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Sepulkralsemiotik

2021
978-3-7720-5753-3
A. Francke Verlag 
Laura Velte

In der mittelalterlichen Gedenkkultur kommt dem Grabmal eine wichtige Funktion als Erinnerungsmedium zu. Zwischen Früh- und Spätmittelalter lässt seine Entwicklung das Bedürfnis erkennen, den Toten und ihrem Leben eine signifikante Form zu geben und sie auf diese Weise präsent zu halten. Zwar wurde der besondere Zeichencharakter des Grabmals im Mittelalter nicht theoretisch reflektiert. Doch als Motiv begegnet es so zahlreich in der zeitgenössischen Literatur und Historiographie, dass diese Darstellungen implizite Rückschlüsse auf die Wahrnehmung seiner Substitutions- und Repräsentationsfunktion erlauben. Die Studie untersucht die Zeichenhaftigkeit erzählter Grabmäler erstmals systematisch und in komparatistischer Perspektive.

Bibliotheca Germanica HANDBÜCHER, TEXTE UND MONOGRAPHIEN AUS DEM GEBIETE DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE HERAUSGEGEBEN VON UDO FRIEDRICH, SUSANNE KÖBELE UND HENRIKE MANUWALD 76 Laura Velte Sepulkralsemiotik Grabmal und Grabinschrift in der europäischen Literatur des Mittelalters Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Dieser Beitrag entstand innerhalb des Teilprojekts C05 ( „ Inschriftlichkeit. Reflexionen materialer Textkultur in der Literatur des 12. bis 17. Jahrhunderts “ ) des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereichs 933 „ Materiale Textkulturen. Materialität und Präsenz des Geschriebenen in non-typographischen Gesellschaften “ . © 2021 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0067-7477 ISBN 978-3-7720-8753-0 (Print) ISBN 978-3-7720-5753-3 (ePDF) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Inhaltsverzeichnis Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.1 Forschungsüberblick: Denkmäler deutscher Vorzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.2 Versuch einer mediävistischen Kultursemiotik des Sepulkralen . . . . . . . . . . . . 20 1.2.1 Der Name der Rose: Mittelalterliche Zeichenmodelle . . . . . . . . . . . . . . . 23 1.2.2 Epitaph und Plastik im Wandel: Kulturgeschichte des Grabmals . . . . . 31 1.2.3 Grabmäler und Grabinschriften in der mittelalterlichen Literatur . . . . 44 1.3 Zum Anliegen, Vorgehen und Korpus der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2 Epitaphische Epigrammatik von der Spätantike bis in die Frühe Neuzeit . . . . . . . . 49 2.1 Die Titulusdichtung des Frühmittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2.2 Mittelalterliche literarische Epitaphsammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Fallbeispiel 1: Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Fallbeispiel 2: Materialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Fallbeispiel 3: Stimme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2.3 Das Epitaph im Humanismus und in der Frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3 Sepulkrale Vermittlung zwischen Immanenz und Transzendenz . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3.1 Epitaphe von Engelsboten: Schrift und Autorschaft in der › Legenda Aurea ‹ . 69 3.2 Schrift, Wunder, Heiligkeit: Die Auffindung Karls des Großen . . . . . . . . . . . . . 75 3.3 Mit den Toten sprechen: Dantes › Divina Commedia ‹ und › De Erkenwaldo ‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 4 Das antike Grabmal im Lichte der Weltreichlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 4.1 Epitomisierung des Trojanischen Kriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 4.1.1 Hektor und Achill in der › Anthologia Latina ‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 4.1.2 Heldengedenken bei Ausonius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 4.2 Translatio imperii in Walters von Châtillon › Alexandreis ‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 4.2.1 Achill und der Vorzug des Epos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 4.2.2 Das Grabmal als geschichtlicher Erfahrungsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 4.3 Mahnmale der Vergeltung in Benoîts de Sainte-Maure › Roman de Troie ‹ . . . 106 4.3.1 Körperwelten oder Die Präsenz des Leibes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 4.3.2 Das Grabmal als Grenzraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 4.3.3 Teleologie des Untergangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 5 Grabmal und Scheintod im Liebes- und Reiseroman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 5.1 Übergangsriten in der › Historia Apollonii regis Tyri ‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 5.1.1 Erster Scheintod: Ein sprechender Grabstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 5.1.2 Zweiter Scheintod: Ein Sarg im Meer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 5.1.3 Dritter Scheintod: Ein leeres Grab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 5.2 Doppelgrabmäler: › Flore und Blanscheflur ‹ , › Pyramus und Thisbe ‹ und › Tristan und Isolde ‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 5.2.1 Verschlungene Réécriture . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 5.2.2 Narrative Umbesetzungen im Florisroman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 5.2.3 Ehe und Ende: Paradiesräume bei Konrad Fleck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 6 Evidenz und Autopsie: Grabmäler in der Kirchengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 6.1 Inschrift und Exemplarizität bei Beda Venerabilis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 6.2 Die Gemeinschaft der Lebenden und Toten bei Orderic Vitalis . . . . . . . . . . . . 163 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman . . . . . . . . . 171 7.1 Sepulkrale Präfiguration in Wolframs von Eschenbach › Parzival ‹ . . . . . . . . . . 172 7.1.1 Gahmurets Grab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 7.1.2 Didos Tod und Belakanes Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 7.1.3 Materielle Verweisungszusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 7.1.4 › Orient ‹ und Okzident . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 7.2 Endspiel: Grabmäler als Erkenntnisproblem im › Prosa-Lancelot ‹ . . . . . . . . . . 194 7.2.1 Das Grabmal als Aventiure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 7.2.2 Weltliche und geistliche Sepulkralsemiose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 8 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 6 Inhaltsverzeichnis Dank Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2018/ 2019 von der Neuphilologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Viele Personen haben dazu beigetragen, dass die Studie entstehen, gedeihen und zum Abschluss gelangen konnte. Ihr vielfältiger Einsatz sei an dieser Stelle gewürdigt. An erster Stelle danke ich meinem Doktorvater Ludger Lieb, der mich im Studium und während der Promotion mit großem Engagement unterstützt und gefördert hat. DieAnstellung in seinem SFB-Teilprojekt zu Inschriftlichkeit hat nicht nur mein Interesse an Phänomenen der Materialität und Schriftreflexion geweckt, sondern auch zu vielen interdisziplinären Gesprächen und Begegnungen geführt. Großer Dank gilt auch meinem Zweitbetreuer Christian Schneider. Auf seine Einladung durfte ich vier Monate an der Washington University in St. Louis verbringen, wo ich einen Gutteil meiner Arbeit geschrieben habe. Für die Willkommenskultur am dortigen Department und den konstruktiven Austausch sei namentlich den Professorinnen und Professoren Paul Michael Lützeler, Gerhild Scholz Williams und Lynne Tatlock gedankt. Der Sonderforschungsbereich 933 Materiale Textkulturen hat diesen Aufenthalt wie auch die Publikation meiner Arbeit großzügig bezuschusst. Ein besonders günstiges Umfeld habe ich in der Bürogemeinschaft mit meinen Freunden Isabella Managò, Felix Urban und Simon Pupic gefunden. Mit ihnen konnte ich jede Kapitelskizze diskutieren und neue Entdeckungen teilen. Vielen Dank für diese wunderbare Zeit! Wichtigen Rat für meine komparatistische Studie habe ich zudem von verschiedenen Expertinnen und Experten der romanischen und englischen Sprache erhalten: Stephen Dörr danke ich herzlich für seine wertvollen Hinweise zum Altfranzösischen, Christine Neufeld für ein wichtiges Gespräch über › St. Erkenwald ‹ und Elisa De Roberto für ihren inspirierenden Vortrag zu Inschriften in der italienischen Literatur des Mittelalters. Sophie Knapp, Isabella Managò, Michael R. Ott, Dennis Pulina, Simon Pupic, Felix Urban und Ricarda Wagner haben Teile meiner Arbeit gelesen und korrigiert. Für die aufgebrachte Mühe und Sorgfalt bin ich ihnen allen sehr herzlich verbunden. Ein großer Dank gilt schließlich den Professorinnen und Professoren Udo Friedrich, Susanne Köbele und Henrike Manuwald, die mein Manuskript nach sorgfältiger Prüfung in die Reihe Bibliotheca Germanica aufgenommen haben. Von ihren wertvollen Hinweisen konnte die Arbeit noch einmal sehr profitieren. Ohne den Rückhalt meiner Familie wäre dieses Buch nie entstanden. Ich danke meinen Eltern Donatella Capriz und Uli Velte für ihre liebevolle und bedingungslose Unterstützung in allen Lebenslagen. Dank, den ich nicht in Worte fassen kann, empfinde ich gegenüber meinem Partner Nicolas Detering. Er hat mich unablässig in meinem Vorhaben bestärkt und meinen Überlegungen zu mittelalterlicher Sepulkralsemiotik über Jahre Gehör und Aufmerksamkeit geschenkt. In den schwierigsten Phasen habe ich durch seinen Zuspruch neuen Rückenwind erhalten. Bern und Zürich, im August 2021 Laura Velte Für Gianfranco 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber I met a traveller from an antique land, Who said: — “ Two vast and trunkless legs of stone Stand in the desert … Near them, on the sand, Half sunk, a shattered visage lies, whose frown, And wrinkled lip, and sneer of cold command, Tell that its sculptor well those passions read Which yet survive, stamped on these lifeless things The hand that mocked them, and the heart that fed; And on the pedestal, these words appear: My name is Ozymandias, King of Kings; Look on my Works, ye Mighty, and despair! Nothing beside remains: Round the decay Of that colossal Wreck, boundless and bare The lone and level sands stretch far away. ” Percy Bysshe Shelley, Ozymandias (1818) Shelleys Sonett über die Entdeckung eines altägyptischen Pharaonengrabs zeugt von einer bis in die Moderne anhaltenden Faszination für die materielle Manifestation von Vergangenheit. Inmitten wüster Ödnis und sandiger Leere will ein Reisender auf das Grabmal des Ozymandias gestoßen sein. Eine Sockelinschrift und das Antlitz, wenngleich schon vom Rumpf getrennt, erinnern noch immer an die Identität des Verstorbenen. Im Epitaph hallt der herrschaftliche Anspruch nach, die Nachwelt möge der einstigen Macht des king of kings gedenken. Ozymandias ’ Grabmal steht damit sinnbildlich für das menschliche Bedürfnis, Vergänglichkeit und Sterblichkeit mithilfe von materiellen Zeichen - Schrift und Abbild im dauerhaften, › leblosen ‹ Stein - zu bannen. Zertrümmert, zerbrochen und halb versunken lassen die Überreste jedoch keinen Zweifel daran, dass die dingliche Repräsentation ebenso vergänglich ist wie das menschliche Leben. Ob sich Ozymandias ’ Hoffnung auf Nachruhm als vergeblich erweist oder nicht, gehört zu den offenen Rätseln von Shelleys Gedicht. Man hat den Tod als »Urszene« der Erinnerungskultur bezeichnet, denn erst mit dem »Ende, mit seiner radikalen Unfortsetzbarkeit, gewinnt das Leben die Form der Vergangenheit«. 1 Das Bewusstsein um die Endlichkeit menschlichen Lebens bildet, so ließe sich folgern, eine wesentliche Bezugsgröße für die Wahrnehmung von Raum und Zeit. Es wirft die Frage danach auf, was vor uns war oder was nach uns sein wird. Zwar kann der Mensch seine Vergänglichkeit mithilfe von Memorialpraktiken nicht überwinden, wohl aber seine kommunikative Reichweite im Diesseits verlängern. Im Grabmal wird die Erinnerung an die Verstorbenen bewahrt, damit sie - so lange als möglich - im Andenken der Nachwelt Gegenwärtigkeit erlangen kann. 1 Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 1992, S. 33. Durch den Wunsch nach diskursiver Transzendierung der eigenen Existenz hebt sich der Mensch von anderen Lebewesen ab. Mit dem Errichten und Darstellen von Grabmälern macht er sich dafür eine dezidiert zeichenhafte Praktik zu eigen, die symbolisch zwischen Immanenz und Transzendenz vermittelt. In diesem Sinne ist das Grabmal »kultische Inszenierung des Grenzübertritts«. 2 Es markiert die Schwelle des Todes und damit nach christlicher Doktrin den liminalen Zustand der Seelen, die der Auferstehung des Jüngsten Tages harren. Es steht nicht s e l b s t an der Grenze zwischen Diesseits und Jenseits (und ist somit auch nicht selbst liminal), sondern kann vielmehr kraft seiner Semiotizität zwischen beiden Bereichen verweisen. Die Frage, wie solche semiotischen Verweisungszusammenhänge, wie folglich der Prozess der sepulkralen Repräsentation in der Literatur des christlich-europäischen Mittelalters gedacht werden, steht im Zentrum der vorliegenden Arbeit. 3 Die Kulturtechniken des Erinnerns und Vergessens sind eng miteinander verbunden, denn der Wille zur Erinnerung ist immer auch ein »Mechanismus, der die überwältigende Menge der Toten von den Lebenden fernhält, um ein Weniges von wenigen Toten wertzuschätzen«. 4 Jede Kultur kann nur im begrenzten Maße an ihre Toten erinnern und entwickelt dafür bestimmte mediale und materiale Strategien. Daher setzt die Grabstätte beim Betrachter ein Verständnis ihrer komplexen Kodierungskonventionen voraus. Dazu gehört etwa die Kenntnis von Symbolen, Ikonographien und kulturspezifischen Raumarrangements an Bestattungsorten. Das Grabmal bietet freilich nur begrenzten Raum für Informationsvergabe. Bei der Rekonstruktion geschichtlicher Zusammenhänge sind Historiker oft auf separate Hinweise in Roteln, Nekrologien oder Jahrzeitbüchern angewiesen, etwa wenn die Frage danach gestellt wird, ob ein Grabmal in Verbindung zu Stiftungen oder Schenkungen steht. Je älter das Grabmal ist, desto eher gilt, dass die erfolgreiche Kontextualisierung vergangener Grabstätten ein Wissen erfordert, das über die Individualbotschaft eines Grabsteins hinausgeht. Ungeachtet, in welcher konkreten Gestalt (Platte, Stele, Bild, Sarkophag, Skulptur oder ähnliches) Grabmäler in Erscheinung treten, sind an ihnen stets weitere semiotische Systeme beteiligt und bilden ein zusammenwirkendes Zeichenensemble, das an die Nachkommen appelliert, das gesehen und wahrgenommen, gelesen und gedeutet werden will. Bei aller historischen Variation von Gedenkritualen und Techniken sepulkraler Raumbesetzung scheinen zwei Prinzipien vergleichsweise konstant: Kombiniert wird meist ein Grabmal aus einem dauerhaften Memorialmaterial wie Stein oder Metall, das an die Stelle des darin oder darunter befindlichen Leibes tritt (Kontiguitätsprinzip), mit einem Epitaph, d. h. einer auf das 2 Peter Friedrich: Schrift und Grab. Literalität und Liminalität in der epitaphischen Texttradition: In: Achim Geisenhanslüke u. Georg Mein (Hg.): Grenzräume der Schrift. Bielefeld 2008 (Literalität und Liminalität 2), S. 167 - 188, hier S. 168. 3 In viel weiterer Perspektive, mit klarer Präferenz aber für die Neuzeit, hat Guthke die Geschichte der Grabinschrift von der Antike bis ins 20. Jahrhunderts dargestellt, vgl. Karl S. Guthke: Sprechende Steine. Eine Kulturgeschichte der Grabschrift. Göttingen 2006. Auf die französische Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts konzentriert sich dagegen Swift, die die Funktion der postumen Identitätskonstitution durch Epitaphe betont, vgl. Helen J. Swift: Representing the Dead. Epitaph Fictions in Late Medieval France. Cambridge 2016 (Gallica 40). 4 Hartmut Böhme: Der Wettstreit der Medien im Andenken der Toten. In: Sabine Heiser u. Christiane Holm (Hg.): Gedächtnisparagone - Intermediale Konstellationen. Mit 45 Abbildungen. Göttingen 2010 (Formen der Erinnerung 42), S. 25 - 46, hier S. 27. 10 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber Grabmal eingravierten oder aufgeprägten schriftlich-symbolischen Auszeichnung des Verstorbenen (Identifikationsprinzip). Von anderen Kulturtechniken der memoria ist das Grabmal also durch seinen metonymischen Charakter unterschieden. Als kontiges Zeichen ist es stets lokal an sein Bezeichnetes gebunden; es zeigt die Nähe dessen an, das es repräsentiert. Damit changiert seine Zeichenhaftigkeit zwischen der notwendigen Absenz und der suggestiven Vergegenwärtigung des toten Körpers - das Grabmal steht dort, wo der Mensch nicht mehr ist. Wird der Betrachter aufgefordert, den Verstorbenen zu vergegenwärtigen, so geschieht dies stets im Modus der Remortifikation, d. h. in Anerkennung der Vollendung des erinnerten Lebens. Dieser Repräsentationsals Remortifikationsprozess wird durch die Kombination verschiedener semiotischer Systeme wie Schrift, Bild und Material sowie durch das räumliche Arrangement getragen. Neben dem Grabmal leistet das E p i t a p h den wichtigsten Beitrag zum Signifikationsprozess der Grabstätte. 5 Als biographische Minimalform enthält es wesentliche Informationen zum Leben und Tod des Verstorbenen, die formelhaft stilisiert, materialisiert und in zweifacher Hinsicht verräumlicht werden, nämlich einerseits in ein syntagmatisches Zeichengefüge überführt und andererseits im geographischen Raum fixiert werden. 6 Die Form, wie eine Gruppe »die Toten der fortschreitenden Gegenwart gegenwärtig hält«, soll mit A SSMANN als die retrospektive Dimension des Grabmals bezeichnet werden. 7 Dazu gehört im christlichen Mittelalter insbesondere die Fürbitte, das Gebet der Lebenden für die Seelen der Toten, die das Grabmal zu einem Ort reziproker Kommunikation werden lässt. Als prospektiv versteht sich dagegen die Wahrung des persönlichen Nachruhms, der fama. Weil sie ihre Autoren verbergen und sich an unspezifische Adressaten richten, konstituieren Grabinschriften schließlich einen besonderen Typ der Sprachverwendung. 8 Analog zum metonymischen Kontiguitätsprinzip von Grabmälern kommunizieren Epitaphe deiktisch - sie sprechen zu jedem, der in die Nähe des angezeigten h i c situs est (oder h i e r liegt) tritt. 9 Mittels solcher indexikalischen Formeln vollzieht sich, mit Hans Ulrich G UMBRECHT gesprochen, 5 Die Begriffe › Grabinschrift ‹ und › Epitaph ‹ werden hier und im Folgenden synonym verwendet. Darunter verstehe ich wie Guthke »jeden Text auf einem Grab, auch bloße Namen und Daten« (Guthke 2006, S. 333). In der Kunstgeschichte bezeichnet das Epitaph hingegen eine »besondere Form des Totengedächtnismals«, das »die Erinnerung an den Verstorbenen mit einem religiösen oder allegorischen Bildwerk und einem inschriftlichen Todesvermerk verbinde[t]. Diese Denkmäler sind nicht an den Begräbnisort gebunden, sind also ihrer Funktion nach keine Grabmäler« und wurden »besonders seit dem 14. Jahrhundert, der als Grabmal ausgeführten Grabplatte hinzugefügt, dienten aber später auch allein als Erinnerungsmal für den Verstorbenen.« (Paul Schoenen: Art. › Epitaph ‹ . In: RDK, Bd. 5. Stuttgart 1967, Sp. 872 - 921, hier Sp. 880 f.). Solche Totengedächtnismale sind nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. 6 Zum Zusammenhang von Epitaph und Autobiographie im alten Ägypten vgl. Jan Assmann: Stein und Zeit. Mensch und Gesellschaft im alten Ägypten. München 1991, S. 178 - 188. 7 Vgl. Assmann 1992, S. 61. Nach Assmann nimmt das Totengedenken eine Zwischenstellung zwischen kommunikativem und kulturellem Gedächtnis ein: Denn »[d]as Totengedenken ist › kommunikativ ‹ , insofern es eine allgemein menschliche Form darstellt, und es ist › kulturell ‹ in dem Maße, wie es seine speziellen Träger, Riten und Institutionen ausbildet« (ebd.). 8 Vgl. Götz Wienold: Inschrift und Ornament oder Die Entfärbung der Objekte. Englische Inschriften in der japanischen Kultur der Gegenwart. Tübingen 1995, S. 14 - 16. 9 Vgl. Scott L. Newstok: Quoting Death in Early Modern England. The Poetics of Epitaphs Beyond the Tomb. Basingstoke 2009, S. 1: »The word › here ‹ serves as the common, even the principal declaration of an epitaph«. [Herv. i. O.] 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber 11 ein Wechsel vom »semiotischen Paradigma der Repräsentation zu einer deiktischen Haltung [. . .], [wobei] man das Gefühl hat, daß die Worte eher auf Dinge zeigen als › für sie ‹ zu stehen«. 10 Durch sprachliche Deiktika wird memoria nicht als Überdauerung konzipiert, sondern als immer neue räumliche Präsentifikation durch Identifikation. Der Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist e r s t e n s die dargestellte Semiose sepulkraler Arrangements, das heißt die Funktion textualisierter Grabmäler und Grabinschriften vor allem in der mittelalterlichen Erzählliteratur. Während reale › Artefaktbiographien ‹ aus archäologischen Funden nur mühsam zu rekonstruieren sind, geben literarische Imaginationen von Grabmälern deutlichen Aufschluss über zeitgenössische Vorstellungen der Darstellungsmodi von Schrift und Bild, über denkbare Rezeptionspraktiken und Bedeutungszuschreibungen. In poetischen Texten werden Grabmal und Epitaph gegenüber anderen Memorialpraktiken profiliert und problematisiert, insbesondere gegenüber einer sich auch selbst als Gedächtnismedium verstehenden Literatur. Zwar kennt das Mittelalter keine paragonale Kunsttheorie. Auch die mittelalterliche Literatur entwirft keine explizite Medienkonkurrenz zwischen Plastik, Bild und Sprachkunst. 11 Mit der Übertragung des Grabmals, einem in erster Linie plastischen Medium, in die Literatur, ergeben sich jedoch ästhetische Spielräume, in denen die beteiligten semiotischen Systeme unterschiedlich hierarchisiert werden können. So werden in ekphrastischen Grabmaldarstellungen oft Bildlichkeit und Materialität gegenüber der Schrift favorisiert. Die Frage, ob sich Nachruhm wirksamer durch Monumente oder literarische Werke garantieren lässt, scheint besonders dort auf, wo bewusst an die klassische Literatur derAntike angeschlossen wird, etwa in Hieronymus ’ › Epitaphium Sanctae Paulae ‹ oder der › Alexandreis ‹ des Walter von Châtillon. Dennoch forciert die mittelalterliche Literatur den medialen Wettbewerb nicht, sondern verfährt vielmehr integrativ, wenn innerhalb von Erzählungen horizontal sich erstreckende Bilderreihen imaginiert werden, die sich lesen lassen wie Texte oder von Buchstaben an Grabmalen die Rede ist, denen eine ähnlich ikonisch-ornamentale Funktion zukommt wie Bildern. 12 Aufgrund ihrer medialen Integrationsfähigkeit lassen sich sepulkrale Repräsentations- und Semioseprozesse anhand von literarischen Texten rekon- 10 Hans Ulrich Gumbrecht: Unsere breite Gegenwart. Berlin 2010, S. 27. 11 Vgl. Susanne Bürkle u. Ursula Peters (Hg.): Interartifizialität. Die Diskussion der Künste in der mittelalterlichen Literatur. In: ZfdPh 128 Sonderheft (2009). In der Einleitung nehmen die Herausgeberinnen auf die Kombinatorik der verschiedenen Künste Bezug: »In der je verschiedenen Auffächerung der artes im Medium der Literatur zeichnet sich jedoch nicht zuletzt eine Tendenz zur Korrelation und Konfrontation, zur Abgleichung und Verhandlung - »Verfransung« (Theodor W. Adorno) - ihrer jeweiligen Vermögen und Kriterien ab, und dies kann mancherorts zu subtilen Hierarchisierungen und losen Formationen gewisser › Künste ‹ führen, was sich bislang am deutlichsten bei den seit der Antike als Schwesterkünsten verstandenen Wort- und Bildkünsten zeigt« (S. 5). Vgl. auch Silke Tammen: Vom Haften der Erinnerung. Gedanken zu paragonalen Konstellationen der Gedächtnismedien im Mittelalter. In: Sabine Heiser u. Christiane Holm (Hg.): Gedächtnisparagone - Intermediale Konstellationen. Mit 45 Abbildungen. Göttingen 2010 (Formen der Erinnerung 42), S. 131 - 152; Ulrich Pfisterer: Der Paragone. In: Wolfgang Brassat (Hg.): Handbuch Rhetorik der Bildenden Künste. In: Handbücher Rhetorik, Bd. 2. Berlin/ Boston 2017, S. 283 - 312, zum Mittelalter S. 288 f. 12 Zu diesem Verständnis trägt bei, dass die handwerklichen Tätigkeiten des Schreibens und Malens in der Antike und dem Mittelalter konzeptuell enger miteinander verknüpft waren, als es ein modernes Medienverständnis voraussetzt. Anders als im heutigen Sprachgebrauch wurden die Lexeme schrîben und mâlen im Mittelhochdeutschen sogar teils synonym verwendet. Vgl. Horst Wenzel: Hören und Sehen. Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter. München 1995, S. 292. 12 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber struieren. Die Arbeit versteht sich in diesem Sinne als Beitrag zur Kultursemiotik. 13 Sie fragt danach, wie und für wen Erinnerungsmedien im funeralen Kontext entworfen werden und welche Bezeichnungsprozesse dazu beitragen, dass Verstorbene effektiv vergegenwärtigt werden können. Damit werden also Prozesse der Bedeutungsbildung im Text und auf der Ebene der Figuren adressiert. Daneben verfolgen die Untersuchungen aber ein z w e i t e s Anliegen, nämlich die Funktion zu bestimmen, die Grabinschriften - gerade in umfangreichen narrativen Texten - in Hinblick auf den Darstellungszusammenhang einnehmen können. In der Kirchengeschichte des Beda Venerabilis scheint die wiederholte Zitation von Grabinschriften das Erzählte auf spezifische Weise zu gliedern, in einem Autograph des Orderic Vitalis tragen die durch Initialen und Marginalien markierten Epitapheinschübe gar zur Formatierung der Textoberfläche bei. Damit verlagert sich die Perspektive von der dargestellten Semiose zu den Semioseprozessen, die der Text bei seinen Rezipienten anstößt. Die Übertragung des Epitaphs in das Medium der Literatur zeitigt einen konkreten Funktionsgewinn, so die These, denn mit dem Tod einer Figur wird eine Zäsur gesetzt, an deren Stelle das Grabmal als Binnengedächtnis tritt und mit dem ihm eigenen Semiosekomplex zwischen Teilaspekten der Erzählung vermittelt. Grabmäler segmentieren das Erzählen und stiften strukturelle Kohärenz, indem sie pro- und analeptisch Figurenbeziehungen herstellen, Bedeutungselemente herausstreichen, Sinnabschnitte markieren und Intertexte einspannen. Die Studien des Hauptteils, die sich diesen Verweisungszusammenhängen widmen und deren Aufbau in Abschnitt 1.3 näher erläutert wird, leisten damit auch einen Beitrag zur Bestimmung der erzählkonstitutiven Funktion von Tod und Erinnerung im Mittelalter. Zuvor positioniert ein Forschungsüberblick (1.1) das Unterfangen im Feld der (germanistischen) Inschriftenkunde. Da das Mittelalter über keine eigene Theorie sepulkraler Verweisungsprozesse verfügt, soll ein weitererAbschnitt einige grundlegende Konzepte von Zeichenhaftigkeit im Mittelalter zusammentragen und auf die Semiose des Grabmals hin perspektivieren (1.2). Die sepulkralsemiotische Präliminarien sollen die folgenden Kapitel leiten und können in den Untersuchungen zu erzählten Grabmälern erprobt, vertieft und erweitert werden. 1.1 Forschungsüberblick: Denkmäler deutscher Vorzeit In Anlehnung an die von Theodor M OMMSEN 1853 initiierte Sammlung lateinischer Inschriften, dem › Corpus Inscriptionum Latinarum ‹ (CIL), und das ins Jahr 1815 zurückreichende Vorhaben einer Sammlung griechischer Inschriften, den › Inscriptiones Graecae ‹ (IG), entwarf der Germanist Friedrich P ANZER in den 1920er und 1930er Jahren in drei Aufsätzen das Programm einer deutschen Inschriftenkunde. 14 Ziel war die Begründung einer Epigraphik des Mittelalters 13 Unter › Kultursemiotik ‹ verstehe ich solche Ansätze, die Kultur als »hierarchisch geordnete Gesamtheit aller Zeichensysteme« auffassen und sich insbesondere mit den materialen Zeichenprozessen beschäftigen, die Kultur(en) zugrunde liegen, vgl. Roland Posner u. Dagmar Schmauks: Kultursemiotik. In: Ansgar Nünning (Hg.): Grundbegriffe der Kulturtheorie und Kulturwissenschaften. Stuttgart/ Weimar 2005, S. 119 - 121, hier S. 120. 14 Vgl. Friedrich Panzer: Die Inschriften des deutschen Mittelalters. Ein Aufruf zu ihrer Sammlung und Bearbeitung. Im Auftrage der Akademien der Wissenschaften von Berlin, Göttingen, Heidelberg, Leipzig, München und Wien verfaßt. Leipzig 1938; ders.: Vorwort zum Gesamtwerk. In: Ernst Cucuel u. Hermann 1.1 Forschungsüberblick: Denkmäler deutscher Vorzeit 13 und der Frühen Neuzeit (bis 1650, dem Ende des Dreißigjährigen Krieges), die »alle wechselnden Formen des Inschriftenwesens und die allmählich an ihm beteiligten soziologischen Schichten zum Vorschein [kommen]« lassen sowie verschiedene Bereiche des Alltagslebens rekonstruierbar machen sollte. 15 Das Forschungsvorhaben ist jedoch nicht nur als Ausdruck eines fachlichen Selbstverständnisses zu werten, das sich in enger Bezugnahme auf die Klassische Philologie entwickelte, sondern verstand sich auch Bestandteil einer ideologisch geprägten Bildungsreform, die mittels neuer Programme und Unterrichtsmaterialien auf die Stiftung eines einheitlichen › Deutschtums ‹ abzielte. 16 P ANZERS Ansatz, seinen Landsleuten »Denkmäler deutscher Vorzeit« zugänglich zu machen, die er selbst beim volkskundlich motivierten »Erwandern« deutscher Kulturräume entdeckte, blieb nicht ohne Wirkung: 17 1934 begründeten die zum Kartell zusammengeschlossenen Akademien Deutschlands und Österreichs ihr Vorhaben einer Herausgabe der Deutschen Inschriften vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit, das bis heute besteht und in über 80 Bänden eine historischkritische Edition des lateinischen und deutschen Inschriftenmaterials des deutschen Sprachraums vorgelegt hat. 18 Obgleich die Menge der von den Akademien inventarisierten und kommentierten Daten kontinuierlich wächst und zu zahlreichen Einzelstudien besonders aus kulturhistorischer und sprachgeschichtlicher Perspektive angeregt hat, 19 drohte ein wesentliches Anliegen von P ANZERS Inschriftenkunde lange Zeit in Vergessenheit zu geraten. So wollte er denn nicht Eckert (Hg.): Die Inschriften des badischen Main- und Taubergrundes. Die deutschen Inschriften 1. Stuttgart 1942, IX - XX; ders.: Inschriftenkunde. Die deutschen Inschriften des Mittelalters und der neueren Zeit. In: Wolfgang Stammler (Hg.): Deutsche Philologie im Aufriss, Bd. 1. 2. überarb. Aufl., unveränd. Nachdruck. Berlin 1966, S. 269 - 314. 15 Ders. 1966, S. 336. 16 Zu den geistesgeschichtlichen Voraussetzungen der 1920er und 1930er Jahre vgl. Michael R. Ott: Philologie der Worte und Sachen. Friedrich Panzers Inschriftenforschung als disziplinäre Herausforderung. In: DVjs 88.2 (2014), S. 234 - 255, hier bes. 236 - 243. 17 Panzer 1942, S. IX. 18 Siehe dazu Walter Koch: 50 Jahre deutsches Inschriftenwerk (1934 - 1984). Das Unternehmen der Akademien und die epigraphische Forschung. In: Karl Stackmann (Hg.): Deutsche Inschriften. Fachtagung für mittelalterliche und neuzeitliche Epigraphik, Lüneburg 1984. Vorträge und Berichte. Göttingen 1986 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse Folge 3, Nr. 151), S. 15 - 45; Renate Neumüllers-Klauser: Folgenreiches Mittagessen im Hotel › Bamberger Hof ‹ 1934. Zu den Anfängen des Deutschen Inschriftenunternehmens. In: Werner Taegert (Hg.): Hortulus Floridus Bambergensis. Petersberg 2004, S. 415 - 420 sowie zuletzt Nikolaus Henkel: Einleitung. Das Akademievorhaben › Die Deutschen Inschriften ‹ . In: Ders. (Hg.): Inschriften als Zeugnisse kulturellen Gedächtnisses. 40 Jahre Deutsche Inschriften in Göttingen. Beiträge zum Jubiläumskolloquium vom 22. Oktober 2010 in Göttingen. Wiesbaden 2012, S. 11 - 22. 19 Ein Forschungsüberblick findet sich in Birgit Herbers: Referenzkorpus Deutsche Inschriften - Chancen und Grenzen der Auswertung. In: Sarah Kwekkeboom u. Sandra Waldenberger (Hg.): PerspektivWechsel oder: Die Wiederentdeckung der Philologie, Bd. 1: Sprachdaten und Grundlagenforschung in der Historischen Linguistik. Berlin 2016, S. 27 - 42, hier bes. 28 - 30. Man müsse, so benennt Herbers ein sprachwissenschaftliches Desiderat, »das gesamte vorliegende Material der Editionsreihe [der Deutschen Inschriften] einbeziehen und [. . .] sprachliche Aspekte gesamthaft analysieren und diachrone Entwicklungen herausarbeiten« (ebd., S. 30). Für ein solches Vorhaben verweist sie auf das 2014 begründete Referenzkorpus Deutsche Inschriften, ein DFG-gefördertes Drittmittelprojekt, das sich als Teilkorpus des Referenzkorpus Frühneuhochdeutsch versteht und »eine digital verfügbare, hinlänglich umfangreiche, verlässliche und originalgetreue Datenbasis der historischen Sprachstufen des Deutschen [. . .] schaffen [will], die intensive Recherchen zunächst zu linguistischen Fragestellungen erlaubt« (ebd., S. 32). Dass das 14 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber nur die realen Inschriften und ihre Träger sammeln (P ANZER selbst nahm eine vorläufige Einteilung in Bauinschriften, Inschriften auf Geräten und Grabschriften vor), 20 sondern gleichermaßen die »Inschrift als literarische Form« berücksichtigt wissen, wobei er unter anderem auf die Grabschriften in »unsere[r] ritterliche[n] Epik« verwies. 21 Anknüpfend an P ANZERS Beobachtung, Inschriften würden »nicht selten nach künstlerischer Form drängen, [seien] öfter geradezu aus Literaturwerken - etwa Freidank oder Frauenlob oder Bibelübersetzungen - entnommen«, 22 legte Wilfried K ETTLER 1990 eine »Besprechung ausgewählter Inschriften« vor, in der er reale und erzählte Inschriften miteinander verglich und einige Vermutungen zu ihrem Zusammenhang skizzierte. 23 Dass sein Vergleich zu keiner wesentlichen Einsicht gelangte, führte K ETTLER selbst in einer abschließenden Bemerkung auf die umstrittene Echtheit der Inschriftenträger zurück. Tatsächlich entbehrt die Untersuchung K ETTLERS einer einschlägigen Methodik und es bleibt bis zum Ende undeutlich, welchen konkreten Erkenntniswert seine Gegenüberstellung verfolgt. Statt nach den spezifischen Erscheinungsformen und Funktionen von beschrifteten Dingen innerhalb der erzählten Welt zu fragen, werden erzählte und reale Inschriften bei P ANZER und K ETTLER , so kritisiert Michael O TT , »grundsätzlich den gleichen Zwecken und Zielen« dienstbar gemacht. 24 Als fruchtbarer erwies sich 1992 hingegen der Impuls von Nikolaus H ENKEL , dem schon bei P ANZER bekundeten Interesse nach den Entstehungsbedingungen volksprachiger Inschriften sowie ihrem Verhältnis zu anderen volkssprachigen »Textsorten/ Gattungen« genauer nachzugehen. 25 Unter Verweis auf eine von Christine W ULF vorgenommene Auswertung der bis 1988 edierten deutschsprachigen Inschriften machte H ENKEL zum ersten Mal auf die Diskrepanz zwischen der hohen Anzahl e r z ä h l t e r Inschriften gegenüber den nur sporadisch überlieferten r e a l e n deutschsprachigen Inschriften des frühen und hohen Mittelalters aufmerksam: 26 An diesem im 11. - 13. Jahrhundert sich ereignenden Aufstieg [europäischer Schriftkultur] hat, so lässt sich aus dem bislang bearbeiteten epigraphischen Material schließen, die deutschsprachige Inschrift Inschriftenmaterial auch für die Entwicklung literaturhistorischer Fragestellungen herangezogen werden könnte, wird indes nur beiläufig erwähnt, vgl. Anm. 51 (ebd., S. 37 f.). 20 Vgl. Panzer 1966, S. 345 - 376. 21 Panzer 1966, S. 375 f. 22 Panzer 1942, S. X. 23 Vgl. Wilfried Kettler: Bemerkungen zum Verhältnis von germanischer Philologie und Epigraphik - dargestellt anhand ausgewählter deutschsprachiger Inschriften des 12. - 14. Jahrhunderts. In: Walter Koch (Hg.): Epigraphik 1988. Fachtagung für mittelalterliche und neuzeitliche Epigraphik. Graz, 10. - 14. Mai 1988. Referate und Round-Table-Gespräche. Wien 1990, S. 163 - 178. 24 Ott 2014, S. 247. 25 Nikolaus Henkel: Die Stellung der Inschriften des deutschen Sprachraums in der Entwicklung volkssprachiger Schriftlichkeit. In: Renate Neumüllers-Klauser (Hg.): Vom Quellenwert der Inschriften. Vorträge und Berichte der Fachtagung Esslingen 1990. Heidelberg 1992, S. 161 - 187, hier S. 162. 26 Schon Wulf kritisierte die Kluft zwischen Akademieprojekt und mediävistischer Literaturwissenschaft mit gefühlsbetonter Geste: »Betrachtet man das Verhältnis zwischen der Germanistik und dem deutschen Inschriftenunternehmen, dann meint man, auf beiden Seiten einen tiefen Seufzer ôw ȇ muoter zu vernehmen. Das ist der Ausruf des jungen Parzival, der noch ganz am Anfang seines Weges durch die Welt steht. Ganz am Anfang befindet sich auch die germanistische Beschäftigung mit den Inschriften.« (Christine Wulf: Versuch einer Typologie der deutschsprachigen Inschriften. In: Walter Koch (Hg.): Epigraphik 1988. Fachtagung für mittelalterliche und neuzeitliche Epigraphik. Graz, 10. - 14. Mai 1988. Referate und Round-Table-Gespräche. Wien 1990, S. 127 - 137, hier S. 127.) 1.1 Forschungsüberblick: Denkmäler deutscher Vorzeit 15 keinen Anteil. Aus dem 11. und 12. Jahrhundert ist, abgesehen von (. . .) [zwei] althochdeutschen Zeugnissen, sonst kein Stück nachgewiesen. Im 13. Jahrhundert, mit den Inschriften von Freckenhorst im Münsterland und Engen in der Bodenseegegend dürftig eingeleitet, sind die Schenkungsschrift auf dem Kelch des Villinger Münsters und schließlich die Baumeisterschrift des B RVDER D IEMAR in der Regensburger Dominikanerkirche die bedeutendsten Stücke eines insgesamt dürftigen Ertrags, den die Epigraphik in der Volkssprache in dieser für die Gattung frühen Zeit aufzuweisen hat. [. . .] Das Belegmaterial aus dem 14. Jahrhundert insgesamt weist eine steigende Dichte auf. 27 H ENKELS Beobachtung stützt sich auf einen Katalog, der das Vorkommen von Inschriften in der mittelalterlichen deutschsprachigen Literatur mit Schwerpunkt auf dem 12. und 13. Jahrhundert dokumentiert. Das Verzeichnis umfasst siebzig Belege (26 davon gehen bereits auf die Forschung P ANZERS zurück) und ist in die Kategorien Grabinschriften, Bauinschriften, Waffeninschriften, Kleider- und Textilinschriften wie sonstige (z. B. Baum- und Holzinschriften) unterteilt. Die Auswertung seiner Belegstellen führte H ENKEL zu dem Schluss, erzählte Inschriften könnten als »Zeugnisse der Buchkultur des Hohen Mittelalters [. . .] durchaus innerliterarischen Traditionen verpflichtet sein« und müssten »nicht als Reflexe epigraphischer › Realität ‹ angesehen werden«. Gleichwohl räumte er ein, dass viele erzählte Inschriften »eine erstaunliche Vertrautheit mit den vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten und Gebrauchszusammenhängen der Epigraphik« aufwiesen. 28 Für einen Vergleich von Realien und literarischen Inschriftlichkeitsentwürfen plädierte zuletzt auch Michael R. O TT . Aus praxeologischer Perspektive sieht er im Zusammenschluss aller Fächer, die sich mit Artefakten und Materialität befassen, eine Chance, »den Vorstellungshorizont und die Erwartungen zu rekonstruieren, die mit solchen Inschriften verbunden sind«. 29 Die Erforschung realer Inschriften könne nicht nur literarische Imaginationen inschriftlicher Materialität gleichsam mit erhellen, es ließen sich schließlich »Formen von Schrifthandeln rekonstruieren, die realen und fiktionalen (. . .) [I]nschriften gemein sind«. 30 O TT schlägt darum vor, »nicht nur einzelne Inschriften, sondern das grundlegende Phänomen der › Inschriftlichkeit ‹ zu diskutieren«. 31 Sein Vorschlag steht im Kontext von Markus H ILGERTS › Text-Anthropologie ‹ , die Praktiken und Formen der Rezeption in Mensch-Artefakt-Interaktionen untersucht und literarischen Texten als › Metatexten ‹ einen wichtigen Stellenwert für die Rekonstruktion möglicher Rezeptionspraktiken von Geschriebenem einräumt. 32 Zwar werden in einem solchen Forschungsvorhaben die Philologien - unter Berücksichtigung der materiellen Dimension von Geschriebenem - in die von den Altertumswissenschaften ausgehende Erforschung des epigraphic habit produktiv miteinbezogen; 33 wohl aber droht dabei die genuin poetische Dimension der Inschrift aus dem Blick zu geraten. 27 Henkel 1992, S. 166. 28 Ebd., S. 175. 29 Ott 2014, S. 255. 30 Ebd., S. 252. 31 Ebd., S. 248. 32 Markus Hilgert: › Text-Anthropologie ‹ : Die Erforschung von Materialität und Präsenz des Geschriebenen als hermeneutische Strategie. In: Altorientalistik im 21. Jahrhundert. Selbstverständnis, Herausforderungen, Ziele. Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft zu Berlin 142 (2010), S. 87 - 126, hier S. 96 - 98. Die Text-Anthropologie versteht sich als › Rahmentheorie ‹ des SFB 933 Materiale Textkulturen. Materialität und Präsenz des Geschriebenen in non-typographischen Gesellschaften. 33 Der Begriff › epigraphic habit ‹ wurde 1982 von McMullen eingeführt. Damit bezeichnete er die sich besonders in den ersten drei Jahrhunderten der Kaiserzeit herausbildende kulturelle Praktik, mithilfe von 16 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber Im Unterschied zu O TT hat Ulrich E RNST die Bedeutung des visuellen Aspekts von Inschriften hervorgehoben und 2006 in einer breiten medienhistorisch und -ästhetisch fundierten Studie untersucht. Verschiedene Facetten vormoderner Skripturalität werden beleuchtet, darunter schriftliche Kommunikation im höfischen Roman, illustrative Darstellungen schriftlicher Kommunikation, Schrift- und Lektürewissen sowie der skripturale Kolorismus. 34 E RNST richtet sich gegen den in der Forschung weithin betonten oralen Charakter mittelalterlicher Literatur und stellt dagegen die semiotischen, visuell-sensorischen und ästhetischen Qualitäten von Schrift in den Vordergrund seiner Untersuchung. Auf der Grundlage einer über P ANZER und H ENKEL hinausreichenden Belegstellensammlung fiktionaler Schriftkommunikation deutet er das auffällig ikonische Verständnis von Schrift als Selbstinszenierung von Autoren und Rezipienten, die sich als homines litterati gesehen hätten. Da sie eine Sonderform von Schriftkommunikation darstellen, werden erzählte Inschriften folglich als Reflexe jener sozialpragmatischen Bedingungen bewertet, vor deren Hintergrund sich die höfische Literatur etablieren konnte. Anknüpfend an die Belegstellensammlung von H ENKEL 1990 und E RNST 2006 werden Textnachweise für erzählte Inschriften seit 2011 in einer Datenbank archiviert, die zum Teilprojekt C05 Inschriftlichkeit. Reflexionen materialer Textkultur in der Literatur des 12. bis 17. Jahrhunderts des Sonderforschungsbereichs 933 Materiale Textkulturen gehört. Geschriebenes wird als › Inschrift ‹ betrachtet, sofern es von üblichen Schriftformen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit abweicht (als gängig gilt die Verwendung von Feder, Griffel und Tinte auf Wachstafeln, Pergament oder Papier) und sich mithin eine besondere (»gesteigerte«) Verbindung von Schriftträger und Geschriebenem ausmachen lässt. 35 Während zunächst deutschsprachige erzählte Inschriften vor 1700 den Sammlungsschwerpunkt bildeten und zahlreiche Einzelstudien entstanden, die sich im Einklang mit H ILGERTS Inschriften eine neue Form sozialer Kommunikation zu etablieren (vgl. Ramsay MacMullen: The Epigraphic Habit in the Roman Empire. In: American Journal of Philology 103.3 (1982), S. 233 - 246). Zahlreiche Beiträge haben sich seither der historisch und geographisch spezifischen Bedeutung von Inschriften im öffentlichen und privaten Raum gewidmet. Ein Forschungsüberblick findet sich in Angelos Chaniotis: From Communal Spirit to Individuality: The Epigraphic Habit in Hellenistic and Roman Crete. In: Monica Livadiotti (Hg.): Creta romana e protobizantina. Atti del congresso internazionale, Iraklion, 23 - 30 settembre 2000. Padova 2004, S. 75 - 87, hier S. 75 sowie in Francisco Beltrán Lloris: The › Epigraphic Habit ‹ in the Roman World. In: Christer Bruun u. Jonathan Edmondson (Hg.): The Oxford Handbook of Roman Epigraphy. Oxford 2014, S. 131 - 152. Am sozialen Umgang mit Inschriften ist auch die Text- Anthropologie interessiert. Hilgert geht davon aus, dass die Bedeutung von schrifttragenden Artefakten niemals festgelegt ist, sondern immer erst durch die Einbindung in soziale Rezeptionsakte hervorgebracht wird (vgl. Hilgert 2010, S. 92 f.). 34 Ulrich Ernst: Facetten mittelalterlicher Schriftkultur. Fiktion und Illustration. Wissen und Wahrnehmung. Heidelberg 2006 (Beihefte zum Euphorion 51). 35 Vgl. Ludger Lieb: Spuren materialer Textkulturen. Neun Thesen zur höfischen Textualität im Spiegel textimmanenter Inschriften. In: Beate Kellner, Ludger Lieb u. Stephan Müller (Hg.): Höfische Textualität. FS Peter Strohschneider. Heidelberg 2015 (GRM Beiheft 69), 1 - 20. Eine ähnliche Definition lieferte schon Rudolf M. Kloos: Einführung in die Epigraphik des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Darmstadt 1992 [1980], S. 2: »Inschriften sind Beschriftungen verschiedener Materialien - in Stein, Holz, Metall, Leder, Stoff, Email, Glas, Mosaik usw. - , die von Kräften und mit Methoden hergestellt sind, die nicht dem Schreibschul- und Kanzleibetrieb angehören.« Während Kloos um eine Abgrenzung der Epigraphik von der Paläographie bemüht ist (vgl. auch Walter Koch: Inschriftenpaläographie des abendländischen Mittelalters und der früheren Neuzeit. Wien/ München 2007, S. 24), rückt Lieb das semantische Potenzial von Inschriften stärker in den Vordergrund. 1.1 Forschungsüberblick: Denkmäler deutscher Vorzeit 17 › Text-Anthropologie ‹ und in Anschluss an sozialwissenschaftliche Konzepte der Materialität, agency und Affordanz (mit James G IBSON verstanden als Angebotscharakter oder Gebrauchsoptionen) 36 erzählter Inschriften widmeten, wurde der Radius des Projekts seit 2015 erheblich erweitert und durch Belegstellen aus weiteren europäischen Literaturen ergänzt. 37 Dank dieser Erweiterung konnte das Forschungsvorhaben erstmals aus seiner ursprünglich nationalphilologischen Ausrichtung gelöst und in eine komparatistische Perspektive überführt werden, die sowohl Eigenheiten (wie etwa die Verwendung von Runen auf Holzstöcken im frühmittelalterlichen Skandinavien) als auch Verflechtungen und Übersetzungsprozesse zwischen den verschiedenen literarischen Kulturen, ihrem Verständnis von Materialität und ihren Schreibpraktiken berücksichtigt. 38 Die Untersuchung von Astrid L EMBKE knüpft an die Arbeit des Heidelberger Forschungszentrums an. 39 Sie verschreibt sich aber stärker der von Peter S TROHSCHNEIDER angestoßenen Frage, wie höfische Literatur ihre Textualität ausstellt und reflektiert, da sie im Unterschied zu anderen Erzähltraditionen immer schon an Vorstellungen von Schriftlichkeit gebunden sei. 40 L EMBKE prüft also, welche Aussagen höfische Erzählungen über Kommunikationsprozesse machen, die durch Inschriften konstituiert werden, wobei sie darunter jede Schrift fasst, »(1) deren materiale Eigenschaften zum Gegenstand der Erzählung werden und (2) von der erzählt wird, dass sie als dinglicher Gegenstand innerhalb der erzählten Welt aus Handlungen hervorgeht, in Handlungen eingebunden ist und / oder Handlungen hervorruft«. 41 In ihren 36 Vgl. James J. Gibson: The Senses Considered as Perceptual Systems. Boston 1966, S. 285. 37 Vgl. Michael R. Ott u. Flavia Pantanella: Geschriebenes erzählen. Erzählte Inschriften in Minnereden aus narrativer, poetologischer und materialer Perspektive. In: Iulia-Emilia Doroban ţ u u. a. (Hg.): Zwischen Anthropologie und Philologie. Beiträge zur Zukunft der Minneredenforschung. Heidelberg 2014, S. 329 - 362; Ludger Lieb u. Michael R. Ott: Schrift-Träger. Mobile Inschriften in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters. In: Annette Kehnel u. Diamantis Panagiotopoulos (Hg.): Schriftträger - Textträger. Zur materialen Präsenz des Geschriebenen in frühen Gesellschaften. Berlin u. a. 2015 (MTK 6), S. 15 - 36; Lieb 2015; Michael R. Ott: Der Held, die Waffe, die Schrift. Aspekte einer Dreiecksbeziehung in deutschsprachigen Texten des 13. Jahrhunderts. In: helden. heroes. héros. 3.2 (2015), S. 59 - 65; Ders.: Die Tafel des Gregorius als schrifttragendes Artefakt. In: ZfGerm 25 (2015), S. 253 - 267; Friedrich- Emanuel Focken u. Michael R. Ott (Hg.): Metatexte. Erzählungen von schrifttragenden Artefakten in der alttestamentlichen und mittelalterlichen Literatur. Berlin/ Boston 2016 (MTK 15) [darin auch: Ludger Lieb u. Michael R. Ott: Schnittstellen. Mensch-Artefakt-Interaktion in deutschsprachigen Texten des 13. Jahrhunderts, S. 265 - 280]; Ludger Lieb u. a. (Hg.): Graffiti. Deutschsprachige Auf- und Inschriften in sprach- und literaturwissenschaftlicher Perspektive. Wien 2017 (Stimulus 24); [darin auch: Michael R. Ott: Erzählte Bauminschriften zwischen Antike und Früher Neuzeit, S. 23 - 39]; Ludger Lieb: Schrift auf fantastischen Gräbern im Mittelalter. Eine kafkaeske Lektüre (um 1260). In: Michaela Böttner u. a. (Hg.): 5300 Jahre Schrift. Heidelberg 2017, S. 106 - 109; ders. u. Ricarda Wagner: Dead Writing Matters? Materiality and Presence in Medieval German Narrations of Epitaphs. In: Irene Berti u. a. (Hg.): Writing Matters. Presenting and Perceiving Monumental Inscriptions in Antiquity and the Middle Ages. Berlin/ Boston 2017 (MTK 14), S. 15 - 26; Michael R. Ott: Rindenzettel und Schriftverkehr. Mediale und materiale Konstellationen in der Mitte des 17. Jahrhunderts. In: Daphnis 47.3/ 4 (2019), S. 639 - 666. 38 Vgl. Ricarda Wagner u. a. (Hg.): Writing beyond Pen and Parchment: Inscribed Objects in Medieval European Literature. Berlin/ Boston 2020 (MTK 30). 39 Vgl. Astrid Lembke: Inschriftlichkeit. Materialität, Präsenz und Poetik des Geschriebenen im höfischen Roman. Berlin/ Boston 2020 (Deutsche Literatur / Studien und Quellen 37). Ich danke Astrid Lembke dafür, dass sie mir vorab Einsicht in ihr Manuskript gewährt hat. 40 Vgl. Peter Strohschneider: Höfische Textgeschichten. Über Selbstentwürfe vormoderner Literatur. Heidelberg 2014 (GRM Beiheft 55). 41 Lembke 2020, S. 16. 18 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber Lektüren zeigt die Autorin, wie neben der inhaltlichen Seite auch die Präsenz und Materialität einer Inschrift zur Kommunikation beitragen und die Schriftartefakte auf soziale Strukturen der erzählten Welt einwirken, indem sie zur Identitätsbildung der Figuren betragen, Gemeinschaften stiften oder hierarchische Strukturen stabilisieren. Außerdem akzentuiert L EMBKE die poetologische Dimension schrifttragender Artefakte, indem sie extradiegetische Reflexionen auf die Produktion und Rezeption von Schrift mit den Beschreibungen intradiegetischer schrifttragenderArtefakte abgleicht. In Analogie zu den aufwändigen kostbaren Artefakten der höfischen Welt, so das Resümee, deute sich auch bei den Dichtern eine quasi kunsthandwerkliche und artifizielle Vorstellung ihrer Texte an. Den handwerklichen Aspekt der Inschrift haben jüngst noch einmal Ulrich R EHM und Linda S IMONIS hervorgehoben. 42 Unter dem Titel › Poetik der Inschrift ‹ versammeln sie Tagungsbeiträge, welche »die eigentümliche[] Zwischenstellung [der Inschrift] zwischen Praxis und Theorie, zwischen konkretem Tun und poetischer Reflexion« in verschiedenen Medien und aus verschiedenen Epochen thematisieren. 43 Im Unterschied zu H ILGERT betonen die Herausgeber die Notwendigkeit, auch Inschriften aus der Zeit nach dem Buchdruck in eine diachrone Untersuchung miteinzubeziehen, weil Praktiken des Ein- und Aufschreibens an der mediengeschichtlichen Schwelle nicht einfach abbrächen, im Gegenteil an Einfluss und sozialer Bedeutung gewönnen. 44 Auch die vorliegende Arbeit über die Zeichenfunktion von Grabinschriften ist im Kontext des benannten Heidelberger Sonderforschungsbereichs entstanden. Sie adressiert die i n n e r l i t e r a r i s c h e n Traditionen von Epitaphen und tut dies insbesondere, indem sie den Konnex von römisch-lateinischer, mittellateinischer und mittelhochdeutscher Literatur erschließt. Wie zu zeigen sein wird, besitzt die Grabsemiose als Ordnungsform Vorläufer in der antiken und mittellateinischen Literatur, die sich im Zusammenhang mit einer über Jahrhunderte bestehenden epigrammatischen Tradition entwickelt haben. In diesem Sinne wurde das Korpus gegenüber der erwähnten Datenbank um ausgewählte lateinische Texte erweitert, die die diskursiven Traditionen des Epitaphischen erhellen können. Während die Inschriften der römisch antiken Literatur bereits gut erforscht sind, 45 hat das Vorkommen erzählter Inschriften in der mittellateinischen Literatur wenig Beachtung gefunden. 46 Insbesondere früh- 42 Ulrich Rehm u. Linda Simonis (Hg.): Poetik der Inschrift. Heidelberg 2019 (Beiträge zur Literaturtheorie und Wissenspoetik 15). 43 Ulrich Rehm u. Linda Simonis: Formen und Wirkungsweisen der Inschrift in epochen- und fächerübergreifender Perspektive. Umrisse eines Forschungsprogramms. In: Dies. (Hg.): Poetik der Inschrift. Heidelberg 2019 (Beiträge zur Literaturtheorie und Wissenspoetik 15), S. 7 - 26, hier S. 15. 44 Vgl. ebd., S. 13. 45 Vgl. Teresa R. Ramsby: Textual Permanence. Roman Elegists and the Epigraphic Tradition. London 2007; Alison M. Keith (Hg.): Latin Elegy and Hellenistic Epigram. A Tale of Two Genres at Rome. Newcastle upon Tyne 2011; Peter Liddel u. Polly Low (Hg.): Inscriptions and their Uses in Greek and Latin Literature. Oxford 2013 (Oxford Studies in Ancient Documents); Nora Goldschmidt u. Barbara Graziosi (Hg.): Tombs of the Ancient Poets. Between Literary Reception and Material Culture. Oxford 2018. 46 Vgl. M. Hereswitha Hengstl: Totenklage und Nachruf in der mittellateinischen Literatur seit dem Ausgang der Antike. Würzburg 1936. Die Dissertation gehört immer noch zur wichtigen Grundlagenforschung der mittelalterlichen Epitaphik. Einen Überblick über die Arten epigrammatischer Dichtung und die Autoren der Spätantike bis in das 9. Jahrhundert bietet auch Günter Bernt: Das lateinische Epigramm im Übergang von der Spätantike zum frühen Mittelalter. München 1968 (Münchner Beiträge zur Mediävistik und 1.1 Forschungsüberblick: Denkmäler deutscher Vorzeit 19 und hochmittelalterliche Quellen bezeugen jedoch die Transformation der antiken Grabinschrift im christlichen Zeitalter sowie ihre allmähliche Refunktionalisierung als Segmentmarkierung in diversen Textsorten. Sie können daher zur Beantwortung der Frage beitragen, welche literarischen Entwürfe von Grabinschriften bis in die volkssprachige Literatur des Hochmittelalters hineinwirken konnten und in welcher Weise veränderte kultur-, literatur- und wissensgeschichtliche Bedingungen auf jene Traditionen eingewirkt haben. Die komparatistische Perspektive hilft dabei, genauer einzuschätzen, ob die Reflexion von Grabinschriften ( › Epitaphologie ‹ ) bestimmten Stoff- oder Gattungstraditionen inhärent ist. Reale Artefakte werden exemplarisch nur dann in die Untersuchung einbezogen, wenn sie besondere Hinweise auf die Bedeutung und das Verständnis von Inschriftlichkeit zulassen, beispielsweise wenn sich an ihnen ein symbolischer Überschuss manifestiert, der auf eine selbstreferenzielle Funktion des beschriebenen Artefakts schließen lässt oder wenn sich an ihnen mit literarischen Entwürfen vergleichbare Strategien ablesen lassen, die darauf abzielen, die materielle Restringiertheit von Artefakten tentativ zu überschreiten. Damit die Arbeit dennoch mehr leistet als nur die transgenerische Geschichte eines Motives und seiner Funktionalisierungen nachzuzeichnen, seien im Folgenden die Grundlagen für eine spezifisch mediävistische › Sepulkralsemiotik ‹ dargelegt, die unter Einbezug zeichen-, gedächtnis- und präsenztheoretischer Ansätze danach fragt, wie erzählte Grabmäler bestimmte Semiosen auslösen und dadurch in literarischen Erzählungen strukturell wirksam werden. 1.2 Versuch einer mediävistischen Kultursemiotik des Sepulkralen In der Sammlung des Mainzer Landesmuseums befindet sich ein Grabstein aus dem 6. - 8. Jahrhundert, der mit runenartigen Zeichen versehen ist und scheinbar im Kontrast zur elaborierten Inschriftenkultur des Merowingerreiches steht (Abb. 9). Der anonyme, in der Umgebung des Kastells geborgene Grabstein wurde erstmals unter dem Titel »Altes Denkmal aus christlicher Zeit« im Anhang der (für die Begründung der Runologie elementaren) Abhandlung › Über deutsche Runen ‹ (1821) von Wilhelm G RIMM besprochen. Darin bemüht der Philologe sich redlich, den Fund akribisch zu beschreiben und in den geläufigen Wissenshorizont über altertümliche Verwendung von Zeichen einzuordnen. Obgleich es sich bei den Zeichen ganz eindeutig nicht um Runen handelt, begründet der Verfasser die Aufnahme des Artefakts in seine Studie damit, dass es - wenn auch »merkwuerdig« - »der Enträthselung werth« sei. 47 Die am Rande des Grabsteins entlanglaufenden Zeichen werden jeweils in ihrer Gestalt analysiert, mit Buchstaben des lateinischen Alphabets (X, I und V) verglichen und schließlich einer Interpretation unterzogen, denn auf diese Weise lasse sich, so G RIMM , von der Untersuchung auf »leichte Deutung« schließen: 48 X Christus, IU Jesus. Aehnliche Siglen und Abbreviaturen XR, XS, IHU aus frueher Zeit sind bekannt [. . .] Nur rechter Hand die Zeichen I Ͻ C machen eine Ausnahme, es scheint nichts natuerlicher, als darin die Jahreszahl DC zu erblicken, wornach wir freilich mit diesem Denkmal in die Zeit der Merowinger Renaissance-Forschung 2). Über Ausonius, die › Epigrammata Bobiensia ‹ und Luxorius ’ Anschluss an Martial informiert Franco Munari: Die spätlateinische Epigrammatik. In: Philologus 102 (1958), S. 127 - 139. 47 Wilhelm Carl Grimm: Über deutsche Runen. Mit eilf Kupfertafeln. Göttingen 1821, S. 322. 48 Ebd. 20 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber kaemen. Die innen stehenden von der Umschrift eingefaßten Zeichen koennen kaum eine zusammenhangende Schrift enthalten. Das Hauptzeichen ist das Kreuz mit dem I, wodurch ein Stern von acht Strahlen entsteht, der sich wieder in ein XI auflösen laeßt, welche Siglen unten linker Hand abermals daneben stehen. Das mit einem dritten Haken ausgestattete F und das Dreieck mit dem Kreuz in der Mitte koennte ein Symbol der Dreieinigkeit sein. Nur so viel scheint mir sicher, daß es ein Denkmal aus christlicher Zeit ist und die darauf befindlichen Buchstaben dem lateinischen Alphabet zugehören. 49 Wie selbstverständlich setzt G RIMM voraus, dass sich die runenartigen Zeichen › enträtseln ‹ lassen, sofern man nur über ein entsprechendes Wissen der historischen Schreibkonventionen verfügt, zu denen auch Abbreviaturen und Symbole gehören. Auch Karl K ÖRBER kommt in seinem Beitrag für den 1900 erschienen Katalog zu einem ähnlichen Schluss: »Die Zeilen können zum Teil, wie das grosse Sternkreuz im Mittelfeld und das einfache kleinere darunter, als christliche Symbole aufgefasst werden, im übrigen aber sind sie durchaus dunkel: vielleicht gehören sie einer Art Geheimsprache an, dergleichen es im Mittelalter mehrere gab«. 50 Gegenüber der anhaltenden Suche nach dem richtigen Kode, wurden die Zeichen in Anschluss an Konrad B AUER 1926 jüngst als Beispiel einer »Inschrift ohne Text« gehandelt, die Laien einen » › ästhetischen Anteil ‹ an [einer] schriftbasierten Grabkultur« ermöglicht haben könne, indem »Buchstabenelemente [. . .] nur als Schmuck und ohne sinntragende Kombination in den Grabstein geschlagen [wurden]«, »ohne dabei Alphabetisierung zur Voraussetzung zu Abb. 1: Merowingischer Runenstein 49 Ebd., S. 322 f. 50 Karl Körber: Inschriften (römische, griechische, mittelalterliche (auch Runen-)Inschriften) des Mainzer Museums. Dritter Nachtrag zum Becker ’ schen Katalog. Mainz 1900, S. 144 f. 1.2 Versuch einer mediävistischen Kultursemiotik des Sepulkralen 21 machen«. 51 Die Idee scheint reizvoll, wenngleich die Bezeichnung »Inschrift ohne Text« etwas unglücklich gewählt ist, da eine Text konstituierende lineare Verknüpfung von einzelnen, sich unterscheidenden Elementen durchaus gegeben ist, die den Zeichen ihre › Buchstabenhaftigkeit ‹ verleiht. Treffender ließe sich das Phänomen vielleicht als › Inschrift leerer Signifikanten ‹ beschreiben, die zwar bestimmten Konventionen gehorchen, nämlich analog zum erwartbaren Layout einer Grabinschrift auf dem Stein angeordnet sind, den Zugriff auf das zugehörige Signifikat jedoch verweigern. Indem sich die figürliche Umsetzung der Zeichen bewusst an Konventionen der Buchstabenschrift und religiöser Symbole anlehnt, wird dem Betrachter suggeriert, die Zeichen müssten notwendig etwas bedeuten - der spezifische Kode, dessen Einbezug notwendig wäre, um die Inschrift entziffern und interpretieren zu können, liegt indes im Grabstein selbst verborgen. Die Kontroverse über den merowingischen Grabstein führt mitten in das Thema der Sepulkralsemiose hinein, an dessen Anfang eine genauere Betrachtung der semiotischen Verfasstheit von sepulkralen Erinnerungszeichen stehen muss. Im Grabmal erstarrt Kultur zu einem Monument, das sich »der Mit- und Nachwelt zur Schau stellt« - das »gesehen, bewahrt, erinnert sein will«. 52 Doch obwohl schon ahd. mâl bzw. mhd. meil mit der Bedeutung »Zeichen« belegt ist, hat das Mittelalter keine explizite Theorie sepulkraler Bezeichnung entwickelt. Die Funktionalisierung des Grabmals in der erzählenden Literatur des Mittelalters, so eine These der vorliegenden Arbeit, beruht jedoch auf einer i m p l i z i t e n Kultursemiotik des Sepulkralen. Wenn eingangs vom › Verweisungscharakter ‹ des Grabmals die Rede war, so setzt das eine bestimmte Zeichentheorie voraus. Daher gilt es zunächst, erstens, im Rekurs auf wesentliche mittelalterliche Zeichenmodelle eine Semiotik des Sepulkralen zu modellieren, in der die verschiedenen Dimensionen des Grabmals nach ihrer Bezeichnungs- und Bedeutungsfunktion bestimmt werden, die sie in erzählten Texten einnehmen können (1.2.1). Nur gelegentlich wird dabei auch auf die Kultursemiotik des 20. Jahrhunderts zurückgegriffen, um das begriffliche Instrumentarium zu schärfen; im Vordergrund aber steht die mittelalterliche Vorstellung einer zeichenhaften Welt, die den Einsatz semiotischer Sepulkralarrangements, einschließlich imaginierter Grabmäler, in Erzähltexten bedingt. Um zu verdeutlichen, welche kulturellen Konventionen mit der Sepulkralsemiose verbunden waren, soll zweitens ein Überblick über die Entwicklung der christlichen Grabmaltypen und des Epitaphs von der Spätantike bis ins 51 Tino Licht: Schriftkultur im vorkarolingischen Mainz. In: Eva Ferro u. a. (Hg.): Artefakte früher Mainzer Schriftkultur. Themenheft des Teilprojekts A08 »Reliquienauthentiken« im Sonderforschungsbereich 933 »Materiale Textkulturen - Materialität und Präsenz des Geschriebenen in non-typographischen Gesellschaften«. Universitätsmuseum Heidelberg 2017 (Kataloge / Universitätsmuseum Heidelberg 12), S. 5 - 8, hier S. 5 f. Licht stützt sich in seinem Beitrag auf eine Studie von Bauer, der erstmals in Erwägung zog, dass die Inschrift womöglich »keinen Sinn hatte, aber auch ihren Zweck [als »Monumentalschrift, die nur Schrift an sich sein will«] erfüllte« (Konrad F. Bauer: Mainzer Epigraphik. Beiträge zur Geschichte der mittelalterlichen Monumentalschrift. In: Zeitschrift des deutschen Vereins für Buchwesen und Schrifttum 2/ 3 (1926), S. 1 - 45, hier S. 13). 52 Aleida Assmann: Kultur als Lebenswelt und Monument. In: Dies. u. Dietrich Harth (Hg.): Kultur als Lebenswelt und Monument. Frankfurt a. M. 1991, S. 11 - 25, hier S. 13. Assmann macht in ihrer Unterscheidung stark, dass ein Monument im Gegensatz zum Dokument als Zeichen intendiert ist, vgl. ebd., S. 13 f.: »Im Gegensatz zum Dokument, das erst durch den Perspektivenwechsel vom Teilnehmer zum Beobachter als Zeichen wahrnehmbar wird, ist das Monument ein aufgerichtetes, ein gestiftetes Zeichen, das eine Botschaft kodiert.« 22 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber Hochmittelalter gegeben werden (1.2.2).Vor dem Hintergrund der skizzierten Voraussetzungen werden im dritten Abschnitt die systematischen Aspekte der Zeichentheorie mit den historischen Beobachtungen zur Entwicklung des Grabmals in einer Art Matrix zusammengeführt und auf die Literatur des Mittelalters bezogen (1.2.3). 1.2.1 Der Name der Rose: Mittelalterliche Zeichenmodelle Die Genese der mittelalterlichen Zeichenlehre hat sich in zwei ideengeschichtlichen Strömungen vollzogen: Die rationalistisch-philosophische Semiotik der Scholastik entwickelte sich im Rahmen des Triviums - d. h. in den Disziplinen der Grammatik, Dialektik und Rhetorik - an den Schulen der mittelalterlichen Universitäten und bemühte sich auf der Grundlage antiker philosophischer Quellen darum, ihren Gegenstand zu definieren. Daneben formierte sich eine theologisch-pansemiotische Sichtweise, die in den Phänomenen der natürlichen Welt Zeichen der göttlichen Offenbarung erkannte. 53 Beide Zugänge versuchen also, die Zeichenhaftigkeit der Welt zu ergründen, die seit der Spätantike im philosophisch-theologischen Diskurs erörtert wurde. Ausgangspunkt vieler Zeichenklassifikationen des Mittelalters bilden die semiologischen Überlegungen des Augustinus (354 - 430), die er insbesondere in seinem christlichen Bildungsprogramm › De doctrina christiana ‹ anstellte. Zeichen definiert er darin als Dinge (res), die neben dem Vorstellungsbild (species), das sie an die Sinne herantragen, aus sich heraus etwas anderes in das Denken kommen lassen. 54 Alle Zeichen seien damit Dinge, denn was nicht dinghaft sei, sei gänzlich nichts; doch umgekehrt seien nicht alle Dinge Zeichen. 55 Die Menge der Zeichen teilt er ferner in zwei Gruppen ein: Dabei unterscheidet er zwischen den natürlichen Zeichen (signa naturalia), die ohne Bedeutungsabsicht (sine voluntate) über sich selbst hinaus etwas anderes erkannt sein lassen wollen, und den eingesetzten Zeichen (signa data), die sich Lebewesen untereinander geben, um so gut wie möglich ihre Gemütsbewegungen (motus animi), Gefühle (sensa) und Kenntnisse (intellecta) anzuzeigen. 56 Eingesetzte Zeichen haben eine kommunikative Funktion. Voraussetzung für das Gelingen der Zeichenkommunikation ist jedoch nicht zwingend die Übereinkunft über Bezeichnungskonventionen, sondern dass eine Bedeutungsabsicht (voluntas significandi) beim Sender 53 Vgl. grundlegend Winfrid Nöth: Handbuch der Semiotik. 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage mit 89 Abbildungen. Stuttgart/ Weimar 2000, S. 9 f.; Stephan Meier-Oeser: Die Spur des Zeichens. Das Zeichen und seine Funktion in der Philosophie des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Berlin/ New York 1997 a (Quellen und Studien zur Philosophie 44); ders.: Art. › 49: Zeichenkonzeptionen in der lateinischen Philosophie des Mittelalters ‹ . In: Roland Posner u. a. (Hg.): Semiotik, Bd. 1. Berlin 1997 b (HSK 13.1), S. 984 - 1022, sowie Markus H. Wörner: Art. › 53: Zeichenkonzeptionen in der Grammatik, Rhetorik und Poetik des lateinischen Mittelalters ‹ . In: Roland Posner u. a. (Hg.): Semiotik, Bd. 1. Berlin 1997 (HSK 13.1), S. 1046 - 1059. 54 Vgl. Aug. De doctr. chr. 2, 1, 23 - 29: Signum est enim res, praeter speciem quam ingerit sensibus, aliud aliquid ex se faciens in cogitationem venire; sicut vestigio viso transisse animal cuius vestigium est cogitamus et fumo viso ignem subesse cognoscimus, et voce animantis audita adfectionem animi eius advertimus, et tuba sonante milites vel progredi se vel regredi, et si quid aliud pugna postulat, oportere noverunt. Zitiert nach Augustinus: De doctrina christiana. Hg. v. W. M. Green. In: Sancti Augustini Opera. Wien 1963 (CSEL 80). 55 Vgl. ebd., 1, 5, 15 - 17: Quam ob rem omne signum etiam res aliqua est; quod enim nulla res est, omnino nihil est. Non autem omnis res etiam signum est. 56 Vgl. ebd., 2, 2 - 3. 1.2 Versuch einer mediävistischen Kultursemiotik des Sepulkralen 23 vorliegt. 57 Die Auffassung vom Zeichen als Vehikel der Kommunikation weitet Augustinus in › De dialectica ‹ schließlich explizit auf die Sprache und die - dazu als sekundär aufgefasste - Schrift aus, deren Funktion einzig im Bezeichnen liegt: 58 Ein Wort (verbum) sei Zeichen für ein beliebiges Ding (uniuscuiusque rei signum), sofern es von einem Sprecher (a loquente) ausgesprochen und vom Hörer (ab audiente) verstanden werde. 59 Bezeichnen wird damit zu einer Grundoperation der Kommunikation, deren konkrete Wirkungsweisen Augustinus in › De magistro ‹ vertieft. Darin stellt er fest, dass Sprache zwar den Erkenntnisprozess fördern könne und darum auch zur Belehrung eingesetzt werde, ihrem Wesen nach aber nicht grundlegend erkenntnisvermittelnd sei. Denn die Kenntnis der Dinge, d. h. die Konvention, die zwischen Zeichen und Dingen besteht, müsse immer der Verwendung von Zeichen vorausgehen. Grundlegender eigne der Sprache hingegen ihre hinweisende (admonitive) und erinnernde (kommemorative) Wirkung. 60 Als Zeichen, das für die Lebenden bestimmt ist, passt sich das Grabmal in die Idee eines der Kommunikation dienlichen signum datum ein: Es vermittelt Kenntnisse über die Toten und bekundet Trauer über ihre Abwesenheit. Während die Empfänger der Botschaft austauschbar sind, die Kommunikation theoretisch also solange stattfinden kann, wie das Grabmal besteht, bleibt der Sender typischerweise verborgen. Denn da der Grabstein zumeist aus der dritten Person über den Verstorbenen › spricht ‹ , kann derAutor - und mit ihm der Stifter des Grabmals - leicht unerkannt bleiben. Eine Besonderheit stellen solche Inschriften dar, die ihre Botschaft in der ersten Person formulieren. In derAntike sind solche Ich-Inschriften häufig, im Mittelalter begegnen sie hingegen nur selten. 61 Nicht der Grabstein scheint in diesem Fall zu sprechen, sondern der Verstorbene selbst, der sich den Vorübergehenden entgegenstellt, um durch ihre Stimme erneut zum Leben erweckt zu werden. 62 57 Vgl. ebd.; dazu auch B. Darell Jackson: The Theory of Signs in St. Augustine ’ s › De doctrina christiana ‹ . In: RÉAug 15 (1969), S. 9 - 49, hier S. 14: » [. . .] For all that Augustine says here is that signa data depend upon the will of the sign-giver for their occurrence, not for their meaning.« [Herv. i. O.] 58 So auch in Aug. De doctr. chr. 1, 5, 11 - 15: Sunt alia signa quorum omnis usus in significando est, sicuti sunt verba. Nemo enim utitur verbis nisi aliquid significandi gratia. Ex quo intellegitur quid appellem signa: res eas videlicet quae ad significandum aliquid adhibentur. 59 Vgl. Aug. Dial. 5, 1 - 4 [7.7 - 9]: Verbum est uniuscuiusque rei signum, quod ab audiente possit intellegi, a loquente prolatum. Res est quidquid vel sentitur vel intellegitur vel latet. Signum est quod et se ipsum sensui et praeter se aliquid animo ostendit. Zitiert nach Augustinus: De dialectica. Übers., eingel., komm. u. hg. v. B. Darrell Jackson, neu hg. v. Jan Pinborg. Dordrecht 1975 (Synthese Historical Library 16). 60 Vgl. Aug. Mag. 11, 36: Hactenus verba valuerunt, quibus ad ut plurimum tribuam, admonent tantum, ut quaeramus res, non exhibent, ut norimus. Is me autem aliquid docet, qui vel oculis vel ulli corporis sensui vel ipsi etiam menti praebet ea, quae cognoscere volo. Verbis igitur nisi verba non discimus, immo sonitum strepitumque verborum; nam si ea, quae signa non sunt, verba esse non possunt, quamvis iam auditum verbum nescio tamen verbum esse, donec quid significet scia. Rebus ergo cognitis verborum quoque cognitio perficitur; verbis vero auditis nec verba discuntur; non enim ea verba, quae novimus, discimus aut quae non novimus didicisse nos possumus confiteri, nisi eorum significatione percepta, quae non auditione vocum emissarum, sed rerum significatarum cognitione contingit. Zitiert nach Augustinus: De Magistro - der Lehrer. Zweisprachige Ausgabe unter Mitarbeit v. Peter Schulthess und Rudolf Rohrbach. Eingel., komm. u. hg. v. Therese Fuhrer. In: Augustinus. Opera - Werke, Bd. 11. Paderborn/ München u. a. 2002. 61 Vgl. grundlegend zu antiken Ich-Inschriften Jasper Svenbro: Phrasikleia. Anthropologie de la lecture en Grèce ancienne. Paris 1988 (Textes à l ’ appui: Histoire classique). 62 De Man hat die Prosopopöie als die »dominierende rhetorische Figur des epitaphischen oder autobiographischen Diskurses gesehen« und definiert als »die Fiktion der Apostrophierung einer abwesenden, verstorbenen oder stimmlosen Entität, wodurch die Möglichkeit einer Antwort gesetzt und der Entität die 24 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber Wenngleich Augustinus zwischen Zeichen und Bezeichnetem bereits die Kognition (conceptus) des Zeichenbenutzers ansetzt, differenziert er nicht explizit zwischen Bezeichnungs- und Bedeutungsfunktion. 63 In dieser doppelten Zeichenrelation liegt die intrikate Verbindung von Semiotik und Semantik begründet, die in der modernen Disziplingeschichte zu einer Aufspaltung in zahlreiche, unterschiedlich ausgerichtete Vorschläge dyadischer und triadischer Zeichenmodelle geführt hat. 64 Aufschlussreich können in dieser Hinsicht bereits die Überlegungen Abaelards (1079 - 1142) sein, in dessen Schriften sich Ausführungen zu Zeichenhaftigkeit und Bedeutung überlagern. Abaelard entwickelte seinen sogenannten Konzeptualismus als Antwort auf das scholastische Universalienproblem, nämlich die Frage nach dem ontologischen Status von Allgemeinbegriffen. Als Lösung schlug Abaelard vor, begriffliche Abstraktionen des Geistes seien von individuellen Dingen abgeleitet und besäßen als mentale Phänomene überzeitliche Gültigkeit. Sein vornehmlich durch Aristoteles inspiriertes Interesse an der Verfasstheit von Lauten (voces) hat die scholastische Zeichenlehre nachhaltig beeinflusst. 65 Abaelard entwickelte zwar keine allgemeine Theorie der Zeichen, wohl aber einige grundlegende Hinweise zum Verhältnis von sprachlichen und außersprachlichen Zeichen. Dabei unterscheidet er zwischen zwei Arten: Als signa significativa bezeichnet er solche Zeichen, die absichtlich zur Ausübung von Zeichenfunktion eingerichtet werden, 66 wie ein ausgehängter Kranz beispielsweise die erfolgte Weinernte anzeige. 67 Die Gruppe der signa significantia hingegen setze sich aus Zeichen zusammen, die nicht aufgrund einer konkreten Bezeichnungsabsicht, sondern infolge einer gewohnheitsbedingten Assoziation oder ihrer äußeren Gestalt auf etwas schließen lassen, so wie die Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn deren Verwandtschaft verrate. 68 Im eigentlichen Sinne würden folglich die signa significativa bezeichnen (proprie significare), deren Verwendung darauf abziele, geistige Vorstellungen bei ihrem Hörer zu erzeugen Macht der Rede zugesprochen wird«, vgl. Paul De Man: Autobiographie als Maskenspiel. In: Ders.: Die Ideologie des Ästhetischen. Übers. v. Jürgen Blasius, hg. v. Christoph Menke. Frankfurt a. M. 1993, S. 131 - 146, hier S. 140. In der hochmittelalterlichen Literatur sind Epitaphe aus der ersten Person eine Besonderheit. 63 Vgl. Nöth 2000, S. 137. 64 Vgl. ebd., S. 136 - 141 sowie S. 147 - 154. 65 Die Grundlage dazu bildete Boethius ’ Übersetzung von Aristoteles › Peri hermeneias ‹ , vgl. dazu Meier- Oeser 1997 a, S. 34 - 37. 66 Abael. Dial. 1, 111, 18 - 21: Nunc etiam per signa aliquid innuimus et hae quidem rerum proprie significare dicuntur quae ad hoc institutae sunt, sicut et voces, ut significandi officium teneant, quemadmodum suprapositae. Zitiert nach Petrus Abaelardus: Dialectica. Hg. v. L. M. de Rijk. Assen 1956 (Wijsgerige teksten en studies 1). Die Angaben beziehen sich auf Traktat, Seite und Zeile. 67 Abael. Gl. sup. peri Herm. 2, 61 - 63: [. . .] et uoluntas hominum nomina et uerba ad significandum instituit nec non etiam res quasdam, ut circulum uini uel signa quibus monachi utuntur. Zitiert nach Petrus Abaelardus: Glossae super Peri hermeneias. Hg. v. Klaus Jacobi u. Christian Strub. Turnhout 2010 (CCCM 206). 68 Abael. Dial. 1, 111, 21 - 26: Saepe tamen ex aliis rebus in alias incidamus, non secundum institutionem aliquam significandi, sed magis secundum consuetudinem vel aliquam earum ad se habitudinem. Cum enim aliquem videmus quem cum alio videre consuevimus, statim et eius quem non videmus, reminiscimur, aut cum patrem vel filium alicuius videmus, statim ex habitudine relationis alium concipimus. 1.2 Versuch einer mediävistischen Kultursemiotik des Sepulkralen 25 (constituere intellectum). 69 Zu dieser Gruppe gehören alle Laute (voces), die entweder durch die Natur (naturaliter) oder durch den Menschen nach Belieben (ad placitum) eingesetzt werden, 70 so wie das Gebell eines Hundes einem anderen Lebewesen seinen Zorn signalisiere oder der Mensch die Sprache zur Kommunikation eingeführt habe. 71 Wurde die Unterscheidung zwischen den signa significantia und signa significativa durch das Kriterium der Einrichtung (institutio) bestimmt, so grenzt das Kriterium der Einsetzung (impositio) schließlich die natürlichen Laute von der menschlichen Rede ab. Den sprachlichen Ausdrücken des Menschen weist Abaelard eine duplex significatio zu und gelangt damit schließlich in den Bereich der Bedeutungslehre. Gemeint ist ein unterschiedliches Verständnis von Bezeichnung - der Bezeichnungen der Dinge (significatio rerum) einerseits und der Bezeichnungen der geistigen Vorstellungen, also Bedeutungen (significatio intellectuum), andererseits. 72 Letztere nennt Abaelard nicht nur vorrangig für die kommunikative Funktion von Sprache, sondern hebt auch ihren Wert in der Diachronie hervor. Denn während die Bezeichnung von Dingen vergänglich sei, seien die geistigen Begriffe beständig. 73 Gäbe es eines Tages keine Rosen mehr, würde mit ihnen auch die Bezeichnung › Rose ‹ , d. h. der Bezug des Begriffs auf seine konkreten Repräsentanten hinfällig werden. Indes wäre die geistige Vorstellung, d. h. die von den einst real verfügbaren Rosen abgeleiteten Merkmale und Eigenschaften, durch den Begriff › Rose ‹ weiterhin vermittelbar. An diesem Beispiel offenbart sich auch ein maßgeblicher Unterschied zu modernen bzw. neostrukturalistischen Zeichenauffassungen, die zwar in vielerlei Hinsicht Ähnlichkeiten zu vormodernen Zeichenmodellen aufweisen, im Gegensatz zu ihnen jedoch von einer Unverfügbarkeit des Signifikats bzw. einer unendlichen Semiose ausgehen. 74 Für Abaelard ist die Bedeutung der Universalien absolut und nicht relational: Obgleich er sieht, dass Welt (d. h. die außersprachlichen Referenten) und die Bezeichnungen der Dinge (die Signifikanten) vergänglich sind, kann er auf das transzendentale Signifikat nicht verzichten. Für ihn sind die geistigen Vorstellungen ewig. Abaelards Rosenbeispiel lässt sich auf die menschliche Vergänglichkeit übertragen. Es verdeutlicht den funktionalen Wert komplexer Sepulkralensembles gegenüber einer einfachen 69 Vgl. Abael. Gl. sup. peri Herm. Prooem., 95 - 98: Nil quippe uoces in substantia rerum faciunt, sed tantum de eis intellectum excitant. [Secundum] officium itaque earum, ad quod institutae sunt, significare est, hoc est intellectum constituere. 70 Vgl. ebd., 2, 57 - 59: Significare Aristoteles accipit per se intellectum constituere, significatiuum autem dicitur, quicquid habile est per se ad significandum ex institutione aliqua siue ab homine facta siue a natura. 71 Vgl. ebd., 2, 60: Nam latratus natura artifex, id est deus, ea intentione cani contulit, ut iram eius repraesentaret [. . .]. 72 Vgl. ebd., Prooem., 27 - 35 Nomina enim et uerba duplicem significationem habent, unam quidem de rebus, alteram de intellectibus. Res enim significant constituendo intellectus ad eas pertinentes, hoc est naturam aliquam earum uel proprietatem attendentes. / Intellectus quoque designare dicuntur, siue is sit intellectus proferentis uocem siue audientis eam. Nam intellectum proferentis in eo significare uox dicitur, quod ipsum auditori manifestat, dum consimilem in auditore generat. 73 Vgl. ebd., Prooem., 80 - 84 Rerum quippe significatio transitoria est, intellectuum uero permanens. Destructis enim rebus subiectis, si quis hoc nomen proferat rosa uel lilium, licet rerum, quas nominabant, significationem iam non teneat, significatio intellectuum non euacuatur, quia siue res sint siue non sint intellectus semper constituunt. 74 Das betrifft sowohl die pragmatische Zeichentheorie von Charles Sanders Peirce als auch neostrukturalistische Ansätze der Postmoderne, denen eine Radikalisierung der von Saussure postulierten Differenzialität sprachlicher Zeichen gemein ist. 26 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber Namensangabe auf dem Grabstein. Sobald der konkrete Mensch, den sein Name bezeichnet, verschieden ist, wird sein Name bedeutungslos. Späteren Generationen kann er nichts sagen, die Referenz verblasst. Indes kann die inschriftliche Auszeichnung des Menschen durch Eigenschaften und Merkmale dazu beitragen, den Verstorbenen als geistiges Konzept, d. h. in seiner Bedeutung, überdauern zu lassen. Dazu dienen auch ikonische und symbolische Zeichen, welche auf die Tugenden oder das Wirken des Verstorbenen referieren. Im 13. Jahrhundert verstärkte sich das Interesse an Zeichentheorie. Besonders tat sich der Oxforder Roger Bacon (um 1220 - 1292) hervor. Nach anfänglichen Überlegungen zur terministischen Logik, in denen er danach fragte, wie Termini bezeichnen und im Satzkontext für etwas einstehen können, legte er später eine ausführliche Zeichentheorie vor, › De signis ‹ (um 1267), die als maßgeblich durch Aristoteles und Augustinus beeinflusst gilt. 75 Bacons semiologisches Verständnis lässt sich als pragmatisch beschreiben, insofern er den r e l a t i o n a l e n Status des Zeichens betont und dieses dezidiert als d r e i s t e l l i g denkt: Das sinnlich oder intellektuell erfahrbare Zeichen konstituiere sich nicht essentiell durch seine Beziehung zum Bezeichneten, so Bacon, sondern durch die Beziehung zum Zeichenbenutzer, für den es etwas bedeutet. 76 In seinem Klassifikationssystem unterscheidet Bacon wie Augustinus zwischen natürlichen Zeichen (signa naturalia) und solchen Zeichen, die von der Seele eingesetzt werden (signa ordinata ab anima). 77 Im Unterschied zum Kirchenvater umfasst die Kategorie der seelischen Zeichen allerdings sowohl rational-konzeptuelle (cum deliberatione) als auch präkonzeptuelle Zeichen, zu denen etwa die Interjektionen gehören. 78 Die Kategorie der natürlichen Zeichen unterteilt Bacon hingegen in drei Gattungen, die an die spätere Zeichentrichotomie von Charles Sanders P EIRCE erinnern. So unterscheidet er zwischen Zeichen der Schlussfolgerung (signa inferentia), etwa die Milch in der weiblichen Brust, die die Geburt eines Kindes anzeige, Zeichen der Übereinstimmung (signa propter conformitatem), dazu gehören Abbilder aller Art, und Zeichen des Kausalzusammenhangs (signa respectu causae), die in den typisch antiken Beispielen des Feuers für Rauch oder der Spur für ein Lebewesen vorliegen. 79 Die Gattung der Schlussfolgerung unterteilt sich ihrerseits noch einmal 75 Vgl. Dominik Perler: Art. › Roger Bacon ‹ . In: Alexander Brungs u. a. (Hg.): Die Philosophie des Mittelalters: 13. Jahrhundert, Bd. 4. Basel 2017 (Grundriss der Geschichte der Philosophie), S. 780 - 801, hier S. 788 sowie Meier-Oeser 1997, S. 50 - 65. 76 Vgl. Rog. Bac. De signis 1, 1: Signum est in praedicamento relationis et dicitur essentialiter ad illud cui significat [. . .] Quia nisi posset aliquis concipere per signum, cassum esset et vanum, immo non erit signum, sed maneret signum solum secundum substantiam signi et non esset in ratione signi, sicut substantia patris manet quando filius est mortuus et non relatio paternitatis. Zitiert nach An Unedited Part of Roger Bacon ’ s › Opus maius ‹ : › De Signis ‹ . Hg. v. K. M. Fredborg u. a. In: Traditio XXXIV (1978), S. 75 - 135. 77 Vgl. ebd., 1, 3: Signorum autem quaedam sunt naturalia, quaedam ordinata ab anima ad significandum. Naturalia autem dicuntur, quia ex essentia sua et non ex intentione animae signi rationem recipiunt. 78 Vgl. ebd., 1, 10: Triplex ergo hic vox significativa consideratur: Quaedam scilicet subito et sine deliberatione ac sine electione voluntatis nec ad placitum nec ex proposito nullo modo, per modum affectus non conceptus significat, et tales vocantur voces significativae naturaliter. Alia est omnino contraria, quae scilicet in tempore et cum deliberatione et electione et ad placitum et ex proposito per modum conceptus perfecti significat. Tertia est media quodammodo, ut interiectio, cedit tamen in partem vocis secundo modo dictae, quia per modum conceptus licet imperfecti, et per modum deliberationis imperfectae, et sic de aliis conditionibus, quae reperiuntur a parte aliarum partium orationis. 79 Vgl. ebd., 1, 4 - 6: Et haec [sc. signa naturalia] dividuntur in tria genera: primum est quando aliquid dicitur signum propter hoc quod aliud necessario vel probabiliter infert, et ideo ipsum repraesentare potest naturaliter, et hoc sive sit praesens sive praeteritum sive futurum. Si ergo attendamus rationem signi penes consequentiam 1.2 Versuch einer mediävistischen Kultursemiotik des Sepulkralen 27 in zwei Klassen von Zeichen, nämlich Bezeichnungen, die sich entweder notwendig oder wahrscheinlich aus dem Zeichen ableiten lassen. Die Klassifikation versteht sich keineswegs als streng disjunktiv, sondern als funktional hinsichtlich der Zeichenrelation. 80 Ein Zeichen kann seine Zugehörigkeit zu einer Gattung wechseln, je nachdem, wie es eingesetzt wird. Allerdings spezifiziert Bacon das Verhältnis zwischen den von der Seele eingesetzten Zeichen und den natürlichen Zeichen nicht weiter, obwohl sich ja auch intentional verwendete Zeichen wie die zu ihnen zählenden Sprachzeichen durch einen schlussfolgernden oder abbildenden Charakter auszeichnen können. Dieses Verhältnis lässt sich verdeutlichen, wenn man versucht, es in die gängige Terminologie des 20. Jahrhunderts zu übersetzen, die Bacon in mancher Hinsicht antizipierte. Speziell die drei Repräsentationsarten von Zeichen, wie sie P EIRCE formuliert, seien hier noch einmal benannt, weil sie eine griffige Terminologie bieten, um den Bezeichnungsprozess der verschiedenen, am Grabmal beteiligten Medien zu beschreiben. In P EIRCES Zeichentheorie, welche die Grundlage seines Pragmati(zi)smus bildet, treten drei Korrelate in eine triadische Beziehung ein: 81 das Zeichen (Repräsentamen), die kognitive Wirkung des Zeichens (Interpretant) und die Sache (Objekt), die das Zeichen repräsentiert. 82 Wie Bacon macht auch P EIRCE zur Voraussetzung, dass ein beliebiges Ding nur dann Zeichen sein kann, wenn es als Zeichen interpretiert wird. 83 Das jeweilige Verhältnis zwischen Zeichen und Objekt lässt sich dabei in Abhängigkeit vom Interpretanten als ikonisch, indexikalisch oder symbolisch beschreiben: Während ein Ikon infolge gemeinsamer Merkmale oder Eigenschaften in einer Ähnlichkeitset illationem necessariam, et hoc respectu praesentis, sic habere magnas extremitates in animali ut in leone et alio est signum fortitudinis [. . .] Secundus modus signi naturalis est quando non propter illationem aliquam significatur aliquid, sed propter conformitatem et configurationem unius rei ad aliud in partibus et proprietatibus, ut imagines et picturae et similtudines [. . .] Et haec duo genera signorum naturalium sunt magis propria. Tertium autem genus reperitur ut universaliter effectus respectu suae causae, sicut vestigium est signum animalis et fumus est signum ignis [. . .] Effectus enim magis ponitur esse signum respectu causae quam e converso, quoniam effectus magis est notus nobis et signum habet esse magis notum nobis quam significatum, quia per notitiam signi devenimus in cognitionem significati. 80 Vgl. Meier-Oeser 1997, S. 58. 81 Bei Peirce ist Semiose gleichbedeutend mit einem Schlussfolgerungsprozess, der je nach Standpunkt dynamisch sein kann. Erst durch die Wiederholung von Schlussfolgerungsprozessen in Raum und Zeit ergebe sich Möglichkeit, zu einer globalen Realerkenntnis zu gelangen. Zu einer detaillierten Beschreibung von Peirces Erkenntnistheorie vgl. die Beiträge im ersten Teil (I. Philosophie des Zeichens und der Zeicheninterpretation) von Uwe Wirth (Hg.): Die Welt als Zeichen und Hypothese. Perspektiven des semiotischen Pragmatismus von Charles S. Peirce. Frankfurt a. M. 2000, S. 13 - 132. 82 Vgl. Charles Sanders Peirce: Collected Papers, Bd. 1 - 2. Hg. v. Charles Hartshorne u. Paul Weiss. Cambridge 1960, S. 135 [2, 228]: »A sign, or representamen, is something which stands to somebody for something in some respect or capacity. It addresses somebody, that is, creates in the mind of that person an equivalent sign, or perhaps a more developed sign. That sign which it creates I call the interpretant of the first sign. The sign stands for something, its object. It stands for that object, not in all respects, but in reference to a sort of idea, which a have sometimes called the ground of the representamen.« [Herv. i. O.] 83 Vgl. ebd., S. 137 [2, 231] »The sign can only represent the Object and tell about it. [. . .] But if there be anything that conveys information and yet has absolutely no relation nor reference to anything with which the person to whom it conveys the information has, when he comprehends that information, the slightest acquaintance, direct or indirect - and a very strange sort of information that would be - the vehicle of that sort of information is not, in this volume, called a sign.« 28 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber beziehung zum bezeichneten Objekt steht, 84 ist ein Index mit seinem Objekt durch eine raumzeitliche Kontiguitäts- oder Kausalitätsbeziehung verbunden; 85 Symbole hingegen sind Zeichen, deren Verhältnis zum bezeichneten Objekt allein auf einer Konvention zwischen Zeichenbenutzern beruht. 86 Die Begriffstrichotomie ermöglicht eine feinere Ausdifferenzierung der semiotischen Zeichenrelationen, die auf die Betrachter eines Grabmals einwirken können. Während das Grabmal seiner Konvention nach einen Toten repräsentiert, trägt die intermediale Ausgestaltung dazu bei, ihn auf spezifische Weise erinnerbar zu machen. Schrift, Bild und Materialität werden folglich eingesetzt, um das Zeichen - das Grabmal als Repräsentamen - in Bezug auf sein Bezeichnetes - den Verstorbenen als Objekt - zu präzisieren. Sie sind damit selbst Repräsentamen, die Einfluss auf die kognitive Vorstellung - den Interpretanten - nehmen, ihn gewissermaßen zu bestimmen versuchen. Dabei können sie sowohl in indexikalischer als auch ikonischer Relation zum Toten stehen. So wiederholt sich die räumliche Kontiguität, die das Grabmal zu dem in Auflösung befindlichen Leib des Verstorbenen herstellt, auch in der unmittelbaren Ortsbezogenheit des deiktischen hic / hier (exophorische Referenz) sowie in dem kontextabhängigen Eigennamen des Epitaphs. Zugleich unterliegen Grabbilder aber auch dem Ähnlichkeitsprinzip. Die Analogie von Grabbild und Verstorbenem reicht von einzelnen Symbolen wie Herrschaftsinsignien, Familiewappen, Kleidung usw., die den Status oder die religiöse Zugehörigkeit des Toten repräsentieren, bis hin zum mimetischen Portrait, das den Verstorbenen in einem idealisierten oder tatsächlich erreichten Alter wiedergibt. Das Verhältnis von signa und res spielte auch jenseits der rationalistisch-philosophischen Semiotik der Scholastik eine Rolle, und zwar für die in derTheologie entwickelte pansemiotische Sicht der Welt. Ihr zufolge war das ganze Universum ein Zeichen der göttlichen Offenbarung und damit interpretierbar. 87 Im Lichte dieses symbolischen Weltbildes entstanden zahlreiche Traktate wie enzyklopädische Lapidarien, Herbarien und Bestiarien, in denen die Dinge und Lebewesen der Welt nach dem exegetischen Prinzip des mehrfachen Schriftsinns ausgelegt wurden. Die Lehre vom symbolischen Weltzusammenhang war insbesondere durch die Bibelexegese der Viktorinerschule im 12. Jahrhundert verbreitet worden, die den Unterschied zwischen der Heiligen Schrift und dem profanen Wort in der je eignenden Bedeutungsqualität ausmachte. Denn, so die viel zitierteAuffassung von Richard und Hugo von St.Viktor, die Heilige Schrift sei der Weltweisheit darin überlegen, dass in ihr nicht nur die Worte, sondern auch die 84 Vgl. ebd., S. 143 [2, 247]: »An Index is a sign which refers to the Object that it denotes by virtue of being really affected by that Object.« [Herv. i. O.]; ebd., S. 168 [2, 299]: »The index is physically connected with its object; they make an organic pair, but the interpreting mind has nothing to do with this connection, except remarking it, after it is established.« Außerdem ebd., S. 172 [2, 306]: »Psychologically, the action of indices depends upon association by contiguity, and not upon association by resemblance or upon intellectual operations.« 85 Vgl. ebd., S. 143 [2, 247]: »An Icon is a sign which refers to the Object that it denotes merely by virtue of characters of its own, and which it possesses, just the same, whether any such Object actually exists or not.« [Herv. i. O.] 86 Vgl. ebd., S. 143 [2, 249]: »A Symbol is a sign which refers to the Object that it denotes by virtue of a law, usually an association of general ideas, which operates to cause the Symbol to be interpreted as referring to that Object.« [Herv. i. O.] 87 Vgl. Nöth 2000, S. 422 - 424. 1.2 Versuch einer mediävistischen Kultursemiotik des Sepulkralen 29 durch sie bezeichneten Dinge selbst bedeutsam seien. 88 In dieserAussage liegt die Idee des sensus spiritualis verdichtet: Während das profane Wort sich in der buchstäblichen Bedeutung (dem eindeutigen Signifikat) seines referenzialisierten Objekts erschöpft, verfügt das heilige Wort über einen höheren Sinn, der sich aus der Summe der Eigenschaften eines Dings konstituiert. 89 Die Eigenschaften (proprietates) eines Dings setzen sich aus Merkmalen der äußeren Erscheinungsform (visibilis forma) und des inneren Wesens (invisibilis natura) zusammen. 90 Das zeichenhafte Verständnis der Welt spiegelt sich paradigmatisch in der Metapher vom › Buch der Natur ‹ oder › Buch der Welt ‹ , eine Vorstellung, die das Mittelalter vielleicht aus der Rhetorik des Augustinus übernommen hat und die sich im 12. Jahrhundert prominent bei Hugo von St. Viktor, Alanus ab Insulis und Bonaventura wiederfindet. 91 Der Sonderstatus des Menschen als Abbild Gottes impliziere demnach, dass die übrigen Dinge der Welt in einem anderen, nicht nachbildlichen Verhältnis zur göttlichen Selbstmitteilung stünden, der sich dem Betrachter in seiner symbolischen Verfasstheit zur Lektüre und Deutung darbiete: 92 Als Buch bietet die Welt einen doppelten Aspekt: den des Inhalts und den der Rückverweise auf den Autor. Die mittelalterliche Verwendung der Metapher steht in dem Dienst der Verweisung auf den Autor, seine Größe und Unerreichbarkeit, und auf den Sachverhalt, daß er selbst [. . .] mit eigener Hand dieses Buch geschrieben haben könnte. 93 Symbolisch versteht sich hier nicht als Zeichenrelation, d. h. einer konventionsbasierten Bezeichnungsweise, sondern als versiegelter Sinn der Sprache Gottes, der durch die Allegorese entschlüsselt werden muss. Vor dem Hintergrund eines für jeden, auch den illiteraten Betrachter, ersichtlichen Schöpfungsplans müssen die zeitgleich entstehenden klassifikatorischen Bemühungen der Scholastik umso mehr frappieren, verschieben sie doch den Akzent von den natürlichen Dingen auf die Funktionalität und Relationalität der von Menschen konstruierten Zeichen. Wenn der Kosmos sinnhaft und lesbar ist, warum hinterlässt der Mensch darin seine eigenen, in robuste Memorialmaterialien wie Stein oder Metall gravierten Zeichen? Muss die Praxis der Inschriftlichkeit dem Paradigma der Symbolizität der Welt nicht unweigerlich widersprechen, wenn die Oberfläche überschrieben wird, die als visibilis forma 88 Vgl. Richard de St. Viktor: Liber exceptionum. Hg. v. Jean Chatillon. Paris 1958 (Textes philosophiques du moyen âge 5), 2, 3, 6 - 17: Et in hoc valde excellentior est divina scriptura scientia seculari, quod in ea non solum voces, sed et res significative sunt. Sicut igitur in eo sensu qui est inter voces et res, necessaria est cognitio vocum, sic in eo sensu qui inter res et facta vel facienda mistica versatur, necessaria est cognitio rerum. Cognitio vocum in duobus consistit, in pronuntiatione et significatione. [. . .] Cognitio rerum est in forma et natura. Forma est in exteriori dispositione; natura in interiori qualitate. 89 Zum Einfluss der Entdeckung des geistigen Wortsinns auf die mittelalterliche Literatur vgl. Friedrich Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter. In: ZfdA 89 (1958/ 1959), S. 1 - 23. 90 Vgl. Petrus Pictaviensis: Allegoriae super tabernaculum Moysi. Nachdruck der Ausg. v. 1938. Hg. v. Philip S. Moore u. James A. Corbett. Notre Dame 1961 (Publications in Mediaeval Studies 3), 1, 4 (die Angabe bezieht sich auf Kapitelnummer und Seitenzahl): Quelibet enim res quot habet proprietates tot habet linguas, aliquid spirituale nobis et invisibile insinuantes, pro quarum diversitate et ipsius nominis acceptio variatur. 91 Vgl. Hans Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt. Frankfurt a. M. 1986, S. 47 - 57. Darin befasst sich Blumenberg mit der Geschichte der Metapher vom › Buch der Natur ‹ und ihrem Verhältnis zum › Buch der Bücher ‹ . Seine diachron angelegte Studie zielt darauf ab, den historisch spezifischen Umgang mit dem › Buch der Natur ‹ nachzuzeichnen und die erkenntniskonstitutive Funktion der Metapher im Bezugsrahmen des jeweils gegebenen natur- und geisteswissenschaftlichen Erfahrungshorizonts zu bestimmen. 92 Vgl. ebd., S. 47 f. 93 Ebd., S. 60. 30 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber natürlicherweise selbst Auskunft über ihre Beschaffenheit geben soll? Wie fügt sich das Grabmal in diese Auffassung ein, das, wie im nächsten Abschnitt gezeigt werden soll, im Hochmittelalter zu einem wichtigen Bestandteil der Herrschaftsinszenierung avanciert? Wie die Lektüren des Hauptteils zu zeigen haben, erweist sich das Verhältnis zwischen der ursprünglich sinnhaften Beschaffenheit der Dinge und der kommunikativen zwischenmenschlichen Funktion intentional eingesetzter Zeichen gerade für die Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts als entscheidendes Potenzial der Zeichenreflexion. 1.2.2 Epitaph und Plastik im Wandel: Kulturgeschichte des Grabmals In systematischer Hinsicht wird der sepulkrale Repräsentationsprozess durch das Zusammenwirken verschiedener semiotischer Systeme getragen, wesentlich durch eine mehr oder weniger körperhaft geformte Plastik sowie eine auf ihr befestigte In- oder Aufschrift. Die spezifischen Ausprägungen dieser semiotischen Verbindung sind historisch variabel, und im betreffenden Zeitraum, dem Früh- und Hochmittelalter, durch eine signifikante Dynamik gekennzeichnet, deren markante Etappen knapp skizziert werden sollen. 94 Mit dem Niedergang des Römischen Reiches vollzog sich ein Wandel der Bestattungsformen. Die Beisetzungen der christlichen Spätantike wurden aus der Peripherie (extra muros) in den urbanen Raum, ja in unmittelbare Nähe der neuen christlichen Helden, den Märtyrern und Heiliggesprochenen, in und um die Kirche herum (ad sanctos) verlegt. Weil die Wiederkehr Christi und das damit verbundene Jüngste Gericht nicht erwartungsgemäß eintraten, verbreitete sich die Vorstellung, dass die Seelen der Verstorbenen in der Zwischenzeit geprüft und geläutert würden. Allein die Heiligen galten als auferstanden, von der Nähe zu ihren Gräbern erhoffte man sich darum besonderen Schutz. Dagegen positionierte sich Augustinus in seiner Schrift › De cura pro mortuis gerenda ‹ (um 421). 95 Ihm zufolge war der Bestattungsort für das Fortleben im Jenseits ohne Bedeutung, doch spendete die Erinnerung an die Verstorbenen Trost für die Lebenden und trug so zum Gebetsgedenken bei, womit sich die Lebenden Gottes Huld verdienten. In Anschluss an Augustinus betonte auch Papst Gregor der Große in seinen › Dialogi ‹ (um 600) die Bedeutung von Messen und Gebeten, weil sie die Seelen der Verstorbenen schneller von den Peinigungen des Reinigungsfeuers zu erlösen vermochten. Aus dieser Vorstellung erklärt sich die grabinschriftlich verbürgte Aufforderung an die Hinterbliebenen, für das Seelenheil der Verstorbenen zu beten. 96 Ein prominentes Beispiel dafür bietet der 94 Vgl. grundlegend Erwin Panofsky: Grabplastik. Vier Vorlesungen über ihren Bedeutungswandel von Alt- Ägypten bis Bernini. Hg. v. Horst W. Janson mit einer Vorbemerkung von Martin Warnke. Köln 1993 [1964]; Kurt Bauch: Das mittelalterliche Grabbild. Figürliche Grabmäler des 11. bis 15. Jahrhunderts in Europa. Berlin 1976; Hans Körner: Grabmonumente des Mittelalters. Darmstadt 1997; Philippe Ariès: Geschichte des Todes. Aus dem Französischen übers. v. Hans-Horst Henschen u. Una Pfau. 11. Aufl. München 2005 [1980]; Armando Petrucci: Le scritture ultime: ideologia della morte e strategie dello scrivere nella tradizione occidentale. Turin 1995 sowie speziell zur Entwicklung der Grabinschrift im deutschsprachigen Bereich Sebastian Scholz: Totengedenken in mittelalterlichen Grabinschriften vom 5. bis zum 15. Jahrhundert. In: Marburger Jb. 26 (1999), S. 37 - 59. 95 Den Anlass für die Schrift soll Paulinus von Nola gegeben haben, der danach fragte, ob es einem Menschen nach dem Tode nütze, wenn seine Leiche neben dem Grabe eines Heiligen bestattet werde. Vgl. dazu auch die hilfreiche Einleitung in Aurelius Augustinus: Die Sorge für die Toten. Übertragen von Gabriel Schlachter. Eingel. u. erläut. v. Rudolph Arbesmann. Würzburg 1975 (Sankt Augustinus - Der Seelsorger). 96 Vgl. Scholz 1999, S. 38 f. 1.2 Versuch einer mediävistischen Kultursemiotik des Sepulkralen 31 sogenannte › Dietrichstein ‹ , das älteste erhaltenen Zeugnis deutschsprachiger Epigraphik aus dem 10. oder 11. Jahrhundert. Die Grabinschrift appelliert an die Vorübergehenden, des Seelenheils eines fränkischen Adligen zu gedenken: Gehvgi Diederihes Go[zzolfes] inde Drvlinda son[es]. imo [hi]lf Got (»Gedenke des Dietrich, Sohn des Gozzolf und der Drulinda, ihm helfe Gott«). 97 Grabinschriften solcherArt dominierten insbesondere zwischen dem 8. und 13. Jahrhundert. 98 Seit dem 5. Jahrhundert verschwand allmählich der in der Antike gebräuchliche, mit Reliefdarstellung geschmückte Sarkophag. 99 Nur unter besonderen Umständen wurden pagane Sarkophage wiederverwendet, so im Falle Karls des Großen, der 814 in einem marmornen Proserpina-Sarkophag aus dem 3. Jahrhundert beigesetzt worden sein soll. Die drastische antike Todesikonographie ließ sich offenbar problemlos in die christliche Vorstellung irdischer Vergänglichkeit einpassen und gibt damit ein lebendiges Bild der Antikentransformation im Zuge der karolingischen renovatio ab. 100 Das blieb jedoch die Ausnahme. Anstelle des massiven Sarkophags setzten sich seit der Spätantike aus religiösen wie funktionalen Gründen Erdbestattungen in Leinentüchern, einfachen Stein- oder Holzsärgen sowie Beisetzungen im versiegelten Gewölbe durch. Zugleich begünstigte das hohe Aufkommen von Bestattungen allmählich neue Grabmaltypen: die in den Boden eingelassene und mit christlichen Symbolen dekorierte Grabplatte, das Tischgrab und die kastenförmige Tumba. › Tumba ‹ bürgerte sich in den romanischen Sprachen als Allgemeinbegriff für das Grabmal ein. Besonders in Spanien, Italien und Venedig konnten diese neuen Typen jeweils freistehend oder als Wandgrab aufgestellt werden. Das Grabdenkmal stand nicht mehr notwendig am Bestattungsort, gleichwohl war es »Bestandteil des Steinbodens, [es] [wurde] eins mit den Fliesenplatten und ein Stück von ihnen« und formierte damit »die harte, dauerhafte Grenze, die die überirdische von der unterirdischen Welt trennt«. 101 Grabinschriften des 10. Jahrhunderts sind, zumindest im deutschsprachigen Raum, von lakonischer Kürze geprägt. Sie begnügen sich damit, Namen, Stand und Sterbetag des Verstorbenen mitzuteilen. 102 Laut Philippe A RIÈS wurde die Praktik der Inschriftenauszeichnung gegen Ende des Frühmittelalters zweitweise sogar eingestellt - vielleicht weil das Bedürfnis nach räumlicher Nähe zu den Heiligen die Notwendigkeit einer individuellen Memoria überwog. 103 97 Übersetzung und Interpretation nach Wolfgang Haubrichs: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit, Bd. 1: Von den Anfängen zum hohen Mittelalter. Hg. v. Joachim Heinzle. Tübingen 1995, S. 38. Vgl. auch Heinrich Tiefenbach: Zur Binger Inschrift. In: RhVjbll 41 (1977), S. 124 - 137. 98 Vgl. Scholz 1999, S. 39 - 48. 99 Besonders in Ravenna (aufgrund der Verbundenheit mit Ostrom) und im merowingischen Gallien wurde die Sarkophagproduktion noch einige Zeit fortgesetzt, vgl. dazu Körner 1977, S. 17 - 20. 100 Einhard erwähnt den Sarkophag nicht und die Gebeine befinden sich seit der Fertigstellung des Karlsschreins (anlässlich dessen Heiligsprechung 1165) ebendort. Als ursprüngliche Grablege Karls wurde der Sarkophag erstmals in einem Reisebericht der Jahre 1517/ 1518 bezeichnet. Es ist darum ungewiss, ob und wie lange Karl tatsächlich in dem Sarkophag begraben lag. Vgl. Theun-Mathias Schmidt: Proserpina-Sarkophag. In: Christoph Stiegemann u. Matthias Wemhoff (Hg): 799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn. Katalog der Ausstellung Paderborn vom 23. Juli bis 1. November 1999, Bd. 2. Mainz 1999, S. 758 - 763. 101 Ariès 2005 [1980], S. 306. 102 Vgl. Scholz 1999, S. 42 f. 103 Ariès 2005 [1980], S. 276 - 278. 32 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber Ausgenommen davon waren freilich die Gräber der Heiligen und anderer Persönlichkeiten, deren Verdienste kollektiv erinnert werden sollten. 104 Besaß das Totengedenken schon in karolingischer Zeit eine wichtige Stellung, nahm dessen Bedeutung im 12. und 13. Jahrhundert weiter zu. Grund dafür war die Idee vom Partikulargericht, die sich in Verbindung mit der Vorstellung vom Purgatorium entwickelte und spätestens durch Thomas von Aquin (1225 - 1274) in der römisch-katholischen Lehre etabliert wurde. 105 Nach dieserAuffassung muss sich die Seele unmittelbar nach dem Tod einem individuellen Gericht unterziehen, das über ihr Fortleben in Himmel oder Hölle entscheidet. Vor dem Eintritt in den Himmel müssen geringere Sünden, wie sie wohl die meisten Menschen begangen haben dürften, im Fegefeuer gesühnt werden. DieAngst vor den Qualen des Purgatoriums bewirkte, dass Stiftungen für Totengedenkmessen und Bestattungen in der Kirche sprunghaft anstiegen. Man glaubte, dass man die Zeit der Läuterung dadurch verkürzen konnte. Bereits im Frühmittelalter hatte es Bemühungen gegeben, Bestattungen in der Kirche auf Bischöfe, Äbte, Priester und besonders fromme Menschen (fideles laici) zu beschränken. 106 Doch trotz des großen Zulaufs legte sich die Kirche im Hoch- und Spätmittelalter nicht auf eine einheitliche Regelung fest: Die Landesfürsten und der Hochadel konnten das Begräbnis in der Kirche entweder aufgrund des Patronatsrechts beanspruchen, zu dem auch das ius sepulturae gehörte, oder durch die Stiftung von Kapellen und Altären mit den dazugehörigen Pfründen erwirken. Von dieser Möglichkeit machten insbesondere die Ministerialen im 12. und 13. Jahrhundert sowie später auch das Bürgertum Gebrauch. 107 Seit dem 11. Jahrhundert lässt sich allmählich ein Wandel in der Gestaltung des Grabmals beobachten. Wie schon in der Vorstellung des Partikulargerichts drückt sich auch in der › Rückkehr ‹ der Grabinschrift und dem gesteigerten Realismus der Grabplastik ein zunehmendes Individualisierungsbedürfnis aus. 108 Bestand die Grabinschrift seit dem 10. Jahrhundert zumeist nur aus einer kurzen Identitätsangabe, wurde ihre Präsentation zunehmend formalisiert: Die Informationen wurden um das Portrait herum an den Seiten des Grabdeckels angeordnet und seit dem 13. Jahrhundert zumeist von der Anno domini-Formel eingeleitet. 109 Die Formalisierung trug zur leichteren Identifizierung des Grabmals im Rahmen der liturgischen Totenmemoria bei. 110 Seit dem 13. Jahrhundert stieg die Anzahl volkssprachiger Epitaphe zwar langsam an, diese behielten die lateinische Anno domini-Formel jedoch zumeist 104 Seit ottonischer Zeit konnten sich auch Könige in ihrer Funktion als Stellvertreter Christi (vicarius Christi) in der Bischofskirche begraben lassen, was Laien normalerweise nicht zustand, vgl. Scholz 1999, S. 44. 105 Vgl. Scholz 1999, S. 47. 106 Vgl. ebd., S. 48 sowie ders.: Das Grab in der Kirche - Zu seinen theologischen und rechtlichen Hintergründen in Spätantike und Frühmittelalter. In: ZRG / KA 115 (1998), S. 270 - 306. 107 Vgl. Kloos 1980, S. 71 f.; Sebastian Scholz: Grabmäler von Laien im Spätmittelalter. Zu ihrer Funktion, Bedeutung und kanonistischen Problematik. In: Rainer Berndt (Hg.): Wider das Vergessen und für das Seelenheil. Memoria und Totengedenken im Mittelalter. Münster 2013 (Erudiri sapientia. Studien zum Mittelalter und zu seiner Rezeptionsgeschichte 9), S. 271 - 285, hier S. 273 f. 108 Vgl. Ariès 2005 [1980], S. 278 - 280; Valentino Pace: › Dalla morte assente alla morte presente ‹ . Zur bildlichen Vergegenwärtigung des Todes im Mittelalter. In: Arno Borst u. a. (Hg.): Tod im Mittelalter. Konstanz 1993 (Konstanzer Bibliothek 20), S. 335 - 376, hier. S. 362 f. Guthke bringt die Rückkehr der Grabinschrift mit der Lehre vom Fegefeuer in Zusammenhang, vgl. Guthke 2006, S. 316 f. 109 Scholz weist diese Formel für den deutschsprachigen Raum nach, vgl. Scholz 1999, S. 51. Dagegen bezeichnet Ariès die deiktische Formel hic jacet / situs est / requiescit als das dominierende Formular im 12. und 13. Jahrhundert, womit er sich vermutlich auf den romanischen Raum bezieht, vgl. Ariès 2005 [1980], S. 279. 110 Ebd., S. 52. 1.2 Versuch einer mediävistischen Kultursemiotik des Sepulkralen 33 umstandslos bei. Nach dem › Dietrichstein ‹ sind volkssprachige Inschriften im deutschen Sprachraum gemäß aktuellem Forschungstand erst aus 13. Jahrhundert überliefert, darunter die Grabinschrift Ulrichs von Liechtenstein (bald nach 1275) und die Grabinschrift der Frau Junta (1291) aus der Franziskanerkirche (Église des Récollets) in Rouffach, Département Haut- Rhin. 111 Im späten 13. und 14. Jahrhundert konnten Grabinschriften zunehmend an Umfang und Eloquenz gewinnen. Das war etwa der Fall, wenn die Grabinschrift gezielt zur Rechtssicherung eingesetzt wurde. Solche Epitaphe dokumentieren getätigte Stiftungen sowie den damit verbundenen Anspruch auf Messen für das Totengedenken. 112 Im Laufe des 14. Jahrhunderts etablierte sich neben dem Grabmal eine neue Form des Totengedächtnismals ( › Epitaph ‹ nach kunsthistorischer Terminologie), das ebenfalls Bild und Inschrift kombinierte, räumlich aber nicht an das Grab gebunden war. DerAnteil an volkssprachigen Grabinschriften nahm im 14. Jahrhundert zu, entsprechend sind von Beginn an auch volkssprachige Inschriften auf den neuen Totengedächtnismalen belegt. 113 Im 15. Jahrhundert eröffneten volkssprachige Inschriften schließlich in beiden Medien eine beliebte Alternative zu den lateinischen. 114 Ganz offenbar steht die Verbreitung von Inschriften auch im Zusammenhang mit der fortschreitenden Literarisierung in Europa, die durch die aristokratischen Höfe angetrieben wurde und sich allmählich auf die Städte ausweitete, wo sich ein neuer, Laienschulen und Verwaltungsapparate einspannender Schriftbetrieb ausbildete. 115 Zuweilen stehen Erwähnungen von Grabinschriften in der volkssprachigen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts jedoch in auffälligem Kontrast zum realen Befund volkssprachiger Epitaphe, sei es, weil die erzählten Grabinschriften außerordentlich lang und individuell gestaltet sind wie im › Parzival ‹ , sei es, weil die Grabbilder gar als lebendige Automaten imaginiert werden wie in › Flore und Blanscheflur ‹ oder weil ein Held seinen Namen erst durch die Entdeckung seines ihm zu Lebzeiten bereiteten Grabs erfährt wie im › Prosa-Lancelot ‹ . Die Texte haben darum einen besonderen Wert für die historische Erforschung von Inschriftlichkeit und Sepulkralkultur, 111 Zur Grabinschrift Ulrichs von Liechtenstein vgl. Maja Loehr: Die Grabplatte auf der steirischen Frauenburg und die Ruhestätte Ulrichs von Liechtenstein. In: MIÖG 65 (1957), S. 53 - 69, zur Rouffacher Grabinschrift vgl. Daniel Kroiss: Die älteste datierte Inschrift in deutscher Sprache. In: ZfdA 146.1 (2017), S. 41 - 53. 112 Vgl. Scholz 1999, S. 49. 113 Zum Totengedächtnismal vgl. Ulrich Rehm: Bildappelle an die Nachwelt. Grabbild und Epitaph als Medien des Totengedächtnisses im Mittelalter. In: Reinhard Hoeps (Hg.): Handbuch der Bildtheologie, Bd. II: Funktionen des Bildes im Christentum. Paderborn 2020, S. 28 - 111, hier S. 92 f. 114 Vgl. Ariès 2005 [1980], S. 279 und Schoenen 1967, Sp. 880 f. (vgl. Anm. 5). 115 Obgleich sich auch die mediävistische Literaturwissenschaft seit den 1980er Jahren in Anschluss an die medienwissenschaftlichen und medienhistorischen Beiträge von Harald Adam Innis, Marshall McLuhan, Ernst Havelock, Jack Goody, Ian Watt und Walter J. Ong mit den sozialhistorischen Bedingungen des Hochmittelalters beschäftigt und die Auswirkungen der zunehmenden Laienbildung auf die Schrift- und Buchkultur des Mittelalters sowie deren spezifische Rezeptions-, Kommunikations- und Erinnerungsmodi intensiv untersucht hat, wurde die Bedeutung von Inschriftlichkeit dabei weitgehend ausgeblendet. Eine Ausnahme stellen die Studien von Ernst 2006 (vgl. Anm. 34) und Urban Küsters: Marken der Gewissheit. Urkundlichkeit und Zeichenwahrnehmung in mittelalterlicher Literatur. Düsseldorf 2012 dar. Darin zeigt Küsters, wie sich urkundliche Formen der Rechtsetzung strukturbildend auf die religiöse und höfische Literatur des hohen und späten Mittelalters ausgewirkt haben. Einen Forschungsüberblick über die Entwicklung und Überlagerung von Formen der Schriftlichkeit und Mündlichkeit in der mittelalterlichen Kultur bieten Mark Chinca u. Christopher Young: Orality and Literacy in the Middle Ages. A Conjunction and its Consequences. In: Dies. (Hg.): Orality and Literacy in the Middle Ages. Turnhout 2005 (Utrecht Studies in Medieval Literacy 12), S. 1 - 15. 34 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber liefern sie doch auch ihrerseits Hinweise auf Praktiken, die sich mit dem Grabmal verbinden, oder Bewertungen der medialen und materiellen Gestaltung des Grabmals mit. Die Grabplastik entwickelt sich in gewisser Weise parallel zum Epitaph. Das erste bekannte mittelalterliche skulptierte Grabmal eines Laien ist für den 1080 verstorbenen Gegenkönig Heinrichs IV., Rudolf von Schwaben, bestimmt und kann noch heute im Dom von Merseburg besichtigt werden (Abb. 2). 116 Sein bronzenes, auf der Tumba aufliegendes Grabbild wird von einer den Plattenrand säumenden Inschrift umgeben, die nicht nur über Stand und Namen Rudolfs informiert, sondern auch von seinen Verdiensten kündet. 117 Abb. 2: Grabmal Rudolfs von Schwaben 116 Die Voraussetzungen, die zur Entstehung des Grabbildes von Rudolf beitrugen, sind nicht abschließend geklärt. Während Panofsky einen Vorgänger der flachen Merseburger Skulptur in nordafrikanischen und spanischen Mosaik-Grabplatten zu erkennen glaubte, hat Bauch die Ähnlichkeit zu etruskischen und römischen Sarkophagen hervorgehoben. Körner hingegen führt figürliche Grabstelen in den ehemals westlichen und nördlichen Provinzen des römischen Reiches als Vorbilder an. Vgl. Körner 1997, S. 101 f. 117 Das Grabmal ist nicht nur aufwändig und kostspielig gestaltet, sondern auch mit einer verhältnismäßig ausführlichen Inschrift versehen, vgl. Die Inschriften der Stadt Merseburg. Gesammelt und bearb. v. Ernst Schubert u. Peter Ramm. Wiesbaden 1968 (Die Deutschen Inschriften 11), S. 3 f., Nr. 3: R EX HOC R ODVLF US PATRVM PRO LEGE PEREMPTUS / PLORANDUS MERITO CONDITVR IN TVMVLO REX ILLI SIMILIS SI REGNET TEMPORE PACIS / CONSILIO GLADIO NON FVIT A K AROLO / Q UA VICERE SVI RVIT HIC SACRA VICTIMA BELLI MORS SIBI VITA FVIT ECCLESIAE CECIDIT . (»König Rudolf, der gefallen ist für das Recht der Väter, und um den wir, weil er es verdient, weinen müssen, birgt dieses Grab. Hätte er in Friedenszeiten regiert, kein König wäre in Rat und Tat ihm gleich gewesen seit Karl. Hier brach er zusammen, ein heiliges Opfer des Kriegs, wodurch die Seinen siegten. Der Tod war ihm Leben: Er starb für die Kirche.«) 1.2 Versuch einer mediävistischen Kultursemiotik des Sepulkralen 35 Handelt es sich bei Rudolf noch um eine flache, kaum erhabene Skulptur, lässt ein Blick auf die vier (von ursprünglich sechs) monumentalen Grabdenkmäler der Plantagenets vom Anfang des 13. Jahrhunderts bereits eine deutliche Entwicklung der Grabskulptur erkennen (Abb. 3). Nach dem Tod Eleonores von Aquitanien im Jahr 1204 wurden ihr und dem englischen König Heinrich II. (gest. 1189) sowie dem Sohn Richard Löwenherz (gest. 1199) und zuletzt auch Abb. 3: Grabmäler der Plantagenets 36 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber Isabella von Angoulême (gest. 1246) Grabplastiken in derAbteikirche von Fontevrault gestiftet, die sich insbesondere durch die neu gewonnene Plastizität der Grabbilder auszeichnen. Die Grabmäler zeigen die Aufbahrung der Leichen auf Paradebetten. Besondere Sorgfalt wurde dabei auf die Gewänder gelegt, die sich in realistischer Weise den Körpern anschmiegen und in zahlreichen Falten herabsinken. Bei den Skulpturen handelt es sich um Repräsentationen des gisants (des Liegenden), der in idealisierter Weise, häufig dem Alter von 33 Jahren angenähert und in Ruhe und Frieden die Auferstehung am Jüngsten Tag erwartet. 118 Neben ihm etablierte sich der Typus des priant (des Betenden), dessen fromme Haltung die Antizipation des Heils widerspiegelt und der sich allmählich, vor allem ab dem 16. Jahrhundert, gegen den gisant durchsetzte. 119 Im Gegensatz dazu steht der erst seit dem 14. Jahrhundert belegte Typus des transi, der den schmerzverzerrten Moment des Sterbens oder die leibliche Verwesung verkörpert und an die Endlichkeit des Lebens gemahnt. Er verzeichnet ein neues Todesbewusstsein angesichts der globalen Katastrophe des Schwarzen Tods. 120 Das Grabmal für Rudolf von Habsburg (gest. 1291) im Speyerer Dom markiert schließlich eine weitere Stufe der Grabbildgeschichte, da es eine Tendenz zur portraitähnlichen Wirklichkeitsnähe bekundet (Abb. 4). Das Grabbild zeigt Rudolf als alten König mit runzeliger Stirn, hochgezogenen Brauen und eingefallenem Gesicht. Dass dieser gestalterische Realismus für seine Zeit unüblich war, beweist ein Passus der steirischen Reimchronik von Ottokar (verfasst Abb. 4: Grabmal für Rudolf von Habsburg [Detailansicht] 118 Ariès vergleicht den Zustand des gisant mit den schlafenden Ephesern, vgl. Ariès 2005 [1980], S. 310. 119 Vgl. ebd., S. 327. 120 Zu frühneuzeitliche Repräsentationen des Todes vgl. Christian Kiening: Das andere Selbst. Figuren des Todes an der Schwelle zur Neuzeit. München 2003. 1.2 Versuch einer mediävistischen Kultursemiotik des Sepulkralen 37 zwischen 1301 und 1319), in dem die Herstellung der Skulptur ausführlich geschildert und kommentiert wird: wer daz [bild] wolde schouwen, | der muoste im des jehen | daz er nie bild het gesehen | einem manne sô gelîch. 121 Der Chronist erläutert, dass der Meister, ein kluoger steinmetze, die Figur aus einem Marmorstein gehauen habe und dabei so präzise wie möglich vorgegangen sei: wand sô der meister kunsterîch | dheinen gebresten vant, | sô liuf er zehant, | dâ er den kunic sach, | unde nam darnâch | die gestalt hie ab, | die er dort dem bilde gap. 122 Um dieses außergewöhnliche Verfahren zu illustrieren, fügt Ottokar eine Anekdote an, laut welcher der Steinmetz dem König bis ins Elsass nachgereist sei, nachdem ihm zu Ohren gekommen war, dass sich auf dessen Antlitz eine neue Falte gezeigt habe. Den Ausführungen zum Grabbild (stein), das wohl in Anspielung auf die Vorstellung vom Grab als Wohnung der Toten nunmehr als dâch Rudolfs bezeichnet wird, schließt Ottokar alsdann eine weitere Überlegung an, die die Sicherung des Nachruhms betrifft. So fragt er sich, ob er wohl imstande wäre, die großen Verdienste des Königs in einem Epitaph festzuhalten, muss sich jedoch eingestehen, dass ihn der geringe Umfang des Grabsteins dabei erheblich einschränken würde: nû gedenke ich darnâch, | ob ich an kunste wær sô frum | daz ich ein e p i t a p h i u m | von wârhaften sachen | über in solde machen, | daz müest alsô ergân, | daz daran müeste stân | gemâlt oder ergraben | oder mit buochstaben | ûf den stein geschriben | die tugent, die der kunic getriben | bî sînen tagen hat. | daz bedorfte wîter stat: | ich gedag umb ein grabstein -- | ez wær darzuo ze klein | ein ganze absît | in einem munster wît; | sô vil der tugent was, | die der kunic an sich las, | daz ich und mîn sin | darzuo ze kranc bin, | daz ich michz mug an genemen. (ÖRChr. 39173 - 39194) Nun denke ich darüber nach, ob ich künstlerisch so fähig wäre, dass ich ein wahrhaftes Epitaph über ihn machen könnte. Das müsste so sein, dass darauf - gemalt, graviert oder mit Buchstaben auf den Stein geschrieben - , die Tugend stehen müsste, die den König zu seiner Zeit ausgezeichnet hat. Das bedürfte einer geräumigen Stätte: Ich will darum von einem Grabstein schweigen - eine ganze Apsis in einem großen Münster wäre dafür zu klein. So große Vorbildlichkeit war es, die der König in sich vereinte, dass ich und mein Verstand dafür zu schwach sind, um uns derer anzunehmen. Aufgrund seines eigenen Unvermögens verweist Ottokar auf die Kunstfertigkeit höfischer Dichter, namentlich Wolframs von Eschenbach. Doch anstelle des naheliegenden Vergleichs mit dem langen Epitaph auf dem Helm des Gahmuret im › Parzival ‹ (siehe Kapitel 7.1), bezieht sich Ottokar auf das kostbare und mit Buchstaben versehene Brackenseil in Wolframs › Titurel ‹ : In fünf Strophen wird darin die besondere Materialität der vierfarbigen Edelsteinschrift beschrieben, die mit Goldnägeln auf einem seidenen, mit Ringen und Perlen versehenen Strick vernietet ist. 123 Trotz aller meisterschaft, so Ottokar, die Wolfram bei der Beschreibung der 121 Ottokar: Österreichische Reimchronik. Nach d. Abschriften Franz Lichtensteins, hg. v. Joseph Seemüller. Unveränderter Nachdruck der 1890 - 1893 bei der Hahnschen Buchhandlung, Hannover, erschienen Ausgabe. München 1980 (MGH Dt. Chron. 5.1), 39129 - 39132. 122 ÖRChr. 39133 - 39139. 123 Vgl. Tit. Str. 144 - 148 nach Wolfram von Eschenbach: Titurel. Hg. v. Helmut Brackert u. Stephan Fuchs- Jolie. Berlin/ New York 2002. Die Brackenseil-Episode wurde insbesondere durch Albrechts › Jüngeren Titurel ‹ (um 1260 - 1272/ 73) bekannt, eine über 6300 Langzeilenstrophen umfassende Ergänzung und Fortsetzung der Wolframschen Fragmente, die im 14. und 15. Jahrhundert breite Wirkung entfaltete und bis in die Neuzeit für ein Werk Wolframs gehalten wurde. Die Vermutung liegt nahe, Ottokar habe sich nicht auf die Fragmente, sondern auf das spätere Gralepos Albrechts bezogen. Vgl. dazu auch die Einschätzung von Hedda Ragotzky: Studien zur Wolfram-Rezeption. Die Entstehung und Verwandung der Wolfram-Rolle in der deutschen Literatur. Stuttgart u. a. 1971, S. 149, Anm. 93. 38 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber Hundeleine habe walten lassen, würde ein Epitaph für Rudolfs Taten sie bei weitem übertreffen. 124 Bemerkenswert ist, dass es sich bei der zitierten Passage um die einzige Erwähnung eines Epitaphs innerhalb der fast 100.000 Verse langen Chronik handelt, obgleich zahlreiche Begräbnisse darin vorkommen, und es noch dazu ausgerechnet mit der Wortkunst eines volkssprachigen Autors assoziiert wird. 125 Der gedankliche Entwurf eines angemessen würdevollen Epitaphs, das sich analog zur Grabskulptur einem ehrgeizigen Realismus verschreibt, indem es a l l e Taten Rudolfs wahrheitsgemäß verzeichnen will, findet sein Modell somit nicht in einem realen Artefakt, sondern in der hypertrophen Hundeleine Wolframs, die mit ihren zwelf klâfter[n] Länge (d. h. mit über 20 m) und ihrer überaus kunstvollen Materialität ein Produkt der volkssprachigen Dichtung ist. 126 Grabskulpturen und Inschriften wurden schließlich auch zu einem Sujet der Miniaturmalerei. Das veranschaulicht u. a. eine Illustration im Royal Manuscript 14 E III (1315 - 1325), das in der British Library in London verwahrt wird und drei Texte des › Vulgata-Zyklus ’‹ , darunter die › Estoire del Saint Graal ‹ , überliefert (Abb. 5). Abb. 5: Gräfin Flegetine lässt drei Grabmäler errichten (aus der › Estoire del Saint Graal ‹ ). 124 Vgl. ÖRChr. 39201 - 39222. 125 Noch vor der betreffenden Passage über den Tod und die Beisetzung Rudolfs von Habsburg werden zahlreiche kirchliche Bestattungen erwähnt, darunter die ausführliche Beschreibung von der inventio der Gebeine des Heiligen Virgil und der Errichtung eines Altars für ihn sowie die anschließende Beisetzung Eberhards von Regensberg im Salzburger Dom im Jahre 1288 (vgl. ÖRChr. 28206 - 28384). Epitaphe kommen dabei jedoch nicht zur Sprache. 126 Tit. 144, 2. Vgl. dazu den Kommentar von Brackert/ Fuchs-Jolie 2002, S. 399. 1.2 Versuch einer mediävistischen Kultursemiotik des Sepulkralen 39 In der › Estoire ‹ lässt die Gräfin Flegetine auf Geheiß ihres Gatten Nascien (ein Vorfahr von Lancelot, vgl. Kapitel 7) drei Gräber für Nabor, Lord Karrabel und einen durch Nascien besiegten Riesen errichten, das als Mahnmal der Rache Gottes für die Nachwelt konzipiert ist. Zwei Türme, die über den Gräbern emporragen, verleihen dem Ort weithin Sichtbarkeit. In der Miniatur werden die Türme ausgespart, stattdessen zeigt sie Handwerker, die gerade damit beschäftigt sind, Inschriften in die Sargdeckel zu graben. Mittendrin steht die Gräfin, die die Arbeit überwacht und den Handwerkern gestisch Anweisungen erteilt. Nicht nur im Text wird somit wiederholt auf die Stiftung von Inschriften hingewiesen, auch die bildliche Darstellung trägt zur Ausstellung von Schriftlichkeit bei, indem sie die Herstellung der Lettern auf Stein in den Vordergrund der aufgeschlagenen Pergamentseite rückt. Am Herstellungsprozess ist auch eine Miniatur der Heidelberger Handschrift cpg 362 (1442 - 1444) aus der Werkstatt von Diebold Lauber orientiert, die einen Passus aus Konrad Flecks › Flore und Blanscheflur ‹ illustriert (Abb. 6). Sie zeigt einen Handwerker, der mit einem Spitzhammer das Abbild von Blanscheflur in eine Sargplatte meißelt. Während der Text von einem phantastischen Sepulkralkunstwerk berichtet, in dessen Zentrum zwei durch Wind betriebene sprechende Kinderautomaten stehen, ist die Bilddarstellung einem sichtlich stärkeren Realismus verpflichtet. Statt des scheinbar lebendigen Paares ist Blanscheflur in Abb. 6: Ein Handwerker gestaltet Blanscheflurs Grabplatte (aus Konrad Flecks › Flore und Blanscheflur ‹ ). 40 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber Totenhaltung mit vor dem Leib gekreuzten Händen abgebildet - die Miniatur stellt damit eine Verflachung gegenüber der ausführlichen ekphrastischen Beschreibung im Text dar (vgl. Kapitel 5.2). Die Darstellung eines Grabbildes findet sich auch im Manuscript M. 381 aus Nordfrankreich, das in der Morgan Library in New York aufbewahrt wird und Boccaccios Sammlung › De mulieribus claris ‹ enthält (Abb. 7). Unter die berühmten Frauen zählt Artemisia, die aus ergebener Liebe zu ihrem Mann Mausolus eines der sieben Weltwunder der Antike, das berühmte Mausoleum von Halikarnassos, errichtet haben soll. DieAsche des Königs von Karien habe sich darin jedoch nie befunden, denn Artemisia, so weiß Boccaccio zu berichten, habe diese keinem besseren Gefäß anheim geben wollen als ihrer eigenen Brust. Die Königin habe die Asche ihres Königs darum sorgfältig aufgesammelt und mit einem Trunk zu sich genommen. Die Miniatur, die diesen Passus illustriert, ist von der Dynamik des Geschehens geprägt: Im Hintergrund zeigt sie die Verbrennung des Mausolus und die Königin mit der Urne, während im Vordergrund bereits das Grabmal errichtet wird. Das architektonische Meisterwerk, das Boccaccio ausführlich beschreibt, wird nur durch einige Steinquarder auf dem Boden angedeutet, stattdessen sind drei Handwerker mit Werkzeug zu sehen, die, von Artemisia angeleitet, das Bild des verstorbenen Königs in die Sargplatte meißeln. Der Bildfokus wird so Abb. 7: Artemisia lässt ein Grabmal für Mausolus errichten (aus Giovanni Boccaccios › De mulieribus claris ‹ ). 1.2 Versuch einer mediävistischen Kultursemiotik des Sepulkralen 41 deutlich auf die körperliche Gestalt des Mausolus verschoben. Denn obgleich Boccaccio den Sarg und das Grabbild des Mausolus nicht eigens erwähnt, ist die bildliche Darstellung ganz offenbar darum bemüht, dem im Feuer lodernden und schon bald der Verzehrung ausgesetzten Leib ein individuelles Andenken in festem Memorialmaterial gegenüberzustellen. Am Grab endet auch die Geschichte von Tristan und Isolde - wenigstens in der Version Eilharts von Oberg. Eine Abbildung im Heidelberger cpg 346 zeigt einen Weinstock und einen Rosenstrauch, die eng ineinander verschlungen durch die Grabplatte des gemeinsam bestatteten Paares wachsen (Abb. 8). Der Sarkophag wird von einer umlaufenden Grabinschrift geschmückt, die in der Erzählung keine Entsprechung kennt. Gemäß der sich im Laufe des 13. Jahrhunderts durchsetzenden Konvention beginnt das Epitaph mit den Worten Anno Domini, hier in Verbindung mit dem deutschen Begriff jar nach der Jahreszahl. 127 Doch anstatt über Namen und Stand der Verstorbenen zu informieren, scheint der Illustrator das Format vielmehr genutzt zu haben, um auf einen spezifischen Zeitpunkt, womöglich das Anfertigungsdatum der Handschrift (und nicht den Todestag der Protagonisten) hinzuweisen: ANNO DOMINI MCCCCIII IARS[I oder T][B, G oder 3] DEM GOT GENEDIG SI (»Anno Domini 1403 Jar starb [. . .] Dem möge Gott gnädig sein«). Da das Datum nicht mit der Entstehung des cpg 346 um 1465 übereinstimmt, liegt die Vermutung nahe, dass die Illustration mitsamt Inschrift aus einer Vorlage kopiert wurde. 128 Wenngleich die Bedeutung der Inschrift ungewiss bleibt, legt die Abbildung doch Zeugnis über die Zusammengehörigkeit von Grabmal und Grabinschrift im 15. Jahrhundert ab, ja lenkt die Aufmerksamkeit des Rezipienten geradezu auf eine Lücke in der überlieferten Erzählung, die Ende des 12. oder Anfang des 13. Jahrhunderts entstanden ist. Die Wiederkehr von Schrift und Bild im sepulkralen Kontext seit dem 11. Jahrhundert ist symptomatisch für das gesteigerte Bedürfnis, dieToten zu vergegenwärtigen. Die Entwicklung des Grabmals hängt zusammen mit den Praktiken des Andenkens und der Bittgebete durch die Gemeinde, die seit dem Frühmittelalter zunehmend an Bedeutung gewannen. Bei mittelalterlicher Totenmemoria handelt es sich, so eine zentrale Einsicht, um ein »totales soziales Phänomen«, das »eine Vielzahl religiöser, politischer, rechtlicher und ökonomischer Gegebenheiten berührt und integriert«. 129 Als konstitutiv für die kommemorative Vergegenwärtigung erwies sich insbesondere der in der Liturgie rezitierte Name des Verstorbenen. 130 127 Die Dopplung von anno Domini und jar ist im süddeutschen Raum ab der Mitte des 15. Jahrhunderts nicht ungewöhnlich, vgl. dazu beispielhaft Die Inschriften des Hohenlohekreises. Gesammelt und bearb. v. Harald Drös. Wiesbaden 2008 (Die Deutschen Inschriften 73), S. 43 sowie Die Inschriften der Stadt Baden- Baden und des Landkreises Raststatt. Gesammelt und bearb. v. Ilas Bartusch. Wiesbaden 2009 (Die Deutschen Inschriften 78), S. LX und LXII. 128 Vgl. Norbert H. Ott: Eilhart von Oberge: Tristrant und Isalde. Farbmikrofiche - Edition der Handschrift Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. Germ. 346. Literatur- und kunsthistorische Einführung. München 1990 (Codices illuminati medii aevi 19), S. 18. 129 Otto Gerhard Oexle: Memoria und Memorialbild. In: Karl Schmid u. Joachim Wollasch (Hg.): Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter. München 1984, S. 384 - 440, hier S. 394. 130 Vgl. Otto Gerhard Oexle: Memoria in der Gesellschaft und in der Kultur des Mittelalters. In: Joachim Heinzle (Hg.): Modernes Mittelalter. Neue Bilder einer populären Epoche. Frankfurt a. M./ Leipzig 1999, S. 297 - 323, hier S. 309: »Die Nennung des Namens eines Abwesenden bewirkt dessen Gegenwart, und deshalb verschafft, nach den Auffassungen der Menschen der Antike und des Mittelalters und noch der frühen Neuzeit, die Nennung des Namens eines Toten diesem einen rechtlichen und sozialen Status unter den Lebenden.« 42 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber Der Name ist folglich nicht nur elementarer Bestandteil der Grabinschrift, sondern auch zentral für verschiedene andere Memorialpraktiken, die sich mit dem 9. Jahrhundert wohl aufgrund zunehmender Gebetsverbrüderungen und Jahrtagsstiftungen herausbildeten. Davon zeugen die Gedenkbücher (libri memoriales oder libri vitae), besonders aus den Klöstern der Karolingerzeit, sowie darin enthaltene oder eigenständig als Listen geführte Totenbücher (Nekrologien, Obituarien), die innerhalb der Liturgie zum Ziele der commemoratio defunctorum verlesen wurden, und Totenannalen (annales necrologici), in denen die Todesfälle Jahr für Jahr eingetragen wurden. Zur selben Zeit begannen sich auch Todesmitteilungen (encyclica) auf Totenroteln zu verbreiten, die zwischen benediktinischen Klöstern kursierten und über das Ableben geistlicher Zugehöriger informierten. Anteilnahme wurde darin in Form von tituli bekundet. 131 Bei dem Format der Roteln handelte es sich um sukzessive erweiterte Abb. 8: Grabmal von Tristan und Isolde (aus Eilharts von Oberg › Tristan und Isolde ‹ ) 131 Vgl. grundlegend Karl Schmid u. Joachim Wollasch: Die Gemeinschaft der Lebenden und Verstorbenen in Zeugnissen des Mittelalters. In: FMSt 1 (1967), S. 365 - 405; Otto Gerhard Oexle: Memoria und Memorial- 1.2 Versuch einer mediävistischen Kultursemiotik des Sepulkralen 43 Pergamentrollen, die teilweise erstaunlichen Umfang erreichen konnten. Die Rotel derÄbtissin Mathilde der Benediktinerinnenabtei der Klosterkirche St. Trinité von Caen (gest. 1113) beispielsweise besitzt die stolze Länge von zwanzig Metern. 132 Der hohe Stellenwert der individuellen Erinnerung erklärt, warum das Grabmal auch in der Literatur des hohen Mittelalters so allgegenwärtig ist: Es handelt sich nicht, wie man auf den ersten Blick meinen könnte, um die einseitige Aneignung eines legendarischen Motivs durch die höfische Epik, sondern um ein semiotisch neu beziehungsweise wieder-instituiertes Verständnis von Erinnerung und Präsenz, das alle Formen des Erzählens wie Bio- und Hagiographik, Chronik, Roman und in einzelnen Fällen sogar die Lyrik bestimmt. Dabei zeigt sich, dass die textinterne und textexterne Vergegenwärtigung der Verstorbenen durch verschiedene rhetorische und materiale Strategien bewirkt wird, in der das semiotische Arrangement räumlich, materiell, ikonographisch und textuell je neu ausgelotet wird. 1.2.3 Grabmäler und Grabinschriften in der mittelalterlichen Literatur Als intentional eingesetzte Zeichen (signa data) bilden Grabmäler ein Artefaktsystem, dessen spezifische Gestaltung und Nutzung dem historischen Wandel unterliegt. 133 Nicht nur die einzelnen, an ihnen beteiligten semiotischen Systeme können sich verändern, sondern auch die Form ihres Zusammenwirkens: Symbolische und ikonische Kodes, besonders Schrift und Bild, können sich ergänzen oder einander überlagern, etwa infolge kultureller Kontaktsituationen. Die Aneignung kultureller Praktiken des Werkzeug- und Werkstoffgebrauchs - wie das Schnitzen, Reliefieren, Skulptieren, Gravieren, Malen, Schmelzen und Gießen - bestimmt das Verhältnis zu Form, Plastizität und Oberflächen. Materialien verleihen nicht nur Wert und Beständigkeit, sondern können auch in vielerlei Hinsicht dazu beitragen, Memorialzeichen zu semantisieren. Bedeutung wird zudem durch räumliche Arrangements verliehen, die von topographischen Voraussetzungen sowie religiösen Vorstellungen abhängig sind und die ihrerseits Konjunkturen und Transformationen unterliegen. Der kulturhistorische Überblick hat einige Charakteristiken des mittelalterlichen Grabmals zu bestimmen versucht: So zeichnet sich die materiale Gestaltung des Grabmals im hohen und überlieferung im früheren Mittelalter. In: FMSt 10 (1976), S. 70 - 95; Karl Schmid u. Joachim Wollasch 1984; Gabriela Signori: Hochmittelalterliche Memorialpraktiken in spätmittelalterliche Reformklöstern. In: DA 60 (2004), S. 517 - 548; Recueil des rouleaux des morts (VIIIe siècle - vers 1536), 5 Bde. Hg. v. Jean Dufour. Paris 2005 - 2013 (Recueil des historiens de la France. Obituaires. Série in-4°, 8); kritisch zu den ersten Bänden dieser Edition Franz Neiske: Rotuli und andere frühe Quellen zum Totengedenken (bis ca. 800). In: Uwe Ludwig u. Thomas Schilp (Hg.): Nomen et Fraternitas. Festschrift für Dieter Geuenich zum 65. Geburtstag. Berlin/ Boston 2008 (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 62), S. 203 - 220. 132 Vgl. Gabriela Signori: Introduction: The Rotulus. In: Hartmut Beyer u. a. (Hg.): Bruno the Carthusian and his Mortuary Roll. Studies, Text, and Translation. Turnhout 2014 (Europa Sacra 16), S. 3 - 10, hier S. 7. 133 Zum Artefakt-Begriff vgl. Christina Tsouparopoulou u. Thomas Meier: Artefakt. In: Thomas Meier, Michael R. Ott u. Rebecca Sauer (Hg.): Materiale Textkulturen. Konzepte - Materialien - Praktiken. Berlin u. a. 2015 (MTK 1), S. 47 - 62, hier S. 47: »Während › Ding ‹ alle physischen Manifestationen bezeichnet und ihre Materialität, Dreidimensionalität und physische Präsenz hervorhebt, bezeichnet › Artefakt ‹ also nur die durch menschliche Kunstfertigkeit oder Arbeit geschaffenen oder veränderten Dinge. Indem der Begriff sich auf direkte menschliche Intervention in der Welt der Dinge bezieht, sind Artefakte schon definitorisch Dinge des Sozialen, deshalb sind sie auch politisch und besitzen ein soziales Leben.« 44 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber späten Mittelalter a) durch eine wachsendeTendenz zur biographischen Individualisierung aus, die sich insbesondere in der zunehmend auf Ähnlichkeit beruhenden Darstellung der Grabskulptur wie auch der › Rückkehr ‹ bzw. festen Etablierung des Epitaphs mit Angaben zu Name und Todestag manifestiert. In den Grabmälern von geistlichen oder weltlichen Würdenträgern verbinden sich individuelle memoria und Herrschaftsrepräsentation. b) Das Grabmal ist der Ort, an dem die Lebenden durch ihr Gedenken auf das Seelenheil der Verstorbenen einwirken können. c) Das Grabmal besitzt im Mittelalter dementsprechend eine appellative Funktion. Es fordert den Betrachter zur Vergegenwärtigung und zur Fürbitte auf. d) Die christliche Grabmalarchitektur ist insbesondere durch die räumliche Situation der Kirche und des Friedhofs geprägt. Die aus der Vorstellung von Purgatorium und Partikulargericht resultierende Notwendigkeit, erinnert zu werden, veranlasst zunehmend auch Laien im hohen Mittelalter, Vorkehrungen für ihre Bestattung in und um die Kirche zu treffen. Dieser kulturgeschichtliche Aufriss lässt sich mit den kultursemiotischen Beobachtungen zusammenführen. In semiotischer Hinsicht ist festzuhalten: 1) Ein bedeutender Teil der mittelalterlichen Theologie deutet die Welt als zeichenhaft. 2) Zu unterscheiden sind die sinnhaft-symbolische, gottesdurchwirkte Materialität der Dinge und die menschliche Fähigkeit, sich Dinge als Zeichen für die Kommunikation anzueignen und entsprechend einzurichten. 3) Dabei konkurrieren Ansätze, die den Akt der Bedeutungszuschreibung (Signifikation) beim Sender mit solchen, die ihn beim Empfänger verorten. In diesem Konflikt scheint das Bewusstsein auf, dass Zeichen von ihren Zeichenbenutzern unterschiedlich wahrgenommen werden können. 4) Die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem wird unterschiedlich begründet. Dinge können aufgrund bildhafter Ähnlichkeit, aufgrund gewohnheitsbedingter Assoziation, infolge eines Kausalzusammenhangs oder einer Schlussfolgerung bezeichnen. 5) Zeichen können auch Abwesendes und Abstraktes repräsentieren, das in der Vorstellung eines Hörers oder Lesers als mentales Bild evoziert wird. Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse lässt sich ein Fragenkatalog entwerfen, der die Analyse e r z ä h l t e r Grabmäler leiten kann, ohne jedoch die Reihenfolge der einzelnen Kapitel vorzugeben. Die Zeichenhaftigkeit des Grabmals, so die grundlegende Prämisse, bildet die Voraussetzung für dessen textuellen Funktionalisierungen. Oder, anders formuliert: Indem Texte Grabmäler symbolisch einsetzen, machen sie sich dessen kulturelle Funktion, die auf Kodierung basierende Verweisungsleistung des Grabmals, zu eigen. Das wirft zunächst die Frage danach auf, wie sich die semiotische Repräsentation eines Verstorbenen in der Literatur gestaltet, d. h. wie Schrift, Bild, Materialität und räumliche Arrangements textuell übersetzt werden und welchen Anteil die verschiedenen semiotischen Systeme am Prozess der Indikation (Bezeichnung) und Signifikation (Bedeutungszuschreibung) auf der Ebene der histoire haben. Wer erweist sich in der mittelalterlichen Literatur überhaupt als erinnerungswürdig? Nehmen die Figuren Einfluss auf die Gestaltung ihrer individuellen memoria? Wie äußern sich mittelalterliche Erzählungen mittels Figurenhandeln oder Erzählerkommentare über das Gelingen von Zeichenprozessen? Funktioniert die Dekodierung von Sepulkralarrangements in der erzählten Welt reibungslos oder durch welche Faktoren kann die Semiose womöglich erschwert werden? Und schließlich: Wie lässt sich die narrative Funktion des Grabmals beschreiben? Inwiefern kann das Grabmal aufgrund seines Verweisungscharakters auf der Ebene des discours strukturbildende Wirkung haben? Und: Können erzählte Grabmäler auch auf der textexternen Ebene Zeichenprozesse anstoßen? 1.2 Versuch einer mediävistischen Kultursemiotik des Sepulkralen 45 Für die Untersuchung erzählter Grabmäler spielt der generische Kontext, in den sie eingebettet sind, eine entscheidende Rolle: Denn Textsorten eröffnen spezifische semantische Rahmen, die tendenziell mit bestimmten sepulkralen Verweisungszusammenhängen korrelieren. So verweist das Grabmal als Ort der Wundererscheinung in der Legende zwischen Diesseits und Jenseits, während in Gralromanen das Thema der Identitätssuche dominiert und so das genealogische Verhältnis zwischen Vater und Sohn am Grabmal stärker ins Zentrum rückt. Diesem Umstand wird durch eine den Gattungszusammenhang berücksichtigende Kapiteleinteilung Rechnung getragen. Die Anordnung ermöglicht es zudem, stoffliche Dispositionen und intertextuelle Bezüge zu profilieren. 1.3 Zum Anliegen, Vorgehen und Korpus der Arbeit In den Geschichtswissenschaften ist die Entwicklung der mittelalterlichen Memorial- und Sepulkralkultur gut erforscht. Obwohl Grabmäler auch in der Literatur des europäischen Mittelalters zahlreich begegnen, ja ein rekurrentes Motiv in der Literatur und der Historiographie, der Legendarik, Epik und dem Roman darstellen, sind sie aus literaturwissenschaftlicher Perspektive - abgesehen von einzelnen berühmten Beispielen - kaum untersucht worden. Das verwundert umso mehr, als die Erwähnung des Grabmals oft ein zentrales narratives Potenzial eröffnet: In der Hagiographie stellen Grabmäler den bevorzugten Ort für Wundererscheinungen dar, in Herrschaftserzählungen zeugen sie von überwundenen Machtordnungen und weitreichenden Genealogien. Stets eignet dem Grabmal auch eine besondere Temporalität, ist es doch als Medium konzipiert, das eine (kollektive) Erinnerung an die Vergangenheit präsent hält. Die vorliegende Arbeit behebt das Desiderat auf der Basis eines umfassenden Korpus. Der Untersuchungszeitraum reicht von der Spätantike bis ins späte Mittelalter (14. Jahrhundert), wobei ein Schwerpunkt auf der Literatur um 1200 liegt. Der weite historische Blick ermöglicht es, Entwicklungslinien nachzuzeichnen und herauszuarbeiten, wie die mittelalterliche Literatur gegenüber antiken Formen literarischer Epigraphie neue Akzente setzt. Zugleich wurde das Textkorpus in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt: Erstens wurde jeweils immer nur ein Vertreter aus einer Stofftradition ausgewählt, der sich als besonders einschlägig für die eingenommene Untersuchungsperspektive erwies. So wurden beispielsweise nicht sämtliche Bearbeitungen und Übersetzungen des › Apollonius ‹ oder des › Roman de Troie ‹ berücksichtigt, es sei denn, sie zeichneten sich durch eine dezidiert andersartige Darstellungsweise der Zeichenhaftigkeit von Grabmälern aus. Zweitens wurden nur solche Texte in die Untersuchung eingeschlossen, in denen das Grabmal in seiner semiotischen Qualität auch tatsächlich zur Geltung kommt. Beiläufige Erwähnungen, man habe ein Grabmal errichtet, sind damit aus dem Korpus ausgeschlossen. Drittens ist die Arbeit so aufgebaut, dass in jedem Großkapitel mindestens ein Text im Zentrum steht, der sich durch eine breite Überlieferung im hohen Mittelalter auszeichnet. Dazu zählen die › Legenda Aurea ‹ , die › Divina Commedia ‹ , die › Alexandreis ‹ , alle historiographischen Texte, der › Parzival ‹ und schließlich der französische › Prosa-Lancelot ‹ , der hier in deutscher Übertragung untersucht wird. Die breit überlieferten Texte werden durch weniger bekannte Textbeispiele flankiert und ergänzt. Auf 46 1 Vorüberlegungen zu einer Untersuchung erzählter Gräber diese Weise soll ein vielseitiges Panorama entstehen und Anschluss gefunden werden an andere Forschungen zu Inschriftlichkeit in der mittelalterlichen Literatur. Auf dieser Materialbasis also will die vorliegende Arbeit untersuchen, welche strukturstiftende Funktion der Sepulkralsemiose in verschiedenen Textsorten zukommt. Die Kapitel gliedern sich nach sepulkralen Verweisungsfunktionen und ordnen diesen paradigmatische Gattungsgruppen zu, dies allerdings weniger in streng klassifikatorischer Absicht, sondern aufgrund der Protagonisten, denen das Grabmal gilt und die im Mittelalter tendenziell gattungsgemäß typisiert wurden. Daraus resultiert eine Unterteilung in - (Kapitel 3) Graberzählungen über Heilige und andere Figuren, die zwischen Immanenz und Transzendenz verweisen (Legendarik und visionär-katabatische Literatur), - (Kapitel 4) Grabdarstellungen paganer Helden der griechisch-römischen Antike, die zwischen Vergangenheit und Gegenwart verweisen (Epigrammdichtung und höfischer Antikenroman), - (Kapitel 5) Graberzählungen über Liebende, deren Schicksale zwischen Anfang und Ende verweisen (Liebes- und Abenteuerroman), - (Kapitel 6) Graberzählungen über historische geistliche und weltliche Würdenträger, die zwischen Individuum und Kollektiv, Heros und Gemeinschaft verweisen (Biographie und Chronik), sowie - (Kapitel 7) Graberzählungen über Helden, die genealogisch zwischen Vater und Sohn verweisen (Gralroman). Eine Sonderposition nimmt das zweite Kapitel ein. Seit der Antike ist das Epitaph eng mit der poetischen Gattung der Epigrammatik verbunden. Dieser Zusammenhang ist noch in der literarischen Produktion der mittelalterlichen Gelehrtenkultur zu beobachten: Klerikal gebildete Intellektuelle in ganz Europa legten große Sammlungen von epigrammatischen Epitaphen an oder verfassten nach dem Vorbild antiker Autoren ihre eigenen Grabinschriften. Die mittelalterliche volkssprachige Literatur kennt hingegen keine epigrammatische Dichtung. Das Epigramm wird erst in der Neuzeit wiederentdeckt, theoretisch durchdrungen und nach dem Vorbild Martials in den Volkssprachen adaptiert. Das zweite Kapitel widmet sich darum dem b l i n d e n F l e c k der Gattungspoetik und liefert einen Überblick über die theoretischen Reflexionen der lateinischen epitaphisch-epigrammatischen Dichtung von der Spätantike bis in die Neuzeit. Damit wird ein literaturhistorischer Hintergrund beschrieben, der für die anschließende Untersuchung erzählter Grabinschriften zwar nicht konstitutiv ist, auf den jedoch immer wieder zur gattungspoetischen Klärung zurückgegriffen werden kann. Die Makrostruktur trennt nicht zwischen lateinischen und volkssprachigen Texten, sondern betrachtet beide Domänen in ihrer indirekten, durch geographisch weiträumige soziokulturelle Verflechtungen geprägten Wechselwirkung. Durch diese komparatistische Anlage können gemeinsame oder abweichende Erzählprinzipien ermittelt werden. Die Kapitel sind chronologisch binnengegliedert, nach Maßgabe der vermuteten Entstehungszeit der jeweils behandelten Texte. Unterbrochen wird die tendenzielle Diachronie, wenn Entstehung und Überlieferung stark voneinander abweichen, wie es etwa im Bereich der Legendarik der Fall ist. Durch die chronologische Einrichtung innerhalb der Kapitel sollen Entwicklungen, Verschiebungen, Störungen und funktionale Innovationen transparent gemacht, nicht aber der Eindruck einer linear-teleologischen Perspektivierung erweckt werden. 1.3 Zum Anliegen, Vorgehen und Korpus der Arbeit 47 2 Epitaphische Epigrammatik von der Spätantike bis in die Frühe Neuzeit Untersucht man die Formen und Funktionen erzählter Grabmäler in der Literatur des Mittelalters, stellt sich aus intermedialer Perspektive die Frage nach ihrem Verhältnis zum Epitaph als Dichtungsform. Die mittellateinische › Grabschrift ‹ ist aus der antiken Epitaph- und Epicediendichtung (Totenklagen) hervorgegangen, die in der Spätantike christlich überformt wurde. 1 Ihr Fortbestehen im Mittelalter verdankt sich der des Latein kundigen klerikalen Bildungsschicht. Wenn ich im Folgenden auf den Stellenwert des Epitaphs in der mittellateinischen Dichtung eingehe, dann nicht, weil es eine unmittelbare Wechselwirkung zwischen der lateinischen Epitaphdichtung und den erzählten Grabinschriften der volkssprachigen Literatur des Mittelalters gegeben hätte. Wohl aber zeugt die volkssprachige Literatur reflexhaft von einem Wissen über literarische und materielle Formen der Epitaphik. Dieses Wissen muss auf indirektem Wege, über bestimmte › Brücken ‹ -Texte bzw. Textgruppen, in die volkssprachige Literatur gelangt sein. Dazu gehört die Beschreibung von Grabmälern in einflussreichen Legenden, Biographien und Kirchengeschichten, ebenso wie in Einzeltexten, die aufgrund ihrer Überlieferungssituation als besonders einflussreich im Kontext ihrer jeweiligen Gattung gelten dürfen (die › Historia Apolinii regis Tyri ‹ für den Liebes- und Reiseroman oder die › Alexandreis ‹ des Walter von Châtillon für den Antikenroman). Den genannten Texten und Textgruppen ist gemein, dass sie die verschiedenen Spielarten und Konventionen der Epitaphdichtung aufgreifen und in narrative Kontexte integrieren. Ihnen widmet sich das folgende Kapitel. Es entwirft ein Panorama von der Entwicklung der epitaphischen Epigrammatik zwischen Spätantike und Humanismus, das die Grundlage für die weiteren Kapitel bilden kann. Die Codices des Mittelalters zeugen von einer regen Produktion literarischer Grabschriften, die in der Forschung bislang wenig beachtet wurde. 2 Höhepunkte bilden die Epitaphe des Merowingers Venantius Fortunatus (Ende des 6. Jahrhunderts) und die Grabschriften der karolingischen Dichter des 8. und 9. Jahrhunderts, darunter die Epitaphe des Alkuin sowie das 1 Der Begriff › Grabschrift ‹ ist in der Frühneuzeitforschung geläufig und bezeichnet die pointierte Summe der Einzelargumente eines Leichencarmens: »[I]n formaler Anlehnung an tatsächliche Inschriften auf Grabmälern [formuliert] [die Grabschrift] [in bündiger, konzentrierter Kürze das Gültige und Wesentliche, das über den Verstorbenen zu sagen ist] als Überlieferungswürdiges und Bleibendes« (Wulf Segebrecht: Steh, Leser still! Prolegomena zu einer situationsbezogenen Poetik der Lyrik, entwickelt am Beispiel von Grabschriften und Grabschriftenvorschlägen in Leichencarmina des 17. und 18. Jhs. In: DVjs 52 (1978), S. 430 - 468 hier S. 432 f.). Bei mittelalterlichen Grabschriften lässt sich häufig nicht mehr feststellen, ob sie tatsächlich Grabsteine schmückten oder nicht. Literarische Grabschriften, die oft zu Sammlungen zusammengefasst wurden, in denen sich bisweilen auch mehrere Epitaphe auf einzelne herausragende Persönlichkeiten finden, bildeten somit ein literarisches Genre, das häufig in Wechselbeziehung zu materiellen Grabinschriften steht. 2 Symptomatisch dafür ist der Eintrag › Epitaph ‹ im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Abgesehen von dem Hinweis, dass das Mittelalter »Interesse für die Sammlung von Grabschriften gezeigt [habe]«, werden sowohl lateinische als auch volkssprachige Grabinschriften des Mittelalters übergangen. Vgl. Hermann Wiegand: Art. › Epitaph ‹ . In: Klaus Weimar u. a. (Hg.): RLW, Bd. 1. Berlin/ New York 2007, S. 465 f. bis heute erhaltene Reliquiengrab (der sogenannte Priesterstein) für den Heiligen Bonifatius von Hrabanus Maurus. 3 Aus dem 11. und 12. Jahrhundert sind die Epitaphsammlungen der Kleriker Baudri von Bourgueil und Fulcois von Beauvais überliefert, die als beispielhaft für die poetische Totenmemoria der Klostergemeinschaften Nordfrankreichs im 11. und 12. Jahrhundert gelten können. 4 Zeichnete sich schon das antike Epigramm weitgehend durch formale und inhaltliche Unbestimmtheit aus, so setzte sich diese Tendenz in den folgenden Jahrhunderten fort. Dem unscharfen Begriff titulus lässt sich im Mittelalter mithin alles subsumieren, was im weiteren Sinne den Charakter einer Inschrift besitzt - materielle Epitaphe ebenso wie literarische Grabschriften, Rotelgedichte, Bildunterschriften oder auch Inschriften auf Sakralbauten und liturgischem Gerät. Zwar zeichnen sich Grab(in)schriften durch eine dem Anlass geschuldete spezifische Motivik und Topik aus, dennoch ist keine formale Bestimmung der verschiedenen Ausprägungen des titulus aus dem Mittelalter überliefert. Das änderte sich erst mit dem Aufkommen der neulateinischen Poetiken, in denen das Epitaph als Sonderform der Epigrammatik beschrieben und definiert wurde. Freilich bezog man sich dabei nicht auf die Vorbilder der mittelalterlichen Literatur, sondern auf die antike Dichtung und Rhetorik. Das kulturhistorische Interesse der renaissance-humanistischen Bildungsbewegung des 15. und 16. Jahrhunderts ging zugleich mit einem gesteigerten Interesse an der materiellen Kultur der Antike einher. Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über die verschiedenen Ausprägungen der Titulusdichtung im Frühmittelalter gegeben (2.1); anschließend werden typische Topoi und Motive literarischer Grabschriften des Mittelalters anhand von drei ausgewählten Epitaphen des Damasus, des Venantius Fortunatus und des Walter von Châtillon benannt (2.2). Die Auswahl versteht sich als exemplarisch, insofern sie Einblick in einige thematische Aspekte gewährt, die charakteristisch sowohl für die Tradition der epigrammatischen Epitaphik als auch für die in den weiteren Kapiteln behandelten erzählten Grabinschriften sind. Dazu gehört erstens die Aufwertung der Epitaphik im hagiographischen Diskurs, zweitens die Varietät von Sprecher- und Adressatenrollen, sowie drittens die Tendenz von Epitaphen, auf ihre eigene Materialität zu reflektieren. Zuletzt soll der › epigraphische ‹ Kontext des Humanismus, der zur Herausbildung neuer inschriftlicher Kunstformen geführt hat, beleuchtet und um die Beobachtungen Julius Caesar Scaligers von 1561 ergänzt werden (2.3). 5 Scaliger hat als erster die 3 Vgl. Luitpolt Wallach: The Epitaph of Alcuin: A Model of Carolingian Epigraphy. In: Speculum 30.3 (1955), S. 367 - 373; Mechthild Schulze-Dörrlamm: Das steinerne Monument des Hrabanus Maurus auf dem Reliquiengrab des hl. Bonifatius ( † 754) in Mainz. In: Jb. des RGZM 51.1 (2004), S. 281 - 347; Peter Godman: Poetry of the Carolingian Renaissance. London 1985; Cécile Treffort: Mémoires carolingiennes. L ’ épitaphe entre celebration mémorielle, genre littéraire et manifeste politique (milieu VIIIe - début XIe siècle). Rennes 2007; Rüdiger Fuchs u. a.: › SN1, Nr. 1 ‹ . In: DIO 1, Mainz: www.inschriften.net, urn: nbn: de: 0238di002mz00k0000103. 4 Vgl. H. Omont: Epitaphes métriques en l ’ honneur de différents personnages du XIe siècle composées par Foulcoie de Beauvais, archidiacre de Meaux. In: Mélanges Julien Havet. Recueil de travaux d ’ érudition dédiés à la mémoire de Julien Havet (1853 - 1893). Paris 1895, S. 211 - 236; Karlheinz Hilbert: Studien zu den Carmina des Baudri von Bourgueil. Diss. Heidelberg 1967, S. 77 - 132. 5 Zur barocken Dichtungsform der › Inscriptio arguta ‹ informiert ausführlich die Monographie von Thomas Neukirchen: Inscriptio. Rhetorik und Poetik der scharfsinnigen Inschrift im Zeitalter des Barock. Tübingen 1999 (Studien zur deutschen Literatur 152). Der Begriff des »epigraphischen Kontexts« wird darin auf S. 8 erläutert. 50 2 Epitaphische Epigrammatik von der Spätantike bis in die Frühe Neuzeit epigrammatische Eigenschaft der argutia betont, die in der Dichtung des Barock zu einer zentralen Größe werden sollte. Von noch größerem Interesse sind in diesem Zusammenhang aber seine Beobachtungen zur Medialität der Epigrammatik zwischen materieller Inschriftlichkeit und literarischer Buchdichtung. 2.1 Die Titulusdichtung des Frühmittelalters Die Grabinschrift steht in enger Beziehung zum Epigramm, das sich durch mediale und materielle Variabilität auszeichnet. 6 Denn die poetische Kleinform beliebigen Inhalts, die zumeist im Hexameter, Distichon, im jambischen Trimeter oder Hendekasyllabus begegnet, kann sowohl materiell verfasst sein, etwa in ihrer ursprünglichen Form als Weihinschrift, als auch literarisch; ihr Gegenstandsbezug ist dann imaginativ oder fingiert. Daneben gibt es auch solche literarischen Epigramme, die keinen Gegenstandsbezug aufweisen. 7 In der Spätantike und im Mittelalter wurde in unterschiedlicher Weise an die antiken Traditionen der epigrammata angeknüpft, die vom Hellenismus über Catull und die augusteische Dichtung bis hin zur rezeptionsgeschichtlich einflussreichen pointierten und scharfsinnigen Form Martials kontinuierlich fortentwickelt worden waren. Die reduktionistische Begriffsdefinition des Isidor von Sevilla, die an der Wende von Spätantike zum Mittelalter in die › Etymologiae ‹ (liber I: de grammatica) einging, kann darüber allerdings nur spärlichen Aufschluss geben. In Abschnitt XXXIX über Versmaße wird die Bedeutung des Wortes › Epigramm ‹ wie folgt erklärt: Epigramma est titulus, quod in Latinum superscriptio interpretatur ; 6 Zur Medialität und Materialität von Inschriften und Epigrammen vgl. Cornelia Ritter-Schmalz u. Raphael Schwitter (Hg.): Antike Texte und ihre Materialität. Alltägliche Präsenz, mediale Semantik, literarische Reflexion. Berlin/ Boston 2019 (MTK 27), darin besonders die Beiträge von Jochen Schultheiß und Raphael Schwitter. 7 Es wurden immer wieder Versuche unternommen, diese unterschiedlichen Ausprägungen formal voneinander abzugrenzen, vgl. für das antike Epigramm die Unterscheidung zwischen › literary ‹ und › inscribed ‹ bei Peter Bing u. John Steffen Bruss: Introduction. In: Dies. (Hg.): Brill ’ s Companion to Hellenistic Epigram. Leiden/ Boston 2007, S. 1 - 26 sowie analog dazu Thomas 2008, der das Epigramm hinsichtlich seiner ursprünglich zugedachten Intention als › functional ‹ vs. › literary ‹ definieren will. Problematisch daran erscheint mir, dass sich rückblickend oft nicht mehr entscheiden lässt, ob handschriftlich überlieferte Epigramme ursprünglich epigraphisch realisiert vorlagen (oder wenigstens für eine Realisierung konzipiert waren). Außerdem können real ausgeführte, › funktionale ‹ Inschriften freilich auch einen literarischen Wert besitzen. Bernt nimmt in seiner Studie zum spätantiken und frühmittelalterlichen Epigramm ebenfalls eine Klassifizierung von Epigrammtypen vor, die er auf einen Entwicklungsprozess zurückführt: Aus der realen Inschrift sei die Literaturform der fingierten Inschrift hervorgegangen, die dort zum beschreibenden Epigramm werde, wo sie auf das »Gewand der Aufschrift« verzichte, vgl. Günter Bernt: Das lateinische Epigramm im Übergang von der Spätantike zum frühen Mittelalter. München 1968 (Münchner Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 2), S. 3. Einen Überblick über die »Aporien« der Gattungsforschung und das polyvalente Bedeutungsspektrum des Begriffs › Epigramm ‹ bietet schließlich auch Wolfgang Maaz: Lateinische Epigrammatik im hohen Mittelalter. Literarhistorische Untersuchungen zur Martial Rezeption. Hildesheim 1992 (Spolia Berolinensia 2), S. 2 - 9 sowie 9 - 21; dort finden sich auch weitere Hinweise auf Forschungsberichte zur neuzeitlichen Gattungsdiskussion. Kritik an der häufig ins Feld geführten Undefinierbarkeit des Epigramms übt Tomas Tomasek: Zum Verhältnis zweier Sprachspiele. In: Thordis Hennings u. a. (Hg.): Mittelalterliche Poetik in Theorie und Praxis. FS Fritz Peter Knapp. Berlin 2009, S. 315 - 323, dort Anm. 1 und 2. 2.1 Die Titulusdichtung des Frühmittelalters 51 ἐπί enim super, γράμμα littera vel scriptio dicitur (Isid. Etym. 1, 39, 22). 8 Obgleich Isidor die Epigramme Martials kannte und für seine eigene Dichtung als Vorbild heranzog, wird die Gattung mit den Bezeichnungen titulus und superscriptio, der wörtlichen Übersetzung des griechischen Begriffs epigramma, auf den Phänomenbereich der In- oder Aufschrift begrenzt. Isidor lässt sämtliche Kriterien wie die Scharfsinnigkeit, Kürze oder Schlusspointierung außer Acht, die Lessing später mit seinem Diktum von »Erwartung und Aufschluß« als eigentliche generische Merkmale bezeichnen sollte. Tatsächlich handelt es sich bei den Isidor zugeschriebenen Epigrammen ausschließlich um Aufschriften (tituli), die sich auf konkrete Dinge und Räume (eine Bibliothek, ein Skriptorium, eine Hausapotheke, eine Speisekammer) seines bischöflichen Palastes von Sevilla beziehen. 9 Mit Isidors Definition des Epigramms stimmt auch die vorangestellte Bestimmung des Epitaphs überein: Epitaphium Graece, Latine supra tumulum. Est enim titulus mortuorum, qui in dormitione eorum fit, qui iam defuncti sunt. Scribitur enim ibi vita, mores et aetas eorum (Isid. Etym. 1, 39, 20). 10 Erneut werden titulus und supra als lateinische Entsprechung für das griechische Fremdwort angeführt, in diesem Fall jedoch in Verbindung mit der attributiven Ergänzung mortuorum, welche die Aufschrift funktionell auf die Bezeichnung von Verstorbenen bezieht. Der Präpositionalausdruck supra tumulum reduziert die Gedichtform auf das Grab als vorgesehenen außersprachlichen Referenzpunkt. Es folgt dann eine Aufzählung epitaphischer Topoi, die Erwähnung von Lebenslauf, bestimmten Eigenschaften und dem Alter der verstorbenen Person. Auf einen Zusammenhang von Epigramm und Epitaph geht Isidor nicht ein, beide Formen scheinen gleichberechtigt nebeneinander zu stehen. Da das mittellateinische Epigramm wenig erforscht ist, lässt sich kaum eine generelle Aussage über das vormoderne epigrammatische Gattungsverständnis treffen. 11 Tendenziell lässt sich jedoch feststellen, dass auch die Epigramme des Mittelalters oft Bezug auf den Gegenstand oder das Material nehmen, auf das sie (vermeintlich) aufgetragen sind. 12 Während Autoren wie Ausonius und Claudian die Tradition der römisch paganen Epigrammatik fortsetzten, bildeten sich zeitgleich neue, vom christlichen Gedankengut durchdrungene Typen wie die theologischen und sentenzhaften Sinngedichte des mittelalterlichen Schulautors Prosper von Aquitanien heraus. Die verschiedenen Ausprägungen epigrammatischer Dichtung, die infolge des 4. und 5. Jahrhundert entstanden, firmieren allesamt unter dem Begriff › Titulusdichtung ‹ . 13 Darunter fallen nicht nur Epitaphe für Märtyrer und geistliche Würden- 8 Zitiert nach Isidorus Hispalensis Episcopus: Etymologiarum sive Originum libri XX. Hg. v. Wallace Martin Lindsay. Oxford 1911 (Scriptorum classicorum bibliotheca Oxoniensis). Zur Rezeption der etymologischen Erklärung des Isidor vgl. Maaz 1992, S. 10 f. 9 Bernt 1968, S. 132 f. 10 Die Vorstellung des Entschlafens, die in dormitio zum Ausdruck kommt, weist bereits auf den christlichen Kontext des Epitaphs hin. 11 Zur mittelalterlichen Epigrammatik vgl. Bernt 1968; Maaz 1992 sowie Carsten Wollin: Die Lebenswelt der mittelalterlichen Intellektuellen im Spiegel der lateinischen Epigrammatik. In: Mlat. Jb. 40.1 (2005), S. 225 - 261. 12 Vgl. Bernt 1968, S. 3 - 37, zusammengefasst bei Maaz 1992, S. 1: »Bernt [. . .] hat das auffällige Zurücktreten des beschreibenden Epigramms und das fast völlige Verschwinden des Spott-Epigramms konstatiert.« 13 Wichtige Beiträge zur Titulusdichtung kommen aus der kunsthistorischen Forschung, die darunter (metrische) Bildbeischriften fasst, die im Westeuropa bis ca. 1200 verbreitet waren, vgl. dazu grundlegend Arwed Arnulf: Versus ad picturas. Studien zur Titulusdichtung als Quellengattung der Kunstgeschichte von der Antike bis zum Hochmittelalter. München/ Berlin 1997 (Kunstwissenschaftliche Studien 72), Hinweise 52 2 Epitaphische Epigrammatik von der Spätantike bis in die Frühe Neuzeit träger oder inschriftliche Auszeichnungen von Kirchenbauten, liturgischem Gerät und Reliquien, sondern auch hybride Formen wie die Ausschmückung von Prosabriefen mit epigrammatischen Widmungen sowie schließlich auch Grenzfälle wie die › Tituli historiarum ‹ des Prudentius, die in 48 hexametrischen Tetrasticha Themen des Alten und Neuen Testaments aufgreifen, jedoch wesentlich komplexer als konventionelle Bildtituli gestaltet sind. Die reiche Überlieferung der Rätseldichtung des 7. und 8. Jahrhunderts und die umfangreiche Titulusdichtung der karolingischen Renaissance deuten darauf hin, dass die Epigrammatik auch einen festen Platz in der gelehrten poetischen Produktion des Frühmittelalters besaß - wie wohl es sich dabei teils auch nur um gelehrte › Fingerübungen ‹ gehandelt haben könnte. 14 Die Rätseldichtung ist insofern als Sonderform der Titulusdichtung zu betrachten, als sie zwei idiosynkratische Besonderheiten aufweist. Erstens erscheint der referenzialisierte Gegenstand häufig bereits im Titel des Gedichts, ja wird damit im eigentlichen Sinne zum titulus des Epigramms. Zweitens spricht die zu erratende Sache oft s e l b s t aus der ersten Person und erhält damit eine eigene, gleichsam anthropomorphe Stimme. 15 Dieses selbstreferenzielle rhetorische Verfahren der Prosopopöie verbindet das Rätsel mit der Grab(in)schrift. Schon das antike Epitaph kennt den Kunstgriff eines fingierten Sprecher-Ichs, das sich an vorbeigehende Passanten wendet (viator-Apostrophe). Wie im Rätsel das Ding so meldet sich im Epitaph der Verstorbene zu Wort und verschafft sich als sprechender Stein in der Nachwelt Gehör. 2.2 Mittelalterliche literarische Epitaphsammlungen Eines der wirkmächtigsten Modelle der christlichen Sepulkraldichtung stellt die Epitaph- Sammlung des Damasus dar. Damasus I., Bischof von Rom (366 - 384), verfasste zahlreiche zur Wortgeschichte des › Titulus ‹ auf S. 9, Anm. 1. Auf S. 12, Anm. 13 befinden sich einige wenige Angaben zu philologischer Forschung über Bildtituli. Arnulf kritisiert den Systematisierungsversuch von Bernt, der zwischen Aufschriften (Tituli jeder Art), beschreibenden Epigrammen (die sich nicht auf einem Gegenstand, sondern in einem Textkorpus oder auf einem Bild befinden und somit entweder über einen realen Gegenstandsbezug verfügen, ihn fingieren oder gar keinen Gegenstandsbezug aufweisen, wie z. B. Spottepigramme) und Briefwie Rätselepigrammen unterscheidet, weil Bildtituli in dieser Systematik keinen festen Platz hätten, sondern den Aufschriften wie auch den beschreibenden Epigrammen zufallen würden (vgl. S. 23 f.). Die Schwierigkeit einer Definition besteht darin, dass es verschiedene Typen von tituli gibt, von denen die mit Gegenstandsbezug nochmals zwei Unterarten ausbilden: materiell vs. literarisch sowie real vs. fiktiv. Meine Untersuchung konzentriert sich auf solche tituli, die sich als einem (fingierten) Gegenstands zugehörig inszenieren. 14 Zum Epigramm der karolingischen Zeit vgl. Bernt 1968, besonders S. 174 - 189. 15 So etwa die › Versus cuiusdam Scotti de alphabeto ‹ aus der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts, in denen jeweils ein Buchstabe des Alphabets in der ersten Person seine eigene Gestalt in einem hexametrischen Tristichon verrätselt. Auch die zu erratenden Gegenstände der um 700 entstandenen › Aenigmata hexasticha ‹ sprechen selbst (vgl. ebd., S. 149 - 151). Beiden Sammlungen gehen die › Aenigma ‹ des Symphosius voraus, die sich in der afrikanischen › Anthologia Salmasiana ‹ des 6. Jahrhunderts befinden und der breiten handschriftlichen Überlieferung zufolge im Frühmittelalter großer Beliebtheit erfreuten (vgl. ebd., S. 115 - 118). Das Rätsel wurde vor allem im angelsächsischen Bereich fortgesetzt. Dort schlossen Aldhelm, Tatwine, Eusebius und Bonifatius an die › Aenigma ‹ des Symphosius an. Ihre Rätsel sind unter anderem mit denen des Symphosius und den › Versus cuiusdam Scotti de alphabeto ‹ in der Cambridger Handschrift Gs. V, 35 des 11. Jahrhunderts überliefert (vgl. ebd., S. 151 f.). 2.2 Mittelalterliche literarische Epitaphsammlungen 53 carmina, die er jedoch nie in Buchform veröffentlichte, sondern in den geweihten Orten der Stadt Rom ausstellte. 16 Neben epigrammatischen Gebäudeinschriften für Kirchen und Baptisterien ließ Damasus panegyrische Epitaphe (elogia) für hohe geistliche Würdenträger und christliche Märtyrer anfertigen und in ihren suburbanen Grabkammern anbringen. Er trug damit zur Verbreitung eines seit dem konstantinischen Kirchenfrieden forcierten Märtyrerkults bei, der zum Zwecke der Verehrung den gezielten Bau von Coemeterialkirchen über Märtyrer- und Bekennergräbern förderte. 17 Im Gegensatz zu Ausonius zeichnet sich Damasus ’ Dichtungsstil nicht durch den Anschluss an die antike Epigrammtik aus, sondern lässt einen prononcierten Bezug auf die großen römischen Epiker erkennen, allen voran Ovid und Vergil. Sein Werk steht am Anfang der nicht-liturgischen christlichen Poesie. Aufsehen erregen mussten die Inschriften zudem angesichts einer völlig neuen Schriftart, die eigens von dem Kalligraphen Furius Dionysius Philocalus entwickelt wurde. Charakteristisch für die sogenannte scriptura Damasiana ist nicht nur die hohe, an die antike scriptura quadrata erinnernde Präzision von Buchstaben- und Zeilenabständen, sondern ihre dekorative Verzierung von Hasten und Schrägen, an deren Kanten sich anstelle von Serifen kleine Häkchen in Haarlinien zu einer oder zwei Seiten umbiegen. 18 An dem auf öffentliche Wirksamkeit bedachten Dichtungsprogramm zeigt sich, wie das pagane, auf Nachruhm gerichtete Epitaph vom Heiligenkult des frühen Christentums vereinnahmt und instrumentalisiert wurde. 19 Denn die pagan-antike Sicherung des eigenen Andenkens musste unweigerlich im Widerspruch zu dem neuen Glauben an die Unsterblichkeit der Seele und der mentalen Ausrichtung auf das Jenseits stehen, für welches das diesseitige Leben nur als Vorbereitung galt. Anstatt sich den paganen Gewohnheiten zu widersetzen, wurde mit dem Christentum ein wirkungsvoller Paradigmenwechsel vollzogen, im Zuge dessen der Körper des Heiligen zum kultischen Referenzpunkt avancierte. Aufgrund seines transitorischen Wesens kommt dem Heiligen eine wichtige Bedeutung als Mittlerfigur zwischen Gott und den Menschen zu. Während sein Körper als Reliquie auf Erden verbleibt, kann seine Seele in den Himmel aufsteigen. Damasus selbst wies in einem elogium in der Calixtus-Katakombe auf das Paradox der gleichzeitigen An- und Abwesenheit des Heiligen hin: corpora sanctorum retinent veneranda sepulcra | sublimes animas rapuit sibi regia caeli (Epig. Dam. 16, 2 - 3). 20 Mit seinen Epitaphen, die an das Leben der Märtyrer erinnern, schuf Damasus archivarische Kultorte, die in den unterirdischen Prachtsälen der Katakomben einen Erfahrungsraum zwischen Diesseits und Jenseits eröffneten und die, wie Graffiti in der Nähe der Gräber bekunden, von Gläubigen aufgesucht wurden, um mit den Heiligen in Kontakt zu treten. Die Beschriftung von Grabmälern, die besonders seit der augusteischen Ära zu- 16 Sein heute überliefertes Werk umfasst 57 Inschriften aus Rom und zwei für die literarische Publikation bestimmte Gedichte. 17 Zu den Hintergründen des Märtyrerkults in Rom und Damasus ’ strategischem Interesse, die örtlichen christlichen Gruppierungen zu einen vgl. Marianne Sághy: Scinditur in partes populus: Pope Damasus and the Martyrs of Rome. In: Early Medieval Europe 9.3 (2000), S. 273 - 287 sowie dies.: Pope Damasus and the Beginnings of Roman Hagiography. In: Ottó Gecser u. a. (Hg.): Promoting the Saints. Cults and their Contexts from Late Antiquity until the Early Modern Period. Budapest/ New York 2011, S. 1 - 16. 18 Vgl. Koch 2007, S. 42 f. 19 Zur christlichen Vereinnahmung des heidnischen Totenkultes vgl. Petrucci 1995, S. 35 - 48. 20 Zitiert nach Damasus of Rome: The Epigraphic Poetry. Hg. v. Dennis Trout. Oxford 2015 (Oxford Early Christian Texts). 54 2 Epitaphische Epigrammatik von der Spätantike bis in die Frühe Neuzeit genommen hatte, wurde so auf einen ausgewählten Personenkreis verschoben, der eine besondere Nähe zum Göttlichen besaß und auch über den Tod hinaus als Anlaufstelle für die Fürbitte der Lebenden fungieren konnte. 21 Die Dimensionen, die das urbane Epigraphieprojekt des Damasus annahm, können kaum überschätzt werden. Der Bischof stiftete nicht weniger als ein vollumfängliches suburbanes Verweisnetz monumentaler Schriftlichkeit, das eine › neue Vergangenheit ‹ , nämlich die des jungen christlichen Roms mit seinen › neuen Helden ‹ dokumentierte. 22 Die epitaphische Semantisierung der Grabkammern brachte eine neue römische Topologie hervor, die zur christlichen Umformung kultureller Identität und kollektiver Erinnerung im 4. Jahrhundert beitrug. Fallbeispiel 1: Schrift Bei dem folgenden Textbeispiel handelt es sich um ein Epitaph für die heilige Agnes, deren Grab im Katakombengebiet entlang der Via Nomentana liegt. Die heute dort befindlich Kirche Sant ’ Agnese fuori le mura wurde im 7. Jahrhundert durch Honorius I. errichtet, in ihrer unmittelbaren Nähe hatte Konstantin der Große aber bereits Mitte des 4. Jahrhunderts eine Kirche für seine Tochter Constantina erbauen lassen, die der Legende nach von der heiligen Agnes geheilt worden sein soll. Die Marmortafel mit dem Epitaph des Damasus, die vermutlich einst in ihrer Grabkammer angebracht war, wurde 1728 wiederentdeckt - sie war viele Jahrhunderte lang als Pflasterstein zweckentfremdet worden: 23 fama refert sanctos dudum retulisse parentes agnen cum lugubres cantus tuba concrepuisset nutricis gremium subito liquisse puellam sponte trucis calcasse minas rabiemq(ue) tyranni urere cum flammis voluisset nobile corpus virib(us) inmensum parvis superasse timorem nudaque profusum crinem per membra dedisse ne domini templum facies peritura videret o veneranda mihi sanctum decus alma pudoris ut damasi precib(us) faveas precor inclyta martyr. Der Überlieferung nach sollen die heiligen Eltern vor nicht langer Zeit berichtet haben, dass das Mädchen Agnes den Schoß derAmme sofort verlassen hatte, nachdem dieTrompete ihren unheilvollen Klang hatte erschallen lassen.Von allein habe sie die Drohungen und das Wüten des grimmen Tyrannen verhöhnt, als er ihren edlen Körper in den Flammen verbrennen wollte. Trotz ihrer geringen Körperkraft habe sie die ungeheure Angst überwunden und das herabhängende Haar den nackten 21 Die Verehrung der Märtyrer- und Bekennergräber bewirkte, dass Gläubige möglichst ad sanctos (d. h. in ihrer unmittelbaren Nähe und in Hoffnung auf ihren persönlichen Schutz) bestattet werden wollten. Von dieser Modeerscheinung zeugt Augustinus ’ Schrift › De cura pro mortuis gerenda ‹ (um 421), in der er auf Anfrage des Bischofs Paulinus von Nola die Frage behandelt, ob es einem Menschen nach dem Tode nütze, wenn seine Leiche neben dem Grabe eines Heiligen bestattet werde. Vgl. hierzu Kapitel 1.2.2. 22 Zu Damasus ’ Rolle als erster christlicher › Archäologe ‹ vgl. Dennis E. Trout: Damasus and the Invention of Early Christian Rome. In: Dale B. Martin u. Patricia Cox Miller (Hg.): The Cultural Turn in Late Ancient Studies. Gender, Asceticism, and Historiography. Durham/ London 2005, S. 298 - 316. 23 Vgl. Trout 2015, S. 149 - 152. 2.2 Mittelalterliche literarische Epitaphsammlungen 55 Gliedern überlassen, damit kein sterbliches Antlitz den Tempel des Herrn erblickte. Oh, Wohltäterin, heilige Zierde der Keuschheit, der ich meine Anbetung schulde, dich bitte ich, berühmte Märtyrerin, dass du den Gebeten des Damasus gewogen bist. Der Nachruf auf die Märtyrerin wird emphatisch mit ihrer fama eingeleitet. Damasus macht die Grabinschrift zu einem Gegenstand öffentlichen Interesses. Von Agnes ’ früher Beliebtheit zeugt tatsächlich nicht nur das vorliegende Epitaph, sondern auch überlieferte Parallelstellen bei Ambrosius und Prudentius sowie ihre Kanonisierung in der Liste der Märtyrer (depositio martyrum) im Chronograph von 354. 24 Damasus knüpft an das mündlich verbreitete Wissen über ihre Taten an, indem er seinen ganzen hexametrischen Bericht (vv. 1 - 8) in der oratio obliqua gestaltet, nicht ohne jedoch zuletzt preiszugeben, wer hinter der schriftlichen Verdichtung ihres Märtyrertums steht. So erhält die vollständig von fremden verba dicendi (refert und retulisse) abhängig konstruierte Schilderung in den letzten zwei rühmenden Versen eine entscheidende neue Dimension: Damasus schreibt sich selbst in die fama derAgnes ein und stilisiert sie über den Gebrauch des epitheton ornans zu einer Ikone der weiblichen Keuschheit (sanctum decus [. . .] pudoris). Der episierende Zusatz verweist intertextuell auf die Darstellung der Opferung Polyxenas über dem Grab des Achill in Ovids › Metamorphosen ‹ , die ihren Körper im Tode ebenfalls vor den Blicken der Umherstehenden zu verbergen und so ihre Keuschheit als Priesterin der Pallas Athene zu bewahren suchte (castique decus seruare pudoris, Ov. Met. 13, 480). 25 Vor der Folie der antiken Literatur schafft Damasus eine neue, christliche Heroin, deren mädchenhafter Körper in das Zentrum des Kultes gerückt wird: Nicht Folter und Schmerz schrecken sie, die von selbst (sponte) den elterlichen Schutz verlässt und dem Tyrannen trotzt. Ihre Aufmerksamkeit ist ganz auf die Reinheit des Körpers im Tode gerichtet. Dabei schwingt konnotativ nicht nur die Gefahr der Sexualisierung mit, der Agnes im eigenen Haar verhüllt entgeht, sondern auch der bereits zwischen den Zeilen › metamorphotisch ‹ erreichte Zustand ihres Körpers als templum domini, als transzendenter und unversehrter Auferstehungsleib, der auf direktem Wege in den Himmel gelangt und nicht auf seine Rückkehr am Ende der Zeiten warten muss. 26 Mit der abschließenden Erwähnung seines Namens sorgt Damasus schließlich auch für den eigenen Nachruhm, ist es doch seiner suburbanen Märtyrergallerie zu verdanken, dass Agnes Tat in Erinnerung bleibt. Im Anschluss an die bereits durch Konstantin den Großen und seine Tochter begründete Verehrung der heiligen Agnes stiftete Damasus mithilfe seines eigens entworfenen und 24 Vgl. Amb. De virg. 1, 2, 9 sowie Prud. Perist. 14, 89. 25 Zitiert nach Publius Ovidius Naso: Metamorphoses. Hg. v. R. J. Tarrant. Oxford 2004 (Scriptorum classicorum bibliotheca Oxoniensis). Die Forschung hat sich zu dieser Parallele mehrfach geäußert, vgl. Francesca di Marco: Undressed: The Naked Female Body as Sign of Holiness in Apocryphic and Hagiographical Literature. In: J. Baun u. a. (Hg.): Studia Patristica XLIV. Papers Presented at the Fifteenth International Conference on Patristic Studies Held in Oxford 2007. Löwen u. a. 2010, S. 499 - 509, hier S. 506 sowie Dennis E. Trout: Vergil and Ovid at the Tomb of Agnes: Constantina, Epigraphy, and the Genesis of Christian Poetry. In: John P. Bodel (Hg.): Ancient Documents and their Context. First North American Congress of Greek and Latin Epigraphy (2011). Leiden 2014 (Brill Studies in Greek and Roman Epigraphy 5), S. 263 - 282. 26 Zur metaphorischen Bezeichnung des Körpers als templum domini vgl. ebenfalls di Marco 2010, S. 504 f. 56 2 Epitaphische Epigrammatik von der Spätantike bis in die Frühe Neuzeit wiedererkennbaren › Corporate Designs ‹ eine auf Homogenität angelegte › neue ‹ Vergangenheit von christlichen Märtyrerfiguren. Dem Epitaph kommt dabei eine zentrale Rolle zu: In der gebotenen Kurzbiographie wird die fama bestätigt, die Agnes vorauseilt. Das Epitaph gibt sich insofern als › faktisch ‹ zu erkennen, als es ein bereits kollektiv verbürgtes Wissen aufruft und festigt; es überrascht aber auch mit seinen episierenden Elementen, die dem Dargestellten trotz der epigrammatischen Kürze Gewicht verleihen. Die Epitaphe des Bischof Damasus waren für das Mittelalter stilbildend. Sie wurden in epigraphischen Sammlungen (Syllogen) und Reisebeschreibungen (Itinerarien) für Pilger überliefert, die im Mittelalter in Umlauf waren. Im Zusammenhang mit der Eroberung des Langobardenreichs 774 kamen die Franken mit der epigraphischen Produktion Roms und der Langobarden in Kontakt. 27 In der Folgezeit gelangte eine Reihe von römischen Inschriftensammlungen in fränkische Klöster, so der Codex Einsidlensis 326 aus dem 9. Jahrhundert, der eine Inschriftensammlung mit Beispielen von Damasus und einen Pilgerführer aus Rom enthält. 28 Die vielleicht prominenteste Inschriftensammlung ist die Sylloge von Lorsch (Sylloge Laureshamensis) des cpl 833, die neben zahlreichen Papstepitaphen, stadtrömischen und oberitalienischen Inschriften im vierten Teil 104 Sepulkral- und Kirchentituli dokumentiert, von denen einige auch mit Damasus in Verbindung gebracht werden. 29 Ihre vier Teile speisen sich aus unterschiedlichen Quellen, die im 9. Jahrhundert von einem Mönch im Kloster Lorsch kompiliert worden sind. 30 Darüber hinaus belegen zwei weitere Syllogen die Verbreitung der damasischen Epitaphe: die 42 Tituli umfassende Sylloge von Tours (Sylloge Turonensis), die in zwei Handschriften aus dem 12. Jahrhundert, vielleicht mit einem Archetyp des 7. Jahrhunderts überliefert ist, sowie die Sylloge von Verdun (Sylloge Verudensis) eines Codex aus dem 10. Jahrhundert, deren Entstehung ins 8. Jahrhundert verortet wird. 31 Die letztgenannte Sammlung sollen Alkuin und sein Schüler Hrabanus Maurus als Muster für ihre Dichtung herangezogen haben, dasselbe gilt für die mit ihr verwandte Sylloge Cantabrigiensis und die Sylloge Cantuariensis. 32 Florian H ARTMANN hat jüngst die These aufgestellt, dass die karolingischen Gelehrten unter Karl dem Großen im 8. und 9. Jahrhundert einen politisch und ideologisch motivierten › Inschriften-Transfer ‹ von Italien ins Frankenreich vorangetrieben hätten. Vor allem zwei Personen werden mit diesem Unternehmen in Verbindung gebracht: Adalhard, Abt von Corbie, 27 Zur epigraphischen Schriftkultur der Langobarden vgl. Flavia De Rubeis: La scrittura a San Vincenzo al Volturno fra manoscritti ed epigrafi. In: Federico Marazzi (Hg.): San Vincenzo al Volturno. Cultura, istituzioni, economia. Monteroduni 1996, S. 21 - 40; Nick Everett: Liutprandic Letters amongst the Lombards. In: John Higgitt u. a. (Hg.): Roman, Runes and Ogham. Medieval Inscriptions in the Insular World and on the Continent. Donington 2001, S. 175 - 189; ders.: Literacy in Lombard Italy, c. 568 - 774. Cambridge 2003 (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought 4.52). 28 Vgl. Die Einsiedler Inschriftensammlung und der Pilgerführer durch Rom (Codex Einsidlensis 326). Facsimile, Umschrift, Übersetzung und Kommentar. Hg. v. Gerold Walser. Stuttgart 1987. 29 Vgl. Epigrammata Damasiana. Hg. v. Antonius Ferrua S. I. Città del Vaticano 1942 (Sussidi allo studio delle antichità cristiane 2), S. 15; Michael Lapidge: The Career of Adhelm. In: Simon Keynes (Hg.): Anglo-Saxon England. A Bibliographical Handbook for Students of Anglo-Saxon History. 4. Ausg. Cambridge 2003, S. 15 - 70, hier S. 55 sowie Ursula Reutter: Damasus. Bischof von Rom (366 - 384). Tübingen 2009 (Studien und Texte zu Antike und Christentum 55), S. 62. 30 Vgl. ebd., S. 62 f. 31 Vgl. Ferrua 1942, S. 15 f. 32 Vgl. Bernt 1968, S. 58 und 196. 2.2 Mittelalterliche literarische Epitaphsammlungen 57 den möglicherweise eine Freundschaft mit dem langobardischen Schriftsteller Paulus Diaconus verband, welcher wiederum selbst in seiner › Historia Longobardorum ‹ Inschriften zitiert, und Angilbert, Hofkapellan Karls des Großen und Laienabt des Klosters von St. Riquier. Aus Riquier soll Corbie um 800 eine heute verschollene Inschriftensammlungen (Sylloge Centulensis) erhalten haben. 33 Die Inschriftensammlungen, so schließt H ARTMANN , dürften »zumindest teilweise als Musterbeispiele und Lehrwerke« angelegt worden sein. 34 Doch auch schon vor dem mutmaßlichen karolingischen Inschriftentransfer bezeugt die Dichtung des Venantius Fortunatus, Bischof von Poitiers, die besondere Stellung von Grabinschriften im Merowingerreich. Seine Sammlung steht an der Schwelle von Spätantike und Frühmittelalter und zeichnet sich u. a. durch eine bemerkenswerte Reflexion der Materialität und Stofflichkeit von Schreibprozessen aus. Fallbeispiel 2: Materialität Bei dem zweiten Fallbeispiel handelt es sich um ein Epitaph aus dem vierten von insgesamt elf Büchern › Carmina ‹ , die der aus Oberitalien stammende Dichter Venantius Fortunatus in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts verfasst haben soll. 35 Die Besonderheit seiner Grabschriftensammlung besteht darin, dass sich die 28 Epitaphe nicht nur auf Heilige oder geistliche Würdenträger beschränken, sondern ein umfassendes »Panoptikum der Christenheit« über die ständische Abfolge von Bischöfen, Klerikern und Laien, darunter auch Frauen und Kinder, entwerfen. 36 Schon früh wurde in der Forschung darauf hingewiesen, dass die Epitaphe des Venantius rein literarischer Natur seien. Diese Beobachtung konnte durch einige Grabsteinfunde gedeckt werden, die zu den von Venantius bedichteten Verstorbenen gehörten, deren Grabinschriften jedoch nicht mit dessen › Carmina ‹ übereinstimmen. 37 Die einzelnen Gedichte weisen einen stark abweichenden Umfang auf, der zwischen nur acht Versen des Epitaphium Arachari (4, 19) und 160 Versen des Epitaphium Vilithutae (4, 26) variiert, so dass manche der Grabschriften schlichtweg ungeeignet für eine materielle Realisierung erscheinen. Auch in stilistischer Hinsicht decken die Epitaphe ein breites Spektrum an inschriftlichen Literarisierungsmöglichkeiten ab. Sie kombinieren in unterschiedlicher Weise epigrammatische, elegische und konsolatorische Elemente und zeichnen sich sowohl durch konventionelle Formelhaftigkeit als auch durch anschauliche individualistische Tendenzen aus, so dass es schwierig erscheint, sie eindeutig als reale Grabinschriften, konzeptuell mündliche Leichenreden oder fingierte 33 Florian Hartmann: Karolingische Gelehrte als Dichter und der Wissenstransfer am Beispiel der Epigraphik. In: Julia Becker u. a. (Hg.): Karolingische Klöster: Wissenstransfer und kulturelle Innovation. Berlin u. a. 2015 (MTK 4), S. 255 - 274. 34 Ebd., S. 265. 35 Neben englischsprachigen Einführungen in das Werk des Venantius Fortunatus liegt neuerdings auch eine deutsche Monographie mit zahlreichen Beispielinterpretationen vor. Vgl. Judith W. George: Venantius Fortunatus. A Latin Poet in Merovingian Gaul. Oxford 1992; Michael Roberts: The Humblest Sparrow. The Poetry of Venantius Fortunatus. Ann Arbor 2012 [2009]; Oliver Ehlen: Venantius-Interpretationen. Rhetorische und generische Transgressionen beim »neuen Orpheus«. Stuttgart 2011 (Altertumswissenschaftliches Kolloquium 22). 36 Dorothea Walz: Das Epitaphium Vilithutae (carm. IV 26). Überlegungen zum Epitaphienbegriff des Venantius Fortunatus. In: Walter Berschin (Hg.): Mittellateinische Biographie und Epigraphik. Heidelberg 2005, S. 55 - 68, hier S. 58. 37 Vgl. Ehlen 2011, S. 267. 58 2 Epitaphische Epigrammatik von der Spätantike bis in die Frühe Neuzeit Epitaphe zu identifizieren. 38 Partizipieren die Grabschriften auch an verschiedenen literarischen Traditionen und Subtexten, so eint sie doch die enkomiastisch-hagiographische Stilisierung der Verstorbenen - der Geistlichen u n d Laien - sowie eine subtile numerologische Verklammerung der Gedichte. 39 Das letzte Epitaph des vierten Buches ist der jungen Eusebia gewidmet, die noch vor ihrem zehnten Lebensjahr verstorben sein soll. Das Epitaph beschreibt den Schmerz der Eltern über den Verlust ihrer begabten Tochter und imaginiert, wie sich ihre Tränen gleich einer › Schmerzensschrift ‹ eine Spur durch den harten Stein bahnen. Damit bietet das Epitaph eine eindrucksvolle Reflexion auf die kummervolle Trauer im intimen Familienkreis und veranschaulicht bildhaft das Bedürfnis nach einer persönlichen Würdigung der Verstorbenen. Eingehend werden ihre ideale Schönheit und ihre Kunstfertigkeit beschrieben. Erst zum Ende wird die individuelle Widmung und Charakterisierung in eine trostspendende Jenseitsprognose überführt. Denn da Eusebia noch vor der Eheschließung verstorben ist, steht sie dem Idealtyp der jungfräulichen Heiligen nahe. Ihre Familie darf darum hoffen, dass die Tochter in den Himmel eingehen werde: 40 Scribere per lacrimas si possint dura parentes, hic pro pictura littera fletus erat. Sed quia lumen aquis non signat nomen amantis, tracta manus sequitur qua iubet ire dolor. Nobilis Eusebiae furibundi sorte sepulchri hic, obscure lapis, fulgida membra tegis. Cuius in ingenio seu formae corpore pulchro arte Minerua fuit, uicta decore Venus. Docta tenens calamos, apices quoque figere filo, quod tibi charta ualet hoc sibi tela fuit. Dulcis in Eusebii iam desponsata cubile, uiuere sed tenerae uix duo lustra licet. Vt stupeas iuuenem, sensum superabat anilem, se quoque uincebat non habitura diu. Conteriturque socer cui nata generque recedit: haec letalis obit, ille superstes abit. Sit tamen auxilium, quia non es mortua Christo, uiues post tumulum uirgo recepta Deo. (Ven. Fort. carm. 4, 28, 1 - 18) Wenn Eltern mit ihren Tränen harte Dinge beschreiben könnten, dann hätte hier anstelle dieses Bildes der Schriftzug eines Tränenstroms gestanden. Aber weil das Auge den Namen einer Liebenden mit Tränen nicht zu zeichnen vermag, folgt die Hand dahingezogen, wohin der Schmerz ihr zu gehen 38 Zur Funktion und zum Verständnis des Epitaphs bei Venantius Fortunatus vgl. auch Robert Favreau: Fortunat et l ’ epigraphie. In: Tiziana Ragusa (Hg.): Venanzio Fortunato tra Italia e Francia. Atti del convegno internazionale di studi, Valdobbiadene, 17 maggio 1990 - Treviso 18 - 19 maggio 1990. Treviso 1993, S. 161 - 173 sowie Walz 2005, S. 55 - 68. 39 Vgl. Ehlen 2011, S. 268. Walz betont die Vollkommenheit des Lebenswandels, die allen bedichteten Verstorbenen gemein sei, vgl. S. 58 f.: »Mit großer Beflissenheit stellt Venantius Fortunatus alle als Heilige dar, nicht nur diejenigen, die zu seiner Zeit schon als solche verehrt wurden wie die Bischöfe Gregor von Langres oder Gallus von Clermont« [Herv. v. Verf.]. 40 Zitiert nach Venantius Fortunatus: Poèmes. Livres I - IV. Hg. v. Marc Reydellet. Paris 2002. 2.2 Mittelalterliche literarische Epitaphsammlungen 59 befiehlt. Durch das Schicksal des rasenden Grabes bedeckst du, finsterer Stein, an diesem Ort die schimmernden Glieder der edlen Eusebia. Angesichts ihrer natürlichen Begabung und ihrer schönen körperlichen Erscheinung war Minerva in ihrer Kunst und Venus in ihrer Zierde besiegt. Sie [sc. Eusebia] war geschickt darin, den Griffel zu halten und auch Schriftzeichen mit dem Faden zu sticken. Was für dich das Blatt bedeutet, das war für sie das Gewebe. Sie war bereits dem Ehegemach des liebreizenden Eusebius versprochen, doch dem zarten Kind war es kaum erlaubt, zwei Jahrfünfte zu leben. Sie übertraf die Urteilskraft einer Greisin, so dass man das junge Mädchen bewundert. Und (so) übertraf sie auch sich selbst als eine, die nicht lange leben würde. Der Schwiegervater wird von Trauer zermürbt, dem Tochter und Schwiegersohn entschwunden sind. Diese starb, jener geht als Überlebender davon. Gleichwohl mag es Hilfe geben, denn in Christus bist du nicht gestorben. Nach dem Grab wirst du leben, als Jungfrau von Gott empfangen. Die Grabschrift setzt mit einer Betrachtung der ihr eigenen zeichenhaften Ausdrucksmöglichkeiten ein. Im Anblick der trauernden Familie wird das Bild einer den Stein durchdringenden und profilierenden Tränenschrift (littera fletus) entworfen, die jedoch an der Härte des Materials scheiternd schon im nächsten Vers durch die bildschöpfende Hand ersetzt wird. Der personifizierte Schmerz (dolor), der die Trauernden ergriffen hat und sie nun drängt, ihrem Kummer Ausdruck zu verleihen, möchte den geliebten Namen der Verschiedenen verdinglichen und bewahren. Anstelle der Tränenschrift habe die Hand ein Bild (pictura) geschaffen, wobei ungewiss ist, ob damit ein zum Grab gehöriges Abbild Eusebias gemeint ist oder die Bezeichnung autoreferenziell auf den schriftlichen Nachruf verweist. Gleichermaßen ließe sich das epitaphium auch als konzeptionell mündliche Trauerrede verstehen, die im Kontext des referenzialisierten Bildes (einer Grabskulptur? ) steht und sich nach dem dreigliedrigen Schema lamentatio (vv. 1 - 4, 15 - 16) laudatio (vv. 5 - 16) und consolatio (vv. 18 - 18) entfaltet, wobei stets ein neues › Du ‹ adressiert wird: 41 Apostrophiert die lamentatio noch aus dem Blickwinkel eines Betrachters den finsteren Stein (obscure lapis, fulgida membra tegis), der antithetisch an die Stelle der glänzenden Mädchenglieder getreten ist und ihr Grab markiert, so wird die Blickrichtung gleich darauf umgekehrt, so dass die laudatio sich nun - als Inschrift auf diesem Stein - an den vorübergehenden Betrachter, einen homo viator, wendet und ihn an die Kunstfertigkeit Eusebias erinnert (quod t i b i charta ualet hoc s i b i tela fuit). In der consolatio wird Eusebia schließlich selbst zur Adressatin (uiu e s post tumulum). Die komplexe Gesprächssituation wird durch gelehrte Anspielungen ergänzt, die erneut von Kunstfertigkeit und Materialität handeln. Eusebia habe sich in der Webkunst hervorgetan und dabei nicht nur die pagane Göttin Minerva übertroffen, sondern wie Philomela vermocht, Texte so zu weben, wie man gewohnt sei, Briefe zu schreiben. Nicht die Härte des Steins ist Eusebias Herausforderung, sondern das weiche Gewebe, das sie mit eckigen Buchstaben (apices) versieht. Mit dem Verweis auf ihre körperliche Schönheit, die selbst Venus in den Schatten gestellt habe, und den angebahnten, aber unerfüllten Ehevollzug werden Versatzstücke der erotischen Elegie aufgerufen, unter Berufung auf den Schwiegervater jedoch in einen anderen Sinn verkehrt. Nicht der Liebhaber beklagt die Abwesenheit der Geliebten, sondern der Vater die Abwesenheit der Tochter und des erhofften Schwiegersohns, die nun beide verloren sind. Das Epitaph schließt mit einem letzten konsolatorischen Distichon, das Eusebia, die schon als Kind die geistige Reife einer Greisin besaß, den Eingang ins ewige Leben verheißt. So wird der 41 Zum dreiteiligen Gliederungsschema vgl. Ehlen 2011, S. 286 f. 60 2 Epitaphische Epigrammatik von der Spätantike bis in die Frühe Neuzeit frühe Tod in einen hoffnungsvollen Ausblick gewendet: Denn wie groß der Schmerz um ihr Kindesalter und ihre Begabungen auch ist, kann sie doch so früh verstorben als unbefleckte Jungfrau von Gott empfangen werden. Die Reflexion über materielle Dimensionen des Schreibens stehen im Dienste einer kommunikativen Trauerbewältigung, die An- und Abwesende (Eusebia, die Eltern, den Verlobten, den Grabstein als Supplement der Verstorbenen und schließlich auch Gott und Christus) in das Gespräch miteinbezieht. Das literarischen Epitaph des Venantius Fortunatus, das sich selbst als durch menschliche Hände geformt präsentiert, inszeniert auf diese Weise eine Vermittlungssituation zwischen Diesseits und Jenseits, in der die vom Tode Eusebias Betroffenen durch wechselnde Fokalisierung allesamt gegenwärtig erscheinen. Es wäre gewiss aufschlussreich, auch den Bestand der mittellateinischen Epitaphik des 11. bis 13. Jahrhunderts zu sichten, doch liegt bislang keine einschlägige Edition epigrammatischer Texte des hohen Mittelalters vor, die ein solches Vorhaben ermöglichen könnte. 42 Die einzige Zusammenschau hochmittelalterlicher Epigrammatik bei Carsten W OLLIN beschränkt sich auf »bislang kaum untersuchte Themen wie Spott, Ironie, Alltagsleben, Sexualität und Lebensgestaltung« und spart die eigentlich typischen Bereiche - »die Titulusdichtung [. . .], Grabepigramme (Epitaphe), die biblischen und theologischen Epigramme [. . .], Martialumdichtungen, jede Art von Merkversen, gnomische Epigramme und Sentenzen, Rätsel« - aus. 43 Aus den vielen Epitaphen des Früh- und Hochmittelalters ragt die Gruppe der Dichternachrufe heraus, die in der Tradition des berühmte Grabepigramms von Vergil stehen. 44 Zahlreich sind die Variationen auf das Distichon Mantua me genuit, Calabri rapuere, tenet nunc | Parthenope; cecini pascua, rura, duces. 45 Unter ihnen befindet sich auch die vermutlich eigens angefertigte Grabschrift Walters von Châtillon, in der unterAnspielung auf die ebenfalls unvollendet gebliebene › Aeneis ‹ auch das Alexanderepos als unabgeschlossen beklagt wird. Fallbeispiel 3: Stimme Schon zu seiner eigenen Lebenszeit, dem 12. Jahrhundert, war Walter von Châtillon für sein hexametrisches Epos, die › Alexandreis ‹ , bekannt. Im Einklang mit seinem Ansehen und seiner Gelehrtheit verfasste er seine Grabschrift auf Grundlage des wohl prominentesten epitaphischen Modells des Mittelalters: 46 Insula me genuit, rapuit Castellio nomen Perstrepuit modulis Gallia tota meis. 42 Zum Forschungsstand der lateinischen Epigrammatik des Hochmittelalters vgl. Wollin 2005, S. 225 - 228. Es liegt zwar eine Monographie zur Epigrammatik im Hochmittelalter vor, diese konzentriert sich aber auf die Martial-Rezeption bei Gottfried von Winchester und Heinrich von Huntingdon, vgl. Maaz 1992. 43 Wollin 2005, S. 226. 44 Die in der Sphragis der › Georgica ‹ befindlichen Hinweise auf Vergils Biographie und Autorschaft gingen in die bei Donat überlieferte Vergil-Vita des Sueton ein. Vgl. Aelius Donatus: Vita Vergilianae. Hg. v. Jakob Brummer. Leipzig 1912 (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana). Für weitere Hinweise zur Quellenlage bezüglich Vergils Leben vgl. Nicholas Horsfall: Virgil: His Life and Time. In: Ders. (Hg.): A Companion to the Study of Virgil. Leiden u. a. 1995, S. 1 - 25. 45 Eine Zusammenstellung findet sich bei Hengstl 1938, S. 17 - 19 sowie bei Irene Frings: Mantua me genuit - Vergils Grabepigramm auf Stein und Pergament. In: ZPE 123 (1998), S. 89 - 100. 46 Zitiert nach Walter von Châtillon: Alexandreis. Hg. v. Marvin L. Colker. Padua 1978 (Thesaurus Mundi 17), S. XIIf. 2.2 Mittelalterliche literarische Epitaphsammlungen 61 › Gesta ducis Macedum ‹ scripsi sed syncopa fati Inceptum clausit obice mortus opus. Lille hat mich hervorgebracht, Châtillon meinen Namen an sich gerissen. Ganz Gallien hallte von meinen Liedern wider. Die Taten des Makedonenführers habe ich verfasst, doch die Ohnmacht gegenüber dem Schicksal beendete mit dem Riegel des Todes das begonnene Werk. Analog zum formalen Aufbau des Vergil-Epitaphs behandelt auch Walters Epitaph seine wichtigsten Lebensstationen und sein schriftstellerisches Werk. Wie bei Vergil bilden die genannten Städte eine personifizierte Handlungsmacht aus, doch bestimmen sie den Lebenslauf des Verstorbenen nicht nur im Sinne von Anfangs- und Endpunkt, sondern konkurrieren auch aktiv um seinen Namen: Jede will ihn für sich gewinnen. So wird Walter von Lille schließlich zu Walter von Châtillon. In einem zweiten Distichon wird das begonnene Werk dem Schicksal (syncopa fati) unterworfen. Der für die Dichtung Vergils programmatische Begriff des fatum wird so auf das Werk Walters übertragen und die ausstehende Vollendung der › Alexandreis ‹ in einen schicksalshaften Zusammenhang mit dem Ableben Vergils gestellt. Vergils Epitaph erinnert nicht nur an seine Verdienste in der Epik, sondern auch in der Lehrdichtung und Bukolik. Dagegen konzentriert sich Walters Grabschrift auf das Alexanderepos. Dem Dichter wird so ein Andenken zugeeignet, das unmittelbar am Mythos der schillernden Figur des Alexander partizipiert und zugleich eine sich mit Walter vollziehende Verschiebung der römischen Dichtungstradition in den gallischen Wirkungsbereich anzeigt. Der archaische Duktus der Ich-Inschrift und der direkte Bezug auf Vergil lassen den historischen Anspruch Walters auf Nachfolge im epischen Erzählkontinuum hervortreten. Es zeigt sich an diesem Beispiel geradezu paradigmatisch, wie sich die Grabschrift für die Entfaltung der mittelalterlichen translatio-Idee eignet. Denn über die Bezugnahme auf Vergil und Alexander erhält Walter einen festen Platz in der Literaturgeschichte. Es wird an späterer Stelle zu zeigen sein, dass nicht nur Walters Epitaph, sondern auch die erzählten Epitaphe in seiner Dichtung kunstvoll arrangiert sind und eine spezifische Idee des Fort- und Überschreibens von fremdem und eigenem Wirken erkennen lassen (vgl. Kapitel 4.2.1). 2.3 Das Epitaph im Humanismus und in der Frühen Neuzeit Die humanistische Rückbesinnung auf die Antike und das Bestreben, ihre kulturellen Errungenschaften wiederzubeleben, förderte bekanntlich viele antike literarische Zeugnisse zutage. Dazu gehören die Epigramme von Catull und Martial, die › Anthologia Graeca ‹ sowie städtisch römische Inschriften, die neben ihrem historischen Quellenwert wichtige philologische Hinweise auf grammatische, syntaktische und phraseologische Konventionen lieferten. Seit Beginn des 15. Jahrhunderts suchten Humanisten Orte antiker und nachantiker Inschriften auf, um sie abzuschreiben und in Syllogen und Anthologie zu verbreiten. 47 Das Interesse 47 Zur Entdeckung der antiken Epigraphik durch die Humanisten vgl. Guthke 2006, S. 45 - 52; Roberto Weiss: The Renaissance Discovery of Classical Antiquity. Oxford 1988 [1969], S. 145 - 166. Ein kurioses Zeugnis findet sich schon in Boccaccios teils autographischem Notizbuch › Zibaldone ‹ : Auf c. 45 v. ist die Abschrift einer griechischen Grabinschrift auf eine Hündin notiert. Vgl. dazu das mit einer Einleitung versehene Faksimile von Oridio Biagi: Lo Zibaldone Boccaccesco. Florenz 1915. 62 2 Epitaphische Epigrammatik von der Spätantike bis in die Frühe Neuzeit richtete sich dabei vor allem auf lateinische Inschriften. Kleiner war derAnteil an griechischen Inschriften, die ins Lateinische übertragen wurden. Historischen Quellenwert besaßen diese Sammlungen aber nur in eingeschränktem Maße. Sie wurden vielmehr als literarische Mustertexte verwendet. Produktive Überschneidungen lassen sich insbesondere mit der epigrammatischen Gelegenheitsdichtung, Apodemik und Emblematik beschreiben und zwar in beide Richtungen: 48 So zeigt sich, dass ein Gutteil der Syllogen nicht nur aufgefundene, d. h. materiell verbürgte Inschriften enthält, sondern auch solche, die der schriftlichen Überlieferung entnommen wurden. 49 Die Kompilatoren waren offenbar vordergründig an sprachlichen (grammatischen, syntaktischen und phraseologischen) Aspekten interessiert, während materiale und typographische Aspekte der Inschriften zunächst in den Hintergrund traten. Als exemplarisch kann die › Orthographiae ratio ‹ des berühmten venezianischen Druckers Aldus Manutius gelten, der antike Stein- und Münzeninschriften ohne Hinweis auf ihren Auffindungs- oder Aufbewahrungsort dokumentierte, um sie als Quelle für Fragen der Orthographie heranzuziehen. Wie Christopher W OOD angemerkt hat, dürfte neben solchen spezifischen Interessen auch eine entscheidende Rolle gespielt haben, dass Notationssysteme für die epigraphische Überlieferung, die etwa auch Angaben zu Schriftbild und Ornamenten, Textträger und Material machen, zu diesem Zeitpunkt noch fehlten. 50 Zwar etablierten sich zeitweise Konventionen, die den Inschriftentext als solchen markierten, etwa die Verwendung von Majuskeln, Rahmungen oder Illustrationen der (vermeintlichen) Textträger. 51 Doch erweisen sich die Versuche epigraphischer Reproduktion selbst in prachtvollen Exemplare wie der Sylloge des padovanischen Gelehrten Giovanni Marcanova von 1465, die mit der Unterstützung des Kalligraphen Felice Feliciano hergestellt und teils von Marco Zoppo illustriert wurde, nur leidlich authentisch. Die Durchsetzung von Druckverfahren begünstigte die Verbreitung von Inschriftensammlungen. 52 Überlieferte Drucke des 16. Jahrhunderts beweisen, dass Epitaphsammlungen in 48 Andreas Zajic: Inventionen und Intentionen eines gelehrten Genres: Gedruckte Inschriftensammlungen des 16. und frühen 17. Jahrhunderts. Mit exemplarischen Glossen zur Praxis (epigraphischer) Gelegenheitsdichtung des Adels in der frühen Neuzeit. In: Christine Magin (Hg.): Traditionen, Zäsuren, Umbrüche: Inschriften des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit im historischen Kontext. Vorträge der 11. Internationalen Fachtagung für Epigraphik. Greifswald 9. - 12.5.2007. Wiesbaden 2008, S. 165 - 192, hier S. 166. 49 Vgl. Christopher S. Wood: Notation of Visual Information in the Earliest Archeological Scholarship. In: Word & Image 17.1 - 2 (2001), S. 94 - 118. 50 Vgl. ebd., S. 95. 51 Ebd., S. 102: »Such drawings made no notational pretenses; they were never portraits of actual monuments. Their exclusive function was to provide period flavor and to suggest the general soundness of the scholarship behind the work.« 52 Als maßgebliche Innovation können die › Romanae vetustatis fragmenta ‹ des Humanisten Konrad Peutinger gelten, stellen sie doch das herausragende Zeugnis für eine naturgetreue Umsetzung materialer und typographischer Details dar. Es handelt sich um eine Sammlung von 23 erhaltenen römischen Inschriften aus Augsburg, die Peutinger gesammelt hat und die 1505 von Erhard Rathold gedruckt wurden. Für die Sylloge entwickelte Rathold eigens eine acht Millimeter hohe Drucktype, die auch Serifen und Schattierungen sichtbar werden ließ. Eine weitere Besonderheit liegt in der getreuen Wiedergabe von Interpunktion, Symbolen und der Beschaffenheit der Buchstaben. Derartige Details weisen im Unterschied zu vielen anderen Inschriftensammlungen auf ein zugrunde liegendes autoptisches Prinzip hin. Vgl. Christopher S. Wood: Early Archaeology and the Book Trade: The Case of Peutinger ’ s › Romanae vetustatis fragmenta ‹ (1505). In: The Journal of Medieval and Early Modern Studies 28 (1998), S. 83 - 118. 2.3 Das Epitaph im Humanismus und in der Frühen Neuzeit 63 verschiedenen Kontexten Verwendung fanden. Während die Stammbücher adliger Familien, in denen die Grabschriften der Vorfahren notiert wurden, einem genealogischen Interesse entsprechen, erfüllte die Dokumentation von Grabdenkmälern berühmter Persönlichkeiten eine kollektive Memorialfunktion. Andere Kompilationen deuten aufgrund ihrer Detailliertheit auf ein quellenkundliches Interesse hin, während daneben auch Grabschriftsammlungen gedruckt wurden, die - wie schon in der Spätantike und im frühen Mittelalter - Muster für den konkreten Gebrauch darboten. 53 Die rege Herausgabe von Epitaphsammlungen lässt bereits erahnen, warum die Grabschrift schließlich auch als literarische Gattung neue Spielarten ausbilden konnte und im 17. Jahrhundert zu einer regelrechten Modeerscheinung wurde. Ein geschärftes Bewusstsein für die medialen Besonderheiten von Epigramm und Epitaph lässt sich in der Poetik (1561) des Julius Caesar Scaliger beobachten. Das Epitaph taucht dort zunächst unter dem Abschnitt CXXI. (Epitaphium, epicedium, monodia, inferiae, parentalia, threni, neniae) auf und wird als Leichenrede (oratio funebris) in Absetzung vom Epicedium definiert. Während das Epicedium laut Scaliger gesprochen wird, solange der Leichnam noch nicht bestattet ist, werde das Epitaphium vor dem Grab selbst vorgetragen (epicedium enim dici corpori nondum affecto sepultura, epitaphium ad tumulum ipsum). 54 Darüber hinaus unterscheide sich das Epitaph vom Epicedium hinsichtlich seiner Frequenz. Das Epicedium dürfe nur einmal vorgetragen werden, wohingegen das Epitaph alljährlich wiederholt werden könne (Epicedium igitur semel tantum dicitur, epitaphia etiam anniversaria esse possunt [. . .]). 55 Anschließend gibt Scaliger eine Übersicht über die Bestandteile des Epitaphs, das sich aus dem beschwichtigenden Proöm, dem Lob des Toten, der Bezeichnung des Verlusts, der Klage, der Tröstung und schließlich der Aufmunterung zusammensetzt. Im Abschnitt CXXV über das Epigramm wird das Epitaph indes als schriftliche Form des Gedenkens und damit als ein epigrammatischer Spezialfall benannt. Da das Epigramm inhaltlich frei gefüllt werden könne, bilde es unterschiedliche Formen aus. Das Epitaph gehöre zur Gruppe, die Lob und Tadel zum Inhalt und damit Anteil an der epideiktischen Redegattung habe (Tertium genus est laudis et vituperationis in genere demonstrativo, sub quo continentur epitaphia et elogia). 56 Neben der für die Weiterentwicklung des Genres im Barock besonders relevanten normativen Vorgabe von brevitas und argutia enthält der Abschnitt auch eine aufschlussreiche Reflexion über den Zusammenhang von Epigramm und inscriptio (in ihrer Doppeldeutigkeit von › In- ‹ und › Aufschrift ‹ ). Darin stellt Scaliger die Frage, warum alle Bücher inscriptiones ( › Aufschriften ‹ , › Titel ‹ ) besäßen, das Wort epigramma aber nur kurze Gedichte bezeichne und ob es nicht die Inschriften (inscribebantur) auf Statuen, Siegesdenkmälern und Bildern seien, die in ihrer ursprünglichen Bedeutung epigrammata genannt wurden. Er selbst kommt zu folgendem Ergebnis: Es verhalte sich so, dass das Gedicht (poema) die Aufschrift (inscriptio) auf einer Statue sei. Übertrage man es hingegen in ein Buch, sei das Gegenteil der Fall, dann werde die Statue zur inscriptio des Epigramms. Das heißt, nicht die Statue selbst werde zur Überschrift, sondern ihre Darstellung oder sogar die Darstellung ihrer Darstellung (ipsa enim 53 Vgl. Zajic 2008, S. 179 - 192; dort finden sich auch weiterführende Literatur- und Quellenangaben. 54 Iulius Caesar Scaliger: Poetices libri septem. Sieben Bücher über die Dichtkunst, Bd. 3: Buch 3, Kapitel 95 - 126. Buch 4. Hg. v. Luc Deitz. Stuttgart/ Bad Cannstatt 1995, CXXI, 168 a, 14. 55 Ebd., CXXI, 168 a, 22 - 24. 56 Ebd., CXXI, 170 b, 11 f. 64 2 Epitaphische Epigrammatik von der Spätantike bis in die Frühe Neuzeit statua inscriptio est epigrammatis, haud sane statua ipsa, sed statuae sive imaginis imago). 57 Damit problematisiert Scaliger nicht nur, dass die Begriffe inscriptio, epigramma und titulus in vielen Zeugnissen seiner Zeit unscharf verwendet wurden, sondern gelangt überdies zu der Einsicht, dass sich das referenzielle Verhältnis zwischen Gedicht, Überschrift und Gegenstand verändert, je nachdem, in welchem Medium ein Epigramm realisiert wird, in einem Buch oder auf einem Objekt. Bezeichnet man das unmittelbar auf einem Gegenstand (bspw. einer Statue) fixierte Epigramm als dessen Aufschrift (inscriptio), so werde bei der Übertragung des beschriebenen Gegenstands in ein Buch der Gegenstand selbst beziehungsweise seine Darstellung zur thematischen Überschrift (inscriptio) des Epigramms. Der zum Zeichen transformierte Gegenstand verkehrt in diesem Prozess folglich die Relationen von Ausdruck und Inhalt: Verhielt sich das Epigramm auf der Statue noch wie ein Signifikant zum Signifikat, wird der im Titel eines Gedichts immaterialisierte Gegenstand schließlich selbst zur Bezeichnung des im Epigramm Bezeichneten. Die gattungspoetischen und medientheoretischen Ausführungen Scaligers stellen eine Zäsur in der Geschichte der Epigrammatik dar, die ebenso folgenreich für die Entwicklung der Epitaphik war. In den › Poetices libri septem ‹ wurde der Zusammenhang von epigramma, titulus, inscriptio und epitaphium meines Wissens zum ersten Mal differenziert beschrieben. Seither setzte sich die Auffassung durch, dass die Grabschrift als Spezialfall des Epigramms zu betrachten war. 58 Eindrücklich beweist das ein Abschnitt in den Poeticae institutiones libri tres (1647) des Gerhard Vossius, in dem einleitend hervorgehoben wird, dass das Epigramm und das Epitaph sowohl im weiteren (sive laxiorem epigrammatis significationem) als auch engeren Sinne des Wortes (sive strictiorem eius vocis usum) zusammengehörten. 59 Da Epigramm wörtlich »auf etwas schreiben« bedeute, umfasse es eben auch das Epitaph, das gerade das bezeichne, was auf dem Grab geschrieben stehe (Nam laxius ἐπίγραμμα est quod alicui rei inscribitur. At versiculi quos ἐπιταφίους dicimus incidebantur sepulcro). 60 Ebenso würden die epigrammatischen Stilprinzipien von Kürze und Scharfsinnigkeit auch auf das Epitaph zutreffen (versiculi sepulcrales erant breve carmen saepe etiam argutum, ut sic quoque ad epigramma pertineant pressius acceptum). 61 Trotzdem wolle er beide Gedichtformen getrennt voneinander behandeln, soVossius, da es unzählige Epigramme gebe, die nicht für Gräber gedacht seien und Inschriften auf Gräbern, die sich nicht als Grabgedichte (carmen sepulcrale) bezeichnen ließen, da sie in Prosa verfasst seien. Bezeichnend ist, dass Vossius das Grabgedicht bereits mit Argutheit assoziiert, der Emmanuele Tesauro in seinem › Il cannochiale aristotelico ‹ (Erstausgabe 1654) als Ursache figurierter Reden besonderen Stellenwert zumaß und die schließlich auch einen wichtigen konzeptuellen Bezugspunkt für die deutsche Barockdichtung darstellte. Spätestens seit Opitz 57 Ebd., CXXI, 170 a, 25 - 28. 58 So beschreibt etwa dreißig Jahre später auch der Jesuit Jacobus das Epitaph als eine Art metrisches Epigramm, das auf das Grab oder den Grabhügel geschrieben werden könne: Nobis epitaphium hoc loco est metricum quoddam epigramma, quod videlicet inscribi poßit defunctorum sepulchro, sive tumulo. Zitiert nach Jacobus Pontanus (Societas Jesu): Poeticarum Institutionum Libri III. Ingolstadt 1594, S. 212. 59 Zitiert nach Gerardus Joannes Vossius: Poeticarum institutionum libri tres / Institutes of Poetics in Three Books. Komm., übers. u. hg. v. Jan Bloemendal, in Zusammenarbeit mit Edwin Rabbie, 2 Bde. Leiden/ Boston 2010 (Mittellateinische Studien und Texte 41.2), S. 1194 f. 60 Ebd. 61 Ebd. 2.3 Das Epitaph im Humanismus und in der Frühen Neuzeit 65 erfreute sich die scherzhafte Grabschrift großer Beliebtheit. In seinem › Buch von der Deutschen Poeterey ‹ (1624) betonte er die satirische Natur des Epigramms und empfahl seinen Lesern, das Epigramm für »vberschrifften des begräbniße« sowie »kurtzweilige schertzreden« zu verwenden. 62 Er selbst war bereits in seinem › Florilegii variorum epigrammatum liber unus ‹ beispielhaft vorangeschritten, das im Frühjahr 1639 erschien und einige scherzhafte Grabschriften (epitaphia ioco-seria) nach antikem und humanistischem Muster enthielt, die zu den ersten in deutscher Sprache gehören. 63 Die außerordentliche Verbreitung der satirischen Grabschrift in der barocken Gelegenheitsdichtung der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zeugt schließlich nicht nur von der theoretischen Neufundierung des Epigramms, sondern auch von dessen Neuausrichtung nach dem (im Mittelalter nur teilweise bestimmenden) Kriterium der scharfsinnigen Pointe. 64 62 Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey. In: Martin Opitz. Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe, Bd. 2: Die Werke von 1621 bis 1626, 1. Teil. Hg. v. George Schulz-Behrend. Stuttgart 1978, S. 366. 63 Vgl. Italo Michele Battafarano: (Scherz-)Grabinschriften bei Opitz. In: Barbara Becker-Cantarino und George Schulz-Behrend (Hg.): Opitz und seine Welt. FS George Schulz-Behrend. Amsterdam 1990 (Chloe 10), S. 21 - 36. 64 Zur barocken Grabschrift vgl. Günther C. Rimbach: Das Epigramm und die Barockpoetik: Ansätze zu einer Wirkungsästhetik für das Zeitalter. In: Jb. der Deutschen Schillergesellschaft 14 (1970), S. 100 - 130; Hans Dieter Schäfer: Sagt nicht frühvollendet. Zur Geschichte des Totengedichts. In: Almanach für Literatur und Theologie 4 (1970), S. 119 - 138; Krummacher 1974; Segebrecht 1978, S. 430 - 468; ders.: Poetische Grabschriften des 17. Jhs. als literarische Zeugnisse des barocken Lebensgefühls. In: Literatur für Leser 1 (1981), S. 1 - 17; Thomas Althaus: Epigrammatisches Barock. Berlin/ New York 1996 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 9); Georg Braungart: Barocke Grabschriften. Zu Begriff und Typologie. In: Hans Feger (Hg.): Studien zur Literatur des 17. Jahrhunderts. Gedenkschrift für Gerhard Spellerberg (1937 - 1996). Amsterdam 1997 (Chloe 27), S. 425 - 488; Neukirchen 1999; Jörg Wesche: Literarische Diversität. Abweichungen, Lizenzen und Spielräume in der deutschen Poesie und Poetik der Barockzeit. Tübingen 2004 (Studien zur deutschen Literatur 173), hier S. 99 - 115 zum Epigramm. 66 2 Epitaphische Epigrammatik von der Spätantike bis in die Frühe Neuzeit 3 Sepulkrale Vermittlung zwischen Immanenz und Transzendenz Im Zuge der christlichen Märtyrerverehrung wurden Grabmäler und Aufbewahrungsorte von Reliquien zu wichtigen Kultstätten. 1 Einen gesteigerten Totenkult kannte bereits die antike Heldenverehrung. Im Unterschied zu verstorbenen Helden nahmen die christlichen Märtyrer für die Gläubigen aber eine besondere Fürsprecherfunktion ein. 2 Wenngleich ihre Seele nach dem Tod bereits in den Himmel und in die Anschauung Gottes gelangte, wurde sie weiterhin in Verbindung mit ihrem Leib gedacht: 3 »Der Heilige war im Himmel und zugleich auf Erden«, ihm wurde die Fähigkeit zugesprochen, zwischen Gott, den Lebenden und den Toten zu vermitteln. 4 Die Realpräsenz der Reliquie übertrug sich auf das Grab, für dessen Ehrung und Pflege die Nachwelt Sorge zu tragen hatte. Als Gedächtnis- und Kultort musste das Grab erkennbar und zugänglich sein. Aus diesem Grund begann man seit konstantinischer Zeit, Coemeterialbasiliken über oder bei den Märtyrergräbern zu errichten und schließlich, erstmals 386 n. Chr. durch Ambrosius, die Gebeine der Heiligen zu entheben (elevatio) und in neu erbaute Kirchen zu überführen (translatio), wo sie nochmals am Altar bestattet wurden. 5 Solche Überführungen wurden gezielt genutzt, um die Reliquien für Wallfahrer leichter zugänglich zu machen und das kultische Aufkommen zu erhöhen. 6 Die Nähe von Grab und Altar sowie die den Reliquien zugesprochene Bedeutung ließen einen signifikanten Einschnitt gegenüber paganen und jüdischen Bräuchen erkennen. 7 Waren die Begräbnisorte von Märtyrern in Vergessenheit geraten, ließ man sich bei derAuffindung (inventio) der loca sanctorum durch göttliche Zeichen leiten. Grabinschriften markierten die Gräber und fixierten die elementaren Koordinaten des Märtyrergedächtnisses, die sich in hagiographischen Lesungen (am Grab) zu umfangreichen Lebensberichten ausweiten ließen. 8 Schließlich bildete das Grab auch den Ort, an dem die 1 Zur Geschichte der Heiligenverehrung vgl. grundlegend Peter Brown: Die Heiligenverehrung. Ihre Entstehung und Funktion in der lateinischen Christenheit. Leipzig 1990; Arnold Angenendt: Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart. München 1994; Theofried Baumeister: Art. › Heiligenverehrung I ‹ . In: RAC, Bd. 14 (1988), Sp. 96 - 150. 2 Brown 1990, S. 18. Zum Verhältnis zwischen antiken Heroen und christlichen Märtyrern vgl. auch Theodor Klauser: Christlicher Märtyrerkult, heidnischer Heroenkult und spätjüdische Heiligenverehrung. In: Ders. (Verf.) u. Ernst Dassmann (Hg.): Gesammelte Arbeiten zur Liturgiegeschichte, Kirchengeschichte und christlichen Archäologie. Münster 1974 ( Jahrbuch für Antike und Christentum Ergänzungsbd. 3), S. 221 - 229, hier besonders S. 227 f. 3 Vgl. Angenendt 1994, S. 155 - 158; Peter Dinzelbacher: Die › Realpräsenz ‹ der Heiligen in ihren Reliquiaren und Gräbern nach mittelalterlichen Quellen. In: Ders. u. Dieter R. Bauer (Hg.): Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart. Ostfildern 1990, S. 115 - 174. 4 Arnold Angenendt: Die Gegenwart von Heiligen und Reliquien. Eingel. u. hg. von Hubertus Lutterbach. Münster 2010, S. 109. 5 Über die erstmalige Umbettung heiliger Gebeine berichtet Augustinus in seinen › Confessiones ‹ . Vgl. dazu auch Oexle 1999, S. 306; allgemein zur Erhebung und Translation vgl. Angenendt 1994, S. 167 - 172. 6 Vgl. Baumeister 1988, Sp. 132. 7 Vgl. Brown 1990, S. 21. 8 Anders als in Rom waren liturgische Lesungen von Märtyrerakten in Nordafrika schon früh verbreitet. Diese Praxis wurde mit dem Konzil von Hippo 393 n. Chr. offiziell anerkannt, zumindest außerhalb der Heiligen vorzugsweise durch Wunder wirkten, und zwar meistens an ihrem Gedenktag, dem himmlischen Geburtstag (dies natalis), ausgelöst durch die Anrufung ihres Namens oder durch die Berührung der Reliquien. 9 Die Märtyrergedenktage wurden in der Gemeinde schließlich auch auf Listen verzeichnet, aus denen sich allmählich kirchlichen Festtagskalender herausbildeten, die das Heiligengedenken systematisch chronographierten. Die Heiligenverehrung blieb nicht auf den Märtyrer beschränkt. Besondere Bedeutung besaßen auch die Apostel, weil sie direkt von Christus mit der Verkündigung des Glaubens beauftragt worden waren. Im Zuge der Konsolidierung des Christentums in der Spätantike wurde schließlich auch die asketische Lebensweise der Mönche analog zum blutigen ( › roten ‹ ) Martyrium als geistliches ( › unblutiges ‹ oder › weißes ‹ ) Martyrium gedeutet. Im Unterschied zu Märtyrern konnten Mönche als Freunde Gottes bereits zu Lebzeiten um Hilfe ersucht werden - ein Umstand, der wesentlich zur Steigerung des Personenkultes um heilige Bekenner und Asketen beigetragen haben dürfte. 10 Schließlich konnten auch geistliche Würdenträger Zugang zur Heiligkeit erlangen, der Papst freilich als Nachfolger des Apostel Petrus, aber auch die Bischöfe. Spätantike Viten prägten das Ideal des Mönchsbischofs, der sich mit tugendreicher Amts- und Lebensführung der postmortalen Verehrung verdient machen konnte. 11 Im hagiographischen Diskurs, der u. a. Märtyrerakten, Viten und Passionen, Mirakel- und Translationsberichte umfasst, bildet das Grabmal stets einen (impliziten) räumlichen Bezugspunkt. Dabei ist zu beobachten, dass die Materialität des Grabes und seine inschriftliche Auszeichnung besonders dann hervorgehoben werden, wenn die Heiligkeit verstorbener Figuren noch beglaubigungsbedürftig ist. Damit rückt das Grabmal in die Nähe sogenannter › Schriftreliquien ‹ , die von göttlicher Hand oder göttlichen Mittlerfiguren, von Heiligen selbst oder ihren Zeitgenossen verfasst, die Identität beziehungsweise den heiligmäßigen Status von Männern und Frauen ausweisen. 12 Im Zentrum des folgenden Kapitels stehen also legendarischen Erzählungen, die der Medialität des Grabmals eine besondere Funktion im semiotischen Verweisungszusammenhang von Immanenz und Transzendenz beimessen und aufgrund ihrer Verbreitung zugleich als einflussreich innerhalb des hagiographischen Diskurses gelten dürfen. Dazu gehören einige Liturgie. In Rom etablierte sich die Lesung schließlich im Kontext der religiösen Reisebewegung. Das Verlesen der gesta Martyrum war darauf ausgerichtet, Pilger über die Märtyrergräber und die Ursprünge der Titelkirchen zu belehren (vgl. Baumeister 1988, Sp. 127). 9 Vgl. Arnold Angenendt: Grab und Schrift. In: Hagen Keller u. a. (Hg.): Schriftlichkeit und Lebenspraxis im Mittelalter. Erfassen, Bewahren, Verändern. Akten des Internationalen Kolloquiums 8. - 10. Juni 1995. München 1999, S. 9 - 24, hier S. 10. 10 Wichtiges Zeugnis dafür sind die › Vita Antonii ‹ des Athanasios und die › Vita Sancti Martini ‹ des Sulpicius Severus. Zum spirituellen Martyrium vgl. Baumeister 1995, Sp. 136 - 139. 11 Vgl. ebd., Sp. 145. 12 Das Motiv der Schriftbeglaubigung begegnet vor allem in solchen Legenden, die durch die Übertragung aus der lingua sacra einem potenziellen Bedeutungsverlust ausgesetzt wurden oder die gar neue Heiligenfiguren (sogenannte › Papierheilige ‹ ) entwerfen. Beispielhaft dafür sind unter anderem die Tafel in Hartmanns von Aue › Gregorius ‹ , der Totenbrief in Konrads von Würzburg › Alexius ‹ oder die durch einen Augenzeugen angefertigten Mitschriften von Georgs passio im gleichnamigen Roman Reinbots von Durne. Vgl. hierzu Peter Strohschneider: Textheiligung. Geltungsstrategien legendarischen Erzählens im Mittelalter am Beispiel von Konrads von Würzburg › Alexius ‹ . In: Gert Melville u. Hans Vorländer (Hg.): Geltungsgeschichten. Über die Stabilisierung und Legitimierung institutioneller Ordnungen. Köln 2002, S. 109 - 148, hier S. 123. 68 3 Sepulkrale Vermittlung zwischen Immanenz und Transzendenz Textbeispiele der › Legenda Aurea ‹ wie ihre Vorlagen (Kapitel 3.1), in denen sich Schriftwunder am Grabmal von Heiligen ereignen, sowie die Biographie Karls des Großen (Kapitel 3.2). Sein Begräbnis in der Pfalzkirche leistete einem Mythos Vorschub, der gerade im 12. Jahrhundert zu neuen Erzählungen angeregt hat, als man nach dem Leichnam des Kaisers suchte, um seine Gebeine zu verlegen und ihn heilig zu sprechen. Mehrere Auffindungsberichte schildern die Entdeckung der Leiche, über mehrere Jahrhunderte wirkte dabei das Geheimnis um die Lokalisierung des Grabes gleichsam als Katalysator seiner heroischen Fama. Im dritten Abschnitt werden abschließend zwei Texte des 14. Jahrhunderts untersucht, die das visionäre Bedürfnis erkennen lassen, die Toten s e l b s t sprechen zu lassen (Kapitel 3.3). Wie Dantes › Divina Commedia ‹ und › De Erkenwaldo ‹ , ein mittelenglisches Gedicht legendarischen Inhalts, zeigen, trägt diese Akzentverschiebung dazu bei, dass die sepulkralsemiotische Repräsentation sich plötzlich als dysfunktional erweist. 3.1 Epitaphe von Engelsboten: Schrift und Autorschaft in der › Legenda Aurea ‹ Ein charakteristischer Zug des legendarischen Erzählens besteht in der Ausrichtung auf das Ende - das gilt besonders für die Märtyrerlegende, die gegenüber der Bekennerlegende nicht das Leben, sondern das qualvolle Sterben der Heiligen hervorhebt. 13 Doch wie Andreas H AMMER gezeigt hat, stellt nicht derTod den eigentlichen Endpunkt der Heiligenlegende dar, sondern die Aufnahme in die communio sanctorum. Während der Tod des Protagonisten in anderen Textsorten mit dem Erzählende zusammenfällt, bildet derTod des Heiligen also gerade nicht das Ende der Handlung, sondern deren Mitte. 14 Nach dem Tod ereignen sich in aller Regel Wunder, welche die Heiligkeit verstorbener Männer und Frauen bezeugen. Bevorzugtes Medium für diese Wunder ist das Grabmal, das zwischen Immanenz und Transzendenz vermittelt und im Rahmen der angestrebten imitatio Christi auf die Passion und Auferstehung des menschgewordenen Gottes verweist. Für das Erzählen erfüllen Grabmäler folglich eine Sequenzialisierungsfunktion, sie sind der Ort, an dem Tod und Wunder ineinander übergehen. Die › Legenda Aurea ‹ , um 1266 entstanden und in weit über tausend Handschriften überliefert, umfasst ca. 170 Legenden, die in der Reihenfolge des Kirchenjahres angeordnet sind. 15 Die meisten Legenden erwähnen das Begräbnis heiliger Männer und Frauen. Jedoch werden ihre Grabinschriften in der Regel nur dann angeführt, wenn sie von Gott oder seinen Engelsboten stammen und damit als Wunder gelten können. Sie bezeugen den Einbruch der Transzendenz in die Immanenz und beglaubigen die Heiligkeit des Verstorbenen. Im Folgenden sollen zuerst die Gestaltungsweisen dieser Wunderepitaphe in der › Legenda aurea ‹ analysiert 13 Vgl. Andreas Hammer: Ent-Zeitlichung und finales Erzählen in mittelalterlichen Legenden und Antilegenden. In: Udo Friedrich u. a. (Hg.): Anfang und Ende. Formen narrativer Zeitmodellierung in der Vormoderne. Berlin 2013 (Literatur - Theorie - Geschichte 3), S. 173 - 200. Die Terminologie nach Edith Feistner: Historische Typologie der deutschen Heiligenlegende des Mittelalters von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zur Reformation. Wiesbaden 1995. 14 Vgl. Hammer 2013, S. 178. 15 Vgl. Konrad Kunze: Art. › Jacobus a Voragine ‹ . In: Kurt Ruh u. a. (Hg.): VL, Bd. 4 Berlin/ New York 1985, Sp. 448 - 466; Barabara Fleith: Studien zur Überlieferungsgeschichte der lateinischen Legenda Aurea. Brüssel 1991 (Subsidia hagiographica 72). 3.1 Epitaphe von Engelsboten: Schrift und Autorschaft in der › Legenda Aurea ‹ 69 werden, um schließlich die Frage zu adressieren, weshalb die dominikanische Legendensammlung das Problem des Andenkens vermeidet, das sich in der Spätantike mit den Heiligengräbern verknüpfte. Die Vorstellung von Gott als Schreiber ist aus dem Alten Testament bekannt. 16 Gott soll Mose auf dem Berg Sinai Gesetzestafeln übergeben haben, die von seinem eigenen Finger beschrieben waren (Ex 31,18). Joachim S CHAPER hat jüngst die These vertreten, dass die Erfahrung der Gottespräsenz im Buch Exodus und verwandten Texten mit einer Dialektik der Medien einhergeht. 17 Verschiedene Passagen erzählen von dem Wunsch, Gott sinnlich zu erfahren, doch sei das »unmittelbare Sehen der Gestalt Gottes« dabei »kategorisch ausgeschlossen«. 18 Das Verbot bildhaften Sehens erstrecke sich zudem auf nachbildende Medien wie beispielsweise Statuen. Auch sie werden im biblischen Text als irreleitend abgetan. 19 Ein visuelles Medium, das eine ungefährliche Möglichkeit bietet, an der Präsenz Gottes teilzuhaben, sei dagegen die Schrift und zwar »deshalb, weil [sie], qua Notation, im Dienste der gesprochenen Sprache steht«. 20 Kulturhistorisch dürfte die Erfindung der glottographischen Alphabetschrift zu dieser medialen Hierarchisierung beigetragen haben, weil sie sich (anders als Keilschriften) dem Wortlaut des Gesprochenen formal annähert. 21 Auch im legendarischen Erzählen wird Gott als Schreiber imaginiert, der mithilfe seiner Engelsboten schriftlich Präsenz auf Erden markiert. In der › Legenda aurea ‹ lässt sich an mehreren Stellen beobachten, wie die Heiligkeit von Frauen und Männern posthum durch ein göttliches Epitaph bekräftigt wird. Einige Beispiele dazu: - Die Legende der heiligen Agatha berichtet von einem in Seide gehüllten Engel, der nach dem Tod der Jungfrau an ihr Grab tritt, und vor den Augen aller Anwesenden eine Marmortafel neben ihr Haupt legt. Auf dieser Tafel, die als Ursprung der späteren › Agathazettel ‹ gilt, wird die Jungfrau als › heiliges Gemüt aus freien Stücken, Ehre Gottes und Befreierin des Vaterlands ‹ apostrophiert (LA 39, 554/ 173 Gr.: › Mentem sanctam, spontaneam, honorem deo et patriae liberationem ‹ ). 22 Das Grabmal der Heiligen erweist sich fortan als Schutzort der 16 Vgl. Klaus Schreiner: Göttliche Schreib-Kunst. Eigenhändige Aufzeichnungen Gottes, Jesu und Mariä. Schriftlichkeit in heilsgeschichtlichen Kontexten. In: FMSt 36 (2002), S. 95 - 132. 17 Joachim Schaper: Anthropologie des Schreibens als Theologie des Schreibens. Ein medienarchäologischer Gang durch das Buch Exodus. In: Focken/ Ott 2016, S. 281 - 296. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch Christian Kiening u. Ulrich Johannes Beil: Urszenen des Medialen. Von Moses zu Caligari. Göttingen 2012, zum Buch Exodus S. 19 - 36, besonders S. 32: »In der › mosaischen Medialität ‹ werden personelle und materielle Mittler- und Trägerinstanzen zu einem komplexen Übertragungsgeschehen zwischen Transzendenz und Immanenz verschaltet, das immer von Abbruch bedroht ist [. . .] «. 18 Schaper 2016, S. 293. 19 Ebd., S. 294. 20 Ebd. 21 Vgl. ebd., S. 290. 22 Zitiert nach Jacobus de Voragine: Legenda Aurea, 2 Bde. Eingel., übers. u. komm. v. Bruno W. Häuptli. Freiburg u. a. 2014 (Fontes Christiani). Die Kurzzitierweise enthält die Kapitelnummer, die Seitenzahl nach Häuptli sowie die dort ebenfalls angegebene Seitenzahl nach der Ausgabe von Grasse (Gr.). Der Spruch findet sich nicht nur auf verschiedenen Gebäuden (am Baptisterium von Florenz, an der Kathedrale Unserer Lieben Frauen und des Heiligen Adalbert von Esztergom), sondern wurde seit dem 13. Jahrhundert auch zu einer beliebten Glockeninschrift. Vgl. Robert Favreau: Mentem sanctam, spontaneam, honorem deo et patriae liberationem. Epigraphie et mentalités. In: Clio et son regard. Mélanges d ’ histoire d ’ archéologie offerts à Jacques Stiennon. Lüttich 1982, S. 234 - 244. 70 3 Sepulkrale Vermittlung zwischen Immanenz und Transzendenz Bewohner Catanias, deren Stadt immer wieder durch Vulkanausbrüchen des Ätna bedroht wird. - In einer anderen Legende wird von einem namenlosen Ritter erzählt, der in den Zisterzienserorden eintritt. Da er nicht lesen kann, erhält er im Kloster Unterricht. Doch auch nach mühevoller Belehrung kann er nicht mehr als die Worte »Ave Maria« behalten. Die fromme Einfalt wird belohnt. Nach seinem Tod entdecken die Zisterzienser auf dem Grab des Ritters eine Lilie, deren Blatt mit einem Ave-Gruß aus goldenen Lettern beschrieben ist. Wie sich bei genauerer Untersuchung herausstellt, wurzelt die Blume im Mund des Ritters. Sie ist ein Zeichen der Demut, mit welcher der Ritter sein Gebet gesprochen hat. 23 - In der Legende über die heilige Maria von Ägypten findet der Mönch Zosimas neben dem Leichnam Marias eine Inschrift im Wüstensand. Streng genommen handelt es sich dabei nicht um ein Epitaph (auch wenn es sich diesem formal annähert), sondern um einen göttlichen Auftrag: Zosimas soll der Büßerin ein Grabmal bereiten (vgl. Kapitel 5.1). Da die Inschrift zwischen der ersten und dritten Person changiert, bleibt vage, wer hier eigentlich spricht - Gott oder Maria? 24 - Eindeutig wird die Frage nach Autorschaft dagegen in der Erzählung von Beda Venerabilis beantwortet, der dank eines Schriftwunders nicht als › heilig ‹ , sondern als › ehrwürdig ‹ bezeichnet wird. Nach seinem Tod soll ein Kleriker versucht haben, einen Grabvers für Beda zu verfassen. Der Geistliche möchte den Vers mit den Worten »Hier in dieser Grube« beginnen und auf »die Gebeine des heiligen Beda« enden lassen, doch es gelingt ihm nicht, den Vers in die passende metrische Form zu überführen. Als er am nächsten Morgen erwacht, findet er den Vers korrekt in Stein gemeißelt: Hac sunt in fossa Bedae venerabilis ossa. 25 In der Nacht soll ein Engel das silbenmäßig kürzere sancti durch venerabilis ersetzt und die Inschrift an die metrischen Vorgaben des leoninischen Hexameters angepasst haben. Die Korrektur hat etwas unweigerlich Komisches an sich, fast scheint der Engel die Rolle eines Gelehrten einzunehmen, der die Stümperei des Geistlichen beseitigen muss. - In der Legende über Maria Magdalena schließlich heißt es, dass Girard, Herzog von Burgund, zur Zeit Karls des Großen einen Mönch nach Aix geschickt haben soll, um die Reliquien der Heiligen zu holen und sie in das neu errichtete Kloster Vézelay zu bringen. Als der Mönch in Aix eintrifft, ist die Stadt bis auf die Grundmauern zerstört. Scheinbar zufällig stößt der Mönch auf ein Grab, das den › heidnischen ‹ Angriff unbeschadet überstanden hat. Die marmorne Skulptur und ein wundervoll gemeißeltes Relief, das die Lebensgeschichte Maria Magdalenas enthält, lassen den Mönch erkennen, dass er an sein Ziel gelangt ist. 26 Er entnimmt die Reliquien und begibt sich in eine Herberge. Noch in derselben Nacht erscheint ihm die Heilige und appelliert an ihn, sein Werk zu vollenden. In diesem Abschnitt steht folglich nicht göttliche Autorschaft selbst im Vordergrund, sondern die mirakulöse Erhaltung des kunstvollen antiken Epitaphs. Vereinzelt übernimmt Jacobus de Voragine auch Grabinschriften aus historischen Quellen wie etwa im Abschnitt über Papst Pelagius, der die Geschichte der Langobarden umfasst, oder im 23 Vgl. LA 51, 694 f./ 221 Gr. 24 Vgl. LA 56, 776/ 249 Gr.: › Sepeli, Zosima, Mariae corpusculum. Redde terrae pulverem suum et ora pro me ad dominum, ad cuius praeceptum secunda die Aprilis reliqui hoc saeculum. ‹ 25 LA 181, 2372/ 833 Gr. 26 Vgl. LA 96, 1254/ 415 Gr.: In ipso enim sepulcro historia eius miro opere sculpta erat. 3.1 Epitaphe von Engelsboten: Schrift und Autorschaft in der › Legenda Aurea ‹ 71 Passus über Gregor den Großen. 27 Das Epitaph Gregors, das Jacobus vermutlich der › Vita Gregorii Magni ‹ des Johannes Diaconus entnommen hat, findet sich auch in der Kirchengeschichte des Beda Venerabilis wieder (vgl. Kapitel 6.1). 28 An diesen Stellen durchdringen sich legendarisches und historisches Erzählen. Die zitierten Grabinschriften tragen offenbar dazu bei, die Authentizität des Erzählten besonders deutlich zu steigern. In anderen Fällen aber wird von der Schilderung quellenmäßig bezeugter Grabmäler auffälligerweise abgesehen. Das ist in der Legende der heiligen Paula der Fall, die auf einen Briefnekrolog des Hieronymus zurückgeht. Jacobus de Voragine bezieht sich in seiner Fassung zwar explizit auf die Quelle, übergeht aber die Grabinschrift, die Hieronymus seiner Anhängerin und Finanzgeberin gewidmet haben will. Vielleicht ist es nur Zufall. Vielleicht wollte die antike Gegenüberstellung von Grabmal und literarischem Werk, die bei Hieronymus noch besteht, aber auch nicht recht zu den auf Schlichtheit und Vereinheitlichung bedachten legendae novae des 13. Jahrhunderts passen. Das Beispiel kann illustrieren, dass die hagiographische Überlieferung und Ausgestaltung von Inschriften nicht nur von der quellenmäßigen Bezeugung, sondern auch vom poetologischen Selbstverständnis ihrer Hagiographen abhängig sind. Die wohlhabende Witwe Paula hatte Rom im Jahre 385 gemeinsam mit ihrer Tochter Eustochium verlassen und war dem vormals päpstlichen Sekretär nach Palästina und Ägypten gefolgt, der nach dem Ableben seines Protektors Damasus (gest. 384) heftigen Anfeindungen des römischen Klerus ausgesetzt war. 29 Nach dem Besuch der heiligen Stätten gründeten Hieronymus und seine Begleiterin in Bethlehem verschiedene klösterliche Niederlassungen, darunter ein Frauenkloster in der Nähe der Geburtskirche. Mutter und Tochter, die sich fortan selbst dem Ideal der asketischen Lebensweise verschrieben, blieben in Betlehem, bis Paula am 26. Januar 404 verstarb. Der Brief des Hieronymus, der ihr Leben schildert, gibt sich den Anschein von Mündlichkeit und Intimität. 30 Tatsächlich handelt es sich um einen rhetorisch stilisierten Text, der Paulas Wirken in Bethlehem biographisch fundierte und mit legendarischen Mustern anreicherte (so ist die Schilderung von Paulas Reise ins Heilige Land nach dem Vorbild der › Peregrinatio Egeriae ‹ gestaltet). 31 Durch den Brief wurde die Vita popularisiert und der Ort beworben, den Hieronymus mit Paulas Hilfe in ein spirituelles und wissenschaftliches Zentrum verwandelt 27 Im Abschnitt über den Papst Pelagius werden die Inschrift auf dem neuen Grabmal der heiligen Petronilla (vgl. LA 181, 2376/ 834 Gr.), die Inschrift auf dem Grabmal Heinrichs IV. in Speyer (vgl. LA 181, 2396/ 842 Gr.) sowie eine Inschrift für die römischen Opfer eines deutschen Überfalls bei Santo Stefano und San Lorenzo (vgl. LA 181, 2400/ 843 Gr.) zitiert. Zur Schriftkultur der Langobarden vgl. auch Kapitel 2.2. 28 Vgl. LA 46, 634/ 199 Gr.: Suscipe, terra, tuo corpus de corpore sumptum | Reddere, quod valeas vivificante deo. | Spiritus astra petit, leti nil iura nocebunt, | cui vitae alterius mors magis ipsa via est. | Pontificis summi hoc clauduntur membra sepulcro, | Qui innumeris semper vivit ubique bonis. 29 Zur Kritik an Hieronymus ’ Bibelübersetzung und Kommentierung vgl. Stefan Rebenich: Jerome: The »vir trilinguis« and the »Hebraica veritas«. In: Vigiliae Christianae 47 (1993), S. 50 - 77. 30 Schon in der Antike dienten Briefe sowohl der Intimitätskommunikation als auch der Publikation. Die moderne Dichotomie von › echtem ‹ Brief und Kunstbrief entspricht folglich nicht der antiken Authentizitätsauffassung. Briefe konnten gleichermaßen Freundschaftsbeziehungen performativ bekunden, im offiziellen Kontext Informationen übermitteln oder einen wissenschaftlichen Gedankenaustausch ermöglichen. Der Grad konzeptueller Mündlichkeit war so variabel wie die rhetorische Formung. Über den eigentlichen Adressaten hinaus konnte man in der Briefkorrespondenz weitere Leser einbeziehen. Vgl. Barbara Conring: Hieronymus als Briefschreiber. Tübingen 2001 (Studien und Texte zu Antike und Christentum 8), S. 17 - 36. 31 Vgl. Vielberg 2006, S. 270. 72 3 Sepulkrale Vermittlung zwischen Immanenz und Transzendenz hatte. Aufschlussreich ist in diesem Kontext besonders die Erwähnung eines Epitaphs, das Hieronymus für Paula verfasste und im Briefnekrolog mit einem Horaz-Zitat einleitet: 32 e x e g i m o n u m e n t u m a e r e p e r e n n i u s , quod nulla destruere possit vetustas. incidi elogium sepulchro tuo, quod huic volumini subdidi ut quocumque noster sermo pervenerit, te laudatam, te in Bethlehem conditam lector agnoscat. titulus sepulchri: Scipio quam genuit, Pauli fudere parentes, Gracchorum suboles, Agamemnonis inclita proles hoc iacet in tumulo, Paulam dixere priores. Eustochiae genetrix, Romani prima senatus pauperiem Christi et Bethlemitica rura secuta est. (Hier. Ep. 108, 33, 1 - 2, Herv. v. Verf.) Ich habe ein Denkmal errichtet, dauerhafter als Erz, das keine Zeit zerstören kann. Ich habe eine lobende Inschrift in deinen Grabstein gemeißelt, die ich diesem Werk angehängt habe, damit, wohin meine Rede auch gelangen mag, der Leser erkenne, dass du gepriesen und in Bethlehem begraben wurdest. Grabinschrift: Sie, die Scipio zeugte, die Eltern aus dem Geschlecht des Paulus hervorbrachten, eine Nachfahrin der Gracchen, ein berühmter Spross des Agamemnon, liegt in diesem Grab: Paula nannten sie die Vorfahren. Sie, die Mutter der Julia Eustochia, die Spitze des römischen Senats, strebte nach der Armut Christi und den Fluren Bethlehems. Das einleitende Zitat exegi monumentum aere perennius ist dem Epilog von Horaz ’ Oden entlehnt, die der augusteische Dichter 23 v. Chr. veröffentlichte. Es bildet den vorläufigen Abschluss seiner 88 lyrischen Gedichte und beschwört die Beständigkeit und Verbreitung seines Dichterworts: Dauerhafter als Erz sei dieses › Denkmal ‹ und höher als die königlichen Pyramiden. Weder Regen noch Wind oder die Zeit könnten ihm etwas anhaben. 33 Horaz ’ Schlussgedicht wurde seinerseits in der Forschung als ein »epitaph poem« diskutiert und das monumentum, das das lyrische Ich errichtet haben will, mit einem Grabstein verglichen. 34 Die Oden-Sammlung schließt folglich mit einem fingierten Epitaph, in dem das Ich seine eigene Transzendierung vorwegnimmt, sich schon in alle Richtungen und Räume verbreitet (v. 8: Crescam laude recens) und in den Worten anderer erklingen (v. 10: dicar) wähnt. Wie bei Horaz fungiert das Epitaph in Hieronymus ’ Brief als poetische Schlussgebungsfigur, die ihn als Verfasser in Erinnerung hält, vordergründig aber auf die Nobilitierung seiner Unterstützerin angelegt ist. Der antike Gedanke, der Nachruhm des Dichters möge ewig andauern, weil seine literarischen Werke ihn überleben, wird folglich auf die Verehrung von Paulas heiligmäßigem Lebenswandel übertragen. Zwar ist der Brief dem Grabstein überlegen, weil er als mobiler Schriftträger eine größere Reichweite besitzt. 35 Allerdings erfordert der 32 Zitiert nach Jerome ’ s Epitaph on Paula. A Commentary on the Epitaphium Sanctae Paulae. Hg., übers. u. eingel. v. Andrew Cain. Oxford 2013 (Oxford Early Christian Texts). 33 Vgl. Hor. Od. 3, 30, 1 - 5. 34 Vgl. A. J. Woodman: Exegi Monumentum: Horace, Odes 3.30. In: Ders. (Hg.): From Poetry to History. Selected Papers. Oxford 2012, S. 85 - 103; darin auch weitere Literaturhinweise zur Deutung des Epilogs als »epitaph poem«. 35 Für Überlegungen zur Mobilität schrifttragender Artefakte vgl. Konrad Ehlich: Funktion und Struktur schriftlicher Kommunikation. In: Hartmut Günther u. Otto Ludwig (Hg.): Schrift und Schriftlichkeit. Writing and Its Use. Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung. An Interdisciplinary Handbook of International Research. Berlin/ New York 1994, S. 18 - 41, besonders S. 30: Gegenüber dem von 3.1 Epitaphe von Engelsboten: Schrift und Autorschaft in der › Legenda Aurea ‹ 73 christliche Heiligenkult ein Monument, das die Grabstätte der Verstorbenen genau lokalisiert, um sie späteren Pilgern zugänglich zu machen. Wenngleich Hieronymus seinem Brief mehr Persistenz als dem Grabmal aus Stein zutraut, bleibt der Brief - anders als die Dichtung des Horaz - räumlich eng auf das Monument bezogen. Dem entspricht, dass Hieronymus sich nicht nur als Verfasser des Briefnekrologs, sondern auch als Autor der Grabinschrift zu erkennen gibt. Schließlich verbürgt er sich nicht nur für Paulas vorbildliches Leben, sondern auch für die Umstände ihres Todes. So zeigt sich, dass die Idee des ewigen Nachruhms zwar weiterbesteht, aber im Kontext der Heiligenverehrung nicht mehr uneingeschränkt gelten kann, da sie der Materialität des Heiligen und dessen Repräsentation durch das Grabmal verhaftet ist. In ähnlicher Weise veranschaulicht das auch Albarus ’ von Cordoba › Vita Eulogii ‹ , die vom Leben und vom Märtyrertod des antiislamischen Erzbischofs um 859 im muslimischen al- Andaluz berichtet. Albarus preist nicht nur die außerordentliche Bildung und Belesenheit seines Freundes, sondern knüpft auch selbst an den antiken Topos vom Nachruhm literarischer Werke an, wenn er die Vita zum Schluss ein Monument aere perennius nennt, das dem Unwetter, aber auch dem Steinhagel oder dem Scheiterhaufen, den typischen Hinrichtungsformen christlicher Märtyrer, trotzen werde. 36 Er entwirft das Bild eines glänzenden Turmgrabs aus Gold und Edelsteinen, in dem die Erinnerung des Eulogius für immer bewahrt werde. Der titulus sei mit schneeweißen Perlen geschmückt und glänzendem Topas, damit er allen Ländern der Erde leuchte. 37 Das prächtige Grabmal wird zur Metapher des eigenen Textes stilisiert, dessen kostbare Bestandteile dem Wortornat des Albarus entsprechen. 38 Die Reichweite des Textes entspricht der Reichweite eines Leuchtturms, der für Menschen von nah und fern sichtbar ist. Trotz dieser gedanklichen Abstraktion kommt auch die Vita nicht ohne eine räumlich-zeitliche Fixierung des Märtyrergedenkens aus: Auf die Vorstellung des biographischen Vermächtnisses als Turmgrab folgen so schließlich ein Hymnus auf den Gedenktag des Eulogius, den 11. März, eine Notiz zur Überführung der Gebeine in die Basilika des Heiligen Zoilus wie auch sein Epitaph. Wie das › Epitaphium Sanctae Paulae ‹ bleibt damit auch die › Vita Eulogii ‹ eng mit dem materiellen Heiligengrab verbunden. Ehlich als »lokostatisch« bezeichneten Typ von Schriftlichkeit erlaube der »lokomobile Typ [. . .] den Transport des Textes in je neue rezeptive Teilsprechhandlungen. [. . .] Die Transportabilität des sprachlichen Handlungsproduktes ermöglich[e] [. . .] die Vervielfältigung von Rezeptionshandlungen, indem der Text diatopisch beliebig zugänglich gemacht [werde]«. 36 Vgl. Albarus Cordubensis: Vita vel passio beatissimi presbiterii Eulogii. Hg. v. Juan Gil Fernández. In: Corpus Scriptorum Muzarabicorum, Bd. 1 (Manuales y anejos de Emerita 28). Madrid 1973, S. 330 - 343, hier S. 342, 19, vv. 6 - 8: Construxi enim here perennius monumentum gloriae tuae, quod nec nimbosus turbo, grandoque lapidea destruat, nec rogus flammarum quocumque igne liquescat. 37 Vgl. ebd., S. 342 f., 19, vv. 8 - 15: Edificabi nomini tuo memoriam ex auro obrizo et lapidibus omnigenis pretjosis, quam nullus uiolentissimus ualebit diruere praedonis more tirannus. Conposui fabricam culminis tui, et in sublime turrem habitatjonis tuae erexi, ut sis speciosa pharus cunctis uiantibus hinc inde relucens. Ornabi titulum decoris tui unionibus miro candore niuentibus, et topazione fulgenti, ut uniuersis emicet finibus terrae. Adsparsi cineres sanctos nectareis flosculis nullo estu fatescentibus nec indicio cedentibus i[n]gne. 38 Cambier hat erwogen, dass das unzerstörbare Grabmal des Eulogius als Vorbild für das ganz und gar materiell gedachte (und zudem verzauberte) Grabmal des Mohammed in der › Vita Mahumeti ‹ des Embricho von Mainz fungiert haben könnte, vgl. Guy Cambier: Les sources de la › Vita Mahumeti ‹ d ’ Embricon de Mayence. In: Latomus 20.2 (1961), S. 364 - 380, hier S. 377 sowie Christine Ratkowitsch: Das Grab des Propheten: Die Mohammed-Dichtungen des Embricho von Mainz und Walter von Compiègne. In: Wiener Studien 106 (1993), S. 223 - 256, hier S. 237 f. 74 3 Sepulkrale Vermittlung zwischen Immanenz und Transzendenz Das Wetteifern mit antiken Dichtern und die Selbstinszenierung der Legende als Kunstwerk entsprechen freilich nicht derAuffassung, die in den dominikanischen legendae novae zugrunde liegt, nämlich dass dem religiösen Gegenstand ein schlichter Sprachstil angemessen ist. Vor diesem Hintergrund scheint es plausibel, dass der von Menschenhand kunstvoll gestalteten memoria insgesamt weniger Raum zugestanden wird als den göttlichen Auszeichnungs- und Erinnerungsmedien. Die vorangegangenen Beispiele konnten damit zeigen, wie stark bestimmte Poetiken und Medienauffassungen die legendarische Integration von Grabinschriften prägen. 3.2 Schrift, Wunder, Heiligkeit: Die Auffindung Karls des Großen Die spätantike Hagiographie, für die Hieronymus ’ Epitaph auf die heilige Paula im vorigen Kapitel stellvertretend stand, könnte auch die Relevanz des Grabmals in der mittelalterlichen Herrscherbiographik präjudiziert haben. So erzählt schon Einhards vita von Karl dem Großen, wie die Stiftung seines Grabmals wundersam vorausgedeutet wird. Tatsächlich lässt sich zeigen, dass gerade im diskursiven Umfeld der Heiligsprechung Karls im 12. Jahrhundert diverse Grabauffindungsberichte entstehen, die seinem Grab Wunder zuschreiben. Dieses Motiv des Grabwunders verdankt sich der legendarischen Tradition und wird hier für die Zwecke der politischen Kanonisierung eingesetzt. Um das Grabmal Karls des Großen ranken sich viele Geschichten. Der Bericht über das Lebenswerk des großen Frankenkönigs, den Einhard, Karls enger Vertrauter und Vorsteher der Aachener Hofschule, in den Dreißigerjahren des 9. Jahrhunderts verfasste, endet mit dem Tod und der Beisetzung Karls in der von ihm eigens errichteten Aachener Pfalzkapelle. Vor seinem Ableben sollen sich mehrere Wunder (prodigia) ereignet haben, die den Machtverlust des Kaisers andeuten und für große Verunsicherung sorgen. Dazu gehören Himmelszeichen (Sonnen- und Mondfinsternisse, ein Komet), ein unheimliches Knacken in den Palastdächern, ein jäh ausbrechendes Feuer in der Stadt, dem eine solide Holzbrücke zum Opfer fällt, ein Unfall, bei dem Karl seine Lanze verliert sowie seine vestimentären Insignien, Spange und Schwertgurt, ruiniert werden, und schließlich ein Schriftwunder, das sich ausgerechnet am späteren Bestattungsort ereignet: 39 [. . .] Erat in eadem basilica in margine coronae, quae inter superiores et inferiores arcus interiorem aedis partem ambiebat, epigramma sinopide scriptum, continens, quis auctor esset eiusdem templi, cuius in extremo versu legebatur: K AROLUS PRINCEPS . Notatum est a quibusdam eodem, quo decessit, anno paucis ante mortem mensibus eas, quae PRINCEPS exprimebant, litteras ita esse deletas, ut penitus non apparerent. Sed superiora omnia sic aut dissimulavit aut sprevit, acsi nihil horum ad res suas quolibet modo pertineret. (Vit. Karol. 32, 7 - 16) In derselben Kirche [sc. in der er später begraben wurde] befand sich auf dem Gesimsrand, der zwischen den oberen und unteren Bögen den inneren Teil des Gebäudes rings umgab, eine Inschrift, geschrieben mit rotem Eisenocker, die enthielt, wer der Stifter der Kirche war, und in deren letzter Zeile man K AROLUS PRINCEPS las. Im selben Jahr, in dem er verstarb, wurde wenige Monate vor seinem Tod von einigen 39 Zitiert nach Einhardus: Vita Karoli Magni. Nach der Ausg. v. Georg Heinrich Pertz, durchges. v. Georg Waitz, hg. v. Oswald Holder-Egger. Hannover 1965 (MGH SS rer. Germ. 6). 3.2 Schrift, Wunder, Heiligkeit: Die Auffindung Karls des Großen 75 Leuten bemerkt, dass die Buchstaben, die [das Wort] PRINCEPS bildeten, so zerstört waren, dass sie gar nicht mehr sichtbar waren. Aber entweder er [sc. Karl] überging alle vergangenen Vorfälle oder er verachtete sie, so, als ob nichts davon seine Angelegenheiten in irgendeiner Weise betraf. Die Erwähnung des Schriftwunders hat ihr Vorbild in den Kaiserviten des Sueton. Es deutet sich speziell ein intertextueller Zusammenhang zur Augustus-Biographie an, die ihrerseits davon berichtet, wie ein Blitz in eine Säule mit Augustus ’ Statue eingeschlagen sei und das C aus seinem Titel getilgt habe. Dem Kaiser sei daraufhin prophezeit worden, er habe nur noch hundert Tage zu leben, werde danach aber unter die Götter aufgenommen, weil das verbleibende aesar auf das etruskische Wort für Gott zurückgehe. 40 Damit erweist sich das Schriftwunder der › Vita Karoli ‹ nur auf den ersten Blick als bedrohlich, denn zugleich lässt die Analogie zur Augustus-Vita die besondere Rolle Karls als Erneuerer des römischen Reiches erkennen. Laufen die Zeichen per se schon dem Eindruck eines plötzlichen und unmittelbaren Todes zuwider, erscheint der Zeitpunkt von Karls Fiebertod im Lichte des Intertextes geradezu gottgewollt und notwendig. Dazu passt, dass den Kaiser das Geschehen keineswegs in Unruhe versetzt haben soll, nicht einmal sein Testament habe er, so berichtet Einhard, rechtzeitig vorbereitet, sondern dem Schicksal vielmehr seinen Lauf gelassen. Einhards › Vita Karoli ‹ beleiht also zum einen das Muster der römischen Biographie, zum anderen deuten sich darin auch hagiographische Züge an, ohne dass Karl jedoch explizit als Heiliger bezeichnet würde. Ein Indikator dafür ist, dass sich das Schriftwunder ausgerechnet am Ort seiner späteren Grablege vollzieht. Da der Kaiser selbst keine Vorkehrungen getroffen hat, beschließt man, den Leichnam in der von ihm gestifteten Kirche zu bestatten. Der zerbröckelte Herrschaftstitel wird in diesem Zuge durch eine neue, prächtige Grabinschrift substituiert, die zugleich den bilanzierenden Abschluss von Einhards Vita bildet: In hac sepultus est eadem die, qua defunctus est, arcusque supra tumulum deauratus cum imagine et titulo extructus. Titulus ille hoc modo descriptus est: › SUB HOC CONDI TORIO SI TUM EST CORP US K AROLI MAGNI ATQUE ORTHODOXI IMPERATORIS , QUI REGNUM F RANCORUM NOBILI TER AMPLIAVI T ET PER ANNOS XLVII FELICI TER REXIT . D ECESSI T SEPTUAGENARIUS ANNO D OMINI DCCCXIIII , INDICTIONE VII , V . KAL . FEBR . ‹ (vit. Karol. 31, 22 - 2) In dieser [sc. Kirche] wurde er am selben Tag, an dem er verstorben war, bestattet und über dem Grab wurde ein vergoldeter Bogen mit seinem Abbild und einer Inschrift errichtet. Die Inschrift war auf diese Weise angeordnet: › U NTER DIESEM G RABMAL LIEGT DER K ÖRPER DES GROSSEN UND RECHTGLÄUBIGEN H ERRSCHERS K ARL , DER DAS R EICH DER F RANKEN AUF RUHMVOLLE W EISE VERGRÖSSERTE UND 47 J AHRE LANG ERFOLGREICH REGIERTE . E R STARB IM A LTER VON 70 J AHREN , AM 28. J ANUAR , IN DER SIEBTEN I NDIKTION , IM J AHRE DES H ERRN 814. ‹ Der über dem Grabmal angebrachte titulus ergänzt die beschädigte Stifterinschrift um biographische und elogische Ausführungen. Obwohl den Karolingern durch das vorangegangene Unheilszeichen die materielle Vergänglichkeit von Schrift buchstäblich vor Augen geführt worden war, setzen sie nun erneut auf ein schriftbasiertes Medium, das die biographischen Eckpunkte der kaiserlichen Vita und die raumzeitlichen Koordinaten des Gedenkens fixiert. Mit seiner vita stellt Einhard der Vergänglichkeit des titulus eine dauerhafte Erinnerung entgegen. Zugleich bietet sie eine Möglichkeit, die bilanzierende Kürze des Epitaphs wortreich 40 Vgl. Suet. Aug. 97. 76 3 Sepulkrale Vermittlung zwischen Immanenz und Transzendenz auszuschmücken, wofür er als Zeitgenosse, wie Einhard in seiner praefatio erklärt, besonders prädestiniert ist: [. . .] ab huiuscemodi scriptione non existimavi temperandum, quando mihi conscius eram nullum ea veracius quam me scribere posse, quibus ipse interfui, quaeque praesens oculata, ut dicunt, fide cognovi et, utrum ab alio scriberentur necne, liquido scire non potui. Satiusque iudicavi eadem cum aliis velut communiter litteris mandata memoriae posterorum tradere quam regis excellentissimi et omnium sua aetate maximi clarissimam vitam et egregios atque moderni temporis hominibus vix imitabiles actus pati oblivionis tenebris aboleri. (vit. Karol. 18 - 27) [. . .] Ich glaubte, dass ich von einem Werk dieser Art nicht ablassen durfte, da mir bewusst war, dass niemand wahrhaftiger beschreiben kann als ich, was ich selbst miterlebt und als Anwesender mit der Zuverlässigkeit eines › Augenzeugens ‹ - wie man sagt - erfahren habe, und ich nicht sicher wissen konnte, ob es von jemand anderem aufgeschrieben würde oder nicht. Ich hielt es für besser, die Dinge mit anderen sozusagen gemeinschaftlich schriftlich aufzuzeichnen und der Erinnerung der Nachkommen zu überliefern, als hinzunehmen, dass das ruhmvollste Leben des vortrefflichsten und zu seiner Zeit allergrößten Königs sowie seine ehrenvollen und kaum von den Menschen der modernen Zeit nachahmbaren Taten in der Dunkelheit des Vergessens ausgelöscht würde. Die Angst vor dem Vergessen der kaiserlichen Taten wird mit der antiken Vorstellung verknüpft, das ruhmvolle Andenken könne dauerhaft nur durch schriftliche Überlieferung bewahrt werden. Betont Einhard mit affektierter Bescheidenheit, dass er sich nicht für qualifizierter als seine zeitgenössischen Schriftstellerkollegen halte, so liefert er mit seiner Tätigkeit am Hofe Karls doch einen gewichtigen Grund, der ihn vor anderen auszeichnet. Da er alle historischen Ereignisse aus unmittelbarer Nähe mitverfolgt hat, zeichnet sich seine Darstellung durch besondere Wahrheitstreue (veracius) aus. Die Beschreibung der zerbröckelten Inschrift und des neuen Epitaphs können in diesem Sinne auch als Realismuseffekte gewertet werden, über welche die vita ihren Anspruch als unmittelbare und faktuale Geschichtsdokumentation bezieht. Die Forschung hat gezeigt, dass Einhard in seiner praefatio eine Haltung erkennen lässt, die in deutlicher Opposition zur › Vita Sancti Martini ‹ des Sulpicius Severus steht. 41 Dieser hatte zu Beginn seiner Erzählung des › unblutigen Martyriums ‹ , die er im späten 4. Jahrhundert wohl noch zu Lebzeiten des Bischofs Martin von Tours verfasste, eine Unterscheidung zwischen weltlichen und geistlichen Helden getroffen. Ihm zufolge seien Philosophen, Schriftsteller und Krieger der schriftlichen memoria unwürdig, weil sie keine Lebensweise verkörperten, der es nachzueifern gelte. Mit seiner Beschreibung vom Leben und den »kaum nachahmbaren Taten« (vix imitabiles actus, vit. Karol. 1, 26 f.) des weltlichen Herrschers Karl stellt sich Einhard einer Beschränkung der vita auf Heilige entgegen. 42 Nicht auf Nachahmung müsse die Verschrift- 41 Zur Verteidigung der Profanliteratur (bzw. »Profanbiographie«) in Abgrenzung zur Martinsvita des Sulpicius Severus vgl. Helmut Beumann: Topos und Gedankengefüge bei Einhard. In: Ders. (Hg.): Ideengeschichtliche Studien zu Einhard und anderen Geschichtsschreibern des früheren Mittelalters. Darmstadt 1969, S. 1 - 14 sowie Walter Berschin: Einhart. In: Ders.: Biographie und Epochenstil im lateinischen Mittelalter, Bd. 3: Karolingische Biographie 750 - 920 n. Chr. Stuttgart 1991 (Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters 10), S. 199 - 219, hier besonders S. 204 - 209. 42 Dass sich Einhard gerade auf die › Vita Sancti Martini ‹ bezieht, ist vermutlich der Verbreitung und Bedeutung des spätantiken Lebensberichts für die fränkische Reichskirche geschuldet sowie auch dem Status des Heiligen Martin als fränkischer Reichsheiliger, dessen Mantel seit 679 als Reichsreliquie zum fränkischen Kronschatz gehörte. 3.2 Schrift, Wunder, Heiligkeit: Die Auffindung Karls des Großen 77 lichung der Biographie zielen - wenngleich Karl aufgrund seiner Taten als besonders beispielhaft gelten könne - , sondern auf das Andenken, damit die Erhabenheit von Person und Herrschaft nicht in Vergessenheit gerate. Diese Auffassung legt offen, warum Einhard an narrative Muster der römischen Biographie anschließt. Im Unterschied zu den römischen Kaisern der Suetonviten (zuvorderst seinem Vorbild Augustus) wird Karl jedoch nicht nur als imperator magnus, sondern auch als orthodoxus gerühmt: als gläubiger Christ, der auf das ewige Leben und nicht auf seinen irdischen Nachruhm bedacht ist. Insofern scheint es auch nur folgerichtig, dass nicht Karl, sondern seine Untertanen für sein irdisches Vermächtnis sorgen. Einhards Versuch, Karl erzählerisch in die Tradition der römischen Kaiser und der Heiligen zugleich zu stellen, sollte sich in der Folge auszahlen. Schon in den seit 883 begonnenen › Gesta Karoli ‹ Notkers des Stammlers zeichnete sich eine allmählich einsetzende Legendenbildung um Karl ab. 43 Karl III., der Urenkel Karls des Großen, hatte sie in Auftrag gegeben, als es ihm gelungen war, das Imperium seines Urgroßvaters noch einmal zu einen. Die Legendenbildung erreichte ihren Höhepunkt im 12. Jahrhundert, nachdem die historische und literarische Überlieferung Karl den Großen zum märtyrerhaften Kreuzfahrer und Heidenbekehrer verklärt hatte und er unter Friedrich Barbarossa offiziell heiliggesprochen wurde. 44 Etwa zeitgleich erstarkte naturgemäß auch das Interesse für seine Grabstätte, deren Ort jedoch auf rätselhafte Weise in Vergessenheit geraten war. 45 Weder bei der Graböffnung durch Otto III. zu Pfingsten des Jahres 1000 noch bei der feierlichen Elevation und Translation der kaiserlichen Gebeine 43 Vgl. dazu Hans-Joachim Reischmann: Die Trivialisierung des Karlsbildes der Einhard-Vita in Notkers › Gesta Karoli Magni ‹ . Konstanz 1984; Joaquín Martínez Pizarro: Images of Church and State: From Sulpicius Severus to Notker Balbulus. In: The Journal of Medieval Latin 4 (1994), S. 25 - 38; Werner Wunderlich: Die Kosten der Demut. Eine Bischofsgeschichte in Notkers Balbulus › Gesta Karoli Magni ‹ . in: Jb. für Internationale Germanistik 31.2 (1999), S. 30 - 44; Lars Hageneier: Jenseits der Topik. Die karolingische Herrscherbiographie. Husum 2004 (Historische Studien 483), S. 187 - 237. 44 Zu den Gründen Friedrich Barbarossas und zur machtpolitischen Instrumentalisierung der Kanonisation durch die Welfen und Staufer vgl. Odilo Engels: Des Reiches heiliger Gründer. Die Kanonisation Karls des Großen und ihre Beweggründe. In: Hans Müllejans (Hg.): Karl der Große und sein Schrein in Aachen. Eine Festschrift. Aachen/ Mönchengladbach 1988, S. 37 - 46; Jürgen Petersohn: Saint Denis - Westminster - Aachen. Die Karlstranslatio von 1165 und ihre Vorbilder. In: DA 31 (1975), S. 420 - 454 sowie ders.: Kaisertum und Kultakt in der Stauferzeit. In: Ders. (Hg.): Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter. Ergebnisse und Desiderate. Sigmaringen 1994 (Vorträge und Forschungen; Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte 42), S. 101 - 146. ZurAufwertung Karls als Kreuzfahrer und Spanienkämpfer dürften insbesondere zwei Texttraditionen beigetragen haben, die schließlich auch in die auf Anordnung Barbarossas angefertigte Aachener Karlsvita integriert worden waren: die in St. Denis vor 1100 entstandene › Descriptio clavi et corone Domini ‹ , in der Karl als Befreier Jerusalems triumphiert und zahlreiche Reliquienschätze mit nach Hause bringt, und die zwischen 1130 und 1140 entstandene › Historia Turpini ‹ , eine bedeutende Legendensammlung über die Spanienfeldzüge Karls, die an die Tradition der Chanson de geste anknüpft und im Liber Iacobi (Buch IV des Codex Calixtinus) überliefert wurde. Vgl. dazu Die Legenden Karls des Grossen im 11. und 12. Jahrhundert. Mit e. Anh. über Urkunden Karls des Grossen und Friedrichs I. für Aachen von Hugo Loersch. Hg. v. Gerhard Rauschen. Leipzig 1890 (PGesRhGK 7) sowie den Sammelband von Klaus Herbers (Hg.): Jacobus und Karl der Große. Von Einhards Karlsvita zum Pseudo-Turpin. Tübingen 2003. 45 Die wohl bekannteste These zum Grabmal Karls, laut derer es vor der Heimsuchung Aachens durch die Normannen unkenntlich gemacht wurde, kann den Umstand, dass es so vollständig in Vergessenheit geriet, nicht befriedigend erklären. Vgl. dazu Michael Borgolte: Die Dauer von Grab und Grabmal als Problem der Geschichte. In: Wilhelm Maier u. a. (Hg.): Grabmäler. Tendenzen der Forschung an Beispielen aus Mittelalter und früher Neuzeit. Berlin 2000, S. 129 - 146. 78 3 Sepulkrale Vermittlung zwischen Immanenz und Transzendenz 1165 unter Friedrich Barbarossa wurde die Auffindung durch Bild oder Inschrift geleitet, die laut Einhard die Grabstätte markierten. In beiden Fällen sollen Karls Gebeine vielmehr durch Eingebung entdeckt worden sein, so wie Heiligenreliquien, von deren Auffindung und Umbettung die Quellen der Zeit berichten. Ganz offensichtlich sind die Quellen, die von der Graböffnung durch Otto III. berichten, 46 darum bemüht, der Heiligsprechung des Kaisers Vorschub zu leisten. 47 So berichtet die Redaktion C der Chronik Ademars beispielsweise von einer Traumvision, die der Erhebung (elevatio) und Verlegung (translatio) der Gebeine vorausgegangen sei, was jedoch wenig vertrauenswürdig scheint, da der Bericht vermutlich erst zwischen 1165 und 1183/ 84 entstanden ist und damit unter Verdacht steht, »die Ereignisse um die Karlskanonisation von 1165 auf die Graböffnung von Otto III. zurückzuprojizieren«. 48 Doch auch die anderen Quellen sind darum bemüht, die Auffindung (inventio) des Karlsgrabes als Wunder zu inszenieren. Allein bei Otto von Lomello (zwischen 1027 - 1050) kann die Grabkammer mühelos aufgesucht und betreten werden. In den Hildesheimer Annalen (um 1160) wird dagegen von einem verborgenen Grab berichtet, in dem Otto III. viele wundersame Dingen gefunden habe (qua tunc in abdito sepulture mirificas rerum varietates invenit). 49 Bei Thietmar von Merseburg (1013) lässt Otto III., da er über die Ruhestätte Karls im Unklaren war, den Boden heimlich an einer vermuteten Stelle (ubi ea esse putavit) aufbrechen und ausgraben, bis er die kaiserlichen Gebeine im Königsstuhl entdeckt (Karoli cesaris ossa ubi requiescerent, cum dubitaret, rupto clam pavimento, ubi ea esse, putavit, fodere, quousque haec in solio inventa sunt regio, iussit). 50 Im Zuge des Kanonisationsprozesses Karls des Großen während der Weihnachtsoktav 1165 durch den kaiserlichen Papst Paschalis III. und unter Beteiligung Friedrich Barbarossas wurde die Auffindung endgültig zur göttlichen Offenbarung stilisiert. 51 So vermerkte der Kaiser in seiner narratio, dass der Leichnam aus Angst vor inneren und äußeren Feinden versteckt worden sei, dank einer divina revelatio aber wieder aufgefunden und mit gebotener Ehrfurcht seines Grabes enthoben werden konnte. 52 46 Zu den Quellen gehören die Hildesheimer Annalen, die Chronik des Thietmar von Merseburg, der Augenzeugenbericht des italienischen Pfalzgrafen Otto von Lomello in der Chronik des piemontesischen Klosters Novalesa und die Redaktion C der Chronik des Ademar von Chabannes. Zu den Quellen und zur Traditionsbildung um die Öffnungen des Karlsgrabs vgl. Knut Görich: Otto III. öffnet das Karlsgrab in Aachen. Überlegungen zu Heiligenverehrung, Heiligsprechung und Traditionsbildung. In: Gert Althoff u. Ernst Schubert (Hg.): Herrschaftsrepräsentation im ottonischen Sachsen. Sigmaringen 1998, S. 381 - 431. 47 Vgl. Görich 1998, S. 393 - 406, besonders S. 403 - 406. Die Motive der Verehrung, der Unversehrtheit, der Reliquienentnahme sowie die besondere Hervorhebung von Karls Gewändern versteht Görich nicht bloß als »hagiographische Topoi«, sondern als Hinweis darauf, dass bereits Otto III. versuchte, einen Heiligenkult um Karl den Großen zu begründen, was durch seinen frühen Tod jedoch vereitelt wurde. 48 Ebd., S. 385. 49 Zitiert nach Annales Hildesheimenses ad a. 1000. Hg. v. Georg Waitz. Hannover 1978 (MGH SS rer. Germ. 8), S. 28. 50 Zitiert nach Thietmar von Merseburg: Chronicon. Hg. v. Robert Holtzmann. Berlin 1935 (MGH SS rer. Germ. n. s. 9), IV, 47, S. 184 - 186. 51 Davon zeugt die sogenannte › Heiligsprechungsurkunde ‹ , die Friedrich Barbarossa am 8.1.1166 zugunsten des Aachener Marienstifts und der Stadt Aachen ausstellen und eine gefälschte Urkunde Karls einfügen ließ. Dadurch wurden die Privilegien von Stift und Stadt besiegelt. Vgl. Aachener Urkunden 1101 - 1250. Hg. v. Erich Meuthen. Bonn 1972 (PGesRhGK 58), S. 81 - 119, Nr. 1 - 2. 52 Zitiert nach Die Urkunden Friedrichs I. 1158 - 1167. Hg. v. Heinrich Appelt. Hannover 1979 (MGH DD F I 2), S. 430 - 434, Nr. 502, hier S. 433: [. . .] corpus eius sanctissimum pro timore hostis exteri vel inimici familiaris 3.2 Schrift, Wunder, Heiligkeit: Die Auffindung Karls des Großen 79 Weitere Informationen zu Karls Grabstätte liefert die › Vita Karoli Magni ‹ , die wohl kurz nach der Erhebung und Kanonisation auf Geheiß Friedrich Barbarossas angefertigt wurde und eine umfassende Übersicht über die Taten und Wunder Karls des Großen als Beweis seiner Heiligkeit darbietet. 53 Auch die unheilvollen Vorzeichen, die schon bei Einhard dokumentiert sind, finden dort gesonderte Erwähnung: Sie werden abermals ausführlich beschrieben und einer christlichen Deutung unterzogen. Fast wörtlich wird sodann in Abschnitt XVI (De glorioso sed lacrimoso transitu imperiali) aus Einhard übernommen, wie die Untertanen ihrem Kaiser ein Grabmal mit einer Grabinschrift in der Pfalzkirche errichteten, und durch den Hinweis ergänzt, dass den gläubigen Christen in der Pfalzkirche fortan Schutz und Beistand durch die Reliquien des Königs gewährt wurde (In illa denique basilica, ubi eius venerantur patrocinia, quicquid fide petitur invenitur et quod devoto speratur studio, effectu desiderabili prestatur). In den folgenden drei Kapitelabschnitten wird schließlich von zwei Wundern berichtet, die sich vor dem Abbild Karls (ante venerandam effigiem venerabilis Karoli) ereignet haben sollen. Der erste Abschnitt handelt von dem Subdiakon Guibertus, der infolge seines leichtfertigen Lebenswandels angelehnt an das Kultbild in den Schlaf fällt und von einer rächenden Hand aus dem heiligen Bezirk geschleudert wird. Der zweite Abschnitt erzählt von dem burgundischen Ritter Thietmar, der seiner Ländereien beraubt an demselben Kultbild eine göttliche Erscheinung gehabt haben soll, nachdem er dort mit vielen Spenden und Almosen um Beistand gebeten hatte. Beide Wundererzählungen werten das Grabmal nachträglich als ein Ort sakralen Geschehens auf, wobei die körperliche Präsenz des Heiligen, die in den Reliquien, dem Kultbild, der rächenden Hand und der nächtlichen Erscheinung zutage tritt, deutlich mehr Interesse auf sich zieht als die Inschrift. Zuletzt wird ein Lichtwunder beschrieben, das sich in der dritten Nacht nach der Heiligsprechung ereignet und die Kanonisation bestätigt haben soll. Wann und wie lange das Grab in Vergessenheit geraten war und durch welche divina revelatio es wieder aufgefunden werden konnte - darüber schweigt die Aachener › Vita Karoli Magni ‹ . Die zitierte Grabinschrift Karls ist bei Einhard einerseits Ausdruck von dessen wahrheitsgetreuer Arbeitsweise als Biograph, der alle Belege und Schriftstücke seiner Zeit zusammenträgt, damit nichts in Vergessenheit gerät. Andererseits ist sie das Medium, um den Frankenkönig als christlichen Erneuerer des römischen Reiches darzustellen. Dagegen scheint die ursprüngliche Gestaltung des Grabs im Zuge der Heiligsprechung Karls im 12. Jahrhunderts ihre Bedeutung zu verlieren. Vielmehr kann gerade der Verlust des Grabes das hagiographische Narrativ der wundersamen Auffindung motivieren. 3.3 Mit den Toten sprechen: Dantes › Divina Commedia ‹ und › De Erkenwaldo ‹ Das Thema der Begegnung zwischen Lebenden und Toten ist im 13. und 14. Jahrhundert weit verbreitet. Während Dante in der › Divina Commedia ‹ als homo viator das Jenseits bereist, wird caute reconditum, sed divina revelatione manifestatum ad laudem et gloriam nominis Christi [. . .] cum timore et reverentia elevavimus et exaltavimus IIII° kal. ianuarii. 53 Zitiert nach Die Aachener › Vita Karoli Magni ‹ des 12. Jahrhunderts. Auf der Textgrundlage der Edition von Gerhard Rauschen unter Beifügung der Texte der Karlsliturgie in Aachen, neu hg., übers. und eingel. v. Helmut u. Ilse Deutz. Siegburg 2002 (Veröffentlichungen des Bischöflichen Diözesanarchivs Aachen 48). 80 3 Sepulkrale Vermittlung zwischen Immanenz und Transzendenz in › De Erkenwaldo ‹ der Geist eines Verstorbenen im Diesseits beschworen. Indem jeweils die räumlich-ontologische Schwelle zwischen Immanenz und Transzendenz suspendiert wird, wirkt die Repräsentationsleistung des darin erzählten Grabmals seltsam gebrochen: 54 Weder steht das Grabmal als Substitut eines körperlich Abwesenden ein, noch stiftet es einen Verweisungszusammenhang zwischen dem Diesseits und Jenseits. Anders als im hagiographischen Diskurs bietet das Grabmal in diesen visionsliterarischen Texten keinen sinnhaften Schlusspunkt, der am Grab des Heiligen die Vermittlung zwischen Erde und Himmelsreich in Aussicht stellt, sondern deutet vielmehr auf eine Vermittlungsschwierigkeit, die durch direkte Kommunikation überwunden werden will. Auf seinem Weg durch die drei Totenreiche, Hölle, Läuterungsberg und Paradies, erhalten etwa 600 mythische und historische Persönlichkeiten von Dante Gehör und können sich im Medium der Literatur verewigen. Die › Divina Commedia ‹ gleicht einer gewaltigen Bühne, auf der immer neue Figuren auftreten und von ihrem Schicksal erzählen. In der Forschung ist unlängst auf den epigraphischen Anteil der Rede der Seelen hingewiesen worden. 55 Es handelt sich dabei um ein Verfahren der antiken Epik, bei dem kurze, formelhafte Ausdrücke, die an Grabinschriften erinnern, die Figurenrede abschließend pointieren und mit epitaphischen Motiven kombinieren. In der Übertragung des Epigraphischen auf die Figuren deutet sich eine Form der Medienkonkurrenz zwischen Literatur und Kunst an: Nicht ein Wettstreit der Künste steht im Vordergrund, wie er sich in der Frühen Neuzeit im Programm des Paragone entwickelte, sondern die alte Frage, ob eher Monumente oder die Literatur längeren Nachruhm gewähren könnten. Indem Dante die Toten selbst zu Wort kommen lässt, entscheidet er die Frage implizit zugunsten der Literatur. Nur ein einziges Mal aber tritt eine echte Inschrift an die Stelle der epitaphische Stimme. Dante und Vergil haben den sechsten Höllenkreis, die Stadt Dis, durchwandert, die sich als Friedhof mit unzähligen rotglühenden Sarkophagen darbietet. Aus den Särgen erschallen die qualerfüllten Stimmen der Ketzer, zu denen der griechische Philosoph Epikur und seine Anhänger, Farinata degli Uberti, Führer der Ghibellinen in Florenz, und Cavalcante Cavalcanti, der Vater von Dantes Dichterfreund Guido Cavalcanti gehören. Beide glauben nur an das irdische Leben und müssen die Leugnung derAuferstehung im Feuer büßen. Dante lässt sich zu einem langen Gespräch mit Farinata hinreißen, während Vergil zum Aufbruch mahnt. Als am Übergang zum siebten Höllenkreis plötzlich ein furchtbarer Gestank aufzieht, finden die Wanderer Schutz hinter einem abseits liegenden Sarkophag, auf dessen Deckel ein Epitaph für Papst Anastasius II. (496 - 498) geschrieben ist. Es handelt sich dabei um die einzig materiell verfasste Inschrift, die Dante nach seinem Eintritt durch das Höllentor im › Inferno ‹ zu sehen 54 Dantes › Divina Commedia ‹ illustriert anschaulich, wie in der christlichen Vorstellung mit der Topologie und Materialität des Jenseits gerungen wird. Während Hölle und Fegefeuer als kegelartige Vertiefung und Erhöhung im Erdball und damit in Abhängigkeit von der irdischen Topographie entworfen werden, wird der Himmel als eine Welt der Immaterialität und des reinen Lichts imaginiert. 55 Bereits Gorni vermutete ausgehend von einigen isolierten Passagen, dass der epigraphische Gehalt der Commedia beträchtlich sein müsse (vgl. Guglielmo Gorni: Epitaffi nella › Commedia ‹ . In: Studi danteschi 68 (2003), S. 1 - 16, hier S. 12: »[. . .] la Commedia è anche una mostra di epigrafi, un museo di marmi murati«). Im Anschluss daran hat Carrai eine ausführliche Untersuchung der epitaphischen Strukturen der › Divina Commedia ‹ sowie ihrer antiken und zeitgenössischen Modelle vorgelegt, vgl. Stefano Carrai: Dante e il linguaggio dell ’ oltretomba. Schemi epigrafico-sepolcrali nella › Commedia ‹ . In: Giornale storico della letteratura italiana 187.4 (2010), S. 481 - 510. 3.3 Mit den Toten sprechen: Dantes › Divina Commedia ‹ und › De Erkenwaldo ‹ 81 bekommt. 56 Wie die berühmte Toraufschrift Lasciate ogni speranza, voi ch ’ entrate ist auch das Epitaph in Rückgriff auf die rhetorische Trope der Prosopopöie gestaltet. Anstatt Anastasius selbst sprechen zu lassen, informiert der steinerne Sarg über die Identität des Verstorbenen. 57 In su l ’ estremità d ’ un ’ alta ripa che facevan gran pietre rotte in cerchio venimmo sopra più crudele stipa; e quivi, per l ’ orribile soperchio del puzzo che ’ l profondo abisso gitta, ci raccostammo, in dietro, ad un coperchio d ’ un grand ’ avello, ov ’ io vidi una scritta che dicea: › Anastasio papa guardo, lo qual trasse Fotin de la via dritta ‹ . (Inf. XI, 1 - 9) Wir kamen an den oberen Rand eines steilen Absturzes, der kreisförmig von großen Felsbrocken gebildet wurde, und hatten unter uns ein noch weit grausameres Gedränge. Aber wegen des schrecklichen Gestanks, der dort im Übermaß aus dem Abgrund heraufquillt, mussten wir zurückweichen bis hinter die Platte eines großen Sarkophags. Auf der erkannte ich eine Inschrift, die lautete: »Ich berge Papst Anastasius, welchen Photin vom rechten Weg abbrachte.« 58 Gegenüber den wortreichen Selbstdarstellungen der verdammten Seelen im › Inferno ‹ scheint der verdichtete Hinweis auf die häretische Verfehlung des Papstes dessen Andenken eher zu tilgen als es zu wahren. 59 An den Rand der urbanen Nekropole von Dis gedrängt, fristet der Schatten sein Dasein, ohne selbst in Erscheinung zu treten. Indem die Inschrift die Stimme des Papstes substituiert, markiert sie das Prinzip der Abwesenheit, wo es gerade nicht zu erwarten wäre - sind doch die Seelen der Verdammten eben hier versammelt und können selbst von ihrem Schicksal künden. Das Epitaph für Anastasius antizipiert die Strafe, die den Seelen der Verdammten nach dem Weltgericht droht. Denn, so lehrt Vergil den Reisenden, wenn die Seelen nach dem Jüngsten Tag mit ihren Körpern vereint in die Hölle zurückkehren, würden sich die Deckel schließen und die Irrlehren verbreitenden Häretiker für immer verstummen. 60 Die Strafe besteht folglich nicht nur in der ewigen Verdammnis, sondern auch darin, dass die falschen Lehrmeister gemäß dem Prinzip des contrapasso für immer schweigen müssen. Die Ich-Inschrift unterstreicht das - nicht die Stimme der päpstlichen Seele ertönt, sondern die Schrift auf dem Grabmal. 56 Darauf hat zuerst Battaglia Ricci hingewiesen, vgl. Lucia Battaglia Ricci: Epigrafi d ’ autore. In: Claudio Ciociola (Hg.): Le scritture esposte. Atti del Convegno Internazionale di Studi Cassino - Montecassino, 26 - 28 ottobre 1992. Napoli 1997, S. 433 - 458, hier S. 437: » [. . .] l ’ Alighieri compose per il mondo da lui creato, proponendone una fruizione › monumentale ‹ tanto al pubblico interno della › Commedia ‹ quanto al pubblico esterno dei lettori, che sono invitati ad identificarsi con il personaggio Dante viator, un paio di testi epigrafi, › vere ‹ scritture esposte, anche se destinate a vivere nella dimensione cartacea della fictio letteraria: l ’ epigrafe per la porta d ’ inferno: › Per me si va. . . ‹ e l ’ epigrafe per la lastra che chiude l ’ avello di papa Anastasio: › papa Anastasio guardo. . . ‹ .« 57 Zitiert nach Dante Alighieri: Inferno. In: Commedia, 3 Bde. Komm. u. hg. v. Anna Maria Chiavacci Leopardi. Mailand 1991 (I meridiani), S. 335 f. 58 Übersetzung nach Dante Alighieri: La Commedia / Die Göttliche Komödie. Inferno / Hölle. In Prosa übers. u. komm. v. Hartmut Köhler. Stuttgart 2011, XI, 1 - 9, S. 162 f. 59 Vgl. Gorni 2003, S. 7. 60 Vgl. Inferno, X, 10 - 12. 82 3 Sepulkrale Vermittlung zwischen Immanenz und Transzendenz Mit dem Verweis auf die Verfehlung der via dritta ruft das Epitaph die erste Terzine der › Commedia ‹ in Erinnerung, laut der Dante selbst vom rechten Lebensweg abzukommen drohte (Inf. I, 1 - 3: Nel mezzo del cammin di nostra vita | mi ritrovai per una selva oscura | chè la diritta via era smarrita). Doch nicht eine innere Verunsicherung ist Ursache der sündhaften Verfehlung des Anastasius, sondern der Einfluss des Diakons Photin von Thessaloniki. Er soll den Papst zur Monophysitenlehre bekehrt haben, derzufolge Christus nur als Mensch, nicht aber als Gott anerkannt wird. Dass sich bei Dante unter den Bewohnern der Hölle auch Päpste befinden, stellt eine Besonderheit dar, die in der Literatur vor der › Commedia ‹ keine Entsprechung kennt. 61 Umso mehr wird diese Besonderheit durch die Repräsentation eines Grabmals markiert, das dem Geistlichen die Möglichkeit verweigert, sich selbst vorzustellen und damit entgegen seiner eigentlichen Funktion programmatisch für eine damnatio memoriae steht. Auch in › De Erkenwaldo ‹ , einem mittelenglischen Stabreimgedicht von legendarischem Inhalt (um 1400), gerät die Repräsentationsleistung des Grabmals in die Krise. 62 Denn die symbolische Kodierung eines in der St. Paul ’ s Kathedrale aufgefundenen Sarkophags ist in Vergessenheit geraten; erst mit der Wundertat des Bischofs Erkenwald kann das semiotische Dilemma behoben werden. Er öffnet das Grab und beschwört den im Limbus gefangenen Geist des Verstorbenen in die Gegenwart, um ihn mit seinen Tränen zu taufen. 63 Der Erzähler beginnt seinen Bericht mit einem Hinweis auf städtebaulichen Maßnahmen während der Amtszeit Erkenwalds, im Zuge derer Bauwerke der paganen Vergangenheit abgerissen und erneuert, umbenannt und geweiht wurden. Während dieser topographisch entfalteten christlichen Machtdemonstration stößt man auf dem Grunde von St. Paul auf einen mysteriösen Sarg, ein rätselhaftes Artefakt der Vergangenheit, welches das Volk und auch die Gelehrten in eine Ungewissheit existenziellen Ausmaßes stürzt. Zwar befinden sich Schriftzeichen auf dem Sarg, doch vermag niemand sie zu entziffern oder gar zu deuten: 64 For as þai dy ȝ t and dalfe so depe into þe erthe, þai founden fourmyt on a flore a ferly faire toumbe. Hit was a throghe of a thykke ston, thryuandly hewen, Wyt gargeles garnysht aboute alle of gray marbre. The sperle of þe spelunke þat sparde hit olofte Was metely made of þe marbre and menskefully planede, and þe bordure enbelicit wyt bry ȝ t golde lettres, Bot roynyshe were þe resones pat þer on row stoden. Fulle verray were þe vigures þer auisyde hom mony, Bot alle muset hit to mouthe and quat hit mene shulde: Mony clerkes in þat clos wyt crownes ful brode Þer besiet hom a-boute no ȝ t, to brynge hom in wordes. (St. Erk. 45 - 66) 61 Vgl. Alison Morgan: Dante and the Medieval Other World. Cambridge 1990, S. 59 f. 62 Zur sogenannten › Alliterative Revival ‹ -These, also der vermuteten Wiederbelebung des Stabreims im Spätmittelalter vgl. Margitta Rouse: Alliterierende Zeitlichkeit in St. Erkenwald: Kohärenz, Kennerschaft und die spätmittelalterliche Stabreimdichtung Englands. In: Susanne Köbele u. a. (Hg.): Lyrische Kohärenz im Mittelalter. Spielräume - Kriterien - Modellbildung. Heidelberg 2019 (GRM 94), S. 297 - 334, hier S. 314 ff. Zu den Schwierigkeiten der Datierung vgl. ebd., S. 313, Anm. 44. 63 Erkenwald war in den Jahren 675 bis 693 als Bischof der St. Paul ’ s Cathedral in London eingesetzt und hatte die christliche Missionierung der Angelsachsen vorangetrieben. 64 Zitiert nach Saint Erkenwald. Hg. v. Clifford Peterson. Philadelphia 1977. 3.3 Mit den Toten sprechen: Dantes › Divina Commedia ‹ und › De Erkenwaldo ‹ 83 Da sie so tief in der Erde schürften und gruben, fanden sie wohl geformt auf einem Grund eine wunderschöne Gruft. Da war ein Sarg aus einem massiven Stein, hervorragend zurechtgehauen, mit Wasserspeiern geschmückt, die alle aus grauem Marmor waren. Der Riegel des Sarges, der ihn oben öffnete, war passend aus Marmor gemacht und anmutig geglättet und die Umrahmung war verziert mit hellen goldenen Buchstaben, allerdings waren die Sätze geheimnisvoll, die dort auf einander folgten. Klar und deutlich waren die Schriftzeichen und viele betrachteten sie dort, aber alle grübelten, wie man es aussprechen und erklären sollte. Viele Geistliche mit kahlen Häuptern bemühten sich an diesem geweihten Ort umsonst darum, Wörter aus den Zeichen zu bilden. Die Entdeckung einer bis dahin unbekannten Gruft der Vorzeit lässt die Bewohner Londons gewahr werden, dass sie nicht im vollständigen Besitz ihrer eigenen Geschichte sind, trotz des erheblichen Aufwands, alle Spuren der Vergangenheit einer neuen christlichen Architektur einzuverleiben. 65 Selbst die kahlköpfigen homines litterati müssen an dem Versuch scheitern, die vigures auf dem Deckel zu entziffern und so die Herkunft des kostbaren Sarges zu bestimmen. Der Wunsch, der eigenen Geschichte habhaft zu werden, wird in dem Moment unterminiert, als sich ein hermeneutisches Unvermögen offenbart: Die Schriftzeichen sehen in ihrer Figürlichkeit zwar aus wie Buchstaben (lettres) und sind als solche ordentlich voneinander abgesetzt und deutlich erkennbar (fulle verray), sie entziehen sich aber den Bezeichnungskonventionen der Londoner Bürger. 66 In anderen Worten: Zwar ist erkennbar, dass es sich bei dem signum datum um ein Grabmal handelt, doch ist der symbolische Kode der Schriftzeichen verloren gegangen, um das Repräsentamen in Bezug auf sein bezeichnetes Objekt, den Verstorbenen, zu entschlüsseln. Als problematisch erweist sich damit die schon bei Roger Bacon beschriebene Relationalität von Zeichen. Demnach konstituiert sich das (Schrift-)Zeichen nicht nur durch seine Beziehung zum Bezeichneten, sondern auch durch die Beziehung zum Zeichenbenutzer, für den es etwas bedeutet. Zutage tritt die Arbitrarität eines tief in der Erde überdauerten Schriftsystems, das sich nur mehr anhand seiner prächtigen Materialität lesen lässt, dessen Bedeutung den neuen Zeichenbenutzern aber verborgen bleibt. 67 65 Ausführlich äußert sich zu Memorialpraktiken und der Konstruktion kollektiver Erinnerung Cynthia Turner Camp: Spatial Memory, Historiographic Phantasy, and the Touch of the Past in St. Erkenwald. In: New Literary History 44.3 (2013), S. 471 - 491. 66 Das Unvermögen, dem Text seine Bedeutung abzuringen, lässt sich mit Assmann weiter begrifflich differenzieren. Sie hat den »schnellen schlauen Blick durch die Oberfläche«, wie ihn die »verschiedenen Techniken des Anzeichenlesens« erfordern von dem »langen faszinierten Blick, der sich von der Dichte der Oberfläche nicht abzulösen vermag« unterschieden (Aleida Assmann: Die Sprache der Dinge. Der lange Blick und die wilde Semiose. In: Hans Ulrich Gumbrecht u. K. Ludwig Pfeiffer (Hg.): Materialität der Kommunikation. Frankfurt a. M. 1988, S. 237 - 251, hier S. 241). Mit dieser Unterscheidung lassen sich nicht nur zwei grundsätzliche Formen der Rezeption von Schrift benennen, sondern es wird auch auf die › Übergängigkeit ‹ von Schrift und Bild hingewiesen: »Der Text wird selbst zum Bild, das den Betrachter in den Bann schlägt und ihm nicht gestattet, kurzerhand zur Sache zu kommen« (ebd.). Die als semiotische Interferenz angelegte Dialektik zwischen der Semantizität und Materialität von Schrift haben auch Strätling und Witte in Anschluss an Assmann als ein Paradoxon der »sichtbaren Unsichtbarkeit« von Schrift bezeichnet (Susanne Strätling u. Georg Witte: Die Sichtbarkeit zwischen Evidenz, Phänomenalität und Ikonizität. Zur Einführung in diesen Band. In: Dies. (Hg.): Die Sichtbarkeit der Schrift. München 2006, S. 7 - 20, hier S. 8). Im › Erkenwald ‹ zeichnet sich die Schrift gerade nicht durch Unsichtbarkeit aus, sondern wird vielmehr zu einem Störfaktor, durch den man nicht › hindurchsehen ‹ kann. 67 Der Sarg wurde in der Forschung mehrfach als Metapher gelesen. Smith sieht darin »nothing so much as the death of memory itself«, vgl. D. Vance Smith: Crypt and Decryption: Erkenwald Terminable and Indeterminable. In: New Medieval Literatures 5 (2002), S. 59 - 85, hier S. 61. Kowalik hat den Sarg dagegen mit einem verschlossenen Buch verglichen, das erst allmählich zum Sprechen gebracht wird, vgl. Barbara 84 3 Sepulkrale Vermittlung zwischen Immanenz und Transzendenz Die Alterität der Zeichen wird über die etymologische Verwandtschaft des Geheimnisvollen und Runenhaften im prädikativ verwendeten Lexem roynyshe konstituiert und mit Hinweis auf ihre artikulatorische Unbestimmbarkeit gesteigert. Denn obgleich die Zeichen wie gewohnt sukzessiv aufeinander folgen (on row), sind sie mit keinem Laut in Verbindung zu bringen. In der unternommenen Anstrengung, sie in den Mund zu nehmen und ihnen Ausdruck zu verleihen (to mouthe), klingt die Vorstellung der lectio divina an, nach der die Heilige Schrift gleich einer Speise zu Munde geführt, zerkaut, geschmeckt und genossen wird. 68 Doch auch dieser Versuch, zur Sinnhaftigkeit der Worte vorzudringen, bleibt erfolglos. Der Passus zeigt deutlich, welche spezifischen Erwartungen sich an das Erscheinen von Schriftlichkeit binden: Im Gegensatz zu einem piktoralen Medium zeichnet die vorgefundenen Figuren auf dem Sarg eine Zwischenräumlichkeit aus, die die einzelnen goldenen Buchstaben innerhalb der syntagmatisch entfalteten Zeichenkette voneinander abhebt. Der gewissermaßen automatisiert erfolgende Versuch, zum Sinn hinter den Worten vorzudringen, wird jedoch durch die fremden Buchstaben abgewehrt, die sich den Betrachtern in ihrer ungewohnten Materialität gleich einer Störung in den Weg stellen und sich weder sinnlich noch mithilfe hermeneutischer Praktiken erfassen lassen. Mit der Unverfügbarkeit von Bedeutung kündigt sich ein Verlust von semasiologischer Kontrolle an, die schließlich aber durch Bischof Erkenwald zurückgewonnen werden kann. Er belebt den Geist des Toten und macht so die ferne Vergangenheit in dessen wiedergewonnener Präsenz erfahrbar. Obgleich die Schriftzeichen bis zum Schluss keiner Deutung unterzogen werden, gelingt es Erkenwald kraft seiner Totenbeschwörung den Sarkophag in den christlichen Glauben zu integrieren. Im Unterschied zur Schrift scheint sich das gesprochene Wort nicht den geläufigen Konventionen zu widersetzen - der mündliche Austausch mit den Toten vollzieht sich wie in Dantes › Divina Commedia ‹ gänzlich unproblematisch. Der sprechende Geist wird zum Medium, das zwischen Immanenz und Transzendenz vermittelt und Auskunft über die vorchristliche Vergangenheit Londons gibt. Durch eine Träne des Bischofs wird der gerechte Geist schließlich › getauft ‹ , damit in die Gemeinschaft der christlichen Seelen eingegliedert und kann zu Staub zerfallen. Anders als bei Dante wird der Sarkophag folglich nicht in den Dient einer damnatio memoriae gestellt, sondern mit der Erinnerung an die wundersame Tat des Bischofs überschrieben. Im Gegensatz zu seiner Funktion als Schlussgebungsfigur im hagiographischen Kontext ist das Grabmal in › De Erkenwaldo ‹ Zeichen der Fremdheit und Antikizität, das durch die sinnbildlich vollzogene Taufe aufgelöst und dem Christentum einverleibt werden kann. Vor dem historischen Hintergrund der Bekehrung der Angelsachsen wird Erkenwalds Episkopat zum Ausdruck einer Missionierungsgewalt, die selbst die Toten christianisiert. Zugleich scheinen auch in dieser Erzählung Zweifel auf an der überzeitlichen Signifikationskraft der Zeichen. Grabmal und Grabschrift befremden die Betrachter und vertiefen die historische Distanz zur Londoner Vorzeit, während Stimme und Träne als Kommunikationsformen des heiligen Körpers die Toten erst präsent machen und Vergangenheit und Gegenwart durch Remortifikation verschmelzen. Kowalik: Traces of Romance Textual Poetics in the Non-Romance Work Ascribed to the Gawain-Poet. In: John Simons (Hg.): From Medieval to Medievalism. New York 1992, S. 41 - 53, hier besonders S. 50. 68 Vgl. Wenzel 1995, S. 228 - 240. 3.3 Mit den Toten sprechen: Dantes › Divina Commedia ‹ und › De Erkenwaldo ‹ 85 4 Das antike Grabmal im Lichte der Weltreichlehre Unter der Sigle C 58 (275) verbirgt sich eine lateinisch-deutsche Sammelhandschrift, die um 1200 von einem alemannischen Kleriker angelegt wurde und heute in der Zentralbibliothek Zürich verwahrt wird. Die darin versammelten Texte präsentieren einen »Querschnitt durch alle vier Fakultäten des Lehrbetriebs«, denn ihr Spektrum reicht von Grammatikversen über medizinische Traktate bis hin zu juristischen Exzerpten und Predigtabschriften. 1 Folgt man dem Hinweis einiger Gedichte, die den Aufbruch deutscher Kleriker nach Frankreich thematisieren, könnte es sich auch bei dem Redaktor und Schreiber von C 58 um einen deutschen Gelehrten handeln, der seine Bildung an einer der großen Schulen Frankreichs erhielt. 2 Der volkssprachige Anteil der Handschrift, der gegenüber den lateinischen Texten nur etwa vier Prozent ausmacht, 3 ist erstmals mit der 36. Auflage von › Minnesangs Frühling ‹ ins Interesse der germanistischen Forschung gerückt, da die Ausgabe seither durch drei aus C 58 entlehnte paargereimte Sprüche (»Namenlos I - III«) eingeleitet wird. 4 Die Sprüche sind für die alemannische Handschrift in gewisser Weise charakteristisch, da sie überhaupt einen großen Bestand an Kleindichtung aufweist, zu dem auch zahlreiche epigrammatische Epitaphe gehören. Ein Blick in den Handschriftenkatalog der Zentralbibliothek Zürich verrät, dass C 58 hinsichtlich lateinischer Epitaphdichtung einen geradezu exzeptionellen Status unter den in Zürich verwahrten Handschriften aufweist, da 37 der 45 im Katalogregister verzeichneten Epitaphe gerade dort überliefert sind. 5 Dass sich die Grabinschriften ausgerechnet in einer klerikalen Studienkompilation häufen, erhärtet den Verdacht, die lateinische Epitaphdichtung könnte in gelehrten Kreisen um 1200 die Funktion von Übungsstücken erfüllt haben. In Anlehnung an bewährte Muster (wie das Vergil- Epitaph, dessen Eingangsworte Mantua me genuit über Jahrhunderte hinweg modellbildend wirkten) ließen sich die Regeln der Rhetorik und Metrik an den (fingierten) Grabinschriften exemplarisch einüben. Zu dieser Vermutung passt auch, dass die Grabinschriften, die sich in C 58 auf fol. 4 - 8 verdichten und danach über die gesamte Handschrift verteilen, antike Helden oder biblische Figuren gleichermaßen rühmen wie namenlose Typen (beispielsweise Nr. 53 De inpio hospite Epitaphium) oder zeitgenössische Geistliche und Gelehrte. 6 Unter den Epitaphen in C 58 befinden sich auch zwei Variationen auf Hektor sowie eine fingierte Ich-Inschrift auf Achill. Diese und das zweite einzeilige Epitaph für Hektor wurden im 1 Vgl. Henrike Lähnemann: Versus de despectu sapientis. Ein Einblick in die lateinisch-deutsche Literaturszene um 1200. In: Christiane Ackermann u. Ulrich Barton (Hg.): Texte zum Sprechen bringen. Philologie und Interpretation. FS Paul Sappler. Tübingen 2009, S. 19 - 33, hier 22. 2 Vgl. Lähnemann 2009, S. 21 f. 3 Zu den deutschen Textanteilen vgl. die Übersicht im Marburger Repertorium: http: / / www.handschrif tencensus.de/ 1282. 4 Vgl. Lähnemann 2009, S. 20 f. 5 Vgl. Leo Cunibert Mohlberg: Mittelalterliche Handschriften. Zürich 1932 (Katalog der Handschriften der Zentralbibliothek Zürich I), S. 542. 6 Die lateinischen Texte aus C 58 sind ediert, sie liegen vor in Jakob Werner: Beiträge zur Kunde der lateinischen Literatur des Mittelalters. Aus Handschriften gesammelt. Aarau 1905. 19. Jahrhundert in die › Anthologia Latina ‹ aufgenommen. 7 Neben den Auszügen aus C 58 enthält die Anthologie viele weitere spätantike und frühmittelalterliche Grabdichtungen auf die Helden des trojanischen Kriegs, die in ganz Europa zirkulierten. Um das Phänomen der Epitomisierung des Trojanischen Kriegs soll es im ersten Unterkapitel gehen, das sich neben der › Anthologia Latina ‹ auch den Troja-Epitaphen des Ausonius widmet, die ebenfalls im Mittelalter überliefert wurden. Das Andenken an den Tod der Helden vor Troja, das in der sepulkralen Epitome formelhaft verdichtet wurde, konnte seinerseits Eingang in epische Großformen um 1200 finden. Dies bezeugt Walters von Châtillon › Alexandreis ‹ , die Ende des 12. Jahrhunderts in Nordfrankreich entstand und Achills Andenken ebenfalls mit einer archaischen Ich-Inschrift versieht. Neben dem Epitaph für Achill begegnen in dem Epos noch weitere Grabmäler, die Alexander für seine Erzfeinde, das persische Königspaar Darius und Stateira errichtet haben soll. Diese sind jedoch anderer Art: Sie setzen der antiken Ich-Botschaft monumentale und bilderreiche Sepulkralarrangements entgegen, in denen ein umfassendes Verständnis von Raum und Weltzeit entfaltet wird. Die schulmäßig pointierte Inschrift weicht so dem antiken visuellen Verfahren der Ekphrasis, das nicht nur in der lateinischen, sondern auch in der volkssprachigen Großdichtung des Hochmittelalters Anwendung fand. Ein ähnlich komplexes Sepulkralarrangement wie in der › Alexandreis ‹ bietet schließlich auch das imposante Grabmal für Hektor im › Roman de Troie ‹ des Benoît de Sainte-Maure (um 1165). Während das Epitaph und der auf einem Thron aufgebahrte Leichnam auf den Kriegshelden Hektor verweisen (Identifikationsprinzip), spiegelt sich in der Materialität des Baus eine symbolische Referenz auf die göttliche Schöpfung und die Hoffnung auf ihre Vollendung. In Anlehnung an die pansemiotische Betrachtung der Welt, nach der das ganze Universum ein Zeichen göttlicher Offenbarung ist, referenzieren die einzelnen Bestandteile der Architektur die Himmelsstadt Jerusalem. Das ist umso bemerkenswerter, als es sich hier nicht um die (erzählte) Zeichenhaftigkeit der natürlichen Welt handelt (signa naturalia), sondern um literarische Imaginationen von Herrschaftsräumen, also um signa data, vom Menschen eingesetzte Zeichen. Im Rückgriff auf das antike Verfahren der Ekphrasis beginnt die lateinische und volkssprachige Literatur des späten 12. Jahrhunderts folglich, Chronotopien zu entwerfen, in denen biographische Zeit, Herrschaftszeit und universale Weltzeit miteinander korreliert werden. 8 Das Grabmal erweist sich dafür als prädestiniert, weil sich an ihm gerade das Ende von Herrschaft symbolisch ins Bild setzen lässt. Das Wissen um den Untergang Trojas wurde im Mittelalter als historisch verbürgte Wahrheit betrachtet, es bezog seine Durchsetzungskraft aus dem in europäischen Herrschaftshäusern weit verbreiteten Anspruch, genealogisch von den Trojanern und Römern abzustammen. Im Lichte der translatio imperii-Lehre wurden antike Gründungssagen so zu einem wichtigen Faktor für die Legitimation monarchischer Filiationen. Zahlreiche Völker und Nationen - von den Franken über die Normannen und Briten bis zu den Habsburgern - führten ihr Geschlecht bis ins 16. Jahrhundert hinein auf den Trojaner und Romgründer Aeneas und 7 In der Ausgabe von Werner die Nr. 22, 23 und 215. 8 Grundlegend zur Ekphrasis vgl. Haiko Wandhoff: Ekphrasis. Kunstbeschreibungen und virtuelle Räume in der Literatur des Mittelalters. Berlin/ New York 2003 (Trends in Medieval Philology 3). 88 4 Das antike Grabmal im Lichte der Weltreichlehre seine Nachfahren zurück. 9 Die Entfaltung des Grabmalmotivs in der mittelalterlichen Epik und Romanliteratur lässt sich folglich doppelt begründen: Einerseits fungiert das Grabmal als symbolischer Ort für die Visualisierung des Konzepts der translatio imperii, andererseits steht es ganz im Einklang mit dem im Hochmittelalter zunehmenden Bedürfnis weltlicher Fürsten, ihrem Geschlecht in Schrift und Bild eine anhaltende memoria zu stiften. 4.1 Epitomisierung des Trojanischen Kriegs 4.1.1 Hektor und Achill in der › Anthologia Latina ‹ Anders als die griechische › Anthologia Palatina ‹ verfügt die von Franz B ÜCHELER und Alexander R IESE im 19. Jahrhundert angelegte › Anthologia Latina ‹ , eine Sammlung (spät-)antiker und frühmittelalterlicher Kleindichtung, die in Handschriften des 8. - 12. Jahrhunderts überliefert ist, zwar nicht über ein ganzes liber, das ausschließlich aus Grabepigrammen besteht. Doch auch hier begegnen zahlreiche epitaphia sowie ihnen generisch anverwandte elogia auf berühmte Männer der Antike. 10 Insbesondere die in der › Anthologia Latina ‹ enthaltene Sammlung der › Carmina XII sapientum ‹ (mutmaßlich aus dem 4./ 5. Jahrhundert), 11 die im Mittelalter breit überliefert wurde, 12 weist mehrere in Gruppen zusammengefasste epitaphische Kurzgedichte auf. Von den insgesamt zwölf Zyklen, die je zwölf Variationen auf verschiedeneThemen bieten, widmen sich drei Zyklen exklusiv der Gestaltung von Grabinschriften. Während Zyklus II und VI (Anth. Lat. 507 - 518 und 555 - 566) zwölf zweizeilige und zwölf vierzeilige Epitaphvariationen auf Vergil liefern, die sich unterschiedlich stark an dem bei Sueton überlieferten Zweizeiler Mantua me genuit orientieren, besteht Zyklus X aus zwölf Hexasticha, in denen Leben, Verdienste und Tod des Staatsmannes Cicero thematisiert werden. 13 Da die einzelnen Epigramme innerhalb der Zyklen jeweils auf zwölf Weise verteilt und ihre typischen Komponenten (biographische Eckdaten, Auszeichnungen, Werke und Todesumstände der 9 Vgl. Franti š ek Graus: Troja und trojanische Herkunftssage im Mittelalter. In: Willi Erzgräber (Hg.): Kontinuität und Transformation der Antike im Mittelalter. Sigmaringen 1989, S. 25 - 43; Michael Borgolte: Europas Geschichten und Troia. Der Mythos im Mittelalter. In: Joachim Latacz (Hg.): Troia. Traum und Wirklichkeit. Stuttgart 2001, S. 190 - 203. Der Entstehung der altfranzösischen Antikenromanen am Hofe Heinrichs II. wird eine politisch-ideologische Intention zu Grunde gelegt; dazu kritisch äußert sich Udo Schöning: Thebenroman - Eneasroman - Trojaroman. Studien zur Rezeption der Antike in der französischen Literatur des 12. Jahrhunderts. Tübingen 1991, S. 18 - 22. 10 Explizit als epitaphia oder als Grabgedichte werden carmina 80, 345, 354, 400 - 404 (Epitaphe auf Pompeius), 413, 432, 454 - 456, 487 a, 487 c (Epitaph auf Terenz), 507 - 518, 555 - 566, 603 - 614, 630, 631, 662, 667 (Epitaph auf Seneca), 668 (Epitaph auf Lukan), 670 (Epitaph auf Monica), 708, 801, 831 - 854, 850 (Epitaph auf Caesar), 855 b (Epitaph auf Alexander den Großen), 855 d sowie 945 ausgewiesen. Ich folge der Zählung der Anthologia latina sive Poesis supplementum. Hg. v. Franz Bücheler u. Alexander Riese, von A. Riese überarb. Neuausgabe, Bd. 1: Carmina in codicibus scripta, Fasz. 1 u. 2. Leipzig 1964. 11 Zur Datierung vgl. Anne Friedrich: Das Symposium der XII Sapientes. Kommentar und Verfasserfrage. Berlin/ New York 2002, S. 4 - 8. 12 Rosellini hat mithilfe römischer Handschriftenkataloge rund 400 mittelalterliche Handschriften ausfindig gemacht, in denen die Sammlung vollständig oder fragmentarisch überliefert ist und vermutet, dass es weitere Textzeugen gibt, vgl. Michela Rosellini: Sulla tradizione dei Carmina duodecim sapientum (Anth. Lat. 495 - 638). In: Rivista di Filologia Classica 122 (1994), S. 436 - 463, hier S. 436. 13 Zur ausführlichen Kommentierung der einzelnen Zyklen vgl. Friedrich 2002. 4.1 Epitomisierung des Trojanischen Kriegs 89 Verstorbenen) im Rahmen der vorgegebenen Länge je unterschiedlich pointiert werden, entsteht der Eindruck, die Weisen konkurrierten um eine besonders prägnante und rhetorisch vollendete Darstellungsweise. Die Sammlung erscheint einerseits von der antiken Tradition des Totengedenkens geprägt, das sich in Rom seit der republikanischen Zeit etabliert hatte und in der rühmenden öffentlichen Ausstellung des cursus honorum und der res gestae manifestierte. 14 Andererseits zielt der in den carmina überlieferte Wettkampf der sapientes ja gerade nicht auf dauerhafte Konsolidierung in Stein oder robusten Memorialmaterialien, sondern entfaltet sich in einem gelehrten Spiel der variatio und aemulatio tradierter Formen des Totengedenkens. Dabei wird wiederholt argumentativer Gebrauch vom scripta-manent-Topos gemacht, 15 wobei die scripta hier nicht wie üblich den flüchtigen Worten (ora volant), sondern der Vergänglichkeit des Leibes entgegengesetzt werden. Ist der Staatsheld auch sterblich, kann seine fama dank der literarischen Überlieferung doch überdauern. Die unterschiedliche Akzentuierung dessen, was erinnert werden soll, zeugt nicht nur vom künstlerische Ringen um die eleganteste Form, sondern lässt auch die Frage nach Selektierbarkeit und Kombinierbarkeit von biographischer Information in den Vordergrund treten, die ein persönliches Andenken prägen. Die Erinnerung an die viri illustres der Antike wird in den › Carmina XII sapientum ‹ so in einen dynamischen Aktualisierungs- und Aushandlungsprozess eingebunden. Neben den Grabinschriften für Vergil und Cicero enthält der polymetrische Zyklus XII auch eine Reihe von Epigrammen auf mythische Helden (Herkules, Orpheus, Achill und Hektor). Wenngleich nicht explizit als solche betitelt, weisen die Gedichte auf Hektor und Achill deutliche Züge des Epitaphischen auf: Wird Hektor einleitend mit den elogischen Epitheta defensor patriae und iuvenum fortissimus versehen, erklingt Achills Stimme in einer Inschrift aus der ersten Person, die auch im Tode noch heroische agency bewahrt (Pelides ego sum, Thetidis notissima proles, Anth. Lat. 629, 1) und seinem Zorn über den an ihm hinterrücks verübten Mord emphatischen Ausdruck verleiht. 16 Beide Epigramme enden mit einer flektierten Form des Substantivs humus. Während im Hektor-Epitaph die anfangs genannte Todesursache (Occubuit telo violenti victus Achillis, Anth. Lat. 630, 3) zum Schluss durch den deiktischen Hinweis auf Bestattung durch den Vater in der d i e s seitigen Erde ergänzt wird (Sed raptum pater infelix auroque repensum | Condidit et maerens hac tumulavit humo, Anth. Lat. 630, 9 f.), nennt Achill im letzten Satz den eigentlichen Grund seiner Klage: Gefallen durch heimtückischen Mord liegt er in der f e i n d l i c h e n Erde begraben (Laudibus inmensis victor super astra ferebar, | Cum pressi h o s t i l e m fraude peremptus h u m u m , Anth. Lat. 629, 9 f.). 14 Vgl. Petrucci 1995, S. 23 - 34. Nirgendwo tritt der Kult um die öffentlich ausgestellte memoria exemplarischer entgegen als in der »Königin der antiken Inschriften« (Theodor Mommsen), den Res gestae divi Augusti, dem einstmals vor dem Augustus-Mausoleum aufgestellten und in der ersten Person abgefassten Leistungsbericht des Kaisers Augustus, vgl. Augustus: Meine Taten. Res Gestae Divi Augusti nach dem Monumentum Ancyranum, Apolloniense und Antiochenum. Lateinisch / Griechisch / Deutsch. Hg. v. Ekkehard Weber. 6., überarb. Aufl. Düsseldorf/ Zürich 1999 (Sammlung Tusculum), S. 7. 15 Allein der Cicero-Zyklus enthält nach Friedrich sechs Belegstellen, in denen auf die Überdauerung des vergänglichen Leibes durch den Ruhm der Schrift verwiesen wird, vgl. Friedrich 2002, S. 202. 16 Darin spiegelt sich eine Eigentümlichkeit griechischer Grabinschriften wieder, die seit der frühen Antike in Ich-Form an die Vorübergehenden appellierte. Vgl. dazu Timo Christian: Gebildete Steine. Zur Rezeption literarischer Techniken in den Versinschriften seit dem Hellenismus. Göttingen 2015 (Hypomnemata 197). 90 4 Das antike Grabmal im Lichte der Weltreichlehre Da die epitaphischen Epigramme der › Anthologia Latina ‹ ein breites Spektrum an bekannten und unbekannten, mythischen und historischen Persönlichkeiten entwerfen, speisen sich die Nachrufe aus sehr unterschiedlichen Quellen. Viele der Epigramme haben Vorbilder in der römischen, teils auch in der griechischen Dichtung, die zur Grundlage der gelehrten variatio gereichten. 17 Aufgrund der Kürze und Geschlossenheit eignet dem Epitaph jedoch eine besondere Anpassungsfähigkeit: Es kann sentenzhaft für sich stehen, Sammlungen begründen, die das Thema Tod und Gedächtnis variieren oder sich als Mikrotext in andere Textsorten einfügen. Historische Persönlichkeiten wie Cicero, Vergil oder die Helden des griechischrömischen Kollektivmythos boten dabei immer wieder einen beliebten Ausgangspunkt, um signifikante Ereignisse der Vergangenheit mit selektierten Kürzestbiographien zu verknüpfen und sie im Zusammenhang der jeweiligen Gegenwart zu aktualisieren. 4.1.2 Heldengedenken bei Ausonius Ein weiteres Beispiel für eine epitaphisch verdichtete memoria der Helden des Trojanischen Kriegs findet sich bei Ausonius. Die betreffenden Gedichte, die › epitaphia heroum qui bello troico interfuerunt ‹ , sind im Codex Leidensis Vossianus Latinus 111 überliefert, der in Lyon verfasst wurde und in das zweite Viertel des 9. Jahrhunderts datiert wird. Dort stehen sie neben den Gedichten und Bibelerzählungen der christlichen Autoren Paulinus von Nola, Dracontius, Sedulius, Venantius Fortunatus und Theodulf von Orléans. Ferner werden die › epitaphia heroum ‹ auch von einer Gruppe aus mehr als zwanzig italienischen Humanistenhandschriften bezeugt (ein Zweig, der üblicherweise unter der Sigle Z firmiert). Es handelt sich um eine Sammlung von 26 Epitaphen, die Ausonius während seiner Tätigkeit als Grammatiker und Rhetoriker in Bordeaux verfasst haben soll, bevor er zwischen 364 und 368 als Prinzenerzieher an den Trierer Hof des Kaiser Valentinian gerufen wurde. Mithilfe eines inter- und metatextuellen Referenzsystems wird der Literatur darin wiederholt ein Vorrang gegenüber monumentalen Medien des Totengedenkens eingeräumt. Die Epitaphe sind zwölf griechischen und vierzehn trojanischen Helden gewidmet und teils im Hexameter, überwiegend aber im Distichon abgefasst. Jedes Gedicht ist mit dem jeweiligen Namen der bedachten Figur betitelt. 18 In seinem Vorwort bringt der Verfasser die › epitaphia 17 Besonders das Hektorepitaph hat in der Forschung Aufmerksamkeit erfahren, vgl. dazu Jonas Grethlein: Memory and Material Objects in the Iliad and Odyssey. In: The Journal of Hellenic Studies 128 (2008), S. 27 - 51 sowie Jenny Strauss Clay: Homer ’ s Epigraph: Iliad 7.87 - 91. In: Philologus 160.2 (2016), S. 185 - 196. 18 In seinem Vorwort verweist Ausonius auf einen philologum quendam, vielleicht den bei Eustathius erwähnten Porphyrius, der die Neufassung einer griechischen Epigrammsammlung des pseudoaristotelischen Peplos besorgt haben soll. Wahrscheinlich hat Ausonius die Sylloge für seine eigene (lateinische) Sammlung als Vorbild herangezogen, wobei er sich aber nicht streng an dem Modell orientierte, sondern nach Belieben eigene Epitaphe hinzufügte oder Inhalte modifizierte. Vgl. dazu die Anmerkungen im ausführlichen Stellenkommentar von Green (The Works of Ausonius. Eingel., komm. u. hg. v. R. P. H. Green. Oxford 1991, S. 364) sowie Carlo di Giovine: Ausonio e i modelli greci: Nota a epit. 7 Green (Antilocho). In: Graziano Arrighetti (Hg.): Letteratura e riflessione sulla letteratura nella cultura classica. Atti del convegno, Pisa 7 - 9 giugno 1999. Pisa 200 (Biblioteca di studi antichi 84), S. 235 - 240, hier S. 235. 4.1 Epitomisierung des Trojanischen Kriegs 91 heroum ‹ mit einer anderen Sammlung in Verbindung, die ebenfalls das Andenken verstorbener Personen zum Thema hat: 19 Ad rem pertinere existimavi ut vel vanum opusculum materiae congruentis absolverem et libello, qui commemorationem habet eorum qui vel peregrini 〈 Burdigalensesve Burdigalae vel 〉 Burdigalenses peregre docuerunt, epitaphia subnecterem [scilicet titulos sepulchrales] heroum qui bello Troico interfuerunt. (Auson. epitaph. 1 - 6) 20 Ich glaubte, dass es dazugehörte, so dass ich dieses gewiss unbedeutende kleine Werk verwandten Inhalts vollendete und zu dem Buch, das denen eine Erinnerung stiftet, die entweder als Fremde oder Gebürtige in Bordeaux oder als Lehrer aus Bordeaux in der Fremde unterrichtet haben, die Epitaphe der Helden, die am trojanischen Krieg beteiligt waren, hinzufügte. Blickt man hingegen in die praefatio jenes libellus, von dem hier die Rede ist, die › commemoratio professorum Burdigalensium ‹ , in der Ausonius an die früheren Rhetoren und Grammatiker aus Bordeaux erinnert, so findet sich dort ein weiterer Bezug auf eine Epitaph-Sammlung, nämlich die parentalia: Vos etiam, quos nulla mihi cognatio iunxit, sed fama et carae religio patriae et studium in libris et sedula cura docendi, commemorabo viros morte obita celebres. (Auson. comm. prof. Burd. 1 - 4) Auch eurer, die ihr mir zwar verwandtschaftlich nicht verbunden seid, dafür aber durch den guten Ruf, durch die Verpflichtung gegenüber der lieben Heimat, durch die Vorliebe für die Schriften und das eifrige Interesse am Unterrichten, eurer, ihr berühmten Männer, werde ich nach dem Tod gedenken. Das durch selbstreferenzielle Verweise evozierte › Epitaph-Triptychon ‹ besteht folglich aus drei miteinander verklammerten Sammlungen, die das persönliche und kollektive Andenken miteinander in Bezug setzen: Verbindet den Dichter in den › parentalia ‹ die Verwandtschaft mit den Verstorbenen, so tritt in der › commemoratio professorum Burdigalensium ‹ eine heimatlich assoziierte Berufungs- und Interessensgemeinschaft an ihre Stelle, die schließlich, im dritten Teil, durch die › epitaphia heroum ‹ , ein heroisches Kollektiv ergänzt wird, das zum kulturellen Gedächtnis des Römischen Reiches gehört - schließlich ist die Vernichtung des Trojanergeschlechts nicht nur Urszenenario des römischen Gründungsmythos, sondern auch ein bedeutender literaturgeschichtlicher Bezugspunkt. Eine besondere Pointe der › epitaphia heroum ‹ besteht zudem darin, dass die trojanischen Epitaphe, die auf die Grabinschriften der griechischen Helden folgen, nicht analog mit König Priamus einsetzen. Nach dem Auftakt von Agamemnon und Menelaus auf griechischer Seite, macht in der trojanischen Reihe dagegen ausgerechnet jener Prinz den Anfang, dem gar kein Grabmal vergönnt gewesen ist: 19 Auf die Verbindung der drei Werke verweist schon Wolff. Für ihn hat die Assoziation der drei Sammlungen vornehmlich einen valeur symbolique: »souligner le lien entre la culture scolaire et la production littéraire« (Étienne Wolff: Quelques remarques sur le Epitaphia d ’ Ausone. In: Vita Latina 191 - 192 (2015), S. 131 - 142, hier S. 133). 20 Zitiert nach Decimus Magnus Ausonius: Opera. Eingel. u. hg. v. R. P. H. Green. Oxford 1999 (Scriptorum classicorum bibliotheca Oxoniensis). Die textkritischen Anmerkungen stammen vom Herausgeber. Konjekturen werden mitübersetzt, athetierte Passagen in der Übersetzung ausgespart. 92 4 Das antike Grabmal im Lichte der Weltreichlehre Deiphobo Proditus ad poenam sceleratae fraude Lacaenae et deformato corpore Deiphobus non habeo tumulum, nisi quem mihi voce vocantis et pius Aeneas et Maro composuit. (Auson. epitaph. 13, 1 - 4) Epitaph für Deiphobus Durch den Betrug der verruchten Spartanerin [sc. Helena] der Strafe ausgeliefert und am ganzen Körper entstellt, habe ich, Deiphobus, kein Grab außer dem, das mir mit der Stimme des Rufenden sowohl der fromme Aeneas als auch Vergil bereitet haben. Leicht hätte Deiphobus ’ Tod in Vergessenheit geraten können, wäre die Begegnung mit seinem verstümmelten Schatten nicht als Episode in die Unterweltsfahrt der › Aeneis ‹ eingegangen, in deren Verlauf die Opfer des trojanischen Kriegs noch einmal zu Wort kommen können. In voce vocantis, einer Vergil entlehnten Figura Etymologica, wird das Dilemma des Deiphobus gespiegelt, der, da sein Leichnam nicht mehr auffindbar ist, kein Epitaph erhält und damit auch für immer seine › Stimme ‹ verliert. Bei ihrer Begegnung tröstet Aeneas den Verstorbenen damit, dass er ihm immerhin ein stellvertretendes, leeres Grab errichtet und seinen Manen angerufen habe (vgl. Verg. Aen. 6, 505: magna [. . .] voce vocavi). 21 So erhält Deiphobus durch Aeneas seine Stimme zurück. Und es klingt die Vorstellung an, dass die Gefahr der körperlichen Vergänglichkeit und des drohenden Vergessens allein durch die Literatur (Vergil) habe gebannt werden können. Auf Deiphobus folgt das noch kürzere Epitaph des Hektor: Hectori Hectoris hic tumulus, cum quo sua Troia sepulta est: conduntur pariter, qui periere simul. (Auson. epitaph. 14, 1 - 2) Epitaph für Hektor Dies ist das Grab des Hektor, mit dem zusammen sein Troja begraben wurde: In gleicher Weise werden die bestattet, die gleichzeitig zugrunde gingen. Warf die vorangehende Grabinschrift die Frage nach dem materialen Vermächtnis der Kriegsverlierer auf, so verbindet sich mit dem Epitaph des Hektor eine pauschal verabsolutierte memoria, die all diejenigen einschließt, die mit ihrem Prinzen gemeinsam dem Krieg zum Opfer fielen. Der deiktische Hinweis (hic) auf die Stelle, wo Hektors Körper begraben liegt, wird auf die personifizierte Stadt ausgedehnt, die zusammen mit ihren Einwohnern zu Grabe getragen wurde. Im Possessivpronomen (sua) verschränken sich Raum- und Zeitperspektiven, s e i n (Hektors) Troja ist die Stadt der intakten Mauern und damit eine Zeit der urbanen Unversehrtheit und Integrität, die mit der Invasion des hölzernen Pferdes an ihr Ende gelangt. Insgesamt viermal verweisen die nachfolgenden Epitaphe der trojanischen Helden zurück auf Hektor, der damit zur zentralen Figur des trojanischen Katalogs wird. 22 Sein Tod nimmt den Fall der Stadt und damit unweigerlich auch die Auslöschung seiner gesamten Dynastie vorweg. Die Bedeutung seines Grabes verdankt sich damit auch dem Umstand, dass sein Leichnam aufgrund 21 Zitiert nach Publius Vergilius Maro: Opera. Hg. v. R. A. B. Mynors. Oxford 1969 (Scriptorum classicorum bibliotheca Oxoniensis). 22 Vgl. die Hinweise auf Hektor in den Epitaphen von Troilus, Priamus (zweifach) und Hekuba. 4.1 Epitomisierung des Trojanischen Kriegs 93 des vorzeitigen Todes im Gegensatz zu Deiphobus und anderen Mitgliedern der königlichen Familie überhaupt eine rituelle Bestattung erhalten konnte. In der Überlieferung folgen auf die › epitaphia heroum ‹ noch weitere Gedichte, die sich zwar nicht mehr mit den trojanischen Helden befassen, wohl aber an dieThematik derTotenmemoria anknüpfen. Unter ihnen befindet sich das Epitaph De nomine cuiusdam Lucci sculpto in marmore, das abschließend in den Blick genommen werden soll, weil es sich gegenüber den vorangehenden Epigrammen wie ein Metaepitaph ausnimmt, das über die fingierte Betrachtung einer verwitterten Grabinschrift seine eigene Überlebensdauer thematisiert: 23 Una quidem geminis fulget set dissita punctis littera; praenomen sic nota sola facit. post M incisum est, puto sic, non tota videtur; dissiluit saxi fragmine laesus apex, nec quisque, Marius seu Marcius anne Metellus hic iaceat, certis noverit indiciis. truncatis convulsa iacent elementa figuris, omnia confusis interiere notis. miremur periisse homines? monumenta fatiscunt; mors etiam saxis nominibusque venit. (Auson. epigr. 37, 1 - 10) Ein einziger Buchstabe nämlich, aber abgesetzt durch zwei Punkte, schimmert hervor, den Vornamen bildet so (.L.) ein einzelnes Zeichen. Danach ist ein M eingeritzt, ich glaube so (. Λ \.) - der Buchstabe ist nicht ganz sichtbar. Die Spitze zersprang, beschädigt durch das Bruchstück eines Steines, und niemand wird mit sicheren Beweismitteln entscheiden, ob hier ein Marius, ein Marcius oder ein Metellus begraben liegt. Die Buchstaben liegen eingerissen in verstümmelten Formen da, alle sind zerstört, nachdem ihre charakteristischen Merkmale unkenntlich geworden sind. Sollen wir uns also wundern, dass Menschen vergangen sind? Die Denkmäler zerfallen; der Tod verschont auch Steine und Namen nicht. Das Bild der Verwitterung stellt infrage, was die Epitaphe der Helden von Troja noch stillschweigend vorausgesetzt hatten: Monumente allein können die Erinnerungen nicht bewahren, weil ihre Materialität nicht vor Vergänglichkeit gefeit ist. 24 Schon im Titel wird dies impliziert, indem der Name des Toten mit einem Indefinitpronomen verbunden wird und sich so einer spezifischen Zuordnung entzieht. Gegenüber den Namen von Aiax, Achill oder Hekuba, die in der mythologischen Tradition unaufhaltsam fortleben, verweigert die beschädigte Abbreviatur des Eigennamens eine eindeutige Referenz auf das Subjekt, das diesen Namen zu Lebzeiten getragen hat. Das anfängliche Aufschimmern der zwischen zwei Punkten 23 Einschränkend muss darauf hingewiesen werden, dass nur der in der Universitätsbibliothek Leiden aufbewahrte Codex Vossianus (V) aus dem 9. Jahrhundert diese Reihenfolge dokumentiert. In der interpolierten Handschriftengruppe (Z) ist De nomine cuiusdam Lucci sculpto in marmore der Gruppe der › epigrammata ‹ zugeordnet. Der Text wird im Folgenden nach dem Wortlaut von V zitiert. 24 Häusle weist auf Parallelstellen hin, etwa bei Martial und Juvenal, die das Bild vom wilden Feigenbaum gebrauchen, der durch sein Wachstum den Inschriftenstein sprengt. Vgl. Hartmut Häusle: Das Denkmal als Garant des Nachruhms. Beiträge zur Geschichte und Thematik eines Motivs in lateinischen Inschriften. München 1980 (Zetemata 75), Anm. 313. Zur antiken literarischen Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen von Steininschriften für die menschliche Erinnerungskultur vgl. auch Stephanie Ann Frampton: Kings of the Stone Age, or How to Read an Ancient Inscription. In: Shane Butler (Hg.): Deep Classics. Rethinking Classical Reception. London u. a. 2016, S. 163 - 178. 94 4 Das antike Grabmal im Lichte der Weltreichlehre deutlich lesbaren Initiale L. fordert den Blick des Lesers heraus, der der Inschrift ihr Wissen über die Vergangenheit entlocken will. Stellte sich der Stein, in dem der Name verewigt wurde, ursprünglich der Grenzziehung zwischen Leben und Tod entgegen, so erscheint der anthropomorphisierte Buchstabenkörper nun selbst verletzt und zugerichtet. Wie die Glieder des begrabenen Toten der Zersetzung preisgegeben sind, liegen auch die Gelenkstellen der Buchstaben verstümmelt da. Nach dem Menschen stirbt nun auch sein Andenken, weil die Zeichenhaftigkeit seines Namens beliebig und die Buchstaben, die eben noch bezeichneten, unkenntlich geworden sind. Mit ihrer materiellen Integrität schwindet die Signifikationskraft; was bleibt, ist nur das rohe, unbearbeitete Material. Anstelle der Deixisformel hic iacet, die auf Identifikation zielt, stellt ein indirekter Fragesatz gleich drei Möglichkeiten zur Auswahl, wer hier liegen könnte - ob es sich bei dem Begrabenen um einen Marius, Marcius oder Metellus handelt, ist nun mehr ungewiss. Das führt den Sprecher zu der Schlussfolgerung, das Einzige, was hier mit Sicherheit l i e g e , seien zersplitterten Buchstaben. Das Epigramm mündet in den pessimistischen Schluss, alle Hoffnung auf ewiges Andenken an den eigenen Namen sei vergebens, ereile der Tod doch nicht nur den Menschen, sondern prinzipiell alles, was materiell und körperlich ist (omnia [. . .] interiere). Räumt man der im Codex Vossianus überlieferten Reihenfolge der Epitaphsammlung einen programmatischen Rang ein, so steht das Vergessen des namentlichen Andenkens an M. Lucius in deutlichem Kontrast zu dem vorangehenden Versuch, an die Toten zu erinnern. Doch in gewisser Weise können die trojanischen Helden sich dem Szenario widersetzen. Denn ihre Unsterblichkeit verdankt sich nicht eigentlich der materialisierten schriftlichen Erinnerung, sondern ihrer Überlieferung als Mythos und damit als Element eines kollektiven und kulturellen Gedächtnisses. Dieses Gedächtnis kann stets neue Formen ausbilden, kann ein Erzählen von Aiax, Achill oder Hekuba episch entfalten, dialogisch inszenieren oder epigrammatisch verdichten. Lucius dagegen, dessen vollständiger Name dem Leser nicht einmal bekannt ist, kann auch über die Steinschrift seinen Nachruhm nicht sichern. Die poetische Überlieferung erweist sich gegenüber der materialen als resistenter, weil ihr Fortleben immateriell gedacht wird und somit unabhängig von der vergänglichen Stofflichkeit ihrer Schriftträger. 4.2 Translatio imperii in Walters von Châtillon › Alexandreis ‹ In Walters von Châtillon › Alexandreis ‹ (um 1170) avanciert das Grabmal zum prädestinierten Ort der translatio imperii. Schrift, Bild, Plastik und räumliches Arrangement werden in dem Epos genutzt, um das Verhältnis zwischen biographischer und heilsgeschichtlicher Zeit zu materialisieren und um damit zugleich den Bezug zwischen der erzählten Vergangenheit und der Erzählgegenwart vor Augen zu führen. Damit leisten die Grabmäler eine Epitomisierung der Heilsgeschichte, die zeigt, dass die epische Erinnerungsstiftung nicht nur auf den weltlichen Nachruhm des Helden zielt, sondern auch auf dessen Stellung in der universalen Weltreichlehre. Die Wirkung der › Alexandreis ‹ ist kaum zu überschätzen: In über 175 Handschriften überliefert, von denen die Hälfte noch aus dem 12. und 13. Jahrhundert stammt, avancierte sie, wie ein Hinweis des Heinrich von Gent aus dem 13. Jahrhundert belegt, in wenigen Jahrzehnten zur Schullektüre. Allem Anschein nach verdrängte sie sogar Vergil und Lukan, die 4.2 Translatio imperii in Walters von Châtillon › Alexandreis ‹ 95 Klassiker des Grammatikunterrichts. 25 Deren epische Erzählungen, die › Aeneis ‹ und das › Bellum civile ‹ , gelten als wichtige Referenztexte der › Alexandreis ‹ . Als historiographische Folie hingegen fungierten die › Historiae Alexandri Magni Macedonis ‹ des Curtius Rufus in zehn Büchern sowie, wo deren Überlieferung abbricht, Julius Valerius ’ lateinische Übersetzung des griechischen Alexanderromans. Ungeachtet ihres intertextuellen Traditionsbezugs zeichnet sich die › Alexandreis ‹ hinsichtlich der Gestaltung erzählter Grabinschriften eher durch Innovation aus. In der römischen Literatur stellen textimmanente Inschriften ein verbreitetes und recht gut erforschtes Phänomen dar, das sich im Wechselverhältnis mit der reichen epigraphischen Praxis der Antike entwickelt hatte. Entsprechend lassen sich lateinische, textimmanente Inschriften in der Literatur der Zeit des Prinzipats zahlreich nachweisen, als die repräsentative Ausgestaltung des öffentlichen Raumes vorangetrieben wurde. 26 In den Epen des Vergil und Lukan werden direkt zitierte Inschriften indes nur sparsam eingesetzt. Sie markieren Situationen, in denen ein öffentlich proklamierter Machtanspruch problematisch erscheint. 27 Bei Lukan fällt das Grabmal sogar so unangemessen aus, dass der Erzähler mit poetischer Verve dagegenhält und dadurch den antiken Konflikt um den Vorrang von Monument oder Poesie bei der Stiftung von Ruhm anklingen lässt. Diese Frage wird auch in der › Alexandreis ‹ aufgeworfen und schließlich durch eine Sepulkralsemiose überwunden, in der Schrift, Bild und Materialität auf außergewöhnliche Weise zusammenwirken. Diese Grabmäler dürfen nicht nur auf der histoire- Ebene einzigartige Geltung beanspruchen, sondern können auch auf der discours-Ebene die Kunstfertigkeit eines Erzählers ausweisen, der Verantwortung fürAlexanders Nachruhm trägt. Insgesamt werden im Laufe der Erzählung vier Grabmäler beschrieben, an denen die translatio imperii vom Reich Babylons über das der Perser bis hin zum Hellenismus veranschaulicht wird. (1) Im ersten Buch trifft Alexander vor Troja auf das Grab seines heroischen Vorbilds Achill (Alex. 1, 468 - 538), dessen Inschrift in archaisierendem Duktus der ersten Person formuliert ist. (2) Im vierten und siebten Buch wird Alexander schließlich selbst zum Stifter zweier Grabmäler, erst für die Perserkönigin Stateira (Alex. 4, 176 - 274), (3) dann für den gefallenen Perserkönig Darius (Alex. 7, 379 - 430), deren detaillierte Beschreibungen jeweils eine längere epische Pause des Geschehens erfordern. Beide Gräber schließen an die voran- 25 Vgl. grundlegend zur Überlieferung und Kommentierung der › Alexandreis ‹ Corinna Killermann: Die mittelalterliche Kommentierung der › Alexandreis ‹ Walters von Châtillon als Fall impliziter antikmittelalterlicher Dependenz und Selbstkonstituierung. In: Jan Cölln u. a. (Hg.): Alexanderdichtung im Mittelalter. Kulturelle Selbstbestimmung im Kontext literarischer Beziehungen. Göttingen 2002 (Veröffentlichung aus dem Göttinger Sonderforschungsbereich 529 »Internationalität nationaler Literaturen«: Serie A: Literatur und Kulturräume im Mittelalter 2), S. 299 - 331. 26 Zur Idee der Materialität der Schrift in der spätrepublikanischen und augusteischen Literatur vgl. Jürgen Paul Schwindt u. a.: Art. › Materialität ‹ . In: Michael R. Ott u. a. (Hg.): Materiale Textkulturen. Konzepte, Materialien, Praktiken. Berlin u. a. 2015 (MTK 1), S. 33 - 46, hier S. 40 - 44. 27 Öfter begegnen Inschriften dagegen in Ovids › Metamorphosen ‹ . Mit der Inschrift am Grabmal verbindet sich darin die Vorstellung, dass der verstorbene Leib wenigstens als Name eine überdauernde Form behält oder dass sich die Klage der Trauernden nachhaltig mit den sterblichen Überresten verbinden kann: Klymene beweint und wärmt das Grabmal Phaetons an ihrer Brust, vgl. Met. 2, 324 - 339, und die Meleagriden umarmen den in Marmor geschnittenen Namen ihres verstorbenen Bruders, vgl. Met. 8, 536 - 541. Alcyope tröstet sich über den Tod ihres Mannes hinweg, indem sie sich in einer imaginierten Grabinschrift erneut mit ihm vereint wähnt, vgl. Met. 11, 704 - 707. Aus dem Blut des Hyacinthus erwächst eine Blume, deren Büten der Gott Apoll mit seinen Seufzern beschreibt, vgl. Met. 10, 196 - 208. Ebenfalls mit Seufzern beschrieben ist die Purpurblume, die aus dem Blut des Aiax sprießt, vgl. Met. 13, 391 - 398. 96 4 Das antike Grabmal im Lichte der Weltreichlehre gehende Beschreibung des Schildes von König Darius an (Alex. 2, 494 - 539), auf der die Geschichte des persischen Volkes abgebildet ist. (4) Zuletzt wird im zehnten Buch Alexanders eigenes Grabmal erwähnt, das weniger Raum als alle anderen Grabmäler erhält und Schrift und Schmuck gänzlich entbehrt. Die im Schild angelegte Genealogie der babylonisch-persischen Herrschaft wird in der Darstellung der Grabmäler des Königspaars schrittweise erweitert. Die alttestamentlichen Motive binden die Gräber zugleich an die Danielprophetie der vier Weltreiche zurück, auf die wiederholt im Epos angespielt wird. 28 Auf diese Weise verleiht das Grabmal der abstrakten Ordnung der Universalgeschichte räumlich konkrete Gestalt. 4.2.1 Achill und der Vorzug des Epos Im ersten Buch schließt die › Alexandreis ‹ auf doppelte Weise an antike epische Modellierungen von Inschriftlichkeit an. Bei seiner Ankunft in Asien macht Alexander sich auf die Suche nach den Spuren der heroischen Vorzeit (Alex. 1, 457: uetustatis saltim uestigia querit). Mit seinem Gang wiederholt er den Ereignisverlauf des trojanischen Krieges und lässt so vor dem geistigen Auge des Lesers die Folie entstehen, vor der anschließend sein eigenerAnspruch auf heroischen Nachruhm erhoben wird. Am Flussrand stößt er zuerst auf eine Pappel, in deren Rinde Worte eingeritzt sind, die jedoch nicht zitiert werden. Sie erinnern an die Liebe des trojanischen Prinzen Paris zur Nymphe Oenone in einer friedlichen Zeit vor dem großen Krieg zwischen Ost und West. Gleich einer Landmarke signalisiert die beschriebene Pappel, dass Alexander ein geschichtsträchtiges Terrain betreten hat. Er setzt seine Erkundungstour fort und gelangt vom Wald ins Tal, wo der Schiedsspruch des Paris gefällt wurde, und von dort zur sagenhaften Burgruine Ilions. Nach mehrfachem Ortswechsel erreicht Alexander das ehemalige Schlachtfeld, das mit Heldengräbern übersäht ist. Doch erst als er das Grab des Achill erblickt, wird der Bericht ausführlicher, bis Erzählzeit und erzählte Zeit schließlich gänzlich zur Deckung gelangen. Achills Grab ist das einzige, das mit einer ausführlich zitierten Inschrift versehen ist. Im Epitaph (epygrammata) verschafft sich ein › Ich ‹ Gehör, das auch im Tode noch heroische agency beansprucht: 29 Tot bellatorum Macedo dum busta pererrat Argolicos inter cineres manesque sepultos, Quos tamen accusant titulis epygrammata certis, Ecce minora loco quam fama uidit Achillis Forte sepulchra sui tali distincta sigillo: › Hectoris Eacides domitor clam incautus inermis Occubui, Paridis traiectus arundine plantas. ‹ (Alex. 1, 468 - 74) Während der Makedonier zwischen griechischer Totenasche und begrabenen Seelen an den Grabhügeln so vieler Krieger umherschweift, welche dieAufschriften mit festgesetzten Ehrentiteln dennoch anklagen, siehe, da entdeckt er zufällig das Grabmal seines Achilles - in seiner Verfassung schlichter als dessen Ruhm - (bloß) mit solchem Zeichen verziert: › Unvermutet bin ich, der Äacide und Bezwinger des Hektor, wehrlos und hinterrücks durchbohrt an den Fußsohlen durch den Pfeil des Paris gefallen. ‹ 28 Vgl. Wulfram 2000, S. 253 - 255. 29 Zitiert nach der Ausgabe von Colker 1978. 4.2 Translatio imperii in Walters von Châtillon › Alexandreis ‹ 97 Der Grabhügel des Achill ist so unscheinbar, dass Alexander ihn nur durch Zufall (forte) entdeckt: Anstelle eines heroischen Memorials, das in der Menge der vor Troja bestatteten Kriegsgefallenen hervortritt, verschwindet Achills Hügel unauffällig in der ilischen Grablandschaft. Nur die prosopopoietisch verfasste Inschrift zeugt noch vom berüchtigten Zorn des Helden, der sich posthum als Hektor-Bezwinger über den ihm widerfahrenen schmachvollen Meuchelmord beklagt. Achill ist zwar gefallen, doch kann er sich als ein inschriftlich manifestiertes › Ich ‹ die Stimme der Vorübergehenden leihen und in solcher Form das Fortbestehen seiner eigenen memoria sichern. 30 Die Effektivität dieser Strategie wird gleichwohl infrage gestellt, da Alexander das Grab eben nur beiläufig entdeckt und es sich in seiner materiellen Präsenz kaum bemerkbar machen kann. In dieser Hinsicht ähnelt die Episode einem Passus in Lukans › Bellum civile ‹ , auf den an dieser Stelle möglicherweise implizit Bezug genommen wird. Darin wird vom Tod des großen Feldherrn Pompeius berichtet, der vor der Küste Ägyptens heimtückisch von einem verräterischen Landsmann, dem römischen Soldaten Septimius, ermordet wird. Noch auf der See trennt Septimius den Kopf vom Rumpf, entnimmt ihm alles Verwesliche, härtet ihn mit einer speziellen Tinktur und spiest ihn als Trophäe auf. Der Rumpf landet im Wasser, wo er zum Spielball des Meeres wird (Bell. civ. 8, 710: ludibrium pelagi) und so heftig deformiert, dass er schließlich aller individuellen Gesichtszüge beraubt ist (ebd.: nulla manente figura). 31 Am Strand entdeckt Cordus, ein ehemaliger Weggefährte des Pompeius, den Leichnam und bereitet ihm ein notdürftiges Begräbnis. Da es plötzlich dämmert und Cordus befürchtet entdeckt zu werden, bricht er die Verbrennung des schon angesengten Leichnams ab, drückt Sand und Asche auf den Überresten fest und versieht einen Felsblock mit der berühmten, schmucklosen und formelhaften Inschrift hic situs est Magnus (Bell. civ. 8, 793). Das dürftige Grab steht in größtmöglichem Kontrast zum Namen des Bestatteten, dem erfolgreichsten Heerführer seiner Zeit, der sich seinerseits siegesbewusst als Nachfolger Alexanders inszeniert hatte. Das bizarre Bild von den verstümmelten, halbverbrannten Gliedern unter einem kümmerlichen Grabstein bleibt nicht unkommentiert: Heftig aufbrausend meldet sich der Erzähler zu Wort und attackiert Cordus für das schlecht verrichtete Werk, für die ungenannten Taten und Werke sowie die fehlende Präsenz des jämmerlichen Grabhügels (Bell. civ. 8, 816: miserabile bustum). Der Name des Pompeius sei so tief auf die Erde niedergedrückt, dass kein Fremder ihn lesen und Reisende aus Rom vorübergehen würden, wenn man sie nicht auf das Grab hinwiese. Im Gegensatz zu Pompeius benötigt Achill keinen auktorialen Erzähler, der Todesumstände und Grabarrangement nachträglich bewertet. Das inschriftlich manifestierte › Ich ‹ kann die Vorübergehenden über das Unrecht seines Todes selbst informieren. Indem es sich die Stimme seiner Leser leiht, suggeriert die Ich-Botschaft, dass Achill noch immer die Autorität über seine schriftliche memoria besitzt. Dieser Eindruck wird jedoch durch die spärliche materielle Präsenz unterminiert. Wäre sein Andenken nicht anderweitig gesichert worden, drohte auch Achill in Vergessenheit zu geraten. Die Anekdote von Alexanders Besuch des Achills-Grabes war in derAntike (und Spätantike) zwar bekannt und verbreitet. Doch wartet sie üblicherweise nicht mit einem Epitaph auf, sondern mit dem auch in der › Alexandreis ‹ folgenden Lamento des Makedonenkönigs. Achill 30 Zu den Implikationen antiker Ich-Inschriften Vgl. Svenbro 1988. 31 Zitiert nach Marcus Annaeus Lucanus: De bello civili libri X. Hg. v. David R. Shackleton Bailey. Berlin 2009 (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana 1502). 98 4 Das antike Grabmal im Lichte der Weltreichlehre könne sich glücklich schätzen, lautet es, dass der große Homer seine Heldentaten überliefert und ihm so ewigen Ruhm beschert hätte: 32 [. . .] summum tamen illud honoris Arbitror augmentum, quod tantum tantus habere Post obitum meruit preconem laudis Homerum. O utinam nostros resoluto corpore tantis Laudibus attollat non inuidia fama tryumphos! (Alex. 1, 481 - 485) [. . .] wie ich glaube, war dies dennoch der größte Zuwachs an Ruhm, dass er, ein so großer Mann, nach dem Tod des ebenso großen Lobredners Homer würdig war. Oh wenn doch nach der Auflösung des Körpers meine Triumphe mit solchem Lobpreis eine wohlwollende Überlieferung emporheben würde! Im Ausruf des Alexander wird das unscheinbare Epitaph mit der ewig währenden Fama des Helden durch die homerische › Ilias ‹ kontrastiert. Die Besichtigung Trojas und die Klage am Grab des Achill bieten damit nicht nur einen Rückblick auf vergangenes Geschehen, sondern stoßen vor allem ein Nachdenken über menschliche Begrenzung und Strategien der Verewigung an. Im › Zwiegespräch ‹ mit dem griechischen Heros, dem Alexander seine Stimmte leiht, gelangt er zur Erkenntnis, dass ein Held stets auf die Erinnerung der Nachkommenschaft angewiesen ist. Nicht die Schlichtheit des Grabmals steht darum eigentlich im Mittelpunkt, sondern Alexanders Furcht, dass sich seiner eigenen Taten kein Homer annehmen werde oder man gar missgünstig über ihn berichten könne. Denn die räumlich gebundene Inschrift - die materiell verfestigten Spuren (uestigia) auf Holz und Stein - können die memoria zwar wahren und beglaubigen, ein episch überlieferter Nachruhm (fama) hingegen kann die Taten wirksam verbreiten und sublimieren. Damit wird das Geschriebene auf mobilen Textträgern gegenüber statischen Schriftartefakten aufgewertet. Implizit lässt die Figurenrede erkennen, dass der Erzähler sich selbst als »zweiter Homer« verstanden wissen will, der das Wissen der Vergangenheit in kunstvoller Form aufzuarbeiten und darzubieten vermag. 33 Für den mittelalterlichen Rezipienten gehören schließlich beide Figuren, Achill und Alexander, einer heroischen Vergangenheit an und sind gleichermaßen Teil 32 Vgl. Cic. Pro Arch. 10, 24: quam multos scriptores rerum suarum magnus ille Alexander secum habuisse dicitur! atque is tamen, cum in Sigeo ad Achillis tumulum astitisset: › o fortunate ‹ , inquit, › adulescens, qui tuae virtutis Homerum praeconem inveneris! ‹ et vere. nam, nisi Ilias illa exstitisset, idem tumulus, qui corpus eius contexerat, nomen etiam obruisset; Hier. Vita S. Hilar. 1, 1 - 4: Alexander Magnus Macedo, quem vel arietem, vel pardum, vel hircum caprarum Daniel vocat, cum ad Achilis tumulum pervenisset: Felicem te, ait, iuvenis, qui magno frueris [. . .] praecone meritorum! Homerum videlicet significans. Porro mihi tanti ac talis viri conversatio [. . .], Vitaque dicenda est, ut Homerus quoque si adesset, vel invideret materiae, vel succumberet; Hist. Aug. Vita Probi 1, 2: [. . .] inde est quod Alexander Magnus Macedo, cum ad Achillis sepulchrum venisset, graviter ingemescens › Felicem te ‹ , inquit, › iuvenis, qui talem praeconem tuarum virtutum repperisti ‹ , Homerum intellegi volens, qui Achillem tantum in virtutum studio fecit quantum ipse valebat ingenio. Zitiert nach Georges Castelain: Les Épitaphes d ’ Hector et d ’ Achille. Funktion und Gestaltung einer › Geschichtskorrektur ‹ . In: Tobias Leuker (Hg.): Vom Adamsspiel bis Jodelle. Theologische und humanistische Gelehrsamkeit im frühen französischen Theater. Köln u. a. 2016 (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 78), S. 109 - 130, hier S. 124 f. 33 Vgl. Hartmut Wulfram: Explizite Selbstkonstituierung in der Alexandreis Walters von Châtillon. In: Jan Cölln u. a. (Hg.): Alexanderdichtung im Mittelalter. Kulturelle Selbstbestimmung im Kontext literarischer Beziehungen. Göttingen 2000 (Veröffentlichung aus dem Göttinger Sonderforschungsbereich 529 »Internationalität nationaler Literaturen«: Serie A: Literatur und Kulturräume im Mittelalter 1), S. 299 - 331, hier S. 235. 4.2 Translatio imperii in Walters von Châtillon › Alexandreis ‹ 99 des kulturellen Gedächtnisses. Indem Alexander nichtsahnend von seiner späteren fama und um seinen Nachruhm bangend dargestellt wird, klagt paradoxerweise der Protagonist eines Versepos über die Möglichkeit, dass ihm ein solches Versepos nie geschrieben werden wird. Er legitimiert damit Walters von Châtillon Unterfangen und antizipiert bereits die Notwendigkeit, auch ihm ein umfassendes Epos zu widmen, das, wie die › Alexandreis ‹ , an seine Taten erinnert. Wenn der Text an dieser Stelle mit der Diskrepanz zwischen Figuren- und Erzählerwissen spielt, so beleiht er damit die berühmte Schildinschrift in der › Aeneis ‹ . Auf der Suche nach seiner neuen Heimat hinterlässt Aeneas bei Actium einen bronzenen Schild mit der elliptischen Aufschrift: A ENEAS HAEC DE D ANAIS VICTORIBVS ARMA (»A ENEAS STIFTET DIESE W AFFEN VON DEN SIEGREICHEN G RIECHEN «). 34 Die Zukunftsungewissheit des Helden schlägt sich in der Inschrift nieder, denn die Weihgabe, die nach Abhaltung der jährlich wiederholten ilischen Spiele erbracht wird, zeugt auf syntaktischer Ebene von der unscharfen Trennung zwischen Siegern und Besiegten. Zwar gesteht Aeneas den Griechen ihren Triumph überTroja mit derApposition victoribus zu, bleibt dabei jedoch selbst regierendes und initial positioniertes Subjekt des Satzes. Die Weihgabe bildet den Abschluss der feierlichen Spiele, in denen die Kampfkraft der Überlebenden rituell erneuert und die vom Fatum verordnete zweite trojanische Herrschaft vorbereitet wird. Allerdings erinnert die Inschrift auch an Aeneas ’ Flucht und seine (sich bis zur Katabasis zuspitzende) Vereinzelung gegenüber dem mächtigen Volk der Griechen. Indem er als Kriegsflüchtling eine Trophäe der Sieger aufstellt, konterkariert er seinen eigenen Gestus des Triumphs. 35 In einem anderen Lichte hingegen erscheint die Handlung für den Leser: Schließlich weiß jener bereits, dass Aeneas Italien erreichen und Alba Longa, die Mutterstadt Roms, errichten wird. Und er weiß auch, dass es sich bei Actium um die zukünftige Stätte von Augustus ’ Sieg über Antonius handelt. Damit erweist sich die Inschrift als ein Spiel mit differierenden Wissenshorizonten von Figur und Rezipienten. Aus der Leserperspektive setzt Aeneas mit seiner triumphalen Geste ein Zeichen für die Vormachtstellung des zukünftigen Roms, wenn auch unwissend. 36 Der beschriftete Schild wird so zu einem schillernden Signum, dessen Referenzpunkt sich verschiebt, je nachdem, aus welchem Blickwinkel er betrachtet wird. Von der Möglichkeit, dass Inschriften eine intratextuelle Verweisfunktion erfüllen und dabei an den Wissenshorizont der Rezipienten appellieren können, macht auch die mittelalterliche › Alexandreis ‹ Gebrauch. Die Grabinschriften, die im Laufe der Handlung präsentiert werden, kreisen dabei wiederholt um den Zusammenhang von Heldentum, Geschichtlichkeit und Schriftautorität. 4.2.2 Das Grabmal als geschichtlicher Erfahrungsraum Die weiteren Grabmalbeschreibungen der › Alexandreis ‹ unterscheiden sich deutlich von der ersten, da sie zu ausführlichen und visuell ansprechenden descriptiones ausgedehnt werden. Sie bilden eine Gruppe mit einer früheren Beschreibung von Darius ’ Schild, auf dem die mythischen Anfänge der Perser abgebildet sind. Die drei Kunstwerkbeschreibungen, der Schild des 34 Verg. Aen. 3, 288. 35 Vgl. Michèle Lowrie: Writing, Performance, and Authority in Augustan Rome. Oxford 2009, S. 166 f. 36 Die Anspielung auf den Sieg des Augustus bei Actium wiederholt sich in der Schildbeschreibung (vgl. Verg. Aen. 8, 671 ff.). 100 4 Das antike Grabmal im Lichte der Weltreichlehre Perserkönigs Darius, das Grab seiner Frau Stateira und zuletzt das Grab des Darius - »Walters eigene literarische Leistung« - sind ausführlich von Christine R ATKOWITSCH besprochen und auf ihre Funktion im Kontext des Gesamttextes hin untersucht worden. 37 Dagegen soll hier danach gefragt werden, wie Schrift, Bild und Materialität in den semiotischen Arrangements aufeinander bezogen werden und auf welche Weise in ihnen die Idee von irdischem Nachruhm figuriert wird. Die oppressive Herrschaft der Perser kommt bereits in einem das Epos einleitenden Dialog zwischen Alexander und seinem Lehrer Aristoteles zur Sprache, in dem der Philosoph seinen jungen Schüler in der rechten Staatslenkung unterweist. Unmittelbar nach Philipps Tod rüstet Alexander sein Heer und bereitet den ersehnten Perserfeldzug vor. Nur knapp wird berichtet, wie er die Gefolgschaft der griechischen Städte sichert, bevor er nach Asien aufbricht. Die Fama erreicht bald den Perserkönig Darius, der durch Alter und andauernden Frieden geschwächt ist. In einer brieflichen Korrespondenz testiert Alexander seine kriegerischen Absichten und dringt daraufhin immer weiter nach Osten vor. Bevor die Heere bei Issos zum ersten Mal aufeinanderstoßen, hält Darius eine Rede vor seinen Feldherren, in der er auch an die mythischen Ursprünge der Perser erinnert (Alex. 2, 325 - 371). Das Buch endet mit der Beschreibung seines Schildes, der auf dem großen Schlachtfeld funkelnd hervorsticht (Alex. 2, 494 f.: Arma tamen Darii [. . .] micant [. . .]). Die Schildbeschreibung schließt thematisch eng an die vorausgehende Rede an, indem sie die altestamentliche Stammesgeschichte der Perser in den Blick nimmt. 38 Abgebildet ist zuerst der Teil der alttestamentlichen Urgeschichte (1. Mose), der vom Geschlecht der Giganten berichtet (Alex. 2, 495 f.: gentisque prophanus | Ordo Gyganteae). 39 Es folgen derTurmbau zu Babel (Alex. 2, 501 - 3), die Eroberung Jerusalems durch den babylonischen König Nebukadnezar und schließlich die Wegführung der Gefangenen (2. Könige 24,10 - 16). An dieser Stelle schaltet sich der Erzähler ein und kommentiert polemisch die dunklen Flecken der babylonischen Geschichte, die anders als das bisher Beschriebene n i c h t auf dem Schild zu sehen sind. 40 Sodann verschiebt sich der Fokus wieder auf den Schild und zur Geschichte der Perserkönige, die mit Gottes handschriftlicher Warnung (Mene mene tekel u-parsin) an den Chaldäerkönig Belsazer auf der Palastwand beginnt, nachdem dieser die goldenen und silbernen Gefäße aus dem Tempel von Jerusalem geraubt und skrupellos für ein Trinkgelage zweckentfremdet hat. 41 Zuletzt zeigt der Schild, wie Cyrus die Babylonische Gefangenschaft beendet und die 37 Christine Ratkowitsch: Descriptio Picturae. Die Literarische Funktion der Beschreibung von Kunstwerken in der lateinischen Großdichtung des 12. Jahrhunderts. Wien 1991 (Wiener Studien Beiheft 15), zu Walter von Châtillon, S. 129 - 211, hier S. 135. 38 Die zahlreichen Bibelstellen, auf die in den Ekphrasen Bezug genommen wird, sind im apparatus fontium der Ausgabe von Colker angegeben und werden bei Ratkowitsch ausführlich kontextualisiert. 39 Dafür werden zwei Abschnitte der Genesis zusammengezogen: die Erwähnung der Ehen, die die Gottessöhne mit den Menschentöchtern eingehen, und deren Nachkommenschaft (die gigantes) in der Sintflut umkommt (1. Mose 6,1 - 4) sowie die Erzählung von Nimrod, Nachfahr von Noahs Sohn Ham (1. Mose 10,6 - 20) und Herr von Babylon, dem die fratres Terrigenas (Alex. 2, 500 f.) untergeordnet sind. Zur Verbindung der Gigantomachie und der babylonischen Herrschaft vgl. auch Wulfram 2000, S. 250. 40 So fehle das düstere Traumgesicht des Nebukadnezar, in dem ein prächtiger, bis zum Himmel reichender Baum von Gottesboten niedergeschlagen wird, und der, wie Daniel zu deuten weiß, prämonitorisch Fall und Wahnsinn des Königs anzeigt (Dn 4). Es fehle auch die Geschichte vom Sohn des Nebukadnezar, der den verstorbenen Vater - aus Angst, er könne vom Tode auferstehen und ihm die Macht streitig machen - in 300 Teile zerstückeln und den Aasvögeln vorwerfen lässt. 41 Ratkowitsch 1991, S. 138. 4.2 Translatio imperii in Walters von Châtillon › Alexandreis ‹ 101 Herrschaft an die Meder und Perser überträgt. Sein fulminanterAufstieg, die Unterwerfung des Lyderreiches und des Croesus bis zum plötzlichen Fall durch die Massagetenkönigin Tamyris, wird rundherum auf den Rändern dargestellt. 42 Die Bezeichnung des Cyrus als totus et unus | Malleus orbis erat verweist proleptisch auf das Grabmal des Darius, auf dem Alexander als Vollstrecker der Danielsprophezeiung von den vier Weltreichen ebenfalls ein › Hammer ‹ genannt wird. Der Schild des Darius wurde wiederholt als »christliches Gegenstück« zum ekphrastischen Schild Vulkans in der › Aeneis ‹ gedeutet. 43 Tatsächlich ist er aber mehr als nur ein epigonales Pendant. 44 Vielmehr gewinnt er durch den Bezug zu Darius ’ Grabmal eine geschichtsphilosophische Dimension. Die im Schild angelegte Genealogie der babylonisch-persischen Herrschaft wird in der Darstellung der Grabmäler des persischen Königspaars vervollständigt. Dabei indiziert der Übergang vom Schild zum Grabmal als Bild- und Schriftträger, dass Darius ’ Machtanspruch, symbolisiert im Schild als Kriegsgerät, nicht länger gelten kann. Stattdessen wird mit der Beschreibung der Grabstätten die T r a n s i t i o n von Herrschaft thematisch in den Vordergrund gerückt. Dies geschieht in zwei Schritten: Zuerst wird die zeitliche Ausdehnung der Heilsgeschichte im Grabmal der Stateira visualisiert, auf dem das Geschehen vor der persischen Herrschaft (seit der Entstehung der Welt aus dem Chaos) abgebildet ist. Anschließend wird eben jener Zeitraum über die Weissagungen der Propheten des Alten Testaments mit Ereignissen des Neuen Testaments in Verbindung gesetzt und zuletzt die Geschichte der Menschheit auf dem als mappa mundi gestalteten Grabmal des Darius räumlich dimensioniert. Das opulente Bildprogramm von Stateiras Grabmal schließt unmittelbar an die Heeresrede und den Schild des Darius an. Sie ergänzt die Stammesgeschichte der Perser um die jüdischbiblische Früh- und Königsgeschichte. Kann Alexander mit der Widmung des prächtigen 42 Ratkowitsch bringt die Darstellungen am Rand des Schildes mit der rota fotunae in Verbindung. Vgl. ebd., S. 140. 43 Vgl. ebd., S. 141, Wulfram 2000, S. 248 - 250. 44 Die Kunstwerkbeschreibungen der › Alexandreis ‹ zeichnen sich durch einige Besonderheiten aus, die sich wie folgt zusammenfassen lassen: 1. sind sie in ihrer Darstellungsweise derart verdichtet, dass textexternen Rezipienten mit der alttestamentlichen Tradition sehr vertraut sein müssen, um sich tatsächlich ein Bild von dem Kunstwerk machen zu können. Diese Tendenz der Verdichtung (Lafferty bezeichnet sie als »extreme abbreviation«) nimmt in den folgenden Ekphraseis sogar noch zu (vgl. Maura K. Lafferty: Mapping Human Limitations. The Tomb Ecphrases in Walter of Châtillon ’ s › Alexandreis ‹ . In: The Journal of Medieval Latin 4 (1994), S. 64 - 81, hier S. 71 sowie dies.: Walter of Châtillon ’ s › Alexandreis ‹ . In: Z. David Zuwiyya (Hg.): A Companion to Alexander Literature in the Middle Ages. Leiden/ Boston 2011 (Brill ’ s Companions to the Christian Tradition 29), S. 177 - 200; hier S. 193 f.). 2. wird nicht nur die rhetorische Figur der Ekphrasis aus der paganen römischen Literatur entlehnt, sondern auch die Beschreibungssprache. Durch die anspielungsreiche Vermittlung des Erzählers präsentiert sich die Ekphrasis folglich nicht nur als ein Kunstwerk, das aus einzelnen bildlichen Segmenten, sondern auch aus zahlreichen Stimmen besteht und pagane Dichtkunst und christliches Wissen somit synthetisch verbindet (Prinzip der Dialogizität). 3. weist der auktoriale Erzähler der › Alexandreis ‹ auch auf das Nicht-Abgebildete und damit auf den selektiven und repräsentativen Charakter des Kunstwerkes hin. Indirekt fordert er seine Rezipienten so dazu auf, die (zwar nicht im Bild, aber in dessen Vermittlung) indizierten Leerstellen interpretativ zu füllen (Prinzip der Indikation). 4. werden die Ekphraseis in der › Alexandreis ‹ additiv angeordnet und aufeinander bezogen: Die Bedeutung der einzelnen Kunstwerkbeschreibungen wird erst im Gesamtzusammenhang ersichtlich. Nicht nur die einzelnen Text- und Bildsegmente sind als Teile eines jeweiligen Gesamtkunstwerks zu verstehen, auch die einzelnen Kunstwerke fungieren jeweils als Teile einer Botschaft, die in insgesamt drei Artefakten übermittelt wird (Prinzip der Sukzession). 102 4 Das antike Grabmal im Lichte der Weltreichlehre Grabbaus seine Herrschertugenden (clementia und amor hostis) öffentlich inszenieren, nutzt der kunstfertige Apelles die Gelegenheit, um in der Komposition von Bild und Schrift eine Herrschaftsfolge sichtbar zu machen, die auch die Geschichte seines eigenen Volkes umfasst. Wie der anonyme Künstler des Schildes klammert auch er die infamen Abschnitte in der Geschichte seines Volkes aus. Dieser Versuch wird jedoch durch den Erzähler unterlaufen, der abermals in seiner Beschreibung auch an die düsteren Kapitel, an Fälle von Hochmut und Abgötterei, erinnert. Enthielt die Schildbeschreibung nur einen einzigen impliziten Verweis auf Schriftlichkeit (die Erscheinung des Menetekels), so enthält Apelles Bildwerk schriftliche Bibelzitate, die - was er selbst und Alexander im Gegensatz zum Erzähler und den mittelalterlichen Rezipienten nicht wissen können - typologisch auf das Neue Testament verweisen. Ähnlich wie Aeneas in Actium errichten Stifter und Künstler aus unterschiedlichen Gründen ein zeichenhaftes Grabarrangement ohne etwas von dem Heilsplan zu ahnen, der sich für den christlichen Leser des 12. Jahrhunderts im Neuen Testament entfaltet. 45 Noch deutlicher manifestiert sich die Wissensdifferenzen zwischen Figuren und Rezipienten schließlich an der Beschreibung des Grabmals von Darius, der wie Pompeius von seinen eigenen Gefolgsleuten verraten wird. Erneut tritt Alexander als Stifter hervor und will dem Erzfeind seinen letzten Wunsch auf Verewigung gewähren. Denn, so verkündet Alexander, als er den hinterlistig zu Fall gebrachten Gegner in einer Talschlucht nahe Ecbatana auffindet, es gebe nur diesen einen Trost für die glücklosen Menschen, dass der Ruhm keinen Tod kenne und der Name unaufhaltsam fortlebe (Alex. 7, 355 - 358). Wie das Grab der Stateira wird auch das des Darius vom sagenumwobenen Bildhauer Apelles entworfen. Es präsentiert sich als Pyramide aus schneeweißem Marmor (Alex. 7, 383: Pyramis [. . .] niueo que marmore structa), deren Fugen auf den Außenseiten elegant mit rötlich glänzendem Gold verdeckt sind (Alex. 7, 387 f.). Um die Pyramide gruppieren sich vier mit Gold und Silber verarbeitete Säulen, die eine Kuppel tragen (Alex. 7, 389 - 396), auf der die Weltgegenden Asien, Afrika und Europa abgebildet sind. Die Reinheit des Materials, aus dem die Kuppel besteht, wird besonders hervorgehoben: sie sei transparenter als Glas (Alex. 7, 394: lucidior uitro), reiner als ein beruhigtes Gewässer (ebd.: pacato purior amne) und wie ein Kristall (Alex. 7, 395: Crystallo similis). Gleichwohl manifestiert sich darauf deutlich sichtbar die ganze Erde mit ihren Flüssen, Städten, Wäldern, Orten, Bergen und dem Meer (Alex. 7, 398 - 403). Zu sehen seien die Länder und Völker mit ihren jeweiligen Besonderheiten: das fruchtbare Lydien, das trockene Ammon, Ägypten mit seinem Nil, das elfenbein- und edelsteinreiche Indien, Afrika mit der karthagischen Burg, Griechenland mit Athen, das expandierende Rom, Spanien mit dem von Herkules gegründeten Cadiz, das weihrauchreiche Arabien, das Frankenreich mit seinem großen Heer und dem berühmten Wein der Champagne, die Bretonen mit Artus, die Normannen mit ihrer gewöhnlichen Überheblichkeit, das lockende England, die habsüchtigen Ligurer und die rasenden Teutonen (Alex. 7, 404 - 414). Dann beschreibt der Erzähler den Ozean, der die drei im T-Karten-Schema angeordneten Erdteile umgibt und das Mittelmeer, das ein Scharnier zwischen Asien, Europa und Afrika bilde, in das die Flüsse einmündeten (Alex. 7, 414 - 420). Auf dieser schimmernden Kuppel befindet sich schließlich auch eine Inschrift: Et quia non latuit sensus Danielis Apellem, Aurea signauit epigrammate marmora tali: 45 Zur Wissensdifferenz vgl. ebd. sowie Lafferty 1994, hier S. 71. 4.2 Translatio imperii in Walters von Châtillon › Alexandreis ‹ 103 › Hic situs est typicus aries, duo cornua cuius Fregit Alexander, totius malleus orbis. ‹ Preterea Hebreos et eorum scripta secutus, Preteriti serie reuoluta temporis, annos Humani generis a condicione notauit Vsque triumphantis ad bellica tempora Magni. In summa annorum bis milia bina leguntur Bisque quadringenti decies sex bisque quaterni. (Alex. 7, 421 - 430) Und weil Apelles der Spruch Daniels nicht unbekannt ist, kennzeichnet er den golden schimmernden Marmor mit einem solchen Epigramm: »Hier ist der verheißene Widder begraben, dessen zwei Hörner Alexander, Hammer der ganzen Welt, zerbrochen hat.« Weiter beschreibt er, den Juden und ihren Schriftwerken folgend die Jahre seit der Erschaffung des Menschengeschlechtes bis zur kriegerischen Zeit Alexanders des Großen, indem er die vergangene Zeit chronologisch aufrollt: Zweimal zweitausend Jahre berechnet er alles in allem, zählt noch vierhundert zweimal dazu sowie achtundsechzig. Die Frage, was irdischen Nachruhm eher garantiert, die zuerst am unscheinbaren Grabmal des Achill aufgeworfen wurde, findet hier ihre Replik und Kontrafaktur. Denn nicht eine schriftliche Überlieferung wie das homerische Epos wird hier gestiftet, sondern eine äußerst prunkvoll verfasste › Spur ‹ . Mit dem architektonisch markanten Grabmal will Alexander die fama (Alex. 7, 358) seines Feindes bewahren. Dafür werden exklusive und diaphane Materialien verwendet, die zu geometrischen Formen angeordnet sind. Sie transzendieren das Wirken des Perserkönigs und die Platzierung seiner Grablege unter dem gewölbten Dach des geordneten Erdkreises globalisiert seinen weltlichen Ruhm. Die kartographischen Ordnungsprinzipien, die auf der Kuppel virulent werden, amalgamieren antike und mittelalterliche Wissenskonfigurationen in Text und Bild - als besonders anachronistisch sticht der Hinweis auf König Artus hervor. Ist das Kunstwerk auch Teil der Diegese, so findet der Prozess der Bedeutungszuschreibung doch zwischen Erzähler und Rezipienten statt. Auf die ausführliche descriptio der Weltgegenden folgt nicht nur das direkt zitierte Grabepigramm, sondern auch der Hinweis darauf, dass Apelles wie schon im Stateira- Grabmal auch die Geschichte der Juden eingespeist habe. Das alttestamentliche Wissen über die Entstehung der Welt, die Geschichte des Volkes Israels und die babylonisch-persische Herrschaftsfolge werden abermals der Reihe nach durchlaufen (serie reuoluta) und anschließend einer zeitlichen Berechnung unterworfen, dergemäß Darius ’ Tod und Alexanders Herrschaftsübernahme 4868 Jahre nach der Schöpfung der Welt erfolgen. In solcher Darstellung werden die vielen biblischen Ereignisse räumlich und zeitlich exakt bemessen und relationiert. Die Darstellung zielt auf Globalität, sie möchte schlechterdings die ganze Welt darstellen, um dadurch die historische Abfolge der Weltreiche zu evozieren, deren Wendepunkt Darius ’ Tod markiert. Dabei ist Alexander, obgleich er als Stifter und Auftraggeber auftritt, von dem Wissen ausgeschlossen, über das Apelles, der Erzähler und die mittelalterlichen Rezipienten verfügen, dass nämlich mit Alexander das vorhergesagte dritte Weltreich begonnen hat. 46 Alexanders ursprüngliche Absicht, für den Nachruhm des Perserkönigs zu sorgen, wird gleichwohl dadurch konterkariert, dass der N a m e des Darius nirgendwo auf dem Grabmal 46 Vgl. Wulfram 2000, S. 252 f.; Lafferty 2011, S. 137 sowie dies. 1994, S. 79. 104 4 Das antike Grabmal im Lichte der Weltreichlehre erscheint. Stattdessen verifiziert das Epitaph die Erfüllung der Daniel-Prophetie, indem es Alexander mit dem Epitheton › Hammer der ganzen Welt ‹ versieht, der die Hörner des begrabenen Widders zerbrochen haben soll (vgl. Dan 8,3 - 8). Das Grabmal fungiert damit nicht primär als Ausstellungsfläche der Persönlichkeit und Taten des Darius, sondern offenbart dessen Platz in der Geschichte als letzten Vertreter einer Dynastie, die durch Alexander beendet wird. So schwankt die Funktion des Monuments zwischen Grab- und Siegesmal, das den historischen Moment der translatio imperii und damit zugleich den Höhepunkt von Alexanders eigenem Leben bezeichnet. 47 Darius ’ Grabmal zielt auf Remortifikation, es dient der Präsenz nicht der Person, sondern des Todes des Perserkönigs, der die Bedingung für Alexanders Herrschaft darstellt. Je prunkvoller das Grab das Darius erscheint, desto karger und schmuckloser wirkt Alexanders eigenes Grab zunächst, jedenfalls solange, bis Ptolemäus I. den Leichnam nach Alexandria überführen lässt und die Errichtung eines Kults um den großen Feldherrn befördert: [. . .] cui non suffecerat orbis, Sufficit exciso defossa marmore terra Quinque pedum fabricata domus, qua nobile corpus Exigua requieuit humo donec Tholomeus, Cui legis Egyptum in partem cessisse, uerendi Depositum fati toto uenerabile mundo Transtulit ad dictam de nomine principis urbem. (Alex. 10, 448 - 454) Ihm, dem der Erdkreis nicht genügt hatte, genügt nun ein Haus in ausgegrabener Erde, fünf Fuß lang, gebaut aus ausgehöhltem Marmor. In diesem kleinen Haus ruhte der edle Körper, bis Ptolemäus, dem sich, wie man liest, Ägypten teilweise untergeordnet hatte, dieses auf der ganzen Welt zu verehrende Grab eines furchtbaren Schicksals in die Stadt überführte, die nach dem Namen des Herrschers benannt worden war. Einerseits unterstreichen der jähe Tod und das schlichte Grabmal die menschliche Endlichkeit des Alexander und gemahnen an die Macht des Schicksals, das auch die bedeutendsten Persönlichkeiten der Geschichte nicht verschont. Andererseits aber zeigt sich, dass Heroengräber auch die Erinnerung an ihre jeweiligen Antagonisten stiften. Während die Inschrift auf Achills Grab vor Troja noch seine Rolle als Hektortöter zu bewahren wusste, weist das Epitaph auf Darius ’ Grab sowohl ihn selbst als alten als auch Alexander als neuen Herrscher aus. Eines eigenen Triumphgrabes bedarf der größte Herrscher daher nicht. 47 So auch Lafferty 1994, S. 81: »At this point in the poem, three books from its conclusion, Alexander has already served his purpose in God ’ s divine plan: once the Persian Empire has fallen, and its power been transferred to the Greeks, Alexander ’ s role in world history is over.« Dieser Auslegung folgt auch Glock und sieht darin die Maßlosigkeit und Vermessenheit von Alexanders weiterem Handeln begründet, vgl. Andreas Glock: Alexander Gallicus? Die › Alexandreis ‹ Walters von Châtillon als Fall impliziter antikmittelalterlicher Dependenz und Selbstkonstituierung. In: Jan Cölln u. a. (Hg.): Alexanderdichtung im Mittelalter. Kulturelle Selbstbestimmung im Kontext literarischer Beziehungen. Göttingen 2000 (Veröffentlichung aus dem Göttinger Sonderforschungsbereich 529 »Internationalität nationaler Literaturen«: Serie A: Literatur und Kulturräume im Mittelalter 1), S. 270 - 298, S. 288: »Alexander ist bereits derart von › Welthunger ‹ durchdrungen, daß er der Karte keinen Blick schenkt und von nun an seinem Fatum entgegenzieht.« 4.2 Translatio imperii in Walters von Châtillon › Alexandreis ‹ 105 Schließlich gewährt auch der Erzähler seiner Figur, was sie angesichts der Vergangenheit, am Achilles-Grab, ersehnte. Die Verlegung des Körpers nach Alexandria wird angedeutet, jedoch nicht mehr ausgeführt. Statt über die › Spuren ‹ zu berichten, die Alexander selbst hinterlässt und die von Ptolemäus in die zukünftige Königsstadt transferiert werden - wodurch die Machtübernahmen der Ptolemäer in den Blick zu geraten drohte - , endet das Epos nach dem Vorbild der antiken Tradition mit dem plötzlichen Ableben und der Trauer der Welt um Alexander. So widmet der Erzähler seinem Helden nicht nur den ersehnten dichterischen Nachruhm, sondern wetteifert selbst um die Aufnahme seiner memoria in die Tradition der großen Epen. 4.3 Mahnmale der Vergeltung in Benoîts de Sainte-Maure › Roman de Troie ‹ Die altfranzösischen Antikenromane sind Ausdruck eines mittelalterlichen Geschichtsbewusstseins, das Vergangenheit und Gegenwart verklammert denkt. 48 In ihren Prologen melden sich klerikal gebildete Erzähler zu Wort, die das höfische Publikum über Ereignisse der Vergangenheit belehren wollen, die bislang nur den litterati zugänglich gewesen waren. Indem die Stoffe der Antike in die Unterhaltungskultur (und damit in die kollektive Vergegenwärtigung) der Höfe Eingang fanden, konnten sie Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses werden. Der durch historische Narrationen inspirierte Roman ist jedoch nicht nur Medium einer höfischen Erinnerungspraxis, sondern zeugt auch von einer spezifischen Anordnung und Reflexion des überlieferten Wissens, in dem die Werturteile und Vorstellungswelten der feudalen Gemeinschaften des 12. Jahrhunderts anschaulich werden. Obgleich die Autoren in den Prologen nachdrücklich auf die Quellentreue ihrer Übersetzung hinweisen, machen sie ihren Zeitgenossen die Vergangenheit in derart transformierter Weise zugänglich, dass sich die Antikenromane im modernen Sinne schwerlich nur als Übersetzungen lateinischer Vorlagen bezeichnen lassen. Die Archivierung vergangener Ereignisse steht vielmehr im Dienste eines spezifisch mittelalterlichen Bildungsbewusstseins (der translatio studii). 49 › Neu ‹ ist nicht nur die Darstellung in romanischer Volkssprache, sondern insbesondere die »Aneignung einer Vergangenheit, die als die eigene verstanden und als modellhaft präfigurierende, obgleich noch nicht vollendete Erfüllung gegenwärtiger Wunschvorstellungen gedeutet [wurde]«. 50 Historische Ereignisse werden demnach in je unterschiedlicher Weise auf bestimmende Sinnaspekte hin strukturiert, um die › Wahrheit ‹ der Geschichte für das Publikum transparent werden zu lassen. Ein solcher Transformationsprozess spiegelt sich auch in der Darstellung des 48 Vgl. Hans-Werner Goetz: Einleitung. In: Ders. (Hg.): Hochmittelalterliches Geschichtsbewußtsein im Spiegel nichthistoriographischer Quellen. Berlin 1998, S. 9 - 18, hier S. 11. 49 Für die Inszenierung von memoria und der translatio studii in altfranzösischen Romanprologen sei verwiesen auf die Analyse von Barbara Haupt: Literarische Memoria im Hochmittelalter, Chrestien de Troyes und der Discours de la Méthode. In: LiLi 105 (1997): Memoria in der Literatur, S. 39 - 61. Zum Konzept der translatio studii bzw. artium vgl. Franz Josef Worstbrock: Translatio artium. Über die Herkunft und Entwicklung einer kulturhistorischen Theorie. In: Archiv für Kulturgeschichte 47.1 (1965), S. 1 - 22. 50 Erich Köhler: Der Roman in der Romania. In: Henning Krauss (Hg.): Europäisches Hochmittelalter. Wiesbaden 1981 (Neues Handbuch der Literaturwissenschaft 7), S. 243 - 282, hier S. 246. 106 4 Das antike Grabmal im Lichte der Weltreichlehre Totengedenkens für antike Helden wider, das in den Antikenromanen oft in digressive Grabmalbeschreibungen eingebettet und dabei - wie schon in der › Alexandreis ‹ - zur Projektionsfläche für christliche Zeit- und Jenseitskonzeptionen wird. 51 Ekphrastische Erzählpassagen sind im höfischen Roman keine Seltenheit. 52 Descriptiones von unterschiedlicher Länge lassen die Handlung zugunsten einer am Artefakt entwickelten ästhetischen Betrachtung von Macht, Ordnung und Schönheit pausieren. Im Zentrum der Beschreibung stehen dabei hoch artifizielle Herrschaftsdinge wie Waffen, Kleidung oder Reittiere sowie lokale und mobile Herrschaftsräume (Gärten, Prachtsäle, Zelte und Grabmäler). In der Forschung wurde wiederholt diskutiert, wie sich das Verhältnis zwischen der intermedialen und narratologischen (W ANDHOFF ), der dekorativen und explikativen (G ROSSE ) bzw. der ästhetischen und narrativen (M ALATRAIT ) Funktion solcher Kunstwerkbeschreibungen bestimmen lässt. 53 Fraglich ist, ob die kunstvollen Deskriptionen einen von der Erzählung weitgehend isolierten Kunstdiskurs entfalten, in dem die »wechselseitige Durchlässigkeit [. . .] beider Kunstformen«, der Literatur und der bildenden Künste, im Vordergrund steht oder, ob die Ekphrasis als › Erzählung in der Erzählung ‹ fungiert, die den Handlungszusammenhang eines Romans »mit zusätzlichen Registern und Bedeutungsdimensionen [anreichert]« bzw. »in einem Verhältnis der Analogie oder auch des Kontrastes [zu der Rahmenhandlung der sie umschließenden Erzählung] [steht], so daß sich die eigentliche Erzählung über das spiegelnde Verhältnis zur Binnenerzählung gleichsam selbst reflektiert«. 54 51 Die Ekphrasis ist überhaupt ein privilegierter Ort, »where all manner of discourses are refracted through the complex lens of verbal visuality«, wie Andrew James Johnston, Ethan Knapp und Margitta Rouse in The Dynamic of Ekphrasis. In: Dies. (Hg.): Ekphrasis in Medieval Literature and Culture. Columbus 2015, S. 1 - 16, hier S. 7, feststellen. 52 Zur Ekphrasis im mittelalterlichen Erzählen vgl. Otto Söhring: Werke bildender Kunst in altfranzösischen Epen. In: Romanische Forschungen 12 (1900), S. 491 - 640; Ratkowitsch 1991; dies. (Hg.): Die poetische Ekphrasis von Kunstwerken. Eine literarische Tradition der Großdichtung in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit. Wien 2006; Linda M. Clemente: Literary objet d ’ art. Ekphrasis in Medieval French Literature, 1150 - 1210. New York 1992 (American University Studies: Series II, Romance Languages and Literature 106); Wandhoff 2003. 53 Vgl. Wandhoff 2003, S. 4 - 10; Max Grosse: Die Ekphrasis im altfranzösischen Antikenroman. Magie und Darstellung statt Kunst und Beschreibung. In: Christine Ratkowitsch (Hg.): Die poetische Ekphrasis von Kunstwerken. Eine literarische Tradition der Großdichtung in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit. Wien 2006, S. 97 - 132, hier S. 106; Solveig Malatrait: Si fier tornei: Benoîts › Roman de Troie ‹ und die höfische Kultur des 12. Jahrhunderts. Hamburg 2011, S. 53, 61. 54 Wandhoff 2003, S. 4 sowie 7, 9. Das rekursive Ekphrasisverständnis hat in der mediävistischen Literaturwissenschaft viel Anklang gefunden und zu einer Reihe von poetologischen Textinterpretationen angeregt, vgl. etwa Harald Haferland u. Michael Mecklenburg (Hg.): Erzählungen in Erzählungen. Phänomene der Narration in Mittelalter und Früher Neuzeit. München 1996 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 19); Ludger Lieb u. Stephan Müller (Hg.): Situationen des Erzählens. Aspekte narrativer Praxis im Mittelalter. Berlin/ New York 2002 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 20) sowie Ratkowitsch 2006. Dagegen ist argumentiert worden, dass solche Lesarten stark von einem modernen Literaturverständnis geprägt seien; anstatt die Bildbeschreibungen als Interpretamente der Handlung zu begreifen, müsse das formale Verhältnis von Diegese und ekphrastischer Digressionen bestimmt werden. Grosse kritisiert, dass »seit der Rezeption des Poststrukturalismus in der Mediävistik [. . .] die altfranzösische Ekphrasis vor allem als explikativ in poetologischer Hinsicht gelesen [werde]« (Grosse 2006, S. 107) und warnt davor, vorschnell moderne Literaturbegriffe auf historisch variable Untersuchungsgegenstände zu projizieren. Von einer vorschnellen poetologischen Deutung digressiver Passagen rät auch Kragl ab, der dafür plädiert, dass gerade »[i]m Ausmalen und Ausschmücken (. . .) Rückstoßeffekte [entstehen], die plötzlich nicht Luzidität garantieren, sondern den 4.3 Mahnmale der Vergeltung in Benoîts de Sainte-Maure › Roman de Troie ‹ 107 Warum Grabmäler zu beliebten Objekten der Ekphrasis wurden, kann durch den kulturhistorischen Hintergrund erhellen werden (vgl. Kapitel 1.2.2). Grabbild und Inschrift waren im Hochmittelalter zu wichtigen Individualisierungselementen der sepulkralen Bildhauerei geworden. Der Hof der Plantagenets, in dessen Auftrag Benoît seinen › Roman de Troie ‹ verfasst haben soll, galt für seine höfisch-elegante Kultur in ganz Europa als vorbildlich. Davon zeugen noch heute die epochal wegweisenden Grabmäler von Heinrich II. (1133 - 1189), Eleonore von Aquitanien (1123 - 1204), ihrem Sohn Richard Löwenherz (1157 - 1199) und der Gattin des englischen Königs Johann Ohneland, Isabella von Angoulème (um 1188 - 1246), die Anfang des 13. Jahrhunderts in der Abtei Fontevrault errichtet wurden (vgl. Abb. 3). 55 Ihre lebensgroßen gisants liegen auf Marmorbetten, die mit Ruhekissen und Fußstützen ausgestattet sind. Während Heinrich II. und Richard Löwenherz mit Zepter und Krone attribuiert sind, hält die ebenfalls gekrönte Eleonore, bekannt als Förderin von Kunst und Kultur, ein aufgeschlagenes Buch in der Hand, eine bislang ungewöhnliche Darstellungsweise für eine weltliche Fürstin. Im Folgenden werde ich zeigen, dass sich die Grabmäler des › Roman de Troie ‹ gegenüber denen seines literarischen Vorgängers, dem › Roman d ’ Eneas ‹ , dadurch auszeichnen, dass sie beides bieten: einen über die Architektur und Materialität entfalteten Reflexionsraum, in dem die christliche Erlösungshoffnung figuriert wird, wie auch ein zeichenhaftes Raumarrangement, dem eine dezidiert narrative Funktion zukommt, getragen von den verschiedenen semiotischen Systemen, die am Grabmal Anteil haben. 4.3.1 Körperwelten oder Die Präsenz des Leibes 56 Ekphrastisch inszenierte Grabmäler begegnen bereits im › Roman d ’ Eneas ‹ . 57 Zwei spiegelbildlich aufeinander bezogenen Erinnerungsräume bewahren die memoria von Pallas und Camilla, der beiden herausragenden Nebenfiguren, 58 die dem finalen Kampf zwischen Rutulern und Latinern zum Opfer fallen. 59 Der frühe Tod besiegelt das Ende ihrer Herrschergeschlechter, die damit von der Gründung Roms und der translatio imperii ausgeschlossen bleiben. Denn mit Pallas stirbt der einzige Nachfahre von König Euander, der seinem Sohn symbolisch die eigene Sinn verdunkeln, das Gewollte verunklaren« (Florian Kragl: Bilder-Geschichten. Zur Interaktion von Erzähllogiken und Bildlogiken im mittelalterlichen Roman. Mit Beispielen aus › Flore und Blanscheflur ‹ und › Parzival ‹ . In: Christian Schneider u. Florian Kragl (Hg.): Erzähllogiken in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Akten der Heidelberger Tagung vom 17. bis 19. Februar 2011. Heidelberg 2013 (Studien zur historischen Poetik 13), S. 119 - 151, hier S. 150). Die Diskussion lässt erkennen, dass diachrone Studien neben Einzeltextanalysen ein Desiderat darstellen, welche die historischen Besonderheiten und die Entwicklung rekursiver Verfahren stärker profilieren könnten. 55 Das Grabmal Isabellas ist wesentlich später entstanden und im Unterschied zu den anderen drei Grabbilder nicht aus Stein, sondern aus Holz gefertigt, vgl. Bauch 1976, S. 55 f. 56 Die Begriffe › Körper ‹ und › Leib ‹ werden im Folgenden synonym verwendet, da es um eine Leiche geht, der Aspekt der Subjekthaftigkeit des Körpers für meine Lektüre also keine Rolle spielt. 57 Vgl. RdE. 6409 - 6528 (Pallas Grabmal) und 7531 - 7724 (Camillas Grabmal) in Le Roman d ’ Eneas. Zitiert nach J. Salverda de Grave, übers. u. eingel. v. Monica Schöler-Beinhauer. München 1972 (Klassische Texte des romanischen Mittelalters 9). 58 Und zwar, wie Wandhoff 2003 auf S. 83 präzisiert, »Nebenfiguren [. . .] die Eneas ’ Sendung zumindest potentiell im Weg stehen und durch ihren Tod den Weg erst freimachen.« 59 Zu Verfahren der Spiegelung vgl. Jean-Charles Huchet: L ’ Eneas: un roman spéculaire. In: Jean Dufournet (Hg.): Relire le Roman d ’ Eneas. Genf 1985, S. 68 - 71, hier S. 71. 108 4 Das antike Grabmal im Lichte der Weltreichlehre Grabstätte überlässt, und auch Camilla hat keine Nachfahren, weil sie ihr Leben ausschließlich dem Rittertum verschrieben hat. Ihrer dynastischen Auslöschung zum Trotz werden beide aufwendig balsamiert und in phantastische Grabbauten aus buntem Marmor und Edelsteinen überführt, die in ihrer Pracht und Exorbitanz gleichsam einen Himmel auf Erden simulieren. 60 Der Ewigkeitsanspruch wird ostentativ durch Kerzen gestützt, die erst erlöschen, wenn ein Windhauch in die Grabcella eindringt. Camillas Turmgrab, das bis in den Himmel reicht und vom Erzähler in die Reihe der sieben Weltwunder aufgenommen wird, rückt gar in die Nähe des auf Hybris gegründeten Turms von Babel. 61 Haiko W ANDHOFF hat die mit dem Bau konnotierte Hochmut ins Zentrum seiner Interpretation gestellt, nach der »die Botschaft von der Überwindung des Todes durch die Auferstehung des Menschen« hier einem › heidnischen ‹ Totenkult gegenübergestellt werde, dem gerade »diese Heilsgewissheit fehl[e]«. 62 Mithilfe ihres Reichtums versuche sich Camilla einen Zugang zum ewigen Leben zu schaffen, der ihr nach christlicher Auffassung aber nicht zuteil werden kann. Beide Helden erhalten eine Grabinschrift, die jeweils auf der Sargplatte angebracht wird. Während die Inschrift von Camilla an ihr außergewöhnliches Streben nach chevalerie erinnert, 63 erhält die Angabe des Todesgrunds auf Pallas ’ Epitaph stärkere Gewichtung: En cest tombel gist ci dedenz Pallas li proz, li bels, li genz, ki ku fiz Euander le rei: Turnus l ’ ocist en un tornei. (RdE. 6491 - 6493) Hier in diesem Grab liegt Pallas, der Tapfere, der Schöne, der Edle, welcher der Sohn des Königs Euander war: Turnus tötete ihn in einem Zweikampf. Mit der Ausbuchstabierung der Schuld des Rutulerkönigs am Tod des jungen Pallas wird die Aufmerksamkeit nach der ausführlichen descriptio des Grabes auf die Handlungszusammenhänge zurückgelenkt. Das Epitaph ist nicht nur Bestandteil einer individualisierten memoria, sondern fungiert textintern zugleich als Mahnmal, das Eneas finalen Vergeltungsschlag handlungslogisch legitimiert, wenn nicht gar reklamiert. Er muss den jungen Prinzen rächen, der auf seiner Seite gekämpft und schon am ersten Tag in der Schlacht das Leben verloren hat. Das Epitaph von Pallas steht damit am Anfang einer literarischen Tradition von Racheepitaphen, deren Auskunft eine Verkettung von heroischen Vergeltungsschlägen nach sich zieht. Diese epitaphische Figuration wird im › Roman de Troie ‹ entfaltet und begegnet schließlich in der › Mort Artu ‹ des › Prosa Lancelot ‹ wieder, wo sie den verhängnisvollen Niedergang der Artusgesellschaft einläutet (vgl. Kapitel 7.2.2.2). 60 Zur Deutung der Grabmäler im › Roman d ’ Eneas ‹ vgl. Schöning 1991, S. 219 f.; Clemente 1992, S. 19 - 55; Wandhoff 2003, S. 71 - 88. Zu den Grabmälern im deutschen › Eneasroman ‹ vgl. Gabriele Schieb: Veldekes Grabmalbeschreibungen. In: PBB 87 (1965), S. 201 - 243; Marie-Sophie Masse: La description dans les récits d ’ Antiquité allemands (fin du XIIe - début du XIIIe siècle). Aux originies de l ’ adaption et du roman. Paris 2004 (Nouvelle Bibliothèque du Moyen Age 68); Joachim Hamm: Camillas Grabmal. Zur Poetik der dilatatio materiae im deutschen › Eneasroman ‹ . In: Literaturwissenschaftliches Jb. 45 (2004), S. 29 - 56. 61 Vgl. RdE. 731 - 734: Set merveilles a en cest mont; | de totes celes ki i sont | n ’ i a nule ki seit graignors | ne plus estrange ne meillors. 62 Haiko Wandhoff: sie kusten sich wol tusent stunt. Schrift, Bild und Animation des toten Körpers in literarischen Totenkulten des hohen Mittelalters. In: Patrick Eiden u. a. (Hg.): Totenkulte. Kulturelle und literarische Grenzgänge zwischen Leben und Tod. Frankfurt a. M. 2006, S. 53 - 79, hier S. 54. 63 Vgl. RdE. 7663 - 7668: Ci gist la pucele, | ki molt fu proz et molt fu bele | et molt ama chevalerie | et maintint la tote sa vie. | En porter armes mist s ’ entente, | ocise fu desoz Laurente. 4.3 Mahnmale der Vergeltung in Benoîts de Sainte-Maure › Roman de Troie ‹ 109 Bevor ich zu den Gräbern des › Roman de Troie ‹ komme, sei ein kurzer Blick auf den deutschen › Eneasroman ‹ Heinrichs von Veldeke geworfen. Denn darin folgt auf die Beschreibung des Pallas-Grabmals eine Auffindungssequenz, die sogenannte › Stauferpartie ‹ , die den bei Wilhelm von Malmesbury überlieferten Bericht über die Auffindung des Pallas-Grabes mit der Krönungsreise Friedrich Barbarossas 1155 nach Italien verbindet. 64 Der römischdeutsche Kaiser habe das Grab auf seiner Heerfahrt nach Rom entdeckt und ausgehoben. Darin habe man den Jüngling unversehrt und erleuchtet im Schein seiner Kerze gefunden: 65 daz daz lieht werde bran under der erde alsô manegen tach aldâ Pallas lach, daz wir wizzen vor wâr, mêr dan zwei tûsent jâr, unze man Pallantem vant, und dannoch was unverbrant, dô man die gruft engrûb und den stein ûf hûb und der wint drin slûch, daz is wizzenlîch genûch, dô erlasch ez von dem winde. (En. 8392 - 8405) Dass das herrliche Licht so viele Tage unter der Erde brannte, wo Pallas - wie wir genau wissen - über zweitausend Jahre lag, bis man Pallas fand und es noch immer nicht aufgezehrt war, erst als man die Gruft ausgegraben und den Stein fortgehoben hatte und der Wind hineinwehte, - das ist allbekannt - da erlosch es durch den Wind. Dank seiner Konservierung kann der Leib bis in die Zeit des christlich erneuerten Römerreichs überdauern. 66 Da Eneas kein literarisches Grabmal gestiftet wurde, fungiert Pallas ’ Grab stellvertretend als Mahnmal der römischen Reichsgründung. 67 Nicht nur dem intakten Körper, 64 Der Historiker zitiert ebenfalls das Epitaph des Pallas, bewertet es anschließend aber als wenig glaubwürdig, dass die Inschrift von der Mutter des Pallas gestiftet worden sei. Für wahrscheinlicher hält er, dass das Epitaph nachträglich von Ennius oder einem anderen Dichter verfasst worden ist, vgl. William of Malmesbury: De gestis regum Anglorum libri quinque, 2 Bde. Hg. v. William Stubbs. London 1964, 1, 206: Tunc corpus Pallantis filii Euandri, de quo Virgilius narrat, Romae repertum est illibatum, ingenti stupore omnium quod tot secula incorruptione sui superavit; quod ea sit natura conditorum corporum, ut, carne tabescente, cutis exterior nervos, nervi ossa contineant, Hiatus vulneris quod in medio pectore Turnus fecerat, quatuor pedibus et semis mensuratum est. Epitaphium huiusmodi repertum: F ILIUS E UANDRI P ALLAS , QUEM LANCEA T URNI | M ILITIS OCCIDIT MORE SUO IACET HINC . Quod non tunc crediderim factum, licet Carmentis, mater Euandri, Latinas litteras dicatur invenisse; sed ab Ennio, vel alio aliquo poeta compositum. Bei Wilhelm von Malmesbury endet der Passus damit, dass sich der Leichnam aufgrund der nun eindringenden Feuchtigkeit auflöst. 65 Zitiert nach Heinrich von Veldeke: Eneasroman. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Nach dem Text v. Ludwig Ettmüller. Übers., komm. u. m. einem Nachw. v. Dieter Kartschoke. Stuttgart 1997 [1984]. 66 Die Einbalsamierungen von Herrschern, hohen Adligen, bedeutenden Klerikern oder heiligmäßigen Männern und Frauen wurde im Hochmittelalter vor allem zum Zwecke der Leichenüberführung vorgenommen. Eine Haltbarkeit durch Balsamierung, wie sie in den Antikenromanen imaginiert wird, geht freilich weit über die technischen Möglichkeiten des Mittelalters hinaus. Vgl. Romedio Schmitz-Esser: Der Leichnam im Mittelalter. Einbalsamierung, Verbrennung und die kulturelle Konstruktion des toten Körpers. Ostfildern 2014 (Mittelalter-Forschungen 48), S. 199 - 232. 67 Vgl. dazu auch Sonja Feldmann: Heiden als Vorfahren christlicher Herrscher im › Eneasroman ‹ Heinrichs von Veldeke. Die Inszenierung des Todes von Pallas und Camilla. In: Susanne Knaeble u. a. (Hg.): Gott und Tod in der höfischen Kultur des Mittelalters. Berlin/ Münster 2011 (Bayreuther Forum Transit 10), S. 235 - 250. 110 4 Das antike Grabmal im Lichte der Weltreichlehre auch der Kerze eignet ein mirakulöser Zug: Sie brennt solange, bis die Nachwelt schließlich auf den im Gewölbe Bestatteten aufmerksam wird. Die Hoffnung auf das ewige Leben wird folglich nicht durch den kunstvollen Bau vorweggenommen, sondern das Grabmal wird nachträglich auch als Zeitkapsel imaginiert, die den Gebeinen des › Heiden ‹ einen festen Platz in der christlichen römischen Herrschaft und ihrer Memorialkultur in Aussicht stellt. Die Präsenz toter Leiber spielt auch im › Roman de Troie ‹ eine wichtige Rolle. In Benoîts Erzählung vom Fall Trojas werden drei kunstvolle Grabmäler erbaut: ein Grabmal für Hektor, das besonders ausführlich beschrieben wird, ein Grabmal für den griechischen Helden Achill und schließlich das wesentlich knapper beschriebenen Grabmal für den jüngsten trojanischen Prinzen Paris. Das Grabmal des Hektor sticht nicht nur hinsichtlich seiner phantastisch anmutendeArchitektur hervor, sondern auch durch die doppelte Präsentifizierung von Hektors Körper, als balsamierter Leichnam und als Statue. Im Prolog zu seinem › Roman de Troie ‹ (um 1165), der trotz seiner monumentalen Länge von 30.000 Versen in über dreißig Handschriften vollständig überliefert wurde, beruft sich Benoît de Sainte-Maure anstatt auf Homer auf den Augenzeugenbericht des Trojaners Dares Phrygius, der selbst im Trojanischen Krieg mitgekämpft haben soll. 68 Um den Ereignissen ein Andenken zu schaffen, habe jener die Geschichte des Trojanischen Krieg auf Griechisch niedergeschrieben, ganz so wie sie sich vor seinen Augen abgespielt habe (RTr. 105 f.: Chascun jor ensi l ’ escriveit | Come il o ses ieuz le veeit). 69 Autopsie wird damit von Beginn an zu einem wichtigen Authentizitätskriterium erklärt. Das lateinische Dokument jenes griechischen Berichts, das Benoît vorliegt, will er wortgetreu übersetzt haben: Le latin sivrai e la letre, Nuil ’ autre rien n ’ i voudrai metre, S ’ ensi non cum jel truis escrit. Ne di mie qu ’ aucun buen dit N ’ i mete, se faire le sai, Mais la matire en ensivrai. (RTr. 139 - 144) Ich werde dem Lateinischen und dem Wortlaut folgen, nichts Anderes will ich hinzufügen, als wie ich es geschrieben vorfinde. Ich sage nicht, dass ich nicht manch gutes Wort hinzufügen werde, wenn ich fähig bin, aber ich werde der materia folgen. Verwundern muss freilich, dass die Erzählung allein durch aucun buen dit von einem sehr schlanken Faktenbericht zu umfassender Länge angewachsen ist. Gerade für die ekphrastischen Passagen gibt es weder bei Dares, noch beim später hinzugezogenen Bericht des Kreters Dictys eine Vorlage. Nach dem Tod Hektors heißt es in den › Acta diurna ‹ des Dares schlichtweg, dass Priamus seinen Sohn nach dem Brauch vor dem Stadttor begraben und Totenspiele abgehalten hätte (XXV, 4: Priamus Hectorem suorum more ante portas sepelivit ludosque funebres fecit). 70 Es handelt sich folglich um eine amplificatio, die der Autor wohl nach dem Vorbild des › Roman d ’ Eneas ‹ selbst hinzugefügt hat. 68 Vgl. Ricarda Bauschke u. Geert H. M. Claassens: Trojaromane. In: Geert H. M. Claassens u. a. (Hg.): Historische und religiöse Erzählungen. Berlin/ Boston 2014 (GLMF 4), S. 117 - 176, hier S. 117 - 126. 69 Zitiert nach Benoît de Sainte-Maure: Roman de Troie, 6 Bde. Hg. v. Léopold Constans. Paris 1904 - 1912. 70 Zitiert nach Dares Phrygius: De excidio Troiae historia. Hg. v. Ferdinand Meister. 2. Aufl. Stuttgart 1991. 4.3 Mahnmale der Vergeltung in Benoîts de Sainte-Maure › Roman de Troie ‹ 111 4.3.2 Das Grabmal als Grenzraum Die Erzählung vom trojanischen Krieg ist über eine semantische Binäropposition strukturiert, die zwischen der befestigten Stadt Troja und dem bei Tenedon lagernden griechischen Heer verläuft. Bereits in der Vorgeschichte, der Argonautenfahrt, wird die Handlung auf diesen räumlichen Bezugspunkt ausgerichtet. Denn da Laomedon den Argonauten auf ihrer Fahrt keine Gastfreundschaft gewährt, kehren einige der griechischen Helden unter der Führung von Herkules nach ihrer Mission zurück und üben an dem Trojanerkönig Rache. Sie töten Laomedon und plündern die Stadt. Nachdem sie abgereist sind, übernimmt Priamus die Herrschaft, der die Stadt neu und schöner als zuvor erbauen lässt. Mit dem Raub der Helena entflammt der Konflikt jedoch von neuem und wieder gelingt es den Griechen, die Stadt Troja nach zehnjähriger Belagerung einzunehmen und zu zerstören. Die Überwindung der Stadtmauern im Bauch des hölzernen Pferdes kann als das wesentliche Sujet des Romans benannt werden, bei der die topologisch konstitutive Grenze des Konflikts von den Griechen überschritten wird. 71 Aufgehoben wird diese Grenze nur in Ausnahmefällen. Während der gemeinsam vereinbarten Waffenruhen, die ein kurzes Zeitfenster für die Bestattung der Gefallenen und die Stärkung der Lebenden eröffnet, haben auch Frauen die Möglichkeit, am Geschehen teilzuhaben. Als Hektor tödlich im Gesicht verletzt von der achten Schlacht heimkehrt, wird er während einer sechsmonatigen Waffenruhe in der Chambre de Beautés von Helena und Polyxena gesund gepflegt. Die wundersame Ausstattung des Liebesgemachs von Paris und Helena wird in einer ausführlichen Ekphrasis geschildert, die eng auf das später folgende Grabmal des Hektor bezogen ist. In beiden Räumen steht der Körper des trojanischen Prinzen im Vordergrund: Ist zuerst alles auf dessen Regeneration ausgerichtet, zielt das Grabmal auf seine öffentliche Ausstellung und Konservierung. Hektor fällt in der zehnten Schlacht, ermordet von der Hand des Achill. Die Trojaner betrauern ihren Prinzen, lassen ihn einbalsamieren und errichten ihm ein Grabmal, das auf der Zentralachse zwischen den beiden Konfliktparteien positioniert wird: Par le comun esguardement Del rei Priant e de sa gent Li ont faite sa sepouture, Ço me reconte l ’ Escriture, Devant la porte de Timbree: Ensi ert par non apelee. Devers l ’ ost des Grezeis esteit: Un mout riche temple i aveit, Fait en l ’ onor Apollinis, De marbre blanc e vert e bis. (RdT. 16635 - 16644) Durch gemeinsamen Beschluss von König Priamus und seinen Leuten haben sie sein Grabmal errichtet so berichtet mir die Schrift vor dem Tympanon-Tor: so wurde es dem Namen nach genannt. Es lag in Richtung des griechischen Heeres. Es gab dort einen sehr prächtigen Tempel, der zu Ehren Apollos gemacht worden war, aus weißem, grünem und grauem Marmor. Zur Semantisierung des Erinnerungsraumes tragen damit zwei Faktoren bei. Das Memorial gewinnt seine topologische Bedeutung erstens dadurch, dass es gerade nach der Seite ausgerichtet wird, die für das griechische Heer bestmöglich sichtbar ist und befindet sich 71 Die Terminologie nach Juri M. Lotman: Die Struktur literarischer Texte. Übersetzt von Rolf-Dietrich Keil. München 1972, S. 329 - 339. 112 4 Das antike Grabmal im Lichte der Weltreichlehre zweitens in unmittelbarer Nähe zum Apollo-Tempel, steht also in einem vorgestellten kommunikativen Zusammenhang mit dem Schutzgott der Trojaner. Das Hektorgrabmal präsentiert sich somit als Mahnmal, das an der göttlichen Aura des nahestehenden Tempels partizipiert. Wie im › Roman d ’ Eneas ‹ gehören auch die Sepulkralarrangements des › Roman de Troie ‹ dem lexikalisch-semantischen Bereich des Wunderbaren zu. Anders als bei Märtyrergräbern vollzieht sich hier jedoch kein Wunder am Grab, das auf die Präsenz Gottes hinwiese, sondern dem Grabmal selbst wird über semantischen Kollokationen der Status des merveille zugesprochen. Die ausführliche Schilderung von Architektur und Materialität lässt die Episoden dadurch nicht nur deutlich aus der pausierenden Handlung hervortreten, sondern erzeugt einen markanten Bruch mit dem vermeintlich historisch-realistischen Erzählprogramm: Denn die beteuerte historische Evidenz des Erzählten und die in der Ekphrasis entfaltete deskriptive Präzision, die von einer scheinbar autoptischen Erfahrung zeugt, stehen in deutlichem Kontrast zur Beschaffenheit der beschriebenen Artefakte, welche die (intra- und extratextuellen) Rezipienten in Erstaunen versetzen müssen. 72 Nachdem der öffentlich auf einer prunkvollen Bahre ausgestellte Leichnam des Hektor von der ganzen Schar der Trojaner beweint wurde, folgt eine ausführliche Beschreibung seines Grabmals, das von drei weisen Baumeistern errichtet wird (RdT. 16650 - 2: Firent trei sage engeigneor | Un tabernacle precios | Riche e estrange e merveillos). Es besteht aus vier sich gleichenden goldenen Statuen, die auf goldenen Schemeln stehen und die rechte Hand vor sich strecken. Darauf befindet sich je eine Säule: die erste aus granatrotem Hyazinth, die zweite aus grünem Quarz, die dritte aus einem teuren ägyptischen Stein und die vierte aus einem weiteren Edelstein, der aus der Frucht eines außerordentlich wertvollen Paradiesbaumes besteht (vgl. RdT. 16661 - 16692). Die Edelsteinsäulen sind je fünf Fuß hoch und geben den Betrachtern damit Anlass zum Erstaunen (RdT. 16694 - 6: A merveille tienent la gent, | Des images qu ’ iluec esteient, | Com faitement les sosteneient). Auf ihnen ruht ein gewölbtes Dach, das ebenfalls aus Gold und kostbaren Edelsteinen gefertigt ist und einem sternenbesetzten Himmel gleicht (vgl. RdT. 16707 - 13). Auf dem Baldachin befindet sich eine Mauer, die zwanzig Fuß in die Höhe ragt und eine Kuppel trägt. Auf ihr befindet sich schließlich ein Thron (vgl. RdT. 16720 - 3). Er besteht aus zermahlenen Edelsteinen - Smaragden, Rubinen, Saphiren, Topas und Achat - die mit geschmolzenem arabischem Gold vermischt sind (vgl. RdT. 16724 - 8). Darauf wird der 72 In dieser Hinsicht verfahren die Romane grundsätzlich anders als volkssprachige Reimchroniken, in denen Bestattungssequenzen zumeist sehr knapp ausfallen und keine Epitaphe zitiert werden. Vgl. Wace: Le roman de Rou. Hg. v. A. J. Holden. Paris 1970 - 1973: II, 1310 - 1313 (Grab von Rollo); III, 757 - 766 (Grab von Richard I.); III, 3215 - 3220 (Grab von Robert); III, 5831 - 5834 (Grab von Edward). Benoît de Sainte-Maure: Chronique des ducs de Normandie. Hg. v. Carin Fahlin. Uppsala 1951 - 1954: vv. 1692 - 1694 (Grab von Hasting); vv. 22387 - 22391 (Grab von Hugo dem Großen); vv. 33988 - 33996 (Grab von Robert); vv. 44535 - 44544 (Grab von Heinrich I.). Das Grab von Heinrich I. fällt mit dem Schlussgebet des Werkes zusammen. Auffallend ist, dass anders als in der lateinischen Geschichtsschreibung in den volkssprachigen Texten keine Epitaphe zitiert werden. Nur im Zusammenhang mit dem Grab von Rollo gibt es einen Hinweis darauf, dass an dem Grab ein Epitaph angebracht gewesen sein soll (v. 1312 f.: la sepoulture y est et l ’ epitaph ausi, | qui raconte sez fez et comment il vesqui). Die Angaben sind entnommen aus Susanne Friede: Die Wahrnehmung des Wunderbaren. Der › Roman d ’ Alexandre ‹ im Kontext der französischen Literatur des 12. Jahrhunderts. Tübingen 2013, S. 115, Anm. 108., die Versangaben wurden nach eigener Überprüfung geringfügig modifiziert. 4.3 Mahnmale der Vergeltung in Benoîts de Sainte-Maure › Roman de Troie ‹ 113 balsamierte Leichnam des Hektor gesetzt. Sein Körper wird über ein wunderbares Röhrensystem mit den Düften von Balsam und Aloe durchströmt (RdT. 16777 f.: Dui tuëlet d ’ or geteïz, | Merveilles bel e bien faitiz [. . .]). Anschließend errichten die Baumeister eine weitere goldene Statue, die erneut einem großen Wunder gleichkommt (RdT. 16787: Si on tune image levee | Qu ’ a merveille fu esguardee), weil sie genau wie Hektor aussieht (RdT. 16790 f.: E a Hector si resemblant | Que nule chose n ’ i failleit). Sie hält ein Schwert aus Stahl in der Hand und scheint die Griechen zu bedrohen. Diese Geste wird sogleich vom Erzähler ausgelegt. Sie zeige an, dass Hektor bald gerächt werde (RdT. 16794 f.: Ço voleit dire e ço mostrot | Qu ’ ancor sereit vengiez un jor).Während sich das Monument bisher vor allem in den Himmel erstreckte, weist der Erzähler zuletzt noch auf ein besonderes Detail am Boden hin: E s ’ i ot d ’ or plus de set listes, Ou en greu ot letres escrites, Que diseient, qui les liseit, Que toz entiers iluec giseit Hector, qui tant fu proz de sei, Qu ’ Achillès ocist al tornei. (RdT. 16809 - 16814) Und dort [sc. in den Boden aus Silber] waren mehr als sieben Spruchbänder aus Gold hineingelegt, auf denen griechische Buchstaben standen, die dem, der sie las, mitteilten, dass dort jener Hektor ganz vollständig lag, der von solch großer Tapferkeit war und den Achill im Kampf getötet hat. Hektors Grabmal tritt als vielschichtiges Zeichensystem in Erscheinung, in dem theologisches und enzyklopädisches Wissen symbolhaft zum Ausdruck gelangen. Die Aufzählung der kostbaren Edelsteine lässt eine naturgeschichtliche Bildungstradition erkennen, die in mittelalterlichen Lapidarien wie dem › Liber lapidum ‹ des Bischofs Marbod von Rennes tradiert wurde und bis auf Plinius zurückreicht. 73 Zugleich beleiht es die neutestamentliche Beschreibung der Stadtmauern des himmlischen Jerusalems. 74 Laut Offenbarungsbericht besteht die Stadt ganz aus Gold und ist von einer Mauer aus Jaspis umgeben, deren zwölf Grundsteine die Namen der Apostel tragen und mit verschiedenen Edelsteinen verkleidet sind. 75 Zudem erinnert auch der Kontrast von Licht und Dunkelheit und besonders die Aufhebung von Tages- und Nachtzeit in der Kunstwerkbeschreibung an das neue Jerusalem. 76 Das Kuppeldach ähnelt der Rotunde der Grabeskirche Christi in der historischen Stadt Jerusalem und signalisiert damit das Erfordernis einer mehrschichtigen interpretatio christiana. Das Grabmal liest sich als Zeichen der göttlichen Offenbarung und spiegelt dabei sowohl die Zeichenauffassung des Augustinus wie auch eines symbolischen Weltzusammenhangs wider: Nicht die natürlichen Dinge der Welt verweisen auf den göttlichen Schöpfungsplan, sondern ein Sepulkralkunst- 73 Vgl. Valérie Gontéro: La digression encyclopédique dans Le Roman de Troie de Benoît de Sainte-Maure: définition et enjeux de la translatio diagonale. In: Chantal Connochie-Bourgne (Hg.): La digression dans la littérature et l ’ art du Moyen Âge. Actes du 29 e colloque du CUER MA 19, 20 et 21 février 2004. Aix-enprovence 2005 (Senefiance n° 51), S. 201 - 214. 74 Vgl. Friede 2013, S. 130. 75 Vgl. Vulg. Offb 21,18 - 20: fundamenta muri civitatis omni lapide pretioso ornata fundamentum primum iaspis secundus sapphyrus tertius carcedonius quartus zmaragdus quintus sardonix sextus sardinus septimus chrysolitus octavus berillus nonus topazius decimus chrysoprassus undecimus hyacinthus duodecimus amethistus. 76 Vgl. Vulg. Offb 21,23 - 25: et civitas non eget sole neque luna ut luceant in ea nam claritas Dei inluminavit eam et lucerna eius est agnus et ambulabunt gentes per lumen eius et reges terrae adferent gloriam suam et honorem in illam et portae eius non cludentur per diem nox enim non erit illic. 114 4 Das antike Grabmal im Lichte der Weltreichlehre werk, dem als intentional eingesetztes Zeichen (signum datum) eine kommunikative bzw. rezeptionssteuernde Funktion zukommt. Als Held der Vorzeit kann Hektors Leib - anders als der eines echten Märtyrers - nur dank einer technischen Erfindung wie das Röhrensystem zum corpus incorruptum werden. Analog dazu antizipiert das Wirken der drei Baumeister das Mysterium der Trinität. Das emphatisch betonte Wunderbare, das sich am Grabmal offenbart, wird somit retrospektiv als ein paganes Wunder inszeniert, das über die konnotative Ausbeutung der Referenzsysteme wissensvermittelnder und christlicher Intertexte konstituiert wird. Scheint die schwindelerregende Architektur und auf den ersten Blick analog zu Camillas Grabmal einem hoffärtigen Bauprojekt gleichzukommen, das mit der Schöpfung konkurriert, verbindet Hektor indes eine genealogische Linie mit Eneas, dem Gründungsvater des römischen Reiches. Das merveil der drei Baumeister kommt keiner negativ konnotierten Hybris gleich, sondern fungiert vielmehr als Präfiguration einer gottgewollten Herrschaftsgenealogie. Mit dem ihnen zur Verfügung stehenden magischen und arkanen Wissen finalisieren sie die Herrschaft des Trojanergeschlechts in Prachtbauten, dessen Untergang notwendige Voraussetzung für die Entstehung des römischen Weltreichs ist. 77 Zwar mutet die Kunstfertigkeit wunderbar an, dass es sich dabei allerdings um kein tatsächliches Wunder handelt, stellt die Artifizialität des corpus incorruptum unter Beweis. Durch eine technische Vorrichtung wird Hektors Leichnam vor der Verwesung bewahrt. Auf der Kuppel thronend beansprucht sein Leib noch im Tode herrschaftliche Präsenz, die durch die Nähe zum sakralen Raum des Sonnengotts intensiviert und auratisiert wird. Wie von dem Grabmal eines Heiligen geht auch von dem Turmgrab des Hektor eine religiöse Kraft aus, die durch die zyklischen Totenrituale der Trojaner erneuert wird. Vor den Toren der Stadt markiert das Grabmal den Grenzraum zwischen Trojanern und Griechen, in dem sich der Konflikt anschließend zuspitzt. Davon kündet auch das zweite Abbild des Hektor, das mit drohender Gebärde an die Griechen appelliert und auf die Rache an Achill vorausdeutet. Heißt es auf dem Epitaph formgerecht, Hektor l i e g e in dem Grab, kann davon tatsächlich keine Rede sein: Stattdessen befindet sich der Held außerhalb vom Grab, als thronender Leichnam einerseits, der zur Vergegenwärtigung seines Todes (Remortifikation) beiträgt und als repräsentative Statue andererseits, die als absichtsvoll gesetztes Zeichen an die notwendigen Konsequenzen des Heldentodes gemahnt. Muss schon im › Roman d ’ Eneas ‹ die im Pallas-Epitaph dokumentierte Schuld des Turnus vergolten werden, so kündigt sich auch im Epitaph des Hektor ein handlungslogisches Sukzessionsverhältnis an. Die Vorausdeutung auf die Rache an Achill, seinem Mörder, erfüllt sich einige tausend Verse später und wird ausgerechnet durch eine Gedenkfeier am Hektor- Grabmal eingeleitet: Quant icil anz fu acompliz Qu ’ Ector fu morz e seveliz, Si vos puet hom por veir retraire Als das Jahr vergangen war, in dem Hektor gestorben und bestattet worden war, kann euch fürwahr jedermann berichten, 77 Wie auch bei Walter von Châtillon wird der Heldentod so zu einem notwendigen Ereignis vor dem Hintergrund der Heilsgeschichte. Die Erzählung vom Untergang Trojas ist gleichermaßen final motiviert, steht doch bereits fest, dass die Trojaner untergehen müssen, damit Eneas fliehen und Latium erobern kann. Zur »Motivation von hinten«, vgl. Clemens Lugowski: Die Form der Individualität im Roman. Mit einer Einleitung von Heinz Schlaffer. 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1994, S. 66 - 81. 4.3 Mahnmale der Vergeltung in Benoîts de Sainte-Maure › Roman de Troie ‹ 115 Qu ’ onques si riche aniversaire Ne fu el siecle celebrez Com li a fait ses parentez E toz li pueples comunaus. Mout fu festivez li anvaus : Mout par i chanta li clergiez, Mout fu icil jorz essauciez. Mout par i despendi li Reis. N ’ i ot chevalier ne borgeis Qui icel jor ne festivast E qui a son voleir n ’ entrast Dedenz la riche sepouture, Ou li cors est senz porreture. (RdT. 17489 - 17504) dass nie ein Todestag so prächtig auf der Welt gefeiert wurde, wie er ihm von seinen Verwandten und all den gewöhnlichen Leuten bereitet wurde. Sehr wurde der Jahrestag gefeiert: Viel sang der Klerus sehr wurde dieser Tag zu Ehren gebracht. Sehr großzügig war dabei der König. Es gab dort keinen Ritter oder Bürger, der nicht diesen Tag feierte und der nicht aus eigenem Antrieb in das herrliche Grabmal eintrat, wo sich der Körper ohne Fäulnis befindet. Die Erwähnung der rituell erneuerten Totenmemoria und des noch immer von Fäulnis verschonten Körpers unterstreicht nicht nur die anhaltende Trauer um den trojanischen Prinzen, sondern erinnert auch an den noch ausstehenden Vergeltungsschlag. Die großen Feierlichkeiten ziehen neben Trojanern auch Griechen an, besonders die Junggesellen, für die sich bei dem Ereignis eine Gelegenheit bietet, Frauen zu sehen. Unter ihnen befindet sich der Held Achill, der bei diesem Anlass Polyxena, die jüngere Schwester des Hektor, erblickt und sich augenblicklich in sie verliebt (RdT. 17540 - 4). Um sie zur Frau zu nehmen, verspricht der griechische Held Königin Hekuba in einem Brief Frieden und hält sich fortan vom Schlachtfeld fern. Doch nachdem beide Seiten große Verluste erlitten haben, greift Achill schließlich wieder in den Kampf ein, um nicht seine Ehre zu verlieren. Er tötet den trojanischen Prinzen Troilus und schleift seinen Leichnam, woraufhin Hecuba ihren Sohn Paris zum Verrat aufwiegelt: Mit dem Vorwand, er könne Polyxena dennoch zur Frau erhalten, wird Achill schließlich in den Apollo-Tempel bei Hektors Grabmal gelockt und dort von Paris zerstückelt. Damit erfüllt sich die proleptische Funktion der Rache-Statue: Hektors fantastisches Grabmal wird zum Todesort seines Mörders. 78 4.3.3 Teleologie des Untergangs Nach der Vereinbarung eines weiteren Waffenstillstandes wird im Auftrag Agamemnons auch ein Grabmal für Achill errichtet, das weithin sichtbar ist (RdT. 22479: De Troie fu tot cler veüe). Die Gestaltung steht im Gegensatz zum Turmgrab des Hektor unter dem Einfluss seiner ihm zum Verhängnis gewordenen Liebe. Auf dem aus buntem Marmor gefertigten Grabmal wird ein goldenes Abbild der trauernden Polyxena errichtet, die ein Urne aus Rubin in den Händen hält (RdT. 22405 - 500). Wegen seiner großen Verwundungen kann Achills Körper nicht mehr balsamiert werden. Er wird stattdessen verbrannt und seine Asche in das Gefäß gefüllt (RdT. 78 Diese Verschränkung wird in Herbort von Fritzlars › Liet von Troye ‹ noch deutlicher, weil er die Chambre de Beautés und Hektors Grabmal einerseits sowie den Pallast, in dem Achills Bote auf Polyxena trifft und das Hektorgrab als Achills Todesort andererseits noch deutlicher parallelisiert, vgl. dazu Ricarda Bauschke: Räume der Liebe - Orte des Krieges. Zur Topographie von Innen und Außen in Herbort von Fritzlars › Liet von Troye ‹ . In: Burkhard Hasebrink (Hg.): Innenräume in der Literatur des deutschen Mittelalters. XIX. Anglo-German Colloquium Oxford 2005. Tübingen 2008, S. 1 - 22. 116 4 Das antike Grabmal im Lichte der Weltreichlehre 22465 - 70). Das Grabbild zeigt dieTrojanerprinzessin in Trauer um ihren Geliebten, ihrAnblick löst unter den Rittern großen Kummer aus (RdT. 22471 f.). Wie das Grabmal des Hektor hält auch die monumentale Anlage fürAchill die Erinnerung an seine Todesumstände wach. Fast könnte man meinen, es handle sich nicht um das Grabmal des griechischen Helden, sondern um das der Trojanerprinzessin, deren Nachbildung das sepulkrale Bauwerk dominiert. Achills memoria ist nicht die eines kriegerischen Helden, der Hektor und seinen Bruder Troilus getötet hat, sondern die einer unglücklichen Liebe. Dieser Umstand gewinnt erneut an Bedeutung, nachdem die Griechen Troja zerstört haben und sich auf die Heimreise begeben wollen. Ein Sturm verhindert die Ausfahrt der Schiffe, nach einem Monat ruft man Kalchas, um das Zeichen zu deuten. Der Seher macht die Wut der Furien für den Sturm verantwortlich, die Winde würden sich erst legen, wenn Achills Seele gerächt sei (RdT. 26389 - 96). Durch den Verrat des Antenor wird Polyxena aufgespürt und schließlich von Neptolemus auf dem Grabmal des Achill ermordet: La bele, la pro e la sage E de totes la mieuz preisiee A Neptolemus detrenchiee Sor la sepouture son pere: Tot ço vit Ecuba sa mere: Del sanc de ses fines beautez Fu li tombeaus ensanglentez. (RdT. 26546 - 26552) Die Schöne, Tapfere, Weise und von allen meist Geschätzte wurde von Neptolemus erschlagen auf dem Grab seines Bruders. Das sah Hekuba, ihre Mutter: Vom Blut ihrer herrlichen Schönheit wurde das Grab befleckt. Dem Grabbild kommt damit nachträglich eine proleptische Funktion zu: Nachdem Achill für Polyxena gestorben ist, muss schließlich auch die Trojanerprinzession dem agonalen Vergeltungsprinzip zum Opfer fallen. Erst jetzt, da Achill und Polyxena im Tode vereint sind, scheint sich die ursprüngliche Funktion des Grabbildes zu erfüllen, nämlich die beiden Verstorbenen zu repräsentieren. Der eigentliche Täter, Paris, wurde indes bereits in der zwanzigsten Schlacht, kurz nach dem Tod des Achill, gerächt. Auch ihm wird ein Grabmal errichtet, das jedoch keine weiteren, verhängnisvollen Zusammenhänge entfaltet. Seinem letztmöglichen Nachfolger legt Priamus die königlichen Insignien bei, damit sie nicht in die Hände der Griechen fallen: 79 Er gibt ihm seinen Ring in die rechte Hand, das Zepter in die linke und setzt ihm zum Schluss auch seine Krone auf (RdT. 23056 - 61). Mit der Bestattung des jüngsten Sohnes und der königlichen Insignien gelangt die trojanische Herrschaft so vorübergehend an ihr Ende. Die Heldengrabmäler des › Roman de Troie ‹ präsentieren sich als zeichenhaft verdichtete Erinnerungsräume, welche die Erzählung leitmotivisch durchziehen und den Untergang der wichtigsten Protagonisten - Hektor, Achill, Paris und Polyxena - vor allem bildhaft miteinander verknüpfen. Der Aufwand, der dabei betrieben wird, steht im Dienst einer umfassenden Herrschaftsrepräsentation, zu der auch eine gemeinschaftskonsolidierenden Totenmemoria gehört. Die Pracht, die sich an den Grabmälern entfaltet, weist über die konkrete Herrschaft auf die Vorstellung einer Herrschaftstranslation unter christlichen Vorzeichen 79 So auch Emmanuèle Baumgartner: Tombeaux pour guerriers et amazones: Sur un motif descriptif de l ’ Enéas et du Roman de Troie. In: Guy Mermier (Hg.): Contemporary Readings of Medieval Literature. Ann Arbor 1989, S. 37 - 50, hier S. 46. 4.3 Mahnmale der Vergeltung in Benoîts de Sainte-Maure › Roman de Troie ‹ 117 hinaus. So liest sich die materiale und architekturale Anordnung des Hektor-Grabmals aus mittelalterlicher Perspektive als Präfiguration einer linearen Herrschaftsabfolge, die bis zum Beginn des himmlischen Jerusalems andauert und für deren Kontinuität der Fall Trojas und die anschließende Gründung Roms unvermeidlich erscheinen. Die Semiotizität der Grabmäler, die aus dem Zusammenspiel der (re-)präsentierten Körper, der Epitaphe, Materialien und der räumlichen Gestaltung resultiert, erfüllt aber auch eine narrative und rezeptionssteuernde Funktion. Textintern erinnern die Schauräume des Todes auf der Grenze zwischen innen (Troja) und außen (Lager der Griechen) an die verstorbenen Helden und drängen auf ihre Vergeltung. Textextern erfüllen die sepulkralen Kunstwerke, wie der Erzähler bestätigt, für die Rezipienten eine proleptische Funktion. An ihnen manifestiert sich eine Erzähllogik des Untergangs, die erst mit der Bestattung der königlichen Insignien im Grabe des Paris an ihr Ende gelangt. Die Schlussgebung, die sich in Hektors Grabmal bereits ankündigt, wird somit über die ganze Länge des Romans hinausgezögert. Wie in der › Alexandreis ‹ sind auch die ekphrastischen Sepulkralkunstwerke des › Roman de Troîe ‹ miteinander verknüpft, allerdings nicht in der Weise, dass sich an ihnen die Botschaft herrschaftlicher Translation sukzessiv vervollständigen würde, sondern es offenbart sich an ihnen ein in ästhetische Kategorien übersetztes Aufbegehren gegen den Untergang, das die Opulenz, Macht und Herrlichkeit beider Völker - aber besonders des trojanischen - ausgerechnet im Zeichen des Todes noch einmal zum Strahlen bringt. Die besondere Akzentuierung der Grabmäler als Orte, um die sich die Handlung verdichtet, ähnelt in gewisser Weise dem poetischen Prinzip der spätantiken und (früh-)mittelalterlichen Epigramme und Epigrammsammlungen, welche das Grab, genauer: das Epitaph, ebenfalls zum Ausgangspunkt ihrer Renarrativierung des trojanischen Kriegs machen. Sowohl in Ausonius ’ › Epitaphia qui bello troico interfuerunt ‹ als auch in den im Mittelalter breit überlieferten › Carmina XII sapientum ‹ wird die antike Streitfrage profiliert, ob Nachruhm nachhaltiger durch materiale Monumentalisierung oder literarische Tradition garantiert werden könne. Diese Frage - das zeigt sich besonders in der › Alexandreis ‹ - strahlte ins Mittelalter aus, verlor aber zunehmend ihre Brisanz, weil die memoria der trojanischen Helden unlängst Teil des kulturellen Gedächtnisses geworden war. Im Zentrum der mittelalterlichen Großdichtung steht vielmehr die Frage, welche Bedeutung Herrschaft in der Universalgeschichte der Menschheit einnimmt. Als Antwort darauf werden in der mittelalterlichen Literatur Grabmäler entworfen, in denen Schrift, Bild, Materialität und Räumlichkeit nicht konkurrieren, sondern integrativ zusammenwirken und auf diese Weise den sensus spiritualis der Geschichte für die Erzählung erhellen. 118 4 Das antike Grabmal im Lichte der Weltreichlehre 5 Grabmal und Scheintod im Liebes- und Reiseroman Die motivische Einbettung von Grabmälern in den höfischen Liebesroman verdankt sich antiken Vorbildern. Grabmäler erscheinen einerseits im Kontext des auf den griechischen Roman zurückgehenden Scheintodmotivs, andererseits sind sie dem Motiv des Liebestods angegliedert, für das die römische Epik und Liebesdichtung (besonders die › Heroides ‹ des Ovid) Beispiel gegeben haben. Für Motive dieser Art hat Jan-Dirk M ÜLLER den Begriff des › Erzählkerns ‹ vorgeschlagen und mit ihm die narrativen Verläufe in den Vordergrund gerückt, die mit bestimmten thematischen Konstellationen verbunden sind. 1 Während der Liebestod den resultativen Endpunkt einer Erzählung zweier Liebender bildet, die wie füreinander gemacht scheinen, deren Verbindung aber gesellschaftlich nicht gebilligt wird, ist mit dem Motiv des Scheintods das inchoative Narrativ von Trennung und Suche verknüpft. Darin erfüllt das Grabmal die Funktion des narrativen Wendepunkts, von dem aus die Erzählung sich neu entfaltet. In der Narratologie assoziiert man das Erzählschema von Trennung, Bewährung und Wiedervereinigung vor allem mit Heliodor; es dominiert aber auch weitere hellenistische Romane. Anders als in den › Aithiopica ‹ des Heliodor fällt die Trennung der Liebenden in anderen Romanen zudem öfter mit dem Motiv des Scheintods zusammen. 2 Trotz struktureller Übereinstimmungen lässt sich die Erzählweise des mittelalterlichen Minne- und Aventiureromans jedoch nicht direkt auf den hellenistischen Liebesroman zurückführen. Nach bisheriger Erkenntnis konnte das dreistufige Erzählmuster zwar über das Bindeglied der lateinischen 1 Vgl. Jan-Dirk Müller: Höfische Kompromisse. Acht Kapitel zur höfischen Epik. Tübingen 2007, S. 22. 2 So wird der Protagonist Chaireas in Charitons von Aphrodisias › Kallirhoe ‹ (1. Jahrhundert n. Chr.) durch eine Intrige dazu gebracht, seine Gattin Kallirhoe für untreu zu halten. Als er ihr einen wütenden Stoß ins Zwerchfell versetzt, bricht sie scheinbar tödlich verwundet zusammen und wird bei lebendigem Leibe begraben. Durch schicksalshafte Fügung wird sie von Grabräubern befreit, die das schöne Mädchen mitnehmen, um sie als Sklavin zu verkaufen. In Achilleus Tatios ’ › Leukippe und Kleitophon ‹ (2. Jahrhundert n. Chr.) geht die Trennung gar mit einem dreifachen Scheintod einher: Nach einem Überfall muss Kleitophon mitansehen, wie ägyptische Räuber seiner Geliebten den Bauch aufschlitzen, ihre Eingeweide opfern und die Leiche in einen Sarg legen. Als der Held das Grab erreicht, will er sich aus Verzweiflung in sein Schwert stürzen; gerade noch rechtzeitig können ihn seine Wegefährten davon abhalten. Leukippe tritt unversehrt aus dem Sarkophag, ihr Leib wurde durch die Attrappe eines umgehängten Tiermagens bewahrt. Kurz darauf wird sie jedoch erneut entführt und scheinbar von Seeräubern hingerichtet. Kleitophon lässt ihren Körper bergen und in Alexandria bestatten. Ihre Fährte verliert sich, bis die Liebenden einander in Ephesos erneut begegnen. Noch ein weiteres Mal droht Leukippe geschändet und ermordet zu werden, bevor das Paar endlich vereint in die Heimat zurückkehren kann. Die dialektische Bezogenheit von Eros und Thanatos dominiert schließlich auch die › Ephesiaca ‹ des Xenophon. Die glückliche Eheschließung zwischen Habrokomes und Anthia wird darin von der düsteren Prophezeiung überschattet, das Ehegemach (thalamos) der Liebenden werde sich in ein Grabmal (taphos) verwandeln. Nachdem das junge Paar von Seeräubern überfallen und getrennt worden ist, muss Anthia in Tarsus eine neue Ehe eingehen. In ihrer Verzweiflung vergiftet sie sich auf dem Weg zum Brautgemach und muss so buchstäblich vom Ehebett ins Grab getragen werden. Doch die Wirkung des Gifts ist schwächer als erwartet, im Sarkophag erwacht Leukippe erneut zum Leben. Wie Kallirhoe wird auch sie von plötzlich einbrechenden Grabräubern entdeckt und verschleppt. › Historia Apollonii ‹ in die mittelalterliche Literatur gelangen, 3 daneben prägte es sich aber auch in apokryphe Apostelakten und Legenden ein, die - durch Umwege - ihrerseits Einfluss auf die Gattung des Minne- und Aventiureromans genommen haben. 4 Wie am Beispiel der › Historia Apollonii ‹ , einem einflussreichen Vorläufer dieses Romantypus, sowie an › Flore und Blanscheflur ‹ , einem weit verbreiteten Exponenten der Gattung, zu zeigen sein wird, resultieren die Reflexionen von Sepulkralsemiose und Scheingrabmälern aus dem Zusammenspiel der beiden Rezeptionslinien. In der › Historia Apolloni ‹ steht nicht ein Liebespaar im Vordergrund der Erzählung, sondern die Trias aus Vater, Mutter und Kind, die einander verlieren und schließlich wieder vereint werden. Während der Trennung vom Familienvater sind Mutter und Tochter in der Fremde sexuellen Übergriffen ausgesetzt, wie sie in ähnlicher Weise auch im griechischen Roman und der Legendarik begegnen. Der Erzählkern des Scheintods, so die These des folgenden Kapitels, wird in der › Historia Apollonii ‹ neu besetzt, indem alle drei Protagonisten je einen Tod durchleben müssen, bevor die Handlung an ihr Ende gelangen kann. Wie im hellenistischen Roman trägt die teils verrätselte, teils trughafte Sepulkralsemiose dazu bei, die räumliche Trennung der Figuren herbeizuführen und die Handlung so in immer neue Erzählstränge aufzuspalten. In › Flore und Blanscheflur ‹ , dem zweiten Untersuchungsgegenstand dieses Kapitels, folgt auf den Scheintod der Versuch eines heroischen Liebestods, wenn Flore sich am Grabmal der Geliebten das Leben nehmen will. Für das Szenario des Liebestods gibt sowohl antike als auch zeitgenössische Modelle. In der französischen Tradition wird der tragischeTod von Tristan und Isolde durch den Bau eines Doppelgrabmals mit lebensechten Statuen besiegelt, wie es in ähnlicher Weise auch in › Flore und Blanscheflur ‹ entworfen wird. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie jedoch ausgerechnet das trügerische Grabmal in › Flore und Blanscheflur ‹ zur narrativen Überwindung antiker und zeitgenössischer Modelle des Liebestods beitragen kann. 5.1 Übergangsriten in der › Historia Apollonii regis Tyri ‹ Die Handlung des spätantiken Apolloniusromans ist durch falscheTodeszeichen bestimmt. Auf der Suche nach Herrschaft, Frau und Tochter durchreist Apollonius eine von Schriftkultur durchdrungene Welt. 5 Mehrfach werden Inschriften verfasst und öffentlich ausgestellt, doch 3 Vgl. Elisabeth Lienert: Deutsche Antikenromane des Mittelalters. Berlin 2011 (Grundlagen der Germanistik 39) sowie Tomas Tomasek: Über den Einfluß des Apollonius-Romans auf die volkssprachige Erzählliteratur des 12. und 13. Jahrhunderts. In: Wolfgang Harms u. Jan-Dirk Müller (Hg.): Mediävistische Komparatistik. FS für Franz Josef Worstbrock zum 60. Geburtstag. Stuttgart/ Leipzig 1997, S. 221 - 239. 4 Vgl. dazu Julia Weitbrecht: Aus der Welt. Reise und Heiligung in Legenden und Jenseitsreisen der Spätantike und des Mittelalters. Heidelberg 2011. Die Debatte um die Zusammenhänge zwischen dem spätantiken und mittelalterlichen Liebes- und Reiseroman wird zusammengefasst bei Christine Putzo: Eine Verlegenheitslösung. Der › Minne- und Aventiureroman ‹ in der germanistischen Mediävistik. In: Martin Baisch u. Jutta Eming (Hg.): Hybridität und Spiel. Der europäische Liebes- und Abenteuerroman von der Antike zur Frühen Neuzeit. Berlin 2013, S. 41 - 70. 5 Vgl. Stelios Panayotakis: Fixity and Fluidity in › Apollonius of Tyre ‹ . In: V. Rimell (Hg.): Seeing Tongues, Hearing Scripts: Orality and Representation in the Ancient Novel. Groningen 2007, S. 299 - 320, hier S. 311 f. Zur Funktion von Inschriften im antiken Roman allgemein äußert sich Slater. Die textimmanenten Inschriften könnten sowohl R e a l i t ä t s e f f e k t e erzeugen, indem sie ein Abbild der griechisch- 120 5 Grabmal und Scheintod im Liebes- und Reiseroman nicht immer erweisen sich die Monumentalisierungen als zuverlässig. Ein Scheingrab, das errichtet wird, um Apollonius glauben zu machen, seine Tochter sei verstorben, entlarvt vielmehr die Manipulierbarkeit von Schrift im öffentlichen Raum. Wie zu zeigen sein wird, etabliert der Roman mit der Darstellung von K ö r p e r zeichen einen alternativen, intimen Kode, der zumeist als weibliche Form der Zeichenkommunikation fungiert. Die Entstehungsbedingungen der › Historia Apollonii ‹ und ihr Verhältnis zu christlichen Erzählkulturen sind umstritten; einig ist man sich indes über die motivische und strukturelle Nähe des Romans zur Heiligenvita. 6 Nicht nur ähnelt die abenteuerliche Seereise des Protagonisten dem Lebensmodell der peregrinatio, auch die wiederholte Bedrohung weiblicher Keuschheit durch männliche Aggressoren verhält sich analog zum weiblichen Heiligenmodell der Hagiographie. 7 Besonders frappierend zeigt sich der Gattungsbezug in einer spanischen Bearbeitung, dem › Libro de Apolonio ‹ , das in die Mitte des 13. Jahrhunderts datiert wird und in der Handschrift K-III der Biblioteca de San Lorenzo de El Escorial unikal überliefert ist. Neben dem › Libro ‹ befinden sich in dem Manuskript noch zwei geistliche Texte, die Legende › Vida de Santa María Egipciaca ‹ und das › Libre dels tres Reys d ’ Orient ‹ - alle drei Texte verbindet die thematische Profilierung der weiblichen Keuschheit und der Integrität der (heiligen) Familie. Wie das › Libro ‹ berichtet zudem auch die › Vida ‹ an zentraler Stelle von einer Inschrift, die den Tod der heiligen María attestiert: Nachdem die Prostituierte aus Alexandria viele Jahre in der Wüste Buße getan hat, findet der Mönch Gozimás ihren nackten, von schützendem Haar romanischen Kulturlandschaft im Roman erzeugen oder, im Gegenteil, die A r t i f i z i a l i t ä t der Erzählung kenntlich machen. Dies sei insbesondere der Fall, wenn ein Held in den Inschriften etwas erkenne, was anderen Figuren verborgen bleibt, vgl. Niall Slater: Reading Inscription in the Ancient Novel. In: Michael Paschalis u. Stelios Panayotakis (Hg.): Readers and Writers in the Ancient Novel. Groningen 2009 (Ancient Narrative Supplements 12), S. 64 - 78. 6 Zwar ist ungewiss, ob die › Historia ‹ in einem christlichen Kontext entstanden ist, wohl aber nimmt sie deutliche Anleihen bei verschiedenen Gattungen, insbesondere der Hagiographie, vgl. dazu Elizabeth Archibald: Apollonius of Tyre. Medieval and Renaissance Themes. Cambridge 1991, S. 27 - 44. Trotz der auffälligen Parallelen mahnt Panayotakis in seiner Edition zu einer differenzierten Betrachtungsweise, vgl. The Story of Apollonius, King of Tyre. Komm. u. hg. v. Stelios Panayotakis. Berlin/ Boston 2012 (Texte und Kommentare 38), S. 8: »The notions of › Christianisation ‹ and › Christian identity ‹ are very complex and difficult to explain [. . .] While I subscribe to the view that Biblical and Christian Latin are in abundance in the Hist. Apoll. and have significant function on it, I do not agree with the argument that our text has been modelled on hagiography [. . .] rec. A may share rhetorical features and narrative motifs with hagiography, but the way in which hagiography and rec. A view the same material is strikingly different.« 7 Die Bewahrung der Keuschheit und das Motiv der Jungfrau im Bordell sind Motive, welche die › Historia ‹ nicht nur mit dem antiken Roman, sondern auch mit griechischen und lateinischen Heiligenviten, die seit dem 4. Jahrhundert in großer Anzahl im europäischen Raum zirkulierten, verbindet. Zu Modellierungen weiblicher Heiligkeit in der › Historia ‹ vgl. Stelios Panayotakis: The Temple and the Brothel. Mothers and Daughters in › Apollonius of Tyre ‹ . In: Michael Paschalis u. Stavros Frangoulidis (Hg.): Space in the Ancient Novel. Groningen 2002 (Ancient Narrative Supplements 1), S. 98 - 117, besonders S. 106 - 112; zur hagiographischen Motivik vgl. Francesca Rizzo-Nervo: La vergine e il lupanare. Storiografia, romanzo, agiografia. In: Vittorino Grossi (Hg.): La narrativa cristiana antica. Codici narrativi, strutture formali, schemi retorici. XXIII Incontro di Studiosi dell ’ Antichità Cristiana, Roma, 5 - 7 maggio 1994. Rom 1995 (Studia ephemeridis Augustinianum 50), S. 91 - 99 und Annelies Bossu: Steadfast and Shrewd Heroines: The Defence of Chastity in the Latin Post-Nicene Passions and the Greek Novels. In: Ancient Narrative 12 (2015), S. 91 - 128. 5.1 Übergangsriten in der › Historia Apollonii regis Tyri ‹ 121 bedeckten Leib neben einer Inschrift im Sand. Darin trägt Gott seinem Diener auf, die Eremitin noch am selben Tag zu bestatten. 8 [. . .] vió unas letras escritas en tierra: mucho eran claras e bien tajadas, que en çielo fueron formadas. Don Gozimás las leyó festino, como si fuessen en pargamino: - »Prent, Gozimás, el cuerpo de María, sottiéral hoy en este día; cuando lo habrás soterrado, ruega por éll, que así te es acomendado«. (vv. 1368 - 1376) [. . .] er sah Buchstaben, die in die Erde geschrieben waren: Deutlich waren sie und wohl geformt, die im Himmel gemacht worden waren. Herr Gozimás las sie eilig, als wenn sie auf Pergament gewesen wären: »Nimm, Gozimás, den Körper von María, begrab ihn heute, an diesem Tag. Und wenn du ihn begraben hast, bete für sie, denn so ist es dir aufgetragen.« Obwohl sich Sand, weil er schnell zerfällt und leicht verweht, schwerlich als Beschreibstoff eignet, bietet sich der Text seinem Betrachter konsistent wie eine Pergamentseite dar. In der eigentümlichen Deutlichkeit und Perfektion des Schriftbildes entbirgt sich die himmlische Provenienz des Geschriebenen. Indem die › vorläufige ‹ Grabinschrift trotz ihrer ephemeren Materialität den vorgesehenen Adressaten erreicht, wird die Einsiedlerin nachträglich in die Gemeinschaft der Glaubenden aufgenommen und überdies in den Status einer Heiligen erhoben. Hatte die Büßerin ihren Körper durch Rückzug in die Einöde den Blicken der Welt entzogen, trägt nun die Inschrift dafür Sorge, dass ihrem Leib auch nach dem Ableben eine angemessene Behandlung zukommt. In Übereinstimmung mit den erzählten Epitaphen vieler Heiliger dient auch die Sandschrift der heiligen María von Ägypten als Schlusselement ihrer › Vida ‹ , in der sich ein Vermittlungswille zwischen çielo und tierra offenbart. Im › Libro de Apolonio ‹ und der lateinischen › Historia Apollonii ‹ erfüllen Grabinschriften indes eine andere Funktion. Denn weder tragen sie zur Reintegration der Familie bei, noch können sie zwischen Immanenz und Transzendenz vermitteln. Dagegen erzeugen sie handlungsmotivierende Momente der (Selbst)-Täuschung und des Fremdbetrugs, die den Roman in simultan verlaufende Handlungsstränge auffächern und den Fortgang der Erzählung komplizieren. Diese Narrativierung des Grabmals, so meine an die vorangehenden Beobachtungen anschließende These, wurzelt in der intrikaten Verschränkung christlicher und paganer Erzählkulturen der Spätantike und konnte sich im mittelalterlichen Spannungsfeld von profanem und legendarischem Erzählen weiter ausdifferenzieren. 9 Als Folge dieses Umstands stellt das › leere Grab ‹ auch im volkssprachigen, höfischen Erzählen ein beliebtes Erzählmuster dar, das nicht etwa das Ende der Erzählung, sondern den Aufbruch des Helden zu neuen Abenteuern markiert. 8 Zitiert nach Vida de Santa María Egipciaca, 2 Bde. Eingel., komm. u. hg. v. Manuel Alvar. Madrid 1972 (Clásicos hispánicos). 9 Zu den historischen Transformationen des legendarischen Erzählens im Mittelalter vgl. neuerdings Julia Weitbrecht u. a. (Hg.): Legendarisches Erzählen. Optionen und Modelle in Spätantike und Mittelalter. Berlin 2019 (Philologische Studien und Quellen 273). 122 5 Grabmal und Scheintod im Liebes- und Reiseroman Der spätantike lateinische Prosaroman › Historia Apollonii regis Tyri ‹ ist im Mittelalter breit überliefert und in sämtliche Volkssprachen übertragen worden. 10 Die ältesten lateinischen Textzeugen, die auf das 9. Jahrhundert zurückgehen, werden in zwei Hauptredaktionen RA und RB sowie eine gemischte Redaktion RC unterteilt, deren Entstehung mutmaßlich ins 5./ 6. Jahrhundert zurückreicht. Die Erzählung setzt mit dem inzestuösen Verbrechen des König Antiochus ein: 11 Um sich der Werber zu entledigen, die um die Hand seiner Tochter anhalten, stellt der König allen Ankömmlingen in seinem Reich ein Rätsel und enthauptet jeden, der es nicht zu lösen vermag. Erst Apollonius gelingt es, die richtige Antwort zu finden. Doch mit der Klärung des Rätsels enttarnt er auch die frevelhafte Leidenschaft des Königs und bringt sich durch Mitwisserschaft in große Gefahr. Damit werden im Prolog zwei Basiskonfigurationen, die auf Verrätselung gestützte Selbstoffenbarung und das inzestuöse Begehren, eingeführt, die im Laufe der Erzählung mehrfach auf andere Figuren verschoben und neuerlich durchgespielt werden. 12 Während die begehrte Prinzessin sich für die weitere Handlung als überflüssig erweist und darum wie ihr Vater kurzerhand vom Blitz getroffen wird und stirbt, bilden die initial konstituierten Erzählkonfigurationen im Folgenden Äquivalenzbeziehungen aus, die Kohärenz zwischen den verschiedenen Reiseetappen des Helden stiften. 13 Die finale Reintegration der Familie kann sich erst vollziehen, nachdem die Identität aller Figuren enthüllt ist und sämtliche inzestuöse Konflikte durch Heirat entschärft sind. Der Prozess vollzieht sich in drei Etappen, in denen die Protagonisten, Apollonius, seine Frau und seine Tochter Tarsia, je einen Scheintod sterben und durch die textintern erfolgende Aufdeckung ihrer falschen Sepulkralzeichen › zu neuem Leben erweckt ‹ werden. Als charakteristisch für die Semiose der falschen Sepulkralarrangements gestaltet sich dabei die Konkurrenz von Schrift- und Körperzeichen. Im Folgenden sollen die drei Scheintode genauer untersucht werden, die jeweils mit der Setzung eines Sepulkralzeichens einhergehen. Wenngleich sich die Gestaltung der drei Sepulkralzeichen stark voneinander unterscheidet, ergibt sich aus ihnen die gleiche handlungslogische Konsequenz: Das Sepulkralzeichen wird untersucht und der › Tote ‹ zurück ins 10 Allein der lateinische Text ist in 114 Handschriften aus dem 9. - 17. Jahrhundert überliefert. Darüber hinaus existiert eine Vielzahl an lateinischen und volkssprachigen Bearbeitungen und Übersetzungen aus ganz Europa. Zu den mittel- und neulateinischen Adaptionen des Apollonius-Stoffes vgl. Georgius A. A. Kortekaas: The Latin Adaptations of the › Historia Apollonii Regis Tyri ‹ in the Middle Ages and Renaissance. In: Heinz Hofmann (Hg.): Groningen Colloquia on the Novel, Bd. 3. Groningen 1990, S. 103 - 122, zu den mittelalterlichen volkssprachigen Übersetzungen und Adaptionen vgl. Archibald 1990. 11 Ein Überblick über die Datierungsprobleme und über die Diskussion einer griechischen oder lateinischen Vorlage findet sich u. a. bei Gareth Schmeling: Historia Apollonii regis Tyri. In: Ders. (Hg.): The Novel in the Ancient World. Leiden u. a. 1996, S. 517 - 551, hier S. 526 - 528. 12 Die initiale Inzest-Episode ist nach psychoanalytischer Deutung als »Ur-Szene« des Romans bezeichnet worden. Da sie zur Handlungslogik der › Historia ‹ wenig beiträgt, kann mit Recht behauptet werden, der inzestuöse Vorfall werde auf der histoire-Ebene › verdrängt ‹ , während Figurationen des Inzests immer wieder an die Oberfläche des discours dringen können, vgl. dazu Ulrike Junk: Transformationen der Textstruktur. › Historia Apollonii ‹ und › Apollonius von Tyrland ‹ . Trier 2003 (Literatur - Imagination - Realität 3), besonders S. 19 - 28 sowie zum Inzest im › Libro de Apolonio ‹ Ignacio Álvarez: Deseo y narración. El incesto y la historia Apollonii regis Tyri. In: Onomazein 8 (2003), S. 197 - 209. 13 Damit deutet sich eine Art serielles Erzählverfahren an, das in Bezug auf die höfische Literatur des Mittelalters als »Erzählen im Paradigma« beschrieben worden ist. Vgl. Rainer Warning: Erzählen im Paradigma. Kontingenzbewältigung und Kontingenzexposition. In: Romanistisches Jb. 52 (2001), S. 176 - 209. 5.1 Übergangsriten in der › Historia Apollonii regis Tyri ‹ 123 Leben geführt (Prinzip der Revivifikation). Die Wiederbelebung wird dabei stets von einem Identitätswechsel begleitet, der sich mit Arnold VAN G ENNEPS ethnologischem Modell der Übergangsriten beschreiben lässt. Nach VAN G ENNEP vollzieht sich der Statuswechsel von Individuen innerhalb von Gemeinschaften in einem Dreischritt, der sich aus Trennungsphase (in der ein Individuum seine Gruppe verlässt), Schwellenphase (Krisenphase, in der das Individuum keine Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen mehr besitzt) und der Wiedereingliederung zusammensetzt. 14 Ist die Krisenphase des Apollonius durch die Verfolgung der Häscher von König Antiochus und seinen Schiffsbruch bestimmt, bei dem er all sein Hab und Gut verliert, zeichnet sich die liminale Phase der Frauenfiguren durch körperliche und sexuelle Bedrohung aus. Während die Gattin des Apollonius im Labor eines Medizinstudenten landet, wird Tarsia in einem Bordell zur Prostitution gezwungen. Die Überwindung des Krisenzustandes kann entweder infolge von Eheschließung und damit einhergehender Herrschaftskonsolidierung oder durch Rückzug in das geistliche Leben erreicht werden. 5.1.1 Erster Scheintod: Ein sprechender Grabstein Nachdem er das Verbrechen des Antiochus aufgedeckt hat, flieht Apollonius nach Tarsus. Dort erfährt er, dass er verfolgt wird, ja sogar ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt wurde. Durch Getreidespenden sichert er sich die Gunst der Bewohner von Tarsus, die ihm vor der Abfahrt eine Ehrenstatue auf dem Marktplatz errichten. Zurück auf dem Meer gerät Apollonius in einen Sturm, in dem alle seine Gefährten ums Leben kommen. Nur Apollonius überlebt und wird nackt an das Gestade von Pentapolis gespült. In der Nacktheit spiegelt sich der Verlust seiner herrschaftlichen Identität. Ein Fischer schenkt ihm die Hälfte seines Überwurfs - die Erzählung vom Heiligen Martin klingt an - und weist ihm den Weg in die Stadt Cyrene. Dort nimmt Apollonius an einem Ballspiel teil, in dem er seine edle Abkunft unter Beweis stellen kann. Er zieht die Aufmerksamkeit des König Archistrates auf sich, der den Helden zum Essen einlädt. Apollonius folgt der Einladung, doch zeigt er sich bei Tisch derart bekümmert, dass er die Neugier der Königstochter erregt. Sie fragt den Neuling nach seinem Namen und Schicksal (nomen et casus). Der Schiffsbrüchige beantwortet die Frage mit einer Wendung, die sich an die Formulierung eines Epitaphs anlehnt: 15 Si nomen quaeris, Apollonius sum uocatus; si de thesauro quaeris, in mare perdidi (Hist. Apoll. 15, 6). 16 Das initiale Element, si nomen quaeris, ist in mehreren Epigrammsammlungen, u. a. den › Epigrammata Damasiana ‹ belegt (vgl. Kapitel 2.2). 17 Es handelt sich um den Beginn einer Grabinschrift, die einen Vorübergehenden adressiert. Indem Apollonius die formelhafte Prosopopöie aufgreift, inszeniert er sich also gewissermaßen als sein eigener Grabstein. Die etymologische Bedeutung seines Namens Apollonius (von griech. ἀπόλλυμαι : »verloren 14 Vgl. Arnold van Gennep: Übergangsriten. Aus dem Französischen von Klaus Schomburg u. Sylvia M. Scherff. Frankfurt a. M. 1986. 15 Zum Zusammenhang von Epigramm, Rätsel und Grabinschriften vgl. Kapitel 2. 16 Zitiert nach der rec. A der › Historia ‹ in der Ausgabe von Panayotakis 2012. »Fragst du nach meinem Namen, Apollonius werde ich genannt; fragst du meinem Hab und Gut, im Meer hab ich ’ s verloren.« 17 Vgl. Georgius A. A. Kortekaas: Enigmas in and around › The Historia Apollonii Regis Tyri ‹ . In: Mnemosyne 51. 2 (1998), S. 176 - 191, hier S. 186 f. sowie Panayotakis 2007, S. 309 f. 124 5 Grabmal und Scheintod im Liebes- und Reiseroman sein, zugrunde gehen«) hallt zudem im Verb perdidi nach, so dass der Eigenname eng mit dem Schicksal des Schiffsbruchs verknüpft wird. Die Pointe besteht also darin, dass die Frage der Prinzessin nach nomen et casus, den elementaren Bestandteilen des Epitaphs, auch folgerichtig mit einem fingierten Grabformular beantwortet wird, das seinerseits den sozialen Abstieg des Helden performativ zu besiegeln scheint. Die Prinzessin weiß nicht, wie sie auf die verknappte Antwort reagieren soll. 18 Sie bittet Apollonius daher, deutlicher (apertius) zu sprechen und erfährt schließlich seine ganze Leidensgeschichte. Durch die Bekanntschaft mit der Prinzessin wird Apollonius ’ soziale Reintegration eingeleitet. 19 Aus liebender Empfindung lässt das Mädchen den Schiffbrüchigen reich beschenken und am Hof als ihren persönlichen Musiklehrer anstellen. Als sie schließlich aus Liebe erkrankt, lässt der besorgte Vater Ärzte herbeiholen. Sie fühlen den Puls und untersuchen alle Körperteile, doch die Symptome der Liebe bleiben den Gelehrten verborgen, nirgends kann die Ursache des Leidens lokalisiert werden. Als König Archistrates eines Tages einen Spaziergang unternimmt, fordern ihn drei Edelmänner auf, die Tochter endlich zu verheiraten und dafür einen aus ihrer Gruppe auszuwählen. Im angedeuteten Zögern des Königs scheint die Möglichkeit einer Inzest-Konfiguration wieder auf, doch anders als Antiochus beschließt Archistrates, umgehend auf die Forderung der Brautwerber einzugehen. Er lässt ein Wachstäfelchen an das Krankenbett der Tochter bringen, auf dem die Namen der drei Interessenten geschrieben stehen. Die Prinzessin bedenkt ihre Antwort und schickt Apollonius mit dem Brief zu ihrem Vater zurück. Es folgte eine Szene komödiantischer Verwirrung: Nicht der Name eines Bewerbers steht auf der Tafel, sondern der Wunsch, einen, der Schiffbruch erlitten und sein Vermögen verloren hat, zum Mann zu nehmen (Hist. Apoll. 20, 8: illum uolo coniugem naufragio patrimonio deceptum). Weil Archistrates die verrätselte Antwort nicht versteht und jeder der Brautwerber nun versucht, den Schiffbruch für sich selbst zu beanspruchen, wird Apollonius um Rat gefragt. Von Schamesröte überzogen (Hist. Apoll. 21, 6: faciem eius roseo colore perfusam) erklärt er, die gesuchte Person ausfindig gemacht zu haben (Hist. Apoll. 21, 5: › Bone rex, si permittis, inueni. ‹ ). Die Scham richtig deutend schickt der König die Edelmänner fort und gewährt der Tochter ihren Wunsch. Vermag die Prinzessin anfangs nichts auf Apollonius ’ verrätselte Antwort zu erwidern, macht sie sich die Kunst verschlüsselter Rede schließlich selbst zu eigen. Aus Furcht, unangemessen zu wünschen, ersetzt sie die erwartete Indikation durch Signifikation: Sie bezeichnet Apollonius nicht mit seinem Namen, sondern mit der Bedeutung, die seinem Namen zugrunde liegt. Damit knüpft die Königstochter an Apollonius ’ epitaphischen Ausspruch an und überlässt es dem Vater, das Geschriebene zu deuten. Verständlicher noch als die Worte erweisen sich allerdings die Körperzeichen: In Anbetracht der Schamesröte erkennt der Vater sofort, was die Worte meinen, ohne dass es einer weiteren Erklärung des Boten bedürfte. 18 Vgl. Panayotakis 2007, S. 303: »Ancient theorizing about riddles and riddle-solving praises the original position of these predominantly oral forms of communication within a system of philosophical thought, where intellectuals contest with each other in order to exhibit their paideia and confirm the dignity of their status; esoteric philosophers, poets, prophets, and the Sphinx are key figures associated with riddles or symbolic language in the Classical Greek period. Apollonius of Tyre, on the other hand, features enigmatic discourse, employed by kings and princesses, as a special form of communication.« 19 Im Text geht das aus der Formulierung › Iam noster es, iuuenis, depone maerorem; et quia permittit indulgentia patris mei, locupletabo te. ‹ der Prinzessin hervor (Hist. Apoll. 16, 4). 5.1 Übergangsriten in der › Historia Apollonii regis Tyri ‹ 125 5.1.2 Zweiter Scheintod: Ein Sarg im Meer Mit der Eheschließung wird Apollonius ’ gesellschaftliche Wiedereingliederung rituell vollzogen und seine Nachfolge der Herrschaft über Pentapolis eingeleitet. Als seine Gattin schwanger wird, erreicht ihn plötzlich eine unerwartete Nachricht aus Antiochia. Der König und seine Tochter seien verstorben und Apollonius zum rechtmäßigen Thronerben ernannt, weil er als einziger das Inzest-Rätsel zu lösen vermochte. Trotz der nahenden Geburt beschließen die Eheleute, unverzüglich nach Antiochia zu reisen, um die Herrschaft anzutreten. Auf hoher See wird die gemeinsame Tochter Tarsia geboren. Doch die Geburt verläuft nicht ohne Komplikationen: Die Königstochter ist so erschöpft, dass sie für tot gehalten wird (Hist. Apoll. 25, 6: [n]on fuit mortua, sed quasi mortua). Der Steuermann verlangt, die Leiche über Bord zu werfen. Trauernd lässt Apollonius einen kunstfertigen Sarg aus Brettern anfertigen: Erant ex seruis eius fabri, quibus conuocatis secari et conpaginari tabulas, rimas et foramina pi[s]cari praecepit et facere loculum amplissimum. Et charta plumbea obturari iubet eum inter iuncturas tabularum. Quo perfecto loculo regalibus ornamentis ornat puellam, in loculo composuit et XX sestertia auri ad caput eius posuit. Dedit postremo osculum funeri, effudit super eam lacrimas et iussit infantem tolli et diligenter nutriri, ut haberet in malis aliquod solacium et pro filia sua neptem regi ostenderet. Et iussit loculum mitti in mare cum amarissimo fletu. (Hist. Apoll. 25, 10 - 12) Unter seinen Dienern waren Handwerker - die rief er zusammen und trug ihnen auf, Bretter zu schneiden und zusammenzusetzten, Risse und Bohrlöcher zu verpichen und einen sehr ansehnlichen kleinen Sarg zu bereiten. Und er befahl, ihn mit einer dünnen bleiernen Platte zwischen der Verbindung der Bretter abzudecken. Als der Sarg fertig war, schmückte er das Mädchen mit königlichen Kostbarkeiten. Er legte sie in den Sarg und zwanzig Goldsesterzen zu ihrem Haupt. Schließlich gab er der Leiche einen Kuss und übergoss sie mit seinen Tränen. Das Kind ließ er erziehen und sorgfältig nähren, damit er in seinem Unglück irgendeinen Trost hatte und dem König [sc. Archistrates] anstelle seiner Tochter eine Enkelin zeigen konnte. Und unter heftigem Weinen befahl er, den Sarg ins Meer zu werfen. Die ausführliche Beschreibung der verschiedenen Arbeitsschritte lässt den speziellen Artefaktcharakter des Sarges in den Blick treten, der nicht dazu bestimmt ist, mit der Leiche auf den Grund zu sinken, sondern, sorgfältig gegen die Fluten abgedichtet, als mobiler Container eine Reise ins Unbekannte aufnimmt. 20 Mit reichen Grabbeigaben ausgestattet treibt die Scheintote durch das Meer, in dessen fluider Ortlosigkeit sich sinnbildlich ihr liminaler Status spiegelt. An der Küste von Ephesos wird ein Arzt auf den angetriebenen Sarg aufmerksam. Er trägt den Kasten mit seinen Dienern an Land und entdeckt darin Schmuck-, Geld- und Briefbeigaben: Qui cum resignasset, inuenit sic scriptum: › Quicumque hunc loculum inuenerit habentem in eo XX sestertia auri, peto ut X sestertia habeat, X uero funeri impendat. Hoc enim corpus multas dereliquit lacrimas et dolores amarissimos. Quodsi aliud fecerit, quam dolor exposcit, ultimus suorum decidat, nec sit, qui corpus suum sepulturae commendet. ‹ Perlectis codicillis ad famulos ait: › Praestetur corpori, quod impe[t]rat dolor. 20 Es handelt sich bei dem verwendeten Lexem › loculus ‹ vermutlich um ein Wortspiel, da es sowohl in der Bedeutung › Sarg, Bahre ‹ als auch im semantischen Kontext von Geld als › Kasse ‹ belegt ist. Der Bretterkasten fungiert damit nicht nur Sarg, sondern auch als schwimmende Sparbüchse (vgl. Panayotakis 2012, S. 323). 126 5 Grabmal und Scheintod im Liebes- und Reiseroman Iuraui itaque per spem vitae meae in hoc funere amplius me erogaturum, quam dolor exposcit. ‹ (Hist. Apoll. 26, 3 - 6) Als er ihn [sc. den Brief] geöffnet hatte, fand er es so geschrieben: › Wer immer diesen Sarg findet, der zwanzigtausend Goldsesterzen enthält, den bitte ich, dass er zehntausend davon behält, zehntausend aber für das Begräbnis aufwendet. Denn dieser Leib hat viele Tränen und bitterste Schmerzen hinterlassen. Wenn er aber anderes tut, als der Schmerz fordert, soll er als letzter seiner Linie sterben und es soll niemanden geben, der seinen Leib einem Grab übergebe. ‹ Nachdem der Arzt den Brief gelesen hatte, sagte er zu seinen Dienern: »Dem Körper soll gewährt werden, was die Trauer gebietet. Ich schwöre deshalb bei der Hoffnung auf mein Leben, dass ich mehr für dieses Begräbnis ausgeben werde, als der Schmerz fordert.« Die Botschaft ähnelt der Sandinschrift der heiligen Maria von Ägypten. Zwar kennt sie ihren Adressaten nicht, doch wie Gott Don Gozimás fordert auch sie den Finder auf, dem Leib eine angemessene Bestattung zu bereiten. Als Anreiz (den die Sandinschrift freilich entbehrt, weil sie, von göttlicher Hand geschrieben, über ausreichend Autorität verfügt) dienen die Geldbeigaben. Anhaltspunkte über die Identität des Leibes bietet die Nachricht indes kaum. Weder Name noch Herkunft der Leiche werden genannt. Die Königstochter, im Text abwechselnd als puella, filia oder regina bezeichnet wird, beginnt auch ihren zweiten Lebensabschnitt namenlos. Autorität bezieht der Brief ferner aus einem abschreckenden Fluch, der demjenigen gilt, der sich tatenlos an dem Geld bereichern will. Doch der Arzt beteuert umgehend, keine Mühen für die Bestattung scheuen zu wollen. Nicht das Geld scheint die eigentliche Aufmerksamkeit des Mediziners und seiner Bediensteten zu erregen. Vielmehr ist es die Anziehungskraft des weiblichen Körpers, der mehrfach mit dem Epitheton speciosus versehen wird und so die Perspektive der voyeuristischen Betrachter spiegelt: Zunächst mustert derArzt den weiblichen Körper (vgl. Hist. Apoll. 26, 2: et uidit puellam regalibus ornamentis ornatam, s p e c i o s a m u a l d e ), danach betrachtet ein Schüler eingehend die Glieder, als er den Auftrag erhält, den Körper der Frau einzuölen und für den Scheiterhaufen vorzubereiten (vgl. Hist. Apoll. 28, 8: Hic cum uidisset s p e c i o s u m c o r p u s super rogum uelle poni [. . .]). Nicht nur seine Blicke, auch sein ganzes weiteres Vorgehen ist erotisch konnotiert. Der Schüler entblößt die weibliche Brust (Hist. Apoll. 26, 10: detraxit a pectore uestes) und reibt den gesamten Körper (ebd.: omnes artus) mit Öl ein, bis er plötzlich bemerkt, dass die Betäubung im Brustkorb nachgelassen hat. Das veranlasst ihn, den Körper noch genauer zu untersuchen: Palpat uenarum indicia, rimatur auras narium, labia labiis probat: sentit gracile spirantis uitam prope luctare cum morte adultera, et ait: › Supponite faculas per IIII partes. ‹ Quod cum fecisse<n>t, <faces iussit> lentas lenteque suppositas retrahere [manus], et sanguis ille, qui per ustionem coagulatus fuerat, liquefactus est. (Hist. Apoll. 26, 10) 21 Er fühlt die Anzeichen des Pulses, erforscht die Nasenatmung und prüft die Lippen mit seinen Lippen. Er bemerkt, dass das Leben der schwach Atmenden nahe dran ist, mit dem vermeintlichen Tode zu kämpfen und spricht: »Stellt Fackeln unter alle vier Seiten.« Als sie das getan hatten, befahl er, die erloschenen Fackeln, die behutsam unter sie gelegt worden waren, zurückzuziehen. Und das Blut, das zuvor erstarrt war, wurde durch das Feuer wieder flüssig. 21 Die textkritischen Anmerkungen stammen vom Herausgeber. Konjekturen wurden mitübersetzt, athetierte Passagen in der Übersetzung ausgespart. 5.1 Übergangsriten in der › Historia Apollonii regis Tyri ‹ 127 Der forschende Kuss und das durch Hitze in Wallung geratenden Blut weisen nur zu deutlich die Sexualisierung des medizinischen Vorgangs aus. Öl und Feuer, die für den Bestattungsritus vorgesehen waren, werden zu Hilfsmitteln der Wiederbelebung umfunktioniert, die zielgerichtet von männlicher Hand ausgeführt wird. Die vermeintliche Erfahrung, mit welcher der jugendliche Schüler die Untersuchung betreibt, lassen ihn, wie der Erzähler ironisch bemerkt, gar als reifen Mann erscheinen. 22 Damit tritt er auch in Kontrast zu den gelehrten Ärzten des Archistrates, die die Symptome der liebeskranken Tochter nicht zu deuten vermochten. Es nimmt daher nicht wunder, wie die Königstochter reagiert. Zu neuem Leben erwacht, wird sie sich der Gefahr durch die umstehenden Männer bewusst und fleht um den Erhalt ihrer Keuschheit: 23 Deprecor itaque, medice, ne me contingas aliter, quam oportet contingere: uxor enim regis sum et regis filia (Hist. Apoll. 27, 4). 24 Der Arzt erfüllt ihre Bitte. Er adoptiert die junge Frau und bringt sie in den Diana-Tempel, damit sie dort im Dienst der Göttin vor männlichen Übergriffen bewahrt bleibt. Die in der neu etablierten Vater-Tochter-Beziehung momenthaft aufscheinende Inzest-Option wird somit gleich wieder gebannt. Die Lebensgeschichte der Königstochter entwickelt sich, so könnte man schlussfolgern, in variierender Abgrenzung zur Legende der heiligen María von Ägypten: 25 Im Unterschied zur Sandinschrift erweist sich die Botschaft im Sarg der Königstochter als unzuverlässig; verlässlich sind dagegen die Zeichen am weiblichen Körper.Wie die Legende von María endet auch die benannte Erzählstrang des › Apollonius ‹ mit der Reintegration in eine religiöse Gemeinschaft: Während María nach ihrem Tod in die Gemeinschaft der Heiligen aufgenommen wird, nimmt die Königstochter eine neue Identität als Priesterin im Diana-Tempel von Ephesos an. Hat sich María zu Beginn ihres Lebens der Prostitution schuldig gemacht, scheint die Option für Archistrates ’ Tochter im Lichte der ärztlichen Behandlung zwar auf, wird aber mit dem Initiationsritus der Tempel-Gemeinschaft umgehend symbolisch suspendiert. 5.1.3 Dritter Scheintod: Ein leeres Grab Während die Königstochter wiederbelebt wird und ein neues Leben in Ephesus beginnt, setzt Apollonius seine Schifffahrt fort. Das Trennungsschema des antiken Romans steht erneut im Zeichen einer inzestuösen Konfiguration, denn nach dem Tod der Ehefrau bleibt der Vater mit seiner Tochter allein zurück. 26 Diese erzählerische Option wird aber abgewendet. Denn 22 Vgl. Hist. Apoll. 26, 7: aspectu adulescens, et, quantum ingenio, senex. Zum Puer-senex-Topos vgl. Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. 11. Aufl. Tübingen 1993 [1948], S. 108 - 112. 23 Vgl. auch Panayotakis 2012, S. 340. 24 »Ich bitte dich darum, Arzt, berühre mich nicht anders als es dir zu berühren zusteht: Ich bin nämlich die Frau und Tochter eines Königs.« 25 Womit nicht behauptet werden soll, dass die Legende der heiligen Maria von Ägypten die Entstehung des › Apollonius ‹ ursprünglich beeinflusst hätte. Es handelt sich bei den benannten Übereinstimmungen eher um motivische Versatzstücke und Modelle, die zwischen weltlichem und geistlichem Erzählen frei flottierten. 26 Das schlägt sich auch in den Worten nieder, die Apollonius bei der Übergabe der Tochter an die Zieheltern richtet, vgl. Hist. Apoll. 28, 2: Quantum in amissam coniugem flebam, tantum in seruatam mihi filiam consolabor. Zur erzähllogischen Implikation der abwesenden Mutter vgl. auch Panayotakis 2002, S. 99 - 102 sowie Álvarez 2003, S. 205: »Buscando los modos de escenificar nuevamente el deseo de incesto, la narración borra ahora a la esposa de Apolonio, quien aparentamente muere al dar a luz, y debe ser abandonada en alta mar en un balsa funeraria.« 128 5 Grabmal und Scheintod im Liebes- und Reiseroman Apollonius bringt Tarsia umgehend nach Tarsus und übergibt sie ihren Zieheltern Stranguillio und Dionysias. Mit Gold, Silber und kostbarer Kleidung entlohnt er ihre Bereitschaft, die Tochter zu erziehen und legt selbst einen Eid ab, nie wieder Bart, Haare oder Nägel schneiden zu wollen, bis er die Tochter verheiratet habe. Statt die Herrschaft in Antiochia anzutreten oder nach Persepolis zurückzukehren, will er Kaufmann in Ägypten werden und erst nach vierzehn Jahren als Brautgeber zurückkommen. Kaum etwas wird über die Kindheit Tarsias erzählt, nichts über Apollonius ’ Verbleib - im Sinne einer › Motivierung von hinten ‹ lässt die extreme Raffung der erzählten Zeit die Erzählung stattdessen unmittelbar in das heiratsfähige Alter der Tochter einmünden. 27 Im Unterschied zur bislang dominanten Vater-Tochter-Beziehung, die mit König Antiochus und seiner unverheirateten Tochter etabliert wird, sich in der Konstellation von König Archistrates und seiner Tochter sowie ihrer Adoption durch den Arzt wiederholt und sich schließlich mit Apollonius und Tarsia fortsetzt, gelangt Tarsia nun in eine intakte Familie mit Mutter, Vater und Schwester, die sich jedoch als nicht weniger risikobehaftet erweist. Die Inzestkonfiguration wird fortan nämlich durch das märchenhafte Erzählmuster der bösen Stiefmutter überlagert. Weil die Stiefmutter in der Schönheit Tarsias eine Bedrohung für ihre eigene Tochter sieht, beginnt sie ihre Ziehtochter zu verabscheuen. Kurz vor ihrem Tod klärt eine Amme das Mädchen über seine wahre Herkunft auf. Doch bevor sich Tarsia auf die Suche nach ihrem Vater machen kann, gerät sie in Lebensgefahr: Die Stiefmutter hat den Verwalter Theophilus beauftragt, das Mädchen am Grabmal ihrerAmme zu töten und ihren Leichnam ins Meer zu werfen. Tarsia bedingt sich ein letztes Gebet aus, als plötzlich Piraten in das Grabmal einfallen und sie als Beute davontragen. Da Dionysias glaubt, der Mordanschlag sei geglückt, gesteht sie ihrem Mann die Tat und fordert ihn auf, Trauerkleidung anzulegen. Durch die öffentliche Errichtung eines Grabmals will sie vorzutäuschen, dass Tarsia an einem Bauchleiden verstorben ist. Der Grabbau wird veranlasst und weil sich die Bürger von Tarsus an die Wohltaten des Apollonius erinnern, dem sie einst ein Standbild errichtet hatten, widmen sie auch dem Mädchen eine Inschrift. 28 Als Apollonius vierzehn Jahre später endlich nach Tarsus zurückkehrt, findet er die Zieheltern in vermeintlicher Trauer vor. Schon ahnt Apollonius, dass ihre Tränen auch seine eigenen sein werden (Hist. Apoll. 37, 6: ne forte istae lacrimae non sint uestrae, sed meae propriae? ). Mit gespielter Bestürzung (Hist. Apoll. 37, 4: fictas [. . .] lacrimas) klären Stranguillo und Dionysias ihn über den Tod der Tochter auf und berichten von dem Grabmal, das die Bürger von Tarsus gebaut haben. Erschüttert begibt sich Apollonius zur Gedenkstätte, um den Tod seiner Tochter zu betrauern. Zum dritten Mal wird damit der Scheintod eines Protagonisten durch ein täuschendes Sepulkralzeichen bekräftigt. Während sich Apollonius am Hof von Cyrene selbst als Grabstein (als Medium) ausgab und für das Grab seiner Frau die Rolle des Senders übernahm, wird er nun 27 Kortekaas nennt die Verdunklung des Textes in Bezug auf die vierzehnjährige Abwesenheit von Apollonius ein typisches Beispiel für den »almost complete lack of motivation, causality, and chronology« des Textes (Kortekaas 1990, S. 104). Obgleich der Text gattungsgeschichtlich noch dem antiken Prosaroman zuzurechnen ist, steht die Erzählweise in mancher Hinsicht (etwa hinsichtlich der kausalen Unterdeterminierung zugunsten einer stärkeren Finalmotivierung, deren Kohärenz durch Äquivalenzbeziehungen gestützt wird) der volkssprachigen mittelalterlichen Literatur sehr nahe. 28 Hist. Apoll. 32, 19: D II MANES | CIVES T HARSI T HARSIAE VIRGINI | BENEFICIIS T YRII A POLLONII | EX AERE COLLATO FECERVUN T . 5.1 Übergangsriten in der › Historia Apollonii regis Tyri ‹ 129 erstmals zum Empfänger der Botschaft. Doch überraschenderweise kann das Grabmal die von Dionysias erhoffte Wirkung nicht entfalten. Die Vergegenwärtigung des Todes (Remortifikation) will im Anblick des Grabes nicht gelingen; vielmehr trägt die Inschrift zum Gegenteil bei, denn die Tränenströme, von denen Apollonius eben noch angenommen hatte, es werden auch seine sein, stellen sich aus unerklärlichen Gründen nicht ein. Der Umstand beunruhigt den trauernden Vater so sehr, dass er beginnt, an seinem Verstand zu zweifeln: At ubi peruenit, titulum legit: D II MANES | CIVES T HARSI T HARSIAE VIRGINI | A POLLONII REGIS FILIAE | OB BENEFICIVM EIVS PIETATIS CAVSA | EX AERE COLLATO FECERVN T . Perlecto titulo stupenti mente constitit. Et dum miratur se lacrimas non posse fundere, maledixit oculos suos dicens: › O crudeles oculi, titulum natae meae cernitis, et lacrimas fundere non potestis! O me miserum! Puto, filia mea uiuit. ‹ (Hist. Apoll. 38, 4 - 5) 29 Sobald er dort ankam, las er die Inschrift: › D EN T OTENGÖTTERN GEWEIHT . D IE B ÜRGER VON T ARSUS HABEN DIESES G RABMAL F ÜR DIE J UNGFRAU T ARSIA , T OCHTER DES K ÖNIGS A POLLONIUS , AUS D ANKBARKEIT WEGEN SEINER W OHLTAT AUS S PENDENGELDERN ERRICHTET . ‹ Nachdem er die Inschrift gelesen hatte, stand er staunend da. Und während er sich wunderte, dass er keineTränen vergießen konnte, verfluchte er seineAugen und sagte: »Oh ihr grausamen Augen, ihr seht die Inschrift meinerTochter und könnt keineTränen vergießen! Ich Elender! Ich glaube, meine Tochter lebt! « Erneut bilden Sepulkralzeichen und Körperzeichen einen Kontrast. Anders als in der vorangegangenen Episode offenbaren sich die Symptome jedoch nicht am Körper der Scheintoten, sondern am Leibe des Betrachters, dem es nicht gelingt, das Gelesene auf die Ebene der Kognition zu übertragen. In Abaelards Semiotik formuliert: Als Reaktion auf die significatio rerum, die Bezeichnung des Grabmals, scheint sich bei Apollonius die significatio intellectuum nicht einzustellen, die geistige Bedeutung also, die doch die Voraussetzung für eine affektive Reaktion wäre. Die Sepulkralsemiose wirkt gestört, weil der Körper des Betrachters sich der kommunikativen Vergegenwärtigung der Toten verweigert, die der Signifikationsprozess des Grabmals herzustellen hätte. Ahnungslos kehrt Apollonius auf sein Schiff zurück und trauert zurückgezogen um die verloren geglaubte Tochter. Wie die vorherigen Sepulkralzeichen markiert auch das Scheingrab Tarsias den Moment einer sozialen Ablösungsphase, die ihren Ausgang am Grabmal der vertrauten Amme nimmt und erneut über das Meer führt. Dem Schutz der Familie entrissen, wird die gerade heiratsfähige Tarsia in Mytilene an einen Kuppler verkauft, der sie zur Prostitution zwingt und in großen Lettern den Preis für ihre Entjungferung an die Bordellkammer schreiben lässt. 30 In ihrer Not wiederholt Tarsia, was auch ihre Mutter in Bedrängnis getan hat und fleht die Freier 29 Die Inschrift entspricht dem Wortlaut in Hist. Apoll. 32, 19 nicht vollständig. Panayotakis vermutet, dass sich die Variation der Perspektive des Lesers verdanke, die Inschrift sich mit ihrem Leser also verändern könne (vgl. Panayotakis 2007, S. 314). Ähnlich argumentiert auch Slater, der in Anlehnung an Panayotakis dafür plädiert, dass die verschiedenen Episoden unterschiedliche Aspekte des Helden akzentuiert würden und durch die leicht modifizierte Grabinschrift die Wohltaten des Apollonius noch deutlicher hervorträten (vgl. Slater 2009, S. 76). 30 Vgl. Hist. Apoll. 33, 10: Et uocauit ad se uilicum puellarum et ait ad eum: Cella ornetur diligenter, in qua scribatur titulus: › Qui Tarsiam uirginem uiolare uoluerit, dimidiam auri [partem uel] libram dabit; postea uero singulos aureos populo patebit ‹ . Die Türschwelle wird durch die Inschrift semantisch aufgeladen, symbolisiert der räumliche Zutritt doch auch einen Übergriff auf die intime Sphäre des weiblichen Körpers. Mit der bedrohten Virginität wird ein für das legendarische Erzählen konstitutives Erzählmodell aufgerufen, vgl. dazu die Ausführungen von Johannes Traulsen: Virginität und Lebensform. In: Weitbrecht u. a. 2019, S. 137 - 158. 130 5 Grabmal und Scheintod im Liebes- und Reiseroman um Schonung an. Sie versteht es, ihre Lebensgeschichte so kunstvoll und ergreifend zu erzählen, dass sie ihre Freier zu Tränen rührt. Man entlohnt sie reich, ohne dafür sexuelle Dienste einzufordern. Die so bewahrte Jungfräulichkeit steigert ihren Preis und ihre Attraktivität immer mehr, bis schließlich der Prinz Athenagoras das Mädchen freikauft und sie hütet, als ob sie seine einzige Tochter wäre (Hist. Apoll. 36, 4: ita eam custodiebat, ac si unicam suam filiam). Nachdem er durch die stürmische See vom Kurs abgebracht wurde, landet Apollonius schließlich im Hafen von Mytilene. Als Athenagoras dieTrauer des Mannes bemerkt, schickt er das Mädchen zu ihm, damit sie ihm Trost spendet. Doch ihre Lieder und Rätsel vermögen Apollonius nicht zu erheitern. Unwissend, wen er vor sich hat, versetzt er dem Mädchen gereizt einen Schlag, worauf es in Klage über sein Schicksal ausbricht und Vater und Tochter sich schließlich erkennen. 31 Das erlittene Unrecht wird gerächt und der Kuppler öffentlich verbrannt. Nachdem Apollonius die Bürger für ihre Unterstützung reich beschenkt hat, wird ihm erneut ein Standbild gestiftet, das den Helden wie schon in Tarsus in einer Siegerpose darstellt. Dieses Mal aber zeigt sie ihn, wie er mit einem Fuß den Kopf des Kupplers niederdrückt und im rechten Arm die Tochter hält. Die Statue wird mit einer Inschrift versehen, in der die Bürger Apollonius ihre Ehre bezeugen: T YRIO A POLLONIO | RESTITVTORI MOENIVM NOSTRORVM | ET T ARSIAE P UDI < CI > SSIME VIRGINI TATEM SERVANTI | ET CASVM VILISSIMVM INCVRREN TI | VNIVERSUS POPVLVS | OB NIMIVM AMOREM | AETERNVM DECVS MEMORIAE DEDI T . Quid multa? Inter paucos dies tradidit filiam suam Athenagorae principi cum ingenti honore ac ciuitatis laetitia. (Hist. Apoll. 47, 5 - 6) F ÜR A POLLONIUS VON T YRUS , DEM W IEDERERBAUER UNSERER M AUERN UND F ÜR T ARSIA , DIE IHRE J UNGFRÄULICHKEI T SO SITTSAM BEWAHRTE UND DEM NIEDRIGSTEN S CHICKSAL AUSGESETZT WAR , STIFTET DAS GESAMTE V OLK WEGEN ALLZU GRO ß ER L IEBE EINE EWIGE Z IERDE DER E RINNERUNG .Was bedarf es weiter vieler Worte? Innerhalb wenigerTage übergab er seine Tochter dem Prinzen Athenagoras unter der größten Ehrerbietung und Freude der Bürgerschaft. Im Unterschied zum Grabmal haben die Siegesdenkmäler eine affirmative Funktion. Sie bestimmen einen status quo und formen das kollektive Gedächtnis. Im letzten Denkmal wird nicht nur der guteAusgang besiegelt, sondern auch Tarsias Reintegration in die Familie und Ehe symbolisch bekräftigt. Die Beziehung von Vater und Tochter wird abschließend als sittsame und protektive Verbindung ins Bild gesetzt. Durch einen Traum geleitet fährt Apollonius zurück nach Tarsus und findet dort endlich auch die eigene Gattin wieder. Gemeinsam mit den frisch Vermählten brechen die Eltern nach Pentapolis auf und verbringen ein Jahr mit dem alten König Archistrates, bevor er stirbt und die Herrschaft an seinen rechtmäßigen Erben übergibt. In dieser finalen Konstellation kommen zwei Väter mit ihren Töchtern zusammen, die beide im Schutz der Ehe stehen. Sämtliche Inzestkonfigurationen sind erschöpft, die Erzählung gelangt an ihr Ende. 31 Die Szene weist eine auffällige Übereinstimmung mit dem Prolog des Textes auf. Der Gewaltakt des Vaters erinnert an die Vergewaltigung der Königstochter von Antiochia. Beide Male bleibt Blut zurück (vgl. Hist. Apoll. 2, 1 f.: Subito nutrix eius introiuit cubiculum. Vt uidit puellam flebili uultu, asperso pauimento sanguine, roseo rubore perfusa<m>, ait [. . .] und 44, 3: Quae cum cedisset, de naribus eius sanguis coepit egredi, et sedens puella coepit flere et cum magno maerore dicere [. . .]). 5.1 Übergangsriten in der › Historia Apollonii regis Tyri ‹ 131 Die Lebensgeschichten der drei Handlungsträger, Apollonius, seiner Gattin und Tarsia, lassen deutliche Anleihen an Mustern des legendarischen Erzählens erkennen. Anders als in der Legende steht der Tod in der › Historia ‹ jedoch nicht am Ende, sondern stets am Anfang eines neuen Handlungsstrangs, der zugleich den Wechsel des Erzählfokusses auf einen neuen Protagonisten markiert. Im Sepulkralzeichen manifestiert sich der Scheintod als Ablösungs- oder Trennungsmoment, der jedoch auf die Ehe als symbolischem Zielpunkt der sozialen Wiedereingliederung verweist. Das Inzestmotiv, das sich wiederholt in das Erzählsyntagma einschiebt und die Finalmotivierung zu unterminieren droht, fungiert deshalb als › abgewiesene Alternative ‹ . 32 Drohend erhebt sich die Möglichkeit der pervertierten Ehe bereits im Prolog über die Handlung und sensibilisiert die Rezipienten für die immer wieder aufscheinenden Anzeichen inzestuöser Verbindungen. In den drei Grabinschriften variiert der Grad der Verhüllung. Während die erste Grabinschrift den Tod des Helden nur metaphorisch bezeichnet, gibt derTotenbrief im wasserfesten Sarg der Königstochter eine Fehlinformation. Beim Epitaph auf Tarsias Grabmal handelt es sich schließlich um eine intentionaleTäuschung. Auch wenn die textinternen Leser - erst die Königstochter, dann der Arzt und schließlich Apollonius - die vorgefundenen Sepulkralzeichen nicht immer korrekt deuten können, werden sie im Laufe des Geschehens jeweils zu Helferfiguren, die den Scheintod aufdecken und zur Reintegration der Protagonisten beitragen. Als indikativ erweist sich dabei jeweils der Abgleich mit Körperzeichen, die ein alternatives, letztlich verlässlicheres Zeichensystem bieten als die Sepulkralarrangements. Anders als im legendarischen Erzählen des Hieronymus, der mit seinem exegi monumentum aere perennius selbstbewusst auf die Signifikationskraft der Grabinschrift setzte, deutet sich im › Apollonius ‹ -Roman eine Verunsicherung an, die die Erzählliteratur noch im Hoch- und Spätmittelalter begleitet. Wie nicht nur bei Dante und in › De Erkenwaldo ‹ , sondern auch am › Parzival ‹ beispielweise und im › Prosalancelot ‹ zu zeigen sein wird, kündigen sich immer wieder Zweifel an der Verlässlichkeit der Sepulkralsemiose an, setzt man auch dort auf realkörperliche Alternativen zur substitutiven Präsentifikation der Toten. 5.2 Doppelgrabmäler: › Flore und Blanscheflur ‹ , › Pyramus und Thisbe ‹ und › Tristan und Isolde ‹ Während es sich beim Scheintod um ein inchoatives Motiv handelt, das die Entwicklung der Erzählung vorantreibt, ist das antike Liebestodmotiv resultativ, es besiegelt das tragische Ende zweier Liebender. In der mittelalterlichen Rezeption von Ovids › Metamorphosen ‹ gewinnt insbesondere das Grabmal von › Pyramus und Thisbe ‹ paradigmatischen Charakter. 33 Es fungiert als Mahnmal einer Liebe, die nur im Tode bestehen kann. Im Doppelgrabmal spiegelt sich die antike Idee, die unglücklichen Liebenden könnten im Tode endlich vereint werden. 32 Zum Begriff der › abgewiesenen Alternative ‹ vgl. Peter Strohschneider: Einfache Regeln - komplexe Strukturen. Ein strukturanalytisches Experiment zum › Nibelungenlied ‹ . In: Wolfgang Harms u. Jan-Dirk Müller (Hg.): Mediävistische Komparatistik. FS für Franz Josef Worstbrock. Stuttgart/ Leipzig 1997, S. 43 - 75; Nachdruck in: Christoph Fasbender (Hg.): Nibelungenlied und Nibelungenklage. Neue Wege der Forschung. Darmstadt 2005, S. 48 - 82; Jan-Dirk Müller: Spielregeln für den Untergang. Die Welt des Nibelungenliedes. Tübingen 1998, S. 140 - 144 sowie Armin Schulz: Fragile Harmonie. › Dietrichs Flucht ‹ und die Poetik der › abgewiesenen Alternative ‹ . In: ZfdPh 121 (2002), S. 390 - 407. 33 Vgl. Ov. Met. 4, 55 - 161. 132 5 Grabmal und Scheintod im Liebes- und Reiseroman Tatsächlich sind Doppel- oder Ehegrabmäler erst seit dem späten 13. Jahrhundert in größerer Zahl bezeugt, im niederen Adel und den städtischen Führungsgruppen dürften sie sich hingegen erst im Laufe des 14. Jahrhunderts etabliert haben. 34 Im folgenden Kapitel möchte ich zeigen, dass Grabmäler in mittelalterlichen Liebeserzählungen nach dem Vorbild von Ovids › Pyramus und Thisbe ‹ eine narrative Schlussgebungsfunktion erfüllen. Der Mythos war im Hoch- und Spätmittelalter stark verbreitet. So ging er unter anderem in Boccaccios › Decamerone ‹ (1349 - 1353), Chaucers › Canterbury Tales ‹ (1387 - 1400) sowie › The Legend of Good Women ‹ (um 1386) und John Gowers › Confessio Amantis ‹ (1386 - 1390) ein. Daneben wirkte er auch als Referenzpunkt für andere Stoffkreise. Explizite Bezugnahmen auf den ovidischen Mythos können insbesondere in Bearbeitungen von › Tristan und Isolde ‹ , wie auch von › Flore und Blanscheflur ‹ ausgemacht werden. Die verschiedenen volkssprachlichen Fassungen der drei Liebesgeschichten lassen eine intrikate Einflussnahme aufeinander erkennen, die zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert zu immer neuen réécritures anregte und bislang nur teilweise erforscht worden ist. Vor diesem Hintergrund soll die Scheingrab-Episode des Florisromans neu gedeutet werden. Das Automatengrab ist Gegenstand zahlreicher Forschungsbeiträge geworden, die sich insbesondere der technischen Einrichtung des Wunderwerks wie auch der narrativen Verflechtung von Kunst- und Liebeskonzepten im Minne- und Aventiureroman gewidmet haben. Im Mittelpunkt stand dabei häufig die Frage, warum sich das von den Eltern errichtete Scheingrab als dysfunktional erweist, also nicht eigentlich dazu beitragen kann, dem Sohn Trost zu spenden. Die Frage nach dem Scheitern der Sepulkralsemiose soll hier in zwei Schritten aufgegriffen werden. Der erste Abschnitt befasst sich mit der subversiven Erzählweise des französischen › conte de Floire et Blancheflor ‹ (um 1160), 35 in dem, wie Michael W ALTENBERGER gezeigt hat, dominante semantische Konstellationen der chanson de geste unterlaufen werden. Wie ich zeigen möchte, erstrecken sich die narrativen Umbesetzungen aber auch auf andere Erzählstoffe. So liefert der Text einerseits eine eigensinnige Alternative zu den (Sepulkral-)kunstwerken der Antikenromane (vgl. Kapitel 4.3.1), andererseits lässt er eine produktiveAuseinandersetzung mit der Erzählung von › Pyramus und Thisbe ‹ erkennen, die als Prätext bislang noch keine Beachtung gefunden hat. 36 Der zweite Abschnitt befasst sich mit der 34 Vgl. Bauch 1976, S. 106 - 119; Körner 1997, S. 137 - 146; besonders einschlägig zu diesem Thema außerdem Gabriela Signori: Von der Paradiesehe zur Gütergemeinschaft. Die Ehe in der mittelalterlichen Lebens- und Vorstellungswelt. Frankfurt a. M. 2011 (Geschichte und Geschlechter 69), darin der dritte Teil zu »Jenseitsökonomien« S. 125 - 178, in dem sie auch auf das Grabmal in den verschiedenen Bearbeitungen von › Tristan und Isolde ‹ verweist. 35 Der Text ist in vier Handschriften überliefert, ms. 375 (A) der BnF auf fol. 247 v - 254 v in 3342 Versen wird gewöhnlich als Leithandschrift gewählt. Die Handschrift enthält auch Benoîts de Sainte-Maure › Roman de Troie ‹ , dessen Kolophon Auskunft über die Kopie eines Jean Madot im Jahre 1289 gibt. Es ist allerdings möglich, dass auch das Kolophon Kopie einer anderen Handschrift ist. Als terminus ante quem wird fol. 216 herangeführt, auf dem die Genealogie der Grafen von Boulogne erwähnt wird, als Robert II. von Boulogne noch am Leben war. Das Manuskript muss daher vor seinem Tod im Jahre 1317 kopiert worden sein. Bei ms. 12562 der BnF, fol. 69 r - 89 r , handelt es sich um eine Kopie von A aus dem 15. Jahrhundert. Ms. 1447 (B) vom Anfang des 14. Jahrhunderts überliefert auf fol. 1 r - 20 v in 3039 Versen eine vermutlich ältere Fassung als A. In ms. Pal. lat. 1971 vom Anfang des 13. Jahrhunderts befindet sich auf fol. 85 r - 90 v ein weiteres Fragment von 1147 Verse, das wahrscheinlich ebenfalls auf eine frühere Fassung zurückgeht als A. 36 Vgl. Michael Waltenberger: Diversität und Konversion. Kulturkonstruktionen im deutschen und französischen Florisroman. In: Wolfgang Harms u. a. (Hg.): Ordnung und Unordnung in der Literatur des Mittelalters. Stuttgart 2003, S. 25 - 44. 5.2 Doppelgrabmäler 133 deutschen Bearbeitung Konrad Flecks (um 1220), 37 die, wie Moritz W EDELL herausgestellt hat, Bild und Bildlichkeit poetologisch reflektiert. 38 Damit bietet der Text besonders günstige Voraussetzungen, um die semasiologische Qualität des Grabmals, d. h. die spezifische Konfiguration der semiotischen Systeme Schrift, Bild, Materialität und Räumlichkeit, vor dem Hintergrund der kulturhistorischen Entwicklung des Grabmals zu untersuchen. 39 Wo die Handlungslogik eines Textes keine befriedigende Antwort bietet, so die Prämisse des vorliegenden Kapitels, kann die Untersuchung der Interferenz von erzähllogischen und kulturhistorischen Argumente Auskunft geben. 5.2.1 Verschlungene Réécriture Die meisten Tristan-Bearbeitungen enthalten explizite Verweise auf die Mythen Ovids, unter denen › Pyramus und Thisbe ‹ , wie Manfred K ERN betont hat, die Rolle eines Interpretaments zukommt, sich mithin als Modell andient, »an dem sich die Fabel von Tristan und Isolde orientiert«. 40 Noch bevor er Isolde kennenlernt, spielt Tristan im Palast von Tintajol für König Marke auf der Harfe und singt dazu einen senelîchen leich als ê | de la cûrtoise Tispê | von der alten Bâbilône (Tr. 3612 - 4). 41 Ab dem Zeitpunkt, da die Sage musikalisch in die Erzählung eingespielt wird, ragt sie als drohender Schatten über dem Geschehen, das in Eilharts von Oberg › Tristrant ‹ (um 1170) und den Fortsetzern Gottfrieds, Ulrich von Türheim und Heinrich von Freiberg (13. Jahrhundert), 42 auch tatsächlich mit dem Liebestod der Protagonisten endet. 43 37 Die genaue Datierung des Textes ist umstritten, vgl. dazu Konrad Fleck: Flore und Blanscheflur. Text und Untersuchungen. Hg. v. Christine Putzo. Berlin u. a. 2015, S. 59 - 89: Als terminus post quem gilt Hartmanns von Aue › Erec ‹ (um 1180), als terminus ante quem der Literaturexkurs in Rudolfs von Ems › Alexander ‹ (nach 1230), in dem auch › Flore und Blanscheflur ‹ aufgeführt wird. Putzo plädiert für eine frühe Entstehung um 1200, die einen Bezug auf Hartmann nahelegt, auf Gottfried von Straßburg hingegen ausschließt. Ihre Argumentation basiert wesentlich auf der Erwähnung einer › Cligès ‹ -Dichtung bei Rudolf von Ems, die Putzo als zweites Werk Flecks noch vor der Entstehung von Wolframs von Eschenbach › Parzival ‹ vermutet. 38 Moritz Wedell: Flore und Blanscheflur im bilde. Bild-Erzeugung und Bild-Übertragung in Konrad Flecks Floreroman. In: Das Mittelalter 13 (2008), S. 42 - 62. 39 Hierzu hat sich bereits grundlegend Wandhoff geäußert, an dessen Überlegungen ich im dritten Unterkapitel anknüpfe, vgl. Wandhoff 2003, S. 301 - 323; ders. 2006(a); ders.: Bilder der Liebe - Bilder des Todes. In: Christine Ratkowitsch (Hg.): Die poetische Ekphrasis von Kunstwerken. Eine literarische Tradition. Wien 2006(b) (Sitzungsberichte. Akademie der Wissenschaften in Wien. Philosophisch- Historische Klasse 735), S. 55 - 76. 40 Manfred Kern: Metamorphosen-Rezeption in der deutschen Dichtung des 13. Jahrhunderts. In: Christa Bertelsmeier-Kirst u. Christopher Young (Hg.): Eine Epoche im Umbruch. Volkssprachige Literalität 1200 - 1300. Cambridger Symposium 2001. Tübingen 2003, S. 175 - 194, hier S. 187. Zum Singen und Erzählen antiker Liebesgeschichten im › Tristan ‹ vgl. auch Susanne Flecken-Büttner: Wiederholung und Variation als poetisches Prinzip. Exemplarizität, Identität und Exzeptionalität in Gottfrieds › Tristan ‹ . Berlin/ New York 2011, S. 232 - 238. 41 Zitiert nach Gottfried von Straßburg: Tristan, 2. Bde. Hg. v. Karl Marold. Unveränderter fünfter Abdruck nach dem dritten, mit einem auf Grund von Friedrich Rankes Kollationen verbesserten kritischen Apparat besorgt und mit einem erweiterten Nachwort versehen von Werner Schröder. Berlin/ New York 2004. 42 Zu den Fortsetzern vgl. Peter Strohschneider: Gotfrid-Forsetzungen. Tristans Ende im 13. Jahrhundert und die Möglichkeiten der nachklassischen Epik. In: DVjs 65 (1991), S. 70 - 98. 43 Glendinning hat als Quelle von Gottfried eine mittellateinische Pyramus-Bearbeitung plausibel gemacht, die Matthäus von Vendôme, dem Autor der › Ars versificatoria ‹ , zugeschrieben wird. Dagegen vermutet Usener aufgrund zahlreicher Anspielungen, dass Gottfried direkt auf Ovid zurückgegriffen haben könnte. 134 5 Grabmal und Scheintod im Liebes- und Reiseroman Während bei Eilhart und den Fortsetzern das Schlussbild einer symbiotischen Verschlingung von Rebstock und Rosenstrauch in dem sonst nicht weiter präzisierten Grabmal Tristans und Isoldes geboten wird, 44 lässt König Marke seiner Frau und seinem Neffen im › Tristan en prose ‹ (1215 - 1235) ein stattliches Doppelgrab aus Stein in der größten Kirche von Tintagel errichten. 45 Gemeinsam werden die Liebenden darin bestattet, weil, so König Marke, [. . .] por ce qe tant s ’ antramerent en lor vie, car li uns ne poët sanz l ’ autre demourer ne nuit ne jor ne nulle hore du monde, et s ’ il n ’ estoient toz jors ensamble, ensi estoit leurs cuers et lor volenté ensanble. [. . .] li rois Mars i [sc. en la grant eglise de Tyntajol ] fist fere une sepulture si riche et si merveilleuse qe devant n ’ avoit esté nulle si riche en Cornoaille [. . .] Desus la tombe, aussint come je vos ai dit, ou pié de la sepulture, avoit .II. ymages droites de coivre entregetees et estoient ces ymages chascunes aussi grant come .I. home. L ’ une des ymages estoit fete en samblance de chevalier si bel et si cointement ovré q ’ il estoit avis a celui qi le regardoit qe le chevalier estoit en vie, et il tenoit sa main senestre devant son piz tote close ainssint come se il tenist les ataches de son mantel, et le braz destre tenoit il tendu vers les gens, et tenoit en celle main l ’ espee, et avoit fait fere li rois Mars letres d ’ or enmi le piz du chevalier qi disoient »Tristan«. Li autrez ymages, qi estoit fet en sanblance de feme, avoit letres enmi le piz qi disoient »Y s e l t «. Et sachiéz qe l ’ on ne peüst pas trover a celui tens en tot le monde .II. ymages si bien fetes qe celle ne fussent encore mielz. (TristPr. 5, 170, 22 - 26 u. 30 - 32; 5, 171, 11 - 25) [. . .] sie sich zu Lebzeiten so sehr geliebt hatten, dass sie weder Nacht, noch Tag, noch überhaupt eine Stunde ohne einander verbringen konnten. Und wenn sie nicht jeden Tag beieinander waren, waren doch ihre Herzen und ihr Wille beieinander. [. . .] Dort, in der großen Kirche von Tintagel, ließ König Marke ein Grab errichten, so stattlich und wunderbar, dass es zuvor ein so stattliches in Cornwall nicht gegeben hatte. [. . .] Auf dem Grabmal standen, so wie ich es gesagt habe, am Fuße des Grabes, zwei aufrechte Skulpturen aus Kupfer gegossen und diese Skulpturen waren jeweils genauso groß wie ein Mensch. Die eine der beiden Skulpturen war dem Ritter ähnlich, so schön und so fein gearbeitet, dass derjenige, der sie sah, glauben musste, dass der Ritter lebendig war. Er hielt seine linke Hand geschlossen auf seiner Brust, als ob er die Bänder seines Mantels halten würde. Den rechten Arm streckte er den Leuten entgegen und in der Hand hielt er ein Schwert. Auf der Brust des Ritters hatte König Marke Goldbuchstaben anbringen lassen, die »Tristan« sagten. Die andere Skulptur, die einer Dame ähnlich sah, trug Buchstaben auf der Brust, die »Yseut« sagten. Wisst, dass man zu dieser Zeit auf der ganzen Welt keine zwei so schön gestalteten Skulpturen finden konnte, und dass sie nicht besser sein könnten. Die Passage gewährt Aufschluss über die französischen Sepulkralkunst des hohen Mittelalters. Zwar sind aus dem 12. Jahrhundert bereits Königsgrabmäler mit bildlichen Darstellungen in Vgl. Robert Glendinning: Gottfried von Strassburg and the School-Tradition. In: DVjs 61.4 (1987), S. 617 - 638; Kurt Usener: Verhinderte Liebschaft. Zur Ovidrezeption bei Gottfried von Strassburg. In: Xenja von Ertzdorff (Hg.) u. Rudolf Schulz (Red.): Tristan und Isolt im Spätmittelalter. Vorträge eines interdisziplinären Symposiums vom 3. bis 8. Juni 1996 an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Amsterdam 1999 (Chloe 29), S. 219 - 256, hier S. 229 f. 44 Vgl. Eilhart von Oberg: Tristrant und Isalde (nach der Heidelberger Handschrift Cod. Pal. Germ 346). Hg. v. Danielle Buschinger. Berlin 2004 (Berliner Sprachwissenschaftliche Studien 4), vv. 9702 - 916: ich waiß nit sagen me, | wenn daß sy wurden begraben | mit grosser clagen | und doch gar erlich. | ich sag üch wärlich: | man legt sie bayde in ain grab. | man sagt dar ab, | und ward mir gesagt alsuß zwar, | der kunig ainen rosenbusch dar | ließ setzen uff das wib | und ainen stock uff Tristrandß lib | von ainem weinreben. | die wochsen ze samen eben | daß man sie mit kainen dingen | mocht von ain ander bringen [. . .]. 45 Zitiert nach Le Roman de Tristan en Prose (Version du ms. 757 de la BnF), Bd. 5. Hg. v. Christine Ferlampin- Acher. Paris 2007 (Les Classiques Français du Moyen Age 153). 5.2 Doppelgrabmäler 135 Reims, St. Denis, Paris und Soisson bekannt, es handelt sich dabei allerdings weitgehend um (auf der Grabplatte) l i e g e n d e Grabbilder. 46 Unter dem Einfluss der Gotik wurden jedoch neue Typen ausgebildet, so dass zum Liegenden im 13. Jahrhundert schließlich auch die stehende Skulptur hinzutrat (vgl. Kapitel 1.2.2). Die im › Tristan en prose ‹ beschriebene Haltung der Figuren (besonders auffällig der Griff an den Tasselriemen) entspricht ebenfalls der verbreiteten Ikonographie des 13. Jahrhunderts. 47 Hingegen kann der Umstand, dass es sich bei dem Grabmal in der Kirche von Tintagel um ein Doppelgrab handelt, kaum als gängig bezeichnet werden. Zwar hat es schon im frühen 13. Jahrhundert Doppelgrabsteine für Verwandte gegeben - besonders für Brüder und Schwestern - , Grabmäler von Ehepaaren sind aus dem 13. Jahrhundert indes nur vereinzelt bekannt. Das erste erhaltene Ehegrabmal, das um 1245 errichtet wurde, befindet sich im Braunschweiger Dom. Es zeigt den Welfen Heinrich den Löwen (gest. 1195) und seine Frau Mathilde, Tochter des englische Königs Heinrich II. Plantagenet, dessen eigenes Grabmal zur Grablege von Fontevrault gehört (vgl. Abb. 3). 48 Herzog und Herzogin liegen nebeneinander auf einer Grabplatte. Der Herzog hält sein Schwert in der linken und eine Miniatur des Domes in der rechten Hand, Mathilde ist betend dargestellt. Die Skulpturen sind sehr realistisch, die Gesichter weisen jedoch keine persönlichen Züge auf, vielmehr ähneln die Figuren einander wie Bruder und Schwester. Während in Deutschland und den Niederlanden einige weitere Doppelgrabmäler erhalten sind (so wie das des Grafen Dedo von Wettin (gest. 1190) und seiner Gattin Mechthild (gest. 1189) oder das Grabmal Ottos von Botenlauben (gest. 1245) und seiner Frau Beatrix von Courtenay), ist aus Frankreich nur die Zeichnung eines Ehegrabmals derAbtei Jumièges aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts überliefert. 49 Erst im 14. Jahrhundert nahm die Herstellung von Ehegrabmälern zu und breitete sich ab 1350 schließlich über ganz Europa aus. Indem er seinem Neffen und seiner Gattin im Tode gewährt, was sie zu Lebzeiten am meisten begehrten, trägt König Marke zuletzt zur Harmonisierung ihres tragischen Endes bei. Dafür ersinnt er ein Kunstwerk, das auch auf die zeitgenössischen Rezipienten innovativ gewirkt haben dürfte. Die Passage liest sich somit einerseits als Reflexion auf die Entwicklung und Bedeutung der Sepulkralkunst im 13. Jahrhundert. Andererseits deutet sich im Motiv des Grabmals eine intertextuelle Verbindung zu anderen Liebeserzählungen der Zeit an. In einigen volkssprachigen Bearbeitungen des Pyramus-und-Thisbe-Stoffs wird der finale Liebestod kontrastiv zum Ende von › Tristan und Isolde ‹ gestaltet. Exemplarisch zeigt das der Ausgang eines deutschen Reimpaargedichts, das in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert wird. 50 Die Geschichte der Königskinder aus Babylon endet darin mit einem Wunder Gottes, das die Liebe nicht nur nachträglich als gottgewollt erscheinen lässt, sondern auch das Erzählende nach Eilhart revidiert. 46 Vgl. Bauch 1976, S. 40 und 62. 47 Vgl. ebd., S. 68. 48 Vgl. ebd., S. 107 f. 49 Vgl. ebd., S. 110 f. 50 Der Text ist in zwei Handschriften überliefert, im Cod. 2885, fol. 20 r - 24 r , angefertigt 1393 in Innsbruck, der heute in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien verwahrt wird sowie im Cod. FB 32001, fol. 14 v - 17 r , geschrieben 1456 in Tirol, der im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck liegt. Ich zitiere im Folgenden den normalisierten Text nach der Ausgabe Novellistik des Mittelalters. Hg., übers. u. komm. v. Klaus Grubmüller. Frankfurt a. Main 1996 (Bibliothek des Mittelalters 23), S. 336 - 363. 136 5 Grabmal und Scheintod im Liebes- und Reiseroman Nach ihrer Flucht vor dem Löwen entdeckt Thisbe, wie der Geliebte am vereinbarten Treffpunkt, dem Brunnen auf der liehten heiden (v. 145), unter einem Maulbeerbaum mit dem Tode ringt. Sie stimmt einen Klagemonolog an, der mit 94 Verse etwa ein Fünftel des Gesamttextes ausmacht. Darin entschließt sie sich zum Selbstmord. Bevor sie sich tötet, bittet sie Gott aber um einen letzten Gnadenerweis: »owê, süezer got, nû tuo daz durch dîn gebot und durch die grôze milte dîn und lâz uns dort beinander sîn in jener welt, des bite ich dich, süezer got, des gewer mich. und würde uns ein grap bereit, des wærn die sêlen vil gemeit. müge, her, daz gesîn, sô tuo mir ein zeichen schîn ob wir ze gnâde mügen komen und ob ez uns müg gefromen.« (vv. 409 - 420) »Ach, gnädiger Gott, lass es jetzt durch deine Macht und große Freigiebigkeit zu, dass wir dort, in jener (anderen) Welt, beieinander sind, darum bitte ich dich, gütiger Gott, gewähre mir das. Und würde uns ein Grab geschaffen, wären unsere Seelen sehr froh darüber. Könnte das, Herr, geschehen, so gib mir ein Zeichen, ob wir Gnade erhalten werden und ob es uns helfen kann.« Das Wunder (v. 421: grôz zeichen), um das Thisbe bitte, vollzieht sich als christliche Umdeutung der ovidischen Maulbeerbaum-Metamorphose: Nicht vom Blut verfärben sich die Früchte, sondern durch die Gnade Gottes, die am Baum (v. 423: môrus) sichtbar wird. Die schwarzen Beeren werden rot und verwandeln den Todesort durch neu hinzukommenden Balsamduft (v. 428: balsamsmac) geradezu in einen locus amoenus, der die Zweisamkeit im ewigen Leben präludiert. Der verzweifelte Selbstmord wird nachgerade zum Märtyrertod stilisiert, der im Einklang mit Gottes Wille steht. Davon soll sich auch die Hofgesellschaft überzeugen. Denn an dem gemeinsamen Grab, das sie den Kindern errichten, ereignet sich noch ein weiteres grôzez wunder (v. 470). Eine Weinrebe wächst aus dem Sargdeckel, die dem amönen Raumarrangement angenehme Kühle verleiht (v. 476: iren schaten si dar über gap) und sich auf der anderen Seite des Grabes wieder in dieses hineinsenkt. Die symbiotische Beziehung von Wein- und Rosenstock wird so effektvoll variiert; denn die Rebe verbindet nicht nur beide Seiten des Grabes, sondern sie durchdringt, wie die Leute beim Öffnen des Grabes entdecken, auch die Leichname und verleiht ihrer Verbundenheit so auch im Diesseits nachträgliche Geltung. Ist die Liebe der Kinder auch fruchtlos, weil sie keinen Platz im irdischen Leben hat und der Nachkommenschaft entbehren muss, konzediert das göttliche Wunder ihnen dennoch einen gemeinschaftlichen Übergang in das ewige Leben. Die Gnade besteht so einerseits in der posthumen Aufwertung ihrer Liebe als gottgewollte Verbindung und andererseits in der festen Verschlingung ihrer Körper, die in solcher Gemeinschaft die leibliche Auferstehung erwarten. Wird das Pflanzenwunder bei Eilhart auf die maßgebliche causa amoris, den Minnetrank zurückgeführt, dessen Wirkung noch im Tode anhält, lässt die christlich überformte Nacherzählung des ovidischen Stoffs Gott zum Urheber der Zeichen am Grab werden. 51 Das spätmittelalterliche Märe erweist sich somit als réécriture der ovidischen Dichtung, deren Aktualisierung nicht nur auf der hagiographisch 51 Vgl. Eilh. Tr. 9719: [. . .] daß macht deß tranckß krafft so. 5.2 Doppelgrabmäler 137 inspirierten Umdeutung der Metamorphose als plötzlicher Einbruch der Transzendenz beruht, sondern die auch auf Distanz zum Ehebruchsgeschehen des Tristan-Stoffs geht. 5.2.2 Narrative Umbesetzungen im Florisroman Intertextuell motivierte Umbesetzungen begegnen auch in den volkssprachigen Bearbeitungen des Florisromans. Anders als in › Pyramus und Thisbe ‹ oder auch › Tristan und Isolde ‹ erfüllt das Grabmal darin nur eine vermeintliche Schlussgebungsfunktion. Denn, wie sich herausstellt, handelt es sich bei Blancheflors Grabmal um eine Täuschung. Als Floire das entdeckt, bricht er unverzüglich auf, um seine Freundin wiederzufinden. Die Grabepisode erfüllt daher vielmehr die Funktion einer narrativen Zäsur, die, wie zu zeigen sein wird, in struktureller Hinsicht von der subtilen Unterminierung genrekonstitutiver Erzählmuster gestützt wird. Michael W ALTENBERGER hat darauf hingewiesen, dass in der Elternvorgeschichte des › conte de Floire et Blancheflor ‹ zunächst die für die chanson de geste konstitutive Differenz zwischen Christen und › Heiden ‹ bzw. zwischen Eigenem und Anderem aufgerufen wird, mit der Zwillingsähnlichkeit der Kinder aber ihre Verbindlichkeit sogleich wieder verliert. Erst die Taufe Floires und sein entschiedener Umgang mit denen, die sich seiner Konversion nicht anschließen wollen, lasse die Differenz wieder hervortreten, ohne sie integrativ zu bewältigen. 52 W ALTENBERGER hat in dem makrostrukturellen Romangefüge darum die »Inversion eines narrativen Sinnstiftungsmodells« gesehen. Die Subversion etablierter semantischer Konstellationen und Sinngefüge betrifft allerdings nicht nur die chanson de geste, sondern erstreckt sich auch auf andere Stoffbereiche. So schöpft das › conte ‹ beispielsweise aus dem erzählerischen Fundus der Antikenromane. Neben den ekphrastischen Beschreibungen des Scheingrabs von Blancheflor und dem wehrhaften Turm des Emirs von Babylon wird das besonders an einem Kelch ersichtlich, der die Geschichte von Paris und Helena in die Erzählung einblendet. 53 Die antiken Reminiszenzen erweisen sich im Laufe der Geschichte gleichwohl als funktionslos: Zwar kann das phantastische Grabmal Staunen erregen, doch versetzt die Automation Floire in so gewaltige Trauer, dass man sich schließlich gezwungen sieht, ihn über den Betrug aufzuklären. 54 Ebensowenig hält der wehrhafte Turm des Emirs den Helden davon ab, in einem Rosenkorb verborgen den Weg zu seiner Freundin zu finden. Im Unterschied zu den Antikenromanen spiegelt sich in den phantastischen Architekturen nicht die Hoffnung auf genealogische Sukzession und christlichen Erlösung, sondern sie erweisen sich als Orte der Bewegungslosigkeit und Zirkulation, an denen sich Liebesrituale unendlich wiederholen. So perpetuieren die Figuren auf dem Grab die immer gleichen Worte und Gesten, während sich im Turm jedes Jahr aufs Neue ein Zeremoniell ereignet, mit dem der Emir sich eine neue Frau erwählt. Schließlich birgt auch die Artefaktbiographie des goldenen Kelchs Irritationen. Denn der antike Kunstgegenstand ist durch einen Diebstahl in die Erzählwelt gelangt: Eneas, so lässt der Erzähler wissen, habe den Kelch einst Lavinia geschenkt. Danach sei er im Besitz römischer Herrscher gewesen, bis ihn ein Dieb von Caesar gestohlen und an Händler verkauft habe, die 52 Vgl. Waltenberger 2003. 53 Grosse 2006, S. 104 f. 54 Vgl. Waltenberger 2003, S. 30. Das Problem wurde in verschiedenen Forschungsbeiträgen diskutiert, vgl. dazu Kapitel 6.3.3.1. 138 5 Grabmal und Scheintod im Liebes- und Reiseroman ihn wiederum gegen Blancheflor eintauschten. Der Diebstahl illustriert nicht nur eine »Subversion herrscherlicher Macht«, wie W ALTENBERGER meint, sondern konterkariert auch die Vorstellung einer natürlichen und rechtmäßigen translatio imperii und translatio artium, die zur Sinngebung der Antikenromane grundlegend beiträgt (vgl. Kapitel 4.3). Der Pokal wird in eine merkantile Logik eingespeist und sein Wert durch den Tausch mit Blancheflor neu bemessen. Mit Vorsicht könnte das als Ausdruck eines erzählerischen Selbstbewusstseins hinsichtlich der Geltung neuer (Liebes-)Geschichten gegenüber den prestigereichen Kriegserzählungen der Antike gedeutet werden. Setzt Floire den Kelch schließlich ein, um sich die Gunst des Turmwächters zu erkaufen, erhält er ihn zuletzt, durch einen Zufall, beim wechselseitigen Gaben-Austausch vom Emir selbst wieder zurück. Über Umwege gelangt das Artefakt so neuerlich in den Besitz von Floire und Blancheflor, die als Eltern von Berte, der Mutter Karls des Großen, zu Vermittlern der römisch-christlichen Herrschaft werden. Trotz dieser finalen Wendung lastet dem Kelch als Signum transferierter Macht etwas Kontingentes an, durchläuft er als Diebesgut, Tauschobjekt und Gabe doch eine schillernde Karriere. Besonders frappiert, dass der Emir - der › heidnische ‹ Gegenspieler und Herrscher des fremden Babyloniens - die Herrschaftsübergabe am Ende mit seiner Schenkung symbolisch selbst bekräftigt. Der christlichen translatio wird durch die absichtslose Handlung des › Heiden ‹ so abschließend performativer Nachdruck verliehen. Doch nicht nur auf der Ebene der Makrostruktur, sondern auch auf der Ebene der Figurenhandlungen lässt sich ein subversiver Umgang mit antiken Erzählmustern erkennen. So wie die Protagonisten der altfranzösischen Version von › Pyramus et Thisbé ‹ (12. Jahrhundert) sind Floire und Blancheflor gleich alt und aufgrund ihrer Schönheit wie füreinander geschaffen. 55 Beide Erzählungen pointieren zudem die früh einsetzende kindliche Zuneigung füreinander und benennen das zehnte Lebensjahr als Wendepunkt, da die Kinderminne mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter zur Bedrohung für die Machtansprüche ihrer Eltern wird: 56 55 Das altfranzösische Gedicht ist in 27 Handschriften überliefert. Die Überlieferungsträger lassen sich einteilen in kurzepischen Sammlungen, die lais, fabliaux, dits und contes vereinen, den › Ovide Moralisé ‹ , in den › Pyramus et Thisbé ‹ aufgenommen wurde, und drittens in Mischsammlungen, die etwa Prosaübersetzungen des › Ovide Moralisé ‹ , andere ovidische Wiedererzählungen, Kommentare usw. enthalten, vgl. dazu: Piramus et Tisbé. Eingel., komm. u. hg. v. Francesco Branciforti. Florenz 1959 (Biblioteca dell ’ Archivum romanicum. Ser. 1, Storia, letteratura, paleografia 57), S. 79 - 99. Neben der altfranzösischen Dichtung existieren auch mittellateinische Dichtungen über Pyramus und Thisbe. Eine davon wird Matthäus von Vendôme zugeschrieben und damit ebenfalls in das letzte Drittel des 12. Jahrhunderts datiert. Auf ein weiteres lateinisches Gedicht eines unbekannten Thidericus verweist Hugo von Trimberg in seinem › Registrum multorum auctorum ‹ (1280). Vgl. dazu Bianciforti 1959, S. 8 - 12. 56 › Pyramus et Thisbé ‹ wird zitiert nach Bianciforti 1959 basierend auf den Handschriften BnF 837 (A), fol. 95 v -99 v vom Anfang des 13. Jahrhunderts; BnF 19152 (B), fol. 98 r - 101 r ebenfalls aus dem 13. Jahrhundert; Königliche Bibliothek Berlin 257 (C), fol. 15 v - 18 v aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts sowie Bibliothèque municipale Rouen 1044(0.4) (A 1 ), fol. 91 r - 96 v vom Beginn des 14. Jahrhunderts. › Floire et Blancheflor ‹ wird zitiert nach Le Conte de Floire et Blancheflor. Hg. v. Jean-Luc Leclanche. Paris 1980 (Les Classiques Français du Moyen Age 105) basierend auf ms. A. Es geht mir bei dem Vergleich wohlgemerkt nicht um eine Einzeltextreferenz, sondern um allgemeine motivische Übereinstimmungen zwischen beiden Erzähltraditionen. 5.2 Doppelgrabmäler 139 Li riche home orent deus enfanz De grant biauté et d ’ uns samblanz, L ’ un fu vallet, l ’ autre meschine: Plus biaus n ’ orent rois, ne roine. [. . .] Tant con lor aëz fu contraire A ce qu ’ Amors requiert a faire, Et il furent dedens dis anz, Fu assez lor licence granz D ’ aller ensemble et de parler D ’ esbanoier et de ioer. (Pir. 5 - 8; 75 - 80) [. . .] en un biau jor furent né et en une nuit engenré. [. . .] Vallés fu nés de la paiiene et mescine ot la crestiiene. [. . .] Quant V ans orent li enfant, molt furent bel et gent et grant. De lor aé en nule terre plus biax enfans n ’ esteüst querre. [. . .] Li doi enfant molt s ’ entramoient et de biauté s ’ entresambloient. (Flore. 21 f.; 169 f.; 197 - 200) Die mächtigen Herren [sc. aus Babylon] hatten zwei Kinder von großer Schönheit und einzigartiger Ähnlichkeit. Das eine war ein Knabe, das andere ein Mädchen: Schöner waren weder König noch Königin. [. . .] Solange ihr Alter noch dem widersprach, was Amor zu tun verlangt, und sie noch keine zehn Jahre alt waren, genossen sie große Freiheit, zusammen zu spazieren, sich zu unterhalten, sich zu vergnügen und zu spielen. [. . .] An einem schönen Tag wurden sie geboren und in einer Nacht gezeugt. [. . .] Der Knabe wurde von der Heidin geboren und die Christin hatte das Mädchen. [. . .] Als die Kinder fünf Jahre alt waren, waren sie sehr schön, stattlich und groß. Es war nicht nötig, in irgendeinem Land schönere Kinder zu suchen. [. . .] Die zwei Kinder begehrten einander sehr und ähnelten sich sehr in ihrer Schönheit. Während in › Pyramus et Thisbé ‹ der Hass zwischen den Vätern ursächlich für die Isolation der Kinder ist, liegt der Trennungsgrund für › Floire et Blancheflor ‹ in der unterschiedlichen Religions- und Standeszugehörigkeit ihrer Familien. Eine Besonderheit in › Floire et Blancheflor ‹ besteht allerdings darin, dass die Kinder mit fünf Jahren Lateinunterricht erhalten und in paganen Büchern von der Liebe lesen (Flore. 231 f.: Livres lisoient paienors | u ooient parler d ’ amors). Die gemeinsame Lektüre leitet sie zur Nachahmung an. Sie beginnen, sich mit Griffeln aus Gold und Silber gegenseitig Liebesbriefe auf Elfenbeintafeln zu schreiben und bedienen sich des Lateinischen als intimen Kode. Die Imitation der literarischen Vorbilder wirkt sich allmählich auch auf die Qualität ihrer Liebe aus: Cius lires les fist molt haster en autre sens d ’ aus entramer que de l ’ amor de noureture qui lor avoit esté a cure. Ensamle lisent et aprendent, a la joie d ’ amor entendent. (Flore. 235 - 40) Dieses Buch veranlasste sie nachhaltig, nach einem anderen Sinn des gegenseitigen Liebens zu trachten als [dem Sinn] ihrer Kindesliebe, die sie sich hatten angelegen sein lassen. Gemeinsam lesen und lernen sie und streben nach der Freude der Liebe. 140 5 Grabmal und Scheintod im Liebes- und Reiseroman Den in Büchern vorgefundenen Geschichten entnehmen die Kinder ein neues Liebesverständnis, das auf Freude ausgerichtet, aber auch mit Leid besetzt ist. Die Verpflichtung gegenüber antiken Modellen lässt sich insbesondere in der Scheingrab-Episode erkennen. Denn so wie Thisbe ihren verstorbenen Freund im Wald beklagt und sich schließlich das Leben nimmt, stimmt auch Floire am Grab seiner Freundin einen Planctus an, bevor er sich - ausgerechnet - mit einem Griffel erstechen will. Die Substitution des Schwertes durch ein Schreibutensil verlieht dem Vorgang einen fast metaleptischen Zug. 57 Fungierte › Pyramus et Thisbé ‹ schon eingangs als Intertext, erweist sich das Erzählmuster schließlich als zunehmend dominant gegenüber der Handlungslogik des Romans. Denn immerhin wäre da noch das Grabmal, das Floires Eltern mit großem Aufwand errichten lassen, um ihren Sohn über den Tod Blancheflors hinwegzutrösten. Dass dieses Grabmal Floire nicht davon abhält, seinen literarischen Vorbildern nachzueifern, bemerkt offenbar auch seine Mutter. Gerade noch rechtzeitig kann sie den Sohn vor dem Selbstmord bewahren und nimmt in ihrer Rede, nun aus Konrad Fleck zitiert, auf die Negativbeispiele der Literatur explizit Bezug: 58 des gedenke, daz ist mîn rât. wan swer sô swache sinne hât, daz er sich verderben vlîze der muoz lîden wîze rehte ze gelîcher wîs als Dîdô unde Phillîs Pyramus und Thisbê, den von minnen wart sô wê daz sie in selben tôten. (FuB. 2429 - 37) Das bedenke, das ist mein Rat. Denn wer so geringen Verstand besitzt, dass er danach strebt, sich zugrunde zu richten, der muss genauso und auf die gleiche Art und Weise Strafe erleiden wie Dido und Phillis [Byblis], Pyramus und Thisbe, die unter der Liebe so litten, dass sie sich selbst töteten. Endet die Geschichte von Pyramus und Thisbe am Grabmal ihres assyrischen Ahnenherrn Ninos, ermöglicht die Überwindung des Todesszenarios in › Floire et Blancheflor ‹ dagegen eine genealogische Verlängerung bis in die karolingische Ära. Neben den strukturbildenden Konstellationen der chanson de geste und des Antikenromans wird damit auch ein traditionsreiches Erzählmuster der › Metamorphosen ‹ unterlaufen und ein eigengesetzliches Erzählen zwischen den Traditionen etabliert. Während die ekphrastische Darstellung von Sepulkralräumen im Antikenroman die Vorstellung herrscherlicher Translation figuriert, schließen sich an das Scheintodmotiv im Liebes- und Reiseroman die Narrative von Krise und Suche an, die im › Apollonius ‹ wie in › Flore und Blanscheflur ‹ erst durch die Eheschließung überwunden werden können. 57 Vgl. hierzu meine Ausführungen in Vom Erzählen wiedererzählen. Selbstreferentielle Erzählstrategien in › Floire et Blancheflor ‹ , Konrad Flecks › Flore und Blanscheflur ‹ und Giovanni Boccaccios › Filocolo ‹ . In: Verena Linder-Spohn u. a. (Hg.): Renarrativierung in der Vormoderne. Funktionen, Transformationen, Rezeptionen. Baden-Baden 2019 (Faktuales und fiktionales Erzählen 7), S. 149 - 178. 58 Zitiert nach Putzo 2015. 5.2 Doppelgrabmäler 141 5.2.3 Ehe und Ende: Paradiesräume bei Konrad Fleck Das mechanische Grabmal in Konrad Flecks › Flore und Blanscheflur ‹ , das auf eine unbekannte französische Vorlage zurückgeht, ist Gegenstand zahlreicher Forschungsbeiträge geworden. 59 Dabei wurde wiederholt nach den technischen Voraussetzungen gefragt, die der Darstellung zugrunde liegen, und nach der narrativen Funktion, die das Sepulkralkunstwerk im Gesamtzusammenhang einnimmt. Nach einem knappen Forschungsüberblick möchte ich im Folgenden noch einmal die Frage aufgreifen, warum die Sepulkralsemiose in › Flore und Blanscheflur ‹ nicht einwandfrei gelingen kann. Dafür lenke ich den Blick auf die Natur-Passagen des Romans, in die das Grabmal eingebettet ist. Wie in Gottfrieds von Straßburg › Tristan ‹ fungiert die Natur auch in Konrad Flecks › Flore und Blanscheflur ‹ als Ort der Minnebegegnung; dabei lassen insgesamt drei künstliche Gärten ein Panorama virtueller Natur entstehen, das die Paradieserzählung der Genesis reminisziert. Das Grabmal, so möchte ich argumentieren, erfüllt für das Verständnis der Topothesie eine Schlüsselfunktion. 5.2.3.1 Forschungsüberblick Nachdem Konrad Flecks Bearbeitung von der germanistischen Forschung jahrzehntelang fast unberücksichtigt geblieben war, hat der Text in den letzten dreißig Jahre forscherliche Hochkonjunktur, die durch die 2015 erschienene Edition von Christine P UTZO weiter gefördert werden dürfte. Das anhaltende Interesse schlägt sich in zahlreichen Beiträgen nieder, die sich neben gattungsspezifischen Fragen insbesondere mit der Semantisierung von Andersheit und Fremdheit, mit Emotionen- und Genderkonstruktionen sowie den ekphrastischen Passagen des Romans beschäftigt haben. 60 59 Über die komplizierte Stoffgeschichte informiert ausführlich Putzo 2015, S. 1 - 33: Ausgehend von Spanien oder Frankreich strahlte die um 1150 entstandene altfranzösische version aristocratique (Floire I) nach Nordeuropa aus, die auch im Hintergrund von Konrad Flecks mittelhochdeutschen Versroman › Flore und Blanscheflur ‹ steht. Allerdings ist einschränkend zu konstatieren, dass Konrad Fleck bestimmte Partien der version aristocratique getilgt und seinen Text dafür an anderer Stelle um 5000 Verse erweitert hat, der teilweise sogar Handlungsmomente aufweist, die eigentlich zur version populaire (Flore II) gehören. Putzo glaubt darum, Konrad könne sich auf eine frühe französische Fassung bezogen haben, »die einen Rezeptionsstand vor Abspaltung der Versionen I und II repräsentiert [. . .] und die - nur - er einem Autor namens Rupreht von Orlent (v. 142) zuschreibt« (S. 10). Neben Konrad Flecks mittelhochdeutschem Versroman › Flore und Blanscheflur ‹ (um 1220) sind zwei weitere deutsche Adaptionen bekannt: der aus dem maasländischen Raum stammende › Trierer Floyris ‹ (um 1169/ 70) sowie die ripuarische Bearbeitung › Flors inde Blanzeflors ‹ (erste Hälfte des 13. Jahrhunderts). Ebenfalls abhängig vom Prototyp Floire I sind Diederics van Assenede mittelniederländischer › Floris ende Blancefloer ‹ (um 1250), der mittelenglische › Floris and Blauncheflur ‹ (um 1250), eine altnorwegische Prosafassung › Flóres saga ok Blankiflúr ‹ (1220/ 30), eine schwedische und eine weitere mittelniederdeutsche Bearbeitung aus dem 14. Jahrhundert sowie schließlich eine dänische Redaktion aus dem 15. und eine jiddische Bearbeitung, › Flere Blankeflere ‹ , aus dem 18. Jahrhundert. In Südeuropa hingegen verbreitete sich die ebenfalls ins 12. Jahrhundert datierende version populaire (Floire II). Auf diesen Prototyp gehen das anonyme italienische › Cantare di Fiorio e Biancifiore ‹ (nach 1330) und Boccaccios nur kurze Zeit später entstandener Roman › Filocolo ‹ (um 1340) zurück. Ebenfalls abhängig von diesem Prototyp ist die griechische Erzählung › Phlorio kai Platzia Phlora ‹ (Ende 14. Jahrhunderts). Boccaccios › Filocolo ‹ löste seinerseits eine weitere bedeutende Rezeptionswelle in Europa aus, welche dem Stoff insbesondere im 16. Jahrhundert große Popularität von England über Deutschland und Tschechien bis nach Spanien verschaffte. 60 Zu den Glaubensdifferenzen vgl. Timothy R. Jackson: Religion and Love in › Flore und Blanschfelur ‹ . In: Oxford German Studies 4 (1969), S. 12 - 25; Waltenberger 2003; Katja Altpeter-Jones: Muslim Alterity in Konrad Fleck ’ s › Flôre und Blanscheflûr ‹ . In: Seminar 48.3 (2012), S. 276 - 288. Zu Emotions- und 142 5 Grabmal und Scheintod im Liebes- und Reiseroman Die Funktion bildlicher Darstellungsweisen haben Haiko W ANDHOFF , Florian K RAGL und Moritz W EDELL untersucht. 61 W ANDHOFF und K RAGL widmen sich dabei dem Verhältnis von Digression und Narration. Beide kommen sie zu dem Schluss, dass die descriptiones eng mit der Handlungsmotivation verknüpft seien, was sich exemplarisch an Flores Reaktion auf das Automatentheater zeige. Bei W ANDHOFF soll diese Beobachtung die übergeordnete These stützen, mittelalterliche Ekphraseis seien nicht »bloße rhetorische Schaustücke«, sondern »eng auf den Handlungslauf bezogene Scharnierstellen der Narrationen«. 62 In diesem Sinne fungiere das Automatengrab »als Präfiguration[] der nachfolgenden Handlung und ihrer Liebeskonzeption«. 63 Weiterhin stellt er fest, dass die Beschreibung des Grabmals in Beziehung zu anderen Kunstwerkbeschreibungen steht wie der des Pokals, ebenfalls ein »materielle[s] Substitut[] für die abwesende Blanscheflur«, oder der des Turms vom Admiral, ein weiteres »Gehäuse Blanscheflurs«. 64 Daneben bezieht er auch kulturhistorische Erkenntnisse über die mittelalterliche Sepulkralkultur in seine Untersuchung ein und vergleicht die Automaten mit den représentations au vif, die als Anlehnung an die corpora incorrupta der Heiligen die Erwartung des Jenseits anzeigen. 65 Erklärungsbedürftig bleibt allerdings die Diskrepanz zwischen Täuschungsabsicht und der verheißungsvollen Wirkung, die das Grabmal auf Flore hat, sowie zwischen dem explizit › heidnischen ‹ Ursprung und einer dem Grabmal dennoch innewohnenden christlichen Jenseitserwartung. Auf ersteres hatte bereits Klaus R IDDER hingewiesen und daraus gefolgert, der Text zeige durch seine widersprüchliche Konfiguration, dass »subjektive Bedeutungssetzung vom Urheber nicht festzuschreiben [sei]«. 66 Zu einem ähnlich unbefriedigendem Schluss kommt auch K RAGL , wenn er feststellt, dass »das Grabmal plötzlich - im Übertragenen - für das steht, was es - auf Handlungsebene - hätte auslöschen sollen: die Liebe Flores und Blanscheflurs«. 67 Eine vage Begründung liefert Jutta E MING , die die verfehlte Wirkung des Scheingrabs für medienhistorisch und emotionstheoretisch aufschlussreich hält. 68 Durch die unterschiedlichen »medialen Stimuli« des automatischen Grabarrangements werde, so E MING , ein komplexer und emotionaler Erinnerungsprozess entfacht. 69 Die Radikalität von Flores Gefühlen sei unmittelbar auf die »Lebensnähe« der Figuren zurück- Geschlechterkonstruktionen vgl. Jane Gilbert: Boys will be . . . what? Gender, sexuality, and childhood in › Floire et Blancheflor ‹ and › Floris et Lyriope ‹ In: Exemplaria 9 (1997), S. 39 - 61; Jutta Eming: Emotion und Expression. Untersuchungen zu deutschen und französischen Liebes- und Abenteuerromanen des 12. - 16. Jahrhunderts. Berlin 2006; Albrecht Classen: Suffering in Konrad Fleck ’ s › Flore und Blanscheflur ‹ as a Catalyst in the Meeting with the Foreign. Emotional Bonds with the Orient in a Late-Medieval Sentimental Romance. In: Neophilologus 95 (2011), S. 605 - 623. 61 Vgl. Wandhoff 2003; Wandhoff 2006(a); Wandhoff 2006(b); Kragl 2013, S. 119 - 152; Wedell 2008. 62 Wandhoff 2006, S. 57. 63 Ebd., S. 65. 64 Ebd., S. 64, vgl. auch ders. 2003, S. 306. 65 Vgl. Wandhoff 2003, S. 314. 66 Vgl. Klaus Ridder: Ästhetisierte Erinnerung - erzählte Kunstwerke. Tristans Lieder, Blanscheflurs Scheingrab, Lancelots Wandgemälde. In: LiLi 27.105 (1997), S. 62 - 85, hier S. 74. 67 Kragl 2013, S. 134. 68 Vgl. Jutta Eming: Schöne Maschinen, versehrte Helden. Zur Konzeption des künstlichen Menschen in der Literatur des Mittelalters. In: Eva Kormann u. a. (Hg.) Textmaschinenkörper. Genderorientierte Lektüren des Androiden. Amsterdam/ New York 2006 (Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik 59), S. 35 - 46. 69 Ebd., S. 40. 5.2 Doppelgrabmäler 143 zuführen, welche »die Grenze zwischen Kunstwerk und Mensch [. . .] zum Verschwimmen [brächten]«. 70 Weitere Beobachtungen hat W EDELL eingebracht, der anhand dreier »Schlüsselmomente« - der einleitenden Rahmenhandlung, der Scheingrabpassage und der Gerichtsversammlung - die poetologische Bedeutung von Bildern und Bildlichkeit in › Flore und Blanscheflur ‹ herausarbeitete. 71 Seine Deutung plausibilisiert er durch eine historisch semantische Bestimmung des in allen drei Passagen verwendeten Begriffs bilde, dessen Bedeutungsumfang sowohl produktionsals auch rezeptionsästhetische Vorstellungen wie › Gestalt ‹ , › Abbild ‹ , › Kunstwerk ‹ als auch › Vorbild ‹ umfasst. 72 W EDELL zufolge schließen die Automaten »nahtlos an das Gebaren der Liebenden in actu an« und weisen zugleich auf die Bewährung der adligen Körper im Gerichtsurteil voraus. 73 Denn in Babylon rückten »die Liebenden, choreographisch [in den] Mittelpunkt des Geschehens« und avancierten so »zum Objekt der versammelten höfischen Blicke«. 74 Ihr Ringen um die größere Opferbereitschaft gleiche, so W EDELL , einer »inszenierten Aufführung«, bei der die Kinder »die genauen Codes höfischer Kommunikation im rechtlich-politischen Bereich sowie in der Domäne der Freundschaft und Liebe unter Beweis [stellen]«. 75 Die Bildlichkeit der höfischen Körper finde andererseits auch Entsprechung in der Rahmenerzählung: Denn auch hier gelangten die Erzählerinnen über die Präsenz ihrer höfischen Körper in das Blickfeld - nur aufgrund ihrer physische Superiorität könne die Rede (das mære von Flore und Blanscheflur) Geltung erlangen, in der wiederum das »Vor-bild (bilde)« vermittelt werde, das die Kinder gegeben haben. 76 Nicht nur aufgrund der Bildlichkeit, sondern auch weil sich alle drei Sequenzen in synästhetischen Räumen der Affizierung und Beglückung abspielen, »werde ein einprägsames Bild geformt, das als Schlüssel der Erinnerung die Geschichte vergegenwärtigen [könne]«. 77 Neben dieser rezeptionsästhetischen Funktion hätten die Bilder aber auch eine produktionsästhetische Dimension, denn alle drei »[seien] weniger Abbilder des einen vom anderen, als vielmehr jeweils originäre [. . .] Figurationen«. 78 Im Gegensatz zur progressiv narrativen Funktion haben Werner R ÖCKE und Margreth E GIDI auf die regressiv narrative Funktion des Scheingrabs verwiesen. 79 Denn, so E GIDI , das Grabmal »dokumentier[e] [. . .] nicht nur Blanscheflurs angeblichen Tod, sondern biete[] zugleich eine 70 Ebd. 71 Vgl. Wedell 2008. 72 Ebd., S. 43. 73 Ebd., S. 46. 74 Ebd., S. 47. 75 Ebd., S. 49 f. 76 Ebd., S. 51. 77 Ebd., S. 58. 78 Ebd., S. 59. 79 Werner Röcke: Deutungsmuster sozialer und literarischer Kommunikation im deutschen Liebes- und Reiseroman des 13. Jahrhunderts (Konrad Fleck: Florio und Blanscheflur, Johann von Würzburg: Wilhelm von Österreich). In: Ders. u. Ursula Schaefer (Hg.): Mündlichkeit - Schriftlichkeit - Weltbildwandel. Literarische Kommunikation und Deutungsschemata von Wirklichkeit in der Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Tübingen 1997 (ScriptOralia 71), S. 85 - 108; Margreth Egidi: Implikationen von Literatur und Kunst in › Flore und Blanscheflur ‹ . In: Beate Kellner u. a. (Hg.): Geltung der Literatur. Formen ihrer Autorisierung und Legitimierung im Mittelalter. Berlin 2005 (Philologische Studien und Quellen 190), S. 163 - 186; dies.: Die höfischen Künste in › Flore und Blanscheflur ‹ und › Apollonius von Tyrland ‹ . In: Susanne Bürkle (Hg.): Interartifizialität. Die Diskussion der Künste in der mittelalterlichen Literatur. Berlin 2009 (ZfdPh Sonderheft 128), S. 37 - 48. 144 5 Grabmal und Scheintod im Liebes- und Reiseroman künstlerische Repräsentation des vergangenen Liebesglücks«. 80 Dabei werde »die Liebe [. . .] zur Ruhe gebettet und die memoriale Distanz abgedrängt«, was in der zeitlosen, idyllischen Umgebung des Grabmals unmittelbaren Ausdruck finde. 81 Auch R ÖCKE sieht in der Darstellung des Grabmals eine Refiguration des kindlichen »Werbungsspiels« im Baumgarten. Allerdings bewertet er diese Zeit anders als E GIDI : Durch die gemeinsame Liebeslektüre würden die Kinder mit einer »Welt der gebrochenen Gefühle und höchst ambivalente[n] Erfahrungen« konfrontiert, die von da an zum Referenzpunkt ihres eigenen Handelns werde. 82 Flore werbe nicht nur wie ein Minnesänger um Blanscheflur, auch schrieben sich die Kinder gegenseitig Liebesbriefe, in denen literarische Stilisierungen an die Stelle von echten Gefühlen träten. Ihre Minne verkomme dabei »zur literarischen Geste und zum literarischen Zitat«. 83 Margit D AHM -K RUSE hat diese Beobachtung zuletzt zugespitzt. 84 Sie vertritt die These, dass Minne im Roman wiederholt Gegenstand künstlerischer Darstellungen werde, dabei jedoch ein Minneideal entwerfe, das dem der Protagonisten diametral entgegengesetzt sei. Während die Kunstgegenstände von Artifizialität und list, dem reflektierten Einsatz von Fertigkeiten, geprägt seien, basiere die Kinderminne von Anbeginn »auf einem exzeptionellen Fundament göttlicher Fügung und christlicher einvalt«. 85 Durch ihre Lektüreerfahrung werde die Liebesfähigkeit der Kinder nicht erhöht; die Entdeckung der Literatur komme vielmehr »einem Sündenfall« gleich. Denn Flore und Blanscheflur begännen, »das natürliche, ihnen gegebene Erleben der Minne und deren unmittelbaren Ausdruck durch einen erlernten, formalisierten und inszenierten Diskurs [zu ersetzen]«. 86 Im Scheingrab werde also gerade jener artifizieller Minnedialog zu einer »höfischen Kunstform« stilisiert. 87 In ähnlicher Weise sei auch der Haremsturm von list gekennzeichnet. Als Herrschaftssymbol des Admirals sei er wie der Garten von Flores Eltern nur ein Scheinparadies, denn darin erwarte die erwählten Frauen ein Schicksal ultimativer Austauschbarkeit. Die Kunstgegenstände hätten darum keinen Anteil an der Verwirklichung der Liebe. Im Einklang mit der einvalt ihrer Liebe gelinge es Flore und Blanscheflur jedoch zuletzt ganz ohne list oder besondere Fertigkeiten, Gnade beim Admiral zu erlangen. In meiner Deutung der Grabmal-Passage werden ich an E MINGS , W EDELLS und D AHM - K RUSES Ergebnisse anschließen, dabei aber die durch den Fokus auf Bildlichkeit etwas pauschal zu »Räumen der Beglückung« verflachten Naturarrangements stärker berücksichtigen. 5.2.3.2 Automatentheater Nach seiner Rückkehr aus Muntore klären die Eltern ihren Sohn über den vermeintlichen Tod seiner Gespielin auf. Flore will Blanscheflurs Grabmal sehen und gelangt zu einem paradiesisch 80 Egidi 2009, S. 39. 81 Ebd., S. 40. 82 Röcke 1997, S. 90. 83 Ebd., S. 92. 84 Margit Dahm-Kruse: diu valschen minner nieman lât / komen dar sie kâmen. Minne zwischen christlicher Fügung und künstlerischer Verhandlung in Konrad Flecks › Flore und Blanscheflur ‹ . In: Euphorion 110 (2016), S. 355 - 387. Ihre Überlegungen knüpfen an Silvia Reuvenkamp: sô kêre doch herz und vernunst | ûf edele d œ ne und edeliu wort. Überlegungen zum Verhältnis von Liebes-, Kunst- und Sprachreflexion im mittelhochdeutschen Liebes- und Abenteuerroman. In: ZfdPh 133 (2014), 49 - 65 an. 85 Dahm-Kruse 2016, S. 356. 86 Ebd., S. 370. 87 Ebd., S. 375. 5.2 Doppelgrabmäler 145 anmutenden, sommerlichen Ort mit vier duftenden grünen Wunderbäumen vor eines münsters tor (FuB. 2049). Auf und unter den Bäumen blühen Blumen und Vögel singen so schön, dass jeder freudlose Mensch seine Trauer sogleich vergessen muss (vgl. FuB. 2087 - 98). An diesem Ort erblickt Flore das Memorialbild der vergangenen Liebe zwischen ihm und Blanscheflur (vgl. FuB. 2196 - 557). Während zunächst der extradiegetische Rezipient adressiert und von den wunderlîchiu wunder (FuB. 1953) des durch Wind betriebenen Automatentheaters berichtet wird, steht Flore als affizierter Betrachter alsbald im Mittelpunkt des Geschehens. Auf einem Marmorsockel, der von vier Löwen flankiert wird, liegt ein Stein, in den mit Gold, Silber, Edelsteinen und Farbe ausgestaltete Säugetiere und Vögel eingraviert sind. DieTiere glänzen in der Sonne und sehen aus, als ob sie lebendig wären (FuB. 1968 - 71: diu selben bilde | diuhten iuch sô lobelich | daz ir swüerent ie regeten sich | und daz sie lebeten garwe). Darüber liegt ein weiterer Stein, der auf gleiche Weise bearbeitet ist, auf dem sich zwei ebenfalls lebendig scheinende Statuen befinden (FuB. 2027: in lebender liute wîse), die Flore und Blanscheflur zum Verwechseln ähnlich sehen. Denn die gekrönten Figuren sind beweglich und können sprechen. Neben Liebesgeständnisse und Küsse tauschen sie Blumen aus: Flore bietet seiner Freundin eine Rose und Blanscheflur ihm eine Lilie (vgl. FuB. 1994 - 7; 2000 - 6). Der Anblick ruft bei Flore großes Erstaunen hervor: vil wunders grôz an im geschach: wan als er diu bilde gesach, diu die wercmeister macheten, wie sie ze einander lacheten (der bilde einez was ir gelîch, von golde klâr und rîch, und ime glîch daz ander), sâ ze stunden dô bekander daz sie nâch in gemachet waren. (FuB. 2207 - 2215) An ihm vollzog sich etwas äußerst Erstaunliches. Denn als er die Abbilder sah, welche die Baumeister gemacht hatten, wie sie einander zulachten (eins der Bilder war ihr gleich, aus reinem, herrlichem Gold, und ihm glich das andere) da erkannte er sofort, dass sie nach ihnen gestaltet waren. Mit der Benennung von Vulkan und Orpheus als wercmeister wird das Grabmal in den Horizont antiker Baukunst gerückt. 88 An die Gottheiten knüpft sich die Idee eines idealen handwerklichen Kunstschaffens, das in der mittelalterlichen Literatur (in Anschluss an die antike epischen Tradition) seinen Platz in der ekphrastische dilatatio hatte - der kunstvoll beschreibenden Ausdehnung des Erzählstoffes. 89 Teil des Sepulkralkunstwerks ist ein pneumatischer Mechanismus, der den Wind in künstlichen Lebensatem verwandelt und so die Produktion von Sprachlauten und Körperbewegungen der Skulpturen ermöglicht. Die 88 Schon Johanna Belkin hat auf die schöpferische Verbindung von ars magica und ars mechanica im Grabmal hingewiesen. Dass die Anlage, eine kosmisch gerahmte Nachgestaltung von Mensch und Natur, auf das göttlich-antike Künstlerpaar Vulkan und Orpheus zurückgeführt wird, sei darum nur folgerichtig, denn in ihnen »verkörper[e] sich nicht nur die künstlerisch-technische Fähigkeit des Bildners, sondern auch die naturwissenschaftlich mechanische des Weisen der Natur, welcher die Macht über die Elementarkräfte besitzt und das Vermögen, sie mechanisch zu verwerten« ( Johanna Belkin: Das mechanische Menschenbild in der Floredichtung Konrad Flecks. In: ZfdA 100.4 (1971), S. 325 - 346, hier S. 337). 89 Zum Wiedererzählen vgl. Franz Josef Worstbrock: Dilatatio materiae. Zur Poetik des › Erec ‹ Hartmanns von Aue. In: FMSt 19 (1985), S. 1 - 30; kritisch dazu Ludger Lieb: Die Potenz des Stoffes: Eine kleine Metaphysik des › Wiedererzählens ‹ . In: Joachim Bumke u. Ursula Peters (Hg.): Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur. Berlin 2005 (ZfdPh Sonderheft 124), S. 356 - 379. 146 5 Grabmal und Scheintod im Liebes- und Reiseroman illusionäre Schöpfung erweist sich damit als ein Zusammenspiel aus Kunst, Natur und mechanischem Wissen, das über den technisch perpetuierten Ablauf außergewöhnlich starke Präsenzeffekte hervorruft. 90 Die ephemeren Worte und Gesten, die sich im Lufthauch endlos wiederholen, täuschen über Blanscheflurs Tod hinweg, indem sie die kindlichen Liebe im Abbild immer aufs Neue wachrufen. Erst die Entdeckung der Grabinschrift, die rings um das Grabmal herum verläuft, kann den Bann durchbrechen: 91 »Hie lît Blanscheflûr diu guote, die Flôre minnete in sînem muote, und sî was sîn vriundîn und er ir amîs.« dâ von wart daz kint ermant alsô verre daz im geswant drî stunt von der angesihte, ê dan er wort verrihte. (FuB. 2223 - 2230) »Hier liegt Blanscheflur, die Edle, die Flore in seinem ganzen Empfinden liebte. und sie war seine Freundin und er ihr Geliebter.« Davon wurde dem Kind die Erinnerung so sehr wachgerufen, dass ihm drei Mal der Blick benommen war, bevor es dann ein Wort hervorbrachte. Dass die Vergegenwärtigung des Liebesspiels im Dienst einer Totenmemoria steht, wird erst durch die deiktische Grabinschrift evident. Bis dahin wirken die Grabskulpturen visuell so affizierend, dass die konventionelle Verbindung von Abbild und Abwesenheit im Anblick des Betrachters suspendiert wird. Nachdem er die Grabinschrift gelesen hat, wird Flore bewusstlos. Als er wieder zu sich kommt, beschließt er, sich mit dem Griffel zu erstechen. Wird das Grabmal in der Absicht errichtet, Trost zu spenden, trägt seine semasiologische Verfasstheit im Gegenteil dazu bei, den Hinterbliebenen zum Selbstmord anzustacheln. Es fragt sich, wie es zu einem solchen Missverständnis der Sepulkralzeichen kommen kann. Ein erster Erklärungsansatz knüpft an die Entwicklung des mittelalterlichen Doppelgrabmals an. Flore wird mit einem Grabbild konfrontiert, das für den Erfahrungshorizont des 13. Jahrhunderts eine Innovation darstellte. Wie im › Tristan en prose ‹ exponiert auch das Grabmal im Florisroman eine Zweisamkeit, die weder auf direkter Verwandtschaft noch auf einem ehelichen Bund beruht, sondern Abbild einer exzeptionellen Liebe ist. Auch in › Flore und Blanscheflur ‹ wird die Liebe der Kinder so nachträglich legitimiert und die Hoffnung auf eine Gemeinschaft in der Ewigkeit erzeugt, die Flore durch Selbstmord einzuleiten sinnt. Zweitens wird die Verheißung des Grabbildes durch die mimetische Abbildung der Kinder intensiviert. Zwar könnte man meinen, das Grabmal sei in Übereinstimmung mit der Kunsttheorie der artes mechanicae des › Didascalion ‹ Hugos von St. Viktor darauf angelegt, den Eindruck des Natürlichen zu wecken, 92 absolut detailgetreue Nachbildungen von Toten sind in der Grabbildkunst des 13. Jahrhunderts jedoch ebenso unüblich wie Doppelgrabmäler. Zwar lässt die Entwicklung des Grabbildes im 12. und 13. Jahrhundert eine deutliche Tendenz zur Individualisierung erkennen, diese schlägt sich jedoch vorrangig in der Auszeichnung durch symbolhafte Kleidung, Insignien, Wappen usw. nieder. Während im › Roman de Troie ‹ und im › Parzival ‹ die balsamierten Körper von Hektor und Gahmuret selbst in den Grabmälern ausgestellt werden, werden in › Flore und Blanscheflur ‹ perfekte Nachbilder kreiert, die in Konkurrenz mit der Schöpfung stehen. 90 So auch Waltenberger 2003, S. 31. 91 So auch Wandhoff 2003, S. 310. 92 Vgl. Belkin 1971, S. 327 f. 5.2 Doppelgrabmäler 147 Drittens ist auch die Belebung der Grabbilder mit dem Verständnis mittelalterlicher Sepulkralkultur unvereinbar. In › Flore und Blanscheflur ‹ wird das Grabmal als ein Mechanismus entworfen, der natürliche Energie in Arbeit umwandelt und damit solange besteht, wie Wind und Welt existieren. Faszinierend ist dies sowohl in der Hinsicht, dass es menschengleiche Bewegungen und Sprache erzeugt, als auch, dass es, angetrieben durch erneuerbare Ressourcen, bis an das Ende der Zeit ein Substitut und Memorial der Kinderliebe bieten kann. In der Perpetuierung besteht damit der eigentliche Trost des Sepulkralarrangements. Die Imagination selbstbeweglicher Objekte stellt in der epischen Literatur des Mittelalters keinen Einzelfall dar. Sie ist als Reflex der florierenden artes mechanicae zu verstehen, deren sieben praktische Teilkünste im 12. Jahrhundert offiziell den artes liberales entgegengestellt wurden. 93 Technische Apparaturen gehörten nicht nur zum Kriegsgerät, sondern sind chronikal auch zum Zwecke der Herrschaftsinszenierung belegt. 94 Ein prominentes Beispiel stellt der Thron im Palast des byzantinischen Kaisers Konstantin VII. Porphyrogennetos (905 - 959) in Konstantinopel dar, der nach dem Bericht von Liutprand, Bischof von Cremona, von goldenen Löwen umgeben war, die mit ihren Schweifen auf den Boden schlagen und schreckliches Gebrüll ertönen lassen konnten. 95 Daneben soll ein Baum mit goldenen Vögeln gestanden haben, die plötzlich zu zwitschern begannen, während der Thron sich einem Fahrstuhl gleich hoch in die Luft hinaufgeschwungen habe. 96 Das Werk der drei gelehrten Ban ū -M ū sa¯ Brüder belegt die Rezeption antiker Techniktraktate seit dem 9. Jahrhundert auch für den islamischen Raum. Der Traktat wurde im 12. Jahrhundert von Gerhard von Cremona ins Lateinische übersetzt und war seither auch dem europäischen Westen zugänglich. 97 Darin kommen bereits hydrologische Apparaturen vor, die der Lenkung von Wasser dienen, ein Mechanismus, wie er auch dem Turm des Admirals innewohnt, in dem Blanscheflur gefangen gehalten wird. 98 Wenngleich in der byzantinischen, arabischen und westeuropäischen Literatur Automatenimaginationen öfter begegnen, meist als Mittel, um die »Grenzen der Verfügbarkeit über die Natur [. . .] [neu] aus[zu]loten«, stellt das Grabmal in › Flore und Blanscheflur ‹ einen einzig- 93 Zu Automaten in der mittelalterlichen Literatur vgl. Klaus Grubmüller u. Markus Stock (Hg.): Automaten in der Kunst und Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Wiesbaden 2003 (Wolfenbüttler Mittelalter-Studien 17) sowie Elly Rachel Truitt: Medieval Robots. Mechanism, Magic, Nature, and Art. Philadelphia 2015 (The Middle Ages Series). 94 Vgl. Udo Friedrich: Contra naturam. Mittelalterliche Automatisierung im Spanungsfeld politischer, theologischer und technologischer Naturkonzepte. In: Grubmüller/ Stock 2003, S. 91 - 114, hier S. 94: »Wie Architektur, Kleidung und Waffen bekräftigten Automaten die Möglichkeit der artes mechanicae und stehen für das kulturelle, im engeren Sinn handwerklich-technische Können ein, über das die Adelskultur verfügt.« 95 Vgl. Constantin Canavas: Automaten in Byzanz. Der Thron von Magnaura. In: Grubmüller/ Stock 2003, S. 49 - 65. 96 Vogelautomaten werden schon in den › Automata ‹ des Heron von Alexander (1. Jahrhundert n. Chr.) beschrieben und schienen sich im Mittelalter großer Beliebtheit erfreut zu haben. Das Zusammenspiel eines künstlichen Baums mit artifiziellen Singvögeln und maschinell betriebenen Tieren an einem Brunnen gibt schließlich auch den zentralen amönen Schauplatz des byzantinischen Liebesromans › Hymine und Hysminias ‹ des Eumathios Makrembolites ab, der zur »allegorische Achse« zahlreicher Romane bis ins 15. Jahrhundert avancierte, vgl. Peter Bachmann: Automaten in der arabischen Literatur. In: Grubmüller/ Stock 2003, S. 73 - 89, hier S. 59. 97 Vgl. ebd., S. 74. 98 Vgl. ebd., S. 74 f. 148 5 Grabmal und Scheintod im Liebes- und Reiseroman artigen Fall literarischerAutomatenkunst dar. 99 Denn der Grabautomat droht die Grenzziehung zwischen Leben und Tod außer Kraft zu setzen. Statt zu einer lebendigen Erinnerung der Toten beizutragen, stellt es die Tote als Lebendige dar. Damit erfüllt das Grabmal keine remortifizierende, sondern eine revivifizierende Funktion, die verheißungsvoll auf den Tod verweist, statt die Bewältigung des Todes zu erleichtern. Neben Schrift und Bild trägt auch die räumliche Anordnung zur Zeichenhaftigkeit des Grabmals bei. In eine paradiesartige Natur eingebettet, erinnert es an den Baumgarten des spanischen Königs Felix, in dem die Kinder nach der Schule verweilt und sich ihrer Liebe hingegeben haben. Wie in der Umgebung des Grabmals befindet sich auch im königlichen Baumgarten eine blumenbesetzte Wiese, die mit süßem Vogelsang erfüllt wird (vgl. FuB. 759 - 67). Täglich wird den Kindern dort ein Imbiss gerichtet (vgl. FuB. 768 f.), so dass es ihnen an nichts fehlen muss. Und doch sind sie voller Kummer, weil sie aus den Büchern gelernt haben, dass die Liebe ein Zustand disparater Gefühle ist (vgl. FuB. 732 - 41). Indem sie das Wesen der Liebe erkennen, verlieren die Kinder ihre ursprüngliche Unschuld. Der Vorgang erinnert damit an den Sündenfall: Die verbotene Frucht entspricht den Büchern, die Erkenntnis der neuen K o n z e p t u a l i s i e r u n g ihrer Liebe. Als der König vom Kummer der Kinder erfährt, handelt er gottesgleich mit Zorn. Flore und Blanscheflur werden aus dem Baumgarten vertrieben, allerdings wird Blanscheflur nicht, wie man Flore glauben macht, erschlagen, sondern in ferne Länder verkauft. Das für Flore errichtete Grabmal erinnert damit an Paradies und Sündenfall. Von Lilie und Rose berichten auch die Paradiesbeschreibungen Otfrids von Weißenburg und der › Wiener Genesis ‹ . 100 Der topische Mischwald mit seinen olfaktorischen Reizen, das ideale Klima, der liebliche Klang der Vogelstimmen und die Darstellung einer geordneten Tierwelt auf dem Sockel des Grabmals können im Anblick des Betrachters das Paradies erneut heraufbeschwören. Erst die Grabinschrift bringt dieses Bild zum Zerbrechen, da die Absenz des Todes notwendige Voraussetzung für das Bestehen des Paradieses sein muss. Einmal mehr kommt einem Grabmal damit die Funktion der Schlussgebung zu - hier jedoch in weitaus globalerem Sinn, als Besiegelung der Unumkehrbarkeit der menschlichen Ursünde. 5.2.3.3 Liebe und Leid Wer lieben will, muss leiden können - diese Prämisse stellt Konrad Fleck seiner Bearbeitung der Liebesgeschichte voran - , doch wer Liebesleid erträgt, kann sich auch ein tugendhaftes Ansehen vor Gott und der Welt verdienen. Es ist diese Neuakzentuierung des Minneleids als Voraussetzung für eine aufrichtige und ehrenhafte Liebe, die ein wesentliches Moment der Aktualisierung des romanischen Stoffes durch Konrad Fleck darstellt. 101 99 Friedrich 2003, S. 94. 100 Vgl. Otfrid: Evangelienbuch. 3. Aufl. Hg. v. Oskar Erdmann u. Ludwig Wolff. Tübingen 1957 (ATB 49), 5, 23, 273 - 80; Die frühmittelhochdeutsche Wiener Genesis. Hg. v. Kathryn Smits. Berlin 1972. Vgl. dazu Ulrich Ernst: Virtuelle Gärten in der mittelalterlichen Literatur. Anschauungsmodelle und symbolische Projektionen. In: Elisabeth Vavra (Hg.): Imaginäre Räume: Sektion B des Internationalen Kongresses »Virtuelle Räume, Raumwahrnehmung und Raumvorstellung im Mittelalter«. Krems an der Donau, 24. bis 26. März 2003. Wien 2007 (Sitzungsberichte. Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse 758), S. 155 - 190, hier S. 166. 101 Vgl. Putzo 2015, S. 23 - 26 gegen Harald Haferland: Hohe Minne. Zur Beschreibung der Minnekanzone. Berlin 2000 (Beiheft ZfdPh 10), S. 224. 5.2 Doppelgrabmäler 149 Silvia R EUVENKAMP hat in der schmucklosen Erzählweise Konrad Flecks eine programmatische Distanzierung gegenüber Gottfrieds von Straßburg musikalischem, bildreichem Stil gesehen. Die Einfachheit der Sprache ziele dabei auf eine Neuhierarchisierung von Ethik und Ästhetik. So beziehe die Verbindung zwischen Flore und Blanscheflur ihre Legitimation nicht aus einem Sprachkunstwerk, »das die unbedingte Liebe als eine genuin literarische erst entwirft und deren Bedeutung für die ethische Vervollkommnung des Menschen an die Rezeption des Textes bindet«, sondern allein aus der göttlichen Inspiration. 102 Margit D AHM - K RUSE hat diese These weiterentwickelt. Sie sieht in der auf einvalt basierenden Liebe Flore und Blanscheflurs »eine Kontrafaktur zu dem planvollen und asozialen list-Handeln« bei Gottfried von Straßburg. 103 Auch spare Konrad Fleck (anders als das französische › conte ‹ und) im Gegensatz zu Gottfried erotische Passagen aus. Selbst als Flore nach langer Reise zu Blanscheflur in den Turm gelangt, liegen sie nur beieinander, triuwe bleibt die alleinige Maxime ihres Handelns. Lässt man diese Lesart gelten, 104 so kann auch das im Grabmal verewigte Idyll an die Minnegrotte-Passage erinnern, in der Tristan und Isolde bedürfnislos und im perfekten Einklang mit der Schöpfung an einem unbestimmten Ort abseits vom Marke-Hof leben. 105 Der locus amoenus kommt einem »höfische[n] Park« gleich, in dem die Liebenden ihre Zivilisierung keineswegs vergessen, sondern sich den Tag mit höfischen Beschäftigungen vertreiben: 106 Neben Jagen und Spazierengehen gehört dazu auch das gemeinsame Musizieren und Geschichtenerzählen. Unter dem Schatten der Linde auf einer bunten Blumenwiese lässt das Paar sich nieder, um sich gemeinsam dem senemære hinzugeben, dem Gespräch von tragischen Liebesgeschichten alter Zeiten: dâ sâzen sî zein ander an, die getriuwen senedære und triben ir senemære von den, die vor ir jâren von sene verdorben wâren. si beredeten und besageten, sie betrûreten unde beklageten, daz Villîse von Trâze, daz der armen Kanâze in der minnen namen geschach; daz Biblîze ir herze brach durch ir bruoder minne, Da saßen sie aneinandergeschmiegt die treuen Liebenden und erzählten sich von der Liebe derer, die vor ihrer Zeit von Liebe zugrunde gerichtet worden waren. Sie redeten und erzählten, sie betrauerten und beklagten, was Phyllis von Thrakien, was der armen Canace im Namen der Liebe widerfuhr, dass Byblis das Herz brach wegen ihrer Liebe zum Bruder, 102 Reuvenkamp 2014, S. 62. 103 Dahm-Kruse 2016, S. 385. 104 Putzos Frühdatierung ließe diesen Schluss nicht zu. Gegen diese Datierung vgl. Dahm-Kruse 2016, S. 384 f., Anm. 81. 105 Eine Einordnung der Minnegrotten-Passage in die mittelalterliche Ideengeschichte der Utopie findet sich in Tomas Tomasek: Die Utopie im › Tristan ‹ Gotfrids von Straßburg. Tübingen 1985 (Hermaea 49); zur chronotopischen Dimension der Passage vgl. Jan-Dirk Müller: Die Zeit im › Tristan ‹ . In: Christoph Huber u. Victor Millet (Hg.): Der › Tristan ‹ Gottfrieds von Straßburg. Symposion Santjago de Compostela 5. bis 8. April 2000. Tübingen 2002, S. 379 - 397. Ich verzichte hier auf Literaturangaben zur Grotten-Allegorese, weil die Erfahrungen und Beschäftigungen der Liebenden in der Natur im Vordergrund stehen. 106 Vgl. Volker Mertens: Bildersaal - Minnegrottes - Liebestrank. Zu Symbol, Allegorie und Mythos im Tristanroman. In: PBB 117 (1995), S. 40 - 64, hier S. 49. 150 5 Grabmal und Scheintod im Liebes- und Reiseroman daz ez der küniginne von Tîre und von Sidône der seneden Didône durch sene sô jæmerliche ergie. mit solhen mæren wârens ie unmüezic eteswenne. (Tr. 17.186 - 203) dass es der Königin von Tyrus und Sidon, der liebeskranken Dido, wegen ihrer Liebessehnsucht so jammervoll erging. Mit solchen Geschichten waren sie stets sehr beschäftigt. Selbst in der utopischen Ermöglichung eines unsteigerbaren Liebesglücks bleibt die Liebe von Tristan und Isolde an ihre charismatische Liebe-Leid-Dialektik gebunden. 107 In den antiken Liebesgeschichten reflektieren sie ihre eigene Liebe und öffnen den Blick auf ein mögliches Ende, den Liebestod. 108 Der Tod ist, mit Tomas T OMASEK gesprochen, in die Tristanminne miteinbegriffen: Wenngleich dem Leben zugewandt, sind die Liebenden bereit, »ihn unter bestimmten Umständen [zu] bejah[en], soweit es notwendig und der liebenden Verbindung gemäß ist«. 109 Anders als in Gottfrieds › Tristan ‹ wird bei Konrad Fleck ein Ausweg aus der dialektischen Empfindung geboten, der in der Überführung der Liebe in die Ehe besteht. Ehe ist darum auch das bestimmende Thema des zweiten Romanteils, das von der Überwindung der polygamen Herrschaftspraktiken des Admirals durch die monogam begründete triuwe-Beziehung von Flore und Blanscheflur erzählt. Spiegelbildlich zum Gartenidyll, in dem die Kinder ihre Liebe entdeckten, wird Blanscheflur in Babylon in einem Turm gefangen gehalten, zu dem ein paradiesartiger Garten gehört (vgl. FuB. 4415: [. . .] als in dem paradîse). Die Beschreibung des Gartens greift die schon bekannten Elemente, den winterfesten Mischwald, duftende Gewürze und den Vogelsang wieder auf, fügt ihnen den Fluss Eufrat noch hinzu und alludiert so auf deutliche Weise den irdischen Garten Eden (vgl. FuB. 4403 - 48). Ein weiteres Element des Gartens, das (wie schon das Grabmal) vom Erzähler durch list (v. 4227) und zouverliste (v. 4211) gekennzeichnet wird, 110 ist ein roter Baum, der an den Maulbeerbaum aus › Pyramus und Thisbe ‹ erinnert und dem bei der Eheschließung des Admirals eine zentrale Rolle zukommt. Jedes Jahr erwählt sich der mächtige Herrscher nämlich eine neue Jungfrau, deren Güte in Form einer Tugendprobe durch eine herabfallende rote Blüte bestätigt wird: der boum ist gemachet sô mit zouver als ich wæne (sîn art diu ist seltsæne), als ez der amiral gebôt, daz einer sîner bluomen rôt muoz ûf die maget vallen, die er vor in allen in sîme herzen minnet. (FuB. 4496 - 503) Der Baum ist so gemacht - mit Zauberkraft wie ich glaube, denn seine Natur ist staunenswert - wie es der Admiral befahl, dass eine seiner roten Blumen auf die junge Frau fallen musste, die er vor allen anderen in seinem Herzen liebte. 107 Vgl. dazu Bernhard Öhlinger: Destruktive Unminne. Der Liebe-Leid-Tod-Komplex in der Epik um 1200 im Kontext zeitgenössischer Diskurse. Göppingen 2001 (GAG 673). 108 Vgl. Walter Haug: Lesen oder Lieben? Erzählen in der Erzählung, vom › Erec ‹ bis zum › Titurel ‹ . In: Ders.: Brechungen auf dem Weg zur Individualität. Kleine Schriften zur Literatur des Mittelalters. Tübingen 1995, S. 153 - 167, hier S. 321. 109 Tomasek 1985, S. 103. 110 Vgl. Dahm-Kruse 2016, S. 276. 5.2 Doppelgrabmäler 151 Wurde anfangs die Entdeckung der kindlichen Liebe über die Evokation von Paradiessemantiken mit der biblischen Erzählung von der Vertreibung aus dem Paradies enggeführt, so ermöglichen dieselben Semantiken hier einen Kurzschluss mit dem mittelalterlichen Ehediskurs, der sich ganz wesentlich der Exegese des Augustinus verdankt: Denn indem er sie als ein im Paradies begründetes sacramentum interpretierte, konnte die Praxis der Eheschließung seit dem 4. Jahrhundert maßgeblich aufgewertet werden. 111 Auf der Grundlage seiner Schrift › De bono conjugali ‹ sowie der unter anderem von Hugo von St. Viktor vertretenen Notwendigkeit eines beidseitigen Konsenses, wurde die kirchliche Ehelehre auch im 11. Jahrhunderts theologisch und rechtlich begründet. 112 Mittelalterliche Bibel- und Sentenzkommentare zeugen von dem maßgeblichen Einfluss des Augustinus, der sich dafür ausgesprochen hatte, die in 1 Moses 1,28 an den Menschen gerichtete Aufforderung, sich fruchtbar zu vermehren, im wörtlichen Sinne zu verstehen - die Fortpflanzung also von der Auffassung zu befreien, sie sei Folge des Sündenfalls statt zentrales Element des göttlichen Heilsplans. 113 Im Paradiesgarten des Admirals werden diese Vorstellungen konnotativ ausgebeutet, um auf ihrer Grundlage eine Herrschaft der Polygamie zu begründen. 114 Gleich einem Sakrament gibt der Baum im jährlichen Ritus ein Zeichen; doch handelt es sich dabei offensichtlich nicht um göttlich erteiltes Heil, sondern um den Effekt eines mit list betriebenen Baumautomaten. Zusätzlich verschärft wird das Zeremoniell dadurch, dass derAdmiral nicht nur jedes Jahr eine neue Frau ehelicht, sondern auch die vorherige tötet. Dagegen geben Flore und Blanscheflur in der Kemenate das Vorbild einer auf Keuschheit und Dauer bedachten Gemeinschaft. Auch nach langer Trennung kennt ihr Liebesspiel im prächtigen Bett des Haremsturms Grenzen: Zwar überlassen auch sie sich dem ( › Erec ‹ gleichen) verligen. Doch ist damit ausdrücklich kein Beischlaf impliziert (vgl. FuB. 6094 - 103). Wenn die Kinder den Admiral und seine im Paradiesgarten versammelte Hofschar am Tag des Gerichtsurteils schließlich davon überzeugen können, Gnade walten zu lassen, dann ist dies nicht nur auf die Inszenierung ihrer höfischen Körper zurückzuführen, die gemäß einer physisch fundierten Paarbildung wie füreinander bestimmt erscheinen. 115 Vielmehr sorgen sie mit einem öffentlich ausgetragenen Streit um die größere Opferbereitschaft für Erstaunen, weil sich darin ein auf Reziprozität und exklusiver triuwe beruhendes Minnekonzept offenbart, das sprichwörtlich bestehen will, bis dass der Tod sie scheidet. 116 Mit der Erzählung von seinen 111 Signori 2011, S. 15. 112 Ebd., S. 17; vgl. dazu auch Jean Gaudemet: L ’ apport d ’ Augustin à la doctrine médiévale du marriage. In: Augustinianum 27 (1987), S. 559 - 70. 113 Im ausgehenden 11. und beginnenden 12. Jahrhundert wurde die Begründung der Ehe infolge der Auseinandersetzung mit den dualistischen Lehren der Katharer erneut Gegenstand gelehrter Diskussion, vgl. Signori 2011, S. 23. 114 Die Terminologie nach Warning 1997; kritisch dazu Manuel Braun: Verdeckte Voraussetzungen oder: Versuch über die Grenzen der Hermeneutik. Eine Vorüberlegung zur Erfassung › literarischer Säkularisierung ‹ . In: Susanne Köbele u. Bruno Quast (Hg.): Literarische Säkularisierung im Mittelalter. Berlin 2014 (Literatur - Theorie - Geschichte 4), S. 409 - 426, hier S. 413 - 415. 115 Vgl. Wedell 2008; zur feudalen Paarbildungslogik auch Schulz 2008, S. 279 - 289 sowie ders.: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive. Studienausgabe. Hg. v. Manuel Braun. Berlin/ München 2012, 56 f. 116 Das bestätigt die Einmischung eines Bischofs, der das Geschehen mit folgenden Worten zusammenfasst: dar zuo suln wir sprechen, | alle mîn genôze, | kleine unde grôze, | die hânt gesehen hie | durch got an dirre welte nie | mêre triuwen dan an beiden hiute, | daz sie nieman niute | gescheiden mac noch erkan. (FuB. 7360 - 67) 152 5 Grabmal und Scheintod im Liebes- und Reiseroman Abenteuern kann Flore nicht nur die Herzen seiner Zuschauer gewinnen, sondern auch die Einwilligung des Admirals in seine Hochzeit mit Blanscheflur erhalten, der stattdessen ihre Zofe Claris zu seiner neuen Frau nimmt. In einem abschließenden Exkurs äußert sich der Erzähler über die Ungleichheit ihrer Liebe, deren Wert er mit Kupfer und Gold vergleicht. Die Erzählung endet mit Flores Konversion und seiner Herrschaftsübernahme in Spanien. Während der Hinweis auf die gemeinsame Tochter Berte einen Anschluss an die Erzähltradition der matière de France eröffnet, werden die Protagonisten begleitet von einem Wunder zu Grabe getragen: ir sælden stæte dar an schein, als uns diu âventiure zalt, sie wurden hundert jâr alt wol gesunt unde frô, unde sturben beidiu dô, als in got des gunde, eins tages ze einer stunde und wurden in ein grap geleit. (FuB. 7888 - 95) Die Beständigkeit ihres Glücks zeigte sich daran, wie uns die Geschichte erzählt, dass sie hundert Jahre alt wurden, völlig gesund und froh, und dann beide starben, wie Gott ihnen das gewährte, am gleichen Tag, zur gleichen Stunde und in ein Grab gelegt wurden. So erhalten Flore und Blanscheflur schließlich tatsächlich ein gemeinsames Grab, das durch das Wunder eines gleichzeitigen Todes ermöglicht wird. Das Liebestodmotiv erfüllt damit dann doch noch seine Schlussgebungsfunktion, allerdings unter veränderten Vorzeichen. In der Rückschau kann das Scheingrab im Baumgarten auch als Vorausdeutung auf dieses Ende gelesen werden. Die Figuren fungieren dann nicht mehr als Erinnerung an das verlorene Paradies, sondern markieren den Ursprung einer erfüllten Ehe, die ihre Legitimation aus der früheren Einsetzung der Menschen ins Paradies bezieht. * Die mittelalterliche Grabmalerzählung verbindet sich mit zwei aus der antiken Literatur entlehnten Motiven: mit dem Scheintodmotiv einerseits, das schon dem hellenistischen Liebesroman zugrunde liegt, und dem Liebestodmotiv andererseits, das zum Beispiel Ovids Erzählung von Pyramus-und-Thisbe beendet. In › Flore und Blanscheflur ‹ werden die Motive dergestalt aufeinander bezogen, dass der vermeintliche Endpunkt, der Erzählschluss am Grab, spielerisch in einen Wendepunkt überführt wird. Das Grabmal bildet den Anfang eines neuen Erzählstrangs. Nach dem Vorbild des mittelalterlichen Antikenromans wird das Grabmal von › Flore und Blanscheflur ‹ zudem als Ekphrasis dargestellt, die vor allem bildliche, aber auch olfaktorische und akustische Dimensionen des Sepulkralarrangements zur Geltung bringt. Diese wie auch die weiteren Kunstwerkbeschreibungen des Romans sind dabei wesentlich von der semantischen Differenz zwischen Eigenem (das sind die christlichen Wertekonzepte) und dem Anderen (der › heidnischen ‹ Aneignung dieser Konzepte durch list) geprägt, die im Automatentheater mit seiner Paradiesnachbildung deutlich zu Tage tritt. Blanscheflurs Grabmal entspricht darin den phantastischen Bauten des › Eneasromans ‹ , beispielsweise dem architektonischen Weltwunder der › heidnischen ‹ Königin Camilla mit seinen Anklängen an das himmlische Jerusalem. Schließlich: Beide Romane, › Apollonius ‹ ebenso wie › Flore und Blanscheflur ‹ , offenbaren ein implizites Misstrauen gegenüber sepulkralen Zeichen. Während sich im einen Roman 5.2 Doppelgrabmäler 153 Körperzeichen zuverlässiger als Sepulkralzeichen erweisen, sei es, weil ihre Deutung Rätsel aufwirft oder sie grundsätzlich manipulierbar sind, lässt der andere mit seiner Grabstätte eine Kunstkritik erkennen, die sich gegen eine nur effektvolle Überbietung der Schöpfung richtet. Ihr wird das poetologische Konzept der einvalt entgegengesetzt, das auch die Liebe der Protagonisten auszeichnet. Sie bleiben der Nachwelt nicht aufgrund eines technischen Verlebendigungsapparats erhalten, sondern allein aufgrund des Beispiels, das ihre glückliche Ehe gibt. 154 5 Grabmal und Scheintod im Liebes- und Reiseroman 6 Evidenz und Autopsie: Grabmäler in der Kirchengeschichte Während im Zentrum von Hagiographie und Biographie der Lebenslauf e i n e s Helden steht, kann die chronikale Geschichtsschreibung mehrere Viten in eine Darstellung zusammenführen, die wesentlich größere Zeiträume und Zusammenhänge umfasst. Mit der Verbreitung des Christentums in der Spätantike bildete sich ein eschatologisches Geschichtsbild heraus, nach dem die Universalgeschichte einem göttlichen Plan unterliegt, der vom Standpunkt des Einzelnen jedoch nicht immer klar erkennbar ist. Um diesem Problem Rechnung zu tragen, strebte die christliche Historiographie danach, »den genauen Platz der eigenen Existenz innerhalb des Heilsplans zu bestimmen«. 1 Die Überwölbung der individuellen Lebenszeit durch die Weltzeit lässt das Individuum einerseits zurücktreten, bietet andererseits aber auch die Möglichkeit, das Individualleben mit Blick auf den göttlichen Heilsplan zu perspektivieren. Erzählte Grabmäler spielen dabei eine Schlüsselrolle, denn sie symbolisieren den Übergang von Lebens- und Weltzeit, deuten den Heros als Akteur einer Gemeinschaft, der sein Grabmal gestiftet hat und für deren Erinnerung es besteht, und verweben dadurch Einzel- und Kollektivgeschichte. In Chroniken kann die Erwähnung von Grabmalen dazu beitragen, eine V i e l z a h l von Protagonisten zu unterscheiden, die aus der Menge hervortreten und schließlich mit anderen Figuren wie Anhänger, Nachfolger, Mittler, Publika oder Gegner verknüpft werden. Mitunter können genealogische Zusammenhänge über mehrere Generationen verfolgt werden - derTod stiftet immer nur einen vorläufigen Abschluss, der stets zu neuen Lebenserzählungen überleitet. Zwei historiographische Werke, die › Historia Ecclesiastica gentis Anglorum ‹ des Beda Venerabilis (Ende des 8. Jahrhunderts) und die › Historia Ecclesiastica ‹ von Orderic Vitalis (12. Jahrhundert) geben hierfür Beispiel, weil sie besonderen Wert auf die Darstellung von Totenmemoria legen. Neben der genauen Beschreibung der Grabmäler für Mitglieder der geistlichen Gemeinschaft und des gehobenen Adels zitieren sie die darauf befindlichen Grabinschriften. Im Gegensatz zum heroischen Einzelgedenken der vita entsteht in solchen chronikalen Darstellungen ein kollektiver Erinnerungshorizont. Im Folgenden soll untersucht werden, wie die zwei genannten Texte die Zeichenhaftigkeit von Grabmälern inszenieren und wie dabei insbesondere die gemeinschaftsbildende Funktion des Grabmals in die Geschichtsschreibung übersetzt wird. 1 Gerhard Wolf: Einleitung. In: Ders. u. Norbert H. Ott: Handbuch Chroniken des Mittelalters. Berlin/ New York 2016, S. 1 - 46, hier S. 7. Besonders einflussreich für die Entwicklung der spätantiken christlichen Historiographie waren die Kirchengeschichte des Eusebius von Caesarea, die in zehn Büchern die Entstehung der christlichen Kirche bis 324 darlegte, sowie die › Historiae adversus paganos ‹ des Orosius (417/ 418), unter deren Einfluss mittelalterliche Geschichtsschreiber zunehmend »nach sich wiederholenden Mustern in der Geschichte suchten« (ebd., S. 9). 6.1 Inschrift und Exemplarizität bei Beda Venerabilis In der › Historia ecclesiastica gentis Anglorum ‹ des Beda Venerabilis spiegelt sich in erzählter Totenmemoria ein gesteigerter Anspruch auf Exemplarizität: Nur vereinzelt lässt der Autor die Biographien erwähnter Personen mit Beschreibungen ihrer Grabmäler und darauf befindlicher rühmender Grabinschriften enden. Das Epitaph wird damit zu einer Heroisierungsform, die der lesenden Gemeinschaft Beispiel geben soll. Die › Historia Ecclesiastica ‹ wurde nach eigenen Angaben 731, im Kloster Jarrow, in Northumbrien vollendet und bietet eine der wohl wichtigsten Quellen zur frühen Geschichte Englands, von deren reger Rezeption insgesamt hundertsechzig Handschriften zeugen. 2 Basierend auf einer eschatologischen Zeit- und Geschichtsauffassung berichtet Bedas Kirchengeschichte von derAnkunft der germanischen Angelsachsen in Britannien und schildert in fünf Büchern deren allmähliche Bekehrung zum christlichen Glauben. 3 Nur wenige Jahre zuvor, im Jahre 725, hatte Beda seine komputistische Schrift › De temporum ratione ‹ abgeschlossen, mit der er seine frühere Abhandlung › De temporibus ‹ ergänzte. Darin lieferte er neben kalendertheoretischen Grundlagen und Hinweisen zur Berechnung des Osterzyklus auch eine Weltchronik, die auf Augustinus ’ und Isidors Lehre der sechs Weltzeitalter (aetates) gründete und so »den engen Zusammenhang von Komputistik und eschatologisch orientierter Geschichtsschreibung dokumentiert«, der auch für die › Historia Ecclesiastica gentis Anglorum ‹ bedeutsam ist. 4 Nach Bedas Überzeugung hatte das sechste Weltzeitalter mit der Inkarnation Christi eingesetzt und reichte bis in seine eigene Gegenwart. Der christliche Formierungsprozess der gens Anglorum fällt damit fast vollständig in das letzte Weltzeitalter, wobei sich die berichteten Ereignisse besonders in den Jahren zwischen 597 (der Ankunft der römischen Missionare in Britannien) und dem Jahr der Vollendung seiner historiographischen Schrift, 731, verdichten. 5 Vor dem Hintergrund seiner Tätigkeit als christlicher Gelehrter und Exeget muss auch Bedas Geschichtswerk als Bemühung verstanden werden, Gottes Plan hinter den historischen Entwicklungen im Laufe der (ihrem Ende zustrebenden) Zeit sichtbar zu machen. 6 Daneben gehorchte seine Geschichtsschreibung der klar formulierten didaktischen Absicht, den Menschen durch Vorbilder der Vergangenheit zu rechtem Verhalten zu erziehen: 7 2 Zu den Handschriften vgl. M. R. James: The Manuscripts of Bede. In: A. Hamilton Thompson (Hg.): Bede, His Life, Times, and Writings. Oxford 1969 [1935], S. 230 - 236. Mehrere Handschriften datieren noch ins 8. Jahrhundert, zudem sind bereits aus dem 10. und 11. Jahrhundert mehrere Manuskripte überliefert, die eine angelsächsische Übersetzung des Textes enthalten. 3 Zu Bedas Betrachtung von Zeit und Geschichte vgl. Peter Darby: Bede and the End of Time. Farnham 2012 (Studies in Early Medieval Britain). 4 Beda der Ehrwürdige: Kirchengeschichte des englischen Volkes. Übersetzt von Günter Spitzbart, Bd. 1. Darmstadt 1982 (TzF 34), S. 3. 5 Nur in Hist. Eccl. 1, 2 berichtet Beda davon, wie Gaius Julius Caesar nach Britannien gelangt sein soll. Alle weiteren Ereignisse fallen in die Zeit nach Christi Geburt und werden neben der Angabe in Konsulatsjahren auch nach der Inkarnationszählung datiert. 6 Einen Überblick zu Bedas Tätigkeiten als Historiker bietet Alan Thacker: Bede and History. In: Scott DeGregorio (Hg.): The Cambridge Companion to Bede. Cambridge 2010, S. 170 - 190. 7 Zitiert nach Bede ’ s Ecclesiastical History of the English People. Hg. v. Bertram Colgrave u. R. A. B. Mynors. Oxford 1969 (Oxford Medieval Texts). Zur besseren Auffindbarkeit der Textstellen gebe ich auch die Seitenzahlen an. 156 6 Evidenz und Autopsie: Grabmäler in der Kirchengeschichte Siue enim historia de bonis bona referat, ad imitandum bonum auditor sollicitus instigatur; seu mala commemoret de prauis, nihilominus religiosus ac pius auditor siue lector deuitando quod noxium est ac peruersum, ipse sollertius ad exsequenda ea quae bona ac Deo digna esse cognouerit, accenditur. (Praefatio [S. 2]) Wenn die Geschichte nämlich über die Guten Gutes berichtet, wird der bewegte Zuhörer zur Nachahmung des Guten angeregt; wenn sie hingegen Schlechtes von den schlimmen Menschen anführt, wird der gewissenhafte und fromme Zuhörer oder Leser nichtsdestoweniger entfacht, auf noch geschicktere Weise selbst danach zu streben, was er als gut und Gottes würdig erkennt, indem er vermeidet, was schädlich und verkehrt ist. Eine besondere Rolle für die heilsgeschichtliche Bestimmung der Angelsachsen kommt Papst Gregor dem Großen zu, der laut einer (auch bei Beda geschilderten) Legende den paganen Volksstämmen Britanniens aufgrund ihrer leuchtenden Erscheinung (lucidi vultus homines / angelicam habent faciem) und der lautlichen Analogie von Angli und angeli einen Platz im Himmel eingeräumt haben soll (vgl. Hist. Eccl. 2, 1 [S. 132 - 134]). In seinem Auftrag wurde der römische Prior Augustinus Ende des 6. Jahrhunderts mit einer missionarischen Delegation nach England entsandt, um die Angelsachsen zum Christentum zu bekehren. Die Erzählung seiner Landung auf Thanet und seiner Ernennung zum Erzbischof wird jedoch jäh durch den Tod Gregors zu Beginn des zweiten Buches unterbrochen. Ausführlich blickt Beda auf den Lebenslauf und die Verdienste des Kirchenoberhaupts zurück, bis er den Passus schließlich mit der Wiedergabe seiner in Rom befindlichen Grabinschrift (scriptum [. . .] in tumba ipsius epitaphium) beendet: Suscipe, terra, tuo corpus de corpore sumtum, Reddere quod ualeas uiuificante Deo. Spiritus astra petit, loeti nil iura nocebunt, Cui uitae alterius mors magis ipsa uia est. Pontificis summi hoc clauduntur membra sepulchro, Qui innumeris semper uiuit ubique bonis. Esuriem dapibus superauit, frigora ueste, Atque animas monitis texit ab hoste sacris, Implebatque actu, quicquid sermone docebat, Esset ut exemplum mystica uerba loquens. Ad Christum Anglos conuertit pietate magistra, Adquirens fidei agmina gente noua. Hic labor, hoc studium, haec tibi cura, hoc pastor agebas, Vt Domino offerres plurima lucra gregis. Hisque Dei consul factus laetare triumphis, Nam mercedem operum iam sine fine tenes. (Hist. Eccl. 2, 1 [S. 132]) Nimm, Erde, den Leib, der von deinem Körper genommen war, den du dem belebenden Gott zurückgeben kannst. Der Geist strebt nach den Sternen, die Gesetze des Todes können ihm keinen Schaden zufügen. Der Tod selbst ist ihm vielmehr Weg zum anderen Leben. Verschlossen werden in diesem Grab die Gebeine des höchsten Bischofs, der durch seine unzähligen guten Werke immer und überall lebt. Den Hunger besiegte er durch Speisen, die Kälte durch Kleidung und die Seelen schützte er vor dem Feind durch ehrwürdige Mahnung, er erfüllte in seinem Handeln alles, was er in der Predigt lehrte und sprach mystische Worte, um ein Vorbild zu sein. Unter der Leitung der Frömmigkeit bekehrte er die Engländer zu Christus und gewann Scharen des Glaubens in dem neuen Volk. Diese 6.1 Inschrift und Exemplarizität bei Beda Venerabilis 157 Mühe, diesen Eifer, diese Fürsorge nahmst du als Hirte auf dich, damit du dem Herrn die größten Gewinne der Herde brachtest. Freue dich, zum Konsul Gottes gemacht, an deinen Triumphen, denn schon hast du den Lohn für die Arbeit ohne Grenzen. Da das Epitaph in mehreren Inschriften-Syllogen überliefert ist, hat Beda es vermutlich nicht selbst für sein Geschichtswerk angefertigt. 8 Vielmehr scheint es sich um ein Zitat zu handeln, das Beda einer Sammlung römischer Inschriften entnommen haben könnte, und das mit dem folgenden Prosaepitaph für Augustinus von Canterbury in 2, 3 den beiden wichtigsten Wegbereitern der angelsächsischen Christianisierung ein abschließendes Andenken stiftet. Neben der rühmenden Erwähnung der Verdienste und Taten des Bischofs (darunter an letzter und wichtigster Stelle die Konversion derAngelsachsen) wird das elegische Epitaph durch eine Reflexion über den Dualismus von Leib und Seele gerahmt: Während im ersten Distichon die Erde (terra) apostrophiert wird, den nunmehr entseelten, zur passiven Hülle gewordenen Leib zurückzunehmen, weist das zweite Distichon den Geist als befreites Wesensprinzip aus, der seinen Weg in die himmlische Sphäre zu neuem Leben aufgenommen habe. Gregors Dienst auf Erden, sein Wirken als Hüter und Vermehrer der christlichen Herde, sei ihm mit dem ewigen Leben vergolten worden. Das augusteische imperium sine fine wird damit einer ökonomischen Logik unterworfen (mercedem [. . .] sine fine) unterworfen: Nur wer sich auf Erden verdient macht, kann in die himmlische Unendlichkeit eintreten. Der später als Apostel der Angelsachsen gefeierte Augustinus von Canterbury, der noch im selben Jahr verstarb, wurde in der Kirche von St. Peter und St. Paul begraben. Auch sein Epitaph wird bei Beda zitiert. Da es sich um eine Grabinschrift in Prosa handelt, tritt sie weniger aus dem Text hervor als das sechzehnversige Epitaph des Gregor. 9 Wenngleich das Andenken in erster Linie Augustinus von Canterbury gilt, fungiert sein Epitaph zugleich als eine weitere Erinnerung an die missionarische Entsendung durch den Papst: Scriptum uero est in tumba eiusdem Augustini epitaphium huiusmodi: › Hic requiescit domnus Augustinus Doruuernensis archiepiscopus primus, qui olim huc a beato Gregorio Romanae urbis pontifice directus, et a Deo operatione miraculorum suffultus, Aedilberctum regem ac gentem illius ab idolorum cultu ad Christi fidem perduxit, et conpletis in pace diebus officii sui defunctus est septima kalendas Iunias eodem rege regnante. ‹ (Hist. Eccl. 2, 3 [S. 144]) Auf dem Grab jenes Augustinus ist eine derartige Inschrift geschrieben: »Hier ruht Herr Augustinus, der erste Erzbischof von Canterbury, der einst vom seligen Gregor, Bischof der Stadt Rom, hierher geschickt und von Gott durch Wunderwirken unterstützt, König Aethelbert und dessen Volk vom Götzenkult zum Glauben Christi führte und, nachdem er in Frieden die Tage seiner Pflicht erfüllt hatte, am 26. Mai unter der Regierung desselben Königs verstarb.« Die Zitationstechnik lässt den Erzähler einerseits in den Hintergrund treten und stärkt andererseits seine Position als Augenzeuge eines inschriftlichen Vermächtnisses. Insgesamt werden Epitaphzitate jedoch nur sparsam verwendet. Erst im fünften Buch folgen dicht aufeinander drei weitere Grabinschriften, mit denen an historische Persönlichkeiten erinnert 8 Vgl. Bernt 1968, S. 166 f. 9 Offenbar wird der Tod des Augustinus als weniger relevant eingestuft. So nimmt es auch nicht wunder, dass die Buch V angehängte kurze synoptische Wiederholung der historischen Ereignisse für das 605. Jahr nur den Tod Gregors vermerkt. 158 6 Evidenz und Autopsie: Grabmäler in der Kirchengeschichte wird, die im Gegensatz zu Gregor und Augustinus Bedas eigener Gegenwart angehören. 10 Ein besonderes Andenken erhalten Caedwalla, König der Westsachsen, Bischof Theodor, von dessen vierunddreißigversiger Grabinschrift nur die ersten und letzten vier Verse wiedergegeben werden und der besonders ausgezeichnete Bischof Wilfrid, auf dessen Tod (wie bei Gregor dem Großen) eine ausführliche biographische Rückschau erfolgt, die schließlich in einem zwanzigversigen Epitaph poetisch kondensiert wird. Die Ereignisse des vierten und fünften Buches decken sich mit der Lebenszeit Bedas. In ihnen vermehren sich Andeutungen auf geschichtliche Verfallserscheinungen. 11 So wird die Amtszeit des Erzbischofs Theodor, deren Darstellung das ganze vierte Buch einnimmt, mit einem Hinweis auf das unwiederbringliche Glück unter seiner zweiundzwanzigjährigen Führung eingeleitet - niemals habe Britannien seit der Einwanderung der Angelsachsen glücklichere Zeiten erlebt. Denn unter Theodor seien die christlichen Könige mächtig und die wissenschaftliche Bildung verbreitet gewesen, so dass alle von den frommen christlichen Lehren erreicht wurden. Auf der ganzen Insel sei er für die Einhaltung der richtigen Lebensordnung (rectum vivendi ordinem) und des kanonischen Brauchs (ritum celebrandi paschae canonicum) eingetreten (Hist. Eccl. 4, 2 [S. 332]). Doch das Ende der ertragreichen Zeit habe sich bereits sechzehn Jahre später abgezeichnet, als die Iren und Picten wieder an Stärke gewannen und einen Teil ihres Besitzes zurückerobern konnten. Seitdem sei Hoffnung und Tapferkeit im Reich der Angelsachsen geschwunden. 12 Die düstere Prognose kennt aber auch Ausnahmen: Von König Caedwalla wird berichtet, dass er seine tatkräftige Herrschaft über die Westsachsen nach zwei Jahren aufgegeben habe, um in Rom dieTaufe zu empfangen. Noch in seinen Taufkleidern sei er dort am Ostersamstag im Jahre 688 verstorben. Beda fügt die poetische Inschrift, die Caedwalla in Rom gewidmet worden sein soll, in seinen Bericht ein. Anders als bei den vorherigen Grabinschriften liefert er an dieser Stelle jedoch einen expliziten Hinweis auf die Funktion des Epitaphs, die mit dem in der praefatio programmatisch präsentierten Absicht, seine Leser zu gutem Handeln erziehen zu wollen, übereinstimmt: [. . .] et iubente pontifice epitaphium in eius monumento scriptum, in quo et memoria deuotionis ipsius fixa per saecula maneret, et legentes quoque uel audientes exemplum facti ad studium religionis accenderet. (Hist. Eccl. 5, 7 [S. 470]) 10 Auch Clarke liefert eine Kurzanalyse der Epitaphe in Bedas › Historia Ecclesiastica ‹ , die sie als »evidence for a strong epitaphic tradition in early medieval Europe« wertet und vor deren Hintergrund sie anschließend das Vorkommen von poetic epitaphs in angelsächsischen Chroniken diskutiert, vgl. Catherine A. M. Clarke: Writing Power in Anglo-Saxon England. Texts, Hierarchies, Economies. Cambridge 2012, S. 44 - 79, hier S. 55. Allgemein zur Epigrammdichtung Bedas vgl. George Hardin Brown u. Frederick M. Biggs: Bede, Part 1, Fascicles 1 - 4. Amsterdam 2017 (Sources of Anglo-Saxon Literary Culture), S. 217 - 240. Auch der Kommentar von Wallace-Hadrill bietet einige Hinweise zu den Epitaphen. Der Autor stellt darin die Vermutung an, dass nur das letzte Epitaph für Bischof Wilfrid von Beda selbst verfasst wurde, vgl. J. M. Wallace-Hadrill: Bede ’ s Ecclesiastical History of the English People. A Historical Commentary. Oxford 1988, S. 194. 11 Vgl. Darby 2012, S. 208 f. 12 Vgl. Hist. Eccl. 4, 26 [S. 428]: Ex quo tempore spes coepit et uirtus regni Anglorum › fluere ac retro sublapsa referri ‹ . Nam et Picti terram possessionis suae quam tenuerunt Angli, et Scotti qui erant in Brittania, Brettonum quoque pars nonnulla libertatem receperunt; quam et hactenus habent per annos circiter XLVI. 6.1 Inschrift und Exemplarizität bei Beda Venerabilis 159 [. . .] Und auf Befehl des Bischofs wurde auf dessen Grabmal eine Inschrift angebracht, in der einerseits die eingeprägte Erinnerung an seine Demut Jahrhunderte überdauern sollte und andererseits das Beispiel seiner Tat auch die Leser und Zuhörer zum Streben nach Frömmigkeit entfachen sollte. Das historische Monument, das auf Geheiß des Bischofs errichtet wird, erfüllt dieselbe Funktion wie das Dokument, das Beda seinem Leser vorlegt: Es soll überdauern (manere) und die Rezipienten zur Nachahmung anregen (accendere). Wenn die Epitaphe besonders exemplarische Figuren hervorheben, schließt sich die Frage an, wie sich gerade die drei jüngeren Verstorbenen um eine solche Auszeichnung verdient machen. Gibt es etwas, das König Caedwalla, Bischof Theodor und Bischof Wilfrid mit den zwei frühen Missionaren der Angelsachsen, Papst Gregor und Augustinus von Canterbury, vereint? Unter den fünf Personen ragt besonders Caedwalla hervor, weil er kein Bischof ist, der sich durch Führungsstärke und missionarische Aktivitäten auszeichnet, sondern ein König, der sich gegen irdische Güter und weltliche Macht entschieden hat. Sein Epitaph besteht aus zwölf Distichen (ist also insgesamt um ein Drittel länger als der Nachruf auf Gregor den Großen) und einem zusätzlichen Absatz in Prosa, der über den Stand, die Herkunft und den Todestag Caedwallas informiert: 13 Culmen, opes, subolem, pollentia regna, triumphos, Exuuias, proceres, moenia, castra, lares, Quaeque patrum uirtus et quae congesserat ipse, Caedual armipotens liquit amore Dei [. . .] Percipiensque alacer rediuiuae praemia uitae, Barbaricam rabiem nomen et inde suum Conuersus conuertit ouans: Petrumque uocari Sergius antistes iussit, ut ipse pater Fonte renascentis, quem Christi gratia purgans Protinus albatum uexit in arce poli. [. . .] Candidus inter oues Christi sociabilis ibit: Corpore nam tumulum, mente superna tenet. Commutasse magis sceptrorum insignia credas, Quem regnum Christi promeruisse uides. (Hist. Eccl. 5, 7 [S. 470 - 472]) Die Spitze, Reichtum, Nachwuchs, Königsherrschaft, Triumphe, Waffenbeute, vornehme Leute, Befestigungen, Lager, Häuser, was auch immer die Tugend der Väter und er selbst angehäuft hatten, ließ der waffenmächtige Caedwalla zurück aus Liebe zu Gott [. . .] Freudig nahm er den Lohn des erneuerten Lebens in Empfang und bekehrte jubelnd die barbarische Wut, nachdem er von da an auch seinen Namen getauscht hatte: Papst Sergius ließ ihn Petrus nennen, damit er selbst der Vater des im Taufquell Wiedergeborenen war, den die Gnade Christi reinigte und ihn, weiß gewandet, sogleich in die Himmelsstadt führte. [. . .] Der Weiße wird sich unter die Schafe Christi gesellen: Mit dem Leib bewohnt 13 Caedwallas Epitaph begegnet neben einem Epitaph für Drotculf von Ravenna auch in der › Historia gentis Langobardorum ‹ des Paulus Diaconus (entstanden gegen Ende des 8. Jhs.). Zudem ist das Caedwalla- Epitaph in drei Inschriften-Syllogen, der Sylloge Turonensis, der Sylloge Centulensis und der Sylloge Laureshamensis IV, überliefert. Die Abhängigkeitsverhältnisse werden bei Sharpe diskutiert. Er geht davon aus, dass Paulus Diaconus und Beda Syllogen verwendeten, die nicht überliefert sind, deren Texte jedoch miteinander verwandt waren, vgl. dazu Richard Sharpe: King Caedwalla ’ s Roman Epitaph. In: Katherine O ’ Brien O ’ Keeffe u. Andy Orchard (Hg.). In: Latin Learning and English Lore: Studies in Anglo-Saxon Literature for Michael Lapidge, Bd. 1. Toronto 2005, S. 171 - 193. 160 6 Evidenz und Autopsie: Grabmäler in der Kirchengeschichte er das Grab, mit der Seele den Himmel. Man mag eher glauben, er habe die Herrschaftszeichen getauscht, und man sieht, dass er das Reich Christi verdient hat. Das Epitaph beginnt mit einer asyndetischen Aneinanderreihung der weltlichen Auszeichnungen und Güter, die Caedwalla aufgegeben hat, auf die in der Mitte, dem sechsten Distichon, die Wende folgt, die das anfängliche culmen, den Gipfelpunkt des irdischen Lebens, in die superna, die Höhen des himmlischen Reichs überführt. Das elegische Versmaß wird mit hymnischen Tönen überlagert (alacer, ovans) und Klage in Beifall und Freude aufgelöst: Im Zentrum steht das Ereignis derTaufe, das die Erneuerung in dem Polyptoton conversus convertit verdichtet. Die Bekehrung der barbaricam rabiem ist zugleich eine der Identität, die im neuen Namen zutage tritt. Sind Glanz und Reinheit zuerst noch vestimentär und äußerlich (albatum), wird der Getaufte sogleich zum candidus, der sich unter die Schafe des Herrn gesellt. Die Hirtenmetaphorik, die im Epitaph von Gregor dem Großen angelegt worden war, wird in Caedwallas Grabinschrift durch die Schar der oves Christi ergänzt, zu der nun auch der Getaufte gehört. Analog zum Epitaph Gregors endet auch Caedwallas Epitaph mit einem Bild vom Leib- Seele-Dualismus und der Verheißung, das irdische Leben werden gegen das himmlischen eingetauscht (commutasse [. . .] sceptrorum insignia). Der Tausch korrespondiert mit der vorangegangenen Lebenswendung durch die Taufe (convertit). Über die verallgemeinernde zweite Person (credas / vides) wird der Leser (sei er direkter Rezipient der Inschrift oder Leser der › Historia Ecclesiastica ‹ ) in das letzte Distichon miteinbezogen und der Standpunkt des Verfassers, Caedwalla habe sich das ewige Leben v e r d i e n t , auf seinen Standpunkt ausgeweitet: War Gregor herausragend in seiner Rolle als Wegbereiter der angelsächsischen Bekehrung, wird Caedwalla eine Erinnerung als vorbildlicher Bekehrter geschaffen, an dem sich der Leser ausrichten soll. Die Parallelen zwischen beiden Grabinschriften (die metrische Komposition, die Entsprechung von pastor und oves und das Bild der Trennung von Leib und Seele) lassen einen deutlichen Zusammenhang von Ursache und Wirkung entstehen, der den Leser implizit an die Entwicklung erinnert, die sich zwischen Buch II und V vollzogen hat. Das vorletzte Epitaph des Bischof Theodor ist äußerst rätselhaft: Obwohl es aus vierunddreißig Versen bestanden haben soll, werden bei Beda nur acht davon zitiert, die seine Aufnahme in die communitas sanctorum attestieren. 14 Warum sechsundzwanzig Verse ausgelassen werden, ist schwer zu sagen - vielleicht, weil Beda nicht das ganze Epitaph vorlag? Oder, um das unmittelbar vorangehende Epitaph des Caedwalla nicht in den Schatten zu stellen? Dagegen erregt die letzte zitierte Grabinschrift noch einmal Aufmerksamkeit, weil sie nicht aus Distichen, sondern aus zwanzig Hexametern besteht und damit eine markant heroische Tonlage anschlägt. Sie ist Bischof Wilfrid gewidmet und steht am Schluss einer Zusammenfassung seiner ereignisreichen Vita. In Kontrast zu seinem bewegten Leben, das über viele Seiten dargelegt wurde - von seiner Kindheit, seinen Reisen nach Rom, der Leitung des Klosters von Ripon und seiner langjährigen Amtszeit als Bischof von York, die von vielerlei Spannungen überschattet war - werden in seinem Epitaph nur zwei Dinge festgehalten: 14 Vgl. Hist. Eccl. 5, 8 [S. 474]: Cuius personam, uitam, aetatem et obitum epitaphium quoque monumenti ipsius uersibus heroicis XXX et IIII palam ac lucide cunctis illo aduenientibus pandit, quorum primi sunt hi: › Hic sacer in tumba pausat cum corpore praesul, | Quem nunc Theodorum lingua Pelasga uocat. | Princeps pontificum, felix summusque sacerdos | Limpida discipulis dogmata disseruit. ‹ V l t i m i autem hi: › Namque diem nonam decimam September habebat, | Cum carnis claustra spiritus egreditur, | Alma nouae scandens felix consortia uitae, | Ciuibus angelicis iunctus in arce poli. ‹ 6.1 Inschrift und Exemplarizität bei Beda Venerabilis 161 Zunächst verweist es auf sein erstes Kloster in Ripon, demgegenüber Wilfrid sich als überaus generös gezeigt hatte und wohin auch sein Leichnam überführt wurde, und ruft dann seinen nachhaltigen Einfluss auf die Synode von Whitby 664 in Erinnerung, wo der Bischof als starker Verfechter des römischen Ritus (insbesondere in der Frage nach der richtigen Datierung des Osterfestes) gegen die Bräuche des irisch-nordhumbrischen Christentum aufgetreten war. Der Ablauf der Synode wurde im Buch III der › Historia Ecclesiastica gentis Anglorum ‹ ausführlich dargelegt (Hist. Eccl. 3, 25). Der Tod Wilfrids gibt Anlass, das Ereignis noch einmal aufzurufen: Uilfridus hic magnus requiescit corpore praesul Hanc Domino qui aulam ductus pietatis amore Fecit, et eximio sacrauit nomine Petri [. . .] Paschalis qui etiam sollemnia tempora cursus Catholici ad iustum correxit dogma canonis, Quem statuere patres dubioque errore remoto Certa suae genti ostendit moderamina ritus [. . .] (Hist. Eccl. 5, 19 [S. 528 - 530]) Hier ruht der Vorsteher Wilfrid, groß hinsichtlich seines Körpers, der geführt vom Herrn diese Kirche aus Liebe zur Frömmigkeit erbaute und sie dem ausgezeichneten Namen des Petrus weihte [. . .] Er, der auch die Festzeiten des österlichen Ablaufs gemäß der rechten Lehre des katholischen Kanons korrigierte, den die Väter festgesetzt hatten, zeigte seinem Volk, nachdem Zweifel und Irrtum beseitigt waren, die sichere Handhabung des Brauches. In der epitaphischen Verkürzung manifestiert sich eine weitere Funktion der Grabinschriften, die in ihrer Anordnung und Aufbereitung des Erinnernswerten liegt: Verläuft die historische Erzählung grundsätzlich chronologisch und entwickelt sich in Rückbezug auf das übergeordnete Thema, die Christianisierung der Angelsachsen in den verschiedenen Teilen Britanniens, können die einzelnen Kapitel auch besonderen Ereignissen (wie der Synode von Whitby) oder der Biographie von hervorragenden Persönlichkeiten (wie Bischof Wilfrid) Raum geben. Um zu gewährleisten, dass seine Leser bei der gegebenen Fülle von Informationen den Überblick behalten, wird sowohl zu Beginn jedes Buches eine Übersicht mit einer kurzen Inhaltsangabe zum jeweiligen Kapitel geboten als auch eine Zusammenfassung aller wichtigen Daten und Ereignisse am Schluss des fünften Buches. 15 Dieser Bemühung um Erinnerbarkeit durch Verdichtung und Wiederholung entspricht auch die ökonomische Logik des Epitaphs, das die Verstorbenen am Schluss ihrer Vita auf biographische Daten und Taten reduziert. Die epitaphische memoria ist ihrer Kürze gemäß nicht auf Vollständigkeit ausgelegt, kann aber gerade deswegen zur Leserlenkung beitragen. Im Falle des Bischof Wilfrid wird der Schwerpunkt seiner ausführlichen Vita auf den Dienst für Ripon und die Durchsetzung der römischen Kirchenordnung gelegt. Wilfrids Epitaph erfüllt damit mehr noch als die vorangehenden Epitaphe eine narrativ analeptische Funktion. Insgesamt aber zeigt sich, dass die Abfolge der Epitaphe den Zusammenhang zwischen einzelnen Ereignissen, dem Geschichtsverlauf und den darin integrierten Biographien stabilisieren kann. Die Epitaphe der › Historia Ecclesiastica ‹ stiften den jeweiligen Figuren folglich nicht nur in formaler Hinsicht (d. h. durch Versifizierung und Rhythmisierung) ein einprägsames Andenken, sondern konstituieren in 15 Vgl. Hist. Eccl. 5, 24: Verum ea, quae temporum distinctione latius digesta sunt, ob memoriam conseruandam breuiter recapitulari placuit. [»Die Dinge, die in der gesonderten Behandlung der Zeiten ausführlich dargelegt wurden, sollen kurz wiederholt werden, um die Erinnerung zu festigen.«] 162 6 Evidenz und Autopsie: Grabmäler in der Kirchengeschichte ihrer Gesamtheit eine Entwicklungslinie, die die Ausbreitung des Christentums von Rom aus (Gregor) nach Südengland (Augustinus in Canterbury) und Westsachsen (Caedwalla) nachzeichnet. Durch die Verdienste Theodors von Tarsus und Wilfrids konnten bestimmte Bereiche der römischen Lehre schließlich auch im Norden der Insel Geltung erlangen, so dass die jährliche Osterfeier, deren Berechnung sich auch Beda verschrieben hatte, zu seiner Zeit in ganz England bereits einheitlichen Regeln folgte. Das Lebenswerk der einzelnen Figuren, das in den Epitaphen verdichtet wird, geht so in der dynamisch sich entfaltenden, übergeordneten Botschaft des Christentums auf. Zielt Bedas Geschichtsschreibung vordergründig auf die nachzuahmende Vorbildlichkeit christlicher Leitfiguren, steht im Hintergrund - besonders im Lichte der Vorstellung des endende sechste Weltzeitalter - das Ringen um das richtige Verständnis vom Glauben, das den Ruhm jeder einzelnen Figur überwölbt und überdauert. 6.2 Die Gemeinschaft der Lebenden und Toten bei Orderic Vitalis Trotz ihrer grundlegenden Ausrichtung auf das Vorgängige, misst die mittelalterliche Geschichtsschreibung seit Isidor dem Gegenwärtigen und damit autoptisch Verifizierbaren große Relevanz bei. In seinen › Etymologiae ‹ fordert Isidor, dass Historiker sich eher auf die eigenen Augen als auf das Hörensagen verlassen sollten. 16 In ähnlicher Weise verschreibt sich auch Orderic Vitalis der Aufgabe, die Ereignisse der selbst erlebten und beobachteten Gegenwart für spätere Generationen aufzubereiten: 17 Non arte litteratoria fultus, nec scientia nec facundia preditus: sed bonae uoluntatis intentione prouocatus appeto nunc dictare de his quae uidemus seu toleramus. Decet utique ut sicut nouae res mundo cotidie accidunt, sic ad laudem Dei assidue scripto tradantur, et sicut ab anterioribus preterita gesta usque ad nos transmissa sunt: sic etiam presentia nunc a presentibus futurae posteritati litterarum notamine transmittantur. (Hist. Eccl. 1, S. 130 f.) Nicht durch die Sprachkunst bestärkt, weder mit Wissen noch mit Beredsamkeit ausgestattet, aber von der Absicht des guten Willens herausgefordert, mache ich mich nun daran, die Ereignisse niederzuschreiben, die ich sehe oder erlebe. So wie sich täglich neue Dinge auf der Welt ereignen, ist es durchaus angemessen, dass sie durch unablässige Aufzeichnung zum Lob Gottes überliefert werden, und so wie von den Alten die vergangenen Taten bis zu uns überliefert worden sind, so sollen nun auch die gegenwärtigen Ereignisse von den gegenwärtigen Menschen für die zukünftige Nachkommenschaft durch die Niederschrift überliefert werden. Obwohl die Verpflichtung gegenüber den presentia in der Vorrede zentral formuliert wird, erschloss Orderic Vitalis in seiner › Historia ecclesiastica ‹ immer größere Zusammenhänge und dehnte seine ursprünglich auf Geheiß des Abtes Roger (1096 - 1123) angefertigte Geschichte der Benediktinerabtei von St. Évroul sukzessive zu einer monumentalen Landes- und Kirchengeschichte der Normannen aus. Zuletzt stellte er noch zwei Bücher über die frühe Kirchengeschichte an ihren Beginn, in denen er sämtliche Apostel, Evangelisten und das Leben der 16 Vgl. Isid. Etym. 1, 41, 1 - 2: Apud veteres enim nemo conscribebat historiam, nisi is qui interfuisset, et ea quae conscribenda essent vidisset. Melius enim oculis quae fiunt deprehendimus, quam quae auditione colligimus. 17 Zitiert nach Orderic Vitalis: The Ecclesiastical History, 6 Bde. Eingel., übers., komm. u. hg. v. Marjorie Chibnall. Oxford 1969 - 1980. Zur besseren Auffindbarkeit der Textstellen gebe ich auch hier die Seitenzahlen an. 6.2 Die Gemeinschaft der Lebenden und Toten bei Orderic Vitalis 163 Päpste (bis auf Leo IV.) behandelte, so dass die kontinuierlich wachsende Darstellung immer mehr den Anspruch einer universalen Kirchengeschichte annahm. Eine Besonderheit seines dreizehnbändigen Geschichtswerks besteht in der montagehaften Erzähltechnik, zu der die Einbettung zahlreicher poetischer Zusätze gehört. Darunter befinden sich insgesamt 37 zitierte Epitaphe (als carmen, versus, elogium, epilogum und oft auch als epitaphium bezeichnet), die mit dem vierten Buch einsetzen und sich auffällig im fünften, achten und elften Buch häufen. Die Epitaphe der › Historia Ecclesiastica ‹ sind sowohl geistlichen Würdenträgern als auch weltlichen Führungsfiguren gewidmet und bis auf eine Ausnahme im elegischen Distichon oder Hexameter abgefasst. Bei einem erheblichen Teil, nämlich 27 der Epitaphe, handelt es sich explizit um Aufschriften auf Grabsteinen, bei den übrigen um Funeralpoesie, die zum Anlass der Bestattungsfeier oder des Jahrestages der Verstorbenen gedichtet wurde. 18 Hatten Epitaphzitate bei Beda die Funktion, einige wenige historische Persönlichkeiten hervorzuheben, kann dies auf die Kirchengeschichte des Orderic Vitalis schwerlich zutreffen. Wie erklärt es sich also, dass Epitaphe bei Orderic in so großer Zahl auftreten? Das erste Epitaph begegnet zu Beginn von Buch 4, nachdem Wilhelm I. zum englischen König gekrönt (Ende Buch 3) und seine anschließenden Reformen und Klostergründungen rühmend erwähnt worden sind. 1067 soll Wilhelm das Osterfest in der Benediktiner-Abtei La Trinité de Fécamp verbracht haben. Die Zeremonie wird von Maurilius, dem Erzbischof von Rouen, angeleitet, der kurz darauf verstirbt. Anstatt dessen historische Bedeutung für die Zusammenarbeit zwischen weltlicher und geistlicher Macht im Kampf um die Reformierung der Kirche hervorzuheben, konzentriert sich Orderic auf Maurilius ’ Grabmal in der Kathedrale von Rouen. Unter genauer Verfasserangabe zitiert er den Wortlaut des elegischen Epitaphs. Darin befindet sich ein deiktischer Hinweis auf die Kirche (hanc aedem), die Maurilius einst geweiht hatte und 18 Da in der Forschungsliteratur unterschiedliche Angaben gemacht werden, seien die von mir berücksichtigten Stellen hier kurz aufgeführt. Zu den 27 Epitaphen, bei denen es sich um materiell und räumlich verortbare Inschriften handelt, gehören die Grabinschriften von Maurilius, Erzbischof von Rouen (Hist. Eccl. 4, S. 198), des Abts Ainard von Dive (Hist. Eccl. 4, S. 354), des Bischofs Hugo von Lisieux (Hist. Eccl. 5, S. 18), des Erzbischofs Johann von Rouen (Hist. Eccl. 5, S. 22), der Herzöge Rollo und Wilhelm von Rouen (Hist. Eccl. 5, S. 90 f.), der Mabilia von Montgomery (Hist. Eccl. 5, S. 136 f.), des Ansold von Maule (Hist. Eccl. 6, S. 198), von Avice (Hist. Eccl. 6, S. 256 f.) und ihrem Ehemann Walter, Sohn des Grafen Gilbert (Hist. Eccl. 6, S. 258 f.), der Königin Matilda (Hist. Eccl. 7, S. 44), des Königs Wilhelm I. (Hist. Eccl. 8, S. 110), des Grafen Robert von Rhuddlan (Hist. Eccl. 8, S. 144), des Abts Durand von Troarn (Hist. Eccl. 8, S. 164), des Grafen Wilhelm de Warenne von Surrey (Hist. Eccl. 8, S. 180), des Abts Ansfrid von Préaux (Hist. Eccl. 8, S. 304), des Abts Nicolas de Normandie von Saint-Ouen de Rouen (Hist. Eccl. 8, S. 308), des Erzdiakons Fulbert von Rouen (Hist. Eccl. 8, S. 310), des Hugo von Grentemaisnil (Hist. Eccl. 8, S. 336), des Grafen Walter Giffard von Buckingham (Hist. Eccl. 11, S. 36), der Gräfin Sibylla (Hist. Eccl. 11, S. 38), des Abtes Wilhelm von Fécamp (Hist. Eccl. 11, S. 138), von Roger Bigod (Hist. Eccl. 11, S. 146), des Abts Gunter von Thorney (Hist. Eccl. 11, S. 152), des Bischofs Wilhelm von Rouen (Hist. Eccl. 11, S. 172), des Abts Hugo von Cluny (Hist. Eccl. 12, S. 312), des Markgrafen Wilhelm von Flandern (Hist. Eccl. 12, S. 378) und des Abts Warin von St. Évroul (Hist. Eccl. 13, S. 488). Pohl zählt 26 Epitaphe, macht aber keine genauen Angaben (vgl. Benjamin Pohl: Dudo of Saint Quentin ’ s › Historia Normannorum ‹ . Tradition, Innovation and Memory. Martlesham 2015 (Writing History in the Middle Ages), S. 237, Anm. 70). Debiais und Ingrand-Varenne nennen »[t]hirtyeight epitaphs commemorating Norman lay or clerical aristocrats« und beziehen sich dabei auf eine unveröffentlichte Master-Arbeit der Universität von Poitiers (Vincent Debiais u. Estelle Ingrand-Varenne: Inscriptions in Orderic ’ s › Historia ecclesiastica ‹ : A Writing Technique between History and Poetry. In: Charles Rozier u. a. (Hg.): Orderic Vitalis. Life, Works and Interpretations. Woodbridge 2016, S. 127 - 144, hier S. 127); auf diese Zahl kommt man, wenn man in die Zählung auch die übrige Sepulkralpoesie einbezieht. 164 6 Evidenz und Autopsie: Grabmäler in der Kirchengeschichte in der sein Leib nun beherbergt liegt. Dem Betrachter wird so die Verknüpfung der räumlichen Kontiguität des Grabmals und der räumlichen Kontinuität des Raumes vor Augen geführt: Epitaphium autem eius a Ricardo Herluini filio eiusdem aecclesiae canonico editum est. et super ipsum in cupri laminis ex auro sic scriptum est: › Humani ciues lacrimam nolite negare Vestro potifici Maurilio monacho. Hunc Remis genuit, studiorum Legia nutrix Potauit trifido fonte philosophico. Vobis h a n c a e d e m ceptam perduxit ad unguem, Laetitia magna fecit et encenia. Cum tibi Laurenti uigilat plebs sobria Christi, Transit, et in coelis laurea festa colit. ‹ (Hist. Eccl. 4, S. 198 f., Herv. v. Verf.) Sein Epitaph aber wurde von Richard, dem Sohn des Herluin, verfasst, dem Kanoniker derselben Kathedrale [sc. von Rouen], und darauf stand in Kupfer mit Blättern aus Gold Folgendes geschrieben: »Irdische Bürger, versagt nicht eure Tränen für Maurillius, euren Mönch und Bischof. Ihn brachte Reims hervor, Lüttich war dieAmme seiner Studien, er trank von der dreifachen Quelle der Philosophie. Dieses Gotteshaus, das ihr in Empfang nehmt, hat er aufs Genaueste fertiggestellt und mit großer Freude die Weihe vollzogen. Während für dich, Laurentius, das enthaltsame Volk Christi Nachtwache hielt, ist er verschieden und hat im Himmel triumphale Festtage abgehalten.« Das Nebeneinander von Prosa und Versdichtung lässt sich aus der literarischen Tradition des hohen Mittelalters erklären. Grabdichtung stellt im 12. Jahrhunderts ein verbreitetes Phänomen dar, das neben der Beschriftung von Grabsteinen und Grabplatten im monastischen Kontext besonders mit der Zirkulation von Totenroteln zusammenhängt. Neben einflussreichen nordfranzösischen Dichtern wie Baudri von Bourgueil oder Fulcoius von Beauvais, die ganze Epitaph-Sammlungen hinterlassen haben, machten auch Geschichtsschreiber vor und zeitgleich mit Orderic Gebrauch von epitaphischen Implementen - darunter Beda, den Orderic neben Paulus Diaconus in seiner Vorrede zum ersten Buch als Vorbild nennt, noch näher steht ihm die Geschichte der Normannen des Chronisten Dudo von Saint-Quentin, die sich ebenfalls durch eine prosimetrische Kompositionstechnik auszeichnet. 19 Auch der anglonormannische Historiograph Heinrich von Huntingdon (um 1088 - 1157) hat neun Epitaphe in seine › Historia Anglorum ‹ eingefügt, von denen ihm acht selbst zugeschrieben werden. 20 Anders als in den genannten Geschichtswerken erfüllen die Epitaphe in der › Historia Ecclesiastica ‹ jedoch nicht die Funktion, das Ansehen einzelner Personen der Vergangenheit in Erinnerung zu rufen, sondern lassen sich treffender als Teil eines gemeinschaftsbildenden Vergegenwärtigungsprogramms beschreiben. Bereits der Umstand, dass die Epitaphe erst mit dem vierten Buch einsetzen, das von Ereignissen ab dem Jahr 1067 berichtet, und ab dem fünften Buch deutlich zunehmen, dessen Bericht mit Orderics Geburtsjahr, 1075, zusammen- 19 Zu den poetischen Einschüben in den verschiedenen Geschichtswerken und den Zusammenhängen zwischen Dudo von St. Quentin, Wilhelm von Jumièges, Orderic Vitalis und Robert von Torigni informiert ausführlich Pohl 2015, S. 225 - 240. 20 Zu den Epitaphen in Heinrichs von Huntingdon › Historia Anglorum ‹ vgl. William Kay: Living Stones: The Practice of Remembrance at Lincoln Cathedral (1092 - 1235). St. Andrews 2013, S. 36 - 44. Kay vermutet, dass die Gedichte schon früher entstanden waren und nachträglich in das Geschichtswerk eingefügt wurden. 6.2 Die Gemeinschaft der Lebenden und Toten bei Orderic Vitalis 165 fällt, deutet daraufhin, dass Orderic sich weitgehend auf die Wiedergabe der Totenmemoria seiner eigenen Zeit beschränkt hat. 21 Zudem ist das quantitative Ausmaß der Epitaph- Parenthesen gegenüber seinen Vorgängern und Zeitgenossen so beträchtlich, dass der Eindruck entsteht, Orderic wolle seinen zukünftigen Lesern und Nachkommen keine allzu selektive Auswahl, sondern eine möglichst umfangreiche › Materialsammlung ‹ seiner eigenen Zeit bieten. Seiner Rolle als Gegenwartshistoriker entspricht auch die Präzision, die Orderic bei der Beschreibung der Grabmale walten lässt. Akribisch analysiert er die Verwendung von Materialien (Stein, Bronze, Gold, Edelsteine usw.), Farben (die Grabmale sind teils bemalt) und Formen (Platte, Bogen, Denkmal usw.) eines jeden Grabmals und macht genaue Angaben über die räumliche Lage. An manchen Stellen weist er ferner daraufhin, dass ein Grabmal sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt genau im beschriebenen Zustand befinde und prononciert damit deutlich seine Rolle als Augen- und Zeitzeuge. Das betrifft insbesondere die Gräber in und um St. Évroul, so etwa die Beschreibung des Grabmals von Robert von Rhuddlan, dessen Gebeine durch die Bemühung seines Bruders nach St. Évroul verlegt wurden und dessen außerordentlich langes Epitaph (44 Verse) von Orderic selbst verfasst wurde: eiusque studio conditus super tumulum fratris sui lapideus arcus u s q u e h o d i e c o n s i s t i t . Rainaldus pictor cognomento Bartholomeus uariis coloribus arcum tumulumque depinxit. et Vitalis angligena satis ab Ernaldo rogatus epitaphium elegiacis uersibus hoc modo edidit. »Hoc in mausoleo Robertus de Rodelento | Conditur [. . .].« (Hist. Eccl. 8, S. 142 ff., Herv. v. Verf.) Durch sein Bestreben wurde ein Steinbogen über dem Grab seines Bruders errichtet, der bis heute dort steht. Der Maler Rainald mit dem Beinamen Bartholomeus bemalte den Bogen und den Sarg mit vielen Farben. Und Orderic Vitalis, von Geburt Engländer, dichtete auf drängende Nachfrage von Ernald ein Epitaph in elegischen Versen und zwar auf diese Weise: »In diesem Grab liegt Robert von Rhuddlan begraben [. . .].« Bei der Beschreibung des Grabmals von Mathilde, Königin von England, hingegen lässt sich beobachten, dass die Angabe des Todesdatums im Erzählerkommentar und dem Grabschriftzitat voneinander abweichen: [. . .] Mathildis regina Anglorum [. . .] i i i ° n o n ’ N o u e m b r i s obiit. Deinde corpus eius ad coenobium sanctae Trinitatis quod ipsa sanctimonialibus apud Cadomum construxerat delatum est. et ab episcopis ac abbatibus multis inter chorum et altare uenerabiliter tumulatum est. [. . .] Memoriale eius super ipsam ex auro et gemmis mirifice constructum est. et epitaphium huiusmodi litteris aureis comiter exaratum est. › Egregie pulchri tegit haec structura sepulchri, | Moribus insignem germen regale Mathildem. | [. . .] Sic infinitae petiit consortia uitae, | In prima m e n s i s p o s t p r i m a m l u c e N o v e m b r i s . ‹ (Hist. Eccl. 7, S. 44 ff., Herv. v. Verf.) Mathilde, Königin der Engländer, [. . .] starb a m d r i t t e n N o v e m b e r . Hierauf wurde ihr Leib in das Kloster der heiligen Dreifaltigkeit überführt, dass sie selbst für die Nonnen bei Caen errichtet hatte. Und sie wurde von den Bischöfen und vielen Äbten zwischen dem Chor und dem Altar ehrwürdig bestattet. [. . .] Darüber wurde ein herrliches Denkmal aus Gold und Edelsteinen errichtet. Und derartig wurde ein Epitaph schmuckvoll 22 mit goldenen Lettern eingraviert: »Ehrwürdig bedeckt dieses 21 Orderics Lebensdaten sind den autobiographischen Angaben in der Hist. Eccl. entnommen. 22 Hier dem Sinn nach übersetzt. Es könnte sich möglicherweise um eine Verwechslung von comiter und compte handeln. 166 6 Evidenz und Autopsie: Grabmäler in der Kirchengeschichte prächtige Grabmal Mathilde, ausgezeichnet durch ihre Lebensweise und königlicher Spross. [. . .] So erstrebte sie Teilhabe am ewigen Leben, zu Tagesbeginn a m z w e i t e n N o v e m b e r .« Heißt es einleitend, dass Mathilde am dritten November verschieden sei, attestiert das Epitaph ihren Tod (korrekterweise) am zweiten November. Möglicherweise wurde Mathildes Gedenktag in St. Évroul am dritten Dezember begangen. 23 Bemerkenswert bleibt dennoch, dass hier trotz der entstehenden Unstimmigkeit die korrekte Zitierung einem modifizierenden Eingriff in den Wortlaut des Epitaphs vorgezogen wird. So deckt sich die bei Orderic angeführte Grabinschrift noch immer mit dem Wortlaut der realen Inschrift Mathildes, die noch heute in der normannischen Klosterkirche Sainte-Trinité in Caen besichtigt werden kann. Abgesehen von der präzisen Beschreibung der Materialität und dem rhythmischen Bruch sind Epitaphe auch auf der Ebene des Handschriftenlayouts klar als › Texte im Text ‹ erkennbar. 24 Damit lösen sich die Grabschriften auf allen Ebene der Wahrnehmung, d. h. sowohl beim gelenkten Betrachten und Lesen der Handschrift als auch beim rhythmischen Sprechen und Hören, von dem Erzählbericht in Prosa ab und verschieben den Akzent von der erzählten Geschichte hin zu einer poetischen Emphase des ritualisierten Andenkens und des Gebets. Dass eine Markierung auf der Textoberfläche tatsächlich beabsichtigt war, bezeugen drei Autographen der › Historia Ecclesiastica ‹ , die heute in der Bibliothèque nationale de France aufbewahrt werden. 25 Die Autographen zeichnen sich durch eine intensive Marginalglossierung aus, die zumeist zusammenfassende Hinweise zum Fließtext bietet; daneben fungieren Initialen unterschiedlicher Größe als Markierung von Sinnabschnitten. Bei ihrer Durchsicht zeigt sich, dass Grabinschriften neben ihrer inhaltlichen Schlussgebungsfunktion für die autographisch überlieferten Bücher 3 - 6 auch eine deutliche Segmentierungsfunktion auf der Textoberfläche erfüllen. 26 Denn alle zitierten Grabinschriften (ungeachtet, ob sie laut Orderic auf Grabsteinen stehen oder anderswo notiert sind) werden in den Handschriften durch Initialen am Versanfang, Marginalien und / oder einen verschwenderischen Flatterrand hervorgehoben (Abb. 9). 27 23 Vgl. Hist. Eccl. 7, S. 44, Anm. 3. 24 Vgl. Debiais/ Ingrand-Varenne 2016, S. 139 - 141. Ihnen zufolge wird durch die Implementierung von Grabinschriften sowohl ein rhythmischer und generischer Bruch (zwischen Prosa und Dichtung) als auch ein Wechsel der Stimme erzeugt, der eine Polyphonie innerhalb des Werkes bewirke. Einschränkend ist anzumerken, dass diese Polyphonie sorgfältig orchestriert ist, nicht nur weil derAutor vorab eine Auswahl poetischer Einschübe getroffen hat, sondern auch weil er auffallend häufig seine eigene Dichtung zitiert (bei den insgesamt 37 Grabschriften handelt es sich immerhin um neun Selbstzitate); mit einem Viertel › Stimmanteil ‹ dominiert Orderic folglich auch die kunstvoll hergestellte Vielstimmigkeit seiner poetischen Passagen. 25 Die Entstehungszeit der MSS. Lat. 5506 vol. I (Bücher 1 und 2) und vol. II (Bücher 3 - 6) sowie 10913 wird auf die Zeit zwischen 1123 und 1141 datiert. 26 Vgl. Debiais/ Ingrand-Varenne 2016, S. 139. 27 Die folgenden Angaben beziehen sich auf die o. g. Autographen und damit auf die Epitaphe in den Büchern 4 - 6 und 10 - 13. 6.2 Die Gemeinschaft der Lebenden und Toten bei Orderic Vitalis 167 Abb. 9: Epitaph für Abt Ainard von Dive (aus: Orderics Vitalis › Historia ecclesiastica ‹ ) Die Epitaphe treten nicht nur durch (zumeist vertikal) sich reihende Initialen am linken Einzug (bzw. beim elegischen Distichon durch den hängenden Pentameter) aus dem Blocksatz des fortlaufenden Prosatextes hervor, sondern werden zumeist durch die Angabe epitaphium / epita m / epi m + Name (+ Rang / Herkunft / monastische Zugehörigkeit) des Verstorbenen am Rand der Seite sichtbar als poetische Einschübe markiert. Wird pro Vers eine neue Zeile begonnen, entsteht auf der rechten Seite ein offener Zeilenfall, der die Textlogik visuell unterstützt. Manche Epitaphe weichen zwar von diesem Schema ab (vielleicht aus ökonomischen Gründen) und werden stattdessen in den Fließtext eingepasst, bleiben aber dennoch durch die Versinitialen und die Randglossierung als Epitaph erkennbar. 28 Der rhythmische und generische Bruch geht demnach auch mit einer visuellen Zäsur einher, die eine gesteigerten Sichtbarkeit der Epitaphe bewirkt. Auf der Ebene der Rezeption kann die handschriftliche Überlieferung auf solche Weise einerseits zur sinnlichen Erfahrbarkeit der Grabinschriften und Funeralposie beitragen, die graphischeAbsetzung der Epitaphe fördert zugleich einen räumlich vernetzenden Zugriff des Lesers auf das Geschichtswerk. Ja, die Geschichtserzählung präsentiert sich - ganz im Sinne jüngerer Überlegungen zum vormodernen Erzählen - raumförmig: Verdichten sich die sepulkralen Schrift-Bild-Medien textintern zu einem Gedächtnisraum, kann der Handlungszusammenhang der Totenmemoria durch die Strukturbildlichkeit der Epitaphe auch auf derTextoberfläche gegenüber dem linearen Geschichtsverlauf Profil gewinnen. 29 28 Dieses platzsparende Verfahren überwiegt im MS lat. 10913 (Buch 10 - 13): Hier werden Epitaphe nur noch zwei Mal durch Flatterrand visuell abgesetzt. In beiden Fällen handelt es sich um Geistliche des Klosters von St. Évroul, die eine Grabschrift von Orderic erhalten. Auch die Randglossierung kann gelegentlich ausbleiben (jedoch nie bei einem von Orderic verfassten Gedicht). 29 Vgl. Christine Putzo: Narration und Diagrammatik. Eine Vorüberlegung und sieben Thesen. In: LiLi 176 (2014), S. 77 - 92, hier S. 84 - 86. 168 6 Evidenz und Autopsie: Grabmäler in der Kirchengeschichte Damit geht die detaillierte Beschreibung von Grabmälern und die Zitation ihrer Inschriften bei Orderic über die bloße Markierung historischer Evidenz hinaus. Die Grabmäler erfüllen eine quasi diagrammatische Funktion, indem sie neben dem zeitlich-sequentiellen Verlauf der Geschichte ein buchräumliches Totengedächtnis stiften, das dem Gedenken der Verstorbenen in St. Évroul gewidmet ist. Erzeugte die Widergabe der Epitaphe bei Beda einen sinntragenden Zusammenhang auf der Ebene des discours, der über die Verknüpfung weniger herausragender Persönlichkeiten die Verbreitung der christlich-römischen Lehre in England beschrieb, haben die Grabmäler bei Orderic eine stärker performative Funktion. Sie zielen auf die sinnliche Vergegenwärtigung einer Gemeinschaft von Toten, die im Laufe der Zeit immer weiter anwächst und auf die Fürbitte der Überlebenden angewiesen ist. In dieser Konstellation spiegelt sich auch die gesteigerte Bedeutung des Totengedenkens, das sich im Zuge der Idee vom Partikulargericht und dem Purgatorium im 12. und 13. Jahrhundert herausbildete. 6.2 Die Gemeinschaft der Lebenden und Toten bei Orderic Vitalis 169 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman In den Gralromanen des hohen Mittelalters erfährt der keltischen Stoffkreis, die matière de Bretagne, eine religiöse Dimensionierung. Das ritterliche Abenteuer avanciert zur Suche nach einem innerweltlichen Heilsweg, während die individuelle Bewährung des Helden im Sinne einer kollektiven Erlösungsleistung verabsolutiert wird. Dieser double esprit stellt den Helden auf eine schwere Probe: Er muss die tiefere Bedeutung der Dinge erkennen, um sich des Dienstes als Gralritter würdig zu erweisen. Zum Erkenntnisweg des Gralhelden gehört die sukzessive Einsicht in die Bedeutung seiner familiären Abstammung. Denn obwohl der Gralheld einerseits von Gott erwählt ist, ist er andererseits mit einem Verwandtschaftskomplex verflochten, der das Geheimnis um den Gral hütet. Die Verwandten, so die grundlegende Einsicht von Elisabeth S CHMID , wirken stets an der Erlösungshandlung des Helden mit, »und zwar zugleich als Heil stiftender und heilsbedürftiger Zusammenhang«. 1 Der Held muss sich erst seiner Abstammung versichern, bevor er seinen eigenen Platz als Heilsbringer im weit verzweigten Gralgeschlecht einnehmen kann. Diese Aufgabe erweist sich umso schwerer, als die Gralhelden in der Regel abseits der elterlichen Herrschaftszentren aufwachsen. Parzival beispielsweise verlebt seine Kindheit in der Einöde von Soltane, Lancelot verbringt seine ersten Jahre im Reich der Frau vom See. Beide kennen nicht einmal ihren eigenen Namen, als sie den Weg zur Ritterschaft einschlagen. Damit sind die Protagonisten der beiden Epen genannt, von denen das folgende Kapitel handelt. Die Grabmäler in Wolframs von Eschenbach › Parzival ‹ und im › Prosa-Lancelot ‹ erfüllen eine tragende Funktion in dem skizzierten genealogischen Zusammenhang, insofern sie diejenigen biographischen Informationen archivieren, die der Gralheld über seine Vorfahren kennen muss. Wie zu zeigen sein wird, tragen die sepulkralen Zeichensysteme Schrift, Bild und Materialität ganz wesentlich dazu bei, die Bedeutung derAhnen und ihren Bezug zum heilsbringenden Nachfahren manifest zu machen. Während im › Parzival ‹ von einem Ahnengrabmal erzählt wird, das, so die These, auf die Verbrüderung von Orient und Okzident im Zeichen des Grals zeichenhaft vorausdeutet, finden sich in den Erzählräumen des › Prosa- Lancelot ‹ zahlreiche Grabmäler, die erst nach und nach die Vorgeschichte des Gralgeschlechts erkennen lassen. Der Erwählte muss alle Gräber finden und seine Vorfahren erlösen, bevor er die Gralaventiure beenden darf. Dafür bedarf der Held einer besonderen Zeichenkompetenz - die er nicht hat. So radikal wie kein anderer Text inszeniert der › Prosa-Lancelot ‹ damit ein Scheitern der Sepulkralsemiose, das erst die Substitution des Gralhelden und schließlich den Untergang der gesamten Tafelrunde nach sich zieht. 1 Elisabeth Schmid: Familiengeschichten und Heilsmythologie. Die Verwandtschaftsstrukturen in den französischen und deutschen Gralromanen des 12. und 13. Jahrhunderts. Tübingen 1986 (Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie 211), S. IX. 7.1 Sepulkrale Präfiguration in Wolframs von Eschenbach › Parzival ‹ Im Zentrum der erzählerischen Gesamtanlage von Wolframs › Parzival ‹ steht das typologische Verhältnis von Vater und Sohn. 2 Nicht nur setzt sich Gahmurets art, 3 sein Streben nach minne, strît und prîs, in seinen Nachkommen Parzival und Feirefiz fort. Auch wird den dreien, wie dies bei Verwandtschaftsdarstellungen in der höfischen Literatur dieser Zeit oft der Fall ist, eine geradezu körperliche Verbundenheit zugeschrieben. Diese transpersonale Einheit, durch die Dreizahl zudem religiös überformt, macht sich durch »allumwaltende Ähnlichkeit« der einzelnen Glieder ihres › Sippenkörpers ‹ bemerkbar: 4 wil ich der wârheit grîfen zuo, beidiu mîn vater unde ouch duo und ich, wir wâren gar al ein, doch ez an drîen stücken schein. (Pz. 752, 7 - 10) 5 Wenn ich die Wahrheit recht erfasse: ihr beide, mein Vater und auch du und ich, wir waren völlig eins, doch offenbarte es sich in drei Teilen. 2 Zum präfigurativen Verhältnis zwischen Parzival und Gahmuret vgl. schon Christa Ortmann: Ritterschaft. Zur Frage nach der Bedeutung der Gahmuret-Geschichte im › Parzival ‹ Wolframs von Eschenbach. In: DVjs 47 (1973), S. 664 - 710. Man mag einwenden, dass es sich bei der Typologie, der steigernden Inbezugsetzung von Dingen, Personen und Ereignissen im Alten und Neuen Testament, um ein ausschließlich innerbiblisches Deutungsmuster handelt. Schon Auerbach, der die Figuraldeutung aufgrund ihres geschichtlichen Anspruchs von der Allegorie und dem Symbol unterschied, bemerkte, dass »sie vielfach auch in die Erfassung der einfachen Alltagswirklichkeit hineinspielt[e]«, ja mitunter Einzug in die profane und heidnische Literatur erhielt: »Im hohen Mittelalter werden die Sybille, Vergil und die Gestalten der Aeneis, ja sogar Personen aus dem bretonischen Sagenkreise (z. B. Galaad in der Queste del Saint Graal) in die figurale Deutung einbezogen, und es entstehen die mannigfachsten Kreuzungen aus figuralen, allegorischen und symbolischen Formen.« Vgl. Erich Auerbach: Figura (1938). In: Matthias Bormuth u. Martin Vialon (Hg.): Erich Auerbach. Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie. 2., ergänzte Auflage. Tübingen 2018, S. 55 - 90, hier S. 81 - 83. In Anschluss an Auerbach zeigte Friedrich Ohly gegen Werner Schröder am Beispiel typologischer Zyklen, dass bereits im 12. Jahrhundert auch »außerbiblische Typen aus der Natur- oder Profangeschichte in das herkömmliche System der wechselseitigen Erhellung biblischer Typen und Antitypen« einbezogen wurden (vgl. Friedrich Ohly: Typologische Figuren aus Natur und Mythus. In: Walter Haug (Hg.): Formen und Funktion der Allegorie. Symposium Wolfenbüttel 1978. Stuttgart 1979 (Germanistische Symposien-Berichtsbände 3), S. 126 - 166, hier S. 128 f.). In einem Vortrag auf dem 34. Deutschen Historikertag 1982 postulierte Ohly schließlich, es handle sich bei der Typologie um »ein hermeneutisches Prinzip eines Vergangenheits- und Gegenwartsverstehens«, das »im einheitlichen Vollzug ihrer beide vergleichend deutenden Zusammenschau« begründet sei und noch in der Neuzeit nachwirke, endgültig erst mit dem Aufkommen des Historismus verabschiedet wurde (vgl. Friedrich Ohly: Typologie als Denkform der Geschichtsbetrachtung. In: Uwe Ruberg u. Dietmar Peil (Hg.): Friedrich Ohly. Ausgewählte und neue Schriften zur Literaturgeschichte und zur Bedeutungsforschung. Stuttgart/ Leipzig 1995, S. 445 - 472, hier S. 471). Im Lichte dieser Überlegungen deute ich die Beziehung zwischen Gahmuret und Parzival als typologisch, insofern Parzival die angebahnte Rolle seines Vaters als Vermittler zwischen › Orient ‹ und Okzident, wie sie u. a. am Grabe Gahmurets sichtbar wird, schließlich voll erfüllt. Die typologischen Bezüge werden durch die Symbolik von Grab und Gral sowie der Semantik der an ihnen beteiligten Materialien getragen. 3 Vgl. grundsätzlich zur art in der höfischen Literatur um 1200 Julius Schwietering: Natur und Art. In: ZfdA 91 (1961 - 1962), S. 108 - 137, darin zu dieser Szene S. 119. 4 Armin Schulz: Schwieriges Erkennen. Personenidentifizierung in der mittelhochdeutschen Epik. Tübingen 2008, S. 73 f. 5 Zitiert nach Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe, 2. Aufl. Mhd. Text nach der 6. Ausg. v. Karl Lachmann, übers. v. Peter Knecht, eingel. v. Bernd Schirok. Berlin/ New York 2003. 172 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman Ohne ihn je gekannt zu haben, partizipieren die Halbbrüder Parzival und Feirefiz an der Identität ihres Vaters. Damit wird auch die interkulturelle Frage zwischen › Orient ‹ und Okzident genealogisch figuriert. 6 Gahmurets Reisen durch Nordafrika und Kleinasien führen ihn in das Königreich Zazamanc, wo er sich mit der schwarzen › Heidin ‹ Belakane vermählt. 7 Noch vor der Geburt verlässt er die Königin und den gemeinsamen schwarz-weiß gescheckten Sohn Feirefiz.Wie sich bei der finalen Begegnung mit Parzival herausstellt, hat sich dieser in der Zwischenzeit als ein ebenso ruhmreicher Ritter in den Ländern der › Heiden ‹ erwiesen wie sein 6 Hat sich die ältere Forschung vorwiegend damit beschäftigt, die Quellen zu rekonstruieren, auf deren Grundlage Wolfram von Eschenbach seinen › Orient ‹ (Gahmurets Reisen nach Nordafrika und Vorderasien) entworfen haben könnte, verlegte sich die jüngere Forschung indes darauf, literarische Entwürfe des Miteinanders von Christen und Nicht-Christen zu untersuchen, sowie schließlich, in Anschluss an Edward Said einen › Proto- ‹ bzw. › Prä-Orientalismus ‹ zu beschreiben und damit der literarischen Repräsentation einer binären Opposition zwischen Ost und West, die vor dem kulturhistorischen Hintergrund der Kreuzzüge besondere Gestalt gewann, größere Beachtung zu schenken. Zum Orientbild vgl. Paul Kunitzsch: Der Orient bei Wolfram von Eschenbach - Phantasie und Wirklichkeit. In: Albert Zimmermann u. Ingrid Craemer-Ruegenberg (Hg.): Orientalische Kultur und europäisches Mittelalter. Berlin/ New York 1985 (Miscellanea mediaevalia 17), S. 112 - 122; ders.: Reflexe des Orients im Namengut mittelalterlicher europäischer Literatur. Hildesheim/ Zürich 1996 (Documenta onomastica litteralia medii aevi 2); Holger Noltze: bî den dûht in diu wîle lanc - Warum langweilt sich Gahmuret bei den Môren? (Zu Pz. 17, 26). In: Dorothee Lindemann u. a. (Hg.): bickelwort und wildiu mære. FS Eberhard Nellmann. Göppingen 1995 (GAG 618), S. 109 - 119; zu den literarischen Entwürfen des Austausches zwischen Christen und Nicht-Christen vgl. Rüdiger Schnell: Die Christen und die › Anderen ‹ . Mittelalterliche Positionen und germanistische Perspektiven. In: Odilo Engels u. Peter Schreiner (Hg.): Die Begegnung des Westens mit dem Osten. Kongreßakten des 4. Symposions des Mediävistenverbandes in Köln 1991 aus Anlaß des 1000. Todesjahres des Kaiserin Theophanu. Sigmaringen 1993, S. 185 - 202; Alfred Raucheisen: Orient und Abendland. Ethisch-moralische Aspekte in Wolframs Epen › Parzival ‹ und › Willehalm ‹ . Frankfurt a. M. u. a. 1997 (Bremer Beiträge zur Literatur- und Ideengeschichte 17); Michael Dallapiazza: Der Orient im Werk Wolframs von Eschenbach. In: Laura Auteri u. Margherita Cottone (Hg.): Deutsche Kultur und Islam am Mittelmeer. Akten der Tagung Palermo, 13. - 15. November 2003. Göppingen 2005 (GAG 725), S. 107 - 119; Beate Kellner: Wahrnehmung und Deutung des Heidnischen in Wolfram von Eschenbach ’ s › Parzival ‹ . In: Ludger Grenzmann (Hg.): Wechselseitige Wahrnehmung der Religionen im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, Bd. 1: Konzeptionelle Grundfragen und Fallstudien (Heiden, Barbaren, Juden). Göttingen 2009, S. 23 - 50; zur Frühform des › Orientalismus ‹ im › Parzival ‹ vgl. Arthur Groos: Orientalizing the Medieval Orient. The East in Wolfram von Eschenbach ’ s › Parzival ‹ . In: Ders. u. Hans-Jochen Schiewer (Hg.): Kulturen des Manuskriptzeitalters. Ergebnisse der Amerikanisch-Deutschen Arbeitstagung an der Georg-August Universität Göttingen vom 17. bis 20. Oktober 2002. Göttingen 2004 (Transatlantische Studien zu Mittelalter und Früher Neuzeit 1), S. 61 - 86; Michael Stolz: Kulturelle Varianzen. Religiöse Konfrontationen im Spiegel der Parzival-Überlieferung. In: Jean-Marie Valentin (Hg.): Akten des XI. Internationalen Germanistenkongresses Paris 2005 »Germanistik im Konflikt der Kulturen«. In: Kulturwissenschaft vs. Philologie? , Bd. 5. Bern 2008 ( Jb. für Internationale Germanistik 81), S. 153 - 158; vgl. schließlich zu einer postkolonialen Lesart Astrid Lembke: Die Toten im dritten Raum. Grabmäler als Orte der Begegnung zwischen Angehörigen verschiedener Religionen bei Wolfram von Eschenbach und Wirnt von Grafenberg. In: Seminar 53.1 (2017), S. 21 - 42. 7 Die Bezeichnungen › Heiden ‹ und › heidnisch ‹ werden trotz ihrer tendenziell negativen Konnotation aus dem mhd. Sprachgebrauch übernommen, um der mit ihnen verbundenen synkretistischen Vorstellung des Nicht-Christlichen Rechnung zu tragen. Zwar dominieren in der Konstruktion des › Heidnischen ‹ Elemente, die an den Islam sowie das Arabische, Sprache des Korans, erinnern und sich historisch aus der Islamisierung des Vorderen Orients ableiten, doch enthält die Idee vom › Heidentum ‹ auch andere Komponenten (wie römische Gottheiten oder überhaupt die Vorstellung eines Polytheismus). Vgl. zur Semantik des Begriffs und zur entsprechenden Forschung Susanne Knaeble u. Silvan Wagner: Gott und die heiden. Einleitung. In: Dies. (Hg.): Gott und die heiden. Mittelalterliche Funktionen und Semantiken der Heiden. Berlin 2015, S. 9 - 26. 7.1 Sepulkrale Präfiguration in Wolframs von Eschenbach › Parzival ‹ 173 Bruder im Westen. Was der Vater versäumte, nämlich die › heidnische ‹ Königin und den Sohn zur Taufe zu bekehren, gelingt schließlich dem neu ernannten Gralskönig Parzival. In narratologischer Hinsicht wirft die genealogische Sukzession des › Parzival ‹ die Notwendigkeit einer Segmentierung zwischen Vor- und Hauptgeschichte auf, zwischen Anfang und Ende. Gahmurets Tod stellt mithin die B e d i n g u n g für Parzivals Gralsherrschaft und die Verbrüderung zwischen Okzident und › Orient ‹ dar. Diese Bedingtheit wird nirgendwo deutlicher als im Grabmal des Vaters veranschaulicht, das die Elternvorgeschichte wie ein Scharnier mit der Handlung von Parzival verbindet. Bei der darauf eingravierten Grabinschrift handelt es sich mit sechsundzwanzig Versen um das wohl längste Epitaph der mittelalterlichen Literatur. Den Wortlaut der Inschrift erfahren die textinternen und textexternen Rezipienten aus dem Botenbericht des ranghöchsten Knappen Tampanis, der am Ende des zweiten Buches am Hof von Herzeloyde eintrifft. Die Nachricht vom Tod Gahmurets fällt so unmittelbar mit der Geburt von Parzival zusammen. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die strukturale Vermittlung zwischen Anfang und Ende im › Parzival ‹ durch eine Sepulkralsemiose geleistet wird, die in vielfältiger Weise mit anderen mittelalterlichen Graberzählungen intertextuell verbunden ist. Während wiederholt auf die Übereinstimmung zwischen den Gräbern des › Eneasroman ‹ und dem Grabmal Gahmurets hingewiesen wurde, hat man hingegen wenig über die Verschiebungen und semiotisch-semantischen Umkodierungen nachgedacht, die im › Parzival ‹ gegenüber dem › Eneasroman ‹ vorgenommen werden. Gahmurets Grab soll zunächst knapp vorgestellt werden, um dann in einem zweiten Abschnitt zu zeigen, wie sich Wolfram der Intertextualität als Mittel der Schlussgebung bedient. Er widmet die Bilanzierungsfunktion des Grabmals zu einer Scharnierfunktion um, die zwischen Anfang und Ende des Romans vermittelt. Der dritte Abschnitt greift dieThese auf, bei dem beschrifteten Helm Gahmurets handle es sich um eineArt › Vor-Gral ‹ . Mit Blick auf die am Grabmal beteiligten semiotischen Systeme, insbesondere seine hochartifizielle Materialität, soll gezeigt werden, wie Grab und Gral aufeinander verweisen und so die typologische Verbindung zwischen Vater und Sohn stützen. Gahmuret- und Parzival- Handlung werden, so die Leitthese, durch zwei Kommunikationsmedien aufeinander bezogen, die sowohl mit der Vorstellung einer generationellen translatio verbunden sind, als auch zwischen Immanenz und Transzendenz vermitteln. In Absetzung zur jüngsten Forschung, die das Grabmal aufgrund seiner interkulturellen Dimension mit dem Begriff des »third space« belegt hat, soll dabei die chronotopische Qualität des Grabmals betont werden. Das Grabmal ist nicht von seinem Zeitcharakter zu lösen. Gahmurets Engagement für › orientalisch ‹ -muslimische Herrscher wird im Grabmal nicht primär verräumlicht, sondern figuriert vielmehr die sukzessive Christianisierung orientalischen Wissens durch seinen Sohn Parzival. 7.1.1 Gahmurets Grab Nachdem Gahmuret auf dem Schlachtfeld vor Bagdad durch einen tödlichen Kopfstich verwundet wurde und gestorben ist, stiftet ihm sein Kriegsherr, der geistliche und weltliche Führer der › heidnischen ‹ Welt (bâruc), ein prächtiges Grab. Der Sarg ist mit Gold und Edelsteinen geschmückt und wird von einer Platte aus rotem Rubin bedeckt, durch die der balsamierte Leichnam des Ritters hindurchscheint. Daneben wird auf Wunsch von Gahmurets Gefolge ein Smaragdkreuz auf dem Grab errichtet, auf dessen Spitze der durchstochene 174 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman Diamanthelm (adamas, Pz. 107, 29) des Helden ragt. Eingraviert wird ein epitafum (Pz. 107, 30), von dessen Wortlaut der Leser aus einem Botenbericht erfährt, den der Knappe Tampanis Herzeloyde, Gahmurets Gattin, abstattet. Die Wiedergabe der Grabinschrift wird mit den Worten sus sagent die buochstabe (Pz. 108, 2) angekündigt. Von der Figurenrede unterscheidet sich der Text durch seine deiktische Rahmung, die für Epitaphe typisch ist. So beginnt die Inschrift mit einem Verweis auf ihren Schriftträger, durch d i s e n helm ein tjoste sluoc (Pz. 108, 3), und endet mit einer Lokaldeixis, nu wünscht im heiles, der h i e ligt (Pz. 108, 28). Neben den üblichen Angaben zu Name, Stand, Herkunft und Todesursache sowie Lobformeln und einer Gebetaufforderung für das Seelenheil des Verstorbenen enthält die Inschrift auch zwei unübliche Hinweise. 8 Dazu gehört erstens die Markierung der Religionszugehörigkeit des Helden und seine Beziehung zu den Andersgläubigen: er truoc den touf und kristen ê: sîn tôt tet Sarrazînen wê sunder liegen, daz ist wâr. (Pz. 108, 21 - 23) Er war getauft und lebte nach christlichem Gesetz. Sein Tod schmerzte auch die › Sarazenen ‹ , das ist keine Lüge, es ist wahr. Dieser Hinweis verdankt sich dem Umstand, dass Gahmuret fern von seiner Heimat im Herrschaftsbereich des Barucs bestattet wird. Ungewiss ist, warum man seine Leiche nicht überführt. Auch wird nicht näher erläutert, wer die Inschrift angefertigt hat. Da die Buchstabenschrift nicht als fremdartig markiert wird, ist sie offenbar nicht in der Landessprache des Barucs (Arabisch oder Persisch), sondern auf Deutsch bzw. Französisch verfasst. 9 Damit richtet sie sich weniger an die Bewohner Bagdads als an Reisende aus dem Westen. Auch in dieser Hinsicht hätte der Baruc den Gefährten Gahmurets, nach deren Vorstellungen und Wünschen er das Grabmal errichten lässt, erkenntlich erwiesen (vgl. Pz. 107, 1 - 18). In der Formulierung sîn tôt tet Sarrazînen wê manifestiert sich aber zugleich die Anteilnahme des Herrschers und der › Heiden ‹ , die durch ihre Trauer erkennen lassen, dass sie sich demselben Ideal höfischen Rittertums verpflichten wie die Christen. 10 Die zweite Besonderheit des Epitaphs besteht darin, dass auf die Nachfolge Gahmurets angespielt und damit im Erzählschluss der Gahmuret-Handlung ein neuer Anfang vorweggenommen wird: sîn prîs gap sô hôhen ruc, niemen reichet an sîn zil, swâ man noch ritter prüeven wil. er ist von muoter ungeborn, zuo dem sîn ellen habe gesworn: ich mein der schildes ambet hât. (Pz. 108, 12 - 17, Herv. v. Verf.) Sein Ruhm schwang sich so hoch hinauf, dass niemand an seine Höhe heranreichen wird, wo auch immer man noch Ritter beurteilen wird. Der ist von seiner Mutter noch nicht geboren, mit dem sich sein Mut aufs Innigste verbunden hat. Ich meine den, der als Ritter dient. 8 Zur Gliederung des Epitaphs vgl. Heiko Hartmann: Gahmurets Epitaph (Pz. 107, 29 ff.). In: ABäG 61 (2006), 127 - 149. 9 Dass das Verständigungsproblem im › Orient ‹ mitgedacht wird, beweist der Erzählerkommentar, Belakane verstehe Französisch, als Gahmuret ihr bei seiner Abreise einen Abschiedsbrief hinterlässt, vgl. Pz. 55, 19. 10 Vgl. Wolfgang Haubrichs: Memoria und Transfiguration. Die Erzählung des Meisterknappen vom Tode Gahmurets ( › Parzival ‹ 105,1 - 108,30). In: Harald Haferland u. Michael Mecklenburg (Hg.): Erzählungen in Erzählungen. Phänomene der Narration in Mittelalter und Früher Neuzeit. München 1996 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 19), S. 125 - 154, hier S. 152 sowie Lembke 2017, S. 28. 7.1 Sepulkrale Präfiguration in Wolframs von Eschenbach › Parzival ‹ 175 Verwundern muss der explikative Einschub ich mein, der wie ein mündlicher Zusatz anmutet und dadurch die formale Geschlossenheit des Epitaphs unterbricht. Die Parenthese lässt sich entweder dem Knappen Tampanis zuschreiben - gleichsam als ob er den Wortlaut der Helmschrift kommentieren würde, um persönlich zu bekräftigen, dass Gahmuret zu Lebzeiten der stärkste Ritter seiner Zeit war - oder aber es handelt sich um eine Vorausdeutung auf die Geburt des eigentlichen Protagonisten Parzival. Streng genommen gibt sich dann aber nicht die Figur des Boten, sondern der auktoriale Ich-Erzähler hinter der Inschrift zu erkennen. Dafür spricht auch, dass das Grabmal für den weiteren Verlauf der Handlung auf ersten Blick keine Relevanz hat: Niemand kehrt dorthin zurück, niemand sieht es, niemand liest es. Das »in [. . .] beschrifteten Dingen materialisierte und so scheinbar gesicherte Andenken« geht »gegen die Erzähllogik [. . .] der Figurenwelt verloren«. 11 Wie darzulegen ist, scheint das Epitaph allerdings eine narrative Funktion zu besitzen, die sich in der proleptischen Vorausdeutung auf die Überbietung des Vaters durch den Sohn entfaltet - über ein solche Zukunftsgewissheit kann aber freilich nur der Erzähler, nicht hingegen die Figur des Boten verfügen. Überdies hat die Forschung gezeigt, dass der Edelsteinsarkophag auffällig mit den Grabmalen aus Heinrichs von Veldeke › Eneasroman ‹ und Herborts von Fritzlar › Liet von Troye ‹ übereinstimmt, die ebenfalls mit Inschriften versehen sind. 12 Der Vorverweis auf den kommenden Ritter wird so von einer sepulkralen Semiose gestiftet, die die erzählten Grabmäler vorgängiger literarischer Texte, mit denen der › Parzival ‹ im Austausch steht, ihrerseits in den Schatten stellt. Das Grabmal reflektiert folglich nicht nur das Ende einer Figur der erzählten Welt, sondern macht darüber hinaus auch das Ende des Erzählens selbst zum Gegenstand. Sofern es zutrifft, dass Wolfram mit der Gahmureterzählung eine eigenständige Vorgeschichte zum › Perceval ‹ entworfen hat, wird auf diese Weise spielerisch markiert, dass mit der Figur Gahmuret auch die eigene Erzählung endet und eine neue, stärker an der französischen Vorlage orientierte Erzählung beginnt. 7.1.2 Didos Tod und Belakanes Erbe Die Vorgeschichte des › Parzival ‹ weist so zahlreiche strukturelle und motivische Analogien zum Antikenroman des Heinrich von Veldeke auf, dass man die Erzählung von Gahmuret als Kontrafaktur des mittelalterlichen › Eneasroman ‹ (1187/ 1189) aufgefasst hat. 13 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Funktion dem Grabmal als Erzählschluss in Wolframs Gegenentwurf zukommt. Das aufwendig erzählte Grab erhält bei ihm nicht die › Heiden ‹ - Königin Belakane, wie es der Folie der karthagischen Dido entsprochen hätte, sondern Gahmuret, der › neue Eneas ‹ . Im Folgenden sollen die Implikationen dieser intertextuellen Verschiebung untersucht werden. Wie zu zeigen sein wird, vollzieht sie sich im Lichte einer 11 Sophie Marshall: Körper - Ding - Schrift im › Parzival ‹ und › Titurel ‹ . In: ZfdPh 3 (2018), S. 419 - 452, hier S. 429 und S. 448. Marshall deutet das Verschwinden von Gahmurets reisierter memoria als Hinweis auf eine Wolfram zeitgenössische Auffassung, der zufolge Dinge (stärker als in der Moderne) mit Unverfügbarkeit assoziiert würden. 12 Vgl. Haubrichs 1996, 131 - 135 sowie ergänzend Hartmann 2006, S. 128. 13 Zu den Parallelen zwischen den Gahmuretbüchern und dem › Eneasroman ‹ Heinrichs von Veldeke vgl. Petrus W. Tax: Gahmuret zwischen Äneas und Parzival. Zur Struktur der Vorgeschichte von Wolframs › Parzival ‹ . In: ZfdPh 92.1 (1973), S. 24 - 37. 176 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman hybriden Farb- und Lichtmetaphorik, die auf die christliche Integration des › orientalischen ‹ Heidentums verweist. Wie im › Eneas ‹ entspinnt sich auch die Struktur der Gahmuretbücher um zwei diametral entgegengesetzte Frauenfiguren. 14 Die Polarisierung der Figuren Dido und Lavinia wird jedoch in Belakane und Herzeloyde nur oberflächlich aufgegriffen, denn Gahmurets Minnebeziehung zu Belakane lässt bald erkennen, dass die axiologische Besetzung der Frauenrollen bei Wolfram weitaus differenzierter gestaltet ist als bei Veldeke. Zwar wird die Andersartigkeit der Belakane durch die Verbindung ihrer markanten Körperlichkeit und ihres › Heidentums ‹ hervorgehoben, gleichwohl stattet sie der Erzähler bereits mit christlichen Tugenden und höfischen Qualitäten aus. Das erweist sich schon bei der ersten Begegnung von Gahmuret und Belakane: Gahmuret präsentiert sich prächtig gekleidet mit seinem ritterlichen Gefolge und paarweise geordneten Pagen, [i]e zwei ein ander an der hant (Pz. 23, 19), vor dem Palast der Königin - Schönheit und Ordnung greifen sichtbar ineinander. Gahmurets Anblick bereitet Belakane unmittelbare Qualen (Pz. 23, 23 f.: ir ougen fuogten hôhen pîn | dô si gesach den Anschevîn), aber wie Gahmuret die Begegnung erlebt, bleibt dem Rezipienten vorerst verborgen. Seine Wahrnehmung wird durch einen auktorialen Erzählerkommentar ersetzt, in dem die topischen Bilder des Schönheitspreises ironisch negiert werden: ist iht liehters denne der tac, dem glîchet niht diu künegin. si hete wîplîchen sin, und was abr anders rîterlîch. der touwegen rôsen ungelîch. nâch swarzer varwe was ir schîn, ir krône ein liehter rubîn: ir houbet man derdurch wol sach. (Pz. 24, 6 - 13) Gibt es etwas, das heller ist als der Tag, so gleicht dem die Königin nicht. Sie war in ihrem Wesen weiblich und auch sonst stattlich. Sie glich nicht der betauten Rose, ihr Glanz war von schwarzer Farbe. Ihre Krone war ein leuchtender Rubin, durch den man ihr Haupt schön sah. Höfisch idealisierte Schönheit ist an Belakane nicht zu finden, sie ist alles andere als eine diaphane engelshafte Lichtgestalt. Gleichwohl attestiert der Erzähler ihr einen schwarzen Glanz, der durch den roten Kopfschmuck fällt und Anteil an Lichthaftigkeit suggeriert, wo er nicht zu erwarten wäre. Die Konfiguration erinnert deutlich an das Bild von Gahmurets Sarkophag. Auch dort strahlt der Leib durch die rote Sargplatte: ein tiwer rubîn ist der stein | ob sînem grabe, dâ durch er schein (Pz. 107, 7 f.). Über die Bedeutung des Rubins äußert sich der Erzähler bereits im Prolog. In Übereinstimmung mit zeitgenössischen gemmologischen Vorstellungen wird der endogen leuchtende Edelstein mit inneren, hier speziell weiblichen Tugenden in Verbindung gebracht und in einen Vergleich eingebunden, der das Verhältnis von Innerlichkeit und Äußerlichkeit figuriert: 15 14 Es wird sowohl eine Zweials auch Dreigliedrigkeit diskutiert, vgl. Schöning 1991 und Masse 2004. 15 Vgl. Ulrich Engelen: Die Edelsteine in der deutschen Dichtung des 12. und 13. Jahrhunderts. München 1978, S. 324 - 331, besonders S. 328 f. Zur poetologischen Dimension dieser Passage vgl. Mireille Schnyder: Frau, Rubin und › âventiure ‹ . Zur › Frauenpassage ‹ im › Parzival ‹ -Prolog Wolframs von Eschenbach (2, 23 - 3, 24). In: DVjs 72 (1998), S. 1 - 17. 7.1 Sepulkrale Präfiguration in Wolframs von Eschenbach › Parzival ‹ 177 manec wîbes sch œ ne an lobe ist breit: ist dâ daz herze conterfeit, die lobe ich als ich solde daz safer ime golde. ich enhân daz niht für lîhtiu dinc, swer in den kranken messinc verwurket edeln rubin und al die âventiure sîn (dem glîche ich rehten wîbes muot). (Pz. 3, 11 - 19) Die Schönheit vieler Frauen wird weit und breit gerühmt. Doch wo das Herz falsch ist, rühme ich sie nur wie es Glasfluss in goldener Fassung angemessen wäre. Ich halte es keineswegs für eine geringfügige Sache, wenn jemand edlen Rubin in wertlosem Messing verarbeitet und mit ihm seine ganzen wunderbaren Kräfte: Mit dem (Rubin) vergleiche ich die echte edle weibliche Gesinnung. Die durch die Kraft des Edelsteins zum Leuchten gebrachte Erscheinung lässt die Zeichenhaftigkeit von Belakanes Körper hervortreten. Diese somatische Figuration setzt sich in den Tränen um den Tod Isenharts fort, in denen Gahmuret die kiusche und den wîplîche[n] sin (vgl. Pz. 28, 10 - 17) der schwarzen Königin zu entdecken glaubt, ihnen gar die Bedeutung und Wirkung von Taufwasser beimisst. Die auf die äußerlichen Differenzmarkierungen projizierten Vorstellungen des › Heidnischen ‹ scheinen sich nicht mit dem inneren, nach außen strahlenden Wesen zu decken. Vielmehr richtet sich Belakanes Verhalten nach höfischchristlichen Idealen aus. 16 In der komplexen Metaphorik farblicher Überblendung spiegeln sich Vorstellungen somatischer Zeichenhaftigkeit, die im Kontext des zeitgenössischen christlich-theologischen Farb- und Lichtdiskurses stehen. 17 In Anschluss an Plotin hatte Pseudo-Dionysius von Aeropagita (um 500) eine › Theologie der Farbe ‹ begründet, die im 9. Jahrhundert von Johannes Scotus Eriugena ins Lateinische übersetzt und von da an breit rezipiert worden war. Nach dieser Vorstellung sind die wahrnehmbaren Hüllen des göttlichen Lichts (symbola) farblich differenziert; sie leiten den menschlichen Verstand zum Erkennen an. Der Weg der Erkenntnis führt darum auch umgekehrt durch die symbola wieder zum unverhüllten Licht selbst. 18 Die Idee vom Abglanz als Zeichen der Partizipation am göttlichen Licht schlug sich auch in der Epik, 16 Vielleicht kommt hierbei auch ein Gegendiskurs zum Thema › schwarze Haut ‹ zum Tragen, der sich seit dem Ende des 12. Jahrhunderts beobachten lässt und aus der Mystik herrührte. Unter anderem griff Bernhard von Clairvaux auf die Formulierung des Hohelieds zurück, die Braut sei »schwarz aber schön« (nigra sed formosa) und argumentierte, sie sei schwarz, habe aber die Gestalt und Ähnlichkeit des Herrn, darum brauche sie sich ihrer Schwärze nicht zu schämen, weil die Haut Christi im Angesicht seines Todes schwarz gewesen sei (vgl. Bernardus Claraevallensis: Sermones super Cantica canticorum. Rom 1958, 1, 4 und 1, 5). Diese Vorstellung ging u. a. in die hagiographisch geprägte Epik ein, vgl. dazu Felix Urban: Gleiches zu Gleichem. Figurenähnlichkeit in der späthöfischen Epik. › Flore und Blanscheflur ‹ , › Engelhard ‹ , › Barlaam und Josaphat ‹ , › Wilhalm von Wenden ‹ . Berlin/ Boston 2020 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 101), S. 345. Ausgewirkt hat sich das Konzept zudem in der Verbreitung der › schwarzen Madonnen ‹ im Hochmittelalter, vgl. Ulrich Ernst: Haut-Diskurse. Semiotik der Körperoberfläche in der Erzählliteratur des hohen Mittelalters. In: Friedrich Wolfzettel (Hg.): Körperkonzepte im arthurischen Roman. Beiträge der Deutschen Sektionstagung der internationalen Artusgesellschaft vom 23. - 26.2.2005 in Rauischholzhausen. Tübingen 2007, S. 149 - 200, hier S. 168. 17 Vgl. Monika Schausten: Suche nach Identität. Das › Eigene ‹ und das › Andere ‹ in Romanen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Köln 2006, S. 75 - 86. Grundsätzlich zu den Farben höfischer Körper vgl. außerdem Carolin Oster: Die Farben höfischer Körper. Farbattribuierung und höfische Identität in mittelhochdeutschen Artus- und Tristanromanen. Berlin 2014. 18 Vgl. dazu Christel Meier u. Rudolph Suntrup: Zum Lexikon der Farbenbedeutungen im Mittelalter. Einführung zu Gegenstand und Methoden sowie Probeartikel aus dem Farbenbereich › Rot ‹ . In: FMSt 21 (1987), S. 390 - 478, hier S. 392; Walter Haug: Das dunkle Licht. Lichtmetaphorik und Lichtmetaphysik bei 178 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman zuvorderst in den Legenden, aber auch in den höfischen Romanen nieder und trägt dort zur Aufwertung höfischer Idealfiguren bei. Im Einklang mit dem Kalokagathie-Ideal weisen Abglanz und Durchleuchtetsein auf innere Schönheit und Vollkommenheit. 19 Diese Deutungen verbindet sich im › Parzival ‹ öfter mit der theologischen Licht-Dunkel- Allegorese. An zentraler Stelle, dem Prolog, weist Wolfram auf das gängige Verständnis hin, swarze varwe deute auf unstæte, vinster und helle, während die blanken eine Verbindung mit himel und stæten gedanken eingingen (Pz. 1, 1 - 15). Gegen die übliche Zuteilung setzt er programmatisch eine Existenz z w i s c h e n den Oppositionen (schwarz oder weiß, hell oder dunkel, gut oder böse). 20 Sinnbildlich für diesen Menschentypus stehen das Federkleid der Elster (Pz. 1, 6: angelstern varwe) und das aus Flicken zusammengesetzte Kleiderstück (ursprüngliche Bedeutung des Verbs parrieren in Pz. 1, 4). 21 Der Zweifler ist gesmæhet und gezieret zugleich: erniedrigt, weil er sich durch Unglauben, Ungewissheit oder Verzweiflung von Gott entfernt hat; ausgezeichnet, da er dennoch des Heils teilhaftig sein kann. 22 Wolfram entwirft damit ein ethisch-ästhetisches Programm der › Graustufen ‹ , das sich durch den gesamten Roman zieht und immer wieder neue, das Ideal der Kalokagathie subvertierende Figuren hervorbringt. Wenngleich der Erzähler die Untertanen und die Königin von Zazamanc mit den intersektionalen Differenzkriterien des Ungläubigseins und Schwarzseins belegt, erscheint Belakane schon deshalb besonders, weil sie ihre vermeintliche Inferiorität selbst anerkennt und damit die christliche Perspektive internalisiert hat. 23 Schließlich fürchtet sie bereits vor ihrer ersten Begegnung, Gahmuret könne an ihrer schwarzen Hautfarbe Anstoß nehmen (Pz. 22, 8 f.: er ist anders denne wir gevar: | ôwî wan tæte im daz niht wê! ). Diese Tendenz zur › Nostrifizierung ‹ Belakanes setzt sich in der Folge fort, stets vor dem Hintergrund einer produktiven Auseinandersetzung mit dem Intertext. Der weitere Ablauf des Begegnungstages wird in beinah parodistischer Absetzung zum › Eneasroman ‹ geschildert: Nach einem großen Bankett zieht Dionysius Areopagita, Johannes Scotus Eriugena und Nicolaus Cusanus. In: Ders. (Verf.) u. Ulrich Barton (Hg.): Positivierung von Negativität: Letzte kleine Schriften. Tübingen 2008, S. 271 - 285. 19 Die Lichtmetaphorik und die Figuration von Lichtfiguren (besonders Herzeloyde, Condwiramurs und Parzival) im › Parzival ‹ ist mehrfach untersucht worden, vgl. Alois M. Haas: Der Lichtsprung der Gottheit (Parz. 466). In: Typologia Litterarum. FS Max Wehrli. Zürich 1969, S. 205 - 232; Claudia Brinker-von der Heyde: Geliebte Mütter - Mütterliche Geliebte. Rolleninszenierung in höfischen Romanen. Bonn 1996 (Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik 123), besonders S. 75 - 88; Michaela Fabrizia Cessari: Der Erwählte, das Licht und der Teufel. Eine philosophiegeschichtliche Studie zur Lichtmetaphorik in Wolframs › Parzival ‹ . Heidelberg 2000 (Frankfurter Beiträge zur Germanistik 32). 20 Für eine Zusammenfassung der Forschungsbeiträge zum Prolog sei hier stellvertretend auf Joachim Bumke: Wolfram von Eschenbach. 8. Aufl. Stuttgart 2004 [1964] sowie auf den Kommentar in Wolfram von Eschenbach: Parzival, 2 Bde. Nach der Ausgabe Karl Lachmanns, rev., komm. u. hg. v. Eberhard Nellmann, übers. v. Dieter Kühn. Frankfurt a. M. 2006 verwiesen. 21 Zu den selbstreflexiven Passagen in Wolframs Dichtung vgl. Beatrice Trînca: Parrieren und undersnîden. Wolframs Poetik des Heterogenen. Heidelberg 2008 (Frankfurter Beiträge zur Germanistik 46). 22 Die Schlüsselbegriffe zwîfel, stæte | unstæte und unverzaget mannes muot sind in zahlreichen Forschungsbeiträgen gedeutet und auf die Programmatik des »gemischten Charakters« bezogen worden. Im Kommentar der Ausgabe von Nellmann werden die verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten des zwîfels mit dem Fazit zusammengetragen, es sei darüber »wohl kaum völlige Klarheit zu erreichen« (Nellmann 2006, S. 447). Diskutiert wurde besonders die Relevanz des legendarischen Erzählmodells vom › guten Sünder ‹ und die Entwicklungsthese, nach der Parzival den wahren Glauben erst nach und nach erlernt. 23 So auch Groos 2004, S. 80. 7.1 Sepulkrale Präfiguration in Wolframs von Eschenbach › Parzival ‹ 179 sich Belakane nicht unwillig, sondern - im Einklang mit ihrem zuvor beteuerten magetuom (Pz. 27, 11) - äußerst rasch zurück. 24 Anders als im › Eneasroman ‹ , in dem eine Schilderung von Didos nächtlichem Liebesschmerz anschließt, folgt der Blick des Erzählers im › Parzival ‹ dem Helden Gahmuret, der sich vor Sehnsucht nach strît und minne im Bett windet, dass ihm die Glieder krachen. 25 Neben einer Persiflierung des Intertextes bewirkt die perspektivische Verschiebung auch eine moralische Entlastung der Königin. Denn anders als Dido wird sie nicht mit Symptomen einer humoralpathologischen gedachten Minnekrankheit belegt, die gar in unmâze ausartet; ihre Alterität tritt hinter der Beschreibung von Gahmurets physischer Affektivität zurück. Trotz der semantischen Umbesetzung ereilt schließlich auch Belakane das unausweichliche Schicksal: Nachdem Gahmuret das feindliche Heer besiegt hat, Landesherr von Zazamanc geworden ist und die Königin geschwängert hat, drängt ihn sein Sehnen nach Ritterschaft bald wieder in die Welt hinaus. In seinem Abschiedsbrief begründet er die Abreise mit Belakanes fehlendem christlichen Glauben. Die Motivation steht in unmittelbarem Widerspruch zu Gahmurets vorheriger Wahrnehmung der › Heidin ‹ und lässt sich nur aus der Finalmotivierung des Intertextes begründen, nach dem die Götter die Weiterreise des Helden veranlassen. Als tragisch muss sich jedoch erweisen, dass Belakane sehr wohl bereit wäre, die Taufe zu vollziehen, Gahmuret aber nie wieder nach Patelamunt zurückkehrt. 26 Wohl in vorausschauender Absicht hinterlässt der Held für den noch ungeborenen Sohn eine detaillierte Aufstellung seinerAhnenschaft, die sich von Mazadan (dem Stammvater von König Artus) und der Fee Terdelaschoie herleitet und, so prognostiziert er, immerfort in hellem Glanz erstrahlen werde (Pz. 56, 22: daz immer mêr gît liehten schîn). Wenngleich die psychologische Motivierung der Gahmuret-Belakane-Liebe unerwartet durch die Erzählstruktur des › Eneasromans ‹ überlagert wird, kann sich der Intertext nicht restlos durchsetzen. Denn Belakane stirbt keinen spektakulären Tod und erhält auch kein Grabmal. Die Bedeutung dieses Negativbefunds wirft die Frage auf, warum der › Heiden ‹ - Königin diese Form der Schlussgebung verweigert wird. Im › Eneasroman ‹ widersetzt sich Dido der Idee eines überdauernden Leibes. Stattdessen wählt sie, von Raserei ergriffen, einen doppelten Suizid durch Schwert und Feuer, der von ihrem Leib nichts als Asche zurücklässt. 27 Die sterblichen Überreste werden in einer Urne gesammelt und in einem kostbaren Sarkophag bestattet: 24 Vgl. Pz. 35, 5 f.: diu wirtin fuor an ir gemach: | harte schiere daz geschach. Dagegen En. 1317 - 1323: Do ez sô verre naht was | unde der hêre Ênêas | gerne rûwen wolde | und si danne solde | gên mit iren mannen, | dô schiet se ungerne dannen, | si wâre gern beliben noch. Zitiert nach Heinrich von Veldeke: Eneasroman. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Nach dem Text v. Ludwig Ettmüller. Übers., komm. u. m. einem Nachw. v. Dieter Kartschoke. Stuttgart 1997 [1984]. 25 Vgl. Pz. 35, 20 - 24: in brâhte dicke in unmaht | diu swarze M œ rinne, | des landes küneginne. | er want sich dicke alsam ein wit, | daz im krachten diu lit. Gahmurets eruptive körperliche Reaktion steht vermutlich im Zusammenhang mit einer diskursiven Sexualisierung schwarzer Frauen im Hochmittelalter, die auf humoralpathologische und klimatologische Vorstellungen zurückgeführt wird, vgl. dazu Groos 2005, S. 73 - 76; zum Widerspruch zwischen Natur und Kultur im überspannten Leib vgl. ferner auch Martin Baisch: Gahmuret und Belakane. Textkritik und Interpretation. In: ABäG 65 (2009), S. 117 - 138, hier S. 123 f. 26 Vgl. Pz. 57, 6 - 8: › [. . .] sîme gote ze êren ‹ , sprach daz wîp, | › ich mich gerne toufen sollte | unde leben swie er wolte. ‹ 27 Vgl. En. 2426 - 2429: al wâre sie ein wîse wîb, | sie was dô vil sinne lôs. | daz si den tôt alsô kôs, | daz quam von unsinne. 180 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman ich sage û daz der sark was ein prasem grûne alse ein gras, wol meisterlîche ergraben mit goldînen bûchstaben was îr name dâ gescriben, wie si tôt was beliben. die bûchstaben sprâchen sô: › hie liget frouwe Dîdô, diu mâre und diu rîche, diu sich sô jâmerlîche dorch minne zû tôde erslûch. ‹ (En. 2510 - 2519) Ich sage euch, der Sarg war aus einem Edelstein so grün wie Gras. Sehr kunstvoll graviert, mit goldenen Buchstaben war darauf ihr Name geschrieben und wie sie zu Tode gekommen war. Die Inschrift lautete so: › Hier liegt die berühmte und mächtige Frau Dido, die sich so jammervoll aus Liebe das Leben nahm. ‹ Anders als in den mittelalterlichen Eneasromanen kommt das Grabmal der Dido in Vergils › Aeneis ‹ nicht vor. Fiktive Epitaphe finden sich hingegen in einigen Briefen unglücklich Liebender in Ovids › Heroides ‹ , darunter auch in einem Brief von Dido an Aeneas. 28 Es ist denkbar, dass das Grab-Motiv über einen indirekten Rezeptionsweg von Ovid in den anglonormannische › Roman d ’ Eneas ‹ und von dort aus in Heinrichs von Veldeke › Eneasroman ‹ gelangt ist. Die betreffenden Passagen der › Heroides ‹ unterscheiden sich jedoch erheblich von den Epitaphen der mittelalterlichen Romane, insofern sich darin die Erzählerinnen selbst ihren Tod ausmalen und drohen, die Schuld des Geliebten auf dem Epitaph öffentlich auszustellen. 29 In den imaginierten Grabinschriften artikuliert sich folglich der Versuch, Handlungsmacht über den Geliebten zurückzugewinnen. Dieser Eindruck wird auf der syntaktischen Ebene durch die dominante pronominale Verstärkung des sprechenden Ichs (ego ipse) gestützt. Die Schuld-Epitaphe sind damit Teil eines rhetorischen Spiels, das an die Leerstellen bekannter Erzählstoffe anknüpft und sie durch eine neu ausgestaltete Innenperspektive der Erzählerinnenfiguren ergänzt. Das Epitaph des › Eneasroman ‹ hat mit solchen Todesimaginationen wenig gemein. Als Teil des Grabmals wird es von Didos Gefolge gestiftet und kann den Sequenzschluss auf der Ebene des discours durch einen Text im Text vertiefen. Es hat keine unmittelbare Funktion innerhalb der erzählten Welt. 30 Erst mit der digressiven Beschreibung der phantastischen Grabmäler für 28 Fiktive Epitaphe finden sich in Ov. Her. 2, 147 f.; 14, 129 f.; 15,183 f. sowie in 7, 193 - 196 das selbst erwählte Epitaph der Dido: nec consumpta rogis inscribar E LISSA S YCHAEI , | hoc tamen in tumuli marmore carmen erit: | P RAEBUIT A ENEAS ET CAUSAM MORTIS ET ENSEM . | I PSA SUA D IDO CONCIDIT USA MANU . 29 Für solche Todesimaginationen gibt es in der mittelalterlichen Lyrik nur ein Beispiel: MF 129, 14 von Heinrich von Morungen. In der letzten Strophe (III, 1 - 11) stellt sich das lyrische Ich vor, wie sein Grabstein von der unerfüllten Liebe kündet und jeder, der darüber geht, unweigerlich davon erfährt: Wan sol schrîben kleine | reht ûf dem steine, | der mîn grap bevât, | wie liep sî mir wære | und ich ir unmære; | swer dann über mich gât, | daz der lese diese nôt | und ir gewinne künde, | der vil grôzen sünde, | die sî an ir vründe | her begangen hat. Zitiert nach Des Minnesangs Frühling, Bd. I: Texte. Unter Benutzung der Ausg. v. Karl Lachmann u. a., bearb. v. Hugo Moser u. Helmut Tervooren. 38., ern. rev. Aufl. Mit einem Anhang: Das Budapester und Kremsmünsterer Fragment. Stuttgart 1988. 30 Vgl. Lieb/ Wagner 2017, S. 5: »[T]he narrator [. . .] uses the epitaph to put his own opinion of Dido and her erroneous, miserable love story on record for eternity. The inscription itself is not intended to operate, to be received or even to challenge the reader to an interpretation. It does not fulfill any function in the narrative world, but rather offers a final word on Dido ’ s life by turning the Queen of Carthage into an exemplum for the readers of the medieval Romance of Eneas.« 7.1 Sepulkrale Präfiguration in Wolframs von Eschenbach › Parzival ‹ 181 Camilla und Pallas, deren phantastische Form, Zusammensetzung und Materialität symbolisch auf das himmlische Jerusalem vorausweisen (vgl. Kapitel 4.3.1), offenbart sich seine Funktion als Vergleichsfolie: Dido stirbt keinen heroischen Tod, auch trifft sie keine Vorkehrungen, um ihre fama überdauern zu lassen. Zurück bleibt ein Sarg mit Asche und eine Inschrift, die konstatiert, dass sich ihre memoria trotzdem bis ins Mittelalter erhalten hat, nämlich als negatives Paradigma einer maßlosen und selbstzerstörerischen Liebe. Im › Parzival ‹ tritt an die Stelle des finalistischen Grabmals eine genealogische Verlängerung. Im Gegensatz zu Dido, die in ihrer Verzweiflung beklagt, nicht einmal ein Kind mit Eneas gezeugt zu haben (vgl. En. 2192 f.), empfängt Belakane, die fern von unsinne um den Geliebten trauert, schon bald einen Sohn, an dessen Äußerem sich, wie der Erzähler kommentiert, Gottes Gnade manifestiert. Wie die Elster ist er schwarz und weiß zugleich (vgl. Pz. 57, 15 - 18). Sofort und immer wieder küsst Belakane die blanken mâl, in dessen liehte[m] schîn die Verwandtschaft zum Vater offenbar wird (vgl. Pz. 57, 19 f.). Blieb der › Heiden ‹ -Königin die Taufe durch Gahmurets Fortgang verwehrt, scheint in der Scheckung des Sohnes die Möglichkeit der Seelenrettung auf, die im letzten Buch durch den Bruder Parzival auch tatsächlich bewirkt wird. Dabei wird das Motiv des Rubins und die damit verbundene Figuration von Innen und Außen im Zeichen des christlichen Glaubens farbsymbolisch erneut aufgegriffen. Denn das Taufbecken besteht ebenfalls aus Rubin und ist auf einem Sockel aus grünem Jaspis angerichtet (Pz. 816, 20 - 22: der toufnapf was ein rubbîn | von jaspes ein grêde sinwel, | dar ûf er stuont [. . .]). Die metonymische Verschiebung der Farb- und Edelsteinmotive ruft die Wesenshaftigkeit der Eltern in Erinnerung - Belakanes tränenüberströmte Erscheinung im Glanz der Rubinkrone und Gahmurets Leib, der unter einer Sargplatte aus Rubin und einem grünen Smaragdkreuz erstrahlt - und lassen den Sohn als wesenshaft vorbestimmt erscheinen. Die Beschreibung von Gahmurets Grabmal knüpft folglich zwar an Didos Grab an, unterscheidet sich aber von diesem in mehrfacher Hinsicht: Die rote Sargplatte, die an die › heidnische ‹ Herrschaftsinsignie, die Rubinkrone Belakanes gemahnt, lässt den Körper des Helden im Zeichen eines christlichen Machteinflusses im › Orient ‹ erscheinen, der zuletzt mit der Taufe des Feirefiz im Rubinbecken auf der Gralsburg performativ vollzogen wird. Im Unterschied zu den Grabmälern des Antikeromans, der v o r Christi Geburt spielte, ordnet bei Wolfram das Symbol des Kreuzes das Grabmal dem heilsgeschichtlichen Zeitalter sub gratia zu. Damit verbindet sich auch eine hoffnungsvolle Aussicht auf die Erlösung der Seele des Verstorbenen. Das Epitaph bekräftigt zudem ausführlich des Helden Ruhm, Taten, mustergültige Ritterschaft sowie Herrschaft über drei Länder (Norgals, Waleis und Anschouwe) und fordert die Vorübergehenden zur Fürbitte auf: nu wünscht im heiles, der hie ligt (Pz. 108, 28). Anders als das Grabmal der Dido ist die Inschrift damit nicht nur abschließend-bilanzierend, sondern fungiert als Verweisungszeichen, das innerhalb der erzählten Welt zwischen Ende und Anfang vermitteln will. In der Konstellation von Gahmurets Grab und Parzivals Erwählung durch den Gral manifestiert sich das Bedingungsverhältnis von Erzählschluss und -beginn als Figuration von Vater und Sohn. In den Gahmuretbüchern lässt sich damit im Vergleich mit dem › Eneasroman ‹ eine Erzählstrategie ausmachen, die als Einverleibung des Alteritären beschrieben werden kann: Mit dem Reich Zazamanc erobert Gahmuret auch die Liebe der › heidnischen ‹ Königin Belakane, die in seiner Anwesenheit das Bewusstsein einer internalisierten Inferiorität entwickelt. Zwar bekehrt Gahmuret das › heidnische ‹ Land nicht unmittelbar, doch setzt 182 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman sich die mütterliche Bereitschaft zur Taufe schließlich im anteilig weißen Sohn fort und wird schließlich in der Nachkommenschaft des Priesterkönigs Johannes, dem mythischen Regenten eines christlichen Reiches in Asien, vollständig verwirklicht. Die sukzessive Integration des Alteritären erfolgt auf der Ebene der histoire durch die Überblendung der Semantiken von Heidentum und Christentum, vor allem in der Farbmetaphorik von schwarz und weiß, hell und dunkel, gut und böse. Auf der Ebene des discours hingegen äußert sich das Alteritäre in Form von subkutanen Erzählstrukturen, die - um eine Metapher Gérard G ENETTES zu beleihen - wie ein Palimpsest immer wieder an die Oberfläche treten und die Motivierung der Erzählung zu vereinnahmen drohen. Der fehlende epitaphische Schluss der Belakane-Episode und die Verschiebung des Grabmals auf den Tod Gahmurets lassen schließlich die Funktion des Intertextes für die Erzählung gewahr werden: 31 Vor dem Hintergrund der bekannten Strukturen kann das Neue umso deutlicher hervortreten, das die Gahmureterzählung selbst konstituiert. 7.1.3 Materielle Verweisungszusammenhänge Dass der Gral in den ersten Büchern des › Parzival ‹ dinglich präfiguriert wird, hat die Forschung verschiedentlich postuliert, sich allerdings bislang auf Gahmurets Diamanthelm konzentriert. Laut Petrus T AX handle es sich bei dem Helm um eine Art › Vor-Gral ‹ , denn wie sein Pendant bestehe auch der Helm aus einem Edelstein. Auch die eigentümliche Artefaktbiographie des adamas, der durch Besitzwechsel zum »Sinnbild für aventiure, Rittertum und Minne, vor allem und vorwiegend aber zu einem Dingsymbol für Leid, Tragik und Tod innerhalb der Vorgeschichte« werde, begründe das Präfigurationsverhältnis. 32 Ergänzend ließe sich der Passus von der Übergabe des Helms anführen, ein Vorgang, den der Erzähler selbst als ein grôz wunder (Pz. 58, 14) bezeichnet: Wie angekündigt erhält Gahmuret für seinen Sieg in Patelamunt die Rüstung und das Zelt von Belakanes früherem Minnediener Isenhart. Während er das Zelt nach dessen Beisetzung umgehend ausgehändigt bekommt, wird ihm die Rüstung erst nach neun Monaten Fahrt, mitten auf dem Meer, vom Schottenkönig Friedebrand, dem Vetter Isenharts, überbracht. Wie der Gral kann auch der Diamanthelm nicht einfach e r r u n g e n werden, sondern findet selbst den Weg zu seinem Besitzer, wenn er sich dafür ausgezeichnet hat. 33 Inzwischen herrscht Konsens darüber, dass die Erzählwelt des › Parzival ‹ durch ein feingliedriges Geflecht textimmanenter Bezüge organisiert ist, das neben Themen und Motiven auch Figuren, Schauplätze oder ganze Szenentypen umfasst. 34 Zusammenfassend hat Christine 31 Auch die Bocksblut-List, durch die Gahmuret unversehens zu Tode kommt, hat ihre Vorläufer in antiken Erzählstoffen. So fällt Achill hinterrücks durch einen Pfeil Apollos in die Ferse getroffen (vgl. dazu Friedrich Ohly: Diamant und Bocksblut. Zu Traditions- und Auslegungsgeschichte eines Naturvorgangs von der Antike bis in die Moderne. Berlin 1976, S. 69) und auch Darius, Erzfeind des › Alexander ‹ , wird durch seine eigenen Gefolgsleute zu Fall gebracht. 32 Tax 1973, S. 34. 33 Vgl. dazu Trevrizents Erklärungen zum Gral, Pz. 468, 12 - 14: jane mac den grâl nieman bejagn, | wan der ze himel ist sô bekannt | daz er zem grâle sî benant. 34 So schon Bumke 2004 [1964], S. 210 f.: »Indem eine Einzelheit der Handlung (ein Name, eine Person, ein Ort, ein Motiv, eine Szene oder ein Wort) mit einer anderen Einzelheit in Verbindung gebracht wird, entsteht ein Zusammenhang, der eine Bedeutung hat. Wolframs Dichtung ist von einem dichten Geflecht solcher Verbindungsfäden überzogen.« In Anschluss an Bumke hat Julia Richter die Verknüpfungstechnik des › Parzival ‹ zuletzt im Sinne paradigmatischer Spiegelungen von Räumen, Figuren, Themen und 7.1 Sepulkrale Präfiguration in Wolframs von Eschenbach › Parzival ‹ 183 P UTZO die spezifisch vormoderne Faktur dieser Verknüpfungstechnik herausgearbeitet. 35 In ihrer Untersuchung führt sie die implizite Vorstellung eines räumlichen Buchlayouts als erzähltheoretische Größe ein. Anhand mehrerer Beispiele zeigt sie, wie sich die mehrdimensionale Buchvorstellung und die lineare Struktur von Erzählliteratur gegenseitig beeinflussen können. In den frühen Handschriften des › Parzival ‹ werden Möglichkeiten der buchräumlichen Textstrukturierung noch nicht genutzt. Stattdessen ließen sich hier aber andere Verfahren der Verlaufsstrukturierung von Handlung beobachten, die in späteren Handschriften von buchräumlichen Organisationsprinzipien teils imitiert, teils durch neue Darstellungsmittel ergänzt würden. Dazu gehören die M a r k i e r u n g von Schlüsselszenen durch wiederkehrende Figuren, narrativ generierte D i a g r a m m e , die das Verwandtschaftsnetz des Figurenpersonals sukzessive offenlegen, Q u e r v e r w e i s e , die zur Vernetzung einzelner raumzeitlicher Punkte beitragen, E x p o s i t i o n e n , etwa in Form von Namenslisten, die spätere Auftritte von Figuren vorwegnehmen oder Figuren, die als b e w e g l i c h e L e s e z e i c h e n fungieren, insofern sie einen signifikant gliedernden Effekt auf die Handlung ausüben können. Weitgehend unbeachtet bleiben bei P UTZO hingegen Dinge, die analog zu Figuren ein ebenso dicht verschlungenes Netzwerk im › Parzival ‹ ausbilden. Darunter fallen Rüstungsgüter, Zelte, Architekturelemente, Edelsteine und Gefäße, die sich häufig durch einen hohen Grad an (herrschaftlicher) Mobilität auszeichnen. Michael S TOLZ hat gezeigt, dass Dinge in Wolframs › Parzival ‹ nicht nur auffällige metonymische Beziehungen untereinander ausbilden, sondern solche Dingwiederholungen auch eng mit der Erzählweise verknüpft sind, die sich durch eine verzögerte Informationsvergabe auszeichnet. Das repetitive Auftreten einander ähnelnder Dinge würde, so S TOLZ , »das Ingangkommen und die Fortsetzung des Erzählvorgangs auf der syntagmatischen Linie vorantreiben«. 36 In Anschluss an diese Überlegungen sollen die Äquivalenzbeziehungen zwischen Grabmal und Gral aufgezeigt werden, die die typologische Verbindung zwischen Vater und Sohn auf der histoire-Ebene vertiefen und zugleich die narrative Sukzession, das Verhältnis zwischen der Erzählung vom Vater und der Erzählung vom Sohn auf der discours-Ebene kompositionell motivieren. Dieses Verweisungsverhältnis wird durch die Wiederkehr der semiotischen Systeme Körper, Schrift und Materialität geleistet. 7.1.3.1 Epitaphische Kommunikation Nicht nur Gahmurets Grabmal zeichnet sich durch ein außergewöhnliches Epitaph aus, auch der Gral verwendet Schriftzeichen, um mit dem Gralsgeschlecht zu kommunizieren und neue Textsequenzen interpretiert, vgl. Julia Richter: Spiegelungen. Paradigmatisches Erzählen in Wolframs › Parzival ‹ . Berlin/ Boston 2015 (MTU 144). 35 Vgl. Christine Putzo: Das implizite Buch. Zu einem überlesenen Faktor vormoderner Narrativität. Am Beispiel von Wolframs › Parzival ‹ , Wittenwilers › Ring ‹ und Prosaromanen Wickrams. In: Eckart Conrad Lutz (Hg.): Finden - Gestalten - Vermitteln. Schreibprozesse und ihre Brechungen in der mittelalterlichen Überlieferung. Freiburger Colloquium 2010. Berlin 2012 (Wolfram-Studien XXII), S. 279 - 330, zum › Parzival ‹ S. 290 - 308. Dort finden sich auch weitere Literaturhinweise zur Kompositionstechnik des › Parzival ‹ . 36 Michael Stolz: Dingwiederholungen in Wolframs Parzival. In: Anna Mühlherr u. a. (Hg.): Dingkulturen. Objekte in Literatur, Kunst und Gesellschaft der Vormoderne. Berlin/ Boston 2016 (Literatur - Theorie - Geschichte, Bd. 9), S. 267 - 293, hier S. 286. 184 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman Männer und Frauen in seinen Dienst zu berufen. Die Worte, die im Laufe der Handlung mehrfach auf dem Gral erscheinen und sich anschließend von selbst wieder auflösen, werden abwechselnd als schrift (substantivisch und verbal verwendet) oder als epitafum [von karacten] (Pz. 470, 24) bezeichnet. 37 Die Übertragung des Begriffs epitaf(i)um auf einen anderen beschrifteten Gegenstand als das Grab stellt einen Sonderfall in der höfischen Literatur des deutschen Mittelalters dar. Er deutet bereits auf die besondere Bezogenheit zwischen Grab und Gral hin. Beschreibt das menschengemachte Grabepitaph den Versuch, durch memoria und Fürbitte einen Toten zu vergegenwärtigen und für sein Seelenheil im Jenseits vermittelnd einzutreten, kehrt der Gral dieses Verhältnis um: Er ist das Medium, durch welches das Gotteswort in der Immanenz erfahrbar werden kann. Die Schrift ruft nicht das Vergangene in Erinnerung, sondern zielt auf die Umsetzung einer Aufforderung in der nahen Zukunft. Im Gegensatz zur Grabinschrift ist die Gralsinschrift zudem ephemer - anders als Pergamentschrift braucht man sie nicht wegschaben, sondern sie verschwindet von selbst und macht Platz für neue Aufträge. 38 Über das geheime Wesen des Grals wird Parzival erstmals aufgeklärt, als er an einem Karfreitag bei dem Einsiedler Trevrizent einkehrt. Dieser erklärt ihm, dass die Berufung zum Gralsdienst stets durch ein epitafium erfolge, das auf dem Gral erscheine und - so wie eine Grabinschrift! - biographische Minimalinformationen nennt, nämlich den Namen (name) und die Herkunft (art) des oder der zum Dienst Berufenen, damit die Gralsritter die Person leichter identifizieren können. 39 Die Darstellung wird schließlich durch Kundrie bestätigt, die nach der Rückkehr zum Artus-Heer in Joflanze die Botschaft von Parzivals Berufung zum Gralsdienst überbringt. Wie die Nachricht von Gahmurets Tod, die der Knappe Tampanis überbringt, ist auch die Botschaft, Parzival sei durch den Gral erwählt worden, in eine Figurenrede eingebettet: daz e p i t a f j u m ist gelesen: du solt des grâles hêrre wesen. Condwîr âmûrs daz wîp dîn und dîn sun Loherangrîn sint beidiu mit dir dar benant. (Pz. 781, 15 - 19, Herv. v. Verf.) Das Epitaph wurde gelesen: Du sollst der Herr des Grales sein. Deine Frau Condwiramurs und dein Sohn Lohengrin sind beide mit dir dorthin berufen. Knüpft sich an den Tod die Vorstellung vom Übertritt in das ewige Leben, so stellt der Gralsdienst ebenfalls eine entrückte Existenzform dar, die eine unmittelbare Garantie auf Seligkeit nach dem Tode verspricht. 40 Anders als Gahmurets Grabmal produziert der Gral jedoch dezidiert keine mehrdeutige Semantik. Höhnt Tampanis am Hof von Herzeloyde, dass die › Heiden ‹ den Helden ungeachtet der christlichen Sepulkralsymbolik wie einen Gott 37 Das Erscheinen der Gralsschrift wird mehrfach thematisiert, vgl. Pz. 470, 21 - 30 (Gralsberufung); 478, 13 - 16 (Vergehen gegen die Gralsschrift); 483, 19 - 484, 12 (Ankündigung von Parzivals Eintreffen in der Gralsburg); 788, 13 - 16 (erneuter Verweis auf das angekündigte Eintreffen Parzivals); 796, 17 - 21 (Parzivals Erwählung durch den Gral); 818, 24 - 819, 2 (der Gral ernennt es zum Gesetz, Fragen zu unterlassen). 38 Vgl. Pz. 470, 28 - 30: die schrift darf niemen danne schaben: | sô man den namen gelesen hât, | vor ir ougen si zergât. 39 Vgl. Pz. 470, 21 - 27: die aber zem grâle sint benant, | h œ rt wie die werdent bekannt. | zende an des steines drum | von karacten ein epitafum | sagt sînen namen und sînen art, | swer dar tuon sol die sælden vart, | ez sî von meiden ode von knaben. 40 Vgl. Pz. 471, 10 - 14: vor sündebæren schanden | sint si immer mêr behuot, | und wirt ir lôn ze himel guot. | swenne in erstirbet hie daz leben, | sô wirt in dort der wunsch gegeben. 7.1 Sepulkrale Präfiguration in Wolframs von Eschenbach › Parzival ‹ 185 anbeten, ist der Gral gegenüber solchen › Fehldeutungen ‹ geschützt, ist er doch nur für Getaufte überhaupt sichtbar. Ungetauften ist die hieratische Graphie hingegen weder in ihrer oberflächlichen Zeichengestalt, noch in ihrer sinnhaften Tiefenstruktur zugänglich. 7.1.3.2 Diaphanie statt Substitution Wie oben bemerkt, gehört es zu den Besonderheiten von Gahmurets Grab, dass der Leib des Toten durch die rote Sargplatte scheint: ein tiwer rubîn ist der stein | ob sînem grabe, dâ durch er schein (Pz. 107, 7 f.). Leuchtende Leichen begegnen nicht nur im › Parzival ‹ . Im › Straßburger Alexander ‹ (Alex. 1170 - 1187 oder 1210 - 1220) etwa ereignet sich mit der Auffindung eines antiken Sarkophags eine sonderbare Begegnung mit der Vergangenheit. 41 Nachdem Alexander eine erfolgreiche Schlacht gegen die Perser geschlagen hat, plündert er mit seinem Gefolge den ehemaligen Palast des Perserkönigs Xerxes. Wie zuvor in einem Brief des Darius angekündigt, befinden sich in den Erdkammern die Schätze (Alex. 3098 - 3550: guldîne nepphe) seiner Vorfahren. 42 Unter den Gräbern, die man dort entdeckt, sticht eines aufgrund seiner eigenartigen Materialität hervor: Ouh funden sie zwâren einen sarc glesen. An den bûchen hân ich gelesen, er wêre sô scône und sô clâr (daz sult ir wizzen vor wâr), daz man dar durh wol gesach einen tôten, der dar inne lach. Si besâhen vil garwe sîn hâr und sîne varwe unde wî er getân was. Der sarc was grûne alse ein gras. Des selbin tôten mannis name was gegraben dar ane: Er hîz Evilmerodach, der kuninc in Babilonia was. (Alex. 3101/ 3553 - 3115/ 3567) Auch fanden sie wahrhaftig einen gläsernen Sarg. In den Büchern habe ich gelesen, er sei so schön und klar gewesen - das sollt ihr wahrhaft wissen - dass man dadurch gut einen Toten sah, der darin lag. Sie besahen ihn gänzlich, sein Haar und sein Aussehen und wie er beschaffen war. Der Sarg war grün wie Gras. Der Name ebenjenes toten Mannes war darin eingraviert: Er hieß Evilmerodach, der König in Babylonien war. Die Entdeckung des grasgrünen Sarges verwandelt den Raubzug augenblicklich in eine archäologische Expedition. Die leibliche Hülle des Toten scheint noch intakt und ist sichtbar, ohne dass der Sarg geöffnet werden müsste. Doch nicht ein Vertreter der Perserdynastie kommt unter der Platte zum Vorschein, sondern der vorletzte König des neubabylonischen Reiches (gest. 560 v. Chr.) und Sohn des Nebukadnezar (605 - 562 v. Chr.), dem alttestamentlichen Visionär des Buchs Daniel. Befindet sich Alexander unmittelbar im Begriff, das persische Großreich zu erobern und durch ein neues, makedonisches zu ersetzen, so erblickt er in Evilmerodach den Vertreter jenes Großreiches, das durch die Perser selbst überwunden worden 41 Zur unsicheren Datierung vgl. Danielle Buschinger u. Fritz Peter Knapp: Alexanderromane. In: Geert H. M. Claassens u. a. (Hg.): Historische und religiöse Erzählungen. Berlin/ Boston 2014 (GLMF 4), S. 35 - 78, hier S. 43. 42 Zitiert nach Pfaffe Lambrecht: Alexanderroman. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Übers., komm. u. hg. v. Elisabeth Lienert. Stuttgart 2007. 186 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman war. In der Entdeckung des Grabmals entfaltet sich somit nicht nur ein temporaler, sondern auch ein herrschaftsgenealogischer Horizont: Die translatio imperii wird in einem sepulkralen Arrangement erfahrbar, das seine Zeichenhaftigkeit aus Leib und Namensinschrift bezieht. Diaphanie ist auch eine Qualität von Gahmurets Grabmal im › Parzival ‹ . Wolfgang H AUBRICHS hat das literarische Interesse für Grabmäler auf die gewandelten Bestattungsriten des Adels um 1200 zurückgeführt. 43 Er misst insbesondere dem Aufkommen der gisants, den zunehmend plastischen Liegefiguren, deren Verwendung sich seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts verbreitete, eine Vorbildfunktion für das Grabmal Gahmurets bei, die »im festen Material aus Bronze, Email, Edelsteinen, Stuck und Stein gebildet, [. . .] im Gegensatz zu dem vergehenden Leib des Grabes [. . .] die incorruptio des Auferstehungsleibes dar[stellen]«. 44 Indes kommen viele literarische Grabmalbeschreibungen des Mittelalters o h n e Grabbild aus. Dagegen wird im › StraßburgerAlexander ‹ , im › Eneasroman ‹ und auch im › Parzival ‹ der Leib des Helden selbst ausgestellt. Statt also den vergänglichen Leib zu verbergen und durch eine Repräsentation des Auferstehungsleibes zu substituieren, setzen die erzählten Gräber auf eine diaphane Materialität, durch die die balsamierten und konservierten Verstorbenen in der Anschauung unmittelbare Präsenz erlangen können. In dieserAusstellungsform partizipieren die Leiber der Heroen an den corpora incorrupta der Märtyrer und Heiligen. 45 Obgleich deren Seelen schon im Paradies angelangt sind, werden ihre Körper nach dem Vorbild Jesu Christi zwischen Tod und Auferstehung vor der Verwesung geschützt. 46 Aufgrund ihrer Partizipation an zwei Seinsräumen vermitteln die Körper selbst zwischen Immanenz und Transzendenz und können bereits im Diesseits einen Ausblick auf die Seligkeit des Jenseits erwecken. Der › Alexanderroman ‹ nimmt diese Denkfigur auf, indem er die Intaktheit von Haaren (hâr) und die Frische des Antlitzes (varwe) des Evilmerodach hervorhebt. Die Entdeckung seiner Leiche rückt damit in die Nähe legendarischer Auffindungsberichte. 47 Wie Didos Sargplatte im › Eneasroman ‹ ist auch Evilmerodachs Sarg transparent und grün wie Gras. In dem Vergleich klingen farballegorische und gemmologische Vorstellungen an, die die Farbe von grünen Edelsteinen wie Jaspis und Smaragd mit Pflanzengrün assoziieren, das für Lebensfrische und darum im übertragenen Sinne auch für den Glauben steht, weil er die Seele ebenso mit Lebensfrische erfüllt. 48 Bestaunt Alexander in erster Linie die Inkorruptheit seines Leibes, rückt der grüne Schein das Geschehen für die mittelalterlichen Rezipienten in ein eschatologisches Licht - die vorchristlichen Herrscher sind ihrem Glauben nach Teil einer von Gott gelenkten Geschichte. Die Entdeckung des Evilmerodach im eroberten Perserpalast offenbart sich zugleich als Entdeckung einer heilsgeschichtlichen Genealogie. Auch der Erzähler des › Parzival ‹ präsentiert mit Gahmurets Körper einen persistenten, diaphanen Leib, und auch ihm ist es um die Stiftung einer genealogischen Beziehung zu tun, allerdings nicht im Sinne der Vier-Reiche-Lehre, sondern im Sinne einer familiären Herr- 43 Vgl. Haubrichs 1996, besonders S. 137 - 141. 44 Ebd., S. 142; dagegen deutet Marshall Gahmurets Körper als nur dinghaft gesteigert, vgl. Marshall 2018, S. 425 f. 45 Vgl. Wandhoff 2006(a), S. 66 f. 46 Vgl. Arnold Angenendt: Corpus incorruptum. Eine Leitidee der mittelalterlichen Reliquienverehrung. In: Saeculum 42 (1991), S. 320 - 348, besonders S. 342 - 346. 47 Zu solchen Auffindungsberichten vgl. ebd., S. 321 - 327. 48 Vgl. Engelen 1978, S. 374; ebenso in der Farblehre Hildegards von Bingen, vgl. dazu Christel Meier: Die Bedeutung der Farben im Werk Hildegards von Bingen, in: FMSt 6 (1972), S. 245 - 355, hier S. 280 - 289. 7.1 Sepulkrale Präfiguration in Wolframs von Eschenbach › Parzival ‹ 187 schaftsabfolge. Auf die Vier-Reiche-Lehre spielt der › Parzival ‹ dennoch an zentraler Stelle an. Schließlich liest sich Gahmurets tödliche Verstrickung in eine Schlacht zwischen Babyloniern (wohl Ägyptern) und Persern wie eine ironisch-tragische Anspielung auf heilsgeschichtliche Konfigurationen unter veränderten Vorzeichen. Die partielle Wiederkehr bekannter historischer Strukturen veranlasst den Erzähler, sich kommentierend in die Darstellung einzuschalten: im kom diu wâre botschaft, sîn hêrre der bâruc wær mit kraft überriten von Babylôn. einer hiez Ipomidôn, der ander Pompeius. den nennet d ’ âventiure alsus. daz was ein stolz werder man (niht der von Rôme entran Julîus dâ bevor): der künec Nabchodonosor sîner muoter bruoder was, der an trügelîchen buochen las er sollte selbe sîn ein got. daz wære nu der liute spot. 49 (Pz. 101, 25 - 102, 8) Ihn erreichte die wahre Botschaft, sein Dienstherr, der Baruc, wäre mit militärischer Macht von Babyloniern überfallen worden. Der eine hieß Ipomidon, der andere Pompeius, so nennt ihn die Geschichte. Der war ein ehrenhafter, stolzer Mann, nicht der, der vor Julius (Caesar) früher einst aus Rom geflohen war. Der König Nebukadnezar war der Bruder seiner Mutter, der in lügenhaften Büchern gelesen hatte, er selbst sei ein Gott. Darüber würden die Leute heute lachen. Über die Namensverwandtschaft des römischen und ägyptischen Pompeius werden die umkämpften Gebiete mit heilsgeschichtlicher Bedeutung aufgeladen. Spätestens mit der Anspielung auf Nebukadnezar wird die Erinnerung an die Großreiche wachgerufen, deren Sukzession auch im Grabmal des Evilmerodach anklingt. Doch anders als die Eroberungszüge Alexanders hat Gahmurets Einsatz vor Bagdad keine historische Relevanz, haben die Machtverhältnisse sich doch längst verschoben. Sein Handeln ist allein von dem heroischen Bestreben geleitet, den prîs seines Rittertums zu vergrößern. In der Beschreibung von Gahmurets Grabmal dominiert indes die generationelle Folge innerhalb eines Geschlechts. Dabei werden keine äußeren Herrschaftsinsignien übertragen, sondern Wesenseigenschaften, genauer: Gahmurets viel zitierte art. Dreifach wird im Epitaph 49 Nach Lachmanns Interpunktion, die die Klammer bereits hinter v. 102, 2 Jûlius dâ bevor enden lässt, ist Nebukadnezar der Onkel des ägyptischen Pompeius (bei Babylon handelt es sich vermutlich um das ägyptische Alt-Kairo). Dieser Lesart folgt auch Haubrichs und bezieht die Vergottung Gahmurets auf die Erwähnung im Buch Daniel, Nebukadnezar habe eine goldene Statue errichten lassen und verlangt, dass man ihr göttliche Ehren erweise. Während sich Nebukadnezars Freunde verweigern, wird Gahmuret von allen › Heiden ‹ vergottet. Dadurch »gewinnt«, so Haubrichs, »die umfassende Vollkommenheit Gahmurets [. . .] eine heilsgeschichtliche Qualität. Für die Heidenschaft ante gratiam ist mit Gahmuret die höchste Stufe weltlicher Vollkommenheit erreicht.« (Haubrichs 1996, S. 152). Lässt man die Klammer hingegen hinter v. 102, 8 enden, so ist Nebukadnezar der Onkel des römischen Pompeius, ein Fehler, der mutmaßlich aus einer missverständlichen Formulierung der › Kaiserchronik ‹ herrührt (vgl. dazu den Stellenkommentar zu Nabchodonosor (102, 4) in der Ausgabe von Nellmann 2006, S. 508). Die Parallele zu Nebukadnezar ergibt sich trotzdem, allerdings mit dem Unterschied, dass Gahmuret k e i n Held der v o r c h r i s t l i c h e n Zeit ist und auch k e i n e h e i l s g e s c h i c h t l i c h e Relevanz besitzt. Die Vergottung wirft vor der Folie des Buch Daniel indes ein noch schlechteres Licht auf die › Heiden ‹ , die in der Zeit n a c h Christi Geburt tun, was die Beamten Nebukadnezars vor Christi Geburt nicht taten, nämlich ein Abbild anzubeten. 188 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman auf seinen prîs verwiesen (vgl. Pz. 108, 12; 108, 25 f.). Diese Kumulation verdankt sich einerseits dem elogischen Duktus des Epitaphs, erinnert andererseits aber auch an seinen heroischen Geltungsdrang (vgl. Pz. 15, 25: sîns herzen gir nâch prîse greif ). Zudem wird seine Hingabe im Minnedienst erwähnt (vgl. Pz. 108, 20). Explizit wird die Wesenstransmission zum einen in der epitaphischen Vorausdeutung auf den noch ungeborenen Sohn Parzival. Denn die in der Prolepse angekündigte translatio wird nicht im Sinne einer Übertragung von Reich und Herrschaft entworfen, sondern als Übertragung von Gahmurets ritterlichem Mut (Pz. 108, 16: ellen) und damit einer heroischen Qualität. Dass sich diese Eigenschaft auf Parzival überträgt, lässt der Erzähler schon bei dessen Geburt wissen: er wart mit swerten sît ein smit, vil fiwers er von helmen sluoc: sîn herze manlîch ellen truoc. (Pz. 112, 28 - 30) Er wurde später ein Schmied mit dem Schwert, er schlug viel Feuer aus Helmen. Sein Herz war voll männlicher Kraft. Zum anderen wird die Wesenstransmission durch die räumlich-materielle Symbolik des Grabmals geleistet. Die rote Rubinplatte, unter welcher der Held begraben liegt, lässt den äußeren Leib im Zeichen innerer Tugend erstrahlen. Dabei erinnert der balsamierte jugendliche Leib an die diaphane Persistenz eines corpus incorruptum. 50 Gahmurets leuchtende Erscheinung setzt sich sowohl in den lichten Flecken des Feirefiz als auch in der strahlenden Schönheit Parzivals, dem clâre (Pz. 118, 11; 446, 12), liehtgevar (Pz. 196, 8) und liehtgemâl (Pz. 717, 30), fort und überdauert bis zum Schluss in der Vorstellung der verwandtschaftlichen Ein-Leiblichkeit. 7.1.4 › Orient ‹ und Okzident Eine märtyrerhafte Stilisierung haftet nicht nur dem Grabmal in Bagdad an, sondern spiegelt sich auch im Umgang mit den Beweisobjekten, die die Fürsten nach Gahmurets Tod an den Hof zu Herzeloyde bringen: einen Lanzensplitter, der in Gahmurets Kopf gedrungen war, und ein blutiges Seidenhemd, das der Held als Zeichen seiner Liebe zu Herzeloyde über seinem Kettenhemd getragen hatte. Wie Berührungsreliquien »in stellvertretender Repräsentanz« für den entlegenen Körper werden sie im heimatlichen Münster beigesetzt. 51 Analog zum titulus crucis lassen sich auch hier Parallelen zum Opfertod Christi finden. So erinnert die Speerspitze 50 Vgl. Wandhoff 2006, S. 67. 51 Haubrichs 1996, S. 136; ebenso Bruno Quast: Diu bluotes mâl. Ambiguisierung der Zeichen und literarische Programmatik in Wolframs von Eschenbach Parzival. In: DVjs 77.1 (2003), S. 45 - 60, hier S. 50 f. Das Ritual ist unterschiedlich bewertet worden. Während Nellmann im Kommentar seiner Ausgabe attestiert, dass »[d]ie Beisetzung von Teilen des Körpers (z. B. des Herzens) [. . .] im Mittelalter - bei auswärtig verstorbenen Fürsten - auch sonst bezeugt [ist], keineswegs aber das hier geschilderte Verfahren« (Stellenkommentar zu bluot (112, 1) in Nellmann 2006, S. 513), hat sich Hartmann dezidiert gegen die Interpretation Gahmurets als Märtyrer ausgesprochen. Er übersetzt das Verb bestaten im Sinne von › deponieren ‹ und verweist darauf, dass »[d]ie Anbringung von Waffen und Rüstungsteilen über dem Grab eines adeligen Verstorbenen (sogenannte › Funeralwaffen ‹ ) [. . .] seit dem frühen 13. Jahrhundert in Europa vielerorts üblich [war]« (Heiko Hartmann: Gahmurets sper und bluot. Zu › Parzival ‹ 111, 30 ff. In: ZfdPh 123.1 (2004), S. 118 - 123, hier S. 123); Gahmuret werde folglich nicht als Märtyrer sondern als ruhmreicher Landesherr im heimatlichen Münster bedacht. Mir scheint, dass hier sehr wohl martyriologische Konnotationen anklingen dürfen, wenngleich Gahmuret nicht im eigentlichen Sinne ein Märtyrer ist - sie erklären sich aus seiner präfigurativen Funktion für die Gralsherrschaft von Parzival. 7.1 Sepulkrale Präfiguration in Wolframs von Eschenbach › Parzival ‹ 189 an die Heilige Lanze und das Blut (an Speer und Hemd) wird symbolisch zum vergossenen Blut der Passion semantisiert: 52 die besten über al daz lant bestatten sper und ouch daz bluot ze münster, sô man tôten tuot. in Gahmuretes lande man jâmer dô bekande. (Pz. 111, 30 - 112,3) Die höchsten Fürsten aus dem ganzen Land bestatteten den Speer und auch das Blut im Münster, wie man es mit den Toten macht. Im Lande des Gahmuret gab man Trauer zu erkennen. Die Zeichen des Martyriums sind unverkennbar, doch haftet ihnen ein entscheidender Makel an: Gahmuret ist zwar ein christlicher Held, aber weder ein Märtyrer noch ein Kreuzfahrer. 53 Wohl ist die Beschreibung der › Orientfahrt ‹ von den politischen Ereignissen des 12. und beginnenden 13. Jahrhunderts geprägt. Nach der militärischen Niederlage der Kreuzfahrer in der Schlacht von Hattin 1187 und dem Verlust des Königreichs Jerusalem sowie der Jerusalemer Heiligkreuzreliquie war die Wiedergewinnung des Kreuzes zu einem gleichberechtigten Kriegsziel neben der Rückeroberung Jerusalems und des Heiligen Grabes geworden. Dementsprechend hat J ASPERT auf der Grundlage von Pilgertestamenten festgestellt, dass die Heiligkreuzfrömmigkeit an der Wende zum 13. Jahrhundert zunahm. 54 Wie einen Kreuzfahrer zieht es auch Gahmuret, als der Vater stirbt und dem älteren Bruder das Reich zufällt, in die fremde Welt hinaus. Es treibt ihn weder die finanzielle Not (denn der erstgeborene Bruder bietet 52 Zu den motivischen Äquivalenzbeziehungen von bluot und sper vgl. Joachim Bumke: Die Blutstropfen im Schnee. Über Wahrnehmung und Erkenntnis im › Parzival ‹ Wolframs von Eschenbach. Tübingen 2001 (Hermaea 94), S. 60 f. sowie Quast 2003, der auf die Verschiebung des realsymbolisch mythischen Zeichenbegriffs, wie er sich an Gahmurets blutigem Hemd und Lanzensplitter beobachten lässt, zu einem neuen literarisch-mythischen Zeichenbegriff hingewiesen hat. Jener neue Zeichenbegriff, der durch die Ambiguisierung zeichenhafter Präsenz und Repräsentation gekennzeichnet ist, begegne erst in der Parzival-Handlung und bilde u. a. die Grundlage für das Lanzenschauspiel in Munsalvaesche. In diese Deutung ließe sich auch Gahmurets Grab im › Orient ‹ einbeziehen, dessen metonymische Substitutionsleistung hinter der diaphanen Vermittlung der Realpräsenz des Verstorbenen unter der Sargplatte zurücktritt. 53 Groos liest die Gahmuret-Episode vor dem Hintergrund der chanson de geste und schlussfolgert, dass in der Vorgeschichte des › Parzival ‹ »a secularizing anti-crusading narrative« geboten werde, »exploring the possibilities for a European male subject to define itself in a new way in a distant geopolitical space« (Groos 2004, S. 66). Dass ein enger Bezug zur chanson de geste besteht, beweist zuvorderst eine Anspielung auf Gahmurets Grab in Wolframs › Willehalm ‹ . Dabei wird die kostspielige Todesmemoria als Kontrastfolie für den Tod von Vivianz herangezogen, den Willehalm unbestattet zurücklassen muss (Wh. 73, 21 - 74,1). Fischer hat die These aufgestellt, dass beide Todessituationen als rituell defizitär aufgefasst würden - auch Gahmurets, weil er auf › heidnischer ‹ Erde verbleibt. Gleichsam als »Hüter der Memoria« würde Willehalm diese Defizite beseitigen und »durch die Sorge um die Toten beider Seiten eine potentiell neue Gemeinschaft der Lebenden mit den Toten [stiften]« (Hubertus Fischer: Tod unter Heiden. Gahmuret und Vivianz. In: Susanne Knaeble u. a. (Hg.): Gott und Tod in der höfischen Kultur des Mittelalters. Berlin/ Münster 2011 (Bayreuther Forum Transit 10), S. 135 - 148, hier S. 143). Mir scheint, dass die Anspielung auf die prächtige Bestattung Gahmurets im › Willehalm ‹ eher darauf abzielt, die Beziehung zwischen dem Baruc und Gahmuret als ein Beispiel höfischer Interaktion auszuweisen, nach deren Logik sich das Grabmal als letztmögliche Gegengabe erweist, die der Baruc dem christlichen Helden für dessen Einsatz bieten kann. 54 Vgl. Nikolas Jaspert: Das Heilige Grab, das Wahre Kreuz, Jerusalem und das Heilige Land. Wirkung, Wandel und Vermittler hochmittelalterlicher Attraktoren. In: Thomas Pratsch (Hg.): Konflikt und Bewältigung: die Zerstörung der Grabeskirche zu Jerusalem im Jahre 1009. Berlin 2011, S. 67 - 96, hier S. 88 - 90. 190 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman ihm als Hausgenosse die Möglichkeit, ein standesgemäßes Leben in der Heimat Anjou zu führen) noch sind es Glaubensfragen, vielmehr ist es sein herze, das nâch h œ he strebet (Pz. 9, 23). Er verlässt Frankreich und begibt sich zum Baruc nach Bagdad, denn nur dem Höchsten aller Könige will er dienen: 55 doch wânde der gefüege, daz niemen krône trüge, künec, keiser, keiserîn, des messenîe er wolde sîn, wan eines der die h œ hsten hant trüege ûf erde übr elliu lant. (Pz. 13, 9 - 14) Doch dachte der geschickte Mann, dass er bei keinem, der eine Krone trüge, König, Kaiser, Kaiserin, Dienstherrn sein wollte, es sei denn bei dem, der die höchste Macht auf Erden über alle Länder hätte. In dieser Formulierung klingt ein hagiographisches Motiv an, wie es aus der Christophorus- Legende bekannt ist. 56 Zu erwarten wäre eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Macht und Glauben, doch anders als Christophorus gelangt Gahmuret nicht zu der Einsicht, dass er sich statt in den Dienst des mächtigsten Herrschers und geistlichen Oberhaupts der › Heiden ‹ in den Dienst eines christlichen Regenten stellen könnte. 57 Zwei Mal kämpft er für den Baruc gegen die Brüder Pompeius und Hippomidon aus Babylon, die der › heidnische ‹ Herrscher zu Unrecht um das Erbe der Stadt Ninive gebracht hat. Trotzdem werden Gahmurets Feldzüge mithilfe der symbolischen Grabarrangements nachträglich zu einer peregrinatio 55 Vgl. die Formulierung der Christophorus-Legende nach Legenda Aurea, LA 100, 1294/ 430 Gr.: [. . .] Qui, ut in quibusdam gestis suis legitur, cum staret cum quodam rege Cananaeorum, venit sibi in mentem, ut m a i o r e m p r i n c i p e m , qui in mundo esset, quaereret et ad eundem secum moraturus accederet. 56 Die berühmte Vorgeschichte ( › Christusträger-Legende ‹ ) der Christophorus-Passion, die auch in die Erzählung der › Legenda Aurea ‹ eingegangen ist, laut welcher der Riese nur dem Mächtigsten habe dienen wollen, reicht nach Rosenfeld nicht über das 13. Jahrhundert zurück (er kritisiert damit die frühe Datierung des Christophorus A durch Richter), vgl. Hans-Friedrich Rosenfeld: Der heilige Christophorus. Helsinki/ Leipzig 1937 (Acta Acad. Aboensis Humaniora X 3), S. 367 f. Demzufolge ist keine deutschsprachige Christophorus-Bearbeitung überliefert, auf die Wolfram sich hätte bezogen haben können. Im Unterschied zur Bearbeitung des › Passionals ‹ , die sich an die › Legenda Aurea ‹ anlehnt, handelt es sich bei den drei bekannten mhd. Versbearbeitungen jedoch um eine ältere Form der Legende, die wohl teils direkt, teils indirekt auf eine in Deutschland einst verbreitete lateinischen Urfassung zurückgehen, vgl. ders.: Art. › Christophorus ‹ , in: VL, Bd. 1, hg. v. Kurt Ruh u. a. Berlin/ New York 1978, Sp. 1230 - 1234. Es ist also trotz fehlender Zeugnisse denkbar, dass Wolfram sich hier auf die Legende des Christusträgers bezieht. 57 Zu welchen Absichten und mithilfe welcher Verfahren geistliche und weltliche Gehalte im › Parzival ‹ überblendet werden, stellt eine grundlegendes Desiderat der Forschung dar. Anknüpfend an Stephan Fuchs-Jolies Überlegungen zu Metapher und Metonymie bei Wolfram hat jüngst Coralie Rippl die Bildsprache und ihre Responsionen auf der Handlungsebene am Beispiel der Sigune-Episoden im › Parzival ‹ und › Titurel ‹ untersucht. In ihrem Beitrag zeigt sie, wie der Eindruck eines »Hinauswachsens [der Figur] ins Transzendente« bei gleichzeitigem äußeren Verfall gezielt durch die rezeptionslenkende Metaphorik des Wachsens und Blühens evoziert wird (vgl. Coralie Rippl: Erbaulicher Verfall? Interferenzen von höfischer Minne und christlicher Ehe-Allegorese am Beispiel Sigunes in Wolframs › Parzival ‹ und › Titurel ‹ . In: Susanne Köbele u. Claudio Notz (Hg.): Die Versuchung der schönen Form. Spannungen in › Erbauungs ‹ -Konzepten des Mittelalters. Göttingen 2019 (Historische Semantik 30), S. 199 - 244, hier S. 218.) Der subtilen, durch Metaphern gestützten Vermittlung einer ars humilis, »welche die wahre Schönheit im hier und jetzt Unsichtbaren, im Inneren [Sigunes] lokalisiert« (ebd., S. 229), ist die Unterminierung des hagiographischen Lebensmodells des Christophorus in der Gahmuret-Handlung entgegengesetzt. Während Sigune ihre Schönheit, ihre varw unde kraft (Tit. 235,5) nach und nach verliert, erst hinter der Mauer einer Klause, schließlich im Sarg Schionatulanders verschwindet, bietet Gahmurets Körper selbst im Tode noch einen strahlenden Anblick. 7.1 Sepulkrale Präfiguration in Wolframs von Eschenbach › Parzival ‹ 191 stilisiert, die im Zeichen der Kreuzfrömmigkeit steht. Die ihm eigene, rastlose Ruhmbegierde und seine Siege in Nordafrika und Vorderasien werden so für die Nachwelt im Emblem des grünen Kreuzes aufgewertet. Für seinen heldenhaften Mut wird er auch von den Andersgläubigen bewundert und nach seinem Tode sogar von ihnen vergöttert: ez betent heiden sunder spot an in als an ir werden got, niht durch des kriuzes êre noch durch des toufes lêre, der zem urteillîchen ende uns l œ sen sol gebende. (Pz. 107, 19 - 24) Die Heiden beten Gahmuret ernsthaft als ihren edlen Gott an, aber nicht aus Verehrung für das Kreuz oder aufgrund der Lehre der Taufe, die uns am Jüngsten Tag von allen Banden lösen wird. Das Grabmal in Bagdad fungiert damit zwar als gemeinsamer Gedenkort von Christen und › Heiden ‹ , doch ist dieTotenmemoria offensichtlich von unterschiedlichen religiösen Anschauungen bestimmt. Weil sich dessen Bestandteile nicht ausschließlich christlichen oder › heidnischen ‹ Vorstellungen und Praktiken zuordnen lassen, ist Gahmurets Grabmal in der Forschung als hybrider Aushandlungsort für interkulturelle und interreligiöse Vermittlung (»third space«) bezeichnet worden. 58 So fügt sich die Ausstellung des Leichnams unter der rot transparenten Grabplatte gleichermaßen in die durch die › Sarazenen ‹ betriebene Vergottung wie auch in einen christlichen Heiligen- und Reliquienkult ein. Das Smaragdkreuz wird zwar auf Wunsch der Christen aufgestellt, jedoch ausdrücklich durch den Baruc finanziert, der damit an dem Symbol Anteil hat. 59 Diese Lesart kann ihre Gültigkeit nur isoliert auf die Gahmuretbücher beziehen. Der Verweisfunktion des Grabmals auf die Hauptgeschichte des › Parzival ‹ trägt sie indes keine Rechnung, weil sie zu räumlich-kulturell gedacht ist. Wie ich dagegen argumentieren möchte, zeigt die Sepulkralsemiose chronotopisch das Fortleben von Gahmurets art in den Söhnen an: Die Integration des › Heidentums ‹ in das Grabmal versinnbildlicht damit nicht eine interkulturelle Hybridität, sondern deutet die Konversion des Feirefiz durch den Gral voraus. Tatsächlich klingt nämlich die genealogische Semiose des Gahmuret-Grabs am Höhepunkt von Parzivals (und Feirefiz ’ ) Lebensdarstellung wieder an. Seine Ernennung durch das Epitaph des Grals ist die Antwort auf die Prolepse im Epitaph des Grabs. Sie folgt unmittelbar auf die finale Begegnung der Brüder im Wald, infolge derer die Brüder ihre verwandtschaftliche Transpersonalität und die gemeinsam ererbte art des Vaters feststellen. Im Zuge der familiären Restituierung wird Feirefiz erst in den Kreis von Artus, mit dem er väterlicherseits verwandt ist, eingeführt und durch die Taufe schließlich auch in den Kreis der Gläubigen aufgenommen. 58 Vgl. Lembke 2017, hier S. 27 f. Astrid Lembke knüpft an Beate Kellner an, die das Grabmal ebenfalls als »hybride Konstruktion« bezeichnet hat, weil es »heidnische und christliche Elemente und Ansprüche im Zeichen höfischen Prunks zu vereinen sucht«, vgl. Kellner 2009, S. 33. 59 Vgl. Lembke 2017 sowie Haubrichs 1996, S. 146 ff. u. Hartmann 2006, S. 138. Möglicherweise reminisziert die Passage auch die Legende vom schwebenden Grabmal Mohammeds, die sich infolge der polemischen Mohammed-Dichtungen Embrichos von Mainz und Walters von Compiègne im Westen verbreitete (vgl. Ratkowitsch 1993, S. 235, Anm. 39). Beide Texte enden mit dem Tod und der Vergottung Mohammeds durch das Volk. Im Unterschied zur › Vita Mahumeti ‹ , die den Stifter des Grabes als machtgierigen Zauberer ausweist, der sich die gens simplex durch Illusionskunst gefügig machen will, handelt der Baruc im › Parzival ‹ aber großzügig und im Sinne der Gefolgsleute Gahmurets, wenn er das Grab mit einem kostbaren Smaragdkreuz ausstatten lässt. 192 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman Dabei wird erneut die Symbolik des Durchscheinens aufgegriffen: Denn während der Initiation wird sein Gesicht in ein Taufbecken aus Rubin und Jaspis getaucht. Die Taufe erinnert damit an den lichthaften Einfluss des Vaters auf das › heidnische ‹ Wesen des Sohnes. In diesem Sinne verweist das Grabmal nicht nur auf Leben und Tod Gahmurets, sondern auch auf Anfang und Ende der Erzählung von Parzival. Es kündigt eine Sukzession an, die dann über die gesamte Länge des Romans auf sich warten lässt. Dabei ist das Grab in den dezidiert christlichen Sinnzusammenhang des › Parzival ‹ eingeflochten. Es stützt das Sehnsuchtsbild eines direkten Zugangs zu Gott und einer Garantie auf himmlische Seligkeit, wie sie in Parzivals Gralsherrschaft schließlich Wirklichkeit wird. Der Tod des Gahmuret bildet die erzähllogische Voraussetzung von Parzivals Triumph, der zugleich ein Triumph der Anjou ist. Insofern gleicht Gahmuret einem Märtyrer: Sein Leben ist wie das eines Märtyrers auf sein E n d e hin konzipiert. Die manifeste Auszeichnung durch göttliche Macht und Gnade erfüllt sich hingegen erst mit der Berufung des Sohns Parzival zur Gralsherrschaft. Besiegelt wird die Familiendynastie zuletzt durch die Konversion von Feirefiz, der durch das Taufwasser Zugang zur hieratischen Graphie des Grals erhält. Parzival führt den Bruder in die Geheimnisse des Glaubens ein. Mit der Restitution der verwandtschaftlichen › Ein-Leiblichkeit ‹ werden schließlich auch › Orient ‹ und Okzident unter dem Primat des Christentums zusammengeführt. Denn Feirefiz zieht nach der Taufe mit Repanse de Schoye, seiner neuen Ehefrau aus dem Geschlecht der Gralsritter, zurück in den Osten und wird in Indien zu einem christlichen Missionar mit sagenumwobener Nachkommenschaft: diu gebar sît in Indyân ein sun, der hiez Jôhan. priester Jôhan man den hiez: iemmer sît man dâ die künege liez bî dem namn belîben. Feirefîz hiez schrîben ze Indyâ übr al daz lant, wie kristen leben wart erkant: Daz was ê niht sô kreftec dâ. (Pz. 822, 23 - 823, 1) Sie gebar später einen Sohn in Indien, der Johannes hieß. Man nannte ihn Priester Johannes: Seither gibt man den Königen dort immer diesen Namen. Feirefiz ließ in ganz Indien schriftlich verbreiten, was die christliche Lebensweise ausmachte; die war bislang dort noch nicht so verbreitet. Mit dem legendären Priesterkönig Johannes, auf dessen militärische Unterstützung während der Kreuzzüge vergeblich spekuliert wurde, werden die interkulturellen Beziehungen, die Gahmuret einst im › Orient ‹ etabliert hatte, durch seine Nachkommenschaft verfestigt und auf einen einheitlichen christlichen Wertehorizont hin perspektiviert. Damit endet der Roman mit der Vorstellung, dass der › heidnische ‹ Glauben vom Christentum bestenfalls integriert, eigentlich aber überwunden werden muss. Vor diesem Hintergrund lässt sich das Grabmal des Gahmuret schwerlich als transkultureller »third space« deuten. Vielmehr symbolisiert er das Verhältnis von › heidnischem ‹ Orient und europäischer Christenheit chronotopisch: In der semiotischen Ausgestaltung des Grabmals materialisiert sich die Vorstellung einer endgültigen Heilszeit, die die Gralsherrschaft Parzivals vorwegnimmt und mit ihr auch die friedliche Integration des › Orients ‹ durch die Verbrüderung im Zeichen der christlichen Taufe. 7.1 Sepulkrale Präfiguration in Wolframs von Eschenbach › Parzival ‹ 193 7.2 Endspiel: Grabmäler als Erkenntnisproblem im › Prosa-Lancelot ‹ Die Praktik des Lesens gehört nicht zum heroischen Bewährungssystem der höfischen Epik um 1200. Während schriftgelehrte Helden im legendarischen Erzählen öfter vorkommen - so wie Gregorius, der seine Identität einer elfenbeinernen Tafel entnimmt - , gibt es kaum einen Ritter, der sich bei seinen Aventiuren ausgerechnet auf seine Schreib- oder Lesekompetenz berufen müsste. Wenn Helden schreiben, ist dies im höfischen Erzählen zumeist Ausdruck konfliktbehafteter Erzählkonfigurationen. Geheime Liebhaber etwa bedienen sich schriftlicher Kommunikation, um sich wie Flore und Blanscheflur in lateinischen Briefen ihrer gegenseitigen Liebe zu vergewissern, um wie Tristan und Isolde mit signierten Holzspänen ein Stelldichein anzuberaumen oder um einander zu warnen wie die Ehefrau ihren Liebhaber in Maries de France › Laüistic ‹ . 60 Ganz anders aber verhält es sich im › Prosa-Lancelot ‹ , denn die Schrift gehört hier dem Bereich der ritterlichen Aventiure zu. Die Erzählwelt ist nachgerade durchsetzt mit schrifttragenden Dingen: mit Wegweisern, mit hinterlassenen Briefen, mit beschriebenen Gebäuden, mit schrifttragenden magischen Artefakten und vor allem - mit Gräbern. Lancelot und die Ritter der Tafelrunde müssen l e s e n , um ihre Abenteuer erfolgreich zu bestehen. Nicht weniger zeichnet sich auch König Artus im › Prosa-Lancelot ‹ durch eine besondere Schriftaffinität aus. Denn jedes Mal, wenn die Ritter von ihren Abenteuern an den Hof zurückkehren, lässt er ihre Erlebnisse von Schriftgelehrten dokumentieren, um so das Andenken an seine Herrschaft zu bewahren. Beim deutschen › Prosa-Lancelot ‹ handelt es sich um die Übersetzung einer französischen Version des › Lancelot en prose ‹ , der vermutlich zwischen 1215 und 1230 entstanden ist. Der › Lancelot en prose ‹ steht im Kontext des Vulgata- oder Lancelot-Graal-Zyklus ’ , der auch die › Estoire del Saint Graal ‹ und die › Estoire de Merlin ‹ umfasst. 61 Autor, Übersetzer und Redaktoren sind unbekannt. Während Elspeth K ENNEDY dafür eintrat, dass eine ursprünglich vom Vulgata-Zyklus isolierte Lancelot-Erzählung durch die Verfasser der › Queste ‹ nachträglich in den Zyklus eingebunden wurde, vermutete Jean F RAPPIER in Anschluss an Ferdinand L OT einen architecte unique hinter der Trilogie, unter dessen Anweisung weitere Autoren ein integrales Gesamtkunstwerk geschaffen hätten. 62 Der Text selbst entwirft die Verfasserfiktion eines meyster Gatier Map bzw. mestre Gautiers Map (identifiziert mit dem Oxforder Erzdiakon 60 Vgl. Urban Küsters: Späne, Kreuze, Initialen: Schriftzeichen als Beglaubigungsmittel in mittelalterlichen Tristan-Dichtungen. In: Dirk Matejovski u. Friedrich Kittler (Hg.): Literatur im Informationszeitalter. Frankfurt a. M. 1996, S. 71 - 101 sowie das Kapitel zu geheimer Liebeskommunikation in Beatrice Trînca: Amor conspirator. Zur Ästhetik des Verborgenen in der höfischen Literatur. Göttingen 2019 (Aventiuren 10), S. 105 - 216. 61 Der gesamte Vulgata-Zyklus liegt vor in Heinrich Oskar Sommer (Hg.): The Vulgate Version of the Arthurian Romances, 6 Bde. Washington 1908 - 1916. Der › Lancelot en prose ‹ wird im Folgenden jedoch zitiert nach den drei maßgeblichen Ausgaben: Lancelot. Roman en prose du XIII e siècle, Bd. I - IX. Eingel., komm. u. hg. v. Alexandre Micha. Genf 1978 - 1983 (Micha, Band in römischen Ziffern und Seite); La Queste del Saint Graal. Roman du XIII e siècle. Hg. v. Albert Pauphilet. Paris 1923 (Pauphilet mit Seite und Zeile in arabischen Ziffern) und La Mort le Roi Artu. Roman du XIII e siècle. Hg. v. Jean Frappier. Genf 1954 [1936] (Frappier mit Seite, Paragraph und Zeile in arabischen Ziffern). 62 Vgl. Frappier, Jean: Le Cycle de la Vulgate. In: Ders. u. Reinhold R. Grimm (Hg.): Le roman jusqu ’ à la fin du XIIIe siècle. Heidelberg 1978 (Grundriss der romanischen Literatur des Mittelalters IV), S. 536 - 589.; besonders S. 537; Elspeth Kennedy: Lancelot do Lac. The non-cyclic Old French Prose Romance, 2. Bde. Oxford 1980 (mit Auswahlbibliogr., Glossar u. Namenindex), hier Bd. 1, S. V, Bd. 2, S. 39 - 41. 194 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman Gautier Map), der den › Prosa-Lancelot ‹ auf Anordnung von König Heinrich (identifiziert als Heinrich II. von England) verfasst haben soll. 63 Der › Prosa-Lancelot ‹ besteht aus drei Teilen: der Erzählung vom Karrenritter ( › Lancelot propre ‹ ), dem heilsgeschichtlich überformten Gralmythos ( › Queste del Saint Graal ‹ ) und der Untergangserzählung der Artuswelt ( › Mort le Roi Artu ‹ ). Mit unterschiedlichem Akzent werden darin höfische, heroische, legendarische und historiographische Erzählmuster kombiniert. Frappierend ist die Frequenz, mit der Grabmäler in allen drei Romanteilen auftreten. Sie bilden in der Tat ein »ensemble monumental« - kein anderer Roman des hohen Mittelalters enthält auch nur annähernd so viele Gräber wie der › Prosa-Lancelot ‹ . 64 Die Forschung hat zwar öfter ihre narrative Funktion hervorgehoben, bislang aber übersehen, wie die zeichenhafte Qualität und die textintern reflektierte Bedeutung der Grabmäler in den drei Romanteilen variiert. 65 Während im ersten und zweiten Teil Grabmäler dominieren, die der Vergangenheit entstammen und darum entdeckt, geöffnet und interpretiert werden müssen, werden die Grabmäler des dritten Teils, der › Mort Artu ‹ , in Kamalot neu errichtet und beschriftet. In ihnen manifestiert sich der finale Untergang des Königreichs. Die sich im erzählerischen Zusammenhang vollziehende Umdeutung der Sepulkralarrangements steht im Zentrum der abschließenden zwei Analysekapitel. Der von Walter H AUG entliehene Titel › Endspiel ‹ , der auf den Untergang der Artusgesellschaft in der › Mort Artu ‹ Bezug nimmt, erweist sich dafür als passend. Das Kapitel bildet den Schlusspunkt der vorliegenden Studie nämlich nicht zufällig. Vielmehr kann der Text aufgrund seiner hybriden Anlage eine Zusammenschau vieler bisher berührter Aspekte bieten. In Anlehnung an die untersuchten Funktionen von Grabmälern und Grabinschriften im hagiographischen, höfischen und historiographischen Erzählen soll hier die These vorangestellt werden, dass die Umdeutung der Grabmäler im › Prosa-Lancelot ‹ gerade aus der produktiven Überlagerung der darin konkurrierenden Erzähltraditionen resultiert. Zudem reflektiert derText in exzeptioneller Weise auf die Zeichenhaftigkeit der verschiedenen am Grabmal beteiligten Systeme Schrift und Materialität (bildliche Grabdarstellungen kommen hingegen weniger zum Tragen), wobei die Semiose stets in Abhängigkeit vom Erkenntnisvermögen der Zeichenbenutzer entworfen wird. Es gehört zu den Konventionen der germanistischen › Prosa-Lancelot ‹ -Forschung, sich für die Wahl des Gegenstands zunächst zu entschuldigen. Denn die deutsche Übertragung genießt keineswegs den Status einer eigenständigen Bearbeitung, auch wenn die von Hans-Hugo S TEINHOFF übersetzte und kommentierte Edition K LUGES diesen Eindruck leicht entstehen lassen könnte. 66 Nachdem zuerst Ulrich W YSS dazu angehalten hatte, »den › Lancelot en prose ‹ als 63 Zu den chronologischen Problemen der Verfasserfiktion vgl. Rachel Raumann: Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue und im › Prosa-Lancelot ‹ . Tübingen/ Basel 2010 (Bibliotheca Germanica 57), S. 163 - 175. 64 Helen Solterer: Conter le terme de cest brief: L ’ inscription dans La Mort le Roi Artu. In: Charles Foulon (Hg.): Actes du 14 e Congrès international arthurien: Rennes, 16 - 21 août 1984. Rennes 1984, S. 558 - 568, hier S. 558. 65 Das liegt u. a. daran, dass die Funktion von Grabmälern und Grabinschriften zumeist nur im Kontext von je einem der drei Romanteile bestimmt wurde. Eine umfassende Untersuchung, die dem Vorkommen von Grabmälern in allen drei Romanteilen Rechnung trägt, liegt indes nicht vor. 66 Die Ausgabe wird auch im Folgenden zugrunde gelegt: Prosalancelot. Nach der Heidelberger Handschrift Cod. Pal. germ. 147. Hg. v. Reinhold Kluge, ergänzt durch die Handschrift Ms. allem. 8017 - 8020 der Bibliothèque de l ’ Arsenal Paris. Übers., komm. u. hg. v. Hans-Hugo Steinhoff. Frankfurt a. M. 1995 - 2004 (Bibliothek Deutscher Klassiker. Bibliothek des Mittelalters 14 - 18). Die drei Bände - Lancelot und 7.2 Endspiel: Grabmäler als Erkenntnisproblem im › Prosa-Lancelot ‹ 195 Werk der französischen Literatur ernst zu nehmen«, 67 wurden weitere Einwände gegenüber einer germanistischen Vereinnahmung des › Prosa-Lancelot ‹ erhoben. Unter anderem hat man den schmalen Überlieferungsbefund problematisiert, 68 die formal-ästhetische Sonderstellung des Textes 69 oder auch fehlende intertextuelle Bezugnahmen der deutschen mittelalterlichen Literatur auf den › Prosa-Lancelot ‹ hervorgehoben. 70 Der zunächst nur auf Hypothesen begründete Vorwurf, die deutsche Übertragung zeichne sich durch eine starke Abhängigkeit von ihrer französischen Vorlage aus, wurde schließlich durch die Arbeit von Thordis H ENNINGS erhärtet. 71 Sie konnte nachweisen, dass die altfranzösische Handschrift B. N. 751 (O) eine wichtige Vorlage für die Episode › Zweite Reise nach Sorelois ‹ / › Doppelte Ginover ‹ des › Lancelot propre ‹ darstellt. Als Ergebnis ihrer Untersuchung sieht sie S TEINHOFFS Urteil bestätigt, »daß der mhd. › Prosa-Lancelot ‹ › keine originäre Schöpfung [. . .], auch keine wirklich eigenständige Bearbeitung, sondern › nur ‹ eine Übersetzung seiner altfranzösischen Vorlage ist ‹ «. 72 Ferner kommt hinzu, dass die Erweiterungen des Vulgata-Zyklus (die › Estoire del Saint Graal ‹ und die › Estoire de Merlin ‹ ) im deutschsprachigen Raum nicht mitrezipiert wurden, ebenso wenig wie Chrétiens deTroyes › Le Chevalier de la charrette ‹ (1177 - 1181), eine Lancelot-Bearbeitung, die »als Ergänzungs- oder Konkurrenzunternehmen« zum › Lancelot en prose ‹ gelten kann. 73 Einzige Ausnahme stellt der › Lanzelet ‹ Ulrichs von Zatzikhoven dar, dessen Vorlage - das welsche buoch von Lanzelete - im Zusammenhang mit Chrétiens Romanen diskutiert wird. 74 Ginover I und II, Lancelot und der Gral I und II sowie die Suche nach dem Gral und Der Tod des König Artus - werden zitiert als: LuGin, LuGral und Suche mit Seiten- und Zeilenangaben. 67 Ulrich Wyss: Rezension Wolfram-Studien IX (1984). In: PBB 111 (1989), S. 481 - 488, hier S. 187 f. 68 Gegenüber den fast hundert französischen Manuskripten aus dem 13. - 15. Jahrhundert sind vom deutschen › Prosa-Lancelot ‹ nur zwölf Handschriftenzeugen und Fragmente überliefert. 69 Der deutsche Prosaroman konnte sich erst im 15. und 16. Jahrhundert durchsetzen. Die › Prosa-Lancelot ‹ - Fragmente des 13. Jahrhunderts stellen somit eine literaturgeschichtliche Besonderheit dar. Heinzle hat einen Zusammenhang zwischen dem Erscheinen des › Prosa-Lancelot ‹ und der volkssprachigen Rechtsliteratur in Prosa wie auch den Prosatexten der neuen geistlichen Literatur des 13. Jahrhunderts erwogen, die durch den Einfluss der religiösen Laienbewegungen des hohen Mittelalters entstanden war. Vgl. Joachim Heinzle: Zur Stellung des Prosa-Lancelot in der deutschen Literatur des 13. Jahrhunderts. In: Friedrich Wolfzettel (Hg.): Artusrittertum im späten Mittelalter. Ethos und Ideologie. Vorträge des Symposiums der deutschen Sektion der Internationalen Artusgesellschaft vom 10. bis 13. November 1983 im Schloß Rauischholzhausen (Universität Gießen). Gießen 1984, S. 104 - 113. 70 Vgl. Wyss 1989; Walter Blank: Zu den Schwierigkeiten der Lancelot-Rezeption in Deutschland. In: Martin H. Jones u. Roy Wisbey (Hg.): Chrétien de Troyes and the German Middle Ages. Papers from an International Symposium. Cambridge/ London 1993 (Arthurian Studies 26), S. 121 - 136; Ulrich Wyss: Auf der Suche nach dem arthurischen Prosaroman im deutschen Hochmittelalter. In: Ingrid Kasten (Hg.): Kultureller Austausch und Literaturgeschichte im Mittelalter. Kolloquium im Deutschen Historischen Institut Paris 16. - 18.3.1995. Sigmaringen 1998, S. 215 - 228; Jürgen Wolf: Lancelot - kein Held für deutsche Höfe? In: Klaus Ridder u. Christoph Huber (Hg.): Lancelot. Der mittelhochdeutsche Roman im europäischen Kontext. Tübingen 2007, S. 267 - 280, besonders S. 268 - 272. 71 Vgl. Thordis Hennings: Altfranzösischer und mittelhochdeutscher › Prosa-Lancelot ‹ . Übersetzungs- und quellenkritische Studien. Heidelberg 2001 (Beiträge zur älteren Literaturgeschichte). 72 Hennings 2001, S. 436. Zitat im Zitat: Steinhoff 1995, S. 774. 73 Wolf 2007, S. 268. 74 Vgl. Klaus Grubmüller: Die Konzeption der Artusfigur bei Chrestien und in Ulrichs › Lanzelet ‹ : Mißverständnis, Kritik oder Selbständigkeit? Ein Diskussionsbeitrag. In: M. H. Jones u. R. Wisbey (Hg.): Chrétien de Troyes and the German Middle Ages. Cambridge-London 1993 (Arthurian Studies 26), S. 137 - 149, hier S. 137 - 141. 196 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman Der Einwand, man möge die Stellung des › Prosa-Lancelot ‹ in der deutschsprachigen mittelalterlichen Literaturlandschaft nicht überbewerten, ist gewiss berechtigt. Zugleich scheint es fragwürdig, den Roman allein aufgrund fehlender (origineller) Handschriftenbelege aus der deutschen Literaturgeschichte zu verbannen. Nach wie vor ist zudem unbekannt, warum der Text - abgesehen von zwei Fragmenten des › Lancelot propre ‹ aus dem 13. Jahrhundert - erst über hundertfünfzig Jahre nach seiner Entstehung vollständig ins Deutsche übertragen wurde. 75 Nach formalen Gesichtspunkten lässt sich das mit dem verspäteten Aufkommen von Prosaliteratur im deutschsprachigen Raum begründen; es erklärt aber nicht, warum es auch vorher im deutschen Sprachraum keine höfischen Adaptionen des weit verbreiteten altfranzösischen Lancelot-Stoffs gegeben hat. 76 In Bezug auf die motivische Einbettung der Gräber fällt auf, dass im › Lancelot propre ‹ und der › Queste ‹ ein legendarisches Erzählmuster Anwendung findet, demgemäß die Öffnung eines Grabmals und die Erlösung des darin befindlichen Verstorbenen zur Bewährungsprobe eines Heiligen gereichen kann. Solche › Grabaventiuren ‹ kommen in den Romanen Gottfrieds, Hartmanns oder Wolframs noch nicht vor. Eine › Grabaventiure ‹ begegnet aber in der höfisch überformten Georgslegende Reinbots von Durne (um 1250) und wird darin gar als Unterhaltungsspiel angekündigt: 77 Georg soll vor versammeltem Hofstaat eine Probe seines Könnens bieten, indem er einen über 300 Jahre alten Sarges öffnet, die darin Bestatteten erneut zum Leben erweckt und tauft. Viel radikaler dagegen ist die Verwendung des Motivs im › Prosa- Lancelot ‹ . Hier wird die Graböffnung eng mit dem thematischen Konnex von Herkunft, Identität und Bewährung verknüpft. 78 Denn Lancelot stößt nicht nur auf die Gräber seiner Vorfahren, sondern auch auf sein e i g e n e s Grab, in dem ihm auf einer im Inneren befindlichen Schrift sein Name und seine Herkunft offenbart werden. Zudem sind die Gräber mit einem Zauber belegt und können nur von demjenigen Nachfahren Josephs von Arimathia geöffnet werden, dem es aufgrund seiner Unbeflecktheit zusteht, auch das letzte aller 75 Die erste überlieferte Gesamthandschrift, die Heidelberger Handschrift P [cpg 147], datiert ins dritte Viertel des 15. Jahrhunderts. Nur die beiden Fragmente M [cgm 5250] und A [Amorbacher Pergamentstück] gehen auf das 13. Jahrhundert zurück. Belegt ist für das 13. Jahrhundert folglich nur die Übersetzung des › Lancelot propre ‹ . Vgl. Hans-Hugo Steinhoff: Zur Entstehungsgeschichte des deutschen Prosa- Lancelot. In: Peter F. Ganz u. Werner Schröder (Hg.): Probleme mittelalterlicher Überlieferung und Textkritik: Oxforder Colloquium 1966. Berlin 1968, S. 81 - 95 sowie Uwe Ruberg: › Lancelot ‹ ( › Lancelot- Gral-Prosaroman ‹ ). In: Kurt Ruh u. a. (Hg.): VL, Bd. 5. Berlin/ New York 1985, Sp. 530 - 546. Während Blank die Rezeptionsschwierigkeiten mithilfe eines Modells der › besetzten Felder ‹ beschrieben hat, machte Wolf sozialhistorische und kulturspezifischen Gründe dafür verantwortlich, dass der Lancelot-Stoff sich an deutschen Höfen nicht durchgesetzt hat, vgl. Wolf 2007, besonders S. 270 f. und 275. 76 Der altfranzösische › Lancelot en prose ‹ ist in 93 Handschriften und Fragmenten überliefert. Micha vermutet allerdings, dass es zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert noch viel mehr Abschriften gegeben hat, vgl. Alexandre Micha: Les manuscrits du Lancelot en prose. In: Romania 81.322 (1960), S. 145 - 187. 77 In der betreffenden Passage fordert König Dacian Georg zur Sargprobe heraus: nu tuot durch iuwer hövescheit | ein dinc des ich iuch bitten wil. | machet disen herrn ein spil, | sô sît ir wîse und kârc. | ez ist hie ein sch œ ner sarc, | und ûzen ist geschriben dran | › ez sî wîp oder man, | daz sol mich niender rüeren, | noch über ein zefüeren. ‹ | türret ir in zerbrechen, | sô will ich wol sprechen | daz ir sît ein küener man. | dâ lît grôziu rîcheit an. Zitiert nach Reinbot von Durne: Der Heilige Georg. Hg. v. Carl von Kraus. Heidelberg 1907, vv. 5078 - 5090. 78 Zur Bedeutung des Namens in der höfischen Epik vgl. Jan-Dirk Müller: Höfische Kompromisse. Acht Kapitel zur höfischen Epik. Tübingen 2007, S. 170 - 224, zur Namenssuche im › Lanzelet ‹ S. 186 - 194, zum verweigerten Namen im › Prosa-Lancelot ‹ S. 205 - 215. 7.2 Endspiel: Grabmäler als Erkenntnisproblem im › Prosa-Lancelot ‹ 197 Abenteuer, die Rückführung des Grals in den Osten, zu beenden. Da Lancelot sich einer geheimen Liebschaft mit Königin Ginover hingibt, verliert er seine Auszeichnung als bester Ritter. Im Unterschied zur Funktion von Grabaventiuren im hagiographischen Erzählen, die Heiligkeit einer Figur zeichenhaft zu affirmieren, wird in den Grabaventiure-Episoden des › Prosa-Lancelot ‹ somit das S c h e i t e r n des Helden vorweggenommen. Solche Beobachtungen können, wie ich glaube, zu einer genaueren Einschätzung der Idiosynkrasien des › Prosa-Lancelot ‹ beitragen, vielleicht sogar zu einem differenzierteren Urteil darüber, weshalb die Erzählweise des › Prosa-Lancelot ‹ (in-)kompatibel mit den Rezeptionsgewohnheiten des deutschsprachigen Publikums im hohen und späten Mittelalter gewesen ist. In diesem Sinne teile ich die Auffassung neuerer germanistischer Beiträge zum › Prosa-Lancelot ‹ , der Text habe »als gleichberechtigte Redaktion innerhalb des französischdeutschen Textcorpus« zu gelten. 79 Unter dieser Prämisse nämlich kann die Germanistik - sofern sie die romanistischen Forschung miteinbezieht und alle wesentlichen Befunde gegenüber der altfranzösischen Vorlage absichert - die benachbarten Disziplinen trotz ihrer › uneigenständigen ‹ Textgrundlage bereichern. 7.2.1 Das Grabmal als Aventiure Beschrifteten Dinge haben im Erzählraum des › Lancelot propre ‹ eine handlungsmotivierende Funktion. Mahnende Inschriften auf Wegweisern (Pforten, Felsen oder Kreuzen) besetzen häufig Übergangs- oder Schwellenräume und schirmen gefährliche Abenteuerorte sichtbar nach außen hin ab. Da die Warnungen jedoch gerade den Ehrgeiz der abenteuerlustigen Ritter der Tafelrunde anstacheln, ziehen sie ihre Leser vielmehr an als sie abzuschrecken. Bei den Inschriften, die den Aventiureraum als Zeichen- und Orientierungssystem durchziehen, lassen sich zwei Gruppen ausmachen, die sich hinsichtlich ihres Adressatenkreises unterscheiden: Während zahlreiche Wegweiser das christliche homo viator -Motiv imitieren, indem sie eine als Kollektiv gedachte reisende Ritterschaft apostrophieren, 80 richten sich die Sepulkralinschriften nur an einen auserwählten Ritter, dem die größte aller Aventiuren zugedacht ist. Wie es anfangs scheint, ist Lancelot jener beste Ritter, der die Grabaventiuren beenden kann und sich damit für die Gralsuche qualifiziert. Denn schon bevor er die Gräber entdeckt, tritt er durch einen besonderen Umgang mit Schriftlichkeit in Erscheinung. Dafür seien zwei Beispiele angeführt: 1. Nach seinem Aufenthalt auf Burg Corbenic widmet sich Lancelot der Suche nach Lionel und gelangt zu einem dichten Wald, an dessen Rand eine Kapelle mit einem Friedhof 79 Cornelia Reil: Liebe und Herrschaft. Studien zum altfranzösischen und mittelhochdeutschen Prosa- Lancelot. Tübingen 1996, S. 10. Mit ihrer Auffassung schließt Reil an Michael Waltenberger: Das große Herz der Erzählung. Studien zu Narration und Interdiskursivität im › Prosa-Lancelot ‹ . Frankfurt a. M. 1999 (Mikrokosmos 51), S. 17 an. Vgl. ferner Hans-Hugo Steinhoff: Rezension zu: Thordis Hennings, Altfranzösischer und mittelhochdeutscher Prosa-Lancelot. Übersetzungs- und quellenkritische Studien (Beiträge zur älteren Literaturgeschichte). Heidelberg 2001. In: ZfdA 132 (2003), S. 517 - 523, hier S. 523; Corinna Biesterfeld: Moniage - Der Rückzug aus der Welt als Erzählschluß. Untersuchungen zu › Kaiserchronik ‹ , › König Rother ‹ , › Orendel ‹ , › Barlaam und Josaphat ‹ , › Prosa-Lancelot ‹ . Stuttgart 2004, S. 115; Christiane Witthöft: Vertreten, ersetzen, vertauschen. Phänomene der Stellvertretung und der Substitution im › Prosalancelot ‹ . Berlin/ Boston 2016 (Hermaea 141), S. 23. 80 Vgl. dazu Wolfgang Harms: Homo viator in bivio. Studien zur Bildlichkeit des Weges. München 1970 (Medium Aevum / Philologische Studien 21), besonders S. 250 - 267. 198 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman steht. Vor der Kirchentür erblickt er ein marmornes Kreuz und auf der Wand darüber eine Inschrift: »O du ritter und alle die ritter die dißen weg herkoment, abenture zu súchen, und der nit sterben will sol vermyden dißen weg, wann du darvon nit magst sunder schande und mercklichen schaden libs und eren noch sunder dem tode! « (LuGral I, S. 580, 15 - 19). Ein Knappe erkundigt sich, ob Lancelot den Inhalt der Inschrift (den brieff ) verstehe. Lancelot bejaht die Frage und will den Wald dennoch betreten. Wie der Einsiedler berichtet, steht die Inschrift schon seit sechs Jahren an ihrem Ort, in den vergangenen zwei Jahren seien zudem mehr als 150 Ritter im Wald verschwunden. Den Autor der Inschrift kann er auf Lancelots Nachfrage nicht benennen. Lancelot begibt sich in den Verlorenen Wald und beendet dieAventiure vom Tanzbann. Bevor er zum Artushof zurückkehrt, lässt er einen Knappen zum Einsiedler schicken, um ihn über die Beendung der Aventiure zu informieren, damit jener die buchstaben uß dete die an den muren geschriben stunden (LuGral I, S. 688, 7). Lancelot ist folglich darauf bedacht, keine fehlleitende Inschrift zurückzulassen, nachdem der Zauber erfolgreich gebannt wurde. 2. Nach seiner Gefangenschaft bei Morgane beendet Lancelot die Aventiure der Burg Tartre. Von einem Mönch wird er über die Vorgeschichte des Gefährlichen Bergs belehrt, auf dem ein Ritter dreißig Jahre zuvor für seine Geliebte die befestigte Burg Tartre errichtet und seitdem alle Eindringlinge gewaltsam abgewehrt habe. Auch die Wege dorthin habe er unpassierbar gemacht. Nur ein enger Pfad sei zurückgeblieben, den der Burgherr mit einer warnenden Inschrift (buchstaben) versehen habe, die also sprachen, sie verbútten das nÿmands off den berg stieg (LuGral II, S. 104, 16 f.). Über dreihundert Ritter habe der Burgherr bereits getötet, die alle in der Abtei des Mönches begraben lägen. Darüber hinaus zeigt er Lancelot die Schilde der Artusritter, die in der Burg gefangen sind. Sofort macht sich der Held auf den Weg und stößt auf die angekündigte Inschrift. Der Hinweis, der sich nur teilweise mit dem Bericht des Mönches deckt, versetzt Lancelot in Erstaunen: Nicht dreißig Jahre alt, sondern nuwelichen sind die Buchstaben geschrieben. Sie berichten, die Aventiure habe seit mehr als zwanzig Jahren viele Ritter das Leben gekostet und könne erst durch denjenigen, der ist geborn von dem hohen geschlecht Davids, beendet werden (LuGral II, S. 106, 24/ 27 f.). Es scheint sich nicht mehr um die ursprüngliche Inschrift zu handeln, sondern um eine neue, die Lancelots Eroberung der Burg voraussagt. Kurz darauf trifft Lancelot auf eine Klausnerin in einer Hütte. Sie bezeichnet ihn als den besten Ritter und prophezeit, dass erTartre erlösen werde. Lancelot folgt dem Weg zur Burg und kämpft gegen den Burgherrn. Als er ihn bezwungen hat, stellt sich heraus, dass der vermeintliche Burgherr in Wahrheit sein Vetter Bohort ist, der die Aventiure ein Jahr zuvor bereits beendet und sich auf einen Eid eingelassen hatte: 81 Als Sieger musste er die Rolle des Burgherrn übernehmen und den Berg verteidigen, bis ein anderer käme, der ihn im Zweikampf besiegen würde. Die Artusritter habe er verschont und gefangen genommen, alle anderen Ankömmlinge getötet. Die verdeckt schrifft, so gesteht er schließlich, habe er selbst verfasst, damit seine Identität verborgen bliebe (LuGral II, S. 118, 21 f.). In beiden Episoden wird die Aventiure durch Inschriften gelenkt, die von Einsiedlerfiguren kommentiert, nie jedoch stringent ausgelegt werden. Lancelot stellt zurecht dieAutorschaft der Inschriften infrage. Der inschriftliche Hinweis, die Aventiure werde durch einen Ritter aus dem 81 Ähnliches widerfährt Gawan, der nach seinem Sieg den Steindamm von Norgales bewachen muss und sich in dieser Funktion auf einen Kampf mit Hektor einlässt. An Schwertknauf, Griff und den darauf stehenden Buchstaben erkennt Hektor gerade noch rechtzeitig, dass es sich bei seinem Gegner um den Gefährten Gawan handelt (vgl. LuGin I, S. 1196, 32 - 34). 7.2 Endspiel: Grabmäler als Erkenntnisproblem im › Prosa-Lancelot ‹ 199 Geschlecht Davids beendet, dem Lancelot mütterlicherseits angehört (vgl. LuGin I, S. 40, 15 f.), scheint eher mit dem Wissen der Klausnerin als dem Wissen ihres Autors Bohort zu entsprechen. Inschriften, so zeigt sich, haben autoritären Charakter, sind zugleich aber auslegungsbedürftig und nicht immer verlässlich. Lancelot erweist sich bei seinen Abenteuern als Ritter, der liest, deutet und falsche Schriftzeichen entfernt. Im Unterschied zu anderen Rittern tritt er zudem niemals als Schriftfälscher auf. Noch bevor Lancelot zur Dolorose Garde gelangt, wo ihn sein eigenes Grabmal erwartet, weist der Held seinen Knappen an, einen Monat auf ihn in einer geistlichen Niederlassung im Wald zu warten. Dort befindet sich, wie der Erzähler berichtet, das Grab Leukans, des Neffen Josephs von Arimathia (1). Von Joseph von Arimathia stamme das hohe geschlecht von Britannien ab (LuGin I, S. 414, 19 - 21). Nachdem Lancelot seinen eigenen Namen auf der Dolorose Garde entdeckt hat (2), stößt er anschließend auf weitere Gräber, die das Wissen um seine Verwandtschaftsverhältnisse sukzessive anreichern. Dazu gehören der Steinsarg Galaads I., Sohn Josephs von Arimathia (3), das brennende Grab des Simeu, eines Neffen Josephs von Arimathia (4), das Grab Galahots, Lancelots Freund (5), der Aventiuresarg auf der Gralburg Corbenic, der auf die Nachkommenschaft von Lancelots Sohn Galaad vorausweist (6) und schließlich der Sarg von König Lancelot, dem Vater Bans bzw. Großvater von Lancelot (7). Weiterhin wird von einem Grab berichtet, das sich vor dem Merlinsturm befindet (8); dieses Grab stellt einen Sonderfall dar, weil es zwar erwähnt wird, Lancelot dort aber nie hingelangt. Über das Grabmotiv wird die Vorgeschichte des › Lancelot propre ‹ nachträglich in die Erzählung integriert. Schon Jean-René V ALETTE hat die konträre Funktion von Grab- und Traummotiven im › Lancelot en prose ‹ hervorgehoben: 82 Im Gegensatz zu den zahlreichen prophetischen Zukunftsträumen öffneten die Gräber ein Fenster in die Vergangenheit und verbänden so, in ihrer medialen Funktion als › Archive ‹ , den Zeitraum derTranslation des Grals nach Britannien mit der erzählten Gegenwart Lancelots. 83 Teils werden Traumvisionen und Graböffnungen im Text aber auch eng aufeinander bezogen. In zwei Träumen wird die Öffnung der Gräber Galaads I. und Lancelots I. prognostiziert. Am Aventiuregrab von Corbenic scheinen sich die symbolischen Elemente der Traumallegorie Galahots in einem Wundergeschehen zu verlebendigen. Wie Donald M ADDOX gezeigt hat, besitzen die Ahnengrabmäler zudem eine mnemotische Funktion, 84 ihnen ist eine »peculiarly › memorable ‹ quality to a highly unique blend of locus and imagery« eingeschrieben. 85 Dabei bezieht sich M ADDOX insbesondere auf die erzählte Ikonizität und Materialität der Gräber, spart die rhetorischen Strategien der Epitaphe indes aus. Erinnerung stifteten die Gräber in doppelter Hinsicht: Textintern würden die Grab- Episoden dazu beitragen, die Frage nach Lancelots Identität und Status innerhalb seiner 82 Vgl. Jean-René Valette: La poétique du merveilleux dans le Lancelot en prose. Paris 1998, S. 416 - 424. 83 Valette hat dieses Fenster als eine Öffnung auf der Spatialachse der Erzählung (»une brèche dans l ’ assise spatiale«) beschrieben, die eine narrative Digression in die Vergangenheit der erzählten Welt ermöglicht, vgl. Valette 1998, S. 417: » [. . .] il permet au lecteur, à la faveur d ’ une glose de quelque importance, d ’ entrer en relation avec un passé d ’ outre-tombe«; zur Archivfunktion von Grabmälern vgl. auch Nikola von Merveldt: Translatio und Memoria. Zur Poetik der Memoria des › Prosa Lancelot ‹ . Frankfurt a. M. 2004 (Mikrokosmos 72), S. 149 f. 84 Vgl. Donald Maddox: › A Tombeau ouvert ‹ : Memory and Mortuary Monuments in the › Prose Lancelot ‹ . In: Keith Busby u. Catherine M. Jones (Hg.): »Por le soie amisté«. Essays in Honor of Norris J. Lacy. Amsterdam/ Atlanta 2000, S. 323 - 338. 85 Ebd., S. 330. 200 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman Ahnenreihe zu vertiefen, indem er als »tomb-visitor and officiant of significant transpositions of remains« mit der Vergangenheit seines Geschlechts konfrontiert werde. 86 Auf textexterner Ebene hingegen fungierten die Grab-Passagen »as a means of increasing the efficiency of its reader ’ s memory of a massive work of fiction«. 87 Von realen Grabinschriften, darauf hat Regine C OLLIOT hingewiesen, sind die Epitaphe des › Prosa-Lancelot ‹ sowohl in formaler als auch in thematischer Hinsicht unterschieden. 88 Denn sie beschränken sich nicht auf typische Inschriften-Formulare, sondern sind vielmehr individuell ausgestaltet. Statt die Betrachter zu christlicher Frömmigkeit anzuleiten, fordern sie zu konkreten Handlungen auf. 89 C OLLIOT machte zwei Gruppen aus, die in unterschiedlicher Weise auf ihre Betrachter einwirken: erstens die Gruppe der prophetisch-messianischen Epitaphe, die vornehmlich Lancelot und Galaad adressieren und aufgrund ihrer Anonymität Angst und Faszination ausüben, zweitens die Gruppe der Racheepitaphe (der › Mort Artu ‹ ), die der christlichen Vorstellung einer friedlichen Todesruhe diametral entgegenstehen, weil sie zum Vergeltungsschlag anstacheln. 90 Fragen nach Seelenheil und Auferstehung seien für keine der beiden Gruppen relevant; die ritterlichen Proben, zu denen die Epitaphe auffordern, würden, im Gegenteil, darauf drängen, bestimmte Taten im Diesseits zu verrichten. Von ihren Beobachtungen gelangt die Autorin zu dem etwas banalen Schluss, die Epitaphe des › Prosa- Lancelot ‹ seien als Parodie auf reale christliche Epitaphe zu verstehen. Die Grabepisoden des › Lancelot propre ‹ sollen im Folgenden in zwei Schritten analysiert werden: Der erste Abschnitt widmet sich Lancelots Entdeckung seines Namens im Grab der Dolorose Garde, der zweite Abschnitt seinen Ahnengrabmälern. Dabei möchte ich V ALETTES These vom narrativen Verweisungscharakter der Grabinschriften zuspitzen und zeigen, dass die Grabmalmotive eine wesentliche Sequenzialisierungsfunktion im episodischen Geflecht des Romans erfüllen. 91 In Anschluss an C OLLIOTS Unterscheidung verschiedener Epitaphtypen, möchte ich zudem zeigen, wie infolge der wechselnde Hierarchisierung der am Grabmal beteiligten Zeichensysteme sowie ihrer textintern offerierten Auslegungsmöglichkeiten Sinngrenzen zwischen den drei Romanteilen etabliert werden. 86 Ebd., S. 337. 87 Ebd., S. 338. 88 Vgl. Regine Colliot: Les epitaphes arthuriennes. In: Bibliographical Bulletin of the International Arthurian Society XXV (1973), S. 155 - 175. 89 Ebd., S. 155: »L ’ épitaphe du mort arthurien [. . .] tend à susciter une conduite immédiate du vivant.« 90 Diese Beobachtung entspricht auch dem Befund der jüngst publizierten Studie Daniel Waldmeiers, die mediale Dynamiken im Spannungsfeld von Rittertum und Heilsgeschichte untersucht. Waldmeier unterscheidet ebenfalls zwischen den Bereichen revelatorischer Schriftlichkeit, die »kraft ihrer Autorität, Wissen tradieren und bewahren und die memoria anstoßen [kann]« und den Epitaphen der › Mort Artu ‹ als ein Beispiel prekärer Schriftlichkeit, die zum Untergang der Artusrunde beiträgt, vgl. Daniel Waldmeier: Ritterliche Heilsgeschichten. Eine Untersuchung medialer Dynamiken im › Prosa-Lancelot ‹ . Zürich 2017 (Medienwandel - Medienwechsel - Medienwissen 37), S. 128 - 130. 91 Für die Erzählweise des › Prosa-Lancelot ‹ , die sich durch eine kontinuierliche Reihung und Verflechtung simultan verlaufender Handlungsstränge auszeichnet, gilt die Bezeichnung entrelacement als etabliert. Der Begriff geht zurück auf Ferdinand Lot: Étude sur le Lancelot en prose. Augmenté d ’ un septème dû á Myrrha Lot-Borodine. Genf/ Paris 1984 [1918]. Ein Forschungsüberblick zur Verbreitung und Konzeptualisierung des Begriffs in der französischen und deutschen Forschung findet sich in Witthöft 2016, S. 20, Anm. 76. 7.2 Endspiel: Grabmäler als Erkenntnisproblem im › Prosa-Lancelot ‹ 201 7.2.1.1 Die Dolorose Garde als › Signaturepisode ‹ Nachdem Lancelot den Artushof verlassen hat, stößt er auf die verzauberte Burg Dolorose Garde. Wer die Burg erobern möchte, muss sich einen Weg durch die zwei Tore ihrer Doppelmauer bahnen, die mit jeweils zehn Gegnern besetzt sind. Der endgültige Sieg wird durch den Fall eines Kupferritters angezeigt, der auf der inneren Mauer positioniert ist. Stürzt er herab, so löst er mit seinem Verschwinden auch den Zauberbann, mit dem die Burg belegt ist. Einzige Voraussetzung ist, dass der Ritter sich vor seinem Sieg vierzig Tage in der Burg aufgehalten hat, andernfalls kann der Zauber nicht restlos beseitigt werden (vgl. LuGin I, S. 428, 2 f.). In einer Herberge der am Fuße des Felsen liegenden Stadt Kanavire wird Lancelot von einer Botin seiner Ziehmutter, der Frau vom See, mit Zauberschilden ausgestattet, die seine Kräfte verstärken und so zur Eroberung der Dolorose Garde beitragen sollen. Bei seinem Abenteuer, das prophezeit die Botin, werde Lancelot endlich auch seinen Namen erfahren. 92 Mithilfe der neuen Schilde besiegt er am folgenden Tag alle Wachposten der Dolorose Garde und erhält Einlass in die Burg. Doch als er zuletzt gegen den Burgherrn antreten will, teilen ihm die Bürger der Stadt mit, dass der Burgherr geflohen ist. Die Aventiure kann vorerst nicht beendet werden. In der Annahme, die Burg wäre bereits befreit, finden sich währenddessen die Ritter der Tafelrunde sowie schließlich Artus mit Ginover auf der Dolorose Garde ein, die auf irritierende Weise am Eintritt behindert werden und denen sich Lancelot, der Weiße Ritter, bis zum Schluss nicht zu erkennen gibt. Zentrum der Episode bildet der rätselhafte Burgfriedhof, den erst Lancelot, dann Gawan und seine Begleiter sowie zuletzt auch Artus und Ginover beim Betreten der Burg entdecken. Nachdem sich Lancelot Zugang zu den Burgtoren verschafft hat, führen ihn die Bürger auf den kirchoff, dessen Einrichtung die finale Joie de la curt-Episode in Chrétiens deTroyes › Erec et Enide ‹ reminisziert: 93 Mabonagrins Garten, zu dem Erec nach seiner Versöhnung mit Enite gelangt, ist von Spitzpfählen gesäumt, auf denen die Köpfe gescheiterter Aventiureritter stecken. Bei seinem Eintritt in den verzauberten Ort erfährt der Held von König Evrain, dass nach jedem Kampf ein neuer Pfahl aufgestellt werde. Der letzte freie Pfahl, der mit einem geheimnisvollen Horn ausgestattet ist, sei für Erec bestimmt. 94 Statt auf Spitzpfählen stecken die behelmten Köpfe in der Dolorose Garde auf dicht aneinander gereihten Burgzinnen. Unter der Mauer sind Gräber errichtet, deren Epitaphe deiktisch die Zusammengehörigkeit von Kopf und Körper verkünden: »Hie lyt der, und das ist syn heubt«. Einige Gräber sind indes noch leer, ihre Grabinschriften haben einen futurischen Duktus: »In dißem grab sol der ligen, und in dißem 92 Vgl. LuGin I, S. 436, 27 - 31: »Herre«, sprach sie, »myn jungfrauw von dem Lack hat mich herre zu uch gesant, und morn solt ir uwern namen wißen und uwers vatter nnamen und uwer mutter. Diß muß geschehen off jhener burg, die morn ee versperzytt uwer sol syn, und ir solt herre daruf syn [. . .].« 93 Vgl. Carol Dover: Die › Dreier-Romanze ‹ in der Dolorose-Garde-Episode des französischen › Prosa- Lancelot ‹ . In: Klaus Ridder u. Christoph Huber (Hg.): Lancelot. Der mittelhochdeutsche Roman im europäischen Kontext. Tübingen 2007, S. 135 - 145, hier S. 143. Die intertextuelle Anspielung zielt darauf ab, Lancelot vor Erec - und allen anderen Rittern der Tafelrunde - als den B e s t e n auszuweisen. Denn indem über das Setting die letzte Aventiure Erecs in die erste große Aventiure Lancelots gespiegelt wird, nährt der Erzähler implizit die Rezipientenerwartung, dass noch weitaus gefährlichere Aventiuren folgen dürften, als die, mit denen sie bisher vertraut sind. Nach ihrer Einnahme wird Lancelot die Dolorose Garde in Joieuse Garde umbenennen, eine weitere Anspielung auf Joie de la curt (vgl. LuGin I, S. 582, 3). 94 Vgl. Chrétien de Troyes: Erec et Enide. München 1979 (Klassische Texte des Romanischen Mittelalters 17), vv. 5790 - 5814. 202 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman der« (LuGin I, S. 452, 12 f. und 15 f.). Steht das Abenteuer von Joie de la Curt am Ende der Romanhandlung des › Erec ‹ , durch das dem Helden große Ehre zuteil wird, bildet es im › Prosa- Lancelot ‹ den Auftakt für Lancelots ritterliche Karriere. Zwischen den Gräbern entdeckt er schließlich einen Sarg, der aufgrund seiner Größe und Materialität auf sich aufmerksam macht: Enmitten in dem kirchoff stund ein hoch grab und ein großes, da was ein sargk off gemacht von metalle, der was groß und schwere und wúnderlich gewurckt mit golde und mit herlichem gesteyn. Er was aller mit buchstaben gemacht, die sprachen: »Dißer sargk enmag nymer von mannes hant off gehaben werden, wedder mit gewalt noch anders, es thú dann der der diße jemerliche burg sol gewinnen und des name stet hieunden geschriben.« (LuGin I, S. 452; 19 - 26) Schon viele, das fügt der Erzähler hinzu, hätten mit Kraft und Verstand versucht, den Sargdeckel zu öffnen, allen voran der Burgherr, um den Namen seines letzten Kontrahenten zu erfahren; doch niemandem sei es bislang gelungen. Furchtlos liest Lancelot die Inschrift. Die Frau vom See - der Umstand scheint offenbar kommentierungswürdig - habe den Held in seiner Kindheit lange das Lesen üben lassen (vgl. LuGin I, S. 452, 33 f.). Schließlich hebt Lancelot den Sarg in die Höhe und entdeckt darunter seinen Namen: Also hielt ern biß er die buchstaben gelase, und stunt da geschriben: »In dißem grab sol Lancelot ligen von dem Lacke, des kóniges Banes son von Bonewig und Alennen synes wibes.« Er leyt den sargk wiedder nyder und wust wol das das syn name was den er funden hett. (LuGin I, S. 456, 2 - 5) Lancelots Initialaventiure auf der Dolorose Garde bildet einen Anfang, der sein Ende bereits in sich trägt. Die Burg gibt zuletzt nämlich tatsächlich den Schauplatz, an dem Lancelots Leben und mit ihm die Erzählung der › Mort Artu ‹ ihren Abschluss finden. 95 Für die Rezipienten rückt damit, wie Judith K LINGER betont hat, die biographische Anlage des Romans ins Blickfeld und lässt einen narrativen Gegenpol zur multiperspektivischen Geschichtserzählung des Artushofes entstehen. 96 Eine Besonderheit der Episode besteht zudem in der Verbindung des höfischen Motivs der Namensfindung mit dem legendarischen Erzählmuster der Graböffnung (bzw. des Grabwunders). Die Aventiure erweist sich als hybrid, denn zur Bewährung gehört nicht nur die heroische Öffnung der schweren Sargplatte, sie setzt auch eine besondere Lesekompetenz voraus. Lancelot erhält dadurch eine doppelte Imprägnierung als Held und › Heiliger ‹ . Zugleich verbindet sich mit der Prophezeiung ein mahnendes memento mori - seine Auserwähltheit bewahrt Lancelot nicht vor seiner Sterblichkeit. 97 95 Die rahmende und kohärenzstiftende Funktion der Episode betont auch Matthias Meyer: Liebe / Trauer zwischen Hof und Kloster im mittelhochdeutschen › Prosalancelot ‹ . Der Fall Dolorose Garde. In: Christina Lutter (Hg.): Funktionsräume, Wahrnehmungsräume, Gefühlsräume. Mittelalterliche Lebensformen zwischen Kloster und Hof. Wien/ München 2011 (VIÖG 59), S. 155 - 166, hier S. 156; ders. 2013, S. 23. 96 Vgl. Judith Klinger: Der mißratene Ritter. Konzeptionen von Identität im Prosa-Lancelot. München 2001 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 26), S. 89. In ihrer monumentalen Studie hat Klinger die vielschichtige Protagonistenidentität Lancelots untersucht und sie mit der Poetik des Romans in Verbindung gesetzt. Durch das finale Zulaufen auf den Tod des Helden, so Klinger, werde die symbolische Struktur des Artusromans, dergemäß ein Ritter als Repräsentant der Tafelrunde vom Artushof auszieht und infolge der allmählichen Aneignung eines spezifischen gesellschaftlichen Normenkanons als ein Anderer an den Artushof zurückkehrt, unterlaufen. Stattdessen werde die › Motivation von hinten ‹ , die Zielführung auf ein sinnhaftes Ende, aufgehoben und in eine Motivation » › von vorn ‹ - von der Person her« verwandelt (ebd., S. 90). 97 Zur Verknüpfung von Identitäts- und Liebesdiskurs in dieser Episode, die ich hier übergehe, vgl. die Kapitel I.1 und II.1 bei Reil 1996, die das Thema ausführlich behandelt. 7.2 Endspiel: Grabmäler als Erkenntnisproblem im › Prosa-Lancelot ‹ 203 An die Entdeckung der prophetischen Inschrift schließt sich ein weiteres Schriftszenario an, in dem sich die Epitaphe als täuschungsanfällig erweisen. Als Gawan und seine Begleiter die Dolorose Garde erreichen, sind die Tore wieder verschlossen. Ein Unbekannter rät den Rittern, die Nacht in der Stadt zu verbringen. Währenddessen begeben sich die Bürger auf den Friedhof. Sie schreiben die Namen einer Schar gefangener Artusritter auf die Gräber und besetzen auch die übrigen Zinnen mit Helmen, damit es so aussieht, als ob die gefangenen Ritter allesamt dort begraben lägen (vgl. LuGin I, S. 462, 1 f.). Der Todesschauplatz soll die neu eingetroffenen Ritter so zum Vergeltungsschlag herausfordern. Als Gawan den Friedhof am nächsten Tag betritt, wird er - im Gegensatz zu Lancelot - von einem Geistlichen begleitet, der ihm die Inschriften vorliest. 98 Bei dem größten Grab angekommen bricht der pfaff in Tränen aus. Dann trägt er vor, was dort geschrieben steht: »Hie lyt der best ritter von allen den guten, der diße burg gewunnen hat« (LuGin I, S. 462, 33 f.). Gawan und seine Begleiter sind betrübt, weil sie glauben, dass der tapfere Weiße Ritter (Lancelot) bei der Eroberung der Burg ums Leben gekommen ist. Gawan sendet einen Boten zu Artus, um ihn über die Ereignisse und die auf dem Friedhof (vermeintlich) tot vorgefundenen Artusritter zu unterrichten. Der König bricht unverzüglich mit Ginover auf, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. Als er auf dem Weg schutzlos an einer Quelle rastet, wird er vom geflüchteten Burgherrn der Dolorose Garde angegriffen. Artus ’ Gefolgsleute vereiteln den Anschlag mühelos und der kaum mehr bedrohlich wirkende Burgherr reitet enttäuscht davon. Bei ihrer Ankunft finden auch Artus und Ginover das Burgtor verschlossen vor. Ein Wächter verspricht Einlass, verschiebt ihn dann aber stets aufs Neue. In der Zwischenzeit werden Gawan und seine Gefährten vom geflüchteten Burgherrn in eine Falle gelockt: Er bietet ihnen Unterkunft auf einer nahegelegenen Burg und versichert, dass sie dort auch die tot geglaubten Gefährten wiedersehen würden, denn, so lässt er die Ritter wissen, es sei das meist teil ein lugen des da [off den grebern] geschriben stet (LuGin I, S. 428, 16 f.). Indem er den Grabschriftentrug aufdeckt, mit dessen Hilfe die Burgbewohner die ritterliche Schar offenbar an die Burg binden wollten, zieht der Burgherr sie von der immer noch unvollendeten Aventiure ab und sperrt sie schließlich in den Kerker zu den anderen gefangenen Artusrittern. Nachdem Lancelot herausgefunden hat, dass er als neuer Burgherr explizit Anweisung geben muss, damit das Burgtor für den draußen harrenden König geöffnet wird, erhält dieser endlich Einlass. Wie Lancelot und Gawan gelangt auch Artus zuerst auf den Friedhof, auf dem sich erneut eine Veränderung vollzogen hat: Zu den bereits bekannten Scheingräbern sind nun auch Epitaphe für Gawan und seine Gefährten hinzugetreten, die sich tatsächlich in der Gefangenschaft des Burgherrn befinden. Ein Geistlicher berichtet Artus, was auf den Epitaphen geschrieben steht. 99 98 Gawan erweist sich damit weniger schriftsouverän als Lancelot. Als der Erzähler an späterer Stelle erneut auf die Friedhofsszene zu sprechen kommt, heißt es jedoch, Gawan und seine Gefährten hätten den Inschriften selbst entnommen, dass der Weiße Ritter (Lancelot) und eine große Zahl der Ritter des Königs tot seien (vgl. LuGin I, S. 470, 21 - 24: [. . .] als sie vernomen hetten mit den buchstaben die allenthalben geschriben stunden uff den sercken, und mit den namen die da oben geschriben waren [. . .]). So unvermittelt, wie der Geistliche in die Handlung eingesetzt wird, verschwindet er auch wieder und fast scheint es, als ob der Erzähler sich selbst schon nicht mehr an ihn erinnern könnte. 99 Ganz offenbar handelt es sich dabei nicht um den gleichen Geistlichen, weil es explizit heißt, er sei syn [sc. Artus ’ ] pfaffe[] (vgl. LuGin I, S. 486, 12). 204 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman Da myns hern Gawans name stunt geschriben, er lase: »Hie lyt myn herre Gawan, und ist das syn heubt.« Er laß off eim andern: »Hie lyt myn herreYwan, und ist das syn heubt, des großen Friens eins koniges sun.« Sie lasen furter allenthalben, und der konig und alle die mit im waren machten den meisten jamer von aller der welt. (LuGin I, 486, 11 - 17) Auch Artus macht schließlich vor dem größten Grab Halt und lässt sich das darauf befindliche Epitaph vorlesen: [. . .] und lasen das da unden lege ein der beste ritter von aller der welt und das das derselb were der die Dolorosen Garden gewunnen hett (LuGin I, 486, 24 - 26). Wie Gawan wird der König von großer Trauer befallen, weil er in dem Grab den Weißen Ritter vermutet, den er erst kurz zuvor in die Tafelrunde aufgenommen hatte. Matthias M EYER hat die Aventiure der Dolorose Garde als »Signaturepisode« bezeichnet. 100 Damit charakterisiert er Abenteuerepisoden wie Joie de la Curt, die sich »intradiegetisch wie intertextuell« mit einem Helden verbinden. 101 Lancelots Schicksal ist, wie oben bereits angedeutet, mit der Burg verknüpft. Sie spielt, wie M EYER bemerkt, besonders in der › Mort Artu ‹ eine wichtige Rolle, ist sie doch den Ort, an den Lancelot und Ginover sich flüchten, wo Lancelot und Artus ihre erste Schlacht fechten und an dem Lancelot schließlich begraben wird. 102 Wie im › Parzival ‹ oder in › Flore und Blancheflur ‹ erzeugt das Grabmal auf der Dolorose Garde damit einen narrativen Verweisungszusammenhang zwischen Anfang und Ende. Die dreifache Entdeckung des Friedhofs durch Lancelot, Gawan und Artus nimmt wohlgemerkt aber nicht nur Lancelots Ende, sondern die Vereinzelung aller drei Helden vorweg, wie sie sich später zu realisieren scheint: Die besondere Gestaltung von Lancelots Grab unterstreicht seinen Status als bester Ritter. Zwar ragt das auf der Mittelachse des Platzes zentrierte Grab weit über die anderen Gräber hinaus, doch bleibt der Name des Helden im Inneren verborgen. Symbolisch entspricht das Lancelots fortwährender Identitätsverschleierung. Um unerkannt zu bleiben, wechselt der Held öfter seine Rüstung (besonders den identifikatorischen Schild) und kämpft mitunter sogar auf der Seite der Feinde. Am Schluss wird Lancelot auch allein auf seiner Burg begraben, während die anderer Artusritter eine gemeinsame Grablege im Stephansdom zu Kamalot erhalten. Nach Lancelot muss Gawan auf dem Friedhof seine bestatteten Gefährten entdecken. Auch diese Konstellation wird im Text mehrfach durchgespielt. So setzt Gawan seine Gefährten auf der Suche nach Aventiure immer wieder großen Gefahren aus. Bereits auf der Dolorose Garde führt er sie geradewegs in den Kerker des Burgherrn Brandis. An späterer Stelle, nach Vollendung der › Queste ‹ , wird zudem bekannt, dass Gawan in seinem aggressiv irrlichternden Hintergrundtreiben achtzehn Gefährten umgebracht hat. Wie Gawan wird zuletzt auch König Artus auf dem Friedhof mit dem vermeintlichen Tod der namhaftesten Ritter seiner Tafelrunde konfrontiert. Damit wird der drohende Untergang der Tafelrunde vorweggenommen, endet der letzte Romanteil doch nicht schlicht mit e i n e m Tod oder e i n e r Niederlage, sondern der Erzähler scheint in der › Mort Artu ‹ gezielt noch j e d e m Ritter der Tafelrunde den Garaus machen zu wollen. Deutet sich auf dem Friedhof folglich in mehrfacher Hinsicht ein Ende bereits an, kann Lancelot das dystopische Szenario dank seiner Lesekompetenz vorerst suspendieren. Als er erfährt, dass die Burg mithilfe der schlussel [. . .] von dem zauber befreit werden kann, begibt er 100 Meyer 2011, S. 155 - 166. 101 Ebd., S. 159. 102 Vgl. ebd., S. 160. 7.2 Endspiel: Grabmäler als Erkenntnisproblem im › Prosa-Lancelot ‹ 205 sich zurück auf den Friedhof, wo sich zwischen Kapelle und Turm eine Höhle öffnet (LuGin I, S. 576, 28 f.). Sie führt in einen infernalen Aventiureraum, in dem sich der Held den Weg an einem kupfernen Kampfautomaten vorbei durch einen stinkenden Pfuhl bahnen muss. Schließlich findet Lancelot die Schlüssel und gelangt zu einer Säule, die schriftliche Anweisungen für die Vollendung des Abenteuers bereithält: Er nam die slußel und ging zu eyner kúpfferinn súl, die stunt mitten in der kamern, und fant buchstaben daran geschriben, die sprachen: »Diße súl sol man entschließen mit dem großen schlußel, und darinn stet ein schryn, den entschlußet man mit dem cleynen schlußel.« Indem er Säule und Schrein öffnet, kann Lancelot den grauenhaft dröhnenden Zauber entmachten, der durch böse Geister im Inneren des mit Pfeifen besetzten Schreins verursacht wird. Der Pfuhl verschwindet und die Bronzestatuen fahren in den Erdboden hinab; auch die Gräber lösen sich auf. Lancelot hat seine erste große Aventiure erfolgreich bestanden. 7.2.1.2 Das Abenteuer der Genealogie Anders als die unzuverlässigen Wegweiser im Wald oder die gefälschten Grabinschriften auf der Dolorose Garde erweisen sich die Epitaphe der Ahnengräber als verlässlich. Ihre Geltung wird von Einsiedlerfiguren gestützt, die an den Begräbnisorten wachen und den Aventiurerittern dabei helfen, den buchstäblichen Sinn der Sepulkralzeichen zu erschließen. 103 Wie sich zeigt, ist Schriftkommunikation im › Prosa-Lancelot ‹ immer dann besonders störanfällig, wenn sie nicht durch äußere Vermittlung kontextualisiert und expliziert wird. 104 Als Lancelot auf der Suche nach Ginover über Nacht in ein Kloster einkehrt, scheint es, als ob sich die Episode der Dolorose Garde unter veränderten Vorzeichen wiederholen würde: Der Prior führt ihn auf einen kirchoff, auf dem vierundzwenwenzig herlicher sarke aus Marmor liegen, unter denen einer hervorsticht, der schöner dann alle die ander war (LuGin II, S. 356, 14 - 19). Mit der Graböffnung soll Lancelot seine Eignung für die eigentliche Aventiure, die Befreiung der Königin und der Gefangenen aus Gorre, unter Beweis stellen. Er hebt die Platte an und entdeckt darunter einen Ritter in voller Rüstung, der einen goldenen Schild mit rotem Kreuz trägt. Neben ihm liegt ein Schwert, auf seinem Helm befindet sich eine Krone. Im Inneren des Sargs sind Buchstaben angebracht, die den Toten identifizieren und eine ätiologische Erklärung für den Namen des Landes Wales bieten: Lancelot sah die buchstaben in dem grab und begund sie lesen: das der konig Galaas darinn lege, Jospehs sun von Arimathia, der das lant von Gales gewanne zu denselben ziten das der gral in Britannien wart bracht; und durch synen willen wart das lant Gales genant, wann er Galaas selber hieß, das davor Osenze hieß. (LuGin II, S. 356 f., 34 - 4) 103 Das betont auch schon Monika Unzeitig-Herzog: Jungfrauen und Einsiedler. Studien zur Organisation der Aventiurewelt im › Prosalancelot ‹ . Heidelberg 1990; zu den Funktionen der Eremiten im › Prosa-Lancelot ‹ vgl. außerdem Hans Fromm: Lancelot und die Einsiedler. In: Klaus Grubmüller u. a. (Hg.): Geistliche Denkformen in der Literatur des Mittelalters. München 1984, S. 198 - 209. 104 Zur Konkurrenz körper- und schriftgebundener Rede vgl. Horst Wenzel: Boten und Briefe. Zum Verhältnis körperlicher und nichtkörperlicher Nachrichtenträger. In: Ders. (Hg.): Gespräche - Boten - Briefe. Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis im Mittelalter. Berlin 1997, S. 86 - 105 sowie ders.: Vom Körper zur Schrift. Boten, Briefe, Bücher. In: Sybille Krämer (Hg.): Performativität und Medialität. München 2004, S. 269 - 291. 206 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman Als Lancelot den Sarg wieder schließen will, verharrt die Platte plötzlich in der Schwebe. Der Prior konstatiert, die Graböffnung komme einer Prüfung gleich, die Lancelot erfolgreich bestanden habe und ihn zum besten Ritter mache. Kurz darauf trifft eine Gruppe fremder Klosterbrüder mit einer Rossbahre ein. Benachrichtigt durch einen Traum, demzufolge Galaads Leib am neunten Tag vor Pfingsten erlöst werde, sei man gekommen, um seinen Leichnam fortzubringen. Noch weiß Lancelot nicht, dass es sich bei Galaad um den Ahnenherrn seines Namens handelt. Denn Lancelot ist, wie schon seit Beginn der Erzählung bekannt ist, nur der Rufname des Helden, wann er was getauffet Galaad (LuGin I, S. 10, 10 f.). Die verwandtschaftlichen Zusammenhänge werden ihm allerdings erst an einem zweiten Grab einsichtig, das sich im unterirdischen Gewölbe des Klosters befindet. Der dort deponierte brennende Sarkophag wartet ebenfalls darauf, geöffnet zu werden; doch, so mahnt der Prior den Helden, sei diese Aventiure nicht für den bestimmt, der die erste zu lösen vermochte. Stattdessen werde sie denjenigen auszeichnen, der einst den Gefährlichen Sitz an der Tafelrunde einnehmen und die Aventiure des Grals beenden werde. Lancelot will es trotzdem versuchen und steigt in das lichterloh brennende Gewölbe hinab. Als er sich dem Sarg nähert, ermahnt ihn die Stimme des Verstorbenen zur Umkehr. Ein noch größerer Ritter, dessen Herz frei von Begierde sei, werde kommen und das Feuer löschen. Dieser gute Ritter werde aus seinem und Lancelots Geschlecht stammen. Lancelot hätte das Abenteuer selbst beenden können, wäre er nicht durch die Sünde des Vaters entehrt worden, die König Ban nach der Hochzeit mit einer Frau begangen habe. 105 Die Stimme klärt Lancelot über seinen eigentlichen Namen (Galaad) auf und gibt sich schließlich selbst als Simeu, Neffe des Joseph von Arimathia zu erkennen, der Christus begraben und den Gral von Palästina nach Britannien gebracht haben soll. Aufgrund einer Sünde, die Simeu und sein Sohn Mois begangen hätten, müssten sie Qualen leiden, bis der gute Ritter käme, um sie zu erlösen. Die neuen Informationen ergänzen die Aussagen des Priors und gewähren dem Helden zum ersten Mal Einblick in seine genealogische Verbindung zum Gral. Mit der Entdeckung des zweiten Namens wird die Identität des Helden gleichwohl verunklart. 106 Verbindet sich der arthurische Name Lancelot für die zeitgenössischen Hörer- und Leserschaft einerseits mit dem Konzept weltlichen Rittertums, wird er im › Prosa-Lancelot ‹ andererseits in die Nachfolge des alttestamentlichen Königs David gerückt, auf den, wie Lancelot schon als Kind von seiner Erzieherin, der Frau vom See, lernt, das Konzept von Ritterschaft grundlegend zurückgeht. 107 Zugleich verweist sein Taufname Galaad, vielleicht biblischen Ursprungs, auf die neutestamentliche Linie Josephs von Arimathia, von dem sich das Geschlecht der Gralkönige herleitet. 108 Lancelots heroische Disposition ist folglich durch 105 Gemeint ist die Zeugung von Lancelots Bruder Hector. Im Unterschied zur französischen Fassung wird an dieser Stelle noch nicht auf Lancelots eigene Sünde verwiesen, seine Unzulänglichkeit stattdessen mit einem verwandtschaftlich vererbten Fehler begründet. 106 Zum Namensproblem vgl. Müller 2007; S. 213 f. 107 Dieser Idee zufolge leitet sich Ritterschaft nicht aus der Antike ab (dem Prinzip der translatio militiae folgend), sondern reicht auf König David zurück, ist mithin alttestamentlich bedingt. 108 Die genaue Rekonstruktion der genealogischen Abfolge im deutschen › Prosa-Lancelot ‹ ist schwierig, zumal die Namen in den Handschriften generell variieren und der deutsche Übersetzer sich zweimal irrt. Im französischen Text stammt Lancelot mütterlicherseits von König David und väterlicherseits von den ersten durch Joseph von Arimathia missionierten, christlichen Königen Nasiens und Morderas ab. Erst Galaad ist über seine MutterAmide auch direkt mit Joseph von Arimathia verwandt. Vgl. Michèle Remakel: 7.2 Endspiel: Grabmäler als Erkenntnisproblem im › Prosa-Lancelot ‹ 207 exzeptionelle Abstammung begründet, scheint aber zugleich durch die sinnliche Verfehlung, die das weltliche Rittertum mit sich bringt, bedroht. So ist sein Geschlecht in jüngerer Zeit in Verruf geraten, weil sich einige Vorfahren, darunter Lancelots Vater Ban, der Sünde schuldig gemacht haben. Die Grabaventiuren können erst durch denjenigen Nachfahren beendet werden, der sich in Rückbesinnung auf seine Vorfahren zu seiner genealogischen Identität als geistlicher Ritter bekennt. Grab und Gral sind im › Prosa-Lancelot ‹ insofern aufeinander bezogen, als erst die Grabaventiuren die Ankunft jenes Ritters offenbaren, der die Geheimnisse des Grals enthüllen darf. Im Zentrum der genealogischen Sukzession steht das Verhältnis zwischen Vater Lancelot (Galaad) und Galaad, seinem Sohn. Wie schon der › Parzival ‹ ist folglich auch der › Prosa- Lancelot ‹ typologisch strukturiert: 109 Die ideale Ritterschaft, die Lancelot verkörpert, wird in Galaad noch gesteigert, dem es mit wenigen Gefährten gelingt, aus der Verweltlichung des Rittertums auszubrechen und den Gral zurück in den Osten zu transferieren. Im Unterschied zum › Parzival ‹ prägt das typologische Verhältnis zwischen Vater und Sohn aber nicht nur die Ebene der Figuren, sondern macht sich auch auf der discours-Ebene geltend: Mehrere Episoden des › Lancelot propre ‹ werden in der › Queste ‹ noch einmal durchlaufen, dabei unterliegt die Erzählweise stets dem Prinzip der steigernden Wiederholung. Stiftete das Grabmal auf der Dolorose Garde Kohärenz, weil es einen narrativen Verweisungszusammenhang zwischen Anfang und Ende der Erzählung evozierte, bilden die Ahnengrabmäler einerseits untereinander Äquivalenzbeziehungen aus, indem sie eine verwandtschaftliche Abfolge allmählich vervollständigen, und lassen andererseits einen Nexus zwischen dem ersten und zweiten Romanteil entstehen, der auf dem Prinzip von Verheißung und Erfüllung basiert. Eine Ausnahme in der Reihe der Ahnengrabmäler bildet das Grab von Lancelots Freund Galahot. Es fungiert keineswegs als › Archiv ‹ einer der Romanhandlung vorgelagerten Geschichte. Vielmehr wird ein Teil der erzählten Gegenwart vorübergehend selbst in einem sepulkralen Raum konserviert. Galahots Tod wird in mehreren prophetischen Träumen antizipiert, die von zehn Weisen gedeutet werden. Zwar weiß Lancelot daher um das drohende Schicksal, doch verschweigt ihm Galahot den genauen Zeitpunkt seines Todes. Scheinbar zufällig entdeckt Lancelot das Grabmal seines Freundes so auf seinem Weg zur Burg Florega. Es befindet sich in einer Kirche, hinter einem kostbar verzierten und von Rittern bewachten Gitter. Wer das Grabmal errichtet hat, ist ungewiss. 110 Neugierig tritt Lancelot an das Gitter heran und entdeckt den dahinter stehenden Sarkophag aus Gold und Edelsteinen. Nicht nur das Material ist von außergewöhnlichem Wert, auch die Größe des Sargs versetzt den Helden in Erstaunen: Rittertum zwischen Minne und Gral. Untersuchungen zum mittelhochdeutschen › Prosa-Lancelot ‹ . Frankfurt a. M. (u. a.) 1995 (Mikrokosmos 42), S. 125 f. 109 Zur Verwendung des Begriffs › Typologie ‹ vgl. Kapitel 7.1, Anm. 2. Stärker noch als der › Parzival ‹ ist der › Prosa-Lancelot ‹ von einem geschichtlichen Selbstverständnis geprägt. Der Untergang der Tafelrunde wird mit der Entrückung des Grals von Logrien nach Sarras begründet. Bekannte Erzählmuster des höfischen Romans werden historiographisch umgedeutet. Vgl. dazu auch Kapitel 7.2.2.2. 110 So auch Martin Baisch u. Matthias Meyer: Zirkulierende Körper. Tod und Bewegung im › Prosa-Lancelot ‹ . In: Friedrich Wolfzettel (Hg.): Körperkonzepte im arthurischen Roman. Tübingen 2007, S. 383 - 404, hier S. 394. Baisch und Meyer weisen zudem auf die Diskrepanz zwischen den vorangegangenen Bemühungen Galahots, »dem Freund Lancelot die eigene psychische Befindlichkeit, seine Kenntnis des angekündigten Todes sowie Lancelots kausale Involvierung vorzuenthalten« und deren öffentlicher Verkündigung auf dem Epitaph hin. 208 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman [. . .] das ine wunnder nahme, was für ain großer herr dorinn liegenn möchte (LuGin II, S. 658, 4 f.). Auf Nachfrage, warum man dort Wache halte, erfährt Lancelot, ein Mönch habe vorausgesagt, dass der Leichnam binnen kurzer Zeit geraubt werde. Als er sich erkundigt, welcher große[] fürst oder printz in dem Grab bestattet liegt, antwortet ihm die Wache, dass es sich um ain herrlicher, waydlicher, frommer mann [handle] allß er inn seiner zeytt gelebt hatt (LuGin II, S. 658, 21 - 26.). Würde er lesen können, so wüsste er, wer gemeint sei, [d]ann sein name stehet zun haubten an dießem grabstain geschribenn (LuGin II, S. 658, 29 f.). Die sich äußerlich darbietende Grabinschrift - »Hie liegt Gallehaullt ain sohne der ryßin, der umb Lanntzelots willenn gestorbenn ist« (LuGin II, S. 658, 31 - 33) - benennt den grabinschriftlichen Konventionen gemäß Identität und Todesursache des Verstorbenen. Sie appelliert nicht an vorüberziehende Ritter, eine mit dem Grab verbundene Aventiure zu beenden, sondern hat schlicht informativen Charakter: Lancelot hat den Tod seines besten Freundes mitverschuldet. In dieser Hinsicht nimmt die Grabinschrift den Typus des Racheepitaphs der › Mort Artu ‹ vorweg, die implizit Vergeltung für die Verstorbenen einfordern. Lancelot betrauert den Tod seines Freundes und beschließt, seine Schuld zu sühnen, indem er ebenfalls für Galahot stirbt. Der › Liebestod ‹ Galahots steht am Ende einer psychologisch feinsinnig ausgestalteten Freundschaftsbeziehung, die in der Forschung viel Aufmerksamkeit erfahren hat. 111 Das homosoziale Begehren zwischen Galahot und Lancelot ergänzt den Dreieckskonflikt zwischen Lancelot, Ginover und Artus um eine weitere triadische Beziehungskonstellation, in der das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Lancelot und Artus durch den fremden König Galahot bedroht wird. Vom ersten Kuss bis zum gemeinsamen Exil in Sorelois begünstigt Galahot in seiner Funktion als entremetteur den erotischen Bund zwischen Lancelot und Ginover. Zugleich ist er Artus im Kampf überlegen und bedroht als modèle de prudhomie dessen Vormachtstellung. 112 Seine vorbildhafte Herrschaft und seine höfische Vollkommenheit lassen ihn als 111 Vgl. Jean Frappier: Le Personnage de Galehaut dans le › Lancelot en prose ‹ . In: RPH 17.3 (1964), S. 535 - 554; Reginald Hyatte: Recording Ideal Male Friendship as fine amor in the › Prose-Lancelot ‹ . In: Neophilologus 75 (1991), S. 505 - 518; Hartmut Freytag: Höfische Freundschaft und geistliche amicitia im › Prosa-Lancelot ‹ . In: Werner Schröder (Hg.): Wolfram-Studien IX (1986), S. 195 - 212; Gretchen Mieszkowski: The › Prose Lancelot ’ s ‹ Galehot, Malory ’ s Lavain and the Queering of Late Medieval Literature. In: Arthuriana 5 (1995), S. 21 - 51; Matthias Meyer: Causa amoris? Noch einmal zu Lancelot und Galahot. In: Kurt Gärtner u. a. (Hg.): Spannungen und Konflikte menschlichen Zusammenlebens in der deutschen Literatur des Mittelalters. Bristoler Colloquium 1993. Tübingen 1996, S. 204 - 214; Carol Dover: Galehot and Lancelot: Matters of the Heart. In: Per Nykrog u. a. (Hg.): The World and its Rival. Essays on Literary Imagination in Honor of Per Nykros. Amsterdam/ Atlanta 1999 (Faux titre 172), S. 119 - 136; Klaus Speckenbach: Freundesliebe und Frauenliebe im › Prosa-Lancelot ‹ . In: Wolfgang Haubrichs u. a. (Hg.): Vox Sermo Res. Beiträge zur Sprachreflexion, Literatur- und Sprachgeschichte vom Mittelalter bis zur Neuzeit. FS Uwe Ruberg. Stuttgart/ Leipzig 2001, S. 131 - 142; Nikola von Merveldt: Galahot als Grenzgänger. (Trans-) texte rund um eine ambivalente Figur. In: Klaus Ridder u. Christoph Huber (Hg.): Der mittelhochdeutsche Roman im europäischen Kontext. Tübingen 2007, S. 173 - 192; Beatrice Michaelis: »Die Sorge um sich« und die Sorge um den Freund - Zur Inszenierung von Freundschaft im › Prosa-Lancelot ‹ . In: Gerhard Krieger (Hg.): Verwandtschaft, Freundschaft, Bruderschaft. Soziale Lebens- und Kommunikationsformen im Mittelalter. Berlin 2009 (Akten des 12. Symposiums des Mediävistenverbandes), S. 363 - 384 sowie Witthöft 2016, S. 103 - 162. 112 Die Begriffe entnehme ich Frappier 1964, S. 535 f. Seine Bestrafungsthese teile ich indes nicht, sondern schließe mich Meyer 1996 an. In Anschluss an Kennedy 1986 bezeichnet er Galahot als »Gegenbild zu Artus« (S. 209), der den Artushof als externer Aggressor bedroht. Infolge seiner Integration durch Lancelot werde »[d]ie absolute Bedrohung [. . .] von außen [. . .] in den innersten Kern der Artusherrschaft getragen, 7.2 Endspiel: Grabmäler als Erkenntnisproblem im › Prosa-Lancelot ‹ 209 ebenbürtigen Freund für den besten Ritter erscheinen. Als problematisch erweist sich indes seine maßlose Großzügigkeit, die er gegenüber Lancelot walten lässt. 113 Ist die homosoziale Galahot-Lancelot-Freundschaft der heterosoziale Lancelot-Ginover- Liebe zunächst gleichgeordnet, 114 offenbart sich in der Traumdeutung des Meister Helies schließlich die Vorrangstellung des heterosozialen Begehrens. Der Meister alarmiert Galahot, dass der serpant [. . .] mit dem guldenin heubt [Ginover] kommen und den lepart [Lancelot] noch lieber gewinnen werde, dann yn der trach [Galahot] ie gewann (LuGin II, S. 70, 12 - 14). Damit spielt Helies auf die sexuelle Verbindung Lancelots und Ginovers an. Galahot erfährt nicht nur von der Sünde seines gesellen, sondern erlangt auch Gewissheit über die allegorische Verschlüsselung seines zweiten Traumes: So wie das zweite Herz, das sich in seinem Traum in einen Leoparden verwandelt hatte und aus dem geöffneten Leib Galahots gesprungen war, werde sich auch Lancelot abkehren und das Herz des Freundes im dörrenden Leib zurücklassen. In der Vision wird das in der höfischen Dichtung zum Gemeinplatz avancierte Bild der Einheit zweier Herzen invertiert. 115 Zwar erfolgt Galahots Tod in Anwesenheit von Artus und Ginover, die in Begleitung vieler Ritter und Geistlicher nach Sorelois reisen und Zeuge der allmählichen Vertrocknung des Riesen werden. Doch erhält Galahot keinen Platz in der Grablege des Stephansmünsters, obgleich er Lancelot zuliebe Artus ’ Vasall und Ritter der Tafelrunde geworden ist. Offenbar bleibt Galahot auch nach seinem Tod eine Art › Gegenfigur ‹ , die sich nicht vollauf in den Herrschaftsbereich von König Artus integrieren lässt. Lancelots Beschluss, sich das Leben zu nehmen, entspricht dem Erzählkern des Liebestods, der u. a. den Schluss von › Pyramus und Thisbe ‹ , › Tristan und Isolde ‹ bzw. den Wendepunkt in › Flore und Blanscheflur ‹ bildet (vgl. Kapitel 5.2) Lancelots Suizidversuch wird in letzter Sekunde von einer Botin aus dem Gefolge der Frau vom See vereitelt. Sie beauftragt Lancelot, den Leichnam zur Dolorose Garde zu bringen und ihn dort in ein Grab zu legen, wo er, wie sie prophezeit, auch selbst einst beigesetzt werde (vgl. LuGin II, S. 662, 13 f.). Die Erzähllogik des Liebestods wird folglich nicht aufgehoben, sondern nur über die Länge des zweiten und dritten Romanteils suspendiert. Lancelot folgt dem Gebot, besiegt die Wächter, die folglich seinetwegen am Grabmal postiert sind, und öffnet die Grabplatte, die noch schwerer als alle vorherigen ist: Allso nahme Lanntzelot den grabstein am großenn ortth unnd hub eine uff mitt so großer stercke, das nicht viel fehlet, er were darunnder zerbrochen, dann ime der schweyß vonn dißem heben über all seinen leib ablieffe (LuGin II, S. 666, 16 - 19). Der in vollem Körpersaft stehende Leib des Helden bildet einen auffälligen Gegensatz zu dem ausgetrockneten Körper indem die Ehe des Königspaares durch ein eheähnliches Gebilde [zwischen Lancelot und Ginover] konterkariert wird« (S. 212). 113 Vgl. Witthöft 2016, S. 112 f. Sie deutet den Prosa-Lancelot im Lichte mittelalterliche Freundschaftskonzeptionen und betont, dass »in der mittelalterlichen Literatur [. . .] antike, theologisch-philosophische und (feudal-)politische Aspekte im Narrativ der Freundschaft zusammen[fließen]« (ebd., S. 104). Aus ihrer Analyse der Galahot-Lancelot-Beziehung schlussfolgert sie, dass »[d]as Ideal der Freundschaft [. . .] nicht zum Garant für die Richtigkeit von Grenzüberschreitungen [wird], [sondern] die Aufopferungsbereitschaft Galahots [. . .] vielmehr das Ideal der Freundschaftskonstruktionen der höfischen Epik [übersteigt]« (ebd., S. 162). Die Maßlosigkeit Galahots wurde vielfach auch in Bezug zu seiner monströsen Körperlichkeit gesetzt (so schon Hyatte 1991, S. 517). 114 Vgl. Speckenbach 2001, S. 131 f. 115 Vgl. Witthöft 2016, S. 108 - 110. 210 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman Galahots. Erst mit Lancelots Tod in der › Mort Artu ‹ werden die Freunde wieder einander angeglichen. Nach der Translation Galaads I. wird mit Galahot ein zweiter Leib exhumiert und auf einer Rossbahre davongetragen. Der Handlungsstrang wird aber schließlich wieder aufgenommen, als Lancelot am Ende der Karren-Suite auf der Dolorose Garde einkehrt und seinen Freund in einem prächtigen Sarg beisetzt - wie es dann zue der zeytt die gewonhait was. Den Sarg findet Lancelot an der Stelle, wo er zuvor seinen Namen entdeckt hatte. In diesem Sarg sei einst, als Joseph von Arimathia nach Britannien kam und das Christentum verbreitete, der Heidenkönig Barbaduc beerdigt worden: 116 Vonn dießer abenthewre was Lanntzelot sehr frölich unnd ließ das grab öffnenn. Unnd da Lanntzelot dieß grab sahe, da pryße er es sehr, dann es was weder sylber noch goldt doran, sonndern so was es besetzt und umgeben mit edlen steynenn, ainen an den anndern gesetzt, und was dermaßen gemacht, das nicht wol glaublich, das ain irrdischer mensch dieß werck gemacht hette. (LuGin II, S. 724 f., 33 - 1) Mit der Aneignung des antiken Sargs schafft sich Lancelot eine Begräbnisstätte, die prädestiniert erscheint, um das Andenken eines Ritters aus dem Geschlecht von König David zu bewahren. Der Sarg bleibt vorerst namenlos; ein Epitaph wird erst nach Lancelots Tod hinzugefügt. Lancelot stirbt in einer Einsiedelei, wo er die letzten Lebensjahre mit seinem Bruder Hector verbringt. Während der Bruder ein Grabmal vor Ort erhält, wird Lancelots in die Dolorose Garde überführt und neben Galahot in das gemeinsame Grab gelegt. 117 Das neue Epitaph enthält keinen Hinweis auf die Todesumstände, sondern nur die Namen und Herrschaftsbereiche der Verstorbenen. Die einst auf Galahots Grab bekundete Schuld des Freundes scheint beglichen. Über die Beziehung, welche die Ritter verband, schweigt das Grabmal. 118 Lancelots Beisetzung auf der Dolorose Garde wird somit nicht nur durch die Initialaventiure auf der Burg präludiert, sie bildet auch die erzähllogische Konsequenz auf den Liebestod des Freundes Galahot, der erst im Grabe wieder mit dem geliebten Freund vereint werden kann. Nach der Öffnung von Galahots Grab stößt Lancelot auf zwei weitere Grabmäler, die Aventiure bereithalten. Obwohl Figuren vor Ort dabei helfen, die zeichenhafte Bedeutung der Särge zu erschließen, kann er die dargebotenen Aufgaben nur teilweise lösen. Die Aventiure des Sarges auf Corbenic ist bereits bekannt, weil zuvor schon Gawan dort hingelangte, die ritterliche Probe aber nicht bestehen konnte. Lancelot muss eine Frau aus einer brühenden Wanne heben. Danach geleiten ihn die Burgbewohner zu einer Kapelle, in deren Gewölbe sich ein prächtiger 116 Unklar ist, ob sich der König Barbaduc noch in dem Sarkophag befindet und von Lancelot entfernt wird oder ob der Ungläubige schon zu Zeiten Josephs von Arimathia exhumiert wurde. Die altfranzösische Fassung enthält einen Zusatz, demzufolge Narbaduc von den Christen ausgegraben und in die Stadtgräben geworfen wurde (vgl. Micha II, S. 253: Mais si tost com la crestientés i vint, si en fu li cors ostés et getés es fossés defors la vile; si laissierent la tombe en son lieu que par home ne fut puis remuee.). 117 Vgl. Suche, S. 1024, 25 - 29. 118 Auf dem Epitaph wird auch an Galaad erinnert, der nach Beendung des Gralabenteuers in Sarras verstorben ist. Galahot wird in der deutschen Fassung wohl aufgrund eines Übersetzungsfehlers ebenfalls als Galaat bezeichnet wird: »Hie lyt Galaat von den Ferren Inselen und herre Lanczlot von dem Lach, der da was der beste ritter der ye in das konigrich von Logres kam, sunder alleyn Galaat syn son.« (Suche, S. 1028, 5 - 8). Vgl. dagegen das Epitaph in der französischen Fassung: Frappier, S. 262 f., 14 - 19: Ci gist li cors G a l e h o l t , le segnor des Lointaignes Illes, et avec lui repose Lancelos del Lac qui fu li mieudres chevaliers qui onques entrast el roiaume de Logres, fors seulement G a l a a d son fill. 7.2 Endspiel: Grabmäler als Erkenntnisproblem im › Prosa-Lancelot ‹ 211 und reich verzierter Sarg befindet. Darauf präsentiert sich eine Inschrift, die Galaads Zeugung vorwegnimmt: »Dießer sargk sol von keynem man offgehaben werden biß zur zytt das der große lewe, da der lepart uß kumpt, die handt daran legt. Der sol yn lichtiglichen ufheben. Der groß lewe sol bezaubert werden mit der súberlichen dochter des konigs von dem land Forane.« (LuGral I, S. 536, 32 - 36) 119 Das Wundergeschehen setzt die Bildsprache aus Galahots Traum fort. Das Grabmal fungiert nicht als Erinnerungsort, sondern steht im Zeichen einer Zukunftsprognose. Die Umstehenden glauben, dass Lancelot der Held ist, von dem die Prophezeiung handelt und fordern ihn auf, die Geheimnisse des Sarkophags zu enthüllen. Als Lancelot den Deckel öffnet, entdeckt er unter der Platte weder Schrift noch Leib. Zum Vorschein kommt ein feuerspeiender Drache, den der Held umgehend tötet. Auf Burg Corbenic lässt sich Lancelot von König Pelles und seinen Hofleuten überlisten, die den Helden an der bestandenen Probe erkannt haben. In der Nacht führen sie ihm die Königstochter Amide zu, mit der Lancelot den › Löwen ‹ Galaad zeugt. Da er keine Frau außer Ginover begehrt, wird der Beischlaf durch einen Zaubertrank herbeigeführt. Das Motiv ist freilich dem › Tristan ‹ entlehnt, doch verschiebt es der › Prosa-Lancelot ‹ vom Mittel zur Beiführung des Ehebruchs zum Mittel seiner Dispensation. Lancelot ist der Ehebruchsminne derart verhaftet und sein ritterliches Handeln so exklusiv auf die Aktualisierung von Ginovers Lohn ausgerichtet, dass sich sein Schicksal nicht anders als durch › Betäubung ‹ entfalten kann. Als Lancelot die Täuschung im Morgenlicht erkennt, reitet er zornig davon. Nach einer Aventiure auf der Burg Tartre entdeckt Lancelot schließlich den Sarg seines Großvaters, der ein weiteres Detail über die familiäre Vorgeschichte des Helden offenbart: Auf Lancelot I. geht der Rufname des Helden zurück. Sein Grabmal befindet sich in einem Tal im Gefährlichen Wald. Auf seinem Weg dorthin begegnet der Held einem knurrigen Zwerg, der die fahrenden Ritter wegen ihrer vernunftlosen Suche nach Abenteuern verflucht. Er prophezeit, dass die Aventiuren des Gefährlichen Waldes erst durch den besten Ritter beendet werden können, der in der schrifft gezeichent [ist] mit lewenfigur (LuGral II, S. 134, 3 f.). Lancelot lässt sich davon nicht abhalten und reitet weiter. Er gelangt in ein Tal mit einer von Bäumen überschatteten Quelle, deren Wasser durch ein goldenes Rohr in ein quadratisches Gefäß aus Blei läuft und von dort in den Wald rinnt. Daneben steht ein Sarkophag aus grünem Marmor, der von zwei Löwen bewacht wird. EineTafel gibt über die Identität des Verstorbenen Auskunft und benennt die Herausforderung, die mit dem Sarg verbunden ist: »Under dißem sargk lytt der lichnam konig Lancelots, der konig Bans vater was von Bonewig, in dem brunnen syn heubt. Der lichnam sol nit ußer der erden genomen werden oder der sargk off gebrochen, biß so lang der best ritter der welt syn hant daran legt.« (LuGral II, S. 134, 29 - 34). 119 Die Grabinschrift im deutschen › Prosa-Lancelot ‹ setzt die Bildsprache der Traumallegorie nicht sinnvoll fort. Tatsächlich entspricht Lancelot dem Leoparden, der den Löwen Galaad mit der Königstochter zeugt, vgl. Micha IV, S. 202: Lois moinent Lancelot en .I. cimitiere desouz la tor et li monstrent .I. tombe molt riche ou il avoit lestres escrites qui disoient: »Ja ceste tombe ne sera levee devant que li lieparz i mestra main, de qui li granz lions doit issir, et cil la levera legierement, et lors sera engendrez li granz lions en la bele fille au roi de la Terre Forainne.« Zu den Träumen vgl. auch Klaus Speckenbach: Die Galahot-Träume im › Prosa-Lancelot ‹ . In: Wolfram-Studien IX (1986), S. 119 - 133. 212 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman Nachdem er die Inschrift gelesen hat, besiegt Lancelot die Löwen und schreitet zum Marmorsarkophag, der am oberen Ende mit Blut befleckt ist. Er weiß nicht, wie er den Deckel öffnen soll, ohne das Blut zu berühren und wendet sich zur Quelle. In einem bleiernen Gefäß entdeckt er da den Kopf eines schönen Mannes mit weißem Haar und rosigem Gesicht, der von sprudelnd heißem Wasser umspült wird. Auf dem Gefäß stehen Buchstaben, die erneut vom besten Ritter künden, nun aber präzisieren, wodurch sich dieser Ritter auszeichnet: »Diß hicz sol nit verlescht werden biß zur zytt das der best ritter der welt here kompt, durch den die jungferlichkeit nit in ubel gestalt sy noch genomen durch die hiczung des fleisches. Und als bald der kompt, so sol diß hicz uff hörn und ende nehmen, umb das keyn hicz des fleisches in im ist.« (LuGral II, S. 136, 30 - 35) Lancelot versucht den Kopf aus dem Wasser zu heben und verbrennt sich dabei die Hände. Plötzlich bemerkt er neben sich einen Einsiedler, der ihn um die Aushändigung des Kopfes bittet. Lancelot befolgt die Bitte und obgleich er die Hitze des Wassers nicht zu stillen vermochte, ermutigt ihn der Einsiedler, sich weiter an derAventiure zu versuchen. Das Blut auf der Sargplatte ist verschwunden. Als Lancelot die Platte öffnet, kommt darunter ein kopfloser Leichnam zum Vorschein, daneben liegt eine kostbare Krone. Lancelot hebt den Leib seines Großvaters aus dem Sarg und legt ihn auf Geheiß des Mönchs auf den Altar der Klause, wo sich ein zweiter Sarkophag befindet, den er mit aller Kraft aufbricht. Der Einsiedler erklärt ihm, dass es sich bei dem zweiten Leichnam um seine Ahnherrin Königin Marche handle und er den Großvater neben sie betten solle. So habe es die Königin nämlich angeordnet, bevor sie verstorben sei. Lancelot gehorcht und gedenkt dabei seufzend des sterblichen Schicksals, das er und alle irdenisch herren einst erleiden müssten (LuGral II, S. 140, 18). Er setzt sich neben dem Einsiedler nieder und erfährt, dass sein Großvater, der aus dem Geschlecht Josephs von Arimathia stammt (vgl. LuGral II, S. 141, 30 f.), das Christentum im Weißen Land verbreitet habe und eine geistige Beziehung zu einer frommen Frau unterhielt, die mit dem Vetter des Königs, dem Herzog der Burg zur Weißen Wacht, verheiratet war. Da dieser argwöhnte, vom König und seiner Frau betrogen zu werden, habe er den König nach der Messe an der Quelle ermordet. Als er sein Kopf aus dem Wasser ziehen wollte, habe sich ein Wunder ereignet, denn das Wasser sei kochend heiß geworden. Später sei der Sohn Lancelots I., König Ban, in das Tal gekommen, um den Leichnam zu bergen; er habe es jedoch nicht vermocht, den Leib aus dem Sarg zu nehmen. Seitdem habe sich ein Blutwunder auf dem Sarkophag gezeigt, dass jeden, der damit bestrichen wurde, auf der Stelle geheilt habe. Lancelots letzte Grabaventiure präsentiert sich erneut als ein komplexes Verweissystem, das Vergangenes und Zukünftiges in seine Bedeutung miteinschließt. Wieder steht dem Helden ein Eremit zur Seite, der bei der Kontextualisierung und Auslegung der dargebotenen Sepulkralzeichen behilflich wird. 120 Inschriftlich ist die Aventiure dem besten Ritter attribuiert, doch vermag Lancelot nur einen Teil derAufgaben zu verrichten. Die kochende Quelle, ursprünglich Zeichen für den verräterischen Mord des Herzogs an seinem König, wird in der Aktualisierung der Aventiure auch Zeichen für Lancelots eigene Sünde. Zwar i s t Lancelot der beste Ritter - 120 Auch über Lancelots Verhältnis mit Ginover ist der Mönch informiert, vgl. LuGral II, S. 148, 4 - 9: Als Lancelot diß rede verstund, da begund er in die lufft sehen und schineret der schanden halben und sprach: »Lieber bruder, wie wißent ir das ich sy so als ir sprechent? « »Ich weiß gnung da von«, sprach der bÿderman, »wann ich uch kant da ir her kament und ir mich nit. [. . .]«. 7.2 Endspiel: Grabmäler als Erkenntnisproblem im › Prosa-Lancelot ‹ 213 doch nur im weltlichen Verständnis, weil sein Rittertum dem Frauendienst verpflichtet ist, ja grundlegend durch die ehebrecherische Liebe zu einer Dame motiviert wird. Erst Galaad kann der inschriftlich indizierten Bedeutung vollständig entsprechen, weil sein Rittertum ganz auf Gott ausgerichtet ist. Indem Lancelot aber immerhin ein Teil der Aventiure zukommt, bietet er die formale Voraussetzung für eine spätere Vollendung. Sein Wirken präfiguriert die Erfüllung durch den Sohn. Das einzige Aventiuregrab, das Lancelot nicht aufsucht, soll sich am Eingang vor dem Tor zum Merlinsturm befinden. Darauf, so berichtet ein Forstherr, nachdem Lancelot den Sarkophag Galahots gefunden und die Schwester Meleagants gerettet hat, sei folgende Inschrift geschrieben: › Es seye dann sach das Lanntzelot komme, so werdenn die wunderlichenn dinnge hierinnen pleibenn unnd nicht geendet werdenn. ‹ (LuGin II, S. 698, 10 - 12). Weil er glaubt, Lancelot wäre in Meleagants Gefangenschaft verstorben, beklagt der Forstherr die verpasste Erlösung durch den Helden. Lancelot, der sich wie so häufig nicht öffentlich zu erkennen gibt, fragt, wie weit die Aventiure entfernt sei. Als er erfährt, dass er durch den Umweg seinen Termin am Hof von König Bandemagus versäumen würde, verabschiedet er sich und reitet weiter. Üben die Grabmäler sonst eine starke Anziehungskraft aus, zieht der Protagonist hier aus Zeitmangel an der Aventiure vorbei. C OLLIOT hat die Episode als autoreferenzielle Selbstparodie gelesen, 121 während VON M ERVELDT darin ein Beispiel der Offenheit des Textes gesehen hat, der »noch lange nicht › auserzählt ‹ ist«, sondern »[i]m Gegenteil [. . .] über ein unendlich weites Repertoire an potentiellen Geschichten [verfügt]«, die durch solche Figurenverweise angelegt werden. 122 Wunder nimmt allerdings, dass sich das Grabmal nicht - wie gewohnt - an einen anonymen besten Ritter richtet, der sich erst durch die Beendung der Grabaventiure um den schmückenden Beinamen verdient machen kann, sondern Lancelot direkt adressiert, seinen ritterlichen Erfolg mithin als gegeben voraussetzt. Die Grabmäler des › Lancelot propre ‹ konstituieren eine heilsgeschichtlich bedeutsame Genealogie. Die Identität Lancelots, seine heroische Natur, aber auch seine Disposition zur Sünde, ist, wie sich im Laufe der Handlung zeigt, wesentlich durch seine Vorfahren bestimmt. Das Wissen über ihre Taten und ihr Leben entnimmt Lancelot den Grabinschriften, deren Selektivität und Kürze allerdings stets eine mündliche Kontextualisierung durch geistliche Begleitfiguren erfordert. Die Grabaventiuren setzen sowohl Lesekompetenz als auch heroische Körperkraft voraus, denn die schriftlich überlieferten Hinweise zur Aventiure befinden sich teils am Äußeren, teils im Inneren der von schweren Grabplatten bedeckten Särge. Im Lichte seiner › Entbergungen ‹ erlangt der Held nach und nach Kenntnis von seinen Vorfahren. Wie schon am Grab Gahmurets erweist sich das metonymische Prinzip, demgemäß 121 Vgl. Colliot 1973, S. 171: »Il s ’ agit d ’ un cas romanesque exceptionnel, puisque le lecteur Elu dédaigne d ’ obéïr à l ’ inscription : on pourrait presque conclure à la parodie du procédé, s ’ il ne s ’ agissait tout simplement d ’ un essoufflement de l ’ imagination. . .« 122 von Merveldt 2004, S. 176. Grundlage dieser Argumentation bildet die Beobachtung von Douglas Kelly, der die fortwährende Öffnung des Prosaromans auf neue Aventiureepisoden als ein poetisches Programm der disjointure beschrieben hat, das im Gegensatz zur symbolisch-sinnhaften conjointure des Versromans steht. Vgl. Douglas Kelly: L ’ Invention dans le romans en prose. In: Leigh A. Arrathoon (Hg.): The Craft of Fiction: Essays in Medieval Poetics. Rochester 1984, S. 119 - 142, S. 125: »La conjointure fait donc place à la »disjointure,« à l ’ insertion dans une matière donnée d ’ une nouvelle matière. [. . .] Cette disjointure élevée en principe de composition permettra les multiples interventions pratiquées par les auteurs aussi bien que les scribes dans les manuscrits de nos romans en prose.« 214 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman die Toten durch die am Grabmal beteiligten Zeichensysteme repräsentiert werden, auch im › Prosa-Lancelot ‹ als unzureichend: Lancelot muss jedes Mal in die Särge hineinschauen, um sich zu vergewissern, wer dort begraben liegt. Die Grabaventiuren des › Lancelot propre ‹ sind, so lässt sich konstatieren, vom autoptischen Prinzip geprägt. Um dieToten endgültig zu erlösen, bedürfen sie schließlich auch einer Überführung und neuen Bestattung. Die Grabmäler des › Lancelot propre ‹ stiften einen Verweisungszusammenhang, der im entrelacement der Großerzählung Kohärenz stiften kann. So segmentieren sie erstens den biographischen Anteil des Romans, indem die Entdeckung von Lancelots Grab auf der Dolorose Garde auf den Abschluss seiner Biographie am selben Ort vorausdeutet. Die Zusammenführung von Galahot und Lancelot in einem gemeinsamen Sarkophag bietet zudem die erzähllogische Konsequenz auf den sich ebenfalls schon im › Lancelot propre ‹ ereigneten Liebestod des Freundes. Neben diesen biographisch-syntagmatischen Verweisungszusammenhängen zwischen Anfang und Ende, bilden die Grabmäler aber zweitens auch eine paradigmatische Struktur aus, die den Konnex von Genealogie und Identität variiert. Die Wiederholung der Grabaventiuren verleiht gerade diesem Abenteuertypus Signifikanz. Wird Lancelot im Zusammenhang seiner › Signaturepisode ‹ auf der Dolorose Garde noch der Rang des besten Ritters zugesprochen, manifestieren die folgenden Grabaventiuren seine allmähliche Entheroisierung. Erst Galaad, Lancelots sündenfreier Sohn, kann vollenden, was sein Vater begonnen hat. Die Grabaventiuren müssen in der › Queste ‹ folglich erneut durchlaufen werden. Dafür bedarf es jedoch, wie im nächsten Kapitel zu zeigen sein wird, einer neuen Auslegungspraxis, mit deren Hilfe die eigentliche Bedeutung der Sepulkralzeichen offenbart wird. 7.2.2 Weltliche und geistliche Sepulkralsemiose Wurde die Sinnbildung schon im › Lancelot ‹ propre durch ambige oder gefälschte Zeichen erschwert, fordern die Inschriften in der › Queste ‹ eine neue Auslegungspraxis ein. Vor diesem Hintergrund verdunkelt Lancelots Erkenntnisfähigkeit zunehmend. Mit der Inthronisation seines Sohnes Galaad auf dem Gefährlichen Sitz verliert Lancelot endgültig den Status des besten Ritters und mit ihm auch seine Funktion als Adressat prophetischer Inschriften. Galaad substituiert seinen Vater und wird zum neuen Leser der inschriftlichen Aventiure, weil ihm, von Sünden unbefleckt, eine tiefere Erkenntnisfähigkeit zukommt. 123 Bis auf wenige Ausnahmen werden die Ritter der Tafelrunde in eine bis dahin unbekannte Ereignislosigkeit gestürzt. DieAventiuren sind nur noch einer kleinen Schar auserwählter Ritter vorbehalten, die sich für ihre letzte Aufgabe, die Überführung des Grals in den Osten, bewähren sollen. 7.2.2.1 Inschrift und Erkenntnis in der › Queste ‹ In der › Queste ‹ spielen die Ahnengrabmäler nur anfänglich eine Rolle und werden schließlich durch sakrale beschriftete Artefakte ergänzt, welche die eigentliche Heilsbotschaft transportieren. Den Höhepunkt bildet ein geheimnisvolles Schiff, das ein man mit großer gesellschaft 123 Zur Konzeption des neuen Gralhelden Galaad vgl. Kurt Ruh: Der Gralsheld in der › Queste del Saint Gral ‹ . In: Wolfram-Studien I. Berlin 1970, S. 240 - 263; Christoph Huber: Galaad als Erlöser. Zur heilsgeschichtlichen Struktur im Prosalancelot. In: DVjs 82 (2008), S. 205 - 219; Brigitte Burrichter: Galaad - ein exemplarischer Heiliger. In: Nine Robijntje Miedema u. a. (Hg.): Sprechen mit Gott. Berlin 2012 (Historische Dialogforschung 2), S. 145 - 156. 7.2 Endspiel: Grabmäler als Erkenntnisproblem im › Prosa-Lancelot ‹ 215 [von dem hymmel] mit silbernen Buchstaben versehen haben soll, um eine Botschaft Salomos in die arthurische Gegenwart zu transportieren. Das Schiff erweitert die genealogischen Zusammenhänge des › Lancelot propre ‹ typologisch, indem sie auf Figuren und Ereignisse des Alten Testaments bezogen werden. Im Folgenden sollen nicht alle Schriftszenarien der › Queste ‹ erschöpfend interpretiert, sondern in der exemplarischen Analyse dreier Textstellen gezeigt werden, wie die Bedeutung der Grabaventiuren immer stärker geistlich-allegoretisch vereinnahmt wird. 124 1. Nachdem Lancelot seinen Sohn Galaad im Nonnenkloster zum Ritter geschlagen hat, begibt er sich mit seinen Vettern Bohort und Lionel nach Kamalot, wo ein Pfingstfest abgehalten werden soll. Während die Hofgesellschaft die heilige Messe feiert, treten die drei Ritter in den Saal und entdecken neben den beschrifteten Stühlen rings um die Tafelrunde (Suche, S. 14, 29 f.: »Hie sol der siczen, dort sol der siczen«) eine Inschrift auf dem Gefährlichen Sitz, die der Erzähler als nuwelich ausweist: Sie besahen was sie sprechen, und sie sprachen also: »Vierhundert jare und vierundfunffczig nach dem das gott gemartelt wart, an dem pfingsttag sol dieser seß synen meister finden.« (Suche, S. 14, 34 - 36). Übereinstimmend deutet man die neue Inschrift als Anzeichen einer wúnderlich abentúr, weshalb Lancelot sie mit einem Tuch verhängt, damit sie niemand vor dem König erblickt. Als die Hofgesellschaft einkehrt und ohne eine siegreich beendete Aventiure zum Festessen übergehen will, reflektiert Key den ungewöhnlichen Vorgang, indem er auf das fehlende Ereignis hinweist. Da bricht unvermittelt ein weiteres Schriftwunder in die Pfingstfestlichkeiten ein: Neben dem Palast erscheint eine Marmorsäule, in der ein kostbares Schwert steckt. Ihr Heft aus Rubin trägt eine goldene Inschrift, laut der das Schwert nur vom besten Ritter der Welt aus der Säule gezogen werden könne. Der König fordert Lancelot umgehend auf, das Schwert zu bergen, doch er verweigert sich und lässt die Artusgesellschaft wissen, dass noch am selben Tag das Wunder und die Aventiuren des Grals beginnen würden. Die Episode ist analog zum Abenteuer auf der Dolorose Garde konzipiert. Unter veränderten Vorzeichen werden hier erneut zwei aufeinander folgende Schriftaventiuren verknüpft. Während der Festsaal mit den namentlich ausgezeichneten Stühlen an die beschrifteten Gräber des Friedhofs erinnert, tritt der Gefährliche Sitz, dessen Inschrift von Lancelot verborgen wird, an die Stelle des Sarkophags mit dem darin befindlichen Epitaph. Der Zauber der Schriftsäule hingegen findet seine Entsprechung in der Schwertsäule. Während die Artusritter an der Schwert-Probe scheitern, reitet plötzlich eine Botin auf einem schwarzen Zelter heran und entzieht Lancelot seinen Protagonistenstatus. Seine Identität, so bekundet sie, habe sich seit dem vorherigen Tag verkert: verwehselt und verkert sei mit dem wesen auch sein name, nicht länger solle er glauben, der beste Ritter zu sein (Suche, S. 30 f., 36 - 12). Hatten die Grabaventiuren bereits auf einen Mangel des Helden hingedeutet, werden der Name Galaad und die Auszeichnung als bester Ritter nun öffentlich von Lancelot auf seinen Sohn übertragen. Als die Ritter in den Saal zurückkehren, ereignet sich dort ein weiteres Wunder: Alle Türen und Fenster schließen sich und ein alter Mann tritt ein, der den ersehnten Ritter aus dem Geschlecht König Davids und Josephs von Arimathia mit sich führt. Er begleitet den Ritter zum 124 Zu den Sinnstiftungsmodi in der › Queste ‹ und der › Mort Artu ‹ vgl. auch Michael Waltenberger: Schlangengift und Sündenschuld. Zur Konkurrenz der Sinnstiftungsmodi in der › Préparation à la Queste ‹ . In: Klaus Ridder u. Christoph Huber (Hg.): Lancelot. Der mittelhochdeutsche Roman im europäischen Kontext. Tübingen 2007, S. 147 - 172. 216 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman Gefährlichen Sitz, schaut unter das Tuch und liest die in der Zwischenzeit neu formierte Inschrift »Hie ist Galaat seß« (Suche, S. 22, 27). Ohne den Sitz zu enthüllen, fordert er den Ritter auf, Platz zu nehmen und verlässt anschließend den Saal. Nach dem Essen bringen die Ritter Galaad zur Schwertsäule. Mühelos beschafft sich der Jüngling das Schwert, ohne über den eigenen Erfolg zu erstaunen, denn die Aventiure, so verkündet er, sei allein für ihn bestimmt gewesen - nicht ohne Grund sei er ohne Schwert zum Artushof gekommen (vgl. Suche, S. 30, 21 - 24). Ist das Motiv der öffentlichen Herabsetzung durch eine Botin offensichtlich dem › Perceval ‹ entlehnt, entspricht die Handlungsfortführung keineswegs der intertextuellen Vorgabe. Lancelot zieht nicht zu einer zweiten Aventiurefahrt aus, um den Gral und mit ihm seine Ehre zurückzugewinnen, sondern wird durch seinen Sohn substituiert. Diese Verschiebung geht mit einer neuen Ausgestaltung der Gralsuche einher. Die Protagonisten dieser Suche kehren bis auf eine Ausnahme von ihrem Abenteuer nicht zurück. Auch gibt es keine Harmonisierung geistlichen und weltlichen Rittertums im Zeichen des Grals. Die Entrückung des Grals ist vielmehr gleichbedeuten mit dem Ende aller bekannten Aventiure. Der erste Schritt dahin stellt eine Veränderung der inschriftlichen Ereignis- und Deutungslogik dar. Markierten Inschriften bislang Abenteuerräume, die prinzipiell für alle Ritter zugänglich waren, entzieht Galaad dem Hof und mit ihm auch Lancelot den Zugang zur Aventiure. Schon mit Blick auf Excalibur stellt Galaad fest: »Herre«, [. . .] »das ist nit wunder, wann die abenture die ist myn und nit ir [. . .] « (Suche, S. 30, 21 f.).Wenngleich die Säule keinen eindeutigen Adressaten aufweist, ist sich Galaad gewiss, dass die Bezeichnung als bester Ritter ihm gilt. Während sich im höfischen Erzählen an das Pfingstfest die Erwartung der rituellen Erneuerung der Tafelrunde sowie eines Neuaufbruchs zur Aventiure knüpft, wird mit der Erscheinung der Erlöserfigur Galaad die geistliche Dimension des Feiertags bestimmend: 125 Aventiure ist von nun an Rittern vorenthalten, die über die beschrifteten Dinge zu einer tieferen Erkenntnis gelangen können. Während Galaad zur Suche nach dem Gral aufbricht, die von einem geistlichen Ideal der Erkenntnis geleitet ist, bleiben die übrigen Ritter dem höfischritterlichen Prinzip der Agonalität verpflichtet, das jedoch mit Ausbleiben der Aventiuren immer deutlicher destruktive Züge gewinnt. 2. Nachdem Galaad nicht nur ein Schwert, sondern auch den mit dem Blut Josephs von Arimathia bekreuzigten Schild des König Evallet erworben hat, begibt er sich in das Kloster, in dem sein Vorfahr Nasiens bestattet liegt, um dort seine › Antrittsaventiure ‹ zu begehen: 126 Wie zu erwarten ist, handelt es sich um eine Grabaventiure, die sich jedoch unter veränderten Vorzeichen präsentiert. Die Klosterbrüder führen Galaad zu einem Grab, aus dem eine grässliche Stimme erklingt und verheißen ihm, dass er unter der Platte einen buchstaben finden werde (Suche, S. 76, 2 f.). 127 Nachdem er eine aus dem geöffneten Sarkophag aufsteigende teuflische Gestalt mit dem Zeichen des Kreuzes in die Flucht geschlagen hat, entdeckt er aber 125 Die sich andeutende Analogie zwischen den Aposteln, die bei verschlossenen Türen den heiligen Geist empfangen, und Galaads Ankunft im Palas von Kamalot, dessen Türen und Fenster ebenfalls verschlossen sind, wird nachträglich von Parzivals Tante affirmiert, vgl. Suche, S. 156, 2 - 27. 126 Steinhoff 1995, S. 1086. 127 In der französischen Fassung wird der buchstabe nicht erwähnt, vgl. Pauphilet, 36, 12 - 14: Or vos dirai donc, fet li freres, que vos feroiz: alez a cele tombe la, et la levez, et je vos di que vos troveroiz desoz aucune grant merveille. 7.2 Endspiel: Grabmäler als Erkenntnisproblem im › Prosa-Lancelot ‹ 217 keine Schrift, sondern einen gerüsteten Ritter. Auf Anweisung eines alten Mönches exhumiert er den Leichnam und wird anschließend über die Bedeutung der Aventiure belehrt. In dieser ersten Handlungsallegorese, die fortan zum Ausgestaltungsprinzip jeder größeren Aventiure der › Queste ‹ wird, hebt der weise Mönch drei Elemente hervor: erstens die Härte der Sargplatte, die für die Verhärtung der Welt stehe, aufgrund derer der Vater im Himmel den Sohn auf Erden geschickt habe; zweitens den Leichnam, der die Verhärtung des Volkes verkörpere, das Christus zum Tode verurteilt habe; und drittens die Stimme, die die richtenden Worte des Pontius Pilatus bedeutete. Damit sei dieAventiure ein Abbild derAnkunft und Passion Christi, auf die ihrerseits Galaads Ankunft zurückverweist. Während fahrende Ritter stets Angst und Entsetzen empfunden hätten, wenn die grässliche Stimme aus dem Grab erklang, sei der böse Geist vor Galaad geflohen, weil er gegen dessen Reinheit und Keuschheit nichts habe ausrichten können. Die Allegorese und der fehlende buchstabe markieren eine semiotische Zäsur. Nicht die Schrift steht mehr im Vordergrund, sondern die materiellen Eigenschaften der Dinge, die allegorisch auf die Bibel verweisen. Die Verhärtung des Volkes wird in zweifacher Hinsicht begründet und ist ganz offenbar auf den Zustand der Tafelrunde zu beziehen: 128 Sündhaft sei erstens die mangelnde Liebe, die der Sohn dem Vater und der Vater dem Sohn entgegengebracht habe, sowie zweitens die Verkennung des Volkes bei der Ankunft Christi. Während die erste Verhärtung auf Artus ’ Beziehung zu seinem inzestuös gezeugten Sohn Mordred rekurriert, scheint die Verkennung auf die verderbliche Rivalität der Artusritter anzuspielen, die sich bereits im › Lancelot propre ‹ beharrlich gegenseitig bekämpfen, nach Beendung der Gralsuche einander aber zugrunde richten. Galaads Aufgabe besteht in einer Erkenntnisleistung. Erst die tiefe Einsicht in das Heilsgeschehen bringt ihn zum Gral. Über diese Einsicht erstaunt selbst Galaad. So kommentiert der Erzähler den Abschluss der Handlungsallegorese mit der Bemerkung: da were größer bedútniß an dann er selber wönte (Suche, S. 82, 18 f.). 3. Den Höhepunkt der › Queste ‹ bildet die ekphrastische Beschreibung von Salomos Schiff, das in der Tradition der wunderbaren Wissensräume derAntikenromane steht. 129 Das Schiff ist nicht nur äußerlich mit Inschriften versehen, sondern in ihm werden auch kostbare schrifttragende Objekte verwahrt. Die bedútniß des wunderbaren Davidschwerts, der Krone und dreier über einem Bett fixierter Spindeln aus grünem, rotem und weißem Holz wird abwechselnd durch den auktorialen Erzähler und Parzivals jungfräuliche Schwester erhellt. Ihre Ausführungen werden schließlich von einem Schriftstück bestätigt, das Galaad, Bohort 128 Die typologische Auslegung ist in mehrfacher Hinsicht brüchig, besonders der suggerierte Bezug zwischen dem Volk der Juden und den sündigen Artusrittern, vgl. dazu die Ausführungen in Christoph Huber: Von der › Gral-Queste ‹ zum › Tod des Königs Artus ‹ . Zum Einheitsproblem des › Prosa-Lancelot ‹ . In: Walter Haug u. Burghart Wachinger (Hg.): Positionen des Romans im späten Mittelalter. Tübingen 1991, S. 21 - 38, besonders S. 25 - 29. 129 Die Verbindung zu den Antikenromanen wird nicht nur durch das ekphrastische Darstellungsverfahren, sondern auch durch die Tradenten-Figur des Salomo hergestellt, vgl. von Merveldt 2004, S. 49 f.: »Salomo tritt mit Vorliebe in französischen Antikenromanen als heterodiegetische Autoritätsfigur auf, um in Prologen und Exkursen die Authentizität und Wahrheit des überlieferten Wissens zu verbürgen. [. . .]. Wenn Salomo im Lancelot auch gattungsfremd ist, so scheint er doch die richtige Figur, um die Artusliteratur auf neue Horizonte hin zu öffnen und das Wissen der Vorzeiten in sie hineinzutragen.« Zur Figur des Salomo im höfischen Roman vgl. auch Emmanuèle Baumgartner: Figures du destinateur: Salomon, Arthur, le Roi Henri d ’ Angleterre. In: Ders.: De l ’ histoire de Troie au livre du Graal: Le temps, le récit (XIIe - XIIIe siècles). Orléans 1994, S. 159 - 168. 218 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman und Parzival einem kostbaren Beutel an Bord entnehmen. Das Schiff bildet den Abschluss aller Aventiure in Logrien, auf ihm soll Galaad den Gral in den Osten nach Sarras bringen. Um dies zu tun, muss er jedoch erst den heilsgeschichtlichen Sinn der »schwimmenden Schatzkammer« erkennen und das Davidschwert in Besitz nehmen. 130 Das komplexe Verweissystem des Schiffes, das auf zentrale Ereignisse und Figuren der Heilsgeschichte verweist, ist anderswo ausführlich beschrieben und analysiert worden. 131 Dabei hat man dem semantischen Zusammenhang zwischen den Grabmälern und Salomos Schiff jedoch wenig Bedeutung zugemessen. Wie die Grabmäler fungiert auch das Schiff als Archiv. Nur Galaad und seinen keuschen Gefährten ist es gestattet, diesen Raum zu betreten und die an Bord verwahrten Dinge in Augenschein zu nehmen. Eindringlinge, die sich unrechtmäßig zum Schiff Zugang verschaffen wollen, werden durch einen Schriftbann abgehalten. Denn das Schiff, seine Ladung und deren Materialität offenbaren Galaads Identität, die gemäß der geistlichen Überblendung der › Queste ‹ nicht mehr nur genealogisch, sondern auch typologisch figuriert wird. Galaad steht einerseits an der Spitze des Geschlechts von König David, in ihm wiederholt sich andererseits die Weisheit Salomos, der das Schiff mit Hilfe seiner Frau erbaut hat, damit sich der jungfräuliche Ritter einst an ihn erinnern möge (vgl. Suche, S. 434, 11 f.). Mit dem Davidschwert, welches das weltliche Schwert aus der Säule ersetzt, wird Galaad schließlich zum miles christianus gerüstet, dessen Handeln in der Nachfolge Christi steht. 132 Im Unterschied zu den verzauberten Gräbern wird über die Entstehung des Schiffs ausführlich berichtet. Als eine Stimme Salomo von der Jungfrau Maria berichtet und prophezeit, ein jungfräulicher Ritter werde am Ende seines Geschlechts stehen, ersinnt seine Frau den Plan, ein Schiff zu bauen, um diesem Ritter eine Botschaft zu übermitteln. Es wird aus haltbarem Holz angefertigt und mit symbolischen Objekten ausgestattet. Als er das Werk betrachtet, muss der König schließlich feststellen, dass seine listige Frau etwas geschaffen hatte, was selbst ihre eigene Erkenntnisfähigkeit übertraf: »[. . .] Und wer alle die welt hie, die möchte nit mercken diß bedútniß von dißem schiff, got selber sagete es yn dann, noch du selber, wie du es gemacht hast. [. . .]« (Suche, S. 438, 28 - 30). Das Davidschwert befindet sich auf einem Bett, das offenbar baldachinartig von drei verschiedenfarbigen Spindeln aus Paradiesholz überdacht ist. Eva habe einen weißen Zweig vom Baum der Erkenntnis in die Welt gebracht, dessen Ableger sich zweimal verfärbten: Der Baum, unter dem Adam und Eva miteinander schliefen, wurde grün, der Baum, unter dem Kain seinen Bruder ermordete, wurde rot. Das Fortbestehen der drei Hölzer weist auf die dynamische Wiederholung des alttestamentlichen Sündenfalls in der Geschichte. In diesem Lichte wird auch das Verhältnis von Vater und Sohn neu gedeutet: Erschien Galaad zuvor als Antitypus seines Vaters (im Sinne einer außerbiblischen Typologese), indem er dessen Aventiuren vollendete, so werden nun beide nachträglich auch mit 130 von Merveldt 2004, S. 62. 131 Vgl. Albert Pauphilet: Étude sur la Queste del Saint Graal, attribuée à Gautier Map. In: Romania 195 (1923), S. 433 - 441; Esther Casier Quinn: The Quest of Seth, Solomon ’ s Ship and the Grail. In: Traditio. Studies in Ancient and Medieval History, Thought and Religion 21 (1965), S. 185 - 222; Nancy Freeman Regalado: The Medieval Construction of the Modern Reader: Solomo ’ s Ship and the Birth of Jean de Meun. In: Yale French Studies 95 (1999), S. 81 - 108; von Merveldt 2004, S. 49 - 72; Waldmeier 2018, S. 151 - 154. 132 Vgl. Remakel 1995, S. 100 f.; nach Huber ist der Galaad-Christus-Bezug mit dem Modell der imitatio nicht zu erfassen, er hat dagegen das umstrittene Modell der Postfiguration vorgeschlagen, vgl. Huber 1991, S. 28 ff. 7.2 Endspiel: Grabmäler als Erkenntnisproblem im › Prosa-Lancelot ‹ 219 alttestamentlichen Typen in Verbindung gebracht: Während Lancelots Beziehung zu Ginover dem Sündenfall entspricht, wird Amide, die Mutter Galaads, in die Nachfolge Marias gerückt, da die Zeugung Galaads frei von sexueller Begierde gewesen sei. 133 Wie in derAntrittsaventiure wird die Exegese folglich von der symbolischen Materialität des Schiffes getragen, das seinerseits einen typologische Bezugauf den salomonischen Tempel nahelegt. Die spezifische Kodiertheit der schwimmenden Botschaft weckt Salomos Zweifel, ob das Wissen über die zeitliche und räumliche Ausdehnung dem Ritter am Ende seines Geschlechts verfügbar gemacht werden könne. Nicht die materielle Persistenz ist Grund zur Sorge, sondern die Frage, wie die Botschaft Galaad erreichen kann und wie sich ihre richtige Auslegung garantieren lässt. Als Salomo sich mit diesem Gedanken vor dem Schiff zu Ruhe legt, scheint es ihm, als ob eine männliche Gestalt begleitet von himmlischem Gefolge Schiffswände, Schwert und Schwertscheide mit silbernen Buchstaben versehen würde. Am nächsten Morgen untersucht er die Schiffswand und entdeckt tatsächlich Inschriften, die eindrücklich vor dem Betreten des Bauwerks warnen: »Hörest du mensch, der in mich will gan: hút dich das du nit herinn gehest, du syest dann vol truwen, wann ich bin nit dann getruwe! Und als bald als du dich wúrffest uß rechtem glauben, ich werff dich uß in der wise das du nit solt haben entheltniß noch hilff; wann ich laß dich verderben, welch zyt du wurdest begriffen in dem unglauben.« (Suche, S. 440, 15 - 20) Wie bei der Aufschrift auf den Schiffsplanken handelt es sich auch bei den Beschriftungen auf Schwertknauf, -klinge und -scheide um warnende Grenzmarkierungen, die Unbefugten den Zutritt oder die Aneignung der Heilsbotschaft und ihrer Symbole untersagen. Der semantische Bereich des Sakralen wird durch die bedrohliche Macht des Schiffes abgeschirmt, die durch autarke Bewegung und Inschriften aus der ersten Person evoziert wird. In solcher › Beseelung ‹ der Dinge verschafft sich ein göttlicher Wille Ausdruck, der dem Kunstwerk eine geheimnisvolle Aura verleiht. Das sekundäre Zeichensystem der Gottesschrift wird allem Anschein nach jedoch nicht dazu eingesetzt, Bedeutung zu explizieren oder zu sichern, sondern um Rezipienten zu selektieren und Unbefugte fernzuhalten. Die Allegorese wird indes durch Parzival und seine Schwester geleistet, die als Jungfrau in die Nachfolge Marias tritt. Als Galaad, Parzival und Bohort das Schiff entdecken, führt Parzivals Schwester die Schar an Bord und berichtet von den Ereignissen, die sich mit seiner bisheriger navigatio verbinden. Viele Ritter, darunter Nasiens, dessen Grab Galaad in seiner Antrittsaventiure vom Teufel befreite, hätten versucht, das Schiff zu betreten oder das Schwert zu verwenden, und hätten dafür eine gerechte Strafe von Gott erhalten. Im Zuge dieser historischen Kontextualisierung erkennen die Helden, dass die auf den Wänden und dem Schwert befindlichen Inschriften ihre Funktion bereits erfüllt haben; es ist der Zeitpunkt erreicht, an dem das Davidschwert in Gebrauch genommen werden darf. Kennzeichnete es die Grabinschriften, dass sie stets im I n n e r e n der Särge angebracht waren, ist auch die entscheidende Botschaft, der salomonische Brief, im Inneren des Schiffs verwahrt. Nach und nach nähern die Helden sich ihm und lesen gemeinsam, was dort geschrieben steht. Parzival erklärt seinen Gefährten, woran Spindeln und Schiff gemahnen (vgl. Suche, S. 442, 13 - 18). Anschließend befolgt 133 Vgl. LuGr I, S. 548, 29 - 34: Sie begerte syn mit inwendigen gedencken, wann sie es also sere nit det von syner schönheit willlen oder durch erhiczung des fleischs noch durch hoffart oder begirden, sunder durch solch frucht zu empfangen da von alles das landt komen solt zu sym ersten gluck [. . .]. 220 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman Parzivals Schwester die lange schriftliche Anweisung auf der Schwertscheide und tauscht ein wertloses Hanf-Gehenk gegen eines aus Jungfrauenhaar aus. Damit wird Galaads Rüstung vervollständigt. Die Schiffsaventiure bildet mithin den krönenden Abschluss der Reihe der Grabaventiuren, denn die an den Grabmälern erworbenen Einsichten in die Geschichte des Geschlechts von Lancelot und Galaad entfalten erst im sakralen Raum des Schiffes ihre tiefere Bedeutung. Sie wird durch das harmonische Zusammenspiel von mündlicher Kontextualisierung, göttlich-schriftlicher Beurkundung und mündlicher Exegese gewährleistet. Damit bereiten die Aventiuren den Gralhelden auf den Höhepunkt seiner Ritterschaft vor, der nicht etwa im Kampf besteht, sondern in der geistlichen Schau der göttlichen Geheimnisse durch den Gral. Nach Salomos Schiff wird in der › Queste ‹ noch ein weiteres Schiff erwähnt, das den Bogen zurück zu den Grabmälern des › Lancelot propre ‹ schlägt. 134 Nachdem Parzivals Schwester den Rittern das Schiff gezeigt und erklärt hat, opfert sie sich für eine aussätzige Edeldame. Sterbend ordnet sie die Translation ihres Leichnams nach Sarras an, damit die Galaad, Parzival und Bohort sie dort zu einem späteren Zeitpunkt bestatten. Die Episode ist von starker Ambivalenz geprägt, weil die aussätzige Edelfrau zwar durch das Blut der Jungfrau geheilt wird, nur kurz darauf aber bei einem Unwetter ums Leben kommt, das die drei Helden als Zorn Gottes deuten. Der einbalsamierte Leichnam von Parzivals Schwester wird indessen auf ein Schiff gebettet und mit einem Brief ausgestattet, der da bedúten möchte alle ir leben und wie sie gestorben were und auch alle die abentúre die sie hett holffen zu ende bringen (Suche, S. 470, 12 - 14). Die Ausstellung der Leiche als Reliquie und der »nach dem hagiographischen Schema der Vita und Passio verfass[te]« Brief stilisieren Parzivals Schwester unverkennbar zu einer Märtyrerin, deren geschorenes Haupt und blutleerer Leib Weiblichkeit und Sexualität zeichenhaft negieren. 135 Im geistlichen pallast von Sarras wird schließlich ihr letzter Wille erfüllt: Sie erhält ein Grab neben Parzival und Galaad. 136 Die Anordnung, in Sarras begraben zu werden, bewahrt die Jungfrau vor einer Beisetzung auf dem Burgfriedhof der Edeldame. Dort entdecken Parzival, Galaad und Bohort vierzig Särge und zerbrochenen Schädel, die bildhaft an den Friedhof der Dolorose Garde erinnern: Und der was aller vol schoner serck, der mochten wol vierczig syn. Und alsa was es also weydelich und also suberlich das sie ducht das nye kein wetter wer darinn k ů men, als es auch was. Wann darinn lagen die lychnam die umb der frauwen willen waren gedöt. (Suche, S. 474, 25 - 29). Der Schauplatz, der in dem göttlichen Unwetter keinen Schaden nimmt, bleibt als Mahnmal für das selbstsüchtige Verhalten der Edeldame zurück, für die sich, wie nun bekannt wird, nicht nur 134 Schon die frühesten christlichen Schiffdarstellungen gehörten dem Bereich der Sepulkralkunst an: Das Schiff symbolisiert die navigatio vitae in den Hafen der Ewigkeit. Vgl. Matthias Hamann: Art. › Schiff ‹ , in: Walter Kasper (Hg.): LThK, Bd. 9. Freiburg u. a. 2006, Sp. 141 f. 135 Von Merveldt 2004, S. 234. Vgl. auch Janina P. Traxler: Dying to get to Sarras. Perceval ’ s Sister and the Grail Quest. In: Dhira B. Mahoney (Hg.): The Grail. A Casebook. New York/ London 2000, S. 261 - 278, hier besonders S. 271 f. Waldmeier hat ferner auf die Analogie zwischen der Episode vom Tod der Schwester Percevals und der Auffindung des Saluste in der › Estoire del Saint Graal ‹ hingewiesen: Bei der elevatio des Märtyrers stößt Josephus auf ein kleines Büchlein, das den Namen des Heiligen und einige Details über sein Leben enthält. Dem Körper allein mangelt es an Evidenz, erst mithilfe der Authentik kann seine Heiligkeit erkannt werden, vgl. Waldmeier 2018, S. 146 - 151. 136 Das sieht Parzivals Schwester vorher, vgl. Suche, S. 468, 19 f.: Und wißent ir warumb ich uch des bitten? Darumb das Galaat und ir da ligen sollent, das weiß ich! 7.2 Endspiel: Grabmäler als Erkenntnisproblem im › Prosa-Lancelot ‹ 221 Parzivals Schwester, sondern insgesamt vierzig Jungfrauen geopfert haben. Erst Parzivals Schwester setzt dem sinnlosen Sterben ein Ende. Bohort, der als einziger aus Sarras zurückkehrt, lässt die Taten der Jungfrau als Augenzeuge in die Geschichtsschreibung des Artushof eingehen. 7.2.2.2 Ein Hof schafft sich ab. Epitaphische Schlussgebung in der › Mort Artu ‹ Eine Besonderheit des › Prosa-Lancelot ‹ stellt die › Erzählpflicht ‹ dar, die zwischen den Rittern der Tafelrunde und ihrem König Artus besteht: 137 Jedes Mal, wenn sie von ihren Aventiuren zurückkehren, werden sie nach dem gemeinsamen Essen aufgefordert, einen detaillierten Erlebnisbericht abzulegen, den Artus von vier gelehrten Schreiber aufzeichnen lässt. 138 Die aus Chrétiens und Hartmanns Romanen bekannte Verknüpfung »alimentärer und erzählpragmatischer Konsoziation« 139 im rituellen Rahmen des höfischen Festes wird im › Prosa-Lancelot ‹ so zu einer selbstreferenziellen Erzählstrategie ausgebaut, die zur Grundlage der Verfasserfiktion von Heinrich II. und Walter Map gereicht. 140 Die Schilderung der Aventiuren nach dem Prinzip der adtestatio rei visae lässt auf ein an Isidor geschultes Historizitätsverständnis schließen; Prestige und Authentizität wird den Memoiren zudem durch die Übertragung der autoptischen Berichte ins Lateinische verliehen. 141 Während der › Prosa-Lancelot ‹ abseits seiner innerdiegetischen Schreibszenarien arm an poetologischer Selbstreferenz ist, 142 setzt der dritte Romanteil überraschend mit einem explizit rekursiven Kommentar zur Buchüberschrift ein: Der vermeintliche Auftraggeber Heinrich II. habe das Werk nach dem Ende der Aventiuren des Grals noch für unvollständig gehalten und Walter Map darum aufgetragen, auch das Ende dessen zu erzählen, das er zuvor geredet hett, insbesondere das Ende all der Personen, von wem das er die fromkeyt gesaget hett (Suche, S. 544, 6 f.).Walter Map sei diesem Wunsch nachgekommen und habe das Buch mit dem Titel Des Konig Artus Dott überschrieben, da er am ende diß buchs auf dessen Tod zu sprechen kommen wolle (Suche, S, 544, 9 f.). Die Engführung von Erzählende und Figurentod stellt freilich einen signifikanten Bruch mit dem zyklischen Strukturschema des Artusromans dar: Die Rückkehr an den Artushof ist nicht mehr Ausgangspunkt für neue Abenteuer, sondern Kulminationspunkt einer letzten Untergangserzählung, die, so verspricht der Titel, von ihrem Ende her motiviert ist. Die titelgebende Finalwendung des dritten Romanteils fällt mit dem Ende der chronikalen Aufzeichnungen von König Artus zusammen. Der letzte Augenzeugenbericht erfolgt mit Bohorts Rückkehr aus Sarras, der in seiner Erzählung von den Aventiuren des Grals auch die 137 Vgl. von Merveldt 2004, S. 34 - 40. 138 Bis zur Vollendung der Gralaventiure werden die Aventiuren insgesamt fünf Mal niedergeschrieben, vgl. (1) LuGin I, S. 1288, 22 - 32 (Gawan, Hector und Gawans Gefährten erzählen von ihren Aventiuren); (2) LuGin II, S. 484, 15 - 22 (Lancelot erzählt manches, verheimlicht aber auch viel); (3) LuGin II, S. 726, 23 - 25 (Lancelot erzählt); (4) LuGral I, S. 808, 30 - 816, 8 (Lancelot erzählt und verschweigt sein Zusammenkunft mit der Pelles-Tochter, danach erzählt Gawan, was er erlebt hat) sowie (5) LuGral II, S. 456,19 - 462, 21 (Lancelot erzählt). 139 Strohschneider 2014, S. 256. 140 Vgl. Raumann 2010, S. 176. Aufgrund der Inkonsistenzen, die sich vor allem aus Lancelots Schweigen ergeben, wurden die Augenzeugenberichte (nicht nur als Historizitätssignale, sondern) auch als Fiktionalitätssignale gedeutet, vgl. dazu den Forschungsüberblick bei Raumann auf S. 178. 141 Vgl. von Merveldt 2004, S. 36. 142 Vgl. Strohschneider 2014, S. 253 - 255. 222 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman Kunde vom Tod Parzivals und Galaads an den Artushof bringt (vgl. Suche, S. 544, 15 - 22). Nachdem Bohort seine Erzählung abgeschlossen hat, ordnet Artus an, die Niederschrift in der Königsabtei von Salisbury zu archivieren. Wie Peter S TROHSCHNEIDER vermutet, lässt die Einlagerung der Schriften ins Archiv darauf schließen, dass dem Erzählen im › Prosa-Lancelot ‹ nicht mehr die »Kraft direkter Wirklichkeitsgestaltung zu[getraut]« werde. 143 Dagegen möchte ich im Anschluss an Christiane W ITTHÖFT die These vertreten, dass sich mit dem Ende der Aventiuren zwar die zyklische Erzählpflicht erschöpft, an ihre Stelle jedoch ein biographisches Auserzählen im Modus der epitaphischen Kondensierung tritt. 144 Insgesamt acht Grabinschriften werden auf Mitglieder der höfischen Gesellschaft in Logres verfasst. Die Grabinschrift Lancelots auf der Dolorose Garde bildet ihren Schlusspunkt. Anders als die im Aventiureraum verstreut angeordneten prophetischen Gräber des › Lancelot propre ‹ werden die Grabmäler der › Mort Artu ‹ der Reihe nach im Stephansmünster errichtet und bilden ein kollektives Totengedächtnis fürArtus ’ Königreich. 145 Schon während der › Queste ‹ sind, wie sich herausstellt, zahlreiche Ritter verstorben, weil Gawan auf der ergebnislosen Suche nach Aventiure versehentlich achtzehn seiner Gefährten getötet hat. Sein unbeabsichtigter Mord an Iwein wird ausführlich erzählt, 146 der Tod von König Bandemagus indes nur implizit vermittelt, als Lancelot unverhofft auf dessen Grabmal stößt. 147 Statt seine Verfehlungen zu verheimlichen, gibt Gawan seineTäterschaft auf den Epitaphen öffentlich preis. Wie die Gräber der geopferten Jungfrauen in der › Queste ‹ bleiben auch die Gräber der getöteten Ritter als Mahnmale einer destruktiven Agonalität zurück. Zwar missbilligt man am Hof Gawans Taten, doch stellen sie keineswegs die ritterlichen Wettstreitslogik infrage. Nur wenig später beschließt König Artus, ein Turnier zu veranstalten, damit die Ritter trotz dem Ende aller Aventiuren gegeneinander antreten können. 148 Während der Wettkampf noch höfische Spielregeln kennt, entfaltet sich im 143 Vgl. ebd., S. 261. 144 Vgl. Christiane Witthöft: Finalität. Grabinschriften in der Untergangserzählung des Prosalancelot. In: Udo Friedrich u. a. (Hg.): Anfang und Ende. Formen narrativer Zeitmodellierung in der Vormoderne. Berlin 2014, S. 243 - 265, hier S. 248: »Nachdem das zyklische Erzählen der Gralssuche beendet ist, folgt ein biographisches Erzählen, welches im Tod der Protagonisten und somit in ihren Grabinschriften mündet. Die für den arturischen Roman typischen zyklischen Zeitstrukturen werden durch lineare Zeitläufe ersetzt. Das › Zu-Ende-Erzählen ‹ wird zum leitenden Erzählprinzip, welches Gräber und Totendienst als institutionelle Zeichen hervorbringt.« Ähnlich auch Unzeitig-Herzog 1990, S. 154; Waltenberger 1999, S. 144; Klinger 2011, S. 442 sowie besonders Wandhoff 2003, S. 322: »Die buchförmige Schriftlichkeit der Chronik wird hier, am Ende des Romanzyklus mit der steinernen Schriftlichkeit der Grabinskription kurzgeschlossen. Schrift besiegelt in der einen Form den Abschluß individueller Einzelleben und in der anderen Form den Abschluss einer Ära. Historie und Tod, in den Geschichtsbildern ebenso wie in der Totenmemoria schon immer vorzugsweise durch Buchstaben kodiert, fallen zusammen.« 145 Vgl. Unzeitig-Herzog 1990, S. 154 f. 146 Nachdem Gawan und Hector den Irrtum erkennen, bereiten sie Iwein ein stattliches Begräbnis, vgl. Suche, S. 304, 12 - 16: Da daten sie im eynen also solchen dinst als man spulget zu th ů n den doten und begruben yn vor dem hohen altare und daten im úberlegen eynen sarg und daten daruff schreiben synen namen und den namen des der yn hett erschlagen. 147 Vgl. Suche, S. 504, 29 - 36: Des morgens, da er hett meß gehört und da er ußer dem mönster solt gan da sah er zu der rechten syten wert ein grab, das n ů welich gemacht was als yn ducht. Da ging er dar besehen was es wer. Und da er dar by kam, da sah er das es also schön was das yn ducht das da unden leg ein groß herre. Da stunden buchstaben die da sprachen: »Hie lyt der konig Brandemer von Gorre, den herre Gawin erschlug.« 148 Vgl. Suche, S. 547, 23 - 29: Diße rede sprach der konig Artus von dem konig Bandomag; da von wart herre Gawin viel truriger wann er zu vorn was. Der konig, da er gesach das die abenture von dem konigrich von Logres waren zu ende bracht und das ir nit viel me sollten syn, da det er schryen eyn torney in der wießen von 7.2 Endspiel: Grabmäler als Erkenntnisproblem im › Prosa-Lancelot ‹ 223 Folgenden eine ungehemmte Destruktionskraft (mescheance), die in den Grabinschriften ihren prägnanten Ausdruck findet. Abgesehen von den Grabinschriften für Artus und Lancelot sind die Epitaphe der › Mort Artu ‹ von der Besonderheit gekennzeichnet, dass sie die gewaltsamen Todesumstände, unter denen Ritter und Damen verstorben sind, benennen und ihre Mörder anklagen. C OLLIOT hat die Grabinschriftentypus darum als Racheepitaph bezeichnet. Aufgrund ihres denunzierenden Gestus ziehen die Epitaphe öfter Vergeltungsschläge oder Gerichtskämpfe nach sich und tragen zur Herausbildung von Rivalitäten in der Artusgesellschaft bei. In dieser Hinsicht ähneln sie den (wenn auch viel stärker bildhaft gestalteten) Grabmälern des › Roman de Troie ‹ . Obgleich das Stephansmünster, Ort der Grablege, keineswegs ausführlich beschrieben wird, sich im Laufe der Untergangserzählung vielmehr erst allmählich »vor dem inneren Auge des aufmerksamen Lesers zusammensetzt«, 149 stellt es sich schon bald als blasphemischer Gegenpol zu Salomos Schiff dar. Denn es präsentiert sich gleichsam als ein Panoptikum der Sündenschuld, die an jedem einzelnen Grabmal ablesbar wird. 150 (1) Das erste Grab wird für Garheiß von Tharahen errichtet, der versehentlich von Ginover durch einen vergifteten Apfel getötet wird. Avalan hatte Ginover die Frucht zugesteckt, weil er glaubte, diese würde sie seinem Rivalen Gawan reichen. Das Epitaph bezichtigt Ginover des Mordes, obwohl die Königin ihre Unschuld beteuert. 151 Die in dem Ereignis anklingende Wiederholung des Sündenfalls wird auf dem Grabmal nicht explizit thematisiert. 152 Gleichwohl wird die Königin vom Bruder des Toten angeklagt und kann nur im letzten Moment durch Lancelots Hilfe vor dem Feuertod bewahrt werden. (2) Die Inschrift auf dem prächtigen Grab des Fräuleins von Challot führt Lancelot als Grund ihres Todes an (»Alhie lyt die jungfrawe von Challot, die umb Lanczlots mynne gestorben ist.«, Suche, S. 696, 17 - 19). Die Dame inszeniert ihr Ableben in deutlicher Analogie zu Parzivals Schwester. Wie die heilige Jungfrau lässt auch sie ihren Leichnam auf ein prächtiges Schiff betten und ein Schriftstück in einem kostbaren Beutel G ů ntiestre, darumb das er nit entwolt das die gesellen fúrbas ir wapen begeben. Der Übergang zwischen dem Bekenntnis Gawans und Artus ’ Beschluss, weiterhin Turniere abzuhalten, scheint kausallogisch unmotiviert, wenn nicht gar widersprüchlich. Eine mögliche Erklärung bietet hier vielleicht das (durch Chrétien geprägte) Erzählmuster des › Schandenberichts ‹ . Demgemäß müsste der entwürdigende Bericht Gawans einen Neuaufbruch zu Aventiure mit dem Ziel der Rehabilitierung der Tafelrunde auslösen. Da die Schmach jedoch nicht durch einen äußeren Feind hinzugefügt wurde, sondern durch den Musterritter selbst, kann niemand ausziehen und die Schande tilgen. Agonalität kann nur noch im Rahmen des organisierten Turniers umgesetzt werden. Vgl. dazu auch Elisabeth Schmid: Wahrheitsspiele in der › Mort Artu ‹ . In: GRM 49 (1999), S. 373 - 389, hier besonders S. 374. 149 von Merveldt 2004, S. 340. 150 Über den Gräbern befinden sich ferner auch das Drachenbild, das an den folgenschweren Inzest von König Artus gemahnt, sowie die › Pseudo-Reliquie ‹ (Lancelots metonymische Stellvertretung durch seinen Schild), mit welcher der Held aus der Ferne vergeblich versucht, an seine Taten für das Königreich zu erinnern. 151 Der deutsche Text zitiert die Grabinschrift (anders als im Französischen) in zwei unterschiedlichen Versionen: Bei der Bestattung des ermordeten Ritters wird Ginover noch nicht als Schuldige benannt, als Garheiß ’ Bruder Mador die Inschrift liest, wird die Königin indes explizit des Mordes bezichtigt, weshalb Mador einen Gerichtskampf fordert. Vgl. Suche, S. 682, 7 f.: »Hie lytt Gaharies von Tarahen, den die koniginne Genievre det sterben mit vergifft«. Ungeachtet, ob die erste Auslassung intendiert war oder nicht, zeigt die zweite Version der Grabinschrift, dass die Beschuldigung benötigt wird, um den Fortlauf der Handlung kausal zu motivieren. Eine detaillierte Analyse der Episode findet sich bei Reil 1996, S. 132 - 142. 152 Vgl. von Merveldt 2004, S. 242 und 342. 224 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman dazulegen, in dem sie die unerwiderte Liebe zu Lancelot als Todesursache angibt. Die Selbstinszenierung steht dabei freilich in Kontrast zur fahrenden › Reliquie ‹ von Parzivals Schwester, die sich geopfert hatte, um eine Edeldame vom Aussatz zu befreien. 153 Der Tod des Fräulein von Challot ist kein Akt der Nächstenliebe oder Barmherzigkeit, sondern verdankt sich ihrer übermäßigen Affekte. 154 Am Hof erhärtet sich aufgrund der Anschuldigung der Verdacht, Lancelot unterhalte ein Verhältnis mit Ginover. (3) Auch die Brüder Gaheries, Agravain, Guerrehes und Gawan liegen im Stephansmünster begraben. 155 Nachdem Lancelot Gaheries bei der Befreiung Ginovers getötet hat, schwört Gawan Rache und wiegelt König Artus zum Krieg gegen Lancelot auf. Nach vielen fruchtlosen Versuchen, Gawan zu besänftigen, verwundet Lancelot ihn schließlich tödlich im Zweikampf. Wie das Fräulein von Challot versucht auch Gawan vor seinem Ableben auf die eigene grabinschriftliche Formulierung einzuwirken. Voller Reue will er sich nachträglich die Schuld an seinem Tod und dem Tod des Bruders geben. 156 (4) In unmittelbarer Nähe befindet sich das Grab der Frau von Bielot, die Gawans Tod so sehr schmerzte, dass ihr Ehemann (ein Neider Gawans) sie aus Zorn mit dem Schwert entzweischlug. Es ist ihr letzter Wunsch, neben Gawan bestattet zu werden, damit jeder sehen könne, dass sie seinetwegen gestorben sei. 157 Die destruktive Wirkung der Epitaphe in der › Mort Artu ‹ ist in der Forschung wiederholt beschrieben worden. Helene S OLTERER hat sie als ritterliche Selbstermächtigungsstrategie gedeutet: 158 Indem die Artusritter ihre eigene memoria anfertigen ließen, avancierten sie zu Historiographen. Wenngleich sich die (auto-)biographischen Inschriften als weniger verläss- 153 Vgl. dazu auch Lisa Robeson: Writing as Relic: The Use of Oral Discourse to Interpret Written Texts in the Old French › La Queste del Saint Graal ‹ . In: Oral Tradition 14.2 (1999), S. 430 - 446, hier besonders S. 437. 154 Eine detaillierte Analyse der Passage findet sich bei von Merveldt 2004, S. 240 - 250. Sie liest die beiden navigationes als »zwei deutlich divergente Endszenarien, die unterschiedlichen Erzähllogiken unterstehen« und die »zwei › sinnstiftende ‹ , d. h. schemagerechte und von daher › befriedigende ‹ Enden inszenier[en würden]: das heilsgeschichtliche Ende als Vollendung und Erfüllung auf der einen Seite und das chronikalische Ende als Verfall und Untergang auf der anderen.« (S. 247). 155 Die Brüder erhalten ein gemeinsames Grab: Agravain und Guerrehes werden nebeneinander in prächtigen Sarkophagen bestattet und darüber der Sarkophag von Gaheries gestellt. Das Epitaph darauf besagt: »Hie ligt Gahariet des konigs neffe, den Lanczlot von dem Lach erschlagen hatt.« Und daten auch off die andern zwen schreiben die yene die sie duchten die sie erschlagen hetten, nach yren besten kúnsten. (Suche, S. 768, 6 - 10). Gawan wird später zu seinem Bruder Gaheries gebettet. 156 Vgl. Suche, 942, 19 - 24: »[. . .] Darumb wil ich das unser gebeyn by einander lige. Und d ů nt schreiben off den sarck: › Hie lyt Gahariet und herre Gawin, die herre Lanczlot erschl ů g umb Gawins hoffart. ‹ Das wil ich das es also geschriben stee, darumb das ich gescholten werde nach mynem tode, als ich es verdienet hann.« Entgegen seiner Opferbereitschaft wird die Formulierung minimal modifiziert, so dass die Grabinschrift Gawan schließlich nur die Schuld für den eigenen, nicht aber für den Tod des Bruders zuschreibt. Vgl. Suche, 950, 25 - 31: [. . .] da namen sie yn und legten yn by herrn Gahariet synen br ů der, also als er befolen hatte. Und darunder schreiben sie: »Hie ligent zwen bruder, Gahariet und herre Gawin, die herre Lanczlot dot schlug, wann herre Gawin wart dot geschlagen umb synen úberm ů t.« Diß geschrifft wart geschriben uff der zweyer bruder grab. 157 Vgl. Suche, S. 948, 22 - 27: Die frauw schrey zustunt: »Ach lieber herre Gawin, n ů bin ich dot um uwern willen! Umb gott, ir herren die hieinne sint, ich bitten uch das ir mynen lichnam mit uch furent, und furent mich dar da ir herrn Gawin furent und begrabent mich by yne, also das alle die jene die unser greber besehent wißent das ich umb synen willen dot bin.« So geschieht es kurz darauf und die Frau von Bielot erhält eine Grabinschrift, die ihren Mann als Täter und Gawan als Grund anführt. Vgl. Suche, S. 950, 31 - 33: Und off der frauwen grab, das da nahe by stunt, taden sie schreiben: »Hie lyt die frauwe von Belot, dir ir man dot schlug umb herrn Gawins willen.« 158 Vgl. Solterer 1984. 7.2 Endspiel: Grabmäler als Erkenntnisproblem im › Prosa-Lancelot ‹ 225 lich gegenüber den prophetischen des › Lancelot propre ‹ erwiesen, seien sie ebenso dauerhaft und darum nachträglich auch ebenso konstitutiv für die Rekonstruktion von Geschichte. 159 Zugleich werde an den Grabinschriften aber auch evident, wie schwer es sei, Geschichte korrekt zu überliefern: 160 In den Reaktionen ihrer Leser manifestiere sich die Unzulänglichkeit der Grabinschrift-Autoren. 161 Auch Michael W ALTENBERGER betonte, dass der letzte Teil des › Prosa-Lancelot ‹ nicht etwa die »in der Queste etablierte[] geistliche[] Weltordnung« fortsetzt, sondern »in eine Pluralität antithetischer Korrelationen [zerfalle], die einer Dynamik sukzessiver Substitutionen unterworfen [sind]«. 162 Jene »dilemmatischen Ambivalenzen« erzeugten Spannungen, »die der Erzählprozeß gerade vor dem Horizont seiner Finalisierung aufbau[e]«. 163 Ein solches Dilemma würde sich exemplarisch an Grabinschriften entfalten, die vom Rezipienten eine »Entscheidung [. . .] zwischen einem ihm privilegiert vermittelten Wissen um Kausalitäten und Intentionalitäten auf der einen und einer resultativen Deutung, der dieses Wissen fehlt, auf der anderen Seiten« einforderten. 164 Mit dem Deutungsdilemma hat sich auch Judith K LINGER befasst. 165 Ihr zufolge partizipierten die Grabinschriften zwar an der Autorität, die der Schrift im ganzen Roman zukomme, doch würden sie sich wiederholt als täuschungsanfällig erweisen. 166 Das führt K LINGER zu der Schlussfolgerung, die »warheit, die sich am Ende des Lebens in Form solcher Grabtexte ausdrückt«, sei »durchgängig von der Erkenntnis der jeweiligen Autor-Subjekte abhängig«. 167 Christiane W ITTHÖFT hat die Inkonsistenzen, die sich mit den Epitaphen verbinden, hingegen nicht auf subjektive Autorintentionen, sondern auf die missverständliche Objektivierung der epitaphischen Kurzform zurückgeführt. 168 Die Aussagen auf den Gräbern seien logisch richtig, begünstigten aber aufgrund ihres Reduktionismus, der Auslassung zumeist kontingenter Todesumstände, textintern Fehldeutungen und würde so auch zu falschen Handlungskonsequenzen führen. Autorität und Wahrheitsanspruch der (pseudo-)historischen Monumente müssen unweigerlich in einem fragwürdigen Licht erscheinen. 169 Ursächlich dafür ist das Fehlen von 159 Vgl. ebd., S. 565. 160 Vgl. ebd., S. 564. 161 Vgl. ebd., S. 565: »Leur répertoire d ’ inscriptions est si confus qu ’ il ne peut correctement rendre compte de la fin. Sa capitulation devant la prophétie atteste que l ’ inscription ne fournit plus un témoignage cohérent.« 162 Vgl. Waltenberger 1999, S. 144 - 153, hier S. 133. 163 Ebd., S. 144. 164 Ebd., S. 146. 165 Vgl. Klinger 2001. 166 Ebenso führt Daniel Waldmeier die Epitaphe der › Mort Artu ‹ als ein Beispiel › prekärer Schriftlichkeit ‹ an, weil sie an der Autorität von Schriftlichkeit zwar partizipieren, aber nicht verlässlich sind, vgl. Waldmeier 2018, S. 154 - 163. 167 Klinger 2001, S. 486. 168 Vgl. Witthöft 2014. 169 Der zweifelhafte Wahrheitsanspruch der Grabinschriften wird auch erörtert bei Solterer 1984; Unzeitig- Herzog 1990, S. 155; Robert Stuart Sturges: Medieval Interpretation: Models of Reading in Literary Narrative, 1100 - 1500. Illinois 1991, hier besonders S. 178 - 183; Elspeth Kennedy: Who is to Be Believed? Conflicting Presentations of Events in the Lancelot-Grail Cycle. In: Douglas Kelly (Hg.): The Medieval Opus. Imitation, Rewriting, and Transmission in the French Tradition. Proceedings of the Symposium Held at the Institute for Research in Humanities October 5 - 7 1995 at the University of Wisconsin- 226 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman Gelehrtenfiguren, die die schriftgebundene Rede durch ihr Kontextwissen mündlich ergänzen. Für die textexterne Vermittlung erfüllt der Erzähler diese Rolle. Er weiß mehr als auf den Grabmälern geschrieben steht und liefert die Umstände derTodesfälle mit. Textintern bleibt der Platz seit dem Verschwinden der Eremiten nach der › Queste ‹ jedoch leer - oder vielmehr: er wird plötzlich beliebig von Rittern des Artushofs ausgefüllt. 170 Auch Lancelot, der sich im ersten Romanteil durch besondere Lesekompetenz hervorgetan hatte, kann keine Abhilfe schaffen. Hatte er während der Gralsuche seine Sünden eingestanden und Besserung versprochen, verfällt er in der › Mort Artu ‹ erneut seiner Liebe zu Ginover. Als die Ehebruchsminne entdeckt wird, spaltet sie den Hof in zwei große Lager und das Geschehen nimmt einen unheilvollen Lauf. In einer Zeit der Ereignislosigkeit fungieren die Grabinschriften, so ließe sich resümieren, mithin als Katalysatoren einer Untergangsdynamik, die sich deswegen mit ganzer Wucht entfalten kann, weil die Sepulkralsemiose ohne verlässliche Interpreten falsche Handlungen nach sich zieht. Zurück bleibt eine Kathedrale voll schuldzuweisender Epitaphe. Sie bilden nicht nur das Gegenstück zu den historiographischen Aufzeichnungen, sondern müssen der vermeintlichen fromkeyt des Artushofs auch unweigerlich ein schillerndes Andenken verleihen. Artus und Lancelot sind zwei separate Grabstätten vorbehalten. Artus ’ mythische Entrückung nach Avalon, die in Geoffreys von Monmouth › Historia Regum Britanniae ‹ und Waces › Roman de Brut ‹ auf das Jahr 542 n. Chr. datiert wird, kennt im › Prosa-Lancelot ‹ keinen genauen Zeitpunkt. Sie wird aber durch ein Epitaph bezeugt, dessen Herkunft ungewiss ist. 171 Nach der chronikalen Logik gibt es auch für dieses Epitaph einen Augenzeugen: Giflet, ein letzter Überlebender, soll beobachtet haben, wie sein verwundeter König auf einem Schiff mit zwei Frauen davongetragen wird. Kurz darauf stößt er in der Schwarzen Kapelle auf zwei prächtige beschriftete Sarkophage. Der erste Sarkophag ist mit einer Grabinschrift für den königlichen Mundschenk Lucan versehen, den Artus versehentlich aus Trauer erdrückt hat, 172 das zweite Epitaph ist dem König selbst gewidmet. Im Unterschied zu den vorherigen Grabinschriften der › Mort Artu ‹ enthält Artus ’ Grabinschrift keine Schuldzuweisung mehr, sondern präsentiert sich als rühmender Nachruf auf seine Herrschaft. 173 Ein Einsiedler bestätigt auf Giflets Nachfrage die Richtigkeit der Angaben und berichtet, dass der König von Frauen beigesetzt worden sei. Der Tod von König Artus vereint mythische und historische Anteile: Kann das Epitaph, dessen Faktizität durch die Rückkehr einer Einsiedlerfigur gestützt wird, als Merkmal historischen Erzählens gelten, sind Zeitraum und Ort dagegen so unspezifisch, dass dem Madison. Amsterdam/ Atlanta 1996 (Faux Titre 116), S. 168 - 180, hier S. 172 - 174; Hans-Joachim Ziegeler: Schrift und Wahrheit im deutschen › Lancelot ‹ . In: Ingrid Kasten u. a. (Hg.): Kultureller Austausch und Literaturgeschichte im Mittelalter. Transferts culturels et histoire littéraire au moyen âge. Kolloquium im Deutschen Historischen Institut Paris 16. - 18.3.1995. Sigmaringen 1998, S. 201 - 213; Waltenberger 1999, S. 144 - 152; Klinger 2001, S. 476 - 491; Raumann 2010, S. 187 - 220 und Witthöft 2014. 170 So auch Unzeitig-Herzog 1990, S. 155: »Die Artusritter selbst berichten, als Kommentatoren der Vergangenheit, die Zusammenhänge nach ihrer Kenntnis von Begebenheiten. Das heißt, sie werden selbst zur › Interpretationsinstanz ‹ , die im Nachhinein die (relative) Wahrheit über die Ereignisse darstellt.« 171 Das Epitaph kommt bei Geoffrey und Wace nicht vor. 172 Vgl. Suche, S. 1008, 28: Off dem lilichsten stund geschriben: »Hie lyt Lucas der Bukeler, den der kónig Artus dot truckt úber im.« 173 Vgl. Suche, S. 1008, 31 - 33: »Hie lyt konig Artus, der da mit syner byderbekeit im undertenig gemacht hatt zwölff kónigrich.« 7.2 Endspiel: Grabmäler als Erkenntnisproblem im › Prosa-Lancelot ‹ 227 Geschehen zugleich eine mythische Qualität innewohnt. 174 So bleibt in der Schwebe, wie sich Artus ’ Tod tatsächlich zugetragen hat. Wie das Epitaph von König Artus ist auch die Grabinschrift für Lancelot von dem denunziatorischen Gestus der Racheepitaphe frei. Es bildet den letzten Abschluss des Romans und enthält einen analeptischen Verweis nicht nur auf den Beginn der Erzählung (Lancelots Signaturepisode auf der Dolorose Garde), sondern auch auf den ursprünglichen Erzählschluss, das Ende der › Queste ‹ : Schließlich wird Lancelots Grab auch zum stellvertretenden Erinnerungsort für Galaad, den letzten Nachkommen Josephs von Arimathia, der fernab im orientalischen Sarras begraben liegt. * Im Gralroman wird das Modell einer exklusiven Herrschaft entworfen, das zwar auf den Prinzipien weltlicher Ritterschaft gründet, dessen Anhänger sich aber durch die Verinnerlichung christlicher Werte auszeichnen und ihren Dienst allein auf Gott ausrichten. Diese Gemeinschaft hat einen besonderen Zugang zur göttlichen Transzendenz, die im Gral dinglich figuriert wird. Der Gral, bei Wolfram als wunderbarer Stein, im › Prosa-Lancelot ‹ als Abendmahlskelch konzeptualisiert, ist das Medium, in dem Gott sich anwesend zeigt. Damit tritt er in eine Ähnlichkeitsrelation zum Grab, dem etablierten Ort von Wundererscheinungen in der Hagiographie, an dem die Heiligkeit verstorbener Männer und Frauen zeichenhaft bekräftigt wird. Beide beziehen ihre Sakralität aus der metonymischen Beziehung von Gefäß und heiligem Körper, sei es als Kelch für das Blut Christi oder als Aufbewahrungsort der sterblichen Überreste des Heiligen. Die Implikationen dieser Äquivalenzbeziehung werden in den mittelalterlichen Gralromanen auf unterschiedliche Weise erzählerisch erschlossen: Der › Parzival ‹ entwirft einen materiellen Zusammenhang zwischen Gahmurets Grab im › Orient ‹ und dem Gral, in dessen Signum am Ende › Orient ‹ und Okzident zusammenfinden. Dagegen stützt das Grabmal im › Prosa-Lancelot ‹ eine paradigmatische Struktur in dem episodischen Geflecht der Erzählung, die abwechselnd von Sinnbildungsmodellen des höfischen, geistlichen und historiographischen Erzählens vereinnahmt wird. Bei den gattungsspezifischen Aneignungen des Motivs werden die am Grabmal beteiligten Systeme jeweils unterschiedlich gewichtet. So können die Grabmäler zum einen als textinternes Gedächtnis für die genealogischen Voraussetzungen des Gralrittertums fungieren, zum anderen auf den moralischen Verfall der erzählten Welt hindeuten - mit der Notwendigkeit, den Gral zu entrücken - , und sie können schließlich als epitaphische Kurzbiographien den formalen Endpunkt aller ritterlichen Aventiureberichte in Logrien bilden. 174 Vgl. Monika Unzeitig: Mythisches und chronikales Erzählen in der › Historia Regum Britanniae ‹ des Geoffrey of Monmouth und im › Prosalancelot ‹ - ein Vergleich. In: Friedrich Wolfzettel u. a. (Hg.): Artusroman und Mythos. Berlin/ New York 2011 (Schriften der Internationalen Artusgesellschaft 8), S. 165 - 182, hier besonders S. 180 f. 228 7 Vater und Sohn: Zur Herrschaftsvermittlung der Gräber im Gralroman 8 Resümee Der Konvention gemäß endet die Lebenserzählung am Grabe des Protagonisten - einerseits. Andererseits besteht der Reiz erzählter Grabmäler gerade in ihrer Scharnierfunktion. In besonderer Weise eignet ihnen ein Verweischarakter: Das Grabmal markiert das Ineinander von Immanenz und Transzendenz, erinnerten Herrschern und erinnernden Gemeinschaften, alten und neuen Weltreichen, Vater- und Sohngenerationen, Enden und (Neu-)Anfängen. Um literarische Referenzialisierungs-, Bilanzierungs- und Segmentierungsfunktion einnehmen zu können, muss das Grab b e z e i c h n e n , und es tut dies im erzählten Zusammenspiel diverser semiotischer Systeme (Schrift, Bild, Plastik und Materialität) sowie durch seine spezifische Position im Raum. Die vorliegendeArbeit hat sich vorgenommen, diesen Komplex auf Grundlage der deutschen und lateinischen Literatur des frühen und hohen Mittelalters zu analysieren, unter gelegentlichen Seitenblicken auch auf französische, englische und italienische Erzähltexte. Der Untersuchungszeitraum war keineswegs beliebig gewählt. Im Übergang zwischen Früh- und Hochmittelalter hat sich eine kulturgeschichtliche Tendenz zum intensiveren Memorialkult, zur Totenpräsentifikation und sepulkralen Individualisierung entwickelt. Insofern besteht durchaus ein Zusammenhang zwischen realen und fiktiven Grabmälern, denn auch in der Literatur lässt sich in dieser Zeit ein wachsendes Interesse an aufwendigen Sepulkralensembles beobachten, wenngleich deren konkrete Gestaltung bisweilen jenseits jeder Wahrscheinlichkeit imaginiert wird. In den mittelalterlichen Grabdarstellungen liegt ein besonderer Akzent auf dem Verhältnis von Materialität, symbolischer Form und Schrift, mithin auf der Semiotizität des Grabmals. Deren konzeptuelle Grundlagen versuchte der einleitende Entwurf einer mediävistischen Semiotik des Sepulkralen zu rekonstruieren. Die mittelalterliche Zeichentheorie diskutiert vor allem die Unterscheidung zwischen natürlichen signa und solchen Zeichen, die vom Menschen eigens zur Kommunikation eingesetzt werden und deren Verständnis daher konventionell ist. Nach der pansemiotischen Weltsicht sind vor allem die natürlichen Dinge Zeichen der göttlichen Offenbarung. Wie die › Alexandreis ‹ , der › Roman de Troîe ‹ oder die › Queste ‹ des › Prosalancelot ‹ zeigen, können die Sepulkralkunstwerke in mittelalterlichen Graberzählungen aber auch eschatologische Bedeutung tragen und auf das göttliche Wirken in der Geschichte verweisen. Das Funktionieren der Sepulkralsemiose setzt beim Betrachter und Leser eine Dechiffrierungskompetenz voraus, die im Mittelalterlich immer wieder problematisiert wird, insbesondere im Bezug auf ältere, beispielsweise antike Gräber. Vielleicht wirkt hier eine Verwandtschaft nach, die das zweite Kapitel umreißt, nämlich die Gattungsbeziehung von Rätsel, Epigramm und Epitaph zwischen Spätantike und Humanismus. Es gehört zu den methodologischen Schwierigkeiten der Arbeit, dass das Mittelalter keine Gattungspoetik der Grabinschrift entworfen hat, erzählte Grabinschriften aber zumindest in der lateinischen Literatur des Mittelalters oft epigrammatische Struktur aufweisen. Unter dem Begriff titulus, der in diesem Zusammenhang öfter verwendet wird, firmiert eine Vielzahl an Dichtungsformen, die sich allenfalls hinsichtlich ihrer Kürze und ihrer Dingbezogenheit ähneln. Die Epitomisierung von Großgedichten - etwa in Form von fiktiven Grabinschriften auf Helden der › Ilias ‹ oder der › Aeneis ‹ - , wie sie entsprechende Epitaphsammlungen vornehmen, wirkt aber auch in volkssprachigen Texten nach. Ob hier eine › versteckte ‹ Traditionslinie des antiken Epigramms in der mittelalterlichen Vulgärliteratur zu sehen ist, kann im Rahmen dieser Abhandlung nicht beantwortet werden. Die vier Hauptkapitel widmeten sich den Funktionen von Sepulkralsemiose in ausgewählten Erzählgattungen des Mittelalters. Dafür wurde ein Verweisungsspektrum aufgefächert, das sich freilich als heuristisch versteht. Die meisten Texte zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie mehrere Verweisungsverhältnisse überblenden. Die Texte wurden den einzelnen Kapiteln so zugeordnet, dass dabei diejenige Formation zutage tritt, die sich als strukturprägend für die Erzählung erweist. Ohne die Untersuchungsergebnisse im Einzelnen aufzählen zu wollen, möchte ich sieben übergreifende Beobachtungen festhalten: (1) Erzählte Grabmäler fungieren als Medien eines w e c h s e l s e i t i g e n Verhältnisses zwischen Immanenz und Transzendenz. Verweist die Formel der Fürbitte vom Diesseits ins Jenseits, so kann der Inschrift von Grabmälern besonders im legendarischen Erzählen - und in solchen Texten, die legendarische Erzählmuster aufgreifen - oft eine hieratische Qualität eignen, die sich umgekehrt als Einbruch der Transzendenz in die Immanenz manifestiert. (2) Der Widerspruch zwischen monumental fixierter und poetischer memoria wirkt nach dem Konkurrenzmodell der klassischen Antike zwar in der lateinischen Dichtung fort, weicht im volkssprachigen Erzählen des Hochmittelalters jedoch weitgehend einer integrativen Kunstauffassung: Materiale Sepulkralarrangements werden in der erzählten Welt nicht nur abgewertet, sondern können im Gegenteil zu detailreichen Kunstwerken ausgeweitet werden, die durch das Zusammenwirken von Schrift, Materialität und Bildlichkeit plurale Deutungsangebote offerieren und in die poetische Struktur des Textes eingebettet sind. (3) In diesem Sinne können erzählte Sepulkralarrangements eine chronotopische Funktion einnehmen, die darin besteht, die vorchristliche Vergangenheit in ein heilsgeschichtliches Zeitkontinuum einzubinden, das sich am Grabmal materialisiert, um mit ihm überwunden zu werden. Translatorisches Denken vollzieht sich in der Sepulkralsemiose als Remortifikation - erinnert werden soll, dass etwas vergangen ist, um es als Vergangenes in die Gegenwart aufzunehmen. (4) Erzählte Gräber können nicht nur die Weltreichabfolge markieren, sondern auch binnenfamiliäre Herrschaftsgenealogien stiften. Im Unterschied zur translatio imperii beruht die Genealogie aber nicht auf Diskontinuität, sondern auf transpersonaler Sukzession. Wie Wolframs › Parzival ‹ zeigt, wird der Tod des Vaters in sepulkral-genealogischen Verweisungsverhältnissen zwar als notwendige Voraussetzung für die Geschichte des Sohnes gedacht, diese vollendet ihre eigene › Vorgeschichte ‹ aber in gewisser Weise und knüpft damit in der Konstellation von Grab und Gral auch Erzählende und Erzählanfang aneinander. (5) Erzählte Grabmäler wirken in der Diegese gemeinschaftsbildend. Nach dem Tod eines Helden oder eines Heiligen wird oft von kollektiver Trauer an dem Ort seines Grabes erzählt, das metonymisch für den Verstorbenen steht. Im Gegensatz zum Roman, wo meist an wenigen Stellen markante Grabmäler beschrieben sind, neigen historische Darstellungen zur Addition erzählter Gräber. So formiert sich eine wachsende Gemeinschaft über ihre begrabenen Heroen. Ihr genauer Todeszeitpunkt und der Ort ihrer Grabstätte wird markiert, um die Verstorbenen 230 8 Resümee nach dem Vorbild von Märtyrern und Heiligen zum Gegenstand eines zyklischen Gedenkens zu erheben, das den dies natalis zum ewigen Leben festhält. (6) In historischen und höfischen Erzählungen erfüllen Grabmäler oft eine kohärenzstiftende Funktion. Die Textverknüpfung wird in erster Linie über die Wiederholung des Grabmotivs geleistet, wenn auch mit verschiedenen Ausprägungen und Konsequenzen. Die Grabmäler des › Roman de Troîe ‹ und der › Mort Artu ‹ im › Prosa-Lancelot ‹ zeichnet aus, dass ihre Epitaphe und Grabbilder auf die Mörder der Verstorbenen verweisen. Die Erinnerung an die Täter motiviert dadurch Vergeltungshandlungen, die sich zu einer finalistischen Erzähllogik des Untergangs verdichten. Eine ganz andere Wirkung erzeugen die Epitaphe im Autograph des Orderic Vitalis: Indem sie sich rhythmisch und schriftbildlich vom Ereignisbericht abheben, lassen die in den linearen Ablauf der Geschichte inserierten Inschriften so etwas wie ein buchräumliches Totengedächtnis entstehen. Damit rücken sie in die Nähe von Diagrammen, welche die Textoberfläche durch ihre Strukturbildlichkeit segmentieren. (7) Die Sepulkralsemiose erweist sich als überraschend täuschungsanfällig. Einerseits birgt das ein gewisses narratives Potential, wie beispielsweise › Flore und Blanscheflur ‹ oder der › Apollonius ‹ zeigen. Andererseits lässt die volkssprachige Literatur des Mittelalters an manchen Stellen auch ein Misstrauen gegenüber der Stabilität von Zeichenrepräsentation erkennen. Das Identifikationsprinzip täuscht, wenn, wie im › Prosa-Lancelot ‹ , nicht diejenige Person im Grabe liegt, die der Name indiziert. Zeichen können, wie im späten Beispiel › De Erkenwaldo ‹ , von nachfolgenden Generationen bisweilen nicht mehr entschlüsselt werden. Fast deutet sich in manchen Texten eine Krise des sepulkralen Metonymieprinzips an, wenn das Grab den Verstorbenen nicht mehr substituiert, sondern sein realer Leib, wie im › Parzival ‹ als unter einer durchsichtigen Platte durchscheinend oder der Sarkophag als geöffnet vorgestellt wird. Diese Beispiele indizieren einen Deutungsstrang, dem zufolge das Abbild des Heiligen allein nicht mehr genügt und der auf realkörperlicher Präsenz beharrt, statt die Stiftung der memoria den Zeichen anzuvertrauen. 8 Resümee 231 Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Merowingischer Runenstein, GDKE RLP, Landesmuseum Mainz, Foto: U. Rudischer. Abb. 2: Grabmal Rudolfs von Schwaben, Quelle: Erwin Panowsky: Deutsche Plastik des 11. - 13. Jahrhunderts. Leipzig 1924, S. 13. Abb. 3: Grabmäler der Plantagenets: Heinrich II. von England (13. Jh.), Eleonore von Aquitanien (1220 - 30), Richard I. Löwenherz (13. Jh.), Fontevrault, Abteikirche, Quelle: Willibald Sauerländer: Gotische Skulptur in Frankreich 1140 - 1270. München 1970, Abb. 142. Abb. 4: Grabmal für Rudolf von Habsburg [Detailansicht], Quelle: Hans Körner: Grabmonumente des Mittelalters. Darmstadt 1997, S. 130. Abb. 5: Gräfin Flegetine lässt drei Grabmäler errichten (aus der › Estoire del Saint Graal ‹ ), Quelle: British Library, MS 14 E III, fol. 66 v. URL: http: / / www.bl.uk/ manuscripts/ Viewer.aspx? ref=royal_ms_14_e_iii_f066v. Abb. 6: Ein Handwerker gestaltet Blanscheflurs Grabplatte (aus Konrad Flecks › Flore und Blanscheflur ‹ ), Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg, cpg 362, fol. 54 r. P URL: https: / / digi.ub.uni-heidelberg.de/ diglit/ cpg362. Abb. 7: Artemisia lässt ein Grabmal für Mausolus errichten (aus Giovanni Boccaccios › De mulieribus claris ‹ ), Quelle: The Morgan Library, New York, MS M.381, fol. 34 r. URL: http: / / ica.themorgan.org/ manuscript/ page/ 24/ 76925 (zuletzt abgerufen am 01.02.2021). Abb. 8: Grabmal von Tristan und Isolde (aus Eilharts von Oberg › Tristan und Isolde ‹ ), Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg, cpg 346, fol. 174 r. P URL: https: / / digi.ub.uni-hei delberg.de/ diglit/ cpg346/ 0363. Abb. 9: Epitaph für Abt Ainard von Dive (aus Orderics Vitalis › Historica Ecclesiastica ‹ ), Quelle: gallica.bnf.fr / Bibliothèque nationale de France, Ms. Latin 5506 (2), Ansicht 100. Bibliographie Quellen Abaelardus, Petrus: Dialectica. Hg. v. L. M. de Rijk. Assen 1956 (Wijsgerige teksten en studies 1). Abaelardus, Petrus: Glossae super Peri hermeneias. Hg. v. Klaus Jacobi und Christian Strub. Turnhout 2010 (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 206). Albarus von Cordoba: Vita vel passio beatissimi presbiterii Eulogii. Hg. v. Juan Gil Fernández. In: Corpus Scriptorum Muzarabicorum, Bd. 1 (Manuales y anejos de Emerita 28). Madrid 1973, S. 330 - 343. Annales Hildesheimenses ad a. 1000. Hg. v. Georg Waitz. Hannover 1978 (Monumenta Germaniae Historica Scriptores rerum Germanicarum 8). Anthologia latina sive Poesis supplementum. Hg. v. Franz Bücheler und Alexander Riese, von A. Riese überarb. Neuausgabe, Bd. 1: Carmina in codicibus scripta, Fasz. 1 und 2. Leipzig 1964. 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Angilbert, Hofkapellan Karls des Großen 58 Aristoteles 25 ff., 101 Augustinus von Canterbury 157 ff., 163 Augustinus, Aurelius 23 ff., 27, 30 f., 55, 67, 114, 152, 156 Augustus 76, 78, 90, 100 Ausonius 20, 52, 54, 88, 91 ff., 118 Bacon, Roger 27 f., 84 Ban ū -M ū sa¯ Brüder 148 Baudri von Bourgueil 50, 165 Beatrix von Courtenay 136 Beda Venerabilis 13, 71 f., 155 ff., 163 ff., 169 Benoît de Sainte-Maure 88, 106 ff., 111, 113 f., 133 Boccaccio, Giovanni 41 f., 62, 133, 141 f. Bonaventura 30 Bonifatius (Winfrid), Heiliger 50, 53 Caedwalla 159 ff., 163 Catull 51, 62 Cavalcanti, Cavalcante 81 Cavalcanti, Guido 81 Chaucer, Geoffrey 133 Chrétien de Troyes 106, 196, 202, 222, 224 Christophorus, Heiliger 191 Cicero 89 ff. Claudian 52 Constantina, Tochter Konstantins I. 55 f. Curtius Rufus 96 Damasus I., Papst 50, 53 ff., 72 Dante Alighieri 69, 80 ff., 85, 132 Dares Phrygius 111 Dedo von Wettin 136 Dictys Cretensis 111 Dracontius 91 Dudo von Saint-Quentin 164 f. Eilhart von Oberg 42 f., 134 ff. Einhard 32, 75 ff. Eleonore, Königin von England 36, 108 Embricho von Mainz 74, 192 Epikur 81 Eriugena, Johannes Scotus 178 f. Erkenwald, Heiliger 83, 85 Eulogius, Heiliger 74 Feliciano, Felice 63 Freidank 15 Friedrich I. Barbarossa 78 ff., 110 Fulcois von Beauvais 50 Gerhard von Cremona 148 Gottfried von Straßburg 134 f., 142, 150 f., 197 Gower, John 133 Gregor I., Papst 31, 72, 157 ff., 163 Hartmann von Aue 68, 134, 146, 195, 197, 222 Heinrich der Löwe 136 Heinrich I., König von England 113 Heinrich II., König von England 36, 89, 108, 136, 195, 222 Heinrich IV., römisch-deutscher König und Kaiser 35, 72 Heinrich von Freiberg 134 Heinrich von Gent 95 Heinrich von Huntingdon 61, 165 Heinrich von Meißen (Frauenlob) 15 Heinrich von Morungen 181 Heinrich von Veldeke 109 f., 176, 180 f. Heliodor 119 Herbort von Fritzlar 116, 176 Hieronymus 12, 72 ff., 132 Homer 91, 99, 104, 111 Horaz 73 f. Hrabanus Maurus 50, 57 Hugo von St. Viktor 29 f., 147, 152 Isabella von Angoulême 37, 108 Isidor von Sevilla 51 f., 156, 163, 222 Jacobus de Voragine 69 ff. Johannes Diaconus 72 Julius Valerius 96 Karl der Große 32, 35, 57 f., 69, 71, 75 ff., 139 Karl III. der Dicke 78 Konrad Fleck 40, 134, 141 ff., 149 ff. Konrad von Würzburg 68 Konstantin I. der Große 55 f. Konstantin VII. Porphyrogennetos 148 Lauber, Diebold 40 Leo IV., Papst 164 Liutprand von Cremona 148 Lukan 89, 95 f., 98 Manutius, Aldus Pius 63 Map, Walter 194 f., 219, 222 Marbod von Rennes 114 Marcanova, Giovanni 63 Maria von Ägypten, Heilige 71, 121 f., 127 f. Marie de France 194 Martial 20, 47, 51 f., 61 f., 94 Martin von Tours 77 Mathilde von Flandern, Königin von England 166 f. Mathilde, Äbtissin von Caen 44 Mathilde, Herzogin von Sachsen und Bayern 136 Maurilius von Rouen 164 Mechthild von Heinsberg 136 Notker I. der Stammler 78 Opitz, Martin 65 f. Orderic Vitalis 13, 155, 163 ff., 231 Otfrid von Weißenburg 149 Otto III., römisch-deutscher König und Kaiser 78 f. Otto von Botenlauben 136 Otto von Lomello 79 Ottokar aus der Gaal 37 f. Ovid 54, 56, 96, 119, 132 ff., 137, 139, 153, 181 Paschalis III., Papst 79 Paula, Heilige 12, 72 ff. Paulinus von Nola 31, 55, 91 Paulus Diaconus 58, 160, 165 Pelagius II., Papst 71 f. Petrus von Poitiers 30 Petrus, Apostel 68, 160, 162 Philocalus, Furius Dionysius 54 Photin von Thessaloniki 82 f. Plinius d. Ä. 114 Plotin 178 Pontanus, Jacobus 65 Prosper von Aquitanien 52 Prudentius 53, 56 Ps.-Dionysius von Aeropagita 178 f. Reinbot von Durne 68, 197 Richard I. Löwenherz 36, 108, 113 Richard von St. Viktor 29 f. Robert von Rhuddlan 164, 166 Rudolf I. von Habsburg, römisch-deutscher König 37 ff. Rudolf von Ems 134 Rudolf von Schwaben 35 f. Scaliger, Julius Caesar 50, 64 f. Sedulius 91 Shelley, Percy Bysshe 9 Sueton 61, 76, 78, 89 Sulpicius Severus 68, 77 f. Tesauro, Emmanuele 65 Theodor von Tarsus 159 ff., 163 Theodulf von Orléans 91 Thietmar von Merseburg 79 Thomas von Aquin 33 Uberti, Farinata 81 Ulrich von Liechtenstein 34 Ulrich von Türheim 134 Ulrich von Zatzikhoven 196 Valentinian I. 91 Venantius Fortunatus 49 f., 58 f., 61, 91 Vergil 54, 56, 61 f., 81 f., 87, 89 ff., 93, 95 f., 110, 172, 181 Vossius, Gerhard 65 Walter von Châtillon 12, 49 f., 61 f., 88, 95 f., 99 ff., 105, 115 Walter von Compiègne 74, 192 Wilfrid, Heiliger 159 ff. Wilhelm I. der Eroberer 164 Wilhelm von Malmesbury 110 Wolfram von Eschenbach 38 f., 134, 171 ff., 176 f., 179, 182 ff., 189 ff., 196 f., 209, 212, 215, 228, 230 Zoppo, Marco 63 264 Register Bibliotheca Germanica Handbücher, Texte und Monographien aus dem Gebiete der germanischen Philologie herausgegeben von Udo Friedrich, Susanne Köbele und Henrike Manuwald Die Buchreihe Bibliotheca Germanica wurde im Jahre 1951 von Friedrich Maurer, Heinz Rupp und Max Wehrli im Francke-Verlag Bern (jetzt: Tübingen) begründet. Seither versammelt die Bibliotheca Germanica Arbeiten der germanistisch-mediävistischen Grundlagenforschung in Texteditionen, materialerschließenden Monographien und textanalytisch-kulturhistorischen Studien. In enger Verbindung von Überlieferungsgeschichte, Textphilologie, kulturwissenschaftlicher Theoriebildung und komparatistischen Interessen vermitteln die in der Bibliotheca Germanica erscheinenden Arbeiten innovative Einsichten in die Textentstehungsprozesse, die Typenspezifik und die poetologischen Besonderheiten der deutschen Literatur der Vormoderne. Aktuelle Bände: http: / / www.narr-shop.de/ reihen/ b/ bibliothecagermanica.html 45 André Schnyder Das geistliche Tagelied des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit Textsammlung, Kommentar und Umrisse einer Gattungsgeschichte 2004, XIV, 832 Seiten €[D] 124,- ISBN 978-3-7720-2036-0 46 Jörg Seelhorst Autoreferentialität und Transformation Zur Funktion mystischen Sprechens bei Mechthild von Magdeburg, Meister Eckhart und Heinrich Seuse 2003, 410 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-2037-7 47 Michael Stolz Artes-liberales-Zyklen Formationen des Wissens im Mittelalter (2 Bände) 2003, XX, 992 Seiten €[D] 248,- ISBN 978-3-7720-2038-4 48 Bruno Quast Vom Kult zur Kunst Öffnungen des rituellen Textes in Mittelalter und Früher Neuzeit 2003, 237 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8019-7 49 Sandra Linden Kundschafter der Kommunikation Modelle höfischer Kommunikation im ‹Frauendienst› Ulrichs von Lichtenstein 2004, X, 451 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8045-6 50 Andreas Kraß Geschriebene Kleider Höfisches Identität als literarisches Spiel 2006, X, 421 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8129-3 51 Annette Gerok-Reiter Individualität Studien zu einem umstrittenen Phänomen mittelhochdeutscher Epik 2006, X, 350 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8169-9 52 Henrike Manuwald Medialer Dialog Die «Große Bilderhandschrift» des Willehalm Wolframs von Eschenbach und ihre Kontexte 2008, X, 638 Seiten €[D] 148,- ISBN 978-3-7720-8260-3 53 Justin Vollmann Das Ideal des irrenden Lesers Ein Wegweiser durch die ‹Krone› Heinrichs von dem Türlin 2008, X, 272 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8311-2 54 Bernd Bastert Helden als Heilige Chanson de geste-Rezeption im deutschsprachigen Raum 2010, X, 492 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8356-3 55 Balázs J. Nemes Von der Schrift zum Buch - vom Ich zum Autor Zur Text- und Autorkonstitution in Überlieferung und Rezeption des ‹Fließenden Lichts der Gottheit› Mechthilds von Magdeburg 2010, X, 555 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8362-4 56 Tanja Mattern Literatur der Zisterzienserinnen Edition und Untersuchung einer Wienhäuser Legendenhandschrift 2011, X, 446 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8375-4 57 Rachel Raumann Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue und im «Prosa-Lancelot» 2010, X, 330 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8376-1 58 Christiane Krusenbaum-Verheugen Figuren der Referenz Untersuchungen zu Überlieferung und Komposition der ‹Gottesfreundliteratur› in der Straßburger Johanniterkomturei zum ‹Grünen Wörth› 2013, X, 685 Seiten €[D] 128,- ISBN 978-3-7720-8476-8 59 Stefan Matter Reden von der Minne Untersuchungen zu Spielformen literarischer Bildung zwischen verbaler und visueller Vergegenwärtigung anhand von Minnereden und Minnebildern des deutschsprachigen Spätmittelalters 2013, XII, 569 Seiten, 48 Farbtafeln €[D] 128,- ISBN 978-3-7720-8477-5 60 Astrid Lembke Dämonische Allianzen Jüdische Mahrtenehenerzählungen der europäischen Vormoderne 2013, 400 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8498-0 61 Coralie Rippl Erzählen als Argumentationsspiel Heinrich Kaufringers Fallkonstruktionen zwischen Rhetorik, Recht und literarischer Stofftradition 2014, XII, 390 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8528-4 62 Anna Kathrin Bleuler Essen - Trinken - Liebe Kultursemiotische Untersuchung zur Poetik des Alimentären in Wolframs ‹Parzival› 2016, X, 351 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8541-3 63 Hans Rudolf Velten Scurrilitas Das Lachen, die Komik und der Körper in Literatur und Kultur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit 2017, 538 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8541-3 64 Susanne Bernhardt Figur im Vollzug Narrative Strukturen im religiösen Selbstentwurf der ‹Vita› Heinrich Seuses 2016, 330 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8543-7 65 Cordula Kropik Gemachte Welten Form und Sinn im höfischen Roman 2018, 380 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8559-8 66 Daniel Eder Der Natureingang im Minnesang Studien zur Register- und Kulturpoetik der höfischen Liebeskanzone 2016, 458 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8592-5 67 Henrike Manuwald Jesus und das Landrecht Zur Realitätsreferenz bibelepischen Erzählens in Hoch- und Spätmittelalter 2018, 469 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8593-2 68 Margit Dahm-Kruse Versnovellen im Kontext Formen der Retextualisierung in kleinepischen Sammelhandschriften 2018, 392 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8646-5 69 Ramona Raab Transformationen des dû im Text Predigten Meister Eckharts und ihr impliziter Adressat 2018, 182 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8633-5 70 Thomas Poser Raum in Bewegung Mythische Logik und räumliche Ordnung im ›Erec‹ und im ›Lanzelet‹ 2018, 238 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8645-8 71 Bent Gebert Wettkampfkulturen Erzählformen der Pluralisierung in der deutschen Literatur des Mittelalters 2019, 510 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8653-3 72 Linus Möllenbrink Person und Artefakt Zur Figurenkonzeption im ›Tristan‹ Gottfrieds von Straßburg 2020, 514 Seiten €[D] 108,- ISBN 978-3-7720-8707-3 73 Verena Spohn Vom Du erzählen Die Du-Anrede als narrative Strategie in volkssprachlichen religiösen Texten des späten Mittelalters noch nicht erschienen 74 Hannah Rieger Die Kunst der ›schönen Worte‹ Füchsische Rede- und Erzählstrategien im Reynke de Vos (1498) 2021 ca. 282 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8736-3 75 Eva Locher Kohärenz und Mehrdeutigkeit Vergleichende Fallstudien zur Poetik der Sangspruchdichtung Rumelants von Sachsen 2021, ca. 320 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8752-3 76 Laura Velte Sepulkralsemiotik Grabmal und Grabinschrift in der europäischen Literatur des Mittelalters 2021, Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8753-0 In der mittelalterlichen Gedenkkultur kommt dem Grabmal eine wichtige Funktion als Erinnerungsmedium zu. Zwischen Früh- und Spätmittelalter lässt seine Entwicklung das Bedürfnis erkennen, den Toten und ihrem Leben eine signifikante Form zu geben und sie auf diese Weise präsent zu halten. Zwar wurde der besondere Zeichencharakter des Grabmals im Mittelalter nicht theoretisch reflektiert. Doch als Motiv begegnet es so zahlreich in der zeitgenössischen Literatur und Historiographie, dass diese Darstellungen implizite Rückschlüsse auf die Wahrnehmung seiner Substitutions- und Repräsentationsfunktion erlauben. Die Studie untersucht die Zeichenhaftigkeit erzählter Grabmäler erstmals systematisch und in komparatistischer Perspektive. ISBN 978-3-7720-8753-0 Velte Sepulkralsemiotik BIBL. GERM. 76 Laura Velte Sepulkralsemiotik Grabmal und Grabinschrift in der europäischen Literatur des Mittelalters