24f) gestört hätte. *21,5-6.7-17 18 19: Endzeitrede I Für *Ev größtenteils bezeugt und sicher vorhanden, aber durch die lk Redaktion bearbeitet und ergänzt. 21,5 Καί τινων λεγόντων περὶ τοῦ ἱεροῦ, ὅτι λίθοις καλοῖς καὶ ἀναθήμασιν κεκόσμηται, εἶπεν, 6 Ταῦτα a [ ἃ ] θεωρεῖτε· ἐλεύσονται ἡμέραι ἐν αἷς οὐκ ἀϕεθήσεται b {ἐν τοίχῳ ὧδε} b λίθος ἐπὶ λίθῳ ὃς οὐ καταλυθήσεται. 7 Ἐπηρώτησαν δὲ αὐτὸν c {οἱ μαθηταὶ} c λέγοντες, Διδάσκαλε, πότε οὖν ταῦτα ἔσται, καὶ τί τὸ σημεῖον d τῆς σῆς ἐλεύσεως d ; 8 ὁ δὲ εἶπεν, Βλέπετε μὴ πλανηθῆτε· πολλοὶ e [ γὰρ ] ἐλεύσονται ἐπὶ τῷ ὀνόματί μου λέγοντες, Ἐγώ εἰμι f {ὁ Χριστός} f g {καὶ πολλοὺς πλανήσουσιν} g καί, Ὁ καιρὸς ἤγγικεν· μὴ πορευθῆτε ὀπίσω αὐτῶν. 9 ὅταν δὲ ἀκούσητε πολέμους καὶ ἀκαταστασίας, μὴ h ϕοβηθῆτε· δεῖ γὰρ ταῦτα γενέσθαι πρῶτον, ἀλλ’ οὐκ εὐθέως τὸ τέλος. 10 i [ Τότε ἔλεγεν αὐτοῖς, ] i Ἐγερθήσεται k καὶ βασιλεία ἐπὶ βασιλείαν καὶ ἔθνος ἐπ’ ἔθνος k , 11 l καὶ m ↑ λοιμοὶ καὶ λιμοὶ ↓ m καὶ σεισμοί l n τε μεγάλοι n o καὶ κατὰ τόπους o ἔσονται, ϕόβητρά τε καὶ ἀπ’ οὐρανοῦ σημεῖα p μεγάλα ¿ϕανήσεται? q καὶ χειμῶνες q ¿ἔσονται? . 12 πρὸ δὲ τούτων πάντων ἐπιβαλοῦσιν ἐϕ’ ὑμᾶς τὰς χεῖρας αὐτῶν καὶ διώξουσιν, παραδιδόντες εἰς τὰς συναγωγὰς καὶ ϕυλακάς, ἀπαγομένους ἐπὶ βασιλεῖς καὶ ἡγεμόνας ἕνεκεν τοῦ ὀνόματός μου· 13 ἀποβήσεται ὑμῖν εἰς μαρτύριον r {ὡς καὶ εἰς σωτηρίαν} r . 14 θέτε οὖν ἐν ταῖς καρδίαις ὑμῶν μὴ s προμελετῶντες t τί u δεῖ ἀπολογηθῆναι u , 15 ἐγὼ γὰρ δώσω ὑμῖν στόμα καὶ σοϕίαν ᾗ οὐ δυνήσονται ἀντιστῆναι ἢ ἀντειπεῖν ἅπαντες οἱ ἀντικείμενοι ὑμῖν. 16 παραδοθήσεσθε δὲ καὶ ὑπὸ γονέων καὶ ἀδελϕῶν καὶ συγγενῶν καὶ ϕίλων, καὶ θανατώσουσιν ἐξ ὑμῶν, 17 καὶ ἔσεσθε μισούμενοι ὑπὸ πάντων διὰ τὸ ὄνομά μου. v 18 καὶ θρὶξ ἐκ τῆς κεϕαλῆς ὑμῶν οὐ μὴ ἀπόληται. v 19 ἐν w δὲ τῇ ὑπομονῇ x ὑμῶν y σώσετε ἑαυτούς y . A. *21,7: Tert. 4,39,13: Ipsum decursum scripturae evangelicae ab interrogatione discipulorum usque ad parabolam fici ita invenies contextu sensus filio hominis hinc atque illinc adhaerere ut in illum compingat et tristia et laeta et concussiones et promissiones, nec possis separare ab illo alteram partem. ♦ *21,8: Tert. 4,39,1-3: Constabit itaque et de impudentia eius qui multos dicat venturos in nomine ipsius, quod non sit ipsius … Venient denique illi dicentes, Ego sum Christus. 21,5-19 Rekonstruktion 1129 Recipies eos, qui consimilem recepisti … Videamus et quae signa temporibus imponat. ¦ Tert. 5,1,3: Praeter haec utique legisti multos venturos qui dicant, Ego sum Christus. ♦ *21,9-11: Tert. 4,39,3: … Bella, opinor, et regnum super regnum, et gentem super gentem, et pestem, et fames terraeque motus, et formidines, et prodigia de caelo, quae omnia severo et atroci deo congruunt. ♦ *21,12f: Tert. 4,39,4: Ante haec autem persecutiones eis praedicat et passiones venturas, in martyrium utique et in salutem. ♦ *21,14: Tert. 4,39,7: Nec mirum si is cohibuit praecogitationem qui et ipse a patre excepit pronuntiandi tempestive subministrationem. ♦ *21,14f: Tert. 4,39,6: Et hic igitur ipse vetat cogitari quid responderi oporteat apud tribunalia, qui et Balaam quod non cogitaverat, immo contra quam cogitaverat, suggessit, et Moysi causato linguae tarditatem os repromisit. Et sapientiam ipsam, cui nemo resisteret, per Esaiam demonstravit … ♦ *21,16f: Tert. 4,39,13: A proximis quoque persecutiones, et nominis ex odio utique blasphemiam praedicatam, non debeo rursus ostendere. ♦ *21,18: Epiph., Schol. 58: πάλιν παρέκοψε τό Θρὶξ ἐκ τῆς κεϕαλῆς ὑμῶν οὐ μὴ ἀπόληται. ♦ *21,19: Tert. 4,39,9: Sed per tolerantiam, inquit, salvos facietis vos metipsos. B. a (21,6) α: om D L Ψ* a d e ſſ 2 i q vg 2 mss ; c l (θεωρειτε ταυτα) ¦ add aur f r 1 vg M (*Ev non test.) ● b (21,6) εν τοιχω ωδε: D a d; εν τοιχω: l s; ωδε εν τοιχω: c ſſ 2 i q r 1 vg 2 mss ¦ om aur e f vg M (*Ev non test.) ● c (21,7) οι μαθηται: Tert D georg (d vg 1 ms ) ¦ om a aur c e f ſſ 2 i l q r 1 s M ● d (21,7) της σης ελευσεως: D (d l: adventus tui) ¦ οταν μελλη ταυτα γινεσθαι: a aur c e f ſſ 2 i q r 1 s M (*Ev non test.) ● e (21,8) γαρ: om Tert. bo (1 ms) ¦ add it M ● f (21,8) ο χριστος/ ego sum Christus: Tert 157 1247 c aur c e ſſ 2 gat i l q r 1 s vg mss (vgl. Mt 24,5: ἐγώ εἰμι ὁ Χριστός) ¦ om a d f vg M ● g (21,8) και πολλους πλανησουσιν/ et multos seducent: e (ℓ950) (vgl. Mt 24,5) ¦ om a aur c d f ſſ 2 i l q r 1 s M (*Ev non test.) ● h (21,9) ϕοβηθητε: D (d q) sa bo ¦ πτοηθητε: a c e f ſſ 2 i l r 1 s M (*Ev non test.) ● i (21,10) τοτε ελεγεν αυτοις: om D 983 2613 a d e ſſ 2 i l r 1 sy s.c.p aeth (Bodl. 41) ¦ add c (  f) q vg M (*Ev non test.) ● k (21,10) και βασιλεια επι βασιλειαν και εθνος επ εθνος/ et regnum super regnum, et gentem super gentem: Tert ¦ (6-8,5,2-4): εθνος επ εθνος και βασιλεια επι βασιλειαν: it M ● l (21,11) και λοιμοι και λιμοι και σεισμοι/ et pestem, et fames terraeque motus: Tert ¦ (5 6 3 4 1 2) it M ● m (21,11) λοιμοι και λιμοι/ pestilentiae (pestes: a s) et fames: Tert B 157 1241 ℓ211 a c f g 1 gat i q s vg sy c ¦ (3 2 1) λιμοι και λοιμοι/ fames et lues: e M ● n (21,11) τε μεγαλοι om Tert 716 1223 sy p(1 ms) ¦ add it M ● o (21,11) και κατα τοπους: om Tert 60 168 ¦ κατα τοπους και: A D W Θ Ψ f 1.13 latt sy sa ms M ; κατα τοπους: 0102 vid 892 1241 pc; και κατα τοπους: א B L 33 579 pc sa (bo) ● p (21,11) μεγαλα: om Tert A* ¦ add it M ● q (21,11) και χειμωνες: 1012 a c ſſ 2 i l q r 1 s vg 2 mss sy h (W, 267 mg; 268 txt) aeth Orig (Comm. in Mt 36; GCS 38, 68); sy c (ϕανησεται και χειμωνες μεγαλοι) sy p (ϕανησεται και χειμωνες μεγαλοι εσονται) Tat arab.pers (ϕανησεται και εσονται χειμωνες μεγαλοι); sy s (ϕανησεται) ¦ it M (*Ev non test.) ● r (21,13) ως και εις σωτηριαν/ uti et in salutem: Tert ¦ om it M ● s (21,14) προμελετωντες: D (306 d) ¦ προμελεταν: a c e f ſſ 2 i l q r 1 s M (*Ev non test.) ● t (21,14) τι/ quid: Tert e (quae); πως/ quomodo: a c r 1 ; πως τι: gat; quemadmodum: f ſſ 2 i l q s ¦ om d M ● u (21,14) δει απολογηθηναι/ responderi oporteat: Tert ¦ απολογηθηναι/ respondere: d M ¦ απολογηθησεσθε/ respondeatis: c f ſſ 2 i l q r 1 ; rationem reddatis: a s; απολογηθησεσθε/ respondatis: e ● v (21,18) vs. om Epiph sy c ¦ add it M ● w (21,19) δε/ sed: Tert f (autem) sy s.c.p ; και/ et: g 1 l vg mss Tat arab armen georg aeth ¦ om M ● x (21,19) υμων: om Tert sy c.s ¦ add (vestra): [a] b c d e f ſſ 2 i l q r 1 s M ● y (21,19) σωσετε εαυτους/ salvos facietis vosmetipsos: Tert ¦ κτησασθε τας ψυχας υμων: it M . C. Die Endzeitrede, die hier nur aus Gründen der Praktikabilität in zwei getrennten Abschnitten behandelt wird, ist insgesamt bezeugt. Für die unbezeugten Passagen 1130 Anhang I 21,5-19 lassen sich jeweils Argumente finden, die ein hinreichend sicheres Urteil ermöglichen. Die Hauptschwierigkeiten ergeben sich aus den auffälligen Lesarten der Handschriften und ihren gelegentlichen Spannungen zu dem durch Tertullian referierten Text. 1 1. Die Exposition der Rede (*21,5f) ist unbezeugt. Die lk Fassung schließt sich eng an die vorangehende Erzählung von der Opfergabe der Witwe an, die Szene ist ab *20,27 unverändert. Da *20,45 und *21,1 unbezeugt sind und der Wortlaut unsicher ist, lässt sich auch nicht genau ausmachen, ob die τινες, denen die Bemerkung *21,5 in den Mund gelegt wird, zu den Jüngern oder zum Volk gehören. Aber da in *21,7 (s. dort) mit großer Wahrscheinlichkeit die Jünger als Adressaten der Belehrung Jesu genannt waren, ist diese Frage weniger wichtig als in der kanonischen Fassung, in der sich die Belehrung sowohl an die Menge als auch an die Jünger zu richten scheint. 2 Für die Bezeugung von *21,5f sind die beiden Lesarten in V. *6 wichtiger, weil sie einen Hinweis auf den vorkanonischen Text geben: Die kanonische Lesart ταῦτα ἃ θεωρεῖτε erfordert, die folgende Erklärung Jesu (ἐλεύσονται ἡμέραι …) als Anakoluth zu verstehen. Die Lesart ohne das Relativpronomen in den für die Interferenz zwischen der kanonischen und der vorkanonischen Überlieferung anfälligen Handschriften (D it u. a.) macht daraus eine Aufforderung, die den Gegensatz zwischen der gegenwärtigen Pracht des Tempels und der zukünftigen Zerstörung erhöht, etwa in dem Sinn: »Seht euch das (alles gut) an! « Die zweite Auffälligkeit ist die Lokalisierung der Steine ἐν τοίχῳ ὧδε (D it). Die Ursprünglichkeit dieser Bemerkung legt sich dadurch nahe, dass ὧδε auch Eingang in Mt 24,2 || Mk 13,2 gefunden hat. Nach der narrativen Logik müsste der τοῖχος in D it eine Mauer der Tempelgebäude bezeichnen: Im Unterschied zu Mk 13,3 || Mt 24,3 blicken Jesus und die Jünger nicht vom Ölberg auf die gesamte Tempelanlage, sondern befinden sich noch im Tempelareal. Vom Ölberg aus gesehen könnte sich die Bemerkung ἴδε ποταποὶ λίθοι (Mk 13,1) durchaus auf die großen Quader der Substruktionsmauern beziehen, die aber vom Tempelareal aus gar nicht sichtbar waren. Man könnte auch überlegen, ob die einleitende Situationsangabe καὶ ἐκπορευομένου αὐτοῦ ἐκ τοῦ ἱεροῦ Mk 13,1 || Mt 24,1 eigentlich aus *Ev stammt: In diesem Fall würde sich ἐν τοίχῳ ὧδε tatsächlich auf die großen Stützmauern beziehen können. Aber da die beeindruckende Massivität der Substruktion des herodianischen Tempels weithin bekannt war, ist die Überlegung, welche Mauer genau gemeint gewesen sein könnte, für die Überlieferungsgeschichte wenig aufschlussreich. Die Exposition der Endzeitrede war demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit in der rekonstruierten Form in *Ev enthalten: Das »Tempelwort« hat seinen Ursprung ______________________________ 1 Dagegen spielt die in der Forschung viel verhandelte Frage nach den Quellen von Lk 21 hier keine Rolle. Zu den überlieferungsgeschichtlichen Problemen und zum Verhältnis von *21,5-36 zu Mk 13 s. u. zu *21,20-36. 2 Vgl. dazu W OLTER , Lk 670 z. St: Dadurch, dass Lk die bewundernden Worte »anonym bleibenden Tempelbesuchern in den Mund legt«, bleibe die Erzählung auf Jesus fokussiert. 21,5-19 Rekonstruktion 1131 in *21,6 und ist von hier nach Mk 13,2 || Mt 24,2 sowie nach Lk 19,44 eingedrungen (s. dort). 2. Das Gespräch, das sich an die Ankündigung der Zerstörung des Tempels anschließt, hat seinen Ausgangspunkt in der Frage der Jünger nach dem Zeitpunkt. Allerdings hat dieser erste Teil der Redekomposition (*21,7-11) in *Ev offensichtlich anders ausgesehen als im kanonischen Mehrheitstext. Im Unterschied zur lk Fassung sind für den vorkanonischen Text »die Jünger« (Tert D u. a.) als Fragesteller sehr wahrscheinlich (s. o.). Die Akteure in der Exposition und die Frager in *21,7 par. unterscheiden sich in den einzelnen synoptischen Fassungen. *21,5 Mk 13,1 Mt 24,1 Lk 21,5 τινες εἷς τῶν μαθητῶν αὐτοῦ οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ τινες (s. 20,45) *21,7 Mk 13,3 Mt 24,3 Lk 21,7 (κατ’ ἰδίαν) (κατ’ ἰδίαν) οἱ μαθηταί Πέτρος καὶ Ἰάκωβος καὶ Ἰωάννης καὶ Ἀνδρέας οἱ μαθηταί (ἐπηρώτησαν) Da Mk 13,1 und Mt 24,1 die Einleitung in *21,5 redaktionell verändert haben, liegt es nahe, dass ihre Erwähnung der Jünger aus *21,7 nach hier eingedrungen ist. Mk hat dann die Rede Jesu als spezielle Jüngerbelehrung κατ’ ἰδίαν gestaltet und zu diesem Zweck Jesus und die vier erstberufenen Jünger als Adressaten auf dem Ölberg platziert. Mt hat diesen Ortswechsel und die Belehrung κατ’ ἰδίαν übernommen, nicht aber die spezifisch mk Adressierung an die erstberufenen Jünger; seine Erwähnung von οἱ μαθηταί lässt den vorkanonischen Text noch durchscheinen. Am schwierigsten ist daher die lk Fassung zu erklären. Denn das Subjekt von ἐπηρώτησαν können nur die τινες aus Lk 21,5 sein, die wiederum auf die Hörerschar aus λαός und Jüngern (Lk 20,45) zurückverweist: Lk ersetzt also die eindeutige Adressatenangabe durch eine unbestimmte, aber warum? Möglicherweise liegt die Antwort darauf in der Frage: Für den vorkanonischen Text ist (wieder aufgrund der Lesart in D it) wahrscheinlich, dass sich die Frage der Jünger nicht allgemein auf den Zeitpunkt und die Begleiterscheinungen der Endereignisse bezog, sondern zugleich auch die Parusie Jesu erwähnte. Mt 24,3 hätte dann die Frage aus *Ev am genauesten bewahrt: πότε ταῦτα ἔσται, καὶ τί τὸ σημεῖον τῆς σῆς παρουσίας. Der Umstand, dass D vom Kommen (ἔλευσις) und nicht von der durch Mt bezeugten Parusie (παρουσία) Jesu spricht, stellt sicher, dass hier kein versehentlicher Eintrag aus der Parallelstelle auf der Ebene der Handschriftenüberlieferung vorliegt. Demnach hätte Mt ἔλευσις (*Ev) in das präzisere παρουσία geändert. In diesem Fall ist zu erwägen, ob im vorkanonischen Text auch ein Hinweis auf die συντέλεια τοῦ αἰῶνος (Mt 24,3 || Mk 13,4 ὅταν μέλλῃ ταῦτα συντελεῖσθαι πάντα) stand: Die semantische Gleichheit bei unterschiedlicher Formulierung in Mk und Mt legt dies nahe, aber es gibt keinen positiven Anhaltspunkt, der ein ausreichend sicheres Urteil zulassen würde. 1132 Anhang I 21,5-19 Wenn die lk Redaktion die Frage nach dem Kommen/ der Parusie Jesu gestrichen hat, dann entspricht dies der unbestimmten Angabe der Frager bzw. der Adressaten: Lk hält den ersten Abschnitt der Endzeitrede allgemein und adressiert ihn unterschiedslos an Jünger und Volk. 3. Für die weiteren Unterschiede zwischen *21,8f und dem kanonischen Text gilt Ähnliches: Sie sind nicht direkt bezeugt, haben aber Anhaltspunkte in den Handschriften (vor allem D it) und Entsprechungen in Mk 13,5-7 || Mt 24,4-6. Im Einzelnen ist bemerkenswert: Die Parole der »Verführer«, die im Namen Jesu auftreten werden, heißt bei Tertullian sowie in D it ἐγώ εἰμι ὁ Χ ρ ι σ τ ό ς (*21,8 || Mt 24,5) anstelle des einfachen ἐγώ εἰμι im kanonischen Mehrheitstext (Lk 21,8), das auch Mk 13,6 bietet: Die spezielle christologische Form entspricht der spezielleren Frage nach dem Zeitpunkt und den Anzeichen der Parusie Jesu. Die Prophezeiung καὶ πολλοὺς πλανήσουσιν (*21,8 || Mk 13,6 || Mt 24,5) fehlt in Lk 21,8. Tatsächlich stört sie als Ankündigung (Jesu? des Erzählers? ) zwischen den beiden Zitaten mit den Parolen der Verführer (ἐγώ εἰμι ὁ Χριστός; ὁ καιρὸς ἤγγικεν). Es ist daher nachvollziehbar, dass Lk sie ausgelassen hat. Für *21,9 sind zwei Unklarheiten zu vermerken, die sich vor allem aus den synoptischen Parallelen ergeben. So ist für die lk Formulierung (ὅταν δὲ ἀκούσητε) πολέμους καὶ ἀ κ α τ α σ τ α σ ί α ς zu erwägen, ob nicht vielleicht (ὅταν δὲ ἀκούσητε) πολέμους καὶ ἀ κ ο ὰ ς π ο λ έ μ ω ν (Mk 13,7 || Mt 24,6) ursprünglich sein könnte: Trotz der unterschiedlichen Syntax bei Mt und Mk sind dieselben Lexeme benutzt. Das lk ἀκαταστασία könnte redaktionell sein; allerdings gibt es dafür keinen positiven Anhaltspunkt. Ebenfalls unklar ist das Verb des Hauptsatzes: Neben πτοηθῆτε im Mehrheitstext finden sich: ϕοβηθῆτε (*21,9 D u. a.), θροεῖσθε (Mk 13,7 || Mt 24,6) und θορυβεῖτε (Mk 13,7 v. l. D u. a.). Alle vier Möglichkeiten sind denkbar; die Rekonstruktion folgt der Lesart in D u. a. 4. Schwierig ist die Rekonstruktion von *21,10, denn hier treten das Zeugnis Tertullians und die Rekonstruktion, die aufgrund der textgeschichtlichen Auffälligkeiten als wahrscheinlich gelten muss, auseinander. Die Differenzen betreffen in *21,10 die Reihenfolge, in der die Erhebungen von βασιλείαι und ἔθνη genannt werden, die Stellung von λοιμοὶ καὶ λιμοί vor den σεισμοί sowie die Abfolge λοιμοὶ καὶ λιμοί anstelle von λιμοὶ καὶ λοιμοί. Auch wenn Tertullian bei dieser Aufzählung dem Text von *Ev nicht immer genau folgen musste, ist der von ihm bezeugte Text der Rekonstruktion zugrunde gelegt. Wichtiger als diese Fragen der Wortstellung ist, dass Tertullian die Wortfolge (σεισμοί) τε μεγάλοι καὶ κατὰ τόπους übergeht; da diese Lücke auch in einigen wenigen Handschriften begegnet, erscheint Tertullian als zuverlässiger Referent. Nicht ganz klar ist der Schluss dieser Aufzählung der Endzeitschrecknisse in *21,11. In it (sy) u. a. sind noch die »Winterstürme« (καὶ χειμῶνες) angeführt, andere Zeugen (sy c.p.(s) Tat) haben formulieren die »Schrecknisse und Zeichen vom Himmel« als eigenen Satz mit eigenem Prädikat (ϕόβητρά τε καὶ ἀπ’ οὐρανοῦ σημεῖα ϕανήσεται καὶ χειμῶνες [μεγάλοι] ἔσονται). Nach Maßgabe der Faustregel, dass die am weitesten vom Mehrheitstext entfernte Lesart einigen Anspruch auf Ursprünglichkeit besitzt, könnte diese in den syrischen Zeugen belegte Formulierung auf den vorkanonischen Text zurückgehen. Das »Erscheinen eines Zeichens« hat Mt wenig später auf das 21,5-19 Rekonstruktion 1133 Kommen des Menschensohns bezogen und in den durch *Ev und Mk vorgegebenen Kontext eingefügt (τότε ϕανήσεται τὸ σημεῖον τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου ἐν οὐρανῷ Mt 24,30 ÷ *21,26 || Mk 13,25). Allerdings ist die Terminologie durchaus traditionell: Mt hätte auch unabhängig von *21,11 auf diese Formulierung kommen können. Da die Jünger in *21,7 nicht einfach nach dem Zeitpunkt der (endzeitlichen) Zerstörung Jerusalems fragen, sondern allgemeiner nach dem Zeitpunkt des Endes und den Anzeichen der Parusie, bezieht sich die Antwort Jesu in *21,8-11 sehr gut auf die Frage. Die Schwierigkeiten der Kontextverklammerung ergeben sich erst, wenn man Lk 21,7 zu eng auf die Zerstörung Jerusalems bezieht; die wird jedoch erst ab 21,20ff thematisiert: Im Rahmen der Zwei-Quellentheorie wurde diese Disjunktion als Enteschatologisierung der Frage Mk 13,4 verstanden. 3 Diese Deutung wird weder Mk 13,4 gerecht noch dem Verständnis der Zerstörung Jerusalems in *21,20ff. 4 Allerdings lässt die Rekonstruktion von *21,7 erkennen, dass Lk nicht seinen mk Prätext einseitig rezipiert, sondern aus *Ev die Frage nach der Parusie unterschlägt. 5. In einem zweiten Abschnitt (*21,12-19) belehrt Jesus die Jünger über das, was auf sie vor diesen Begleiterscheinungen des Endes zukommen wird. Tertullian gibt zu erkennen, dass er diesen Abschnitt ganz in *Ev gelesen hat, denn er referiert Elemente aller Verse bis auf Lk 21,18: Dieser Vers war Epiphanius’ ausdrücklicher Streichungsnotiz zufolge nicht in *Ev vorhanden. Aus welchen Gründen Marcion diese Zusicherung, dass den Jüngern kein Haar gekrümmt werde, hätte streichen sollen, ist nicht ersichtlich; die Vertreter der Lk-Priorität notieren das Fehlen von 21,18, können diese »Streichung« jedoch nicht aus Marcions redaktionellem Konzept begründen und lassen sie unkommentiert. Dies ist anders bei dem durch Tertullian bezeugten »Zusatz« in *21,13: Die angekündigten Verfolgungen werden den Jüngern nicht nur zum Zeugnis, sondern »auch zum Heil« gereichen. Da Tertullian im weiteren Kontext keinen Wert auf die Worte et in salutem legt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass er sie hier im Zug seiner argumentierenden Zusammenfassung eingetragen hat; sie waren folglich bereits in *Ev enthalten. Während Harnack keine Begründung für diese Änderung gibt, 5 argumentiert Tsutsui, dass der Zusatz dem Weltbild Marcions entspreche, weil die Verfolgungen und Leiden der Jünger ihre Erlösung »aus dieser schlechten Welt zur Folge« hätten. 6 Diese Begründung ist nicht tragfähig: Der Zusammenhang ______________________________ 3 Vgl. H. C ONZELMANN , Die Mitte der Zeit, Tübingen 6 1977, 117; J. Z MIJEWSKI , Die Eschatologiereden des Lukasevangeliums, Bonn 1972, 78f u. a. 4 Zu Mk 13,4 vgl. L ÜHRMANN , Mk 218: Der mk Jesus beantwortet zunächst (Mk 13,5-23) die Frage nach dem Zeitpunkt (πότε ταῦτα ἔσται), danach (13,24-27) die nach den Zeichen (τί τὸ σημεῖον ὅταν μέλλῃ ταῦτα συντελεῖσθαι πάντα). 5 Er notiert nur knapp: εἰς σωτηρίαν sei »sonst unbezeugt, also Zusatz M.s« (H ARNACK 230*). 6 T SUTSUI 121. 1134 Anhang I 21,5-19 von Leiden und Heil ist häufig belegt, sonst aber nie von einer dualistischen Kosmologie abhängig, wie sie für Marcion angenommen wird. In diesem Zusammenhang handelt es sich um eine Rezeption von Job 13,16a (LXX): καὶ τοῦτό μοι ἀποβήσεται εἰς σωτηρίαν. Paulus zitiert den gleichen Halbsatz in Phil 1,19 und hat dabei die gleiche Kombination von Zeugnis und Heil vor Augen, die schon in Job 13 im Hintergrund steht: Es ist die Situation des öffentlichen Bekenntnisses. 7 Dass diese Situation den Jüngern nicht nur Gelegenheit bietet, Zeugnis (μαρτύριον) abzulegen, sondern ihnen auch zum Heil (εἰς σωτηρίαν) gereicht, hängt unmittelbar mit der *21,14f verheißenen Hilfe für die Jünger zusammen: Wenn Jesus ihnen στόμα καὶ σοϕία gibt, können ihre Ankläger nicht gegen sie bestehen (V. *15), 8 so dass die Rettung tatsächlich im standhaften Ausharren liegt (V. *19). Die redaktionelle Verheißung, dass den Jüngern kein Haar gekrümmt werde (Lk 21,18), passt dagegen weder von der Sache her noch vom Ort der Einfügung ganz glatt in den Kontext. In der Sache klingt sie wie die Verheißung der Versiegelung der 144.000 in Apc 7, die auf diese Weise die Schrecknisse der Endereignisse unbeschadet überstehen und dann (! ) gerettet werden; nach *21,13.19 liegt jedoch der Grund der Rettung im standhaften Ausharren selbst. Ein (im Kontext von *Ev) angemessenerer Ort für die Einfügung von V. 18 wäre zwischen V. 15 und 16 gewesen. Die redaktionelle Einfügung von Lk 21,18 hat dann den adversativen Anschluss von *21,19 überflüssig gemacht, den nicht nur Tertullian für *Ev bezeugt, sondern der sich auch in denjenigen Zeugen niedergeschlagen hat, die wiederholt Lesarten des vorkanonischen Evangelientextes bezeugen. 9 Im vorkanonischen Text besteht der Gegensatz zwischen V. *17 (alle werden euch hassen) und V. *19 (Rettung durch Ausharren), im kanonischen zwischen V. 17 und V. 18 (euch wird kein Haar gekrümmt werden). Die 21,18 entsprechende Äußerung im Zusammenhang der Aufforderung zum furchtlosen Bekenntnis in Lk 12,6f ist ebenfalls erst redaktionell eingetragen (s. dort). ______________________________ 7 Vgl. Phil 1,20: Paulus werde Christus ἐν πάσῃ παρρησίᾳ verkündigen. Auf den juridischen Kontext von Job 13,16 und den Zusammenhang mit Lk 21,13 hat auch M. M AHONEY , Luke 21: 14-15: Editorial Rewriting or Authenticity? , Irish Theological Quarterly 47 (1980), 220-238: 224f, hingewiesen, ohne jedoch die v. l. καὶ εἰς σωτηρίαν zu bemerken: Sie hätte sein Argument verstärkt. 8 Dass lügenhafte Anklagen vor Gott keinen Raum haben werden, ist auch die Pointe von Job 13,16b: οὐ γὰρ ἐναντίον αὐτοῦ δόλος εἰσελεύσεται. 9 Adversatives καί in g 1 l vg mss Tat armen georg aeth usw., δέ bei Tert f sy s.c.p usw. 21,20-36 Rekonstruktion 1135 *21,20 21f 23f.25-35.36: Endzeitrede II Gut bezeugt und größtenteils sicher in *Ev vorhanden; durch die lk Redaktion bearbeitet und ergänzt (21,21f). 21,20 Ὅταν δὲ ἴδητε κυκλουμένην ὑπὸ στρατοπέδων Ἰερουσαλήμ, τότε a γνώσεσθε ὅτι ἤγγικεν ἡ ἐρήμωσις αὐτῆς. b 21 τότε οἱ ἐν τῇ Ἰουδαίᾳ ϕευγέτωσαν εἰς τὰ ὄρη, καὶ οἱ ἐν μέσῳ αὐτῆς ἐκχωρείτωσαν, καὶ οἱ ἐν ταῖς χώραις μὴ εἰσερχέσθωσαν εἰς αὐτήν, 22 ὅτι ἡμέραι ἐκδικήσεως αὗταί εἰσιν τοῦ πλησθῆναι πάντα τὰ γεγραμμένα. b 23 οὐαὶ ταῖς ἐν γαστρὶ ἐχούσαις καὶ ταῖς c θηλαζομέναις ἐν ἐκείναις ταῖς ἡμέραις· ἔσται γὰρ ἀνάγκη μεγάλη ἐπὶ τῆς γῆς καὶ ὀργὴ τῷ λαῷ τούτῳ, 24 καὶ πεσοῦνται στόματι d ρομϕαίας καὶ αἰχμαλωτισθήσονται εἰς τὰ ἔθνη πάντα, καὶ Ἰερουσαλὴμ ἔσται πατουμένη ὑπὸ ἐθνῶν, e [ ἄχρι οὗ πληρωθῶσιν καιροὶ ἐθνῶν ] e . 25 Καὶ ἔσονται σημεῖα ἐν ἡλίῳ καὶ σελήνῃ καὶ ἄστροις, καὶ ἐπὶ τῆς γῆς συνοχὴ ἐθνῶν f καὶ ἀπορία f g ἠχούσης θαλάσσης καὶ σάλου, 26 ἀποψυχόντων ἀνθρώπων ἀπὸ ϕόβου καὶ προσδοκίας τῶν ἐπερχομένων τῇ οἰκουμένῃ, αὐταὶ γὰρ δυνάμεις h αἱ ἐν τῷ οὐρανῷ h σαλευθήσονται. 27 καὶ τότε ὄψονται τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου ἐρχόμενον i ἀπὸ τῶν οὐρανῶν i μετὰ δυνάμεως k καὶ δόξης k πολλῆς. 28 l τούτων δὲ γινομένων l m ἀνακύψετε καὶ ἐπαρεῖτε m τὰς κεϕαλὰς n ὑμῶν , διότι o ἤγγικεν ἡ ἀπολύτρωσις ὑμῶν. 29 Καὶ εἶπεν παραβολὴν αὐτοῖς· Ἴδετε τὴν συκῆν καὶ πάντα τὰ δένδρα· 30 ὅταν προβάλωσιν p καρπόν q ἤδη r βλέποντες s ἀϕ’ ἑαυτῶν s t γινώσκουσιν οἱ ἄνθρωποι t ὅτι ἤγγικεν τὸ θέρος· 31 οὕτως καὶ ὑμεῖς, ὅταν ἴδητε ταῦτα u πάντα γινόμενα, v γνῶτε ὅτι ἐγγύς ἐστιν ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ. 32 ἀμὴν λέγω ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ παρέλθῃ w (οὗτος) ὁ οὐρανὸς καὶ ἡ γῆ w x εἂν μὴ x y ταῦτα πάντα z τελειωθήσεται. 33 ὁ οὐρανὸς καὶ ἡ γῆ παρελεύσονται, οἱ δὲ λόγοι τοῦ κυρίου οὐ μὴ παρελεύσονται. 34 Προσέχετε δὲ ἑαυτοῖς μήποτε βαρηθῶσιν aa αἱ καρδίαι ὑμῶν aa ἐν κραιπάλῃ καὶ μέθῃ καὶ μερίμναις βιωτικαῖς, καὶ ἐπιστῇ ἐϕ’ ὑμᾶς αἰϕνίδιος ἡ ἡμέρα ἐκείνη 35 ὡς παγίς. ἐπεισελεύσεται γὰρ ἐπὶ πάντας τοὺς καθημένους ἐπὶ πρόσωπον πάσης τῆς γῆς. 36 ἀγρυπνεῖτε δὲ ἐν παντὶ καιρῷ δεόμενοι ἵνα bb καταξιωθῆτε ἐκϕυγεῖν ταῦτα πάντα τὰ μέλλοντα γίνεσθαι, καὶ cc στήσεσθε ἔμπροσθεν τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου. A. *21,20: Tert. 4,39,9: Sed monstrato dehinc tempore excidii, cum coepisset vallari exercitibus Hierusalem, signa iam ultimi finis enarrat … ♦ 21,21-22 : Epiph., Schol. 59: Πάλιν παρέκοψε ταῦτα Τότε οἱ ἐν τῇ Ἰουδαίᾳ ϕευγέτωσαν εἰς τὰ ὄρη, καὶ τὰ ἑξῆς, διὰ τὰ ἐπιϕερόμενα ἐν τῷ ῥητῷ Ἕως πληρωθῇ πάντα τὰ γεγραμμένα. ♦ *21,25f: Tert. 4,39,9: … signa iam ultimi finis enarrat, solis et lunae siderumque prodigia, et in terra angustias nationum obstupescentium velut a sonitu maris fluctuantis, pro expectatione imminentium orbi malorum. Quod et ipsae vires 1136 Anhang I 21,20-36 caelorum concuti habeant, accipe Ioelem: Et dabo prodigia in caelo, et in terra sanguinem et ignem et fumi vaporem … ♦ *21,27f: Tert. 4,39,10: Post haec quid dominus? Et tunc videbunt filium hominis venientem de caelis cum plurima virtute. Cum autem haec fient, erigetis vos, et levabitis capita, quoniam appropinquavit redemptio vestra: in tempore scilicet regni, de quo subiecta erit ipsa parabola. ♦ *21,29: Tert. 4,39,13: Ipsum decursum scripturae evangelicae ab interrogatione discipulorum usque ad parabolam fici … ♦ *21,29-31: Tert. 4,39,16: In summa ipsius parabolae considera exemplum. Aspice ficum et arbores omnes: cum fructum protulerint, intellegunt homines aestatem appropinquasse; sic et vos cum videritis haec fieri, scitote in proximo esse regnum dei … sicut fructificationes aevi. ♦ *21,31: Tert. 4,39,11: Sic et vos cum videritis omnia haec fieri, scitote appropinquasse regnum dei. Hic erit dies magnus domini et illustris, venientis de caelis filii hominis … ♦ *21,32f: Tert. 4,39,18: Adhuc ingerit non transiturum caelum ac terram, nisi omnia peragantur. Quaenam ista? Si quae a creatore sunt, merito sustinebunt elementa domini sui ordinem expungi; si quae a deo optimo, nescio an sustineat caelum et terra perfici quae aemulus statuit. Hoc si patietur creator, zelotes deus non est. Transeat age nunc terra et caelum; sic enim dominus eorum destinavit: dum verbum eius maneat in aevum. ♦ *21,34f: Tert. 4,39,18: Admoneantur et discipuli, ne quando graventur corda eorum crapula et ebrietate et saecularibus curis, et insistat eis repentinus dies ille velut laqueus, utique oblitis deum ex plenitudine et cogitatione mundi. B. a (21,20) γνωσεσθε: D 1424 al d e s ¦ γινωσκετε: W f 1 ¦ γνωτε: a c f ſſ 2 i l q r 1 s M (*Ev non test.) ● b (21,21.22) vss. 21, 22: om Epiph ¦ add it M ● c (21,23) θηλαζομεναις: D ¦ θηλαζουσαις: it M (*Ev non test.) ● d (21,24) ρομϕαιας: D 544 1241 Chrys (In Rom 26; F IELD I, 441) ¦ μαχαιρης: it M (*Ev non test.) ● e (21,24) αχρι ου πληρωθωσιν καιροι εθνων: om 2* 5 903* 983 2613*; αχρις ου πληρωθωσιν: D d ¦ add a c e f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● f (21,25) και απορια: D d vg 1 ms sy (s.c).p bo ms ¦ και εν απορια: א ¦ εν απορια: it M (*Ev non test.) ● g (21,25) ηχουσης: D d (W) M ¦ ηχους: א A B C L N Θ Ψ f 1.13 33 579 1241 2542 al sy (*Ev non test.) ● h (21,26) αι εν τω ουρανω: D a c d ſſ 2 (i l) ¦ των ουρανων: Tert (! ) f q r 1 vg M ● i (21,27) απο των ουρανων/ de caelis: Tert c ¦ εν νεϕελη/ in (cum: q) nube (nubibus: a d vg): a e f ſſ 2 i l q r 1 M ● k (21,27) και δοξης: om Tert D ¦ πολλης και δοξης: Ψ 903 a f ſſ 2 g 1 gat i q r 1 vg s s.c aeth; και δοξης πολλης: M ● l (21,28) τουτων δε γινομενων: Tert ¦ αρχομενων (ερχομενων: D 13 788 826 828) δε τουτων γινεσθαι: (it) M ● m (21,28) ανακυψετε και επαρειτε: Tert (erigetis vos et levabitis) c ſſ 2 i l q (respirabitis [erigite vos: d r 1 ] et levabitis [elevabitis: l) ¦ ανακυψατε και επαρατε: (it) M ● n (21,28) υμων: om Tert D d ¦ υμων/ vestra: add a c e f ſſ 2 i l q r 1 M ● o (21,28) ηγγικεν/ appropinquavit: Tert 1 118* 131 205 209 343 1229 1582 2487 l r 1 (adpropiavit) vg (2 mss) Tat arab sa aeth Hipp (De antichr. 64; GCS 1/ 2, 44) ¦ εγγιζει/ adpropiat: ſſ 2 1 q (adpropinquat: d e f vg; adpropinquate: a) M ● p (21,30) καρπον/ fructum: Tert D 157 713 1691 d ¦ om it M ● q (21,30) ηδη: om Tert D a d e f r 1 sy s.c.h[mg] ¦ add ηδη/ iam: aur b c ſſ 2 i l q M ● r (21,30) βλεποντες: om Tert D it (a aur b c d e f ſſ 2 i l q r 1 ) sy s.c.h[mg]) ¦ add M ● s (21,30) αϕ εαυτων: om Tert D d e f i sy s.c.h[mg] ¦ αϕ εαυτων/ ex (a: a) se: a aur b c ſſ 2 l π r 1 M ● t (21,30) γινωσκουσιν οι ανθρωποι/ inellegunt homines: Tert ¦ γινωσκετε/ scitis (agnoscite): it M ● u (21,31) παντα/ omnia: Tert Δ Ψ 070 f 13 e (omnia ista) gat r 1 (haec omnia) ¦ παντα/ omnia: om a aur b c d f ſſ 2 i l q M ● v (21,31) γνωτε/ scitote: Tert it ¦ γινωσκετε: M ● w (21,32) ¦ (ουτος) ο ουρανος και η γη/ caelum et terra: Tert e (caelum istut [! ]) ¦ η γενεα αυτη/ generatio haec: aur b c d e f ſſ 2 q r 1 ; generationi haec: l; generatione hac: i; gens illa: a; M ● x (21,32) εαν μη: Tert (εαν: 1319) ¦ εως αν/ donec (usque dum; doneque) it M ● y (21,32) ταυτα: D f 13 579 892 pc d l sy s.c.p bo; παντα ταυτα: Ψ 070 pc ¦ om a aur b c e f ſſ 2 i q r 1 M ● z (21,32) τελειωθησεται/ perficiantur: e ¦ 21,20-36 Rekonstruktion 1137 γενηται/ fiant: a aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 M ● aa (21,34) αι καρδιαι υμων/ corda vestra: Tert A B T W X 0139 f 13 579 1424 2542 mult a aur b c e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 ¦ (3 1 2) υμων αι καρδιαι/ vestra corda: א C D L Θ Ψ 070 f 1 33 d M ● bb (21,36) καταξιωθητε: A C D Θ f 13 it vg sy M ¦ κατισχυσητε: א B L T (W) Ψ 070 f 1 33 579 892 1241 pc (*Ev non test.) ● cc (21,36) στησεσθε/ stabitis: D a b c d e i l q PsAug (Spec 25; CSEL 43, 255); stetis: r 1 ; stabatis: ſſ 2 ¦ σταθηναι/ stare: aur f vg M (*Ev non test.). C. Auch der zweite Teil der Endzeitrede ist gut bezeugt: Neben Epiphanius’ Streichungsnotiz für Lk 21,21f sind die meisten Aussagen durch direktes Zitat oder durch Zusammenfassungen bei Tertullian gesichert, für die wenigen unbezeugten Aussagen (*21,34f.36) legen die charakteristischen Lesarten eine vorkanonische Existenz nahe; nur *21,35b ist gänzlich unbezeugt. 1. Nach der Ankündigung von Verfolgungen vor den Endereignissen (*21,12-19) kommt *21,20-25 dann auf diese selbst zu sprechen. Da die Ausgangsfrage *21,7 nach den Endereignissen und der Parusie durch das Tempelwort *21,6 veranlasst war, ist es nicht überraschend, dass die Schilderung der Endereignisse mit der Ankündigung der »Verwüstung« Jerusalems einsetzt. Das Stichwort ἐρήμωσις, durch Tertullian belegt (excidium), stand also schon in *Ev; Mk 13,14 || Mt 24,15 haben diese Verwüstung unter Rückgriff auf Dan 9,27; 12,11 als βδέλυγμα τῆς ἐρημώσεως interpretiert. Epiphanius’ Streichungsnotiz kennzeichnet den Beginn der Lücke in *Ev in Lk 21,21 (τότε οἱ ἐν τῇ Ἰουδαίᾳ ϕευγέτωσαν εἰς τὰ ὄρη). Allerdings gibt er ihren Umfang nicht genau an, sondern deutet nur mit seiner etcetera-Formel an (καὶ τὰ ἑξῆς), dass sie über Lk 21,21a hinausreichte und auf jeden Fall noch 22,22 umfasste. Epiphanius begründet Marcions angebliche Korrektur mit dessen Absicht, den Hinweis auf die Schrift zu tilgen, nicht ohne hinzuzufügen, dass Marcions »Streichung« wirkungslos sei, weil er vergessen habe, den Hinweis auf die Schrift in *16,29 ebenfalls zu tilgen: Das ist der Hinweis auf das Problem der inkonsistenten Redaktion. Die Vertreter der Lk-Priorität haben dieses Problem nicht wahrgenommen, obwohl sie Epiphanius’ Begründung offensichtlich als ausreichend angesehen haben: Eine Begründung fehlt. Harnack und Tsutsui lassen diese Lücke bis einschließlich *21,24 reichen. 1 Dies ist jedoch unwahrscheinlich, wie die Lesarten der kanonischen Handschriften zu den Vv. *23f zeigen: Von geringer Bedeutung ist das Ptc. Präs. θηλαζομέναις in D gegenüber dem Ptc. Aor. θηλαζούσαις im Mehrheitstext. Aufschlussreicher ist, dass D u. a. ῥομϕαία anstelle von μάχαιρα bieten: Da die Handschriften mit der ῥομϕαία-Lesart an allen anderen Stellen völlig problemlos μάχαιρα ______________________________ 1 Die Angabe bei T SUTSUI 121 (»21-24: Auslassungsangabe bei Epiph Schol 59«) ist ungenau, weil Epiphanius nur (Elemente aus) V. 21f als fehlend notiert. H ARNACK 231* begründet: »Da Tert. von v. 20 sofort zu 25 übergeht, ist die Tilgung dieser vier Verse gewiß.« Da Tertullian nur in den wenigsten Fällen ein komplettes Referat liefert, ist diese Begründung nicht tragfähig. 1138 Anhang I 21,20-36 haben, ist es wahrscheinlicher, dass die ῥομϕαία-Lesart auf den vorkanonischen Text zurückgeht und von der lk Redaktion durch das sehr viel geläufigere μάχαιρα ersetzt wurde. Am wichtigsten ist indes die handschriftliche Überlieferung von *21,24d: Die letzte Bemerkung ἄχρι οὗ πληρωθῶσιν καιροὶ ἐθνῶν fehlt in fünf Minuskeln (2* 5 903* 983 2613*). Dies allein wäre kein zwingender Hinweis auf einen abweichenden vorkanonischen Text, weil diese Auslassung ja durchaus auf ein Kopistenversehen zurückgehen könnte. 2 Aber der Text von D d macht diese Erklärung völlig unwahrscheinlich: αχρις ου πληρωθωσιν/ usque quo inpleantur ist ein syntaktisches Fragment, das keinerlei Sinn ergibt, weil das Subjekt (καιροι εθνων/ tempora gentium) fehlt. Das Phänomen ist am ehesten durch die Annahme erklärbar, dass die Vorlagen der genannten Handschriften die Wendung Lk 21,24d tatsächlich nicht enthielten und sie daher zunächst auch nicht übernommen haben. Während diese Lücke in zwei Fällen (5 983) stehen blieb, wurde sie in 2* 903* 2613* richtig nach dem kanonischen Text korrigiert, wogegen die Korrektur in (der Vorlage von) D d inkonsequent durchgeführt wurde und zu dem sinnwidrigen Text führte: Die inkonsequente Ungenauigkeit genau dieses Verfahrens ermöglicht an so vielen Stellen die Identifizierung von Spuren des vorkanonischen Textes in der kanonischen Handschriftenüberlieferung. Das Fehlen von Lk 21,24d in *Ev ist auch in semantischer Hinsicht plausibel: Die Befristung der καιροὶ ἐθνῶν bildet zusammen mit Lk 19,41-44 (s. dort) eine redaktionelle Klammer um die Jerusalemer Auseinandersetzungen, mit der die lk Redaktion wichtige inhaltliche Akzente setzt: Jerusalem hat bereits beim Einzug Jesu in die Stadt nicht erkannt, »was dem Frieden dient«. Deswegen hatte Jesus schon bei dieser Gelegenheit die Belagerung und Zerstörung der Stadt (verbunden mit dem Tempelwort: Kein Stein bleibe auf dem anderen, Lk 19,44) geweissagt. Lk 21,24d begrenzt die καιροὶ ἐθνῶν und damit auch die Verwüstung, die sie über Jerusalem bringen werden. Dieses Element ist für das redaktionelle Konzept von großer Bedeutung, denn es nimmt für die Prophezeiung des Zacharias aus dem Benedictus (Lk 1,78f) eine endzeitliche Realisierung an: Die Verheißung, dass die Heimsuchung der ἀνατολὴ ἐξ ὕψους »unsere Füße auf den Weg des Friedens« setzen würde (Lk 1,78f), schien ja durch die (aus lk Sicht: lange zurückliegende) Zerstörung Jerusalems und Jesu Klage darüber widerlegt, wird aber durch die zeitliche Begrenzung der »Zeiten der Heiden« doch noch ins Recht gesetzt. 3 Die Klammer wird sich auch im narrativen Rahmen zeigen, der durch Lk 19,45; *21,1 sowie *19,37f (s. jeweils dort) gebildet wird. Die Kohärenz dieser Komposition geht zwar nicht vollständig, aber doch zu einem guten Teil auf die Ergänzungen der lk Redaktion zurück. 2. Der folgende Abschnitt *21,25-28 ist durch Tertullians Referat sehr eng bezeugt. Eine Reihe kleinerer Abweichungen gegenüber dem kanonischen Text ist durch Teile der handschriftlichen Überlieferung gestützt (a.). Das berechtigt, auch andere ______________________________ 2 Denkbar wäre eine Auslassung aufgrund von Homoioteleuton: (πατουμένη ὑπὸ) ἐθνῶν - (πληρωθῶσιν καιροὶ) ἐθνῶν. 3 Zu den Entsprechungen zwischen dem Benedictus (Lk 1,77ff) und der Dominus-flevit-Szene vgl. zu 19,41-44. 21,20-36 Rekonstruktion 1139 Lesarten in den nicht bezeugten Formulierungen für vorkanonisch zu halten (b.), an einer Stelle auch gegen den von Tertullian referierten Wortlaut (c.): a. Übereinstimmungen zwischen dem von Tertullian bezeugten Text und den Varianten der Handschriften: *21,27 ἀπὸ τῶν οὐρανῶν/ de caelis anstelle von ἐν νεϕέλῃ. - In *21,28 die 2. Pers. Pl. Fut. (ἀνακύψετε/ ἐπαρεῖτε) anstelle des Imp. Aor. (ἀνακύψατε/ ἐπάρατε). - *21,8 das Fehlen von (τὰς κεϕαλὰς) ὑμῶν. - *21,28 das Perf. ἤγγικεν anstelle des Präs. ἐγγίζει. b. Von daher spricht Vieles dafür, auch die unbezeugten Formulierungen für vorkanonisch zu halten z. B. *21,25 καὶ ἀπορία anstelle von ἐν ἀπορίᾳ. c. Da auch die *Ev-Exemplare, die von den direkten Zeugen benutzt wurden, vielfach die Spuren der Interferenz zwischen der kanonischen und der vorkanonischen Überlieferung tragen, ist wohl auch *21,26 (δυνάμεις) αἱ ἐν τῷ οὐρανῷ anstelle des von Tertullian bezeugten Mehrheitstextes (δυνάμεις) τῶν οὐρανῶν zu bevorzugen. Tertullians αὐταὶ γὰρ δυνάμεις/ quod et ipsae vires hat keine Entsprechung in den Handschriften. Die vom Mehrheitstext abweichenden Zeitformen in V. *28 sind sinnvoll und ergeben einen kohärenten Sinn: Die Futurformen der finiten Verben (ἀνακύψετε καὶ ἐπαρεῖτε) umschreiben keinen Imperativ, sondern sind eine Verheißung: sie beschreiben, was passieren wird, wenn »diese Dinge geschehen« (τούτων δὲ γινομένων). »Sich aufrichten und die Häupter erheben« ist daher nicht die Haltung, in der die Jünger (von jetzt bis dann) ihre Erlösung erwarten sollen, sondern beschreibt das Resultat, also die Haltung der Erlösten. Im Vergleich dazu ist der Kausalsatz vorzeitig (die Erlösung wird dann nahegekommen sein) und deshalb zu Recht im Perfekt fomuliert (ἤγγικεν). 3. Das Gleichnis vom Feigenbaum ist im Kern gut für *Ev bezeugt, allerdings hat die lk Redaktion in Anlehnung an die synoptischen Parallelen einige Formulierungen verändert und dadurch den Sinn verschoben. a. Die Einleitung 21,29a unterscheidet sich erkennbar von den synoptischen Parallelen, in denen das Stichwort παραβολή im Munde Jesu und nicht durch die Erzählstimme erwähnt wird. 4 Da die Einleitungen zu Gleichnissen und Bildworten in Lk 5 insgesamt mit hoher Wahrscheinlichkeit redaktionell sind (s. o. zu 5,36), sind für diesen Befund zwei überlieferungsgeschichtliche Möglichkeiten denkbar: Entweder hatte *Ev hier die auch für den kanonischen Text bezeugte Einleitung (als Teil der Erzählstimme), die Mk und in dessen Folge Mt dann verändert und als Teil der Rede Jesu gefasst hätten. Oder *Ev hatte die Einleitung wie Mk und Mt, die ihm in dieser Formulierung gefolgt wären; in diesem Fall hätte Lk (nur) die Einleitung ______________________________ 4 Mk 13,28 || Mt 24,32: ἀπὸ δὲ τῆς συκῆς μάθετε τὴν παραβολήν ≠ Lk 21,29: καὶ εἶπεν παραβολὴν αὐτοῖς. 5 Vgl. außer 21,29 noch: 5,36; 6,39; 12,16; 13,6; 14,7; 15,3; 18,1.9. 1140 Anhang I 21,20-36 entsprechend seiner sonstigen Gewohnheit der Erzählstimme zugewiesen. 6 Da beide Möglichkeiten gut denkbar sind, ist an dieser Stelle kein Urteil möglich. b. Zu *21,30 ist die Bezeugung uneinheitlich. Tertullian referiert (4,39,16): cum f r u c t u m protulerint, intellegunt homines aestatem appropinquasse, also: ὅταν προβάλωσιν κ α ρ π ό ν γινώσκουσιν οἱ ἄνθρωποι ὅτι ἤγγικεν τὸ θέρος. Das deckt sich teilweise mit der Lesart in D (892 txt pc lat sy s.c.hmg ): ὅταν προβάλωσιν κ α ρ π ό ν αὐτῶν, γινώσκεται ἤδη ὅτι ἐγγὺς ἤδη τὸ θέρος ἐστίν. Während das transitive προβάλωσιν καρπόν, die unpersönliche Formulierung γινώσκουσιν οἱ ἄνθρωποι/ γινώσκεται (gegenüber der 2. Pers. Pl. des kanonischen Mehrheitstextes) sowie das Fehlen von βλέποντες ἀϕ’ ἑαυτῶν bei Tertullian und in der D-Lesart übereinstimmen, gibt es aber auch Unterschiede: Der Hauptunterschied ist das doppelte ἤδη in der Lesart von D it u. a., daneben auch das Perf. ἤγγικεν gegenüber ἐγγὺς … ἐστίν. Da die D-Lesart hier mit dem kanonischen Text übereinstimmt, versteht man sie am besten als Konflation aus der kanonischen Fassung und dem von Tertullian referierten *Ev-Text, der deshalb in die Rekonstruktion aufgenommen wurde. In dem Bild *21,30 verwendet *Ev die transitive Wendung προβάλλειν καρπόν (»Frucht tragen«), während Lk intransitives προβάλλειν (»austreiben«) hat. Die lk Formulierung ist höchst ungewöhnlich. 7 Sie ist wohl die Folge der Kompilation von *Ev und den synoptischen Parallelen, die nicht vom Fruchtbringen, sondern vom Austreiben der Blätter und Zweige sprechen. 8 Die Entstehung der weichen Triebe und das Austreiben der Blätter im Frühjahr sind eher Zeichen für das baldige Bevorstehen des Sommers als des Sommers selbst, der dann die Zeit für das Hervortreten der Früchte ist: Das Bild des Ausschlagens ist besser geeignet als das Wachstum der Früchte, um das Bevorstehen des Sommers zu beschreiben. Mk hat also *Ev aus Gründen der Bildlogik korrigiert, Mt ist ihm in der Sache und in der Formulierung gefolgt, Lk dagegen nur in der Sache: Er hat προβάλωσιν (*Ev) beibehalten, aber καρπόν gestrichen und auf diese Weise eine ungewöhnliche Formulierung kreiert. Die Formulierung προβάλωσιν καρπόν in *Ev zielt daher weniger auf die Naherwartung (»kommt bald«) als auf die Unausweichlichkeit des Kommens: Wenn die Bäume 9 Frucht tragen, ist der Sommer »so gut wie da«. Zu diesem Aspekt s. gleich. ______________________________ 6 B OVON , Lk III 191 Anm. 120, hält die Einleitung von V. *29a für »rein redaktionell«, misst dies aber verständlicherweise im Rahmen der Zwei-Quellentheorie an dem Fehlen von μάθετε gegenüber Mk 13,28 || Mt 24,32. 7 Vgl. W OLTER , Lk 681 z. St.: Intransitives προβάλλειν ist ansonsten unbezeugt. 8 Mk 13,28 || Mt 24,32: ὁ κλάδος αὐτῆς ἁπαλὸς γένηται καὶ ἐκϕύῃ τὰ ϕύλλα. 9 Aus diesem Grund ist auch καὶ πάντα τὰ δένδρα keineswegs eine sachfremde Ergänzung des »Städters« Lk zu seiner mk Vorlage, wie B OVON , Lk IV 192 Anm. 124 schließt, weil der Feigenbaum im Unterschied zu anderen Bäumen - etwa dem Olivenbaum - im Winter seine Blätter verliere. Es geht in *Ev nicht um das Austreiben der jungen Triebe im Frühjahr, sondern um das Fruchttragen als Kennzeichen des Sommers. 21,20-36 Rekonstruktion 1141 c. In *21,30b bezeugt Tertullian anstelle der Anrede in der 2. Pers. Pl. (γινώσκετε) die allgemeinere Formulierung in der 3. Pers. Pl. (γινώσκουσιν οἱ ἄνθρωποι). Auch in diesem Fall geht die Änderung bereits auf Mk zurück, dem Mt folgt; Lk hat die Tendenz, aus der allgemeinen Regel eine Belehrung an die Jünger zur Wahrnehmung der Zeichen der Zeit zu machen, noch verstärkt: Durch die Einfügung von βλέποντες ἀϕ’ ἑαυτῶν macht er deutlich, dass die Angeredeten (sie sind zuletzt in Lk 20,45 als die Jünger bestimmt, während das Volk zuhört) die Fähigkeit zur Beurteilung der Zeit selbst besitzen. d. In *21,32 bezeugt Tertullian für *Ev eindeutig die Formulierung »Himmel und Erde« anstelle von »diese Generation«. Dadurch verschiebt sich der Sinn erheblich: Während in *Ev Jesus die Hörer über die Unausweichlichkeit der Endereignisse belehrt, haben Mk 13,30 und in seinem Gefolge Mt 24,34 und Lk 21,31 durch geringfügige Änderungen daraus eine Belehrung über die Nähe des Endes gemacht: Aus »Himmel und Erde werden nicht vergehen, sofern nicht (εἂν μή/ nisi) all dies vollendet ist« wird »Diese Generation vergeht nicht, bevor (ἕως ἄν) all dies geschieht.« Die Spuren von *Ev haben sich in geringem Umfang in der handschriftlichen Überlieferung erhalten: Die Afra-Handschrift e zeigt in 21,32a noch die Kenntnis der Formulierung des Vergehens von diesem Himmel (caelum istut: das Vergehen der Erde ist nicht erwähnt), und eine Minuskel hat den konditionalen Anschluss (εἄν: 1319) bewahrt. Soll *21,32 nicht sinnlos sein, kann sich ταῦτα πάντα nicht auf das Ende selbst (also: das Vergehen von Himmel und Erde) beziehen, sondern nur auf die *21,25f genannten Prodigien, die - genau wie die zuvor zu ertragenden Verfolgungen (*21,12-19) - Vorzeichen des Endes sind, nicht aber seine Begleiterscheinungen. e. Wenn V. *32 besagt, dass das eschatologische Tagma mit seiner festen Abfolge der Endereignisse unverrückbar feststeht, gewinnt auch V. *33 seine Bedeutung: Ganz am Ende, das mit dem Kommen des Menschensohns gleichzusetzen ist, werden auch Himmel und Erde vergehen. Der archimedische Punkt, von dem aus dieses Geschehen überhaupt nur erfasst werden kann, ist die Unvergänglichkeit der λόγοι τοῦ κυρίου (*21,33b). Tertullian bezieht die Wendung verbum eius maneat in aevum ganz eindeutig auf das Wort Gottes, hat also vielleicht οἱ λόγοι τ ο ῦ θ ε ο ῦ (oder τοῦ κυρίου) 10 anstelle von οἱ λόγοι μου (οὐ μὴ παρελεύσονται) gelesen: Sein Argument zielt auf den marcionitischen Ditheismus, weil das Vergehen von Himmel und Erde ohne die Zustimmung des Schöpfers nicht denkbar wäre. Das heißt: Dass Himmel und Erde vergehen, kann nur der eine Gott angekündigt haben: »Denn so hat es ihr eigener Herr bestimmt, während sein ______________________________ 10 Vgl. Tert. 4,39,18: dominus; das Zitat Jes 40,8, auf das er anspielt (sic enim et Esaias praenuntiavit, ebd.), spricht vom »Wort unseres Gottes«: τὸ δὲ ῥῆμα τοῦ θεοῦ ἡμῶν μένει εἰς τὸν αἰῶνα. 1142 Anhang I 21,20-36 Wort in Ewigkeit bleibt; denn so hat es Jesaja angekündigt.« Der Hinweis auf Jesaja hat einen doppelten Bezugspunkt: Dass Himmel und Erde vergehen (und zwar im Gegensatz zu dem ewigen Bleiben von »meinem Heil« und »meiner Gerechtigkeit«), sagt Jes 51,6, dass das »Wort unseres Gottes« in Ewigkeit bleibt, wusste Tertullian aus Jes 40,8 und zitiert diesen Vers nicht nur hier, sondern auch im analogen Zusammenhang (Tert. 4,33,9 zu *16,17; s. dort). Tertullians Aussage über das ewige Bleiben des Wortes Gottes (verbum eius maneat in aevum) entspricht zwar in der Sache der Unvergänglichkeit der Worte Gottes (οὐ μὴ παρελεύσονται), nicht aber in der Formulierung. Da Tertullian hier Jes 40,8 (τὸ δὲ ῥῆμα τοῦ θεοῦ ἡμῶν μένει εἰς τὸν αἰῶνα/ verbum autem Dei nostri stabit in aeternum) frei wiedergibt, ist seine Formulierung mit großer Wahrscheinlichkeit kein Zitat aus *21,33. Jedenfalls ist in der handschriftlichen Überlieferung durchgängig vorausgesetzt, dass »die Worte (Pl.! ) nicht vergehen«; vom »Bleiben des Wortes (Sing.! )« findet sich dagegen keine Spur. Aus diesem Grund ist Tertullians Wendung nicht in die Rekonstruktion aufgenommen. Wenn *21,33 also von der Unvergänglichkeit der »Worte des Herrn« sprach, dann waren damit die Worte des Schöpfers gemeint. Die Umdeutung auf die Worte Jesu - unter denen dann in erster Linie seine Worte in dieser Rede zu verstehen sind - stammt bereits aus Mk 13,31 || Mt 24,35. Diese Änderung korrespondiert mit der von *21,32: Auch hier haben Mk und Mt »Himmel und Erde« (so in *Ev) durch »diese Generation« ersetzt (Mk 13,30 || Mt 24,34). Beide Änderungen entsprechen sich: Der Zusammenhang *21,32f sagt, dass die Vollendung der Endereignisse (πάντα τελειωθήσεται) die sachliche Bedingung für das Vergehen von Himmel und Erde ist; dieses Vergehen von Himmel und Erde wird allerdings die Gültigkeit des Wortes Gottes nicht beeinträchtigen, das bis in Ewigkeit bleibt. Mk 13,30f hat aus der sachlichen Voraussetzung für das Ende eine Aussage über seine große, unmittelbar bevorstehende Nähe gemacht: Wenn die »Zweige saftig werden und die Blätter sprossen«, ist der Sommer nahe und steht ἐπὶ θύραις (Mk 13,29 || Mt 24,33). Aus diesem Grund werden die Endereignisse noch zu Zeiten von ἡ γενεὰ αὕτη eintreten. Die hier formulierte extreme Naherwartung wird durch die besondere Qualität der Worte Jesu legitimiert, die - im Unterschied zu Himmel und Erde - ewigen Bestand haben. Mt 24,34f ist Mk 13,30f in dieser Deutung gefolgt. Auch Lk 21,29-33 hat diese Formulierungen und die darin implizierte zeitliche Dimension übernommen: Absolutes (intransitives) προβάλλειν anstelle von προβάλλειν καρπόν; die Aufforderung der Adressaten zur Selbstbeobachtung (βλέποντες ἀϕ’ ἑαυτῶν); die Terminierung (ἕως ἂν πάντα γένηται) anstelle der sachlichen Voraussetzung (εἂν μὴ ταῦτα πάντα τελειωθήσεται); Ersetzung von ὁ οὐρανὸς καὶ ἡ γῆ durch ἡ γενεὰ αὕτη; und schließlich die Ersetzung der unvergänglichen λόγοι τ ο ῦ κ υ ρ ί ο υ durch οἱ λόγοι μ ο υ . Alle diese Elemente sind durch den mk-mt Text angeregt oder aus ihm direkt übernommen, und alle passen im Sinn einer Belehrung über die Nähe des Endes auch zusammen. Allerdings steht dieses Verständnis in einem schwer erträglichen Widerspruch nicht nur zu *17,22 (keiner der Jünger wird einen der Tage des 21,20-36 Rekonstruktion 1143 Menschensohns sehen), sondern auch zu der zeitlichen Perspektive auf die Endereignisse, die sich aus *21,25-28 ergibt. Denn diese liegen aus der Perspektive des Lk noch weit in der Zukunft, während sie nach Lk 21,32 bereits in der von Jesus adressierten Jüngergeneration geschehen sollen, auf die Lk natürlich zurückblickt, ohne dass die Vorzeichen eingetreten wären. 11 4. Von der abschließenden Mahnung *21,34-36 ist nur V. *34 bezeugt (mit einer geringfügigen Veränderung, die in den Handschriften breit rezipiert wurde). Die Mahnung, die Herzen nicht schwer werden zu lassen von Verkaterung 12 und Trunkenheit, hat eine Entsprechung in *17,34 im gleichen Sachzusammenhang: Die δύο ἐπὶ κλίνης, von denen der eine beim Kommen des Menschensohns mitgenommen, der andere zurückgelassen wird, sind offensichtlich Symposiasten (s. o. zu *17,34). In V. *36 sind zwei kleine Abweichungen durch D it (sy) u. a. bezeugt: καταξιωθῆτε anstelle von κατισχύσητε und στήσεσθε anstelle von σταθῆναι. Diese Varianten sind Hinweise auf die Interferenz der kanonischen und der vorkanonischen Überlieferung; sie bestätigen auf diese Weise, dass V. *36 in *Ev enthalten war. *21,35 ist unbezeugt: Die Aussage, dass der Gerichtstag plötzlich über alle Bewohner der Erde kommen wird, bringt keinen semantischen Mehrwert, der seine sekundäre Eintragung erklären könnte. Es ist daher wahrscheinlicher, dass dieser Vers schon in *Ev enthalten war, als dass Lk ihn nachgetragen hat. 5. Sieht man einmal von der redaktionellen Ergänzung Lk 21,24d ab, liegt die eigentliche Bedeutung der Bezeugung von *21,5-36 nicht so sehr in überraschenden Erkenntnissen zur lk Redaktion als vielmehr in dem Umstand, dass die Endzeitrede in einer Gestalt, die der kanonischen Fassung sehr nahe kommt, bereits im vorkanonischen Evangelium enthalten war. Diese Einsicht hat weitreichende Konsequenzen, vor allem überlieferungsgeschichtliche. a. Eine erste Erkenntnis besteht darin, dass im vorkanonischen Evangelium zwei längere und sich teilweise überschneidende Belehrungen über das Kommen des Endes und seine Begleiterscheinungen enthalten waren: *17,22-37 und *21,5-36. Die Ankündigung der Verfolgungen mit der Aufforderung zum standhaften Bekenntnis *21,12-19 hat eine weitere Dublette in *12,11f. Da diese Dubletten in *Ev vor allem durch *21,5-36 konstituiert werden, könnte man hinter diesem Text eine noch ältere literarische Entwicklung vermuten. Angesichts des völligen Fehlens ______________________________ 11 Diese exakte Problembeschreibung bei W OLTER , Lk 682 z. St., der als Lösung vorschlägt, ἡ γενεὰ αὕτη nicht als Zeitbestimmung (»diese Generation«) zu verstehen, sondern als »dieses Geschlecht« im Sinn der »durch gemeinsame Abkunft Verbundenen«: Die Extension dieses Begriffs würde »sowohl die Begleiter des Irdischen als auch die an den Auferstandenen Glaubenden und Getauften« einschließen. Die Lösung ist scharfsinnig, passt aber nicht zum sonstigen Sprachgebrauch von γενεά. 12 Zu diesem Verständnis von κραιπάλη vgl. W OLTER , Lk 683 z. St., mit Belegen für diesen Sprachgebrauch. 1144 Anhang I 21,20-36 weiterer Spuren oder Quellen ist die Suche nach möglichen Vorstufen allerdings müßig. b. Die Bezeugung von *21,5-36 für das vorkanonische Evangelium stellt sicher, dass die literarischen Beziehungen zu Mk 13 und zu Mt 24 anders zu beurteilen sind, als dies unter der Annahme der Zwei-Quellentheorie bzw. der Mk-Priorität verbreitet ist. Da Mt 24 mit Sicherheit (auch) von Mk 13 abhängig ist, konzentrieren sich die literarkritischen Untersuchungen auf die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Mk 13 und Lk 21. Angesichts der weitgehenden Übereinstimmungen auch in der Akoluthie zwischen Mk 13 und Lk 21 gehen die Meisten davon aus, dass Mk 13 die wichtigste Quelle von Lk 21 gewesen sei. Die viel verhandelte Frage ist, ob Mk 13 die einzige Quelle für Lk 21 war. 13 Die Mehrheit vor allem der deutschsprachigen Forscher geht davon aus, dass sich die Differenzen zwischen Lk 21 und Mk 13 komplett als redaktionelle Bestandteile der lk Bearbeitung von Mk 13 erklären lassen. 14 Daneben wird - im Rahmen der Proto-Lukas-Hypothese 15 - die Ansicht vertreten, dass Lk eine weitere eschatologische Rede zur Verfügung hatte, die er neben Mk 13 benutzte. 16 Ein Blick auf diese literarkritischen Analysen offenbart, dass kaum einmal zwei Arbeiten in der Beurteilung der zu erklärenden Phänomene, in den methodischen Voraussetzungen und im Ergebnis miteinander übereinstimmen. Die Bilanz dieser Forschungen, die Verheyden übersichtlich präsentiert, ist einigermaßen ernüchternd: Im Horizont der Zwei-Quellentheorie ist es nicht gelungen, für die Verhältnisbestimmung zwischen Lk 21 und Mk 13 eine auch nur ansatzweise mehrheitsfähige Lösung zu erarbeiten. Diese Diskrepanzen sind im Horizont der *Ev-Priorität auch nicht weiter verwunderlich. Denn zum einen ist deutlich, dass die generelle Bearbeitungsrichtung nicht von Mk zu Lk verläuft, sondern von *Ev zu Mk. Das Problem wird dadurch ______________________________ 13 Einen guten Überblick über die Forschungssituation bis Ende der 1980er Jahre gibt J. V ERHEYDEN , The Source(s) of Luke 21, in: Fr. Neirynck (ed.), L’Évangile de Luc, Leuven 2 1989, 491-516. 14 Vgl. außer den Komm. vor allem J. Z MIJEWSKI , Die Eschatologiereden des Lukasevangeliums, Bonn 1972; R. G EIGER , Die lukanischen Endzeitreden, Bern - Frankfurt/ M. 1973, 149-258; F. K ECK , Die öffentliche Abschiedserede Jesu in Lk 20,45-21,36, Stuttgart 1976; G. S CHNEIDER , Parusiegleichnisse im Lukas-Evangelium, Stuttgart 1975, 55-61; J. T. C ARROLL , Response to the End of History, Atlanta 1988 u. a. 15 Vgl. v. a. V. T AYLOR , Behind the Third Gospel, Oxford 1926. 16 Neben den Kommentaren von M ARSHALL , Lk 752-783, F ITZMYER , Lk II 1323-1356, und S CHWEIZER , Lk 206-215, vgl. insbesondere: E. S CHWEIZER , Zur Frage der Quellenbenutzung durch Lukas, in: ders., Neues Testament und Christologie im Werden, Göttingen 1982, 33-85 (bes. 82-85); M. M AHONEY , Luke 21: 14-15: Editorial Rewriting or Authenticity? , Irish Theological Quarterly 47 (1980), 220-238; W. N ICOL , Tradition and Redaction in Luke 21, Neot. 7 (1973), 61-71. Wenigstens angemerkt sei, dass die Differenzen zwischen Mk 13 und Lk 21 auch als Eintrag aus dem lk »Sondergut« verstanden werden können, vgl. etwa W. G. K ÜMMEL , Einleitung in das Neue Testament, Heidelberg 17 1973, 104; auch erwogen von M ARSHALL und F ITZMYER (jeweils z. St.). 21,20-36 Rekonstruktion 1145 noch komplizierter, dass Lk den Text aus *Ev nicht unverändert übernommen hat, sondern darüber hinaus auch durch die redaktionellen Änderungen beeinflusst ist, die Mk an *Ev vorgenommen hat. Auf diese Weise bestätigen sich Elemente fast aller der zu Lk 21 vorgetragenen literarkritischen Beobachtungen: Auf der einen Seite trifft zu, dass Lk neben Mk eine weitere »Quelle« benutzt hat, nämlich seine Hauptquelle: *Ev. Sodann ist auch deutlich geworden, dass die lk Fassung deutlich durch Mk (und seine Bearbeitung von *Ev) beeinflusst ist. Schließlich ist auch sicher, dass Lk eigene redaktionelle Änderungen vorgenommen hat, ohne dabei auf eine »Quelle« zurückzugreifen, wie etwa die Einfügung von Lk 21,18 zeigt. Gleichwohl entsprechen sich diese einzelnen Elemente der literarkritischen Hypothesen nicht: Die jeweils vorherrschenden Gesamtmodelle sind zu verschieden, wie an einem kleinen Beispiel verdeutlicht sei, nämlich an der quellenkritisch viel diskutierten Frage des Bezugs der Pronomina αὐτῆς und αὐτήν in Lk 21,21b: Die meisten Ausleger insistieren, dass die Pronomina semantisch auf Jerusalem (21,20b) zu beziehen seien, obwohl syntaktisch das unmittelbar zuvor genannte Judaea viel näher liegt. Diese Diskrepanz wird dann als Hinweis für die Verarbeitung einer Quelle verstanden: 21,21a gehe auf Mk 13,14b zurück, 21,21b auf eine andere Quelle. Vor dem Hintergrund der Zwei-Quellentheorie erscheint diese Argumentation durchaus nachvollziehbar. 17 Im Horizont der *Ev-Priorität und im Licht der eindeutigen Bezeugung ist Lk 21,21f dagegen ein redaktioneller Nachtrag. Für diesen Nachtrag gibt es auch keine Spuren, die auf Uneinheitlichkeit hindeuten würden. Das aber bedeutet, dass die Diskrepanz zwischen Textsemantik und Syntax auf eine Unachtsamkeit der lk Redaktion zurückgeht. c. Mit Blick auf den Ursprung der Endzeitrede in *Ev und auf die (mehrfache) Bearbeitung, die sie in der synoptischen Überlieferungsgeschichte erfahren hat, sind die (vergleichsweise wenigen) mt-lk »Minor Agreements« kein wirkliches Problem: καταλυθήσεται *21,6b || Mt 24,2e ≠ καταλυθῇ Mk 13,2d. - λέγοντες *21,7a || Mt 24,3a ÷ Mk 13,3. - εἶπεν *21,8a || Mt 24,4a ≠ ἤρξατο λέγειν Mk 13,5a. - γάρ *21,8c || Mt 24,5a ÷ Mk 13,6 (vgl. aber Mk 13,6 v. l.! ). - βασιλεῖς καὶ ἡγεμόνας *21,12c || Mt 24,18a ≠ ἡγεμόνων καὶ βασιλέων Mk 13,9c. - ἔσται … μεγάλη *21,23b || Mt 24,21a ≠ ἔσονται … αἱ ἡμέραι ἐκεῖναι Mk 13,19a. - τῶν οὐρανῶν *21,26b (vgl. aber v. l.! ) || Mt 24,29d ≠ ἐν τοῖς οὐρανοῖς Mk 13,25b. - ἕως ἄν *21,32 || Mt 24,34b ≠ μέχρις οὗ Mk 13,30b. 18 Aufschlussreich sind an diesen Agreements jedoch zwei Aspekte. Zunächst fehlt γάρ *21,8 nicht nur in Tertullians Referat, sondern auch in einer bohairischen Handschrift: Tertullians Referat ist hier also wohl exakt. Die synoptischen Parallelen Mk 13,6 || Mt 24,5 || Lk 21,8 enthalten dagegen diesen kausalen Anschluss. Allerdings findet sich dieser in der mk Fassung nur im Mehrheitstext (Mk 13,6 A D Θ f 1.13 33 M usw.), nicht aber in einer kleineren Gruppe von Zeugen ( א B L W Ψ 2427). NA 27 / GNT 4 bieten für Mk 13,6 diesen kürzeren Text, haben sich dabei allerdings mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht für den kanonischen, sondern den vorkanonischen (*Mk-)Text ______________________________ 17 Vgl. S CHWEIZER , Lk 208; E. S CHWEIZER , Zur Frage der Quellenbenutzung durch Lukas 82. 18 Vgl. außerdem N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 160-167; DERS ., Minor Agreements (1991), 72-75; E NNULAT , Minor Agreements 292-320. 1146 Anhang I 21,20-36 entschieden. Ihre Begründung, es liege ein »synoptischer Paralleleinfluss« vor (»p)«), ist, wie so oft, wenig wahrscheinlich. Stattdessen kann man annehmen, dass erst Mt 24,5 die Notwendigkeit empfand, den kausalen Sinn deutlicher zu machen. Die kanonische Redaktion ist ihm darin gefolgt und hat diese Änderung nicht nur für Lk 21,8 übernommen, sondern auch in Mk 13,6. Ähnlich ist auch (αἱ γὰρ δυνάμεις) τῶν οὐρανῶν Lk 21,26 || Mt 24,29d ≠ ἐν τοῖς οὐρανοῖς Mk 13,25b zu beurteilen: Zwar bezeugt auch Tertullian τῶν οὐρανῶν, aber es ist wahrscheinlicher, dass sein Text hier schon durch den kanonischen Text beeinflusst ist, weswegen die Lesart im Dativ (D it: αἱ ἐν τῷ οὐρανῷ) den Vorzug erhalten hatte. Sie stimmt zwar nicht vollständig, aber doch wenigstens im Kasus mit Mk 13,25 (ἐν τοῖς οὐρανοῖς) überein. Die Beispiele zeigen, dass die »Minor Agreements« auf verschiedene Weisen zustande kommen können und dass für eine überlieferungsgeschichtliche Rekonstruktion auch die Lesarten der handschriftlichen Überlieferung beachtet werden müssen. *21,37f: Abschließendes Summar: Lehre in Jerusalem Gut bezeugt und sicher in *Ev vorhanden; sehr wahrscheinlich redaktionell bearbeitet (21,37). 21,37 ῏Ην δὲ a τὴν ἡμέραν a b διδάσκων ἐν τῷ ἱερῷ, b c [ τὰς δὲ νύκτας ἐξερχόμενος ] c d εἰς τὸ ὄρος ηὐλίζετο d e [ τὸ καλούμενον ] e Ἐλαιῶν· 38 καὶ πᾶς ὁ λαὸς ὤρθριζεν πρὸς αὐτὸν ἐν τῷ ἱερῷ ἀκούειν αὐτοῦ. A. *21,37f: Tert. 4,39,19: Erant et loca alia apud Hierusalem ad docendum, erant et extra Hierusalem ad secedendum. Sed enim per diem in templo docebat, ut qui per Osee praedixerat (...). Ad noctem vero in elaeonem secedebat. Sic enim Zacharias demonstrarat (...). Erant horae quoque auditorio competentes. Diluculo conveniendum erat, quia per Esaiam cum dixisset (...). B. a (21,37) την ημεραν: Tat pers.arab bo 7 mss ¦ ταις ημεραις εκειναις: r 1 ; ταις ημεραις: X 16 213 348 1216 1579 aur f g 1 gat ¦ τας ημερας: Tert (! ) D M ● b (21,37) διδασκων εν τω ιερω: D d ¦ εν τω ιερω διδασκων (2-4 1): Tert (! ) it M ● c (21,37) τας δε νυκτας εξερχομενος: om D d ¦ add Tert (! ) it M ● d (21,37) εις το ορος ηυλιζετο: D d ¦ ηυλιζετο εις το ορος: Tert (! ) it M ● e (21,37) το καλουμενον: om Tert X* 1582 ℓ10 e l r 1 (Γ 1 22 118 131 205 209 669 1005 1210 1365 2372 2542 Tat pers ) ¦ add: a aur b c d f ſſ 2 i q M . C. Das Summar über die Lehre Jesu in Jerusalem ist von Tertullian genau aufgegriffen und gedeutet worden. Er interpretiert die Stichworte »Lehre im Tempel«, »Ölberg« und »Hören in der Frühe« durch Prophetenzitate (Hos 12,4 LXX; Sach 14,4; Jes 50,4) als Erfüllung at.licher Verheißungen. Obwohl Tertullian also ein argumentatives Interesse an diesem kurzen Summar hat, wirft seine Bezeugung dieses Summars auch Licht auf die Nicht-Bezeugung der anderen Summare (4,44; 5,15f; 6,18.19; 8,1; vgl. *7,17): Selbst wenn diese nicht so viele Anknüpfungspunkte für eine antimarcionitische Argumentation boten, zeigt sein Referat von *22,37f, dass er die 21,37-38 Rekonstruktion 1147 summarischen Notizen durchaus zur Kenntnis genommen und ausgewertet hat. Diese Beobachtung bestätigt das generelle Urteil über die Summare (s. zu 4,44). 1. Die Frage ist allerdings, ob Tertullian in *21,37 den ursprünglichen Text bietet oder ob sein *Ev-Exemplar bereits durch die kanonische Fassung kontaminiert war. Denn die Handschriften weichen charakteristisch von dem durch Tertullian bezeugten Text ab: Anstelle des kanonischen Plurals (τὰς ἡμέρας) haben Tat bo den Singular (τὴν ἡμέραν). Der Plural setzt eine länger anhaltende Tätigkeit voraus, wie sie auch gut zu der Coniugatio periphrastica (ἦν … διδάσκων) passen würde; die Lesart »in jenen Tagen« im Cod. Usserianus (r 1 ) bringt diese Vorstellung sehr plastisch zum Ausdruck. Der Singular von Tat bo bezieht sich dagegen nur auf den einen Tag, ohne daraus eine Gewohnheit Jesu zu machen. Hinzukommt, dass *21,32 (D d) eine andere Wortstellung bietet, die am Ende nicht das Ptc. διδάσκων, sondern den Ort nennt (ἐν τῷ ἱερῷ). Eine ähnliche Umstellung ist auch für *21,32b zu vermerken: Im Unterschied zu Tertullian und der gesamten restlichen Überlieferung erscheint die Ortsangabe εἰς τὸ ὄρος in D d zu Beginn. Sehr viel wichtiger ist jedoch, dass die Bemerkung über den Rückzug Jesu (τὰς δὲ νύκτας ἐξερχόμενος) in D d komplett fehlt. Diese Unterschiede sind zwar gering, verändern aber den Gesamteindruck. Nach dem rekonstruierten Text ist nur davon die Rede, dass Jesus diesen (einen) Tag lehrend im Tempel verbrachte und auf dem Ölberg übernachtete. Der nur geringfügig veränderte Mehrheitstext spricht dagegen von einem längeren Zeitraum und betont den »Rückzug« Jesu auf den Ölberg. Beides zusammen vermittelt den Eindruck, dass Jesus über einen längeren Zeitraum zwischen dem Ölberg und dem Tempel hin- und herpendelt. Auf diese Weise entsteht das aus Mk bekannte Bild, das von Mk 11,11 bis 14,26 die raum-zeitliche Struktur der Erzählung liefert: Jesus und die Jünger halten sich tagsüber im Tempel auf und ziehen sich nachts nach Bethanien zurück. Es ist daher wahrscheinlicher, dass Lk Elemente dieser mk Erzählstruktur übernommen und sie in den Abschluss des Berichts über die Jerusalemer Streitgespräche integriert hat, als dass D u. a. diese Entsprechung aufgelöst haben. Aus diesem Grund ist der von Tertullian referierte Text als durch die kanonische Überlieferung kontaminiert zu betrachten. 1 2. Im kanonischen Lk bilden 21,37f und 19,47f eine kohärenzstiftende Klammer um die dazwischen erzählten Auseinandersetzungen Jesu in Jerusalem. Diese Klammer ist von großer inhaltlicher Bedeutung: Lk 19,47f teilt den Tötungswunsch der Hohenpriester, Schriftgelehrten und Führer des Volkes mit, macht aber zugleich deutlich, dass Jesus durch den großen Zulauf des Volkes (ὁ λαός 19,48) zunächst geschützt ist. Die folgenden Streitgespräche entfalten diesen Aspekt, und Lk 21,38 bringt ihn noch einmal auf den Punkt, bevor *22,1f (s. dort) ihn aufgreift, um daran die Notwendigkeit des Verrats deutlich zu machen. Allerdings geht die makrostrukturelle Kohärenz dieser Komposition erst auf die lk Redaktion zurück: ______________________________ 1 Dagegen ist das Fehlen von καλούμενον in Tertullians Referat korrekt: Wie Lk 19,29 (red.; s. dort) und Act 1,21 zeigen, ist die Wendung τὸ ὄρος τὸ κ α λ ο ύ μ ε ν ο ν Ἐλαιῶν lk. 1148 Anhang I 21,37-38 Lk 19,47f hat mit großer Wahrscheinlichkeit in *Ev gefehlt (s. dort). Damit ist die kompositionelle Funktion von *21,37f im narrativen Horizont des vorkanonischen Evangeliums auch deutlich geringer als in Lk. 3. Gleichwohl ermöglicht *21,37f eine wichtige überlieferungsgeschichtliche Einsicht. Denn die Erwähnung des Ölbergs hat zumindest die Lokalisierung von Mk 13,3 || Mt 24,3 angeregt und den Ölberg auf diese Weise zu einem wichtigen Punkt der literarischen Topographie für Mk gemacht: Die Ausgangsbemerkung über die beeindruckende Größe der Steine fällt bei Mk, als Jesus gerade dabei ist, den Tempel für den Tag zu verlassen (Mk 13,3: ἐκπορευομένου αὐτοῦ ἐκ τοῦ ἱεροῦ). Die durch das Tempelwort ausgelöste Frage nach dem Zeitpunkt der Zerstörung des Tempels beantwortet Jesus dann auf dem Heimweg vom Ölberg aus (Mk 13,3: καθημένου αὐτοῦ εἰς τὸ ὄρος τῶν ἐλαιῶν), und zwar als spezielle Unterweisung κατ ʼ ἰδίαν der vier erstberufenen Jünger: Dass Jesus auf dem Ölberg nicht mehr von der Menge umgeben war, wusste Mk aus *21,37f. *22,1f 3 4-6: Tötungsplan des Hohen Rats. Verrat des Judas Im Kern hinreichend für *Ev bezeugt, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit durch Lk ergänzt. 22,1 a ῎Ηγγισεν δὲ ἡ ἑορτὴ τῶν ἀζύμων ἡ λεγομένη πάσχα. 2 καὶ ἐζήτουν οἱ ἀρχιερεῖς καὶ οἱ γραμματεῖς b [ τὸ ] πῶς c ἀπολέσωσιν αὐτόν, ἐϕοβοῦντο γὰρ τὸν λαόν. d 3 Εἰσῆλθεν δὲ Σατανᾶς εἰς Ἰούδαν τὸν καλούμενον Ἰσκαριώτην, ὄντα ἐκ τοῦ ἀριθμοῦ τῶν δώδεκα· d 4 ὁ δὲ Ἰούδας ¿ὁ καλούμενος Ἰσκαριώτης, ὦν ἐκ τοῦ ἀριθμοῦ τῶν δώδεκα? [ καὶ ] ἀπελθὼν συνελάλησεν τοῖς e ἀρχιερεῦσιν καὶ στρατηγοῖς e τὸ πῶς αὐτοῖς παραδῷ αὐτόν. 5 f [ καὶ ἐχάρησαν ] f καὶ συνέθεντο αὐτῷ ἀργύριον δοῦναι. 6 g [ καὶ ἐξωμολόγησεν ] g καὶ ἐζήτει εὐκαιρίαν τοῦ παραδοῦναι αὐτόν h [ ἄτερ ὄχλου αὐτοῖς ] h . A. *22,1: Tert. 4,40,1: Proinde scit et quando pati oporteret eum cuius passionem lex figurat. Nam ex tot festis Iudaeorum paschae diem elegit. ♦ 22,3 : Tert. 5,6,7 (ad 1Kor 2,8): Scriptum est enim apud me satanam in Iudam introisse. Secundum autem Marcionem nec apostolus hoc loco patitur ignorantiam adscribi virtutibus creatoris in gloriae dominum, quia scilicet non illas vult intellegi principes huius aevi. ♦ *22,4: Epiph., Schol. 60: Συνελάλησε τοῖς στρατηγοῖς τὸ πῶς αὐτὸν παραδῷ αὐτοῖς. ♦ *22,5: Tert. 4,40,2: Poterat et ab extraneo quolibet tradi: ne dicerem et in hoc psalmum expunctum: Qui mecum panem edit, levabit in me plantam. Poterat et sine praemio tradi. Quanta enim opera traditoris circa eum qui populum coram offendens nec tradi magis potuisset quam invadi? B. a (22,1) ηγγισεν: D L 343 1229 2487 b d e ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 sa ¦ ηγγιζεν: a aur c f vg M (*Ev non test.) ● b (22,2) το: om D 543 2542 ¦ add M (*Ev non test.) ● c (22,2) απολεσωσιν: D d l vg 1 ms ¦ ανελωσιν: a aur b c e f ſſ 2 g 1 gat i q r 1 M (*Ev non test.) ● d (22,3) vs. om Tert ¦ add it M ● e (22,4) αρχιερευσι: D it sy s.c ¦ στρατηγοις: Epiph (! ) ¦ αρχιερευσι και (τοις) γραμματευσι: C N 579 700 22,1-6 Rekonstruktion 1149 2542 (it) sy bo mss Euseb ¦ αρχιερευσι και τοις γραμματευσι και τοις στρατηγοις του ιερου: C P Θ pc sy p.h Euseb ¦ αρχιερευσι και τοις γραμματευσι και τοις στρατηγοις: W f 1.13 579 892 1241 1424 2542 al ● f (22,5) και εχαρησαν: om 1 118 131 205 209 208 1582 b ſſ 2 i l q ¦ add D a aur c d e f g 1 gat r 1 M (*Ev non test.) ● g (22,6) και εξομολογησεν: om א * C N a b c ſſ 2 i l q sy s ¦ add D d e f g 1 gat r 1 M (*Ev non test.) ● h (22,6) ατερ οχλου αυτοις: (1 2: ατερ οχλου) D a aur d e g 1 gat ¦ (3: αυτοις) f 13 sa ms ¦ (1 2 3: ατερ οχλου αυτοις) P 75 א A B C L Ψ 157 579 892 1241 1242* 2542 b i l ¦ (3 1 2: αυτοις ατερ οχλου) W Θ f 1 f ſſ 2 q r 1 M Eus (*Ev non test.). C. Tertullians Referat zeigt, dass *Ev den Bericht vom Verrat des Judas an der gleichen Stelle wie der kanonische Text hatte, auch wenn er nur wenige Stichworte daraus direkt aufgreift. 1. Zunächst sind einige kleinere Rekonstruktionsprobleme zu nennen. Wie auch sonst, verdanken sich die vom kanonischen Mehrheitstext abweichenden Rekonstruktionsvorschläge, für die es keine direkte Bezeugung gibt, den Varianten der handschriftlichen Überlieferung, die als Zeichen der Interferenz zwischen dem kanonischen und dem vorkanonischen Text gewertet sind. Dies betrifft in *22,1 den Aor. ἤγγισεν anstelle des Impf. (ἤγγιζεν), in *22,2 die Auslassung von τὸ (πῶς) und vor allem ἀπολέσωσιν anstelle von ἀνέλωσιν: ἀναιρεῖν »beseitigen« ist ein lk Vorzugswort (21 von 24 nt.lichen Belegen in Lk-Act). Analog dazu werden auch in Lk 22,5 die Wendung καὶ ἐχάρησαν sowie in 22,6 καὶ ἐξωμολόγησεν und ἄτερ ὄχλου αὐτοῖς auf die lk Redaktion zurückgehen: Die abweichende Bezeugung in D it (sy) macht dies wahrscheinlich. Im letzten Fall lässt sich die sehr uneinheitliche Bezeugung am besten verstehen, wenn der vorkanonische Text (in Entsprechung zu den synoptischen Parallelen Mk 14,11; Mt 26,16) mit παραδοῦναι αὐτόν geendet hatte und verschiedentlich ergänzt wurde: Die Lesarten zeigen durchweg die Spuren von Konflationierung. Sehr viel schwieriger ist das ursprüngliche Objekt von συνελάλησεν *21,4 zu bestimmen, denn hier weicht Epiphanius’ Zeugnis deutlich von der ohnehin sehr disparaten Handschriftenüberlieferung ab: Er nennt nur die Hauptleute (στρατηγοί); daneben sind bezeugt: Hohepriester und Schriftgelehrte, Hohepriester und Hauptleute, Hohepriester und Schriftgelehrte und Hauptleute, sowie nur die Hohenpriester. Mit Blick auf diese Kombinationen ist die Lesart von D it sy s.c , die nur τοῖς ἀρχιερεῦσιν bietet, die auffälligste. Es ist daher wahrscheinlich, dass diese »Westliche« Lesart den vorkanonischen Text bezeugt, wogegen Epiphanius’ Text hier bereits durch die kanonische Redaktion kontaminiert ist. Die »Hauptleute«, bei denen es sich wohl um Offiziere der Tempelwache handelt, tauchen in der Verhaftungsszene Lk 22,52 wieder auf; auch hier ist der Text für *Ev nicht bezeugt und wahrscheinlich redaktionell (s. dort). Aber es fällt auf, dass die στρατηγοί im NT außer an diesen beiden Stellen der lk Passionsgeschichte nur noch in Act auftauchen; von daher spricht viel dafür, sie für eines der »historiographischen« Details zu halten, um die sich die lk Redaktion an vielen Stellen bemüht. 1150 Anhang I 22,1-6 2. In hohem Maße aufschlussreich, wenn auch problematisch, ist Tertullians Referat von 22,3; es findet sich nicht im Kontext seines Referats der Passionsgeschichte von *Ev, sondern im Zusammenhang seiner Behandlung von 1Kor 2 in Adv. Marc. 5. Hier reklamiert er, dass »bei mir«, also im kanonischen Text, davon die Rede sei, dass Satan in Judas hinein gefahren sei (Tert. 5,6,7). Allerdings gibt dieser Hinweis nicht auf den ersten Blick zu erkennen, ob das betonte scriptum est enim a p u d m e bedeutet, dass die entsprechende Aussage apud Marcionem gefehlt habe. In einer längeren, komplizierten Argumentation, die sich am ehesten von ihrem Ende her erschließt, bemüht sich Tertullian zu zeigen, dass die virtutes et potestates des Schöpfers den Herrn der Herrlichkeit (1Kor 2,8) erkannt hätten: Die »Fürsten dieser Welt« (1Kor 2,8) seien also keine spirituales principes, sondern saeculares principes, nämlich Herodes und Pilatus (5,6,8). Das Ziel seiner Argumentation liegt folglich darin, den marcionitischen Antagonismus zwischen dem creator und dem deus bonus dadurch zu widerlegen, dass die Kreuzigung Christi nicht auf die gottfeindlichen Mächte des Schöpfergottes zurückgeführt werden könnte. Er erreicht dieses Ziel durch den Nachweis, dass der Teufel die Identität Jesu gekannt hätte, und führt dazu vier Schriftbelege an, bei denen er sehr genau die zwischen Marcion und ihm selbst umstrittene Schriftgrundlage unterscheidet (5,6,7): Der Teufel habe Jesus »nach unserem Evangelium (secundum nostrum evangelium)« in der Versuchung erkannt. Das ist ein Verweis auf die Versuchungserzählung (Lk 4,3.9 || Mt 4,3.6), die bei *Ev sicher gefehlt hat (s. dort). Und »gemäß der (uns) gemeinsamen Urkunde« (secundum commune instrumentum) habe der böse Geist gewusst, dass Jesus der Heilige Gottes sei usw.: Damit referiert er auf den auch anderweitig für *Ev gesicherten Vers *4,34 (s. dort). Im Anschluss verweist Tertullian auf das Gleichnis des bewaffneten Starken, der von einem Stärkeren überwunden wird; Marcion, für dessen Evangelium dieser Text gesichert ist (zu *11,21 s. o.), habe das Gleichnis auf den creator bezogen und damit belegt, dass der Schöpfergott den Christus des deus bonus gekannt habe. 1 Als letzten Beweis, dass die virtutes et potestates des Schöpfers den deus gloriae Christus gekreuzigt hätten, obwohl sie ihn erkannt hatten, führt Tertullian an: »Es ist nämlich in meinem Evangelium geschrieben, dass der Satan in Judas hinein gefahren ist (scriptum est enim apud me satanam in Iudam introisse).« Die genaue Differenzierung zwischen der kanonischen und der marcionitischen Schriftgrundlage ist hier also beabsichtigt. Die Beweiskraft der Belege, die sich im unstrittigen Text, dem commune instrumentum, finden, wird durch die rahmenden Referenzen auf die eigene, kanonische Schriftgrundlage (Mt 4,3.6; Lk 22,3) verstärkt: Sie dienen Tertullian als Beleg für sein Verfahren, die Richtigkeit der eigenen (kanonischen) Theologie auch aus dem häretischen Evangelientext zu erweisen, wie es in der Schlussbemerkung deutlich wird: »Der Christus in deinem Evangelium ist meiner« (4,43,9). Dieser Nachweis der Übereinstimmung kann nur gelingen, wenn dazu sachlich identische Aussagen in den verschiedenen Texten genannt ______________________________ 1 si in creatoris (sc. parabola) accipitur apud Marcionem. 22,1-6 Rekonstruktion 1151 werden. Der argumentative Duktus der ganzen Passage lässt folglich erkennen, dass scriptum est enim a p u d m e exklusiv zu verstehen ist: Lk 22,3 steht nur in Tertullians kanonischem Evangelium, nicht aber in *Ev. 3. Die Vorstellung, dass Satan in Judas gefahren sei, ist sonst nur Joh 13,27 (vgl. 6,70f; 13,2) bezeugt. Hier liegt also eine der engen Berührungen zwischen Joh und Lk (genauer: der lk Redaktion von *Ev) vor, wie sie gerade für die Passionsüberlieferung charakteristisch sind. Die Frage ist, in welcher Richtung diese Bezugnahme vorzustellen ist. Für die Beantwortung ist wichtig, dass bereits Joh 6,70 davon spricht, dass Judas der διάβολος sei: Im Unterschied zu den anderen Jüngern, die bei Jesus bleiben, gehört Judas zu denen, die »weggehen« (Joh 6,66.68: ἀπελθεῖν). Das greift möglicherweise auf ἀπελθών *22,4 || ἀπῆλθεν Mk 14,10 ≠ πορευθείς Mt 26,14 zurück. Jedenfalls hat Joh keine Entsprechung zu der Verratsszene vor den Hohenpriestern (Mk 14,10f || Mt 26,14f || Lk 23,3f). Stattdessen liefert er in der Mahlszene den Rückverweis, dass der Teufel Judas den Verrat »schon ins Herz gegeben« hatte. Der Zusammenhang lässt sich so verstehen, dass Joh 13,2 die synoptische Verratsszene Mk 14,10f par. interpretiert. Wie Joh 13,27 zeigt, wollte Joh den Verrat des Judas ganz pointiert auf die Mahlszene konzentrieren, weswegen er erst hier Satan in Judas hineinfahren lässt. Das aber bedeutet: Judas’ Besessenheit durch Satan/ den Teufel ist ein wichtiges Kompositionselement in Joh, das Judas von Anfang an kennzeichnet und das in der Mahlszene kompositionell deutlich herausgehoben ist. Es ist daher weniger wahrscheinlich, dass die gesamte Judas-Satan-Komposition aus Lk 22,3 heraus gesponnen ist. Sehr viel näher liegt, dass Lk 22,3 ein knapper kohärenzstiftender Querverweis auf Joh 6,70; 13,2.27 ist: Die lk Redaktion setzt demnach die Kenntnis sowohl von Mk 14,10f || Mt 26,14f, als auch von Joh 13 voraus: Lk ist hier von Joh abhängig und fügt mit 22,3 den Hinweis auf Judas’ Besessenheit durch Satan ergänzend ein. Diese Überlegung lässt sich auch aus kompositorischen Gründen wahrscheinlich machen. Denn Lk 22,1 löst den ebenfalls redaktionellen kataphorischen Verweis aus Lk 4,13 (red., s. dort) ein, dass der Teufel ἄχρι καιροῦ von Jesus abließ: Mit der sicher redaktionellen Versuchungsgeschichte hat Lk daher einen Bogen bis in die Passionsgeschichte gespannt. ἄχρι καιροῦ Lk 4,13 heißt nicht »eine Zeitlang« oder »für eine gewisse Zeit«, sondern »bis zu einem (bestimmten) Zeitpunkt«. Da diese Aussage über die mt Vorlage (Mt 4,1-11) hinausgeht und von Lk redaktionell eingefügt wurde, verlangt sie nach einem narrativen Widerlager. Hans Conzelmann hat den hier avisierten καιρός wohl zu Recht in 22,3 gesehen. Seine Einschätzung, dass diese Phase als »satansfreie Zeit« eine »eigene Epoche sui generis in der Mitte des ganzen Ablaufes der Heilsgeschichte« sei, 2 ist wohl zuviel gesagt, weil die Macht Satans auch in dieser Phase präsent ist (Lk 10,19). Aber richtig ist daran gesehen, dass Satan in der Zwischenzeit keine Macht über Jesus hat. Allerdings hat Lk diese »satansfreie Zeit« nicht erfunden; er bringt damit ______________________________ 2 H. C ONZELMANN , Die Mitte der Zeit, Tübingen 6 1977, 22. 1152 Anhang I 22,1-6 vielmehr die traditionelle apokalyptische Vorstellung zur Geltung, der zufolge die letzte Jahrwoche unterteilt ist: Während der ersten Hälfte dieser Woche gibt es »eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit«, in der Gottes letzter Prophet ungehindert wirken kann (vgl. dazu Dan 7,25; 12,7; Apc 12,14), bevor der Widersacher ihn überkommt. 3 Dieser Zeitpunkt ist mit dem Beginn der Passionsgeschichte erreicht: Jetzt macht sich Satan - auf dem Umweg über Judas - wieder an Jesus heran. 4 4. Wenn Lk 22,3 redaktionell ist, muss auch der Anfang von *22,4 anders ausgesehen haben als in der kanonischen Fassung, weil Judas als Subjekt sonst nicht wieder genannt wird. Dagegen wird *Ev das parataktische καί am Anfang von *22,4 nicht enthalten haben; über die appositionellen Näherbestimmungen zu Judas lässt sich wenig sagen: Sie könnten gut schon in *Ev gestanden haben, aber dies ist völlig ungewiss. Der Text hätte dann etwa gelautet: »ὁ δὲ Ἰούδας (ὁ καλούμενος Ἰσκαριώτης [? ], ὦν ἐκ τοῦ ἀριθμοῦ τῶν δώδεκα [? ]) ἀπελθὼν συνελάλησεν τοῖς στρατηγοῖς …« Aber über Vermutungen kommt man an dieser Stelle nicht hinaus. *22,7.8.9-13: Vorbereitung des Passamahls Größtenteils für *Ev unbezeugt; mit großer Wahrscheinlichkeit vorhanden und geringfügig bearbeitet. 22,7 ῏Ηλθεν δὲ ἡ ἡμέρα a τοῦ πάσχα, a ἐν ᾗ ἔδει θύεσθαι τὸ πάσχα. 8 καὶ ἀπέστειλεν b ¿δύο τῶν μαθητῶν? b αὐτοῦ εἰπών, c Ἀπελθόντες ἑτοιμάσατε d ἡμῖν e ἵνα ϕάγωμεν τὸ πάσχα. e 9 οἱ δὲ εἶπαν αὐτῷ, Ποῦ θέλεις ἑτοιμάσωμέν f σοι ϕαγεῖν τὸ πάσχα; f 10 ὁ δὲ εἶπεν αὐτοῖς, Ἰδοὺ εἰσελθόντων ὑμῶν εἰς τὴν πόλιν g ἀπαντήσει ὑμῖν ἄνθρωπος κεράμιον ὕδατος βαστάζων· ἀκολουθήσατε αὐτῷ εἰς τὴν οἰκίαν εἰς ἣν εἰσπορεύεται. 11 καὶ ἐρεῖτε τῷ οἰκοδεσπότῃ τῆς οἰκίας, Λέγει h [ σοι ] ὁ διδάσκαλος, Ποῦ ἐστιν τὸ κατάλυμα ὅπου τὸ πάσχα μετὰ τῶν μαθητῶν μου ϕάγω; 12 κἀκεῖνος ὑμῖν δείξει ἀνάγαιον μέγα ἐστρωμένον· ἐκεῖ ἑτοιμάσατε. 13 ἀπελθόντες δὲ εὗρον καθὼς εἰρήκει αὐτοῖς, καὶ ἡτοίμασαν τὸ πάσχα. A. *22,8: Epiph., Schol. 61: Καὶ εἶπεν τῷ Πέτρῳ καὶ τοῖς λοιποῖς Ἀπελθόντες ἑτοιμάσατε ἵνα ϕάγωμεν τὸ πάσχα. B. a (22,8) του πασχα: D a b d e ſſ 2 i l r 1 ¦ των αζυμων: aur c f g 1 gat q vg M (*Ev non test.) ● b (22,8) δυο των μαθητων: Mk 14,13 (s. unten) ¦ Πετρω και τοις λοιποις: Epiph ¦ Πετρον και Ιακωβον και Ιωαννην: sy p(2 mss) ¦ Πετρον και Ιωαννην: it M ● c (22,8) απελθοντες: Epiph ¦ πορευθεντες: it M (*Ev non test.) ● d (22,8) ημιν: om Epiph Tat arab(3 mss) bo (1 ms) ● e (22,8) ινα ϕαγωμεν το πασχα: Epiph 13 69 124 346 543 788 826 828 983 ¦ το πασχα ινα ϕαγωμεν (3 4 1 2): it M ● f ______________________________ 3 Zum Konzept vgl. K. B ERGER , Die Auferstehung des Propheten und die Erhöhung des Menschensohns, Göttingen 1976, 107ff. Dasselbe Konzept zeigt sich auch in Lk 13,32f (red.; s. dort). 4 Gegen W OLTER , Lk 184f zu 4,13. 22,7-13 Rekonstruktion 1153 (22,9) σοι ϕαγειν το πασχα: B 1356 sy h bo 1ms (vgl. Mt 26,17); σοι το πασχα: ſſ 2 Ephr; το πασχα: vg mss ¦ om: a aur b c d e f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 M (*Ev non test.) ● g (22,10) απαντησει: D 27 71 124 1194 1458 2452 Orig (Hom. in Jer 19,13; 169 GCS 6) ¦ υπαντησει: it M (*Ev non test.) ● h (22,11) σοι: om D N U X 063 pc d q sy s.c.p Tat arab.pers ¦ add a aur b c e f ſſ 2 g 1 gat i l r 1 M (*Ev non test.). C. Von der gesamten Perikope ist nur *22,8 bezeugt, allerdings in einer vom kanonischen Text abweichenden Form: Nach Epiphanius erging die Aufforderung zur Vorbereitung des Mahls nicht an Petrus und Johannes, sondern an »Petrus und die übrigen«. 1. In *22,8 ist nicht ganz klar, ob die referierte Wendung εἶπεν τῷ Πέτρῳ καὶ τοῖς λοιποῖς Zitat aus *Ev oder Epiphanius’ eigene Zusammenfassung ist. Die synoptischen Parallelen helfen wenig: Mk 14,13 hat δύο τῶν μαθητῶν αὐτοῦ, Mt 26,17 setzt in der Exposition οἱ μαθηταί und aktualisiert dies durch die Verbformen 26,18 (ὑπάγετε; εἴπατε), ohne die Adressaten der Aufforderung Jesu zu nominalisieren. Da die mt Fassung wie so oft auch eine Straffung seiner Hauptquelle Mk sein wird, bleiben also drei mögliche Varianten: (1) »Petrus und die anderen« (*Ev teste Epiph.), (2) »Zwei seiner Jünger« (Mk 14,13) und (3) »Petrus und Johannes« (Lk 22,8). Die Kombination von Petrus und Johannes bei Lk ist deswegen auffällig, weil er allein die Kombination von Petrus und den beiden Zebedaiden in der Reihenfolge Petrus - Johannes - Jakobus anführt (Lk 8,51; 9,28; Act 1,13). Diese Beobachtung ist allerdings für die Rekonstruktion von *Ev nur bedingt tauglich, weil Nennung und Reihenfolge der Namen in *8,51 und *9,28 nicht bezeugt sind. Es könnte daher gut sein, dass diese Reihenfolge, die von der durch Mk und Mt ansonsten durchgehend bezeugten Abfolge Petrus - Jakobus - Johannes abweicht, erst auf die lk Redaktion zurückgeht: In Act werden Petrus und Johannes verschiedentlich als ein Paar genannt (Act 3,1-11; 4,13.19; 8,14-17). Lk könnte also ein inhaltliches Interesse an der Kombination von Petrus und Johannes gehabt haben, dem er dann auch an den Stellen in seinem Evangelientext Rechnung getragen hat, an denen außer diesen beiden auch noch der Zebedaide Jakobus genannt wird. Aus diesem Grund ist die Annahme leichter, dass Lk die zwei namenlosen Jünger aus Mk 14,13 als Petrus und Johannes identifiziert hat, als dass Mk zwei Namen, die er in *Ev fand, durch das allgemeine δύο τῶν μαθητῶν αὐτοῦ ersetzt hat: Im Vergleich der drei synoptischen Fassung spricht viel dafür, dass die mk Formulierung der älteren im vorkanonischen Evangelium entspricht. In diesem Fall liegt dann ebenfalls nahe, dass Epiphanius’ »Petrus und die übrigen« nicht ein Zitat, sondern eine ungenaue Zusammenfassung ist. Wenn dies zutrifft, wird auch die Einleitung anders als bei Epiphanius ausgesehen und einen Sendungsauftrag enthalten haben. Aus diesem Grund ist für den vorkanonischen Text mit aller Vorsicht zu rekonstruieren: καὶ ἀπέστειλεν δύο τῶν μαθητῶν αὐτοῦ εἰπών. Allerdings bleibt dieses Urteil unsicher. 1154 Anhang I 22,7-13 2. Obwohl Epiphanius nur einen Satz aus der Perikope referiert, wird diese nicht wesentlich anders ausgesehen haben als in der kanonischen Fassung. Einige wenige Lesarten der handschriftlichen Überlieferung geben Hinweise, dass es eine vorkanonische Fassung gab, die in der kanonischen Handschriftenüberlieferung ihre Spuren hinterlassen hat. Zwei dieser Lesarten sind wichtig für die Rekonstruktion. a. In *22,7 lesen D it sy (ἡ ἡμέρα) τοῦ πάσχα anstelle des kanonischen (ἡ ἡμέρα) τῶν ἀζύμων. Dies ist kaum eine sachliche Korrektur, die richtigstellen soll, dass das Fest der ungesäuerten Brote länger als einen Tag dauerte. 1 Man wird eher annehmen, dass die etwas ungenaue Formulierung Lk 22,7 die beiden Quellen des Lk kompiliert: *22,7 ἦλθεν δὲ ἡ ἡ μ έ ρ α τοῦ πάσχα und Mk 14,12: Καὶ τῇ πρώτῃ ἡμέρᾳ τ ῶ ν ἀ ζ ύ μ ω ν . b. Wichtiger ist, dass die Varianten am Ende von *22,9 sicherstellen, dass dieser ansonsten unbezeugte Vers ursprünglich an dieser Stelle stand: (ἑτοιμάσωμέν) σοι ϕαγεῖν τὸ πάσχα; … σοι τὸ πάσχα; … τὸ πάσχα. Daraus folgt, dass die abweichende Abfolge der Erzählung in Mk 14,12b.13 || Mt 26,17, welche die Frage der Jünger in die Exposition aufnimmt, auf eine redaktionelle Änderung durch Mk zurückgeht, der damit die etwas umständliche Abfolge von Auftrag (»geht! … bereitet! «) - Rückfrage (»Wo? «) - Präzisierung des Auftrags (»Wenn ihr hineinkommt …«) deutlich flüssiger formuliert. Die Stellung der Rückfrage (*22,9) ist daher nicht Ausdruck der Treue des Lk gegenüber dem mk Text mit der Jüngerfrage, 2 sondern ein Hinweis auf die narrative Anlage der Erzählung in *Ev. c. Die längere Lesart von *22,9 ἑτοιμάσωμέν σοι ϕαγεῖν τὸ πάσχα findet sich auch in Mt 26,17. Dass sie nicht in den Handschriften begegnet, die für die Interferenzen von kanonischer und vorkanonischer Überlieferung besonders anfällig sind, dafür aber in anderen Zeugen, 3 spricht nicht gegen diese Beobachtung, sondern zeigt, dass es sich dabei um ein allgemeines Phänomen handelt, das sich nicht auf die »Westlichen« Handschriften D it sy eingrenzen lässt. 3. Aufgrund der marginalen Bezeugung dieser Perikope bleibt die Rekonstruktion der genaueren Textgestalt allerdings unsicher, zumal sich Gesichtspunkte ergeben haben, welche die Zuverlässigkeit von Epiphanius’ Zeugnis an dieser Stelle einschränken. ______________________________ 1 W OLTER , Lk 695 z. St. 2 B OVON , Lk III 226 zu 22,9. Hätte Lk zum Ausdruck bringen wollen, dass »die markinische Frage der Jünger gerechtfertigt« war, hätte er dies durch die Übernahme der mk Erzählstruktur sehr viel einfacher haben können. 3 B 1356 sy h bo 1 ms ; diese Formulierung auch Mt 26,17, der sie dann aus *Ev übernommen hat. 22,14-23 Rekonstruktion 1155 *22,14f 16 17-19b 19c.d.20 21.22.23: Das letzte Passamahl. Ankündigung des Verrats Bezeugt, sicher in *Ev vorhanden; mit Sicherheit durch Lk redaktionell bearbeitet und ergänzt. 22,14 Καὶ a [ ὅτε ἐγένετο ἡ ὥρα, ] a ἀνέπεσεν καὶ οἱ b {δώδεκα} ἀπόστολοι σὺν αὐτῷ. 15 καὶ εἶπεν [ πρὸς αὐτούς ] , Ἐπιθυμίᾳ ἐπεθύμησα c † τοῦτο † τὸ πάσχα ϕαγεῖν μεθ’ ὑμῶν πρὸ τοῦ με παθεῖν· d 16 λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ ϕάγω αὐτὸ ἕως ὅτου πληρωθῇ ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ. d 17 καὶ δεξάμενος ποτήριον e εὐλογήσας εἶπεν, Λάβετε τοῦτο καὶ διαμερίσατε εἰς ἑαυτούς· 18 λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ πίω ἀπὸ τοῦ νῦν ἀπὸ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου ἕως οὗ ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἔλθῃ. 19 καὶ λαβὼν ἄρτον f εὐλογήσας g ἔκλασεν καὶ g ἔδωκεν h τοῖς μαθηταῖς h λέγων, Τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου i τὸ ὑπὲρ ὑμῶν διδόμενον· τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν. 20 καὶ τὸ ποτήριον ὡσαύτως μετὰ τὸ δειπνῆσαι, λέγων, Τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαθήκη ἐν τῷ αἵματί μου, τὸ ὑπὲρ ὑμῶν ἐκχυννόμενον. i 21 πλὴν ἰδοὺ ἡ χεὶρ τοῦ παραδιδόντος με μετ’ ἐμοῦ ἐπὶ τῆς τραπέζης· 22 ὅτι ὁ υἱὸς μὲν τοῦ ἀνθρώπου κατὰ τὸ ὡρισμένον πορεύεται, πλὴν οὐαὶ k τῷ ἀνθρώπῳ k ἐκείνῳ δι’ οὗ παραδίδοται l ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου l . 23 καὶ αὐτοὶ ἤρξαντο συζητεῖν πρὸς ἑαυτοὺς τὸ τίς ἄρα εἴη ἐξ αὐτῶν ὁ τοῦτο μέλλων πράσσειν. A. *22,14f: Epiph., Schol. 62: Kαὶ ἀνέπεσε, καὶ οἱ δώδεκα ἀπόστολοι σὺν αὐτῷ καὶ εἶπεν Ἐπιθυμίᾳ ἐπεθύμησα τοῦτο τὸ πάσχα ϕαγεῖν μεθ’ ὑμῶν πρὸ τοῦ με παθεῖν. ♦ *22,15: Tert. 4,40,1: Concupiscentia concupivi pascha edere vobiscum, antequam patiar. ♦ 22,16 : Epiph., Schol. 63: Παρέκοψε τό Λέγω γὰρ ὑμῖν, οὐ μὴ ϕάγω αὐτὸ ἀπάρτι, ἕως ἂν πληρωθῇ ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ. ♦ *22,19: Tert. 4,40,3: Professus itaque se concupiscentia concupisse edere pascha ut suum (indignum enim ut quid alienum concupisceret deus), acceptum panem et distributum discipulis corpus suum illum fecit, Hoc est corpus meum dicendo, id est figura corporis mei. Figura autem non fuisset nisi veritatis esset corpus: ceterum vacua res, quod est phantasma, figuram capere non posset. ¦ Adam. 2,20 (870d/ e): λαβὼν δὲ ἄρτον καὶ ποτήριον καὶ εὐλογήσας, ἕτερον οὖν εὐλογεῖ ὑπὲρ τῶν τοῦ δημιουργοῦ κτισμάτων, ἢ τὸν αὐτὰ ποιήσαντα καὶ παρέχοντα; ♦ *22,22: Tert. 4,41,1: Vae, ait, per quem traditur filius hominis. B. a (22,14) οτε εγενετο η ωρα: it M ¦ om Epiph ● b (22,14) δωδεκα: Epiph א 2 A C (L) R W Θ Ψ 063 0135 f 1.13 aur f q vg sy p.h bo ¦ om P 75 א * B D 157 713 ℓ1016 ℓ1231 ℓ1663 a b c d e ſſ 2 i l r 1 sy s.c sa mss ● c (22,15) τουτο: Widersprüchliche Bezeugung: (1) om Tert 27 71 sy s.c bo 1 ms ¦ (2) add Epiph it M ● d (22,16) vs. om Epiph bo ms ¦ add it M ● e (22,17) ευλογησας: d (benedixit ≠ D: ευχαριστησας! ) ¦ ευχαριστησας: it (gratias egit/ gratias agens) M (*Ev non test.); ● f (22,19) ευλογησας: Adam d (benedixit ≠ D: ευχαριστησας! ) ¦ ευχαριστησας: it (gratias egit/ gratias agens) M ● g (22,19) εκλασεν και: om Tert ℓ1016 ℓ1231 CyrAlex (Nest. 4,7; ACO 1/ 1/ 6, 90) ¦ add D it M ● h (22,19) τοις μαθηταις/ discipulis: Tert CyrAlex (Nest. 4,7; ACO 1/ 1/ 6, 90) (f: discipulis suis/ τοις μαθηταις αυτου) (vgl. Mt 26,26! ) ¦ αυτοις/ illis: a b d f ſſ 2 i l q r 1 ; eis: aur c d vg M ● i (22,19.20) το υπερ υμων διδομενον … το υπερ υμων εκχυννομενον: om Tert D a d ſſ 2 i l; ~ b e (sy s.c.p ) ¦ add it M (s. 1156 Anhang I 22,14-23 Kommentar) ● k (22,22) τω ανθρωπω (εκεινω)/ homini (illi): om Tert D d e (vae illi, per quem ...) sy s.c ¦ add a aur b c f ſſ 2 i l q r 1 M ● l (22,22) ο υιος του ανθρωπου/ filius hominis: Tert ¦ om it M . C. Der Mahlbericht ist insgesamt gut für *Ev bezeugt. Gleichwohl bleiben etliche Schwierigkeiten, die jedoch weniger aus der unklaren Bezeugung als aus den sachlichen Problemen sowie der Textgeschichte resultieren, die sich auf das bekannte Problem des Langbzw. Kurztextes in Lk 22,19f beziehen; für dessen Beurteilung ergeben sich durch die Einsicht der *Ev-Priorität in der Tat neue Gesichtspunkte. Bevor dieses Problem behandelt wird, sind jedoch noch andere Auffälligkeiten zu notieren. 1. Epiphanius bezeugt *22,14 ohne die Zeitangabe ὅτε ἐγένετο ἡ ὥρα. Das wäre nicht auffällig und könnte einfach eine Nachlässigkeit sein: Epiphanius vermerkt weder einen abweichenden Wortlaut noch verbindet er mit der Zeitangabe irgend ein inhaltliches Interesse. 1 Gerade deswegen ist das Fehlen auffällig und scheint auf Epiphanius’ mechanische Erstellung der Scholienliste zurückzugehen. Die parallelen Erzählungen in Mk 14,17 || Mt 26,20 haben das ganz verbreitete und zwanglose »als es Abend wurde« (ὀψίας γενομένης), gegenüber dem die Erwähnung der »Stunde« bei Lk unvermittelt wirkt. Es ist denkbar, dass Lk unter dem Einfluss von Joh 17,1 usw. die »Stunde« als heilsgeschichtliches Datum verstanden und die Formulierung angepasst hat. 2 2. Für *22,15 ist eine widersprüchliche Bezeugung zu vermerken: Epiph., Schol. 62 liest wie der Mehrheitstext τοῦτο (τὸ πάσχα), während Tertullian (concupivi pascha edere) und einige »Westliche« Zeugen das Demonstrativpronomen nicht bieten. Auch wenn die Abweichung nur geringfügig ist, lässt sich der Befund am ehesten so erklären, dass hier die vorkanonische Textgestalt von *Ev in unterschiedlicher Weise an den kanonischen Text angeglichen wurde; die Formulierung ohne das Demonstrativpronomen repräsentiert den vorkanonischen Text. 3. Epiphanius’ Auslassungsvermerk zu V. 16 ist eindeutig, zumal das Fehlen des Verses auch von einer koptischen Handschrift gestützt wird. Sehr viel weniger klar ist jedoch die Begründung der Vertreter der Lk-Priorität für eine »marcionitische Streichung«: »Die Tilgung des Verses ist wegen der absurden Zusammensetzung ›das Passamahl im Reich Gottes‹ leicht verständlich.« 3 Aber wieso sollte Lk eine so »absurde Zusammensetzung« enthalten können, *Ev jedoch nicht? Sehr viel näher liegt die Annahme, dass Lk diesen Vers in Entsprechung zu *22,18 (|| Mk 14,25 || ______________________________ 1 Epiphanius ist nur an dem antidoketischen Argument interessiert: Wenn von Jesus und den Jüngern in gleicher Weise gesagt wird, dass sie sich »niedergelassen« haben (ἀναπίπτω), dann haben entweder die Jünger ebenfalls nur einen scheinbaren Leib oder Jesus hat einen realen Leib. Zu welcher Zeit das Mahl stattfand, spielt für sein Argument keine Rolle. 2 Z. B. G. D ELLING , Art. ὥρα κτλ., ThWNT IX (1973), 675-681: 678. 3 T SUTSUI 123. 22,14-23 Rekonstruktion 1157 Mt 26,29) geschaffen, dabei aber die »absurde« Kombination von τὸ πάσχα ϕαγεῖν *22,15b und οὐ μὴ ϕάγω αὐτό … Lk 22,16 produziert hat. Die problematische Kombination »das Passamahl … im Reich Gottes essen« ist daher die ganz typische Folge einer inkonsequent durchgeführten Redaktion - ein Phänomen, für das es eine lange Reihe von Beispielen gibt. 4 4. Die Vv. 17f sind unbezeugt. 5 Die Vertreter der Lk-Priorität nehmen Streichung an, unter anderem deswegen, weil diese Verse »auch sonst nicht ganz sicher sind.« 6 Hier führt Harnack einmal mehr eine textgeschichtliche Begründung für sein literarkritisches Urteil an. Denn diese »Unsicherheit« bezüglich V. 17f ist das Resultat der uneinheitlichen Textüberlieferung, die den lk Mahlbericht insgesamt auszeichnet und eines der bekanntesten textkritischen Probleme konstiutiert: Die Bezeugung eines Kurztextes (ohne Lk 22,19c.d.20) und eines Langtextes mit dem kompletten Becherwort. Die unterschiedlichen Überlieferungsformen stellen sich folgendermaßen dar: Der sog. Langtext, den die neueren Textausgaben durchweg bieten, 7 ist von allen griechischen Handschriften außer D und zahlreichen Versionen bezeugt. 8 Der sog. Kurztext ist bezeugt von D a d ſſ 2 i l: Hier bricht der Mahlbericht in Lk 22,19 nach τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου ab. Es fehlen also Vv. 19cd.20: τὸ ὑπὲρ ὑμῶν διδόμενον· τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν. καὶ τὸ ποτήριον ὡσαύτως μετὰ τὸ δειπνῆσαι, λέγων, Τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαθήκη ἐν τῷ αἵματί μου, τὸ ὑπὲρ ὑμῶν ἐκχυννόμενον. Die anderen Formen, 9 die von zwei Altlateinern und der (alt)syrischen Überlieferung geboten werden, sind erkennbar Weiterentwicklungen dieser beiden Grundformen, z.T. unter dem Einfluss von 1Kor 11; zum Teil unterscheiden sie sich in der Abfolge der Verse. a. Die altlateinischen Codd. Veronensis (b) und Palatinus (e) bieten die Abfolge: V. 19a.b (ohne τὸ ὑπὲρ ὑμῶν διδόμενον und den Anamnesisbefehl); 17.18 (jeweils mit geringfügigen Abweichungen). Da b und e nur Elemente des Kurztextes (v. 19ab.17.18) umstellen, zeigen sie überhaupt keinen Einfluss des Langtexts: ______________________________ 4 Vgl. dazu ausführlicher M. G OODACRE , Fatigue in the Synoptics, NTS 44 (1998), 45-58. 5 Adamantius’ Hinweis auf »Brot und Becher« (2,20 [870d/ e]: λαβὼν δὲ ἄρτον καὶ ποτήριον καὶ εὐλογήσας …) bezieht sich wegen der Abfolge von Brot und (Nachtisch-)Becher auf den kanonischen Text und kann daher nicht als Beleg für *Ev genommen werden. Andererseits ist das durch Adam. für V. *19 bezeugte εὐλογήσας gegen fast die gesamte handschriftliche Überlieferung so charakteristisch, dass man diese Lesart mit d nicht nur in *22,19, sondern schon in V. *17 annehmen kann. Zu dem sich verändernden christlichen Sprachgebrauch, der zunehmend εὐλογεῖν durch ευχαριστεῖν ersetzt, vgl. M. K LINGHARDT , Gemeinschaftmahl und Mahlgemeinschaft, Tübingen 1996, 411f. 6 H ARNACK 233*; ihm folgt T SUTSUI 123. 7 Zuletzt noch einmal verteidigt von W OLTER , Lk 699. 8 P 75 א A B C K L T vid W X Δ Θ Π Ψ 063 f 1.13 ; alle Minuskeln; c q r 1 vg sy p sa bo armen georg. 9 Vgl. dazu die Synopsen bei F. G. K ENYON , S. C. E. L EGG , The Textual Data, London 1937, 284f, sowie bei M ETZGER , Textual Commentary 149. 1158 Anhang I 22,14-23 19 καὶ λαβὼν ἄρτον εὐχαριστήσας ἔκλασεν καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς λέγων, Τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου. 17 καὶ δεξάμενος τὸ ποτήριον εὐχαριστήσας εἶπεν, Λάβετε [τοῦτο: om e] διαμερίσατε εἰς ἑαυτούς. 18 λέγω γὰρ ὑμῖν [ὅτι: om e] ἀπὸ τοῦ νῦν οὐ μὴ πίω ἀπὸ τοῦ γενήματος [τούτου: add b] τῆς ἀμπέλου [ταύτης: add b] ἕως οὗ ἔλθῃ ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ. b. Der Cureton-Syrer (sy c ) bietet die gleiche Abfolge V. 19.17.18. Im Unterschied zu b e enthält sy c jedoch auch Elemente von V. 19c.d (τὸ ὑπὲρ ὑμῶν + Anamnesisbefehl), die unter dem Einfluss von 1Kor 11,24 hinzugefügt zu sein scheinen: 19 καὶ λαβὼν ἄρτον εὐχαριστήσας ἔκλασεν καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔλεγεν, Τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου τὸ ὑπὲρ ὑμῶν· τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν. 17 καὶ δεξάμενος τὸ ποτήριον εὐχαριστήσας εἶπεν, Λάβετε τοῦτο, διαμερίσατε εἰς ἑαυτούς. 18 λέγω ὑμῖν ὅτι ἀπὸ τοῦ νῦν οὐ μὴ πίω ἀπὸ τοῦ γενήματος τούτου τῆς ἀμπέλου ἕως οὗ ἔλθῃ ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ. c. Der Sinaisyrer (sy s ) entspricht sy c in der generellen Abfolge (V. 19.17.18) sowie in dem Aspekt, dass V. 19 ganz enthalten ist; allerdings hat der Sinaisyrer Teile von V. 20a (καὶ μετὰ τὸ δειπνῆσαι) zwischen den Vv. 19 und 17 sowie von V. 20b (τοῦτό ἐστιν ἡ καινὴ διαθήκη) zwischen V. 17 und V. 18, so dass sich die Abfolge V. 19.20a.17.20b.18 ergibt: 19 καὶ λαβῶν ἄρτον εὐχαριστήσας ἔκλασεν καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔλεγεν, Τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου τὸ ὑπὲρ ὑμῶν διδόμενον· τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν. 20a καὶ μετὰ τὸ δειπνῆσαι. 17 δεξάμενος τὸ ποτήριον εὐχαριστήσας εἶπεν, Λάβετε τοῦτο, διαμερίσατε εἰς ἑαυτούς. 20b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου ἡ διαθήκη ἡ καινή. 18 λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι ἀπὸ τοῦ νῦν οὐ μὴ πίω ἀπὸ τοῦ γενήματος τούτου ἕως οὗ ἔλθῃ ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ. d. Die Peshitta (sy p ) hat dagegen nur V. 19 (komplett, einschließlich des Anamnesisbefehls) und V. 20. 19 καὶ λαβὼν ἄρτον εὐχαριστήσας ἔκλασεν καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔλεγεν, Τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου τὸ ὑπὲρ ὑμῶν διδόμενον· τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν. 20 καὶ ὡσαύτως καὶ τὸ ποτήριον μετὰ τὸ δειπνῆσαι, λέγων, Τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαθήκη ἐν τῷ αἵματί μου τὸ ὑπὲρ ὑμῶν ἐκχυννόμενον. Diese uneinheitliche Bezeugung ist Ausdruck eines sehr alten (weil weit verbreiteten) Textes, der am genauesten von D a d ſſ 2 i l bewahrt ist und der kürzer ist als der Mehrheitstext. Diese »Lücke« ist in den weiteren Handschriften des »Westlichen Textes« (b e sy c.s.p ) unvollständig und auf unterschiedliche Weise nach dem kanonischen Mehrheitstext korrigiert worden, verbunden mit einer Umstellung der Vv. 17f nach V. 19(20). Aus dieser Umstellung resultiert dann die aus den anderen Mahlberichten vertraute Abfolge Brot - Becher. Diese Handschriften (b e sy) bezeugen das Vorliegen von Kurz- und Langtext, die sich gegenseitig beeinflusst haben bzw. miteinander konflationiert werden. Damit bleiben die beiden grundlegenden Lesarten des Kurz- und des Langtextes als die Ursprünge der Überlieferung. 5. Strittig ist die direkte Bezeugung der Häresiologen von *22,19.20 für *Ev. Adamantius setzt die dem Langtext entsprechende Abfolge Brot - Becher voraus (Adam. 2,20 [870d/ e]), lässt ansonsten aber keine weiteren Einzelheiten erkennen. Tertullian bezeugt dagegen den Kurztext. Sein Referat endet an genau derselben Stelle des Brotwortes wie die Zeugen des Kurztextes (D a d ſſ 2 i l): hoc est corpus 22,14-23 Rekonstruktion 1159 meum - τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου. Allerdings scheint der folgende Abschnitt von Tertullians Diskussion einige Stichworte aus Lk 22,19d.20 aufzugreifen: Wenn die Stichworte tradere pro nobis, sanguis, calix und testamentum aus *Ev stammen, würden sie die Existenz von V. 19d.20 belegen. 10 Harnack hatte dies so verstanden und substituierte die Fortsetzung des Brotwortes und das (zweite) Becherwort auch für das marcionitische Evangelium. 11 Andere sind ihm darin gefolgt. 12 Ob zu Recht, ist die Frage. Denn im Unterschied zur Kurzfassung des Brotwortes, das Tertullian an den Beginn seiner Abhandlung stellt und mit der Zitationsformel einführt, gehören die Stichworte tradere, sanguis, calix und testmentum mit größter Wahrscheinlichkeit nicht dem referierten Text an, sondern sind Teile von Tertullians eigener Argumentation. 13 Tertullian ist im ganzen Abschnitt ausschließlich an der Körperlichkeit Jesu interessiert, um den marcionitischen Doketismus zu widerlegen. Alles andere - auch die Unterschiede zwischen dem marcionitischen und dem kanonischen Evangelientext - spielt für ihn überhaupt keine Rolle. Dass Tertullian die genannten Stichworte nicht in seinem *Ev-Exemplar gelesen hatte, lässt sich anhand einer Analyse seiner Argumentation leicht zeigen. Tertullian kommt von dem Zitat des Brotwortes sofort auf die Frage der Realität des Körpers Jesu zu sprechen: »Als er das Brot genommen und an die Jünger gegeben hatte (distributum discipulis), machte er jenes (sc. das Brot) zu seinem Leib, indem er sagte: ›Dies ist mein Leib‹, das heißt (Dies ist) ein Abbild (figura) meines Leibes« (4,40,3). Da ein Abbild immer ein reales Vorbild voraussetze, war der Leib Jesu real. Andernfalls, so Tertullian, müsse man ja schließen, dass er »deswegen seinen Leib zu Brot gemacht hatte, weil weil er keinen wahren Leib hatte. Folglich hätte das Brot für uns ausgeliefert werden müssen (ergo panem debuit tradere pro nobis)! « Dies ist ein mustergültiger enthymematischer Syllogismus: Die absurde Schlussfolgerung (»Brot ______________________________ 10 Tert. 4,40,3: Aut si propterea panem corpus sibi finxit quia corporis carebat veritate, ergo panem debuit tradere pro nobis … Sic et in calicis mentione testamentum constituens sanguine suo obsignatum, substantiam corporis confirmavit. 11 Harnack hatte lediglich notiert, dass Tertullian nur vom Bund, nicht aber vom Neuen Bund spreche; seine Rekonstruktion lautet dementsprechend: »καὶ τὸ ποτήριον ὡσαύτως … (τοῦτο τὸ ποτήριον) ἡ (καινή gestrichen! ) διαθήκη« (H ARNACK 233*). Tsutsui, der Harnack in der Rekonstruktion folgt, sucht eine Erklärung für die angenomene Streichung von καινή, findet aber keine, weil er sieht, dass Marcion in 2Kor 3,6 die Wendung καινὴ διαθήκη beibehalten und im Horizont seiner angeblichen theologischen Redaktion für unbedenklich gehalten hat: »Mit welcher Absicht er hier (nur) das Adjektiv gestrichen hat, ist nicht ersichtlich« (T SUTSUI 123). 12 T SUTSUI 123; R OTH 181; B E D UHN 185f; U. B. S CHMID , Marcions Evangelium und die neutestamentlichen Evangelien, in: G. May, K. Greschat (Hg.), Marcion und seine kirchengeschichtliche Wirkung, Berlin - New York 2002, 67-77: 75f; D. T. R OTH , Marcion and the Early New Testament Text, in: Ch. E. Hill, M. J. Kruger (eds.), The Early Text of the New Testament, Oxford 2012, 302-312: 309. Ich selbst hatte diese Argumentation aus Nachlässigkeit zunächst ebenfalls übernommen. Diese Ansicht ist im Folgenden zu korrigieren (s. gleich ausführlicher). 13 Die folgenden Überlegungen verdanke ich Kevin Künzl (Dresden). Eine ausführliche Darlegung findet sich jetzt in J. H EILMANN , K. K ÜNZL , Das Problem von Kurz- und Langtext in Lk 22,17-20 und das für Marcion bezeugte Evangelium, NT 62 (2020), 117-138. 1160 Anhang I 22,14-23 wurde für uns gekreuzigt«) belegt, dass eine richtige Voraussetzung (»Dieses Brot ist ein Abbild meines Leibes«) und eine falsche Voraussetzung (»Das Abbild setzt nicht notwendigerweise ein körperliches Vorbild voraus«) zueinander in Beziehung gesetzt wurden. Tertullian verwendet tradere als Übersetzung für παραδιδόναι (hier im Kontext noch 4,40,2; 4,41,1), aber nicht für δίδωμι, das durch dare übersetzt wird. Die Wendung panem debuit tradere pro nobis referiert daher nicht auf τὸ ὑπὲρ ὑμῶν διδόμενον (Lk 22,19d), 14 sondern auf die in *Ev unmittelbar folgende Aussage *22,21: »Aber siehe, die Hand dessen, der mich ausliefert (τοῦ παραδιδόντος με), ist mit mir am Tisch.« Von Lk 22,19d gibt es folglich im ganzen Kontext überhaupt keine Spuren. Auch die »Erwähnung des Bechers«, mit der Tertullian fortfährt, ist nicht Teil des *Ev-Referats, sondern seiner Argumentation. Abgesehen davon, dass in der ganzen folgenden Passage (4,40,4-6) kein weiteres Zitat ausgewiesen ist und Tertullian nur einzelne Stichworte aus dem kanonischen Text verwendet, spricht die gesamte Argumentation dagegen, dass Tertullian etwas von Becher und Blut in *Ev gelesen hat. Er ist vielmehr immer noch an der Frage der Körperlichkeit interessiert: So, wie zuvor das Abbild (figura) einen realen Körper (veritatis corpus) als Vorbild erfordert und voraussetzt, dient jetzt auch das Blut als Beleg für den Körper (substantiam corporis): Das ist ganz eindeutig Tertullians Argumentation. Und dabei scheint es für ihn keine Rolle gespielt zu haben, dass seine Argumentation längst nicht mehr auf dem Text von *Ev gründet, sondern von seinem eigenen kanonischen Wissen geprägt ist: Gerade so, wie dies an ungezählten anderen Stellen der Fall ist, an denen Tertullian ganz selbstverständlich Schriftzitate (aus dem Alten und dem Neuen Testament) in seiner Argumentation verwendet. Hier wird diese argumentative Verwendung daran deutlich, dass es keinen einzigen Abendmahlstext im NT gibt, der von der Errichtung des Bundes (testamentum constituens) spricht oder der den Bundesschluss als Besiegelung durch das Blut (testamentum sanguine … obsignatum) versteht: Tertullian geht nicht am Text von *Ev entlang, sondern substituiert die vertraute Mahltheologie am Beginn des 3. Jh. Und er hat einige Schwierigkeiten, diese Mahltheologie auf sein Problem der Körperlichkeit Jesu zu applizieren. Das ist die Funktion des Kettenschlusses 4,40,5: Der Körper (corpus), um den es ja primär geht, wird durch das Fleisch (carnis) bewiesen, das Fleisch aber durch das Blut (sanguinis). Als Beleg für das »Zeugnis des Blutes« (testimonium sanguinis, 4,40,5) kann Tertullian dann aber nicht etwa - wie es nahegelegen hätte - auf eine entsprechende Erwähnung im Mahlbericht von *Ev rekurrieren; stattdessen muss er auf die beiden at.lichen Zitaten (Jes 63,1 LXX; Gen 49,1) ausweichen, die auch sonst seit dem 3. Jh. für den Bezug zwischen Becher und Blut herhalten müssen. 15 Beide Zitate hat Tertullian aus seiner eigenen Bibel in die Argumentation einfließen lassen, genau wie die mentio calicis. Es ist deutlich: Tertullian argumentiert mit dem selbstverständlichen Wissen und der Kenntnis des kanonischen Textes, den er auch bei seinen Lesern voraussetzt, aber er referiert nicht. Erst im folgenden Abschnitt (4,41,1) kommt er mit dem wörtlichen Zitat von *22,21 wieder auf den ihm vorliegenden Text zurück. Einmal mehr entsprechen sich unter diesen Voraussetzungen das direkte Zeugnis Tertullians und das indirekte der Handschriften. *Ev enthielt den Bericht vom letzten Mahl in der Kurzfassung, die aus den »Westlichen« Lk-Handschriften bekannt ist: ______________________________ 14 Gegen R OTH 181: Tertullian »alludes that Jesus’ statement is followed by τὸ ὑπὲρ ὑμῶν διδόμενον, stating that if Jesus did not have a true body then it is the bread itself that should have been delivered up for us«. 15 Vgl. dazu M. K LINGHARDT , Der vergossene Becher, EC 3 (2012), 33-58. 22,14-23 Rekonstruktion 1161 Der »Kurztext« geht dem »Langtext« voraus und ist von diesem ergänzt worden. Er ist tatsächlich »ursprünglich«, wie schon Westcott/ Hort wussten 16 - wenn auch nicht im Neuen Testament, sondern im marcionitischen Evangelium. In *Ev fehlte demnach nicht nur das καινή vor διαθήκη, sondern die zweite Hälfte von Lk 22,19 und der ganze V. 20. Der älteste Mahlbericht sprach demnach nicht von zwei Bechern, sondern nur von einem. Diese Annahme bestätigt nicht nur die häufig beobachtete Korrelation zwischen *Ev und einem Teil der handschriftlichen Überlieferung (vor allem des »Westlichen« Textes), sondern auch die *Ev-Priorität vor dem kanonischen Text. Denn die Annahme, dass der Kurztext gegenüber dem Langtext sekundär sein könnte, ist völlig unwahrscheinlich und wurde überhaupt nur in Erwägung gezogen, um den Langtext für das Neue Testament zu retten. 17 Im Ergebnis (wenn auch nicht in der Begründung) ist diese Entscheidung richtig: der Langtext gehört in den Text des Neuen Testaments; der Kurztext ist dagegen Teil des älteren, vorkanonischen *Ev. Ursprünglich hatte ich die auf Harnack zurückgehende und verschiedentlich rezipierte Ansicht übernommen, dass Tertullian wenigstens Teile von V. 19f kannte (o. S. 1159 Anm. 12). Dies hatte meiner eigenen Argumentation zwar nicht widersprochen, sie aber doch belastet. Denn ich musste damit rechnen, dass Tertullians *Ev-Exemplar an dieser Stelle durch das kanonische Neue Testament beeinflusst war und den älteren Text (*Ev) durch den jüngeren (Lk) korrigiert hatte. Dies hatte zur Folge, dass die Rekonstruktion von *Ev den (Kurz-)Text gegen Tertullians Zeugnis enthielt. Dass es entsprechende, sekundäre Angleichungen von *Ev an den (kanonischen) Lk-Text gab, ist aufgrund von Tertullians Zeugnis sicher. Und damit ist auch die Möglichkeit unabweisbar, dass der Text von *Ev gelegentlich gegen die direkten Zeugnisse der Häresiologen zu rekonstruieren ist (was ja bei allen widersprüchlichen Bezeugungen ohnehin der Fall ist). Dass dieses Verfahren ______________________________ 16 Westcott/ Hort hatten den Kurztext (zusammen mit den anderen Western Non-Interpolations) in ihre Ausgabe des »New Testament in the Original Greek« (1881) übernommen. Die kritischen Ausgaben (Nestle; Nestle-Aland; Greek New Testament) sind ihnen darin fast 100 Jahre lang gefolgt. Erst seit NA 26 (1979) bzw. GNT 3 (1975) ist der Langtext in den Haupttext aufgenommen. Zu diesem Problem s. M. K LINGHARDT , Die Schrift und die hellen Gründe der textkritischen Vernunft, ZNT 39/ 40 (2017), 85-104: 92-95. 17 Dass der Langtext 1975 (GNT 3 ) bzw. 1976 (NA 26 ) erstmalig in die kritischen Ausgaben aufgenommen wurde, lag weniger daran, dass die Herausgeber davon überzeugt waren, dass er älter sei als der Kurztext (und dieser aus jenem hervorgegangen sei). Im Hintergrund der Entscheidung stand offensichtlich eine komplizierte Argumentation, die mit dem hohen Alter des P 75 arugmentierte, vgl. K. A LAND , Die Bedeutung des P 75 für den Text des Neuen Testaments, in: ders., Studien zur Überlieferung des Neuen Testaments und seines Textes, Berlin 1967, 155-172. Dass die Mehrheit der Herausgeber keine Erklärung für die Entstehung des Kurztextes aus dem Langtext fand, belegt M ETZGER , Textual Commentary 149 z. St.: »The majority … explained the origin of the shorter form as due to some scribal accident or misunderstanding.« Zur Bewertung dieser Entscheidung vgl. K LINGHARDT , a. a. O. (passim). 1162 Anhang I 22,14-23 an dieser wichtigen Stelle nicht angenommen werden muss, weil Tertullian den Kurztext voraussetzt, macht die Argumentation leichter. 6. Zu V. *19 verdienen zwei weitere Kleinigkeiten Erwähnung, die sich aus Tertullians Referat ergeben. Erstens enthält die Wendung acceptum panem et distributum discipulis zwar den Hinweis auf das Nehmen des Brotes (λαβὼν ἄρτον) und auf das Austeilen (ἔδωκεν), nicht aber auf das Segnen und das Brechen (εὐχαριστήσας ἔκλασεν καί). Es ist unklar, ob Tertullian diese Worte einfach in seinem Referat übergangen hat oder ob er sie in seinem *Ev-Exemplar nicht vorgefunden hatte. Dass Tertullian zusammenfasend referiert, scheint klar zu sein, weil immerhin der Hinweis auf den Segen durch Adamantius sichergestellt ist (εὐλογήσας). Auf der anderen Seite könnte man vermuten, dass die Verteilung des Brotes (panem … distributum) ja voraussetzt, dass das Brot in irgendeiner Weise zerteilt worden sein musste, so dass ἔκλασεν καί in distributum enthalten wäre. Das ist gut möglich. Allerdings ist die Lesart ohne ἔκλασεν καί auch in der kanonischen Textüberlieferung und der patristischen Rezeption bezeugt, wenn auch nur sehr schmal, so dass hier der vorkanonische Text durchscheinen könnte. Das bleibt allerdings zweifelhaft. Ähnlich unsicher ist die Entscheidung, wie die Jünger als Empfänger des Brotes erwähnt wurden: direkt (τοῖς μαθηταῖς), wie es Tertullians Zeugnis nahelegt (discipulis) oder nur pronominal (αὐτοῖς) wie im kanonischen Text. 18 Auch hier wird Tertullians Zeugnis durch weitere Zeugnisse gestützt (zu denen wieder die Rezeption bei Cyrill gehört): Im Unterschied zu allen anderen Handschriften liest das Evangelium Brixianum (f) anstelle eines Pronomens (αὐτοῖς bzw. eis/ illis) das indirekte Objekt discipulis suis. Allerdings ist der Befund weniger klar, als man sich wünscht. Auf der einen Seite ist schwer vorstellbar, wie Tertullian die Empfänger des Brotes pronominal hätte einführen können: Sie waren in seinem Referat noch gar nicht vorgekommen. Auf der anderen Seite unterscheidet sich der Brixianus dadurch von Tertullian, dass er ein Possessivpronomen bietet (discipulis suis/ τοῖς μαθηταῖς αὐτοῦ), das an dieser Stelle singulär ist. Nicht gegen, sondern für die Richtigkeit von Tertullians Zeugnis spricht auch die entsprechende Formulierung in Mt 26,26: Da zahlreiche »matthäische« Lesarten in der Bezeugung für *Ev keine versehentlichen Eintragungen sind, sondern Reflex des vorkanonischen Texts, wird dies auch hier der Fall sein. Auch wenn die Rekonstruktion unsicher bleibt, spricht mehr für als gegen Tertullians Zeugnis. 19 ______________________________ 18 Beide Alternativen werden im übrigen durch die synoptischen Parallelen gestützt, vgl. Mk 14,22 λαβὼν ἄρτον εὐλογήσας ἔκλασεν καὶ ἔδωκεν α ὐ τ ο ῖ ς καὶ εἶπεν … und Mt 26,26 λαβὼν ὁ Ἰησοῦς ἄρτον καὶ εὐλογήσας ἔκλασεν καὶ δοὺς τ ο ῖ ς μ α θ η τ α ῖ ς εἶπεν. 19 R OTH 180 hat Recht, dass »Tertullian … does not require Marcion’s text to have read τοῖς μαθηταῖς«: Zwingend ist diese Rekonstruktion in der Tat nicht. Allerdings ist das der Text, den 22,14-23 Rekonstruktion 1163 7. Unter diesen methodischen Prämissen stellt sich die Lösung des textkritischen Problems als eine sukzessive, aber uneinheitliche Angleichung des vorkanonischen Evangelientextes an den kanonischen Text dar. a. Die älteste Fassung des vorkanonischen Evangeliums ist zwar nicht in einem Dokument erhalten, lässt sich aber nach dem übereinstimmenden Zeugnis Tertullians und den residualen Spuren in den Varianten der »Westlichen« Handschriften rekonstruieren. In diesem Text hat nach dem Zeugnis des Epiphanius V. 16 gefehlt, ebenso die Vv. 19cd.20 nach Tertullian und den »Westlichen« Zeugen (D a d ſſ 2 i l). Dieser Mahlbericht im ältesten Evangelium begann mit der Erwähnung des Bechers. Die unbezeugten Vv. *17f waren mit größter Wahrscheinlichkeit in diesem ältesten Mahlericht bereits enthalten: Jesus fordert die Jünger auf, den Becher unter sich aufzuteilen und kündigt an, bis zum Kommen der Basileia keinen Wein mehr zu trinken. Erst danach folgt der Hinweis auf die Austeilung 20 des Brotes mit der Deutung: »Dies ist mein Leib.« Dieser älteste Bericht schilderte demnach ein Mahl, dessen Eingangssequenz religiös gedeutet wurde: Die Besonderheit des Mahleingangsbechers, der keineswegs nur für das Passamahl bezeugt ist, 21 scheint darin zu bestehen, dass alle aus einem Becher trinken (καὶ διαμερίσατε εἰς ἑαυτούς). 22 Das Logion V. 18 interpretiert den gemeinsamen Eingangsbecher; es ist durch den kausalen Anschluss (in der kanonischen Fassung: λέγω γὰρ ὑμῖν) eng auf V. 17 zurück bezogen. 23 Der eigentliche ______________________________ sein Referat nahelegt. Jeder Abweichung davon fällt die Begründungslast zu; das ist in diesem Fall Roths (sehr zurückhaltend geäußerte) Rekonstruktion »(αὐτοῖς)«. 20 Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass Tertullian *22,19 ohne ἔκλασεν καί referiert: Dieselbe Auslassung begegnet auch in zwei Lektionaren sowie bei Cyrill von Alexandria. Da der Hinweis auf das »Brechen« des Brotes auch in *24,31 gefehlt zu haben scheint (s. dort) und umgekehrt in Act (2,42.46; 20,7.11; 27,35) sehr spezifisch auf die christliche Mahlpraxis verweist, handelt es sich sehr wahrscheinlich auch in dem zentralen Mahlbericht um eine Ergänzung der lk Redaktion, zumal der Hinweis auf das »Brechen des Brotes« eine Angleichung an die drei anderen Mahlberichte darstellt (Mk 14,22; Mt 26,26; 1Kor 11,24). 21 Belege bei M. K LINGHARDT , Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft, Tübingen 1996, 58ff.178ff. 430f. Abgesehen davon sollte die Erwähnung der Stationsbecher im Rahmen der Passahaggada in der Mischna (mPes 10) nicht mehr als Analogie für einen gesonderten »Passabecher« herangezogen werden (so vor allem J. J EREMIAS , Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 7 1967, 78-82): Sie ist sehr viel jünger, vgl. G. S TEMBERGER , Pesachhaggada und Abendmahlsberichte des Neuen Testaments, Kairos 29 (1987), 147-158. 22 Zum ritualgeschichtlichen Hintergrund des Gemeinschaftsbechers vgl. M. K LINGHARDT , Bund und Sündenvergebung, in: ders., H. Taussig (Hg.), Mahl und religiöse Identität im frühen Christentum, Tübingen 2012, 159-190: 163-172. 23 Ob dieser kausale Anschluss schon in dem vorkanonischen Text enthalten war, ist jedoch fraglich. Die Varianten (δέ anstelle von γάρ: 063; γάρ: om l sy c armen georg aeth) legen eher nahe, dass er erst durch die Redaktion geschaffen wurde, die dann das Trinken aus einem Becher und die Begründung (»es ist das letzte Mal«) das ganze folgende Mahl als Abschiedsmahl zur Stärkung der Jüngergemeinschaft qualifiziert. 1164 Anhang I 22,14-23 Mahlbeginn ist durch das Austeilen des Brotes (*19a) gekennzeichnet und wird durch das Brotwort *19b (τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου) interpretiert, das dann ebenfalls als Ausdruck der Einheit verstanden werden kann: Ein Becher, ein Brot. Die Gefährdung dieser Einheit wird dann durch die unmittelbar folgende Ankündigung des Verrats markiert (V. *21f). b. Mk hat diesen ältesten Mahlbericht in den Evangelien ergänzt und verändert: Er hat (vielleicht unter dem Einfluss von 1Kor 11,23-25) die Abfolge von Becher und Brot umgekehrt und den Becher dadurch als den (durchaus weiter verbreiteten) Nachtischbecher interpretiert: Er hat in Analogie zu *22,18 die Aussage Mk 14,25 geschaffen, sie aber auf »seinen« Nachtischbecher bezogen und ganz an das Ende der Mahlschilderung gestellt. Die Form des Brotwortes, das Mk 14,22 unverändert aus *22,19b übernommen hatte (τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου), hat dann auch die Form des neu geschaffenen Wortes über dem Nachtischbecher (14,24: τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν) beeinflusst. Auf diese Weise ist die Entsprechung von »Leib« und »Blut« entstanden. - Im nächsten Überlieferungsschritt hat Mt, der i.W. dem markinischen Bericht folgt, vor allem das Becherwort erweitert. c. Die letzte Überlieferungsstufe liegt in Lk 22 vor: Der Langtext ist von der lk Redaktion als Konflation des vorkanonischen Kurztextes in *Ev und der mk/ mt Veränderung unter Einfluss von 1Kor 11,25 geschaffen worden. Im Unterschied zum mk-mt Becherwort deutet Lk 22,20 jedoch nicht das gemeinsame Trinken, sondern die Libation (die wohl auch 1Kor 11,25 vorausgesetzt ist), die ihren typischen Platz μετὰ τὸ δειπνῆσαι zu Beginn des eigentlichen Symposions hatte, wie die syntaktische Inkongruenz zwischen dem Dativ ἐν τῷ αἵματί μου und dem Nominativ τὸ ὑπὲρ ὑμῶν ἐκχυννόμενον zeigt. 24 d. Die weiteren Varianten in Teilen der altlateinischen (b e) und syrischen Textüberlieferung spiegeln dann verschiedene Stadien der Konformierung der vorkanonischen an die kanonische Textform wider. Dabei ist die Umstellung von V. 19 vor Vv. 17f (e b; sy c.s ) als Versuch zu verstehen, die »kanonische« Abfolge Brot - Becher herzustellen. Das gleiche Ziel erreicht sy p durch die Auslassung von V. 17f mit dem ersten (Mahleingangs-)Becher aus *Ev. 8. Diese überlieferungsgeschichtliche Skizze ist in erster Linie für das textkritische Problem von Lk 22,19c.d.20 von Bedeutung. Dessen Schwierigkeit besteht darin, ______________________________ 24 Vgl. dazu ausführlich M. K LINGHARDT , Der vergossene Becher. Ritual und Gemeinschaft im lukanischen Mahlbericht, EC 3 (2012), 33-58. 22,14-23 Rekonstruktion 1165 dass einerseits der Langtext durch die gesamte griechische Handschriftenüberlieferung (außer D) ausgezeichnet bezeugt ist, weswegen es immer wieder problematisch erscheint, in V. 19c.d.20 eine erst sekundäre Ergänzung zu sehen. 25 Dieses Argument hat natürlich erhebliches Gewicht, sollte aber nicht überstrapaziert werden. Denn es gibt ja eine Reihe von gewichtigen Beispielen, bei denen die überwältigende äußere Bezeugung nach allgemeinem Urteil nicht den ältesten Text repräsentiert, allen voran der »lange Markusschluss« Mk 16,9-20, der u. E. auf das gleiche Phänomen zurückzuführen ist wie der Langtext des lk Mahlberichts. Die These der Ursprünglichkeit des Langtextes müsste allerdings auch in der Lage sein, Gesichtspunkte für eine sekundäre Kürzung zu benennen. Die diesbezüglichen Versuche sind jedoch nicht überzeugend. 26 Umgekehrt haben sich die Argumente für die Ursprünglichkeit des Kurztextes nur deswegen so hartnäckig halten können, weil schlicht nicht einsichtig zu machen ist, weshalb Textpassagen, die durch Parallelen bei Mk, Mt und Paulus als »guter« kanonischer Text gesichert sind, einer sekundären Streichung zum Opfer gefallen sein sollten - ganz abgesehen davon, dass die enge Berührung von Lk 22,19b.20 mit 1Kor 11,24b.25 einen Einfluss von daher nahelegt. 27 Blickt man nur auf die textlichen Daten, spricht alles für die Ursprünglichkeit des Kurztextes. Dass (beispielsweise in den Kommentaren) gleichwohl der Langtext immer wieder bevorzugt wird, scheint vor allem überlieferungsgeschichtliche Gründe zu haben: Wenn Lk - im Rahmen der Zwei-Quellentheorie - von Mk abhängig ist, lässt sich das Zustandekommen des Kurztextes in der Tat kaum erklären; der Langtext kann dagegen als Kombination von Mk und einer (proto-)lk Sonderquelle verständlich gemacht werden. 28 So blockiert (einmal mehr) die Inkompatibilität der sich überlagernden text- und überlieferungsgeschichtlichen Modelle die sachgerechte Lösung des Problems. Die Annahme der *Ev-Priorität - bzw. in diesem Fall genauer: die Annahme der ______________________________ 25 Vgl. U. B. S CHMID , Eklektische Textkonstitution als theologische Rekonstruktion. Zur Heilsbedeutung des Todes Jesu bei Lukas, in: J. Verheyden (ed.), The Unity of Luke-Acts, Leuven 1999, 577-584, gegen Bart Ehrman. 26 M ETZGER , Textual Commentary z. St., nennt zwei Argumente: Das erste ist der Versuch des Bearbeiters von D, die ritualgeschichtlich ungewöhnliche Abfolge Becher - Brot - Becher durch Streichung des zweiten Bechers auf die übliche Kombination von Brot und Becher zu reduzieren. Aber dazu hätte er den ersten, nicht den zweiten Becher streichen müssen. Das zweite Argument, dass das (zweite) Becherwort aus Gründen der Arkandisziplin gestrichen wurde, ist für die anzunehmende Zeit im 2. Jh. völlig unglaubhaft. 27 Vgl. dazu beispielsweise die Argumente gegen die Ursprünglichkeit des Langtextes bei M. R ESE , Zur Problematik von Kurz- und Langtext in Luk. XXII. 17ff, NTS 22 (1975/ 76), 15-31: 21f; B. D. E HRMAN , The Orthodox Corruption of Scripture, New York - Oxford 1994, 197-209; D. C. P ARKER , The Living Text of the Gospels, Cambridge 1997, 148-157; M. A. M ATSON , In Dialogue with Another Gospel? , Atlanta 2001, 180ff. 28 Z. B. R. B ULTMANN , Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen 7 1967, 286; B OVON , Lk III 241f. 1166 Anhang I 22,14-23 Existenz eines vorkanonischen Evangelientextes - beseitigt diese Schwierigkeit. Denn sie vermag plausibel zu machen, dass die Kategorie der Authentizität einer Lesart in diesem Fall zu kurz greift, weil sich diese immer nur auf die Ursprünglichkeit einer Textform in einem Text beziehen kann. Denn die Annahme, dass zwischen dem vorkanonischen, durch *Ev und die »Westlichen« Handschriften bezeugten Evangelientext und dem kanonischen Lk eine redaktionelle Bearbeitung liegt, hat zur Folge, dass hier mit zwei verschiedenen Ausgaben desselben Textes zu rechnen ist, in denen einmal der Kurz-, das andere Mal der Langtext ursprünglich ist. Für die Interpretation des lk Mahlberichts ist es daher sachgerecht, von dem fast durchgängig bezeugten Langtext auszugehen: Er ist im kanonischen Lk-Evangelium tatsächlich ursprünglich. Allerdings sollten die diachronen Erkenntnisse der Überlieferungsgeschichte davor warnen, den synchronen Befunden zuviel Gewicht beizumessen. 29 Andererseits ist auch der Kurztext »ursprünglich«, wenngleich in einem anderen Text. Von daher entfällt die Notwendigkeit, Gründe für eine sekundäre »Streichung« von 22,19cd.20 zu suchen: Im Verlauf der Überlieferungs- und Textgeschichte des Mahlberichts gab es keine Streichungen, sondern nur die Erweiterung des kürzeren, vorkanonischen Textes. Der Erkenntnisgewinn, den die Einsicht in die *Ev-Priorität für dieses textkritische Problem produziert, liegt folglich darin, dass nicht nur die Existenz von mindestens zwei deutlich unterschiedlichen Text(form)en belegt ist, sondern dass auch der redaktionelle Schritt, der zwischen ihnen liegt, verständlich wird: die lk Redaktion. 9. Tertullian bezeugt *22,22b, allerdings in einer Form, die dem kanonischen Text nicht genau entspricht: Anstelle des kanonischen οὐαὶ τ ῷ ἀ ν θ ρ ώ π ῳ ἐκείνῳ hatte *Ev wohl nur οὐαὶ ἐκείνῳ. Außerdem wiederholt *22,22b das Subjekt (filius hominis) aus Lk 22,22a. Tsutsui hat daraus weitreichende Folgerungen gezogen: Die Wiederholung des Subjekts werde nur dann verständlich, wenn 22,22a gefehlt habe. Dies bestätige sich, da κατὰ τὸ ὡρισμένον (aus theologischen Gründen? ) gestrichen sein müsse. 30 Aber dieser Rückschluss aus der angenommenen marcionitischen Theologie ist unzulässig und unter der Annahme der *Ev-Priorität ohnehin obsolet. In jedem Fall ist das gut bezeugte Wehe über den Verräter des Menschensohns (V. *22b) an dieser Stelle nur dann sinnvoll, wenn das Logion eine narrative Einbettung besaß; eine Entsprechung zu 22,21 ist folglich so oder so ähnlich ______________________________ 29 Durch die redaktionelle Einarbeitung des mk-mt Mahlberichts in die *Ev-Vorlage entsteht in Lk 22,15-20 eine parallele Struktur, auf die J. H. P ETZER , Luke 22: 19b-20 and the Structure of the Passage, NT 26 (1984), 249-252, aufmerksam gemacht hat: (a) V. 15f: Wort über das Passa - (b) V. 17f: Wort über den Becher - (a’) V. 19: Wort über das Brot - (b’) V. 20: Wort über den Becher. Das geläufige Verständnis, hier zwischen einem Passamahlsbericht und einem Abendmahlsbericht zu unterscheiden, lässt sich überlieferungsgeschichtlich nicht begründen, zumal Lk sich beides als Elemente einer Mahlzeit vorstellt (so zu Recht W OLTER , Lk 699f mit Lit.). 30 T SUTSUI 122ff. 22,14-23 Rekonstruktion 1167 zwingend erforderlich. Möglicherweise ist die Lösung aber auch sehr viel einfacher: Denn es ist gut denkbar, dass Tertullians Erwähnung des filius hominis in *22,22b auf sein zusammenfassendes Referat zurückgeht, in dem er den filius hominis aus V. *22a in seine Allusion an diesen Vers übernommen hat. Die für *Ev bezeugte Formulierung οὐαὶ ἐκείνῳ anstelle des kanonischen οὐαὶ τ ῷ ἀ ν θ ρ ώ π ῳ ἐκείνῳ ist dagegen auch durch die handschriftliche Überlieferung gestützt: In einigen »Westlichen« Handschriften (D it sy) fehlt das für *Ev unbezeugte τῷ ἀνθρώπῳ. Auch hier gilt die Faustregel, dass die für *Ev bezeugte Lesart in der kanonischen Textüberlieferung am ehesten verständlich ist, wenn sie auf einen vorkanonischen Evangelientext zurückgeht. 10. Die Frage der Jünger, wer von ihnen der Verräter sei (V. *23), ist unbezeugt. Die synoptischen Parallelen (Mk 14,19 || Mt 26,22) bieten die sachliche Entsprechung dazu ganz zu Beginn als Einleitung der gesamten Mahlerzählung. Die Rekonstruktion von *22,23 muss also eine doppelte Umstellung berücksichtigen: Die Stellung der Parallelen zu der ganzen Einheit *22,21-23 in Mk 14,18-21 || Mt 26,21-25) vor dem Mahlbericht Mk 14,22-25 || Mt 26,26-29, und diejenige der Parallelen zu der Jüngerfrage *22,23 in Mk 14,19 || Mt 26,22 vor Mk 14,20 || Mt 26,23 || *22,21. Die Ansicht, dass die Abfolge des Berichtes über das Mahl in *Ev (*22,15-19b) vor der Ankündigung des Verrats (*22,21) mit der nachfolgenden Frage der Jünger (*22,23) ursprünglich ist und von Mk (und in dessen Folge von Mt) geändert wurde, lässt sich anhand von überlieferungs- und redaktionsgeschichtlichen Überlegungen plausibel machen. a. Wenn die Erwähnung des Nachtischbechers und seine Deutung (Lk 22,19cd.20) in *Ev gefehlt haben und erst durch die lk Redaktion unter Einfluss von Mk 14,23f || Mt 26,27f (sowie 1Kor 11,25) gebildet und an diese Stelle gesetzt wurden, dann bietet die unmittelbare Abfolge von *22,19ab.21 eine gute und mit hoher Wahrscheinlichkeit ursprüngliche Einheit: Jesus händigt (zu Beginn des eigentlichen Mahls) den Jüngern das Brot aus und deutet dies als τὸ σῶμά μου (*22,19); er muss diesen Hinweis allerdings sogleich einschränken (πλήν), denn die durch das eine Brot symbolisierte Einheit ist dadurch gestört, dass die Hand des Verräters μετ’ ἐμοῦ ἐπὶ τῆς τραπέζης ist (*21,21). Die Ankündigung des Verrats ist ein integraler Bestandteil der Mahlszene und gehört unmittelbar zu der organischen Leibmetaphorik. b. Der mk-mt Mahlbericht hat diesen unmittelbaren Zusammenhang - wahrscheinlich unter dem Einfluss von 1Kor 11,23-25 - aufgelöst: Mk und Mt fügen den Becher und seine Deutung an den Brotgestus an und erreichen so die übliche Abfolge von Brot - Becher bzw. von Mahl - Symposion. Im Zuge dieser Umstellung haben sie den ersten (Vortisch-) Becher aus dem Mahlbericht von *Ev (*21,17) gestrichen, aber einige Elemente davon beibehalten und mit dem (neu geschaffenen) Nachtischbecher verbunden: Mt 26,27d (πίετε ἐξ αὐτοῦ πάντες) hat die charakteristische Aufforderung (λάβετε τοῦτο καὶ) διαμερίσατε εἰς ἑαυτούς (*21,17b) genauer bewahrt als Mk, der den Aspekt des gemeinschaftlichen Trinkens in den Erzählerbericht verlagert hat (Mk 14,23: καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες). Die Umwandlung des Vortischbechers (*Ev) in einen Nachtischbecher (Mk-Mt) hat zur Folge, dass Mk und Mt den mit dem Becher verbundenen 1168 Anhang I 22,14-23 »eschatologischen Vorbehalt« (*21,18) an das Ende hinter die Deutung des Bechers verschieben mussten (Mk 14,25 || Mt 26,29). c. Die Folge dieser Umstellung zeigt sich dann in der Einleitung der mit dem eigentlichen Mahl verbundenen Ankündigung des Verrats: Dass die »Hand (χείρ) meines Verräters mit mir auf dem Tisch ist« (*21,21), lässt sich kaum vom gemeinsamen Trinken während des Symposions sagen, sondern nur vom gemeinsamen Essen. Sowohl Mk als auch Mt haben diesen Aspekt sehr genau gesehen und ihn dadurch zum Ausdruck gebracht, dass der Verräter seine Hand (χείρ) bzw. seinen Bissen (ἐμβαπτόμενος) mit Jesus in dieselbe Schüssel taucht (Mt 26,23 || Mk 14,20). d. Da Mt und Mk die Ankündigung des Verrats vor den Mahlbericht Mk 14,22-25 || Mt 26,26-29 ziehen, müssen sie für diese eine eigene Einleitung schaffen, die Jesus und die Jünger bereits beim Essen zeigt (καὶ ἀνακειμένων αὐτῶν καὶ ἐσθιόντων Mk 14,18 || καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Mt 26,21). Die dadurch entstandene Störung des Erzählablaufs ist noch deutlich sichtbar, weil die Austeilung des Brotes, mit der das eigentliche Mahl beginnt (καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Mk 14,22 || ἐσθιόντων δὲ αὐτῶν Mt 26,26), erst berichtet wird, nachdem Jesus und die Jünger das Mahl bereits begonnen hatten (Mk 14,18 || Mt 26,21). Das heißt aber: Weil Mk und Mt den Vortischbecher von mk-mt in einen Nachtischbecher verwandeln und auf diese Weise die verbreitete Abfolge Brot (= Mahl) - Becher (= Symposion) schaffen, passt die in *Ev folgende und mit dem Brot/ Mahl verbundene Ankündigung des Verrats nicht mehr direkt dazu und erfordert eine eigene Einleitung. Die Einleitung Mk 14,18f || Mt 26,21f ist also erst durch die mk Redaktion von *Ev geschaffen worden. Das bedeutet aber auch, dass die Abfolge Ankündigung des Verrats (*22,21f) - Jüngerfrage (*22,23) in *Ev ursprünglich ist. Es spricht alles dafür, dass der kanonische Wortlaut dieser Ankündigung mit dem vorkanonischen identisch ist. *22,24-31 [ 32 ] 33.34: Mahlgespräche: Rangstreit der Jünger. Ankündigung der Verleugnung des Petrus Nur teilweise für *Ev bezeugt, aber mit großer Wahrscheinlichkeit ganz vorhanden, durch die lk Redaktion bearbeitet. 22,24 Ἐγένετο δὲ a [ καὶ ] ϕιλονεικία ἐν αὐτοῖς, τὸ τίς b ἂν εἴη b μείζων. 25 ὁ δὲ εἶπεν αὐτοῖς, Οἱ βασιλεῖς τῶν ἐθνῶν κυριεύουσιν αὐτῶν καὶ οἱ ἐξουσιάζοντες αὐτῶν εὐεργέται καλοῦνται. 26 ὑμεῖς δὲ οὐχ οὕτως, ἀλλ’ ὁ μείζων ἐν ὑμῖν γινέσθω ὡς c μικρότερος, καὶ ὁ ἡγούμενος ὡς ὁ διακονῶν d μᾶλλον ἢ d 27 ὁ ἀνακείμενος· e γὰρ ἐν μέσῳ ὑμῶν ἦλθον οὐχ ὡς ὁ ἀνακείμενος ἀλλ ʼ e ὡς ὁ διακονῶν. 28 f καὶ ὑμεῖς ηὐξήθητε ἐν τῇ διακονίᾳ μου ὡς ὁ διακονῶν f οἱ διαμεμενηκότες μετ’ ἐμοῦ ἐν τοῖς πειρασμοῖς μου· 29 κἀγὼ διατίθεμαι ὑμῖν καθὼς διέθετό μοι ὁ πατήρ μου βασιλείαν 30 ἵνα ἔσθητε καὶ πίνητε ἐπὶ τῆς τραπέζης μου ἐν τῇ βασιλείᾳ μου, καὶ καθήσεσθε ἐπὶ g δώδεκα θρόνων τὰς δώδεκα ϕυλὰς κρίνοντες τοῦ Ἰσραήλ. 22,24-34 Rekonstruktion 1169 31 h ὁ δὲ εἶπεν h i τῷ Σίμωνι, i Σίμων, ἰδοὺ ὁ Σατανᾶς ἐξῃτήσατο k ὑμᾶς τοῦ k σινιάσαι ὡς τὸν σῖτον· [ 32 ἐγὼ δὲ ἐδεήθην περὶ σοῦ ἵνα μὴ ἐκλίπῃ ἡ πίστις σου· καὶ σύ ποτε ἐπιστρέψας στήρισον τοὺς ἀδελϕούς σου. ] 33 ὁ δὲ εἶπεν αὐτῷ, Κύριε, μετὰ σοῦ ἕτοιμός εἰμι καὶ εἰς ϕυλακὴν καὶ εἰς θάνατον πορεύεσθαι. 34 ὁ δὲ εἶπεν, Λέγω σοι, l [ Πέτρε, ] Oὐ ϕωνήσει σήμερον ἀλέκτωρ m ἕως ὅτου m τρίς n με ἀπαρνήσῃ μὴ εἰδέναι με n . A. *22,33f: Tert. 4,41,2: Nam et Petrum praesumptorie aliquid elocutum negationi potius destinando, zeloten deum tibi ostendit. B. a (22,24) και : om א 457 2613 a b c ſſ 2 i l q r 1 vg 5 mss sy s.c sa 3mss Orig (Comm. in Mt 16,8; GCS 40, 490) August (Evang. 3,3,9; CSEL 43, 279; Spec. 27; CSEL 12, 195,14) ¦ add d e f g 1 gat M (*Ev non test.) ● b (22,24) αν ειη: D a d e f (q) ¦ αυτων δοκει ειναι: aur b c ſſ 2 i l r 1 vg M (*Ev non test.) ● c (22,26) μικροτερος: D a c d ſſ 2 i l sy s.c.p.j August (Spec. 27; CSEL 12, 195) ¦ ο νεωτερος: aur b e f g 1 gat q r 1 M (*Ev non test.) ● d (22,26.27) μαλλον η: D d ¦ τις γαρ μειζων ο ανακειμενος η ο διακονων; ουχι: it M (*Ev non test.) ● e (22,27) γαρ εν μεσω υμων ηλθον ουχ ως ο ανακειμενος αλλ: D d ¦ εγω δε εν μεσω υμων ειμι: it M (*Ev non test.) ● f (22,28) και υμεις ηυξηθητε εν τη διακονια μου ως ο διακονων: D d ¦ υμεις δε εστε: it M (*Ev non test.) ● g (22,30) δωδεκα: א 2 D X (f 13 ) 579 892 mg 2542 al a b d f ſſ 2 l q r 1 (aur c f) sy s.c.h.j bo ms armen georg ¦ om e i M (*Ev non test.) ● h (22,31) ο δε ειπεν: e; ειπεν δε ο Iησους: gat sy p.j Tat arab.pers bo 1 ms ¦ ειπεν δε ο κυριος: א A D W Θ Ψ f 1.13 lat sy (c.p).h bo mss M ¦ om P 75 B L T 1241 2542 c sy s co (*Ev non test.) ● i (22,31) (τω) Σιμωνι: 124 c 161 174 gat vg 8 mss sy c.p Tat arab.pers aeth (Bodl. 40); Σιμωνι Πετρω: i; τω Πετρω Σιμων: a ſſ 2 l vg 1 ms Cpyr (Ep 11,5; CSEL 3/ 2, 499) Prosp (Ruf. 10,11; PL 51, 83; Voc. 1,24; PL 51, 685) ¦ Σιμων: M (*Ev non test.) ● k (22,31) υμας του: b c e f ſſ 2 i l q r 1 ¦ του υμας (2 1): a aur d gat g 1 M (*Ev non test.) ● l (22,34) Πετρε: om 579 sy c August (In Joh 11,2; CCL 36, 110) ¦ add it M (*Ev non test.) ● m (22,34) εως οτου: D (d); εως ου: K M X Π al; εως: P 75vid א B L T Θ pc a aur b f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 vg sy h ¦ πριν η: A (Q) W Ψ f 1 M (*Ev non test.) ● n (22,34) με απαρνηση μη ειδεναι με: D d sy c ; (1 2 3 4) με απαρνηση μη ειδεναι: f 13 2542; (2 3 4 5) απαρνηση μη ειδεναι με: A W M lat sy p.h ¦ (1 2 4) με απαρνηση ειδεναι: א B L T Θ (Q Ψ f 1 ) 579 pc sy s (*Ev non test.) C. Tertullians Zeugnis ist sehr großzügig, er fasst mit den beiden Abschnitten 4,41,1f den gesamten Zusammenhang von *22,22-67 zusammen und verweist dabei nur sehr allgemein auf *22,33f. Diese Lücken gehen nicht auf *Ev, sondern auf Tertullians Bezeugung zurück, wie die Vermerke bei Epiphanius (Schol. 65, 66 und 68) beweisen. Tertullians großzügige, eher flächige als genaue Bezeugung hält bis zum Ende des Evangeliums an: Seine Arbeitsweise unterscheidet sich gegen Ende des vierten Buches erkennbar von der deutlich dichteren Durchsicht in den vorangehenden Kapiteln. Dies ist vermutlich auf quantitative Erwägungen zurückzuführen: Tertullian wollte den Umfang des vierten Buchs nicht über Gebühr anwachsen lassen. 1 1. Die Frage ist, ob dies auch bei der Erzählung vom Rangstreit der Jünger (*22,24-30) der Fall ist, oder ob diese Perikope in *Ev gefehlt hat. Die synoptischen Parallelen haben sie jedenfalls an dieser Stelle nicht: Mk 10,35-45 || Mt 20,20-28 ______________________________ 1 Vgl. dazu o. Bd. I, S. 51. 1170 Anhang I 22,24-34 bieten die thematisch eng verwandte Bitte der Zebedaiden (mit wörtlich identischen Entsprechungen zu *22,25f) im Anschluss an die dritte Leidensweissagung (Mk 10,32-34 || Mt 20,17-19). Beides fehlt in *Ev, der im Anschluss an die Belehrung über Reichtum und Nachfolge (*18,24-30; s. dort) die Blindenheilung in Jericho (*18,35-43; s. dort) bietet. Mt hat den mk Zusammenhang außerdem durch die Einfügung des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16) ergänzt und bearbeitet. Die Frage, ob *22,24-30 in *Ev vorhanden war, lässt sich also nur im überlieferungsgeschichtlichen Horizont anhand der jeweils größeren redaktionellen Plausibilität entscheiden. Auf der einen Seite ergibt die lk Akoluthie mit der Ankündigung des Verrats und der Bezeichnung des Verräters (22,21-23), der Erzählung über den Rangstreit (22,24-30) und der abschließenden Ankündigung der Verleugnung des Petrus (22,31-34) einen sehr guten Sinn: Die szenische Einheit dieser drei Perikopen und ihre Verortung im Mahlbericht thematisiert die Störung der Einheit der Jüngergemeinschaft und kontrastiert so die Mahlmetaphorik, die im kanonischen Kontext vor allem durch das Stichwort des »Neuen Bundes« (22,20) pointiert vorgegeben war. 2 Diese planvolle Komposition würde für lk Redaktion sprechen. Allerdings enthält auch der Mahlbericht in *Ev den Aspekt der Einheit der Mahlteilnehmer (wenn auch nicht in der Deutung des Bechers auf den Neuen Bund) und damit den gleichen kompositonellen Gestaltungswillen. Andererseits erscheint die mk Komposition Mk 10,32-45 (der Mt 20,17-28 folgt), sehr durchdacht: Sie fügt sich nahtlos in den großen Abschnitt Mk 8,22-10,52, der Jesus und die Jünger »auf dem Weg« 3 zeigt, denn hier behandelt Mk das seit 8,14-21 unabweisbare Problem der Leidensbereitschaft der Jünger in der Nachfolge Jesu, wie sich anhand der diese ganze Einheit rahmenden Blindenheilungen (8,22-26; 10,46-52) zeigen lässt. 4 Der Wunsch der Zebedaiden nach der Nähe zu Jesus (Mk 10,37) ist daher zunächst von ihrer Bereitschaft zum Martyrium abhängig (Mk 10,38f): Das ist das primäre Thema, das dann erst in einer folgenden Belehrung über Herrschen und Dienen (Mk 10,42-45 || Mt 20,25-28 || Lk 22,25-27) ekklesiologisch gewendet und auf die soziale Struktur der Jüngergemeinschaft appliziert wird. Vergleicht man die kompositionelle Einbindung von Lk 22,24-30 bzw. Mk 10,35-45 in den jeweiligen größeren Kontext, dann zeigt Mk einen deutlich umfassenderen Gestaltungswillen: Nach dem Kriterium der größeren redaktionellen Plausibilität ist davon auszugehen, dass die »Zebedaidenfrage« in Mk 10,35-45 gegenüber der »Rangstreitpreikope« Lk 22,24-30 sekundär ist: Mk benutzt seine Hauptquelle *Ev, in der *22,24-30 demnach enthalten war. Dieser Befund bestätigt sich dann auch durch die Varianten in der kanonischen Textüberlieferung, die hier, wie sonst auch, als Hinweise auf eine vorkanonische Textgestalt gewertet werden: Auch Lk ______________________________ 2 Vgl. M. K LINGHARDT , Der vergossene Becher. Ritual und Gemeinschaft im lukanischen Mahlbericht, EC 3 (2012), 33-58. 3 Mk 8,27; 9,33f; 10,17.32f.46.52; vgl. dazu F. M. B. VAN I ERSEL , Locality, Structure, and Meaning in Mark, LingBibl 53 (1983), 45-54; DERS ., Mk 272-300. 4 Vgl. M. K LINGHARDT , Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19 (2002), 183-202: 187-189. 22,24-34 Rekonstruktion 1171 hat *22,24-30 geringfügig bearbeitet. Angesichts der fehlenden direkten Bezeugung besitzen die Rekonstruktionsentscheidungen, die in der Regel den Varianten in D it (sy) folgen, allerdings nicht die gewünschte Eindeutigkeit. 2. Die folgende Ankündigung der Verleugnung des Petrus war sicher an dieser Stelle 5 in *Ev enthalten: Tertullian fasst den Inhalt von *22,33 umschreibend zusammen, ohne dabei allerdings ein einziges Lexem des Textes zu verwenden (der nächste Anklang ist negatio/ ἀπαρνέομαι). Aber selbst der knapp zusammengefasste *22,33 erfordert eine narrative Einbindung. Sie könnte in Gehalt und Richtung in etwa Lk 22,31 entsprochen haben, aber die genaue Gestalt der Einleitung ist problematisch. Für die Rekonstruktion des Wortlauts liefern die Varianten der Textüberlieferung Hinweise. a. Gleich zu Beginn zeigt der kanonische Text, der Eingang in die kritischen Ausgaben gefunden hat, Schwierigkeiten. Der Übergang von V. 30 zu 31 ist recht unglücklich: Zuvor wurden immer nur alle Jünger gemeinsam genannt, jetzt taucht aber unvermittelt Petrus alleine auf, der als Einzelgestalt zuletzt in *22,8 angeredet war. Ungewöhnlich ist nicht nur die Asyndese der Einleitung, sondern auch die doppelte Namensanrede. Beides ist mit einiger Wahrscheinlichkeit weder der Text des vorkanonischen Evangeliums noch der der lk Redaktion, sondern das Resultat der uneinheitlichen Textüberarbeitung. Zunächst ist wichtig, dass eine ganze Reihe von Handschriften eine auktoriale Einleitung für das Petruswort bieten. Die Zeugnisse für diese Einleitung variieren zwar in der Wortfolge und in der Angabe des Subjekts, stimmen aber darin überein, dass sie durchweg die Wendung εἶπεν δέ usw. enthalten. 6 Dabei ist die Lesart εἶπεν δὲ ὁ κύριος ( א A D W Θ Ψ usw.) mit großer Wahrscheinlichkeit der Text der lk Redaktion: Es ist oben ausführlicher dargelegt, dass absolutes ὁ κύριος in der Erzählstimme ein sehr deutliches Kennzeichen der lk Redaktion ist. 7 Daneben gibt es eine Gruppe von Handschriften, in denen die Eingangswendung vollständig fehlt ( P 75 B L T usw.), und die unvermittelt mit der doppelten Namensanrede beginnen. Die kritischen Ausgaben NA 27 / GNT 4 haben diese Lesart - wohl zu Unrecht - in den Text aufgenommen. Angesichts der starken Hinweise, dass auktoriales κύριος ein zuverlässiges Kennzeichen der lk Redaktion ist, repräsentieren א A D W Θ Ψ M mit größter Wahrscheinlichkeit den kanonischen Wortlaut, der auf dieser Überlieferungsebene tatsächlich ursprünglich ist. Dagegen ist es ausgesprochen schwierig zu entscheiden, ob im vorkanonischen Text die Minuslesart (von P 75 B L T usw.) oder (das durch it u. a. bezeugte) εἶπεν δὲ ὁ Ἰησοῦς bzw. ὁ δὲ εἶπεν ursprünglich war. Für die (von den kritischen Ausgaben präferierte) Lesart von P 75 B L T usw. spricht nicht nur, dass sie die lectio difficilior ist, sondern auch die ansonsten herangezogene ______________________________ 5 Dadurch ergibt sich ein scharfer Gegensatz zu *22,28: Die Jünger sind solange »bei mir in meinen Anfechtungen« geblieben, als Satan keine Macht über Jesus hatte - das ändert sich jetzt auf dramatische Weise. 6 ο δε ειπεν: e; ειπεν δε ο Iησους: gat sy p.j Tat arab.pers bo (1 ms) ; ειπεν δε ο κυριος: א A D W Θ Ψ f 1.13 lat sy (c.p).h bo mss M . 7 S. o. § 5 (Bd. I, S. 93ff). 1172 Anhang I 22,24-34 Faustregel, dass der am weitesten vom kanonischen Text (also: εἶπεν δὲ ὁ κύριος) mit einiger Wahrscheinlichkeit im vorkanonischen Evangelium ursprünglich ist. Gegen diese Lösung spricht jedoch, dass es zu der doppelten Namensanrede Σίμων Σίμων im kanonischen Mehrheitstext eine Reihe von Varianten gibt, die erkennen lassen, dass Simon (bzw. Petrus) zunächst im Dativ als Adressat der folgenden Anrede genannt war, 8 dass also die Vorhersage tatsächlich eine narrative Einleitung besaß. Die wahrscheinlichste Lösung dieses Befundes besteht darin, dass eine (knappe) narrative Einleitung in *Ev (»Er sagte zu Simon«) durch das redaktionelle »Der Herr aber sagte (zu Simon? )« ersetzt wurde, dann aber - im Vergleich dieser beiden Varianten ausfiel, mit der Folge, dass das indirekte Objekt der narrativen Einleitung (τῷ Σίμωνι) syntaktisch funktionslos wurde und als Verdoppelung der Anrede stehen blieb (Σίμων Σίμων). Dies bleibt allerdings unsicher. Die auffällige und ungewöhnliche Doppelung der Anrede wäre demnach ein Versehen der Textüberlieferung. Angesichts der genannten Unsicherheiten der Textüberlieferung ist daher es nicht ratsam, auf die Doppelung zu viel Gewicht zu legen und sie etwa durch die Anrede mit dem Patronym (Joh 1,42; 21,15-17; Mt 16,17f) in Verbindung zu bringen 9 oder ihr anderweitig eine besondere Bedeutung zuzuschreiben. b. Unabhängig von der Rekonstruktion der narrativen Einleitung ist auffällig, dass Jesus Petrus innerhalb von vier Versen mit zwei verschiedenen Namen anredet (V. 31: Simon; V. 34: Petrus). Dieser Wechsel von Simon zu Petrus hat eine Analogie in Lk 5,1-11 (5,3-5: Simon; 5,8: Simon Petrus), für die wichtig sein könnte, dass der Name Petrus für *Ev in 5,8 nicht bezeugt ist (s. dort). Aus diesem Grund gewinnt auch die ansonsten sehr schwache Bezeugung für das Fehlen der Anrede in V. 34 Bedeutung. 10 Denn der Namenswechsel reflektiert den Statuswechsel des Petrus, behandelt also das Problem seiner Reinstallation nach der Verleugnung. Für sich genommen, ist dies nicht mehr als ein geringfügiges Indiz, das jedoch im Zusammenhang der weiteren überlieferungsgeschichtlichen Überlegungen Gewicht gewinnt. 3. Der Hinweis auf die Bitte Jesu um die Bewahrung der πίστις des Petrus (22,32a) steht in erkennbarer Spannung zu der folgenden Erzählung von der Verleugnung (*22,54-62, s. dort): Ist es denkbar, dass *Ev oder Lk ein Gebet Jesu ______________________________ 8 (τω) Σιμωνι: 124 c 161 174 gat vg 8 mss sy c.p Tat arab.pers aeth (Bodl. 40); Σιμωνι Πετρω: i; τω Πετρω Σιμων: a ſſ 2 l vg 1 ms Cpyr (Ep 11,5; CSEL 3/ 2, 499) Prosp (Ruf. 10,11; PL 51, 83; Voc. 1,24; PL 51, 685). 9 Vgl. T HYEN , Joh 787, der die intertextuellen Bezüge andeutet, die jedoch kaum einfach auf joh Abhängigkeit von allen drei synoptischen Evangelien zurückgeführt werden können. 10 Die Anrede Πέτρε fehlt in 579 sy c sowie bei Augustinus - das ist nicht viel, aber die Zeugen sind verdächtig: Dass sy (c) zu den »Westlichen« Handschriften gehört, die für Interferenzen zwischen dem kanonischen und dem vorkanonischen Text anfällig sind, ist in ungezählten Beispielen deutlich geworden. Ähnliches gilt auch für die Min. 579, die häufig Spuren des für *Ev bezeugten vorkanonischen Textes zeigt, vgl. etwa zu 4,27; 6,22.29.36; 8,3; 9,18; 10,5; 11,13.20.33; 12,31.51; 16,19; 18,16; 21,32; 24,3. 22,24-34 Rekonstruktion 1173 mitteilen, das nicht erfüllt wurde? Für die Lösung dieses Problems hat die Forschung sehr unterschiedliche Vorschläge diskutiert. Da literarkritische Ansätze aus der Mode gekommen sind, versuchen die neuren Interpretationen das Problem auf der Ebene der Textsemantik in den Griff zu bekommen. Sie gehen dabei immer davon aus, dass die Bitte Jesu erfüllt worden sei, die dann als Einschränkung des »Erprobungsrahmens« verstanden wird: So, wie Hiobs Versuchung durch den Teufel darin eine Grenze hatte, dass dieser ihm nicht ans Leben durfte (Job 1,12; 2,6), so habe die Überprüfung der Jünger darin eine Grenze, dass ihre πίστις nicht verschwindet: Die Verleugnung des Petrus wäre dann ein Makel unterhalb der Ebene des Verlustes seiner »Treue« und das Gebet Jesu wirksam. 11 Allerdings muss man sich fragen, was genau Satan denn eigentlich an den Jüngern hätte erproben können, wenn nicht ihre πίστις. Andererseits könnte eine Lösung des theologischen Problems, das aus der Spannung von Lk 22,32a und *22,54-62 resultiert, aber auch in Lk 22,32b und der hier formulierten Perspektive der Umkehr liegen. Man könnte dann verstehen, dass die Bewahrungsbitte Jesu die Verleugnung durch Petrus, aber eben auch dessen Umkehr mit umschließt und gleichsam vom Endergebnis her formuliert ist. 12 Man müsste dann μὴ ἐκλείπειν als ein nicht vollständiges Aufhören interpretieren. 13 Allerdings würde dieses Verständnis die Notwendigkeit einer Umkehr streng genommen überflüssig machen. 14 Da diese Versuche nicht eben zu überzeugen vermögen, sind doch wieder die älteren literarkritischen Ansätze zu beachten. Schon Bultmann hatte die Kombination zweier Quellen postuliert, nämlich ein älteres Traditionsstück in V. 31f und die auf Mk 14,29f zurückgehende »eigene Bildung« des Lk: Während V. 32 »mit dem Ausblick auf die große Rolle des Petrus schloß«, habe V. 33f »nur die traurige Kehrseite zum Inhalt.« 15 Insbesondere Günter Klein hat diese literarkritische These aufgegriffen. Sie liefert ihm ein grundlegendes Argument für die Vermutung, dass die Verleugnung des Petrus kein ursprünglicher Bestandteil der Passionsgeschichte ______________________________ 11 Zu diesem Verständnis vgl. etwa W OLTER , Lk 716; C. H. P ICKAR , The Prayer of Christ for Saint Peter, CBQ 4 (1942), 133-140, der den Aor. ἐδεήθην als Hinweis auf den Erfolg der Fürbitte Jesu wertete (135) und folgerte: »the prayer of Christ was efficacious« (136). 12 Vgl. etwa W. D IETRICH , Das Petrusbild der lukanischen Schriften, Stuttgart u. a. 1972, 133. Ähnlich schon W. F ORSTER , Lukas 22,31f, ZNW 46 (1955), 129-133: Jesus habe nicht darum gebetet, dass der Glaube des Petrus nicht vergehe, sondern dass er »wieder glauben« dürfe (131f). Dies ist vom Text her nicht zu halten, vgl. schon G. K LEIN , Die Berufung des Petrus, in: ders., Rekonstruktion und Interpretation, München 1969, 49-98: 63. 13 So schon B. W EISS , Lk 641. 14 Wenn »Petrus auf Grund der Fürbitte Jesu seinen Glauben gerade nicht verliert, kann man nicht gut von seiner nachmaligen ›Umkehr‹ oder ›Bekehrung‹ sprechen.« Diese zutreffende und scharfsichtige Beobachtung von W OLTER , Lk 716 z. St., nötigt ihn dann allerdings zu der völlig unwahrscheinlichen Konsequenz, ἐπιστρέψας nicht auf die Umkehr des Petrus zu beziehen, sondern von V. 34 aus zu deuten: »Das Partizip spricht dann von einem Petrus, der nicht mehr leugnet, Jesus zu kennen«, also im Sinn von »wenn du anderen Sinnes geworden bist« (so in der Übersetzung). Dies widerspricht dem sonstigen lk Sprachgebrauch: Außer *17,4 kommt ἐπιστρέϕω im Sinn von »umkehren« nur in eindeutig redaktionellen Passagen vor (1,16f; Act 3,19; 9,35; 11,21; 14,15; 15,19; 26,18.20; 28,27); vgl. dazu D IETRICH , a. a. O. 133f. 15 R. B ULTMANN , Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen 7 1967, 288. 1174 Anhang I 22,24-34 gewesen sei. 16 In der Tat stellen einige Beobachtungen die literarische Integrität von Lk 22,31-34 in Frage: Zum einen ist nicht recht einzusehen, warum Jesus auf die Mitteilung der Erprobung aller Jünger (Lk 22,31: ὑμᾶς) für den Bestand der πίστις nur des Petrus bitten sollte. In der Tat scheint der adversative Anschluss von Lk 22,32 (ἐγὼ δ ὲ ἐδεήθην περὶ σοῦ …) einen Gegensatz zwischen Petrus und den anderen Jüngern zu implizieren, der dann - mit Blick auf sein tatsächliches Versagen - umso deutlicher ausfiele. Sodann sticht das Nebeneinander der beiden Namensformen in Lk 22,31 (Σίμων) und Lk 22,34 (Πέτρος) ins Auge, das als Hinweis auf literarische Uneinheitlichkeit gesehen wurde. 17 Schließlich ist auch die Abfolge problematisch, in der zuerst (V. 32b) die Beauftragung des Petrus zum στηρίζειν der anderen Jünger, danach aber sein Versagen mitgeteilt wird; denn dadurch wird ja der »vorangegangene Auftrag um alle Wirkung gebracht.« 18 Zusammen mit der sachlichen Spannung zwischen *22,31 und *22,54-62 sind diese Ungereimtheiten nicht von der Hand zu weisen. Trotzdem hat sich die literarkritische Lösung nicht durchsetzen können. Neben der schwer vorstellbaren Implikation einer »verleugnungslosen Petrusüberlieferung« 19 scheinen vor allem Widerstände gegen das überlieferungsgeschichtliche Modell dafür verantwortlich zu sein, das ja nicht nur mit einer neben-mk Überlieferung und deren redaktioneller Integration in den aus Mk stammenden (lk) Passionsbericht rechnet, sondern das am Ende auch für die Produktion der Spannungen verantwortlich zu machen wäre 20 - dieser methodische Einwand ist grundsätzlich berechtigt und als caveat bei allen literarkritischen Operationen zu bedenken. Die Annahme der *Ev-Priorität macht jedoch einen solchen redaktionellen Schritt sehr wahrscheinlich. Demnach erschließt sich die Lösung der narrativen Spannungen durch die enge Entsprechung zwischen Lk 22,32b und Joh 21,17 bezüglich der Übertragung der Verantwortung für die anderen Jünger (Lk 22,32b: στήρισον τοὺς ἀδελϕούς σου || Joh 21,17b: βόσκε τὰ πρόβατά μου). 21 Bei dieser Berührung handelt es sich jedoch nicht um eine überlieferungsgeschichtliche Analogie, die auf einer gemeinsamen Quelle beruht, sondern um einen sorgfältig platzierten Querverweis, der erst auf der Ebene des gesamten Vier-Evangelienbuches verständlich wird und daher als Kohärenzsignal der Kanonischen Ausgabe angesehen werden muss. Denn Lk 22,32b ist eine nachzeitig formulierte Verheißung, bei der die partizipiale Wendung πότε ἐπιστρέψας im Deutschen mit dem 2. Futur wiedergegeben werden muss: »Wenn du (schließlich) umgekehrt sein wirst …« Nun erzählt Lk zwar die ______________________________ 16 K LEIN , a. a. O., 61-65. 17 Vgl. H. S CHÜRMANN , Jesu Abschiedsrede, Münster 2 1977, 23 (mit älterer Lit. in Anm. 95). 18 K LEIN , a. a. O. 62. 19 Sie würde die Historizität der Verleugnung in Frage stellen und vor allem einen nachösterlichen Ursprung der Verleugnung voraussetzen - dies ist kaum denkbar. 20 Für diese Einwände vgl. etwa D IETRICH , a. a. O. 122. 21 Nur angesichts der genauen Formulierung, nicht aber der Sache nach, lässt sich behaupten, dass die Vv. 31-32 »keinerlei Parallele in einem der drei anderen Evangelien« hätten (W OLTER , Lk 715). 22,24-34 Rekonstruktion 1175 Verleugnung des Petrus (*22,54-62, für *Ev unbezeugt, aber höchstwahrscheinlich enthalten; s. dort), berichtet aber nichts, worauf sich die Ankündigung seiner Umkehr beziehen könnte. 22 Der lk Erzählung fehlt folglich die narrative Einlösung dieser Verheißung. Dies ist umso auffälliger, als die Fortsetzung des Berichts in Act dafür mehr als genug Möglichkeiten geboten hätte. Tatsächlich wird die hier angekündigte Umkehr des Petrus nicht in Lk-Act erzählt, sondern in Joh 21,15-25. Diese Referenz beweist daher nicht nur die enge literarische Beziehung zwischen Lk und Joh, sondern zeigt auch die Abhängigkeit des Lk von Joh: Der äußerst knappe Verweis auf die Umkehr des Petrus ist nur im Kontext des Joh verständlich und will mit ihm zusammen gelesen werden. In dieses Bild passt auch die joh Rezeption von *5,1-11 in Joh 21,15-25: Sie interpretiert die Bestimmung des Petrus zum »Menschenfischer« als dessen Re-Installation nach der Verleugnung und belegt die Abhängigkeit des Joh von *Ev. Das Verhältnis von Joh 21 zu *5,1-11 ist dann nicht als joh Korrektur an *Ev/ Lk zu verstehen (etwa in dem Sinn: »Petrus wurde nicht vor, sondern erst nach Ostern zum Menschenfischer! «), sondern additiv als »Verdoppelung« und damit als Bekräftigung seiner Funktion. Dies ist dann in der Tat die von Kierkegaard beschriebene beglückende »Wiederholung«. 23 In dieser Sicht erweist sich (zumindest) Lk 22,32b als redaktioneller Zusatz, den die lk Redaktion als kohärenzstiftenden Querverweis auf Joh 21 und zugleich als Lösung der Spannung zwischen der Bewahrungsbitte Jesu und der Verleugnung des Petrus eingefügt hat. Vermutlich gilt das Gleiche auch für Lk 22,32a: Zwar gibt es, im Unterschied zu 22,32b, für V. 32a in der Evangelientradition keine Analogie, die eine redaktionelle Ergänzung überlieferungsgeschichtlich plausibilisieren könnte. Jedoch ist der sachliche Widerspruch von V. 32a zu *22,54-62 ein starkes Indiz: Die lk Redaktion hat den Zusammenhang in *Ev mit der Satansbitte (*22,31), dem vollmundigen Treuebekenntnis des Petrus (*22,33) und der Ankündigung der Verleugnung aus der Kenntnis der Re-Installation Joh 21 ergänzt (Lk 22,32b) und diese durch die vorangestellte Notiz der Fürbitte (Lk 22,32a) plausibilisiert. Lk 22,32 ist daher - genau wie Lk 22,62 (s. dort) - sekundär. Die Kohärenz, die dadurch auf der Ebene der Kanonischen Ausgabe erreicht wurde, erklärt hinreichend, dass Lk die Spannungen, die dadurch entstanden sind, in Kauf zu nehmen gewillt war - wenn er sie denn überhaupt zur Kenntnis genommen hat. ______________________________ 22 Dass 22,31 dazu diene, des Petrus »literarische Reintegration in den Jüngerkreis in 24,12.34; Apg 1,15 vorzubereiten« (W OLTER , Lk 715), ist nicht nachvollziehbar, weil ja diese Stellen nicht die Umkehr (ἐπιστρέψας! ) des Petrus berichten, sondern ihn lediglich im Kreis der anderen Jünger schildern. 23 Vgl. S. K IERKEGAARD , Die Wiederholung (1843), Hamburg 2000; s. dazu L. S TEIGER , Erzählter Glaube, Gütersloh 1978, 99ff. 1176 Anhang I 22,24-34 4. Die hier vorgetragene überlieferungsgeschichtliche Lösung erklärt unter der Annahme der *Ev-Priorität die Spannungen und Ungereimtheiten des kanonischen Textes als Resultat einer redaktionellen Überarbeitung. Darin ist sie den älteren literarkritischen Ansätzen vergleichbar, deren Sensibilität für Brüche und Spannungen eine grundsätzliche Bestätigung findet. Allerdings unterscheidet sich unsere Lösung in drei wesentlichen Aspekten von den älteren literarkritischen Versuchen. Zum einen identifiziert sie mit der lk Redaktion, die zwischen *Ev und dem kanonischen Lk-Evangelium liegt, tatsächlich eine Instanz, für die ein solcher Überarbeitungsschritt nicht nur denkbar, sondern in großem Umfang nachweisbar ist: Alle älteren Versuche (die sich mehr oder weniger explizit im methodischen Horizont der Zwei-Quellentheorie bewegen), konnten eine solche Redaktion nur postulieren. Sodann ist auch deutlich geworden, dass die lk »Sonderquelle«, die viele gerade für die lk Passionsgeschichte postuliert haben, keine begrenzte Passionsgeschichte war, sondern das vorkanonische Evangelium als ganzes. Die lk Redaktion hat daher nicht eine Sonderquelle in die mk Rahmenerzählung eingearbeitet, sondern umgekehrt die nicht-mk Hauptquelle, nämlich *Ev, immer wieder durch Elemente angereichert, die erst von Mk und Mt, aber auch durch Joh, in die Evangelienüberlieferung eingefügt wurden. Schließlich: Diese älteste Passionsüberlieferung in *Ev war (wie zu *22,54-62 zu zeigen ist, s. dort), keineswegs »verleugnungsfrei«: So weit erkennbar, gehört die Überlieferung von der Verleugnung des Petrus von Anfang an in den Rahmen der Passionsgeschichte; dass damit noch nichts über die Historizität ausgesagt ist, versteht sich von selbst. 5. Vor diesem Hintergrund lassen sich dann die weiteren Beobachtungen zur Überlieferungsgeschichte von *22,33f verstehen: Diese Verse berühren sich enger mit Joh 13,37f als mit Mk 14,29f(31) || Mt 26,33f(35). 1. Lk 22,33f und Joh 13,37f platzieren die Ankündigung der Verleugnung des Petrus unmittelbar nach dem letzten Mahl, während Mk 14,29ff || Mt 26,33ff dazwischen noch den Gang zum Ölberg berichten (Mk 14,26-28 || Mt 26,30-32). 2. Im Unterschied zu Lk und Joh berichten Mk 14,31 || Mt 26,35 nach der Ankündigung der Verleugnung noch die Bekräftigung des Petrus, Jesus sogar bis zum Tod nicht zu verleugnen, sowie die Notiz, dass »alle (Jünger) das Gleiche sagten.« 3. Während Lk 22,33 (μετὰ σοῦ ἕτοιμός εἰμι … πορεύεσθαι) und Joh 13,37 (δύναμαί σοι ἀκολουθῆσαι) für das Treuebekenntnis des Petrus das Bild der Nachfolge bzw. des Mitgehens verwenden, sprechen Mk 14,29 || Mt 26,33 vom σκανδαλίζεσθαι und setzen außerdem den Vergleich mit den anderen Jüngern hinzu (εἰ καὶ πάντες … ἀλλ’ οὐκ ἐγώ bzw. εἰ πάντες … ἐγὼ οὐδέποτε). Das erste dieser Elemente ist direkt für *Ev bezeugt, die beiden anderen Übereinstimmungen sind für *Ev zumindest denkbar. Der kanonische Lk-Text steht der Annahme nicht entgegen, dass auch sie schon Teil von *Ev waren. 22,24-34 Rekonstruktion 1177 6. Nimmt man die Beobachtungen zu Lk 22,32 und zu *22,33f zusammen, ergibt sich ein komplexes, aber charakteristisches Bild der Überlieferungsgeschichte, das im Horizont der synoptischen Beziehungen allein oder gar nur der Zwei-Quellentheorie überhaupt nicht erklärbar ist. 24 Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass alle Elemente dieser Perikope eine signifikante Nähe zu joh Texten besitzen, die sich entweder nachweisen oder doch in hohem Maß wahrscheinlich machen lässt. Wie die Beobachtungen zu Lk 22,32 zeigen, ist diese Nähe auf der einen Seite als literarische Abhängigkeit von Joh zu verstehen, der Lk also zwingend vorausgeht. Auf der anderen Seite sind diejenigen Elemente, welche die lk-joh Analogie in *22,33f konstituieren, schon für *Ev und damit für ein sicher vor-joh Überlieferungsstadium belegt. Es wird also innerhalb einer Perikope einerseits (in *22,33f || Joh 13,37f) ein Einfluss von *Ev auf Joh sowie andererseits (in Joh 21,17 || Lk 22,32) ein Einfluss von Joh auf Lk erkennbar. Was unter der Annahme der Lk-Priorität wie ein abwechselnder Einfluss von Lk auf Joh und zugleich von Joh auf Lk erscheint, ist unter der Annahme der *Ev-Priorität die sukzessive redaktionelle Verarbeitung der Ankündigung der Verleugnung von *Ev über Joh bis hin zu Lk. 22,35-37 [ 38 ] : Stunde der Entscheidung. [ Zwei Schwerter ] Auslassungsvermerk für 22,35-37. Die Perikope hat aber sicher ganz (einschließlich V. 38) gefehlt und ist durch die lk Redaktion ergänzt. 22,35 Καὶ εἶπεν αὐτοῖς, Ὅτε ἀπέστειλα ὑμᾶς ἄτερ βαλλαντίου καὶ πήρας καὶ ὑποδημάτων, μή τινος ὑστερήσατε; οἱ δὲ εἶπαν, Οὐθενός. 36 εἶπεν δὲ αὐτοῖς, Ἀλλὰ νῦν ὁ ἔχων βαλλάντιον ἀράτω, ὁμοίως καὶ πήραν, καὶ ὁ μὴ ἔχων πωλησάτω τὸ ἱμάτιον αὐτοῦ καὶ ἀγορασάτω μάχαιραν. 37 λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι τοῦτο τὸ γεγραμμένον δεῖ τελεσθῆναι ἐν ἐμοί, τὸ Καὶ μετὰ ἀνόμων ἐλογίσθη· [ καὶ γὰρ τὸ περὶ ἐμοῦ τέλος ἔχει. 38 οἱ δὲ εἶπαν, Κύριε, ἰδοὺ μάχαιραι ὧδε δύο. ὁ δὲ εἶπεν αὐτοῖς, Ἱκανόν ἐστιν. ] A. 22,35-37 : Epiph., Schol. 64: Παρέκοψε τό Ὅτε ἀπέστειλα ὑμᾶς, μή τινος ὑστερήσατε, καὶ τὰ ἐξῆς, διὰ τό Καὶ τοῦτο τὸ γεγραμμένον δεῖ τελεσθῆναι, τό Καὶ μετὰ ἀνόμων ἐλογίσθη. C. Die Perikope hat ausweislich des Streichungsvermerks bei Epiphanius sicher gefehlt. Epiphanius zitiert hier - wie auch sonst fast durchgängig - nicht den kompletten Text, sondern gibt den Umfang der »Streichung« nur durch Teilzitate aus dem kanonischen Text wieder. Erwähnt sind V. 35a.bα (V. 36 zusammengefasst durch »und das Folgende«) und V. 37aβ.b. V. 38 wird hier folglich gar nicht erwähnt. ______________________________ 24 Vgl. W OLTER , 715: »Einen Vorschlag zur Erklärung dieses Befundes (sc. zur Überlieferungsgeschichte von Lk 22,31-34) habe ich nicht.« 1178 Anhang I 22,35-38 Wie schon die Vertreter der Lk-Priorität zu Recht feststellten, kann aber V. 38 nicht allein gestanden haben; er hat demnach auch gefehlt. 1 Die entscheidende Frage ist natürlich, welche Gründe unter der Annahme der Lk-Priorität für die Streichung verantwortlich gewesen sein könnten: Harnack und Tsutsui nennen keine - wohl, weil es keine gibt. Es ist jedenfalls nicht ersichtlich, welchem redaktionellen Ziel im Horizont der für Marcion angenommenen Theologie eine solche Streichung gedient haben könnte. Umgekehrt gelingt es jedoch auch nur mit Mühe, hier Gründe für eine redaktionelle Ergänzung zu benennen. Dies liegt insbesondere am enigmatischen Charakter der Einheit - die durch Lk 22,35-38 aufgeworfenen Probleme betreffen nicht die Überlieferung oder die Rekonstruktion, sondern Fragen der Interpretation: Ist die Aufforderung zum Schwertkauf »symbolisch« (als Ankündigung einer extrem friedlosen Zeit) oder wörtlich zu verstehen? Wie verhält sich ὁ ἔχων βαλλάντιον Lk 22,36 zu μὴ βαστάζετε βαλλάντιον (*10,4; s. dort)? Wie ist das abschließende ἱκανόν ἐστιν (22,38) zu verstehen: Bestätigt Jesus damit die von den Jüngern präsentierten Schwerter als hinreichend (»Zwei sind genug! «)? Oder ist die Wendung ironisch gemeint und kritisch auf die Begriffstutzigkeit der Jünger bezogen (»Jetzt reicht es aber! «)? Und: Dient die ganze Perikope vielleicht nur der narrativen Vorbereitung von Lk 22,49f? Zu all diesen Fragen gibt es zwar eine Mehrheitsmeinung, die sich aber eher an der Zahl der Vertreter als am Gewicht der Argumente festmachen lässt. Die Verse bleiben weitgehend rätselhaft. Auch wenn das Rätsel dieser Verse nicht vollständig gelöst werden kann, helfen überlieferungsgeschichtliche Gesichtspunkte ein Stück weiter. Denn während sich im Rahmen der Zwei-Quellentheorie nichts über die Herkunft der Perikope sagen lässt, ist im Horizont der *Ev-Priorität mehr als wahrscheinlich, dass die lk Redaktion für die Einfügung dieser Verse verantwortlich war. Aus diesem Grund sollten sich auch Gesichtspunkte für die Interpretation finden lassen. Da die Erwähnung des Schwerthiebs während der Verhaftung (Lk 22,49f; s. dort) ebenfalls redaktionell ist, sind diese beiden μάχαιρα-Aussagen aufeinander zu beziehen: Wenigstens eine der narrativen Funktionen von 22,35-38 liegt dann in der vorbereitenden Plausibilisierung der lk Gestalt der Verhaftungsszene. Denn dass die Jünger Schwerter bei sich führten, ist ja im Licht der Aussendungsregeln zumindest auffällig, denen zufolge die Jünger als Friedensboten (*10,6; s dort) wie wehrlose Schafe unter die Wölfe geschickt werden (*10,3; s. dort) und dabei noch nicht einmal einen Stock bei sich haben sollen (*9,3; s. dort). Freilich sollten die Jünger weder einen Geldbeutel (βαλλάντιον) noch einen Proviantsack (πήρα) bei sich haben (*10,4; s. dort). Aus diesem Grund ist Lk 22,37c (καὶ ὁ μὴ ἔχων ______________________________ 1 H ARNACK 234*: »Dann muß aber auch v. 38 notwendig gefehlt haben«; ihm folgt T SUTSUI 124. 22,35-38 Rekonstruktion 1179 πωλησάτω τὸ ἱμάτιον αὐτοῦ) möglicherweise der Versuch, diesen Widerspruch zu mindern: Wer - wie es für die Apostel anzunehmen ist - weder Beutel noch Sack mit sich führt, muss dann eben den Mantel verkaufen, um sich für die Zeit der ultimativen Auseinandersetzung zur rüsten. Aufschlussreich ist auch die Begründung für den Schwertkauf mit dem Zitat aus Jes 53,12: Der explizite Hinweis auf τοῦτο τὸ γεγραμμένον passt sehr genau zum hermeneutischen Konzept der lk Redaktion, auch wenn man kaum sagen kann, dass dieser Aspekt in erster Linie für die redaktionelle Einfügung von Lk 22,35-38 verantwortlich war. Aber es fällt auf, dass Jes 53 sonst nur in Act 8,32f zitiert wird und in den lk Deutungshorizont für das Geschick Jesu gehört, nicht aber schon in den von *Ev. Dass Jesus μετὰ ἀνόμων gerechnet werde (Lk 22,37), wird zunächst bei seiner Verhaftung (22,52: ὡς ἐπὶ λῃστὴν ἐξήλθατε; unbezeugt), dann bei seiner Kreuzigung mit zwei κακοῦργοι (*23,32; s. dort) narrativ eingelöst. Ein letzter Hinweis ergibt sich aus dem Wortspiel, mit dem Jesus den Schriftbeweis auf sich bezieht. Jesus begründet, dass »dieses Schriftwort erfüllt = in mir ans Ziel gelangen muss« (τοῦτο τὸ γεγραμμένον δεῖ τελεσθῆναι ἐν ἐμοί), durch die Wendung: τὸ περὶ ἐμοῦ τέλος ἔχει (Lk 22,37). Dies heißt nicht »mit mir ist es vorbei«, 2 sondern: »Das über mich (Geschriebene) gelangt ans Ziel«. Der enge Bezug von τὸ περὶ ἐμοῦ auf τοῦτο τὸ γεγραμμένον ist allerdings in der Mehrheit der Handschriften dadurch aufgelöst, dass sie den Plural setzen (τά). 3 In dieser Häufung der τελέω/ τέλος-Terminologie kann man eine Referenz auf das letzte Wort Jesu nach Joh 19,30 sehen: τετέλεσται. Jesus ist nicht am Ende, sondern am Ziel, in dem nicht nur seine Wirksamkeit, sondern auch die prophetische Schrift über ihn »erfüllt« ist. Aus diesem Grund liegt es nahe, die abschließende Wendung ἱκανόν ἐστιν Lk 22,38 nicht auf die Begriffstutzigkeit der Jünger oder auf die Suffizienz der beiden Schwerter zu beziehen, sondern auf die gesamte Wirksamkeit Jesu. *22,39-42 [ 43-44 ] 45-46: Gebet am Ölberg Schwach bezeugt, aber sicher vorhanden und mit hoher Wahrscheinlichkeit ergänzt. 22,39 Καὶ ἐξελθὼν ἐπορεύθη κατὰ τὸ ἔθος εἰς τὸ Ὄρος τῶν Ἐλαιῶν· ἠκολούθησαν δὲ αὐτῷ καὶ οἱ μαθηταί. 40 γενόμενος δὲ ἐπὶ τοῦ τόπου εἶπεν αὐτοῖς, Προσεύχεσθε μὴ a εἰσέλθητε εἰς πειρασμόν. 41 καὶ αὐτὸς ἀπεσπάσθη ἀπ’ αὐτῶν ὡσεὶ λίθου ______________________________ 2 So W OLTER , Lk 717. 3 A Θ Ψ f 13 lat sy hmg M ; dagegen haben den Sing. (τό): א B D L Q (T) W f 1 2542 pc sy h . 1180 Anhang I 22,39-46 βολήν, καὶ θεὶς τὰ γόνατα προσηύχετο 42 λέγων, Πάτερ, b μὴ τὸ θέλημά μου ἀλλὰ τὸ σὸν γινέσθω· εἰ βούλει παρένεγκε τοῦτο τὸ ποτήριον ἀπ’ ἐμοῦ. b c [ 43 ὤϕθη δὲ αὐτῷ ἄγγελος ἀπ’ οὐρανοῦ ἐνισχύων αὐτόν. 44 καὶ γενόμενος ἐν ἀγωνίᾳ ἐκτενέστερον προσηύχετο· καὶ ἐγένετο ὁ ἱδρὼς αὐτοῦ ὡσεὶ θρόμβοι αἵματος καταβαίνοντος ἐπὶ τὴν γῆν. ] c 45 καὶ ἀναστὰς ἀπὸ τῆς προσευχῆς ἐλθὼν πρὸς τοὺς μαθητὰς εὗρεν κοιμωμένους αὐτοὺς ἀπὸ τῆς λύπης, 46 καὶ εἶπεν αὐτοῖς, d [ Τί ] καθεύδετε; ἀναστάντες προσεύχεσθε, ἵνα μὴ εἰσέλθητε εἰς πειρασμόν. A. *22,41: Epiph., Schol. 65: ἀπεσπάσθη ἀπ’ αὐτῶν ὡσεὶ λίθου βολήν, καὶ θεὶς τὰ γόνατα προσηύχετο. B. a (22,40) εισελθητε: D 827 1319 2766 ℓ184 ℓ950 it vg August (Ep. 145,8; 175,4; 176,2 usw.; CSEL 44, 273.659.665 usw.) Leo (Tract. 83,3; CCL 138A, 521) Prosper (Ruf. 10,11; PL 51,83; Voc. 1,24; 2,23; PL 51, 685.713) Victor (Apoc. 8; CSEL 49, 82) ¦ εισελθειν: M (*Ev non test.) ● b (22,42) μη το θελημα μου αλλα το σον γινεσθω ει βουλει παρενεγκε τουτο το ποτηριον απ εμου: D a c d e ſſ 2 ¦ (9-16 + πλην + 1-8): aur b f g 1 gat i l q r 1 M (*Ev non test.) ● c (22,43f): vs. 43,44 om P 69.75 א 1 A B N R T W 579 1071* pc lectt f sy s sa bo pt georg (c. obel. i.m.: Δ 230 1295 1424 bo 9 mss ) ¦ om hic et pon p. Mt 26,39: f 13 ¦ vs. 43,44 add (mit kleineren Differenzen): א * .2 D K L X Δ Θ Π Ψ f 1 565 700 892* 1009 1010 1071 mg 1230 1241 1242 1253 1344 1365 1546 2148 2174 lectt a aur b c d e ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 vg sy c.h.p.p armen aeth Justin (Dial. 103,8) Iren (Haer. 3,22,2) Chrys (Trin. 2; PG 48, 1092) Didym (Trin. III 21,188.193; PG 39, 900.913) Epiph (Anc. 31,5; 37,1; GCS 25, 40.46) TheodMops (fr. 10,2 Inc.; S WETE II 301) Hieron (Adv. Pel. 2,13; PL 23, 578) (*Ev non test.) ● d (22,46) τι: om D d sy s(1ms) aeth (Bodl. 40) ¦ add a aur b c e f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 M (*Ev non test.). C. Tertullian übergeht die Perikope, die jedoch ausweislich des eindeutigen Zitats von V. *41 durch Epiphanius grundsätzlich gesichert ist. Allerdings ist die genaue Gestalt unklar, für deren Rekonstruktion vor allem das Urteil zu 22,43f von Bedeutung ist. 1. Die Erwähnung des Engels, der Jesus in seiner Agonie stärkt (Lk 22,43f), gehört zu den textkritisch besonders strittigen Passagen des NT: Die Verse sind nur in einem Teil der handschriftlichen Überlieferung ( א * .2 D K L X Δ Θ Π Ψ f 1 ) sowie in patristischen Texten schon des 2. Jh. (Justin; Irenaeus) bezeugt, fehlen dagegen in einer großen Zahl von »wichtigen« Handschriften ( P 75 א 1 A B), so dass die externe Bezeugung als ausgewogen uneinheitlich gelten muss. Für *Ev fehlt eine Bezeugung: Letzte Sicherheit ist nicht zu erhalten. Harnack hatte geurteilt, dass die Verse (in Lk) ursprünglich und von Marcion gestrichen worden seien. 1 Das ist eine seiner typischen Interpolationen, die an dieser Stelle jedoch implizieren würde, dass Marcions »häretischer« Eingriff die kanonische Textüberlieferung nicht nur in begrenztem Umfang, sondern in erstaunlich großer Breite beeinflusst hätte. Harnacks Einschätzung, dass Marcion die Verse ______________________________ 1 H ARNACK 234*: »43f (Der Engel und die Agonie in Gethsemane) ist bei Lukas echt, von M. begreiflicherweise gestrichen. Sie fehlt auch im alex. Text (Einfluß von M. wahrscheinlich).« 22,39-46 Rekonstruktion 1181 »begreiflicherweise« gestrichen habe, bleibt ohne Begründung, wird aber auf die Marcion zugeschriebene doketische Tendenz zurückzuführen sein. Wie stark Harnacks Urteil nachgewirkt hat, zeigt noch Aland, der »M(ar)cion« als Zeugen für die Auslassung anführt. 2 Die textkritische Entscheidung, ob Lk 22,43f ursprünglich ist oder eine sekundäre Einfügung darstellt, ist bis heute umstritten, 3 lässt sich aber im Modell der *Ev- Priorität doch mit einiger Wahrscheinlichkeit klären. Denn die uneinheitliche Bezeugungslage entspricht genau dem Phänomen der uneinheitlichen Angleichung des vorkanonischen Evangeliums an den kanonischen Text, das ja häufig zu beobachten ist. Im Unterschied zum Gros dieser Beispiele für die Interferenz der beiden Textüberlieferungen, gehen in diesem Fall die »üblichen Verdächtigen«, also D it sy, nicht mit der kürzeren und mutmaßlich ursprünglichen Lesart, sondern enthalten den längeren Text. Aber das muss nicht viel heißen, da die Verteilung der Zeugen, die Varianten von *Ev bieten, stark variiert. Umgekehrt ist die kürzere Lesart auch von dem seit den 1960er Jahren immer stärker gewichteten P 75 bezeugt. Aber auch dieses Kriterium liefert für sich genommen kein schlagendes Argument, weil P 75 ja an etlichen Stellen die gleichen *Ev-Varianten bietet, die ansonsten für die »Westlichen« Zeugen D it sy charakteristisch sind. 4 Eine Lösung des Problems bleibt daher auf innere Gründe angewiesen. Die Annahme der *Ev-Priorität liefert dazu insofern ein wesentliches Element, als sie mit der Unterscheidung von *Ev und dem kanonischen Lk einen tiefgreifenden redaktionellen Schritt plausibel macht, der auch andere gravierende Varianten der handschriftlichen Überlieferung zu erklären in der Lage ist: Aus diesem Grund wird die Lösung für den kanonischen Text auch Gesichtspunkte für den Text von *Ev ergeben. Die Erklärung für die uneinheitliche Bezeugung des kanonischen Textes besagt dann, dass die Vv. 22,43f, ähnlich wie der Langtext im Abendmahlsbericht, mit großer Wahrscheinlichkeit ein Resultat der lk Redaktion und im kanonischen Text »ursprünglich« sind, während sie im vorkanonischen Text von *Ev gefehlt haben werden. Unter dieser Prämisse liegt nahe, dass für die redaktionelle ______________________________ 2 K. A LAND , Die Bedeutung des P 75 für den Text des Neuen Testaments, in: ders., Studien zur Überlieferung des Neuen Testaments und seines Textes (ANTF 2), Berlin 1967, 155-172: 160. T SUTSUI 124 lehnt es dagegen zu Recht ab, den unbezeugten *Ev-Text als textgeschichtliches Argument zu verwenden. Im Apparat von NA 27 sind die Wirkungen von Harnacks Urteil getilgt: »M(ar)cion« wird nicht mehr als Zeuge für den kürzeren Text aufgeführt. 3 Auflistungen mit Vertretern beider Lösungen bei R. E. B ROWN , The Death of the Messiah I, New York 1994, 180 Anm. 2; W OLTER , Lk 723, der selbst erklärt: »Es muss also bis auf weiteres bei einem non liquet bleiben.« 4 Vgl. dazu in Anhang III die Varianten zu 6,43; 8,16; 10,11b; 10,18; 11,46b; 12,39; 12,56; 23,34; 23,53; 24,4; 24,39 - und eben auch 22,43f. 1182 Anhang I 22,39-46 Einfügung in der Tat ein antidoketisches Interesse maßgeblich war. 5 Denn der Doketismus, der für Marcions Überarbeitung in Anschlag gebracht wird, ist ja eine Kippfigur: Er ist nicht nur in der Lage, »doketische Streichungen« durch Marcion zu begründen, sondern auch antidoketische Hinzufügungen durch die lk Redaktion. 6 Zumindest haben schon Justin und Irenaeus die Stelle in diesem Sinn als Argumentationshilfe zitiert. 7 Ein entsprechendes redaktionelles Interesse ist jedenfalls auch für die Überarbeitung von *24,39f sehr wahrscheinlich (s. dort): Die antidoketische Tendenz der lk Redaktion ist ein wichtiges Element des redaktionellen Konzeptes. 8 2. Mit Blick auf die Gestalt der Perikope in *Ev kommt man noch etwas weiter, wenn man die relativ zahlreichen (mt-lk) »Minor Agreements« berücksichtigt. Mk 14,35b (ἵνα εἰ δυνατόν ἐστιν παρέλθῃ ἀπ’ αὐτοῦ ἡ ὥρα) ÷ Lk (zwischen 22,41.42) || Mt 26,39. - πάτερ Lk 22,42 || Mt 26,39 ≠ Mk 14,36b (Αββα ὁ πατήρ). - πλήν Lk 22,42c || Mt 26,39c ≠ Mk 14,36d (ἀλλ’). - πρὸς τοὺς μαθητάς Lk 22,45a || Mt 26,40a ÷ Mk 14,37. - εἰσέλθητε Lk 22,46d || Mt 26,41b ≠ ἔλθητε Mk 14,38b. - Lk 22,42c (πλὴν μὴ τὸ θέλημά μου ἀλλὰ τὸ σὸν γινέσθω) || Mt 26,42c (γενηθήτω τὸ θέλημά σου) ≠ Mk 14,36d (ἀλλ’ οὐ τί ἐγὼ θέλω ἀλλὰ τί σύ). 9 Da die mt-lk »Minor Agreements« im Horizont der *Ev-Priorität auf verschiedene Weise zustande kommen können, ist es wichtig, dass das erste hier aufgeführte dem für *Ev bezeugten Text entspricht. Das besagt, dass wenigstens in diesem Fall die Übereinstimmung auf gemeinsame mt-lk Abhängigkeit von *Ev (und nicht auf mt Einfluss auf Lk) zurückzuführen ist, wogegen Mk seine Quelle *Ev ergänzt hat. Dagegen legt die abweichende Formulierung von *22,42 in D it nahe, dass Lk an dieser Stelle nicht *Ev, sondern Mt 26,39 folgt: Diese mt-lk Übereinstimmung ______________________________ 5 Vgl. schon B. D. E HRMAN , M. A. P LUNKETT , The Angel and the Agony: The Textual Problem of Luke 22: 43-44, CBQ 45 (1983), 401-416. 6 Im Unterschied zu B. D. E HRMAN , The Orthodox Corruption of Scripture, New York - Oxford 1994, 187-194, passiert diese antidoketische Einfügung allerdings nicht auf der Ebene der Textüberlieferung zu denken: Ein solcher Eingriff setzt eine verantwortete Textrezension voraus, wie sie mit der lk Redaktion gegeben ist. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der längere (antidoketische) im kanonischen Lk-Evangelium ursprünglich und nicht die Folge einer »corruption« ist. 7 Justin, Dial. 103,8, verweist auf 22,43f, um zu zeigen, dass »wir nicht behaupten, jener habe, da er der Sohn Gottes war, kein Empfinden gehabt für das, was ihm geschah und begegnete (οὐκ ἀντελαμβάνετο τῶν γινομένων καὶ συμβαινόντων αὐτῷ).« Auch Irenaeus (Haer. 3,22,2) führt Lk 22,43f in einer Reihe von Belegen für die körperliche Existenz Jesu an und folgert: »Das alles sind Beweise für sein Fleisch, das von der Erde genommen ist (haec omnia signa carnis quae a terra sumpta est). Er hat es in sich rekapituliert und erlöst so sein eigenes Geschöpf.« 8 Aus diesem Grund ist auch die Erörterung der Frage müßig, ob Lk 22,43f »theologically intrusive« sei oder nicht, vgl. dazu E HRMAN , a. a. O. 187ff, und C HR . M. T UCKETT , Luke 22,43-44: The ›Agony‹ in the Garden and Luke’s Gospel, in: A. Denaux (ed.), New Testament Textual Criticism and Exegesis, Leuven 2002, 131-144: 137ff. 9 Vgl. ansonsten: N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 173ff; DERS ., Minor Agreements (1991), 79f; E NNULAT , Minor Agreements 346-352. 22,39-46 Rekonstruktion 1183 besitzt folglich für die überlieferungsgeschichtlichen Verhältnisse wenig Aussagekraft. Dass die unterschiedliche dramatische Anlage bei Mk und in seinem Gefolge bei Mt (dreimalige Aufforderung zum Wachen; namentliche Nennung der drei herausgehobenen Jünger Petrus, Jakobus und Johannes; Fehlen des »Stärkungsengels« und des Gebetskampfes) tatsächlich auf redaktionelle Eingriffe des Mk zurückgeht, zeigt sich auch an der Sonderrolle von Petrus und den Zebedaiden gegenüber dem Rest der Jüngergruppe, die ein wichtiges Element des literarischen Konzeptes in Mk darstellt. Es ist daher wahrscheinlich, dass auch die anderen Unterschiede zwischen Mk/ Mt und *Ev/ Lk auf das Konto der mk Redaktion gehen. Dies bedeutet, dass *Ev trotz der spärlichen Bezeugung von nur einem Vers i. W. der kanonischen (lk) Gestalt entsprach. *Ev kannte also Jesu Bitte »τὸ σὸν (θέλημα) γινέσθω« im Kontext des Gebets am Ölberg, aber nicht als Teil Vaterunser (s. o. zu *11,2-4). Umgekehrt entspricht die mt Rezeption des Ölberggebetes (Mt 26,42c: γενηθήτω τὸ θέλημά σου) exakt seiner dritten Vaterunserbitte (Mt 6,10b): Mt hatte also die Bitte um die Erfüllung des Willens Gottes aus dem Gebet Jesu am Ölberg in *Ev in das Vaterunser übernommen und ihr dort durch die Anfügung ὡς ἐν οὐρανῷ καὶ ἐπὶ γῆς (Mt 6,10c) einen besonderen Akzent gegeben, der auch seine sonstigen Änderungen von *Ev auszeichnet. Die lk Fassung des Vaterunser (Lk 11,1-4) ist sehr viel enger an *Ev orientiert und enthielt diese Bitte ursprünglich vermutlich nicht, die dann erst auf der Ebene der handschriftlichen Überlieferung unter Einfluss von Mt 6,10b.c in einem Teil der Handschriften des Lk-Textes eingedrungen ist (s. o. zu *11,1-4). *22,47f 49-51 52f: Begegnung mit dem Verhaftungstrupp Teilweise bezeugt und sicher in *Ev vorhanden; teilweise sicher durch die lk Redaktion ergänzt (22,49-51), teilweise unsicher. 22,47 ῎Ετι a [ δὲ ] αὐτοῦ λαλοῦντος ἰδοὺ ὄχλος b πολύς, καὶ ὁ c καλούμενος Ἰούδας Ἰσκαριώθ, c εἷς τῶν δώδεκα, d προήγεν αὐτούς, καὶ ἤγγισεν e τῷ Ἰησοῦ e f καταϕιλῆσαι αὐτὸν Ἰούδας. g τοῦτο γὰρ σημεῖον δεδώκει αὐτοῖς· ὃν ἂν ϕιλήσω, αὐτός ἐστιν. g 48 h καὶ εἶπεν h i τῷ Ἰούδᾳ i · ϕιλήματι τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου παραδίδως; k 49 ἰδόντες δὲ οἱ περὶ αὐτὸν τὸ ἐσόμενον εἶπαν, Κύριε, εἰ πατάξομεν ἐν μαχαίρῃ; 50 καὶ ἐπάταξεν εἷς τις ἐξ αὐτῶν τοῦ ἀρχιερέως τὸν δοῦλον καὶ ἀϕεῖλεν τὸ οὖς αὐτοῦ τὸ δεξιόν. 51 ἀποκριθεὶς δὲ ὁ Ἰησοῦς εἶπεν, Ἐᾶτε ἕως τούτου· καὶ ἁψάμενος τοῦ ὠτίου ἰάσατο αὐτόν. k 1184 Anhang I 22,47-53 ¿52 = Mk 14,48 Καὶ ἀποκριθεὶς ὁ Ἰησοῦς εἶπεν αὐτοῖς·? [ εἶπεν δὲ Ἰησοῦς πρὸς τοὺς παραγενομένους ἐπ’ αὐτὸν ἀρχιερεῖς καὶ στρατηγοὺς τοῦ ἱεροῦ καὶ πρεσβυτέρους, ] Ὡς ἐπὶ λῃστὴν ἐξήλθατε μετὰ μαχαιρῶν καὶ ξύλων; 53 καθ’ ἡμέραν ὄντος μου μεθ’ ὑμῶν ἐν τῷ ἱερῷ οὐκ ἐξετείνατε τὰς χεῖρας ἐπ’ ἐμέ· ἀλλ’ αὕτη ἐστὶν ὑμῶν ἡ ὥρα καὶ ἡ ἐξουσία τοῦ σκότους. A. *22,47: Epiph., Schol. 66: καὶ ἤγγισεν καταϕιλῆσαι αὐτὸν Ἰούδας καὶ εἶπεν. ♦ *22,48: Tert. 4,41,2: Debuit etiam osculo tradi propheticus scilicet Christus, ut eius scilicet filius qui labiis a populo diligebatur. ♦ 22,49-51 : Epiph., Schol. 67: Παρέκοψεν ὃ ἐποίησε Πέτρος, ὅτε ἐπάταξε καὶ ἀϕείλετο τὸ οὖς τοῦ δούλου τοῦ ἀρχιερέως. B. a (22,47) δε: om א A B K L N T W Ψ f 1 579 1241 2542 al aur g 1 gat l q sy h ¦ add D Θ 0171 f 13 b c d e ſſ 2 i (a f) sa mss M (*Ev non test.) ● b (22,47) πολυς: D 544 d sy s.c TheodMops (In Lc. 22; PG 66, 724) ¦ om it M (*Ev non test.) ● c (22,47) καλουμενος Ιουδας Ισκαριωθ: D 0171 vid (f 1 ) pc (l) ¦ λεγομενος Ιουδας it M (*Ev non test.) ● d (22,47) προηγεν: D* (c) f 1 (205 903 983 1654 1685) 1319 2542* al d lectt ¦ ηρχετο και προηγεν: 788 ¦ προηρχετο: it M (*Ev non test.) ● e (22,47) τω ιησου: om ¦ it M (*Ev non test.) ● f (22,47) καραϕιλησαι: Epiph 1319 ¦ ϕιλησαι: it M ● g (22,47) τουτο γαρ σημειον δεδωκει αυτοις ον αν ϕιλησω αυτος εστιν: D Θ f 13 700 pm aur b c d r 1 sy p.h ¦ om a e f ſſ 2 g 1 gat i l q M (*Ev non test.) ● h (22,48) και ειπεν: Epiph ¦ ιησους δε ειπεν αυτω: it M ● i (22,48) τω ιουδα: א * D ¦ om it M (*Ev non test.) ● k (22,49-51) vss. 49-51 om Epiph ¦ add it M . C. Die Perikope, deren gängige Bezeichnung als »Gefangennahme« insofern missverständlich ist, als die eigentliche Gefangennahme Jesu nur sehr kurz zu Beginn der folgenden Einheit mitgeteilt wird, besteht aus drei klar unterschiedenen Szenen: Die Begegnung von Judas und Jesus (*22,47f); die versuchte Gegenwehr aus den Reihen der Jünger (22,49-51) und die Rede Jesu an die Hohenpriester und Hauptleute (22,52f). Die Uneinheitlichkeit der Bezeugung verteilt sich auf diese drei Teilszenen: Epiphanius verdanken wir die Kenntnis, dass V. *47 (und damit auch V. *48, auf den auch Tertullian anspielt) sicher in *Ev enthalten waren, auch wenn der genaue Wortlaut nicht bezeugt ist. Epiphanius liefert außerdem den genauen Auslassungsvermerk für die Vv. 49-51 mit dem Schwertstreich gegen den hohepriesterlichen Knecht. 1 Das abschließende Wort an die Hohenpriester und Anführer (22,52f) ist dagegen gänzlich unbezeugt. Obwohl aufgrund der uneinheitlichen Bezeugung der vorkanonische Text nur teilweise sicher rekonstruiert werden kann, macht er die Entstehungsgeschichte der lk Fassung durchsichtig und erlaubt darüber hinaus wichtige Einsichten in die überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhänge. 1. Ausgangspunkt ist die eindeutige Bezeugung, nämlich Epiphanius’ Streichungsvermerk für 22,49f(51). Sie ist in hohem Maß aufschlussreich, weil Lk 22,50 || Joh 18,10 gegen Mk 14,47 || Mt 26,51 darin übereinstimmen, dass das rechte Ohr des hohepriesterlichen Sklaven abgetrennt wurde. Da diese Passage eindeutig in ______________________________ 1 Dass es allerdings Petrus war, der diesen Schwertstreich geführt hatte (ὃ ἐποίησε Πέτρος), konnte Epiphanius nicht aus *Ev oder Lk wissen, sondern nur aus Joh 18,10. 22,47-53 Rekonstruktion 1185 *Ev gefehlt hat und redaktionell ist, konnte Lk diese Information weder aus *Ev noch aus Mk || Mt kennen: Sie belegt zwingend die direkte literarische Beziehung zwischen Lk und Joh. Offen ist dabei zunächst, ob dieser Einfluss von Lk zu Joh oder von Joh zu Lk verläuft. Dieses Problem lässt sich jedoch anhand von Lk 22,51 entscheiden: Dass Jesus das Ohr gleich nach seiner Intervention heilt, mit der er die gewalttätige Auseinandersetzung beendet (22,50), wird nur Lk 22,51 gesagt und hat keine Parallele in einem der anderen Evangelien. Diese hoheitlich-messianische Geste wirkt stark theologisierend: Jesus heilt sogar seine Feinde. 2 Darüber hinaus deutet auch der Sprachgebrauch auf Lk als Urheber von V. 51 hin: ἰάομαι ist ein lk Vorzugswort, mit dem er wiederholt *Ev redaktionell ergänzt. 3 Es ist daher leichter, in V. 51 eine lk Ergänzung gegenüber Mk, Mt und Joh zu sehen, als umgekehrt eine redaktionelle Tilgung dieser Notiz in den anderen Evangelien. Dass sich dieser lk Überschuss trotz der nachweislich sehr engen lk-joh Beziehungen in dieser Szene nur bei Lk findet, ist daher als Indiz dafür zu werten, dass Lk die gesamte Teilszene in Kenntnis der anderen drei Evangelien - also auch des Joh - eingefügt hat. Damit ist wahrscheinlich, dass τὸ οὖς αὐτοῦ τὸ δεξιόν Lk 22,50 die Kenntnis von τὸ ὠτάριον τὸ δεξιόν Joh 18,10 belegt, nicht aber umgekehrt: Lk hat Joh benutzt. 4 Vor diesem Hintergrund lässt sich auch besser verstehen, warum Lk, im Unterschied zu Mk 5 und Mt, an der Mitteilung interessiert war, dass das rechte Ohr verletzt wurde. Die primäre Funktion liegt in der Konstitution von Kohärenz, die nicht nur die Berichte der vier verschiedenen Evangelien als im Kern zuverlässig und auf die gleiche Geschichte bezogen erscheinen lässt, sondern auch das Evangelium des Apostelschülers »Lukas« als ebenso genau und vertrauenswürdig erweist wie das des Apostels »Johannes«: τὸ οὖς αὐτοῦ τὸ δεξιόν ist ein kleines, aber sehr wirksames Kohärenzsignal für die Leser der Kanonischen Ausgabe. Diese Funktion der Wendung wird für Lk jedoch nur erkennbar, wenn man seine ______________________________ 2 Vgl. U. B USSE , Die Wunder des Propheten Jesus, Stuttgart - Würzburg 2 1979, 336. 3 Vgl. Lk 5,17; 6,19; 9,2.42 (s. jeweils dort); dem stehen nur die beiden unbezeugten Belege (*)9,11; 14,4 gegenüber. 4 Der Wechsel zwischen τὸ οὖς V. 50 und dem gebräuchlicheren Diminutiv τὸ ὠτίον V. 51 ist dagegen kein Kennzeichen auf literarische Uneinheitlichkeit: Lk folgt mit beiden Ausdrücken den Diminutivformen τὸ ὠτάριον (Mk 14,47 || Joh 18,10) bzw. τὸ ὠτίον Mt 25,51. τὸ οὖς Lk 22,50 ist wohl kein »attizistischer Ausrutscher, den Lukas in V. 51 gleich wieder korrigiert« (W OLTER , Lk 727 z. St.); der Wechsel ist möglicherweise vom Kasus abhängig: Für den Genitiv wurde häufiger auf den Diminutiv zurückgegriffen, vgl. P. J OÜON , Luc 22,50-51, τὸ οὖς, τοῦ ὠτίου, RSR 24 (1934), 473f. 5 Dass die Formulierung mit Artikel (τὸ ὠτάριον) in Mk 14,47 »förmlich nach einer Ergänzung schreit und danach fragen läßt, welches von beiden denn« (T HYEN , Joh 710), ist als Grund für die Präzisierung in Joh 18,10 keine gute Erklärung: Sie hätte ja schon Mk dazu bringen müssen, sich auf ein Ohr festzulegen! 1186 Anhang I 22,47-53 Abhängigkeit von Joh in Rechnung stellt, für den dann jedoch andere Gesichtspunkte für diese detaillierte Einfügung maßgeblich gewesen sein müssen. Aus gutem Grund hat man hier auf das joh Interesse am Verisimile seines Berichtes verwiesen, das sich an dieser Stelle ja auch darin erweist, dass Joh den Jünger mit dem Schwert als Petrus identifiziert und den Namen des betroffenen Sklaven des Hohenpriesters (Malchus) angibt. 6 2. Weniger klar ist die Bezeugung für *22,47f: Epiphanius und Tertullian stellen sicher, dass beide Verse in *Ev vorhanden waren, teilen jedoch nur Fragmente mit. Die Rekonstruktion des genauen Wortlauts ist daher schwierig und für die unbezeugten Passagen einmal mehr abhängig von den Varianten der Textüberlieferung. Abgesehen von einigen Kleinigkeiten fällt vor allem auf, dass D (it) sy u. a. am Ende von V. *47 eine analeptische Erklärung für den Judaskuss bieten: τοῦτο γὰρ σημεῖον δεδώκει αὐτοῖς· ὃν ἂν ϕιλήσω, αὐτός ἐστιν. Dieser Hinweis, den Mk 14,44 || Mt 26,48 vor der Mitteilung bieten, dass Judas sich Jesus näherte, um ihn zu küssen, fehlt dagegen in der Mehrheit der Lk-Handschriften. Abgesehen von der unterschiedlichen Stellung weicht die D-Lesart aber auch in der Formulierung der Einleitung von der mk-mt Parallele ab; es wird sich daher kaum um einen sekundären Einfluss aus diesen synoptischen Parallelen auf der Ebene der Textüberlieferung handeln. Sehr viel näher liegt die Vermutung, dass *Ev diese Erklärung in der durch D (it) sy usw. bezeugten Form enthielt und dass Mk und Mt ihre unglücklich nachklappende Position korrigierten. 3. Diese mutmaßliche Bearbeitung von *Ev in Mk und Mt geht mit anderen Änderungen einher. Am wichtigsten ist die Verbindung des Verratszeichens (Mk 14,44 || Mt 26,48) mit der Mitteilung über die Ausrüstung der Menge μετὰ μαχαιρῶν καὶ ξύλων Mk 14,43c || Mt 26,47c. Dass Mk 14,48b || Mt 26,55b diese Formulierung wörtlich gleich wieder aufgreifen, ist für die Beurteilung der abschließenden Rede Jesu *22,52f von Bedeutung. Denn dieses abschließende Logion ist für *Ev nicht bezeugt, und auch die (kanonische) Textüberlieferung gibt keine Anhaltspunkte, die eine sichere Einschätzung erlauben würde. Aus diesen Gründen muss sich ein Urteil über *22,52f auf die mutmaßliche Redaktion von *Ev durch Mk (und Mt) stützen. Zur Begründung dieses Urteils sind Beobachtungen zu der mangelnden Stringenz der Geschehensabfolge aufschlussreich. a. Der (von Lk übernommene) Text von *22,47f berichtet im Unterschied zu Mk 14,45 || Mt 26,49 nicht den Kuss, sondern nur die Reaktion Jesu auf den sich nähernden Judas: Ob es zu dem Begrüßungskuss gekommen ist oder nicht, bleibt hier offen. Mk/ Mt haben hier also eine narrative Unbestimmtheit beseitigt, die sich hart mit der herausgehobenen Stellung von ϕιλήματι am ______________________________ 6 M. S ABBE , The Arrest of Jesus in John 18,1-11 and its Relation to the Synoptic Gospels, in: ders., Studia Neotestamentica, Leuven 1991, 355-388: 375f. 22,47-53 Rekonstruktion 1187 Anfang stößt: Der Bericht vom Herankommen des Verhaftungstrupps Mk 14,43b-45 || Mt 47b-50 mündet in eine redaktionelle Bearbeitung des Grundtextes *Ev. b. Mk 14,46 || Mt 26,50b berichten die Festnahme Jesu unmittelbar im Anschluss an den Begrüßungskuss, wogegen *Ev/ Lk sie erst zu Beginn der folgenden Szene mit der Überführung Jesu in das Haus des Hohenpriesters berichten (*22,54a). Während die Handgemengeszene, die Lk 22,49-51 redaktionell an die Begegnung zwischen Judas und Jesus einfügt, dadurch eher den Charakter des bewaffneten Widerstands gegen den Versuch der Festnahme bekommt, erscheint sie in der mk-mt Abfolge der Ereignisse eher als gescheiterte Gefangenenbefreiung. c. Aus diesem Grund ist auch die Stellung des folgenden Jesuswortes an den ὄχλος bei Mk und Mt wenig plausibel: Nach dem Begrüßungskuss zur Identifikation Jesu, seiner Festnahme und dem folgenden Handgemenge adressiert der mk Jesus die Menge (Mk14,48f), bevor er die Flucht der Jünger von der Szene berichtet, die aufgrund des Hinweises auf die Flucht des »nackten Jünglings« (Mk 14,51f) durchaus tumultuarische Züge trägt: Die Jüngerflucht hätte unmittelbar nach dem Handgemenge (also nach Mk 14,47) einen sehr viel besseren Platz gehabt. Mt hat die Logik der Geschehensfolge noch weiter strapaziert, weil er Jesus nach dem Handgemenge erst noch eine ausführliche Belehrung an den Jünger, der den Schwertstreich geführt hat, in den Mund legt (Mt 26,52-54), die Lk - stark verkürzt - aufgreift (Lk 22,51a: ἐᾶτε, ἕως τούτου). d. Die Jüngerflucht, die Mk 14,50-52 || Mt 26,56b als Abschluss der Szene berichten, hat kein Gegenstück in *Ev/ Lk. Gleichwohl ist die Tatsache, dass Jesus von den Jüngern verlassen wurde, in der folgenden Szene (*22,54ff) vorausgesetzt, in der Petrus dem Trupp nur mit großem Abstand folgt (*22,54c: μακρόθεν): Lk hat den Bericht nicht unterschlagen, sondern Mk und Mt haben ihn aus Gründen der narrativen Plausibilität hier eingefügt. e. Jesu Wort an den Verhaftungstrupp *22,52f ist unbezeugt, hat aber ein Gegenstück in Mk 14,48f || Mt 26,55f. Im Unterschied zu Mk/ Mt spezifiziert Lk die Adressaten (22,52a: ἀρχιερεῖς καὶ στρατηγοὺς τοῦ ἱεροῦ καὶ πρεσβυτέρους). Dass die Gegner Jesu selbst (und nicht nur ihre Abgesandten) zu seiner Festnahme erschienen sind, hätte Lk sinnvollerweise schon in 22,47 mitgeteilt. Dass er die führenden Gruppen erst jetzt nennt, ist eine redaktionelle Einfügung, die gezielt auf Lk 22,4 zurückweist (ebenfalls red., s. dort) und so dem Geschehen Geschlossenheit verleiht: Der Plan der Hohenpriester und Tempeloffiziere zielte darauf, Jesus ἄτερ ὄχλου (22,6) festzusetzen; jetzt ist er aufgegangen und abgeschlossen. Die Kombination der Exposition der Szene in Mk 14,43c || Mt 26,47c (Ausrüstung des Trupps in der Erzählstimme) mit der redaktionellen Umstellung des Verratszeichens legt nahe, dass Mk und Mt die Ausrüstung μετὰ μαχαιρῶν καὶ ξύλων (Mk 14,48b || Mt 26,55b) schon in der Jesusrede am Ende der Szene vorgefunden hatten: Das heißt, dass die Vv. *52f mit großer Wahrscheinlichkeit schon in *Ev vorhanden waren. Auch wenn Unsicherheiten bleiben, spricht vieles dafür, dass die Redeeinleitung 7 eher Mk 14,48 als Lk 22,52a entsprochen hat: Auf der einen Seite hat sich die lk Aufzählung der beteiligten Personen(gruppen) als vermutlich redaktionell erwiesen. Auf der anderen Seite passt die mk Redeeinleitung (Mk 14,48: καὶ ἀποκριθεὶς ὁ Ἰησοῦς εἶπεν αὐτοῖς) in ihrer zivilen, unaufgeregten Diktion ______________________________ 7 Der Plural αὐτοῖς verweist auf den Singular ὄχλος πολύς: Dies ist eine verbreitete Constructio ad sensum, vgl. BDR § 134.1. 1188 Anhang I 22,47-53 nicht gut als Reaktion auf die von Mk redaktionell ergänzte Handgemengeszene (Mk 14,47). Es ist leichter vorstellbar, dass diese Redeeinleitung aus *Ev stammt und von Mk nicht an die redaktionelle Ergänzung angepasst wurde. 4. Diese Beobachtungen erlauben eine Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte. Die älteste Fassung in *Ev bestand demnach nur aus *22,47f.52f: Noch während Jesus die Jünger zur Wachsamkeit mahnt (*22,46), erscheint der von Judas geführte ὄχλος πολύς zu seiner Festnahme (*22,47). Judas nähert sich, um Jesus zu küssen, weil dies das vereinbarte Zeichen zur Identifizierung war (*22,48). Anschließend adressiert Jesus die Menge. Diese Erzählung mit den beiden Teilszenen (Begrüßung/ Identifizierung - Wort an den Verhaftungstrupp) ist der Ausgangspunkt der Überlieferung, die sich folgendermaßen darstellt. a. Am intensivsten hat Mk die Perikope umgestaltet: In Mk 14,43b.44 hat er unter Rückgriff auf *22,52b das Ansinnen des Verhaftungstrupps kenntlich gemacht. Dass diese Gruppe von den Hohenpriestern ausgesandt war, weiß er aus Mk 14,10, ergänzt die Auftraggeber aber aus eigener Kenntnis durch die anderen Verantwortlichen in Jerusalem, die er so zuletzt Mk 11,27 zusammengestellt hatte. Bevor es zu der Begegnung zwischen Judas und Jesus kommt, referiert Mk 14,44 die Erklärung über das Verratszeichen aus *22,48 (D it sy u. a.). Diese beiden Änderungen liefern Erklärungen, die für das Verständnis der ganzen Einheit hilfreich, aber nicht unbedingt erforderlich sind. Indem Mk Judas seine Absicht (Mk 14,45 gegen *22,48) ausführen und im folgenden Vers die Verhaftung unmittelbar folgen lässt (gegen *22,54), setzt er die Größe des Verrats in Szene: Gleich mit der scheinheiligen Begrüßung wird Jesus sofort festgenommen. Die folgende Reaktion der Jünger mit dem Schwertstreich (Mk 14,47) ist neu und geht auf das Konto der mk Redaktion: Sie bereitet die Rede Jesu an den Verhaftungstrupp vor und unterstreicht den Gegensatz zwischen der nächtlichen Gewaltaktion μετὰ μαχαιρῶν καὶ ξύλων und der Möglichkeit, Jesus täglich im Tempel anzutreffen: Die Schwertszene hat daher primär die Funktion, die Angst der Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten herauszustellen (so schon Mk 11,18.32; 12,12), die sich nicht getrauen, Jesus wegen des Zuspruchs des Volkes festzunehmen. 8 Mk versteht diesen Gegensatz zwischen der öffentlichen Wirksamkeit Jesu und dem Zuspruch des Volkes auf der einen Seite und der Gewalttätigkeit und Verschlagenheit der Jerusalemer Verantwortlichen auf der anderen als Erfüllung ______________________________ 8 Dass der mk Jesus (im Unterschied zu den anderen Evangelien) weder auf den Begrüßungskuss noch auf den Schwertstreich reagiert, ist wohl nicht einfach Ausdruck seines »nüchternen Stils« (L ÜHRMANN , Mk 246 zu 14,45): Mk hat seinem theologischen Gestaltungswillen mit dem Bericht des Geschehens Ausdruck gegeben und bedarf daher keiner weiteren kommentierenden Deutung bzw. Reaktion Jesu. 22,47-53 Rekonstruktion 1189 der Schrift. Er greift damit auf 14,21 sowie auf die seit 8,22 entfaltete Thematik der Notwendigkeit des Leidens zurück. Am Ende fügt Mk die Mitteilung über die Flucht der Jünger ein: Sie ist durch die Logik der Geschehensfolge vorgegeben (auch Mk lässt Petrus nur »von Ferne« in den Palast des Hohenpriesters folgen, 14,54). Wie das Detail der Flucht des »nackten Jünglings« zeigt, hat Mk sich diese Szene als allgemeines Handgemenge vorgestellt, musste aber die aus *22,52f stammenden Jesusworte darin unterbringen. Daraus entsteht dann eine dreiteilige Szene: Judaskuss und Verhaftung Jesu - Schwertstreich und Rede Jesu an den Verhaftungstrupp - Jüngerflucht. b. Mt 26,47-56 folgt dem narrativen Aufriss der Szene in Mk, ergänzt sie aber geringfügig und vergrößert dadurch die Unwahrscheinlichkeit der Geschehensfolge noch weiter: In Mt 26,50a fügt er die tadelnde Frage Jesu aus *22,48 ein. Vor allem aber dient ihm der Schwerthieb Mk 14,47 || Mt 26,51 als Anlass für die Belehrung Jesu an den Jünger (26,52-54), dass der Widerstand gegen die Festnahme unterbleiben muss, weil diese die Bedingung für die Erfüllung der Schrift ist. Mt hat dieses Element (Mt 26,54) aus der Rede Jesu an den Verhaftungstrupp (Mk 14,49c || Mt 26,56a) übernommen und verdoppelt: Die Jünger sollen wissen, dass Jesus sich der Festnahme nicht gezwungenermaßen aus Hilflosigkeit stellt, sondern aus freiwilligem Verzicht auf göttlichen Beistand, weil nur so die Schrift erfüllt werden kann. Den Gegnern hält Jesus ihre feige Verschlagenheit mit dem gleichen Argument vor und charakterisiert sie auf diese Weise als Werkzeug des göttlichen Heilsplans. c. Joh 18,2-12 zeigt Kenntnis der Prätexte in *Ev, Mk und Mt. Aus *Ev stammt die generelle Anlage, nach der die Verhaftung Jesu erst ganz am Ende der Szene berichtet wird (Joh 18,12 || *22,54a ≠ Mk 14,46 || Mt 26,50b). Aus der mk-mt Fassung rührt dagegen die Stellung der Beschreibung des Verhaftungstrupps vor der Begegnung mit Jesus (Joh 18,3 || Mk 14,43 || Mt 26,47 ÷ *22,47) sowie die Schwertstreichepisode (Joh 18,10f || Mk 14,47 || Mt 26,51-57). Joh hat beide Teilszenen verändert und ausgebaut: Er hat den Judaskuss zur Identifizierung Jesu ausgelassen und stattdessen die souveräne Selbstübergabe Jesu erzählt; sie bietet die Gelegenheit, Jesu fürsorgende Bewahrung der ihm Anvertrauten (Joh 17,12) erzählerisch einzulösen. Im Anschluss an den Schwertstreich, den Joh von Petrus ausführen lässt und mit weiteren Details - das rechte Ohr, der Name des Knechts - zur Steigerung des Verisimile anreichert, zeigt Joh 18,11a (βάλε τὴν μάχαιραν εἰς τὴν θήκην) Kenntnis von Mt 26,52 (ἀπόστρεψον τὴν μάχαιράν σου εἰς τὸν τόπον αὐτῆς). Der Hinweis Joh 18,11b (»Soll ich diesen Kelch nicht trinken! «) fasst der Sache nach Mt 26,53 zusammen, in der Formulierung greift er auf Mk 10,38 || Mt 20,22 zurück. Zwei Elemente hat Joh aus der Verhaftungsszene in das Verhör vor Hannas bzw. vor 1190 Anhang I 22,47-53 Pilatus verlegt: Der Vorwurf, die Gegner hätten ihn bei seiner täglichen Lehre im Tempel leichter festnehmen können (Joh 18,20). Ähnlich referiert Joh 18,36 (»Mein Reich ist nicht von dieser Welt! «) auf Mt 26,53. d. Am Ende der Überlieferungsgeschichte steht die lk Fassung. Sie folgt dem vorkanonischen Text in der generellen Anlage und weitgehend in den Formulierungen, erweitert sie jedoch durch die Handgemengeszene mit dem Schwertstreich, die eine eigene Einleitung (Lk 22,49) erhält. Die lk Rezeption dieser Szene zeigt mit dem Einhaltbefehl (Lk 22,51: ἐᾶτε ἕως τούτου) Einflüsse aus Mt 2652-54 bzw. Joh 18,11b. Dass Lk die joh Fassung kannte, ist durch den Hinweis auf das rechte Ohr gesichert (Lk 22,50 || Joh 18,10). Ohne »Vorlage« aus einer Quelle hat Lk außerdem die Heilungsnotiz (Lk 22,51b) sowie die Einleitung der Rede an den Verhaftungstrupp (Lk 22,52) redaktionell eingearbeitet. *22,54-62.63-65: Verleugnung des Petrus. Verspottung Jesu durch die Wachen Nur schwach für *Ev bezeugt, aber vermutlich ganz vorhanden. Geringfügig durch Lk bearbeitet. 22,54 Συλλαβόντες δὲ αὐτὸν ἤγαγον a [ καὶ εἰσήγαγον ] a εἰς τὴν οἰκίαν τοῦ ἀρχιερέως· ὁ δὲ Πέτρος ἠκολούθει b αὐτῷ ἀπὸ b μακρόθεν. 55 περιαψάντων δὲ πῦρ ἐν μέσῳ τῆς αὐλῆς καὶ συγκαθισάντων ἐκάθητο c καὶ ὁ Πέτρος d μετ’ αὐτῶν e θερμαινόμενος. 56 ἰδοῦσα δὲ αὐτὸν παιδίσκη τις καθήμενον πρὸς τὸ ϕῶς καὶ ἀτενίσασα αὐτῷ εἶπεν, Καὶ οὗτος σὺν αὐτῷ ἦν· 57 ὁ δὲ ἠρνήσατο f [ αὐτὸν ] λέγων, g Οὐκ οἶδα αὐτόν [ , γύναι ] . g 58 καὶ μετὰ βραχὺ ἕτερος ἰδὼν αὐτὸν h εἶπεν τὸ αὐτό h · ὁ δὲ Πέτρος ἔϕη, Ἄνθρωπε, οὐκ εἰμί. 59 καὶ διαστάσης ὡσεὶ ὥρας μιᾶς ἄλλος τις διϊσχυρίζετο, i Ἐπ’ ἀληθείας λέγω i καὶ οὗτος μετ’ αὐτοῦ ἦν, καὶ γὰρ Γαλιλαῖός ἐστιν· 60 εἶπεν δὲ ὁ Πέτρος, Ἄνθρωπε, οὐκ οἶδα ὃ λέγεις. καὶ παραχρῆμα ἔτι λαλοῦντος αὐτοῦ ἐϕώνησεν ἀλέκτωρ. 61 k στραϕεὶς δὲ k l ὁ m Ἰησοῦς ἐνέβλεψεν τῷ Πέτρῳ l , καὶ ὑπεμνήσθη n [ ὁ Πέτρος ] n τοῦ ῥήματος τοῦ o Ἰησοῦ ὡς εἶπεν αὐτῷ ὅτι Πρὶν ἀλέκτορα ϕωνῆσαι p [ σήμερον ] q τρὶς ἀπαρνήσῃ με μὴ εἰδέναι με q · r [ 62 καὶ ἐξελθὼν ἔξω ἔκλαυσεν πικρῶς. ] r 63 Καὶ οἱ ἄνδρες οἱ συνέχοντες s αὐτὸν ἐνέπαιζον t αὐτῷ δέροντες 64 καὶ u τύπτοντες καὶ v ἐπηρώτων λέγοντες, Προϕήτευσον, τίς ἐστιν ὁ παίσας σε; 65 καὶ ἕτερα πολλὰ βλασϕημοῦντες ἔλεγον εἰς αὐτόν. A. *22,63f: Epiph., Schol. 68: οἱ συνέχοντες ἐνέπαιζον δέροντες καὶ τύπτοντες καὶ λέγοντες, Προϕήτευσον, τίς ἐστιν ὁ παίσας σε; B. a (22,54) και εισηγαγον (αυτον): om D Θ 1 21 118 179 205 209 472 579 699 827 1009 1229 2487 2766 a aur b d e f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 Euseb (Dem. 6,18,44; GCS 23, 282) (Γ 047 063 71 229* 1352 sy s.c.p sa ms ) ¦ add c M (*Ev non test.) ● b (22,54) αυτω απο: D 063 13 69 71 157 346 472 543 788 826 22,54-65 Rekonstruktion 1191 983 1009 1194 1458 2613 (l) sy s.c.p ; αυτω: 0124 124 349 475* 1242 1510 aur b d e f ſſ 2 i q sy h sa mss bo ¦ om a c g 1 gat r 1 M (*Ev non test.) ● c (22,55) και: D b c d f ſſ 2 i l q ¦ om a aur e g 1 gat r 1 M (*Ev non test.) ● d (22,55) μετ: D d ¦ μεσος: P 75 B L T 070 f 1 892 2542 ℓ844 pc ¦ εν μεσω: א A W Θ Ψ f 13 M (*Ev non test.) ● e (22,55) θερμαινομενος: D d (vgl. Mk 14,54) ¦ om it M (*Ev non test.) ● f (22,57) αυτον: om P 75 א B D 2 K L T 070 f 1 579 892 1424 2542 al a b c f l r 1 sy s.c.p sa bo ¦ add A D* W Θ Ψ f 13 aur d (e ſſ 2 i q) vg sy h M (*Ev non test.) ● g (22,57) ουκ οιδα αυτον: D d ¦ ουκ οιδα αυτον γυναι: P 75 א B L T Ψ 1241 pc co ¦ γυναι ουκ οιδα αυτον: A W Θ 070 a aur b c e f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 sy M (*Ev non test.) ● h (22,58) ειπεν το αυτο: D d ¦ εϕη και συ εξ αυτων ει: it M (*Ev non test.) ● i (22,59) επ αληθειας λεγω: D d ¦ λεγων επ αληθειας: it M (*Ev non test.) ● k (22,61) στραϕεις δε/ conversus autem: D d r 1 sy s ¦ τοτε στραϕεις/ tunc conversus: b ¦ και στραϕεις/ et conversus: [a] aur c e f ſſ 2 i l q M (*Ev non test.) ● l (22,61) ο ιησους ενεβλεψεν τω πετρω: it M ¦ πετρος ενεβλεψεν αυτω: P 69vid (*Ev non test.) ● m (22,61) ιησους/ Iesus: D 063 0211 1 21 118 124* 131 205 209 472 903 1195 1241 1582 1604 1630 2631 d vg ms sy s.h.p Tat arab.pers bo mss aeth mss Ambr (Lc. 10,74; CCL 14, 367) ¦ om Orig (Comm. in Mt 12,22; GCS 40, 119) ¦ κυριος/ dominus: [a] aur b c e f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● n (22,61) ο Πετρος: om D d ¦ add it M (*Ev non test.) ● o (22,61) ιησου/ Iesu: N 13 346 472 543 826 828 1071 2643 sy s.p(ms) aeth mss ¦ κυριου/ domini: it M (*Ev non test.) ● p (22,61) σημερον: om A D W Θ Ψ 0250 f 1 a aur c d e f g 1 gat i q (r 1 ) sy c.p sa mss M ¦ add P 75 א B K L T 070 (f 13 ) 579 892 1241 al b ſſ 2 l sy s.h** sa mss bo (*Ev non test.) ● q (22,62) τρις απαρνηση με μη ειδεναι με: D d (27 c 71 1194 1458 1604 2542 ℓ844) (a: negabis te scire; b l: negabis nosse) ¦ απαρνηση με τρις: aur c e f ſſ 2 g 1 gat i q r 1 M (*Ev non test.) ● r (22,62) vs. (και εξελθων εξω εκλαυσεν πικρως) om 0171 vid a b e ſſ 2 i l r 1 ¦ vs. add P 75 א A B D K L T W X Δ Θ Π Ψ 063 0124 0250 f 1.13 28 565 700 892 1009 1010 1071 1079 1195 1216 1230 1241 1242 1253 1344 1365 1546 1646 2148 lectt aur c d f l q vg sy c.s.h.p sa bo armen georg (*Ev non test.) ● s (22,63) αυτον: om Epiph ¦ add it M ● t (22,63) αυτω: om Epiph ¦ add it M ● u (22,64) τυπτοντες: Epiph ¦ περικαλυψαντες αυτον: it M ● v (22,64) επηρωτων: om Epiph D d (b q) sy s.c.p ¦ interrogabant eum: aur e f ſſ 2 i l q r 1 vg; interrogantes eum: c; interrogabant illum: a; επηρωτων: M . C. Tertullian hat von dieser Perikope (wie zuvor schon zu *22,39-46) nichts bezeugt. Da Epiphanius nur die Verspottungsszene *22,63f referiert, ist die Verleugnung unbezeugt. Diese Bezeugungslage wirft in diesem Fall besondere Probleme auf, die vor allem aus der These resultieren, dass es eine vorlk Quelle gegeben habe, in der die Verleugnung des Petrus insgesamt unbekannt war.1 Zur Debatte steht also zu allererst, ob die Verleugnungsszene in *Ev enthalten war oder nicht. 1. Aus diesem Grund ist es methodisch geboten, die überlieferungsgeschichtliche Fragestellung mit redaktions- und textkritischen Beobachtungen zu korrelieren. Ausgangspunkt dafür ist der Vergleich der narrativen Anlage der mk und der lk Erzählung. Die Erzählfolge von Lk 22,54-23,1 unterscheidet sich von der in Mk 14,53-15,1. Im Rahmen der Zwei-Quellentheorie, die mit einer Abhängigkeit des lk vom mk Bericht rechnet, sind diese Abweichungen Ausdruck der lk Redaktion seiner mk Quelle. Sie betreffen vor allem die Stellung der Verleugnung, die in Mk 14,54 (Petrus folgt dem Verhafteten bis in den Hof) und 14,66-72 ______________________________ 1 Vgl. besonders G. K LEIN , Die Berufung des Petrus, in: ders., Rekonstruktion und Interpretation, München 1969, 49-98. Zum Problem vgl. o. zu *22,31f. 1192 Anhang I 22,54-65 (Petrus verleugnet Jesus) in den Bericht über Jesus eingeschoben ist: Voraus wird schon das Zusammentreten des Synhedriums mitgeteilt (14,53b), nach dem Bericht über das nächtliche Verhör und die Misshandlung Jesu (14,55-64.66) folgt die Verleugnung (14,66-72), danach richtet sich der Blick wieder auf das Synhedrium, das sich berät und Jesus an Pilatus überstellt (15,1). Die beiden Teile der Verleugnungserzählung rahmen also das Verhör und die Misshandlung Jesu, sind aber wiederum von den Notizen über das Zusammentreten und über die Beratung des Synhedriums umschlossen. Lk erzählt dagegen die Verleugnung durch Petrus im Block (22,54b-62) und lässt das Synhedrium nach der nächtlichen Misshandlung Jesu (22,63- 65) erst am folgenden Morgen zusammentreten und Jesus verhören (22,66-71). 2 Im Rahmen der Zwei-Quellentheorie ergibt sich daher das Bild, dass Lk die in Mk ineinander geschachtelten Erzählungen über Jesus und das Synhedrium und die Verleugnung des Petrus entflochten und blockweise nacheinander erzählt hat: Erst wird Jesus (wie in Lk 22,34 angekündigt) von Petrus dreimal verleugnet (Lk 22,54- 62), dann wird er misshandelt (22,63-65) und anschließend vom Synhedrium verhört und an Pilatus überstellt (22,67-23,1). Die Einschätzung, dass der Bericht des Lk auf dem des Mk beruhe und »die Szenenfolge bei ihm viel übersichtlicher als bei Mk« 3 sei, ergibt sich allerdings eher aus der stillschweigend vorausgesetzten Annahme der Mk-Priorität als aus Gründen der kompositionellen Plausibilität. Entsprechendes zeigt sich auch daran, dass Lk alle drei Verleugnungen im Hof (αὐλή, V. 22) lokalisiert, wogegen Mk 14,68 || Mt 26,71 nach der ersten Verleugnung in der αὐλή des Hohenpriesters Petrus sich in den Vorhof (προαύλιον) bzw. in die Eingangshalle (πυλών) zurückziehen lassen: Sie inszenieren Petrus’ schrittweise Distanzierung von Jesus und vergrößern auf diese Weise die Plausibilität des Geschehens. 4 Denn im lk Bericht fällt auf, dass die Anschuldigungen gegen Petrus unverbunden nebeneinander stehen: Sie scheinen von den Umstehenden so wenig bemerkt worden zu sein wie seine Leugnungen. Mk und Mt haben dagegen die dramatische Entwicklung eingefangen und die einzelnen Verleugnungen szenisch aufeinander bezogen: Mk lässt dieselbe Magd, welche die erste Anschuldigung vorträgt (Mk 14,66f), Petrus in das προαύλιον folgen und ihre Anschuldigung wiederholen (Mk 14,69: ἤρξατο π ά λ ι ν λέγειν); auch die dritte Anschuldigung nimmt auf die früheren Bezug (Mk 14,70: π ά λ ι ν οἱ παρεστῶτες ἔλεγον τῷ Πέτρῳ …). Mt 26,70 lässt Petrus zum ersten Mal ἔμπροσθεν πάντων leugnen; die zweite Anschuldigung (Mt 26,71) kommt von einer »anderen« (Magd: ἄλλη παιδίσκη) und richtet sich nicht an Petrus, sondern an die Umstehenden (τοῖς ἐκεῖ). Diese sind dann wohl auch mit οἱ ἑστῶτες identisch (26,73), die Petrus zum dritten Mal mit Jesus in Verbindung bringen. Dementsprechend sind die Leugnungen aufeinander bezogen. Sie ergehen entweder an unterschiedliche Adressaten oder sie steigern sich: Οὐκ οἶδα τί λέγεις (Mt ______________________________ 2 Vgl. die tabellarische Übersicht über die Szenenfolge bei W OLTER , Lk 729. 3 W OLTER , Lk 728. 4 Gegen J. F INEGAN , Die Überlieferung der Leidens- und Auferstehungsgeschichte Jesu, Gießen 1934, 23, der die lk Szenenfolge für eine sekundäre Vereinfachung der Handlung hielt. 22,54-65 Rekonstruktion 1193 26,70); ἠρνήσατο μετὰ ὅρκου ὅτι Οὐκ οἶδα τὸν ἄνθρωπον (Mt 26,72); τότε ἤρξατο καταθεματίζειν καὶ ὀμνύειν ὅτι Οὐκ οἶδα τὸν ἄνθρωπον (Mt 26,74). Das aber heißt: Die Szenenfolge und ihre narrative Ausgestaltung ist in der mk-mt Fassung sehr viel kunstvoller und überlegter als im lk Bericht. Im Vergleich der beiden miteinander konkurrierenden Aufrisse erweist sich die mk-mt Anlage als sekundär. Sie setzt den einfacheren vorkanonischen Bericht voraus. Diese Überlegung trifft auch dann zu, wenn man (wie die ältere literarkritische Forschung) mit der Unabhängigkeit der lk Passionsbzw. Verleugnungsgeschichte von Mk rechnet. 5 Dies gilt nicht nur im methodischen Horizont der Zwei-Quellentheorie, sondern auch im Rahmen der *Ev-Priorität: Die redaktionelle Bearbeitungsrichtung spricht eher für das Vorhandensein der Verleugnungserzählung in *Ev als dagegen. 2. In die gleiche Richtung deuten dann auch die verhältnismäßig zahlreichen Varianten der handschriftlichen Überlieferung des Lk-Textes, die trotz der fehlenden direkten Bezeugung in die Rekonstruktion von *22,54-62 Eingang gefunden haben. Wie immer, bleibt die Rekonstruktion solcher unbezeugter Passagen unsicher. Jedoch lassen sie sich am ehesten verstehen, wenn sie als Spuren des vorkanonischen Textes verstanden werden, die durch die kanonische Textüberlieferung nicht vollständig getilgt und korrigiert wurden. Nicht alle Beispiele sind in gleicher Weise aussagekräftig, aber einige sind doch sehr charakteristisch. In Lk 22,54 ist die Doppelung von (συλλαβόντες δὲ αὐτὸν) ἤγαγον καὶ εἰσήγαγον (αὐτόν) im Mehrheitstext ( P 75 א A B usw.) am ehesten die Folge einer Konflationierung der kürzeren Lesart in D it sy u. a. (om και εισηγαγον [αυτον]) mit der (nur noch von 713 aeth bezeugten) Lesart ohne ἤγαγον καί. Auch wenn die Formulierung im Mehrheitstext (ἤγαγον καὶ εἰσήγαγον) nicht sinnlos ist, 6 erklärt sich die Varianz der Textüberlieferung leichter, wenn es nicht eine, sondern zwei »Ursprünge« für diesen Vers gibt. Auffällig ist auch die D-Lesart von *22,55, die am Ende wie Mk 14,54 θερμαινόμενος bietet. Da die Formulierung von Mk 14,54 sich ansonsten stark von *22,55 unterscheidet, kann es sich nicht um eine versehentliche Eintragung aus der synoptischen Parallelstelle handeln: Die D- Lesart ist kein Schreibversehen, sondern die Folge eines redaktionellen Aktes. Denn Mk hat die entscheidende Information aus *22,55 (περιαψάντων δὲ πῦρ ἐν μέσῳ τῆς αὐλῆς) erst am Ende des Verses zusammengezogen (Mk 14,54 καὶ θερμαινόμενος π ρ ὸ ς τ ὸ ϕ ῶ ς ). Besonders aussagekräftig sind in dieser Hinsicht die beiden Belege für ὁ κύριος bzw. τοῦ κυρίου in der Erzählstimme in Lk 22,61: An beiden Stellen bieten D it sy u. a. ὁ Ἰησοῦς bzw. τοῦ ______________________________ 5 Vgl. dazu K LEIN , a. a. O. 55 mit der älteren Lit. 6 Zur Erklärung vgl. E VANS , Lk 822: Die Doppelung wolle zwischen »abführen« (aus dem Garten Gethsemane) und »hineinbringen« (in den Palast des Hohenpriesters) unterscheiden; s. auch B OVON , Lk IV 347 mit Anm. 46). Nach J. J EREMIAS , Die Sprache des Lukasevangeliums, Göttingen 1980, 296 ist εἰσάγω ein lk Vorzugswort. 1194 Anhang I 22,54-65 Ἰησοῦ. Wie auch an anderer Stelle 7 ist auktoriales κύριος ein zuverlässiges Kennzeichen der lk Redaktion: Das ist nicht die Sprache des vorkanonischen Evangeliums, sondern die des Lk. Die Varianten der kanonischen Textüberlieferung deuten also sehr bestimmt auf eine lk Bearbeitung dieser Perikope und legen auf diese Weise eine vorkanonische Fassung nahe: Das ist der Text in *Ev. 3. Allerdings hat Lk den vorkanonischen Text bearbeitet. Das wichtigste Indiz liefert der Anschluss von 22,63 an V. 62: Im vorliegenden Kontext bezieht sich das (pronominale) Objekt von V. 63 (αὐτόν) auf das Subjekt von V. 62 und signalisiert grammatische Identität. Allerdings sind beide logisch verschieden: Petrus weint (V. 62), aber Jesus wird verspottet (V. 63). Dieser Übergang ist kaum ursprünglich. Die Formulierung von Lk 22,62 konstituiert ein wichtiges Minor Agreement: καὶ ἐξελθὼν ἔξω ἔκλαυσεν πικρῶς (22,62 || Mt 26,75c) ≠ καὶ ἐπιβαλὼν ἔκλαιεν (Mk 14,72d). 8 Die im Rahmen der Zwei-Quellentheorie vorgeschlagene Notlösung, dass Mt und Lk zufällig und unabhängig voneinander auf die gleiche von Mk abweichende Formulierung gekommen sind, liegt in diesem Fall weit jenseits aller Wahrscheinlichkeit. Man hat daher entweder den Einfluss mündlicher Überlieferung vermutet 9 oder mit der »Annahme eines vormt/ lk veränderten Mk Textes« gerechnet. 10 Allerdings ist die (kanonische) Bezeugung von Lk 22,62 aufschlussreich, weil dieser Vers in einem Teil der altlateinischen Zeugen fehlt (a b e ſſ 2 i l r 1 ), während er in der Mehrheit der griechischen Zeugen, aber auch in den restlichen altlateinischen und den syrischen Handschriften bezeugt ist (aur c d f l q vg sy c.s.h.p ). Vor diesem Hintergrund wurde häufig erwogen, ob 22,62 ursprünglich in Lk gefehlt habe und aus Mt interpoliert worden sei, 11 da es keine erkennbaren Gründe für eine sekundäre Streichung gibt. 12 Andererseits ist die Liste der Zeugen mit diesem Vers ausgesprochen eindrucksvoll, weswegen diese textkritische Lösung des überlieferungs- ______________________________ 7 Vgl. dazu o. § 5 (Bd. I, S. 93ff). 8 Vgl. außerdem: οὐκ οἶδα (22,57b || Mt 26,70b) ≠ οὔτε οἶδα οὔτε ἐπίσταμαι σὺ τί λέγεις (Mk 14,68b). - Der Hahn kräht bei Lk (22,60 || Mt 26,74) nur einmal, bei Mk 14,68.72 dagegen zweimal (nach der ersten und der dritten Verleugnung). - ([ὑπ]εμνήσθη ὁ Πέτρος) τοῦ ῥήματος (22,61 || Mt 26,75) ≠ (καὶ ἀνεμνήσθη ὁ Πέτρος) τὸ ῥῆμα (Mk 14,72). Zu den »Minor Agreements« der Verleugnungserzählung vgl. außerdem: N EIRYNCK , Minor Agreements (1974), 177-182; DERS ., Minor Agreements (1991), 81-84; E NNULAT , Minor Agreements 364-378. 9 Z. B. R. E. B ROWN , The Death of the Messiah I, New York u. a. 1994, 609; L UZ , Mt IV 212f mit Anm. 4. 10 E NNULAT , a. a. O. 378. 11 Vgl. die Lit. bei E NNLUAT , a. a. O. 378 Anm. 92. 12 Aus diesem Grund erwägt W OLTER , Lk 730, dass »diese lk-mt Übereinstimmung gegen Markus erst im Laufe der späteren Textüberlieferung entstanden« sei. 22,54-65 Rekonstruktion 1195 geschichtlichen Problems auch als »in keiner Weise vertretbar« und als »Wunschdenken« abgelehnt wurde. 13 An dieser Stelle hilft die Erkenntnis, dass die disparate handschriftliche Bezeugung auf zwei unterschiedliche Texte zurückgeht, die durch die redaktionelle Bearbeitung des Lk voneinander getrennt sind: Es liegt hier wieder das Phänomen vor, dass sich im kanonischen Text noch Spuren des vorkanonischen Evangeliums finden. Die Bezeugung in a b e ſſ 2 i l r 1 ist ein starkes Indiz dafür, dass dieser Vers in dem vorkanonischen Evangelium fehlte und durch die lk Redaktion (aus Mt 26,75c) hier eingetragen wurde: Auf der Ebene des kanonischen Textes ist Lk 22,62 »ursprünglich«, im vorkanonischen Text dagegen sein Fehlen. Die Inkonzinnität des Übergangs von V. 62 zu V. 63 ist daher eine Folge der sekundären Einfügung von V. 62 14 - Lk lässt »Petrus bereits damit beginnen […], sein Verhalten zu bereuen.« 15 Die Reue des Petrus hat sich allerdings bereits in der Mahlszene mit der Ankündigung der Verleugnung als sekundärer Eintrag unter dem Einfluss von Joh 21 erwiesen: Die in 22,62 beginnende »Reue« des Petrus war dort bereits in ihrer Gänze ins Auge gefasst (vgl. ἐπιστρέψας Lk 22,32; s. dort), und dies wird auch hier der Fall sein. 4. Unklar ist die Bezeugung von V. *61: P 69 scheint nämlich vorauszusetzen, dass sich Petrus zu ihm (= Jesus) umdreht (στραϕεὶς δὲ ὁ Πέτρος ἐνέβλεψεν αὐτῷ) und sich dann (τότε) an das Wort der Ankündigung der Verleugnung erinnert. Wenn Petrus auf diese Weise das Subjekt von V. *61a ist, ist seine Renominalisierung in V. *61b (καὶ ὑπεμνήσθη ὁ Π έ τ ρ ο ς ) überflüssig. Dazu scheint zu passen, dass sie in D 157 d fehlt. Es ist allerdings leichter vorstellbar, dass (die ohnehin unsichere Bezeugung von) P 69 hier auf das ursprüngliche Fehlen eines nominalen Subjekts von καὶ ὑπεμνήσθη reagiert und deswegen in V. *61a Subjekt und indirektes Objekt vertauscht hat, als dass diese Lesart ursprünglich ist: Die große Zahl der Zeugen, die in V. *61a ὁ Ἰησοῦς als Subjekt haben, spricht dagegen, denn diese Variante wurde von der lk Redaktion durch ὁ κύριος ersetzt (s. o.). So wird man also dabei bleiben, dass auch in *Ev Jesus selbst das Erinnern und die Reue des Petrus durch sein Umwenden und seinen Blick veranlasst hat. Dieses theologisch wichtige Element ist durch die Unwahrscheinlichkeit erkauft, dass Jesus im Haus des Hohenpriesters (22,54) Petrus anblicken kann, der ihm nur »von Ferne« gefolgt ist und ἐν μέσῳ τῆς αὐλῆς am Feuer sitzt. Dieser Gestaltungswille war demnach bereits ein Kennzeichen von *Ev. ______________________________ 13 L UZ , Mt IV 213. 14 Gegen K LEIN , a. a. O. 54, der die Unebenheit eher einer »vorlukanischen Redaktion« zuschreiben will, als sie »auf das Konto eines reflektierten Eingriffs des Schriftstellers Lukas zu setzen.« 15 W OLTER , Lk 732 z. St. 1196 Anhang I 22,54-65 5. Die knapp erzählte Verspottungsszene schließt sich in *Ev unmittelbar an die Verleugnung an. Sie enthält eine Besonderheit, die für die Überlieferungsgeschichte von großer Bedeutung ist. Denn interessanterweise hat Epiphanius aus *22,64 genau die Worte zitiert, die eines der wichtigsten und am intensivsten behandelten »Minor Agreements« konstituieren: τίς ἐστιν ὁ παίσας σε (Lk 22,64 || Mt 26,68 ÷ Mk 14,65). Diese mt-lk Übereinstimmung gegen Mk ist so charakteristisch, dass sie längst schon zu einem Testfall für das gesamte Phänomen der »Minor Agreements« geworden ist. 16 Dementsprechend vielfältig sind die Lösungsvorschläge. 17 Neben den üblichen Ausweichmanövern, die damit rechnen, dass es (entgegen der Ausgangsannahme der Zwei-Quellentheorie) doch eine direkte Beziehung zwischen Mt und Lk gegeben haben könnte, 18 oder dass Mt und Lk von einer nachmk Änderung abhängig seien, 19 gibt es in diesem besonderen Fall einen weiteren Vorschlag: Mt und Lk seien unabhängig voneinander auf die gleiche Ergänzung gekommen. Dies sei möglich, weil es sich bei der hier geschilderten Misshandlung um ein verbreitetes »Spiel« handele, für das es einen festen Ausdruck gab (nämlich κολλαβίζειν), den Pollux in entsprechendem Sinn erklärt (Onomast. 9,129). 20 Diese letzte Erklärung ist ebenso gelehrt wie untauglich, 21 sie ist auch unnötig. Denn der Hinweis auf das κολλαβίζειν erhellt zwar den realgeschichtlichen Hintergrund der Verspottungsszene, ist aber für die Erklärung des Minor Agreement entbehrlich, weil die mt-lk Übereinstimmung gegen Mk hier auf *Ev als gemeinsame Grundlage zurückgeht. Dieses Beispiel, das für die Diskussion der »Minor Agreements« so zentral ist, ist auch für die Erklärung der mt-lk Übereinstimmungen im Rahmen der *Ev-Priorität mustergültig. Denn wenigstens ein Teil dieser Übereinstimmungen wird auf genau die hier zu beobachtende Weise zu erklären sein: Mt und Lk sind von derselben, nicht-mk Quelle abhängig - *Ev. ______________________________ 16 Vgl. M. D. G OULDER , Two Significant Minor Agreements (Mat. 4: 13 Par.; Mat. 26: 67-68 Par.), NT 45 (2003), 365-373: 371-373. 17 Vgl. vor allem die forschungsgeschichtlichen Referate von: Fr. N EIRYNCK , ΤΙΣ ΕΣΤΙΝ Ο ΠΑΙΣΑΣ ΣΕ: Mt 26,68 / Lk 22,64 (diff. Mk 14,65), in: ders., Evangelica II, Leuven 1991, 95-138; J. K IILUNEN , ›Minor Agreements‹ und die Hypothese von Lukas’ Kenntnis des Matthäusevangeliums, in: I. Dunderberg, Chr. M. Tuckett (eds.), Fair Play, Leiden u. a. 2002, 165-202. 18 So beispielsweise N EIRYNCK , a. a. O. 137; K IILUNEN , a. a. O. 188. 19 So beispielsweise E NNULAT , Minor Agreements 381. 20 Vgl. D. C. M ILLER , ΕΜΠΑΙΖΕΙΝ: Playing the Mock Game (Luke 22: 63-64), JBL 90 (1971), 309- 313; s. auch W. C. VAN U NNIK , Jesu Verhöhnung vor dem Synhedrium (Mc XIV,65 par.), in: ders., Sparsa Collecta I, Leiden 1973, 3-5. 21 Tatsächlich müsste man in diesem Fall ja annehmen, dass die Worte τίς ἐστιν ὁ παίσας σε als feste Formel zu dieser Art der Misshandlung dazugehören; allerdings sind sie nie belegt. 22,66-71 Rekonstruktion 1197 *22,66-67 [ 68 ] 69-71: Verhör vor dem Hohen Rat Sehr gut für *Ev bezeugt und sicher vorhanden. 22,66 Καὶ ὡς ἐγένετο ἡμέρα, a συνήχθησαν οἱ πρεσβύτεροι τοῦ λαοῦ καὶ a ἀρχιερεῖς b [ τε ] καὶ γραμματεῖς, καὶ ἀπήγαγον αὐτὸν εἰς τὸ συνέδριον αὐτῶν, 67 λέγοντες, Εἰ σὺ εἶ ὁ Χριστός; b ὁ δὲ εἶπεν b , Ἐὰν c εἴπω ὑμῖν c οὐ μὴ πιστεύσητε· d [ 68 ἐὰν δὲ ἐρωτήσω οὐ μὴ ἀποκριθῆτε. ] d 69 ἀπὸ τοῦ νῦν δὲ ἔσται ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου καθήμενος ἐκ δεξιῶν τῆς δυνάμεως τοῦ θεοῦ. 70 εἶπαν δὲ πάντες, Σὺ οὖν εἶ ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ; ὁ δὲ πρὸς αὐτοὺς ἔϕη, ῾Υμεῖς λέγετε e ὅτι ἐγώ εἰμι. e 71 οἱ δὲ εἶπαν, Τί ἔτι f χρείαν μαρτυρῶν ἔχομεν f ; αὐτοὶ γὰρ ἠκούσαμεν ἀπὸ τοῦ στόματος αὐτοῦ. A. *22,66: Tert. 4,41,2: Perductus in consessum an ipse esset Christus interrogatur. ♦ *22,67: Tert. 4,41,2f: Perductus in consessum an ipse esset Christus interrogatur … Si dixero, enim inquit, vobis non credetis. ♦ *22,69: Tert. 4,41,4: Et tamen adhuc eis manum porrigens, Abhinc, inquit, erit filius hominis sedens ad dexteram virtutis dei. ♦ *22,70: Tert. 4,41,4: Itaque ex isto dicto et scripturae comparatione illuminati quem se vellet intellegi, Ergo, inquiunt, tu dei filius es? Cuius dei, nisi quem solum noverant? Cuius dei, nisi quem in psalmo meminerant dixisse filio suo, Sede ad dexteram meam? Sed respondit, Vos dicitis, quasi non ego. ¦ Tert. 4,41,5: Atquin confirmavit id se esse quod illi dixerant, dum rursus interrogant. Unde autem probabis interrogative et non ipsos confirmative pronuntiasse, Ergo tu filius dei es? Ut, quia oblique ostenderat se per scripturas filium dei intellegendum, sic senserunt, Ergo tu dei es filius, quod te non vis aperte dicere, aeque ita et ille, Vos dicitis, confirmative respondit. B. a (22,66) συνηχθησαν οι πρεσβυτεροι του λαου και: a aur c d f g 1 gat r 1 vg sy s.c.(p mss) ¦ συνηχθη το πρεσβυτεριον του λαου: D (! ) b e ſſ 2 i l M (*Ev non test.) ● b (22,66) τε: om E G H U Γ Δ Λ Ω 028 047 063 mult lectt co georg got ¦ add M (*Ev non test.) ● c (22,67) ο δε ειπεν: D (L 726 1200 1223 1319) d sa 1 ms ¦ ειπον ημιν ειπεν δε αυτοις: it M (*Ev non test.) ● d (22,67) ειπω υμιν/ dixero vobis: Tert 349 443 903 1195 1630 georg ¦ (2 1) υμιν ειπω: it M ● e (22,68) (εαν δε ερωτησω ου μη αποκριθητε): vs. om e ¦ add (+ μοι η απολυσητε) it M (*Ev non test.) ● f (22,70) οτι εγω ειμι: om Tert i ¦ οτι εγω ειμι/ quod (quia: a aur c f r 1 ; quoniam: d) ego sum: add a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ● g (22,71) χρειαν μαρτυρων εχομεν: D (  Ψ 5 28 60 69 118 472 713 983 1009 1071 1542 1604 1685) d sy p Tat arab Ambr (Ps 118 3,42; CSEL 62, 64) ¦ εχομεν μαρτυριας χρειαν: P 75 B L T 579 1241; χρειαν εχομεν μαρτυριας: א A W Θ f 1.13 sy h M (*Ev non test.). C. Tertullian hat die Szene vom Verhör vor dem Hohen Rat nach einer längeren Phase sehr großzügiger Durchsicht seines *Ev-Exemplars wieder einmal sehr dicht bezeugt, offenkundig wegen ihrer großen christologischen Bedeutung. Die ist allerdings weniger klar, als man sich wünscht, weil schon in *Ev drei verschiedene Titel (Messias/ Christus, Menschensohn, Sohn Gottes) nebeneinander genannt werden, die aber aufgrund der differenzierten Antwort Jesu als nicht synonym erscheinen. 1. Die Exposition zeigt in der lk Fassung eine kleine Ungeschicklichkeit, weil (συνήχθη) τὸ π ρ ε σ β υ τ έ ρ ι ο ν und (ἀπήγαγον αὐτὸν εἰς) τὸ σ υ ν έ δ ρ ι ο ν 1198 Anhang I 22,66-71 αὐτῶν zueinander in Spannung stehen. Allerdings zeigen die Varianten in der altlateinischen (und syrischen) Textüberlieferung, dass diese Spannung mit einiger Wahrscheinlichkeit auf eine sekundäre Ersetzung (συνήχθη τὸ πρεσβυτέριον für συνήχθησαν οἱ πρεσβύτεροι) durch die lk Redaktion zurückgehen wird. 1 Während der Text von it (sy) drei Gruppen nebeneinander nennt (Älteste, Priester, Schriftgelehrte), setzt der Mehrheitstext voraus, dass das πρεσβυτέριον aus Priestern und Schriftgelehrten bestand. Auf diese Weise wird auch die recht ungewöhnliche Bezeichnung für den Hohen Rat verständlich, um den es sich hier ganz offensichtlich handelt: Josephus bezeichnet das Gremium mit dem erwartbaren griechischen technisch gebrauchten γερουσία, 2 die Bezeichnung τὸ πρεσβυτέριον 3 ist im NT überhaupt zum ersten Mal belegt. Sie kommt außer Lk 22,66 noch Act 22,5; 1Tim 4,14 vor, also jeweils in Texten, die auf die Kanonische Redaktion zurückgehen oder ihr nahestehen. Auch dies spricht für den sekundären Charakter der Lesart im Mehrheitstext. 2. Der kanonische Text von Lk 22,67-70 wirft eine Reihe von Schwierigkeiten auf, die sich aus der direkten Bezeugung sowie aus Varianten der Textüberlieferung und überlieferungsgeschichtlichen Erwägungen ergeben. a. Für *22,67, von Tertullian nur zum Teil zitiert, ist die handschriftliche Überlieferung aufschlussreich: Während der kanonische Mehrheitstext eine Aufforderung zur Antwort enthält (εἰ σὺ εἶ ὁ Χριστός, εἰπὸν ἡμῖν), setzt ein Teil der Überlieferung eine Frage (εἰ σὺ εἶ ὁ Χριστός; ) voraus. Der semantisch kaum auffällige Unterschied ist wichtig, weil *22,67 eine enge Parallele in der Befragung Jesu durch die Juden in Joh 10,24f besitzt. Dies ist eine der zahlreichen joh-lk Analogien, die im methodischen Horizont der Zwei-Quellentheorie Probleme aufwerfen. ______________________________ 1 Diese Variante enthält im Übrigen eine der seltenen Abweichungen zwischen D (συνηχθη το πρεσβυτεριον) und d (congregati sunt seniores populi). 2 Etwa Jos., Ant. XII 142: ἡ γερουσία καὶ οἱ ἱερεῖς καὶ οἱ γραμματεῖς. Auch hier erscheinen Priester und Schriftgelehrte als Gruppen neben dem Ältestenrat. 3 Zu den terminologischen und historischen Problemen, die durch τὸ πρεσβυτέριον aufgeworfen werden, vgl. B OVON , Lk IV 365f z. St. 22,66-71 Rekonstruktion 1199 Lk 22,66-68 Joh 10,24f (ἀρχιερεῖς τε καὶ γραμματεῖς … 67 λέγοντες,) (οἱ Ἰουδαῖοι … ἔλεγον αὐτῷ·) ἕως πότε τὴν ψυχὴν ἡμῶν αἴρεις; Εἰ σὺ εἶ ὁ Χριστός, εἰ σὺ εἶ ὁ χριστός, εἰπὸν ἡμῖν. εἰπὲ ἡμῖν παρρησίᾳ. εἶπεν δὲ αὐτοῖς, 25 ἀπεκρίθη αὐτοῖς ὁ Ἰησοῦς· Εὰν ὑμῖν εἴπω οὐ μὴ πιστεύσητε· εἶπον ὑμῖν καὶ οὐ πιστεύετε· (τὰ ἔργα ἃ ἐγὼ ποιῶ ἐν τῷ ὀνόματι τοῦ πατρός μου ταῦτα μαρτυρεῖ περὶ ἐμοῦ) (68 ἐὰν δὲ ἐρωτήσω οὐ μὴ ἀποκριθῆτε.) In Joh 10,24d ist die Aufforderung εἰπὲ ἡμῖν παρρησίᾳ durch die vorangehende Frage (10,24b: ἕως πότε τὴν ψυχὴν ἡμῶν αἴρεις; ) und die Bedingung (10,24c: εἰ σὺ εἶ ὁ χριστός,) ohne weiteres plausibel. Die Aufforderung der Ankläger, Jesus solle ἐν παρρησίᾳ antworten, und die Reaktion Jesu »Ich habe es euch (ja bereits) gesagt« (10,25b im Aor.: εἶπον ὑμῖν …) zeigen einmal mehr die joh-synoptischen Beziehungen, da der joh Jesus dieses christologische Bekenntnis ja noch gar nicht vor »den Juden« abgelegt hatte. 4 Denn auch, wenn man die joh Hirtenrede in diesem Sinn als Bekenntnis verstehen könnte, 5 scheint Joh 10,25b einen Hinweis auf *22,67 zu enthalten. b. In dieser Perspektive gewinnen zwei Beobachtungen zu der kanonischen Formulierung von Lk 22,67f Gewicht. Zum einen erscheint der Hinweis Lk 22,68 sehr unvermittelt, denn die Verhörsituation lässt eigentlich keine theologische Debatte erwarten, in der Jesus mit Gegenfragen auf die Vorhaltungen seiner Gegner reagieren könnte. Das Nebeneinander von Lk 22,67d und 22,68 entspricht daher der Abfolge von Lk 20,2-8. Aus diesem Grund ist das (von Tertullian schon für *Ev bezeugte) Futur οὐ μὴ πιστεύσητε (*22,67) einigermaßen überraschend: Ein gezielter Rückverweis auf 20,2ff würde eher den Aorist, den Joh 10,25 hier bietet, erwarten lassen. Aus diesem Grund ist zweitens das Fehlen von Lk 22,68 in einem (sehr schmalen, aber charakteristischen) Teil der Textüberlieferung (nämlich in der Afra-Handschrift e) wichtig: Lk 22,68 ist ein Kohärenzsignal, das wahrscheinlich erst von der lk Redaktion gesetzt wurde, die es dann versäumt hat, auch *22,67d entsprechend anzugleichen, etwa wie in Joh 10,25b. 3. Zu *22,70 bezeugt Tertullian für *Ev als Antwort Jesu auf die Frage, ob er der Sohn Gottes sei, nur die bestätigenden Worte »Ihr sagt es« (ὑμεῖς λέγετε/ vos dicitis). Diese kurze Antwort, die auch durch den altlateinischen Cod. Vindobonensis (i) bezeugt wird, ist ein einfaches Geständnis. In der kanonischen Fassung ist die ______________________________ 4 Vgl. M ORRIS , Joh 519: »But He has not said to any of the Jews in set terms that He is the Christ.« 5 So etwa T HYEN , Joh 497f, der die Frage, ob und wie Jesus bereits gesagt hatte, dass er der Christus sei, für ein »Scheinproblem« hält. 1200 Anhang I 22,66-71 Semantik der Antwort durch die Hinzufügung der Worte ὅτι ἐγώ εἰμι keineswegs klarer geworden: Verschiedene Interpreten haben diese Worte als Distanzierung bzw. Einschränkung des Geständnisses verstanden. 6 Vor diesem Hintergrund verdient Tertullians Referat in 4,41,4 genauere Betrachtung. Tertullian zielt wieder einmal auf die ditheistische Gotteslehre Marcions und argumentiert, dass die Frage der Synhedristen, ob Jesus der Sohn Gottes sei, ja doch impliziere, dass er der Sohn ihres Gottes - also in dem Marcion unterstellten Verständnis: der Sohn des deus bonus - sei (was Marcion abgelehnt haben würde): »(Der Sohn) von welchem Gott, wenn nicht von dem einzigen Gott, den sie (sc. die Synhedristen) kannten? Von welchem Gott, wenn nicht von demjenigen, von dem sie sich erinnerten, dass er im Psalm zu seinem Sohn gesagt hatte ›Setze dich zu meiner Rechten! ‹? « Der Text fährt fort mit dem *Ev-Zitat: »Sed respondit, Vos dicitis, quasi non ego.« Schwierig sind die Worte quasi non ego. Sie können - bei dieser Interpunktion - verstanden werden als »Ihr sagt es, als ob (er meine): Nicht ich (sage es).« Bei anderer Interpunktion (vos dicitis quasi, non ego) ließe sich verstehen »Ihr sagt, dass es so ist - ich (sage dies) nicht! « 7 In beiden Fällen scheint eine Distanzierung mitzuklingen, die dem ὅτι ἐγώ εἰμι des kanonischen Textes (in den genannten Deutungen) entsprechen könnte - und diese Wendung dann bereits für *Ev belegen würde. Zwei Gründe sprechen jedoch dagegen: Erstens fährt Tertullian unmittelbar im Anschluss fort: »Nun aber bestätigte (confirmavit) er jedoch, dass er das sei, was jene gesagt hatten, als sie ihn das zweite Mal fragten« (4,41,5) - nämlich der Sohn Gottes. Tertullian hält also die durch quasi non ego ausgedrückte Einschränkung gerade nicht für den Sinn des Textes, den er in *Ev las. Die Worte quasi non ego sind daher nicht Teil seines *Ev-Zitats, sondern ein deutender Zusatz. Dies zeigt dann - zweitens - auch die Wiederholung des Zitats in der kurzen Form (ὑμεῖς λέγετε/ vos dicitis) nur wenige Zeilen weiter. Tertullian hat also in *Ev nicht den kanonischen, sondern den kurzen Text gelesen, der auch durch den altlateinischen Cod. Vindobonensis (i) bezeugt ist. Dass auch die kanonische Formulierung der Antwort Jesu (ὑμεῖς λέγετε ὅτι ἐγώ εἰμι) keine Distanzierung ausdrückt, sondern im Sinn einer Bekräftigung zu verstehen ist (»Ihr sagt es; so ist es«), hat Wolter noch einmal mit guten philologischen und inhaltlichen Gründen deutlich gemacht 8 - die lk Redaktion hat also die Sinnrichtung von *Ev an dieser Stelle nicht verändert, sondern nur verstärkt. ______________________________ 6 Beispielsweise F ITZMYER , Lk II 1468 (»a half-yes answer«); M ARSHALL , Lk 851 (»a grudging admission«); B OVON , Lk IV 371f (»Es liegt also eine Ambivalenz zwischen einer Weigerung und einem Eingeständnis vor«). 7 In diesem Fall wäre quasi als Ersatz für einen Acc. cum Inf. zu verstehen, wie es im Neulatein gelegentlich vorkommt, vgl. dazu K ÜHNER / S TEGMANN , Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache II/ 2, Darmstadt 6 1992, § 224.8; H OFMANN / S ZANTYR , Lateinische Syntax und Stilistik, München 2 1972, § 321. Diesen Hinweis verdanke ich der freundlichen Belehrung von Fritz-Heiner Mutschler, Dresden. 8 W OLTER , Lk 737: In rhetorischer Hinsicht handele es sich bei ὑμεῖς λέγετε ὅτι um eine amplificatio, »die der bestätigenden Antwort Jesu noch zusätzliches Gewicht verleiht« - alles andere als eine uneingeschränkte Bestätigung der Gottessohnschaft wäre nach dem gesamten Kontext des Lk auch mehr als unwahrscheinlich. 22,66-71 Rekonstruktion 1201 4. Sieht man einmal von der Einfügung von V. 68 sowie von den unbezeugten Vv. 66a.71 ab, dann hat die Perikope bereits in *Ev i. W. so ausgesehen wie in der kanonischen Fassung. Die Unterschiede gegenüber der mk-mt Fassung gehen also nicht auf redaktionelle Eingriffe des Lk an *Ev zurück, sondern auf Veränderungen, die Mk vorgenommen und Mt von dort übernommen hat. a. Das betrifft vor allem das Nebeneinander von zwei Fragen (*22,66.70), die in Mk 14,62 || Mt 26,63 in einer Frage zusammengefasst sind: In der mk-mt Fassung der Frage scheinen Messianität und Gottessohnschaft Jesu identisch zu sein, in *Ev/ Lk ist das weniger klar. Diese Differenzierung ist jedoch - zumindest an dieser Stelle - kein Werk des Lk, sie findet sich schon bei *Ev. Ob *Ev dadurch eine semantische Differenzierung zwischen Christus- und Gottessohntitel ausdrücken wollte, bleibt jedoch unklar. Für Lk legt sich eine solche Differenzierung aufgrund der Entsprechungen in 1,32 (red.) und *4,41 (für *Ev unbezeugt, aber vermutlich enthalten; s. dort) nahe. 9 Je stärker der semantische Gehalt dieser beiden Bezeichnungen übereinstimmt, desto deutlicher tritt die Ironie der Szene zu Tage: Jesus verweigert den Synhedristen die Antwort auf die erste Frage nach seiner Messianität mit der Begründung, sie würden ihm ohnehin nicht glauben (V. *67b). Als er die zweite Frage nach seiner Gottessohnschaft dann bejaht, geschieht genau dies: Sie glauben ihm nicht. 10 Die redaktionelle Kombination der beiden Fragen in Mk 14,62 || Mt 26,63 ist daher im Vergleich zu *Ev eine durchaus sachgerechte Vereindeutigung. Die Ambivalenz, die *Ev-Lk an dieser Stelle anzuhaften scheint, hat eine Reihe von Auslegern dazu veranlasst, hier eine gezielte Veränderung des lk Textes gegenüber Mk 14,62 zu sehen - mit weitreichenden Konsequenzen für die Interpretation. Denn in diesem Fall erscheint die Aufteilung in zwei Fragen und ihre Beantwortung durch Jesus tatsächlich als verunklarende Distanzierung gegenüber der eindeutigeren mk Formulierung. Dieses Problem hat eine direkte Entsprechung in dem unmittelbar folgenden Verhör vor Pilatus (s. dort). b. Zu den überlieferungsgeschichtlichen Auffälligkeiten gehört schließlich auch die Stellung des Menschensohnlogions vor der (zweiten) Frage nach der Gottessohnschaft (*22,69.70 ≠ Mk 14,62.61 || Mt 26,64.63). Diese Umstellung ist also nicht der Ausdruck der lk Redaktion von Mk/ Mt, sondern zeigt umgekehrt die mk-mt Bearbeitung von *Ev. Angesichts dieser Überlieferungslage ist es nicht ratsam, bei der Interpretation des lk Verhörberichtes den Unterschieden gegenüber ______________________________ 9 Vgl. W OLTER , Lk 735f; J. J. K ILGALLEN , Jesus’ First Trial: Messiah and Son of God (Luke 22,66-71), Bib. 80 (1999), 401-414. 10 Vgl. J. P. H EIL , Reader-Response and the Irony of Jesus before the Sanhedrin in Luke 22: 66-71, CBQ 51 (1989), 271-284: 282f. 1202 Anhang I 22,66-71 der mk-mt Fassung als gezielten redaktionellen Änderungen zu viel Gewicht beizumessen. c. Ein letzter Gesichtspunkt betrifft das Verhältnis von *22,66-71 zu Mk 14,53-65: Mk schildert ein regelrechtes Strafverfahren mit einer Kapitalklage gegen Jesus (14,55: εἰς τὸ θανατῶσαι αὐτόν), der Aufbietung von Zeugen (14,56-59), der Befragung des Angeklagten zu den Vorwürfen (14,60-62) und dem abschließenden, einstimmig gefassten Todesurteil (14,64). Dass die wesentlichen Elemente - die Anmaßung der Kapitalgerichtsbarkeit durch den Hohen Rat; die nächtliche Sitzung in einem Kapitalprozess; falsche und widersprüchliche Zeugenaussagen - jeglicher Rechtspraxis Hohn sprechen, ist dabei ein wichtiges Gestaltungsmittel: Mk inszeniert hier einen Justizmord durch die jüdischen Autoritäten. *Ev erzählt dagegen (rechtshistorisch sehr viel plausibler) von einer morgendlichen Befragung Jesu zur Vorbereitung einer Anklage vor dem römischen Statthalter. Diese erfolgt dann auch erst nach seiner Überstellung an Pilatus (*23,2: ἤρξαντο δὲ κατηγορεῖν αὐτοῦ), der Prozess liegt ausschließlich in der Hand des Statthalters. Da die mk Darstellung der Klage vor Pilatus seiner Quelle *Ev folgt, haben seine redaktionellen Änderungen zu Spannungen im Erzählablauf geführt: Nachdem die Hohenpriester und das Synhedrium bereits nachts ein Todesurteil gefällt hatten (Mk 14,64), fassen sie »gleich morgens in der Frühe« (erneut? ) einen Beschluss (Mk 15,1: συμβούλιον ποιήσαντες), überstellen Jesus an Pilatus und klagen ihn dort an. Die Differenzen zwischen dem Prozessverlauf in Mk und *Ev-Lk beruhen daher auf (theologisch nachvollziehbaren) Änderungen der mk Redaktion. Dass Lk »mit nicht mehr zu überbietender Akribie sämtliche Reminiszenzen an ein jüdisches Synedrialgerichtsverfahren ausgemerzt« habe, 11 trifft daher ebenso wenig zu wie die dafür reklamierten theologischen Gründe, die Lk gehabt haben könnte. *23,1-5: Prozess Jesu I: Überstellung an Pilatus. Verhör und erstes Urteil des Pilatus Gut bezeugt und sicher in *Ev vorhanden, aber durch die lk Redaktion gekürzt (*23,2) und bearbeitet. 23,1 Καὶ a ἀναστάντες [ ἅπαν τὸ πλῆθος αὐτῶν ] a ἤγαγον αὐτὸν ἐπὶ τὸν Πιλᾶτον. 2 ἤρξαντο δὲ κατηγορεῖν αὐτοῦ λέγοντες, Τοῦτον εὕραμεν διαστρέϕοντα τὸ ἔθνος b ἡμῶν c {καὶ καταλύοντα τὸν νόμον καὶ τοὺς προϕήτας} c καὶ d κελεύοντα ϕόρους e Καίσαρι μὴ δοῦναι d f {καὶ ἀποστρέϕοντα τὰς γυναῖκας καὶ τὰ τέκνα ______________________________ 11 F. G. U NTERGASSMAIR , Zur Problematik der lukanischen Passionsgeschichte, in: K. Backhaus (Hg.), Schrift und Tradition, Paderborn u. a. 1996, 273-292: 284. 23,1-5 Rekonstruktion 1203 ¿ἀπὸ ἡμῶν, οὐ γὰρ βαπτίζονται ὡς καὶ ἡμεῖς οὐδὲ καθαρίζονται? } f καὶ λέγοντα ἑαυτὸν g βασιλέα Χριστὸν g εἶναι. 3 ὁ δὲ Πιλᾶτος ἠρώτησεν αὐτὸν λέγων, Σὺ εἶ ὁ h Χριστός; ὁ δὲ ἀποκριθεὶς αὐτῷ ἔϕη, Σὺ λέγεις. 4 ὁ δὲ Πιλᾶτος εἶπεν πρὸς τοὺς ἀρχιερεῖς καὶ τοὺς ὄχλους, Οὐδὲν εὑρίσκω αἴτιον ἐν τῷ ἀνθρώπῳ τούτῳ. 5 οἱ δὲ ἐπίσχυον λέγοντες ὅτι Ἀνασείει τὸν λαὸν διδάσκων καθ’ ὅλης τῆς Ἰουδαίας, καὶ ἀρξάμενος ἀπὸ τῆς Γαλιλαίας ἕως ὧδε. A. *23,1f: Tert. 4,42,1: Perductum enim illum ad Pilatum onerare coeperunt quod se regem diceret Christum, sine dubio dei filium, sessurum ad dei dexteram. ♦ *23,2(5): Epiph., Schol. 69: Προσέθετο μετὰ τό Τοῦτον εὕρομεν διαστρέϕοντα τὸ ἔθνος· Καὶ καταλύοντα τὸν νόμον καὶ τοὺς προϕήτας. ¦ Epiph., Schol. 70: Προσθήκη μετὰ τό Κελεύοντα ϕόρους μὴ δοῦναι· Καὶ ἀποστρέϕοντα τὰς γυναῖκας καὶ τὰ τέκνα. ♦ *23,3: Tert. 4,42,1: Pilato quoque interroganti, Tu es Christus? proinde, Tu dicis, ne metu potestatis videretur amplius respondisse. ♦ *23,4: Tert. 4,42,2: Constitutus est igitur dominus in iudicio; et statuit in iudicio populum suum. Ipse dominus in iudicium venit cum presbyteris et archontibus populi, secundum Esaiam. Atque exinde omne scriptum passionis suae implevit. Tumultuatae sunt ibidem nationes, et populi meditati sunt inania: astiterunt reges terrae, et archontes congregati sunt in unum adversus dominum et adversus Christum eius. Nationes, Romani qui cum Pilato fuerant; populi, tribus Israelis; reges, in Herode; archontes, in summis sacerdotibus. B. a (23,1) ανασταντες: D d ¦ ανασταντες απαν το πληθος αυτων: Θ 0211 131 903; ανασταν απαν το πληθος αυτων: it M (*Ev non test.) ● b (23,2) ημων: om Epiph A W Θ 063 a r 1 ¦ ημων/ nostram: add P 75 א B D K L N R T Ψ f 13 892 1241 aur b c d f ſſ 2 g 1 i l q sy ● c (23,2) και καταλυοντα τον νομον και τους προϕητας/ et solventem legem nostram et prophetas: Epiph b c e ſſ 2 gat i l q vg ¦ om a aur d f r 1 vg M ● d (23,2) κελευοντα … μη δουναι: Epiph ¦ κωλυοντα … διδοναι/ prohibentem (vetantem: c d; prohibentes: e) … dare (dari: r 1 ): a aur b c d e f ſſ 2 i l q r 1 M ● e (23,2) καισαρι: om Epiph r 1 (prohibentem tributa dari) ¦ add a aur b c d e f ſſ 2 i l q M ● f (23,2) και αποστρεϕοντα τας γυναικας και τα τεκνα: Epiph c e (in 23,5: et filios nostros et uxores avertit a nobis, non enim baptizatur (baptizantur: e) sicut (add et: e) nos (add nec se mundant: e) ¦ om a aur b d f ſſ 2 i l q r 1 M ● g (23,2) βασιλεα χριστον/ regem Christum: Tert c ¦ χριστον βασιλεα/ Christum regem: a aur b d e f ſſ 2 i l q r 1 M ● h (23,3) χριστος: Tert; (c: tu es Iesus) ¦ ο βασιλευς των ιουδαιων/ rex Iudaeorum: a aur b d e f ſſ 2 i l q r 1 (c: tu es rex Iudaeorum? tu es Iesus? ) M . C. Der Bericht über die Anklage der Synhedristen vor Pilatus, dessen Verhör und Urteil über Jesus ist insgesamt gut bezeugt und war im Kern zweifelsfrei in *Ev enthalten. Die vom kanonischen Text abweichende Bezeugung durch Epiphanius ist im Einzelnen allerdings höchst aufschlussreich: Sie stimmt nicht nur mit einem Teil der Textüberlieferung zusammen, sondern liefert außerdem einen der besonders schlagkräftigen Beweise für die *Ev-Priorität. 1. Zu *23,2 sind durch Epiphanius und Tertullian einige kleinere Unterschiede belegt, die auch in einigen »Westlichen« Handschriften auftauchen und von daher als sehr gut bezeugt gelten müssen, auch wenn die semantischen Unterschiede gering sind. 1204 Anhang I 23,1-5 (1) *Ev hatte nur τὸ ἔθνος anstelle von τὸ ἔθνος ἡ μ ῶ ν im kanonischen Text; diese Lesart ist auch durch A W Θ M a r 1 bezeugt. - (2) Bei *Ev und im Cod. Usserianus (r 1 ) fehlt das indirekte Objekt Καίσαρι/ Caesari als Adressat der Steuerzahlungen. - (3) Für das letzte Glied der Aufzählung der Vorwürfe gegen Jesus bezeugt Tertullian mit dem Colbertinus (c) die Wortfolge βασιλέα Χριστόν (anstelle des ansonsten belegten Χριστὸν βασιλέα). In allen Fällen gehen die Bezeugungen für *Ev mit (Teilen) der altlateinischen Handschriftenüberlieferung zusammen.1 Daneben muss auch die D-Lesart ἀναστάντες *23,1 anstelle von ἀναστὰν ἅπαν τὸ πλῆθος αὐτῶν als ursprünglich gelten: Beide Formen sind durch Θ usw. konflationiert. Dass das Subjekt ursprünglich im Plural stand, ist schließlich noch an ἤγαγον erkennbar. 2 2. Für die Bestimmung der Bearbeitungsrichtung zwischen *Ev und Lk ist es von entscheidender Bedeutung, dass Epiphanius für *23,2 zwei »Zusätze« gegenüber dem kanonischen Mehrheitstext bezeugt, die ebenfalls in der altlateinischen Überlieferung auftauchen. Epiphanius behauptet, dass Marcion nach »Wir haben gefunden, dass dieser das Volk aufhetzt« noch hinzugesetzt habe: »Und er löst das Gesetz und die Propheten auf (καὶ καταλύοντα τὸν νόμον καὶ τοὺς προϕήτας)« (Schol. 69). Außerdem habe Marcion nach dem »Er befahl, keine Steuern zu zahlen« hinzugesetzt: »Er habe die Frauen und Kinder abspenstig gemacht (καὶ ἀποστρέϕοντα τὰς γυναῖκας καὶ τὰ τέκνα)« (Schol. 70). Der erste dieser »Überschüsse« (καὶ καταλύοντα τὸν νόμον καὶ τοὺς προϕήτας) ist über jeden Zweifel erhaben. Er ist - mit einer geringfügigen Erweiterung - auch durch einen großen Teil der altlateinischen Überlieferung sehr gut bezeugt: et solventem legem [nostram: om c vg] et prophetas (b c e ſſ 2 gat i l q vg 4 mss ). Zu vermerken ist hier lediglich, dass D d diese Passage nicht enthalten und den kürzeren kanonischen Text bezeugen. Aber diese Ambivalenz innerhalb der »Westlichen« Überlieferung, die auf die uneinheitliche Korrektur des vorkanonischen Evangelientextes durch den kanonischen Lk-Text zurückgeht, ist durchgängig zu beobachten. 3. Etwas weniger klar ist die Bezeugung des zweiten »Überschusses« mit dem Vorwurf, Jesus mache die Frauen und Kinder abspenstig. Auch dieser Vorwurf der Verführung zur Apostasie taucht in der altlateinischen Überlieferung wieder auf, und zwar in den Codd. Colbertinus (c) und Palatinus (e). Allerdings weichen Epiphanius’ Referat und die handschriftliche Bezeugung in zwei vermutlich miteinander zusammenhängenden Aspekten voneinander ab. a. Zunächst enthalten c e im Unterschied zu dem von Epiphanius bezeugten Text noch eine inhaltliche Begründung. ______________________________ 1 Nur durch Epiphanius ist die stärkere Formulierung κελεύοντα … μὴ δοῦναι anstelle des ansonsten durchweg bezeugten Ausdrucks κωλύοντα … διδόναι belegt. 2 Bezeugt durch P 75 א A B D E G H K L M N R T U V W Γ Δ Λ Π Ψ Ω 028 047 0211 al it vg sy h gegen den Singular ηγαγεν (M , auch vom Textus Receptus übernommen). 23,1-5 Rekonstruktion 1205 In beiden Handschriften ist die Verführung zur Apostasie als Verführung zur Unreinheit verstanden: Im Colbertinus (c) ist der Verführer als »unrein« disqualifiziert: »Und er macht die Söhne und Frauen von uns abspenstig, weil er nicht wie wir untergetaucht ist.« Dagegen betont der Palatinus (e) die Auswirkung der Apostasie, nämlich die mangelnde Reinheitspraxis der Verführten: »Und er macht die Söhne und Frauen von uns abspenstig, weil sie sich nicht so wie wir untertauchen und sich nicht reinigen«. Eine Entscheidung zwischen dem kürzeren (von Epiphanius bezeugten) und dem längeren Text von c e (sowie zwischen c und e) ist nicht einfach. Nach Maßgabe der Faustregel, dass bei derartigen Abweichungen die am weitesten vom kanonischen Text entfernte Lesart mit einiger Wahrscheinlichkeit die ursprüngliche ist, läge die Priorität bei dem längeren Text von c e. Dabei ist eine Beziehung zwischen dem Vorwurf der (Verführung zur) Unreinheit mit der für *Ev ebenfalls wahrscheinlichen Reinigungsbitte im Vaterunser gut denkbar (*11,2c; s. dort). Im Hintergrund des Vorwurfs könnte dann stehen, dass die Reinigung durch das Pneuma die Einhaltung anderer Reinheitsbestimmungen überflüssig macht. Wenn dies zutrifft, wäre die Lesart des Palatinus, die sich auf die Unreinheit der Verführten (und nicht des Verführers) bezieht, vorzuziehen: et filios nostros et uxores avertit a nobis, non enim b a p t i z a n t u r sicut e t nos n e c s e m u n d a n t . Andererseits wirkt der Vorwurf mit der Begründung im Zusammenhang der Reihe der Anklagen in *23,2 stark überladen: Er passt in der Tat eher in den Kontext von *23,5, in dem ihn c e ja tatsächlich bieten. Da keine dieser Überlegungen zwingend ist, muss das Urteil, ob der Vorwurf eine Begründung enthielt - und wenn ja: welche - offen bleiben. b. Im Unterschied zu Epiphanius’ Referat bieten c e den Apostasievorwurf nicht im Zusammenhang der Anklage *23,2, sondern in Lk 23,5. An dieser Stelle, an der die Ankläger in Reaktion auf das erste Urteil des Pilatus (V. *4) ihre Anklage wiederholen und verstärken, hat die ausführlichere Fassung mit der zusätzlichen Begründung dann tatsächlich einen passablen Platz. Wiederum ist schwer zu entscheiden, an welcher Stelle der Vorwurf ursprünglich stand. Auf der einen Seite ist die Bezeugung für *23,5 in c und e eindeutig. Auf der anderen Seite ist Epiphanius’ Beschreibung für den Text von *23,2 ausgesprochen präzise: Er verortet die angeblichen »Zusätze« ja sehr genau durch die Angabe des jeweils unmittelbar vorangehenden Kontextes. Dazu kommt, dass die für *Ev bezeugte partizipiale Formulierung (καὶ καταλύοντα … καὶ ἀποστρέϕοντα …) zwar in die Reihe der Vorwürfe in *23,2 passt ([τοῦτον εὕραμεν διαστρέϕοντα] … καταλύοντα … κελεύοντα … ἀποστρέϕοντα … λέγοντα), nicht aber in *23,5, wo der Kontext eine finite Verbform erfordert, wie sie auch in c und e vorliegt (commovet/ conturbat … et … avertit …). Für eine Entscheidung gibt es so gut wie keine Gesichtspunkte, da beide Fassungen in ihrer syntaktischen Form in ihren jeweiligen Kontext genau eingepasst sind und da das direkte Zeugnis des Epiphanius kein größeres Gewicht beanspruchen kann 1206 Anhang I 23,1-5 als das indirekte der Handschriften: Die Annahme der Interferenz der beiden Textüberlieferungen und die Einsicht in die sukzessive Veränderung von *Ev machen dies unmöglich. Aus diesem Grund bleibt nur das innere Kriterium, in welcher Richtung eine redaktionelle Bearbeitung leichter vorstellbar ist. Da Epiphanius’ Text mit der Folge von fünf Einzelvorwürfen - Aufwiegelung des Volkes; Auflösung von Gesetz und Propheten; Verbot der Steuerzahlung; Verführung der Frauen und Kinder zur Apostasie; messianischer Anspruch - stark überladen ist, liegt eine Verschiebung von *23,2 nach *23,5 näher als im umgekehrten Fall: Die Verschiebung des Vorwurfs nach *23,5 in c und e ist demgegenüber als Erleichterung und stilistische Glättung zu betrachten, zumal die Wiederholung der Anklage gegenüber Pilatus auf diese Weise besser begründet erscheint. Wenn Epiphanius’ *Ev- Exemplar, c und e auf eine gemeinsame, aber unterschiedlich bearbeitete Vorlage zurückgehen, dann ist die ursprüngliche Abfolge eher in *Ev bewahrt als in c und e. Das Urteil zu der Begründung und ihrer möglichen Gestalt bleibt von der Frage nach dem Ort des Vorwurfs allerdings unberührt: Dieses Problem bleibt offen. 4. Sehr viel wichtiger als der Ort und die genaue Gestalt, an dem *Ev diesen (zweiten) Vorwurf enthielt, ist jedoch das inhaltliche Problem, das der erste Vorwurf, Jesus löse das Gesetz und die Propheten auf, aufwirft. Die (einheitliche) Bezeugung dieses Textes für *Ev ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Zunächst gilt wieder die grundlegende Einsicht, dass das Eindringen solcher Lesarten in den katholischen Text nur dann wirklich erklärbar ist, wenn sie nicht aus einem als häretisch bekämpften Text stammen, sondern auf eine davorliegende, noch vor-kanonische Ausgabe zurückgehen. Wichtiger ist, dass diese Bemerkung dem für Marcion angenommenen redaktionellen Interesse diametral widerspricht: Wenn - wie von Tertullian bis Harnack durchgängig angenommen wird! - Marcions Antinomismus eines seiner theologischen Hauptanliegen war, 3 dann ist schlechterdings unverständlich, wieso er den Vorwurf der Auflösung von Gesetz und Propheten seinem eigenen Evangelium hinzufügen und ausgerechnet in eine Reihe von erkennbar falschen Anklagen der Gegner hätte aufnehmen sollen. Denn auf diese Weise wird ja sehr eindrücklich bestätigt, dass Jesus sich diese »Auflösung« gerade nicht hat zuschulden kommen lassen. Unter der Annahme der Lk-Priorität bleibt diese Schwierigkeit völlig unerklärbar. Es ist daher auch nicht weiter verwunderlich, dass die Vertreter der Lk-Priorität es vorziehen, sie kommentarlos zu übergehen. 4 ______________________________ 3 Vgl. Tert. 1,19,4: separatio legis et evangelii p r o p r i u m e t p r i n c i p a l e o p u s est Marcionis! 4 Z AHN I 680 (mit Anm. 1); II 492; H ARNACK 235*: »Es sind also in v. 2 zwei Zusätze zu konstatieren, die im Abendland z. T. Aufnahme gefunden haben«; T SUTSUI 125: »Zusätze … stammen wohl von Marcion.« 23,1-5 Rekonstruktion 1207 5. Unter der umgekehrten Annahme der *Ev-Priorität wird die Streichung dieser beiden angeblichen »Zusätze« durch die lk Redaktion dagegen ohne weiteres verständlich: Der Text von *Ev war an dieser Stelle alles andere als klar. a. Zunächst wirkt die Reihe der fünf Einzelanklagen stark überladen. Lk hat das wohl ähnlich gesehen wie c und e (bzw. ihre Vorlage), die den Vorwurf der Verführung zur Apostasie als Begründung nach 23,5 verschoben haben (s. o.): Die kürzere (kanonische) Reihe mit nur drei Vorwürfen liest sich deutlich glatter. Dies gilt insbesondere, wenn die lk Abfolge διαστρέϕοντα … καὶ κωλύοντα … καὶ λέγοντα … nicht parataktisch drei gleichartige Vorwürfe auflistet, sondern die letzten beiden dem ersten epexegetisch unterordnet, so dass die Anklage der Aufwiegelung des Volkes durch die Vorwürfe des Aufrufs zur Steuerverweigerung und des Königsanspruchs expliziert werden. 5 Die Plausibilisierung des Vorwurfs durch seine Erklärung als Abrogation von Reinheitsgeboten in c und e versucht, diesen Mangel zu heilen. Mit dem b. Aber mit hoher Wahrscheinlichkeit waren nicht nur stilistische Gründe für die Streichung dieser beiden Vorwürfe verantwortlich, sondern auch sachliche. Denn der Vorwurf der Verführung von Frauen und Kindern zur Apostasie wirkt wie ein Fremdkörper, weil er im Horizont der Gesamterzählung jeder Grundlage entbehrt. Vorwurf der Auflösung von Gesetz und Propheten ist das - trotz der eindeutigen Stellungnahme in *16,16f - schwieriger, weil beispielsweise die Sabbatkonflikte durchaus als Abrogation des Gesetzes verstanden werden konnten. Was immer der Grund für die Streichung an dieser Stelle war: Lk hat diesen Vorwurf ernst genommen, an dieser Stelle gestrichen und ihn unter die (eindeutig falschen) Anklagen der μάρτυρες ψευδεῖς gegen Stephanus aufgenommen. 6 In diesem Kontext war dann für ihn Gelegenheit, den Vorwurf sehr ausführlich durch den geschichtlichen Nachweis zu widerlegen, dass »Mose« durchweg im Recht war, aber keinen Glauben in Israel fand (Act 7). Eine entsprechende Widerlegung hätte den narrativen Zusammenhang im Rahmen des Pilatusverhörs bei Weitem gesprengt. c. Eine Hauptschwierigkeit in *Ev, die seine Rezipienten auf verschiedene Weise gelöst haben, lag darin, dass die Reihe der Vorwürfe in *23,2 erkennbar falsche Anklagen mit einem zutreffenden Urteil verbunden hatte. Zunächst ist deutlich, ______________________________ 5 Vgl. G. S CHNEIDER , Die politische Anklage gegen Jesus (Lk 23,2), in: ders., Lukas als Theologe der Heilsgeschichte, Königstein - Bonn 1985, 173-183: 178; s. auch BDR § 444.3. 6 Act 6,13f: Stephanus höre »nicht auf, Worte gegen diesen heiligen Ort und gegen das Gesetz (ῥήματα κατά … τοῦ νόμου) zu reden« bzw. habe gesagt, dass Jesus τὰ ἔθη ἃ παρέδωκεν ἡμῖν Μωϋσῆς ändern werde. 1208 Anhang I 23,1-5 dass die gesamte Erzählung keinerlei Anhaltspunkte dafür liefert, dass die Vorwürfe der Aufwiegelung 7 des Volkes oder der Verführung zur Apostasie (und schon gar nicht mit Blick auf die Reinheitspraxis) zutreffen: Beides kommt (in *Ev und in Lk) überhaupt nicht vor. Aber die beiden anderen Vorwürfe konnten die Leser nur als gezielte Lügen verstehen: Der Vorwurf der Auflösung von Gesetz und Propheten ist im Licht von *16,16f (s. dort) genauso wahrheitswidrig wie der des Aufrufs zur Steuerverweigerung im Licht von *20,25 (s. dort). Auf der anderen Seite trifft das Urteil, Jesus halte sich für den Messias, durchaus das Selbstverständnis Jesu nach *Ev oder Lk: Selbst, wenn die inhaltliche Füllung dieser Bezeichnung strittig war, kann für die Leser kein Zweifel daran bestehen, dass Jesus in der Tat der Gesalbte Gottes ist. Damit kommen aber in der Folge der einzelnen Anklagen eindeutig unzutreffende Vorwürfe und ein ebenso eindeutig zutreffendes Urteil unmittelbar nebeneinander zu stehen. Auch ohne das folgende Eingeständnis Jesu (*23,3) ist das eine Schwierigkeit. d. Zu diesem Vorwurf, Jesus würde Gesetz und Propheten auflösen, fällt schließlich noch die entsprechende Formulierung in der Bergpredigt auf, wo der mt Jesus ausdrücklich konstatiert: μὴ νομίσητε ὅτι ἦλθον καταλῦσαι τὸν νόμον ἢ τοὺς προϕήτας (Mt 5,17). Dies liest sich wohl nicht zufällig wie eine direkte Replik auf den für *Ev bezeugten Text. Eine eindeutige Klarstellung zum Vorwurf der Auflösung von Gesetz und Propheten war vor allem deswegen sinnvoll, weil ja die Reihe der Anklagen gegen Jesus in *Ev mit dem Anspruch der Messianität endete, den Jesus auf die Frage des Pilatus hin ausdrücklich bestätigt: Sofern man die Reihe der Vorwürfe gegen Jesus in seinem Messianitätsanspruch kulminieren sah, konnte diese Bestätigung (σὺ λέγεις) ohne weiteres als Geständnis auch bezüglich der anderen Anklagen verstanden werden. Die durch Adamantius und Isidor von Pelusium bezeugte *Ev-Rezeption hat dies ja offensichtlich auch getan und Jesus in *Ev die positive Behauptung zugeschrieben, dass er gekommen sei, Gesetz und Propheten aufzulösen. 8 Dass Lk diesen Vorwurf gestrichen hat, liegt also durchaus nahe. ______________________________ 7 »Aufwiegeln« (διαστρέϕω) ist als politisch-religiöse Destabilisierung zu verstehen. Mit Blick auf die Kritik an der γενεὰ ἄπιστος κ α ὶ δ ι ε σ τ ρ α μ μ έ ν η (Lk 9,41 red., s. dort) ist dieser Vorwurf ebenfalls eindeutig falsch. J. P. H EIL , Reader-Response and the Irony of Jesus before the Sanhedrin in Luke 22: 66-71, CBQ 51 (1989), 271-284: 176f, interpretiert diesen Bezug als Ironie: Der Vorwurf der irreführenden »Aufwiegelung« des Volkes durch Jesus sei zutreffend, weil er das Volk von den schlechten Hirten abbringen und zu Gott zurückführen wolle. 8 Adam. 2,18 (830e): τοῦτο οἱ Ἰουδαϊσταὶ ἔγραψαν, τό Ὀυκ ἦλθον καταλῦσαι τὸν νόμον ἀλλὰ πληρῶσαι. οὐχ οὕτως δὲ εἶπεν ὁ Χριστός, λέγει γάρ, ᾿Ουκ ἦλθον πλῆρωσαι τὸν νόμον ἀλλὰ καταλῦσαι. - Isidor von Pelusium, ep. 1,371 (PG 78, 393A): ἀμείψαντες γὰρ τὴν τοῦ κυρίου ϕωνήν ›᾿Ουκ ἦλθον, λέγοντος, καταλῦσαι τὸν νόμον ἢ τοὺς προϕήτας‹ ἐποίησαν ›Δοκεῖτε ὅτι ἦλθον 23,1-5 Rekonstruktion 1209 6. Eng verbunden mit der lk Streichung dieser Passagen aus *Ev ist auch die weitere Redaktion von *23,2-4. Folgende Aspekte sind dabei wichtig: Nach dem Zeugnis Tertullians kulminierte die Reihe der Vorwürfe gegen Jesus in der Anklage, er habe sich selbst als »König Messias« (βασιλεὺς Χριστός/ rex Christus) bezeichnet. Nur auf diesen letzten Punkt bezieht sich die folgende Frage des Pilatus »Bist du der Christus (σὺ εἶ ὁ Χριστός/ tu es Christus)? «, die Jesus bestätigend beantwortet (V. *3: σὺ λέγεις/ tu dicis). Die lk Redaktion hat diese Frage ersetzt durch »Bist du der König der Juden? « Man kann die vom Vorwurf der Synhedristen abweichende Formulierung der Frage des Pilatus als Differenzierung zwischen einer (jüdischen) Innen- und einer (paganen) Außenperspektive verstehen. 9 Aber angesichts der weiteren Änderungen scheint es hier noch um mehr zu gehen. Denn durch die Streichung der Vorwürfe der Auflösung von Gesetz und Propheten sowie der Verführung von Frauen und Kindern zur Apostasie hat Lk die spezifisch religiös konnotierten Anklagen gestrichen, die politisch bedeutsamen (Aufwiegelung des Volkes; Aufruf zur Steuerverweigerung; Königsanspruch) dagegen beibehalten und sie durch die Einfügung des indirekten Objekts (Καίσαρι/ Caesari) im Zusammenhang der Steuerverweigerung als Widerstand gegen den römischen Herrschaftsanspruch noch präzisiert. Vermutlich folgt Lk in der Politisierung der Anklage den synoptischen Parallelen (σὺ εἶ ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων; Mk 15,2 || Mt 27,11). Auf jeden Fall aber hat er durch diese Änderung einen schier unüberbrückbaren Gegensatz zwischen V. 3 und V. 4 geschaffen. Denn schon in *Ev klingt Pilatus’ Feststellung, er finde an Jesus keine Schuld, als Reaktion auf dessen messianisches Bekenntnis nur bedingt wahrscheinlich (V. *4). Aber auf das nur politisch zu verstehende Geständnis Jesu im kanonischen Text, er sei in der Tat der König der Juden, ist Pilatus’ Feststellung der Unschuld Jesu schlechterdings unmöglich: Jesus hätte sich damit der seditio, eines crimen laesae maiestatis, bezichtigt, das die Todesstrafe nach sich zog. 10 Diese Abfolge von Frage - Geständnis - Freispruch hat die Ausleger vor größte Schwierigkeiten gestellt. Die Lösungsversuche bestehen i. W. in kreativen Interpretationen der Antwort Jesu, die dann nicht als Bejahung der Pilatusfrage verstanden wird. So finden einige (in enger Analogie zu *22,70) in dem σὺ λέγεις eine halbe Bestätigung, die eher Distanz ausdrücke. 11 In der Sache hilft dies wenig, weil auch ein halbherziges Geständnis ein Geständnis bleibt und keinen Freispruch ______________________________ πληρῶσαι τὸν νόμον ἢ τοὺς προϕήτας; ἦλθον καταλῦσαι, ἀλλ οὐκ πληρῶσαι‹. Vgl. dazu o. Bd. I, S. 59f (mit Anm. 90f) und S. 70ff. 9 Vgl. für viele: W OLTER , Lk 739. 10 Zu den rechtsgeschichtlichen Fragen vgl. T H . M OMMSEN , Römisches Strafrecht, Leipzig 1899, 590ff, und die Kommentare. 11 Z. B. K LOSTERMANN , Lk 223 (»keine unbedingte Bejahung«); F ITZMYER , Lk II 1475 (»the same sort of half-yes anwer as in 22: 67c-68,70«); K LEIN , Lk 698 (»halb offen«); vgl. E. H EUSLER , Kapitalprozesse im lukanischen Doppelwerk, Münster 2000, 79 (»bewußt … eine mehrdeutige Aussage«). 1210 Anhang I 23,1-5 nach sich ziehen kann. Andere deuten die Bejahung (σὺ λέγεις) in eine Verneinung um. 12 Das ist philologisch nicht denkbar und substituiert einen Sinn, der dem Text diametral zuwiderläuft. Zuletzt hat daher Wolter versucht, die Antwort als Frage zu verstehen, und übersetzt: »Du bist der König der Juden? […] Du sagst das …? ! « 13 - Jesus würde die Frage also einfach an Pilatus zurückgeben. Dass diese Lösung unwahrscheinlich ist, wird schon daran kenntlich, dass der entscheidende semantische Gehalt der Aussage vollständig von metatextlichen Signalen abhängig ist, die von antiken Lesern gar nicht erfasst werden können, nämlich der Typographie (Kursivierung) bzw. der Interpunktion (»? ! «). 14 Eine letzte Lösung geht davon aus, dass Pilatus die Antwort Jesu zwar als Geständnis gehört, ihr aber keinen Glauben geschenkt habe. 15 Es bleibt nicht nur unklar, wie Lk sich das Verhältnis zwischen dem Geständnis Jesu und dem Freispruch des Pilatus gedacht hat, sondern auch, ob er sich hierzu überhaupt etwas gedacht hat. Denn die Schwierigkeiten der Ausleger resultieren in erster Linie aus dem überlieferungsgeschichtlichen Urteil, dass Lk 23,1-5 allein von Mk 15,1-5 abhängig sei, 16 weswegen die Unterschiede der lk gegenüber der mk Fassung auf eine redaktionelle Intention zurückgeführt werden müssen. 7. In überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht ist daher die Einsicht in die *Ev- Priorität wichtig, weil sie das Zustandekommen sowohl der mk als auch der lk Fassung verständlich macht. a. Am Anfang steht die Fassung in *Ev, in der die Synhedristen Jesus vor Pilatus mit fünf Einzelklagen belasten. Problematisch ist daran, dass in dieser Reihung vier erkennbar unzutreffende Klagen unmittelbar neben einer zutreffenden Einschätzung stehen: Die Pilatusfrage nach der Messianität Jesu greift nur diesen letzten Punkt auf, den Jesus schlicht bejaht. 17 Dass Pilatus daraufhin seine Unschuld feststellt, ist am ehesten verständlich, wenn *Ev damit deutlich machen wollte, dass Pilatus diesen Klagegrund als innerjüdisches Problem erkannte, für das er nicht zuständig war. Die folgende Überstellung Jesu an Herodes legt diese Deutung zumindest nahe. b. Mk hat das Verhör vor Pilatus deutlich verändert. Vielleicht hat dabei eine Rolle gespielt, dass Jesu Geständnis in *Ev auch auf die anderen, eindeutig unzutreffenden Klagen bezogen werden konnte, wie die Rezeptionsgeschichte von *23,2 bei Adamantius und Isidor zumindest nahelegt. Auf jeden Fall hat Mk darauf ______________________________ 12 Z. B. W IEFEL , Lk 388 (Lk müsse das σὺ λέγεις »als Verneinung aufgefasst haben«); vgl. A. B ÜCHELE , Der Tod Jesu im Lukasevangelium, Frankfurt/ M. 1978, 29. 13 W OLTER , Lk 738; so schon N OLLAND , Lk III 1114. 14 W OLTER , Lk 740, begründet diese Deutung unter anderem damit, dass Pilatus Jesus für unschuldig hält - aber dies konstituiert das Problem ja allererst. 15 S CHMITHALS , Lk 220; S CHNEIDER , Lk II 473 (Pilatus habe Jesu »politische Harmlosigkeit erkannt«). 16 Vgl. für viele S CHNEIDER , Die politische Anklage gegen Jesus 174-177. 17 σὺ λέγεις heißt hier nichts anderes als σὺ εἶπας Mt 26,64 bzw. ὑμεῖς λέγετε (Lk 22,70) im Verhör vor dem Hohen Rat. 23,1-5 Rekonstruktion 1211 verzichtet, die Anklagen gegen Jesus im Einzelnen inhaltlich auszuführen. Im Gefälle seiner Erzählung ist jedoch klar, dass die Synhedristen auf die Ergebnisse ihrer eigenen Befragung zurückgreifen, in der Jesus gestanden hatte, »der Christus, der Sohn Gottes« zu sein (Mk 14,61-64 || Mt 26,63-66). Wie die Reaktion des Hohenpriesters deutlich zeigt, liegt der Ton hier ausschließlich auf der religiösen Dimension: Die Klage lautet auf βλασϕημία (Mk 15,64 || Mt 26,59), nicht aber auf die politischen Aspekte der Aufwiegelung des Volkes zu antirömischem Verhalten. Die Pilatusfrage »Bist du der βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων« (Mk 15,2 || Mt 27,11) greift dieses messianische Bekenntnis vor dem Hohen Rat auf (wenn auch in der Form der nichtjüdischen Außenperspektive), und dementsprechend antwortet Jesus hier - wie dort - bejahend: σὺ λέγεις (Mk 15,2 || Mt 27,11). Mk hat das in *Ev folgende Urteil des Pilatus (*23,4) gestrichen, weswegen die neuerliche und verstärkte 18 Klage der Hohenpriester in der Luft hängt und unvermittelt erscheint. Erst am Ende dieser Sequenz berichtet Mk eine Reaktion des Pilatus - jedoch nicht die Feststellung der Unschuld Jesu, sondern den Ausdruck seines Erstaunens, dass Jesus auf die Klagen der Synhedristen nicht eingeht (Mk 15,5 || Mt 27,14). c. Joh 18,33-38 setzt sowohl den Erzählzusammenhang von *Ev als auch dessen mk-mt Redaktion voraus: Aus Mk 15,2 || Mt 27,11 hat Joh 18,33 die Frage des Pilatus mit der entscheidenden Anklage übernommen (σὺ εἶ ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων; ), aus *Ev dagegen die Feststellung der Unschuld Jesu (*23,4: οὐδὲν εὑρίσκω αἴτιον ἐν τῷ ἀνθρώπῳ τούτῳ || Joh 18,38: ἐγὼ οὐδεμίαν εὑρίσκω ἐν αὐτῷ αἰτίαν). 19 Während Mk und Mt die sachliche Schwierigkeit eines Freispruchs als Reaktion auf Jesu Eingeständnis, der König der Juden zu sein, dadurch mildern, dass sie Jesus nichts mehr auf die Anklagen erwidern lassen (Mk 15,3f || Mt 27,13f), hat Joh 18,34-38a die Belehrung Jesu dazwischen gestellt, dass seine βασιλεία »nicht von dieser Welt« sei (18,36). Dieser Einschub ist wichtig, weil er eine Differenzierung zwischen der Einsicht des Pilatus und der Haltung der Ankläger vornimmt. Am Ende bleibt bei Joh offen, ob Jesu Bekenntnis (18,37: βασιλεύς εἰμι) sich noch wirklich auf die Ausgangsfrage bezieht, ob er der βασιλεὺς τ ῶ ν Ἰ ο υ δ α ί ω ν sei (18,33). d. Der lk Fassung liegt i. W. *Ev zugrunde. Allerdings hat Lk das sachliche Zentrum des Verhörs verschoben, möglicherweise unter Einfluss der mk-mt Fassung: Der lk ______________________________ 18 Mk 15,3: κατηγόρουν αὐτοῦ οἱ ἀρχιερεῖς π ο λ λ ά . Vgl. dazu die folgende Frage des Pilatus: ἴδε π ό σ α σου κατηγοροῦσιν Mk 15,4 || Mt 27,12. Mk greift hier offensichtlich auf οἱ δὲ ἐ π ί σ χ υ ο ν λέγοντες ὅτι … in *Ev (*23,5) zurück. 19 Vgl. dazu die Varianten in der Wortstellung: (εγω ουδεμιαν) ευρισκω αιτιαν εν αυτω: P 66vid f; αιτιαν εν αυτω ευρισκω: D pc; ευρισκω εν αυτω αιτιαν: P 90vid B L 0109 589 pc it vg; αιτιαν ευρισκω εν αυτω: א A W Θ Ψ f 1.13 q vg M usw. Die Lesart von P 66 ist in der Wortstellung dem Wortlaut von *Ev am nächsten. 1212 Anhang I 23,1-5 Pilatus fragt nicht mehr nach der Messianität Jesu (*23,3: σὺ εἶ ὁ Χριστός), sondern ob er βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων sei. War diese Frage im mk-mt Erzählzusammenhang (Mk 15,2 || Mt 27,11) eindeutig religiös konnotiert, so hat die lk Redaktion sie ebenso eindeutig politisiert: Durch die Streichung der religiösen Vorwürfe (Auflösung von Gesetz und Propheten; Verführung zur Apostasie) und durch die antirömische Präzisierung des Vorwurfs des Aufrufs zur Steuerverweigerung. Diese Politisierung liegt auf der Linie des redaktionellen Konzeptes, das an dem Nachweis der politischen Unbedenklichkeit des Christentums interessiert ist. 20 Die Unschuldserklärung des Pilatus, die Lk aus *Ev übernahm, bringt dieses Interesse gerade angesichts der Politisierung der Vorwürfe sehr genau zum Ausdruck. Dass durch diese redaktionellen Eingriffe zwischen V. 3 und V. 4 eine schwer erträgliche Spannung bar jeder Plausibilität entstand, muss der Redaktion nicht bewusst gewesen sein. 8. *23,5 ist, wenn man von den Lesarten in den Codd. Colbertinus und Palatinus absieht (s. o.), für *Ev unbezeugt. Da der Ort dieser altlateinischen Lesarten gegenüber der Stellung in *Ev sekundär ist (s. o.), ergeben sich daraus folglich keine Gesichtspunkte für das Urteil über *23,5. Allerdings legt der Fortgang in *23,6f mit dem Stichwort »Galiläa« einen entsprechenden Hinweis in *23,5 (ἀρξάμενος ἀπὸ τῆς Γαλιλαίας ἕως ὧδε) nahe. Auch wenn eine direkte Bezeugung fehlt und das Urteil deshalb unsicher bleibt, spricht doch der Kontext dafür, dass *23,5 mit der Erwähnung der galiläischen Heimat Jesu bereits in *Ev enthalten war. *23,6-9.10-12: Prozess Jesu II: Überstellung an Herodes. Verhör. Verspottung Nur teilweise sicher bezeugt, möglicherweise geringfügig durch die lk Redaktion bearbeitet. 23,6 Πιλᾶτος δὲ ἀκούσας ἐπηρώτησεν εἰ a ἀπὸ τῆς Γαλιλαίας ὁ ἄνθρωπός ἐστιν a · 7 καὶ ἐπιγνοὺς ὅτι ἐκ τῆς ἐξουσίας Ἡρῴδου ἐστὶν ἀνέπεμψεν αὐτὸν πρὸς Ἡρῴδην, ὄντα καὶ αὐτὸν ἐν Ἱεροσολύμοις ἐν ταύταις ταῖς ἡμέραις. 8 ὁ δὲ Ἡρῴδης ἰδὼν τὸν Ἰησοῦν ἐχάρη λίαν [ ἦν γὰρ ἐξ ἱκανῶν χρόνων θέλων ἰδεῖν αὐτὸν διὰ τὸ ἀκούειν περὶ αὐτοῦ, καὶ ἤλπιζέν τι σημεῖον ἰδεῖν ὑπ’ αὐτοῦ γινόμενον ] . 9 ἐπηρώτα δὲ αὐτὸν· αὐτὸς δὲ οὐδὲν ἀπεκρίνατο αὐτῷ. 10 εἱστήκεισαν δὲ οἱ ἀρχιερεῖς καὶ οἱ γραμματεῖς εὐτόνως κατηγοροῦντες αὐτοῦ. 11 ἐξουθενήσας δὲ αὐτὸν καὶ ὁ Ἡρῴδης σὺν τοῖς στρατεύμασιν αὐτοῦ καὶ ἐμπαίξας περιβαλὼν ἐσθῆτα λαμπρὰν ἀνέπεμψεν αὐτὸν τῷ Πιλάτῳ. 12 b ὄντες δὲ ἐν ἀηδίᾳ ὁ Πιλᾶτος καὶ ὁ Ἡρῴδης ἐγένοντο ϕίλοι ἐν αὐτῇ τῇ ἡμέρᾳ. b ______________________________ 20 Vgl. etwa die entsprechenden Anklagen gegen Paulus in Act 17,6f; 24,5 usw. 23,6-12 Rekonstruktion 1213 A. *23,6-9: Tert. 4,42,3: Nam et Herodi velut munus a Pilato missus Osee vocibus fidem reddidit: de Christo enim prophetaverat, Et vinctum eum ducent xenium regi. Delectatus est denique Herodes viso Iesu, nec vocem ullam ab eo audivit. Tanquam agnus enim coram tondente, sic non aperuit os suum, quia dominus dederat illi linguam disciplinae, ut sciret quomodo eum oporteret proferre sermonem, illam scilicet linguam quam in psalmo adglutinatam gutturi suo tunc probabat non loquendo. B. a (23,6) απο της γαλιλαιας ο ανθρωπος εστιν: D 2542 b d e ſſ 2 i q r 1 ; απο της γαλιλαιας εστιν αυτος ο ανθρωπος: c; απο της γαλιλαιας ο ανθρωπος εκεινος εστιν: a ¦ ο ανθρωπος γαλιλαιος εστιν: M (*Ev non test.) ● b (23,12) οντες δε εν αηδια ο Π. και ο Η. εγενοντο ϕιλοι εν αυτη τη ημερα: D d sy c ¦ οντες δε εν αηδια ο Π. και ο Η. εγενοντο ϕιλοι εν αυτη τη ημερα· προυπηρχον γαρ εν εχθρα οντες προς αυτους: c ¦ εγενοντο δε ϕιλοι ο τε Η. και ο Π. εν αυτη τη ημερα μετ αλληλων· προυπηρχον γαρ εν εχθρα οντες προς αυτους: a aur b e f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 it M (*Ev non test.). C. Der zweite Teil des Prozesses Jesu mit seiner Überstellung an Herodes und sein Schweigen auf dessen Befragung hin ist durch Tertullians knappes Referat gut bezeugt und war in *Ev an dieser Stelle vorhanden. Unbezeugt ist allerdings die Szene mit der Verspottung durch Herodes und die Soldaten (Vv. *10-12). 1. Ausgangspunkt einer Beurteilung muss die eindeutig bezeugte Überstellung an Herodes sein. Diese Szene ist mit Blick auf die engen strukturellen Entsprechungen zu dem Geschick des Paulus in Act 18,15 (Anklage der Juden vor Gallio) und Act 25,19f (Festus überstellt Paulus an Agrippa II.) 1 von erheblicher Bedeutung für das Verfahren der lk Redaktion: Juden klagen Paulus vor dem jeweiligen römischen Magistrat an, dieser aber erklärt sich für unzuständig, weil der Streitfall eine innerjüdische Angelegenheit sei. 2 Im Fall der Überstellung des Paulus an Agrippa II. kommen noch weitere analoge Elemente in den Blick, z. B. die große Nähe zwischen Statthalter und König (*23,12; Act 25,13f.23), der Wunsch des Königs, den Angeklagten zu sehen (*23,8; Act 25,22) sowie die Feststellung der Unschuld durch den Statthalter (*23,4.15.22; Act 25,25), die der König wiederholt (*23,11; Act 26,31). a. Wichtig ist zunächst, dass die Bemerkung über die Freude des Herodes (ὁ δὲ Ἡρῴδης ἰδὼν τὸν Ἰησοῦν ἐχάρη λίαν *23,8a) für *Ev bezeugt ist. Sie hat ein enges Gegenstück in *9,9 (s. dort). An dieser Stelle ist die entsprechende Bemerkung über den Wunsch des Herodes, Jesus zu sehen, allerdings unbezeugt: Es könnte sich um ein redaktionell ergänztes, sekundäres Kohärenzsignal handeln. Aber dies muss offen bleiben. Bei der Entsprechung in der analog dargestellten Szene Act 25,22 (ἐβουλόμην καὶ αὐτὸς τοῦ ἀνθρώπου ἀκοῦσαι) ist dies anders: Agrippas Wunsch, Paulus selbst zu hören, ist nach dem Wunsch des Herodes gestaltet. Lk ______________________________ 1 Vgl. H. O MERZU , Das traditionsgeschichtliche Verhältnis der Begegnungen von Jesus mit Herodes Antipas und Paulus mit Agrippa II., SNTU. A 28 (2003), 121-145. 2 Vgl. dazu die historischen Überlegungen von W. S TEGEMANN , Zwischen Synagoge und Obrigkeit, Göttingen 1991, 147ff. 1214 Anhang I 23,6-12 hat also das aus *Ev vorgegebene Muster des Prozesses vor dem römischen Magistrat, der den jüdischen König um Amtshilfe bei innerjüdischen Religionsstreitigkeiten ersucht, in Act 25 weiter ausgebaut. Das Verhältnis zwischen *9,9 und *23,8a ist nicht eindeutig zu klären (s. dort), weil die beiden Hinweise auf unterschiedlichen Ebenen der Überlieferungsgeschichte entstanden sein können. Auf diesen »früheren« Wunsch des Herodes greift 23,8b mit einem ausdrücklichen Verweis zurück. Dass Herodes Jesus schon lange sehen wollte (θέλων ἰδεῖν αὐτόν), wiederholt *23,8a (ἰδὼν … ἐχάρη λίαν), wobei die einzige neue Information von *8b gegenüber V. *8a darin liegt, dass der König diesen Wunsch schon ἐξ ἱκανῶν χρόνων hegte - das ist das Kohärenzsignal, das auf *9,9 zurückverweist. Es ist daher gut möglich, dass 23,8b eine redaktionelle Einfügung zur Verstärkung einer Kohärenz darstellt, die bereits in *Ev angelegt war. Bezieht man außerdem sprachliche Beobachtungen mit ein, dann lässt sich diese Wahrscheinlichkeit noch deutlich erhöhen. Denn sowohl die Coniugatio periphrastica ἦν … θέλων als auch die Verwendung von ἱκανός im Sinn von »viel« sind innerhalb des NT charakteristisch für die Sprache des Lk. 3 Auch wenn das Urteil unsicher bleibt und die sprachlichen Eigenheiten allein kein Argument sein können, spricht doch vieles dafür, dass Lk 23,8b redaktionell ist. In diesem Fall müsste dann das Gleiche auch für καὶ ἤλπιζέν τι σημεῖον ἰδεῖν ὑπ’ αὐτοῦ γινόμενον 23,8c gelten, da diese Aussage nicht für sich gestanden haben kann. b. Die Tatsache, dass die Überstellung Jesu an Herodes bereits in *Ev enthalten war, macht deutlich: Lk hat dieses Element weder »frei erfunden«, noch hat er eine entsprechende Tradition unbekannten Ursprungs über Paulus vor Agrippa aufgegriffen und durch das Verhör Jesu durch Herodes Antipas gewissermaßen präfiguriert. 4 Diese Ansicht ist bestimmt durch die Geltung der Zwei-Quellentheorie, der zufolge *23,6ff eine lk Einfügung in den mk Erzählzusammenhang ist. Weil sie sich mit dem redaktionellen Interesse in Act 25 verbindet, liegt der Schluss einer redaktionellen Gestaltung von Lk 23,6-12 nahe, ist aber angesichts der *Ev- Priorität nicht zu halten: Lk hat das Herodesverhör in *Ev vorgefunden, ließ sich dadurch zu der Parallelisierung in der Geschichte des Paulus anregen und entwickelte dieses Element der Prüfung (innerjüdisch-)religiöser Fragen durch Vertreter des Judentums aus der Herodesszene heraus weiter. 2. *Ev macht deutlich, dass die Freude des Herodes (V. *8a) von kurzer Dauer gewesen sein dürfte, weil Jesus auf die Befragung nicht antwortete (V. *9b), wie Tertullian bezeugt. Das Schweigen Jesu auf die Befragung des Herodes und - so wird ______________________________ 3 Zur Coniugatio periphrastica vgl. H AENCHEN , Act 116 Anm. 7 (zu Act 1,10); BDR § 353.1. Das Syntagma χρόνος ἱκανός begegnet außer *8,27 (da ist die Wendung allerdings nicht bezeugt) nur noch in Lk 20,9 (red., s. dort) bzw. sieben Mal in Act. Vgl. K. M ÜLLER , Jesus vor Herodes, in: G. Dautzenberg (Hg.), Zur Geschichte des Urchristentums, Freiburg/ Brsg u. a. 1979, 111-141: 115f. 4 So die Ansicht von O MERZU , a. a. O. 136-145, die zwar auch Act 25,13-26,32 für redaktionell hält, für das Treffen zwischen Festus und Agrippa aber eine höhere historische Wahrscheinlichkeit sieht und von daher auch eine überlieferungsgeschichtliche Priorität der Paulus-Agrippa-Szene vor Lk 23,6-12 vermutet. 23,6-12 Rekonstruktion 1215 man ergänzen dürfen - auf die Vorhaltungen durch die Hohenpriester und Schriftgelehrten hin (V. *10, unbezeugt), hat dann die weitere Überlieferung geprägt: Mk 15,3f || Mt 27,12 haben dieses Element in das Verhör durch Pilatus übernommen, auch Joh 19,8 berichtet es in diesem Zusammenhang. Diese Einsicht in die Rezeption von Elementen der Herodesszene durch Mk und Mt ist wichtig, weil auch die folgende Verspottung Jesu durch Herodes und die Soldaten (V. *11) unbezeugt ist. Sie besitzt ein Gegenstück in der Verspottung durch die Soldaten des Pilatus (Mk 15,17-20a || Mt 27,27-31a). Die Auslassung der Herodesszene durch Mk und Mt hatte zur Folge, dass sie Elemente daraus in die Verspottung durch die Soldateska des Pilatus übernahmen und sie dort mit Elementen aus der vorkanonischen Kreuzigungsszene verbanden. Mk und Mt erzählen die Verspottung Jesu durch die Soldaten des Pilatus im πραιτώριον (Mk 15,17-20 || Mt 27,27-31) im Anschluss an die Barabbasszene und die Verurteilung: Sie verstehen sie als eine durchaus übliche koerzitive Maßnahme, zu der die Auspeitschung (verberatio) des Delinquenten gehörte (Mk 15,15 || Mt 27,26). Aus diesem Grund ist der Ort für die unmittelbar im Anschluss erzählte Verspottung antiklimaktisch und nicht sehr glücklich. Dies ist eine Folge der redaktionellen Kombination von Elementen aus dem Herodesverhör und der Kreuzigungsszene in *Ev durch Mk, die sich in der spöttischen Königsakklamation mit Purpurmantel und Dornenkrone erweist: Der Purpurmantel geht auf die ἐσθὴς λαμπρά (*23,11) im Herodesverhör zurück, die Dornenkrone stammt aus dem Kreuzigungsbericht (*23,37b [v. l.! ]; s. dort), wo sie aufgrund der spöttischen Königsakklamation χαῖρε ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων *23,37b (D it sy) und des folgenden Kreuzestitulus einen sinnvollen Platz hat. Das »leuchtende Gewand« ist ein Festgewand, 5 nicht ein Zeichen der Unschuld. 6 Denn dass Herodes Jesus für unschuldig hält, ist durch ἀλλ ʼ οὐδὲ Ἡρῴδης *23,15 ohnehin gesichert. Das Festgewand ist vielmehr wichtig als Andeutung einer Ehrung, die mit der faktischen Verachtung für Jesus (ἐξουθενήσας) kontrastiert und durch diesen Gegensatz den Spott (ἐμπαίξας) zum Ausdruck bringt. Mk 15,17 hat diesen Aspekt kongenial zu *Ev wiedergegeben. Wenn er von einem Purpurgewand (πορϕύρα) anstelle einer ἐσθὴς λαμπρά berichtet, dann ist dies dem besonderen Aspekt geschuldet, dass Jesus als der König verspottet wird, der er in Wahrheit ist, den aber seine Gegner nicht in ihm zu erkennen vermögen. Die großen Schwierigkeiten für die Deutung der ἐσθὴς λαμπρά Lk 23,11 resultieren in erster Linie aus der im Rahmen der Zwei-Quellentheorie angenommenen Bearbeitungsrichtung von Mk zu Lk. Denn in dieser Perspektive müsste man annehmen, dass die sehr klare und literarisch überzeugende Verspottungsszene im Prätorium durch eine sehr viel weniger klare Verspottung Jesu durch Herodes ______________________________ 5 Vgl. dazu P. J OÜON , Luc 23,11: ἐσθῆτα λαμπράν, RSR 26 (1936), 80-85. 6 Vgl. M ÜLLER , a. a. O. 136f. 1216 Anhang I 23,6-12 ersetzt wurde. Tatsächlich verläuft die Überlieferungsgeschichte an dieser Stelle nicht von Mk zu Lk, sondern von *Ev zu Mk. 3. Die abschließende Bemerkung über die Freundschaft zwischen Herodes und Pilatus *23,12 stellt ein besonderes Problem dar. Sie hat weder ein Pendant in den synoptischen Parallelen, noch ist sie im Kontext vorbereitet. Im Rahmen der Zwei- Quellentheorie wird diese Bemerkung daher entweder dem lk Sondergut oder auch der lk »Sonderquelle« zugeschrieben oder für eine redaktionelle Bildung durch Lk gehalten. Für diese Ansicht ist das Gebet Act 4,24-28 entscheidend wichtig geworden, das ja Herodes und Pilatus nebeneinander nennt. 7 Dementsprechend hat man Lk 23,6-12 als eine »wohl aus Ps 2,1f erwachsene Legende« gesehen, »die in Herodes und Pilatus die βασιλεῖς und ἄρχοντες repräsentiert sieht, die nach dem Psalm gegen den Messias des Herrn Pläne schmieden.« 8 Zu Recht wurde dagegen eingewandt, dass Act 4 und Lk 23 sich gerade darin unterscheiden, dass Herodes und Pilatus in der Passionsgeschichte beide die Unschuld Jesu feststellen (s. *23,15), während Act 4,27 behauptet, dass sie sich mit den Heidenvölkern und dem Volk Israel gegen »den heiligen Knecht« verbündet hätten. 9 Hier ist also nicht nur die Überlieferungslage für *23,12 zu eruieren, sondern außerdem die redaktionskritische Frage nach der Einheit der lk Redaktion zu beantworten. a. Zunächst ist davon auszugehen, dass *23,12 tatsächlich in *Ev enthalten war. Wie schon bei der Rekonstruktion von *23,8 helfen in diesem Fall sprachliche Gesichtspunkte. Denn die Formulierung von V. 12 im kanonischen Mehrheitstext weist wieder deutliche Elemente der lk Sprache auf. Zu nennen ist vor allem die Verwendung von αὐτός anstelle des ferndeiktischen ἐκεῖνος in der Wendung ἐν αὐτῇ τῇ ἡμέρᾳ, 10 außerdem das nur in Lk/ Act bezeugte προϋπάρχω als Verstärkung von ὑπάρχω, das wiederum von Lk besonders favorisiert wird. 11 Diese sprachlichen Elemente deuten in der Tat auf lk Redaktion hin. Allerdings bezeugen D (it sy) eine andere Formulierung mit dem gleichen semantischen Gehalt, der diese lk Spracheigentümlichkeiten fehlen: Hier liegt wieder einmal ein Beispiel für die Interferenz von vorkanonischem und kanonischem Text vor, die nicht nur dadurch gestützt wird, dass sie von den »üblichen Verdächtigen« vertreten wird, sondern auch durch die distinkt lk Sprache in der Mehrheit der Überlieferung. Dies bedeutet, dass die Notiz über die Freundschaft von Herodes und Pilatus sowie über ______________________________ 7 Vgl. zuerst M. D IBELIUS , Herodes und Pilatus, ZNW 16 (1915), 113-126. 8 R. B ULTMANN , Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen 7 1967, 294. 9 M ÜLLER , a. a. O. 139: Lk 23,11f wolle »die Freundschaft zwischen Herodes und dem Prokurator Roms damit […] begründen, daß sich beide als Zeugen der Schuldlosigkeit zugunsten Jesu aussprechen« (Hervorhebung im Orig.). Er folgert daraus, dass die Überlieferung in Act 4 »in ihrem Grundbestand älter als Lukas« sei. 10 Vgl. dazu BDR § 288.2 (mit Anm. 4). 11 Vgl. dazu M ÜLLER , a. a. O. 116 mit Anm. 31. 23,6-12 Rekonstruktion 1217 ihre frühere Distanz 12 mit großer Wahrscheinlichkeit bereits in *Ev vorhanden war. b. Wenn Lk die Mitteilung über die Freundschaft der Beiden in *Ev nicht nur vorgefunden und »mitgeschleppt«, sondern sie, wie seine Umformulierung von *23,12 zeigt, sehr genau registriert hat, sollte sich die Aussage von Lk 23,11 mit der von Act 4,27 kombinieren lassen, denn für beide Formulierungen ist dann mit einiger Wahrscheinlichkeit dieselbe redaktionelle Hand verantwortlich. Dies ist auch ohne weiteres möglich. Denn was Herodes und Pilatus nach *23,11f miteinander verbindet, ist ja nicht einfach das von Sympathie getragene Bemühen um Jesus oder der selbstlose Einsatz für Gerechtigkeit. Schon *Ev erzählt vielmehr von ihrer Mitwirkung am Tod Jesu trotz ihrer besseren Einsicht in seine Schuldlosigkeit: Herodes, der keine Schuld an Jesus findet (*23,15), ihn gleichwohl verspottet, steht Pilatus kaum nach, der von Jesu Unschuld überzeugt ist und ihn trotzdem hinrichten lässt. In dieser Perspektive kann man durchaus sagen, dass Beide sich verbündet haben (συνήχθησαν) gegen die Wahrheit und gegen den heiligen Knecht Gottes. *23,13-16.18-19{ ↑ 17 ↓ }20-25: Prozess Jesu III: Wiederholung der Unschuldserklärung. Barabbas. Verurteilung Nur zum Teil bezeugt, aber mit großer Wahrscheinlichkeit ganz in *Ev enthalten; geringfügig durch die lk Redaktion bearbeitet. 23,13 Πιλᾶτος δὲ συγκαλεσάμενος τοὺς ἀρχιερεῖς καὶ τοὺς ἄρχοντας καὶ τὸν λαὸν 14 εἶπεν πρὸς αὐτούς, a Κατηνέγκατέ μοι τὸν ἄνθρωπον τοῦτον ὡς ἀποστρέϕοντα τὸν λαόν, καὶ ἰδοὺ ἐγὼ ἐνώπιον ὑμῶν ἀνακρίνας οὐθὲν εὗρον ἐν τῷ ἀνθρώπῳ τούτῳ αἴτιον b [ ὧν κατηγορεῖτε κατ’ αὐτοῦ ] b , 15 ἀλλ’ οὐδὲ Ἡρῴδης· c ἀνέπεμψεν γὰρ αὐτὸν πρὸς ἡμᾶς c · καὶ ἰδοὺ οὐδὲν ἄξιον θανάτου ἐστὶν πεπραγμένον d ἐν αὐτῷ. 16 παιδεύσας οὖν αὐτὸν ἀπολύσω. 18 ἀνέκραγον δὲ παμπληθεὶ λέγοντες, Αἶρε τοῦτον, ἀπόλυσον δὲ ἡμῖν τὸν Βαραββᾶν· 19 ὅστις ἦν διὰ ¿στάσιν τινὰ γενομένην ἐν τῇ πόλει καὶ? ϕόνον βληθεὶς ἐν τῇ ϕυλακῇ. e { ↑ 23,17 ἀνάγκην δὲ εἶχεν ἀπολύειν αὐτοῖς κατὰ ἑορτὴν ἕνα. ↓ } e 20 πάλιν δὲ ὁ Πιλᾶτος προσεϕώνησεν f αὐτούς, θέλων ἀπολῦσαι τὸν Ἰησοῦν· 21 οἱ δὲ g ἔκραξαν λέγοντες, h Σταύρου, σταύρου h αὐτόν. 22 ὁ δὲ τρίτον εἶπεν πρὸς αὐτούς, Τί γὰρ κακὸν ἐποίησεν οὗτος; i οὐδεμίαν αἰτίαν i θανάτου εὗρον ______________________________ 12 ἀηδία (D) bzw. lis (d) und dissensio (c) drücken eine geringere Distanz aus als das kanonische ἔχθρα. 1218 Anhang I 23,13-25 ἐν αὐτῷ· παιδεύσας οὖν αὐτὸν ἀπολύσω. 23 οἱ δὲ ἐπέκειντο ϕωναῖς μεγάλαις αἰτούμενοι αὐτὸν σταυρωθῆναι, καὶ κατίσχυον αἱ ϕωναὶ αὐτῶν. 24 καὶ Πιλᾶτος ἐπέκρινεν γενέσθαι τὸ αἴτημα αὐτῶν· 25 ἀπέλυσεν δὲ τὸν k ἕνεκα ϕόνου k βεβλημένον εἰς ϕυλακὴν ὃν ᾐτοῦντο, τὸν δὲ Ἰησοῦν παρέδωκεν τῷ θελήματι αὐτῶν. A. *23,18-25: Tert. 4,42,4: Et Barrabas quidem nocentissimus vita ut bonus donatur, Christus vero iustissimus ut homicida morti expostulatur. Sed et duo scelesti circumfiguntur illi, ut inter iniquos scilicet deputaretur. B. a (23,14) κατηνεγκατε: D ¦ προσηνεγκατε: it M (*Ev non test.) ● b (23,14) ων κατηγορειτε κατ αυτου: om D d ¦ ων κατ αυτου κατηγορειτε: aur b e f g 1 l q r 1 ¦ ων κατηγορειτε: gat ¦ add a c ſſ 2 gat i M (*Ev non test.) ● c (23,15) ανεπεμψε γαρ αυτον προς ημας: P 75 א B H K L M T Θ (070 579) 892 1241 al aur f vg mss co ¦ ανεπεμψε γαρ αυτον προς υμας: f 13 pc vg mss sy hmg ¦ ανεπεμψα γαρ υμας προς αυτον: A D W Ψ f 1 lat sy h M (*Ev non test.) ● d (23,15) εν: D N X Γ 0211 f 13 al (c d) ¦ om a aur b e f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 M (*Ev non test.) ● e (23,17) vs. pon. post 23,19: D d sy s.c aeth ¦ vs. om P 75 A B K L T Π 0124 0211 158 265 489* 892* 1079 119 1241 a vg ms sa bo mss ¦ vs. add post 23,16: א W (Θ Ψ) f 1.13 892 mg aur b c e f ſſ 2 l q r 1 sy p.h bo pt M ● f (23,20) αυτους: D 579 d (sy s.c ); προς αυτους: 69 aur b c e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 ¦ αυτοις: P 75 א B L T Ψ 0124 al a M (*Ev non test.) ● g (23,21) εκραξαν: D c d; εκραξον: MacarAeg (Hom. 26,26; PTS 4, 218); εκραζον: aur f Hieron (Hom. Ps 52, CCL 78, 310) ¦ επεϕωνουν: it M (*Ev non test.) ● h (23,21) σταυρου σταυρου: P 75 א B D 070 0124 Basil Orig (Cels. 7,43; GCS 6, 194; Comm. in Mt 12,1; 14,17.19; 16,23; GCS 40, 70.325.331.556) ¦ σταυρωσον: U W 0250 al a b e f ſſ 2 l vg ms bo ms armen georg I.II ¦ σταυρωσον σταυρωσον: A L Θ Ψ f 1.13 M (*Ev non test.) ● i (23,22) ουδεμιαν αιτιαν: D aur d f ſſ 2 g 1 gat; ουδεμιαν γαρ αιτιαν: e b l q r 1 ¦ ουδεν αιτιον: a c M (*Ev non test.) ● k (23,25) ενεκα ϕονου: D d ¦ δια ϕονον και στασιν: a aur b c e f ſſ 2 g 1 gat l sy s.c bo ¦ δια στασιν και ϕονον: M (*Ev non test.). C. Tertullian fasst die Freilassung des Barabbas1 mit wenigen Worten zusammen, die aber die sprachliche Gestalt nicht erkennen lassen. Die Einleitung mit der Wiederholung des früheren Urteils (*23,4), der Kritik der führenden hohenpriesterlichen Kreise und des Volkes daran und dem Verweis auf das Herodesverhör (*23,13-16) sind unbezeugt. Für die Beurteilung sind daher text- und überlieferungsgeschichtliche Beobachtungen wichtig. Der ganze Abschnitt *23,13-25 gehört zusammen: Er behandelt die »Auseinandersetzung um das Urteil« 2 des Pilatus von ______________________________ 1 Tertullian schreibt Barrabas anstelle des von Mehrheit der Handschriften gebotenen Barabbas (in Lk 23,18 weichen davon ab βαρραββαν: Θ; βαραβαν: 7 60 69 71* 131* 157* 229 1654 2643 ℓ80 georg; βαραββιαν: ℓ70). Die Schreibweise impliziert (möglicherweise) eine unterschiedliche Deutung: Das mehrheitlich bezeugte βαραββας heißt soviel wie »Sohn des Vaters«, βαρραβ(β)ας dagegen entweder »Sohn der Menge« oder »Sohn der Güter, reicher Mann.« Die Frage der Namensform könnte eine Rolle für das Zustandekommen der Varianten in Mt 27,15f spielen; für *Ev oder für Lk ist sie nicht weiter relevant. Da Tertullian für *Ev »Barrabas« bezeugt, übernehme ich diese Schreibweise in der Rekonstruktion und Übersetzung, bleibe anonsten aber bei dem gewohnten »Barabbas«. 2 So zutreffend die Überschrift bei W OLTER , Lk 745. 23,13-25 Rekonstruktion 1219 *23,4, mit dem die Ankläger nicht einverstanden sind. Die Barabbasepisode hat die Funktion, das Einknicken des Pilatus vor dem Druck der Menge seiner eigenen, besseren Einsicht zum Trotz zu motivieren. Damit ist dann auch die Freigabe des Barabbas und die Verurteilung Jesu (*23,24f) gesichert, die Tertullian nur sehr knapp erwähnt (Barrabas … vita ut bonus donatur). 1. Für die unbezeugten Vv. *13-16 sind mehrere kleinere Abweichungen in der Textüberlieferung aufschlussreich, vor allem das Fehlen von ὧν κατηγορεῖτε κατ’ αὐτοῦ in D d; das Evangelium Gatianum (gat) hat diese Bemerkung unvollständig nach dem kanonischen Text nachgetragen und bestätigt auf diese Weise den ursprünglichen Text. Vor allem ist jedoch die unterschiedliche Fassung von *23,15b erhellend, die (von Kleinigkeiten abgesehen) in drei semantisch deutlich unterschiedenen Fassungen bezeugt ist: a. Denn er hat ihn zu uns geschickt (ἀ ν έ π ε μ ψ ε ν γὰρ αὐτὸν πρὸς ἡ μ ᾶ ς ): P 75 א B H K L M T Θ (070) usw. b. Denn er hat ihn zu euch geschickt (ἀ ν έ π ε μ ψ ε γὰρ αὐτὸν πρὸς ὑ μ ᾶ ς ): f 13 pc vg mss sy hmg . c. Denn ich habe euch zu ihm geschickt (ἀ ν έ π ε μ ψ α γὰρ ὑ μ ᾶ ς πρὸς α ὐ τ ό ν ): A D W Ψ f 1 lat sy h M . Unklar ist demnach: Wer »schickt« (Subjekt: Pilatus oder Herodes)? Wer wurde geschickt (Objekt: Jesus oder die angeredeten Führer des Volkes)? Und wer war der Adressat der Sendung (indirektes Objekt: Pilatus; die Führer des Volkes; Herodes)? Es ist ohne weiteres erkennbar, dass die (am schwächsten bezeugte) Variante (b.) mit großem Abstand die problematischste ist: Dass Herodes Jesus zum Volk und seinen Führern geschickt haben sollte, lässt sich in keiner Weise mit dem Kontext verbinden, denn Jesus bleibt ja die ganze Zeit in der Hand entweder des Pilatus oder des Herodes. Will man nicht um der Geltung der textkritischen Faustregel der lectio difficilior willen einen sinnwidrigen Text als Ursprung der uneinheitlichen Textüberlieferung postulieren, ist diese Variante auszuscheiden: Sie ist offensichtlich unter dem Eindruck der Uneinheitlichkeit der beiden anderen entstanden, hat aber nichts klarer gemacht. Die kritischen Ausgaben (GNT 4 / NA 27 ) haben die Variante (a.) in den Text aufgenommen und tragen damit dem Gewicht der Zeugen Rechnung ( P 75 א B usw.). Die Kommentare verstehen die Bemerkung, dass Herodes, der für innerjüdisch-religiöse Belange zuständige Sachverständige, Jesus zu Pilatus (zurück)schickt, als Beleg für die Aussage *23,15a: Nachdem schon Pilatus kein todeswürdiges Vergehen entdecken konnte, hat »noch nicht einmal Herodes« (ἀλλ ʼ οὐδὲ Ἡρῴδης) eine Schuld finden können. 3 Unabhängig von der Frage der Textüberlieferung ist das wenig wahrscheinlich. Denn welche Alternative hätte Herodes denn haben (oder: hätten die Leser für ihn annehmen) können, wenn er Jesus für schuldig befunden hätte? Er hätte Jesus doch, zusammen mit seiner Einschätzung über Schuld oder Unschuld, in jedem Fall an Pilatus zurückschicken müssen. ______________________________ 3 Vgl. für viele C REED , Lk 282f; B OVON , Lk IV 423; W OLTER , Lk 746: »allein die Tatsache der Rücksendung als solcher« habe Pilatus erkennen lassen, dass Jesus auch nach Herodes’ Urteil unschuldig sei. 1220 Anhang I 23,13-25 Von der Textsemantik ist daher die Variante (c.) am plausibelsten: Pilatus informiert die Ankläger über das Urteil des Herodes und setzt dazu: »Denn (dazu) hatte ich euch zu ihm geschickt.« Diese Bemerkung ist durchaus sinnvoll. Denn zuvor war zwar erzählt, dass Pilatus Jesus zu Herodes geschickt hatte (*23,7: ἀνέπεμψεν α ὐ τ ὸ ν πρὸς Ἡρῴδην), zugleich aber vorausgesetzt worden, dass die hohenpriesterlichen Kläger ihn begleitet hatten (*23,10). Jetzt teilt Pilatus der vergrößerten Schar der Kläger (*23,13: συγκαλεσάμενος τοὺς ἀρχιερεῖς καὶ τοὺς ἄρχοντας καὶ τὸν λαόν) mit, dass er sich sein Urteil durch Herodes hatte bestätigen lassen. Mit dieser Überlegung lässt sich dann auch die textgeschichtliche Entwicklung nachvollziehen, die am ehesten von der schwierigeren Variante (a.) zu der leichter verständlichen Variante (c.) hin verläuft. Das heißt für die Rekonstruktion, dass der Text von P 75 א B usw. mit einiger Wahrscheinlichkeit im vorkanonischen Evangelium stand und von der lk Redaktion verändert wurde. Die Lesart in A D W Ψ f 1 usw. ist daher sehr wahrscheinlich im kanonischen Text ursprünglich. Selbst wenn diese Überlegung zur Bearbeitungsrichtung hypothetisch bleiben muss, spricht das Vorhandensein einer solchen redaktionellen Bearbeitung dafür, dass ein vorkanonischer Text vorhanden war. Die Variante weist darauf hin, dass *23,13-16 in *Ev enthalten war. 2. Tertullians Zeugnis stellt die Existenz der Barabbasepisode *23,18-23 für *Ev sicher, nicht aber ihre genaue Textgestalt. Aus diesem Grund sind wieder textgeschichtliche Auffälligkeiten zu notieren. Am wichtigsten ist *23,17: Die Erklärung über die Passaamnestie fehlt in einem Teil der Handschriften ( P 75 A B K L T Π 0124 0211 usw.), die Mehrheit der Überlieferung hat sie nach V. *16 ( א W usw.), ein kleinerer Teil (D sy) bietet sie nach V. *19. Die jüngere Forschung tendiert dazu, das Fehlen von *23,17 für ursprünglich zu halten: Eine sekundäre Ergänzung unter dem Einfluss von Mk 15,6 || Mt 27,15 || Joh 18,39 sei leichter erklärbar als die sekundäre Streichung der ja ansonsten breit bezeugten Passaamnestie, zumal der Text ohne diese Erklärung schwierig ist, weil Barabbas sehr unvermittelt in das Geschehen eingeführt werde. 4 Neuerdings hat Ulrich Victor die umgekehrte These vertreten: Der Vers sei ursprünglich, aber aufgrund von Homoioarkton (ΑΝΑΓΚΗΝ / ΑΝΕΚΡΑΓΟΝ, V. 17/ 18) ausgefallen; vor allem aber sei die Formulierung juristisch präziser als in den synoptischen Analogien, so dass eine Entstehung aus diesen Parallelen heraus nicht wahrscheinlich sei. 5 Wolter hat gegen diese These eingewandt, sie bringe »überlieferungsgeschichtliche und textkritische Aspekte durcheinander, abgesehen davon, dass die »Minus-Lesart« besser bezeugt sei. 6 ______________________________ 4 Vgl. M ETZGER , Textual Commentary z. St.: »The verse is a gloss, apparently based on Mt 27.15 and Mk 15.6.« Die Min. 892 enthält den Vers tatsächlich in margine. 5 U. V ICTOR , Textgeschichtlicher Kommmentar zu ausgewählten Stellen des Lukas- und des Johannesevangeliums, NT 51 (2009), 30-77: 31f. 6 W OLTER , Lk 747. 23,13-25 Rekonstruktion 1221 In der Tat überzeugen Victors Argumente nicht wirklich: Die Annahme eines Homoioarkton ist zwar denkbar, erklärt aber nicht, dass der Vers in der Überlieferung an verschiedenen Stellen bezeugt ist. Gleichwohl haben unsere Überlegungen zum Verhältnis zwischen *Ev und den »Westlichen« Zeugen des Lk-Evangeliums zu dem Resultat geführt, dass sich die zahlreichen Analogien nur dann plausibel erklären lassen, wenn dafür das überlieferungsgeschichtliche Argument berücksichtigt wird, dass ein vorkanonischer Evangelientext auf den kanonischen Text eingewirkt hat: Die Kombination von überlieferungsgeschichtlichen und textkritischen Argumenten ist methodisch also durchaus angezeigt. Das bekannte Phänomen der Interferenz zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Textüberlieferung kann auch dieses Problem erklären: Es ist kein Zufall, dass die Mehrheit der altlateinischen Handschriften und die gesamte syrische Überlieferung den Vers bezeugen (aur b c e f ſſ 2 l q r 1 sy p.h ; post *23,19: D d sy s.c ). Die unterschiedliche Stellung des Verses ist dabei aufschlussreich. Denn die analeptische Erklärung nach V. *19 ist nicht sehr glücklich. Mk und Mt haben diesen Hinweis daher vorgezogen und ihm eine sehr viel passendere Stellung in der Exposition der Barabbasszene gegeben (Mk 15,6 || Mt 27,15). Sie konnten dies umso leichter tun, als sie die Verhandlung vor Pilatus um die Überstellung Jesu an Herodes, die Rücksendung und die Bestätigung des Urteils gekürzt hatten: Auf diese Weise entstand eine Doppelszene mit dem Verhör vor Pilatus, die gar keinen Urteilsspruch enthielt, 7 und der Barabbasszene. Die uneinheitliche Textüberlieferung ist demnach am einfachsten zu erklären, wenn man ihren Ausgangspunkt in der schwierigen Stellung von *23,17 nach *23,19 sieht. Das Gros der Handschriften ( א W usw.) hat diesen Vers analog zu der Darstellung in Mk 15 und Mt 27 an den Anfang der Szene (also vor *23,18) vorgezogen: Das ist mit großer Wahrscheinlichkeit der Text der lk Redaktion. Die Lesart ohne *23,17 in P 75 A B usw. ist dann als Versehen zu beurteilen, das in Folge der uneinheitlichen Vorlagen entstanden ist. 3. Dass *23,17 keine sekundäre Glosse in Anlehnung an Mk 15,6 || Mt 27,15 ist, legt sich auch durch die Formulierung nahe: *23,17 spricht von dem »Zwang«, unter dem Pilatus gehandelt hat (ἀνάγκην εἶχεν), Mk/ Mt dagegen von seiner »Gewohnheit«. 8 Wäre *23,17 eine Glosse aufgrund von Mk 15,6 || Mt 27,15, sollte die Terminologie diese Abhängigkeit eigentlich auch reflektieren. Tatsächlich unterscheidet sich der semantische Gehalt von *23,17 nicht unerheblich von der bei Mk/ Mt implizierten »Gewohnheit«: Die ἀνάγκη, unter der Pilatus steht, reflektiert den Druck der Masse während des Wallfahrtsfestes (κατὰ ἑορτήν), den *Ev zuvor plausibilisiert (*23,13: συγκαλεσάμενος … τὸν λαόν) und erzählerisch ______________________________ 7 Ein Urteilsspruch durch Pilatus war für Mk/ Mt verzichtbar: Das Urteil war ja schon in der nächtlichen Synhedrialverhandlung gefällt worden, so dass Jesus nicht zur Verhandlung, sondern nur zur Exekution dieses Urteils an Pilatus überstellt wurde (Mk 15,1 || Mt 27,1), s. o. zu *22,66-71. 8 In Mk 15,6-8 sichert καθὼς ἐποίει αὐτοῖς (8b), dass in 15,6 κατὰ (δὲ ἑορτήν) distributiv und ἀπέλυεν als Impf. iterativum zu verstehen sind; Mt 27,15 (εἰώθει) ist eindeutig. 1222 Anhang I 23,13-25 aufgebaut (*23,18: ἀνέκραγον δὲ παμπληθεί) hatte. Im Unterschied zu *Ev haben Mk und Mt diese szenisch vorbereitete ἀνάγκη in eine Gewohnheit des Pilatus umfunktioniert und berichten den sich steigernden Druck der Masse erst im Anschluss an die Mitteilung der Amnestiegewohnheit, und zwar als Folge der »Anstachelung« durch die Hohenpriester (ἀνέσεισαν τὸν ὄχλον Mk 15,11; Mt 27,20). Tatsächlich wissen Mk und in seiner Folge Mt mehr, als *Ev zu erkennen gibt: Erst sie haben aus der singulären Situation eine Gewohnheit gemacht und damit das »Institut« der Passaamnestie geschaffen, das die Interpretationen von Joh 18,39 bis in die neuere Literatur beherrscht. Eine solche Festamnestie ist jedoch nicht nur nicht belegt, 9 sondern würde auch gegen jedes Recht verstoßen haben. Dies besagt jedoch nur, dass es keine »Gewohnheit« zur Festamnestie geben konnte, nicht aber, dass politische Umsicht nicht auch zu diesem Mittel greifen konnte. 10 4. Von *23,22-25 ist für *Ev nichts bezeugt. Aber es ist sicher, dass die Episode mit der vom Volk erpressten Freilassung des Barabbas schon in *Ev als Folie für die Übergabe Jesu »an ihren Willen« *23,25 gedient hat. Die D-Variante in *23,25, nach der Barabbas nicht διὰ στάσιν καὶ ϕόνον, sondern (nur) ἕνεκα ϕόνου 11 ins Gefängnis geworfen worden war, ist als Bestätigung für diese Überlegung zu sehen: Die lk Redaktion hat dadurch den Gegensatz zwischen Barabbas und Jesus noch gesteigert. Unklar ist, ob die Entsprechung in *23,18 (διὰ) στάσιν τινὰ γενομένην ἐν τῇ πόλει καὶ (ϕόνον) ebenfalls eine sekundäre Bearbeitung darstellt: Es gibt keine Spuren in der Textüberlieferung. 5. Diese Rekonstruktion von *23,13 hat vor allem Bedeutung für die seit Langem umstrittene Frage nach den Quellen des lk Passionsberichts: Sie widerlegt die Annahme, dass Lk 23,13-25 allein auf Mk 15,6-15 und redaktionellen Ergänzungen durch Lk basiert. 12 Allerdings ist auch die Vorstellung, dass Lk hier neben Mk auf eine Sonderquelle zurückgreift, 13 nicht haltbar: Lk hat *Ev fast unverändert übernommen, und der mk(-mt) Bericht von der Verhandlung vor Pilatus ist von ______________________________ 9 Zum Problem der Historizität vgl. B OVON , Lk IV 419 Anm. 22 (mit Lit.). Dass mPes 8,6 - der einzige Beleg, der für eine solche Amnestie beigebracht werden kann - diese Last nicht trägt, hatte schon J. M ERKEL , Die Begnadigung am Passahfeste, ZNW 6 (1905), 293-316, gesehen. 10 Vgl. W OLTER , Lk 748, der die einschlägigen Bestimmungen (Dig. 48,19,31; Cod. Iust. 9,47,12,) zitiert und zu Recht darauf hinweist, dass diese Regelungen die Möglichkeit solcher Amnestien voraussetzen. 11 Zur Wortstellung vgl. BDR § 216, Anm. 1. 12 Vgl. etwa S CHNEIDER , Lk II 476; F. J. M ATERA , Luke 23,1-25: Jesus before Pilate, in: Fr. Neirynck (ed.), L’Évangile de Luc, Leuven 2 1989, 535-551. 13 Vgl. etwa G RUNDMANN , Lk 421-428; E RNST , Lk 626f; F R . B OVON , Le récit lucanien de la Passion de Jésus, in: C. Focant (Hg.), The Synoptic Gospels, Leuven 1993, 393-423; s. auch B OVON , Lk IV 416-421). 23,13-25 Rekonstruktion 1223 diesem vorkanonischen Passionsbericht abhängig: Erst dieses Bild der Überlieferungsgeschichte erklärt die vielen Auffälligkeiten, die gegen eine Benutzung von Mk 15 durch Lk sprechen. Auf der einen Seite ist nicht plausibel zu machen, wieso Lk die in sich stimmige Einleitung der mk Barabbasszene (Mk 15,6-11) in die unglücklich nachklappende Bemerkungen Lk 23,19 verkürzt haben sollte, ganz zu schweigen von dem Fehlen von 23,17 in dem von vielen für ursprünglich gehaltenen Zweig der Überlieferung ( P 75 A B usw.), ohne den die Forderung der Menge im Vergleich zu Mk reichlich unmotiviert wirkt. Oder: Aus welchem Grund hätte Lk die Einschätzung des mk Pilatus, Jesus sei der βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων (Mk 15,9.12), streichen sollen, wenn das doch schließlich der Hinrichtungsgrund ist, den der Kreuzestitulus ausweist (Lk 23,38b)? Wieso sollte er »einen ungeschickten Imperativ im Präsens (σταύρου, ›kreuzige‹, V. 21) an die Stelle eines wohlbedachten Imperativs im Aorist (σταύρωσον, ›kreuzige‹, Mk 15,13)« setzen? 14 Auf der anderen Seite werden diese Phänomene auch nicht besser erklärbar, wenn man annimmt, dass Lk in der Passionsüberlieferung eine »Sonderquelle« mit dem mk Bericht kombiniert hätte. Ganz abgesehen davon, dass damit (neben »Q«) eine weitere hypothetische Quelle postuliert würde, für die es außer überlieferungsgeschichtlichen Argumenten keinerlei Hinweise gibt, hätte Lk an dieser Stelle keine besonders gute Wahl bei dem anzu-nehmenden Wechsel zwischen seinen Quellen getroffen. Stattdessen bietet die Annahme der *Ev-Priorität eine naheliegende und unproblematische Lösung dieser überlieferungsgeschichtlichen Schwierigkeiten. Sie erklärt dann auch die engen Berührungen zwischen *Ev(-Lk) und dem joh Bericht, die wiederholt aufgefallen sind. Am wichtigsten ist die dreifache Unschuldserklärung des Pilatus und die folgende Forderung der Ankläger (s. o.), die durch πάλιν V. *20 und durch τρίτον V. *22 deutlich markiert ist (vgl. Joh 18,38; 19,4.12); sie entspricht der dreifachen Verleugnung durch Petrus (*22,57.58.60; s. dort), die Joh aus *Ev übernommen hat (Joh 18,17.25.27). 15 Joh hat auch die missverständliche Weiterführung von *23,25 in *23,26 übernommen. Nachdem Pilatus Jesus »ihrem Willen übergeben« hatte (*23,25: παρέδωκεν τῷ θελήματι α ὐ τ ῶ ν ), sind die zuletzt in *23,13 erwähnten Gruppen (also: Hohepriester; Führer; Volk) das grammatische Subjekt von ἀπήγαγον αὐτόν (*23,26). Obwohl das Volk nach *23,35 nur als Zuschauer beteiligt ist (καὶ εἱστήκει ὁ λαὸς θεωρῶν) und *23,36 sicherstellt, dass auch *Ev schon wusste, dass die Kreuzigung durch die römischen Soldaten durchgeführt wurde, entsteht hier der Eindruck, als ______________________________ 14 B OVON , Lk IV 417. Dieses letzte Argument ist jedoch nicht stichhaltig. Denn die Lesart σταύρου (P 75 א B D usw.) ist mit großer Wahrscheinlichkeit der vorkanonische Text, den die kritischen Ausgaben (GNT 4 / NA 27 ) - mit dem richtigen Gespür die Priorität vor σταύρωσον (A L Θ Ψ f 1.13 M ) - übernommen haben. Damit repräsentieren sie jedoch einmal mehr nicht den kanonischen, sondern den vorkanonischen Text. 15 In *Ev-Lk ist die Dreimaligkeit der Verleugnung deutlich herausgehoben (*22,34.61: τρίς). 1224 Anhang I 23,13-25 hätten die Hohenpriester und die Führer des Volkes die Hinrichtung Jesu nicht nur durch ihr beharrliches Insistieren herbeigeführt, sondern auch maßgeblich an der Durchführung mitgewirkt. Genau dieser (sicher unhistorische) Eindruck wird dann in der Erzählung der beiden Osterjünger auf dem Weg hervorgerufen (*24,20: ὅπως τε παρέδωκαν αὐτὸν οἱ ἀρχιερεῖς καὶ οἱ ἄρχοντες ἡμῶν εἰς κρίμα θανάτου καὶ ἐσταύρωσαν αὐτόν). Joh hat diese undeutliche Formulierung übernommen (Joh 19,16: παρέδωκεν αὐτὸν αὐτοῖς ἵνα σταυρωθῇ - παρέλαβον οὖν τὸν Ἰησοῦν). 16 Schließlich zeigen noch einige kleine Formulierungen den Einfluss von *23,13ff auf den joh Passionsbericht, z. B. die Verwendung von αἴρω (*23,18 || Joh 19,15) oder die Geminatio des Kreuzigungsrufs, die Mk und Mt als Ausdruck der Steigerung (Mk 15,14: οἱ δὲ περισσῶς ἔκραξαν) in zwei Einzelsätze zerlegt haben. 17 Tatsächlich hatte Lk nur an wenigen Stellen Anlass, *Ev stilistisch geringfügig zu glätten: Größere redaktionelle Eingriffe sind nicht zu beobachten. *23,26-31.32: Kreuzweg: Simon von Kyrene. Die Frauen von Jerusalem. Zwei Übeltäter Die Perikope ist überwiegend unbezeugt; aufgrund der geringfügigen Bearbeitungsspuren ist ihre Existenz in *Ev wahrscheinlich. 23,26 Καὶ ὡς ἀπήγαγον αὐτόν, ἐπιλαβόμενοί a τινα Σίμωνα Κυρηναῖον ἐρχόμενον a ἀπ’ ἀγροῦ ἐπέθηκαν αὐτῷ τὸν σταυρὸν ϕέρειν ὄπισθεν τοῦ Ἰησοῦ. 27 ᾿Ηκολούθει δὲ αὐτῷ πολὺ πλῆθος τοῦ λαοῦ καὶ b γυναῖκες αἳ ἐκόπτοντο καὶ ἐθρήνουν αὐτόν. 28 στραϕεὶς δὲ c ὁ Ἰησοῦς πρὸς αὐτὰς c εἶπεν, Θυγατέρες Ἰερουσαλήμ, μὴ κλαίετε d [ ἐπ’ ] ἐμέ e {μηδὲ πενθεῖτε} e · πλὴν f [ ἐϕ’ ] ἑαυτὰς κλαίετε καὶ f [ ἐπὶ ] τὰ τέκνα ὑμῶν, 29 ὅτι g [ ἰδοὺ ] h ἐλεύσονται ἡμέραι h ἐν αἷς ἐροῦσιν, Μακάριαι αἱ στεῖραι καὶ αἱ κοιλίαι αἳ οὐκ ἐγέννησαν καὶ μαστοὶ οἳ οὐκ i ἐξέθρεψαν. 30 τότε ἄρξονται λέγειν τοῖς ὄρεσιν, Πέσετε ἐϕ’ ἡμᾶς, καὶ τοῖς βουνοῖς, Καλύψατε ἡμᾶς· 31 ὅτι εἰ ἐν τῷ ὑγρῷ ξύλῳ ταῦτα ποιοῦσιν, ἐν τῷ ξηρῷ τί k γενήσεται; 32 ῎Ηγοντο δὲ καὶ l ἕτεροι κακοῦργοι δύο σὺν αὐτῷ m ¿Ἰωαθὰς καὶ Μαγγάθρας? m ἀναιρεθῆναι. A. *23,32f: Tert. 4,42,4: (Et Barrabas quidem nocentissimus vita ut bonus donatur, Christus vero iustissimus ut homicida morti expostulatur.) Sed et duo scelesti circumfiguntur illi, ut inter iniquos scilicet deputaretur … B. a (23,26) τινα Σιμωνα Κυρηναιον ερχομενον: C D d r 1 ; (2 1 3 4) Σιμωνα τινα Κυρηναιον ερχομενον: P 75 א B (L 070) f 13 33 579 892 1241 2542 pc a aur b e f ſſ 2 g 1 gat l ¦ Σιμωνος τινος Κυρηναιου ερχομενου: A W Θ Ψ f 1 M (*Ev non test.) ● b (23,27) γυναικες: D 1071 c d f r 1 sy s.c.p ______________________________ 16 Diese Unklarheit hat in EvPetr (2)5-(3)6 dann zu der völlig unhistorischen Vorstellung geführt, dass das Volk die Kreuzigung durchgeführt habe, vgl. dazu W OLTER , Lk 751. 17 Vgl. σταύρου σταύρου *23,21 || σταύρωσον σταύρωσον Joh 19,16 ≠ σταύρωσον αὐτόν Mk 15,13f || σταυρωθήτω Mt 27,22f. 23,26-32 Rekonstruktion 1225 Tat arab aeth ¦ γυναικων: a aur b e ſſ 2 g 1 gat M (*Ev non test.) ● c (23,28) ο Ιησους προς αυτας: C (D) 070 1241 pc ¦ προς αυτας Ιησους: P 75 א * .2 B L; προς αυτας ο Ιησους: א 1 A W Θ Ψ f 1.13 33 M (*Ev non test.) ● d (23,28) επ: om D a b d e ſſ 2 l ¦ add aur c f g 1 gat r 1 : M (*Ev non test.) ● e (23,28) μηδε πενθειτε: D d ¦ om a aur b c e f ſſ 2 g 1 gat l r 1 M (*Ev non test.) ● f (23,28) εϕ et επι: om D a b d e ſſ 2 l Ambr (Ps 118 14,43; CSEL 62, 328; Paen 2,6,49; CSEL 73, 184) Leo (Tract. 61,3; CCL 138A, 372) ¦ add aur c f g 1 gat r 1 M (*Ev non test.) ● g (23,29) ιδου: om P 75 D f 13 a b d e ſſ 2 l r 1 vg 1 ms sy s.c Tat arab.pers armen georg I.II aeth Leo (a. a. O.) ¦ add aur c f g 1 gat M (*Ev non test.) ● h (23,29) ελευσονται ημεραι: D 13 69 124 346 543 788 826 828 983 it vg sy s.c Tat arab ¦ ημεραι ερχονται: א C X 0124 al; ερχονται ημεραι: M (*Ev non test.) ● i (23,29) εξεθρεψαν: C c D Θ Ψ 1 118 205 209 579 1241 1582; εθρεψαν: P 75 א B C* L 0124 131 892 2542 sy hmg ¦ εθλασαν: E*; εθηλασαν: A W f 13 33 aur f vg M (*Ev non test.) ● k (23,31) γενησεται: D K Λ 0211 27 60 71 262 267 348 399 c 1187 1215 1216 1220 c 1351 1443 1452 1458 1579 1685 2613 a aur b d e f ſſ 2 g 1 gat ¦ γενηται: c l r 1 M (*Ev non test.) ● l (23,32) ετεροι: om Tert c e sy s ¦ ετεροι/ alii: add a aur b d f ſſ 2 g 1 gat l r 1 M ● m (23,32) συν αυτω Ιωαθας και Μαγγαθρας: l (cum eo ioathas et maggatras); r 1 : cum illo ut crucifigere[ntur …] et capnatas ¦ om a aur b c d e f ſſ 2 g 1 gat M (*Ev non test.). C. Der Bericht über den Kreuzweg ist zum allergrößten Teil unbezeugt: Tertullian überbrückt den Zusammenhang von *23,18ff bis *23,32 mit einem einzigen Satz und erwähnt nur die beiden Übeltäter; von den beiden ersten Teilszenen mit Simon von Kyrene und dem Wort an die Frauen von Jerusalem findet sich keine Spur. Da sich Tertullians Erwähnung der beiden scelesti auch auf *23,33 beziehen kann, ist auch *23,32 nicht über jeden Zweifel erhaben. Für die unbezeugten Passagen ist ein sicheres Urteil nicht möglich, denn auch die weiteren text- und überlieferungsgeschichtlichen Beobachtungen bleiben unsicher und sind für die einzelnen Teilszenen getrennt zu besprechen. 1. Der lk Bericht schließt die Erzählung über den Kreuzweg mit der Erwähnung des Simon von Kyrene, des Wortes an die Frauen von Jerusalem sowie der beiden Übeltäter direkt an die Verurteilung an (*23,25). Mk und Mt haben dazwischen noch die Verspottung Jesu als »König der Juden« mit der Dornenkrönung und dem Anlegen des Purpurmantels eingeschoben (Mk 15,16-20 || Mt 27,27-31). 1 Es ist bereits deutlich geworden, dass diese Verspottungsszene von Mk redaktionell aus Elementen der Verspottung vor Herodes (mit der Erwähnung der ἐσθὴς λαμπρά, *23,11; s. dort) und der Kreuzigungsszene (mit der Dornenkrone, *23,37; s. dort) komponiert wurde. Dieser mk-mt Einschub hat eine Neugestaltung der Exposition der Kreuzwegschilderung erforderlich gemacht. Die Formulierungen von Mk 15,16 (ἀπήγαγον αὐτὸν ἔσω τῆς αὐλῆς) und 15,20b (ἐξάγουσιν αὐτόν) lassen diese Bearbeitung von *23,26 ἀπήγαγον αὐτόν noch erkennen. Diese ______________________________ 1 Da Mk und Mt im Anschluss die Soldaten um die Kleider Jesu losen lassen (Mk 15,24 || Mt 27,35) müssen sie am Ende der Verspottungsszene noch erzählen, dass die Soldaten Jesus den Purpurmantel wieder aus- und seine eigenen Kleider wieder angezogen haben (Mk 15,20a || Mt 27,31a). 1226 Anhang I 23,26-32 Beobachtung legt nahe, dass Mk in *Ev einen Bericht mit der Formulierung ἀπήγαγον αὐτόν vorfand. 2 2. Die Erwähnung Simons von Kyrene in Lk 23,26 ist schwierig, weil hier ein (negatives) mt-lk »Minor Agreement« vorliegt: Mk erwähnt im Unterschied zu Mt und Lk, dass Simon der Vater des Alexander und des Rufus war (Mk 15,21 ÷ Lk 23,26 || Mt 27,32). Ein weiteres Agreement ist ἀπήγαγον Lk 23,26a || Mt 27,31b ≠ ἐξάγουσιν Mk 15,20b. In beiden Fällen tragen diese Beobachtungen wenig aus, weil die »Minor Agreements« im Horizont der *Ev-Priorität ja auf verschiedene Weise zustande gekommen sein können. Folgende Möglichkeiten sind denkbar: (a) Die Erwähnung Simons stammt aus *Ev, allerdings ohne Erwähnung der Namen der Söhne. In diesem Fall wäre Mt von *Ev abhängig, wogegen Mk die Namen der Söhne eingefügt hätte. (b) Die Erwähnung Simons und seiner Söhne hat in *Ev gefehlt; erst Mk hat diesen Bericht redaktionell ergänzt, der dann jedoch von Mt und in seiner Folge von Lk um die Namen der Söhne gekürzt worden ist. In diesem Fall hätte 23,26 in *Ev gefehlt. Im Rahmen der Zwei-Quellentheorie ist der Fall recht eindeutig: Denn die Erwähnung der Söhne Simons bei Mk scheint ätiologisch motiviert zu sein und setzt voraus, dass es zur Zeit der Abfassung des Mk noch eine Erinnerung an sie gegeben hat. In diesem Fall wäre es denkbar, dass Mt und Lk bei ihrer späteren Mk-Rezeption diese Namen gestrichen haben, weil sie mit ihnen nichts mehr anfangen konnten. Dies ist jedenfalls die übliche Deutung unter der Annahme der Zwei-Quellentheorie. 3 Dieses Verfahren passt zwar weithin auf das redaktionelle Verfahren des Mt, nicht aber auf das des Lk. Denn Lk hat aus *Ev eine Vielzahl von Eigennamen übernommen, die schon bei Mk und noch mehr bei Mt aus der Überlieferung wieder verschwunden sind: Zumindest für Lk 23,26 ist diese Erklärung wenig plausibel. Man muss daher noch eine weitere Möglichkeit in Erwägung ziehen: (c) Die Nennung der Söhne stammt aus *Ev, ist von Mk rezipiert, von Mt aber übergangen worden. In diesem Fall wäre Lk 23,26 - gegen *Ev! - von der mt Fassung abhängig; auch dieses Phänomen ist ja gelegentlich belegt. Im Horizont der *Ev-Priorität ist die Möglichkeit, dass Mk der erste war, der die Namen erwähnt hat, wenig wahrscheinlich. Denn seine kompositionelle Konzentration und sein redaktionelles Verfahren sprechen dagegen, dass er solche textexternen Referenzen geschaffen hat. Aus diesem Grund ist der Ursprung der Tradition - mit der Nennung der Söhne - in *Ev in der Tat gut denkbar. Dafür gibt es allerdings keinerlei Hinweise. 4 Da auch die kleinen textkritischen Abweichungen in D it sy in *23,26 nicht wirklich aussagekräftig sind, hilft an dieser Stelle nur der Umweg über die narrative Logik und die Redaktionsgeschichte; er lässt immerhin eine Tendenz erkennen. Denn ohne den Beginn der Kreuzwegschilderung ______________________________ 2 Vgl. Mt 27,31b: καὶ ἀπήγαγον αὐτὸν εἰς τὸ σταυρῶσαι. 3 Vgl. für viele: W OLTER , Lk 754. 4 Die stilkritischen und wortstatistischen Überlegungen helfen hier auch nicht weiter, vgl. etwa J. J EREMIAS , Die Sprache des Lukasevangeliums, Göttingen 1980, 304f: Während ἐπιλαμβάνομαι ein lk »Vorzugswort« ist, ist καί am Satzanfang und die Verbindung καὶ ὡς »unlukanisch«. B OVON , Lk IV 442 Anm. 14, schließt: vorlukanisch, und bezieht dies auf seine Annahme einer lk Sonderquelle in der Passionsgeschichte. 23,26-32 Rekonstruktion 1227 *23,26 hängt die Exposition der folgenden Teilszene mit Jesu Wort an die Jerusalemerinnen in der Luft: ἠκολούθει δὲ αὐτῷ πολὺ πλῆθος … *23,27 setzt voraus, dass zuvor die Wegführung Jesu zur Kreuzigung erwähnt wurde, wie sie in *23,26 erwähnt ist (καὶ ὡς ἀπήγαγον αὐτόν …). Da jedoch auch die Vv. *27-31 nicht gesichert ist, verschiebt sich diese Anforderung an den narrativen Zusammenhang. Analoges gilt allerdings für *23,32 (ἤγοντο δὲ καὶ ἕτεροι κακοῦργοι …), auch hier ist die Erwähnung des Kreuzwegs vorausgesetzt. Das heißt, dass Mk 15,16 (ἀπήγαγον αὐτὸν ἔσω τῆς αὐλῆς) und 15,20b (ἐξάγουσιν αὐτόν) ihren Ursprung in *23,26 ἀπήγαγον αὐτόν haben: Der Anfang der Kreuzwegerzählung mit Simon von Kyrene lässt sich daher mit aller Vorsicht für *Ev reklamieren. Der Ursprung der Namenstradition in Mk 15,21 (Alexander und Rufus) bleibt im Dunkel. 3. Auch Jesu Wort an die Frauen von Jerusalem *23,27-31 ist unbezeugt. Es fehlt in Mk und Mt und könnte (aus dem lk Sondergut oder aus der speziellen lk Passionsquelle) 5 durch die lk Redaktion ergänzt sein: Dies ist die übliche Erklärung im methodischen Rahmen der Zwei-Quellentheorie. Für diese Annahme könnte man dann darauf verweisen, dass das Schicksal Jerusalems bereits in Lk 13,34f (red.; s. dort), 19,41-44 (red.; s. dort) und in *21,20.23f (s. dort) thematisiert wurde. Tatsächlich sind diese vier »Jerusalem«-Passagen vielfach durch gemeinsame Stichworte und Motive miteinander verbunden: a. Die grammatische Unterscheidung zwischen Jerusalem und seinen Bewohnern findet Ausdruck in der Rede von den Kindern Jerusalems: Lk 13,34 (Wie oft wollte ich deine Kinder sammeln …); Lk 19,44 (die Feinde »werden dich und deine Kinder in dir dem Erdboden gleich machen«); *23,28 (Weint über euch selbst und über eure Kinder! ). b. Mit der Perspektive des erwarteten Untergangs der Stadt ist auch die Aufforderung zur Wehklage über die Stadt bzw. ihre Bewohner verbunden: Lk 19,41 (ἔκλαυσεν ἐπ ʼ αὐτήν); *23,28 (ἐϕ ʼ ἑαυτὰς κλαίετε καὶ ἐπὶ τὰ τέκνα ὑμῶν). c. Allen Texten gemeinsam ist der prophetische Charakter der Ankündigung des zukünftigen Schicksals der Stadt. Dass diese Zukunft »in jenen Tagen« eintreffen wird, findet sich gleich drei Mal: Lk 19,43 (ἥξουσιν ἡμέραι ἐπὶ σέ; hier kontrastiert durch das Versagen ἐν τῇ ἡμέρᾳ ταύτῃ); *21,23 (ἐν ἐκείναις ταῖς ἡμέραις); *23,29 (ἔρχονται [ἐλεύσονται] ἡμέραι). d. Die angekündigte Bedrängnis wird sehr unterschiedlich formuliert: Für *23,29f und *21,23 fällt auf, dass eine allgemein-abstrakte Formulierung (*21,23b: Große Not auf der Erde und Zorn für dieses Volk; *23,30: Berge, fallt auf uns! ) mit dem Bildfeld Geburt/ Stillen verbunden ist, das semantisch gleichwertig einmal als Weheruf für Gebärende und Stillende (*21,23a: οὐαὶ ταῖς ἐν γαστρὶ ἐχούσαις καὶ ταῖς θηλαζούσαις ἐν ἐκείναις ταῖς ἡμέραις), das andere Mal als Makarismus der Unfruchtbaren, Kinderlosen und Nicht-Stillenden (*23,29b: μακάριαι αἱ στεῖραι καὶ αἱ κοιλίαι αἳ οὐκ ἐγέννησαν καὶ μαστοὶ οἳ οὐκ ἐξέθρεψαν) formuliert ist. e. In zwei Kontexten wird die Unheilansage als militärische Katastrophe spezifiziert, und zwar sowohl mit dem Hinweis auf die Belagerung Jerusalems in *21,20 (ἴδητε κυκλουμένην ὑπὸ στρατοπέδων Ἰερουσαλήμ) || Lk 19,43 (παρεμβαλοῦσιν οἱ ἐχθροί σου χάρακά σοι καὶ ______________________________ 5 Vgl. dazu beispielsweise B OVON , Lk IV 442-449. 1228 Anhang I 23,26-32 περικυκλώσουσίν σε καὶ συνέξουσίν σε πάντοθεν) als auch als Ankündigung der Eroberung mit den dazugehörigen Begleiterscheinungen in *21,24 (καὶ πεσοῦνται στόματι μαχαίρης καὶ αἰχμαλωτισθήσονται εἰς τὰ ἔθνη πάντα, καὶ Ἰερουσαλὴμ ἔσται πατουμένη ὑπὸ ἐθνῶν) || Lk 19,44 (καὶ ἐδαϕιοῦσίν σε καὶ τὰ τέκνα σου ἐν σοί, καὶ οὐκ ἀϕήσουσιν λίθον ἐπὶ λίθον ἐν σοί). f. Die Ankündigung des Unheils, das über Jerusalem kommen wird, ist drei Mal mit einer expliziten Kritik am Verhalten jetzt verbunden; dieses Element fehlt in *23,28ff und begegnet nur in red. Passagen: In Lk 13,34 mit dem Vorwurf des Prophetenmordes und der Verweigerung gegenüber der »Sammlung« durch Jesus (καὶ οὐκ ἠθελήσατε); in Lk 19,42.44 mit dem Vorwurf der mangelnden Erkenntnis dessen, was dem Frieden dient, bzw. des Nichterkennens der »Heimsuchung«; Lk 21,22 bezeichnet die kommende Not als »Tage der Vergeltung« (ἡμέραι ἐκδικήσεως) und impliziert so die Schuld Jerusalems. Diese Übersicht von traditionellen und redaktionellen Passagen lässt die überlieferungsgeschichtliche Beeinflussung erkennen, auch wenn einzelne stark traditionelle Elemente natürlich nicht von der Kenntnis spezieller Prätexte abhängig sind. Gleichwohl lassen sich redaktionell beabsichtigte Kompositionsentscheidungen nachvollziehen. Die redaktionelle Dominus-flevit-Szene Lk 19,41-44 und die Aufforderung an die Frauen, nicht das Schicksal Jesu, sondern das eigene und das ihrer »Kinder« zu beweinen, sind im lk Kontext eng aufeinander bezogen: Indem der lk Jesus über die Stadt weint, erweist er nicht nur seine Solidarität mit Jerusalem, sondern deutet auch das Missverständnis der Jerusalemer Frauen, die über ihn wehklagen (*23,27). Denn durch diesen Bezug wird die Aufforderung Jesu in *23,28 (beweint nicht mich, sondern euch) zu einer zielgerichteten Korrektur des falschen Selbstverständnisses. Man versteht jetzt: Die Frauen beweinen Jesus, weil sie immer noch nicht verstanden haben, dass Jesu Präsenz in Jerusalem der καιρὸς τῆς ἐπισκοπῆς war (Lk 19,44). Dieser kontrastierende Bezug zwischen dem jetzigen Verhalten der Jerusalemer Bevölkerung und ihrem zukünftigen Ergehen ist ein Element, das durch die redaktionellen Passagen explizit gemacht wird (Lk 13,34; 19,42.44; 21,22), das aber jeweils in *Ev fehlt. Die Texte, die wahrscheinlich oder sicher in *Ev enthalten waren, enthielten zwar eine Gerichtsdrohung, haben diese aber nicht auf ein spezifisches Versagen hin konkretisiert: Das hat erst die lk Redaktion getan, die dieses Element als wesentlichen kompositionellen Baustein für die Anlage von Lk-Act verwendete. 4. Aufgrund dieser Beobachtungen ist es wahrscheinlich, dass die Klage der Jerusalemerinnen über Jesus in *23,28-31 bereits in *Ev enthalten war. Diese Sicht lässt sich dann auch durch die textgeschichtlichen Auffälligkeiten stützen, die sich in der Textrekonstruktion niedergeschlagen haben und die einmal mehr auf Interferenzen zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Textüberlieferung zurückgehen werden. 23,26-32 Rekonstruktion 1229 Das betrifft zunächst die transitive Verwendung von κλαίω mit direktem Objekt in *23,28 (D it), das die lk Redaktion durch die intransitive Formulierung κλαίω ἐπί ersetzt hat. Dieses Sprachempfinden entspricht der Verwendung in Lk 19,41 (ἔκλαυσεν ἐπ ʼ αὐτήν; red., s. dort). Daneben ist die Auslassung von (μὴ κλαίετε ἐμέ) μ η δ ὲ π ε ν θ ε ῖ τ ε durch den Mehrheitstext zu nennen, der hier offensichtlich die längere vorkanonische Formulierung (D d) korrigiert und auf diese Weise die Entsprechung zwischen Lk 23,28 und Lk 19,41 verstärkt. Schließlich ist für *23,29 die Ersetzung von ἐξέθρεψαν (C c D Θ Ψ u. a.) bzw. von ἔθρεψαν ( P 75 א B C* usw.) durch ἐθήλασαν im Mehrheitstext (A W f 13 M ) zu nennen. Sie ist als Angleichung an θηλάζω *21,23 zu verstehen. Diese Beobachtungen sprechen dafür, dass die gesamte Chrie in *Ev enthalten war. 6 Hinzuweisen ist auf die Parallele zu *23,29 in EvThom 79: Hier ist der Makarismus der Unfruchtbaren und Kinderlosen mit den beiden Seligpreisungen *11,27f kombiniert. Aber da EvThom das kanonische Lk voraussetzt, ist diese Analogie für die Rekonstruktion der vorlk Überlieferung nicht weiter aufschlussreich. 5. Tertullian erwähnt die beiden Übeltäter in einer zusammenfassenden Formulierung, die nicht erkennen lässt, ob sie sich (nur) auf *23,33 oder auch auf *23,32 bezieht. 7 Mk und Mt erwähnen die Beiden im Zusammenhang des Kreuzwegs nicht; das ist wenig aussagekräftig, weil sie diesen Bericht ohnehin stark gekürzt und auf die Begegnung mit Simon von Kyrene reduziert haben. Da die Erwähnung der beiden κακοῦργοι (die in Mk 15,27 || Mt 27,38 zu λῃσταί werden) aus Gründen der narrativen Logik für den Kreuzweg nicht notwendig ist, spricht mehr für die Ursprünglichkeit von *23,32 als dagegen. Ein besonderes Problem stellt auch hier wieder die Namenstradition dar, weil zwei altlateinische Handschriften in *23,32 die Namen der beiden Mitgekreuzigten angeben. Der Cod. Rehdigeranus (l) liest: ducebantur autem et alii duo latrones cum eo i o a t h a s et m a g g a t r a s ut crucifigerentur. Der an dieser Stelle leider verderbte Usserianus (r 1 ) hat: [duceba]ntur autem et alii duo m[aligni] cum illo ut crucifigere[ntur …] et c a p n a t a s . Der Cod. Colbertinus bietet die Namen in den synoptischen Parallelen, nämlich Zoathas und Camma in Mt 27,38, wogegen in Mk 15,27 nur einer der Namen als Chammata angegeben ist. 8 Es ist nicht weiter verwunderlich, dass es für die Namen eine erstaunliche Variationsbreite gibt: In der Albigenser Handschrift (Nr. 29 Catalogue Générale des MSS des Départements; s. VIII) der aus St. Gallen (Codd. Sangall. 133 913) bekannten Inventiones Nominum sind die Namen als ______________________________ 6 Es ist auch nicht erkennbar, dass 23,29f sekundär sind, wie es gelegentlich einmal erwogen wurde; vgl. W. K ÄSER , Exegetische und theologische Erwägungen zur Seligpreisung der Kinderlosen Lc 23,29b, ZNW 54 (1963), 240-254. 7 Tert. 4,42,4: Sed et duo scelesti circumfiguntur illi. 8 Mt 27,38 (c): tunc crucifixerunt cum eo duos latrones, unus a dextris nomine zoatham et unus a sinistris nomine camma. - Mk 15,27 (c): et crucifixerunt cum eo duos latrones, unum dextris nomine chammata. 1230 Anhang I 23,26-32 Ioaras und Gamatras angegeben. 9 Bei PsBeda heißen sie Matha und Joca. 10 Im griechischen Osten sind andere Namen üblich: In der verzweigten Überlieferung der Pilatusakten und der damit verwandten Literatur heißen sie Dysmas (Dismas; Dimas; Demas) und Gestas (Stegas). 11 Daneben gibt es eine weitere (und offenbar jüngere) Überlieferung in syrischen, arabischen und äthiopischen Quellen, in denen die Namen als Titus (Tetus) und Dumachus (Dārkes; Zumachus; Daumakas) angegeben sind. 12 Der Versuch, diese Namen als sprechende Namen zu erweisen, 13 überzeugt so wenig wie der, ihr Zustandekommen auf andere Weise zu erklären, 14 ganz abgesehen davon, dass die stark divergierenden Traditionen einer einheitlichen Erklärung entgegenstehen. Auch wenn es kaum einen Zweifel gibt, dass das Interesse am Verisimile für die legendarische Fortschreibung und Erweiterung dieser Namenseinfügungen verantwortlich war, ist es möglicherweise zu einfach, sie völlig darauf zu reduzieren und sie vollständig für ein sekundäres Phänomen zu halten. Wie im Fall des Reichen (*16,19; s. dort) oder des Personennamens Emmaus/ Amaus/ Amaon (*24,13; s. dort) ist es auch an dieser Stelle sehr gut möglich, dass sich in der handschriftlichen Überlieferung Namensangaben erhalten haben, die auf den vorkanonischen Text zurückgehen, später aber gestrichen wurden. Dass es dieses Phänomen der sekundären Tilgung von Namen in späteren Stufen der Evangelienüberlieferung gab, beweist die Auslassung der Namen Alexander und Rufus (Mk 15,21) durch Mt 27,32. Denn auch wenn das Interesse späterer Rezipienten an der legendarischen Ausgestaltung und Füllung der narrativen Leerstellen des Bibeltextes unbezweifelbar ist und sich vielfach nachweisen lässt, ist diese Art apokrypher Legendenbildung etwas ganz anderes als die nachträgliche Ergänzung und »Verbesserung« der kanonischen Textüberlieferung. Aus diesem Grund ist die Namensüberlieferung im Rehdigeranus (l) und im Cod. Usserianus (r 1 ) als Hinweis auf den vorkanonischen Text zu werten. Mit Blick auf die (nicht einheitlichen) Varianten zu Mt 27,38 und Mk 15,27 im Cod. Colbertinus (c) sowie auf die ganz anderen (apokryphen) Namensüberlieferungen (Dysmas/ Gestas; ______________________________ 9 M. R. J AMES , Inventiones Nominum, JTS 4 (1903), 218-244: 234. 10 PsBeda, Excerpta et Collectanea, PL 94, 542C: dic mihi nomina latronum qui cum Jesu simul crucifixi sunt. Matha et Joca. Matha credidit, Joca negavit vitam, mortem elegit. 11 Acta Pilati (A) 9,5 (ed. T ISCHENDORF , Evangelia Apocrypha 245); in (A) 10,1 geben einige Zeugen außerdem an, dass Dysmas auf der rechten, Gestas auf der linken Seite gekreuzigt wurden, vgl. dazu B. M. M ETZGER , Names for the Nameless in the New Testament, in: P. Granfield, J. A. Jungmann (Hg.), Kyriakon I, Münster 1970, 79-99: 90. Von dort aus sind die Namen mit legendarischen Erweiterungen in den spätesten Zusatz der Pilatusakten, die Erzählung von Joseph von Arimathäa (Narratio Iosephi, T ISCHENDORF 459-470), eingedrungen. Zu den Namensformen und zur Verteilung der Namen auf den »rechten« und den »linken« bzw. den »guten« und den »schlechten« Übeltäter vgl. J. R. H ARRIS , On Certain Obscure Names in the New Testament. A Problem in Palaeography, Expositor VI/ 1 (1900), 161-177: 164-167. 12 Belege bei M ETZGER , a. a. O. 92-94. 13 A. M EYER , Namen der Namenlosen, in: E. Hennecke, Neutestamentliche Apokryphen, Tübingen 2 1924, 78-80: 79. Meyer führt Dysmas/ Dumachus auf griech. Dysmachos zurück (»was ›schwer zu bekämpfen‹ bedeuten würde, vielleicht auch ›böslich kämpfend‹«) und erklärt Gestas (das griechisch in Titus verschrieben sei) mit dem syrisch-aramäischen gajes/ gajjāsā (»rauben/ Räuber«): »So hätten wir zwei rechte Räubernamen.« 14 H ARRIS , a. a. O. 167f. 23,26-32 Rekonstruktion 1231 Titus/ Dumachus) lässt sich kaum befriedigend ermitteln, welche Namen hier ursprünglich waren: Die Rekonstruktionsentscheidung für Joathas und Maggatras ist arbiträr; sie folgt dem Rehdigeranus (l), weil hier die Namen im Unterschied zum Usserianus vollständig überliefert sind. Aber der Umstand, dass der vorkanonische Text an dieser Stelle Namen enthielt, ist wahrscheinlicher, als dass diese erst sekundär in die kanonische Textüberlieferung eingedrungen sind. In diesem Fall sind die Namen ein Hinweis darauf, dass *23,32 in *Ev existierte. *23,33 [ 34 ] 35-42 43 44-46a [ 46b ] 47-49: Kreuzigung und Tod Jesu Zum größten Teil gut bezeugt und im Kern sicher in *Ev vorhanden. Ergänzungen durch die lk Redaktion teilweise sicher, teilweise sehr wahrscheinlich. 23,33 καὶ a ελθόντες b εἰς τόπον c λεγόμενον d Κρανίου τόπος d e ἐκεῖ ἐσταύρωσαν αὐτὸν καὶ τοὺς κακούργους f ὅμου, ὃν μὲν ἐκ δεξιῶν ὃν δὲ ἐξ ἀριστερῶν. g [ 34 ὁ δὲ Ἰησοῦς ἔλεγεν, Πάτερ, ἄϕες αὐτοῖς, οὐ γὰρ οἴδασιν τί ποιοῦσιν. ] g h † διαμεριζόμενοι δὲ τὰ ἱμάτια αὐτοῦ ἔβαλον κλήρους. † h 35 καὶ εἱστήκει ὁ λαὸς θεωρῶν. i ἐμυκτήριζον δὲ k αὐτὸν καὶ ἔλεγον αὐτῷ k , Ἄλλους l ἔσωσας· σεαυτὸν σῶσον, εἰ υἱὸς εἶ τοῦ θεοῦ, εἰ Χριστὸς εἶ ὁ ἐκλεκτός l . 36 ἐνέπαιξαν δὲ αὐτῷ καὶ οἱ στρατιῶται προσερχόμενοι m ὄξός τε προσέϕερον m 37 καὶ λέγοντες, n χαῖρε ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων n o {περιτίθεντες αὐτῷ καὶ ἀκάνθινον στέϕανον.} o 38 ἦν δὲ καὶ ἐπιγραϕὴ ἐπ’ αὐτῷ, p Ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων p . 39 Εἷς δὲ τῶν q [ κρεμασθέντων ] κακούργων q ἐβλασϕήμει αὐτόν r [ λέγων, Οὐχὶ σὺ εἶ ὁ Χριστός; σῶσον σεαυτὸν καὶ ἡμᾶς. ] r 40 ἀποκριθεὶς δὲ ὁ ἕτερος ἐπιτιμῶν αὐτῷ ἔϕη, Οὐδὲ ϕοβῇ σὺ τὸν θεόν, ὅτι ἐν τῷ αὐτῷ κρίματί s ἐσμεν; 41 καὶ ἡμεῖς μὲν δικαίως, ἄξια γὰρ ὧν ἐπράξαμεν ἀπολαμβάνομεν· οὗτος δὲ οὐδὲν t πονηρὸν ἔπραξεν. 42 καὶ ἔλεγεν, Ἰησοῦ, μνήσθητί μου ὅταν ἔλθῃς εἰς τὴν βασιλείαν σου. [ 43 καὶ εἶπεν αὐτῷ, Ἀμήν σοι λέγω, ] u σήμερον μετ’ ἐμοῦ ἔσῃ ἐν τῷ παραδείσῳ. u 44 Καὶ ἦν ἤδη ὡσεὶ ὥρα ἕκτη καὶ σκότος ἐγένετο ἐϕ’ ὅλην τὴν γῆν ἕως ὥρας ἐνάτης 45 v καὶ ἐσκοτίσθη ὁ ἥλιος, v w [ ἐσχίσθη δὲ τὸ καταπέτασμα τοῦ ναοῦ μέσον ] w . 46 καὶ ϕωνήσας ϕωνῇ μεγάλῃ ὁ Ἰησοῦς x † [ εἶπεν, Πάτερ, εἰς χεῖράς σου παρατίθεμαι τὸ πνεῦμά μου ]† x · y † [ τοῦτο δὲ εἰπὼν ] † y ἐξέπνευσεν z {καὶ τὸ καταπέτασμα τοῦ ναοῦ ἐσχίσθη}. z 47 aa Καὶ ὁ ἑκατόνταρχος ϕωνήσας aa bb ἐδόξαζεν τὸν θεὸν λέγων, Ὄντως ὁ ἄνθρωπος οὗτος δίκαιος ἦν. 48 καὶ πάντες οἱ συμπαραγενόμενοι ὄχλοι ἐπὶ τὴν θεωρίαν ταύτην, θεωρήσαντες τὰ γενόμενα, τύπτοντες τὰ στήθη cc καὶ μετώπα cc ὑπέστρεϕον dd {λέγοντες, Οὐαὶ ἡμῖν τῶν γενομένων σήμερον διὰ τὰς ἁμαρτίας ἡμῶν· ἤγγικε γὰρ ἡ ἐρήμωσις Ἰερουσαλήμ.} dd 49 εἱστήκεισαν δὲ πάντες οἱ γνωστοὶ 1232 Anhang I 23,33-49 αὐτῷ ἀπὸ μακρόθεν, καὶ γυναῖκες αἱ συνακολουθοῦσαι αὐτῷ ἀπὸ τῆς Γαλιλαίας, ὁρῶσαι ταῦτα. A. *23,33: Tert. 4,42,4: Sed et duo scelesti circumfiguntur illi, ut inter iniquos scilicet deputaretur … ♦ *23,33f: Epiph., Schol. 71: Καὶ ελθόντες εἰς τόπον λεγόμενον Κρανίου τόπος ἐσταύρωσαν αὐτὸν καὶ διαμερίσαντο τὰ ἱμάτια αὐτοῦ καὶ ἐσκοτίσθη ὁ ἥλιος. ♦ *23,34a: Ephraem, Comm. diat. 21,3 (FC 54/ 2, 586): »Vergib ihnen! Denn sie wissen nicht, was sie tun.« ♦ 23,34b : Tert. 4,42,4: Vestitum plane eius a militibus divisum, partim sorte concessum, Marcion abstulit, respiciens psalmi prophetiam: Dispertiti sibi sunt vestimenta mea, et in vestitum meum sortem miserunt (Ps 22,18). ♦ 23,43 : Epiph., Schol. 72: Παρέκοψε τό Σήμερον μετ’ ἐμοῦ ἔσῃ ἐν τῷ παραδείσῳ. ♦ *23,44f: Tert. 4,42,5: Hic erit dies de quo et Amos: Et erit illa die, dicit dominus, occidet sol meridie (habes et horae sextae significationem), et contenebrabit super terram. Scissum est et templi velum, angeli eruptione, derelinquentis filiam Sionis tanquam in vinea speculam et in cucumerario casulam. ♦ *23,45: Epiph., Schol. 71: … καὶ ἐσκοτίσθη ὁ ἥλιος. ♦ *23,46: Tert. 4,42,6: O quantum perseveravit etiam tricesimo psalmo Christum ipsum reddere! Vociferatur ad patrem, ut et moriens ultima voce prophetas adimpleret. Hoc dicto expiravit. Quis? spiritus semetipsum, an caro spiritum? Sed spiritus semetipsum expirare non potuit. Alius est qui expirat, alius qui expiratur. Si spiritus expiratur, ab alio expiretur necesse est. Quodsi solus spiritus fuisset, discessisse potius diceretur quam expirasse. Quis igitur expirat spiritum nisi caro, quae et spirat quando illum habet, et ita eum cum amittit expirat? ¦ Epiph., Schol. 73: Καὶ ϕωνήσας ϕωνῇ μεγάλῃ ἐξέπνευσεν. ¦ Adam. 5,12 (857d): καὶ ϕωνήσας μεγάλῃ ϕωνῇ ὁ Ἰησοῦς εἶπε· Πάτερ, εἰς χεῖράς σου παραθήσομαι τὸ πνεῦμά μου, καὶ ἐξέπνευσε. B. a (23,33) ελθοντες: Epiph ¦ οτε ηλθον: M it ● b (23,33) εις/ in: Epiph aur b c d e f g 1 gat l r 1 ; εις τον: 1071 1079 1424 1675 ℓ1016 ¦ επι/ ad: a ſſ 2 M ● c (23,33) λεγομενον: Epiph ¦ τον καλουμενον: M ● d (23,33) Κρανιου τοπος: Epiph ¦ Κρανιον: M ● e (23,33) εκει: om Epiph 1200* a ¦ εκει/ ibi: add aur b c (illic) d e f ſſ 2 l M ● f (23,33) ομου: D d; b*: συν αυτω ¦ δυο: 0124 b c vg 1ms (28 157 1012 1071 c 2096) ¦ om a aur c e f ſſ 2 g 1 gat l r 1 M (*Ev non test.) ● g (23,34a) ο δε ιησους ελεγεν πατερ αϕες αυτοις ου γαρ οιδασιν τι ποιουσιν: om P 75 א 1 B D* W Θ 070 0124 579 1241 a b 2 d sy s sa bo mss ¦ add Ephraem א * .2 (A) C D 2 L Ψ 0250 f 1.(13) 33 aur b* c f ſſ 2 l r 1 sy c.p ● h (23,34b) διαμεριζομενοι δε τα ιματια αυτου εβαλον κληρους: Widersprüchliche Bezeugung: (1) om Tert b* ¦ (2) διαμεριζομενοι δε τα ιματια αυτου: Epiph ¦ (3) διαμεριζομενοι δε τα ιματια αυτου εβαλον κληρους: a aur b 2 c d f ſſ 2 l r 1 M ● i (23,35) εμυκτηριζον: D (d) ¦ εξεμυκτηριζον: M (*Ev non test.) ● k (23,35) αυτον και ελεγαν (sic! d: dicebant) αυτω: D d (aeth) ¦ και οι αρχοντες λεγοντες: M (*Ev non test.) ● l (23,35) εσωσας· σεαυτον σωσον, ει υιος ει του θεου, ει χριστος ει ο εκλεκτος: D (c d [e]) ¦ εσωσεν, σωσατω εαυτον, ει ουτος εστιν ο χριστος του θεου ο εκλεκτος: M ; … ο χριστος ο υιος του θεου: P 75 (070) f 13 pc sy h co; … ει υιος εστ. ο χρ. τ. θ.: B (*Ev non test.) ● m (23,36) οξος τε προσεϕερον: D d ¦ (και) οξος προσϕεροντες αυτω: it M (*Ev non test.) ● n (23,37b) χαιρε ο βασιλευς των ιουδαιων: D c d sy s.c ¦ ει συ ει ο βασιλευς των ιουδαιων σωσον σεαυτον: a aur b e f ſſ 2 i l q r 1 M (*Ev non test.) ● o (23,37b) περιτιθεντες αυτω και ακανθινον στεϕανον/ imponentes illi et de spinis coronam: D d; c (libera te; imposuerunt autem illi et spineam coronam) ¦ σωσον σεαυτον (και: sy s ) περιετιθουν και επι τηω κεϕαλης αυτου στεϕανον εξ ακανθων: sy s.c ¦ om a aur b e f ſſ 2 l q r 1 M ● p (23,38) ο βασιλευς των Ιουδαιων: C c ¦ ο βασιλευς των Ιουδαιων ουτος: א B L 0124 579 (a) ¦ ο βασιλευς των Ιουδαιων ουτος εστιν: D d e ſſ 2 r 1 ; ουτος εστιν ο βασιλευς των Ιουδαιων: A W Θ Ψ f 13 aur (b) f g1 gat vg sy h co M (*Ev non test.) ● q (23,39a) κακουργων: D d bo 1 ms ¦ (2 1) κακουργων 23,33-49 Rekonstruktion 1233 κρεμασθεντων: c ¦ συγκρεμασθεντων κακουργων: 399 c ℓ1663 ¦ κραμμαμενων κακουργων: 579 ¦ κρεμασθεντων: 66* l Tat pers ¦ κρεμασθεντων κακουργων: it M (*Ev non test.) ● r (23,39) λεγων ουχι συ ει ο Χριστος σωσον σεαυτον και ημας: om D d e (  l) ¦ add a aur b c f ſſ 2 q r 1 M ● s (23,40) εσμεν: C* W r 1vid sy s.c.j sa bo aeth Chrys (Cruc. hom. 1.2; PG 49, 403.412; Hom. 23 in Mt 2, PG 57, 310; Hom. 1-15 in Phil 8; F IELD 5, 79; Hom. 1-6 in Tit 5; F IELD 6, 308; Prodig. hom. 2; PG 59, 635) Epiph (Haer. 66,40,3; GCS 37, 77) Ruf (Apol. adv. Hier. 1,46; CCL 20, 83) ¦ ει και ημεις εσμεν: D d ¦ ει: it M ● t (23,41) πονηρον: D d sy j Tat pers aeth Chrys (Cruc. hom. 1; PG 49, 403); κακον: Cyr. Hier. (Cat. Illum. 13,3; R EISCHL -R UPP II, 54) Procl. Const. (Hom. 29,7; L EROY 211) ¦ ατοπον: it M ● u (23,43) σημερον μετ εμου εση εν τω παραδεισω: om Epiph ¦ add it M ● v (23,45) και εσκοτισθη ο ηλιος: Epiph A C 3 (D) W Θ Ψ f 1.13 M it sy s.c.j.p Orig latmss ¦ του ηλιου εκλιποντος: P 75 * א ( P 75c B εκλειποντος) C* vid L 070 579 (2542 εκλαμποντος) pc sy hmg ¦ om: 33 ● w (23,45) εσχισθη δε το καταπετασμα του ναου μεσον: om D d (sed. vid. vs. 46! ) ¦ add εσχισθη δε το καταπετασμα του ναου: Tert (! ); εσχισθη δε το καταπετασμα του ναου μεσον: it M ● x (23,46) ειπεν πατερ εις χειρας σου παρατιθεμαι το πνευμα μου: Widersprüchliche Bezeugung: (1) om Epiph ¦ (2) add Tert Adam it M ● y (23,46) τουτο δε ειπων: Widersprüchliche Bezeugung: (1) om Epiph Adam a sy s.c ¦ (2) τουτο δε ειπων/ et hoc (haec: aur f ſſ 2 vg) dicens: add Tert aur b (c d: hoc cum dixisset) e f ſſ 2 l q r 1 ● z (23,46) και το καταπετασμα του ναου εσχισθη: D d ¦ om Tert (! ) it M (sed vide vs. 45! ) ● aa (23,47) και ο εκατονταρχος ϕωνησας: D d ¦ ιδων δε ο εκατονταρχης το γενομενον: it M (*Ev non test.) ● bb (23,47) εδοξαζεν: P 75 * א B D L R Ψ 0124 892 1241 2096 2372* vid c d q (ſſ 2 l) vg ms ¦ εδοξασε: P 75c A C W Θ f 1.13 33 a aur f vg M (*Ev non test.) ● cc (23,48) και μετωπα: D d ¦ om it M (*Ev non test.) ● dd (23,48) λεγοντες ουαι υμιν (! ) των γενομενων σημερον δια τας αμαρτιας ημων, ηγγικε γαρ η ερημωσις Ιερουσαλημ: g 1 ; και λεγοντες ουαι ημιν των γενομενων ημιν ουαι υμιν δια τας αμαρτιας ημων: sy s.c ¦ it M (*Ev non test.). C. Die Kreuzigungsszene ist im kanonischen Lk-Text ein »erzählerisches Sammelbecken … das aus einer Vielzahl von Teilszenen besteht«, 1 die durch mehrfache Perspektivewechsel voneinander geschieden sind. Die literarische Uneinheitlichkeit spiegelt sich sowohl in der disparaten Textüberlieferung 2 als auch in den weit auseinander strebenden Urteilen über die verarbeiteten Quellen. 3 Wie die überlieferungsgeschichtliche Analyse zeigen wird, hängen alle drei Aspekte eng miteinander zusammen. Unklar ist bereits die Bezeugung für *Ev, denn die Hauptzeugen weisen hier einige Unterschiede auf: Epiphanius fasst in Schol. 71 in einem Satz Elemente von *23,32.33a.b.34b.44 zusammen. 4 So hat es den Anschein, als hätte Epiphanius von den Vv. 34a.35-42 in *Ev keine Spuren gefunden. ______________________________ 1 W OLTER , Lk 751. 2 Knapp zusammengefasst bei W IEFEL , Lk 396f. 3 Wie auch sonst in der Passionsgeschichte stehen sich gegenüber die Annahme, dass der lk Bericht vollständig auf Mk zurückgeht und redaktionell bearbeitet wurde (z. B. S CHNEIDER , Lk II 482; W OLTER , Lk 752 u. a.), die Vorstellung einer redaktionellen Ergänzung des Mk durch lk Sondergut (z. B. F ITZMYER , Lk II 1500f u. a.) und die These, dass der lk Bericht vollständig einer eigenen Sonderquelle folgt (z. B. B OVON , Lk IV 442ff; DERS ., Le récit lucanien de la Passion de Jésus (Lc 22- 23), in: C. Focant (Hg.), The Synoptic Gospels, Leuven 1993, 393-423. 4 Der letzte Hinweis (καὶ ἐσκοτίσθη ὁ ἥλιος) muss kein Zitat sein, sondern kann einfach eine freie Zusammenfassung von V. 43f darstellen. 1234 Anhang I 23,33-49 Nicht ganz einfach ist daher die Notiz Schol. 72 zu verstehen, der zufolge V. 43b (σήμερον μετ’ ἐμοῦ ἔσῃ ἐν τῷ παραδείσῳ) in *Ev fehlte: Unklar ist dabei, ob tatsächlich nur diese Pointe gefehlt hat, oder ob sich die Notiz als pars pro toto auf die ganze Einheit V. 39-43 bezieht. Schließlich fasst Epiphanius in Schol. 73 (καὶ ϕωνήσας ϕωνῇ μεγάλῃ ἐξέπνευσεν) Elemente aus V. 46 in einer Weise zusammen, dass das letzte Wort Jesu (πάτερ, εἰς χεῖράς σου παρατίθεμαι τὸ πνεῦμά μου) darin keinen Platz zu haben scheint. Nach diesem Zeugnis scheinen bei Epiphanius die Vv. 34a.35.36-38(39-43a)43b.46b zu fehlen. Allerdings bezeugt Ephraem *23,34a. Tertullian bezeugt aus der Einleitung Kenntnis von *23,33 (Erwähnung der beiden mitgekreuzigten Verbrecher), vom Ende den Hinweis auf die Verdunkelung der Sonne zur sechsten Stunde und das Zerreißen des Tempelvorhangs (V. *44f) sowie die Sterbenotiz mit dem letzten Wort Jesu V. *46, 5 das auch durch Adamantius bezeugt ist. Jedoch vermerkt Tertullian entgegen dem Zeugnis des Epiphanius, dass 23,34b (Zerteilung des Gewands) in *Ev gefehlt habe. Die abschließende Teilszene mit der Reaktion des Hauptmanns und der Erwähnung der Bekannten Jesu und der galiläischen Frauen in *23,47-49 ist gänzlich unbezeugt. Hier ist die Rekonstruktion wieder auf andere Kriterien als die direkte Bezeugung angewiesen. Die Aufgabe für die Rekonstruktion besteht daher in erster Linie in einer Klärung der divergierenden Zeugnisse (zu 23,34 und zu *23,46) sowie in der Frage, wie die umfangreiche Verspottungsszene *23,35-39 zu beurteilen ist. Wie auch sonst helfen für die Passagen, die in den Hauptzeugen nicht erwähnt sind, text- und überlieferungsgeschichtliche Beobachtungen weiter. Die Rekonstruktion sollte dann auch in der Lage sein, die große narrative Disparität der ganzen Einheit zu klären 1. Die Exposition *23,33 mit der Ankunft am Exekutionsort und der Kreuzigung ist gut bezeugt. Möglicherweise hat Tertullian auch schon in *Ev gelesen, dass Jesus zwischen den beiden Übeltätern gekreuzigt wurde (ὃν μὲν ἐκ δεξιῶν ὃν δὲ ἐξ ἀριστερῶν), wie sein Jes-Zitat in diesem Kontext zeigt. 6 Die entsprechende Deutung in Lk 22,37 konnte Tertullian jedenfalls nicht in *Ev gefunden haben: Sie ist als fehlend bezeugt (s. dort). Das heißt aber, dass der Ursprung der Tradition, dass Jesus zwischen den beiden Verbrechern gekreuzigt wurde, mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits in *Ev liegt und von dort aus in die mk Passionsgeschichte eingedrungen ist. Wenn der von Epiphanius referierte *Ev-Text an dieser Stelle in einer noch nicht durch den kanonischen Text kontaminierten Fassung vorlag (was keineswegs immer der Fall ist), dann müsste man annehmen, dass Mk 15,22 τὸν Γ ο λ γ ο θ ᾶ ν τόπον, ὅ ἐστιν μεθερμηνευόμενον Κ ρ α ν ί ο υ Τ ό π ο ς eine Rückübersetzung von τὸν τόπον τὸν καλούμενον Κ ρ α ν ί ο ν darstellt. Das ist völlig unwahrscheinlich. Hilfreich ist dabei ein Blick auf die Formulierung von Mt 27,33. Denn Mt 27,33 stimmt mit dem von Epiphanius referierten *Ev-Text in mehreren kleinen Formulierungen überein: ἐλθόντες anstelle von ὅτε ἦλθον Lk 23,33 bzw. καὶ ϕέρουσιν αὐτόν Mk ______________________________ 5 Die Vater-Anrede und der ausdrückliche Hinweis auf Ps 31 (30) sind eindeutig. 6 Jes 53,12 LXX: ἐν τοῖς ἀνόμοις ἐλογίσθη, vgl. Tert. 4,42,4: ut inter iniquos scilicet deputaretur. 23,33-49 Rekonstruktion 1235 15,22. - εἰς τόπον ≠ ἐπὶ τὸν τόπον Lk 23,33 || ἐπὶ τὸν (Γολγοθᾶν) τόπον Mk 15,22. - λεγόμενον ≠ ὅ ἐστιν μεθερμηνευόμενον Mk 15,22 bzw. τὸν καλούμενον Lk 23,33. Auf der anderen Seite steht das lk Κρανίον allein gegen Κρανίου τόπος, das Epiphanius für *Ev zusammen mit allen anderen Evangelien bezeugt (Mk 15,22 || Mt 27,33 || Joh 19,17). Mit Blick auf die Parallelen in den drei (! ) anderen Evangelien liegt daher nahe, dass Mt die Formulierung von *Ev mit der Erwähnung von Golgotha und der nicht besonders glücklich formulierten Übersetzungseinleitung ὅ ἐστιν … λεγόμενος unverändert übernommen haben könnte. 7 In diesem Fall hätte Lk die »hebräische« Namensform einfach ausgelassen, während Mk 15,22 (ὅ ἐστιν μεθερμηνευόμενον) und Joh 19,17 (ὃ λέγεται Ἑβραϊστί) die mt Doppelung von (εἰς τόπον) λεγόμενον … (ὅ ἐστιν Κρανίου Τόπος) λεγόμενος auf verschiedene Art, aber jeweils eleganter umgangen haben. Die Formulierung von Joh 19,17 ἐξῆλθεν εἰς τὸν λεγόμενον Κρανίου Τόπον, ὃ λέγεται Ἑβραϊστὶ Γολγοθα übersetzt jedoch nicht das hebräische Golgotha ins Griechische, sondern enthält in der Erzählung - wie Lk 23,33 - die griechische Bezeichnung, deren hebräische Bedeutung dann nachgetragen wird. Das könnte darauf hindeuten, dass Joh sowohl die mt-mk als auch die lk Formulierung kennt. Wie die überlieferungsgeschichtliche Rekonstruktion ergeben hat (Bd. I, § 13), setzt Joh (neben Mk und Mt) jedoch nicht Lk, sondern *Ev voraus. Demzufolge ist es wahrscheinlich, dass der hebräische Name »Golgotha« erst durch Mk in die Überlieferung eingefügt wurde, und dass *Ev nur die griechische Bezeichnung Κρανίου τόπος enthielt, wie sie (in ähnlicher Formulierung) noch bei Lk enthalten ist. 2. Die beiden größten Schwierigkeiten für die Rekonstruktion von *23,33-46 liegen in V. 34. Die beiden Hälften des Verses mit der Vergebungsbitte (V. 34a) und dem Bericht über die Zerteilung des Gewands (V. 34b) sind getrennt voneinander zu besprechen. Ephraems Kommentar zum Diatessaron zitiert die Vergebungsbitte 23,34a in einem Zusammmenhang, der sich erkennbar mit der marcionitischen Unterscheidung zwischen dem Schöpfer und dem fremden Gott auseinandersetzt. Die Vergebungsbitte belegt die Unkenntnis derer, »die ihn ans Kreuz schlugen, als sie im Licht standen, und die ihn vielleicht erkennen würden, wenn Dunkelheit sie umgäbe« (Comm. Diat. 21,3). Wenn Ephraem den Marcioniten den Wortlaut des Evangeliums vorhält, dann hat er 23,34a mit einiger Wahrsheinlichkeit im marcionitischen Evangelium gelesen. Auf der anderen Seite zeigt Epiphanius in seinem ziemlich dichten Referat des Anfangs der Perikope keine Kenntnis von 23,34a. Das könnte natürlich daran liegen, dass er diesen Halbvers einfach übergangen hat. Aber die Uneinheitlichkeit der handschriftliche Bezeugung legt nahe, dass die Vergebungsbitte nicht in Epiphnius’ *Ev-Exemplar stand. Die Stelle ist eine »perpetual textcritical crux«, 8 denn im Unterschied zu vielen anderen Varianten, die in Teilen ______________________________ 7 Andernfalls müsste man annehmen, dass Epiphanius entgegen seiner eigenen Behauptung (Haer. 42,10,2) für sein Textreferat nicht das marcionitische Evangelium, sondern sein kanonisches Mt benutzt hätte, so der Vorschlag von R OTH 338. 8 Vgl. J. D ELOBEL , Luke 23: 34a: A Perpetual Text-critical Crux? , in: W. L. Petersen (ed.), Sayings of Jesus, Leiden u. a. 1997, 25-36; s. außerdem D. D AUBE , »For They Know Not What They Do«: Luke 23: 34, StudPatr 4 (1961), 58-70; D. F LUSSER , »Sie wissen nicht, was sie tun«, in: P.-G. Müller, W. 1236 Anhang I 23,33-49 auch durch die »Westlichen« Zeugen vor allem der altlateinischen Überlieferung belegt sind, werden in diesem Fall beide Lesarten auch durch Handschriften vertreten, die insgesamt als sehr zuverlässig eingeschätzt werden: Die Vergebungsbitte ist Teil des Textes in: א * .2 (A) C D 2 L Ψ 0250 f 1.(13) 33 aur b* c f ſſ 2 l r 1 sy c.p Tat Ephr . 9 Sie fehlt dagegen in P 75 א 1 B D* W Θ 070 0124 579 1241 a b 2 d sy s sa bo mss . Die gleichermaßen starke Bezeugung hat die Herausgeber von NA 27 und GNT 4 dazu veranlasst, die Passage in den Text aufzunehmen, sie aber in doppelte Klammern zu setzen. 10 Gleich drei Handschriften zeigen dabei den Einfluss von Korrekturen aus der jeweils anderen Lesart ( א 1 / א * .2 ; D*/ D 2 ; b*/ b 1 ), im Sinaiticus ist die Korrektur sogar doppelt vollzogen worden. Die Einschätzung, dass dieses textkritische Problem als nahezu unlösbar gilt, hängt damit zusammen, dass man die Auslassung oder Hinzufügung des Logions im Rahmen der gängigen textgeschichtlichen Theorien einem Kopisten zuschreiben muss. Diese Annahme wird dann schon zu einer Vorentscheidung, denn es ist schwer vorstellbar, dass ein Kopist die Vergebungsbitte eigenmächtig aus dem Text gestrichen haben sollte. 11 In diesem Fall stellt die Einsicht in die *Ev-Priorität eine wesentliche Hilfe dar, weil sie damit rechnet, dass zwischen dem vorkanonischen und dem kanonischen Text ein umfassendes redaktionelles Verfahren liegt, das dann auch für die Änderung in 23,34a verantwortlich gemacht werden kann. Damit verschiebt sich die Frage nach den internen Kriterien für die textkritische Beurteilung, weil die redaktionellen Entsprechungen zu dieser Vergebungsbitte dann in der Tat wesentliche Kriterien für die Beurteilung liefern. In diesem Fall sind sie allerdings nicht ganz eindeutig: Auf der einen Seite ist die Aufforderung zur Fürbitte für die Feinde in *6,27f eindeutig schon für *Ev belegt (Tert. 4,16,1; s. dort). Auf der anderen Seite stellt das Stephanusmartyrium in Act 7 die nächste Analogie zur gesamten Abfolge ab Lk 22,66 dar. Folgende ______________________________ Stenger (Hg.), Kontinuität und Einheit, Freiburg/ Brsg. u. a. 1980, 393-410; J. H. P ETZER , Antijudaism and the Textual Problem of Luke 23: 34, FilNeo 5 (1992), 199-203. 9 Ephraem kommt in seiner Kommentierung des Diatessaron drei Mal auf die Vergebungsbitte zu sprechen (Comm. Diat. 10,14 (FC 54/ 1, 341; SC 121, 192); 21,3.18 (FC 54/ 2, 586.602; SC 121, 376.384). 10 Ähnlich ambivalent ist die Begründung dieser Entscheidung bei M ETZGER , Textual Commentary z. St.: Obwohl das Logion »probably not a part of the original Gospel of Luke« sei (weswegen es in Klammern gesetzt sei), zeige es doch »self-evident tokens of its dominical origin« (weswegen es in den Text aufgenommen sei). Völlig unverständlich ist, wie - bei einer textkritischen Entscheidung! - »dominical origin« als Kriterium gelten kann, wenn zugleich die älteste Textgrundlage geleugnet wird. 11 Diese Einschätzung schon bei B. F. W ESTCOTT , F. J. A. H ORT , The New Testament in the Original Greek II, Cambridge - London 1881, 69: »Its (sc. the logion’s) omission, on the hypothesis of its genuineness, cannot be explained in any reasonable manner.« Auch H ARNACK 236* hält es für »ganz undenkbar«, dass das Logion, obwohl ursprünglich, getilgt worden sei. Er ist deshalb zur Annahme genötigt, dass das Wort erst von Marcion in den Lk-Text eingefügt worden sei (wodurch das οὐκ οἴδασιν einen »prägnanten Sinn« gewinne) und von dort aus in die katholische Handschriftenüberlieferung eingedrungen sei. 23,33-49 Rekonstruktion 1237 Entsprechungen zwischen dem Geschick Jesu und dem Stephanusmartyrium Act 7,58ff sind dabei charakteristisch. a. Beide erleiden das Martyrium außerhalb der Stadt: καὶ ἐκβαλόντες ἔξω τῆς πόλεως ἐλιθοβόλουν (Act 7,58) || καὶ ἐκβαλόντες αὐτὸν ἔξω τοῦ ἀμπελῶνος ἀπέκτειναν (Lk 20,15; red.! ). b. Beide bitten um die Aufnahme ihres »Geistes«: Κύριε Ἰησοῦ, δέξαι τὸ πνεῦμά μου (Act 7,59b) || Πάτερ, εἰς χεῖράς σου παρατίθεμαι τὸ πνεῦμά μου (Lk 23,46b). c. Beide beten »mit lauter Stimme«: ἔκραξεν ϕωνῇ μεγάλῃ (Act 7,60a) || καὶ ϕωνήσας ϕωνῇ μεγάλῃ (Lk 23,46a). d. Beide leisten Fürbitte für die Verfolger: Κύριε, μὴ στήσῃς αὐτοῖς ταύτην τὴν ἁμαρτίαν (Act 7,60b) || Πάτερ, ἄϕες αὐτοῖς, οὐ γὰρ οἴδασιν τί ποιοῦσιν (Lk 23,34a). e. In beiden Fällen tritt der Tod unmittelbar mit dem letzten Wort ein: καὶ τοῦτο εἰπὼν ἐκοιμήθη (Act 7,60c) || τοῦτο δὲ εἰπὼν ἐξέπνευσεν (Lk 23,46c). Die Bedeutung dieser Entsprechungen zwischen der Kreuzigung Jesu und dem Stephanusmartyrium in Struktur und Wortlaut ist kaum zu überschätzen. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass diese Analogie für die Evaluation der internen Kriterien eine entscheidende Rolle gespielt hat. 12 Sie ist allerdings für die Verteilung von Tradition und Redaktion zwischen *Ev und Lk weniger aussagekräftig, als man wünschen möchte. Denn von den fünf hier genannten Aspekten, von denen eines ja die zu klärende Vergebungsbitte ist (d.), ist nur der Hinweis auf das Martyrium außerhalb der Stadt (a.) eindeutig redaktionell (zu Lk 20,15 s. dort), ein weiteres (der laute Schrei, c.), ist für *Ev gesichert, während die beiden anderen (b., e.) für *Ev strittig sind. Gleichwohl ist die Strukturanalogie zwischen den beiden Martyrien ein sehr deutlicher Hinweis auf den Gang der Überlieferung. Denn unter der Voraussetzung, dass eine der beiden fraglichen Lesarten auf einen vorkanonischen Text zurückgeht, kommt dafür nur die kürzere Variante ohne die Vergebungsbitte in Frage, weil anders man annehmen müsste, dass die lk Redaktion die perfekte Entsprechung zwischen dem Jesus- und dem Stephanusmartyrium zerstört hätte. Dafür gibt es jedoch überhaupt keinen Grund. Das heißt, dass die Vergebungsbitte 23,34a in *Ev gefehlt hat und erst durch die lk Redaktion (vielleicht angeregt durch Jesu Aufforderung zur Fürbitte für die Verfolger *6,28, auf jeden Fall aber) in Entsprechung zu Act 7,60b Teil des kanonischen Evangelientextes wurde. Epiphanius’ Referat ohne 24,34a ist daher nicht lückenhaft, sondern korrekt. Der durch P 75 א 1 B D* W Θ usw. bezeugte Text spiegelt diese vorkanonische Fassung wider: Es handelt sich um ein eindrucksvolles Beispiel für den Einfluss, den der vorkanonische auf den kanonischen Text ausgeübt hat. Ephraems Kommentar hat entweder diesen kanonischen (und nicht den marcionitischen) Text zitiert, oder das ihm vorliegende *Ev-Exemplar war schon durch den kanonischen ______________________________ 12 Vgl. dazu F R . D ORNSEIFF , Lukas als Schriftsteller, ZNW 35 (1936), 129-155: 136; S CHNEIDER , Act I 478; D ELOBEL , a. a. O., 34-36. 1238 Anhang I 23,33-49 Text kontaminiert. Die gleiche Intention, die Lk hier die Vergebungsbitte nachtragen ließ, war dann für die strukturanaloge Gestaltung des Stephanusmartyriums verantwortlich. Die sekundäre Einfügung der Vergebungsbitte hat in der (sicher red.) Heilung des Ohrs des hohenpriesterlichen Knechts in der Verhaftungsszene (Lk 22,51b; s. dort) ein passendes Gegenstück. 3. Die Bezeugung zu 23,34b ist uneinheitlich: Während Epiphanius einen Teil des Berichts über die Zerteilung des Gewands referiert (die Worte ἔβαλον κλήρους fehlen, nicht aber die Zerteilung des Gewandes), bezeugt Tertullian sehr klar, dass Marcion diese Passage »mit Rücksicht auf die Prophezeiung des Psalms (sc. 21,19 LXX) … weggenommen« habe. 13 Eine Erklärung dieser widersprüchlichen Bezeugung aus der Perspektive der Lk-Priorität ist schwierig. 14 Wenn man jedoch die uneinheitliche Anpassung des vorkanonischen an den kanonischen Evangelientext berücksichtigt, die sich ja auch in den von den Häresiologen verwendeten *Ev- Exemplaren niedergeschlagen hat, ist eine Erklärung ohne weiters möglich. Nach der grundsätzlichen Einsicht, dass bei solchen widersprüchlichen Bezeugungen diejenige Fassung für *Ev am wahrscheinlichsten ist, die am weitesten von der kanonischen entfernt ist, verdient Tertullians Auslassungsnotiz den Vorzug vor Epiphanius’ Bezeugung. Dessen *Ev-Exemplar war an dieser Stelle dann schon durch den kanonischen Text kontaminiert. Das heißt, dass Lk zusammen mit der Vergebungsbitte 23,34a auch die Notiz über die Zerteilung und Verlosung der Kleider aus den kanonischen Parallelen (Mk 15,24 || Mt 27,35 || Joh 19,23f) übernommen und an dieser Stelle eingetragen hat. Die geringfügig andere Formulierung der lk gegenüber der mk-mt Fassung spricht nicht gegen, sondern für diese Lösung. Unter diesen Umständen ist die Annahme, dass Tertullian den joh Zusammenhang im Kopf hatte und ihn hier irrtümlich auch für *Ev postulierte, 15 überflüssig und irreführend: Tertullian hatte den kanonischen Evangelientext gar nicht vor sich und trug ihn auch nicht aus dem Kopf nach; vielmehr referiert er den von ihmals fehlend gekennzeichneten Zusammenhang mit eigenen Worten. 4. Wenn Lk 23,34a.b in *Ev fehlte, hätte die Verspottungsszene *23,35-38 direkt an den Kreuzigungsbericht angeschlossen. Sie ist allerdings für *Ev nicht bezeugt; die Vertreter der Lk-Priorität folgern daher, dass sie von Marcion gestrichen worden ______________________________ 13 Tert. 4,42,4: Marcion abstulit. 14 T SUTSUI 126: »Wie man diese Tatsache beurteilen soll, ist unklar.« 15 Vgl. Z AHN I 604, der moniert, dass der von Tertullian wiedergegebene Wortlaut sich in keinem der synoptischen Evangelientexte findet und deshalb am ehesten auf die joh Fassung zu passen scheint. Der Grund für diese Annahme ist Tertullians Formulierung (vestitutum … eius a militibus divisum) partim sorte concessum: Dass nur die Teile des Gewandes verlost wurden, steht in keiner der synoptischen Fassungen da, legt sich aber nahe, wenn man (mit Ps 21) daran festhalten will, dass die Aufteilung und das Verlosen nebeneinander genannt werden. 23,33-49 Rekonstruktion 1239 sei. 16 Aber diese Überlegung macht es sich zu einfach: Sie setzt eine Konsistenz der marcionitischen Bearbeitung voraus (wenn Marcion den einen Hinweis auf die Verspottung Jesu gestrichen hat, dann müsse das auch für die anderen gelten), die schon für sich nicht glaubhaft ist und sich noch weniger für das angenommene redaktionelle Verfahren insgesamt zeigen lässt. Anstatt sich hier auf die Extrapolationen aufgrund interner Kriterien zu stützen, ist es sinnvoller, einen Blick auf die für die Interferenz der Textüberlieferungen besonders anfälligen »Westlichen« Zeugen zu werfen und diese mit redaktionsbzw. kompositionskritischen Beobachtungen zu korrelieren. Die kanonische Fassung der Szene ist deutlich strukturiert und setzt nacheinander verschiedene Gruppen in Beziehung zu Jesus: Der λαός (V. 35a), die ἄρχοντες (V. 35b), die στρατιῶται (V. 36-38) und die beiden κακοῦργοι (V. 39-43). Auffällig ist dabei die Rollenverteilung, weil der λαός nur beobachtend dabeisteht (εἱστήκει … θεωρῶν), während die drei anderen Gruppen Jesus verhöhnen (ἐκμυκτηρίζειν), verspotten (ἐμπαίζειν) und schmähen (βλασϕημεῖν). 17 Sowohl diese Verteilung als auch die durch die dreimalige Aufforderung zur Selbstrettung hergestellte Kohärenz der Szene gehen jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit erst auf die Bearbeitung der lk Redaktion zurück. a. In *23,35 weicht der D-Text auffällig von der restlichen Textüberlieferung ab, in der zwischen V. 35a und b das Subjekt wechselt (ὁ λαός - οἱ ἄρχοντες). Im D-Text bleibt das Volk jedoch auch in V. *35b Subjekt von λέγοντες. 18 Mk 15,29 || Mt 27,39 bieten, ganz analog dazu, die Passanten (οἱ παραπορευόμενοι) als Subjekt der Verhöhnung. Wenn diese Überlegung zutrifft, interpretieren Mk und Mt mit den Passanten die vorkanonische Erwähnung des λαός. 19 Der Wechsel des Subjekts in Lk 23,35 hat zur Folge, dass der λαός entlastet wird und sich gegenüber Jesus nicht anders verhält als seine »Bekannten« (*23,49: εἱστήκεισαν δὲ πάντες οἱ γνωστοὶ αὐτῷ ἀπὸ μακρόθεν), wogegen die Führer des Volkes, die schon seit Beginn der lk Passionsgeschichte die eigentliche Verantwortung für das Geschick Jesu tragen, als nachhaltige Gegner erscheinen: Dies ist ein charakteristisches Merkmal der lk Redaktion, die sich damit die Möglichkeit ______________________________ 16 H ARNACK 236*: Der gesamte Abschnitt Vv. 35-43 »scheint vollständig gefehlt zu haben.« Vgl. T SUTSUI 126, der als Begründung auf die durch Epiphanius gesicherte »Tilgung von 18,31-33« verweist (s. dort): In der dritten Leidensankündigung werden auch die Verspottung und Misshandlung erwähnt (Lk 18,32). 17 Vgl. nur W OLTER , Lk 758. 18 Der Wechsel vom Singular (λαός) zum Plural (λέγοντες) stellt die am weitesten verbreitete Form der Constructio ad sensum dar, vgl. BDR § 134.1. 19 Es ist natürlich auch möglich, dass Mk und Mt οἱ παραπορευόμενοι bereits in *Ev vorgefunden haben, das dann von der lk Redaktion durch ὁ λαός ersetzt wurde, um auf diese Weise die charakteristische Differenzierung zwischen dem »Volk« und seinen Führern herstellen zu können. Aufgrund der Bezeugungslage lässt sich dies allerdings nicht erweisen. 1240 Anhang I 23,33-49 einräumt, dem Volk später »Unkenntnis« (Act 3,17) zuzubilligen und die Schuld am Tod Jesu den ἄνομοι (Act 2,23) zuzuweisen. Im Unterschied zum Mehrheitstext ist die Rede der Spötter im D-Text nicht in der dritten, sondern in der zweiten Person Sing. gehalten: Sie reden Jesus direkt an. Auch hier wird dieser Wechsel eine Folge der lk Redaktion sein, auch hier haben die synoptischen Parallelen die 2. Pers., auch wenn sie den Spott etwas anders formulieren und begründen (Mk 15,29b.30 || Mt 27,40): Die vorkanonische Formulierung σεαυτὸν σῶσον, die Lk durch σωσάτω ἑαυτόν ersetzt, ist hier noch direkt sichtbar, der Einfluss der vorkanonischen Fassung auf die mk Redaktion lässt sich ohne weiteres nachvollziehen. b. Der Spott der Soldaten *23,36-38 ist ebenfalls unbezeugt; wie schon bei der Verhöhnung durch das Volk finden sich hier sehr deutliche textgeschichtliche Hinweise auf den vorkanonischen Text und - auf diesem Weg - auf die lk Redaktion. Im Unterschied zum kanonischen Text operiert der Spott nicht mit der Aufforderung zur Selbstrettung, sondern bleibt vollständig im Bildfeld der vermeintlich beanspruchten Königswürde Jesu: Die Wirkung wird durch die Kontrastierung der königlichen Attribute mit der erbarmungswürdigen Erscheinung Jesu erzielt. Die einzelnen Elemente dieser Kontrastierung sind im vorkanonischen Text in sich völlig stimmig, nicht jedoch in der kanonischen Fassung bzw. der Rezeption durch Mk (und Mt): Auch in diesem Fall bestätigt die angenommene Überlieferungsgeschichte die Rekonstruktion. 1. Aus der höhnischen Akklamation χαῖρε ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων *23,37 hat Lk einen enthymematischen Syllogismus gemacht (εἰ σὺ εἶ ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων, σῶσον σεαυτόν), dessen Aufforderung zur Selbstrettung (wie schon bei der Verhöhnung durch die Obersten) auf die tatsächlich oder vermeintlich beanspruchte Autorität Jesu zielt: Wenn Jesus tatsächlich der König der Juden wäre, hätte er die Macht, sich selbst zu retten (und würde dies selbstverständlich auch tun). In Form und Inhalt entspricht Lk 23,37 der dritten (lk) Versuchung durch den Teufel: »Wenn du der Sohn Gottes bist, wirf dich von hier hinab. Denn es heißt in der Schrift: Seinen Engeln gebietet er deinetwegen, dich zu behüten« (Lk 4,9f). 20 Allerdings hat die lk Redaktion an dieser Stelle mit der Parallelisierung des Spotts durch die Obersten und durch die Soldaten eine inhaltliche Spannung geschaffen, weil der Titel βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων ja gar nicht abgedeckt, was die ἐξουσία Jesu ausmacht. Insofern hat die Parallelisierung von Lk 23,35 und 23,36f eine inhaltliche Inkongruenz geschaffen. Aber die vorkanonische Fassung will Jesus nicht falscher Vollmachtsansprüche überführen, sondern die klägliche Erscheinung des Gekreuzigten durch die zynische Königsakklamation herausstellen. ______________________________ 20 Die Parallelisierung mit Lk 4,9f macht dann auch die gegenüber Mt 4,5-7.8f veränderte Abfolge der zweiten und dritten Versuchung als redaktionelle Gestaltung nachvollziehbar. Während die (ältere! , vgl. o. Bd. I, § 12! ) mt Steigerung der drei Versuchungen mit dem Angebot der Herrschaft über alle βασιλείαι des Kosmos ihren Höhepunkt erreicht und dadurch kontrastiert wird, dass Jesus πᾶσα ἐξουσία ἐν οὐρανῷ καὶ ἐπὶ τῆς γῆς (Mt 28,19) übertragen ist, legt Lk allen Ton auf den Gehorsam Jesu, mit dem er sein Geschick auf sich nimmt. 23,33-49 Rekonstruktion 1241 2. Dazu gehört dann auch die Ehrung durch den Begrüßungstrunk; er bildet den Ursprung der »Essig-Tränkung«: Die Soldaten reichen Jesus minderwertigen Wein zur Bestätigung ihrer Akklamation seiner Königswürde. 21 Diese Funktion scheint noch in der Rezeption bei Mk und Mt durch. Sie haben dieses Element an den Anfang des Kreuzigungsberichts gezogen (Mk 15,23 || Mt 27,34), weil sie keine eigene Teilszene mit der Verspottung durch die Soldaten erzählen: Sie hatten diese Elemente in die Szene mit der Verurteilung Jesu vorgezogen (Mk 15,17-20 || Mt 27,28-31). Übrig blieb die Darreichung des ὄξος-Tranks *23,37, die sie im Zusammenhang der Kreuzigung beibehalten haben. Mk 15,23 macht daraus einen ἐσμυρνισμένος οἶνος: Der mit Myrrhe vermischte Wein ist nicht ein gnadenhalber verabreichtes Anästhetikum, 22 sondern eine Delikatesse, nämlich der von Plinius beschriebene μύρρινος. 23 Insofern hat Mk die literarische Funktion des ὄξος-Tranks *23,36 richtig erfasst: Er steigert sie dadurch, dass er die Soldaten tatsächlich einen besonders guten Wein anbieten lässt. Das stellt dann allerdings die Glaubwürdigkeit der Erzählung auf eine harte Probe. Mt 27,34 hat diese Unwahrscheinlichkeit korrigiert: Er lässt die Soldaten Jesus οἶνον μετὰ χ ο λ ῆ ς μεμιγμένον reichen und referiert damit auf Ps 68,22 LXX. Dies lag insofern nahe, als hier die Stichworte χολή und ὄξος miteinander kombiniert sind. 24 Mk und Mt betonen demnach unterschiedliche Aspekte des ihnen vorliegenden Kontrastschemas: Mt den Aspekt der erbärmlichen Wirklichkeit des Gefolterten, Mk dagegen das ihm zugesprochene königliche Attribut. Dass beide letztlich auf den Kontrast aus *23,37 rekurrieren, ist allerdings gar nicht mehr erkennbar, weil sie die Darreichung des Getränks aus der kontrastierenden Verspottungsszene gelöst und als unverbundenes Erzählelement an den Anfang der Kreuzigungsszene gestellt haben. Auch in der lk Redaktion ist der verhöhnende Charakter nur noch zu ahnen, weil Lk die dazugehörige verbale Verspottung mit der höhnischen Königsakklamation durch die Aufforderung zur Selbstrettung ersetzt hat: Den besten Sinn ergibt der vorkanonische Text. 3. Das dritte Element dieser Kontrastierung ist der Kreuzestitulus. Im Unterschied zu Mk 15,26 || Mt 27,37 gibt er nicht die αἰτία, also den Strafgrund, an, sondern fungiert als Zeichen der Verhöhnung des nackten Delinquenten. Tatsächlich wäre die Kennzeichnung Jesu als ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων als Strafgrund nach der Betonung seiner Unschuld durch Pilatus auch wenig plausibel. 4. Das aufschlussreichste Element der Kontrastierung ist die Dornenkrönung. Sie wird in den für die Interferenzen zwischen vorkanonischer und kanonischer Überlieferung charakteristischen Handschriften D (it sy) an dieser Stelle berichtet. Diese Dornenkrönung wird in Mk 15,17 || Mt 27,29 (vgl. Joh 19,1ff) zusammen mit der spöttischen Königsakklamation Jesu (χαῖρε, βασιλεῦ τῶν Ἰουδαίων) direkt im Anschluss an die Verurteilung Jesu berichtet; im kanonischen Lk-Evangelium fehlt sie ganz. Sofern diese »Westliche« Lesart überhaupt registriert wird, versteht man sie als Eintragung unter Einfluss der synoptischen Parallelen. 25 Diese Vermutung ist jedoch alles andere ______________________________ 21 Vgl. R. E. B ROWN , The Death of the Messiah II, New York u. a. 1994, 997. 22 Dazu wird gelegentlich (vgl. z. B. G NILKA , Mk II 316 Anm. 37) auf die angebliche analgetische Wirkung der Myrrhe nach Dioskurides I 64,3 hingewiesen - schwerlich zu Recht: Hier geht es um mit Myrrhe versetztes Safranöl, das eine »schlafmachende Kraft« entfaltet und daher zur Behandlung von ϕρενῖτις verordnet wird. 23 Vgl. Plinius, Nat. hist. 14,92f (vina … murrae odore condita); 14,107. 24 Ps 68,22 (LXX): καὶ ἔδωκαν εἰς τὸ βρῶμά μου χολὴν καὶ εἰς τὴν δίψαν μου ἐπότισάν με ὄξος. 25 So der Apparat von NA 27 zu Lk 23,37 mit dem Sigel p). 1242 Anhang I 23,33-49 als plausibel: Denn wenn einige Handschriften die Dornenkrönung aus Mk 15,17 || Mt 27,29 übernehmen und sie in den lk Text eintragen wollten, weil sie dort eine Entsprechung vermissten, müsste man eigentlich annehmen, dass sie diese Ergänzung nicht in Lk 23,37, sondern im Anschluss an die Verurteilung Lk 23,25 vorgenommen hätten: Der Ort, an dem D (it sy) die Dornenkrönung erzählen (*23,37), legt nahe, dass sie hier ursprünglich war. Literarisch wäre dies sehr sinnvoll, weil der intendierte Kontrast unter dem Kreuz sehr viel stärker zum Ausdruck kommt als in der Szene nach der Verurteilung im Prätorium. Dass Mk und Mt diese Szene in die Verhandlung vor Pilatus vorgezogen haben ist dann ebenso durch redaktionelle Entscheidungen zu erklären wie die Streichung durch Lk. Mk hat die Verspottung durch die Soldaten aus dem Kontext von *Ev gelöst 26 und sie unmittelbar an die Verurteilung Jesu angeschlossen. Da Mk auch das Herodesverhör mit der Bekleidung Jesu mit einer ἐσθὴς λαμπρά (*23,11, s. dort) wegließ, beruht das Element der Bekleidung mit dem purpurnen Königsmantel in der mk-mt Verspottungsszene (Mk 15,17 || Mt 27,28) letztlich ebenfalls auf *Ev. Lk folgt zunächst dem literarischen Zusammenhang in *Ev mit der Abfolge: Pilatusverhör - Befragung durch Herodes - Bestätigung der Unschuld Jesu und Verurteilung; aus diesem Grund fehlt bei Lk die mk-mt Verspottungsszene, die ihren Platz im Anschluss an 23,25 gehabt hätte. Im Kreuzigungsbericht hat Lk die Verspottung durch die Soldaten (Königsakklamation und Dornenkrönung) in *Ev ersetzt durch die Aufforderung »Wenn du der König der Juden bist, rette dich selbst« (23,37) und damit eine Angleichung an die Verhöhnung durch die Obersten (23,35) vorgenommen. Indem Lk sowohl *Ev als auch der mk-mt Anlage der Szene folgt (Auslassung der Dornenkrönung), hat er ihren klaren Aufbau und prägnanten Sinn verunklart. c. Der dritte Teil der ganzen Szene mit der Schmähung des einen Mitgekreuzigten und dem Gespräch mit dem anderen (*23,39-43) ist ebenfalls unbezeugt. Diese Teilszene beruht auf der (bezeugten) Erwähnung der beiden »Schächer« in *23,32. Aber sichert dies das ganze Gespräch? Epiphanius vermerkt die Auslassung des abschließenden Wortes Jesu (Lk 23,43b). Da dieses Wort die Pointe des Bekenntnisses des »guten Schächers« 23,40-42 darstellt, wäre es denkbar, dass die ganze Szene bei *Ev gefehlt hat. 27 Auch in dieser Frage hilft wieder der Blick auf die handschriftliche Überlieferung: Die Zeugen des »Westlichen Textes« zeigen an charakteristischen Stellen eine sehr uneinheitliche Überlieferung. In *23,39a scheint κρεμασθέντων (κακούργων) im vorkanonischen Text gefehlt zu haben: Diese Worte sind durch D d bo (1 ms) gar nicht bezeugt, tauchen in c in anderer Reihefolge bzw. gleich in mehreren Handschriften, darunter der Cod. Rehdigeranus (l) und Tatian, in anderer Formulierung ______________________________ 26 Durch die mk Umstellung der Verspottungsszene wird die Kreuzigungsszene entlastet und das Bekenntnis des Hauptmanns deutlich aufgewertet (*23,47-49; s. dort). 27 So z. B. H ARNACK 236* (ohne darauf einzugehen, wodurch sich Marcion zu dieser »Streichung« hätte veranlasst sehen können). 23,33-49 Rekonstruktion 1243 auf. Am Ende dieses Verses fehlt die inhaltliche Ausführung der »Lästerung« (λέγων, Οὐχὶ σὺ εἶ ὁ Χριστός; σῶσον σεαυτὸν καὶ ἡμᾶς) in D d e (etwas abgewandelt: l). Schließlich bezeugt Epiphanius das Fehlen des abschließenden Logions: και ειπεν αυτω ο ιησους αμην λεγω σοι σημερον μετ εμου εση εν τω παραδεισω. Es wird zwar von allen altlateinischen und altsyrischen Zeugen gelesen, taucht aber mit einer Vielzahl kleinerer Varianten auf, von denen hier nur einige geboten werden: 1. και ειπεν ο ιησους: andere Wortstellung + τω επιπλησσοντι (D d). 2. και: + αποκριθεις (sy p ); om sy s.c.p Tat arab sa mss bo mss . 3. αυτω ο ιησους: andere Wortstellung (gat). 4. αυτω: om Tat pers sa mss bo mss . 5. ο ιησους: om P 75 א B L 0124 sa bo mss . 6. αμην λεγω σοι: θαρσει (D d). (6) σημερον … παραδεισω: om *Ev (teste Epiph). 7. μετ εμου εση: Andere Wortstellung (C gat). 8. παραδεισω: + του πατρος: e l r 1 . Diese Uneinheitlichkeit ist charakteristisch für diejenigen Stellen, an denen in den kanonischen Handschriften die vorkanonische Textgestalt noch durchscheint. Das bedeutet, dass Epiphanius tatsächlich nur das letzte Logion Jesu in *Ev vermisste, den Rest aber vorfand. Unter dieser Prämisse liegt es dann nahe, dass auch der Anfang anders aussah und dass vor allem V. 39b mit der inhaltlich ausgeführten Schmähung in *Ev fehlte, wie es auch D d e (l) bezeugen: Die lk Redaktion hat die Aufforderung zur Selbstrettung in Analogie zum Spott der Obersten des Volkes (*23,35) eingefügt. Das narrative Profil der Szene in *Ev zielte also lediglich auf die unterschiedliche Haltung der beiden Übeltäter gegenüber Jesus: Der eine schmäht ihn (ἐβλασϕήμει αὐτόν), ohne dass der Inhalt dieser Blasphemie benannt würde, der andere zeigt die Erwartung, dass Jesus, seiner Kreuzigung zum Trotz, »in seine βασιλεία kommen« werde. Damit kontert er die Verspottung Jesu als βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων durch die Soldaten. Eine Reaktion Jesu auf dieses Bekenntnis hin ist nicht notwendig und war ursprünglich auch nicht im Text enthalten: Dass Jesus den »guten Schächer« für seinen Glauben durch die Verheißung belohnt, er werde »heute noch im Paradies« sein, ist erst von der lk Redaktion hinzugefügt worden. 5. Der Bericht über den Tod Jesu *23,44-46 ist gut, wenn auch uneinheitlich bezeugt: Das Adamantius-Zitat umfasst auch das letzte Wort Jesu *23,46b. Es ist außerdem durch Tertullians Verweis auf Jesu Zitat aus Ps 30,6 LXX sowie seine Erwähnung des »Vaters« gesichert, die auf die Gebetsanrede verweist. 28 Beiden steht jedoch Epiphanius’ Referat entgegen, nach dem Jesus in *Ev nicht mit einem ______________________________ 28 Tert. 4,42,6: O quantum perseveravit etiam tricesimo psalmo Christum ipsum reddere! Vociferatur ad p a t r e m , ut et moriens ultima voce prophetas adimpleret. Hoc dicto expiravit. B OVON , Lk IV 491, macht darauf aufmerksam, dass die Vater-Anrede für das Beten Jesu in Lk charakteristisch sei. Allerdings sind von den vier weiteren Belegen zwei sicher redaktionell (Lk 10,21; 23,34; s. dort), einer ist unbezeugt (*22,42); nur *11,2 ist schon für *Ev bezeugt. Es ist daher gut denkbar, dass die Vater-Anrede tatsächlich ein Kennzeichen der lk Redaktion ist. 1244 Anhang I 23,33-49 Gebetswort auf den Lippen gestorben ist, sondern mit einem unartikulierten Schrei (Schol. 73: καὶ ϕωνήσας ϕωνῇ μεγάλῃ ἐξέπνευσεν). Für diese Fassung gibt es in der kanonischen Textüberlieferung allerdings keinerlei Spuren, das letzte Wort Jesu ist in allen Handschriften enthalten. Aus diesem Grund gewinnen die Varianten Gewicht, die im unmittelbaren Kontext bezeugt sind. a. Die erste Beobachtung bezieht sich auf die unterschiedliche Syntax: Der kanonische Text enthält zwei parataktische Hauptsätze (ϕωνήσας … εἶπεν - τοῦτο δὲ εἰπὼν ἐξέπνευσεν), während Epiphanius nur einen bezeugt (ϕωνήσας … ἐξέπνευσεν). Die Wendung τοῦτο δὲ εἰπών ist folglich für den kanonischen Textzusammenhang unverzichtbar, weil sie auf das Gebetswort verweist. Tertullian bezeugt diese Wendung (hoc dicto expiravit), Adamantius schließt die Sterbenotiz dagegen unmittelbar an das letzte Wort an (καὶ ἐξέπνευσε). Tatsächlich ist die handschriftliche Überlieferung von 23,46c τοῦτο δὲ εἰπὼν ἐξέπνευσεν ausgesprochen disparat: 1. και ταυτα (ειπων …) ist die Lesart in der größten Zahl der Handschriften. Diese Formulierung wird vom Textus Receptus geboten. Abweichend davon findet sich: 2. τουτο δε: P 75 א B C* D W 0124 27 c 71 579 892 1241 1458 2542 c r 1 . 3. ταυτα (om και): L Tat arab sa 3mss . 4. και (om ταυτα ειπων): (a) sy s.c Adam. 5. και τουτο: K L M P Y Θ Π al b d e l q Tat arab (Tert.) usw. 6. τοτε: 13. 7. και ταυτα ειπων εξεπνευσεν om X 27* 213. Vor allem die letzte Variante, die den Tod Jesu überhaupt nicht berichtet, ist hier aufschlussreich. Denn dass Jesus gestorben ist, steht ja außer Frage. Ein solcher Lapsus ist am ehesten erklärbar, wenn man zwei unterschiedliche Vorlagen annimmt, die zwar beide die Todesnotiz enthielten, aber im nächsten Kontext voneinander abwichen. Aus diesem Grund ist es ratsam, auch an dieser Stelle der Faustregel zu folgen, wonach die am weitesten vom kanonischen Text entfernte Fassung am ehesten Anspruch auf Ursprünglichkeit besitzt. Das ist in diesem Fall der von Epiphanius bezeugte Text ohne das Gebetswort: Jesus schreit mit lauter Stimme und stirbt. In diesem Fall geht die Parallelität zwischen der Schilderung des Todes Jesu und des Stephanus (Act 7,60) auf die lk Redaktion zurück, also die Abfolge von: Schrei ϕωνῇ μεγάλῃ + Gebetswort + καὶ τοῦτο εἰπών + Sterbenotiz. b. Diese Rekonstruktion lässt sich dann auch durch die D-Variante von V. *46 plausibilisieren. Denn der D-Text berichtet - gegen den gesamten Rest der handschriftlichen Überlieferung, auch gegen Tertullians *Ev-Referat 29 - das Zerreißen des Tempelvorhangs nach dem Tod Jesu, so dass sich hier die gleiche Erzählfolge wie in Mk 15,37f || Mt 27,50f ergibt. Wenn V. *46c D d den vorkanonischen Text ______________________________ 29 Tert. 4,42,5: et contenebrabit super terram. Scissum est et templi velum. 23,33-49 Rekonstruktion 1245 repräsentiert, haben Mk und Mt die Abfolge der Ereignisse von dort übernommen. Die lk Redaktion hat die Notiz vorgezogen und bietet sie in Lk 23,45, also vor dem Tod Jesu. Die lk Fassung weicht in der Wortfolge von der vorkanonischen ab und zeigt zugleich noch den Einfluss der mk-mt Formulierung (μέσον - ἀπ’ ἄνωθεν ἕως κάτω εἰς δύο). *23,46 D Mk 15,38 Mt 27,51 Lk 23,45 ( M ) (ἐξέπνευσεν) (ἐξέπνευσεν) (ἀϕῆκεν τὸ πνεῦμα) καὶ καὶ καὶ ἰδοὺ ἐσχίσθη δὲ τὸ καταπέτασμα τὸ καταπέτασμα τὸ καταπέτασμα τὸ καταπέτασμα τοῦ ναοῦ τοῦ ναοῦ τοῦ ναοῦ τοῦ ναοῦ ἐσχίσθη ἐσχίσθη ἐσχίσθη εἰς δύο ἀπ’ ἄνωθεν ἕως κάτω μέσον ἀπ’ ἄνωθεν ἕως κάτω εἰς δύο Demnach haben Mk und Mt den Bericht vom Tod Jesu in *Ev weitgehend übernommen: Sie lassen Jesus mit einem unartikulierten Schrei sterben und berichten das Zerreißen des Tempelvorhangs als Reaktion darauf; Mt hat die Reihe der Prodigien in der Folge des Todes noch erweitert. Für Lk war die Umstellung dieses Zeichens notwendig geworden, weil er Jesus mit dem vertrauensvollen Gebetswort aus Ps 30,6 LXX sterben lässt. Wahrscheinlich ist er durch Mk 15,34 par. zu dieser Einfügung veranlasst worden: Mk und Mt lassen Jesus (mit Ps 21,2 LXX) beten, schließen daran aber noch den Spott der unverständigen Passanten an (Mk 15,34- 36 || Mt 27,46-49), so dass Jesus nicht mit einem Psalmwort, sondern einem lauten Schrei stirbt. Indem Lk ein anderes Gebetswort wählt, erhält er die Möglichkeit, den Tod Jesu im unmittelbaren Anschluss daran zu berichten. 30 Dazu musste er jedoch das Zerreißen des Tempelvorhangs umstellen. 6. Die gesamte Kreuzigungsszene klingt aus mit der Schilderung der Reaktion der Umstehenden. Allerdings ist *23,47-49 nicht bezeugt, so dass hier wieder text- und redaktionsgeschichtliche Überlegungen Anhaltspunkte liefern müssen. a. *23,47 hat eine Entsprechung in Mk 15,39 || Mt 27,54. Die mk (und in ihrer Folge die mt) Fassung ist jedoch kompositionell deutlich herausgehoben: Für die mk Christologie ist dieser Vers wegen des Bekenntnisses des Hauptmanns äußerst wichtig. Im Unterschied zu Mk 15,39 bekennt der Hauptmann bei Lk jedoch nicht, dass Jesus υἱὸς θεοῦ, sondern (nur), dass er δίκαιος gewesen sei. Theoretisch lässt sich dieser Befund in zwei Richtungen deuten: Entweder hat Mk seine redaktionellen ______________________________ 30 Ob die Ersetzung von Ps 21,2 LXX durch Ps 30,6 LXX dadurch veranlasst ist, dass Lk den mk Ruf der Gottverlassenheit für »christologisch bedenklich« (G RUNDMANN , Lk 400) hielt und ihn durch ein »ergebenes Sterbegebet« ersetzt hat (S CHNEIDER , Lk II 487), lässt sich kaum zeigen. Die von H. C ONZELMANN , Die Mitte der Zeit, Tübingen 6 1977, 16-20 angenommenen christologischen Gründe dürften allerdings kaum ausschlaggebend gewesen sein. 1246 Anhang I 23,33-49 Akzente an einem Text wie *23,46 gesetzt und aus dem »gerechten Menschen« einen »Sohn Gottes« gemacht. Oder aber Lk hat das Bekenntnis des Hauptmanns aus Mk übernommen, ohne ihm aber den herausragenden christologischen Stellenwert zu geben. Von diesen beiden Möglichkeiten ist die erste die wahrscheinlichere, weil anders man annehmen müsste, dass Lk das mk Bekenntnis (υἱὸς θεοῦ) gestrichen hätte, obwohl er selbstverständlich von der (bleibenden) 31 Gottessohnschaft Jesu überzeugt war (vgl. Act 13,33). Lk hat daher auch nicht den starken christologischen Akzent von Mk 15,39 abgeschwächt, sondern ist seiner Quelle *Ev gefolgt. 32 Das »Bekenntnis« des Hauptmanns ist daher angesichts des Todes Jesu nur die Wiederholung des ursprünglichen Pilatusurteils: Jesus war unschuldig, 33 die Exekution folglich ein Justizmord, 34 der, wie die Leser wissen, dem Druck der Jerusalemer Bevölkerung und der Inkonsequenz des Pilatus anzulasten ist. Vollkommen unklar bleibt allerdings in diesem Zusammenhang, inwiefern diese Feststellung als »Verherrlichung« Gottes erscheinen kann: δοξάζειν τὸν θεόν ist sonst die übliche Reaktion auf himmlische Machterweise. 35 Der Hauptmann konnte die Gerechtigkeit Jesu und die religiöse Dimension seines Todes folglich nicht an der Art seines Sterbens (also etwa: an seiner durch das Psalmwort verbürgten Frömmigkeit) erkennen, sondern nur an dem göttlichen Prodigium (Zerreißen des Vorhangs), das seiner Einsicht ja unmittelbar vorausgeht: Die mutmaßliche Rekonstruktion für *Ev bestätigt daher sowohl *23,46c als auch *23,47. b. Die Schilderung der Reaktion des Volkes *23,48 ist ebenfalls unbezeugt. Im Unterschied zu *23,47 besitzt sie jedoch keine synoptische Entsprechung. So ist hier zu überlegen, ob eine lk Einfügung in den mk Erzählzusammenhang wahrscheinlicher ist oder eine mk Kürzung von *Ev. Aufschluss ermöglicht hier ein Zusatz in einigen wenigen Handschriften. Er ist zwar nicht ohne Probleme und auch nicht einheitlich überliefert, trägt aber alle Züge, die für die Interferenzen zwischen der kanonischen und der vorkanonischen Textüberlieferung charakteristisch sind: Der ______________________________ 31 Die Überlegung, dass sich Lk am Imperfekt der mk Fassung (οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦ ν ) gestoßen haben könnte, erklärt nichts. 32 Aus diesem Grund sind auch die Überlegungen obsolet, was Lk zu diesem redaktionellen Schritt veranlasst haben könnte. 33 Zu diesem Verständnis von δίκαιος vgl. G. D. K ILPATRICK , A Theme of the Lukan Passion Story and Luke xxiii.47, JTS 43 (1942), 34-36. 34 »Justizirrtum« (B OVON , Lk IV 493) sagt deutlich zuwenig: Weder Pilatus noch die Leser haben nach den wiederholten Festellungen der Unschuld Jesu (*23,4.14f.22) einen Zweifel über das Zustandekommen des Urteils (ἐπέκρινεν! ): Pilatus hat sich nicht geirrt, sondern seiner besseren Einsicht zum Trotz »ihren Willen geschehen lassen« (*23,24). 35 Vgl. U. B USSE , Die Wunder des Propheten Jesus, Stuttgart - Würzburg 2 1979, 425f. Die Belege in Lk 5,25; 7,16; 13,13; 17,15; 18,43 sind für *Ev unbezeugt, aber bis auf 18,43 für *Ev wahrscheinlich (s. jeweils dort). Gleichwohl ist die Wendung »typisch lk«, wie an Act 4,21; 11,18; 21,20 deutlich wird. 23,33-49 Rekonstruktion 1247 Cod. Sangermanensis 86 (g 1 = Paris. Lat. 11553), liest am Ende »Sie kehrten um und sagten: Wehe euch wegen dessen, was heute aufgrund unserer Sünden geschehen ist; denn die Verwüstung Jerusalems ist nahe herbeigekommen.« 36 Auch der Sinai- und der Curetonsyrer haben hier einen Weheruf: »(sie kehrten um) und sagten: Wehe uns wegen dessen, was uns geschieht; wehe euch (? ) wegen unserer Sünden.« 37 Dass der erste Weheruf auch in g 1 nicht ὑμῖν, sondern ἡμῖν galt (so im Text rekonstruiert), ist sehr wahrscheinlich und durch den häufigen Itazismus leicht zu erklären; ganz analog wird auch der zweite Weheruf in sy s.c eigentlich ἡμῖν gegolten haben. Der Sinn im Altlateiner ist klar: Angesichts des Zerreißens des Vorhangs (und der Unschuldserklärung durch den Hauptmann) haben die Jerusalemer Passanten, welche die Kreuzigung beobachteten, eingesehen, dass das »heutige Geschehen« eine Folge ihrer eigenen Sünde ist (οὐαὶ … τῶν γενομένων σήμερον διὰ τὰς ἁμαρτίας ἡμῶν) und dass Jerusalem dafür bezahlen muss (ἤγγικε γὰρ ἡ ἐρήμωσις Ἰερουσαλήμ). Die entscheidende Frage ist natürlich, ob diese Tradition auf das vorkanonische Evangelium zurückgehen kann, oder ob es sich dabei um eine sekundäre Fortschreibung handelt. In diesem Fall spricht alles für die Ursprünglichkeit: Der Weheruf korrespondiert mit der Erkenntnis des Hauptmanns, dass Jesus unschuldig hingerichtet wurde, zieht jedoch, darüber hinausgehend, die Konsequenzen in Betracht, die sich für die Jerusalemer ergeben. Vorausgesetzt ist hier also der Zusammenhang zwischen dem Beharren des Volkes auf der Verurteilung Jesu, dem Einknicken des Pilatus, der dem Volk seinen Willen lässt, und dem göttlichen Zeichen beim Tod Jesu. Die hier vorausgesetzte Einsicht in die Schuld 38 und der daraus resultierenden Erwartung der Strafe bedürfen keiner besonderen Einsicht. Wenn die Passanten die ἐρήμωσις Jerusalems erwarten, dann liegt nahe, dass bereits *Ev aus der Perspektive der Zerstörung der Stadt verfasst wurde (das hatte sich ja auch schon sonst ergeben) und einen Zusammenhang zwischen der Zerstörung Jerusalems und der Schuld am Tod Jesu hergestellt hatte. Diesen Zug hat dann die lk Redaktion aufgegriffen und breit ausgebaut. Sowohl Mk/ Mt als Lk haben den Weheruf der Passanten gestrichen, vermutlich aus unterschiedlichen Gründen: Mk hat alle weiteren Reaktionen der Umstehenden getilgt, um auf diese Weise das entscheidende christologische Bekenntnis des Hauptmanns ins Zentrum zu rücken. Die Bemerkung über die einsetzende Reue der ______________________________ 36 W ORDSWORTH / W HITE , Novum Testamentum latine I, Oxford 1889, 474: reuertebantur dicentes uae uobis facta sunt hodiae propter peccata nostra. adpropinquauit enim desolatio hierusalem (also: … ὑπέστρεϕον λέγοντες, Οὐαὶ ὑμῖν τῶν γενομένων σήμερον διὰ τὰς ἁμαρτίας ἡμῶν· ἤγγικε γὰρ ἡ ἐρήμωσις Ἰερουσαλήμ). 37 Dieselbe Tradition hat sich auch bei Ephraem, Comm. Diat. 20,28 (armen. ed. L ELOIR ): »Wehe war es, wehe war es für uns: Dies war der Sohn Gottes … Siehe, sie sind gekommen, die Gerichte der Verwüstung Jerusalems.« S. außerdem EvPetr f. 3r 25 (GCS.NF 11, 38): ἤρξαντο κόπτεσθαι καὶ λέγειν, Οὐαὶ ταῖς ἁμαρτίαις ἡμῶν· ἤγγισεν ἡ κρίσις καὶ τὸ τέλος Ἰερουσαλήμ. 38 Nicht ganz klar ist, ob ὑπέστρεϕον nur einfach die Rückkehr der Umstehenden in die Stadt meint oder im übertragenen Sinn als Buße zu verstehen ist. Die äthiopische Überlieferung differenziert und setzt (καὶ) ἐπανήρχοντο hinzu; dadurch erhält ὑπέστρεϕον den theologischen Sinn der »Umkehr«. 1248 Anhang I 23,33-49 Jerusalemer hätte da nur gestört. Dass Mk allerdings den Zusammenhang zwischen der Schuld der Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten am Tod Jesu und der sie erwartenden ἐρήμωσις ohne weiteres voraussetzt, zeigt Mk 12,9.12 mit hinreichender Deutlichkeit. Ähnliches gilt für Lk: Dass Jerusalems »Verwüstung nahe ist«, hatte Lk schon aus dem vorkanonischen Evangelium übernommen (*21,20; s. dort): Das ist ein Element, das er redaktionell an anderen Stellen deutlich verstärkt hat. Gleichwohl ist Lk bis zum Ende von Act daran interessiert, die Schuld der Juden am Tod Jesu präsent und gleichzeitig ihre Haltung zum Christentum ambivalent zu halten. Eine ausdrückliche Erwähnung der reuigen Umkehr an dieser Stelle würde diese Ambivalenz aufheben und es schwierig machen, die Verantwortung für den Tod Jesu dann doch gelegentlich nur den Anführern anzulasten. Da die kanonischen Evangelien diesen Weheruf aus *Ev nicht übernommen haben, wird deutlich, dass die spätere außerkanonische Rezeption dieses Elements (Ephraem; EvPetr) direkt auf *Ev rekurrierte, ohne durch das kanonische NT vermittelt zu sein. Dies belegt einmal mehr den anhaltenden Einfluss, den *Ev in der frühen Kirche ausgeübt hat. c. Während *23,47f die Reaktionen der am Tod Jesu hauptsächlich Beteiligten berichtet, fehlt Entsprechendes von seinen Sympathisanten, zu denen auch die Frauen gehören, die Jesus von Galiläa mit nachgefolgt sind: Sie bleiben abseits stehen (εἱστήκεισαν … ἀπὸ μακρόθεν, *23,49) und sehen das Geschehen (ὁρῶσαι ταῦτα). Die Erwähnung der Frauen in V. *49b hat eine Fortsetzung in der Begräbnisszene und dann bei der Auffindung des leeren Grabes. Dass die »Bekannten« dabei stehen, entspricht der vorausgehenden Erzählung: Die Mk 14,50 berichtete Flucht der Jünger in Gethsemane fehlt in *22,53. Auch wenn die letzte Teilszene *23,47-49 unbezeugt ist, gibt es keinen Grund, sie *Ev abzusprechen. Die Auffälligkeiten der Textüberlieferung machen es vielmehr wahrscheinlich, dass dieser Bericht im vorkanonischen Evangelium enthalten war und durch die lk Redaktion geringfügig bearbeitet wurde. 7. Die Rekonstruktion des vorkanonischen Wortlauts der Kreuzigungsszene lässt die lk Redaktion und ihre Intention erkennen. Vor allem aber wird deutlich, dass die narrative Uneinheitlichkeit von Lk 23,33-49 in erster Linie auf die lk Bearbeitung von *Ev zurückzuführen ist. Denn in *Ev war die Kreuzigungsszene übersichtlich strukturiert: Nach der sehr knappen Mitteilung der Kreuzigung Jesu zwischen den beiden Übeltätern (*23,33) folgte die dreifache Verspottung Jesu durch das schaulustige Volk, die Soldaten und den einen Verbrecher (*23,35.36-38. 39-42). Der Differenzierung dieser drei Gruppen entsprach die inhaltliche Differenzierung des Spotts: Das Volk bestreitet seine Gottessohnschaft, da er sich nicht selbst retten kann (*23,35). Die Soldaten verhöhnen Jesus durch die Bestreitung seiner Königswürde: Sie erkennen ihm königliche Hoheitsattribute zu (Akklamation; Krönung; Titulus), die in einem drastischen Kontrast zu seiner augenscheinlichen 23,33-49 Rekonstruktion 1249 Niedrigkeit stehen. Die (inhaltlich nicht ausgeführte) Schmähung durch den einen Mitgekreuzigten liefert dagegen dem anderen den Anlass für das Bekenntnis, dass Jesus unschuldig sei und tatsächlich in seine βασιλεία kommen werde. Das Eintreten des Todes Jesu (*23,43-46) ist gerahmt durch die Prodigien (Verdunkelung der Sonne; Zerreißen des Tempelvorhangs). Die Reaktionen auf den Tod und seine Begleitumstände (*23,47-49) sind wieder auf drei Gruppen verteilt: Der Hauptmann stellt Jesu Unschuld fest (V. *47), das Volk erkennt reuig seine eigene Schuld am Geschehen (V. *48), die Bekannten Jesu stehen »von Ferne« (V. *49). Diesen Text hat Lk an verschiedenen Stellen bearbeitet und ergänzt: a. Zwischen die Kreuzigungsnotiz und die Verspottung hat er in Lk 23,34 zuerst die Vergebungsbitte eingeschoben, die sachlich der Aufforderung zur Fürbitte für die Feinde (*6,27f) entspricht und in der analogen Bitte des Stephanus (Act 7,60) eine enge Analogie besitzt. b. Die Notiz über die Verteilung und Verlosung der Kleider Jesu stammt aus Mk 15,24 || Mt 27,35. Die darin enthaltene Anspielung auf Ps 22,19 LXX, die Joh 19,24 als »Erfüllung der Schrift« explizit gemacht wird, ist eine Hilfe für die religiöse Deutung des Geschehens. Während Mk 15,22-24 konsequent aus der Perspektive der Soldaten berichtet (καὶ ϕέρουσιν - καὶ ἐδίδουν - καὶ σταυροῦσιν - καὶ διαμερίζονται), hat Lk durch die Einfügung von V. 34a einen doppelten Perspektivewechsel vorgenommen. c. In der Verspottungsszene V. 35-43 hat Lk den λαός zum bloßen Zuschauer degradiert und dafür οἱ ἄρχοντες zum Subjekt der ersten Verspottung gemacht. Im Unterschied zu *Ev lässt Lk die Obersten nicht zu, sondern über Jesus sprechen. Inhaltlich soll die Aufforderung zur Selbstrettung bestreiten, dass Jesus »der Christus Gottes, der Auserwählte« ist; von der Gottessohnschaft Jesu ist nicht die Rede. Die zweite Verspottung durch die Soldaten ist inhaltlich verändert und an die erste angeglichen (σωσάτω ἑαυτόν - σῶσον σεαυτόν), wird hier aber auf die Königswürde Jesu bezogen (εἰ σὺ εἶ ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων). Die Verhöhnung durch den einen Verbrecher (σῶσον σεαυτὸν καὶ ἡμᾶς) fasst V. 35b (ἄλλους ἔσωσεν) und V. 37b zusammen. Durch die inhaltliche Angleichung mit der dreifachen Aufforderung zur Selbstrettung hat Lk der Verspottungsszene eine hohe Kohärenz verliehen. Mit der Einfügung der Antwort an den zweiten Verbrecher (V. 43) schließt Lk diese Teilszene ab. Indem Jesus der Bitte (μνήσθητί μου …) entspricht und ihm die postmortale Existenz »im Paradies« verheißt, wird die Verheißung Simeons (Lk 2,34) veranschaulicht: Jesus ist das σημεῖον ἀντιλεγόμενον, das zum »Fall und zur Auferstehung vieler in Israel« bestimmt ist. 39 d. Die Sterbenotiz Lk 23, 44-46 hat Lk dadurch stark bearbeitet, dass er Jesus nicht einfach mit einem lauten Schrei sterben lässt, sondern mit dem Gebetswort aus Ps 30,6 LXX sterben lässt; dazu ist er vermutlich durch die entsprechende Erweiterung Mk 15,34 || Mt 27,46 veranlasst worden. Diese Einfügung hat allerdings die Verschiebung von *23,46b notwendig werden lassen: Lk berichtet das Zerreißen des Tempelvorhangs im Zusammenhang der Verdunkelung der Sonne. e. In der abschließenden Erzählung über die Reaktionen der Anwesenden hat Lk mit großer Wahrscheinlichkeit vor allem die Bemerkung über die plötzlich einsetzende Reue der Passanten gestrichen. ______________________________ 39 Vgl. J. C ROWE , The Laos at the Cross, in: A. Lacomara (ed.), The Language of the Cross, Chicago 1977, 75-101: 95. 1250 Anhang I 23,33-49 Da die Kreuzigung im kanonischen Lk schon von den (redaktionell ergänzten) Kindheitsgeschichten an den Horizont der Erzählung bestimmt, ist das Bestreben, diese Szene deutend auszugestalten ohne weiteres nachvollziehbar. Lk hat dies vor allem durch die Einfügung der gewichtigen Jesusworte (Vv. 34a.43.46b) getan, darüber hinaus aber auch die Kohärenz der weiteren Komposition von Lk-Act gestärkt. *23,50a 50b-52a 53-56: Begräbnis Jesu Gut bezeugt und im Kern in *Ev vorhanden, aber mit Sicherheit durch die lk Redaktion bearbeitet und ergänzt. 50 Καὶ ἰδοὺ ἀνὴρ ὀνόματι Ἰωσὴϕ a βουλευτὴς ὑπάρχων καὶ ἀνὴρ ἀγαθὸς καὶ δίκαιος a b † 51 - οὗτος οὐκ ἦν συγκατατεθειμένος τῇ βουλῇ καὶ τῇ πράξει αὐτῶν - † b c ἀπὸ Ἁριμαθαίας πόλεως τῶν Ἰουδαίων, ὃς προσεδέχετο τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ, c d [ † 52 οὗτος προσελθὼν e τῷ Πιλάτῳ e f αἰτησάμενος τὸ σῶμα g τοῦ Ἰησοῦ g 53 καὶ † ] d καθελὼν h {τὸ σῶμα} h ἐνετύλιξεν i αὐτὸ σινδόνι καὶ ἔθηκεν k αὐτὸν l †ἐν μνήματι λαξευτῷ† l m οὗ οὐκ ἦν οὐδεὶς οὔπω κείμενος m . 54 n ἦν δὲ ἡ ἡμέρα προσαββάτου. n 55 o Κατηκολούθησαν δὲ p δύο γυναῖκες, αἵτινες ἦσαν συνεληλυθυῖαι ἐκ τῆς Γαλιλαίας q [ αὐτῷ ] , ἐθεάσαντο τὸ r μνῆμα [ καὶ ὡς ἐτέθη τὸ σῶμα ] r αὐτοῦ. 56 s καὶ ὑποστρέψασαι s t αἱ γυναῖκες t u καὶ ἡτοίμασαν ἀρώματα καὶ μύρα u v ἡσύχασαν τὸ σάββατον v w [ κατὰ τὴν ἐντολήν ] . w A. *23,50f: Tert. 4,42,8: Sed si et Ioseph corpus fuisse noverat quod tota pietate tractavit, ille Ioseph qui non consenserat in scelere Iudaeis, Beatus vir qui non abiit in consilio impiorum, et in via peccatorum non tetit, et in cathedra pestium non sedit. ♦ *23,50.52f: Adam. 5,12 (857d): Καὶ ἰδοὺ ἀνὴρ ὀνόματι Ἰωσὴϕ αἰτησάμενος τὸ σῶμα ἐνετύλιξεν ἐν σινδόνι καὶ ἔθηκεν ἐν καινῷ μνημείῳ. ♦ *23,52f: Tert. 4,42,7: Denique si caro non fuit, sed phantasma carnis, phantasma autem spiritus fuit, spiritus autem semetipsum expiravit et expirando discessit, sine dubio phantasma discessit cum spiritus, qui erat phantasma, discessit, et nusquam comparuit phantasma cum spiritu. Nihil ergo remansit in ligno, nihil pependit etiam post expirationem, nihil de Pilato postulatum, nihil de patibulo detractum, nihil sindone involutum, nihil sepulcro novo conditum. Atquin non nihil. Quid igitur illud fuit? Si phantasma, adhuc ergo inerat et Christus. Si discesserat Christus, ergo abstulerat phantasma. ♦ *23,50.53: Epiph., Schol. 74: Καὶ ἰδοὺ ἀνὴρ ὀνόματι Ἰωσήϕ, καθελὼν τὸ σῶμα ἐνετύλιξε σινδόνι καὶ ἔθηκεν ἐν μνήματι λαξευτῷ. ♦ *23,56: Epiph., Schol. 75: Καὶ ὑποστρέψασαι αἱ γυναῖκες ἡσύχασαν τὸ σάββατον κατὰ τὸν νόμον. B. a (23,50) βουλευτης υπαρχων και ανηρ αγαθος και δικαιος: om Tert Epiph Adam ¦  it M ● b (23,51a) ουτος … τη πραξει αυτων: Widersprüchliche Bezeugung: (1) om Epiph Adam ¦ (2) Tert (Ioseph … qui non consenserat in scelere Iudaeis)  it M ● c (23,51) απο Αριμαθαιας … βασιλειαν του θεου: vs. om Tert Epiph Adam ¦ add it M ● d (23,52) vs. om Epiph ¦ add  (Adam: αιτησαμενος το σωμα) it M ● e (23,52) τω πιλατω: om Adam 213 1443 sy c ¦ add  it M ● f (23,52) αιτησαμενος: Adam ¦ ητησατο: it M ● g (23,52) του ιησου: om Adam ¦ add  it M ● h (23,53a) το σωμα: Epiph c d (a ſſ 2 ) ● i (23,52a) αυτο: om Epiph Adam W X Θ Ψ mult aur b e f g 1 l q r 1 ¦ αυτο/ eum: add a; illum (ſſ 2 ); corpus Iesu (d); corpus (c) M ● k (23,53b) αυτον: om Epiph Adam mult e vg 1 ms ¦ αυτον 23,50-56 Rekonstruktion 1251 (illum/ illud): add א B C D pc a aur b d f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg M ● l (23,53b) Widersprüchliche Bezeugung: (1) εν μνηματι λαξευτω/ in momumento exciso: Epiph (D: μνημειω λελατομημενω) aur b e f ſſ 2 l q; sculptili: a; sculpto: d; perfosso in petra: c ¦ (2) εν καινω μνημειω/ in monumento novo: Tert Adam r 1 (μνημειω: D mult) ● m (23,53b) ου ουκ ην ουδεις ουπω κειμενος: om Tert Epiph Adam ¦ add it M ● n (23,54) ην δε η ημερα προσαββατου: D d (c: ην δε η ημερα παρασκευης προσαββατου) ¦ και ημερα ην παρασκευης και σαββατον επεϕωσκεν: M a aur b f ſſ 2 q r 1 (*Ev non test.) ● o (23,55) κατηκολουθησαν: D Cyr. Alex. (Lc; PG 72, 940); ηκολουθησαν: c d ¦ κατακολουθησασαι: it M (*Ev non test.) ● p (23,55) δυο: D a aur b d e f ſſ 2 q r 1 vg mss aeth ¦ αι: P 75 B L P X Θ Ψ 0124 al ¦ και: M (*Ev non test.) ● q (23,55) αυτω: om C* vid D 063 1604 c d aeth ¦ add (  ) it M (*Ev non test.) ● r (23,55) μνημα: D (d) ¦ μνημειον και ως ετεθη το σωμα: it M (*Ev non test.) ● s (23,56) και υποστρεψασαι: Epiph C c aur b c e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg georg II.III aeth ¦ υποστρεψασαι δε: (a) d M ● t (23,56) αι γυναικες: Epiph ¦ om it M ● u (23,56) ητοιμασαν αρωματα και μυρα: om Epiph ¦ add it M ● v (23,56) ησυχασαν το σαββατον: Epiph ¦ (3 1 2) το μεν σαββατον ησυχασαν: it M ● w (23,56) κατα την εντολην: om D d ¦ κατα τον νομον: Epiph; κατα την εντολην: it M . C. Die Perikope ist gut bezeugt und war im Kern sicher vorhanden, aber vor allem die erste Hälfte ist mit Sicherheit stark bearbeitet. 1. Auffällig ist die Charakterisierung Josephs in Lk 23,50b.51, die hier gegenüber Mk und Mt noch erweitert ist; sie hat mit größter Wahrscheinlichkeit komplett in *Ev gefehlt hat. Der Anfang der Begräbnisszene ist einer der wenigen Fälle, für die eine Dreifachbezeugung durch Tertullian, Epiphanius und Adamantius vorliegt: Dass Joseph ein »Ratsherr war, ein guter und gerechter Mann« (23,50b), fehlt in allen drei Zeugen, ebenso, dass er »aus Arimathaia, einer Stadt der Juden« stammte und »die Herrschaft Gottes erwartete« (23,51b): Diese Charakterisierung geht mit Sicherheit auf die lk Redaktion zurück, für *Ev ist als Subjekt nur der »Mann mit dem Namen Joseph« bezeugt. 2. Wie die weiteren Bezeugungen deutlich machen, haben auch Lk 23,51a (»dieser hatte ihrem Beschluss und ihrem Handeln nicht zugestimmt«) und Lk 23,52 (»dieser ging zu Pilatus und bat um den Leichnam Jesu«) gefehlt. a. Die Bezeugung für Lk 23,51a ist uneinheitlich: Dass Joseph »dem Rat und ihrer Tat nicht zugestimmt hatte« (οὗτος οὐκ ἦν συγκατατεθειμένος τῇ βουλῇ καὶ τῇ πράξει αὐτῶν), fehlte in *Ev nach den Referaten von Epiphanius und Adamantius; Tertullian hat diese Wendung dagegen gelesen, die er zusammenfasst. 1 Diese Formulierung ist jedoch sicher sekundär, wie ein Blick in die Synopse zeigt. Mk 15,43 hatte das ἀνὴρ ὀνόματι Ἰωσήϕ aus *Ev ergänzt und aus Joseph einen vornehmen Ratsherrn aus Arimathaia (ὁ ἀπὸ Ἁριμαθαίας εὐσχήμων βουλευτής) gemacht. 2 Mt 27,57 ist Mk in der Herkunftsbezeichnung aus Arimathaia gefolgt, hat aber aus dem εὐσχήμων βουλευτής ______________________________ 1 Tert. 4,42,8: non consenserat in scelere Iudaeis. 2 Nicht sicher, aber doch wahrscheinlich ist, dass Mk sich Joseph als Mitglied der Rates von Arimathaia vorgestellt hat, also etwa von Ramatajim Tsophim (vgl. 1Sam 1,1.19 LXX: Αρμαθαιμ Σιϕα) in der Nähe von Lydda oder Rama/ Ramatajim bei Jerusalem. 1252 Anhang I 23,50-56 einen ἄνθρωπος πλούσιος gemacht. Ob diese Ersetzung schon die Absicht hatte, Joseph von dem Vorwurf der Beteiligung am Komplott gegen Jesus freizusprechen, ist zweifelhaft: Bei Mt ist der Hohe Rat das letzte Mal in der nächtlichen Verhandlung (Mt 26,59: τὸ συνέδριον) erwähnt. Danach sind als Hauptakteure jeweils οἱ ἀρχιερεῖς καὶ οἱ πρεσβύτεροι τοῦ λαοῦ direkt genannt: 27,1.3(6).12.20.41 (hier mit den γραμματεῖς): Auch wenn kein Zweifel daran bestehen kann, dass Mt diese Gruppen als Mitglieder des Hohen Rates ansah, ist doch das Gremium selbst nicht genannt. Lk 23,50f hat dies allerdings anders gesehen: Er übernimmt das Stichwort βουλευτής aus Mk 15,43, sieht sich dann aber zu der Klarstellung genötigt, dass Joseph an der βουλή dieses Gremiums keinen Anteil hatte: Er hat sich den βουλευτής Joseph als Angehörigen des Jerusalemer Synhedriums vorgestellt 3 und war daher gezwungen, ihn von den Aktionen der anderen Mitglieder des Synhedriums abzusetzen: οὐκ ἦν συγκατατεθειμένος τῇ βουλῇ καὶ τῇ πράξει αὐτῶν. Diese Information von Lk 23,51a setzt also den in (*Ev eindeutig fehlenden) Hinweis Lk 23,50b auf den βουλευτής Joseph voraus und ist daher sekundär. Sofern Tertullian diesen Hinweis auf Lk 23,51a in *Ev gelesen hatte, war sein Exemplar an dieser Stelle bereits durch die kanonische Textüberlieferung beeinflusst. b. Etwas komplizierter liegt der Fall in 23,52: Mit Adamantius bezeugt Tertullian, dass Joseph den Leichnam Jesu »von Pilatus erbat«. 4 Diese Information fehlt jedoch in Epiphanius’ Referat (Schol. 75). Allerdings ist die Textüberlieferung von V. 52 sehr uneinheitlich. Diese Unregelmäßigkeiten sind wieder als Spuren des vorkanonischen Textes zu verstehen, der dann auch für die widersprüchliche Bezeugung verantwortlich ist. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass Schol. 75 den Inhalt der drei Verse nicht sehr großzügig zusammenfasst, sondern exakt zitiert: Die unterschiedlichen Referate Tertullians und Adamantius’ wären dann auf das genannte Phänomen der uneinheitlichen Angleichung des vorkanonischen an den kanonischen Text zurückzuführen. Obwohl für die Beurteilung von Lk 23,52 Zweifel bleiben, ist es wahrscheinlich, dass dieser Vers in *Ev ganz gefehlt hat. Die Charakterisierung Josephs, die Lk durch seine redaktionellen Zusätze an *Ev profilierte, passen durchweg zu seiner auch sonst zu beobachtenden theologischen Intention. So hat der Hinweis, dass Joseph »die Herrschaft Gottes erwartete« (23,51: ὃς προσεδέχετο τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ), Entsprechungen in weiteren redaktionellen Texten: Lk 2,25 wird Analoges von Simon gesagt, der ebenfalls »gerecht und fromm war und die παράκλησις τοῦ Ἰσραήλ erwartete.« In Lk 2,38 spricht Hanna zu πᾶσιν τοῖς προσδεχομένοις λύτρωσιν Ἰερουσαλήμ. Hier und in *24,21 wird durch diese Herrschaftserwartung eine spezifisch jüdische Hoffnung ausgedrückt. 5 Lk 23,51 hat sie aus Mk übernommen. ______________________________ 3 Dass die Mitglieder des Synhedriums, griechischem Sprachgebrauch folgend, als οἱ ἄρχοντες καὶ βουλευταί bezeichnet werden konnten, belegt Jos., Bell. II 405. 4 Tert. 4,42,7: de Pilato postulatum. Adam. 5,12 (857d): Ἰωσὴϕ αἰτησάμενος τὸ σῶμα. 5 Vgl. dazu M. W OLTER , »Reich Gottes« bei Lukas, NTS 41 (1995), 541-563: 545ff. Wichtig ist dabei, dass die entsprechende Erwartung der »Emmausjünger«, Jesus sei ὁ μέλλων λυτροῦσθαι τὸν Ἰσραήλ, bereits für *Ev bezeugt ist (s. zu *24,21; Tert. 4,43,3): Lk hat dieses Element also bereits in *Ev vorgefunden, es dann aber durch die redaktionellen Zusätzen verstärkt. 23,50-56 Rekonstruktion 1253 3. In Lk 23,52f hatten die redaktionellen Ergänzungen syntaktische Veränderungen zur Folge: Die Einfügung von 23,52 mit der Bitte Josephs um τὸ σῶμα (τοῦ Ἰησοῦ) ist für die doppelte pronominale Aktualisierung in Lk 23,52 verantwortlich: καθελὼν ἐνετύλιξεν α ὐ τ ὸ σινδόνι, καὶ ἔθηκεν α ὐ τ ὸ [ν] ἐν μνήματι λαξευτῷ. Lk hat aus der einfachen Bemerkung, dass Joseph den Leichnam abnahm, ihn in ein Tuch wickelte und in ein neues Grab legte, drei parataktische Sätze gestaltet: Joseph bat um den Leichnam; er nahm ihn herab und wickelte ihn in ein Leintuch; er legte ihn in ein Grab. Diese redaktionellen Änderungen haben in D d Spuren hinterlassen: D folgt zunächst dem kanonischen Text und bietet τὸ σῶμα als Objekt zu ᾐτήσατο (Lk 23,52), zeigt aber in *23,53 den Einfluss von *Ev, indem das gleiche Objekt - reichlich ungeschickt - noch einmal wiederholt wird (ᾐτήσατο τ ὸ σ ῶ μ α τ ο ῦ Ἰ η σ ο ῦ , καθελὼν ἐνετύλιξεν τ ὸ σ ῶ μ α τ ο ῦ Ἰ η σ ο ῦ ἐν σινδόνι). Dies ist ein deutliches Zeichen für die Interferenz von vorkanonischer und kanonischer Überlieferung. Tertullian und Adamantius haben in *Ev gelesen, dass Joseph den Leichnam in ein »neues« Grab legte (*23,53: ἐν κ α ι ν ῷ μνημείῳ/ sepulcrum n o v u m [conditum]); Epiphanius bezeugt dagegen den Text, den auch die kritischen Ausgaben enthalten: ἐν μνήματι λ α ξ ε υ τ ῷ . Die Auflösung dieser widersprüchlichen Bezeugung ist nicht einfach, aber es spricht manches dafür, dass der Mehrheitstext, der auch in den kritischen Ausgaben enthalten ist, in diesem Fall den vorkanonischen *Ev-Text repräsentiert: Das ist die von Epiphanius bezeugte Formulierung ἐν μνήματι λαξευτῷ. Dass Jesus in ein (in Felsen) »gehauenes« Grab gelegt wurde, ist die narrative Voraussetzung für den Rollstein, mit dem das Grab verschlossen war (*24,2, s. dort). Mk und Mt haben diesen Aspekt sowohl in der Grablegungsszene (Mk 15,46; Mt 27,60) als auch bei der Auffindung des leeren Grabes (Mk 16,3; Mt 28,2) aus *Ev rezipiert. Dagegen hat in *Ev der Aspekt, dass noch nie zuvor jemand in dem Grab gelegen hatte, gefehlt, wie das übereinstimmende Zeugnis aller drei Hauptzeugen sehr deutlich zeigt. Dass es sich also um ein neues Grab gehandelt habe, hat zum ersten Mal Mt 27,60 gesagt: ἔθηκεν αὐτὸ ἐν τῷ κ α ι ν ῷ αὐτοῦ μνημείῳ. Für ihn gehört dieser Aspekt zu der Charakterisierung Josephs (27,57), der seinen Reichtum (ἄνθρωπος πλούσιος) in den Dienst seiner Jüngerschaft stellt (αὐτὸς ἐμαθητεύθη τῷ Ἰησοῦ). Dass das Grab ein neues Grab war, sagt dann allerdings Joh 19,40 mit einer Formulierung, die der lk (aber in *Ev fehlenden! ) entspricht. 6 Für Joh spielt dieser Aspekt eine große Rolle, weil Petrus und der andere Jünger im leeren Grab zwar die Leichenbinden und sogar das sorgfältig zusammengelegte Schweißtuch sehen (Joh 20,5-7). Dies führt dazu, dass der andere ______________________________ 6 ἐν μνήματι λαξευτῷ οὗ οὐκ ἦν οὐδεὶς οὔπω κείμενος Lk 23,52 || ἐν τῷ κήπῳ μνημεῖον καινὸν ἐν ᾧ οὐδέπω οὐδεὶς ἦν τεθειμένος Joh 19,40. 1254 Anhang I 23,50-56 Jünger zum Glauben kommt: εἶδεν καὶ ἐπίστευσεν (Joh 20,8). Die Autopsie der Leichenbinden ohne Leichnam kann nur dann beweiskräftig für die Auferstehung Jesu sein, wenn das Grab zuvor unbenutzt war, wenn also die Leichenbinden nicht von einem anderen Begräbnis stammen konnten. Dieser Aspekt verbindet die joh und die lk Erzählung von der Grablegung gegen *Ev, aber auch gegen Mk und Mt. Diese Überlegung hat dann allerdings auch zur Folge, dass die Formulierung ἐν μνήματι λαξευτῷ Lk 23,53 zu Unrecht in den Text der kritischen Ausgaben aufgenommen ist: Es handelt sich nicht um den kanonischen Lk-Text (der hier sehr wahrscheinlich ἐν καινῷ μ ν η μ ε ί ῳ lautete), sondern um den vorkanonischen *Ev- Text. Dieses Phänomen, dass die kritischen Ausgaben wiederholt die (tatsächlich) ältere, aber vorkanonische Formulierung aufgenommen haben, hat sich ja verschiedentlich gezeigt. 4. Überlieferungsgeschichtlich sind der Fortgang der zunehmenden Charakterisierung Josephs und die Erweiterungen in Lk 23,50-53 gut nachvollziehbar. *23,50-53 Mk 15,43-46 Mt 27,57-60 Lk 23,50-53 ἀνὴρ ἄνθρωπος ἀνὴρ πλούσιος ἀπὸ Ἁριμαθαίας ὀνόματι Ἰωσὴϕ Ἰωσὴϕ τοὔνομα Ἰωσήϕ ὀνόματι Ἰωσὴϕ ἀπὸ Ἁριμαθαίας ἀπὸ Ἁριμαθαίας πόλεως τῶν Ἰουδαίων εὐσχήμων βουλευτής βουλευτὴς ὑπάρχων καὶ ἀνὴρ ἀγαθὸς καὶ δίκαιος οὗτος οὐκ ἦν συγκατατεθειμένος τῇ βουλῇ καὶ τῇ πράξει αὐτῶν ὃς καὶ αὐτὸς ἦν προσδεχόμενος τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ ὃς καὶ αὐτὸς ἐμαθητεύθη τῷ Ἰησοῦ ὃς προσεδέχετο τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ τολμήσας εἰσῆλθεν πρὸς τὸν Πιλᾶτον οὗτος προσελθὼν τῷ Πιλάτῳ οὗτος προσελθὼν τῷ Πιλάτῳ καὶ ᾐτήσατο τὸ σῶμα τοῦ Ἰησοῦ ᾐτήσατο τὸ σῶμα τοῦ Ἰησοῦ ᾐτήσατο τὸ σῶμα τοῦ Ἰησοῦ […] […] 23,50-56 Rekonstruktion 1255 καθελὼν καθελὼν καὶ λαβὼν καὶ καθελὼν τὸ σῶμα αὐτὸν τὸ σῶμα ἐνετύλιξεν ἐνείλησεν ὁ Ἰωσὴϕ ἐνετύλιξεν ἐνετύλιξεν σινδόνι τῇ σινδόνι αὐτὸ σινδόνι καθαρᾷ αὐτὸ σινδόνι, καὶ ἔθηκεν καὶ ἔθηκεν αὐτὸν καὶ ἔθηκεν αὐτὸ καὶ ἔθηκεν αὐτὸν ἐν ἐν ἐν τῷ καινῷ αὐτοῦ ἐν μνήματι μνημείῳ μνημείῳ μνήματι λαξευτῷ ὃ ἦν λελατομημένον ἐκ πέτρας … ὃ ἐλατόμησεν ἐν τῇ πέτρᾳ … λαξευτῷ οὗ οὐκ ἦν οὐδεὶς οὔπω κείμενος. Der Gang der Entwicklung ist deutlich und lässt dabei erkennen, wie die einzelnen Stadien jeweils die weitere Rezeption beeinflusst haben: a. Am Anfang der Überlieferung in *Ev steht die sehr knappe Begräbnisnotiz, derzufolge ein Mann namens Joseph den Leichnam herunternahm, 7 in ein Leintuch wickelte und in ein ausgehauenes Grab legte. b. Mk hat diese Notiz verschiedentlich erweitert. Er macht Joseph zu einem εὐσχήμων βουλευτής und nennt seinen Herkunftsort Arimathaia (Mk 15,43a): Joseph wird vornehm und musste, wie seine Fürsorge gegenüber dem Leichnam erweist, auch ein Sympathisant Jesu sein: Er erwartete die Basileia (15,43b). Als Sympathisant Jesu bedeutete es für ihn ein Wagnis, zu Pilatus zu gehen (τολμήσας εἰσῆλθεν, V. 43c) und diesen um den Leichnam zu bitten (V. 43d). In 15,44f fügt Mk - am ehesten: aus eigener Kenntnis der Kreuzigungspraxis und der üblichen Dauer des Todeskampfes der Delinquenten - die Verwunderung des Pilatus und seine Rückfrage bei dem Hauptmann des Exekutionskommandos ein. Da dieser den Tod Jesu erlebt hatte (Mk 15,39 || *23,47), konnte er ihn auch vor Pilatus bezeugen. In der eigentlichen Begräbnisnotiz präzisiert Mk 15,46 das »ausgehauene Grab« und stellt klar, dass das Grab »aus Felsen herausgehauen« war: Mk war daran interessiert, dass es durch einen Rollstein verschlossen wurde, den er dann auch direkt anschließend erwähnt und auf den 16,3 wieder referiert. c. Mt folgt dem mk Erzählfaden, hat aber dessen Bericht gekürzt. Zugleich zeigen einige Kleinigkeiten, dass Mt außerdem den Ausgangstext *Ev vor Augen hatte. Aus Mk übernimmt Mt 27,57 Josephs Herkunft aus Arimathaia; aber er ersetzt erstens den etwas umständlichen Hinweis Mk 15,43b (ὃς καὶ αὐτὸς ἦν προσδεχόμενος τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ) durch die einfachere Formulierung, dass Joseph ein Jünger Jesu war (Mt 27,57: ὃς καὶ αὐτὸς ἐμαθητεύθη τῷ Ἰησοῦ). Vor allem ersetzt Mt den »vornehmen Ratsherrn« aus Mk durch den Hinweis auf seinen Reichtum (ἄνθρωπος πλούσιος). Diese kleine Veränderung ist wohl dadurch ______________________________ 7 In keinem der erhaltenen Texte ist καθελών mit einem indirekten Objekt verbunden. Tertullians Formulierung de p a t i b u l o detractum (4,42,8) gibt nicht den Text aus *Ev wieder, sondern ergänzt die Formulierung aus der eigenständigen Kenntnis des geläufigen Sachverhalts. 1256 Anhang I 23,50-56 veranlasst, dass Mt das Grab zu Josephs eigenem Grab macht, das dementsprechend auch ein neues Grab ist (27,60: ἐν τῷ καινῷ α ὐ τ ο ῦ μνημείῳ): Der Besitz eines eigenen (Felsen-)grabes ist eher ein Indikator für Wohlstand als für soziales Standing. Die Beschreibung des Grabes Mt 27,60 greift erkennbar auf Mk zurück (ὃ ἦν λελατομημένον ἐκ πέτρας Mk 15,46 || ὃ ἐλατόμησεν ἐν τῇ πέτρᾳ Mt 27,60). Mt verkürzt die Szene vor Pilatus aus Mk 15,44f auf den kurzen Satz, dass Pilatus den Befehl zur Freigabe des Leichnams erteilt habe: Welche Gründe auch immer diese Einfügung für Mk notwendig gemacht hatten, sie waren für Mt verzichtbar. Am Ende der Begräbnisnotiz ist auch für Mt 27,60 der Rollstein (im Unterschied Mk 15,46 ist es ein λίθος μ έ γ α ς ) wichtig, wenn auch aus anderen Gründen: Mt benötigt den Stein für die Ergänzung des Plots um die Bewachung des Grabes und erwähnt ihn hier als Beleg für die Versiegelung des Grabes durch die Grabwächter (27,66: ἠσϕαλίσαντο τὸν τάϕον σϕραγίσαντες τὸν λίθον μετὰ τῆς κουστωδίας) - dieses redaktionelle Interesse ist verantwortlich für die narrative Inkongruenz zwischen Mt 27,60b und 66, die durch die Verdoppelung des Rollsteins entstanden ist. d. Joh 19,31-42 hat diese Prätexte zu einer neuen Erzählung verarbeitet und dabei eigene kompositionelle Schwerpunkte geschaffen. Er hat Mk 15,44f in den Abschluss seiner Kreuzigungsszene einfließen lassen: Noch bevor Joseph auftritt (Joh 19,38), führen die Soldaten den Tod der beiden anderen Gekreuzigten durch das crucifragium herbei bzw. stellen den Tod Jesu fest (19,31-37): Dass die Soldaten »sahen, dass er schon gestorben war« (Joh 19,33: εἶδον ἤδη αὐτὸν τεθνηκότα) greift die Verwunderung des mk Pilatus darüber auf, »dass er schon gestorben war« (Mk 15,44: Πιλᾶτος ἐθαύμασεν εἰ ἤδη τέθνηκεν). Die folgende Erwähnung Josephs mit der Kennzeichnung ὢν μαθητὴς τοῦ Ἰησοῦ (19,38) zeigt Spuren von αὐτὸς ἐμαθητεύθη τῷ Ἰησοῦ Mt 27,57 und bietet Joh zugleich die Gelegenheit, den in mancherlei Hinsicht analog gezeichneten Nikodemus in die Erzählung einzuflechten: Beide sind »aus Furcht vor den Juden« nur »heimliche Jünger«, aber beide sind gerade im Begriff, ihre Jüngerschaft öffentlich zu machen - im Unterschied zu den Elfen, die (wiederum: aus Furcht vor den Juden) hinter verschlossenen Türen sitzen (Joh 20,19). 8 Das Grab, in dem Joseph den Leichnam bestattet, ist (wie in Mt) ein neues Grab (19,41: μνημεῖον καινόν); dass es sich dabei um ein Felsengrab handelt, sagt Joh an dieser Stelle nicht, setzt es aber in der weiteren Erzählung voraus. 9 Für Joh ist dieser Aspekt entscheidend als Beweis für die Auferstehung bei der Auffindung des leeren Grabes durch Petrus und den geliebten Jünger, der angesichts der Leichenbinden, die ja nur von dem Begräbnis Jesu stammen konnten, zum Glauben kommt (Joh 20,8). e. Das letzte Überlieferungsstadium in Lk 23,50-53 greift auf die Prätexte zurück und ergänzt ihre Berichte aus jeweils nachvollziehbaren Gründen: ______________________________ 8 Vgl. T HYEN , Joh 753f, der auf die synoptischen Prätexte hinweist. 9 Joh 20,1: Μαρία … βλέπει τὸν λίθον ἠρμένον ἐκ τοῦ μνημείου. 23,50-56 Rekonstruktion 1257 Die Grundlage bietet *Ev, dem Lk insgesamt folgt. Der Einfluss von *Ev ist in einzelnen Formulierungen noch sichtbar, z. B. ἀνὴρ ὀνόματι Ἰωσήϕ *23,50 || Lk 23,50 ≠ Ἰωσήϕ Mk 15,42 ≠ ἄνθρωπος … τοὔνομα Ἰωσήϕ Mt 27,57 oder καθελὼν … ἐνετύλιξεν *23,53 || Lk 23,53 ≠ καθελὼν … ἐνείλησεν Mk 15,46 ≠ Mt 27,59 λαβὼν … ἐνετύλιξεν. Der Einfluss der mk Fassung ist in βουλευτής Lk 23,50 || Mk 15,43 ≠ Mt 27,57 noch sichtbar; er ist auch in der Wendung ὃς προσεδέχετο τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ Lk 23,51b || ὃς καὶ αὐτὸς ἦν προσδεχόμενος τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ Mk 15,43 ≠ ὃς καὶ αὐτὸς ἐμαθητεύθη τῷ Ἰησοῦ Mt 27,57 erkennbar. Dass Lk, der sich Joseph als ein Mitglied des Synhedriums vorstellt, zu der erweiterten Charakterisierung Lk 23,51a gezwungen war, ist schon deutlich geworden. Besonders aufschlussreich ist die Charakterisierung des Grabes. Bereits Mt 27,60 hatte die Angabe aus *Ev (»ausgehauenes Grab«) und Mk (»aus Felsen gehauenes Grab«) übernommen, aber durch den Aspekt ergänzt, dass das Grab neu war. Joh hatte diese Angaben übernommen, allerdings darüber hinaus noch betont, dass in dem neuen Grab »noch nie jemand« bestattet worden war (Joh 19,41: μνημεῖον κ α ι ν ὸ ν ἐν ᾧ οὐδέπω οὐδεὶς ἦν τεθειμένος): Joh ist an diesem Aspekt besonders interessiert, weil er in 20,6f Petrus und den anderen Jünger die Leinentücher im leeren Grab sehen lässt (20,6f). Da das Grab noch nie zuvor benutzt worden war, können diese Tücher (τὰ ὀθόνια) nur diejenigen sein, die Joseph und Nikodemus für Jesus benutzt hatten (Joh 19,40) und wecken bei dem anderen Jünger den Glauben (Joh 20,8). Da Lk 24,12 die Inspektion des leeren Grabes durch Petrus aus Joh übernimmt (s. dort), hat er das gleiche Interesse an der Betonung, dass das Grab noch unbenutzt war. Das aber heißt: Der Einfluss verläuft von Joh 19,40 (μνημεῖον καινὸν ἐν ᾧ οὐδέπω οὐδεὶς ἦν τεθειμένος) zu Lk 23,51 (καὶ ἔθηκεν αὐτὸν ἐν μνήματι λαξευτῷ οὗ οὐκ ἦν οὐδεὶς οὔπω κείμενος), nicht aber umgekehrt. 5. Die Zeitangabe in *23,54 sowie *23,55 mit der Erwähnung der Frauen, die das Begräbnis beobachten, sind unbezeugt. Ein Urteil muss daher von den textgeschichtlichen Beobachtungen ausgehen, die an dieser Stelle aufschlussreich sind. a. Die Zeitangabe in V. *54 ist uneinheitlich überliefert. Der Mehrheitstext bezeichnet den Tag als παρασκευή, den Vorbereitungs- oder Rüsttag für den Sabbat, und fügt hinzu, dass der »Sabbat aufleuchtete« (καὶ σάββατον ἐπέϕωσκεν). In D d wird dagegen nur gesagt, dass der Tag, der in *22,66 begonnen hatte, der Tag vor dem Sabbat war, der hier als (ἡ ἡμέρα) προσαββάτου bezeichnet wird. Der Colbertinus (c) hat die beiden Formulierungen aus dem vorkanonischen und dem kanonischen Text miteinander konformiert: ἡμέρα παρασκευῆς προσαββάτου. Aufschlussreich ist die Formulierung des Mehrheitstextes, denn der Rüsttag (παρασκευή) ist Mt 27,62 erwähnt, das »Aufleuchten« des Sabbats in Mt 28,1 (τῇ ἐπιϕωσκούσῃ εἰς μίαν σαββάτων), dort aber auf den Tagesanbruch am Morgen bezogen. Lk denkt aber offensichtlich an den (im Judentum üblichen) Tagesanbruch 1258 Anhang I 23,50-56 am Abend. Dementsprechend wird das ἐπιϕώσκειν des Sabbats üblicherweise auf das »Aufleuchten des ersten Sterns bei Tagesanbruch« bezogen. 10 Das ist denkbar. Es ist aber zu beachten, dass Lk diese jüdische und die allgemeine Tagesrechnung (Tagesanbruch am Morgen) unmittelbar nebeneinander verwendet. 11 Es ist daher wahrscheinlich, dass die Unklarheiten aus dem Verfahren der lk Redaktion resultieren, die hier Elemente verschiedener Prätexte miteinander kombiniert hat. Dass dieses Verfahren zu Inkongruenzen führen kann, ist ja auch sonst sehr häufig zu beobachten. Die uneinheitliche Textüberlieferung ist daher am ehesten als Hinweis auf einen vorkanonischen Text und seine redaktionelle Veränderung zu werten, die ihre Spuren in D d hinterlassen hat. b. Am Anfang von V. *55 lesen D u. a. ein finites Verb (κατηκολούθησαν), während der Mehrheitstext die Frauen mit einem Partizip (κατακολουθήσασαι) einführt. Sehr viel wichtiger ist, dass es sich nach V. *55 D it um zwei Frauen gehandelt hat. Bei Lk (und wohl schon in *Ev) sind die Frauen zunächst namenlos und nur dadurch gekennzeichnet, dass sie »mit ihm aus Galiläa gekommen« waren. In *24,10 werden dann die Namen genannt, von denen zwei (Maria Magdalena; Johanna) bereits in *8,2 als Unterstützerinnen Jesu in Galiläa genannt waren (s. dort). Der eigenartige Wechsel von zwei Frauen als Zeuginnen des Begräbnisses (*23,55) zu den drei Frauen am Ostermorgen (*24,1.10) ist von überlieferungsgeschichtlicher Bedeutung, denn er ist von Mk 15,47 ≠ Mk 16,1 nachvollzogen worden. Mt hat dagegen die Inkonzinnität bemerkt und beseitigt: Er folgt *Ev und Mk zunächst mit der Erwähnung von zwei Frauen beim Begräbnis, bleibt dann aber konsequent bei diesen beiden Frauen (28,1). Wichtiger ist, dass Mk 15,47 und Mt 27,61 im Unterschied zu *23,55 die Namen der Frauen nennen. Auch darin ist Mt 27,61; 28,1 konsequent und gibt zwei Mal die gleichen Namen an: Maria Magdalena, die in allen Listen begegnet, wirft keine Probleme auf; aber aufgrund der Abweichungen bei den weiteren Namensnennungen bleibt Mt aus gutem Grund unbestimmt und nennt nur »die andere« Maria. Mk 15,47 nennt Maria Magdalena und die Maria des Joses. 12 Da *23,56 von den Frauen die Einhaltung der Sabbatruhe berichtet (eindeutig für *Ev bezeugt), werden sie tatsächlich schon in *23,55 erwähnt worden sein. In diesem Fall korrespondiert die Angabe *23,55 mit der von *23,49 (s. dort). c. Am Ende von *23,55 hat D d nur den Hinweis, dass die Frauen »sein Grab« (τὸ μνῆμα αὐτοῦ) sahen, nicht aber, »wie er hineingelegt wurde« (ὡς ἐτέθη τὸ σῶμα αὐτοῦ). Die Information in D d reicht völlig aus, wenn dadurch (nur) der Gang zum Grab in *24,1 vorbereitet werden soll. Mk 15,47 legt den Ton denn auch ______________________________ 10 Vgl. E. L OHSE , Art. σάββατον, ThWNT VII (1964), 20 mit Anm. 159; außerdem die Komm. 11 Die Probleme werden im Vergleich zwischen Lk 23,56 und 24,1 bzw. in 24,1 sichtbar, s. S CHNEIDER , Act II, 285 Anm. 17; M. K LINGHARDT , Gesetz und Volk Gottes, Tübingen 1988, 262ff (mit Lit.). 12 Die komplizierten Beziehungen zwischen den drei Namenslisten Mk 15,40 || Mt 27,56; Mk 15,47 || Mt 27,61; *24,10 || Mk 16,1 || Mt 28,1 s. u. zu *24,10. 23,50-56 Rekonstruktion 1259 auf diese Ortskenntnis und lässt die Frauen sehen, »wo (ποῦ) er hingelegt« wurde. Nach Lk 23,55 haben die Frauen dagegen gesehen, wie (ὡς) der Leichnam bestattet wurde. Man kann diesen geringen semantischen Unterschied als Motivierung für die folgende Zubereitung der Salbung verstehen: Lk erzählt, dass die Frauen gewahr wurden, dass die dem Leichnam gebührende Salbung noch fehlt, 13 die Joh 19,39f durch Nikodemus und Joseph von Arimathaia mit »etwa 100 Pfund Mischung von Myrrhe und Aloe« durchführen lässt. Das erklärt dann die Zubereitung der Salben noch am Abend desselben Tages (Lk 23,56a: ἡτοίμασαν ἀρώματα καὶ μύρα), obwohl die, streng genommen und κατὰ τὴν ἐντολήν, am Sabbat verboten war - jedenfalls wenn der Sabbat am Abend des Rüsttages beginnt. d. Aus diesem Grund sind dann auch die unterschiedlichen Bezeugungen für *23,56 von Gewicht. Denn nach Epiphanius’ Zeugnis hat diese Bemerkung über die Zubereitung der Salben in *Ev gefehlt: Die Frauen kehren um und halten die Sabbatruhe κατὰ τὸν νόμον ein. Dieser Hinweis ist schwierig: Im Mehrheitstext geschieht die Sabbatruhe κατὰ τὴν ἐντολήν, im D-Text fehlt jeder Hinweis auf Gesetz oder Gebot. Am einfachsten ist es, wenn die beiden Abweichungen - also das Fehlen von ἡτοίμασαν ἀρώματα καὶ μύρα bei Epiphanius und das Fehlen von κατὰ τὴν ἐντολήν in V. *56 D d - aufeinander bezogen werden. Wenn grundsätzlich gilt, dass die am weitesten vom kanonischen (Mehrheits-)Text entfernte Variante den größten Anspruch auf Ursprünglichkeit besitzt, dann lassen sich diese Varianten als Ergänzungen durch die lk Redaktion plausibel machen. Denn tatsächlich berichtet ja bereits *Ev davon, dass die Frauen am Tag nach dem Sabbat zum Grab kamen, und die zubereiteten ἀρώματα mitbrachten (*24,1, s. dort). Die Erzählfolge und ihre Logik hätte dann dem Bericht von Mk 15,47; 16,1 sehr genau entsprochen: Die Frauen sehen den Begräbnisplatz, (gehen nach Hause) und kommen am Tag nach dem Sabbat mit den Salben für die Balsamierung wieder, die sie dazu entweder gekauft (so Mk 16,1) oder selbst zubereitet (so *24,1) hatten. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass der vorkanonische Text hier weniger Informationen geboten hat als der Mehrheitstext, der diese Lücken aufgefüllt hat. In diesem Fall lässt sich das Verfahren der lk Redaktion folgendermaßen verstehen: Lk hat die unmotiviert erscheinende Erwähnung der ἀρώματα in *24,1 durch die Vorbereitung am Freitagabend plausibilisiert. Dazu musste er deutlich machen, dass die Frauen nicht nur den Ort kannten, sondern auch wussten, dass der Leichnam noch nicht einbalsamiert war: Dies ist der Liebesdienst, den Joh durch Nikodemus und Joseph von Arimathaia auf höchst großzügige Weise ausführen lässt. 14 Dass die knappe Formulierung ἐθεάσαντο τὸ μνῆμα αὐτοῦ in *23,55b (D) wahrscheinlich ______________________________ 13 Vgl. F ITZMYER , Lk II 1529f; W OLTER , Lk 767. 14 Die Hyperbel ὡς λίτρας ἑκατόν Joh 19,39 verrät dabei Kenntnis von Mk 14,3-5: Joh hat Mk 14,8 richtig verstanden. 1260 Anhang I 23,50-56 ursprünglich ist, zeigt sich noch in 24,1: Hier ist das ursprüngliche μνῆμα stehen geblieben, das Lk wie Mk und Mt im Kontext durch μνημεῖον ersetzt. 15 6. Ein letztes Problem für die Rekonstruktion liegt in der Frage, ob der Hinweis, dass die Sabbatruhe »gemäß dem Gesetz« eingehalten wurde, in *Ev enthalten war (so Epiphanius) oder nicht (so der D-Text). Folgt man Epiphanius’ direktem Zeugnis und hält seinen Text für den vorkanonischen, müsste man die Unterscheidung von κατὰ τὸν νόμον und κατὰ τὴν ἐντολήν erklären. Die Vertreter der Lk-Priorität haben diese Differenz registriert, wissen aber nichts mit ihr anzufangen. 16 Eine heilsgeschichtliche Unterscheidung - etwa im Sinn der ewigen Geltung des νόμος gegenüber einer nur begrenzten Geltung von ἐντολαί - ist nicht denkbar: Dagegen spricht schon *18,20. Semantisch unterscheiden sich νόμος und ἐντολή (als Gebot der Tora) nur darin, dass νόμος das Ganze, ἐντολή ein Einzelgebot ist (vgl. Lk 1,6; *18,20). In diesem Fall bleibt für die These der Lk-Priorität nur die Erklärung, dass Marcion die Geltung des gesamten Gesetzes anstelle nur von vereinzelten Geboten zur Geltung bringen wollte. Das allerdings widerspricht der für ihn angenommenen theologischen Haltung und ist völlig unglaubwürdig. Aus diesem Grund ist die D-Lesart als Ursprung dieser Aussage zu präferieren: Sie begründet die Sabbatruhe nicht - das hat erst die lk Redaktion getan. Die Formulierung κατὰ τὴν ἐντολήν entspricht anderen redaktionellen Aussagen, 17 mit denen Lk jüdische Frömmigkeit bezeichnet: Mehr, als dass die Frauen aus Gründen ihrer Observanz gegenüber einem Einzelgebot die Sabbatruhe einhielten, wollte Lk hier vielleicht nicht sagen. 18 *24,1-7 ¿8? 9-11 [ 12 ] : Auffindung des leeren Grabes. Engelbotschaft. Mitteilung an die Jünger Insgesamt gut bezeugt und sicher in *Ev vorhanden, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit redaktionell bearbeitet und ergänzt (24,12). 24,1 τῇ δὲ μιᾷ τῶν σαββάτων ὄρθρου βαθέως ἐπὶ τὸ μνῆμα ἦλθον ϕέρουσαι ἃ ἡτοίμασαν a [ ἀρώματα ] . b {ἐλογίζοντο δὲ ἐν ἑαυταῖς· τίς ἄρα ἀποκύλισει τὸν λίθον; } b 2 c ἐλθοῦσαι δὲ εὗρον c τὸν λίθον ἀποκεκυλισμένον d [ ἀπὸ τοῦ μνημείου ] d , 3 εἰσελθοῦσαι δὲ οὐχ εὗρον τὸ σῶμα e τοῦ κυρίου Ἰησοῦ e . 4 καὶ ἐγένετο ἐν τῷ ἀπορεῖσθαι αὐτὰς ______________________________ 15 Zu *24,1 vgl. Tert. 4,43,1: sepulcrum. In Lk 24,1 bieten P 75 א C* F X Δ al Euseb (Dem. Ev. 10,8,18; GCS 9/ 2, 474) μνημειον. Ich halte diese Lesart - gegen die Entscheidung der Herausgeber von NA 27 / GNT 4 - im kanonischen Text für ursprünglich. 16 H ARNACK 237* hielt die Änderung »für eine absichtliche Korrektur, um ein Mißverständnis zu verhüten«, worauf T SUTSUI 127 völlig zu Recht fragt: »Was für ein Mißverständnis? «. 17 Vgl. etwa Lk 2,22.23.24.27.39; s. dazu K LINGHARDT , a. a. O. 267ff. 18 Vgl. K. S ALO , Luke’s Treatment of the Law, Helsinki 1991, 40f; seine Feststellung »Luke does not favour the use of the term ἐντολή« (41), ist vielleicht schon zuviel gesagt. 24,1-12 Rekonstruktion 1261 περὶ f αὐτοῦ, g [ καὶ ] ἰδοὺ ἄνδρες δύο ἐπέστησαν αὐταῖς ἐν h ἐσθῆτι ἀστραπτούσῃ h . 5 ἐμϕόβων δὲ γενομένων αὐτῶν καὶ κλινουσῶν τὰ πρόσωπα εἰς τὴν γῆν, εἶπαν πρὸς αὐτάς, Τί ζητεῖτε τὸν ζῶντα μετὰ τῶν νεκρῶν; i 6 οὐκ ἔστιν ὧδε, ἀλλὰ † ἠγέρθη †. i μνήσθητε k ὅσα ἐλάλησεν ὑμῖν ἔτι ὢν l †μεθ’ ὑμῶν† l , 7 m [ λέγων ] ὅτι τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου δεῖ n †παθεῖν καὶ† n παραδοθῆναι o εἰς χεῖρας ἀνθρώπων ἁμαρτωλῶν o p † καὶ σταυρωθῆναι † p q † καὶ τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ ἀναστῆναι †. q ¿8 καὶ ἐμνήσθησαν τῶν ῥημάτων αὐτοῦ.? 9 καὶ ὑποστρέψασαι r [ ἀπὸ τοῦ μνημείου ] r ἀπήγγειλαν s πάντα ταῦτα s τοῖς [ ἕνδεκα ] t {ἀποστόλοις} καὶ u τοῖς λοιποῖς πᾶσιν u 10 v [ ἦσαν δὲ ] v w Μαρία ἡ Μαγδαληνὴ w καὶ Ἰωάννα καὶ Μαρία ἡ Ἰακώβου. [ καὶ αἱ λοιπαὶ σὺν αὐταῖς x ἔλεγον ταῦτα πρὸς τοὺς ἀποστόλους. ] x 11 καὶ ἐϕάνησαν ἐνώπιον αὐτῶν ὡσεὶ λῆρος τὰ ῥήματα ταῦτα, καὶ ἠπίστουν αὐταῖς. y [ 12 Ὁ δὲ Πέτρος ἀναστὰς ἔδραμεν ἐπὶ τὸ μνημεῖον, καὶ παρακύψας βλέπει τὰ ὀθόνια μόνα· καὶ ἀπῆλθεν πρὸς ἑαυτὸν θαυμάζων τὸ γεγονός. ] y A. *24,1: Tert. 4,43,1: Oportuerat etiam sepultorem domini prophetari ac iam tunc merito benedici, si nec mulierum illarum officium praeterit prophetia quae ante lucem convenerunt ad sepulcrum cum odorum paratura. ♦ *24,3: Tert. 4,43,2: Corpore autem non invento sublata erat sepultura eius de medio, secundum Esaiam … Sed et duo ibidem angeli apparuerunt. ♦ *24,4-7: Epiph., Schol. 76: Εἶπαν οἱ ἐν ἐσθῆτι λαμπρᾷ· τί ζητεῖτε τὸν ζῶντα μετὰ τῶν νεκρῶν; ἠγέρθη, μνήσθητε ὅσα ἐλάλησεν ἔτι ὢν μεθ’ ὑμῶν, ὅτι δεῖ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου παθεῖν καὶ παραδοθῆναι. ♦ *24,6f: Tert. 4,43,5: Nam eadem et angeli ad mulieres: Rememoramini quae locutus sit vobis in Galilaea, dicens quod oportet tradi filium hominis et crucifigi et tertia die resurgere. ♦ *24,9: Tert. 4,43,2: Revertentes quoque a sepulcro mulieres, et ab illa angelorum visione, prospiciebat Esaias: Mulieres, inquit, venientes a visione, venite, ad renuntiandam scilicet domini resurrectionem. ♦ *24,11: Tert. 4,43,3: Bene autem quod incredulitas discipulorum perseverabat, ut in finem usque defensio nostra consisteret Christum Iesum non alium se discipulis edidisse quam prophetarum. B. a (24,1) αρωματα: om D a b c d e ſſ 2 l r 1 sy s.c ¦ add Tert (! ) aur f q vg M ● b (24,1) ελογιζοντο δε εν εαυταις· τις αρα αποκυλισει τον λιθον: D c (  D*: 1-6 αποκαλυπτει 8 9) 070 c d sa mss ; (1-7 + ημιν 8 9): 0124 sa 2mss (vgl. Mk 16,3) ¦ om a aur b e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 M (*Ev non test.) ● c (24,2) ελθουσαι δε ευρον: D 0124 d; και ηλθον και ευρον: Tat arab ; και ελθουσαι ευρον: c ¦ και ευρον: aur b e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg sa georg ¦ ευρον δε: M (*Ev non test.) ● d (24,2) απο του μνημειου: om b Petr. Chrys. (Serm. 79,2; CCL 24, 484) ¦ add a aur c d e f ſſ 2 g1 gat l q r 1 M (*Ev non test.) ● e (24,3) του κυριου Ιησου: om Tert D a b d e ſſ 2 l r 1 ¦ του Ιησου 579 1071 1241 sy s.c bo ms ¦ του κυριου Ιησου/ Domini Iesu: add aur c f q vg M ● f (24,4) αυτου: D d vg 1 ms ¦ του γεγονοτος: b ¦ τουτου: a aur c e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 M (*Ev non test.) ● g (24,4) και: om D 131 1604 ℓ184 a aur c d f ſſ 2 g 1 vg sy p Tat pers ¦ add b gat l q r 1 M (*Ev non test.) ● h (24,4) εσθητι αστραπτουση/ veste fulgenti P 75 א B D a aur b c (d: in amictu scorusancti) e f (ſſ 2 : veste splendida) g 1 gat l q r 1 vg sy s.c.p ; εσθητι λαμπρα: Epiph; εσθητι λευκη: TheodMops (In Zach 1,7-10, PG 66, 508) ¦ εσθησεσιν αστραπτουσαις: M ● i (24,6a) ουκ εστιν ωδε αλλα ηγερθη: Widersprüchliche Bezeugung: (1) om Tert D a b d e ſſ 2 l q r 1 georg ¦ (2) add M aur f q vg ¦ (3) ηγερθη: Epiph ¦ (4) ηγερθη εκ νεκρων: c (resurrexit a mortuis) aeth ● k (24,6) οσα/ quae: Tert Epiph D c sy s.c ; quanta: d ¦ ως/ qualiter: aur b e f ſſ 2 l q r 1 M ; sicut: a ● l (24,6) 1262 Anhang I 24,1-12 μεθ υμων: Widersprüchliche Bezeugung: (1) μεθ υμων: Epiph sy s.c.p ¦ (2) εν τη γαλιλαια μεθ υμων: b; ων εν τη γαλιλαια συν υμιν: 1319 ¦ (3) εν τη γαλιλαια: Tert aur e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg M ● m (24,7) Widersprüchliche Bezeugung: (1) λεγων/ dicens: om Epiph D a c d ¦ (2) λεγων/ dicens: add Tert aur b e f ſſ 2 l q r 1 M ● n (24,7) Widersprüchliche Bezeugung: (1) παθειν και: Epiph ¦ (2) om Tert it M ● o (24,7) εις χειρας ανθρωπων αμαρτωλων: om Tert Epiph a Chrys (Hom. in Mt 26, 39; PG 61, 751) ¦ εις χειρας ανθρωπων: D b d e ſſ 2 l r 1 ¦ εις χειρας ανθρωπων αμαρτωλων: aur c f q vg M ● p (24,7) Widersprüchliche Bezeugung: (1) και σταυρωθηναι: om Epiph a ¦ (2) και σταυρωθηναι: add Tert it M ● q (24,7) Widersprüchliche Bezeugung: (1) και τη τριτη ημερα αναστηναι: om Epiph 1604 ¦ (2) και τη τριτη ημερα αναστηναι: add Tert it M ● r (24,9) απο του μνημειου: om D a b c d e ſſ 2 l r 1 Tat arab (και υποστρεψασαι απο του μνημειου: om Tat pers ) armen mss georg I.II ¦ απο του μνημειου/ a monumento: add Tert (! ) aur f g 1 gat q vg M ● s (24,9) παντα ταυτα: א D E F H K U V X Γ vid Δ Θ Λ Π 028 0124 0211 al c d ¦ ταυτα παντα (2 1) a aur b e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 M (*Ev non test.) ● t (24,9) αποστολοις: c r 1 ; μαθηταις: e (sy s.c Tat arab ) Amphil (Haer. 189a; F ICKER I 74) ¦ om a aur b d f ſſ 2 g 1 gat l q M (*Ev non test.) ● u (24,9) τοις λοιποις πασιν: a aur b e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg ¦ πασιν τοις λοιποις (3 1 2): c d M (*Ev non test.) ● v (24,10) ησαν δε: om A D W Γ al d e sy s.c.(h*) aeth ¦ add a aur b c f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 M (*Ev non test.) ● v (24,10) Μαρια η Μαγδαληνη: D aur b c d e vid f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg georg I ¦ η Μαγδαληνη Μαρια: M (*Ev non test.) ● x (24,10) ελεγον ταυτα προς τους αποστολους: om l ¦ add gat vg 2 mss georg I ; ταυτα ελεγον προς τους αποστολους (2 1 3- 5): e b ſſ 2 q; ελεγον προς τους αποστολους ταυτα (1 3-5 2): a aur c d f g 1 r 1 M (*Ev non test.) ● y (24,12) vs. om D a b d e l r 1 Euseb can ¦ add aur c f ſſ 2 g 1 gat q M (*Ev non test.). C. Die Perikope ist gut und teilweise wörtlich genau bezeugt, sie war im Grundgerüst zweifellos in *Ev vorhanden: Der Gang der Frauen mit den Duftkräutern, die Auffindung des leeren Grabs, der Hinweis der beiden Männer im Grab mit der Aufforderung, sich an Jesu Weissagung seiner Auferstehung zu erinnern, sowie die Rückkehr zu den Jüngern sind durch Tertullians Referat gesichert. Sein Hinweis auf die incredulitas der Jünger stellt nicht nur V. *11 sicher, sondern auch den Bericht der Frauen über das Geschehene (V. *9b). Neben V. 10 (die Namen der Frauen; Wiederholung des Berichts an die Jünger) sind damit nur V. 8 (Mitteilung, dass sich die Frauen erinnerten) sowie V. 12 (Petrus’ Gang zum Grab) unbezeugt. Dabei ist vor allem 24,12 in textkritischer und überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht von größter Bedeutung: Zum einen, weil dieser Vers zu den acht lk »Western Non-Interpolations« gehört, die bereits Westcott/ Hort für ursprünglich gehalten hatten, 1 zum anderen wegen der unverkennbaren Beziehung zu Joh 20,3-5.10. Es ist aber wichtig zu sehen, dass es noch weitere »Western readings« gibt. Nach unserer Vermutung, dass diese »Westlichen« Lesarten auf den Einfluss des vorkanonischen Evangelientextes zurückgehen, müssen sie in das Gesamtbild miteinbezogen werden: Die Perikope von der Auffindung des leeren Grabes liefert entscheidende Hinweise, ______________________________ 1 B. F. W ESTCOTT , F. J. A. H ORT , The New Testament in the Original Greek II, Cambridge - London 2 1896, 175-177. Neben Mt 27,49 sind dies: Lk 22,29b-20; 24,3; 24,6; 24,12; 24,36; 24,40; 24,50; 24,51. Gleich drei der acht Beispiele finden sich also in dieser Perikope. 24,1-12 Rekonstruktion 1263 wie das Verhältnis zwischen *Ev bzw. dem »Westlichen« Text auf der einen und dem kanonischen Text auf der anderen Seite zu erklären ist. 1. Die Beobachtungen zur Interferenz der vorkanonischen und der kanonischen Textüberlieferung erlauben einige präzisierende Beobachtungen zur ursprünglichen Gestalt der Exposition in *24,1. Die für diese Interferenzen »üblichen Verdächtigen« (D it sy) berichten nämlich nur, dass die Frauen zum Grab brachten, »was sie bereitet hatten« (ἃ ἡτοίμασαν), lassen aber ἀρώματα aus. Die Bezeugung für diese Lesart ist so charakteristisch, dass man, Tertullians direktem Zeugnis (cum o d o r u m paratura) zum Trotz, geneigt ist, sie für den vorkanonischen Text zu halten. Das allerdings hat dann die Konsequenz, dass das, »was sie zubereitet hatten«, vorher bereits einmal erwähnt worden sein musste: In *23,56a (s. dort). Die handschriftliche Bezeugung von *24,1 führt zusammen mit den Schlüssen, die daraus zu ziehen sind, also zu dem Urteil, *Ev in *24,1 gegen Tertullians und in *23,56 gegen Epiphanius’ direkte Bezeugung zu rekonstruieren. Charakteristisch ist ebenfalls, dass D (it) u. a. in *24,1b die Frage enthalten: τίς ἄρα ἀποκύλισει τὸν λίθον; Dabei handelt es sich nicht um eine sekundäre Angleichung von Lk 24,1 an Mk 16,3, sondern sehr wahrscheinlich um den vorkanonischen Text. Denn wenn Lk 24,1 D (it) usw. sekundär aufgrund der Kenntnis von Mk 16,3 ergänzt worden wäre, müsste man postulieren, dass sich diese Angleichung näher an der mk Formulierung orientiert. Dies ist aber nicht der Fall. *24,1 Mk 16,3 ἐλογίζοντο δὲ καὶ ἔλεγον ἐν ἑαυταῖς· πρὸς ἑαυτάς· τίς ἄρα τίς ἀποκύλισει ἀποκυλίσει ἡμῖν τὸν λίθον; τὸν λίθον ἐκ τῆς θύρας τοῦ μνημείου; Diese Differenzen legen nahe, dass Mk 16,3 durch den vorkanonischen Text angeregt war. Mt hat diese Bemerkung übergangen, Lk ist ihm darin (gegen *Ev und Mk) gefolgt. 2. In *24,3 begegnet die erste der erwähnten »Non-Interpolations« dieser Perikope: Die Worte τοῦ κυρίου Ἰησοῦ fehlen in einigen »Westlichen« Handschriften (D a b d e ſſ 2 l r 1 ) und sind durch Tertullian auch für *Ev als fehlend bezeugt. Interessanterweise zeigen andere Handschriften (579 1071 1241 sy s.c bo ms ) eine »mittlere« Fassung: Sie haben anstelle des kanonischen τοῦ κυρίου Ἰησοῦ immerhin τοῦ Ἰησοῦ. Keine dieser Varianten in *Ev und den »Westlichen« Zeugen kann sinnvollerweise auf eine inhaltlich begründete Korrektur zurückgeführt werden, weil die Identität des nichtauffindbaren Körpers ja über jeden Zweifel erhaben ist. Auch die Überlegung, dass der Text der »Westlichen« Zeugen den doketischen Versuch unternimmt, die 1264 Anhang I 24,1-12 Zusammenstellung der hoheitlichen Prädikation κύριος und σῶμα (in der Bedeutung von Leichnam) aus theologischen Bedenken aufzulösen, ist irreführend; denn in diesem Fall müsste man ja ein entsprechendes Verfahren auch an anderen Stellen postulieren. Aber das ist nicht der Fall. In der Grablegungsszene (Lk 23,52f) haben beispielsweise genau dieselben Handschriften keinerlei Probleme, das Syntagma σῶμα Ἰησοῦ/ corpus Iesu zu verwenden. Umgekehrt kann die redaktionelle Einfügung von (σῶμα) τοῦ κυρίου Ἰησοῦ durchaus als antidoketische Akzentuierung gemeint sein; denn in diesem Fall gibt es keine Notwendigkeit dafür, dass diese theologischen Korrekturen konsequent an allen Stellen durchgeführt wurde. 2 3. In *24,4f werden die beiden Männer in »leuchtendem Gewand« erwähnt, auf die Tertullian im Kontext seiner Besprechung mehrfach als angeli referiert. Dies ist kein Hinweis auf einen abweichenden Text. Vielmehr interpretiert angeli (sachlich ohne weiteres nachvollziehbar), was Tertullian unter ἄνδρες δύο ἐν ἐσθῆτι ἀστραπτούσῃ verstehen konnte. 3 Allerdings ist die genaue Formulierung, mit der die Beiden in *Ev bezeichnet wurden, unklar: Epiphanius nennt οἱ ἐν ἐσθῆτι λαμπρᾷ als Subjekt von *24,5. Aber dieses Zeugnis steht allein und wird daher Epiphanius’ eigener Versuch sein, für seine Wiedergabe von *24,5 ein nominales Subjekt zu finden, das sein *Ev-Text so wenig enthielt wie der kanonische Text. Die Lesart der charakteristischen Zeugen D it sy u. a. sprach nicht von der ἐσθὴς λαμπρά, sondern von der ἐσθὴς ἀστραπτούση - dieses aber im Singular, den auch Epiphanius noch bezeugt. Erst die lk Redaktion hat, was ja ohne weiteres nachvollziehbar ist, stattdessen den Plural ἐσθήσεσιν ἀστραπτούσαις gesetzt, den der Mehrheitstext bezeugt. Die von NA 27 / GNT 4 gebotene Sing.-Formulierung ist demzufolge nicht der kanonische Lk-, sondern der vorkanonische *Ev-Text. 4. *24,6 bietet gleich zwei größere textkritische Probleme. Am wichtigsten ist die Auslassung des Anfangs: Die Worte οὐκ ἔστιν ὧδε, ἀλλὰ ἠγέρθη fehlen nicht nur in Tertullians *Ev-Referat, sondern auch in einigen »Westlichen« Handschriften. 4 Dagegen bezeugt Epiphanius einfaches ἠγέρθη, in seinem *Ev-Exemplar fehlten also die Worte οὐκ ἔστιν ὧδε, ἀλλά. Auch diese Lesart wird durch andere Zeugen gestützt (c: resurrexit a mortuis; aeth: ἠγέρθη ἐκ νεκρῶν). Für diese uneinheitliche Bezeugung des *Ev-Textes bietet sich auch hier als Erklärung die disparate Angleichung des vorkanonischen an den kanonischen Text an. Da beide Bezeugungen auch durch Handschriften des »Westlichen« Textes gestützt werden, ist diese Erklärung für das Vorhandensein verschiedener *Ev-Exemplare in der Hand Tertullians und Epiphanius’ vollkommen ausreichend. In diesem Fall hätte Tertullians *Ev- Exemplar den vorkanonischen Wortlaut genauer bewahrt, während Epiphanius’ ______________________________ 2 Vgl. dazu die Vermutungen von B. D. E HRMAN , The Orthodox Corruption of Scripture, New York - Oxford 1994, 217f. 3 Vgl. H ARNACK 238*: »gebührt dem Tertullian.« 4 D a b d e ſſ 2 l q r 1 armen georg. 24,1-12 Rekonstruktion 1265 Text (genau wie c; aeth) bereits eine Beeinflussung durch den kanonischen Text zeigt. Die lk Redaktion hat die Worte οὐκ ἔστιν ὧδε, ἀλλὰ ἠγέρθη aus Mk 16,6 || Mt 28,6 übernommen und in *Ev eingefügt. Dabei ist noch nachvollziehbar, dass auch Mt durch den Erzählzusammenhang von *Ev beeinflusst ist, weil καθὼς εἶπεν Mt 28,6 an dieser Stelle kein mk Pendant besitzt, 5 sondern den längeren Zusammenhang *24,6b.7 aufgreift. Eine Synopse verdeutlicht den Gang und das Wachstum der Überlieferung. *24,6 Mk 16,6 Mt 28,5f Lk 24,6 Τί ζητεῖτε τὸν ζῶντα μετὰ τῶν νεκρῶν; Ἰησοῦν ζητεῖτε τὸν Ναζαρηνὸν τὸν ἐσταυρωμένον· οἶδα γὰρ ὅτι Ἰησοῦν τὸν ἐσταυρωμένον ζητεῖτε· Τί ζητεῖτε τὸν ζῶντα μετὰ τῶν νεκρῶν; ἠγέρθη, οὐκ ἔστιν ὧδε, οὐκ ἔστιν ὧδε, οὐκ ἔστιν ὧδε· ἠγέρθη γὰρ ἀλλὰ ἠγέρθη. μνήσθητε μνήσθητε ὡς ἐλάλησεν ὑμῖν καθὼς εἶπεν· ὡς ἐλάλησεν ὑμῖν ἔτι ὢν ἔτι ὢν μεθ’ ὑμῶν […] ἐν τῇ Γαλιλαίᾳ […] Daneben bleibt die unterschiedliche Bezeugung für die Aufforderung zur Erinnerung an die Worte Jesu (ἔτι ὢν) μεθ’ ὑμῶν/ ἐν τῇ Γαλιλαίᾳ (*24,6b) zu klären. Die Bezeugungslage ist unübersichtlich: Die erste Lesart ist durch Epiphanius und die Syrer bezeugt, die zweite durch Tertullian und die fast komplette altlateinische Überlieferung (aur b e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 ). An dieser Stelle weichen nicht nur die direkten Zeugen voneinander ab, sondern auch die Hauptverdächtigen für Spuren der interferierenden Textüberlieferungen. Als Hilfsargument für diese Zweifelsfälle gilt die methodische Einsicht, dass die am weitesten von der kanonischen Form entfernte Fassung am ehesten Anspruch auf Ursprünglichkeit besitzt. In diesem Fall ist dies das durch Epiphanius und sy bezeugte μεθ’ ὑμῶν. Die Ursprünglichkeit dieser Lesart lässt sich dadurch plausibilisieren, dass zwei Handschriften (b 1319) eine Konflation bezeugen: Sie bestätigen nicht nur den ursprünglichen Text, sondern auch die Gültigkeit der methodischen Faustregel. 5. Auch in *24,7 ist das Zusammengehen der direkten Zeugen für *Ev und eines Teils der »Westlichen« Überlieferung zu beobachten. Die Rekonstruktion von *24,7 ist von einiger Bedeutung, weil diese Analepse auf *9,22.44 (für *Ev bezeugt, s. dort) verweist und die dort noch rätselhaft gebliebenen Weissagungen auflöst. Dadurch ist sichergestellt, dass *Ev auch übergreifende narrative Strukturen besaß, auch wenn diese nur in Ansätzen entwickelt waren. ______________________________ 5 In Mk 16,7 bezieht sich καθὼς εἶπεν nicht auf die Weissagungen des Leidens und Auferstehens, sondern auf die Ankündigung Mk 14,27 μετὰ τὸ ἐγερθῆναί με προάξω ὑμᾶς εἰς τὴν Γαλιλαίαν. 1266 Anhang I 24,1-12 *24,7 Epiph. *24,7 Tert. Lk 24,7 ( M ) ὅτι dicens quod λέγων ὅτι δεῖ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου oportet δεῖ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου παθεῖν καὶ παραδοθῆναι tradi filium hominis παραδοθῆναι εἰς χεῖρας ἀνθρώπων ἁμαρτωλῶν et crucifigi καὶ σταυρωθῆναι et tertia die καὶ τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ resurgere ἀναστῆναι. a. Die Einleitung des Erinnerungsbefehls ist in den kanonischen Handschriften unterschiedlich bezeugt. Während die Mehrheit der Handschriften die Wortfolge (λέγων) ὅτι δεῖ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου … bietet, 6 haben einige wenige andere (λέγων) τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου ὅτι δεῖ … 7 Die Umstellung ist eine Folge der Ersetzung des ὅτι-recitativum durch die Redeeinleitung λέγων, durch welche die unglückliche Doppelung des ὅτι … ὅτι vermieden wird. Wie die Altlateiner a c d zeigen (quoniam) hat das zweite ὅτι kausalen Sinn. Der von den kritischen Ausgaben gebotene Text mit der Wortfolge τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου ὅτι δεῖ … ist daher nicht der kanonische Lk-, sondern der vorkanonische *Ev-Text. b. Für die Wendung εἰς χεῖρας ἀνθρώπων ἁμαρτωλῶν vermerkt der Apparat von NA 27 , dass »D it« das letzte Wort (ἁμαρτωλῶν) auslassen. Diese Angabe ist ungenau und irreführend: Zwar bezeugen D b d e ſſ 2 l r 1 tatsächlich die Wendung εἰς χεῖρας ἀνθρώπων (ohne das von aur c f q vg gebotene ἁμαρτωλῶν), aber im Vercellensis (a) fehlt die gesamte Phrase. Genau diese Fassung, die auch bei Chrysostomus begegnet, ist durch Tertullian und Epiphanius schon für *Ev bezeugt. 8 So zeigt auch die Entwicklung dieser Variante die uneinheitliche Angleichung des vorkanonischen an den kanonischen Text. In diesem Fall sind es D und die Mehrheit der altlateinischen Handschriften, die einen »mittleren« Text bieten; der ist offensichtlich an *9,44 (ὁ γὰρ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου μέλλει παραδίδοσθαι εἰς χεῖρας ἀνθρώπων) orientiert, wie Epiphanius’ Zeugnis sicherstellt (Schol. 20; s. dort). Der vorkanonische Text sprach also ohne indirektes Objekt davon, dass der Menschensohn »ausgeliefert« werde. c. Der Inhalt des Erinnerungsbefehls wird von Tertullian und Epiphanius in unterschiedlicher Form mitgeteilt. Zum einen erwähnt die Leidensweissagung bei Epiphanius nur allgemein, dass der Menschensohn »leiden« müsse (παθεῖν), wogegen Tertullian den sehr spezifischen Hinweis bietet (den auch der kanonische ______________________________ 6 א 2 C 2 D W Θ Ψ 063 f 1.13 M . 7 P 75 א * B C* vid L 0124. 8 T SUTSUI 127 verweist für diese Lücke auf die für *Ev bezeugte Auslassung οὐαὶ τῷ ἀνθρώπῳ ἐκείνῳ δι’ οὗ παραδίδοται *22,22 (s. dort) und erklärt, dass dadurch die Schuld am Tod Jesu (von einem bestimmten Verräter auf alle Menschen) verallgemeinert werden soll. 24,1-12 Rekonstruktion 1267 Text enthält), dass er »gekreuzigt« werde (crucifigi/ σταυρωθῆναι). Zum andern fehlt in Epiphanius’ Referat der Hinweis auf die Auferstehung, den Tertullian mit derselben Formulierung mitteilt wie der kanonische Text (et tertia die resurgere/ καὶ τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ ἀναστῆναι). Dieses Fehlen ist insbesondere auffällig, weil die Erinnerung an die Worte Jesu ja doch erklären soll, dass die Frauen den Leichnam Jesu nicht finden können, weil er auferstanden ist. Man könnte daher geneigt sein, Epiphanius’ Referat für ungenau zu halten; dies würde dann auch den allgemeinen Hinweis auf das »Leiden« in Zweifel ziehen. Zwei Auffälligkeiten sprechen dann aber doch dafür, dass Epiphanius’ Referat korrekt ist. Auf der einen Seite hat die kurze Form des Erinnerungsbefehls in der kanonischen Handschriftenüberlieferung Spuren hinterlassen: Die Ankündigung der Auferstehung fehlt auch in der Minuskel 1604. 9 Für den kanonischen Text ist diese Variante noch irritierender, weil dieser eine deutlich größeres Gewicht auf die genau Vorhersage des Termins der Auferstehung legt als *Ev. Da die Annahme eines zufälligen Versehens aus methodischen Gründen die schlechteste aller Möglichkeiten ist, liegt es sehr viel näher, diese Variante auf einen Einfluss des vorkanonischen auf den kanonischen Text zurckzuführen, zumal *9,44 belegt, dass *Ev eine Leidensankündigung ohne Erwähnung der Auferstehung enthielt. Am leichtesten erklärt sich diese Lesart als Einfluss des vorkanonischen Evangeliums. Zum anderen ist auffällig, dass ausnahmslos alle Handschriften die Weissagung der Auferstehung mit der Datierung »am dritten Tag (τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ)« enthalten. Es ist schon deutlich geworden, dass diese Formulierung, die auch in Tertullians *Ev-Referat begegnet, erst auf die kanonische Redaktion zurückgeht. 10 Dass die Handschriften zu Lk 24,7 keine Abweichungen in der Formulierung aufweisen (wie es zu Lk 9,22 der Fall ist), ist als Hinweis darauf verstehen, dass es für diese Datierung keinen älteren Text gab, weil die gesamte Auferstehungsweissagung redaktionell ergänzt wurde. Es handelt sich also um dasselbe Phänomen wie in Lk 18,33. Damit lässt sich erklären, wie die widersprüchliche Bezeugeung entstanden ist: Epiphanius’ Referat ist korrekt und gibt den ältesten Text wieder, wogegen Tertullians *Ev-Exemplar bereits vom kanonischen Wortlaut kontaminiert war. Die kanonische Redaktion hat dem Text ein höheres Maß an Kohärenz und semantischer Präzision verliehen: Indem der Erinnerungsbefehl auch die Ankündigung der Auferstehung enthält, wird plausibel, warum die Frauen den Leichnam Jesu gar nicht finden können. Und indem die Auferstehung auf »den dritten Tag« datiert wird, können die Leser an dieser Stelle der Erzählung die Richtigkeit der Ankündigung überprüfen ______________________________ 9 Diese Handschrift zeigt auch an anderen Stellen Spuren des vorkanonischen Wortlauts, wie durch die Häresiologen bezeugt ist (*12,56; *16,19.26; *18,16) oder wie aus anderen Gründen vermutet werden kann (vgl. zu *23,55; *24,4). 10 Vgl. o. 744 (zu *9,22) und ausführlicher Bd. I, 350ff. 1268 Anhang I 24,1-12 und sich durch Zurückblättern bis Lk 18,33 bzw. 9,22 versichern, dass Jesus diese Worte tatsächlich genau so gesagt hatte, wie sie die beiden Männer in Erinnerung gerufen haben. Gleichzeitig hat diese Bearbeitung die allgemeine Ankündigung, dass Jesus »leiden« müsse, präzisiert: er muss gekreuzigt werden. Diese beiden Eintragungen der lk Redaktion passen die in Erinnerung gerufenen Worte an das soeben erzählte Geschehen an und erhöhen so die narrative Kohärenz. 6. *24,8 ist unbezeugt. Eine Entscheidung ist schwierig, weil auch die handschriftliche Überlieferung keinerlei Fingerzeige gibt. Auf der einen Seite ist es gut denkbar, dass das Einsetzen der Erinnerung der Frauen schon in *Ev eine gesonderte Erwähnung verdiente. In diesem Fall könnte es das Widerlager zu Jesu Weissagung *9,44 bilden, von der ausdrücklich vermerkt wird, dass die Jünger »dieses Wort nicht verstanden« (*9,45). Allerdings bezieht sich diese Notiz nicht auf die Auferstehung (die nur in *9,22 genannt wird), sondern nur auf das Nichtverstehen der Notwendigkeit des Leidens (*9,44). So bleibt diese Lösung unklar. Auf der anderen Seite ist eines der großen Themen von Lk 24 das Zustandekommen des sicheren Wissens über Jesus, zu dem eben auch die Erinnerung an seine früher gesprochenen Worte gehört (s. u.): In dieser Perspektive passt 24,8 so gut in das redaktionelle Konzept, dass man geneigt ist, die gesamte Notiz auf die Rechnung der lk Ergänzungen zu verbuchen. Weil hier keine ausreichende Sicherheit zu gewinnen ist, bleibt das Urteil offen. 7. Auch für die Erzählung von dem Bericht der Frauen vor den Jüngern in *24,9f bleibt die Rekonstruktion unsicher, obwohl es zumindest zu *24,9 eine direkte Bezeugung durch Tertullian gibt. Deren Aussagekraft ist allerdings eingeschränkt, weil es auch davon abweichende Hinweise aus den handschriftlichen Varianten gibt. So bezeugt Tertullian zwar, dass die Frauen ἀπὸ τοῦ μνημείου zurückkehrten, aber diese Wendung fehlt in D und einem signifikanten Teil der Altlateiner. Wenn diese »Westlichen« Zeugen den vorkanonischen Text repräsentieren, dann wäre Tertullians *Ev-Exemplar an dieser Stelle schon vom kanonischen Mehrheitstext kontaminiert. In diesem Fall stammt die Formulierung ἀπὸ τοῦ μνημείου aus Mk 16,8 || Mt 28,8. Die Überlegung, dass das Grab als Ausgangspunkt der Rückkehr ursprünglich nicht genannt war, wird durch die Beobachtung erhärtet, dass der vorkanonische Text offensichtlich durchweg von einem μνῆμα, nicht von einem μνημεῖον sprach (*23,53; *24,1; s. dort). Aus diesem Grund ist auch das Fehlen von ἀπὸ τοῦ μνημείου *24,2b als Zeichen des vorkanonischen Textes zu werten. Sehr viel problematischer ist die Rekonstruktion des syntaktischen Gefüges und des Umfangs, den der Bericht der Frauen vor den Jüngern über die Auffindung des leeren Grabes besaß. Denn dass die Frauen »dies alles« (ταῦτα πάντα) »den Elfen und allen übrigen« (τοῖς ἕνδεκα καὶ πᾶσιν τοῖς λοιποῖς) berichteten, wird in Lk 24,10b auf ungeschickte Weise wiederholt: ἔλεγον πρὸς τοὺς ἀποστόλους ταῦτα. Diese nicht sehr glückliche Doppelung ist offensichtlich die Folge einer Bearbeitung von 24,1-12 Rekonstruktion 1269 *24,9f, die der ausgesprochen disparaten Textüberlieferung zugrunde liegt. Folgende Auffälligkeiten sind zu notieren. 1. Einige Handschriften erwähnen in 24,9 als indirektes Objekt zu ἀπήγγειλαν die Jünger direkt (μαθηταῖς: e sy u. a.; ἀποστόλοις: c r 1 ) und nicht nur »die Elf«. Vor allem die Erwähnung der Apostel (c r 1 ) stößt sich dann doppelt hart mit πρὸς τοὺς ἀποστόλους 24,10c. Dass bereits in *Ev von den »Elfen« (ἕνδεκα) die Rede gewesen sein soll, unterliegt auch aus inneren Gründen erheblichen Bedenken: Die Reduzierung des Zwölferkreises durch das Ausscheiden des Judas wird erstmals in Mt 28,16 vorausgesetzt; das ist sinnvoll, weil Mt zuvor bereits das Ende des Judas erzählt hatte (Mt 27,3-10). Die gezielte Reduzierung der Zahl der Apostel ist ohne diese Erzählung kaum verständlich. Dass die »Elf« dann im Langen Mk-Schluss (Mk 16,14) sowie in Act 1,26; 2,14 erwähnt werden, ist sinnvoll: Das ist die Ebene der Kanonischen Redaktion, in der alle vier Evangelien enthalten waren und zusammen gelesen werden sollten. Aus diesem Grund ist es wahrscheinlich, dass auch die Erwähnung der ἕνδεκα in Lk 24,9.33 (s. dort) erst auf die lk Bearbeitung von *Ev zurückgeht, also auf die Ebene der Kanonischen Redaktion gehört. 2. Der Mehrheitstext lässt in Lk 24,10a einen neuen Hauptsatz anfangen: ἦσαν δέ … Aber es ist zweifelhaft, dass diese Worte ursprünglich sind, sie fehlen in D it sy u. a. Diese sehr einheitliche Lücke macht jedoch wahrscheinlich, dass die im Folgenden mitgeteilten Namen der Frauen schon in *Ev enthalten waren. Eine sekundäre Einfügung von ἦσαν δέ ist leicht nachvollziehbar, weil so die ungewöhnliche Stellung des Subjekts von *24,9 am Ende des Verses verbessert wird. 11 Mit dieser syntaktischen Veränderung korrespondiert die unklare Verbindung von 24,10b.c, für die zwei Varianten bezeugt sind: Der Text der kritischen Ausgaben versteht die namentliche Aufzählung der Frauen als Erläuterung des Subjekts von ἀπήγγειλαν Lk 24,9 und lässt mit ἔλεγον πρὸς τοὺς ἀποστόλους ταῦτα eine neues Satzgefüge beginnen. 12 Daneben ist jedoch eine andere syntaktische Zuordnung bezeugt, nach der die Trennung zwischen 10b und 10c erfolgt: … καὶ Μαρία ἡ Ἰακώβου καὶ αἱ λοιπαὶ σὺν αὐταῖς, αἳ ἔλεγον …. 13 3. Dass die Namen der Frauen schon im vorkanonischen Text standen, ist zwar nicht gesichert, aber doch sehr wahrscheinlich: Dafür sprechen (neben der charakteristischen Lücke in 10a D it: ἦσαν δέ …) die Namensform Μαρία ἡ Μαγδαληνή in D it u. a. gegenüber ἡ Μαγδαληνὴ Μαρία im Mehrheitstext, vor allem aber der Umstand, dass die zweitgenannte Johanna bereits in *8,3 (s. dort) zu der Gruppe von drei Frauen gehörte, die Jesus in Galiläa unterstützten. 4. Die Doppelung von 24,9 und 10 bezieht sich nicht nur auf die Mitteilung der Frauen (ἀ π ή γ γ ε ι λ α ν ταῦτα πάντα τοῖς ἕνδεκα - ἔ λ ε γ ο ν πρὸς τοὺς ἀποστόλους ταῦτα). Auch die Erweiterung einmal des Subjekts (24,10: καὶ αἱ λοιπαὶ σὺν αὐταῖς), einmal des indirekten Objekts (24,9: καὶ πᾶσιν τοῖς λοιποῖς) sieht wie eine beabsichtigte Parallele aus: Die Frauen »und alle übrigen« berichten den Jüngern »und allen übrigen«, so dass nun wirklich alle Kenntnis vom leeren Grab besaßen. Auf diese Weise wird allerdings die narrative Logik des Plots übermäßig strapaziert: Wenn die Namen der Frauen in *24,10a genannt (und in der kanonischen Fassung ______________________________ 11 Gegen M ETZGER , Textual Commentary z. St., der die Lesart in D it (ohne ἦσαν δέ) als sekundäre Auslassung versteht und begründet, dies sei »an attempt to improve the syntax.« Das ist schwerlich zutreffend, denn ohne diese Wendung stoßen 24,9 und 24,10b doch sehr hart aufeinander. 12 Diese Lesart mit P 75 A B D L W Γ Δ 070 f 1.13 579 1241 1424* 2542 pm sa. 13 Diese Lesart wird vom gesamten Rest der Überlieferung bezeugt (und ist daher Teil des Textus Receptus) mit Ausnahme von 157 (σὺν αὐταῖς, κ α ὶ ἔλεγον …) und slav (σὺν αὐταῖς, καὶ αἳ ἔλεγον …). 1270 Anhang I 24,1-12 durch die Einleitung ἦσαν δέ eindeutig zugeordnet) waren, ist καὶ αἱ λοιπαὶ σὺν αὐταῖς geradezu widersinnig. 5. Auffällig ist daher auch, dass ἔλεγον πρὸς τοὺς ἀποστόλους ταῦτα 24,10c im Cod. Rehdigeranus (l) fehlte. Das könnte aufgrund der Doppelung von καὶ πᾶσιν τοῖς λοιποῖς - καὶ αἱ λοιπαὶ σὺν αὐταῖς ein Versehen sein, aber es ist auch möglich, dass hier der vorkanonische Text sichtbar wird. Es wird kaum möglich sein, dieses Durcheinander völlig zu entwirren. Aber wenn man von den relativ einheitlichen Lesarten in D it ausgeht, spricht einiges dafür, dass Lk 24,10b.c ursprünglich gefehlt hat und dass die Namen der Frauen im vorkanonischen Text enthalten waren, aber möglicherweise eine sehr ungewöhnliche Position am Ende der Aussage hatten. Daher bleibt die Rekonstruktion unsicher. Sie beruht auf der Überzeugung, dass der kanonische Text das Resultat einer redaktionellen Erweiterung ist: καὶ ὑποστρέψασαι ἀπήγγειλαν πάντα ταῦτα τοῖς ἀποστόλοις Μαρία ἡ Μαγδαληνὴ καὶ Ἰωάννα καὶ Μαρία ἡ Ἰακώβου. Folgende Überlegungen für die redaktionelle Bearbeitung sind dabei zu beachten: a. In Lk 24,9b ist die Nennung der Adressaten des Berichts der Frauen mit hoher Wahrscheinlichkeit redaktionell bearbeitet. 14 Das Nebeneinander von τοῖς ἕνδεκα und πᾶσιν τοῖς λοιποῖς ist für die lk Redaktion notwendig, weil sie beide Gruppen in der Folge voneinander unterschieden hat: In *24,13 werden die beiden Jünger, denen der Auferstandene erscheint, mit dem analeptischen Verweis δύο ἐ ξ α ὐ τ ῶ ν eingeführt; diese Bemerkung ist schon für *Ev gesichert (s. dort). Zugleich erfordert die Berichterstattung der beiden »Emmaus«-Jünger vor den Elfen (Lk 24,33), dass sie zu keiner dieser beiden Gruppen gehörten. Da auch diese Überleitung, die wieder die Adressaten dieses Berichtes als τοὺς ἕνδεκα καὶ τοὺς σὺν αὐτοῖς nebeneinander nennt und differenziert, redaktionell ist (s. dort), wird Entsprechendes auch für Lk 24,9 gelten. Aus diesem Grund enthielt der vorkanonische Text in *24,9 mit großer Wahrscheinlichkeit diese Differenzierung nicht, sondern nannte als Adressaten nur τοῖς ἀποστόλοις (so der Text in c r 1 ). Für die Ursprünglichkeit dieses Objekts spricht, dass es sich noch in der redaktionellen Verdoppelung in Lk 24,10 erhalten hat: ἔλεγον πρὸς τ ο ὺ ς ἀ π ο σ τ ό λ ο υ ς . Die Einschätzung, dass ἕνδεκα καὶ πᾶσιν τοῖς λοιποῖς eine sekundäre Ergänzung ist, beruht nicht auf direkter Bezeugung oder auf Beobachtungen zur handschriftlichen Überlieferung, sondern allein auf inneren Gründen: Die weiteren redaktionellen Veränderungen im Verlauf der Erzählung haben diese Differenzierung notwendig gemacht. b. In Analogie zu der Ergänzung von »den Elfen« durch »und allen übrigen« (24,9) ist dann eine entsprechende Ausweitung der Zeuginnen des leeren Grabes in Lk 24,10 vorgenommen worden: Nicht nur die drei namentlich genannten Frauen ______________________________ 14 Vgl. J. W ANKE , Die Emmauserzählung, Leipzig 1973, 23f. 24,1-12 Rekonstruktion 1271 berichten den Jüngern vom leeren Grab, sondern auch αἱ λοιπαὶ σὺν αὐταῖς. Da diese Bemerkung die Erzähllogik erheblich stört, wird man sie am ehesten als Angleichung an die Ausweitung der Adressaten in 24,9 (τοῖς ἕνδεκα καὶ πᾶσιν τοῖς λοιποῖς) verstehen. Möglicherweise ist die Angabe αἱ λοιπαὶ σὺν αὐταῖς absichtlich unbestimmt geblieben, um die abweichenden Namensangaben in den verschiedenen Listen Mk 16,1 und Mt 28,1 mit den Angaben aus *24,9 anzugleichen: Dies wäre ein weiterer Hinweis auf den sekundären Charakter dieser Bemerkung. c. Die Angabe der Namen der Frauen am leeren Grab in *24,10 ist von einiger Bedeutung: Diese drei Namen bilden den Ursprung der divergierenden Namenslisten der Frauen als Zeuginnen der Kreuzigung, der Grablegung und der Auffindung des leeren Grabes in den synoptischen Parallelen. Kreuzigung *23,49: Mk 15,40: Mt 27,56: γυναῖκες αἱ συνακολουθοῦσαι αὐτῷ ἀπὸ τῆς Γαλιλαίας Μαρία ἡ Μαγδαληνή; Μαρία a [ἡ] Ἰακώβου τοῦ μικροῦ; Σαλώμη Μαρία ἡ Μαγδαληνή; Μαρία ἡ τοῦ Ἰακώβου καὶ f Ἰωσὴϕ μήτηρ; g ἡ μήτηρ g τῶν υἱῶν Ζεβεδαίου Begräbnis *23,55: Mk 15,47: Mt 27,61: δ ύ ο γυναῖκες, αἵτινες ἦσαν συνεληλυθυῖαι ἐκ τῆς Γαλιλαίας Μαρία ἡ Μαγδαληνή; Μαρία b [ἡ] c Ἰωσῆτος d [μήτηρ] Μαρία ἡ Μαγδαληνή; ἡ ἄλλη Μαρία Leeres Grab *24,10: Mk 16,1: Mt 28,1: Μαρία ἡ Μαγδαληνή; Ἰωάννα; Μαρία ἡ Ἰακώβου Μαρία ἡ Μαγδαληνή; Μαρία e [ἡ τοῦ] e Ἰακώβου; Σαλώμη Μαρία ἡ Μαγδαληνή; ἡ ἄλλη Μαρία a η: om D L Θ Ψ f 13 al ¦ add η: א B C K N W Δ 0184 al ¦ η του: A M ¦ θυγατηρ: sy s b η: om D L f 1.13 M ¦ add η: א 2 A B C W Δ Θ Ψ 083 al c Ιακωβου: D pc it vg ms sy s ¦ Ιακωβου και Ιωσητος: Θ f 13 pc c ¦ Ιωση: C W Ψ c M ¦ Ιωσηϕ: A pc aur l vg ¦ Ιωσητος: א 2 B L Δ Ψ* 083 2427 pc k sa mss bo d μητηρ: om D it M ¦ add W f 13 pc e η του: om E f 1.13 pm ¦ add א 2 A B K Δ 33 2427 al ¦ η: א * C W Γ Θ Ψ 700 pm ¦ του: L pc f Ιωσηϕ: ( א 2 ) D* L W Θ pc it vg sy s.hmg sa mss bo ¦ Ιωση (Ιωσσητος): A B C D c f 1.13 33 sy p.h sa mss M g η μητηρ: D it sy M ¦ η Μαρια η: א * Eine Klärung der überlieferungsgeschichtlichen Verhältnisse an dieser Stelle ist nicht einfach, was vor allem an der disparaten Textüberlieferung liegt; tatsächlich ist die Uneinheitlichkeit noch größer, da hier nicht alle, sondern nur die wichtigsten Varianten angegeben sind. Gleichwohl lässt bereits diese Übersicht die Grundzüge der Entwicklung sichtbar werden. 1272 Anhang I 24,1-12 1. Der Ursprung der Namenstradition liegt erkennbar in *24,10, da *Ev an den beiden vorangehenden Erwähnungen der Frauen unter dem Kreuz bzw. beim Begräbnis keine Namen genannt hatte, sondern die Frauen nur generell dadurch charakterisierte, dass sie zu denen gehörten, die Jesus von Galiläa aus nachgefolgt waren. Die Ursprünglichkeit der D-Lesart von *23,55 (δ ύ ο γυναῖκες) zeigt sich darin, dass Mk 15,47 und Mt 27,61 an dieser Stelle nur zwei Namen eingesetzt haben. 2. Alle Namenslisten stimmen darin überein, dass sie Μαρία ἡ Μαγδαληνή an erster Stelle nennen: Dieser Name ist am wenigsten problematisch. Für *24,10 ist auch der zweite Name (Ἰωάννα) wegen der Übereinstimmung mit der Liste *8,3 (s. dort) sehr wahrscheinlich, wo er durch Tertullians Charakterisierung gesichert ist: Wenn auch Johanna Jesus schon in Galiläa unterstützte, wird man schon für *Ev ihre Identität mit der Zeugin des leeren Grabes voraussetzen. Das Gleiche dürfte auch für den dritten Namen gelten, der für *Ev nicht gesichert ist und sich nur aus dem kanonischen Text ergibt: Μαρία ἡ Ἰακώβου. Zu keiner anderen Angabe geht die Überlieferung so weit auseinander wie zu dieser. 3. Die mk Rezeption und Entwicklung der Namenslisten ist in Grenzen noch nachvollziehbar; sie hat aufgrund der Basis in *24,10 von der Liste in Mk 16,1 15 auszugehen: Wie in *24,10 hat hier Maria Magdalena den ersten Platz, den sie bei Mk (und später bei Mt) in allen drei Listen einnimmt. Johanna, den zweiten Namen der Liste in *24,10, hat Mk 16,1 durch Salome ersetzt; die Gründe dafür bleiben im Dunkeln, aber da Mk 15,40 dieselbe Salome auch in die Liste der Kreuzigungszeuginnen einfügt, ist diese Veränderung mit Sicherheit kein Zufall. 4. An zweiter Stelle in der Liste 16,1 übernimmt Mk aus *24,10 die »Maria des Jakobus«. Der Grund für die Uneinheitlichkeit der Überlieferung dieser Genitivverbindung hat zunächst ein Pendant in der Liste Mk 15,40, in der offensichtlich dieselbe Μαρία (ἡ) Ἰακώβου an zweiter Stelle aufgeführt ist, wobei hier Jakobus als »der Kleine« genauer spezifiziert wird. Diese »Maria des Jakobus« stand allem Anschein nach ursprünglich auch in der zweiten Liste Mk 15,47, wie die Varianten an dieser Stelle zeigen. 16 Erst im Verlauf der handschriftlichen Überlieferung wurde die Angabe Μαρία τοῦ Ἰακώβου in doppelter Hinsicht verändert: Zum einen wurde diese Maria in einem Teil der Handschriften - sehr wahrscheinlich unter Einfluss von Mt 27,56 - zur Mutter des Jakobus, zum anderen wurde sie zur Maria (Mutter? ) des Joses. Eine Erklärung dieser beiden Änderungen hat davon auszugehen, dass die »Maria des Jakobus« zur »Maria, Mutter des Jakobus/ Joses« wurde (Mk 15,47 W f 13 usw.). Es entspricht der geläufigen Praxis und ganz weithin den rechtlichen Verhältnissen, dass Frauen durch das Patronym näher spezifiziert werden: Jeder unbefangene antike Leser hätte die Μαρία τοῦ Ἰακώβου als Tochter (oder Ehefrau) des Jakobus identifiziert; genau dieses Verständnis zeigt der Sinaisyrer zu Mk 15,40. Die - gemessen an der kulturellen Praxis: völlig unübliche und unwahrscheinliche - Identifizierung einer Frau durch den Namen des Sohnes stammt aus der Nennung der Zebedaiden ______________________________ 15 Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass diese Liste ausweislich der Lesart in D d k n möglicherweise nicht im vokanonischen Text (*Mk 16,1) stand, sondern erst auf der Ebene der kanonischen Redaktion eingetragen wurde. Diese Lesart ist nicht diskutiert im Kommentar von H. G REEVEN / E. G ÜTING , Textkritik des Markusevangeliums, Münster 2005. 16 Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist Ιακωβου in Mk 15,47 D it u. a. der vorkanonische Text in *Mk. Die Lesart in Θ f 13 usw. (Ιακωβου και Ιωσητος) konflationiert diesen älteren Text mit dem aus Mt 27,56 (A B C D c sy usw.) stammenden Ιωση (C W Ψ c M ) bzw. Ιωσητος ( א 2 B L Δ Ψ* 083 usw.). Auch diese Variante ist nicht besprochen bei G REEVEN / G ÜTING , a. a. O. 24,1-12 Rekonstruktion 1273 in Mt 27,56; diese wiederum beruht auf der (mt Fassung der) Erzählung vom Rangstreit: Auch hier ist die Frau sehr umständlich als »die Mutter der Söhne des Zebedäus« gekennzeichnet (Mt 20,20), offensichtlich aufgrund der durchgängigen (und schon für *Ev bezeugten) Identifizierung der beiden Brüder durch das gemeinsame Patronym »Zebedäus«. In Parallelität zur »Mutter der Söhne des Zebedäus« hat Mt 27,56 dann auch die »Maria des Jakobus« qualifiziert, indem er erstens dem Jakobus noch einen Bruder (Joses/ Joseph) hinzugesellt und sie zweitens zu ihrer Mutter macht. Da diese Angabe in D it sy fehlt, spricht alles dafür, dass hier die kanonische Redaktion den vorkanonischen Text von *Mt 27,56 korrigiert hat. Als Folge dieser Veränderungen führen die kritischen Ausgaben diese Maria in den drei mk Listen mit drei verschiedenen Spezifizierungen an: Als Maria d. Jakobus des Kleinen (15,40), als Maria (, Mutter) des Joses (15,47); als Maria des Jakobus (16,1). 5. Vielleicht schon unter dem Eindruck dieser Uneinheitlichkeit hat Mt 27,61; 28,1 den in *Ev und Mk unterschiedlich überlieferten dritten Namen (Johanna; Salome) einfach ausgelassen und die strittige »Maria des Jakobus/ Joses/ Joseph/ Mutter des Joses« usw. schlicht zur »anderen Maria« gemacht. Diese Reduktion ist insofern sinnvoll, als Mt 27,61 aus *Ev und Mk nur zwei Frauen als Zeuginnen des Begräbnisses kannte, die er dann in 28,1 auch wieder zum (leeren) Grab gehen lässt. Die überlieferungsgeschichtlichen Beobachtungen zu den divergierenden Namenslisten erklären sich daher am ehesten, wenn die drei Angaben von Lk 24,10 aus dem vorkanonischen Text stammen. Es ist denkbar, dass diese Namensliste mit Achtergewicht ursprünglich am Ende von *24,9f stand, obwohl sich dies nicht positiv belegen lässt. In diesem Fall hätte die vorkanonische Formulierung von *24,9f der lk Redaktion nicht nur in sachlicher, sondern auch in syntaktischer Hinsicht Anlass für eine Überarbeitung gegeben. 8. Die wichtigste Beobachtung für die Rekonstruktion des Textes und der Überlieferungsgeschichte der Erzählung von der Auffindung des leeren Grabes ist das Fehlen von Lk 24,12 in D it (a b d e l r 1 ). Die textkritische Beurteilung dieses Verses hat in der Vergangenheit größte Aufmerksamkeit auf sich gezogen. In der ersten Hälfte des 20. Jh. haben viele in der Folge der These von Westcott/ Hort den Vers als »Western Non-Interpolation« aus dem (kanonischen) Lk-Text ausgeschieden, 17 auch in den kritischen Ausgaben war er nicht enthalten. 18 Diese Einschätzung hat ______________________________ 17 Vgl. nur von den Kommentaren Z AHN , Lk 714; S CHMID , Lk 354; G ELDENHUYS , Lk 626, außerdem etwa P. S CHUBERT , The Structure and Significance of Luke 24, in: W. Eltester (Hg.), Neutestamentliche Studien für Rudolf Bultmann, Berlin 2 1957, 165-186: 172; H. VON C AMPENHAUSEN , Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab, Heidelberg 3 1966, 31; vgl. auch die Lit. bei A. D AUER , Lk 24,12 - Ein Produkt lukanischer Redaktion? , in: Fr. Van Segbroeck et al. (eds.), The Four Gospels II, Leuven 1992, 1697-1716: 1713f, bzw. bei R. J. D ILLON , From Eye-Witnesses to Ministers for the Word, Rom 1978, 60 Anm. 174. 18 Bis zur 25. Auflage der Nestle-Ausgabe war der Vers nicht Teil des Textes. Der Apparat führt, wohl unter dem Einfluss Harnacks, auch »Mcion« als Zeuge für sein Fehlen an: Ein Irrtum, der sich verschiedentlich fortgesetzt hat, vgl. etwa J. A. B AILEY , The Traditions Common to the Gospels of Luke and John, Leiden 1963, 85 Anm. 3 u. a. 1274 Anhang I 24,1-12 sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend gewandelt: Vor allem seit dem Bekanntwerden des P 75 wird 24,12 mehrheitlich für authentisch gehalten. 19 Das große Interesse an diesem textkritischen Problem ist auf die engen überlieferungsgeschichtliche Berührung von Lk 24,12 mit Joh 20,3-5.10 zurückzuführen: Für das Verständnis von Lk 24,12 war die methodische Einsicht in den Zusammenhang von text- und literarkritischen Beobachtungen schon immer evident. Lk 24,12 Joh 20,3.5.10 ὁ δὲ Πέτρος ἀναστὰς ἔδραμεν 20,3 ἐξῆλθεν οὖν ὁ Πέτρος καὶ ὁ ἄλλος μαθητής, ἐπὶ τὸ μνημεῖον, καὶ ἤρχοντο εἰς τὸ μνημεῖον […] Καὶ παρακύψας βλέπει τὰ ὀθόνια μόνα· 20,5 καὶ παρακύψας βλέπει κείμενα τὰ ὀθόνια, οὐ μέντοι εἰσῆλθεν […] Καὶ ἀπῆλθεν πρὸς ἑαυτὸν θαυμάζων τὸ γεγονός 20,10 ἀπῆλθον οὖν πάλιν πρὸς αὐτοὺς οἱ μαθηταί Vor allem das historische Präsens βλέπει, noch dazu als Teil der Wendung παρακύψας βλέπει, sowie die Erwähnung der Binden (τὰ ὀθόνια 24,12 || Joh 20,5) und die Wendung ἀπελθεῖν πρὸς ἑαυτόν/ πρὸς αὐτούς 24,12 || Joh 20,10 sind jeweils specifica differentia der kanonischen Ostererzählungen, die den engen literarischen Zusammenhang von Lk 24,12 und Joh 20 zweifelsfrei sicherstellen. 20 Hier steht also das größere Feld der synoptisch-joh Beziehungen zur Debatte, das dann noch unübersichtlicher wird, wenn man mit der Möglichkeit einer vorjoh Quelle rechnet. Unter Berücksichtigung dieser Analogie ergeben sich folgende Möglichkeiten eines überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhangs: ______________________________ 19 Zur Veränderung der Beurteilung vgl. nur F R . N EIRYNCK , John and the Synoptics, in: M. de Jonge (ed.), L’Évangile de Jean, Gembloux - Leuven 1977, 73-106: »The recent trend is now clearly in favor of the authenticity of the verse in Luke, and with good reason« (98). Die unterschiedlichen Einschätzungen werden anhand der Bibliographie zum Problem ohne weiteres ersichtlich, vgl. D AUER , a. a. O., 1713-1716. Die Liste der Verfechter der Authentizität ist beeindruckend, nahezu alle neueren Kommentare gehören dazu: G RUNDMANN , Lk 439f; E RNST , Lk 654; S CHMITHALS , Lk 232; S CHWEIZER , Lk 243; F ITZMYER , Lk I 131; W OLTER , Lk 773. Vor allem Frans Neirynck hat die Authentizität mehrfach ausführlich begründet: F R . N EIRYNCK , Le récit tu tombeau vide dans l’évangile de Luc (Lc 24,1-12), in: ders., Evangelica I, Leuven 1982, 297-312; DERS ., Lc. XXIV 12. Les témoins du texte occidental, in: ders., Evangelica I, Leuven 1982, 313-328; DERS ., The Uncorrected Historic Present in Lk. XXIV. 12, in: ders., Evangelica I, Leuven 1982, 329-334; DERS ., Ἀπῆλθεν πρὸς ἑαυτόν: Lc 24,12 et Jn 20,10, in: ders., Evangelica I, Leuven 1982, 441-455.; DERS ., John and the Synoptics: The Empty Tomb Stories, in: ders. Evangelica II, Leuven 1991, 571-599. 20 Frans Neirynck hat die einzelnen Elemente ausführlich besprochen: N EIRYNCK , a. a. O. (The Uncorrected Historic Present …); DERS ., Παρακύψας βλέπει, ebd. 401-440; DERS ., a. a. O. (Ἀπῆλθεν πρὸς ἑαυτόν …), ebd. 441-455. Dass Lk 24,12 die Binden als ὀθόνια bezeichnet, ist insofern aufschlussreich, als in der Grablegungsszene das auch aus der mk-mt Erzählung bekannte σινδών verwendet ist (*23,53 [trad.! ] || Mk 15,46 || Mt 27,59). ὀθόνια ist dagegen das »joh« Wort, vgl. Joh 19,40; 20,6f! 24,1-12 Rekonstruktion 1275 1. Für den größeren Teil der Forschung der vergangenen Jahrzehnte war im Horizont der Zwei-Quellentheorie die Abhängigkeit der joh Wettlauferzählung (Joh 20,3-10) von Lk 24,12 klar: Joh hätte aus der kryptischen Notiz Lk 24,12 eine in sich plausible Erzählung mit ganz eigenen (redaktionellen) Akzenten gemacht. 21 In diesem Fall lässt sich das besondere Profil von Lk (23,54-56) 24,1-12 gegenüber der mk-mt Fassung als eigenständige redaktionelle Erweiterung von Mk 15,47-16,8 verstehen. 22 Für diese Lösung spielt das textkritische Problem der uneinheitlichen Bezeugung von Lk 24,12 keine weitere Rolle; es wird allerdings auch nicht erklärt, was denn zur sekundären Streichung, als die das Fehlen des Verses in den »Westlichen« Zeugen erscheint, geführt haben könnte. 2. Dagegen wurde kürzlich mehrfach darauf hingewiesen, dass das umgekehrte Abhängigkeitsverhältnis Lk 24,12 von Joh 20,3ff leichter verständlich sei. 23 Diese Sicht kann sich auf sprachliche und redaktionsgeschichtliche Argumente berufen. Sie ist - gegenüber der traditionellen Sicht der joh Abhängigkeit von den Synoptikern - jedoch dadurch belastet, dass die Joh-Priorität vor Lk insgesamt schwer plausibel zu machen ist. 3. Als Ausweg bleibt natürlich die Möglichkeit, dass Lk und Joh von einer gemeinsamen Quelle abhängig sind, wie sie von den Verfechtern einer gesonderten vorlk Passionstradition vertreten wird, die auch Joh benutzte. 24 Für die Beurteilung dieser Lösungsversuche sind zwei Auffälligkeiten zu vermerken. Zunächst werden gleich mehrfach die gleichen Beobachtungen zur Sprache (Wortstatistik; Stilistik) und zur Komposition als Argumente für gegensätzliche überlieferungsgeschichtliche Modelle verwendet: Die textsynchronen Beobachtungen (noch dazu zu nur einem Vers) sind, wie so häufig, ambivalent und können für sich genommen eine diachrone Verhältnisbestimmung der beiden Gesamttexte nicht tragen. Dass in allen Beurteilungen immer übergreifende Erwägungen die entscheidende Rolle spielen, ist daher durchaus sachgerecht. Sodann fällt auf, dass das textkritische Problem von 24,12 für die Rekonstruktion der lk-joh Berührungen zwar durchweg bekannt ist und häufig auch notiert wird, für die überlieferungsgeschichtliche Rekonstruktion aber so gut wie keine Rolle spielt. 25 ______________________________ 21 Vgl. als Beispiel für viele K. A LAND , Die Bedeutung des P 75 für den Text des Neuen Testaments, in: ders., Studien zur Überlieferung des Neuen Testaments und seines Textes, Berlin 1967, 155-172: 168: Lk stelle »das primäre, und Joh. das sekundäre Stadium dar. Die komplizierte Erzählung bei Joh. ist ohne weiteres als aus der unbeholfenen, beinahe hölzernen Notiz bei Luk. herausgesponnen zu erklären.« Vgl. ansonsten die Komm. zu Joh 20. 22 So ausführlich N EIRYNCK , a. a. O. (Le récit tu tombeau vide …). 23 Vgl. etwa A. D AUER , Zur Authentizität von Lk 24,12, ETL 70 (1994), 294-318; M. A. M ATSON , In Dialogue with Another Gospel, Atlanta 2001, 401ff; B. S HELLARD , New Light on Luke, London u. a. 2004, 254ff. 24 Z. B. F R . R EHKOPF , Die lukanische Sonderquelle, Tübingen 1959, 83-85; E. H AENCHEN , Der Weg Jesu, Berlin 2 1968, 551; R. J. D ILLON , From Eye-Witnesses to Ministers for the Word, Rom 1978, 62; F ITZMYER , Lk II 1542; B OCK , Lk 1900; B OVON , Lk IV 519f u. a. 25 Ein charakteristisches Beispiel ist M ATSON , a. a. O. 401-410, der seine Besprechung von 24,12 mit dem Hinweis auf »two related problems« - nämlich das textkritische Problem im »Westlichen« Text und die Analogie zu Joh 20 - eröffnet (401), das textkritische Problem danach aber nicht 1276 Anhang I 24,1-12 Eine Ausnahme stellt Ehrmans textkritisch orientierter Versuch dar, 24,12 (im Rahmen der weiteren Auffälligkeiten in Lk 24) als antidoketische Interpolation des kanonischen Textes (der dem »Westlichen« Text entsprochen habe) auf der Grundlage von Joh 20 zu verstehen. 26 Diese Erklärung kommt unserer Lösung nahe und bestätigt die Priorität der »Westlichen« Lesarten gegenüber dem »alexandrinischen« Mehrheitstext - mit dem Unterschied allerdings, dass Ehrman davon ausgeht, dass diese Korrektur nicht an einem vorkanonischen, sondern an dem kanonischen Text vorgenommen wurde. 27 Im methodischen Horizont der *Ev-Priorität stellt sich das Problem allerdings anders dar: Lk 24,12 ist nicht sekundär in den kanonischen Text eingefügt worden, sondern in den vorkanonischen *Ev-Text. Diese Einfügung ist mithin ein integraler Teil der lk Redaktion. In diesem Fall ist es dann auch nicht nötig, das redaktionelle Interesse als antidoketische Intention »engzuführen«: Auch wenn dieses Motiv eine wichtige Rolle gespielt haben wird, sind im Horizont der lk (kanonischen) Bearbeitung des vorkanonischen Textes noch andere Motive denkbar und wahrscheinlich. Ich gehe daher davon aus, dass Lk 24,12 in *Ev gefehlt hat: Die Erkenntnisse über den vorkanonischen Text und seine redaktionelle Bearbeitung durch Lk legen dieses Urteil nahe, aber seine Wahrscheinlichkeit wird im Zusammenhang der weiteren Änderungen in Lk 24 noch erheblich gesteigert. 9. Für *24,1-11[12] sind daher redaktionelle Eingriffe mit unterschiedlich tragfähiger Begründung zu verzeichnen: Über jeden Zweifel erhaben sind die redaktionellen Änderungen in 24,3.6.7, nur geringfügig schwächer begründet sind die (unbezeugten) Ergänzungen in 24,1.9.12. Für die angenommenen Änderungen in den Vv. 2.8.10 sprechen dagegen (nur) innere Gründe. Allerdings sind diese Änderungen (vor allem 24,9f) vor dem Hintergrund der weiteren (gesicherten) Veränderungen im Verlauf der folgenden Erzählung sehr wahrscheinlich. *24,13-18.19f.21.22f [ 24 ] 25f [ 27 ] 28-30.31.32f [ 34 ] 35: Erscheinung des Auferstandenen vor Emmaus/ Amaus und Kleopas Nur teilweise für *Ev bezeugt, aber mit großer Wahrscheinlichkeit im Kern vorhanden; durch die lk Redaktion bearbeitet und ergänzt. 24,13 a [ Καὶ ἰδοὺ ] a δύο ἐξ αὐτῶν b [ ἐν αὐτῇ τῇ ἡμέρᾳ ] b ἦσαν πορευόμενοι εἰς κώμην ἀπέχουσαν σταδίους ἑξήκοντα ἀπὸ Ἰερουσαλήμ, c ὀνόματι Ἐμμαοῦς d {καὶ Κλεοπᾶς} d , 14 e ὡμίλουν δὲ e πρὸς ἀλλήλους περὶ πάντων τῶν συμβεβηκότων τούτων. 15 καὶ ______________________________ mehr erwähnt: Es ist für seine Lösung (die ja immer nur im Horizont der lk Passionsüberlieferung argumentiert) verzichtbar. 26 B. D. E HRMAN , The Orthodox Corruption of Scripture, New York - Oxford 1994, 248-254. 27 Die Vertreter der Lk-Priorität argumentieren natürlich anders: Die »gut lukanisch stilisierte Perikope (sc. 24,12) ist bei M. nicht nachzuweisen; sie fehlt sonst nur in D a b e l f u, einem Syrer, Euseb can . Also ist sie echt und von M. gestrichen, der Petrus hier nicht wünschte« (H ARNACK 238*). 24,13-35 Rekonstruktion 1277 ἐγένετο ἐν τῷ ὁμιλεῖν αὐτοὺς f [ καὶ συζητεῖν ] f g [ καὶ αὐτὸς ] g Ἰησοῦς ἐγγίσας συνεπορεύετο αὐτοῖς, 16 οἱ δὲ ὀϕθαλμοὶ αὐτῶν ἐκρατοῦντο τοῦ μὴ ἐπιγνῶναι αὐτόν. 17 h ὁ δὲ εἶπεν h , Τίνες οἱ λόγοι οὗτοι οὓς ἀντιβάλλετε πρὸς ἀλλήλους περιπατοῦντες i [ καὶ ἐστάθησαν ] i σκυθρωποί; 18 ἀποκριθεὶς k δὲ εἷς ἐξ αὐτῶν k l ὀνόματι Κλεοπᾶς εἶπεν πρὸς αὐτόν, Σὺ μόνος παροικεῖς Ἰερουσαλὴμ καὶ οὐκ ἔγνως τὰ γενόμενα ἐν αὐτῇ ἐν ταῖς ἡμέραις ταύταις; 19 m ὁ δὲ εἶπεν αὐτῷ, m Ποῖα; n [ οἱ δὲ εἶπαν αὐτῷ, ] n Τὰ περὶ Ἰησοῦ τοῦ o Ναζαρηνοῦ, ὃς ἐγένετο ἀνὴρ προϕήτης δυνατὸς ἐν p λόγῳ καὶ ἔργῳ p ἐναντίον τοῦ θεοῦ καὶ παντὸς τοῦ λαοῦ, 20 q ὡς τοῦτον παρέδωκαν q οἱ ἀρχιερεῖς καὶ οἱ ἄρχοντες ἡμῶν εἰς κρίμα θανάτου καὶ ἐσταύρωσαν αὐτόν. 21 ἡμεῖς δὲ ἠλπίζομεν ὅτι αὐτός ἐστιν ὁ μέλλων λυτροῦσθαι τὸν Ἰσραήλ· ἀλλά γε καὶ r [ σὺν πᾶσιν τούτοις ] r τρίτην s [ ταύτην ] ἡμέραν ἄγει ἀϕ’ οὗ ταῦτα ἐγένετο. 22 ἀλλὰ καὶ γυναῖκές τινες t [ ἐξ ἡμῶν ] t ἐξέστησαν ἡμᾶς· γενόμεναι ὀρθριναὶ ἐπὶ τὸ μνημεῖον 23 καὶ μὴ εὑροῦσαι τὸ σῶμα αὐτοῦ ἦλθον λέγουσαι u [ καὶ ] ὀπτασίαν ἀγγέλων ἑωρακέναι, οἳ λέγουσιν αὐτὸν ζῆν. [ 24 καὶ ἀπῆλθόν τινες τῶν σὺν ἡμῖν ἐπὶ τὸ μνημεῖον, καὶ εὗρον οὕτως καθὼς καὶ αἱ γυναῖκες εἶπον, αὐτὸν δὲ οὐκ εἶδον. ] 25 καὶ αὐτὸς εἶπεν πρὸς αὐτούς, Ὦ ἀνόητοι καὶ βραδεῖς v † [ τῇ καρδίᾳ ] † v τοῦ πιστεύειν w † ἐπὶ † πᾶσιν οἷς x ἐλάλησα ὑμῖν x · 26 y ὅτι ἔδει ταῦτα παθεῖν τὸν Χριστόν [ καὶ εἰσελθεῖν εἰς τὴν δόξαν αὐτοῦ; ] [ 27 καὶ ἀρξάμενος ἀπὸ Μωϋσέως καὶ ἀπὸ πάντων τῶν προϕητῶν διερμήνευσεν αὐτοῖς ἐν πάσαις ταῖς γραϕαῖς τὰ περὶ ἑαυτοῦ. ] 28 Καὶ ἤγγισαν εἰς τὴν κώμην οὗ ἐπορεύοντο, καὶ αὐτὸς προσεποιήσατο πορρώτερον πορεύεσθαι. 29 καὶ παρεβιάσαντο αὐτὸν λέγοντες, Μεῖνον μεθ’ ἡμῶν, ὅτι πρὸς ἑσπέραν z [ ἐστὶν καὶ ] z κέκλικεν aa [ ἤδη ] ἡ ἡμέρα. καὶ εἰσῆλθεν τοῦ μεῖναι σὺν αὐτοῖς. 30 καὶ ἐγένετο ἐν τῷ κατακλιθῆναι αὐτὸν bb [ μετ ʼ αὐτῶν ] bb λαβὼν cc [ τὸν ] ἄρτον εὐλόγησεν καὶ dd [ κλάσας ] ἐπεδίδου αὐτοῖς, 31 ee λαβόντων δὲ αὐτῶν τὸν ἄρτον ἀπ’ αὐτοῦ ἠνοίγησαν οἱ ὀϕθαλμοὶ αὐτῶν ee καὶ ἐπέγνωσαν αὐτόν· καὶ αὐτὸς ἄϕαντος ἐγένετο ἀπ’ αὐτῶν. 32 καὶ εἶπαν πρὸς ἀλλήλους, Οὐχὶ ἡ καρδία ff ἦν ἡμῶν κεκαλυμμένη ff gg [ ἐν ἡμῖν ] gg ὡς ἐλάλει ἡμῖν ἐν τῇ ὁδῷ [ ὡς διήνοιγεν ἡμῖν τὰς γραϕάς ] ; 33 καὶ ἀναστάντες hh λυπούμενοι ¿αὐτῇ τῇ ὥρᾳ? ὑπέστρεψαν εἰς Ἰερουσαλήμ, καὶ εὗρον ἠθροισμένους τοὺς [ ἕνδεκα ] ii ἀποστόλους [ καὶ τοὺς σὺν αὐτοῖς ] , 34 kk λέγοντες [ ὅτι ὄντως ἠγέρθη ὁ κύριος καὶ ὤϕθη Σίμωνι. 35 καὶ αὐτοὶ ἐξηγοῦντο τὰ ἐν τῇ ὁδῷ καὶ ] ll ὅτι ¿ὁ Ἰησοῦς? ἐγνώσθη αὐτοῖς ἐν τῇ κλάσει τοῦ ἄρτου. A. *24,13.15: Tert. 4,43,3: Bene autem quod incredulitas discipulorum perseverabat, ut in finem usque defensio nostra consisteret Christum Iesum non alium se discipulis edidisse quam prophetarum. Nam cum duo ex illis iter agerent et dominus eis adhaesisset … ♦ *24,16: Tert. 4,43,3: … non comparens quod ipse esset … ♦ *24,18: Epiph., Schol. 77: Παρέκοψε τὸ εἰρημένον πρὸς Κλεόπαν καὶ τὸν ἄλλον … ♦ *24,21: Tert. 4,43,3: etiam dissimulans de conscientia rei gestae, Nos autem putabamus, inquiunt, ipsum esse redemptorem Israelis, utique suum Christum, id est creatoris. ♦ *24,25: Tert. 4,43,4: Sed nec post resurrectionem alium se eis ostendit quam quem existimatum sibi dixerant. Plane invectus est in illos: O insensati et tardi corde in non 1278 Anhang I 24,13-35 credendo omnibus quae locutus est ad vos. Quae locutus non alterius se dei esse probat, sed eiusdem dei. ♦ *24,25f: Epiph., Schol. 77: Παρέκοψε τὸ εἰρημένον πρὸς Κλεόπαν καὶ τὸν ἄλλον, ὅτε συνήντησεν αὐτοῖς, τό Ὦ ἀνόητοι καὶ βραδεῖς τοῦ πιστεύειν πᾶσιν οἷς ἐλάλησαν οἱ προϕήται· οὐχὶ ταῦτα ἔδει παθεῖν; καὶ ἀντὶ δὲ του Ἐϕ’ οἷς ἐλάλησαν οἱ προϕῆται ἐποίησεν Ἐϕ’ οἷς ἐλάλησα ὑμῖν (...) ¦ Adam. 5,12 (857d): ἀνόητοι καὶ βραδεῖς τῇ καρδίᾳ τοῦ πιστεύειν ἐπὶ πᾶσιν οἷς ἐλάλησα πρὸς ὑμᾶς, ὅτι ἔδει ταῦτα παθεῖν τὸν Χριστόν. ♦ *24,30f: Epiph., Schol. 77: (…) ἐλέγχεται δὲ ὅτι Ὅτε ἔκλασεν τὸν ἄρτον, ἠνεῴχθησαν αὐτῶν οἱ ὀϕθαλμοὶ καὶ ἐπέγνωσαν αὐτόν. B. a (24,13) και ιδου: om D d e Tat arab ; ιδου: om Tat pers ¦ add a aur b c f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 M (*Ev non test.) ● b (24,13) εν αυτη τη ημερα: om a Amphil (Haer. 189a; F ICKER I 75) ¦ add aur b c d e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 M (*Ev non test.) ● c (24,13) ονοματι: D aur b c d e f ſſ 2 g 1 gat l r 1 ¦ η ονομα: a M (*Ev non test.) ● d (24,13) εμμαους και κλεοπας/ am(m)aus et cleop(h)as: e ſſ 2 r 1vid ; cleofas et ammaus: b; cleopa et ammau: Ambst (Rm 1,4; CSEL 81/ 1, 16); cleopas cum socio suo amaus: Ambst (1Cor 15,5; CSEL 81/ 2, 166); cleop(h)as et e(m)maus; cleophas et amaus: Ambst (Quaest. 77,2; CSEL 50, 131) ¦ ουλαμμαους: D d ¦ εμμαους: aur c f vg (a l: ammaus) M (*Ev non test.) ● e (24,14) ωμιλουν δε: D c d e ¦ και αυτοι ωμιλουν: a aur b f ſſ 2 g 1 gat l r 1 M (*Ev non test.) ● f (24,15) και συζητειν: om a b ſſ 2 l r 1 sy s ¦ add aur c d e f g 1 gat q M (*Ev non test.) ● g (24,15) και αυτος: om c e sy s.c sa; και: D 579 a d sy s.c.p(1 ms) Tat arab.pers aeth ¦ και αυτος: add aur b f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 M (*Ev non test.) ● h (24,17) ο δε ειπεν: D ¦ ειπεν προς αυτους: P 75 pc sa mss bo ms ; ειπεν δε προς αυτους: it M (*Ev non test.) ● i (24,17) και εσταθησαν: om D d Cyr. Alex. (Lc; PG 72, 944); και εστε: A c W Θ Ψ f 1.13 lat sy (s.c)p.h M ¦ και εσταθησαν: P 75 א A* B (L) 070 579 e co (*Ev non test.) ● k (24,18) δε εις εξ αυτων: P Θ f 13 33 579 1241 2542* ℓ844 pc it sy sa bo pt ¦ εις δε: P 75 א B D L N Ψ 070 f 1 al bo pt ; δε ο εις: A W M (*Ev non test.) ● l (24,18) ονοματι: P 75 א B L N X 070 0124 0211 213 579 ℓ844 b vg 3 mss ¦ ω ονομα: A D W Θ Ψ f 1.13 33 a aur c d e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 M (*Ev non test.) ● m (24,19) ο δε ειπεν αυτω: D d (it vg sa; 2487) ¦ και ειπεν αυτοις: M (*Ev non test.) ● n (24,19) οι δε ειπαν αυτω: om D 1579 2542 (d) August (Spec.) ¦ add it M (*Ev non test.) ● o (24,19) Ναζαρηνου: P 75 א B L 0124 372 2542 a aur c e g 1 gat vg Orig (Comm. in Joh 1,5; GCS 10, 10) ¦ Ναζωραιου: A D W Θ Ψ f 1.13 33 (b ſſ 2 ) l sa M (*Ev non test.) ● p (24,19) λογω και εργω: א D 1654 d sy p ¦ εργω και λογω (3 2 1): a aur b c (e) f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 M (*Ev non test.) ● q (24,20) ως τουτον παρεδοκαν: D a b d e ſſ 2 gat r 1 vg 1 ms August (In Joh 9,4; CCL 36, 92) ¦ παρεδωκαν αυτον: sa bo 8 mss ; και παρεδωκαν αυτον: aur sy s.c.p Tat arab.pers ; οπως τε παρεδωκαν αυτον: M (*Ev non test.) ● r (24,21) συν πασιν τουτοις: om a b c ſſ 2 l r 1 sy s.c.p Tat arab.pers (*Ev non test.) ● s (24,21) ταυτην: om D 22 71 1192* 1210 1242 1654 2643 it vg Tat arab.pers (*Ev non test.) ● t (24,22) εξ ημων: om D 0211 157 ℓ1231 ℓ1761 d aeth Cyr. Alex. (Lc; PG 72, 944) ¦ add aur b e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 (a c) M (*Ev non test.) ● u (24,23) και: om D c d e sy s.c.p Tat arab.pers sa bo armen aeth ¦ add a aur b f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 M (*Ev non test.) ● v (24,25) τη καρδια: Widersprüchliche Bezeugung: (1) om Epiph ¦ (2) add Tert Adam it M ● w (24,25) Widersprüchliche Bezeugung: (1) επι: om Tert a ¦ (2) add Epiph Adam c e (super); in: aur b d f ſſ 2 g 1 gat l r 1 M ● x (24,25) ελαλησα προς υμας/ υμιν: Epiph Adam; Tert (locutus est ad vos) ¦ ελαλησαν οι προϕηται/ locuti sunt prophetae: it M ● y (24,26) οτι/ quoniam: Adam D d ¦ ουχι/ nonne: a aur b c f ſſ 2 l (r 1 : non) M ● z (24,29) εστιν και: om D c d l vg 1 ms Tat arab(mss) ¦ add a (aur) b e f ſſ 2 g 1 gat q M (*Ev non test.) ● aa (24,29) ηδη: om A D W Θ f 13 c l sy s.c.h sa M ¦ add P 75 א B L T Ψ f 1 33 l 844 pc lat sy p bo (*Ev non test.) ● bb (24,30) μετ αυτων: om D d e sy s.c ¦ add a aur b c f ſſ 2 g 1 gat l M (*Ev non test.) ● cc (24,30) τον: om D 131 1242 Tat arab sa ¦ add M (*Ev non test.) ● dd (24,30) κλασας: om D d Euseb (Quaest. Marin. suppl. 1,9; PG 22, 1000) ¦ add it M (*Ev non test.) ● ee (24,31) λαβοντων δε αυτων τον αρτον απ αυτου ηνοιγησαν οι οϕθαλμοι αυτων: D c d e ¦ οτε εκλασεν τον αρτον ηνεωχθησαν αυτων οι οϕθαλμοι: Epiph (! ) ¦ αυτων δε διηνοιχθησαν οι οϕθαλμοι: a 24,13-35 Rekonstruktion 1279 aur b f ſſ 2 g 1 gat l r 1 M (*Ev non test.) ● ff (24,32) ην ημων κεκαλυμμενη: D (c: excaecatum; l: optusum; e: exterminatum) sa mss ; gravatum: sa ms ¦ ημων καιομενη ην: a (  aur) b f ſſ 2 g 1 gat r 1 M (*Ev non test.) ● gg (24,32) εν ημιν: om P 75 B D 1203 c d e vg 1 ms sy s.c georg I Orig (Comm. in Joh 1,8; 10,18; GCS 10, 14.188) ¦ add a aur b f ſſ 2 g 1 gat l r 1 M (*Ev non test.) ● hh (24,33) λυπουμενοι: D c d e sa mss ¦ om a aur b f ſſ 2 g 1 gat l r 1 M (*Ev non test.) ● ii (24,34) αποστολους: f ¦ om a aur b c d e f ſſ 2 g 1 gat l r 1 M (*Ev non test.) ● kk (24,35) λεγοντες/ dicentes: D (it) 1200 sy s.c.p.j ¦ λεγοντας: M (*Ev non test.) ● ll (24,35) οτι: D c d e ¦ om 489* 1005 ¦ πως: E* ¦ ως: (a: sicut) aur b f ſſ 2 g 1 gat l r 1 M (*Ev non test.). C. Die sog. »Emmausperikope« - inwiefern diese Bezeichnung für das vorkanonische Evangelium zutreffend ist, wird gleich zu prüfen sein - ist in einigen Einzelheiten gut bezeugt, aber sie wurde sicher redaktionell bearbeitet und wahrscheinlich erheblich ergänzt. Für *Ev sind von dieser Perikope (Teile von) *24,13.15f. 18. 21. 25f. 31 bezeugt. Die nichtbezeugten Verse 24,14.17.19-20.24.27-30.32-35 sind im einzelnen unterschiedlich zu beurteilen. Für die Rekonstruktion des vorkanonischen Textes liefern neben der direkten Bezeugung auch für diese Perikope die Varianten der kanonischen Textüberlieferung aufschlussreiche Hinweise. 1. In *24,13 haben καὶ ἰδού und ἐν αὐτῇ τῇ ἡμέρᾳ kein Gegenstück in Tertullians Referat, bei dem allerdings nicht erkennbar ist, ob er hier zitiert oder nur zusammenfasst. Da aber beide Passagen auch durch Handschriften des »Westlichen« Textes als fehlend bezeugt sind, spricht einiges dafür, dass sie auch in *Ev gefehlt haben. Dabei ist die besser bezeugte erste Lücke weniger aufschlussreich als das Fehlen von ἐν αὐτῇ τῇ ἡμέρᾳ im Cod. Vercellensis (a). 1 Denn die Datierung der Erzählung auf den Ostertag bindet die Perikope sehr eng mit dem weiteren Kontext zusammen, für den die wiederholten Aktualisierungen der Zeitangaben (23,*54.*56; 24,*1.13.33.36) ein wichtiges - aber offensichtlich redaktionell verstärktes - Element darstellen. 2 Die ausdrückliche Datierung dieser Christophanie auf den Ostertag fungiert als narratives Gegenstück zu Lk 24,12 (s. dort) sowie zu dem entsprechenden Bericht von der Erscheinung vor Petrus in Lk 24,34: Alle diese Elemente konstituieren eine narrative Isotopie, und alle sind sicher oder wahrscheinlich redaktionell. In *24,13 sind die Angaben über das Reiseziel und die Entfernung (εἰς κώμην ἀπέχουσαν σταδίους ἑξήκοντα ἀπὸ Ἰερουσαλήμ) nicht bezeugt, auch nicht der Name des Ortes. An dieser Stelle bieten einige der altlateinischen Handschriften ______________________________ 1 Ebenso bei Amphilochios von Ikonium, Exerc. 189a (F ICKER , Amphilochiana I, 75). 2 Vgl. etwa W OLTER , Lk 777 z. St. (»erst Lukas« habe »diese zeitliche Festlegung vorgenommen«). Das apokryphe EvJoh (arab.) 50,1 datiert die Begebenheit auf den zweiten Tag nach der Auferstehung (ut dies s e c u n d u s fuit ex quo surrexit Christus Deus ex sepulcro; G ALBIATI I 305); ganz konsequent heißt es dann in der Wiedergabe von Lk 24,22: cum autem fuit h e r i , et erat dies tertius ab eius sepultura, venerunt quaedam mulieres nostrae … usw. (50,2; G ALBIATI I 307). 1280 Anhang I 24,13-35 (b e ſſ 2 r 1vid ) 3 ein interessantes, aber weithin übersehenes Phänomen: Sie nennen zwei Namen, nämlich Ammaus et Cleopas bzw. die umgekehrte Abfolge Cleop(h)as et Am(m)aus, die durch ὀνόματι/ nomine (so auch D) an den vorangehenden Kontext angeschlossen sind. Natürlich heißt nicht das Dorf »Emmaus und Kleopas«, sondern die beiden Wanderer, von denen der eine namens Kleopas in *24,18 ja auch erwähnt wird. Diese Namensnennung in den Altlateinern 4 hat ihren Niederschlag auch bei Autoren des ausgehenden 4. Jh. aus Norditalien gefunden: Im Ambrosiaster, 5 bei Ambrosius 6 und bei Maximus von Turin. 7 Diese Bezeugung ist deswegen interessant, weil diese Autoren die kanonische Fassung mit Emmaus als Ortsnamen ja mit großer Sicherheit kannten. Dass sie gleichwohl Kenntnis der Personennamen-Variante hatten (und diese nicht kurzerhand korrigierten), kann nur auf einen verbreiteten Text zurückgehen. Für die Textgeschichte ist diese Variante von einiger Bedeutung. Denn von der Gestalt des kanonischen Mehrheitstextes mit dem Ortsnamen Emmaus führt kein Weg zu der Fassung in b e ſſ 2 r 1 mit den beiden Personennamen: Eine Entwicklung ist nur umgekehrt denkbar. Eberhard Nestle hatte darauf hingewiesen, dass das »Missverständnis« von Emmaus/ Ammaus als Personenname auf die Lesart ὀνόματι (D) anstelle von ᾗ ὄνομα zurückzuführen sei. 8 Diese Beobachtung ist zutreffend: Sie bestätigt einmal mehr die Nähe von D zu den Altlateinern und deutet darauf hin, dass auch D ursprünglich den Personennamen Emmaus enthalten haben wird. Allerdings ist Nestles Schlussfolgerung, dass die Personennamenvariante ein »Missverständnis« ______________________________ 3 Die Bezeugung für den Usserianus (r 1 ) in der Jülicher-Ausgabe ist: »Am[aus <et …>as]«. D.h. die Lesung des fraglichen Stücks »(Am)aus et … as«, die T. K. A BBOTT (Evangeliorum versio antehieronymiana ex codice Usseriano) vor 125 Jahren noch möglich war, ist heute nicht mehr zu identifizieren. Die Variante ist als »Am[aus] <et Cleop>[as]« zu ergänzen. 4 Der Apparat von NA 27 notiert diese Lesart der altlateinischen Handschriften nicht. Sie war vor über 100 Jahren aufgefallen, als Alexander Souter auf Emmaus als Personenname in den »Westlichen« Handschriften hinwies und damit einen kurzen Austausch von Informationen inaugurierte, der aber angesichts der methodischen Grundannahmen folgenlos blieb, vgl. A. S OUTER , »Emmaus« Mistaken for a Person, ExpT 13 (1901/ 02), 429-430; E. N ESTLE , »Emmaus« Mistaken for a Person, ExpT 13 (1901/ 02), 477; A. B ONUS , »Emmaus« Mistaken for a Person, ExpT 13 (1901/ 02), 561-562. 5 Der Ambrosiaster hat sie mehrfach (und in unterschiedlicher Abfolge der Namen) aufgegriffen (In Rm 1,4; Quaest. 77 [73]) bzw. in leicht veränderter Form wiedergegeben (cleopas cum socio suo amaus: In 1Cor 15,5). 6 Vgl. Expos. Ev. Luc. VII 132: hunc ignem in se etiam Ammaus [ammos: m] et Cleopas a domino missum esse testantur dicentes: nonne cor nostrum ardens erat …; X 173: videtur enim separatim se istis undecim demonstrasse, sicut se Ammaoni et Cleopae seorsum iam uespere demonstrauerat. Außerdem Apol. Dav. alt. 43: tunc enim Christus est praesens, sicut testantur in euangelio Ammaon et Cleopas dicentes: nonne cor nostrum ardens erat … (388,11 S CHENKL ). 7 Maximus Taur., Sermo 4 (De Natali Laurentii): quo igne succensi Ammaus et Cleopas dixerunt: Nonne cor nostrum erat ardens […] Cor autem nisi Christi flamma non urit, sicut Ammaus et Cleopas dixerunt … (CCL 23, 13,20; 15,60); Sermo 24 (De grano sinapis): … sicut in sancto euangelio Ammaus et Cleopas dixerunt … (CCL 23, 94,37). 8 N ESTLE , a. a. O. 477. 24,13-35 Rekonstruktion 1281 aufgrund der Formulierung in D sei, nicht stichhaltig: Sie würde zwar »Emmaus« als Personennamen erklären, nicht aber die zusätzliche Nennung von Kleopas. Sehr viel leichter ist die umgekehrte Annahme, dass Am(m)aus/ Emmaus ursprünglich ein Personenname war. Dass diese Entwicklungsrichtung überhaupt denkbar ist, beruht auf der grundsätzlichen Einsicht, dass sich in den Handschriften des »Westlichen« Textes Spuren des vorkanonischen Evangeliums erhalten haben. Das Phänomen, dass der vorkanonische Text Namensangaben enthielt, die im Lauf der Überlieferung ausgefallen sind oder (am ehesten: durch die lk Redaktion) gestrichen worden sind, ist ja schon mehrfach begegnet. 9 So wird auch an dieser Stelle die »Westliche« Variante ein Hinweis auf den vorkanonischen Wortlaut sein. Es ist ja in hohem Maß ungewöhnlich, dass ausdrücklich zwei Jünger auf dem Weg geschildert werden, von denen der kanonische Mehrheitstext jedoch nur einen mit Namen nennt. Es ist daher auch nicht überraschend, dass die spätere Überlieferung - offensichtlich in Unkenntnis der durch die Altlateiner bezeugten Personennamentradition - für den Begleiter des Kleopas verschiedentlich Namen gesucht und gefunden hat. Im Codex Mosquensis II, einer Evangelienhandschrift aus dem 9. Jh. (031; Gregory: V; Soden: ε 75) findet sich zu Lk 24,18 die Marginalglosse: »Der mit Kleopas war Nathanael, wie der große Epiphanius im Panarion sagt; Cleopas war der Cousin des Heilands, der zweite Bischof von Jerusalem.« 10 Daneben wird der Name des Kleopasbegleiters als Simon angegeben, z. B. bei Origenes, 11 in einer Marginalglosse des Cod. Guelpherbytanus 12 oder in dem Namenskompendium Inventiones Nominum aus dem 8. Jh. 13 Im apokryphen arab. Johannesevangelium heißt der Begleiter Nikodemus, 14 im syrischen »Bienenbuch« aus dem 13. Jh. ist es Lukas. 15 Diese Analogien zur namentlichen Identifizierung des zweiten Jüngers neben Kleopas unterscheiden sich darin von der auf die Altlateiner zurückgehenden Tradition mit Emmaus als Personenname, dass sie durchweg Emmaus als Ortsnamen vor- ______________________________ 9 Vgl. o. zu *16,19 den Namen des Reichen aus dem Lazarusgleichnis (πλούσιος ὀνόματι Νευής) und die Namen der beiden Mitgekreuzigten in *23,32 (l r 1 ). 10 ὁ μετὰ Κλεοπᾶ Ναθανὴλ ἦν, ὡς ἐν Παναρίοις ὁ μέγας ἔϕη, Ἐπιϕάνιος. Κλεοπᾶς ἀνέψιος ἦν τοὺ σωτὴρος. δευτέρος ἐπίσκοπος Ἱεροσολύμων. Der Hinweis findet sich bei Epiph., Haer. XXIII 6,5. Vgl. B. M. M ETZGER , Names for the Nameless in the New Testament, in: P. Granfield, J. A. Jungmann (Hg.), Kyriakon I, Münster 1970, 79-99: 96. 11 Orig., Cels. II 62: καὶ ἐν τῷ κατὰ Λουκᾶν δὲ εὐαγγελίῳ ὁμιλούντων πρὸς ἀλλήλους Σίμωνος καὶ Κλεόπα περὶ πάντων τῶν συμβεβηκότων αὐτοῖς … (FC 50/ 2, 474). 12 Jetzt Vaticanus 354 (028; Gregory: S; Soden: ε 1027): ὁ μετὰ τοῦ Κλεοπᾶ πορευόμενος Σίμων ἦν, οὐχ ὁ Πέτρος ἀλλ’ ὁ ἕτερος. Die Unzialhandschrift ist auf das Jahr 949 datiert. 13 Vgl. M. R. J AMES , Inventiones Nominum, JTS 4 (1903), 218-244: 241. 14 EvJoh (arab.) 50,1 (ed. G ALBIATI II 305f): et obviam ivit hoc die Christus Dominus noster duobus quibusdam, qui appellabantur Qalyūfād et Nicodemus, in itinere inter Hierosolyma et ‘amwās. 15 Solomon von Akhlat, Bienenbuch 45 (B UDGE 99), zählt die zehn Erscheinungen des Auferstandenen auf und nennt an dritter Stelle die Erscheinung »to Cleopas and his companion, as Luke says. The companion of Cleopas, when they were going to Emmaus, was Luke the Evangelist.« Diese Identifizierung ist leicht nachvollziehbar: Weil Kleopas ansonsten nicht erwähnt und die Erzählung nur in Lk berichtet wird, ist der Verfasser Lukas der Gewährsmann, der aus eigener Erfahrung berichtet. J AMES , a. a. O. 241, bezeichnet diese Identifizierung als die am weitesten verbreitete, gibt für diese Verbreitung aber keine Belege. 1282 Anhang I 24,13-35 aussetzen: Hier handelt es sich tatsächlich um die verbreitete Praxis der legendarischen Ausfüllung von Leerstellen des Bibeltextes, die dann charakteristischerweise ja auch nicht in den Bibeltext eingedrungen sind, sondern sich als erklärende Zugaben verstehen. 16 Die Variationsbreite dieser Auffüllungen zeigt mit hinreichender Deutlichkeit, dass sich keine feste Tradition etablieren konnte und dass die von den Altlateinern u. a. bezeugte Namenstradition ganz weithin in Vergessenheit geraten war. Dass sie ursprünglich war, lässt sich durch die umständliche Formulierung in 24,28 (εἰς τὴν κώμην οὗ ἐπορεύοντο) erhärten: Wäre der Ortsname - wie in der kanonischen Fassung von 24,13 - bereits in der Exposition genannt worden, wäre die gesamte Wendung, auf jeden Fall aber der Relativsatz, überflüssig: Zu erwarten wäre eine einfache Renominalisierung. Unter der Voraussetzung der Ursprünglichkeit der Personennamentradition lässt sich überlegen, ob die Zielangabe εἰς κώμην ἀπέχουσαν σταδίους ἑξήκοντα ἀπὸ Ἰερουσαλήμ *24,13 ursprünglich ist. Wenn sie erst nachträglich zwischen δύο ἦσαν πορευόμενοι und die Namen eingefügt wurde, wäre der Wechsel vom Personenzum Ortsnamen sowie das Wegfallen von καὶ Κλεοπᾶς gut erklärbar. Das ist denkbar, lässt sich aber nicht positiv begründen. Aus diesem Grund muss auch fraglich bleiben, auf welcher Ebene der Überlieferung diese Änderung des vorkanonischen Evangelientextes stattgefunden hat: Im Unterschied zu den meisten anderen redaktionellen Änderungen in Lk 24 ist in diesem Fall kein begründetes Interesse an einer Streichung des Personennamens zu erkennen. Es ist daher zweifelhaft, ob diese Änderung auf die lk Redaktion zurückzuführen ist: Die Ersetzung des Personennamens Ammaus/ Emmaus durch den Ortsnamen Emmaus erweckt eher den Eindruck der Glättung eines unverständlichen Textes als eine absichtliche inhaltliche Korrektur. Es ist daher denkbar, dass Emmaus als Ortsname schon in dem Exemplar des vorkanonischen Evangeliums korrigiert war, das durch die lk Redaktion bearbeitet wurde. Unter dieser Voraussetzung erübrigen sich dann die zahlreichen, bis in die Antike zurückreichenden Versuche einer Identifizierung der Ortslage, die bekanntlich notorisch schwierig ist: Es ist keine Ortslage bekannt, die mit einem »Emmaus« in der angegebenen Entfernung von 60 Stadien (also ca. 11 km) identifiziert werden kann. Unter den verschiedenen Kandidaten für eine Ortsidentifizierung ragt Nikopolis/ ‘amwas heraus. Dieser Ort, der rund 30 km west-nordwestlich von Jerusalem an der Kreuzung der antiken Straßen von Jerusalem nach Joppe/ Jaffa und von Bethoron nach Eleutheropolis liegt, ist schon vorchristlich gut bezeugt 17 und wird seit dem 3. Jh. ______________________________ 16 Es ist daher eher unwahrscheinlich, dass Origenes das Namenspaar Simon und Kleopas in einem (seinem) Bibeltext gefunden hatte. 17 Vgl. 1Makk 3,40.57; 4,3; 9,50 (vgl. auch F. S EDLMEIER , Der Ort »Emmaus« im ersten Buch der Makkabäer, in K.-H. F LECKENSTEIN u. a. (Hg.), Emmaus in Judäa, Gießen 2003, 12-39); Jos., Bell. I 222.319; II 63.71.568 u. ö.; Plinius, Nat. hist. 5,70. 24,13-35 Rekonstruktion 1283 von christlichen Quellen mit dem lk Emmaus identifiziert. 18 Die in einem kleinen Teil der Textüberlieferung ( א K* N Θ 079 vid pc Euseb Hieron) enthaltene Entfernungsangabe »160 Stadien« (also knapp 30 km) ist als Versuch zu werten, das Emmaus aus Lk 24,13 mit dieser Ortslage zu verbinden und daher sicher sekundär. 19 Der Vorschlag, die Entfernungsangabe (60 Stadien) mit sy p gegen den gesamten Rest der Textüberlieferung nicht als das Ziel der Wanderung, sondern als den Punkt der Begegnung der beiden Jünger mit Jesus zu verstehen, 20 ist interessant, aus methodischen Gründen aber nicht zielführend, denn die Peshitta beseitigt auf diese Weise die durch den gesamten Rest der Überlieferung aufgeworfene Aporie, dass sich eben keine passende Ortslage finden lässt: Sie setzt die problematische Entfernungsangabe für die Ortslage von Emmaus voraus. Ganz abgesehen davon bleibt diese Deutung auch eine Erklärung dafür schuldig, wie die Mehrheit der Überlieferung zu der nicht plausibilisierbaren Angabe gekommen sein sollte. Angesichts der mit großer Wahrscheinlichkeit vorkanonischen Tradition über Emmaus als Personenname ist jedoch klar, dass und warum die Suche nach einer passenden Ortslage zum Scheitern verurteilt ist. 2. Auch die weitere Exposition in *24,14f ist nur sehr knapp bezeugt: Tertullian fasst sie in seinem Referat in einem Satz zusammen: Nam cum duo ex illis iter agerent et dominus eis adhaesisset … (4,43,3). Aber einige kleinere Abweichungen in der Textüberlieferungen legen nahe, dass schon in *Ev davon die Rede war, dass sich die beiden Jünger miteinander unterhielten. So deutet ὡμίλουν δὲ in *24,14 D (it) anstelle des mehrheitlich bezeugten καὶ αὐτοὶ ὡμίλουν auf eine sprachliche Präzisierung hin, die auch im weiteren Verlauf der Erzählung (s. zu *24,35) ihre Spuren hinterlassen hat. Wichtiger sind zwei nicht für *Ev bezeugte Formulierungen in *24,15, die in einer Reihe von »Westlichen« Zeugen ebenfalls fehlen (καὶ συζητεῖν; καὶ αὐτός). Sie zeigen, dass das Gerüst von V. *15 vorhanden war, aber bearbeitet wurde: Die Auseinandersetzung der beiden Jünger (καὶ συζητεῖν) bereitet V. *21 vor und verstärkt den Eindruck, dass die Jünger sich (vergeblich) um ein angemessenes Verständnis der Ereignisse im Licht ihrer »Hoffnungen« bemüht hatten. Dies ist eine plausibilisierende Verstärkung, denn die Information über die Unterhaltung der beiden war nicht notwendig, um den Dialog zwischen Jesus und Kleopas ab V. 17 in Gang zu bringen. Insgesamt sind die Vv. *14f durch diese Ergänzungen aber für *Ev sehr wahrscheinlich gemacht. ______________________________ 18 Z. B. Eusebius, Onomast (GCS 11/ 1, 90); Hieronymus, Ep. 108,8,2 (CSEL 55, 314) u. ö. Vgl. auch K.-H. F LECKENSTEIN , Emmaus/ Nikopolis in christlichen und arabischen Quellen, in: ders et al. (Hg.), Emmaus in Judäa, Gießen 2003, 87-121. 19 Selbst das gelingt nur ungenau, denn der Weg von Jerusalem nach Nikopolis über Bethoron, den Hieronymus (Ep. 108) benutzt hatte, ist länger (nämlich 34,5 km bzw. 182 Stadien), der weiter südlich gelegene Weg über Moza-Kalonije und Kirjat Jearim, den im 6. Jh. Theodosius (De situ 4; CSEL 39,139) benutzte, ist deutlich kürzer, nämlich 27,1 km bzw. 146,5 Stadien; nachgemessen von: V. M ICHEL , Emmaus in Lk 24,13: Traditionsentwicklung und Textkritik, in: K.-H. Fleckenstein et al. (Hg.), Emmaus in Judäa, Gießen 2003, 122-149: 144f (dort die patrist. Belege und weitere Lit.). 20 So M ICHEL , a. a. O. 145ff. 1284 Anhang I 24,13-35 3. Die Vv. *17-20 waren vermutlich in *Ev enthalten, da Epiphanius für V. *18 den Namen Kleopas bezeugt und da außerdem V. *21 einen Bericht über die Ereignisse in Jerusalem voraussetzt. Allerdings lassen sich der Wortlaut und der Umfang dieser Verse aufgrund der fragmentarischen Bezeugung nicht mit hinreichender Sicherheit rekonstruieren. Immerhin zeigen die Varianten der Überlieferung, dass die lk Redaktion mit einiger Wahrscheinlichkeit auch hier ergänzend eingegriffen und dem vorkanonischen Text ein deutlicheres Profil und größere Klarheit verliehen hat. a. In V. *17 fehlen die Worte καὶ ἐστάθησαν in D d u. a.: Der Hinweis, dass die Jünger σκυθρωποί waren, ist hier nicht ein Erzählerkommentar, sondern eine Beobachtung Jesu. D as Gleiche gilt auch für die Lesart der Mehrheit der Handschriften, die hier καὶ ἔστε bieten und daher eine Mittelstellung zwischen dem D-Text und dem mutmaßlich redigierten Text ( P 75 א B usw.) bieten. 21 Auch wenn es ungewöhnlich ist, muss man καὶ ἐστάθησαν als »sie blieben stehen« übersetzen: Indem Lk die περιπατοῦντες zum Stehen bringt, markiert er die Unterbrechung ihres ὁμιλεῖν καὶ συζητεῖν über die (Bedeutung der) vergangenen Ereignisse. b. Am Anfang von V. 18 verweist δὲ εἷς ἐξ αὐτῶν deutlicher auf die beiden namentlich genannten Jünger von V. *13 zurück als das einfachere δὲ εἷς des Mehrheitstextes, obwohl sich dadurch keinerlei semantische Verschiebungen ergeben: Dass es sich um zwei Jünger handelt, ist ja in jedem Fall klar. c. Ganz ähnlich ist auch der Anfang von V. *19 bearbeitet mit der Ersetzung von ὁ δὲ εἶπεν αὐτῷ durch καὶ εἶπεν αὐτοῖς. Vor allem aber trennt die wahrscheinlich sekundär eingefügte Redeleinleitung (οἱ δὲ εἶπαν αὐτῷ) die äußerst ungeschickte unmittelbare Abfolge der beiden direkten Redewiedergaben Jesu und des Kleopas voneinander. d. Neben diesen kleineren Veränderungen, die als Zeugnisse für die Existenz des vorkanonischen Textes zu werten sind, spricht vor allem eine inhaltliche Beobachtung dafür, dass auch V. *20 in *Ev enthalten war: Die ungewöhnliche Aussage, dass die Hohenpriester und Führer des Volkes Jesus »dem Todesurteil überantwortet« und »ihn gekreuzigt« haben, passt exakt zu dem rekonstruierten Text von *23,25 und dem Übergang zu *23,26 (s. dort). Die ungewöhnliche Formulierung, mit der die Jerusalemer Führer als entscheidende Akteure für den Tod Jesu verantwortlich gemacht werden, ist ein Kennzeichen der lk-joh Passionsüberlieferung und geht bereits auf den Text des vorkanonischen Evangeliums zurück. 4. Schwierig ist die Einschätzung von V. *21: Tertullian bezeugt nur V. *21a. Der Hinweis auf »diesen dritten Tag« in dem unbezeugten V. 21b bildet mit der Datierung in der Exposition *24,13 (s. dort) eine narrative Isotopie. Der unbezeugte V. 21b verweist mit τρίτην (ταύτην) ἡμέραν sehr betont auf die Exposition mit der ______________________________ 21 Vgl. U. V ICTOR , Textkritischer Kommentar zu ausgewählten Stellen des Lukas- und des Johannesevangeliums, NT 51 (2009), 30-77: 60-63, der die Mehrheitslesart καὶ ἔστε … (A c W Θ Ψ usw.) für ursprünglich hält und für die D-Lesart eine »puristische sprachliche Korrektur« in Erwägung zieht, die möglicherweise den Text schon vor der Ersetzung durch καὶ ἐστάθησαν der kritischen Ausgaben (P 75 usw.) repräsentiert. Allein durch sprachliche und inhaltliche Argumente lässt sich die Frage jedoch kaum entscheiden, weil dann zu klären wäre, aus welchen Gründen eine stilistisch gute durch eine minderwertige Formulierung ersetzt worden ist: Ohne ein weiteres Gerüst, das eine diachrone Verhältnisbestimmung erlaubt, bleiben die Beobachtungen ambivalent. 24,13-35 Rekonstruktion 1285 - vermutlich fehlenden - Datierung ἐν αὐτῇ τῇ ἡμέρᾳ zurück (zu *24,13, s. o.); man könnte daher erwägen, ob erst die lk Redaktion die enge Korrelation zwischen der Erwartung der Auferweckung Jesu »am dritten Tag« und der Datierung des Geschehens auf »diesen dritten Tag« geschaffen hat. Dagegen spricht allerdings die handschriftliche Bezeugung durch die »Westliche« Überlieferung. Denn hier finden sich zwei »Non-Interpolations«, deren Umfang in den Zeugen jeweils sehr genau übereinstimmt: Das Fehlen von σὺν πᾶσιν τούτοις (it sy) und ταύτην (D it u. a.). Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Lesarten Spuren des vorkanonischen Textes sind. Wenn daher σὺν πᾶσιν τούτοις sowie ταύτην von der lk Redaktion eingefügt wurden, dann impliziert dies, dass der Rest des Verses schon in der vorkanonischen Fassung enthalten war. Die Erzählung enthielt also schon in der Fassung von *Ev die Ironie, dass die beiden Jünger mit dem unerkannten Jesus unterwegs sind, ihn über sein eigenes Geschick informieren und sogar den Schlüssel zum richtigen Verstehen - nämlich den Hinweis auf den »dritten Tag« - in den Händen halten, ohne dessen gewahr zu werden. Die lk Redaktion hat diesen Hinweis allerdings erheblich verstärkt und die Formulierung τρίτην ἡμέραν ἄγει präzisierend verstärkt: τρίτην τ α ύ τ η ν ἡμέραν ἄγει σ ή μ ε ρ ο ν . 22 Die überladene Erweiterung der Datierung, durch die das Unverständnis der Jünger stark herausgestellt wird, hat allerdings zur Folge, dass der Ausgangspunkt der Zählung mit den Ereignissen seit dem vorangegangenen Freitag doppelt erwähnt wird: »Über all diese Dinge« (σὺν πᾶσιν τούτοις) ist heute dieser dritte Tag, seitdem dieses geschah« (ἀϕ’ οὗ ταῦτα ἐγένετο). Wie das Fehlen von σὺν πᾶσιν τούτοις in it (a b c ſſ 2 l r 1 ) sy zeigt, geht diese Wendung vermutlich auf eine sekundäre Hinzufügung zurück. Auch der weitere, ebenfalls unbezeugte Bericht über die Auffindung des leeren Grabes mit der Engelrede an die Frauen (Vv. *22f) wird schon in *Ev enthalten gewesen sein. Dies ist anders bei Lk 24,24: Wenn, wie anhand der textgeschichtlichen Beobachtungen deutlich wurde, der Bericht über Petrus’ Gang zum Grab in Lk 24,12 redaktionell ist, dann trifft dies auch für diese Referenz auf 24,12 in 24,24 zu: Auch wenn eine direkte Bezeugung fehlt und die Textüberlieferung an dieser Stelle keinerlei Hinweise auf einen abweichenden, vorkanonischen Text gibt, ist es schlechterdings unvorstellbar, dass Lk 24,24 in einem Text enthalten war, in dem Lk 24,12 fehlte: Beide Aussagen verweisen aufeinander und bedingen sich gegenseitig. Über Lk 24,12 hinaus teilt Lk 24,24 mit, dass außer Petrus noch andere zum Grab gegangen waren (τινες τῶν σὺν ἡμῖν) und alles entsprechend dem Bericht der Frauen (*24,11) gefunden hatten. Das Gewicht liegt daher auf dem letzten Teil der Aussage, dass sie ihn (das heißt also: den Leichnam) nicht sahen. Die lk Redaktion hat damit sehr deutlich hervorgehoben, dass der Glaube ______________________________ 22 Die Lesart mit σημερον ist bezeugt von A (D*) W Θ Ψ f 13 33 it vg sy h sa bo ms M . Die Fassung ohne σημερον, aber mit ταυτην (P 75 א B D 2 L 070 1 579 ℓ844 ℓ2211 bo) ist eine Konformierung der vorkanonischen und der kanonischen Textes. 1286 Anhang I 24,13-35 an die Auferstehung nicht schon durch das Nicht-Sehen des Leichnams im leeren Grab, sondern erst das Sehen des Auferstandenen begründet wird. Dieses Element könnte eine Weiterführung der synoptischen Parallelen Mk 16,1-8 || Mt 28,1-8 (die Frauen sehen das leere Grab und den jungen Mann, aber nicht den Auferstandenen) sowie Mt 28,9f (Erscheinung des Auferstandenen vor den Frauen) sein bzw. auf die Tradition vom Diebstahl des Leichnams (Mt 28,11-15) reagieren: Das Nicht-Sehen des Leichnams erzeugt keinen Glauben. Dass dieses Element von den beiden Jüngern betont wird, die gerade mit dem Auferstandenen sprechen, ist natürlich eine besondere Verstärkung der Ironie, die schon die vorkanonische Erzählung ausgezeichnet hat. Allerdings wird man diesen redaktionellen Aspekt nicht überbetonen dürfen, denn die lk Komposition der Ostererzählungen steht ja auch im Gespräch mit Joh 20f, und dabei ergeben sich dann noch einmal erhebliche Weiterungen zum Thema »sehen und glauben« (vgl. u. zu *24,39). Der Hinweis, dass τινες τῶν σὺν ἡμῖν mit Petrus zum Grab gegangen sind, ist nach dem o. zu Lk 24,12 Ausgeführten eine gezielte - und gezielt unbestimmte - Referenz auf Joh 20,3-10. Ihre Funktion liegt darin, die Kohärenz zwischen Lk und Joh herzustellen, die folglich zusammen gelesen werden sollen und daher auch in einer Ausgabe enthalten gewesen sein müssen. Die Unbestimmtheit der Notiz (»einige«) scheint dem joh Bericht zu widersprechen, der ja nur von einem Begleiter des Petrus berichtet. Diese kleine Inkohärenz hat dabei die wichtige Funktion, den Eindruck literarischer Abhängigkeit zu vermeiden - und dient gerade so der Herstellung von Kohärenz: Denn auf diese Weise erscheint der lk Bericht als eigenständiges Zeugnis neben Joh 20, ohne davon abhängig zu sein. 5. Die Vv. *25.26a sind durch die drei Hauptzeugen gesichert. Allerdings weisen die Referate deutliche Unterschiede zum kanonischen Text auf und sind auch nicht ohne weiteres klar. Denn Epiphanius’ Notiz erwähnt *24,25 mit einer Streichungsnotiz (παρέκοψε …), gibt dann aber den Inhalt des Verses wieder und schließt die Bemerkung an, dass Marcion den Vers in anderer Form enthielt. Aus diesem Grund ist παρέκοψε … entweder ungenau oder ein Irrtum: Auch Epiphanius hat *25.26a in *Ev gelesen. Die von ihm bezeugte Änderung stimmt mit Adamantius überein: In seinem Tadel habe Jesus die Jünger aufgefordert, sich an das zu erinnern, »was ich euch gesagt habe« (anstelle von »an alles erinnern, was durch die Propheten zu euch gesagt ist«). 23 Tertullian hat zwar locutus e s t (statt des von Epiph. her zu erwartenden locutus sum), doch auch bei ihm fehlt jeder Hinweis auf die Propheten als logisches Subjekt des Gesagten. 24 Dieser für *Ev bezeugte Text widerspricht in auffälliger Weise der narrativen Logik der Erzählung. Denn wenn Jesus auf das verweist, »was ich euch gesagt habe«, hebt er ja die Pointe ______________________________ 23 Vgl. H ARNACK 238*. 24 Wenn man die passive Formulierung quae locutus est als Pass. divinum versteht, müsste der Unterschied zur kanonischen Fassung nicht sehr groß sein. Allerdings zeigt das indirekte Objekt (quae locutus est) ad v o s (vgl. Epiph.: ὑμῖν; Adam.: πρὸς ὑμᾶς), dass Tertullians Zeugnis hier sehr eng mit den anderen Zeugen übereinstimmt: Im Unterschied zum kanonischen Text hat Tertullian in *Ev einen Hinweis auf die Belehrung der Jünger durch Jesus gelesen, nicht aber auf die prophetischen Weissagungen der Schrift. 24,13-35 Rekonstruktion 1287 auf, dass die beiden Jünger noch länger mit ihm unterwegs sind und dann mit ihm einkehren, ohne seiner Identität gewahr zu werden: *Ev hat hier in Entsprechung zu *24,6 (μνήσθητε ὅσα ἐλάλησεν ὑμῖν ἔτι ὢν μεθ’ ὑμῶν; bezeugt, s. dort) das logische Subjekt für das grammatische eingesetzt: Jesus verweist (analog zu den Engeln im leeren Grab, *24,7 s. dort) auf seine eigenen Leidensankündigungen in *9,22.44 Mit der Änderung von ἐλάλησα in ἐλάλησαν οἱ προϕῆται hat Lk allerdings nicht nur eine narrative Ungeschicklichkeit beseitigt, sondern auch entschieden neue theologische Akzente gesetzt: Während sich *Ev (nur) auf die Leidensweissagungen Jesu bezog, die bereits durch die Engelrede (*24,7) als narrative Referenz sichergestellt waren, stellt Lk das Wissen um die Leidensnotwendigkeit Jesu in den weiteren Kontext der Schrift und ihrer prophetischen Weissagungen: Die Einsicht in die Notwendigkeit des Geschicks Jesu erschließt sich nicht (oder: nicht nur) durch seine eigenen Worte, sondern auch durch das Zeugnis der Schrift. Dieses Element der lk Redaktion erweist sich im weiteren Kontext (mit Lk 24,27.45) als zentral für die Komposition des gesamten Kapitels und der darin entfalteten Hermeneutik. In der Bezeugung des Vorwurfs *24,25 weichen Tertullian (tardi c o r d e in non credendo) und Epiphanius (βραδεῖς τοῦ πιστεύειν) voneinander ab. Auch wenn es möglich ist, dass Epiphanius nicht genau zitiert, sondern den Inhalt zusammenfasst und daher (βραδεῖς) τῇ καρδίᾳ ausgelassen haben könnte, ist es sehr gut denkbar, dass τῇ καρδίᾳ in seinem *Ev-Exemplar gefehlt hat und erst durch die lk Redaktion unter dem Einfluss von ἡ καρδία κεκαλυμμένη *24,32 (s. dort) hier eingetragen wurde. Dies würde die Faustregel bestätigen, der zufolge die am weitesten vom kanonischen entfernte Fassung am ehesten Anspruch auf Ursprünglichkeit besitzt. 6. In *24,26a entspricht die durch Adamantius (sowie D d) bezeugte Einleitung mit einem ὅτι-recitativum anstelle von οὐχί im kanonischen Wortlaut der vorkanonischen Formulierung von *24,25. Denn die durch οὐχί eingeleitete rhetorische Frage verweist auf ein Wissen jenseits der Belehrung durch Jesus: »Musste nicht der Christus alles leiden? « ist eine sinnvolle Fortführung, wenn dieses Wissen grundsätzlich zugänglich ist, nämlich in dem, was in den Propheten über ihn in den Prophezeiungen geschrieben ist (πάντα τὰ γεγραμμένα διὰ τῶν προϕητῶν Lk 18,31; red., s. dort) und nicht nur aus dem Selbstzeugnis Jesu stammt. Im Konzept der lk Redaktion ist diese rhetorische Frage wichtig: Ihre Antwort ist zwar den Lesern klar, aber nicht den Jüngern, weil dieses Wort, also der Verweis Jesu auf das prophetische Zeugnis über ihn, »vor ihnen verborgen war« und sie »das Gesagte nicht verstanden« (Lk 18,34, red.; s. dort): Die rhetorische Frage in Lk 24,26a gehört mit Lk 18,31-34 und 24,27 unmittelbar zusammen (s. gleich). 1288 Anhang I 24,13-35 Epiphanius und Adamantius referieren *24,26 ohne einen Hinweis auf V. 26b. Da Epiphanius ansonsten häufig Anfang und Ende der von ihm besprochenen Passagen erwähnt, spricht seine Zitierpraxis dafür, dass er V. 26b nicht in *Ev gelesen hat. In diesem Fall lässt sich auch auf andere Weise wahrscheinlich machen, dass καὶ εἰσελθεῖν εἰς τὴν δόξαν αὐτοῦ eine Ergänzung der lk Redaktion ist. Denn dass Jesus nach seinem Leiden »in seine Herrlichkeit eingehen« müsse, ergibt sich im Erzählhorizont von *Ev bestenfalls aus *9,22; die anderen Leidensweissagungen sind genau dieses: Weissagungen seines Leidens, nicht aber seiner himmlischen Existenz in Herrlichkeit (s. etwa *9,44; *17,25). Im Rahmen der lk Erzählung ist dies jedoch anders, weil hier das Königtum Jesu als universale und ewige Herrschaft sehr pointiert in den Blick genommen wird. Insofern korrespondiert das »Eingehen in seine Herrlichkeit« mit der Thematik des himmlischen Königtums Jesu, das wiederholt in redaktionellen Passagen entfaltet ist, vgl. z. B. Lk 1,32f; 19,11b (red., s. dort); Act 1,6 usw. Damit verändert die lk Redaktion das Missverständnis der Jünger aus *24,21. In *Ev drückt sich in der enttäuschten Hoffnung über den ἀνὴρ προϕήτης (*24,19), der Israel erlösen sollte, eine Erwartung aus, die diese Erlösung von dem irdischen Wirken Jesu erhofft und gerade nicht mit seinem Tod gerechnet hatte. Dass diese Erwartung enttäuscht werden musste, war schon auf der Ebene des vorlk Textes klar: Die Jünger haben die Notwendigkeit des Leidens nicht verstanden, obwohl dieses ausweislich der Tradition von der Ermordung des Endzeitpropheten und seiner Auferstehung eigentlich in den traditionsgeschichtlich vorgegebenen Erwartungshorizont gehörte, wie die Ankündigung der Auferstehung am Ende der letzten Jahrwoche (oder: μετὰ τρεῖς ἡμέρας, *9,22; s. dort) deutlich macht. Die lk Redaktion hat das Nichtverstehen der Jünger erheblich erweitert und verschoben: Sie ist nicht nur an der Zusammengehörigkeit von Leiden und Auferstehung interessiert (die hier ganz selbstverständlich mit vorausgesetzt wird), sondern darüber hinaus an dem Aspekt, dass die Herrlichkeit, die Jesus als Auferstandener erlangen wird, seine himmlische βασιλεία impliziert, die kein Ende haben wird (Lk 1,33): Nur als Himmlischer (also: als Auferstandener) kann Jesus den Thron seines Vaters David (1,32) einnehmen und unterscheidet sich gerade darin von David (Act 2,30-36). Weil der Thron, den Jesus einnimmt, nicht in Jerusalem, sondern im Himmel steht, ist die von ihm ausgeübte βασιλεία τῷ Ἰσραήλ (Act 1,6) universal und kann eben nur als universale Herrschaft über Israel und die Heidenvölker realisiert werden (Lk 2,32); deswegen muss sie auch ἕως ἐσχάτου τῆς γῆς bezeugt werden (Act 1,8). 7. Lk 24,27 ist unbezeugt, und im Unterschied zu den Vv. *19f.22f ist sehr wahrscheinlich, dass dieser Vers in *Ev fehlte und erst durch die lk Redaktion in den Text eingefügt wurde: Er bildet mit den sicher fehlenden Aussagen Lk 24,24 (s. dort) sowie 24,32c (s. gleich) eine narrative Isotopie, deren Entstehung auf einer Ebene zu denken ist und das lk Interesse am Ende der Redaktion des Evangeliums sehr deutlich werden lässt. Hätte Tertullian diese explizite Verankerung der Christologie im »Gesetz und allen Propheten« - noch dazu im Mund Jesu! - in *Ev gelesen, hätte er sich die Gelegenheit kaum entgehen lassen, diese ausdrückliche Bestätigung des Gesetzes durch Jesus als antimarcionitisches Argument zu nutzen. 24,13-35 Rekonstruktion 1289 Die Unvereinbarkeit der Aussage von Lk 24,27 mit der für Marcion angenommenen Theologie bildet dann auch den Hintergrund des einhelligen Urteils der Vertreter der Lk-Priorität, dass dieser Vers (durch Marcion) »sicher gestrichen« sei. 25 Allerdings muss das Fehlen von V. 27 genau anders herum erklärt werden: Nicht Marcion hat ihn aus Lk gestrichen, sondern Lk hat ihn zu *Ev ergänzt. An dieser Stelle lässt sich einmal mehr das Problem der »redaktionellen Plausibilität« demonstrieren: Wäre Marcion daran interessiert gewesen, die theologische Bedeutung von »Gesetz und Propheten« für das Verständnis Jesu durch die Streichung einzelner Aussagen in seinem Evangelientext zu eliminieren, hätte sich dieses Interesse noch an anderer Stelle (z. B. in *6,27; *16,31 usw.; s. jeweils dort) niederschlagen müssen: Eine gezielte Beseitigung der Aussagen über Gesetz und Propheten lässt sich für *Ev eben nicht wahrscheinlich machen. Dagegen ist eine (ebenso gezielte! ) Ergänzung von *Ev um die prophetische Funktion der Schrift in Lk 24,27 ohne weiteres plausibel: Sie konstituiert das hermeneutische Konzept, das die lk Redaktion vor allem in Kap. 24 entfaltet hat und erweist sich durchgängig in den entsprechenden Zusätzen. 8. Die Vv. *28f sind ebenfalls unbezeugt. Im Unterschied zu V. 27 waren sie mit großer Wahrscheinlichkeit in *Ev enthalten: Sie bilden die Voraussetzung für die gesicherte Mahlszene (V. *30f); es besteht kein Anlass, diese Verse *Ev abzusprechen: Die Erzählung der Begegnung der beiden Jünger mit dem Auferstandenen hat sicher schon in *Ev damit geendet, dass sie Jesus beim gemeinsamen Mahl erkannten. V. *28 hatte mit großer Wahrscheinlichkeit schon in *Ev den kanonischen Wortlaut, wie die umständliche Angabe des Ziels (εἰς τὴν κώμην οὗ ἐπορεύοντο) deutlich macht: Wäre Emmaus schon immer der Name des Ortes gewesen, wäre hier einfach die Wiederholung der Namensangabe zu erwarten (s. o. zu *24,13). In V. *29 deuten allerdings die Varianten der handschriftlichen Überlieferung darauf hin, dass die lk Redaktion den vorkanonischen Text geringfügig ergänzt und verändert hat: Sie hat aus der einfachen Angabe πρὸς ἑσπέραν κέκλικεν ἡ ἡμέρα zwei Hauptsätze (πρὸς ἑσπέραν ἐστὶν καὶ κέκλικεν ἤδη ἡ ἡμέρα) gemacht; der synthetische Parallelismus membrorum unterstreicht die fortgeschrittene Stunde und die Dringlichkeit der Einkehr. Ähnliches gilt für V. *30: Dass Jesus »mit ihnen« zu Tisch lag, dass er »das« Brot segnete und es »brach«, fehlt in D (it) u. a. Dabei ist vor allem der Artikel vor ἄρτον und das Partizip κλάσας vor ἐπεδίδου αὐτοῖς im Mehrheitstext aufschlussreich: Diese kleinen Zusätze verstärken den Anklang an die eucharistische Terminologie. Da der Hinweis auf das »Brechen« des Brotes auch im Bericht vom letzten Mahl gefehlt haben wird (ἔκλασεν καί *22,19, s. dort), umgekehrt aber das »Brotbrechen« in Act 2,42.46; 20,7.11; 27,35 als term. techn. für die christliche Mahlpraxis verwendet wird, spricht alles dafür, dass diese Varianten auf Ergänzungen der lk Redaktion beruhen. Dem scheint allerdings Epiphanius’ Bezeugung von V. *31 zu widersprechen: Der von ihm referierte Text ὃτε ἔκλασεν τὸν ἄρτον, ἠνεῴχθησαν αὐτῶν οἱ ὀϕθαλμοὶ ______________________________ 25 So H ARNACK 239*. Auch T SUTSUI 129 markiert die Auslassung. 1290 Anhang I 24,13-35 καὶ ἐπέγνωσαν αὐτόν (Schol. 77) findet sich in keiner der erhaltenen Handschriften; er erweckt auf den ersten Blick den Eindruck, eine selbständige Zusammenfassung von V. *30f zu sein. Tatsächlich ist 24,30f uneinheitlich überliefert: *24,30b.31 (D it) 24,30b.31 teste Epiph. 24,30b.31 ( M ) ἐπεδίδου αὐτοῖς· καὶ κλάσας ἐπεδίδου αὐτοῖς· λαβόντων δὲ αὐτῶν ὃτε ἔκλασεν τὸν ἄρτον ἀπ’ αὐτοῦ τὸν ἄρτον, ἠνοίγησαν ἠνεῴχθησαν αὐτῶν δὲ διηνοίχθησαν οἱ ὀϕθαλμοὶ αὐτῶν αὐτῶν οἱ ὀϕθαλμοὶ οἱ ὀϕθαλμοὶ καὶ ἐπέγνωσαν αὐτόν καὶ ἐπέγνωσαν αὐτόν καὶ ἐπέγνωσαν αὐτόν Wenn *24,30 nur die Wendung … ἐπεδίδου αὐτοῖς enthielt (also ohne καὶ κλάσας), würde der Anschluss in D it sehr gut passen: Die Jünger erkennen Jesus am Gestus der Austeilung des Brotes, also aus ihrer Sicht am Empfangen des Brotes aus seiner Hand (λαβόντων δὲ αὐτῶν … ἀπ’ αὐτοῦ). Dass das Brot dazu erst einmal gebrochen werden musste, versteht sich von selbst, kann aber sinnvollerweise nur dann als Anknüpfung verwendet werden, wenn es erwähnt war. Epiphanius’ zusammenfassende Wendung ὃτε ἔ κ λ α σ ε ν τὸν ἄρτον setzt also die Wendung des Mehrheitstextes von V. 30 (καὶ κ λ ά σ α ς ἐπεδίδου αὐτοῖς). Dass Epiphanius jedoch erwähnt, woran genau die Jünger die Identität Jesu erkannten, hat eine Entsprechung in *24,31 (D it), nicht jedoch im Mehrheitstext. Epiphanius hat daher *Ev nicht großzügig zusammengefasst: Er referiert korrekt, aber der Text weist alle Merkmale der Konformierung des vorkanonischen und des kanonischen Wortlautes auf. Aus diesem Grund enthält die Rekonstruktion gegen Epiphanius’ Referat die Formulierung der »Westlichen« Zeugen. Die knappe Mitteilung, dass Jesus vor ihnen unsichtbar (ἄϕαντος) wurde, ist ebenfalls unbezeugt, muss aber aus Gründen der Erzähllogik in *Ev enthalten gewesen sein. 9. Das Ende der Perikope *24,32-35 ist nicht bezeugt. Eine Beurteilung ist daher auf innere Gründe angewiesen, die für einzelne Elemente bzw. Verse unterschiedliches Gewicht besitzen und daher jeweils für sich zu betrachten sind. a. In *24,32 zeigen zunächst wieder einige Varianten in der handschriftlichen Überlieferung den Einfluss des vorkanonischen Textes: D it (u. a.) sprechen nicht von dem »brennenden« (καιομένη), sondern von dem »verhüllten« (κεκαλυμμένη) Herz; das Fehlen von ἐν ἡμῖν entspricht dieser Formulierung. Sie verweist zurück auf V. *16 und wiederholt, dass die Beiden Jesus nicht erkannt hatten (μὴ ἐπιγνῶναι αὐτόν). In der Wendung ἡ καρδία … κεκαλυμμένη ist das Herz die Erkenntnisinstanz. Die lk Redaktion hat das »verhüllte« in ein »brennendes« Herz geändert und damit der Erzählung eine völlig neue Bedeutungsnuance hinzugefügt, weil sie den Jüngern eine Ahnung über die wahre Identität ihres Begleiters zuschreibt, die sich 24,13-35 Rekonstruktion 1291 dann im Brechen des Brotes bewahrheitet hat. Damit hat Lk eine wahrnehmungspsychologisch und -physiologisch wichtige Differenzierung zwischen dem »äußeren« Sehen mit den Augen (die an der Erkenntnis gehindert waren, V. 16) und der »inneren Erkenntnis« mit dem Herzen vorgenommen. Die sprachlichen Analogien zum »brennenden Herzen« machen deutlich, dass es sich dabei »um eine alte Metapher für das Ergriffensein von Erregung« handelt. 26 Die Differenzierung von äußerer und innerer Erkenntnis fehlt diesen Belegen jedoch, sodass der Hinweis auf die Feuermetaphorik der lk Pneumatologie (Lk 3,16; vgl. Act 2,17ff) nicht von der Hand zu weisen ist. 27 Dies gilt vor allem in Verbindung mit dem Hinweis auf die »Öffnung der Schrift« in Lk 24,32c. Die letzte Wendung ὡς διήνοιγεν ἡμῖν τὰς γραϕάς ist für *Ev nicht denkbar. Sie gehört mit den sicher bzw. sehr wahrscheinlich fehlenden Versen Lk 24,24.27 zusammen und markiert das redaktionelle Hauptinteresse an der lk Gestaltung dieser Perikope: Lk lässt das Herz der beiden nicht schon brennen, wenn Jesus mit den beiden redet, sondern erst, wenn er ihnen die Schriften öffnet. Die eigenartige Doppelung der ὡς-Sätze (ὡς ἐλάλει ἡμῖν ἐν τῇ ὁδῷ - ὡς διήνοιγεν ἡμῖν τὰς γραϕάς) zeigt dabei deutlich, an welcher Stelle die redaktionelle Erweiterung einsetzt. Für das hermeutische Gesamtkonzept ist die Differenzierung von anfänglichem inneren und vollständigem äußeren Erkennen konstitutiv: Die erste Ahnung setzt ein, wenn man die Schriften christologisch verstehen kann, aber sie führt noch nicht zur vollständigen Erkenntnis: Die ist an die Tischgemeinschaft mit dem Auferstandenen gebunden. Die komplexe theologische Aufladung dieses Konzeptes ist ausweislich der sekundären Bearbeitung tatsächlich durch die lk Redaktion intendiert und nicht nur eine kreative Leistung späterer Lektüren. b. Für den unbezeugten V. *33 sind zwei Handschriftenvarianten zu notieren, die jeweils für sich sehr aufschlussreich sind und nahelegen, dass der Bericht über die Rückkehr der beiden nach Jerusalem in *Ev enthalten war, wenn auch in anderer Form. Im Horizont des kanonischen Mehrheitstextes ist es zunächst kaum erklärlich, dass die Beiden nach *24,33 (D it u. a.) »betrübt« (λυπούμενοι) aufstanden und nach Jerusalem gingen: Die Weiterführung in Lk, 24,34f legt ja eher eine Konkurrenz zwischen den Jerusalemern und den »Emmaus«-Jüngern darüber nahe, wer den anderen zuerst von seiner Begegnung mit dem Auferstandenen berichten darf. Vor allem im Zusammenhang mit dem »brennenden Herzen« von V. 32 wird (zwar nicht erzählt, aber) der Eindruck erweckt, dass die Beiden nach anfänglichem Ahnen jetzt zum vollen Verstehen gelangt sind, und das widerspricht ihrer »betrübten« Haltung: Eine sekundäre Entstehung der λυπούμενοι-Variante in D it ______________________________ 26 Vgl. dazu W OLTER , Lk 785 z. St. 27 Vgl. A. M. S CHWEMER , Der Auferstandene und die Emmausjünger, in: Fr. Avemarie, H. Lichtenberger (Hg.), Auferstehung - Resurrection, Tübingen 2001, 95-117: 115. 1292 Anhang I 24,13-35 ist nicht plausibel zu machen. 28 Umgekehrt ist die Betrübnis verständlich als Reaktion auf das plötzliche Sichtbarwerden Jesu und sein unmittelbar folgendes Verschwinden: Die Betrübnis zeigt immerhin an, dass die beiden Jünger trotz der Erscheinung des Auferstandenen das Geschehen noch immer nicht ganz verstanden hatten - genau das hatte bereits das vorkanonische Evangelium in der folgenden Perikope ja auch erzählt. Dass die Beiden αὐτῇ τῇ ὥρᾳ nach Jerusalem aufbrachen, ist möglicherweise ebenfalls Teil der redaktionellen Streichung von λυπούμενοι: Die Zeitangabe sichert die für das redaktionelle Konzept in Lk 24 so wichtige Einheit des ersten Tages der Woche. Die Formulierung αὐτῇ τῇ ὥρᾳ ist typisch lk; da es aber keinen Hinweis auf eine sekundäre Einfügung gibt, bleibt das Urteil offen. Der Bericht über die Rückkehr zu den Jerusalemern in V. 33b nimmt wieder die schon aus 24,9 bekannte Differenzierung zwischen den »Elfen und denen bei ihnen« vor. Diese Differenzierung hatte sich als notwendig erwiesen, um die Erscheinung des Auferstandenen vor Petrus durch den Bericht in V. 34 nachtragen zu können: Das ist ein Element der lk Redaktion. Wie in *24,9 hat sich auch in V. *33b das ursprüngliche Objekt ἀποστόλους noch in einer Handschrift erhalten (f). Das Urteil, dass τοὺς ἕνδεκα καὶ τοὺς σὺν αὐτοῖς sekundär ist, beruht jedoch nicht primär auf dieser vereinzelten Variante, sondern auf den genannten inneren Gründen (vgl. o. zu *24,9). Die Nennung der »Elf« setzt nicht nur den festen Sprachgebrauch »die Zwölf« für die Apostel voraus, sondern auch den nur durch Mt 27,3-10 berichteten Tod des Judas: Die »Elf« gehören mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Ebene der Kanonischen Redaktion. c. Die kanonische Fassung von Lk 24,34 nimmt wieder auf Lk 24,12.24 Bezug und setzt damit wohl auch die Kenntnis Joh 20 voraus: Der Bericht der Jerusalemer, dass »der Herr dem Simon erschienen« sei, war mit Sicherheit nicht in *Ev enthalten, ganz abgesehen davon, dass die Verwendung von absolutem ὁ κύριος in der Erzählstimme ein deutliches Indiz für eine Einfügung durch die lk Redaktion ist. 29 In diesem Fall wird diese Vermutung durch die charakteristische Variante in D it sy bestätigt, die zu Beginn nicht das kanonische λέγοντας lesen, sondern λέγοντες: So geringfügig diese Änderung erscheint, so groß ist dadurch bewirkte Veränderung für die Semantik der Aussage und das gesamte narrative Gefüge. Denn der Nominativ setzt als Subjekt der Aussage die beiden nach Jerusalem zurückgekehrten Jünger voraus, aus deren Perspektive der gesamte Bericht erzählt wird: ἀναστάντες … ὑπέστρεψαν … καὶ εὗρον … λέγοντες ὅτι … Natürlich können Emmaus und Kleopas nicht sagen, »dass der Herr wahrhaftig auferstanden und dem Simon ______________________________ 28 Der Zusatz in ℓ950 (ὑπέστρεψαν εἰς Ἰερουσαλὴμ) μ ε τ ὰ χ α ρ ᾶ ς μ ε γ ά λ η ς scheint direkt auf die λυπούμενοι-Variante in D it zu reagieren. 29 Vgl. o. § 5 (Bd. I, S. 93ff). 24,13-35 Rekonstruktion 1293 erschienen« ist, sondern nur, wie sie den Auferstandenen ἐν τῇ κλάσει τοῦ ἄρτου erkannten. Der doppelte Perspektive- und Subjektswechsel macht die Einfügung der lk Redaktion deutlich und schwenkt zunächst von den »Emmaus«-Jüngern zu den »den Elfen und denen bei ihnen«, dann zurück zu »diesen« (αὐτοί, V. 35a). Auch wenn klar ist, dass der Bericht der Jerusalemer über die Erscheinung vor Petrus sekundär ist, lässt sich nicht ohne weiteres herausfinden, welche Formulierungen im vorkanonischen Text für den Bericht der beiden Jünger verwendet wurden. Denkbar sind folgende Möglichkeiten, die davon ausgehen müssen, dass der Bericht aller Wahrscheinlichkeit nach durch λέγοντες ὅτι eingeleitet war: 1. (λέγοντες ὅτι) ὄντως ἠγέρθη ὁ κύριος. Diese Lösung scheidet aus, denn sie würde voraussetzen, dass sich den beiden auf dem Rückweg das volle Verständnis der Ereignisse erschlossen hätte, das sie bei ihrem »betrübten« Aufbruch (V. *33a: λυπούμενοι! ) noch gar nicht hatten; abgesehen davon ist ja das auktoriale ὁ κύριος ein Kennzeichen der lk Sprache. 2. (λέγοντες ὅτι) ἐγνώσθη αὐτοῖς ἐν τῇ κλάσει τοῦ ἄρτου. Diese Formulierung ist durch zwei Schwierigkeiten belastet: Einerseits war die κ λ ά σ ι ς τοῦ ἄρτου in V. *30 vermutlich gar nicht erwähnt, was einen entsprechenden analeptischen Verweis schwierig macht; andererseits müsste das Subjekt von ἐγνώσθη nominal erwähnt worden sein, die letzte (pro) nominale Erwähnung war αὐτὸς ἄϕαντος ἐγένετο V. *31. Zum ersten Problem lässt sich immerhin denken, dass jeder Leser aus der Formulierung λαβόντων δὲ αὐτῶν τὸν ἄρτον ἀπ’ αὐτοῦ, die für V. *31 rekonstruiert war, darauf geschlossen hätte, dass sie den Auferstandenen an der κλάσις τοῦ ἄρτου erkannt hatten. Schwierig bleibt das Problem des Subjekts von ἐγνώσθη; am wahrscheinlichsten ist, dass der vorkanonische Text hier ὁ Ἰησοῦς o. ä. enthielt. Der genaue Wortlaut dieser Stelle wird sich also nicht mit der gewünschten Sicherheit rekonstruieren lassen. Da aber D it (c d e) als Einleitung des zweiten Teils des Berichts in V. 35b ὅ τ ι ἐγνώσθη anstelle von ὡ ς ἐγνώσθη des Mehrheitstextes lesen, wird dies ein Hinweis auf den ursprünglichen Wortlaut sein: Die Fortsetzung von ἐξηγοῦντο τὰ ἐν τῇ ὁδῷ mit ὅτι ἐγνώσθη ist stilistisch kaum möglich und wird nur dadurch erklärbar, dass in diesen Zeugen zwei Texte - nämlich der vorkanonische *Ev- und der kanonische Lk-Text - miteinander kompiliert wurden. 10. Bei dieser Verteilung von Tradition und Redaktion in der »Emmaus«-Perikope wird noch einmal das Verhältnis der lk Redaktion zu Joh deutlich. Zunächst ist auffällig, dass gerade die lk-redaktionellen Passagen ein besonderes Interesse an Petrus verraten: Sein Gang zum Grab (Lk 24,12), der im Bericht der beiden wandernden Jünger (Lk 24,24) aufgegriffen und erweitert wird, sowie der Bericht der Jerusalemer Jünger über die Erscheinung des Herrn vor Petrus (Lk 24,35) rahmen die Perikope und geben der Erscheinung des Auferstandenen vor den beiden Jüngern ihren rechten Platz: Petrus ist der erste der Jünger, der (abgesehen von den Frauen am Grab) das leere Grab mit eigenen Augen sieht, und Petrus ist auch der erste, dem der Auferstandene erschienen ist. Man kann auch sagen: Dass die Erzählung den beiden Jüngern folgt und den Schauplatz des Geschehens für einen Tag von Jerusalem (und den dort verbliebenen Jüngern) weg verlagert, gibt 1294 Anhang I 24,13-35 dem Redaktor die Gelegenheit, entscheidende Informationen über Petrus durch Botenberichte mitzuteilen, ohne sie selbst erzählen zu müssen. Die Informationen, die in diesen Petrusnotizen verarbeitet sind, stammen aus - und referieren auf - Joh 20,3-10. Dieses Verständnis wird durch die Formulierung von Lk 24,24 gestützt, wo im Unterschied zu Lk 24,12 davon die Rede ist, dass τ ι ν ε ς τῶν σὺν ἡμῖν zum Grab gegangen seien. Diese Inkongruenz gegenüber 24,12 hat eine große Rolle in den Diskussionen über die Authentizität von 24,12 gespielt. Sie ist jedoch als Reaktion des Berichts Joh 20 ohne weiteres plausibel: Die lk Redaktion ist an Petrus und seiner Protophanie interessiert und stellt ihn daher heraus. Auf den Jünger, »den Jesus geliebt hat«, konnte Lk dagegen nicht explizit verweisen: Er ist der Garant der Überlieferung des Joh und stellt deren Richtigkeit aus seiner Sicht sicher (Joh 21,24). Seine Identität konnte Lk hier nicht preisgeben, weil er damit verraten hätte, dass auch Joh zu seinen Quellen gehörte. Die unscharfe Formulierung von Lk 24,24 trägt dieser komplexen Intention Rechnung und lässt den lk Bericht als eine eigenständige - und das heißt: hinreichend ähnliche, aber verschiedene - Überlieferung neben den joh Ostererzählungen erscheinen. *24,36.37-39 [ 40 ] 41-43 [ 44-49 ] : Die Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern Teilweise gut bezeugt und sicher in *Ev vorhanden, aber intensiv redaktionell bearbeitet und ergänzt. 24,36 Ταῦτα δὲ αὐτῶν a λεγόντων αὐτὸς ἔστη ἐν μέσῳ αὐτῶν [ b καὶ λέγει αὐτοῖς, Εἰρήνη ὑμῖν, b c ἐγώ εἰμι, μὴ ϕοβεῖσθε c ] . 37 πτοηθέντες δὲ καὶ ἔμϕοβοι γενόμενοι ἐδόκουν d †ϕάντασμα† θεωρεῖν. 38 καὶ εἶπεν αὐτοῖς, Τί τεταραγμένοι ἐστέ, e † [ καὶ f διὰ τί f διαλογισμοὶ ἀναβαίνουσιν ἐν g † τῇ καρδίᾳ † g ὑμῶν; ] † e 39 ἴδετε τὰς χεῖράς μου καὶ τοὺς πόδας h †μου† ὅτι i † [ ἐγὼ αὐτός εἰμι ] † i · k ψηλαϕήσατέ με καὶ ἴδετε, ὅτι k πνεῦμα l σάρκα καὶ l ὀστέα οὐκ ἔχει καθὼς ἐμὲ θεωρεῖτε ἔχοντα. m [ 40 καὶ τοῦτο εἰπὼν ἔδειξεν αὐτοῖς τὰς χεῖρας καὶ τοὺς πόδας. ] m 41 ἔτι δὲ ἀπιστούντων αὐτῶν [ ἀπὸ τῆς χαρᾶς καὶ θαυμαζόντων ] εἶπεν αὐτοῖς, ῎Εχετέ τι βρώσιμον ἐνθάδε; 42 οἱ δὲ ἐπέδωκαν αὐτῷ ἰχθύος ὀπτοῦ μέρος· 43 καὶ λαβὼν ἐνώπιον αὐτῶν ἔϕαγεν n {καὶ τὰ ἐπίλοιπα ἔδωκεν αὐτοῖς} n . [ 44 Εἶπεν δὲ πρὸς αὐτούς, Οὗτοι οἱ λόγοι μου οὓς ἐλάλησα πρὸς ὑμᾶς ἔτι ὢν σὺν ὑμῖν, ὅτι δεῖ πληρωθῆναι πάντα τὰ γεγραμμένα ἐν τῷ νόμῳ Μωϋσέως καὶ τοῖς προϕήταις καὶ ψαλμοῖς περὶ ἐμοῦ. 45 τότε διήνοιξεν αὐτῶν τὸν νοῦν τοῦ συνιέναι τὰς γραϕάς. 46 καὶ εἶπεν αὐτοῖς ὅτι Οὕτως γέγραπται παθεῖν τὸν Χριστὸν καὶ ἀναστῆναι ἐκ νεκρῶν τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ, 47 καὶ κηρυχθῆναι ἐπὶ τῷ ὀνόματι αὐτοῦ μετάνοιαν εἰς ἄϕεσιν ἁμαρτιῶν εἰς πάντα τὰ ἔθνη - ἀρξάμενοι ἀπὸ Ἰερουσαλήμ· 48 ὑμεῖς μάρτυρες τούτων. 49 καὶ ἰδοὺ ἐγὼ ἀποστέλλω τὴν ἐπαγγελίαν τοῦ πατρός μου ἐϕ’ ὑμᾶς· ὑμεῖς δὲ καθίσατε ἐν τῇ πόλει ἕως οὗ ἐνδύσησθε ἐξ ὕψους δύναμιν. ] 24,36-49 Rekonstruktion 1295 A. *24,37-39: Tert. 4,43,6: De corporis autem veritate quid potest clarius? cum haesitantibus eis ne phantasma esset, immo phantasma credentibus, Quid turbati estis? inquit, et quid cogitationes subeunt in corda vestra? Videte manus meas et pedes, quia ego ipse sum, quoniam spiritus ossa non habet, sicut me videtis habere. ¦ Adam. 5,12 (857e): οὕτω γέ τοι μετὰ τὴν ἀνάστασιν ἔλεγε τοῖς μαθηταῖς, δοκοῦσιν αὐτὸν ϕαντασίαν εἶναι· τί τεταραγμένοι ἐστέ; καὶ ἵνα τί διαλογισμοὶ ἀναβαίνουσιν εἰς τὴν καρδίαν ὑμῶν; ἴδετε τὰς χεῖράς μου καὶ τοὺς πόδας μου ὅτι ἐγώ εἰμι αὐτός, ὅτι πνεῦμα ὀστέα καὶ σάρκα οὐκ ἔχει, καθὼς ἐμὲ θεωρεῖτε ἔχοντα. ♦ *24,38f: Epiph., Schol. 78: Τί τεταραγμένοι ἐστέ; ἴδετε τὰς χεῖράς μου καὶ τοὺς πόδας μου, ὅτι πνεῦμα ὀστέα οὐκ ἔχει, καθὼς ἐμὲ θεωρεῖτε ἔχοντα. ♦ *24,39.41: Tert. 4,43,8: Cur autem inspectui eorum manus et pedes suos offert, quae membra ex ossibus constant, si ossa non habebat? Cur adicit, Et scitote quia ego sum, quem scilicet corporeum retro noverant? Aut si phantasma erat usquequaque, cur illos phantasma credentes increpabat? Atquin adhuc eis non credentibus propterea cibum desideravit, ut se ostenderet etiam dentes habere. ♦ *24,42f: Vgl. auch Eznik, De Deo IV12 (Weber 171; B LANCHARD / Y OUNG 204): »Wenn sie (sc. die Marcioniten) dennoch sagen sollten: Christus aß nach der Auferstehung Fisch, aber nicht Fleisch, deswegen essen auch wir Fische, aber kein Fleisch, so ist zu sagen: daß dann eben auch sie in diesem Leben nicht Fisch essen sollten, sondern dereinst in der Auferstehung, wie auch er nach der Auferstehung Fisch aß, welchen er bei den Fischern fand.« B. a (24,36) λεγοντων: 13 69 124 346 472 543 788 826 828 983 1009 sa ¦ λαλουντων: D (it) M (*Ev non test.) ● b (24,36) και λεγει αυτοις ειρηνη υμιν: om D a b d e ſſ 2 l r 1 (*Ev non test.) ● c (24,36) εγω ειμι μη ϕοβεισθε: om D a b e ſſ 2 l r 1 M ¦ add G P (  W 579) 1241 pc aur c f g 1 vg sy p.h bo pt ; μη ϕοβεισθε: gat aeth (Bodl. 40) (*Ev non test.) ● d (24,37) ϕαντασμα: Tert D d (Adam: ϕαντασια) ¦ πνευμα/ spiritus: it M ● e (24,38) και δια τι διαλογισμοι αναβαινουσιν εν τη καρδια υμων: Widersprüchliche Bezeugung: (1) om Epiph ¦ (2) add Tert it M ● f (24,38) Widersprüchliche Bezeugung: (1) ινα τι/ ut quid: Adam D L ℓ253 d ¦ (2) (δια) τι/ quare: Tert (quid) a aur b c e f ſſ 2 l r 1 M ; τι: P 75 B sy p ● g (24,38) Widersprüchliche Bezeugung: (1) τη καρδια/ corde: Adam A* B D a b ſſ 2 l r 1 ; cor: c d e sa ¦ (2) corda: Tert vg; ταις καρδιαις/ cordibus: א A 3 L W Θ Ψ f 1.13 33 aur f sy M ● h (24,39a) Widersprüchliche Bezeugung: (1) μου: Epiph Adam a b d ſſ 2 l q r 1 ¦ (2) om μου: Tert P 75 L W Θ 0211 mult lectt aur c e f g 1 vg sy h ● i (24,39a) Widersprüchliche Bezeugung: (1) εγω αυτος ειμι/ ego ipse sum: om Epiph ¦ (2) add Tert D c d e; (  εγω ειμι αυτος/ ego sum ipse: 1 3 2): Adam P 75 א B L 33 (579) a b f ſſ 2 l q sy; (  αυτος εγω ειμι/ ipse ego sum: 2 1 3): A W Θ Ψ f 1.13 aur (vg) sy h M ● k (24,39b) ψηλαϕησατε με και ιδετε: om Tert Epiph Adam ¦ add it M ● l (24,39b) Widersprüchliche Bezeugung: (1) σαρκα και: om Tert Epiph ¦ (2) add (  οστεα και σαρκα): Adam; σαρκα και/ carnem et: add it M ● m (24,40) και τουτο ειπων εδειξεν αυτοις τας χειρας και τους ποδας: vs. om D a b d e ſſ 2 l r 1 sy s.c ¦ add aur c f q vg M (*Ev non test.) ● n (24,43) και τα επιλοιπα εδωκεν αυτοις: K Π* f 13 ℓ844 ℓ2211 al r 1 sy c bo pt armen slav August (Spec. 242,2,2; PL 38, 1139); και λαβων τα επιλοιπα εδωκεν αυτοις: 161* 713; λαβων τα επιλοιπα εδωκεν αυτοις: Θ aur c vg sy h** bo pt ; και εδωκεν αυτοις: August (Ps 147,17; CCL 40, 2153); και τα επιλοιπα ελαβεν και εδωκεν αυτοις: r 1 aeth mss ¦ om D b e ſſ 2 q M (*Ev non test.). C. Der erste Teil des kanonischen Berichts über die Erscheinung des Auferstandnen vor den Jüngern (*24,36-43) ist für *Ev gut bezeugt und war sicher vorhanden. Gegenüber dem kanonischen Text gibt es allerdings einige Abweichungen im Wortlaut, die teilweise durch die direkten Zeugnisse sichergestellt sind, teilweise aber 1296 Anhang I 24,36-49 auch aufgrund der Varianten in der kanonischen Textüberlieferung sehr wahrscheinlich sind. Diese Unterschiede gehen auf klärende Erweiterungen der lk Redaktion zurück. Der zweite Teil mit der Belehrung des Auferstandenen über das christologische Zeugnis der Schrift und der Verheißung der Geistesgabe (Lk 24,44-49) ist unbezeugt und hat, wie genauer zu zeigen ist, mit größter Wahrscheinlichkeit in *Ev gefehlt. Die Identifizierung der redaktionellen Elemente und Passagen ist nicht nur für die Rekonstruktion des vorkanonischen Textes wichtig, sondern erlaubt auch entscheidende Einsichten in die Überlieferungsgeschichte und besitzt insbesondere für die Bestimmung der lk-joh Beziehungen herausragende Bedeutung. 1. Die Exposition in V. *36 ist unbezeugt, muss aber aus Gründen der narrativen Logik enthalten gewesen sein. Ob der vorkanonische Wortlaut von V. *36a dem kanonischen entsprach (ταῦτα δὲ αὐτῶν λαλούντων αὐτὸς ἔστη ἐν μέσῳ αὐτῶν καὶ λέγει αὐτοῖς), lässt sich allerdings nicht mit der gewünschten Sicherheit klären. Immerhin fällt auf, dass etliche Handschriften anstelle des kanonischen λαλούντων das auf λέγοντες *24,34 zurückgreifende λεγόντων bieten und dadurch die beiden Szenen näher aneinander rücken. In V. *36b fehlen die Worte καὶ λέγει αὐτοῖς, Εἰρήνη ὑμῖν in etlichen »Westlichen« Handschriften. Diese Lücke ist so charakteristisch für das Phänomen der inkonsequenten Angleichung des vorkanonischen an den kanonischen Text, dass man mit großer Wahrscheinlichkeit damit rechnen kann, dass der Gruß Jesu in *Ev gefehlt hat. Die von einigen Handschriften gebotene Fortsetzung »Fürchtet euch nicht« bzw. »Ich bin es, fürchtet euch nicht« erweckt aufgrund ihrer charakteristischen Bezeugung (it sy) auf den ersten Blick den Eindruck, als könnte man darin Spuren des vorkanonischen Textes sehen. Allerdings sind beide Elemente, nämlich die Mitteilung der Furcht der Jünger und die Selbstidentifizierung des Auferstandenen, im Anschluss Teil des (kanonischen) Textes (V. *38: τί τεταραγμένοι ἐστέ; V. 39: ἐγώ εἰμι αὐτός). Es ist daher wahrscheinlicher, dass diese Elemente aus der folgenden Erzählung (in der kanonischen Gestalt) stammen und von da in den einleitenden Gruß Jesu gewandert sind. 2. Die Bezeugung für V. *37 stellt die Vertreter der Lk-Priorität vor größte Schwierigkeiten. 1 Der Grund dafür ist, dass die Erscheinung Jesu in *24,37 (gegen das kanonische πνεῦμα) als ϕάντασμα bezeichnet wird, 2 in *24,39 aber als πνεῦμα. Unter der Annahme der Lk-Priorität erscheint ϕάντασμα als redaktionelle Änderung Marcions. 3 Für diese lässt sich aber keine Erklärung finden, wenn Marcion (wie ______________________________ 1 T SUTSUI 129: »Die rätselhaftesten Verse im Evangeliumstext Marcions.« 2 Tertullian D (d): ϕάντασμα; Adamantius: ϕαντασία. 3 Vgl. T SUTSUI 129: »Wie verhalten sich denn die beiden Termini zueinander? Wenn sie gleichbedeutend wären, dann würde die Ersetzung bei V. 37 unnötig gewesen sein […] Andererseits wenn sie verschiedene Begriffe sind, dann kann man den kohärenten Zusammenhang zwischen V. 37 und VV. 38f nicht leicht aufdecken. Worin (und dann wohl noch wichtiger: warum) hat Marcion seine wahre Absicht verborgen? « Diese Frage bleibt verständlicherweise ohne Antwort. 24,36-49 Rekonstruktion 1297 Tertullian ihm unterstellt) doketische Neigungen hatte: Jesus beweist ja, dass er gerade kein phantasma ist: Dieses Stichwort liefert Tertullian vielmehr die höchst willkommene Gelegenheit, um die Körperlichkeit des Auferstandenen im marcionitischen Text zu erweisen und die Marcioniten in sarkastischem Ton des Selbstwiderspruchs zu überführen: »(6) Was aber könnte klarer sein als die Wahrheit über seinen Körper? Als sie zweifelten, ob er nicht ein phantasma sei oder sogar glaubten, daß er ein phantasma sei, sagte er zu ihnen: ›Was seid ihr verstört? Und warum steigen in euren Herzen Zweifel auf? Seht meine Hände und Füße, denn ich selbst bin es, da ein Geist (spiritus) keine Knochen hat, wie ihr sie mich haben seht.‹ (7) Aber Marcion wollte - wie ich glaube: mit Absicht - manches, was ihm selbst entgegen steht, nicht aus seinem Evangelium beseitigen, damit aufgrund dessen, was er hätte streichen können, aber nicht gestrichen hat, der Eindruck entsteht, er hätte, was er tatsächlich gestrichen hat, entweder gar nicht oder aber mit gutem Grund gestrichen. Aber er verschont nur, was er durch eine andere Interpretation nicht weniger entstellt als durch eine Streichung. Er will daher die Worte ›Ein Geist hat keine Knochen, wie ihr sie mich haben seht‹ so verstanden wissen, als bezögen sie sich auf einen Geist: ›Wie ihr sie mich haben seht, also: wie einen Geist keine Knochen haben seht.‹ Was ist denn der Sinn dieser Verrenkung (tortuositas), wenn er schlicht hätte sagen können: ›Denn ein Geist hat keine Knochen, so wie ihr seht, dass ich auch keine habe? ‹ (8) Warum aber bietet er ihnen zur Untersuchung seine Hände und Füße an - diese Glieder bestehen ja aus Knochen - wenn er keine Knochen hatte? Warum fügt er dazu: ›Und wisst, dass ich es bin! ‹, obwohl sie ihn zuvor als Körperlichen gekannt hatten? Wenn er aber in jeder Hinsicht ein phantasma war, warum fuhr er dann jene an, die ihn für ein phantasma hielten? Aber weil sie immer noch nicht glaubten, verlangte er Speise, um zu zeigen, dass er auch Zähne habe.« 4 Für Tertullian ist *24,37 von zentraler Bedeutung, weil er hier das entscheidende Argument gegen den marcionitischen Doketismus gefunden hat. Tatsächlich greift Tertullian das Stichwort phantasma aus *24,37 durch seine ganze Abhandlung hindurch immer wieder in Zusammenhängen auf, in denen er die Körperlichkeit der Existenz Jesu diskutiert und den marcionitischen Doketismus durch den Nachweis kritisiert, dass Jesus kein Trugbild ist. (a) Im Zusammenhang des Tötungsversuchs der Nazarener: Wen man packen und an den Rand des Abgrunds zerren kann, kann kein phantasma sein (4,8,2). - (b) Im Zusammenhang der Heilung des Leprösen, den Jesus berührt: Wie könnte ein phantasma Gefahr laufen, durch Berührung verunreinigt werden? (4,9,5). - (c) Im Zusammenhang mit der Heilung des Gelähmten (4,10,15). 5 - (d) Im Zusammenhang der Salbung durch die Sünderin, die ein solidum corpus berührte, nicht nur ein phantasma inane (4,18,9). - (e) Im Zusammenhang der blutflüssigen Frau, ______________________________ 4 Tert. 4,43,6-8. Zur methodischen Bedeutung des Arguments in 4,43,7 s. o. Bd. I, S. 45 Anm. 43. 5 4,10,16: »Wenn er - als Menschensohn! - vom Menschen geboren ist, dann stammt er als Körper von einem Körper ab. Du findest ganz offensichtlich leichter einen Menschen, der ohne Herz oder Gehirn geboren ist, als einen ohne Körper, wie Marcions Christus. Man müsste eigentlich das Herz des Mannes aus Pontus untersuchen; oder sein Gehirn (atque adeo inspice cor Pontici aut cerebrum)! « 1298 Anhang I 24,36-49 die Jesu Gewand berührt: Ein phantasma trägt keine Kleider (4,20,13). - (f) Im Zusammenhang des Brotwortes beim letzten Mahl (4,40,3). 6 - (g) Im Zusammenhang des Todes Jesu: Ein phantasma kann nicht »seinen Geist aushauchen« (4,42,7f). 7 So besitzt das Stichwort ϕάντασμα eine zentrale Bedeutung für Tertullians antidoketische Argumentation, und es überrascht nicht, dass seine gewundene Erklärung über die tortuositas und Inkonsequenz der vermeintlichen Redaktion Marcions gerade in diesem Kontext begegnet. Aber auch unabhängig von Tertullians Argumentation bleibt das Problem bestehen, dass *Ev in *24,37.39 zwei unterschiedliche, aber offensichtlich synonym verwendete Begriffe enthielt (ϕάντασμα; πνεῦμα), während die kanonische Fassung in beiden Fällen πνεῦμα bietet. Im Rahmen der Lk-Priorität erscheint dieser Wechsel als beabsichtigte begriffliche Differenzierung; für diese gibt es jedoch nicht den geringsten Anhaltspunkt. Unter der umgekehrten Annahme der *Ev-Priorität löst sich dieses Problem jedoch in Wohlgefallen auf, denn in diesem Fall hat die lk Redaktion genau das getan, was man von einer Redaktion erwartet: Sie beseitigt Unklarheiten und vereinheitlicht die unterschiedliche, aber offensichtlich synonyme Begrifflichkeit. Der viel diskutierte Wortlaut von *24,37.39 bestätigt auf diese Weise noch einmal die Annahme der *Ev-Priorität. 3. In *24,38 unterscheidet sich die Bezeugung des *Ev-Textes bei Tertullian und bei Epiphanius. ______________________________ 6 4,40,3: »Als Jesus sagte ›Dies ist mein Leib‹, da meinte er: ›Dies ist das Bild (figura) meines Leibes.‹ Es hätte kein Bild sein können, wenn es nicht einen wahren Körper gab; denn eine leere Sache, wie es ein phantasma ist, ist zu einem Bild unfähig. Aber wenn er das Brot deswegen mit seinem Körper verglichen hätte, weil ihm ein wirklicher Körper fehlte, dann müsste er das Brot für uns hingegeben haben. Es würde zu Marcions Irrsinn (vanitas) passen, wenn das Brot gekreuzigt worden wäre! Aber warum nennt er seinen Körper Brot und nicht viel mehr einen Kürbis, den Marcion anstelle des Verstandes hat (et non magis peponem, quem Marcion cordis loco habuit)? « 7 4,42,6f: »Der Geist konnte sich nicht selbst aushauchen (expirare). Wenn der Geist ausgehaucht wird, dann muss er notwendigerweise von etwas anderem ausgehaucht werden. Wenn er nämlich nur Geist gewesen wäre, müsste man eher sagen, dass er verschwunden (discesisse), anstatt dass er ausgehaucht ist (expirasse). Was also haucht einen Geist aus, wenn nicht das Fleisch, das ja auch atmet, solange es den Geist hat, und, wenn es ihn verliert, ihn aushaucht? Wenn es also gar kein Fleisch gab, sondern nur ein phantasma des Fleisches, und wenn es außerdem ein phantasma des Geistes gab, wenn folglich der Geist sich selbst ausgehaucht hat und durch das Aushauchen verschwunden ist, dann ist zweifellos das phantasma verschwunden, als der Geist, der das phantasma war, verschwunden ist: Nirgends mehr erscheint das phantasma mit dem Geist. Folglich wäre nichts am Kreuz zurückgeblieben, nichts hinge nach dem Aushauchen noch dort, nichts wurde von Pilatus erbeten, nichts wurde vom Kreuzesbalken abgenommen, nichts in einem neuen Grab bestattet.« 24,36-49 Rekonstruktion 1299 Epiph., Schol. 78 Tert. 4,43,6 Lk 24,38 τί τεταραγμένοι ἐστέ; Quid turbati estis? τί τεταραγμένοι ἐστέ; et quid cogitationes subeunt in corda vestra? καὶ διὰ τί διαλογισμοὶ ἀναβαίνουσιν ἐν τῇ καρδίᾳ ὑμῶν; Auf der einen Seite zitiert Tertullian hier genau, wie das formelhafte inquit beweist; in diesem Fall würde das Fehlen von καὶ διὰ τί διαλογισμοὶ ἀναβαίνουσιν ἐν τῇ καρδίᾳ ὑμῶν bei Epiphanius auf das Konto seines abkürzenden Referats zu verbuchen sein. Andererseits wäre eine solche Lücke in der Mitte des Referats eines relativ kurzen Textes für Epiphanius ausgesprochen untypisch, weil solche Auslassungen meist in längeren Referaten begegnen; nach seiner Zitierpraxis stünde eher zu erwarten, dass er Anfang und Ende genau vermerkt und das Dazwischenliegende auslässt. Aber wie das sehr genaue Referat von V. *39 zeigt, ist dies an dieser Stelle nicht der Fall. Man muss also davon ausgehen, dass auch Epiphanius in V. *38 genau zitiert. In diesem Fall liegt eine der typischen und häufig zu beobachtenden uneinheitlichen Angleichungen des vorkanonischen Evangeliums an die kanonische Textform vor, wobei davon auszugehen ist, dass die ältere Fassung in dem von Epiphanius benutzten *Ev-Exemplar erhalten ist, während der durch Tertullian bezeugte »Überschuss« in V. 38b bereits durch den kanonischen Text konformiert ist. Für diese Annahme spricht dann auch, dass es innerhalb dieser »sekundären« zweiten Frage nur geringfügige Abweichungen (διὰ τί; τῇ καρδίᾳ) gibt, die sich außerdem durch die gesamte handschriftliche Tradition ziehen, sich also nicht nach der charakteristischen Distinktion auf die »Westlichen« und »alexandrinischen« Handschriften verteilen lassen. Auch wenn hier keine letzte Sicherheit zu erhalten ist, spricht mehr dafür, dass die zweite Frage ursprünglich gefehlt hat, als dass Epiphanius sie in seinem Referat übergangen hat. 4. Auch in *24,39 ist die Bezeugung nicht ganz klar: In zwei Fällen gehen Tertullian und Epiphanius gegen den kanonischen Text zusammen, in einem weichen ihre Referate voneinander ab. Epiph., Schol. 78 Tert. 4,43,6 Lk 24,39 ἴδετε τὰς χεῖράς μου καὶ τοὺς πόδας μου, Videte manus meas et pedes, ἴδετε τὰς χεῖράς μου καὶ τοὺς πόδας μου quia ego ipse sum, ὅτι ἐγὼ αὐτός εἰμι· ψηλαϕήσατέ με καὶ ἴδετε, ὅτι πνεῦμα quoniam spiritus ὅτι πνεῦμα σάρκα καὶ ὀστέα οὐκ ἔχει, ossa non habet, ὀστέα οὐκ ἔχει καθὼς ἐμὲ θεωρεῖτε ἔχοντα sicut me videtis habere καθὼς ἐμὲ θεωρεῖτε ἔχοντα 1300 Anhang I 24,36-49 a. Für die widersprüchliche Bezeugung von ἐγὼ αὐτός εἰμι *24,39a gilt zunächst das Gleiche wie für *24,38b: Die uneinheitliche Bezeugungssituation (die Worte fehlen bei Epiphanius, sind aber durch Tertullian und Adamantius bezeugt); die handschriftliche Situation (Uneinheitlichkeiten in der Wortstellung, die sich quer durch die gesamte Überlieferung ziehen); die inneren Gründe, die gegen das Vorhandensein in *Ev sprechen (dazu gleich mehr); sowie die grundsätzliche methodische Überlegung, dass der am weitesten vom kanonischen Wortlaut entfernte Text mit einiger Wahrscheinlichkeit der ältere sei: All das entspricht genau den Überlegungen zu V. 38b, so dass die Wendung ἐγὼ αὐτός εἰμι ebenfalls in *Ev gefehlt haben wird. b. Eindeutiger und wichtiger ist in V. *39 die Übereinstimmung der drei Hauptzeugen, dass die Worte ψηλαϕήσατέ με καὶ ἴδετε und σάρκα καί in *Ev gefehlt haben. Dieses Dreifachzeugnis wiegt schwer, obwohl es nicht durch die handschriftliche Überlieferung des »Westlichen« Textes gestützt ist. 8 Aber das Urteil, dass hier die vorkanonische Textgestalt bezeugt ist, lässt sich in diesem Fall nicht ohne weiteres fällen, weil die Perikope eine ziemlich enge Parallele bei Ignatius besitzt (die in *Ev mutmaßlich fehlenden Passagen kursiv in [ ]): Ignatius, Smyrn 3,2-3 9 Lk 24,36-43 Καὶ ὅτε πρὸς τοὺς περὶ Πέτρον ἦλθεν, 36 Ταῦτα δὲ αὐτῶν λαλούντων αὐτὸς ἔστη ἐν μέσῳ αὐτῶν [καὶ λέγει αὐτοῖς, Εἰρήνη ὑμῖν]. 37 πτοηθέντες δὲ καὶ ἔμϕοβοι γενόμενοι ἐδόκουν πνεῦμα (*Ev: ϕάντασμα) θεωρεῖν. ἔϕη αὐτοῖς· 38 καὶ εἶπεν αὐτοῖς, Τί τεταραγμένοι ἐστέ, καὶ διὰ τί διαλογισμοὶ ἀναβαίνουσιν ἐν τῇ καρδίᾳ ὑμῶν; ______________________________ 8 Zahns Urteil, dass die Worte ψηλαϕήσατέ με καὶ ἴδετε »auch demjenigen Zweig der kirchlichen Textüberlieferung, mit welchem Mrc. sonst vorwiegend übereinstimmt, fremd sind« (Z AHN II 454), beruht also auf einem Irrtum. Denn tatsächlich sind die beiden Passagen den Handschriften des »Westlichen« Textes keineswegs »fremd«, sondern gut bezeugt. Der Kontext von Zahns Urteil ist im Übrigen seine Kritik an Hilgenfeld und Volckmar, die zu begründen versucht hatten, warum diese Worte trotz der mangelnden Bezeugung in *Ev enthalten waren: Beide verstanden die Aufforderung Jesu (»Fasst mich doch an und seht selbst«) in dem Sinn, den schon Tertullian dem Marcion unterlegt hatte, nämlich als Beweis für die Unkörperlichkeit Jesu: »eben dadurch sollten sie sich sinnlich überzeugen, dass er nicht der materiellen Welt angehöre. Denn Hände und Füsse hatte ja, wie gesehn, Christus auch bei Marcion, aber nur nicht aus Fleisch und Knochen, sondern aus Geistesstoff bestehende, was sich alsbald bei der Berührung zeigen konnte« (G. V OLCKMAR , Das Evangelium Marcions, Leipzig 1852, 172; vgl. auch A. H ILGENFELD , Kritische Untersuchungen über die Evangelien Justin’s, Halle 1850, 440). 9 Zitiert auch von Eusebius, H.E. 3,36,11. 24,36-49 Rekonstruktion 1301 Λάβετε, ψηλαϕήσατέ με καὶ ἴδετε, ὅτι οὐκ εἰμὶ δαιμόνιον ἀσώματον. 39 ἴδετε τὰς χεῖράς μου καὶ τοὺς πόδας μου ὅτι [ἐγὼ αὐτός εἰμι· ψηλαϕήσατέ με καὶ ἴδετε, ὅτι] πνεῦμα [σάρκα καὶ] ὀστέα οὐκ ἔχει καθὼς ἐμὲ θεωρεῖτε ἔχοντα. Καὶ εὐθὺς αὐτοῦ ἥψαντο καὶ ἐπίστευσαν, κραθέντες τῇ σαρκὶ αὐτοῦ καὶ τῷ πνεύματι … [40 καὶ τοῦτο εἰπὼν ἔδειξεν αὐτοῖς τὰς χεῖρας καὶ τοὺς πόδας.] 41 ἔτι δὲ ἀπιστούντων αὐτῶν [ἀπὸ τῆς χαρᾶς καὶ θαυμαζόντων] εἶπεν αὐτοῖς, ῎Εχετέ τι βρώσιμον ἐνθάδε; Μετὰ δὲ τὴν ἀνάστασιν συνέϕαγεν αὐτοῖς καὶ συνέπιεν ὡς σαρκικός, καίπερ πνευματικῶς ἡνωμένος τῷ πατρί. 42 οἱ δὲ ἐπέδωκαν αὐτῷ ἰχθύος ὀπτοῦ μέρος· 43 καὶ λαβὼν ἐνώπιον αὐτῶν ἔϕαγεν. Dass zwischen den beiden Texten eine enge Beziehung besteht, ist schon lange gesehen worden, aber ihr Verhältnis ist komplex und nicht ohne weiteres als Abhängigkeit des einen vom anderen zu beschreiben. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass der propositionale Gehalt beider Fassungen nahezu identisch ist: (1) Der Auferstandene erscheint vor den Jüngern. (2) Er fordert sie auf, ihn zu berühren, um auf diese Weise seine körperliche Existenz sicherzustellen. (3) Aus demselben Grund isst er auch mit ihnen. Am deutlichsten wird diese Übereinstimmung an der identischen Abfolge der fünf Worte »ψηλαϕήσατέ με καὶ ἴδετε, ὅτι«. Andererseits unterscheiden sich beide Fassungen in der Wortwahl. 10 Der deutlichste Unterschied, der in der Debatte dann auch die größte Rolle gespielt hat, ist Ignatius’ Formulierung οὐκ εἰμὶ δαιμόνιον ἀσώματον anstelle des lk πνεῦμα σάρκα καὶ ὀστέα οὐκ ἔχει: Unter der naheliegenden Annahme, dass Ignatius von Lk 24 abhängt, ist nicht einsichtig zu machen, wieso er das lk σάρξ/ πνεῦμα durch δαιμόνιον ἀσώματον ersetzt haben sollte. 11 Aus diesem Grund hatte Petersen erwogen, dass Ignatius nicht von Lk, sondern von einer vorlk Fassung des Textes abhängig sei, die in Analogie zu ϕάντασμα in D d an dieser Stelle δαιμόνιον ______________________________ 10 So schon J. B. L IGHTFOOT in seiner Ausgabe der Apost. Väter (The Apostolic Fathers, London 1889/ 90, 294): »The reference (sc. in Ignatius) is plainly to the same incident … The words, however, in which it is told, are different.« Zur weiteren Diskussion vgl. H. K ÖSTER , Synoptische Überlieferung bei den Apostolischen Vätern, Berlin 1957, 45f; V. C ORWIN , St. Ignatius and Christianity in Antioch, New Haven 1960, 68; R. M. G RANT , Scripture and Tradition in St Ignatius of Antioch, CBQ 25 (1963), 322-335: 327; W. S CHOEDEL , Die Briefe des Ignatius von Antiochien, München 1990, 352-359; W. L. P ETERSEN , What Text Can New Testament Textual Criticism Ultimately Reach? , in: B. Aland, J. Delobel (eds.), New Testament Textual Criticism, Exegesis, and Early Church History, Kampen 1994, 136-152; A. G REGORY , The Reception of Luke and Acts in the Period Before Irenaeus, Tübingen 2003, 70-75. 11 G REGORY , a. a. O. 72 (mit Beispielen), weist darauf hin, dass Ignatius die Formulierungen σὰρξ καὶ πνεῦμα bzw. σαρκικός τε καὶ πνευματικός für Jesus durchaus kennt und häufig verwendet. 1302 Anhang I 24,36-49 ἀσώματον las, 12 zumal dieser Ausdruck noch in anderen (späteren) Texten auftaucht. 13 Diese Überlegung scheint gut zu unserer Annahme der *Ev-Priorität passen, auch wenn der genaue Ausdruck ϕάντασμα (bzw. ϕαντασία) durch Tertullian und Adamantius für *Ev gesichert ist. Man kommt daher kaum um die Einsicht herum, dass es schon früh verschiedene, gleichwohl sehr eng miteinander zusammenhängende Fassungen gab, die beide den Aspekt der unkörperlichen Erscheinung zum Ausdruck brachten (Ignatius: δαιμόνιον ἀσώματον; *Ev: ϕάντασμα). Die breite Tradition, die im 2. Jh. die Frage der körperlichen Erscheinung diskutierte, zeigt, als wie bedrängend man das Problem des Doketismus wahrnahm. 14 Gegen die Annahme, dass Ignatius auf einen vorlk - und das heißt in unserem Fall: auf einen vorkanonischen - Evangelientext zurückgreift, spricht allerdings die genaue Entsprechung zu dem für *Ev nicht bezeugten und daher mit größter Wahrscheinlichkeit erst kanonischen ψηλαϕήσατέ με καὶ ἴδετε ὅτι (Lk 24,39). Gerade wegen der wortwörtlichen Übereinstimmung ist auch die Annahme einer allgemeinen, mündlich zirkulierenden Tradition 15 ausgeschlossen: Ignatius ist von dem kanonischen Lk-Text abhängig. Dies bringt eine doppelte Schwierigkeit mit sich: Zum einen setzt die Analogie von δαιμόνιον ἀσώματον und ϕάντασμα in V. *37 voraus, dass der Text, auf den Ignatius zurückgreift, die gleiche inkonsequente Konformierung mit dem kanonischen Text aufweist, die schon häufig aufgefallen ist; das ist grundsätzlich denkbar. Schwieriger scheint die Datierungsfrage zu sein. Denn wenn die lk Redaktion im Kontext der kanonischen Ausgabe auf Marcion kurz vor der Mitte des 2. Jh. reagiert, müssen die Ignatiusbriefe noch jünger sein. M. a. W.: Die hier vorgenommene Differenzierung zwischen dem vorkanonischen *Ev-Text und dem kanonischen Lk impliziert eine »Spätdatierung« von Lk/ Act und erfordert zugleich eine noch spätere Ansetzung der Ignatiusbriefe. Diese Überlegung passt sehr genau zu den neueren Einsichten zur Datierung der Ignatianen in die Zeit um die bzw. seit der Mitte des 2. Jh. 16 und bestätigt den grundsätzlichen Neuansatz von einer methodisch ganz anders gearteten Perspektive aus. ______________________________ 12 P ETERSEN , a. a. O. 144-147: »The variant ›bodiless daemon‹ is clearly the most ancient extant version of Luke 24.39, for it is known not just to Ignatius - which means it was known in the first decade of the second century - but also to a clutch of other second and third century writers« (145, Hervorhebung im Original). 13 Origenes stellte fest, dass das »Wort ἀσώματος weder beim Volk noch in der Schrift bekannt sei« und wies diese Formulierung dem Kerygma Petrou zu: non sum daemonium incorporeum (Princ. 1 praef. 8; GCS 22, 14,16ff, in Rufins Übersetzung). Auch Hieronymus, De viris inl. 16; Comm. in Is. 18 prooem. kennt das Logion in dieser Form. Zu den Beziehungen dieser Belege vgl. M. V INZENT , »Ich bin kein körperloses Geistwesen«, in: R. M. Hübner, Der paradox Eine, Leiden u. a. 1999, 241-286. 14 Vgl. dazu die theologiegeschichtliche Skizze von R. M. H ÜBNER , Εἷς θεὸς Ἰησοῦς Χριστός, in: ders., Der paradox Eine, Leiden u. a. 1999, 207-240. 15 So erwogen von G REGORY , a. a. O. 73. Vgl. B OVON , Lk IV 582: »frei schwebende Sentenz.« 16 Neben der Untersuchung R. J OLY , Le dossier d’Ignace d’Antioche, Bruxelles 1979, hat besonders R. M. Hübner ein Datum nach der Mitte des 2. Jh. vertreten: R. M. H ÜBNER , Thesen zur Echtheit und Datierung der sieben Briefe des Ignatius von Antiochien, ZAC 1 (1997), 44-72; DERS ., Die Ignatianen und Noët von Smyrna, in: ders., Der paradox Eine, Leiden u. a. 1999, 131-206 u. ö. Vgl. weiter T H . L ECHNER , Ignatius adversus Valentinianos? , Leiden u. a. 1999; C H . E. H ILL , Ignatius and the Apostolate, Studia Patristica 36, Leuven 2001, 226-248; T. D. B ARNES , The Date of Ignatius, 24,36-49 Rekonstruktion 1303 c. Für die Rekonstruktion des *Ev-Textes bedeutet dies, dass die beiden unbezeugten Wendungen ψηλαϕήσατέ με καὶ ἴδετε ὅτι und σάρκα καί in Lk 24,39 das gleiche theologische Interesse verbindet: Es handelt sich am wahrscheinlichsten um antidoketische Zusätze der lk Redaktion, die mit den neuen Einsichten zur Theologiegeschichte des 2. Jh. einen plausiblen Ort erhalten. 17 Diese Einschätzung stützt die Überlegungen zu der Auslassung von ἐγώ αὐτός εἰμι in V. 39a: Der vorkanonische Text enthielt nur eine Aufforderung (ἴδετε τὰς χεῖράς μου καὶ τοὺς πόδας) und nur eine Begründung (ὅτι πνεῦμα ὀστέα οὐκ ἔχει καθὼς ἐμὲ θεωρεῖτε ἔχοντα). Der redaktionelle Einschub von ἐγὼ αὐτός εἰμι· ψηλαϕήσατέ με καὶ ἴδετε ὅτι hat daraus zwei Aufforderungen gemacht: Das Sehen der Hände und Füße des Erscheinenden begründet die Identität des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten; die Berührung stellt sicher, dass er körperlich auferstanden und also kein ϕάντασμα bzw. kein δαιμόνιον ἀσώματον ist. Diese Verlagerung bzw. Bedeutungserweiterung der Erscheinung ist wichtig für die überlieferungsgeschichtliche Einschätzung der Beziehung zu Joh 20f (s. gleich). 5. Lk 24,40 ist unbezeugt, besitzt auch kein Gegenstück in der für Ignatius angenommenen Rezeption dieses Textes. Da auch dieser Vers durch die charakteristische Reihe der »Westlichen« Zeugen ausgelassen ist, 18 geht er mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die lk Redaktion zurück. 19 In diesem Fall lässt sich darüber hinaus wahrscheinlich machen, dass diese Einfügung auf den Einfluss von Joh 20,20 zurückgeht: Dafür spricht nicht nur die fast identische Wortfolge καὶ τοῦτο εἰπὼν ἔδειξεν [αὐτοῖς] τὰς χεῖρας καί, sondern auch die Verbindung zwischen dem Vorzeigen der Hände (und Füße bzw. der Seite Jesu) sowie der Reaktion der Jünger, zu der ihre Freude und auch ihr (Noch-nicht-)Glauben gehören: Das Syndrom dieser Elemente verbindet Joh mit Lk (nicht aber mit *Ev). Dass Lk 24,40 von Joh 20,20 abhängig ist und nicht umgekehrt Joh 20,20 den lk Text »nachgeahmt« hat (Harnack), ist gleich ausführlicher zu begründen. 6. Im Unterschied zu Lk 24,40 ist V. *41 durch Tertullian gesichert. Es liegt nahe, dass Jesu Frage nach etwas Essbarem schon in *Ev eine Fortführung besaß, ______________________________ ExpT 120 (2008), 119-130, der mit guten Gründen eine Datierung der Ignatianen in die 140er Jahre für wahrscheinlicher hält als den späteren Vorschlag um 160-180. 17 Das offensichtliche Problem für die Spätdatierung der Ignatianen, die sich aus den theologiegeschichtlichen Analogien seit der Mitte des 2. Jh. ergaben, liegt ja darin, dass in Lk 24 eine diesen späteren Zeugnissen exakt entsprechende Auslassung vorlag, die - nach traditioneller Datierung - noch deutlich älter ist als die gewohnte Ansetzung der Ignatianen zur Zeit Trajans. Dieses Problem (auf das etwa V INZENT , a. a. O., 241-286, überhaupt nicht eingeht) findet so eine einfache Lösung. 18 D a b d e ſſ 2 l r 1 sy s.c . 19 H ARNACK 239* hält die Aussage für »lukanisch, von Joh. 20,20 nachgeahmt und von M. gestrichen, dem ein Teil der abendländischen Textüberlieferung gefolgt ist.« 1304 Anhang I 24,36-49 die in etwa *24,42 entsprochen hatte. 20 Dass diese Verse durch Eznik von Kolb für *Ev bezeugt sind, 21 stützt diese Überlegung, auch wenn dieses späte Zeugnis allein als Argument für *Ev kaum ausreichen würde. Dass die Fortsetzung in *24,42f enthalten war, zeigt dann das Ende von V. *43: In einem Teil der handschriftlichen Überlieferung, darunter auch die häufig auffälligen Zeugen it sy, findet sich in verschiedenen Varianten der Zusatz: »er nahm das Übrige und gab es ihnen.« Dieser Zusatz, der alle Züge der Intereferenz zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Handschriftenüberlieferung trägt, ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Zunächst scheint der Eindruck zu entstehen, dass der Auferstandene mit den Jüngern gemeinsam isst. Aber das steht nicht da. Auch in *24,13 ist von einem gemeisamen Mahl gar nicht die Rede. Im Unterschied etwa zu Joh 20,13 legt *24,43b keinen Wert darauf, den Auferstandenen als Gastgeber der Jünger darzustellen. 7. Die Vv. 44-49 sind unbezeugt und haben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in *Ev gefehlt. Für dieses zuversichtliche Urteil sprechen die Querbezüge der einzelnen Aussagen zu anderen (sicher oder wahrscheinlich) redaktionellen Texten. Darauf sei hier eher summarisch verwiesen: a. Lk 24,44-48 hat ein Seitenstück in der Paulusrede vor Agrippa II. und Festus in Act 26,22f. In den beiden Reden entsprechen sich die folgenden Elemente. 1. Nach Lk 24,48 sollen die Jünger Zeugen sein (ὑμεῖς μάρτυρες τούτων) für das, was in 24,46f verheißen wird. Dementsprechend reklamiert Paulus für sich, dass er Zeugnis vor Groß und Klein abgelegt hat (Act 26,22: μαρτυρόμενος μικρῷ τε καὶ μεγάλῳ). 2. Dieses Zeugnis richtet sich auf die Übereinstimmung der Ereignisse mit der Schrift, die also »erfüllt« wird (Lk 24,46f: ὅτι δεῖ πληρωθῆναι πάντα τὰ γεγραμμένα ἐν τῷ νόμῳ Μωϋσέως καὶ τοῖς προϕήταις καὶ ψαλμοῖς περὶ ἐμοῦ). Auch Paulus nimmt für sich in Anspruch, nichts anderes gesagt zu haben, als das, was die Propheten und Mose geredet hätten (Act 26,22: οὐδὲν ἐκτὸς λέγων ὧν τε οἱ προϕῆται ἐλάλησαν … καὶ Μωϋσῆς). 3. Der Inhalt dieser Verheißungen der Schrift, deren Realisierung bezeugt werden soll, konzentriert sich auf drei Hauptpunkte: Die Notwendigkeit des Leidens, die Auferstehung und die Verkündigung (Lk 24,46: παθεῖν τὸν Χριστὸν καὶ ἀναστῆναι ἐκ νεκρῶν τῇ τρίτῃ ______________________________ 20 Anders Z AHN I 495: »Aus dem Schweigen Tertullians über wirkliches Essen folgt wohl, daß 42 und 43 fehlten.« Tatsächlich enthält Tertullian den als fehlend empfundenen Hinweis, wenn auch nicht als Zitat, sondern in Tertullians eigener Formulierung (… ut se ostenderet etiam dentes habere). 21 Der Kontext bei Eznik ist die Fleischaskese: »Bezüglich der Speisen finden wir im Alten und im Neuen Testament desgleichen, daß sie von Gott zur Nahrung gegeben sind. Dort sagt er: ›Schlachte und iß alle eßbaren Tiere und Vögel.‹ Und hier sagt er: ›Was zum Mund des Menschen hineingeht, das alles verunreinigt ihn nicht, sondern, was zum Mund herauskommt, das verunreinigt ihn.‹ Und von dem allen ist eines auch das Fleisch« (Eznik, De Deo IV 12; W EBER 170). In diesem Zzusammenhang findet sich auch die bemerkenswerte Gleichsetzung von Fisch und Fleisch: »Daß übrigens auch der Fisch Fleisch ist, dies ist allen bekannt …« 24,36-49 Rekonstruktion 1305 ἡμέρᾳ; vgl. Act 26,22: εἰ παθητὸς ὁ Χριστός, εἰ πρῶτος ἐξ ἀναστάσεως νεκρῶν ϕῶς μέλλει καταγγέλλειν). 4. Die Verkündigung, die diese Elemente bezeugen soll, ist universal und zielt auf alle Heidenvölker (Lk 24,47: κηρυχθῆναι … εἰς πάντα τὰ ἔθνη; Act 26,23: καταγγέλλειν … τοῖς ἔθνεσιν), auch wenn sie 5. von Jerusalem ausgeht bzw. die Juden mit einschließt (Lk 24,46: ἀρξάμενοι ἀπὸ Ἰερουσαλήμ; Act 26,23: καταγγέλλειν τῷ τε λαῷ). Auf diese Weise bildet das Thema der »Zeugenschaft« 22 eine wichtige kompositorische Klammer um den Bericht in Act. b. Jesus öffnet den Jüngern »den Verstand zum Verstehen der Schriften« (Lk 24,45: διήνοιξεν αὐτῶν τὸν νοῦν τοῦ συνιέναι τὰς γραϕάς): Er tut hier nichts anderes als in 24,27 (ebenfalls redaktionell, s. dort). Die Leser erfahren also nichts Neues. Man könnte höchstens überlegen, dass die erste Belehrung über die christologischen Weissagungen der Schrift in 24,27 sich nur an zwei Jünger gerichtet hatte, während jetzt die Elf unterrichtet werden. Aber vermutlich ist das narrative Ziel anders zu bestimmen: Zunächst findet die Erscheinung des Auferstandenen erst in dieser Belehrung ihr Ziel; da nach den ersten beiden Erweisen der Auferstehung (sehen/ anfassen: 24,38-40; essen: 24,41-43) die Beseitigung des Zweifels der Jünger nicht mitgeteilt wurde, lässt sich deuten: Die Überwindung des (vorerst noch bleibenden) Unglaubens (24,41) wird erst durch die sich anschließende Belehrung geleistet. Auch wenn hier (im Unterschied zu *24,8) das Einsetzen des Verstehens nicht mitgeteilt wird, liegt darin das Ziel, wie die Fortführung der Erzählung in 24,50ff zeigt: »Glauben« setzt für Lk das »Verstehen« im Horizont der Schrift voraus. 23 Dass dieses hermeneutische Konzept über sich selbst hinausweist und nicht allein auf die materiale Übereinstimmung des Geschicks Jesu mit der Schrift abzielt, sondern auf die Legitimierung der Schrift als Referenzrahmen des christlichen Glaubens, wurde oben ausführlicher dargelegt (vgl. Bd. I, § 8.2, S. 183ff). Dieses Verständnis impliziert nicht nur, dass die Jünger (bisher) die »Schriften« noch nicht bzw. noch nicht richtig verstanden hatten, es sagt auch, dass die »Abweisung der Christusverkündigung von Seiten der weitaus überwiegenden Mehrheit des Judentums ihren Grund einzig und allein darin hat, dass sie ihre eigenen Schriften nicht richtig verstehen.« 24 Damit wird die gesamte in Act berichtete Ausbreitung des Glaubens in diese Auseinandersetzung um das »richtige« Verstehen der Schrift mit hinein genommen; dass ein entsprechendes Konzept auch in Joh 5,45-47 vorliegt, sei hier nur angemerkt. ______________________________ 22 Dieses Stichwort taucht in Lk 24,48 (μάρτυρες) zum ersten, in Act 26,22 (μαρτυρόμενος) zum letzten Mal innerhalb des lk Doppelwerks auf, vgl. W OLTER , Lk 791. 23 Lk 24,44-49 stellt deswegen auch keine Wiederholung von zuvor (24,6f; 25-27) Gesagtem dar (so B OVON , Lk IV 591), sondern entwickelt das dort grundgelegte Konzept weiter. 24 W OLTER , Lk 792. 1306 Anhang I 24,36-49 c. Dass die Verkündigung der Jünger in Jerusalem »anfangen«, dann aber über Jerusalem hinausgehen und alle (Heiden-)Völker erreichen soll, wird hier zum ersten Mal gesagt, dann aber in Act mehrfach aufgenommen, zuerst und programmatisch in 1,8: καὶ ἔσεσθέ μου μάρτυρες ἔν τε Ἰερουσαλὴμ καὶ ἐν πάσῃ τῇ Ἰουδαίᾳ καὶ Σαμαρείᾳ καὶ ἕως ἐσχάτου τῆς γῆς. Die Realisierung dieses Programms wird zunächst in Act 2,38f erzählt: Die Verheißung (ἐπαγγελία) erfüllt sich zunächst an den Jerusalemern, geht dann aber weiter zu πᾶσιν τοῖς εἰς μακράν (2,39). Das missionstheologische Konzept »Von Jerusalem bis zum Ende der Welt« ist so prägend, dass selbst die paulinische Mission darin einbezogen wird (s. Act 22,17.21). d. Weitere Elemente, die eine Verbindung zu dem redaktionellen Konzept in Lk-Act deutlich werden lassen, sind die Erwähnung von Umkehr und Sündenvergebung als Ziel der Sendung der Jünger: Diese sehr eigene Verbindung begegnet schon in der Verkündigung des Täufers (Lk 3,3 κηρύσσων βάπτισμα μετανοίας εἰς ἄϕεσιν ἁμαρτιῶν; s. auch 3,8; 1,77), sie wird in Act 2,38 wieder aufgegriffen (μετανοήσατε … καὶ βαπτισθήτω ἕκαστος ὑμῶν … εἰς ἄϕεσιν τῶν ἁμαρτιῶν ὑμῶν) und dann in Act 3,18f; 5,31 weitergeführt. e. Das Mittel, das die Jünger zu ihrer Zeugenschaft befähigen wird, ist die verheißene Gabe des Geistes. Dass der Geist die ἐπαγγελία τοῦ πατρός ist, hat Lk bis dahin nicht erzählt. Dieser proleptische Verweis wird erst im Licht der Pfingsterzählung mit der Auslegung von Joel 3 verständlich (Act 2,17). Das enge Geflecht, das nicht nur die kohärente Tiefenstruktur der Gesamterzählung von Lk-Act erweist, sondern auch durch terminologische Verklammerungen Kohäsionssignale auf der Textoberfläche setzt, stellt Lk 24,44-49 als redaktionellen Zusatz sicher, der hier mit erheblicher Kunstfertigkeit die ältere Erzählung in *Ev erweitert und in das Gesamtkonzept einpasst. 8. In überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht sind die engen Beziehungen zwischen Lk 24,36-49 und Joh 20,19-21,14 aufschlussreich - und zugleich höchst komplex. Denn es ist nicht möglich, hier ein unilaterales Abhängigkeitsverhältnis zu konstituieren. Auf der einen Seite sind die engen Beziehungen des gesamten Erzählzusammenhanges zwischen Lk und Joh deutlich, die sich in allen Punkten von der mk-mt Überlieferung unterscheiden: (1) Der Auferstandene erscheint in Jerusalem. (2) Dieses Erscheinen geschieht unvermittelt vor dem Kreis der Jünger. (3) Jesus zeigt den Jüngern seine Hände und Füße bzw. seine Seite. (4) Jesus fordert die Jünger auf, ihn zu berühren. (5) Jesus verlangt von den Jüngern etwas zu essen. Dass der insgesamt viel ausführlichere Bericht in Joh 20f den knappen Erscheinungsbericht Lk 24,36ff voraussetzt und (sehr selbständig) ausschreibt, ist die ganz weithin vertretene Lösung des überlieferungsgeschichtlichen Problems im weiteren Horizont der Frage nach dem Verhältnis »Johannes und Synoptiker«. 24,36-49 Rekonstruktion 1307 Auf der anderen Seite gibt es zwischen Joh und Lk zu dieser Perikope an zwei Stellen wörtliche Entsprechungen, die eine direkte literarische Bezugnahme in höchstem Maß wahrscheinlich machen, nämlich Lk 24,36 || Joh 20,26 und Lk 24,40 || Joh 20,20a. Lk 24,36 Joh 20,26 (αὐτὸς ἔστη ἐν μέσῳ αὐτῶν) (καὶ ἔστη εἰς τὸ μέσον) καὶ λέγει αὐτοῖς, καὶ εἶπεν, Εἰρήνη ὑμῖν Εἰρήνη ὑμῖν Lk 24,40 Joh 20,20a καὶ τοῦτο εἰπὼν καὶ τοῦτο εἰπὼν ἔδειξεν αὐτοῖς τὰς χεῖρας καί (…) ἔδειξεν αὐτοῖς τὰς χεῖρας καί (…). Da diese Passagen - wie gezeigt - in *Ev gefehlt haben, konstituieren die Analogien eine direkte literarische Beziehung zwischen Lk und Joh. Dies entspricht dem üblichen überlieferungsgeschichtlichen Paradigma im Rahmen des Diskurses »Joh und die Synoptiker«. Für diese Beziehung wurden beide denkbaren Bearbeitungsrichtungen erwogen: Im Unterschied zur Mehrheitsmeinung einer Abhängigkeit des Joh von Lk (und den anderen Synoptikern) wurde zuletzt und mit guten Gründen wiederholt eine Abhängigkeit des Lk von Joh vertreten. 25 Aber die Annahme, dass Lk insgesamt von Joh abhängig ist, scheitert daran, dass Joh über weite Strecken die synoptische Tradition und dabei insbesondere das literarische Profil des Lk voraussetzt, wie sich in vielen Einzelheiten zeigen lässt und wie gerade anhand der Erscheinungstradition deutlich wurde. Die Komplexität der aus diesen Beobachtungen resultierenden überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhänge löst sich zunächst, wenn Joh nicht Lk, sondern *Ev voraussetzt, wogegen die kanonische Fassung des Lk von Joh abhängt. In diesem Fall lässt sich die Überlieferungsgeschichte dieser Perikope folgendermaßen skizzieren: a. Die älteste Fassung des Berichts von der Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern in Jerusalem findet sich in *Ev. Dieser Bericht hat ein erkennbares Interesse am Erweis der Körperlichkeit der Auferstehung: Bei Jesu Erscheinen erschrecken die Jünger (*24,37: καὶ ἔμϕοβοι γενόμενοι), weil sie ihn für ein ϕάντασμα halten. Zur Überwindung dieser Furcht (*24,38a) präsentiert Jesus seine Hände und Füße (*24,39a: ἴδετε τὰς χεῖράς μου καὶ τοὺς πόδας μου), damit die Jünger sehen (*24,39b: θεωρεῖν) können, dass er - im Unterschied zu einer Einbildung - Knochen besitzt (*24,29b: πνεῦμα ὀστέα οὐκ ἔχει). Die Jünger sind davon noch nicht überzeugt: Weil sie »noch ungläubig« sind (*24,41a: ἔτι δὲ ἀπιστούντων αὐτῶν), ______________________________ 25 Zuletzt v. a. M. A. M ATSON , In Dialogue with Another Gospel, Atlanta 2001, 422-434. 1308 Anhang I 24,36-49 verlangt Jesus etwas Essbares und isst vor ihren Augen (*24,42f). Von einer Reaktion auf diesen zweiten Beweis der Körperlichkeit Jesu haben sich keine Spuren erhalten. Man zögert, das Interesse dieser Darstellung in *Ev »antidoketisch« zu nennen - zumindest, wenn man damit das theologische Profil der antidoketischen Argumentationen des 2. Jh. verbindet: Es geht *Ev nur darum, die Erscheinung Jesu als real im Gegenüber zu einer Einbildung (ϕάντασμα) der Jünger herauszustellen, nicht aber um den Gegensatz zwischen einer physisch-körperlichen und einer geistleiblichen Wirklichkeit. b. Die Erzählung in Joh 20f beruht auf diesem sehr knappen Bericht in *Ev. Aber sie hat ihn ausgeweitet, auf mehrere Szenen verteilt und dabei starke, eigene Akzente gesetzt. Die Eröffnung der Erscheinungsszene Joh 20,19-23 hat das Stichwort »Furcht« aus *24,37 aufgegriffen, es aber nicht auf das Erscheinen Jesu, sondern auf die Bedrohung durch »die Juden« bezogen. In diesem Zusammenhang hat Joh die Frage Jesu nach dem Grund des Erschreckens (*24,38a) und die Aufforderung, seine Hände und Füße anzusehen (*24,39a), übergangen bzw. durch den kurzen Friedensgruß ersetzt. Dass Joh hier aber tatsächlich eine Rede Jesu vorfand, zeigt sich noch an der Einleitung von 20,20a (καὶ τοῦτο εἰπών), die als Verweis auf den Friedensgruß eigentlich überflüssig ist. Vor allem hat Joh das Sehen der Hände und Füße (*24,39a) in das Sehen seiner Hände und Seite verändert (20,20a). Damit hat er das Beweisziel verschoben: Es geht ihm nicht in erster Linie um den Beweis der Körperlichkeit des Erscheinenden (so sehr diese mitgedacht ist) als vielmehr um seine Identität: Der Auferstandene ist der Gekreuzigte. Im Unterschied zu dem Prätext in *Ev, in dem die Jünger ungläubig bleiben, berichtet Joh als Reaktion die Freude der Jünger, »weil sie den Herrn sahen«; diese Formulierung ist bei Joh Ausdruck des Glaubens. 26 Dass die Jünger »vor lauter Freude noch ungläubig blieben und sich wunderten« (Lk 24,41), ist dann der etwas verunglückte Versuch der lk Redaktion, seine Prätexte *Ev und Joh miteinander zu kombinieren: Aus *Ev stammt die Feststellung ἔτι δὲ ἀπιστούντων αὐτῶν (*24,41), aus Joh 20,20 (ἐχάρησαν οὖν οἱ μαθηταί) dagegen die Begründung für den Unglauben (ἀπὸ τῆς χαρᾶς καὶ θαυμαζόντων). An dieser Stelle erweitert Joh seinen Prätext *Ev, indem er - eingeleitet durch den zweiten Friedensgruß 27 - die Jünger aussendet, ihnen den Geist gibt und sie (unter Aufnahme von Mt 16,18f; 18,18) mit der Sündenvergebung beauftragt (Joh 20,23). ______________________________ 26 So schon Joh 20,18, vgl. für viele T HYEN , Joh 767. 27 20,21; mit εἶπεν … πάλιν, Εἰρήνη ὑμῖν macht Joh deutlich, dass der Gruß erstens tatsächlich das betonte Zusprechen des Friedens beinhaltet und mehr ist als eine Begrüßungsfloskel, und dass er zweitens ein wichtiges Gliederungssignal für die Erzählung des Erscheinens vor den Jüngern ist, wie die Erscheinung vor Thomas (20,26) zeigt; der Friedensgruß von 20,21 ist also keine »störende Dublette« (B ECKER , Joh II 735). 24,36-49 Rekonstruktion 1309 Den Aspekt des (vorläufig noch anhaltenden) Unglaubens der Jünger (*24,41a) behandelt Joh 20,24-29 in der eigenständigen Thomasperikope und gibt ihm auf diese Weise Gewicht. Die Erscheinung vor Thomas (20,26-29) verdoppelt die Erscheinung von 20,19-23, wie die Entsprechungen zwischen V. 19 und 26 zeigen (verschlossene Türen; Jesus tritt mitten unter die Jünger; Friedensgruß). Die Erscheinung vor Thomas verbindet den Aspekt der Identität des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten (aufgrund der Autopsie der Wundmale) mit dem der Körperlichkeit des Erscheinenden (aufgrund der Berührung durch Thomas, der seine Finger in die Wunden legt). Auch hier ist die Reaktion - Thomas’ Bekenntnis »Mein Herr und mein Gott« - Ausdruck seines Glaubens: Die Aufforderung Jesu: καὶ μὴ γίνου ἄπιστος ἀλλὰ πιστός (20,27) klingt wie die direkte Reaktion auf den anhaltenden Unglauben der Jünger, den Joh in *Ev fand (*24,41). Den letzten Beweis für die Körperlichkeit der Auferstehung Jesu aus dieser Szene in *Ev (*24,41f) hat Joh in der Szene am See von Tiberias verarbeitet. 28 Er hat dabei zugleich auf die Berufungsgeschichte des Petrus in *5,1-11 (s. dort) zurückgegriffen, sie äußerst kunst- und sinnvoll weiterentwickelt und mit der Restitution des Petrus (Joh 21,15ff) verknüpft. Auch hier fragt Jesus nach etwas Essbarem. 29 Aber im Unterschied zu *24,42f isst Jesus den Jüngern nicht zum Erweis seiner Körperlichkeit etwas vor (*24,43 λαβὼν ἐνώπιον αὐτῶν ἔϕαγεν), sondern wird umgekehrt selbst zum Gastgeber, der die Jünger zum Essen auffordert (Joh 21,12: δεῦτε ἀριστήσατε) und ihnen dann zu essen gibt (Joh 21,13 λαμβάνει τὸν ἄρτον καὶ δίδωσιν αὐτοῖς). Die Grundlage dieser österlichen Gastgeberschaft Jesu ist mit größter Wahrscheinlichkeit in *24,43b καὶ τὰ ἐπίλοιπα ἔδωκεν αὐτοῖς zu sehen: Joh hat die eine Erscheinung des Auferstandenen in *Ev in mehrere Einzelszenen aufgeteilt und verschiedene Einzelzüge weiterentwickelt. c. Die lk Redaktion hat ihrerseits den Prätext *Ev durch Elemente erweitert, die er aus Joh übernommen hat: In der Exposition Lk 24,36 stammt vielleicht der Hinweis, dass Jesus »mitten unter sie« tritt, aus Joh, sicher aber der wortwörtlich identische Friedensgruß (Lk 24,36 || Joh 20,19), der in *Ev ja sicher gefehlt hat. In Lk 24,37 hat Lk das ihm durch *Ev vorgegebene ϕάντασμα durch πνεῦμα ersetzt ______________________________ 28 Dass Joh 21,1-14 die Erscheinungsszene *24,36-42 voraussetzt und sie auf das engste mit den Erscheinungen 20,19-23.24-29 verbindet, wird vor allem durch μετὰ ταῦτα und πάλιν in 21,1 sowie durch die Zählnotiz 21,14 deutlich. Mit dieser Beobachtung gewinnt die These, dass Joh 21 als integraler Teil zu dem einheitlich konzipierten Evangelium hinzugehört, an Plausibilität, vgl. R. B AUCKHAM , The Beloved Disciple as Ideal Author, JSNT 49 (1993), 21-44; L. H ARTMANN , An Attempt of a Text-Centered Exegesis of John 21, StTh 38 (1984), 29-45; F R . N EIRYNCK , John 21, in: ders., Evangelica II, Leuven 1991, 601-616; H. T HYEN , Ich bin das Licht der Welt, in: ders., Studien zum Corpus Iohanneum, Tübingen 2007, 213-251 DERS ., Noch einmal: Joh 21 und »der Jünger, den Jesus liebte«, ebd. 252-293. 29 *24,41 ἔχετέ τι βρώσιμον ἐνθάδε || Joh 21,5 μή τι προσϕάγιον ἔχετε. 1310 Anhang I 24,36-49 und auf diese Weise eine Angleichung an V. 39 vorgenommen. In V. 38 hat er das Erschrecken der Jünger als Ausdruck ihres Zweifels präzisiert (24,38b: καὶ διὰ τί δ ι α λ ο γ ι σ μ ο ὶ ἀναβαίνουσιν ἐν τῇ καρδίᾳ ὑμῶν; ) und auf diese Weise die joh Interpretation des zunächst noch anhaltenden Unglaubens in der Thomasperikope aufgegriffen. Die Doppelung, die Joh durch Abfolge von zwei Erscheinungen vor den Jüngern geschaffen hatte (Joh 20,19-23.26-29), hat Lk durch die Verdoppelung der Aufforderung Jesu an die Jünger aufgegriffen (24,39: ἴδετε τὰς χεῖράς μου καὶ τοὺς πόδας μου, ὅτι …; ψηλαϕήσατέ με καὶ ἴδετε, ὅτι …), und er hat durch die Einfügung von ἐγὼ αὐτός εἰμι auch den (zuerst bei Joh begegnenden) Identitätserweis, dass der Erscheinende der auferstandene Gekreuzigte sei, hier mit eingefügt - allerdings in umgekehrter Abfolge. Dadurch wird sein Text nicht eben glatter. Denn indem Lk 24,40 Joh 20,20b fast wörtlich übernimmt, fehlt der Aufforderung, ihn zu berühren (Lk 24,39), die angemessene Fortführung: Jesus zeigt seine Hände und Füße nur, eine Berührung berichtet Lk, der hier *Ev folgt, nicht. Lk 24,41 hat das Element der Freude als Reaktion auf die Erscheinung aus Joh 20,20b geschickt mit der Feststellung des (zunächst noch) andauernden Unglaubens verbunden: Die Jünger konnten vor lauter Freude (noch) nicht glauben. Dieser vorläufige Unglaube war für die lk Komposition wichtig: Nicht das Sehen des Auferstandenen, nicht seine zweifelsfreie Identität (ἐγὼ αὐτός εἰμι) und noch nicht einmal seine durch das Sehen von Fleisch und Knochen bzw. durch den Verzehr von Speisen sichergestelle Körperlichkeit sind in der Lage, den vollen Glauben an die Auferstehung zu wecken. Dies ist erst dem Verstehen aufgrund der Belehrung Jesu anhand von Mosegesetz, Propheten und Psalmen (Lk 24,44) möglich. Diese abschließende Belehrung Jesu greift dabei verschiedene Elemente aus Joh 20,21-23 auf, nämlich die Aussendung der Jünger, die Gabe des Geistes und die Bevollmächtigung zur Sündenvergebung. Allerdings konnte Lk die Geistesgabe und die Sendung an dieser Stelle nur ankündigen, nicht aber erzählen: Dies ist dem Bericht von Act 2 vorbehalten. Indem diese Ankündigung sowohl auf Joh 20 zurückgreift als auch über den Zeithorizont des Evangeliums in die nachösterliche Zeit auf das Pfingstereignis in Act 2 vorausweist, erfüllt sie eine zentrale Funktion für die Kohärenz der Kanonischen Ausgabe. d. Ein Element, das für die lk Erzählung von der Erscheinung Jesu vor den Jüngern wesentlich ist, scheint allerdings auf den ersten Blick in Joh zu fehlen: Die Belehrung über den christologischen Gehalt der Schrift (Lk 24,46). Allerdings enthält Joh 20,9 einen entsprechenden Hinweis: Angesichts des leeren Grabes wird von dem geliebten Jünger gesagt, dass er »sah und glaubte« (20,8). Daran schließt sich ein Kommentar des Erzählers an: »Denn sie hatten die Schrift noch nicht verstanden, dass er von den Toten auferstehen müsse« (20,9). 24,36-49 Rekonstruktion 1311 Dieser »verwunderliche Satz« 30 besitzt in Joh 2,22; 12,16 enge Entsprechungen: Nach dem Wort Jesu, er werde den Tempel in drei Tagen wieder errichten (2,19), heißt es, dass die Jünger sich nach der Auferstehung an dieses Wort erinnerten und ihm und der Schrift glaubten (2,22: ἐμνήσθησαν οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ ὅτι τοῦτο ἔλεγεν, καὶ ἐπίστευσαν τῇ γραϕῇ). In Joh 12,16 heißt es als Erklärung zu dem Prophetenzitat (Joh 12,15), dass die Jünger dieses Wort nicht verstanden, sich aber, nachdem er verherrlicht worden war, »daran erinnerten, dass dies über ihn geschrieben war.« 31 Charakteristisch für den engen Zusammenhang zwischen Lk 24 und diesen drei Erzählerkommentaren (Joh 2,22; 12,16; 20,9) ist das Zusammentreffen von drei Aspekten: (1) Das Verstehen ist erst nach Ostern möglich. Es setzt (2) die Erinnerung an die Worte Jesu voraus. Und es richtet sich (3) nicht nur auf die Worte Jesu, sondern auch auf die Schrift, welche die wesentlichen Informationen über Jesus enthält. Dieses Syndrom ist oben ausführlicher besprochen, 32 ebenso die darin beschlossenen irritierenden überlieferungsgeschichtlichen Implikationen. Denn einerseits thematisieren diese Erzählerkommentare das Noch-nicht des Verstehens, dem aber an keiner Stelle ein zu erwartender Bericht über das dann eben doch einsetzende Verstehen korrespondiert. Andererseits gibt es zwar in allen Fällen narrative Haftpunkte für die Erinnerung an die Worte Jesu, aber nur in einem Fall (Joh 12,16) ein zunächst vielleicht noch unverstandenes Schriftwort: Dass die Jünger erst nach Ostern auch die Schrift bzw. das über Jesus Geschriebene verstehen würden, erfordert eigentlich eine Bemerkung über ihr Nichtverstehen; die gibt es jedoch nicht. So enthalten diese drei Erzählerkommentare jeweils eine doppelte textexterne Referenz: Auf das nicht notierte Unverständnis jetzt und auf das nicht erzählte Einsetzen des Verstehens nach Ostern - sie begründen etwas, das außerhalb der erzählten Welt des Joh liegt. Die spannende Frage, ob sich an dieser Stelle ein diachrones Gefälle zwischen Joh 20 und Lk 24 (in ihrer kanonischen Gestalt! ) ausmachen lässt, ist oben aus gutem Grund offen geblieben. Immerhin ist (wenigstens für Joh 20,9) die Möglichkeit nicht ganz von der Hand zu weisen, dass dieser Erzählerkommentar von der Kanonischen Redaktion stammt, also auf dieselbe Bearbeiterhand zurückgeht, die auch die entsprechenden Ergänzungen in Lk 24 vorgenommen hat. Aber das bleibt unsicher. 9. Die überlieferungsgeschichtliche Skizze zu *24,36-42 hat einmal mehr die Priorität von *Ev vor dem kanonischen Lk ergeben. Wichtiger ist an dieser Stelle jedoch die Einsicht, dass die *Ev-Priorität ein entscheidendes und unverzichtbares ______________________________ 30 T HYEN , Joh 760. 31 12,16: ἀλλ’ ὅτε ἐδοξάσθη Ἰησοῦς τότε ἐμνήσθησαν ὅτι ταῦτα ἦν ἐπ’ αὐτῷ γεγραμμένα … Zu diesen sog. »Parenthesen« bzw. Erzählerkommentaren in Joh vgl. G. V AN B ELLE , Les parenthèses dans l’évangile de Jean, Leuven 1985; C H . H EDRICK , Authorial Presence and Narrator in John, in: J. E. Goehring et al. (eds.), Gospel Origins and Christian Beginnings, Sonoma 1990, 74-93. 32 Vgl. Bd. I, § 14.4. 1312 Anhang I 24,36-49 Element für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Joh und Lk darstellt: Die besonders in der Passions- und Ostertradition auffällig engen Bezüge zwischen Lk und Joh gehen daher zum Teil auf *Ev als die Beiden gemeinsame Grundlage zurück. *24,50a.50b.51a [ 51b ] 52f: Sendung der Jünger. Abschied Jesu. [ Himmelfahrt. ] Rückkehr der Jünger nach Jerusalem Nur zu einem kleinen Teil für *Ev bezeugt, mit größter Wahrscheinlichkeit durch die lk Redaktion bearbeitet und ergänzt. 50 Ἐξήγαγεν δὲ αὐτοὺς a ἔξω [ ἕως ] a πρὸς Βηθανίαν, καὶ ἐπάρας τὰς χεῖρας αὐτοῦ εὐλόγησεν αὐτούς. {καὶ αὐτὸς ἀπέστειλεν τοὺς ἀποστόλους εἰς τὸ κηρυχθῆναι πᾶσιν τοῖς ἔθνεσιν.} 51 καὶ ἐγένετο ἐν τῷ εὐλογεῖν αὐτὸν αὐτοὺς b ἀπέστη ἀπ’ αὐτῶν. c [ καὶ ἀνεϕέρετο εἰς τὸν οὐρανόν. ] c 52 καὶ αὐτοὶ d [ προσκυνήσαντες αὐτὸν ] d ὑπέστρεψαν εἰς Ἰερουσαλήμ μετὰ χαρᾶς e [ μεγάλης ] . 53 καὶ ἦσαν διὰ παντὸς f [ ἐν τῷ ἱερῷ ] f g αἰνοῦντες τὸν θεόν. A. *24,44ff: Tert. 4,43,9: Implevimus, ut opinor, sponsionem. Exhibuimus Iesum Christum prophetarum doctrinis, sententiis, affectibus, sensibus, virtutibus, passionibus, etiam resurrectione, non alium quam creatoris; siquidem et apostolos mittens ad praedicandum universis nationibus, in omnem terram exire sonum eorum et in terminos terrae voces eorum, psalmum adimplendo praecepit. Misereor tui, Marcion, frustra laborasti. Christus enim Iesus in evangelio tuo meus est. B. a (24,50) εως: om D (εξω προς) aur b c d f ſſ 2 l q (foris [foras] in) ¦ εξω: om P 75 א B C* L 1 33 157 579 1582* e a sy s.p armen georg (εως προς) ¦ εξω εως: add A C 3 W Θ Ψ f 13 M sy h die Konflation beider Lesarten (εξω εως προς) ● b (24,51) απεστη: D (aur b f ſſ 2 q r 1 : recessit) sa ¦ διεστη/ discessit: a c d e l M (*Ev non test.) ● c (24,51) και ανεϕερετο εις τον ουρανον: om א * D a b d e ſſ 2 l sy s georg I August (Cath. fr. 10,26; CSEL 52, 261) ¦ add aur c f g 1 gat q r 1 vg M (*Ev non test.) ● d (24,52) προσκυνησαντες αυτον: om D a b d e ſſ 2 l sy s georg II ¦ προσκυνησαντες: 700 ℓ253 ℓ1761 c g 1 gat* vg ¦ προσκυνησαντες αυτον: add aur f q M (*Ev non test.) ● e (24,52) μεγαλης: om B* ¦ add it M (*Ev non test.) ● f (24,53) εν τω ιερω: om A* ¦ add A c it M (*Ev non test.) ● g (24,53) αινουντες: D a b d e ſſ 2 l r 1 August (Cath. fr. 10,26; CSEL 52, 261) ¦ ευλογουντες: P 75 א B C* L sy s ¦ αινουντες και ευλογουντες: A C 2 W Θ Ψ f 1.13 33 aur c f g 1 gat q vg sy p.h M (*Ev non test.). C. Das Ende des Evangeliums hat in *Ev mit großer Wahrscheinlichkeit anders ausgesehen als in der kanonischen Fassung; die Frage ist, wie. Den einzigen Hinweis auf das Ende von *Ev bietet Tertullians knappe, zusammenfassende Mitteilung der Aussendung der Apostel, die sich möglicherweise auf V. *50b bezieht und seine Behandlung des marcionitischen Evangeliums im vierten Buch abschließt. Daneben steht nur Epiphanius’ allgemeine Behauptung, dass Marcion »nicht nur den Anfang wegschnitt, … sondern auch das Ende und Vieles aus der Mitte wegließ« (Epiph. 42,9,2; vgl. 42,11,3). Allerdings enthält seine Scholienliste für das Ende keinen ent- 24,36-49 Rekonstruktion 1313 sprechenden Streichungs- oder Änderungsvermerk, so dass die genauere Rekonstruktion dieser Differenzen zwischen *Ev und dem kanonischen Text ganz am Ende des Evangeliums nur auf dem weniger belastbaren indirekten Zeugnis der Textüberlieferung beruht. 1. Unklar ist bereits, worauf sich Tertullians Hinweis apostolos mittens ad praedicandum universis nationibus eigentlich bezieht. Die Vertreter der Lk-Priorität halten es für eine Anspielung auf V. 47 κηρυχθῆναι ἐπὶ τῷ ὀνόματι αὐτοῦ μετάνοιαν εἰς ἄϕεσιν ἁμαρτιῶν εἰς πάντα τὰ ἔθνη. 1 Aber es wurde oben (s. zu *24,36-49) schon deutlich, dass erstens Lk 24,44-49 insgesamt in *Ev fehlten und dass zweitens κηρυχθῆναι in V. 47 Teil der Trias Leiden - Auferstehung - Verkündigung ist, die ausweislich der Parallele in Act 26,23 Teil des redaktionellen Konzeptes von Lk-Act ist und daher in *Ev wohl fehlte. Aus diesem Grund muss die Sendungsaussage (apostolos m i t t e n s …) eine eigene Form besessen haben, von der sich in der kanonischen Fassung nichts mehr erhalten hat. Tatsächlich ist ja in Lk 24,47 von einer Sendung gar nicht die Rede, weswegen auch ein Objekt für eine solche Sendungsaussage an dieser Stelle gar keinen Platz besäße. Unklar ist daher auch Tertullians Erwähnung des Objekts apostolos, das im kanonischen Text nirgends auftaucht. Zu diesem Problem, das Harnack überhaupt nicht gesehen hatte, erklärte Tsutsui, dass es sich um eine »freie Formulierung von Tertullian« handeln müsse. 2 Das ist grundsätzlich denkbar, weil die Jünger im kanonischen Text als Apostel das letzte Mal in Lk 24,10 (ἔλεγον πρὸς τοὺς ἀποστόλους ταῦτα) direkt genannt waren, von da an bis zum Ende des Evangeliums aber nur noch durch Pronomina aktualisiert werden, wogegen der vorkanonische Text zuletzt in *24,33 (s. dort) τοὺς ἀποστόλους enthielt. Hätte Tertullian bei *Ev ein anderes Objekt (etwa τοὺς ἕνδεκα oder τοὺς μαθητάς) gelesen, hätte er ohne Schwierigkeiten darauf verweisen können. Jedoch spricht - im Unterschied zu Tsutsuis gewagter These von den 70 »Aposteln« als Gegengruppe zu den Zwölfen - nichts dagegen, dass Tertullian in *Ev tatsächlich τοὺς ἀποστόλους gefunden ______________________________ 1 Vgl. Z AHN I 495, lässt *Ev mit εἰς πάντα τὰ ἔθνη enden, erwägt aber auch V. 51 als Schluss: »Daß 48.49 und 52.53 fehlten, ist, die durchgängige Übereinstimmung des Ev. Mrc.’s mit seiner Lehre vorausgesetzt, wahrscheinlich.« H ARNACK 240* erklärt: »M.s Evangelium schloß wohl mit den Worten: κηρυχθῆναι … ἄϕεσιν ἁμαρτιῶν εἰς πάντα τὰ ἔθνη. Das Folgende stehen zu lassen war ihm unmöglich, und Streichungen am Schluß bezeugt Epiphanius ausdrücklich.« Dieser Rekonstruktion folgt beispielsweise M. V INZENT , Der Schluß des Lukasevangeliums bei Marcion, in: G. May, K. Greschat (Hg.), Marcion und seine kirchengeschichtliche Wirkung, Berlin - New York 2002, 79-94: 84 (ohne nähere Begründung). 2 T SUTSUI 132: »Ausgeschlossen ist, dass Marcion es (sc. das Wort ἀποστόλους) von sich aus in diesen Zusammenhang eingefügt hätte.« Diese Überlegung steht im Zusammenhang von Tsutsuis These, dass Marcion die Zwölf und die 70 »Apostel« als Repräsentanten der orthodoxen bzw. der marcionitischen Tradition einander gegenüber gestellt hat und deswegen in 10,1 das Stichwort (ἑβδημήκοντα) ἀ π ο σ τ ό λ ο υ ς eingefügt habe (vgl. a. a. O. 70ff; s. o. zu *10,1). 1314 Anhang I 24,36-49 hat. Dies liegt ja wegen der von ihm bezeugten Sendungsaussage auch durchaus nahe. Da Tertullians Verweis auf eine Aussendung der Apostel sich nicht im Kontext der Belehrung Lk 24,44-49 unterbringen lässt, und da diese Belehrung ohnehin als lk Redaktion wahrscheinlich gemacht wurde, muss *Ev die Sendung in einer eigenen Szene nach der Erscheinung des Auferstandenen *24,36-43 erzählt haben. Für die szenische Eigenständigkeit spricht vor allem der sich anschließende Ortswechsel (*24,50). Er steht zu der unmittelbar zuvor mitgeteilten Aufforderung »Bleibt in der Stadt! « (Lk 24,49 red.) in erkennbarer Spannung: Selbst wenn man davon ausgeht, dass Lk Bethanien bzw. den Ölberg als zu Jerusalem gehörig betrachtet hat, erzeugt die unmittelbare Abfolge von V. 49 καθίσατε ἐν τῇ πόλει und V. *50 ἐξήγαγεν δὲ αὐτοὺς ἔξω πρὸς Βηθανίαν eine narrative Spannung, die im besten Fall als unglücklich zu bezeichnen ist; das Fehlen von ἔξω in einem Teil der handschriftlichen Überlieferung 3 ist vielleicht der Versuch, diese Spannung etwas zu glätten. Denn wenn die lk Redaktion ein Interesse daran hatte, die Sendung der Jünger »bis an die Enden der Erde« von Jerusalem aus beginnen zu lassen, wie Lk 24,48 zeigt (s. dort), dann wäre es sehr unwahrscheinlich, wenn dieselbe Redaktion von sich aus den Gang nach Bethanien eingefügt hätte. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass der Gang nach Bethanien (*24,50a) bereits in *Ev enthalten war und von Lk übernommen wurde. In diesem Fall müsste die von Tertullian referierte Sendung sich direkt angeschlossen haben (V. *50b). Allerdings ist der genaue Wortlaut nicht rekonstruierbar, weil Tertullian den Text von *Ev nicht zitiert, sondern zusammenfasst. Die hier substituierte Wendung καὶ αὐτὸς ἀπέστειλεν τοὺς ἀποστόλους εἰς τὸ κηρυχθῆναι πᾶσιν τοῖς ἔθνεσιν ist daher nicht mehr als ein denkbarer Vorschlag. Aber grundsätzlich ist die Streichung dieser vorkanonischen Sendungsaussage durch die lk Redaktion mehr als plausibel: Lk lässt die Sendung der Apostel, zu denen erst noch Matthias nachgewählt werden musste, erst nach Pfingsten beginnen. 4 Eine Aussendung der ______________________________ 3 P 75 א B C* L 1 33 157 579 1582* e a sy s.p armen georg (ἕως πρός). Dagegen liest die Mehrheit der »Westlichen« Zeugen (D aur b c d f ſſ 2 l q) ἔξω πρός/ foris (foras) in, während A C 3 W Θ Ψ f 13 M sy h die Konflation beider Lesarten (ἔξω ἕως πρός) bieten. Schon aus diesem Grund scheint die »Westliche« Lesart ἔξω πρός (im vorkanonischen Text) ursprünglich zu sein, wogegen das von P 75 א B C* usw. bezeugte ἕως πρός auf die lk Redaktion zurückgeht und in der kanonischen Fassung ursprünglich ist. Die Überlegung, man könne sich »leichter vorstellen, dass die Reihe ἔξω ἕως πρός im Laufe der Textüberlieferung reduziert wurde, als das Umgekehrte« (W OLTER , Lk 795), ist angesichts der verbreiteten Tendenz zur Konflationierung nicht überzeugend. 4 Die Wiederholung des Berichts über die Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern Act 1,4-8 (vgl. Lk 24,49) betont, dass die Jünger nicht von Jerusalem weggehen sollen (ἀπὸ Ἱεροσολύμων μὴ χωρίζεσθαι), sondern erst noch die »Verheißung des Vaters« (1,4) abwarten sollen, bevor die in Lk 24,48 angekündigte Zeugenschaft (ἕως ἐσχάτου τῆς γῆς) beginnen kann (Act 1,8). 24,36-49 Rekonstruktion 1315 noch unvollständigen Apostelgruppe vor der Gabe des Geistes hätte das sorgfältig komponierte redakontionelle Konzept am Übergang von Lk zu Act empfindlich beeinträchtigt. Aus diesem Grund ist es wahrscheinlich, dass Lk hat die Sendungsaussage in *Ev gestrichen hat. 2. Wahrscheinlich hat *Ev auch erzählt, dass Jesus die Jünger verließ (V. *51a). In diesem Fall spricht einiges dafür, dass in *Ev das von D (it) bezeugte ἀπέστη (recessit) anstelle des nahezu bedeutungsgleichen διέστη/ discessit im Mehrheitstext stand. Der Sinn ist nicht: Jesus entfernte sich ein Stück von ihnen, sondern: Jesus ging fort/ verließ die Jünger. Für diese Textgestalt sprechen dann vor allem die beiden klassischen »Western Non-Interpolations« in 24,51.52. 5 Vorausgesetzt ist dabei das wiederholt beobachtete Phänomen der inkonsequenten Angleichung der vorkanonischen an die kanonische Textgestalt; dass dieses Phänomen für die Entrückungsnotiz nicht nur bei den »üblichen Verdächtigen« D it sy, sondern auch im Sinaiticus begegnet, erhärtet diese Überlegung nur. Der Umstand, dass diese beiden »Lücken« in verschiedenen Handschriften exakt dasselbe Profil besitzen, legt die Annahme nahe, dass der unmittelbare Kontext der Lücken im vorkanonischen Text enthalten war. Mit anderen Worten: Die »Non-Interpolations« καὶ ἀνεϕέρετο εἰς τὸν οὐρανόν (V. 51) und προσκυνήσαντες αὐτόν (V. 52) sind erweiternde Einfügungen der lk Redaktion, und zwar in genau diesem Umfang. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass καὶ ἐγένετο ἐν τῷ εὐλογεῖν αὐτὸν αὐτοὺς ἀπέστη ἀπ’ αὐτῶν V. *51a und καὶ αὐτοὶ ὑπέστρεψαν εἰς Ἰερουσαλήμ … V. *52 einen unmittelbaren, ursprünglichen Zusammenhang bildeten. Das textkritische Problem von Lk 24,51b ist also nicht durch eine sekundäre Streichung zu erklären, durch welche die Konkurrenz zu Act 1,9 beseitigt werden sollte. 6 Vielmehr ist der Himmelfahrtsbericht (mit der dazugehörigen Aussage der Proskynese) ein sekundärer Zusatz und im kanonischen Lk- Evangelium ursprünglich: Die Bevorzugung des »langen Textes« und seine Bewertung als »Hauptelement« 7 geht daher für die Auslegung des Lk-Evangeliums völlig in Ordnung. 3. Unter dieser Prämisse ist dann auch wahrscheinlich, dass die Bemerkung über die Rückkehr der Jünger nach Jerusalem bereits in *Ev enthalten war. Zwar ______________________________ 5 V. 51 καὶ ἀνεϕέρετο εἰς τὸν οὐρανόν: om א * D a b d e ſſ 2 l sy s georg; V. 52 προσκυνήσαντες αὐτόν: om D a b d e ſſ 2 l sy s georg. Beide Belege zählen zu den von B. F. W ESTCOTT , F. J. A. H ORT , The New Testament in the Original Greek II, Cambridge - London 2 1896, 175-177, für ursprünglich gehaltenen acht Western Non-Interpolations in Lk. 6 Vgl. E. J. E PP , The Ascension in the Textual Tradition of Luke-Acts, in: ders., G. D. Fee (eds.), New Testament Textual Criticism, Oxford 1981, 131-145; A. W. Zwiep, The Text of the Ascension Narratives, NTS 42 (1996), 219-244 (bes. 233f). Dieser Lösung folgen die meisten Kommentare, vgl. etwa K LEIN , Lk 742; W OLTER , Lk 795f; B OVON , Lk IV 614f. 7 So für viele: B OVON , a. a. O. 615. 1316 Anhang I 24,36-49 erfordert das theologische Interesse der lk Redaktion an Jerusalem, die Jünger dahin zurückkehren zu lassen, während im Prinzip nichts dagegen spräche, dass *Ev die Erzählung in Bethanien enden ließ. Aber wenn προσκυνήσαντες αὐτόν V. 52 eine redaktionelle Einfügung ist, dann muss die Notiz von der Rückkehr der Jünger schon im vorkanonischen Text gestanden haben. In diesem Fall wird *Ev auch den Hinweis enthalten haben, dass die Jünger μετὰ χαρᾶς nach Jerusalem zurückkehrten. Das Fehlen von μεγάλης in der ersten Hand des Vaticanus (B*) erweckt dabei den Anschein der charakteristischen Interferenzen zwischen der vorkanonischen und der kanonischen Textüberlieferung: Ich verstehe diese Lesart als Bestätigung dafür, dass wenigstens μετὰ χαρᾶς in V. *52 enthalten war. Die Rückkehr der Jünger »mit Freude« zeigt an, dass die Jünger jetzt verstanden hatten und ohne zu zweifeln glaubten. Das Stichwort der Freude der Jünger hat eine enge Analogie in Joh 20,20, von wo aus es nach Lk 24,40 (red., s. dort) eingedrungen ist, auch wenn die Freude dort (noch) nicht zum Glauben geführt hatte. Die Korrespondenz zwischen Glauben und Freude der Jünger in Lk und Joh geht also letztlich auf *Ev zurück. Damit bestätigt sich zugleich der sekundäre Charakter von Lk 24,44-49, denn eigentlich hätte bereits hier die Mitteilung über den freudigen Glauben der Jünger ihren passenden Platz gehabt. Aber indem Lk die narrative Folge aus *Ev beibehält und die Freude im Zusammenhang der Rückkehr der Jünger nach Jerusalem berichtet, hat er die Möglichkeit, ihr ein anderes Gewicht zu geben: Dass die Jünger μετὰ χαρᾶς μ ε γ ά λ η ς nach Jerusalem zurückkehren, bringt die redaktionelle Verbindung mit der Fortführung der Erzählung in Act zum Ausdruck. Denn erst die Himmelfahrt schafft die Voraussetzung für die Sendung des Geistes (vgl. Lk 24,49a; Act 2,33f), die in seinem Konzept ihrerseits die wesentliche Erfüllung der Verheißungen der Schrift darstellt. 4. Auch *24,53 ist unbezeugt, aber auch die abschließende Notiz über den Lobpreis der Jünger wird wohl in *Ev enthalten gewesen sein. Dafür spricht zunächst die uneinheitliche Bezeugung der Coniugatio periphrastica ἦσαν … αἰνοῦντες (D it) gegenüber der vermutlich redaktionellen Lesart ἦσαν … εὐλογοῦντες ( P 75 א usw.). 8 Vor allem aber ist das Fehlen von ἐν τῷ ἱερῷ in der ersten Hand des Alexandrinus (A*) ein Hinweis auf die redaktionelle Einfügung dieser Wendung, die dadurch zugleich den Rest des Verses für den vorkanonischen Text sicherstellt. Denn dass die Jünger in den Tempel zurückkehren und dort Gott preisen, korrespondiert mit der in *Ev sicher fehlenden Tempelreinigung und dem Wort vom Tempel als οἶκος προσευχῆς (Lk 19,45f red.; s. dort): Die Verortung des Lobpreises ______________________________ 8 Wenn diese Lesart den kanonischen Text bezeugt, erscheint die Lesart des Textus Receptus mit der Doppelung ἦσαν … αἰνοῦντες καὶ εὐλογοῦντες als klassische Konflation. Aber angesichts der breiten Bezeugung dieser Lesart (A C 2 W Θ Ψ f 1.13 M usw.) ist es auch denkbar, dass sie den ältesten kanonischen Wortlaut repräsentiert. 24,36-49 Rekonstruktion 1317 im Tempel unterstreicht das lk Konzept, dass die apostolische Verkündigung, die bis zum Ende der Erde reichen wird, vom Jerusalemer Tempel als dem innersten Zentrums Israels ausgeht. So ist für Lk der Tempel der lokale Haftpunkt, an dem (in Lk 1,5ff) die Geschichte Jesu ihren Ausgangspunkt nimmt und auch ihr (vorläufiges) Ziel findet: Wie Jesus ἐν τοῖς τοῦ πατρός μου sein musste (Lk 2,49), so ist am Ende der Tempel der angemessene Ort für den Lobpreis der Jünger (Lk 24,53), an dem sie dann mit ihrem Lobpreis einmütig verharren (Act 2,46f: καθ’ ἡμέραν τε προσκαρτεροῦντες ὁμοθυμαδὸν ἐν τῷ ἱερῷ … αἰνοῦντες τὸν θεόν): Der Hinweis auf den Tempel 24,53 ist ein integrales Element des theologischen Konzeptes der lk Redaktion und hat in *Ev vermutlich gefehlt. 5. Der Schluss des vorkanonischen Evangeliums enthielt daher mit einiger Wahrscheinlichkeit die Schilderung des Abschieds Jesu von den Jüngern in Bethanien, die mit ihrer Sendung »zu allen Völkern« verbunden war. So unvermittelt, wie dieses vorkanonische Evangelium Jesus in die Erzählung eingeführt hatte - »Im 15. Jahr des Kaisers Tiberius kam Jesus nach Kapharnaum hinab« (*3,1a; *4,31) -, so lapidar und unspektakulär ließ es ihn auch wieder abtreten: »Er ging von ihnen weg« (*24,51). So wenig *Ev am Anfang berichtet, von woher Jesus »nach Kapharnaum herabkam«, so wenig erklärt er am Ende, wohin der Auferstandene wegging. Die knappen Formulierungen, mit denen *Ev Jesus auf die Bühne seiner Erzählung auf- und dann auch wieder von ihr wieder abtreten lässt, entsprechen einander und zeigen so eine gewisse narrative Geschlossenheit an. Sie sind aber für unterschiedliche Deutungen offen: Die Marcioniten haben das Hinabkommen Jesu nach Kapharnaum offensichtlich als sein Hervorgehen aus dem Himmel verstanden, wie die katholischen Reaktionen zeigen, die sich über diese Idee mokieren (s. zu *4,31ff). Allerdings entspricht das katholische Verständnis des »Weggehens« Jesu als Entrückung in den Himmel dieser Vorstellung ziemlich genau: Die lk Redaktion hat nur die Worte καὶ ἀνεϕέρετο εἰς τὸν οὐρανόν in *Ev eingetragen und aus der Bemerkung über Jesu »Fortgehen« seine Himmelfahrt gemacht, die als wichtige Brücke vom πρῶτος λόγος (Act 1,1) zur Fortsetzung in Act fungiert. Dieser theologischen Analogie zwischen Lk 24 und Act 1 entspricht dann auch die szenische Verbindung mit dem Aufenthalt der Jünger im Jerusalemer Tempel. Anhang II Da s älte ste Evang elium (Übers etzung) Um den narrativen Gesamtzusammenhang leichter wahrnehmen zu können, wird hier eine Übersetzung geboten. 1 Ihr liegen alle Rekonstruktionsentscheidungen zugrunde, die zuvor im Einzelnen begründet sind (Anhang I). Im Unterschied zur Rekonstruktion sind nicht alle Rekonstruktionsurteile typographisch kenntlich gemacht: Passagen, die in *Ev sicher oder wahrscheinlich fehlen und die in der Rekonstruktion durch bzw. [ ] markiert sind, werden nicht eigens gekennzeichnet und sind einfach ausgelassen. Im Einzelnen bedeuten: kursiv Unklare Bezeugung bzw. unklarer Wortlaut; vor allem bei Passagen, für die kein Urteil möglich ist. { } Wörter oder Passagen in *Ev, die von der lk Redaktion ausgelassen wurden. ↑ ↓ Umstellungen in *Ev gegenüber dem kanonischen Lk-Text. ( ) Ergänzende Zusätze zur Verdeutlichung der Übersetzung. Die Übersetzung macht folgende ausgangssprachliche Besonderheiten kenntlich: (1.) kopulatives δέ ist mit »aber« übersetzt; (2.) Praes. historicum wird immer präsentisch wiedergegeben; (3.) der Wechsel von λέγει bzw. ἔλεγεν (-ον) und εἶπεν (ον, -αν) ist, wenn möglich, durch die Übersetzung (λέγειν = sagen; εἰπεῖν = sprechen) kenntlich gemacht. Die Perikopenüberschriften entsprechen denen der Rekonstruktion, die Perikopenabgrenzungen sind gegenüber der Rekonstruktion jeweils an den Stellen leicht verändert, an denen die Struktur des ältesten Evangeliums von dem des kanonischen Lk abweicht. * *Titel Evangelium *3,1a; 4,31-37: Exorzismus in der Synagoge von Kapharnaum 3,1a Im 15. Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius 4,31 kam Jesus hinab nach Kapharnaum, einer Stadt in Galiläa {am Meer im Gebiet von Sebulon und Naphtali}. Und er lehrte sie an den Sabbaten. 32 Und alle waren außer sich über seine Lehre, weil seine Rede vollmächtig war. 33 Und in der Synagoge war ein Mensch, der hatte den Geist eines unreinen Dämons, und er schrie mit lauter Stimme: 34 »Was haben wir mit dir zu schaffen, Jesus aus Nazara? Bist du gekommen, uns zu vernichten? ______________________________ 1 Für die Übersetzung wurden die gängigen deutschsprachigen Lk-Kommentare verglichen, ohne dass dies eigens kenntlich gemacht ist. Als besonders hilfreich hat sich die ausgezeichnete Übersetzung erwiesen, die Michael Wolter seiner Kommentierung beigegeben hat (W OLTER , Lk passim). 1322 Anhang II Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes! « 35 Und Jesus drohte ihm und sagte: »Sei still und fahr aus ihm aus! « Und der Dämon schleuderte ihn in die Mitte und fuhr mit Geschrei aus ihm aus, aber er verletzte ihn nicht. 36 Und großer Schrecken kam über sie alle, und sie sprachen zu einander und sagten: »Was ist das für eine Rede? Denn mit Vollmacht und Kraft gebietet er den unreinen Geistern, so dass sie ausfahren! « 37 Und die Kunde über ihn breitete sich in jeden Ort der Gegend aus. *4,16-30: Ablehnung in Nazara 4,16 Aber als er nach Nazara kam, ging er am Sabbat in die Synagoge. 22b Und sie sagten: »Ist das nicht der Sohn Josephs? « 23 Und er sagte zu ihnen: »Sicher sagt ihr mir jetzt dieses Sprichwort: ›Arzt, heile dich selbst! Alles, von dem wir gehört haben, dass es in Kapharnaum geschehen ist, tue auch hier in deiner Heimatstadt! ‹« 24 Er sagte aber: »Amen, ich sage euch: Kein Prophet wird in seiner Heimatstadt angenommen.« 28 Da wurden alle in der Synagoge von Zorn erfüllt, 29 und sie erhoben sich und warfen ihn aus der Stadt. Und sie führten ihn bis an den Hang des Berges, auf dem ihre Stadt gebaut ist, um ihn hinunter zu stürzen. 30 Er schritt aber mitten durch sie hindurch und ging weg. *4,40-41: Exorzismen am Abend; Messiasbekenntnis der Dämonen (Vgl. Mt 4,13) Und er verließ Nazara und ging und wohnte in Kapharnaum am See, im Gebiet von Sebulon und Naphtali. 4,40 Als die Sonne unterging, brachten alle die Kranken mit vielfältigen Leiden zu ihm, so viele sie hatten. Er aber legte einem jedem von ihnen die Hände auf und heilte sie. 41 Aber von vielen fuhren Dämonen aus. Die zeterten und sagten: »Du bist der Sohn Gottes! « Und er herrschte sie an und ließ sie nicht sprechen. Denn sie wußten, dass er der Christus war. *4,42-44: Jesu Rückzug in die Einsamkeit und Verweis auf seine Sendung 4,42 Als es Tag wurde, ging er weg und wanderte an einen einsamen Ort. Und die Menge suchte ihn, und sie kamen zu ihm und sie hielten ihn fest, damit er nicht von ihnen fortgehe. 43 Er aber sagte zu ihnen: »Es ist nötig, dass ich auch den anderen Städten die Herrschaft Gottes ankündige, denn dazu bin ich gesandt.« 44 Und er predigte in den Synagogen Galiläas. *5,1-11: Wunderbarer Fischzug. Berufung des Petrus und der Zebedaiden 5,1 Aber es geschah, dass die Menge ihn bedrängte und das Wort Gottes hörte. Und als er am See Genezareth stand, 2 da sah er zwei Boote am See liegen. Die Fischer waren aber aus ihnen ausgestiegen und reinigten die Netze. 3 Er stieg in eines der Boote, das dem Simon gehörte, und bat ihn, ein kleines Stück vom Land weg hinauszufahren; er ließ sich im Boot nieder und lehrte die Massen. 4 Als er aber Das älteste Evangelium (Übersetzung) 1323 aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: »Fahr hinaus ins tiefe Wasser und werft eure Netze zum Fang aus! « 5 Aber Simon antwortete und sprach zu ihm: »Lehrer, während der ganzen Nacht haben wir uns abgemüht, aber nichts gefangen. Aber ich will deinem Wort nicht ungehorsam sein.« 6 Und sogleich warfen sie die Netze aus und schlossen eine große Menge Fische zusammen, so dass die Netze rissen. 7 Und sie winkten ihren Genossen im anderen Boot, zu kommen und ihnen zu helfen. Und sie kamen und füllten beide Boote, so dass sie beinahe untergingen. 8 Aber Simon fiel ihm zu Füßen und sagte: »Bitte! Geh weg von mir, denn ich bin ein Sündermensch, Herr! « 9 Erstaunen hatte ihn nämlich erfasst über den Fang der Fische, den sie gemacht hatten. 10 Seine Gefährten aber waren Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus. Er aber sprach zu ihnen: »Auf! Ihr seid nicht mehr Fischer von Fischen, denn ich werde euch zu Fischern von Menschen machen! « 11 Als sie das aber hörten, ließen sie alles an Land zurück und folgten ihm nach. *5,12-16: Heilung des Aussätzigen. Rückzug Jesu 5,12 Und es geschah, als er in einer der Städte war, und siehe, da war ein aussätziger Mann. Als er aber Jesus sah, fiel er auf sein Angesicht und sagte: »Herr, wenn du willst, vermagst du es, mich rein zu machen.« 13 Und er streckte seine Hand aus, berührte ihn und sagte: »Ich will. Sei rein! « Und sofort wurde er gereinigt. 14 Und er trug ihm auf, niemandem etwas zu sagen; vielmehr: »Geh! Zeige dich dem Priester und bring die Gabe dar, die Mose aufgetragen hat, damit dies für euch zum Zeugnis ist! « { 14 (D) Er ging aber weg und begann zu verkündigen und das Wort zu verbreiten, so dass er nicht mehr öffentlich in eine Stadt hineingehen konnte, sondern außerhalb an einsamen Orten war. Und sie kamen zu ihm, und er kam wieder nach Kapharnaum.} *5,17-26: Heilung des Gelähmten 5,17 Und es geschah an einem der Tage, als er lehrte, da kamen die Pharisäer und Schriftgelehrten zusammen. Sie waren zusammengekommen aus jedem Dorf von Galiläa und Judäa, damit sie geheilt würden. 18 Und siehe, Männer brachten auf einer Trage einen Menschen, der gelähmt war, und sie versuchten, ihn hineinzutragen und vor ihn hinzustellen. 19 Aber als sie keine Möglichkeit fanden, wie sie ihn wegen der Menge hineinbringen konnten, stiegen sie auf das Dach, deckten die Ziegel ab, wo er war, und ließen die Trage mit dem Gelähmten hinab vor Jesus. 20 Und als er ihren Glauben sieht, sagt er zu dem Gelähmten: »Mensch, deine Sünden sind dir vergeben.« 21 Und die Schriftgelehrten und Pharisäer fingen an, {in ihren Herzen} zu überlegen und sagten: »Was für Lästerungen redet dieser da? Wer vergibt Sünden außer Gott allein? « 22 Als Jesus aber ihre Gedanken erkannte, antwortete er und 1324 Anhang II sprach zu ihnen: »Was überlegt ihr Übles in euren Herzen? 23 Was ist leichter: Zu sagen: ›Dir sind deine Sünden vergeben! ‹, oder zu sagen: ›Steh auf und geh herum! ‹? 24 Damit ihr aber seht, dass der Menschensohn die Vollmacht hat, Sünden auf der Erde zu vergeben«, sagt er zu dem Gelähmten: »Steh auf und hebe deine Trage auf und geh nach Hause! « 25 Und sofort erhob er sich vor aller Augen, nahm seine Trage auf und ging nach Hause fort und pries Gott. 26b Und sie wurden von Furcht erfüllt und sagten: »Heute haben wir Unglaubliches gesehen.« *5,27-32: Berufung des Levi. Zöllnermahl 5,27 (D) Und als er wieder an das Meer kam und ihm eine Menge folgte, lehrte er. Und im Vorbeigehen sah er den Levi, den Sohn des Alphäus, am Zoll sitzen, und er sagt zu ihm: »Folge mir! « 28 Und er verließ alles, stand auf und folgte ihm. 29 Und Levi veranstaltete für ihn ein großes Mahl in seinem Haus. Und eine große Menge Zöllner und anderer war da und lag mit ihnen zu Tisch. 30 Und die Pharisäer und ihre Schriftgelehrten murrten gegen seine Jünger und sagten: »Warum esst und trinkt ihr mit den Zöllnern? « 31 Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: »Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die, denen es schlecht geht. 32 Ich bin nicht gekommen, um Gerechte zu rufen.« *5,33-39: Fastenfrage 5,33 Sie aber sprachen zu ihm: »Warum fasten die Jünger des Johannes und die Jünger der Pharisäer beständig und verrichten Gebete, deine aber essen und trinken? « 34 Jesus sprach zu ihnen: »Können etwa die Hochzeitsgäste fasten, solange der Bräutigam bei ihnen ist? 35 Es werden aber Tage kommen, und wenn dann der Bräutigam von ihnen genommen ist, dann werden sie in jenen Tagen fasten. 37 Man gießt jungen Wein nicht in alte Schläuche. Wenn aber doch, wird der junge Wein die Schläuche zerreißen, dann ist der Wein verloren und die Schläuche auch. 38 Sondern man gießt jungen Wein in neue Schläuche. Und beide bleiben erhalten. ↑ 36b Und niemand näht einen Flicken aus ungewalktem Stoff auf ein altes Kleidungsstück. Wenn aber doch, zerreißt das Ganze, und es wird für das Alte keinen Nutzen haben. Es wird nämlich ein größerer Riss entstehen.« ↓ *6,1-5: Ährenraufen am Sabbat. Sabbatarbeiter 6,1 Und es geschah am Sabbat, dass er durch die Kornfelder ging, und seine Jünger fingen aber an, die Ähren abzureißen, zerrieben sie zwischen den Händen und aßen sie. 2 Die Pharisäer aber sagten zu ihm: »Siehe, was machen deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist? « 3 Jesus aber antwortete und sagte zu ihnen: »Habt ihr niemals gelesen, was David gemacht hat? 4 Er ging in das Haus Gottes und aß Das älteste Evangelium (Übersetzung) 1325 die Schaubrote und gab sie auch denen, die bei ihm waren, obwohl die zu essen niemandem erlaubt ist außer den Priestern allein? « 4 (D) Am selben Tag sah er jemanden am Sabbat arbeiten und sprach zu ihm: »Mensch, wenn du weißt, was du tust, bist du selig. Wenn du es aber nicht weißt, bist du verflucht und ein Übertreter des Gesetzes.« *6,6-11: Heilung der verkrüppelten Hand 6,6 Und er ging am Sabbat wieder in die Synagoge, in der ein Mensch war, dessen Hand verkrüppelt war. 7 Die Pharisäer belauerten ihn, ob er am Sabbat heilen würde, damit sie ihn anklagen konnten. 8 Als er aber ihre Gedanken erkennt, sagt er zu dem, der die verkrüppelte Hand hat: »Steh auf und stell dich in der Mitte hin! « Und er erhob sich und stellte sich hin. 9 Jesus aber sprach zu ihnen: »Ich frage euch: Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun oder nicht, eine Seele zu erlösen oder sie zu vernichten? « Aber sie schwiegen. 10 Und er sieht sie alle {voller Zorn} an und sagt zu dem Menschen: »Streck deine Hand aus! « Und er streckte sie aus, und seine Hand war wiederhergestellt, {genau wie die andere}. ↑ Und er sagte zu ihnen: »Herr ist der Menschensohn auch über den Sabbat.« ↓ 11 Aber sie waren erfüllt von Unverständnis und überlegten untereinander, {wie sie ihn vernichten könnten}. *6,12-16: Auswahl der Zwölf 6,12 Und er steigt auf den Berg und verbrachte die Nacht im Gebet. 13 Und als es Tag wurde, rief er seine Jünger. Und er wählte von ihnen zwölf aus, die er auch Apostel nannte, 14 {als ersten} den Simon, den er Petrus nannte, und seinen Bruder Andreas; und Jakobus und {seinen Bruder} Johannes, {die er Boanerges nannte, das heißt: Söhne des Donners}; und Philippus und Bartholomäus 15 und Matthäus und Judas Thomas, {der »Zwilling« genannt wurde,} und Jakobus (Sohn des) Alphäus und Simon, der der Zelot genannt wurde, 16 und Judas (Sohn) des Jakobus und Judas aus Karioth, der {auch} zum Verräter wurde. *6,17-19a : Abstieg vom Berg. Andrang der Menge 6,17 Und als er mit ihnen hinabgestiegen war, blieb er auf einem ebenen Platz stehen, auch eine große Menge seiner Jünger und eine große Zahl aus dem Volk von ganz Judäa und vom anderen Ufer und von anderen Städten, 18 die kamen um ihn zu hören und um von ihren Krankheiten geheilt zu werden. Und die von unreinen Geistern Geplagten wurden geheilt, 19 und die ganze Menge suchte ihn zu berühren. 1326 Anhang II *6,20-26: Feldrede I: Makarismen und Weherufe 6,20 Und er hob seine Augen zu seinen Jüngern und sagte: »Selig die Armen, denn ihrer ist das Reich der Himmel. 21 Selig die Hungernden, denn sie werden gesättigt werden. Selig die Weinenden, denn sie werden lachen. 22 Selig werdet ihr sein, wenn euch die Menschen hassen und schmähen und euren Namen verwerfen werden wie etwas Übles wegen des Menschensohns. 23 Dasselbe haben eure Väter schon mit den Propheten gemacht. 24 Aber wehe den Reichen, denn ihr habt euren Trost empfangen. 25 Wehe den Satten, denn sie werden hungern. Wehe den Lachenden, denn sie werden betrübt werden. 26 Wehe, wenn die Menschen gut von euch sprechen. So haben es auch eure Väter mit den Lügenpropheten getan. *6,27-31.34-38: Feldrede II: {Talio.} Feindesliebe. Zinsverbot. Barmherzigkeit 6,27 {Im Gesetz heißt es: Auge um Auge und Zahn um Zahn.} Aber euch, die ihr mir zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde 28 und betet für die, die euch verfolgen! 29 Wenn einer dich auf die {rechte} Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin! Und wenn einer deinen Mantel nimmt, lass ihm auch das Hemd! 30 Gib jedem, der dich bittet! 31 Und wie ihr wollt, dass euch von den Menschen geschieht, so tut auch ihr ihnen! 34 Und wenn ihr denen leiht, von denen ihr zu empfangen hofft, von welcher Art ist euer Dank? 35 Sondern liebt eure Feinde und tut Gutes und verleiht, wenn ihr nichts erhoffen könnt. Dann wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Söhne Gottes sein. Denn der ist gütig gegenüber den Undankbaren und den Bösen. 36 Seid barmherzig, wie sich euer Vater über euch erbarmt hat! 37 Und richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! Und verurteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet! Erlasst, und euch wird erlassen werden! 38 Gebt, und euch wird gegeben werden! Ein gutes, fest gepresstes, überfließendes Maß wird man euch in den Schoß geben! Mit dem Maß, mit dem ihr zumessen werdet, wird euch zugemessen werden. *6,39-46: Feldrede III: Paränetische Sentenzen und Bildworte 6,39 Kann etwa ein Blinder einen Blinden führen? Werden nicht beide in die Grube fallen? 40 Der Schüler ist nicht über dem Lehrer. Jeder Vollendete wird aber wie sein Lehrer sein. 41 Warum schaust du auf den Splitter im Auge deines Bruders, den Balken in deinem eigenen Auge aber nimmst du nicht wahr? 42 Wie kannst du zu deinem Das älteste Evangelium (Übersetzung) 1327 Bruder sagen: Bruder, lass mich, ich ziehe den Splitter aus deinem Auge heraus! , und siehe, der Balken liegt in deinem Auge? Heuchler! Ziehe zuerst den Balken aus deinem Auge, und dann schau, dass du den Splitter aus dem Auge deines Bruders herausziehst. 43 Es ist nicht möglich, dass ein guter Baum schlechte Früchte trägt, auch nicht, dass ein schlechter Baum gute Früchte trägt. 44 Denn jeder Baum wird an seiner eigenen Frucht erkannt. Denn man sammelt von den Disteln keine Feigen, und vom Dornbusch liest man keine Traube. 45 Ein guter Mensch bringt aus dem guten Schatz seines Herzens Gutes hervor, und der schlechte Mensch aus dem schlechten das Schlechte. Denn aus dem Überfluss des Herzens redet sein Mund. 46 Was ruft ihr »Herr, Herr! «, und tut nicht, was ich sage? *7,1-10: Der Centurio in Kapharnaum und sein Sklave 7,1 Und es geschah, als er vollendet hatte diese Worte zu reden, da kam er nach Kapharnaum. 2 Der Bursche eines Centurios war krank und dem Tod nahe; der war ihm lieb. 3 Als er aber von Jesus hörte, schickte er Älteste der Juden und fragte ihn, ob er käme und seinen Sklaven rettete. 4 Als sie zu Jesus kamen, baten sie ihn eifrig und sagten: »Er ist würdig, dass du ihm dies gewährst. 5 Er liebt nämlich unser Volk und hat uns die Synagoge gebaut.« 6 Jesus aber ging mit ihnen. Als er aber schon nicht mehr weit von dem Haus entfernt war, schickte er seine Freunde. Der Centurio sagte zu ihm: »Herr, mühe dich nicht! Denn ich bin es nicht wert, dass du unter mein Dach trittst. 7 Aber sprich ein Wort, und mein Bursche werde geheilt. 8 Denn auch ich bin ein Mensch, der unter einer Vollmacht steht, und ich habe unter mir Soldaten. Und ich sage zu diesem: ›Geh! ‹, dann geht er, und zu einem anderen: ›Komm! ‹, dann kommt er, oder zu meinem Sklaven: ›Tue dies! ‹, dann tut er es.« 9 Als Jesus aber dies hörte, wunderte er sich. Und er wandte sich zu der Menge um, die ihm folgte, und sprach: »Amen, ich sage euch: Bei niemandem habe ich Glauben von solcher Art in Israel gefunden.« 10 Und die abgesandten Sklaven kehrten in das Haus zurück und fanden ihn gesund. *7,11-16: Auferweckung des Jünglings in Nain 7,11 Und am folgenden Tag kam er in eine Stadt mit Namen Nain, und seine Jünger und eine große Menge kamen mit ihm. 12 Es geschah aber, wie er sich dem Tor der Stadt näherte, und siehe, da wurde einer, der gestorben war, zu Grabe getragen, der einzige Sohn seiner Mutter, die eine Witwe war. Und eine große Menge von der Stadt ging mit ihr zusammen. 13 Und als Jesus sie sah, erbarmte er sich über sie und sprach zu ihr: »Weine nicht! « 14 Und er trat heran und berührte den Leichnam; die Träger aber blieben stehen. Und er sprach: »Jüngling, Jüngling, ich sage dir: Erhebe dich! « 15 Und der Tote setzte sich auf und begann zu reden, und er gab ihn seiner 1328 Anhang II Mutter. 16 Furcht ergriff alle, und sie verherrlichten Gott und sagten: »Ein großer Prophet ist unter uns hervorgegangen, und Gott hat sein Volk besucht.« *7,17-23: Anstoß und Frage des Täufers 7,17 Und in ganz Judäa verbreitete sich diese Nachricht über ihn bis zu Johannes dem Täufer. 18 Als er von seinen Taten hörte, nahm er Anstoß. Und er ruft zwei von seinen Jüngern zu sich 19 {und sagt: »Geht, sagt zu ihm: } «Bist du der, der kommt, oder sollen wir einen anderen erwarten? ‹« 20 Als die Männer aber zu ihm kamen, sprachen sie: »Johannes der Täufer hat uns zu dir geschickt und sagt: ›Bist du der, der kommt, oder sollen wir einen anderen erwarten? ‹« 22 Und er antwortete und sprach zu ihnen: »Geht und richtet Johannes aus, was eure Augen gesehen und eure Ohren gehört haben: Blinde sehen wieder, Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote werden auferweckt, Armen wird frohe Botschaft verkündet. Und selig bist du, wenn du keinen Anstoß an mir nimmst! « *7,24-28: Belehrung über Johannes 7,24 Als die Boten des Johanes weggegangen waren, begann er zu den Massen über Johannes zu reden: »Was zu erblicken seid ihr in die Wüste hinausgegangen? Etwa ein Rohr, das vom Wind geknickt ist? 25 Oder was zu sehen seid ihr hinausgegangen? Etwa einen Menschen, der mit weichen Kleidern angetan ist? Siehe, die im Festkleid und im Luxus leben, die sind in den Palästen! 26 Aber was zu sehen seid ihr herausgegangen - etwa einen Propheten? Ja, ich sage euch, und noch mehr als einen Propheten! Denn es gibt keinen größeren Propheten unter den von Frauen Geborenen als Johannes den Täufer. 27 Der ist es, über den geschrieben ist: ›Siehe, ich sende meinen Boten vor deinem Angesicht, der dir den Weg bereiten wird.‹ 28 Aber der Kleinste im Reich ist größer als er.« *7,36-50: Salbung durch die Sünderin 7,36 Es lud ihn aber einer der Pharisäer ein, bei ihm zu essen. Und er ging in das Haus des Pharisäers und legte sich nieder. 37 Und siehe, eine Frau, eine Sünderin in der Stadt, stand von hinten bei seinen Füßen. Sie wusch mit ihren Tränen seine Füße und salbte ihn mit Öl. 39 Als {Simon Petrus} dies aber sah, sprach er bei sich selbst und sagte: »Wenn dieser ein Prophet wäre, würde er erkennen, wer und was für eine die Frau ist, die ihn berührt, denn sie ist eine Sünderin! « 40 Und Jesus antwortete und sprach zu Petrus: »Simon, ich habe dir etwas zu sagen.« Der sagte: »Lehrer, sprich! « 44 Und er wandte sich zu der Frau und sagte zu Simon: »Siehst du diese Frau? Sie hat mit ihren Tränen meine Füße gewaschen, ↑ 46 sie hat mich gesalbt ↓ ↑ 45 und geküßt. ↓ Das älteste Evangelium (Übersetzung) 1329 47 Aus diesem Grund, sage ich dir, sind ihre vielen Sünden vergeben, denn sie hat viel geliebt.« 48 Zu ihr aber sprach er: »Deine Sünden sind vergeben.« 49 Und die mit zu Tisch lagen, fingen an, bei sich zu sagen: »Wer ist dieser, der sogar Sünden vergibt? « 50 Aber er sprach zu der Frau: »Dein Glaube hat dich gerettet. Gehe in Frieden! « *8,2-3: Unterstützung durch vornehme Frauen 8,2 Und einige Frauen waren von bösen Geistern und von Krankheiten geheilt: Maria, die Magdalena genannt wird, aus der sieben Dämonen herausgefahren waren, 3 und Johanna, die Frau des Chuza, eines Beamten des Herodes, und Susanna und viele andere. Auch diese unterstützten ihn aus ihren Mitteln. *8,4-17: Gleichnis vom Sämann. Parabeltheorie und Deutung 8,4 Als aber eine große Menge zusammenkam und sie von jeder Stadt zu ihm hin wanderten, sprach er zu ihnen ein solches Gleichnis: 5 »Der Sämann ging hinaus, um seinen Samen zu säen. Und als er säte, fiel das eine auf den Weg, und es wurde zertreten, und die Vögel fraßen es auf. 6 Und anderes fiel auf Fels, es ging auf und verdorrte, weil es keine Feuchtigkeit hatte. 7 Und anderes fiel mitten unter die Dornen; und als die Dornen mitwuchsen, erstickten sie es. 8 Und anderes fiel auf die gute und schöne Erde, und als es gewachsen war, brachte es hundertfache Frucht.« Als er das sagte, rief er: »Wer Ohren hat, der höre! « 9 Seine Jünger fragten ihn aber, was dies Gleichnis sei. 10a Er aber sprach: »Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu kennen! ↑ 18 Achtet darauf, wie ihr hört! Denn wer hat, dem wird gegeben werden. Wer aber nicht hat, von dem wird auch das, was er zu haben scheint, weggenommen werden. ↓ 10b Den übrigen aber wird es {nicht gegeben, außer} in einem Gleichnis, damit sie, obwohl sie sehen, nicht sehen, und obwohl sie hören, nicht verstehen. 11 Dies aber ist das Gleichnis: Der Same ist das Wort Gottes. 12 Die aber auf dem Weg sind die, die gehört haben; dann kommt der Teufel und nimmt das Wort aus ihren Herzen, damit sie nicht glauben und gerettet werden. 13 Die aber auf dem Felsen sind die, die das Wort mit Freude annehmen, wenn sie es hören; aber diese haben keine Wurzel, sie glauben für eine bestimmte Zeit, und zum Zeitpunkt der Versuchung fallen sie ab. 14 Das unter die Dornen Gefallene aber, das sind die, die gehört haben. Aber vor Sorgen und Reichtum und Lebensgenuss kommt es, dass sie erstickt werden, so dass sie nicht zum Ziel kommen. 15 Aber das auf der guten Erde, das sind die, die mit edlem Herzen das Wort hören und es festhalten und in Geduld Frucht bringen. 1330 Anhang II 16 Niemand zündet eine Lampe an und versteckt sie dann. 17 Es ist nämlich nichts verborgen, das nicht offenbar werden wird, und nichts geheim, das nicht bekannt wird und zum Vorschein kommt.« *8,20f: Jesu Mutter und seine Brüder 8,20 Und es wurde ihm mitgeteilt, dass seine Mutter und seine Brüder draußen stehen und ihn zu sehen suchen. 21 Er aber antwortete und sprach zu ihnen: »{Wer ist} meine Mutter und {wer sind} meine Brüder, {wenn nicht} diejenigen, die meine Worte hören {und sie tun}? « *8,22-25: Stillung des Seesturms 8,22 Es geschah an einem der Tage, dass er in ein Boot stieg und auch seine Jünger. Und er sprach zu ihnen: »Laßt uns aufbrechen an das andere Ufer des Sees! « Und sie fuhren ab. 23 Während sie segelten, schlief er ein. Und ein Sturmwind fiel auf den See, so dass (das Boot voll Wasser) schlug und sie in Gefahr waren. 24 Sie traten zu ihm heran und weckten ihn auf und sagten: »Lehrer, wir gehen unter! « Als er aber aufgestanden war, drohte er dem Wind und dem Meer. Und sie kamen zur Ruhe, und eine Stille trat ein. 25 Er aber sprach zu ihnen: »Wo ist euer Glaube? « Voller Furcht aber verwunderten sie sich und sagten zueinander: »Wer ist dieser, der sogar den Winden und dem Meer gebietet, so dass sie ihm gehorchen? « *8,26-37: Austreibung des Dämons Legion 8,26 Und sie segelten zum Land der Gerasener, das gegenüber von Galiläa liegt. 27 Als er ausstieg, begegnete ihm an Land ein Mann aus der Stadt, der seit langer Zeit von Dämonen besessen war; er trug kein Obergewand und wohnte nicht in einem Haus, sondern in Grabanlagen. 28 Als er Jesus sah, schrie er mit lauter Stimme und sprach: »Was habe ich mit dir zu schaffen, Jesus, Sohn Gottes? Ich bitte dich, quäle mich nicht! « 29 Er hatte nämlich dem unreinen Dämon geboten: »Fahr aus diesem Menschen aus! « Er hatte ihn nämlich viele Male gepackt, und man hatte ihn mit Ketten gebunden und an den Füßen gefesselt, und weil er seine Fesseln zerriss, wurde er von dem Dämon in die Wüste gejagt. 30 Jesus aber fragte ihn: »Was ist dein Name? « Er aber sprach: »Legion ist mein Name! «, denn es waren viele Dämonen. 31 Und sie baten ihn, er möge ihnen nicht den Befehl geben, in den Abgrund zu fahren. 32 Es war aber dort eine Schweineherde, die an dem Berg weidete. Und sie baten ihn, dass er ihnen die Erlaubnis gebe, in die Schweine hineinzufahren; und er erlaubte es ihnen. 33 Als die Dämonen aus dem Menschen ausfuhren, eilten sie in die Schweine, und die Herde eilte den Abhang hinunter in den See und ertrank. Das älteste Evangelium (Übersetzung) 1331 34 Als die Hirten das Geschehen sahen, flohen sie und berichteten davon in der Stadt und in den Weilern. 35 Als sie aber aus der Stadt herzukamen und sahen, dass der Besessene vernünftig und bekleidet zu Jesu Füßen saß, da wurden sie von Furcht ergriffen. 36 Die aber gesehen hatten, wie der Besessene gerettet wurde, erzählten es ihnen. 37 Aber alle und das Land der Gerasener baten Jesus, von ihnen fortzugehen, denn sie waren von großer Furcht gepackt. Er aber stieg ein und kehrte zurück. *8,40-56: Tochter des Jairus. Blutflüssige Frau 8,40 Es geschah aber, als Jesus zurückkehrte, dass die Menge ihn empfing, denn alle begrüßten ihn. 41 Und siehe, es kam ein Mann mit Namen Jairus, und der war ein Vorsteher der Synagoge, und er fiel Jesus zu Füßen und bat ihn, in sein Haus zu kommen, 42 denn seine einzige Tochter im Alter von zwölf Jahren lag im Sterben. Es geschah aber, als er in sein Haus ging, dass die Menge ihn fast erdrückte. 43 Und da war eine Frau, die seit zwölf Jahren Blutungen hatte, und nicht ein einziger konnte sie heilen. 44 Die trat heran und berührte sein Gewand, und sofort hörte ihre Blutung auf. 45 {Als Jesus merkte, dass die Kraft von ihm ausgegangen war, fragte er: } »Wer hat mich berührt? « Als alle es abstritten, sprach Petrus: »Lehrer, die Menge ist um dich herum und drängelt sich.« 46 Aber Jesus sprach: »Jemand hat mich berührt. Ich weiß doch, dass Kraft von mir ausgegangen ist! « 47 Als die Frau sah, dass sie nicht unbemerkt war, kam sie zitternd und fiel ihm zu Füßen und berichtete vor dem ganzen Volk, aus welchem Grund sie ihn berührt habe und wie sie sofort geheilt worden sei. 48 Er aber sprach zu ihr: »Tochter, dein Glaube hat dich gerettet. Gehe in Frieden! « 49 Während er noch redet, kommen sie vom Synagogenvorsteher und sagen: »Deine Tochter ist tot. Bemühe den Lehrer nicht mehr! « 50 Als aber Jesus das hörte, antwortete er ihm: »Fürchte dich nicht, glaube nur, dann wird sie gerettet werden! « 51 Als er aber in das Haus kam, ließ er es nicht zu, dass jemand mit ihm hineinging außer Petrus und Johannes und Jakobus und der Vater des Kindes und die Mutter. 52 Alle aber weinten und beklagten sie. Er aber sprach: »Weint nicht! Denn sie ist nicht gestorben, sondern schläft.« 53 Und sie verlachten ihn, weil sie wussten, dass sie gestorben war. 54 Aber er ergriff ihre Hand, rief und sagte: »Steh auf, Kind! « 55 Und ihr Geist kehrte zurück, und sie stand sofort auf. Und er ordnete an, dass ihr etwas zu essen gegeben würde. 56 Und ihre Eltern waren außer sich. Aber er gebot ihnen, das Geschehen niemandem zu sagen. *9,1-6: Aussendung der Zwölf 9,1 Er aber rief seine zwölf Jünger zusammen und gab ihnen die Kraft und die Vollmacht über alle Dämonen, 2 und er sandte die Jünger aus, die Herrschaft Gottes 1332 Anhang II zu verkünden. 3 Und er sprach zu ihnen: »Nehmt nichts mit auf den Weg, weder einen Stock noch eine Tasche, weder Brot noch Geld, noch (sollt ihr) zwei Untergewänder haben. 4 Und wenn ihr in ein Haus hineingeht, bleibt dort und geht von dort aus weiter. 5 Und diejenigen, die euch nicht aufnehmen: Geht aus jener Stadt fort und schüttelt den Staub von euren Füßen zum Zeugnis gegen sie! « 6 Sie aber gingen weg und zogen durch alle Städte und Dörfer und verkündeten überall das Evangelium. *9,7-9: Urteil des Herodes über Jesus und Johannes 9,7 Als aber der König Herodes das Geschehene hörte, wurde er ratlos, weil von den einen gesagt wurde »Johannes ist von den Toten auferstanden! «, 8 von anderen »Elia ist erschienen«, wieder andere sagten »Einer von den alten Propheten ist auferstanden«. 9 Herodes aber sprach: »Ich habe Johannes geköpft. Wer ist dieser, über den ich solches höre? « Und er suchte ihn zu sehen. *9,10-17: Rückkehr der Apostel und Speisung der Fünftausend 9,10 Und die Apostel kehrten zurück und erzählten ihm, was sie alles getan hatten. Und er empfing sie und ging allein mit ihnen an einen einsamen Ort, der Bethsaida genannt wurde. 11 Die Menge erkannte es aber und folgte ihm. Und er nahm sie auf und redete zu ihnen über die Herrschaft Gottes; und er heilte alle, die seiner Pflege bedurften. 12 Der Tag begann aber sich zu neigen. Da kamen die Zwölf heran und sprachen zu ihm: »Entlass die Menge, damit sie in die Dörfer im Umkreis gehen und in die Gehöfte einkehren, denn hier sind wir an einem einsamen Ort! « 13 Er aber sprach zu ihnen: »Gebt ihr ihnen zu essen! « Aber sie sprachen: »Wir haben nur fünf Brote und zwei Fische, es sei denn, dass wir weggehen und dann für dieses ganze Volk Speise kaufen.« 14 Denn es waren etwa 5000 Männer. Er aber sprach zu seinen Jüngern: »Lasst sie sich in Gelagerunden zu etwa 50 lagern! « 15 Und so machten sie es. 16 Er aber nahm die fünf Brote und die zwei Fische, blickte zum Himmel empor, betete und sagte den Segen über ihnen und gab sie den Jüngern, damit sie sie an die Menge austeilten. 17 Und sie aßen, und alle wurden gesättigt. Und was an Brocken übrig blieb, wurde gesammelt: Zwölf Körbe. *9,18-22: Bekenntnis des Petrus. Ankündigung von Leiden und Auferstehung 18 Und es geschah, als die Jünger allein mit ihm zusammen waren, da fragte er sie und sagte: »Für wen halten die Menschen mich, den Menschensohn? « 19 Die Jünger aber sagen: »Für Johannes den Täufer, andere für Elia oder einen der Propheten.« 20 Er aber sprach zu ihnen: »Aber für wen (haltet) ihr (mich)? « Petrus aber antwortete und sprach: »Du bist der Christus, der Sohn.« 21 Er aber herrschte sie an und gebot Das älteste Evangelium (Übersetzung) 1333 ihnen, dies niemandem zu erzählen 22 und sprach: »Es ist nötig, dass der Menschensohn vieles erleidet und getötet wird, aber nach drei Tagen aufersteht.« *9,23-27: Die Bedingungen der Nachfolge 9,23 Er sagte aber zu allen: »Wenn einer hinter mir hergehen will, soll er sich selbst verleugnen und mir dann folgen. 24 Wer nämlich sein Leben retten will, wird es verlieren. Und wer es meinetwegen verliert, wird es retten. 25 Denn was ist der Nutzen, wenn ein Mensch die ganze Welt gewinnt, sich selbst aber verliert oder Schaden nimmt? 26 Wer sich meiner und der Meinen schämt, dessen werde auch ich mich schämen. 27 Wahrhaftig, ich sage euch aber: Es gibt einige unter denen, die hier stehen, die werden den Tod nicht schmecken, bevor sie den Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommen sehen werden.« *9,28-36: Verklärung Jesu 9,28 Es geschah aber etwa acht Tage nach diesen Worten, da nahm er Petrus und Johannes und Jakobus und stieg auf den Berg. 29 Und als er betete, geschah es: Das Aussehen seines Gesichts veränderte sich und sein Gewand blitzte weiß auf. 30 Und siehe, zwei Männer sprachen mit ihm, Elia und Mose 31 in Herrlichkeit. 33 Petrus sprach zu Jesus: »Lehrer, es ist gut, dass wir hier sind. Und wir wollen hier drei Zelte aufstellen, eines für dich und für Mose eines und für Elia eines« - ohne zu wissen, was er sagte. 34 Während er aber dieses sagte, entstand eine Wolke und überschattete sie. Sie fürchteten sich aber, als sie in die Wolke hineingingen. 35 Und eine Stimme (kam) aus der Wolke: »Dieser ist mein Sohn und mein Geliebter, auf den hört! « 36 Und als die Stimme verklungen war, befand sich Jesus allein. Und sie schwiegen und berichteten in jenen Tagen niemandem, was sie gesehen hatten. *9,37-45: Tadel der ungläubigen Generation. Exorzismus des epileptischen Knaben. Erneute Leidensankündigung 9,37 Es geschah aber während des Tages, als er vom Berg herabkam, da kam eine große Menge bei ihm zusammen. 38 Und siehe, ein Mann aus dieser Menge rief um Hilfe und sagte: »Lehrer, ich bitte dich, sieh meinen Sohn an, denn er ist mein einziger. 39 Es packt ihn nämlich plötzlich ein Geist und reißt ihn und lässt ihn zucken mit Schaum; fast nie lässt er von ihm ab und schlägt ihn in Stücke. 40 Und ich habe deine Jünger gebeten, aber sie konnten ihn nicht austreiben.« 41 Und er sprach {zu ihnen}: »Ungläubiges Geschlecht! Wie lange muss ich euch ertragen? Bring deinen Sohn! « 42 Aber noch während er ihn herbrachte, brach der Dämon los und riss ihn zusammen. Aber Jesus herrschte den unreinen Geist an, so dass er ihn losließ, und er gab den Knaben seinem Vater. 43 Alle waren außer sich wegen der Größe Gottes. 1334 Anhang II Während sich aber alle wunderten über all das, was er getan hatte, sprach er zu seinen Jüngern: 44 »Steckt euch diese Worte in eure Ohren: Der Menschensohn wird in die Hände der Menschen übergeben werden! « 45 Aber sie verstanden dieses Wort nicht. *9,45b-50: Rangstreit der Jünger. Fremder Wundertäter 45b Und sie fürchteten sich, ihn über dieses Wort zu fragen: 46 Wer denn der Größte von ihnen sei. 47 Aber Jesus, der den Gedanken ihres Herzens kannte, nahm ein Kind, stellte es neben sich 48 und sprach: »Wer dieses Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf und den, der mich sendet. Der Kleinste unter euch allen ist nämlich groß! « 49 Johannes aber antwortete und sprach: »Lehrer, wir sahen einen in deinem Namen Dämonen austreiben. Und wir hinderten ihn, denn er folgt nicht mit uns zusammen nach.« 50 Jesus aber sprach zu ihnen: »Hindert ihn nicht, denn er ist nicht gegen euch und nicht für euch! {Denn niemand könnte eine Machttat wirken außer in meinem Namen.}« *9,52-56: Mission in Samaria 9,52 Und er sandte Boten vor sich her. Und als sie unterwegs waren, gingen sie in ein Dorf der Samaritaner, um für ihn Quartier zu machen. 53 Aber sie nahmen ihn nicht auf. 54 Als aber seine Jünger Jakobus und Johannes das sahen, sprachen sie: »Herr, willst du, dass wir sagen, dass Feuer vom Himmel herabkommt und sie auffrisst, wie es auch Elia getan hat? « 55 Er wandte sich aber gegen sie und drohte ihnen. {Und er sprach: »Ihr wisst nicht, wes Geistes ihr seid! 56 Denn der Menschensohn ist nicht gekommen, das Leben der Menschen zu vernichten, sondern um es zu retten! «} Und sie wanderten in ein anderes Dorf. *9,57-62: Nachfolgesprüche 9,57 Und als sie auf dem Weg wanderten, sprach einer zu ihm: »Ich will dir nachfolgen, wohin du gehst.« 58 Und Jesus sprach zu ihm: »Die Füchse haben Höhlen, und die Vögel des Himmels bauen Nester, aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlegt.« 59 Er sprach aber zu {Philippus}: »Folge mir! « Aber {Philippus} sprach: »Erlaube mir, dass ich zuerst hingehe, um meinen Vater zu begraben! « 60 Er sprach aber zu ihm: »Lass die Toten ihre Toten begraben, du aber folge mir nach! « 61 Ein anderer aber sprach: »Ich werde dir nachfolgen, Herr. Aber zuerst erlaube mir, dass ich mich von denen in meinem Haus verabschiede.« 62 Aber Jesus sprach zu ihm: »Niemand, der nach hinten schaut und die Hand an den Pflug legt, ist geschickt für die Herrschaft Gottes! « Das älteste Evangelium (Übersetzung) 1335 *10,1-16: Aussendung der zweiundsiebzig Apostel 10,1 Er bestimmte aber auch zweiundsiebzig andere Apostel zu den Zwölf hinzu, und er sandte sie zu zweien in jede Stadt und jeden Ort. 2 Er sagte aber zu ihnen: »Die Ernte ist groß, aber es gibt wenige Arbeiter. Bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte schickt! 3 Geht! Siehe, ich sende euch wie Lämmer mitten unter Wölfe. 4 Nehmt keinen Geldbeutel mit, keinen Sack, {keinen Stecken,} keine Schuhe! Und grüßt niemanden auf dem Weg! 5 Wenn ihr in ein Haus hineingeht, sagt: ›Friede diesem Haus! ‹ 6 Und wenn dort ein Sohn des Friedens ist, wird euer Friede auf ihm ruhen; wenn aber nicht, wird euer Friede zu euch zurückkehren. 7 Bleibt in demselben Haus, esst und trinkt, was von ihnen kommt. Der Arbeiter ist seinen Lohn wert. Geht nicht von Haus zu Haus. 8 Und wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, esst, was man euch vorsetzt, 9 und heilt die Kranken in der Stadt und sagt ihnen: ›Die Herrschaft Gottes ist nahe.‹ 10 Wenn ihr aber in eine Stadt geht und man nimmt euch nicht auf, dann geht auf ihre Plätze und sprecht: 11 ›Sogar den Staub, der uns aus eurer Stadt an den Füßen klebt, schütteln wir euch ab. Aber das erkennt: Die Herrschaft Gottes ist nahe! ‹ 12 Ich sage euch aber, dass es den Sodomitern in der Herrschaft Gottes erträglicher sein wird als jener Stadt. 13 Wehe dir, Chorazin und Bethsaida. Denn wenn in Tyros oder Sidon die Machttaten geschehen wären, die bei euch geschehen, wären sie schon lange umgekehrt und würden in Sack und Asche sitzen. 14 Aber für Tyros und Sidon wird es erträglicher sein als für euch. 15 Und du, Kapharnaum, wirst du etwa bis in den Himmel erhöht werden? Sogar bis in den Hades wirst du hinabsteigen! 16 Wer euch hört, hört mich. Und wer euch abweist, weist mich ab. Wer aber mich hört, hört den, der mich gesandt hat.« *10,17-24: Rückkehr der Zweiundsiebzig. Dankgebet Jesu 10,17 Die Zweiundsiebzig kehrten aber voller Freude zurück und sagten: »Herr, sogar die Dämonen sind uns durch deinen Namen unterworfen! « 18 Aber er sprach zu ihnen: »Ich habe den Satan wie einen Blitz aus dem Himmel fallen sehen. 19 Siehe, ich habe euch die Vollmacht über Schlangen und Skorpione gegeben, um sie zu zertreten, und über jede Kraft des Feindes, und nichts wird euch Schaden zufügen. 20 Aber freut euch nicht darüber, dass euch die Dämonen unterworfen sind, freut euch, dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind! « 21 In jener Zeit jubelte er über den Geist und sprach: »Ich danke dir, Herr des Himmels, denn du hast das, was vor den Weisen und Verständigen verborgen war, den Unmündigen offenbart. Ja, Vater, denn so hat es dir wohlgefallen! 22 Alles ist mir übergeben vom Vater. Niemand kennt den Vater außer dem Sohn. Und nicht erkennt jemand den Sohn, außer dem Vater und wem es der Sohn offenbart.« 1336 Anhang II 23 Und zu den Jüngern gewandt sprach er: »Selig sind die Augen, die sehen, was ihr seht. 24 Denn ich sage euch: Propheten haben nicht gesehen, was ihr seht.« *10,25-28: Die Frage nach den Bedingungen des Lebens 10,25 Siehe, ein Gesetzeslehrer stellte sich hin; er stellte ihn auf die Probe und sagte: »Was muss ich tun, um Leben zu erben? « 26 Er aber antwortete und sprach: 27 »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und mit deinem ganzen Leben und mit deiner ganzen Kraft! « 28 Er aber sprach zu ihm: »Du hast recht gesprochen.« *10,38-42: Maria und Martha 10,38 Es geschah aber auf seiner Wanderung, da kam er in irgendein Dorf. Eine Frau mit Namen Martha nahm ihn auf. 39 Und sie hatte eine Schwester mit Namen Maria; die ließ sich zu den Füßen Jesu nieder und hörte seine Rede. 40 Martha aber war sehr in Anspruch genommen von der umfangreichen Bedienung. Sie trat aber heran und sprach: »Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester mich beim Bedienen allein lässt? Sprich doch zu ihr, dass sie mir hilft! « 41 Jesus aber antwortete und sprach zu ihr: »Martha, Martha, 42 Maria hat das gute Teil erwählt, das nicht von ihr genommen wird.« *11,1-4: Vaterunser 11,1 Und es geschah, als er an irgendeinem Ort betete. Und als er aufhörte, sprach einer seiner Jünger zu ihm: »Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger gelehrt hat.« 2 Aber er sprach: »Wenn ihr betet, {stammelt nicht wie die übrigen. Denn manche glauben, dass sie aufgrund ihrer Geschwätzigkeit erhört werden. Sondern wenn ihr betet,} sagt: ›Vater, {Dein heiliger Geist komme auf uns und reinige uns.} 3 Gib uns heute dein himmlisches Brot. 4 Und erlass uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen. Und führe uns nicht in Versuchung‹! « *11,5-13: Belehrung über das Beten 11,5 Und er sprach zu ihnen: »Wer von euch hätte einen Freund und ging um Mitternacht zu ihm und spräche zu ihm: ›Freund, leih mir drei Brote, 6 denn mein Freund vom Land ist eingetroffen, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen könnte‹, 7 und jener würde von innen antworten und sprechen: ›Mach mir keine Mühe! Die Tür ist schon verschlossen, und meine Kinder sind mit mir zu Bett; ich kann nicht aufstehen, um dir etwas zu geben.‹ 8 {Aber wenn er unablässig weiter klopft, -} ich Das älteste Evangelium (Übersetzung) 1337 sage euch: Er wird nicht aufstehen und ihm etwas geben, weil er sein Freund ist, sondern wegen seiner Unverschämtheit wird er sich erheben und ihm geben, soviel er braucht. 9 Und ich sage Euch: Bittet, dann wird (euch) gegeben! Sucht, dann werdet ihr finden! Klopft, dann wird euch geöffnet! 10 Denn jeder, der bittet, empfängt, und dem Klopfenden wird geöffnet. 11 Wenn einen von euch sein Sohn um Brot bittet, wird er ihm etwa einen Stein geben? Oder wenn er einen Fisch erbittet, wird er ihm etwa eine Schlange geben? 12 Oder aber er bittet um ein Ei: Wird er ihm etwa einen Skorpion geben? 13 Wenn nun schon ihr, die ihr doch böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben versteht, um wieviel mehr wird euer himmlischer Vater denen gute Gaben geben, die ihn darum bitten? « *11,14-29: Exorzismus des stummen Dämons. Beelzebulkontroverse. Rückkehr der Dämonen. Seligpreisung der Hörer des Wortes Gottes. Verweigerung eines Zeichens 11,14 Während er aber dieses spricht, bringt man einen dämonenbesessenen Stummen zu ihm, und als er ihn austrieb, verwunderten sich alle. 15 Aber einige von ihnen sprachen: »Mit Beelzebul, dem Fürsten der Dämonen, treibt er die Dämonen aus! « Aber er antwortete und sprach: »Wie kann Satan den Satan austreiben? « 16 Andere stellten ihn auf die Probe und verlangten von ihm ein Zeichen vom Himmel. 17 Aber er kannte ihre Gedanken und sprach zu ihnen: »Jede Herrschaft, die in sich selbst zerspalten ist, wird veröden, und Haus um Haus stürzt ein. 18 Wenn aber Satan in sich selbst zerspalten ist, dann wird seine Herrschaft keinen Bestand haben. Denn ihr sagt, dass ich mit Beelzebul die Dämonen austreibe. 19 Wenn ich die Dämonen mit Beelzebul austreibe, mit wem treiben sie dann eure Söhne aus? Deswegen werden sie eure Richter sein. 20 Wenn ich die Dämonen aber mit dem Finger Gottes austreibe, dann ist die Herrschaft Gottes bei euch angekommen. 21 Solange ein bewaffneter Starker seinen Hof bewacht, ist sein Besitz in Frieden. 22 Wenn aber ein Stärkerer herankommt und ihn besiegt, nimmt er ihm die Rüstung ab, auf die er sich verlassen hat, und verteilt die Beute. 23 Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich, und wer nicht mit mir sammelt, zerstreut. 24 Wenn aber der unreine Geist aus einem Menschen herausgegangen ist, wasserlose Gegenden durchstreift, um einen Ruheplatz zu suchen, aber keinen findet, sagt er: ›Ich will in mein Haus zurückkehren, aus dem ich herausgegangen bin.‹ 25 Und wenn er kommt, findet er es leer, ausgefegt und geschmückt. 26 Er geht hin und bringt sieben andere Geister mit, die schlimmer sind als er, und sie nehmen Wohnung, so dass es jenem Menschen am Ende schlimmer geht als am Anfang.« 27 Es geschah aber, als er dies sagte, da erhob eine Frau aus der Menge ihre Stimme und sprach zu ihm: »Selig der Leib, der dich getragen hat, und die Brüste, 1338 Anhang II an denen du getrunken hast! « 28 Er aber sprach: »Vielmehr: Selig, die das Wort Gottes hören und es tun! « 29 Als sich die Menge bei ihm versammelte, begann er zu sprechen: »Diese Generation ist eine böse Generation. Sie verlangt ein Zeichen, aber ein Zeichen wird ihr nicht gegeben werden.« *11,33-35: Das Auge als Leuchte des Körpers 11,33 »Niemand, der eine Lampe anzündet, stellt sie in ein Versteck oder unter einen Scheffel, sondern auf den Leuchter, damit sie allen leuchtet. 34 Dein Auge ist die Lampe des Körpers. Solange dein Auge aufrichtig ist, ist dein ganzer Körper hell. Wenn es aber böse ist, ist auch dein Körper finster. 35 Wenn nun das Licht in dir finster ist, wie groß ist dann die Finsternis.« *11,37-54: Pharisäerrede: Reinheit. Verzehntung. Prophetenmord. Abschluss 11,37 Es lud ihn aber ein Pharisäer ein, mit ihm zu essen. Er ging hinein und legte sich zu Tisch. 38 Der Pharisäer aber hatte Zweifel und begann, bei sich zu sagen: »Warum hat er sich vor dem Essen nicht gewaschen? « 39 Aber Jesus sprach zu ihm: »Ihr jetzt, ihr Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr reinigt das Äußere des Bechers und der Schüssel, aber euer Inneres ist voller Raffgier und Bosheit. 40 Ihr Narren! Hat nicht der, der das Innere gemacht, auch das Äußere gemacht? 41 Gebt vielmehr den Besitz als Almosen, dann ist alles für euch rein! 42 Aber wehe euch Pharisäern, denn ihr verzehntet Minze, Raute und jedes Gewürz, aber ihr verfehlt die Berufung und die Liebe Gottes. 43 Wehe euch, ihr Pharisäer, denn ihr liebt den Ehrensitz in den Synagogen und die Begrüßungen auf den Plätzen {und die Ehrenplätze bei den Gelagen}. 44 Wehe euch, {ihr Schriftgelehrten und Pharisäer,} denn ihr seid unerkennbare Gräber, und die Menschen, die darauf herumlaufen, wissen es nicht.« 45 Es antwortet aber einer der Gesetzeslehrer und sagt zu ihm: »Lehrer, wenn du das sagst, beleidigst du auch uns.« 46 Er aber sprach: »Wehe auch euch Gesetzeslehrern! Denn ihr bürdet den Menschen unerträgliche Lasten auf, aber ihr selbst rührt (sie) mit keinem Finger an. 47 Wehe euch, denn ihr errichtet die Grabmale der Propheten, aber eure Väter haben sie getötet. 48 Folglich bezeugt ihr, dass ihr mit den Taten eurer Väter nicht übereinstimmt: Sie haben sie getötet, ihr baut.« 52 »Wehe euch Gesetzeslehrern, denn ihr habt den Schlüssel der Erkenntnis versteckt. Und selbst geht ihr nicht hinein, aber die hineingehen wollten, habt ihr gehindert.« 53/ 54 Als er dies aber vor dem ganzen Volk zu ihnen sagte, fingen die Pharisäer und Schriftgelehrten an, sich feindlich zu verhalten und mit ihm über vieles Das älteste Evangelium (Übersetzung) 1339 zusammen zu geraten; sie suchten, einen Anlass gegen ihn zu ergreifen, damit sie (etwas) fänden, um ihn anzuklagen. *12,1-12: Warnung vor der Heuchelei der Pharisäer. Aufforderung zu furchtlosem Bekenntnis 12,1 Als sich aber so große Massen rings um ihn drängten, dass sie sich erstickten, begann er zu seinen Jüngern zu sagen: »Gebt vor allem Acht auf den Sauerteig der Pharisäer, das ist: die Heuchelei. 2 Es gibt nämlich nichts Verborgenes, das nicht offenbar werden wird, und nichts Verstecktes, das nicht bekannt gemacht werden wird. 3 So viel ihr im Verborgenen gesagt habt, wird im Licht gehört werden, und was ihr in den Kammern in die Ohren geflüstert habt, das wird auf den Dächern verkündet werden. 4 Euch Freunden sage ich aber: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Körper töten, aber die Seele nicht töten können und auch nichts haben, was sie darüber hinaus tun können. 5 Aber ich zeige euch, wen ihr fürchten sollt: Den, der die Vollmacht hat, nach dem Tod in die Hölle zu werfen. Ja, ich sage: Den sollt ihr fürchten! 8 Denn ich sage euch: Jeder, der sich zu mir bekennt vor den Menschen, zu dem werde ich mich bekennen vor Gott. 9 Und jeder, der mich verleugnet vor den Menschen, wird vor Gott verleugnet werden. 10 Und wer etwas gegen den Menschensohn spricht, dem wird vergeben werden. Wer aber etwas gegen den heiligen Geist spricht, dem wird nicht vergeben werden, weder in dieser Welt noch in der kommenden. 11 Und wenn sie euch in die Synagogen und vor die Autoritäten und vor die Machthaber führen, sorgt nicht im Voraus, wie ihr antworten sollt oder was ihr sprechen sollt. 12 Denn der Heilige Geist wird euch in dieser Stunde lehren, was ihr sprechen müsst. *12,13-21: Warnung vor Habgier. Der reiche Kornbauer 12,13 Einer aus der Menge sprach zu ihm: »Lehrer, sprich mit meinem Bruder, dass er mit mir das Erbe teilt! « 14 Er aber sprach zu ihm: »Mensch, wer hat mich zum Richter eingesetzt über euch? « 15 Er sprach aber zu ihnen: »Passt auf und hütet euch vor aller Habgier, denn das Leben besteht für einen nicht im Überfluss aus seinem Besitz.« 16 Er erzählte ihnen aber ein Gleichnis und sagte: »Das Land eines reichen Menschen hatte gut getragen. 17 Und er überlegte bei sich und sagte: ›Was soll ich tun, denn ich habe nichts, wo ich meine Ernte sammeln kann? ‹ 18 Und er sprach: ›Das werde ich tun: Ich werde meine Scheunen abreißen und werde sie größer machen, dann werde ich dort meinen Ertrag unterbringen, 19 und ich werde zu 1340 Anhang II meiner Seele sprechen: Seele, du hast viele Güter, freue dich! ‹ 20 Gott aber sprach zu ihm: ›Du Narr! In dieser Nacht wird man deine Seele von dir fordern. Was du angehäuft hast - wem wird es gehören? ‹« *12,22-34: Vom Sorgen. Streben nach der Herrschaft Gottes 12,22 Er sprach aber zu den Jüngern: »Deshalb sage ich euch: Sorgt euch nicht um das Leben, was ihr essen, und nicht um den Körper, was ihr anziehen sollt! 23 Denn das Leben ist mehr als die Nahrung und der Körper mehr als die Kleidung. 24 Denkt doch an die Vögel des Himmels: Sie säen nicht und sie ernten nicht und sie sammeln nicht in Scheunen, und doch ernährt Gott sie. Um wieviel mehr übertrefft ihr die Vögel. 25 Wer aber unter euch kann seiner Lebenszeit auch nur eine Elle hinzusetzen? 26 Was sorgt ihr euch dann um das Übrige? 27 Bedenkt die Lilien, wie sie weder weben noch spinnen. Ich sage euch: Nicht einmal Salomo in all seiner Pracht war gekleidet wie eine von ihnen. 29 Und ihr, strebt nicht danach, was ihr essen oder was ihr trinken sollt, und bekümmert euch nicht. 30 Denn danach streben die Völker dieser Welt. Aber euer Vater weiß, dass ihr dies nötig habt. 31 Strebt vielmehr zuerst nach der Herrschaft Gottes, dann wird euch dies alles dazugegeben werden. 32 Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn an ihr hat der Vater sein Wohlgefallen gefunden, um euch die Herrschaft zu geben. 33 Macht euch selbst Geldbeutel, die nicht altern, einen unerschöpflichen Schatz im Himmel, wo ein Dieb nicht nahe kommt und eine Motte nicht zerstört. 34 Denn wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein.« *12,35-48: Belehrung über Wachsamkeit und Zuverlässigkeit 12,35 »Eure Hüften sollen umgürtet sein und die Lampen brennen, 36 und ihr sollt Menschen gleichen, die ihren Herrn erwarten, wenn er von der Hochzeit zurückkommt, damit sie, wenn er kommt und klopft, ihm sofort öffnen. 37 Selig sind jene Sklaven, die der Herr wach findet, wenn er kommt. Amen, ich sage euch: Er wird sich gürten und sie sich zu Tisch legen lassen. 38 Und wenn er zur Nachtwache am Abend kommt und (sie) so findet - selig sind sie. 39 Das sollt ihr aber wissen: Wenn der Hausherr gewusst hätte, zu welcher Stunde der Dieb kommt, dann würde er nicht zugelassen haben, dass sein Haus aufgebrochen wird. 40 Seid auch ihr bereit, denn der Menschensohn kommt in einer Stunde, zu der ihr es nicht ewartet.« 41 Petrus aber sprach zu ihm: »Herr, sagst du dieses Gleichnis zu uns? « 42 Und er sprach: »Wer ist denn der treue Verwalter, der besonnene, der gute, den der Herr über sein Gesinde setzt, um rechtzeitig die Speise zuzuteilen? Selig ist jener Sklave, den sein Herr bei seinem Kommen so beschäftigt findet. 44 Amen, ich sage euch: Über seinen gesamten Besitz wird er ihn setzen. 45 Wenn aber jener Sklave in Das älteste Evangelium (Übersetzung) 1341 seinem Herzen spricht: ›Mein Herr kommt noch lange nicht‹, und anfängt die Burschen und Mägde zu schlagen, zu essen und zu trinken und sich zu betrinken, 46 dann wird der Herr jenes Sklaven an einem Tag kommen, an dem er ihn nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und er wird ihn in Stücke hauen und ihm seinen Anteil bei den Ungläubigen zuweisen. 47 Jener Sklave aber, der nicht nach seinem Willen gehandelt hat, obwohl er ihn kannte, wird viel Prügel bekommen. 48 Wer ihn aber nicht kannte und tut, was Schläge verdient, wird nur wenig geprügelt werden. Wem man viel gab, von dem wird noch darüber hinaus zurückgefordert werden; und wem viel anvertraut wurde, noch mehr wird von ihm gefordert werden.« *12,49-53: Frieden und Zwietracht 12,49 »Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen. 51 Meint ihr, dass ich gekommen bin, um Frieden über die Erde zu werfen? Nein, sage ich euch, sondern das Schwert! 52 Denn von jetzt an werden fünf in einem Haus sein, drei in Zwietracht mit zweien und zwei mit dreien. 53 Es werden in Zwietracht sein der Vater mit dem Sohn und der Sohn mit dem Vater, und die Mutter mit der Tochter und die Tochter mit der Mutter, und die Schwiegermutter mit der Schwiegertochter und die Schwiegertochter mit der Schwiegermutter.« *12,54-59: Beurteilung dieses Kairos. Versöhnung mit dem Prozessgegner 12,54 Er sagte aber der Menge: »Wenn ihr die Wolke von Westen aufsteigen seht, sagt ihr sofort: ›Es kommt Regen‹, und so geschieht es auch. 55 Und wenn ihr seht, dass der Südwind bläst, sagt ihr: ›Es wird heiß‹, und es geschieht. 56 Ihr Heuchler! Das Aussehen des Himmels beurteilt ihr, aber diesen Zeitpunkt beurteilt ihr nicht. 57 Warum aber findet ihr nicht von selbst das rechte Urteil? 58 Denn wenn du mit deinem Prozessgegner zum Gericht gehst, mach noch auf dem Weg eine Anstrengung, von ihm loszukommen; sonst verklagt er dich vor dem Richter, und der Richter übergibt dich dem Gerichtsdiener, und der Gerichtsdiener wirft dich ins Gefängnis. 59 Ich sage dir: Du wirst von dort nicht herauskommen, bis du auch den letzten Quadrans gezahlt hast! « *13,10-17: Heilung einer Abrahamstochter am Sabbat 13,10 Er lehrte aber in einer der Synagogen am Sabbat. 11 Und siehe, da war eine Frau seit 18 Jahren mit einer Geistesschwäche; sie war gekrümmt und vermochte nicht, sich vollständig aufzurichten. 12 Als Jesus sie aber sah, sprach er zu ihr: »Frau, du bist von deiner Schwäche erlöst.« 13 Und er legte ihr die Hände auf. Und sofort richtete sie sich auf und pries Gott. 1342 Anhang II 14 Der Synagogenvorsteher aber antwortete, weil er empört war, dass Jesus am Sabbat geheilt hatte, und sagte zu der Menge: »Es gibt sechs Tage, an denen gearbeitet werden soll; kommt also an denen und laßt euch heilen, aber nicht am Sabbat! « 15 Jesus aber antwortete ihm und sprach: »Du Heuchler! Bindet nicht jeder von euch seinen Ochsen oder den Esel von der Krippe los und führt ihn zur Tränke? 16 Diese Tochter Abrahams aber, die Satan gebunden hatte - siehe: 18 Jahre lang! -, musste sie nicht von dieser Fessel am Sabbat losgebunden werden? « 17 Und seine Widersacher wurden beschämt, aber das ganze Volk freute sich über alle herrlichen Taten, die sie sahen, die durch ihn geschahen. *13,18-21: Gleichnis vom Senfkorn und vom Sauerteig 13,18 Er sagte nun: »Wem ist die Herrschaft der Himmel gleich, und womit soll ich sie vergleichen? 19 Sie gleicht einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und in seinen Garten säte. Und es wuchs und wurde zu einem Baum, und die Vögel des Himmels nisteten in seinen Zweigen. 20 Oder wem ist die Herrschaft Gottes gleich, und wem soll ich sie vergleichen? 21 Sie gleicht dem Sauerteig, den eine Frau nahm und ihn in Weizenmehl barg, bis es ganz durchsäuert war.« *13,23-28: Die enge und die verschlossene Tür 13,23 Es sprach aber einer zu ihm: »Herr, werden nur wenige gerettet? « Er aber antwortete und sprach: 24 »Wetteifert darum, durch das enge Tor einzutreten, denn viele, sage ich euch, suchen hineinzukommen, aber sie haben nicht die Kraft. 25 Von da an, wenn der Hausherr sich erhebt und die Tür abschließt, werdet ihr anfangen zu klopfen und sagt: ›Herr, Herr, öffne uns! ‹ Und er wird euch antworten und sprechen: ›Ich weiß nicht, woher ihr seid! ‹ 26 Dann werdet ihr anfangen zu sagen: ›Herr, wir haben vor dir gegessen und getrunken, und du hast auf unseren Plätzen gelehrt! ‹ 27 Aber er wird sprechen und zu euch sagen: ›Ich kenne euch nicht (und weiß nicht), woher ihr seid! Geht von mir weg, alle ihr Unrechttäter! ‹ 28 Dann werdet ihr sehen: Alle Gerechten werden in die Herrschaft Gottes hineingehen, ihr aber werdet draußen festgehalten. ↑ Dort wird Geheul und Zähneknirschen sein! ↓ « *14,1-6: Heilung eines Wassersüchtigen während eines Sabbatmahls 14,1 Und es geschah, als er am Sabbat in das Haus eines führenden Pharisäers ging, um Brot zu essen. Und alle waren dabei, ihn zu beobachten. 2 Und siehe, da war ein wassersüchtiger Mensch vor ihm. 3 Und Jesus antwortete und sprach zu den Gesetzeslehrern und Pharisäern: »Ist es am Sabbat erlaubt zu heilen oder nicht? « 4 Sie aber schwiegen. Und er nahm ihn und heilte und erlöste ihn. 5 Und er sprach zu ihnen: »Wer von euch, dessen Schaf oder Rind in einen Brunnen fällt, wird es Das älteste Evangelium (Übersetzung) 1343 nicht sofort herausziehen, auch am Sabbattag? « 6 Aber sie antworteten darauf nicht. *14,7-24: Paränesen zum Thema Mahleinladungen 14,7 Er sagte zu den Eingeladenen ein Gleichnis, weil er beobachtete, wie sie sich die besten Plätze auswählten. Er sagte zu ihnen: 8 »Wenn du von jemandem zur Hochzeit eingeladen bist, lege dich nicht auf den Ehrenplatz, damit nicht ein Ehrenvollerer als du kommt, 9 und dann kommt, der dich eingeladen hat und sagt zu dir: ›Gib diesem deinen Platz! ‹, und dann wirst du mit Beschämung den letzten Platz erhalten. 10 Sondern, wenn du eingeladen bist, geh hin und lege dich auf den letzten Platz, damit, wenn der, der dich eingeladen hat, kommt, zu dir spricht: ›Freund, rücke doch nach oben! ‹ Dann wird dir Ehre vor den anderen Mahlteilnehmern zuteil. 11 Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.« 12 Er sagte aber auch zu dem, der ihn eingeladen hatte: »Wenn du ein Essen oder ein Festmahl veranstaltest, dann lade nicht deine Freunde und nicht deine Brüder und nicht deine Verwandten und nicht Nachbarn und nicht Reiche ein, damit sie dich nicht wieder einladen und du eine Vergeltung erfährst. 13 Sondern, wenn du ein Mahl veranstaltest, lade Arme, Krüppel, Lahme und Blinde ein. 14 Dann wirst du selig sein, denn weil sie nichts haben, um es dir zu vergelten, wird dir bei der Auferstehung der Gerechten vergolten werden.« 15 Als aber einer der Mahlteilnehmer dies hörte, sprach er zu ihm: »Selig, wer das Mahl hält in der Herrschaft Gottes! « 16 Er aber sprach zu ihm: »Ein Mensch veranstaltete ein Mahl und lud viele ein. 17 Und er schickte seinen Sklaven zur Stunde des Mahls und ließ ihn zu den Eingeladenen sagen: ›Kommt, denn es ist schon angerichtet! ‹ 18 Aber alle fingen an, sich wie aus einem Mund zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: ›Ich habe einen Acker gekauft und muß unbedingt hingehen und ihn ansehen. Ich bitte dich, mich zu entschuldigen.‹ 19 Und ein anderer sagte: ›Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft und breche auf, um sie zu begutachten; deswegen kann ich nicht kommen. 20 Und ein anderer sagte: ›Ich habe eine Frau genommen; deswegen kann ich nicht kommen.‹ 21 Als der Sklave zurückkehrte, richtete er dies seinem Herren aus. Da erregte sich der Hausherr und sprach zu seinem Sklaven: ›Geh schnell auf die Plätze und Straßen der Stadt und bringe die Armen, die Krüppel, die Blinden und die Lahmen hierher! ‹ 22 Und der Sklave sprach: ›Was du aufgetragen hast, ist geschehen, aber es ist noch Platz.‹ 23 Und der Herr sprach zu seinem Sklaven: ›Geh hinaus zu den Wegen und Zäunen, und zwinge sie, hereinzukommen, damit mein Haus voll wird! 24 Denn ich sage euch, dass kein Mensch von jenen, die eingeladen waren, von meinem Mahl kosten wird! ‹« 1344 Anhang II *14,25-35: Bedingungen für das Jüngersein 14,25 Die Massen aber wanderten mit ihm, und er wandte sich an sie und sprach: 26 »Wenn einer zu mir kommt und seinen Vater und seine Mutter und seine Frau und die Kinder und die Brüder und Schwestern nicht hasst - und noch nicht einmal sein eigenes Leben, dann kann er nicht mein Jünger sein. 27 Wer nicht sein Kreuz trägt und hinter mir herkommt, der kann nicht mein Jünger sein. 28 Denn wer unter euch wird nicht, wenn er einen Turm bauen will, sich zuerst hinsetzen und die Kosten berechnen, ob es zur Vollendung reicht, 29 damit nicht dann, wenn er zwar das Fundament gelegt hat, aber nicht bauen kann, alle, die es sehen, sagen werden: 30 ›Dieser Mensch hat angefangen, ein Gebäude zu errichten, aber er kann es nicht vollenden‹? 31 Oder welcher König, der auszieht, um mit einem anderen König in der Schlacht zusammenzutreffen, wird sich nicht sofort hinsetzen und beratschlagen, ob er in der Lage ist, mit Zehntausend dem zu begegnen, der mit Zwanzigtausend gegen ihn zieht? 32 Wenn er es nicht kann, schickt er, solange der andere noch weit entfernt ist, eine Gesandtschaft und fragt, was zum Frieden (führt). 33 Genauso auch jeder von euch: Wer sich nicht von allen seinen Besitztümern verabschiedet, kann nicht mein Jünger sein. 34 Gut ist das Salz. Wenn aber sogar das Salz dumm wird, womit soll man dann würzen? 35 Es taugt weder für den Acker noch für den Misthaufen; es wird weggeworfen und von den Menschen zertreten.« *15,3-10: Gleichnisse vom verlorenen Schaf und von der verlorenen Drachme 15,3 Er erzählte ihnen aber das folgende Gleichnis und sagte: 4 »Welcher Mensch unter euch, der hundert Schafe hat und eines von ihnen verliert, wird nicht die neunundneunzig in der Wüste zurücklassen und weggehen, um das verlorene zu suchen, bis er es findet? 5 Und wenn er es findet - 7 Amen, ich sage euch: Er freut sich über es mehr als über die neunundneunzig. Ebenso wird im Himmel Freude sein, wenn einer von den Verlorenen gefunden wird. 8 Oder welche Frau, die zehn Drachmen hat, wird nicht, wenn sie eine einzige verliert, eine Lampe anzünden und das Haus auskehren und sorgfältig suchen, bis sie sie findet? 10 Ebenso, sage ich euch, wird Freude vor den Engeln Gottes sein, wenn einer der Verlorenen gefunden wird.« *16,1-13: Gleichnis vom betrügerischen Verwalter. Von der Zuverlässigkeit im Umgang mit Kleinem und Großem 16,1 Er sagte aber zu den Jüngern: »Es war ein reicher Mensch, der hatte einen Verwalter; dieser wurde bei ihm beschuldigt, dass er sein Vermögen verschleudere. 2 Und er rief ihn und sprach zu ihm: ›Was höre ich da über dich? Lege Rechenschaft Das älteste Evangelium (Übersetzung) 1345 ab über deine Verwaltung, denn du kannst nicht mehr Verwalter sein! ‹ 3 Der Verwalter aber sprach zu sich selbst: ›Was soll ich tun, denn mein Herr nimmt die Verwaltung von mir weg? Für schwere Arbeit bin ich nicht stark genug, zu betteln schäme ich mich. 4 Ich weiß, was ich tun muss, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich aus der Verwaltung entlassen bin.‹ 5 Und er rief jeden einzelnen der Schuldner seines Herrn zu sich und sagte zu dem ersten: ›Wieviel schuldest du meinem Herrn? ‹ 6 Er aber sprach: ›Hundert Kad Öl.‹ Er aber sprach zu ihm: ›Nimm deinen Vertrag und schreibe fünfzig! ‹ 7 Dann sprach er zu einem anderen: ›Wieviel schuldest du? ‹ Der aber sprach: ›Hundert Kor Weizen.‹ Er sagt zu ihm: ›Nimm deinen Vertrag und schreibe achtzig.‹ 8 Deswegen sage ich euch: Die Söhne dieser Welt sind klüger als die Söhne des Lichts gegenüber ihrem eigenen Geschlecht. 9 Und ich sage euch: Macht euch selbst Freunde aus dem Mammon der Ungerechtigkeit. 10 Wer zuverlässig ist im Geringsten, ist auch zuverlässig bei Vielem. Und wer beim Geringsten unehrlich ist, der ist auch bei Vielem unehrlich. 11 Wenn ihr mit dem unehrlichen Mammon nicht zuverlässig wart, wer soll euch das wahre Gut anvertrauen? 12 Und wenn ihr bei dem Fremden nicht als zuverlässig erfunden wurdet, wer soll euch das Meine geben? 13 Kein Diener kann zwei Herren dienen. Denn entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird sich zu dem einen halten und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.« *16,14-18: Gegen die Pharisäer: Geldgier. Gesetz und Propheten. Ehescheidung und Wiederheirat 16,14 Dies hörten die Pharisäer, die geldgierig sind, und machten sich über ihn lustig. 15 Und er sprach zu ihnen: »Ihr seid es, die sich vor den Menschen selbst als Gerechte hinstellen, aber Gott kennt eure Herzen. Denn was bei den Menschen als hoch gilt, ist ein Greuel vor Gott. 16 Das Gesetz und die Propheten {wurden} bis Johannes {prophezeit}. Von da an wird die Herrschaft Gottes angekündigt. 17 Der Himmel und die Erde vergehen schneller als ein einziges Häkchen der Worte des Herrn. 18 Wenn einer die Frau entlässt und eine andere heiratete, bricht er die Ehe; und wenn einer eine von einem Mann Entlassene heiratet, dann ist er genauso ein Ehebrecher.« *16,19-31: Gleichnis von dem armen Lazarus und dem reichen Neves 16,19 Er erzählte aber auch ein anderes Gleichnis: »Es war ein reicher Mann mit Namen Neves, er kleidete sich in Purpur und Byssus und genoss jeden Tag glänzend. 20 Ein Armer mit Namen Lazarus lag mit Geschwüren vor seinem Tor. 21 Und er wollte sich von dem sättigen, was vom Tisch des Reichen abfiel. Aber sogar die 1346 Anhang II Hunde kamen und leckten seine Wunden. 22 Es geschah aber, dass der Arme starb und von Engeln in Abrahams Schoß getragen wurde. Auch der Reiche starb und wurde im Hades beerdigt. 23 Er hebt nun seine Augen auf, und sieht, während er in Schmerzen ist, Abraham von ferne und Lazarus in dessen Schoß ruhen. 24 Und er rief und sprach: ›Vater Abraham, erbarme dich über mich und schicke den Lazarus, damit er seine Fingerspitze in Wasser taucht und meine Zunge netzt, denn ich leide Qualen in dieser Feuersglut! ‹ 25 Aber Abraham sprach: ›Kind, erinnere dich, dass du das Gute erhalten hast in deinem Leben, Lazarus aber genauso das Schlechte. Jetzt aber wird dieser hier getröstet, du aber leidest Qualen. Überdies befindet zwischen euch und uns ein tiefer Abgrund, so dass die, die von hier zu euch hinübergehen wollen, es nicht können, und sie können auch nicht von dort zu uns herüberwechseln.‹ 27 ›Dann bitte ich dich, Vater, dass Du ihn in mein Vaterhaus schickst, 28 denn ich habe fünf Brüder, damit er sie warnt, damit sie nicht auch an diesen Ort der Qual kommen.‹ 29 Aber er sagt zu ihm: ›Sie haben {dort} Mose und die Propheten; auf die sollen sie hören! ‹ 30 Er aber sprach: ›Nein, Vater, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen geht, werden sie umkehren! ‹ 31 Der aber sprach: ›Wenn sie nicht auf Mose und die Propheten gehört haben, würden sie, wenn einer von den Toten {zu ihnen} käme, auch nicht auf ihn hören‹.« *17,1-10: Rede an die Jünger über Verführung und über die Macht des Glaubens 17,1 Aber er sprach zu seinen Jüngern: »Es ist unmöglich, dass kein Anstoß kommt. Aber wehe {demjenigen}, durch den {der Anstoß} kommt. 2 Es wäre nützlicher für ihn, {wenn er nicht geboren wäre oder} wenn ein Mühlstein um seinen Hals gelegt und er ins Meer geworfen würde, als dass er einen dieser Kleinen zu Fall bringt. 3 Achtet auf euch selbst! Wenn dein Bruder gegen dich sündigt, weise ihn zurecht! Und wenn er umkehrt, vergib ihm! 4 Und wenn er siebenmal an einem Tag gegen dich sündigt und sich siebenmal zu dir hinwendet und sagt ›Ich kehre um‹, sollst du ihm vergeben.« 5 Die Apostel sprachen zu ihm: »Gib uns Glauben dazu! « 6 Er aber sprach zu ihnen: »Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, könntet ihr {zu diesem Berg sagen: ›Gehe von hier nach dort hinüber! ‹, und er würde hinübergehen; und ihr könntet} zu dem Feigenbaum sagen: ›Verpflanze dich! ‹, und er würde euch gehorsam sein. 7 Wer von euch, der einen Sklaven zum Pflügen oder zum Weiden hat, wird zu ihm sagen, wenn er vom Acker hereinkommt: ›Komm, leg dich gleich nieder‹? 8 Vielmehr wird er ihm sagen: ›Bereite mir etwas zu essen, und dann gürte dich und bediene mich, bis ich gegessen und getrunken habe; und danach kannst du selbst essen und trinken.‹ 9 Wird er dem Sklaven etwa dafür dankbar sein, dass er Das älteste Evangelium (Übersetzung) 1347 getan hat, was {ihm} aufgetragen war? {Ich glaube nicht.} 10 So auch ihr, wenn getan wird, was immer ich sage.« *17,11-18: Heilung von zehn Aussätzigen 17,11 Und es geschah auf der Wanderung nach Jerusalem, da zog er mitten durch Samaria und Galiläa und Jericho. 12 Und als er in irgendein Dorf kam, wo sie gerade waren, siehe, zehn aussätzige Männer stellten sich von ferne hin, 13 und sie schrien mit lauter Stimme: »Jesus, Meister, erbarme dich unser! « 14 Und als er sie sah, sprach er zu ihnen: »Ihr seid geheilt! Geht und zeigt euch selbst den Priestern! « Und es geschah, als sie gingen, da wurden sie gereinigt. 15 Und als einer von ihnen sah, dass er gereinigt war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme, 16 und er fiel auf sein Angesicht ihm zu Füßen und dankte ihm. Er war aber ein Samaritaner. 17 Jesus aber antwortete und sprach: »Diese zehn wurden gereinigt. Wo sind die neun? 18 Ist keiner von ihnen zu finden, der umkehrt und der Gott die Ehre geben will, außer dieser Fremde? { ↑ 4,27 Viele Aussätzige gab es in den Tagen des Propheten Elias, aber keiner wurde gereinigt außer Naeman, der Syrer. ↓ }« 19 Und er sprach zu ihm: »Steh auf und geh! Dein Glaube hat dich gerettet.« *17,20-21: Vom Kommen der Gottesherrschaft 17,20 Als er von den Pharsäern gefragt wurde, wann die Herrschaft Gottes käme, antwortete er ihnen und sprach: »Die Herrschaft Gottes kommt nicht mit (der Möglichkeit der) Beobachtung, 21 man kann nicht sagen: ›Sieh hier, sieh dort! ‹ Denn siehe, die Herrschaft Gottes ist in eurer Mitte.« *17,22-37: Von der Parusie des Menschensohns 17,22 Er sprach aber zu den Jüngern: »Es werden Tage kommen, da werdet ihr euch danach sehnen, einen einzigen der Tage des Menschensohns zu sehen, aber ihr werdet nichts sehen. 23 Und man wird zu euch sprechen: ›Sieh hier! Sieh dort! ‹ Geht nicht hin und folgt (ihnen) nicht! « 24 Denn eben so, wie der Blitz aufleuchtet, wenn er aus dem Himmel blitzt, so wird auch die Parusie des Menschensohns sein. 25 Zuerst ist es aber nötig, dass er vieles erleidet und verworfen wird von diesem Geschlecht. 26 Und so, wie es in den Tagen Noahs geschah, so wird es in den Tagen des Menschensohns sein: 27 Sie aßen, sie tranken, sie heirateten, sie wurden geheiratet - bis zu dem Tag, an dem Noah in die Arche ging; dann geschah die Überschwemmung und vernichtete alle. 28 So ähnlich, wie es in den Tagen Lots geschah: Sie aßen, sie tranken, sie handelten, sie verkauften, sie pflanzten, sie bauten; 29 an dem 1348 Anhang II Tag, an dem Lot von Sodom fortging, regnete es Feuer vom Himmel, und es vernichtete alle. 30 So wird es auch am Tag des Menschensohns sein, an dem er offenbart wird. 31 Wer in jener Stunde auf dem Dach ist, seine Habe aber im Haus, soll nicht hinuntergehen um sie zu holen. Und ähnlich soll sich auch nicht nach hinten umsehen, wer auf dem Feld ist. 32 Denkt an Lots Frau! 33 Wer sein Leben zu retten sucht, wird es verlieren, wer es aber verliert, wird es retten. 34 Ich sage euch: In dieser Nacht werden zwei auf einer Kline sein, der eine wird weggenommen, der andere wird dagelassen. 35 Zwei werden an derselben Mühle mahlen, die eine wird weggenommen, die andere wird dagelassen. 36 Zwei auf einem Feld: Der eine wird weggenommen, der andere wird dagelassen.« 37 Sie antworten und sagen zu ihm: »Wo, Herr? « Er aber sprach zu ihnen: »Wo die Leiche ist, dort versammeln sich auch die Adler.« *18,1-8: Gleichnis von der bittenden Witwe 18,1 Er sagte ihnen ein Gleichnis zu der Notwendigkeit, allezeit zu beten und nicht nachzulassen: 2 »Es gab einen Richter in der Stadt, der Gott nicht fürchtete und keine Rücksicht auf Menschen nahm. 3 In jener Stadt aber war auch eine Witwe, die kam zu ihm und sagte: ›Schaffe mir Recht von meinem Widersacher! ‹ 4 Aber eine lange Zeit wollte er nicht. Danach aber kam er zu sich selbst und sagt: ›Wenn ich auch Gott nicht fürchte und auf Menschen keine Rücksicht nehme, 5 will ich, weil diese Witwe mir Mühe bereitet, hingehen und ihr Recht schaffen, damit sie nicht am Ende kommt und mich ins Gesicht schlägt.‹« 6 Jesus aber antwortete und sprach: »Hört, was der ungerechte Richter sagt! 7 Wird aber Gott nicht seinen Erwählten, die Tag und Nacht zu ihm rufen, Recht schaffen? Und wird er bei ihnen zögern? 8 Ich sage euch, er wird ihnen in Kürze Recht schaffen! Aber wenn der Menschensohn kommt, wird er dann auf der Erde Glauben finden? « *18,9-14: Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner im Tempel 18,9 Er sprach auch zu einigen derjenigen, die von sich selbst überzeugt sind, dass sie gerecht wären, und die die anderen verachten: 10 »Zwei Menschen gingen hinauf zum Tempel um zu beten, einer ein Pharisäer, einer ein Zöllner. 11 Der Pharisäer stellte sich für sich hin und betete folgendes: ›Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die übrigen Menschen - Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner. 12 Ich faste zwei Mal die Woche, ich verzehnte alles, was ich kaufe.‹ 13 Der Zöllner aber stellte sich weit ab hin und wollte nicht einmal die Augen zum Himmel erheben, sondern er schlug sich an die Brust und sagte: ›Gott, sei mir Sünder gnädig! ‹ 14 Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt nach Hause hinab, Das älteste Evangelium (Übersetzung) 1349 mehr als jener Pharisäer. Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.« *18,15-17: Segnung der Kinder 18,15 Sie brachten Kinder zu ihm, damit er sie anrühre. Als sie das aber sahen, drohten die Jünger ihnen. 16 Aber Jesus rief sie zu sich und sagte: »Lasst die Kinder zu mir kommen, denn solchen gehört die Herrschaft der Himmel! 17 Amen, ich sage euch: Wenn einer die Herrschaft der Himmel nicht empfängt wie ein Kind, wird er nicht in sie hineinkommen.« *18,18-23: Die Frage nach den Bedingungen des ewigen Lebens 18,18 Einer fragte ihn und sprach: »Guter Lehrer, was muss ich tun, um ewiges Leben zu erben? « 19 Darauf er: »Nenne mich nicht gut! (Nur) einer ist gut, {der Vater}.« 20 Der aber sprach: »Ich kenne die Gebote: Du sollst nicht töten. Du sollst nicht ehebrechen. Du sollst nicht stehlen. Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen. Ehre deinen Vater und Mutter. 21 Das alles habe ich seit meiner Jugend beachtet.« 22 Als Jesus das aber hörte, sprach er zu ihm: »Eines fehlt dir: Verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen, dann wirst du einen Schatz im Himmel haben. Und dann: Auf, und folge mir nach! « 23 Als er aber das hörte, wurde er betrübt, weil er sehr reich war. *18,24-30: Reichtum und Nachfolge 18,24 Als Jesus ihn aber sah, sprach er: »Wie schwer haben es die Begüterten, in die Herrschaft Gottes hineinzugehen.« 26 Die Zuhörer aber sprachen: »Wer kann dann gerettet werden? « 27 Er aber sprach: »Was bei den Menschen unmöglich ist, ist bei Gott möglich.« 28 Petrus aber sprach: »Siehe, wir haben das Eigentum verlassen und sind dir nachgefolgt.« 29 Er aber sprach zu ihnen: »Amen, ich sage euch: Es gibt niemanden, der Haus oder Eltern oder Brüder oder Schwestern oder Frau oder Kinder in dieser Zeit wegen der Herrschaft Gottes verlassen hat, 30 der nicht das Siebzigfache in dieser Zeit empfängt und in der kommenden Welt das ewige Leben.« *18,35-43: Blindenheilung in Jericho 18,35 Es geschah aber, als er sich Jericho näherte, da saß ein Blinder bettelnd am Weg. 36 Als er aber die Menge vorbeilaufen hörte, fragte er, was das sein könnte. 37 Man teilte ihm aber mit: »Jesus kommt vorbei.« 38 Und er schrie: »Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner! « 40 Er aber blieb stehen und ließ ihn herführen. Als er aber näherkam, fragte er ihn: 41 »Was willst du, dass ich dir tun soll? « Er aber sprach: »Herr, dass ich wieder sehen kann! « 42 Und Jesus {antwortete und} sprach 1350 Anhang II zu ihm: »Du sollst wieder sehen! Dein Glaube hat dich gerettet.« 42 Und sofort konnte er wieder sehen, und das ganze Volk, das zugesehen hatte, lobte Gott. *19,1-10: Bekehrung des Zachäus 19,1 Und als er hineingegangen war, zog er durch Jericho. 2 Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, ein reicher Oberzöllner. 3 Und er versuchte, Jesus zu sehen, wer er sei, aber er konnte es nicht wegen der Menge, denn er war klein von Wuchs. 4 Und er eilte voraus und stieg auf einen Feigenbaum, um ihn zu sehen, weil er auf jenem (Weg) vorbeikommen wollte. 5 Und es geschah, als er durchzog, dass er ihn sah und er sprach zu ihm: »Zachäus, beeile dich, steig herunter! Denn heute muss ich in deinem Haus bleiben.« 6 Und er stieg eilends herab und nahm ihn mit Freude auf. 8 Zachäus aber stellte sich hin und sprach zu Jesus: »Siehe, Herr, die Hälfte meines Vermögens gebe ich den Armen, und wenn ich jemandem etwas abgepresst habe, gebe ich es vierfach zurück.« 9 Jesus aber sprach zu ihm: »Heute ist diesem Haus Heil widerfahren. 10 Denn der Menschensohn kam, um das Verlorene zu retten.« *19,11-28: Gleichnis von den anvertrauten Minen. Ankunft in Jerusalem 19,11 Als sie dies aber hörten, erzählte er ihnen darüber hinaus ein Gleichnis. 12 »Ein vornehmer Mensch zog in ein fernes Land. 13 Er rief seine zehn Sklaven und gab ihnen zehn Minen und spach zu ihnen: ›Macht Geschäfte, während ich unterwegs bin.‹ 15 Und es geschah bei seiner Rückkehr, da ließ er diese zehn Sklaven, denen er das Silber gegeben hatte, zu sich rufen, um zu erfahren, was sie erwirtschaftet hatten. 16 Der erste aber kam herbei und sagte: ›Herr, deine Mine hat hat zehn Minen dazu erworben.‹ 17 Und er sprach zu ihm: ›Sehr schön, guter Sklave, denn du bist beim Geringsten zuverlässig gewesen.‹ 18 Und der zweite kam und sprach: ›Deine Mine, Herr, hat fünf Minen gebracht.‹ 20 Und der andere kam und sagte: ›Herr, siehe, (hier ist) deine Mine, die ich in einem Tuch in Verwahrung hatte. 21 Ich hatte nämlich Angst vor dir, weil du ein strenger Mensch bist; du nimmst, was du nicht eingezahlt hast, und du erntest, was du nicht gesät hast.‹ 22 Er sagt zu ihm: ›Aus deinem eigenen Mund richte ich dich, übler Sklave. Du wusstest, dass ich ein strenger Mensch bin, dass ich nehme, was ich nicht eingezahlt habe und ernte, was ich nicht gesät habe. 23 Und warum hast du dann mein Silber nicht zur Bank gebracht? Da hätte ich es bei meinem Kommen mit Zins abgehoben.‹ Und zu den Dabeistehenden sprach er: ›Nehmt ihm die Mine ab und gebt sie dem, der zehn Minen hat! 26 Ich sage euch: Jedem, der hat, wird gegeben werden; von dem, der nichts hat, wird auch das weggenommen werden, was er zu haben meint. 27 {Und den nutzlosen Sklaven werft in die äußere Finsternis! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein! ‹}.« Das älteste Evangelium (Übersetzung) 1351 28 Und als er dies erzählt hatte, wanderte er weiter und stieg hinauf nach Jerusalem. *19,36-40: Akklamation am Ölberg 19,36 Während er aber wanderte, breiteten sie ihre Kleider auf dem Weg aus. 37 Als er näherkam zu dem Abstieg am Ölberg, begann die ganze Menge seiner Jünger voll Freude Gott mit lauter Stimme zu loben für alle Machttaten, die sie gesehen hatten. 38 Sie sagten: »{Gepriesen sei der König! } Frieden im Himmel und Herrlichkeit in der Höhe! « 39 Und einige Pharisäer aus der Menge sprachen zu ihm: »Lehrer, weise deine Jünger zurecht! « 40 Und er antwortete und sprach: »Ich sage euch: Wenn diese schweigen, werden die Steine schreien.« *20,1-8: Vollmachtsfrage. Verhaftungswunsch 1 Und es geschah, als er an einem der Tage das Volk im Tempel lehrte, da standen die Pharisäer auf 2 und sprachen und sagten zu ihm: »Erkläre uns, in welcher Vollmacht du dies tust, und wer es ist, der dir diese Vollmacht gegeben hat! « 3 Er aber antwortete und sprach zu ihnen: »Auch ich will euch eine Frage stellen, die ihr mir beantworten sollt: 4 War die Taufe des Johannes vom Himmel oder von den Menschen? « 5 Sie aber überlegten und sagten zueinander: »Wenn wir sagen ›Vom Himmel‹, wird er sagen: ›Warum habt ihr ihm dann nicht geglaubt? ‹ 6 Wenn wir aber sagen ›Von den Menschen‹, wird das ganze Volk uns steinigen, weil es überzeugt ist, dass Johannes ein Prophet ist.» 7 Und sie antworteten, dass sie das Woher nicht wüssten. 8 Und Jesus sprach zu ihnen: »Dann sage auch ich euch nicht, in welcher Vollmacht ich dies tue.« 19 Und sie versuchten, Hand an ihn zu legen, aber sie fürchteten sich. *20,20-26: Frage nach den Steuern für den Kaiser 20 Und sie gingen fort und schickten Spitzel, die sich selbst verstellten, als ob sie ehrlich seien, um ihn bei seiner Rede zu ertappen, so dass sie ihn dem Statthalter übergeben könnten. 21 Und sie fragten ihn und sagten: »Lehrer, wir wissen dass du aufrichtig sprichst und lehrst, dass du kein Ansehen der Person kennst, sondern nach der Wahrheit den Weg Gottes lehrst. 22 Ist es uns erlaubt, dem Kaiser Steuern zu geben oder nicht? « 23 Aber er erkannte ihre Bosheit und sprach zu ihnen: 24 »Zeigt mir einen Denar! Wessen Bild und Aufschrift trägt er? « Sie antworteten und sprachen: »Des Kaisers.« 25 Er aber sprach zu ihnen: »Gebt das, was dem Kaiser gebührt, dem Kaiser und das, was Gott gebührt, Gott! « 26 Und sie schafften es nicht, ihn im Angesicht des Volkes bei einem Wort zu ertappen, und sie wunderten sich über seine Antwort und schwiegen. 1352 Anhang II *20,27-40: Frage nach der Auferstehung 27 Es kamen aber einige der Sadduzäer, die widersprechen, dass es die Auferstehung nicht gäbe. Sie fragten ihn und 28 sagten: »Lehrer! Mose hat für uns aufgeschrieben: Wenn jemandes Bruder kinderlos stirbt, er aber eine Frau hat, dann soll sein Bruder die Frau nehmen und seinem Bruder Nachkommen erwecken. 29 Bei uns gab es sieben Brüder. Der erste nahm eine Frau, starb aber kinderlos. 30 Auch der zweite 31 und der dritte. Genauso starben die sieben und hinterließen kein Kind.« 32 Schließlich starb auch die Frau. 33 Die Frau nun - wessen Frau wird sie bei der Auferstehung sein? Denn sieben hatten sie als Frau! 34 Und Jesus sprach zu ihnen: »Die Söhne dieses Äons werden gezeugt und zeugen. 35 Diejenigen aber, die Gott des Erbes jenes Äons und der Auferstehung von den Toten gewürdigt hat, die heiraten nicht und werden nicht geheiratet. 36 Denn sie werden nicht mehr sterben, weil sie den Engeln Gottes ähnlich sind und sie zu Söhnen der Auferstehung gemacht wurden.« 39 Einige der Schriftgelehrten aber antworteten und sprachen: »Lehrer, du hast gut gesprochen.« 40 Denn sie wagten nicht mehr, ihn irgendetwas zu fragen. *20,41-44: Der Messias ist Davids Herr, nicht sein Sohn 41 Er sprach aber zu den Schriftgelehrten: »Was meint ihr über den Christus: Wessen Sohn ist er? « Sie sagen zu ihm: »Davids.« 42 Er sagt zu ihnen: »Wie kann David ihn dann im heiligen Geist seinen Herrn nennen, wenn er sagt: ›Der Herr sagt zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, 43 bis ich deine Feinde unter deine Füße gelegt habe‹? 44 David selbst aber nennt ihn seinen Herrn, wie kann er da sein Sohn sein? « *20,45-47: Warnung vor den Schriftgelehrten 45 Während aber das ganze Volk zuhörte, sagte er den Jüngern: 46 »Nehmt euch in Acht vor den Schriftgelehrten, die gerne in langen Gewändern herumgehen und die Begrüßungen auf dem Markt lieben und den Vorsitz in den Synagogen und die Ehrenplätze bei den Mählern. 47 Sie verzehren die Häuser der Witwen, während sie zum Schein lange Gebete verrichten. Diese werden ein härteres Urteil empfangen.« *21,1-4: Die Gabe der Witwe 1 Als er aber aufblickte sah er die Reichen, die ihre Gaben in das Schatzhaus legten. 2 Er sah aber eine arme Witwe, die legte dort zwei Lepta ab, das ist ein Quadrans. 3 Und er sprach: »Wahrlich, ich sage euch: Diese Witwe, die arm ist, hat mehr niedergelegt als alle (anderen). 4 Denn diese alle haben aus ihrem Überfluss zu den Gaben für Gott (etwas) niedergelegt, diese aber hat aus ihrem Mangel ihren gesamten Lebensunterhalt, den sie besaß, eingelegt.« Das älteste Evangelium (Übersetzung) 1353 *21,5-36: Endzeitrede 5 Und als einige über den Tempel sagten, dass er mit schönen Steinen und Weihegaben ausgeschmückt sei, da sprach er: 6 »Seht euch das an! Es werden Tage kommen, in denen {in dieser Mauer} kein Stein auf dem anderen gelassen werden wird, der nicht herausgebrochen werden wird.« 7 {Die Jünger} fragten ihn und sagten: »Lehrer, wann wird das sein? Und was ist das Zeichen seines Kommens? « 8 Er aber sprach: »Seht zu, dass ihr nicht in die Irre geführt werdet. Viele werden in meinem Namen kommen und sagen: ›Ich bin {der Christus‹, und sie werden viele in die Irre führen}, oder: ›Die Zeit ist nahe‹; lauft ihnen nicht nach. 9 Wenn aber ihr von Kriegen und von Auständen hören werdet, fürchtet euch nicht. Denn dies alles muss zuerst geschehen, aber das Ende kommt nicht sofort. 10 Es wird sich erheben Königreich gegen Königreich und Volk gegen Volk, 11 und es wird ↑ Seuchen und Hungersnöte ↓ und Erdbeben geben, vom Himmel werden Schreckenszeichen erscheinen und Winterstürme aufkommen.« 12 Aber vor all diesem werden sie ihre Hand an euch legen und euch verfolgen, sie werden euch an Synagogen und Gefängnisse ausliefern, vor Könige und Statthalter schleppen wegen meines Namens. 13 Es wird euch zum Zeugnis {wie auch zum Heil} gereichen. 14 Darum legt es in eure Herzen, dass ihr nicht vorher besorgt, was zur Verteidigung vorgebracht werden muss. 15 Ich selbst nämlich werde euch Mund und Weisheit geben, der alle eure Widersacher nicht widerstehen und widersprechen werden können. 16 Aber ihr werdet ausgeliefert sogar von Eltern und Brüdern und Verwandten und Freunden, und sie werden (einige) von euch töten. 17 Und ihr werdet von allen gehasst werden wegen meines Namens. 19 Aber durch Standhaftigkeit werdet ihr euch selbst retten. 20 Wenn ihr seht, dass Jerusalem von Heeren eingeschlossen wird, dann werdet ihr erkennen, dass seine Verwüstung nahe ist. 23 Wehe den Schwangeren und den Stillenden in jenen Tagen! Denn große Not wird über dem Land sein, und Zorn gegen dieses Volk. 24 Und sie werden unter der Schärfe des Schwertes fallen und zu allen Heidenvölkern in Gefangenschaft geführt werden, und Jerusalem wird von den Heiden zertreten werden. 25 Und es wird Zeichen an Sonne, Mond und Sternen geben und auf der Erde Verängstigung unter den Völkern und Ausweglosigkeit vor dem Donnern des Meeres und der Wogen, 26 wenn die Menschen vergehen aus Furcht und in Erwartung dessen, was über den Erdkreis kommt; denn selbst die Gewalten im Himmel werden erschüttert werden. 27 Und dann werden sie den Menschensohn vom Himmel kommen sehen mit großer Macht. 28 Wenn aber dies geschieht, werdet ihr euch aufrichten und die Häupter heben, denn eure Erlösung ist nahe gekommen.« 1354 Anhang II 29 Und er erzählte ihnen ein Gleichnis: »Seht den Feigenbaum und jeden Baum an! 30 Wenn sie Frucht treiben, wissen die Menschen, dass der Sommer nahe ist. 31 So auch ihr: Wenn ihr seht, dass dies alles geschieht, dann wisst ihr, dass die Herrschaft Gottes nahe ist. 32 Amen, ich sage euch, dass dieser Himmel und die Erde nicht vergehen werden, es sei denn, dass dies alles vollendet werden wird. 33 Der Himmel und die Erde werden vergehen, aber die Worte des Herrn werden nicht vergehen. 34 Nehmt euch selbst in Acht, dass eure Herzen nicht schwer werden von Rausch und Trunkenheit und alltäglichen Sorgen und jener plötzliche Tag euch nicht überrascht 35 wie ein Fangnetz. Er wird nämlich über alle hereinbrechen, die auf dem Angesicht der ganzen Erde wohnen. 36 Seid aber zu jeder Stunde wachsam und betet, dass ihr für würdig befunden werdet, diesem ganzen kommenden Geschehen zu entfliehen, und dass ihr vor den Menschensohn treten werdet.« *21,37-38: Abschließendes Summar: Lehre in Jerusalem 37 Er verbrachte aber den Tag lehrend im Tempel, übernachtete auf dem Ölberg. 38 Und das ganze Volk kam früh zu ihm, um ihn im Tempel zu hören. *22,1-6: Tötungsplan des Hohen Rats. Verrat des Judas 1 Es näherte sich aber das Fest der Ungesäuerten Brote, das Passa genannt wird. 2 Und die Hohenpriester und Schriftgelehrten suchten (nach einer Möglichkeit), wie sie ihn vernichteten, denn sie fürchteten das Volk. 4 Aber Judas, der Iskarioth genannt wird und der aus der Gruppe der Zwölf war, ging hin und besprach mit den Hohenpriestern, wie er ihn an sie auslieferte. 5 Und sie versprachen, ihm Geld zu geben. 6 Und er suchte eine günstige Gelegenheit, um ihn auszuliefern. *22,7-13: Vorbereitung des Passamahls 7 Es kam aber der Tag des Passa, an dem das Passa geschlachtet werden musste. 8 Und er sandte zwei seiner Jünger und sprach: »Geht und trefft Vorbereitungen, damit wir das Passa essen (können)! « 9 Die aber sprachen zu ihm: »Wo willst du, dass wir Vorbereitungen treffen, um das Passa zu essen? « 10 Er aber sprach zu ihnen: »Siehe, wenn ihr in die Stadt geht, wird euch ein Mensch begegnen, der ein irdenes Gefäß mit Wasser trägt. Folgt ihm in das Haus, in das er hineingeht! 11 Und sagt zu dem Herrn des Hauses: ›Der Lehrer sagt: Wo ist der Raum, in dem ich mit meinen Jüngern das Passa essen kann? ‹ 12 Und jener wird euch einen großen Raum im Obergeschoss zeigen, das mit Polstern ausgestattet ist. Trefft dort die Vorbereitungen! « 13 Sie gingen aber und fanden es, wie er ihnen gesagt hatte, und sie bereiteten das Passa. Das älteste Evangelium (Übersetzung) 1355 *22,14-23: Das letzte Passamahl. Ankündigung des Verrats 14 Und er ließ sich nieder und die {zwölf} Apostel mit ihm. 15 Und er sprach: »Ich habe mir sehr gewünscht, vor meinem Leiden das Passa mit euch zu essen.« 17 Und er nahm den Becher, dankte und sprach: »Nehmt ihn und teilt ihn unter euch! 18 Denn ich sage euch: Ich werde von jetzt an nicht vom Gewächs des Weinstocks trinken, bis die Herrschaft Gottes kommt.« 19 Und er nahm Brot, segnete es und gab es den Jüngern und sagte: »Dies ist mein Leib. 21 Aber siehe, die Hand dessen, der mich ausliefert, ist mit mir auf dem Tisch. 22 Denn der Menschensohn geht zwar nach seiner Bestimmung, aber wehe demjenigen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird.« 23 Da fingen sie an, miteinander zu untersuchen, wer von ihnen es wohl sei, der dieses tun würde. *22,24-34: Mahlgespräche: Rangstreit der Jünger. Ankündigung der Verleugnung des Petrus 24 Es gab aber einen Wettstreit unter ihnen, wer der Größte sei. 25 Er aber sprach zu ihnen: »Die Könige der Völker herrschen über sie; und die Macht über sie ausüben, werden Wohltäter genannt. 26 Aber ihr nicht so! Vielmehr soll der Größte unter euch wie der Kleinste sein, und der Anführer soll eher wie der Diener sein als der, 27 der zu Tisch liegt. Denn ich kam in eure Mitte nicht wie einer, der zu Tisch liegt, sondern wie ein Diener. 28 Ihr aber, die ihr in meinen Prüfungen bei mir geblieben seid, seid in meinem Dienst gewachsen wie ein Diener. 29 Und ich bestimme für euch die Herrschaft, wie sie mein Vater für mich bestimmt hat, 30 damit ihr essen und trinken werdet an meinem Tisch in meiner Herrschaft, und ihr werdet euch auf zwölf Thronen niederlassen und die zwölf Stämme Israels richten.« 31 Er aber sprach zu Simon: »Simon, siehe, der Satan hat euch erbeten, um euch wie Weizen zu sieben.« 33 Er aber sprach zu ihm: »Herr, ich bin bereit, mit dir sogar ins Gefängnis und in den Tod zu gehen.« 34 Er aber sprach: »Ich sage dir: Der Hahn wird heute nicht krähen, bis dass du mich dreimal verleugnet hast, dass du mich nicht kennst! « *22,39-46: Gebet am Ölberg 39 Und er ging hinaus und wanderte nach seiner Gewohnheit zum Ölberg. Die Jünger aber folgten ihm nach. 40 Als er aber an den Ort kam, sprach er zu ihnen: »Betet, dass ihr nicht in eine Prüfung kommt! « 41 Und er selbst entfernte sich etwa einen Steinwurf weit von ihnen, fiel auf seine Knie und betete 42 und sagte: »Vater, nicht mein Wille, sondern deiner geschehe! Wenn du willst, nimm diesen Becher von mir fort! « 1356 Anhang II 45 Und er stand auf vom Gebet, ging zu den Jüngern und fand sie schlafend vor Kummer. 46 Und er sprach zu ihnen: »Ihr schlaft? Steht auf und betet, damit ihr nicht in eine Prüfung kommt! « *22,47-53: Begegnung mit dem Verhaftungstrupp 47 Während er noch sprach, siehe, da war eine große Menge, und der, der Judas Iskarioth genannt wurde, einer der Zwölf, führte sie an. Und Judas kam näher, um ihn zu küssen. Er hatte ihnen nämlich dieses Zeichen gegeben: Welchen ich küssen werde, der ist es. 48 Und er sprach zu Judas: »Mit einem Kuss lieferst du den Menschensohn aus? « 52 Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: »Wie gegen einen Räuber seid ihr ausgezogen mit Schwertern und mit Knüppeln. 53 Täglich war ich bei euch im Tempel, aber ihr habt eure Hände nicht nach mir ausgestreckt! Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.« *22,54-65: Verleugnung des Petrus.Verspottung Jesu durch die Wachen 54 Sie ergriffen ihn aber und führten ihn in das Haus des Hohenpriesters. Petrus aber folgte ihm von ferne. 55 Als sie aber in der Mitte des Hofes ein Feuer anzündeten und sich niederließen, setzte sich auch Petrus bei ihnen nieder, um sich zu wärmen. 56 Als eine Magd ihn im Licht sitzen sah, schaute sie ihn genau an und sprach: »Auch dieser war bei ihm.« 57 Aber er leugnete und sagte: »Ich kenne ihn nicht.« 58 Und als ihn nach kurzer Zeit ein anderer sah, erzählte er dasselbe. Aber Petrus sagte: »Mensch, ich bin es nicht.« 59 Und als ungefähr eine Stunde vergangen war, erklärte ein anderer: »Ich sage die Wahrheit: Auch dieser war mit ihm, denn er ist ein Galiläer.« 60 Petrus aber sprach: »Mensch, ich weiß nicht, was du sagst! « Und sofort, noch während er redete, krähte ein Hahn. 61 Jesus aber wandte sich um und blickte zu Petrus. Und er erinnerte sich an das Wort Jesu, wie er zu ihm gesagt hatte: »Bevor der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnet haben, dass du mich nicht kennst.« 63 Und die Männer, die (ihn) bewachten, trieben ihren Spott, prügelten 64 und schlugen ihn und sagten: »Weissage! Wer ist es, der dich geschlagen hat? « 65 Und viele andere Schmähungen sagten sie gegen ihn. *22,66-71: Verhör vor dem Hohen Rat 66 Und als es Tag wurde, versammelten sich die Ältesten des Volkes und die Hohenpriester und die Schriftgelehrten, und sie führten ihn vor ihre Versammlung 67 und sagten: »Bist du der Christus? « Er aber sprach: »Wenn ich es euch sage, werdet ihr es nicht glauben. 69 Von jetzt an wird der Menschensohn zur Rechten der Macht Gottes sitzen.« 70 Da sprachen alle: »Bist du nun der Sohn Gottes? « Er sagte aber Das älteste Evangelium (Übersetzung) 1357 zu ihnen: »Ihr sagt es.« 71 Sie aber sprachen: »Was haben wir noch Zeugen nötig? Denn wir selbst haben es aus seinem Mund gehört.« *23,1-5: Prozess Jesu I: Überstellung an Pilatus. Verhör und erstes Urteil des Pilatus 1 Und sie erhoben sich und führten ihn zu Pilatus. 2 Sie fingen an, ihn anzuklagen und sagten: »Wir haben gefunden, dass dieser das Volk verhetzt; {und das Gesetz und die Propheten auflöst; } und befiehlt, keine Steuern zu zahlen; {und die Frauen und Kinder abspenstig macht von uns, weil sie nicht getauft sind wie wir und nicht gereinigt; } und sagt, er selbst sei der König Christus.« 3 Aber Pilatus fragte ihn und sagte: »Bist du der Christus? « Er aber antwortete ihm und sprach: »Du sagst es.« 4 Pilatus aber sprach zu den Hohenpriestern und zu der Menge: »Ich finde keinen Schuldgrund an diesem Menschen.« 5 Aber sie blieben hartnäckig und sagten: »Er wiegelt das Volk auf in ganz Judäa und angefangen von Galiläa bis hierher.« *23,6-12: Prozess Jesu II: Überstellung an Herodes. Verhör. Verspottung 6 Als aber Pilatus das hörte, fragte er, ob der Mensch aus Galiläa sei. 7 Und als er erfuhr, dass er aus dem Herrschaftsbereich des Herodes sei, schickte er ihn zu Herodes, der in diesen Tagen selbst in Jerusalem war. 8 Als aber Herodes Jesus sah, freute er sich sehr. 9 Er befragte ihn. Aber er antwortete ihm nicht. 10 Aber die Hohenpriester und die Schriftgelehrten standen dabei und klagten ihn aufs schärfste an. 11 Aber auch Herodes behandelte ihn zusammen mit seinen Soldaten verächtlich und trieb Spott mit ihm. Er legte ihm ein glänzendes Gewand an und schickte ihn zurück zu Pilatus. 12 Aber Pilatus und Herodes, die sich in Streit befunden hatten, wurden an diesem Tag Freunde. *23,13-25: Prozess Jesu III: Wiederholung der Unschuldserklärung. Barabbas. Verurteilung 13 Pilatus aber rief die Priester und die Obersten und das Volk zusammen 14 und sprach zu ihnen: »Ihr habt mir diesen Menschen vorgeführt, dass er das Volk aufhetzt, und siehe, als ich ihn in eurer Gegenwart verhört habe, habe ich an diesem Menschen keine Schuld gefunden, 15 und selbst Herodes nicht; denn er hat ihn zu uns zurückgeschickt. Und siehe, es gibt an diesem nichts Todeswürdiges, das er getan hat. 16 Ich werde ihn daher züchtigen (lassen) und dann freilassen.« 18 Sie schrien aber alle zusammen und sagten: »Behalte den hier, aber lass uns den Barrabas frei! « 19 Der war wegen eines Aufruhrs, der sich in der Stadt ereignet hatte, und wegen Mordes in das Gefängnis geworfen worden. ↑ { 17 Er war aber in der Zwangslage, ihnen zum Fest einen freizugeben.} ↓ 20 Wiederum aber ließ Pilatus sie kommen, weil er Jesus freigeben wollte. 21 Die aber schrien und sagten: »Kreuzige, 1358 Anhang II kreuzige ihn! « 22 Er aber sprach zum dritten Mal: »Was hat dieser denn Schlechtes getan? Ich habe an ihm überhaupt nichts Todeswürdiges gefunden. Ich werde ihn daher züchtigen und freilassen.« 23 Sie aber drängten mit lauter Stimme und forderten, ihn zu kreuzigen; und ihr Geschrei wurde immer lauter. 24 Da fällte Pilatus das Urteil, dass es nach ihrer Forderung geschehen solle. 25 Er ließ aber den wegen Mordes ins Gefängnis Geworfenen frei, den sie forderten, Jesus aber lieferte er ihrem Willen aus. *23,26-32: Kreuzweg: Simon von Kyrene. Die Frauen von Jerusalem. Zwei Übeltäter 23,26 Und als sie ihn abführten, ergriffen sie einen gewissen Simon, einen Kyrenäer, der vom Feld kam. Sie legten ihm das Kreuz auf, um es hinter Jesus herzutragen. 27 Es folgte ihm aber eine große Masse Volks und Frauen, die wehklagten und ihn betrauerten. 28 Jesus drehte sich aber zu ihnen um und sprach: »Töchter Jerusalems, beweint mich nicht {und klagt nicht}! Sondern beweint euch selbst und eure Kinder, 29 denn es werden Tagen kommen, an denen man sagt: Selig die Unfruchtbaren und die Schöße, die nicht geboren haben, und die Brüste, die nicht gestillt haben. 30 Dann fängt man an, zu den Bergen zu sagen: Fallt auf uns! , und zu den Hügeln: Bedeckt uns! 31 Denn wenn man das mit frischem Holz macht, was wird dann mit dem trockenen geschehen? « 32 Sie führten aber auch zwei Übeltäter mit ihm zur Hinrichtung, Joathas und Maggathras. *23,33-49: Kreuzigung und Tod Jesu 23,33 Und als sie zu einem Ort kamen, der Schädelstätte genannt wird, kreuzigten sie ihn und zugleich auch die Übeltäter, den einen zur Rechten, den anderen zur Linken. 35 Und das Volk stand da und gaffte. Sie verhöhnten ihn aber und sagten zu ihm: »Andere hast du gerettet. Rette dich selbst, wenn du der Sohn Gottes bist, wenn du der auserwählte Christus bist! « 36 Aber auch die Soldaten trieben ihren Spott mit ihm; sie traten heran und boten ihm sauren Wein dar 37 und sagten: »Sei gegrüßt, o König der Juden! «, {und sie setzten ihm einen Kranz aus Dornen auf.} 38 Da war aber eine Aufschrift bei ihm: Der König der Juden. 39 Aber einer der Übeltäter lästerte ihn. 40 Der andere aber antwortete, drohte ihm und sagte: »Fürchtest du nicht einmal Gott? Stehen wir denn nicht unter demselben Urteil? 41 Wir allerdings zu Recht, denn wir bekommen, was unseren Taten entspricht. Aber dieser hat nichts Böses getan.« 42 Und er sagte: »Jesus, denke an mich, wenn du in dein Reich kommst! « Das älteste Evangelium (Übersetzung) 1359 44 Und es war schon um die sechste Stunde, und eine Finsternis kam über die ganze Erde bis zur neunten Stunde, 45 und die Sonne wurde finster. 46 Jesus schrie mit lauter Stimme auf und starb. {Und der Vorhang des Tempels zerriss.} 47 Und der Centurio rief aus und verherrlichte Gott und sagte: »Wahrhaftig, dieser Mensch war gerecht! « 48 Und die Menschenmengen, die zu diesem Schauspiel zusammengelaufen waren, sahen das Geschehen. Sie schlugen sich an die Brust und an die Stirn und kehrten um {und sagten: »Wehe uns, wegen unserer Sünden ist dies heute geschehen. Denn die Verwüstung Jerusalems ist nahegekommen.«} 49 Aber alle, die ihm bekannt waren, blieben stehen. Auch die Frauen, die von Galiläa aus mit nachgefolgt waren, sahen es. *23,50-56: Begräbnis Jesu 23,50 Und siehe, ein Mann mit Namen Joseph 53 nahm {den Leichnam} herab, umwickelte ihn mit Leinen und legte ihn in ein in den Felsen gehauenes Grab. 54 Das war aber am Tag vor dem Sabbat. 55 Zwei Frauen gingen aber hinterher, die von Galiläa nachgefolgt waren. Sie sahen sein Grabmal. 56 Und die Frauen kehrten zurück und hielten die Sabbatruhe. *24,1-11: Auffindung des leeren Grabes. Engelbotschaft. Mitteilung an die Jünger 24,1 Aber am ersten Tag der Woche kamen sie im tiefen Morgengrauen zum Grab und brachten, was sie zubereitet hatten. {Sie überlegten untereinander: »Wer wird denn nun den Stein wegrollen? «} 2 Als sie aber ankamen, fanden sie den Stein weggerollt. 3 Als sie aber hineingingen, fanden sie den Leichnam nicht. 4 Und als sie seinetwegen ratlos waren, geschah es: Siehe, zwei Männer traten zu ihnen in einem blitzenden Gewand. 5 Als sie aber furchtsam wurden und ihr Gesicht zur Erde neigten, sprachen sie zu ihnen: »Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? 6 Erinnert euch, was er euch sagte, als er noch bei euch war: Dass es notwendig ist, dass der Menschensohn leidet und ausgeliefert wird.« 8 Und sie erinnerten sich an seine Worte. 9 Und es kehrten um und berichteten dies alles den {Aposteln} und allen übrigen 10 Maria Magdalena und Johanna und Maria (die Frau) des Jakobus. 11 Aber wie Geschwätz schienen diese Worte vor ihnen, und sie glaubten ihnen nicht. *24,13-35: Erscheinung des Auferstandenen vor Emmaus und Kleopas 24,13 Zwei von ihnen waren gerade unterwegs in ein Dorf, das etwa 60 Stadien von Jerusalem entfernt war, mit Namen Emmaus {und Kleopas}. 14 Sie unterhielten sich aber miteinander über dieses ganze Geschehen. 15 Und es geschah, während sie sich unterhielten, da näherte sich Jesus und ging mit ihnen mit. 16 Aber ihre Augen waren 1360 Anhang II gehalten, so dass sie ihn nicht erkannten. 17 Er aber sprach: »Was sind das für Worte, die ihr miteinander beim Gehen betrübt wechselt? « 18 Der eine von den beiden mit Namen Kleopas antwortete aber und sprach zu ihm: »Bist du der einzige Besucher Jerusalems, der nicht weiß, was in diesen Tagen in der Stadt geschehen ist? « 19 Er aber sprach zu ihm: »Was denn? « »Das über den Nazarener Jesus. Der war ein Prophet, mächtig in Wort und Tat vor Gott und dem ganzen Volk, 20 wie den die Hohenpriester und unsere Obersten zur Todesstrafe auslieferten und ihn kreuzigten. 21 Und wir hatten die Hoffnung, dass er der sei, der kommen werde, um Israel zu erlösen. Aber das ist nun der dritte Tag, seitdem dieses geschehen ist. 22 Aber einige Frauen haben uns auch in Aufregung versetzt. Sie kamen in aller Frühe zum Grab, 23 und als sie seinen Leichnam nicht fanden, kamen sie und sagten, sie hätten eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagten, dass er lebe.« 25 Da sprach er zu ihnen: »Ihr seid unverständig und zu schwerfällig, um all dem zu glauben, was ich euch gesagt habe. 26 Denn es war notwendig, dass der Christus all dies leidet! « 28 Und sie kamen in die Nähe des Dorfes, zu dem sie wanderten, und er tat so, als wollte er noch weiter gehen. 29 Da bedrängten sie ihn und sagten: »Bleibe bei uns, denn der Tag hat sich dem Abend zugeneigt.« Und er ging hinein, um bei ihnen zu bleiben. 30 Und es geschah, als er sich hinlegte, da nahm er Brot, sprach den Segen und gab es ihnen. 31 Als sie aber das Brot von ihm empfingen, öffneten sich ihre Augen und sie erkannten ihn. Er aber wurde vor ihnen unsichtbar. 32 Da sprachen sie zu einander: »War nicht unser Herz verhüllt, als er mit uns auf dem Weg sprach? « 33 Und betrübt standen sie auf zu dieser Stunde und kehrten nach Jerusalem zurück; sie fanden die Apostel versammelt und sagten, dass Jesus beim Brotbrechen bekannt geworden war. *24,36-43: Die Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern 24,36 Während sie aber noch dies redeten, stand er selbst in ihrer Mitte. 37 Erschrocken aber und furchtsam geworden, glaubten sie ein Gespenst zu sehen. 38 Und er sprach zu ihnen: »Warum seid ihr erschrocken? 39 Seht meine Hände und meine Füße, denn ein Geist hat keine Knochen, wie ihr mich sie haben seht.« 41 Als sie aber noch ungläubig waren, sprach er zu ihnen: »Habt ihr etwas zu essen hier? « 42 Sie aber gaben ihm ein Stück gebratenen Fischs. 43 Und er nahm es und aß es vor ihren Augen. {Und das übrige gab er ihnen.} *24,50-53: Sendung der Jünger. Abschied Jesu. Rückkehr nach Jerusalem 24,50 Er führte sie aber hinaus nach Bethanien. Und er erhob seine Hände und segnete sie. {Und er sandte die Apostel aus, um allen Heidenvölkern zu verkündigen.} Das älteste Evangelium (Übersetzung) 1361 51 Und es geschah, als er sie segnete, da ging er von ihnen fort. 52 Sie aber kehrten um nach Jerusalem voller Freude. 53 Und sie lobten Gott allezeit. Anhang III Die Übereinstimmung en zwis chen *Ev und den Varianten der Lk-Hands chriften Einführung Die folgende Liste enthält die direkten Bezeugungen für *Ev durch die Häresiologen, vor allem durch die drei Hauptzeugen Tertullian, Epiphanius und Adamantius. Soweit vorhanden, sind sie hier zu der handschriftlichen Überlieferung des kanonischen Lk-Textes in Beziehung gesetzt. Der Bezugstext für diesen Vergleich ist nicht (wie in IGNTP) der Textus Receptus (Oxford 1873), sondern, seiner größeren Verbreitung und besseren Zugänglichkeit wegen, der Text von NA 27 / GNT 4 (bzw. NA 28 / GNT 5 ). 1 Diese Liste dient der raschen Orientierung über das Verhältnis zwischen dem für *Ev bezeugten Text und den verschiedenen Bereichen der handschriftlichen Überlieferung des kanonischen Lk. Die Bedeutung der Daten, ihre Präsentation in dieser Liste und ihre Interpretation sind oben in § 5 diskutiert. 1. Die Bezeugungen für *Ev ihre Beziehung zu den Lk-Handschriften Die Bezeugungen für *Ev lassen sich nach der unterschiedlichen Art ihrer Beziehung zu den Lesarten der kanonischen Lk-Handschriften grob in vier Kategorien unterscheiden. Diese Kategorien dienen hier nur der leichteren Klassifizierung der Entsprechungen. ❶ - Bezeugungen, die ausschließlich durch die häresiologischen Zeugen für *Ev belegt sind. Die Einträge in dieser Gruppe haben keine Entsprechungen in der (kanonischen) Handschriftenüberlieferung. ❷ Die in dieser Gruppe angeführten Bezeugungen haben Entsprechungen in den Handschriften des sog. »Westlichen Texts«, also den atlateinischen und (alt-) syrischen Handschriften sowie dem Codex Cantabrigiensis (D it sy). Die Einträge dieser Gruppe sind vor allem für die Frage nach der Entstehung des »Westlichen Textes« sowie für den Zusammenhang zwischen *Ev und dieser Handschriftengruppe von Bedeutung. ❸ Diese Gruppe umfasst die Übereinstimmungen zwischen den Bezeugungen für *Ev sowie den weiteren Versionen der kanonischen Lk-Überlieferung, also vor allem der koptischen und äthiopischen Überlieferung, nur ausnahmsweise auch der georgischen, slavischen und gotischen. Gelegentlich sind in dieser Gruppe auch syrische Varianten erfasst, sofern sie keine Entsprechungen in D it besitzen. Die Einträge dieser Gruppe ergänzen die vorige Gruppe der Varianten mit Übereinstimmungen der Hauptzeugen des Westlichen Textes. ______________________________ 1 Der für unsere Fragestellung relevante Lk-Text ist in den in der Zwischenzeit erschienen Ausgaben GNT 5 (2014) bzw. NA 28 (2012) identisch mit dem Text der Vorgängerausgaben (GNT 4 / NA 27 ). Die Unterschiede der Ausgabe beziehen sich nur auf die im Apparat gebotenen Informationen. 1366 Anhang III ❹ Schließlich gibt es eine Gruppe von Bezeugungen für *Ev, die Entsprechungen in den griechischen Lk-Handschriften besitzen, abgesehen vom Cod. Cantabrigiensis (D 05), der in der Gruppe ❷ -verzeichnet ist. Die Einträge dieser Gruppe zeigen die Verwandtschaft zwischen *Ev und dem Gros der kanonischen Texttradition. Diese Gruppe ist als komplementäre Kontrollgröße von Bedeutung, um das Ausmaß der Übereinstimmungen zwischen *Ev und der »Westlichen« Überlieferung abschätzen zu können. Die Kategorien und die dadurch konsituierten Gruppen von Bezeugungen sind nicht eineindeutig; sie haben eine heuristische Funktion im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung, die sich vor allem auf die große Zahl der Entsprechungen zu den »Westlichen« Zeugen aufmerksam machen soll. Wenn daher eine Bezeugung Entsprechungen zu D it sy besitzt, ist sie auch dann dieser Gruppe ❷ zugerechnet, wenn es noch Entsprechungen aus den anderen Gruppen gibt. 2. Verzeichnung der Zeugen Für jede Lesart werden die Zeugnisse in folgender Reihenfolge angeführt: Zuerst die häresiologischen Zeugen für den *Ev-Text, also in erster Linie Tertullian, Epiphanius und Adamantius (*Ev T.E.A ). Danach folgen die griechischen Handschriften (in der gewohnten Reihenfolge: Papyri; Majuskeln; Minuskeln; Lektionare) sowie die Versionen in der Reihenfolge: lat sy (falls vorhanden: Tatian) kopt aeth armen georg. Nur gelegentlich sind am Ende patristische Zeugnisse aufgeführt. a. Von den kanonischen Lk-Handschriften sind jeweils nur D und die Altlateiner (it) einzeln vollständig verzeichnet; alle weiteren Entsprechungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. b. Die Zeugen für die Varianten, die mit dem für *Ev bezeugten Text gegen den Mehrheitstext von NA 27 / GNT 4 gehen, sind ebenfalls nicht vollständig aufgeführt. Allerdings sind hier die Papyri sowie die Majuskeln sowie - wegen ihrer Bedeutung für den Text von *Ev - die altlat. Zeugen vollständig aufgeführt. Darüber hinaus werden jeweils die Zeugen für die syrische Überlieferung und für Tatian (arab., pers.) angegeben. c. Minuskeln sind nur gelegentlich einzeln aufgeführt und werden ansonsten unter den üblichen Siglen pc (wenige), mult (viele) bzw. pm (die meisten) zusammengefasst. Die Handschriftenfamilien f 1 und f 13 sind in der Regel wie in NA 27 verzeichnet. Lektionarhandschriften werden nur gelegentlich aufgeführt. Wenn sie nicht einzeln genannt sind (ℓ + Nummer), werden sie durch lectt zusammengefasst. d. Die altlateinischen Handschriften sind immer einzeln genannt. Das Sammelsigel (it) wird nur dann verwendet, wenn alle altlateinischen Zeugen eine bestimmte Lesart vertreten. Im Unterschied zu Jülichers Itala-Ausgabe wird die Afra-Hand- Einführung 1367 schrift e (Evangelium Palatinum) nicht am Ende der Zeugen, sondern in der alphabetischen Reihe der Handschriften angeführt. Die wichtigen altlateinischen Zeugen für das Lk-Evangelium sind (mit der Bezifferung von B. F ISCHER ): a (3) Vercellensis (saec. IV) a 2 (16) Fragmenta Curiensis (saec. V) aur (15) Aureus Holmiensis (saec. VII) b (4) Veronensis (saec. V) β (26) Fragmentum Carinthianum (saec. VII) c (6) Colbertinus (saec. XII/ XIII) d (5) Bezae Cantabrigiensis (saec. V) e (2) Palatinus (saec. V) f (10) Brixianus purpureus (saec. VI) ſſ 2 (8) Corbeiensis (saec. V) g 1 (7) Sangermanensis (saec. VIII/ IX) gat Evangelium Gatianum, ed. J. M. H EER , Freiburg/ Brsg. 1910 i (17) Vindobonensis (saec. V) l (11) Rehdiger(i)anus (saec. VII) λ Fragmenta Rosenthal - Cambr. Mass. (Houghton Libr.) (saec. VIII/ IX) π (18) Fragmenta Stuttgartensia (Stuttgart/ Darmstadt/ Donaueschingen) (saec. VII) q (13) Monacensis (saec. VI/ VII) r 1 (14) Usserianus (saec. VII) e. M ist als Sammelsigel verwendet, das den jeweilige Rest der handschriftlichen Überlieferung bezeichnet, soweit sie für die betreffende Stelle einen Text bietet. Im Unterschied zur Verwendung in NA (27) ist mit diesem Sigel keine Bewertung der einzelnen Zeugen (Koinehandschriften; Zeugen zweiter Ordnung usw.) verbunden. 3. Struktur der Verzeichungen Die erste Zeile bietet den kanonischen Lk-Text nach NA 27 / GNT 4 (jeweils mit dem nächsten Kontext) an. Dabei sind die Worte, zu denen abweichende Lesarten geboten werden, fett gedruckt. In der zweiten Zeile folgen die Testimonien (T) mit der häresiologischen Bezeugung für *Ev. Die Hauptzeugen erscheinen in der Reihenfolge Tertullian, Epiphanius, Adamantius, weitere Zeugen nur in Auswahl. Im Anschluss folgt die handschriftliche Bezeugung. Dabei sind unterschiedliche Lesarten durch ¦ getrennt, ähnliche sind durch ; voneinander abgesetzt. Die Verzeichnung der handschriftlichen Bezeugung beginnt immer mit dem Text der kritischen Ausgaben, die Varianten folgen danach. Zu jedem Eintrag steht in der letzten Zeile eine knappe Zusammenfassung. Sie enthält zuerst die Kategorien für die Art der Beziehung zwischen der häresiologischen Bezeugung für *Ev und den verschiedenen Bereichen der Lk-Handschriften ( ❶ , ❷ , ❸ , ❹ ). 1368 Anhang III Danach folgt die Angabe zur direkten Bezeugung durch die Häresiologen. Sie zeigt, ob eine Lesart nur durch ein Einzelzeugnis gestützt wird oder ob sich bei einer Mehrfachbezeugung die Referenten widersprechen oder miteinander übereinstimmen. Daran anschließend ist die handschriftliche Überlieferung mit Blick auf die Verteilung zwischen griechischen Handschriften und Versionen durch die üblichen Siglen ( G ; L ; S ) zusamengefasst. Im Einzelnen bedeuten in dieser letzten, zusammenfassenden Zeile: ÜZ Übereinstimmende Bezeugung: Zwei oder mehr häresiologische Zeugen stimmen überein. WZ Widersprüchliche Bezeugung: Zwei oder mehr häresiologische Zeugen bieten ein widersprüchliches Zeugnis. EZ Einzelzeugnis durch nur einen häresiologischen Zeugen. *Ev T *Ev teste Tert. *Ev E *Ev teste Epiph. *Ev A *Ev teste Adam. *Ev O *Ev teste Orig. (entsprechend auch für Clemens Alex., Ephraem u.a.). L Lateinische Handschriften (Altlateiner und Vulgata); bei unterschiedlicher Bezeugung: L 1 , L 2 . G Griechische Handschriften; bei unterschiedlicher Bezeugung: G 1 , G 2 . S (Alt-)Syrische Handschriften und weitere Versionen. M Mehrheit der Überlieferung, fasst immer die restliche Bezeugung zusammen. = Übereinstimmung von zwei Zeugen.  Übereinstimmung der drei Hauptzeugen. ≠ Widersprüchliche Bezeugung, stimmt nicht überein mit.  Ungefähre Entsprechung der Zeugen, stimmt ungefähr überein mit. 4. Weitere Kennzeichnungen WNI bezeichnet die sog. »Western Non-Interpolations«, die W ESTCOTT / H ORT in ihren Text aufgenommen hatten. p) verweist auf mk/ mt Parallelen zu dem für *Ev bezeugten Wortlaut. Im Unterschied zur Verwendung im Apparat von NA 27/ 28 ist mit dieser Sigle ausdrücklich kein textgeschichtliches Urteil verbunden, also etwa die Annahme einer sekundären Beeinflussung durch die synoptischen Parallelen auf der Ebene der handschriftlichen Überlieferung. 5. Ausgaben Die Zusammenstellung der Varianten beruht für den altlateinischen Lk-Text auf der Ausgabe von A. J ÜLICHER (Itala III: Lucas-Evangelium, Berlin - New York 2 1976) sowie der IGNTP-Ausgabe (The New Testament in Greek 3: The Gospel According to St. Lk I/ II, ed. by the American and British Committees of IGNTP, Oxford 1984/ 1987). Außerdem benutzt wurde die Liste der Lesarten der Afra-Handschrift e von H. J. V OGELS , Evangelium Palatinum. Studien zur ältesten Geschichte der lateinischen Evangelienüberlieferung (NTA 12/ 3), Münster 1926, 72-92. Einführung 1369 6. Statistisches Zur Einschätzung der Größenordnung für die Übereinstimmungen der direkten Bezeugung für *Ev mit den Varianten der kanonischen Lk-Überlieferung dienen die folgenden Zahlen. Die Liste enthält insgesamt 566 Varianten in dem für *Ev durch die Häresiologen bezeugten Text, der im Bestand dem kanonischen Lk-Text entspricht. Nicht erfasst sind die längeren Passagen aus Lk, die in *Ev eindeutig gefehlt haben (also etwa Lk 1,1-2,52; 3,1b-4,15; 15,11-32 usw.). Das Verhältnis der Bezeugungen für *Ev zu den einzelnen Bereichen der handschriftlichen Überlieferung des kanonischen Lk stellt sich folgendermaßen dar: ❶- Keine Entsprechungen in den kanonischen Lk-Handschriften 153 26,7 % ❷- Entsprechungen in den »Westlichen« Handschriften (D it sy) 338 60,0 % ❸- Entsprechungen in den orientalischen Versionen 37 6,6 % ❹- Entsprechungen in den griechischen Handschriften 38 6,7 % - Gesamt 566 100,0 % Es gibt Einzelbezeugungen durch nur einen der häresiologischen Zeugen und Mehrfachbezeugungen: Einzelbezeugungen 431 76 % Mehrfachbezeugungen 135 24 % Gesamt 566 100 % Verteilung der Mehrfachbezeugungen: Übereinstimmende Bezeugung (durch zwei oder mehr Zeugen) 50 37 % Widersprüchliche Bezeugung (durch zwei oder mehr Zeugen) 62 45 % Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung innerhalb der Mehrfachbezeugungen (zwei Zeugen stimmen gegen einen dritten überein) 23 18 % Gesamt 135 100 % Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Varianten der kanonischen Lk-Handschriften 4,27 (s. 17,18): καὶ πολλοὶ λεπροὶ ἦσαν ἐν τῷ ᾿Ισραὴλ ἐπὶ ᾿Ελισαίου τοῦ προϕήτου T: Tert. 4,35,6: multos tunc fuisse leprosos apud Israelem in diebus Helisaei prophetae T: Epiph., Schol. 48: πολλοὶ λεπροὶ ἦσαν ἐν ἡμέραις Ἐλισσαίου τοῦ προϕήτου vs. 4,27 post 4,26: it M ¦ pon. vs. in *17,10-18: *Ev T.E ❶ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E ≠ L = G = M 4,27 (s. 17,18): καὶ πολλοὶ λεπροὶ ἦσαν ἐν τῷ ᾿Ισραὴλ ἐπὶ ᾿Ελισαίου τοῦ προϕήτου T: Tert. 4,35,6: multos tunc fuisse leprosos apud Israelem in diebus Helisaei prophetae T: Epiph., Schol. 48: πολλοὶ λεπροὶ ἦσαν ἐν ἡμέραις Ἐλισσαίου τοῦ προϕήτου εν τω Ισραηλ/ in Israhel (Isdrahel/ Istrahel): *Ev T it M ¦ om *Ev E 579 Orig Ambr ❹ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev E = G 1 ≠ *Ev T = G 2 = L = M 4,27 (s. 17,18): καὶ πολλοὶ λεπροὶ ἦσαν ἐν τῷ ᾿Ισραὴλ ἐπὶ ᾿Ελισαίου τοῦ προϕήτου T: Tert. 4,35,6: multos tunc fuisse leprosos apud Israelem in diebus Helisaei prophetae T: Epiph., Schol. 48: πολλοὶ λεπροὶ ἦσαν ἐν ἡμέραις Ἐλισσαίου τοῦ προϕήτου επι/ sub: a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ¦ εν ημεραις: *Ev T.E e (tempore) Orig Ambr (temporibus) ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E  L 1 ≠ L 2 = G = M 4,27b: καὶ οὐδεὶς αὐτῶν ἐκαθαρίσθη εἰ μὴ Ναιμὰν ὁ Σύρος T: Epiph., Schol. 48: καὶ οὐκ ἐκαθαρίσθη εἰ μὴ Νεεμὰν ὁ Σύρος ουδεις αυτων: it M ¦ ουκ *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ L = G = M 4,31: κατῆλθεν εἰς Καϕαρναοὺμ πόλιν τῆς Γαλιλαίας T: Tert. 4,7,1: proponit eum descendisse in civitatem Galilaeae Capharnaum T: Adam. 2,19 (869a): ἐπὶ Τιβερίου κατελθὼν ἐϕάνη ἐν Καϕαρναούμ καϕαρναουμ: Tert Adam P 4 א B D W 33 372 aur b c d e f ſſ 2 g 2 gat l r 1 vg Tat pers sa bo armen georg ¦ καπερναουμ: A C L Θ (Ψ) 0102 f 1.13 q M ; καϕερναουμ: X ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev A = L 1 = G 1 = S ≠ L 2 = G 2 = M 4,32: καὶ ἐξεπλήσσοντο ἐπὶ τῇ διδαχῇ αὐτοῦ T: Tert. 4,7,5: stupebant autem omnes ad doctrinam eius και εξεπλησσοντο/ et stupebant (stupebant autem: ſſ 2 ) in doctrina (super doctrinam: e ſſ 2 l) eius: a aur b c d e f ſſ 2 l q M ¦ παντες/ omnes: add *Ev T r 1 sy h sa ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = S ≠ L 2 = G = M 4,34a: (ἀνέκραξεν ϕωνῇ μεγάλῃ) ῎Εα, τί ἡμῖν καὶ σοί, ᾿Ιησοῦ Ναζαρηνέ; T: Tert. 4,7,9: exclamat ibidem spiritus daemonis, Quid nobis et tibi est Iesu? εα: M ¦ om *Ev T D 33 2766 c a aur b c d e f ſſ 2 g 1 l q r 1 vg mss sy s sa bo ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 = S ≠ L 2 = G 2 = M 1372 Anhang III 4,34a: τί ἡμῖν καὶ σοί, ᾿Ιησοῦ Ναζαρηνέ; T: Tert. 4,7,9: Quid nobis et tibi est Iesu? σοι/ tibi: aur b d e f ſſ 2 l q M ¦ add εστιν/ est: *Ev T c r 1 (a: nobis est et tibi) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 4,34b: οἶδά σε τίς εἶ, ὁ ἅγιος τοῦ θεοῦ T: Tert. 4,7,9: scio qui sis, sanctus dei σε/ te: a aur b c d e f ſſ 2 i l (q: scio te quis es) M ¦ om σε/ te: *Ev T 1654 r 1 (scio qui sis) August Hilar Quodvultdeus ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 4,41: ἐξήρχετο δὲ καὶ δαιμόνια κράζοντα καὶ λέγοντα ὅτι Σὺ εἶ ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ T: Tert. 4,8,5: spiritus … excedebant vociferantes, Tu es filius dei οτι/ quia: D d f q vg M ¦ om *Ev T 443 517 1223 1424 1675 a aur b c e ſſ 2 g 1 l r 1 sy s ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 = S ≠ L 2 = G 2 = M 4,43: καὶ ταῖς ἑτέραις πόλεσιν εὐαγγελίσασθαί με δεῖ τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ T: Tert. 4,8,9: oportet me, inquit, et aliis civitatibus annuntiare regnum dei. και ταις ετεραις πολεσιν ευαγγελισασθαι με δει: M ¦ (1-4 7 6 5) et aliis civitatibus oportet me evangelizare: a aur b c f ſſ 2 l q r 1 ¦ (7 6 1-5) δει με ταις ετεραις πολεσιν ευαγγελισασθαι/ oportet me et in alias civitates evangelizare (benenuntiare: e): *Ev T B D W 892 d e ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 4,43: καὶ ταῖς ἑτέραις πόλεσιν εὐαγγελίσασθαί με δεῖ τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ T: Tert. 4,8,9: oportet me, inquit, et aliis civitatibus annuntiare regnum dei. ευαγγελιζεσθαι/ evangelizare: a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 (e: benenuntiare) M ¦ απαγγελιζεσθαι/ annuntiare: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 5,10: Μὴ ϕοβοῦ· ἀπὸ τοῦ νῦν ἀνθρώπους ἔσῃ ζωγρῶν T: Tert. 4,9,1: Ne time, abhinc enim homines eris capiens απο του νυν: it M ¦ add γαρ (γαρ απο του νυν): *Ev T D d e sy s(mss) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 = S ≠ L 2 = G 2 = M 5,12: καὶ ἰδοὺ ἀνὴρ πλήρης λέπρας T: Tert. 4,9,3: quae in exemplo leprosi … leprosi purgatio ανηρ πληρης λεπρας/ vir plenus lepra: (a) aur b c e f ſſ 2 l q r 1 M ¦ ανηρ λεπρος/ vir leprosus: *Ev T D d ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 5,14a: ἀλλὰ ἀπελθὼν δεῖξον σεαυτὸν τῷ ἱερεῖ T: Tert. 4,9,9: Vade, ostende te sacerdote T: Epiph., Schol. 1: ἀπελθὼν δεῖξον σεαυτὸν τῷ ἱερεῖ απελθων/ vadens: c q M ¦ vade (add et: [a] d e) ostende: *Ev T D a aur b c d e f ſſ 2 l r 1 ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ *Ev E = L 2 = G 2 = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1373 5,14b: προσένεγκε περὶ τοῦ καθαρισμοῦ σου καθὼς προσέταξεν Μωϋσῆς T: Tert. 4,9,9: offer munus quod praecepit Moyses T: Epiph., Schol. 1: προσένεγκε περὶ τοῦ καθαρισμοῦ σου καθὼς προσέταξεν Μωϋσῆς προσενεγκε (περι του καθαρισμου σου): offer ([offers; offert; offeres] pro emundatione [mundatione; purgatione; purificazione]): *Ev E a aur d e f ſſ 2 l q r 1 M ¦ add προσενεγκε το δωρον/ offers munus: *Ev T X 213 2487 b c sy p(mss) armen ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 = S ≠ *Ev E = L 2 = G 2 = M 5,14b: προσένεγκε περὶ τοῦ καθαρισμοῦ σου καθὼς προσέταξεν Μωϋσῆς T: Tert. 4,9,9: offer munus quod praecepit Moyses T: Epiph., Schol. 1: προσένεγκε περὶ τοῦ καθαρισμοῦ σου καθὼς προσέταξεν Μωϋσῆς καθως/ sicut: *Ev E a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ¦ ο/ quod: *Ev T A 3 e Aug Tat Ephr ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T = L 1 ≠ *Ev E = L 2 = M 5,14b: καθὼς προσέταξεν Μωϋσῆς εἰς μαρτύριον αὐτοῖς T: Tert. 4,9,10: itaque adiecit, Ut sit vobis in testimonium T: Epiph., Schol. 1: καθὼς προσέταξεν Μωϋσῆς. Ἵνα ᾖ μαρτύριον τοῦτο ὑμῖν εις μαρτυριον αυτοις/ in testimonium illis: aur f l M ¦ add ινα η (εις μαρτυριον υμιν τουτο)/ ut sit (in testimonium hoc vobis): *Ev T.E D a b c d f ſſ 2 l q r 1 ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 5,14b: καθὼς προσέταξεν Μωϋσῆς εἰς μαρτύριον αὐτοῖς T: Tert. 4,9,10: itaque adiecit, Ut sit vobis in testimonium T: Epiph., Schol. 1: καθὼς προσέταξεν Μωϋσῆς. Ἵνα ᾖ μαρτύριον τοῦτο ὑμῖν αυτοις/ illis: aur e f M ¦ υμιν/ vobis: *Ev T.E D a b c d ſſ 2 l q r 1 ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 5,21b: τίς δύναται ἁμαρτίας ἀϕεῖναι εἰ μὴ μόνος ὁ θεός; T: Tert. 4,10,1: quis dimittet peccata nisi solus deus? δυναται … αϕειναι: it M ¦ αϕησει/ dimittet *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 5,24a: ἵνα δὲ εἰδῆτε ὅτι ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ἐξουσίαν ἔχει ἐπὶ τῆς γῆς ἀϕιέναι ἁμαρτίας T: Epiph., Schol. 2: ἵνα δὲ εἰδῆτε ὅτι ἐξουσίαν ἔχει ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ἀϕιέναι ἁμαρτίας ἐπὶ τῆς γῆς επι της γης αϕιεναι αμαρτιας: it M ¦ (1-3 5 4): c (in terra peccata dimittere) ¦ (4 5 1-3): *Ev E sy s Chrys., Hom p) Mk 2,10: ἵνα δὲ εἰδῆτε ὅτι ἐξουσίαν ἔχει ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ἀϕιέναι ἁμαρτίας ἐπὶ τῆς γῆς ❸ Einzelbezeugung: *Ev E = S ≠ L = G = M 5,24b: Σοὶ λέγω, ἔγειρε καὶ ἄρας τὸ κλινίδιόν σου πορεύου. T: Tert. 4,10,1: exsurge et tolle grabattum tuum σοι λεγω/ tibi dico: a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ¦ om *Ev T e ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = M 1374 Anhang III 5,24b: ἔγειρε καὶ ἄρας τὸ κλινίδιόν σου πορεύου εἰς τὸν οἶκόν σου T: Tert. 4,10,1: exsurge et tolle grabattum tuum και αρας: M ¦ και αρον/ et tolle: *Ev T א D 0211 115 157 726 1424 1542* [a] aur b c d f ſſ 2 l q r 1 (surge et [om και/ et: 157 aur c f ſſ 2 l q] tolle) sy s.p Tat pers p) Mk 2,11: ἔγειρε ἆρον τὸν κράβαττόν σου καὶ ὕπαγε εἰς τὸν οἶκόν σου ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L = G 1 = S ≠ G 2 = M 5,24b: ἔγειρε καὶ ἄρας τὸ κλινίδιόν σου πορεύου εἰς τὸν οἶκόν σου. T: Tert. 4,10,1: exsurge et tolle grabattum tuum το κλινιδιον/ lectum: (a) aur b f ſſ 2 l q M ¦ τον κραβαττον/ grabbatum: D 517 954 1424 1675 c d r 1 (surge et tolle grabattum tuum et vade) p) Mk 2,11: ἔγειρε ἆρον τὸν κράβαττόν σου καὶ ὕπαγε εἰς τὸν οἶκόν σου ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L = G = M 5,34: Μὴ δύνασθε τοὺς υἱοὺς τοῦ νυμϕῶνος ἐν ᾧ ὁ νυμϕίος μετ’ αὐτῶν ἐστιν ποιῆσαι νηστεῦσαι T: Tert. 4,11,6: non possent ieiunare filii sponsi quamdiu cum eis esset sponsus δυνασθε τους υιους … ποιησαι νηστευσαι: numquid potestis filios ieiunare dum sponsus cum illis est facere: aur f l q r 1 vg M ¦ μη δυνανται οι υιοι του νυμϕωνος εν ω ο νυμϕιος μετ αυτων εστιν νηστευειν: *Ev T א ( * ) D a b c d e ſſ 2 g 1 gat p) Mk 2,19: μὴ δύνανται οἱ υἱοὶ τοῦ νυμϕῶνος ἐν ᾧ ὁ νυμϕίος μετ ʼ αὐτῶν ἐστιν νηστεύειν ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 = L 1 ≠ G 2 = L 2 = M 5,34: Μὴ δύνασθε τοὺς υἱοὺς τοῦ νυμϕῶνος ἐν ᾧ ὁ νυμϕίος μετ’ αὐτῶν ἐστιν ποιῆσαι νηστεῦσαι T: Tert. 4,11,6: non possent ieiunare filii sponsi quamdiu cum eis esset sponsus εν ω: M ¦ εως: 27 71 1194 1458 ¦ εϕ οσον/ quamdiu: *Ev T D; cum: d e ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = M 5,34: Μὴ δύνασθε τοὺς υἱοὺς τοῦ νυμϕῶνος ἐν ᾧ ὁ νυμϕίος μετ’ αὐτῶν ἐστιν ποιῆσαι νηστεῦσαι T: Tert. 4,11,6: non possent ieiunare filii sponsi quamdiu cum eis esset sponsus ο νυμϕιος μετ αυτων εστιν: (c d e) M ¦ (3-5 1 2 ) *Ev T aur b ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = M 5,36: pon. vs. 36 post vs. 37, 38: *Ev T.E.A EvThom 47 ❶ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T  *Ev E  *Ev A ≠ L = M 5,36: οὐδεὶς ἐπίβλημα ἀπὸ ἱματίου καινοῦ σχίσας ἐπιβάλλει ἐπὶ ἱμάτιον παλαιόν T: Adam. 2,16 (831b): οὐδεὶς ἐπιβάλλει ἐπίβλημα ῥάκους ἀγνάϕου ἐπὶ ἱματίῳ παλαιῷ επιβλημα απο ιματιου καινου σχισας επιβαλλει: it M ¦ om απο, σχισας (6 1 3 4): *Ev A 047 ❹ Einzelbezeugung: *Ev A = G 1 ≠ G 2 = M 5,36: οὐδεὶς ἐπίβλημα ἀπὸ ἱματίου καινοῦ σχίσας ἐπιβάλλει ἐπὶ ἱμάτιον παλαιόν T: Epiph. 42,2,1: οὐδὲ ἐπίβλημα ῥάκους ἀγνάϕου ἐπὶ ἱματίῳ παλαιῷ T: Adam. 2,16 (831b): οὐδεὶς ἐπιβάλλει ἐπίβλημα ῥάκους ἀγνάϕου ἐπὶ ἱματίῳ παλαιῷ ιματιου καινου: it M ¦ ρακους αγναϕου: *Ev E.A 443* (vgl. Mk 2,21) p) Mk 2,21: οὐδεὶς ἐπίβλημα ῥάκους ἀγνάϕου ἐπιράπτει ἐπὶ ἱμάτιον παλαιόν. ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev E = *Ev A = G 1 ≠ G 2 = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1375 5,36: οὐδεὶς ἐπίβλημα ἀπὸ ἱματίου καινοῦ σχίσας ἐπιβάλλει ἐπὶ ἱμάτιον παλαιόν T: Epiph. 42,2,1: οὐδὲ ἐπίβλημα ῥάκους ἀγνάϕου ἐπὶ ἱματίῳ παλαιῷ T: Adam. 2,16 (831b): οὐδεὶς ἐπιβάλλει ἐπίβλημα ῥάκους ἀγνάϕου ἐπὶ ἱματίῳ παλαιῷ ιματιον παλαιον/ vestimentum vetus: e (d: tunicam veterem) r 1 M ¦ ιματιω παλαιω: *Ev E.A Μ Γ 475 (panno veteri: a) aur b c f ſſ 2 l q Cyr ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev E = *Ev A = G 1 = L 1 ≠ G 2 = L 2 = M 5,36b: εἰ δὲ μή γε, καὶ τὸ καινὸν σχίσει καὶ τῷ παλαιῷ οὐ συμϕωνήσει τὸ ἐπίβλημα τὸ ἀπὸ τοῦ καινοῦ. T: Epiph. 42,2,1: εἰ δὲ μή γε, καὶ τὸ πλήρωμα αἶρει καὶ τῷ παλαιῷ οὐ συμϕωνήσει. μείζον γὰρ σχίσμα γενήσεται. καινον σχισει: it M ¦ πληρωμα αιρει *Ev E (vgl. Mk 2,21) p) Mk 2,21: εἰ δὲ μή, αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ’ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ, καὶ χεῖρον σχίσμα γίνεται. ❶ Einzelbezeugung: *Ev E (  Mk) ≠ L = G = M 5,36b: καὶ τὸ καινὸν σχίσει καὶ τῷ παλαιῷ οὐ συμϕωνήσει τὸ ἐπίβλημα τὸ ἀπὸ τοῦ καινοῦ. T: Epiph. 42,2,1: καὶ τὸ πλήρωμα αἶρει καὶ τῷ παλαιῷ οὐ συμϕωνήσει. μείζον γὰρ σχίσμα γενήσεται. το απο του καινου: it M ¦ μείζον γὰρ σχίσμα γενήσεται: *Ev E p) Mk 2,21: οὐδεὶς ἐπίβλημα ῥάκους ἀγνάϕου ἐπιράπτει ἐπὶ ἱμάτιον παλαιόν· εἰ δὲ μή, αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ’ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ, καὶ χεῖρον σχίσμα γίνεται. ❶ Einzelbezeugung: *Ev E (  Mk) ≠ L = G = M 5,37: καὶ οὐδεὶς βάλλει οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς παλαιούς T: Epiph. 42,2,1: οὐ βάλλουσιν οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς παλαιούς ουδεις βαλλει: it M ¦ ου βαλλουσιν: *Ev E p) Mt 9,17: οὐδὲ βάλλουσιν οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς παλαιούς ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ L = G = M 5,38: ἀλλὰ οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινοὺς βλητέον T: Epiph. 42,2,1: οὐ βάλλουσιν οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς παλαιούς βλητεον: mittendum est: vg M ¦ βαλλουσιν/ mittunt: *Ev E א * D a aur b c d (mittent ) e f ſſ 2 g 1 l q r 1 sy p Tat arab.pers ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = G 1 = L 1 = S ≠ G 2 = L 2 = M 6,2: τινὲς δὲ τῶν Φαρισαίων εἶπαν, Τί ποιεῖτε ὃ οὐκ ἔξεστιν τοῖς σάββασιν T: Tert. 4,12,5: accusant pharisaei τινες … των Φαρισαιων/ aliqui (quidam: [a] c d f r 1 vg) Pharisaeorum: [a] aur b c d f ſſ 2 l q r 1 vg M ¦ Φαρισαιοι/ pharisaei: *Ev T e (Pharisaei autem dicebant) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ G = L 2 = M 6,3: οὐδὲ τοῦτο ἀνέγνωτε ὃ ἐποίησεν Δαυίδ T: Epiph., Schol. 21: οὐδὲ τοῦτο ἀνέγνωτε τί ἐποίησε Δαυίδ ο/ quod: [a] c d e q vg M ¦ τι/ quid: *Ev E 827 ℓ1074 aur b f ſſ 2 g 1 gat l r 1 vg ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = G 1 = L 1 ≠ G 2 = L 2 = M 1376 Anhang III 6,3: … ὃ ἐποίησεν Δαυὶδ ὅτε ἐπείνασεν αὐτὸς καὶ οἱ μετ’ αὐτοῦ ὄντες (4) ὡς εἰσῆλθεν … T: Epiph., Schol. 21: … τί ἐποίησε Δαυίδ· εἰσῆλθεν εἰς τὸν οἶκον τοῦ θεοῦ οτε επεινασεν αυτος και οι μετ αυτου οντες: it M ¦ om *Ev E Tat pers bo ms ❸ Einzelbezeugung: *Ev E = G 1 = S ≠ G 2 = L = M 6,4: ὡς εἰσῆλθεν εἰς τὸν οἶκον τοῦ θεοῦ T: Epiph., Schol. 21: οὐδὲ τοῦτο ἀνέγνωτε τί ἐποίησε Δαυίδ· εἰσῆλθεν εἰς τὸν οἶκον τοῦ θεοῦ ως: it M ¦ om *Ev E P 4 B D d (Tat pers ) ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 6,5 vs. post 6,10: καὶ ἔλεγεν αὐτοῖς, Κύριός ἐστιν τοῦ σαββάτου ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου T: Tert. 4,12,1: dominum sabbati circumferret Christus. T: Epiph., Schol. 3: Κύριός ἐστιν ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου καὶ τοῦ σαββάτου vs. pon. post 6,4: it M ¦ vs. pon. post 6,10: *Ev (T)(E? ) D d ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev (T)(E? ) = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 6,7a: παρετηροῦντο δὲ αὐτὸν οἱ γραμματεῖς καὶ οἱ Φαρισαῖοι T: Tert. 4,12,9: exinde observant pharisaei αυτον/ eum: P 4 א D L W f 13 33 579 892 1241 1424 pc d sy bo sa ¦ om *Ev T A E H K M R U V Y Γ Δ Θ Λ Π Ψ Ω 028 047 0211 mult lectt a aur b c e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg bo (2 mss) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 = M ≠ L 2 = G 2 6,7a: παρετηροῦντο δὲ αὐτὸν οἱ γραμματεῖς καὶ οἱ Φαρισαῖοι T: Tert. 4,12,9: Exinde observant pharisaei οι γραμματεις και/ scribae et: it M ¦ om *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 6,7b: εἰ ἐν τῷ σαββάτῳ θεραπεύει, ἵνα εὕρωσιν κατηγορεῖν αὐτοῦ T: Tert. 4,12,9: si medicinas sabbatis ageret, ut accusarent eum ινα ευρωσιν κατηγορειν/ ut invenirent accusare: (D) d q vg M ; ut invenirent et accusarent (a e) ¦ ut accusarent: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 6,9: ᾿Επερωτῶ ὑμᾶς, εἰ ἔξεστιν τῷ σαββάτῳ ἀγαθοποιῆσαι ἢ κακοποιῆσαι T: Tert. 4,12,10: interrogat, Licetne sabbatis benefacere, an non? ει/ si: P 4 א B D L W 579 892 a aur b c d e f ſſ 2 l bo sa; τι/ aliquid: A Θ Ψ f 1.13 33 q r 1 sy M ¦ om *Ev T p) Mk 3,4: καὶ λέγει αὐτοῖς·ἔξεστιν τοῖς σάββασιν ἀγαθὸν ποιῆσαι ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 6,9: εἰ ἔξεστιν τῷ σαββάτῳ ἀγαθοποιῆσαι ἢ κακοποιῆσαι, ψυχὴν σῶσαι ἢ ἀπολέσαι; T: Tert. 4,12,10: interrogat, Licetne sabbatis benefacere, an non? animam liberare, an perdere? η κακοποιησαι: it M ¦ η μη/ an non: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 6,9: εἰ ἔξεστιν τῷ σαββάτῳ ἀγαθοποιῆσαι ἢ κακοποιῆσαι, ψυχὴν σῶσαι ἢ ἀπολέσαι; T: Tert. 4,12,10: interrogat, Licetne sabbatis benefacere, an non? animam liberare, an perdere? σωσαι: it M ¦ λυσαι/ liberare *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1377 6,17: καὶ καταβὰς μετ’ αὐτῶν ἔστη ἐπὶ τόπου πεδινοῦ T: Epiph., Schol. 4: ἀντὶ δὲ τοῦ Κατέβη μετ’ αὐτῶν ἔχει Κατέβη ἐν αὐτοῖς καταβας μετ αυτων: it M ¦ κατεβη εν αυτοις: *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ L = G = M 6,17: πλῆθος πολὺ τοῦ λαοῦ ἀπὸ πάσης τῆς ᾿Ιουδαίας καὶ ᾿Ιερουσαλὴμ καὶ τῆς παραλίου Τύρου καὶ Σιδῶνος T: Tert. 4,13,6: Conveniunt a Tyro et ex aliis regionibus multitudo etiam transmarina και Ιερουσαλημ και της παραλιου Σιδωνος: M ¦ multitudo multa populi ab tota Iudea et aliorum civitatium: D d ¦ et Iherusalem et trans fretum et maritima Tyri et Sidonis: ſſ 2 ¦ et Hierusalem et de trans marinis Tyro et Sidone et aliorum civitatium: e ¦ et Ierusalem et trans fretum et maritimi Tyri et Sidonis et aliarum civitatum: c ¦ et Hierusalem et maritima Tyri et Sidonis (eras.: et aliarum civitatum): f ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L 1 ≠ L 2 = M 6,20b: μακάριοι οἱ πτωχοί, ὅτι ὑμετέρα ἐστὶν ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ T: Tert. 4,14,1: beati mendici quoniam illorum est regnum dei υμετερα/ vestrum: a aur b c d e f l q r 1 M ¦ αυτων/ ipsorum: *Ev T W 903 2487 ſſ 2 sy s.j sa aeth ❷ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L 1 ≠ L 2 ≠ G 1 ≠ G 2 = M 6,20b: μακάριοι οἱ πτωχοί, ὅτι ὑμετέρα ἐστὶν ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ T: Tert. 4,14,1: beati mendici quoniam illorum est regnum dei. ¦ 4,14,13: beati mendici, quoniam illorum est regnum caelorum (βασιλεια) του θεου/ (regnum) Dei: a aur b d e ſſ 2 l q r 1 M ¦ (βασιλεια) των ουρανων/ regnum caelorum: *Ev T X* mult c f sy s.j copt ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 6,21a: μακάριοι οἱ πεινῶντες νῦν, ὅτι χορτασθήσεσθε T: Tert. 4,14,13: beati qui esuriunt, quoniam saturabuntur νυν/ nunc: [a] (~ esuritis nunc: a f) aur b d e ſſ 2 q r 1 M ¦ om *Ev T c l (qui esuritis: c) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 6,21a: μακάριοι οἱ πεινῶντες νῦν, ὅτι χορτασθήσεσθε T: Tert. 4,14,13: beati qui esuriunt, quoniam saturabuntur χορτασθησεσθε/ saturabimini: c f vg; saturamini: d; saturi eritis: a M ¦ χορτασθηςονται/ saturabuntur: *Ev T א * X 69 213 2643 ℓ950 ℓ1074 aur b ſſ 2 g 1 l q r 1 sy s ; satiabuntur: e ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 6,21b: μακάριοι οἱ κλαίοντες νῦν, ὅτι γελάσετε T: Tert. 4,14,13: beati qui plorant, quoniam ridebunt νυν/ nunc: (a) aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ¦ om *Ev T e l (modo) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 6,21b: μακάριοι οἱ κλαίοντες νῦν, ὅτι γελάσετε T: Tert. 4,14,13: beati qui plorant, quoniam ridebunt γελασονται/ ridebunt: *Ev T e armen Orig Eus ¦ γελασετε/ ridebitis: aur b ſſ 2 l r 1 (gaudebitis: q) M ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = armen ≠ L 2 = G = M 1378 Anhang III 6,22a: μακάριοί ἐστε ὅταν μισήσωσιν ὑμᾶς οἱ ἄνθρωποι T: Tert. 4,14,14: beati eritis cum vos odio habebunt homines εστε: estis: a d M ¦ εσεσθε/ eritis: *Ev T Θ aur b c e f ſſ 2 gat l q r 1 vg Cypr ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 6,22a: μακάριοί ἐστε ὅταν μισήσωσιν ὑμᾶς οἱ ἄνθρωποι T: Tert. 4,14,14: beati eritis cum vos odio habebunt homines μισησωσιν υμας: (1 2): odierint (a d)/ odient (c)/ oderint (e) vos M ¦ (2 1) vos oderint (odierint: ſſ 2 ; odio habuerint: f): *Ev T aur b f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 6,22a: μακάριοί ἐστε ὅταν μισήσωσιν ὑμᾶς οἱ ἄνθρωποι T: Tert. 4,14,14: beati eritis cum vos odio habebunt homines μισησωσιν/ odierint: a d ſſ 2 (oderint: aur b e g 1 gat l q r 1 ; odio habuerint: f) M ¦ μισησουσιν/ odient: *Ev T D P X Δ Ξ 047 477 579 1347 c ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 6,22b: καὶ ὅταν ἀϕορίσωσιν ὑμᾶς καὶ ὀνειδίσωσιν καὶ ἐκβάλωσιν τὸ ὄνομα ὑμῶν T: Tert. 4,14,14: cum vos odio habebunt homines et exprobrabunt et eicient nomen vestrum αϕορισωσιν/ separaverint: c f vg; segregaverint: a e; separabunt: b ſſ 2 l q M ¦ om *Ev T 2* 7* 265* 2542 2757 ℓ950 ℓ1016 d ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 2 ≠ L 2 = G 2 = M 6,22b: καὶ ὅταν ἀϕορίσωσιν ὑμᾶς καὶ ὀνειδίσωσιν καὶ ἐκβάλωσιν τὸ ὄνομα ὑμῶν T: Tert. 4,14,14: cum vos odio habebunt homines et exprobrabunt et eicient nomen vestrum ονειδισωσιν/ exprobaverint: a aur c f M ¦ ονειδισουσιν/ exprobabunt: *Ev T K X Δ 265 489 1219 1313 b d ſſ 2 l g r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 2 ≠ L 2 = G 2 = M 6,22b: καὶ ὅταν ἀϕορίσωσιν ὑμᾶς καὶ ὀνειδίσωσιν καὶ ἐκβάλωσιν τὸ ὄνομα ὑμῶν T: Tert. 4,14,14: cum vos odio habebunt homines et exprobrabunt et eicient nomen vestrum εκβαλωσιν/ eicerint: (a) c; eiecerint: f vg M ¦ εκβαλουσι/ eicient: *Ev T aur b d l q r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 6,23c: κατὰ τὰ αὐτὰ γὰρ ἐποίουν τοῖς ψευδοπροϕήταις οἱ πατέρες αὐτῶν T: Tert. 4,15,14: secundum haec faciebant et pseudoprophetis patres illorum γαρ/ enim: aur b c d e f q r 1 M ¦ om *Ev T D 0211 517 954 1319 1424 1675 a ſſ 2 gat l ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 2 ≠ L 2 = G 2 = M 6,23c: κατὰ τὰ αὐτὰ γὰρ ἐποίουν τοῖς ψευδοπροϕήταις οἱ πατέρες αὐτῶν T: Tert. 4,15,14: secundum haec faciebant et pseudoprophetis patres illorum T: Epiph., Schol. 6: κατὰ τὰ αὐτὰ ἐποίουν τοῖς προϕήταις οἱ πατέρες ὑμῶν αυτων/ eorum: aur b d f ſſ 2 l q r 1 M ; illorum: *Ev T a c e ¦ υμων *Ev E 713 1424 2643 aeth ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev E = G 1 = (aeth) ≠ *Ev T = G 2 = L = M 6,24: πλὴν οὐαὶ ὑμῖν τοῖς πλουσίοις T: Tert. 4,15,9: Vae divitibus υμιν: it M ¦ om *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1379 6,25a: οὐαὶ ὑμῖν, οἱ ἐμπεπλησμένοι νῦν ὅτι πεινάσετε. T: Tert. 4,15,13: Vae etiam saturatis, quia esurient υμιν: D it M ¦ om *Ev T L Θ Ξ 0147 13 16 69 477 579 788 826 828 892 983 1216 1579 Basil (Moral. 69,1; PG 31, 808) Chrys (Poenit. 1,8; PG 60, 697) ❹ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 ≠ L = G 2 = M 6,25a: οὐαὶ ὑμῖν, οἱ ἐμπεπλησμένοι νῦν ὅτι πεινάσετε. T: Tert. 4,15,13: Vae etiam saturatis, quia esurient οι εμπεπλησμενοι: D it M ¦ τοις εμπεπλησμενοις: *Ev T 124 174 a (saturis) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 2 ≠ L 2 = G 2 = M 6,25a: οὐαὶ ὑμῖν, οἱ ἐμπεπλησμένοι νῦν ὅτι πεινάσετε. T: Tert. 4,15,13: Vae etiam saturatis, quia esurient νυν/ nunc: f M ¦ om *Ev T A D K P Γ Ψ 0135 a aur b c d e ſſ 2 l q r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 2 ≠ L 2 = G 2 = M 6,25a: οὐαὶ ὑμῖν, οἱ ἐμπεπλησμένοι νῦν ὅτι πεινάσετε. T: Tert. 4,15,13: Vae etiam saturatis, quia esurient πεινασετε: it M ¦ πεινασουσιν: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 6,25b: οὐαὶ, ὑμῖν οἱ γελῶντες νῦν, ὅτι πενθήσετε καὶ κλαύσετε. T: Tert. 4,15,13: etiam ridentibus nunc, quia lugebunt. υμιν: D it M ¦ om *Ev T א B K L W X Θ Ξ 0147 0147 f 1.13 579 700 892 1241 2542 al sy s ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 ≠ L = G 2 = M 6,25b: οὐαὶ, ὑμῖν οἱ γελῶντες νῦν, ὅτι πενθήσετε καὶ κλαύσετε. T: Tert. 4,15,13: etiam ridentibus nunc, quia lugebunt. οι γελωντες: D it M ¦ τοις γελουσιν: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 6,25b: οὐαὶ, ὑμῖν οἱ γελῶντες νῦν, ὅτι πενθήσετε καὶ κλαύσετε. T: Tert. 4,15,13: etiam ridentibus nunc, quia lugebunt. πενθησετε: it M ¦ πενθησουσιν: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 6,25b: οὐαὶ, ὑμῖν οἱ γελῶντες νῦν, ὅτι πενθήσετε καὶ κλαύσετε. T: Tert. 4,15,13: etiam ridentibus nunc, quia lugebunt. και κλαυσετε: D it M ¦ om *Ev T X 158 179 213 ℓ299 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 ≠ L = G 2 = M 6,26a: οὐαὶ ὅταν ὑμᾶς καλῶς εἴπωσιν πάντες οἱ ἄνθρωποι T: Tert. 4,15,14: vae, cum vobis benedixerint homines παντες/ omnes (homines; omnis hominis: ſſ 2 ): a aur b d f ſſ 2 l q r 1 M ¦ om *Ev T D L V Y Γ Δ Λ Ω 028 047 mult d sy s.p Tat arab.pers aeth ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 = ( S , aeth) ≠ L 2 = G 2 = M 1380 Anhang III 6,26b: κατὰ τὰ αὐτὰ γὰρ ἐποίουν τοῖς ψευδοπροϕήταις οἱ πατέρες αὐτῶν T: Tert. 4,15,14: secundum haec faciebant et pseudoprophetis patres illorum γαρ/ enim: r 1 M ¦ om *Ev T D 1319 a aur b c d e f ſſ 2 g 1 gat l q ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 2 ≠ L 2 = G 2 = M 6,26b: κατὰ τὰ αὐτὰ γὰρ ἐποίουν τοῖς ψευδοπροϕήταις οἱ πατέρες αὐτῶν T: Tert. 4,15,14: secundum haec faciebant et pseudoprophetis patres illorum εποιουν: a aur c d e ſſ 2 g 1 l r 1 M ¦ add και/ et: *Ev T b f q ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = M 6,27: καλῶς ποιεῖτε τοῖς μισοῦσιν ὑμᾶς T: Tert. 4,16,1: diligite inimicos vestros et benedicite eos qui vos oderunt T: Adam. 1,12 (812d): ἀγαπᾶτε τοὺς ἐχθροὺς ὑμῶν καὶ εὔχεσθε ὑπὲρ τῶν διωκόντων ὑμᾶς και ευλογειτε τους μισουντας υμας: *Ev T it M ¦ om *Ev A ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev A ≠ *Ev T  L = G = M 6,27: ἀγαπᾶτε τοὺς ἐχθροὺς ὑμῶν, καλῶς ποιεῖτε τοῖς μισοῦσιν ὑμᾶς T: Tert. 4,16,1: diligite inimicos vestros et benedicite eos qui vos oderunt T: Adam. 1,12 (812d): ἀγαπᾶτε τοὺς ἐχθροὺς ὑμῶν καὶ εὔχεσθε ὑπὲρ τῶν διωκόντων ὑμᾶς υμων: a aur b c d e f ſſ 2 l q r 1 M ¦ add και/ et: *Ev T.A W gat ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev A = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 6,28a: εὐλογεῖτε τοὺς καταρωμένους ὑμᾶς, προσεύχεσθε περὶ τῶν ἐπηρεαζόντων ὑμᾶς T: Tert. 4,16,1: et benedicite eos qui vos oderunt, et orate pro eis qui vos calumniantur T: Adam. 1,12 (812d): ἀγαπᾶτε τοὺς ἐχθροὺς ὑμῶν καὶ εὔχεσθε ὑπὲρ τῶν διωκόντων ὑμᾶς ευλογειτε … υμας και: *Ev T it M ¦ om *Ev A 115 477 517 544 1216 1675 2766 (vgl. Mt 5,44) p) Mt 5,44: ἐγὼ δὲ λέγω ὑμῖν, ἀγαπᾶτε τοὺς ἐχθροὺς ὑμῶν καὶ προσεύχεσθε ὑπὲρ τῶν διωκόντων ὑμᾶς ❹ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev A = G 1 ≠ *Ev T = G 2 = M 6,28b: καὶ προσεύχεσθε περὶ τῶν ἐπηρεαζόντων ὑμᾶς T: Tert. 4,16,1: et orate pro eis qui vos calumniantur T: Adam. 1,12 (812d): καὶ εὔχεσθε ὑπὲρ τῶν διωκόντων ὑμᾶς περι των επηρεαζοντων/ pro calumniantibus: *Ev T a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ¦ υπερ των διωκοντων υμας *Ev A (pro eis, qui vobis iniuria faciunt: e) Hier (vgl. Mt 5,44) p) Mt 5,44: ἐγὼ δὲ λέγω ὑμῖν, ἀγαπᾶτε τοὺς ἐχθροὺς ὑμῶν καὶ προσεύχεσθε ὑπὲρ τῶν διωκόντων ὑμᾶς ❹ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev A  L 1 ≠ *Ev T = L 2 = G = M 6,29a: τῷ τύπτοντί σε ἐπὶ τὴν σιαγόνα πάρεχε καὶ τὴν ἄλλην T: Adam. 1,15 (814a): ἐὰν τίς σε ῥαπίσῃ εἰς τὴν σιαγόνα, παράθες αὐτῷ καὶ τὴν ἄλλην τω τυπτοντι σε: it M ¦ εαν τις σε ραπιση: *Ev A ❶ Einzelbezeugung: *Ev A ≠ L = G = M 6,29a: τῷ τύπτοντί σε ἐπὶ τὴν σιαγόνα πάρεχε καὶ τὴν ἄλλην T: Adam. 1,15 (814a): ἐὰν τίς σε ῥαπίσῃ εἰς τὴν σιαγόνα, παράθες αὐτῷ καὶ τὴν ἄλλην επι: it M ¦ εις *Ev A א * D W Θ 700 892 2542 ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = G 1 ≠ G 2 = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1381 6,29a: τῷ τύπτοντί σε ἐπὶ τὴν σιαγόνα πάρεχε καὶ τὴν ἄλλην T: Tert. 4,16,6: non modo non repercutiendi sed et aliam maxillam praebendi T: Adam. 1,15 (814a): ἐὰν τίς σε ῥαπίσῃ εἰς τὴν σιαγόνα, παράθες αὐτῷ καὶ τὴν ἄλλην T: Rufin. 1,15 (814a): si quis te percusserit in dexteram maxillam, praebe ei et alteram σιαγονα: *Ev T.A M ¦ add δεξιαν: *Ev Ruf א * E* 28 579 983 1241 1675 aeth (Par. 32; Bodl. 42) Basil (Mor. 49,1; PG 31, 773) ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev Ruf = G 1 ≠ *Ev T = *Ev A = G 2 = M 6,29a: τῷ τύπτοντί σε ἐπὶ τὴν σιαγόνα πάρεχε καὶ τὴν ἄλλην T: Tert. 4,16,6: non modo non repercutiendi sed et aliam maxillam praebendi T: Adam. 1,15.18 (814a; 815e): παράθες αὐτῷ καὶ τὴν ἄλλην T: Rufin. 1,15 (814a): si quis te percusserit in dexteram maxillam, praebe ei et alteram παρεχε: *Ev T M ¦ add αυτω/ ei: *Ev A D 28 579 1424 2542 2757 a aur b e ſſ 2 l q vg sy s.p sa; illi: c d f r 1 ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev A = L ≠ *Ev T = M 6,29b: καὶ ἀπὸ τοῦ αἴροντός σου τὸ ἱμάτιον T: Adam. 1,18 (815e): ἐὰν τίς σου ἂρῃ τὸ ἱμάτιον και απο του αιροντος σου: it M ¦ εαν τις σου αρη: *Ev A ❶ Einzelbezeugung: *Ev A ≠ L = G = M 6,29b: καὶ ἀπὸ τοῦ αἴροντός σου τὸ ἱμάτιον καὶ τὸν χιτῶνα μὴ κωλύσῃς T: Tert. 4,16,6: et non modo non retinendi tunicam sed et amplius et pallium concedendi μη κωλυσης/ noli prohibere: aur b f ſſ 2 l q r 1 ; ne prohibeas: c; vetare noli: a; ne vetueris: d ¦ αϕες/ remitte tunicam: *Ev T e ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = M 6,31: καὶ καθὼς θέλετε ἵνα ποιῶσιν ὑμῖν οἱ ἄνθρωποι, ποιεῖτε αὐτοῖς ὁμοίως. T: Tert. 4,16,13: Et sicut vobis fieri vultis ab hominibus, ita et vos facite illis. θελετε ινα ποιωσιν υμιν οι ανθρωποι: M ¦ και καθως υμιν γινεσθαι θελετε παρα των ανθρωπων/ et sicut vobis fieri vultis ab hominibus: *Ev T (sed vide Mt 7,12 [h] [k]! ) p) Mt 7,12 (h): volueritis bona vobis fieri ab hominibus similiter et vos illis facite p) Mt 7,12 (k): volueritis ut fiant vobis homines bona ita et vos facite illis ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ M 6,31: καὶ καθὼς θέλετε ἵνα ποιῶσιν ὑμῖν οἱ ἄνθρωποι, ποιεῖτε αὐτοῖς ὁμοίως. T: Tert. 4,16,13: Et sicut vobis fieri vultis ab hominibus, ita et vos facite illis. ανθρωποι/ homines: aur b c d e f ſſ 2 l q r 1 M ¦ add ουτως/ ita: *Ev T (a: sic) sy p p) Mt 7,12: … οὕτως καὶ ὑμεῖς ποιεῖτε αὐτοῖς ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = S ≠ L 2 = G = M 6,31: καὶ καθὼς θέλετε ἵνα ποιῶσιν ὑμῖν οἱ ἄνθρωποι, ποιεῖτε αὐτοῖς ὁμοίως. T: Tert. 4,16,13: Et sicut vobis fieri vultis ab hominibus, ita et vos facite illis. ανθρωποι/ homines: aur b c d e f (facitis: ſſ 2 ) l q r 1 M ¦ add ουτως/ ita: *Ev T (a: sic) sy p p) Mt 7,12: … οὕτως καὶ ὑμεῖς ποιεῖτε αὐτοῖς ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = S ≠ L 2 = G = M 1382 Anhang III 6,31: καὶ καθὼς θέλετε ἵνα ποιῶσιν ὑμῖν οἱ ἄνθρωποι, ποιεῖτε αὐτοῖς ὁμοίως. T: Tert. 4,16,13: Et sicut vobis fieri vultis ab hominibus, ita et vos facite illis. ανθρωποι ουτως/ homines ita: P 75vid B 579 700 1241 a aur b e ſſ 2 l q (bona: r 1 ) Iren (Haer. 4,13,3; FC 8/ 4, 100) Clem (Paed. 3,11,88; GCS 12, 284) ¦ add και υμεις/ et vos: add *Ev T א A D L W Θ Ξ Ψ f 1.13 33 565 c d f vg sy h.p p) Mt 7,12: … οὕτως καὶ ὑμεῖς ποιεῖτε αὐτοῖς ❸ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 6,31: καὶ καθὼς θέλετε ἵνα ποιῶσιν ὑμῖν οἱ ἄνθρωποι, ποιεῖτε αὐτοῖς ὁμοίως. T: Tert. 4,16,13: Et sicut vobis fieri vultis ab hominibus, ita et vos facite illis. ομοιως/ similiter: aur b c f ſſ 2 l q r 1 M ¦ om *Ev T D a d e sy s.j.p (Haer. 4,13,3; FC 8/ 4, 100) Clem (Paed. 3,11,88; GCS 12, 284) (vgl. Mt 7,12) p) Mt 7,12: … οὕτως καὶ ὑμεῖς ποιεῖτε αὐτοῖς ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 6,34: καὶ ἐὰν δανίσητε παρ’ ὧν ἐλπίζετε λαβεῖν, ποία ὑμῖν χάρις ἐστίν T: Tert. 4,17,1: et si feneraveritis a quibus speratis vos recepturos, quae gratia est vobis υμιν χαρις εστιν/ vobis gratia est: M (vobis retributio est: f) ¦ (1 2) vobis gratia: e ¦ (1 3 2) vobis est gratia: c ¦ (2 1 3) χαρις υμιν εστιν/ gratia vobis est: D d ¦ (2 3 1): χαρις εστιν υμιν/ gratia est vobis: *Ev T W a aur b ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg georg. ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 6,35: καὶ ἔσεσθε υἱοὶ ὑψίστου T: Tert. 4,17,4.6: et eritis filii dei υψιστου: altissimi (aur b c d f ſſ 2 l q); excelsi (a) (lac: r 1 ) M ¦ υψιστου θεου: *Ev T (e: et eritis filii altissimi dei) ❶ Einzelbezeugung: *Ev T  L 1 ≠ L 2 = G = M 6,36: γίνεσθε οἰκτίρμονες καθὼς καὶ ὁ πατὴρ ὑμῶν T: Tert. 4,17,8: estote misericordes, sicut pater vester misertus est vestri και/ et: A D Θ f 13 33 it sy p.h Cypr Bas M ¦ om *Ev T P 74vid א B L W Ξ Ψ 1 118 205 209 262 477 579 1071 1187* 1242* 1443 1582* ℓ890 c d vg sy s sa bo Clem ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L ≠ M 6,36: καθὼς καὶ ὁ πατὴρ ὑμῶν οἰκτίρμων ἐστίν T: Tert. 4,17,8: estote misericordes, sicut pater vester misertus est vestri οικτιρμων εστιν: misericors est: aur c e f ſſ 2 l r 1 ; benevolus est (d) M ¦ οικτειρει/ miseretur: a b (q) ¦ ῳκτειρεν/ misertus est: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 6,36: καθὼς καὶ ὁ πατὴρ ὑμῶν οἰκτίρμων ἐστίν T: Tert. 4,17,8: estote misericordes, sicut pater vester misertus est vestri οικτιρμων εστιν/ misericors est: aur e f ſſ 2 l r 1 M ; benevolus est (d); οικτειρει/ miseretur: a b (q) ¦ add υμιν/ vobis: c (*Ev T [ῳκτειρεν] υμας) Cypr ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1383 6,37a: καὶ μὴ κρίνετε, καὶ οὐ μὴ κριθῆτε T: Tert. 4,17,9: nolite iudicare, ne iudicemini και ου μη/ et non: aur b ſſ 2 l q r 1 vg M ¦ ινα μη/ ne (ut non): *Ev T A D W Λ Ψ 348 a c d e f gat sy s (Tat arab.pers ) sa bo pt usw. ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 6,37b: καὶ μὴ καταδικάζετε, καὶ οὐ μὴ καταδικασθῆτε T: Tert. 4,17,9: nolite condemnare, ne condemnemini και ου μη/ et non: aur b f l q r 1 M ¦ ινα μη/ ne: *Ev T D W* a c (ut non: d) e ſſ 2 sy s (Tat ar.pers ) sa ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 = S ≠ L 2 = G 2 = M 6,38: μέτρον καλὸν πεπιεσμένον σεσαλευμένον ὑπερεκχυννόμενον δώσουσιν εἰς τὸν κόλπον ὑμῶν T: Tert. 4,17,9: mensuram bonam, pressam ac fluentem, dabunt in sinum vestrum σεσαλευμενον/ commotam: b l q; cumulatam: a c; confersam: ſſ 2 ; impletam: d; coagitatam: aur f vg M ¦ om *Ev T 71* 828* ℓ48 gat r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 6,38b: ᾧ γὰρ μέτρῳ μετρεῖτε ἀντιμετρηθήσεται ὑμῖν T: Tert. 4,17,9: eadem qua mensi eritis mensura, remetietur vobis T: Adam. 2,5 (824c): ᾧ μέτρῳ μετρεῖτε, μετρηθήσεται ὑμῖν τω … αυτω μετρω ῳ/ eadem qua … mensura: *Ev T P 45vid A C Θ Ψ f 13 lat sy h ¦ ῳ … μετρῳ: *Ev A א B D L W Ξ f 1 33 892 1241 pc c d e sy (s).p Basil Chrys ❸ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev A = L 1 = G 1 ≠ *Ev T = L 2 = G 2 = M 6,38b: ᾧ γὰρ μέτρῳ μετρεῖτε ἀντιμετρηθήσεται ὑμῖν T: Tert. 4,17,9: eadem qua mensi eritis mensura, remetietur vobis γαρ/ enim: c d e f (quippe: vg) M ¦ om *Ev T P 45 Θ 13 69 543 700 788 826 828 983 a aur b ſſ 2 l q r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 6,38b: ᾧ γὰρ μέτρῳ μετρεῖτε ἀντιμετρηθήσεται ὑμῖν T: Tert. 4,17,9: eadem qua mensi eritis mensura, remetietur vobis T: Adam. 2,5 (824c): ᾧ μέτρῳ μετρεῖτε, μετρηθήσεται ὑμῖν μετρειτε/ metitis: *Ev A a b ſſ 2 M ¦ μετρησετε/ mensi fueritis (mensi eritis: q; metieritis: d; mensuraveritis: e): *Ev T aur c d e f g 1 gat l q r 1 vg ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev A = L 1 ≠ *Ev T = L 2 = G = M 6,38b: ᾧ γὰρ μέτρῳ μετρεῖτε ἀντιμετρηθήσεται ὑμῖν T: Tert. 4,17,9: eadem qua mensi eritis mensura, remetietur vobis T: Adam. 2,5 (824c): ᾧ μέτρῳ μετρεῖτε, μετρηθήσεται ὑμῖν T: Adam. 1,15 (814b): ᾧ μέτρῳ μετρεῖτε, ἀντιμετρηθήσεται ὑμῖν αντιμετρηθησεται/ remetietur: *Ev T.A (1,15) it M ¦ μετρηθησεται: *Ev A (2,5) B* P 28 2643 b e q Tat arab got ❸ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev A = L 1 = G 1 ≠ *Ev T(A) = L 2 = G 2 = M 1384 Anhang III 6,42: ἀδελϕέ, ἄϕες ἐκβάλω τὸ κάρϕος τὸ ἐν τῷ ὀϕθαλμῷ σου T: Tert. 4,17,12: eximat et de oculo suo trabem haereticus το εν τω οϕθαλμω: M ¦ απο του οϕθαλμου ¦ εκ του οϕθαλμου: *Ev T D 2643 ℓ950 it vg sy s.p Tat arab armen georg aeth Cyr ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 = L = S 1 ≠ G 2 = S 2 = M 6,43a: οὐ γάρ ἐστιν δένδρον καλὸν ποιοῦν καρπὸν σαπρόν T: Tert. 4,17,12: et arbor bona non proferat malumfructum T: Adam. 1,28 (821a): οὐ δύναται δένδρον σαπρὸν καρποὺς καλοὺς ἐνεγκεῖν T: Adam. 1,28 (821e): οὐ δύναται δένδρον σαπρὸν καρποὺς καλοὺς προενεγκεῖν T: Orig., Princ. 2,5,4: quia non potest arbor bona malos fructus facere T: Hipp., Refut. 10,19,3: οὐ δύναται δένδρον καλὸν καρποὺς πονηροὺς ποιεῖν T: Filastr., Haer. 45,2: non est arbor bona quae facit malum fructum ου … εστιν: *Ev Fil D it M ¦ ου δυναται: *Ev T. A. O.Hipp Hegem (Arch. 5; 15; GCS 16, 7; 24) p) Mt 7,18: οὐ δύναται δένδρον ἀγαθὸν καρποὺς πονηροὺς ποιεῖν ❶ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev T  *Ev A  *Ev O  *Ev Hipp ≠ *Ev Fil = M 6,43a: οὐ γάρ ἐστιν δένδρον καλὸν ποιοῦν καρπὸν σαπρόν T: Tert. 4,17,12: et arbor bona non proferat malumfructum T: Adam. 1,28 (821a): οὐ δύναται δένδρον σαπρὸν καρποὺς καλοὺς ἐνεγκεῖν T: Adam. 1,28 (821e): οὐ δύναται δένδρον σαπρὸν καρποὺς καλοὺς προενεγκεῖν T: Orig., Princ. 2,5,4: quia non potest arbor bona malos fructus facere T: Hipp., Refut. 10,19,3: οὐ δύναται δένδρον καλὸν καρποὺς πονηροὺς ποιεῖν T: Filastr., Haer. 45,2: non est arbor bona quae facit malum fructum T: PsTert., Haer. 6,2: omnis arbor bona bonos fructas facit mala autem malos γαρ (εστιν)/ (est) enim: *Ev O D it M ¦ om *Ev T.A.Hipp.PsTert.Fil Hegem ❶ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev T  *Ev A  *Ev Fil  *Ev Hipp  *Ev PsTert ≠ *Ev O = M 6,43a: οὐ γάρ ἐστιν δένδρον καλὸν ποιοῦν καρπὸν σαπρόν T: Tert. 4,17,12: et arbor bona non proferat malumfructum T: Tert. 1,2,1: exempla illa bonae et malae arboris, quod neque bona malos neque mala bonos proferat fructus … T: Adam. 1,28 (821a): οὐ δύναται δένδρον σαπρὸν καρποὺς καλοὺς ἐνεγκεῖν T: Adam. 1,28 (821e): οὐ δύναται δένδρον σαπρὸν καρποὺς καλοὺς προενεγκεῖν T: Orig., Princ. 2,5,4: quia non potest arbor bona malos fructus facere T: Hipp., Refut. 10,19,3: οὐ δύναται δένδρον καλὸν καρποὺς πονηροὺς ποιεῖν T: Filastr., Haer. 45,2: non est arbor bona quae facit malum fructum T: PsTert., Haer. 6,2: omnis arbor bona bonos fructas facit mala autem malos ποιειν/ facere: *Ev O *Ev Hipp *Ev PsTert *Ev Fil D it M ¦ (προ-, προσ-) ενεγκειν/ proferre: *Ev A *Ev T (4,17,12; 1,2,1) ❶ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev A ≠ *Ev O  *Ev Hipp  *Ev PsTert  *Ev Fil = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1385 6,43a: οὐ γάρ ἐστιν δένδρον καλὸν ποιοῦν καρπὸν σαπρόν T: Tert. 4,17,12: et arbor bona non proferat malumfructum T: Tert. 1,2,1: exempla illa bonae et malae arboris, quod neque bona malos neque mala bonos proferat fructus … T: Adam. 1,28 (821a): οὐ δύναται δένδρον σαπρὸν καρποὺς καλοὺς ἐνεγκεῖν T: Adam. 1,28 (821e): οὐ δύναται δένδρον σαπρὸν καρποὺς καλοὺς προενεγκεῖν T: Orig., Princ. 2,5,4: quia non potest arbor bona malos fructus facere T: Hipp., Refut. 10,19,3: οὐ δύναται δένδρον καλὸν καρποὺς πονηροὺς ποιεῖν T: Filastr., Haer. 45,2: non est arbor bona quae facit malum fructum T: PsTert., Haer. 6,2: omnis arbor bona bonos fructas facit mala autem malos καρπον σαπρον/ malum fructum: *Ev T (4,17,12) *Ev Fil D it M ¦ ) καρπους καλους: (*Ev A ) *Ev O (*Ev T : 1,2,1; 2,24,3) *Ev Hipp.PsTert D it sy s.p aeth Hegem p) Mt 7,18: οὐ δύναται δένδρον ἀγαθὸν καρποὺς πονηροὺς ποιεῖν ❷ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev T  *Ev A  *Ev O  *Ev Hipp  *Ev PsTert ≠ *Ev T.Fil = M 6,43b: οὐδὲ πάλιν δένδρον σαπρὸν ποιοῦν καρπὸν καλόν T: Tert. 4,17,12: et arbor bona non proferat malumfructum … nec mala bonum T: Tert. 1,2,1: exempla illa bonae et malae arboris, quod neque bona malos neque mala bonos proferat fructus … T: Adam. 1,28 (821a): οὐδὲ δένδρον καλὸν καρποὺς κακοὺς ἐνέγκαι T: Adam. 1,28 (821e): οὐδὲ δένδρον καλὸν καρποὺς σαπροὺς προενέγκαι T: Orig., Princ. 2,5,4: neque arbor mala bonos fructus facere T: PsTert., Haer. 6,2: omnis arbor bona bonos fructas facit mala autem malos T: Filastr., Haer. 45,2: neque arbor mala quae faciat bonum fructum παλιν/ iterum: P 75 א B L W Ξ f 1.13 579 892 1241 2542 pc b q vg ms bo ¦ om *Ev T. A. O.PsTert.Fil A C D Θ Ψ 33 M a aur c d e f ſſ 2 l r 1 vg mss ❸ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T  *Ev A  *Ev O  *Ev PsTert  *Ev Fil = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 6,43b: οὐδὲ πάλιν δένδρον σαπρὸν ποιοῦν καρπὸν καλόν T: Tert. 4,17,12: et arbor bona non proferat malumfructum T: Tert. 1,2,1: exempla illa bonae et malae arboris, quod neque bona malos neque mala bonos proferat fructus … T: Adam. 1,28 (821a): οὐδὲ δένδρον καλὸν καρποὺς κακοὺς ἐνέγκαι T: Adam. 1,28 (821e): οὐδὲ δένδρον καλὸν καρποὺς σαπροὺς προενέγκαι T: Orig., Princ. 2,5,4: neque arbor mala bonos fructus facere T: PsTert., Haer. 6,2: omnis arbor bona bonos fructas facit mala autem malos T: Filastr., Haer. 45,2: neque arbor mala quae faciat bonum fructum ποιειν: *Ev O.Fil M ¦ (προ-) ενεγκαι/ proferre: *Ev T.A ❸ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev A ≠ *Ev O = *Ev Fil = M 1386 Anhang III 6,43b: οὐδὲ πάλιν δένδρον σαπρὸν ποιοῦν καρπὸν καλόν T: Tert. 4,17,12: et arbor bona non proferat malumfructum T: Tert. 1,2,1: exempla illa bonae et malae arboris, quod neque bona malos neque mala bonos proferat fructus … T: Adam. 1,28 (821a): οὐδὲ δένδρον καλὸν καρποὺς κακοὺς ἐνέγκαι T: Adam. 1,28 (821e): οὐδὲ δένδρον καλὸν καρποὺς σαπροὺς προενέγκαι T: Orig., Princ. 2,5,4: neque arbor mala bonos fructus facere T: PsTert., Haer. 6,2: omnis arbor bona bonos fructas facit mala autem malos T: Filastr., Haer. 45,2: neque arbor mala quae faciat bonum fructum καρπον καλον/ fructum bonum: *Ev T (4,17,12) *Ev Fil aur ſſ 2 gat l r 1 vg M ¦ καρπους καλους/ fructus bonos: (*Ev A ) *Ev T (1,2,1) *Ev O.PsTert D (  1010) a b c d e f g 1 q sy s.p aeth Hegem ❷ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev A  *Ev T  *Ev O  *Ev PsTert = L 1 = G 1 = S ≠ *Ev T = *Ev Fil = L 2 = G 2 = M 6,46: Τί δέ με καλεῖτε, Κύριε κύριε, καὶ οὐ ποιεῖτε ἃ λέγω; T: Tert. 4,17,12f: quid vocas, Domine, domine? δε με: it M ¦ om *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ M 6,46: Τί δέ με καλεῖτε, Κύριε κύριε, καὶ οὐ ποιεῖτε ἃ λέγω; T: Tert. 4,17,12f: quid vocas, Domine, domine? καλειτε: it M ¦ καλεις/ vocas: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ M 7,9: λέγω ὑμῖν, οὐδὲ ἐν τῷ ᾿Ισραὴλ τοσαύτην πίστιν εὗρον T: Epiph., Schol. 7: λέγω δὲ ὑμῖν, τοσαύτην πίστιν οὐδὲ ἐν τῷ ᾿Ισραὴλ εὗρον λεγω: it M ¦ add δε: *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ L = G = M 7,9: λέγω ὑμῖν, οὐδὲ ἐν τῷ ᾿Ισραὴλ τοσαύτην πίστιν εὗρον T: Tert. 4,18,1: ceterum dicens talem fidem debuisse se invenire in Israele. T: Epiph., Schol. 7: λέγω δὲ ὑμῖν, τοσαύτην πίστιν οὐδὲ ἐν τῷ ᾿Ισραὴλ εὗρον ουδε εν τω ισραηλ τοσαυτην πιστιν: it M ¦ (5 6 1-4) τοσαυτην πιστιν ουδε εν τω ισραηλ: *Ev T.E ❶ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E ≠ L = G = M 7,9: λέγω ὑμῖν, οὐδὲ ἐν τῷ ᾿Ισραὴλ τοσαύτην πίστιν εὗρον T: Tert. 4,18,1: ceterum dicens talem fidem debuisse se invenire in Israele. T: Epiph., Schol. 7: λέγω δὲ ὑμῖν, τοσαύτην πίστιν οὐδὲ ἐν τῷ ᾿Ισραὴλ εὗρον T: Epiph. Elench. 7: εἰ οὐδὲ ἐν τῷ Ἰσραὴλ τοιαύτην πίστιν εὗρεν ... τοσαυτην/ tantam: *Ev E (Schol. [! ] 7: τοσαυτην πιστιν) a aur b c d f ſſ 2 l q M ¦ τοιαυτην/ talem: *Ev E (Elench. [! ] 7: τοιαυτην πιστιν) e r 1 (talem fidem) sy j ❷ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E 1 = L 1 ≠ *Ev E 2 = L 2 = G = M 7,16: καὶ ἐδόξαζον τὸν θεὸν λέγοντες ὅτι Προϕήτης μέγας ἠγέρθη ἐν ἡμῖν T: Tert. 4,18,3: (dicentes) magnus prophetes prodiit in nobis, et Respexit deus populum suum προϕητης μεγας/ propoheta magnus: it M ¦ (2 1) *Ev T Chrys ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1387 7,16: Προϕήτης μέγας ἠγέρθη ἐν ἡμῖν T: Tert. 4,18,3: magnus prophetes prodiit in nobis ηγερθη: it M ¦ προηλθεν: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 7,16: Προϕήτης μέγας ἠγέρθη ἐν ἡμῖν, καὶ ὅτι ᾿Επεσκέψατο ὁ θεὸς τὸν λαὸν αὐτοῦ T: Tert. 4,18,3: (dicentes) Magnus prophetes prodiit in nobis, et Respexit deus populum suum οτι/ quia (quoniam, qui): it M ¦ om *Ev T sy s.p Tat arab.pers ❸ Einzelbezeugung: *Ev T = S ≠ L = G = M 7,19: Σὺ εἶ ὁ ἐρχόμενος ἢ ἄλλον προσδοκῶμεν; T: Tert. 4,18,6: Tu es, inquit, qui venis, an alium expectamus? T: Adam. 1,26 (819c): σὺ εἶ ὁ ἐρχόμενος ἢ ἕτερον προσδοκῶμεν; ο ερχομενος/ qui venturus est: *Ev A ſſ 2 M ¦ ος ερχη/ qui venis: *Ev T e; qui venturus es: a aur b c d f l q r 1 ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T = L 1 ≠ *Ev A = L 2 = G = M 7,19: Σὺ εἶ ὁ ἐρχόμενος ἢ ἄλλον προσδοκῶμεν; T: Tert. 4,18,6: Tu es, inquit, qui venis, an alium expectamus? T: Adam. 1,26 (819c): σὺ εἶ ὁ ἐρχόμενος ἢ ἕτερον προσδοκῶμεν; αλλον/ alium: *Ev T it M ¦ ετερον: *Ev A א B L R W X Ξ Ψ mult ❹ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev A = G 1 ≠ *Ev T = G 2 = M 7,20: Σὺ εἶ ὁ ἐρχόμενος ἢ ἄλλον προσδοκῶμεν; T: Tert. 4,18,6: Tu es, inquit, qui venis, an alium expectamus? T: Adam. 1,26 (819c): σὺ εἶ ὁ ἐρχόμενος ἢ ἕτερον προσδοκῶμεν; ο ερχομενος/ qui venturus est: *Ev A ſſ 2 M ¦ ος ερχη/ qui venis: *Ev T e q; qui venturus es: a aur b c d f l r 1 ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T = L 1 ≠ *Ev A = L 2 = G = M 7,23: καὶ μακάριός ἐστιν ὃς ἐὰν μὴ σκανδαλισθῇ ἐν ἐμοί T: Epiph., Schol. 8: παρηλλαγμένον τό Μακάριος ὃς οὐ μὴ σκανδαλισθῇ ἐν ἐμοί εστιν/ est: aur b f ſſ 2 l q r 1 M ¦ erit: a d e ¦ om *Ev E c Chrys Cyr ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L 1 ≠ L 2 = G = M 7,23: καὶ μακάριός ἐστιν ὃς ἐὰν μὴ σκανδαλισθῇ ἐν ἐμοί T: Epiph., Schol. 8: παρηλλαγμένον τό Μακάριος ὃς οὐ μὴ σκανδαλισθῇ ἐν ἐμοί ος εαν μη: M ¦ ος ου/ quiqumque (qui) non: *Ev E it 2643 ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L ≠ G = M 7,24: Τί ἐξήλθατε εἰς τὴν ἔρημον θεάσασθαι; T: Tert. 4,18,8: quid existis videre in solitudinem? εις την ερημον θεασασθαι: it M ¦ (4 1 2 3) θεασασθαι εις την ερημον: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 1388 Anhang III 7,27: οὗτός ἐστιν περὶ οὗ γέγραπται T: Epiph., Schol. 9: αὐτός ἐστι περὶ οὗ γέγραπται T: Adam. 2,18 (867e): οὗτός ἐστι περὶ οὗ γέγραπται ουτος/ hic: *Ev A a aur d (de eo: e) f ſſ 2 l q r 1 M ¦ αυτος/ ipse: *Ev E c (+ γαρ/ enim: U Θ Ψ mult b gat sy h.j bo (mss) ) ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev E = L 1 = G 1 ≠ *Ev A = L 2 = G 2 = M 7,27b: ᾿Ιδοὺ ἀποστέλλω τὸν ἄγγελόν μου T: Tert. 4,18,7: Ecce ego mitto angelum meum T: Epiph., Schol. 9: ᾿Ιδοὺ ἀποστέλλω τὸν ἄγγελόν μου T: Adam. 2,18 (867e): ᾿Ιδοὺ ἀποστέλλω τὸν ἄγγελόν μου ιδου: *Ev E.A P 75(vid) א B D L W Ξ mult it vg sa bo aeth ¦ + εγω: *Ev T M ❷ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev E = *Ev A = L = G 1 ≠ *Ev T = G 2 = M 7,27b: ὃς κατασκευάσει τὴν ὁδόν σου ἔμπροσθέν σου T: Tert. 4,18,7: qui praeparabit viam tuam T: Epiph., Schol. 9: (᾿Ιδοὺ ἀποστέλλω τὸν ἄγγελόν μου πρὸ προσώπου σου) T: Adam. 2,18 (867e): ὃς κατασκευάσει τὴν ὁδόν σου ἔμπροσθέν σου εμπροσθεν σου/ ante te: *Ev A b c e f ſſ 2 q M ¦ om *Ev T.E D a aur d l r 1 ([viam] tuam) ❷ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E = L 1 = G 1 ≠ *Ev A = L 2 = G 2 = M 7,28: μείζων ἐν γεννητοῖς γυναικῶν ᾿Ιωάννου οὐδείς ἐστιν T: Tert. 4,18,8: maior quidem omnibus natis mulierum εν γεννητοις/ in natis (inter natos): it M ¦ παντων των γεννητων: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 7,37: καὶ ἰδοὺ γυνὴ ἥτις ἦν ἐν τῇ πόλει ἁμαρτωλός T: Epiph., Schol. 10: ἡ δὲ γυνὴ στᾶσα ὀπίσω ἡ ἁμαρτωλός παρὰ τοὺς πόδας ... ητις ην εν τη πολει: om *Ev E ¦ εν τη πολει/ in civitate: D d ¦ add ητις ην εν τη πολει: א B L W Ξ f 1.13 700 1241 pc ¦ (Wortstellung 3-5 1-2): A Θ Ψ it sy h M ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 7,38: καὶ στᾶσα ὀπίσω παρὰ τοὺς πόδας αὐτοῦ κλαίουσα T: Tert. 4,18,9: ut cum pedes domini osculis figeret, lacrimis inundaret T: Epiph., Schol. 10: ἔβρεξε τοῖς δάκρυσι τοὺς πόδας κλαιουσα: a c e f (flens) d (plorans) r 1 (coepit plorare) M ¦ om F aur b ſſ 2 l q vg ℓ859 ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 7,38: τοῖς δάκρυσιν ἤρξατο βρέχειν τοὺς πόδας αὐτοῦ T: Tert. 4,18,9: ut cum pedes domini osculis figeret, lacrimis inundaret T: Epiph., Schol. 10: ἔβρεξε τοῖς δάκρυσι τοὺς πόδας ηρξατο βρεχειν/ coepit rigare: aur f vg M ¦ εβρεξε/ rigabat: *Ev T.E D b ſſ 2 l q r 1 sy s ; (εβρεχε)/ inrigabat (a); lavit (c); implevit (d); lababat (e); Tat pers aeth ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1389 7,38: (τοῖς δάκρυσιν ἤρξατο βρέχειν τοὺς πόδας αὐτοῦ) καὶ ταῖς θριξὶν τῆς κεϕαλῆς αὐτῆς ἐξέμασσεν καὶ κατεϕίλει τοὺς πόδας αὐτοῦ καὶ ἤλειϕεν τῷ μύρῳ T: Tert. 4,18,9: pedes domini osculis figeret, lacrimis inundaret, crinibus detergeret, unguento perduceret T: Epiph., Schol. 10: ἔβρεξε τοῖς δάκρυσι τοὺς πόδας καὶ ἤλειψεν καὶ κατεϕίλει (vgl. auch Epiph., Schol. 11 in reference to *7,44: αὕτη τοῖς δάκρυσιν ἔβρεξεν τοὺς πόδας μου καὶ ἤλειψεν καὶ κατεϕίλει) και ταις θριξιν … εξεμασσεν τους ποδας αυτου: (*Ev T ) a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ¦ om *Ev E (e: lacrimis suis lababat pedes eius et unguebat unguento) ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev E  L 1 ≠ *Ev T  L 2 = G = M 7,44: αὕτη δὲ τοῖς δάκρυσιν ἔβρεξέν μου τοὺς πόδας T: Epiph., Schol. 11: αὕτη τοῖς δάκρυσιν ἔβρεξεν τοὺς πόδας μου καὶ ἤλειψεν καὶ κατεϕίλει δε/ autem: it M ¦ om *Ev E 1200* ℓ1016 ❹ Einzelbezeugung: *Ev E = G 1 ≠ G 2 = L = M 7,44: αὕτη δὲ τοῖς δάκρυσιν ἔβρεξέν μου τοὺς πόδας T: Epiph., Schol. 11: αὕτη τοῖς δάκρυσιν ἔβρεξεν τοὺς πόδας μου καὶ ἤλειψεν καὶ κατεϕίλει μου τους ποδας (μοι τους ποδας)/ mihi pedes: a d e M ¦ (2 3 1) (τους ποδας μου/ pedes meos): *Ev E aur b c f g 1 gat l q r 1 armen georg ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L 1 ≠ L 2 = G = M 7,44: αὕτη δὲ τοῖς δάκρυσιν ἔβρεξέν μου τοὺς πόδας T: Epiph., Schol. 11: αὕτη τοῖς δάκρυσιν ἔβρεξεν τοὺς πόδας μου καὶ ἤλειψεν καὶ κατεϕίλει μου τους ποδας: it M ¦ add καὶ ἤλειψεν καὶ κατεϕίλει: *Ev E ) ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ L = G = M 7,50b: ἡ πίστις σου σέσωκέν σε T: Tert. 4,18,9: fides tua te salvam fecit σεσωκεν σε: M ¦ (2 1) *Ev T it (te salvavit/ salbavit: c e; te salvam/ salvum fecit: a aur b d f ſſ 2 l q r 1 ) vg Ambr (Ep. 41,5; PL 16, 1114) August (Serm. 99,7 u.ö.; PL 38, 599) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L ≠ G = M 8,3: αἵτινες διηκόνουν αὐτοῖς ἐκ τῶν ὑπαρχόντων αὐταῖς T: Tert. 4,19,1: quae et de facultatibus suis ministrabant ei αιτινες/ quae: (e) f r 1 vg M ¦ add και/ et: *Ev T D M 16 27 71 348 1071 1216 1458 1579 a aur c d ſſ 2 l q ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 8,3: αἵτινες διηκόνουν αὐτοῖς ἐκ τῶν ὑπαρχόντων αὐταῖς T: Tert. 4,19,1: quae et de facultatibus suis ministrabant ei αυτοις/ eis (illis): B D K W Γ Δ Θ f 13 700 892 1424 c d e (f) ſſ 2 r 1 vg sy s.c.p.hmg M ¦ αυτω/ ei (illi): *Ev T א A L Ψ f 1 33 565 579 1241 2542 a aur b l q sy h co ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 8,8b: ῾Ο ἔχων ὦτα ἀκούειν ἀκουέτω T: Tert. 4,19,2: Qui habet aures audiat ακουειν/ audiendi: it M ¦ om *Ev T 2643 ❹ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 ≠ G 2 = L = M 1390 Anhang III 8,16: οὐδεὶς δὲ λύχνον ἅψας καλύπτει αὐτὸν σκεύει ἢ ὑποκάτω κλίνης τίθησιν T: Tert. 4,19,5: miror autem cum lucernam negat abscondi solere … cum omnia de occulto in apertum repromittit σκευει η υποκατω κλινης τιθησιν/ vaso aut subtus (sub: aur c ſſ 2 ) lectum ponit (om c): a aur d f ſſ 2 l q r 1 M ¦ om *Ev T b (ponit sub modio) e (neque sub lectum ponit illam) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 8,16: ἀλλ’ ἐπὶ λυχνίας τίθησιν, ἵνα οἱ εἰσπορευόμενοι βλέπωσιν τὸ ϕῶς T: Tert. 4,19,5: miror autem cum lucernam negat abscondi solere … cum omnia de occulto in apertum repromittit αλλ επι λυχνιας τιθησιν/ sed supra (super) candelabrum ponit: (it) M ¦ om *Ev T 472 903* 1009 1229 1355 1542* ℓ253 ❹ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 ≠ L = G 2 = M 8,16: ἀλλ’ ἐπὶ λυχνίας τίθησιν, ἵνα οἱ εἰσπορευόμενοι βλέπωσιν τὸ ϕῶς T: Tert. 4,19,5: miror autem cum lucernam negat abscondi solere … cum omnia de occulto in apertum repromittit ινα οι εισπορευομενοι βλεπωσιν το ϕως/ ut intrantes (qui intrant: d) videant lumen: aur b d f ſſ 2 l q r 1 M ; ινα βλεπωσιν το ϕως: Aphr. ¦ ινα πασι λαμπη/ omnibus luceat: e c a (omnes lumen videant) ¦ ινα οι εισπορευομενοι βλεπωσιν το ϕως: om *Ev T P 75 B pc ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G 1 = M ≠ G 2 8,18: βλέπετε οὖν πῶς ἀκούετε T: Tert. 4,19,3: videte quomodo audiatis ουν/ ergo: d e f r 1 vg M ¦ om *Ev T 343 716 1229 a aur b c ſſ 2 l q sy s Tat pers bo (1 ms) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = S = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 8,18b: καὶ ὃς ἂν μὴ ἔχῃ, καὶ ὃ δοκεῖ ἔχειν ἀρθήσεται ἀπ’ αὐτοῦ T: Tert. 4,19,4: ab eo autem, qui non habet etiam quod habere se putat auferetur ei και ος/ et qui(cumque): a aur b c d e f ſſ 2 q r 1 M ¦ ος δε/ qui autem: *Ev T l sy s(2 mss) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = S ≠ L 2 = G = M 8,19: παρεγένετο δὲ πρὸς αὐτὸν ἡ μήτηρ καὶ οἱ ἀδελϕοὶ αὐτοῦ, καὶ οὐκ ἠδύναντο συντυχεῖν αὐτῷ διὰ τὸν ὄχλον T: Epiph., Schol. 12: οὐκ εἶχεν ῾Η μήτηρ αὐτοῦ καὶ οἱ ἀδελϕοὶ αὐτοῦ η μητηρ και οι αδελϕοι αυτου: it M ¦ om *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ L = G = M 8,20: ἀπηγγέλη δὲ αὐτῷ, ῾Η μήτηρ σου καὶ οἱ ἀδελϕοί σου T: Tert. 4,19,7 non potuisse illi annuntiari quod mater et fratres eius T: Epiph., Schol. 12: οὐκ εἶχεν ῾Η μήτηρ αὐτοῦ καὶ οἱ ἀδελϕοὶ αὐτοῦ, ἀλλὰ μόνον ῾Η μήτηρ σου καὶ οἱ ἀδελϕοί σου; vgl. Ephraem, Comm. Diat. 11,9 (FC 54/ 1, 351) σου/ tua: *Ev E *Ev Ephr a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ¦ αυτου/ eius: *Ev T (mater et fratres eius); e (mater eius et fratres) ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T = L 1 ≠ *Ev E = *Ev Ephr = L 2 = G = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1391 8,20: ἑστήκασιν ἔξω ἰδεῖν θέλοντές σε T: Tert. 4,19,7 foris starent quaerentes videre eum σε/ te: a aur b c d (e: teum) f ſſ 2 l q r 1 M ¦ αυτον/ eum: *Ev T e (corr.) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 8,20: ἑστήκασιν ἔξω ἰδεῖν θέλοντές σε T: Tert. 4,19,7 foris starent quaerentes videre eum θελοντες/ volentes: a aur b c e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 M ¦ ζητουντες/ quaerentes: *Ev T D d (om ιδειν/ videre: D d) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 8,21: ὁ δὲ ἀποκριθεὶς εἶπεν πρὸς αὐτούς, Μήτηρ μου καὶ ἀδελϕοί μου οὗτοί εἰσιν … T: Tert. 4,19,11: Atque adeo cum praemisisset, Quae mihi mater et qui mihi fratres? προς αυτους: it M ¦ add τις εστιν η μητηρ μου και οι αδελϕοι μου/ Quae mihi mater et qui mihi fratres: *Ev T (vgl. Mk 3,33) p) Mk 3,33 καὶ ἀποκριθεὶς αὐτοῖς λέγει, Τίς ἐστιν ἡ μήτηρ μου καὶ οἱ ἀδελϕοί (μου); ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 8,21b: οἱ τὸν λόγον τοῦ θεοῦ ἀκούοντες καὶ ποιοῦντες T: Tert. 4,19,11: qui audiunt verba mea et faciunt ea τον λογον του θεου: it M ¦ τους λογους μου/ verba mea: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 8,21b: οἱ τὸν λόγον τοῦ θεοῦ ἀκούοντες καὶ ποιοῦντες T: Tert. 4,19,11: qui audiunt verba mea et faciunt ea ποιουντες: it M ¦ ποιουντες αυτους/ faciunt ea: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 8,23: πλεόντων δὲ αὐτῶν ἀϕύπνωσεν T: Epiph., Schol. 13: πλεόντων αὐτῶν ἀϕύπνωσεν δε: it M ¦ om (*Ev E ) ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ L = G = M 8,24b: ὁ δὲ διεγερθεὶς ἐπετίμησεν τῷ ἀνέμῳ καὶ τῷ κλύδωνι τοῦ ὕδατος T: Epiph., Schol. 13: ὁ δὲ ἐγερθεὶς ἐπετίμησε τῷ ἀνέμῳ καὶ τῇ θαλάσσῇ τω κλυδωνι του υδατος: τη θαλασση/ maris: *Ev E f slav 1 ms ¦ τω κλυδωνι/ undae: D d ¦ τω υδατι/ aquae: a aur b c e ſſ 2 l q r 1 ¦ τω κλυδωνι του υδατος: M ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L 1 ≠ L 2 = G = M 8,25b: Τίς ἄρα οὗτός ἐστιν ὅτι καὶ τοῖς ἀνέμοις ἐπιτάσσει καὶ τῷ ὕδατι, καὶ ὑπακούουσιν αὐτῷ; T: Tert. 4,20,1: Quis autem iste est qui et ventis et mari imperat? αρα/ ut: a aur d (ſſ 2 : quisnam ut) M ¦ om b c l q r 1 sa (2 mss) ¦ τις δε/ quis autem: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 8,25b: Τίς ἄρα οὗτός ἐστιν ὅτι καὶ τοῖς ἀνέμοις ἐπιτάσσει καὶ τῷ ὕδατι T: Tert. 4,20,1: Quis autem iste est qui et ventis et mari imperat? οτι/ quod: b l q (quia: aur vg; quoniam: d) M ¦ ος/ qui: *Ev T 343 716 1229 1487 a c e f ſſ 2 r 1 vg mss Tat arab ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 1392 Anhang III 8,25b: Τίς ἄρα οὗτός ἐστιν ὅτι καὶ τοῖς ἀνέμοις ἐπιτάσσει καὶ τῷ ὕδατι … T: Tert. 4,20,1: Quis autem iste est qui et ventis et mari imperat? τω υδατι/ aquae: a d e M ¦ τη θαλασση/ mari: *Ev T 1424 aur b c f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg sy s.c Tat arab ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 = S ≠ L 2 = G 2 = M 8,30b: ἐπηρώτησεν δὲ αὐτὸν ὁ Ἰησοῦς· τί σοι ὄνομά ἐστιν; T: Adam. 1,17 (815d): τί σοί ἐστιν ὄνομά; εστιν ονομα: *Ev A (! ) M ¦ ονομα εστιν: P 75 א B D L Ξ Ψ 1 33 118 131 157 205 209 892 954 1071 1241 1582 it vg sy ❷ Einzelbezeugung: L 1 = G 1 = S ≠ *Ev A = L 2 = G 2 = M 8,42b: ἐν δὲ τῷ ὑπάγειν αὐτὸν οἱ ὄχλοι συνέπνιγον αὐτόν T: Epiph., Schol. 14: ἐγένετο δὲ ἐν τῷ ὑπάγειν αὐτοὺς συνέπνιγον αὐτόν οἱ ὄχλοι εν δε: it M ¦ και εγενετο εν: *Ev E 343 716 1229 2487 ❹ Einzelbezeugung: *Ev E  G 1 ≠ G 2 = L = M 8,44: ἥψατο τοῦ κρασπέδου τοῦ ἱματίου αὐτοῦ T: Tert. 4,20,13: tangitur vestimentum eius του κρασπεδου/ fimbriam (fimbrea: q): aur c f q vg M ¦ om *Ev T D a d ſſ 2 l r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 8,45: καὶ εἶπεν ὁ ᾿Ιησοῦς T: Epiph., Schol. 14: καὶ εἶπεν ὁ κύριος ο Ιησους: it M ¦ ο κυριος: *Ev E (! ) ℓ253 ℓ859 ❹ Einzelbezeugung: *Ev E = G 1 ≠ G 2 = L = M 8,45: Τίς ὁ ἁψάμενός μου; T: Tert. 4,20,8: Quis me, inquit, tetigit? T: Epiph., Schol. 14: τίς μου ἥψατο τις ο αψαμενος μου: M ¦ τις μου ηψατο/ quis me tetigit: *Ev T.E D a aur c d q ¦ quis est qui tetigit me: b f ſſ 2 l q r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = *Ev E = L 1 = G 1 ≠ L 2 ≠ G 2 = M 8,46: ἥψατό μού τις, ἐγὼ γὰρ ἔγνων δύναμιν ἐξεληλυθυῖαν ἀπ’ ἐμοῦ T: Epiph., Schol. 14: ἥψατό μου τις. καὶ γὰρ ἔγνων δύναμιν ἐξελθοῦσαν ἀπ’ ἐμοῦ εγω: it M ¦ και: *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ L = G = M 8,48: ἡ πίστις σου σέσωκέν σε T: Tert. 4,20,9: fides tua te salvam fecit σεσωκεν σε: M ¦ (2 1) σε σεσωκεν/ te salvam fecit: *Ev T a aur b c d e f ſſ 2 l q r 1 vg ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L ≠ G = M 9,2: ἀπέστειλεν αὐτοὺς κηρύσσειν τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ καὶ ἰᾶσθαι (τοὺς ἀσθενεῖς), T: Tert. 4,21,1: dimittit discipulos ad praedicandum dei regnum αυτους/ illos (eos) it M ¦ τους μαθητας/ discipulos: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1393 9,2: ἀπέστειλεν αὐτοὺς κηρύσσειν τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ καὶ ἰᾶσθαι τοὺς ἀσθενεῖς T: Tert. 4,21,1: dimittit discipulos ad praedicandum dei regnum T: Adam. 2,12 (828e): καὶ ἀπέστειλεν αὐτοὺς κηρύσσειν τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ καὶ ἰᾶσθαι τους ασθενεις: it M ¦ om *Ev A (*Ev T ) B sy s.c ❸ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T  *Ev A = G 1 = S ≠ G 2 = L = M 9,6: ἐξερχόμενοι δὲ διήρχοντο κατὰ τὰς κώμας εὐαγγελιζόμενοι T: Adam. 2,12 (829a): ἐξερχόμενοι δὲ διήρχοντο κατὰ πόλεις καὶ κώμας εὐαγγελιζόμενοι καὶ θεραπεύοντες πανταχοῦ κατα τας κωμας/ per castella: aur e f r 1 vg M ¦ κατα πολεις και κωμας/ per civitates et castella: *Ev A ſſ 2 l (castella et civitates: b c g 1 q) sa ms ¦ κατα πολεις και ηρχοντο/ civitates transibant: D d ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 ≠ L 2 = G = M 9,16: ἀναβλέψας εἰς τὸν οὐρανὸν εὐλόγησεν αὐτούς T: Epiph., Schol. 15: ἀναβλέψας εἰς τὸν οὐρανὸν εὐλόγησεν ἐπ’ αὐτούς T: Adam. 2,20 (870d): ὁ κύριος ἀναβλέψας εἰς τὸν οὐρανὸν εὐχαριστεῖ ευλογησεν: *Ev E M it ¦ ευχαριστει: *Ev A ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev A ≠ *Ev E = G = L = M 9,16: ἀναβλέψας εἰς τὸν οὐρανὸν εὐλόγησεν αὐτούς T: Epiph., Schol. 15: ἀναβλέψας εἰς τὸν οὐρανὸν εὐλόγησεν ἐπ’ αὐτούς αυτους: (benedixit) eos (aur c f); illis (vg) ¦ επ αυτους/ super eos (illos): D a b d ſſ 2 g 1 l q r 1 sy c ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = G 1 = L 1 ≠ G 2 = L 2 = M 9,18: τίνα με λέγουσιν οἱ ὄχλοι εἶναι T: Tert. 4,21,6: (interroganti domino) quisnam illis (= kataphor. Referenz auf homines, 4,21,5) videretur T: Adam. 2,13 (829c/ d): τίνα με λέγουσιν οἱ ἄνθρωποι οι οχλοι/ turbae: P 75 א 2 C D W Θ Ψ f 13 33 a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ¦ οι ανθρωποι/ homines: (*Ev T ) *Ev A A 579 1241 1424 pc e (quem me dicunt homines esse) sa mss bo ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev A = L 1 ≠ L 2 = G = M 9,18: τίνα με λέγουσιν οἱ ὄχλοι εἶναι T: Adam. 2,13 (829c/ d): τίνα με λέγουσιν οἱ ἄνθρωποι ειναι: it M ¦ om *Ev A aeth (Bodl. 41) ❸ Einzelbezeugung: *Ev A = aeth ≠ L = G = M 9,18: τίνα με λέγουσιν οἱ ὄχλοι εἶναι T: Adam. 2,13 (829c/ d): τίνα με λέγουσιν οἱ ἄνθρωποι τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου; ειναι: it M ¦ τον υιον του ανθρωπου: *Ev A p) Mt 16,13 (D L Θ f 1.13 it vg mss sy s.c usw.): τίνα με λέγουσιν οἱ ἄνθρωποι τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου ειναι ❶ Einzelbezeugung: *Ev A ≠ L = G = M 9,19: οἱ δὲ ἀποκριθέντες εἶπαν, ᾿Ιωάννην τὸν βαπτιστήν T: Adam. 2,13 (829c/ d): λέγουσιν δὲ οἱ μαθηταί· ᾿Ιωάννην τὸν βαπτιστήν οι δε αποκριθεντες ειπαν: it M ¦ λεγουσιν δε οι μαθηται: *Ev A ❶ Einzelbezeugung: *Ev A ≠ L = G = M 1394 Anhang III 9,20: εἶπεν δὲ αὐτοῖς, ῾Υμεῖς δὲ τίνα με λέγετε εἶναι; T: Adam. 2,13 (829c/ d): εἶπε δὲ αὐτοῖς· ὑμεῖς δὲ τίνα; με λεγετε ειναι/ me (quem) dicitis esse: it M ¦ λεγετε ειναι: 1424 ℓ184 ℓ1761* ¦ om *Ev A 700 ❹ Einzelbezeugung: *Ev A = G 1 ≠ G 2 = L = M 9,20: Πέτρος δὲ ἀποκριθεὶς εἶπεν, Τὸν Χριστὸν τοῦ θεοῦ T: Tert. 4,21,6; 4,22,6: Tert. 4,22,6: Tu es Christus T: Adam. 2,13 (829c/ d): ἀποκριθεὶς δὲ Πέτρος εἶπε· τὸν Χριστόν τον χριστον/ Christum: *Ev A a aur b c d e ſſ 2 q r 1 M ¦ συ ει ο χριστος/ tu es Christus: *Ev T f l sy s.c got ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T = L 1 ≠ *Ev A = L 2 = G = M 9,20: Πέτρος δὲ ἀποκριθεὶς εἶπεν, Τὸν Χριστὸν τοῦ θεοῦ T: Tert. 4,21,6; 4,22,6: Tert. 4,22,6: Tu es Christus T: Adam. 2,13 (829c/ d): ἀποκριθεὶς δὲ Πέτρος εἶπε· τὸν Χριστόν του θεου/ dei: aur c ſſ 2 q M ¦ υιος (υιον)/ filius (filium): D 982 pc (a) d e f l r 1 aeth (Bodl. 41) bo ms ¦ om (*Ev T Adam) ❶ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev A ≠ L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 9,20: Πέτρος δὲ ἀποκριθεὶς εἶπεν, Τὸν Χριστὸν τοῦ θεοῦ T: Adam. 2,13 (829c/ d): ἀποκριθεὶς δὲ Πέτρος εἶπε· τὸν Χριστόν του θεου/ dei: aur b c d e f ſſ 2 l q r 1 M ¦ om *Ev A a ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 ≠ L 2 = G = M 9,22: καὶ ἀποδοκιμασθῆναι ἀπὸ τῶν πρεσβυτέρων καὶ ἀρχιερέων καὶ γραμματέων καὶ ἀποκτανθῆναι T: Tert. 4,21,7: oportet filium hominis multa pati, et reprobari a presbyteris et scribis et sacerdotibus, et interfici, et post tertium diem resurgere T: Epiph., Schol. 16: δεῖ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου πολλὰ παθεῖν καὶ ἀποκτανθῆναι καὶ μετὰ τρεῖς ἡμέρας ἐγερθῆναι. T: Adam. 5,12 (857c): δεῖ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου πολλὰ παθεῖν καὶ ἀποδοκιμασθῆναι ἀπὸ τῶν πρεσβυτέρων καὶ ἀρχιερέων καὶ γραμματέων καὶ σταυροθῆναι καὶ μεθ’ ἡμέρας τρεῖς ἀναστῆναι αποδοκιμασθηναι απο των πρεσβυτερων και αρχιερεων και γραμματεων: *Ev A M ; (1-3 6 5 4 7 8) 13 69 124 213 346 543 579 788 826 828 983 ſſ 2 g 1 l q r 1 ¦ (1-3 4 5 8 7 6) *Ev T sy c ; (1-4; om 5-8) 1352 ¦ (1-5 8; om 6-7) ℓ1642 ¦ om *Ev E ❶ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev E ≠ *Ev T = L 1 = G 1  *Ev A = L 2 = G 2 = M 9,22: καὶ τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ ἐγερθῆναι T: Tert. 4,21,7: et post tertium diem resurgere T: Epiph., Schol. 16: καὶ μετὰ τρεῖς ἡμέρας ἐγερθῆναι T: Adam. 5,12 (857c): καὶ μεθ’ ἡμέρας τρεῖς ἀναστῆναι τη τριτη ημερα/ tertia die: aur f vg M ¦ μετα τριτην ημεραν/ post ter[tiu]m diem: *Ev T a; μετα ημεραν τριτην/ post diem tertium: r 1 ; μετα τρεις ημερας/ post tres dies: *Ev E d ſſ 2 l q; μεθ ημερας τρεις/ post dies tres: *Ev A D b; post triduum: c e ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T  *Ev E  *Ev A = L 1 ≠ L 2 = G = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1395 9,22: καὶ τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ ἐγερθῆναι T: Tert. 4,21,7: et post tertium diem resurgere T: Epiph., Schol. 16: καὶ μετὰ τρεῖς ἡμέρας ἐγερθῆναι T: Adam. 5,12 (857c): καὶ μεθ’ ἡμέρας τρεῖς ἀναστῆναι εγερθηναι: *Ev E M ¦ αναστηναι/ resurgere: *Ev T.A A C D K Π mult it Athan Chrys Orig ❷ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev A = G 1 = L ≠ *Ev E = G 2 = M 9,24b: ὃς δ’ ἂν ἀπολέσῃ τὴν ψυχὴν αὐτοῦ ἕνεκεν ἐμοῦ T: Tert. 4,21,8: et qui perdiderit eam propter me ος δ: qui (quicumque: c) autem: c d e M ¦ και ος/ et qui *Ev T a ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 9,24b: ὃς δ’ ἂν ἀπολέσῃ τὴν ψυχὴν αὐτοῦ ἕνεκεν ἐμοῦ T: Tert. 4,21,8: et qui perdiderit eam propter me την ψυχην αυτου/ animam suam: a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ¦ αυτην/ illam: *Ev T e ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 9,24b: ὃς δ’ ἂν ἀπολέσῃ τὴν ψυχὴν αὐτοῦ ἕνεκεν ἐμοῦ, οὗτος σώσει αὐτήν T: Tert. 4,21,8: et qui perdiderit eam propter me, salvam faciet eam ουτος/ hic: b d e q r 1 M ¦ om *Ev T a aur c f ſſ 2 gat l vg sy s sa ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = S ≠ L 2 = G = M 9,26: ὃς γὰρ ἂν ἐπαισχυνθῇ με καὶ τοὺς ἐμοὺς λόγους T: Tert. 4,21,10: qui confusus mei fuerit, et ego confundar eius γαρ/ nam (enim): it M ¦ om *Ev T bo (1 ms) ❸ Einzelbezeugung: *Ev T = bo ≠ L = G = M 9,26: ὃς γὰρ ἂν ἐπαισχυνθῇ με καὶ τοὺς ἐμοὺς λόγους T: Tert. 4,21,10: qui confusus mei fuerit, et ego confundar eius και τους εμους λογους: aur b c f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 M ¦ και τους εμους: D a d e l ¦ om *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≈ L 1 ≠ L 2 = G = M 9,26: τοῦτον ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ἐπαισχυνθήσεται, ὅταν ἔλθῃ ἐν τῇ δόξῃ T: Tert. 4,21,10: qui confusus mei fuerit, et ego confundar eius τουτον ο υιος του ανθρωπου επαισχυνθησεται: it M ¦ και εγω επαισχυνθησομαι αυτον/ et ego confundar eius: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 9,30: καὶ ἰδοὺ ἄνδρες δύο συνελάλουν αὐτῷ T: Epiph., Schol. 17: καὶ ἰδοὺ δύο ἄνδρες συνελάλουν αὐτῷ, ᾿Ηλίας καὶ Μωϋσῆς ἐν δόξῃ ανδρες δυο/ viri duo: a c M ¦ (2 1) δυο ανδρες/ duo viri: *Ev E 544 aur b d e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg sy s.c.p ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 9,30: καὶ ἰδοὺ ἄνδρες δύο συνελάλουν αὐτῷ, οἵτινες ἦσαν Μωϋςῆς καὶ ᾿Ηλίας T: Epiph., Schol. 17: καὶ ἰδοὺ δύο ἄνδρες συνελάλουν αὐτῷ, ᾿Ηλίας καὶ Μωϋσῆς ἐν δόξῃ οιτινες ησαν: M ¦ ην δε/ erat autem: D a d; ησαν δε/ erant autem: aur b c e f ſſ 2 l q r 1 vg armen ¦ om *Ev E sy s.c ❷ Einzelbezeugung: *Ev E  L ≠ G = M 1396 Anhang III 9,31a: οἳ ὀϕθέντες ἐν δόξῃ T: Epiph., Schol. 17: ᾿Ηλίας καὶ Μωϋςῆς ἐν δόξῃ οι/ qui (visi sunt gloria): f M ¦ om οι/ qui: *Ev E a aur b c d e ſſ 2 l q r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L 1 ≠ L 2 = G = M 9,31a: οἳ ὀϕθέντες ἐν δόξῃ T: Epiph., Schol. 17: ᾿Ηλίας καὶ Μωϋςῆς ἐν δόξῃ οϕθεντες/ visi: it (in maiestate: aur b l q; in claritate: c; in gloriam: e); in maiestate visi (ſſ 2 ); qui visi sunt gloria (f); visi sunt gloria (d); apparentes in maiestate (a r 1 ) M ¦ om *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ L = G = M 9,33: καλόν ἐστιν ἡμᾶς ὧδε εἶναι καὶ ποιήσωμεν σκηνὰς τρεῖς T: Tert. 4,22,4: bonum est nos hic esse et faciamus hic tria tabernacula ποιησωμεν/ faciamus: a aur b c d e f ſſ 2 l q r 1 M ¦ add ωδε/ hic: *Ev T D d (facio hic) l r 1 vg (1ms) sy c sa (1 ms) bo (3 mss) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = S , co ≠ L 2 = G = M 9,33: καλόν ἐστιν ἡμᾶς ὧδε εἶναι καὶ ποιήσωμεν σκηνὰς τρεῖς T: Tert. 4,22,4: bonum est nos hic esse et faciamus hic tria tabernacula σκηνας τρεις/ tabernacula tria: a b q M ¦ (2 1) τρεις σκηνας/ tria tabernacula: *Ev T D K L Ξ mult lectt aur c d e f ſſ 2 g 1 gat l r 1 vg (1ms) sy s.c.p.j armen georg ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 = S ≠ L 2 = G 2 = M 9,33: μίαν σοὶ καὶ μίαν Μωϋσεῖ καὶ μίαν ᾿Ηλίᾳ T: Tert. 4,22,4: unum tibi, et Moysi unum, et Heliae unum μιαν Μωυσει/ unum Moysi: a aur b c d e f l q r 1 M ¦ (2 1) Μωυσει μιαν/ Moysi unum: *Ev T A C E G M V Y Π Ω 047 0211 mult ſſ 2 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 9,33: μίαν σοὶ καὶ μίαν Μωϋσεῖ καὶ μίαν ᾿Ηλίᾳ T: Tert. 4,22,4: unum tibi, et Moysi unum, et Heliae unum μιαν Ηλια/ unum Heliae: a aur b c d e f l q r 1 M ¦ (2 1) Ηλια μιαν/ Heliae unum: *Ev T Ψ mult ſſ 2 sy s.c.p.j Tat arab ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = S = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 9,35: καὶ ϕωνὴ ἐγένετο ἐκ τῆς νεϕέλης λέγουσα, Οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἐκλελεγμένος T: Tert. 4,22,1: vox de caelo: Hic est filius meus dilectus T: Epiph., Schol. 18: ἐκ τῆς νεϕέλης ϕωνὴ· οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός εγενετο/ facta est: a aur b c e f ſſ 2 l q r 1 M ¦ ηλθεν/ venit: D d ¦ om *Ev T.E ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E ≠ G 1 ≠ L = G 2 = M 9,35: καὶ ϕωνὴ ἐγένετο ἐκ τῆς νεϕέλης λέγουσα, Οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἐκλελεγμένος T: Tert. 4,22,1: vox de caelo: Hic est filius meus dilectus T: Epiph., Schol. 18: ἐκ τῆς νεϕέλης ϕωνὴ· οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός λεγουσα/ dicens: a aur d e f ſſ 2 q r 1 M ¦ om *Ev T.E P 45 700 ℓ1074 ℓ1663 b c l sy s sa (1 ms) ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E = L 1 = ( S , copt) = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1397 9,35: Οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἐκλελεγμένος T: Tert. 4,22,1: Hic est filius meus dilectus T: Epiph., Schol. 18: οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός T: Ephraem, Adv. Marc. I; Hymn. 48,10: οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου καὶ ὁ ἀγαπητός μου μου: *Ev T.E it sy M ¦ add και: *Ev Ephr sy c ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev Ephr = S 1 ≠ *Ev T.E = G 2 = L = G = M 9,35: Οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἐκλελεγμένος T: Tert. 4,22,1: Hic est filius meus dilectus T: Epiph., Schol. 18: οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός T: Ephraem, Adv. Marc. I; Hymn. 48,10: οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου καὶ ὁ ἀγαπητός μου εκλελεγμενος/ electus: P 45.75 א B L Ξ (579) 892 1241 pc (a) aur ſſ 2 l vg sy s.hmg ; εκλεκτος: Θ pc ¦ αγαπητος/ dilectus: *Ev T.E.Ephr A C* W f 13 33 b d e f l q r 1 vg (dilectissimus: c: ) sy c ¦ αγαπητος εν ω ηυδοκησα: C 3 D Ψ bo ms (vgl. Mk 9,7; Mt 17,5) p) Mk 9,7: Οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός, ἀκούετε αὐτοῦ. p) Mt 17,5: Οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός, ἐν ᾧ εὐδόκησα· ἀκούετε αὐτοῦ. ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E = *Ev Ephr = S 1 = L 1 = G 1 ≠ S 2 = L 2 = G 2 = M 9,35: Οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἐκλελεγμένος T: Tert. 4,22,1: Hic est filius meus dilectus T: Epiph., Schol. 18: οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός T: Ephraem, Adv. Marc. I; Hymn. 48,10: οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου καὶ ὁ ἀγαπητός μου μου: om *Ev T.E it sy M ¦ μου: add *Ev Ephr ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev Ephr ≠ *Ev T.E = M 9,40: καὶ ἐδεήθην τῶν μαθητῶν σου ἵνα ἐκβάλωσιν αὐτό, καὶ οὐκ ἠδυνήθησαν T: Epiph., Schol. 19: ᾿Ουκ ἠδυνήθησαν ἐκβάλειν αὐτό ινα εκβαλωσιν αυτον και ουκ ηδυνηθησαν: it M ¦ και ουκ ηδυνηθησαν εκβαλειν αυτο *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ L = G = M 9,41a: ἀποκριθεὶς δὲ ὁ ᾿Ιησοῦς εἶπεν, Ὦ γενεὰ ἄπιστος T: Epiph., Schol. 19: Καὶ πρὸς αὐτούς· ὦ γενεὰ ἄπιστος αποκριθεις δε ο Ιησους ειπεν: respondens autem (c: itaque) Iesus dixit (a aur b c d f ſſ 2 l q [ r 1 : 3 2 1 4]) M ¦ respondit Iesus et dixit (e) ¦ και προς αυτους: *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ L = G = M 9,41a: ὦ γενεὰ ἄπιστος καὶ διεστραμμένη T: Tert. 4,23,1 o genitura incredula, quousque … T: Epiph., Schol. 19: ὦ γενεὰ ἄπιστος, ἕως πότε … και διεστραμμενη/ et perversa: aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ¦ om *Ev T.E a e p) Vgl. Mk 9,19: ὦ γενεὰ ἄπιστος, ἕως πότε … p) Vgl. Mt 17,17: ὦ γενεὰ ἄπιστος καὶ διεστραμμένη, ἕως πότε … ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E = L 1 ≠ L 2 = G = M 1398 Anhang III 9,41b: ἕως πότε ἔσομαι πρὸς ὑμᾶς καὶ ἀνέξομαι ὑμῶν; T: Tert. 4,23,1: quousque ero apud vos? quousque sustinebo vos? T: Epiph., Schol. 19: ἕως πότε ἀνέξομαι ὑμῶν; εσομαι προς υμας και: *Ev T it M ¦ om *Ev E ❶ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev E ≠ *Ev T = G = L = M 9,54: πῦρ καταβῆναι ἀπὸ τοῦ οὐρανοῦ καὶ ἀναλῶσαι αὐτούς; T: Tert. 4,23,8: Repraesentat creator ignium plagam Helia postulante in illo pseudopropheta αυτους: P 45.75 B L Ξ f 1.13 157 579 700 1241 1342 aur e g 1 gat l vg sy s.c sa bo mss ¦ add (αυτους) ως και Ηλιας εποιησεν: (*Ev T ) A C D W Θ Ψ f 1.13 33 mult a b c d q r 1 sy p.h bo mss ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 9,55: στραϕεὶς δὲ ἐπετίμησεν αὐτοῖς. T: Tert. 4,23,9: Nam et tunc ad Heliam, Non in igni, inquit, dominus sed in spiritu miti. αυτοις: P 45.75 א A B C E G H L V W X Δ Ξ Ω 028 047 0211 mult g 1 gat l M ¦ add (αυτοις) και ειπεν· ουκ οιδατε οιου (ποιου: D f 1 700 al.) πνευματος εστε (υμεις: K f 1 al.): (*Ev T ? ) D K Γ Θ f 1.13 579 700 2542 mult a aur b c d e f q r 1 vg mss sy (c.p.)h bo mss ❷ Einzelbezeugung: (*Ev T ? ) = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 9,60: ὁ δὲ εἶπεν· [κύριε,] ἐπίτρεψόν μοι … T: Tert. 4,23,10: Illi autem causato patris sepulturam cum respondet … T: Clem. Alex., Strom. 3,4,25,3: συγχρήσονται τῇ τοῦ κυρίου ϕωνῇ λέγοντος τῷ Φιλίππῷ·ἄϕες τοὺς νεκροὺς θάψαι … ο δε ειπεν: (*Ev T ) M ¦ ο δε Φιλιππος ειπεν: *Ev Clem ❶ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev Clem ≠ *Ev T = M 9,60: σὺ δὲ ἀπελθὼν διάγγελλε τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ T: Tert. 4,23,10: tu autem vade et annuntia regnum dei T: Clem. Alex., Strom. 3,4,25,3: σὺ δὲ ἀκολούθει μοι απελθων (απελθε και: Tert) διαγγελλε την βασιλειαν του θεου: *Ev T M ¦ ακολουθει μοι: *Ev Clem ❶ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev Clem ≠ *Ev T = M 10,1: μετὰ δὲ ταῦτα ἀνέδειξεν ὁ κύριος ἑτέρους ἑβδομήκοντα T: Tert. 4,24,1: adlegit et alios septuaginta apostolos super duodecim μετα δε ταυτα/ post haec: aur f q r 1 vg (postea: l) M ¦ om *Ev T D a b c d e ſſ 2 l ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 10,1: μετὰ δὲ ταῦτα ἀνέδειξεν ὁ κύριος ἑτέρους ἑβδομήκοντα T: Tert. 4,24,1: adlegit et alios septuaginta apostolos super duodecim ο κυριος/ dominus: aur l q vg M ¦ Iesus: 579 669 c 1247 2069 b f r 1 sy p.j Tat arab.pers ¦ om *Ev T D 1424 1675 a c d e sy s.c ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 ≠ L 3 = G 2 = M 10,1: μετὰ δὲ ταῦτα ἀνέδειξεν ὁ κύριος ἑτέρους ἑβδομήκοντα T: Tert. 4,24,1: adlegit et alios septuaginta apostolos super duodecim ετερους: P 75 B L Ξ 0181 579 892 1424 pc r 1 sy s.p ¦ και ετερους: *Ev T A C D W Θ Ψ f 1.13 33 mult a aur b c d f l q sy c.h ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1399 10,1: ἀνέδειξεν ὁ κύριος ἑτέρους ἑβδομήκοντα δύο, καὶ ἀπέστειλεν αὐτοὺς T: Tert. 4,24,1: adlegit et alios septuaginta apostolos super duodecim T: Adam. 1,5 (806d): πρώτους ἀπέστειλε ιβ’ καὶ μετὰ ταῦτα οβ’ εὐαγγελίσασθαι (εβδομηκοντα) δυο/ (septuaginta) duo: *Ev A P 75 B D K Y Π 0181 0211 mult a aur b (1) c d e l vg sy h ¦ om *Ev T א A C L W Θ Ξ Ψ f 1.13 0181 b (2) f q r 1 sy p.h sa bo ms Iren lat Clem Orig ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ *Ev A = L 2 = G 2 = M 10,1: ἀνέδειξεν ὁ κύριος ἑτέρους ἑβδομήκοντα (δύο), καὶ ἀπέστειλεν αὐτοὺς T: Tert. 4,24,1: adlegit et alios septuaginta apostolos super duodecim T: Adam. 1,5 (806d): πρώτους ἀπέστειλε ιβ’ καὶ μετὰ ταῦτα οβ’ εὐαγγελίσασθαι εβδομηκοντα (δυο)/ septuaginta (duo): it M ¦ add επι τους δωδεκα/ super duodecim Tert. (Adam.) ❶ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T ≈ *Ev A ≠ M 10,4: μὴ βαστάζετε βαλλάντιον, μὴ πήραν, μὴ ὑποδήματα, καὶ μηδένα κατὰ τὴν ὁδὸν ἀσπάσησθε T: Tert. 4,24,1f: Christus autem nec virgam discipulis in viam ferre praescripsit … etiam calciamenta portare vetuit illos … neminem per viam salutaveritis υποδηματα: it M ¦ add μηδε ραβδον/ nec virgam: *Ev T (Didymus; Epiphanius) ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ M 10,5: εἰς ἣν δ’ ἂν εἰσέλθητε οἰκίαν, πρῶτον λέγετε, Εἰρήνη τῷ οἴκῳ τούτῳ T: Tert. 4,24,4: in quam introissent domum, pacem ei dicere πρωτον/ primum: b l q M ; (2 1: πρωτον οικιαν): D* a c sy s.c ¦ om *Ev T D c 579 pc d e r 1 Orig lat ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 10,7: ἄξιος γὰρ ὁ ἐργάτης τοῦ μισθοῦ αὐτοῦ T: Tert. 4,24,4: dignus est autem operarius mercede sua γαρ/ enim: a aur b d e f i l q r 1 M ¦ om *Ev T 131 ℓ184 c sy c ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 = S ≠ L 2 = G 2 = M 10,9: καὶ λέγετε αὐτοῖς, ῎Ηγγικεν ἐϕ’ ὑμᾶς ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ T: (10,11: Tert. 4,24,7: scitote tamen appropinquasse regnum dei) εϕ υμας/ in vos: a b f i l q r 1 (super vos: c d; in vobis: aur) M ¦ om (*Ev T ) Γ 348 475 669 2399* e (adventus regni dei) bo 1 ms ❷ Einzelbezeugung: (*Ev T ) = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 10,11b: πλὴν τοῦτο γινώσκετε ὅτι ἤγγικεν ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ T: Tert. 4,24,7: scitote tamen appropinquasse regnum dei. ηγγικεν: *Ev T P 4.75 א B D L Ξ 0181 mult a aur b c d e g 1 gat i q r 1 vg sy s.c bo mss ¦ add εϕ υμας/ in vos: A C W Θ Ψ f 13 f l sy p.h sa bo mss ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 = S ≠ L 2 = G 2 = M 10,18: ἐθεώρουν τὸν Σατανᾶν ὡς ἀστραπὴν ἐκ τοῦ οὐρανοῦ πεσόντα T: Adam. 3,12 (839b): ἐθεώρουν τὸν Σατανᾶν ὡς ἀστραπὴν πεσόντα ἐκ τοῦ οὐρανοῦ εκ του ουρανου πεσοντα: a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ¦ (4 1 2 3) πεσοντα εκ του ουρανου *Ev A P 75 1242 e got Athan (Ar. 3,40; PG 26, 408) Epiph (Haer. 66; GCS 37, 107) ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 1400 Anhang III 10,19: ἰδοὺ δέδωκα ὑμῖν τὴν ἐξουσίαν τοῦ πατεῖν … T: Tert. 4,24,9: Quis nunc dabit potestatem calcandi super colubros et scorpios? διδωμι: P 45 A C 3 D Θ Ψ 0115 f 13 33 c d sy Iren lat M ¦ (*Ev T : dabit) ¦ δεδωκα: P 75 א B C* L W f 1 579 700 892 1241 1424 2542 pc lat sy hmg sa mss bo Orig Didym Cyr ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 10,21: εἶπεν, ᾿Εξομολογοῦμαί σοι, πάτερ, κύριε τοῦ οὐρανοῦ καὶ τῆς γῆς T: Tert. 4,25,1: gratias enim, inquit, ago, et confiteor, domine caeli T: Epiph., Schol. 22: Εὐχαριστῶ σοι, κύριε τοῦ οὐρανοῦ εξομολογουμαι: M (D it sy) ¦ ευχαριστω γαρ και εξομολογουμαι σοι *Ev T ¦ ευχαριστω *Ev E ❶ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev E ≠ *Ev T ≠ M 10,21: ᾿Εξομολογοῦμαί σοι, πάτερ, κύριε τοῦ οὐρανοῦ καὶ τῆς γῆς T: Tert. 4,25,1: confiteor, domine caeli, quod ea quae erant abscondita T: Epiph., Schol. 22: Εὐχαριστῶ σοι, κύριε τοῦ οὐρανοῦ. οὐκ εἶχεν δὲ Καὶ τῆς γῆς, οὔτε Πάτερ εἶχεν. πατερ κυριε/ pater domine: aur b d e l q r 1 vg M ¦ κυριε πατερ/ domine pater: c f ſſ 2 i ¦ κυριε/ domine (om πατερ/ pater): *Ev T.E a ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E = L 1 ≠ L 2 ≠ L 3 = G = M 10,21: ᾿Εξομολογοῦμαί σοι, πάτερ, κύριε τοῦ οὐρανοῦ καὶ τῆς γῆς T: Tert. 4,25,1: confiteor, domine caeli, quod ea quae erant abscondita T: Epiph., Schol. 22: Εὐχαριστῶ σοι, κύριε τοῦ οὐρανοῦ. οὐκ εἶχεν δὲ Καὶ τῆς γῆς, οὔτε Πάτερ εἶχεν. και της γης/ et terrae: it M ¦ om *Ev T.E P 45 a 27* ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 10,21 ὅτι ἀπέκρυψας ταῦτα ἀπὸ σοϕῶν καὶ συνετῶν καὶ ἀπεκάλυψας αὐτὰ νηπίοις T: Tert. 4,25,1: quod ea quae erant abscondita sapientibus et prudentibus, revelaveris parvulis απεκρυψας ταυτα απο σοϕων και συνετων και: it M ¦ απερ ην κρυπτα σοϕοις/ ea quae erant abscondita sapientibus: *Ev T PsClem (Hom 18,15,1; GCS 42, 248,9f; 18,15,3: ατινα ην κρυπτα σοϕοις ταυτα νηπιοις απεκαλυψεν ο πατηρ). ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 10,22a: πάντα μοι παρεδόθη ὑπὸ τοῦ πατρός μου T: Tert. 4,25,7: omnia sibi tradita … a patre μου/ meo: aur b e f ſſ 2 i q r 1 M ¦ om *Ev T D a c d g 1 gat l vg mss sy s Tat arab ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 = S ≠ L 2 = G 2 = M 10,22: οὐδεὶς γινώσκει τίς ἐστιν ὁ υἱὸς εἰ μὴ ὁ πατήρ T: Tert. 4,25,10 nemo scit qui sit pater, nisi filius, et qui sit filius, nisi pater T: Adam. 1,23 (817d): οὐδεὶς ἔγνω (Rufin: nouit) τὸν πατέρα εἰ μὴ ὁ υἱός, οὐδὲ τὸν υἱόν τις γινώσκει (Rufin: nouit) εἰ μὴ ὁ πατήρ. γινωσκει/ scit: *Ev T aur c d e f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ εγνω/ novit: *Ev A a b sy p Justin Iren u. a. m. ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev A = L 1 = S 1 ≠ *Ev T = L 2 = S 2 = G = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1401 10,22: οὐδεὶς γινώσκει τίς ἐστιν ὁ υἱὸς εἰ μὴ ὁ πατήρ, καὶ τίς ἐστιν ὁ πατὴρ εἰ μὴ ὁ υἱός T: Tert. 4,25,10 nemo scit qui sit pater, nisi filius, et qui sit filius, nisi pater T: Adam. 1,23 (817d): οὐδεὶς ἔγνω (Rufin: nouit) τὸν πατέρα εἰ μὴ ὁ υἱός, οὐδὲ τὸν υἱόν τις γινώσκει (Rufin: nouit) εἰ μὴ ὁ πατήρ. τις εστιν ο … και τις εστιν ο …: *Ev T aur c d e f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ εγνω τον … ουδε τον … τις γινωσκει: *Ev A (b) Justin Iren u. a. m. ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev A = L 1 ≠ *Ev T = L 2 = G = M 10,22: οὐδεὶς γινώσκει τίς ἐστιν ὁ υἱὸς εἰ μὴ ὁ πατήρ, καὶ τίς ἐστιν ὁ πατὴρ εἰ μὴ ὁ υἱός T: Tert. 4,25,10 nemo scit qui sit pater, nisi filius, et qui sit filius, nisi pater T: Adam. 1,23 (817d): οὐδεὶς ἔγνω (Rufin: nouit) τὸν πατέρα εἰ μὴ ὁ υἱός, οὐδὲ τὸν υἱόν τις γινώσκει (Rufin: nouit) εἰ μὴ ὁ πατήρ. ο υιος - ο πατηρ: a aur c d e f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ εγνω/ novit: *Ev T.A b Justin Iren u. a. m. ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev A = L 1 ≠ L 2 = G = M 10,22: οὐδεὶς γινώσκει τίς ἐστιν ὁ υἱὸς εἰ μὴ ὁ πατήρ T: Tert. 4,25,10 nemo scit qui sit pater, nisi filius, et qui sit filius, nisi pater T: Adam. 1,23 (817d): οὐδεὶς ἔγνω (Rufin: nouit) τὸν πατέρα εἰ μὴ ὁ υἱός, οὐδὲ τὸν υἱόν τις γινώσκει (Rufin: nouit) εἰ μὴ ὁ πατήρ. γινωσκει: γινωσκει/ (cog)noscit (scit): *Ev T aur c d e f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ εγνω/ novit: *Ev A a b sy p Justin Iren u. a. m. ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev A = L 1 = S 1 ≠ *Ev T = L 2 = S 2 = G = M 10,22: οὐδεὶς γινώσκει τίς ἐστιν ὁ υἱὸς εἰ μὴ ὁ πατήρ T: Tert. 4,25,10 nemo scit qui sit pater, nisi filius, et qui sit filius, nisi pater ο υιος ει μη ο πατηρ/ filius nisi pater: a aur c d e f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ (5 6 3 4 1 2) ο πατηρ ει μη ο υιος: *Ev T N U 477 903 1424 b (nemo scit patrem nisi filius) sy p ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 10,22: οὐδεὶς γινώσκει τίς ἐστιν ὁ υἱὸς εἰ μὴ ὁ πατήρ, καὶ τίς ἐστιν ὁ πατὴρ εἰ μὴ ὁ υἱὸς T: Tert. 4,25,10 nemo scit qui sit pater, nisi filius, et qui sit filius, nisi pater ο πατηρ ει μη ο υιος/ pater nisi filius: a aur c d e f ſſ 2 i r 1 M ¦ (5 6 3 4 1 2) ο υιος ει μη ο πατηρ: *Ev T N U 477 903 1424 b ([nemo scit] filium nisi pater) sy p ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 10,22: καὶ ᾧ ἐὰν βούληται ὁ υἱὸς ἀποκαλύψαι T: Tert. 4,25,10 et cuicunque filius revelaverit βουληται … αποκαλυψαι/ voluerit (vult: e) revelare: aur b c d e f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ αποκαλυψη/ revelaverit: *Ev T (revelavit: a) Athan (Ar. 1,12; 4,24) Iren (Haer. 1,20,3; 4,6,3.7 usw.) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 10,24: λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι πολλοὶ προϕῆται καὶ βασιλεῖς ἠθέλησαν ἰδεῖν T: Tert. 4,25,12: dico enim vobis, quia prophetae non viderunt quae vos videtis πολλοι: it M ¦ om *Ev T 1241 ❹ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 ≠ G 2 ≠ L = M 1402 Anhang III 10,24: λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι πολλοὶ προϕῆται καὶ βασιλεῖς ἠθέλησαν ἰδεῖν T: Tert. 4,25,12: dico enim vobis, quia prophetae non viderunt quae vos videtis και βασιλεις: aur c f vg M ¦ και δικαιους: 1424 b q r 1 (vgl. Mt 13,17) ¦ om *Ev T D a d ſſ 2 i l p) Mt 13,17: ἀμὴν γὰρ λέγω ὑμῖν ὅτι πολλοὶ προϕῆται καὶ δίκαιοι ἐπεθύμησαν ἰδεῖν ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 ≠ L 3 = G 3 = M 10,25: Καὶ ἰδοὺ νομικός τις ἀνέστη ἐκπειράζων αὐτὸν λέγων Tert. 4,19,7: Ecce legis doctor adsurrexit temptans eum και: it M ¦ om *Ev T D b d e ſſ 2 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 10,25: Καὶ ἰδοὺ νομικός τις ἀνέστη ἐκπειράζων αὐτὸν λέγων T: Tert. 4,19,7: Ecce legis doctor adsurrexit temptans eum νομικος/ legis peritus (peritor): aur b f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ γραμματευς: sy j Tat pers ¦ νομοδιδασκαλος/ legis doctor: *Ev T a c d e sy s.c ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = S 1 ≠ L 2 = S 2 = G = M 10,25: Διδάσκαλε, τί ποιήσας ζωὴν αἰώνιον κληρονομήσω; T: Tert. 4,25,15: In evangelio veritatis legis doctor dominum aggressus, Quid faciens, inquit, vitam aeternam consequar? In haeretico vita solummodo posita est, sine aeternae mentione διδασκαλε: it M ¦ om *Ev T D d Tat arab ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 = L 1 = S 1 ≠ L 2 = G 2 = S 2 = M 10,25: Διδάσκαλε, τί ποιήσας ζωὴν αἰώνιον κληρονομήσω; T: Tert. 4,25,15: In evangelio veritatis legis doctor dominum aggressus, Quid faciens, inquit, vitam aeternam consequar? In haeretico vita solummodo posita est, sine aeternae mentione αιωνιον: it M ¦ om *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 10,26: ὁ δὲ εἶπεν πρὸς αὐτόν, ᾿Εν τῷ νόμῳ τί γέγραπται; T: Epiph., Schol. 23: εἶπεν τῷ νομικῷ Ἐν τῷ νόμῳ τί γέγραπται; προς αυτον: a aur b c d f ſſ 2 l i q r 1 M ¦ om *Ev E 16 e Tat pers . ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L 1 = G 1 = S ≠ L 2 = G 2 = M 10,26: ᾿Εν τῷ νόμῳ τί γέγραπται; πῶς ἀναγινώσκεις; T: Epiph., Schol. 23: Ἐν τῷ νόμῳ τί γέγραπται; καὶ ἀποκριθείς … πως αναγινωσκεις: it M ¦ om *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ L = G = M 10,27: ᾿Αγαπήσεις κύριον τὸν θεόν σου ἐξ ὅλης τῆς καρδίας σου καὶ ἐν ὅλῃ τῇ ψυχῇ σου καὶ ἐν ὅλῃ τῇ ἰσχύϊ σου καὶ ἐν ὅλῃ τῇ διανοίᾳ σου. T: Tert. 4,25,15: Diliges dominum deum tuum ex toto corde tuo et ex tota anima tua et totis viribus tuis και εν ολη τη διανοια σου: aur f vg M ¦ om *Ev T D Γ ℓ524 a b c d ſſ 2 i l r 1 Macar. Aeg. ❶ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1403 10,27: ᾿Αγαπήσεις κύριον τὸν θεόν σου ἐξ ὅλης τῆς καρδίας σου καὶ ἐν ὅλῃ τῇ ψυχῇ σου καὶ ἐν ὅλῃ τῇ ἰσχύϊ σου καὶ ἐν ὅλῃ τῇ διανοίᾳ σου, καὶ τὸν πλησίον σου ὡς σεαυτόν. T: Tert. 4,25,14: Diliges dominum deum tuum ex toto corde tuo et ex tota anima tua et totis viribus tuis και τον πλησιον σου ως σεαυτον: it M ¦ om *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 10,28: εἶπεν δὲ αὐτῷ, ᾿Ορθῶς ἀπεκρίθης· τοῦτο ποίει καὶ ζήσῃ T: Epiph., Schol. 23: καὶ ἀποκριθεὶς μετὰ τὴν ἀπόκρισιν τοῦ νομικοῦ εἶπεν Ὀρθῶς εἶπες. τοῦτο ποίει καὶ ζήσῃ απεκριθης: it M ¦ ειπες: *Ev E aeth (Bodl. 41) (ειπας) ❸ Einzelbezeugung: *Ev E = aeth ≠ L = G = M 10,28: εἶπεν δὲ αὐτῷ, ᾿Ορθῶς ἀπεκρίθης· τοῦτο ποίει καὶ ζήσῃ T: Tert. 4,25,15 (s. Rekonstruktion) T: Epiph., Schol. 23: καὶ ἀποκριθεὶς μετὰ τὴν ἀπόκρισιν τοῦ νομικοῦ εἶπεν Ὀρθῶς εἶπες. τοῦτο ποίει καὶ ζήσῃ τουτο ποιει και ζηση: *Ev E a aur b c d e f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ om *Ev T 1194 ℓ1074 g 1 ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ *Ev E = L 2 = G 2 = M 11,2b: Πάτερ, ἁγιασθήτω τὸ ὄνομά σου· T: Tert. 4,26,3f: Cui dicam, Pater? […] (4) A quo spiritum sanctum postulem? αγιασθητω το ονομα σου: it M ¦ om *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 11,2c: ἐλθέτω ἡ βασιλεία σου T: Tert. 4,26,4: A quo spiritum sanctum postulem? T: Greg. Nyss., De or. dom. 3,5: ἐλθέτω τὸ πνεῦμά σου τὸ ἅγιον ἐϕ´ ἡμᾶς καὶ καθαρισάτω ἡμᾶς T: Max. Conf., Exp. or. dom. 350: ἐλθέτω σου τὸ πνεῦμά τὸ ἅγιον καὶ καθαρισάτω ἡμᾶς η βασιλεια σου: it M ¦ add εϕ ημας (ελθετω σου η βασιλεια)/ super nos (veniat regnum tuum): D d ¦ το πνευμα σου το αγιον (εϕ ημας) (και καθαρισατω ημας): (*Ev T ) (62) 162 (179) 700 (georg) GregNyss MaxConf ❶ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 = (Patr) ≠ G 2 = L = M 11,2d: γενηθήτω τὸ θέλημά σου, ὡς ἐν οὐρανῷ καὶ ἐπὶ γῆς T: Tert. 4,26,4: A quo spiritum sanctum postulem? … Eius regnum optabo venire … Quis dabit mihi panem cotidianum? … Quis mihi delicta dimittet? γενηθητω το θελημα σου ως εν ουρανω και επι (της) γης: א ( * ) A C D W Θ Ψ 070 f 13 33 vid aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 vg sy p.h bo M ¦ γενηθητω το θελημα σου: a vg mss sa bo mss (vgl. Mt 6,10) ¦ om *Ev T P 75 B L 1 pc vg sy s.c Orig p) Mt 6,10: γενηθήτω τὸ θέλημά σου, ὡς ἐν οὐρανῷ καὶ ἐπὶ γῆς ❸ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 S ≠ G 2 = L = M 1404 Anhang III 11,3: τὸν ἄρτον ἡμῶν τὸν ἐπιούσιον δίδου ἡμῖν τὸ καθ’ ἡμέραν T: Tert. 4,26,4: Quis dabit mihi panem cotidianum? T: Orig., Hom. in Lc, fr. 75 (FC 4/ 2 = fr. 180; GCS 49, 302): τὸν ἄρτον σου τὸν ἐπιούσιον δίδου ἡμῖν τὸ καθ’ ἡμέραν ημων: it M ¦ om 4 pc sy s.c ¦ σου: *Ev O p) Mt 6,11: τὸν ἄρτον ἡμῶν τὸν ἐπιούσιον δὸς ἡμῖν σήμερον ❶ Einzelbezeugung: *Ev O ≠ G = L = M 11,3: τὸν ἄρτον ἡμῶν τὸν ἐπιούσιον δίδου ἡμῖν τὸ καθ’ ἡμέραν T: Tert. 4,26,4: Quis dabit mihi panem cotidianum? T: Orig., Hom in Lc fr. 75 (FC 4/ 2 = fr. 180; GCS 49, 302): τὸν ἄρτον σου τὸν ἐπιούσιον δίδου ἡμῖν τὸ καθ’ ἡμέραν διδου: *Ev O it M ¦ δος: א D 2 27 28 71 115 472 1009 1010* 1071 1195* 1242* 1355 1458 1654 1675 2542 2613 2757* Orig (Sel. Ps 71; PG 12, 1525) p) Mt 6,11: τὸν ἄρτον ἡμῶν τὸν ἐπιούσιον δὸς ἡμῖν σήμερον ❸ Einzelbezeugung: *Ev O = G 1 = M ≠ G 2 11,3: τὸν ἄρτον ἡμῶν τὸν ἐπιούσιον δίδου ἡμῖν τὸ καθ’ ἡμέραν T: Tert. 4,26,4: Quis dabit mihi panem cotidianum? T: Orig., Hom in Lc fr. 75 (FC 4/ 2 = fr. 180; GCS 49, 302): τὸν ἄρτον σου τὸν ἐπιούσιον δίδου ἡμῖν τὸ καθ’ ἡμέραν το καθ ημεραν: *Ev O (*Ev T ? ) q vg M ¦ σημερον: D 2542 a aur b c d e f ſſ 2 g 1 i l r 1 vg cl sy h bo mss aeth Ambr (Sacr. V 4,18; CSEL 73, 66) August (Ep. 130,21f; CSEL 44, 63.65) Hilar (fr. 3; CSEL 65, 231) p) Mt 6,11: τὸν ἄρτον ἡμῶν τὸν ἐπιούσιον δὸς ἡμῖν σήμερον ❸ Einzelbezeugung: *Ev T (= *Ev O ) = G 1 = L 1 = M ≠ G 2 = L 2 = S 11,4: καὶ ἄϕες ἡμῖν τὰς ἁμαρτίας ἡμῶν T: Tert. 4,26,4: Quis mihi delicta dimittet? τας αμαρτιας: *Ev T (! ) a aur f g 1 gat i l q r 1 M ¦ τα αμαρτηματα: f 1 ¦ τα οϕειληματα/ debita: D 2542 b c d ſſ 2 vg mss (e: debita et peccata) p) Mt 6,12: καὶ ἄϕες ἡμῖν τὰ ὀϕειλήματα ἡμῶν ❸ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 = L 1 = M ≠ G 2 = L 2 11,4: ἀλλὰ ῥῦσαι ἡμᾶς ἀπὸ τοῦ πονηροῦ T: Tert. 4,26,4: Quis non sinet nos deduci in temptationem? αλλα ρυσαι ημας απο του πονηρου: add it M ¦ om *Ev T א *.1 P 75 B L 1 22 131 372 700 1192* 1210 1342 1582 g 1 gat vg sy s sa bo mss armen georg Orig (Orat. 18,2) p) Mt 6,13: ἀλλὰ ῥῦσαι ἡμᾶς ἀπὸ τοῦ πονηροῦ ❸ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 = L 1 ≠ G 2 = L 2 = M 11,8: λέγω ὑμῖν, εἰ καὶ οὐ δώσει αὐτῷ ἀναστὰς διὰ τὸ εἶναι ϕίλον αὐτοῦ T: Tert. 4,26,9: is et exsurgit et dat, etsi iam non quasi amico, non tamen quasi extraneo homini, sed quasi molesto, inquit ει και: a aur b c f ſſ 2 i l q r 1 M om ¦ om (*Ev T ) D d (q) ❶ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 = L 1 ≠ G 2 = L 2 = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1405 11,9: κἀγὼ ὑμῖν λέγω, αἰτεῖτε, καὶ δοθήσεται ὑμῖν T: Epiph., Schol. 24: καὶ λοιπόν Ἀιτεῖτε, καὶ δοθήσεται. υμιν: it M ¦ om *Ev E Δ* sy c ❸ Einzelbezeugung: *Ev E = S ≠ G = L = M 11,11: τίνα δὲ ἐξ ὑμῶν τὸν πατέρα αἰτήσει ὁ υἱὸς ἰχθύν, καὶ ἀντὶ ἰχθύος ὄϕιν αὐτῷ ἐπιδώσει T: Epiph., Schol. 24: τίνα γὰρ ἐξ ὑμῶν τὸν πατέρα υἱὸς αἰτήσει ἰχθύν, καὶ ἀντὶ ἰχθύος ὄϕιν ἐπιδώσει αὐτῷ … T: Adam. 2,20 (870f): ἐάν τινα, ϕησίν, ἐξ ὑμῶν αἰτήσῃ ὁ υἱὸς αὐτοῦ ἄρτον, μὴ λίθον ἐπιδώσει αὐτῷ; ἢ ἐὰν αἰτήσῃ ἰχθύν, μὴ ὄϕιν ἐπιδώσει αὐτῷ; ἢ καὶ αἰτήσει ὠόν, μὴ ἐπιδώσει αὐτῷ σκορπίον; υιος: *Ev E P 45.75 B 1241 pc ſſ 2 i l sy s sa M ¦ add (υιος) αρτον μη λιθον επιδωσει αυτω: *Ev A א A C D L W Θ Ψ f 1.13 33 a a 2 aur b c d f q r 1 sy c.p.h bo ❸ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev A = L 1 = G 1 = S 1 ≠ *Ev E = L 2 = G 2 = S 2 = M 11,13b: εἰ οὖν ὑμεῖς πονηροὶ ὑπάρχοντες οἴδατε δόματα ἀγαθὰ διδόναι τοῖς τέκνοις ὑμῶν, πόσῳ μᾶλλον ὁ πατήρ T: Epiph., Schol. 24: εἰ οὖν ὑμεῖς πονηροὶ οἴδατε δόματα ἀγαθά, πόσῳ μᾶλλον ὁ πατήρ T: Adam. 2,20 (870f): εἰ οὖν ὑμεῖς πονηροὶ ὄντες οἴδατε δόματα ἀγαθὰ διδόναι τοῖς τέκνοις ὑμῶν καὶ τὰ ἑξῆς υπαρχοντες: M ¦ οντες: *Ev (E)A א D K M X Π mult it (vgl. Mt 7,11) p) Mt 7,11: εἰ οὖν ὑμεῖς πονηροὶ ὄντες οἴδατε δόματα … ❶ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev A = L = G 1 ≠ *Ev E = G 2 = M 11,13b: πόσῳ μᾶλλον ὁ πατὴρ ὁ ἐξ οὐρανοῦ T: Epiph., Schol. 24: πόσῳ μᾶλλον ὁ πατήρ T: Epiph. Elench. 24: πόσῳ μᾶλλον ὁ πατὴρ ὑμῶν ὁ ἐπουράνιος. ο εξ ουρανου: A B D W Θ f 1 sy h M ; εξ ουρανου: P 75 א L Ψ 33 892 2542 pc sa bo pt ¦ υμων ο εξ ουρανου: C (f 13 ) pc ¦ υμων ο ουρανιος/ vester caelestis: *Ev E P 45 579 1424 pc l vg s ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 11,13b: δώσει πνεῦμα ἅγιον τοῖς αἰτοῦσιν αὐτόν. T: Tert. 4,26,10: Itaque et spiritum sanctum is dabit apud quem est et non sanctus πνευμα αγιον: *Ev T M ¦ πνευμα αγαθον: P 45 L pc aur vg sy hmg ¦ αγαθον δομα: D it; δοματα αγαθα: Θ a 2 sy s ❷ Einzelbezeugung: L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 ≠ *Ev T = G 3 = M 11,20: εἰ δὲ ἐν δακτύλῳ θεοῦ ἐκβάλλω τὰ δαιμόνια T: Tert. 4,26,11: Quodsi ego in digito dei expello daemonia θεου: P 45 A W Θ Ψ f 1 a 2 aur b f ſſ 2 i l q r 1 vg M ¦ εγω add *Ev T P 75 א 1 B C D L f 13 33 579 892 al c d sy h* co ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 11,20: ἄρα ἔϕθασεν ἐϕ’ ὑμᾶς ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ. T: Tert. 4,26,11: ergone appropinquavit in vos regnum dei? εϕθασεν/ praevenit (provenit, pervenit): D a 2 aur b c f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ ηγγικεν/ adpropinquavit: *Ev T d ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 1406 Anhang III 11,22: ἐπὰν δὲ ἰσχυρότερος αὐτοῦ ἐπελθὼν νικήσῃ αὐτόν. T: Tert. 4,26,12: Merito igitur applicuit ad parabolam fortis illius armati … T: Tert. 5,6,7: etiam parabola fortis illius armati … αυτου: *Ev T (! ) aur b c f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ αυτου εστιν: א * ¦ om P 45.75 D 1241 d ❷ Einzelbezeugung: L 1 = G 1 ≠ *Ev T = L 2 = G 2 = M 11,28: μενοῦν μακάριοι οἱ ἀκούοντες τὸν λόγον τοῦ θεοῦ καὶ ϕυλάσσοντες T: Tert. 4,26,13: immo beati qui sermonem dei audiunt et faciunt ϕυλασσοντες/ custodiunt: a a 2 aur b c d f ſſ 2 i r 1 M ¦ ποιουντες/ faciunt: *Ev T 131 2643 q sy p(1 ms).h armen mss aeth (Bodl. 40) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 = S 1 ≠ L 2 = M 11,32: ἄνδρες Νινευῖται ἀναστήσονται ἐν τῇ κρίσει μετὰ τῆς γενεᾶς ταύτης καὶ κατακρινοῦσιν αὐτήν· ὅτι μετενόησαν εἰς τὸ κήρυγμα ᾿Ιωνᾶ, καὶ ἰδοὺ πλεῖον ᾿Ιωνᾶ ὧδε T: Epiph., Schol. 25: οὐκ εἶχεν δὲ περὶ Nινευὴ καὶ βασιλίσσης νότου καὶ Σαλομῶνος ανδρες … ωδε: om vs. *Ev E D d ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 11,33: οὐδεὶς λύχνον ἅψας εἰς κρύπτην τίθησιν οὐδὲ ὑπὸ τὸν μόδιον T: Tert. 4,27,1: negat lucernam abstrudendam, sed confirmat super candelabrum proponendam, ut omnibus luceat ουδε υπο τον μοδιον: א A B C D W Θ Ψ f 13 it vg sy (c.p.)h Clem ¦ om *Ev T P 45.75 L Γ Ξ 070 0124 f 1 22 69 205 669 700* 788 1012 1241 2542 sy s.c sa M ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 ≠ L = G 2 = M 11,33: ἀλλ’ ἐπὶ τὴν λυχνίαν, ἵνα οἱ εἰσπορευόμενοι τὸ ϕῶς βλέπωσιν T: Tert. 4,27,1: negat lucernam abstrudendam, sed confirmat super candelabrum proponendam, ut omnibus luceat ινα οι εισπορευομενοι το ϕως βλεπωσιν: it M ¦ ινα πασι λαμπη/ ut omnibus luceat: *Ev T 579 (και λαμπει πασιν τοις εν τη οικια) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T  G 1 ≠ L = G 2 = M 11,37: ᾿Εν δὲ τῷ λαλῆσαι ἐρωτᾷ αὐτὸν Φαρισαῖος ὅπως ἀριστήσῃ παρ’ αὐτῷ T: Tert. 4,27,2: Ideo et tunc pharisaeus, qui illum vocarat ad prandium εν δε τω λαλησαι ερωτα αυτον Φαρισαιος οπως αριστηση παρ αυτω: it M ¦ εδεηθη δε αυτου τις Φαρισαιος ινα αριστηση μετ αυτου: (*Ev T ) D d sy s.c ❷ Einzelbezeugung: *Ev T  G 1 = L 1 = S 1 ≠ L 2 = G 2 = S 2 = M 11,38a: ὁ δὲ Φαρισαῖος ἰδὼν ἐθαύμασεν ὅτι οὐ πρῶτον ἐβαπτίσθη πρὸ τοῦ ἀρίστου T: Tert. 4,27,2: pharisaeus … qui illum vocarat ad prandium, retractabat penes se ιδων εθαυμασεν/ videns admiratus est: f M ¦ ηρξατο διακρινομενος εν εαυτω λεγειν: *Ev T D 343 716 1229 a (recogitans intra se dicere) d (coepit cogitare in semetipso dicens); ηρξατο εν εαυτω διακρινομενος λεγειν: e (coepit apud se reputans); c (coepit secum dicere disputans); aur b f ſſ 2 i l q r 1 (coepit intra se reputans [putans: i] dicere) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1407 11,38b: ὅτι οὐ πρῶτον ἐβαπτίσθη πρὸ τοῦ ἀρίστου T: Tert. 4,27,2: … retractabat penes se cur non prius tinctus esset quam recubuisset οτι/ quod: a f M ¦ δια τι/ quare (cur): *Ev T aur b c d e ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 11,39: εἶπεν δὲ ὁ κύριος πρὸς αὐτόν T: Tert. 4,27,2: Iesus autem etiam interpretatus est ei legem, dicens κυριος/ dominus: a aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ κυριος ιησους: aeth (Bodl. 41) ¦ ιησους/ Iesus: *Ev T U 16 472 1071 ℓ10 ℓ1642 e vg ms sy s.c Tat arab bo ms aeth mss ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 = S ≠ G 2 = L 2 = M 11,41a: πλὴν τὰ ἐνόντα δότε ἐλεημοσύνην T: Tert. 4,27,3: date quae habetis eleemosynam τα ενοντα: M ¦ τα υπαρχοντα/ quae habetis: *Ev T f (superest: r 1 ); οντα: b d q; οντα υμιν: Tat arab ¦ om e ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = M 11,41b: καὶ ἰδοὺ πάντα καθαρὰ ὑμῖν ἐστιν T: Tert. 4,27,3: et omnia munda erunt vobis ιδου/ ecce: it M ¦ om *Ev T Tat arab bo (2 mss) aeth Chrys ❸ Einzelbezeugung: *Ev T = ( S , bo, aeth) ≠ L = G = M 11,41b: καὶ ἰδοὺ πάντα καθαρὰ ὑμῖν ἐστιν T: Tert. 4,27,3: et omnia munda erunt vobis εστιν/ (omnia munda) sunt: aur b c f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ εσται/ erunt: *Ev T P 45 D Γ f 1.13 pc a d Chrys ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 11,42: ἀλλὰ οὐαὶ ὑμῖν τοῖς Φαρισαίοις, ὅτι ἀποδεκατοῦτε T: Tert. 4,27,1: Vae ingerit pharisaeis et doctoribus legis τοις Φαρισαιοις: it M ¦ add και τοις γραμματεις/ et doctoribus legis: *Ev T (vgl. Mt 23,23) p) Mt 23,23: Οὐαὶ ὑμῖν, γραμματεῖς καὶ Φαρισαῖοι ὑποκριταί, ὅτι ἀποδεκατοῦτε … ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ M 11,42: ἀλλὰ οὐαὶ ὑμῖν τοῖς Φαρισαίοις, ὅτι ἀποδεκατοῦτε T: Tert. 4,27,4: Sic et holuscula decimantes οτι/ quia (quoniam): a aur d e f M ¦ om *Ev T vid P 45 (qui decimatis: b c ſſ 2 i l q r 1 ) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 11,42: ἀποδεκατοῦτε τὸ ἡδύοσμον καὶ τὸ πήγανον καὶ πᾶν λάχανον T: Tert. 4,27,4: Sic et holuscula decimantes και το πηγανον/ et rutam: a aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ και το ανηθον/ et anetum: P 45 157 pc e vg ms Tat pers ¦ και το πηγανον και το ανηθον: f 13 ¦ λαχανα/ holuscula: *Ev T Tat Pers p) Mt 23,23: ἀποδεκατοῦτε τὸ ἡδύοσμον καὶ τὸ ἄνηθον καὶ τὸ κύμινον ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = S ≠ L = G = M 1408 Anhang III 11,42b: καὶ παρέρχεσθε τὴν κρίσιν καὶ τὴν ἀγάπην τοῦ θεοῦ T: Tert. 4,27,1: vocationem autem et dilectionem dei praetereuntes obiurgat T: Epiph. Schol 26: αντὶ τοῦ Παρέρχεσθε τὴν κρίσιν τοῦ θεοῦ εἶχεν Παρέρχεσθε τὴν κλῆσιν τοῦ θεοῦ κρισιν/ iudicium: it M ¦ vocationem/ κλησιν: *Ev T.E ❶ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E ≠ M 11,46b: καὶ αὐτοὶ ἑνὶ τῶν δακτύλων ὑμῶν οὐ προσψαύετε τοῖς ϕορτίοις T: Tert. 4,27,6: quae ipsi ne digito quidem aggredi auderent υμων/ vestro: a aur b d f i l q r 1 M ¦ om *Ev T P 75 903 2643 c e vg mss ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 11,47: οἰκοδομεῖτε τὰ μνημεῖα τῶν προϕητῶν T: Epiph. Schol 27: οἰκοδομεῖτε τὰ μνήματα τῶν προϕητῶν καὶ οἱ πατέρες ὑμῶν ἀπέκτειναν αὐτούς μνημεια: it M ¦ μνηματα *Ev E ℓ1056 Chrys ❹ Einzelbezeugung: *Ev E = G 1 ≠ G 2 = M 11,47: οἱ δὲ πατέρες ὑμῶν ἀπέκτειναν αὐτούς T: Epiph. Schol 27: οἰκοδομεῖτε τὰ μνήματα τῶν προϕητῶν καὶ οἱ πατέρες ὑμῶν ἀπέκτειναν αὐτούς οι δε/ autem (nam: a): it M ¦ και οι: *Ev E א * C ❹ Einzelbezeugung: *Ev E = G 1 ≠ G 2 = L = M 11,48: ἄρα μάρτυρές ἐστε καὶ συνευδοκεῖτε τοῖς ἔργοις τῶν πατέρων ὑμῶν T: Tert. 4,27,8: qui ex isto opere pietatis testabantur se non consentire factis patrum και συνευδοκειτε/ consentire: c i l (consentientes: f; quod consentitis; aur vg; quia consentitis: r 1 M ¦ μη συνευδοκειν/ non consentire: *Ev T D d (non consentientes: a b q; consentitis non placere vobis facta: e) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 11,52: αὐτοὶ οὐκ εἰσήλθατε καὶ τοὺς εἰσερχομένους ἐκωλύσατε T: Tert. 4,27,9: ad cuius intellectum neque ipsi adibant εισηλθατε/ introistis: aur d f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ εισερχεσθε/ introitis: *Ev T [a] b c e ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = M 12,1: Προσέχετε ἑαυτοῖς ἀπὸ τῆς ζύμης T: Tert. 4,28,1: cavete a fermento pharisaeorum, quod est hypocrisis εαυτοις/ vobis: b c d e f r 1 M ¦ om *Ev T Θ 1203 2487 a aur g 1 gat i l q ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 12,1: ἀπὸ τῆς ζύμης, ἥτις ἐστὶν ὑπόκρισις, τῶν Φαρισαίων T: Tert. 4,28,1: cavete a fermento pharisaeorum, quod est hypocrisis ητις εστιν υποκρισις των Φαρισαιων: P 75 B L 1241 e sa ¦ των Φαρισαιων ητις εστιν υποκρισις (4 5 1-3): *Ev T P 45 א A C D W Θ Ψ f 1.13 33 a aur b c d f i l q r 1 vg sy bo Epiph ( M ) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1409 12,2: οὐδὲν δὲ συγκεκαλυμμένον ἐστὶν ὃ οὐκ ἀποκαλυϕθήσεται T: Tert. 4,28,2: nihil autem opertum, quod non patefiet, et nihil absconditum, quod non dinoscetur εστιν/ est: it M ¦ om *Ev T 1200 1675 ℓ1663 vg (2 mss) ❹ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 12,2b: οὐδὲν δὲ συγκεκαλυμμένον ἐστὶν ὃ οὐκ ἀποκαλυϕθήσεται T: Tert. 4,28,2: nihil autem opertum, quod non patefiet ουκ αποκαλυϕθησεται: a aur b c e f i l q r 1 M ¦ ου ϕανερωθησεται/ non patefiet: *Ev T D d ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 12,2b: … ὃ οὐκ ἀποκαλυϕθήσεται, καὶ κρυπτὸν ὃ οὐ γνωσθήσεται T: Tert. 4,28,2: nihil autem opertum, quod non patefiet, et nihil absconditum, quod non dinoscetur και/ et: a c d e M ¦ ουδε/ neque: *Ev T aur b f g 1 gat i l q r 1 vg sy s.c.p.j Tat arab bo 1 ms ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = ( S , copt) ≠ L 2 = G = M 12,4: λέγω δὲ ὑμῖν τοῖς ϕίλοις μου T: Tert. 4,28,3: dico autem vobis amicis T: Epiph., Schol. 29: Λέγω τοῖς ϕίλοις μου υμιν: *Ev T it M ¦ om *Ev E ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev E ≠ *Ev T = M 12,4: λέγω δὲ ὑμῖν τοῖς ϕίλοις μου T: Tert. 4,28,3: dico autem vobis amicis T: Epiph., Schol. 29: Λέγω τοῖς ϕίλοις μου μου: (amicis) meis: aur b c d e f i l q r 1 ¦ om X 131 213 1242* a (quasi amicis) ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T = L 1 ≠ *Ev E = L 2 = M 12,4: μὴ ϕοβηθῆτε ἀπὸ τῶν ἀποκτεινόντων τὸ σῶμα T: Epiph., Schol. 29: Λέγω τοῖς ϕίλοις μου· μὴ ϕοβηθῆτε ἀπὸ τῶν ἀποκτενόντων τὸ σῶμα αποκτεινοντων/ qui occidunt: it M ¦ αποκτενοντων: *Ev E D G H M W X Θ Λ Π Ω 028 047 0211 mult ❸ Einzelbezeugung: *Ev E = G 1 ≠ G 2 = L = M 12,5: ϕοβήθητε τὸν μετὰ τὸ ἀποκτεῖναι ἔχοντα ἐξουσίαν ἐμβαλεῖν εἰς τὴν γέενναν T: Tert. 4,28,3: timete eumqui postquam occiderit, potestatem habet mittendi in gehennam T: Epiph., Schol. 29: ϕοβήθητε δὲ τὸν μετὰ τὸ ἀποκτεῖναι ἔχοντα ἐξουσίαν βαλεῖν εἰς γέενναν εμβαλειν: M ; βαλειν/ mittere: P 45 D W aur b c d e f i l q r 1 ¦ βαλλοντος/ mittendi: *Ev T a ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T = L 1 ≠ *Ev E = L 2 = G 1 ≠ G 2 = M 12,5: ἔχοντα ἐξουσίαν ἐμβαλεῖν εἰς τὴν γέενναν T: Epiph., Schol. 29: ἔχοντα ἐξουσίαν βαλεῖν εἰς γέενναν την: M ¦ om *Ev E R Ψ 157 700 903 ❹ Einzelbezeugung: *Ev E = G 1 ≠ G 2 = M 1410 Anhang III 12,8a: Λέγω δὲ ὑμῖν, πᾶς ὃς ἂν ὁμολογήσῃ ἐν ἐμοὶ ἔμπροσθεν τῶν ἀνθρώπων T: Tert. 4,28,4: dico enim vobis, omnis qui confitebitur in me coram hominibus εμπροσθεν/ in conspectus: d M ¦ ενωπιον/ coram: *Ev T a aur b c f ſſ 2 i l q r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 12,8: Λέγω δὲ ὑμῖν, πᾶς ὃς ἂν ὁμολογήσῃ ἐν ἐμοὶ ἔμπροσθεν τῶν ἀνθρώπων, καὶ ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ὁμολογήσει ἐν αὐτῷ ἔμπροσθεν τῶν ἀγγέλων τοῦ θεοῦ T: Tert. 4,28,4: dico enim vobis, omnis qui confitebitur in me coram hominibus, confitebor in illo coram deo και … ομολογησει: it M ¦ ομολογησω *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ M 12,8b: καὶ ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ὁμολογήσει ἐν αὐτῷ ἔμπροσθεν τῶν ἀγγέλων τοῦ θεοῦ T: Tert. 4,28,4: confitebor in illo coram deo T: Epiph., Schol. 30: ἀντὶ τοῦ Ὁμολογήσει ἐνώπιον τῶν ἀγγέλων τοῦ θεοῦ Ἐνώπιον τοῦ θεοῦ λέγει. εμπροσθεν/ in conspectu: d M ¦ ενωπιον/ coram: *Ev T.E a aur b c f ſſ 2 i l q r 1 ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E = L 1 ≠ L 2 = G = M 12,8b: ἔμπροσθεν τῶν ἀγγέλων τοῦ θεοῦ T: Tert. 4,28,4: confitebor in illo coram deo T: Epiph., Schol. 30: ἀντὶ τοῦ Ὁμολογήσει ἐνώπιον τῶν ἀγγέλων τοῦ θεοῦ Ἐνώπιον τοῦ θεοῦ λέγει των αγγελων: it M ¦ om *Ev T.E א * Vgl. jedoch die Rekonstruktion von 12,9: vs. om P 45 2 2322 ℓ211 ℓ1642 e sy s bo 1ms aeth Bas! ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E = G 1 ≠ G 2 = L = M 12,9: ὁ δὲ ἀρνησάμενός με ἐνώπιον τῶν ἀνθρώπων T: Tert. 4,28,4: et omnis qui negaverit me coram hominibus ο δε: it M ¦ και πας ο/ et omnis qui: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ M 12,9: ὁ δὲ ἀρνησάμενός με ἐνώπιον τῶν ἀνθρώπων ἀπαρνηθήσεται ἐνώπιον τῶν ἀγγέλων τοῦ θεοῦ T: Tert. 4,28,4: et omnis qui negaverit me coram hominibus, denegabitur coram deo των αγγελων: it M ¦ om *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ M 12,10: καὶ πᾶς ὃς ἐρεῖ λόγον εἰς τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου T: Tert. 4,28,6: qui dixerit in filium hominis πας: it M ¦ om *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ M 12,10: καὶ πᾶς ὃς ἐρεῖ λόγον εἰς τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου T: Tert. 4,28,6: qui dixerit in filium hominis ερει λογον/ dicit verbum: aur b f ſſ 2 i l q M ¦ ειπη/ dixerit: *Ev T a c d e (dixerit sermonem) r 1 . ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1411 12,10: τῷ δὲ εἰς τὸ ἅγιον πνεῦμα βλασϕημήσαντι T: Tert. 4,28,6: qui autem dixerit in spiritum sanctum τω … βλασϕημησαντι/ qui blasphemaverit: a aur f l vg ¦ ειπη/ dixerit (in spiritum sanctum): *Ev T [b] c e ſſ 2 i q (in spirito [autem: add ſſ 2 i q] sancto [qui: add ſſ 2 i q] dixerit); e (dixerit in spirito sancto); r 1 (dixerit in spiritum sanctum) ¦ om D d (spiritum sanctum) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G 1 ≠ G 2 = M 12,10: τῷ δὲ εἰς τὸ ἅγιον πνεῦμα βλασϕημήσαντι οὐκ ἀϕεθήσεται T: Tert. 4,28,6: qui autem dixerit in spiritum sanctum, non remittetur ei αϕεθησεται/ remittetur: aur f vg M ¦ add αυτω/ ei: *Ev T G Λ mult b i l q (illi: a c d e r 1 ; eis: ſſ 2 ) sy s.c.p sa bo ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 = ( S , copt) ≠ L 2 = G 2 = M 12,14: τίς με κατέστησεν κριτὴν ἢ μεριστὴν ἐϕ’ ὑμᾶς; T: Tert. 4,28,10: quis me iudicem constituit super vos? η μεριστην/ aut divisorem: aur (dispensatorem: b) e f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ om *Ev T D 28 a c d Tat pers ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 = S ≠ L 2 = G 2 = M 12,20: ῎Αϕρων, ταύτῃ τῇ νυκτὶ τὴν ψυχήν σου ἀπαιτοῦσιν ἀπὸ σοῦ T: Tert. 4,28,11: Stulte, hac nocte animam tuam reposcent απαιτουσιν/ repetunt: aur b f ſſ 2 i l q r 1 (petunt: d; reposcunt: a; expostsulatur: c, auferetur: e) M ¦ απαιτησουσιν/ reposcent: *Ev T gat ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 12,20: ἃ δὲ ἡτοίμασας, τίνι ἔσται; T: Tert. 4,28,11: quae autem parasti, cuius erunt? τινι/ cui: ſſ 2 i M ¦ τινος/ cuius: *Ev T D a aur b c d e f l q r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 12,24: κατανοήσατε τοὺς κόρακας T: Tert. 4,29,1: … cuius et corvi non serunt nec metunt … τους κορακας: *Ev T (! ) a aur b c f ſſ 2 i q M ¦ τα πετεινα του ουρανου και τους κορακας: P 45 ¦ τα πετεινα: f ¦ τα πετεινα του ουρανου: D d e l r 1 p) Mt 6,26: ἐμβλέψατε εἰς τὰ πετεινὰ τοῦ οὐρανοῦ ὅτι οὐ σπείρουσιν … ❷ Einzelbezeugung: L 1 = G 1 ≠ *Ev T = L 2 = G 2 = M 12,24: οἷς οὐκ ἔστιν ταμεῖον οὐδὲ ἀποθήκη, καὶ ὁ θεὸς τρέϕει αὐτούς T: Tert. 4,29,1: corvi non serunt nec metunt nec in apothecas condunt, et tamen aluntur ab ipso οις ουκ εστιν ταμειον ουδε αποθηκη: a aur b c d f ſſ 2 i l q M ¦ ουτε συναγουσιν εις αποθηκας: *Ev T 907 ¦ ουτε συναγουσιν εις αποθηκας οις ουκ εστιν ταμειον ουδε αποθηκη: 157; οις ουκ εστιν αποθηκη/ quibus non sunt apothece: e. p) Mt 6,26: οὐ σπείρουσιν οὐδὲ θερίζουσιν οὐδὲ συνάγουσιν εἰς ἀποθήκας, καὶ ὁ πατὴρ ὑμῶν ὁ οὐράνιος τρέϕει αὐτά. ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 ≈ G 2 ≈ L 1 ≠ L 2 = G 3 = M 1412 Anhang III 12,28: εἰ δὲ ἐν ἀγρῷ τὸν χόρτον ὄντα σήμερον καὶ αὔριον εἰς κλίβανον βαλλόμενον ὁ θεὸς οὕτως ἀμϕιέζει, πόσῳ μᾶλλον ὑμᾶς, ὀλιγόπιστοι T: Epiph., Schol. 31: οὐκ ἔχει τό Ὁ θεὸς ἀμϕιέννυσι τὸν χόρτον ει … ολιγοπιστοι: om vs. *Ev E (s. Rekonstr.) ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M 12,30a: ταῦτα γὰρ πάντα τὰ ἔθνη τοῦ κόσμου ἐπιζητοῦσιν T: Tert. 4,29,3: haec enim nationes mundi quaerunt παντα/ omnia: a aur c d e f vg M ¦ om *Ev T b ſſ 2 i l q r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 12,30b: ὑμῶν δὲ ὁ πατὴρ οἶδεν ὅτι χρῄζετε τούτων T: Tert. 4,29,3: Scit autem pater opus esse haec vobis T: Epiph., Schol. 32: ὑμῶν δὲ ὁ πατὴρ οἶδεν ὅτι χρήζετε τούτων υμων δε ο πατηρ οιδεν: *Ev E M ¦ pater autem vester scit (3-4 2 1 5) aur vg ¦ οιδεν δε ο πατηρ υμων (5 2 3 4 1) *Ev T D a b c d e f ſſ 2 i l q r 1 ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 ≠ *Ev E = L 3 = G 2 = M 12,31: πλὴν ζητεῖτε τὴν βασιλείαν αὐτοῦ T: Tert. 4,29,5: quaerite enim inquit regnum dei … T: Tert. 3,24,8: quaerite primum regnum dei … T: Epiph., Schol. 33: Ζητεῖτε δὲ τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ … ζητειτε: *Ev T(1) *Ev E it M ¦ add πρωτον/ primum: *Ev T(2) 13 28 69 124 346 543 788 826 983 1241 1352 2757 i Ath Chrys (Ps 127) ❷ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev T2 = G 1 = L 1 ≠ *Ev T1 = *Ev E = G 2 = L 2 = M 12,31: πλὴν ζητεῖτε τὴν βασιλείαν αὐτοῦ T: Tert. 4,29,5: quaerite enim inquit regnum dei … T: Tert. 3,24,8: quaerite primum regnum dei … T: Epiph., Schol. 33: Ζητεῖτε δὲ τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ … αυτου/ eius: א B D* L Ψ 892 pc a c sa bo ¦ του θεου/ dei: *Ev T.E P 45 A D 1 Q W Θ 070 f 1.13 M aur b d e f ſſ 2 i l q r 1 sy ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E = G 1 = L 1 = S ≠ G 2 = L 2 = M 12,31: πλὴν ζητεῖτε τὴν βασιλείαν αὐτοῦ, καὶ ταῦτα προστεθήσεται ὑμῖν T: Tert. 4,29,5: Quaerite enim inquit regnum dei, et haec vobis adicientur T: Tert. 3,24,8: quaerite primum regnum dei, et haec adicientur vobis. T: Epiph., Schol. 33: Ζητεῖτε δὲ τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ καὶ ταῦτα πάντα προστεθήσεται ὑμῖν. ταυτα/ haec: *Ev T P 45.75 א * B L Q W Δ 892 pm a e sy s.c sa mss ¦ add παντα/ omnia: *Ev E א 1 A D K N Γ Θ Ψ 070 f 1.13 33 565 579 700 1241 1424 2542 pm aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 sy p.h sa mss bo ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T = L 1 ≠ *Ev E = L 2 = M 12,32: ὅτι εὐδόκησεν ὁ πατὴρ ὑμῶν δοῦναι ὑμῖν τὴν βασιλείαν T: Epiph., Schol. 34: Ἀντὶ τοῦ Ὁ πατὴρ ὑμῶν Ὁ πατὴρ εἶχεν υμων/ vester (patri vestri): it M ¦ om *Ev E 1247 ℓ524 Athan (ep. Cast) Clem Cyr ❹ Einzelbezeugung: *Ev E = G 1 ≠ G 2 = L = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1413 12,38: κἂν ἐν τῇ δευτέρᾳ κἂν ἐν τῇ τρίτῃ ϕυλακῇ ἔλθῃ καὶ εὕρῃ οὕτως, μακάριοί εἰσιν ἐκεῖνοι T: Epiph. Schol 35: Ἀντὶ τοῦ Δευτέρᾳ ἢ τρίτῃ ϕυλακῇ εἶχεν Ἑσπερινῇ ϕυλακῇ. τη δευτερα καν εν τη τριτη ϕυλακη/ in (om q) secunda vigilia et si in (om q) tertia vigilia: aur f q vg D [! ] M ¦ εσπερινη ϕυλακη/ vespertina vigilia: *Ev E a aur b c e f ſſ 2 l q r 1 (vespertina hora: i; vespertina custodia: d [! ]). ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L 1 ≠ L 2 = G = M 12,39: εἰ ᾔδει ὁ οἰκοδεσπότης ποίᾳ ὥρᾳ ὁ κλέπτης ἔρχεται, οὐκ ἂν ἀϕῆκεν διορυχθῆναι τὸν οἶκον αὐτοῦ T: Tert. 4,39,7: cuius horam si pater familiae sciret non sineret suffodi domum suam ουκ αν αϕηκεν: *Ev T P 75 א * D d e i sy s.c sa mss armen ¦ add εγρηγορησεν αν και/ vigilaret et: א 1 A B L Q W Θ Ψ 070 33 2542 f 1.13 33 M aur b c f ſſ 2 l q r 1 sy p.h sa mss bo p) Mt 24,43: ἐκεῖνο δὲ γινώσκετε ὅτι εἰ ᾔδει ὁ οἰκοδεσπότης ποίᾳ ϕυλακῇ ὁ κλέπτης ἔρχεται, ἐγρηγόρησεν ἂν καὶ οὐκ ἂν εἴασεν διορυχθῆναι τὴν οἰκίαν αὐτοῦ. WNI: εγρηγορησεν αν και ( P 75 א * D d e i sy s.c sa mss armen *Ev T ) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = M 12,47: ἐκεῖνος δὲ ὁ δοῦλος ὁ γνοὺς τὸ θέλημα τοῦ κυρίου αὐτοῦ T: Adam. 2,21 (833a): ἐκεῖνος δὲ ὁ δοῦλος ὁ γνοὺς καὶ μὴ ποιήσας δαρήσεται πολλά το θελημα … αυτου: it M ¦ om *Ev A (Basil; Cyril Alex.) ❶ Einzelbezeugung: *Ev A ≠ M 12,47: ἐκεῖνος δὲ ὁ δοῦλος … καὶ μὴ ἑτοιμάσας ἢ ποιήσας πρὸς τὸ θέλημα αὐτοῦ T: Adam. 2,21 (833a): ἐκεῖνος δὲ ὁ δοῦλος ὁ γνοὺς καὶ μὴ ποιήσας δαρήσεται πολλά ετοιμασας η: it M ¦ om *Ev A P 45 D 69 2766 d Basil Chrys Cyril Alex. MacAeg Orig Iren ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = G 1 = Patr. ≠ G 2 = L = M 12,47: μὴ ἑτοιμάσας ἢ ποιήσας πρὸς τὸ θέλημα αὐτοῦ δαρήσεται πολλάς T: Adam. 2,21 (833a): ἐκεῖνος δὲ ὁ δοῦλος ὁ γνοὺς καὶ μὴ ποιήσας δαρήσεται πολλά πολλας: aur b d i l M ¦ πολλα *Ev A Δ 1241 Chrys; multum: e gat q; multis: aur c f r 1 vg ¦ om ſſ 2 ❶ Einzelbezeugung: *Ev A = G 1 = L 1 ≠ G 2 = L 2 = M 12,48: ὁ δὲ μὴ γνούς, ποιήσας δὲ ἄξια πληγῶν, δαρήσεται ὀλίγας T: Adam. 2,21 (833a): ὁ δὲ μὴ γνούς ποιήσας δὲ ἄξια πληγων, δαρήσεται ὀλίγα ολιγας/ paucas: b d ſſ 2 i l M ¦ ολιγα: *Ev A 983 1241 ℓ211; paucis: aur c e f g 1 gat q r 1 ❶ Einzelbezeugung: *Ev A = G 1 ≠ G 2 = M 12,51a: δοκεῖτε ὅτι εἰρήνην παρεγενόμην δοῦναι ἐν τῇ γῇ; T: Tert. 4,29,13: putatis venisse me pacem mittere in terram? δουναι/ dare: aur c f ſſ 2 i vg M ¦ ποιησαι/ facere: D d e ¦ βαλειν/ mittere: *Ev T 1424 b gat l q r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 ≠ L 3 = G 3 = M 12,51a: δοκεῖτε ὅτι εἰρήνην παρεγενόμην δοῦναι ἐν τῇ γῇ; T: Tert. 4,29,13: putatis venisse me pacem mittere in terram? εν τη γη/ terra: D d M ¦ επι την γην/ in terram: *Ev T 157 1424 aur b c f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 vg Tat arab.pers ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 G 2 = M 1414 Anhang III 12,51b: οὐχί, λέγω ὑμῖν, ἀλλ’ ἢ διαμερισμόν T: Tert. 4,29,13: putatis venisse me pacem mittere in terram? non, dico vobis, sed separationem αλλ η: M ¦ αλλα/ sed: *Ev T P 45 D Θ 66c 69 71 579 700 903 1242* 1458 2643 it Tat pers ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L = G 1 ≠ G 2 = M 12,51b: οὐχί, λέγω ὑμῖν, ἀλλ’ ἢ διαμερισμόν T: Tert. 4,29,13: non, dico vobis, sed separationem T: Adam. 2,5 (824c): οὐκ ἦλθον, ϕησί, βαλεῖν εἰρήνην, ἀλλὰ μάχαιραν διαμερισμον/ separationem: *Ev T M ¦ μαχαιραν: *Ev A 1242* (vgl. Mt 10,34) p) Mt 10,34: οὐκ ἦλθον βαλεῖν εἰρήνην ἀλλὰ μάχαιραν ❹ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev A = G 1 ≠ *Ev T = G 2 = L = M 12,53: διαμερισθήσονται πατὴρ ἐπὶ υἱῷ καὶ υἱὸς ἐπὶ πατρί, μήτηρ ἐπὶ τὴν θυγατέρα … T: Tert. 4,29,14: dividetur, inquit, pater in filium et filius in patrem, et mater in filiam … πατρι: it M ¦ add και/ et: *Ev T Tat pers ❸ Einzelbezeugung: *Ev T = S ≠ L = G = M 12,53: μήτηρ ἐπὶ τὴν θυγατέρα καὶ θυγάτηρ ἐπὶ τὴν μητέρα, πενθερὰ ἐπὶ τὴν νύμϕην … T: Tert. 4,29,14: et mater in filiam et filia in matrem, et nurus in socrum … μητερα: add και/ et: *Ev T c e Tat pers . ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = M 12,53: πενθερὰ ἐπὶ τὴν νύμϕην αὐτῆς καὶ νύμϕη ἐπὶ τὴν πενθεράν T: Tert. 4,29,14: et nurus in socrum et socrus in nurum αυτης/ suam: aur b c d e f ſſ 2 i q r 1 M ¦ om *Ev T א * Δ* 827 ℓ950 l Tat pers ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 = S ≠ L 2 = G 2 = M 12,56: ὑποκριταί, τὸ πρόσωπον τῆς γῆς καὶ τοῦ οὐρανοῦ οἴδατε δοκιμάζειν T: Tert. 4,29,15: hypocritas, caeli quidem et terrae faciem probantes το προσωπον: a aur c e f ſſ 2 l r 1 M ¦ add μεν/ quidem: *Ev T D 903 983 1604 ℓ10 ℓ184 ℓ950 b d q ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = M 12,56: ὑποκριταί, τὸ πρόσωπον τῆς γῆς καὶ τοῦ οὐρανοῦ οἴδατε δοκιμάζειν T: Tert. 4,29,15: hypocritas, caeli quidem et terrae faciem probantes το προσωπον της γης και του ουρανου: M ¦ (6 7 5 3 4 1 2) *Ev T P 45.75 א 2 D K L N X Π Ψ 070 mult it sy s.c.p(mss) Tat arab sa bo) ¦ vg (terrae et caeli) ¦ του ουρανου (1 2): Δ* 983 1424 1675 Tat pers Aug (Ep. 198,3.6; CSEL 57, 237.249) ❷ Einzelbezeugung: L = S = G 1 ≠ *Ev T = G 2 = M 12,56: ὑποκριταί, τὸ πρόσωπον τῆς γῆς καὶ τοῦ οὐρανοῦ οἴδατε δοκιμάζειν, τὸν καιρὸν δὲ τοῦτον πῶς οὐκ οἴδατε δοκιμάζειν; T: Tert. 4,29,15: hypocritas, caeli quidem et terrae faciem probantes, tempus vero illud non dinoscentes οιδατε δοκιμαζειν/ nostis (scitis) probare: it M ¦ δοκιμαζοντες/ probantes: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1415 12,56: τὸν καιρὸν δὲ τοῦτον πῶς οὐκ οἴδατε δοκιμάζειν; T: Tert. 4,29,15: tempus vero illud non dinoscentes πως/ quomodo: aur f q vg M ¦ om *Ev T D e b c d ſſ 2 i l r 1 sy s.c sa 1ms bo mss ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = S ≠ L 2 = M 12,56: τὸν καιρὸν δὲ τοῦτον πῶς οὐκ οἴδατε δοκιμάζειν; T: Tert. 4,29,15: tempus vero illud non dinoscentes οιδατε δοκιμαζειν/ potestis probare: ſſ 2 l M ¦ δοκιμαζετε/ probatis: (*Ev T ) a aur b c d f i q r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T  L 1 ≠ L 2 = M 12,58b: καὶ ὁ κριτής σε παραδώσει τῷ πράκτορι, καὶ ὁ πράκτωρ σε βαλεῖ εἰς ϕυλακήν T: Epiph., Schol. 37: καὶ ὁ κριτής παραδώσει σε τῷ πράκτορι σε παραδωσει: M ¦ (2 1) παραδωσει σε/ tradet (tradat) te: *Ev E P 45 D 157 1241 it ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L = G 1 ≠ G 2 = M 12,59: λέγω σοι, οὐ μὴ ἐξέλθῃς ἐκεῖθεν ἕως καὶ τὸ ἔσχατον λεπτὸν ἀποδῷς T: Tert. 4,29,16: nec ducit inde nisi soluto etiam novissimo quadrante το εσχατον λεπτον αποδωις: M ¦ αποδωις τον εσχατον κοδραντην/ donec (usque quo: d; etiam: r 1 ) reddas (om r 1 ) novissimum quadrantem (minutum: aur mg ): *Ev T D it (vgl. Mt 5,26) p) Mt 5,26: ἀμὴν λέγω σοι, οὐ μὴ ἐξέλθῃς ἐκεῖθεν, ἕως ἂν ἀποδῷς τὸν ἔσχατον κοδράντην ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L = G 1 ≠ G 2 = M 13,1-9: om *Ev E T: Epiph., Schol. 38: ἦν παρακεκομμένον ἀπὸ τοῦ Ἦλθον τινες ἀπαγγέλλοντες αὐτῷ περὶ τῶν Γαλιλαίων, ὧν τὸ αἷμα συνέμιξε Πιλᾶτος μετὰ τῶν θυσιῶν αὐτῶν ἕως ὅπου λέγει περὶ τῶν ἐν τῷ Σιλοὰμ δεκαοκτὼ ἀποθανόντων ἐν τῷ πύργῳ, καὶ τὸ Ἐὰν μὴ μετανοῆτε καὶ τὰ ἑξῆς ἕως τἦς παραβολῆς τῆς συκῆς, περὶ ἧς εἶπεν ὁ γεωργὸς ὅτι Σκάπτω καὶ βάλλω κόπρια καὶ ἐὰν μὴ ποιήσῃ, ἐκκόψον. 13,4.5: om *Ev E 1187* 1579 ❶ Einzelbezeugung: *Ev T = L ≠ M 13,10: ἦν διδάσκων ἐν μιᾷ τῶν συναγωγῶν ἐν τοῖς σάββασιν T: Tert. 4,30,1: Quaestionem rursus de curatione sabbato facta quomodo discussit? εν τοις σαββασιν: a b c e f ſſ 2 l q r 1 M ¦ σαββατω: (*Ev T ) D aur d i sa bo pt ❷ Einzelbezeugung: (*Ev T ) = G 1 = L 1 ≠ G 2 = L 2 = M 13,16: ταύτην δὲ θυγατέρα ᾿Αβραὰμ οὖσαν, ἣν ἔδησεν ὁ Σατανᾶς T: Epiph., Schol. 39: ταύτην δὲ θυγατέρα Ἀβραάμ, ἣν ἔδησεν ὁ Σατανᾶς ουσαν/ cum est: a e; quae est: q M ¦ om *Ev E aur b c f ſſ 2 g 1 gat i l r 1 vg ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L 1 ≠ L 2 = M 13,19: ὁμοία ἐστὶν κόκκῳ σινάπεως T: Tert. 4,30,1: simile est regnum dei … grano sinapis εστιν/ est: a a 2 aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ add η βασιλεια του θεου/ regnum dei: *Ev T c gat aeth (Bodl. 40); add η βασιλεια των ουρανων: Petr. Chrys. (Serm. 98, PL 52, 475) (vgl. Mt 13,31) p) Mt 13,31: ῾Ομοία ἐστὶν ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν κόκκῳ σινάπεως, ὃν λαβὼν ἄνθρωπος ἔσπειρεν ἐν τῷ ἀγρῷ αὐτοῦ ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = M 1416 Anhang III 13,19: ὁμοία ἐστὶν κόκκῳ σινάπεως, ὃν λαβὼν ἄνθρωπος ἔβαλεν εἰς κῆπον ἑαυτοῦ T: Tert. 4,30,1: simile est regnum dei … grano sinapis, quod accepit homo et seminavit in horto suo εβαλεν/ misit: it M ¦ εσπειρεν/ seminavit: *Ev T aeth (vgl. Mt 13,31) p) Mt 13,31: ῾Ομοία ἐστὶν ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν κόκκῳ σινάπεως, ὃν λαβὼν ἄνθρωπος ἔσπειρεν ἐν τῷ ἀγρῷ αὐτοῦ ❸ Einzelbezeugung: *Ev T = aeth ≠ L = G = M 13,25: καὶ ἀποκριθεὶς ἐρεῖ ὑμῖν, Οὐκ οἶδα ὑμᾶς πόθεν ἐστέ T: Tert. 4,30,4f: quibus pulsantibus respondebit, Nescio unde sitis υμας/ vos: a a 2 aur b d f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ om *Ev T c ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = M 13,27: ἀπόστητε ἀπ’ ἐμοῦ, πάντες ἐργάται ἀδικίας T: Tert. 4,30,4: Recedite a me omnes operarii iniquitatis αποστητε/ discedite: a a 2 aur b d f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ αποχωρειτε/ recedite: *Ev T c d (ſſ 2 ) M 27 71 1194 1485; πορευετε Cyr. (Ador. 15; PG 68, 981); πορευεσθε Dion. Ar. (Ep. 8; PG 3, 1089); vgl. Mt 7,23 p) Mt 7,23: ἀποχωρεῖτε ἀπ’ ἐμοῦ οἱ ἐργαζόμενοι τὴν ἀνομίαν ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G1 ≠ G2 = L 2 = M 13,28: ὅταν ὄψεσθε ᾿Αβραὰμ καὶ ᾿Ισαὰκ καὶ ᾿Ιακὼβ καὶ πάντας τοὺς προϕήτας ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ T: Tert. 4,30,5: cum videbunt iustos introeuntes in regnum dei, se vero detineri foris T: Epiph., Schol. 40: Ὅτε πάντας τοὺς δικαίους ἴδητε ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ οταν οψεσθε Αβρααμ και Ισαακ και Ιακωβ και παντας τους προϕητας: it M ¦ οτε παντας τους δικαιους ιδητε: *Ev T.E ❶ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T  *Ev E ≠ L = M 13,28: ὅταν ὄψεσθε ᾿Αβραὰμ καὶ ᾿Ισαὰκ καὶ ᾿Ιακὼβ καὶ πάντας τοὺς προϕήτας ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ T: Tert. 4,30,5: cum videbunt iustos introeuntes in regnum dei, se vero detineri foris προϕητας/ prophetas: aur d f vg M ¦ add εισερχομενους/ introeuntes: *Ev T a a 2 b c ſſ 2 i l q r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 13,28: ὅταν ὄψεσθε ᾿Αβραὰμ καὶ ᾿Ισαὰκ καὶ ᾿Ιακὼβ καὶ πάντας τοὺς προϕήτας ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ T: Tert. 4,30,5: cum videbunt iustos introeuntes in regnum dei, se vero detineri foris εν τη βασιλεια/ in regno dei: a aur b d e f i l r 1 M ¦ εις την βασιλειαν/ in regnum dei: *Ev T a 2 c ſſ 2 q ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 13,28: ὑμᾶς δὲ ἐκβαλλομένους ἔξω T: Epiph., Schol. 40: ὑμᾶς δὲ ἐκβαλλομένους - ἐποίησε δὲ Κρατουμένους - ἔξω, ἐκεῖ ἐσται ὁ κλαυθμὸς καὶ ὁ βρυγμὸς τῶν ὀδόντων. εκβαλλομενους: it M ¦ κρατουμενους: *Ev E ¦ om sy s (mss) ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ L = G = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1417 13,28: ἐκεῖ ἔσται ὁ κλαυθμὸς καὶ ὁ βρυγμὸς τῶν ὀδόντων, ὅταν ὄψεσθε … ὑμᾶς δὲ ἐκβαλλομένους ἔξω T: Epiph., Schol. 40: Ὅτε πάντας τοὺς δικαίους ἴδητε ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ, ὑμᾶς δὲ ἐκβαλλομένους - ἐποίησε δὲ Κρατουμένους - ἔξω, ἐκεῖ ἐσται ὁ κλαυθμὸς καὶ ὁ βρυγμὸς τῶν ὀδόντων. εκει εσται ο κλαυθμος και ο βρυγμος των οδοντων: pon. p. οταν οψεσθε … εκβαλλομενους εξω: *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M 13,29: καὶ ἥξουσιν ἀπὸ ἀνατολῶν καὶ δυσμῶν καὶ ἀπὸ βορρᾶ καὶ νότου καὶ ἀνακλιθήσονται ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ T: Epiph., Schol. 41: Παρέκοψε πάλιν τό ῞Ηξουσιν ἀπὸ ἀνατολῶν καὶ δυσμῶν καὶ ἀνακλιθήσονται ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ καὶ τό Οἱ ἔσχατοι ἔσονται πρῶτοι om vs.: *Ev E 13 69 349 543* 544 788 826 1241 ❹ Einzelbezeugung: *Ev E = G 1 ≠ G 2 = L = M 13,30-35: T: Epiph., Schol. 41: (παρέκοψε πάλιν …) τό Προσῆλθον οἱ ϕαρισαῖοι λέγοντες, ἔξελθε καὶ πορεύου, ὅτι ῾Ηρῴδης σε θέλει ἀποκτεῖναι. καὶ τὸ Εἶπεν· πορευθέντες εἴπατε τῇ ἀλώπεκι ταύτῃ, ἕως ὅπου εἶπεν Οὐκ ἐνδέχεται προϕήτην ἀπολέσθαι ἔξω ᾿Ιερουσαλήμ, καὶ τό ᾿Ιερουσαλὴμ ᾿Ιερουσαλήμ, ἡ ἀποκτένουσα τοὺς προϕήτας καὶ λιθοβολοῦσα τοὺς ἀπεσταλμένους, καὶ τό Πολλάκις ἠθέλησα ἐπισυνάξαι ὡς ὄρνις τὰ τέκνα σου, καὶ τό Ἀϕίεται ὑμῖν ὁ οἶκος ὑμῶν· καὶ τό Οὐ μὴ ἴδητέ με ἕως οὗ εἴπητε· εὐλογημένος. vs. 30-35: om *Ev E 544 ❹ Einzelbezeugung: *Ev E = G 1 ≠ G 2 = L = M 14,16: ὁ δὲ εἶπεν αὐτῷ, ῎Ανθρωπός τις ἐποίει δεῖπνον μέγα, καὶ ἐκάλεσεν πολλούς T: Tert. 4,31,1: homo quidam fecit coenam et vocavit multos μεγα/ magnam: a aur b c d e f ſſ 2 i l π q r 1 M ¦ om *Ev T X 213 1080 e (homo quidam fecit cenam et invitavit multos) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 16,9: Καὶ ἐγὼ ὑμῖν λέγω, ἑαυτοῖς ποιήσατε ϕίλους ἐκ τοῦ μαμωνᾶ τῆς ἀδικίας T: Tert. 4,33,4: et ego dico vobis, facite vobis amicos de mammona iniustitiae υμιν λεγω/ vobis dico: b e f l q r 1 M ¦ (2 1) λεγω υμιν/ dico vobis: *Ev T a aur c d ſſ 2 vg mss sy p Tat arab sa bo ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = S ≠ L 2 = G = M 16,11: εἰ οὖν ἐν τῷ ἀδίκῳ μαμωνᾷ πιστοὶ οὐκ ἐγένεσθε T: Tert. 4,33,4: si in mammona iniusto fideles non extitistis, quod verum est quis vobis credet? ουν/ ergo: it M ¦ om *Ev T 118 205 209 2487 ℓ524 Tat pers ❸ Einzelbezeugung: *Ev T = S = G 1 ≠ L = G 2 = M 16,11: εἰ οὖν ἐν τῷ ἀδίκῳ μαμωνᾷ πιστοὶ οὐκ ἐγένεσθε T: Tert. 4,33,4: si in mammona iniusto fideles non extitistis, quod verum est quis vobis credet? αδικω μαμωνα/ iniquo (iniusto: e) mamona: a aur b c d e f ſſ 2 i l r 1 M ¦ (2 1) μαμωνα αδικω/ mamona iniquo: *Ev T q ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 1418 Anhang III 16,12: καὶ εἰ ἐν τῷ ἀλλοτρίῳ πιστοὶ οὐκ ἐγένεσθε, τὸ ὑμέτερον τίς ὑμῖν δώσει; T: Tert. 4,33,4: et si in alieno fideles inventi non estis, meum quis dabit vobis? εγενεσθε/ fuistis: it M ¦ ευρεθητε/ inventi estis: *Ev T sy s.p Tat arab ❸ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 ≠ G 2 = L = G = M 16,12: καὶ εἰ ἐν τῷ ἀλλοτρίῳ πιστοὶ οὐκ ἐγένεσθε, τὸ ὑμέτερον τίς ὑμῖν δώσει; T: Tert. 4,33,4: et si in alieno fideles inventi non estis, meum quis dabit vobis? υμετερον/ vestrum: [a] aur c d f ſſ 2 q r 1 P 75 א A D W Θ Ψ f 1.13 sy co ¦ ημετερον: B L pc ¦ αληθινον: 33 vid pc ¦ μεγα: 2Clem Iren lat ¦ εμον/ meum: *Ev T 157 e i l. ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 16,16b: ὁ νόμος καὶ οἱ προϕῆται μέχρι ᾿Ιωάννου· ἀπὸ τότε ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ εὐαγγελίζεται T: Tert. 4,33,7: lex et prophetae usque ad Ioannem, ex quo regnum dei annuntiatur απο τοτε: de inde (f); ex inde (e); ex tunc (q) ¦ εξ ου/ ex quo: *Ev T a aur (ex eo) b c d (a quo) ſſ 2 gat i l r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 16,16b: ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ εὐαγγελίζεται T: Tert. 4,33,7: regnum dei annuntiatur ευαγγελιζεται/ evangelizatur: a (-zantur) aur b c d (-zat) f ſſ 2 gat (-zantur) i l q r 1 M ¦ απαγγελιζεται/ annuntiatur: *Ev T e ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = M 16,16c: καὶ πᾶς εἰς αὐτὴν βιάζεται T: Tert. 4,33,7: Lex et prophetae usque ad Ioannem, ex quo regnum dei annuntiatur T: Epiph., Schol. 43: ῾Ο νόμος καὶ οἱ προϕῆται ἕως ᾿Ιωάννου καὶ πᾶς εἰς αὐτὴν βιάζεται και πας εις αυτην βιαζεται: *Ev E it M ¦ om *Ev T א * G 115 716 788 1542 ❹ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T = G 1 ≠ *Ev E = G 2 = L = M 16,18: πᾶς ὁ ἀπολύων τὴν γυναῖκα αὐτοῦ καὶ γαμῶν ἑτέραν μοιχεύει T: Tert. 4,34,1: qui dimiserit uxorem suam et aliam duxerit, adulterium committit (vgl. 4,34,4) πας: it M ¦ om *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ M 16,18: πᾶς ὁ ἀπολύων τὴν γυναῖκα αὐτοῦ καὶ γαμῶν ἑτέραν μοιχεύει, καὶ ὁ ἀπολελυμένην ἀπὸ ἀνδρὸς γαμῶν μοιχεύει T: Tert. 4,34,4: qui dimiserit uxorem et aliam duxerit, adulterium commisit (vgl. 4,34,1: qui dimiserit uxorem suam et aliam duxerit, adulterium committit) αυτου/ suam: a aur b c d e f ſſ 2 i r 1 M ¦ om *Ev T l q ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = M 16,19: ῎Ανθρωπος δέ τις ἦν πλούσιος T: Adam. 2,10 (826d/ 827a): ἄνθρωπός τις ἦν πλούσιος δε/ autem: b c ſſ 2 i l r 1 M ¦ om *Ev A D Χ Δ* Θ 267 372 579 1604 2643 a aur d e f g 1 q vg sa (1 ms) ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1419 16,20: πτωχὸς δέ τις ὀνόματι Λάζαρος ἐβέβλητο πρὸς τὸν πυλῶνα αὐτοῦ εἱλκωμένος T: Adam. 2,10 (827a): πτωχὸς δέ τις ὀνόματι Λάζαρος ἐβέβλητο εἰς τὸν πυλῶνα αὐτοῦ ἡλκωμένος προς/ ad: it M ¦ εις *Ev A P Γ 131 472 903 1009 1654 ℓ524 ℓ1074 ❹ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 ≠ G 2 = L = M 16,21b: ἀλλὰ καὶ οἱ κύνες ἐρχόμενοι ἐπέλειχον τὰ ἕλκη αὐτοῦ T: Adam. 2,10 (827a): ἀλλὰ καὶ οἱ κύνες ἐρχόμενοι ἔλειχον τὰ τραύματα αὐτοῦ επελειχον/ elingebant: d (ablingebant: e) M ¦ ελειχον/ lingebant: *Ev A D 1 118 131 205 209 1582 a aur b c f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 16,21b: ἀλλὰ καὶ οἱ κύνες ἐρχόμενοι ἐπέλειχον τὰ ἕλκη αὐτοῦ T: Adam. 2,10 (827a): ἀλλὰ καὶ οἱ κύνες ἐρχόμενοι ἔλειχον τὰ τραύματα αὐτοῦ ελκη/ ulcera: aur b d f ſſ 2 i l q M ¦ τραυματα/ vulnera: *Ev A a c e r 1 (vg) ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 ≠ L 2 = G = M 16,22: καὶ ἀπενεχθῆναι αὐτὸν ὑπὸ τῶν ἀγγέλων T: Adam. 2,10 (827a): καὶ ἀπενεχθῆναι αὐτὸν ὑπ’ ἀγγέλων των: M ¦ om *Ev A ❶ Einzelbezeugung: *Ev A ≠ M 16,22b: ἀπέθανεν δὲ καὶ ὁ πλούσιος καὶ ἐτάϕη T: Adam. 2,10 (827a): ἀπέθανεν δὲ καὶ ὁ πλούσιος καὶ ἐτάϕη ἐν τῷ ᾅδῃ εταϕη/ sepultus est: b d f M ¦ add εν τω αδη/ in inferno (infernum: aur; aput inferos: a i): *Ev A א * a aur c e ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 vg sa (1 ms) ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 16,23a: καὶ ἐν τῷ ᾅδῃ ἐπάρας τοὺς ὀϕθαλμοὺς αὐτοῦ T: Tert. 4,34,12: sed nec allevasset dives oculos T: Adam. 2,10 (827a): ἐπάρας οὖν τοὺς ὀϕθαλμοὺς αὐτοῦ και εν τω αδη/ et in (a: de) inferno: a b d f M ¦ om *Ev T.A aur c e ſſ 2 i l q r 1 ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev A = L 1 ≠ L 2 = G = M 16,23b: ὁρᾷ ᾿Αβραὰμ ἀπὸ μακρόθεν καὶ Λάζαρον ἐν τοῖς κόλποις αὐτοῦ T: Adam. 2,10 (827a): ὁρᾷ ᾿Αβραὰμ ἀπὸ μακρόθεν καὶ Λάζαρον ἐν τῷ κόλπῳ αὐτοῦ τοις κολποις/ in sinus: d e M ¦ τω κολπω/ in sinu (sinum: f ſſ 2 i l r 1 ): *Ev A D a aur b c f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 vg ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 16,24: ἵνα βάψῃ τὸ ἄκρον τοῦ δακτύλου αὐτοῦ ὕδατος καὶ καταψύξῃ τὴν γλῶσσάν μου T: Adam. 2,10 (827a): ἵνα βάψῃ τὸ ἄκρον τοῦ δακτύλου ὕδατος καὶ καταψύξῃ τὴν γλῶσσάν μου αυτου: it M ¦ om *Ev A ❶ Einzelbezeugung: *Ev A ≠ M 1420 Anhang III 16,25a: εἶπεν δὲ ᾿Αβραάμ, Τέκνον, μνήσθητι T: Adam. 2,10 (827b): ᾿Αβραὰμ δὲ εἶπεν, Τέκνον, μνήσθητι ειπεν δε Αβρααμ/ dixit autem (+ illi: a) Abraham: a d M ; et dixit illi Abraham: aur b d f ſſ 2 i l q r 1 ¦ (3 2 1) Αβρααμ δε ειπεν/ Araham autem dixit: *Ev A e ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 ≠ L 2 = G = M 16,25a: ἀπέλαβες τὰ ἀγαθά σου ἐν τῇ ζωῇ σου T: Adam. 2,10 (827b): ἀπέλαβες σὺ τὰ ἀγαθὰ ἐν τῇ ζωῇ σου απελαβες/ recepisti (percepisti usw.): a aur c d e f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 M ¦ add συ/ tu: *Ev A b ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 ≠ L 2 = G = M 16,25a: ἀπέλαβες τὰ ἀγαθά σου ἐν τῇ ζωῇ σου T: Adam. 2,10 (827b): ἀπέλαβες σὺ τὰ ἀγαθὰ ἐν τῇ ζωῇ σου σου/ (bona) tua: d M ¦ om *Ev A E ℓ211 a aur b c e f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 vg ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 16,25b: νῦν δὲ ὧδε παρακαλεῖται σὺ δὲ ὀδυνᾶσαι T: Epiph., Schol. 45: νῦν δὲ ὅδε παρακαλειται, ὁ αὐτὸς Λάζαρος T: Adam. 2,10 (827b): νῦν δὲ ὅδε παρακαλεῖται σὺ δὲ ὀδυνᾶσαι ωδε/ hic: it M ¦ οδε: *Ev E.A f 1 1424 pc ❹ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev E = *Ev A = G 1 ≠ G 2 = L = M 16,26: καὶ ἐν πᾶσι τούτοις μεταξὺ ἡμῶν καὶ ὑμῶν χάσμα μέγα ἐστήρικται T: Adam. 2,10 (827b): καὶ ἐπὶ πᾶσι τούτοις μεταξὺ ὑμῶν καὶ ἡμῶν χάσμα μέγα ἐστήρικται εν/ in: a aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 P 75 א B L 579 pc ¦ επι/ super: *Ev A A D W Θ Ψ f 1.13 a e ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 16,26: καὶ ἐν πᾶσι τούτοις μεταξὺ ἡμῶν καὶ ὑμῶν χάσμα μέγα ἐστήρικται T: Adam. 2,10 (827b): καὶ ἐπὶ πᾶσι τούτοις μεταξὺ ὑμῶν καὶ ἡμῶν χάσμα μέγα ἐστήρικται ημων και υμων/ nos et vos: a aur c d f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ υμων και ημων/ vos et nos (3 2 1): *Ev A N W Ψ 22 157 1005 1192 1194 1210 1365 1604 2372 2643 lectt b e ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 ≠ L 2 = G = M 16,27: εἶπεν δέ, ᾿Ερωτῶ σε οὖν, πάτερ, ἵνα πέμψῃς αὐτὸν T: Adam. 2,10 (827b): ᾿Ερωτῶ οὖν σε, πάτερ, ἵνα πέμψῃς αὐτὸν ειπεν δε: it M ¦ om *Ev A ℓ1579* ❹ Einzelbezeugung: *Ev A = G 1 ≠ G 2 = L = M 16,27: εἶπεν δέ, ᾿Ερωτῶ σε οὖν, πάτερ, ἵνα πέμψῃς αὐτὸν εἰς τὸν οἶκον τοῦ πατρός μου T: Adam. 2,10 (827b): ᾿Ερωτῶ οὖν σε, πάτερ, ἵνα πέμψῃς αὐτὸν εἰς τὴν οἰκίαν τοῦ πατρός μου τον οικον: it M ¦ την οικιαν: *Ev A ❶ Einzelbezeugung: *Ev A ≠ M 16,28a: ἔχω γὰρ πέντε ἀδελϕούς T: Adam. 2,10 (827b): ἔχω γὰρ ἐκεῖ πέντε ἀδελϕούς γαρ: it M ¦ add εκει: *Ev A ❶ Einzelbezeugung: *Ev A ≠ M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1421 16,28b: μὴ καὶ αὐτοὶ ἔλθωσιν εἰς τὸν τόπον τοῦτον τῆς βασάνου T: Adam. 2,10 (827b): μὴ καὶ αὐτοὶ ἔλθωσιν εἰς τοῦτον τὸν τόπον τῆς βασάνου τον τοπον τουτον/ in locum hunc: aur b f i q vg M ¦ τουτον τον τοπον/ in hunc locum (3 2 1): *Ev A a c d e ſſ 2 l r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 ≠ L 2 = G = M 16,29a: λέγει δὲ ᾿Αβραάμ T: Epiph., Schol. 46: εἶπεν Ἀβραάμ T: Adam. 2,10 (827c): λέγει αὐτῷ λεγει δε: λεγει/ dicit: *Ev A e M ¦ και λεγει/ et ait: a aur b c d f ff g gat i l λ q r 1 ¦ ειπεν δε/ dixit autem: *Ev E a d ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev E = L 1 ≠ *Ev A = L 2 = M 16,29a: λέγει δὲ ᾿Αβραάμ, ῎Εχουσι Μωϋσέα καὶ τοὺς προϕήτας T: Epiph., Schol. 46: Εἶπεν Ἀβραάμ Ἔχουσι Μωϋσέα καὶ τοὺς προϕήτας T: Adam. 2,10 (827c): λέγει αὐτῷ, ῎Εχουσι Μωσέα καὶ τοὺς προϕήτας Αβρααμ/ Abraham: *Ev E a aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ om *Ev A e (dixit illi) aeth (Bodl. 41) ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev A = L 1 ≠ *Ev E = L 2 = G = M 16,29a: ῎Εχουσι Μωϋσέα καὶ τοὺς προϕήτας T: Tert. 4,34,10.17: Habent illic Moysen et prophetas, illos audiant T: Epiph., Schol. 46: Ἔχουσι Μωϋσέα καὶ τοὺς προϕήτας T: Adam. 2,10 (827c): ῎Εχουσι Μωσέα καὶ τοὺς προϕήτας εχουσι: *Ev E.A it M ¦ add εκει/ illic: *Ev T ❶ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev T ≠ *Ev E = *Ev A = L = G = M 16,30a: ὁ δὲ εἶπεν, Οὐχί, πάτερ ᾿Αβραάμ T: Adam. 2,10 (827c): ὁ δὲ εἶπεν, Οὐχί, πάτερ Αβρααμ/ Abraham: it M ¦ om *Ev A 115 2643 2757 ❹ Einzelbezeugung: *Ev A = G 1 ≠ G 2 = L = M 16,30b: ἀλλ’ ἐάν τις ἀπὸ νεκρῶν πορευθῇ πρὸς αὐτοὺς μετανοήσουσιν T: Adam. 2,10 (827c): ἀλλ’ ἐάν τις ἐκ νεκρῶν πορευθῇ πρὸς αὐτοὺς μετανοήσουσιν απο/ de: d (a: e) M ¦ εκ/ ex: *Ev A D F 063 c mult a aur b c f ſſ 2 g 1 gat i l λ q r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 ≠ L 2 = G = M 16,31a: εἶπεν δὲ αὐτῷ T: Adam. 2,10 (827c): ὁ δὲ εἶπεν ειπεν δε αυτω: it M ¦ ο δε ειπεν *Ev A ❶ Einzelbezeugung: *Ev A ≠ M 16,31a: Εἰ Μωϋσέως καὶ τῶν προϕητῶν οὐκ ἀκούουσιν T: Adam. 2,10 (827c): Εἰ Μωσέως καὶ τῶν προϕητῶν οὐκ ἤκουσαν ακουουσιν/ audiunt: it M ¦ ηκουσαν: *Ev A 903 Chrys Serap ❹ Einzelbezeugung: *Ev A = G 1 ≠ G 2 = L = M 1422 Anhang III 16,31: οὐδ’ ἐάν τις ἐκ νεκρῶν ἀναστῇ πεισθήσονται T: Epiph., Schol. 46: ἐπεὶ οὐδὲ τοῦ ἐγειρομένου ἐκ νεκρῶν ἀκουσούσιν T: Adam. 2,10 (827c): οὐδ’ ἄν τις ἐκ νεκρῶν ἀπέλθῃ ἀκουσουσιν αὐτοῦ ουδ εαν: *Ev A it M ¦ επει ουδε: *Ev E ❶ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev E ≠ *Ev A = M 16,31: οὐδ’ ἐάν τις ἐκ νεκρῶν ἀναστῇ πεισθήσονται T: Epiph., Schol. 46: ἐπεὶ οὐδὲ τοῦ ἐγειρομένου ἐκ νεκρῶν ἀκουσούσιν T: Adam. 2,10 (827c): οὐδ’ ἄν τις ἐκ νεκρῶν ἀπέλθῃ ἀκουσουσιν αὐτοῦ αναστη/ resurrexerit: aur; surrexerit: (*Ev E ) d f r 1 M ¦ απελθη/ abierit: *Ev A W aur b c e f π q; ierit: a d ſſ 2 r 1 ; ierint: b i l; και απελθη προς αυτους/ et abierit ad eos (ad illos abierit usw.): D d r 1 ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev A = L 1 = G 1 ≠ *Ev E = L 2 = G 2 = M 16,31: οὐδ’ ἐάν τις ἐκ νεκρῶν ἀναστῇ πεισθήσονται T: Epiph., Schol. 46: ἐπεὶ οὐδὲ τοῦ ἐγειρομένου ἐκ νεκρῶν ἀκουσούσιν T: Adam. 2,10 (827c): οὐδ’ ἄν τις ἐκ νεκρῶν ἀπέλθῃ ἀκουσουσιν αὐτοῦ πεισθησονται/ persuadebuntur: e M ¦ πιστευσουσιν/ credent (credunt): D a aur b d ſſ 2 g 1 gat q vg ¦ ακουσουσιν αυτου/ audient eum: *Ev A (*Ev E ) r 1 ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev E  *Ev A = L 1 ≠ L 2 = G 1 ≠ L 3 = G 2 = M 17,1b: πλὴν οὐαὶ δι’ οὗ ἔρχεται T: Adam. 2,15 (830b): οὐαὶ ἐκείνῳ, δι’ οὗ τὸ σκάνδαλον ἔρχεται ουαι/ vae: d M ¦ add εκεινω/ illi: *Ev A a b c e ſſ 2 i λ q ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 ≠ L 2 = G = M 17,1b: πλὴν οὐαὶ δι’ οὗ ἔρχεται T: Adam. 2,15 (830b): οὐαὶ ἐκείνῳ, δι’ οὗ τὸ σκάνδαλον ἔρχεται ου/ per quem: a aur b c d e f ſſ 2 i λ q r 1 M ¦ add το σκανδαλον/ scandalum: *Ev A l ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 ≠ L 2 = G = M 17,2: λυσιτελεῖ αὐτῷ εἰ λίθος μυλικὸς περίκειται … T: Tert. 4,35,1: expedisse ei si natus non fuisset λυσιτελει/ utilius est: aur b f l q M ¦ συμϕερει/ expediebat: (*Ev T ) D d; συνεϕερεν/ expedit: e (vgl. Mt 18,6) p) Mt 18,6: ῝Ος δ’ ἂν σκανδαλίσῃ ἕνα τῶν μικρῶν τούτων τῶν πιστευόντων εἰς ἐμέ, συμϕέρει αὐτῷ ἵνα κρεμασθῇ μύλος ὀνικὸς περὶ τὸν τράχηλον αὐτοῦ καὶ καταποντισθῇ ἐν τῷ πελάγει τῆς θαλάσσης. ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 17,2: λυσιτελεῖ αὐτῷ εἰ λίθος μυλικὸς περίκειται περὶ τὸν τράχηλον αὐτοῦ T: Tert. 4,35,1: expedisse ei si natus non fuisset, aut si molino saxo ad collum deligato praecipitatus esset in profundum αυτω/ ei: aur d e f vg M ¦ add μη γεννηθη η/ ne (ut non: l r 1 ; nec: λ) nasceretur aut: *Ev T a b c ſſ 2 i q ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1423 17,2: εἰ λίθος μυλικὸς περίκειται περὶ τὸν τράχηλον αὐτοῦ T: Tert. 4,35,1: si molino saxo ad collum deligato praecipitatus esset in profundum περικειται/ imponatur: aur b c f ſſ 2 i l λ q; alligatur: λ M ¦ περιεκειτο: *Ev T D; impositus fuisset: a; circumdatus esset: d; circumiectus sit: e; alligaretur: r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ G 2 = G 2 = M 17,2: καὶ ἔρριπται εἰς τὴν θάλασσαν T: Tert. 4,35,1: si molino saxo ad collum deligato praecipitatus esset in profundum ερριπται/ proiciatur: aur b c f ſſ 2 i l λ q M ¦ ερριπτετο: *Ev T D 2 ; ερριπτο: D*; proiectus esset: a d; proiectus sit: e; proiceretur: r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ G 2 = G 2 = M 17,3: Ἐὰν ἁμάρτῃ ὁ ἀδελϕός σου ἐπιτίμησον αὐτῷ T: Tert. 4,35,3: Sed et veniam des fratri in te delinquenti iubet αμαρτη: א A B L W Θ Π f 1 892 1241 pc a aur b f ſſ 2 g 1 gat i l λ vg sy Tat arab sa co armen got Clem (Paed. 3,12,91; GCS 12, 286) ¦ εις σε: *Ev T D Ψ f 13 c d e q r 1 vg cl bo mss M (vgl. Mt 18,15) p) Mt 18,15: Ἐὰν δὲ ἁμαρτήσῃ εἰς σὲ ὁ ἀδελϕός σου, ὕπαγε ἔλεγξον αὐτὸν μεταξὺ σοῦ καὶ αὐτοῦ μόνου. ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ G 2 = G 2 = M 17,10: λέγετε ὅτι Δοῦλοι ἀχρεῖοί ἐσμεν, ὃ ὠϕείλομεν ποιῆσαι πεποιήκαμεν T: Epiph., Schol. 47: παρέκοψε τό Λέγετε ὅτι ἀχρεῖοι δοῦλοί ἐσμεν. ὃ ὠϕείλομεν ποιῆσαι πεποιήκαμεν λεγετε … πεποιηκαμεν: it M ¦ om *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M 17,14: Πορευθέντες ἐπιδείξατε ἑαυτοὺς τοῖς ἱερεῦσιν T: Tert. 4,35,7.4: Ite ostendite vos sacerdotibus T: Epiph., Schol. 48: (Ἀπέστειλεν αὐτοὺς λέγων·) δείξατε ἑαυτοὺς τοῖς ἱερεῦσι πορευθεντες: it M ¦ om *Ev E ¦ υπαγετε/ ite: *Ev T 157 August (Quaest. Ev. 2,40; CCL 44B, 97) ❶ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T ≠ *Ev E = M 17,14: Πορευθέντες ἐπιδείξατε ἑαυτοὺς τοῖς ἱερεῦσιν T: Epiph., Schol. 48: δείξατε ἑαυτοὺς τοῖς ἱερεῦσι επιδειξατε: it M ¦ δειξατε *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M 17,14 (18? ): Πορευθέντες ἐπιδείξατε ἑαυτοὺς τοῖς ἱερεῦσιν T: Tert. 4,35,6: Nunc etsi praefatus est multos tunc fuisse leprosos apud Israelem in diebus Helisaei prophetae et neminem eorum purgatum nisi Naaman Syrum T: Epiph., Schol. 48: δείξατε ἑαυτοὺς τοῖς ἱερεῦσι, καὶ ἄλλα ἀντὶ ἄλλων ἐποίησε, λέγων ὅτι Πολλοὶ λεπροὶ ἦσαν ἐν ἡμέραις Ἐλισσαίου τοῦ προϕήτου καὶ οὐκ ἐκαθαρίσθη εἰ μὴ Νεεμὰν ὁ Σύρος ιερευσιν/ sacerdotibus: it M ¦ add πολλοι λεπροι ησαν εν ημεραις ελισσαιου του προϕητου και ουκ εκαθαρισθη ει μη νεεμαν ο συρος: *Ev T.E ❶ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E ≠ M 1424 Anhang III 17,19: ἡ πίστις σου σέσωκέν σε T: Tert. 4,35,11: fides tua te salvum fecit σεσωκεν σε/ salbabit te: d M ¦ (2 1) σε σεσωκεν/ te salvum fecit (te salvabit: e): *Ev T a aur b c f ſſ 2 g 1 gat i l λ q r 1 s ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 17,21: οὐδὲ ἐροῦσιν, ᾿Ιδοὺ ὧδε· ἤ, ᾿Εκεῖ· ἰδοὺ γὰρ ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἐντὸς ὑμῶν ἐστιν T: Tert. 4,35,12: nec dicunt, Ecce hic, ecce illic: ecce enim regnum dei intra vos est ερουσιν/ dicent: a aur b c d f ſſ 2 i λ q r 1 ; dicens: e; M ¦ λεγουσιν/ dicunt: *Ev T l s ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 17,21: οὐδὲ ἐροῦσιν, ᾿Ιδοὺ ὧδε· ἤ, ᾿Εκεῖ· ἰδοὺ γὰρ ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἐντὸς ὑμῶν ἐστιν T: Tert. 4,35,12: nec dicunt, Ecce hic, ecce illic: ecce enim regnum dei intra vos est η/ aut: a aur b c d e f ſſ 2 i l λ q r 1 (vel: s) M ¦ om *Ev T Θ Π* 063 mult ❹ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 ≠ G 2 = L = M 17,22: ἐλεύσονται ἡμέραι ὅτε ἐπιθυμήσετε μίαν τῶν ἡμερῶν τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου ἰδεῖν T: Epiph., Schol. 49: ἐλεύσοναι ἡμέραι, ὅταν ἐπιθυμήσητε ἰδεῖν μίαν τῶν ἡμερῶν τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου οτε: it M ¦ οταν: *Ev E L 0211 1241 2643 ❹ Einzelbezeugung: *Ev E = G 1 ≠ G 2 = L = M 17,22: ἐλεύσονται ἡμέραι ὅτε ἐπιθυμήσετε μίαν τῶν ἡμερῶν τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου ἰδεῖν T: Epiph., Schol. 49: ἐλεύσοναι ἡμέραι, ὅταν ἐπιθυμήσητε ἰδεῖν μίαν τῶν ἡμερῶν τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου επιθυμησετε it M ¦: επιθυμησητε: *Ev E M N Λ 0211 mult ❹ Einzelbezeugung: *Ev E = G 1 ≠ G 2 = L = M 18,16a: ἄϕετε τὰ παιδία ἔρχεσθαι πρός με καὶ μὴ κωλύετε αὐτά T: Adam. 1,16 (814c): ἄϕετε, ϕησί, τὰ παιδία ἔρχεσθαι πρός με και μη κωλυετε αυτα/ et nolite eos vetare (o.ä.): it M ¦ om *Ev A 1338 1352 bo (1 ms) ❸ Einzelbezeugung: *Ev A = G 1 = bo ≠ G 2 = L = M 18,16b: τῶν γὰρ τοιούτων ἐστὶν ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ T: Adam. 1,16 (814c): τῶν γὰρ τοιούτων ἐστὶν ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν βασιλεια του θεου/ regnum dei: aur d e f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ βασιλεια των ουρανων/ regnum caelorum: *Ev A 157 472 579 983 1009 1187 1241 1604 2487 a b c vg 1 ms (vgl. Mt 19.14) p) Mt 19,14: ῎Αϕετε τὰ παιδία καὶ μὴ κωλύετε αὐτὰ ἐλθεῖν πρός με, τῶν γὰρ τοιούτων ἐστὶν ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 18,18: καὶ ἐπηρώτησέν τις αὐτὸν ἄρχων λέγων T: Tert. 4,36,4: denique interrogatus ab illo quodam T: Epiph., Schol. 50: εἶπε τις πρὸς αὐτόν τις … αρχων/ princeps: aur c d f vg M ¦ om αρχων/ princeps: *Ev T.E a b e ſſ 2 i l q r 1 (quidam) ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E = L 1 ≠ L 2 = G = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1425 18,19: εἶπεν δὲ αὐτῷ ὁ ᾿Ιησοῦς, Τί με λέγεις ἀγαθόν; T: Epiph., Schol. 50: ὁ δέ· Μή με λέγε ἀγαθόν T: Adam. 2,17 (832a/ b): εἶπε δὲ ᾿Ιησοῦς· Τί με λέγεις ἀγαθόν ειπεν δε αυτω ο ιησους: it M ¦ ειπε δε ιησους: *Ev A ¦ ο δε: *Ev E ❶ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev E ≠ *Ev A ≠ M 18,19: εἶπεν δὲ αὐτῷ ὁ ᾿Ιησοῦς, Τί με λέγεις ἀγαθόν; T: Epiph., Schol. 50: ὁ δέ· Μή με λέγε ἀγαθόν T: Adam. 2,17 (832a/ b): εἶπε δὲ ᾿Ιησοῦς· Τί με λέγεις ἀγαθόν τι με λεγεις: *Ev A it M ¦ μη με λεγε: *Ev E PsClem (Hom. 18,1,3; R EHM 241,9) ❶ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev E ≠ *Ev A = M 18,19: οὐδεὶς ἀγαθὸς εἰ μὴ εἷς ὁ θεός T: Tert. 4,36,3: Sed quis optimus, nisi unus deus? T: Epiph., Schol. 50: εἷς ἐστιν ἀγαθός ὁ θεός T: Adam. 2,17 (832a/ b): οὐδεὶς ἀγαθὸς εἰ μὴ εἷς ὁ θεός Justin, Dial. 101,2 (G OODSPEED 216): τί με λέγεις ἀγαθόν; εἷς ἐστιν ἀγαθός, ὁ πατήρ μου ὁ ἐν τοις οὐρανοῖς [om οὐδεὶς ἀγαθὸς εἰ μή] Iren., Haer. 1,20,2: τί με λέγεις ἀγαθόν; Εἷς ἐστιν ἀγαθός, ὀ πατὴρ ἐν τοῖς οὐρανοῖς. Hipp., Refut. 7,31,6 (GCS 26, 217) εἷς ἐστιν ἀγαθός ❶ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev E ≠ *Ev A = M 18,19: οὐδεὶς ἀγαθὸς εἰ μὴ εἷς ὁ θεός T: Epiph., Schol. 50: εἷς ἐστιν ἀγαθός ὁ θεός. προσέθετο ἐκεῖνος Ὁ πατήρ T: Adam. 1,1 (804b, 2,18f): οὐδεὶς ἀγαθὸς εἰ μὴ εἷς, ὁ θεός Justin, Dial. 101,2 (Goodspeed 216): εἷς ἐστιν ἀγαθός, ὁ πατήρ μου ὁ ἐν τοῖς οὐρανοῖς Irenaeus, Haer. 1,20,2: Εἷς ἐστιν ἀγαθός, ὀ πατὴρ ἐν τοῖς οὐρανοῖς. PsClem, Hom. 18,1,3: ὁ γὰρ ἀγαθὸς εἷς ἐστιν, ὀ πατὴρ ὁ ἐν τοῖς οὐρανοῖς. ο θεος/ deus: *Ev A D (≠ d! ) a aur b c e f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ ο θεος ο πατηρ: *Ev E d (≠ D! ) ¦ ο πατηρ: Clem ¦ ο πατηρ (μου) (ο) εν τοις ουρανοις: Justin Iren PsClem Ephrem Hipp (Ref.) ❶ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev E = *Ev A = Patr ≠ M 18,20a: τὰς ἐντολὰς οἶδας T: Tert. 4,36,7: praecepta scis T: Epiph., Schol. 50: ἀντὶ τοῦ Τὰς ἐντολὰς οἶδας λέγει Τὰς ἐντολὰς οἶδα T: Adam. 2,17 (832a/ b): ὁ δὲ ἔϕη· τὰς ἐντολὰς οἶδα τας εντολας οιδας: *Ev T.E it M ¦ add ο δε εϕη: *Ev A ❶ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev A ≠ *Ev T.E = M 18,20a: τὰς ἐντολὰς οἶδας T: Tert. 4,36,7: praecepta scis T: Epiph., Schol. 50: ἀντὶ τοῦ Τὰς ἐντολὰς οἶδας λέγει Τὰς ἐντολὰς οἶδα T: Adam. 2,17 (832a/ b): τὰς ἐντολὰς οἶδα οιδας: *Ev T.A it M ¦ οιδα: *Ev E ❶ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev E ≠ *Ev T = *Ev A = M 1426 Anhang III 18,20b: Μὴ μοιχεύσῃς, Μὴ ϕονεύσῃς, Μὴ κλέψῃς, Μὴ ψευδομαρτυρήσῃς, Τίμα τὸν πατέρα σου καὶ τὴν μητέρα T: Tert. 4,36,5: non occidendi, non adulterandi, non furandi, non falsum testandi, diligendi patrem et matrem T: Adam. 2,17 (832a/ b): Μὴ ϕονεύσῃς, Μὴ μοιχεύσῃς, Μὴ κλέψῃς, Μἠδὲ ψευδομαρτυρήσῃς, Τίμα τὸν πατέρα σου καὶ τὴν μητέρα σου. μοιχευσης μη ϕονευσης/ moecaveris (moechabis) non occides: d f M ¦ (3 2 1) ϕονευσης μη μοιχευσης/ occides non adulterium admittes (committes): *Ev T.A 1012 2096 2766c a aur b c ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 vg sy s.c.p bo 1 ms ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev A = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 18,22: ἔτι ἕν σοι λείπει· πάντα ὅσα ἔχεις πώλησον καὶ διάδος πτωχοῖς T: Tert. 4,36,4: Unum, inquit, tibi deest: omnia, quaecunque habes … T: Adam. 2,17 (832a/ b): ἕν σοι λείπει· πάντα ὅσα ἔχεις πώλησον καὶ δὸς πτωχοῖς ετι: it M ¦ οτι: א * F H V 028 pc aeth ¦ om *Ev T.A sy p georg Hier (Ep. 120,1; CSEL 55, 475) ❸ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev A = S ≠ L = G = M 18,22: πάντα ὅσα ἔχεις πώλησον καὶ διάδος πτωχοῖς T: Tert. 4,36,4: omnia, quaecunque habes, vende et da pauperibus T: Adam. 2,17 (832a/ b): πάντα ὅσα ἔχεις πώλησον καὶ δὸς πτωχοῖς διαδος: M ¦ δος: *Ev T.A א A D L M N R Δ Ω 0211 f 1 33 1241 1424 al it vg ❹ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev A = L = G 1 ≠ G 2 = M 18,31-33: om *Ev E T: Epiph., Schol. 52: παρέκοψε τό Παραλαβὼν τοὺς δώδεκα ἔλεγεν· ᾿Ιδού, ἀναβαίνομεν εἰς Ἱεροσόλυμα καὶ τελεσθήσεται πάντα τὰ γεγραμμένα ἐν τοῖς προϕήταις περὶ τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου. παραδοθήσεται γὰρ καὶ ἀποκτανθήσεται καὶ τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ ἀναστήσεται. ὅλα ταῦτα παρέκοψε vs. 31-33 om. *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M 18,35: ἐγένετο δὲ ἐν τῷ ἐγγίζειν αὐτὸν εἰς ᾿Ιεριχὼ τυϕλός τις ἐκάθητο παρὰ τὴν ὁδὸν ἐπαιτῶν T: Adam. 5,14 (858c/ d): ἐγένετο δὲ ἐν τῷ ἐγγίζειν αὐτὸν εἰς ᾿Ιεριχὼ καί τις τυϕλός ἐπαιτῶν ἐκάθητο παρὰ τὴν ὁδὸν T: Tert. 4,36,9: cum igitur praetereuntem illum caecus audisset, cur exclamavit T: Epiph., Schol. 51: ἐγένετο δὲ ἐν τῷ ἐγγίζειν αὐτὸν τῆ ᾿Ιεριχὼ τυϕλὸς ἐβόα τυϕλος τις εκαθητο παρα την οδον επαιτων/ caecus quidam (quidam caecus: a l r 1 ) sedebat (sedens: l) secus viam mendicus (mendicabat: l; mendicans: r 1 ): *Ev A a aur b c f ſſ 2 i l q r 1 ¦ (2 1 6 3-5) τις τυϕλος επαιτων εκαθητο παρα την οδον/ quidam mendicus sedebat secus viam: d (caecus quidam mendicus sedebat circa viam: e) ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 18,36: ἀκούσας δὲ ὄχλου διαπορευομένου ἐπυνθάνετο τί εἴη τοῦτο T: Adam. 5,14 (858c): ἀκούσας δὲ ὄχλου διαπορευομένου ἐπυνθάνετο τί ἂν εἴη τοῦτο τι: it M ¦ add αν: *Ev A D K L M Q R X Y Θ Π Ψ mult a d ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 = G 1 ≠ L 2 ≠ G 2 = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1427 18,37: ἀπήγγειλαν δὲ αὐτῷ ὅτι ᾿Ιησοῦς ὁ Ναζωραῖος παρέρχεται T: Adam. 5,14 (858c): ἀπηγγέλη δὲ αὐτῷ ὅτι ᾿Ιησοῦς παρέρχεται απηγγειλαν: it M ¦ απηγγελη: *Ev A ℓ32 (και απηγγελη) ❶ Einzelbezeugung: *Ev A ≠ M 18,37: ἀπήγγειλαν δὲ αὐτῷ ὅτι ᾿Ιησοῦς ὁ Ναζωραῖος παρέρχεται T: Adam. 5,14 (858c): ἀπηγγέλη δὲ αὐτῷ ὅτι ᾿Ιησοῦς παρέρχεται ο Ναζωραιος: it M ¦ om *Ev A ❶ Einzelbezeugung: *Ev A ≠ M 18,38: καὶ ἐβόησεν λέγων ᾿Ιησοῦ, υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με T: Tert. 4,36,9: Iesu, fili David, miserere mei! T: Epiph., Schol. 51: Ἐγένετο δὲ ἐν τῷ ἐγγίζειν αὐτὸν τῆ ᾿Ιεριχὼ τυϕλὸς ἐβόα· ᾿Ιησοῦ, υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με. καὶ ὅτε ἰάθη, ϕησίν· ἡ πίστις σου σέσωκέ σε. T: Adam. 5,14 (858c): καὶ ἐβόησε λέγων· ᾿Ιησοῦ, υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με εβοησεν λεγων: *Ev A it M ¦ εβοα: *Ev E ❶ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev E ≠ *Ev A = M 18,39: καὶ οἱ προάγοντες ἐπετίμων αὐτῷ ἵνα σιγήσῃ· αὐτὸς δὲ πολλῷ μᾶλλον ἔκραζεν, Υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με T: Tert. 4,36,9: cum igitur praetereuntem illum caecus audisset, cur exclamavit, Iesu, fili David, miserere mei T: Epiph., Schol. 51: ἐγένετο δὲ ἐν τῷ ἐγγίζειν αὐτὸν τῆ ᾿Ιεριχὼ τυϕλὸς ἐβόα· ᾿Ιησοῦ, υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με. καὶ ὅτε ἰάθη, ϕησίν … T: Adam. 5,14 (858c): ἀπηγγέλη δὲ αὐτῷ ὅτι ᾿Ιησοῦς παρέρχεται. καὶ ἐβόησε λέγων· ᾿Ιησοῦ, υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με. σταθεὶς δὲ ἐκέλευσεν … vs. 39: om *Ev A (*Ev T.E ) 60 157 1223 1242* 1352 1685 2542 ℓ1016 b vg (1 ms) ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev A (  *Ev T = *Ev E ) = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 18,40: σταθεὶς δὲ ὁ ᾿Ιησοῦς ἐκέλευσεν αὐτὸν ἀχθῆναι πρὸς αὐτόν T: Adam. 5,14 (858c/ d): σταθεὶς δὲ ἐκέλευσεν αὐτὸν ἀχθῆναι. ἐγγίσαντος δὲ αὐτοῦ … ο ιησους: it M ¦ om *Ev A ❶ Einzelbezeugung: *Ev A ≠ M 18,40: σταθεὶς δὲ ὁ ᾿Ιησοῦς ἐκέλευσεν αὐτὸν ἀχθῆναι πρὸς αὐτόν T: Adam. 5,14 (858c/ d): σταθεὶς δὲ ἐκέλευσεν αὐτὸν ἀχθῆναι. ἐγγίσαντος δὲ αὐτοῦ … προς αυτον: ad se (aur b c f q r 1 ) ¦ om a d e ſſ 2 i l s ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 ≠ L 2 = G = M 18,42: καὶ ὁ ᾿Ιησοῦς εἶπεν αὐτῷ, ᾿Ανάβλεψον· ἡ πίστις σου σέσωκέν σε T: Adam. 5,14 (858d): καὶ ἀποκριθεὶς εἶπεν ὁ ᾿Ιησοῦς· ᾿Ανάβλεψον· ἡ πίστις σου σέσωκέ σε και/ et: aur f q vg M ¦ add αποκριθεις/ respondens: *Ev A D 157 a b c d e ſſ 2 i l q r 1 s ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 18,43b: καὶ πᾶς ὁ λαὸς ἰδὼν ἔδωκεν αἶνον τῷ θεῷ T: Tert. 4,37,1: et omnis populus laudes referebat deo ιδων/ videns: d r 1 s); ut vidit: aur b c d f ſſ 2 i l q; cum vidisset: a e; M ¦ om *Ev T K Π 047 pc gat ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = M 1428 Anhang III 19,8b: καὶ εἴ τινός τι ἐσυκοϕάντησα ἀποδίδωμι τετραπλοῦν T: Tert. 4,37,1: et si cui quid per calumniam eripui, quadruplum reddo αποδιδωμι τετραπλουν/ reddo (restituo: d) quadruplum: aur b c d ſſ 2 i l q r 1 s M ¦ (2 1): τετραπλουν αποδιδωμι/ quadruplum reddo (reddam: a): *Ev T a e f ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 19,9: Σήμερον σωτηρία τῷ οἴκῳ τούτῳ ἐγένετο T: Tert. 4,37,1: Hodie salus huic domui τω οικω τουτω/ domui huic: a aur b c d e f i l q r 1 s; in domo hac: d; M ¦ (3 1 2) τουτω τω οικω/ huic domui: *Ev T ſſ 2 gat ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 19,10: ἦλθεν γὰρ ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ζητῆσαι καὶ σῶσαι τὸ ἀπολωλός T: Tert. 4,37,1f: venit enim filius hominis salvum facere quod periit ζητησαι και: it M ¦ om *Ev T 1187 2757 ❹ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 ≠ G 2 = L = M 19,10: ἦλθεν γὰρ ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ζητῆσαι καὶ σῶσαι τὸ ἀπολωλός T: Tert. 4,37,1f: venit enim filius hominis salvum facere quod periit σωσαι/ salvare: d (salbare: e) i vg M ¦ salvum facere: *Ev T a aur b c f ſſ 2 l q r 1 s ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = M 19,26b: ἀπὸ δὲ τοῦ μὴ ἔχοντος καὶ ὃ ἔχει ἀρθήσεται T: Tert. 4,37,4: et auferentem quod quis videatur habuisse εχει: it M ¦ δοκει εχειν/ videatur habuisse: *Ev T Θ 69 346 1654 sy c.h ❸ Einzelbezeugung: *Ev T = S = G 1 ≠ G 2 = L = M 20,1: ἐπέστησαν οἱ ἀρχιερεῖς καὶ οἱ γραμματεῖς σὺν τοῖς πρεσβυτέροις T: Tert. 4,38,1: Refer ergo et haec ad excusationem creatoris et ad comparationem Christi, et considera iam quid secuturum esset si quid pharisaei ad interrogationem renuntiassent. οι αρχιερεις και οι γραμματεις συν τοις πρεσβυτεροις: it M ¦ οι Φαρισαιοι/ Pharisaei: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ M 20,19a: καὶ ἐζήτησαν οἱ γραμματεῖς καὶ οἱ ἀρχιερεῖς ἐπιβαλεῖν ἐπ’ αὐτὸν τὰς χεῖρας T: Epiph., Schol. 54: καὶ ἐζήτησαν ἐπιβαλειν ἐπ’ αὐτὸν τὰς χεῖρας οι γραμματεις και οι αρχιερεις: it M ¦ om *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M 20,19a: καὶ ἐζήτησαν … ἐπιβαλεῖν ἐπ’ αὐτὸν τὰς χεῖρας ἐν αὐτῇ τῇ ὥρᾳ T: Epiph., Schol. 54: καὶ ἐζήτησαν ἐπιβαλειν ἐπ’ αὐτὸν τὰς χεῖρας, καὶ ἐϕοβήθησαν … εν αυτη τη ωρα/ in illa hora: aur f vg; ipsa hora: aur b c d ſſ 2 i l π q; eadem hora: a; M ¦ om *Ev T e ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L 1 ≠ L 2 = G = M 20,19b: καὶ ἐϕοβήθησαν τὸν λαόν T: Epiph., Schol. 54: καὶ ἐζήτησαν ἐπιβαλειν ἐπ’ αὐτὸν τὰς χεῖρας, καὶ ἐϕοβήθησαν. τον λαον: it M ; τον οχλον: N W Ψ 0117 al ¦ om *Ev E G V Y Γ Λ Ω 028 047 mult ❹ Einzelbezeugung: *Ev E = G 1 ≠ G 2 = G 3 = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1429 20,19c: ἔγνωσαν γὰρ ὅτι πρὸς αὐτοὺς εἶπεν τὴν παραβολὴν ταύτην T: Epiph., Schol. 54: καὶ ἐζήτησαν ἐπιβαλειν ἐπ’ αὐτὸν τὰς χεῖρας, καὶ ἐϕοβήθησαν. εγνωσαν … ταυτην ¦ om *Ev E sy s ❸ Einzelbezeugung: *Ev E = S 1 ≠ S 2 = G = M 20,25: Τοίνυν ἀπόδοτε τὰ Καίσαρος Καίσαρι καὶ τὰ τοῦ θεοῦ τῷ θεῷ T: Tert. 4,38,3: Reddite quae Caesaris Caesari, et quae sunt dei deo τοινυν/ ergo: aur c f r 1 vg M ¦ om *Ev T D a d e ſſ 2 i l q sy s.c ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 20,33: ἡ γυνὴ οὖν ἐν τῇ ἀναστάσει τίνος αὐτῶν γίνεται γυνή; T: Tert. 4,38,4: cuius viri deputanda esset in resurrectione αυτων/ eorum: a aur b c d e f i l π q M ¦ om *Ev T א * e ſſ 2 r 1 vg mss ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 20,34: καὶ εἶπεν αὐτοῖς ὁ ᾿Ιησοῦς, Οἱ υἱοὶ τοῦ αἰῶνος τούτου γαμοῦσιν καὶ γαμίσκονται T: Tert. 4,38,5: huius quidem aevi filios nubere του αιωνος τουτου/ saeculi huius: aur e M ¦ (2 1) τουτου του αιωνος/ huius aevi (saeculi): *Ev T a c d f ſſ 2 i l q r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = M 20,35: οἱ δὲ καταξιωθέντες τοῦ αἰῶνος ἐκείνου τυχεῖν καὶ τῆς ἀναστάσεως τῆς ἐκ νεκρῶν T: Tert. 4,38,5: quos vero dignatus sit deus illius aevi possessione et resurrectione a mortuis οι δε καταξιωθεντες: it M ¦ ους δε κατεξιωσεν ο θεος/ quos vero dignatus sit deus: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ M 20,36: οὐδὲ γὰρ ἀποθανεῖν ἔτι δύνανται, ἰσάγγελοι γάρ εἰσιν T: Tert. 4,38,5: quia nec morituri iam sint, cum similes angelorum fiant, dei et resurrectionis filii facti αποθανειν ετι δυνανται/ mori adhuc possunt: d (ultra poterunt mori: f; mori poterint: aur vg mss ; mori poterunt: vg mss ) M ¦ morientur: ſſ 2 i l q; moriuntur: c ¦ αποθανειν ετι μελλουσιν/ iam morituri sunt: *Ev T D W Θ sy h(mg) a; incipient mori: e ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 20,36: ἰσάγγελοι γάρ εἰσιν καὶ υἱοί εἰσιν θεοῦ τῆς ἀναστάσεως υἱοὶ ὄντες T: Tert. 4,38,5: cum similes angelorum fiant dei et resurrectionis filii facti ισαγγελοι/ aequales (equales: d; aequalis: e) angelis dei: (a) aur d e vg M ¦ ομοιοι αγγελοις θεου/ similes (similis: ſſ 2 ) angelis dei: *Ev T c f ſſ 2 i l q ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 20,36: ἰσάγγελοι γάρ εἰσιν καὶ υἱοί εἰσιν θεοῦ τῆς ἀναστάσεως υἱοὶ ὄντες T: Tert. 4,38,5: cum similes angelorum fiant dei et resurrectionis filii facti και υιοι εισιν/ sunt (et) filii: aur f q M ¦ om *Ev T D a c d e ſſ 2 i l q ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 1430 Anhang III 20,37f: ὅτι δὲ ἐγείρονται οἱ νεκροὶ καὶ Μωϋσῆς ἐμήνυσεν ἐπὶ τῆς βάτου, ὡς λέγει κύριον τὸν θεὸν ᾿Αβραὰμ καὶ θεὸν ᾿Ισαὰκ καὶ θεὸν ᾿Ιακώβ (38) θεὸς δὲ οὐκ ἔστιν νεκρῶν ἀλλὰ ζώντων, πάντες γὰρ αὐτῷ ζῶσιν T: Epiph., Schol. 56: Ἀπέκοψε τό Ὅτι δὲ ἐγείρονται οἱ νεκροὶ Μωϋσῆς ἐμήνυσε ἐπὶ τῆς βάτου, καθὼς λέγει κύριον τὸν θεὸν Ἀβραὰμ καὶ Ἰσαὰκ καὶ Ἰακώβ. θεὸς δέ ἐστι ζώντων καὶ οὐχὶ νεκρῶν. T: Epiph., Schol. 57: Οὐκ εἶχε ταῦτα Ὅτι δὲ ἐγείρονται οἱ νεκροὶ Μωϋσῆς ἐμήνυσε λέγων θεὸν … T: Orig., Hom. in Lc, fr. 242, GCS 49 (= fr. 91, FC 4/ 2): ἴσμεν δέ, ὅτι καὶ πρὸς τὴν λέξιν ταύτην οἱ ἀπὸ Μαρκίωνος καὶ Οὐαλεντίνου ἔτι διαμάχονται εἰς ψυχὰς ἀναγόντες τὸν λόγον. vs. 37, 38: M ¦ vs. 37, 38: om *Ev E *Ev O ❶ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev E.O ≠ L = G = M 20,41: Εἶπεν δὲ πρὸς αὐτούς, Πῶς λέγουσιν τὸν Χριστὸν εἶναι Δαυὶδ υἱόν; T: Tert. 4,38,10: Si autem scribae Christum filium David existimabant … πως λεγουσιν τον χριστον ειναι δαυιδ υιον: a aur c d f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ τι υμιν δοκει περι του χριστου τινος υιος εστιν λεγουσιν αυτω του δαυιδ: (Tert: existimabant) e (quid vobis videtur de Christo, cuius filius est? Dicunt illi: David. Dixit autem ad illos) p) Mt 22,42: Τί ὑμῖν δοκεῖ περὶ τοῦ Χριστοῦ; τίνος υἱός ἐστιν; λέγουσιν αὐτῷ, Τοῦ Δαυίδ. ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 20,44: Δαυὶδ οὖν κύριον αὐτὸν καλεῖ, καὶ πῶς αὐτοῦ υἱός ἐστιν; T: Tert. 4,38,10: ipse autem David dominum eum appellat, quid hoc ad Christum? δαυιδ: it M ¦ δαυιδ αυτος: *Ev T (2372: πως αυτος …) p) Mk 12,37: αὐτὸς Δαυὶδ λέγει αὐτὸν κύριον ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 ≠ L = G 2 = M 20,44: Δαυὶδ οὖν κύριον αὐτὸν καλεῖ, καὶ πῶς αὐτοῦ υἱός ἐστιν; T: Tert. 4,38,10: ipse autem David dominum eum appellat, quid hoc ad Christum? ουν: q M ¦ om *Ev T D a c d e ſſ 2 i sa 1ms got ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 21,7: ᾿Επηρώτησαν δὲ αὐτὸν λέγοντες T: Tert. 4,39,13: Ipsum decursum scripturae evangelicae ab interrogatione discipulorum usque ad parabolam fici … αυτον: a aur c e f ſſ 2 i l q r 1 s M ¦ αυτον οι μαθηται: *Ev T D georg (d vg 1 ms ) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 21,8: πολλοὶ γὰρ ἐλεύσονται ἐπὶ τῷ ὀνόματί μου λέγοντες T: Tert. 4,39,2: Venient denique illi dicentes, Ego sum Christus. γαρ: M ¦ om *Ev T bo (1 ms) (vgl. *Mk 13,6 א B L W Ψ) ❸ Einzelbezeugung: *Ev T = bo ≠ L = G = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1431 21,8b: λέγοντες, ᾿Εγώ εἰμι· καί, ῾Ο καιρὸς ἤγγικεν· μὴ πορευθῆτε ὀπίσω αὐτῶν T: Tert. 4,39,1-3: venient denique illi dicentes, Ego sum Christus εγω ειμι/ ego sum: a d f vg M ¦ εγω ειμι ο χριστος/ ego sum Christus: *Ev T 157 1247 c aur c e ſſ 2 gat i l q r 1 s vg mss (vgl. Mt 24,5) p) Mt 24,5: πολλοὶ γὰρ ἐλεύσονται ἐπὶ τῷ ὀνόματί μου λέγοντες, ᾿Εγώ εἰμι ὁ Χριστός, καὶ πολλοὺς πλανήσουσιν ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 21,10: ᾿Εγερθήσεται ἔθνος ἐπ’ ἔθνος καὶ βασιλεία ἐπὶ βασιλείαν T: Tert. 4,39,3: et regnum super regnum, et gentem super gentem εθνος επ εθνος και βασιλεια επι βασιλειαν: it M ¦ (και 5-7 4 1-3) και βασιλεια επι βασιλειαν και εθνος επ εθνος/ et regnum super regnum, et gentem super gentem: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ M 21,11a: σεισμοί τε μεγάλοι καὶ κατὰ τόπους λιμοὶ καὶ λοιμοὶ ἔσονται T: Tert. 4,39,3: et pestem, et fames terraeque motus, et formidines, et prodigia de caelo σεισμοι τε μεγαλοι και κατα τοπους λιμοι και λοιμοι: it M ¦ και λοιμοι και λιμοι και σεισμοι τε μεγαλοι/ et pestem, et fames terraeque motus: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ M 21,11a: σεισμοί τε μεγάλοι καὶ κατὰ τόπους T: Tert. 4,39,3 terraeque motus τε μεγαλοι: it M ¦ om *Ev T 716 1223 sy p 1 ms ❸ Einzelbezeugung: *Ev T = S = G 1 ≠ G 2 = L = M 21,11a: σεισμοί τε μεγάλοι καὶ κατὰ τόπους T: Tert. 4,39,3 terraeque motus και κατα τοπους: א B L 33 579 pc sa (bo); κατα τοπους και: A D W Θ Ψ f 1.13 latt sy sa ms M ; κατα τοπους: 0102 vid 892 1241 pc ¦ om *Ev T 60 1685 ❹ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 ≠ G 2 = L = M 21,11a: σεισμοί τε μεγάλοι καὶ κατὰ τόπους λιμοὶ καὶ λοιμοὶ ἔσονται T: Tert. 4,39,3: et pestem, et fames terraeque motus, et formidines, et prodigia de caelo λιμοι και λοιμοι/ fames et lues: e M ¦ (3 2 1) λοιμοι και λιμοι/ pestilentiae (pestes: a s) et fames: *Ev T B 157 1241 ℓ211 a c f g 1 gat i q s vg sy c ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 21,11: ϕόβητρά τε καὶ ἀπ’ οὐρανοῦ σημεῖα μεγάλα ἔσται T: Tert. 4,39,3: et formidines, et prodigia de caelo μεγαλα: it M ¦ om *Ev T A* ❹ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 ≠ G 2 = L = M 21,13: ἀποβήσεται ὑμῖν εἰς μαρτύριον. T: Tert. 4,39,4: Ante haec autem persecutiones eis praedicat … in martyrium utique et in salutem μαρτυριον: it M ¦ add ως και εις σωτηριαν/ utique et in salutem: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 1432 Anhang III 21,14: θέτε οὖν ἐν ταῖς καρδίαις ὑμῶν μὴ προμελετᾶν ἀπολογηθῆναι T: Tert. 4,39,6: vetat cogitari quid responderi oporteat apud tribunalia απολογηθηναι/ respondere: d M ¦ add τι/ quid: *Ev T e (quae); πως/ quomodo: a c r 1 ; quemadmodum: f ſſ 2 i l q s ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 21,14: θέτε οὖν ἐν ταῖς καρδίαις ὑμῶν μὴ προμελετᾶν ἀπολογηθῆναι T: Tert. 4,39,6: vetat cogitari quid responderi oporteat apud tribunalia απολογηθηναι/ rispondere: D d M ¦ απολογηθησεσθε/ respondeatis: c f ſſ 2 i l q r 1 ; rationem reddatis: a s; απολογηθησεσθε/ respondatis: e ¦ δει απολογηθηναι/ responderi oporteat: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 21,18: καὶ θρὶξ ἐκ τῆς κεϕαλῆς ὑμῶν οὐ μὴ ἀπόληται T: Epiph., Schol. 58: πάλιν παρέκοψε τό Θρὶξ ἐκ τῆς κεϕαλῆς ὑμῶν οὐ μὴ ἀπόληται vs. 18: it M ¦ om *Ev E sy c ❸ Einzelbezeugung: *Ev E = S ≠ L = G = M 21,19: ἐν τῇ ὑπομονῇ ὑμῶν T: Tert. 4,39,9: sed per tolerantiam, inquit, salvos facietis vosmetipsos εν/ in: [a] c d e ſſ 2 gat i l q r 1 s M ¦ add δε/ sed: *Ev T f (autem) sy s.c.p ; και/ et: g 1 l vg mss Tat arab armen georg aeth ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = S = L 1 ≠ L 2 = M 21,19: ἐν τῇ ὑπομονῇ ὑμῶν κτήσασθε τὰς ψυχὰς ὑμῶν T: Tert. 4,39,9: sed per tolerantiam, inquit, salvos facietis vosmetipsos υμων/ vestra: [a] b c d e f ſſ 2 i l q r 1 s M ¦ om *Ev T sy c.s ❸ Einzelbezeugung: *Ev T = S ≠ L = G = M 21,19: ἐν τῇ ὑπομονῇ ὑμῶν κτήσασθε τὰς ψυχὰς ὑμῶν T: Tert. 4,39,9: sed per tolerantiam, inquit, salvos facietis vosmetipsos κτησασθε τας ψυχας υμων: it M ¦ σωσετε εαυτους/ salvos facietis vosmetipsos: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 21,21f(23f) T: Epiph., Schol. 59: Πάλιν παρέκοψε ταῦτα Τότε οἱ ἐν τῇ ᾿Ιουδαίᾳ ϕευγέτωσαν εἰς τὰ ὄρη, καὶ τὰ ἑξῆς, διὰ τὰ ἐπιϕερόμενα ἐν τῷ ῥητῷ Ἕως πληρωθῇ πάντα τὰ γεγραμμένα om vs. 21, 22 (prob quoque vs. 23, 24) *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ L = G = M 21,27: καὶ τότε ὄψονται τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου ἐρχόμενον ἐν νεϕέλῃ μετὰ δυνάμεως καὶ δόξης πολλῆς T: Tert. 4,39,10: Et tunc videbunt filium hominis venientem de caelis cum plurima virtute εν νεϕελη/ in (cum: q) nube (nubibus: a d vg): a e f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ απο των ουρανων/ de caelis: *Ev T c ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1433 21,27: καὶ τότε ὄψονται τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου ἐρχόμενον ἐν νεϕέλῃ μετὰ δυνάμεως καὶ δόξης πολλῆς T: Tert. 4,39,10: Et tunc videbunt filium hominis venientem de caelis cum plurima virtute και δοξης (και δοξης πολλης): M ; πολλης και δοξης: Ψ 903 a f ſſ 2 g 1 gat i q r 1 vg s s.c aeth g 1 gat i q r 1 vg s s.c aeth ¦ om *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 21,28: ἀρχομένων δὲ τούτων γίνεσθαι ἀνακύψατε καὶ ἐπάρατε τὰς κεϕαλὰς ὑμῶν T: Tert. 4,39,10: cum autem haec fient, erigetis vos, et levabitis capita αρχομενων (ερχομενων: D 13 788 826 828) δε τουτων γινεσθαι: (it) M ¦ τουτων δε γινομενων: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 21,28: ἀρχομένων δὲ τούτων γίνεσθαι ἀνακύψατε καὶ ἐπάρατε τὰς κεϕαλὰς ὑμῶν T: Tert. 4,39,10: cum autem haec fient, erigetis vos, et levabitis capita ανακυψατε και επαρατε: (it) M ¦ ανακυψετε και επαρειτε: *Ev T (erigetis vos et levabitis) c ſſ 2 i l q (respirabitis [erigite vos: d r 1 ] et levabitis [elevabitis: l) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 21,28: ἀρχομένων δὲ τούτων γίνεσθαι ἀνακύψατε καὶ ἐπάρατε τὰς κεϕαλὰς ὑμῶν T: Tert. 4,39,10: cum autem haec fient, erigetis vos, et levabitis capita ανακυψατε και επαρατε: (it) M ¦ ανακυψετε και επαρειτε: *Ev T (erigetis vos et levabitis) c ſſ 2 i l q (respirabitis [erigite vos: d r 1 ] et levabitis [elevabitis: l) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 21,28: ἀρχομένων δὲ τούτων γίνεσθαι ἀνακύψατε καὶ ἐπάρατε τὰς κεϕαλὰς ὑμῶν T: Tert. 4,39,10: cum autem haec fient, erigetis vos, et levabitis capita υμων/ (capita) vestra: a c e f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ om *Ev T D d ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 21,28: ἀνακύψατε καὶ ἐπάρατε τὰς κεϕαλὰς ὑμῶν, διότι ἐγγίζει ἡ ἀπολύτρωσις ὑμῶν T: Tert. 4,39,10: erigetis vos, et levabitis capita, quoniam appropinquavit redemptio vestra εγγιζει/ adpropiat: ſſ 2 1 q (adpropinquat: d e f vg; adpropinquate: a) M ¦ ηγγικεν/ appropinquavit: *Ev T 1 118* 131 205 209 343 1229 1582 2487 l r 1 (adpropiavit) vg (2 mss) Tat arab sa aeth Hipp (De antichr. 64; GCS 1/ 2, 44) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 21,30: ὅταν προβάλωσιν ἤδη, βλέποντες ἀϕ’ ἑαυτῶν γινώσκετε … T: Tert. 4,39,16: cum fructum protulerint, intellegunt homines aestatem appropinquasse προβαλωσιν/ florient: a M ¦ add καρπον (αυτων)/ fructum (suum): *Ev T D 157 713 892 txt 1691 d (fructum suum; e: fructus suos); fructum: aur b c f ſſ 2 (fructus: i) l q sy s.c.hmg ; folia: r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 21,30: ὅταν προβάλωσιν ἤδη, βλέποντες ἀϕ’ ἑαυτῶν γινώσκετε … T: Tert. 4,39,16: cum fructum protulerint, intellegunt homines aestatem appropinquasse ηδη/ iam: aur b c ſſ 2 i l q M ¦ om *Ev T D a d e f r 1 sy s.c.h[mg] ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 1434 Anhang III 21,30: βλέποντες ἀϕ’ ἑαυτῶν γινώσκετε ὅτι ἤδη ἐγγὺς τὸ θέρος ἐστίν T: Tert. 4,39,16: cum fructum protulerint, intellegunt homines aestatem appropinquasse βλεποντες: M ¦ om *Ev T D it sy s.c.h[mg]) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L = G 1 ≠ G 2 = M 21,30: βλέποντες ἀϕ’ ἑαυτῶν γινώσκετε ὅτι ἤδη ἐγγὺς τὸ θέρος ἐστίν T: Tert. 4,39,16: cum fructum protulerint, intellegunt homines aestatem appropinquasse αϕ εαυτων/ ex (a: a) se: a aur b c ſſ 2 l π q r 1 M ¦ om *Ev T D d e f i sy s.c.h[mg] ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 21,30: βλέποντες ἀϕ’ ἑαυτῶν γινώσκετε ὅτι ἤδη ἐγγὺς τὸ θέρος ἐστίν T: Tert. 4,39,16: cum fructum protulerint, intellegunt homines aestatem appropinquasse γινωσκετε/ scitis (scitote, agnoscite): it M ¦ γινωσκουσιν οι ανθρωποι/ inellegunt homines *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ L = G = M 21,31: οὕτως καὶ ὑμεῖς, ὅταν ἴδητε ταῦτα γινόμενα T: Tert. 4,39,11: sic et vos cum videritis omnia haec fieri ιδητε/ videritis: (videbitis: a) aur b c d f ſſ 2 i l q M ¦ add παντα/ omnia: *Ev T Δ Ψ 070 f 13 e (omnia ista) gat r 1 (haec omnia) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 21,31: ὅταν ἴδητε ταῦτα γινόμενα γινώσκετε ὅτι ἐγγύς ἐστιν ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ T: Tert. 4,39,11: cum videritis omnia haec fieri, scitote appropinquasse regnum dei γινώσκετε: M ¦ γνωτε/ scitote: *Ev T it ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L = G 1 ≠ G 2 = M 21,32: οὐ μὴ παρέλθῃ ἡ γενεὰ αὕτη ἕως ἂν πάντα γένηται T: Tert. 4,39,18: non transiturum caelum ac terram, nisi omnia peragantur η γενεα αυτη/ generatio haec: aur b c d e f ſſ 2 q r 1 (generationi haec: l; generatione hac: i; gens illa: a) M ¦ ουτος ο ουρανος/ caelum istut (sic! ): e; *Ev T : ο ουρανος και η γη/ caelum ac terra ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = L 2 = G = M 21,32: οὐ μὴ παρέλθῃ ἡ γενεὰ αὕτη ἕως ἂν πάντα γένηται T: Tert. 4,39,18: non transiturum caelum ac terram, nisi omnia peragantur παντα/ omnia: *Ev T (! ) a aur b c f ſſ 2 i q r 1 M ¦ add ταυτα (ταυτα παντα) D f 13 579 982 pc d l sy s.c.p (παντα ταυτα: Ψ 070 pc) ❷ Einzelbezeugung: L 1 = G 1 ≠ *Ev T = L 2 = G 2 = M 21,32: οὐ μὴ παρέλθῃ ἡ γενεὰ αὕτη ἕως ἂν πάντα γένηται T: Tert. 4,39,18: non transiturum caelum ac terram, nisi omnia peragantur γενηται/ (omnia) fiant: a aur b c d f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ (παντα) τελειωθησεται/ (omnia) perficiantur: (*Ev T ) e ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 21,34: μήποτε βαρηθῶσιν ὑμῶν αἱ καρδίαι ἐν κραιπάλῃ καὶ μέθῃ καὶ μερίμναις βιωτικαῖς T: Tert. 4,39,18: ne quando graventur corda eorum crapula et ebrietate et saecularibus curis υμων αι καρδιαι/ vestra corda: D d M ¦ (2 3 1) αι καρδιαι υμων/ corda vestra: (*Ev T ) A B W X 0139 mult a aur b c e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1435 21,37: τὰς δὲ νύκτας ἐξερχόμενος ηὐλίζετο εἰς τὸ ὄρος τὸ καλούμενον ᾿Ελαιῶν T: Tert. 4,39,19: ad noctem vero in elaeonem secedebat το καλουμενον/ qui vocatur (vocabatur: b; dicitur: a): a aur b c d f ſſ 2 i q M ¦ om *Ev T X* 1582 ℓ10 e l r 1 (Γ 1 22 118 131 205 209 669 1005 1210 1365 2372 2542 Tat pers ) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G = M 22,4: καὶ ἀπελθὼν συνελάλησεν τοῖς ἀρχιερεῦσιν καὶ στρατηγοῖς τὸ πῶς αὐτοῖς παραδῷ αὐτόν T: Epiph., Schol. 60: Συνελάλησε τοῖς στρατηγοῖς τὸ πῶς αὐτὸν παραδῷ αὐτοῖς τοις αρχιερευσιν και: it M ¦ om *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ L = G = M 22,8: πορευθέντες ἑτοιμάσατε ἡμῖν τὸ πάσχα ἵνα ϕάγωμεν T: Epiph., Schol. 61: ἀπελθόντες ἑτοιμάσατε ἵνα ϕάγωμεν τὸ πάσχα πορευθεντες: it M ¦ απελθοντες: *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ L = G = M 22,8: πορευθέντες ἑτοιμάσατε ἡμῖν τὸ πάσχα ἵνα ϕάγωμεν T: Epiph., Schol. 61: ἀπελθόντες ἑτοιμάσατε ἵνα ϕάγωμεν τὸ πάσχα ημιν: it M ¦ om *Ev E Tat arab(3 mss) bo (1 ms) ❸ Einzelbezeugung: *Ev E = ( S , bo) ≠ L = G = M 22,8: πορευθέντες ἑτοιμάσατε ἡμῖν τὸ πάσχα ἵνα ϕάγωμεν T: Epiph., Schol. 61: ἀπελθόντες ἑτοιμάσατε ἵνα ϕάγωμεν τὸ πάσχα το πασχα ινα ϕαγωμεν/ pascha ut manducemus: it M ¦ (3 4 1 2) ινα ϕαγωμεν το πασχα: *Ev E 13 69 124 346 543 788 826 828 983 ❹ Einzelbezeugung: *Ev E = G 1 ≠ G 2 = L = M 22,14: καὶ ὅτε ἐγένετο ἡ ὥρα, ἀνέπεσεν καὶ οἱ ἀπόστολοι σὺν αὐτῷ T: Epiph. Schol 62: Kαὶ ἀνέπεσε, καὶ οἱ δώδεκα ἀπόστολοι σὺν αὐτῷ οτε εγενετο η ωρα: it M ¦ om *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ G = L = M 22,14: ἀνέπεσεν καὶ οἱ ἀπόστολοι σὺν αὐτῷ T: Epiph. Schol 62: Kαὶ ἀνέπεσε, καὶ οἱ δώδεκα ἀπόστολοι σὺν αὐτῷ οι αποστολοι: P 75 א * B D 157 713 ℓ1016 ℓ1231 ℓ1663 e a b c d ſſ 2 i l r 1 sy s.c sa mss ¦ οι δωδεκα: א 1 L 1241 pc sa mss ¦ οι δωδεκα αποστολοι: *Ev E א 2 A C (L) R W Θ Ψ 063 0135 f 1.13 auf f q vg sy p.h bo ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = G 1 = L 1 ≠ G 2 = L 2 = M 22,15: καὶ εἶπεν πρὸς αὐτούς· ἐπιθυμίᾳ ἐπεθύμησα … T: Epiph. Schol 62: καὶ εἶπεν Ἐπιθυμίᾳ ἐπεθύμησα … προς αυτους: M ¦ αυτοις: L 892 1241 aur b c f ſſ 2 g 1 gat i l q r 1 vg ¦ om: *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M 22,15: ἐπιθυμίᾳ ἐπεθύμησα τοῦτο τὸ πάσχα ϕαγεῖν μεθ’ ὑμῶν T: Tert. 4,40,1: concupiscentia concupivi pascha edere vobiscum T: Epiph. Schol 62: ᾿Επιθυμίᾳ ἐπεθύμησα τοῦτο τὸ πάσχα ϕαγεῖν μεθ’ ὑμῶν τουτο/ hoc: *Ev E it M ¦ om *Ev T 27 71 sy s.c bo 1 ms ❸ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T = ( S , bo) = G 1 ≠ *Ev E = G 2 = L = M 1436 Anhang III 22,16: λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ ϕάγω αὐτὸ ἕως ὅτου πληρωθῇ ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ T: Epiph., Schol. 63: Παρέκοψε τό Λέγω γὰρ ὑμῖν, οὐ μὴ ϕάγω αὐτὸ ἀπάρτι, ἕως ἂν πληρωθῇ ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ om vs. *Ev E bo 1 ms ❸ Einzelbezeugung: *Ev E = bo ≠ L = G = M 22,19: καὶ λαβὼν ἄρτον εὐχαριστήσας ἔκλασεν καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς T: Adam. 2,20 (870d/ e): λαβὼν δὲ ἄρτον καὶ ποτήριον καὶ εὐλογήσας … ευχαριστησας: it (gratias egit/ gratias agens) M ¦ ευλογησας *Ev A d (benedixit) ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 ≠ L 2 = G = M 22,19: καὶ λαβὼν ἄρτον εὐχαριστήσας ἔκλασεν καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς T: Tert. 4,40,3: acceptum panem et distributum discipulis corpus suum εκλασεν και: D it M ¦ om *Ev T ℓ1016 ℓ1231 Cyr. Alex. (Nest. 4,7; ACO 1/ 1/ 6, 90) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T  G 1 ≠ L = G 2 = M 22,19: καὶ λαβὼν ἄρτον εὐχαριστήσας ἔκλασεν καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς λέγων T: Tert. 4,40,3: acceptum panem et distributum discipulis corpus suum αυτοις/ illis: a b d f ſſ 2 i l q r 1 ; eis: aur c d vg M ¦ τοις μαθηταις/ discipulis: *Ev T Cyr. Alex. (Nest. 4,7; ACO 1/ 1/ 6, 90) (f: discipulis suis/ τοις μαθηταις αυτου (vgl. Mt 26,26) ❷ Einzelbezeugung: *Ev T  L 1 ≠ L 2 = G = M 22,19cd.20: καὶ λαβὼν ἄρτον εὐχαριστήσας ἔκλασεν καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς λέγων· τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου τὸ ὑπὲρ ὑμῶν διδόμενον· τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν. 20 καὶ τὸ ποτήριον ὡσαύτως μετὰ τὸ δειπνῆσαι, λέγων· τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαθήκη ἐν τῷ αἵματί μου τὸ ὑπὲρ ὑμῶν ἐκχυννόμενον T: Tert. 4,40,3: acceptum panem et distributum discipulis corpus suum illum fecit, Hoc est corpus meum dicendo, id est figura corporis mei. το υπερ υμων διδομενον … το υπερ υμων εκχυννομενον: it M ¦ om *Ev T D a d ſſ 2 i l (~ b e) [sy s.c.p ] ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 (  S ) ≠ L 2 = G 2 = M 22,22: πλὴν οὐαὶ τῷ ἀνθρώπῳ ἐκείνῳ δι’ οὗ παραδίδοται T: Tert. 4,41,1: Vae … per quem traditur filius hominis τω ανθρωπω (εκεινω)/ homini (illi): a aur b c f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ om *Ev T d e (vae illi, per quem …) sy s.c ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L 1 = S ≠ L 2 = G = M 22,22: πλὴν οὐαὶ τῷ ἀνθρώπῳ ἐκείνῳ δι’ οὗ παραδίδοται T: Tert. 4,41,1: Vae … per quem traditur filius hominis παραδιδοται: it M ¦ add ο υιος του ανθρωπου/ filius hominis: *Ev T ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ M 22,35-37 T: Epiph., Schol. 64: Παρέκοψε τό Ὅτε ἀπέστειλα ὑμᾶς, μή τινος ὑστερήσατε, καὶ τὰ ἐξῆς, διὰ τό Καὶ τοῦτο τὸ γεγραμμένον δεῖ τελεσθῆναι, τό Καὶ μετὰ ἀνόμων ἐλογίσθη vs. 35-37 om *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1437 22,47b: καὶ ἤγγισεν τῷ ᾿Ιησοῦ ϕιλῆσαι αὐτόν T: Epiph., Schol. 66: καὶ ἤγγισεν καταϕιλῆσαι αὐτὸν τω ιησου: it M ¦ om *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M 22,47b: καὶ ἤγγισεν τῷ ᾿Ιησοῦ ϕιλῆσαι αὐτόν T: Epiph., Schol. 66: καὶ ἤγγισεν καταϕιλῆσαι αὐτὸν ϕιλησαι: it M ¦ καραϕιλησαι *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M 22,48: ᾿Ιησοῦς δὲ εἶπεν αὐτῷ T: Epiph., Schol. 66: καὶ ἤγγισεν καταϕιλῆσαι αὐτὸν Ἰούδας καὶ εἶπεν ιησους δε ειπεν αυτω: it M ¦ και ειπεν: *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M 22,49-51 T: Epiph., Schol. 67: Παρέκοψεν ὃ ἐποίησε Πέτρος, ὅτε ἐπάταξε καὶ ἀϕείλετο τὸ οὖς τοῦ δούλου τοῦ ἀρχιερέως vs. 49-51 om *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M 22,63: οἱ συνέχοντες αὐτὸν ἐνέπαιζον T: Epiph., Schol. 68: οἱ συνέχοντες ἐνέπαιζον δέροντες αυτον: it M ¦ om *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M 22,63: οἱ συνέχοντες αὐτὸν ἐνέπαιζον αὐτῷ δέροντες T: Epiph., Schol. 68: οἱ συνέχοντες ἐνέπαιζον δέροντες αυτω: it M ¦ om *Ev E Vgl. jedoch die Rekonstruktion von 22,63: vs. om D 0171 pc it bo ms ! ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M 22,64: καὶ περικαλύψαντες αὐτὸν ἐπηρώτων λέγοντες, Προϕήτευσον, τίς ἐστιν ὁ παίσας σε; T: Epiph., Schol. 68: (οἱ συνέχοντες ἐνέπαιζον δέροντες) καὶ τύπτοντες καὶ λέγοντες, Προϕήτευσον, τίς ἐστιν ὁ παίσας σε; περικαλυψαντες αυτον επηρωτων: it M ¦ τυπτοντες και λεγοντες *Ev E (vgl. Mt 26,67; Mk 14,65) p) Mt 26,67: Τότε ἐνέπτυσαν εἰς τὸ πρόσωπον αὐτοῦ καὶ ἐκολάϕισαν αὐτόν, οἱ δὲ ἐράπισαν p) Mk 14,65: Καὶ ἤρξαντό τινες ἐμπτύειν αὐτῷ καὶ περικαλύπτειν αὐτοῦ τὸ πρόσωπον καὶ κολαϕίζειν αὐτὸν καὶ λέγειν αὐτῷ, Προϕήτευσον … ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M 22,64: καὶ περικαλύψαντες αὐτὸν ἐπηρώτων λέγοντες, Προϕήτευσον, τίς ἐστιν ὁ παίσας σε; T: Epiph., Schol. 68: (οἱ συνέχοντες ἐνέπαιζον δέροντες) καὶ τύπτοντες καὶ λέγοντες, Προϕήτευσον, τίς ἐστιν ὁ παίσας σε; επηρωτων/ interrogabant eum: aur e f ſſ 2 i l q r 1 vg (interrogantes eum: c; interrogabant illum: a) ¦ om *Ev E D d (b q) sy s.c.p ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 1438 Anhang III 22,67: ἐὰν ὑμῖν εἴπω οὐ μὴ πιστεύσητε T: Tert. 4,41,3: si dixero, enim inquit, vobis non credetis υμιν ειπω/ vobis dixero: it M ¦ (2 1) ειπω υμιν/ dixero vobis: *Ev T 349 443 903 1195 1630 georg ❹ Einzelbezeugung: *Ev T = G 1 ≠ G 2 = L = M 22,68: ἐὰν δὲ ἐρωτήσω οὐ μὴ ἀποκριθῆτε T: Tert. 4,41,2f: an ipse esset Christus interrogatur … si dixero … vobis non credetis εαν δε ερωτησω ου μη αποκριθητε: om vs.: (*Ev T ) e ❷ Einzelbezeugung: (*Ev T ? ) = L 1 ≠ L 2 = G = M 22,70a: εἶπαν δὲ πάντες, Σὺ οὖν εἶ ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ T: a Tert. 4,41,4: Ergo tu dei filius es? T: b Tert. 4,41,5: Ergo tu filius dei es? T: c Tert. 4,41,5: Ergo tu dei es filius? ει ο υιος του θεου: a (4 5 2 3 1); b (2-5 1); c (4 5 1 2 3); ❶ Einzelbezeugung: *Ev T ≠ M 22,70: ὁ δὲ πρὸς αὐτοὺς ἔϕη, ῾Υμεῖς λέγετε ὅτι ἐγώ εἰμι T: Tert. 4,41,4: sed respondit, Vos dicitis T: Tert. 4,41,5: et ille, Vos dicitis, confirmative respondit οτι εγω ειμι/ quod (quia: a aur c f r 1 ; quoniam: d) ego sum: a aur b c d f ſſ 2 l q r 1 M ¦ om *Ev T i ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 23,2: Τοῦτον εὕραμεν διαστρέϕοντα τὸ ἔθνος ἡμῶν T: Epiph., Schol. 69: Τοῦτον εὕρομεν διαστρέϕοντα τὸ ἔθνος· Καὶ καταλύοντα … ημων/ nostram: P 75 א B D K L N R T Ψ f 13 892 1241 aur b c d f ſſ 2 g 1 i l q sy ¦ om *Ev E A W Θ 063 a r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 23,2: Τοῦτον εὕραμεν διαστρέϕοντα τὸ ἔθνος ἡμῶν καὶ κωλύοντα ϕόρους Καίσαρι διδόναι καὶ λέγοντα ἑαυτὸν Χριστὸν βασιλέα εἶναι T: Epiph., Schol. 69: Προσέθετο μετὰ τό Τοῦτον εὕρομεν διαστρέϕοντα τὸ ἔθνος· Καὶ καταλύοντα τὸν νόμον καὶ τοὺς προϕήτας. το εθνος ημων/ gentem nostram: a aur d f r 1 vg M ¦ add και καταλυοντα τον νομον και τους προϕητας/ et solventem legem nostram et prophetas (profetas: e) et prohibentem (vetantem: c; prohibentes: e): *Ev E b c e ſſ 2 gat i l q vg. ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L 1 ≠ L 2 = G = M 23,2: κωλύοντα ϕόρους Καίσαρι διδόναι T: Epiph., Schol. 70: κελεύοντα ϕόρους μὴ δοῦναι κωλυοντα … διδοναι/ prohibentem (vetantem: c d; prohibentes: e) … dare (dari: r 1 ): a aur b c d e f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ κελευοντα … μη δουναι: *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ L = M 23,2: κωλύοντα ϕόρους Καίσαρι διδόναι T: Epiph., Schol. 70: κελεύοντα ϕόρους μὴ δοῦναι καισαρι/ Caesari: a aur b c d e f ſſ 2 i l q M ¦ om καισαρι: *Ev E r 1 ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L 1 ≠ L 2 = G = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1439 23,2: κωλύοντα ϕόρους Καίσαρι διδόναι T: Epiph., Schol. 70 (ad *23,2): Προσθήκη μετὰ τό Κελεύοντα ϕόρους μὴ δοῦναι· Καὶ ἀποστρέϕοντα τὰς γυναῖκας καὶ τὰ τέκνα. διδοναι/ dare (dari): a aur b d f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ add και αποστρεϕοντα τας γυναικας και τα τεκνα: *Ev E c e (in 23,5: et filios nostros et uxores avertit a nobis, non enim baptizatur [baptizantur: e]s icut [add et: e] nos [add nec se mundant: e]) ❷ Einzelbezeugung: *Ev E  L 1 ≠ L 2 = G = M 23,2: λέγοντα ἑαυτὸν Χριστὸν βασιλέα εἶναι T: Tert. 4,42,1: onerare coeperunt quod se regem diceret Christum χριστον βασιλεα/ Christum regem: a aur b d e f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ (2 1) βασιλεα χριστον/ regem Christum: c ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 23,3: ὁ δὲ Πιλᾶτος ἠρώτησεν αὐτὸν λέγων, Σὺ εἶ ὁ βασιλεὺς τῶν ᾿Ιουδαίων; T: Tert. 4,42,1: Pilato quoque interroganti, Tu es Christus? ο βασιλευς των ιουδαιων/ rex Iudaeorum: a aur b c d e f ſſ 2 i l q r 1 M ¦ *Ev T (συ ει) ο Χριστος; add (συ ει ο βασιλευς των ιουδαιων) συ ει ο Ιησους/ (tu es rex Iudaeorum) tu es Iesus: c ❷ Einzelbezeugung: *Ev T  L 1 ≠ L 2 = M 23,32: ἤγοντο δὲ καὶ ἕτεροι κακοῦργοι δύο σὺν αὐτῷ ἀναιρεθῆναι T: Tert. 4,42,4: sed et duo scelesti circumfiguntur illi. ετεροι/ alii: a aur b d f ſſ 2 l r 1 M ¦ om *Ev T c e ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 ≠ L 2 = G = M 23,33: καὶ ὅτε ἦλθον ἐπὶ τὸν τόπον τὸν καλούμενον Κρανίον T: Epiph., Schol. 71: καὶ ἐλθόντες εἰς τόπον λεγόμενον Κρανίου τόπος οτε ηλθον/ postquam venerunt (cum venisent): it M ¦ ελθοντες *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M 23,33: καὶ ὅτε ἦλθον ἐπὶ τὸν τόπον τὸν καλούμενον Κρανίον T: Epiph., Schol. 71: καὶ ἐλθόντες εἰς τόπον λεγόμενον Κρανίου τόπος επι/ ad: a ſſ 2 M ¦ εις/ in: *Ev E aur b c d e f g 1 gat l r 1 ; εις τον: 1071 1079 1424 1675 ℓ1016 ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L 1  G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 23,33: καὶ ὅτε ἦλθον ἐπὶ τὸν τόπον τὸν καλούμενον Κρανίον T: Epiph., Schol. 71: καὶ ἐλθόντες εἰς τόπον λεγόμενον Κρανίου τόπος τον καλουμενον/ qui vocatur (dicitur, appellatur): it M ¦ λεγομενον: *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M 23,33: καὶ ὅτε ἦλθον ἐπὶ τὸν τόπον τὸν καλούμενον Κρανίον T: Epiph., Schol. 71: καὶ ἐλθόντες εἰς τόπον λεγόμενον Κρανίου τόπος Κρανιον/ (Calvariae): (it) M ¦ Κρανιου τοπος *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M 23,33: ἐκεῖ ἐσταύρωσαν αὐτὸν καὶ τοὺς κακούργους T: Epiph., Schol. 71: Καὶ ελθόντες εἰς τόπον λεγόμενον Κρανίου τόπος ἐσταύρωσαν αὐτὸν εκει/ ibi: aur b d (c: illic) e f ſſ 2 l M ¦ om *Ev E 1200* a ❷ Einzelbezeugung: *Ev E  L 1 ≠ L 2 = G = M 1440 Anhang III 23,34a: ὁ δὲ Ἰησοῦς ἔλεγεν, Πάτερ, ἄϕες αὐτοῖς, οὐ γὰρ οἴδασιν τί ποιοῦσιν T: Ephraem, Comm. diat. 21,3 (FC 54/ 2, 586): Forgive them! For they know not what they do ο δε ιησους ελεγεν πατερ αϕες αυτοις ου γαρ οιδασιν τι ποιουσιν: (*Ev Ephr ) א * .2 (A) C D 2 L Ψ 0250 f 1.(13) 33 aur b* c f ſſ 2 l r 1 sy c.p M ¦ om P 75 א 1 B D* W Θ 070 0124 579 1241 a b 2 d sy s sa bo mss ❷ Einzelbezeugung: L 1 = G 1 = S 1 ≠ *Ev Ephr = L 2 = G 2 = S 2 = M 23,34b: διαμεριζόμενοι δὲ τὰ ἱμάτια αὐτοῦ ἔβαλον κλήρους T: Tert. 4,42,4: Vestitum plane eius a militibus divisum, partim sorte concessum, Marcion abstulit, respiciens psalmi prophetiam: Dispertiti sibi sunt vestimenta mea, et in vestitum meum sortem miserunt T: Epiph., Schol. 71: καὶ διαμερίσαντο τὰ ἱμάτια αὐτοῦ καὶ ἐσκοτίσθη ὁ ἥλιος διαμεριζόμενοι … κλήρους/ dividentes (dividebant: c; partiebantur: d) etiam (autem: c d f; vero: aur g) vestimenta eius (ipsius: a) miserunt (mittebant: a l; mittentes: c d) sortem (sortes: e r 1 ): (*Ev E ) a aur b 2 c d e f ſſ 2 l r 1 M ¦ om *Ev T b* ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T = L 1 ≠ *Ev E = L 2 = G = M 23,(36-43a? )43b T: Epiph., Schol. 72: Παρέκοψε τό Σήμερον μετ’ ἐμοῦ ἔσῃ ἐν τῷ παραδείσῳ vs. 43b (quoque vs. 36-43a) om *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M 23,45: τοῦ ἡλίου ἐκλιπόντος T: Epiph., Schol. 71: καὶ ἐσκοτίσθη ὁ ἥλιος του ηλιου εκλιποντος: P 75 * ( P 75c ) א (B εκλειποντος) C* vid L 070 579 (2542 εκλαμποντος) pc sy h(mg) ¦ om 33 ¦ και εσκοτισθη ο ηλιος: *Ev E A C 3 D W Θ Ψ f 1.13 M it sy s.c.j.p Orig latmss (vgl. Mk 15,33; Mt 27,45) p) Mk 15,33 = Mt 27,45: σκότος ἐγένετο ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L = G 1 = S ≠ G 2 = M 23,45: τοῦ ἡλίου ἐκλιπόντος ἐσχίσθη δὲ τὸ καταπέτασμα τοῦ ναοῦ μέσον T: Tert. 4,42,5: et contenebrabit super terram. Scissum est et templi velum … εσχισθη δε το καταπετασμα του ναου μεσον: *Ev T (! ) (μεσον) it M ¦ και το καταπετασμα του ναου εσχισθη + pon. post v. 46: D d (vgl. Mk 15,37f; Mt 27,50f) ❷ Einzelbezeugung: L 1 = G 1 ≠ *Ev T = L 2 = G 2 = M 23,46: τοῦτο δὲ εἰπὼν ἐξέπνευσεν T: Tert. 4,42,6: Hoc dicto expiravit T: Epiph., Schol. 73: Καὶ ϕωνήσας ϕωνῇ μεγάλῃ ἐξέπνευσεν T: Adam. 5,12 (857d): καὶ ϕωνήσας μεγάλῃ ϕωνῇ ὁ ᾿Ιησοῦς εἶπε· Πάτερ, εἰς χεῖράς σου παραθήσομαι τὸ πνεῦμά μου, καὶ ἐξέπνευσε. τουτο δε ειπων/ et hoc (haec: aur f ſſ 2 vg) dicens: *Ev T aur b c d e f ſſ 2 l q r 1 (hoc cum dixisset: c d) M ¦ om *Ev E.A a sy s.c ❷ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev A = *Ev E = L 1 = S ≠ *Ev T = L 2 = G = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1441 23,50: καὶ ἰδοὺ ἀνὴρ ὀνόματι ᾿Ιωσὴϕ βουλευτὴς ὑπάρχων καὶ ἀνὴρ ἀγαθὸς καὶ δίκαιος T: Tert. 4,42,8: Ioseph … qui non consenserat in scelere Iudaeis T: Epiph., Schol. 74: Καὶ ἰδοὺ ἀνὴρ ὀνόματι ᾿Ιωσήϕ, καθελὼν τὸ σῶμα … T: Adam. 5,12 (857d): Καὶ ἰδοὺ ἀνὴρ ὀνόματι ᾿Ιωσὴϕ αἰτησάμενος τὸ σῶμα βουλευτης υπαρχων και ανηρ αγαθος και δικαιος: it M ¦ om *Ev T.E.A ❶ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T  *Ev E  *Ev A ≠ M 23,51: οὗτος οὐκ ἦν συγκατατεθειμένος τῇ βουλῇ καὶ τῇ πράξει αὐτῶν - ἀπὸ ῾Αριμαθαίας πόλεως τῶν ᾿Ιουδαίων, ὃς προσεδέχετο τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ T: Tert. 4,42,8: Ioseph … qui non consenserat in scelere Iudaeis T: Epiph., Schol. 74: Καὶ ἰδοὺ ἀνὴρ ὀνόματι ᾿Ιωσήϕ, καθελὼν τὸ σῶμα ἐνετύλιξε σινδόνι καὶ ἔθηκεν ἐν μνήματι λαξευτῷ T: Adam. 5,12 (857d): Καὶ ἰδοὺ ἀνὴρ ὀνόματι ᾿Ιωσὴϕ αἰτησάμενος τὸ σῶμα ἐνετύλιξεν ἐν σινδόνι καὶ ἔθηκεν ἐν καινῷ μνημείῳ ουτος … τη πραξει αυτων: *Ev T it M ¦ om *Ev E.A ❶ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev E = *Ev A ≠ *Ev T = L = M 23,51: ἀπὸ ῾Αριμαθαίας πόλεως τῶν ᾿Ιουδαίων, ὃς προσεδέχετο τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ T: Tert. 4,42,8: Ioseph … qui non consenserat in scelere Iudaeis T: Epiph., Schol. 74: Καὶ ἰδοὺ ἀνὴρ ὀνόματι ᾿Ιωσήϕ, καθελὼν τὸ σῶμα ἐνετύλιξε σινδόνι καὶ ἔθηκεν αὐτὸν ἐν μνήματι λαξευτῷ T: Adam. 5,12 (857d): Καὶ ἰδοὺ ἀνὴρ ὀνόματι ᾿Ιωσὴϕ αἰτησάμενος τὸ σῶμα ἐνετύλιξεν ἐν σινδόνι καὶ ἔθηκεν ἐν καινῷ μνημείῳ απο Αριμαθαιας … βασιλειαν του θεου: a aur b d e f ſſ 2 l q r 1 M ¦ om *Ev T.E. A c ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T  *Ev E  *Ev A = L 1 ≠ L 2 = G = M 23,52: οὗτος προσελθὼν τῷ Πιλάτῳ ᾐτήσατο τὸ σῶμα τοῦ ᾿Ιησοῦ T: Adam. 5,12 (857d): (Καὶ ἰδοὺ ἀνὴρ ὀνόματι ᾿Ιωσὴϕ) αἰτησάμενος τὸ σῶμα τω πιλατω: it M ¦ om *Ev A 213 1443 sy c ❸ Einzelbezeugung: *Ev A = S = G 1 ≠ G 2 = L = M 23,52: οὗτος προσελθὼν τῷ Πιλάτῳ ᾐτήσατο τὸ σῶμα τοῦ ᾿Ιησοῦ T: Adam. 5,12 (857d): (Καὶ ἰδοὺ ἀνὴρ ὀνόματι ᾿Ιωσὴϕ) αἰτησάμενος τὸ σῶμα ητησατο: it M ¦ αιτησαμενος *Ev A ❶ Einzelbezeugung: *Ev A ≠ M 23,52: οὗτος προσελθὼν τῷ Πιλάτῳ ᾐτήσατο τὸ σῶμα τοῦ ᾿Ιησοῦ T: Adam. 5,12 (857d): (Καὶ ἰδοὺ ἀνὴρ ὀνόματι ᾿Ιωσὴϕ) αἰτησάμενος τὸ σῶμα του ιησου: it M ¦ om *Ev A ❶ Einzelbezeugung: *Ev A ≠ M 23,53a: καὶ καθελὼν ἐνετύλιξεν αὐτὸ σινδόνι T: Epiph., Schol. 74: καθελὼν τὸ σῶμα ἐνετύλιξε σινδόνι T: Adam. 5,12 (857d): αἰτησάμενος τὸ σῶμα ἐνετύλιξεν ἐν σινδόνι καθελων: *Ev E P 75 א B C D L 0124 mult a aur d e f ſſ 2 g 1 gat l r 1 vg ¦ add το σωμα/ illum: ſſ 2 (eum: a; corpus Iesu: d; corpus: c) *Ev A ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev E = L 1 = G 1 ≠ *Ev A = L 2 = G 2 = M 1442 Anhang III 23,53a: καὶ καθελὼν ἐνετύλιξεν αὐτὸ σινδόνι T: Epiph., Schol. 74: καθελὼν τὸ σῶμα ἐνετύλιξε σινδόνι T: Adam. 5,12 (857d): αἰτησάμενος τὸ σῶμα ἐνετύλιξεν ἐν σινδόνι αυτο/ illum: ſſ 2 (eum: a; corpus Iesu: d; corpus: c) M ¦ om *Ev E.A W X Θ Ψ mult aur b e f g 1 l q r 1 ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev E = *Ev A = L 1 ≠ L 2 = G = M 23,53b: καὶ ἔθηκεν αὐτὸν ἐν μνήματι λαξευτῷ T: Epiph., Schol. 74: καὶ ἔθηκεν αὐτὸν ἐν μνήματι λαξευτῷ T: Adam. 5,12 (857d): καὶ ἔθηκεν ἐν καινῷ μνημείῳ αυτον/ illum (illud): *Ev E א B C D pc a aur b d f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg ¦ om *Ev A mult e vg (1 ms) ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev A = L 1 ≠ *Ev E = L 2 = G = M 23,53b: καὶ ἔθηκεν αὐτὸν ἐν μνήματι λαξευτῷ T: Tert. 4,42,7: de Pilato postulatum … de patibulo detractum … sindone involutum … sepulcro novo conditum T: Epiph., Schol. 74: καὶ ἔθηκεν αὐτὸν ἐν μνήματι λαξευτῷ T: Adam. 5,12 (857d): καὶ ἔθηκεν ἐν καινῷ μνημείῳ εν μνηματι λαξευτω/ in momumento exciso: aur b e f ſſ 2 l q (sculptili: a; sculpto: d; perfosso in petra: c) M ; μνημειω λελατομημενω: D ¦ καινω μνημειω/ in monumento novo: *Ev T.A r 1 ❷ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev E = L 1 = G = M ≠ *Ev T = *Ev A = L 2 23,53b: οὗ οὐκ ἦν οὐδεὶς οὔπω κείμενος T: Tert. 4,42,7: de Pilato postulatum … de patibulo detractum … sindone involutum … sepulcro novo conditum T: Epiph., Schol. 74: καὶ ἔθηκεν αὐτὸν ἐν μνήματι λαξευτῷ T: Adam. 5,12 (857d): καὶ ἔθηκεν ἐν καινῷ μνημείῳ ου ουκ ην ουδεις ουπω κειμενος: it M ¦ om *Ev T.E. A ❶ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T  *Ev E  *Ev A ≠ M 23,56: ὑποστρέψασαι δὲ ἡτοίμασαν ἀρώματα καὶ μύρα T: Epiph., Schol. 75: καὶ ὑποστρέψασαι αἱ γυναῖκες … δε/ autem: (a) d M ¦ και/ et: *Ev E C c aur b c e f ſſ 2 g 1 gat l q vg georg II.III aeth ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 23,56: ὑποστρέψασαι δὲ ἡτοίμασαν ἀρώματα καὶ μύρα T: Epiph., Schol. 75: Καὶ ὑποστρέψασαι αἱ γυναῖκες ἡσύχασαν τὸ σάββατον ητοιμασαν αρωματα και μυρα: it M ¦ om *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M 23,56: Καὶ τὸ μὲν σάββατον ἡσύχασαν T: Epiph., Schol. 75: Καὶ ὑποστρέψασαι αἱ γυναῖκες ἡσύχασαν τὸ σάββατον το μεν σαββατον ησυχασαν: it M ¦ (4 1 3) *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M 23,56: Καὶ τὸ μὲν σάββατον ἡσύχασαν κατὰ τὴν ἐντολήν T: Epiph., Schol. 75: ἡσύχασαν τὸ σάββατον κατὰ τὸν νόμον την εντολην: it M ¦ τον νομον: *Ev E ❶ Einzelbezeugung: *Ev E ≠ M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1443 24,3: οὐχ εὗρον τὸ σῶμα τοῦ κυρίου ᾿Ιησοῦ T: Tert. 4,43,2: corpore autem non invento … του κυριου Ιησου/ Domini Iesu: aur c f q vg M ; του Ιησου 579 1071 1241 sy s.c bo ms ¦ om *Ev T D a b d e ſſ 2 l r 1 WNI 24,3: τοῦ κυρίου ᾿Ιησοῦ: om D a b d e ſſ 2 l r 1 [579 1071 1241 sy s.c.p : τοῦ ᾿Ιησοῦ] = *Ev T ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1  G 1 = S ≠ L 2 = G 2 = M 24,4: ἄνδρες δύο ἐπέστησαν αὐταῖς ἐν ἐσθῆτι ἀστραπτούσῃ T: Epiph., Schol. 76: Εἶπαν οἱ ἐν ἐσθῆτι λαμπρᾷ αστραπτουση/ fulgenti (fulgente: b c r 1 ; fulgentes: l; in amictu scorusancti: d): P 75 א B D b c d l r 1 sy s.c.p ; εν εσθησεσιν αστραπτουσαις: A C [L] W Θ Ψ [070] f 1.13 33 M sy h ¦ λαμπρα/ splendida: *Ev E ſſ 2 ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L 1 ≠ G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 24,6a: οὐκ ἔστιν ὧδε, ἀλλὰ ἠγέρθη. μνήσθητε … T: Tert. 4,43,5: (nam eadem et angeli) ad mulieres: Rememoramini quae locutus sit …. T: Epiph., Schol. 76: (τί ζητεῖτε τὸν ζῶντα μετὰ τῶν νεκρῶν; ) ἠγέρθη, μνήσθητε … ουκ εστιν ωδε, αλλα ηγερθη/ non est hic, sed surrexit: aur f q vg M ¦ resurrexit a mortuis: (*Ev E ) c ¦ om *Ev T D a b d e ſſ 2 l r 1 georg II WNI 24,6: οὐκ ἔστιν ὧδε ἀλλ(ὰ) ἠγέρθη: om *Ev T D a b d e ſſ 2 l r 1 georg II ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ *Ev E  L 2 ≠ G = M 24,6: μνήσθητε ὡς ἐλάλησεν ὑμῖν ἔτι ὢν ἐν τῇ Γαλιλαίᾳ T: Tert. 4,43,5: rememoramini quae locutus sit vobis in Galilaea T: Epiph., Schol. 76: μνήσθητε ὅσα ἐλάλησεν ἔτι ὢν μεθ’ ὑμῶν … ως/ qualiter: aur b e f ſſ 2 l q r 1 (sicut: a) M ¦ οσα/ quae: *Ev T.E D c sy s.c ; quanta: d ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 24,6: μνήσθητε ὡς ἐλάλησεν ὑμῖν ἔτι ὢν ἐν τῇ Γαλιλαίᾳ T: Tert. 4,43,5: rememoramini quae locutus sit vobis in Galilaea T: Epiph., Schol. 76: μνήσθητε ὅσα ἐλάλησεν ἔτι ὢν μεθ’ ὑμῶν … ων εν τη γαλιλαια: *Ev T M ; (2 3 4 1) aur b e f ſſ 2 g 1 gat l q r 1 vg ¦ μεθ υμων: *Ev E sy s.c.p ¦ ων εν τη γαλιλαια μεθ υμων: b; ων εν τη γαλιλαια συν υμιν: 1319 ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev E = S  L 1 ≠ *Ev T = L 2 = G = M 24,7: λέγων τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου ὅτι δεῖ παραδοθῆναι T: Tert. 4,43,5: dicens quod oportet tradi filium hominis T: Epiph., Schol. 76: ὅτι δεῖ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου παθεῖν καὶ παραδοθῆναι λεγων/ dicens (quia): *Ev T aur b e f ſſ 2 l q r 1 M ¦ om *Ev E D a c d (οτι/ quoniam) ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ *Ev E = L 2 = G 2 = M 24,7: τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου παραδοθῆναι T: Tert. 4,43,5: dicens quod oportet tradi filium hominis T: Epiph., Schol. 76: ὅτι δεῖ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου παθεῖν καὶ παραδοθῆναι ανθρωπου: *Ev T it M ¦ add παθειν και: *Ev E ❶ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev E ≠ *Ev T = L = G = M 1444 Anhang III 24,7: τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου δεῖ παραδοθῆναι εἰς χεῖρας ἀνθρώπων ἁμαρτωλῶν T: Tert. 4,43,5: dicens quod oportet tradi filium hominis et crucifigi et tertia die resurgere T: Epiph., Schol. 76: ὅτι δεῖ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου παθεῖν καὶ παραδοθῆναι εις χειρας ανθρωπων αμαρτωλων: aur c f q vg M ¦ om *Ev T.E a Chrys (Hom. in Mt 26, 39; PG 61, 751) ¦ εις χειρας ανθρωπων: D b d e ſſ 2 l r 1 ❷ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E = L 1 ≠ L 2 ≠ G = M 24,7: εἰς χεῖρας ἀνθρώπων ἁμαρτωλῶν καὶ σταυρωθῆναι καὶ τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ ἀναστῆναι T: Tert. 4,43,5: dicens quod oportet tradi filium hominis et crucifigi et tertia die resurgere T: Epiph., Schol. 76: ὅτι δεῖ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου παθεῖν καὶ παραδοθῆναι και σταυρωθηναι: add *Ev T it M ¦ om *Ev E a ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev E = L 1 ≠ *Ev T = L 2 = G = M 24,7: εἰς χεῖρας ἀνθρώπων ἁμαρτωλῶν καὶ σταυρωθῆναι καὶ τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ ἀναστῆναι T: Tert. 4,43,5: dicens quod oportet tradi filium hominis et crucifigi et tertia die resurgere T: Epiph., Schol. 76: ὅτι δεῖ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου παθεῖν καὶ παραδοθῆναι και τη τριτη ημερα αναστηναι : *Ev T it M ¦ om *Ev E 1604 ❹ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T = G 1 ≠ *Ev E = L = G 2 = M 24,9: καὶ ὑποστρέψασαι ἀπὸ τοῦ μνημείου ἀπήγγειλαν ταῦτα πάντα T: Tert. 4,43,2: revertentes quoque a sepulcro mulieres απο του μνημειου: om D a b c d e ſſ 2 l r 1 Tat arab (και υποστρεψασαι απο του μνημειου: om Tat pers ) armen mss georg I.II ¦ απο του μνημειου/ a monumento (sepulcro): add *Ev T f q vg M ❷ Einzelbezeugung: L 1 = G 1 ≠ L 2 ≠ G 2 = *Ev T = M 24,25: Ὦ ἀνόητοι καὶ βραδεῖς τῇ καρδίᾳ τοῦ πιστεύειν T: Tert. 4,43,4: O insensati et tardi corde in non credendo T: Epiph., Schol. 77: Ὦ ἀνόητοι καὶ βραδεῖς τοῦ πιστεύειν T: Adam. 5,12 (857d): ἀνόητοι καὶ βραδεῖς τῇ καρδίᾳ τοῦ πιστεύειν τη καρδια: *Ev T.A it M ¦ om *Ev E ❶ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev E ≠ *Ev T = *Ev A = M 24,25: (… τοῦ πιστεύειν) ἐπὶ πᾶσιν οἷς ἐλάλησαν οἱ προϕῆται T: Tert. 4,43,4: ( … in non credendo) omnibus quae locutus est ad vos T: Epiph., Schol. 77: (…) ἐϕ’ οἷς ἐλάλησα ὑμῖν T: Adam. 5,12 (857d): (… τοῦ πιστεύειν) ἐπὶ πᾶσιν οἷς ἐλάλησα πρὸς ὑμᾶς επι/ in: *Ev E.A aur b d f ſſ 2 l r 1 M ; super: c e ¦ om *Ev T a ❷ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = L 1 ≠ *Ev A = *Ev E = L 2 = G = M 24,25: (… τοῦ πιστεύειν) ἐπὶ πᾶσιν οἷς ἐλάλησαν οἱ προϕῆται T: Tert. 4,43,4: ( … in non credendo) omnibus quae locutus est ad vos T: Epiph., Schol. 77: (…) ἐϕ’ οἷς ἐλάλησα ὑμῖν T: Adam. 5,12 (857d): (… τοῦ πιστεύειν) ἐπὶ πᾶσιν οἷς ἐλάλησα πρὸς ὑμᾶς πασιν: *Ev T.A it M ¦ om *Ev E 1654* ❷ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev E ≠ *Ev T = *Ev A = L = G = M Die Übereinstimmungen zwischen *Ev und den Lk-Varianten 1445 24,25: (… τοῦ πιστεύειν) ἐπὶ πᾶσιν οἷς ἐλάλησαν οἱ προϕῆται T: Tert. 4,43,4: ( … in non credendo) omnibus quae locutus est ad vos T: Epiph., Schol. 77: ἀντὶ δὲ του Ἐϕ’ οἷς ἐλάλησαν οἱ προϕῆται ἐποίησεν Ἐϕ’ οἷς ἐλάλησα ὑμῖν T: Adam. 5,12 (857d): (… τοῦ πιστεύειν) ἐπὶ πᾶσιν οἷς ἐλάλησα πρὸς ὑμᾶς ελαλησαν οι προϕηται/ locuti sunt prophetae: it M ¦ ελαλησα προς υμας (υμιν)/ locutus est ad vos: *Ev E.A(T) ❶ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev E ≡ *Ev A ≡ *Ev T ≠ L = G = M 24,26: οὐχὶ ταῦτα ἔδει παθεῖν τὸν Χριστὸν T: Adam. 5,12 (857d): ὅτι ἔδει ταῦτα παθεῖν τὸν Χριστόν ουχι/ nonne (a aur b c f ſſ 2 l); non ( r 1 ) ¦ οτι/ quoniam: *Ev A D d ❷ Einzelbezeugung: *Ev A = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 24,31: αὐτῶν δὲ διηνοίχθησαν οἱ ὀϕθαλμοὶ καὶ ἐπέγνωσαν αὐτόν T: Epiph., Schol. 77: ὅτε ἔκλασεν τὸν ἄρτον ἠνεῴχθησαν αὐτῶν οἱ ὀϕθαλμοὶ καὶ ἐπέγνωσαν αὐτόν αυτων δε διηνοιχθησαν οι οϕθαλμοι/ et aperti sind oculi eorum: aur b f ſſ 2 r 1 ¦ add λαβοντων δε αυτων τον αρτον απ αυτου … / cum accepissent autem panem ab eo … (*Ev E ) D c d e (εν τη κλασει του αρτου/ in fractionem panis: l) ❷ Einzelbezeugung: *Ev E = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 = M 24,38: καὶ ἔμϕοβοι γενόμενοι ἐδόκουν πνεῦμα θεωρεῖν T: Tert. 4,43,6: immo phantasma credentibus, Quid turbati estis? … T: Adam. 5,12 (857e): δοκοῦσιν αὐτὸν ϕαντασίαν εἶναι πνευμα/ spiritus: it M ¦ ϕαντασμα/ ϕαντασια: *Ev T (*Ev A ) D d ❷ Einzelbezeugung: *Ev T = L 1 = G 1  *Ev A ≠ L 2 = G 2 = M 24,38: καὶ διὰ τί διαλογισμοὶ ἀναβαίνουσιν ἐν τῇ καρδίᾳ ὑμῶν T: Tert. 4,43,6-8: et quid cogitationes subeunt in corda vestra? T: Adam. 5,12 (857e): καὶ ἵνα τί διαλογισμοὶ ἀναβαίνουσιν εἰς τὴν καρδίαν ὑμῶν δια τι/ quare: *Ev T a aur b c e f ſſ 2 l r 1 M ¦ ινα τι/ ut quid: *Ev A D L ℓ253 d ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev A = L 1 = G 1 ≠ *Ev T = L 2 = G 2 = M 24,38: καὶ διὰ τί διαλογισμοὶ ἀναβαίνουσιν ἐν τῇ καρδίᾳ ὑμῶν T: Tert. 4,43,6-8: et quid cogitationes subeunt in corda vestra T: Adam. 5,12 (857e): καὶ ἵνα τί διαλογισμοὶ ἀναβαίνουσιν εἰς τὴν καρδίαν ὑμῶν τη καρδια/ corde: *Ev A a b ſſ 2 l r 1 (cor: c d e) M ¦ ταις καρδιαις/ cordibus: *Ev T aur f (corda: vg) ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T = L 1 ≠ *Ev A = L 2 = G = M 24,39a: ἴδετε τὰς χεῖράς μου καὶ τοὺς πόδας μου T: Tert. 4,43,6-8: videte manus meas et pedes T: Epiph., Schol. 78: ἴδετε τὰς χεῖράς μου καὶ τοὺς πόδας μου T: Adam. 5,12 (857e): ἴδετε τὰς χεῖράς μου καὶ τοὺς πόδας μου μου/ (pedes) meos: *Ev E.A a b d ſſ 2 l q r 1 M ¦ om μου/ meos: *Ev T P 75 L W Θ 0211 mult lectt aur c e f g 1 vg sy h ❷ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ *Ev E = *Ev A = L 2 = G 2 = M 1446 Anhang III 24,39a: ὅτι ἐγώ εἰμι αὐτός T: Tert. 4,43,6: quia ego ipse sum T: Adam. 5,12 (857e): ὅτι ἐγώ εἰμι αὐτός εγω ειμι αυτος/ ego sum ipse: *Ev A P 75 א B L 33 (579) a b f ſſ 2 l q co ¦ (3 1 2) αυτος εγω ειμι/ ipse ego sum: A W Θ Ψ f 1.13 M aur vg mss sy h ¦ (1 3 2) εγω αυτος ειμι/ ego ipse sum: *Ev T D c d e vg mss ❷ Widersprüchliche Bezeugung: *Ev T = L 1 = G 1 ≠ L 2 = G 2 ≠ *Ev A = L 3 = G 3 = M 24,39b: ψηλαϕήσατέ με καὶ ἴδετε, ὅτι πνεῦμα σάρκα καὶ ὀστέα οὐκ ἔχει καθὼς ἐμὲ θεωρεῖτε ἔχοντα T: Tert. 4,43,6-8: videte manus meas et pedes, quia ego ipse sum, quoniam spiritus ossa non habet, sicut me videtis habere T: Epiph., Schol. 78: ἴδετε τὰς χεῖράς μου καὶ τοὺς πόδας μου, ὅτι πνεῦμα ὀστέα οὐκ ἔχει, καθὼς ἐμὲ θεωρεῖτε ἔχοντα T: Adam. 5,12 (857e): ἴδετε τὰς χεῖράς μου καὶ τοὺς πόδας μου ὅτι ἐγώ εἰμι αὐτός, ὅτι πνεῦμα ὀστέα καὶ σάρκα οὐκ ἔχει, καθὼς ἐμὲ θεωρεῖτε ἔχοντα ψηλαϕησατε με και ιδετε: it M ¦ ιδετε τας χειρας μου και τους ποδας μου: *Ev T.E. A ❶ Übereinstimmende Bezeugung: *Ev T  *Ev E  *Ev A ≠ M 24,39b: ἴδετε, ὅτι πνεῦμα σάρκα καὶ ὀστέα οὐκ ἔχει καθὼς ἐμὲ θεωρεῖτε ἔχοντα T: Tert. 4,43,6-8: videte manus meas et pedes, quia ego ipse sum, quoniam spiritus ossa non habet, sicut me videtis habere T: Epiph., Schol. 78: ἴδετε τὰς χεῖράς μου καὶ τοὺς πόδας μου, ὅτι πνεῦμα ὀστέα οὐκ ἔχει, καθὼς ἐμὲ θεωρεῖτε ἔχοντα T: Adam. 5,12 (857e): ἴδετε τὰς χεῖράς μου καὶ τοὺς πόδας μου ὅτι ἐγώ εἰμι αὐτός, ὅτι πνεῦμα ὀστέα καὶ σάρκα οὐκ ἔχει, καθὼς ἐμὲ θεωρεῖτε ἔχοντα σαρκα και (οστεα)/ carnem et (ossa): it M ¦ (3 2 1) οστεα και σαρκα: *Ev A ¦ om *Ev T. E ❶ Widersprüchliche/ übereinstimmende Bezeugung: *Ev T = *Ev E ≠ *Ev A = L = M Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter (TANZ) begründet von Klaus Berger, François Vouga, Michael Wolter und Dieter Zeller herausgegeben von Matthias Klinghardt, Günter Röhser, Stefan Schreiber und Manuel Vogel Bisher sind erschienen: Frühere Bände finden Sie unter: https: / / www.narr.de/ theologie-kat/ theologiereihen-kat/ tanz/ ? ___store=narr_starter_de Band 31 Dieter Massa Verstehensbedingungen von Gleichnissen Prozesse und Voraussetzungen der Rezeption aus kognitiver Sicht 1999, 389 Seiten, €[D] 54,- ISBN 978-3-7720-2823-6 Band 32 Hanna Roose Das Zeugnis Jesu Seine Bedeutung für die Christologie, Eschatologie und Prophetie in der Offenbarung des Johannes 1999, 252 Seiten, €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2824-3 Band 33 Gabriele Faßbeck Der Tempel der Christen Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur Aufnahme des Tempelkonzepts im frühen Christentum 2000, XII, 317 Seiten, €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2825-0 Band 34 Holger Sonntag NOMOΣ ΣΩTHP Zur politischen Theologie des Gesetzes bei Paulus und im antiken Kontext 2000, XII, 376 Seiten, €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2826-7 Band 35 Markus Sasse Der Menschensohn im Evangelium nach Johannes 2001, XIV, 337 Seiten, €[D] 43,- ISBN 978-3-7720-2827-4 Band 36 Michael Labahn/ Jürgen Zangenberg (Hrsg.) Zwischen den Reichen: Neues Testament und Römische Herrschaft Vorträge auf der ersten Konferenz der European Association for Biblestudies 2002, VIII, 286 Seiten, €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2828-1 Band 37 Johannes Krug Die Kraft des Schwachen Ein Beitrag zur paulinischen Apostolatstheorie 2001, 350 Seiten, €[D] 64,- ISBN 978-3-7720-2829-8 Band 38 Byung-Mo Kim Die paulinische Kollekte 2002, 220 Seiten, €[D] 44,- ISBN 978-3-7720-2830-4 Band 39 Vincenzo Petracca Gott oder das Geld Die Besitzethik des Lukas 2003, XIV, 410 Seiten, €[D] 64,- ISBN 978-3-7720-2831-1 Band 40 Jürg Buchegger Erneuerung des Menschen Exegetische Studien zu Paulus 2003, XIV, 409 Seiten, €[D] 64,- ISBN 978-3-7720-2832-8 Band 41 Claudia Losekam Die Sünde der Engel Die Engelfalltradition in frühjüdischen und gnostischen Texten 2010, VI, 407 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8001-2 Band 42 Stefan Alkier/ Jürgen Zangenberg (Hrsg.) Unter Mitarbeit von C. Dronsch und M. Schneider Zeichen aus Text und Stein Studien auf dem Weg zu einer Archäologie des Neuen Testaments 2003, 540 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8007-4 Band 43 Alexander Mittelstaedt Lukas als Historiker Zur Datierung des lukanischen Doppelwerks 2005, 271 Seiten, €[D] 59,- ISBN 978-3-7720-8140-8 Band 44 Anja Cornils Vom Geist Gottes erzählen Analysen zur Apostelgeschichte 2006, VIII, 283 Seiten, €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8156-9 Band 45 Joel White Die Erstlingsgabe im Neuen Testament 2007, 374 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8210-8 Band 46 Jörg Michael Bohnet Die Berichte über die Himmelfahrt Jesu 2015, ca. 430 Seiten, ca. €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8216-0 Band 47 Renate Banschbach Eggen Gleichnis, Allegorie, Metapher Zur Theorie und Praxis der Gleichnisauslegung 2007, XII, 312 Seiten, €[D] 64,- ISBN 978-3-7720-8238-2 Band 48 Frank Holzbrecher Paulus und der historische Jesus Darstellung und Analyse der bisherigen Forschungsgeschichte 2007, X, 200 Seiten, €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8242-9 Band 49 Armin D. Baum Der mündliche Faktor Analogien zur synoptischen Frage aus der antiken Literatur, der Experimentalpsychologie, der Oral poetry-Forschung und dem rabbinischen Traditionswesen 2008, XVIII, 526 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8266-5 Band 50 Christian Kurzewitz Weisheit und Tod Die Ätiologie des Todes in der Sapientia Salomonis 2010, 194 Seiten, €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8349-5 Band 51 Sascha Flüchter Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit Auf dem Weg zu einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 in der neutestamentlichen Literatur 2010, XIV, 385 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8373-0 Band 52 Philipp Kurowski Der menschliche Gott aus Levi und Juda Die Testamente der zwölf Patriarchen als Quelle judenchristlicher Theologie 2010, VI, 195 Seiten, €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8384-6 Band 53 Jochen Wagner Die Anfänge des Amtes in der Kirche Presbyter und Episkopen in der frühchristlichen Literatur 2011, 358 Seiten, €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8411-9 Band 54 Stephan Hagenow Heilige Gemeinde - Sündige Christen Zum Umgang mit postkonversionaler Sünde bei Paulus und in weiteren Texten des Urchristentums 2011, 370 Seiten, €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8419-5 Band 55 Soham Al-Suadi Essen als Christusgläubige Ritualtheoretische Exegese paulinischer Texte 2011, 347 Seiten, €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8421-8 Band 56 Matthias Klinghardt/ Hal Taussig (Hrsg.) Mahl und religiöse Identität im frühen Christentum Meals and Religious Identity in Early Christianity 2012, 372 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8446-1 Band 57 Philipp F. Bartholomä The Johannine Discourses and the Teaching of Jesus in the Synoptics A Contribution to the Discussion Concerning the Authenticity of Jesus’ Words in the Fourth Gospel 2012, XIV, 491 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8457-7 Band 58 Wichard von Heyden Doketismus und Inkarnation Die Entstehung zweier gegensätzlicher Modelle von Christologie 2014, XIV, 567 Seiten, €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8524-6 Band 59 Julian Petkov Altslavische Eschatologie Texte und Studien zur apokalyptischen Literatur in kirchenslavischer Überlieferung 2015, 495 Seiten, ca. €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8531-4 Band 60 Matthias Klinghardt Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien Band I: Untersuchung | Band II: Rekonstruktion, Übersetzung, Varianten 2020, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, 2 Bände, XXVIII, 1480 Seiten, €[D] 218,- ISBN 978-3-7720-8742-4 Band 61 Jan Heilmann/ Matthias Klinghardt (Hrsg.) Das Neue Testament und sein Text im 2. Jahrhundert 2018, 322 Seiten, €[D] 118,- ISBN 978-3-7720-8640-3 Band 62 Nathanael Lüke Über die narrative Kohärenz zwischen Apostelgeschichte und Paulusbriefen 2019, 302 Seiten, €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8677-9 Band 63 Alexander Goldmann Über die Textgeschichte des Römerbriefs Neue Perspektiven aus dem paratextuellen Befund 2020, 254 Seiten, €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8709-7 Band 64 Viktor Löwen Die zwölf Jünger Jesu Exegetische Untersuchungen zum Kreis der zwölf Jünger im Matthäusevangelium 2021, ca. 700 Seiten, €[D] 128,- ISBN 978-3-7720-8724-0 Band 65 Jan-A. Bühner Jesus und die himmlische Welt Das Motiv der kultischen Mittlung zwischen Himmel und Erde im frühen Judentum und in der von Jesus ausgehenden Christologie 2020, 490 Seiten, €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8725-7